AGO
ZEITSCHRIFT FÜR ANWENDUNG
DER. PSYCHOANALYSE AUF DIE
GEISTESWISSENSCHAFTEN
HERAUSGEGEBEN VON
PROF. DE S1GM. FREUD
REDIGIERT VON
DE OTTO RANK U. DE HANNS SACHS
IV. JAHRGANG / 1915
HEFT 2
1915
HUGO HELLER &.QS.
LEIPZIG u.WlEN-(-BAUERNMARKTS
D IE UNREGELMÄSSIGKEITEN IM ERSCHEINEN UND IM UM»
FANGE DIESER ZEITSCHRIFT, WELCHE UNS DURCH DIE
KRIEGSLAGE AUFERLEGT SIND, WOLLEN DIE P. T, ABONNEN¬
TEN FREUNDLICHST ENTSCHULDIGEN. DAS VERSÄUMTE WIRD
NACH WIEDERKEHR NORMALER ZUSTÄNDE NACHGEHOLT
WERDEN.
Für die REDAKTION bestimmte Zuschriften und Sendungen wollen an
Dr. HANNS SACHS, Wien XIX,, Pyrkergasse 1, adressiert werden.
»IMAGO« erscheint SECHSMAL jährlich im Gesamtumfang von
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ÄRZTLICHE PSyCHOANALySB« zum ermäßigten Gesamtjahres¬
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direkt vom Verlage zu beziehen.
Copyright 1915. HUGO HELLER ® CIE., Wien I., Bauernmarkt 3.
IMAGO
ZEITSCHRIFT FÜR ANWENDUNG DER
ANALYSE AUF DIE GEISTESWISSENSCHAF I EN
HERAUSGEGEBEN VON PROF. DR. SIGM. FREUD
SCHRIFTLEITUNG: lOI^C
IV. 2 . DR. OTTO RANK / DR. HANNS SACHS EH £
Schillers Geisterseher.
Von .Dr. HANNS SACHS, Wien.
Das Fragment, in welAem Schiller zu seinem einzigen Versuch
einer grSere^ nicht im Boden der Historie, sondern n der e.genen
Phantasie wurzelnden Prosa^Erzählung ausho te, is .
Entstehungsweise und seine Komposition ebenso merkwürdig, wie
durA dr e ilfnahme, die es gefunden hat Den^Zeitgenossen. sdnen
kaum ein anderes Produkt seines poetisAen Schaffens gleich anzizhen
und beaAtenswert. Der Beifall des großen 1Publikums war ;o leb*
haft, daß der DiAter die Fortsetzung des Romans als s ‘here Ue -
quelle und als Grundlage für die Beliebtheit der »Rheinischen Thalia ,
? n der die VeröffentliAung begonnen hatte betraAten konnte. auA
ernste Kritiker, Literaten und Philosophen, bei denen weder »Kabale
und Liebe« noch »Fiesco« oder »Die Räuber« Beifall gefunden hatten,
belobten das Werk aufs höAste und ermunterten den Autor zur
Fortführung. Als siA dieser der ihm verhaßt gewordenen Arbeit
endgiltig weigerte, fand siA eine ganze Anzahl von SAriftstellern,
die den angefangenen Bau nah eigenem Gutdünken zu vollenden
suAten. Eine dieser Fortsetzungen, von dem preußisAen HofgeriAts*
rat Follenius herstammend, hat ein StüA von der Beliebtheit des
Originals auf sich herüberzuziehen gewußt, wie die wiederholten
Aurlagen bezeugen. So treffliA hatte es SAiller verstanden, sein
Werk auf die stärksten Interessen im Geistesleben seiner Zeitgenossen
aufzubauen und ihre Phantasie bis zur mitsAöpferisAen i atigkeit
anzuregen.
Das Urteil der Literarhistoriker, die in SAiller niAt mehr den
problematisAen Himmelstürmer, sondern den unantastbar gewordenen
»Klassiker« sehen, ist sonderbarerweise viel kälter und ablehnender
ausgefallen. Sie haben alle für den »Geisterseher« wenig übrig, be¬
trachten ihn nur im Vorbeigehen und ziemliA von oben herab.
Offener Tadel weAselt mit kühlem Lob,- die Lust, das Werk bis
ins kleinste Detail zu ergründen, seinem Aufbau und den UrsaAen
INTERNATIONAL
PSYCHOANALYTIC
UNIVERSITY
DIE PSYCHOANALYTISCHE HOCHSCHULE IN BERLIN
Dr. Hanns Sachs
seiner ästhetischen Wirkung nachzuforsdien, die den deutschen Literar*
on er sonst auch vor dem ärmlichsten Produkt, wenn es einen
nkfu: am* wT tr ^ t ' n ‘ c ^ t zu verlassen pflegt, war hier fast gar
Bei genauerer Prüfung und immer weiteren Zurückgehen findet
Tf n i-?.”, der Q- Uc lle dieser Geringschätzung niemand anderen, als
n < ( ldl ter gelbst. In seinen Briefen, die den Mitlebenden natürlich
veis ossen blieben, aber seinen Biographen aufs genaueste bekannt
varen, e klagt er sich über die widerwärtige Arbeit, die er sich
i „ e und nun des leidigen Geldverdienens halber nidit
oswer könne, nennt das Werk ein »Gesdimier« und fragt sich
n -u ' WC c ” e « r Dämon '^ n zu diesem Plane veranlaßt habe. Trotzdem
bleibt es merkwürdig, daß das Urteil Schillers solchen Einfluß üben
A S t-" C | S - f 0( h ß is zum Sprichwörtlichen bekannt, daß jedem
j r ^ ^.gkeit zur richtigen Einsdiätzung seiner eigenen Pro*
wirSb e - W S D ine kritische Gabe im übrigen noch so stark ent*
w c ivf-T! 1 ^ e l S f )i f e ' * n denen große Dichter ihr schwächstes
hssrn c!rl C | S °| n , erer H eb / kedachten undes über alle anderen stellten.
Während W, Käufen Auch hat Schiller das Urteil, das er
korriviprt- Cl a IO uai j 11 fäl , lt 5' später wenigstens in einem Punkte
der cinzkrp 11 en .l e |c Philosophische Gespräch, das ihm damals
auseabe hpdT^r V a & .^ sta ndteil des Romans sdiien, in der Buch*
Werkes. U 60 3 kürzte zum unzweifelhaften Vorteil des
Berechtivuiie-^dur!h n ^ ^ es T »Geisterseher«, wenn sie sich auch ihre
sucht hat fWprp n - aS j des Dichters bestätigen zu lassen
es zu ordnen n ? runde - Di e Aufgabe der Literaturgeschichte ist
Übersichten m ° •• Z |a Sldlt en, Zusammenhänge herzustellen und
chung, über dip^ iT 8 ^wr-j 0 untc rliegt sie zuweilen der Versu*
hinweVzusehen 1 eil ? e P Widersprüche innerhalb der Persönlichkeit
selbst zu biefpn" 1 fl e,n ^ a ^ re Linien zu ziehen, als sie das Leben
und undurchsicht--^ fP-’k ^ as J m Schaffen und Erleben verworren
und, gutwillig odpr e \ en . mußte ' wird säuberlich auseinandergelegt
löblichen Onfnn ,n se ' ne Kategorien eingereiht. Bei diesem
das Wirken eine<P Sln 'ft eS J eider nur allzuleicht gesdiehen, daß
los und mechani Jp°^ en Menschen zum »Lehrstoff« erstarrt, geist*
wird die d ann d er nächsten überliefert
trockenes Katheder^P ei Fülle und des Reichtums des Genies ein
Menschenleben demonit^ 118 * \ ennen lernt. Es ist fast unmöglich ein
zu zerstören das H; "u' end 211 zei ’legen ohne das »geistige Band«
Einheit zusammenfaßt Q^ ero ^ ne " Teile zur unwidersprechlidisten
sondere hinein fröhM A T* den ( n ™ einzelne und be*
bracht und aufeinander^" 31 ^°fS ea rbeitet und Material herbeige*
seinen Leistu^e," |"ET™' fr die Gestak des Dichters mitsamt ,
dem besten \^ev zu diece S R^ aU f/ versd *windet. Goethe ist auf
eine vollständig/Goethe Au//" 12 Hj* auf Nimmerwiedersehen/
8 Ooet he-Ausgabe mit Hinweglassung der Werke —
Sdiillers Geisterseher.
71
die Schulübungen, Ministerialdekrete und Geschäftsbriefe sind ja so
unendlich wichtig zur »Kenntniss seiner Persönlichkeit«, — ist eigent¬
lich der letzte Schritt, der* noch zu machen ist. Schiller ist ihm
schon längst vorausgeschickt worden. Sein scheinbar viel weniger
kompliziertes Wesen und Wirken eignet sich auch viel besser zur
Erledigung durch einige Schlagworte. So wird uns auf der einen
Seite, bis zum Don Carlos, der glühende Geniejüngling gezeigt, in
Sturm und Drang, Überschäumen und Ungestüm, und von da an
unentwegt das andere Bild vorgehalten: Der Schüler Kants und
Freund Goethes, der »Idealist« und »Klassiker«. Nur gerade der
»Geisterseher« läßt sich in keines der beiden Schubfächer unterbringen,
denn neben starkem Realismus enthüllt er deutlich des Dichters neue,
philosophisch-idealistische Tendenzen. Auch der Entstehungszeit nach
ist sein Platz gerade an jenem Wendepunkt, wo Schillers Geistes¬
leben die große Knickung durchmacht, um von da ab in neuen Ge¬
leisen weiterzulaufen. Der erste Teil wurde während der Vollendungs¬
arbeit am Don Carlos verfaßt, die Fortsetzungen entstanden, als
sich Schiller von der Poesie mit Entschiedenheit abgekehrt hatte, um
sich ganz der Philosophie und Geschichte zu widmen, nur der Ge¬
dankenlyrik noch willig einen Platz einräumend,- der »Geisterseher«
war das einzige, ungern mitgeschleppte Überbleibsel früherer Be¬
schäftigung. Also ein Zwittergeschöpf aus einer Übergangsperiode
ließe sich rasch urteilen, eingehender ästhetischer Betrachtung kaum
würdig.
Der Psychologe wertet anders,- das Werk wird ihn eben des¬
halb zur Durchforschung reizen, weil bei seiner Abfassung in der
Seele des Dichters ein noch nicht völlig entschiedener Konflikt zu
Ende gekämpft wurde. Gerade hier, wo Kraft und Widerstand
noch nicht erstarrt sind und die neue Formel, in der beide ver¬
schmelzen sollen, sich erst vorbereitet, gerade hier darf man erwarten,
Spuren zu finden, die etwas von dem Geheimsten der an jenem
großen Umschwung beteiligten Motive erraten lassen. Für eine
solche Untersuchung wäre der »Geisterseher« auch dann ein will¬
kommenes Objekt, wenn ihm seine Entstehung in einer Zeit innerer
Unsicherheit den künstlerischen Gehalt gemindert hätte.
Wer sich über diesen Punkt trotzdem noch Sorgen macht,,
wird sie leicht zerstreuen, wenn er statt in die Urteile über das
Werk sidi in das Werk selbst vertieft. Es übt heute noch mit der
unvergänglichen Frische seiner Kunst- und Natur-Wahrheit den
gleichen Zauber aus, wie einst, führt die Leser unseres Jahrhunderts
mit ebenso sicherer Hand durch seine Welt von Seelenfängerei
und Verschwörungen, von grotesken Abenteuern und ungewöhn¬
lichen Gestalten wie jene ersten aus dem Zeitalter des Zopfes und
der Aufklärung. Es gibt nicht wenige solcher Meisterwerke Schillers,
deren Genuß manchem unter uns entfremdet wurde und doch so
leicht wiederzugewinnen ist. Es kommt nur darauf an, sich durch¬
zudrängen durch den Vorhof, in dem die Priester und Schriftge-
72
Dr. Hanns Sadis
liineinzuwapen 1 zl L nl Heiligtum versperrend, und sidi
iM-g^SKd ^rJT cIIc ü wo der K0,,s,l ' r
MitKunen i !> bcnSWÜr . < “s sci " e " Gast empfängt.
Urbilder so mancher ” T^ n ,?V r > m »Geisterseher« die lebensvollen
LaternjT m^gica 3 ^^!? un bemili<her Schattengestalten, die uns die
die glückliche Wahl 30 f d ‘ C ^and zu malen liebte. Schon
ist, daß auf ihm die -i R S ^bciuplatzes, der hinlänglich phantastisch
dies zu haben scheine U , ei 01 deutlichsten Vorgänge nichts Unmögli»
die lautlose Wunderstadt^ mf/ 1 ° S - C Na <bahmer crwe dct. Venedig,
Lagunen und Gäßdin/ A T seinen unentwirrbar verknäuelten
in das sich geheimnisvolle 1U S ( ^ Unte . y°lksgewühl am Markusplatz,
die im stillen reederen as j^ n mischen, die unsichtbaren Behörden,
allgemein beliebtfS Und nAlen, das alles wird von nun an der
regender* Aten.euer Auf Z * 12^ ^«tafter und auf,
von Figuren die von Schill . ,^ dlau P^ tz agiert eine Gruppe
halten haben in der d ' C i K, ei Y sam die endgiltige Gestalt er»
Werken sX tJTl^ 6 ei,,e ' bald die andere in den
Gaukler und halb Wunder ^ c jf mo . n ' s die Verführer, halb
sein Opfer wird die I : f i 1f . man, ( 1/ j^r Zweifler und Grübler, der
und Warner, das ganze P SCSta ( t der Geliebten, der treue Freund
zeugen herab ist vollständ^^ 00 j' bis zu den spitzbübischen Werk»
Ganze ist eine ^ ^woden. Über das
gebreitet, die aus unsichthJl r» Wunderbaren und Grauenhaften
schwindet, wenn audi Wvi' ^ e % n S es peist wird und nicht ver»
Ereignis des GeheLlvoTÄel'den“"' 1 Zwrfd
das auf die Roman tilTtiefpm • f a i enes andere Werk Schillers,
dramen wurde, daß »dip R r 1W f ^ Tur d das Hörbild ihrer Schidcsals»
aus demselben Stoffkreis ‘? u v °n Messina«, wie wir sehen werden,
verwendungsbereit in sich leivor §l n Sr den Sdiiller jahrzehntelang
klassizistische Form es nicht scheint, daß auch die streng
Richtung zu geben als dip r | VC V 11 5 d ' te ' der Wirkung eine andere
gezeichnete. 8 ' 3 ' S dle durA den gemeinsamen Ursprung vor»
völlige Ausbildung be unsei-fm a e£pn 0d ' dn anderes Bedürfnis, dessen
ehalten blieb. Da wir dem p 0 ' 2wanz <gsten Jahrhundert vor»
Ausbreitung und dem behaÄn ? emi l ts,eb en oder richtiger der
vie von der bisherigen Achtung ( llIsdlautra gen des Gemütslebens
agenden Verstand, die Planmfßi«! z .°£ en . haben, dagegen den ab»
are äußere Hindernisse beseif f ^ ei j ndt der scheinbar unbesiegt
feinste Gegenlist im eigenen Nr'? ^5 rden ' die List, die des Feindes
die ihn zu Boden zwingt ühp^ ^ ans , t '.. unc * die stahlharte Energie,
neue Literatur entstanden A;* 3 - j; S /“»ätzen, so ist unter uns eine
leben des Lesers wendet ' sn, A Sldl ^ 3St & ar ‘^dit an das Gefühls»
nationsgabe, kurz seine inrelU SCI !!? n Scharfsinn, seine Kombi»
bemüht ist. Das i d ;ktUeI,e "Kräfte in Spannung zu setzen
die sogenannte Detektiv=Literatur, die sich in
Schilfers Geisterseher
73
kurzer Zeit der Novelle, des Romanes und des Dramas mit
gleichem Erfolg bemächtigt hat. Keines dieser modernen Werke ist
so planvoll aufgebaut, so außerordentlich fein durchdacht und dabei
kühn und originell konstruiert, wie der »Geisterseher«. Das Gespräch
zwischen dem Prinzen und dem Grafen von O**, in dem der Prinz
das feingesponnene Gewebe des Armeniers Faden für Faden auf*
trennt, ist ein Muster für die Verwendung des analytischen Ver*
fahrens zur Erreichung ästhetischer Wirkungen. Aus der Folge*
riditigkeit und unbeirrbaren Sicherheit, mit der die Wahrheit durch
logisch notwendige Schlußfolgerungen aus einem Wust von Täuschung
und Betrug herausgeschält wird, eine Lustquelle zu gewinnen, das
ist trotz zahlloser ähnlicher Versuche nur einem einzigen im selben
Grade gelungen: dem großen amerikanischen Poeten Edgar Allan
Poe, der auf diese Technik eine eigene Gattung der Novelle gegründet
hat. Schiller und Poe sind nicht nur die Vorläufer, sondern auch die
völlig unerreicht gebliebenen Vorbilder der heutigen Detektiv-Literatur.
Das Wort schmerzt. Schiller als Bahnbrecher für Sherlodc Holmes,
das ist eine Zusammenstellung, die uns fremd und unheimlich an*
mutet. Aber wahre Größe erweist sich eben dadurch, daß sie sich
in jeder Umgebung durchsetzt. Auch mag die Erkenntnis nicht wert*
los sein, daß Schiller den hohen Stil nicht deshalb bevorzugen mußte,
weil ihm die Gaben niedrigeren Ranges mangelten,- wir dürfen den
Dichter des Teil dankbar willkommen heißen, auch wenn er nichts
anderes zu sein versucht als ein spannender und geistreicher Erzähler.
Es darf schließlich auch nicht unerwähnt bleiben, daß auch der
»Geisterseher« noch Qualitäten hat, die weit über den Reiz des
Stoffes und das Niveau bloßer Unterhaltungslektüre hinausgehen.
Die psychologische Gestaltung des Helden, sowohl in der direkten
Charakteristik der Einleitung wie durdi die Eigenart, die seine Figur
in der Handlung abbildet, konnte nur einem tiefgründigen Seelenkenner
und meisterhaften Erzähler gelingen. Auch unter den Nebenpersonen
ist keine, die zur bloßen Maschine der Verwicklung dient und nicht
wenigstens einige treffende und lebendige Züge aufweist, wie sie
z. B. in der Schilderung des Prinzen von *'*'d** zusammengefaßt
sind: »Ein vielversprechendes Äußere, beschäftigte Augen, eine
Miene voll Kunstverständigkeit, viel Prunk von Lektüre, viel erwor*
bene Natur {vergönnen Sie mir dieses W'ort) und eine fürstliche
Herablassung zu Menschengefühlen. . .«
Für unser historisches, memoirenliebendes Zeitalter hat die
leichte Patina, die über solche Wendungen, wie über das ganze
Werk gebreitet ist, noch einen besonderen Reiz. Das Fragment
besitzt vom Milieu und vom Geist der »guten, alten Zeit« gerade
soviel, um unserem vorübergleitenden Blick ein Stück Vergangen*
heit zu enthüllen und genug Jugend und ewige Gegenwart, um die
einmal erweckte Aufmerksamkeit dauernd zu fesseln.
Bei einer ausschließlich auf das Stoffliche gerichteten Analyse
lassen sich im »Geisterseher« leicht drei Grundelemente erkennen:
mystisdi=bpfnW c '] zu !i l Katholizismus bekehrte Thronanwärter, die
bleiben als Stofflr C 9 eister ^ a | nnerci und der Schauplatz, Venedig,
schaltet wird p° runc hagen übrig, wenn alles Motivische ausge»
der drei Flpmp lne . tU j Ze Untersuchung wird uns zeigen, daß Jedes
setzune »V<*rdvh* m def j^\j ^es Dichters nur durch Zusammen»
»überc&terr^nw? tUng<< de . S Materi . a,s entstand. Sie sind sämtlich
TraumP, Ai * <<r ^ anz eßens o w ' e die einzelnen Elemente eines
manifesten ) venn sie ^ iese r Bedingung entsprechen, in den
manifesten Inhalt aufgenommen werden können.
Tavesankniir? einesKunstwerks entspräche dann dem durch die
auch eI>pnsn P . U11 K ei1 ^ ere ‘ f S es te 11 ten Traummaterial. Er wird wohl
wertem p auf n , cwuß j. e ' n gesarmnelt wie jenes, wenn auch die Vcr»
Sende Wp re ' d,e .^ wu L ßte Auswahl nicht ganz so weit aus»
eber Reihet A° r S,dl geht> > «nsernn Falle haben sich zu
noch die dam die das eigene Erleben hinterließ,
zufüllen. passenden Lesefrüchte gesellt, um den Stolfkreis aus»
zum KathcSzismMQ em ^ S Thronanwärters aus protestantischem Hause
zwischen Volk und H Se *! le «^° £ en ' ^‘ e Religionsverschiedenheit
l>a " e SAiller , fr
Herzog Karl Eugen war KariTi-i Tyrann seiner Jugendjahre,
Karl Alexander diesen GlanKp ^' WC1 Sein Vater Ulld Vorgänger
Karl Alexanders hat ahpr rr •,// an g en °mmen hatte. Der Übertritt
Blick des Dichters auf dieseTv?i°1 mehr geleistet, als daß er den
dem Prinzen des »Geistere i a & e Jenkte/ eine weitere Ähnlichkeit mit
war mit Leib und Seele ' St vor handen. Karl Alexander
wunderer des Prinzen Eu 3 L) 6111 .^^ler u 'id leidenschaftlicher Be»
dort eine unwahrscheinlirl^^T <ae . 1 , Heere Österreichs diente und
25 Jahren Feldzeugmeister und*?« Kfe riere , madlte ~ cr war mit
Konfessionswechsel auf dpü r™ tTn Generalfeldmarschall. Ob sein
Heere oder auf seinen Eh™ • * n u .!\ ^ es Milieus im kaiserlichen
sucht bleiben. Keinesfalls « 2 ZU1 ückzuführen ist, kann ununter»
Intriguen notwendig. Ein H: are . n Z r* Erzielung dieses Zweckes
fanatische Priester und intrioa , eis t? au ^ solche Zettelungen, an denen
tc n, findet sich eher bpi A g n Jvi ^ raueu teilgenommen haben dürf»
Friedrich II, von Hesspn Bibertritt des nachmaligen Landgrafen
Ein Mystiker oder religiöserslw • grÖßte Au f sehen e , rregt ha ? e '
liebenden und versdiwpüd . e . 5dl T armcr wurde aus dem pracht»
Beispiel des Verkaufs dein«!d ^ c ?j irsten / der als erster das böse
falls nicht und so ist and* T- ^?^ ate n an England setzte, jeden*
Anknüpfung geeebpn 1 R • i . er ^ aum mehr als eine oberflächliche
- v__j gegeben , Erg.eb.ger wird die Ausbeute, wenn wir
Schillers Geisterseher
75
um mehr als ein Jahrhundert zurückgreifen, auf einen Prinzen aus
dem Hause Braunschweig, der in jener Zeit, wo die konfessionellen
Gegensätze aufs äußerste zugespitzt waren, den Glauben, in dem
er erzogen war, verließ. Es war dies Johann Friedrich, der spätere
Herzog von Braunschweig»Lüneburg. Hier finden wir vor allem den
Schauplatz wieder, die Bekehrung geschah auf einer Italienreise und
der Prinz nahm einen langen Aufenthalt in Venedig. Auch die
Einwirkung des Wunderbaren und Übersinnlichen fehlt nidit, wenn
es auch nicht im Geschmadce des nächsten Jahrhunderts philosophisch»
freimaurerisch aufgeputzt war: der Prinz war in Assissi Zeuge eines
Hostienwunders, das den größten Eindruck bei ihm (unterließ. Schließ»
lieh finden wir an seiner Seite eine etwas problematische Persönlichkeit,
einen Grafen Rantzau, der selbst vom Protestantismus zur römischen
Kirche übergetreten war und seine Bekehrung mit dem ganzen
Eifer des Konvertiten förderte. Auch etwas von den widerrechtlichen
Mitteln zur Thronbesteigung kehrt in der Geschichte des Braun»
Schweigers wieder. Er entriß, teils durch Intrigen, teils durch
Gewalt seinem älteren Bruder das bessere Stück der Erbschaft, ihm das
minderwertigere überlassend. Durch Intervention benachbarter Fürsten
kam ein Ausgleich zustande, bei dem Johann Friedrich einen Teil
seines Raubes behaupten konnte. Hier sind also für eine Reihe
von wichtigen Zügen des Romanes die unverkennbaren Vorbilder
gegeben: die Italienreise, der Aufenthalt in Venedig, das Bekehrungs»
wunder, bei dem ein Kind der Aufklärungszeit leicht an einen
raffinierten Betrug denken konnte, der geheimnisvolle Gewissens»
berater und die gegen Erbrecht und Verwandtenliebe sich empörende
Herrschsucht.
