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Full text of "Imago. Zeitschrift für Anwendung der Psychoanalyse auf die Geisteswissenschaften IV 1915 Heft 2"

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AGO 

ZEITSCHRIFT FÜR ANWENDUNG 
DER. PSYCHOANALYSE AUF DIE 
GEISTESWISSENSCHAFTEN 


HERAUSGEGEBEN VON 

PROF. DE S1GM. FREUD 

REDIGIERT VON 

DE OTTO RANK U. DE HANNS SACHS 



IV. JAHRGANG / 1915 
HEFT 2 



1915 


HUGO HELLER &.QS. 

LEIPZIG u.WlEN-(-BAUERNMARKTS 



D IE UNREGELMÄSSIGKEITEN IM ERSCHEINEN UND IM UM» 
FANGE DIESER ZEITSCHRIFT, WELCHE UNS DURCH DIE 
KRIEGSLAGE AUFERLEGT SIND, WOLLEN DIE P. T, ABONNEN¬ 
TEN FREUNDLICHST ENTSCHULDIGEN. DAS VERSÄUMTE WIRD 
NACH WIEDERKEHR NORMALER ZUSTÄNDE NACHGEHOLT 

WERDEN. 


Für die REDAKTION bestimmte Zuschriften und Sendungen wollen an 
Dr. HANNS SACHS, Wien XIX,, Pyrkergasse 1, adressiert werden. 


»IMAGO« erscheint SECHSMAL jährlich im Gesamtumfang von 
24—30 Bogen und kann für M. 15— = K 18 — pro Jahrgang durch 
jede gute Buchhandlung sowie direkt vom Verlage HUGO HELLER 
“3D CIE. in Wien I., Bauernmarkt 3, abonniert werden. Einzelne Hefte 
werden nicht abgegeben. 

Auch wird ein GEMEINSAMES ABONNEMENT auf 
»IMAGO« und die »INTERNATIONALE ZEITSCHRIFT FÜR 
ÄRZTLICHE PSyCHOANALySB« zum ermäßigten Gesamtjahres¬ 
preis von M. 30-— = K 36'— eröffnet. 

Die wenigen noch verfügbaren Exemplare der früheren Jahrgänge 
von »IMAGO« werden im Preise erhöht, so daß der komplette Jahrgang 
nunmehr M. 18’— = ir21'60, gebunden M. 22'50 = K 27 ■— kostet. 

ORIGINAL - EINBANDDECKEN mit Lederrücken sind zum 
Preise von M. 3'- = K 3'60 durch jede gute Buchhandlung, sowie 
direkt vom Verlage zu beziehen. 


Copyright 1915. HUGO HELLER ® CIE., Wien I., Bauernmarkt 3. 





IMAGO 

ZEITSCHRIFT FÜR ANWENDUNG DER 
ANALYSE AUF DIE GEISTESWISSENSCHAF I EN 

HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. SIGM. FREUD 

SCHRIFTLEITUNG: lOI^C 

IV. 2 . DR. OTTO RANK / DR. HANNS SACHS EH £ 


Schillers Geisterseher. 

Von .Dr. HANNS SACHS, Wien. 

Das Fragment, in welAem Schiller zu seinem einzigen Versuch 
einer grSere^ nicht im Boden der Historie, sondern n der e.genen 
Phantasie wurzelnden Prosa^Erzählung ausho te, is . 

Entstehungsweise und seine Komposition ebenso merkwürdig, wie 
durA dr e ilfnahme, die es gefunden hat Den^Zeitgenossen. sdnen 
kaum ein anderes Produkt seines poetisAen Schaffens gleich anzizhen 
und beaAtenswert. Der Beifall des großen 1Publikums war ;o leb* 
haft, daß der DiAter die Fortsetzung des Romans als s ‘here Ue - 
quelle und als Grundlage für die Beliebtheit der »Rheinischen Thalia , 
? n der die VeröffentliAung begonnen hatte betraAten konnte. auA 
ernste Kritiker, Literaten und Philosophen, bei denen weder »Kabale 
und Liebe« noch »Fiesco« oder »Die Räuber« Beifall gefunden hatten, 
belobten das Werk aufs höAste und ermunterten den Autor zur 
Fortführung. Als siA dieser der ihm verhaßt gewordenen Arbeit 
endgiltig weigerte, fand siA eine ganze Anzahl von SAriftstellern, 
die den angefangenen Bau nah eigenem Gutdünken zu vollenden 
suAten. Eine dieser Fortsetzungen, von dem preußisAen HofgeriAts* 
rat Follenius herstammend, hat ein StüA von der Beliebtheit des 
Originals auf sich herüberzuziehen gewußt, wie die wiederholten 
Aurlagen bezeugen. So treffliA hatte es SAiller verstanden, sein 
Werk auf die stärksten Interessen im Geistesleben seiner Zeitgenossen 
aufzubauen und ihre Phantasie bis zur mitsAöpferisAen i atigkeit 
anzuregen. 

Das Urteil der Literarhistoriker, die in SAiller niAt mehr den 
problematisAen Himmelstürmer, sondern den unantastbar gewordenen 

»Klassiker« sehen, ist sonderbarerweise viel kälter und ablehnender 
ausgefallen. Sie haben alle für den »Geisterseher« wenig übrig, be¬ 
trachten ihn nur im Vorbeigehen und ziemliA von oben herab. 
Offener Tadel weAselt mit kühlem Lob,- die Lust, das Werk bis 
ins kleinste Detail zu ergründen, seinem Aufbau und den UrsaAen 



INTERNATIONAL 

PSYCHOANALYTIC 

UNIVERSITY 


DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN 





















Dr. Hanns Sachs 


seiner ästhetischen Wirkung nachzuforsdien, die den deutschen Literar* 
on er sonst auch vor dem ärmlichsten Produkt, wenn es einen 
nkfu: am* wT tr ^ t ' n ‘ c ^ t zu verlassen pflegt, war hier fast gar 

Bei genauerer Prüfung und immer weiteren Zurückgehen findet 
Tf n i-?.”, der Q- Uc lle dieser Geringschätzung niemand anderen, als 
n < ( ldl ter gelbst. In seinen Briefen, die den Mitlebenden natürlich 
veis ossen blieben, aber seinen Biographen aufs genaueste bekannt 
varen, e klagt er sich über die widerwärtige Arbeit, die er sich 
i „ e und nun des leidigen Geldverdienens halber nidit 

oswer könne, nennt das Werk ein »Gesdimier« und fragt sich 
n -u ' WC c ” e « r Dämon '^ n zu diesem Plane veranlaßt habe. Trotzdem 
bleibt es merkwürdig, daß das Urteil Schillers solchen Einfluß üben 
A S t-" C | S - f 0( h ß is zum Sprichwörtlichen bekannt, daß jedem 

j r ^ ^.gkeit zur richtigen Einsdiätzung seiner eigenen Pro* 
wirSb e - W S D ine kritische Gabe im übrigen noch so stark ent* 
w c ivf-T! 1 ^ e l S f )i f e ' * n denen große Dichter ihr schwächstes 

hssrn c!rl C | S °| n , erer H eb / kedachten undes über alle anderen stellten. 

Während W, Käufen Auch hat Schiller das Urteil, das er 
korriviprt- Cl a IO uai j 11 fäl , lt 5' später wenigstens in einem Punkte 
der cinzkrp 11 en .l e |c Philosophische Gespräch, das ihm damals 
auseabe hpdT^r V a & .^ sta ndteil des Romans sdiien, in der Buch* 
Werkes. U 60 3 kürzte zum unzweifelhaften Vorteil des 

Berechtivuiie-^dur!h n ^ ^ es T »Geisterseher«, wenn sie sich auch ihre 
sucht hat fWprp n - aS j des Dichters bestätigen zu lassen 

es zu ordnen n ? runde - Di e Aufgabe der Literaturgeschichte ist 
Übersichten m ° •• Z |a Sldlt en, Zusammenhänge herzustellen und 
chung, über dip^ iT 8 ^wr-j 0 untc rliegt sie zuweilen der Versu* 
hinweVzusehen 1 eil ? e P Widersprüche innerhalb der Persönlichkeit 
selbst zu biefpn" 1 fl e,n ^ a ^ re Linien zu ziehen, als sie das Leben 
und undurchsicht--^ fP-’k ^ as J m Schaffen und Erleben verworren 
und, gutwillig odpr e \ en . mußte ' wird säuberlich auseinandergelegt 
löblichen Onfnn ,n se ' ne Kategorien eingereiht. Bei diesem 

das Wirken eine<P Sln 'ft eS J eider nur allzuleicht gesdiehen, daß 
los und mechani Jp°^ en Menschen zum »Lehrstoff« erstarrt, geist* 
wird die d ann d er nächsten überliefert 
trockenes Katheder^P ei Fülle und des Reichtums des Genies ein 
Menschenleben demonit^ 118 * \ ennen lernt. Es ist fast unmöglich ein 
zu zerstören das H; "u' end 211 zei ’legen ohne das »geistige Band« 
Einheit zusammenfaßt Q^ ero ^ ne " Teile zur unwidersprechlidisten 
sondere hinein fröhM A T* den ( n ™ einzelne und be* 

bracht und aufeinander^" 31 ^°fS ea rbeitet und Material herbeige* 
seinen Leistu^e," |"ET™' fr die Gestak des Dichters mitsamt , 
dem besten \^ev zu diece S R^ aU f/ versd *windet. Goethe ist auf 
eine vollständig/Goethe Au//" 12 Hj* auf Nimmerwiedersehen/ 
8 Ooet he-Ausgabe mit Hinweglassung der Werke — 

































































Sdiillers Geisterseher. 


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die Schulübungen, Ministerialdekrete und Geschäftsbriefe sind ja so 
unendlich wichtig zur »Kenntniss seiner Persönlichkeit«, — ist eigent¬ 
lich der letzte Schritt, der* noch zu machen ist. Schiller ist ihm 
schon längst vorausgeschickt worden. Sein scheinbar viel weniger 
kompliziertes Wesen und Wirken eignet sich auch viel besser zur 
Erledigung durch einige Schlagworte. So wird uns auf der einen 
Seite, bis zum Don Carlos, der glühende Geniejüngling gezeigt, in 
Sturm und Drang, Überschäumen und Ungestüm, und von da an 
unentwegt das andere Bild vorgehalten: Der Schüler Kants und 
Freund Goethes, der »Idealist« und »Klassiker«. Nur gerade der 
»Geisterseher« läßt sich in keines der beiden Schubfächer unterbringen, 
denn neben starkem Realismus enthüllt er deutlich des Dichters neue, 
philosophisch-idealistische Tendenzen. Auch der Entstehungszeit nach 
ist sein Platz gerade an jenem Wendepunkt, wo Schillers Geistes¬ 
leben die große Knickung durchmacht, um von da ab in neuen Ge¬ 
leisen weiterzulaufen. Der erste Teil wurde während der Vollendungs¬ 
arbeit am Don Carlos verfaßt, die Fortsetzungen entstanden, als 
sich Schiller von der Poesie mit Entschiedenheit abgekehrt hatte, um 
sich ganz der Philosophie und Geschichte zu widmen, nur der Ge¬ 
dankenlyrik noch willig einen Platz einräumend,- der »Geisterseher« 
war das einzige, ungern mitgeschleppte Überbleibsel früherer Be¬ 
schäftigung. Also ein Zwittergeschöpf aus einer Übergangsperiode 
ließe sich rasch urteilen, eingehender ästhetischer Betrachtung kaum 
würdig. 

Der Psychologe wertet anders,- das Werk wird ihn eben des¬ 
halb zur Durchforschung reizen, weil bei seiner Abfassung in der 
Seele des Dichters ein noch nicht völlig entschiedener Konflikt zu 
Ende gekämpft wurde. Gerade hier, wo Kraft und Widerstand 
noch nicht erstarrt sind und die neue Formel, in der beide ver¬ 
schmelzen sollen, sich erst vorbereitet, gerade hier darf man erwarten, 
Spuren zu finden, die etwas von dem Geheimsten der an jenem 
großen Umschwung beteiligten Motive erraten lassen. Für eine 
solche Untersuchung wäre der »Geisterseher« auch dann ein will¬ 
kommenes Objekt, wenn ihm seine Entstehung in einer Zeit innerer 
Unsicherheit den künstlerischen Gehalt gemindert hätte. 

Wer sich über diesen Punkt trotzdem noch Sorgen macht,, 
wird sie leicht zerstreuen, wenn er statt in die Urteile über das 
Werk sidi in das Werk selbst vertieft. Es übt heute noch mit der 
unvergänglichen Frische seiner Kunst- und Natur-Wahrheit den 
gleichen Zauber aus, wie einst, führt die Leser unseres Jahrhunderts 
mit ebenso sicherer Hand durch seine Welt von Seelenfängerei 
und Verschwörungen, von grotesken Abenteuern und ungewöhn¬ 
lichen Gestalten wie jene ersten aus dem Zeitalter des Zopfes und 
der Aufklärung. Es gibt nicht wenige solcher Meisterwerke Schillers, 
deren Genuß manchem unter uns entfremdet wurde und doch so 
leicht wiederzugewinnen ist. Es kommt nur darauf an, sich durch¬ 
zudrängen durch den Vorhof, in dem die Priester und Schriftge- 











72 


Dr. Hanns Sadis 


liineinzuwapen 1 zl L nl Heiligtum versperrend, und sidi 

iM-g^SKd ^rJT cIIc ü wo der K0,,s,l ' r 

MitKunen i !> bcnSWÜr . < “s sci " e " Gast empfängt. 
Urbilder so mancher ” T^ n ,?V r > m »Geisterseher« die lebensvollen 
LaternjT m^gica 3 ^^!? un bemili<her Schattengestalten, die uns die 
die glückliche Wahl 30 f d ‘ C ^and zu malen liebte. Schon 

ist, daß auf ihm die -i R S ^bciuplatzes, der hinlänglich phantastisch 
dies zu haben scheine U , ei 01 deutlichsten Vorgänge nichts Unmögli» 
die lautlose Wunderstadt^ mf/ 1 ° S - C Na <bahmer crwe dct. Venedig, 
Lagunen und Gäßdin/ A T seinen unentwirrbar verknäuelten 
in das sich geheimnisvolle 1U S ( ^ Unte . y°lksgewühl am Markusplatz, 
die im stillen reederen as j^ n mischen, die unsichtbaren Behörden, 
allgemein beliebtfS Und nAlen, das alles wird von nun an der 
regender* Aten.euer Auf Z * 12^ ^«tafter und auf, 
von Figuren die von Schill . ,^ dlau P^ tz agiert eine Gruppe 
halten haben in der d ' C i K, ei Y sam die endgiltige Gestalt er» 
Werken sX tJTl^ 6 ei,,e ' bald die andere in den 
Gaukler und halb Wunder ^ c jf mo . n ' s die Verführer, halb 

sein Opfer wird die I : f i 1f . man, ( 1/ j^r Zweifler und Grübler, der 
und Warner, das ganze P SCSta ( t der Geliebten, der treue Freund 
zeugen herab ist vollständ^^ 00 j' bis zu den spitzbübischen Werk» 
Ganze ist eine ^ ^woden. Über das 

gebreitet, die aus unsichthJl r» Wunderbaren und Grauenhaften 
schwindet, wenn audi Wvi' ^ e % n S es peist wird und nicht ver» 
Ereignis des GeheLlvoTÄel'den“"' 1 Zwrfd 

das auf die Roman tilTtiefpm • f a i enes andere Werk Schillers, 
dramen wurde, daß »dip R r 1W f ^ Tur d das Hörbild ihrer Schidcsals» 
aus demselben Stoffkreis ‘? u v °n Messina«, wie wir sehen werden, 
verwendungsbereit in sich leivor §l n Sr den Sdiiller jahrzehntelang 
klassizistische Form es nicht scheint, daß auch die streng 

Richtung zu geben als dip r | VC V 11 5 d ' te ' der Wirkung eine andere 
gezeichnete. 8 ' 3 ' S dle durA den gemeinsamen Ursprung vor» 

völlige Ausbildung be unsei-fm a e£pn 0d ' dn anderes Bedürfnis, dessen 
ehalten blieb. Da wir dem p 0 ' 2wanz <gsten Jahrhundert vor» 
Ausbreitung und dem behaÄn ? emi l ts,eb en oder richtiger der 
vie von der bisherigen Achtung ( llIsdlautra gen des Gemütslebens 
agenden Verstand, die Planmfßi«! z .°£ en . haben, dagegen den ab» 
are äußere Hindernisse beseif f ^ ei j ndt der scheinbar unbesiegt 
feinste Gegenlist im eigenen Nr'? ^5 rden ' die List, die des Feindes 
die ihn zu Boden zwingt ühp^ ^ ans , t '.. unc * die stahlharte Energie, 
neue Literatur entstanden A;* 3 - j; S /“»ätzen, so ist unter uns eine 
leben des Lesers wendet ' sn, A Sldl ^ 3St & ar ‘^dit an das Gefühls» 
nationsgabe, kurz seine inrelU SCI !!? n Scharfsinn, seine Kombi» 
bemüht ist. Das i d ;ktUeI,e "Kräfte in Spannung zu setzen 
die sogenannte Detektiv=Literatur, die sich in 






























































































Schilfers Geisterseher 


73 


kurzer Zeit der Novelle, des Romanes und des Dramas mit 
gleichem Erfolg bemächtigt hat. Keines dieser modernen Werke ist 
so planvoll aufgebaut, so außerordentlich fein durchdacht und dabei 
kühn und originell konstruiert, wie der »Geisterseher«. Das Gespräch 
zwischen dem Prinzen und dem Grafen von O**, in dem der Prinz 
das feingesponnene Gewebe des Armeniers Faden für Faden auf* 
trennt, ist ein Muster für die Verwendung des analytischen Ver* 
fahrens zur Erreichung ästhetischer Wirkungen. Aus der Folge* 
riditigkeit und unbeirrbaren Sicherheit, mit der die Wahrheit durch 
logisch notwendige Schlußfolgerungen aus einem Wust von Täuschung 
und Betrug herausgeschält wird, eine Lustquelle zu gewinnen, das 
ist trotz zahlloser ähnlicher Versuche nur einem einzigen im selben 
Grade gelungen: dem großen amerikanischen Poeten Edgar Allan 
Poe, der auf diese Technik eine eigene Gattung der Novelle gegründet 
hat. Schiller und Poe sind nicht nur die Vorläufer, sondern auch die 
völlig unerreicht gebliebenen Vorbilder der heutigen Detektiv-Literatur. 

Das Wort schmerzt. Schiller als Bahnbrecher für Sherlodc Holmes, 
das ist eine Zusammenstellung, die uns fremd und unheimlich an* 
mutet. Aber wahre Größe erweist sich eben dadurch, daß sie sich 
in jeder Umgebung durchsetzt. Auch mag die Erkenntnis nicht wert* 
los sein, daß Schiller den hohen Stil nicht deshalb bevorzugen mußte, 
weil ihm die Gaben niedrigeren Ranges mangelten,- wir dürfen den 
Dichter des Teil dankbar willkommen heißen, auch wenn er nichts 
anderes zu sein versucht als ein spannender und geistreicher Erzähler. 

Es darf schließlich auch nicht unerwähnt bleiben, daß auch der 
»Geisterseher« noch Qualitäten hat, die weit über den Reiz des 
Stoffes und das Niveau bloßer Unterhaltungslektüre hinausgehen. 
Die psychologische Gestaltung des Helden, sowohl in der direkten 
Charakteristik der Einleitung wie durdi die Eigenart, die seine Figur 
in der Handlung abbildet, konnte nur einem tiefgründigen Seelenkenner 
und meisterhaften Erzähler gelingen. Auch unter den Nebenpersonen 
ist keine, die zur bloßen Maschine der Verwicklung dient und nicht 
wenigstens einige treffende und lebendige Züge aufweist, wie sie 
z. B. in der Schilderung des Prinzen von *'*'d** zusammengefaßt 
sind: »Ein vielversprechendes Äußere, beschäftigte Augen, eine 
Miene voll Kunstverständigkeit, viel Prunk von Lektüre, viel erwor* 
bene Natur {vergönnen Sie mir dieses W'ort) und eine fürstliche 
Herablassung zu Menschengefühlen. . .« 

Für unser historisches, memoirenliebendes Zeitalter hat die 
leichte Patina, die über solche Wendungen, wie über das ganze 
Werk gebreitet ist, noch einen besonderen Reiz. Das Fragment 
besitzt vom Milieu und vom Geist der »guten, alten Zeit« gerade 
soviel, um unserem vorübergleitenden Blick ein Stück Vergangen* 
heit zu enthüllen und genug Jugend und ewige Gegenwart, um die 
einmal erweckte Aufmerksamkeit dauernd zu fesseln. 

Bei einer ausschließlich auf das Stoffliche gerichteten Analyse 
lassen sich im »Geisterseher« leicht drei Grundelemente erkennen: 











mystisdi=bpfnW c '] zu !i l Katholizismus bekehrte Thronanwärter, die 
bleiben als Stofflr C 9 eister ^ a | nnerci und der Schauplatz, Venedig, 
schaltet wird p° runc hagen übrig, wenn alles Motivische ausge» 
der drei Flpmp lne . tU j Ze Untersuchung wird uns zeigen, daß Jedes 
setzune »V<*rdvh* m def j^\j ^es Dichters nur durch Zusammen» 
»überc&terr^nw? tUng<< de . S Materi . a,s entstand. Sie sind sämtlich 
TraumP, Ai * <<r ^ anz eßens o w ' e die einzelnen Elemente eines 

manifesten ) venn sie ^ iese r Bedingung entsprechen, in den 

manifesten Inhalt aufgenommen werden können. 

Tavesankniir? einesKunstwerks entspräche dann dem durch die 
auch eI>pnsn P . U11 K ei1 ^ ere ‘ f S es te 11 ten Traummaterial. Er wird wohl 
wertem p auf n , cwuß j. e ' n gesarmnelt wie jenes, wenn auch die Vcr» 
Sende Wp re ' d,e .^ wu L ßte Auswahl nicht ganz so weit aus» 
eber Reihet A° r S,dl geht> > «nsernn Falle haben sich zu 
noch die dam die das eigene Erleben hinterließ, 

zufüllen. passenden Lesefrüchte gesellt, um den Stolfkreis aus» 

zum KathcSzismMQ em ^ S Thronanwärters aus protestantischem Hause 
zwischen Volk und H Se *! le «^° £ en ' ^‘ e Religionsverschiedenheit 

l>a " e SAiller , fr 

Herzog Karl Eugen war KariTi-i Tyrann seiner Jugendjahre, 
Karl Alexander diesen GlanKp ^' WC1 Sein Vater Ulld Vorgänger 
Karl Alexanders hat ahpr rr •,// an g en °mmen hatte. Der Übertritt 
Blick des Dichters auf dieseTv?i°1 mehr geleistet, als daß er den 
dem Prinzen des »Geistere i a & e Jenkte/ eine weitere Ähnlichkeit mit 

war mit Leib und Seele ' St vor handen. Karl Alexander 

wunderer des Prinzen Eu 3 L) 6111 .^^ler u 'id leidenschaftlicher Be» 
dort eine unwahrscheinlirl^^T <ae . 1 , Heere Österreichs diente und 
25 Jahren Feldzeugmeister und*?« Kfe riere , madlte ~ cr war mit 
Konfessionswechsel auf dpü r™ tTn Generalfeldmarschall. Ob sein 
Heere oder auf seinen Eh™ • * n u .!\ ^ es Milieus im kaiserlichen 
sucht bleiben. Keinesfalls « 2 ZU1 ückzuführen ist, kann ununter» 
Intriguen notwendig. Ein H: are . n Z r* Erzielung dieses Zweckes 
fanatische Priester und intrioa , eis t? au ^ solche Zettelungen, an denen 
tc n, findet sich eher bpi A g n Jvi ^ raueu teilgenommen haben dürf» 
Friedrich II, von Hesspn Bibertritt des nachmaligen Landgrafen 

Ein Mystiker oder religiöserslw • grÖßte Au f sehen e , rregt ha ? e ' 
liebenden und versdiwpüd . e . 5dl T armcr wurde aus dem pracht» 
Beispiel des Verkaufs dein«!d ^ c ?j irsten / der als erster das böse 
falls nicht und so ist and* T- ^?^ ate n an England setzte, jeden* 
Anknüpfung geeebpn 1 R • i . er ^ aum mehr als eine oberflächliche 
- v__j gegeben , Erg.eb.ger wird die Ausbeute, wenn wir 












































































Schillers Geisterseher 


75 


um mehr als ein Jahrhundert zurückgreifen, auf einen Prinzen aus 
dem Hause Braunschweig, der in jener Zeit, wo die konfessionellen 
Gegensätze aufs äußerste zugespitzt waren, den Glauben, in dem 
er erzogen war, verließ. Es war dies Johann Friedrich, der spätere 
Herzog von Braunschweig»Lüneburg. Hier finden wir vor allem den 
Schauplatz wieder, die Bekehrung geschah auf einer Italienreise und 
der Prinz nahm einen langen Aufenthalt in Venedig. Auch die 
Einwirkung des Wunderbaren und Übersinnlichen fehlt nidit, wenn 
es auch nicht im Geschmadce des nächsten Jahrhunderts philosophisch» 
freimaurerisch aufgeputzt war: der Prinz war in Assissi Zeuge eines 
Hostienwunders, das den größten Eindruck bei ihm (unterließ. Schließ» 
lieh finden wir an seiner Seite eine etwas problematische Persönlichkeit, 
einen Grafen Rantzau, der selbst vom Protestantismus zur römischen 
Kirche übergetreten war und seine Bekehrung mit dem ganzen 
Eifer des Konvertiten förderte. Auch etwas von den widerrechtlichen 
Mitteln zur Thronbesteigung kehrt in der Geschichte des Braun» 
Schweigers wieder. Er entriß, teils durch Intrigen, teils durch 
Gewalt seinem älteren Bruder das bessere Stück der Erbschaft, ihm das 
minderwertigere überlassend. Durch Intervention benachbarter Fürsten 
kam ein Ausgleich zustande, bei dem Johann Friedrich einen Teil 
seines Raubes behaupten konnte. Hier sind also für eine Reihe 
von wichtigen Zügen des Romanes die unverkennbaren Vorbilder 
gegeben: die Italienreise, der Aufenthalt in Venedig, das Bekehrungs» 
wunder, bei dem ein Kind der Aufklärungszeit leicht an einen 
raffinierten Betrug denken konnte, der geheimnisvolle Gewissens» 
berater und die gegen Erbrecht und Verwandtenliebe sich empörende 
Herrschsucht. 

