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Full text of "Jahrbuch fuer Geschichte, Sprache und Literatur Elsass-Lothringen 26"

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( Oroinalfrcrn 

JNVERSTYt^MCHKSAI 



JAHRBUCH 



rün 



GESCHICHTE, SPRACHE UND LITERATUR 
ELSASS-LOTHRINGENS 



HKRAUSC.EGEMKN 



vns hKH 



HISTORISCH-LITERARISCHEN ZWEIGVEREIN 



DI3 



VOGESEN-CLUBS 



XXVI. JAHRGANG. 



STRASSBURG 
J. H. ED. HEITZ (HEITZ & MÜNDEL) 



( \n -* iL- Orgiia fron) 

'^" JlIVtfömUtMUlKAI 



/ Oroinalfrcrn 

JNVERSTYt^MCHKSAI 



TufA f 
36 7C-C 



Inhalt. 

Seil« 

I. Gedichte, 1. Dem Präsidenten des Vogcsenklube, Ge- 
heimrat Professor Dr. Enting, zum Eintritt in den 

Kuliestand and seil einnndfiiebEigstes Lebensjahr, 2. 
Dem Herategeber des Vogosenklub- Jahrbuchs, TJniver- 
sitjitspror'cäüor Dr. Marlin, beim Ausscheiden st» dem 
Hoehscfculimt, 8. Vor dem Akatietf, 4. Sylvesterspruch, 
ö. Kurh&ns Bocken von Christian Schmitt. 
6. Auf Sankt Odilien von Ä jguat Dietz . . . 1 

II. Das Armen- und Krankenkaeienwesen des mittelalter- 
lichen Sttaßburg von Martha Goldberg (Fe rt- 
SBtSQIl^) 8 

HI. Eid altes Anniversarienbuch des Klosters St. Morand 
bei Altkiroh von Theobald Walter (mit Abbil- 
dungen; 69 

IV. Die bnrgnndisehe Hystorio und ihr Verfasser von K. 

Schneider 9& 

V. Ein unbekanntes Gedicht von SebasÜau Brant mitgeteilt 

von Karl ötonzol , . 165 

VI. Die Scki'UengeselUchaften im Oberen Mandat von 

Aug. Herttog-MetÄ . 167 

VJi. Sprachliches aas Straßbuigäx JUtsprotokolIec (der 

XXI) mitgeteilt von L. Müller 193 

VIII. Ein Beitrag aar Geschichte des oberels&ssischea Weia- 

banes von Wilhelm Beamelmans ...... 200 

IX. Ein Aktenstück des Ffalsgrafen Georg Bans von Yel- 
denz-Lützel stein cur Gründung* einer deutschen Flotte 

mitgeteilt von G. Wolfram 217 

X. Alsatia antiqna. Bild von L. v. Kramer mit Erläute- 
rungen von K Martin 225 

XI. Zu Mündels «Haus Sprüchen und Inschriften» ven F. 
Monte- Colmar 990 

XII. vvnitha-t Spanien berg, GeachUnte des Meistergeaanga 

von E. M , . . 231 

XIII. Dan Wanderbuch eines eh&ssischen Schneiders von 

1607 bis 1514 ron Theodor Renaud 231 



( Orghä frorn 



JlIVlßllfül-MtHKiAl 



— IT — 



Seit« 



XIV. Eia Spottgedicht auf die Straßburgcr Umgebung der 
Daupaine Marie Antoiiiette und die Antwort darauf 

1770 mitgeteilt von E. Martin . . 250 

XV. .Iiiiiiin Rcnadiet Selierar, ein Straßbnrger Aulonomist 

der Revolutionszeit von Theodor Renaud . . . 276 

XVI. Carolina Flcgoliana mitgeteilt von W. Teichmann 204 
XVII. Traamgedifiht eines WainbnrgerR von Adolf Ja- 

coby -Weitersweiler 320 

XVIII. Eine geistliche Auslegung: des Kartenspiels von Adolf 

J a co by- Weilersweiler 32ö 

XIX. Sagan und VolkstfimUchee aus Weitemweiler und 

Umgebung von Adolf Jtco by-Weitersweiler . 399 

XX. Tagebuch Ludwig Sp&chs über seine ertte italienische 
Beisc 1825- 182t» herausgegeben von 0. Wiiickcl- 

raann 340 

XXI. Gedichte in StraiSburger Mundart von Frau Charlotte 

EngaUiardt-Schweigrh&UBer mitgeteilt von EM.. . . 39s 
XXII. Die Brtttler Matthls von Ernst Stadler . . . . 40j 

XXIII. Neuere Ocdichte in Stroßburg-or Mundart. 1. .Ilitt 
grattta in ^r bi Wind und Stnrm, uff d' Sehnftf.kft nnff 
vum Münsehterturm» vjn AI bert Hat l bis, 2. Drilss 
uffiu «Gloecklschbarri» von Adolphe Hatthis 422 

XXIV. Chrcnik iiir liKtt) 42*J 

XXV. Sitzangsberichto 4"K) 



Uigiliioc . >. -o. JMVU4IIWMUHWI 



I. 



Gedichte. 

Von 

Christian Schmitt 

I. Dem Präsidenten des Vogesenkluba, 

Geheimrat Professor Dr. Euting:, 

zum Eintritt in den Ruhestand und in sein 

einundsiQb2igstes Lebensjahr. 

(Gesprochei bei dem Abendfest im »Tivoli» «u Straubing 
am 10. Juli 1909.) 

Der Urgeist aus des Wasgaue Uüchbe/-irken 
Ist dieser feierlichen Stande Gast. 

Er kommt, ein trntzhaft unermüdlich Wirken 

Zu krümm unter uns bei froher Rast 

Der Jahre denkt er, da sein Reich verschlossen 

Mit all der Füll o tiefster Wunder lag, 

Bis ihm der Zaubrer kam. der unverdrossen 

Den Lichtstrom seiner Kräfte rief zutag. 

Wir kennen ihn, den Waekcrn, der zersprengte 
Den alten Bann und Weg* und Ffad gebahnt 
Durch Felb und Furst. Kühn zum Erwachen drängte 
Dornröschen er. in Schönheit lang geahnt 
Daß Bcfileierlos den Reichtum ihrer Reize 
Die Holde zeigt: er sei dafür geehrt! 
Und daß sie nicht mit ihren ftihen geize. 
Sein liebreich Werben hat es sie gelehrt. 

Der Jubel, den von tausend sichern Wegen. 
Von Berg and Bnrg erhebt der Wandrer Schar, 
Ihm klingt er hell au Preis und Lob entgegen, 
Der uosrer Heimathohn Erobrer war, — 



( \n -* iL- Crciia fror« 

Uigiiizcc .^.o. JMVtföllYWMUHWI 



— 2 — 

Ihm und den Tapfen, die sein Wort begeisternd 
"Und ftiolgcwifi znm großen Werk geführt, 
Tatfest den stumpfen Widerstand bemusternd 
Und nie von Spott noch Ungunst je berührt. 

Ton Volk zu Volk half bauen er die Brücke, 
Doch klar erkannt als ganzer deutfichar Mann, 
Der, echt and ohne Falsch, mit gleichem Glücke 
Den Eingang auch in jedes Herz gewann. 
Was forschend er der Wissenschaft ^evesen 
Und was er ratend rings und helfend uchuf, 
Auf rnhmbeglänatcn Blättern stoht'fl zu lasen, 

Und auch die Ferne weiß von seinem Ruf 

Daß aber, wohl bewutit des eig'aen Wertes, 
Als Mensch er schlicht in seiner Seele blieb. 
Das machte sein Erscheinen, sein begehrtes 
Und gern begrüßtes, allen doppelt liefc. 
Htm, da von früchteschwerem Tun 6ftin Wille 
Zur Abendruh gemächlich kehrt den Schritt, 
Vom regen Pflichtg^schäft auch in die Stille 
Geht unser Dank und unsre Treue mit. 

Wie droben, iiberai Gieaawall aufgerichtet. 
Der Steinturm seinen biedern Namen trägt 

So sei die Zukunft auch für ihn um lichtet 

Ten edler Freundschaft, die kein Sturm zeraühlägt! 
AU Stärkung werde «ie von ihm empfanden, 
Und was im Zeitstrom auch hinuntertreibt : 
Wir sind mit ihm, sr ist mit ans verbunden, 
Und unser war er, wie er unser bleibt! 



2. Dem Herausgeber des Vogesenklub- 

Jabrhuchs, 
Universitätsprofessor Dr. Martin, 
beim Ausscheiden aus dem Hochschulamt 

{Gesungen von der Feslverisaramlung bei der Ebrenfcier im 
<BäckehJesel» zu Smiöburg am 20. Februar 1910.) 

Wir ehren und erheben 
In dankbewegtem Kreis 
Ein sebön erfülltes Leben 
Mit lautem Lob und Preis. 
Der Teure, deu wir meine«, 

Gehl aue der Tat nur ßuK, 
Treu bringen ihm die Seinen 
Den Gruß uer Liebe zu. 



( v , . ,1,. ürcha frern 

Ul 9'"" '1> K JMIVtHbJnOI-MC.HK.AH 



— 3 — 

Wie stand im Werk nnd Wollen 
Er rein and jrat nnd echt! 
Beschenkt hat ane dem Vollen 
fie.Rfthlfir.ht er nm OiRthlecht. 

Mild war, wo er erschiene«, 

Sein Wort uud »eine Hand, 
Und immer war sein Dienen 
Ein Dienst fürs Vaterland. 

So viel die Zeit zu dampfen 

im Herzen hat vermocht. 

Er scheute nickt ror Kämpfen, 
Die stark sein Wort durchfocht. 
Gern schlüge fremdes Trachten 
Das freie Recht in Bann ; 
Wir aber wollen achten 
Den edeln deutschen Mann. 

Die Sa&t aus langen Tagen 
ftinfj anf in Halm nnd Keim; 
Der Kinder Enkel tragen 
Daraus noch Garbea heim. — 
£ieh, wie Dein Jb'eld sich weitet. 
Zu stiller Schau bereit! 
Wie Segen Dn verbreitet, 

Sei Segen Dein lidleit! 



3. Vor dem Abstieg 

Sahen färbt der Bergwild sich im herben, 

EritUhltea Spathauch bunt and fahl. 

Die Blumen welken hin und sterben t 
St c ran lieg^ und nebelgrau das Tal. 

Was hold entaproßt den lauen Nächten 
Und was gereift die Sommerzeit, 
Das fillt zum Raub den dunkeln Mächten 
Dor siegenden Vorg>ngflishkeit. 

Wir aber stehn nnd sehn dem Kommen 
Der starren Ocdc lüclieltd fil; 
Was auch im Frost uns wird genommen. 
Das Eerz erträgt's in guter Ruh. 

Vor keinem Stnrm zerbricht der Glaube, 
Daß u1Il;b Lebeu muß beoieUu ; 
Uni wird auch, was da blüht, zu Staube : 
Nea keimt ein Werden im Vergehn. 



üigilücc ■-, >. -o. JMVUCsmWMUHWI 



— 4 — 

4. Sylvesterspruch. 

Sinkt, hinab nur. Tag and Standen. 
Wie daß Schicksal es bestimmt! 
Bleibt genug* ons doch verbunden. 
Was kein Wechsel von ans nimmt 
Kehrt das alte Liekt nicht wieder, 
Neue Sterne scheinen nieder. 
Deren TroBt uns hell erglimmt. 

Viel ist hinter ins geblieben, 
Und zurück tragt »na kein Stoff \ 
Doch zum Str«bon nnd zum liehen 
Liegt auch vor uns frei der Weg. 
Nor nicht zagen, nur nicht schwanket. 
Denn von Kräften und Gedaukcn 
Ist der Geist noch frisch und reg! 

Steht zam Wirken nicht und Basen 
Rings das Feld um uns bereit? 
Klar r.um Huflea und Vertrauen 
Blaut der Himmel, hoch und weit, 
Dnd in Tränen wie zum Scherzen 
Gibt die FreunJechaft warmer Herr.eo 
Hent wie gestern las Geleit 



5. Kurhaus Bocken. 

Ueber Hcrgen am Zürichsee. 

(Meiucn Züricher Fronden im Hause Leopold Meyer 

zbi Erinnerung:.) 

Wie winkst du hell aus grünem Kranz 

Von deinem Hochsitz droben, 

Du gastlich Heim, vom Sonncnsrlans 

Mit lichtem Gold am woben ! 

In blauer Ferne tief verhallt 

Der Lärm der Welt, der schrille. 

Durch deine Räun;e friedlich wallt 
Ein Hauch verklärter Stille. 

Hier ist der Ort, wo, frei vom Bain 

Der eitelu Lebenslügen, 

Die Seele neu sich klären kann 

Zu seligstem Genügen. 

In Freiheit frok darf eich das Hera 

Am Sehonheitskertj berauschen 

Und um der Sergen Qual und Schmers 

Das Glück der Hoffnung tauschen. 



Uigilizcc . «. -o. JMvU4IIY(*MUHWI 



— o — 

Breie dehnt sieh unterm Ziegeldach, 

Vom Altersernst umschauen, 

Der Bau, der manche* tngemach 

Ter Zeit hat überdauert. 

Di« Schatten vripfcl am ihn her 

Im Wind die H&npter wiegen 

Vom Hang, an den sich traubenschwer 

Die Rebenreihen schmiegen. 

Leis lockend rührt im Mattensaum 
Her Wald die dunkeln Zweige. 

Als ob er unter ßu&cl* und Baum 
Viel Heimliches verschweige. 
Am Bach, der aus der Kluft ins Tal 
Sich stürzt mit wildem Schäumen, 
Lädt sieb's im weichen Dammerstrahl 
Gar saß and wonnig* träumen. 

Zu Füßen spiegelt Lrf&r der See 

Die grünen Uferkreise. 

Wo ist des Sangers Mund, der je 

Ikn wahr und würdig preise? 

Solch ungezählten TJeberschwang 

Von märchenhaften Bildern 

Weift kßiner >prach& Wort und Klang 

Erfcchuufrnü auszuschulen-. 

Stolz reckt der Eieseilierge 8tirn 
Empor sich in die Lüfte. 
Weißlockig fällt der Silfcerfirn 
Herab zur Felsenhufte. 
I De uiiii;; beugt der Mensch das Knie 
In seiner Kleinheit Blöße 
Vor dieser Formcnrurroonie 
Und ihres ächöpfers (Jröße. 

Das ist ein Reichtum, drin der Blick 
Anfstaunenri satt sich badet. 
Wchl jedem, den ein Huldgeschick 
Mit solcher Schan bognadett 
Wchl jedem, dem nach Leid und Harm 
Hier eine Rast beschieden! 
Er sage fürder nicht, daß arm 
Geblieben er hienieden ! 

Auch ich in dankerfüllter Brust 
Will dein Gedächtnis wahren. 
Du Stätte, wo mir reinste Lust 
Und Liehe widerfahren! 



f 



( 's\ * iL- Oroiia frorn 

' ^" JIIVU&m0>M(.HKAI 



— 6 — 

Gott, der durch Stnrm und WetteTgraus 
Bis hierher dich getragen. 
Er schirme dich, du freundlich Baus, 
Bie eu den formten Tagen ! 



6. Auf Sankt Odilien». 

Von 
August Dietz. 

Ein pracht'ger Abend *ut den Wasigrenhö'h'n. 
Am Horizont, in purpnrros'gem Prangen, 
Den Himmel weit verklärend, raärchenscliÖD 
Dia müde Sonne war zur Buh' gegangen ; 
Langst war verweht den Tages wirr Getiin, 
Im aiwergrase nur die Grillen Baugen 

Ihr heimlioh Lied — eonet feierliches Schweigen: 
Die Stunde, wo die Geister niedersteigen. 

Fern strahlte noch — ein Sviinebclieidekuß — 
Hcca auf dem HoehfeM ein verblüh'nder Schimmer, 

In meiner Kähe auch, in letztem Gruß, 

Odilieub Eluausr streift' ein gvldiiez Flimmer, — 
Doch biß znm tränten Tälchen, mir zu Paß, 
Der Glanz, der malerische, reichte nimmer: 
Auf iN'iedeimünsters traumemehen Hatten 
Sehen wob die Dämmerung die dunkeln Schuten. 

Ca plötzlich eine schimmernde Gestalt, 
So m&rchcnlicblich, en dem Waldcsraade, 
Voll myfit'schor Weihe langsam niederwallt, 
Eil Lichtgeblld aus sei 'gern Wunderlande, 
Und mich ergreift's mit magischer Gewalt, 
AU sie mir naht' in strahlendem Gewände, 
Herzlich u inloht von FliranierBoiuieiigoMe ; 
Die Mnse war's, die süße, minneholde. 

Sie sprach zn mir in sanftem Flüsterton, 
He laug zu mir, wie in seraphischem Sänge. 
«Dein Tag zur Neige geht, o Erdensofcn, 
Im Pilgertalc wallest nicht mehr lange 
Die nächtig- dii ßtern Schatten nahen schon. 
Und deine Sonne ist in Untergänge: 

Mlk' sie« als schönste der Apotheosen, 

Kook hauchen einen (Jlanz von blüh'ndcn Jtccor ! 



Prolog einer noch unveröffentlichten größeren Dichtung. 



( ürcha frern 

JHIVt^VÜI-MCHIGAH 



Was Herzergreifendes du je erlebt 

In Wcfcl ond Weh, in weehselvollon Tagen, 

Was eoansaehtsehauernd du jfeträamt, gestrebt. 

In icälmem Adlerflng, du tolUt es wagen, 
Uli ü tin Gewand der Sage huld verwebt. 
Begeistert ea zu singen and ca sagen . . . 
Ate Testament, dein ganzes (Haiben, Lieben, 
Mit deinen glßh'nden Herzblut sei's geschrieben!' 

Sie sprach* — und wieder schwebt' ins Aetberücht, 
Ine HeimatUod der herrlichen Kamönen, 

Die ewfcea Lenzes Blütenflor umflicht, 

las sonnbeglanzte Reich des Ewigschönen . . . 

Hier nnn das gottgeheiligte Gedicht, 

Hit dem mein fluchtig Laben ich will krönen, — 

Ein Weitedenkmal schlichtbe3cheidner Gaben 

Mit ffoUoer Schrift; «Hier Uejrt mein Herz begraben». 



( ",-, «i iL- n 3 frern 

Uigilüoc . >. -O. JMVU4I!Y(*MUUWI 



II. 

Das Armen- und Krankenwesen des 
mittelalterlichen ^traßburg. 

Von 
Martha Goldberp. 

(Fortsetzung). 

3. K JVPITEL. 

Das Lehen in den Spitälern. 

Ein genossenschaftliches Zusammenleben war im Mittelalter 
nicht anders denkbar, als in klösterlichen Formen- Auch wo 
Laien sich zu profanen Zwecken zusammentaten, z. B. in den 
gewerblichen Zünften, durfte ja der religiöse Zweck nicht fehlen. 
Bei den Spitälern mußte nun noch besonders in dieser Richtung 
der Gedanke wirken, daß, nach der asketischen Anschauung 
der Kirche, die Armen «ein vollkommener Stands seien, deren 
Aufgabe in einem frommen Leben und Gebet für die Spender 
der Almosen bestand. So schrieb man z. ß. auch in Straßburg 
den Leprosen vor: «sie sollten unser n lieben Herrn Gott täglich 
bitten für alle die, die da ihr Almosen zu dem Hof, Bau und 
Herberge gegeben haben und auch darum aie die Gol lesgaben 
der Pfründen genießen». Für die Leprosen legten gewisse 
Aeußericfckeiten, die ihnen mit Rückeicht auf die Sicherheit 
der übrigen Welt oder auf die Gesundheit der Aussätzigen 
geboten waren, nämlich der Zwang» innerhalb der Mauern des 
Hofes zu bleiben, gleiche Kleidung zu trögen uud keusch zu 
leben, schon ohnehin dies klösterliche Leben nubc. So streng 
jedoch, wie etwa in dem Haus zu Schwartau in der DiÖ?es* 
Lübeck oder im Nikohihof 711 Lüneburg lind mehreren nord- 
deutschen Spitälern, wurde in denStraßburgern Krankenhäusern 
die klösterliche Lebensweise nichl durchgeführt*. Man achtete 



( na froni 



JHVU4IIYÜfMU1KiAI 



— - 

nur darauf, daß ein frommer christlicher Geist uaJ christliche 
Ordnung im Spital herrsche. Die Pfründner brauchten nicht 
besondere Andacutstunden hüllen und taglich eine bestimmte 
Zahl von Rosenkränzen durchbeleo", aber auf unentschuldigtes 
Fernbleiben Tonn allgemeinen Gottesdienst, den der Priester 
des Hauses morgens und abends und an den hohen Fasttagen 
der Karwoche hielt, stand Strafe. Arn Gründonnerstag mußten 
die Leprosen an sich die Zeremonie der Fuß wusch uny* vor- 
nehmen lassen. Nur die reichen Pfründner, die in besondern 
Häusern beim Hofe wohnten, waren von dieser doch etwas 
demüii^enden Verpflichtung* frei. 

Hauptsächlich erhellt aber das Interesse, das die Bürger- 
schaft wie dje weltliche Verwaltung au dem Seelenheil der 
Armen nehmen, aus der Talsache, daß bei keinem Spital wohl- 
dotierie Stiftungen für einen oder mehrere Priester fehlen. 
Wie erwähnt, wurde in Itolenkirr.hen im Jahr« 1407 vom Hat 
der Siadi für die seit alten Zeiten besiehende bophienkanelle 
im Leprosenhof eine Prieslerpl'rüude gestiftet; das Geld dazu 
haben die Pfleger Johann z. Trubel und Hansemann Pcigers 
durch Sammlung in der Bürgerschaft aufgebracht. Der Priester 
erhält ein Haus in der Stadt zur Wohnung, wird aber, da sich 
ein Bedürfnis nach seiner häufigeren Anwesenheit ergibt, bald 
verpflichtet, in Ilotenkirchen tu residieren 5 . Dem so häufigen 
Mißbrauch dieser Pfründen wird vorgebeugt, indem dem 
Präbendar der Besitzenderer «jgotsgoben > neben dieser und die 
Einsetzung: eines vicarius generalis, der alle Geschäfte des 
Priesters lür einen Hun^erluhn zu übernehmen pflegte, unter- 
sagt wird. 

Täglich hst der Kaplan durch dreimaligem Glockenläuten 
seine (iemeinde aum Gottesdienst zu rufen ; Rein« Verpflichtungen 
am Werklag wechseln je nach dem, was für Meßstiftungen für 
den betreffenden Ta^ im Seelbuch vorgeschrieben sind. Sonntags 
muß er predigen und das Evangelium, das auf diesen Tag fällt, 
deutsch vorlesen, «las paternoster, den glouben und die schulde», 
sowie die auf die kommende Woche Tauenden Heiligen- und 
Jahrzeitstage verbunden. Für Singmessen stand ihm ein Chor- 
knabe zur Seite. An Lichtmeß verteilt er die nötigen Kerzen 
an die Siechen und das Gesinde; das Wachs, das er zu diesem 
Zwecke erhält, darf er nicht zum persönlichem Gebrauche ver- 
wenden. Droht dem Hause Gefahr von Feinden, so übergibt 
er den Pflegern die Werlgegenslande, die in der Kapelle vor- 
handen sind, Kelche, Altartücher, Meßgewänder und Bücher. 
Gemäß einer allen Abmachnng mit dem Kirchherrn der Parochie 
Kotenkirchen hat ihm jener des Recht, die Beichte zu hören 
und die Sterbesakramente den Siechen zu geben, abgetreten ; 



'^" JIIVUamO>M(.HKAI 



— 10 — 

auch beerdigt der Kaplan die Spitalinsassen auf dem zum 
Hause gehörigen Friedhof. Dafür zahlt ihm jeder neu eintretende 
Pfründner 2 1 /* g; tritt dann ein Todesfall ein, so hat der 
Pfarrer weder für das Begräbnis noch die zugehörigen Toten- 
messen eine Forderung zu erheben. 

Die Stellung des Kaplans im Hause ist der der übrigen 
Bea a»len gleichgestellt ; ebenso wie sie untersieht er der Kontrolle 
der Pfleger; eigenmächtige Anordnungen zu treffen, wird ihm 
besonders verboten ; denn alle «ordenunge, ufsatzuoge und 
bniderschaft, die er macht, darum b das im dadurch gelt oder 
anders von den siechen zugefallen möchte» widersprechen nach 
Ansicht 6er Stadträte dem Interesse der Kranken, «die ihr 
Geld selbst notwendig brauchen», Bszeicnoend für den sitt- 
lichen Stand des Klerus im 15. Jahrhundert ist es, daß man 
dein Pfarrer einschärft, ein moialisches Leben zu führen und 
auf ehrbares Gesinde zu achten. 

Der Leprosen kaplan war aus h der Beiehtvaterder städtischen 
Gefangenen; dies gehl hervor :ius einem Legat des Pflegers 
Wilhelm Böcklin, der eine gewisse Summe dem Priester 
bestimmt, wenn er «nach der Gewohnheit» am Osterdienstag 
den Gefangenen in den drei Türmen das Sakrament gab*. 

Wie nach landläufiger Anschauung" zu jedem Krankenhaus 
ein Seelsorger gehörte, so auch die Kapelle zum äußeren 
Bild des Spitalkomplexes. Wie noch heute standen die 
Gelräude der Spitäler, schmucklose Bauten, mit ihren Wirt- 
schaftsgebäuden in weiten Gärten, mitunter von einer Mauer 
umschlossen; ein Teil des Gartens rings um die Kapelle war zum 
Friedhof geweiht . Der Friedhof des großen Spitals hei der 
Erhardkipelle in der Nähe des Münsters gewann eine ziemliche 
Bedeutung, da man dort xit Pestzeiten alU die begrub, die 
nicht in den Pfm-rfriedhofen untergebracht werden konnten 7 . 
Er blieb noch in Benutzung, als das Spital längst vor die Stadt 
hinaus Terle^t worden war und auf dem Platt, wo es gestanden, 
Wohnhäuser errichtet waren *. Diese Häuser auf dem Grund 
und Boden des Spitals und noch einige andere, die dem Spital 
durch Schenkung zugekommen waren, sind wühl mit der 
häufiger vorkommenden Be2eichnung «des Spitals Häuser» 
gemeint, nicht etwa zum Spi'al selbst gehörige Wirtschafts- 
gebäude 9 . Innerhalb der Spitalmauer stand neben den zwei 
Pfrfindnerliäusern und dem eigentlichen Spital — in Roten- 
Kirchen waren es zwei Häuser für Reiche und der Schnelling 
für die Armen — noch etwa ein Sommerhaus, ein kleiner 
Pavillon im Garten, in dem man im Sommer die Mahlzeiten 
einnahm; gelegentlich fand dort auch ein Herrenpfründncr 
Wohnung, während man in Kotenkirchen kleine Häuser im 



( " ürQha frern 

'^" JlIVU&llYUtMUlKAI 



— 11 — 

Garten für diese bevorzugten Gaste errichtete. Nahe beim 
Haus mußte auch Ja« Waschhaus und das Backhaus (pisterye) 
liegen ; die SpitaUmfihle dagegen, in der das dem Spital als Rente 
zufließende Korn gemahlen wurde, lag bei den andern Mühlen 
im Oslen vor der Sladt, in der Nabe des Reuerinnenklosters "» 

Ueber da3 Leben der Pfründner gibt uns nur die Roten- 
kirchener Leprosenordnung einigen Aufschluß, während die 
Spitalstaluten lediglich Keamtenordnungen darstellen. Oh es 
vor der Aufnahme ins städtische Spital der Formalitäten bedurfte 
und ob auch hier die Pfründner Haiisrat miUu Linusen hatten, 
wissen wir nicht. Dagegen scheint man, was mit dem geist- 
lichen Charakter des Spitals zusammenhängt, bei dem Eintritt 
in« Krankenhaus den Kranken die Sakramente gereicht zu 
haben". 

Im Leprosenhaus ging der \ufnahme die Untersuchung 
durch die städtischen «Beeeher», die wir bereite besprochen 
haben, voraus. Die Beseher meldeten^ den Spitalpflegern, wen 
sie als aussätzig erkannt halten, damit nicht die Untersuchten 
sich dennoch zum Schaden der Allgemeinheit dem Leprosenhaus 
entzögen. Das Vermögen der Eintretenden unteniehn die 
Pfleger einer gerichtlichen Aufnahme, (um danach die Summe, 
die stHtntengemäB dem Hof zufallt, zu bestimmen». Vnn 200 ff. 
Vermögen erhält nämlich das Leprosenhaus den fünften Pfennig, 
d. Ii. 20 Vo, wenn keine Erben vorhanden sind, dagegen nur 
10 •)(>, wenn Kinder da sind. Die zu zahlenden Summen 
änderten sich proportional dem GesamtvermÖgen und zwar in 
Abstufungen von 10 j zu 200, 50 zu 100, 25 zu 50 und 15 zu 20. 
Das geringste Vermögen, das zur Aufnahme ins Pfründnerhaus 
berechtigte, betrug 15 — 20 ff; Leute mit diesem Vermögen hatten 
nur den «Dienst», (5 ff und 5 sh), den alle andere neben ihren 
Abgaben noch entrichteten, zu zahlen. 

Kinder reicher Eltern mußten auf dem Hofe von diesen 
gänzlich unterhalten werden, zahlten aber kein EiltriltSgeld ; 
dagegen erhielt die Anstalt beim Tode der beiden Eltern oder 
«ines der Eltern eine bestimmte Summe, die in derselben 
Weise wie dif Eintrittsgelder h'rwarhspner bestimmt wurde. 
Für Mönche und Priester aus Straßburger Klöstern, die ja das 
Gelübde der Armut abgelegt hatten und daher im juristischen 
Sinn kein Vermögen mehr hatten, mußte ihr Kloster 10 S bei 
der Aufnahme entrichten, jedoch erhielten sie dafür noch keine 
Verpflegung. Wellten sie ihrem geistlichen Beruf auch als 
Leprose obliegen, so wurde ihuen das Messenlesen im Seiten- 
schiff der Sophienkirche gestaltet ; aber sie mußten das allge- 
meine Verbot für die Leprosen, den Chor und die Sakristei 
nicht zu betreten, beobachten. 



C ioogk 



Cigna frant 
JHIVLHbl IY Uh MCHIGAH 



— 12 — 

Aermere Bürger mit einem Vermögen von weniger als 
15 S landen im Schnelling Aufnahme, konnten aber später, 
sobald ihnen durch Erbe etwa größeres Vermögen zufiel, gegen 
Nachzahlung der Aufnahmegebühr ohne weiteres in das 
Pfründnerhaus überwiesen werden. Im Schnelling empfing 
man auch die Klein- oder Schullheißenbürgeri*, jedoch erst, 
wenn sie bereits 10 Jahre unbestraft in der Stadl Bürgerrecht 
genossen halten. 

Neben denen, die eigentliche «SiechenplVünde aßen» und 
an den regelmäßigen Verteilungen von Sponden Teil hatten, 
gab es andere, Hie nur auf dem Hofe wohnten, ohne Rrüder 
der Gemeinde zu werden ; sie nahmen eine bevorzugte Stellung 
ein, da sie in besondern Häusern wohnten und von den religiösen 
Verpflichtungen der andern PfrCindner frei waren. Sie zahlten 
eine Pauschalsumme, die einer bloßen Miete gleichkommt. Eine 
letzte Gruppe von Pfrfinrinern bildeten nun die, die die Gefälle 
der Pfründen als Leibrente bezogen, ohne sich in Rotenkircbeii 
aufzuhalten; gegen Zahlung des «Dienstes» aber konnten sie 
jederzeit auf den Hof zurückkehren. 

Fremde werden gemäß der egoistischen Politik der Städte 
prinzipiell nicht aufgenommen, außer wenn sie der Auslalt so 
viel Nutzen bringen, daß die Pfleger, denen die Entscheidung 
darüber ünsleht, die Ausnahme für genügend gerechtfertigt 
ansehn. 

Wie aber auch im Einzelnen ihre Stel ung auf dem Hofe 
war, alle waren gleichermaßen verpflichtet, das nötige Möbel 
und Geschirr, das sie benutzen wollten, mitzubringen. Der 
«Haußrat> der Pfiündner bestsnd aus einein Betl im Mindestwert 
von 1 8 5, dessen Einrichtung, (Kopfpolster, zwei Kissen, zwei 
Paar Leintücher, und xwei Decken, wohl eine wollene und eine 
Federdecke), ferner einer Ruhebank (spaubeUe). einem Tisch, 
zwei Tischtüchern, zwei Handtüchern, einem Schrank (kenster- 
lin), einer größeren und einer kleineren Kanne, einem Misch- 
kännlein und einem Salzfaß. 

Ueher die Größe der Spital- und Leprosenpfi finden wissen 
wir nichts, außer daß die Hei renpfründuer, die die hohe Summe 
von 60 8 eingezahlt halten, wöchentlich 'Z % 6 l erhielten; 
dazu aber kamen noch ansehnliche Zuschüsse aus der Büchse 
des Klinglers, ferner Piktantien und Almosen 16 . 

Daß die Verpflegung in den Spitälern nicht karg war, zeigt 
eine Speiseordnung für das Leonhardsspital ; es kam jeden Tag 
entweder Fleisch oder Fisch noben Suppe und Gemüse auf den 
Tisch und jeder erhielt eine ziemliche Portion Weintß. 

Liebevolle Wohltäter hatlen daran gedacht, den Armen an 
den Feiertagen auch eine Pestfreude zu bereiten. Stiftungen 



( v , . ,1,- ürqha frern 

'^" JlIVU&mUtMUlKAI 



- 18 — 

zum Essen, die in das gleichmäßig? Menü etwas Abwechslung 
brachten, sind Oberall häufig. So erkielten t. B. die Kranken 
im Phynenspital nach einer Stift uog der Gründerin Phyna seihst 
an jedem Feiertag zu ihrer sonstigen Kost eine Semmel, einen 
halben Becher Wein, und gekochtes wie gebratenes Fleisch, 
resp. in den Fasten Fische ,T . 

In der Elendenherberge gab*» gleichfalls kräftige Kost, wenn 
auch our zweimal wöchentlich Fleisch ,ö . Der Wein fehlt auch 
hier nicht, wie er auch in der Ordnung der Beginenhäuser 
eine große Holle spielt. Zwei l-egöte, die schon kurz nach der 
Gründung der Herberte 4363 und 1377 gemacht wurden '•, 
sollten den ausgehungert Ankommenden abends eine warme 
Speise (Labung) gewähren. Eine Erbsensuppe oder Brei wird 
den Fremden jeden Abend gereicht. 

Welchen Beschädigungen die Pfründner außer der 
Teilnahme am Gottesdienst >ucb widmeten, ist nur von den 
Leprosen bekannt; sie durften nämlich, wenn sie ein Handwerk 
gelernt hatten, dies auf dem Hofe ausüben, jedoch keines ihrer 
Produkte auf den allgemeinen Markt bringen. Der Grund dieses 
VerkauFaverbotes war in erster Linie die Furcht vor Ansteckung 
durch die Waren. Vielleicht aber wirkten dabei auch die 
üllgemeinen Prinzipien der Stadtwirtschaft, die den Fremden 
und Nichunnftigeti von der gewerblichen Konkurrenz ausschloß. 
Sonst wurden die Leprosen wohl noch im Haushalt des Spitals 
zu allerlei Diensten verwendet ; hatte man doch verhältnismäßig 
sehr wenig gemietetes Personal. 

Das arbeitsamste Leben unter den Annen, die die bürger- 
liche Armenfürsorge genossen, fährten die Begioen, Sie 
widmeten sich teils der Krankenpflege in Privatheusern, teils 
dem Spinnen und Weben. Nur ruhige Beschäftigungen sind 
ihnen gestattet; deshalb müssen sie auch zum Spinnen statt 
den schnurrenden Rades die geräuschlose Kunkel benutzen* 1 . 
Nach dem Statut des Ruffachschen Hauses war jedoch ihre 
Arbeit auf die Verwendung im eigenen Gebrauch beschränkt, 
wahrscheinlich um den Webern keinen Anlaß zum Konkurrenz- 
neid 7i] gehen . In Köln war es ja wegen des ausgedehnten 
Verkaufs von Leinwand, den die Reginen trieben, zu einem 
Kampf mit der WeberzunfL gekommen. Das Betteln, das eigentlich 
ursprünglich das Recht aller Armen gewesen war, wurde an 
den Spitälern allmählich abgeschafft. Den Beginen ist es aus- 
drücklich verbeten; ja, mitunter wird es gerade als Zweck des 
Hauses bezeichnet, frohere Bettlerinnen von diesem ihrem 
Gewerbe fernzuhalten 11 . 

Dagegen durchziehn häufig kleine Gruppen — nie mehr 
als vier — von Leurosen des Armenhauses bettelnd die Stadt; 



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( 's\ -* iL- ürQha frern 

'^" JlIVUUlYUtMUlKAI 



— 14 — 

am Magdalenentag, den das Reuerinnenkloster, und am Arbojrasts- 
tag, den das Kloster St. Arhogast besonders feierte, durften sie 
an <Jen Türen eben dieser Klöster Gaben heischen und am Kar- 
mittwoch :m einem Imbiß teilnehmen, den daß Stift St. Pctcr 
allen Be'.t ern austeilen ließ« Aber stets mußten ^ie vor (ein 
Uhr) mittags die Stadt wieder räumen«. 

Iu der Krankenpflege scheinen sich die Stiaßburger 
Beginen weniger beschäftigt zu haben : nur zwei Stiftungen 
erwähnen diese Verpflichtung der Beginen ; die Schwestern des 
Hauses /ur Spitz nämlich übernahmen in der Infirmaria von 
St. Thomas die Pflege kranker Stiftsherrn und das Gotteshaus 
zum Gürtler richtete 1456 sogar selbst ein Siechenhaus ein». 
Jedoch die meisten Beginen bevorzugten eine bequemere 
Tätigkeit, die ihnen ebenso viel Verdienst einbrachte ; sie ließen 
sich nämlich dalür bezahlen, als sog. Seelschweslern bei Regrab- 
nissen und an Jahresseitsiagen mit brennenden Kerzen über die 
Gräber tu ziehu. Dieser Müßiggang war der Anfang und 
Grund ihrer schlicßlichen Entartung und ihres Verfalles heim 
Beginn der Reformation. 

Hausordnungen, die da3 Benehmen der Glieder der 
Genossenschaft regelten, gab es wohl in allen Konventen und. 
Spitälern, da ohne Disziplin die Ordnung j* nicht aufrecht 
erhalten 'werden kann. Man verlangte von den Brüdern und 
Schwestern christliches, verträgliches Benehmen M. Schimpfen 
und gotteslästerliches Fluchen, Singen unanständiger Lieder, 
Lärmen mit Pfeifen, Hörnern und Trommeln besonders zur 
Nachtzeit, Spielen um Geld und Spielhalten, Tragen zu kurzer, 
unanständiger Kleidung, besonders aber unkeusches Leben, 
Buhlerei und Kuppelei waren streng verboten und wurden von 
den Ptlegern «der geschulte noch», d. h. nach ihrem Gutdünken 
gestraft. Im Sommer mußten alle um 10 Uhr, im Winter um 
9 Uhr zu Bette gehn ; es ist die Polizeistunde, die auch für alle 
Bürger in der Stadt gilt. Ueber schwerere Krimiualvergehn, 
wie Stehlen, hlulrunzig machen, d. h. blulig ritzen, dann 
Cerwuntien und Totschlag entschieden** z.T. die Pfleger, ;eils 
bringen sie es vors Ratsgericht , die ausgedehnten gerichtlichen 
Befugnisse der Leprosenpfleger machen es nötig, auch solche 
Bestimmungen in die Hausordnung aufzunehmen, die sonst nur 
im [öffentlichen] Stadtrecht ihren Platz linden. Die übrigen 
Teile der umfangreichen Ordnung lassen sich nach zwei Ge- 
sichtspunkten gruppieren ; sie dienen entweder dazu, die All- 
gemeinheit vor der Ansteckung durch die Kranken zu schützen 
oder sie sind sanitärer .Natur. 

Zur ersten Gruppe gehört namentlich das Verbot, die Anstalt 
ohne Erlaubnis der Pfleger zu verlassen and außerhalb eines 



( ' Ongina frorn 

1 ' IMUWMiYdLM" 



JIIVlHyiYuKMl.HK.AI 



— 15 — 

abgegrenzten Teiles der am Hofe vorbeiziehenden Landstraße 
spazieren zu frehn, oder querfeldein zu wandern. Wurde es 
ihnen gestattet, zum Betteln in die Stadt zu ziehn — worin ja 
eigentlich oino Inkonsequenz lag, für die wohl die christliche 
Charitas verantwortlich ist — so sollten sie doch alles Ge- 
dränge, die belebten Marktplätze (fischmarkt, Melzig und Hol- 
wig oder Koiuuarkl), auch Kirchen und Kapellen im ganzen 
Gebiet der Stadl meiden. Am Tsge der Fronleichnams- 
prozession, am Sehwortag, wo alle Bürger vor dem Münster 
zusammenströmten, um den Schwur auf die Verfassung zu 
leisten, auch Dienstags and Donnerstags ist ihnen die Stadt 
verschlossen. 

Jede direkte und indirekte Berührung mit «Schönem ist 
ihnen verboten; Eheleute müssen sich trennen, wenn der eine 
Teil krank wird; wenn ein Gesunder sich in «bulschaflswise» 
mit einem Leprosen einläßt, wird er vorn Rat zur Verant- 
wortung gezogen» «damit andere nicht von ihm entreiniget 
werden?. Kein Gesunder darf im Leprosenhaus (Schnelliug) 
Gastfreundschaft genießen, nicht einmal Kinder dürfen über 
Nacht bei ihren Ellern bleiben. Die Brunnen vor dem 
Hause, an denen die Landleul« ihr Wasser zu holen pfle- 
gen , die Geräte de* Kirchencbors und der Tresorkaramer, 
sind ihnen m berühren, dae Hau* des Kaplans *zu betreten 
verboten. 

Man gestand ihnen zwar die Vergünstigung tu, Irotz des 
allgemeinen Vorkaufsverboles bei Cen in die Stadt ziehenden 
Landleuten ihren Bedarf an cBrot, Wein, Getreide, (Jansen, 
Enten, Hühnern, Tauben, Milch, Käse, Butter, Molken, Eiern 
und allen Arien Obst*, schon bevor die Ware auf den Markt 
kam, zu decken; jedoch sollten sie sich der Vermittlung ihrer 
gesuudeu Dienstboten bedienen und nichts selbst cbeknotzen, 
handeln noch anrüren». Nichts, was im Leprosenhaus ent- 
standen oder einmal benutzt worden war, sollte heraus kom- 
men dürfen. Kleider von Verstorbenen durften nicht in der 
Sladt verkauft, Gerate nicht an Gesunde verliehn werden. 
Die schmutzige Wäsche mußte auf dem Hofe gewaschen 
werden, Handel und Handwerk der Kranken blieben be- 
schränkt. 

Welchen Wert der Rat gerade auf diese Vorschriften legte, 
geht daraus hervor, daß alle Ueberlre Hingen in dieser Richtung 
mit der stärksten den Pflegern zustehenden Strafe, nämlich der 
Verbannung vom Hofe bedroht waren ; eine besonders harte 
Strafe, weil keine gröbere Stadt fremde AusKälzi^e aufnahm, 
die Ausgestoßenen also zum ruhelosen Wandern verurteilt 
waren. 



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( \n -, iL- Onoina frarn 

C ' W JlIVtfömUtMUlKAI 



— 16 — 

l'rii auch dem Publikum ein Mitfei, sich zu schützen, an 
die Hand zu geben» mußten die Leprosen eine bestimmte gleiche 
Tracht trügen, Männer nämlich einen grauen schlichten breiten 
Filzhut und einen grauen Mantel ', Frauen ebenfalls graue Mäntel 
und eine graue Kapuze (akulhut») ohne Zipfel über Schleiern. 
Aehnlich waren in Nürnberg die Bewohner der Siechenkohel 
gekleidet *'. 

Die Bestimmungen die wir als hygienische oder sanitäre 
bezeichnet haben, verdienen diesen Namen insofern, als sie die 
Kranken zur Reinlichkeit, die noch heute als die wichtigste 
Forderung hei allen Hautkrankheiten gilt, zu erziehen ver- 
suchen. «Wüste Tücher, Binden, Pflaster und Fnßwasser» 
durften die Kranken nicht herumstehn und liegen lassen, 
sondern mußten allen Schmutz in den Wasserabfluß bei der 
Bade^tube tragen ; dieser wird in bestimmten Zeilabständcn 
vom Klingler gereinigt,. Im Sommer, ««nlangre die Gesunden 
im Garten wandeint, darf keine schmutzige Flüssigkeit zum 
Fenster hinaus geleert werden ; dafür ist das «Sprochhus* da. 
— Wäsche darf in der Küche erst gewaschen werden, wenn 
das Essen sekocht ist, damit keine Unreinheit an die Speise 
kommt . 

Teils der Reinlichkeit, teils der medizinischen Fürsorge 
dienten die Bader. Die große Badestube auf dem Hofe, die nur 
alle vier Wochen geheizt werden durfte und die kleinere am 
Schncllmg, die dazwischen einmal gewärmt wurde, waren 
wohl bloße Heißluftbäder, die im Mittelalter häufiger waren als 
die Wasserbäder. Doch konnten die Kranken «zu einer not- 
durfte», d. b. zu Kurzwecken, auch mit jeweiliger Erlaubnis 
der Pfleger Wasserbäder bekommen, mußten eber die Kosten 
der Heizung bezahlen und dem Klingler 8 ', der das Wasser 
herheitrug, ihnen auch sonst mit «rihen und weschen» zur 
Hand war und die Badstube nach Gebrauch wieder zu reinigen 
halle, seine Dienste besonders vergüten. 

Auf Grund des Protokollbuches, in dem uns die Urleile der 
LeprostiipHefcei eutlmlleu sind, haben Schmidt 89 und Krieger 88 
ein Urteil über den moralischen Zustand im Roten kirchener 
Haus gefällt; sie sind zu entgegengesetzten Resultaten gekom- 
men. Wenn auch Kriegers günstigeres Urteil nach der Lage 
der Dinge, da in 105 Jahren nur 49 mal die Pfleger Recht 
sprachen, richtiger erscheint, als die verurteilenden Aeußerungen 
Schmid!s, so wird mon sich doch eines moralischen Urteils 
besser überhaupt enthalten, da uns ja alle Vergleichszahlen 
fehlen. 



( < ■ 



Cigna frarn 
JHIVLHbl IY 01- MCHIGAH 



— 17 — 



II. Absei ni I I. 

Die Armenpflege in Strasburg außerhalL der 

Spitäler und die Stadt. Armenpolizei. 

I. Almosenverteilungen und HautArmenpflege. 

Die Hospitäler der mittelalterlichen Städte, von deren Größe, 
Bedeutung und Vielseitigkeit wir uüs soeben einen Begriff zu 
machen versuchten, bildeten zwar naturgemäß ein Zentrum aller 
WohltAtigkeitaprlege, besonders seit sie unter der städtischen 
Verwaltung eine einheitliche Organisation hatten, /«doch ergSbe 
sich nur ein unvollständiges Bild dessen, was im mittelalter- 
lichen Straßburg für die Armen geschah, wollte man daneben 
die ausgedehnten, allerdings wenig organisierten Almosenver- 
teilungen, die durch die Hand der Kirche gingen, und die 
soziale Fürsorge, die die bürgerlichen Genossenschaften pflegten, 
außer Acht lassen. 

Zwei Arten von UnteislüUunÄsbedürftigen sind es, denen 
mit einer Aufnahme und dauernden Verpflegung* im Spital nicht 
gedient sein kann, die vielmehr nur kleinerer und momentaner 
Unterstützungen bedürfen, wie sie das Almosen in Geld oder 
Naturalien gewählt: Die Hausarmen und die eigentlichen Bettler. 
Auch die Hansa rnen sind Bettler, d. h. Leute, die sich infolge 
besondere ungünstiger Umstände nicht über den Zustand der 
Armut emporbringen können und datier auf wohltätige Gaben 
angewiesen sind'. Jedoch haben sie vor den herumwandernden 
Bettlern den großen Vorteil voraus, Bürger der Stadt zu sein. 
Dies hatte zur Felge, daß sie immer Arspruch auf Unterstützung 
hatten und von den allgemeinen Bettel verboten nicht betroffen 
wurden. In gewissem Sinne war so das «GSsterechi», das die 
exklusive Tendenz der «Stadt Wirtschaft» charakterisiert, auch 
auf das Gewerbe lies Bettels übertia^en*. 

Die wirtschaftlichen Ursachen, rtie im 18. Jahrhundert 
namentlich ein starkes Anwachsen der Bettelscharen verschul- 
deten, haben wir bereits geschildert *. Mau wird jedoch nicht 
umhin können, einen erheblichen Anteil an dieser Schuld daneben 
der almosenfreundliehen, asketischen Weltanschauung des 
Mittelalters aufzubürden. Das Volk, durchdrungen von der 
Lehre der Kirche, daß Almosen^eljen an sich ein gutes Werk 
si:i und daß man durch die Weggabe des Besitzes dem Stande 
der Vollkommenheit näher komme, gab reichlich und gern die 
milde Gabe, aber ohne genügende Rücksicht auf die Würdig- 
keit des Emplänjers*. 

2 



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( v , . ,!,- ürqha frern 

'^" JlIVUUlYUtMUlKAI 



— 18 — 

Wieviel Spenden auf direktem Wege, ohne Dazwischen- 
treten einer dritten Stelle, vom Publikum an die Armen flosser, 
entzieht sich der geschichtlichen Betrachtun?. Größere Gaben 
aber wurden seit frühester Zeit der Kirche zur Ueberniiltlung 
an die Armen überwiesen, meist in der Form von ewigen Renten, 
deren Ertrag «in remediam animarum», zum Seelenheil Ver- 
storbener, an bestimmten Jahr- oder Gedenktagen verteilt 
wurde. Die Kirchen waren, ganz abgesehu von den religiösen 
Motiven solcher Stiftungen, besonders zur Ausführung der 
Legate geeignet, weil aie ja auch als Kulturträger von sich aus 
zur Spendung von Almosen und zur Armenpflege verpflichtet 
waren. Neben den Hospitälern, die sie eigentlich unterhalten 
sollteu, (später allerdings kaum mehr besaßen)», bestand bei 
den meisten Kiichenverwaltungen ein Almosen fonds, dem der 
Thesaurar oder ein besonders dazu angestellter Eleemosynarius 
vorstand. Häufig wurde in der früheren Zeit (bis zum 13. Jahr- 
hundert) dieser aus Kirchenvermögen und bürgerlichen Spenden 
zusammengekommene Fonds such zur Fortführung der altkircb- 
I ir i ic n , individuellen Gemeint) earmenpflege \ur wendet, indem 
man daraus Pfründen für Gemeindearme, scg. cmatricularii>, 
bildete . Aus Köln werden uns zwei solche, dem Dom ange- 
hörige, Krndersc halten von Gemeindearmen, die Lupus- ur.d 
die Margareienbrüder, ausführlicher geschildert; sie bestanden 
in Köln, wo sich die Domverwallung ihre Unabhängigkeit von 
der Stadt lange bewahrte, bis ins 14. Jahrhundert*. 

Eine diesen ähnliche Bruderschaft, in der wir einen Rest 
altchrisllicher Armenpflege zu sehn glauben, war die «t'raternitas 
Saudi Spiritus» am Straßburger Münster; sie wird uns freilich 
nur zweimal genannt, näm lieh 1225 und 1246 ; im ersten Falle 
erhält sie eine Rente zusammen mit den Leprosen, das zweite 
Mal eine solche gemeinsam mit einer rein geistlichen Genossen- 
schaft (dralernites que post prandium in refeclorio celebraluro' 
am Münster^, Es rechtfertigt sich schon hieraus wohl die An- 
nahme, daß es sich um eine Genossenschaft von Armen handelt, 
nicht nur um eine rein geistliche Körperschaft. Darauf deutet 
auch der Name Sti. Spiritus hin. Md dem Svmhol des heiliger 
Geistes, dem Sinnbild der christlichen Barmherzigkeit und 
Nächstenliebe, bezeichnete man nämlich besonders Stiftungen 
zu wohltätigen Zwecken». Am meisten aber scheint mir die 
spätere Entwicklung der «fraternitas» für die Auffassung zu 
sprechen, daß wir es hier mü einer Form der allkirchlichen 
Geiueiiidearnienußege zu tun haben 10 . Als nämlich nach dem 
Jahre l'dföj wo die Stadt den Bischof besiegt halle, das Ver- 
mögen der Münsterfitbrik in die Verwaltung der Stadt kam ", 
wurde die tfrateruilas» als solche zwar beibehalten, aber ihre 



i , Cr aha frarn 

^ JlIVUamOI-MUlKiAl 



— 19 - 

Fonds, im Sinne der früheren Verwertung, zu den sog. Heilig- 
Geislpfründen, einer Almosenstiftung für Hau&trme, jedoch 
ohne kirchlichen Charakter, umgewandelt '•- 

Aehnliche Almocenfonds besaßen wohl die meisten Pfarr- 
kirchen und Stifter; auf die Schicksale und Hie Verwaltung der 
Heilig Geistpfründen von St. Martin und St. Nikolaus, die gerade 
so verwaltet wurden wie die am Münster, werden wir zurück- 
kommen. Zunächst sind hier einige frühe oder besonders be- 
merkenswerte Heispiele für Almosenstiflungen an Straßburger 
Kirchen 211 nennen, die an den Kirrhentüren für alle Armen, 
die Jsich zur Verteilung einstellten, ausgegeben wurden. So 
lange die Naturalwirtschaft noch durchaus hei rechte, bestanden 
diese Gaben meist in Brot und in Tuch zu Kleidern; auch 
später, als das Geld sich längst seinen P lata im Wirtschafts- 
lehen erobert hatte, behielt man meist die Spenden in Natura- 
lien bei, weil sie einen Mißbrauch eher ausschlössen als Geld- 
geschenke u . Die frühste bekannte Stiftung füi die Armen im 
allgemeinen (von den, Spenden für die einzelnen wohltätigen 
Anstalten haben wir ja bereits im ersten Teile gesprochen) 
stammt aus dem Jahre 1100; der Kanonikus Burchard setzte 
damals nämlich dem Münster eine Rente aus, von deren Ertrag 

der Pförtner (portenarius) jährlich Tom Tage nach Allerheiligen 
für 2 unzen Brot und für 1 unsc Käse oder cino andere Zu- 
speise den Armen vor dem Münster verteilen sollte; auch was 
an diesem Tag von dem reichen Essen übrigblieb, das den 
Domherrn, gleichfalls aus einer Stiftung Burchards, gereicht 
wurde, sollte den Armen zufallen, ebenso die Ration eines 
kranken Kanonikus". Eine Rente für Tuch «ad vestiendos 
menriirns et miserahiles paup*»res lairosa, d. h wir Bekleidung 
von Bettlern und Hausarmen, stiftete 1321 der Domprahendar 
Heinrich Dietmar, der aueti die armen Doiuschüler, die beson- 
ders auf milde Gaben angewiesen waren, bedachte". Bekannt- 
lich war den Chorschülern der Bettel in der Form gestattet, 
daß sie singend vor den Häusern Gaben heischten, decti wurde 
ihnen in der Itefommtionszeil dies Recht wegen der damit ver- 
bundenen Belästigung des Publikums wesentlich beschnitten 1 *. 
— Eine Menge ähnlicher Spenden wurde an einzelnen Altären 
verteilt ; die Altarpfründe, die der spätere langjährige- Pfleger 
der Elendenherberge, 'Oeltelin von Ulenheim, i349 innehatte, 
verpflichtete z. 3. ihren Inhaber, jährlich 10 s. für die Anne 
an dem] Altar eu verteilen 1 *. 

Davon, wae im Ganzen so durch die kirchliche Vermitt- 
lung an Almosen den'Armen zuteil wurde, können wir uns 
heute keinen rechten Begriff mehr machen, weil der größte 
Teil der Stiftungsurkunden 2ur Reformationszeit verloren ginjj ; 



Uigimcc . ^ »<X Igle JMVUüllf C+MLHKAI 



- 20 - 

dünn nach der Kirchenreforrn besaßen sie keinen praktischen 
Wert mehr. Die Feier der Jahrzeilen und Seelenmessen wurde 
abgeschafft und alle früher dazu bestimmten Gelder dem all- 
gemeinen Arineufuuds zugefübit. 

Zu gleicher Zeit, als die Stadt Straßburfc das Leonhards- 
spüal und das Leprosenhaus in ihre Verwaltung brachte, 
dachte sie auch daran, auf die nichtanstalt liehe Armenpflege 
Einfluß su gewinnen. Was die Sladt auf dern Gebiet der Almo- 
.senplle^e unternahm, zeichnet sich vor der kirchlichen Gaben- 
vertoilunn vor nllom dadureh aus, daß der Rat ein ^ewieses 
System, eine einheitliche Organisation auch auf diesem Gebiet 
anstrebte, soweit er es in die Hand bekam. 

Aufler dem ouenerwähuilen Armenfonds des Münsters kam 
im Lauf des 14. Jahrhunderts (vor 1353) noch derjenige der 
Pfarrkirche von St. Martin in städtische Verwaltung; beide 
wurden, /ereint und gemeinsam verwaltet, in erster Linie zur 
ünterstiH2ung bürgerlicher rtausarmer verwendet. Wir haben 
also hier die ersten Anfänge eiues staatlich oitfauisierlen Ahno- 
senamtes vor uns, wie sie in der Reformationsseil überall, be- 
sonders aber auch in den Territorien eingeführt werden. Die 
Städte sind diesen also in der Erkenntnis, daft odie Förderung 
des leihlichen wie ueistiyen Uiii^erwohls sittliche Aufgabe eines 
-ilaallichen Gemeindewesens sei» 1 ', um iwei Jahrhuiidette vor- 
aus I8 . 

Das hl. Geistalmosen wie es die Stadt organisiert hatte, 
bestand in Brotspenden ; jeder Pfründner des Münsters erhielt 
allsonntagüch zwei Brotlaibe von je 4 ff, die Almosenempfänger 
bei St. Mail in nur einen Laib. Die 2ahl der Pfründen je nach 
dem SUtnddes Sliftunßsvermöp'eiie festzusetzen, stand den Pflegern 
xu ; seil Ellenhards Vorgan«.' w behielten die einzelnen Pfründen 
ihre ursprüngliche Größe, ihre Zahl wurde aber beständig ver- 
mehrt. Im Jahre 1292 betrug diese 43 ; in der kurzen Zeit von 
1348-58 kommen allein fünf neue Pfründen zu denen des 
Münsters hinzu; bei den St. Mariinspfründen in fünf Jahren 
drei Pfründen; beide iinterslulzlen im Jahre 1358 zusammen 
7ö Leute, was freilich in einer Sladt von ca. 20 000 Einwohnern 
eben nicht viel heißen will *>. Auch die Auswahl derjenigen, die 
die Graben erhalten sollten, lag in der Hand der Pfleger. Leute 
mit weniger als fünf Pfund Vermögen, die keine Arbeit mehr 
tun konnten, sei es wegen Alters oder Krankheit, und sich 
ehrbar und fromm hielten, wurden des Almosens würdig be- 
funden. Ließ sich ein solcher aber etwas zu Schulden kommen, 
so sollten 'ihm die Pfleger die Pfründe entziehen. Wie man 
in manchen Begfmenhäusern die, die später Vermögen erwar- 
ben, zum Austritt veranlaßle, so verloren auch hier diejenigen 



( v , . ,i,. cha freni 

JlIVU&mUtMUlKAI 



-- 21 — 

die durch Jen KrirfriLl in einen Dienst in (Jen Stand gesetzt 
wurden, sich selbst zu ernähren, dasAmeeht auf das Almosen. 
Besonders kam die Stiftung allen Dienstboten zugute; 1299 
sicherte der Pfleger der Stiftung, Ellenhard, z. B. seiner allen 
Dienerin (junefrowe) eine der von ihm gestifteten Pfründen**. 
Seil der Mille des 14. Jahrhunderts wurde aus der Stillung: 
auch ein Beginenhaus unterhalten, das außer gewissen ßrot- 
lieferungen auch eine Rente für tlolz, Licht und Muß (Gumposl) 
von der Verwaltung des hl. Geistes crhiell. 

Die 275 (260 -{-15) Brote, die der AJmosenknecht allsonn- 
ta<*lich zu verteilen hatte, wurden aas dem aus Getreiderenten 
einlaufenden Roggen («rocken») hergestellt". 18 Sester (=0 
heutige Scheffel) Roggen" schickten die Pfleger wöchentlich durch 
ihren Knecht zur Mühle (die Itaile in Konstanz hat so^ar ihre 
eigene Mühle), dann ließen sie das Mehl vom Bäcker verarbeiten. 
wofür dieser jeweils 25 4 Back löhn bekam. Die beim Mahlen 
abfallende Kleie blieb der Verwaltung, die sie offenbar noch 
kapitalistisch verwertete. Das Auslesen der Spende am Sonntag 
besorgte ein besonders dafür bezahlter Knecht, dessen Stellung 
also ungefähr der des Spitalschaflfners gleichkam. Hin Analo/on 
zu der Spitalbesliramung, daß das Erbe eines insassen des 
Spitals dem Hause verfallen sei, ist die Verfügung, daß der 
beste Roch oder das beste Kleid eines verstorbenen Pfründncre 
dein hl. Geist gehöre. Solche Gefälle bildeten einen erwünschten 
Zuschuß zu dem sonst meist aus rentetragendem Grundbesitz 
bestehenden Grundstock des ArmenvermögenH, Sowohl einzelne 
Bürger, wie auch die Siadtpememde steuerten durch häuGge 
Schenkungen zu dem guten Werke bei. 1358 bestimmt so der 
Hat, daß, zum Dank für die glückliche Krreltung aus der Erd- 
bebengefahr, der 1356 da's benachbarte Basel halb zum Opfer 
gefallen war, fortan am Lukasta? eine Prozession der Ratsherrn 
stattfinden solle. Die grauen Mäntel, die die 56 Ratsherrn 
dabei tragen, und eine Brotspende aus 20 Viertel (40 Scheffel) 
Korn sollen nachher unter die städtischen Armen und in die 
Gotteshäuser verteilt werden 1 *. 

Die Beamten, die der Stiftung; der hl, Geistpfründen vor- 
standen, waren die Pfleger; ein städtischer omagister pauperum 
saneti Spiritus» tritt 12vy auf; wie der Zusalz, «deputatus ad 
hoc ex ordinatione magistri et con*ulum Argentinensiums ver- 
muten laßt, ist er überhaupt der erste städtische Pfleger der 
Heilig-Geistatiftung«. Von 1 208- 1304 bekleidet dies Amt der 
obengenannte Ellenhard gen. «.na^nu«, der zugleich Pfleger 
der Domfabrik i?t**. Seine und seiner Frau reiche Schenkungen 
bringen das gute Werk ein schönes Stück vorwärts«. Seil die 
Pfründen von St. Martin hinzu gekommen sind, verwalten zwei 



S 



i v , . ,1,- Orgha frarn 

KXlglt JMVIKillfOfMLHIWI 



— 22 — 

Pfleger dies Amt gemeinsam (zu gegenseitiger Kontrolle). 
Aus der Abrechnung, die 135Ö die beiden Pfleger Knecht 
S warber und Johann zur Megede dem Hat übergaben, schöpfen 
wir unsere Kenntnis der Institution dos städtischen AlmosonumtoE 
zum hl. Geist«. Dir Stellung und Komrwten? der Pfleger war 
die gleiche, wie die all ihrer Kollegen an den Spitälern und 
geistlichen Instituten ; auch ihre ursprüngliche Selbständigkeit 
in Geschäften für den Fonds wurde wohlallmählicheinge^chrfinkt ; 
1474 werden sie in einer Reihe mit all den Schaffnern der Klöster 
und Wohltätiglteitsanstnlten genannt und ihnen die Bekleidung 
eines weiteren städtischen Amtes neben ihrer cschafFeny» unter- 
sagt». Ihnen unterstanden die wenigen Knechte, deren das 
Werk zur Fortführung des Getreides in die Mühle und zur 
Verteilung der Brote bedurfte. Von einem besonderen Bureau der 
Heilig-fieistverwallunK hören wir nichts; vermutlich besorgten 
die Pfleger die einfache Rechnung allein 30 . Jeder der beiden 
Pfleger und der Rat haben ein Buch, in dem die Stiftungen 
und Ersparnisse, sowie auch die Namen derer, für die Scel- 
rnessen zu lesen sind, notiert werden. Die Pfleger werden bei 
ihrem Amtsantritt unter Kid gefragt, ob sie die «zinse und 
gülte gerwe (vollständig) haben», d. h. ob sie die Kasse bei 
ihrem Eintritt in die Verwaltung in Ordnung vorgefunden 
hätten. 

Eine Alrnosenstiftung des hl. Geistes gab es auch bei dem 
Stifi St. Thomas, von der ein Beginenhaus im Sprengel der 
St. Thomas unterstellten Nikclaikirche Unterstützung erhielt 8 '. 
Die Verwaltung dieser Pfründen aber blieb stets in Händen des 
Stifts. Im Jahre 151-4 verteilte dort nach Schmidts Angabe der 
Pförtner wöchentlich 20 Oeldspenrten M. Dali d;is Stitl St. Thomas 
sich so viel Isnger vor Eingriffen der Stadt in seine Verwaltung 
Schützen kannte, als das Donistift, kam wohl daher, daß im 
Münster lauter Nicht-Slraßbjrger Freiherrn saßen, die von 
Anfang m mit der Stadt auf gespanntem Fuße standen /wahrend 
das Thomasstift nie im Gegensalz zur Stadtregierung geriet; 
denn es war ein Hochsitz der Patriziersöhne, deren Interessen 
mit denen des Stadtrates bis zu einem gewissen Grade Hand 
in Hand fingen. 

Diese von den Kircheri und der Stadt geübte IJausarmen- 
pllege, die sich, wie wir saher, auf ca. 100 Menschen jährlich 
erstreckte, hatte kaum etwas bedeuten können, wäre sie nicht 
für einen wesentlichen Teil der Bevölkerung durch die Selbst- 
hilfodor genossenschaftlich geeinten Bürgor- 
scha ft ergänzt worden. 

Man kann wohl sagen, daß in der mittelalterlichen Stadt fast 
jeder Bürger irgend einer Genossenschaft, sei sie gewerblicher, 



( v , . ,1,- Orgila frarn 

' 'N K JiivuamutMUiKAi 



— 23 — 

religiöser oder rein jresellifferNatur angehört habe. Ein Charakte- 
ristikuni dieser mittelalterlichen Vereine ist es, daß sie ihre Mit- 
glieder möglichst ganz und nach jeder Seite hin zu erfassen 
suchten. Die Glieder einer Gilde oder «iner Zunft fühlten sich im 
eigentlichen Sinne als Brüder und Schwestern. Daraus ergab sich 
die Notwendigkeit, ohne Schuld ins Unglück geraten« Mitglieder 
zu stützen und mit Dar lehn aus der dringendsten Not zu retten. 
Die ursprünglich nur religiösen, gewerblichen und geselligen 
Zwecken dienenden Zunftkassen wurden so im 14. und 15. Jahr- 
hundert mehr und mehr ?u eharitativen Leistungen herange. 
zogen". Kranke Mitglieder wurden nicht nur von den Kassen- 
beiträgen befreit, sondern konnten auch Ke^en Pfand Darlehn 
aus der Kas3e bekommen. Daß die Zunftmit-rlieder stets ihre 
Toten seihst zu Grabe trugen, da es als Unehre gilt, von Fremden 
niederen Standes das letzte Geleite zu erhalten, ist zwar eine 
Einrichtung, die dem religiösen Charakter der Zunft entspringt, 
darf jedoch auch in diesem Zusammen ha DU als ßeley für die 
innerhalb der Genossenschaft geübte Liebestätigkeit genannt 
werden. 

besonders ausgeprägt findet sich der Gedanke der gegen- 
seitigen Unterstützungspflicht in den Statuten der im 14. Jahr- 
hundert entstehenden Gesellenbruderschaften. Für die Gesellen, 
die meist unverheiratet warm und, wenn sie krank wurden, 
zu Hause keine Pflege fanden, war [mit einer bloßen Geldunter- 
stützung häutig nicht genug: geschehn. Deshalb vereinbarten 
in Straßburg z. B. die Leinenwebergesellen mit dem Bernhards- 
spilal, daß ihre siechen Brüder in das Krankenbaus aufge- 
nommen werden 3ollten ; i 3 zahlte dafür die Büchse tätlich als 
Krankengeld SS Die Spitalkirche war zugleich der Sitz der 
Leinwebergenossenschafl. Dort war die Büchse «unser lieben 
fron wen», die die Genossenschaftsgekler enthielt, verwahrt, dort 
standen auch die Kerzen, die die Leinenweber bei feierlichen 
Prozessionen, via alle Zünfle, herumzutragen pflegten. Las 
rii'.ih für die Gesellen der Bruderschaft war auf dem Spital- 
friedhof • Es geht aus dieser allgemeinen Ordnung nicht hervor, 
welche Dienste die Geselleu dem Spital als Gegenleistung 
erwiesen. Jedenfalls waren Schenkungen vorausgegangen. 