Wir dürfen natürlich nicht erwarten, an einem solchen Vorbild
alle Züge wiederzufinden, wie dies Hanstein in seiner sonst ebenso
verdienstvollen wie fesselnden Arbeit 1 tut. Selbst wenn wir von dem
vorausgesetzten »Verdichtungsprozeß« absehen, dürfen wir nicht ver»
gessen, daß Schiller es gewiß vermeiden wollte, ein für die Zeit»
genossen erkennbares, historisch getreues Porträt zu geben und des»
halb absichtlich Details, wie die Teilnahme an der Schlacht von
Hastenbeck, die aus einem anderen Zusammenhang stammen, hinzu»
fügt. Wenn Hanstein aber bei jedem in Frage kommenden Urbild
die Frage stellt, ob der Prinz auch wirklich der dritte seines Hauses
gewesen sei, wie jener im »Geisterseher« und aus diesem Umstand
ein wichtiges Erkennungszeichen machen will, so befindet er sich
offenbar auf einem Irrweg. Denn gerade darin war der Dichter
gewiß auf kein Vorbild angewiesen, ja er durfte gar keinem folgen,
weil die von ihm gewollte Motivverknüpfung ihm keine Wahl mehr
frei ließ. Der Prinz durfte nicht allzunahe am Throne stehen, weil
sonst die Wahrscheinlichkeit der natürlichen Erbfolge das Verbrechen
1 Dr. Adalbert von Hanstein, »Wie entstand Schillers Geisterseher«.
Forschungen zur neueren Literaturgeschichte, Bd. XXII.
76
Dr. Hanns Sadis
e f f w lg mac ^ t lattc ' und nicht zu entfernt, so daß der frevel*
0 e a if UnS " a ä.. d r Krone in ihm entzündet werden konnte und
rfnY?- Hau . fun * von Verbrechen Aussicht auf Befriedigung
_ f / u IC - w I ‘ d,f 'S ste Person, die zwischen ihm und dem Throne
unrl A °a r Cin ™nzutun a hsdieidet, das ist ja die Voraussetzung
i ; j C T i* 1 a .”£ der P° m 3nhandlung, Er durfte durch diesen plötz*
Nt/ 1 0 | ntdl * solort auf den Thron oder in seine unmittelbare
... l' C an gj 11 . ~ sonst wäre alles weitere weggefallen — aber
srhpn *p n y*Üi/ d * e ^. crrsdia ft durch einen kühnen und verbrechen®
cwiJShD • erreid ^ a , r war ' und so mußte er notwendigerweise
der dritte Prinz seines Hauses sein.
friihoJ T,? al V 1,id ? es , Verhältnis — ein persönlicher Eindruck aus
_ j,- p ^ en / Verlagert von einer späteren literarischen Anregung
Daß dpi- 1 Auswahl des Schauplatzes annehmen.
Thronbest^r^r'ri: Prin i Z d0rt läll sere Zeit lebte, ehe er zur
wesen sein. 8 Äer * als* SAin^”" dafur r kai ' m ausschlaggebend ge*
katholischen Karl Euren S £ Cr . seinen Landesherrn — eben jenen
hängnisvollen Einfluß 8 .Jt Cf spa , t , cr au ^ scin Sdiicksal einen so ver*
als jener ~ z “™ erstenmal sah, war es
hielt. Hier sah der |Ä i udtke hrend seinen pomphaften Einzug
ganze sklavenhafte Unterwüd^Y 8 * Yi" 8 ? nzen Prunk und auch die
zehnten Jahrhunderts um „ a i ' skci j' die . einen Landesherrn des acht*
da an Venedig mit dem i Und , seine Vorstellung mochte von
Die literarische Anregung Y •• a S 2 fürstlicher Pradit verbinden.
Mai 1786 in einer auS dc "> im
einer noch ungedruckten R„c t ’5 ts chrift erschienenen »Auszug aus
„ , SAIIIersIntce^e ““^ e,bu "? ™" Venedig«.
Katholizismus ist mit dem »rY neimnisvollen Organisation des
zeitigen »Don Carlos« ist f“ Sterscher « nicht erschöpft. Im gleich*
Allwissenheit und Alfmadit n( J u,SIt '°n mit derselben unsichtbaren
deren Emissäre der Armpn. tatte 6 wie jene geheime Gesell *
In »Maria Stuart« ist es eine loY'Y'Yt'Y a un< Biondello sind.
im Protestantismus erzogenen Mo?!' SAe Vcr r sdl wörung, welche den
zeug des Fürstenmordes 8 madit ^geradeY VCrführt u " d zum Werk*
mit dem Prinzen geschieht Audi | a CS ° Wl . e , es lm »Geisterseher«
liegende Kindheitseindrücke’ vermuten p A „ nodl Weiterzurück*
von der mütterlichen Seite einT Yhoü G /,° ßmutrer des Dichters
kam aus katholischem HaSeYnd S Y Y?" 2 von Störadlhof '
dem Enkelkind etwas von der Pracht Yl ««möglich, daß sie
auf ein phantasievolfelil^t 'ÄÄ t
als A Gefahr Pr uld Vefph 6 ' mitgeteiIt c hat ' °aß alle diese Pracht nur
als Uetahr und Veifuhrung zur Spradie gebracht werden konnte,
aufde^Karlssdinh» 8 ? rotestaa ^chen Hause selbstverständlich. Später,
sich dpm er • fi t ' ßatte Schiller einen katholischen Mitschüler, der
S**” rt^en Stand zu wid len beschloß. Von hier muß er
einen starken Eindrudc empfangen haben, denn er beschloß manches
Schillers Geisterseher
77
Jahr später, in Bauerbach, den Titelhelden eines geplanten Trauer*
Spieles »Friedrich Imhof« nach ihm zu benennen. Dieses unausge*
führte Werk hatte in seiner Anlage zweifellos innige Verwandtschaft
mit dem »Geisterseher«, denn Schiller forderte von seinem Freund
Reinwald als vortrefflich in seinen Plan passend Bücher »über Jesu*
iten und Religionsveränderungen, über den Bigottismus und seltene
Verderbnisse des Charakters, über Inquisition, Geschichte der Ba*
stille und unglückliche Opfer des Spiels«. Nahezu alle hier aufge*
zählten Ingredienzen sind in den »Geisterseher« aufgenommen worden,
nur die Erwähnung der Bastille beweist, daß Schiller damals einen
anderen Schauplatz in Gedanken trug. Den Plan, das ungeheuere
Paris mit seinem vielgestaltigem Gewimmel in den Maschen eines
Stoffes einzufangen, hat der Dichter lange gehegt. Ein »Polizeistoff«
sollte ihm Gelegenheit geben, zu schildern, wie die Polgen eines
geheimnisvollen Verbrechens sich durch die verchiedensten Gesell*
schaftsschichten hindurch fühlbar machen. Im Mittelpunkt sollte die
Pariser Polizei als unsichtbare und allwissende Macht stehen,- ihr
war also dieselbe Rolle zugedacht, wie den Fadenziehern in dem
Komplott, das den Prinzen umstellt, und der Inquisition im »Don
Mit diesem »Polizeistoff« hat sich Schiller dann noch in viel
späteren, reiferen Jahren eingehend befaßt,- von dem unübersehbaren
Detail, das eine Großstadt bietet, geschreckt, floh er ein zweitesmal
aus Paris nach Italien. Die Motive vereinfachten sich unter seinei
Hand, die nur mehr das edelste Material zu formen gewohnt war,
und so entstand die »Braut von Messina«, deren Mittelpunkt ein
Verbrechen, der Mord des älteren Bruders durch den jüngeren, ge*
blieben ist. Das Geheimnisvolle, ja Detektivhafte des Stoffes ist nicht
ganz verloren gegangen,- nicht die Freveltat selbst, die vor aller
Augen geschieht, aber die verwickelte Vorgeschichte wird Schritt für
Schritt, nach dem analytischen Verfahren, für dessen Verwendung
im Drama der »König Ödipus« das Vorbild geliefert hat, aufgedeckt.
Audi die unentrinnbare, in ewiges Geheimnis gehüllte Allmacht ist in
die neue Form übergegangen, aber nicht mehr als Attribut einer
menschlichen Organisation, auch nicht eines Orakels, wie im »Ödipus« —
dies verwirft Schiller als der modernen Auffassung ungemäß, — sondern
als allwaltendes Schicksal, das sich aus dem Fluch des Ahnherrn
bis zum Erlöschen des Fürstenhauses entwidcelt. Dieser bei dem
Dichter schon längst vorgebildeten »Allmachts«*Idee ist also die
Entstehung des Schicksalsdramas zu danken. Hat der »Geisterseher«
als Ganzes eine gewisse innere Verwandtschaft mit der »Braut von
Messina«, SO geht die Übereinstimmung zwischen der eingeschobenen
Rahmenerzählung des Sizilianers und dem Drama sogar bis ins
Detail. Das Lokal ist schon beinahe dasselbe — hier Neapel, dort
Sizilien. Das Verbrechen wiederholt sich in beiden Fällen genau:
der jüngere Bruder ersticht de*' älteren und beidemale aus demselben
Motiv, weil er in ihm den glücklichen Nebenbuhler erblickt. Die
78
Dr. Hanns Sachs
I ,,^ n ? ^ v °n Madit imd Reichtum als Allein»Erbe spielt einmal
u l 01 ^/ emnial als Neben=Motiv hinein. Auch nebensächlidie Details
en wie er. so wird z. B. beim Raube Beatricens wie bei der
pin^ 10 ^ Un ^ er .°L 1 ' ll r°M der wabre Sachverhalt durdi den Anschein
. S . orsaren überfalls verdeckt. Anderseits leiten Fäden von dem
L CI1 i 1 ^Geisterseher« durch die Entstehungszeit und vieles andere
verbundenen »Don Carlos« zur »Braut.« Daß die Allmacht dort durdi
die Inquisition vertreten ist, wurde erwähnt. Aber der Ausgangs»
Kr/ 1 ^ I' Ä at 5 re " Tragödie, die I at, an die sidi das verderben»
ingen e dndtsal knüpft, ist nur eine Wiederholung des Wunsch»
zie es, aus dem sich die Handlung des »Don Carlos« entwickelt,
o *< e cs voa , r Königin in der Gartenszene dem Prinzen mit voller
Schonungslosigkeit vor Augen geführt wird:
»Audi ein Raub war's, wie wir alle wissen,
er des alten Fürsten ehlidies Gemahl
ln ein frevelnd Ehebett gerissen,
Denn sie war des Vaters Wahl.
Und der Ahnherr schüttete im Zorne
Grau ober F1 ü(fe schrecklichen Samen
Aut das sündige Ehebett aus
Greueltaten ohne Namen
Schwarze Verbrechen verbirgt dies Haus.«
und
U„<Ma„„ „ v „u cnden
Zu,etZ ' nod ' mk Mutter „d, vermähle,]”
Der Parallele zwischen der Rahmt>« o ^
seher« und der »Braut von Messina« mnß° ^^'dite im »Geister»
daß die Übereinstimmung zwischen dTeser 1 °*Jl'^ugefügt werden,
anderen Drama Schillers, seinem ersten norK • 1un 8 uad einem
weit geht, daß man jene fast eine NovellenVTYa S ‘ oßcr 1St/ } a so
ein anderes Milieu versetzten »Räuber« nennen % spos,tloader 1 . n
dort ein jüngerer Bruder, der seine Laster K; c 9i} nte - Hier wie
versteckend, erfolgreich gegen den Erstgeborenen^ I “Sen^heuchelei
liebevollen und schwachen Vater täuscht ihm die P K ? ns ( P iriert ' den
und bei dem Versuch, die von beiden BädernGefehte ^ We fö mmt
nur an dem hartnäckigen Widerstand der Braut scheitert Jj ei "j zu ^ hrcn '
liebt und sich von dem Betrüger voll Abschpn /' a ^ teren
mord wird wohl im »Geisterseher« ausgeführt
nur am Schluß versucht, in beiden w2 i ' <j
durch ein verabredetes Gaukelspiel die Anveb" ^ 5 OSe ^!
des Vermißten zu überzeugen und dabei 7r°T v ° n 1 em Tod
zusoieveln daß der T«t r . dabe ‘ der Braut des Bruders vor»
fehlen der Novelle nirht C 3U S1C v f 12 ‘ dll:et habe. Auch die Räuber
fehlen dei Novelle nicht ganz, wenn Jeronimo ihnen auch nicht wirklich,
Sdiiflers Geisterseher
79
sondern nur nach der Meinung seiner Familie, nicht als Oberhaupt,
sondern als Gefangener anheimfällt. Schließlich werden beide Handlungen
durch die Heimkehr des älteren Bruders gekrönt, der die Entlarvung
des Verbrechers herbeiführt,- in der Novelle kann er allerdings, um
dem Rahmen, in den sie gespannt ist, zu entsprechen, nur als Geist
wieder in den Kreis der Seinen treten.
So zieht sich also ein ganzes Gespinst von Fäden zwischen
dem »Geisterseher«, dem »Don Carlos«, der »Braut von Messina«
und den »Räubern« unterirdisch hin und her. Wir werden noch
manches nachzutragen haben, wenn wir uns der Motive und Stoff*
wähl von der psychologischen Seite her nähern, einstweilen müssen
wir zur Stoffgeschichte zurückkehren und unsere Aufmerksamkeit
dem Element, von dem das Werk seinen Namen hat, der Beziehung
zum Übersinnlichen und ihrer betrügerischen Ausnützung zuwenden.
Der aktuelle Anlaß liegt klar vor aller Augen: Kurz bevor Schiller
seinen Roman begonnen hatte, war der Skandal der Halsban dge*
schichte von einem Ende Europas zum andern erschollen und hatte
die Gemüter durch die Aufdeckung der inneren Fäulnis des fran*
zösischen Hofes in Aufregung gebracht. In die Halsbandgeschichte
war, diesmal vollkommen unschuldig, wie sich nachher herausstellte,
der Wundertäter Cagliostro verwickelt, der aus Sizilien stammend
wie der Betrüger im »Geisterseher« mit den Geheimnissen, die er
aus den ägyptischen Pyramiden geschöpft haben wollte, bald hier,
bald dort Jünger anlockte, Logen gründete und seine Taschen füllte.
Er verstand es, die leidenschaftliche Vorliebe des Aufklärungszeit*
alters für alles Wunderbare und Übernatürliche, soweit es nidit mit
den überwundenen Dogmen der offiziellen Kirche zusammenhing,
zu seinem Vorteil auszunützen. Vor seinem Zusammenbruch in
Paris hatte er unter anderem in Mitau in Kurland eine Gemeinde
um sich gesammelt, deren vornehmstes und wichtigstes Mitglied die
Schwester der Herzogin von Kurland, Elise von Recke war. Nach
der Abreise des Meisters war der Glauben an seine Wunderkraft
erheblich gesunken, die literarisch ehrgeizige Dame trat dem Kreis des
nüchternen, »Geistern und Geist« gleich abholden Nikolai nahe und
als sich Cagliostro zu seiner Verteidigung auf sie berief, erwiderte sie
ihm mit einem scharfen Absagebrief, der in der Zeitung Nikolais
im Mai 1786 erschien und den Wundertäter als gemeinen Betrüger
entlarvte- Diesem Schreiben folgte einige Zeit später eine Broschüre,
die Cagliostros betrügerische Manöver und Handwerkskniffe, be¬
sonders die von ihm in Mitau versuchte Geisterbannerei ins ein*
zelne schilderte. Dieses Büchlein kann Schiller für seinen Roman
nicht mehr benützt haben, da es später erschien, als das die Geister*
beschwörung enthaltende Kapitel. Da aber trotzdem einige auffällige
Übereinstimmungen sich vorfinden, läßt sich wohl annehmen, daß
Schiller von seinem Inhalt sdion früher Kenntnis hatte. Die mit
Zunge und Feder gleich gewandte Dame lebte damals in Deutsch*
land und verkehrte in zahlreichen literarischen Zirkeln, die sich mit
80
Dr. Hanns Sachs
denen Schillers eng berührten — späterhin trat sie dem besten Freunde
des Dichters, Körner, und seiner Schwägerin persönlich nahe. Bei
der großen Mitteilungsfreudigkeit jener Zeit läßt sich also wohl annehmen,
daß die Erzählungen der Frau von Reche über ihr Verhältnis zu
dem gerade damals im Brennpunkt des allgemeinen Interesses stehen*
den Betrüger zu den Ohren Schillers gelangten.
Auf jenen ersten Fehdebrief in der Zeitung Nikolais erfolgte
eine schüditerne Erwiderung, die, ohne Cagliostro in Schutz zu nehmen,
u ea ^ a , lI k en an ^ as Übernatürliche vorsichtig zu verteidigen suchte
und Schiller wohl interessieren konnte, da sie von einem Prinzen
aus dem Hause seines Landesvaters herstammte, dem dritten Sohne
des dritten Bruders des Herzogs, mit Namen Friedrich Heinrich
Eugen. Doch läßt sich kaum, wie Han stein es tut, diesem unbehoF
renen Schreiben ein entsdieidender Einfluß auf die Entstehung des
»Geistersehers« beimessen. Die deutschen Prinzen, die sich den Glauben
an das Wunderbare nicht so rasch nehmen lassen wollten, waren
damals nicht so dünn gesät, daß dieser besondere Aufmerksamkeit
erwecken können. Seine 1 hronbesteigung war recht unwahr*
scneinlich,. denn mochten auch die beiden älteren Brüder seines Vaters
morganatisch verheiratet sein, so standen außer diesen noch sein
z y ei ältere Brüder zwischen ihm und der Krone,- tat*
sachlich ist seine Sukzession nie ernstlich in Frage gekommen. Den
nut dem Glaubenswechsel verbundenenBedenken suchtHanstein durch
an eine PrJnz essin des Hauses, die mit einem öster*
reichischen Erzherzog vermählt wurde, eine Annäherung an die
Realität zu geben. Aber der Hof Josefs II., der Mittelpunkt der
urKlärung, war alles eher als ein günstiger Boden für jesuitische
ntugen und es ist kaum anzunehmen, daß diese Heirat in der
Ce 0 S - auc h nur die leisesten Besorgnisse erweckte.
rigens kommt neben Cagliostro noch ein zweiter ähnlicher
Wundertäter und Hochstapler in Frage. Der sogenannte Graf von
aint eimain, der als vertrauter Berater des Herrschers am Hofe
eines euts en Fürsten, des Landgrafen Karl von Hessen gelebt hatte,
ai e en in jenem Jahre, in dem der »Geisterseher« entstand, in
den Armen seines fürstlichen Freundes. Von ihm berichtet Casanova,
der ihn in Paris bei Frau von llrfe kennen lernte, daß er sich ganz
ebensolche Eigenschaften beilegte, wie der entlarvte Geisterbanner
em Armenier. I rotzdem er anscheinend im kräftigsten Mannesalter
stand, behauptete er, mehrere Jahrhunderte alt zu sein und aß nie
egen wart an eiei, weil er angeblich der Speisen nicht bedurfte.
verw^nrl?I e p • lesen aktueI l en Anregungen läßt sich wiederum eine
Ermnerung aus des Dichters eigener Jugendzeit nach weisen.
Phantastischer Wundermann und Mensch*
aul wtat W ' e S? g,,ostro u ” d der von Saint Gennain, wenn
dem Schillers Pate gewesen, von dem er nach
aZ fcS de M W to ', n nidlt nur Ted seines Namens, sondern
® ß lsp,eI und Forderung empfangen sollte. Es war dies Johann
Schillers Geisterseher
81
Friedrich Schiller, ein Vetter des Vaters des Dichters und mit diesem
trotz ihres höchst verschiedenen Charakters innig befreundet.
Schillers Vater war eine tief fromme und ernste, dabei auf das
Wirkliche gerichtete, im praktischen Leben wurzelnde Natur, sein
Vetter ein Phantast, der seine willkürlichen Erfindungen bei einer
Reihe von Fürsten und Herren an den Mann zu bringen suchte, ohne
sich durch die Aussiditslosigkeit und den Mißerfolg seiner abenteuere
liehen Pläne beirren zu lassen. Immerhin wurde er während derjugend^
jahre des Dichters vom Herzog Karl Eugen in geheimer Mission nach
England versendet, und wenn diese Gesandtschaft: auch wahrscheinlich
nur den häßlichen Zweck verfolgte, den Preis für die verkauften Landes--*
kinder hinaufzumarkten, so blieb sie doch immer von dem Schimmer
einer geheimnisvollen Beziehung zu den Mächtigen der Erde umkleidet.
Überdies war der Vetter ein eifriges Mitglied der mystischen Loge
der Rosenkreuzer und verschwieg wohl nicht, daß er und seine
verborgenen Brüder über Wunderkräfte zu gebieten meinten. So
mögen in der Phantasie des Knaben jene Züge angeregt worden sein,
die den Dichter befähigten, die Gestalt des Armeniers so eindrucksvoll
zu sdiildern. Ganz verschwand Johann Friedrich auch späterhin nicht
aus dem Gesichtsfeld seines Patenkindes. Noch von Bauerbach aus
rüstete er sich zu einer Begegnung mit dem aus England Zurüdcge^
kehrten und hoffte, vielleicht durch seine Vermittlung auf der englischen
Bühne zu erscheinen. Im Jahre 1784 schien dem Abenteurer das Glück
zu lachen, er erhielt in Mainz ein Buchdrucker^ und Verlags^Privi-*
legium, das er jedoch nicht zu seinem Vorteil zu benützen verstand.
Wenige Jahre später mußte er Schulden halber vom Schauplatz abtreten.
Schiller trug sich eine Zeitlang mit der Absicht, eine Geschichte
der merkwürdigen Verschwörungen und Rebellionen aus mittleren
und neuen Zeiten herauszugeben. Aus diesem Plane erwuchs schlie߬
lich seine Geschidite des Abfalles der Niederlande. Wie groß der Reiz
war, den derartige Geschehnisse auf ihn ausübten, beweist nidnt nur
der Vorsatz, sie aus der Weltgeschichte wie die Rosinen aus dem
Kuchen herauszusuchen, sondern auch die ganze Linie, auf der sich
sein dramatisches Schaffen bewegte. »In tyrannos« war das Motto
der »Räuber« und ihre Tendenz ganz allgemein die Auflehnung
gegen die herrschende Ordnung. »Fiesko« faßt die Idee konkreter
und enthält sowohl Verschwörung wie Rebellion gegen ein fürste
liches Haupt, ebenso »Don Carlos«, »Wallenstein« und »Maria
Stuart«, bis der ursprünglich rohe und gewaltsame Stoff nach so oft¬
maliger Filtrierung im »Wilhelm Teil« in höchster Läuterung wieder^
kehrt. In der Handlung des »Teil« treten Verschwörung, Rebellion,
ja sogar der Herrenmord ins Dasein, ohne die Gesetzestreue und
die sittliche Weltordnung zu verletzen. Der verbrecherische Vater-
und Fürstenmörder, der im letzten Akt als Episodenfigur einge^
führt wird, wirkt wie ein Revenant jener wild-trotzigen Helden der
ersten Zeit und kann als ein Repräsentant einer überwundenen Stufe
in Schillers dichterischem Schaffen gelten.
Imago iv/2
6
82
Dr. Hanns Sachs
j. m P'5f er ^ ru PPf s . te ^ t s ‘di eine zweite an die Seite, die unter
hrirpn ei || Cn j CS ^ 0t | vs der feindlichen Brüder steht. Hieher ge*
i . U r • , ganz die Räuber« und die »Braut von Messina«.
a j 3 a u , n 'ehe«, sowie »Jungfrau« ordnen sich der ersten Gruppe
m/iß tar 1 , Ieg j n be ' diesen Dramen die Zusammenhänge tiefer und
• . n eis durA fäie Untersuchung aufgededct werden, weshalb
»Goicf zu / iadlst abseits Jassen. Welcher Gruppe gehört nun der
pntliöl^k C .-| Cr \ ,? n • ^ ebab auch hier seine Doppelstcllung bei und
7 iir All C * 6 - ^ ot ' ve ' °bne daß, wie in den »Räubern«, das eine
j 11 SF mein verkümmert wäre: beide erscheinen vielmehr in
| ir i a R rs .. e l 1 , vollständigsten Ausprägung. Das Motiv der feind*
j P- eP e ] 1errsc ^b wie wir gesehen haben, die Rahmennovelle,
tlßcr U n im °j rd a Un / d | e , dahinzielende Verschwörung die Erzählung
7 , K P Cnn ' da i da ? V ^ rbr echen, durch das der Prinz den Thron
nach dV^^w? sudlt ' der Fürstenmord ist, danach kann wenigstens
p> • r n or ^ en ' die der Prinz nach dem Erhalt jenes beleidigenden
Aiifor ,y on j Seineni Gofe fallen läßt und seinem leidenschaftlichen
S|! ui erS < en ' P T r °P heti schen Worte des Armeniers kein
Clrlös T A nt 116 "' ^un rietet sich in dem gleichzeitigen Don
im Are wohn Do^'p'm- deS Thronanwärters, die sich allerdings nur
gepen die IcntV vH 11 'PP S his 2ur Mordabsicht steigert, nicht nur
die S beide in eT, S ldl !l i 0 nd , e c rn a ^ dl Segen die väterlidie Autorität,
scher« ist der p-'P derselben Person verkörpert sind. Im »Geister*
Elternlosen aea ein a / t , erer Verwandter des Prinzen, der dem
Teil zeiht dL-f Pt Cl W j e '? e Vaterstellung einnimmt. Auch der
geradezu dps V eizo &' , der den Ohm und Kaiser erschlagen hat,
kaum die tVy 3 ^ 0 ^«-, S ° brau <*ten wir in diesem Falle
Traurndentimo ' 3 lg j n f ai J S j ail .derem Material, insbesondere aus der
in reifster Fülle t dei ! M ärdl enforschung, die uns die Psychoanalyse
den Vatlr I r darreicht, um zu konstatieren, daß der Fürst hier
?vDishen ,p deU | ' W ° bei S^idizeitig der Sohn, ganz im Sinne des
Khr dl »Familienromans« zum Prinzen erhöht wird. Auffällig
Ersatz d des l V U f r £lneS: Wif wisscn ' daß der König so gerne zum
Se es S J l en ° mm " n wird / weil das Kind die Allmacht,
bei diesem^* niit^se' em | _ r s . tar ^ en u ( n d allgewaltigen Vater zuschrieb,
kreis vermissen j 1 j ai J s T 1 acbs ^ n über den engsten Familien*
Nun ist eerade die-sp^A tl eS ^ 3U ^ das Staatsoberhaupt überträgt.