Wir dürfen natürlich nicht erwarten, an einem solchen Vorbild 
alle Züge wiederzufinden, wie dies Hanstein in seiner sonst ebenso 
verdienstvollen wie fesselnden Arbeit 1 tut. Selbst wenn wir von dem 
vorausgesetzten »Verdichtungsprozeß« absehen, dürfen wir nicht ver» 
gessen, daß Schiller es gewiß vermeiden wollte, ein für die Zeit» 
genossen erkennbares, historisch getreues Porträt zu geben und des» 
halb absichtlich Details, wie die Teilnahme an der Schlacht von 
Hastenbeck, die aus einem anderen Zusammenhang stammen, hinzu» 
fügt. Wenn Hanstein aber bei jedem in Frage kommenden Urbild 
die Frage stellt, ob der Prinz auch wirklich der dritte seines Hauses 
gewesen sei, wie jener im »Geisterseher« und aus diesem Umstand 
ein wichtiges Erkennungszeichen machen will, so befindet er sich 
offenbar auf einem Irrweg. Denn gerade darin war der Dichter 
gewiß auf kein Vorbild angewiesen, ja er durfte gar keinem folgen, 
weil die von ihm gewollte Motivverknüpfung ihm keine Wahl mehr 
frei ließ. Der Prinz durfte nicht allzunahe am Throne stehen, weil 
sonst die Wahrscheinlichkeit der natürlichen Erbfolge das Verbrechen 


1 Dr. Adalbert von Hanstein, »Wie entstand Schillers Geisterseher«. 
Forschungen zur neueren Literaturgeschichte, Bd. XXII. 












76 


Dr. Hanns Sadis 


e f f w lg mac ^ t lattc ' und nicht zu entfernt, so daß der frevel* 

0 e a if UnS " a ä.. d r Krone in ihm entzündet werden konnte und 

rfnY?- Hau . fun * von Verbrechen Aussicht auf Befriedigung 
_ f / u IC - w I ‘ d,f 'S ste Person, die zwischen ihm und dem Throne 
unrl A °a r Cin ™nzutun a hsdieidet, das ist ja die Voraussetzung 
i ; j C T i* 1 a .”£ der P° m 3nhandlung, Er durfte durch diesen plötz* 
Nt/ 1 0 | ntdl * solort auf den Thron oder in seine unmittelbare 
... l' C an gj 11 . ~ sonst wäre alles weitere weggefallen — aber 
srhpn *p n y*Üi/ d * e ^. crrsdia ft durch einen kühnen und verbrechen® 
cwiJShD • erreid ^ a , r war ' und so mußte er notwendigerweise 

der dritte Prinz seines Hauses sein. 

friihoJ T,? al V 1,id ? es , Verhältnis — ein persönlicher Eindruck aus 

_ j,- p ^ en / Verlagert von einer späteren literarischen Anregung 

Daß dpi- 1 Auswahl des Schauplatzes annehmen. 

Thronbest^r^r'ri: Prin i Z d0rt läll sere Zeit lebte, ehe er zur 
wesen sein. 8 Äer * als* SAin^”" dafur r kai ' m ausschlaggebend ge* 
katholischen Karl Euren S £ Cr . seinen Landesherrn — eben jenen 
hängnisvollen Einfluß 8 .Jt Cf spa , t , cr au ^ scin Sdiicksal einen so ver* 
als jener ~ z “™ erstenmal sah, war es 

hielt. Hier sah der |Ä i udtke hrend seinen pomphaften Einzug 
ganze sklavenhafte Unterwüd^Y 8 * Yi" 8 ? nzen Prunk und auch die 
zehnten Jahrhunderts um „ a i ' skci j' die . einen Landesherrn des acht* 
da an Venedig mit dem i Und , seine Vorstellung mochte von 
Die literarische Anregung Y •• a S 2 fürstlicher Pradit verbinden. 
Mai 1786 in einer auS dc "> im 

einer noch ungedruckten R„c t ’5 ts chrift erschienenen »Auszug aus 
„ , SAIIIersIntce^e ““^ e,bu "? ™" Venedig«. 

Katholizismus ist mit dem »rY neimnisvollen Organisation des 
zeitigen »Don Carlos« ist f“ Sterscher « nicht erschöpft. Im gleich* 

Allwissenheit und Alfmadit n( J u,SIt '°n mit derselben unsichtbaren 
deren Emissäre der Armpn. tatte 6 wie jene geheime Gesell * 
In »Maria Stuart« ist es eine loY'Y'Yt'Y a un< Biondello sind. 
im Protestantismus erzogenen Mo?!' SAe Vcr r sdl wörung, welche den 
zeug des Fürstenmordes 8 madit ^geradeY VCrführt u " d zum Werk* 

mit dem Prinzen geschieht Audi | a CS ° Wl . e , es lm »Geisterseher« 
liegende Kindheitseindrücke’ vermuten p A „ nodl Weiterzurück* 
von der mütterlichen Seite einT Yhoü G /,° ßmutrer des Dichters 
kam aus katholischem HaSeYnd S Y Y?" 2 von Störadlhof ' 
dem Enkelkind etwas von der Pracht Yl ««möglich, daß sie 

auf ein phantasievolfelil^t 'ÄÄ t 

als A Gefahr Pr uld Vefph 6 ' mitgeteiIt c hat ' °aß alle diese Pracht nur 
als Uetahr und Veifuhrung zur Spradie gebracht werden konnte, 

aufde^Karlssdinh» 8 ? rotestaa ^chen Hause selbstverständlich. Später, 
sich dpm er • fi t ' ßatte Schiller einen katholischen Mitschüler, der 
S**” rt^en Stand zu wid len beschloß. Von hier muß er 
einen starken Eindrudc empfangen haben, denn er beschloß manches 














































































Schillers Geisterseher 


77 


Jahr später, in Bauerbach, den Titelhelden eines geplanten Trauer* 
Spieles »Friedrich Imhof« nach ihm zu benennen. Dieses unausge* 
führte Werk hatte in seiner Anlage zweifellos innige Verwandtschaft 
mit dem »Geisterseher«, denn Schiller forderte von seinem Freund 
Reinwald als vortrefflich in seinen Plan passend Bücher »über Jesu* 
iten und Religionsveränderungen, über den Bigottismus und seltene 
Verderbnisse des Charakters, über Inquisition, Geschichte der Ba* 
stille und unglückliche Opfer des Spiels«. Nahezu alle hier aufge* 
zählten Ingredienzen sind in den »Geisterseher« aufgenommen worden, 
nur die Erwähnung der Bastille beweist, daß Schiller damals einen 
anderen Schauplatz in Gedanken trug. Den Plan, das ungeheuere 
Paris mit seinem vielgestaltigem Gewimmel in den Maschen eines 
Stoffes einzufangen, hat der Dichter lange gehegt. Ein »Polizeistoff« 
sollte ihm Gelegenheit geben, zu schildern, wie die Polgen eines 
geheimnisvollen Verbrechens sich durch die verchiedensten Gesell* 
schaftsschichten hindurch fühlbar machen. Im Mittelpunkt sollte die 
Pariser Polizei als unsichtbare und allwissende Macht stehen,- ihr 
war also dieselbe Rolle zugedacht, wie den Fadenziehern in dem 
Komplott, das den Prinzen umstellt, und der Inquisition im »Don 

Mit diesem »Polizeistoff« hat sich Schiller dann noch in viel 
späteren, reiferen Jahren eingehend befaßt,- von dem unübersehbaren 
Detail, das eine Großstadt bietet, geschreckt, floh er ein zweitesmal 
aus Paris nach Italien. Die Motive vereinfachten sich unter seinei 
Hand, die nur mehr das edelste Material zu formen gewohnt war, 
und so entstand die »Braut von Messina«, deren Mittelpunkt ein 
Verbrechen, der Mord des älteren Bruders durch den jüngeren, ge* 
blieben ist. Das Geheimnisvolle, ja Detektivhafte des Stoffes ist nicht 
ganz verloren gegangen,- nicht die Freveltat selbst, die vor aller 
Augen geschieht, aber die verwickelte Vorgeschichte wird Schritt für 
Schritt, nach dem analytischen Verfahren, für dessen Verwendung 
im Drama der »König Ödipus« das Vorbild geliefert hat, aufgedeckt. 
Audi die unentrinnbare, in ewiges Geheimnis gehüllte Allmacht ist in 
die neue Form übergegangen, aber nicht mehr als Attribut einer 
menschlichen Organisation, auch nicht eines Orakels, wie im »Ödipus« — 
dies verwirft Schiller als der modernen Auffassung ungemäß, — sondern 
als allwaltendes Schicksal, das sich aus dem Fluch des Ahnherrn 
bis zum Erlöschen des Fürstenhauses entwidcelt. Dieser bei dem 
Dichter schon längst vorgebildeten »Allmachts«*Idee ist also die 
Entstehung des Schicksalsdramas zu danken. Hat der »Geisterseher« 
als Ganzes eine gewisse innere Verwandtschaft mit der »Braut von 
Messina«, SO geht die Übereinstimmung zwischen der eingeschobenen 
Rahmenerzählung des Sizilianers und dem Drama sogar bis ins 
Detail. Das Lokal ist schon beinahe dasselbe — hier Neapel, dort 
Sizilien. Das Verbrechen wiederholt sich in beiden Fällen genau: 
der jüngere Bruder ersticht de*' älteren und beidemale aus demselben 
Motiv, weil er in ihm den glücklichen Nebenbuhler erblickt. Die 















78 


Dr. Hanns Sachs 


I ,,^ n ? ^ v °n Madit imd Reichtum als Allein»Erbe spielt einmal 
u l 01 ^/ emnial als Neben=Motiv hinein. Auch nebensächlidie Details 
en wie er. so wird z. B. beim Raube Beatricens wie bei der 

pin^ 10 ^ Un ^ er .°L 1 ' ll r°M der wabre Sachverhalt durdi den Anschein 
. S . orsaren überfalls verdeckt. Anderseits leiten Fäden von dem 
L CI1 i 1 ^Geisterseher« durch die Entstehungszeit und vieles andere 
verbundenen »Don Carlos« zur »Braut.« Daß die Allmacht dort durdi 
die Inquisition vertreten ist, wurde erwähnt. Aber der Ausgangs» 

Kr/ 1 ^ I' Ä at 5 re " Tragödie, die I at, an die sidi das verderben» 
ingen e dndtsal knüpft, ist nur eine Wiederholung des Wunsch» 
zie es, aus dem sich die Handlung des »Don Carlos« entwickelt, 
o *< e cs voa , r Königin in der Gartenszene dem Prinzen mit voller 
Schonungslosigkeit vor Augen geführt wird: 

»Audi ein Raub war's, wie wir alle wissen, 
er des alten Fürsten ehlidies Gemahl 
ln ein frevelnd Ehebett gerissen, 

Denn sie war des Vaters Wahl. 

Und der Ahnherr schüttete im Zorne 
Grau ober F1 ü(fe schrecklichen Samen 
Aut das sündige Ehebett aus 
Greueltaten ohne Namen 
Schwarze Verbrechen verbirgt dies Haus.« 
und 

U„<Ma„„ „ v „u cnden 

Zu,etZ ' nod ' mk Mutter „d, vermähle,]” 

Der Parallele zwischen der Rahmt>« o ^ 

seher« und der »Braut von Messina« mnß° ^^'dite im »Geister» 
daß die Übereinstimmung zwischen dTeser 1 °*Jl'^ugefügt werden, 
anderen Drama Schillers, seinem ersten norK • 1un 8 uad einem 
weit geht, daß man jene fast eine NovellenVTYa S ‘ oßcr 1St/ } a so 
ein anderes Milieu versetzten »Räuber« nennen % spos,tloader 1 . n 
dort ein jüngerer Bruder, der seine Laster K; c 9i} nte - Hier wie 
versteckend, erfolgreich gegen den Erstgeborenen^ I “Sen^heuchelei 
liebevollen und schwachen Vater täuscht ihm die P K ? ns ( P iriert ' den 
und bei dem Versuch, die von beiden BädernGefehte ^ We fö mmt 

nur an dem hartnäckigen Widerstand der Braut scheitert Jj ei "j zu ^ hrcn ' 

liebt und sich von dem Betrüger voll Abschpn /' a ^ teren 

mord wird wohl im »Geisterseher« ausgeführt 

nur am Schluß versucht, in beiden w2 i ' <j 

durch ein verabredetes Gaukelspiel die Anveb" ^ 5 OSe ^! 

des Vermißten zu überzeugen und dabei 7r°T v ° n 1 em Tod 

zusoieveln daß der T«t r . dabe ‘ der Braut des Bruders vor» 

fehlen der Novelle nirht C 3U S1C v f 12 ‘ dll:et habe. Auch die Räuber 
fehlen dei Novelle nicht ganz, wenn Jeronimo ihnen auch nicht wirklich, 










































































Sdiiflers Geisterseher 


79 


sondern nur nach der Meinung seiner Familie, nicht als Oberhaupt, 
sondern als Gefangener anheimfällt. Schließlich werden beide Handlungen 
durch die Heimkehr des älteren Bruders gekrönt, der die Entlarvung 
des Verbrechers herbeiführt,- in der Novelle kann er allerdings, um 
dem Rahmen, in den sie gespannt ist, zu entsprechen, nur als Geist 
wieder in den Kreis der Seinen treten. 

So zieht sich also ein ganzes Gespinst von Fäden zwischen 
dem »Geisterseher«, dem »Don Carlos«, der »Braut von Messina« 
und den »Räubern« unterirdisch hin und her. Wir werden noch 
manches nachzutragen haben, wenn wir uns der Motive und Stoff* 
wähl von der psychologischen Seite her nähern, einstweilen müssen 
wir zur Stoffgeschichte zurückkehren und unsere Aufmerksamkeit 
dem Element, von dem das Werk seinen Namen hat, der Beziehung 
zum Übersinnlichen und ihrer betrügerischen Ausnützung zuwenden. 
Der aktuelle Anlaß liegt klar vor aller Augen: Kurz bevor Schiller 
seinen Roman begonnen hatte, war der Skandal der Halsban dge* 
schichte von einem Ende Europas zum andern erschollen und hatte 
die Gemüter durch die Aufdeckung der inneren Fäulnis des fran* 
zösischen Hofes in Aufregung gebracht. In die Halsbandgeschichte 
war, diesmal vollkommen unschuldig, wie sich nachher herausstellte, 
der Wundertäter Cagliostro verwickelt, der aus Sizilien stammend 
wie der Betrüger im »Geisterseher« mit den Geheimnissen, die er 
aus den ägyptischen Pyramiden geschöpft haben wollte, bald hier, 
bald dort Jünger anlockte, Logen gründete und seine Taschen füllte. 
Er verstand es, die leidenschaftliche Vorliebe des Aufklärungszeit* 
alters für alles Wunderbare und Übernatürliche, soweit es nidit mit 
den überwundenen Dogmen der offiziellen Kirche zusammenhing, 
zu seinem Vorteil auszunützen. Vor seinem Zusammenbruch in 
Paris hatte er unter anderem in Mitau in Kurland eine Gemeinde 
um sich gesammelt, deren vornehmstes und wichtigstes Mitglied die 
Schwester der Herzogin von Kurland, Elise von Recke war. Nach 
der Abreise des Meisters war der Glauben an seine Wunderkraft 
erheblich gesunken, die literarisch ehrgeizige Dame trat dem Kreis des 
nüchternen, »Geistern und Geist« gleich abholden Nikolai nahe und 
als sich Cagliostro zu seiner Verteidigung auf sie berief, erwiderte sie 
ihm mit einem scharfen Absagebrief, der in der Zeitung Nikolais 
im Mai 1786 erschien und den Wundertäter als gemeinen Betrüger 
entlarvte- Diesem Schreiben folgte einige Zeit später eine Broschüre, 
die Cagliostros betrügerische Manöver und Handwerkskniffe, be¬ 
sonders die von ihm in Mitau versuchte Geisterbannerei ins ein* 
zelne schilderte. Dieses Büchlein kann Schiller für seinen Roman 
nicht mehr benützt haben, da es später erschien, als das die Geister* 
beschwörung enthaltende Kapitel. Da aber trotzdem einige auffällige 
Übereinstimmungen sich vorfinden, läßt sich wohl annehmen, daß 
Schiller von seinem Inhalt sdion früher Kenntnis hatte. Die mit 
Zunge und Feder gleich gewandte Dame lebte damals in Deutsch* 
land und verkehrte in zahlreichen literarischen Zirkeln, die sich mit 











80 


Dr. Hanns Sachs 


denen Schillers eng berührten — späterhin trat sie dem besten Freunde 
des Dichters, Körner, und seiner Schwägerin persönlich nahe. Bei 
der großen Mitteilungsfreudigkeit jener Zeit läßt sich also wohl annehmen, 
daß die Erzählungen der Frau von Reche über ihr Verhältnis zu 
dem gerade damals im Brennpunkt des allgemeinen Interesses stehen* 
den Betrüger zu den Ohren Schillers gelangten. 

Auf jenen ersten Fehdebrief in der Zeitung Nikolais erfolgte 
eine schüditerne Erwiderung, die, ohne Cagliostro in Schutz zu nehmen, 
u ea ^ a , lI k en an ^ as Übernatürliche vorsichtig zu verteidigen suchte 
und Schiller wohl interessieren konnte, da sie von einem Prinzen 
aus dem Hause seines Landesvaters herstammte, dem dritten Sohne 
des dritten Bruders des Herzogs, mit Namen Friedrich Heinrich 
Eugen. Doch läßt sich kaum, wie Han stein es tut, diesem unbehoF 
renen Schreiben ein entsdieidender Einfluß auf die Entstehung des 
»Geistersehers« beimessen. Die deutschen Prinzen, die sich den Glauben 
an das Wunderbare nicht so rasch nehmen lassen wollten, waren 
damals nicht so dünn gesät, daß dieser besondere Aufmerksamkeit 
erwecken können. Seine 1 hronbesteigung war recht unwahr* 
scneinlich,. denn mochten auch die beiden älteren Brüder seines Vaters 
morganatisch verheiratet sein, so standen außer diesen noch sein 
z y ei ältere Brüder zwischen ihm und der Krone,- tat* 
sachlich ist seine Sukzession nie ernstlich in Frage gekommen. Den 
nut dem Glaubenswechsel verbundenenBedenken suchtHanstein durch 
an eine PrJnz essin des Hauses, die mit einem öster* 
reichischen Erzherzog vermählt wurde, eine Annäherung an die 
Realität zu geben. Aber der Hof Josefs II., der Mittelpunkt der 
urKlärung, war alles eher als ein günstiger Boden für jesuitische 
ntugen und es ist kaum anzunehmen, daß diese Heirat in der 
Ce 0 S - auc h nur die leisesten Besorgnisse erweckte. 

rigens kommt neben Cagliostro noch ein zweiter ähnlicher 
Wundertäter und Hochstapler in Frage. Der sogenannte Graf von 
aint eimain, der als vertrauter Berater des Herrschers am Hofe 
eines euts en Fürsten, des Landgrafen Karl von Hessen gelebt hatte, 
ai e en in jenem Jahre, in dem der »Geisterseher« entstand, in 
den Armen seines fürstlichen Freundes. Von ihm berichtet Casanova, 
der ihn in Paris bei Frau von llrfe kennen lernte, daß er sich ganz 
ebensolche Eigenschaften beilegte, wie der entlarvte Geisterbanner 
em Armenier. I rotzdem er anscheinend im kräftigsten Mannesalter 
stand, behauptete er, mehrere Jahrhunderte alt zu sein und aß nie 
egen wart an eiei, weil er angeblich der Speisen nicht bedurfte. 

verw^nrl?I e p • lesen aktueI l en Anregungen läßt sich wiederum eine 
Ermnerung aus des Dichters eigener Jugendzeit nach weisen. 

Phantastischer Wundermann und Mensch* 
aul wtat W ' e S? g,,ostro u ” d der von Saint Gennain, wenn 
dem Schillers Pate gewesen, von dem er nach 

aZ fcS de M W to ', n nidlt nur Ted seines Namens, sondern 

® ß lsp,eI und Forderung empfangen sollte. Es war dies Johann 




































































































Schillers Geisterseher 


81 


Friedrich Schiller, ein Vetter des Vaters des Dichters und mit diesem 
trotz ihres höchst verschiedenen Charakters innig befreundet. 

Schillers Vater war eine tief fromme und ernste, dabei auf das 
Wirkliche gerichtete, im praktischen Leben wurzelnde Natur, sein 
Vetter ein Phantast, der seine willkürlichen Erfindungen bei einer 
Reihe von Fürsten und Herren an den Mann zu bringen suchte, ohne 
sich durch die Aussiditslosigkeit und den Mißerfolg seiner abenteuere 
liehen Pläne beirren zu lassen. Immerhin wurde er während derjugend^ 
jahre des Dichters vom Herzog Karl Eugen in geheimer Mission nach 
England versendet, und wenn diese Gesandtschaft: auch wahrscheinlich 
nur den häßlichen Zweck verfolgte, den Preis für die verkauften Landes--* 
kinder hinaufzumarkten, so blieb sie doch immer von dem Schimmer 
einer geheimnisvollen Beziehung zu den Mächtigen der Erde umkleidet. 
Überdies war der Vetter ein eifriges Mitglied der mystischen Loge 
der Rosenkreuzer und verschwieg wohl nicht, daß er und seine 
verborgenen Brüder über Wunderkräfte zu gebieten meinten. So 
mögen in der Phantasie des Knaben jene Züge angeregt worden sein, 
die den Dichter befähigten, die Gestalt des Armeniers so eindrucksvoll 
zu sdiildern. Ganz verschwand Johann Friedrich auch späterhin nicht 
aus dem Gesichtsfeld seines Patenkindes. Noch von Bauerbach aus 
rüstete er sich zu einer Begegnung mit dem aus England Zurüdcge^ 
kehrten und hoffte, vielleicht durch seine Vermittlung auf der englischen 
Bühne zu erscheinen. Im Jahre 1784 schien dem Abenteurer das Glück 
zu lachen, er erhielt in Mainz ein Buchdrucker^ und Verlags^Privi-* 
legium, das er jedoch nicht zu seinem Vorteil zu benützen verstand. 
Wenige Jahre später mußte er Schulden halber vom Schauplatz abtreten. 

Schiller trug sich eine Zeitlang mit der Absicht, eine Geschichte 
der merkwürdigen Verschwörungen und Rebellionen aus mittleren 
und neuen Zeiten herauszugeben. Aus diesem Plane erwuchs schlie߬ 
lich seine Geschidite des Abfalles der Niederlande. Wie groß der Reiz 
war, den derartige Geschehnisse auf ihn ausübten, beweist nidnt nur 
der Vorsatz, sie aus der Weltgeschichte wie die Rosinen aus dem 
Kuchen herauszusuchen, sondern auch die ganze Linie, auf der sich 
sein dramatisches Schaffen bewegte. »In tyrannos« war das Motto 
der »Räuber« und ihre Tendenz ganz allgemein die Auflehnung 
gegen die herrschende Ordnung. »Fiesko« faßt die Idee konkreter 
und enthält sowohl Verschwörung wie Rebellion gegen ein fürste 
liches Haupt, ebenso »Don Carlos«, »Wallenstein« und »Maria 
Stuart«, bis der ursprünglich rohe und gewaltsame Stoff nach so oft¬ 
maliger Filtrierung im »Wilhelm Teil« in höchster Läuterung wieder^ 
kehrt. In der Handlung des »Teil« treten Verschwörung, Rebellion, 
ja sogar der Herrenmord ins Dasein, ohne die Gesetzestreue und 
die sittliche Weltordnung zu verletzen. Der verbrecherische Vater- 
und Fürstenmörder, der im letzten Akt als Episodenfigur einge^ 
führt wird, wirkt wie ein Revenant jener wild-trotzigen Helden der 
ersten Zeit und kann als ein Repräsentant einer überwundenen Stufe 
in Schillers dichterischem Schaffen gelten. 

Imago iv/2 


6 







82 


Dr. Hanns Sachs 


j. m P'5f er ^ ru PPf s . te ^ t s ‘di eine zweite an die Seite, die unter 
hrirpn ei || Cn j CS ^ 0t | vs der feindlichen Brüder steht. Hieher ge* 
i . U r • , ganz die Räuber« und die »Braut von Messina«. 
a j 3 a u , n 'ehe«, sowie »Jungfrau« ordnen sich der ersten Gruppe 

m/iß tar 1 , Ieg j n be ' diesen Dramen die Zusammenhänge tiefer und 
• . n eis durA fäie Untersuchung aufgededct werden, weshalb 
»Goicf zu / iadlst abseits Jassen. Welcher Gruppe gehört nun der 
pntliöl^k C .-| Cr \ ,? n • ^ ebab auch hier seine Doppelstcllung bei und 

7 iir All C * 6 - ^ ot ' ve ' °bne daß, wie in den »Räubern«, das eine 
j 11 SF mein verkümmert wäre: beide erscheinen vielmehr in 
| ir i a R rs .. e l 1 , vollständigsten Ausprägung. Das Motiv der feind* 
j P- eP e ] 1errsc ^b wie wir gesehen haben, die Rahmennovelle, 
tlßcr U n im °j rd a Un / d | e , dahinzielende Verschwörung die Erzählung 
7 , K P Cnn ' da i da ? V ^ rbr echen, durch das der Prinz den Thron 
nach dV^^w? sudlt ' der Fürstenmord ist, danach kann wenigstens 
p> • r n or ^ en ' die der Prinz nach dem Erhalt jenes beleidigenden 
Aiifor ,y on j Seineni Gofe fallen läßt und seinem leidenschaftlichen 
S|! ui erS < en ' P T r °P heti schen Worte des Armeniers kein 
Clrlös T A nt 116 "' ^un rietet sich in dem gleichzeitigen Don 
im Are wohn Do^'p'm- deS Thronanwärters, die sich allerdings nur 
gepen die IcntV vH 11 'PP S his 2ur Mordabsicht steigert, nicht nur 
die S beide in eT, S ldl !l i 0 nd , e c rn a ^ dl Segen die väterlidie Autorität, 
scher« ist der p-'P derselben Person verkörpert sind. Im »Geister* 
Elternlosen aea ein a / t , erer Verwandter des Prinzen, der dem 
Teil zeiht dL-f Pt Cl W j e '? e Vaterstellung einnimmt. Auch der 
geradezu dps V eizo &' , der den Ohm und Kaiser erschlagen hat, 
kaum die tVy 3 ^ 0 ^«-, S ° brau <*ten wir in diesem Falle 
Traurndentimo ' 3 lg j n f ai J S j ail .derem Material, insbesondere aus der 
in reifster Fülle t dei ! M ärdl enforschung, die uns die Psychoanalyse 
den Vatlr I r darreicht, um zu konstatieren, daß der Fürst hier 
?vDishen ,p deU | ' W ° bei S^idizeitig der Sohn, ganz im Sinne des 
Khr dl »Familienromans« zum Prinzen erhöht wird. Auffällig 

Ersatz d des l V U f r £lneS: Wif wisscn ' daß der König so gerne zum 
Se es S J l en ° mm " n wird / weil das Kind die Allmacht, 
bei diesem^* niit^se' em | _ r s . tar ^ en u ( n d allgewaltigen Vater zuschrieb, 
kreis vermissen j 1 j ai J s T 1 acbs ^ n über den engsten Familien* 

Nun ist eerade die-sp^A tl eS ^ 3U ^ das Staatsoberhaupt überträgt. 