Eine ähnliche Abmachung trafen die Bäckerknechte ; 
«Schaffner oder meisten n im spilfal sollent ein yeden brotliecken- 
knecht in der Bruderschaft, der von irem buchsenknecht siech 
in den spiltal brecht wurt, enpfohen und ufnehiiien, er sige 
geachediget worden nl» gesla^en, gestochen oder hcltc slüre 
oder andere gebresten oder siechtaffen». Es scheint, daß von 
den ßäckerknechten dem Spital im einzelnen Fall keine besondere 
Vergütung gezahlt wurde. Jedoch brauchte das hier nicht 



S 



( ', , «, ,1,- ürqha frarn 

' N K JlIVtfömUtMUlKAI 



— 24 — 

erwähnt zu sein; denn die Ordnung repräsentiert nur eine Er- 
neuerung und beschäftigt sich hauptsächlich mit den Details 
der VerpflenungM, die den Gesellen im Spital zu Teil werden 
soll. Auch die Bader haben eine {Bruderschaft im großen 
Spitah, die zugleich die Funk. ionen einer Krankenversicherunsf 
erfüllte» 

Sehr wichtig für die Geschichte der nicht auslaltlichen 
Armen- und Krankenpflege wurden die besonders zum Zweck 
der Krankeufürsorge und Totenbestaltung gegründeten Bruder- 
schaften von Laien. Diese Laiengenossenschaflen lehnen 
sich zwar in ihrer Organisation noch an die Kirche an, indem 
ihre Mitglieder z, B. Tciliarier eines Beltelcrdene (sog.Beghar- 
den) sind oder der Regel Augustins als sog. Alexianer tollen. 
Aber in den meisten Städten gewann der Rat so viel Einfluß 
auf sie, daß man in ihnen wohl mit Recht die Anfänge einer 
modernen bürgerlichen, obrigkeitlich geleiteten Armenpflege 
sehn darf. 

In Strasburg sind im 14. Jahrhundert solche Laienbruder. 
schatten, z. B. die «fratres dicti die gewilligen armen», mehr- 
mals genannt, jedoch erfahren wir nichts fiber ihre Entstehung 
und ihr Wirken. Wo sie mehr religiös gerichtet waren, fielen 
diese Genossenschaften rasch dem moralischen Verfall heim und 
wurden wie ein Teil der ihnen in der Idee verwandten Beginen- 
kongregaiionen als Ketzer von der Kirche verfolgt»'. Eine 
segensreiche soziale Tätigkeil entfalteten sie offenbar im 15. Jahr- 
hundert, ufs die Stadtverwaltung auch auf sie, wie auf die 
Wohltätigkeitsanslalten und Beginenhäuser, ihren Einfluß aus- 
dehnte. Einer solchen Bruderschaft, die sich im Jahre 1472 
aus den froheren Genossenschaften «zum Rebslock» und «im 
Rosengarten» konstituierte und im ehemaligen Haus «zum 
Rehstock» Wohnung nahm»«, gab der Rat eine Ordnung, in der 
er ihr ihre bisherige Hausordnung, besonders räch der religiösen 
Seite, bestätigte, zugleich aber ihre Pflichten gegenüber der 
Allgemeinheit und ihre Ansprüche für geleistete Dienste nach 
seinem Guidünken regelle 83 . Die Aulgaben dieser Bruderschaft 
besteben vor allem in der Krankenpflege, der Tolenbestattungf 
und der geistlichen Vorbereitung armer Sünder sur Hinrichtung. 
Auch machten sie im Auftrage anderer, die vielleicht eine 
Buße tu vollbringen oder eine Wallfahrt gelobt hallen und 
verhindert worden, sie auszuführen, «Ferien zu den heiligen», 
(Wallfahrten) die ihnen nach der Meile bezahlt wurden. Die 
Kranken, deren Pflege ihnen oh lag, nahmen diese Brüder nicht 
etwa in ihren Häusern auf, sondern sie wurden in Privaihäusern, 
wo schwer Erkrankte lagen, als Pfleger herbeigerufen M . Für 
eine Tag- und eine Nachtwache erhielten sie 6 3. Dabei 



( v , . ,1,- urqjia frarn 

Uigilizoc . ^ »OOgl€ JMVlßllf OfMLHKAI 



— 25 — 

sollen sie sich nichl darauf beschränken, für das körperliche 
Wohl der Kranken und Sterbenden zu sorgen, sondern auch 
auf deren Seelenheil bedacht sein, ihnen ein «gut Beiepiel vor- 
tragen», d. h. erbauliebe fromme Geschichten era&hlen, und 
sie zu Reue und Beichte anhalten. Natürlich arbeiteten sie 
dabei zu Gunsten ihrer Freunde und Herrn, der BarfCßer, die 
jede Gelegenheil ergriffen, den Parochialpfarrern in der Seel- 
sorge Konkurrenz zu machen, besonders wenn, wie bei Sterbe- 
fällen, reicher Gewinn zu erwarten stand. Auch für die «abelÄle» 
(die armen Sünder), hei denen man die Brüder in der Nacht vor 
der Hinrichtung wachen ließ, weil es oft geschehn war, daß die 
Verbrecher sich in Todesangst und Verzweiflung selbst etwas 
angetan hatten 40 , solllen sie «das Beste tun mit tröstlichen Ermah- 
nungen und guten Gebeten». Nach altem Herkommen trugen 
sie dem zu Tode Verurteilten das Kreuz voran zur Richtstätte. 
Ihre Lohnforderung für die Ueberführung einer Leiche 
zum Friedhof normiert der Rot auf höchstens 6 8; wenn 
der Weg kurz ist, erhalten sie nur 4 fc. Armen lun sie es 
mm Gottes willen» ohne Lohn. Mit diesen Löhnen .«ollen sie 
sich begnügen und nicht mehr verlangen oder drängen, daß 
man ihnen mehr ^ebe, «Einer tue es denn aus freiein Willen 
Kern». Alles was die Brüder erhalten, fließt in die gemeinsame 
Kasse, denn die Genossen haben das Gelübde Her Armut abge- 
legt («es soll ir keiner kein Eigenschaft in dem hus« besitzen»). 
Die «Büchse» ist zugleich eine Reservekasse, in der der wöchent- 
liche Ueherschuß aufgehoben und aus der ein ev. Defizit gedeckt 
werden kann. Die Organisation der Laienhrüder, das Leben 
im Hause trägt, wie in allen Spitälern, Beginenliäusern, und 
sonstigen Genossenschaften einen klösterlichen Zug, der hier 
bedeutend mehr hervortritt als bei den Spitälern, da die Brüder 
gemäß der dritten Regel des hl. Franziskus das Gelübde der 
Armut und Keuschheit abgelegt haben. Ihr Leben ist der 
Arbeit gewidmet; Dienerschaft im Hause gibt es nichl. Das 
Amt des Kochs wandert von einem zum andern, jeder besorgt 
es, so gut er's kann. Bei Tisch j^eht es schweifend zu. Statt 
unnütze Worte zu machen, soll jeier auf ernste Gedanken und 
Gebet für seine Wohltäter bedacht sein. An der Spitze des 
Hauswesens steht der vom städtischen Pfleger ernannte Meister, 
der sog. «Obermeister»; ihm ist als Gehilfe und Slellvertreter 
der «unlemieictei» unterstellt. Der Obermeister besorgt und 
verwahrt die Lebensmittel «noch notdurft des gemeinen mannest, 
d. b. nach dem Bedürfnis der Allgemeinheit ; diu andern schulden 
ihm Gehorsam. Wochenilich gibt er den Brüdern Rechenschaft 
über den Verbrauch und die Einnahmen des Haushaltes. Ein- 
mal im Jahr soll auch der Meister dem Pfleger Rechnung ab- 



( ' ürqha frern 

Uigimcc . ^ »<X lgl€ JMVlKillf Ü>M(.HKAI 



— 26 — 

legen, damit die Stadt, wisse, «wie es umb das husz geslalt 
habe». Ohne Erlaubnis des Meisters darf niemand das Haus 
verlassen ; seine Strafgewak erstreckt sich jedoch nurauf geringere 
Vergeh n, wie unentschuldigtes Fernbleiben vom Gottesdienst. 
Die Strafe bestand meist in Entziehung von Wein oder Speise. 
Ueber Aufnahme und Ausstoßung von Mitgliedern hingegen 
muß der Meister die Stimme des städtischen Pflegers hören. 
In geistlicher Hinsieht haben die Franziskaner das Auf- 
sichtsrecht über das Gotteshaus; deshalb müssen auch die 
Bruder hei ihnen das Sakrament empfangen und Reichte tun ; 
die andern geistlichen Verpflichtungen der Broder ergehen sich 
aus der Re;el, die sie angenommen haben. 

II. Die Arwenpolizei 

Jede positive Armenpflege bedarf einer Ergänzung nach der 
negativen Seite. Sobald man eich darauf beschränkt, Almosen 
zu verteilen, ohne zugleich diejenigen, die seiner nieht bedürfen 
oder r.i-ht würdig sind, auszuscheiden, züchtet man mehr den 
Beitel als man der Armut abhilft. Der ursprünglichen Trägerin 
der Armenpflege irn Mittelalter, der Kirche, wa:* und blieb der 
Gedanke, daß mit ihrer Almosenverteilung; auch eine Auswahl 
der Empfänger verbunden werden müsse, fremd. Sie betonte 
nur die Verdienstlichkeit der Gabe in Hinsicht auf den Geber, 
der sich dadurch weltlichen Besitzes entäußerte. Da sie die 
Armut als einen vollkommeneren Stand pries und in den Orden 
der Bettelmönche dies Ideal zu neuem Leben erweckte, war es 
ihr unmöglich, gegen den Bettel einzuschreiten, selbst als dieser 
sich zu einen) allgemeinen sozialen Uebel ausgewachsen halle. 
So stand die weltliche Obrigkeit dem wachsenden Bettelun- 
wesen allein gegenüber. Sie sah sich genötigt, als Schätzerin 
der allgemeinen Sicherheit und als Vertreterin der Interessen 
des Publikums diese Plage zu beseitigen ; andrerseits aber 
wurde diese moderne Erkenntnis von dun Pflichten der Regie- 
rung zurückgedrängt durch die den einzelnen von der Kirche 
eingeprägte [Teberzeugun^r, daß die Bettler notwendige Glieder 
der rhrist iiihen üesellsehnft seien. Dieser Konflikt hinderte im 
ganzen Mittelalter eine wirksame Bekämpfung des Bettels und 
der Landstreicherei in deu Städten u. 

Wenn man dic.Beltler in zwei gro3e Gruppen, nämlich 
die Arbeitsunfähigen und die Arbeitsfähigen scheidet, so ließ di<? 
mittelalterliche Gesetzgebung rier ersten Gruppe soweit sie ans 
Angehörigen derStadt bestand, völlige Freiheit zu betteln. Nament- 
lich Insassen von Spitälern und Leprosenh&usern hallen das 
Hecht, auf den Straßen und vor den Kirchen Gaben zu heischen. 



( Orgila frant 

JHIVt^VÜI-MCHIGAH 



— 27 — 

Nur mußten sie häutig zur Unterscheidung vuu den Unberech- 
tigten Abzeichen tragen, (so in Konstanz schon 1459 dir* fimp- 
fänger des Raitinealmosens)«. Ein Einschreiten der städtischen 
Behörden aber traf die Landstreicher und herumziehenden 
Bettler, die auf betrügerische Weise das Almosen erlangten. 
Mit frommen Märchen von Wundererscheinungen und Buß- 
fahrten, mit erheuchelter Epilepsie und Veitstanz suchten sie 
das Mitleid des Volkes zu erregen. Gefahrlicher ah sie waren 
der öffentlichen Sicherheit die stehlenden und raubenden egar- 
tendon Krocht», auegediente oder beschäftigungslose Söldner, 
die mit falschen Würfeln Hie Leute im Spiel betrogen und ähn- 
liches Gesindel mehr«. Herumziehende Zigeuner werden 1418 
im Elsaß zuerst genannt, doch kamen sie nicht in die großen 
Städte«*. Die barbarische Handhabung der Justiz schuf selbst 
viele Arbeitsunfähige, die mit abgehauenen Händen, Zungen 
Oder Ohren dann der Allgemeinheit zur l^ast Helen, und den 
ohnehin großen Betielsehwarm vermehrten, der von einer Stadt 
zur andern zog. Allgemeine Erlasse gegen den Beitel in der 
Stadt finden wir seil dem Beginn dos 14. Jahrhunderts, Im 
fünften Stadtrecht ron Straßhurg« wird »allen Beutelschneidern, 
regem, wegeleren und Wucherern (lehenere), Schlemmern 
(esser) und Kupplern* geboten, den Burgbann bei Strafe der 
Bleuduug hinnen drei Tagen zu verlassen. Doch was konnte 
wohl eine so nilgemeine Verfügung nül&cn, zumal da ihre Aus- 
führung, wie anzunehmen ist, einfach den Organen der allge- 
meinen Exekution, den Bütteln, überlassen blieb? Eigne Be- 
amte der Fremdenpolizei finden wir ja erst viel später. Das 
wirksamste Mittel gegen die Bettler, das der befestigten Stadt 
zur Verfügung jostontlen hätte, die Kontrolle on den Toren, 
fiel weg-; denn m&n achtete nur in Kriegs?eiten eigentlich dar- 
auf, wer aus- und einging. Ein Paäwasen existierte noch nicht. 
Fing man doch überhaupt erst im Jahre 1330, unter dem 
Druck kriegerischer Unruhe im Land, wieder an, die Tore der 
Stadt nachts regelmäßig zu schließen«. 

Besonders wenn der Stadt ein Krieg drohte, mußte man 
liedacbt sein, keine unnützen M hesser innerhalb der Mauern 
zu haben. Einheimische Anne kounle man natürlich nicht aus- 
weisen, Dagegen traf 1301, beim Aushruch des sojr. Rappolt- 
steinischen Kriegs*?, alle «Giler und Gileriu, Bettler und Bett- 
lerin und alle Müssiggänger in der Stadt, die da nicht ein Jahr 
Speise (Korn) in ihren Häusern haben noch auch nicht ihre 
gilerigen Mönche haben noch ire gilei igen Frauen (Bettelmönche 
und Bcginen), denen sie dienen», der Befehl, die Stadt binnen 
drei Tagen zu räumen oder sich mit einer Arbeit zu beschäf- 
tigen«. Als solche Arbeiten, zu denen ituch ein Ungelernter 



/" 



( \n -* iL- üroha frarn 

JlIVU&mUtMUlKAI 



— .28 - 

taugt, werden in einem späteren, inhaltlich ähnlichen Erlali 
das ctrei&eno d. h. Kriegsdienst, tun, fischen und Vogelfang ge- 
nannt 4 *. 

Eigentliche Erlasse £«yen '' 0I1 betrügerischen Bettel m ? die 
der Stadtrat 14Ö9 und 1411 ausgab, sind r i.-ht interessante 
Stimmungsbilder als daß sie eine praktische Wirkung genaht 
haben trögen* 1 . Sie enthalten ganz allgemein die Bestimmung, 
daß die Bettler, die das Almosen in Wirtshäusern zu unerlaub- 
ten Zeiten &3 im Spiel und mit «üppigen Frauen» verzehren 
und rverqueseniß, bestraft werden «ollen ; jedoch wird noch 
keine Exekulivbehorde rar diese Falle ernannt. Interessant ist, 
daß sehen aus dem Erlaß des Rates von 1411 der in der Be- 
formationszeit zur Grundlage der Armenpflege jremachte Salz: 
«Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essem und damit die An- 
erkennung des Wertes der Arbeit herausklinyt *». 

Im Laufe des 15. Jahrhunderts nahm der Bettel allent- 
halben ao zu, daß sich die Stadtverwaltungen endlich gezwun- 
gen sfchen, besondere Beamte zur Kontrolle des fahrenden Volkes 
einzusetzen und nun auch einige konkretere Maßnahmen gegen 
den Bettelunfug zu treffen**. 

Es bildete sich eine Ratsdeputaliot) von drei Annen pflegern, 
die vielleicht zugleich die Pfleger des städtischen Almosens zum 
hl. Geist waren; einer von ihnen, der sog:, xobervogt, den die 
slat ordnet», hat die Aufsicht Ober die niederen Beamten, den 
«undervegt der armen Inte», auch «bettelvogi» genannt, und 
die Knechte. Die beiden andern Oberlieirn weiden nur bei 
wichtigeren Fällen herangezogen. Wahrscheinlich war auch fdej" 
do geordnet ist von der sUt, die fremden ^uten lute (d. h. 
die Leprosen) nszzutntmni, flieser Behörde unterstellt«. Der 
Untervogt hat die eigentliche Arbeit mit den Bettlern; in der 
Stadt darf ei keinem, der «des nicht Notdurft isla, den Bettet 
gestatten; im Notfälle mtUsen seine Knechte bei solchen Leuten 
Haussuchung hallen; findet man, daß die Hausarmen ohne 
Bedürfnis das Almosen in Anspruch nähmen, so hat der Ouer- 
vogt, eventuell sogar die drei Pfleger, (nicht der Untervogi) 
eine Strafe zu diktieren. Der Untervo^t ist nur Polizeibeamter; 
er erstattet die Anzeige und hat die Exekution der von den 
nbern fiehörden erkannten Urteile. Fremde Bettler dürfen nicht 
länger als drei Tage in der Stadt bleiben ; auch wer sie länger 
beherbergt , verfallt der Strafe von 5 sh uder einem halben 
Jahr Verbannung. Für die Einhaltung dieser Vorschriften hat 
der Reltelvogt hauptsächlich zu sorgen. Er bedient sieh dazu 
seiner Organe, der Knechte, die die widerspenstigen Bettler mit 
Gewalt vor die Tore un<i bis ober den Rhein hinwegfflhren ; 
auch der Knecht, der besonders bestellt ist, die bettelnden 



( v , . ,1,- urqha freni 

' 'N K JlIVU&mUtMUlKAI 



— 29 — 

fremden Le prosei, zu beaufsichtigen, soll diejenigen, die länger 
als drei Tage in der Stadt bleiben, rors Tor hinausgeleilen, um 
sich 7n versichern, daß sie hinweg sind. Findet er Widerstand, 
so hat er das Recht, die leprosen in dem Turm gefangen au 
halten, bis er einen Ratshescheid bekommt m, 

Dis zum Jahre 1473 erhallen allein die Knechte «ine Be- 
soldung för ihr unerfreuliches Amt; von einem . Bettler, den 
sie über den Rhein führen, erheben sie 6* d, wovon, ebenso wie 
von andern Strafen, die sie einsammeln, die Hälfte oder ein Teil 
dem Frauen werk, ein Teil ihnen zufällt. Der ßettelvogi sollte 
seine Stellung ehrenamtlich verwallen ; als aber Heinrich Bisinger 
im Jahre 1473 aintfimüde eich von »einem Posten zurückzog, da 
fand sich niemand, der ihn ersetzen wollte. Darauf beschloß der 
Rat, daß fortan dem Vogt ein Jahres^ebalt von 30 p ausgesetzt 
werden solle und setzte sogleich den Peter Gries zum Bettel- 
vegt ein. Die3 Gehalt wurde beschafft, indem man dem Fiauen- 
werk seine bisherigen Einkünfte aus Bettelstrafen entzog und 
diese in eioer besonderen Büchse sammelte; such den Knechten 
20^ man hier und da von ihren Gefällen etwas ab, um desto 
mehr in die Kasse zu bekommen. An Weihnachten öffnen die 
Pfennigherrn die Büchse ; beträgt der Inhalt weniger als 30 ß, 
so hat der Vogt das Nachsehn, beträgt er mehr, so erhält das 
Fraimnwerk einen Anteil. Auch der Schultheiß, dessen altes 
bischöfliches Polizeigericht sich seltsamerweise in Konkurrenz 
mit den städtischen Gerichten noch bis ins 17. Jahrhundert 
einige Rechte bewahrt hat, erhält die ihm gebührenden Ein- 
künfte, den c Frevel» w. Es ist hier wieder charakteristisch, 
daß die Obrigkeit, obwohl sie schon im modernen Sißiie ihre 
Pflicht auf dem Gebiete der Wohlfahrtspflege erfaßt hat, doch 
noch in mittelalterlicher Weise die materielle Ausführung und 
Unterstützung dieser Gedanken den einzelnen beteiligten Be- 
hörden oiler Bevölkerungsgruppen überläßt. 

Die Maßregeln, zu deren Ausführung der ßettelvogt und 
seine Leute angestellt waren, lasser sich, wie angedeutet, in 
die gegen die in der Stadt domizilierten und in solche gegen 
fremde Bettler und Landstreicher teilen. Straßburg leistete in 
dieser Richtung 1 nicht mehr als alle anderen Städte Süddeulscli- 
lands in jener Zeit. Von Augsburg, von Nürnberg, von Frank- 
furt und von Konstanz 58 liegen aus der Zeit von ca. 1460 bis 
zur Reformation inhaltlich fast gleichlautende Ordnungen vor. 
Die engen Beziehungen der Städte zueinander, die allmählich, 
infolge der immer ähnlicher werdenden allgemeinen Lage, sie 1 ) 
ausbildende Solidarität der Städte findet gerade auf diesem 
Gebiet der Wohlfahrtspflege, besonders aber auch, wie wir sehn 
werden, im Medizitialwesen .«einen frühsten Ausdruck. In Bezug 



/ " ürqha frern 

k " jiivu&mutMUiKAi 



- 30 - 

auf die Hausarmen begann man, ihre Bedürftigkeit durch Haus- 
suchungen strenger zu prüfen und verlangte, daß sie äußerlich 
sichtbare Zeichen trugen*»», damit das Schamgefühl nicht ganz 
verloren gehe. Schon in der Richtung der Präventive bewegt 
sich die Vorschrift, daß der Schultheiß, der das Recht hat, 
Leute mit weniger als 10 U Vermögen aufsur.eb.men, diejenigen 
nicht als Bürger empfangen dürfe, die von \ornherein die Ab- 
sicht hätten, ihr Bürgerrecht zum Bettel auszunutzen. Es war 
offenbar häufig; vorgekommen, daß Bettler, wenn sie sich die 
zum Erwerb des niederen Bürgerrechts nötige Summe erspart 
hatten, sich in der Stadt einkauften, wo man ihnen dünn nicht 
mehr, wieden eigentlichen Fremden, den Bettel verbieten konnte. 
So schützten sich die ;Seh lauen vor den Geldstrafen und vor 
der Austreibung mich drei Tagen, die sonst über den fremden 
Bettler verhängt waren. Wenn «ie diesen Schwindel etwa in 
mehreren Städten nacheinander machton, so konnte es recht vor- 
teilhaft sein. Erwachsene kräftige Kinder von Bettlern dürfen 
nicht das Gewerbe ihrer Ritern fortsetzen ; ebenso ist natürlich 
der alte Bettler! rici., Kinder anderer Leute sich zur Hülfe beim 
Betteln zu leihn, unter Strafe gestellt w. 

So vernünftig diese Bestimmungen gegen derr Bettel im 
Einzelnen erscheinen, sie blieben auf die Dauer ohne Wirkung, 
selbst wenn man die angedrohten Strafen immer mehr ver- 
schärfte. Es bedurfte einer Reform, die sich nicht auf einzelne 
Maßregeln beschränkte, sondern den sozialen und wirtschaft- 
lichen Mißständen, deren Foljre das Bettelunwesen war, an 
die Wurzel griff. Es ist kein Zufall, daß die ersten umfassen- 
den Am Zuordnungen, die den Uebergang von der bloß repres- 
siven Eeltelpolizei zur positiven Fürsorge bedeuten, in die Zeit 
der Reformation fallen und von den Städten ausgingen. «Hier 
vereinigte sich die bereits vorhandene, auf Abstellung des 
Bettels gerichtete, sozial-politische Strömung mit der durch die 
Reformation hervorgerufenen religiös - sittlichen» 8 ', die nach 
Luthers Vorgang den Bettel als unsittlich verwarf und den 
Wert und die Notwendigkeit der Arbeit betonte. 

Strikte Bettelverbote für Einbeimische wie für Fremd© sind 
erst möglich, nachdem man mit der kirchlichen Anschauung 
von der Liebestatigkeit gebrochen hat, seit man in dem Bettler 
nicht mehr einen heiligen Mann, sondern einen sozialen Schäd- 
ling sieht. Wo man aber den wirklich Armen durch das 
allgemeine Verbot^ auf Straßen und in Kirchen Raben zu 
heischen, ihre bisherige Nahrung entzog, mußte die weltliche 
Obrigkeiufür einen ausreichenden Ersatz soiyen. Daraus ent- 
standen die völligen Neuordnungen des Arnienwesens in den 
Städten, deren erste die 1522 erlassene Au^sburger Ordnung 



( v , . ,1,- ürqha frern 

JMVU&mc+MUlKAI 



- 31 - 

ist; ihr folgt noch im gleichen Jahre die Nürnberger, im Jahre 
•1523 die Slraßburger, Breslauer und Regen sburger ? 1&24 die 
Magdeburger Ordnung". 

Obwohl, wie die Nfirnberger, noch zur Zeit des Bestehens 
der alten Kircheuordnuug entstanden *» l steht die Straflburger 
Armenordnung ton 1523, deren Entwurf bei Drucker gedruckt 
ist, schon völlig unter dem Einfluß der reformierten Predigt 
und der von Li her verkündeten Ideen. Auch ihre praktische 
Durchführung wurde durch die realen Veränderungen, die die 
Einführung der Reformation iu Strasburg mit »ich brachte, 
erst wirklich ermöglich!; insofern, als man die im Laufe des 
3. Jahrzehnts des '16. Jahrhunderts eingezogenen Kirchengüter 
und alten Stiftungen von Seelspenden zu dem allgemeinen Al- 
mosenfonds heranzog, lößl sich dieser wobl als die cersle wohl- 
tätige Frucht der Reformalion» bezeichnen**. 

Um aus der Ordnung nur dts wichtigste herauszugreifen, 
erwähnen wir, daß eine ziemliche Anzahl Stifter, Klöster und 
reiche Bürger den Almosenpfleg^rn «ire gestylte Almusen und 
spenden» zur Gründung eines «gemeinen Almosens» zur 
Verfügung stellten, um die Hausarnien, die man, je nach der 
Bedürftigkeit, in vierteljährlichen Umgängen in der Stadt sorg- 
sam auswählte, davon ausreichend zu unterstützen. In allen 
Kirchen wurde zugunsten der Armen mit «säcklin an släblin» 
gesammelt, auch die Ertrage der Almosenstocke (büchsen> 
kamen dem «gemeinen Almosen», das später im ehemaligen 
Kloster St. Marx untergebracht wurde, zugute. Die Verrech- 
nung dessen, was dem Almosen zufallt und was ausgegeben 
wird, besorgt der Almosenschaffner ; er hat auch ein Ver- 
zeichnis aller zum Almoseneinpfang Berechtigten; diese tragen 
ein c Wortzeichen». Arme, die bedürftig sind, aber das Ab- 
zeichen zu tragen sich schämen, erhalten das Almoseo heim- 
lich von den Pflegern. 

Fremde Bettler sollten womöglich gar nicht in die Stadt 
gelassen oder wenigstens von den Zollwächiern au der Rhein- 
brücke und an der III bei Grafenstadeii verpflichtet werden, nur 
durchzuziehn oder, wenn sie in der Elcndenherberge eine Nacht 
Aufnahme gefunden hätten, am andern Morgen weiter zu wan- 
dern und die Stadt innerhalb eines halben Jahres zu meiden. 

Die Organisation des Almosenarntes knüpfte an den Ge- 
denken an, den Geiler von Kaisersberg im Jahre 4500 schon 
im 43. seiner XXI Artikel *& geäußert hatte, daß jede Gemeinde 
ihre Armen selbst unterstützen solle; es wurde nämhrrh aus 
jeder der neun Pfarreien je ein Bürger zum Ptlejcer ernannt. 
Diese hatten mit Hülfe von vier Knechten und unter Kontrolle 
von vier Ratsvercrdneten, den Oberherrn, die Verteilung der 



'^" JlIVUUlYOtMUlKAI 



— 32 — 

Spenden an die Hausarmen zu besorgen. — Was nun die Streit- 
frage na eh dem Anteil de* Mittelalters an dieser Schöpfung der 
Reformation angeht, so darf man wohl sagen, daß schon vor- 
her tasleude Versuche in der Richtung auf das 1323 erreichte 
Ziel nicht gefehlt haben, wozu besonders die Heilig-Geistpfründen 
und die Laienbröderschafleti zu zählen sind. Jedoch bedurfte 
es immerhin noch der neuen Gedanken der Reformation, um 
dieser Ansätzen zur Wirkerinen Ausgestaltung zu verhelfen«. 



III. Alischnitt. 

Das Sanitätswesen von Strasburg. 
I. Gesundheitspflege der Stadtverwaltang. 

Das öffentliche Sanitatswesen umfaßt nach moderner nalional- 
Okoiiuinibdiei Definition zwei Gebiete; 1) die Sauilätspolizei, 
«durch welche das staatliche Eingreifen zur Herstellung gesund- 
heitsgeniääer Lebensbedingungen und zur' Abwehr von Gesuud- 

heitsschädigungen in den Fällen vermittelt werden soll, wo der 
Einzelne hieizu nicht imstande ist» und zweitens die Medizinal- 
polizei, <in deren Bereich die Sorge für Erkrankte und die 
UcberwoöKung des Hcilwc3cns (Acrztc, Hebammen, Apotheker) 
feilt» i. 

Obwohl dieser Satz von den Aufgaben des modernen 
Staates und von dem modernen Staatsbegriff ausgeht, so dürfen 
wir ihn doch auch für die mittelalterlichen Städte zum Aus- 
gangspunkt einer Darstellung der Gesundheitsfürsorge nehmen. 
Denn gerade dies ist das Gebiet, auf dem sieh am frühsten die 
Wohlfahrtspflege der mittelalterlichen Obrigkeit betätigte. Wir 
sahen, wie in dem (eng an dies angrenzenden) Bereich der Annen- 
und Krankenpflege lange vor dem Eingreifen der staatlichen 
Organe die Kirche und bürgerliche Genossenschaften eine um- 
fassende Tätigkeit enl falteten. Jedoch betonten sie in erster 
Linie den ethisch-religiösen Gesichtspunkt und erhoben auch 
ihre Krankenpflege nicht über das Zufällige und Individuelle 
hinaus. Daß auf dem Gebiet der eigentlichen Krankenfürsorge 
im Spital auch der mittelalterliche Stadtstaat noch sehr wenig 
leistete, sahn wir bereits ; jedoch zeigen sich schon sehr früh 
die Ansalze zu einem Eingreifen der Stadtregiemng in dem Teil 
des Saninätswesens, der unbedingt der obrigkeitlichen Autorität 
bedarf und den wir vorbin als SanitÄtepolizeJ bezeichneten. «2ur 
Herstellung gesund heitsgemäßer Lebensbedingungen» gehörte es 
vor allem, daß man gesundheitsschädliche Stoffe und Dünste von 
der nächsten Umgebung des Menschen fernhielt, daß man also 



( v , . ,1,- üroha frern 

Uigimcc y^»<X JMVlföllYWMUHWI 



— 33 — 

im Innern der Stadt auf Reinlichkeit, Ordnung und Verhütung 
schmutziger Anhäufungen iu den Sti öflen achtete. Scliou in der 
Mitte des 42. Jahrhunderts findet sich im Straßlurger Stadt - 
recht die Verordnung, niemand dürfe Mist und Unrat vor meinem 
Haut» lagern, «andern man solle diese Abfälle an bestimmte 
Orte an der Peripherie der damaligen Stadt wegführen*. Ob 
diese Verfügung von dem bischöflichen Polizei beamlen, dem 
Burggrafen ausging und gehandhabt wurde oder ob sie der 
Kompetenz der freien Stadtgemeinde entsprang, läßt sich nicht 
entscheiden. Das erste Straßhurger Stadtrecht will ja keine 
vollständige Kodifikation des bestehenden Rechts, sondern nur 
ein Weisturn aber das BischofsrechL in der Stadt sein». Frei- 
lich lassen die im Zusammenhang mit diesem Paragraphen 
stehenden Verordnungen über Baupolizei und über das Halten 
von Schweinen vermuten, daß neben sanitären Gründen auch 
die Rücksicht auf den Verkehr iu der Stadt, ah» allgemeinere 
Yerkchrsinteresscn, den. Anlaß zu dieser Maßregel gegeben 
haben. Dieser Anfang einer staatlichen Gesundheitsfürsorge 
wurde im Lauf der nächsten Jahrhunderte zu einer ziemlich 
organisierten Reinlichkeitspolizei ausgebaut. Die Viehhaltung, 
die hei dem autarkischen Charakter der bürgerlichen Haus- 
haltungen noch unentbehrlich schien, wurde später einge- 
geschränkt, Schweine schon im 12. Jahrhundert ton einem 
Stadthirten gemeinsam in einem dazu bestimmten Hofe (curtia) 
an der Mauer gehütet und verholen, sie frei auf den Straßen 
umherlaufen zu lassen**. Hundert Jahre später (ca. 1300) ist 
es nur noch den Bäckern und Oelleuten, da sie mit dem Ab- 
fall ihres Gewerbes gerade diese Tiere ohne besondere Kosten 
mästen könnet), erlaubt, eine größere Zahl, nämlich im Sommer 
acht, im Winter zwölf Schweine zu hallen . 

Je mehr sich die Rejjierunx des Rates in jeder Uinsichl 
befestigte, umso energischer wurde fCr die Reinheit der Straßen 
gesorgt. Gepflasterte Straßen linden wir früh«. Sollte aber das 
Pflaster Wert und Bestand haben, so mußte man den Schmutz 
und den gewöhnlich aus den Haushaltungen kommenden Ab- 
fällen Abzugsbfibnen schaffen. Kanäle und Röhren zogen von 
den Häusern teils unter der Erde, teil« auf Msuern zu den 
größeren Granen, die die ganze Stadt, durchliefen und schließ- 
lich in den Fluß, die Breusch, einmündeten 1 . Streitigkeiten 
über solche Abflüsse beschäftigten häufig die a Bauherrn», die 
städtische Baupolizei ; ihre Anlage ebenso wie die der Aborte 
bedurfte im li Jahrhundert der Bestätigung durrh fii** Ohrig. 
keit. (Jener die Reinigung der Aborte, die meist von zwei oder 
drei Häusern zusammen benutzt wurden, nahm man iu die 
Mietverträge stets eine Klausel auf, die jedoch nicht auf obrig- 

8 



( ' ürqha frern 

KXlglt JMVIKillYC+MUHWI 



— 34 — 

keitliche Verfügungen, sondern eher auf private Abmachungen 
der Parteien zurückgehen 8 . Im 14. Jahrhundert legte die Stadt 
auch öffentliche cSprochhüser» im Zentrum der Stadt an, die 
in der Nähe eines Stadtgrabens Platz fanden, um Ausdünstungen 
zu vermeiden 9. Da man die Wichtigkeit des fließenden Wassers, 
auch wenn es nioht gerade schiffbar war, bereits kannte, 
schützte man durch häufige Verbole, mit Steinen und Holz 
und sonstigem Bauschutt (gerere) untermischten Schmutz in 
die Breusch zu schulten, den Lauf des Flusses vor dem Ver- 
sanden. Mit dem Gassenschlamm aber, den man zusammen- 
fegte, wußte man sich keinen andern Rat, da er nicht weit zu 
transportieren war, ah daß man ihn von der Mitte einer Brücke 
in den Fluß hinabgoß; dort riß ihn die Strömung gleich mit, 
wie man glaubte, und so schadete er der Tiefe des Flußbettes 
nicht". Solche Reinlichkeilspolizei zu üben sind bereits seit 
dem 14. Jahrhundert Stadtknechte, die sog. Ilorbknechte, an- 
gestellt, die zugleich auch über das Pflaster zu wachen haben. 
Sie unterslehn einem vom Rat ernannten Lohnherrn. In regel- 
recht organisiertem Dienst führen sie den Schmutz aus den 
Häusern und Straßen an die durch Ptähle bezeichneten Steller 
der Allmende 11 . 

Auch ihrer präventiven Pflicht, «der Abwehr 
von Gesundsheitsschädigungen» genügte die Stadt auf mancherlei 
Weise, natürlich wieder nur, soweit ihr überhaupt die Erkennt- 
nis der sanitären Mangel und Gefahren hei dem niedrigen Stand 
der Wissenschaft möglich war. In welch nachdrücklicher Art 
die Stadtregierung die wichtige Lebensmittelkontrolle ausübte, 
hat A. Herzog in einer Monographie über die f Lehensmittelpolitik 
der Stadt Strasburg im Mittelalter:» dargetan. 

Welche Anstalten man zur Beschaffung von gesundem und 
reinem Trinkwasser besaß, konnte ich nicht finden; vermutlich 
begnügte man sich mit einzelnen gegrabenen Brunnen, die, aus- 
gemauert, von Zeit zu Zeit einer gründlichen Reinigung unter- 
zogen werden konnten. Die Bedeutung reinen Trinkwassers 

für die Öffentliche Gesundheit erkannte schon das 5. Stadt- 
recht an, in dem auf das Abhaun und Verunreinigen von 
Brunnen eine besonders hohe Strafe gesetzt wurde**. Die Pest 
von 1349, die auf die Brunnenvergiftung durch die Juden zu- 
rückgeführt wurde, war gewiß geeignet, das Interesse an einer 
richtigen Wasserversorgung zu beleben. Deshalb wurde — von 
welchem Datum ah, wissen wir nicht — mr Kontrolle über 
die Brunnen der ganzen Stadt ein Oherhrnnnenmeisler einge- 
setzt, dem die für jeden Brunnen ernannten Brunnenmeister 
zur Seile slehn. Diese, aus der den betr. Brunnen benützenden 
Anwohnerschaft gewählten Bürger, haben für dessen Instandhal- 



'^" JMVUUlYUtMUlKAI 



- 35 — 

tung und Reinigung zu sorgen ; die Kosten trägt halb die Stadt, 
halb die Bürgerschaft. Für die <Brunnensehöpfer>, die die Rei- 
nigung der Brunnen übernehmen, wird ein gesetzlicher Lohn 
von 3 ß, reep. 2 ß, ein Maß Wein und ein Laib Brot pro Tag 
festgesetzt, damit sie nicht ferner zu unverschämte Preise er- 
heben können. Leute, die eigne Brunnen im Hause hatten, 
brauchten sich weder an dieser PoliEeieinrichlung noch an der 
dafür erhobenen Sleuer zu beteiligen ». 

Das einzige Gebiet der Sanitätspolizei, auf denn sich auch 
die Kirche, und zwar früher als die weltliche Gewalt, betätigte, 
war das Beerdigungs w esen. Der Zusammenhang, in deu 
das kirchliche Dogma die Beerdigung mit der Auferstehung 
brachte, die Riten, mit denen es den Tod umgab, um ihm in 
den Augen der Ueberlebenden seine Schrecken zu nehmen, 
brachten es von selbst mit sich, daß bei jeder Kirche auch ein 
Friedhol errichtet wurde und so die Fürsorge für die Totenbe- 
stattung als ein Liebesdienst der Kirche vorbehalten blieb. Aber 
soweit es sich dabei um rein sanitäre Fragen handelte, z. B. 
die Lage der Friedhöfe, die Anlage der Gräber, die Schnellig- 
keit der Beerdigung, mußte doch mitunter die Obrigkeit ein- 
greifen. Zuerst geschah es in Zeiten der Pest und des Massen- 
sterbens, wie sie seit dem \'i. Jahrhundert so häuGg die euro- 
päischpn Städte bedrohten, daß die Stadträte eine Verfügung zur 
Verhütung der Ansteckung trafen: und aus solchen Anfängen 
entwickelte sich dann eine Aufsicht des Staates über das ganze 
Begräbniswesen, wobei sich sogar mitunter ein kleiner Gegen- 
satz zwischen den Forderungen der Sariitatspolizei und den Riten 
der Kirche herausslellte. Die selbst im Geiste des Christentums 
lebenden Behörden suchten diese Klippen möglichst ohne An- 
stoß bei den Vertretern des Glaubens, mitunter im Widerspruch 
gegen ihre eigenen Sanitälsmaßregeln zu umgehen 14 . So unter- 
ließ man es z. B. in Straßburg auch in den schlimmsten Pest- 
zeiten, wenn die Toten so rasch als möglich in irgend eine Grube 
geworfen werden mußten, nicht, anstelle der eigentlichen Leiche, 
die morgens in der Kirche selbst eingesegnet zu werden pflegte, 
wenigHtens einen leeren Sarg hinzustellen, über den der Priester 
seinen Segen sprach und die vorgeschriebene Seelmesse halten 
konnte. Der Tote ruhte aber in Wahrheit längst im Grabe». 

Da jeder Friedhof bei einer Kirche und innerhalb eines 
Pfarrsprengels liegen mußte, waren fast sämtliche Begräbnis- 
stätten innerhalb der Stadtmauern und zwar über die ganze 
Stadt zerstreut. Daß dies wegen dar Ausdünstungen, die ein 
Friedhof meist verbreitet und weyen der geringen Ausdehnungs- 
möglichkeit, wenn der ursprüngliche Raum zu klein wurde, 
große Mängel mit sich brachte, ist kaum zweifelhaft. So mußte 



r 



i ' üroha frern 

'^" JlIVtfömtftMUlKAI 



— 36 — 

man den großen Spilal/riedhof, auf dem in Pestzeilen alle 
Armen und Fremden begraben wurden, im Jahre 1316 vor die 
Tore der Stadt verlegen 1 » 1 . Mit dem Uebergsing des Spitals an 
die Stadt war auch der Friedhof zu städtischem Besitz geworden, 
und dort wurden wohl zuerst städtische Knechte als Toten- 
gräber angestellt, während die kirchlichen Friedhöfe ihre eigenen, 
von den Kirchenvorslehem eingesetzten Totengräber hallen. So 
ißt 2. B. bei Sl. Thomas ein «servus, qui facit sepulcr-ü» 
genannt'*. Das Friedhofsweseii war mit den kirchlichen Insti- 
tutionen der mittelalterlichen Siadt so en<r verknüpft, daß man 
im Mittelalter nicht daran denken konnte, eine ausschließlich den 
sanitären Anforderungen entsprechende Aenderung zu treffen, 
nämlich die Verlegung aller Friedhöfe vor die Mauern. Zugleich 
wäre der Mauerring der Itefestigten Si.nll ein Hindernis für die 
Anlage van Friedhöfen außerhalb der Wälle gewesen. Denn 
wie leicht kouute ein belagernder Feind diese ummauerte 
Stätte zum militärischen Stützpunkt benutzen. Erst als man 
überhaupt mit den kirchlichen Traditionen brach, in der 
Reformationszeit, und Hie Wichtigkeit der Befestigung zurück- 
ging, konzentrierte man alle Begräbnisse auf drei Plätze im 
Weichbild der Stadt. 1527 \erbot man jede Beerdigung inner- 
halb der Stadtmauern ; dieselbe Verfügung war kurz vorher in 
Nürnberg dem heftigsten Widerstand der katholischen CJeislIich- 
keit begegnet ; erst eine kaiserliche Urkunde hatte dort den Streit 
zu Gunsten der Stadt und der modernen Hygiene entschieden » 

Besonders reiche und rornehme Leute pflegten sich, statt 
auf dem Friedhof ihrer Pfarrkirche, innerhalb einer von ihnen 
ausgewählten und reich beschenkten Stift- oder Klosterkirche 
begraben zu lassen. Wegen der Gefahr» die in Pestzeiten 
solche verwesende Leichname für die Kirchenbesucher dar- 
stellten, mußte man 1349 auch diese Sitte für kurze Zeit ver- 
bieten. Jedoch kam sie rasch wieder in Aufnahme und hielt 
sirh überall bis zur Reformation >s. 

Uefcer die Zeit, die man von dem Eintreten des Todes an 
bis zur Beerdigung verstreichen lassen dürfe oder müsse, kannte 
man keine Bestimmungen. In gewöhnlichen Zeiten waren sie 
ja wohl nicht unbedingt notig, da einfache Erwägungen und 
ein gewisses Herkommen flie beule schon von selbst veranlafilen, 
die Toten in einer angemessenen Zeit aus dem Hause zu 
schaffen. Nur wenn eine Pest wütete, gebot man streng, eine 
Leiche auch nicht über eine Nacht in der Wohnung zu lassen, 
sondern «ie, seihst vor der Einsegnung in der Kirche, sofort tu 
bestatten. Daß dabei wohl hie und da ein Scheintoter lebendig 
dem Grane verfiel, daran dachte man in -solchen Schreckens- 
zeiten nicht u\ 



( < ■ 



Crqha'frain 

JIHVtra YJtMUtl'iAH 



— 37 - 

Eine große Bolle spielte im Gefühlsleben des Volkes das 
ehrenvolle Begräbnis. Eine Bestallung mit möglichst viel Prunk 
und trroüem Geleite zu erlangen und die Sicherheit xu haben. 
von Standesgenossen zu Grabe g:elraeen zu werden, war einer 
der Hauptgedanken, die den religiös -genossenschaftlichen Zu- 
sammenschluß der Handwerker, Gesellen und Kaufleute her- 
beiführten. In allen Zünften und Bruderschaften waren ja 
die Brüder verpflichtet, ihren verstorbenen Genossen das Toten- 
geleite zu geben und bei der in der Kirche abgehaltenen 
Totenmesse zugegen zu sein, Anatirninlungen von Menschen, 
wie sie hei diesen Feiern entstanden, mußle mnn y wenn eine 
Seuche wütete, natürlich möglichst verhüten ; das ausgeprägte 
Standesbewnßtsein des städtischen Patriziats aber ertrug das 
1349 erlassene Gebot, daß das Tragen durch die Genossen 
unterbleiben sollte *>, nur so lan^e, als es die herrschende Pest 
nötig machte. Obwohl man sich inzwischen schon daran 
gewöhnt hatte, fremde Tolenträger z. B. die frommen Genossen- 
schaften der Laieuurnder, zu diesem Geschäft zu (nieten, so 
«schametent sich gute lüte, das ir ungenosseu au soltent tragen 
oder das sü knehten soltent Ionen» und deshalb cgebot man 
wiederum» die alte Sitte, duß die Slandesgenossen der Toten 
diese zu Grabe tragen sollten. Eine unheilvolle Durchbrechung 
dieser VorbeuKuny,siuaöreuelri zur Pestzeit ist es, weuu mau 
auch für die Zeilen, in denen di» Geleite verboten ist, den 
Bischof, Domherrn und fremde Landesherrn von diesem Verbote 
ausnimmt so. 

Der Bestattung: der Armen und Fremden widmeten such 
die eben erwähnten Laienbrüdergenosseiischnflen. Sie wurden 
in dieser ihrer christlichen Liehestätigheit von der &tidtischen 
Verwaltung ha ufig durch Zuschüsse und Schutz unterstützt". 

Nicht zu verwechseln mit denjenigen, die die Leichen zum 
Grabe tragen, sind die eigentlichen Totengräber. Seit dem 
45. Jahrhundert gab es in Strasburg drei von der Stadt konzes- 
sionierte Totengräber, die auch das Reinigen der Stadttürme 
mitu bernahmen u. Die Stadt setzte ihnen eine Taxe fest», 
die interessante Abstufungen fürdie einzelnen Kirchhöfe aufweist. 
Aus ihnen kann man erkennen, wie die betreffenden Kirchen 
in dem Volke geachtet und eingeschätzt wurden. Am teuersten 
sind überall die Begräbnisse im Innern der Kirchen und in 
den Kreuzgängen. Der teuerste Begräbnisplatz ist naturlich 
das Münster ; jedoch geben die Preise bei St. Martin, St. Thomas 
und Sl. Peter denen für das Muraler kaum uaeh. In den 
Kirchen, die, wie St, Thomas z. 13. früher eijjne Totengräber 
hatten, also auch deren Gebühren selbst einzogen, lieferten die 
städtischen Totengräber nach einer Abmachung mit den betr. 



( " ürqha frern 

'^" JlIVUUlYOtMUlKAI 



— 38 — 

Kapiteln» einen Teil dessen was sie vom Publikum erhielten 
an den Küster ab. Am billigsten sind die Gräber in den 
Frauenfclöslern. Bis zur Mitte des 15. Jhs. betrugen die Preise 
für daher, (d. Ii. nur für die Hei rieh tun*, wenn mau bereits 
durch viel Spenden an den Fonds der Kirclie daa Recht bei 
der betr. Kirche begraben zu werden erkauft hatte) höchstens 
18 — *>0 ß, mindestens aber für den Erwachsenen 3 ß. Diese 
hohen Preise erhob eine Gesellschaft von dre: Leuten, Heintze- 
muiin Halerach, Kleiuhaus \on Greßwillei* und Rulmann von 
Hagcnau, ungehindert durch Konkurrenz, bis sich ein anderes 
Dreigestirn, Peter Vorwurf, Liebolt Geiler und Berthold Spitzysen, 
die sich die «nahtrieler» (Machtreiter) nennen, dem Rat für alle 
von jenen geleisteten Dienste um die Hälfte des Lohnes anbietet. 
Wie dieser Wettstreit ausging:, wissen wir nicht. 

Aus einer spätem Zeit, vielleicht schon nach 1527, stammt 
wohl der uns erhaltene Eid der Totengräber, in dem die Taie 
für deren Arbeit nur nach der Größe und nach dem Alter 
des Toten fesijreselzt wird. Von den Unterschieden der Fried- 
höfe ist nicht mehr die Rede. Die Totengräber geben jeweils 
die Hälfta ihrer Rinnahmen dem Frauen werk vom Münster, 
das nach der Reformation die Zentrale fftr kirchliche Ver- 
waltung wurde". Seine Taxe darf ein Gräber übersleigen, 
wenn dei Boden gefroren ist, so daß er feuern muß, um graben 
zu können, oder wenn die Leiche, die vorher in dem Grab 
lag, nur mit Schwierigkeit zu entfernen oder der einzufügende 
Sarg außergewöhnlich groß ist. Lrhehen sich über solche 
Forderungen Streitigkeilen, so schlichiet sie das «Werk» des 
Münsters. 

In dieser Ordnung dos 46. Jahrhunderts finden wir die 
er«te Vorschrift über die Tiefp, die ein Grab haben muß ; in 
Straßbury soll es 6 Schuh tief sein; in Eßlingen beträgt die 
vorschriftsmäßige Tiefe 7 Fuß«*. 

Ueber den in Straßburg innegehaltenen Begräbnisturnus 
gehen die Quellen keine Auskunft. 

Selhslmörder fanden nach der kirchliehen Lehre keinen 
Platz auf der geheiligten Stätte eines Friedhof«. Der Nachrichter 
oder Henker war von der Stadt dazu angestellt, die Leichen 
solcher Sünder aus den Häusern abzuholen, in ein Faß zu 
schlagen und aus der Stadt wegzuschaffen. Er erhielt dafür 
10 ß (später nur 5 0) Sohl und das Faß, wenn nicht der Tote 
so viel Vermögen hinterlassen hatte, um oiese Kosten zu be- 
al reiten. 

Wenn wir nun noch fragen, was die mittelalterlichen 
Städte ?um Schutz vor der schlimmsten Gesundheitsbedrohung 
taten, nämlich zum Schutz vor der Pest, so werden wir 



( ' Crcha frern 

'^" JMIVtfömühMC.HKAII 



— 89 - 

präventive Maßregeln, die das Einschleppen von außen verhin- 
dert hätten, kaum je ßnden oder erwarten dürfen. Auch wenn 
die Seuche einmal in die Stadt gedrungen war, wuSte man, 
soweit unsere Quellen das erkennen lassen, nicht viel mehr 
dagegen zu tun, als was eben bei Besprechung des Reerriigungs- 
wesens erwähnt wurde. Erst im 16. Jahrhundert erkannte die 
medizinische Wissenschaft so recht den kontayiösen Charakter 
der Pest und nun begann auch die Stadtverwallung der (iefabr 
schon zu be^nen, bevor sie in den Mauern war. Die im 
17, Jahrhundert geschaffene Behörde der iKuutaKionsuerru* ist 
ein Produkt dieser modernen Bestrebungen **. 

Mit diesem Ueberblick über die Straßen- Wasser- Viktua- 
lien- und Leichenpolizei haben wir wohl den Kreis derjenigen 
Einrichtungen und Vorkehrungen umschrieben, die der eigent- 
lichen Sanilätspoliaei, d. h. der prä ve ntiven Seite der staat- 
lichen Gesundheitsfürsorge angehören. Wenn hier auch die 
mittelalterlichen Städte, die doch in dieser Hinsicht den Terri- 
torien noch weit voraus sind, über schwache Anfänge nicht 
hinaus gekommen sind, so darf man daraus nichl den Vorwurf 
ableiten, die städtische Verwaltung hätte ihre Pflichten nichl 
erkannt; vielmehr machte der niedere Stand der Wissenschaft 
und Kultur die Hilfe des Sinnlos häufig unmöglich 48 . 



II. Modiziiiülpolieei. 

Naturgemäß machen wir dieselbe Beobachtung, wenn wir 
uns nun zu der eigentlichen Medizmalpoli?ei, d. h. der Für- 
sorge der Stadt für Kranke und ihrer Kontrolle ries Heilspersonals, 
wenden. Daß man die eigentliche Krankenpflege, der die staat- 
lichen Spitäler dienten, mehr vom ethisch- religiösen als vom 
sunilär- medizinischen Standpunkt aus auffaßte, haben wir bereits 
gesehen. Die Spitäler waren nicht Kranken-, sondern mehr 
Armenhäuser; nur die Leprosenhäuser verdienen etwa die Be- 
zeichnung von Hospitälern, da sie wenigstens vorwiegend Kranke 
aufnahmen, wenn auch von ärztlicher Behandlung nie die Rede 
war. Eigentliche Krankenhäuser eind erst die der Neuzeit an- 
gehörenden «Blallernhäuser» für syphilitisch« Kranke. 

Gleichwohl war tu allen Zeiten in den Städten ärztliche 
Hülfe zur Stelle, wenn man ihrer bedurfte. Unter den Geist- 
lichen der Stifter fand sich, wie wir oben sahen, stets einer oder 
mehrere, die mit der ärztlichen Kun.at, wie die alten Griechen 
Hippokrates und Galen sie gelehrt hatten, wohl vertraut waren. 
Die Tätigkeil duser heimischen geistlichen Aerzte war jedoch 
durch kirchliche Gesetze auf die Heilung der inneren Krankheiten 



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( v , . ,1,- ürtjha frern 

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— 40 — 

beschränkt. Zur Ausübung: der Chirurgie bedurfte man deshalb 
teils der niederen, aus dem Schererstand hervorgegangen a Wund- 
ärzte:», teils der fremden Aerzte, die häufig die Städte durch- 
togen. Diese Wauderärzte fttehorten häufig der jüdischen Nation 
an 89 ; besondein Ruf genossen die Südländer, namentlich wenn 
sie etwa in Salerno gebildet waren. Der erste Arzt, dem wir in 
StraBburg begegnen, ist ein Lombarde Humbert, wahrscheinlich 
ein Laie, der mit Frau un<i Sohn in Straßburg Bürgerrecht 
erworben hat 80 . In frommer Gestunuog vermacht er in der 
uns erhaltenen Urkunde die ansehnlichen Liegenschaften, die 
er «ein Eigen nennt, für dan Fall seines Todes verschiedenen 
Kirchen. Zugleich sichert er damit seiner Frau einen Platz in 
der Klause von St. Arbogast. seinen Sohn kauft er im Stift St. 
Peter ein. Fürs eigne Seelenheil sliftet er eine ewige Messe und 
vielleicht zog er sich auch als Bruder in ein Kloster zurück. Seit 
dem 13. Jahrhundert begegnen uns in den Urkunden häutiger 
Aerzte, die jedoch fast alle dem geistlichen Stande angehören ; 
ihre lateinische Bezeichnung lautet bald «medicusi, bald ephy- 
sieus». Aus unsern kargen Beispielen läßt sich nicht ableiten, 
ob dieser Scheidung ein tatsachlicher Unterschied zugrunde 
liegt. Daß gerade die Aertte der Bettekirden mit Vorliehe «me- 
dia» genannt werden, dürlle ein Zufall sein". Auch liegt kein 
Grund vor, in deu physici, wie Baas will, stets Stndtärzte zu 
sehn. Als Laicnerzte lassen sich unter allen nur zwei sicher 
erkennen, nämlich der 1328 bis nach 1363 erwähnte physicus 
Henricus de Saxonia» und der «magister Matheus phisicus>, 
dessen Sohn 1390 als Apotheker den Spuren des Vaters folgt; 
denn zwischen Apothekern und Aerzlen ist in jener Zeit noch 
keine strenge Scheidung. 1400 genießt auch ein Arzt Johann 
(Gbaiiä) von Sacheon das allgemeine Vertrauen w. 

Während filier die Stellung der beiden letztgenannten ztr 
Stadtobrigkeit nichts 2U ermitteln ist, scheint Herr Heinrich 
aus Sachsen oder «aus Nordhausen» der erste eigentliche Sladl- 
arzt gewesen zu sein ; denn er führt den Titel eines «physicus 
civitatis ArgentinensisnSs. Kr bewohnte ein Haus in der Prediger- 
gasse, das 1363, noch zu seinen Lebzeilen, die reichen Beginen 
«um Offenburg» ihm abkauften ; er besaß dies Haus schon seit 
1328, war also wohl städtischer Burger; jedoch muß er nicht 
während der ganzen Zeit Stödtarzt gewesen sein; vielleicht wurde 
er erst unter dem Einfluß der Panik, die der schwarze Tod von 
1349 hervorrief, zum Stadtarzt gemacht. Denn es ist sehr wahr- 
scheinlich, daß, wie auf dem Gebiel des Begräbnis weseiis, so 
auch för du3 eigentliche Mediiinalwcsen die Pest von 1341) der An- 
fang des Interesses der Behörde gewesen sei. «Der schwarze Tod 
war die Wiege der Sanitätspolizei im Mittelalter» sagt Hfiniger**. 



* " Groha frern 

JMVU4IIYU-M(.HK»AI 



— 41 — 

Nicht nur in Pestzeiten fühlte der Rat die Notwendigkeit, 
einen Arzt für seine Beamten zur Verfügung zu haben, sondern 
auch zu Kriegszeiten und im Feldlager, jedoch scheint man zu 
piner Verwendung des Stadtarztes in normalen Zeiten noch keine 
Veranlassung gefunden zu haben; denn man stellte den Arzt 
regelmäßig tad hoc» auf einige Jahre an und lief) ihn dann 
meist wieder seines Weges ziehn. Sin solcher Wanderarzt war 
der jüdische «Meister Gutlebem. den die Stadt Straßbury 1388 
auf sechs Jahre mit einem Sold von (im Ganzen) 3UO 11. an- 
stellte 9 «. Man gestattete ihm als besondere Vergünstigung, neben 
seiner ärztlichen Tätigkeit auch den Geldgeschäften nachzugeben. 
Id Frankfurt, wo man den Aerzien dies ausdrücklich verbot, 
gestand man ihnen Steuerfreiheit zu. ein Zeichen, daß man sie 
auf jede Weise bevorzugte, wenn man sie brauchte. Meister 
Gutleben ist viel herumgekommen : Vor 1375 in Kolrnar, wird 
er (in diesem Jahre) auf zwei Jahre vom Freiburger Rat auf- 
genommen, 1379 mit 50 ft. Lohn in Basel als Stadlarat ange- 
stellt ; in Straßburg, wo er b*e 1380 engagiert w*r, blieb er 
vielleicht noch länger, da dort gerade 1389 eine neue Pest aus- 
brach^ wie (Cönigshofen berichtet. 1893 wieder nach Kolmar 
verschlagen, tritt er mil einem verhältnismäßig geringen Lohn 
in den Dienst dieser Stadt; 1308 endigt wohl seine Wander- 
fahrt in Basel, wo er samt seiner familie auf Hl Jahre Auf- 
nahme flndel. Später hören wir nichts mehr von ihm. 

Leider ist uns kein Dienstbrief eines solchen Stadialstes 
au6 Straßburg erhalten ; seine Pflichten werden jedoch die 
gleichen gewesen sein, wie die der Frankfurter und anderer 
Stadiärzte, die bestanden: 

1) in der Pflege der im städtischen Dienst Erkrankten und 
der schweren Fälle im Spital; 

2) der Untersuchung der Lcpravcrdachliyen in Gemeinschaft 
mit einer Kommission von Scherern; 

3) mitunter in der Verpflichtung, im Kriegsfälle mit den 
eUdtischeu Truppen ins Feld zu ziehn und Verwundeten Hilfe 
zu bringen". Ohne Erlaubnis des Rates durfte kein Stadtarzt 
die Stadt verlassen. Als im Jahre 1501 Frcibur^ den Straß- 
burger StaHtarzt Joh. Fachs sur Visitation der Freiburger Apo- 
theken zu haben wünschte, mußte es erst vom Straßhurger Rat 
für ihn Urlaub erbitten^. 

Wie aus diesen Verpflichtungen der Stadtärzte hervorgeht, 
gehörten sie nicht immer oder sogar meist nicht der Klasse 
der Leib- oder Bauohärzte, d. h_ der rein theoretisch an den 
griechischen Autoren geschulten Aerate für innere Krankheiten 
an, sondern waren zugleich auch Wundärzte, die sich nicht 
scheuten, selbst Wundverbande anzulegen und Operationen vor- 



( \n -* iL- ürqha frarn 

'^" JlIVU&mUtMUlKAI 



- 4ä - 

zunehmen. Solche «Leute \on der Handtwirckung» nannte man 
im Unterschied von den cphysici» chirurgici ; jedoch läßt sich 
über die Unterscheidung der leiden Gruppen von Aerzten im 
früheren Mittelalter gar nichts sa^en. Cyrurgici sind in Stras- 
burg 1301 und 1346 genannt, jedoch mehr als den Namen der 
beiden Männer erfahren wir nicht**. 

Eine ausdrückliche Scheidung: zwischen «physich und «chi- 
rurgici», zwischen arlzot Jiid wuuüearlzot begegnet uus erst im 
Jabre 144M ; die Wundärzte bildeten demnach zu Ende des 
Mittelalters einen eelbeländigon Stand zwischen don Acrztcn 
und den Scherern ; in Prankfurt werden sie zur Scherer- 
zunft einbezogen &. Ihre Bedeutung wuc-hs zu Anfang des 16. 
Jahrhunderte, da ihnen die Behandlung der unbekannten Krank- 
heit, der Syphilis, die sich «ruerst in den italienischen Feld- 
lagern einstellte, zufial. Eine Zeitlang standen sich die gelehrte 
Medizin), wie sie an den Universitäten gelehrt wurde, und die 
Chirurgie zum Schaden der Wissenschaft feindlich gegenüber. 
Die Erkenntnis, daß das Gute auch hier auf dem Mittelwege 
zu suchen sei, ging von den Wundärzten aus. Traktate wie die 
des Straßburger Chirurgen GrersdorfT und Brunsehwigk zu An- 
fang des 1t>. Jahrhunderts waren geeignet, bei den theoretischen 
Medizinern einiges Interesse und Verständnis für die guten 
Lei&Uuigen der praktischen Chirurgie nachzurufen, Jedoch hielt 
die alte Scheidung der beiden Lierute noch vor bis zum 17. Jahr- 
hundert **. Die Differenzierung zwischen den Berufen <\ev Aerzle 
und Wundärzte war in letzter Linie hervorgerufen durch die Zu- 
nahme, die das medizinische Studium infolge der Entstehung 
zahlreicher Universitäten, namentlich, im 15. Jahrhundert erfuhr. 
Don veränderten Verhäl tnissen paßten sich die Sladlre^ieruniren 
rasch an. Seit die «gelehrten Doktoren» häutiger wurden und 
selbst unter den Sühnender Stadt zu fintier, waren, wählte man 
den Stadtarzt möglichst aus den Bürgern und bestellte ihn auf 
längere Zeit. Statt des früher einzigen traten zwei und drei 
Amte in den Dienst der Stadt. Seit ca. 1500 verlangte man, 
daß ein Stadtarzt ein cgelerter Doktor sein soll, der auch sein 
üHnni 1 )) 'Diplom) zeigen soll, daß er duclor wäre»* 1 . Einer 
dieser Stadtärzte wohnte seit 1500 im Spital, vro er Kost und 
Sold erhielt. 

Sobald anstelle der wenigen Aerzte, die es früher gab, immer 
mehrau Hauchten, mischten sich auchQuacksalberundKurpfuscher 
unter die Menge und richteten mit ihren Mixturen und Tränken 
häufig Schaden on. Selbst vo sich ihre Tätigkeit nur so harmlos 
zeigte, wie in dem von Hegel uns berichteten Fall des Heinrieh 
Lindenast* 2 , lag doch immer eine Ueliervorteilung und 
Beschwindelung des Volkes vor, der zu wehren der Ral für 



( \n -* iL- ürqha frern 

'^" JlIVU&mUtMUlKAI 



— 43 — 

seine Pflicht erachtete. Heinrich Lindenasl wurde 1409 als 
Betrüger vor den Hat gehracht ; eine der zahlreich verhörten 
Zeuginnen erzählt, wie er noch nicht einmal den Urin habe 
diagnostizieren können, aus dem ein anderer Arzt, Johann von 
Sachsen, sofort ersehn nahe, daß der Kranke «eine böse Leher 
•hätte und steckte voll Geblüte um das Herzu. Ein unbedingter 
Schutz gegen derartiges Gelichter ist schon deshalb unmöglich, 
weil das ungebildete Volk selbst die Quacksalber stets bevorzugt. 
So konnte es der Hat nicht hindern, daß auch im 16. Jahr- 
hundert noch iclliih weyher zu Strasburg» mit dem Ruf ihrer 
Zdubermitlel *He Landl>evölkerung von weither heranlockten, 
wie der Arzt Fries aus Colmar in seinem «Spiegel der Arzney» 
unwillig erzählt *s. 

Immerhin zeugen die Aerzteordnungen des Rates, die eine 
Frucht vor allem des Kampfes gegen die Kurpfusclierei sind, 
von den ernstlichen und wohl im Ganzen erfolgreichen Be- 
mühungen des Rates, das Medizinalwesen seiner Autsicht zu 
unterstellen und in gute Ordnung zu hringen. Leider können 
wir die Entwicklung dieser städtischen Gesetzgebung nicht 
genau verfolgen, da die ganze Abteilung Medizinalakten des 
Straßburger Archivs im Revolutionsjuhre 1789 zu Grunde 
ging«*. Eine Aerzte-, eine Apotheker- und eine Heh^mmen- 
ordnung aus der Mitte des Ui. Jahrhunderts, die jedoch im 
großen Ganzen auch for die frflheren Verhaltnisse Geltung 
nahen, fand sich im Freihurger Stadtarchiv. Auf Ersuchen des 
Freiburger Rates hatten die Straßburger nämlich ca. 1560 ihre 
Ordnungen dorthin zum Musler geschickt. Ein solcher. Ge- 
dankenaustausch zwischen den Städten ist besonders auf dem 
Gebiet der Wohlfahrtspflege häutig;. Freiburg wandte sich in 
gleicher Angelegenheit auch an Zürich, und Nürnberg bat, als 
es ein neues Spital l>auen wollte, sogar Florenz um Pläne dazu'V 

Die Straßburjrer Aerzteordnung ;»ilt nicht etwa bloß für die 
von der Stadt besoldeten Aerzte, sondern sie muß von jedem, 
der auf Grund eines Universilätsetudiums oder auch anderweit 
erworbener medizinischer Kenntnisse in Straßburg «üb oder 
wundarlzenye triben» will, beschworen werden. Es ist ein 
Versuch, das Publikum vor Uebervorteilung durch die Aerzte 
durch Festsetzung einer Taxe Ml schützen. So soll fortan jeder 
Arzt verpflichtet sein, für einen Gulden einen Patienten eine 
Woche lang in seinem Hause zu besuchen : hei Armen erhält 
er für jeden Gang 1 p, jedoch wird es der «göttlichen Liehe 
und Andacht! der Aerzte freigestellt, auch weniger zu nehmen. 
Für die am häufigsten vorkommende Untersuchung durch 
Urinbesehn wird zusammen mit dem Rezeptschreiben 6 8 bezahlt«. 
«Wer nit also geleret isti», wie die akademisch geMIdeten Aerzle 



( v , . ,i,- ürQha frern 

'^" JlIVtföllYC+MUlKAI 



— 44 — 

und doch mit spezieller Krlsubms des Rates sich in der Medi- 
zin heutigen will, darf nur die Hälfte der Geböhren bean- 
spruchen. Nur Bürger sind zum ärztlichen Beruf zugelassen ; 
diese Bestimmung, die in jeder Zunftordnung ihre Parallele 
findet» entspricht durchaus der allgemeinen Tendenz der 
städtischen Verwaltungen. 

Auch die in der späteren Stadtgeschichte so stark betonte 
Scheidung der Gewerbe spielt in der Aerzteordnung: eine Rolle ; 
den Aeralen wird nämlich jede Hantierung, die zum Beruf der 
Apotheker gehört, auszuüben verboten; sie dürfen weder Med i- 
kamenc herstellen noch verkaufen, besonders aber keine giftigen, 
durch die irgend ein Unglück entstehen könnte. Kur ver- 
brecherische Handlungen, wie Vergiftung und Abtreibung wn 
Geburten («abortus»), werden die Aerzte durch da» öffentliche 
Gericht zar Verantwortung gezogen. 

Wer also in der Stadt praktizieren wollte, wurde auf diese 
Vorschriften vereidigt. Die oberste Behörde für alle Aerzie 
waren die zwei «mit einem ziemlichen Lohn» besoldeten Stadt- 
ärzte. Sie sollen, wenn möglich, verehelicht sein, «arg wem zu 
verniyden» und «damit sie desto bessern fiyss ankeren», wenn 
sie mit Weib und Kind an die Stadt gefesselt sind. Ihre 
Pflichten sind wohl die oben erwähnten geblieben, das wichtigste 
war, daß nie beide oigleich die Stadt verlassen durften, besonders 
«zufallenden kranckeitten». d. h. einer Pest oder sonstigen 
Epidemie nicht ausweichen sollten. Zugleich bildeten sie die 
Kontiollbehörde für die Apotheker, Kräutler und Wurzler. 
Alljährlich nahmen 3ie begleitet von zwei Abgeordneten des 
Rates, eine Visitation aller Apotheken und Kräuterläden vor* 1 . 

An diese Funktion dar Sladtörztc knüpft dann im W. Jahr- 
hundert die Bildung der «colietfiu medica* in den Städten an, 
in denen wir eine einheitliche Aufsichtsbehörde für das gante 
Medizinalwesen sehn. In Nürnberg wurde schon 1592 ein 
solches modernes Sanitätsamt begründet. 