ST.TÄ2ES tüeTtÄr ’ Do " ?4 S ‘/T hl
Zahlung dem geheimnisvollen Armenier 8 ^ Z ^ etei,t ' j n de T
inquisitor, vor dem sich schließlich ' m , Drama dem Groß*
die Menschen an seinem langen dnd! K ° mg be , u S en muß , ^ ed er
läßt und der von der AllwisSnl v unzerreißbaren Seile flattern
Allmacht — genug besitzt um ^ T^ em wic htigsten Attribut der
wisse »seit Jahren, was Sie seit K ° n ‘ g sagen zu können ' er
Wir hätten also hier w e S . onnenu ^gang«.
selben Werk nebeneinander dL i°‘i ZWei Vaterrepräsentanten im
anaer, Dergleichen nimmt uns nicht wunder.
Schillers Geisterseher
83
wenn die beiden Gestalten die zwiespältige Einstellung des Sohnes
wiedergeben und einem geliebten, gütigen, ein gehaßter und feind-
seliger Vater gegenübersteht, wie dem Geist im »Hamlet« der König-
Oheim. In unserem Falle aber ist der eine Ersatzmann des Vaters
wie der andere drohend, böse und gewaltig, so daß vom psycho-
logischen Gesichtspunkt aus keine Notwendigkeit zu einer solchen
Dublierung, die noch dazu in zwei Werken wiederholt wurde,
bestand.
Diese Eigentümlichkeit, die wohl geeignet erscheinen könnte,
uns an dem bestimmenden Einfluß infantiler Gefühlsereignisse für
die künstlerische Produktion zweifeln zu lassen, bildet den aller¬
schlagendsten Beweis hiefür. Sdullers Kindheit ist nämlich dadurch
ausgezeichnet, daß bei ihm jene typische Phantasiebegebenheit zur
Realität wurde, da zur Zeit der beginnenden geistigen Selbständig¬
keit an die Stelle des Vaters, dessen Gewalt zu verblassen begann,
der Landesfürst in Person als zweiter Vater trat. Schillers Vater,
der sich mit unendlicher Anstrengung aus den dunkelsten Anfängen
zu einer ehrenvollen Offiziers- und Beamtenlaufbahn emporge¬
schwungen hatte, war ein frommer und wohlmeinender, aber auch
ein ernster und strenger Mann und machte von der patriarchalischen
Gewalt, die zu jener Zeit den Eltern ihren Kindern gegenüber noch
ungeschmälert bestand, den vollen Gebrauch. Der Eindruck mußte
das Gemüt des dreizehnjährigen Knaben wohl tief berühren, als
diesem gebieterischen Vater sein Sohn, den er zum Geistlichen be¬
stimmt hatte, vom Herzog trotz seines Sträubens einfach weggenommen
und in die neugegründete militärische Anstaltgesteckt wurde. Es war wohl
kein anderer Schluß daraus zu ziehen, als daß der Herzog die Allge¬
walt, die einst das Kind dem Vater zugeschrieben hatte, tatsächlich be¬
sitze. Wirklich reichte die Gewalt jener Fürsten des achtzehnten Jahr¬
hunderts erheblich über die Grenzen hinaus, die wir heute mensch¬
licher Herrschaft einzuräumen gewohnt sind. Despötchen, deren Unter¬
tanen eine geringere Zahl betrugen als die der Arbeiter, die in einer
großen Fabrik heutzutage einem Direktor subordiniert sind, regierten
mit so schrankenloser Willkür, wie sie der Russenzar selber nicht
eine Woche lang ungefährdet ausüben könnte. Jener Karl Eugen
von Württemberg ist dafür eines der deutlichsten Beispiele. Während
der größte Teil seiner Untertanen hungerte, seine Beamten unbezahlt
blieben und die Soldaten für englische Kriegsdienste verschachert
wurden, führte er eine Hofhaltung, die an Pracht und Luxus der
von Versailles nicht viel nachstand und vergeudete die blutig er¬
preßten Einnahmen seines Landes auf die Dekorationen und Ge¬
schenke eines einzigen flüchtig vorüberrauschenden Festabends. Selbst
später, unter dem veredelnden und mildernden Einfluß einer wahr¬
haften und editen Liebe, nahm seine Willkür, an deren gutem Recht
ihm und seiner Umgebung nie zu zweifeln einfiel, keineswegs ab,
sie ging nur andere und weniger unmenschliche Wege. Statt der
Frauen und Töchter seiner Untertanen raubte er jetzt ihre Söhne,
6*
84
Dr. Hanns Sachs
um sie in seiner Anstalt zu seinen Geschöpfen zu erziehen. Wie
überhaupt die Realität in diesem Falle vollkommen das leistete, was
sonst die Phantasie erträumt, suchte sich der Fürst ganz bewußt bei
seinen Zöglingen an die Stelle des Vaters zu setzen. Er tituliert
sie niemals anders als seine »Söhne«, teilt Lohn und Strafe bei
seinen täglichen Besuchen persönlich aus, die letztere sogar manchmal
eigenhändig vollziehend, und gibt ihnen bei den Mahlzeiten die Br^
laubnis zuzugreifen. Die Eltern werden von ihnen fast vollständig
ferngehalten. Ferienaufenthalt im Vaterhause gibts überhaupt nicht,
nur unter argwöhnischer Aufsicht werden Besudle in der Aka¬
demie geduldet. »Urlaubsgesuche der Zöglinge wurden sogar bei
dringlichsten Familienanlässen, selbst in schweren Krankheits* und
1 odesfällen, rundweg abgeschlagen. Planmäßig sollten die Kinder
ihren Eltern entfremdet, die natürlichen Empfindlingen für die
ramilie unterdrückt werden. Des Herzogs ,Söhne' sollten die Eleven
sein und in ihm ihren Vater und Wohltäter verehren.« 1 So schreibt
Schiller selbst in einem Schulaufsatz, dem herrschenden Ton folgend:
»Dieser Fürst, durch welchen Gott seine Absicht mit mir erreichen
will, diesei Vater, welcher mich glücklich machen wird, ist und muß
mir viel schätzbarer als die Eltern sein, welche unmittelbar von
seiner Gnade abhängen.« Für die Auffassung von der Stellung des
Fürsten zu den Schülern ist es bezeichnend, daß es als die höchste
Belohnung für die adeligen Schüler galt, die Hand, für die bürget*
lenen, die Rockklappen des Herzogs küssen zu dürfen. Geisttötender
ziwang, der jede selbständige Regung im Keime ersticken sollte und
P r f ss Y r aus S ea rtete Disziplin beherrschten das Leben an
dei Militärakademie und verfolgten die Schüler von Morgen bis
end, von Abend bis Morgen. Als Reaktion auf dieses Sklaven*
dasein wird der wilde Freiheitsruf begreiflich, mit dem Sdüller sein
dramatisches Schaffen begann. Die Fesseln schnürten tief in seine
ee e und er haderte noch mit ihnen, als er sie schon lang abgestreift
atte. Der Herzog wiederum, der sich als Beglücker seiner Schüler
preisen ließ und sich auch selbst so erschien, zeigt gegen diesen seinen
f ur < UT L t . lgen Größe bestimmten »Sohn« eine eigentümlich schwank
een e ln ^ e un 8- und Ungunstbeweise folgten einander
so Utim^elbai-, cTaß wir das Vorliegen einer »Gefühlsambivalenz*
j Alf 1 ^ mi ! ssen - Am Abend vor der Entlassung der Schüler aus
vnädi^t adCm ^ Sah S t re ‘ Aer i wie der Herzog mit Schiller »auf das
fn dieser SMI Unter , hie den Arm auf dessen Stuhl lehnte und
erhielt Xr S ^ U A S Sehr .^ e mit ihm sprach«. Am nächsten Tag
liehen Vercnre^ us ® ezeid J nete im Widerspruch mit einem ausdrüdt-
verveben Stte A *! 1? HcfZOgS die schlechteste Stelle, die dieser zu
bePdem ühel£ ft^'^ntsmedikus ohne Offiziersrang, noch dazu
zwischen F^ Ä gten R 5 gim ? nt Au ^- Denselben jäTen Wechsel
zwischen Fr eundlichkeit und roher Bedrückung zeigte Karl Eugen
1 Karl Berger, Schiller, sein Leben und seine Werke, München 1912 p. 63/64.
Schillers Geisterseher
85
nach der Mannheimer Aufführung der »Räuber« und Schillers heim¬
licher Reise dorthin. Er sandte dem jungen Dichter ein Pferd aus
seinem Marstall, als er ihn zu sich nach Hohenheim kommen ließ,
empfing ihn dort freundlich und führte ihn in seinen Anlagen herum.
Dann kam ein plötzlicher Zornausbruch, der Delinquent mußte nach
Anhörung einer fürchterlichen Strafpredigt zu Fuß in die Stadt
zurückkehren und sich bei der Hauptwadie als Arrestant melden.
Von da an gewann die Feindseligkeit die Oberhand. Der rohe
Befehl des Herzogs, das Dichten künftighin zu unterlassen, zwang
Schiller zur Flucht. Durch diese Feindschaft und Verfolgung wurde
er während langer Jahre zum Flüchtigen und Heimatlosen, der unter
angenommenem Namen von Ort zu Ort irrte, ohne eine bleibende
Stätte zu finden, angewiesen auf die Gnade seiner Freunde, die ihn
beherbergten und seinen ewigen Geldnöten nach Kräften durch Dar¬
lehen und Bürgschaften abhalfen. Es war wohl die stärkste Probe
für die Reinheit und Festigkeit seines Charakters, daß er in dieser
Zeit weder in jene Überheblichkeit verfiel, die jedes Opfer als selbst¬
verständlich annimmt, weil sie es durch das eigene Genie und seine
Leistungen im vorhinein als bezahlt ansieht, noch in die Verbitterung
und Kleinmut des Bedürftigen, der sich durch ein fortwährendes
Empfangen herabgedrückt und abhängig gemacht fühlt. Aber die
Empörung gegen die Willkür des Tyrannen, die ihm erst die
schönsten Jugendjahre durch ihre Zwingherrschaft genommen hatte,
um ihn dann von Vaterherd und Vaterland zu vertreiben und
schutzlos der Fremde preiszugeben, kochte in ihm und verlieh seinen
Jugendwerken den gewaltigen, hinreißenden Schwung. Lange Jahre
später, als er auf dem Gipfel des Lebens stand, führte ihn der Zufall
wieder in die Nähe Karl Eugens, gerade als dieser die Augen für
immer schloß. Der Zorn war schon längst einer vollständigen Gleich¬
giltigkeit gewichen,- ganz beiläufig spricht er von der Todesnachricht,
doch kann er sich auch jetzt nicht entbrechen, den Herzog als den
»alten Herodes« zu bezeichnen — offenbar in Erinnerung an den
Mörder der unschuldigen Kindlein, dem der Heiland durch eine ge-
glückte Flucht entzogen wurde.
Der »Geisterseher« fällt auch in einen charakteristischen Wende¬
punkt der äußeren, durch die Flucht aus Schwaben bestimmten Ver¬
hältnisse Schillers. Den ersten Teil schrieb er in Dresden, wo der
viel Herumgeschlagene endlich ein stilles und sicheres Plätzchen ge=
funden hatte, aber noch immer als Schützling der Großmut seiner
Freunde. Die zweite Hälfte entstand, nachdem er erfolgreich den
ersten Schritt zur Selbständigkeit getan und sich zur Übersiedlung
nach Weimar entschlossen hatte.
Wenn in diesen Ausführungen den z wei V erkörperungen der »Vater-
Imago«, die sowohl im »Don Carlos« wie im »Geisterseher« auf-
treten, zwei Vaterbilder aus dem Leben Schillers entgegengehalten
werden, so ist dies nicht etwa so gemeint, als müßten die Figuren
des Dichters dem einen oder anderen Vorbild entsprechen. Das Un-
sammen sondern 16 md ! üdte Hdit zu psychologischen Porträts zu,
infantilen Assoziaf^' 1 S - <e 30 Faden der ihm eigentümlichen,
das sich darauf ar !-° n jT e,S J ft U f ^ ur das Moment der Zweiheit,
bezug auf die ;f5 ° ef ' , d ? ß der erste Vater einen wenigstens in
wertigen Nachfn/ 11 zu ^ S( | lne ^ ne Machtfülle und Feindseligkeit voll,
erha, f en M, ^att der üblichen bloßen Lehrer,
Ausdruck S ' ge,3ngt mit vollendeter Deutlichkeit zum
Restalt - S ' < ^ ve X I ! 1u J :e . n ' daß die vollbeleuchtete Fürsten,
heirnnisvollem n s ? a ! erei ! Eindrücken entspricht, während die in ge-
gerüstete Ficmr — ^ St r^ en £ e uad m ‘ t übernatürlicher Gewalt aus e
Icfiatten dr/v ^ ^ ro ^ nc I uisitor und der Armenier — dem
k?Ss S ,c s e r r ' il> r heirali4e Größe ' m,t - **■
typische Vaitratfrih ! In< ^ 'Ml wi ssenheit, wie wir annehmen dürfen,
Einstellung pppen * d U e, V S ° ^ 3t die Wiederkehr der infantilen
minder dmxhgfsetzt wie^ d" d -f modernen Detektivliteratur nicht
sehen Gebilden den IM fl ei \ ?» esten ur >d primitivsten literari-
Hohne^ Nid Carter u^ : Und nur daß ^ SHerfock
und Zauberer heißen mögen ’VoT j^ adlfo, S er T der Könige, Riesen
Wicklung hinzugefunden hat um a- C ^ Urne Io gischer Ent,
faßbar und ästhetisch genußreich zu ^ A [lwi ^ enheit psychologisch
tasiebildungen aber wie do • U 5 na d 1 en. Gerade solche Phan-
pflegen — das Umgebensein von^ • E ‘teraturprodukte zu enthalten
Verschwörung, die alle Schrift i e,n ®!l geheimnisvollen Macht, einer
Willen unterschiebt — kennen wir* -^f S ^P/ ers dauert und ihm ihren
deren Vorläufer der »Geistere J 11 r ß Fß aus den Detektivgeschichten,
genug als dem Hauptsymptom eineVn^' , wir begegnen ihnen oft
ist der allen Psychiatern als Kenntevt, ^ lste skrankheit. Nichts anderes
achtungs, und Verfolgungswahn« n TT^ aranoia geläufige »Beob,
daß der Kranke seinen Wahn in V’ >e \Y^?^ rsddcd liegt nur darin,
sich selbst an die Stelle des leid ^C* r klidikcit hineinpflanzt und
von allen Seiten belauscht se.W \Y/ J He d ? n setzt> Er wähnt sidl
zelner, öfter eine Verschwörung »d‘ p! , sadier ' manchmal ein Ein,
bewachen jeden seiner Schritte* &'u leimaurer « oder »die Jesuiten«,
deutet er als geheime 7eid CS ^ as um herum geschieht,
ständigen,- vergeblich wäre es"' siT Seine Fe "] de ver "
wissen ihn überall zu fmüer, ' / ? lhrer Macht zu entziehen, sie
werfen. Den Beweis für • Und uns *ditbares Netz über ihn zu
an, Werke isr.Te“ J Vergärung die gepn ihn
düngen zu entkräften Zahl!™ * f u . bringen und alle Einwen,
nisse, tausend kleine Anzeirh C urd)e deutende Dinge und Vorkomm,
gesetzt und mit bewunde Cn werd ~ n miteinander in Verbindung
flochten, das Zit SdlarFsin " ein System ver,
geführt, allen Angriffen tmt aß , er unerbittlicher Logik aus,
gehört zu den merkwfird; Die j C lo & isdie Fassade des Wahns
igsten und großartigsten Leistungen und
Schillers Geisterseher
87
wird erst verständlich, wenn man sidi zu der Annahme entschließt,
daß der Kranke einen großen Teil seiner von der Außenwelt ab»
gezogenen und dadurch frei gewordenen Libido»Besetzung als Motor
für sein Denkvermögen verwendet.
Wir finden in der Paranoia also beide Kennzeichen der De»
tektivgeschichten wieder, die allwissende Verschwörung als Inhalt und
den verschwenderischen Aufwand an strenger Logik als Technik. Es ist
nicht das erstemal, daß wir das Zusammentreffen eines pathologischen
Wahnes mit einem anderen, von der menschlichen Gemeinschaft wert»
gehaltenen Phantasieprodukt, wie hier mit einer modernen Literatur»
gattung, konstatieren konnten. Ist der Wahn doch nichts anderes als
die verzerrte Äußerung einer durch Disposition und Erleben ins
Abnorme gesteigerten Affektkonstellation, die auch in der Entwick»
lung des normalen Kulturmenschen einmal eine Rolle gespielt hat
und von ihm überwunden, aber nicht völlig ausgelöscht wurde. Wir
sind sämtlich ein wenig Paranoiker, so wie wir Zwangsneurotiker
und Hysterische sind, sobald wir uns von der Realität abwenden
und der Phantasie in die Arme werfen,- wir werden halb dazu,
wenn wir an einem Werk der Einbildungskraft, einem Kunstwerk,
schöpferisch oder mitschöpferisch»aufnehmend Anteil nehmen und
ganz, wenn wir träumen. Der »Geisterseher« und die Gattung, der
er als Vorbild diente, gibt uns also die Möglichkeit, unsere unter»
drüdcten paranoischen Züge an die Oberfläche treten zu lassen ohne
uns in die gefährliche Nähe des Wahnsinnes zu rücken.
Wir haben bisher wenig darauf geachtet, daß im paranoischen
Wahn oft nicht ein Einzelner der mächtige Verfolger ist, sondern
eine Mehrheit von Personen in geheimer Verbindung,- auch im »Geister»
seher« wirkt der Armenier nur als Beauftragter einer Verschwörung,
die der eigentliche Träger der Allmacht ist, wie die Inquisition im »Don
Carlos« und die Polizei in jenem Großstadtstoff. Das scheint zunächst
nicht gut zu der Annahme zu passen, daß jener Allgewaltige ein Abbild
desEindrudcs ist, den der Vater der Kindertage hinterließ. Wir müssen
uns aber erinnern, daß der Vater dem Kind keineswegs immer als
der einsame Gewaltherrscher ersdieint,- er steht in einem Bündnis
mit einer anderen Person, mit der er etwas Geheimnisvolles, der
Neugier des Kindes Entzogenes gemeinsam hat — mit der Mutter.
Kinderbeobachtungen und Neurosenanalysen haben bewiesen, daß
die Aufmerksamkeit des Kindes sich schon frühzeitig allen Tatsachen
zuwendet, durch die jener rätselhafte, in Nacht gehüllte Bund, den
die Eltern miteinander teilen und dem Kinde vorenthalten, auf»
geklärt werden kann. An Material zu solchen Schlüssen fehlt es
niemals ganz und die kindliche Phantasietätigkeit setzt das Erhaschte
auf ihre Weise zusammen. Da dies gewöhnlich die Deutung eines
gewalttätigen, grausamen Aktes zuläßt und der unentwickelten Sexual»
Organisation des Kindes gerade dieses Stück der Erkenntnis des
richtigen Sachverhaltes durch die eigene Triebrichtung vermittelt wird,
entsteht die von Freud beschriebene »sadistische Sexualtheorie« des
s?ebe!i S dem IC Gp^ inSte ^ Cln i ! lII Tf dle von der Erregung geweckte Angst
und UnSnSf' "T dC [ EItern de » Charakter des Grausamen
mit de",f in ‘‘ dlen ' de '-jerb°tenen und verruchten Lust, lauter Züge,
sie ihn in ,.j-f ?' 1 y C Phantasie den Geheimbund ausstattet, wenn
verschiin<>fp 1 < r^ < T n ./ a ? len sdieinbar erfindet, in Wirklichkeit aus der
tVDkt Vp% Kl " dhe ' tSe f nnerUnS . W ' eder 3,15 Lidlt fahrt. DieSe
alle Df>t-pkt ,rS 1 '^.^ n S s P^ an,:as 'e ist deshalb auch viel, viel älter als
haben ' e ^ ktlv ^ esdl,dl [e , i mitsamt dem »Geisterseher«. Ganze Völker
erößter 7äh S °f g f h , lgstc Anlaß bot, gebildet und mit
dieser Gel, h?k t - < ^ ra ? fe f ge , halten - Immer wieder werden die Orgien
ers? die G f he ' mbUn ii e J 5e t S ? ri w en und immer ist ihr Inhalt derselbe:
SLnke uA f Sch,edltliche Vermischung ohne Achtung der Inzest»
Wiederkoh 1 * an ° T ^. ie mar tervolle Ermordung kleiner Kinder. Die
aneetane P ^ Cnt < 1 Vln derangst, welche die dem schwächeren Teil
spricht sich inTf C 3t n lld i S rauenv °H auf sich herüberzieht,
IJbeltaten wm-d!™ ^ Un ^ t au ^ s Deutlichste aus. Jene beiden
Anhängern dpr i!fM, ° n o den cr ®f en Christen von den rechtgläubigen
Kirchenväter ersehn!^* 1 C ? at:sre i§' ori VOI 'geworfen und die frühesten
Ss Chr^tentutn^zu^Hemchafi eft f' d ^ Un ^ en d W"- A,s da ""
derselben Greuel bezichtigt td die Ketzer
tung gefordert und vollbracht sö nsl^n^^ da J auf ÄUSr0t ;
Montanisten, sowie der Stedinger imfef'V" Katharer U ?. d
Zauberer und Hexen, die derld auf dc o Spater waren es die
es viele tausendmal auf der »p!£t f . Sabbath begingen und
»schwarze Messe«, bei der pin K- >an k* bekennen mußten. Die
begangen wurde, war noch am I-f” r g f Sl flachtet und wüste Unzucht
denn die Marquise von Morn* , Ludwig XIV - Ilidlt vergessen,
König an sich zu fesseln. Von i P !'\r be 1 iente s j dl i^er, um den
Heinz Ewers, daß die wählt! C ea ; au doux in Haiti erzählt Hanns
Opfer eines Kindes ihren ,,n!£ untereinander und das
machen. Schließlich gehört die R l leute geübten Geheimkult aus-
giösen Vorschrift des Kindesmoüt aUp L U ” S Y on def angeblichen reli=
nur der Geschichte an, sondern jüdischen Osterfest nicht
Gläubigen und Opfer gefunden ,’ n . der Gegenwart ihre
in Träumen nicht selten vor und ) ! dl ^>p e I leim I , ünde kommen auch
mäßig eben jene infantilen GrundLc!! Ueutung er 8'l >t dann regeL
sind. Wi\l man dieses Traurnplem " ^ j 0n denen wir ausgegangen
Sinn, wie z. B. beim Nachth /c ent 2U den typischen rechnen, deren
läßt sich zu seiner Übersetzung SeeT daß f ” • a1lcmal 'Pt"' “
V “öÄ JonTJ
also nur eine abgeschwädifp IC .Tr^ eiSd !i WOI i Un ^ lm »Geisterseher« ist
paßte Wiederholung einer »Säkul ,ndlv,duellen Bedürfnissen ange-
Menschheit begleitet und d.V ku ! ar P* lantas >e«, die die Geschichte der
drücke der Kfa^h^L^'* ^esgleichen durch die Ein-^
Noch ein <\pu Hof f *• , un ^ bestimmt wird.
e lv ~Geschidnen eigentümlicher Zug ver*
Schillers Geisterseher
89
dient Hervorhebung, Im Gegensatz zur gesamten übrigen erzählen^
den Dichtung spielt bei ihnen die Liebe nur eine geringfügige Rolle.
Sie behandeln den Kampf von List gegen List, Mann gegen Mann,
die Frauengestalten, die als Siegespreis oder bei der Intrige MiN
spielende Vorkommen, könnten ebensogut fehlen, ohne daß die
Handlung ihren Zusammenhalt, die Erzählung ihren Reiz verlieren
würde. So vermißt man denn auch in dem in Dresden festgelegten
ersten Teil des »Geisterseher«, in welchem die Umstrickung des
Prinzen durch Gespensterspuk und seine Selbstbefreiung durch die
Waffen des Verstandes mit vollendeter Konsequenz geschildert wird,
das weibliche Element und die erotischen Motive ganz und gar nicht.