ST.TÄ2ES tüeTtÄr ’ Do " ?4 S ‘/T hl 

Zahlung dem geheimnisvollen Armenier 8 ^ Z ^ etei,t ' j n de T 
inquisitor, vor dem sich schließlich ' m , Drama dem Groß* 

die Menschen an seinem langen dnd! K ° mg be , u S en muß , ^ ed er 
läßt und der von der AllwisSnl v unzerreißbaren Seile flattern 
Allmacht — genug besitzt um ^ T^ em wic htigsten Attribut der 
wisse »seit Jahren, was Sie seit K ° n ‘ g sagen zu können ' er 
Wir hätten also hier w e S . onnenu ^gang«. 
selben Werk nebeneinander dL i°‘i ZWei Vaterrepräsentanten im 
anaer, Dergleichen nimmt uns nicht wunder. 






































































































Schillers Geisterseher 


83 


wenn die beiden Gestalten die zwiespältige Einstellung des Sohnes 
wiedergeben und einem geliebten, gütigen, ein gehaßter und feind- 
seliger Vater gegenübersteht, wie dem Geist im »Hamlet« der König- 
Oheim. In unserem Falle aber ist der eine Ersatzmann des Vaters 
wie der andere drohend, böse und gewaltig, so daß vom psycho- 
logischen Gesichtspunkt aus keine Notwendigkeit zu einer solchen 
Dublierung, die noch dazu in zwei Werken wiederholt wurde, 
bestand. 

Diese Eigentümlichkeit, die wohl geeignet erscheinen könnte, 
uns an dem bestimmenden Einfluß infantiler Gefühlsereignisse für 
die künstlerische Produktion zweifeln zu lassen, bildet den aller¬ 
schlagendsten Beweis hiefür. Sdullers Kindheit ist nämlich dadurch 
ausgezeichnet, daß bei ihm jene typische Phantasiebegebenheit zur 
Realität wurde, da zur Zeit der beginnenden geistigen Selbständig¬ 
keit an die Stelle des Vaters, dessen Gewalt zu verblassen begann, 
der Landesfürst in Person als zweiter Vater trat. Schillers Vater, 
der sich mit unendlicher Anstrengung aus den dunkelsten Anfängen 
zu einer ehrenvollen Offiziers- und Beamtenlaufbahn emporge¬ 
schwungen hatte, war ein frommer und wohlmeinender, aber auch 
ein ernster und strenger Mann und machte von der patriarchalischen 
Gewalt, die zu jener Zeit den Eltern ihren Kindern gegenüber noch 
ungeschmälert bestand, den vollen Gebrauch. Der Eindruck mußte 
das Gemüt des dreizehnjährigen Knaben wohl tief berühren, als 
diesem gebieterischen Vater sein Sohn, den er zum Geistlichen be¬ 
stimmt hatte, vom Herzog trotz seines Sträubens einfach weggenommen 
und in die neugegründete militärische Anstaltgesteckt wurde. Es war wohl 
kein anderer Schluß daraus zu ziehen, als daß der Herzog die Allge¬ 
walt, die einst das Kind dem Vater zugeschrieben hatte, tatsächlich be¬ 
sitze. Wirklich reichte die Gewalt jener Fürsten des achtzehnten Jahr¬ 
hunderts erheblich über die Grenzen hinaus, die wir heute mensch¬ 
licher Herrschaft einzuräumen gewohnt sind. Despötchen, deren Unter¬ 
tanen eine geringere Zahl betrugen als die der Arbeiter, die in einer 
großen Fabrik heutzutage einem Direktor subordiniert sind, regierten 
mit so schrankenloser Willkür, wie sie der Russenzar selber nicht 
eine Woche lang ungefährdet ausüben könnte. Jener Karl Eugen 
von Württemberg ist dafür eines der deutlichsten Beispiele. Während 
der größte Teil seiner Untertanen hungerte, seine Beamten unbezahlt 
blieben und die Soldaten für englische Kriegsdienste verschachert 
wurden, führte er eine Hofhaltung, die an Pracht und Luxus der 
von Versailles nicht viel nachstand und vergeudete die blutig er¬ 
preßten Einnahmen seines Landes auf die Dekorationen und Ge¬ 
schenke eines einzigen flüchtig vorüberrauschenden Festabends. Selbst 
später, unter dem veredelnden und mildernden Einfluß einer wahr¬ 
haften und editen Liebe, nahm seine Willkür, an deren gutem Recht 
ihm und seiner Umgebung nie zu zweifeln einfiel, keineswegs ab, 
sie ging nur andere und weniger unmenschliche Wege. Statt der 
Frauen und Töchter seiner Untertanen raubte er jetzt ihre Söhne, 


6* 









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Dr. Hanns Sachs 


um sie in seiner Anstalt zu seinen Geschöpfen zu erziehen. Wie 
überhaupt die Realität in diesem Falle vollkommen das leistete, was 
sonst die Phantasie erträumt, suchte sich der Fürst ganz bewußt bei 
seinen Zöglingen an die Stelle des Vaters zu setzen. Er tituliert 
sie niemals anders als seine »Söhne«, teilt Lohn und Strafe bei 
seinen täglichen Besuchen persönlich aus, die letztere sogar manchmal 
eigenhändig vollziehend, und gibt ihnen bei den Mahlzeiten die Br^ 
laubnis zuzugreifen. Die Eltern werden von ihnen fast vollständig 
ferngehalten. Ferienaufenthalt im Vaterhause gibts überhaupt nicht, 
nur unter argwöhnischer Aufsicht werden Besudle in der Aka¬ 
demie geduldet. »Urlaubsgesuche der Zöglinge wurden sogar bei 
dringlichsten Familienanlässen, selbst in schweren Krankheits* und 
1 odesfällen, rundweg abgeschlagen. Planmäßig sollten die Kinder 
ihren Eltern entfremdet, die natürlichen Empfindlingen für die 
ramilie unterdrückt werden. Des Herzogs ,Söhne' sollten die Eleven 
sein und in ihm ihren Vater und Wohltäter verehren.« 1 So schreibt 
Schiller selbst in einem Schulaufsatz, dem herrschenden Ton folgend: 
»Dieser Fürst, durch welchen Gott seine Absicht mit mir erreichen 
will, diesei Vater, welcher mich glücklich machen wird, ist und muß 
mir viel schätzbarer als die Eltern sein, welche unmittelbar von 
seiner Gnade abhängen.« Für die Auffassung von der Stellung des 
Fürsten zu den Schülern ist es bezeichnend, daß es als die höchste 
Belohnung für die adeligen Schüler galt, die Hand, für die bürget* 
lenen, die Rockklappen des Herzogs küssen zu dürfen. Geisttötender 
ziwang, der jede selbständige Regung im Keime ersticken sollte und 
P r f ss Y r aus S ea rtete Disziplin beherrschten das Leben an 
dei Militärakademie und verfolgten die Schüler von Morgen bis 
end, von Abend bis Morgen. Als Reaktion auf dieses Sklaven* 
dasein wird der wilde Freiheitsruf begreiflich, mit dem Sdüller sein 
dramatisches Schaffen begann. Die Fesseln schnürten tief in seine 
ee e und er haderte noch mit ihnen, als er sie schon lang abgestreift 
atte. Der Herzog wiederum, der sich als Beglücker seiner Schüler 
preisen ließ und sich auch selbst so erschien, zeigt gegen diesen seinen 
f ur < UT L t . lgen Größe bestimmten »Sohn« eine eigentümlich schwank 
een e ln ^ e un 8- und Ungunstbeweise folgten einander 

so Utim^elbai-, cTaß wir das Vorliegen einer »Gefühlsambivalenz* 
j Alf 1 ^ mi ! ssen - Am Abend vor der Entlassung der Schüler aus 
vnädi^t adCm ^ Sah S t re ‘ Aer i wie der Herzog mit Schiller »auf das 
fn dieser SMI Unter , hie den Arm auf dessen Stuhl lehnte und 
erhielt Xr S ^ U A S Sehr .^ e mit ihm sprach«. Am nächsten Tag 
liehen Vercnre^ us ® ezeid J nete im Widerspruch mit einem ausdrüdt- 
verveben Stte A *! 1? HcfZOgS die schlechteste Stelle, die dieser zu 
bePdem ühel£ ft^'^ntsmedikus ohne Offiziersrang, noch dazu 

zwischen F^ Ä gten R 5 gim ? nt Au ^- Denselben jäTen Wechsel 
zwischen Fr eundlichkeit und roher Bedrückung zeigte Karl Eugen 

1 Karl Berger, Schiller, sein Leben und seine Werke, München 1912 p. 63/64. 







































































Schillers Geisterseher 


85 


nach der Mannheimer Aufführung der »Räuber« und Schillers heim¬ 
licher Reise dorthin. Er sandte dem jungen Dichter ein Pferd aus 
seinem Marstall, als er ihn zu sich nach Hohenheim kommen ließ, 
empfing ihn dort freundlich und führte ihn in seinen Anlagen herum. 
Dann kam ein plötzlicher Zornausbruch, der Delinquent mußte nach 
Anhörung einer fürchterlichen Strafpredigt zu Fuß in die Stadt 
zurückkehren und sich bei der Hauptwadie als Arrestant melden. 

Von da an gewann die Feindseligkeit die Oberhand. Der rohe 
Befehl des Herzogs, das Dichten künftighin zu unterlassen, zwang 
Schiller zur Flucht. Durch diese Feindschaft und Verfolgung wurde 
er während langer Jahre zum Flüchtigen und Heimatlosen, der unter 
angenommenem Namen von Ort zu Ort irrte, ohne eine bleibende 
Stätte zu finden, angewiesen auf die Gnade seiner Freunde, die ihn 
beherbergten und seinen ewigen Geldnöten nach Kräften durch Dar¬ 
lehen und Bürgschaften abhalfen. Es war wohl die stärkste Probe 
für die Reinheit und Festigkeit seines Charakters, daß er in dieser 
Zeit weder in jene Überheblichkeit verfiel, die jedes Opfer als selbst¬ 
verständlich annimmt, weil sie es durch das eigene Genie und seine 
Leistungen im vorhinein als bezahlt ansieht, noch in die Verbitterung 
und Kleinmut des Bedürftigen, der sich durch ein fortwährendes 
Empfangen herabgedrückt und abhängig gemacht fühlt. Aber die 
Empörung gegen die Willkür des Tyrannen, die ihm erst die 
schönsten Jugendjahre durch ihre Zwingherrschaft genommen hatte, 
um ihn dann von Vaterherd und Vaterland zu vertreiben und 
schutzlos der Fremde preiszugeben, kochte in ihm und verlieh seinen 
Jugendwerken den gewaltigen, hinreißenden Schwung. Lange Jahre 
später, als er auf dem Gipfel des Lebens stand, führte ihn der Zufall 
wieder in die Nähe Karl Eugens, gerade als dieser die Augen für 
immer schloß. Der Zorn war schon längst einer vollständigen Gleich¬ 
giltigkeit gewichen,- ganz beiläufig spricht er von der Todesnachricht, 
doch kann er sich auch jetzt nicht entbrechen, den Herzog als den 
»alten Herodes« zu bezeichnen — offenbar in Erinnerung an den 
Mörder der unschuldigen Kindlein, dem der Heiland durch eine ge- 
glückte Flucht entzogen wurde. 

Der »Geisterseher« fällt auch in einen charakteristischen Wende¬ 
punkt der äußeren, durch die Flucht aus Schwaben bestimmten Ver¬ 
hältnisse Schillers. Den ersten Teil schrieb er in Dresden, wo der 
viel Herumgeschlagene endlich ein stilles und sicheres Plätzchen ge= 
funden hatte, aber noch immer als Schützling der Großmut seiner 
Freunde. Die zweite Hälfte entstand, nachdem er erfolgreich den 
ersten Schritt zur Selbständigkeit getan und sich zur Übersiedlung 
nach Weimar entschlossen hatte. 

Wenn in diesen Ausführungen den z wei V erkörperungen der »Vater- 
Imago«, die sowohl im »Don Carlos« wie im »Geisterseher« auf- 
treten, zwei Vaterbilder aus dem Leben Schillers entgegengehalten 
werden, so ist dies nicht etwa so gemeint, als müßten die Figuren 
des Dichters dem einen oder anderen Vorbild entsprechen. Das Un- 








sammen sondern 16 md ! üdte Hdit zu psychologischen Porträts zu, 
infantilen Assoziaf^' 1 S - <e 30 Faden der ihm eigentümlichen, 
das sich darauf ar !-° n jT e,S J ft U f ^ ur das Moment der Zweiheit, 
bezug auf die ;f5 ° ef ' , d ? ß der erste Vater einen wenigstens in 
wertigen Nachfn/ 11 zu ^ S( | lne ^ ne Machtfülle und Feindseligkeit voll, 
erha, f en M, ^att der üblichen bloßen Lehrer, 
Ausdruck S ' ge,3ngt mit vollendeter Deutlichkeit zum 

Restalt - S ' < ^ ve X I ! 1u J :e . n ' daß die vollbeleuchtete Fürsten, 

heirnnisvollem n s ? a ! erei ! Eindrücken entspricht, während die in ge- 
gerüstete Ficmr — ^ St r^ en £ e uad m ‘ t übernatürlicher Gewalt aus e 
Icfiatten dr/v ^ ^ ro ^ nc I uisitor und der Armenier — dem 

k?Ss S ,c s e r r ' il> r heirali4e Größe ' m,t - **■ 

typische Vaitratfrih ! In< ^ 'Ml wi ssenheit, wie wir annehmen dürfen, 
Einstellung pppen * d U e, V S ° ^ 3t die Wiederkehr der infantilen 
minder dmxhgfsetzt wie^ d" d -f modernen Detektivliteratur nicht 
sehen Gebilden den IM fl ei \ ?» esten ur >d primitivsten literari- 
Hohne^ Nid Carter u^ : Und nur daß ^ SHerfock 

und Zauberer heißen mögen ’VoT j^ adlfo, S er T der Könige, Riesen 
Wicklung hinzugefunden hat um a- C ^ Urne Io gischer Ent, 
faßbar und ästhetisch genußreich zu ^ A [lwi ^ enheit psychologisch 
tasiebildungen aber wie do • U 5 na d 1 en. Gerade solche Phan- 
pflegen — das Umgebensein von^ • E ‘teraturprodukte zu enthalten 
Verschwörung, die alle Schrift i e,n ®!l geheimnisvollen Macht, einer 
Willen unterschiebt — kennen wir* -^f S ^P/ ers dauert und ihm ihren 
deren Vorläufer der »Geistere J 11 r ß Fß aus den Detektivgeschichten, 
genug als dem Hauptsymptom eineVn^' , wir begegnen ihnen oft 
ist der allen Psychiatern als Kenntevt, ^ lste skrankheit. Nichts anderes 
achtungs, und Verfolgungswahn« n TT^ aranoia geläufige »Beob, 
daß der Kranke seinen Wahn in V’ >e \Y^?^ rsddcd liegt nur darin, 
sich selbst an die Stelle des leid ^C* r klidikcit hineinpflanzt und 
von allen Seiten belauscht se.W \Y/ J He d ? n setzt> Er wähnt sidl 
zelner, öfter eine Verschwörung »d‘ p! , sadier ' manchmal ein Ein, 
bewachen jeden seiner Schritte* &'u leimaurer « oder »die Jesuiten«, 
deutet er als geheime 7eid CS ^ as um herum geschieht, 

ständigen,- vergeblich wäre es"' siT Seine Fe "] de ver " 
wissen ihn überall zu fmüer, ' / ? lhrer Macht zu entziehen, sie 
werfen. Den Beweis für • Und uns *ditbares Netz über ihn zu 
an, Werke isr.Te“ J Vergärung die gepn ihn 

düngen zu entkräften Zahl!™ * f u . bringen und alle Einwen, 
nisse, tausend kleine Anzeirh C urd)e deutende Dinge und Vorkomm, 
gesetzt und mit bewunde Cn werd ~ n miteinander in Verbindung 
flochten, das Zit SdlarFsin " ein System ver, 

geführt, allen Angriffen tmt aß , er unerbittlicher Logik aus, 

gehört zu den merkwfird; Die j C lo & isdie Fassade des Wahns 

igsten und großartigsten Leistungen und 


































































Schillers Geisterseher 


87 


wird erst verständlich, wenn man sidi zu der Annahme entschließt, 
daß der Kranke einen großen Teil seiner von der Außenwelt ab» 
gezogenen und dadurch frei gewordenen Libido»Besetzung als Motor 
für sein Denkvermögen verwendet. 

Wir finden in der Paranoia also beide Kennzeichen der De» 
tektivgeschichten wieder, die allwissende Verschwörung als Inhalt und 
den verschwenderischen Aufwand an strenger Logik als Technik. Es ist 
nicht das erstemal, daß wir das Zusammentreffen eines pathologischen 
Wahnes mit einem anderen, von der menschlichen Gemeinschaft wert» 
gehaltenen Phantasieprodukt, wie hier mit einer modernen Literatur» 
gattung, konstatieren konnten. Ist der Wahn doch nichts anderes als 
die verzerrte Äußerung einer durch Disposition und Erleben ins 
Abnorme gesteigerten Affektkonstellation, die auch in der Entwick» 
lung des normalen Kulturmenschen einmal eine Rolle gespielt hat 
und von ihm überwunden, aber nicht völlig ausgelöscht wurde. Wir 
sind sämtlich ein wenig Paranoiker, so wie wir Zwangsneurotiker 
und Hysterische sind, sobald wir uns von der Realität abwenden 
und der Phantasie in die Arme werfen,- wir werden halb dazu, 
wenn wir an einem Werk der Einbildungskraft, einem Kunstwerk, 
schöpferisch oder mitschöpferisch»aufnehmend Anteil nehmen und 
ganz, wenn wir träumen. Der »Geisterseher« und die Gattung, der 
er als Vorbild diente, gibt uns also die Möglichkeit, unsere unter» 
drüdcten paranoischen Züge an die Oberfläche treten zu lassen ohne 
uns in die gefährliche Nähe des Wahnsinnes zu rücken. 

Wir haben bisher wenig darauf geachtet, daß im paranoischen 
Wahn oft nicht ein Einzelner der mächtige Verfolger ist, sondern 
eine Mehrheit von Personen in geheimer Verbindung,- auch im »Geister» 
seher« wirkt der Armenier nur als Beauftragter einer Verschwörung, 
die der eigentliche Träger der Allmacht ist, wie die Inquisition im »Don 
Carlos« und die Polizei in jenem Großstadtstoff. Das scheint zunächst 
nicht gut zu der Annahme zu passen, daß jener Allgewaltige ein Abbild 
desEindrudcs ist, den der Vater der Kindertage hinterließ. Wir müssen 
uns aber erinnern, daß der Vater dem Kind keineswegs immer als 
der einsame Gewaltherrscher ersdieint,- er steht in einem Bündnis 
mit einer anderen Person, mit der er etwas Geheimnisvolles, der 
Neugier des Kindes Entzogenes gemeinsam hat — mit der Mutter. 
Kinderbeobachtungen und Neurosenanalysen haben bewiesen, daß 
die Aufmerksamkeit des Kindes sich schon frühzeitig allen Tatsachen 
zuwendet, durch die jener rätselhafte, in Nacht gehüllte Bund, den 
die Eltern miteinander teilen und dem Kinde vorenthalten, auf» 
geklärt werden kann. An Material zu solchen Schlüssen fehlt es 
niemals ganz und die kindliche Phantasietätigkeit setzt das Erhaschte 
auf ihre Weise zusammen. Da dies gewöhnlich die Deutung eines 
gewalttätigen, grausamen Aktes zuläßt und der unentwickelten Sexual» 
Organisation des Kindes gerade dieses Stück der Erkenntnis des 
richtigen Sachverhaltes durch die eigene Triebrichtung vermittelt wird, 
entsteht die von Freud beschriebene »sadistische Sexualtheorie« des 


















s?ebe!i S dem IC Gp^ inSte ^ Cln i ! lII Tf dle von der Erregung geweckte Angst 
und UnSnSf' "T dC [ EItern de » Charakter des Grausamen 
mit de",f in ‘‘ dlen ' de '-jerb°tenen und verruchten Lust, lauter Züge, 
sie ihn in ,.j-f ?' 1 y C Phantasie den Geheimbund ausstattet, wenn 
verschiin<>fp 1 < r^ < T n ./ a ? len sdieinbar erfindet, in Wirklichkeit aus der 

tVDkt Vp% Kl " dhe ' tSe f nnerUnS . W ' eder 3,15 Lidlt fahrt. DieSe 
alle Df>t-pkt ,rS 1 '^.^ n S s P^ an,:as 'e ist deshalb auch viel, viel älter als 
haben ' e ^ ktlv ^ esdl,dl [e , i mitsamt dem »Geisterseher«. Ganze Völker 
erößter 7äh S °f g f h , lgstc Anlaß bot, gebildet und mit 

dieser Gel, h?k t - < ^ ra ? fe f ge , halten - Immer wieder werden die Orgien 
ers? die G f he ' mbUn ii e J 5e t S ? ri w en und immer ist ihr Inhalt derselbe: 
SLnke uA f Sch,edltliche Vermischung ohne Achtung der Inzest» 
Wiederkoh 1 * an ° T ^. ie mar tervolle Ermordung kleiner Kinder. Die 
aneetane P ^ Cnt < 1 Vln derangst, welche die dem schwächeren Teil 
spricht sich inTf C 3t n lld i S rauenv °H auf sich herüberzieht, 

IJbeltaten wm-d!™ ^ Un ^ t au ^ s Deutlichste aus. Jene beiden 

Anhängern dpr i!fM, ° n o den cr ®f en Christen von den rechtgläubigen 
Kirchenväter ersehn!^* 1 C ? at:sre i§' ori VOI 'geworfen und die frühesten 

Ss Chr^tentutn^zu^Hemchafi eft f' d ^ Un ^ en d W"- A,s da "" 

derselben Greuel bezichtigt td die Ketzer 

tung gefordert und vollbracht sö nsl^n^^ da J auf ÄUSr0t ; 
Montanisten, sowie der Stedinger imfef'V" Katharer U ?. d 
Zauberer und Hexen, die derld auf dc o Spater waren es die 
es viele tausendmal auf der »p!£t f . Sabbath begingen und 
»schwarze Messe«, bei der pin K- >an k* bekennen mußten. Die 
begangen wurde, war noch am I-f” r g f Sl flachtet und wüste Unzucht 
denn die Marquise von Morn* , Ludwig XIV - Ilidlt vergessen, 
König an sich zu fesseln. Von i P !'\r be 1 iente s j dl i^er, um den 
Heinz Ewers, daß die wählt! C ea ; au doux in Haiti erzählt Hanns 
Opfer eines Kindes ihren ,,n!£ untereinander und das 

machen. Schließlich gehört die R l leute geübten Geheimkult aus- 
giösen Vorschrift des Kindesmoüt aUp L U ” S Y on def angeblichen reli= 
nur der Geschichte an, sondern jüdischen Osterfest nicht 

Gläubigen und Opfer gefunden ,’ n . der Gegenwart ihre 

in Träumen nicht selten vor und ) ! dl ^>p e I leim I , ünde kommen auch 
mäßig eben jene infantilen GrundLc!! Ueutung er 8'l >t dann regeL 
sind. Wi\l man dieses Traurnplem " ^ j 0n denen wir ausgegangen 
Sinn, wie z. B. beim Nachth /c ent 2U den typischen rechnen, deren 
läßt sich zu seiner Übersetzung SeeT daß f ” • a1lcmal 'Pt"' “ 

V “öÄ JonTJ 

also nur eine abgeschwädifp IC .Tr^ eiSd !i WOI i Un ^ lm »Geisterseher« ist 
paßte Wiederholung einer »Säkul ,ndlv,duellen Bedürfnissen ange- 
Menschheit begleitet und d.V ku ! ar P* lantas >e«, die die Geschichte der 
drücke der Kfa^h^L^'* ^esgleichen durch die Ein-^ 
Noch ein <\pu Hof f *• , un ^ bestimmt wird. 

e lv ~Geschidnen eigentümlicher Zug ver* 







































































Schillers Geisterseher 


89 


dient Hervorhebung, Im Gegensatz zur gesamten übrigen erzählen^ 
den Dichtung spielt bei ihnen die Liebe nur eine geringfügige Rolle. 
Sie behandeln den Kampf von List gegen List, Mann gegen Mann, 
die Frauengestalten, die als Siegespreis oder bei der Intrige MiN 
spielende Vorkommen, könnten ebensogut fehlen, ohne daß die 
Handlung ihren Zusammenhalt, die Erzählung ihren Reiz verlieren 
würde. So vermißt man denn auch in dem in Dresden festgelegten 
ersten Teil des »Geisterseher«, in welchem die Umstrickung des 
Prinzen durch Gespensterspuk und seine Selbstbefreiung durch die 
Waffen des Verstandes mit vollendeter Konsequenz geschildert wird, 
das weibliche Element und die erotischen Motive ganz und gar nicht. 
Wenn im zweiten Teil die »Griechin« und mit ihr die Leidenschaft, 
die sie dem Prinzen einflößt, in die Handlung tritt, so wirkt diese 
Wendung zunächst überraschend, beinahe verblüffend. Die Ausmalung 
des Gefühlsüberschwanges, dem sich der Prinz überläßt, steht in 
merkbarem Widerspruch mit den scharfsinnigen und stahlhart be^ 
rechneten Kombinationen der bisherigen Verwicklung. Man fühlt, 
daß hier irgendwo das Geheimnis der Unlösbarkeit dieser künst^ 
lerischen Aufgabe verborgen liegt, das den sonst so willensstarken 
und beharrlichen Dichter zwang, das begonnene und schon ver^ 
öffentlichte Werk als Torso liegen zu lassen. 