Die Apotheker, d&ren gewerbliche Rechte die Aerzle- 
ordnung schützt, sind erst seit dem 15. Jahrhundert in die 
Reihe der eigentlichen Medizinalbeamten aufgenommen. In 
älterer Zeil bereiteten die Aerzte ihre Medikamente meist selhsl ; 
die orientalischen Gewürze und Heilmittel, die sie dazu 
brauchten, kauften sie bei dem Krämer in seiner «Apotheke», 
il. h. seinem Laden. Der «Apotheker» im 13. Jahrhundert 
halt Hülsenfrüchte, Gewürze, Arzneistoffe neben allerlei Lat- 
werg, Konfekt, Wachs und sogar vom Orient oder Italien impor- 
tierte Seidenstoffe feil. Später aber stellte er selbst aus den fe.l- 
^ehaltenen Ingredienzien Tränke und Salben her : schließlich 
blieb dies sein Spezialgebiet, auf dem er dann, wohl begünstigt 



'^" JlIVU&motMUlKAI 



— 46 — 

durch das Aufkommen komplizierterer und mineralischer (statt 
rein vegetabilischer) Medikamente, deren Herstellung (ür die 
Aerzle zu zeitraubend war, den Sieg über die Jünger Äskulaps 
davontrug* 8 . 

Von den ältesten Straßburjter Apotheken läßt sich wenig 
sagen 19 . Die älteste, die uns genannt wird, lag dem Spital 
yejjenüber, Ecke Kiäinergasse und Münsterplatz; 1268 hat sie 
Heinrich «filius Philippi» inne; 1014 kauft ein «Philippus apo- 
thecarius», vielleicht ein Sproß derselben Familie, um hundert 
Mark Silber den Hof «zu den Störchen» in der Predigergasee ; 
diese Apolheke wird öfter genannt und noch heut« führt eine 
Straßburger Apotheke diesen Namen. Ein «Johann in der 
Apotheke* ist 1352 Ratsherr. Um 1336 scheint neben der 
ersten Apotheke eine zweite begründet worden zu sein, denn 
es ist vou einer «allen Apotheke» die Rede. Die Apolheken 
waren» entsprechend dem Bedürfnis, überall nur in geringer 
Zahl vorhanden, meist nicht mehr als zwei. Ihre Inhaber 
genossen als oicbUünftige Bürger hohes Ansehn und gehörten 
meist, wie der obengenannte Rateherr Johann, den Patriziern an. 

Wegen der Gefährlichkeit der von ihnen verkauften Waren 
werden sie im Jahre 1400 vom Rat ermahnt, recht vorsichtig 
xu sein und nur an erwachsene Personen ihre giftigen Materi- 
ellen abzugeben. Zu einer strengeren Regelung des Giftver- 
kaufs konnte aber die eigen« dasu ausersehne Kommission 
nicht gelangen, de man den Handwerkern, nämlich Seherern, 
Malern und Schmieden, die zu «ihrer Hantierung mancher 
Gifte bedurften, keine Schwierigkeiten bereiten wollte* 1 . 

Für die weitere Entwicklung der Apotheken fehlen uns die 
Quellen; wir sind auf eine im Freiburger Stadtarchiv befind- 
liche Apothekerordnung aus dem 16. Jahrhundert angewiesen, 
die jedoch in ihren Grundzügen schon dem vorhergehenden 
Jahrhundert angehört $'. 

Wer in Strasburg eine Apotheke übernehmen will, hat 
erstens vor einer aus zwei Aerzten und zwei Apothekern be- 
stehenden Kommission eine Prüfung auf seine Kenntnisse an- 
zulegen, dann, wie die Aerzte, den Bärufseid zu schwören, in 
dem er geloht, alle Gebote seiner Ordnung zu halten. Auch die 
Apotbekerknechte werden einer kleinen Prüfung unterzogen, ob 
sie wenigstensder lateinischen Sprache «berichl und ue er! seien», 
da die Aerzte die Substanzen stets mit lateinischen, mitunter 
auch mit griechischen und arabischen W T orten bezeichneten. 
Für dies Examen zahlt ein Apolheker 10 ß, ein Knecht die 
Hälfte. 

Der Schutz des Publikums und seine gute Bedienung ist 
der oberste Zweck dieser Ordnung. Gewissenhaft nach den Vor- 



üigilizcc . V. »0< IgIC JMVlföllWMUHWI 



— 46 — 

schriften der «Lehrer in derArzney», pünktlich und ohne An- 
sehn der Person sollen die Apotheker ihre Gäste bedienen. 

Eine Anzahl Mixturen, Pflaster und sonstige «Vermisch- 
ungen», die ohne Rezept in allen Apotheken verkauft werden 
dürfen, find nach den Anraten eines von den Apolhekerherrn 
ausgearbeiteten und mit Preisen versehenen Rezeptbuches oder 
«Dispensatoriums» anzufertigen M , genau in den gleichen Maßen, 
damit das Publikum für gleiches Geld stets gleiche Ware er- 
halte. Jede Medizin trägt einen Vermerk, wann sie zubereitet 
ist ; sn kann man sich selbst überzeugen, oh sie noch frisch 
und heilkräftig- ist. Die Medikamente, die die Apotheker nach 
der städtischen Taxe frei verkaufen dürfen, sind ; «suppeditoria» 
(Abführmittel), «pilluli pestilenliales» (Pestpillen), «elfagiua» (?) 
und «capsia listuli» {!). Wenn jemand derartiges haben will 
oder ein Mittel gegen Husten, «Keuschen und Kngkheit der 
Brust» unii will nicht zum Arzt geh», so dürfen ihm die Apo- 
theker nach ihrem besten Wissen Rat unti Hilfe gewähren, je- 
doch nur gegen die Bezahlung, die sie für das Medikament zu 
beanspruchen haben. Weiler aber dürfen sie in das den Aerzten 
vorbehaltene Gebiet nicht eindringen. Wasser zu besehn, Kranke 
zu «purgieren, clistierea oder üizit zu geben, davon sin schad 
begegnen möchte», wird ihnen höchstens bei nahen Verwandten 
gestattet. Den Aerzten gegenüber sind ei c ganz und gar nur 
Handlanger, denen jede selbständige Aei derung des Rezeptes 
untersagt ist, auch wenn sie darin Fehler zu finden glauben ; 
in diesem Falle müssen sie den Arzt darauf aufmerksam 
machen; besteht er auf seinem Text, so trifll den Apotheker 
in keinem Fall die Schuld ; er hat «seiner Constitution genug 
getan». Aber nicht nur der Konkurrenz der Aerzte und Apo- 
theker, auch einer allzu engen Freundschaft der beiden Berufe, 
die dem Publikum zum Schaden gereichen konnte, sucht man 
zu steuern, (g 12). Aerzte und Apotheker 9ollen miteinander 
«weder teil noch gemein haben», die Apotheker keinen Arzt 
bestechen, etwa einem «mehr zuzuweisen dann dem andern 
oder ein köstlicher (teurer) Rezept zu schreiben, das dem ge- 
meinen Mann zu schaden dbieneii möchte». Kleine Tafelspenden 
«esfender oder trinkender Speis», jedoch nicht mehr als für 
einen Gulden Wert, darf der Arzt vom Apotheker wohl an- 
nehmen. Auch die Aerzte sollen künftig in ihren Häusern die 
Apothekerlaxe aufbangen, damit die Leute gleich wissen, was 
sie das Rezept kosten wird. Entstehn trotz der neuen Taxord- 
nung Streitigkeiten mit den Patienten, so schlichtet sie die 
Kommission, die auch die Preise festgesetzt hat ; sie besteht 
aus den zwei StadtSrzten, einem weiteren erfahrenen Arzt aus 
der Stadt und dem ältesten Apotheker, zu denen später noch 



( v , . ,1,- ürtjha frern 

JlIVtfömOtMUlKAI 



— 47 — 

einer «vom Regiment» oder aus der Bürgerschaft, der der 
([Materialien bericht und veratendig sei» hinzukam*. 

Diese Apothekerherren, deren Kollegium sich jeweils durch 
Ratocrncnnung ergänzte, haben zwei Mol im Jahre, im Früh- 
jahr und im Herbst, die Apotheken cerStad», Heren Zahl natür- 
lich im 15. Jahrhundert sehr gewachsen war, zu besichtigen, 
dort nicht nur «corrposita», d. h. die vom Apotheker hergestell- 
ten Tränke und Salben, sondern auch <lie «simplicia; , die einzel- 
nen, dazu verwendeten Vegetabilien und Chemikalien und alle 
leeren und vollen Gefäße zu besann, oh nicht alles, verdorbenes 
und minderwertiges Material vorhanden sei und nicht etwa 
der schlechte Thomaszucker statt des von den Kanarischen 
Inseln oder aus Madeira importierten verwendet werde (§ 7)«. 
Daß solche Visitationen in Wahrheil keine allzu scharfe Kon- 
trolle sein konnten, lassen gewisse Bestimmungen, die auf 
schlimme Erfahrungen deuten, vermuten; so, wenn es verboten 
wird (jj 33), einem andern Kollegen etwas, das diesem zur Zeit 
der Berichtigung fehlt, zum Vorzeigen zu leihn oder verbolene 
und schlechte Arzreien beiseite zu schaffen. Daran konnte man 
ja die Apothekenbesitzer doch schwer hindern. Wenn die «Ver- 
ordneten» schlechte oder «verlegene» (alte) Materialien in einer 
Apotheke fanden, so überantworteten sie diese ihrem Knecht, 
der eio jo nach ihrer Beschaffenheit sofort im Wasser oder 
Feuer zu vernichten hatte. Für jede Visitation erhielten die 
Aerzte und der Apotheker ein Pfund, der begleitende Ratsherr 
10 ß Vergütung. 

Die einheimischen Blumen, Kräuter, Samen und Wurzeln, 
die die Apotheker brauchten, bezogen sie häufig von den sog. 
«Kreutlernunrt Wurzlern», armen Leuten, die mit 
einigen volkstümlichen Kenntnissen in der Botanik ausgestattet, 
in Feld und Wald die Heilkräuter in den für sie günstigen 
Jahreszeiten aufsuchten. Bekanntlich glaubte man, daß die Heil- 
kraft der Kräuter besonders mit der Stellung der Grestirne in 
der Zeit, als man sie sammelte, zusammenhinge. Diese «Kreut- 
ler» mußten, bevor sie die Konzession zum eignen Verkauf ihrer 
Waren erhielten, ebenfalls einer Fachprüfung durch die Apo- 
tbekerherra sich unterziehn und einen Eid schwören, nach 
bestem Wissen und Können und im Einklang mit den städti- 
schen Verordnungen ihren Beruf auszuüben. Allen, die nicht 
diesen Eid geschworen haben, ist es verboten, innerhalb Stras- 
burgs Gifte, etabulalo, trenck und unguenta» (Salben), die 
nicht in Strasburg; und unter der Kontrolle d«r Ratekornmission 
hergestellt sind , zu verkaufen, besonders der Vertrieb von 
Theriak** wird verfolgt, weil die Bettler unter der Maske der 
Tberiakskrämer geradezu eine gefährliche Landplage geworden 



f 



i v , . ,1,- üroha frern 

'^" JlIVUUlYOtMUlKAI 



- 4ö -- 

waren, und «zum üfflennal den Menschen tätlichen Schaden* 
brachlen. 

lieber eine der allerwichtigslen Personen, die aktiv an der 
Krankenpflege beteiligt sind, die Hebammen, Wissen wir ans 
dem Mittelalter so gut nie nichts. Natürlich gab es überall 
und immer «weise Frauen>; jedoch finden wir im Slraß burger 
Urkundcnbuch nur einmal, im Jahre 1356, eine«obsletrix Ellina>, 
die ein Haus in der Burggasse besiizt, erwähnt*". Wahrschein- 
licb nahen wir unter den enrztotinne», von denen das sechste 
Stadtrecbl die Meldung des Aussat/es verlangt, verwiegend Heb- 
ammen xu verslehn, wenngleich auch andere Aerzt innen im Mit- 
telalter hie und da belebt sind \ für Straßburg allerdings nicht. 

Der Bedeutung Hei- geburtshilflichen Medizin war ir.an 
sich irr Mittelalter allgemein zu wenig bewußt, als daß 
wir erwarten könnteu, daß die städtischen Verwaltungen sich 
viel mit der Organisation des Hcbammenvesene beschäftigt 
hätten. Die «weisen Frauen» auf ihre Kenntnisse hin au präfen 
und ihre Tätigkeit zu kontrollieren, begann man meist erst, 
nachdem man längst Stadiärzte angestellt und das Aerztewesen 
geordnet hatte. Nürnberg war durch Anstellung einer städti- 
schen Hebamme 1381 anleiu Städten weit voraus; dort über- 
nahm ein Kollegium von Fatrizierfrauen, «assidentes matronae», 
die sachkundige Aufsicht. Spater wurden dann in allen Stadien 
sämtliche Hebammen unter Kid genommen und aus ihrer Zahl 
einige von der Stadt besoldet, damit besonders för arme Frauen 
stets Hülfe zur Stelle sei* 9 . 

Nach der Straßhurger Ordnung von 1556YM, die jedoch auch 
für den Ausgang des 15. Jahrhunderts schon herangezogen 
werden darf, hatte Strasburg sechs vereidigte Hebammen; der 
Stadtäizl und einige ehrsame und erfahrene Bürgerinnnen, die 
der Rat ernannte, prüften die, die siuh zu diesem Amt melde- 
ten. Die Hebammen sollen in ihrem Beruf alle nötige Sorgfalt 
anwenden, eine Frau, die in Nöten ist, nicht um einer reicheren 
willen im Stich lassen, keioe Frau drängen oder aüberdriben 
zu kindenrbeit» ; in gciährlichen Fällen muß der Rat der Kolle- 
ginnen oder des Arztes eingeholt werden ; wenn der Gebrauch 
von Instrumenten nötig ist, um das Rind zu abrechen), sollen 
sie das dem Arzt Oberlassen und kein «grausam lieh oder un- 
geschickt Instrument» wie Zangen uud Haken gebrauchen. Das 
eigenmächtige «Brechen» oinos lebensfähigen Kindes wird mit 
Körperstrafe geahndet. Auch in der Woche nach der Geburt 
soll sich die Hebamme noch der Mutier und des Neugehowen 
mit gutem Rate annehmen. 

Keine Hebamme soll ihre Diepste einer schwangeren Frau 
aufdrängen oder eine Kollegin durch böse Reden zu verdrängen 



( v , . x \„ ürqha frern 

JUVU&IIVOHMUilWN 



— 49 — 

suchen , es ist die alle Konkurrenzklausel, die in allen gewerb- 
lichen Ordnungen der Stadt vorkommt. Als Beamte der Stadt 
haben die Hebammen auch die Pflicht, wenn sie etwas Gesetz- 
widriges sehn, es d?m Rat zu melden ; wenn sie z. B. Verdacht 
schöpfen, daß ein unehlich geborenes Kind von der Mutter ein 
den weysen slul> an» Monster ausgesetzt werden soll, also der 
städtischen Wsisenpflege als Findelkind zugeschober werden 
soll, so sollen sie alles tun, um den Vater des Kindes ausfindig 
au machen, damit ihn der Waisenvater oder die Waisenpfleger 
zur Erfüllung; setner Pflichten heranrieh n können. 

Der Gehalt der Hebammen beträgt 1 8 jährlich neben den 
Geschenken und Trinkgeldern, die sie noch in den Privath.tusern 
erhalten. Ein weiteres Pfund zahlt die Stadt denjenigen, die 
«Vorläu(ferinnen> d. Ii. Lehrmädchen in ihrer Kunst unter- 
richten. Durch die Aussetzung dieses Gehaltes schuf der Rat 
veitschauend eine forllaufende Reihe gut ausgebildeter städti- 
scher Geburtshelferinnen. 

Eine größere Rolle als die gelehrten Aerzte spielen im 
Lebendes Volkes die sog. niederen Heilspertonen, dieScherer 
und Rad er. Ihre gemeinsame Domäne ist das beim Volke 
eehr beliebte und- als Mittel geyet» alle Uebel gellende Ader- 
lasseu und Schröpfen , freilich waren die Bader erst Eindring- 
linge in dem Gebiet der Heilkunde, nur insofern, als man auch 
schon im Mittelalter Bäder zu therapeutischen Zwecken ver- 
wendete, gehören sie schon von vornherein zu den Hedpersonen. 
Das Recht zu schröpfen jedoch erlangten sie erst, als die Sitte 
aufkam, den Aderlaß nach dem Bade vorzunehmen ; aber 
sie wurden dabei niemals der Konkurrenz der Seherer ledig. 

Die Scherei* od*r Barhierer waren vielseitig in ihrem Beruf. 
Wie ihr Name sagt, besorgten sie das Scheren von Hart und 
Haar, wobei übrigens betreffe des Alters ihres Gewerbes zu 
sagen ist, daß vor 1200 die Sitte, das Haar abzuschneiden, bei 
Laien nicht gefunden wird*'. Neben dein Schröpfen gehörte 
dann noch besonders die Wundbehandlung, das Untersuchen 
und Verbinden offener Wunden zu ihrer Beschäftigung. Die 
Wundärzte, die /,u dein [liclilxQufti^eu Stand der eigent- 
lichen Aerzle nufsLiegen, sind wohl in früherer Zeit meist aus 
den Kreisen der Scherer hervorgegangen. Im Ganzen sind un- 
sere Quellen gerade für Strasburg zu dürftig, um uns eine 
scharfe Ab^renzun^ der drei Gebiete der Wundärzte, Scherer 
und Bader zu gestatten; auch zwischen Hadern und Scherern 
herrschen in allen Städten Kompotonsstroiliftkcilen. die auf die 
verschiedenste Weise gelöst werden. In Kolmar, wo die Bader 
neben dein Schröpfen auch das Haarschneiden und Rasieren 
für sich in Anspruch nahmen, entschied z. 8. der Hat, daß 

4 



ürgha frern 



urena rnm 
JMVIßllfOI-MCHIWI 



— 60 — 

den Barbieren das Scheren der Einheimischen bleiben sollte, 
die Bader das der Fremden übernehmen dürften«. 

Was wir über die Beziehungen der StraÖburger Barier zu 
den Scheren) wissen, betrifft nur ihresjemeinsime Stellung zur 
Stadt. Die beiden Zünfte wurden, da sie offenbar nicht sehr 
groß waren, im 14. Jahrhundert, als man die Zahl der zünfl:- 
schen Vertreter im Rat au» politischen Gründen festsetzen mußt«, 
zusammengefaßt, d. b. nur jeweils durch einen Abgeordneten 
vertreten. Auch an der militärischen Verteidigung der Stadt 
sind sie gemeinsam beteiligt ; Scherer und Doder zusammen 
atcllon neun Mann, eine riebt sehr beträchtliche Zahl, wenn 
z, B. die Gärtnerzunft 22 Leute zur Mauerwacbc entsendet w. 
Jedoch blieben die Zünfte völlig getrennt, wie die Baderzuntl- 
artikel von 1400, die die Scherer gar nicht erwähnen, bewei- 
sen M, fc>st gegen Ende des Jahrhunderts werden die beiden 
Zünfte auf Ratsgeheiß geeint, vermutlich um den Streitigkeiten 
ein Knde zu machen, wie sie in allen Städten sich erhohen 

Jedenfalls geht jedoch aas dem Gesagten hervor, daß die 
Bader nicht wie in manchen Städten zu den unehrlichen Ge- 
werben gezahlt wurden, denn sie hatten ja Wnffenrechl. 

Ueber die Organisation der Scherer in Strasburg und 
ihre Kontrolle durch den Rat erfahren wir nur, daß schon früh 
Scherer su saniiatspoiizeilichen Leistungen herangezogen wurden. 
Die städtische Kommission cur Untersuchung des Aussatzes 
bestand, wie erwähnt, aus zwei Aerzten und zwei von der 
Stadt vereidigten Scherern. Auch alle Barbiere und Bader sind 
verpflichtet, wenn ihnen ein Aussatzverdächtiger unter die 
Hände kommt, ihn der Leprakommission zuzuweisen. Um ge- 
richtlich festzustellen, ob die bei einer Rauterei entstandenen 
Verwundungen unter die Kategorie des Blutrunncs oder der 
Wunde falle, ruft man die Hilfe der sachverständigen Scherer 
an M . In freiburg sind schon 1273 zwei Scherer beauftragt, bei 
allen Verwundungen Gutachten über deren Gefährlichkeit ab- 
zugeben, im 17. Jahrhundert war jede Verwundung einer Kom- 
mission von vier Wundenbesehern, die ans Seherern bestand, 
zu melden W. 

Um von der Bedeutung des Badergewerbes eine Vorstellung 
zu bekommen, muß in.ni wissen, daß im Mittelalter ein Bad 
eine Rolle im Volksleben spielte, die sich mit der heutigen 
nicht vergleichen laß). Das Bad diente nicht nur zur Reinigung, 
sondern auch zur Belustigung und IJnlerhillung; man traf da 
seine Bekannten, man schwalzte, man ließ sich schröpfen, ja 

man tafelte nicht seilen im Dade ; wu, wie es häuß# vorkam, 
Männer und Frauen ^eineinechuftlich badeten, artete das harm- 
lose Vergnügen, nicht ohne Zutun der Bader, häufig in Unzucht 



( v , . ,1,. ürqha frern 

'^" JMIVLHbJnOI-MC.HK.AH 



— 51 - 

aus, so daß, wie eine Straßburger Ordnung sagt, cfromme 
Frauen und Doch ter das Rad oft riimen und myden mössen»*8. 
Schließlich verbot daaQ der Stadtrat das gemeinschaftliche 
Baden*, wie es z. B. auch der Baseler Rat 1401 auf Veranlas- 
sung der Reforrapartei des Kirchenkoncils getan hatte. 

Die gewöhnlichen Bäder die man im Mittelalter nahm, 
waren Schwitzbäder, die hilliger und bequemer herzustellen 
waren als die Wisserbäder *». Die große, mit Bänken besetzte 
Badestube wurde durch Aufgießen von Wasser auf heiße Steine 
mit heißen Dämpfen erfüllt, denen die Badegäste, auf Bänken 
ausgestreckt, ihren Korper aussetzten. Die Bedienung der Bader 
und seine Mägde — denn es waren meist weibliche Bediente da, 
auch in den Männerbädern, — Übergossen dabei die Badenden 
mit lauwarmem Wasser, und strichen sie mit den Badebüscheln 
oder massierten sie mit Tüchern, unu die Transpiration zu er- 
höhen. Wer es wünschte, konnte dann noch geschröpft und 
frisiert werden, wenn nicht vom Bader selbst, so von einem 
Scherer, der neben der Badestube sein Handwerk trieb Für 
ein solches Bad besahlte man in Straöburg 2 4 ; Kinder waren 
eine Zeitlang frei, dann aber wurde auch von ihnen 1 Helbling, 
wenn sie über 12 Jahre alt waren, 1 4 erhohen. Von der 
Benutzung der Öffentlichen Badestubea ausgeschlossen waren 
die Leprosen und, zur Zeil, als die Svuüilis eiiigesdileppl wurde, 
besonders die damit Behafteten. Die Juden mußten ebenfalls 
mit ihren besondern Bädern vorlieb nehmen. 

Wohl um die Frequenz der Bäder zu Gunsten der Bader zu 
regeln, war das Heizen der Bäder and das Baden nicht jeden 
Tag gestattet ; Montag, Mittwoch und Samstag sind für Straß- 
burg im Winter (von Michaeli bis Nathiä [Februar 24]) die 
erlaubten Badtage, im Sommer durfte man an jedem Werktag 
baden it. 

Die Öffentlichen Badestuben waren recht zahlreich, besonders 
wenn man bedenkt, daß die vornehmeren Leute daneben noch 
ihre eigenen Badeanlagen hatten. Nach dem Straßburger TJr- 
Stundenhuch lassen sich im 14. Jshrhundert mindestens 17 
öffentliche Badestuben zählen; im 16 Jahrhundert, nach der 
Trennung in Männer- und Fraueabäder, schmilzt ihre Zahl 
auf 8, 5 für Männer, 3 für Weiber, zusammen », im 10. Jahr- 
hundert ist ein allgemeiner Rückgang des Badewesens zu ver- 
spüren. Die Schuld daran trug die allgemeine Furcht vor syphi- 
litischer Ansteckung und ferner das Steigen der Holzpreise, 
des die Bäder naturgemäß verteuerte 71 . 

Seit wann die Bader in Straßburg zu einer Zunft zusammen- 
getreten sind, wissen wir nicht. Es ist uns über ihre Zunft 
our eine, angeblich au» dem Jahre 1400 stammende Ordnung er- 



( v , . ,1,- üroha frern 

'^" JMVU&mOtMUlKAI 



— 52 — 

halten?*, irt der der Amnieister und die Altamnieister der Stadt 
den Badern einige Artikel ihrer Zunftordnung (offenbar von 
neuem) bestätigen. Wir erfahren dabei, daß an der Spitze der 
Zunft ein jährlich neu gewählter Meister steht, der mit vier 
Handwerksmeistern zusammen das Zuuflgeric-ht bildet. Diese 
fünf erhalten als Ehrengabe vom Handwerk je zu St. Martin 
zwei Kappen und ein halb Viertel Wein. Sie haben die 
Schlüssel zur Znnfikasse, in die ein mit 8 H besoldeter Knecht 
die Deiträice der Genossen einzusammeln hat. Die Aufnahme 
in «Ciiiuii£ und Recht« Jei Buder kostet füi Manu oder Frau 
2 tf, wovon mindestens 5 ß sogleich hur zu bezahlen sind ; 
oheliche Kinder von Zunftmitgliedern werden zu dem geringen 
Preise Ton 5 ß aufgenommen, uneheliche zahlen das Doppelte. 
Knechte, die ohne selbst Bades! üben -zu halten, "sich in den 
Schulz der Genossenschaft begeben wollen, erlangen dies um 
I 8. Alle Mitglieder sollen Ünrger sein und ihrer Wehrpflicht 
biegen die Stadt Genüge leisten, besonder* ihren Harnisch stets 
in Ordnung haben. Im Kriegstalle (reise.) bestreitet jedoch die 
allgemeine Kasse die Kosten des Aufgebotes. Die Ordnung 
enthäT. noch einige typische Vorschriften für den geselligen 
Verkehr der Genossen, worin das Lärmen, Streiten und Schlagen 
auf der Zunflslube hei Strafe verboten wird, reber die gewerb- 
liche Seite der Zunft erfahren wir aus diesem Dokument nichts. 

In welchem Zusammenhang nuu diese Zunft zu der «Brtder- 
brüderscliaft im Spital» steht, deren ausführliche Ordnung vom 
Jahre 1477 bei Brucker gedruckt ist, ist schwer festzustellen. 
Vielleicht, fällt die Vereinigung der Bader- und Schererzunft in 
die Zeit vor 1477", und die Bader gründeten dann eine 
besondere, rein religiösen, ^e^elli^en und charitativen Zwecken 
dienende Bruderschaft, wie diese innerhalb und neben den 
Zünften auch vorkommen. Die Organisation ist die gleiche, wie in 
der eben erwähnten Zunft, nur erfolgen die Wahlen der vier Vierer 
halbjährlich uud statt des einen Meisters werden zwei im Jahre 
gewählt, von denen einer die yroße und einer die kleine Büchse 
der Genossenschaft in Verwahrung nimmt. Die Vierer, von 
denen jeweils einer ein Handwerksmeister sein .soll, haben 
Schlüssel zu der großen Büchse -und sollen auf die Kerzen der 
Bruderschaft, die in der Spitalkircbe zu den clronfasteu inessen> 
und bei feierlichen Gelegenheiten sonst gebrannt werden, achten 
und für ihre Aufbewahrung in dem ctrogko, d. h. der Trübe 
der Brüderschaft, sorgen. 

Das Eintrittsgeld in die Bruderschaft betragt ein Achtel 
Wachs, der Wochen beitraj einen Halbling. Strafen für Nicht - 
zahlen des Beitrags, schlechtes Benehmen in der Gesellschaft, 
Fernbleiben von einem «Opfer», d. h. einer Totenmesse für 



( \n -, iL- ürqha frern 

V. KXlglt JMVlföllWMUHWI 



— 53 — 

einen Bruder oder wenn sonst der Meisler eine Zusammenkunft 
gebietet, werden immer mit Bußen in Wachs gezahlt ; das 
Wachs wird zu den Kerzen am Altar verwendet, deren Große 
der Stolz der Bruderschaften war. 

Die soziale Bedeutung der Bruderschaft liegt besonders 
darin, daß sie ihren Mitgliedern bei Krankheit und Nor Hülfe 
gewährt. Erkrankte Reiberinnen, d. h, Badeoägde, und 
Knechte, werden acht Tage lang wie sonst bezahlt, bei schwerer 
Krankheit wird ihnen, bis sie wieder arbeitefähig sind, die 
Zahlung des Hnchsengelries erlassen. Arme Kranke werden 
ev. mit Darlehn auf Pfand bis zur Höhe von 3 f unterstützt. 
Geldgeschenke machten diese Kästen jedoch aus Prinzip nicht. 
Auch für verheiratete Wochenbetterinnen tritt sechs Wochen 
Befreiung vorn Wochenbeitrag; ein. Dagegen scheinen die Bader 
sich nicht, wie z. B. die Bäckergesellen ein Freibett für ihre 
kranken Brüder im Spital gesichert zu haben' 7 . Bezeichnend 
dafür, wie die Bruderschaften die Slandesehre und die 
Ehrlichkeit des Gewerbes hochhielten, ist die Verfügung, 
man dürfe keine Bademagd dingen, «die in einem gemeinen 
leben gelaufen 13t, si sey dann vorhin umbgan«*en und ge- 
bessert nach christlicher ordnunge» Gerade im Baderyewerhe 
war nämlich der Zudrang von liederlichen Frauen groß, <Ja 
der Beruf einer der wenigen wur, wo man geringe Vor- 
kenntnisse brauchte. Auch bot der laseive Ton, der in den 
Bädern herrschte, ihnen häufig Gelegenheit, ihr früheres Ge- 
werbe nebenbei weiter zu betreiben. JL>ie Statuten wenden sich 
freilich hier gegen diesen Unfug besonders, weil er im Wider- 
spruch mit der christliehen Weltanschauung und den Tenden- 
zen ihrer kirchlichen Bruderschaft steht. Im Ktnzelnen taten 
wohl die Bader selbst wenig gegen die sittlichen Mißstände 
in den Badern. Wird ihnen doch in der Ordnung, in der die 
Trennung der Manner- und Frauenbader verfügt wird, aus- 
drücklich verboten, Kuppelei zu treiben und in unanständiger 
Kleidung einheizugehn ». 



f 



( 's\ -* iL- Orciia frern 

JNrVtHSIIYÜfMtHIWN 



ANMERKUNGEN ZU KAPITEL 3. 

i Brueker, S. 43. 

2 Genauere Vorschriften für das Leben dar Siechen liegen nur 
im Leprogenhaus vor; jedoch laßt die Analogie der sonstigen Ver- 
hältnisse, die Abhängigkeit böider vom Bat, vermuten, daß im 
großen Ganzen der Charakter de« Lebens in diesen Spitälern der 

gleiche vir. 

s Im Nürnberger Siechiobel von St. Joe- waren die Einwohner 
v erpfliehtet, täglich 7 Paternoster nnd 10 Are Maria zu beten, 
während nie in 3t. Sebald ein ganz klösterliches Leben führten. 
Mnmmerhofl 7 , S. DO. 

* cf. Uhlhorn, S. 79 und ö2. Die Fußwaschuag an Armen 
war &h sog. mandatum novam in coena domini in den Ritus am 
Gründonnerstag eingeführt jeit Erinnerung, daß Christus beim letzten 
Abendmahl die Föße wasch; noch heute existiert der Branch an 
vielen Orten. 

* Die ganze Stiftungsurkunde Brueker, 3. üä-72. Die materielle 
Grundlage der Pfründe besteht aus einem Bau in der Burggasse, 
das der Pfarrer in gutem bewohnbaren Zustande erhalten soll 

nnd 10 ft Ewtggelt von einer Badestube; 6 5 erhält er von den 

Pflegern für jede Messe, ferner don größten Te:l aller Opfer, die 
in der auch von nicht Siechen besuchten Leprusenkapelle darge- 
bracht werden; u. a. Brueker, S. H9f. 

* Schmidt, S. 252 nach einer Notiz im Seeltuch, von dem zwei 
Exemplare im Straßburger Stadtarchiv liegen sollen. 

7 d. h. Fremde und Arme. Olosencr, 8. 120. 1349 spricht :i 
von den Yielen, «die in den Kirchspielen begraben worden, ohne 

die. die man in den 8pltteltrug->. Nach Krieg"!;. I, S.SO war auch In 
Frankfurt der Spitalfriedhof Armcnbegräbniß. 

8 Nach den Aufzeichnungen Heinr.'s von Homburg ÜB H. 
S. 285; n. a. gehörte zu diesem auch des Boppen ofenhas. Daß Bonp 
der Bäcker des Spitals war, geht aus einem Zusatz zu Ellenhards 
Chronik iMon. SS. 17. S. S6i hervor, wo eine öeelstiftung des 
Wornhor diotus Bopp, pietor et frator hoßp. erwähnt ist. 

9 STB III, S. 121. 17 und 124. 1. 

10 SUberniann, Lokalgeschichte 8tr.'s, S. ]Ö4. L*B VII, S. 428. 
(1371). Das dort erwähnte Wighus ist identisch mit dem domiu 



( v , . ,1,- Grqha frarn 

'^" JlIVU&motMUlKAI 



— 66 — 

fntivalis ; außcrdcn: ist im Garten ein «steynin hnaelin, da der 
gartener eine körbe in leit», erwähnt. 

11 3ohan&, Gesch. d. deutschen Geaellenverbande, 3. 235, Ver- 
trag der Bäckerfc do elit d mit dem Spital i so baid einer siech in den 

spittal empfangen vnrt, so soll er von stand an Dichten, sieh losten 
mit den hl. Sacramenten bewaren . . . wie ein ander siech noch 
harkiime.ii der gewcnheit des apitats. 

n Bracher, S. 31-37. 

is TJeber Sehnlthai&enbnrger: Winkreimann, Straßburgu Ver- 
fassung im 16. Jbdt ZGOB. N. F. 18. 

14 Für Jeu SGkneUing rorlaugte man etwas weniger Hausrat i 
Ein Bett nur im Wert von 12 ah., weniger Kissen, keinen Tisch, 
keine Handtücher. TTeber die Teile de« Beitas ef. M. Heyae: Deutsche 
Baasaltertumer 1, S. 263 a. 267. In Nürnberg verlangte man fast 
die gleiche Anestattang. Mummenhoff, S. 94. 

" Brücket, 8. 41. 

16 Läeke, B. StraßbHr^r Spital, Str. Prorektoratarede 1879. 

Die Ordnnag ist undatiert, stammt aber von vor 1478, da 147B aof 

eine solche Ordnung verwiesen ist. 
n DB 1IT. & 3.^3. 

» 8 Ordnung von 1639, im Aaszag nach dem Manuskript bei 
Krieger, I. c, 8. 54. 

i» ÜB VU, 199.44 and 349,34. Ein gleiches Legat in der 
Bruohsaler Elondenherberge. Krie^k, S. 154 and ZOOR 7. 

*> ÜB VII, £. 164 a. oftor. Sokmidc, S. 164 f. 

«l Schmidt, Alsatia, 1658 S. 1 r>4 1 

" Brucker, S. 39. 

»3 Alsatia, 1558 S. 166 u. 180. 

"« Bracker, S. 44-46. 

'a Das ni. e. Straf rocht achoidet: 

1; trockene Schlage: «Hauen Stoßen mit fausten. Messera, 

Beugeln, Steinen u. dcrgL», wie auserc Lepioseuordnang 
Brüsker, S. 45 aich ausdrückt. 

2) Blatrins: ungefähr), blutende Verletzung. 

3) Wirkliche Wände. Die Feetstellung, ob Blutruns oder 
Wunde, steht einem Scheier onter Assistenz der Pfleger 
zu. cf. auch Str. Stadtrecht VI: ÜB IV, 2. S. 86ff. 

2« In andern Städten hatten die Siechen anch eine Klapper, 

durch die sie vor einer Berührung warnten, in Straubing ist diese 
nicht erwähnt. 

21 Bracker. S. 58. 

« Schmidt \ Bulletin, S. Sfö 

2« Krieger. 8. 46 f. 

ANMERKUNGEN ZUM 11 ABSCHNITT. 

" of. Wörterbuch dor V. W. * 1 S. 237. ß. v. Armenwosens 
«Armut ist der Zustand, wo die zur Lebenshaltung erforderlichen 
Mittel nicht vorhanden sind und nicht erworben werden können, 
wo demgemäß das Einkommen des Einzelnen durch fremde Zu- 



( \n -, iL- ürQha frern 

'^" JUVlKsIlYU-MCHKAI 



- 5t> — 

schlisse ergänzt werden muß .... Armut hält die Mitte /wischen 
Elend und Dürftigkeit». 

z Mone, ZGOR. 19, S. ltfO. 

3 siehe oben. 

4 Uhlhorn 8. 121 ff. 138. Hering; »Die- Liebest&tigkeit d. ; 
MA. na'.> den Krenzafigen» betont mit Recht, daß im 13. Jhdt. die 
Beliebtheit der ßettelmöncli« dazu beitrug, dem Bettel überhaupt 
Sympathien za werben, 

5 siehe oben. 

fl Die Bezeichnung «niatricularü» ruhit davon her, daß nach, 
der ältesten Kirchenverfasaung der Diakon verpflichtet war, die 

Gemelndearmen in eine «nutricnla» (Liste) einzuschreiben, spater 

wurden sie einfach zu prabendierten Genossenschaften, die ein Haue 
beim Mümter bewohnten nnd au bestimmten niederen Kirchen- 
diensten verwandt wurden, cf. Ducange, «Glossarium nie die et 
infime latinitatiB»: s. v. <inatrieularü> Ratzing3t. Geschichte der 
christlichen liebestatigkeit I16S4), Ö. Äf». TJhlhort S. 241. Maarer, 
Geschichte der 8tädteverfaseun£ Ell, S. öO. 

* Woikownky Bicdaa, 3. 5/4. 

8 ÜB I. S. 162. 9 n. 229.21. 

B vergl. Woikowsky-Biedaa, S. 25. über die /.ahireichen Hl. 
Geiatsp; taler, die nur z. T. von dem Spitalorden des hl. Geiste« 
abhängen, z. T. selbständig diesen Namen erlangt haben 

,n Diu:: darf wohl als Beleg für die von Hauck ausgesprochene 
Ansicht daß die altkirchlich • Armenpflege sich noch langer als 

ühlnoro (S. 6ö u. a.) annimmt ins MA. hinein erhalten habe, gelten. 

Hauck IV, 8. 52. Ihm schließ: sich an Tröl tsch; «Die Sozial- 
lehren de» christlichen Kirchen» im «Archiv f. Sor.ialwisRcriachaft 
und Sozialpolitik», Heft 27.1. ISO». 

ii Durch den Vertrag von 1263 kam ja Jas Leonhardsspital 
in die Haad der Stadt ; etwas spater findet sich die Münsterfabrik, 
das sog. Frauen werk in Stadt. Verwaltung, jedoch Ist eine Ab- 
rauchung nber diesen Korapetencwecheel nicht erhalten, cf. Winkel - 
mann, 8b.% Verf. im lt» Jhdt. % GOR N. F. Ifi. 

l - Ein strikter Beweis für den Zusammenhang 1 dieser beiden 
Einrichtungen ist nicht zu erbringen; jedoch spricht die Gleichheit 
des Namens, dann die Tatsache, daß die «frateriiitas» nach 12*3 
nie mehr genannt wird, für die Wahrscheinlichkeit meiner Annahme. 
Man wird schwerlich dagegen geltend machen wollen, daß im Jahre 

131)8 (L B Vll, S. 2W>) der städtische Pfleger die Pfründe* des hl. 
Geistes au Münster eine alle Stiftung der Bürger nennt; man 
braucht daraus nur r.u folgern, daß eben die Organisation vom Ende 
des 13. Jhdts. von den Bürgern herrührt; solche Ursprongsfragcn 
pflegen sich durch die mündliche Tradition leicht sru verwirren. 

'S In Augsburg und Ulm machte man mit der 15*23 einge- 
führten Geldanterstatzrjn&r so schlechte Erfahrungen, daß man in 
Augaburg 1541. iu Ulm schon früher die Naturalverpflegang wieder 
einführte. Bisle, Oeffentl. Armenpflege von Augsburg, S. 9. 

i« ÜB I, S. 52. 



( v , . ,1,. üroha frern 

'^" JMVUaiYOMUlKAI 



— 57 - 

i - U B rtl. S. -299, 1. Der Znsatz «tatcos» soll die Betrttndnche 
Ausschließen, — Jeder Arme erhielt 7 Ellen graoes Tnch tod ge- 
ringerem Freie («lerioris pretii»). Pur 8 8 Tuch ließ jährlich am 
Tage nach Allerheiligen, also r.n Wintfrinfang. die Gründerin des 

Phjneoapitals an Arme, anch außerhalb de» Spitals, verteilen. In 
demselben Spital erhielten auch die «paaperes alii exira hotpitalc» 
jeden Samstag: eiae Brotspende- die der Priester des Spitals zu ver- 
walten hatte. 0B H, S. 2K8 (1311). 

16 Die Zahl der Schüler wurde 1523 anf 100 eingeschränkt, 
die dreimal wöchentlich singen darrten, seit 1D64 wurde innen 
anch diee untersaget» dafür bekamen eic Gaben ans dem städt. 
«Almosen»* nnd ea wurde vierteljährlich in den protest. Kirchen 
für sie gesammelt Mone ZGOR I, 9. 151. - ÜB VII, 170, 1. 

17 Gicrkc, Deutsches Genossenschaftsreoht II, S. 741. 

,s Ein ähnliches städtisches Almosen gab es im 14 Jhdt. in 
Basel; es wurde verwallet von awei Ratsherrn und einem Burger. 
Vvhr.or. Basels Anstalten anr Unterstutvnng der Armen und 

Kranken im HA. in «Beitragen znr vsterl. Geschiente vor Basel». 

3d. 4. 1350. In Köln verwaltet die Stadt nachweislich seit 1450 
Jen ganz besonders bedeutenden Fonds des Hl. QeisthaiiR«*, dessen 
jährliche Ausgaben im 15- Jhdt. 2000 Rh. Gulden betrugen ; damit 
beptritt man 700 Pfründen (WoikowsVy-Biedau. ö. 44.) In Konstanz 
heißen die an die vier Pfarrkirchen der Stadt ang-escrilossenen 
\rnienionds Haiti aen ( = Rechnungen}. Aach sie waren seit dem 
14. Jhdt städtisch geleitet und weisen im einzelnen gröttte Aehn- 

lichkelt mit den M Geistpfrllnden Strasburgs anf. Rappert, Kon- 
stanzer geschichtliche Beitrage, Bd. 8. 1892, S. F-9ff. Za Baum, 
«Straßburger Rat und Reformation bis 1529. 1887. S. fcO ist also 
zu korrigieren, daß tein gewisse» städt Almosen» nicht nur im 15., 
sondern bereits Ende des 13. Jhdts. bestand. 

*• ÜBVH. S. 266. 18&& Ellenherd. der bekannte Straßburger 
Patrizier, auf dessen Voran laseung dio seinen Namon trogenden 
Annalen entstanden, schenkte 1299 den Heilig Geiftt-Pfrfmden einen 
bedeutenden Besitz mit der Bestimmung, daß das nen hinzukommende 
Out nicht zur Versessernug der alten, sondern zur Schaffung neuer 
Pfründen zu verwenden sei: «amb dac, dar. dehein orieg werde umbe 
die pfründen, daß sie lihte zu gut wurdent*. ÜB III. S. 125, 26 
and 90, & 

" Das rasche Anwachsen der Stiftung In der Mitte des 14. 
Jhdts. iat sicher durah das schrecklich© Auftreten der Post (Schwar- 
zer Tod'i zu erklären. Wach dem Schrecken und der Todesangst 
war das Volk umso geneigter zn guten Werken, Man mag jedoch 
immerhin bedenken* daß die soziale Gliederung der m. a. Stadt 
relativ weit ganstigsr war, als die moderne und ein sc großes 
Proletariat nicht kannte. Uli! hörn II, 3. 437. K. Bücher, Entstehung 

der Volkswirtschaft. 

fll ÜB VH. S. 266. 3. 147. in. S. 125. 

2« ÜB VII, 9. 267. 

« 6 Sester = i Viertel = 2 prenß. Scheffel. Hegel, Städte- 
ehroniken 9, S. 101Ü 



^ iO\> 



Cr aha frani 
JMVUCsl IV «- MCHKiAl 



- 68 — 

-» Hegel, Städtechroniken, 9, S. 864. Daß die Zahl der Rata- 
herren damals (1308) 56 betrug, cf. St-Ohr. 8, Einleitung. 
ȆB III, S- 5. 

28 Spaier sind die Pflegrer des Frauenwerks auch meist identisch. 

mit denen der hl. Geist-Pfründen. 

«ÜB III, S. 90, 6 u. 125, 96. 

«HB VIT, S. 266-68. 

» Eheberg, S. 250. 

»" Knecht Swarber sagt 1358 über seine Verwaltung*: ÜB VII, 
266, er labe «10 viertel rocken geltes and 2'/e l l t>. pfennig geltes 
gebessert mit dem almrjgen dem hl geint zn unsere frowen mfinster . . 

und Koste das 73 IIb. und 5 pfrunden me deine von. ' und Jol. 

z. Megede hat «gebessert» für S;. Martiu 2 f£ Gcldrcnte and 2 Scster 
Roggen aid 3 Pfründen makr als zuvor, d. n. offenbar sie haben 
ihre überschüssigen Einnahmen in Reuten abgelegt und daraus 
neue Pfründen gebildet. 

31 Schmidt. Hißtoire da chapitre de St Thomas, p. 1661 
U B VII, 8. 199, 38. 1353. Uobar dio ständische Zusammensetzung 
Straliburger Stifter. siehe : Kothe, Straliburger kirchl. Zustände im 
14. .! r.rtT... S. ■>)). 

3? TJhlhorn, S. 405 ff. Gierke. I, S. 383 u. 5. 418. Seh an s, 
Geschichte der deutschen Gesellenverbände, 1817. Urkundl. Belege 
Nr. 79 (S. 214). Siehe unten. Uebrigens ist Schanz bei der Da- 
tierung der Dorsualnotifc zu der von 1404 stammenden Urkunde, 
Leu . die Bruderschaft der Kdrschnerkuechte, ein Fehler unter- 
laufen. S. 171 (Kr, Q9). Den steht : -Ordenatg der kureonoibruder 
schaft, so ßy sarapt irer hab halb ins platerhus. und das ander 
halb in das gemein A I m u a e n geben uf mitwoch p. 9. Cantate 
anuo 1426.» Da aber, wie vir wissen, das BUtterhaus für Syphi- 
litische erst nach 1600 entstand, das «gemeine Almosen» aber eine 
Schöpfeng von 1523 ist, so hat mau das XXVI., das 9ohanz wohl 
nach dem hantigen Brauch dar Stadtach reiber alRJanreshezeichnuiig 
vorfand, nicht als 1426, sondern besser als 1526 2U lesen. Danach 
wäre dann auch die Darstellung* bei Schanz S. 67 zu ändern. 

*» Siehe Urkunden bei Schanz 1. c., S. 234 u. 220 (1479 ü. 15. 
Jhdt.). Aehnliche Beispiele ans Freiburg u. Seh I et ts ladt : Schanz, 3. 
186, S.231 (Backerknechte) und S. 221. 

81 Ueber die Behandlung der Bäckerknechte im Spital »icke 
Kap. 3, \:im. 11. Der Büehscuknecht wie acr Spitnlnicister siad 
belügt, die ihrer Ansicht nach genesenen Knechte oder solche, die 
sich im Spital schlecht benehmen, auszuweiten oder zu entlassen. 

8 r > Brucker, S. 82 ff. siebe unten. 

M Utilhorn, S. 390 u. 391. Erwähnungen voi «Willigen Armen» 
im 14. Jhdt ÜB III, 37Ö, 19. 

« Näheres siehe : Als&tia 1858-61. S. 207— 11 ; ich gehe darauf 

nicht i.iüiii ein. weil mir Jas ungedruckte Material, daa Schmidt 
dort benutzt hat, nicht zur Verfügung steht 

M Brucker, S. 325-28. Keutgen, Urkunden. S. 468. 

sfl Wegen dieses Umstandes gehören sie auch nicht in den 
ersten Abschnitt, der die anst&ltliehe Armen- nnd Krankenfürsorge 



( v , . ,1,- Grqha frarn 

'^" JMVUaiYOtMUlKAI 



- oft — 

behandelt, obwohl ihre Organisation große Aehntichkeit mit der 
der Beginen aufweist. 

*u Brocker, S. 20-22; Verfahren mit armen Sündern. — Der 
Charakter solcher Brüderschaften scheint mir eng Yerwandt mit 
dorn der in Nordd. besonders heimischen Elcndongildcn, die Dach 
E v. Möller, Die Eleiidenbruderschaftei, 1906, hauptsächlich das 
christliche Begräbnis und Seelenheil armer Fremder bezweckten. 
[S. 166.) Die Tätigkeit der Laienbruder kam zwar nicht vorwiegend, 
über doch auch den Fremden zustatten. 

*t Von einer obrigkeitlichen ArmenfUrsorge und Armenpolizei 
atf dem Land nrd für den Bezirk fürstlicher Territorien bann «rat 
nach der Befunuation die Rede sein. Die Kelohsregierung beschäf- 
tigte sich im ep&teren Mittelalter imr einmal mit dieser Frage, in- 
dem sie auf dem Reichstag in Lindau 1497 verbot, daß Arbeitsfähige 
betteln, cf. Handwörterbuch d. Staatswißsensch., 2. Aufl., 1, S. 1052, 
s. v. Armenwesen (Aschrott). Löning, Handbuch d. polit. Oekonoraie. 
Hl, 2, 8. 402. 

41 Ruppcrt. Konstanter gCBchiehtl. Beitrage, III, S 61. 

43Rnppert: a. a. 0., S. 112 ind Uhlborn, S. 43ÖfT. Beson- 
ders Interessante Aufschlüsse über das BettelanweRen um die Wende 
des 16. Jhdts. gibt der wahrscheinlich aus Pforzheim stammende 
■ liier v&gatornm», demein Vokabular der Uaunerspraehe beigegeben 
ist, %. T. gedruckt bei Kluge, EotweUch. 1903. 

«» Grandidior. ceuvres inedits, Bd. 5. Ueber ihre Behandlung 
ist nichts zu ermitteln. 

,b U B IV, 2. S. 24, «reger» iet noch der Anmerkung vielleicht 
= «veger« = «vagator», «wegelere» nach Scherz, Glossarium Gor- 
manicum = Wegelagerer. 

«« Closener bei Hegel, St.-Chron. 8, S. 89. 1330. cDie porten 
waren zu guter meßes ohne Schloß und Riegel und das boht (Kot) 
lacj vor den porten and darunter verkarstet, das man eü nit moht 
h&n zngetonn, man h>ttp. danne riarzn gftmmet mit bikeln (Pickeln)». 

47 Damals wurde auch aus fonifttatorischen Gründen das 
Spital mit vielen Häusern vor der Mauer abgebrochen ; eiche Kap. 1. 

" Ungedruckt: Str. St. A. tome 19, folio 163. 

** Brucker, S. 13.1 Vermutlich aas der Zeit der Burguuder- 
kriege ca. 1470. Nicht nur für Bettler, sondern auch für die hinter 
die Mauern der Stadt flüchtenden Landieuie «alt die Vorschrift, daß 
aia für oin Jahr Korr für eich und ihre Fainilio mitbringen mußten $ 
ftine Behörde von 2 Männern hatte dies in kontrollieren. Brueker, 
S. 232, 15. .fluli. Die Landleute werden mitunter auch «arme leute» 
genannt ale die Hintersassen der 3tadt in ihrem Territorium. 
Maurer. Geschichte der Frohnhofe IV, 23. Auf sie besieht sich 
wohl auch Eheberg S. 76G. 1477 : Nicht für die Bettler, sondern für 
die in Geschäften in der Stadt weilenden städtischen Untertanen 
steckte man im Winter an der Pfalz ein Wärmefeuer an; ausdrück- 
lich verbot man den vriheiten, d. h. den Landetreiehern [Heyne. 
Deutsches Wörterbach 1905, 1, S. 972), sich dort zu wärme«. 

90 Aus Holraar ist ein frühes Verbot des Straßen betteis bei 
Mone, ZGOB 19, S. 159 vom J. 1363 abgedruckt. 



( v , . ,1,- ürQha frern 

'^" JlIVUUlYUtMUlKAI 



- 60 — 

« Hegel, St.-Chron, 9. S. 1028. 140« n. 1411. . . 

aB Zeiten, in denen es nicht erlanbt ist im Wirtshaus zu seil, 
sind Sonntage während der Kirche und abends nach der Poliaei- 
stunde, d. h. J) reep. 10 b . Brück. ;r, S. 481 u. %. 

. ^ Hegel, St-Chron. D, S. 1029. «. . Alk luderer (Schlemmer?. 
spiler, rippelreiger (Hurer) und riffioB» (Kuppen und Handwerks- 
knechte, die ku faul xuro Arbeiten sind, «die sich tage und nacht 
nit anders begont dennen spileudes. luderndes and rippelreigende», 
wo man die hinanvürder vindet müßig: gon, so man arbeiten sol . . 
die sol man -trafen, das in wcgcr (besser) wer. sii hettent den tag 

vergeben gearbeitet» 

" Von den BeUtlyrduuu^eu. die Brücket 3. 2-14 u. 183-Stf 
abdruckt, ist nur eine datiert, alle andern schlechtweg ins 15. Jkdt. 
gesetzt. Es ergibt 6ich jedoch aus inhaltlichen Kriterien mit voller 
Sicherheit, daß die Ordnung: Brucker, S. 3-11, erst aus dem lii. 
Jhdt and zwar aus der Zeit rann der Reformation stammen kann. 
Sie maß ein Entwurf der 1523 eingeführten neuen Armenordnung 
Stroßburg-s gewesen sein. cf. die Notiz über deren Beginn: Moni I, 
S. IÄ1 aid den verkürzten Abdruck des Katserlasses von 15SS3 bsi 
B 5 brich, Mitteilungen aus der Geschichte der evangel. Kircfae 
des Elsaß. I, 1356. S. 157, der sich inhaltlich mit dem bei Bracher, 
voLlkomraen deckt, nur kurzer gefaßt ist. Der Titel des Einblattdrucks 
von 1523 lautet: «Knrtzei Vergriff nß der ordnargen des gemeynen 
Almuscns, so ein Ehrsamer Rat . . . fürgenoniraen hat, angegangen 

uff Michaeli» Anno 1523». Auch Baum gibt eeheu 3. 57 mit voller 
Bestimmtheit an, daß die Ordnung [bei Brucker S. 3-11] Str. St. 
A. WO XIV., fol 13ft mit der von 1523 identisch sei. Es ist daher 
kaum zu versteht), daß in der Bruckerschen Publikation, die 2 Jahre 
nach Raams Werk erschien, eine solch irreführende Datierung vor- 
kommen konnte. 

-ä Brucker, S. i>3. Aussätzigeriordnung;. Für die Vermutung, 

daß das hl. Oeistalmosen und das Frauen verk mit diesem Armen* 

amt iu Verbindung stand, spricht auch der Umstand, daß nach 
Brucker, S. 136 ein Ueberschuß an Strafgeldern dem Frauenwerk, 
nicht etwa der städt. Fin&nzstatte, dem Pfennigtarm. zufiel. 

*° Brucker. S. t>J. Dieser Knecht muß. aaeh am Karmittwoci», 
wenn die Leprosen bei St Peter ein Almosen gereicht bekommen, 
dafür sorgen, daß sie bis 3 •' mittags wieder alle die titadt geräumt 
haben. 4m Gründonnerstag, wo man beim Hochamt den Armen die 

Füße trascht, soll er den Leuten wehren, daß niemand «kein Un- 
zucht belange», d. h. Unfug treibe, «damit der Gottesdienst umso 
lohlichfr vnllhraeht werde». 

« Winckeliuann : St-, 's Verfassung im lö.Jhdt. ZGOR NF. IB. 
— Im Laufe des 15. Jhdts. worden die Bußen der Bettler erhöht; 
cf. die beiden inhaltlich gleichen Ordnungen Bracker, S. 11—13 und 
S, 134 -36, wo in der zweiten, jedenfalls späteren, alle Strafen ver- 
doppelt aind. 

w Kriegk. S. 144: Frankfurt hat zwei Beitelvögte 6eit 14#5. 

Die Nürnberger Ordnung von 1 17-5 war das Muster der Frankfurter. 
In Augsburg erschwert man 1460 ahnlich wie in Straßbarg die Er- 



» ürcha frani 

JMVU4IIY0>M(.HK»AI 



- 61 - 

iangrung des Bürgerrechts. Kiele, S. 25 u. Urkunde S. 163. Im 16. 
.Unit, erbalten Almosen nur Jie. die sehen eine Anzahl Jahre das 
Bürgerrecht beeitz&iu St. St-A. BaUprotokolle- tome XXX VE, 23. 
k 1 ipppi", Konatan'/sr geschieht! Beitrag* III 

59 Brucker. S. 133; Ruppen. S. 60. 
*» Brucker. a 11 und 13. 

ei Uhlhorn, III. S. 6 und 54. Luther: -An d. christL Adel». . . 

« Uhlhorn, III, S. 54 ff. 

* J Die rcformicric Kirchonordnung wurde in Straßbuxg vom 

Rat erst lf>30 eingeführt Winkelrnana ZGOK NF 18. S. t>22. — Die 

Aluiuaenuidiuiugeu sind Liebt zu veiwechaelii mit den mit der 
Kirchenreforni eag verknüpften Kaaienordnungen. z. B. .der Leis- 
tüger, worauf zuerst Ehrle: «BeitT. z Gesch. der Armen pfleg"*» 1881 
aufmerksam machte. Die Umwandlung des Straßburger Amenwesens 
z. Zt. der Reformation brauche ich nur/u streifen, da bereits Raum 
a. ■■• 0., >. ö7ff. über debsen Einrichtarg dab Wesentliche gesagt 
hat; er betont in «ii«m Vergleich die AehnKchkeit der Straßburger 

mit der Nürnberger Ordnung von i.">22 ird hebt betreffs der Trage, 

üb die moderne Armenpflege eine Fracht der Refoimatioa sei. her- 
vor, daß die Ordnung wenigstens «in innige Beziehung bo den 
ethischen Tendenzen der Reformation gesetzt werden müsse». 

•8 Eine Monographie der WohltktigkeitBanstaltcn Strasburgs 
im 16. Jhdt. hat Winkelmann ZGOR NF. 18 (1933) angekündigt ; 
sie steht allerdings ois heute noch aus. 

« Baum : Oapito and Butter 1860, S. 230. 

6B Dachen*, Jean Geiler, Pieees juttif XXXII. 

60 Banm scheint mir die obrigkeitlichen Bestrebungen des 15. 
Jhdts. auf diesem Gebiet etwae zu gering einzuschätzen. 



.ASMBKKUN61SN ZUM 111. ABSCHNITT. 

1 Wörterbach der Volkswirtschaft II*, 3. 738 a. v. Sanitäte- 
wesen; vergl. au-l Maurer, Gesch. d. StädteverfaßSg. III. S. 3li — 42. 

2 SUB I, S 472. Keutgen, Urkunden, S. 99. I. Stadtreeht 
§ 8ä. «nemo Jim um aut purgationem ante domum snam ponat, nisi 
btatim educere veJit exceptis locis ad hoc statulis: iuxta macellom 
(Metzig), iuxta puleum in Coro equoram (Kugelbruunen auf dorn 
Boßmarkt), iuxta sanclum Stephanum (im Osten der Stadt an der 

jMsrier) et apud locam. qui dicitnr Gemrke> (Mistgrcbe vor der 
Stadt, ßpUter der Brach genannt). Vergl. ähnlich in Berlin: Con- 
sentiue: «Altbcrlih> S. 5 Br.low: Vjs. f. Sozial- u. Wirtar.aaffcgesch. 
1908. 

9 lieber Charakter und Datierung des ersten Stadirechtes cf. 
Reuigen, Urkunden, S. 93, Aura. 1. 

■ * ÜB I, S. 47ö : 1. Stadtreeht g Öö und »7. 8. 47»: 2. Stadt- 
recht (ca. 1200) § 02; quicuraque vagantem poroum in platca eine 
duetore ceperit, ipsam, si voluerit, reservabit. donee ab illo. euius 
4>orcU6 «st. qniiKioe solidos recipiel. 



( v , . ,1,- Orcha ftorn 

'^" JlIVUaiYUtMlHKAI 



— 62 - 

* ÜB IV, 2, S. 34/3G. 5. Stadtrecht. 

3 I"eber die Pflasteruig der Straften kaba ich wenig finden 
können, jedoch wird 1403 das schon länger bestehende Amt eines 
EstriohmoietcrG gonannt, dam sowohl dio Wagfährung des Mistes 
als die Pflasterung der Sfrafien obliegt. EhebeTg. & 51, § 169-71. 

' Silbermann, Lokalgeschichte, S. 180 ff. Oeber die Anlage 
der einseinen Gräben ist a«8 dem Straßbarger Urkunden buch wenig 
y.u ermitteln. Dagegen melden die Annales Oolmarienses maior. 
Mon. SS. XVII, S. 219. 1292: «Flueules aquas per plaleas Argea- 
tinenses artifex invenit» und 1293: «Invenlor et magiatsr operia, 

qaod in Argentina Bruscarn auere per vicos iaciebat. . . . expiravit». 

Die verschiedenen Kanäle durch die Straßen wurden also damals 
angelegt. Schmoller: «Straßburgs Blüte im 13. Jhdt.* S. 20. -Später 
verglich man die Stadt deswegen mit Venedig.* 

* z. B. 1363: ÜB VII, 8. 3,6 (1332), S. 325, 25, 269, 830, 35 ; 
schon 12j0: OB 1, 3. 2ö2, 9. Streit des Spitals mit einer Nachbarin 
wegen Anlage eioee Kanals über die Mauer. U B III, 8. 334 u. S. G, 8. 
U B. IV. 2, S 149. 

* Hegel 9, 8. 716,25*: Ta. Königshofens Zeit (1420) gingen 

«Sprochliuscr» in den sog. Schneidergraben, die heutige Verbindung 
von den Gewerbslauben und Metzgertor. Auen an der Mauer neben 
dem Judenkirchhof lag eine «prifeyge» (private). ÜB VI, S. 264. 
Sehr ähnliche sanitäre Einrichtungen hatten im 14. Jhdt. alle 
größeren Städte, cf. Heyne, Deutische Hausaltenümer, I, S. 531 ff: 
«Baecl im 14. Jahrhundert», 8. 28. Züricher Ötadtbüchcr I, 6. 044. 
Muromfnhnff, Die Gesundheitspflege im alten Nürnberg. Die Zeic, 
inner t" all derer der Mist abgeführt werden muß, wechselt in den 
einzelnen Städten zwischen 3 nnd 8 Tagen. 

'« 5. Stadtrecht, § 47, TB TV. 2, S. 3i>. 6. Stadtrecht, § 471, 
1522. L'B IV, :>, S. 160. 3urenge Verbote, etwas auf die Straße zu 
schatten unter Tags (bofct, noch harn, noch ancer unflat .. Schwerts 
«Gerere> von Dächern. Kellern etc. darf wnu weier in die Breuscb 
noch sonstige Stadtgräben sohütten, E. B. den Burggraben, den 
Kintsütergraben and Zollcrgießcn. vielmehr ß»ll man es wegfahren 
auf die Allmende bei Biacliufs Burgtor oder iu die Gruben oder 
aus der Stadt Kur «vegotte» ohne Steine, Erde and Mist darf man 
statt auf die Straße in die Breusch schütten, jedoch so, tdaß ea 
nicht zu Grunde gefallen mag.. Bei 5 '$ St-afe. ÜB IV, 2, S 3ö. 

11 Bruekcr. 3. 409 u. 411. ihre Ordnung ms dem 15. Jhdt. j 
sie werden aber schon 1405 bei der Venvaltnngsorganisation ge- 
nannt Eheberg, S. 51. 

»2 ÜB IV 2, S. 161, 85. ca. 1300. Königshofen bei Hegel: 
S. 760. 

ia ÜB IV, 2, S. 14B (1889) nnd Eheberg'. S. 758. 

ii Ein solcher Widerspruch gegen alle Ifiolierungsvorschriften 

In Peetzelten ist es. wenn man zur Erlösung von dem TJebel der 

Pest, wie eon&tder Hungersnot und anderer Gefahr, Bittproacüeionon 
veranstaltete, bei denen alles Volk sich znsammandrängte und die 
zur Fortpflanzung der Ansteckung nur beitrugen. Hegel, S. 773; 1387. 



( " üroha frorn 

'^" JlIVtföllYOtMUlKAI 



— 63 — 

li Hegel, KÖuigshofen, S. 769 zu 1349: <wan vormals was ge- 
wonhoit, das men die doten erliohen zu kirchcn trus:, ocd ließ sü 
ia der kirchcn, onta mcn scelmes6c gesang». Das verbot roen jetzt; 
diese Verordnung* wurde spater als d&iernd in das HtadtrecU auf- 
geuuuiiueu. ÜB IV, 2, 3. 162. «und kol man ein ualkin cder ein 
serje morndcs legen in die kirche alse gewonheit w*a de* jares 
do der sterbot (wahrscheinlich 1349) vas>. Man hielt also die 
kirchliche Ceremonie mit einem leerer Sarge oder einen mit dem 
Leichentuch äberdeclten Balken ab. 

'&* Hegel, Stääte-Chroniken, Bd. 0. 8. 738; die 8pitalgrube am 
altr»ii Platze blieb bestehen nnrl erhielt 1S58 ein« neue Kapelle. 
CUV, S. 393,8; in selben Jahre herrtchte wieder eine Pest und 
«cr gebrast armen lülen begrebede au dem müaster», deshalb 
machte man in seirer unmittelbaren Nahe, bei der Steinbutte, einen 
neaen «Lichhof> (aaf der Südaeite des Munsters). Hegel, S 771. 

» 6 ÜB 1, S. aot, 36. 1240. ÜB V, S. 377: Uer «cubIob» von 
St. Thomae hat die Pflicht, den Friedhof zu unterhalten. — Aua 
foitifikatoriechen Erwägungen wurde ja auch 1392 das stifit. Spital 
wieder in das Innere der Stadt verlegt. 8. S. 19. 

17 Krieger, Zur Geschichte der Vilksseuchen, S. 152. Murnruen- 
Itoff. Gesundheitspflege im alten Nürnberg, S. 23. 

»8 1412 nämlrr bestimmt eine Taxe fiir den Totengräber von 
8t. Thomas, was Gräber in der Kirche koeten. ZOOE 12, S. 148 ; 
ebenso erwähnt die Rateverordnong. Bracker, S. 4<0 Gräber im 
Innern der Kirchen (Hegel). S. 121 (Closener) zu 1349. Eriegk, 
Deutsches Bürgertum II, &. 132. 

18 Hegel, &t.-Cbron. 8. S. 121 nnd ÜB IV, S. J62. 9. Daß man 
nie unter Leichen recht lang unbestattet ließ, >- : - i tr t eine Nürnberger 
Verordnung:, man dürfe sie nicht länger als 3 Tage liegen lassen. 
Jeäoch liegt wohl schwerlich eine arge Willkür, wie Kriegk, auf 
einen Artikel einer Gcsellcnvercinigung gestützt, annehmen zu 
müssen glaubt (II, S. 156) darin, wenn man von den Handwerks- 
gesellen verlangt, sie sollten <ire liehen begengnisse tun off Furtag 
and nit Werktage» ; der Sau findet sich schon im Stadtrecht 
ÜB IV 2, § 463, S. 158 für 1365. Be: der großen Zahl der Feier- 
and Heiligentage, <ii> man damals hielt, wird die Frist bis zur Be- 
stattung der Leiche nicht zu lang geworden sein. Vielleicht richtet 
bich das Verbot auch nur gefeit das feiein des Begäufciübseb, das 
ja mit Gelagen etc. verbunden war, nicht gegen die Bestattaog an 
sieb. 

*> ÜB IV, 2, S. 168. y und Hegel. 8. 121 und S. T6» t Closener 
wie Königsnofen sind nicht ganz scharf im Ausdruck, wenn Closener 
aach dem zitierten Satz weiterfahrt: «darum vorbot man's wider- 
ambe>. so muß man das auf das Trafen durch Ungenossen beziehe; 
wenn dagegen K. bei -fast demselben Text, fortfährt; «darum gebot 
man's wiederurobe». *o denkt er eben allgemein an den früheren Zu- 
itand, 



( v , . ,1,- Grqha frarn 

'^" JMVU&mUtMUlKAI 



— 64 — 

-'■ In Strasburg* die oben erwähnten Laienbrüder z, Rcbstoök; 
in Noiddeutschland machten sich die sog. Elendenbruderschaften be- 
sonders die Totenbestattang »ur Aufgabe. E. v. Möller, Die Elenden- 
brudersshaften. S. Ij6. 

n Ebenso In Basel. Sriegk II, S. 100. In Konstanz waren sie 
tcli'jn 1888 als städt. Beamte angestellt. 

'■» Brucker, S. 400. ZQOR 12. S. 14R Ordnung: von St. Thomas 
für seine Totengräber. 1*12 bei Schmidt, Histoire du chap. de St 
Thomas, p. 409. 

** Brucker, S. 402, satzt diese Ordnung irrtümlich ins 1!>. Jhdt. 

SR Kriegk II, S. 149 j in Frankfurt achtete man seit 1501 tur" 
genügende Tiefe. 

•'• Auch aus andern Städten ist nichts genaues darüber bekannt, 
«f. Krieg* II, S. 140. 

M SchickelÄ, Vorsichtsmaßregeln gegen die Pest im alten 
Straßfcnrg. ZGOE NF. 21 (1906), S. 212 ff. weist nach, wie Im 
1»'. Jhdt, besondere im Traktat Winthere v. Andernach «de pöBtüontia» 
1564 die neuen Lehren toh Isolierung etc. aufkommen, die dann 
lt>6ö iu dem Pesueglemem und der Ausgabe eines «Peetbüchleins» 
durch die Stadt praktisch werden. 

i 8 Gänzlich fehlt z. B. eine staatliche Kontrolle, auf dem Gebiet 
der VYuhaungävcrhältnis&e and der BebchäftigiiflgbweisB vom sani- 
täre* Standpunkt ans, die ja freilich erst heutzutage ausgebaut 

wird. 