Wenn im zweiten Teil die »Griechin« und mit ihr die Leidenschaft,
die sie dem Prinzen einflößt, in die Handlung tritt, so wirkt diese
Wendung zunächst überraschend, beinahe verblüffend. Die Ausmalung
des Gefühlsüberschwanges, dem sich der Prinz überläßt, steht in
merkbarem Widerspruch mit den scharfsinnigen und stahlhart be^
rechneten Kombinationen der bisherigen Verwicklung. Man fühlt,
daß hier irgendwo das Geheimnis der Unlösbarkeit dieser künst^
lerischen Aufgabe verborgen liegt, das den sonst so willensstarken
und beharrlichen Dichter zwang, das begonnene und schon ver^
öffentlichte Werk als Torso liegen zu lassen.
Die Beschränkung auf ein Geschlecht und die in der Literatur
ungewöhnliche Vernachlässigung des Interesses an der Frauenliebe,
die den ersten Teil und die zu seiner Art gehörenden späteren
Werke auszeichnete, sind eine weitere Übereinstimmung mit der
Paranoia, in deren Verursachung nach den Forschungsergebnissen
Freuds die libidinöse Fixierung an das eigene Geschlecht eine be^
deutsame Rolle spielt. Es ist auch ohne Zuhilfenahme dieser, durch
die Vollständigkeit einer solchen Parallele hübsch belegten Grunde
anschauung sehr deutlich, welches Stück des Seelenlebens Schillers
sich im ersten Teil dargestellt hat, nämlich die Eigenart seiner
Bindung an die freundlidien und feindlichen Männergestalten, die
der Reihe nach in sein Leben traten. Der erste dieser Reihe war,
wie es Regel ist, der eigene Vater und jeder Nachfolgende mußte
etwas von seinem Bild an sich tragen. Bei einem Dichter findet diese
Urgestalt ihre Fortsetzer auf zwei verfolgbaren Linien, in der
Phantasie und in der Realität,- auf beiden Wegen kommt sowohl die
Liebes- wie die Haßeinstellung wieder zu Wort. So bildeten sich
in Schillers dichterischem Schaffen die zwei Hauptmotive, denen er immer
wieder nachging: Empörung gegen Tyrannenmacht und Bruderzwist,
neben die dann hie und da die rein zärtliche Ausprägung tritt in
der Konzeption von Gestalten wie Andrea Doria und Attings
hausen, und der brüderlichen Freundschaft zwischen Carlos und
Posa, Moros und seinem Bürgen, Julius und Raphael. Auch in der
Realität finden wir den verfolgenden Tyrannen, den Herzog Karl
Eugen, und daneben den brüderlichen Freund, der die Rolle des
Vaters, als Erhalter und Versorger auf sich genommen hat. Der
Dr. Hanns Sachs
reinste ertieter dafür war Körner, als dessen Schützling und zeit'
wei iger ausgenosse Schiller die erste Hälfte des Romanes verfaßte.
Pf S !l •• sc hrieb, war der eben selbständig Gewordene mit dem
rlan beschäftigt, eine Frau heimzuführen und eine Familie zu gründen.
j <° is1 £ e f/ n ^t in der ursprünglichen Anlage des Werkes,
j°o j. alle balle in dem Lebensgang des Dichters gut begründet,
a in diesem Teil des Werkes eine Frau in die Männerwelt des
omanes ineintritt,- ihre Gestalt, in der die Liebesbereitschaft Schillers
?f Um .. us drucK gelangt, verdient eine eingehende Untersuchung. Da
i r tätiges Eingreifen in die Handlung nur am Schluß mit einigen
eüen erwähnt wird, lassen sich an ihrem Charakter nur allgemeine
uge, römmigkeit und Seelengiöße, feststeifen, und auch die Schil*
erung 1 rer Eischeinung läßt eine fast überirdische Schönheit, aber
r eine esondere Eigenart erkennen. Ungewöhnlicher Art und scharf
Umrissen sind nur ihre Lebensumstände, die, fast so wie der Stoff
££ mennoveile aus den »Räubern«, aus einem anderen Jugend*
pin MlzAA? U a i ® ^ er öbergenommen zu sein scheinen. Sie ist
der HeimaT ohn^R' ^ stammun g/ das gezwungen wird, fern von
führen. In der Fr e ? < ^ ut f e f ^' n dunkles und bedrücktes Dasein zu
die Geliebte W ,J[ d S |S' von den edelsten Motiven geleitet,
seiner Ränke spinnenden S ' C ver ® udlt Tf f"
zuzuleiten denen ihr r 4 mge kung zu entreißen und den Idealen
von ihren' Schicksalen sagt ^ ^n^lf DaS ‘ St , alleS ' was der Roman
ebensogut auf die j nd j Utet ' Ullc * es P a ßt ausnahmslos
tiefer LgÄrte Ffc„t dic f‘ EiliA & reicher und
nicht auf die Griechin^ «k • 1 andere Züge mitbekommen hat, die
Geschehnisse am Schluß C !|^ eg ä n S en sind. Der Zusammenhang der
aber die starke Hervr.i4,„i eS ^°P lan f s läßt sich zwar nur erraten,
Frömmigkeit, sowie das G-ft 1 ^ de ? katholischen Glaubens und der
andere Lösung zu alc A- * 'j 3 « , m s ‘ e st *rbt, lassen wohl keine
schworenen ihre reino j . . der Armenier und seine Mitver»
sie den Prinzen zum Aj‘^„ lnmg f .Gläubigkeit benützen und durch
muß, weil sie daJl k 1 y e [leiten wollen und daß sie sterben
ginnt und den Geliebten 4 iensA ® Geheimnis zu durchschauen be-
der Präsident und die HnT?” konnte/ , 8 anz ebenso mißbrauchen
ihre selbstsüchtigen 7\ 4 ^J'que^ an deren Spitze er steht, für
Abscheu vo7E, Edelsinn der Lady, die sid, m >
Das Motiv läßt sich Ar- n\ 4 . nad \ dem s ^ e die Wahrheit erfahren hat.
zuschreiben da esfn JZ D,dlter bier mit um so größerer Gewißheit
seher« folgenden Produkt" Werk nadl der langen, dem »ödste*'
wo die GräfinT«3^Sk*P US ?i im Gallenstein« wiederkehrt,
seine Liebe zu ^ ld> A , be müht, den Max Piccolomini durch
daß sich der reine SinnT ^!. ZU verführen und daran scheitert,
zeug und auflehn,, als Werk-
Für A\o ru \i-fr vc ; ratcs 2U dienen,
ist nun ihrerseits die der Griechin als Vorbild diente,
eiseits wieder eine andere Gestalt Modell gestanden,
Schillers Geisterseher
91
diesmal allerdings keine einem Drama oder Roman entnommene,
sondern eine der Wirklichkeit angehörende Person, die dem heran=
wachsenden Knaben fast täglich gegenüberstand: Franziska von Hohen^
heim, die Maitresse en dtre des Herzogs Karl Eugen. Ein edles und
liebevolles Gemüt, wie die Lady des Trauerspieles, war sie mit
besserem Erfolge bemüht, den Fürsten seinem wüsten und ver=
schwenderischen Leben zu entreißen. Unter ihrem Einfluß verschwan=
den die ärgsten Wiilkürlichkeiten und Mißbräuche, der Herzog be=
gann sich für das Wohl seiner Untergebenen zu interessieren und,
wenn auch in seiner despotischen und gewalttätigen Weise, dafür tätig
zu sein. Die »Karlsschule« war eine der Folgen jener geänderten
Sinnesart und bei seinen täglichen Besuchen wurde der Herzog oft
von der Gräfin Hohenheim begleitet, die als einzige Frau dort
Zutritt fand. Von der alten Aussaugung und Unterdrückung blieb
immerhin genug zurück, um der zarten und gütigen Frau schwere
Stunden zu bereiten, so daß die Verhältnisse von den in »Kabale und
Liebe« geschilderten nicht allzuweit ablagen. Zu einer solchen dra=
matischen Steigerung wie dem Abschied der Lady hat es das Leben
freilich nie gebracht.
Man darf es wohl als selbstverständliche Gewißheit hinstellen,
daß für die heranwachsenden Jünglinge, die in der Karlsschule ab¬
geschnitten von jedem weiblichen Verkehr, selbst mit ihren Familien^
angehörigen, ihre Entwicklungsjahre durchlebten, diese Frau der
Brennpunkt wurde, in dem sich ihr ganzes erwachendes Liebesbe^
dürfnis sammelte. Mehr als für seine Mitschüler mußte das für den
Dichter gelten, der schon in so zarten Jahren einer Leidenschaftlich^
keit fähig war, wie sie sich in den »Räubern« offenbart. Zum
Tyrannenhaß gesellte sich so die Eifersucht auf den Besitzer der
begehrten Frau, wenn nicht vielmehr die Eifersucht, oder eine noch
ältere, der sie nachgebildet war, zu den tiefsten Wurzeln dieses
Hasses gehörte. Die Gattin des Herzogs — das war Franziska von
Hohenheim in jeder Hinsicht, und wurde sie auch nach dem Tod der
ersten Gemahlin — und ältere, gütige, die Strenge des Gemahls
lindernde Frau war dazu geschaffen, im Gefühlsleben des Knaben
die Stelle der Mutter einzunehmen, wenn auch nicht ganz in dem
Sinne, in dem der Herzog den Vater ersetzte. Dieser übernahm,
wie wir gesehen haben, selbst die Vaterrolle und bemühte sich, den
ersten, natürlichen Vater ganz zu verdrängen, so daß durch sein
Eingreifen eine ganz ungewöhnliche seelische Konstellation entstand.
Daß der Mutter eine Nachfolgerin gegeben wurde, das geschah
durchaus in der gewohnten Weise, das heißt, ganz einseitig von
seiten des Sohnes. Die realen Verhältnisse zeigten nur das übliche Maß
von Entgegenkommen zur Ermöglichung der Identifizierung, im übrigen
blieb der ganze Vorgang innerlich, auf das unbewußte Seelenleben
beschränkt. Man kann daher wohl behaupten, Schiller habe einen
zweiten Vater gehabt, da der Herzog die ihm zugefaltene Rolle
übernahm und aktiv durchführte/ hingegen nahm die Ablösung von
stand da ß der Knabe einen Gegen»
in wesentlirhp 7- lcbke, fsbeclürfnis zu finden sudite, der dem ersten
ZZr ^lt l war ' bis er von Ersatz zu Ersatz
obiekt des Inn ?- m ^ rbl J d sicb entfernend bei dem geeigneten Liebes»
Bild dieser n g ./ ngs , an Da Liebe nie untergeht, bleibt jedes
dichtertch/n l A . der Erinner ( u "S hinreichend teuer/um bei der
Rechte mir P f°l Uttl ) ° n , aus dem Unbewußten hervor seine alten
Kernte mit Erfolg geltend zu machen.
Begriff sich 0 ,n t / ie c W S rdi ! e ^? ekdote 2 ^igt uns den Knaben im
vernahm t r C r Stdle des Herzogs zu versetzen. Der Fürst
von ihnen dpr ^ cx'-n m ' t > den Zöglingen scherzend, daß einer
nadizuahmpn p Unge . Schiller, sich ausgezeichnet darauf verstehe, ihn
ihn nachdem p r wünschte eine Probe zu sehen und Schiller begann
Ton zu examim - S * S< r! en J^ t0 ^ aus £ c beten hatte, in seinem eigenen
Imitator an- »p^p P 3 d , ei Uerzog übel bestand, schrie ihn sein
beim Arm und macbP'lU^’* nabm die dabei stehende Franziska
Herzog ihm ganz vpriPt^"^^ ?*5 eib S st davonzuführen, so daß der
Wenn ^wi erdut2t nachrief: »Laß er mir die Franzei!« 1
uns hindert, eine solche^ ) lcbe ?' das Vorurteil aufzugeben, das
als Spiel angesehene P n - C , cnsadl ‘die, von den Beteiligten selbst
Stelle die eSZ r st zu «l>"Kn, und an seien
eines leidensdtaftidien der^r cs -l ür unterdrückten Affekte
ein kostbarer Moment spin ren % sten f-ucht unterworfenen Knaben
und endlich einmal wenn , 'V u te ' a ^ s er seine Saturnalien feiern
er zu gehorchen gewohnt "ä "T^nd, Herr sein durfte, wo
Vorganges interessant und aufschl Wir d uns ,cdes Detail des
einzige Gelegenheit sogleich dat, sein - °aß der Knabe diese
Begleiterin von der Seite z.. 3 r U aenut2t e, um dem Herzog seine
hält dann den CharakterMneP« Cn , U ? d . S, ' C 3,1 siA zu *ehe", er "
Wunsch erfüllt wurde der Tl sy ™ bolls d»en Handlung, mit der ein
verlangte. Das Vergnügen Vergcblidl nach Befriedigung
selbst abkanzeln zu dürfen • an ' den stren gen Erzieher einmal
sich mit ihm zu identil; ' ‘ St ,a .^kennbar, aber der Wunsch,
Voraussetzung der enn eren ' sP r, dit noch weit deutlicher aus der
wickelten ImitationsfälXl/ ^rv eis ^ c ^ te ' a us der liebevoll ent-
unter Sch^S?^3^^ä>?^ N ^ ldlah,MU, « deS LchrerS ' t
druck des starken Interesses an % ZUm gl i oßcn Teil d< T, AuS "
treten aus dem engsten KV 0 S T n< T Person, die nadr dem Hinaus»
ersten Respektsperson Ao c \T des Vaterhauses an die Stelle der
Der typis.be Saum X/S' in , viel « Hinsicht getreten ist.
enge, freundsdtallidte Beziehute "d- '"t 8 ' ih " mit I km H ] ' K - ”
Schritt weiter indem Qi« u . un .S/ die Imitation geht noch einen
Auth die VerspoTun? }• “ d i e Perso » *• Lehrers hineinversetzt,
ist, gilt dem Lehrer ;,5’ c ■ c ^ erart 'gen Nathahmungen enthalten
-li __ ” m sclner Eigensthalt als Nadtfolger des Vaters,
Karl Berger, Schiller, sein Leben und seine Werke. I. Bd.
Schillers Geisterseher
93
dessen geheiligte Person nicht direkt von einer solchen Herabsetzung
getroffen werden darf. Die psychologische Entstehung der Karikatur,
erst mittels Geste und Maske, dann durch das Zerrbild, knüpft an
diese Voraussetzungen an. . , , , ,
Wir haben hinter dem bei Schiller so häufig wiederkehrenden
Motiv der Auflehnung und Empörung die alte Feindseligkeit gegen
den Vater gesucht. Wir wollen noch eine Stelle aus »Maria Stuart«
nachtragen, die hieher zu gehören scheint:
Maria:
Was? Euer Oheim, euer zweiter Vater?
Mortimer:
Von meinen Händen stirbt er. Ich ermord' ihn.
Die Ersetzung des Oheims durch den Vater, die wir für den
»Geisterseher« vermutet haben, wird hier, wie in jener schon zitierten
Stelle des »Teil«, deutlich ausgesprochen. Das Motiv des Mordes
ist die Errettung der Geliebten, einer nicht mehr jugendlichen, fast
schon verblühten Frau durch einen schwärmerischen Jüngling. Da
der zu beseitigende Wächter der Vater ist, so haben wir einen recht
durchsichtigen Fall der typischen »Mutter®Rettungs®Phantasie« vor
uns. Das erotische Begehren als treibende Kraft wird in der Gestalt
des sinnlichen Gewaltmenschen Mortimer aufs höchste anschaulich
gemacht. In abgeschwächter Form finden wir dieselbe Situation im
»Teil« wieder, wo Rudenz durch den Wunsch, seine eingekerkerte
Bertha zu befreien, zum Anschluß an die Verschwörung und zu
offener Gewalttat getrieben wird. Auch die Befreiung einer anderen
Bertha aus dem Gefängnis, nämlich in »Fiesko«, reizt ihren Liebhaber
Burgognino zum Tyrannenmord auf und hier ist der Ermordete
sogar direkt als sexueller Rivale geschildert, der auf seine Macht
trotzt und sich der rohen Gewalt bedient. Am deutlichsten ist die
Ursache des Vaterhasses im »Don Carlos« ausgesprochen, wo die
Liebe zur Mutter in den Vordergrund tritt.
In dem gleichzeitig entstandenen »Geisterseher« ist es wieder
in den Schatten gerückt,- Herrschsucht und Rachgier treiben den
Prinzen zum Verbrechen. Aber neben dem Fürsten steht als zweiter
Vaterrepräsentant der Armenier und diesen sehen wir kurz vor dem
Abbredien des Romanes in geheimnisvolle Beziehungen zur Geliebten
des Prinzen verwickelt, denen, wie die Erzählung Civitellas andeutet,
das erotische Moment nicht fehlt. Haben wir früher vermutet, daß
die Aufnahme dieser weiblichen Figur daran mitschuldig war, daß
Schiller das Werk unvollendet ließ, so sehen wir jetzt die Umrisse
jener Gewalten, die hemmend in das Räderwerk seiner Produktion
eingriffen, schon etwas schärfer. Wir müssen uns aber nicht nur auf
die innere Verwandtschaft mit dem »Don Carlos« berufen, denn
der »Geisterseher« enthält, wie wir wissen, auch das zweite Lieb®
lingsmotiv Schillers, die Rivalität der Brüder in der Erzählung des
94
Dr, Hanns Sachs
Sizilianers. Wie die Auflehnung gegen den Vater im »Don Carlos«,
j° S l n < ie redlichen Brüder in der »Braut von Messina« am
deutlichsten und klarsten gestaltet. Daß die Eifersucht der Brüder
aU , 10 ^ahtät bei derselben Geliebten beruht, ist zwar im »Geister^
se ei« und in den »Räubern« auch geschildert, aber in der »Braut«
kommt ein wichtiger, neuer Zug hinzu: Die von beiden Brüdern
- * 4 . tC lSt . ' , S^wester. Eine eingehende Untersuchung des
ar enmotivs der rivalisierenden Brüder 1 , die dieses Motiv von
em Grimmschen Märchen durch das ägyptische Brudermärchen und
en Osiris-Mythos hindurch bis zu seiner psydiologischen Grund*
orm erforschte, hat ergeben, daß der ältere und jüngere Bruder
eigent i i Vater und Sohn sind. In der späten Ausprägung im
eutsdien Märchen werden zur Verwisdiung dieses Ursprungs die
luder zu Zwillingen gemacht. Der unbewußte Affekt aber, der diese
lza ung von Mexiko bis Ägypten in gleichmäßig wiederkehrenden
ormen entstehen ließ, ist die Eifersucht des Sohnes auf den Vater,
Gegenstand nur die Mutter sein kann. Was wir aus der
ar en lteratuf durch mühsame Vergleichung und weitwendige
w/nii 6 C V/ CfaUSS i ä e V llüssen ' das verf ät uns der Dichter mit
wähl d n ieTr 0 get n rofen n hS Sar SCiner Mutter VOn der LiebeS *
»Gleihgi'tig war und nichts bedeutend mir
Uer brauen leer geschwätziges Geschledit
D e n 1* T' K «* ** »i*t- wie
__ 1 ^‘ e _ e,n Götterbild verehre.
Und dunkel mächtig wunderbar Ergriff
n I " nerst en midi ihre Nähe
Nicht ihres Lächelns holder Zauber war's
Selbst,rf auf / ler Wan S e schweben,
E Ja T ? r ° Ianz der göttlichen Gestalt -
Was mich .ff CS Und gebimstes Leben,
Was mich ergriff mit heiliger Gewalt.«
ausschließlich an ^ie^ r en , die Schwester auf den bisher
kann doch wohl nur di. xl f-xc SS . e ten Weiberverächter ausübt,
genau so wie der Prinr 1n f?. eit mit der Mutter sein. Ganz
Geliebte zuerst in der KirdL*j sterse her« sieht Don Cesar die
er sich, sie wiederzufinden- ^ 8302 ebenso wie dieser bemüht
AnÄ^ SU Ä idl restlos dich
An ! K ff fdlen utld Paläste Pforten,
Wol d? ? ffe ™l und verborgenen Orten
Hab' irb d' e xr 10112 Unschuld zeigen kann,
--- Hab ich das Netz der Späher ausgebreitet.«
Rank und Sachs. eutun g ^ er Psychoanalyse für die Geisteswissensdiaften« von
Schillers Geisterseher
95
Es ist die Ähnlichkeit mit der Mutter, die ihn an Don Manuel
rührt und zur Versöhnung bewegt,- aber auch bei diesem scheint
die Familienähnlichkeit unbewußt fesselnd mitgewirkt zu haben, als
er sich in Beatrice verliebte:
Don Cesar:
Ich seh' dich an, und überrascht, erstaunt
Find ich in dir der Mutter teure Züge.
Don Manuel:
Und eine Ähnlichkeit entdeckt' sich mir
In dir, die mich noch wunderbarer rührt.
Wir erfahren aber auch, daß schon von Anfang an die Eifers
sucht auf die Liebe der Mutter den Haß zwischen den Brüdern
schürte. — Wir hören zunächst, daß er aus frühester Kindheit
stammt:
»Doch eures Haders Ursprung steigt hinauf,
In unverständ'ger Kindheit frühe Zeit«
und dann später klagt Don Cesar mitten im namenlosen Schmerz
über seine Freveltat:
»Sie hat mich nie geliebt! Verraten endlich
hat sich ihr Herz, der Schmerz hat es geöffnet.
Sie nennt ihn ihren bessern Sohn.«
Ja, der Gedanke, daß die Mutter ihren ermordeten Sohn mehr
lieben müsse als den überlebenden, treibt ihn zum Selbstmord:
»Denkst du, daß ich den Vorzug tragen werde.
Den ihm dein Schmerz gegeben über mich?«
Das ist wohl mehr, wie die ruhige zärtliche Liebe des Sohnes
zur Mutter, das ist eine Leidenschaft, die ihre ungestüm fordernde
Gewalt von der Kindheit her noch bewahrt hat. Wir dürfen auch
nicht übersehen, daß es der jüngere Sohn ist, der die Mutter mit
solcher ausschließlicher Zärtlichkeit liebt und daß er den älteren er*
mordet. Dieses Altersverhältnis, das für das Märchen typisch ist,
kehrt beim Mordversuch des Franz Moor und bei der Bluttat des
Lorenzo im »Geisterseher« wieder. Bei Schiller also, wie im Märchen
stecken hinter den beiden Brüdern Vater und Sohn und die beiden
Hauptmotive seiner Dichtkunst, die im »Geisterseher« nebeneinander
auftreten, sind nach ihren psychoanalytischen Rückführungen nur zwei
typische Ausprägungen ein und desselben Urmotivs.
Fortsetzung folgt.)
96
Leo Kaplan
Der tragische Held und der Verbrecher.
Ein Beitrag zur Psychologie des Tragischen von LEO KAPLAN.
Das Schuldbewußtsein und die Strafe. - Orestes. — Marmeladow.—
Raskolnikow. — Brynhild. — Der Sündenbodt.
»Der Verbrecher ist häufig genug seiner
Tat nicht gewachsen: er verkleinert und
verleumdet sie.« Nietzsche. Jenseits von
Gut und Böse. Aphor. 109.
»Wer über einen Menschen das Urteil
spricht, hat es über sich gesprochen.«
Chassidischer Spruch.
Das Schuldbewußtsein und die Strafe.
I n einer früheren Arbeit: »Zur Psychologie des Tragischen« 1 habe
ich eine Parallele gezogen zwischen dem tragischen Helden und
en ! er Pr c * ier - Der Gedanke war dort folgendermaßen aus»
AH^mHnT > >C J er I tr !,? ,s t e , Held ver,et2t die durch den Willen der
sehe Held ul Cr Ind,v, ^ ua JP s yAe suggerierte Norm . . . Der tragi»
Leiden hedou?* 1 a l^ ^ Verbrecher betrachtet werden,- seine
U,den Meuten dann die Wiederherstellung der verletzte,, Horn,
Unwerturteils' über die^böse'^aTA“'^ ^ , • sozial ' cthis<t '?"
ll Ae Verbredrer der Repräsentant li,, r* l "’’ s< j kel,rt L st ' Ier wirk '
Unbewußten schlummert W,, I d ,Bo f ”; das licf in imscr f m
auf sich nehmen er'tn..ft , n" «SisAc Held muß er Le,de,
bewußtsein,. Die tragfebe 2 vf ^ C , rden: *»*>"*«? unser Rechts»
bewußtsein - das Go? 6 Vcrwirk,un S setzt somit das Schuld»
Ausgangspunkt unserer Unn^ 11 A, VO j aus ' Wir wollen nun als
und den Weg von hipr I • lsudllln £ das Schuldbewußtsein nehmen
DieTatsaATdes SAuld 2 b Um W*™ Abschluß verfolgen,
minalfällen ersichtlich: bdlU ' dbewußt seins ist z. B. aus folgenden Kri»
Marie M. vom Morde an^hrem^r spradlen * ^03 die Bergarbeitersgattin
schien die Freigesprochene beim e Htten Am Silvesfertage 1904 er»
die Last ihres bösen Gew;« aatSanW ‘] lt und erzählte ihm, daß sie
und deshalb eingestehe, ihren 0^° S a n l an £ er ertragen könne
[2] »Im Jahre 1850 hat zu Cn beseitigt zu haben.« ^
und seine Kinder umgebracht. Er Vahren ein Philipp S. sein Weib
Liebesbezeigungen machte, die Frhitto* S1Ca V^urch, daß er seiner Magd
Wut darüber tötete er sie des \r run S seiner Gattin zugezogen. Aus
Kinder erwachten, zu wehien u^ S T*. als durd &hrei die
anderen Morgen gi ne er t ti r U - ¥ lreicn anfingen, auch diese. Am
seine tVa" R£ “ S “*
1 Imago, Bd. I, H. 2.
* Ernst Lohsine r)ze o. , . r
fragen, Bd. III, H. 1—3) p 100 >. u n i? trafS o* €l1, <Jurist.-psydiiatr. Grenz»
' P ' UU u> 104 - Halle a. S„ 1905. Carl Marhold.