Die Beschränkung auf ein Geschlecht und die in der Literatur 
ungewöhnliche Vernachlässigung des Interesses an der Frauenliebe, 
die den ersten Teil und die zu seiner Art gehörenden späteren 
Werke auszeichnete, sind eine weitere Übereinstimmung mit der 
Paranoia, in deren Verursachung nach den Forschungsergebnissen 
Freuds die libidinöse Fixierung an das eigene Geschlecht eine be^ 
deutsame Rolle spielt. Es ist auch ohne Zuhilfenahme dieser, durch 
die Vollständigkeit einer solchen Parallele hübsch belegten Grunde 
anschauung sehr deutlich, welches Stück des Seelenlebens Schillers 
sich im ersten Teil dargestellt hat, nämlich die Eigenart seiner 
Bindung an die freundlidien und feindlichen Männergestalten, die 
der Reihe nach in sein Leben traten. Der erste dieser Reihe war, 
wie es Regel ist, der eigene Vater und jeder Nachfolgende mußte 
etwas von seinem Bild an sich tragen. Bei einem Dichter findet diese 
Urgestalt ihre Fortsetzer auf zwei verfolgbaren Linien, in der 
Phantasie und in der Realität,- auf beiden Wegen kommt sowohl die 
Liebes- wie die Haßeinstellung wieder zu Wort. So bildeten sich 
in Schillers dichterischem Schaffen die zwei Hauptmotive, denen er immer 
wieder nachging: Empörung gegen Tyrannenmacht und Bruderzwist, 
neben die dann hie und da die rein zärtliche Ausprägung tritt in 
der Konzeption von Gestalten wie Andrea Doria und Attings 
hausen, und der brüderlichen Freundschaft zwischen Carlos und 
Posa, Moros und seinem Bürgen, Julius und Raphael. Auch in der 
Realität finden wir den verfolgenden Tyrannen, den Herzog Karl 
Eugen, und daneben den brüderlichen Freund, der die Rolle des 
Vaters, als Erhalter und Versorger auf sich genommen hat. Der 













Dr. Hanns Sachs 


reinste ertieter dafür war Körner, als dessen Schützling und zeit' 
wei iger ausgenosse Schiller die erste Hälfte des Romanes verfaßte. 

Pf S !l •• sc hrieb, war der eben selbständig Gewordene mit dem 

rlan beschäftigt, eine Frau heimzuführen und eine Familie zu gründen. 

j <° is1 £ e f/ n ^t in der ursprünglichen Anlage des Werkes, 

j°o j. alle balle in dem Lebensgang des Dichters gut begründet, 
a in diesem Teil des Werkes eine Frau in die Männerwelt des 
omanes ineintritt,- ihre Gestalt, in der die Liebesbereitschaft Schillers 
?f Um .. us drucK gelangt, verdient eine eingehende Untersuchung. Da 
i r tätiges Eingreifen in die Handlung nur am Schluß mit einigen 
eüen erwähnt wird, lassen sich an ihrem Charakter nur allgemeine 
uge, römmigkeit und Seelengiöße, feststeifen, und auch die Schil* 
erung 1 rer Eischeinung läßt eine fast überirdische Schönheit, aber 
r eine esondere Eigenart erkennen. Ungewöhnlicher Art und scharf 
Umrissen sind nur ihre Lebensumstände, die, fast so wie der Stoff 
££ mennoveile aus den »Räubern«, aus einem anderen Jugend* 

pin MlzAA? U a i ® ^ er öbergenommen zu sein scheinen. Sie ist 
der HeimaT ohn^R' ^ stammun g/ das gezwungen wird, fern von 
führen. In der Fr e ? < ^ ut f e f ^' n dunkles und bedrücktes Dasein zu 
die Geliebte W ,J[ d S |S' von den edelsten Motiven geleitet, 

seiner Ränke spinnenden S ' C ver ® udlt Tf f" 

zuzuleiten denen ihr r 4 mge kung zu entreißen und den Idealen 
von ihren' Schicksalen sagt ^ ^n^lf DaS ‘ St , alleS ' was der Roman 
ebensogut auf die j nd j Utet ' Ullc * es P a ßt ausnahmslos 

tiefer LgÄrte Ffc„t dic f‘ EiliA & reicher und 

nicht auf die Griechin^ «k • 1 andere Züge mitbekommen hat, die 
Geschehnisse am Schluß C !|^ eg ä n S en sind. Der Zusammenhang der 
aber die starke Hervr.i4,„i eS ^°P lan f s läßt sich zwar nur erraten, 
Frömmigkeit, sowie das G-ft 1 ^ de ? katholischen Glaubens und der 
andere Lösung zu alc A- * 'j 3 « , m s ‘ e st *rbt, lassen wohl keine 
schworenen ihre reino j . . der Armenier und seine Mitver» 
sie den Prinzen zum Aj‘^„ lnmg f .Gläubigkeit benützen und durch 
muß, weil sie daJl k 1 y e [leiten wollen und daß sie sterben 
ginnt und den Geliebten 4 iensA ® Geheimnis zu durchschauen be- 
der Präsident und die HnT?” konnte/ , 8 anz ebenso mißbrauchen 
ihre selbstsüchtigen 7\ 4 ^J'que^ an deren Spitze er steht, für 

Abscheu vo7E, Edelsinn der Lady, die sid, m > 

Das Motiv läßt sich Ar- n\ 4 . nad \ dem s ^ e die Wahrheit erfahren hat. 
zuschreiben da esfn JZ D,dlter bier mit um so größerer Gewißheit 
seher« folgenden Produkt" Werk nadl der langen, dem »ödste*' 
wo die GräfinT«3^Sk*P US ?i im Gallenstein« wiederkehrt, 
seine Liebe zu ^ ld> A , be müht, den Max Piccolomini durch 

daß sich der reine SinnT ^!. ZU verführen und daran scheitert, 
zeug und auflehn,, als Werk- 

Für A\o ru \i-fr vc ; ratcs 2U dienen, 
ist nun ihrerseits die der Griechin als Vorbild diente, 

eiseits wieder eine andere Gestalt Modell gestanden, 



































































































Schillers Geisterseher 


91 


diesmal allerdings keine einem Drama oder Roman entnommene, 
sondern eine der Wirklichkeit angehörende Person, die dem heran= 
wachsenden Knaben fast täglich gegenüberstand: Franziska von Hohen^ 
heim, die Maitresse en dtre des Herzogs Karl Eugen. Ein edles und 
liebevolles Gemüt, wie die Lady des Trauerspieles, war sie mit 
besserem Erfolge bemüht, den Fürsten seinem wüsten und ver= 
schwenderischen Leben zu entreißen. Unter ihrem Einfluß verschwan= 
den die ärgsten Wiilkürlichkeiten und Mißbräuche, der Herzog be= 
gann sich für das Wohl seiner Untergebenen zu interessieren und, 
wenn auch in seiner despotischen und gewalttätigen Weise, dafür tätig 
zu sein. Die »Karlsschule« war eine der Folgen jener geänderten 
Sinnesart und bei seinen täglichen Besuchen wurde der Herzog oft 
von der Gräfin Hohenheim begleitet, die als einzige Frau dort 
Zutritt fand. Von der alten Aussaugung und Unterdrückung blieb 
immerhin genug zurück, um der zarten und gütigen Frau schwere 
Stunden zu bereiten, so daß die Verhältnisse von den in »Kabale und 
Liebe« geschilderten nicht allzuweit ablagen. Zu einer solchen dra= 
matischen Steigerung wie dem Abschied der Lady hat es das Leben 
freilich nie gebracht. 

Man darf es wohl als selbstverständliche Gewißheit hinstellen, 
daß für die heranwachsenden Jünglinge, die in der Karlsschule ab¬ 
geschnitten von jedem weiblichen Verkehr, selbst mit ihren Familien^ 
angehörigen, ihre Entwicklungsjahre durchlebten, diese Frau der 
Brennpunkt wurde, in dem sich ihr ganzes erwachendes Liebesbe^ 
dürfnis sammelte. Mehr als für seine Mitschüler mußte das für den 
Dichter gelten, der schon in so zarten Jahren einer Leidenschaftlich^ 
keit fähig war, wie sie sich in den »Räubern« offenbart. Zum 
Tyrannenhaß gesellte sich so die Eifersucht auf den Besitzer der 
begehrten Frau, wenn nicht vielmehr die Eifersucht, oder eine noch 
ältere, der sie nachgebildet war, zu den tiefsten Wurzeln dieses 
Hasses gehörte. Die Gattin des Herzogs — das war Franziska von 
Hohenheim in jeder Hinsicht, und wurde sie auch nach dem Tod der 
ersten Gemahlin — und ältere, gütige, die Strenge des Gemahls 
lindernde Frau war dazu geschaffen, im Gefühlsleben des Knaben 
die Stelle der Mutter einzunehmen, wenn auch nicht ganz in dem 
Sinne, in dem der Herzog den Vater ersetzte. Dieser übernahm, 
wie wir gesehen haben, selbst die Vaterrolle und bemühte sich, den 
ersten, natürlichen Vater ganz zu verdrängen, so daß durch sein 
Eingreifen eine ganz ungewöhnliche seelische Konstellation entstand. 
Daß der Mutter eine Nachfolgerin gegeben wurde, das geschah 
durchaus in der gewohnten Weise, das heißt, ganz einseitig von 
seiten des Sohnes. Die realen Verhältnisse zeigten nur das übliche Maß 
von Entgegenkommen zur Ermöglichung der Identifizierung, im übrigen 
blieb der ganze Vorgang innerlich, auf das unbewußte Seelenleben 
beschränkt. Man kann daher wohl behaupten, Schiller habe einen 
zweiten Vater gehabt, da der Herzog die ihm zugefaltene Rolle 
übernahm und aktiv durchführte/ hingegen nahm die Ablösung von 











stand da ß der Knabe einen Gegen» 

in wesentlirhp 7- lcbke, fsbeclürfnis zu finden sudite, der dem ersten 

ZZr ^lt l war ' bis er von Ersatz zu Ersatz 

obiekt des Inn ?- m ^ rbl J d sicb entfernend bei dem geeigneten Liebes» 

Bild dieser n g ./ ngs , an Da Liebe nie untergeht, bleibt jedes 

dichtertch/n l A . der Erinner ( u "S hinreichend teuer/um bei der 

Rechte mir P f°l Uttl ) ° n , aus dem Unbewußten hervor seine alten 
Kernte mit Erfolg geltend zu machen. 

Begriff sich 0 ,n t / ie c W S rdi ! e ^? ekdote 2 ^igt uns den Knaben im 
vernahm t r C r Stdle des Herzogs zu versetzen. Der Fürst 
von ihnen dpr ^ cx'-n m ' t > den Zöglingen scherzend, daß einer 
nadizuahmpn p Unge . Schiller, sich ausgezeichnet darauf verstehe, ihn 
ihn nachdem p r wünschte eine Probe zu sehen und Schiller begann 
Ton zu examim - S * S< r! en J^ t0 ^ aus £ c beten hatte, in seinem eigenen 
Imitator an- »p^p P 3 d , ei Uerzog übel bestand, schrie ihn sein 
beim Arm und macbP'lU^’* nabm die dabei stehende Franziska 
Herzog ihm ganz vpriPt^"^^ ?*5 eib S st davonzuführen, so daß der 
Wenn ^wi erdut2t nachrief: »Laß er mir die Franzei!« 1 

uns hindert, eine solche^ ) lcbe ?' das Vorurteil aufzugeben, das 
als Spiel angesehene P n - C , cnsadl ‘die, von den Beteiligten selbst 
Stelle die eSZ r st zu «l>"Kn, und an seien 

eines leidensdtaftidien der^r cs -l ür unterdrückten Affekte 
ein kostbarer Moment spin ren % sten f-ucht unterworfenen Knaben 
und endlich einmal wenn , 'V u te ' a ^ s er seine Saturnalien feiern 
er zu gehorchen gewohnt "ä "T^nd, Herr sein durfte, wo 
Vorganges interessant und aufschl Wir d uns ,cdes Detail des 

einzige Gelegenheit sogleich dat, sein - °aß der Knabe diese 

Begleiterin von der Seite z.. 3 r U aenut2t e, um dem Herzog seine 
hält dann den CharakterMneP« Cn , U ? d . S, ' C 3,1 siA zu *ehe", er " 
Wunsch erfüllt wurde der Tl sy ™ bolls d»en Handlung, mit der ein 
verlangte. Das Vergnügen Vergcblidl nach Befriedigung 

selbst abkanzeln zu dürfen • an ' den stren gen Erzieher einmal 
sich mit ihm zu identil; ' ‘ St ,a .^kennbar, aber der Wunsch, 
Voraussetzung der enn eren ' sP r, dit noch weit deutlicher aus der 
wickelten ImitationsfälXl/ ^rv eis ^ c ^ te ' a us der liebevoll ent- 
unter Sch^S?^3^^ä>?^ N ^ ldlah,MU, « deS LchrerS ' t 
druck des starken Interesses an % ZUm gl i oßcn Teil d< T, AuS " 
treten aus dem engsten KV 0 S T n< T Person, die nadr dem Hinaus» 
ersten Respektsperson Ao c \T des Vaterhauses an die Stelle der 
Der typis.be Saum X/S' in , viel « Hinsicht getreten ist. 
enge, freundsdtallidte Beziehute "d- '"t 8 ' ih " mit I km H ] ' K - ” 

Schritt weiter indem Qi« u . un .S/ die Imitation geht noch einen 
Auth die VerspoTun? }• “ d i e Perso » *• Lehrers hineinversetzt, 
ist, gilt dem Lehrer ;,5’ c ■ c ^ erart 'gen Nathahmungen enthalten 
-li __ ” m sclner Eigensthalt als Nadtfolger des Vaters, 

Karl Berger, Schiller, sein Leben und seine Werke. I. Bd. 
























































































Schillers Geisterseher 


93 


dessen geheiligte Person nicht direkt von einer solchen Herabsetzung 
getroffen werden darf. Die psychologische Entstehung der Karikatur, 
erst mittels Geste und Maske, dann durch das Zerrbild, knüpft an 

diese Voraussetzungen an. . , , , , 

Wir haben hinter dem bei Schiller so häufig wiederkehrenden 
Motiv der Auflehnung und Empörung die alte Feindseligkeit gegen 
den Vater gesucht. Wir wollen noch eine Stelle aus »Maria Stuart« 
nachtragen, die hieher zu gehören scheint: 

Maria: 

Was? Euer Oheim, euer zweiter Vater? 

Mortimer: 

Von meinen Händen stirbt er. Ich ermord' ihn. 

Die Ersetzung des Oheims durch den Vater, die wir für den 
»Geisterseher« vermutet haben, wird hier, wie in jener schon zitierten 
Stelle des »Teil«, deutlich ausgesprochen. Das Motiv des Mordes 
ist die Errettung der Geliebten, einer nicht mehr jugendlichen, fast 
schon verblühten Frau durch einen schwärmerischen Jüngling. Da 
der zu beseitigende Wächter der Vater ist, so haben wir einen recht 
durchsichtigen Fall der typischen »Mutter®Rettungs®Phantasie« vor 
uns. Das erotische Begehren als treibende Kraft wird in der Gestalt 
des sinnlichen Gewaltmenschen Mortimer aufs höchste anschaulich 
gemacht. In abgeschwächter Form finden wir dieselbe Situation im 
»Teil« wieder, wo Rudenz durch den Wunsch, seine eingekerkerte 
Bertha zu befreien, zum Anschluß an die Verschwörung und zu 
offener Gewalttat getrieben wird. Auch die Befreiung einer anderen 
Bertha aus dem Gefängnis, nämlich in »Fiesko«, reizt ihren Liebhaber 
Burgognino zum Tyrannenmord auf und hier ist der Ermordete 
sogar direkt als sexueller Rivale geschildert, der auf seine Macht 
trotzt und sich der rohen Gewalt bedient. Am deutlichsten ist die 
Ursache des Vaterhasses im »Don Carlos« ausgesprochen, wo die 
Liebe zur Mutter in den Vordergrund tritt. 

In dem gleichzeitig entstandenen »Geisterseher« ist es wieder 
in den Schatten gerückt,- Herrschsucht und Rachgier treiben den 
Prinzen zum Verbrechen. Aber neben dem Fürsten steht als zweiter 
Vaterrepräsentant der Armenier und diesen sehen wir kurz vor dem 
Abbredien des Romanes in geheimnisvolle Beziehungen zur Geliebten 
des Prinzen verwickelt, denen, wie die Erzählung Civitellas andeutet, 
das erotische Moment nicht fehlt. Haben wir früher vermutet, daß 
die Aufnahme dieser weiblichen Figur daran mitschuldig war, daß 
Schiller das Werk unvollendet ließ, so sehen wir jetzt die Umrisse 
jener Gewalten, die hemmend in das Räderwerk seiner Produktion 
eingriffen, schon etwas schärfer. Wir müssen uns aber nicht nur auf 
die innere Verwandtschaft mit dem »Don Carlos« berufen, denn 
der »Geisterseher« enthält, wie wir wissen, auch das zweite Lieb® 
lingsmotiv Schillers, die Rivalität der Brüder in der Erzählung des 
















94 


Dr, Hanns Sachs 


Sizilianers. Wie die Auflehnung gegen den Vater im »Don Carlos«, 
j° S l n < ie redlichen Brüder in der »Braut von Messina« am 

deutlichsten und klarsten gestaltet. Daß die Eifersucht der Brüder 
aU , 10 ^ahtät bei derselben Geliebten beruht, ist zwar im »Geister^ 
se ei« und in den »Räubern« auch geschildert, aber in der »Braut« 
kommt ein wichtiger, neuer Zug hinzu: Die von beiden Brüdern 
- * 4 . tC lSt . ' , S^wester. Eine eingehende Untersuchung des 
ar enmotivs der rivalisierenden Brüder 1 , die dieses Motiv von 
em Grimmschen Märchen durch das ägyptische Brudermärchen und 
en Osiris-Mythos hindurch bis zu seiner psydiologischen Grund* 
orm erforschte, hat ergeben, daß der ältere und jüngere Bruder 
eigent i i Vater und Sohn sind. In der späten Ausprägung im 
eutsdien Märchen werden zur Verwisdiung dieses Ursprungs die 
luder zu Zwillingen gemacht. Der unbewußte Affekt aber, der diese 
lza ung von Mexiko bis Ägypten in gleichmäßig wiederkehrenden 
ormen entstehen ließ, ist die Eifersucht des Sohnes auf den Vater, 
Gegenstand nur die Mutter sein kann. Was wir aus der 
ar en lteratuf durch mühsame Vergleichung und weitwendige 

w/nii 6 C V/ CfaUSS i ä e V llüssen ' das verf ät uns der Dichter mit 

wähl d n ieTr 0 get n rofen n hS Sar SCiner Mutter VOn der LiebeS * 

»Gleihgi'tig war und nichts bedeutend mir 
Uer brauen leer geschwätziges Geschledit 

D e n 1* T' K «* ** »i*t- wie 
__ 1 ^‘ e _ e,n Götterbild verehre. 

Und dunkel mächtig wunderbar Ergriff 

n I " nerst en midi ihre Nähe 
Nicht ihres Lächelns holder Zauber war's 

Selbst,rf auf / ler Wan S e schweben, 

E Ja T ? r ° Ianz der göttlichen Gestalt - 

Was mich .ff CS Und gebimstes Leben, 

Was mich ergriff mit heiliger Gewalt.« 

ausschließlich an ^ie^ r en , die Schwester auf den bisher 

kann doch wohl nur di. xl f-xc SS . e ten Weiberverächter ausübt, 
genau so wie der Prinr 1n f?. eit mit der Mutter sein. Ganz 
Geliebte zuerst in der KirdL*j sterse her« sieht Don Cesar die 
er sich, sie wiederzufinden- ^ 8302 ebenso wie dieser bemüht 

AnÄ^ SU Ä idl restlos dich 
An ! K ff fdlen utld Paläste Pforten, 

Wol d? ? ffe ™l und verborgenen Orten 

Hab' irb d' e xr 10112 Unschuld zeigen kann, 

--- Hab ich das Netz der Späher ausgebreitet.« 

Rank und Sachs. eutun g ^ er Psychoanalyse für die Geisteswissensdiaften« von 










































































Schillers Geisterseher 


95 


Es ist die Ähnlichkeit mit der Mutter, die ihn an Don Manuel 
rührt und zur Versöhnung bewegt,- aber auch bei diesem scheint 
die Familienähnlichkeit unbewußt fesselnd mitgewirkt zu haben, als 
er sich in Beatrice verliebte: 


Don Cesar: 

Ich seh' dich an, und überrascht, erstaunt 
Find ich in dir der Mutter teure Züge. 

Don Manuel: 

Und eine Ähnlichkeit entdeckt' sich mir 
In dir, die mich noch wunderbarer rührt. 

Wir erfahren aber auch, daß schon von Anfang an die Eifers 
sucht auf die Liebe der Mutter den Haß zwischen den Brüdern 
schürte. — Wir hören zunächst, daß er aus frühester Kindheit 
stammt: 

»Doch eures Haders Ursprung steigt hinauf, 

In unverständ'ger Kindheit frühe Zeit« 

und dann später klagt Don Cesar mitten im namenlosen Schmerz 
über seine Freveltat: 

»Sie hat mich nie geliebt! Verraten endlich 
hat sich ihr Herz, der Schmerz hat es geöffnet. 

Sie nennt ihn ihren bessern Sohn.« 

Ja, der Gedanke, daß die Mutter ihren ermordeten Sohn mehr 
lieben müsse als den überlebenden, treibt ihn zum Selbstmord: 

»Denkst du, daß ich den Vorzug tragen werde. 

Den ihm dein Schmerz gegeben über mich?« 

Das ist wohl mehr, wie die ruhige zärtliche Liebe des Sohnes 
zur Mutter, das ist eine Leidenschaft, die ihre ungestüm fordernde 
Gewalt von der Kindheit her noch bewahrt hat. Wir dürfen auch 
nicht übersehen, daß es der jüngere Sohn ist, der die Mutter mit 
solcher ausschließlicher Zärtlichkeit liebt und daß er den älteren er* 
mordet. Dieses Altersverhältnis, das für das Märchen typisch ist, 
kehrt beim Mordversuch des Franz Moor und bei der Bluttat des 
Lorenzo im »Geisterseher« wieder. Bei Schiller also, wie im Märchen 
stecken hinter den beiden Brüdern Vater und Sohn und die beiden 
Hauptmotive seiner Dichtkunst, die im »Geisterseher« nebeneinander 
auftreten, sind nach ihren psychoanalytischen Rückführungen nur zwei 
typische Ausprägungen ein und desselben Urmotivs. 


Fortsetzung folgt.) 














96 


Leo Kaplan 


Der tragische Held und der Verbrecher. 

Ein Beitrag zur Psychologie des Tragischen von LEO KAPLAN. 

Das Schuldbewußtsein und die Strafe. - Orestes. — Marmeladow.— 
Raskolnikow. — Brynhild. — Der Sündenbodt. 

»Der Verbrecher ist häufig genug seiner 
Tat nicht gewachsen: er verkleinert und 
verleumdet sie.« Nietzsche. Jenseits von 
Gut und Böse. Aphor. 109. 

»Wer über einen Menschen das Urteil 
spricht, hat es über sich gesprochen.« 

Chassidischer Spruch. 

Das Schuldbewußtsein und die Strafe. 