» flefele-Knöpfler VI, 5. 560. Die Kirche suchte den Jaden 
die Ausübung der Medizin zu wehren. 1335 auf der Synode Bene- 
dikts VII. zu Salamanka wnide beschlossen : «.luden und Sarazenen 
dürfen uicht Aery.te sein, weil sie die Christeu zu vertilgen suchen >. 

80 V B I, S. 101,27. Ilfe7. «tatione Lang'obardus, professiene 
mediens, dignitate eives Argontiuonsis • Mono, ZGOR, Bd. 1$, 
führt ihn als Stadtar?t auf. also als Stadt. Beamten. Diese durch 
nichts direkt gestützte Annahme wird widerlegt durch die Analogie 
anderer Städte: nirgends finden sich solche Beamte vor dem 14. 
Jhdt. Zum ganzen Kapitel: Kriegk, I, 1—60. Baas: «Gesandhsits- 
pflege im m. a. Baden». Neujahrsblari der badischen historischen 
Komrrission. 1909- 5. 50 ff. 

51 1264: TB IV, 1, S. 146,8. 130€: III, 63 und 177. 19. 
1321: III. 288p 27. 132b: HJ. 344, 18. 1343: 711, 113, 13. 1346: 
VII, 146, 23. 1369; VII, 400, 25. 1300; YII, 716, etc. Bau, 
Alemannia, Bd. &\'i: Freiburgs Gesundheitspflege, S. 106. 

&2 ÜB VII. S. 318. S. 716, 5 (1390) Heirel, Chron. 9. {aus den 
Batsprotokollen) S. 1026. Schmidt, Alsatia 185Ö— 6L «ßeginen» 
S. 193. DB III. S. 360, 35. (L328; - ÜB. V S. 5: 1332 wird ein Hmi- 
selin artzat genannt; er ist jedoch nicht Aiy,;, sondern Mitglied d*r 
su zuleaaniiteii Familie «artzot», die im 14. ,'h. häufiger vorkommt. 
ÜB. VII S. 134, 12. 230. 3tJ. (Job. dictus. Artzet». 

M fiönig'er, Der seavarze Tod. S. 67. 



. Crqha frarn 

JMVU4IIY0I-M(.HK»AI 



— 6ö - 

»* ÜB VI. 8. 100, 6: das Original ist verloren, nur ein Ex- 
zerpt Hegels erhalten, über die einzelnen Verpflichtungen des Arztes 
ist also daraus nichts zn entnehmen. Krief?k. 3. 90. 50 fl. Sold jähr» 
lica scheint eine uormale Höhe; Frankfurt zahlt, zu eben dieser Zelt 
100 fl. jährlich ale Ausnahme. Gutlcbca eclbst hat vorher in Kolmar 
3?S fl. erhalten. 

** Hegel 9. S. 772. Ueber Gutlebens Schicksale: Baas, Aleman- 
nia 33. S. 48. Fechter, Topographie Basels 1856 S. 79. 

3« Kriegk I, & Äff. 

9 * Baas, Alemannia 33, S. 125. Aue einem im Freibarger 8t-A. 
Hegend on Bri&f. 

38 Mone, 2G0E 12, S. 20. Anfceichanng 1301: Cop. B. des 
Münsters, S. 50. ÜB VIT, S. 146 nnd 290,6; von diesam maxister 
Nicolaus oirurgicus Argcntinensis hören wir nur, daß er ein ver- 
mögender Mann war und von seiner Tochter beerbt wurde. 

» Kriegk, 3. 12. 

40 Wieger, Geschichte der Medizin aud ihrer Iiehr&usUlten in 
Straßbarg (1885), S. 4. Gorsdorff nahm an don Burgandorkriogon 
teil und kam später als Wandarzt nach Straßburg; ob er ange- 
stellter Stadtartt war. ist nicht sicher. Bruaschwigk nennt sich 
«Wundarzt der kaiserlich freien Reichsstadt Straßburg». 

« Brueker, S. 28(1 ff : Anstellung des Spitalarztes (1500) siehe 
oben. 

M Hegel, 9. 3 1026, Exzerpt ans den 1870 leider verbrannten 

Katsprotokollcn v. J. 141W. 

« Baas, ZGOR NF 22. 1907. 3. 233. 

«* Krieger, S. 158. 

«* Mummenhoff, S. 40. Die Straßbarger Ordnungen hat Baas 
Alemannia 83 z. T. abgedruckt, z. T. nur inhaltlieh wiedergegeben, 
Freiburger 8t-A. XL, Kr. 2-10. 

*• Ähnliche Taxen in Frelbur^: Alemannia 53, S. 115. In 
Frankfurt kostet 1424 Urinbosehn 12 Heller, Kriegk I, S. 10. 

47 Mummenhoff, S. IG. Die Wirkung solcher Taxen mag nie 
groß gewesen sein ; der Straßburgör Hat schreibt kurz nach Erlaß 
seiner neuen Ordnung schon den Freiburgern: «man habe es, das 
Honorar betreffend, ungleich gehalten, weil die Krankheiten sowie 
die Vermögenslage Jer Patienten zu ungleich tseion, es mit den Be- 
suchen bei Tag uad Nacht zu ungleich gehe». Freiburgex St-A. XI.- 
2—10. 

48 Kriegk, Deutsches Bürgertum. 1, S. Gü. 

« Seyboth, Die älteste Straßburger Apotheke 1897, bezieht 
sich (vom kunstfcistor. Standpunkt auej nur auf das Gebäude. 

bO OB VII, S. 41, 20: 1336. IIB III, 3. 240, 20. 716, 5j 1390. 
841, 11: 1898 und Mone, ZGOR II. S. 22. ü B V, S. 255, 12. 

»l Mr. im Straßburger St-A. tom« 24, fnlio 38 1519. 

M Freiburger St.-A. XL, 4>|f. 1549. Diese Ordnung ist, wieder 
Straßburger Schreiber bemerkt, erst kurz zuvor reformiere worden, 
da sie sich nicht als sehr wirksam erwiesen hatte. 

5 



( v , . ,1,. üroha frern 

JlIVtföllYUtMUlKAI 



- 66 - 

»> Dies «dispensatorium» wird offenbar später noch ergänzt 
durol; uo-s yleioi; nachher genannte üucfa, Johannes Mesuae a 
Silvio reoognitae and Silvias, de medicameatorum simplicium de- 
lectn, fraep&rationibufl et mixtiomg modo, «*amrot andern, so 
jederzeit von den Gelehrten dienlich erkannt werden>. (§ 24 1er 

Ordnung.) Ueber Silviua liabc ioh niohts ermitteln können j Mcsuö 
der Jüngere ist wahrscheinlich das Pseudonym eines Arztes, der 
im 12. Jinit. «de bimplicibus» schrieb. Häser 8 i, 3. 577. in Frank- 
furt werden auch 1461 dia Apotheker verpflichtet die «Authoditom» 
(?) Me&ue zu benutzen, (finegk I. S. 17). . 

M Öle Ordnung Bprleht § 20 von 4 «Verordneten Über die 
Apotheken*» § 20 von 5j die ursprüngliche Ordnung reichte wohl 
bis § 2f) nnd sie wurde dann mit reichlichen Znsätzen and Ver- 
besserungen versehen; daher die verschiedenen kleinen Widersprüche 
und der Mangel an Disposition. 

65 Ueber Thomaszucker kennte ich sogar bei B. v. Lippmann, 
Ocsch. des Zuckers (J690) lichte Näheres 6nden. Auf Madeira und den 
Kanarischen Inseln wird noch heute Zucker -plan!. 

ifl Theriak = &rjpta*öv aväcoTOv, ein aas Schlangen fleisch be- 
reitetes Gegengift, später ein aus gepulverten VÜanzenteilen mit 
Honig angemachtes Latwerg als Arznei. Driakel bekommt dann 
schlechthin den Nebensinn: Betrügerei. Grimn, D. Wb. 2, S. 1373. 
«Er hat ein gesohrey wie ein Zaanbrecher oder Triackers Knc- 
mer», sagt ein Sprüchwort des 15. Jhdts. Machraer, KrankenwcEen 
von Hildesheim. 

a^üß VII, S. 239. 

äs Brucker, S. 81. Kriegk I, S. 38, 42, 43 and S. 7. 

ra SCuiiirnenhoff, S. 20. Kriegk I, S. IS: in Frankfurt sind seit 
1479 vis* tStadtammen», 1456 wird ein Legat gemacht, das be- 
sonders armen Frauen unentgeltlich Geburtshilfe sichert. Die erste 
Frcifcurjcr Hebammenordnuii£ stammt von 1510) sie weist große 
Aehnlichkeit mit der im HVeiriurgp.r Archiv befindlichen, erst 1HSR 

geschriebenen, aber inhaltlich alteren Strafibarger Ordnung au!. 

Baas, Alemannia 33, S. 133. Für Kulmar ; ZOOR NF. 22. 190". 
Für norddeutsche Verhältnisse: Machraer, Das Krankenwesen voa 
Hildesheim, wo ebenfalls erst spät eine Ilebamraenkontrolle ein- 
setzte. 

60 Die Straßburger Heb&mmenordriüng 1556 ; Freiburger St.-A. 
XXXV. Polizoivörordnungeti Nr. 128 (ungedruckt). 

öl Eriegk, 8. 33. 

« 2GÜK 1907, S. 234 ff. In Ulm heißen die Scherer im Gegen- 
satz zu den Badern, die nach dem Bade, wenn die Haare ual> 
waren, scheren durften, «Tiockenscherer». (Martin, deutsches Bade- 
wesen, ö. 70). 

es i3$8-97. 8 ÜB VI, ß. 2fi4, 2GC, 2G9, 072, 087, G86. 

« S«. St.-A. 1400. 20, 34. Ms. ÜB VII, 1391, S. 742,4 wird 
«der bader stube» genannt 

es Bracker, S. 81. ÜB IV 2, S. 132. 



( v , . ,1,. urqjia frern 

.OOglt JMVlßllfWMLHIWI 



— 87 — 

** z. B. im Leirosenhaue: Brucker, S. 4ö— 46 ' «. . . do die 
pflagere und ein scherer erkeanent, das es ein blutrunz ist». 

• T Heit«, StraÖkurger ZanfUvcKtu (für 19. u. 17. Jhdt.), 3. 172. 
Borselbo S. 48 a. 6« beriohtet, daß in. 17. Jhdt. dia Chirtrgren auf 

der vornehmen Zunft czur Luzern* dienten, die Bader dagegen bei 
der Schmiedezunft. Betreff der Bezeichnungen ist za bemerken, daß 
Bader (balneatores) den Barbieren = Scherern = tonnore« gegen- 
überstehen. Maurer, Städtegesch. II, 474, irrt wohl. 

•* Stadtarchiv 24, 7S uudaüerL, wohl Anfang des 16. Jhdte. 
Fechter: Topographie von Basel und Martin: Dentechea Rade- 
wesen. S. 86. Bezeichnend Tur die Anschauung, daß Baden ein 

Vergnügen sei, ist der Ausdruck Bodogold im Sinne uuserta heutigen 
«Trinkgeldes». 

«• Brucker, S. 60. Kriegk, S. 30 ff. Martin. S. 176. 

'• StraÖburg-ftr Stadt-Archiv 24, fol. 78, undatiert, vielleicht 
Anfang 16. Jhdt. 

Tl Die Manne rbider heißen: Zum Kerff, Naßbanm, zum nuoß- 
linbad, Pfauenhof und Sankt Barbellen. Die Frauenbäder: Znro 
Koch am Weinmarkt, zum Merlin und sura Hörnlein. Mit den im 
11 Jhdt. genannten Bädern lassen dieEe eich nicht identifizieren, da 
jene immer nach ihrer Lage in dermale anderer Häuer bezeichnet 
aind, nicht mit Eigennamen. 

72 Kriegk II, S. 85 and Zappcrt im Archiv für Kuado öster- 
rftiehischer ftaRehiftlturuellen. Bd. 21. 

™ Ms. im Str. St-A. 20, 34. 

w Daß es sich hier -wirklich nm eine Zunft, nicht bloß eine 
Bruderschaft handelt, geht schon aus der direkten Bezeichnung als 
Zunft, wie auch aus dem Erscheinen des Gewerbegeiicbu hervor 
and aus der Erwähnung der Militärpflicht, wenn auch vom Zunft - 
swang z. B. nicht die Rede ist. 

7a 13ie daraaf beziigl. Verordnung des Rates im Str. St.-A. 
tjme 28, fol. 237, ist undatiert, aber jedenfalls vom Ende des 
15. Jhdt. 

*« Brucker, S. 80ff 1477. Es schämt fast, als ob diese Bruder- 
schaft ein Gresellenvarband gewesen Eei; denn es ist davon die 
Rede, daß «Die knechte, die in der brodersehaft» sind, diese auf- 
lösen vollen and wo von der Krankenversicherung die Hede ist. 
vrerden nur «reybeiinnen» und Knechte erwähnt. Andrerseits aber 
ut von dem Dingen von Mägden die Rede, waa doch nur Meister 
aogeht; daß einer dar vier Geschworenen de3 Genossensctuftsgerichts 
ein Handwerksmeister sein soll, ist kei% Kriterium; es ist sowohl 
möglich, daß die Heister eich dies Recht in feindlicher Absicht 
gegen dun Gesollenvoibaiid uubbedaugon, aU daß diu iu der Genossen- 
schaft befindlichen Heister sieh diesen Einfloß sicherten In jedem 

Fall ist die Bruderschaft religiösen Ursprungs. Es ist zu bemerken, 
daß die Qenehmigurig des Rates nur auf Widerruf erteilt ist. Schanz 
nni Schönlank sehen darin ein besonderes Mißtrauensvotum der 
Stadträte gegen die Gesellen. 



üigilizcc . ^ -o. i JMIVLHbJnOI-MC.HK.AH 



— fiH — 

■w L'cber solche Abmachungen mit dem seädt. Öpital in So. 
Schau?, Geschichte der Geeellenverbände u. oben. 

M Straßborger St.-A. 24. 73. «es soll ein bader keine frowo 
zn einigem mann nirgftn gastMIftn, wodurch etwas argweniges ent- 
stünde» und sie «sollen mit leinen undercleider(aj bedecke sin binden 

ufld formen*. 



( ",-, «i iL- ürclia freni 

JMVtHSIIYÜI-MtHIWN 



111. 



Ein altes Anniversarienbuch 

des Klosters St. Morand 

bei Altkirch. * 



Von 
Theobald Walter' 



«Ein Fuhrt wont wir verbringen 

Zue # einem Gotteslians schon. 

Darin vor allen Dingen 
S&nt Biorand ißt P&tron ...» 

Altes Wallfaortslicd'. 



I 



nmitten der frucht- und waldreichen Hügelreihen des 
Stndgaues erhebt sich auf slotaer Höhe das Slädtchen Allkirch 
and zu seinen Füßen an der erlenurnsäumlen, brausenden III 
das ehemalige Prion»! zu St. Monnd, heule ein städtisches 
Hospital und Waisenhaus mit vielbesuchter Wallfahrtskirche. 
St. Morand, Fddbach und St. Ulrich im Largtale waren 
drei uralte Sundgauer Benediktiner- bezw. Gluniazenserstifte, 
die ihre Entstehung und ihren Ausbau zu blühenden Kultur- 
stätten des ausgehenden Mittelalters größtenteils dem Wulil- 
tätigkeilssinne der mächtigen Grafen von Pfirt verdankten. Was 
das Kloster St. Morand selbst anbelan^l, so föllt seine Grün- 
dung in das Jahr 1105 ; damals übergab Graf Friedrich von 



1 Die Siegel sind nach (jipsabjriissen der Archive in Oolmar 

und Basel gezeichnet, die sie in dankenswertester Woiso zur Vor 
ftlijung stellten. 

; ; R i n schon gei e tl i c h Lied von «Um hl. W orand, 
Probst des löblichen und uralt;« Stiffts S. Christoffel 
n Altkirch. - Alsatia 1856, S. 34ff. 



( \n -* iL- urqha frarn 

üigilücc ■-, >. -o. JMVlKsllYlfrMUHWI 



J- 70 — 

Mümpelgard, der erste Pfirler, ein schon vorhandenes, aber 
arg heruntergekommenes (ihorherrenstifl mit aller Christoforus- 
kirche den Cluniazenserrj, die es sofort bezogen. Wenige Jahre 
später erschien il.nu. dei Mönch Morandus, der der Umgegend 



TT, 

r* 



M O 




von Worms entstammte, bis dahin indes in der französischen 
Auvergne mit besonderm Eifer gewirkt halte, im neuerworberien 
Slifle und eroberte durch seines Herzens Bescheidenheit, seiner 
heilij;rriäßigen Wandel und seine treue Hingabe an das Land- 
volk in kurzer Zeit die Liebe und Zuneigung der gesamten 
Anwohner. Er starb tief betrauert im Jahre 1115, wurde 



V r< ■ 



Orolia front 
JMVfcföl I Y C* MLHKAI 



— 71 — 

Ende desselben Jahrhunderts kanonisiert und hinterließ dem 
Kloster Name und Ruf. Sein Grab ist bis auf den heutigen Tag 
die heißersehnte Pil^erstätte jedes biedern Sundgauers geblieben 1. 
Uie weitem Wechsel vollen Schicksale dp« Klosters 711 schil- 
dern, ist hier nicht der Ort ; der am '28. April 1878 in Hir- 
singen verstorbene Pfarrer Fues hat es übrigens bereits 18ö0 
in einem später vielfach aufgelegten Schrifteben g;ctan «, des- 
gleichen A. Deny 1901 abermals in zuverlässiger, eingehender 
Weise*. Der Zweck dieser Zeilen besteht vielmehr darin, 




Siege; des Klosters St. Morand hei Allkirch. 

unter Benutzung eines alten, bis jetzt kaum beachtelen Schrift- 
stückes, das Kloster St. Morand in seinem Verhältnis zum 



1 Das Siege) des jeweiligen Priors neigte den uralten patronum 

loci. St. Christof, wie er. auf seinen Stab jrestützt, das Christuskind 

donjh die Wellen trägt; vielfach ist das jiersönliche Wappen unten 
angefügt, Des obigen Siegels bedienten .-ich die Drüder und Kon- 
vrntsgönoseen durch Jahrhunderte: es trögt St, Morand mit ge- 
falteten Händen im Pilgertrewande, vohl in Anlehnung an den 
Bericht von seiner Wallfahrt nach Santiago de ComposlcLla, die ihn 
äeni Clnniazensernnien zuführte. Die von Ingold in Miscellanea 
Aleatica, 1804, S. 'Off., veröffentlichte Note sur l'ieono^-raphic 
i ■■ salnt Morand kennt diese Danullunirsweise nicht. 

2 Der Heilige Siorand, Apostel und Patron des Sundgaues und 
der Stadt Altkirch von F. J. Fues. — Straßbarg 1850. 

3 Sankt-Morand bei Altkirch Dem Sundg*anc gewidmet von 
A. D. — Rixheim 1901. Auch in französischer Uebersetzuiiß. 



( ' iia frorn 

8 K JMIVtfömUKWC.HK.AH 



— 72 — 

alten Sund gauer Landadel zu zeigen, und swar in einer Zeit, 
die uns sehr wenig Urkundenmaterial geliefert hat. Die bösen 
Kriegsfahrten vom 14. zum 16. Jahrhundert haben leider die 
Arcbivbestände unserer Landklösler allzuarg gelichtet, [st 
doch von St. Morand, da» besonders im Dau&rnkriege schwer 
geschädigt wurde, w:hr wenig, von St. Ulrich und Feldbach 
nichts mehr aus alleren Tagen übrig geblieben*. Doch ?ur 
Sache. — 

Im oberelsässischen ßezirksarekiv zu Colmar* wird eia 
schlichtes Popicrbändchcn, dem ein älteres Pergarncntblutt als 
Hülle diant, aufbewahrt. Die späteren KlosUrschriflen gelten 
ihm gewöhnlich die Bezeichnung das t\ 1 1 cuaterey vndt 
conuent buch S. Josephus; und in der Tat trägt die 
vordere Außenseite unserer Handschrift in stark abgebleichfen 
SchriftJÜgen den alten Namen S. Josephus. Das Titelblatt 
im Innern berichtet dafür um so ausführlicher : 

Sequuntur anniveraarU, que debent 
celebrari per convenlum eaneti Morandi 
prope Ältkilch, prout sequi lur scriptum 
et coneeptum anno Domini M'CCCC'XXX^IllI 

i:i claro. 

Das Büchlein selbst enthalt, nach der Folge des Kalendariums 
geordnet, durchweg sog. Seelengedächtnisse für Wohltäter des 
Klosters. Wie schon dei Titel merkeu IS£t, ist die Zusammen- 
stellung aber keine ursprüngliche, keine authentische, sie i=t 
vielmehr das Ergebnis sorgfältiger Auszöge aas älteren Vor- 
lagen und enthält nur Anniversarien, von denen die Sliftungs- 
güter noch nachweisbar waren, SeelengedSchtnisse also, die 
damals in Wirklichkeit noch gefeiert wurden. Auf S. 24 
werden im seltsamen Mönchtdatein jener Zeit ale Quellen der 
Abschritt zwei ältere Pergament bände angegeben : 

Item in primo libro a n n i v e r sa riorum 
sunt XXIIII ftlia in pergameno, inleger et 
nu Ho defec t us. 

Unm in vero o ri jr i naü libro a.nni versario- 
rum, que coperitur eiquoudam copertorio 
nigro et in dorso destruituV ad longum, 
sunt XII folia in pe rjr'a.merio . . . 

Diese Originale, die Ende des- i&. Jahrhunderts nicht mehr 
aufzufinden waren, gingen wahrscheinlich im Bauernrummel 
von 1525 vollends zu gninde. 



1 Vgl. Dor Wanderer im Elsaß, 1894, S. 269. 
J Sc Morand, I, 11. 



( \n -, iL- Grqha frarn 

c '^" JlIVtföllYOtMUlKAI 



- 78 - 

Bei der Transskription wurden leider, wie das fast allge- 
mein üblich war. die Sterbedaten unterdrückt und nur der 
Gedä»;htnistag und da» geschenkte (int übernommen, so daß 
das Ganze, abgesehen von der Form, eher einem Zinsurbar als 
einem Totenbuch gleich sali. Im allgemeinen bauen folgende 
drei Schemen in buntem Wechsel Anwendnng gefunden: 

Item XIII Kai. Martii cetebraturaoniver- 
sarium Agnese, filie Vlrici R a s o r i s , que 
c o n t u 1 i t XVIII 4 super a g r u m an dem 
Rockgen ptope vineas (b) urtum c I pomnic- 
rium ad lumem ecclesie scu capcllc in jV 1 1 - 
kilch et VI -j super ortum . . .es oposito 
castri prope tiliam. 

Item omni feria II* per totum annum 
memoria fiat generaliter omni u im defuoc- 
torum et specinlitcr Domini Hcinrici 
Motzet . qui contulit III ff super bona sua 
in villa et banno in Walhen . . 

Item in die Philippi et Jacobi obiit Bur- 
kar d u s Knapp, qui contulit ortum suum 
iuxta fontem Lochspu rnen, situm penee 
ortum Johannis dieli Stürtzel, cuilibel 
sacerdoti in oppirto ce lebranti, u t agatur 
ann iversa rium suum et Mechtildis uxoris 
sue, Elizabeth etJohannis filiisui et He- 
dine, tilie predicte Mechtildis, et ipse 
sacerdos de hei d a re sinyulis annis reli- 
gio s i s i n s a n c l o Morando III ß et capelle in 
Altkilcb II ß ad iuinen. 
Nichtsdestoweniger soll im folgenden versucht werden, 
aus anderem verfügbarem Urkundenmaterial einschlägige Daten 
zu bestimmen und etliche der alten Ritler und Herren in ihrem 
Eigen wieder aufleben, etliche längst dahin gesunkene Weiler 
und Dörfchen wenigstens dem Namen nach wieder erstehen zu 
lassen. Kloster-, Ade la- Und Dorfgeschichte werden gewißlich 
einigen Nutaen davon haben. 

Das Verzeichnis wurde schon "1451 durch Michael 
Bartenstein de Columbaria, procurator tunc 
temporis huius cpnventus, abermals erneuert, doch 
ohne nennenswerte Abänderungen Wahrscheinlich hatten die 
Armagnakeneinftlle, die ja 1444 St Morand in großen Schaden 
brachten, eine genauere Sichtung notwendig gemacht. Der 
Gesamtertrag fiel ziemlich spärlich aus; betrug er doch nur 
noch 15* V ß in Geld, 2 Hühner, 2 Viertel Roggen, 5 Viertel 
3 Sesier Dinkel und 4 Vierte) Hafer. 



( *. >. * iL- ürqha frern 

c '^" JlIVtfömUtMUlKAI 



- 74 — 

Mark würdiger weise ist kein Name der älteren Priore in 
den Aufzeichnungen erwähnt geblieben; nur Johann von Alt- 
dorf (1421—1450) und seine Eltern Hugo von Altdorf und 
Ehüue von Hageubach sind 1451 nachgetragen worden; auch 
Heinrich von Harnstein, der Vogt zu Altkirch, und seine Haus- 
frau erlangten 1452 für LXX ff stur an den Iura 1 , daß 
man ihr Jahr^ezeit am dritten 'Jag nach Ncrandi feierte. Von 
den 8lien Stiftern, den Grälen von Pfirt, dagegen ist jegliche 
Spur yerschwunden ; die urallen, reichen Uingbofgefälle in 
Carepach, Spechbach, Obcranepach, Bcremweilcr, Ettlingen, 
WerenEhau^on, Henningen, Aspach, Ensehingen, Buetweiler 
und Bammersmatl, die noch 1421 einen stattlichen ftand 
t'tfllten «, wurden von der Klostergenossenschaft wohl längst als 
patrimonial empfunden, die pro f u nda to r ib us zu nichts 
mehr verpflichteten. Dagegen eröffnet das jährlich am Dienstag 
nach St. Nikiaus wiederkehrende Seelengedächtnis des Herzogs 
Friedrichs von Oeslerreich und seiner Gemahlin Anna die 
Reihe. Princeps illustris Dominus Fredericus, 
dux Austritt, transmisit imaginem argeuteum 
saneti Morand i, ut memoria sui et conjagis 
sue . . celebrare debet, sagt der Bericht; und zu dem 
Silberbilde 8 füifte Johannes Volkart. der advocatus ia 
Beffurt jährlich im Nanieu der Herrschaft 1 Viertel 
Roggen hinzu. 

Herzog Friedrich IL, der Sohn des 1386* bei Sempach ge- 
fallenen Leopold, wurde 1 410 Landgraf im Oberelsaß, und war 
zweimal verheiratet, in erster Ehe mit der Pfolzgräfin Elisabeth, 
der Tochter des Königs Ruprecht, und in zweiter erst mit Anna, 
der Tuchter Friedrichs von ßraunschweig. Die obige Stiftung 
erfolgle im Laufe des Jahres 142$, er selbst starb 143&. 

Die bedeutendste Begräbnisstätte des alten Kirchleins be- 
saßen unstreitig die Edlen von Zäsingen. Heute ein unan- 
sehnliches, weltverlorenes Dauerndörfchen im hintersten Wal- 
hachtsle, einer Verzweigung des Hundsbnchertalee, gab es schon 
im 13. Jahrhundert einer vielgenannten Adelssippe Ursprung 
und Name. 

Nacfi Trouillat* saß schon 1277 Heinricus de Ze- 
singer als Lehensmann der Pfirter Grafen in Altkirch. Unser 



1 Der Kirchturm dor alten Klosterkirche 

* BA. Colroar. St Morand 4. - Die alten Hofrodelu sind von 
Stoffel in Grimms Wcistämcrn IV, 3lff., veröffentlicht worden und 
»ach in der els&asißcheu Soaderausgabe von Steffel. — Vgl. auch 
Gasser, Btata des fonds et revonna du prieure de St. Mo- 
rand en 1772. Revue d'Alsace 1682. 386 Ä 

a Vgl. Ä. D, St. Morand fcei Altkirch, S. 39. 

* Trouillat, II 281. 



( "*vk iL- Crqha frarn 

JUVlföllYOtMUlKAI 



— 75 — 

Totenbuch kennt indes einen alleren Verlreter des Geschlechtes, 
dem es den Namen Antonius v. Z. gibt, und der für sein 
crastino Agathe virginis gefeiertes Seolenorat Hafer- 
zinsen in Mnrschweier (ObermorMhweier) an das Kloster 
vergabt e. 

Die 5. Kaienden des Monats Mfirz geben uns dann ziem- 
lich zuverlässig tlea Stammbaum der Altkircher Linie der 
Zäsinger, der sich den Hauptpersonen nach folgendermaßen 
gestaltet : 

Heinricus de Z. miles 
Margreie de Neuenburg, ux. 

I 
Hetzel de 2 M miles 

dementia de Steinbrunn, m. 

I 
Rudol fus de Z. 

Herzlauda de Uffbeim, ux. 

Richard de 2, 

.\ n n a de Brunnendrut, ux. 

Wie nun stellen sich die ans den Urkunden gezogenen 
Belege zu dieser Genealogie ? — 

Heinrich ist iQ7i und wie schon gesagt 4277 bezeugt 1 ; 
i^y-2 tausebte er Güler in Kösllach mit Lfitzel* und lebte noch 
im folgenden Jahre 5 ; seine Witwe Margret erwarb l v 206Wein7.inaen 
in Steinbach 4 . Er hinterließ als Kinder; Hezel, Henainus, 
Anna und Katharina *, 

Heinrichs Sehn Hetze] ist urkundlich nur einmal nachge- 
wiesen, wie er nämlich 1313 Güter in der Nähe von Altkirch 
an einen gewissen Heinrich, den Schmied, veräußerte, die er 
in Gemeinschaft mit seinen Veitern Hezzel 8 , Heinrich, Richard 



1 Trouillat, II 266 und 281. 

* Trouillat. III €74. 

8 Urk. v. Basel, HI 71. 

* BA. Colraar. Lützel 135. 

6 Nebeu deiu in Attkirch ansässigen Beiiricus kennen die Lützler 
Urkunden noch einen üeinricus dictus deZeesingen resident! 
in üfholtz, 1287 (BA. Colraar, Linzcl 159, 8), einen Neffen des 
obigen [Lutzel 13S). Auf ihn bezieht eich wohl auch die im Basler 
rrkandenbnch, HI 24» abgedruckte Crkmnde. Er und fiuritr.mann 
v. Z. gehen 1319 Güter in Üffholz an Joh&nncs ron Altdorf ob (BA. 
I olmar C. 25 ) 

6 Dieser Vetter Hasse] ist es wohl, der 1318 für sich and Beine 
Frau ein Seelenge Jachtnis bei den Predigern zu Basel stiftete. StA. 
Basel, Prediger urk. Kr. 196. 



( \-, -* iL- üroha frern 

JMIVtHyn-UhMC.HKAH 



- 76 — 



und Kudin besali '. Nach unserer Vorlage aus St. Morand 
könnte Hetzel jwei Töchter geistlichen Standes schabt haben . 
S y rao d i a t, mo n i al is de Ve 1 1 pa c h uti<J Margret, Kloster- 
frau iu valle Ma s u u is (Masiuünsler). 

Rudolf v. Z. saß 1349 ia Altkircli * ; er war ein Schwager 
des später zu erwähnenden Slocker von Pruntrut und hinter- 
ließ zwei Söhne, Richard unil Heinrich, die 1360 hezeugt sind. 

Im Jahre 1361 erhielten die beiden Brüder vom Horzo^ 
von Oesierreich gemeinschaftlich ihre österreichischen, d. li. 
die alten Pfirtor Lehen übertrugen, nämlich: /ohntgorechtig- 
keiten in Pruutrul, den Bannweiu iu Allkirch, den Graben 
hinter ihrt»m Hause daselbst nebst Ackerfeld, Renten von der 




äiC|>Cl IU; '•.■] i'Oll /-; i: ;;i. :i 13H. 

uiedern Mühle und Rebaiusen, alles in Allkirub. Ferner er- 
hielt Richard für sieh allein die österreichischen L«hen, die 
durcii den Tod seires Anverwandten Walther von Steiiibrunn, 
ledig geworden waren s. Im Jahre 13X2 war Richard tot*; 
eine sonst unbekannte Janeta, filia i p * i u s Richardi 
wird in St. Morand dem Gebete der Gläubigen empfohlen, 
desgleichen Katharina und Elisabeth, zwei Töchter Heinrichs. 
Diese ganze tfenealojrische Zusammengehörigkeit kann nicht 
in Zweifel gezogen werden ; ist sie uns doch nicht nav durch 
die übersichtliche Abfassung des vorliegenden Textes verbürgt, 



i RA. Colmtr T.iitzel 159. *- 

* Kindlcr v. Knobl., Der alte Adel. IIS. 
s HA. Oulmar, 35. 

* Trouillat, IV 415. 



gk 



r>iciral fronn 

UNIVERSIIYO" MICHIGAN 



- 77 — 

sondern auch durch die gemeinschaftliche Finanzierung durch 
Zinsen super dorn um et ort um dicti La n gor in 
Crispingen iuxta ecclesiam und durch Y ß, die der 
Rektor in Cn«pinoen von seinem eigenen Hauec Abzufragen 
hatte. C rispin gen war der Name einer alten Dorfschalt, die 
sich im Wiesengrunde zwischen Walheim und Tagoleheim aus- 
breitete. Item in dem gründe ze Krispingen ein 
Jnch neh^ntH^rThninan rnnTagctlaheim, 1&21 ; 
zur selben Zeit war auch Herr Heinrich von Crispingen, nach 
St. Morand 7inspfH>htig i . 

Das vorliegende Seelbuch kennt indes noch zwei weitere 
Richard von Zäsiwjen. Das Seelengedächnis des einen, der 
mit Greda von Koppach vermählt war, wurde an den 1b. Ra- 
tenden des Mcnats November gefeiert und wurde damals (1434) 
von dem Jettinger Villicus Hudinus durch Gefalle von Hof und Gut 
daselbst bezahlt ; das des andern, dessen Eheweib sich Elsine 
von Mörsperg nannte, fand regelmäßig am Dienstag vor Maria 
Himmelfahrt slalt. Letztere verkauften nachweislich 1409 Güler 
in Hundsbach an Hans Gehharri von Basel und hinterließen 
zwei Töchter, Cäcilia und Elisabeth, die 1423 im Steinenkloster 
zu Basel den Schleier trugen*. 

Schließlich finden noch am Dienstag um Michaelis Hetzel 
v. Z. und seine Frau Siguna von Eptingen Erwähnung ; für 
sie wurden u , a. bezahlt 1 j$ adponendum e e r $r i u ro 
etil ca ndelas super sepulcrum. Hetzel wird 4382 
und 13Ö0 als f i 1 i us Ri c h a rd i erwähnt » und schließt sich 
somit als Sohn des obengenannten Mitgliedes der Altkircher 
Linie an. Seine Frau Siguna war die Toehler Günthers von 
Eplingen und der Greda von Ph*rl. Als ihre Nachkommen sind 
uns Hans Erhard und Katharina bekannt 4 . Hans Erhard wurde 
1443 vom Kaiser seines Adels entsetzt, und dessen Sohn 
Richard, der mit seiner Frau Agnes von Espach 1468 nochmals 
an der alten Grutt seiner Vorfahren in St. Morand ein Seelen- 
gedaxhni* stiftete, blieb der allerletzte mannliche Nachkomme 
des wackern Geschlechts*. 

Vereinzelt gedachte man am Dienstag nach Fronfasten Luziä 
einer Dum ine Brand ine de Zessinxeu, der man 
sprächet die von Rotsch, vnd irs mannes Herre 
1 1 e n v o n R o l s c h, eins f r y eil s e 1 i g e n , die regel- 



' BA. Colni&T. 8t. Morand 4. 

2 StA. Baeel, Mar. Warf. Urk. Kr. 28£, 320 und 863. 

s Trouiilat, IV 415. Basier Urkundcnh. V, 152. 

' StA. Basel, Ma-r. Magd. Urk. Nr 471 and Prediger Urk. Kr. 191. 

ö Kindlor t. KnobL. Der alte Adel, 118. 



,l r r>iciralf(OTi 

*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



— 78 — 

mäßig Kerzen über ihr Grab bekamen, urkundlich aber nicht 
nachzuweisen sind. 

Eng versippt mit der Familie von Zäsingen war das Pruu- 
fruter Geschlecht der Stocker. Es hatte seinen gesonderten 
Gedächtnistag am Freitag \or St. Gallus und besaß im alten 
St. Moranderkirehlein seine Gruft vor dem Altar zu St. Jo- 
hann Baptisten>. Dort hatte der Edelknecht Hans Richard 
Stricker mit seinen beiden Frauen Agnes Zurhein und Ka- 
tharina von Beuani (?) seine letzte huhe gefunden ; desgleichen 
sein Vater Heinrich Stucker und dessen Eheweib Grede von 
Zäsingen. Kudolf von Zäsingen und dementia von Uirheim, die 
Schwiegereltern Heinrichs, ruhten wohl in der altern Zäsiuger 
Gruft. 

Hans Richard Stocker, Heinrichs Sohn, ist uns 1387 be- 
zeugt *, 1394 war er abermals Zeuge, als Elsio von Gewilre, 
die Amennin, Güter an Johannes von Dameret, Propst in 
St. Morand verkaufte*. Heinrich Stocker, Johanns Sohn, er- 
hielt 1J60 mit Zustimmung Rudolfs von Zäsingen von .seinem 
Großvater Richard Zehnten zu Pruiitrut in Leheu. Er fiel in 
der für Oesterreich so unglücklichen Schlacht bei Sempach 
1386, und sein Leichnam mag wohl nach St. Morand über- 
geführt worden sein*. Nach Trouillat, [V 240, muß der hier 
erwähnle Kudolf v, Z. mit dem früher genannten nicht identisch 
gewesen sein und drei Kinder hinterlassen haben : Henmann 
(■J- 138^), eine an Efcerlin von Möraherg vermählte Tochter und 
Greda, die Gemahlin Heinrich Stockers. Das Unterpfand für 
das St. Morander Seelengedacht nis bildeten Garten- und Acker- 
zinsen in Emiingen. 

Ebenfalls alt war die Stiftung der Edlen von Knöringen, 
eines am Oberrhein weitverbreiteten Geschlechtes, das seine 
Heimat im einsamen Knöringen im obersten Hundsbachertale 
besaß. Die letzten Reste des alten Schlosses verschwanden 
erst vor wenigen Jahrzehnten. Die Eintragungen unter den 
dritten Nonen des Mirz nennen uns : 

Otto miles de Knöringen et Benedicta 
uxor ei us, Uns, Hurnbertus, pater, et Rela, 
mater die 1 1 Domini Ottonis, 



1 . . . ente *lt*re soi. Job. Bap t . . . , sunt sepulti »i. b 
filtare . . - 

3 Trouillat, IV 587. 

3 BA ColmiT, St. Morand 12. 

* — Aliuraiu deniqie Nobiliuui BOiftgint» vel quasi 
&d pioprias »norum Majorvm sepultnr&s sunt deveeta 
corpora. — Tb. v. Liebeaau, Dio Schlacht bei Somp&ch, 103. 



,| fViciralftOTi 

*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



— 79 — 

Dns. Friedericas rniles. A^nesa, liberi 

predicli Ot tonis, ei Ita predicti Frederici 

uior, 

ferner außer der Reihe Dna. Johannes de Knöringen 

et Klisabeth de G randewilr uxor eius. 

Otto Ton Knöringen erscheint 1270 und 1*271 als Zeuget; 
1275 besiedelte er eine Schenkung Johanns von Walheim an 
las Kloster Wachstalt in Bunruinl * und wird 1297 ein letztes 
Mal erwähnt*. Um dieselbe Zeit lebte 1-84 Johannes von 
KnÖrJnyeu ; ein Johannes von Knftrjugen eiiiielt 1335 zu Pllrt 
die Vogtei Traubach und das Gericht in Damraerkircb in Lehen*. 
Ob es wohl noch derselbe war? 

Ein Humbertus de Knöringen verkaufte 1297 
Güter in Fialis an Et. Leonhard in Basel ; doch nennt sitii seine 
Gemahlin Gfila «. Friedrich von Knoringen stand 134^5 Zeuge; 
sein dreieckiges Sichel hangt noch an einer Urkunde von 1376 
im Feichsarchiv München. Die VIII ß Zinsen zur Stiftung 
flössen von einem Hause vff dem burggraben und von 
dem Hause eines Wetzel von Largitzan in suburhio zu 
Artkirch. 

I t em 111 mi. marin, lesen wir in unserer Quelle weiler, 
obiit Petrus rtictnsSchörin, quonriam procu- 
ra tor in AI t ki leb, et H eil w ig i s uxor eius. Leider 
war es nicht möglich, bestimmte Angaben über den Schaflner 
Petrus Schön n aufzufinden. Ein Schaffner aur Entgegennahme 
und Verrechnung der herrschaftlichen Gefälle befand sich in 
Altkirch von altersher; so kennen wir u. a. 1349 Johannes 
Kaupart«, den Wohltäter der alten Schule, 1B99 Heinrich 
Woran! und 1438 den Edelknecht Kann Meiger von Hftningen. 
Die Familie Schörins warziemlich verzweigt; der Eintrag neunl 
außer seinen Kindern Adelheid, Katharina, Anuu, Margret, 
Gisela und Agnes, die Anverwandten : Kudolfus, decanue 
Sunilgaudie, dessen Bruder Johauues mit seiner Frau 
Katharina, ßurkhardus de Sulztnatt, sacerdos- 9 , 
Bulinus de Brunnendrui et Agnes uxor eius, 
Heinricusde EschcItawilrB, sacerdos, Methar- 



i Tronillat. It '206. 
« Trotiillat II 266. 

» Urhnndenb. v. Basel. IFi 188. 

» Kindler v. Knonl, Oberbadisches Geoohlechfccrb., II 330. 

* Tr oui Hat. II 644. 

■ Tronillat. III 61& 

7 . . . inxta domnm dicti Sulzmatt ia Ältkirea. . . St. Morand 1/11. 

8 Clewelin van E»choltzwilr von Altkilch stand 1371 
vor dam Landtag in UatUnheim. BA. Colmar, St Morand 12. 



,l r r>iciralftOTi 

*"■ UIWERJITYO'MICHKAN 



— BO- 
nns et Mechtildis de Ilfurl, liberi predicti 
R u I i n i und Reinhard ue cammeinrius Sundgau- 
i ie. 

Die Gelder zur Seebnmesse l^&teten auf einem Hause in. 
Altkirch, das als Angrenzer einen gewissen Rot und einen 
Rudinus von B a I de rs to r f hatte. 

Daß das alte Sundg&uer Geschlecht von Hagenbach, das 
seinen eigenen freien Hnf zu Altkirr.h an der Ringmauer in 
der Nähe der späteren Offizialität besaß, in unserm Kloster- 
buche auch zu t reifen ist. scheint eigentlich selbstverständlich; 
und doch ist es nur durch seine Allianzen nach St. Morand 
gekommen. Laa doch die herkömmliche Familiengruft im 
längstverschwundenen Dorffcirchlein zu Hagenbach seihst». 
3t. Morand gedachte der Dom ine AI seh de Zessingen, 
uxoris Stephan i de Hagenbach , armigeri und 
ihrer Sohne Heinricus und Anthonius. Stephan 
von Hagenbach ist 1384 erwähnt 1 . Hans Bernhard von Hasen- 
bürg erlaubte duren Urkunde v.om 5. August 1405 dem Edel- 
knecht Stephan von Hagenbacli, die alten Hasenburgei Lehen 
meiner Krau Alesch von Zäsingen als Leibgedingzu vermachen 8 . 
Heinrich von Hagenbacb war 1420 Geselle der Riliergeöellschaft 
zum Lechbart und Antonius, Thongo, 1419 Schaffner in 
Thann. Die Mühle in Walheim gab die nötigen Gelder zur 
Gedächtnisfeier. Schließlich ist das Geschlecht noch vertreten 
durch die schon genannte Elsine von Hagenbacb, die Mutter 
des Priors Johann von Altdorf 7 und durch eine. Grede Lörlerin 
von Hagenbach, uxor dicti Egon oll, die Güter und 
Zinsen in Largilzen verschenkten. Mit Lüil bezeichnete sich 
eine Seitenlinie derer von Hagenbach. Hermann von Hagenbacb, 
der Lfli I, hatte 1349 keine lebensfähigen Kinder mehr und 
verfügte deshalb, daß nach seinem Tode seine Lehen an seine 
Vettern Johann und Heintzmann von Hagenbach fallen sollten *. 
Grede mag wohl die Letzte ihres Geschlechtes gewesen sein ; 
der Name Lürl ist später nicht mehr zu treffen. — 

Schöne Ackerzelge, die in der Owe tu Hirzbach uebei: 
Junker Conrad von Schweighausen sich ausbreiteten, kamen 
durch die Freigebigkeit eine; Elsiua von Buinkircti. der Witwe 
des Edelknechtes Thomas Röckhing von Regisheim an unser 
Kloster. Nachdem ihre Tochter Tine in Feldbach Nonne ge- 

1 Doe KiroKloin stand an der Landetraße am Südwostonde des 
Dorfes, v>) heute noch ein von Tannen umraaschtes Madonnenbild 
sich erhebt. 

a Kindler v. Knobl, Der alte Adel, & 52. 

s StA. Bafel, Hagenba«h Nr. 6. 

4 StA. Basel. Hagenb&ch Nr. 2. 



,| r>iciralftOTi 

*"■ UWEM1Y0" MICHIGAN 



— 81 — 

worden Aar, verlebte die Mutter ihre Witwentage ■ m nahen 
Altkirch, wo die Familie altes Eigengut l>esaß. Wenigstens 
kaufte 1438 der Prior \on 5t. Morand ein Haus in der nierlern 
Vorsiadt zu Altkirch von Friedrich von Rejnsheim K Thoman 
von Re jcensh eim , dein man sprichei Röching-, 
ein Edelknecht, stand 1.175 in Mulhansen Zeuye*. 

hane interessunteGruppe Sundyauer Patrizier liildcl dicSippe 
der Swigger, äcliwiyyei . M a %\ sler H erlhold us S w ig gar 
mit seinen beiden Khel'raueu El 61 na Klingelerin de 
lugeltssol' und G r e d e B i u I. u s i n d e M u I h u s e n und 
die Zdgebracble Tochter (?) Kleine EÜingeleriu, die Gemahlin 
Pelcrs von Frieden, führen uns mit ilner Stiftung in da* Ilann- 
"ebiet der längst verschwundenen Dorfschaft Tennach hei Haus- 




Siccel BerthoIJ bcnvieeers. 14CV. 

gauen. Ulin Meiner von Tennach bebaule noch sein Feld da- 
selbsi ; ei n a n e w e n d e r zog auf den lian von Tennach, 
der Rietacker auf den widmen z e T e n n a c h. Der 
fr ige garten ist jre legen ze Tennach, Aecker lasen 
2 e Tennach h y M a r t i S b 6 in , am Wunde rtzgraben» 
und :iocli rauschte der Räch au der Muli ze Tennach vor- 
bei ins Tal hinunter 4 . Mag. Berthold Swigger war 140!) wohl- 
bestallter Stad (schrei her der Siadt Allkiich 5 . und Junker Peter 



1 UA Colmar, 3t. Morand 1. 2. 

s Oait d. Mnlh., I 292. 

5 Augeot. 

■* Eid Benno v. Tennach u-ar 1347 Schaffner des riteinenkl osters 
in Basel. Das Dorf stand noch I3SJ. Vgl. StA. Basel. Gnaden- 
thal TTrfc. Nr. t66. 

£ StA. Basel. Mar. Magd. L'rk Nr. 320. — 1408 nennt er oioh 
de Sulz, diocesib Cor.stauLieiisis, couiraoraus in opido 
. . . Altkilch. Die UrkunJs trägt auch sein Handweichen. — 13A. 
Colmar. St. Morand 12. 



gk 



rviciralfroTi 
U1IVERSITY0" MICHIGAN 



— 82 — 

von Friesen und sein Weib Else Klingelerin verkauften 1403 
Aecher in Hirsingen 1 . Nach 1418 war die Familie Swigger in 
Altkirch noch ansässig; vertrug sich doch der Allkircher Yogt 
Hans von Kunigspach mit Johannes Swigger, Heinrich Swigger 
und Claus Swigger, Johanns Sohn, wegen Geldforderungen'. 

Friesen liegt heute einsam an atiller Talscnkc im mittleren 
Lar^tal. Vom alten Schiasse, das einst dein alten Rilterge- 
schlechte ^an-.c ur.d Heimat verlieh, lobt keine Kunde mehr 
im Volke. St. Morand aber gedachte stets am Donnerstag r.ach 
Judica des Edien Ditschinus von Friesen und seines Weibes 
Lauda von MÖrsberg, sowie ihrer Kinder, des Edelknechtes Ru- 
dolf, rlesSt. Morander Kustos Peter, Martins und der Feld hacher 
Nonne Bellina. und erhob gemeinsam mit St, Alban in Basel und 
riVm Kloster Felrihar.h ein gesp.hpnkt&s Quart des 'Zehnten in Hir- 
singen. Junker Berner (1) von Friesen zahlte 1421 Zinsen an St. 
Morand ven Heinlzin Harnesches Gut in Friesen. Peter von Friesen 
kautle 1428 von Ludmano von Kudiswilr den vierten Teil des 
Zehnten in Ilirsingen ; im folgenden Jahre war er tot, und seine 
Schwester Beiina, conventualis in Feldbach, trat in 
seine Rechte». Schon 1359 saß ein Herr Peter von Friesen 
mit den Rittern Rudolf von Zässingen, Hermann von Hirzbach 
und Eberhard von Mörsberg zu AJlkirch im Gericht 4 . Aber 
hier handelt es sich wahrscheinlich um Junker Peter vor Friesen, 
der 1340 mit seiner Frau Agncaa Schultheißin von Blolzheim 
Güter daseibat veräußerte^. 

Vereinzelt treffen wir das sonst in Mülbausen ansässige Ge- 
schlecht der Wunnenberg durch ein Seelen^edächluis Ber- 
tholdide Wunenberg armigeri etGrede uxoris 
eius et librorum vertreten. Es ist dies der Edelknecht 
Bart, Barthel von Wunnenherg, der 1397 mit Heinrich von 
Hegisheirn wegen Unfriede aus Mülhausen ausgewiesen wurde 
und mit seiner Familie im stets gastfreundlichen Altkirch Unter- 
schlupf und im slillen St. Morand Frieden nach sehr bewegter 
Erdenfahrt gefunden hat. Die Allkircher Urkunden kennen ihn 
noch aus dem Jahre 1408, wie er vor dem dortigen Gerichte 
Zeuge stände. 

Wenig bekannt ist auch die schon frühe erloschene Fa- 
milie von Sept (Obersept), vun der in unserm Verzeichnis ein 



i StA. Basel. Mar. Ma*d. TJrk. Nr. 291. 
2 StA. Altkiroh. Urk. Nr. 49. 
8 StA. Basel. St. Alban Urk. Nr. 308 und 814. 
4 BA Colmar. Liitzst 6*>, 6. 

* StA. Basel. Mar. Ma-gd. Urk. Nr. 96, 97 and 98. 
« Cut. <ie MnlK I pifigim. — RA. Colmar. .St Morud 12. 
Sein Siegel trägt den Löwen der Zfisinger. 



' ' "Pgk unweremw Michigan 



- 88 - 

Dietricus de Sept und seine Frau Adelheid Erwähnung 
finden, dabei ihre Kinder Dietrich, Grete, Heinrich und Wern- 
her aU Johanniter, und Johann samt seiner Frau Adelheid. Ein 
her Dietrich von Septe, ein ritter, stand am 20. 
Mai 1201 in Altkirch Zeuge*, und dort scheint die Familie 
auch begütert gewesen au sein, da sie Huhnerzinseii daselbst 
tür üir &eelengedächlni£ an St, Morand verschenkte. Diettier 
von Sept, ein Edelknecht, vertrat 1335 Vuylstelle bei den 
Kindern Hartmanns von Mörsberjr, mit Namen Guta^ Grede 
und Ebeilm, im Gerichte zu Altkirch 8 . Sein Siegel zeigt das- 
selbe Bild wie das der Adeligen von Grandvillars. 

An einem sechsten Tage des Monats Juli starb nach unserer 
Quelle zu Altkirch Dominus Thomas de E geshei m und 




Siegel Dietrichs von Sept. 1335. 

auf denselben Tag wurde sein Seelengedächtnis festgelegt. Ein 
TIji. cn an aus dem Ministerialengeschlecht der Egisheimer ist 
132b erwähnt». Unser Totenbuch gibt indes weitere Aufschlüsse 
über seine Familie. Anna nannte sich sein Eheweib, und sie 
selbst war wieder die Tochter eines Petrus procurator 
und seiner Frau Elsinc. Elsine nennt ferner als ihre eigenen 
Kinder Anna, Petrus und Katharina die Nibelingin*. Die 



i Urk. v. Basel, 111 187. 

* StA. Basel. St. Clara ürk. Nr. 332. 

3 Scherten. Die Herren von Hatistatt, öOn. 

4 Eisin Niblingin verkaufte 1417 an Burk&rd von Eurnkircu 
Güter bei St. Morand. - EA. Colraar, St. Morand 12. — Bride von 
Osthoim und ihr Sohn Berthold verkauften schon 1Ö4G Guter in 
Altkirch neben Guntz von Ostheim an St. Morand. wo damals Bor- 
tholde liober Cime Herr Herr Johannes Propst war. St. 
Morand, 12. 



ÜIIWEMnVOr MICHIGAN 



— 84 — 

Nibeling» Nibelung waren ein Zweig des allen Geschlechles von 
Osiein bei lsenhciin, dessen Wappen sie führten* Hierher ge- 
hört wohl auch die im Diarium Wmstisens 1 genannte Anna 
de Egisheim, relictn dni. Richardi de Zersingen. 
Den Tag: nach 5t. Laurenlienlag; Hoden wir durch Hca- 
mann diclus MO n cli, quou d am advocalus in Tru - 
b a ch , durch seine Gemahlin Elsine deWörmes and ihre 
Kinder Bernhard, Heinrich, Johannes und Elsine für das Ge- 
schlecht .der Manche belegt. Ein Franz Belzscheler, Edelknecht, 
und seine Frau Elsine von Grandwiler beschenkten 13*9 eiueu 
Altar in capella nouiter edificata seu construeta 
apud ecelesiam opidi Altkilch. und LuLinus M< ■ 
nachus arraiger, natu» Arnotdi Monachi mi litis 
Basiliensis, tamquam fraler et hcre-9 Franzoni 
stimmte 13.55 dieser Schenkung, die pich um (iftterzinsen des 
Edelknechtes Hcnmonn von Hirzb&ch, jionannt Sermentzer, im 
Carspacher Banne bewegte, feierlich zu*. Somit hüben wir es 
mit einem nach Allkirch abgewanderten Nebenzweige der Basier 
Münche zu tun. Hans Manch, vo?t ze Trobach, gehörte 1396 
7i i den schidlüten Sundgauer Edelinge im Streite mit der 
Stadt Mülhausen*. Jehan dit le Moinne d'Autekilch, 
wo«s de Trobes ; pachtete am 7. Februar 1402 den Zehnten 
in Scpt von Klosterfrauen in Rcmiremont *. Zu seinem Seelen- 
Gedächtnis sollten u. a. II II. ab abbate Vallis Dei vnl- 
gariter dem apt zu grün a erhoben werden. Die Vogtei 
trübes, Tiaubach, Obei iraubach, gehörte zur Herrschaft Thaim 
und bestand aus den Meiertöniern Darnmerkirch, Obertraubacb, 
Falkweiler, Breiten und I\eppe. Der Vogt bewohnte als Öster- 
reicher Lehensmann (gewöhnlich den Burgstall am Helgen- 
Kraben äu Traubach 8 , Ein Dominus Diel merus Monachus 
erscheint in der Marschall des früher genannten Thomas \on 
Egishcim. Die Bctachelcr schließlich werden 1408 ein letztes Mal 
erwähnt; Kraft von Ungersbeim erhielt mimlich Lehen in AH- 
kirch, die von Anna Belecheler an Ulrich von PGrt gekommen 
waren 7 . 



1 M>. im Basler Staatsarchiv 
» BA. Colmar. St. Morand 14/4. 
3 Cart. de Mulh., I 379. 

* ilone, Zeitschrift, XI 336 

*> GotUsthal. Valdieu, im Kantone Uamirerkirch. Von der 
ehemaligen Abtei ist keine Spur mehr übrig geblieben. Der alte 
NameGroie abfir lp.hr. he.ufp. noch im Vollffmnnrte als Ortshezeifth» 
nnng weiter. 

* BA. Colmar. C 25, 14. 

7 Benner. Invent. raU. du t*onds Scey-Ferret&e, 25. 



,1 DiÖralfroTi 

& IV - UWEM1Y0" MICHIGAN 



— 86 — 

In besonderen Ehren stand im Kloster der von Grand 
\v i I er »rid. in dem nachweislich Heinrieb von Grand wiler und 
i'row Irene Manch sin hulfrow, ihre Tochter Elsine 
und deren Gemahl burkart von burnkirch zur Erde bestalle! 
waren. Die Totenfeier der ersteren vollzog sich jährlich am 
Dienstag vor Mari» Geburt und war durch Alinendziiiseu in 
Ta^olsheiin finanziert ; über die der letzteren sagt ein späterer 
Nachtrag von Marlin GraiUtiers schwerfillligei Hund ; Item 
fro» Eisin von Grand wi Ire vnd Jungher Bern- 
hard v u u ii \j I I rt i 1 I e i ■ ', i i u i l h gern abl. derJorxil 
ist man begu n d ♦ ■ . vi l'rita g noch der alt vaß- 
nacht v n d aol der custor Uli keiUen vnd viu aergen 
vfder von grandviler grab tun. 

Heinrich von GranJwiler versah 4347 bei der Teilung der 
Erbschaft des letzten Grafen von Pßrt im Mus hause zu AU- 
kirch, dorn großen Speisesaale der Burg, das Amt eines verei- 
digten Schätzers* und schwär 1358 der Stadt Ol mar Urfehde. 
Elsine von Urandwiler und Burkard von Burnkirch gaben 1430 
Güter an das Spital in Basel in Lehen 9. Letzterer war 1442 noch 
Hofherr ries Din^hofe« 211 BlolzheirnV Von dein ehemaligen 
Uorfe Burnkirch zeugt außer der Ueherlieferung allein noch die 
einsame Friedhotkapelle zulllfurt*. Ein Junker Berner (?) von 
Burnkilcli besaß 1421 Eigenster in der Stadt Altkirch, auf 
deren Mauern Friedrich vnn Burnkirch 1375 im Kampfe tfpgen 
die stürmenden sog. wilden Engländer sein Leben hingegeben 
hatte ö . 

in Bailersdorf nannle St. Morand 1421 u. a. Güter und Haus- 
tinsen ab eiui irutliuß neben! Bei sc hin von Bern- 
wilr, sein eigen, che gewöhnlich mit dem Namen Würants 
gut bezeichnet wurden, und die der Pnor Mai tin Granlner 1453 
veräußerte, um das Geld in Walheim besser unterzubringen. 



1 Lese- bezw. Schreibfehler Grantaers für Borghard von Barnkirch. 

s Troaillat, 11 1 K47. 

9 SgA. Datei. Spitalur'i. Nr. 416. Eine andere Elsine von Gr. 
war 1400 3emaJtlin Heintzmauas von Eulingeu. — St. Peter Urk. 
Nr. 733 a. 

■' StA. Basel, Mar. Mag-d. Urk. Nr. 519. 

s Daa Urbar von St. Morand erwähnt 1421: Item 1 J aoh 
Hinder Bnrnkilch nechst dem widmen voa Burnkilcli. 
Item ze Wilr biBurnkilch 1 Alan werk. An dieses Will er, 
einen ebenfalls nntergegangenen nnd in der Rnrnkirnhe Aingppfurr- 
ten Weiler, erinnern noch die Flurnamen Willerfeld und Willer- 
matten zwischen lllfurt uuü Tagoltsheiiu. 

8 Vgl. Stöber, Das vordore Illtal, 29. — Berner ist wohl Bern- 
hard von Burnkirch. der mit Fritschmam von Rotbery? und Hans 
Richard Stocker 1394 im Gerichte z« Altkirch als Zeuge stand. — 
St, Morand 12. 



,l r fViciralftOTi 

*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



86 - 

Nach dem vorliegenden Anniversarienbuch kam das Gut 
durch den Edelknechl Her» mann Wfiranl und seine Gemahlin 
Elsine Zielempin' als Geschenk an das Kloster. 

Das 1"2tf7 in Friespn ansässige Geschlecht bewohnte 1365 
das heule längst verschwundene Dörfchen Kuelisbrun, Ruseh- 
hnrn, im "Walri^ehipf zwischen Füllern und Carspach. Hpii- 
mannus Wiirant de Rolspulrn a r m i (je r, nalus 
quonilam Wemlieri Wfiranl schenkte 1968 Laien« 
zehnten an St. Clara in basel«. Sein Sieseibild ist der sprin- 
gende Hirsch der Adeliyeu von Hlrsbach und auch die Umschrift 
berichtet untrüglich : S. J oh annis Wo r aat d e H i i z b a eh. 
Die Wfirant waren demnach eine Seilenlinie der Hirzbaoher. 




Siegel Henmann Woranta, 1361 

Nachdem ihr Waldnesl 1375 von den Walchen sebroelien 
worden war, \ er legten sie ihren Siti Dach dem slurinfesten AU- 
kireb. Dort helfen wir 1399 und 1421 Heinric|us Wfiran.l 
t o ii Hi'ilöpurn, einen Edelknecht, als Schaffner mit dem- 
selben Sie^elbiMe 3 . 

Das einsam im wilden Forste verlorene Kirchlein Rulis- 
brunn wurde mit der Präponitur von St. Mciand vereinigt, die 
dort noch 14 r >0 einen Johannes Bemardus als vicariue unter- 
hielt*. Lhs Sepien Gedächtnis der Wftrant fand in St. Morand 



jjcwöhnlie 



h am Freitag vor Katharincntag stett. 



1 Die Zielempen bewohnten ein einfaches Wcierh&us in Walbach. 
Vß-1. Merts. Burgen des Sisgaues II. 

i StA. Basel. St. Clara- Urk. Nr. 478. 

* Ebenda Xr. 

* StA. Bein Heg. comp. — l'repositura sti. Noraadi 
cum ecctesiis i nco rp orat i s, videlieet Altkilch et 



gk 



r>iciralfroTi 
USIVERSITYO" MICHIGAN 



— 87 — 

Von den Edlen von Rotberg, die sonst im stolzen Basel und 
seiner Umgebung heimisch waren, fand Arnold v. Rotberg in St. 
Morand Ruhestätte und Seelengedachtnia. Die Gelder flössen von 
einem Hause in Allkirch iuxta domum Dni. Nicolai de 
Gildwilr, das Grab selbst lag an bevorzugter Stelle subter 
lampadc sji Mo'randi. Er kam wohl durch 6eine Ver- 
bindung mit den Edlen von Grand vi II an nach dein seinem Ge- 
scfalechte sonst völlig fremden St.jMorand. Anna von Grand wiler, 
die Gemahlin des Ritters Arnolds von Hotberg, tral 4361 ein 
Haus zu Basel an den Messerschmied Berthold von Speier abi 
und Arnold selbst lebte noch 136ö*. Ein Eintrag an den k 2. Iden 
des Oktober nennt den Edelknecht Fritschmann von Rotberg 
und seine Frau Elsine Töchterlin von Z&singen, die dem Kloster 
A eck er in Zasin^en vergabten. 

Das Diarium Wurstisens kennt 1380 Fritzmann von 
Roperg, a'm geriebt zjü Altki|lc*hs. Diejbeiden Kdel- 
Jcn echte Fritzmann von Rotberg und (Hans) Richard Stocker 
verkauften 1400 der [früher genannten Frau Elsine von Mftrs- 
berg und ihrem Gemahl Richard von Zäsingen Güterzinsen tu 
Franken, [woffir Stephan von H.igenhach und Hans Ludmann 
von Rolberg Bürge wurden*; letzterer bekleidete 1411 die Stelle 
eines herzoglichen Vogts in Altkirch. 

Arn 5. Juli, sagt ein weiterer Eintrag, starb Katharina von 
Neuenburg, f*t m u la i 1 1 nr u m rl e H i r i ha e h ; sie gah an 
das Kloster Hauszinsen in Altkirch, und zwar in via cerdo- 
num, u t memoria fiat Cläre de Nuwenburg, 
sororis, Johannis fratris sui et Domini Johann 18, 
capellani i n JCVu wenn urg patris et Benedict« 
malris eorum, et Henrici de H irzbach Scolaris. 
— Ein Jobannes van Neuenburg war nach Trouillat (III, 788) 
1340 bereits tot, und sonst ist meines Wisseos^das Geschlecht 
im Sund tau nicht zu belegen. 

Die Edlen von Hirzbach aher waren naturgemäß von alters- 
her in der Umgehung" vrm Altkirch hegiilert. Graf Ulrich von 
Pfirt gab 1295 dem Ritter Heinrich von Hirzbach ein Weiber- 
lebert in Altkirch; damals war seine Heimat noch Mulhausen. 



Butisprun LXXXY mirek. 1 ecerunt XXXUll S -J. — Uns. 
Juli. Bernhardns pro fligilln in v es ti ture vi ca r i e i n 

Rulisfciuuueu dal Tl. * I. et l e n e lu r u a um iuf r a . n e \- 
taneiis. 

1 StA. Basel. August. Vik. ^r. 48. 

fl Trouillat, IV 57 u. 700. 

3 StA. Basel. Ms S. 91. 

* Ebenda. Mm. Magd., MM 25. 



r 



' ' "Pgk unweremw Michigan 



— S8 — 

Die Gebrüder Hemnann und Götzmona von Hirzbach aber, die 
4367 dem Basler Bischof Geldanleihen gewährten, wohnten 
in Altkirch. Henmanns Tochter Ursula war 13iÜ mil dem 
Basier Edelknecht Arnold von ßärenfels vermählt <; Gotzmann 
ist 1386 tot gemeldet 1 . Auch er halle Grab und Seelen - 
gedächtnis in St. Morand um1 zwar lelz:eres jeweilig an Fron- 
fasten. — 

Grete Ammanin, ihr Mann Henslin von Nien und ihre 
Brüder Hennin und Jecklin verschenkten für ihr SeelenRedächt- 
nis im ß de tnrculari prope lorcular custodia 
sli. Morandi iuxla fonlern dictum Tuchei- 
burne. 

Die Familie von Nien war sonst in Illfurt ansässig. Das 
St. Morander Urbar von 1421 berichtet: Item Dns, Heinri- 
cus Grantz, rector in Illfurt, rlat x fi minus in -J 
von -u n em Husnebent Heinricus von Nien einsii, 
andersit neben t Hennin von Nien. Henselin v. N. 
bewohnte 1438 Allkirch und 2nhlta dort Oelzinsen an St. Mo- 
rand«. 

Von sonstigen urkundlich nicht erweisbaren Familien seien 
aus Altkirch erwähnt: 

Johannes dictus Jäger et Grete uxor eius 

. . . , mit einem Gartenzins vnden an dem Rocken by der 
Lad s t u be n, 

Tine Kaufmennin und ihre Schwester Metze, mit in ß ab 
dem Hause des Melkers AVerliu SdiieViu, 

Henslinus dictus Falkenstein sartor. . qui 
co n lu I it in ji super d o m u m . . q ue ia m possiriet et 
tenet Bcrtholdus Walde, scriptor et rcceptor 
d u in i n i i in A 1 1 k i I c h, . . i u x t a d o in um nlirn fratruiu 



l Arnold von Bärenföls war nachweislich 1400 österreichischer 
Lehensträger des Din gbo ffes t nd Hoffes. den man spricht 
dfi<i ^raffen Hoff zft AI tkilch .. . BA Colroar. St Mor&nri 
12. 

* Trouillat IV 108, 760 u. 790. 

3 BA. (lolmar. St. Morand 4. — Harnannns de Nyen 
hofipea et domina Qreda f 1 1 i a qnondam Hup- 
raanni dict: Scherer verkauften 140n 3üter vor Berthold 
ßchirigfrer in Altkiron. — St. Morand 12. 

* Da« iIoiuuh iratrtini minorum var wohl aar eine Her- 
beige (Hospiüuia; für den jeweilig in der Umgebung Urminiereudeu 
Faifü-Vr. — Berth. Walde, sc riptor in A., zahlte 1434 1 U von der 
ATertacn ; iure zfi Altkilch an das Kloster. 



,l r r>JciralftOTi 

*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



- 89 - 

Dominus Johannes de Berna, v i i.ariu s in Alt- 
kilch , . el Katharina dicta de Hellingen, ' soror 
ei us, 

Hc:nckin Büchacnmcister, die Houszindcn schenkt iuxta 
dam um consulum vel civium, 

OttoRaeor et usor oiusGertrud et Mathias 
filius . . et Margretha et A^nesa filie . ., qui con- 
tulerunt vß euperdomum, quo respicit contra 
capellam et plateam dicendo die Kreygen iuxta 
Pet r u m Rudelin, 

Petrus de PbeUerliusen, sein Weib Mechtild Besehe und 
Spina Tochter Katharina und Grate, die ihr ganzes Hau? ver- 
schenkten, 

Dominus Johannes riietus Molitor, capel- 
laus in Waltikouen, dessen Leichnam nach St. Morand 
übergeführt wurde, um dort an der Seite seiner Ellern beige- 
setzt zu werden, und schließlich 

Conrad Rum man,' eonve nt ua li s monasterii 
Bti Moraadi. 