97
Der tragisAe Held und der Verbrecher
Sdion diese beiden Fälle zeugen von einem »inneren Richter«,
der den einzelnen zwingt, sich den sozialen Forderungen zu unter¬
werfen Auf den »inneren Richter« gründet sich auch der allgemein
verbreitete Glaube an die »Urteilsbrücke«. »Auf der Landreise ins
Totenreich treffen die Seelen oft auf einen Fluß oder einen Abgrund,
der überschritten werden muß. Einen Fährmann findet man da ge¬
wöhnlich nicht, dagegen eine Brücke, deren Beschreiten aber eine sehr
gefährliche Sache ist. Denn sie dient gewissermaßen als automatisches
Gericht . . . Die Sünder können die Brücke nicht passieren
und stürzen in den höllischen Abgrund hinunter, die Frommen
und Gerechten gelangen unversehrt hinüber ins Paradies.« 1 So
glauben die Bewohner der Insel Formosa, »daß die Toten einem
scheußlichen Abgrund über eine Brücke von Bambusstäben zu über¬
schreiten haben, die unter den Sündern einstürzt«. Ebenso verbindet
nadh mohammedanischen Schilderungen »die Brücke Al Sirat den
Himmel mit der Erde, geht aber mitten über die Hölle, ist schmäler
als ein Haar und schärfer als ein Rasiermesser. Der Tugendhafte
gleitet schnell und sicher über sie hinüber, der Sünder stürzt in das
Feuermeer, das unter ihm brennt«. »Die Tscheremissen glauben,
daß der unterirdische Richter die Toten über einen Kessel mit
siedendem Schwefel gehen läßt, die Tugendhaften gelangen glücklich
hinüber, die Sünder stürzen in den Kessel.« »In der Vision des
Apostel Paulus erscheint eine schmale, schlüpfrige Brücke über einem
stinkenden, von greulichen, teuflischen Ungeheuern bevölkerten Fluß,
von der die Sünder beim Passieren herabstürzen und je nach dem
Grade ihrer Verschuldung mehr oder weniger tief einsinken.« 2
Die »Urteilsbrüdce« — das »automatische Gericht« — ist nur
ein in Jenseits versetztes Instrument der »Tatbestanddiagnostik«: 3
1 Dr. Marcus Landau. Hölle und Fegefeuer im Volksglauben, Dichtung
und Kirchenlehre p. 56. Carl Winters Buchh. Heidelb. 1909.
2 ib. pp. 58, 59 und 61.
3 In der modernen Tatbestanddiagnostik werden dem Beschuldigten bestimmte
Worte zugerufen, auf die er mit der ersten ihm einfallenden Assoziation reagieren
muß. Die Art der Assoziation läßt darauf schließen, ob die Versuchsperson
Kenntnis von gewissen Umständen eines Verbrechens hat, die zu lange »Reak¬
tionszeit« kennzeichnet eine vorhandene Verheimlichungstendenz. Zu den primi¬
tivsten Formen der Tatbestanddiagnostik gehört das sogenannte Ordal (Gottes¬
urteil). So lautet z. B. eine isländische Regel: »Hast du jemand in Verdacht,
dich bestohlen zu haben, so schreibe diese Worte auf Käse oder Brot und lasse
es ihn essen: paxx maxx x vix ax x. Kann er es nicht verschlucken, so ist er
schuldig.« [Davitsson, Island. Zauberzeich. und Zauberbücher. Zeitschr. d. Ver. f.
Volkskunde. Bd. 13, p. 274]. Die Voraussetzung ist natürlich die Erwartung,
daß das Schuldbewußtsein beim Betreffenden die krankhafte Reaktion (das nicht
Verschluckenkönnen) hervorrufen wird. Dieser Zusammenhang ist besonders klar
ersichtlich in folgendem: »Eine Frau sagte zuweilen zu ihrem Sohne, wenn sie
meinte, daß er gelogen habe: ,Stecke deine Zunge einmal heraus 1 / War das
Gewissen nicht rein, so wagte der Junge natürlich nicht, die Zunge herauszustecken.
Durch jede Lüge entsteht nämlich nach dem Volksglauben eine Blase oder eine
Blatter an der Zunge.« [Mitgeteilt von H. Volksmann. Am Ur-Quell. Monatschr.
f. Volksk., her. v. Fr. S. Krauss, Bd. VI, p. 70.] —Auch die »lirteilsbrücke« gehört zu
diesen primitiven, nur ins Jenseits versetzten tatbestanddiagnostischen Instrumenten.
Imago 1V/2 7
98
Leo Kaplan
das Schuldbewußtsein begleitet den Menschen bis an die Pforte
des 1 otenreiches und muß sich dort auf das wirksame kriminaU
psychologische Reaktiv hin sofort äußern. Die Wirkung der »Urteils-
brüdce« ist nicht nur, daß der Schuldige — der Sünder — bloßge»
stellt wird,- vielmehr muß jetzt auch die Strafe folgen: der Sündige
kommt in die Hölle, wo er seinen wohlverdienten Lohn erhält.
Die Strafe ist die soziale Abwehraktion gegen die Sünde.
Verfolgen wir die Wirkung des Schuldbewußtseins weiter.
Aus Eschenburg in Schweden wird folgendes erzählt:
[3] Ein Mann bestritt vor Gericht, der Vater eines gewissen
indes zu sein, und zwar mit Unrecht. Er wollte das beschwören, da
teil der Richter Fenster und Türe öffnen, damit der Teufel ihn gleich holen
önnte, wenn er falsch schwöre. Er schwur dennoch. Er hatte einen
weiten Rückweg zu machen,- als es nun dunkel wurde, gesellte sich ein
grober schwarzer Hund mit feurigen Augen zu ihm. Die Zunge hing
dem Here lang aus dem Halse. Vergebens suchte der Mann sich seiner zu ent»
ledigen. Ais er mehrmals nach ihm schlug, wurde plötzlich ein großer
Kerl daraus, der ihm drohend gegenübertrat. In seiner großen Aridst
betete er nun, und die Erscheinung wich von ihm. Aber als er zu Hause
ankam fand er keine Ruhe, hatte keine frohe Stunde mehr und
siechte dahin, bis er eine Beute des Todes war 1 .
Mann hat falsch geschworen. Auf dem Heimwege treten
Gewissensbisse auf, die sich in der Gestalt des schwarzen Hundes
(des 1 eufels) und des drohenden Kerls verkörpern. Auf die »böse«
lat folgt die Abwehrreaktion: der Verbrecher verliert seine Ruhe
und wird am Ende eine Beute des Todes. Der drohende Kerl
ist nur eine Abspaltung des Ich des Verbrechers, eine Pro¬
jektion des »inneren Richters« nadi außen,
Denselben Sachverhalt finden wir auch dem folgenden Falle
zugrunde liegen:
[4] Unweit der Meckfenburg»StreIitzer Grenze beim Dorfe Menz
liegt am Wege ein Stein, in welchem eine Leiter und ein Besen ein»
gehauen ist. Auf dieser Stelle, noch heute der Totschlag genannt, soll
ein Schornsteinfegerlehrling aus Rheinsberg seinen Meister seines Geizes
wegen erschlagen haben. Der Mörder habe, so erzählt man, nach seiner
lat keine Ruhe gefunden und dieselbe im Groß=Woltcrsdorfer Pfarr-
hause eingestanden,, denn es sei ihm immer jemand gefolgt der
ihm fortwährenddasWort »Sag's« zugerufen habe. Prinz Hei mich
welcher damals in Rheinsberg wohnte, habe die Begnadigung des Mörders
erwirkt, dieser aber nichts davon wissen wollen, und so sei er denn in
Neu-Ruppin ningeriditet worden 2 .
Auch hier findet der Verbrecher nach seiner Tat keine Ruhe
mehr, das böse Gewissen <die Abwehrreaktion gegen das Verbrechen)
fuhrt ihn ins Pfarrhaus, wo er sein Geständnis ablegt. Der »innere
Richter« wi rd nach außen projiziert und erscheint dort als ein »Jemand«,
1 Am Ur-Quell. Bd. VI, p. 219.
2 Am Llr-Quell, I. Bd., p, 121.
Der tragische Held und der Verbrecher
99
der den Verbrecher unaufhörlich verfolgt. Noch krasser a f- • a
vorherigen Fall tritt hier die SelbsÄraC Idar z ±'"
Verheer verweigert die Annahme der Begtidigung umPgeh.t
um eÄtäÄÄ & - ko«'
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Erntezeit muhte iemand smrbS Da» VFV™™' ™
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dar neugepflügte Land „i, üUines
beachten™ ded? 5 di^'’ h'^ C 'i n 0 ^' ‘ bc “ r f A .‘ zu verstehen, müssen wir
Völker die Mutter darstel t ^So VorstelI ungen der
von der »Matj syra-HmLdTf* t“ ^ n ° A heutzutage
Flursegen lautit: Mutte^r ^ Ei " a, ‘ S ’
o'H^fSya^sches Rätsel fragt: »Wer SDaltete Hnl ^ e f nscllen -- .«»
Bauch?« Die Antwort lautet- »Adl «■ u auf Seiner Mutter
Das Ackerbauen weckt bei den Arak' T Mut j er war die Erde.« 1
ziemlich starken Inzestgefühle Die Ahwt ve ( rdrän g te n, aber noch
erlaubte sündhafte Verianeen’ äußert V b f^ hrreakt,0 , n gegen das un=
daß jemand zur EnÄta 1“? De" " dem Aberglauben,
(RM tfv e " proi ' zicrt " n d nimmt, wie im Falle (TT wird
<brcU>Damons an. Neu tritt hier der rSi *?] die Gestalt eines
Strafe von sich abwenden kann ind* ^ ke hmzu^ daß man die
das Opfertier einführt. ' d man einen Ersatz, nämlich
auf: etasehen in zweifacher Gestalt
sich als mehr oder minder starke Unruh es ^ ndlv iduums und äußert
das Gewissen als ein äußerlich A a. C Anderseits aber erscheint
^_die ÄÄSStÄtS
Mu f f eiu Ehepaar. E^wurd^späfer db^Tancfc f°h ein Bauer namens
Frau Winterlieb. Dennoch wolltf er Se^r t er ei " e W
sühnen. [Nach Zeitungsberichten.) a " gab ' durch den Tod seine Tat
Ärdi. f. Religionswiss., Bd Xn^^Tl VorSteIL in d - b ‘W- u. rabbin. Literatur.
Verl. Hirzei. ° | Handbudl der german. Mythol., p. 455. Leipzig 1895.
• v. Wislocki, Am Urteil, V. Bd„ p. 20.
7 *
100
Leo Kaplan
für den »Jemand« können nur die Eltern abgeben, die dem Kinde
gegenüber das Gewissen <die »Zensur«) repräsentieren. Auf jede
Untat des Kindes reagieren die Eltern mit dieser oder jener ab*
wehrenden Handlung, sie suchen das Kind zu ermahnen, von dem
»Bösen« abzuhalten. Die suggestive Macht dieser ersten kindlichen
Eindrücke schafft in unserer Seele den »inneren Richter«. Wenn wir
aber durch mangelndes sittliches Verhalten gewissermaßen auf die
infantile Entwicklungsstufe zurückfallen, so wird der »innere Richter«
nach außen projiziert, um nach alter Weise uns zu ermahnen.
Der Zusammenhang zwischen dem »inneren« und »äußeren«
Richter ist aus dem folgenden psychoanalytisch behandelten Falle be*
sonders klar ersichtlich. Ein Hysterischer 1 hatte oft eine Vision,
die er selbst in seinen <für den Autor gemachten) Aufzeichnungen
als »Drohungen« bezeidhnete:
[6] Hinten und links eine mit Gras bedeckte Wiese, rerfits dunkel
und schauerlich, vorne ein steinerner steiler Abhang und eine Grube. . •
Es nähert sich »Jemand, der Macht besitzt« und spri cht Vorwürfe
und Drohungen, insbesondere das Wort: »Schurke!« . . . [Die hallu*
zinierte Figur hat böse Augen],
Im Sommer 19.. lebte er mit Frau und Kind auf dem Gute
bei einem Freunde. Einmal abends ging er mit einem anderen
Freunde X. ins Feld aus. Die beiden waren etwas angeheitert,*
unter anderen Herzensergießungen sprachen sie auch darüber, wie
schwer das Leben sei. Er sprach von dem Schuldb.ewußtseni,
das er seiner Frau gegenüber habe (zu jener Zeit unterhielt
er ein Liebesverhältnis mit einer anderen). Sie sprachen noch vom
Selbstmord und der Furcht vor diesem. Schließlich kamen sic
an eine steinerne Grube: vorne lag ein steiler Abhang/
hinten eine Wiese etc.
• ^^ lIz kncrte Figur, welche die Drohungen ausspricht, ist
somit der Halluziant selber: »Jemand, der Macht besitzt«, stellt das
nach außen projizierte Schuldbewußtsein dar 2 . Wer sich aber noch
hinter diesem »Jemand« verbirgt, das erkennen wir leicht, wenn wir
noch eine Vision desselben Analysanden, die er ungefähr in der*
„ * Leo Kaplan. Grundz. d. Psychoanalyse, p. 218. Wien und Leipzig 19M-
rranz Deuticke.
2 Ursprünglich ist die Projektion ein Mittel des »Unbewußten«, um im
Kampfe gegen die »Verdrängung« sich zu behaupten. Eine Dementia praecox-KranRe
behauptet, daß das »Frauenzimmer« ihren Kindern befohlen habe, die Finger in
ihr »Sexualsystem« zu stecken. Auf die Frage, wie heißt das Frauenzimmer, folgt
die Antwort : »Sie hat meinen Namen X. angenommen.« <S. Spielrein, Über d.
psychol. Inhalt eines Falles von Schizophrenie, Jahrb. f. psychoanal. und psychopa 1 *
Forsch., Bd. III., p. 349.) Wir sehen also, daß mit Hilfe der Projektion ein »be¬
wußtseinsunfähiger« Komplex gegen den Widerstand der Verdrängungstendenzen
doch zu seinem Rechte kommt. Im Falle der Projektion, mit der wir im Texte zu
tun haben, geschieht etwas Ähnliches: die peinlichen Selbstvorwürfe sucht man
von sich zurüdcuzweisen, siedrängen sich aber in Gestalt der »Vcrfolgungsperson
dem Bewußtsein wieder auf.
Der tragische Held und der Verbrecher
101
selben Zeit wie die »Drohungen« hatte, in unsere Betrachtungen
hereinziehen. _^^ Ein Bi |j von Wrubel: Der »Dämon« liegt am Grunde
eines steinernen Abgrundes ... mit traurigen, bösen runden Augen.
»Jemand« der Ä
besitzt, «st also einw ic der »schwarze Pudel« in Goethes
< F —«> W Afs e Kind war der Analysand einmal krank, damals hatte
ef ^ [8] Vision: Der Vater als Teufel blickt durch die Türspalte
inS dTLoCX Gestalt mit den bösen runden, Augen
.l I m ._j derMacht besitzt«,nämlichderVater.
iSgeJäe“ fibe'n 2SÄ«Ä
'„'Gestalt des Richters auf, dessen UreÖs S p™*unsere bösen Titele
Orestes.
Die im vorigen entwidtelten Ansichten über das Schuldbewußt,
sein und Ts Rileram. wollen wir durch einige weitere Analysen
bekräftigen Wir fanden mit Aischilos Oiesteia an. j
kty?ailes,ra la, ihren Gatten Agamemnon ermorde und
sidi mit Aigistos vermählt. Diese Tat konnte nicht ungeracht bleiben.
Es rnußm - SO wurde prophezeit - ein junger Radier kommen,
»Ein Sproß, der seines Vaters Mord vergilt mit .Muttermot .
Der in der Verbannung lebende Orestes kommt n ^t se'nem Freunde
Pylades heimlich in die Heimat, um den Tod des Vaters zu rach-
Nachdem er Aigistos erschlagen hat, stürzt er sich auf die Mut .
Diese sucht ihn zu besänftigen.
Klytaimnestra: Halt ein, o Sohn, und scheue diese Brust
} An der du, Kind, so oft mit zarten Lippen
Die süße Muttermilch entschlummernd entsogst.
Was tu ich, Pilades? Verschon' ich sie.
Wo bleibt der Gott mit seinen Sprüchen dann.
Denk deiner Eide ... , f . ,,
Nur nicht die Götter jemals mach dir temd!
uiioiv... Du hast gesiegt und trefflich midi ermahnt .
Nach vollbrachter Tat wird Orestes wahnsinnig und läuft fort, von
den Rachegöttinnen, den Erinnyen, verfolgt.
1 Leo Kaplan, a. a. O. p. 266, 267.
2 Übersetzt von Hans v. Wolzogen <Reclams Universalbibliothek).
Orestes:
Pylades:
Orestes:
102
Leo Kaplan
starke^SAddbe^uß^sdn^unsL-^HeTden wT^ f ZeUgen / 0n dem
dieses Sdinldh„,v ß. . *? u T ns f les melden. Woher stammt denn aber
Indem er den Tod des Vaters rächt, er,
daß wo OresfH ^ Geb °i der .Götter! Es ist auch auffallend,
Anhänglichkeit imaier zwischen der Radiepfilicht und der kindlichen
im ganzen Verla” f 7 ^ utte /' s dt wankt, seine Schwester Elektra
Gefühl haf A L Lr r C 1 Handlung für die Mutter nur ein einziges
tat M t LÄ \ S ‘% SU<ht audl dem ° restes zu «Iner
tend daß di^ P^’ ÄU f dieS ^< Gegenüberstellung ist es einleuch,
Gatt™ nicht l E £ dro f eIun g f Klytaimnestras, der Mörderin ihres
Geronnen ist im Blut
ia-t Mord, und seines Trunkes voll
Nährt Amme Erde unversiegt die Radie.
Wer in der Ehe keusche Sitte brach.
Ihm blühet mehr kein Heil.
Tat fortf öleVkläru^glegt dTriJdaß'im Bld ^7 S {f e , sdner
der Mutter ein infantiler ffomolex- -d; B ‘ de d 5 r Mordtat an
Mutter zur Darstellung kommtG AntM?“ sf -X
von einem Kranken seiner Klinik der in il f 3 ‘ S 'i erzah, j
einen unwiderstehlichen Dran? fühlt!! . , JS J a I dlt erwachte und
Axt zu erschlagen Nach VoII^T” al ] es Mütterchen mit der
ein Gefühl de^r Erleichterung Jl '“?* dieSer , Tat hatte er
später 1 . Um solche Erscheinnmv i Gewissensbisse kamen erst
daß den Kindern, insb^onder?d ZU , begreifen ' muß man beaditen,
Tieren der geschlechtliche Verkehrs efnJp* B . eobacbtun S en bei
dem anderen antut, erscheint Dip R^i t~ 6 ne Gewalttat, die der eine
Antons ist in de^ inffln sad^“^ fdr die Tat des Patienten
suchen: darum das Gefühl der Aub Fassung des Koitus zu
sexudk Befriedigung) 8 . AuchOrestS'^mTt "?* der T ,f <die
bohschen Sinn. Daraus erklärt drk a■ 1 , aat einen sexuelUsym,
Fortlaufen und der Wahnsinn Di d Abweb ‘'reaktion: das
Erinnyen sind somit die verköroer^n r^ ve, 'f ol gendcn
Orestes wird am Ende vor d.föx G ewt SS ensbisse.
Greise gestellt. Den Vorsitz führt egium d er athischcn
_ Uhrt Athena , die Anklage geht von
Kinderfor^h^BTxVII^p. 39 4 Forn,en d. krankh. moral. Abartung. Zeitschr. f.
Königin war mit dem König auf* die'fit!'/ audl ^' e Mgende Sage: »Die böse
sie los, zerriß sie, trank ihr Blut un 1 O'ötzlidi fuhr ein Wolf auf
fr . 1 ” 2 vor ihnen.« [H, F. Feilbersr ' c . st ? n( ^ # an seiner Statt der dänische
Völker. Am Ur^Quell. Bd. III D> 31 . n ^sche im Glauben nordgerinanisdier
durch den sadistischen Akt —"der infa^f? 111 f ei ” ^ ,er verwünschte Prinz wird
»erlöst«, d. h. von der sexuellen Spannun * "b^f* S< ^ C ^ us ^ ruc ^ des K° ltus —
Der tragische Held und der Verbrecher
103
den Erinnyen aus, als Verteidiger fungiert Apollon. Die Stimmen
der Richter teilen sich, den Ausschlag gibt Athena mit ihrer Stimme
zugunsten Orestes. Daß die Stimmen der athischen Greise für und
gegen Orestes gleich ausfallen, widerspiegelt nur den Zwiespalt in
der Seele des antiken Menschen. Derselbe Chor, der in Erwartung
des Helden seinen Gefühlen in den Worten Ausdruck gibt:
Weh uns, weh, wann kommt für unsre Sache
Doch der Held, der Heil und Hilfe bringt?
singt, als Klytaimnestra nun tot ist:
Weh, wie entsetzlich kamst du um,
Und Weh erblüht auch dem, der übrig bleibt!
Orestes ist somit der Verbrecher, der in der Seele des antiken
Richters selbst saß: die athischen Greise gingen mit sich selbst
zu Gericht, als sie über Orestes ihr Urteil fällen wollten.
Mit Recht meint somit ein Rechtswissenschaftler: »Richter und Ver¬
brecher sind verschiedene Individualitäten, aber sie sind vereinigt im
Ich. Das Wesentliche dessen, was bei jedem Gerichtsakt vor sich
geht, ist eine Tat des Ich, ein Ereignis im Ich. . . . Die Verbrecher*
individualität ist nur Symbol und Abbild für ein Verbrechen, das
sich im Ich befindet, aber anderseits enthält dieses Abbild und Symbol
wiederum in sich dasjenige Element, welches das Auftauchen des
Verbrechens im Ich zur Wirklichkeit, die vom Ich vollzogene Über*
Windung zur Wirksamkeit und Tat macht.« 1
Der Verbrecher projiziert die innere Stimme des Ge*
Wissens nach außen, woraus die verschiedenen Verfol*
gungsgestalten des Mythus und des Wahns entstehen' 1 .
Anderseits projiziert auch der »Richter« seine Verbrecher*
individualität nach außen, auf diese V^eise entsteht der
tragische Held.
Die Erinnyen und Apollon vertreten im Prozeß gegen Orestes
die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung. Bei näherer Betrachtung
des Ganges der Gerichtsverhandlung ist es nicht schwer einzusehen,
daß die Erinyen und Apollon zwei grundverschiedene Kulturwelten
repräsentieren. Orestes wirft den Erinnyen vor, warum sie Klytaimne*
stra wegen des Gattenmordes nicht verfolgt haben. Darauf die
n < '-Tbeod. Sternberg, Die Selektionsidee im Strafrecht und Ethik, pp. 37 u. 39.
Berlin 1911. Puttkammer u. Mühlbrecht. - »Sieh dir jeden an, der anklagt und
inquiriert, er enthüllt dabei seinen Charakter: und zwar nicht selten einen schlech¬
teren Charakter, als das Opfer hat, hinter dessen Verbrechen er her ist.« Nietzsche,
Morgenröte. Aphor. 413.
Der Verfolgungswahn hat auch andere V7urzeln als das Schuldbewußtsein.
Es ist aber hier nicht der Ort, ausführlicher darüber zu sprechen. |Siehe auch Otto
Rank, Der Mythus von der Geburt des Helden.)
104
Leo Kaplan
Erinnyen; Nicht war ihr blutsverwandt, den sie erschlug.
Orestes: Ich aber bin von meiner Mutter Blut?
Erinnyen: Trug sie dich, Mörder, unterem Gürtel nicht?
Verleugnest du der Mutter teures Blut?
Apollon: Erzeug'rin ihres Kindes ist die Mutter doch nicht,
ist Pflegerin nur gesä'ten Keims/
Es zeugt der Vater, sie bewahrt das Pfand,
Dem Freund die Freundin, wenn's kein Gott versehrt.