I n einer früheren Arbeit: »Zur Psychologie des Tragischen« 1 habe 
ich eine Parallele gezogen zwischen dem tragischen Helden und 
en ! er Pr c * ier - Der Gedanke war dort folgendermaßen aus» 
AH^mHnT > >C J er I tr !,? ,s t e , Held ver,et2t die durch den Willen der 
sehe Held ul Cr Ind,v, ^ ua JP s yAe suggerierte Norm . . . Der tragi» 
Leiden hedou?* 1 a l^ ^ Verbrecher betrachtet werden,- seine 

U,den Meuten dann die Wiederherstellung der verletzte,, Horn, 

Unwerturteils' über die^böse'^aTA“'^ ^ , • sozial ' cthis<t '?" 
ll Ae Verbredrer der Repräsentant li,, r* l "’’ s< j kel,rt L st ' Ier wirk ' 
Unbewußten schlummert W,, I d ,Bo f ”; das licf in imscr f m 
auf sich nehmen er'tn..ft , n" «SisAc Held muß er Le,de, 

bewußtsein,. Die tragfebe 2 vf ^ C , rden: *»*>"*«? unser Rechts» 
bewußtsein - das Go? 6 Vcrwirk,un S setzt somit das Schuld» 
Ausgangspunkt unserer Unn^ 11 A, VO j aus ' Wir wollen nun als 
und den Weg von hipr I • lsudllln £ das Schuldbewußtsein nehmen 
DieTatsaATdes SAuld 2 b Um W*™ Abschluß verfolgen, 
minalfällen ersichtlich: bdlU ' dbewußt seins ist z. B. aus folgenden Kri» 

Marie M. vom Morde an^hrem^r spradlen * ^03 die Bergarbeitersgattin 
schien die Freigesprochene beim e Htten Am Silvesfertage 1904 er» 
die Last ihres bösen Gew;« aatSanW ‘] lt und erzählte ihm, daß sie 
und deshalb eingestehe, ihren 0^° S a n l an £ er ertragen könne 
[2] »Im Jahre 1850 hat zu Cn beseitigt zu haben.« ^ 

und seine Kinder umgebracht. Er Vahren ein Philipp S. sein Weib 

Liebesbezeigungen machte, die Frhitto* S1Ca V^urch, daß er seiner Magd 
Wut darüber tötete er sie des \r run S seiner Gattin zugezogen. Aus 
Kinder erwachten, zu wehien u^ S T*. als durd &hrei die 
anderen Morgen gi ne er t ti r U - ¥ lreicn anfingen, auch diese. Am 
seine tVa" R£ “ S “* 

1 Imago, Bd. I, H. 2. 

* Ernst Lohsine r)ze o. , . r 

fragen, Bd. III, H. 1—3) p 100 >. u n i? trafS o* €l1, <Jurist.-psydiiatr. Grenz» 

' P ' UU u> 104 - Halle a. S„ 1905. Carl Marhold. 








































































97 


Der tragisAe Held und der Verbrecher 


Sdion diese beiden Fälle zeugen von einem »inneren Richter«, 
der den einzelnen zwingt, sich den sozialen Forderungen zu unter¬ 
werfen Auf den »inneren Richter« gründet sich auch der allgemein 
verbreitete Glaube an die »Urteilsbrücke«. »Auf der Landreise ins 
Totenreich treffen die Seelen oft auf einen Fluß oder einen Abgrund, 
der überschritten werden muß. Einen Fährmann findet man da ge¬ 
wöhnlich nicht, dagegen eine Brücke, deren Beschreiten aber eine sehr 
gefährliche Sache ist. Denn sie dient gewissermaßen als automatisches 
Gericht . . . Die Sünder können die Brücke nicht passieren 
und stürzen in den höllischen Abgrund hinunter, die Frommen 
und Gerechten gelangen unversehrt hinüber ins Paradies.« 1 So 
glauben die Bewohner der Insel Formosa, »daß die Toten einem 
scheußlichen Abgrund über eine Brücke von Bambusstäben zu über¬ 
schreiten haben, die unter den Sündern einstürzt«. Ebenso verbindet 
nadh mohammedanischen Schilderungen »die Brücke Al Sirat den 
Himmel mit der Erde, geht aber mitten über die Hölle, ist schmäler 
als ein Haar und schärfer als ein Rasiermesser. Der Tugendhafte 
gleitet schnell und sicher über sie hinüber, der Sünder stürzt in das 
Feuermeer, das unter ihm brennt«. »Die Tscheremissen glauben, 
daß der unterirdische Richter die Toten über einen Kessel mit 
siedendem Schwefel gehen läßt, die Tugendhaften gelangen glücklich 
hinüber, die Sünder stürzen in den Kessel.« »In der Vision des 
Apostel Paulus erscheint eine schmale, schlüpfrige Brücke über einem 
stinkenden, von greulichen, teuflischen Ungeheuern bevölkerten Fluß, 
von der die Sünder beim Passieren herabstürzen und je nach dem 
Grade ihrer Verschuldung mehr oder weniger tief einsinken.« 2 

Die »Urteilsbrüdce« — das »automatische Gericht« — ist nur 
ein in Jenseits versetztes Instrument der »Tatbestanddiagnostik«: 3 

1 Dr. Marcus Landau. Hölle und Fegefeuer im Volksglauben, Dichtung 
und Kirchenlehre p. 56. Carl Winters Buchh. Heidelb. 1909. 

2 ib. pp. 58, 59 und 61. 

3 In der modernen Tatbestanddiagnostik werden dem Beschuldigten bestimmte 
Worte zugerufen, auf die er mit der ersten ihm einfallenden Assoziation reagieren 
muß. Die Art der Assoziation läßt darauf schließen, ob die Versuchsperson 
Kenntnis von gewissen Umständen eines Verbrechens hat, die zu lange »Reak¬ 
tionszeit« kennzeichnet eine vorhandene Verheimlichungstendenz. Zu den primi¬ 
tivsten Formen der Tatbestanddiagnostik gehört das sogenannte Ordal (Gottes¬ 
urteil). So lautet z. B. eine isländische Regel: »Hast du jemand in Verdacht, 
dich bestohlen zu haben, so schreibe diese Worte auf Käse oder Brot und lasse 
es ihn essen: paxx maxx x vix ax x. Kann er es nicht verschlucken, so ist er 
schuldig.« [Davitsson, Island. Zauberzeich. und Zauberbücher. Zeitschr. d. Ver. f. 
Volkskunde. Bd. 13, p. 274]. Die Voraussetzung ist natürlich die Erwartung, 
daß das Schuldbewußtsein beim Betreffenden die krankhafte Reaktion (das nicht 
Verschluckenkönnen) hervorrufen wird. Dieser Zusammenhang ist besonders klar 
ersichtlich in folgendem: »Eine Frau sagte zuweilen zu ihrem Sohne, wenn sie 
meinte, daß er gelogen habe: ,Stecke deine Zunge einmal heraus 1 / War das 
Gewissen nicht rein, so wagte der Junge natürlich nicht, die Zunge herauszustecken. 
Durch jede Lüge entsteht nämlich nach dem Volksglauben eine Blase oder eine 
Blatter an der Zunge.« [Mitgeteilt von H. Volksmann. Am Ur-Quell. Monatschr. 
f. Volksk., her. v. Fr. S. Krauss, Bd. VI, p. 70.] —Auch die »lirteilsbrücke« gehört zu 
diesen primitiven, nur ins Jenseits versetzten tatbestanddiagnostischen Instrumenten. 

Imago 1V/2 7 


















98 


Leo Kaplan 


das Schuldbewußtsein begleitet den Menschen bis an die Pforte 
des 1 otenreiches und muß sich dort auf das wirksame kriminaU 
psychologische Reaktiv hin sofort äußern. Die Wirkung der »Urteils- 
brüdce« ist nicht nur, daß der Schuldige — der Sünder — bloßge» 
stellt wird,- vielmehr muß jetzt auch die Strafe folgen: der Sündige 
kommt in die Hölle, wo er seinen wohlverdienten Lohn erhält. 
Die Strafe ist die soziale Abwehraktion gegen die Sünde. 

Verfolgen wir die Wirkung des Schuldbewußtseins weiter. 
Aus Eschenburg in Schweden wird folgendes erzählt: 

[3] Ein Mann bestritt vor Gericht, der Vater eines gewissen 
indes zu sein, und zwar mit Unrecht. Er wollte das beschwören, da 
teil der Richter Fenster und Türe öffnen, damit der Teufel ihn gleich holen 
önnte, wenn er falsch schwöre. Er schwur dennoch. Er hatte einen 
weiten Rückweg zu machen,- als es nun dunkel wurde, gesellte sich ein 
grober schwarzer Hund mit feurigen Augen zu ihm. Die Zunge hing 
dem Here lang aus dem Halse. Vergebens suchte der Mann sich seiner zu ent» 
ledigen. Ais er mehrmals nach ihm schlug, wurde plötzlich ein großer 
Kerl daraus, der ihm drohend gegenübertrat. In seiner großen Aridst 
betete er nun, und die Erscheinung wich von ihm. Aber als er zu Hause 
ankam fand er keine Ruhe, hatte keine frohe Stunde mehr und 
siechte dahin, bis er eine Beute des Todes war 1 . 

Mann hat falsch geschworen. Auf dem Heimwege treten 
Gewissensbisse auf, die sich in der Gestalt des schwarzen Hundes 
(des 1 eufels) und des drohenden Kerls verkörpern. Auf die »böse« 
lat folgt die Abwehrreaktion: der Verbrecher verliert seine Ruhe 
und wird am Ende eine Beute des Todes. Der drohende Kerl 
ist nur eine Abspaltung des Ich des Verbrechers, eine Pro¬ 
jektion des »inneren Richters« nadi außen, 

Denselben Sachverhalt finden wir auch dem folgenden Falle 
zugrunde liegen: 


[4] Unweit der Meckfenburg»StreIitzer Grenze beim Dorfe Menz 
liegt am Wege ein Stein, in welchem eine Leiter und ein Besen ein» 
gehauen ist. Auf dieser Stelle, noch heute der Totschlag genannt, soll 
ein Schornsteinfegerlehrling aus Rheinsberg seinen Meister seines Geizes 
wegen erschlagen haben. Der Mörder habe, so erzählt man, nach seiner 
lat keine Ruhe gefunden und dieselbe im Groß=Woltcrsdorfer Pfarr- 
hause eingestanden,, denn es sei ihm immer jemand gefolgt der 
ihm fortwährenddasWort »Sag's« zugerufen habe. Prinz Hei mich 
welcher damals in Rheinsberg wohnte, habe die Begnadigung des Mörders 
erwirkt, dieser aber nichts davon wissen wollen, und so sei er denn in 
Neu-Ruppin ningeriditet worden 2 . 

Auch hier findet der Verbrecher nach seiner Tat keine Ruhe 
mehr, das böse Gewissen <die Abwehrreaktion gegen das Verbrechen) 
fuhrt ihn ins Pfarrhaus, wo er sein Geständnis ablegt. Der »innere 
Richter« wi rd nach außen projiziert und erscheint dort als ein »Jemand«, 


1 Am Ur-Quell. Bd. VI, p. 219. 

2 Am Llr-Quell, I. Bd., p, 121. 





















































Der tragische Held und der Verbrecher 


99 


der den Verbrecher unaufhörlich verfolgt. Noch krasser a f- • a 
vorherigen Fall tritt hier die SelbsÄraC Idar z ±'" 
Verheer verweigert die Annahme der Begtidigung umPgeh.t 

um eÄtäÄÄ & - ko«' 

■* **£ bä 

Sr. a 

Erntezeit muhte iemand smrbS Da» VFV™™' ™ 

iSS-ÄS *“»«- ÄS 

dar neugepflügte Land „i, üUines 

beachten™ ded? 5 di^'’ h'^ C 'i n 0 ^' ‘ bc “ r f A .‘ zu verstehen, müssen wir 
Völker die Mutter darstel t ^So VorstelI ungen der 

von der »Matj syra-HmLdTf* t“ ^ n ° A heutzutage 
Flursegen lautit: Mutte^r ^ Ei " a, ‘ S ’ 

o'H^fSya^sches Rätsel fragt: »Wer SDaltete Hnl ^ e f nscllen -- .«» 
Bauch?« Die Antwort lautet- »Adl «■ u auf Seiner Mutter 
Das Ackerbauen weckt bei den Arak' T Mut j er war die Erde.« 1 
ziemlich starken Inzestgefühle Die Ahwt ve ( rdrän g te n, aber noch 
erlaubte sündhafte Verianeen’ äußert V b f^ hrreakt,0 , n gegen das un= 
daß jemand zur EnÄta 1“? De" " dem Aberglauben, 

(RM tfv e " proi ' zicrt " n d nimmt, wie im Falle (TT wird 

<brcU>Damons an. Neu tritt hier der rSi *?] die Gestalt eines 

Strafe von sich abwenden kann ind* ^ ke hmzu^ daß man die 
das Opfertier einführt. ' d man einen Ersatz, nämlich 

auf: etasehen in zweifacher Gestalt 

sich als mehr oder minder starke Unruh es ^ ndlv iduums und äußert 
das Gewissen als ein äußerlich A a. C Anderseits aber erscheint 

^_die ÄÄSStÄtS 

Mu f f eiu Ehepaar. E^wurd^späfer db^Tancfc f°h ein Bauer namens 

Frau Winterlieb. Dennoch wolltf er Se^r t er ei " e W 

sühnen. [Nach Zeitungsberichten.) a " gab ' durch den Tod seine Tat 

Ärdi. f. Religionswiss., Bd Xn^^Tl VorSteIL in d - b ‘W- u. rabbin. Literatur. 
Verl. Hirzei. ° | Handbudl der german. Mythol., p. 455. Leipzig 1895. 

• v. Wislocki, Am Urteil, V. Bd„ p. 20. 


7 * 





























100 


Leo Kaplan 


für den »Jemand« können nur die Eltern abgeben, die dem Kinde 
gegenüber das Gewissen <die »Zensur«) repräsentieren. Auf jede 
Untat des Kindes reagieren die Eltern mit dieser oder jener ab* 
wehrenden Handlung, sie suchen das Kind zu ermahnen, von dem 
»Bösen« abzuhalten. Die suggestive Macht dieser ersten kindlichen 
Eindrücke schafft in unserer Seele den »inneren Richter«. Wenn wir 
aber durch mangelndes sittliches Verhalten gewissermaßen auf die 
infantile Entwicklungsstufe zurückfallen, so wird der »innere Richter« 
nach außen projiziert, um nach alter Weise uns zu ermahnen. 

Der Zusammenhang zwischen dem »inneren« und »äußeren« 
Richter ist aus dem folgenden psychoanalytisch behandelten Falle be* 
sonders klar ersichtlich. Ein Hysterischer 1 hatte oft eine Vision, 
die er selbst in seinen <für den Autor gemachten) Aufzeichnungen 
als »Drohungen« bezeidhnete: 


[6] Hinten und links eine mit Gras bedeckte Wiese, rerfits dunkel 
und schauerlich, vorne ein steinerner steiler Abhang und eine Grube. . • 
Es nähert sich »Jemand, der Macht besitzt« und spri cht Vorwürfe 
und Drohungen, insbesondere das Wort: »Schurke!« . . . [Die hallu* 
zinierte Figur hat böse Augen], 


Im Sommer 19.. lebte er mit Frau und Kind auf dem Gute 
bei einem Freunde. Einmal abends ging er mit einem anderen 
Freunde X. ins Feld aus. Die beiden waren etwas angeheitert,* 
unter anderen Herzensergießungen sprachen sie auch darüber, wie 
schwer das Leben sei. Er sprach von dem Schuldb.ewußtseni, 
das er seiner Frau gegenüber habe (zu jener Zeit unterhielt 
er ein Liebesverhältnis mit einer anderen). Sie sprachen noch vom 
Selbstmord und der Furcht vor diesem. Schließlich kamen sic 
an eine steinerne Grube: vorne lag ein steiler Abhang/ 
hinten eine Wiese etc. 

• ^^ lIz kncrte Figur, welche die Drohungen ausspricht, ist 
somit der Halluziant selber: »Jemand, der Macht besitzt«, stellt das 
nach außen projizierte Schuldbewußtsein dar 2 . Wer sich aber noch 
hinter diesem »Jemand« verbirgt, das erkennen wir leicht, wenn wir 
noch eine Vision desselben Analysanden, die er ungefähr in der* 


„ * Leo Kaplan. Grundz. d. Psychoanalyse, p. 218. Wien und Leipzig 19M- 

rranz Deuticke. 

2 Ursprünglich ist die Projektion ein Mittel des »Unbewußten«, um im 
Kampfe gegen die »Verdrängung« sich zu behaupten. Eine Dementia praecox-KranRe 
behauptet, daß das »Frauenzimmer« ihren Kindern befohlen habe, die Finger in 
ihr »Sexualsystem« zu stecken. Auf die Frage, wie heißt das Frauenzimmer, folgt 
die Antwort : »Sie hat meinen Namen X. angenommen.« <S. Spielrein, Über d. 
psychol. Inhalt eines Falles von Schizophrenie, Jahrb. f. psychoanal. und psychopa 1 * 
Forsch., Bd. III., p. 349.) Wir sehen also, daß mit Hilfe der Projektion ein »be¬ 
wußtseinsunfähiger« Komplex gegen den Widerstand der Verdrängungstendenzen 

doch zu seinem Rechte kommt. Im Falle der Projektion, mit der wir im Texte zu 
tun haben, geschieht etwas Ähnliches: die peinlichen Selbstvorwürfe sucht man 
von sich zurüdcuzweisen, siedrängen sich aber in Gestalt der »Vcrfolgungsperson 
dem Bewußtsein wieder auf. 

























































































Der tragische Held und der Verbrecher 


101 


selben Zeit wie die »Drohungen« hatte, in unsere Betrachtungen 

hereinziehen. _^^ Ein Bi |j von Wrubel: Der »Dämon« liegt am Grunde 
eines steinernen Abgrundes ... mit traurigen, bösen runden Augen. 
»Jemand« der Ä 

besitzt, «st also einw ic der »schwarze Pudel« in Goethes 
< F —«> W Afs e Kind war der Analysand einmal krank, damals hatte 

ef ^ [8] Vision: Der Vater als Teufel blickt durch die Türspalte 

inS dTLoCX Gestalt mit den bösen runden, Augen 
.l I m ._j derMacht besitzt«,nämlichderVater. 

iSgeJäe“ fibe'n 2SÄ«Ä 

'„'Gestalt des Richters auf, dessen UreÖs S p™*unsere bösen Titele 

Orestes. 

Die im vorigen entwidtelten Ansichten über das Schuldbewußt, 
sein und Ts Rileram. wollen wir durch einige weitere Analysen 
bekräftigen Wir fanden mit Aischilos Oiesteia an. j 

kty?ailes,ra la, ihren Gatten Agamemnon ermorde und 
sidi mit Aigistos vermählt. Diese Tat konnte nicht ungeracht bleiben. 
Es rnußm - SO wurde prophezeit - ein junger Radier kommen, 
»Ein Sproß, der seines Vaters Mord vergilt mit .Muttermot . 
Der in der Verbannung lebende Orestes kommt n ^t se'nem Freunde 
Pylades heimlich in die Heimat, um den Tod des Vaters zu rach- 
Nachdem er Aigistos erschlagen hat, stürzt er sich auf die Mut . 
Diese sucht ihn zu besänftigen. 

Klytaimnestra: Halt ein, o Sohn, und scheue diese Brust 
} An der du, Kind, so oft mit zarten Lippen 

Die süße Muttermilch entschlummernd entsogst. 
Was tu ich, Pilades? Verschon' ich sie. 

Wo bleibt der Gott mit seinen Sprüchen dann. 

Denk deiner Eide ... , f . ,, 

Nur nicht die Götter jemals mach dir temd! 
uiioiv... Du hast gesiegt und trefflich midi ermahnt . 

Nach vollbrachter Tat wird Orestes wahnsinnig und läuft fort, von 
den Rachegöttinnen, den Erinnyen, verfolgt. 

1 Leo Kaplan, a. a. O. p. 266, 267. 

2 Übersetzt von Hans v. Wolzogen <Reclams Universalbibliothek). 


Orestes: 

Pylades: 

Orestes: 



















102 


Leo Kaplan 


starke^SAddbe^uß^sdn^unsL-^HeTden wT^ f ZeUgen / 0n dem 

dieses Sdinldh„,v ß. . *? u T ns f les melden. Woher stammt denn aber 

Indem er den Tod des Vaters rächt, er, 

daß wo OresfH ^ Geb °i der .Götter! Es ist auch auffallend, 
Anhänglichkeit imaier zwischen der Radiepfilicht und der kindlichen 
im ganzen Verla” f 7 ^ utte /' s dt wankt, seine Schwester Elektra 
Gefühl haf A L Lr r C 1 Handlung für die Mutter nur ein einziges 

tat M t LÄ \ S ‘% SU<ht audl dem ° restes zu «Iner 
tend daß di^ P^’ ÄU f dieS ^< Gegenüberstellung ist es einleuch, 
Gatt™ nicht l E £ dro f eIun g f Klytaimnestras, der Mörderin ihres 

Geronnen ist im Blut 
ia-t Mord, und seines Trunkes voll 
Nährt Amme Erde unversiegt die Radie. 

Wer in der Ehe keusche Sitte brach. 

Ihm blühet mehr kein Heil. 

Tat fortf öleVkläru^glegt dTriJdaß'im Bld ^7 S {f e , sdner 
der Mutter ein infantiler ffomolex- -d; B ‘ de d 5 r Mordtat an 

Mutter zur Darstellung kommtG AntM?“ sf -X 
von einem Kranken seiner Klinik der in il f 3 ‘ S 'i erzah, j 
einen unwiderstehlichen Dran? fühlt!! . , JS J a I dlt erwachte und 

Axt zu erschlagen Nach VoII^T” al ] es Mütterchen mit der 
ein Gefühl de^r Erleichterung Jl '“?* dieSer , Tat hatte er 
später 1 . Um solche Erscheinnmv i Gewissensbisse kamen erst 
daß den Kindern, insb^onder?d ZU , begreifen ' muß man beaditen, 
Tieren der geschlechtliche Verkehrs efnJp* B . eobacbtun S en bei 
dem anderen antut, erscheint Dip R^i t~ 6 ne Gewalttat, die der eine 
Antons ist in de^ inffln sad^“^ fdr die Tat des Patienten 
suchen: darum das Gefühl der Aub Fassung des Koitus zu 

sexudk Befriedigung) 8 . AuchOrestS'^mTt "?* der T ,f <die 
bohschen Sinn. Daraus erklärt drk a■ 1 , aat einen sexuelUsym, 

Fortlaufen und der Wahnsinn Di d Abweb ‘'reaktion: das 

Erinnyen sind somit die verköroer^n r^ ve, 'f ol gendcn 
Orestes wird am Ende vor d.föx G ewt SS ensbisse. 

Greise gestellt. Den Vorsitz führt egium d er athischcn 

_ Uhrt Athena , die Anklage geht von 

Kinderfor^h^BTxVII^p. 39 4 Forn,en d. krankh. moral. Abartung. Zeitschr. f. 

Königin war mit dem König auf* die'fit!'/ audl ^' e Mgende Sage: »Die böse 
sie los, zerriß sie, trank ihr Blut un 1 O'ötzlidi fuhr ein Wolf auf 
fr . 1 ” 2 vor ihnen.« [H, F. Feilbersr ' c . st ? n( ^ # an seiner Statt der dänische 
Völker. Am Ur^Quell. Bd. III D> 31 . n ^sche im Glauben nordgerinanisdier 
durch den sadistischen Akt —"der infa^f? 111 f ei ” ^ ,er verwünschte Prinz wird 
»erlöst«, d. h. von der sexuellen Spannun * "b^f* S< ^ C ^ us ^ ruc ^ des K° ltus — 
















































































Der tragische Held und der Verbrecher 


103 


den Erinnyen aus, als Verteidiger fungiert Apollon. Die Stimmen 
der Richter teilen sich, den Ausschlag gibt Athena mit ihrer Stimme 
zugunsten Orestes. Daß die Stimmen der athischen Greise für und 
gegen Orestes gleich ausfallen, widerspiegelt nur den Zwiespalt in 
der Seele des antiken Menschen. Derselbe Chor, der in Erwartung 
des Helden seinen Gefühlen in den Worten Ausdruck gibt: 

Weh uns, weh, wann kommt für unsre Sache 
Doch der Held, der Heil und Hilfe bringt? 

singt, als Klytaimnestra nun tot ist: 

Weh, wie entsetzlich kamst du um, 

Und Weh erblüht auch dem, der übrig bleibt! 

Orestes ist somit der Verbrecher, der in der Seele des antiken 
Richters selbst saß: die athischen Greise gingen mit sich selbst 
zu Gericht, als sie über Orestes ihr Urteil fällen wollten. 
Mit Recht meint somit ein Rechtswissenschaftler: »Richter und Ver¬ 
brecher sind verschiedene Individualitäten, aber sie sind vereinigt im 
Ich. Das Wesentliche dessen, was bei jedem Gerichtsakt vor sich 
geht, ist eine Tat des Ich, ein Ereignis im Ich. . . . Die Verbrecher* 
individualität ist nur Symbol und Abbild für ein Verbrechen, das 
sich im Ich befindet, aber anderseits enthält dieses Abbild und Symbol 
wiederum in sich dasjenige Element, welches das Auftauchen des 
Verbrechens im Ich zur Wirklichkeit, die vom Ich vollzogene Über* 
Windung zur Wirksamkeit und Tat macht.« 1 

Der Verbrecher projiziert die innere Stimme des Ge* 
Wissens nach außen, woraus die verschiedenen Verfol* 
gungsgestalten des Mythus und des Wahns entstehen' 1 . 
Anderseits projiziert auch der »Richter« seine Verbrecher* 
individualität nach außen, auf diese V^eise entsteht der 
tragische Held. 

Die Erinnyen und Apollon vertreten im Prozeß gegen Orestes 
die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung. Bei näherer Betrachtung 
des Ganges der Gerichtsverhandlung ist es nicht schwer einzusehen, 
daß die Erinyen und Apollon zwei grundverschiedene Kulturwelten 
repräsentieren. Orestes wirft den Erinnyen vor, warum sie Klytaimne* 
stra wegen des Gattenmordes nicht verfolgt haben. Darauf die 


n < '-Tbeod. Sternberg, Die Selektionsidee im Strafrecht und Ethik, pp. 37 u. 39. 
Berlin 1911. Puttkammer u. Mühlbrecht. - »Sieh dir jeden an, der anklagt und 
inquiriert, er enthüllt dabei seinen Charakter: und zwar nicht selten einen schlech¬ 
teren Charakter, als das Opfer hat, hinter dessen Verbrechen er her ist.« Nietzsche, 
Morgenröte. Aphor. 413. 

Der Verfolgungswahn hat auch andere V7urzeln als das Schuldbewußtsein. 
Es ist aber hier nicht der Ort, ausführlicher darüber zu sprechen. |Siehe auch Otto 
Rank, Der Mythus von der Geburt des Helden.) 

















104 


Leo Kaplan 


Erinnyen; Nicht war ihr blutsverwandt, den sie erschlug. 

Orestes: Ich aber bin von meiner Mutter Blut? 

Erinnyen: Trug sie dich, Mörder, unterem Gürtel nicht? 
Verleugnest du der Mutter teures Blut? 

Apollon: Erzeug'rin ihres Kindes ist die Mutter doch nicht, 
ist Pflegerin nur gesä'ten Keims/ 

Es zeugt der Vater, sie bewahrt das Pfand, 

Dem Freund die Freundin, wenn's kein Gott versehrt. 