Damit wäre unseres Büchleins Inhalt, soweit er die ältesten 
\nniversarien anbelangt, erschöpft. Welch wechselvolle Reihe 
AJtsundgauer Edelinge zog nicht an unser m Geiste vorüber I 
Uiul doch enthält unsere Quelle nur den geringsten Teil alter Auf- 
zeichnungen. Die meisten der holden Frauen, der gestrengen 
Herren, die in jenen alten Zeiten stolz um ßurg und Stadt 
Altkirch hausten, sie fuhren zu ihrer Zeit still und bleich den 
toten weg durchs Wiesental und fanden Totenmttl, Fürbitte 
und Ruhe im Kloslerfrieden sti Morandi. 

Freilich ist heute dort der Mfmche Grahgesang auch ver- 
stummt, und Ober St. Morands Grabstätte wölben sich seit 
Jahrzehnten moderne Gotteshallpn, die dem frommen Pilgrirn 
wenig mehr aus fernen Tagen zu bieten vermögen; nur drei 
Zeugen alter Herrlichkeit haben unversehrt im Neubau Auf- 
nahme gefunden. Das ehrwürdige Mausoleum filier des hl. Mo- 
rands Totengruft, das Grabmal des Priors Guno (von Schauen- 
burg?), f 22. \JI. 1314, und der Denkstein des edlen Kloster 



1 Haltingen ist; ein abgegangener Weiter zwischen B&llersdorf 
und Hagenbach, Item zem ersten ein Acker zfl Hattingen, 
äiBo der wegin die für: gad 11421). — Vgl "Walter. Ballers- 
iorf. 47. 

a Ein X&niniis Euraan starb JÖ12 als Schaffner inAltklrch. 
v&n seinem am 12. Juli 1494 verstorbenen Soliua Heinrich lehnt 
eine interessante Grabplatte, die den Jüngling: aaf dem Totenbette 
darstellt, an der Eirchhofmauer za St. Morand. 



< 



' ' "Pgk UNWEREHYOr MICHIGAN 



— 90 — 

renovators, Martin Granlncr von Colmar (1451—1482). Alles 
andre ist spurlos dem Zahne der Zeit oder dem Geisl der Zer- 
störung zum Opfer gefallen, Tempus edax rerum, h9mo 
edaoiur. So mögen denn diese Seilen eines schlichten Sohnes 
des Sundgaues den vergessenen Geschlechtern zum neuen ge- 
meinsamen ELren- und Gedächtnismal werden. R. I. P. 




Grafcraal des Prior* Cuno (von Schauenbunz) 
(+ 32. Juli 1314>. 



gk 



r>iciralfroTi 
U1WERH1Y0" MICHIGAN 



NAMEN- UND ORTSVERZEICHNIS i. 



Adelheid . . 83 
Altdorf, Hujjo v., 74. 

Johann 74, 7fi, 80. 
Amman Grete 88. 

He ii n in. 

Jeckelin. 
Auge ot, Engelsod, 81. 

Bärenfels, Arnoki v., 88. 
Ballersdorf 85. 

Rudia v., 80. 
Bartenstein Michael 73. 
Basel W, 79, 81, 84, 8G, 37. 
Bela . . 78. 
öenedicta . . 78, 87. 
Bei fort 74. 

Bern weiler, Eerschin v., 85. 
Berue, Johann de, 89. 
Besehe Mechtild 89. 
Betscheler Anna 84. 

Franz. 
Bevant Kathar. 78. 
Biohusin Gredc 81. 
Eblzheim, Agn. Schulth. v., 

Braunsctrweig, Anna v., 74. 
Buchsenmeisier Uenckin 8D. 



Burnkirch, Hurkard v., 83, 85. 
Ehine v., 80. 
Berner 85. 
Friedrich. 

Carspach 84. 

Crispinjren 77. 

Heinrich v., 77. 
Cuno . . 89, 90. 

Dammerkir^ 79. 

Ebenol f 80. 

ügisheim, Thomas v., 83, 84. 

Anna 84. 
Klsine . . 83. 
Emiingen 78. 
Eptingen, Günther v., 77. 

Heinzmann 85. 

Siguna, 77. 
Eschenzweiler, Heinrich v., 79. 

Clewelin. 
Espach, Agnes v., 77. 

Falkenstein Henslin 88. 
Feldbach 70, 80, 82. 
Fislis 79. 
Franken 87. 



1 Or(*uMuea sind gesperrt gredruttt. Wo keine Zahl hinter 
dem N&men steht, gilt die nächst höhere. Altkirch und St. Moruad 
sind aus naheliegenden Gründen Im Verzeichnis anberüclcsiehtijrt se- 
blieben. e s 



/" 









r>iciralftOTi 
U S I VERSI TY " MIC HIC AN 



92 — 



Friesen 82, 86. 

Bclina v., 82. 
Berner v. 
Dietscbin. 
Martin. 
Peter 81, 82. 
Rudolf 82. 

Oildweiler, Nikol. v ( 87. 

Gottesthal, Grün 84. 

Granweiler, Anna v., 87, 
Elisabeth 79, 
Klsine 84, 85. 
Heinrich 85. 

Granlner Martinus 85. 

Granlz Heinrich 85/ 

Guta . . 79. 

Hagenbach, Anton v., 80. 

Elsine 74, 80. 

Heinich ÖU. 

fleintzmann. 

Johannes. 

Stephan 80, 87. 

S. a. Lürl. 
Hattingen 89. 

Katharina v. 
Hasenburg, HansBernh. v.,80. 
Heilwigts . . 79. 
Hirzbach 80. 

Götz mann v,, 88. 

Heinrich 87. 

Henmann 82, 84, 

88. 
Ursula 88. 
H i r s i n £ e n 82. 
H u iids Lach 77. 

III fürt 85, 88. 

Metardiis v., 80. 

Meehtiid. 
Ita . . 79. 

Jä^er Johannes 88, 
Jettingen 77. 



Kappart Johannes 79. 
Kauffmann Tine 88. 

Metze . 
Klingerin Elsine 81. 
Knapp Burkard 73. 
Knöringen Friedrich v., 79. 

Agnesa. 

Humbcrt 78, 79. 

Johannes 79. 

üito 78, 79. 
Kösllach 75. 
Kunigspach, Hans v., 82. 

Langer 77. 
Larjritzen 80. 

Welzel v., 79. 
Lürl Grede 80. 
Henmann. 
Lütze 1 75. 

Mas in ft ns te r 70. 
Meiger Hans v. Hüningen 79. 
Mörsberjr, Eberhard v., 82. 
Eberlin 78. 83. 
Elsine 77, 87. 
Grede 83. 
Guta. 
Hartmann. 
Lauda 82. 
Mocz Heinrich 73. 
Moli oi Julia i iics 89. 
Mülhauseu 81, 82, 84-, 87. 
Mönch Arnold 34. 
Bernhard. 
Dietmar. 
Elsine. 
Heinrich. 
Henmann. 
Johannen. 
Lulinus. 
Vrcne 85. 
S. a. Betschelcr. 

Neuenbürg, Clara v., 87. 
Johannes 87. 






oglc 



r>iciralftOTi 
U S I VERSI TY " MIC HIC AN 



— 93 — 



Neuenburg, Katharina 87. 

Maruarethe 75. 
NibeÜng Anna 83. 
Petrus. 
Katharina. 
Nien, Henslin v., 88. 
Heinrich. 
Hennin. 

Oberrnor seil weier 75. 
Oesterreich, Friedrich IL v.,74. 
Ostheim 84. 

Bride v., 83. 

Benhold. 

Cuntz. 

Ffederhausen, Grete v M 83. 
Katharina. 
Petrus. 
Pflrt, Greda r., 77. 
Procurator Petrus 83. 
Pfontrut 76, 18. 

Anna v., 75. 
Rulinua 70. 

Harnstein, Heinrich v., 74. 
Rasor Agnes 73, $$. 

Mathias. 

Margret. 

Otto. 

Ulrich 73. 

K^iehcim, Thom. Rodung v., 
80, 81. 
Tino. 

Friedrich v. ? 81. 
Henrich 82. 
Roppach, Greta v., 77. 
Rotberg, Arnold v., 87. 

Frilsehmann 85, 87. 
Hans Lud mann 87. 
Rotsch, ÜUü v M 77. 
Riidiswiler, Ludraann v., 82. 
Ruel isb r u n n, Ruschburn, 
86. 87, 



Rumann Conrad 89. 
Heinrich. 

Mariin. 

Schauenburjr, Cuno v., 90. 
Schicklin WeiliD 88. 
Schorin, Adelheid 79. 

Agnes. 

Anna. 

Gisela. 

Johannes. 

Katharina. 

Margret. 

Pelrua. 

Rudolf us. 

Schweiffhousen, Conrad y„ 80. 
Sept 82. 84. 

Dietrich v\, 83. 

Grete. 

Heinrich. 

Johannes. 

Wernher. 
Speier, Bert hold v., 87. 
Steinbflch 75. 
Steinbrunn, dementia v., 75. 

Walther 76. 
Stocher 76. 

Hans Hichard 78, 85, 
87. 

äeinrieh 78. 

Richard 78. 
Sulzmal!, Burkard de, 79. 
Sundgau 79, 80. 
Swigger Berthold 81, 88. 

Claus 82. 

Heinrich. 

Johann. 

Tagolsh ei in 85. 

Thornann v», 
77. 
Ten nach 81. 

Benno v., 81. 
Thann 80. 

Traubach 70, 84. 



r 



. >s>k 



r>iciralfroTi 
U S I VERSI TY " MIC HIC AN 



— 94 — 



Cffheim, dementia v., 78. 

Herzlauda 75. 
Uffholz 75. 
Ungcrsheim, Kratt v., 84. 

Tulkart Johannes 74. 

Walde Rerlhold 88. 
Waldighofen 8«. 
Walheim 73, 80, 85. 

Johannes v., 79. 
Weiler, Willer 85. 
Wunnenberjr, Berlhold v., 8 k i. 
Wuranl Heinrich 79, 86. 

Heu mann 86. 

Wernher. 
Wurmes, Elsioe v.> 84. 

Z äs sin gen 74, 87. 

Alsch v., 80. 
Anna 75. 
Anton 75. 
Drandina 77. 
Cäcilia 77. 
Cuntzrnenn 75. 



Zässingen Elisabeth 76, 77 . 
Eisin Töcbter- 

lin 87. 
Creda 78. 
Haus Erhard 

77. 
Heinrich 74, 

75, 76. 
Henmann 78. 
Hetze) 75, 77. 
Hezinus 75. 
Jancta 76. 
Katharina 75. 

76,77. 
Margret 76. 
Richard 75,70, 

77, 84, 87. 
Rudolf 75, 76, 

78, 82. 
Rüdin 76. 
Symonial. 

Zielempin Elsine 86. 
Zürnet n Agnes 78. 



K »gl« 



rViciralffOTi 
U S I VERSI TY " MIC HIC AN 



IV. 



Die burgimdische Historie 
und ihr Verfasser. 

K. Schneider. 

IN achstehende Zeilen führen uns in eine bewegte Zeit aus 
Strasburgs Vergangenheit, in eine Zeil äußerster No» und Be- 
drängnis, in eine Zeit glühender Begeisterung. Jährelang hatten 
die verbündeten Fürsten und Städte mit ihrem Todfeind ge- 
rungen, dem allzumächti^en Herzog Karl dem Kühnen von Bur- 
gund, in großen Sohlachten, bei Grandson und Murten hatten 
sie seine Rilterhepre besiegt und vor Nancy halle der Herzog 
selbst den Tod gefunden : 

«Kein man lebt nit uf erden hie, 
der soliehs hab gesechen nie, 
dri grüszer strit in einem jar 
mit gotes hilf ganz olTenbar, 
zu Granson, Murten und N&Qse ; 
des danken gole iemerme!*» 

Aus den zahlreichen Gedichten, die jene Kampfe besingen. 
greifen wir im folgenden eines der wichtigsten heraus, die 
tburgundisctie Hjslurie», eine Ö39 vierteilige Strophen zählende 
Reimchronik, welche hier in Straßburg cgetruchet vnd geeebri- 
ken* wurde. 



1 Stroplic 14 des Gedichts «Vom strit von iN'ansf » j a. Liliencron, 
Die historischen Volkulteder der Deutschen, Bd. n. Leipzig 1868, 
8. 107, 



,l r ' r>JciralftOTi 

*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



— 96 — 

Diese kleine Chronik liegt uns in zwei verschiedenen Aus- 
gaben des Jahres 1477 vor, in einer Quartausgabe, die wir als 
Druck A bezeichnen und in einer Folioaus^abc = Druck ß. 

Auf Grund der Quart ausgäbe wurde die burundische Hy- 
sterie (im folgenden = U. H.) herausgegeben von E. Wendung 
uud Aug. Stöber in der Alsatia 18VO/70, Culmar 1870, S. 367 
bis 451 und mit einer Einleitung versehen. Der Titel lautet : 
«Die burundisch Hyalorie eine Reim-Chronik von Hans Erharl 
Tusch 1477>. Nach dieser Ausgabe werden wir im folgenden 
zitieren; Seite, Strophe, Vera. 

Die mit acht blattgroßen Bildern geschmückte Folioausgabe, 
als deren Drucker mit Sicherheit Heinrich Knnulochtzer nach- 
gewiesen wurde 1 , ist in L. IJains Repertorium bibliographicuai 
angezeigt unter «Erhart (Hans)* in Bd. ], 2. Teil, S. 321. 

Eine Veryleichung des Abdrucks der Alsatia mit dem auf 
der Straßburger Lniveisiläls- und Landesbibliolhek befindlichen 
Originaldruck A ergab, daß sich «ahlreiche (Jngenauigkeiten in 
den Abdruck eingeschlichen haben ; eine Vergteichung der 
Drucke A und B veranlagte uns, A die Priorität zuzuerkennen. 

Wir beschränk en uns liier aul die.se kurzen Angaben und 
verweisen für alles weitere auf diu eben erschienene Dissertation : 
«nntersuchuiiyeii zur burundischen Hysterie des Hans Erhart 
Düsen» ; StraJßburjr 1910. 

Allgemeineres Interesse dürften dagegen füllende Unter- 
suchungen beanspruchen, die sich, nach einem kurzen Ueber- 
blick Ober den Inhalt der ß. H., mit den liierarischen Bezie- 
hungen dieser Chronik und weiteren an sie wie auch an die 
Persönlichkeit dc$ Dichters eich knüpfenden Kragen beschäftigen 
werden. 



1 Vgl. K. Schcrbach nnd M. Spirgftt.:s, Heinrich Knoblochteer in 

SttaßboTg (1477— I4fi4}. Bd. I der «Bibliographischen Stadien zur 
Buchdruck er beschichte Deutbcalaude», St-raßburg 18B8. 



,1 . fViciralfroTi 

£s ,v - UWEM1Y0" MICHIGAN 



- 97 - 
Der Inhal! der B. H. 

A. Inhaltsverzeichnis*. 

E i n I e i I ii n g : 

357, 1, i-360, 6, 4; Karls Zuge gegen Frankreich; Hoch- 
zeit ; Gefangennahme des Herzoge von Geldern. 

I Hau ptleil: 
Die Neusaer Zeil: 381, 1, 1-413, 1, 4. 

A. Belagerung von Neufl : 861, 1, 1—390, 5, 4. 

1. Kämpfe vor Neuß bis zur Ankunft des Kaiserlichen 
Heereg: 3öl, 1, 1— 36S, 4, 4. 

a) Kämpfe; Zustand der Stadt; 361, 1, l— 367, 8, 3. 

b) Intervention des päpstlichen f.agaten; Verluste: 367, 
3, 3—368, 4, 4. 

2. Ankunft des Kaisers vor Neuß ; Stärke des Reichsheers : 
308. ä, 1-Ö87, 4, 4. 

Straöburger Zuzug ; 360, 3, 1— 3Ö3, 2, 4. 

3. Tätigkeit des Reichsheers vor Neuß: 387, o, 1—390, 3, 2. 

B. Ereignisse auf anderen Kriegsschauplätzen während der 
Belagerung von Neuß; Tätigkeit der Feinde Karls: 31)0, 2, 3 
bis 413, 1, 4. 

1. Hajcenbachs Wirken und sein Tod ; 890, 6, 1—894, 1, 4. 

2. Rache Karls urd FeldzOge der Verbündeten im Jahre 
1474: 394, 2, 1-401, 4, 3. 

a) Lösung: der Pfandechafl ; Greuel der Burgunder: 394, 
2, 1— 394 3 6, $. 

b) Sehlacht Lei Hericourt: 394, 6, 4-398, 7, 4. 

c) Moralische Betrachtung: 399, 1, 1—399, 6, 4. 

d) Uebergabe von Hericourt: 400, 1,' 1—400, 7, 4. 

e) Abzug;: 401, 1, 1—401, 4, 3. 



i Folgend« Einteilung wird durch Urnck B unterstützt In ihm 
stellen z. B. auf ßl. 2 v. nur nenn atrophen, letzter Vers : 360, 5, 4. 
Nachdem nun das Stichwort cNeuß» gefallen ist, folgt auf Bl. 3 r. 
das Bild dieser Belageruag. Ebenso endigl Bl. 15 v. mit Vers 418, 
1, 4 und li&t den liest der Spalt« b leer, während der zweite Haupt- 
teil aaf Bl, 16 v. beginnt Vg;l. nooh Bl. 20 r, mit vier Strophen, 
endigend Vars 426, 6, 4. 

7 



| e Qidrilfon 



IJM.'£R.".nYO", l .',HHI',AN 



— 98 — 

3. Feldzüge der Verbündelen im Jahre 1475: 401,4, 3 bis 
413, 1, 4. 

a) Eroberung von L'Isle: 401, 4, 3—403, 4, 1. 

b) Zug vor firandson: 403, 4, 2-403. ö, 4. 

c) Zug vor Blamont: 403, 6, 1—408, 3, 1. 

d) AufeSlilung der eroberten Schlösser . 40b, 3, 2—41 2, 3, 4. 

e) Vergleich Karls mit Alexander: 412, 4, 1—413, 1,4. 

I]. Haupitei I: 
-Karls Niedergaus und Ende ; 413, 2, 1—449, 4, 4. 

1. Karl in Lothringen: 413, 2, 1—416» 7, 4. 

2. Kerls Zug vorGrandaon, Eroberung der Stadl : 416, 1, 
1—418, 2, 4. 

3. Grandson: 418, 3, 1 — 426, 2, 4. 

a) Schlacht: 418, 5, 1-422, 4, 4. 

b) Karls Flucht; Beute: 422, 5, 1—428, 2, 4. 

4. Mnrten: 426, 3, 1— 436. 1, 4. 

a) Vorbereitungen Karls: 426. 3, 1—426, 6, 4. 

b) Beschießung und vergeblicher Sturm: 427, 1, 1 bis 
427. 7, 4. 

c) Enlsalzheer: 427, 8, 1— 429, 3, 4. 

d) Schlacht: 429, 4, 1-434, 2, 2. 

e) Beule 4.31, 2, 3—135. 1 4. 

5. Eroberungen der Verbündelen uud Tag iu Frei bürg : 
436, 2, 1-436, 3, 4. 

6. Wiedereroberung von Nancy : 436, 4, 1-437, 2, 4. 

7. Nancy: 437, 3. 1—449, 4. 4. 

a) Beschluß Karls, Nancy zurückzuerobern : 437, 3, 1 bis 
437, 5, 3. 

b) Belagerung : 437, 5, 4 440, 4, 4. 

c) Schlacht: 440, 5, 1—444. 3, l. 

d) Flucht der Burgunder, Gefangene : 444, 3, 2—445,6, 4. 

e) Karls Leichnam wird gefunden und erkannt; 446, 7 ? 
1—447, 1, 4. 

Betrachtung; Karls Beisetzung: 447, 2, 1—449, 4,4. 

Schluß: 

449, 6, 1 — 461, 6, 4: Anrufung der Maria; Name des 
Verfassers und des Gedichts. 

B. Kurze Inhaltsangabe. 

Die Kinleitunjr umfaßt einige wichtigen; Da en aus dem 
Leben Karls des Kühnen vom Jahre 1466 — Juli 1174- So wird 



,[ . D-iciralftOTi 

<S IV - UWEnSITYQ" MICHIGAN 



— 99 — 

erwähnt Karls Zug: gegen Frankreich im Jahre 1465 (357, 4, 
3), seine Eheschließung im Jahre 1468 (358. 1), die Zerstörung 
von Ditnmt und Lüttich, ein zweiter Zug gegen Frankreich im 
Jahre 1472 (358, 5), der, nach vergeblichem Sturm auf Beau- 
vais und Rouen, mit Karls Rückzug endete. Hierauf folgt die 
Gefangennahme des Heizöls von Geldern, der Versuch Karls, 
bei der Trierer Zusammenkunft mit dem Kaiser im Jahre 1473 
(OGOt 1. 1) sich krönen zu lassen und endlich der Zug vur Neuß 
im Jahre H74 (360, 4. 2). 

I. Hauptteil: Die Neußer Zeit. 
A. Belagerung von Neu 13. 

1. Heftig wird Neuß beschossen, mannhaft verteidigen sich 
die Belagerten. Die Belagerer graben Minen, um auf diese Weise 
in die Stadt iu kommen. Die Neußer legen Gegenminen an, 
so daß sich ein unterirdischer Kampf entspinnt, in dem viele 
Tausende fallen. Um seine Leser nicht zu langweilen, will der 
Dichter von einer Schilderung der einzelnen Kämpfe absehen 
und nur noch kurz von den Beschädigungen erzählen, die Neuß 
erlitten hat. Er macht zu diesem Zwecke mit dem Leser einen 
Rundgang um die Stadt, wendet sich, mit dem südlichen Tor, 
dem Ohertor, beginnend, zunächst nach Osten und versucht an 
der Hand der Tore sowie sonstiger hervorragender Punkte ein 
Bild von den Folgen der Beschießung und einzelnen an die be- 
treffende Stelle sich knüpfenden Kämpfen zu geben, — Der 
milde Gott verläßt die tapferen Neußer nicht, zur rechten Zeit 
kommt die Vermittlung des päpstlichen Legaten und die Hilfe 
des Reichsheers. 

Die Neußer verloren nur 800 Mann (387, 6, 3), die Bur- 
gunder 16000 Reiter und Fußsoldaten (368, 2). Die Neußer 
eroberten 19 Fahnen, zwölf Schlangen und viel Vieh. 

2. Auf S. 368—387 folgt ein ziemlich eingehendes Ver- 
zeichnis der vor Ncuß vertretenen Roicnsstände, das die anderen 
Verzeichnisse, soweit sie gedruckt vorliegen, teilweise wenig- 
stens, ergänzt und verbessert. 

Die Liste der vor Neuß befindlichen Fürsten und Herren 
ist abgedruckt in den B. Chr. II, S. &l 1, A. zu S. 260. 

In der Liste der Städte macht Straßburg den Anfang. Der 
Dichter benutzt diese Gelegenheit, tdes rjues huste krön» mög- 
lichst hervorzuheben und fügt eine Schilderung der Ausrüstung 
und Bemannung der 14 Schilfe bei, welche die Straßhurger 
FuJtruppen den Rhein hinabführten. Die Schilderung ist leben- 
dig uud beruht wohl auf Augenschein, 



vgl* univeWiiyo-Sican 



- 100 — 

383, 1 und 2 wird die Uebergabe des Reichsbanners an 
die Straßburger erwähnt. 

Hierauf folgen die Namen der übrigen 64 vor Neuß Ter 
tretenen Städte, din wir im folgeiideu wiedergeben^, 

1. Colne : graff philips von 3t. Kempten ; 



arburg; 

2. Basel; 

3. Lybeck ; 

4. Außspurg ; 
6. Costentz ; 

6. Nurenberg ; 

7. Franekfurt ; 

8. Och; 

9. Vlm : grafif Wilhelm von 
kirchberg; heinrieb herr 
zu gengen ; 

10. Wurrnsz ; 

11. Spir ; 

12. Eszlin^cn; 

13. Wii; 

14. Gemunde; 

15. Nordiiiigen ; 

16. Memyn^en ; 

17. Kullingen , 

18. Rotenburg a. d. tuber; 

19. Hall; 

20. Vierlingen; 

21. Ratv.il ; 

22. Ravenspurir ; 

23. Lyndow $ 

24. Heltprunn; 

25. Dunckelsebuhet ; 

26. Werd; 

27. Schwinfurt ; 

28. Wissen bu ig a. d. atten 
mute ; 

29. Winszheim; 

30. Bibpranh; 



32. Yseny : 

33. Alen; 

34. Lutkirch ; 

35. KoufTburen ; 

36. Gengen ; 

37. Boppfingen ; 

38. Colmer; 

39. Hagenow ; 

40. Sshletstatt; 

41. Ehenheim ; 

42. Keyserszbergk ; 

43. Munster in santjorjren tal: 

44. Roszbdm ; 

45. Turckheim ; 
45. Goszlar ; 
47. Wangen ; 
4B. Buchorn ; 

1 d. Mulhusen ; 

50. Norlliuseii ; 

51. Wetlflor»; 

52. Wympflen ; 
53 SchafFhiißen; 

54. Sani Gallen; 

55. Pfultendorf; 
58. Kobelentv; 

57. Roparten ; 

58. Hamburg ; 

59. Lymburg; 

60. Weeeel; 
31. Wys*nriar ; 
'62. Münster ; 
63. Bremen; 



64. Gruningen. 

3. Als alles zum Streit bereit ist, macht der Legat einen 
Vermittlungsversuch. Mehr als vier Tage wird in den schönen 
Zelten vom Morien bis in die Nacht hinein beratschlagt. Dieses 



i = "Wetelar. vgl. Egli. Nomina geographica, Leipsig 1893. 
S. 005, 






oglc 



r>iciralftOTi 
U S I VERSI TY " MIC HIC AN 



— 101 — 

lange Zögern verdmttl viele der jungen Hitler, lu 388, 4, 4 bis 
389, 2, 4 ist in direkter Rede diese Kaiupfessliinruung trefflich 
zum Ausdruck gebracht. 

Allmählich sinkt dein Burgunder der Mul, er entschließt 
sich wohl oder übel abzuziehen, bebt am Dienstag den 27. Juni 
1475 (390, 1) die Belagerung auf und kehrt Neuß den Rücken. 

B. Ereignisse auf anderen Kriegsschauplätzen während der 
Belagerung von Neuß; Tätigkeit der Feinde Karl?. 

1. HageubacUs Wirken und »ein Tod. 

Da Herzog Beinhart nicht in seinem Land weilte, wandle 
sich Karl der kühne zunächst gegen dessen Land. Das Bündnis 
der Fürsten und SUdle, dem jener angehörte, seine Freund- 
schaft mit den Deutschen kränkle ihn. Die Wirkung dieses 
Defensivbündnisses der ton Karl bedrohten Fürsten und Slädte 
bekam auch der von Karl über die ihm von Herzog Sigmund 
von Oeslerreich verpfändeten Ländereieo gesetzte Landvogt Peler 
von Hagenbcicli zu verspüren, der sich um Freiheit und Recht 
wenig kümmerte und eine neue Steuer, den bösen Pfennig, 
einführen wollte. 

Dieser Landvogt hatte sich durch seine Willkürherrschatt 
im ganzen Lande verhaßt gemacht, hafte Frauen geschändet und 
Bürger ohne richterlichen Spruch enthaupten lassen. Endlich 
wurde er in Breiäach von dem deutschen Fußvolk gefangen 
geselzl, gefoltert, verurteilt und enthauptet: 

[Der vrsaeh worent vil zu vil 
disz. recht vrleil ward nit geändert 
mit scbarJTer dingen sc h nid subtil 
wart sin leben mit lode gewandert*, 

2. Hericourt. 

Schon früher, als der Bund sich erhob, war die Lösung 
der Pfandschaft verkündet worden. Die freie Stadt, die der 
Burgunder vorher verachtet hatle, [Basel], wurde als Auszah- 
Itingsort bestimmt. Alsbald begannen nun die Raub- und Rache- 
züge Stephans von Hagenbuch in den Sundgau und ins Elsaß, 
worauf der Bund einen Zug vor Hericourt (Elleeorli) unter- 
nahm. 

An einem Sonntag Vormittag (394. 7, 1) rückte der Herr 
von Blamont mit einem starken Heere, 9000 Reitern und 5000 
Fußgängern, vor Hericourt «das ellerort zu rechter were ge- 
spisel wurd jm gescharnriutze» (395, 3, 3—4). 



1 Zwischen Mompelgart und Beifort. 



,l r rViciralfroti 

*"■ UWEM1Y0" MICHIGAN 



— 102 - 

Man hielt das feindliche Heer im deutschen Lager für an- 
ruckende Verstärkungen, die damals gerade erwartet wurden. 
Ein Edelmann, Johann von Entsch, genannt Formhagen, ritt 
ihnen ohne Harnisch entgegen, da traf ihn ein Pfeil in dea 
linken Arm. Als das seine Leute sahen, die zum Fouragieren 
ausgelitten waren, brachten sie den Verwundeten heim uud 
meldeten den Vorfall. 

Niemand erschrak, obgleich niemand gerüstet wer. Rasch 
legte man die Rüstung an und ergriff die Waffen. Bei den 
Strefiburgern hielt Mang von Haspeng. Mit den achtzehn zur 
Verfügung stehenden Pferden griffen sie die Welschen an. die 
alsbald die Flucht ergriffen, 4600 Tote auf der Wohlstatt zn- 
'rucklassend (397, 2, 2). 

Ohne dae energische Eingreifen der Eidgenossen, die cwyl 
an einen reynj» zogen, wäre nicht jeder vierte Mann toi zurück- 
geblieben. Sie fielen nämlich, gerade im entscheidenden Augen- 
blick, den Welschen in die Flanke, die so schnell als möglich 
flohen. Fleisch, Brot, Gewehre, Pulver u. a. wegwerfend. Auch 
Reit- und Lastpferde, Maultiere, Hainische erbeuteten die Deut- 
schen, die ihre Gegner ?wei Meilen weit verfolgten. Viel wäre 
darüber noch zu berichten. Die zu bald anbrechende Nacht 
machte die weitere Verfolgung unmöglich und zwang die Deut- 
schen, die keinen Mann verloren hatten (898, 3,2), zur Umkehr. 

Etliche gingen in das Dorf, in dem sich viele Feinde ver- 
borgen halten. Zahlreiche Geschütze wurden ihre Beute. In 
der Nähe stand eine Wagenburg, die mit Leuten und Gütern 
verbrannte. Viele hundert Schädel fand man, als das Feuer 
erloschen war. 

Viele sind wohl tot, die lieber ruhig zu Hause bei Weib 
und Kind geblieben wären, aber sie mußten gehorchen. Holt 
erbarme sich ihrer Seelen 1 

cAm funflflen lag» (400, 1, 2) .ergab sich Hericourt. Eis 
konnte sich nicht mehr hallen, da die Deutschen die Verprovian- 
tierung verhindert hatten. Vierzehn Schuh* dick ist die Mauer 
des mit vier Tflrmen ausgestatteten Schlosses. Wäre es ihren 
Freunden gelungen, Proviunt in die Stadt zu werfen, so hetten 
die Burgunder das Schloß noch ein halbes .fahr halten können. 

Der Besatzung wurde freier Ahziijj mit Gepäck gewährt. 
l)a der Winler heranrückte, beschloß man, von weiteren Zagen 
abzusehen. So geschehen im Jahre 1474 (401» 4, 2—3). 

8 Feldzüge im Jahre 1475. 

Im folgenden Jahr (1476t, nach dem 24. Juni (40l ? 4, 
—34), unternahm der Bund einen weiteren Kriegszug, der rnil 



,l r D-iciralftOTi 

*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



— ios — 

der Belagerung; von L'Isle (Lyle) begann. Landvogt Graf Os- 
walt von Tierstein 20g voraus und eroberte die wichtige Brücke 
Pont de Roide (Ponterade), indem er die Besatzung des zu ihrem 
Schutze bestimmten starken Turmes niedermachte. Darauf 
wurde L'Isle beschossen, wobei der Strauß von Strasburg sich 
hervortat ; die Stadt wurde erobert und die Verteidiger nieder- 
gemacht. Nachdem Grange mit leichter Mühe genommen worden 
war, txvg der Bund vor das feste BlamODt. vor dern man am 
dritten Tag das Lager aufschlug. Hier gilt die B. H. Einzel- 
heiten der Beschießung, die offenbar von einem Auxeuzeugen 
herrühren. Nachdem rnan den Strauß auf einen günstigeren 
Platz gestellt hatte, konnte sich BlamoiH nicht mehr hallen. 
Der Besatzung wurde freier Abzug gewahn, das Schloß abge- 
brochen und ausgebrannt, die Cisternen und Brunnen unbrauch- 
bar gemacht. Jedermann entsetzte sich darüber, daß die Lom- 
barden, die cby hundert» waren, dieses prachtvolle wohl verpro- 
viantierte Schloß, das einem Kaiser als Wohnsitz hätte dienen 
können, so rasch aufgaben. 

Der Herr von Froberg und etliche Edle von Malhee er- 
gaben sich. Hierauf zogen die Verbündeten nach Mömpclgart. 

Es wurden in Jahresfrist von dem Bund folgende Schlösser 
erobert (408, 3, 2 ff.}: 

1. Grauionl (— Grammont} 

2. Falung (— Fallon) 

3. Ponterayd (— Pont de Roide) 

4. Lyle (— L'Isle sur le Douhsi 

5. Gramont sollte wohl Blarnont heißen, da Grarnont als Nr. 1 
bereite jerwähnt ist und Blarnont 3onst vollständig fehlen 
würde; auch in A A. 282, 3 des Sl.-Arch. : Blarnont. 

6. Clemont ( — Clemont. südwestlich Blarnont) 

7. L-iroUche. Das Schloß La Roche, Östlich St. Üipnolyte, wurde 
im Dezymber 1474 erobert; vgl, B. Chr. II, 151, A. 1. 

8. Cor(3chettun (— CouivImIoii, nönil. von L'Isle) 

9. Naan (wohl — Nans) 

10. Villetschefrie ( — Vcllechevreuz) 

11. Grange (— Grauge) 

12. Monby (- Montby) 

13. Menny (— ?) 

14. Lomont (— Lornont zwischen Lure und Hericourtj 

15. Monfan (- ?, vielleicht — Möntfort) 

16. Mathe (— ?) 

17. Beta (— ?) 

18. Maudur (— Mandenre, sfidl. Mompelgart) 

19. Dammpier ( — baunpierre sur Salon) 

20. Befan (— Bavans am Doubs). 



' ' "Pgk univeWiiyo-Sican 



— 104 — 

Auch die Besitzer der eroberten Schlösser werden fuel durch- 
weg genannt. Es gehörte : 

1- Ludwig von Gramonl und Herrn Tiebolt. 

2. Ludwig von Grarnont. 

3. 4. 6. 6. Heinrich von Nuschelte (Straßh. Sl.-A. AA. 282, 3: 
Nuwenburg), ouch der Ivanen von Blamont, 

7, 8. 9. Johan von Beferinuot, Herr zu Say 

10. Besitzer in der B. H. nicht genannt. Nach AA. 282, 3 
gehörte das Schloß den Brüdern Ludwig und Wilhelm von 
Grarnont. 

11. Grat' Heinrich von Wörtern ber g« 

13. Jakob von Franckenum (FranqueraonQ. 

14. Den Herren von Ürsum. 

Ib. Wilhelm von Montan (V — Montforl). 

16. 17. Erhart und Tiebolt Berschene. 

18. Dem Bischof von Bysantz, von Blainunt der geburt ist er. 

19. Jjhanr von Marinnier. 

20. Oda von Lefryna. 

Alle diese Herren verloren ihre Schlösse! und Städte durch 
ihr Vertrauen auf das Glück des Herzogs, der alle Welt zu be- 
zwingen und wie Alexander der Große König und Kaiser zu 
werden hoffte. 

II. Hauplteil: 
Karls des Kühnen Niedergang und Ende. 

1. Karl in Lothringen. 

Die Erzählung knüpft an '390, 2, 3, ff. an, an den Zug 
nach Lothringen, den Karl nach seinem Abzug von Neuß aus- 
führte, Wir werden sofort nach Nancy versetzt, wo Karl in 
prächtig ausgeschmücktem Saale vor den in grußer Zuhl ver- 
sammelten lothringischen Kittern und Knechten vier Stunden 
lang spricht, ihnen die Vorteile auseinandersetzt, die sie unter 
seiner Herrschaft 2u erwarten haben und sie tu bewegen sucht, 
ihm zu huldigen und aus seiner Hand ihre Lenen zu empfangen. 

Trotz der cgiiien Worte» beschlossen die lothringer, drei 
Monate Aufschuh von Karl dem Kühnen zu verlangen, da der 
Rat nicht vollzählig beisammen sei. Inzwischen wollten sie ver- 
suchen, die Säumigen zum Erscheinen zu bewegen. Ein aus 
ihrer Mille gewählter Sprecher teilte Karl diesen Beschluß mit 
und bat um Gewährung dieser ersten Bitte. 

Karl wußte nun, was er zu erwarten hatte, er besetzte die 
Stadt, schickte alle Geschütze, die er fand, nach Lutzelnburg 
und rüstetet 



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*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



— 106 - 

2. Karl erobert Grandson. 

Karl der Kühne versuchte zunächst, Savoyen für sich zu 
gewinnen, was ihm auch, 2una Schaden der Suvojer, gelang. 
Dann zog er vor Grandson, dessen aus vierhundert .Eidgenossen 
bestehende Besatzung (416, 3) trotz Mangels an Nahrungsmitteln, 
tapferen Widerstand leistete, in der Hoffnung auf Entsatz durch 
ri°n Rund nnd die Rerner. In der Tat hätte sich der Bund in 
löblicher Weise sofort aufgemacht, die «frommen Leute» zu 
retten. Doch er kam ni spät, funem Versprechen des Herwigs 
vertrauend ergab sich die Besatzung «mee hungers halb dann 
keyner sach>. Doch Jei herzog ließ zweihundert aufhängen, 
achtzig stieß er ins Wasser und schleppte den Rest mit sich 
fort (417, 7tT_). Wie es diesen ging, weiß Gott wohl am jüngsten 
Tag, wo auch die anderen Untaten, wie das En ranken schwan- 
gerer Frauen in Lütt ich, ihre Slrafe finden werden. 

3. Grandson. t 

Das 20000 Mann starke Herr der Eidgenossen, das sieb 
am 1. März (418, 3, 2) [14(6] in Peseux (Basys) versammelt 
halte, zog am Samstag früh (418. 6, 1) [— 2. März] gegen das 
50000 Mann (418, 6. 4) starke burgundische Heer, das alsbald 
das Lager verließ und sich in drei Haufen teilte. Vor Beginn 
der Schlacht Helen die Schweizer auf die Knie und baten 
Gott um seinen Beistand, Ein Teil der Deutschen bildete die 
Nachhut. Die drei feindlichen Kaufen Schlüssen sich zusammen 
und bildeten einen Keil (scharpfen spitz), Der Kampf währie 
nicht lange; bald siegten die Verbündeten und ihre Reiterei 
brachte den Fliehenden starke Verluste bei. Von Vaumarcus 
(Famcrcko) aus waren die Burgunder in der Richtung auf ihre 
erste Wagenburg und dann weiter Montagny (Montaigin) au 
gellohen. Erschöpft kehrten die Verfolger zurück und landen 
ni dem Lager überaus reiche Beute, darunter den Kran/, des 
Herzogs, sein grobes Siegel und das des Herrn Anthonius, eines 
burgundischen Bastards, ferner des Herzogs geheime Kanzlei 
und 475 Geschütze (424, 6). Zwei I.ager hatte Karl der 
Kühne vor Grandson gehabt. Unter der Gefallenen war der 
Sohn eines Königs von Neapel. Die Zahl der Toten, die sehr 
groß war, katin der Lichter nicht mitteilen, da (er sie nicht 
kennt 

Im Schloß blieben 26 Burgunder (426, 1, 1), die wurden 
zu der» Fenstern hioausg et riehen mit Ausnahme von drei Edeln 
und zwei Knappen, gegen die man Brandolff von Stein und 
zwei von Frei bürg auslösen wollte. 



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*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



— lÜfi — 

4. Murlen. 

Der Herzog hatte eich nach Lausanne (Losan) zurückge- 
zogen, um sich von dem schweren Sehlaß 2u erholen. Er er- 
hielt jedoch bald aus seinen Landen, von Savoyen und dem 
Grafen von Romnnt Unterstützung; und h&lagerie Murten. 

Die von den Hauptleuten von Fryburg und von Ilubenberpj 
befehligte Stadt wies trotz heftiger Beschießung einen Sturm 
ab, der Karl den Kühnen mehr als 9UU Mann kostete (127, 4, 4). 

Wieder schrieben die Eidgenossen dem Bunde um Hilfe, 
die denn auch ohne Zögern geleistet wurde. Der Herzog von 
Lothringen eilte persönlich herbei. Am Samstag den 22. Juni 
(429, 3, 3 uud 4. 2) [1*76] näherte sich das Bundesheer Murten 
und bald begann das Gefecht, in dem Herzog Reinhart von 
Lothringen sich besonders hervortat. Eine Zeit lang leistete der 
Feind heftigen Widerstand, dann wandte er eich zur Flucht, 
auf der viele ihr Leben ließen. Eiu Versuch der Feinde, »ich 
zu sammeln, und die Verfolger anzugreifen, mißlang. Reich war 
die Beute, Waffen aller Ali bedeckleo den Boden. Viele Bur- 
gunder, die sich in Hecken oder auf Baume geflüchtet halten, 
wurden hertiitergeachoasen. Viele Tausend liefen in die See, 
wo sie elend umluimen. 

In dieser Schlacht verloren die Burgunder über 14 (XX) Mann 
(433, 2, 1), naeh einem anderen Bericht 800 mehr. Auf deut- 
scher Seile fielen nicht vieraig (133, 8, 1). 

Der Dichter bedauert die große 'L<\ hl der Toten: Ach wollte 
Golt, der türkische Kaiser halte 4UO000 Mann verloren an 
Stelle der armen Christenmenschen! (433, 3). 

Man verfolgte die Feinde bis in die Nacht hinein. In des 
Herzogs Lager fand man tausend köstliche 'Zelte und auch das 
kleine hölzerne Häuschen, welches der Herzog mit sich zu führen 
pflegte und das jetzt Herzog Reinhart als Unterkunft diente. 

B. Eroberungen der Verbündeten. 

Nacheinander wurden dann von den Bundesgenossen erobert : 

1. Renionl ( — Koinont) 

2. Milden (- Moudon) 

3. Stefis (— Stäfis, Eslavayer) 

4. Viffis (— Vevey) 

5. Kerrien ( — Yvenlou) 

6. Heuerlingen (— Peterlingen, Payerne) 

7. Morse (— Morges) 

8. Jenfl (- Genf) 

9. Losan (Lausanne) 

8. 9 gehörten dem Grafen von Komonl . 



,l r D-iciralftOTi 

*"■ UWEM1Y0" MICHIGAN 



- 107 - 

6. Wiedereroberung: von Nancy. 

Als nun Karl der Kühne zu Salins (Sa Hin) lag, beschloß 
der Herzog von Lothringen, Nancy wieder zu erobern, was ihm 
auch endlich mit Hilfe des Bundes gelang. 

7. Nancy. 

Sofort begann Karl der Kühne auf Wiedereroberung zu 
sinnen und bnid strömte ein Heer aus allen Teilen seines weilen 
Reichs zusammen, um ihm aus Schanden zu helfen. Tag und 
Nacht wurde Nancr beschossen, zahlreiche kleinere Kämpfe, auf 
die der Dichter nicht näher eingehen will, erfolgten. 

So iiuninen die Deutschen bei Saint Nicolas du Port (Sant 
Niclaus Port) den Burgundern tausend Pferde weg und töteten 
fünfhundert Mann (438* 7). Trotzdem hätte sich die Besatzung 
nicht mehr lange halten können, da es ihr an Nahrungsmitteln 
fehlte. 

Der Herzog von Lothringen setzte alles daran, mit Unter- 
stützung des Bundes Nancy zu entselzen. Am Sonntag den 
5. Januar 1477 (440, 5) beschloß der Herzog Rein hart den An- 
griff. Kt liehe rieten, man solle bis morgen warten, dann käme 
Proviant» auch sähe man bei dem Unwetter nicht weit. 

Trotzdem wurde der Angriff beschlossen und der Vormarsch 
begonnen, was im Heere allgemeine Freude erregte. Als Kart 
der Kühne die Signale der Eidgenossen hörte, erschrak er und 
hose Ahnungen regten sich in ihm. Die Deutseben knieten 
nieder und baten um Sieg, der ihnen durch dys Unwetter er- 
leichtert wurde. Bei der Verfolgung verloren die Burgunder 
5000 Mann (44a, 4, 4). Gefangen wurden u. a. die beiden 
hurgundischen Bastarde und der Graf von Nassow von Breda. 

Diese alle hatten mehr Glück als ihr Herzog, der das 
Lehen verloren hatte und der von einem seiner Knauuen drei 
Tage später (446, 5, 2) nackt und bloß aufgefunden wurde. 
Dieser brachte die überraschende Neuigkeit, die zunächst nie- 
mand glauben wollte, nach Kancy, doch bald wurde die Leiche 
erkannt. 

Es folgt eine Reihe allgemeiner Betrachtungen und Ver- 
gleiche. In der St. Georgskirche wurde der Herzog begraben. 
Die Witwe bot 1ODO0O Goldgulden für den Leichnam, den sie 
in der Familiengruft zu Uijon beisetzen lassen wollte. Doch ver- 
weigerte der Herzog von T*othringen die Herausgabe. 

Der Schluß enthält den üblichen Epilog an die Ilimmels- 
kaiserin .Maria zu deren Glorie Hans Erhart Tusch diese B. H. 
▼er faßte. 



cS^ UNMREITYOr MICHIGAN 



— 108 — 

Verhältnis der B. H. zu den Quellen nehsl historischen 
Bemerkungen, 

Nachdem wir im vorigen Kapitel kurz in den Inhalt der 
B. H. eingeführt und mit den wich finalen dort behandelten 
Ereignissen bekannt wurden, erübrigt u. a., diese Berichte über 
geschichtliche Vorgänge mt ihre Zuverlässigkeit zj prüfen und 
Näheres über den Wert des B. H. als Quelle festzustellen. 

Es isi. wie wir unlen sehen werden, üLeiaus wahr- 
scheinlich, daß der Verfasser der -B. H. persönlich an verschie- 
denen Feldiugeu teilnahm; ferner wissen wir, daß die B. H. 
noch im Todesjahre Karls des Kühnen veröffentlicht wurde 
(357, 1 und Schluß) und somit, wenigstens was den zweiten 
Teil betrillt, auf ziemlich frischer Erinnerung beruht 1 . 

ßo ist es wohl möglich, daß der Verfasser der B. H. als 
Augenzeuge der von'ihm geschilderten Kreignisse manche Einzel- 
züge mitteilt, die den ardern «Berichterstattern» unbekannt ge- 
blieben sind. 

Es handelt sich also im folgenden darum, die in der B. H. 
ü bei lieferten historischen Begebenheiten näher zu untersuchen, 
um festzustellen, inwieweit dem Verfasser, der gelegentlich auf 
die große Aufmerksamkeit hinweist, die er seinem Werk in 
Bezug auf die historischen Angaben geschenkt hat *, die ihm 
von Stoffel beigelegte Bezeichnung «bislorien* zukommt *. 

Zugleich werden auffallende Uebereinslimmungen der B. II. 
mit andern Quellen berücksichtigt und so der Versuch gemacht 
werden, die Abhängigkeit des Dichters von diesen bezw. seine 
Originalität festzustellen. 

Neben den in Kap. I aufgezählten Werken in deutscher 
Sprache wurden im folgenden häufiger benutzt die Akten des 
StraJJburger Stadtarchivs (St.-Arch.) sowie folgende neuere Be- 
arbeitungen der Hurgunderkriege * : 



1 Vgl. unten. 
* z. B, 362,3, 2. 

3 Dictionnaire biographique d'AUace, Liste preparatoire, Mul- 
housö 1869, p. 90. - Vereinzelt wurde die B. H. als Quelle benutzt 
von Witte, Zß. 0. Rh., N. F. IV o. im Jahrbuch der Gasellschaft 
für lothringische Ire schichte u. Altertumskunde 4, 1; von Liliencruu, 
HisUr. ValVfllipder IT, S. 5t n., sowie in den B. Chr. II, S. 5U9ff. in 
den Nachtragen z. S.62,8; 12n, 24ff; I2h\ 19; 141, 17 ff.; 2rtO. A. I; 
281, A. 2. Bd. III. ä 392, A. 1. 

4 Vor allem koounea in Betracht die in den Sü-Chr. 20, fc'Iöf. 
aufgezahlten Werke, Briefe und Urkunden. — Weitere Bibliogr. bei 
E. Toutcw Charles le T6m.6rairc et la ligue de Ccnetauoe, Paris 1902, 
p. 465 470. 



,1 r>iciralftOTi 

*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



- lüfl - 

E. v. Rodt, Die Feldznge Karin des Können, Herzogs von Bur- 

gund und seiner Er\>on. 2 BJc, i>chaffhuu-*en 1848—44. 
Strobel-Engelhardt, Vaterländische Geschichte des Elsasses. Bd. 

III, Strnßburg 1861«. 
J. Fester Kirk, Hislory of Charles the Bold, duke of Burgundy. 

Philadelphia, Bd. J u. II, 1884, Bd. DI, 1868. 
H. Witte in verschiedenen Bänden der Z«. G. 0. Rh., N. F. 

(1, 2, 6, 7, 8) - 

Einzelschriften sind beim ersten Auftreten genau bezeichnet. 

Einl e i tu ng. 

Der hier gegebene Rückblick auf das Leiten und die Taten 
Karls d. K, ist zuverlässig, die Jahreszahlen richtig. 

Dits 8C8, 3 erwähute Ertranken der Frau«] zu Luttfch 
scheint nicht auf Talsachen, sondern einem allgemein verbrei- 
teten Gerächt tu beruhen, vgl. Moue III, 443, A. Die Leg. 
sprich! von 200 ertränkten Frauen. Bezeugt ist nur, daß am 
Tage nach der Einnahme, am 30. Oktober 1468, die Mönche und 
Hie Frauen der besseren Stände in Booten nach Maastricht ge- 
bracht wurden '. 

Beim Niederschreiben der Einleitung scheint der Dichter 
die der Leg. im Gedächtnis gehabt zu haben ; jedenfalls fällt 
die AebnlichkeiL besonders am Anfange «fori auf*. Aber auch 
im weiteren Verlauf finden sich enge Beziehungen zwischen 
den zwei Gedichten, die auf eine Abhängigkeit des zweiten Ge- 
dichts von dem zuerst verfaßten schließen lassen. 

Es werden nämlich in den beiden Gedichten die Ereignisse 
toiii Jahr 14bä bis zum Beginn der Belagerung von Neuß ge- 
nau in derselben Keihenfolge und teilweise mit denselben Worten 
erzählt. 

Bei den sich widersprechenden Ansichten ober das Ver- 
hältnis der beiden Gedichte zueinander gehen wir etwas nSher 
darauf ein. 

Es folgt also nacheinander der Krieg mit Frankreich, schlie- 
ßend mit einem Vertrag: 

Leg. (nach Hormayr), S. 314: B. H. 357, 6, 3-4: 

Doch mustensy in künig lassen gembijr must er jn kung Ion 

hleyben. 

Dann es ward ein rachlunge raebtung ward des getroffen 
troffen. glich, 



■ üie B. H. koramt wiederholt darauf zurück, so 4 »8, 2. — 

Vgl. F. Kirk I, Witt; St.-Chr. 14, 821 ff. 

z Vgl. unten. 



,l r rViciralftOTi 

*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



— 110 — 

daran die Eheschließung: 
Leg., S. 314. B. ff. 368. 1 ff. : 

Darnach griff er tu der ee Dar nach in dryen joren balde 

Beycrey iaren minder oder mee. verhefft er sich ansz dich joch 
Auff der hor.hzeyt was hoher liuher frawen manigfalde 
frauwen tantz 

an Schönheit erea koment doch 
zierlich sur huchzit als mau 
thut. 
Sprach cr,er sehe lieber streytes der kurUwilbel ei bald zu vil 

glanlz 
Tod schlafen und gnrgel ab- vnd hall gesehen vergießen Mut 

stechen 
Stürmen vechren, stntie viiud stürmen vechten der selben wil 

sehlos brechen 
Als er zu dienanl helle getan Wie tu dienand vor hin be- 

scach . . . 

Darauf folgt die Eroberung von Lüttich, das Versenken 
schwangerer Frauen, der Zug vor Beauvais und Rouen : 

Leg. B. H. 359, 1, 3-4 und 2, 1. 

Der seihen stat gewan er wie grase sin macht gewesen 
auch nit an sy 

Dann das er mit vil raube vnd gewan er ir doch nuteit an. 
brfinde . . . 

Wann das durch brant dot- 
slage roub . . . 

Weiter berichten beide Gedichte von der Gefangennahme 
des Herzogs von Geldern, der Trierer Zusammenkunft and 
Karls d. K. Zug vor Kcufi: 

Leg. 315 und 316 o. B. H. 360, 5, lff. : 

Dann ob ich uch lang darvon 
seit 

Zoch er mit seiner bulschaflt mit lampariern vnd hicicartenn 

von laiiiuarLen 

V n d mit seiner geselscbafft den er sich mit sinera bussen leit 

pickarten 

Auch mit vil büchsser klein für nusz die statt die ich hie 

und grosz nenn. 

Für die statt neysz die er vast KCit allen bussen er vastschos 

Losch osa 

Zu iren turnen mauren vnd zu porLen zyunea turnen mu- 
potfen ... ren . . . . 



| e Oririnlfon 



IJ-I.'ER.-HV '0" ,'/i: HI'.,AN 



— 111 — 

Die Leg. erwAhnt nun kurz die Minenkflnipfe und die 
Fricdcnsvcrmittlungcn des Legalen, um eingehender von Hagen 
bachs Untaten und seinem Ende zu berichten. 

Die Ucdichfc fahren dann fort: 

Leg. 318, 4il.:i JB. H. 394, 2, 1 ff . ; 

Eswardauchdauomach anfange Der ptandschalfl losung wna 

des bunrips tonen nde riar vor 

DemBura,ui)diächenseinei plant- verkündet durch eynen heroll 

sehaflfi losung verkündet 

Mit eim herolt in brieflen der so bald der Lunl sich erhub 

pfamschilling uegriudei iwor 

Wie er in eine Lenant freystat wo burgunner sin gereit golt 

in golt rot 

Wäre gelegt .... Mocht nennen in der ffryen 

stall . . . 

Weiterhin folgen in beiden Gedichten die Kachezüge der 
Burgunder, dieleilweise in denselben Worten geschildert werden 
(B. H. 394, 4 IT. und Leg. 318, 10 IT.) und auch im weiteren 
Verlauf der Gedichte lassen sich zahlreiche Parallelen aufzählen, 
wie der «löbliche herzug», der «fursten herren sietl vnd lender» 
vor «Ellekor:» füfcrtc, der Vergleich Kaile d. K. mit Alexander 
dem Großen u. a. m. 

Ge^eii Ende ist tiie Uebereinislitiiinuiig nicht inelu so gioÜ 
wie gerade in der Einleitung. 

I. Hauptteil ; Die Neußer Zeil. 
A. Belagerung von Neuß. 

1. Die ganze Schilderung der Beschädigungen von Neuß, 
welche die B. H, entwirft, 3timmt nshezu wörtiieh überein mit 
dem Bericht eines Fortsetaers von Königshofen : Bibl. Kai., Mss. 
All. 83. Pfietcr äußert Eich zu «Fragment 66» auf' S. 221 
seines obengenannten Buches folgendermaßen t «A la suite de 
c« real, nous Irouvons le Journal d'un habitant de Strasbourg 
qui g'&ait rendu, an dehnt de retle annee 1475, a\ee I*p 
lioupcs de la villc a Pamicc de l'cnnpercur Frederic 111 detail 
Neuss. — — L*auteur du fragment qui suit nous lait le ree:t 
da l'dxpedriion enfreprise par \e eontingent de Strasbourg. — 
Le conlinuateur de la ehronique de Kn>nigshofen (manuscrit 83) 
avsit d'abord raconte les guerres du duc de .Bcurgogne, en re- 
samant Thistoire du siege de Neuss, dans les meines terraes 
q.ie da as l'Archivchromk. Puis il a deeouvert ce reeit plus de- 



,1 r>iciralffoii 

*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



— 112 - 

veloppe du soldal strasbourgeois et il l'a iiwere comme . piece 
justiGcative> 

Diese Annahme ist überaus wahrscheinlich. Es handelt 
sich nur darum, ob der eingehendere Bericht, den Ms. All. 83 
benutzt, die B. H. oder ein Prosahericht war. Auch die Arcbiv- 
chronik, S. "187 iL, scheint diesen Bericht benutzt zu haben, 
doch mit bedeutenden Kürzungen. Um von der Ueberein- 
-timmiirr dor Archivchronilc mit Ms. AH. 83 und der B. H. 
sowie den Kürzungen einen Begriff zu geben, wird es ger 
nngen, die zwei ersten Sätae dieser Chronik abiudrueken : 
«Die oberste portt an der statt Neüsz die ist wol erbaowen, 
mit! vier runden Ihflrnen. Voi der seihen portten lȣ ein 
gro&z haupt büchsen, und sunst ettlich schlangen darbey>. Die 
Arch. Chr. nennt wie Ms. All. 83 nur 20 Häuser, die ver- 
brannten. 

Lieber das Verhältnis der B. H. iura Ms. All. 83 wird fol- 
gende Gegenüberstellung näher unterrichten. 



Ms. All. 83. 

229, U: Die ober port an 
Nüsse ist vast wol erbuwen, 
«{lieh als ein sloss? mit vier 
runderter thürnen, in mitten 
ein umbhusz. TTfT der linckhen 
syten als man zu der porten 
ingat ist in denselher. tnurn 
geschossen zvrey grosse löcher, 
in das uiitlelyehü-se zwejr locher 
ouch. Und in den Ihurn uff 
der rechten siten ist in die 
venster geschossen worden. Der 
locher ist kein; durchrangen. 



229, 19: Vorderseiben porten 
nit verer ist ein giottc houpt- 
bühße gelegen, und sust elt- 
liche elaugen. 

229, 21 ; Hart vor der poi teil 
hetten die Burgundischen ein 
bolwerck so nohe gemacht zu 
der von Kusz bolwercke das 
sü mit spießen einander ge- 
reich! haben. 



B. H. 362, 5—6; 

Die ober port zu nusz ist vasl 
erbuwen wol starck wie ein 

vest 
vier runder turn gen sonnen 

glast 
daz z wuschen ein schon husz 
diyu zu lest 
Insz mitttelhusz geschossen 
warl 
vnd in die fordern turn all 

beyd 
mit der grosten me dann ein 

fart 
noch heschach den turnen nie 
Icyd. 
362, 7, 4 f. : ein houplbussz 
lag husz vtl dem ploo 
Mit vil schlangen vud dem ge- 
wuriu. 
388, 1, 2 ff.; ein bollwerck by 
der statt bollwerck 
schlug burgunner vff jm ge- 

siurrn 
glich hoch als ob es wer ein 
herck 



iv ^k 



r>iciralfroTi 
U S I VERSI TY " MIC HIC AN 



— 113 - 



Vnd so Dofa «las sy miltspieften 
von dem eynen 7u dem andern 
sich so fruntlich koniient gril- 
lten » 
das lachen jn weinen kan 
wandern. 



Ms. All. &3. 



ß. U. 

229, 2o ; Vor derselben por- 363, 3, 1 fl.: Von der selben 
ten au »Jein Rin abe ist die »orten an 
mure gantze bis an sanct Mer- den ryn hinab ist noch gar 
genberg, doselbs slol ein fröwen a^n\z 
Zoster, • • ■ die mur . . . 

363, 4, 1 II. : l'urbas bisz an 
sarat inergenberg 
dar noch unferr von der rint- 

mure 
siol ein frowen closterwerck . . . 

Diese Beispiele werden genfigen zu 2eigen, daß eine Kenntnis 
des einen Berichts bei dem Verfasser des andern unbedingt vor- 
ausgesetzt werden muß. 

Im folgenden verweisen wir auf die entsprechenden Stellen, 
um zu zeigen, daß die zwei Berichte sich Schritt für Schritt 
folgen und zitieren nur einige Stellen, die stärker voneinander 

abweichen. 

Ms. All. 83: 229. 27 ff. entspr. Als.: 363, 4, 4 
I » > 230, 10 ff. » v 366, 1, 1 

» » ä 280, 12fT. * d 3B5, 2, 1, 

230, 14 : Vor dem thore ist 366, 3, 2 ff. ; ein bollwerck 
ein vest gu» bollwercke gc- gut stot vor dem tor 
macht, innerthalp der porten oh t rissig huser brantent 
eint zwentzig hüscr vor- worlich 
brant von dem geschütte des an dem end jn nusz als ich 
hert zogen. «eil vor. 

Ma. All. 83: 230. 16 fl. entspr. Als. : 36o, 4, 1 
» » * 230, 1911. » M 366, 7, 1 
» > » 230, 2211. » t 300, 1, 2. 



1 Vgl. Straßb. St,-Äxoh. ; AA. 278, 21. — vnd sine so iohe 
by eiaander gelegen das sy mit werten xa sumen gestochen 
habent - 



M^K 



rViciralffOTi 

USIVEnSIlYO" MICHIGAN 



— 114 — 

Ms, All- 83. B. h. 

230, 26 : — zolport = Oeher- 36B, 1, 2ff : die 2ollport oder 

port. — Darumbe so hatl der ochertor 

herizog nit wollen d3rzu sehie- keynerley Schießens nit befint. 
ßen lossen als man seil sü ist vmb unser frowen willen zwor 
ouch jetzund gemacht das man verhetz burgunner vmb las 
mit pferden usz und in kom- die 

niet und sust an keiner porien strasw gon cch dar usa ging 
rner. vnd fort 

zu vnser frowen die porl doch 

hie 

genant wurl vaser frowen port. 

Ms. All. 83; 230, 28 entspr. Als.; 36ö. 6, 1 
» o • 230, 31 » » 366, 7, 1 

Die swei Berichte sind zutreffend, die Reihenfolge der Tore 
und hervor ragen der Punkte stimmt mit Wierstraat überein , 
überhaupt ist die Schilderung durch einen Augenzeugen unver- 
kennbar. 

Bei 366, 1, 2 scheint der Verfasser der B. H das Znlltnr 
mit dem Obertor verwechselt zu haben, das am 21. April 1475 
den Namen «rT.iehfrauentnrö erhielt (Wterstraat 2367 fl.), nach- 
dem am Charfreitag, am 24. März, von den Burgundern der 
äußere Wall zwischen Ober- und Zulltor genommen, gleichzeitig 
von den Lombarden am Rheinior eine große Bresche gelegt 
und dadurch die Stadt in die größle Gefahr gebracht worden 
war. 

Die Richtigkeit der übrigen Angaben läßt sich leicht nach- 
weisen. Greifen wir z. B. die Geschichte des Rheintores, die 
sich hier abspielenden Kämpfe, heraus, so können wir uns ein 
Bild von dem Umfang der durch die Belagerung angerichteten 
Zerstörungen machen. 

Das Tor wird zu Anfang niedergeschossen (627) 1 ; die 
Belagerten errichten starke Wälle (631); am 10. September 
stürmen die Burgunder uns neue Bollwerk am Hheintor (569 ff.); 
am Fest der heiligen drei Könige fällt ein Teil der äußeren 
Mauer in den Graben (1415). Weitere erbitterte Kämpfe und 
neue Bollwerke am In*., 22. und 25. Februar (1696 IT.), worauf 
das hart bedrängte Tor umgetauft wird und den Namen «Qui- 
rinstori erhält. Am Karfreitag erdlich findet der bereits er- 
wähnte Sturm statt (1929). 

Vgl. damit B. H. 363, & ff. 



1 Die in diesem Abschnitt in Klammern beigefügten Zahlen, 
beziehen sich auf die Verse der Wientraat'schen Keinichronik. 



,\ - D-iciralftOTi 

">"■ UWEWIYO'MICHICAN 



- 116 - 

Die Angaben Her R. H. über die Verluste der Neusser 
und ihrer Belagerer sind etwas ru hoch (367, 6 ff.)- Nach 
Wierstraat* verlor die Besatzung lfi hessische Ritter, 700 
Bürger und Knechte, 17 Bürger von ilonn und 11 Krauen. 
Ueber die Verluste der Burgunder äußert sich Knebel': cplus 
quam 10 rnilia homimun. et re vera famatur inullo nmphus 
quam scribo.» 

2. Wir besitze! zahlreiche Listen über das Reichsheer 

vor Neuß. 

Zwei sind hrsg. von A. Ulrich in den (Akten zum Neusser 
Krieg, 1472—1475»». 

Weitere Verzeichnisse Ünden sieh: 

3. bei Koelhoff, St.-Chr. 14, S. Ö38, 19— 34 ; 

4. in de» Zusätzen der StraBlmrger Hs. 844, Vfone I, 
S. 277—260; 

ö. in der Speirischen Chronik, Mone I, 51ä ; 

6. in dem von Knebel mitgeteilten Brief Ludwigs von Ep- 
tingen, B. Chr. II, S. 2Ö0 IT. ; 

7. in einem auf dem Staatsarchiv Luzern 4 befindlichen 
Bericht über die Belagerung von Neuß. Gedruckt in Bd. II 
der Eidgenössischen Abschiede, S. 547 f. 

Dazu tritt nun die in der B. H. gegebenen Liste, von der 
ein Teil, die vor Neuß versammelten Füreton und Herren um- 
fassend, abgedruckt ist in den B. Chr. II, S. 511. Der Ver- 
fasser der B. H. nennt, wie dort bemerkt ist, «mehrere 
Namen, welche bei jenen beiden [zwei der obigen Listen | 
fehlen ; allerdings fehlt ihm auch einzelnes was sie haben». 
Der die Reichsstädte umfassende Rest der Liste der B. H. ist 
in unsere Inhaltsangabe eingeschoben. 

Zahl und Gruppierung der Reichsstände ist in den einzelnen 
Quellen verschieden, häufig sind die Namen entstellt oder die 
Vornamen vertauscht. 

Immerhin ist eine gewisse Übereinstimmung der Reihen- 
folge in den Aufzählungen der B. 11., Ludwigs von Eptingen 
und der Speirer Chronik hervorzuheben, die sieh auch auf 
die zwei Ulrichscher Listen erstreckt, deren erste, S. 147 ff. 
nur die Fürsten und Herren, nicht auch die Städte berück- 
sichtigt. — 



i 1. a. 0. S. 611 V. 3075 ff. 

* B. Chr. TT, 164, 28. 

5 In den «Annalen des historischen Vereins für den Nieder- 
raeiu», Heft 49, Külu 1889, S. 147 ff. u. löOff. 

* Allgemeiner Abschiedsband D lliff. 



' ' "Pgk UNMREITVOr MICHIGAN 



— 116 — 

Die Liste der vertretenen Städte isl in der ß. II. voll- 
ständiger als in den meisten andern Quellen i. Nur in der 
Fortsetzung der Hs. 844 finden sich sämtliche in der B. H. 
genannten Städte und zwar nahezu in derselben Reihenfolge >. 

Auch in der Aufzählung: der vor Keuß vertretenen Städte 
in Herzogs Chronik » ist nahezu dieselbe Reihenfolge einge- 
halten, doch fehlen hier drei Städte. — Noch weniger voll- 
ständig isl itie zweite Ulrichsche Liste, S. löO ff. ; sie nennt 
aber dafür die Fuhrer der rcichsstädtischen Truppen, was 
sonst nirgends der Fall Ist. — Das Stadteverzeichnis der 
Speirischen Chronik ist mit dem Ludwigs von Eptin^en ver- 
glichen in den D. Chr. II, S. 202, A. 1. Ebenda, 3. S12, 
ist Eplingens Verzeichnis verglichen mit der Liste der B. H. 

Größere uogediuckte Listen befinden pich nach Pßster * 
im Ms. All. 83 der Bibl. Nationale bei einem Fortsetzer des 
Königshofen. — Eine weitere «Aufzählung der Herren und 
Städte im Reichsheero befindet sich nach Liliencron II, 58, A. 
in einer Handschrift der Fürstlich Oettingeii-Wallersleinsclieii 
Bibliothek zu Mnihingen. 

Ueber die 380, 3, 1 — 383, 2, 4 geschilderte Ausrüstung 
der 14 Slraßburger Schiffe haben wir sonst keine Nachricht. 
Ueber den Tag der Abfahrt des 4—500 Monn zählenden Fuß- 
volks am 27. März sind die Quellen einig; nicht so ober die 
Zahl der initgeführten Schiffe, die von 6 — 16 schwankt*. Der 
Unterschied der Zahlenangaben mag daher kommen, daß die 
Provianlschiffo teilweise nicht mitgerechnet wurden oder daß 
nicht alle Schiffe bis nach Köln mitfuhren. Jedenfalls machen 
diu Angaben der H H. in ihrer Genauigkeit einen sehr zuver- 
lässigen Eindruck und scheinen auf Augenschein zu beruhen. 
Die meisten Quellen beschränken sich darauf, kurz die Zahl 
der Schiffe und der Söldner zu erwähnen und nur Meyer hebt die 



1 Zwei Naineu der Sibirischen Chronik konnten wir in der B. H. 
oicht wiederfinden: Erttort u. Wincerheym. Sollte mit letzterem 
Winszheim ■= Nr. 2$ gemeint sein ? 

* Nr 39 Eagencw steht in Hs. £44 Ülone 1, 278) vor Nr. 38; 
Nr. 60 Weisel steht vor Nr. &8 a. 59; Kr. 63 Bremen vor Nr. 62 
Münster o. Nr. 8 Och steht als letzte Sturit. 

» S. Kap..L3m. - 

* Pfister, a. a. O.. S. 325 u. 228 gibt nur die Uebersciriften: S. 225: 
Die nach geschahen für&ten und herren einb by dem keyaer zu 
löhn« gewesen nemmlich .... Des keysers hofgesynden : - 

3, 228; Wie alle fiirsten und herren die by dem keyser im valde 
gewesen in der wagenburg gewesen gint: — 

Die harnaeh geschriben sint die stett die dem Reiser zu Dienst 
sint gewesen: — 

* Area. Chr.: 16; B. H.: 14; Meyer u. Wencker: 8, Knebel: 6. 