Die Erinnyen verfolgen nur Verbrechen gegen Blutsverwandte, wobei
sie die Verwandtschaft nur nach mütterlicher Linie anerkennen: sie
sind also Anwälte des Mutterrechts. Im Gegensatz zu ihnen er*
scheint Apollon als der Verteidiger des Vaterrechts. Wir sehen hier
den Kampf zweier verschiedener Kulturstufen: die ablebende mutter*
rechtliche Gesellschaftsordnung sucht sich gegen die aufkommende
vaterrechtliche Ordnung zu behaupten. In Erwartung des Gerichtes
geben die den Ausgang ahnenden Erinnyen ihrem Unwillen Ausdrude:
Umsturz verkündet uns das neue Recht,
Wenn Schuld und Schmach des Muttermörders siegt!
Die Freisprechung Orestes' bedeutet also den Umsturz, Orestes ist
somit der Staatsverbrecher. Die Staatsanwaltschaft <in welcher
Rolle die Erinnyen auftreten) steht immer im Dienste der Inter¬
essen der alten sozialen Ordnung, die sie gegen das neu
Aufkommende zu verteidigen hat.
Im Verbrecher vereinigen sich oftmals zwei Naturen: wenn
l c « in V hn ^i 101 U ber l ebten ' Ehemaligen, vom Gange der Ge-
V^rÄ n L hin £ ieht ' 80 treibt ih » andere zur Schaffung
neuer gesellschaftbcher Formen. In der Bekämpfung des Verbrechens
die «tdlftüf *" verborgen, mit dem Antisozialen auch
das schöpferische Prinzip, das Werdende zu zerstören.
Marmeladow.
In Dostojewskis Roman »Schuld und Sühne« 1 treffen wir
V , me / ^d er minder verbrecherischer Gestalten an. Wir
f" •+ t! 0n un f e , ren Zweck besonders interessanten Per*
sonlichkeiten heraus nämlidt Marmeladow und Raskolnikow.
<V „ ( } r unkenbold Marmeladow wird von allen dienstlichen
e en ortgejagt, seine Familie geht zugrunde, die kranke F* au
quält sich den ganzen Tag und einen Teil
^ Q de ?. haus i*en Arbeiten und Sorgen ab. Die kaum
jährige Sonja, die Tochter Marmeladows aus erster Ehe, mußte,
um die Familie nicht aushungern zu lassen, zur öffentliÄen Dirne
werden. Seine Gewissensbisse sucht Marmeladow wiederum im
Übersetzt von Hans Moser <RccIam>.
Der tragische Held und der Verbrecher
105
Weine zu ertränken. »Eben deshalb trinke ich ja,« sagt er zu Ras»
kolnikow, »denn im Trinken suche ich Mitleid und Gefühl.« Erst
unlängst war es ihm gelungen wieder eine staatliche Anstellung zu
finden und er hoffte alles in Ordnung zu bringen er wollte die
Kinder besser kleiden, der Frau die Ruhe zurückgeben und seine
Tochter der Ehrlosigkeit entziehen. »Aber nun, mein Herr,« erza t
Marmeladow, »am anderen Tage, nach all diesen Luftschlössern
„egen Abend, nahm ich aus Katharina Iwanownas Kasten den
Schlüssel, in niedrigem Betrug, wie der Dieb in der Nacht, und
stahl was von dem heimgebrachten Gehalt noch übrig war,- wieviel,
das weiß ich nicht mehr, und nun blicken Sie mich an, hier bin ich!
Seit fünf Tagen bin ich aus meiner Wohnung verschwunden, . . .
mit meinem Amt ist es vorbei, und die Vizemontur liegt in der
Schänke an der ägyptischen Brücke,- zum Ersatz für sie erhielt 1 *
diesen Anzug — nun ist alles vorbei!« Er ging sogar noch zu
Sonja und hat sie um Geld zum Trinken gebeten.
Dennoch ist das Schuldbewußtsein in diesem Menschen, der
sich selbst Schwein nennt, vorhanden, sogar sehr stark ausgeprägt.
In der Schänke fragt er bei Raskolnikow: »Tue ich Ihnen leid, Herr,
oder nicht? Sprechen Sie, ja oder nein? Hahaha!« — »Wozu dich
bemitleiden?« rief der anwesende Wirt. Darauf Marmeladow: »Mit¬
leid, weshalb Mitleid mit mir! . . . Weshalb Mitleid mit mii. Das
ist unnütz,* kreuzigen muß man mich, ans Kreuz nageln,
aber nicht bemitleiden. Kreuzige ihn, Richter, kreuzige ihn, und
dann erst hege Erbarmen! Selbst will ich zur Kreuzigung
kommen, denn mich dürstet nicht nach Lust, sondern
nach Jammer und Tränen!« Marmeladow will in den Leiden
seine Schuld sühnen.
Dem Sühnebedürfnis liegt ein infantiler Zug zugrunde. Wenn
das Kind von den Eltern bestraft wird, so empfindet es die Strafe
als eine Abwendung der Elternliebe und wirbt um so mehr um
diese. Auch die Eltern ihrerseits suchen ihre Härte dem bestraften
Kinde gegenüber durch nachträgliche Zärtlichkeiten wieder gut zu
machen. Das Kind gewöhnt sich dadurch die Strafe als
eine Vergeltung zu betrachten, durch die es ein Recht er¬
wirbt, neue Liebesbezeugungen zu beanspruchen. In reli¬
giöser Einkleidung drüdct sich dieser infantile Gedanke folgender¬
maßen aus: je mehr der Sünder hier auf Erden Leiden er¬
duldet, desto eher darf er auf das jenseitige Glück rechnen.
Diesen Zug finden wir auch in Marmeladows Falk Im Gespräch
mit Raskolnikow äußerte er sich früher: »Lieber Herr, es ist ja so
nötig, daß ein jeder einen Ört habe, wo er Mitleid findet . . .«
Hier auf Erden hat Marmeladow auf nichts mehr Gutes zu warten,
er kann nur noch mehr Leiden bekommen. »Erbarmen kann sich
unsrer nur der dort oben, der sich aller erbarmt, der alle und alles
kennt, er, der Einzige, der Richter . . . Er urteilt über Gerechte
und Ungerechte, über die Hoffärtigen und Friedsamen. Und wenn
106
Leo Kaplan
i/ ZU (^.?^ e , ,st allen, dann wird er sprechen zu uns:
tt i . au , lir ler ' die Säufer und Schwadien, die Lasterhaften !'
™ weraen i kommen, alle, ohne Scheu und vor ihn treten und
* r « Sag ?. n \J br . se ‘^ sleidi dem Vieh, doch her mit euch!' Und
nimm t j 1 ^ ie ,^ eisen unc l die Klugen ausrufen: ,Herr, weshalb
_• S f , u aucb auf?' Und Gott wird antworten: ,Warum ich
ihn^ *L ir ^ e l sen ' ihr Klugen? Darum, weil keiner von
j. g e gl aub t bat ' ^ ab er dessen wert sein würde!' Und er wird
an e , u ei D u . ns stfcdcen und wir werden niederfallen und
_ . ^* n r»- 211 t Kenntnis kommen . . , Herr, dein Reich komme
rfi'rrfi» A * e ~f ster haften haben hier auf Erden viel gelitten, sie
S£ Vaters fc* * Bafmherzigkeit -d Liebe des himm*
3 nrh j 11 Hintergrund des Sühnebedürfnisses sehen wir
Rummel ' Cr 0 n ^? n ^ Zene - Marmeladow kehrt nach seinen letzten
<er> in ^r Us f’ ^ kne in ^ as Zimmer einzutreten, blieb
sich auf ihn ureauf den Knien liegen.« Die erzürnte Frau wirft
den Haaren , r U ?( ^ °1 Z ^ ie * n ^ er Raserei, ergriff sie ihn bei
leichterte ihr selh<ft° S rt' 1 V" • <ias < ^ ema( h herein. Marmeladow er*
seine dummen Streiche von de ?
Tod, in den
kW« .“ ter J Jle Pfc<fe - iu ' r cin v r
lamentierte eben: »Grw-f ■ , utSf h er , der ihn überfahren hat,
losgefahren, hätte ich nicht t3nn r man seben! Wäre i( h darauf
langsam ganz gleichmäßig . * tu p ~ u idl fubr aber d°di ganz
gehen sehen, er wanktp fi,»i \ . , habe ihn noch über die Straße
dann wieder, ein drittes' lU-nf C ‘j ab , e . f u Boden,- ich schrie einmal,
er war ihnen gerade zwisrhp j^lt r’ e 1 dann die Pferde an, aber
er scheint es absichtlir/ 1 le gelaufen und stürzte nieder,-
Meinung bestätigt ia nnA , 1 i£ et . an . 2U bab en . . .« Diese letztere
Erblicken des Verunsrlückt-Pn atbanna Jwanowna, indem sie beim
wollt!« Er hat dodf fr,- h ausruft: »Das hat er ge*
er will selbst zur Kren™ ^ i ° ask °lnikow gegenüber geäußert,
sondern nach Jammer un/V 1 " ^jngen, ihn dürste nicht nach Lust,
und hingeVich™ Tfanen! Er hat sich selbst verurteilt
erschienen alle um S dln^V ^ au f es ; * n dem Marmeladow wohnte,
anzugaffen. Sie »dS J f “ Verunglückten, als er heimgebracht war,
sie in hellen Haufen iif die <st 1 an ^ a ,'?S s in der Tür, dann aber kamen
sie alle fort. »Die Mieter »,•„»?*^- Katharina Iwanowna jagte
wieder zur Tür hinaus mir • 161 na< ! 1 ^ em anderen, drüdeten sich
gung, die man stets bemerk S _ e ts , amen ' inneren Befried!-
wenn einem andpi-P« fkt ' auc h in unserem Nächsten,
iS,, und von Ä bto »VT? . ein U "*'« k *"*«"> 8en
Mensch frei ist ohne Unterschied, un-
Der tragische Held und der Verbrecher
107
geachtet alles Gefühls des Mitleids und der Teilnahme.« Diese
»seltsame, innere Befriedigung«, von der Dostojewskij hier
spricht, ist der »Lust am Trauerspiel« gleich: man weidet sich
an fremden Schmerzen. Die Mieter des großen Hauses, diese »frech
lachenden Gesichter«, wie sie Dostojewski) vorher geschildert,
diese ewig betrunkenen Gestalten »in Sommerhabit bis zur Zwangs»
losigkeit« unterscheiden sich wenig vorteilhaft von Marmeladow, er
ist ihr »Held«, der am Ende zugrunde gehen muß, um ihnen' die
»innere Befriedigung« zu geben: der »Sünder« ist bestraft und das
Publikum kann zur Tagesordnung übergehen.
Raskolnikow.
Zu Raskolnikow übergehend, müssen wir zuerst die Frage
aufwerfen, welche Motive seine kriminelle Tat — die Ermordung
der alten Darleiherin — bestimmten?
Raskolnikow erzählt der Sonja: »Du weißt vielleicht, daß meine
Mutter fast blutarm ist. Meine Sdiwester ... ist genötigt worden,
eine Stellung als Gouvernante anzunehmen. All ihre Hoffnungen
hatten beide auf midi gesetzt. Ich studierte, konnte midi aber nicht
an der Universität halten und war gezwungen, diese für einige Zeit
zu verlassen , , . So hatte ich midi denn entschlossen, mich des
Geldes der Alten zu bemächtigen, dieses für die ersten Jahre zu
verwenden, ohne meine Mutter quälen zu müssen, zur Sicherstellung
meiner selbst an der Universität, den ersten Schritt nach ihrem Ver»
lassen - und ich habe dies breit und radikal ausgeführt . . , Nun
das ist alles!«
Dennoch ist das nicht alles. Sonja machte ihn schon früher
darauf aufmerksam, daß das Raubmotiv seine Tat ungenügend
determiniere: sollte er nur rauben wollen, warum hat er dann nichts
genommen? Darauf Raskolnikow seufzend: »Weißt du, Sonja, was
ich dir sagen muß: Hätte ich midi allein deshalb zur Tat verstanden
wed ich hungrig gewesen dann würde ich sagen, ,idi sei glücklich!'
Verstehst du dies?« Welches andere Motiv war es, das Raskolnikow
zu seinem Verbrechen verleitet hat? »Um was es sich in der Tat
handelte,« sagt Raskolnikow, »nun, darum: Ich wollte Napoleon
weiden,- deshalb habe ich getötet.« Diese Worte erläutert er,
wie folgt: »Ich stellte mir einst die Frage: Was würde geschehen'
wenn beispielsweise an meiner Stelle Napoleon gelebt, und dieser
niait eine solche Laufbahn gehabt hätte, kein Toulon, kein Ägypten
kein Übergang über den Mont Blanc, sondern an Stelle von all
diesen herrlichen und denkwürdigen Taten einfach nur ein altes
unscheinbares Weib, eine Registratorswitwe, die er noch hätte töten
müssen, um Geld aus ihrem Kasten nehmen zu können — für seine
Laufbahn, verstehst du? . . . Hätte er keinen anderen Weg gehabt,
so wurde er ste selbst erwürgt haben, ohne daß sie noch einmal
hatte mucken dürfen, ohne Besinnen. Nun, auch ich — habe dieses
108
Leo Kaplan
Besinnen aufgegeben, ich habe erwürgt, nach dem Beispiel des
Großen.« Was hinter diesen Größenwahn Raskolnikows steckt, ist
nicht besonders schwer aus den folgenden Worten herauszulesen:
»Und besonders Geld, Sonja, hatte idi nidit nötig, als idi mordete,
Geld längst nicht so, als jenes andere zu wissen — . . Idi mußte
wissen, und zwar bald kennen lernen, ob ich ein Ungeziefer nur,
oder ein Mensch sei? Ob ich ein Verbrechen begehen könne oder
nicht? Kann ich es in meinem Interesse begehen oder nicht, bin
ich eine zitternde Kreatur oder habe ich ein Recht.«
Raskolnikow wollte wissen, ob er Übermensch sei, dem alles er*
laubt ist, oder bloß eine »zitternde Kreatur«, die nur zu gehorchen
hat. Die »zitternde Kreatur« ist offenbar das Kind, dem gegenüber
die Eltern, die scheinbar sich alles erlauben dürfen, die immer »ein
Recht« haben, schlechthin als Menschen erscheinen. In Raskolnikows
Verb rechen äußert sich dann der Übermut des Knaben,
allen Verboten zum Trotz, irgend eine verwegene Tat zu
verüben.
Der Aufstand der Urtriebe gegen die normgebende Gewalt
nimmt sehr mannigfaltige Formen an. In religiöser Sphäre äußeit
er sich z. B. in der Luzifermythe. Anfänglich war Luzifer ein Engel/
der sich im Reiche Gottes, wie jeder andere Engel, befand. Luzifei
wurde aber hoffärtig und wollte selber ein Künstler und
Schöpfer gleich Gott werden. Dafür wurde er aus dem
Himmelreich vertrieben und zum Fürsten der finsteren Mächte an*
gestellt. Derselbe Größenwahn äußert sich bei Raskolnikow in der
i^orm, er möchte ebenso groß und rüdcsiditslos wie ein Napoleon
sein, (jrott ist der »himmlische Vater«, der Kaiser ist aber der
»Landesvater« — der Vertreter der Vatergewalt hier auf Erden 1 .
^ Uhr \ ei ( ne ^at aus ' die einem Vater geziemt:
dlC >>Alte<< — es ist die Maskierung des
sexuelle” Attentats auf die Mutter. Wir haben hier dieselbe
a age, wie ei Orestes, nur tritt an Stelle der Mutter die »Alte®*
Der KrimmaUsexuelle Trieb hat sich bei Raskolnikow von lange
er vor ereitet. er grübelte über eine solche Tat schon seit einiger
ej. urz vor dem Anschlag hatte er einen furchtbaren Traum.
w° n seiner Kinderzeit in der Vaterstadt.« Die Vor¬
geschichte des Traumes ist die folgende: »Im Alter von sieben Jahren
ging er einst, eines Feiertages, gegen Abend mit seinem Vater vor
er Stadt spazieren . . , Einige Sdiritte entfernt von der äußeren
Stadtmauer steht ein Wirtshaus, eine große Schänke . . . Damals
nun war ein ganzer Haufe von Menschen vor derselben versammelt,
wc e brüllten, lachten, zankten, regellos und heiser durcheinander
• 1 ‘l den e T en Monaten der Etats genereaux wird der König selbst
von einem Mirabeau und Gregoire stets . . . ,le pere de tous Ies Fran<?ais' usw.
genannt«. »Pater Patriae war der höchste Ehrentitel für den römischen Imperator.
(Prof. jos. v. Held, Königtum und Göttlichkeit. Am Ur-Quell. Bd. 111 P* 1221
109
Der tragische Held und der Verbrecher
sangen und sich herumschlugen ... An der Schänke führt ein Weg
vorbei Der Weg . . . führt etwa dreihundert Schritte rechts ab
in den Kirchhof der Stadt . . .« »Und nun träumte ihm, sie gingen
wiederum mit dem Vater auf dem Wege zum Kirchhof und kamen
vor der Schänke vorbei. Er hielt sich an des Vaters Hand und
schaute mit Schrecken nach der Schänke. Ein auffallender Umstand
machte plötzlich seine Aufmerksamkeit rege,- es hatte sich daselbst
ein Haufe von Weibern und alten Frauen mit ihren Männern, eine
Menge Gesindel angesammelt. Sie waren sämtlich berauscht und
sangen Lieder,- vor dem Wirtshaus stand ein Wagen von seltsamem
Aussehen, Es war eines jener großen Gefährte, in welche man sehr
große Zugpferde einspannt . . . Aber hier war sonderbarerweise in
den großmächtigen Wagen ein kleines, mageres, braunes Bauern¬
pferd eingespannt . . .« »Der Haufe stieg auf den Wagen unter
Lachen und schlechten Späßen. Da das Pferd nicht vom Orte mit
der zu großen Last konnte, so fing es einer der Bauern, Mikolka,
zu schlagen an, ,Bleibt sitzen, alle sitzen bleiben!' brüllt Mikolka,
,es soll euch alle schon fahren! Ich will ihm die Hölle heiß machen!'
Und er schlägt und schlägt und weiß nicht von bestialischer Wut,
womit er noch schlagen soll. Endlich erfaßt Mikolka eine eiserne
Stange. Jetzt hüte dich!' rief er und schwang diese nun mit aller
Kraft, die er aufbieten konnte, über die elende Kreatur. Der Schlag
fiel, das Pferd schwankte, brach zusammen . . . und stürzte zur Erde.«
Raskolnikow schrie auf und erwachte. »Raskolnikow fand sich
ganz in Schweiß gebadet, sein Haar troff von Schweiß, er erhob sich
keuchend und voll Entsetzen ... ,0 Gott/ rief er aus, ,sollte
ich in der Wirklichkeit die Axt nehmen müssen, sie auf
einen Kopf schlagen, das Hirn zerschmettern' —.«
Raskolnikow gibt uns somit selbst die Deutung des Traumes:
Mikolka ist er selbst, das schwache Pferd — jene Alte, die er zu
ermorden im Sinne hat. Da aber der Traum eine infantile Remi¬
niszenz enthält, so ist es einleuchtend, daß man den Grund für
Raskolnikows Tat in seiner Kindheit zu suchen hat. Das Entsetzen,
mit dem Raskolnikow erwacht, ist wohl die Abwehrreaktion gegen
die »böse« kriminal-sexuelle Tat.
Um dem kriminellen Komplex den Zugang zum Bewußtsein
und den Übergang in die Tat zu ermöglichen, müssen die krimi¬
nellen Gedanken in harmlose umgedeutet werden: man muß sie vor
die »Zensur« als solche hinstellen, gegen die nichts mehr einzuwenden
übrig bleibt. Raskolnikow hat sich eine ganze Theorie ausgesonnen,
die als Rechtfertigung für die kriminelle Tat dienen sollte. Er hat
nämlich früher einen Aufsatz in einer Zeitschrift veröffentlicht, wo
»die gesamte Menschheit gesondert wird in gewöhnliche' und un¬
gewöhnliche' Menschen. Die gewöhnlichen müssen in Gehorsam
dahinleben und besitzen kein Recht, ein Gesetz zu übertreten und
ein Verbrechen zu begehen, deshalb eben, weil sie gewöhnlich sind,.
Aber die außergewöhnlichen haben dieses Recht, alle Sünden zu
110
Leo Kaplan
außergewöhnlSi Je s fnd<< Ge so tZ f ZU v ,! rstoß ^, eben deshalb, weil si
Untersuchungsrichter Pnml . orrr mhert Raskofnikows Theorie de
kolnikow ergänzend. TTf Dazu bemerkt Ras-
»fe»wsdi<he Mensi dL ReiTtat -"d f äuß S , ' t ' daß de
offizielles, sondern nur bei c ,vh u y. at rT* d ; h - niAt etwa elf
treffen — über verschiedene HinH ^ dle , Entsdleid ung zur Tat zi
dem Fall, daß die Ausfiil Uermsse hinweg, und besonders ir
die Menschheit vielleicht ffar HÜf seiner ^ee, — bisweilen einer füi
muß sich das alles Gefallen , Sa,r T n — cs erfordern sollte!« 1 Mar
liehen Menschen die fähiV u, SS f n ' denn e A g’bt der außergewöhn,
ordentlich wenig. ^ »D™ 8 Zit"' Neues 2U äußern? außer.
Material, ist nur desweerpn^- lei ^ rc ,|^ sse von Menschen, vom
wisser Kräfte mit Hilfe efnpc 'l"- <er ^ e t/ um endlich infolge ge=
vermittels unaufhörlicher KreuzunT^^Tn^P"ff" Vo '' Sa 'Yl ^
Tausenden einen Einziger, Zu ” s ln den Geburten endlich aus
erzeugen.« Um mit N?etzsche unabhän gigen Menschen zu
die »Brücke« zum Ühermensrhp U ®P r der Mensch ist nur
seine Ziele alles erlaubt sein Sn” 1 ar V*? mu ^ letzterem für
-He Ta, eine ÄT«<“ **■
schiedenen AbwehrrMhionen''* in"^ Als""^ 1 ?'l Tjf* se, j C " die ver '
mordete, ergriff er die Schlüssel piltP 'r s k°fa»kow die Alte er.
wo eine Kommode stand »«Ln mi f t l lnen ' n das Schlafzimmer,
Schlüssel in die Kommode zu !?' ? Um ha !: er begonnen, den
sehen, als ein förmlicher Kramnf A a?' baum börte er deren Krei®
ihm, als müsse er illpc v U1( b seinen Körper ging. Es war
Bald „ad, der verbreAerl Zn T, S '? h T cr h en “" d forteile,,.«
zeitweise bewußtlos zeitwpic • % ? r T an r <te Raskolnikow und war
sien. »So schien ihm es ve" ^ fi ? berh / tem , Zustand mit Phanta-
ihn ergreifen und’ fortscMenn* ^ 1'? ..^°!' um wolle
ihn. « Es ist der Verfolgun^w t,^ P f n Und Kämpfe und streite um
bewußtsein. gungswahn, hervorgerufen durch das Schuld-
und Schwester, die^r ^eit^eines St j? ene ' wo ^askolnikow Mutter
gesehen hat, wiedersieht UmSr und Tl 3 " Universität nidit
fanden aber Raskolnikow nicht zu Hause^^ War ?J an g e kommen,
de mum ^gelaufen war. Endlich kommt 1? a "Ä eblldl i " 1 Fieber.
1 er - »Ltin freudiger ent>
;* «I» Zag, Jem
darüber bandle idh j n c S0 S ena nnte Narzissmus —
Psychoanalytische Probleme«, Kap »Z- Y'l ? odl nidlt Ranz vollendeten Werk:
i I ‘Vor einigen j ahrcn bereiste e dcs Glaubens«.
arbe t S V rf ’ a in '-i WO sidl dama,s die russisdiTK^ 41- '^'% D °r°schewitsch die
arbeit Verurtedten) befand. Ein Sträf Kat< ? r , ga (die Stätte ^ die zur Zwangs-
TatPn 'w 1 Gewis , se " h a'te, sagte zu ffkr a, Un . ge i euer ' der 12 Menschenleben
I a *T ,r tun nach Herrn fö^ewrts*, als dieser ihn über seine
fast ,ede beliebige Theorie zur Be^önlü ' " T Dcr schwache Mensch kann
esenomgung seiner kriminellen Triebe mißbrauchen.