Die Erinnyen verfolgen nur Verbrechen gegen Blutsverwandte, wobei 
sie die Verwandtschaft nur nach mütterlicher Linie anerkennen: sie 
sind also Anwälte des Mutterrechts. Im Gegensatz zu ihnen er* 
scheint Apollon als der Verteidiger des Vaterrechts. Wir sehen hier 
den Kampf zweier verschiedener Kulturstufen: die ablebende mutter* 
rechtliche Gesellschaftsordnung sucht sich gegen die aufkommende 
vaterrechtliche Ordnung zu behaupten. In Erwartung des Gerichtes 
geben die den Ausgang ahnenden Erinnyen ihrem Unwillen Ausdrude: 


Umsturz verkündet uns das neue Recht, 

Wenn Schuld und Schmach des Muttermörders siegt! 


Die Freisprechung Orestes' bedeutet also den Umsturz, Orestes ist 
somit der Staatsverbrecher. Die Staatsanwaltschaft <in welcher 
Rolle die Erinnyen auftreten) steht immer im Dienste der Inter¬ 
essen der alten sozialen Ordnung, die sie gegen das neu 
Aufkommende zu verteidigen hat. 

Im Verbrecher vereinigen sich oftmals zwei Naturen: wenn 
l c « in V hn ^i 101 U ber l ebten ' Ehemaligen, vom Gange der Ge- 
V^rÄ n L hin £ ieht ' 80 treibt ih » andere zur Schaffung 
neuer gesellschaftbcher Formen. In der Bekämpfung des Verbrechens 

die «tdlftüf *" verborgen, mit dem Antisozialen auch 

das schöpferische Prinzip, das Werdende zu zerstören. 


Marmeladow. 

In Dostojewskis Roman »Schuld und Sühne« 1 treffen wir 
V , me / ^d er minder verbrecherischer Gestalten an. Wir 
f" •+ t! 0n un f e , ren Zweck besonders interessanten Per* 
sonlichkeiten heraus nämlidt Marmeladow und Raskolnikow. 

<V „ ( } r unkenbold Marmeladow wird von allen dienstlichen 

e en ortgejagt, seine Familie geht zugrunde, die kranke F* au 
quält sich den ganzen Tag und einen Teil 
^ Q de ?. haus i*en Arbeiten und Sorgen ab. Die kaum 
jährige Sonja, die Tochter Marmeladows aus erster Ehe, mußte, 
um die Familie nicht aushungern zu lassen, zur öffentliÄen Dirne 
werden. Seine Gewissensbisse sucht Marmeladow wiederum im 


Übersetzt von Hans Moser <RccIam>. 










































































































Der tragische Held und der Verbrecher 


105 


Weine zu ertränken. »Eben deshalb trinke ich ja,« sagt er zu Ras» 
kolnikow, »denn im Trinken suche ich Mitleid und Gefühl.« Erst 
unlängst war es ihm gelungen wieder eine staatliche Anstellung zu 
finden und er hoffte alles in Ordnung zu bringen er wollte die 
Kinder besser kleiden, der Frau die Ruhe zurückgeben und seine 
Tochter der Ehrlosigkeit entziehen. »Aber nun, mein Herr,« erza t 
Marmeladow, »am anderen Tage, nach all diesen Luftschlössern 
„egen Abend, nahm ich aus Katharina Iwanownas Kasten den 
Schlüssel, in niedrigem Betrug, wie der Dieb in der Nacht, und 
stahl was von dem heimgebrachten Gehalt noch übrig war,- wieviel, 
das weiß ich nicht mehr, und nun blicken Sie mich an, hier bin ich! 
Seit fünf Tagen bin ich aus meiner Wohnung verschwunden, . . . 
mit meinem Amt ist es vorbei, und die Vizemontur liegt in der 
Schänke an der ägyptischen Brücke,- zum Ersatz für sie erhielt 1 * 
diesen Anzug — nun ist alles vorbei!« Er ging sogar noch zu 
Sonja und hat sie um Geld zum Trinken gebeten. 

Dennoch ist das Schuldbewußtsein in diesem Menschen, der 
sich selbst Schwein nennt, vorhanden, sogar sehr stark ausgeprägt. 
In der Schänke fragt er bei Raskolnikow: »Tue ich Ihnen leid, Herr, 
oder nicht? Sprechen Sie, ja oder nein? Hahaha!« — »Wozu dich 
bemitleiden?« rief der anwesende Wirt. Darauf Marmeladow: »Mit¬ 
leid, weshalb Mitleid mit mir! . . . Weshalb Mitleid mit mii. Das 
ist unnütz,* kreuzigen muß man mich, ans Kreuz nageln, 
aber nicht bemitleiden. Kreuzige ihn, Richter, kreuzige ihn, und 
dann erst hege Erbarmen! Selbst will ich zur Kreuzigung 
kommen, denn mich dürstet nicht nach Lust, sondern 
nach Jammer und Tränen!« Marmeladow will in den Leiden 
seine Schuld sühnen. 

Dem Sühnebedürfnis liegt ein infantiler Zug zugrunde. Wenn 
das Kind von den Eltern bestraft wird, so empfindet es die Strafe 
als eine Abwendung der Elternliebe und wirbt um so mehr um 
diese. Auch die Eltern ihrerseits suchen ihre Härte dem bestraften 
Kinde gegenüber durch nachträgliche Zärtlichkeiten wieder gut zu 
machen. Das Kind gewöhnt sich dadurch die Strafe als 
eine Vergeltung zu betrachten, durch die es ein Recht er¬ 
wirbt, neue Liebesbezeugungen zu beanspruchen. In reli¬ 
giöser Einkleidung drüdct sich dieser infantile Gedanke folgender¬ 
maßen aus: je mehr der Sünder hier auf Erden Leiden er¬ 
duldet, desto eher darf er auf das jenseitige Glück rechnen. 
Diesen Zug finden wir auch in Marmeladows Falk Im Gespräch 
mit Raskolnikow äußerte er sich früher: »Lieber Herr, es ist ja so 
nötig, daß ein jeder einen Ört habe, wo er Mitleid findet . . .« 
Hier auf Erden hat Marmeladow auf nichts mehr Gutes zu warten, 
er kann nur noch mehr Leiden bekommen. »Erbarmen kann sich 
unsrer nur der dort oben, der sich aller erbarmt, der alle und alles 
kennt, er, der Einzige, der Richter . . . Er urteilt über Gerechte 
und Ungerechte, über die Hoffärtigen und Friedsamen. Und wenn 
























106 


Leo Kaplan 


i/ ZU (^.?^ e , ,st allen, dann wird er sprechen zu uns: 

tt i . au , lir ler ' die Säufer und Schwadien, die Lasterhaften !' 
™ weraen i kommen, alle, ohne Scheu und vor ihn treten und 
* r « Sag ?. n \J br . se ‘^ sleidi dem Vieh, doch her mit euch!' Und 
nimm t j 1 ^ ie ,^ eisen unc l die Klugen ausrufen: ,Herr, weshalb 
_• S f , u aucb auf?' Und Gott wird antworten: ,Warum ich 
ihn^ *L ir ^ e l sen ' ihr Klugen? Darum, weil keiner von 

j. g e gl aub t bat ' ^ ab er dessen wert sein würde!' Und er wird 
an e , u ei D u . ns stfcdcen und wir werden niederfallen und 
_ . ^* n r»- 211 t Kenntnis kommen . . , Herr, dein Reich komme 

rfi'rrfi» A * e ~f ster haften haben hier auf Erden viel gelitten, sie 
S£ Vaters fc* * Bafmherzigkeit -d Liebe des himm* 

3 nrh j 11 Hintergrund des Sühnebedürfnisses sehen wir 

Rummel ' Cr 0 n ^? n ^ Zene - Marmeladow kehrt nach seinen letzten 
<er> in ^r Us f’ ^ kne in ^ as Zimmer einzutreten, blieb 

sich auf ihn ureauf den Knien liegen.« Die erzürnte Frau wirft 

den Haaren , r U ?( ^ °1 Z ^ ie * n ^ er Raserei, ergriff sie ihn bei 

leichterte ihr selh<ft° S rt' 1 V" • <ias < ^ ema( h herein. Marmeladow er* 

seine dummen Streiche von de ? 

Tod, in den 

kW« .“ ter J Jle Pfc<fe - iu ' r cin v r 

lamentierte eben: »Grw-f ■ , utSf h er , der ihn überfahren hat, 
losgefahren, hätte ich nicht t3nn r man seben! Wäre i( h darauf 
langsam ganz gleichmäßig . * tu p ~ u idl fubr aber d°di ganz 

gehen sehen, er wanktp fi,»i \ . , habe ihn noch über die Straße 

dann wieder, ein drittes' lU-nf C ‘j ab , e . f u Boden,- ich schrie einmal, 
er war ihnen gerade zwisrhp j^lt r’ e 1 dann die Pferde an, aber 
er scheint es absichtlir/ 1 le gelaufen und stürzte nieder,- 
Meinung bestätigt ia nnA , 1 i£ et . an . 2U bab en . . .« Diese letztere 
Erblicken des Verunsrlückt-Pn atbanna Jwanowna, indem sie beim 
wollt!« Er hat dodf fr,- h ausruft: »Das hat er ge* 

er will selbst zur Kren™ ^ i ° ask °lnikow gegenüber geäußert, 
sondern nach Jammer un/V 1 " ^jngen, ihn dürste nicht nach Lust, 
und hingeVich™ Tfanen! Er hat sich selbst verurteilt 

erschienen alle um S dln^V ^ au f es ; * n dem Marmeladow wohnte, 
anzugaffen. Sie »dS J f “ Verunglückten, als er heimgebracht war, 
sie in hellen Haufen iif die <st 1 an ^ a ,'?S s in der Tür, dann aber kamen 
sie alle fort. »Die Mieter »,•„»?*^- Katharina Iwanowna jagte 
wieder zur Tür hinaus mir • 161 na< ! 1 ^ em anderen, drüdeten sich 
gung, die man stets bemerk S _ e ts , amen ' inneren Befried!- 
wenn einem andpi-P« fkt ' auc h in unserem Nächsten, 

iS,, und von Ä bto »VT? . ein U "*'« k *"*«"> 8en 

Mensch frei ist ohne Unterschied, un- 




















































































































Der tragische Held und der Verbrecher 


107 


geachtet alles Gefühls des Mitleids und der Teilnahme.« Diese 
»seltsame, innere Befriedigung«, von der Dostojewskij hier 
spricht, ist der »Lust am Trauerspiel« gleich: man weidet sich 
an fremden Schmerzen. Die Mieter des großen Hauses, diese »frech 
lachenden Gesichter«, wie sie Dostojewski) vorher geschildert, 
diese ewig betrunkenen Gestalten »in Sommerhabit bis zur Zwangs» 
losigkeit« unterscheiden sich wenig vorteilhaft von Marmeladow, er 
ist ihr »Held«, der am Ende zugrunde gehen muß, um ihnen' die 
»innere Befriedigung« zu geben: der »Sünder« ist bestraft und das 
Publikum kann zur Tagesordnung übergehen. 


Raskolnikow. 


Zu Raskolnikow übergehend, müssen wir zuerst die Frage 
aufwerfen, welche Motive seine kriminelle Tat — die Ermordung 
der alten Darleiherin — bestimmten? 

Raskolnikow erzählt der Sonja: »Du weißt vielleicht, daß meine 
Mutter fast blutarm ist. Meine Sdiwester ... ist genötigt worden, 
eine Stellung als Gouvernante anzunehmen. All ihre Hoffnungen 
hatten beide auf midi gesetzt. Ich studierte, konnte midi aber nicht 
an der Universität halten und war gezwungen, diese für einige Zeit 
zu verlassen , , . So hatte ich midi denn entschlossen, mich des 
Geldes der Alten zu bemächtigen, dieses für die ersten Jahre zu 
verwenden, ohne meine Mutter quälen zu müssen, zur Sicherstellung 
meiner selbst an der Universität, den ersten Schritt nach ihrem Ver» 
lassen - und ich habe dies breit und radikal ausgeführt . . , Nun 
das ist alles!« 


Dennoch ist das nicht alles. Sonja machte ihn schon früher 
darauf aufmerksam, daß das Raubmotiv seine Tat ungenügend 
determiniere: sollte er nur rauben wollen, warum hat er dann nichts 
genommen? Darauf Raskolnikow seufzend: »Weißt du, Sonja, was 
ich dir sagen muß: Hätte ich midi allein deshalb zur Tat verstanden 
wed ich hungrig gewesen dann würde ich sagen, ,idi sei glücklich!' 
Verstehst du dies?« Welches andere Motiv war es, das Raskolnikow 
zu seinem Verbrechen verleitet hat? »Um was es sich in der Tat 
handelte,« sagt Raskolnikow, »nun, darum: Ich wollte Napoleon 
weiden,- deshalb habe ich getötet.« Diese Worte erläutert er, 
wie folgt: »Ich stellte mir einst die Frage: Was würde geschehen' 
wenn beispielsweise an meiner Stelle Napoleon gelebt, und dieser 
niait eine solche Laufbahn gehabt hätte, kein Toulon, kein Ägypten 
kein Übergang über den Mont Blanc, sondern an Stelle von all 
diesen herrlichen und denkwürdigen Taten einfach nur ein altes 
unscheinbares Weib, eine Registratorswitwe, die er noch hätte töten 
müssen, um Geld aus ihrem Kasten nehmen zu können — für seine 
Laufbahn, verstehst du? . . . Hätte er keinen anderen Weg gehabt, 
so wurde er ste selbst erwürgt haben, ohne daß sie noch einmal 
hatte mucken dürfen, ohne Besinnen. Nun, auch ich — habe dieses 





















108 


Leo Kaplan 


Besinnen aufgegeben, ich habe erwürgt, nach dem Beispiel des 
Großen.« Was hinter diesen Größenwahn Raskolnikows steckt, ist 
nicht besonders schwer aus den folgenden Worten herauszulesen: 
»Und besonders Geld, Sonja, hatte idi nidit nötig, als idi mordete, 
Geld längst nicht so, als jenes andere zu wissen — . . Idi mußte 
wissen, und zwar bald kennen lernen, ob ich ein Ungeziefer nur, 
oder ein Mensch sei? Ob ich ein Verbrechen begehen könne oder 
nicht? Kann ich es in meinem Interesse begehen oder nicht, bin 
ich eine zitternde Kreatur oder habe ich ein Recht.« 
Raskolnikow wollte wissen, ob er Übermensch sei, dem alles er* 
laubt ist, oder bloß eine »zitternde Kreatur«, die nur zu gehorchen 
hat. Die »zitternde Kreatur« ist offenbar das Kind, dem gegenüber 
die Eltern, die scheinbar sich alles erlauben dürfen, die immer »ein 
Recht« haben, schlechthin als Menschen erscheinen. In Raskolnikows 
Verb rechen äußert sich dann der Übermut des Knaben, 
allen Verboten zum Trotz, irgend eine verwegene Tat zu 
verüben. 

Der Aufstand der Urtriebe gegen die normgebende Gewalt 
nimmt sehr mannigfaltige Formen an. In religiöser Sphäre äußeit 
er sich z. B. in der Luzifermythe. Anfänglich war Luzifer ein Engel/ 
der sich im Reiche Gottes, wie jeder andere Engel, befand. Luzifei 
wurde aber hoffärtig und wollte selber ein Künstler und 
Schöpfer gleich Gott werden. Dafür wurde er aus dem 
Himmelreich vertrieben und zum Fürsten der finsteren Mächte an* 
gestellt. Derselbe Größenwahn äußert sich bei Raskolnikow in der 
i^orm, er möchte ebenso groß und rüdcsiditslos wie ein Napoleon 
sein, (jrott ist der »himmlische Vater«, der Kaiser ist aber der 
»Landesvater« — der Vertreter der Vatergewalt hier auf Erden 1 . 

^ Uhr \ ei ( ne ^at aus ' die einem Vater geziemt: 
dlC >>Alte<< — es ist die Maskierung des 
sexuelle” Attentats auf die Mutter. Wir haben hier dieselbe 
a age, wie ei Orestes, nur tritt an Stelle der Mutter die »Alte®* 

Der KrimmaUsexuelle Trieb hat sich bei Raskolnikow von lange 
er vor ereitet. er grübelte über eine solche Tat schon seit einiger 
ej. urz vor dem Anschlag hatte er einen furchtbaren Traum. 

w° n seiner Kinderzeit in der Vaterstadt.« Die Vor¬ 
geschichte des Traumes ist die folgende: »Im Alter von sieben Jahren 
ging er einst, eines Feiertages, gegen Abend mit seinem Vater vor 
er Stadt spazieren . . , Einige Sdiritte entfernt von der äußeren 
Stadtmauer steht ein Wirtshaus, eine große Schänke . . . Damals 
nun war ein ganzer Haufe von Menschen vor derselben versammelt, 
wc e brüllten, lachten, zankten, regellos und heiser durcheinander 

• 1 ‘l den e T en Monaten der Etats genereaux wird der König selbst 

von einem Mirabeau und Gregoire stets . . . ,le pere de tous Ies Fran<?ais' usw. 
genannt«. »Pater Patriae war der höchste Ehrentitel für den römischen Imperator. 
(Prof. jos. v. Held, Königtum und Göttlichkeit. Am Ur-Quell. Bd. 111 P* 1221 


































































































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Der tragische Held und der Verbrecher 


sangen und sich herumschlugen ... An der Schänke führt ein Weg 
vorbei Der Weg . . . führt etwa dreihundert Schritte rechts ab 
in den Kirchhof der Stadt . . .« »Und nun träumte ihm, sie gingen 
wiederum mit dem Vater auf dem Wege zum Kirchhof und kamen 
vor der Schänke vorbei. Er hielt sich an des Vaters Hand und 
schaute mit Schrecken nach der Schänke. Ein auffallender Umstand 
machte plötzlich seine Aufmerksamkeit rege,- es hatte sich daselbst 
ein Haufe von Weibern und alten Frauen mit ihren Männern, eine 
Menge Gesindel angesammelt. Sie waren sämtlich berauscht und 
sangen Lieder,- vor dem Wirtshaus stand ein Wagen von seltsamem 
Aussehen, Es war eines jener großen Gefährte, in welche man sehr 
große Zugpferde einspannt . . . Aber hier war sonderbarerweise in 
den großmächtigen Wagen ein kleines, mageres, braunes Bauern¬ 
pferd eingespannt . . .« »Der Haufe stieg auf den Wagen unter 
Lachen und schlechten Späßen. Da das Pferd nicht vom Orte mit 
der zu großen Last konnte, so fing es einer der Bauern, Mikolka, 
zu schlagen an, ,Bleibt sitzen, alle sitzen bleiben!' brüllt Mikolka, 
,es soll euch alle schon fahren! Ich will ihm die Hölle heiß machen!' 
Und er schlägt und schlägt und weiß nicht von bestialischer Wut, 
womit er noch schlagen soll. Endlich erfaßt Mikolka eine eiserne 
Stange. Jetzt hüte dich!' rief er und schwang diese nun mit aller 
Kraft, die er aufbieten konnte, über die elende Kreatur. Der Schlag 
fiel, das Pferd schwankte, brach zusammen . . . und stürzte zur Erde.« 

Raskolnikow schrie auf und erwachte. »Raskolnikow fand sich 
ganz in Schweiß gebadet, sein Haar troff von Schweiß, er erhob sich 
keuchend und voll Entsetzen ... ,0 Gott/ rief er aus, ,sollte 
ich in der Wirklichkeit die Axt nehmen müssen, sie auf 
einen Kopf schlagen, das Hirn zerschmettern' —.« 

Raskolnikow gibt uns somit selbst die Deutung des Traumes: 
Mikolka ist er selbst, das schwache Pferd — jene Alte, die er zu 
ermorden im Sinne hat. Da aber der Traum eine infantile Remi¬ 
niszenz enthält, so ist es einleuchtend, daß man den Grund für 
Raskolnikows Tat in seiner Kindheit zu suchen hat. Das Entsetzen, 
mit dem Raskolnikow erwacht, ist wohl die Abwehrreaktion gegen 
die »böse« kriminal-sexuelle Tat. 

Um dem kriminellen Komplex den Zugang zum Bewußtsein 
und den Übergang in die Tat zu ermöglichen, müssen die krimi¬ 
nellen Gedanken in harmlose umgedeutet werden: man muß sie vor 
die »Zensur« als solche hinstellen, gegen die nichts mehr einzuwenden 
übrig bleibt. Raskolnikow hat sich eine ganze Theorie ausgesonnen, 
die als Rechtfertigung für die kriminelle Tat dienen sollte. Er hat 
nämlich früher einen Aufsatz in einer Zeitschrift veröffentlicht, wo 
»die gesamte Menschheit gesondert wird in gewöhnliche' und un¬ 
gewöhnliche' Menschen. Die gewöhnlichen müssen in Gehorsam 
dahinleben und besitzen kein Recht, ein Gesetz zu übertreten und 
ein Verbrechen zu begehen, deshalb eben, weil sie gewöhnlich sind,. 
Aber die außergewöhnlichen haben dieses Recht, alle Sünden zu 






















110 


Leo Kaplan 


außergewöhnlSi Je s fnd<< Ge so tZ f ZU v ,! rstoß ^, eben deshalb, weil si 
Untersuchungsrichter Pnml . orrr mhert Raskofnikows Theorie de 
kolnikow ergänzend. TTf Dazu bemerkt Ras- 

»fe»wsdi<he Mensi dL ReiTtat -"d f äuß S , ' t ' daß de 
offizielles, sondern nur bei c ,vh u y. at rT* d ; h - niAt etwa elf 
treffen — über verschiedene HinH ^ dle , Entsdleid ung zur Tat zi 
dem Fall, daß die Ausfiil Uermsse hinweg, und besonders ir 

die Menschheit vielleicht ffar HÜf seiner ^ee, — bisweilen einer füi 
muß sich das alles Gefallen , Sa,r T n — cs erfordern sollte!« 1 Mar 
liehen Menschen die fähiV u, SS f n ' denn e A g’bt der außergewöhn, 
ordentlich wenig. ^ »D™ 8 Zit"' Neues 2U äußern? außer. 

Material, ist nur desweerpn^- lei ^ rc ,|^ sse von Menschen, vom 
wisser Kräfte mit Hilfe efnpc 'l"- <er ^ e t/ um endlich infolge ge= 

vermittels unaufhörlicher KreuzunT^^Tn^P"ff" Vo '' Sa 'Yl ^ 
Tausenden einen Einziger, Zu ” s ln den Geburten endlich aus 

erzeugen.« Um mit N?etzsche unabhän gigen Menschen zu 
die »Brücke« zum Ühermensrhp U ®P r der Mensch ist nur 

seine Ziele alles erlaubt sein Sn” 1 ar V*? mu ^ letzterem für 

-He Ta, eine ÄT«<“ **■ 

schiedenen AbwehrrMhionen''* in"^ Als""^ 1 ?'l Tjf* se, j C " die ver ' 
mordete, ergriff er die Schlüssel piltP 'r s k°fa»kow die Alte er. 

wo eine Kommode stand »«Ln mi f t l lnen ' n das Schlafzimmer, 
Schlüssel in die Kommode zu !?' ? Um ha !: er begonnen, den 
sehen, als ein förmlicher Kramnf A a?' baum börte er deren Krei® 

ihm, als müsse er illpc v U1( b seinen Körper ging. Es war 
Bald „ad, der verbreAerl Zn T, S '? h T cr h en “" d forteile,,.« 
zeitweise bewußtlos zeitwpic • % ? r T an r <te Raskolnikow und war 
sien. »So schien ihm es ve" ^ fi ? berh / tem , Zustand mit Phanta- 
ihn ergreifen und’ fortscMenn* ^ 1'? ..^°!' um wolle 

ihn. « Es ist der Verfolgun^w t,^ P f n Und Kämpfe und streite um 

bewußtsein. gungswahn, hervorgerufen durch das Schuld- 

und Schwester, die^r ^eit^eines St j? ene ' wo ^askolnikow Mutter 
gesehen hat, wiedersieht UmSr und Tl 3 " Universität nidit 
fanden aber Raskolnikow nicht zu Hause^^ War ?J an g e kommen, 

de mum ^gelaufen war. Endlich kommt 1? a "Ä eblldl i " 1 Fieber. 