' ' "Pgk u^iveWiiyo-Sican 



— J17 — 

gute Ausrüstung mit Pioviant hervor «als wein, brut, mel, 
fleisch, habern, holtz, kolen, vellbuchßen, wagen, karrieh, ge- 
zell». Hier wird auch, wie bei Knebel ', der Backofen bezeugt, 
von dem in B. H. 382, 5 II die Hede ist*. 

Heber die Fahr! selbst berichtet die B. H. nichts näheres. 
Wir sind jedoch eingehend «her sie unterrichtet durch den 
Bericht eines Teilnehmers, wohl desselben, der auch die Be- 
lagerung von Neuß schilderte». 

Zu 333, 1, 1 IT. Ueber diese Uebergabe des Banners an 
Philipp von Müllenheim siehe dessen Brief an den Straßburger 
Rat bei Schilter, S. 1105. 

3. Der Bericht der B. H. über die Tätigkeit des Reichs- 
heers vor Neuß ist unklar, lückenhaft und nicht geeignet, ein 
klares Bild von den Ereignissen zu iceben. So wird von keinem 
einzigen Treffen zwischen kaiserlichen und hurgundischen 
Truppen berichtet, obgleich deren, verschiedene stattfanden. 
Diesem Bericht nach wäre der Herzog abgezogen ohne auch 
nur den Versuch gemacht zu haben, dem kaiserlichen Heere 
Widerstand zu leisten — weil es ihm schmerzlich war, daß 
der Kaiser und das Reich ihn Neuß, vor dessen Msuem er 
Tausende verloren hatte, nicht vollends nehmen lassen wollten! 

Diese ganze Schilderung: ist in der B. H. tendenziös ge- 
färbt. Der Dichter will glauben machen, daß Karl d. K. es 
gar Dicht wagte, dem glänzenden kaiserlichen Heere, dessen 
Kampflust Tü>ch trefflich zu malen weiß, {»e^en überzutreten. 
sondern es vorzog, sich zeitig aus dem Staube zu machen. 

Wann das erwähnte tl-angta^en» stattfand, ist nicht mit 
Sicherheit festzustellen. 

Das Ms. All. 83, mit dem. wie wir gesehen haben, 
der Bericht der B. H. teilweise nahezu übereinstimmt, er- 
wähn! verschiedene Verhandlungen, die vom 29. Mai*, vom 



1 B. Cbr. II, 199: mm r«e navihu* onußtissimis vietuallbus, intcr 
unas nna preeipue habnit rnolendinura cum fumc pinsali . . . 

2 Mcvcr: Und bcanndera hette die statt ein bachoffen and ein 
deickgedec in ein schiff lassen buwen. darin buch man stettes tag 
and nacht. 

3 Mitget. ven Poster a. a. 0., S. 222ff. Auch dieser Bericht ist. 
wie der über die Neußer Belagerung, nachträglich eingeschaltet. 
Nach ihm waren die einseinen Stationen folgende: HngM&zhfiim. 
Selaz, Germers/heim, Mannheym, Wormsz. Mentze, Rndeszheim, 
Bopar.en. Andernach «hie fundent wir den reysigen r.oge».'. Bunne. 
Oöfne (•aide logent wir by drigen wochen»). 

Es wird hierauf das Eintreffen der Reichs&ruppcn mit Angebe 
der Stärke and dos Datums der Reihe nach erzählt. 

+ Ffistör a. a. 0„ S. 228 : «Am mentag nach corporis Christi 
3lng man zwey gezelt uff im velde off zwen oderdrii armbroste 
schütze vor unser Wagenburg: darunter tagt man utK naht; der 



' ' "Pgk UNWErenYoY MICHIGAN 



— 118 — 

1. Juni" und endlich die \'om 17. Juni und den folgenden 
zwei Tagen ». 

Jedesmal wurde in einem besonders zu diesem Zweck er- 
richlcten Zelt außerhalb des Lagers getagt. 

Aul welche Verhandlungen bezieht sich nun die Angabe 
der B. H., nach dar vier Tage lang gotagt wurde? 

Ms. All. 83 nennt nur eine dreitägige Verhandlung am 
17. Juni; die andern scheinen nach ihm nur einen Tag ge- 
dauert zu haben. 

Nun hatlo aber am 16, Juni ein Tür die Deutsehen ziora 
lieh verlustreicher Kampf stattgefunden' , so daß die unge- 
duldigen Wort© des jungen KtlUrs nicht recht verständlich 
wären. Sie weisen vielmehr hin auf den Anfang der Ver- 
handlungen, auf diejenigen, die dem Frieden vom 30. Mai 
vorangingen*. Diese dauerten länger als einen Tag und 
wurden während de« Waffenstillstands fortgeführt 5. 

Auch hier war jedoch ein Kampf, der für das Reichsheer 
erfolgrpif.rie Kampf vom 23. Mai, voran sgfi»aiigen. 

Mit Sicherheit ist somit das Datum des Langtagens nicht 
festzustellen, da die Worte des jungen Ritters nicht genau zu 
nehmen Bind ; hatten doch in beiden Fällen Kämpfe bereits 
stattgefunden. Sie sind vielmehr aufzufassen als rein stilisti- 
sches Mittel mit dem Zweck, die Kampflust der jungen Ritter 
zu zeigen. Wir müssen uns also darauf beschränken, die 
zwei Möglichkeiten festzustellen : entweder dachte der Dichter 
an die Verhandlungen zu Anfang Juni, etwa 1. — 4.» oder an 



legat arbeitet sich sere darinnen Vgl. Bericht Eptfngens in Basel 
bei Knebel B. Ohr. Ii, 2*56, IG ff. l. Wülcker, Urkunden u. Aktca 
betreffend lie Belagerung ler Stadt Neuß (- Neujahrsblatt, des Ver. 
f. Gesch. u Altertumskunde zu Frankfurt am Main). 1877. ä. 95. 

1 «An doirestag darnach slüg man aber ein gusselt im velde 
äff . . • Vgl R Chr. It. 366, 22 f. a. Wä'Ukar a. a. 0.. S. 96. 

2 Pfister, 8. 23t : Item utT den samstag darnarca [vorher: Uff 
fritag nach sanet Viti und Modestitag] wart aber ein gazalt by 
unser Wagenburg im velde uffgeslogtn und d&iuuder deu genanten 
samstag ouch den suutag und uieutag getagt. — Bestätige durch 
Knebel. B. Chr. II, 258, 17 u. Wülcker a. a. 0.. 8. 104. 

3 Dieses Gefecht fand allerdings gegen den Willen des Kaisers 
statt. Den kampflustigen Truppen wurde das Lager vcrsohloEsen, 
so daß der größte Teil nieiargemacht wurde. Rodt I, 40'i; Annalen 
des hist. Ver. für den Jwederrhein, Bd. 4». S. l'jy : Brief vom 17. Juni; 
Wierstraat, S f>06; R. Chr. IT 973, A. 3. — 

* A. zu Wierstraat. 3. 599; Annalen a. a. 0., S. 117t; Knebel. 
B. Chr. IL 265, 37; Schilling, S 160. 

'' Schilling S. 100. Lew. and als man in diesen und andern 
Diniren lange Zit, von elm Tag an den andern, getedinget hat, ... — 
Wülcker, S. 9&ff.: Kaebcl. B. Chr. H, 2fl7, 36; nach Stolle, S. 101. 
fonden sogar na an am 6. Juni Beratungen statt. 



,[ . r>iciralfroTi 

S"" UWEnSITYO" MICHIGAN 



— 119 — 

die Mille Juni, die nach Ms. All. 83 allerdings nur drei Tage 
dauerten. Letztere Angabe wird bestätigt durch zwei Briefe 
bei Wülcker, S. 105, nach denen vom 17,-19. verhandelt 
wurde. In diesem Falle hätten wir in ihnen die eigentlichen 
Friedensverhandlungen ' zu sehen, die dem Abzug Karls d. K. 
von Neuß vorangingen. 

Dieser erfolgte nach der B. H. am 27. J im 1475 (390, 1), 
was auch sonst bestätig ist*. Nach Wierstraal verließ der 
Herzog sein am 10. Juni bezogenes Lsger an der Erfl » am 
26. Juni, der Kaiser das seinige am 27*. Nach Koelhoff 
(841, 8 ff.) und Slclle (104) fand der Abzug am 29. Juni statt. 
Letzterer gibt zugleich die Erklärung für diese Abweichungen: 
«sie logen zu trotze keineinander . . . also stunt isz lange an.» 
In der Tat zog sich der Herzog, durch schlechte Erfahrungen 
gewilzigt, äußerst langsam und vorsichtig zurück und bezog 
bereits am Abend des 27. ein neues Lager bei Schloß Hücken- 
rode, das er erst am 30. verließ. Diese Angaben bei Rodt 
werdeu bestätigt durch einen Bericht über den Entsatz von 
Neu£*, demzufolge der Hersog auf Dienstag« [27. Juni] ab- 
rücken sollte. Der Abmarsch rfe-s Herzogs verzögerte sich jedoch 
bis Freitag [30. Juni] <vnd das ist schuldt vnd brüst siner 
wagen gewesen vnd fürun^ hallt, als er fArwandt*. Und am 
Freitag rückle nach diesem Bericht der Herzog kaum von 
der Stelle. 

B. Ereignisse auf andern Kriegsschauplätzen während der 
Belagerung von Neuß; Tätigkeit der Feinde Karls d. K. 

1. Hagenbachs Wirken und sein Tod'. 

Die Untaten Hagenbuchs, seine Gefangennahme zu Breisach 
und sein Ende sind in Kürze zutrelTend erzähll. vielleicht tles- 

1 Ulrioh, \, sa Wicrstraat, S. 606; «Diese Friedensverhand- 
lungen sind Wierstraat unbekannt geblieben . . .* Rodt I. 405 nennt 
den 17. Juli (statt Juni) 147") aU den Tag des Abschlusses des 
Waffenatilhtandes. 

2 Ancienne Chrcnlque, Lenglet, t. II, p. 217 (F. Klrk Hl, 12»); 
Wälcker, Urkunden und Akten .... S. 108 (Brief vom 27. Junii ; 
Rodt I, 406. 

1 A. zu Wierstraat. S. 605. 
1 Wierstraat, Y. 2907 ff. 

* Abaehiedeband B 117 ff. (Staataarehiv Lasern); der Bericht ist 
abgedruckt in den «Eidgenössischen Abschieden > Bd. II, S. "4"> ff. 

* Onnh aol der Herzog vf Morn Zinsta(? hynn vnd enweg rücken 
vnd darnach dleK. M. dem Hertzog vun Burgundien alt nach ziehen. 
(8. 547). 

1 Mono III, S. 25B— 3ÖÖ. - Bibliogr. bei Ch. Nerlinger, Pierre 
de Hagenbach et la dominatien boirgnignonne en Alsace, Nancy 
1890, p. 164-169. - Vgl. Alsatia 1878)74, S. 324 f. und besonders 
Witte in Zb. ö. 0. Eh, N. F. 2, 1 nnd 901 ff. 



,| rViciralftOTi 

*"■ UWEM1Y0" MICHIGAN 



— 120 - 

halb so kurz, weil dem Verfasser die große Breisaeher Reirn- 
chronik, die j* Peter von Hagenbachs Leben eingehend be- 
handelt, bereits bekannt war; vgl. unten. 

2. Hericourl 1 . 

Die Vera 304, 3 erwähnte freie Stadt wer Basel. Hier lag 
das Geld zur Auslösung der verpfändeten Lande in der Höhe 
von 80 000 fl. bereit. 

Man bann «ich den Zorn Karls d. K. denken, als er von 
den KonHanzer Abmachungen *, denn Tode des Landvoftfe und 
der drohenden Haltung der Städle horle. 

Die alsbald erfolgenden hurgundiseben Einfalles wurden 
mit dem Zug des Bundes vor HeVicourt beantwortet. 

Der Berinht nher die Schlacht ist zutreffend, von der 
Ueberrascliung des Heeres der Verbündeten *, dem Kuttern 
der Pferde, dem Entgegenreiten Formhagens * und seiner Ver- 
wundung wissen auch die andern Quellen zu erzählen. 

Nach einem Bericht des Straßburger Rats an den Kaiser 
vom 21. November 1474 (St.- Aren., AA. 269), tend die 
Schlacht am 13. Novemher 1474 statt und die Ueherpahe von 
Stadt und Schloß am 17. November, also, wie auch die B. H. 
berichtet, «am funftlen tag» . Nach beiden Berichten durfte 
die aus mehr als 300 Pikanten bestehende Besatzung mit Ge- 
päck abziehen. 

Die Angaben über die Verluste der Burgunder sind sehr 
schwankend ; jedenfalls ist jedoch die von der B. H. überlieferte 



i Vgl. Witte, Zb. ü. 0. Rh., W. F. VI, 361 ff. 

' Die Verhandlangen waren am 23. März 1474 zum Abschluß 
gebracht worden. Die Urkunde über die Varhinrinng der H Orte und 
der niederen Vereinigung 1 vurde am 31. Mars ausgestellt; EidgenöBs. 
Abschiede II, 482, 911 f. 

' Am bekanntesten ist der Einfall Stephans von Ilagenbach, des 
Binders Peters, der am 10. August 1474 mit (SUOO Beleihen einen 
Einfall in 4cn Sandgau roschtc: Knebel, B. Chr. II, 103, 19 ff. und 
111, '&I2S., Schilling, S. 128 f. 

* Liste der vertretenen Herren und Städte bei Schilter, S. 374. 
Stärke des Heeres: lft— 2tMXK) Mann. 

1 Schiller, S. 373; vor dem Hage. 

* Falsch ist die in verschiedenen Quellen sich findende Datierung 
der Schlacht aal den 6. November 1474, so Arch. Chr., Ms. All Bit 
und Schilter. Meyers und die Iralinschc Chronik geben, wie auch 
«ie B. H., kein genaues Datum. F. Kirk III, 30 nennt falsch liehe r- 
•veise den 14. November als den Tag der Schlacht. — Auch die 
TJebergabe von Stadt und Schloß verlegen Arch. Chr. sovie Meyer 
irrtümlich auf den der Sehlacht folgenden Tag (tan dem andren 
tag»). Richtig setzen ScliiUiofc' (S. 143) und Knebel (B. Chr. II, 
im 19) die TJebergabe auf Donnerstag: früh an. 



,| D-iciralftOTi 

*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



- 121 - 

Zahl von 4500 Toten zu j(roß, wobei allerdings zu berücksich- 
tigen ist» daß auch in «ien andern Berichten von den großen 
Verlusten die Rede ist, die der Feind nach der Schlacht durch 
(Jen Brand der Wagenburg und eines Dorfes erlitt ". 

Während ferner nach der B. H. das feindliche Heer sich 
aus 91K)Ü Reisigen und oOOO Fußgängern zusammensetzte, 
schwanken die Angaben der anderen Quellen zwischen 16 bis 
20000 Mann'. 

Die 397, 2, 3 ff. erwähnte Flankierung des burundischen 
Heeres durch die Schweizer, die in der Starke von 4000 Mann 
den linken Flügel der Verbündeten bildeten und nach schwie- 
rigem Marsch cgar su rechter lyl nebent zu bar vff eyuer syl* 
kamen, ist ebenfalls bezeugte 

Da die sonst ziemlich vollständig erhaltenen Berichte der 
Straßburger Hauptleute uns für diesen Feldzug fehlen und auch 
die Arch. Chr. sowie SchiHer nur kurze Schilderungen geben, 
ist der mit Einzelzügen ausgestattete Bericht der B. H. für 
diese Schlacht doppelt beacblcnawert und wurde auch von Witte 
wiederholt herangezogen«. Auch die B. Chr. verweisen in 
Bd. II, S. £11 auf Tusch, «der überhaupt eine beachtenswerte 
Schilderung der Schlacht gibt.* 

3. Feldiuge im Jahre 1476». 

Nachdem die Straßburger am 1. Juli des folgenden Jahres 
ausgezogen waren und sich mit dem Bundesheer bei L'lsle 
vereinigt halten, erfolgte die durch den «Strauß« vorbereitete 
Erstürmung dieser Stadt am 20. Juli 8 . — Der wichtige Brücken- 
kopf Pont rte Roide war bereits am 12. Juli von dem Lanrivogl 
Oswalt von Thierstein genommen worden, — 

Bei der ziemlich eingehend geschilderten Belagerung von 
Blamont berührt der Dichter den vergeblichen Slurm der Ver- 
bündeten am Freitug, den 4. August 7 , bei dem auch die unter 



i Schilter: 2000 in der Schlicht gefallan, £00 nachträglich in 
zwei Dörfern umi Leben gekommen j Arch. Ohr.: IHM) •+- 600; Kusch; 
2000 (so Strooel: III 324), Meyer: 1000. 

3 So Arch. Chr.. Ms. AU. 88 n. a. Schilt er nimmt 1500O Mann 
an; Schilling 12000 Reisig-e and sehr viel Fußvolk. 

8 8. Wittes Dai-MeUun*. a, a. 0.. 3. 889f. und F. Kirk III, 21 f. 

« S. Witte, *. a. 0-, S. 369 A. ; S. 377, A. I ; S. 387, A. 4 

ft Vgl Witt« Darotcllung ia der Zs. G. 0- Eh., N, P. VIII. S. 
224 ff. 

« Stärke de* Bandesheeres s. Witte, a. a 0., S. 227. — YfL 
Schilling*, 'S. 191 f. und über den Stnrm die Briefe des Hans Krhart 
Dusch, 8t.-Aroh. ÄÄ. 281, 24 und AA 2ft1, 2fi. 

7 St -Arch . AA 274, 30; Knebel. R Chr. 11,277. 15 und Schilling, 
S. 197. — Kodt I, 440 ff- 



,1 r>iciralftOTi 

*"■ UNWERSITYO'MICHKAN 



- 122 - 

Caspar Harpfennigs Führung stürmenden Straßbur»er empfind- 
liche Verluste erlitten und der in ihren Reiben allgemeine 
Niedergeschlagenheit und Unzufrieden heil hervorrief, ziemlich 
kurz, um mit deeto größerem Interesse bei den Wundertaton 
des durch Meisler Hans von Nürnberg bedienten «Straußes:» zu 
vorweilen. Es wird sogar der Stellungswechsel erwähnt, der 
mit diesem Geschütz «viT yensit 4er slatt vGF den berg» (405, 
2, 1) unternommen wurde J. 

Diese Stelle der B. H., wie auch verschiedene Wendungen 
der Strophen 401, 1—3, erinnern an ein auf dem St. -Aren. (AA. 
274, 92) befindliches Schriftstück. Die hierher gehörige Stelle 
desselben lautet : — vnd durch mey9ter hansen rruren vnd 
turne noch dem aller besten beschossen vnd troffen habent / hat 
sollich schießen an dem end f dursh vberl reiflich beschültiinge 
der muren innwenditf nit verfangen / do durch wir vff eynen 
herg vnd vher ein lal von wytem ?u schießen mit rier Ixißen 
vnd etlichen slungen geruckt habent / . . . 

Die aus 400 Söldnern bestehende Bwalaung durfte mit 
ihrer Habe am 9. August 1475 abziehen. Das 3chb3 wurde 
tfgantz zerrissen, zerbrochen, und auch terbröni» J und die 
für das hochgelegene jBlamont so notwendigen Cisternen un- 
brauchbar gemacht. Von den unliebsamen Vorgäni»en bei den 
Straßburgern, deren Leute zum Teil einfach davonliefen, als die 
Haiintleute nicht sofort heimziehen wollten», weiß die B. H. 
nichts. Es wird nur die Wegnahme von Grammont und Fallen 
gemeldet und hierauf werden verschiedene Schlösser mit A.u- 
gab9 ihrer Besitzer aufgezahlt, 

lue die zyl vnd Yiilaug dar vor 
gewonnen wurdent durch den bunt 
zum allerlengsten in eym jor (409, 3), 

Diese eroberten Schlösser wurden bereits in der Inhalts- 
angabe auch unter den modernen Namen, soweit sie festzustellen 
waren, aufgezählt. 

Wir besitzen verschiedene mehr oder weniger umfangreiche 
Listen mit den Namen der iu diesem Feldzug eroberten Städte, 
so bei Schilling, S. 191 ff., bei Knebel, B. Chr. II, 27$, 14, ff., 
in der Ärchivthronik, S. 208 f. und besonders in dem Bericht 
an Herzog Sigmund über die Eroberungen in Hochburgund und 
der WaaÜ, ab**! ruckt in den B. Chr. III, 421 ff. 



' S. Witte, a. i. 0., S. 242. - Schilling S. 201. 
2 Schilling, S. 204. 
» S. St.-Areh. A4- 290. 



,l r rViciralftOTi 

*"■ UWERSIIYO'MICHKAN 



— 123 — 

Die zwölf in der B. H. in erster Linie genannten Schlösser 
und Städte finden sich auch in dem Liede des Zöllner Lei 
Liliencron JI, 66 ff. und, wie die B. Chr. II, 231, A. 2 be- 
merken, «kommen in der Tat, wenn wir die hei Schilling, im 
Liede und hei Knebel genannten Schlösser zusammenzählen, 
19 heraus . . . ,) 

Die Namen sind in der B, H. nicht nach dem Datum der 
Eroberung aufgeführt. 

Am nächsten kommt der Lisle der 3. II. ein undatiertes 
Schriftstück des StraSbui-ger St.-Arch., AA. 282, 3, in dem, 
wieder in anderer Reibenfolge, sämtliche Namen der B. H. 
sip-h wiederfinden. Ein einziger Name nur scheint in der B. H. zu 
fehlen: «Monyaye ist gesin hern Lepolten fryherre zu froberg 
ritler». — Dies« Notiz bezieht sich auf die Eroberung des dem 
Herrn von Froberg 1 gehörige n gleichnamigen Schlosses, frz. 
Montjoie, am rechten Ufer des Doubs, nordöstlich St. Hippo- 
lyte gelegen, dessen Uebergabe in der B. H. in Vers 408, 2, 1 
erwähnt wird *. 

Die Angaben der B. H. erweisen sich als zuverlässig, so- 
weit der moderne Name der Schlösser festgestellt werden 
konnte. Die Namen einiger Schlösser sind derartig entstellt, 
daS wir sie mit Fragezeichen verschen mußten. 

Vgl. zu 412, 7, 2 ff. Stolles Chronik, S. 62 ; «Vnd list 
ome allezit leszen zu tische historiam Alexandri» und S. 83 : 
«Sundern er wolde selbest korfurste, konnig, keiser vnd bobist 
Bin.» Knebel, B. Chr. J1I, 104, 26: «... legit hystorias 
.Mexiindri magni . . .» 

In der Tat hatte Karl d. Et. i. J. 1464 die Geschichte 
Alexanders des Großen von Quintus Curtius durch Vasco de 
Lucena bearbeiten lassen. 

Zu 413, 1, 1 -2 vgl. Stolle, S. 61 : «das er die werlt vndir 
sich beenge sulle, also koningk Allexander gethon hat» und das 
Gedicht «Vom strit von Nanse> bei Liliencron 11, 108, 10: 

Er schabt sich Küng Alexander glich ; 
er wolt bezwingen alle rieh. 

11. Hauptteil. 

Karls des Kühnen Niederlage und Knie. 

1. Karl d. K. in Nancy« 

Nachdem Karl d. K. seine Rüstungen möglichst beschleu- 
nigt hatte, wandte er sich geg?n Lothringen und jagte der 

1 Ueber die Herren von Froberg b. B. Chr. II, 202, A. 3. 
* Vgl. B. Ckr. in, 427, 6. 



rViciralftOTi 
UWERSIIYO'MICHKAN 



— 124 — 

niedern Vereinigung, die einen Einfall ins Elsaß befürchtele, 
keinen geringen Sehrecken ein'. Nachdem er das nahe an 
der Grenze gelegene Epinal am 19. Oktol>er 1475 genommen 
haue, erschien er am 24. Oktober vor Nancy, das ihm am 
27. November die Tore öffnete, so daß er am 30. unter Ent- 
faltung großen Pompes seinen Einzug in Lothringens Hauptstadt 
halten konnte*. Der Herzog versäumte es nicht, sofort in der 
St. Georgskirche einer feierlichen Messe ueiiuwuhneu, öffentlich 
den Eid als Landesherr zu leisten und demselben noch eine An- 
saht Versprechungen beizufügen — ohne daß es ihm gelungen 
wäre, die Sympathien des Adels oder der Bevölkerung für sich 
eu gewinnen, cNc firent Messieurs de la Noblesse aueun sem 
blant de l'ouir, et sernbloit a leur silenne, nVavoient perdus 
par mort tout eentiment, taut furent t'roidcmcnt reeuce les 
cajoleries et festoiement que leur fit ce Prince 8 .» 

Am'18. Dezember berief der neue Landesherr die Stände 
Lothringens nach Nancy, Aber auch die versöhnliche Rede, 
die er vor ihnen am 87. Dezember hielt, machte keinen Ein- 
druck, vielmehr bemerkt Bournon, conseitler d'Rtat, dem wir 
die Aufzeichnung der von Cayon wiedergegebenen Rede ver- 
danken : cCe discours ne fit grand effet, encore que Mous de 
Bievres, et Mons La Marche, qu'eetoit Capitaine es Gardes du 
susdit Duc, fit crier, en payant, vive li Duc de Bourgongne 
et Lorraine» und die «Chronique de Lorraine» 'fflgl ihrpm 
Bericht ausdrücklich hinzu: «Chascun crya : Oy. Ains en v 
eilt que [bien] altrpment dAsyroifint*.» 

Da in der B. H. uusdiücklich vom (dursten sal» die Rede 
ist, so haben wir es mit der Bede Karls am 27. Dezember zu 
tun». Auf sid beziehen sieb auch die Berichte der meisten 
Chroniken ö . Der Ton der Rede ist vom Verfasser der B. II. 



1 Ueber Stiaßbugb ftüsluiigeii vgl. "Wille, Zu. ö. 0. Rh., K. F., 
X, S. 238, A. 5 und S. -248. 

2 La Chronique de Lorraine, Nancy 1659, p. 181 s. ; Duguenin, 
Histoire dd la guerra de Lorraine et du siege ae Nancy. Metz 1837. 
p. 81 s. 

3 Ans dem «Eitraitdes Hömoirei de Thiriat» veröffentlicht von 
T. CaYon fn «Souvenirs et Mcnnmens de la Rataille de Nancy», 
Nancy 1837.— Vorher bereits bemerkt Thiriat: tLea steurs qu'estoient 
Chanoiues de U ColUgiale de SaiutrGeurgeö. fireut graude inipru- 
dence et donneront ^rand mecoatentement a tons les bons et lojaux 
Sajeto Lorrains .... Do cc faren» les Ohanoines en graad© rifice . . . .» 

* A. *. , S. 185. Vgl. auch die Anmerkung; ferner H. Witte 
im -Jahrbuch der tieaeUichaft für Lothringische Geschichte und 
Altertumskunde», 2. Jahrg., Metz 189Ü, S I — 100. 

5 Vgl Huguenin jenne, a. a. 0., p. 91 9. Witte, a. a. 0., kennt 
nur die Rede der Ctron. de Lorraine. 

Ä a. B. der bei 3ohiltcr, S. 87ö. 



,L- D-iciralftOTi 

U "J IVER5I TY " MIC HICAN 



- 125 — 

trut gslroflen und der Stimmung Karls trefflich angepaßt. 
Wähi-end die Lothringer jedoch nach übereinstimmenden Be- 
richten es nicht wagten, Karls Anerbietungen zurückzuweisen 
und die sofortige Huldigung zu verweigern, läßt der Verfasser 
der B. H. die Lothringer um Aufschub des Huldigungsaktes 
bitten, ein Zu*, der sonst unseres Wissens nicht überliefert 
ist, vielmehr den raschen Abfall der Lothringer beschönigen 
und die durchaas feindselige Stimmung der Lothringer gegen 
Karl d. K. deutlich zum Ausdruck bringen soll. (Ueber die 
zehn Bitten der Stande an Karl vgl. Digot, Histoire de Lor- 
raine, t. IM, Nancy 1856, p. 274.) 

2. Karl der Kühne erobert Grandson*. 

Die Darstellung der Eroberung von Grandson durch den 
Herzog unl der schrecklichen Bache, die er an der 400 Mann 
starken eidgenössischen Besatzung nahm, ist, abgesehen von 
ler Frage, uli Karl d. K. Wortbruch beging, zutreffend. Nach- 
dem die Be5at2ung schon am 21. Februar die Stadt aufgegeben 
und sieb auf das feste Schloß hatte zurückziehen müssen, er- 
gab sich auch dieses am 28. des Mona s, kurz ehe das aut 
die Hilferufe Denis zusammenströmende Heer der Verbündeten 
dem sehweibedränglen Schloß den ersehnten Ersatz /.li bringen 
vermochte. 

Zahlreiche Quellen, schweizerische wie elsässische, und mit 
leüteren dieB. H.*, versichern, daß Karl d. K.der Besatzung freien 
Abzug versprochen halte und wortbrüchig wurde, als er den Ge- 
laufenen das Leben nahm. Auch wissen wir, daß twei an die 
Garnison der StadL Murlen gerichtete Aufforderungen zur Ergebung 
mit Hinweis auf des Hci-zogs bei Grandson geübte Treulosigkeit zu- 
rückgewiesen wurden ; vgl. Rodt 11, 235 und 249. Nach Kirk 111, 
Ö13 f. sind diese übereinstimmenden Berichte nicht durchaus 
beweisend, zumal aus andern Quellen, den Briefen des Berner 
Rat* und insbesondere den Berichten des mailfindischen Gesund 
t«n Petrus Panicharola u. a. ein derartiger Vorwurf nicht ent- 
nommen werden kann. — Es handelt sich wohl um eine List 
des Herzogs, der, von den heranrückenden Scharen der Eidge- 
nossen und den niedern Hundes benachrichtigt, sich noch rasch 
des Schlosses bemächtigen wollte, was ihm auch gelang ; vgl. 
Rodt II, 50 ff. 



I Vgl. für die Einnahm* und Schlacht von Urandson den Auf- 
suz von .Frederic Da ßois: «Li Bataille de Graason» in der Zs. der 
Antiquar. GenellRcn. in Zürich, Ri. IT, Heft 4, 8. 81— M, mit 3 Tafeln. 

* 417, 3ff. und 432, 7. 



,| r>JciralftOTi 

*"■ UWEMTYO" MICHIGAN 



— 126 — 

Die in der B. H. 417, 1 auftretenden Zahlen 200 und SO 
finden sich auch in einem Brief bei Knebel, B. Chr. II, S. 362. 
Hiernach wurden jedoch 200 ertränkt, 80 erhängt und der 
Best weggeschleppt, so daß also in einem der beiden Berichte 
eine Zahlenverlauscliung vorliegt. 

3. Grandson. 

Auch hier stimmt die Schilderung der B. H. mit den 
übriyeu Quellen übereiu. Beru, Schwyz und Byel befanden 
sich in der Tat im Vortrupp der Schweizer. Das Glebet der 
Eidgenossen, «Jessen Auslegung durch den Herzog und die Auf- 
stellung des burgundischen Heeres sind Zuge, die sich in allen 
Berichten wiederholen. Der in Strophe 4SI, 6 erwähole Banner- 
herr war der Herr von Chäteau (inyon ; vgl. Schilling, S. 288, 
Du Bois, a. a. 0., S. 61 und Rodt II, 79. 

Die Straßburger Truppen, aas 269 Beisigen bestehend *, 
waren zu Beginn der Schlacht nicht anwesend und konnten 
nach Schilling (S. 291) nur noch an der Verfolgung sich be- 
teiligen, da die Wege versperrt waren, Sic bildeten nach 
Schilling eine Zeitlang _mit dem Basler Fußvolk zusammen den 
Nachtrab, was auch, aus der B. H. deutlich hervorgeht. 

Die Stärke des Heeres der Verbündeten wird sehr ver- 
schieden angegeben, die Angabe der B. H. hält sich mit 
20000 Mann etwa in der Mitte*. 

Iuleressant und für die lu'slurieche Treue der B. H. charak- 
teristisch, ist die Erwähnung der aufmunternden Worte, welche 
die zurückbleibenden Straßburger den vorbeiziehenden Ba»leni 
zurufen. Diese Einzelheit wird durch einen Brief Ulrich Mel- 
tingers von Basel bestätigt : «denn sy r =s die Straßburger] 
worend dureht die Fydgenossen georderet die hinderhAt zu hal- 
ten, . . . . und der von Flcckcnstein s behielt unser volk do- 
hindan, dasz sy übel verdrosz. und als man in zu berg sach 
rucken *, was herre i lern ia i von Eptingen by uns und sust 
wenig niler, der rüfll uns an und &ch etlich fässzTclk : , frommen 
Basler, werent dasz er da inner nit kommend Vgl. dazu B. H. 
420, 3, 3-4, 3. 



1 Naoh nnscheinend protokollarischer Aufeeichnang der Beotc- 
meicter; Staatsarchiv Luzern: Borgunderlrrieg; b. Eidgenöss. Ab- 
schiede II, S. 593. 

* Aren Chr., Ms. All. 83: 24000 Mann; Mey«, Knebel: WJÜU Wann. 

3 Fahrer der StraßbargM; vgl. auch B. Chr. IT, 8. 514. 

4 B. H. 'l'JO, 3, 11: Ale mai sach eynon hoffen rächen ?u berg. 

* Der Brief sieht bei Knebel; s. B. Chr. II, 358, 34 ff. 



,1 D-iciralftOTi 

& IV - UWEWIYO'MICHICAN 



- 127 - 

' In diesem Brief werden auch wiederholt die drei Haufer. 
erwähnt, m die nach 419, b, 3 und 7 der Herzog sein Heer 
geteilt halle 1 . 

Auch weiterhin ergeben sich auffallende Uebereinstimmungen; 
man vergleiche z. B. 420, 6 ff. mit einer weiteren Stelle aus 
obigem Brief: cdie dry hulTen schlügen zusammen, und ward 
ein huß", und niachtent einen finen spitz mit ylelicben küris- 
seren . . . . su ay trunieten und chuetei j» uud 421, 5» 4 II. 
mit der nahezu wörtlich übereinstimmenden Stelle des genann- 
ten Briefes, S. 359, welche die für den vorsichtigen Eptin?en, 
<:er denn auch seine Reisigen bald von weiterem Nachsetzen 
zurückhielt • , go charakteristischen. Worte entbdlt . Die Stelle 
lautet : « . . . hielt sieb herre Herman von Eptingen als ein 
wyecr und schickte im die eoldeoer und knecht hinnceb und 
sprach : ,ir frommen von Basel, begebend üch kein.s Vorteils, 
denn das fässzvolk mag üch nit zu gevolgen, solte er sieb 
denn gegen üch wenden, so were uwer zu wenig 1 .» 

Sc» wird weiterhin der Baoneiherr erwähnt, der erstochen 
wurde, Her Rain, an dem die Feinde sich wandten — kurz, 
die Ucbcreinstimmung ist eine derartige, daß wir sie ohne die 
Annahme der Abhängigkeit des einen Berichts vom andern 
nicht zu erklären vermögen. 

Der Brief Mellingertu der an der Schlacht teilnahm, ist 
gerichtet an «Johaneen Kriderieh von Munderstat notarien 2Ü 
Basel» und ist nach Knebel im Lager vor Grandson geschrieben', 
also nicht allzulange nach der Schlacht, denn aus dem IrJgenrlen 
offiziellen Bericht an Basel ergibt sich, daß die Basler bereits 
am 5. März das Lager vor Grandson verließen. Es ist anzu- 
nehmen, daß dem Verfasser der B. H. dieser Brief Mellingers 
bekannt geworden war und daß er ihn im Original oder in 
einer Kopie bei der Abfassung seines Gedichtes vor Augen 
hatte*. 

Noch mit einem ^weiteren Briefe hat die B, H. verschiedenes 
gemein. Derselbe wurde von der Stadt Biel an den Bürger- 
meister und Bit der Sladl Bern gerichtet und steht bei Knebel. 
B. Chr. II, 361 ff. Hieraus zitiert F. Kirk III, 329 eine Stelle, 
die zur B. H. 419, 5, 3 und 7 vortrefflich paßt. Vgl. außer- 
dem B. H. 418, 6-419, 1 mit ß. Chr. II, 362, 32 ff. Aut 
die Vertauschung der Zahlen 200 und fcO, die wahrscheinlich 
auch diesem Briefe entnommen, jedoch vom Verfasser des B. H. 



« f. E. B. Okr. II, 368. 

2 Rodt II. 86. 

s «Littdrft nissa da castrie ante biatison» 

« Vgl. B. Chr. IX, 514. Nachträge zu S. 857 nnd 8. 555 A. 2. 



,1 rViciralfroTi 

ö"" UWEWIYO'MICHICAN 



— 126 — 

verwechselt wurden, haben wir hercils hingewiesen. Eine 
weitere Abhängigkeit, diesmal über ein Fehler, der von der 
B. H. übernommen wurde, ist der, daß nach 426, 3, 3-4 
Friedrich von Tdieiil, der Sulm des Königs vuu Neapel, in der 
Schlacht fiel, ein Irrturn, der sich auch in dem eben erwähnten 
Briefe, S. 3G3, findet. 

Die nberaus reiche Beute, welche die Verbündeten im 
Lagrer Karls d. K. vorfanden, wird in den meisten Quellen ein- 
gehend beschrieben. Der Ansähe der B. H., daß 476 GeschDIze 
erobert wurden, kommt die bei Schiller. S. 376, am nächsten, 
nach dem 400 giuße Schlangenbüchsen, 60 Steinbücbseu und 
neun Haupt uüchsen, zusammen also 469 Geschütz« in die 
Hände der Sieger fielen. Rodt II, 98 nennt nach archivalischer 
Quelle 419 Feuersehlünde, noch weniger die Arch. Chr. S. 199. 

Nach der B. H. 426, 1 ff. waren in Grandson 26 Burgun- 
der zurückgeblieben. Diese wurden getötet bis auf drei Erite 
und 2 Knappen, die man gegen Brandolf vom Stein und zwei 
vou Frei bürg auswechseln wollte. 

Auch hier folgt die ö. H. dem Briefe Meltingers, B. Chr. II, 
360; nach einem andern Briefe (B. Chr. IS, 304) waren 26 
Burgunder im Schlosse, die alle erstochen wurden tuszgenom- 
inen ein burger von Disanlz und zwei edel, mit denen meint 
man BrandolOf vom Stein ze lösen.» Rodt II. 90 spricht von 
26 Gefangenen, die «vor den Augen der Hauptlcute niederge- 
macht wurden» ; Schilling, S. 291 f., von «wol dryszig», die 
totgeschlagen wurden, 

4. Murleni. 

Nachdem der Herzog sein zersprengtes Heer wieder ge- 
sammelt, neuen, teilweise auch in der B. 11. erwähnten Zuzug 
erhalten und seine Artillerie ergänzt halte, verließ er am 27. Mai 
sein Sammellu^er bei Lausanne, um am 9. Juni vor Murten 
zu erscheinen, das Adrian vun Bubeoberg (427, 7, 2) mit 
1600 Eidgenossen iwsetzt hielt*. 

Als Karl d. K. von dem Nahen des Entsutsheeres hörte, 
machte er verzweifelte Anstrengungen, des Platzes sich noch 
rasch zu bemächtigen. Nach heftigster Beschießung am 17. und 
18. .luni^ (zu 427, 2, 4 und 8, I der B. H.) unternahmen die 



i Vgl. H. Wattetet, Die Schlacht bei Murten, Freibirgor Ge- 
eohioKteMäUcr I. Frcibarg- i. üo- 1804, S. Jl 94. — Material bei 
Ochsenbein, Die Urkunden dar Belagerung und Schlicht von Murten. 
Freiburg i. üe 1876. Ü. 443 ff. ist der auf diese Schlacht beaögliehft 
Teil der B H. abgedruckt. 

£ Mi - , der Maunschaft aus Stadt und Bezirk Murten 2000 Siauii ; 
Meyer uuJ Rodt II, 190 

* Schilling, S. 831. 



' ' "Pgk u^iveWiiyo-Sican 



— 129 — 

Burgunder abends zwischen sechs und sieben Uhr den in der 
K H. erwähnten Sturm, der jedoch zurückgeschlagen wurde 
und die Burgunder j;roße Verluste kästele. Die in der B. H. 
angegebene Zahl von 900 Mann, die ejn dem graben kleben» 
blieben, stimmt zu den wohl eu hohen Zahlen der schweize- 
rischen Quellen, die nach Rodti zwischen 700—LOOU Mann 
3ch wanken. 

Vier Tage nach jenem für die Burgunder so verlustreichen 
Sturm, am Samstag 22. Juni 1476, kam es zwischen Mittag 
um zwei Ulli (vgl. dazu 429. 7, 2)* zu der Schlacht mJL den 
tum Entsatz herbeigeeilten Eidgenossen und ihren Verbündeten. 

Nach männlichem Widerstand wandten sich die Burgunder 
zur Flucht« Die Angaben der verschiedenen Quellen über ihre 
Verluste sind (Hieraus schwankend », da viele- im See ums 
Leben gekommen waren 4 . Auffallend ist die Bemerkung der 
B. H., die vüii 14000 Tuten zu Wasser und zu Land spricht 
und dann fortfährt : 

achthundert niee seyt der Las kau 

dar von yesagen dan jeh melde. 433. 2, 3 — 4. 

Die Verluste auf deutscher Seite betragen nach der B. H. 
nicht 40 Mann). 

2u 426 t 5 zu vergleichen der Bericht eines Schweizers 
uher die Schlacht, ahgedr. hei Orhsenhein, » a. O., S. 325: 
«und die Bettler (wie er uns nannte) . . .»; P. Etterlyn bei 
der Schilderung der Schlacht Nancy: «die Eidgenossen, denen 
er die bättler sprach» und Veit Webers Gedicht : Von dem 
slrit von Murteu, Str. 31. 

Zu 429, 4, 3 vgl. die Listen der 18 vor der Schlecht zu 
Rittern ^e*cblageiieii Straßburser in der Aren. Chr., S. 200 
und bei Meyer, S. 105«. 

Zahlreiche Einzelzuge erinnern stark an Veit Wehers 
Murtenlied, was bereits von den Herausgebern in der Als., 
S. 431, A. 3 und 432, A. l angedeutet wurde. Die Zahl der 
Vergleiche ließe sieh unschwer vermehren, wir nennen nur 



i IC, 210. 

a Vgl Wattelet, a, a. 0., S. ft4 sowie A. 135 und 138 auf S. ÖO. 

9 Die Angaben schwanken zwischen 8000 und 227001 Am 
nächsten kommt der B. H. Meyer, nach dem die Burgunder über 
14000 Mann verloren. 

4 Die Aren. Chr. z. B. nennt 8000 Tote und fügt hinzu, da IS 
viele im Soe ertranken. 

a Zu gering! Vgl. Bodt II, 287, der 500 Tete annimmt. 

« Zn 499, 4, 3fl vgl. weiter Wntr.elftt, n. a. O., S. 3Ä u. A. 
hierti auf 8. 78. 



: ' "Pgk uNWErenw Michigan 



— 130 — 

das die Schiacht einleitende Reitertreffen, von dem beide 
Dichter zu erzählen wissen 1 . 

Zu den Strophen 431, ß und 6 \gl. Knebel, B. Chr. III, 
18, 12 : «Interim cciam dueontoe viroe in quodam nemore 
repertos interfecerunt» ; ferner Schilling, S. 339 : «Do wurden 
auch otlich uff den hochan Böwmen, daruff «y dann von rechter 
textlicher Angst und Not gestigen waren, erstochen, die muszten 
lehren fliegen ohn alles Gefider . . .ä und Gedicht hei Lilien- 
cron II, S. 93, Str. 22. 

ft. Dieses Verzeichnis der eroberten Schlösser und Städte 
ist nicht vollständig. Hingehenderes Verzeichnis bei Schilling, 
S. 246 f. und in dem Bericht an Herzog Sigmund in den 
B. Chr. III, 421 Ü. — Ueber die Plünderung von Lausanne 
(B. H., 436, 6, 2 fl.) vgl. Schilling, S. 346 f. 

Der 436, 2 (T. erwähnte Tag zu Freihurg im Uechtland fand 
statt vom 25. Juli bis 12. August *. 

6. Der Herzog Rein hart war nach der Schlacht bei Murten 
zurnck gekehrt, hatte mit Unterstützung der elgfiasischen Stflrile 
und vieler Adligen des größten Teils seines Landes sich wieder 
bemächtigt und insbesondere seine Hauptstadt Nancy nach 
sechswöchentlicher Belagerung am 6. Oktober wieder erobert. 

7. Nancj ». 

Bereits am 22. Oktober erschien Karl d. K. vor Nancy 
und begann die durch strenge Kälte, Seuchen und zahlreiche 
für die Lothringer günstige Scharmützel sehr erschwerte Be- 
lagerung. Die B. 11. erwähnt nur ein größeres Zusammen- 
treffen, das vom 2. Dezember*, in dem bei St. Nikolaus von 
1000 Burgundern nicht weniger als 800 fielen ; 438, 3 und 
439, 4 weist sie auf die andern Treffen kurz hin. 

Inzwischen war es dem Herzog Reinhart durch die Unter- 
stützung des r> Jedem Bundea und der Schweizer gelungen, ein 



' Vgl. besonders Liüencron n. 8. 93, Str. 14. 4 ff. mit 8. H. 
420, 7, 1 ff. 

* Chmel, Monnmenta Hababnrgica I, I, S- 218 ff. ; Eidgenössische 
Abeohicdc, Bd. 2, S. bOlff.j Schilling fl. zm ff. 

» Ueber die Geschichte von Nancy i. J. 1476 vgl. Ch. Pfster. 
Histoire de Nancy I, Nancy 1WHJ, p. Küfs , über die Schlacht p. 1Ö2 ».: 
7.11 letzterer ferner H. Witte im Jahrbuch der ttasellßoh. für lothring 
Gesöhichta 4, 1; Matz IflSfö, 8. 117ff. ; II, Laux, üeber die Schlacht 
bei 3ancj. Rust. JJisB.: Berlin 1895. Mit einem Plan der Schlacht 

Liuratur'-crzeichnis u. Quellenkritik. — J. Meyer, Bericht eines 
Zeitgenossen aber die Schlacht bei Nanzig u. den Tod Karls des 
Kütncn, Alemannia Bd. X, Bonn 1382. S. 137-142. 

* Kodt fälschlich: 2. September. Wach Sßhilter, S. 3^9 wurden 
600 erstochen und 200 ertränkt. Die B. H. spricht voa 500 die 
umgebracht wurden n. manchem, der «wassersüchtig wart». 



,| D-iciralftOTi 

*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



- 131 — 

Heer zu sammeln, mil dem er am 4. Januar in St. Nikolaus 
anlangte gerade zu rechter Z«it, um Nancy, in dem Mangel 
an Nahrungsmitteln herrschte, zu entselzen. Oboe Zögern 
griff er bereits am folgenden Tag den Herz:»* an, der ihn in 
einer festen Stellung erwartete. 

Die in der B. H. gegebene Darstellung der Schlacht ist 
ziemlich naiv, dabei aber mit zweifeltos richtigen Einzelzügen 
ausgestattet und auch im allgameinen mit den andern Quellen 
übereinstimmend. 

Zu 443, 3 ff. vgl. den Bericht bei Meyer, S. 107 : cDo 
erhuh sich ein ernstlich fechten und stryten wider einander 
zu roß und zu fuß mit großem schalle, dran I dran ! und vile-r 
trumpeten und boucken getane und besonder des büfTelhorns 
von Ure jrrob* mugeechrey, davon der Burgunder merekte 
seiner widerpart macht und bald empfände daß er geschlagen 
was.» 

Hier wird auch der in der B. H. erwähnte starke Nebel 
und Schneefall sowie der darauffolgende Sonnenschein bezeugt. 
Auch die Chr. von Peter von Hagenbach, Schilling und Etter- 
lyn wissen von dem sLarkeu Schneefall zu berichten, unter 
dessen Schutz die b'Iankierung der burgundischen Stellung 
gelang. 

Zu 443, 2 fT- : Nach der Chronique de Lorraine (S. 293) " 
seizte Vaukrin Wisse den Führern der Eidgenossen vor der 
Schlacht die Lage folgendermaßen aufeinander; «Messieurs, il 
est tiecessiley »Je seavoir par quel nioyen uous vollous deslivrer 
ceste bataille ä duc de ßourgoigne, car il a [sur] ce chemin 
tout son cas asseure, [et toute son grtylleric y fest affeutee, il 
Masseure que droiet ä luy nostre bataille nous vollons presenter, 
quond ainsy Ic feriez (feriens). aon artyllerie grand domraaige 
nous feroit . . .»• 

Ganz ähnliche Utberlegun^eti legi unser Dichter in Ueber- 
einstimmur.g mit Knebel den deutschen Führern Oswalt von 
Pi erste in und Wilhelm Herler in den Mund. Witte, a. a. 0., 
S. 123 f. i3l der Ansicht, daß W. Herter die Umgehung vor- 
schlug, währendf er den Bericht der Chronique nur insofern 
gelten lassen will, als Vaultrin Wisse auf einen alten Karren - 
weg hinwiee, der die Um^chun^r erleichterte. Digot folgt in 
seiner Darstellung (a. a. O., S. B41) der Chronique. 

Die Angaben über die Zunlenvcrhältnissc der zwei Heere 9 
sowie die Verluste der Burgunder weichen ziemlich voneinander 

El 



i Aehnlich in der Ohr. von Rftgenbach ;Mcne III, 412, 21211}. 

8 Vgl. Lauas, a. a. 0., S. 16. 



| £ Oidnlfon 



UMVEraTYO'HCHl'iAN 



— 132 — 

ab; die ß. il. wiid die Verluste mit 6000 Mann zu hoch an- 
nehmen >. 

Ueber die Gefangenen, die Auffindung der Ltdehe des 
Herzogs am dritten Tag, seine Heiselzung in der St. ücorgs- 
kirehe, sowie die Weigerung des Herzogs Reinhart, den Toten 
der Witwe zu überlassen, sind die Quellen einig. 



Aus vorstehender Untersuchung glauben wir folgende 
Schlüsse ziehen zu dürfen : 

1. Die B. H. ist im ganzen ziemlich zuverlässig. Direkt 
falsche Angaben konnten nur ganz wenige nachgewiesen werden. 

2. Es werden aus den jahrelangen Kämpfen nur die 
wiehtigslen herausgegriffen und behandelt. Kleinere z. T. für 
die Deutschen ungünstige Scharmützel, zahlreiche größere und 
kleinere Unternehmungen der Verbündeten werden nicht oder 
nur ganz flüchtig erwähnt. 

9. Die D. II. teilt die Sclmächeu der zeitgenössischen 
Werke, die jedem Historiker sattsam bekannt sind. Ein Ein- 
blick in den Zusammenhang der Ereignisse ist hier, wie auch 
>onst, kaum zu entdecken, tendenziöse Entstellung der Zahlen* 
Verhältnisse hier wie dort üblich. 

4. Andere Züge wiederum, die sich im Laufe der Zeit als 
unrichtig herausgestellt haben, teill die B. H. mit andern Ge- 
dichten und Chroniken ihrer Zeit, 30 dati wir eine wirkliche 
Legendenbildung annehmen müssen. Wir erinnern an das 
.unehliche Ertranken schwangerer Frauen zu Lüttich sowie 
einzelne Aussprüche Karls d. K. 

5. Ob der Verfasser der B. H. die Namenverzeichnisse, 
denen große Sorgfall gewidmet ist und die sieh in dieser Aus- 
fuhrlir-.hkeil sonst selten finden, persönlich verfertigte oder ob 
er die anderer benulzte, läßt sich nicht teststellen. Immerhin 
liegt die Vermutung nahe, daß der Verfasser persönliche Auf- 
zeichnungen benutzte, da er, wie wir in. folgenden sehen 
werden, Augenzeuge eines Teiles der von ihm besungenen 
Ereignisse war. 

6. Der Verfasser der B. U. hat teilweise fremde Quellen 
benutzt. Eine solche Abhängigkeit ist in einem Fall (Brief 
Ulrich Meltingers) mit größter Sicherheit anzunehmen, in zahl- 
teichen weiteren Fallen überaus wahrscheinlich. 



1 Allerdings steht die B. H. nicht allein: die Chr. voi Hagren- 
bach W«iH von ebensoviel Toten zu erzählen, noch höhere Zahlen 
geben die Aren. Chr.: f>67S u. hctailter • über tiUUU 



,l r D-iciralftOTi 

*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



— 133 — 

Der Verfasser. 

Geber die Person des Dichters ist ziemlich wenig bekannt, 
ja selbst über 3einen Namen ist man nicht einig. 

Heißt der Dichter nur Hans Erbart, wie Hain ' annimmt, 
und ist lösch* nur ein Beiname, = tütsch, der seine deutsche 
Gesinnung den Welschen gegenüber zum Ausdruck bringen 
soll? 

Oder enthält dieses tusch = leutonice einen Hinweis .vif 
den Gebrauch der volkstümlichen Sprache im Gegensal2 zu dem 
damals üblichen Latein der Gelehrten ? — So druckt z. B. 
Hochholz auf S. 21Ü seiner «Eidgenössischen Uederchronik»* : 
«Haus Erhart, tütsch Beschreibung der Burg. Kriege . . . .» 
und jrihl die ersten drei Verse der II. li. wieder. 

Gegenüber dieser Auffassung -ist mit Als. S. 344 darauf 
hinzuweisen, «daß der Dichter in seiner Historie stets tutsch. 
plur. lutsche, und niemals tusch fflr deutsch schreibt». 

Ibt endlich lüsch zum Geschlechtsnamen geworden, wie 
neuerdings allgemein angenommen und gedruckt wird? 

Hieß der Dichter Hans Erhart, so sind wir bei der relativen 
Häufigkeit dieses Nomons im 16. JahrhundcrL in ziemlicher 
Verlegenheil. 

Rcetfce, der den Dichter «Tusch» in der A. d. ß. 39, 
S. 26—27 bespricht, weist für diesen Fall in einer Anmerkung 
hin auf den bei RodM erwähnten Büchsenmeister Erhard, der 
in einem Berner Schreiben vom li). April 1476 bezeugt ist. 
Derselbe 'war nach Hodt durch den Hauptmann Bubenberg der 
Sladt Straubing empfohlen aber sonderbarer Bedingungen wegen 
vom Hat nicht in Dienst genommen worden, 



i Repert. bibl. I, S. 321, Nr. 66B4. 

- Die*e Aussprache ist zweifellos anznuehmen, wir- auch in der 
A. d. B, 39, S. 26 und neuerdings im Grundriß geschehen ist. Als. 
und mit ihr öödeke n. a. drucken tusch in Uebereinstiminuug mit 
der in A übliehen Schreibung, wo kusch: tuaoh reimt, B druckt 
kusch: tusch. 

küscti. ktlsch oder kaseh ist elsäss. Schreibung für das aus ahri. 
kuski uro geläutete mfcd. kiusch(e). 

Da A nur selten den i l 'miaut des u duicli r.vei Striche an- 
deutet, so ist dar kusch : tusch nicht auffallend und es kann über 
den Lautwert des u =-= ü in diesem Falle kein Zweifel sein. 

3 Bern lB3x 

4 v. Rudt, Die Kriege Karls des Kühnen, Bd. II, Schaffhansen 
1844, 8. 188. 



r 



,\ D-iciralftOTi 

*"■ UWEMIYO'MICHICAN 



— 134 — 

ba der Dichter an den Feld2ögen, wenigstens teilweise, 
zweifellos teilgenommen hatte und großes Interesse für Belage- 
rungen zeigt», so hat Rcethes Vermutung, daß der Dichter 
Bücheenrneister war, viel fnr sich '. 

Für die Existenz eines Dichters, und zwar eines Straß- 
hurgers, mit dein Geschlechtsnaroen Tusch spricht dagegen 
eine Wiener Handschrift, die von H. Lamhel verödenüicht 
wurde unter dem Titel ; «Meislerlied von H. E. Tüsch> ». Das 
Gedicht besieht aus zwei Strophen zu acht und neun Versen. 
Es ist vollstäudig* und verdient die ihm von Gödckc beigelegte 
Bezeichnung «Spielerei» in vollem Maße, hat doch der nieder- 
schreibende Dichter an dessen Adresse das Gedicht gerichtet 
war, selbst für nötig befunden, die Reirnwurle durch gleiche 
Interpunktionen (, ; . „ • .-. . .) hervorheben. 

Das Gedicht trägt im Wiener Codex die UeLerschrifl : 
Sequitur Carmen vulgare a Johanna Erhardo Tijech eivi Argen- 
tinensi in me factum. Am Schluß steht: finit. Die folgende 
stark abgekürzte Zeile liest Lnmbcl folgendürnvtflen : Sequitur 
carmen a me in prrediclum in Signum gralnrurn priore scilicet 
cermine editum a . 

Die R. H. selbst gibt wenig Auskunft üher ihren Verfasser, 
der den «lest on alle glose» (399, 7, 2) sagen will. 

Folgende Punkte scheinen geeignet, auf die an die Person 
dee Dichlere eich knüpfenden Fragon einig«; Licht zu werfen ; 

Seine Heimat ist sehr wahrscheinlich Straßburg. 

Kost he« bemerkt dazu: «Wie der Druckort zeugt auch 
der Inhalt dafür, daß der Poet in Stroßhurg zu Hause war: 
die Heimaistadt, «des Rheines hochsie Krön)', ist die eiste, 



1 Vgl. die Schilderung der Belagerung von Blamont, S. 403. 1 

—405, 4, 

* Eino im Stroßb. St -Aroh. AA. 998, 10 befindliche Liste von 
1) Bächsenmeistern mit ihren Knecaten enthält weder den Namen 
Erhart noch Tusch. 

a Im «Archiv für die Geschichte deutscher Sprache u. Eichung». 
Hrsg. von Wagaer, Wien 1873 ff. Bd. I, S. 442 t Milteilg. ans Cod. 
3214 der Wieuer HuftiibliuLliek, lö. Jahrk., Bl. 202 v. tfafaulae II. 

234:. 

* Godekes Bemerkung" «uavollslöndig> scheint uns nicht gerecht- 
fertigt. vGrdr. zur Göschiolit© der deutschen Dichtung, 1 *. S. 315, 

Nr. 3B\ 

& Es folgt dann eine auch bei God«ke, a. a. 0.. erwähnte Be- 
merkung mit ihrer symbolischen Ausdeutung der Zahl der Sit/.leio 
und der Silben. Leider ist uub das durch dies interessante Vorwort 
eingeführte Gedieht nicht erhalten. Es hat wehl schon früh eeinen 
Liehhaber gefanden, denn das folgende Blatt ist ausgeschritten. 

n A. d. B., Bd. 39, a 2« f. 

* 3&0, 3, 1. 



,| r>iciralftOTi 

*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



— 13B — 

die er in der Reihe der gegen Neu3 ziehenden blüiite nennt; er 
verweilt gerne bei den Wundertaten des StraSburger Geschützes, 
des Straußes». Maria ruft er an, weil ihr Bild in der Straß- 
burger Streitfahne schwebt*: bei fast allen Ereignissen, von 
denen er berichtet, waren auch StraäburgerTruppenbeteiligt.. .» 

Hinzuzufügen «are u. a. noch die eingehende Beschreibung 
der Ausrüstung der vierzehn in den Neußer Krieg ziehenden 
Straßburger Schiffe, die nur von einem Augenzeugen, wo nicht 
Beteiligten, herrühren kann : bu be&chten auch V. 381, 7, 3—4 : 

<6B füren mit vil fremder künden 
derhalben ich nit nennen kan.» 

V, 39ö, 7 f, : 

«Mang: von hasperg der fromm vnd werd 
hielt hy strassburgem vfT der ban . . i 

Auch beim Marlener Entsatzheer wird unmittelbar nach 
dem Herzog Hein hart von Lothringen Straßburg genannt, 
s. 429, 1, 3. 

In dem Wiener Codex endlich wird ein Tusch oder Tijsch 
unmittelbar als «civia Argcntincnsis» bezeugt. Daß diese An- 
gabe sich auf den Verfasser der B. H. bezieht, 9leht nicht fest, 
ist jedoch mit großer "Wahrscheinlichkeit anzunehmen. 

Aber auch ganz abgesehen von dem letztgenannten Zeug- 
nis, abgesehen von der zweifellos elsässiachen Sprache der 
B. H. haben wir nach Vorstehendem allen Grund, Tfisch als 
einen StraBburgcr Bürger zu betrachten. 

So nennt ihn denn auch Witte gelegentlich den «gleich- 
zeitigen Straßburger». 

Ob der Dichter in Straßburg geboren wurde, ist ungewiß. 
In dem Buigerbuch, das über Fremde» die das Straßburger 
Bürgerrecht erwarben, gewissenhaft Buch führt, findet sich 
lein auf Tusch bezüglicher Eintrag, 

K. ReuB* spricht die Vermutung aus, daß Tusch aus 
Schlettstadt. stamme, auf Grunde eine«; Lotes dieser Stadt in 
Strophe 386, J, eine Ansicht, der wir uns den zahlreichen für 
Ötraßbua" sprechenden Zeugnissen gegenüber nicht anschließen 
können. 



i 402, 4, 3 : 403, 7, 4 ff. 

* 398. 4. 

5 De ßcriptorihus rerurn alsatkarum iiBtoricis . . ., Aigentorati 
1898, is. 69: «et nesoio an e Salestadiensi eivitate ortuo alt qunni 
eam arbem aonunis laudibu» extollat». 



f 



' ' "Pgk MWErenvor Michigan 



— 136 - 

Die Persönlichkeit des Dichters tritt in der B. H. 
sehr wenig hervor. Selten nur spricht (kr Verfasser von sich 
in der ersten Person. Erst der Schluß enthält die «nicht ganz 
unzweideutige Angabe» 1 des Namens des Autors ; 451, 6, 3 — 4 ; 

«bescblussel hie hans erhait tusch 

die burgundisch hyslorie.» 

Die durch die Beschießung angerichteten Beschädigungen 
der Stadt Neuß hat der Dichter mit eigenen Augen gesehen ; 
363, 6, 1-2: , 

« — als ich habe 

geprufet vnd manig fiumm man'.» 

Ebenso kann nur ein Augenzeuge wie Tusch sprechen ; 
384, ö, 3—4: 

«wer den do sacb [den gezugcj vor ader noch 
der wdsz das ich des iiiemaii trüge.» 

Vielleicht war der Dichter auch an der Schlacht hei Murien 
beteiligt; 430, 3, 3-4; 

csfhiesmi seh lagen slrytlichs gefacht 
erhub sich bald als jch erschein.» 

Wahrscheinlich ist jedoch hier erschein nur als Flickwort 
aufzulassen = deutlich mache. 

Für die Teilnahme Tuschs an den übrigen Kämpfen fehlen 
zwar direkte Zeugnisse, doch ist die ganze Art der Schilderung 
eine derartige, daß die Anwesenheit des Dichters sehr wahr- 
scheinlich ist — 3o wird u B. die Belagerung von Blamont 
mit vielen Einzelheilen in einer Weise erzählt, die den Augen- 
zeugen deutlich verrät. Auch die Schilderung der Schlacht 
bei Grandson und der hieif gemachten Beule ist h> lebendig, 
daß die Annahme, der Dichter sei persönlich auf dem Schlacht- 
feld© gewesen, sehr nahe liegt. 

Bcslärktj werden wir in dieser Annahme durch die 
treffenden wiederholt eiugeslreuteu direkten Heden, welche die 
ganze Stimmung und Lage I reiflich charakterisieren und von 
einem Unbeteiligten schwerlich in derartig treffender Kürze 
hätten wiedergegeben oder nach klassischem Muster erdacht 
werden tonnen*. 



1 Roaihe, a. a. 0. 

» Nach Wifsrstraat, 8. 601. wurde vom 31. Mai bis 3. Juni 1475 
von Freund zu St Quirin gewallfahrtet. - Vgl. St-Arch., AA. 279, 22. 

s Roethe in der A. d. B.: «wohl möglich, daß Tisch . . . Zeuge 
vieler der erzählten S4usftmmen6töße war». — «... und dUErohernnft 



,1 D-iciralfroti 

*"■ uwewiyo'michican 



— 137 — 

Des Dichters reges Interesse für Geschütze und Beschie- 
ßungen wurde bereits erwähnt, doch ist bemerkenswert, daß 
das Inleresse für die Artillerie in jener Zeit überhaupt ziemlich 
allgemein und nicht nur Tusch eigen ist. Wiederholt berichten 
auch die andern Quellen von den Taten des cSiraußes», des 
berühmten Slraöburger Geschützes, das von 18 Henjrstcn ge 
zogen wurde. 

Auch über die sittlich-ethischen Vorstellungen des Verfassers: 
sowie seinen Charakter werden wir durch gelegentliche Re- 
flexionen etwae unterrichtet. 

Das Beslreben, die Wahrheit zu sagen, wird von dem 
Dichter wiederholt betont, so in dem bereit« silierten Vers 384, 
5, 4 ; ferner auch 362, 3, 1—2 : 

«Doch umb das man ein dein fernem 
das ich mit gedieht nieman Irujje.» 

Ferner ist neben einem gewissen Hang zu ironischen und 
satirischen Bemerkungen' sowie einem sehwach entwickelten 
NaturgefGhl' tor allem die liefe Religiosität und der sittliche 
Ernst des Dichters, ein Zug, der durch las ganze Gedicht 
hindurchgeht und wiederholt in moralischen Betrachtungen 
sich äußert. Hier ist besonders bemerkenswert die Betrachtung 
nach der Schlacht bei Hericourt auf S. 399». 

Ebenso fällt sofort auf der tiefe Haß des Dichters gegen 
Karl d. K. Nicht müde wird er, demselben wirkliche und 
angebliche Greuel, wie die zu Lüstich, vorzuwerfen und jede 
Gelegenbeil benutzt er. dem verhaßten Gegner einen Stich zu 
versetzen, so nach der Schilderung der Schlacht bei Murten 
433, 7; 

srhie und vor granson die vnzucht 

macht adlera flugein manig schart.» 

Aber dieser Haß ge^en Karl d. K. ist wohl begründe!. 
Er entspringt einem ausgesprochenen Nationalgefühl, das urs 
bei Töaeti, der seinem Namen darin alte Ehre macht, so sym- 
pathisch berührt und ihn in dieser Beziehung zu einem Vöt- 



Ton allerlei kleinen und großen Sc-Möseein mit dem Behagen des 
Beteiligten aafgez&hlt». 

Witto <Zs. 0. 0. Rh., N.P. VIII, S. 223, A. 2) nimmt ebenfalls 
persönliche Teilnahme Tuschs an. 

Zwei Stallen, die einer persönlichen Anwesenheit des Dichters 
vor Heiieonn zo widersprechen scheinen, nämlich SÖ5, 4, 4—5, 1 
und 400, 4, 2—3, Bind vielleicht durch den Beim veranlaßt. 

1 Vgl. 385, 6, 1 ; 403, 2, 4; 4Ö2, 7. 4; 434, I, 1 ; 4ö8, b und ti, 
8; 444, 4, ü-4; 445, 7, 4. 

2 374, 2, V (f.; 401, 8 und 447, 2 und 3. 

» Vgl. ferner 85», 6, 4; 367,9, 4 ff.; 410, 4 j 421, 2 j 438, 8 ff. n.o. 



,1 rViciralftOTi 

& IV - UWEWIYO'MICHICAN 



— 138 — 

ganger Wimpfelings (1501 Germania) macht. Er haßl den 
stolzen Burgunderfüraten aus Herzensgrund, weil er in ihm 
<lea National feind sieht, der bei dem Versuch, im Osten festen 
Fuß eu fassen, schmählich zugrunde ^eht. 

Die Wegnahme von Neuß wird nach Tusch durch das 
Eingreifen des Reichs, dos die ihm drohende Gefahr recht - 
aidtig erkannt hat, verhindert und die folgenden Kämpfe führen 
die verbündeten Deutschen von Sieg zu Steg. Durch diese 
Einigkeil der Deutschen werden die schweren Schlag auf Schlag 
einander folgenden Niederlagen der Welschen, des Romanen- 
tums, herbeigeführt. Bei jeder Erwähnung des Bundes gibt 
der Poet seiner Freudn nhar den Zusammenhalt, nher die Be- 
reitwilligkeit der Bundesgenossen, einander Hilfe zu leisten, 
herzten Ausdruck». 

Hierin vermögen wir Raethe nicht zu folgen, der dem 
Dichter, ier ifür das Heroische des verhaßten und gefürchteten 
Mannes gar keinen Sinn hat», «parteiischen Nationaldünkeh 
vorwirft. 

Zsveifellos hat der Dichter, wie jwir gesehen haben, in 
seine Darstellung manche tendenziöse Entstellung der Wirk- 
lichkeit aufgenommen. Geschah das aber slets mir Absicht? 
Und wenn er es auch absichtlich tat, ist ihm das so sehr zu 
verdenken? Man denke sich nur in die wenig beneidenswerte 
Lage Straßburjjs in jener Zeit, da das burgundUche Nachbar- 
reich zu einer immer gewaltigerer Großmacht herangewachsen 
war, die den Nachbarn schon unter Karls d. JC. Vorgängern 
ernste Besorgnis einflößte. Man hatte sich in Straß ijurg auf 
das Sclili lim-:!.; gefußt jjenuoht und energische Maßregeln ge- 
troffen, um die Widerstandsfähigkeit der Stadt für den Fall 
einer Belagerung zu erhöhen. 

Und als die zunächst bedrohten Fürsten am Oberrhein 
endlieh, mit den Städten zu Schutz und Trutz vereinigt, die 
Offensive ergriffen hatten, unterstützte Straßburg die Unter- 
nehmungen jedesmal in hervorragender Weise. 

Jahrelang tobte der erhitterle Kampf und als der befürch- 
tete. Gegner endlich beseitigt war, — wer möchte es da dem 
Dichter übel nehmen, daß er dem allgemeinen Gefühl der Er- 
leichterung in etwas uberschwänglicher Weise Ausdruck ver- 
lieh? 