Der tragische Held und der Verbrecher
111
züdter Schrei begrüßte das Erscheinen Raskolnikows, sie eilten ihm
be.de entgegen Er aber stand wie ein Lebloser- eineUl-
A*!!. - C ' Empfindung tra f ihn wie ein Donnerschlae
Auch seine Hände erhoben sich nicht zur Umarmung, er vermochte
dies nicht, einen Schritt tat er vorwärts, erbebte und brach nhn
Bewußtlosigkeit is, somit ein S ™
bestehf da“ dlßlkan h
und sie für eine bloße Auseehurt A '^bdtkeitsqualität abspridtt
spräche mit seinem Frei,.S Ä“' erklärt. Im Ge-
ehte'pharft'asie " MÄl;
»Weshalb meinst du dies?«
was in diesln Ta’fen‘"i^efeL^eftai 8 f' 5 “ 8 und a "«
me,ne, Ei nbildung vor sich gefangen ^im«"" ^ ” Ur <"
«« Raubmord d „ er gew|sse „
Verhandlung am 27. Mai <alt. St> aus- t ü !i G / eis ™ ar ' sagte in der Gerichts*
wahnsinnigen Schwermut erfaßt Idrsehntl m ^ Ur . .i na - A ,.r rÜbter Ta ‘> von einer
mich ein wenig beruhige. Aber auf dem Gme der S ‘ ZUr Mutter ' daß *«e
swär ■■ m,r ; a,s <■•“ sr.ferSsTHTrjiBässs
Hier «i"ÄSÖ„" d r' ntl “"en,
‘-Ä* fc M»- Er wirft sid, au^nD^undw.
frieden ihn sd!merzte dies tber^ehr" i ” 1 L ihl ”r“ s «„ehiedenen Gründen unzu-
man krank und schwach ist, so haf mT^A l" ktzter Zeit Wenn
be, ‘ v ° n ^iten der Umgebung. Auch R«„fr‘? , .£ ruch auf Nachsichtige
Nachsicht üben. Das hysterische Kra^ikwerden k ° tn,k °w will, man soll mit ihm
Kind genießt m besonderem Maß die Liebe und NaiScÄ 11 rrc Taktik Ä das kranke
Mensch nimmt immer Zuflucht zu diesem Mittel. * ** d€f Eltcrn ’ Der schwache
Die unangenehme Wirklichkeit ist bloß ein noser
mit anderen Worten, die »Welt ist nur meine Vorstellung«. >;> *
Alte ist ein Unsinn! ist möglidierweise Irrtum und es ist ' 1
gar keine Rede«, sagte ein anderes Mal Raskolnikow zu sich se s •
So versucht der gestrauchelte Mensch die unangenehme Wirklich e
zu verleugnen.
Mit dem Auftauchen des Sduildbcwußtseins fängt die Se st
Verurteilung an. In erster Linie äußert sich diese darin, dal)
»Umdeutung ins Harmlose« 1 [die »Rationalisierung« <Jones)J au*
gegeben wird. Raskolnikow ironisiert jetzt über sich selbst: »Napoc
— die Pyramiden — Waterloo — und eine ausgedrücktc, ha j
alte Registratorwitwe, ein altes Weib, die auf Wucherzinsen len /
mit einem Kasten unter ihrer Bettdecke . . . Ach, Unsinn!« »y/ 1 '
ein ästhetisches Ungeziefer, weiter nichts!« »In der Tat ein U n £ *
ziefer . . . schon deswegen , . , weil ich . . . einen ganzen Mon
mndurch die allgütige Vorsehung beunruhige, indem idi
zeugen anrufe, daß ich nicht im Interesse meines eigenen rleis
und der eigenen Lust jenes unternahm, sondern ein erhabenes u
schönes Ziel dabei im Auge habe - haha -.« Er sagt dann zu
ion,a: »Habe ich denn die Alte wirklich gemordet? Mich h abc
nic . ht die Mte! Jenes war ein Augenblick,
mtfnt d! 1 ha ^ m |? h Betroffen auf die Ewigkeit!« Mit R j
dem Vprhrpdk dci i Untersuchungsrichter Porphyrius Pctrowitsch
laß ihn erph Cr /. der s 'd? n °di auf freiem Fuße befindet: »Laß 11 '
und mir S n^ 11 b A 2Ur , Zeit ' ich wciß schon, daß er mein Opfer wird
Das S nu „ entIaufen kan,l! • • • Was heißt CS alldl . fl, ?mit
entging mir j S J st '^t die Hauptsache, denn nicht a
er mh S T A im Geiste entgeht
wird ihn nur n, ’kt^j ^ rei ^ eit wird ihm nicht wertvoll sein/
in sich selbst verw .^^denken führen, ihn verwirren, er wird s
Tode keiner ie ?' w ‘ e in einem Netz und sich bis zu sein
schlossen hat sich A* re ^ n,<< Als Raskolnikow endlich fest
Sinn, ™hl fc" Gcr ^ e auszu l'cfcrn, kam es ihm i» *
schön, auch ot,e^ mC i, daB f r sidl ih "‘" alle ”
füpt bahn w/ • das ^ rtc >l, in seiner Überzeugung
ielcrion ! c ,, )St als0 hier da s Urteil? Wohl nur eine Pro 3
er Selbstverurteilung des Verbrechers. < ßte
■ p Be merkenswcrt ist für uns noch folgendes: Raskolnikow legt
aber UU dn l V j 0r P°^cilcutnant Ilja Petrowitsdi ab. F r
fn der de f r Mordtat, hatte er eine Halluzination: er hör
wirtin di, i Cl . n ^ Urd ' tßar es Schreien, jemand schlug seine ,
den »s^ ask K. nik °u verkannte« bald auch die Stimme des Schlag
Wirtin | S F geh r°? ja Petr owitsch, er war hier und schlug die Ha^
rtL Er St ‘ eß s A e ff m ‘ t dcn Eü ß en, schlug sie mit dem Kopfe au
11 *« Offenbar, in dieser Halluzination äußerte si
1 Leo Kaplan, Grundzüge der Psydioanalyse. p. 85,
Der tragische Held und der Verbrecher
113
noch nicht vollkommen abreagierte Mordimpuls: Ilja Petro witsch,
wie in dem früher angeführten Traum Mikitka, ist Raskolnikows
Doppelgänger, der auf die »Alte« ein Attentat verübt. Somit
legt Raskolnikow sein Geständnis nur vor seinem »inneren Ridi-
ter« ab.
Eine zweite Verkörperung des »inneren Richters« ist der Unter-»
suchungsrichter Porphyrius Petrowitsch. Denn ehe noch Raskolnikow
sein Geständnis ablegt, weiß er schon ganz genau, wie der Mord
geschehen war. So schildert er den Mörder: »Er hat die Tür
hinter sich zu schließen vergessen, und gemordet, aber nicht
verstanden, Geld zu rauben, und wessen er habhaft werden konnte,
das hat er unter einen Stein verstedct.« Daß Raskolnikow, während
er mordete, die Tür hinter sich zu schließen vergessen hat, ent-
spricht vollständig der Wahrheit. Aber niemand konnte davon
Kenntnis haben, da Raskolnikow bis jetzt eben diese Tatsache mit
keiner Silbe irgendwie verraten hat. Alles übrige konnte man natür-
lieh aus den vorhandenen Indizien herauskonstruieren. Durch dieses
»Versehen« Dostojewskijs entpuppt sich Porphyrius Petrowitsch
als der Doppelgänger Raskolnikows — als sein »innerer Richter«.
Unwillkürlich kennzeichnet sich Porphyrius Petrowitsch selbst als
Raskolnikows Doppelgänger, wenn er ironisierend zu diesem sagt:
»Wir müßten beide im Heere dienen! Ein Napoleon würde ich ja
wohl nicht gerade werden, na, aber doch ein Major wenigstens,
hähähä!«
Das Schuldbewußtsein ruft bei Raskolnikow Selbstmordimpulse
wach, die er aber, im Unterschied von Marmeladow, zu überwinden
weiß. Er ging einmal über die X-Brücke, da warf sich eine Frau
ins Wasser. »Nein, das ist häßlidi — das Wasser — das ist nichts«,
murmelte er für sich. Als Marmeladow verunglückte und RaskolnU
kow ihn nach Hause brachte und zusah, wie er verschied, fühlte er
sich plötzlich ganz beruhigt. »Er ging langsam, ohne Hast, fiebernd,
aber ohne dessen inne zu werden,- nur erfüllt von einem einzigen,
neuen, grenzenlosen Gefühl voller und mächtiger Lebenslust. Dieses
Gefühl ließ sich mit dem eines zum Tode Verurteilten
vergleichen, welchem plötzlich und unverhofft seine Be¬
gnadigung kundgetan wird.« Raskolnikow war somit zum Tode
verurteilt <in seinem Geiste natürlich), das Todesurteil ist aber wieder
aufgehoben worden. »Der Stolz und die Zuversicht wuchsen in ihm
mit jeder Minute und mit jeder verrinnenden Minute fühlte er,
dal) er nicht mehr derselbe Mensch war, der er vorher gewesen,
v as hatte nun diese Umgestaltung in ihm bewirkt? Er wußte es
selbst nicht - wie einem nach dem Strohhalm greifenden Ertrinkenden
wai d ihm klar, daß man doch leben könne, daß es noch ein Leben
gäbe, und sein Leben nicht mit dem jener Alten erloschen sei!«
Auch spater nodt erzählte er seiner Schwester: »Siehst du, liebe
Schwester, ich wollte ein Ende machen, und bin mehrmals nahe an
der Newa gewesen,- das weiß ich eben noch. Ich wollte dort das
Ima^o IV/2
Smm cÄ ft abcr TT idl faild nicht den Entschluß -.«> } Illd
er lieferr c - +. 'r C . CI ., s ' d \ ai, f andere Weise ein »Ende« zu machen.
*Racif/lt ./ reiw {% dem Gerichte aus.
die ihm i mk ° W c b , efoI K te mit seinem Geständnis nur die Gebote,
trachtunp ," ,a au f > aufdringlichste gegeben hat. Bei näherer Be»
für die tf° S n,dlt sdtwer einzusehen, daß Sonja eine Deckfigur
n den lme SC '^ % MiW * und Opferwilligkeit, ihr Aufgehen
das alle, «fc ] d <f ? ami,ie ' für die sie sich so selbstlos hingibt,
schaft r .(^ 0l ^ a . zu e ' ner Mutterfigur. Sogar ihre Dirnen*
anderen an f , ..’ ie ‘ ier: die Mutter ist eine Frau, die sdion einem
ersten AuÄ? Die Liebc ^skolnikows zu Sonja, die vom
(Übertragung V' ^ C1 sie r sie * :t ' an fängt, ist eine »Verschiebung
Vertreterin-' S Vv CF blzcst g c bih(e von der Mutter auf eine Stell»
Raskolnik ' aia us ist es erklärlich, warum den Geboten Somas
schick Fiicrf c* C U - Wlderste hen kann und am Ende sich in sein Ge»
liehen Autorität* 3 Wir(1 fÜF RaskoInikow 211 eincr mütter '
Minute°hf n zu einem o, as k( ? lnikow & es W- »Gel/ sogleich, diese
^ zu einem Scheideweg, verneige dich da, küsse zunächst
um einen zum Selbstmoivf aS stt ^( iste Sdiuldbewußtscln allein nodi nicht
des betreffenden Indtviduumcf U Es muß noch etwas in der Konstitu ‘
reagieren kann. Wie ( j lc , ^ vor ^nden sein, so daß es eben so und nicht an
darüber vielleicht bei an<W'^ ,tuti< ? n des Selbstmörders beschaffen sein rnuP'
niord etc.«, Diskussionen V G ^ enheit - <Siche die Broschüre .Über den Selbst
1 F - Bemann, 191 0 u *5 n ;. Wle ” cr Psydioanalyt. Vereins. H. 1. Wiesbaden,
r ü ij “ Inzestcharakter de^T!9 run( Eüge der Psychoanalyse*, Kap. X*)
i_i von r ^ er Mutter auf dk* R IC ^ C ( ^ e »Verschiebung« der kindlichen
Hermann Hesse ersiditlH,: * Frau ‘ ~ I«* *• B. auch aus einem Gedicht von
Frühlingstag.
Und hoch SfRi* U,K| Vogelpfiff
Ein still« Stofe* w, n I f aßen
Ich träifmevon Wo,ltcns <»iff.
loh träume von Cln . cr blonden Frau,
P er bolie Himmel bla , 1 n e r ,1 u S e n U z c i t.
So wie „ S , U ™ nen »ege.
Ein K«ni ,einer Mutter Arm
Der Dichter »
»der Mutter Arm«.
i < 1 P er Reiher
uer Anklageschr
midi überführenden
nur dann ab, al
sagte, daßes mein
träumt« nU 5r » • • [»Simplizissimus«, 1913, Nr.
e| ncm Zug von der »blonden Frau« u‘
angeführte Birnn n •
beißt es, daß .*,4 , f lsniar sa £te in der Gcrichtsverhai
Materials. Das ; -}l S S estan den habe unter der Wu
: rUo Al ‘St nicht rirhnV 14, QeSt£
Der tragische Held und der Verbrecher
115
den Boden, den du besudelt hast, dann verneige dich vor dem
Licht, nach allen vier Seiten und sage allen laut: ,Ich habe gemordet!'
Dann wird Gott dir das Leben schenken.« Hier ist die er*
lösende Wirkung des Geständnisses ausgesprochen: wer seine
Schuld gesteht, dem schenkt Gott das Leben. Die Verheimlichungs*
tendenz des Schuldigen fordert zu ihrem fortlaufenden Funktionieren
einen »psychischen Aufwand« <Freud>, d. h. einen Verbrauch von
Energie. Wird aber das Verheimlichen aufgegeben, die Schuld offen
eingestanden, so fällt der »psychische Aufwand« weg, was immer
als eine Erleichterung empfunden wird. Wir können dies in Ras*
kolnikows Verhalten nach seiner Tat sehr deutlidi verfolgen. Am
anderen Morgen nach der Ermordung der Alten wurde er wegen
einer ganz harmlosen Angelegenheit ins Polizeibureau gerufen. Nach*
dem die Sache erledigt war, ging er noch nicht fort, sondern blieb
noch einige Minuten im Bureau. »Ein eigenartiger Gedanke kam
ihm: sollte er nicht sogleich aufstehen und zu Nikodemus Thomitsch
hintreten, um zu erzählen, was sich gestern alles ereignet hatte, bis
zur kleinsten Einzelheit, dann mit ihm in sein Quartier gehen, ihm
die Sachen zeigen, die in dem Winkel im Loch lagen? Die Ver*
suchung war so stark in ihm, daß er sich bereits erhob,
um ihr Folge zu leisten. ,Soll ich mich nicht noch eine Minute
besinnen?' . . .« Wir sehen, welchen Kraftaufwand der Verbrecher
ins Feld schicken muß, um nicht mit der furchtbaren Wahrheit heraus*
zuplatzen! Und als im Bureau bald darauf jener Mord zur Rede
kommt, verliert Raskolnikow die Fassung und fällt in Ohnmacht.
Jeder affektbetonte Zustand — jeder »Komplex« — hat natur¬
gemäß die Tendenz sich irgendwie zu äußern. Insofern der Kom*
plex die Verheimlichungstendenz überrumpelt, spricht man ja von
Selbstverrat. Man kann auch versuchen den Selbstverrat irgendwie
unauffallend zu machen. So versuchte es einmal auch Raskolnikow
zu tun. Er traf in einem Restaurant Zametow — den Buchhalter
im Polizeibureau. Der Drang, sich des Geheimnisses zu entledigen,
wurde in ihm rege. Da erzählte er Zametow, wie er handeln
würde, wenn er einen Raubmord begangen hätte. Es folgt
die wahrheitsgetreue Sdiilderung, wie er die geraubten Gegenstände
in einem einsamen Hofe unter einem Stein verborgen hat. »Er
wußte, was er getan hatte, aber er vermochte sich nicht zu halten.
Furchtbar war das Wort, es sprang . . . über seine Lippen/
es riß sich los, um nur herauszukommen, nur ausgesprochen
zu sein!«
Als Raskolnikow zum erstenmal zu Porphyrius Petrowitsch mit
seinem Freunde Rasumidiin kam, hat er absichtlich diesen unter*
wegs verschiedentlich geneckt und sich über ihn lustig gemacht, um
in die Wohnung des Untersuchungsrichters lachend einzutreten. Da*
durch wollte Raskolnikow seine Verlegenheit verdedcen. Aber um*
sonst. Denn Porphyrius Petrowitsdi hat das Symptomatische in
diesem Lachen vollkommen erfaßt. Später sagt er nämlich zu Ras*
8*
116
Leo Kaplan
kolnikow: »Euer Lachen, Euer Lachen, als Ihr bei mir ein¬
tratet, wißt Ihr noch, ließ mich wie durch eine Glasscheibe
alles wahrnehmen.«
Bei seinem zweiten Besuch bei Porphyrius Petrowitsch sagt
unter anderem Raskolnikow: »Ich habe einen Weg zu machen, ein
Geschäft vor. Muß zu dem Leichenbegängnis jenes von der Equi*
page überfahrenen Beamten, von welchem Ihr — ja auch wißt
fügte er hinzu, geriet aber sogleich in Wut über diese Schluß*
bemerkung.« In diesem überflüssigen »auch« — in diesem »Ver*
sprechen« hat Raskolnikow seine Vermutung verraten, daß der
Untersuchungsrichter bereits sein Geheimnis kennt. So überrumpelt
das Verheimlichte die Verheimlichungstendenz, oder, wie der scharf*
sinnige Kriminalist Porphyrius Petrowitsch meint: »Die Verstellung
wird dennoch irgendwo sichtbar werden!
— v oiuuuai WClvlciI. v '
Dje Tragik in Raskolnikows Geschick besteht, wie immer, in
seiner Halbheit, in seiner Unfähigkeit seinem Ziele rücksichtslos nach-
zuge en, in seiner Unentschlossenheit dem kriminellen Impuls oder
den horderungen der »Zensur« zu folgen. Nodi im letzten Moment,
s< h°n bereit war, sich auszuliefern, sagt er zu seiner Schwester:
j. ni»,' j° tete e ' n widerliches, böses Ungeziefer, eine alte Wucherin,
driEl, m f hr . nö ? e - Beseitigung einer Sündenvergebung
man ein d ', e den Anno, dns %!.,? aussaugte, die, nennt
zu- Verbredier C v en ü ' i.' Weshalb rufen sie mir von allen Seiten
beho^theu'JetfKU*“! -»* *«“ U "'
schlossen hin •;! Kleinmuts, erst jetzt, wo ich ent-
meiner Talentin«:* 6 ( J ln . not ‘SC n^chritte Zutun. Nur infolge
mich dazu.. Ich^ie’lt S nd Erbär ™ ,ich keit verstehe ich
ich ein — Elender bin T)" ers ! en Schritt nicht aus, weil
Die Traeikisf ä- 11 , a : u !? handelt sich alles!«
rissenheit der Seele das P «beholfenheit des Kleinmuts«, die Zer-
' das Erschrecken vor dem eigenen Entschluß.
Brynhild.
Wir unterziehen jetzt der A t
sage, wo wir wieder den Rrrioh na ySe . e altnordisdie Brynhild-
nalität nachspüren wollen. n a k„: Un ^ e j zw ischen Tragik und Krimi¬
älteren Sigurdliedes IBrof nf S;™ w T’ d . en wir uns an den Text des
gleichenden Betrachtung auch daf U J-halten und zur ver-
en skamma] anziehen 1 , Jüngere Sigurdlied [Sigurdarkvida
sich nutzem Bes'lego ftÜTaK? 1 ', l Un 8 frau - <k geschworen hat,
schließ, sie zu freie,, und z ehTt,^ Guttnar be-
der ihm die Hilfe versprochen i?‘ gU Ä. Seinem Schwurbruder,
_^ ' V01 Brynhildens flammenumloderte
1 Wir benützen hier die »Edda« T /u , < ,
Jena 1912. Verlegt bei Eugen Diederilhs ^ ^ ie ^ er ^ ^ ers - v. Felix Genz mer.
Der tragische Held und der Verbrecher
117
Burg. Da es Gunnar nicht gelingt, durch die Lohe zu dringen,
tauscht Sigurd mit ihm die Gestalt und gewinnt ihm die Braut.
In der Brautnacht legt er zwischen sich und Brynhild sein blankes
Schwert. Nach Jahren erfährt Brynhild ^ von Sigurds Weib den
Betrug und begehrt von Gunnar seinen Tod. An einer Stelle des
jüngeren Sigurdslieds enthüllt sie die Liebe zu ihrem Bezwinger
als das eigentliche Motiv ihrer Rachgier.
Brynhild liebt also den Helden Sigurd, ihre unbefriedigte Libido
schlägt in Wut und Grausamkeit um. Der Liebesaffekt muß, wenn
er auf Hindernisse stößt, in irgend einen anderen Affekt übergehen
(»Affektverwandlungen«). Es gibt hauptsächlich zwei Formen solcher
Affektverwandlungen: entweder geht die gehemmte Erotik in Angst
über 1 * 3 oder in Haß, beziehungsweise in Grausamkeit (gesteigerter
Haß). So sahen wir oben, wie sich die (inzestuöse) Erotik eines
Orestes oder Raskolnikows in der grausamen Mordtat geäußert
hatte/ ebenso war es mit dem Patienten Antons. In der Angst»
neurose nimmt der Liebende Leiden auf, in die sich seine erotischen
Gefühle auflösen (masochistisch). In der Grausamkeit dagegen läßt
der Liebende die geliebte Person Leiden erdulden: der erotische
Affekt wird nadi außen getragen (sadistisch). Feinere Naturen gehen
gewöhnlich den ersten Weg, primitivere (beziehungsweise gröbere)
Naturen bevorzugen die zweite (sadistische) Lösung des Liebes»
konflikts.
In der Brynhildsage liegt auch der »Bruder=Schwesterkomplex«
verborgen. Sigurd vertauschte die Gestalt mit Gunnar, es ist der
symbolische Ausdrude ihrer Identität: SigurdUGunnar. Anderseits
schenkt Sigurd Brynhildens Ring seinem Weibe Gudrun, dadurch
vollzieht sich gewissermaßen die Identifikation: BrynhilcLGudrun.
Somit ist BrynhilcLGudrun das Weib ihres Bruders Gunnar»Sigurd.
Merkwürdigerweise erzählt Brynhild in dem Eddaliede: »Brynhildens
Helfahrt« von jener Situation mit Sigurd:
Ein Bett barg uns
Beide traulidi,
Als ob er mein Bruder
Geboren wäre.
Unser keiner
In adtt Nächten
Könnt um den andern
Den Arm (egen.
Jetzt bekommt die Wut und der Haß gegen Sigurd eine neue Be*
leuditung: darin äußert sich die Abwehrreaktion gegen den Inzest*
1 Das Kind ist gewohnt, bei jeder Gefahr <Angstsituation) die Anwesen-
heit der geliebten Personen zu wünschen. Dadurch entsteht eine feste Assoziation
zwischen Angst und der Sehnsucht nach den geliebten Personen. In späteren Jahren
schlägt darum die unbefriedigte Libido so leicht auf dem gebahnten Weg, aber in
umgekehrter Richtung, in Angst um.
118
Leo Kaplan
gedanken (»Sicherungstendenz«). Das Verbrechen erscheint hier als
ein Mittel ein anderes Verbrechen zu verhüten, die Grausamkeit
ist die Folge der Verdrängungstendenz.
Verfolgen wir jetzt die Situation nach der Mordtat,* wir finden
auch hier die Abwehrreaktionen sofort ins Spiel treten.
Finstre Nadit war's,
Viel war getrunken,
Frohe Reden
Geführt waren;
Alle schliefen
Auf ihren Lager —
Einzig Gunnar
Von allen wachte,
Auch Brynhild schlief nicht recht, sie hatte böse Träume. Sie er*
zählt davon:
»Schrecken schaut idi
Im Sddaf, Gunnar:
Kalt war der Saal,
Klamm mein Lager,*
Du, Fürst, rittest,
Des Frohsinns bar,
Die Fessel am Fuß
Ins Feindesheer.
So wird verniditet
Der Niblunge
Mächtige Stamm:
Meineid schwurt ihr.«
Es ist der ängstigende Straftraum: die Folge des Schuldbewußt-
:r Si ?äX« z: wuä; “ Bry " hiid ^
Dodi will ich mit Sigurd
Zusammen sterben/
Das soll für mein Leid
Die Sühne werden.
Ihr Selbstmord ist aber nicht nur eine Selbstbestrafun„ c**i
für das verübte Unredrt, sonder,, diesmal S „Lt S“ 1 "''
NämliA^rynhÜd will auf Sigurds Seite im Tode ruhen. Ihr'ietzKr
Sigurd brenne
Zur Seite mir.
Bsisf^o derTod der Ae Liebenden für e»ig vereinig,: derUeksrod.
Verbote',: «ÄISJ? t Rf" d *
de„ Si No e rm^° n!,ik,S ZWiS * en d ™ ^"^""und'de^sie himmem
Der tragische Held und der Verbrecher
119
Der Sündenbo ck.