1 er - »Ltin freudiger ent> 

;* «I» Zag, Jem 

darüber bandle idh j n c S0 S ena nnte Narzissmus — 

Psychoanalytische Probleme«, Kap »Z- Y'l ? odl nidlt Ranz vollendeten Werk: 
i I ‘Vor einigen j ahrcn bereiste e dcs Glaubens«. 

arbe t S V rf ’ a in '-i WO sidl dama,s die russisdiTK^ 41- '^'% D °r°schewitsch die 
arbeit Verurtedten) befand. Ein Sträf Kat< ? r , ga (die Stätte ^ die zur Zwangs- 

TatPn 'w 1 Gewis , se " h a'te, sagte zu ffkr a, Un . ge i euer ' der 12 Menschenleben 
I a *T ,r tun nach Herrn fö^ewrts*, als dieser ihn über seine 
fast ,ede beliebige Theorie zur Be^önlü ' " T Dcr schwache Mensch kann 

esenomgung seiner kriminellen Triebe mißbrauchen. 





































































































Der tragische Held und der Verbrecher 


111 


züdter Schrei begrüßte das Erscheinen Raskolnikows, sie eilten ihm 
be.de entgegen Er aber stand wie ein Lebloser- eineUl- 
A*!!. - C ' Empfindung tra f ihn wie ein Donnerschlae 

Auch seine Hände erhoben sich nicht zur Umarmung, er vermochte 
dies nicht, einen Schritt tat er vorwärts, erbebte und brach nhn 

Bewußtlosigkeit is, somit ein S ™ 

bestehf da“ dlßlkan h 

und sie für eine bloße Auseehurt A '^bdtkeitsqualität abspridtt 
spräche mit seinem Frei,.S Ä“' erklärt. Im Ge- 

ehte'pharft'asie " MÄl; 

»Weshalb meinst du dies?« 

was in diesln Ta’fen‘"i^efeL^eftai 8 f' 5 “ 8 und a "« 
me,ne, Ei nbildung vor sich gefangen ^im«"" ^ ” Ur <" 

«« Raubmord d „ er gew|sse „ 
Verhandlung am 27. Mai <alt. St> aus- t ü !i G / eis ™ ar ' sagte in der Gerichts* 
wahnsinnigen Schwermut erfaßt Idrsehntl m ^ Ur . .i na - A ,.r rÜbter Ta ‘> von einer 
mich ein wenig beruhige. Aber auf dem Gme der S ‘ ZUr Mutter ' daß *«e 

swär ■■ m,r ; a,s <■•“ sr.ferSsTHTrjiBässs 

Hier «i"ÄSÖ„" d r' ntl “"en, 

‘-Ä* fc M»- Er wirft sid, au^nD^undw. 

frieden ihn sd!merzte dies tber^ehr" i ” 1 L ihl ”r“ s «„ehiedenen Gründen unzu- 
man krank und schwach ist, so haf mT^A l" ktzter Zeit Wenn 

be, ‘ v ° n ^iten der Umgebung. Auch R«„fr‘? , .£ ruch auf Nachsichtige 
Nachsicht üben. Das hysterische Kra^ikwerden k ° tn,k °w will, man soll mit ihm 
Kind genießt m besonderem Maß die Liebe und NaiScÄ 11 rrc Taktik Ä das kranke 
Mensch nimmt immer Zuflucht zu diesem Mittel. * ** d€f Eltcrn ’ Der schwache 





















Die unangenehme Wirklichkeit ist bloß ein noser 
mit anderen Worten, die »Welt ist nur meine Vorstellung«. >;> * 
Alte ist ein Unsinn! ist möglidierweise Irrtum und es ist ' 1 
gar keine Rede«, sagte ein anderes Mal Raskolnikow zu sich se s • 
So versucht der gestrauchelte Mensch die unangenehme Wirklich e 
zu verleugnen. 

Mit dem Auftauchen des Sduildbcwußtseins fängt die Se st 
Verurteilung an. In erster Linie äußert sich diese darin, dal) 
»Umdeutung ins Harmlose« 1 [die »Rationalisierung« <Jones)J au* 
gegeben wird. Raskolnikow ironisiert jetzt über sich selbst: »Napoc 
— die Pyramiden — Waterloo — und eine ausgedrücktc, ha j 
alte Registratorwitwe, ein altes Weib, die auf Wucherzinsen len / 
mit einem Kasten unter ihrer Bettdecke . . . Ach, Unsinn!« »y/ 1 ' 
ein ästhetisches Ungeziefer, weiter nichts!« »In der Tat ein U n £ * 
ziefer . . . schon deswegen , . , weil ich . . . einen ganzen Mon 
mndurch die allgütige Vorsehung beunruhige, indem idi 
zeugen anrufe, daß ich nicht im Interesse meines eigenen rleis 
und der eigenen Lust jenes unternahm, sondern ein erhabenes u 
schönes Ziel dabei im Auge habe - haha -.« Er sagt dann zu 
ion,a: »Habe ich denn die Alte wirklich gemordet? Mich h abc 
nic . ht die Mte! Jenes war ein Augenblick, 
mtfnt d! 1 ha ^ m |? h Betroffen auf die Ewigkeit!« Mit R j 
dem Vprhrpdk dci i Untersuchungsrichter Porphyrius Pctrowitsch 
laß ihn erph Cr /. der s 'd? n °di auf freiem Fuße befindet: »Laß 11 ' 
und mir S n^ 11 b A 2Ur , Zeit ' ich wciß schon, daß er mein Opfer wird 

Das S nu „ entIaufen kan,l! • • • Was heißt CS alldl . fl, ?mit 

entging mir j S J st '^t die Hauptsache, denn nicht a 

er mh S T A im Geiste entgeht 

wird ihn nur n, ’kt^j ^ rei ^ eit wird ihm nicht wertvoll sein/ 
in sich selbst verw .^^denken führen, ihn verwirren, er wird s 
Tode keiner ie ?' w ‘ e in einem Netz und sich bis zu sein 

schlossen hat sich A* re ^ n,<< Als Raskolnikow endlich fest 
Sinn, ™hl fc" Gcr ^ e auszu l'cfcrn, kam es ihm i» * 

schön, auch ot,e^ mC i, daB f r sidl ih "‘" alle ” 

füpt bahn w/ • das ^ rtc >l, in seiner Überzeugung 
ielcrion ! c ,, )St als0 hier da s Urteil? Wohl nur eine Pro 3 
er Selbstverurteilung des Verbrechers. < ßte 

■ p Be merkenswcrt ist für uns noch folgendes: Raskolnikow legt 
aber UU dn l V j 0r P°^cilcutnant Ilja Petrowitsdi ab. F r 
fn der de f r Mordtat, hatte er eine Halluzination: er hör 

wirtin di, i Cl . n ^ Urd ' tßar es Schreien, jemand schlug seine , 
den »s^ ask K. nik °u verkannte« bald auch die Stimme des Schlag 
Wirtin | S F geh r°? ja Petr owitsch, er war hier und schlug die Ha^ 
rtL Er St ‘ eß s A e ff m ‘ t dcn Eü ß en, schlug sie mit dem Kopfe au 
11 *« Offenbar, in dieser Halluzination äußerte si 

1 Leo Kaplan, Grundzüge der Psydioanalyse. p. 85, 


































































































Der tragische Held und der Verbrecher 


113 


noch nicht vollkommen abreagierte Mordimpuls: Ilja Petro witsch, 
wie in dem früher angeführten Traum Mikitka, ist Raskolnikows 
Doppelgänger, der auf die »Alte« ein Attentat verübt. Somit 
legt Raskolnikow sein Geständnis nur vor seinem »inneren Ridi- 
ter« ab. 

Eine zweite Verkörperung des »inneren Richters« ist der Unter-» 
suchungsrichter Porphyrius Petrowitsch. Denn ehe noch Raskolnikow 
sein Geständnis ablegt, weiß er schon ganz genau, wie der Mord 
geschehen war. So schildert er den Mörder: »Er hat die Tür 
hinter sich zu schließen vergessen, und gemordet, aber nicht 
verstanden, Geld zu rauben, und wessen er habhaft werden konnte, 
das hat er unter einen Stein verstedct.« Daß Raskolnikow, während 
er mordete, die Tür hinter sich zu schließen vergessen hat, ent- 
spricht vollständig der Wahrheit. Aber niemand konnte davon 
Kenntnis haben, da Raskolnikow bis jetzt eben diese Tatsache mit 
keiner Silbe irgendwie verraten hat. Alles übrige konnte man natür- 
lieh aus den vorhandenen Indizien herauskonstruieren. Durch dieses 
»Versehen« Dostojewskijs entpuppt sich Porphyrius Petrowitsch 
als der Doppelgänger Raskolnikows — als sein »innerer Richter«. 
Unwillkürlich kennzeichnet sich Porphyrius Petrowitsch selbst als 
Raskolnikows Doppelgänger, wenn er ironisierend zu diesem sagt: 
»Wir müßten beide im Heere dienen! Ein Napoleon würde ich ja 
wohl nicht gerade werden, na, aber doch ein Major wenigstens, 
hähähä!« 

Das Schuldbewußtsein ruft bei Raskolnikow Selbstmordimpulse 
wach, die er aber, im Unterschied von Marmeladow, zu überwinden 
weiß. Er ging einmal über die X-Brücke, da warf sich eine Frau 
ins Wasser. »Nein, das ist häßlidi — das Wasser — das ist nichts«, 
murmelte er für sich. Als Marmeladow verunglückte und RaskolnU 
kow ihn nach Hause brachte und zusah, wie er verschied, fühlte er 
sich plötzlich ganz beruhigt. »Er ging langsam, ohne Hast, fiebernd, 
aber ohne dessen inne zu werden,- nur erfüllt von einem einzigen, 
neuen, grenzenlosen Gefühl voller und mächtiger Lebenslust. Dieses 
Gefühl ließ sich mit dem eines zum Tode Verurteilten 
vergleichen, welchem plötzlich und unverhofft seine Be¬ 
gnadigung kundgetan wird.« Raskolnikow war somit zum Tode 
verurteilt <in seinem Geiste natürlich), das Todesurteil ist aber wieder 
aufgehoben worden. »Der Stolz und die Zuversicht wuchsen in ihm 
mit jeder Minute und mit jeder verrinnenden Minute fühlte er, 
dal) er nicht mehr derselbe Mensch war, der er vorher gewesen, 
v as hatte nun diese Umgestaltung in ihm bewirkt? Er wußte es 
selbst nicht - wie einem nach dem Strohhalm greifenden Ertrinkenden 
wai d ihm klar, daß man doch leben könne, daß es noch ein Leben 
gäbe, und sein Leben nicht mit dem jener Alten erloschen sei!« 
Auch spater nodt erzählte er seiner Schwester: »Siehst du, liebe 
Schwester, ich wollte ein Ende machen, und bin mehrmals nahe an 
der Newa gewesen,- das weiß ich eben noch. Ich wollte dort das 
Ima^o IV/2 

















Smm cÄ ft abcr TT idl faild nicht den Entschluß -.«> } Illd 
er lieferr c - +. 'r C . CI ., s ' d \ ai, f andere Weise ein »Ende« zu machen. 

*Racif/lt ./ reiw {% dem Gerichte aus. 
die ihm i mk ° W c b , efoI K te mit seinem Geständnis nur die Gebote, 
trachtunp ," ,a au f > aufdringlichste gegeben hat. Bei näherer Be» 
für die tf° S n,dlt sdtwer einzusehen, daß Sonja eine Deckfigur 
n den lme SC '^ % MiW * und Opferwilligkeit, ihr Aufgehen 
das alle, «fc ] d <f ? ami,ie ' für die sie sich so selbstlos hingibt, 
schaft r .(^ 0l ^ a . zu e ' ner Mutterfigur. Sogar ihre Dirnen* 

anderen an f , ..’ ie ‘ ier: die Mutter ist eine Frau, die sdion einem 
ersten AuÄ? Die Liebc ^skolnikows zu Sonja, die vom 
(Übertragung V' ^ C1 sie r sie * :t ' an fängt, ist eine »Verschiebung 
Vertreterin-' S Vv CF blzcst g c bih(e von der Mutter auf eine Stell» 
Raskolnik ' aia us ist es erklärlich, warum den Geboten Somas 
schick Fiicrf c* C U - Wlderste hen kann und am Ende sich in sein Ge» 
liehen Autorität* 3 Wir(1 fÜF RaskoInikow 211 eincr mütter ' 

Minute°hf n zu einem o, as k( ? lnikow & es W- »Gel/ sogleich, diese 
^ zu einem Scheideweg, verneige dich da, küsse zunächst 

um einen zum Selbstmoivf aS stt ^( iste Sdiuldbewußtscln allein nodi nicht 
des betreffenden Indtviduumcf U Es muß noch etwas in der Konstitu ‘ 

reagieren kann. Wie ( j lc , ^ vor ^nden sein, so daß es eben so und nicht an 
darüber vielleicht bei an<W'^ ,tuti< ? n des Selbstmörders beschaffen sein rnuP' 
niord etc.«, Diskussionen V G ^ enheit - <Siche die Broschüre .Über den Selbst 
1 F - Bemann, 191 0 u *5 n ;. Wle ” cr Psydioanalyt. Vereins. H. 1. Wiesbaden, 
r ü ij “ Inzestcharakter de^T!9 run( Eüge der Psychoanalyse*, Kap. X*) 
i_i von r ^ er Mutter auf dk* R IC ^ C ( ^ e »Verschiebung« der kindlichen 
Hermann Hesse ersiditlH,: * Frau ‘ ~ I«* *• B. auch aus einem Gedicht von 

Frühlingstag. 

Und hoch SfRi* U,K| Vogelpfiff 
Ein still« Stofe* w, n I f aßen 
Ich träifmevon Wo,ltcns <»iff. 
loh träume von Cln . cr blonden Frau, 

P er bolie Himmel bla , 1 n e r ,1 u S e n U z c i t. 

So wie „ S , U ™ nen »ege. 

Ein K«ni ,einer Mutter Arm 


Der Dichter » 
»der Mutter Arm«. 

i < 1 P er Reiher 

uer Anklageschr 
midi überführenden 
nur dann ab, al 

sagte, daßes mein 


träumt« nU 5r » • • [»Simplizissimus«, 1913, Nr. 

e| ncm Zug von der »blonden Frau« u‘ 
angeführte Birnn n • 

beißt es, daß .*,4 , f lsniar sa £te in der Gcrichtsverhai 

Materials. Das ; -}l S S estan den habe unter der Wu 
: rUo Al ‘St nicht rirhnV 14, QeSt£ 


















































































































Der tragische Held und der Verbrecher 


115 


den Boden, den du besudelt hast, dann verneige dich vor dem 
Licht, nach allen vier Seiten und sage allen laut: ,Ich habe gemordet!' 
Dann wird Gott dir das Leben schenken.« Hier ist die er* 
lösende Wirkung des Geständnisses ausgesprochen: wer seine 
Schuld gesteht, dem schenkt Gott das Leben. Die Verheimlichungs* 
tendenz des Schuldigen fordert zu ihrem fortlaufenden Funktionieren 
einen »psychischen Aufwand« <Freud>, d. h. einen Verbrauch von 
Energie. Wird aber das Verheimlichen aufgegeben, die Schuld offen 
eingestanden, so fällt der »psychische Aufwand« weg, was immer 
als eine Erleichterung empfunden wird. Wir können dies in Ras* 
kolnikows Verhalten nach seiner Tat sehr deutlidi verfolgen. Am 
anderen Morgen nach der Ermordung der Alten wurde er wegen 
einer ganz harmlosen Angelegenheit ins Polizeibureau gerufen. Nach* 
dem die Sache erledigt war, ging er noch nicht fort, sondern blieb 
noch einige Minuten im Bureau. »Ein eigenartiger Gedanke kam 
ihm: sollte er nicht sogleich aufstehen und zu Nikodemus Thomitsch 
hintreten, um zu erzählen, was sich gestern alles ereignet hatte, bis 
zur kleinsten Einzelheit, dann mit ihm in sein Quartier gehen, ihm 
die Sachen zeigen, die in dem Winkel im Loch lagen? Die Ver* 
suchung war so stark in ihm, daß er sich bereits erhob, 
um ihr Folge zu leisten. ,Soll ich mich nicht noch eine Minute 
besinnen?' . . .« Wir sehen, welchen Kraftaufwand der Verbrecher 
ins Feld schicken muß, um nicht mit der furchtbaren Wahrheit heraus* 
zuplatzen! Und als im Bureau bald darauf jener Mord zur Rede 
kommt, verliert Raskolnikow die Fassung und fällt in Ohnmacht. 

Jeder affektbetonte Zustand — jeder »Komplex« — hat natur¬ 
gemäß die Tendenz sich irgendwie zu äußern. Insofern der Kom* 
plex die Verheimlichungstendenz überrumpelt, spricht man ja von 
Selbstverrat. Man kann auch versuchen den Selbstverrat irgendwie 
unauffallend zu machen. So versuchte es einmal auch Raskolnikow 
zu tun. Er traf in einem Restaurant Zametow — den Buchhalter 
im Polizeibureau. Der Drang, sich des Geheimnisses zu entledigen, 
wurde in ihm rege. Da erzählte er Zametow, wie er handeln 
würde, wenn er einen Raubmord begangen hätte. Es folgt 
die wahrheitsgetreue Sdiilderung, wie er die geraubten Gegenstände 
in einem einsamen Hofe unter einem Stein verborgen hat. »Er 
wußte, was er getan hatte, aber er vermochte sich nicht zu halten. 
Furchtbar war das Wort, es sprang . . . über seine Lippen/ 
es riß sich los, um nur herauszukommen, nur ausgesprochen 
zu sein!« 

Als Raskolnikow zum erstenmal zu Porphyrius Petrowitsch mit 
seinem Freunde Rasumidiin kam, hat er absichtlich diesen unter* 
wegs verschiedentlich geneckt und sich über ihn lustig gemacht, um 
in die Wohnung des Untersuchungsrichters lachend einzutreten. Da* 
durch wollte Raskolnikow seine Verlegenheit verdedcen. Aber um* 
sonst. Denn Porphyrius Petrowitsdi hat das Symptomatische in 
diesem Lachen vollkommen erfaßt. Später sagt er nämlich zu Ras* 


8* 

















116 


Leo Kaplan 


kolnikow: »Euer Lachen, Euer Lachen, als Ihr bei mir ein¬ 
tratet, wißt Ihr noch, ließ mich wie durch eine Glasscheibe 
alles wahrnehmen.« 

Bei seinem zweiten Besuch bei Porphyrius Petrowitsch sagt 
unter anderem Raskolnikow: »Ich habe einen Weg zu machen, ein 
Geschäft vor. Muß zu dem Leichenbegängnis jenes von der Equi* 
page überfahrenen Beamten, von welchem Ihr — ja auch wißt 
fügte er hinzu, geriet aber sogleich in Wut über diese Schluß* 
bemerkung.« In diesem überflüssigen »auch« — in diesem »Ver* 
sprechen« hat Raskolnikow seine Vermutung verraten, daß der 
Untersuchungsrichter bereits sein Geheimnis kennt. So überrumpelt 
das Verheimlichte die Verheimlichungstendenz, oder, wie der scharf* 
sinnige Kriminalist Porphyrius Petrowitsch meint: »Die Verstellung 
wird dennoch irgendwo sichtbar werden! 


— v oiuuuai WClvlciI. v ' 

Dje Tragik in Raskolnikows Geschick besteht, wie immer, in 
seiner Halbheit, in seiner Unfähigkeit seinem Ziele rücksichtslos nach- 
zuge en, in seiner Unentschlossenheit dem kriminellen Impuls oder 
den horderungen der »Zensur« zu folgen. Nodi im letzten Moment, 
s< h°n bereit war, sich auszuliefern, sagt er zu seiner Schwester: 
j. ni»,' j° tete e ' n widerliches, böses Ungeziefer, eine alte Wucherin, 
driEl, m f hr . nö ? e - Beseitigung einer Sündenvergebung 

man ein d ', e den Anno, dns %!.,? aussaugte, die, nennt 

zu- Verbredier C v en ü ' i.' Weshalb rufen sie mir von allen Seiten 

beho^theu'JetfKU*“! -»* *«“ U "' 

schlossen hin •;! Kleinmuts, erst jetzt, wo ich ent- 
meiner Talentin«:* 6 ( J ln . not ‘SC n^chritte Zutun. Nur infolge 
mich dazu.. Ich^ie’lt S nd Erbär ™ ,ich keit verstehe ich 
ich ein — Elender bin T)" ers ! en Schritt nicht aus, weil 
Die Traeikisf ä- 11 , a : u !? handelt sich alles!« 
rissenheit der Seele das P «beholfenheit des Kleinmuts«, die Zer- 
' das Erschrecken vor dem eigenen Entschluß. 

Brynhild. 

Wir unterziehen jetzt der A t 

sage, wo wir wieder den Rrrioh na ySe . e altnordisdie Brynhild- 
nalität nachspüren wollen. n a k„: Un ^ e j zw ischen Tragik und Krimi¬ 
älteren Sigurdliedes IBrof nf S;™ w T’ d . en wir uns an den Text des 
gleichenden Betrachtung auch daf U J-halten und zur ver- 
en skamma] anziehen 1 , Jüngere Sigurdlied [Sigurdarkvida 

sich nutzem Bes'lego ftÜTaK? 1 ', l Un 8 frau - <k geschworen hat, 
schließ, sie zu freie,, und z ehTt,^ Guttnar be- 

der ihm die Hilfe versprochen i?‘ gU Ä. Seinem Schwurbruder, 

_^ ' V01 Brynhildens flammenumloderte 

1 Wir benützen hier die »Edda« T /u , < , 

Jena 1912. Verlegt bei Eugen Diederilhs ^ ^ ie ^ er ^ ^ ers - v. Felix Genz mer. 













































































































Der tragische Held und der Verbrecher 


117 


Burg. Da es Gunnar nicht gelingt, durch die Lohe zu dringen, 
tauscht Sigurd mit ihm die Gestalt und gewinnt ihm die Braut. 
In der Brautnacht legt er zwischen sich und Brynhild sein blankes 
Schwert. Nach Jahren erfährt Brynhild ^ von Sigurds Weib den 
Betrug und begehrt von Gunnar seinen Tod. An einer Stelle des 
jüngeren Sigurdslieds enthüllt sie die Liebe zu ihrem Bezwinger 
als das eigentliche Motiv ihrer Rachgier. 

Brynhild liebt also den Helden Sigurd, ihre unbefriedigte Libido 
schlägt in Wut und Grausamkeit um. Der Liebesaffekt muß, wenn 
er auf Hindernisse stößt, in irgend einen anderen Affekt übergehen 
(»Affektverwandlungen«). Es gibt hauptsächlich zwei Formen solcher 
Affektverwandlungen: entweder geht die gehemmte Erotik in Angst 
über 1 * 3 oder in Haß, beziehungsweise in Grausamkeit (gesteigerter 
Haß). So sahen wir oben, wie sich die (inzestuöse) Erotik eines 
Orestes oder Raskolnikows in der grausamen Mordtat geäußert 
hatte/ ebenso war es mit dem Patienten Antons. In der Angst» 
neurose nimmt der Liebende Leiden auf, in die sich seine erotischen 
Gefühle auflösen (masochistisch). In der Grausamkeit dagegen läßt 
der Liebende die geliebte Person Leiden erdulden: der erotische 
Affekt wird nadi außen getragen (sadistisch). Feinere Naturen gehen 
gewöhnlich den ersten Weg, primitivere (beziehungsweise gröbere) 
Naturen bevorzugen die zweite (sadistische) Lösung des Liebes» 
konflikts. 

In der Brynhildsage liegt auch der »Bruder=Schwesterkomplex« 
verborgen. Sigurd vertauschte die Gestalt mit Gunnar, es ist der 
symbolische Ausdrude ihrer Identität: SigurdUGunnar. Anderseits 
schenkt Sigurd Brynhildens Ring seinem Weibe Gudrun, dadurch 
vollzieht sich gewissermaßen die Identifikation: BrynhilcLGudrun. 
Somit ist BrynhilcLGudrun das Weib ihres Bruders Gunnar»Sigurd. 
Merkwürdigerweise erzählt Brynhild in dem Eddaliede: »Brynhildens 
Helfahrt« von jener Situation mit Sigurd: 

Ein Bett barg uns 
Beide traulidi, 

Als ob er mein Bruder 
Geboren wäre. 

Unser keiner 
In adtt Nächten 
Könnt um den andern 
Den Arm (egen. 

Jetzt bekommt die Wut und der Haß gegen Sigurd eine neue Be* 
leuditung: darin äußert sich die Abwehrreaktion gegen den Inzest* 


1 Das Kind ist gewohnt, bei jeder Gefahr <Angstsituation) die Anwesen- 

heit der geliebten Personen zu wünschen. Dadurch entsteht eine feste Assoziation 
zwischen Angst und der Sehnsucht nach den geliebten Personen. In späteren Jahren 
schlägt darum die unbefriedigte Libido so leicht auf dem gebahnten Weg, aber in 

umgekehrter Richtung, in Angst um. 















118 


Leo Kaplan 


gedanken (»Sicherungstendenz«). Das Verbrechen erscheint hier als 
ein Mittel ein anderes Verbrechen zu verhüten, die Grausamkeit 
ist die Folge der Verdrängungstendenz. 

Verfolgen wir jetzt die Situation nach der Mordtat,* wir finden 
auch hier die Abwehrreaktionen sofort ins Spiel treten. 

Finstre Nadit war's, 

Viel war getrunken, 

Frohe Reden 
Geführt waren; 

Alle schliefen 
Auf ihren Lager — 

Einzig Gunnar 
Von allen wachte, 

Auch Brynhild schlief nicht recht, sie hatte böse Träume. Sie er* 
zählt davon: 

»Schrecken schaut idi 
Im Sddaf, Gunnar: 

Kalt war der Saal, 

Klamm mein Lager,* 

Du, Fürst, rittest, 

Des Frohsinns bar, 

Die Fessel am Fuß 
Ins Feindesheer. 

So wird verniditet 
Der Niblunge 
Mächtige Stamm: 

Meineid schwurt ihr.« 

Es ist der ängstigende Straftraum: die Folge des Schuldbewußt- 

:r Si ?äX« z: wuä; “ Bry " hiid ^ 

Dodi will ich mit Sigurd 
Zusammen sterben/ 

Das soll für mein Leid 
Die Sühne werden. 

Ihr Selbstmord ist aber nicht nur eine Selbstbestrafun„ c**i 

für das verübte Unredrt, sonder,, diesmal S „Lt S“ 1 "'' 
NämliA^rynhÜd will auf Sigurds Seite im Tode ruhen. Ihr'ietzKr 

Sigurd brenne 
Zur Seite mir. 

Bsisf^o derTod der Ae Liebenden für e»ig vereinig,: derUeksrod. 

Verbote',: «ÄISJ? t Rf" d * 
de„ Si No e rm^° n!,ik,S ZWiS * en d ™ ^"^""und'de^sie himmem 






























































































Der tragische Held und der Verbrecher 


119 


Der Sündenbo ck. 