Auch die andern Schriftsteller der Zeit, vor allem Knebel, 
machen aus ihrer Gesinnung keinen Kehl ; auch ihm ist, um 
mit Witte zu reden «bei Erfolgen der Burgunder kein Wort 



1 Vgl be&onders 410, 7 ff. uu4 434, 7; ferner 387, 3 uai 4; 
.'190, 4. ff. ; .H94, 5, 4ft; 401, 5; 428, lj 43B, 6. 



,l r D-iciralftOTi 

*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



— 139 — 

stark genug, um seinen Haß und seine Furcht gegen die Person 
des hurgundischen Herzogs und alles, was damit zusammen- 
hangt* auszudrücken»". 

Trotz aller Mangel berührt uns das Werk Tuschs in dem einen 
Punkle besonders sympathisch, in der warmen aus ihm sprechen- 
den Liebe für die Heimat, in dem berechtigten Stolz auf die 
Erfolge der Verbündeten, die sich in seltener Eintracht gegen den 
Todfeind wenden, in der Betonung des Gennaueatuins, Jeutscher 
Eigenart und Kraft dem anstürmendem Welscbtum gegenüber*. 

Ueber den Stand und die Bildung des aus bürgerlichen 
Kreisen stammenden Verfassers ist der B. H. wenig m ent- 
nehmen; auch die Frage, ob sie das Werk eines Laien oder 
Pfaffen war, ist nicht leicht zu entscheiden. — Wir haben 
bereits von den zahlreichen volkstümlichen Bildern und Redens- 
arten gesprochen, die durch das ganze Gedicht hindurchgehen. 
Lassen sie mehr auf einen Mann aus dem Volke schließen, so 
weist doch eine gewisse Vertrautheit mit der Literatur, auch 
der alteren, die in einzelnen Redensarten und in den Schlachten- 
schilderungen sich kund tut, auf eine höhere Bildung hin. 
Wahrscheinlich konnte Tusch lesen und schreiben , s. 372, 3, 1 : 

«zwclfthundert zu rosz ^esehribenn (in.» 
Auch einige geschichtliche Kenntnisse besaß Tusch 8 . 
Ob dagegen aua den einpjeatreuten französischen Worten 

auf eine Kenntnis der franzosischen Sprache geschlossen werden 

darf, ist zweifelhaft 1 . 

Obige Kenntnisse sowie der religiöse Zug, der durch das 

ganze Gedicht hindurchgeht, würden vielmehr in Verbindung 

mit biblischen Kenutnissen auf den geistlichen Sland hinweisen*. 

Dieser Annahme widersprechen jedoch einzelne Stellen, wie 



1 Zs. 0. 0. Uh M N. F. VI. 414. 

2 Uctoer die natioaale Bedeutung ; ener Kämpfe &u3ört sieh üfecr- 
oinstimmoad Witte in der Zu. ö. 0. Bh. : N. P. VI, 15; H. Diemar, 
l>ie Entstehung" des deutschen Beichsfcrieges gegen Herzog Karl den 
Kähnen von Barg;und; Marburg 18%, S. 10l. 

ö Alexander: 4J2, 5. 4ff.; 422, X 3; 436, 4, I U. ö. 
* (Vgl. die A. der Ah.) 

cappstenger &H 1. 2; capitaa© 431, 3. 2 = c&pitaine. 

sin amye het in schon floriert 370, 1, 2. 

aruchier = archer 396, 2, 1. 

flutsch - flfecbo 396, 2, 2. 

allaraort = a ia raort 3S7, 4, 4. 

kry ku erier 400, 2. 1. 

vine (statt viue.i qni vlntz 414, '5, 4. 
sokantz =• cliance 426, 3, 4. 
a Vgl 398, 1,4; 412, 4 3—4 ; 447, 4, 3-4; 447, fi a. ö.; An- 
roiang der Maria am Schi id. 



,| r>JciralftOTi 

*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



— 140 — 

423, 3, 3 ff. Jedenfalls kann über die streng religiöse Ge- 
sinnung des Verfassers kein Zweifel bestehen. 

Doc Dichtere Lebensverhältnisse scheinen keine glänzenden 
gewesen zu sein; wenigstens nennt er sich selbst «arm» ; 
373, 1, 3—4: 

«das sagen rieh arm ritler knechl 
vnd auch jeh armer offenbor.> 

Rast he vermutet auf Grund der Stelle 372. 6—7 und 373. 1 
Beziehungen des Dichters zu dem Markgrafen Christoph von 
Niederbaden. Zweifellos entwirft die R. H. ein durchaus zu- 
treffendes Bild des tapferen Herrsebers, das auf persönliche Teil- 
nahme schließen läßt. Dieser Markgraf, der Sohn Katharinas, 
der Tochter des Herzogs Ernst des Eisernen von Oesterreich, 
die den Markgrafen Karl I. geheiratet halle, war in der Tal 
•des keysers Schwester kini>, denn der Bruder seiner Mutier. 
Friedrich III. (1415—1493) wurde am 2. Februar 1440 zum 
römischen Kaiser und deutschen Köuig gewählt. 

Der allgemein wegen seiner Aufrichtigkeit und edlen Ge- 
sinnung geehrte Christoph I. war im Heere vor Neuß und ging 
bald nach seiner Thronbesteigung (im Februar 1475) an den 
Huf seines Oheims nach Wien, um hier längere Zeil m ver- 
weilen. Durch die Annahme, daß Tusch ihn dorthin begleitete, 
könnte das Gedicht im Wiener Codex leiciil erklärt werden, 
das doch wohl aus Oesterreich, wahrscheinlich aus Wien selbst 
stammt. 

Näheres über die Beziehungen des Dichters zu Christoph I.. 
dem Markgrafen von Baden und Hochberg-, konnte nicht er- 
mittelt werden. 

Verschiedene andere Herren werden wo dem Dichter in 
ähnlich überschwänglicber Weise gerühmt, allerdings ohne daß 
der Dichter eich reibet erwähnt, vgl. 378, 2—4. 

Noch eine Sielte könnte für Beziehungen in Betracht 
kommen: 370, 2: «min herr von mcnlz». Dicsod <minner» 
d. h. monsieur, monseigneur, entspricht durchaus dem damaligen 
Sprachgebrauch, doch fällt es auf, daß diese so gebräuchliche 
Wendung in dem ganzen Gedicht sonst nicht mehr vorkommt. 

Weitere Stellen, die uns einige Aufklärung über die Per- 
sönlich keit des Dichters Rieben könnten, sind nicht vorhanden. 

Dem Gesa m leindruck nach scheint der Verfasser jeden- 
falls mit dem mililärischen Beruf näher betraut gewesen zu 
sein. Abgesehen von der Belagerung vou Neuß, wo des Ver- 
fassers Anwesenheit hinlänglich bezeugt ist, kommen auch sonst 
kleinere Andeutungen vor, die militärische Kenntnisse verraten. 



' ' "Pgk UNMREITVOr MICHIGAN 



— 141 - 

So betont der Verfasser die Notwendigkeil, Heserven zurück- 
tuhalten bei Gelegenheit der Schlacht von Grandson; 420, 1 ff.; 

«Der lutschen etlich zu rosz vnd fusz 
do binden worent durch noch hut 
als man die rlinjr nrdnieren nrtusx : 
verborgen volek dick schaden tut . . . 

. . . ." (zwei Verse) 

etlich die deshalb clagtent sich 
haben! wenig der meynung n in.» 

In der Tat hatten die Straßburger in jener Schlacht die 
NachhuM. 

Da nun Tusch, wie wir gesehen haben, auch lesen und 
tcbreiben kann, so haben wir es wohl nicht mit einem gewühu- 
lichen Söldner zu tun und der Gedanke liegt nahe, in ihm 
einen der Führer der Straßburtfcr Truppen au sehen. 

Aber auch für die£e Annahme läfit sich kein Zeugnis bei- 
bringen, dean der Name Tusch findet sich nicht unter den 
Führern der Neußer Truppen, die nebst ihren Stellvertretern 
lekannt sind*. Auch in den ?onsli^cn Listen der StruBburger 
Offiziere laßt sich Tuschs Name nicht nachweisen. 

Es bleibt nun uueh die Möglichkeit, daß Tusch nicht als 
Soldat oder Offizier, sondern in irgend einer andern Stellung 
die Slraßburger Truppen auf ihren Zügen begleitete. Als Arzt, 
Geistlicher, Schreiber vielleicht? Hierüber können wir auf 
Crund der B. H. allein nichts näheres feststellen. 

Auch die Akten des Straßburger Stadtarchivs und das 
ßürgeibuch wissen von einem Hans Eihart Tusch oder Tysch 
nichts. Dagegen linden sich verschiedene Spuren eines Hans 
Erhart Dusch um jene Zeit, 

So findet sich in dem auf dem Straßb. Si.-Arch. befindlichen 
Bürgerbuch I (1440-1630) beim Jahre 1460, Spalte 106, fol- 
gender Eintrag : 

«bise hant ir burgreht abgeseit anno x I.X w. Es folgt ün 
dritter Stelle: «Item hanns erhart dusch hat sin burgreht abe 
geseit vff den palm abent«. {— - 6. April 1460). 

Ferner befindet sich in AA. 294 ein nicht datierter Zettel 
mit Notizen über Vorbereitungen zu einem bevorstehenden 
Feldzug, der mit den Kidgenossen zusammen unternommen 
weiden soll. 



i S. o. Militärische Erfahrung ferner zu entnehmen: 369, 3, 
1-2; S9fl, 2, 3-4. 

a WiederhoH aufgezählt im Straßb. St-Aroh. AA. 273. 



,\ - D-iciralftOTi 

UWEM1Y0" MICHIGAN 



- 142 — 

Es sollen dem Heere cctlich die welsch können* beigegeben 
werden. Es heiß! weiter: eist diser noch geschriben gedoht 
in die revee» : tfrantz nage kan welsch» (folgen zwei Namen) 
«Ileui haus erharl dü&cbj. 

Es befinden sich weiter in AA. 281 zwei Briefe \on einem 
Hanns Erhalt Dusch, vorn 24. und 20. Juli 1470 (Nr. 26 und 
24), gerichtet an Jakob Ber« in Straßburg upd an seine Frau 
Eve Düschin ebenda. 

Die Schrift ist flieBend und läßt auf ziemliche Uebung 
schließen, was bei einem Kriegsmann jener Zeit auffällt. Der 
Brief an seine Frau ist sorgfältiger geschrieben als der an Ber. 

Wir göbän dies© zwei Briete in chronologischer Reihenfolge 
wieder« : 

Str. SL-Aieh. AA. 281, 24. 

Brief vom 20. Juli 1475. 

Der erbern frauw Eve Duschin zu straszburg myner lieben 
busz frauwen. 

Mynen frunllichen grüsz liebe husz frauw. Wisz das wir 
alle gar gesurt sint vnd vns von goaden des Almechtiyen gottes 
wol get, des glich beger Ich von dir vnd Jallen vnsernn ge- 
truwen lieben frunden zu verheren allezijt | wisz daa wir vfT 
hüt vmb den mittäte ein gute statt ond ein scblosz dar inn 
gewonnen haben mit eym stürm rn vnd dar mnetich erstochen 
vnd gefangen, und weysz noch nil ob wir die brechen werden 
oder nit J doch so halt ich wol «sie werd gebrochen oder ver- 
brunt f auch so wollen wir furbasz für ein ander slosz vnd statt 
rucken i da mir nit zwyfelt das wir auch die glucksamlich er- 
obernn werden. Anderes weisz ich dir disz mol nil zu schrihen 
wenn so vil das mich wundert das du mir nit noch bisz har 
Vornagols* halben gesehriben ha3t vnd wie es dar urnb stände 
vnd best du gefrrtnt so nyrnm ria^ dar vff also recht ist / Vnd 
wenn die frörmnge usz kompt so nymm ein furvsz dagen dar 
vff \elen wir dann so istes nit vmb vi I zu tun J deich gloub 
ich fch hab mit tnymm herren herr Peter Schotten * zu wegen 



1 Jakob Ber ist zu lesen, nicht Jacob Bor, wie Witte in der 
Zs. e. 0. Rh.. H. F. VIII. S. 223, A. will, wo dieser Brief Düschs 
ermahnt vird. 

3 Die Schreibung der Worte ist beibehalten, die Abkürzungen 
aufgelöst, doch sind die großen regellos mitten im Sata auftretenden 
Buchstaben durch kleine ersetzt. Umgekehrt sind einige kleine Bach- 
staben durch große ersetzt bei Eigennamen. 

a Name. 

4 Berühmter Aiameißter von StraQburg, Urgroßvater von Jakob 
Sturm. War Ammeister 1470, 76. 82 und 88. In der Zwischenzeit, 
leistete er als Feldherr and als Diplomat der Stadt Straßburg her- 



,1 D-iciralftOTi 

& IV - U ^ I VE05I TY " MIC HIC AN 



- 143 — 

brocht das mir etwas an mynen schulden werden sol ) dann 
man ist im nnc.h etwas von siner biiien schuldig blyben } Wirt 
mir dann hie und dort gelt was mir dann vberugs wirt wil 
ich wyder schaffen mit hilff mynes herren das es denen weide 
den er schuldig ist vlT das ich in uit vber uymm. Grüsz mir 
[durchstr. . liivini] vnser mutier swester kinde frunüe Marien 
vnd als sin volck vnd sag [durchstr. ; ich wolt den dryen vfl 
dem pfenning 1 ] her Ilur.s Munch f des glichen auch mynen 
dienst vnd allen denen der kantzelien. Vnd gib im ey bussei 
vol scbrifcsandca das mir der nehate bott der vns geschickt 
werd mit im bringe / dann ich sin gar hedurfflich würde. 
Disz mal nit nie dann $olt pflege uwer oller noch dem besten. 
Geben im leger au lyle vff dondor&tag ver sant maria magda- 
lenen dage Anno x LXXV i« 

H - E • D - 

Str. Sl.-Arch. AA. 881, 23. 

Briet' vom 24. Juli 1476. 

Dem ersamen tnrnemen Jacob Beren, burger zu slraszburg 
rnym innsonndern guten frundc. 

Minen frnntlichen dinst zu vor lieber Jacob ( nuwen wor- 
liehen liandcl vch zu echriben, weisz ich n:t anders nie dann 
das mynem herren Lyle halben \orgeschriheti ist j was sieh 
ab^r furler [durchslr. : Lyle halben] begeben wirt so verr ich 
zyl gehaben mag wil ich uch gernn zu wissen tfln | \mb 
willen furler uwer ratsfrunde vnd die scheffel sant Thomar.s 
plan I auch ander vmb cancelie vnd vngelt der dinge zu berich- 
ten | ir niögent auch den selben uwern buntgenossen 8 riemen 
dz man ir ehisam Kit 211 crem» vsz irem rat für einen but- 
meister gezogen | vrtd gemäht bei Bartholorneus Barpfenuig* ; 
der mir VM der bute hei lossen werden disz buch das ir den- 
selben als ein rechthnrh leijgen vnd für haben mögen I doch 
werdent ir vil schöner rechenschaJU vnd offenture dar irme 
vprstpn I sollich hiich tiet nyner von lyle by irne gehebt vff 



vorragende Dienste.. Näheres iinrt Lit. filier ihn s. Mone IIT, S. 276, 
Spalte a, A. *. 

1 Zu ergänzen ist jedenfalls «türm». Der Pfenrjigturm war ein 

turmaitiges Gebäude, in dem der städtische Soh*tc und die wicktig 
sten Urfcanden aufbewahrt wurden. Die «Dreier auf dem Pfennig- 
en ■ waren Finanzbcnrnte. 

2 War Stadtschreiber. 
8 = Kollegen. 

* Brief denselben, in dem er sein Amt erwähnt In AA. 291. Am 
Anfang des 16. Jährt underts verschiedeneroale Ratsmilgliec 1 . Weitere 
Mitglieder dieter starken Familie werden in den K&tslisten des lö. 
und 16. Jahrhunderts häaüg erwähnt; 5. auch JW dt I. 43J und 441 0. 



,[ . r>iciralftOTi 

^ lv - UWERfllYO'MICHKAN 



- 144 — 

den dag als die stalt gewonnen wart f der nvalewandijf vsz der 
statt mit andernn ins* wasser gefallen vnd in einen werd können 
ist | dar inne sie die py genossen funden vnd erstochen haben J 
sollich hüeh treib das wasser ab vnd ward gantz nasz vnd 
wider gelandt das ich dar noch wider gretrucken;. habe | 
das ich ueh hie schick hisz Ichs har noch bm gelesen mage j 
wellentz nit zu vndtmck sonder in gülerschymplflicher meynung 
vermerck | dann ich ucli die auw zu lallende ere uwer hunt- 
genoszschuiTt ' nit lenger verhalten wollt. Ich bilt uch mynen 
lierren des selbeu buuries, deu bereu der canizilien vnd viigells 
mynen diost zu sa^en ( wissen das wir vff hüt dato disz brielts 9 
für Grange geruckt sint die ku erobernn des ich uch bitt vos 
heils 2U bitten f des wir vast bedorfflich sint so wol gejfen 
Icncn vnd vi Hiebt baaz die >nser frunde sullent sin | also gein 
den finden als har noch clerlicher wnrl geseit | sag mier 
mincr huez frauwen min j^esuntheit vnd frunllichen gräsz wen 
ich kein zijt zu schribeu hell. Geben vor Wie als der reysi^e 
gezuge wol vfT ein mile vsz dem leger gerucket was vfl sant 
Jacobs oben Anno x LXX.V 10 

Hanns Erhart 
Dusch x.. 

In dem «JuveiiUire soinu aiie des archives communales de 
la ville de Strasbourg anterieurs ä 1780* von J. Brucker, Straß- 
burg lo*7ß, ist der Verfasser dieser zwei Briefe, Dusch, als 
xcapitaine» bezeichnet. Diese Angabe scheint, da wir sie nir- 
gends bestätigt finden, auf einer bloßer Annohme zu beruhen. 

Weiterhin fragt es sich, ob der Schreiber dieser Briete 
und der weiter erwähnte Dusch, der «welsch» kann und der- 
jenige, der im Jahre 1460 Slraßburg verließ ein und dieselbe 
Person sind. Diese Frage ist zu bejahen, da der heule nicht 
seltene Name sich damals in Slraßburjr sonst nicht nachweisen 
läßt, womit allerdings nicht ausgeschlossen ist. daß noch weitere 
Mitglieder der Familie Dusch in Straßburg lebten. Wir müssen 
dies nach dem Briefe Düschs an seine Frau sogar annehmen. 
Unmöglich erscheint es jedoch, daß zu derselben Zeit mehrere 
Mitglieder dieser Familie die Yunumen Haas Erhart führten. 

Näheres über die Familie Dusch festzustellen, war nicht 
möglich« du die Kirchenbücher nicht so weit Zurückreichen 
und das erwännte Bürgerbuch nur eine Art polizeiliches An- 
und Ahmeidebuch ist, in dem das seßhafte Element kaum er- 
wähn! wird. 



i = Soliepen, s. o. 

* Kanzleistil. Derartige Wendungen finden sieh in zahlreichen 
Urkunden jener Zeit 



,l r D-iciralfroTi 

ö 1 *" ■ UWERHIYO'MICHKAN 



— 145 — 

Soviel sieht jedenfalls fest, daß der Hans Erhart Dusch, 
der im Jahre 1460 Straßburg verließ, der H. E. Dusch, der 
«welsch» kann und der Briefschreiber sehr wohl diesellte Per- 
son sein können, ja die größte Wahrscheinlichkeit, daß Iden- 
tität vorliegt, bleibt ans obengenanntem Grunde bestehen. 

Auch bei einer Untersuchung der Lebensverhältnisse Dusche 
sind wir, da ja die genannten Quellen für unsere Zeil versagen, 
gan2 auf die wenigen Schlüsse angewiesen, die wir aus den 
Briefen ziehen können. 

Aus ihnen ergibt sied, daß ein Hanns Erhart Dusch, der 
nahe Beziehungen zu den Kanzlei- und Finanzbeamten der 
Stadt. Straßbur^ hatte, dessen Frau und Verwandte in dieser 
Stadt lebten, der also kein Kleriker war, in dem Heere vor 
L'Isle anwesend ist. Derselbe scheint im Dienste des früheren 
Ammeisters Peter Schott zu stehen und hat literarische Inter- 
essen, wie daraus hervorgeht, daß ihm ein Buch aus der Beule 
von L'Jsle überlassen wird, das er einem Bekannten sendet, 
um es nach seiner Rückkehr in Ruhe lesen zu können. Er be- 
sitzt also eine gute Bildung. Dazu würde die andere Nachricht 
passen, nach der er auch französisch sprechen konnte. Nur 
wie es sich mit der Entfernung Boschs aus Straßburg und 
seiner Rückehr dorthin verhält, bleibt dunkel. Er hatte sich 
wohl eine Zeitlang in fremde Dienste begeben und war dann 
wieder zurückgekehrt : ein auf seine Bückkehr bezüglicher Ein- 
trag fehlt jedi»ch im Bürgerbuch. 

Ist nun dieser H. E. Busch mit unserem H. E. Tusch, 
dem Verfasser der B. H. identisch 9 

Sprachlich ist gegen die Veruuschung des anlautenden d 
und t in jener Zeit, zumal im alemannischen Sprachgebiet, 
nichts einzuwenden, zeigt doch die Orthographie gerade in den 
ersten Jahrzehnten der JBuchdruckerkunst die größten Willkür- 
lichksiteii umi Schwankungen. Zugleich machen sich yegen 
Kode des 15. Jahrhunderts Beslrebungen nach Vereinheitlichung, 
nach Normalisierung und Regulierung der herrschenden ortho- 
graphischen Anarchie gegenüber geltend, die es durchaus mög- 
lich erscheinen lassen,' daß das d in ein t umgewandelt wurde'. 
Auch der Laut- und Formenstand der Worte in den zwei 
Briefen stimmt übet-cin mit der B. H. 

Es erhebt sich ferner die Frage, ob sachliche Widersprüche 
eich ergeben, indem die der B. H. entnommenen Anhaltspunkte 
den aus den Briefen gezogenen Schlüssen widersprechen ? 
Welche Angaben sind widerspruchsvoll? Ergibt sich insbeson- 



1 In den Urkunden findet sich z. B. nebeneinander dutech. und 
tatsch. - AI. Qr. § 179. 

10 



cS^ UHrrtREITVOr MICHIGAN 



— 146 - 

dere Uebereinstimmung ober die Teilnahme am Sommerfeldzu;.' 
des Jahres 1476 vor Blarnonl? 

Derartige Widerspruche sind nicht vorhanden. Die aus der 
B. K. sich ergebenden Schlösse finden in den Briefen keinen 
Widerspruch» vielmehr ergänzen sich die Nachrichten über den 
Dichter in Überaus wertvoller und brauchbarer Weise. 

Der Dichter hätte demnach an der Schlacbi und Einnahme 
von Hericourt und der Belagerung: von Neuß teilgenommen, 
das er wohl kurz nach dem Abzüge Karls d. K., kurz nach 
dem 27. Juni 1475 (390, 1) mit andern Sliaöburgern he- 
suchte. Sofort nach seiner Rückkehr hätte er dann dein 
Zug: vor L'Isle und Blauiont sich angeschlossen, wie au» der 
B. H. sowie den zwei eben wiedergegebenen Briefen sich er- 
geben würde. Daß der Dichter den ganzen Feldzug mitmachte 
und nicht nur die Belagerung von L'Isle, ist, wie bemerkt, 
sehr wahr schein lieb. Diese Annahme würde bestätigt durch 
die in AA. 274 enthaltenen Briefe (s. u.), die der Dichter 
wohl als Schreiber im Auftrag der Hauptlcatc schrieb'. Von 
weiteren Unternehmungen der Verbündelen in diesem Jahre 
erfahren wir aus der B. H. fast nichts — wohl weil der Ver- 
fasser nicht selbst dabei gewesen war, — Am Samstag vor In- 
vokavit, .im 2. März 1476 (41tf, 3 und 6) finden wir ihn wieder 
auf dem Schlachtfeld von Grandson, einige Monate später, am 
22. Juni (429, 3) auf dem von Mnrten und endlich auf dem 
von Nancy, am &. Januar 1477 (440, 5). 

Weiter ergiht sich ans den Briefen, daß Dusehs Vermftgfins- 
verhSltnis.se keine glänzenden waren; seine Frau muß durch 
ihrer Hände Arbeit Geld verdienen und er selbst bekommt nur 
schwer von seinem Herrn sein Geld ; dazu paßt die Bemerkung 
der B. IL, deren Verfasser sich acarm> nennt, s. o. 

Dusch' s Schreibkunst, seine Beziehungen zum Stadtschreiber 
und den Kanzleien sowie die Erwähnung des Schreibsandes 
legten den Gedanken nahe, zu versuchen, auf Grund einer Ver- 
gleichung der iu den damaligen Urkunden und Briefen auf- 
tretenden Schritt mit den zwei erhaltenen Briefen Düschs fest- 
zustellen, ob er vielleicht als Schreiber talig war. 

Da ergab sich denn auf Grund eingehender Vergleichung 
einzelner Buchstaben sowohl wie ganzer Schriftzüpe, daß ver- 
schiedene auf den hurgundischen Krieg bezügliche Briefe von 
Dusch herrühren. Ganz besondere deutlich ist Düschs Schrift 



I Der erste dieser Briefe stammt aus dem Lag&r von Kosten 
holz vom 10. Juli (AA. 274, 18), der letzte (AA. 274, 43i teilt mit. 
daß die Rückkehr der Truppen am Sonntag den 27. August *« er- 



warten sei. 



,\ - D-iciralfroTi 

*"■ IM I7EM1Y0" MICHIGAN 



— 147 — 

in den Berichten an cMeisUr und Rat der Sladt Straßburg» 
vom Sonimerfcld2ug 1475 zu erkennen, vielleicht deshalb, weil 
die Zeit der Abfassung dieser Briefe derjenigen der iwei er- 
haltenen Privatbriefe am Nächsten liegt, AA. 274, 1 besteht 
au« ^nsammengehpftpten K^nyprilen tn diesen Briefen, während 
die eigentlichen, auf Grund jener Konzepte verfaßten Briete 
sich ebenda finden : 18-25, 29—30, 32—35, 37, 39—41, 43. 
Danach hätte also Uösch den ganzen Sommerfeldzujj var ßla- 
mont als Schreiber mitgemacht J. 

In der Tat ist die Wahrscheinlich kei', daß Dusch dem 
Schrei »erstand, diesem «theqiiemstpn Mitteinnsien 7wisr,hen well- 
lichem|und pcistlichem Slando angehörte, sehr #roßV 

Kr hätte dann als Schreiber, Privatsekretär oder in ähn- 
licher Stellung das Heer begleitet und über dessen Taten be- 
richtet. 

Auch die in der B. H. vorkommenden franziisischen Wnrte 
sowie dio eich aus ihr ergebende höhere Bildung des Verfasser« 
würden durch die Annahme, daß Haus Erliart Tüsdi aus Straß- 
hurg und Hans Erhart Dusch aus Straßburg ein und dieselbe 
Person sind, erkliirt. 

In der Tat wird diese Annahme, wie wir sehen, in jeder 
Weise bestätigt, su'daß wir uns für berechtigt hallen, Dusch 
für den Verfasser der H H. su erklären]^ uno m^'Tüseh eine 
.Nebenform dieses Naineos zu sehen 9 , 



1 In verschiedenen weiteren Schriftstücken aas jener Zeit glauben 

wir Duschs Jeder nachweisen zu können, so in AA. 282, 17, £0 a. a. 
Eine Ycrgleiehung der Handschriften jener Zeit ist ziemlich schwierig 
und es gehört gr>3c Uebang daau. mit einiger Sicherheit aus ihnen 
Schlüsse 20 ziehen. Deshalb haben wir uns im wesentlichen auf die 
in AA. -74 enthaltenen Briefe bei der Vorgleichung beschränkt und 
glauben hier, namentlich in den Konzepten, mit ziemlicher Sicher - 
hait Diischs Sehrift erkannt za haben 

Bei weiterer Vergteiehong von Aktenstücken würden sieh wohl 
nach weitere von Dusch geschriebene Schriftstücke vorfinden und 
ei ließe sich auf diesa Weise wenigstens der jeweilige Aufenthalt 
Dusch» feaU teilen. Duck iat, wie bemerkt, diese Yergleiehuiig eben- 
so schwierig, wie wenig zuverlässig, zumal wenn sie nicht von fach- 
männischer Seite ausgeführt wird* Außerdem ist es sehr fraglich, ob 
die Resultate der aufgewandten Zeit und Mühe entsprechen würden, 
därfte doch zu der Feststellung, daß Dusch als Schreiber das Beer 
begleitete, bereits die Vergleichung der Briefe in AA. '274 genügen. 

* Wir erinnern an Seb. Brant, Wierstraat u. a. 

9 Diese Identifikation scheint, stillschweigend bereits Witte in 
der Zs. Ö. Rh , K. F. VIH, zweites Heft, vorgenommen zu haben. 
8. 223, A. 2 erwähnt er nämlich die Roirachronik Tuschs tder selbe) 
an dem Feldzuge [L'lsle, Blamont] teilnahm> und erwähnt auf S. 228 
den oben wiedergegebenen Brief Hans Ürbart Düichs an Jakob Ber. 



•9S' € univeWiiyo-Sican 



- 148 

Die burgundhehe Historie. 
A. Ist die R. H. ein Meistergesang? 

Aus dem Gedicht des Wiener Codex dürfen wir mit Sicher- 
heit schließen, daß Düsen ein Meislersinger war. Das Gedicht 
läßt an Künstelei nichts zu wünschen übrig: und auch die Ant- 
wort scheint in ähnlicher Weise verfaßt worden zu sein, wie 
*ich aus der vielversprechenden Ankündigung ergibt. Zugleich 
sehen wir daraus, daß Dilsch auch Beziehungen zu auswärtigen 
Mcistersängcrn hatte. 

Auf die Form der 3. H. ist weniger Kunst verwendet, so 
«laß es fraglich ist, oh wir sie im eigentlichen Sinne als 
«Meistergesang» bezeichnen dürfen. Jedenfalls nicht im engeren 
rfinne, gehört doch nach J. Grimm zum Meistergesang unbe- 
dingt die Dreiteiligkeit der Strophe, die zwei Stollen und der 
Abgesang*. Jedenfalls zeigt sich in der B. H. die dem sing- 
baren Lied eigene Slupheiitniteiluiiy verbunden mit einem 
Streben nach Gleichzahl der Silben und regelmäßigem Wechsel 
von Hehungen und Senkungen. Eben dieses den Äbrijcen Heim- 
* h ronist en fremde Bestreben scheint uns auf einen geschulten 
Sänger, einen Meistersinger, hinzuweisen. 

Damit ist noch nicht gesagt, daß die B. H. ein Meisterge- 
sang ist*. 

Meistersänger waren ums Jahr 1477 in Straßbun? zweifel- 
los vorhanden. Gerade in den Reichsstädten des Südens lassen 
sich bereits im 14. Jahrhundert Zusammenkünfte bürger- 
licher Dichter nachweißen, bei denen Wettsingen veranstaltet 
wurden. Ffir Straßburg haben wir zuverlässige Zeugnisse für 
die Existenz der Meistersänger (a. u.). Vielfach waren die 
Sänger noch keine seßhaften Handwerker, die ihre Kunst nur 
nebenbei betrieben, vielmehr waren es meist Wanderpoctcn, 
die, von Hof au Hof. von Stadt zu Stadt tiehend, sich mühsam 
durchs Leben schlugen 8. 

Wahrscheinlich widmete sich auch unser Dichter diesem 
Wanderleben, als er im Jahre 1460 Strasburg verließ. Auf 
seinen Fahrten hätte er dann die Bekanntschaft fremder Kol- 
logen gemacht*, und wäre mit dem zunftmäßigen Betrieb des 



1 «Leber den altdcotßchan Meistergesang» Göttirgen 1811, 
s. 43. — Vgl. W. Sommer, Die Metrik des Hans Sachs. Halle 
1889, S. lOGff. 

» Vgl. Grimm, a. a. 0., S. 13«. 139 n. o. 

» Wir erinnern an das bewegt© Leben des Nürnberger« Hans 
Rosen pl tu und des Schwaben Michael RehAjm. 

* Eine ttolehe ist durch den Wiener Codex direkt bezeugt 



,\ - rViciralftOTi 

UWEWIYO'MICHICAN 



— L49 — 

Meistergesangs, wie er sich tfo^en die Mitte des Jahrhunderts 
zunächst in Nürnberg und Ulm entfaltete, bekannt geworden. 
Dieser Aufschwung des Meistergesanges, der sich bald auch äußer- 
lich in dem Zusammenschluß zu ueschlosserien Gesellschaften 
mit bestimmten Kegeln aeigte, wurde zweifellos in dem damals 
geistig so Oberaus regsamen Straßburg beuchtet und aufmerk- 
sam verfolgt. Fahrende Sänger, welche diese neue Art des 
ifeister&eäangs kennen gelernt halten, kehrten in ihre Vater- 
stadt zurück, sargten für die Verbreitung der neuen Gedanken 
und führten bald dem Gesang neue Freunde zu. 

Um bewährte Preiseänger sammelten sich alsbald wißbe- 
gierige Schüler und so entstunden die eigentlichen Meisterschulen. 

Im Jahre 1492 vereinigten sich sechzehn Handwerker und 
gründeten eine Vereinigung zur Pflege des Gesangs in unserer 
Stadt. Eine Chronik" bemerkt dazu: «Diese 16 mann — sin<l 
räthig geworden, daß sie das singen anders wollen ordnen, als 
man vor ihnen Meistergesang allhier zu Strasburg gesungei» 
hat, länger dann niemand gedenken mag (aber nit artlich i — — ». 

Aus Strasburg stammt denn auch die älteste «Tabulatui'», 
die älteste Hegelsammlung einer solchen Schule, die wir kennen. 

in Dusch glauben wir, wie bemerkt, noch den älteren 
Typ, den des fahrenden Sängers zu sehen, der hinauszieht in 
die Welt, um dort sein Gläck zu suchen, der es auch nicht 
verschmäht, gelegentlich statt der Feder das Schwert zu er- 
greifen, oder sich als Schreiher sein Geld zu verdienen. So 
stellt sich wohl unser Sänger, als er von den geplanten Ver- 
einigungen der bedrohten Städte gegen Karl den Kühueu hört, 
seiner Heimatstadt fctrjtfburg zur Verfügung, mit dem Nehen- 
gedauken, seiue Erlebnisse poetisch zu »erwerten und beteiligt 
sich an den verschiedenen Zügen der Strafiburger Truppen als 
Schreiber, vielleicht nuch als bestellter Dichter von Gewerb im 
Solde seiner Vaterstadt». 

B. Die strophische Keimchronik. 

Wie wir bereite gesehen haben, bat Dusch für seine Reim- 
chrooik eine sonst für derartige Werke nicht übliche Form, die 
Strophenform gewählt. Was veranlüßtc ihn dazu, von der sontl 
üblichen Form der paarweisen Reimpaare, wie sie diese Chro- 
niken als Aual&ufer und teilweise bewußte'Nachahmerinnen des 



1 S : «Fragment« des anpiennes chroniqnes fAIsac« IV.», Stria 
jotirg- 1901, p. 202 f.. wo auch die Namen der 16 Mitglieder aufg^e* 
tihlt werden. Ein Tusch uder Dusch ist. nicht darunter. — E Martin. 
Die Meistersänger so Str&ßbarg. Strasburg- 1832. 3. 12. 

- Bin solchar war t. B. Veit Weber aus Freiburg: i. Br., wie 
er selbst gelegentlich bemerkt. 



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A rViciralftOTi 

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— IM) — 

höfischen Epos liebten, abzuweichen? Suchte sich der Dichter 
bewußt ein*» neue Form, oder zei^l er sich von anrlerpn ab- 
hängig? 

Beschranken wir unsere Betrachtung zunächst aufrias FJsaß, 
so ist hier unseres Wissens Düschs B. H. die einzige strophi- 
sche Reimchronik, die wir besitzen. 

Auch die in paarweiseu Reimen verfaßte Chronik ist in 
diesem Lande auflallenderweise sehr schwach vertreten. 

So groß der Sinn der EHässer für die Geschichte war, wie 
ihre überaus große, ganz einzig dastehende Chronikliteratur 
zeigt: dieser Zwittergattung, diesem Gemisch von Geschichts- 
schreibung und Poesie konnten sie kein Interesse abgewinnen 1 . 

So stoßen wir gegen Ende des 15. Jahrhunderts nur auf 
eine Reimchronik, die ebenfalls die burgundischen Kriege 
schildert und einen ihrer Hauplteile dein Landvogt des Her- 
zogs, Peler von Hapenbach, widmet, nach dem sie mich be- 
nannt ist (s. o.)*. Während aber diese Chronik in Kapitel ein- 
geteilt ist, beinahe durchweg 1 Reimpaare und nur gelegentlich* 
gekreuzte Reime zeigt, ist in [der B. H., wie wir gesehen 
habsii, der gekreuzte Reim streng durchgeführt und auch die 
Einteilung in Strophen bereits in den ersten Drucken vorhan- 
den. Während also die Form der ?wei Chroniken verschieden 
ist, stimmt der Ton und der ganze Stil ziemlich überein. Hier 
wie dort finden wir epische Erinnerungen besonders bei den 
Schlachtenschilderungen, hier wie dort Anklänge an die Volks- 
lieder der Zeil, ähnliche Ausdrücke für ähnliche Lagen und 
eingestreute direkte Reden. 

Die strophische Form ist zweifellos von dem stets slrophisch 
gebauten sangbarer» und damals wie heute allgemein beliebten 
Volkslied übernommen. 

Lilieiidim hal in seinem Vorwort, zum zweiten Band der 
«historischen Volkslieder» auf die Bedeutung der ((politischen 
Volksdichtungen», der Sprüche wie der Lieder, hingewiesen, 
auf ihre Verbreitung und allgemeine Beliebtheit, Diese Dich- 
tungen wurden teils durch Vorleser der hörbegierigen Menge 
vorgetragen, teils, wie auch heute noch, bei verschiedenen Ge- 
legenheiten vorgesungen und wurden so rasch Gemeingut der 
Menge. Als Frzherzoj* Sigmund mm 20. April 1474 in Rasel 



• ' Vgl. Lor. T. 130. 

"- 3. L'ji. I, 130; «Durch diweö sehr Ausgedehnte uud groß- 
artig angelegte Reimwerk kommt .übrigens in später Zeit des 
15. Jahrhanderta in den veitsn Oebietcu von Elsaß und Schwaben 
eine in anderen Landern längst und sehr eifrig" gepflegte Litcntur- 
g'&ttiiug /, im Dnrchbruch.> 
> ?.. B. S. ATA, 21 ff. 



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— 151 — 

einrilt, um die Pfandlande wieder in Hosii? zu nehmen, emp- 
•inyeti ihn die Knaben mit einer Parodie des Ostergesangs 
(s. Linencron 11, 31). 

So bestanden denn auch zahlreiche, als fliegende Blätter 
gedruckte Lieder über die Burgunderkriege; vgl. Liliencrun II, 
S. 29 ff. i Sprüche und Lieder fanden hei der Popularität jener 
Kämpfe großen Absatz. 

Natürlich ließen es sich auch die Meislersänger nicht 
nehmen, das Ihre zu jenen Gesängen beizutragen. Das Ver- 
fahren, geschichtliche Lieder für das $rcße Publikum zu 
verfassen, war ihnen nie fremd gewesen. Erweckten doch 
gerade diese Gesänge im Gegensatz zu dem formalistischen 
Meistei^esang kunrenliouelleu Inhalts allgemeines Interesse. So 
erkennen wir z. B. in dem bei Mone III, 154 abgedruckten 
Gedicht cBrysaachv den Reat eines von einem Meistersänger 
verfaßten, in strophischer Form gehaltenen Gedichts, das ein 
Zeitereignis zum Gegenstand bat. Die Strophen bestehen, wie 
die der B. H., aus vier kreuzweis gereimten Versen, wobei 
Silbenzahl und Gcechlcoht der aufeinanderfolgenden Veree regel- 
mäßig wechseln, so daß die zusammengehörigen Reimpaare 
gleich viele Silben bilden. Die Strophen 4—7 2eigen noch 
kunstvollere Formen« 

Die beiden Dichlungsarten, der eigentliche Volksgesang und 
das von Meistersangern herrührende Lied, gehen bald gemein- 
same Wpge, denn um Anklang zu finden, miißie der Kunst- 
dichter sich möglichst dem Volksliede zu nähern suchen. 

Fr. Vogt bemerkt dazu : iBerühruiigeu zwischen den beiden 
Gattungen bleiben nicht aus, denn neben den Personen ver- 
schiedenen Standes, welche an den Ereignissen, die sie besingen, 
selbst teilgenommen haben, fehlt es auch nicht an meisterlich 
geschulten Dichtern, die gleichfalls auf Grund eigenen Erleb- 
nisses oder nach dem Hörensagen solche Lieder für das große 
Publikum verfertigen» *. 

Wir finden also um das Jahr 1477 eine überaus verbrei- 
tete und beliebte aus Sprüchen und Liedern bestehende Lite- 



1 In den Aiiiuertmigeii zu einem solchen Gedicht II 114) be- 
merkt Lilicnorcn auodrüokiich ; «ßeliT moglioh, daß euch dies echon 
1477 als fliegendes Blatt gedruckt war. Die Presse beschäftigte 
eioh, namentlich die Straßburgcr im Jahr 1477 lebhaft mit Karl 
Ton Burgand > Spatere Drueke des Jedichts siehe ebenda. 

» Grundriß 2, 1 =, S. U97; vgl. auch J. Grimm, a. a. , S. 134: 

«Die Volbssangßr sachten sich manche einfache Welse des Meister- 
gesangs aneueignen, and dieser fiel bllmülig so in den bürgerlichen, 
gemeinen Stand herat. daä es schon aus dem Grund, in Ermanglung 
anderer Kennzeichen. zTreyfelhaft sein kann, ob ein befragtes Ge- 
dicht von einem (am dann so zu sagen) ■wirklichen Meister, oder 
^on einen Bänkelsänger in Meisterten gediohtot worden». 



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*"■ UWEftfllYO" MICHIGAN 



— 162 — 

ratur, welche die ruhmvollen Kampfe der jüngsten Vergangen- 
heit zum Gegenstande hal, der gegenüber die umfangreiche, 
in dem hergebrachten Gleise sich mühsam fortschleppende 
Reimchronik vollkommen zurücktritt. Nach dem Gesagten ist 
es leicht erklärlich, wie ein Dichter auf den Gedanken kommen 
konnte, einmal eine Reimchromk in Strcphenform zu schreiben, 
um sich die Popularität dieser Form au Nutze zu machen. 
Oder, anders betrachtet, der Gedanke lag nahe, die verschie- 
denen umlaufenden Lieder zu einem Ganaen zusammenzustellen, 
um so ein zusammenfassendes Hill jener Kampfe zu gehen 
nach Art der übrigen Reimchromken. 

Bai der B. H. kann dies allerdings nicht nachgewiesen 
werden, da die Verschmelzung, falls eine solche hier wirklich 
vorliegt, sehr geschickt vorgenommen wurde, so daß auffallende 
Näte fehlen. Die aHistorie von Peter Ha^enbach» dagegen 
(Hain 8346) läßt sich ohne weiteres in verschiedene Gedichte 
zerlegen. 

Das beste Beispiel bierfür ist jedoch Wierslraats Reim- 
chronik, «ein Gedicht, welches durch Verwendung wechselnder 
Strophenformen noch deutlicher [als Tuschs ß. H.J den Zusam- 
menhang dieser metrischen Form der Beiiuchronik mit dem 
historischen Liede verrät» 1 . 

In der Tat ist die Entstehung der strophischen Reimchronik 
um mit Fr. Vogt zu reden «weder Zufall noch Laune, sondern 
ein Ergebnis der besonderen Entwicklung der historischen 
Dichtung dieses Zeitraums.» * 

Uebcr dic3c der Volkscpilt, die ebenfalls die durch die äl- 
teren Lieder üblich gewordene strophische Form übernahm, 
•ntsprechende Entwicklung d«r strophischen Reimchronik vyl. 
Pauls Grundriß 2, 1«, S. 298. 

Mit der Form des Volksliedes wurde aber auch sein Ton 
mit übernommen, seine ganze Tendenz. Sein erster Zweck isf 
nicht der, triie geschichtliche Regebpnheit ohjektiv als ange- 
schlossenes Faktum zu erzählen, sondern es will auf den Gang 
der Dinge vom Parteistandpunkt einwirken, die Massen für 
seine Auffassung der Dinge gewinnen» ." 

Um Dusch einigermaßen gerecht zu werden, um ihn und 
den parteiischen Geist, der sein Werk durchweht, zu verstehen, 
müssen wir wiederholt en dieses Herauswachsen der strophi- 
schen Reimchronik aus dem historischen Lied erinnern, dessen 



i Paule Grundriß 2, 1«, 8. 298. 

•- Paule Grundriß 2, l 2 , S. 297. 

* J. Bacehtold, i. a. 0., 8. 192. Vgl auch Fr. Vogt, Loben 
ind Dächten der deutischen Spielleute im Mittelalter, Halle a. S. 1876, 
S. 12. 



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*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



— laß — 

Aufgabe und Zweck es geradezu war, die gegnerische Partei 
zu verspotten und Stimmung für oder gegen zu machen. Wir 
möchten Düschs Gedicht mehr als eine politische Zeitung be- 
trachtei wiesen, die verfaßt ist unter dem lebendigen Eindruck 
großer Ereignisse und welche dieselben nun vom Parteisland- 
punkte aus beleuchtet, von dem Standpunkte einer an den 
Kriegen nächstbeteiligten deutschen Reichsstadt, die durch ihre 
Lage dazu bestimmt war» ein Bollwerk des Deutschtums dem 
Romanenlum gegenüber zu bilden. 

Der hier herrschenden Stimmung, dein leidenschaftlichen 
Haß gegen die Welschen, vor allem gegen den stolzen Herzog, 
den «Wüterich*, hat unser Dichter Aufdruck verliehen. Daß 
er dabei zuweilen die Grenzen der Wahrheit überschritt, können 
und dürfen wir ihm nicht verübeln. Fand er doch den Beifall 
seiner Zeitgenossen in hohem Maße, wie die Veranstaltung von 
zwei Drucken der B. H. in einem Jahre beweist. Er gab ihrem 
Empfinden beredten Ausdruck, er sprach aus, was die anderen 
fühlten — darin ist er ein Dichter. Außerdem ist es sehr fraglieh, 
ob die übrigens nicht allzu häufigen Entstellungen der geschicht- 
lichen Ereignisse sowie der Zahlenverhältnisse stets aufs Konto 
unseres Dichters zu schreiben sind. Soweit sie nicht in Untei- 
lassungssfinripn hestphen, d. h. soweit nicht irgend ein Mißer- 
folg der Deutschen unerwähnt bleibt, oder zu kurz abgetan 
wird, sind seine L'ngenauigkeiten, wie wir bereits gesehen 
haben, verschwindend gering gegenüber der Kulte wirklich 
brauchbarer und durchaus zutreffender Angaben. 

Selbst Roethe, der dem Dichter gewiß nicht gewogen ist, 
gibt die Möglichkeit zu edaß er [der Dichter] vielfach unter 
der Herrschaft der Legende stund, nicht selbst fälschte». 

Ein Beispiel bierfür ist das vom Dichter wiederholt er- 
wähnte angebliche Ertränken schwangerer Frauen zu Lüttich, 
das auch in anderen Quellen, in der Chronik von Peter von 
Hagenbach und der Leg. sich findet. — 

Wir wissen, daß die strophischen Reiinchruuiken vorgelesen 
oder auch gesungen wurden. So finden wir z. B. in der 
1462—65 verfaßten strophischen Reimchronik Michael Beheims, 
dem «Buch von den Wienern is :-.ls Ueberschnft des ersten 
Abschnittes die Worte : «Dises sagt von den wienern vnd stet 
das man es lesen mag Ms ainen Spruch, oder singen als ain 
iei, vnd Michel Peham hat es gemacht, vnd es haißet in seiner 
angst weis, wann er uieng es an tu wien in der purg du er 
in großen angsten waz. Wer doz singen well der heb es in 
disru nuten hie viiden alsu ai.u 



i Hrsg:, von Kar&jan, Wien 1*43. 



/ 



,\ - fViciralftOTi 

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- 154 - 

Es folgten hierauf die in Kuiajarw Ausgabe als Beilage 
wicdcrgcgcbcnen Noten. 

Wurde aber Beheiins überaus umfangreiche Chronik ge- 
sungen, 60 dürfen wir dies mit viel größerer Wahrecheinlichkeit 
auch für die kuriere B. H. annehmen. 

Wir cehen also in d«r B. H. eine strophische Reimebronik, 
eine Chronik, die vorgelesen oder auch nach einer bestimmten 
Melodie gesungen werden konnte. Diese Art der Chronik hat 
von dem politischen Volkslied die Form und die Tendenz über- 
nommen, umfaßt ataftr, im Gegensatz zu diesem und im An- 
schluß an die übrigen Reimchroniken, nicht nur ein einzelnes, 
*ondi»rn verschiedene zusnmmenpehörijre Ereignisse. 

C. Die Entstehungszeit der B. H. 

Ueber die Zeit der Entstehung der R. H. kennen wir fol- 
gendes feststellen. 

Nach eigener Angabe des Dichters wurde das Gedicht im 
Jahre 1477 geschrieben und gedruckt. Zweifellos konnte der 
letzte Teil, der von der Schlacht von Nancy handelt, erst nach 
dieser, nach dem 5. Januar 1477 geschrieben werden. 

Es fragt sich nun, ob der Dichter das ganze Gedieh! erst 
um jene Zeit schrieb, oder ob er Teile desselben bereits früher 
verfaßt hatte. 

Für die Bearbeitung des ganzen Stoffs nach dem 5. Januar 
U77 spricht in erster Linie der Vers 359, 7, der, noch in der 
Einleitung, des Herzogs als eines Toten gedenkt: wo burgunner 
noch in leben wer. 

Demgegenüber st aut die {Möglichkeit hinzuweisen, daß 
die Einleitung erst nachträglich zu einem bereits fertigen Teile 
hinzugedichtet wurde. 

Auch die dauernde Berührung der B. H. mit der Leg., 
die ja auch den Tod des Herzogs noch erwähnt, und die nach 
unserer Ansicht dem Dichter bekannt war, als er sein Gedicht 
schrieb, ist hier zu nennen. 

Besonders aber möchten wir die Abhängigkeit der B. H. 
von dem Briefe Ulrich Meltingers von Basel betonen, Dic?er 
schrieb, wie wir oben gesehen haben, zwischen dem 2. und 
h. März 1476, also spätestens am dritten Tage nach der 
Schlacht von Orandsou einen Brief, der Dusch offenbar im 
Original oder in einer Kopie zu Gesicht kam. Hätte der Dichter 
seine Eindrücke sofort niedergeschrieben, so hätte er schwerlich 
so ausgiebigen Gebrauch von diesem Berichte gemscht. 

G egen eine gemeinsame nachträgliche Behandlung spricht 
vor allem die außerordentliche Frische und Anschaulichkeit der 



,1 rViciralftOTi 

*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



— 165 - 

Darstellung, so daß mau geneigt ist, an eine Abfassung uuler 
dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse zu denken. 

Dazu kommen die langen, sonst in dieser Ausführlichkeit 
kaum gebotenen Nampnven'eichnUse, die der Dichter unmöglich 
erst nachträglich nach dem Gedächtnis zusammenstellen konnte, 
die vielmehr nur an Ort und Stelle angefertigt werden konnten. 

Wir werden dadurch zu folgendem Vergleich zwischen den 
beiden angeführten extremen Ansichten geführt : 

1. Der Dichter war bei einer großen Zahl der geschilderten 
Ereignisse persönlich anwesend und notierte «ich die ihn inter- 
essierenden Vorgänge, sowie die Namen von Personen und 
Schlössern, vielleicht in der Absicht, diese Aufzeichnungen hei 
Gelegenheit in metrische Form zu gießen. 

2. Es ist nicht ausgeschlossen, daß einzelne Teile des 
Gedichts sofort formgerecht niedergeschrieben wurden. 

8. Wie aus der B. H. selbst und der Benützung verschie- 
dener Quellen sich ergibt, wurde jedoch der jrrößie Teil des 
Werks erst nach dem 5. Januar 1477 gedichtet. 



Ist die B. H. originell ? 

Auf das Verhältnis der B. H. zur Leg. wurde bereits 
oben näher eingegangen. Manche Gelehrte erblickten in der 
Leg. geradezu reinen Auszug aus der Arbeit des Tusch», was 
von andern bestritten wurde. 

Unsere bereits geäußerte Ansicht geht dahin, daß dem 
Verfasser der B. H. die Leg. vorlag, als er nur Feder griff, 
ihr großer Krfolg mag ilin veranlaßt haben, diesen populären 
Stoff unter Benützung der ihm als Kriegsteilnehmer bekannten 
Einzelheiten nochmals zu bearbeiten. Dieses Verfahren der Er- 
weiterung oder der Zusammensetzung bekannter Lieder wäre 
nichts besonderes, ist vielmehr im Mittelaller nicht seilen'. 

Außerdem ist die Form der Leg. roher und formloser als 
die der B. H., dabei aber poetisch durchaus nicht minderwertig. 
Immerhin scheint auch dies auf die Priorität der Leg. hinzu- 
weisen, so daß wir wohl in Düschs B. H. die erweiternde 
Uiuarlieiluug eines Spruchgedichts aktuellen Inhaltssehen dürfen. 



1 Pauls Grundriß ?.,[-, 3. 298; «Aub kur& gefaßten Liedern 
sotstefien hie und da größere Gedichte durch erweiternde Bearbei- 
tung eines einzelnen oder mehrerer auf denselben Gegenstand be&ig*- 
liehen Gesänge» R. von Liliencron nahm im großen Sempäßhorhcd 
'/« Dutacad kleinerer Licdor an. s Baeohluld, S. 195 ff. und Gerrinus, 
Gesch. der deutscher Dichtung, II, S 398. Anm. 471. 



,1 fViciralfroTi 

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— 156 - 

Außer der Leg. scheint aber Dusch [noch wehere Quellen 
bei Abfassung seines Werks benutzt zu hsben, so besonders 
den mehrfach e mahnten Brief Ulrich Meltingers, wie oben 
gezeigt wurde. 

Wahrscheinlich weist auch 433, 2, 3 — 4 auf die Benützung 
einer schriftlichen Quelle hin : 

achthundert mee seyt der l»as kan 
dar von gessgen dan jch melde. 

Wie wir bereiU gesehen haben, lassen eich weitere Bezie- 
hungen zu dem Ms. All. H'6 feststellen. Hier ist jedoch die 
Aulorfrage sehr verwickelt. Spricht der nachträgliche Ein- 
schub in der Chronik dafür, daß dem Fortsetzer Königshofen-« 
«tun r6r.it plus develnppAi in die Hände fiel, so hleiht doch die 
Frage bestehen, ob dieser Bericht gerade die B. H. war. Jn 
sie war es wahrscheinlich nicht» denn dieser nachträglich ein- 
geschobene Bericht enthält Angaben, die in der B. H. nicht ent- 
halten sind, z. B. die genaue Beschreibung der Rheinfahrt des 
Straßburger Fußvolks. 

Es scheint beiden Verfassern, dem Forlsetzer Köni^shofens, 
wie dem der r». H., ein und derselbe Prosabericht eines Straß- 
burgers Ober die Belagerung von Neuß bekannt geworden zu 
sein, den beide in ihre Werke aufnahmen und den Dusch in 
Verse brachte. 

Endlich wäre noch die auch für die Heimat des Verfassers 
der B. fl. wichtige Frage zu entscheiden, ob unserem Dichter 
die offiziellen Akten der Stadt Straßburg zugänglich waren, ob 
sich Spuren der Benutzung solcher in seinem Gedicht nach- 
weisen lassen. 

Wir haben oben schon wiederholt Gelegenheit gehabt, 
auf Akten und Briefe des Straßburger Studiarchivs zu ver- 
weisen, um die Richtigkeil dieser oder jeuer Angabe unserer 
Chronik daizutun. Vielfach ist es jedoch sehr fraglich, ob die 
betreifenden Angaben der LI, II. in der Tat iaus jenen Akten 
stammen. 

Bei zwei Aktenstücken nur ist eine nähere Berührung mit 
der B. H. festzusleller, bei AA. 274, 32 mit den Angaben 
über die Beschießung von Blamont und besuuders bei AA. 282,3 
mit den sämtlichen im Jahre 1475 und Anfang 1476 erober- 
ten auch in der D. II. namhaft gemachten Schlössern nebst 
Besitzern ; siehe oben. Gerade das letalere Aktenstück könnte 
dem Verfasser der B. H. wohl als Vorlage gedient |haben, 
doch wäre es auch möglich, daß der Dichter eigene Auf- 
zeichnungen benutzte. 



,l r rViciralftOTi 

*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



- 167 — 

Auflallend wäre bei letzterer Annahme allerdings, daß in 
beiden Berichten nicht nur die wahrend des Blamonter Feld- 
zuges selbst eroberten Schlösser uud Städte aufgezählt werden, 
sondern daß beide Listen denselben längeren Zeitraum umfassen, 
denn nur so vermögen wir die Uebereinstimmunx der Namen 
in ihnen zu erklaren. 

Wir kommen somit zu dem Resultat, daß Dusch wahr- 
Rcbeinlich einzelne offizielle Akten benutzte, vermögen dies jedoch 
mit Bestimmtheit nicht darzutun. 

Weitere Quellen, die Dusch für seine B. H. benutzt hätte, 
lassen sich nicht nachweisen. Zu zahlreichen in seinem Werke 
-Ich findenden Stellen und Angaben konnten wir keine Parallele 
auffinden. Diese Angaben erwiesen sich jedoch hei näherer 
PrüTung als zutreffend und wir haben sie wohl eis des Ver- 
fassers Eigentum anzusprechen. 

Immerhin sehen wir aus dem Angeführten, daß Dusch, 
was den Inhalt seiner B. H. betrifft, niclil ganz selbständig ist 
und daß er es nicht verschmähte, auch fremde Berichte heran- 
zuziehen. Dies hängt wohl mit der späten Abfassung seines 
Werkes zusammen. 

Schwerlich jedoch wäre es dem Dichter gelungen, ein so 
frisches Werk zu schaffen, wenn er nicht selbst die Schlachten 
mitgemacht und sieb an Ort und Stelle befunden hätte. — 

Da die Dreisadler Chronik ebenfalls die burguudisefaen 
Kriege behandelt, liegt es nahe, an einen Zusammenhang zwi- 
schen diesen zwei elsässischen Chroniken zu denken. So hat 
denn auch Lor. I, S. 131, Anm. 2 die Frage gestellt: «Wie 
verhält sich die Reimchronik des Hans Erhart Tusch .... 
zu der Itreisacher Chronik?» 

Doß formale Beeinflussung nicht vorliegen kann, wurde 
im vorigen Kapitel bereits gezeigt; wie sieht es aber mit dem 
Inhalt? 

Wir wissen, daB von der Breisacher Chronik eine Original- 
handschrift, deren Verfasser nicht mit Sicherheit festgestellt 
werden kann. Instand I. Dieselbe konnte noch nicht aufgefun- 
den werden. 

Es wäre nun vielleicht möglich, daß Dusch, dessen Gedicht 
zu Anfang des Jahres 1477 erschien, einen Teil dieser Reino- 
irhronik eingesehen hätte. Wenigstens macht Mone * wahr- 
scheinlich, daß ein Teil der Chronik bereits 1474, sofort nach 
Ilagenbaehs Tode, verfaßt und erst der Schluß, wie auf S. 417 
zu lesen, im Jahre 1480 hinzugefügt wurde. 



■ Hone HI. 258. 
« Hone III, 251. 



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t> ,v - UWEM1Y0" MICHIGAN 



— 168 — 

Dazu würde passen, daß e;iier der Hauptteile der Breisacher 
Chronik, der von Peter von Ilagenbach handelnde, bei Dusch 
auf S. 390 — 393 sehr kurz abgemacht wird, vielleicht, weil es 
dem Verfasser bekannt war, daß eine anderweitige Bearbeitung 
dieses Stoffes bereits bestand. 

Auf der anderen Seite ist zu betonen, da£ in den zwei 
Chroniken, welche ja dieselben Ereignisse behandeln, nähere 
Beziehungen oder irgend welche Angaben, <lie auf eine gewisse 
Abhängigkeit der zwei Chroniken voneinander in formeller oder 
inhaltlicher Beziehung schließen lassen könnten, nicht aufzu- 
finden sind. 

Die literarischen Vorbilder der Breisacher Chronik «deren 
Form sich so vollendet zeigt, daß irtao dem Verfasser eine große 
Bekanntschaft und Vertrautheit mii diesem großen Zweige der 
Literatur zuschreiben muß» sind noch nicht genau festgestellt. 
Jedenfalls fand der Verfasser am Oberrhein kein Vorbild, das 
ihm hatte als Muster dienen können 1 . 

Deuleu einige mittel- und mederrlieiiiische Funneu im 
Reime z. B. Kapitel 4, 17—18, wo [gefallen : kallen (reden) 
reim ', auf niederdeutsche Vorbilder, die auch Lor. anzunehmen 
scheint, so ist andererseits einer Annahme niederdeutschen 
Einflusses gegenüber zu bemerken, daß für das Elsaß in oraler 
Linie oberdeutsche Chroniken als Vorbilder in Betracht kommen. 
^* Obcrihcin, Schwaben und die Schweiz mit der Universität 
Heidelberg, der sich im 15. Jahrhundert Freiburg (1454) und 
Basel (1'itO) beigesellten, gehörten zusammen und bildeten ein 
zusammengehöriges Ganzes', einen Kulturkreis, innerhalb dessen 
rege Beziehungen aller Art lebendig waren. 

Von diesem Kreis haben wir bei der Untersuchung litera- 
rischer Einflüsse zunächst auszugehen und wollen versuchen, 
hier strophische Reimchroniken nachzuweisen, die dem Dichter 
der R. H. als formelle Vorbilder dienen konnten. 

Wir erinnern uns in erster Linie verschiedener Chroniken 
des {Hauptveureters dieser Gattung, des Schwaben Michael 
Beheim.* 1416 zu Sülzhach in Württemberg geboren, verfaßte 
dieser überaus fruchtbare Dichter, der lange Zeit teils als 
Kriegsmann teils als Meistersänger in fremden Diensten stand, 
neben verschiedenen historisch wertvollen Liedern 6 zwei um- 



> Lor. i, 131. 

1 Mone III, 256. 

> S. Zarncfce, Eml, zum Karr., S. XU u. A. 1. 

* Vgl über ihn Barts&h in A. d. B. 2, 260 f. nni Pauls Grund- 
riß 2. 1 *, 3. «298 f. 

' «ZeJin Gedichte Michael Beheimb zur Geschichte Oesterreichs 
and Ungarns». Herausgegeben von Earajaa ia «Quellen aad For- 



,[ . D-iciralftOTi 

U "J IVER5I TY " MIC HICAN 



— 1Ö9 — 

fSngliche strophische Reimchronilcen, die uns hier näher inter- 
essieren. 

Die eine, das cRuch von den Wienern», umfaßt die Er- 
eignisse der Jahre 1462 — 1466 und wurde auch um diese Zeil 
gedichtet. Der Rau oVr Strophe ist höchst einfach, ihr Schema : 
aabbee, und zwar sind die vier ersten Verse männlich, acht- 
silbig und vierhebig, der Abyesang weiblich, meist siehensilbig 
und rlreihebig. 

Als Beheim später bei dem Kurfürsten Friedrich 1. von 
der Ffalz ein Unterkommen gefunden hatte, verherrlichte er 
dessen Leben ebenfalls in strophischer Form. Diese Chronik ' 
reicht bis 1471 und ist gedichtet auf Grund einer Prosabio- 
graphie. 

In der Schweiz finden wir vor dem Erscheinen der B. H. 
keine eigentlichen strophischen Reimchroniken, wenn wir nicht 
die zu Anfang des 16. Jahrhunderts verfaßte Reimchronik des 
Appenzellerkriegs* als eine solche betrachten wollen. «Es ist»» 
sagt Lor., «nicht eiue fortlaufende Efzäiiluiifcj, was der Reim* 
ebronist bietet, sondern eine Heine von Schilderungen, welche, 
einzeln betrachtet, sich mehr den historischen Liedern, als den 
großen Reimchroniken des 14. Jahrhunderts vergleichen lassen. 
Die siebzehn aufeinanderfolgenden Kapitel sind auch äußerlich 
durch Anfang- und Sch!ußverse jedesmal wie ein besonderes 
Ganzes behandelt. Das Werk hält aich gleichsam in der Mitle 
zwischen dem historischen Lied und der eigentlichen Reim- 
chronik, allein es gab keinen Anstoß zur Weiterentwicklung 
der letzteren Gattung von historisch-literarischen Quellen. Es 
war such nur sehr wenig verbreitet und lange Zeit in der 
Bibliothek von St. Gallen gänzlich vergraben.» 

Aus letzterem Grund, zugleich auch wegen der formellen 
Verschiedenheit — die Chronik ist in paarweisen Reimen abge- 
faßt — ist an einen Einfluß von dieser Seite nicht zu denken. 

Die nächste Reimchronik finden wir erst nach der Ent- 
stehung der B. H. 2U Anfang des 16. Jahrhunderts in der 1600 
abgesL-hloseenen Chronik des Sehwabenkriegs des Joh. Lenz*, 
Rurger zu Freiburv« der in seine in Reimpaaren abgefaßte 
Chronik verschiedene teilweise selbstgedichtete Lieder eintlichi, 



schungen zur vaterländischen Geschichte, Literatur und Kunst*. 
Wien 1849, S. 1 65. Weiter© Gedichte in Doeens «Sammlung für 
altdeutsche Literatur und Knast», Bd. 1. Breslau 1812, S. 37—74. 

i 2. n. 3. Huch krag. Ton Hofmann in -Quellen und Erörterun- 
gen zur bfcyer and deutschen Geschichte» 111, Müncnen lb63, S. 1 — 
258 u. 316—324. 

8 Hrsg. von J. von Ärx. St. Gallen 1830. 

« Hreg. H. von Eiesztach, Zürich 1849. Vgl. Baechtold 3. 200ff. 



,1 D-iciralftOTi 

& IV - UWEMTYO" MICHIGAN 



- 160 - 

zum Beispiel S. 28, S. 70 und besonders am Schluß S. 149 ff. 
Hier erkennen wir deutlich den Uebergang von der paarweis 
gereimten zur strophischen Reimchronik. 

Wir Anden also am Oberrhein und in der Schweiz neben 
Heheims Dichtungen keine strophischen Reimchroniken, die 
dem Verfasser der B. H. die Anregung zu der von ihm gewähl- 
ten Form hätten geben können. 

Nun ist alier die Strophe der D LI., im Gegensat! zu der 
von M. Benenn gebrauchten, vierteilig und kreuzweis gereimt, 
so daß aho ein Einfluß Beheims auf die Form der Strophe nicht 
anzunehmen ist. Wohl aber kann Dü9ch durch dessen Werke 
dazu angeregt worden sein, einen mehrere Jahre umfassenden 
Zeitabschnitt in strophischer Form zu besinnen. 

Ob Dusch mit dem Dichter des cDuchs von den Wienern» 
persönlich bekannt war, ob er mit dem Hofsänger des Kur- 
fürsten und Walzgrafen heim Rhein, Friedrichs des Siegreichen, 
am Heidelberger Hofe, in Wien oder sonst zusammentraf, 
oder ob er nur von dessen Dichtungen gehört hatte, wiesen wir 
nicht. 

Es ist allerdings nicht wahrscheinlich, doß Dusch den 
Heidelberger Hof besuchte. F.r, der entschieden auf der Seite 
des Kaisers «tand', verweilte wohl koum an' diesem, dem 
Kaiser feindlich gesinnten Hofe, wenn wir nicht annehmen 
wollen, daß er, wie nicht wenige eeinar Kollegen, dem Grund- 
satz huldigte: «Wes Brot ich eß', des Lied ich sing'.»* 

Daß niederdeutsche Roimchroniken, wie etwa die Wier- 
slraats, die in Straßburg kaum gelesen und verstanden wurden, 
auch wegen ihres lokalen Charakters wohl kaum besondere 
Aufmerksamkeit erregten, Einfluß auf Dusch gehabt hätten, ist 
nicht anzunehmen, da sich von dieser Seite her weder sprach- 
licher noch formaler Einfluß in der B. H. zeigt. 

Wir glauben bei der Entstehung der B. H. mehr an spon- 
tan« Einflüsse denken zu sollen. 

Besonders beachtenswert scheint uns z. D. die hinlänglich 
bezeugte Anwesenheit des Dichters im kaiserlichen Lager vor 
Neuß. Hier hatte er Gelegenheit genug, mit andern Sängern 



1 Vgl. 387, 3, 4-4, 4. 

» Vgl. Mich. Beheims Reimchronik, in »Quellen und Forachna- 
gon cur bayerischen uni deutschem Geschichte» 3. Bd., Manchen 
1863, S. 258: 

Der fürst mich nett in kneehtes miet 
ic'i aft Bin hrot vnil B&i)g sin liei. 
et ich ?.u einem andern kam, 
ich UcliL im auch, tut er mir drum. 
-ich sag- lob sfnem Tiamen. 



' ' "Pgk UNMREITVOr MICHIGAN 



— 161 — 

aus allen Teilen Deutschlands in Berührung zu kommen. Im 
Lager und in Jen umliegenden Dörfern ging es da oft recht 
lebhaft zu, Kampf und Streit wurden vergessen, Becher- und 
sanjcealust triten in ihre Rechte und auf beiden Seilen begann 
«süßer, sanflei Melodie lieblich Juikiliren* Ums Feuer geleert 
lauschten die Kämpen dem Sänger, der ihre Talon pries und 
brüllten auch wohl selbst von Zeil zu Zeit ein derbes Söldner- 
lied. JDie^ö Laj,'erstimmung tritt uns gelegentlich in einer Stelle 
der B. H. (423, 3, 3 ff.) entgegen, aus der wir auch den Namen 
eines dieser Lieder [herunckenbunckji erfahren. 