Der tragische Held ist der Verbrecher in uns, er nimmt unsere
Schuld, sowie die uns bestimmte Strafe auf sich. Mit einem Worte
in der Tragödie wird die Idee des Sündenbocks verwirklicht, Eine
schlagende Illustration der Sündenbocksidee finden wir in einem
Berichte des Fuggerschen Juristen Lucas Geizkofler <t 1620) in
seiner von A. Wolf herausgegebenen Selbstbiographie (Wien 18/J>:
Er hat »aus seinem losament ersehen, wie ein armer handwerks-
mann auf einem esel hinterrücks sitzend mit grossem zuelauf der bueben
und mädlen, durch die gassen gefüert worden, darum weil er sein weib
in monat Maio geschlagen, welches die Obristen Parlamentsherrn und 1 ra¬
sidenten gemachel erfahren. Nach altem Gebrauch ist dieser erkenntnus
und straf vergunt und überlassen wider diejenigen, die ihre weiber in
solchen monat übel tradiert, zu urteilen. Es wird aber solche Jurisdiction
und straf also verstanden und moderiert, dass die reichen ehemannei von
der Frau Präsidentin höflich ermanet worden, etliche krönen zum almosen
für hausarme leut zu geben, und ihre weiber sonderlich in trühlmg in
mehreren ehren zu haben, auf dass sie solcher fröhlichen zeit auch der
ehelichen lieb desto mehr pflegen, kinder erzeugen und des ehebetts in
fried und einigkeit gemessen. Den eheleuten zum exempel und einer
crinnerung wurde ge mein glich ein armer schlechter bürg er,
welchem man geld giebt, dahin bewegt, als ob er einer solchen
straf würdig und wider sein weib wo! verschuldet hatte,- er
wurde dann in etlichen gasse auf dem esel herumgefüeret, be^
kennte sein verbrechen, und erinnerte die zueseher, sie sollen
sich an ihm spiegeln, und ihre weiber wol und ehrlich tractieren,
Nach diesen thuet die Frau Präsidentin eine statliche gasterei halten, welche
die Frauen und Töchter fürnehmer Parlamentsherren beywohnen, und einen
züchtigen tanz und andere kurzweil anstellen,« 1
R y ir .. Sehe " hier e , in Schauspiel, an dem sich die Verbrecher
(die Ehemänner) spiegeln sollen: der Darsteller ist hier wirklich ein
Symbol des Kriminellen, das im Innern der Zuschauer lebt. Durch
T? Sträfling des Darstellers wird das Verbrechen gesühnt, das
Kechtsbewußtsein befriedigt, die verletzte Norm wieder hergestellt
die böse Tat gutgemacht. Die dramatisch-tragische Handlung
ist eine Versinnlichung unserer eigenen Kriminalität.
Von diesem Standpunkte wird eine ȟberschnelle Exe-
cution in dem Clagenfurter Gebrauch, den Dieb erst zu henken
und dann zu untersuchen« 2 erst verständlich. Denn der Bruch der
Rechtsordnung muß so schnell als möglich bestraft werden, das
fordert das böse Gewissen der Mitbürger. Man henkt darum den
Erstbesten, der in diesem Falle unwillkürlich die Funktion des
Akteurs übernimmt. Die Hinrichtung des vermeintlichen oder wirk-
' Mitget. von Brandt im Archiv für Religionswiss. Bd. 11 p. 153
_ . , J\ G rimm, Deutsche Rechtsaltertümer. Bd. I., 4. Aufl., p. 531. Leipz., 1899,
Dieterichsdic Budih.
120
Leo Kaplan
der
Selbstbetrug nadf auße^' 8 *“ SdiauspicI ' eine Projektion
kriminell bV^ Mi rw>f^ U °^ ^ C f'.,M rt !‘ e ^ c — von der Gesellschaft als
neue Bruch I? C 'J \ ^ f dem Primitiven nicht leicht- Jeder
wachzurufen ihm C so ^ , J“ n S droht den »kriminellen Komplex«
fa E ; 1",,,“' Zu ™fe»>en, jedes Verbred,en iS.
muß das Dramarist.,-T ■ :om ! nen f Beispiel zur Nadiahmung. Hier
tionsmedianismiiQ A- Ä f la & 1S( he^eingreifen, um mit Hilfe des Projekt
zuweTsen Dara.« J'uF iminali,ät In ihre Grenzen zurüd.-
uralten Zeiten aud,' Tb-rr''* j e merkw ürdige latsadie, daß man in
und bestrafen | frv ^ un * so & ar Ablöse Gegenstände richten
M(L£Äo^h n i. te, /| I,n 0 Av ? ta Werden die Tiere ganz den
siv zu Wmi I e,t V Ein biSSiger Hund Wil ’ d z ' B sul{zeS "
den keddes n T l i" SSStrafen versd hedener Art verurteilt.« * »Bei
tötete dessen Fa mit™ T*' Wen ". ein Tiger einen Menschen
einen anderen Tiger zur°RadI? C “l- M,ß l aAtung ' bis sie diesen ode , r
einen Fall von fjnem Baume getötet hatte, und war jemand durch
hörigen desselben für- \ n ^ ei un gludct, so mußten die Ange*
fällt« und to MeineS,^ indem sie den Baum
wurde über leblose nJk> ... ze jd 1| eben . , . In Prytaneum in Athen
Menschen ohne Mitwirlain^ an< ^ e we *die den Tod eines
hatten, z. B. über eine A« m ^ nsdl1 ^ Verschuldens herbeigeführt
Wurden dieselben für schuld ^b'f *!? StÜd Holz oder einen Stein,
liehen Formeln über die (“i r J5 ^ un den, so wurden sie unter feier^
-nd gestraft, sondern N 'T der Verbrecher
ist bloß der äußerliche TV* / ec ’V Gn S^suhnt, der Verbrecher
sich gewöhnlich auch die Vergeltung V
TeXr —« * er kanÄtÄÄläzn^
Sdiuldbewußtsein'rk^ -UrCb | dlC Bestra fung eines Ersatzmannes vom
Bibel vorschrdbr TuD Tr' l?K' aus cinc,n Gebrauch, den die
soll zwei S J n befiehlt dem Hohenpriester Aaron, er
Bödce Inw | *" Wa dc r n ' ^Gnd Aaron werfe wegen der zwei
[Levir. XVI «f S m" 1 ! h° S Jekovah, das andere für Asasel«
rlpr \ ' «Hi dem Talmud ist Asasel ein Berg, von dem
zun, ol ,ei “ nt , ei ;S es, ° B f n T iri Df eine Tier wird ausdrüdtli*
2 um Opfern an Jehovah bestimmt. Mit dem anderen Tiere wird die
folgende Prozedur vorgenommen: »Und Aaron legt seine beiden
Hände an das Haupt des lebendigen Boches und beichtet an ihn
die Sunden der Kinder Israels und alle ihre Frevel und alle ihre
iüt eiSTd Und , tut f| sle \ n das Haupt des Bodces und schickt ihn
mit eme m daztI bestellten Mann in die Wüste. Und der Bock trägt
FußucL OlÄ A.'sÄz. Mspn,,fa “' M - 231 '
2 ib., p. 232, Fußnote.
Der tragische Held und der Verbrecher
121
auf sich alle ihre Sünden in die Einöde . . .« [Levit., XVI, 21 u. 22].
Der Talmud ergänzt diese Schilderungen wie folgt: »Die besten
Männer von Jerusalem geleiteten den Bode von einem Zelt zum
anderen [die am Wege aufgebaut waren], bei jedem Zelte sagen
sie zu ihm: hier ist Gras und hier ist Wasser, sie geleiten ihn
von Zelt zu Zelt, außer dem letzten, an das sie nicht treten dürfen,
sie bleiben in der Ferne stehen und beobachten, was weiter ge-
schieht. Jener [der dazu bestellte Mann] nimmt ein rotes Zeug,
die eine Hälfte bindet er an einen Felsen, die andere Hälfte an
die Hörner des Bockes und stößt ihn rüdewärts ab.« 1 Der Bode
nimmt auf sich die Sünden der Kinder Israels und wird zur Ver-
geltung dieser Sünden zum Tode verurteilt. Das feierliche Geleit
des verurteilten Tieres erinnert lebhaft an die Feierlichkeiten, die
in früheren Zeiten bei der Hinrichtung von Verbrechern üblich waren.
Dem primitiven Menschen ist die Bestrafung des Ver¬
brechens ein festliches Schauspiel.
Die von der Kultur verurteilten »bösen« Triebe charakterisieren
wir öfters als das Tierische in uns,- darum sind die Tiere so
geeignet das »Böse« zu symbolisieren. So stellt sich die Volks¬
phantasie den Teufel — den Fürsten des Bösen im Bilde eines
Schweines, öfters (so im Hexenaberglauben) als einen Bock vor.
Das Tier ist das Ungebundene, Rücksichtslose, mit einem Woite
das Primitive, Ursprüngliche, Prähistorische. Durch Überwindung
und Knebelung des Tieres (= durch Verdrängung der Urtriebe)
ist der Kulturmensch entstanden. In dem Kampfe mit dem »Bösen«
unterliegt aber der Mensch zu oft, wenigstens in den eigenen Ge¬
danken. Dann muß er einen dramatisch-tragischen Spiegel haben,
durch die exemplarische Bestrafung des Ersatzmannes (Doppel¬
gängers) fühlt er sich von dem Sündhaften gereinigt. Das geschieht
auch in der oben geschilderten biblisch-talmudischen Prozedur. Die
feierlich versammelte Gemeinde geleitet das Tier zur Richtstelle,
was an den tragischen Chor, der z. B. der Fesselung des Prome¬
theus beiwohnt, lebhaft erinnert. Ist Prometheus die Vision des
antiken Chores, so ist der verurteilte Bock eine Projektion
der von Schuldbewußtsein erfüllten israelitischen Ge¬
meinde 2 . Daraus folgt aber die Sündenbodesnatur des tragischen
Helden.
Die Hinrichtung eines Tieres finden wir auch in den ver¬
schiedenen griechischen orgiastischen Gebräudien. »Auf Kreta soll
1 Talmud bab., Traktat Joma 67 a. — Nach anderer Deutung dürfte Asasel
einen Dämon bezeichnen.
2 Die Hinrichtung geschah alljährlich zur Zeit des Versöhnungsfestes. Bei
den späteren Juden trat an Stelle jener Prozedur die folgende: Man nimmt einen
Hahn in die rechte Hand und spricht: »Der ist ein Ersatz für mich, der ist eine
Vergeltung für mich, dieser Hahn geht in den Tod und ich bin erlöst und gehe
in ein Leben voll Gutes, Länge und Frieden.« Der Hahn wird dann abgeschlachtet
und verzehrt. Durch das letztere wird wohl die Identifikation des Sünders mit
dem Hahn vollzogen.
122
Leo Kaplan
giasmus zii ^ JCStalld JT haben, einen lebenden Stier im Or-
itödten von 2 pJri^ SAcn ‘r' D ' e Bi,dwerke zeigen die Mänaden mit
messern Z Z f • i"™ V^J" den Händen • • oder mit Schlacht*
Zerreißimcr erf 5l u r n S ^ er fiere gerüstet.« »Auf die ekstatische
Bekleidung er .PH e ™ n S der dionysischen Tiere schließt sich die
Buboia ab^fo'r t ^ eilen an. Die Stiftungslcgende eines aus
und den Srh, ? r &‘Y S(lien Kultes läßt auf das Ziegenopfer
die rCt^ct Ul j ,ui, I l un Sen mit den Fellen folgen.« 1 Durch
den hineerirhrf '^T- <Cn identifizieren sidi die örgiasten mit
ist vom^Mvtbi U1 tf ler ?i‘ ^ ie Auffassung der Tiere als »Verbrecher«
tier der 7\Z f* St It,ar S en »g ausgesprochen. So war das Opfer*
»Eine volf Und Weinbauer' in Griechenland der Bode,
dafür daß der • ieß das °P fer gesAehcn zur Strafe
leeendanie^genasch.ge Bode den Weinstode benagt ... Daß die
eine VcrsünriicP aS j Un ^ r . c ^ es Opfers als eines Strafgerichtes über
ist, zeigt ihre AnL ,!? , an ^ en Gott volkstümlich und alt
man um das Oi f ° c GI den att ‘sdien Buphonlen, an welchen
motivieren, diesen von der
brecher aber ein \To t . 4 ' Das Tier war somit wirklich ein Ver*
hauste/Im Orgiasmus ^in *4 ^ ^ ccIe des Örgiasten selbst
Hinrichtung des Tipr^c ' de . n nac btlichen Schwärmereien, die der
Triebe vollkommenau^X^ll' tobt | n die Örgiasten ihre wilden
seinem Rechte lmmm/ 1US ' Danach mußte das &iihnebedürfnis zu
DaTtm« “ T, dcr tra 8 is*e Absdiluß folgen-.
Goit Dionysos selbst "bas' f °[ s ' as,lscl ' c n Gemeinde bedeutete den
über Dionvsnc- KT 1 P as ..f 0 ^ aus den verschiedenen Mythen
rasenden Dinn A 1 3 ^ em ältesten Zeugnis verjagte Lyhurgus des
sebtäo-f* r A * r\°r Atmnen ' daß sie , getroffen von seinem .Ochsen -
ai & r r . Ie Opfergeräte zu Boden warfen,* Dionysos sprang ins
Meer und suchte zitternd Sdiutz im Schoße Thetis.« »Das Dionysos¬
in waid, um der Hera zu entgehen , in ein Zicklein verwandelt.
Demnach ist eine Eigentümlichkeit dieses Kultus, daß der
Oott selber in der Gestalt seiner Opfertiere, des Stieres
und des Bockes erscheint.« 4 Dionysos ist ein verfolgter Gott,
der oft die Gestalt eines Tieres annimmt. Warum wird er aber
1 Roscher, Ausfuhr!. Lexikon der griech. u. röm. Mythol., Bd. I, 1037 u. 1039.
2 ib. 1058, 1059.
3 Die Idee des Sündenbockes ist unschwer auch in folgendem zu erkennen:
»In der zu der Provinz Brandenburg gehörigen Westprignitz herrscht vielfach der
Glaube, man könne ruhig einen Meineid schwören, wenn inan irgend einen Gegeilt
stand, so eine Schürze in der Hand halte. Ebenso in Pommern, wo meineidige
Frauen beim Schwören mit der linken Hand die Schürze oder das Schürzenband
anfassen und nach der Eidesleistung dem Bösen freiwillig opfern, damit ihnen
,der Böse nicht beikommen soll'. Auch benützt man in Pommern den Knopf eines
Rodces als Sündenbode, den man nachher wegwirft.« Ebenso in Oldenburg, in
Ostpreußen usw. Alb. Hellwig, Mystische Meineidszeremonien. Arch. f. Religions^
Wissenschaft, Bd. XII, p. 56.
4 Roscher, a. a. O., pp. 1050 u. 1959.
Der tragische Held und der Verbrecher
123
verfolgt? Die Vermutung liegt nahe, daß er zu den »bösen« Göttern
gehört Der Mythus rechtfertigt diese Vermutung vollkommen. »Nach
Nikanders Verwandlungen verschmähen die drei Töchter des Minyos
die Weihen des Gottes und bleiben zu Hause an ihren Webstühlen,
trotzdem sie Dionysos in Gestalt einer Jungfrau dazu ermahnt.
Darauf erschreckt sie der Gott als Stier, Löwe und Panter erschein
nend und durch andere Wunderzeichen,- sie geloben ein Opfer, losen
darum und die getroffene bietet ihren Sohn dar, den sie zerreißen.
Als sie in den Bergen umherschweifen, werden sie in lichtscheue
Nachtvögel verwandelt.« 1 Die Frauen begehen also ein Verbrechen,
für das sie dann die gebührende Strafe bekommen. Der Anstifter
aber zu diesem Verbrechen ist der Gott Dionysos. »Die
Tat der Minyaden wurde einem Geschlecht der Orchomenos zu»
geschrieben ... An dem trieterischen Feste Ayeuovia verfolgte der
Priester mit dem Schwerte eine der Frauen des Geschlechts, die er,
wenn er sie erreichte, töten durfte. Die alte Schuld der Frauen ist
das Kindesopfer 2 . . .« Jede soziale Ordnung wird durch bestimmte
Normen in ihrem Bestände geschützt,- diese Normen werden durch
die Autorität eines Gottes besonders bekräftigt. Die revoltierenden
Urtriebe aber schaffen sich einen Gegengott — einen Dämon
welcher der von dem herrschenden Gott geheiligten Ordnung feind»
lieh gegenübersteht. Dionysos ist ein soldier Gott der verdrängten
(unbewußten) Triebe. Darum ist er ein verfolgter, d. h. von den
herrschenden sittlichen Normen (von der »Zensur«) verfolgter Gott 3 .
Daß die ihm dienende Gemeinde in der Gestalt des Opfertieres ihren
eigenen Gott hinrichtet, darin äußert sich der dramatisch»tragische
Zwiespalt der Seele: der Zusammenstoß des kriminellen mit dem
Ethischen, des »Bösen« mit dem Gewissen.
Auch die mittelalterlichen Vorstellungen vom Teufel sind von
derselben dramatisch»tragischen Natur. Den Mittelpunkt des Teufels»
kultes sollen angeblich die Hexensabbate bilden, wo die Ketzer, die
Hexen und die Zauberer zusammenkamen. Ein Engländer, Walter
Mapes, schilderte um 1190 diese Zusammenkünfte wie folgt: »Sie
versammelten sich . . . beim Einbruch der Nacht in ihren ,Synagogen',-
an einem an der Decke befestigten Seile stieg ‘dann ein großer
schwarzer Kater zur Gemeinde herab,- sobald dieser erschien, wuiden
die Lichter gelöscht und jeder suchte den Kater als seinen Herrn
zu küssen, vor allem an ekelhafter Stelle,- dann gab man sich
allgemeiner Unzucht hin«. 4 Nadi anderen Angaben erscheint der
Teufel der gläubigen Gemeinde in Gestalt eines gigantischen Bockes.
Auf den jährlichen Festen wird der Teufel verbrannt. Der Teufel
i ib., 1053.
Mb.
3 Dieses Problem hat der Autor ausführlicher behandelt in einer noch nicht
erschienenen Arbeit; »Die Faustsage«.
4 Angef. bei Jos. Hausen, Zauberwahn, Inquisition u. Hexenprozeß in
Mittelalter, p. 228. Mündien und Leipzig 1900.
DerTeufelsefaube kt'T ^ ISI 9'! f ) cs fä f ihn schwärmenden Chores,
muß. Diese iühnp ,| r -V^reAen, das s< kwer gesühnt werden
im realen Lehen aber* S 'v mythisch im Verbrennen des Teufels aus.
Die Vernnirki ' m Xf r V ennea ^ er Hexen und der Zauberer,
folgungen beweis™ V °j ^ e ^ lt u,ld Mythologie in den Hexenver*
titäTTon di , C P^hologischelden.
folgung. Der mittofak fS 6 ^/ 110 ^ P. ,ld strafrechtlicher Ver*
der eigenen Phantasie»^ !^ e ^ ensdl , kämpfte mit den Ausgeburten
»Zum Wesen einpc H •(• ^ ene j cr . körperliche Existenz zuschrieb,
mit dem in Pprc^t ». ^ n £ cn der christlichen Kirche gehörte, daß er
hatte.« Der übertrief ien ^ n ^ n T eu erfolgreiche Kämpfe bestanden
brachten es zu einpr'l? ^ketfemus un ^ die Heiligkeit jener Zeit
sinnlichen Triebp n c Jolte der unterdrückten und geknebelten
und Helden dfe H nbcwußte «*>uf sich neue Götter
tragische Reaktion \r f 'f ^ c t bevölkerten <die Prejektion). Die
Tai umpesetzt becfpnS ° 6 a-^ "% U e ^<haffene Welt wieder. In
meintlichen Hexen imrl 7 CS /' C strafrechtliche Verfolgung der ver*
Darsteller „ötig haben Ä T* die Gestak ™ Didtters die
ebenso hat das Srhiilrlh C| bhaftig vor uns erscheinen zu können,
$re*er naÄStSlt™ P-T
Triebe wirksam 711 fif,»-. • j “tiafung die eigenen verbrecherischen
mit °V t K ? m ? f m .' t ' dcm Vcrl.recl.er
sehen Wesen narh*\>- j Cn ^ tra ^ e ,st ihrem psychologU
Die BesLf,,nJ / C dramatlscl '' tra « is cl.c Handlung,
ptänomen«. Wenn man'z ifllf'w’l 0 ISt ein »VersAiebungs-
man aber nichts antun darf ’ A ^ Ut segen i eniand tferät, dem
einen Gere, h^ !? darf °t r . kaim ' zerstört man irgend
und wird so h»n i • f r% n \vr S< J mit der P aus t auf den Tisch
auf den leblncr> Cr ^ uta ^ekt wird von der schuldigen Person
eine Pein ->nt ° egenstand verschoben. Will man einem Feinde
abercrlo..! " U ?' so kann man, nach einem sehr verbreiteten Volks*
if ^ . C ( n ' Cn .l , K . 1 se 11 durchstechen oder durchpeitschen usw.,-
aues mit dem Bilde vorgenommene, geschieht jener Person. Man
mu seiner Wut Luft machen und wo Hindernisse entgegentreten,
verschiebt man den Wutaffekt auf einen Ersatz, auf einen Sünden*
• ( ^ w 1 t aas Volk vom Schuldbewußtsein gedrückt, erwacht
eine Wut gegen die eigene sündhafte Person, der man doch keine
Fein antun mochte, so schafft man auf diese oder jene Weise einen
Sundenbodc, auf den man mit Hilfe des Verschiebungsmechanismus
die Strafe ubertragt. Die Menschheit handelt in diesem Falle wie
ic kleine Hilde. Stern, von der erzählt wird: »Einmal, als sie
erma nt wurde, im Garten nicht Blätter abzureißen, antwortete sie:
Pupp e hat die Blätter abderissen, kriegste Haue.« 1
»Beiträ?e C zur ra p,v^ n !i an A Stern ' B ? am ' Aussa * c in der ersten Kindheit,
»neitrage zur 1 sychol. d. Aussage«, her. v. Stern, II. Folge, H. 2, p. 63.
□ □ □
^U!lIIl!IlI!l!III!Ii!I11IIIX!I!(l!l!!!IIII!Iin!I!!lllII1lini!H!!I!l!l!!UllIlllll!!lIS!l!i!!I!IIIl!!lI!IIlIlIll!l!lI!!VI11Y!U11!!i^
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= 18 Bogen, mit mehreren’ Abbildungen, geheftet M. 9'— = K 10'80, §j
in Halbfranz geb. M. 12'— = K 14'40.
INHALT. I. Einleitender Teil. 1. Die Parabola. 2. Traum- und Märchendeutung. E
E rvl 1 * Analytischer Teil. 1. Psychoanalytische Deutung der Parabola. 2. Alchemie. E
zz 3. Hermetische Kunst. 4. Rosenkreuzerei und Freimaurerei. 5. Das Problem der mehr- £5
— fachen Deutung. — III. Synthetischer Teil. l. Introversion und Wiedergeburt. 5
== A. Verinnerlichung und Introversion. B. Folgen der Introversion. C. Wiedergeburt. Z Das E
j= mystische Ziel. 3. Königliche Kunst. — Anmerkungen. — Quellen. — Index. E
5 Dieses tiefschürfende Werk hält mehr, als der bescheidene Titel verspricht. Es führt E
= ins innerste Wesen der Mystik selbst und gibt endgültige Aufschlüsse. E
E Durch die Anwendung der psychoanalytischen Methode gelangt der Autor =
E zu ebenso überraschenden als zwingenden Ergebnissen. Die Bildersprache der Mystik E
5 (wovon uns das Werk zahlreiche Beispiele aus seltenen Quellen vor Augen führt) E
= ist schon an sich teils wegen ihrer Kuriosität, teils wegen der Größe und Schönheit E
5 i^ rer Gedanken bemerkenswert. In der Beleuchtung des Verfassers aber entfalten E
== die Rätselworte der Mystiker, Alchemisten und Rosenkreuzer erst ihre volle E
5 Kraft, und die Zusammenhänge zwischen erotisch und mystisch reih* E
= giöser Symbolik treten klar zutage. Insbesonders auch wird das Wesen und E
E Symbolik der Freimaurerei, sowie ihr Ursprung in eine ganz neue =
= Beleuchtung gerückt, wobei den Verfasser ein reiches historisches und philosophi* E
E sches Wissen unterstützt.
SllHlIlllIIllilllllllllHIIlIlIlllllllllllIIlIlIlIIIlIllllllIlIIIllllIlllllllliiiiniiiiiiiiijiiuiiiiiijjiiiiiijiiiiiiijimjujl
Inhalt des zweiten Heftes.
Dr. HANNS SACHS <Wien): Schillers Geisterseher.
LEO KAPLAN (Zürich): Der tragische Held und der Verbrecher.
Nachdruck verboten.
itBireiiaHHiiiKiaii
1a
WIENER GRAPHISCHES KABINETT
HUGO HELLER, WIEN I., BAUERNMARKT NR. 3
Zur Subskription ist gestellt:
SIGMUND FREUD.
Porträtradierung von MAX POLLAK.
Plattengröße 4772:4772 cm, Papiergröße 85:63 cm.
Es werden insgesamt nur 50 Exemplare von der Kupferplatte gezogen, und zwar
Nr. 1—25 auf kaiserlich Japan, Nr. 26—50 auf van Geldern-Bütten.
Jedes Blatt ist vom Künstler handschriftlich signiert und numeriert.
Der Subskriptionspreis beträgt für die Abzüge auf kais. Japan 100 K = 85 M.
für die Abzüge auf van GeldernJBütten 60 K = 50 M.
Ein ausgezeichnetes Porträt und hervorragendes Kunstwerk, das auch losgelöst
vom gegenständlichen Interesse besteht und fesselt, bietet hier der treffliche Wiener Ra¬
dierer den Sammlern und Kunstfreunden. Die Aufgabe des künstlerischen Porträtisten,
den geistigen Gehalt einer Persönlichkeit auszuschöpfen und sichtbar zu machen, ist in
diesem Kunstblatte nahezu restlos gelöst.
BUCHDRUCKEREI CARL FROMME, GES. M. B. H. IN WIEN