Der tragische Held ist der Verbrecher in uns, er nimmt unsere 
Schuld, sowie die uns bestimmte Strafe auf sich. Mit einem Worte 
in der Tragödie wird die Idee des Sündenbocks verwirklicht, Eine 
schlagende Illustration der Sündenbocksidee finden wir in einem 
Berichte des Fuggerschen Juristen Lucas Geizkofler <t 1620) in 
seiner von A. Wolf herausgegebenen Selbstbiographie (Wien 18/J>: 

Er hat »aus seinem losament ersehen, wie ein armer handwerks- 
mann auf einem esel hinterrücks sitzend mit grossem zuelauf der bueben 
und mädlen, durch die gassen gefüert worden, darum weil er sein weib 
in monat Maio geschlagen, welches die Obristen Parlamentsherrn und 1 ra¬ 
sidenten gemachel erfahren. Nach altem Gebrauch ist dieser erkenntnus 
und straf vergunt und überlassen wider diejenigen, die ihre weiber in 
solchen monat übel tradiert, zu urteilen. Es wird aber solche Jurisdiction 
und straf also verstanden und moderiert, dass die reichen ehemannei von 
der Frau Präsidentin höflich ermanet worden, etliche krönen zum almosen 
für hausarme leut zu geben, und ihre weiber sonderlich in trühlmg in 
mehreren ehren zu haben, auf dass sie solcher fröhlichen zeit auch der 
ehelichen lieb desto mehr pflegen, kinder erzeugen und des ehebetts in 
fried und einigkeit gemessen. Den eheleuten zum exempel und einer 
crinnerung wurde ge mein glich ein armer schlechter bürg er, 
welchem man geld giebt, dahin bewegt, als ob er einer solchen 
straf würdig und wider sein weib wo! verschuldet hatte,- er 
wurde dann in etlichen gasse auf dem esel herumgefüeret, be^ 
kennte sein verbrechen, und erinnerte die zueseher, sie sollen 
sich an ihm spiegeln, und ihre weiber wol und ehrlich tractieren, 
Nach diesen thuet die Frau Präsidentin eine statliche gasterei halten, welche 
die Frauen und Töchter fürnehmer Parlamentsherren beywohnen, und einen 
züchtigen tanz und andere kurzweil anstellen,« 1 

R y ir .. Sehe " hier e , in Schauspiel, an dem sich die Verbrecher 
(die Ehemänner) spiegeln sollen: der Darsteller ist hier wirklich ein 
Symbol des Kriminellen, das im Innern der Zuschauer lebt. Durch 
T? Sträfling des Darstellers wird das Verbrechen gesühnt, das 
Kechtsbewußtsein befriedigt, die verletzte Norm wieder hergestellt 
die böse Tat gutgemacht. Die dramatisch-tragische Handlung 
ist eine Versinnlichung unserer eigenen Kriminalität. 

Von diesem Standpunkte wird eine ȟberschnelle Exe- 
cution in dem Clagenfurter Gebrauch, den Dieb erst zu henken 
und dann zu untersuchen« 2 erst verständlich. Denn der Bruch der 
Rechtsordnung muß so schnell als möglich bestraft werden, das 
fordert das böse Gewissen der Mitbürger. Man henkt darum den 
Erstbesten, der in diesem Falle unwillkürlich die Funktion des 
Akteurs übernimmt. Die Hinrichtung des vermeintlichen oder wirk- 

' Mitget. von Brandt im Archiv für Religionswiss. Bd. 11 p. 153 
_ . , J\ G rimm, Deutsche Rechtsaltertümer. Bd. I., 4. Aufl., p. 531. Leipz., 1899, 

Dieterichsdic Budih. 




















120 


Leo Kaplan 


der 


Selbstbetrug nadf auße^' 8 *“ SdiauspicI ' eine Projektion 

kriminell bV^ Mi rw>f^ U °^ ^ C f'.,M rt !‘ e ^ c — von der Gesellschaft als 
neue Bruch I? C 'J \ ^ f dem Primitiven nicht leicht- Jeder 
wachzurufen ihm C so ^ , J“ n S droht den »kriminellen Komplex« 
fa E ; 1",,,“' Zu ™fe»>en, jedes Verbred,en iS. 
muß das Dramarist.,-T ■ :om ! nen f Beispiel zur Nadiahmung. Hier 
tionsmedianismiiQ A- Ä f la & 1S( he^eingreifen, um mit Hilfe des Projekt 
zuweTsen Dara.« J'uF iminali,ät In ihre Grenzen zurüd.- 
uralten Zeiten aud,' Tb-rr''* j e merkw ürdige latsadie, daß man in 
und bestrafen | frv ^ un * so & ar Ablöse Gegenstände richten 

M(L£Äo^h n i. te, /| I,n 0 Av ? ta Werden die Tiere ganz den 

siv zu Wmi I e,t V Ein biSSiger Hund Wil ’ d z ' B sul{zeS " 

den keddes n T l i" SSStrafen versd hedener Art verurteilt.« * »Bei 
tötete dessen Fa mit™ T*' Wen ". ein Tiger einen Menschen 

einen anderen Tiger zur°RadI? C “l- M,ß l aAtung ' bis sie diesen ode , r 
einen Fall von fjnem Baume getötet hatte, und war jemand durch 
hörigen desselben für- \ n ^ ei un gludct, so mußten die Ange* 
fällt« und to MeineS,^ indem sie den Baum 

wurde über leblose nJk> ... ze jd 1| eben . , . In Prytaneum in Athen 
Menschen ohne Mitwirlain^ an< ^ e we *die den Tod eines 

hatten, z. B. über eine A« m ^ nsdl1 ^ Verschuldens herbeigeführt 
Wurden dieselben für schuld ^b'f *!? StÜd Holz oder einen Stein, 
liehen Formeln über die (“i r J5 ^ un den, so wurden sie unter feier^ 
-nd gestraft, sondern N 'T der Verbrecher 

ist bloß der äußerliche TV* / ec ’V Gn S^suhnt, der Verbrecher 

sich gewöhnlich auch die Vergeltung V 

TeXr —« * er kanÄtÄÄläzn^ 

Sdiuldbewußtsein'rk^ -UrCb | dlC Bestra fung eines Ersatzmannes vom 
Bibel vorschrdbr TuD Tr' l?K' aus cinc,n Gebrauch, den die 
soll zwei S J n befiehlt dem Hohenpriester Aaron, er 
Bödce Inw | *" Wa dc r n ' ^Gnd Aaron werfe wegen der zwei 
[Levir. XVI «f S m" 1 ! h° S Jekovah, das andere für Asasel« 
rlpr \ ' «Hi dem Talmud ist Asasel ein Berg, von dem 

zun, ol ,ei “ nt , ei ;S es, ° B f n T iri Df eine Tier wird ausdrüdtli* 
2 um Opfern an Jehovah bestimmt. Mit dem anderen Tiere wird die 
folgende Prozedur vorgenommen: »Und Aaron legt seine beiden 
Hände an das Haupt des lebendigen Boches und beichtet an ihn 
die Sunden der Kinder Israels und alle ihre Frevel und alle ihre 

iüt eiSTd Und , tut f| sle \ n das Haupt des Bodces und schickt ihn 
mit eme m daztI bestellten Mann in die Wüste. Und der Bock trägt 

FußucL OlÄ A.'sÄz. Mspn,,fa “' M - 231 ' 

2 ib., p. 232, Fußnote. 





































































































Der tragische Held und der Verbrecher 


121 


auf sich alle ihre Sünden in die Einöde . . .« [Levit., XVI, 21 u. 22]. 
Der Talmud ergänzt diese Schilderungen wie folgt: »Die besten 
Männer von Jerusalem geleiteten den Bode von einem Zelt zum 
anderen [die am Wege aufgebaut waren], bei jedem Zelte sagen 
sie zu ihm: hier ist Gras und hier ist Wasser, sie geleiten ihn 
von Zelt zu Zelt, außer dem letzten, an das sie nicht treten dürfen, 
sie bleiben in der Ferne stehen und beobachten, was weiter ge- 
schieht. Jener [der dazu bestellte Mann] nimmt ein rotes Zeug, 
die eine Hälfte bindet er an einen Felsen, die andere Hälfte an 
die Hörner des Bockes und stößt ihn rüdewärts ab.« 1 Der Bode 
nimmt auf sich die Sünden der Kinder Israels und wird zur Ver- 
geltung dieser Sünden zum Tode verurteilt. Das feierliche Geleit 
des verurteilten Tieres erinnert lebhaft an die Feierlichkeiten, die 
in früheren Zeiten bei der Hinrichtung von Verbrechern üblich waren. 
Dem primitiven Menschen ist die Bestrafung des Ver¬ 
brechens ein festliches Schauspiel. 

Die von der Kultur verurteilten »bösen« Triebe charakterisieren 
wir öfters als das Tierische in uns,- darum sind die Tiere so 
geeignet das »Böse« zu symbolisieren. So stellt sich die Volks¬ 
phantasie den Teufel — den Fürsten des Bösen im Bilde eines 
Schweines, öfters (so im Hexenaberglauben) als einen Bock vor. 
Das Tier ist das Ungebundene, Rücksichtslose, mit einem Woite 
das Primitive, Ursprüngliche, Prähistorische. Durch Überwindung 
und Knebelung des Tieres (= durch Verdrängung der Urtriebe) 
ist der Kulturmensch entstanden. In dem Kampfe mit dem »Bösen« 
unterliegt aber der Mensch zu oft, wenigstens in den eigenen Ge¬ 
danken. Dann muß er einen dramatisch-tragischen Spiegel haben, 
durch die exemplarische Bestrafung des Ersatzmannes (Doppel¬ 
gängers) fühlt er sich von dem Sündhaften gereinigt. Das geschieht 
auch in der oben geschilderten biblisch-talmudischen Prozedur. Die 
feierlich versammelte Gemeinde geleitet das Tier zur Richtstelle, 
was an den tragischen Chor, der z. B. der Fesselung des Prome¬ 
theus beiwohnt, lebhaft erinnert. Ist Prometheus die Vision des 
antiken Chores, so ist der verurteilte Bock eine Projektion 
der von Schuldbewußtsein erfüllten israelitischen Ge¬ 
meinde 2 . Daraus folgt aber die Sündenbodesnatur des tragischen 
Helden. 

Die Hinrichtung eines Tieres finden wir auch in den ver¬ 
schiedenen griechischen orgiastischen Gebräudien. »Auf Kreta soll 

1 Talmud bab., Traktat Joma 67 a. — Nach anderer Deutung dürfte Asasel 

einen Dämon bezeichnen. 

2 Die Hinrichtung geschah alljährlich zur Zeit des Versöhnungsfestes. Bei 
den späteren Juden trat an Stelle jener Prozedur die folgende: Man nimmt einen 
Hahn in die rechte Hand und spricht: »Der ist ein Ersatz für mich, der ist eine 
Vergeltung für mich, dieser Hahn geht in den Tod und ich bin erlöst und gehe 
in ein Leben voll Gutes, Länge und Frieden.« Der Hahn wird dann abgeschlachtet 
und verzehrt. Durch das letztere wird wohl die Identifikation des Sünders mit 
dem Hahn vollzogen. 




























122 


Leo Kaplan 


giasmus zii ^ JCStalld JT haben, einen lebenden Stier im Or- 
itödten von 2 pJri^ SAcn ‘r' D ' e Bi,dwerke zeigen die Mänaden mit 
messern Z Z f • i"™ V^J" den Händen • • oder mit Schlacht* 
Zerreißimcr erf 5l u r n S ^ er fiere gerüstet.« »Auf die ekstatische 
Bekleidung er .PH e ™ n S der dionysischen Tiere schließt sich die 
Buboia ab^fo'r t ^ eilen an. Die Stiftungslcgende eines aus 
und den Srh, ? r &‘Y S(lien Kultes läßt auf das Ziegenopfer 

die rCt^ct Ul j ,ui, I l un Sen mit den Fellen folgen.« 1 Durch 
den hineerirhrf '^T- <Cn identifizieren sidi die örgiasten mit 

ist vom^Mvtbi U1 tf ler ?i‘ ^ ie Auffassung der Tiere als »Verbrecher« 
tier der 7\Z f* St It,ar S en »g ausgesprochen. So war das Opfer* 
»Eine volf Und Weinbauer' in Griechenland der Bode, 

dafür daß der • ieß das °P fer gesAehcn zur Strafe 

leeendanie^genasch.ge Bode den Weinstode benagt ... Daß die 

eine VcrsünriicP aS j Un ^ r . c ^ es Opfers als eines Strafgerichtes über 
ist, zeigt ihre AnL ,!? , an ^ en Gott volkstümlich und alt 

man um das Oi f ° c GI den att ‘sdien Buphonlen, an welchen 

motivieren, diesen von der 
brecher aber ein \To t . 4 ' Das Tier war somit wirklich ein Ver* 
hauste/Im Orgiasmus ^in *4 ^ ^ ccIe des Örgiasten selbst 

Hinrichtung des Tipr^c ' de . n nac btlichen Schwärmereien, die der 
Triebe vollkommenau^X^ll' tobt | n die Örgiasten ihre wilden 
seinem Rechte lmmm/ 1US ' Danach mußte das &iihnebedürfnis zu 
DaTtm« “ T, dcr tra 8 is*e Absdiluß folgen-. 

Goit Dionysos selbst "bas' f °[ s ' as,lscl ' c n Gemeinde bedeutete den 
über Dionvsnc- KT 1 P as ..f 0 ^ aus den verschiedenen Mythen 
rasenden Dinn A 1 3 ^ em ältesten Zeugnis verjagte Lyhurgus des 

sebtäo-f* r A * r\°r Atmnen ' daß sie , getroffen von seinem .Ochsen - 
ai & r r . Ie Opfergeräte zu Boden warfen,* Dionysos sprang ins 
Meer und suchte zitternd Sdiutz im Schoße Thetis.« »Das Dionysos¬ 
in waid, um der Hera zu entgehen , in ein Zicklein verwandelt. 
Demnach ist eine Eigentümlichkeit dieses Kultus, daß der 
Oott selber in der Gestalt seiner Opfertiere, des Stieres 
und des Bockes erscheint.« 4 Dionysos ist ein verfolgter Gott, 
der oft die Gestalt eines Tieres annimmt. Warum wird er aber 


1 Roscher, Ausfuhr!. Lexikon der griech. u. röm. Mythol., Bd. I, 1037 u. 1039. 

2 ib. 1058, 1059. 

3 Die Idee des Sündenbockes ist unschwer auch in folgendem zu erkennen: 
»In der zu der Provinz Brandenburg gehörigen Westprignitz herrscht vielfach der 
Glaube, man könne ruhig einen Meineid schwören, wenn inan irgend einen Gegeilt 
stand, so eine Schürze in der Hand halte. Ebenso in Pommern, wo meineidige 
Frauen beim Schwören mit der linken Hand die Schürze oder das Schürzenband 
anfassen und nach der Eidesleistung dem Bösen freiwillig opfern, damit ihnen 
,der Böse nicht beikommen soll'. Auch benützt man in Pommern den Knopf eines 
Rodces als Sündenbode, den man nachher wegwirft.« Ebenso in Oldenburg, in 

Ostpreußen usw. Alb. Hellwig, Mystische Meineidszeremonien. Arch. f. Religions^ 
Wissenschaft, Bd. XII, p. 56. 

4 Roscher, a. a. O., pp. 1050 u. 1959. 














































Der tragische Held und der Verbrecher 


123 


verfolgt? Die Vermutung liegt nahe, daß er zu den »bösen« Göttern 
gehört Der Mythus rechtfertigt diese Vermutung vollkommen. »Nach 
Nikanders Verwandlungen verschmähen die drei Töchter des Minyos 
die Weihen des Gottes und bleiben zu Hause an ihren Webstühlen, 
trotzdem sie Dionysos in Gestalt einer Jungfrau dazu ermahnt. 
Darauf erschreckt sie der Gott als Stier, Löwe und Panter erschein 
nend und durch andere Wunderzeichen,- sie geloben ein Opfer, losen 
darum und die getroffene bietet ihren Sohn dar, den sie zerreißen. 
Als sie in den Bergen umherschweifen, werden sie in lichtscheue 
Nachtvögel verwandelt.« 1 Die Frauen begehen also ein Verbrechen, 
für das sie dann die gebührende Strafe bekommen. Der Anstifter 
aber zu diesem Verbrechen ist der Gott Dionysos. »Die 
Tat der Minyaden wurde einem Geschlecht der Orchomenos zu» 
geschrieben ... An dem trieterischen Feste Ayeuovia verfolgte der 
Priester mit dem Schwerte eine der Frauen des Geschlechts, die er, 
wenn er sie erreichte, töten durfte. Die alte Schuld der Frauen ist 
das Kindesopfer 2 . . .« Jede soziale Ordnung wird durch bestimmte 
Normen in ihrem Bestände geschützt,- diese Normen werden durch 
die Autorität eines Gottes besonders bekräftigt. Die revoltierenden 
Urtriebe aber schaffen sich einen Gegengott — einen Dämon 
welcher der von dem herrschenden Gott geheiligten Ordnung feind» 
lieh gegenübersteht. Dionysos ist ein soldier Gott der verdrängten 
(unbewußten) Triebe. Darum ist er ein verfolgter, d. h. von den 
herrschenden sittlichen Normen (von der »Zensur«) verfolgter Gott 3 . 
Daß die ihm dienende Gemeinde in der Gestalt des Opfertieres ihren 
eigenen Gott hinrichtet, darin äußert sich der dramatisch»tragische 
Zwiespalt der Seele: der Zusammenstoß des kriminellen mit dem 
Ethischen, des »Bösen« mit dem Gewissen. 

Auch die mittelalterlichen Vorstellungen vom Teufel sind von 
derselben dramatisch»tragischen Natur. Den Mittelpunkt des Teufels» 
kultes sollen angeblich die Hexensabbate bilden, wo die Ketzer, die 
Hexen und die Zauberer zusammenkamen. Ein Engländer, Walter 
Mapes, schilderte um 1190 diese Zusammenkünfte wie folgt: »Sie 
versammelten sich . . . beim Einbruch der Nacht in ihren ,Synagogen',- 
an einem an der Decke befestigten Seile stieg ‘dann ein großer 
schwarzer Kater zur Gemeinde herab,- sobald dieser erschien, wuiden 
die Lichter gelöscht und jeder suchte den Kater als seinen Herrn 
zu küssen, vor allem an ekelhafter Stelle,- dann gab man sich 
allgemeiner Unzucht hin«. 4 Nadi anderen Angaben erscheint der 
Teufel der gläubigen Gemeinde in Gestalt eines gigantischen Bockes. 
Auf den jährlichen Festen wird der Teufel verbrannt. Der Teufel 


i ib., 1053. 

Mb. 

3 Dieses Problem hat der Autor ausführlicher behandelt in einer noch nicht 
erschienenen Arbeit; »Die Faustsage«. 

4 Angef. bei Jos. Hausen, Zauberwahn, Inquisition u. Hexenprozeß in 
Mittelalter, p. 228. Mündien und Leipzig 1900. 


























DerTeufelsefaube kt'T ^ ISI 9'! f ) cs fä f ihn schwärmenden Chores, 
muß. Diese iühnp ,| r -V^reAen, das s< kwer gesühnt werden 
im realen Lehen aber* S 'v mythisch im Verbrennen des Teufels aus. 
Die Vernnirki ' m Xf r V ennea ^ er Hexen und der Zauberer, 
folgungen beweis™ V °j ^ e ^ lt u,ld Mythologie in den Hexenver* 
titäTTon di , C P^hologischelden. 
folgung. Der mittofak fS 6 ^/ 110 ^ P. ,ld strafrechtlicher Ver* 
der eigenen Phantasie»^ !^ e ^ ensdl , kämpfte mit den Ausgeburten 
»Zum Wesen einpc H •(• ^ ene j cr . körperliche Existenz zuschrieb, 
mit dem in Pprc^t ». ^ n £ cn der christlichen Kirche gehörte, daß er 
hatte.« Der übertrief ien ^ n ^ n T eu erfolgreiche Kämpfe bestanden 
brachten es zu einpr'l? ^ketfemus un ^ die Heiligkeit jener Zeit 
sinnlichen Triebp n c Jolte der unterdrückten und geknebelten 
und Helden dfe H nbcwußte «*>uf sich neue Götter 

tragische Reaktion \r f 'f ^ c t bevölkerten <die Prejektion). Die 
Tai umpesetzt becfpnS ° 6 a-^ "% U e ^<haffene Welt wieder. In 
meintlichen Hexen imrl 7 CS /' C strafrechtliche Verfolgung der ver* 
Darsteller „ötig haben Ä T* die Gestak ™ Didtters die 

ebenso hat das Srhiilrlh C| bhaftig vor uns erscheinen zu können, 

$re*er naÄStSlt™ P-T 

Triebe wirksam 711 fif,»-. • j “tiafung die eigenen verbrecherischen 
mit °V t K ? m ? f m .' t ' dcm Vcrl.recl.er 

sehen Wesen narh*\>- j Cn ^ tra ^ e ,st ihrem psychologU 
Die BesLf,,nJ / C dramatlscl '' tra « is cl.c Handlung, 
ptänomen«. Wenn man'z ifllf'w’l 0 ISt ein »VersAiebungs- 
man aber nichts antun darf ’ A ^ Ut segen i eniand tferät, dem 
einen Gere, h^ !? darf °t r . kaim ' zerstört man irgend 
und wird so h»n i • f r% n \vr S< J mit der P aus t auf den Tisch 
auf den leblncr> Cr ^ uta ^ekt wird von der schuldigen Person 

eine Pein ->nt ° egenstand verschoben. Will man einem Feinde 
abercrlo..! " U ?' so kann man, nach einem sehr verbreiteten Volks* 

if ^ . C ( n ' Cn .l , K . 1 se 11 durchstechen oder durchpeitschen usw.,- 
aues mit dem Bilde vorgenommene, geschieht jener Person. Man 
mu seiner Wut Luft machen und wo Hindernisse entgegentreten, 
verschiebt man den Wutaffekt auf einen Ersatz, auf einen Sünden* 

• ( ^ w 1 t aas Volk vom Schuldbewußtsein gedrückt, erwacht 
eine Wut gegen die eigene sündhafte Person, der man doch keine 
Fein antun mochte, so schafft man auf diese oder jene Weise einen 
Sundenbodc, auf den man mit Hilfe des Verschiebungsmechanismus 
die Strafe ubertragt. Die Menschheit handelt in diesem Falle wie 
ic kleine Hilde. Stern, von der erzählt wird: »Einmal, als sie 
erma nt wurde, im Garten nicht Blätter abzureißen, antwortete sie: 
Pupp e hat die Blätter abderissen, kriegste Haue.« 1 

»Beiträ?e C zur ra p,v^ n !i an A Stern ' B ? am ' Aussa * c in der ersten Kindheit, 
»neitrage zur 1 sychol. d. Aussage«, her. v. Stern, II. Folge, H. 2, p. 63. 


□ □ □ 































































































^U!lIIl!IlI!l!III!Ii!I11IIIX!I!(l!l!!!IIII!Iin!I!!lllII1lini!H!!I!l!l!!UllIlllll!!lIS!l!i!!I!IIIl!!lI!IIlIlIll!l!lI!!VI11Y!U11!!i^ 

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INHALT. I. Einleitender Teil. 1. Die Parabola. 2. Traum- und Märchendeutung. E 

E rvl 1 * Analytischer Teil. 1. Psychoanalytische Deutung der Parabola. 2. Alchemie. E 

zz 3. Hermetische Kunst. 4. Rosenkreuzerei und Freimaurerei. 5. Das Problem der mehr- £5 

— fachen Deutung. — III. Synthetischer Teil. l. Introversion und Wiedergeburt. 5 

== A. Verinnerlichung und Introversion. B. Folgen der Introversion. C. Wiedergeburt. Z Das E 

j= mystische Ziel. 3. Königliche Kunst. — Anmerkungen. — Quellen. — Index. E 

5 Dieses tiefschürfende Werk hält mehr, als der bescheidene Titel verspricht. Es führt E 
= ins innerste Wesen der Mystik selbst und gibt endgültige Aufschlüsse. E 
E Durch die Anwendung der psychoanalytischen Methode gelangt der Autor = 

E zu ebenso überraschenden als zwingenden Ergebnissen. Die Bildersprache der Mystik E 
5 (wovon uns das Werk zahlreiche Beispiele aus seltenen Quellen vor Augen führt) E 
= ist schon an sich teils wegen ihrer Kuriosität, teils wegen der Größe und Schönheit E 
5 i^ rer Gedanken bemerkenswert. In der Beleuchtung des Verfassers aber entfalten E 
== die Rätselworte der Mystiker, Alchemisten und Rosenkreuzer erst ihre volle E 
5 Kraft, und die Zusammenhänge zwischen erotisch und mystisch reih* E 
= giöser Symbolik treten klar zutage. Insbesonders auch wird das Wesen und E 
E Symbolik der Freimaurerei, sowie ihr Ursprung in eine ganz neue = 
= Beleuchtung gerückt, wobei den Verfasser ein reiches historisches und philosophi* E 
E sches Wissen unterstützt. 

SllHlIlllIIllilllllllllHIIlIlIlllllllllllIIlIlIlIIIlIllllllIlIIIllllIlllllllliiiiniiiiiiiiijiiuiiiiiijjiiiiiijiiiiiiijimjujl 





Inhalt des zweiten Heftes. 


Dr. HANNS SACHS <Wien): Schillers Geisterseher. 

LEO KAPLAN (Zürich): Der tragische Held und der Verbrecher. 


Nachdruck verboten. 


itBireiiaHHiiiKiaii 


1a 


WIENER GRAPHISCHES KABINETT 

HUGO HELLER, WIEN I., BAUERNMARKT NR. 3 


Zur Subskription ist gestellt: 


SIGMUND FREUD. 

Porträtradierung von MAX POLLAK. 

Plattengröße 4772:4772 cm, Papiergröße 85:63 cm. 

Es werden insgesamt nur 50 Exemplare von der Kupferplatte gezogen, und zwar 
Nr. 1—25 auf kaiserlich Japan, Nr. 26—50 auf van Geldern-Bütten. 

Jedes Blatt ist vom Künstler handschriftlich signiert und numeriert. 

Der Subskriptionspreis beträgt für die Abzüge auf kais. Japan 100 K = 85 M. 
für die Abzüge auf van GeldernJBütten 60 K = 50 M. 

Ein ausgezeichnetes Porträt und hervorragendes Kunstwerk, das auch losgelöst 
vom gegenständlichen Interesse besteht und fesselt, bietet hier der treffliche Wiener Ra¬ 
dierer den Sammlern und Kunstfreunden. Die Aufgabe des künstlerischen Porträtisten, 
den geistigen Gehalt einer Persönlichkeit auszuschöpfen und sichtbar zu machen, ist in 
diesem Kunstblatte nahezu restlos gelöst. 


BUCHDRUCKEREI CARL FROMME, GES. M. B. H. IN WIEN