In dieser Umgehung schrieb unser Dichter wohl die ersten 
Veisfc seiner B. H. und faßte allmählich den Plan, den ganzen 
Feldzu^ au besingen. 

Zur Zeit der Entstehung der B. H. kannte Dnsch auf 1er 
einen Seile die Spruchgedichte in paarweise gereimten Veisen. 
die unter großem Beifall überall voryelritgen wurden. Anderer- 
seits erfreuten sich auch die sangbaren Lieder, die einzelne 
Abschnitte des Krieges behandelten, allgemeiner Beliebtheil. 

So lag der Gedanke, den unser Sänger zur Ausführung 
brachte, Aberaus nahe, ein Werk zu schaffen, das wie dei 
historischen Lieder sangbar sein, zugleich aber auch, wie ein 
Teil der Sprüche, verschiedene Ereignisse, den ganzen krie^r, 
umfassen sollte. 



Die Urteile über Dusch und sein Werk tauten ziemlich 
ungünsliy. So wird die B. II. von Friedrich Vogt* geradezu 
als abschreckendes Beispiel einer strophischen Reimchronik 
zitiert: «Eine solche ist Erhart Tuschs im Jahre 1477 tu Straß- 
burg gedruckte hurgundische Historie, ein entsetzliche« Geleier 
in mehr als 600 Strophen von Karls des Kühnen Fefdzügen.» 

Eine eingehendere Hespreehun;», auf die im Vorsiehenden 
wiederholt Bezug genommen wurde, widmeleclerselbenKoel he». Kr 
schließt seine Besprechung mit den Worten: (Bin untergeord- 
neter Bursche also, dessen Gesinnung und Talent vielleicht für 
ein derbes Siegeslied unmittelbar nach der Schlacht ausgereicht 
hätte, der aber an iler größeren AutgaLe klaglich scheitert,» 



1 = Herr OnkapaunU Vgl. Johann Fiscaarta yeschichtklitte' 
rung (Gargantua.) in den «Neudrucken . . .>, Halle ft. 8. IHM, S. 10: 
Sang auch . . . : 
Aach wie Bruder Jan Onkapauiit 
Mit der Kreuths ituineu. fociit, . . . 
und S. 380 ff. 

* Tanla Grundriß 2, 1«, S. 208. 
' A. d. B. &. a. 0. 

11 



,l r D-iciralftOTi 

*"■ UWEM1Y0" MICHIGAN 



— 162 — 

Wir möchten uns diesen beiden Urleilen nicht unbedingt 
anschließen, obwohl wir der zahlreichen Mängel des Werkes 
uns wohl bewußt sind und diese Ansicht auch an geeigneter 
Stell© bereits zum Ausdruck gebracht nahen. 

Dusch stellt nach Hoethe, «die Höhepunkte, die Taten von 
Neuß, Hericdurt, Blamont, Granrisnn, Murten und Nancy ohne 
rechten [febergang nebenoinander>. 

Hepthp fährt fort: cSolche Beschränkung auf die rfaupt- 
szenen des Trauerspiels würde Lob verdienen, wenn das Ganze 
ein Sirehen nach künstlerischer Einheit verriete. Davon ist aber 
keine Rode. lösch ist ein elender, ungeschickter Darsteller, 
der den Stoff in Einzelheiten verzettelt. Wie kläglich schil- 
dert er bei aller Ausführlichkeit die berühmte Belagerung von 
NeußU 

Dieses Urteil ist nur zutreffend, wenn man das Gedicht 
als ein Ganzes betrachtet; Wir fühlen hier deutlich die Seh wie 
rigkeiten, mit denen der Verfasser auf Schrill und Trili zu 
kämpfen hatte. Wir glauben aber andererseits die Anschau- 
lichkeit de* Gedicht» im einzelnen betonen zu müssen. Hier 
braucht nach unserer Ansicht die B. H. den Vergleich mit 
anderen Gedichten ihrer Zeil nicht zu scheuen, und wir können 
uns Kcelhe nicht anschließen, der, nachdem er im einzelnen 
Düschs Schilderung der Belagerung von Neuß besprochen hat, 
fortfährt: «Aber auch die äußerst charakteristischen Schlachten- 
bilder von Grandson und Murlen verwischt der Stümper voll- 
kommen». Dieses Urteil scheint uns entschieden zu hart. Man 
vergleiche z. B den auf die Schlacht bei Nurten bezüglichen 
Teil der B. H. i mil dem entsprechenden Gedicht des besten 
Dichters joner Zeil, Veit Webers*. Es ist dies wohl eine der 
schwerslen Proben, die wir der B. H. auferlegen können und 
sie fällt denn auch zu ihren L n^unsten aus. Der Grund jedoch, 
weshalb wir Veit Webers Gedient vorziehen, ist nur in 
der größeren tormalen und sprachlichen Gewandtheit dieses 
Dichters zu suchen. Der Grad der Anschaulichkeit scheint uns 
durchaus derselbe zu sein. 

Wir geben einerseits ohne weiteres die Mängel der B. H. 
zu, <tie mangelnde Sprachbeherrscbun^, das Verzetteln in Ein- 
zelheiten und das kunstlose Nebeneinanderstellen der Haupt- 
erei&nisse, das vielleicht durch die Art der Entstehung der 
Chronik au erklären is;. Daß Dusch kein Sprachkünstler ist, 



1 Oohuenbeia, a a. 0., S. 443 f.: B. H. 426, 0, 4 ff [ 

» Ochsenbein, a. a. 0., S. 448 f.; LUißicron II, 92 ff. Bei 

Oehsenbein S. 19iff. weiter© auf dieaelbe Schlacht bezüglich« Ue- 

dichte, 



,l r rViciralftOTi 

*"■ UWERSIIYO'MICHKAN 



- 163 - 

haben wir wiederholt bemerkt. Die sprachlichen Schwierig- 
keiten, mit denen er zu ringen hatte, führten ihn zu jenen 
kühnen Konstruktionen und Worlkürzuripen, welche die Ge- 
duld des Lesers auf manch* harte Prnhe stellen unri ihm unter 
Umständen den Genuß an der Lektüre verderben. 

Wir müssen jedoch andererseits neben den Schattenseiten 
auch die guten Seiten unseres Dichters, die volkstümliche Frische 
seines Stils und die Anschaulichkeit seiner Darstellung im ein- 
zelnen anerkennen- Ebenso schlagen wir ihm sein starke« 
patriotisches Gefühl, auf das wir bereits hinwiesen, hoch an. 
Wir hallen diese Betonung des Nationalen für eine der bebten 
Seiten unseres Dichters, der bereits in jener Zeit der Zer- 
splitterung den Wert des Zusammenhalts und der Einigkeit er- 
kannt und dieser Ueberzeugung wiederholt beredten Ausdruck 
verliehen hat. 

Aus den eben^euannten Gründen können wir uns den 
beiden angeführten Urteilen nicht anschließen, da sie unserer 
Ansicht nach dem Dichter Dicht gerecht werden. 

Treffender erscheint uns das in der Einleitung der Alsatia, 
S. 350, abgegebene Urteil, dem wir vollkommen beistimmen. 
Es lautet folgendermaßen ; «Dabei glauben wir, irn Allgemeinen 
das L'rtheil aussprechen au Kumten, daß das Gedicht hinter des 
gleichzeitigen Veit Weber*« Kriegs- und Siejcsliederii zurück- 
geht, dagegen viele andere, im färb- und leblosen, pedantischen 
Tone der Meistersän^er jojrefaßlen Reimwerke überragt.» 



"Verzeichnis der oft und daher abgekürzt 
zitierten Werke. 

A. d. B. = Allgemeine deutsche Biographie. Leipzig* 

187ft ff. 
AI. G-r. = Alemannische Grammatik von K. Weinhotd, 

Berlin l*M>3. 
Als. =. Alsatia, Zeitschrift hrsg- von August Stober, 

Coiraar I8n0— 7ß. Ohne Jahreszahl = Alsatia. 

187Ö/7Ö, Oolrnar 1«7Ö. 

Arch. Chr. =* Straliburijer Archivchronik j Bruchstücke ab- 

gedruckt im «Code hiatoiique et diplomatique 
de la ville de Strasbourg» I, 2, Strasbourg" 
1843, p. lftl-220. 

Baechtold = Jacob Bacchtold, Geschichte der deutschen 

Literatur in der Schweiz, Frnuerifeld 1H32. 



,l r rviciralfroti 

*"■ UWEMTYO" MICHIGAN 



— 164 — 



B. Chr. 



B. H. 
Knebel 

Koelhoff 
Leg. 



Lor. 

Meyer 

Hone 

Ms. AU. 83. 



— Basier Chroniken, ö Bände. Leipzig 1872 — 
1902. 

= Burgundisehe Hysterie, s Einleitung;. 
= Jon Kupiifi Chronik; hrsg. in B. Car. ir n. 
III. 

— KoelhofT&che Chronik; hrsg. in den 3t. -Chr.. 
Bd. XIII u XIV. 

= Burgiindesche Legende; Hain 8341 unter 
Hagenbach -Peter), Bd. 11. I. Tl., S. 1. Zitiert 
nach dem Abdruck in Horma>r's «Taschen- 
buoh für vaterländische Geschichte», München 
1850— IÖ61, S 314-324. 

= 0. Lorenz.. Dentec.hlands fieR,«hicr,tsnjifiIlen 
im Mittelalter. 2 Hie. Berlin 18863 u . 18873. 

= J. J Mcjcr'a Chronik; hrsg. von R. Reuß : 
• La Chronique Strasboargeoise de Jean- 
Jacques Meyer . . .,» Strasbourg 1873. 

= F. J. Moae, Qi:ellensammlang der badischen 
Landosgeschichte. Bd I— III, Karlsruhe 1845— 
1860, 

— Eine Straßburger Chronik, der Bibliotheqne 

Nationale gehörig 1 Ch. Pflster teilte «8 Frag- 

meate aas dieser Chronik mit in t> Buche: 

Lee manascrite allemande do la bifcliothcque 

nationale relativ k IMiistorre d'AUace. Paris 

1893. p. (»2-247. 
= vir!. Ms All. ÖS. 
= Chronik von Dieb. Schilling: fc Beschreibung 

der BurgandUchen Kriegen, Und einicher , , .» 

Bern 1743. 
m = Joli. Schiller'* Ausgabe der Chronik Jakob& 

von Königshofcn. Straßbarg 1698. 
= Stra&burger Stadtarchiv. 
= Die Chroniker, der deutschen Städte . . .. 

Itttft 
= Konrad Stulle e Tbüringisch-Erfniter Chronik. 
= Joh. Wencker's Chronik, b. «Fragtnents des 

andennes chroaiqiifsri'AUaeß» III, Strasbourg- 

1892, p. 140—142. 
= Reirachronik von Christian Wierstraet; hrsg. 

in den Sc. Chr., Bd. 20. Leipzig 1867, S. »09— 

(i!4. 
£&. 0.0. Rh.. V. F. •=■- Zeitschrift für Geschichte des Oberrheiiis; 

Nene Folge \ Freiburg i. B. 1896—92, Karls- 
ruhe 1893 ff. 



Poster 
Schilling 



Schil-cr 

St.-Arch 

St-Chr. 

Stolle 
Wender 



Wieretraat 






oglc 



fViciralftOTi 
U S I VERSI TY " MIC HIC AN 



Ein unbekanntes Gedicht von 
Sebastian Brant. 

Mitgeteilt von 
Karl Stenzel. 

In dem im Straöburger Stadtarchiv aufbewahrten Turnus I 
der Colleclanea histoneo-politiei von Wencker belinden sich unter 
Nr 38" Notizen über die Besuche Kaiser Maximilians in Straß- 
bürg und die vom Haie der Startt jedesmal getroffenen- Vor- 
kehrungen und dem Kaiser dargebrachten Geschenke. Im 
Anschluß dann folgen Klagen nl>er die vielfachen finanziellen 
Anforderungen, die unter der Regierung dieses Herrschers 
an den städtischen Säckel £«sielli wurden ; es heißt dann weiter : 

L.'lT .solch s villeltigs ansuche ns der vinanlzer macht doclor 
Brand selig, disser zeit Stattschreiber, disse nachvolgenrie 
reymen : ■ 

Die vinantzer seind dess gewon ; 
«ein anders her! das* ist verthon ! 
wir wollen in dem rieh uffrumen, 
daz* die nachkummen sich versumen, 
duz 9 in ir musen wurt zu schmal, 
daz* sie nichts finden u berat, 
jetzt wend wir die Frantzosen schlagen, 
Venediger ufaer ineer ussjayen 



1 Während der folgende Abdruck sieh in der Orthographie (von 
der Durchführung kleiuei Aufniigebuchstabeu abtfeBtdiün) streug 
an das Original hält, ist die Interpunktion von mir hinzugefügt 
worden, 

* Das Original hat fast immer die Schreibung* de, 



r 



A D-iciralftOTi 

*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



— 166 — 

und zu dem rieh die Ungern bringen; 

das ■ Gellerlanrit wend wir bezwingen; 
die römisch cron wend wir gantz freyen; 
Italienland und Lambardien 
wend wir bringen su «ehorsamkeit. 
der T0i*ck hau uns wjdcrseil 
und zühet daher an unser gräniizea. 
die Teutschen müssen ^elt bar schwülen, 
voruss di« stett deee reiche, die buren, 
die ir gut haben hiuiler den muren, 
die müssen creulz und marter trafen, 
die füisten werden gern ja sogen, 
allein man forder vonn in nitz. 
die stett, die müssen tragen doz creutz; 
und drutz in, daz ' sie sich des wegern t 
oder wir wend sie also schiefern,* 
daß sie verlieren all ir freyheit, 
all treal und gned in werd verseift 
wir wend sie fahen, thurnen, plöcken. 
daz 1 kind in mutherlib er&töeken. 
sollen wir schon die buren vertriben, 
das« keiner hey dem rieh möeht pliben, *. 

die Loden wend wir in usshawen, 
1 wie fast sie ulT den nund'sehueh drawen. 
es ist nil not,, daz * wir uns schammen. 
bald wider dran in gottes nammen' 
glück und unjrlück yoth nohe zusammen.» 
daz» ist die Ordnung der vinanlz. 
£Ott geb inen ullen band Vixlantz ! 

Das Gedicht, das der gegen das Kode von Maximilians» Regier- 
ung allgemein herrschenden Erbitterung über die finanzielle 
Mißwirtschaft der kaiserlichen Beamten kräftig Ausdruck ver- 
leiht, ist sowohl Charles Schmidt als auch t&robel und Zarncke 
unbekannt geblieben ; es ist wohl auch ausgeschlossen, daß es 
zu Lebzeiten Bronts veröffentlicht worden ist» 



i Das Original hat last, immer die Schreibang df. 
* sehlegerr» - schlagen, strafen; vergl. Oh. Schmidt. Histori- 
sches Wörterbuch der elsässischen Mundart po£. 305 «schleigera». 



> 



•Ogk unwerehw Michigan 



VI. 

Die Schützengesellschaften 



im 



Oberen Mandat 



Von 

Aug. Hertzof-Metz. 

Dei Auflauf, Ruhestörungen aller Art, bei feindlichen L'erier- 
fallen, so oft überhaupt Sturm geläutet wurde, mußte in früheren 
Zeiten jeder Untenan die Waffen ergreiten, um Stadt und Land 
zu verteidigen. Der Landesherr hatte das Recht des Aufge- 
botes, dem alle waffenfähigen Uniertanen gehorchen mußten. 
Wir werden in den hier zum Abdruck gelangenden Sc nützen - 
Ordnungen von Rufach noch gehen, daß Herrendienst ein ehe- 
hafter Grund gewesen isl, an den Scbützcnversammlunuen nicht 
zu erscheinen. 

Wenn aber das Volk in Waffen Dienöle leisten sollte, so 
mußte es auch im Gebrauche derselben geübt werden, und zu 
diesem Zwecke gab es kein besseres Mittel als die Organisation 
der waffenfähigen Männer zu Schützengilden, Schütcengesell- 
schaften oder Schützen vereinen wie sie damals genannt wurden. 
Diese Gesellschaften waren deshalb auch für den Landesherrn 
von gan? hesonderer Bedeutung, und konnten in den Territorial- 
p'ebietcn nur mit Genehmigung desselben errichtet werden ; in 
den freien Städten mit Genehmigung des Stadtmagistrafs. Die 
Schützenmlden waren das Volk in Wulfen. 

Nur wenn wir dies berücksichtigen, können wir verstehen 
wie es möglich war, daß unsere Bauernheere, beim großen Bauern- 
aufstände von 1525, solche Erfolge erringen konnten. Nur so 
ist es zu erklären, daß die nötigen Waffen sich in Händen der 



f 



,1 D-iciralftOTi 

*"■ UWEWIYO'MICHICAN 



- 168 ~ 

Aufständischen befinden, daß diese Oberhaupt solche kriegeri- 
sche Betätigung besitzen kennten. 

Werfen wir nun einen fcurzen Blick auf die Organisation dieser 
Schützenyesellscriaften, an Hand der hier zum Abdruck ge- 
brachten Armbrust- und Schul zenordnun^en von Rufacb, die 
wohl zu den ältesten Irkumlen dieser Art zähle» dürften, 
welche die verschiedenen elsassisehen Archive, his auf unsere 
Ta^e hinühcr&ercttct hoben. 

Die älteste Rufitcher Schützenordnung ist von 1503. und 
bezieht sich auf die Armbrustschützen, d. h. auf Leute, die 
noch mit Pieilgeschützen versehen waren. In diesen ältesten 
Urkunden über die Rufscher Schützen, wird ihre Gilde nicht 
etwa als eine neue Einrichtung, sondern als eine schon langst 
bestehende, erwähnt ; wir dürfen somit annehmen, daß diese 
Sehützengcscllschaftcn zu ßufach sicher im XV. Jahrhundert 
bereits bestanden, fn diesen Urkunden werden aber noch 
andere Sehützengesellschaften erwähnt, so die von Herlisheim, 
Hattstatl, Egisheim, PfaHenheim und Geberschweier. Die zweite 
Sdmt7ennrrtnung von Rufach ist die der Büchsenschfitzen von 
1539, eine ziemlich umfangreiche Zusammenstellung der darin 
geltenden Vorschriften, in 4H Artikeln. Fs 13 Sl uns diese Ur- 
kunde ganz besonders in die damaligen Schützeruehrüuche einen 
fesselnden Einblick hallen; wir sehen hier wie diese Leute siel i 
bei ihren Uebungen verhielten, wie sie sich dabei ergötzten, 
am guten Rutacber Weine labten und was sie für Gaben 
herabgeschossen haben. Aber am meisten dürften die Sr-hieß- 
und Gcwinnregeln unsere eUässischen Schützen der Neuzeit 
interessieren. Eine dritte Rufacher Ordnung stammt von 4574, 
und ist wieder eine Armbrustschülzenordnuntf. Hierdurch sehen 
wir also daß es damals noch zweierlei Öchiitzensesellschaften 
gegeben hat : eine, die mit Röhren oder Flinren, sogenannten 
Schützenröhren, in die Scheiben schoß, und eine zweite, die an 
den mit Annbrust fortgeschossenen Bolzen festhielt. Die Feuerwaffe 
hat also die Zuj-woffc, die Armbrust, nicht sogleich verdrängt ; 
noch recht lange wurde mit dieser mittelalterlichen Schießwaffe 
in die Scheiben geschossen, und es bestanden in vielen Orten, 
wie z. B. in Hufach, zwei Schützenyesellschaften nebeneinander. 

Bevor wir aber diese Ordnungen näher betrachten, 
wollen wir noch ihre Waden mustern; denn sowohl die 
Armbruste als die alten Schützenreihren und Büchsen sind, 
nun seilen geworden. Zwar gibt es Schfttzenraine, wie z. B. 
in meinem Geburtsdurfe Geberschweier, wo die alten Scheiben* 
röhre noch in Gebrauch und zugelassen sind. 

Die damals gebräuchliche Handfeuerwaffe war die Hacken- 
büchse. Liiese schoß gewöhnlich vieriölige Kugeln von Blei 



ukiÄÄhican 



— lue - 

[das Loi — 16,5 nrj, ihre Län^e war 1 Dl, und deren Gewicht 
5 kg. Uas war die «ranze Hackenbuchse, mit welcher aufge- 
legt geschossen wurde. Im Vorderteil slützte sich das Rohr 
auf die Brustwehr der Mauer, auf ein eigenes Gestell, cder auch 
auf eine mitgeführte Gabel. . Der Schaft wurde an die Schulter 
des Mannes, welcher das Rohr richtele, angelehnt, und uichi 
seilen diente ein zweiter Mann zur Hilfe um die Lunte zu enl- 
: finden; denn ursprünglich haue man keine Zündschlösser. Nach 
unserer BüchsenschüUenordnunx wurde aber freihändig ge- 
schossen, durfte eicht «ungelegt werden ; das Gewehr, dessen man 
sich iii Rufach und Um^ehun^ hedienle, war somit keine schwere 
Hackenbücbac sondern nur die soffen, hulbe Huckenbüchse oder 
da» Haudrubr, welches viel leichler wir als die obenerwähnte 
eiste Uüchfe, und nur S'it-Iötige Kugeln schoß. Es scheint 
»ho daß die weit schwereren, jetzt noch im Gebrauche stehenden 
Scheiben röhre, erst spater auf den Schülzenrainen unserer 
Gegend eingeführt wurden. Es waren dies — wohl erst 
seir. der Annexion an Frankreich eingeführt — geg^n 2 m 
lange und Ü— 10 kg schwere Rohre, Musketen, die eine 
Kugel von 1 Lot schössen und aufgelegt werden mußten. 
Ursprünglich hallen sie ein Keuersteinschloü. das «laim liegen 
1820 durch das Zündhutschloß oder Perknssionsschloß ersetzt 
wurde 

Die Armbrust war ein Pfeil- oder Bolzengeschütz. Als 
KriegswafTe war sie schon im Altertum bekannt, und wurde seil 
dem 12. Jahrhundert besonders in Deutschland zu kriegerischen 
Zwecken gebraucht, wiewohl sie die Papste seit 1139 lür den 
Kampf mit Christen verholen hatten. Es war der Gebrauch 
dieser Schußwaffe, welche den Städtern, sowie den Insa.**sen 
der Land hen schatten zur Bildung von Schützengesellscharten 
Anlaß gab. Die durch diese veranlaßten Schützenfeste sind 
lur Genüge bekannt. Die Armbrust hlieh bis in das 16. Jahr- 
hundert Kriegswaffe, in Frankreich hießen die Armbrustschülzen 
— nur Fußvolk, — narlialetriersp. Die Armbrust bestand «us dem 
Schafte («Büstung>) häufig mit Kolben, dem Bügel (Holz. Stahl, 
Fischbein, der Dogen), der Sehne, die, wenn gespannt, in einer 
Vertiefung des Schaftes (Nnß, die Nute) ruhte um! durch den 
Abzug (auch mit Stecher, d. h. ein von unten hinaufcepreßter 
Zapfen) aus ihrer gespannten Lage befreit wurde, und das 
Geschoß, zuerst einen Pfeil («.Strahl») dann eint*n Bolzen, auch 
eine Kugel aus laufäbnlichen Röhren, in Uewegung setzte und 
fortschleuderte. Zum Spannen des sehr strammen Bügels oder 
Bogens, dienten oft eigene Vorrichtungen, Spannwinden, Geiß- 
füße. Flasctienzfige und Zahnräder. Das Geschoß durchdrang 
noch auf 2&0 Schritt einen Panzer. 



r 



ukiÄÄhican 



— 170 — 

(Jeher die Art und Weise diese Schußwaffen zu gebrauchen 
und zu behandeln neben unsere SihüUenoitlnurigen ausführliche 
Anweisungen. An dem Schießtaiii der Armbrustechützen soll 
eine Zeiiglocke aufgehängt sein; mit dieser Glocke sollen die 
Zeichen zum Schießen gegeben werden, jedesmal wenn der 
Schills? aurn Schießen ansieht; solange die Glocke läutet, soll 
der Schütze nicht andrücken, damit alle Leute die von ungefähr 
in die Schußrichtung gelangt sein konnten und die acheiben- 
zeiger, Zeit hätten »ich rechtzeitig in Deckung zu begeben. Wer 
schießt solange die Zeitglocke läutet, der hat seinen Schuß ver- 
loren, «niici gebe ihm nichts um den Schuß> ; dies soll dann 
noch geschehen, selbst wenn der Schütze eigentlich nichts dafür 
kann, wenn ihm ein Windfaden beim Aufziehen der Armbrust 
zerreißt . Es soll mit freiem Arme geschossen werden, wer das 
nicht tut, soll darum nach Urleil der Schießgesellen gestraft 
werden. 

Weiter gingen schon die Vorschriften über Vorsichtsmaß- 
regeln beim Gebrauche der Handfeuerwaffen, wie dies aus der 
Büchsenschützenordnung von llufach hervorgeht (1539). 

Wer am Schießstande dreimal anschlug, es brenne oder 
nicht, der hatte damit seinen Schuß getan (Nr. 24) Keiner 
sollte am Stande einrühren, d. h. die Büchse laden oder andere 
liMuiu im; ; modern sollte ehe er an den äUud sich beyah 
gei üstet sein ; bei sechs Pfennig Strafe (Nr. 25). 

Welchem die Büchse zum zweiten Male versagte, und er 
sie anders laden wollte, das solle ihm nicht erlaubt sein ; er 
soll sie vielmehr zum dritten Male anzünden ; und versagt sie 
ihm dann noch einmal, so soll er damit seinen Schuß getan 
haben (Nr. 26). 

Welchem seine Büchse, wie oben geschildert, versagte, der 
soll dieselbe sofort gegen den Himmel, und nicht gegen die 
Leute gerichtet, tragen, damit so niemand zu Schaden gelange* 
Wer das nicht täte, der bessert in die Lade sechs Pfennig 
(Nr. 27). Ein jeder, der um eine Gabe schoß, mußte auch hier 
dies mit freiem Arme, unini fgelegt, tun ; er sollte die Büchse vorn 
weder ansetzen noch auflegen. Der Säumige wurde nach Urteil 
der Schützemneister, Siebener und gemeiner Schießgesellen ge- 
straft. Der so getane Schuß durtte ihm nicht zum Gewinnne 
angerechnet werden (Mr. 28). Es sollte auch keiner einen ge- 
llederten Klotz, Schrot, auch keiner zwei Klotze — d. h. 
Kugeln — schießen; welcher dies verbrach, der verlor seine 
BOchse und Schießgezeug iiniiar.hlaßlich, wurde ferner noch nach 
gemeinem Urteil der Schützen gesiratt (Nr. 29). 

Wer am Stande zum Schießen bereit stand, ihm ange- 
zündet wurde, derart daß die Büchse ausging, der sollte seinen 



ukiÄÄhican 



— 171 — 

Schuß getan Italien ; er konnte weiter die Büchse halten wie 
er wollte (Nr. 37). Darnach hatte ein Zweiter dem bereiten 
Schützen die Lunte angezündet ; die Büchsen von 1539 hatten 
»mit noch kein Zündschloß; wenn die Lunte ausgegangen war, 
war auch keine Gefahr für die Umstehenden vorhanden. Wenn 
einer den Schuß getan hatte, so sollte er auch das Feuer aus- 
löschen, und dasselbe nicht zu den Gesellen in das Schützenhaus 
oder die Schüizenhütte, träfen, damit denselben kein Schaden 
geschehe; welcher das vei brach, der besser!« jedesmal sechs 
Pfennig. Bei Un^ewittcr sollte auch nicht geschossen weiden 
(Nr. 16): diese Bestimmung linden wir übrigen* auch in der 
Ordnung der Arwbrustschützen, (Nr. C von 1503). Beim 
behießen sollte auch der Schulze ruhig stehen, nicht csthupfei» 
\ h. keinen Ruck tun ; der Schub 1 war für denselben verloren, 
selbst wenn er zufällig doch einen Treffer gemacht halte. Ite- 
hauptete der Schutze, er halte nicht geschupft, so sollten zwei 
Unparteiische mit dem Zeiger die Scheibe besieht igan und 
darüber entscheiden (Nr. 34). 

Niemand sollte, beim Schießen um die Gaben, unbefugt 
und ohne Auftrag sich an den Rain begeben ; wer dies nicht 
talhlgie, der konnte am Preissehießen dieses Tages nicht mehr 
teilnehmen, und mußte dazu noch sechs Pfennig in die Büchse 
uhlen (Nr. 20). Das unbefugte begehen des Schießraiues Aar 
mit großen Gefahren verbunden. Dies Verbot bestellt heute noch. 
Es wurde um Gaben geschossen ; diese Gaben waren eot- 
weder vom Landesherrn, dem Bischof von Straßburg, oder 
auch von der Stadt Rufach gestiftet. Diese Gaben hießen die 
Freigaben. Auch die Schßtzengesellschaft selbst stiftete ver- 
schiedene Gaben, als Geld, Zinngeschirr, Schützeukleinodien 
aller Art, wie silberne oder goldene Becher, Schüsseln und 
Tafelstücke; später gab es auch auf den Schützern u inen 
Scbandeln und Kerzen als Gaben. Nach der Armbruötschützen- 
ordnun<r von 1503 bestand die Freigabe des Bischofs in Barchent 
xu einem Wams {Nr. '1 u. 2 von 4503); noch der Schul aen- 
ordnung von 1574 wurde urn ein Paar Hosen geschossen, das 
ebenfalls vom Bischof und dor Stadt Rufach geatitlel war (fcin- 
leilung von 1574). Auch die Büchsenschützenordnung von 
1539 spricht von Hosen als Freigabe. Es scheint als seien die 
Hosen in dieser Zeit sogar noch nicht sehr gemein gewesen, 
und daß es immernoch Männer yah, die ohne diese Bekleidung 
einhergingen; doch die erwähnte Schützenordnung duldete dies 
nicht bei ihrem Breischießen, und enthält die gewiß auffallende 
Vorschrift, daß wer um die Hosen schießen wollte, auch solche 
an haben sollte, es sei denn dal Leibesgebresten ihn daran 
hinderten (Nr. 42 von 1539). Dieselbe Ordnung erwähnt noch 



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ukiÄÄhican 



— 172 — 

GeM, sonstige Gaben und Kleinerer, Schützenkleinodien als 
Gabun. In Artikel 19 liieser Ordnung wird auch Zinn, d. h 
Zinn^esctiirr als Gabe erwähnt, Das Zinn war in allen Schülzen- 
rainen noch bis in unsere Zeiten hinein, mit den Scbandeln 
(Taljilichlern) und Bougies (Stearinkerzen) eine beliebte Gabe 
(cGob* heißt es im Dialekt meiner Hei mal), und ich habe 
noch solches Zinn in meiner Familie bis in die 00 er Jahre 
hinein gesehen und heim Käsen gebrauch'.. Unter diesem Ge- 
schirre waren förmliche Zier- und Schaustücke, iiie von unserem 
Urgroßvater herrübrlen und $ämtlich auf den Schützenrainen 
aufgeschossen worden waren. Sie stammten aus den 1740 er 
Jahren. Mein eigener Großvater war einer der besten Schützen 
de*» oberen Mnndats, und karri nie ohne reiche Gewinne nach 
Hause: Zinn, Schandeln, Kisten voll Käse beim Herbstschießen. 
Im Jahr I3U8 richtete die Rul'achcr BiVhseiischiVzcngesellsehaft 
ein Gesuch an den Bischof von Straßburg, um klrhöhun^ seines 
Zuschusses, damit sie su Gaben, statt Landsberger Geluch, 
Lundtisch Tuch kauten könnte, um dadurch dem Gespött« 
der Nach baren zu entgehen. Die recht lesenswerte Hiltschrifl 
linden die Leser in den Anlagen abgedruckt; ich fürchtete 
derselben ihren eigenen Reiz zu rauhen, wenn ich sie trocken 
und kurz in modernen Deutsch übertragen wollte. 

Wir wollen nun noch die Spiel- oder tichießregelri uns 
näher betrachten, für diejenigen Sonntage, an denen die Frei- 
gaben <tusgeschossen wurden. 

Nach der Armbrustschützenordnung von 1503 sollte in 
Zukunft immer vom nächsten Sonntag nach Geurjri an, jedeti 
Sonntag und bis Michaeli, um Bari;uetit für ein Wams ge- 
schossen werden, zu welchem sowohl der Bischof von Straß- 
burg als auch die Stadt Itufach eine Zuateuer spendeten (Nr. 1 
von 1503). < Nach der Arrnbrustsehützeriordnun^ von 1574 
wird in derselben Zeit wie oben bestimmt, Tuch zu einem 
Paar Hosen, jeden Sonntag aufgeschossen ^Einleitung). 

Das Schießen begann punkt zwölt Ulir ; an den Sonntagen, 
wo am die Freigabe geschossen wurde, durften keiae Versuchs- 
schüsse j-etan werden ; wer dies dennoch tat, der sollt« an 
diesem Tage weder um die freie Gabe noch um sonst etwas 
schießen (Nr. '2 vnn 1503). Nach der Ordnung von 1574 
wurde bereits um elf Uhr mit dem Schießen begonnen, und 
zwar dadurch, daß die öchützenuieistei das Zie! aufstecken 
ließen und einsebossen, d. h. die ersten Schüsse auf die 
Scheibe taten. Die übrigeu Gesellen sollten auf uuukt zwölf 
Uhr geboten werden. 

Sobald der erste Sciiuß geschehen, sollte ein jeder seinen 
Bolzen mit vier Kappen lösen ; falls jedoch mehr wie zwölf 



Giahfl Itom 
UMVEHSITYGrVICHICAN 



- 173 - 

Schützen zugegen warer», gab ein jeder von ihnen nur drei 
Rappen Lösegeld für den Bolzen 

Dies Geld sollten die SchütEenmeister dazu verwenden, 
um Geschiii'stQcke und anderes all zu kaufen, wozu die Ge- 
sellschaft Gelegenheit und Bedürfnis hatte (Nr. 3 von 1503). 
Es sollleu nie weniger als neun Schützen um die Freigabe 
schießen (Nr. 6 von 1503). Welcher Schütze jeweils der 
nächste am Ziele war, der sollle heim folgenden Schießen der 
Spielordner sein (der Schutz Eid man?) und die anderen Gesellen 
zum Schieben antreiben (Xr. 4 von 1503). Nacli Nr. 5 von 
1574 sollte dieser einen Heller befahlen, «und ebenfalls den 
nachfolgenden Schütz Aidliiian sein». Was dies bedeutet fder 
nachfolgenden Schütz Aidlman sein», ist int Vorhergehenden 
des Näheren erklärt, d*ß er die anderen Schützen zum Schießen 
antreiben und anspornen sollte; dies konnte flber doch nur für 
das jeweils draullblgendt» Schießen der Fall sein, war es doch 
nicht unmöglich, daß der beste Schütze an einem Sonnhtpj 
gerade derjenige gewesen sei, welcher zulelzt geschossen hatte, 
und da konnte er doch am selben Tage nicht mehr der fol- 
genden Schützen «Aidtmanns weiden. In derselben Ordnung 
heißt es ferner, daß wenn nicht zwölf Schützen da wären um 
für die Gaben zu schießen, so sollte darüber entschieden 
werden, ob die Gabe dennoch zum AusscliieJieii ^langen sollte 
(Nr. 3 von 1574). Weiter heißt es hier noch, daß wenn an 
einem Sonntage, so man um die Hosen schießen wollte, nicht 
sieben Schieß^esellen da waren, dann sollte man diesen T<tg 
nicht um die- Hosen schießen dürfen, es sollte auf einen 
besseren Tag verschoben , und dann jedem Gesellen an- 
gekündigt werden (Nr. 6 von 1574). Nach der erstgenannten 
Ordnung von 1003 war die Minderzahl, bei welcher um die 
Freigabe nicht mehr geschossen werden durfte, neun Schützen 
(Nr. t> von 1503), Auch hei Regenwetter sollte nicht ge- 
schossen werden [Nr. 6 von 1503). 

Wenn einer die meisten Treffer hat, der im laufenden 
Sommer die Freigabe schon einmal gewonnen hatte, dein sollte 
dieselbe nicht mehr. zuteil werden, sondern die beste Gabe dar- 
nach, und so auch mit den anderen Gaben; die beste der- 
selben konnte ebenfalls nie zweimal gewonnen werden ; der 
Gewinner erhielt dann immer die jeweils nachfolgende Gabe 
(Nr. 5 von 1508). Dasselbe sagt auch die Arrubrust&cliütztMi- 
orduung von 1574, hier ist dann die höchste Gabe ein Paar 
Hosen. Wer die Hosen gewann, der gab vier Pappen in die 
Lade, und mußte den Sonntag drauf die Bolzen im Schilde 
oder dem Köcher tragen, oder einen anderen dazu bestellen. 
Tat er das nicht, so bezahlte er den Gesellen einen Schilling. 



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Orion;! frorn 
UMVEriSITYOrUICHICAN 



— 174 — 

Doch mu£te er dem Schützen meisler und dem Scheiben zei^er 
helfen messen ; sonst sollte aber niemand anders hinzugehen, 
ohne Erlaubnis, bei Buße einer Maß Weins. Wie hieraus er- 
sichtlich, wurde die Entfernung der eingeschossenen Bolzen 
von der Niete, auf der Scheibe gemessen, um so den Rang 
der einzelnen Schüsse zu bestimmen (Nr 4 von 1574). Vorher 
haben wir schon gesehen (Nr. 3 von 4503), dnß jeder Schütze 
seinen Bolzen mit vier resp. drei Happen lösen sollte, und in 
der Ordnung von 1574 ferner noch vernommen, daß der Ge- 
winner der Freigabe am folgenden Sonntag die Bolzen int 
Köcher tragen sollte. Es schein! demnach, daß die Bolzen auf 
gemeinsame Kasten der Gesellschaft angekauft wurden, daher 
auch die Bestimmung, dab" jeder Schübe seinen Holzen lösen 
mußte, und dann eine weitere, daß sie der Zeiger beim Heraus- 
reißen möglichst schonen sollte. 

Was nun das Recht der Fremden heim Äusschießen der 
Freigabe betrifft, so bestimmt Nr. 7 von 1903, daß fiin jeder 
Fremde um die Freigabe schießen kenn und darf, doch soll er 
dieselbe gewinnen cfry mit den ineiuslen schützen» ; hat aber 
ein heimischer Schütze mit ihm die meisten Treffer, so soll 
der Fremde dann diese Gabe nicht bekommen. Dasselbe sagt 
auch die Ordnung von 1574, doch sollten der heimische und 
der fremde Schulze daaa miteinander stechen, d. h. noch 
einmal schießen, der Fremde bekam dann Geld, der Heimische 
aber die Hosen (Nr. 7 von 1574). Waren aber die Schützen 
Handwerksgesellen, so konnten von diesen auch nur die 
heimischen die Hosen gewinnen, und zwar unter den obigen 
Bedingungen \ war dagegen ein fremder Gesell mit Jahrlohn ge- 
dungen, so wurde er wie ein Einheimischer behandelt, doch sollte 
ein jeder Handwcrks^esell sein eigenes Schießzeug haben. Das 
Gebot des freihändig Schießen galt auch für die Fremden (Nr. 9 
von 1574). 

Wer um die Freigabe schießen wollte, der sollte am 
dritten Sonntag nach dem die Schützenkampagne eröffnet 
worden war, auf dem Raine zugegen sein, sich am Schießer 
unter Erlegung des Doppeleinsatzes (des teppels) beteiligen. Wer 
es nicht täte, sollte den Sommer über die Freigabe nicht mehr 
gewinnen können (Nr. 15 von 1503). 

Sonst sollten aber die Schützen auch mit militärischer Pünkt- 
lichkeit erscheinen; wer nicht bei Zeiten kam, wenn man mil 
Schießen anfing, konnte, solange der drille Schuß noch nicht ge- 
fallen war, doch zum Schießen zugelassen werden, ein Säumnis- 
schu j ward ihm gestattet. Tanger wurde aher nicht gewartet. 

Die Schützen von Egisbeim, Pfoffenhoim, Geberschweicrpund 
Hattstalt sulllen die gleichen Rechte hüben, wie die von Rufach. 



ukiÄÄhican 



— 176 — 

Wenn nun alle Schützen ihre Schüsse getan haben, und 
auch die Slechschüssc geschehen sind, d. h. jene Schüsse, 
welche nun noch diejenigen (un müssen, die auf demselben 
Fange stehen, denselben Gewinn miteinander erschossen hären, 
sollen die Schulzen «allgemein lieh verbunden sein, zwen spiel 
Zugesellen zu schießen». Falls dieser Text richtig überliefert 
ift, ist mir dieser Satz nicht recht klsr. Was ist unter «zwen 
Spiel Zugesellen» zu verstehen '? Ist es eine besondere Spielart ? 
Alle müssen hieran teilnehmen, es w5re denn, daß der 
Schülzenmeisfer jemanden beurlaubt hätte. Daraufbin bekam 
d:e Gesellschaft von tler Stadt eine Zusteuer von vior Maß 
Weins (ür cgemeiue Gesellen». Bezieht sich dies in Anehnunt? 
an die Bestimmung über dip Rechte der fremden Schlitzen. 
auf die sonstwo auch Übliche Vorschrift, daß bei Freischießen 
jtdei Fremde einen Schießyesellen habeu müsse; soll es 
beißen, daß die Schützen gemeiniglich verbunden seien in 
swei GSuaeii oder Spieleu. als «Zugesellen* fremder Schützen 
zb schießen, es sei denn, sie hätten vom Schützenrneister 
Urlaub? 

Bei Freischieilen leistete jeder Schütze, der sich beteiligte, 
doppelten Spieleinsatz, den «Doppel» oder «Teppel». 

Es sollen jetzt noch die Vorschriften, das Freischießen be- 
tieflend, aus der Büchsenechülzenordnung von 1539, soweit e« 
nötig erscheint, kurz erklärt werden. 

In der Büchsenschülzengesellschait wurde als freie Gabe 
ein Paar Hosen aufgeschossen. An hohen Festtagen durfte 
aber nicht geschossen werden (Nr. 15 von 1539). 

Waren an einem Sonntage, wo um die Hosen geschossen 
werden sollte, nicht zwölf Schützengesellen mit ihren eigenen 
Büchsen und SchieJizeutf Anwesend, so sollte nicht um die 
Freigabe geschossen werden. Der weitere Termin dazu wurde 
durch die Schüt2enmeister festgestellt (Nr. 14 von 1531}). 
Wollte ein fremder oder ein Bürgers kuecht Schießg'eselle 
werden, so sollte er als Eintrittsgeld einen Schilling hezahlen, 
und eigenes Geschütz haben (Nr. 17 von 1539). Ein Fremder 
durfte auch nm die Hosen schießen, doch mußte er sie frei- 
wejr mit den meisten Treffern und ungestochen gewinnen 
(Nr. lÖfvou 1539). Wenn ein Fremder die Hosen gewann, so 
sollte man es mit seiner Einlage so hallen, wie es dort geschah, 
wo derselbe her war ; war er dagegen aus einem Flecken 
oder Dorfe, wo nicht geschossen wurde, so durfte er nicht um 
die Gabe des Gnädigen Herrn (das Paar Hosen) schießen, 
wohl darf er aber um Zinn schießen (Nr. 11) von 1539). 

Wer£in die Scheibe geschossen hat, dem wird der Schuß 
k'ezähll, er habe getroffen oder nicht ; hat er aber einen Treffer 



ukiÄÄhican 



- 176 - 

so soll er denselben gleich anzeigen noch bevor ein anderer 
Schuß gefallen sei, tat er das nicht rechtzeitig, so war sein 
Treffer verloren (Nr. '21 von 1539). Zweimal in einem Jahre 
durfte derselbe Schulze auch hier die Hosen nicht gewinnen 
(Nr. 22 vOn 1530). Wer an einem Tage die Ho3öd gewinnt, 
der soll den anderen Tag, vro wieder geschossen wurde, den 
Zeiger helfen filecken, das heißt, die Schußlöcher mil Zapfen 
verstopfen, und das Feuer halten, d. Ii. die brennende Lunte 
zum entzünden der Ladung, hallen und bewahren, daß damit 
kein Unfug geschehe (Nr. 23 von 1539). 

Auch die Bncti-senschützen mußten pünktlich von zwölf 
Uhr am Raine sein. Wer aber nach dem Eröffnen des Schießens 
erst erschien, wenn schon ein Schuß gefallen war, der durfte 
wohl schießen, aber unter KinUge des Doppels und unter Ver- 
zicht auf den geschehenen Saumscbuß (Nr. 30 von 1539). 

Auch hier war heim Schießen um die Freigabe oder um 
andere Gaben, jeder Versuchsschuß zum Raine hin oder auch 
auf die Scheibe verboten (Nr. 31 von 1539). 

Falls der Klotz nicht durch die Scheibe hindurchdrang, 
so daß das Loch nicht zugeschlagen werden mochte, oder einen 
eisernen Nagel traf, der tollte damit keinen Schuß getan haben 
(Nr. 32 von 1539). Dasselbe galt bei Streifschüssen, so da3 
der Zupfen oder Zweck nicht haften oder stecken bleiben 
konnte; der sollte damit auch keinen gültigen Schuß gemacht 
halien. 

Zur Feststellung dessen wird die Scheibe dreimal schnell 
umgedreht , bleibt der Zweck dann doch stecken, so zählL der 
Schuß (Nr. 33 von 1539). 

Wer am Stande dreimal anschlägt, es brenne oder nicht, 
der hat 1 1 mit den Schuß getan (Nr. 24 von 1539). Ebenso 
hatte derjenige einen Schuß, dem das Feuer nach entzünden 
der Lunte ausging (Nr. 37 von 1539). Wein nach den An- 
zünden die Büchse dreimal nacheinander versagte, der sollte 
damit auch seinen Schuß uetan nahen (Nr. 26 von 1539). 

Die Schützengesellschaften waren Genossenschaften mit 
weitgehender Selbstverwaltung, wie sie alle mittelalterlichen Ge- 
nossenschaften besaßen, jedoch halte die Stadtobrigkeit, sowie 
die landesherrliche Behörde, weitgehende Ueberwacbungsrechte. 
Die Statuten, jede A ender ung denselben, mußten der bischöf- 
lichen Zentralbehörde in Zabern vorgelegt werdenj und wurde 
von derselben genehmigt oder verworfen. 

Wie jede Genossenschaft halten die Schfitxenvereine eine» 
Vorstand . 

Nach der Armbruslschutzenordnun^ von 1503 sollten die 
Schießgesellen alle Jahre zwei Schulzenmeisler, einen von Ru- 



ukiÄÄhican 



— 177 — 

fach, den anderen aus der Mundat, wählen. Was diese ordneten 
und ansetzten, dabei sollte es I (leihen, vorbehaltlich der Ohrig- 
Jteitsrechte m. gn. Herrn des Bischofs (Nr. 9 von 1503). Das- 
selbe besagt die Ordnung von 1574. mit dem hinzufügen, daß 
beiden Beratungen derSchaizenmeisler, die zwei allen Schützen - 
meister beigezogen werden sollten (Nr. 10 von 1574). 

Nach der Büchsenschützenordnun^ von 1539 sollten eben- 
falls alle Jahre, am Geor^i Tag, zwei Schützen meister gewählt 
werden, welche aber beide Bürger von Hufach sein sollten. 
Die Pflichten dieser Meister richten sich nach den Vorschriften 
der genannten Statuten (Mr. 1, 2, 3, 4 u. 5 von 1539). Diesen 
war aber ein Beirat von sieben Sehieߣesell*n, die sog. Siebener, 
beigegeben, ähnlich wie auch die Zünfte solche Siebener hatten. 
In allen wichtigen Sachen sollten diese dam Meister beistehen, 
und mit demselben beraten. Die austretenden Altschützenmeister 
waren von reehtswegen Mitglieder des Rats der Siebener (Nr. 
6 von -1539). 

Als ein Beamter der Schützengesellschaflen ist dann 
noch in allen drei erwähnten Ordnungen der Scheibenzeiger, 
oder kurzweg der Zeiger genannt. Unsere Ordnungen kennen 
den launigen Wilzlmld und Spaßmacher der miiielalierlichen 
Schützen vereine, den Pritschen meisler nicht ; wer aber heut- 
zutage noch die oft sehr witzigen Gebärden, Spässe und Re- 
densarien #ar mancher Scheibenzeigers, mit Aufmerksamkeit 
verfolgt, vtird bald einsehen, daß darin wohl alle Ueberliefe- 
rungen stecken dürften, traditionelle Bewegungen, Gebärden 
und Witze beim Anzeigen der Schußresullate, und zum Schlüsse 
kommen, daß der Scheibenzei^er wohl beide Aemter in einer 
Person vereinig;!; er ist Zeiger und Prilschen meisler zugleich. 

In Bezug auf die Pflichten dieses Beamten sei auf die 
entsprechenden Bestimmungen genannter Staluten verwiesen ; 
es wäre zu weilläufig, dieselben hier näher zu besprechen ; 
gehen sie doch uliein schon aus der Bezeichnung dieses Mannes 
zur Oenü-} hervor. 

Die Gesellen sollten sich immer gesittet und anständig be- 
nehmen, wenn sie auf dem Schul /onhauee beim Schießen, oder 
bei den Jahresversammlungen und sonstigen festlichen Anlassen 
beisammen waren. Deshalb haben alle drei Ordnungen diesbe- 
zügliche Bestimmungen. So das Fluch- und Schwörverbot am 
Raine (Nr. 12 von 1508 und Nr. 13 vnn 1574); 'Scheltworte 
jeder Art waren unter Strafe gestellt durch die Büchsenschützen- 
ordnung von 1o74 (Nr. 40). Dem Schweiggebole der Meisler 
sollte jeder Geselle sofort entsprechen (Nr. 4t). tWer etwas 
Unzucht mit Reibsen oder dergleichen begebt, oder un- 
seQchtige und zuviel schainpere (unflätige) Wort redt, mit Uff- 

12 



ukiÄÄhican 



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— 17Ö - 

salz und volbedachtem Mut», der besserte, so oft es geschah, 
6 Pfennige; vorbehaltlich größeier Straten für grobe Unzucht 
und Unfug (Nr. 43). Bei entstehender Zwietracht und Händel, 
sollt*» die Sache vor Meisler und Siebener gebracht werden 
(Nr. 44 u. 45). Die Schützenfeste vraren zu jeder Zeit, wie 
heute, nnrh, die freudigsten Feste unserer bürgerlichen und 
bäuerlichen Voreltern. Von weither kamen die Gäste, um die 
von der Obrigkeit und der Gesellschaft ausgetanen Gaben 
herauszuschießen. In Strömen floß da der Wein unserer elsäs- 
sischen Rebhügel, wahre Berge von Fleisch, Gemüse und Ge- 
bäck wurden dabei aufgetragen, und zuletzt fehlte wohl auch 
nicht ein lustiger, fröhlicher Tanz. Man muß schon selbst 
solche Frei* und Eudschießeu uiilgeiuacbt haben, um eine leu- 
hafte Vorstellung dieser Festlichkeiten sich machen zu können. 
Mit dem Wunsche unsere elsässiächen Schützenvereine, die wohl, 
wie wir sahen, alle auf ezi hohes Aller zurückblicken können, 
tiiöeh cn weiler sich kräftig und lebensfähig erhalten, wachsen, 
blühen und gedeihen, und so ein Slück urgesunden Volks- 
lebens und altehi würdiger Gebräuche noch auf lange Zeiten hin 
zu reiten, sei diese kurze Darstellung alten Schülzenwesens ge- 
schlossen. Die in den Anlagen mitgeteilten Urkunden, werden 
den Lesern noch manches Interessante und Wissenswerte bieten 
können. Auch sie sind Denkmaler der Sprache unserer 
Voreltern. 



Beilagen -, 
R u f a c h e r Armbrust schätzen Ordnung, 1503. 

Diß ist die Ordnung der Ariribrostschutzen zu Ruffach, durch 
den Kdlen strengen Herrn Ludwigen von Rioaeh, Hitler vogt 
zu huffach und Linharten Frischhertz Schaffner doselhs Ange- 
setzt Inn Anno xv«iij Jor«. 

1) Item zirem ersten soll fürlhin al wegen ufF den nechslen 
sunntag nsch Sani Jergen tag an geschossen werden und all 
nochuolgend Suntag hiß Sant Michelstag Uarchet zu einem 
wames fry ußgeyeben werden, daran kompl m. g. H. deß 
glichen die Statt RfnTach zu stur das ouch solch schießen 
dester nrden lieber 7fi»:ang So «eint gemein ar.hießgesellen diser 
noch^escliribncn punclen und articklen über cinkomen. Jeden 
puneten hy siner straf zflhehalien. 



1 Xuchbcacichuctc Urkunden liegen alle: Uoz. Arch« Obor- 
iiiuadat Buffach, L. 10. Sf E. 



Orion; I from 
UWVEROTVörVICHIGAN 



— 178 — 

2) Item wann die gloclc zwölfe ist, so soll man alwegen 
anschießen und das Zilt stecken, und soll uff ein ycdcu sün- 
ta$> Sa mar umb die fryen #ab schAsse sieh nieman In den 
Kein versuchen, wer das verbricht soll uf den lag umb die 
fryen gab noch sunsl nit schieien und man soll senden wan 
die glock Z-welfe schlecht. 

3) Item wann der erst Schulz geschieht. So soll ein Jeder 
«inen hnltzen Insen mit iiii Kappen. So aber der Sehnig mer 
wereti dann Zwölf. Sol dann ein Jeder geben dry Rappen. 
Solch gell sollet die Schützen meister ufhal>en. und soll gmeiner 
schießgeselleü zu stür komen an gfeschirr und Anderm so man 
darumb koufl und zu jeder Zit, solleui die schülzeuineisler 
darumb rechnun^ geben. 

4) Item es sollen nie mynder dt in ix Schützen umb die 
fryen gob schießen, und welcher jedesinol der nechst ist, soll 
iaroocli der nechste- schütz Eidman (Vj sin und die Andern 
Schützen Livhen »ich tu furdern zum Schießen. 

5) Item wer es das einer die mensten schütz hett der 
vormoU den sommer die fryen gab gewonnen het, denn soll 
die fry yab nit mer werden sunder die best gab darnach. 
Were das einer die best j.'ab den Sonner einest gwonnen hette 
dem soll sy furter ouch nimer werden sonder die nechst dar- 
noch soll Im werden, dann ein Jeder der die fry gab deu- 
tlichen die nechst daiuocli zum Jor eimiiol gwiiil mag und 
soll ey darnoch In dem Jore fürlhin nimer gwinen. 

6) Item ob man umb die fryen gab ungewitter halben nit 
schießen wält, oder nit ix grellen am Rein werent ma^' man die 
fürschlagen, und das den Seh ieß^ßel len verkünden. 

7) Item es majr Pin Jeder fremhder srJiießpn »mh die 
fryen gob doch soll er sy pvs innen fry mit den meinsten 
schätzen, ob dann ein Heimischer die fryen gab vor ßwonnen 
het Soll dem fremden nit zu statten komen Wann Iren dry 
glich schütz haben!» mögent sy verstechen umb die mindern 
gaben noch der fryen gab. 

8) Item ein Jeder soll schießen mit fryem Arm. 

9) Item gmein Hchießgeselleri sollen All Jor Zwen Schützen* 
meisler wollen, Ein von Ruflach und ein uß der Montatt. 
Dieselben sollent lubringen die gefeil und deppel unnd darumb 
wie vorstat rechnung zu Ihiin ; Die Alten den Nüwen behelflich 
zu sein. Was sy ordnen und ansetzenn soll doby blibun unver- 
griflen die oberkeit m. g. H. 

10) Item ein Zcügcr soll den febutzen swern, oder uf 
das minst glopenn getrwlirh am Rein zu warten ouch glich zu 
messen, fremden und Heimischen noeh einer besten verstent 
nus, niemant zu lieb noch zu leid, sieh ouch fließen die bollz 



f 



ukiÄÄhican 



— 130 - 

uß zfi ziehen und deren zu schonen sovil Im inu^lich ist, und 
gehorsam zu Bin, was in die Schieügesellen heitten. Dergegen 
soll Im gedihen und werden wn eim Jedeu so die fryen gab 
;;uint ü Rappen. Ueß^lichen der die nee liste gab noch der 
fryen »wim «rit im ii Rappen und (allen schütz diewil die 
zwölf schul« werent. welcher rio der nechsl Ist der git Jerier 
dem Zeuger 1 Heller) : das in Klammern stehende 
gestrichen! tlie naechst darnach tri! ein Rappen. Von 
ei n e r spä te re n Hand, vvohl 17. Jahrhunderts, 
hinzugefügt! 

11) Iietn was dem Zecher bevolhen würt: kouffen oder zu- 
beslellen, wiu brot oder Anders soll er getrwlicb tbün, nit 
hoher geben dünn eis halt. Solr.hs den Schulzen meistern zeflgen. 

■IS) Item wer es das einer unzimlich schweren thet oder 
sich In Ander weg unzimlich iiielle, es wer mit Haderen oder 
Anderm Soll gebessert werden mit 1 moS- wines, doch vorbe- 
halten die grofi des Mißhandels. 

13) Item Ein yeder so die fryen gab gwint soll den 
neehsteu noch genJ sunlag die bollz im schilt tragen (und die 
iLohea Stucke?) oder einen verfugen für In zu thun by einer 
penn thul i (i. 

14) Item so die schult geschehen soll keiner für den Rein 
loülTen sonder der Zeuyer und der die boltz Im schtll lre»t 
Es wer dann das man ein schützen meislers nottürffij> wer zu 
messen, mag man In darzu hernffen (by der straff thitt i muß 
wiii es). Von späterer Hand hinzugefügt, wohl 
17. Jahr hundert! 

15) Item ein Jeder so umb die fryen gab schießen will 
der soll lu£en das er ungewarüch den dritten Sünlag noch dem 
und man angeschossen hatt, do sy und ouch schieße, mit er- 
slattung des teppels. Welcher das nit tete ssoll den surncr die 
fryen gab nit gwinnen. 

16) Item wer es ouch das einer nit fci Ziten kern, So man 
an valit zu schießen, ist eim Jeden zugeloßen, So er kuinpt 
Ee der drill Schutz geschehen ist, den will man sin sümschulz 
losten erfüllen. Weiter wirt Keim zugeloßen. 

17) Item die von (Egeßn, überschrieben von der- 
selben Hand jedoch mit anderer Tinte), pfaffen- 
heim und geberschwiler, soll in diser geselechafi glieb als die 
von Rüffaeh gehalten werden. Von anderer Hand: Auch 
die von Hatstalt mit [rem Anhang. 

18) Ilem wann die xii schütz geschossen und ouch ver- 
slochen wi'rl so sollent die schützen allgmeinlich verbfinden 
sin zwen spiel Zugesellen zu schießen. Es wer dann dz eim 
Ein Schützenmeister erloubt ursach halb hinweg zugen dann 



ukiÄÄhican 



- 161 - 

heu man der statt alweg iiij moß Win», feompl ^meinen gsellen 
zd stur. 

Von anderer sp-Uer^r Hand, wohl noch 16. 
J i ii r h n niler t : 

19) Welcher die fryen j*ob wil gwinnen soll tor V* (= einen 
halben) schießen dan schießen und den deppel gehen. 
Spätere Registratur- Schützen Ordnung 

Vermerke ; 

SnhAlzenordniing ZU Rufach. 

Bemerkung ! Ein Rogen Papier. Wasserzeichen, Ochsen- 
kopf mit T. 

1508. 

Die S ch ü tzc n g escl I seh a f » von Rufach bittet 

deu Bischof von S'raßl>ui(.' um Krliölm ny der 

bisherigen Gc Id^ubvcnl ion. 

Hochwürddiger Fürst Gnediger Herr \\. F. G. Seindt unser 
uimderthönig ^ehor34m schuldig unnd £untz williger Diennst 
jeder Zeit! zuvor bereit!, Demnach H<>chwürddij{er Fürst Gne- 
diger Herr geben E. F. Gn. wir schützenmeiater Sampt der 
ganlzen geselschnfft der Fucbsenschntzen dißer Statt Ru facti mit 
Pitt gannts unnderthenigclich und demuti^eltcn zu erkhennenn 
wie daß Obbemelte Geselschaflt diaer Statt von E. F. Gn. nit 
mehr dann vier gülden unnd von dero Stall zweenn gülden 
unnd Sechs Crefltzer haben daß difie Geselsch*fft dero ßüchsen- 
whu 7i-n dißer Statt Rufach alle Sonntay Nur umb Lsnndt- 
herger schießen unnd die Geselschafll Ina zimlichem Abyan« 
unnd sich täglichen schwächt deren deinen gaben halben 

Onnanngesehcn daß tun In allcnn umbliegennden Stätten 
iiiriil Fleck heu Irin dein unnd großen uund IiinsuniiderlieilL zfl 
Herrleßbeim unnd Haltstatt umb LuniidtiftrJi tücher Schießen 
Ihüt. So ist es doch dißer Statt HGt.nl) die doch die Haupl- 
statt dißer E. F. Gn. Herrschaft Oherun Monndiaht Ja nit Nor 
Spöttlich Sonndern ganntz nschtheillig ist. 

Unnd Wir mitt Vorwysunj», mäßen hören n In «eselschafft 
wo wir hinauß kommen unnd so unnser Kinei dero Schützen 
dißer Stall Rüfach ein ^ab ilußw. gewinnt! tjo Sprüchen uimseie 
uinbligennde nachbauren So wir zu Rüfach Nur umb Lannd- 
ber^er schießen So wollend sie unns aöch deß^leiicben geben 
und dero Spöttlichen Wortt zu dem daß sich die Geselschafft 
täglichen schwächt unnd unns Anndcic umbildende Schulzen 
schiei* nit mehr zö unns wöle und unns woln und unns des- 
halben zun. tiieil cßßcrn tätlich höreiin mäßen und entgelten. 



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ukiÄÄhican 



— 182 — 

Nünn wörennd noch vil lnn dißer Statt Höfach dein unnd 
große Hannsen Keuch unnd Ann Bürger die gerne schießen 
wollten So man umb Lenndlische tücher schieben würde wie 
ann anndern Ortten unnd Enden Daß es diser Statt RÜfacti nit 
Nor vorweiölich unnd Spottlieh ist Sonndern ganntz nachteillig 
und abbrtechig. 

Derrenn geUwungner unnd nachteiligen Ursachen halben 
La im gl ann Ir« F. Uri. uimser unndertbönige und ganntz de- 
mütige Dille AunnifTeu unim flehen daß die uuÖer F. Gn. 
wöllennd dißer GeselschafH der Büchßenschützen dißer Statt 
Rüfach Ire gaaben De»*erun und Störckhen darmit Obbemcltc 
Bfichßen Schützen nach F.. Fl. Gn. Ordnung alle Sonntag umli 
ein Lundtisch tüch schießen möchten Damit Obbcroclto Geacl- 
scbafTL uu. Wiegender uachbaurschafft Onverweißlich und dißer 
Statt Rutsch Onnochteilij daß der Stattlicher luii Gott und 
ehrenn möchte erhalten werden wie andern um Mietenden ennden. 

Das wollend von £. FI. Gn. wir dero schfit/en (_l?«elschafft 
obbstent mit tröstlicher Zuversicht In aller Gehorsamkhcilt 
unnd demütiger Lnndeiihönigkheitl ein Gnedigen Hanntt- 
reichung gewArltig sein, unnd Neben dem mit Leih und gütt 
wie wo) das wönig ist gehorsam mgkheit verpflichten ^eborsam- 
lich Unverdrossen verdiennen wollen Da rinn In Golt unnd E. 
Fl. Gn. Schutz unnd sebürm uantz vunderlljöniylichen be- 
velhen thün. 

K. Fl. Gn. 

unndertböni^e 

und gehorsamme 
Cor.nradt Schilling 
und Jaccb Läpp Leide scliüuen 
m eitler Sampt dero 
pannUs Geselseliaft't der 
liüchßen Schützen der Slatt 
Hüfach. 
Supplieationn Ann 
Hochwürddigen Fürsten und 
Herrenn Herrenn Johann 
Li wollen unnd besteltigten 
Hischoue zu Straßburg 
Landgrauen In Eisuli 
unrserr, Gnedigen Fürsten 
unnd Herrenn Herrenn 
Unaderthönige unnd dein- 
mfUtige Buchßen Schützen 
meist er Sampt dero gantze 
OsellschalTi iißer Slatl Rufach 



ukiÄÄhican 



— 183 - 

Kanzleivermerke; Receptus 7 April A*>. 508. 
Beyern J. f. g. wollen gnädig 
dise stoür thün dz sie gleich andern 
mögen umb lindische düocher schießen. 

Original. Papierbogen mit Wasserzeichen : Bischöfliches 
Wappen von Straßburg mit Monogramm BL unten am Schild, 

Rufacher Sc li ü tze n or d n u ng. 1639. 

Zu vrißen das der Hochwürdig Fürst und Herr, Herr 
Wilhelm Bischoue Zu Strasburg und Landtgraue zu Elsaß 
SchüUenmeisleren und gesellen derBücbsenschützen Zu Rufach 
umb mehrung und handihabung Löhlicbs wesens und guter 
Ehrlicher geselbchufft willen Solch Hernach gesch ri bei) Ordnung, 
wie die von stfickh z« stßrk begriffen isi, In betrachtung daß 
das dadurch solche gesellschailt desler bestendijier In eiin er- 
baren und Züchtigen wesen Lest an und bleiben mögen« be- 
willigt, zu^relossen, und becrefftiget halt, Als das sich, heimisch 
und frombd Schützen mit dem schießen auch so sich Irrungen 
und Zweyi rächt under Inen begeben, darnach zu halten wißen, 
bey den Pocncn und Pesserungen In nachfolgenden articlen be- 
griffen. 

1) Item Anfangs und Zürn Ersten aollen Geinei..e Büchßen 
schützen der Statt Rüfaeli alle Jar ufT St. Jörnen laß des Hei- 
ligen Ritters, Zwen Schützenmeister under Inen «ätzen und 
welen, die beide Burger zft Hüfach seindt, solche Ordnung zß 
Handhabung und wie hernach volgt sin Llffsehen ?fi thfin. 

2) Item welche Zwen durch die schießgesellen gemeiulich 
oder der mehrer Theill also gesetzt und geweblt würden die 
sollen sich des nit sperren, sonder daßelb Jar uß Meister sein 
und pleibeii. Er helle dann einer deß gfftt redliehe entsohül- 
digung, die durch gemeine Schützen fflr genüg9am geachtet 
werden möcht, Also dann soll er deßen erlosen und ein an- 
derer an deßelbigen stall erweit werden. 

3) Item es sollen gedachte Meister wann sie also »esetzt 
und gewalt werden mit Hand (gegebnen treüwen an eins Hech- 
ten aidt3 stat geloben, ein getrew unnd fleißigs UfTsehen bey 
den gesellen zu haben, Unfflr unnd Ungeschicklichkeit nach 
«iues Jeden Ubcrlretlung au slralTen. Solch Ordnung zu ha mit- 
haben und die gesellen gleich, einen als den anderen umb 
sein Uberlrettung mit Inbringung der beßerüngen anzuhalten 
und daran nach crkandlnflß nichtzit nachgelaßen , Unnd ob sich 
begebe das einer under Inen, Er were, wehr er wolt, bfieß- 
fällig würde, und sich in verfall ne 3traff nit begeben, und den 



OiaJi'l Itom 
UWVERSITVörVKHGAN 



— 184 — 

Meistern solch beßeruntren eigens in in will ans for halten weil, 
Also das sie Ine xü deren bezalung nicht bringen möchten, 
Alßdann sollen sie solches an einen Vogt gelangen lassen der 
Inen beholfen aein soll, auch denselbigcn umb sein Ungcbor- 
Aöiube weithers zu sliaflfen macht haben. 

4) Jlem die Meister sollen auch solches gell so sie vonn 
straffen und anderen Innern en gelrewlich verwaren, und in 
«in veischloßene büchs legen, und die beide Meister die böchß 
hinder Inen behalten, und keiner ohne den anderen die bßchs 
uffschließen, und waß von gemeiner schützen wegen Inzünemen 
unnd ußzugebon nofb ist eollen eie gotrewlich thün. 

5) Item es tollen auch die zwen Meister samptlich nach 
ußgan^r Irs Meieterampts, den new gewöllen Meistern, In bey- 
sein gemeiner schießgesellen oder de£ mehrern theils Ihr In- 
nemens und Uflpebens, jjflete Erharr Rechnung thfin und was 
fürstaodts sie haben mit sumpf der Biichßen Inen übergeben. 

0) Item es sollen auch die Meister und Gemeine schieß- 
gesellen u fl" gemalten St. Jörgen tag syben under Inen sitzen 
und wehlen, die sibener genannt, derenn zwenn der Alten 
Meister sein sollen, unnd wann die Meister sareint oder sonders 
etwas von gemeiner Schützen wegen zuhandlen haben, daß sie 
für sich selbs allein nit genügsam wehrendt. ußzurichten, 
Sollen sie gemelte Sybner darzft berüeffen unnd erforderen, und 
Inen Gelegenheit lrs anliegend» oder ffirueuiena fuiballeti, die 
eollen Inen Ire HÄth und gut bedüncken darinnen gelrewlich 
mit theülen, und waß sie also hanndeln, das soll daher pleiben 
und von den gesellen nit widersprochen werden. 

7) Item es soll Keiner von den gesellen eigens fOrnemens 
understahn etwas zu thün, das gemeine schießgesellen betreffe, 
Efi wordt luic dann d&rch die Meister, odor Inn Irem abwesen 
durch die sybner beuoluen, so auch einer von den Meistern 
oder sybnern zu etwas erfordert wärt, der soll Inen des £e- 
hoisarob sein, Welcher aber deren eins übertrett, der beßert 
nach derselben erkantnnß und Gelegenheit der Ungehorsame. 

8J Item es soll auch uli gemelten St. Jörgen tage ein Zeiger 
gesetzt werden, der voll den Schützenmeistern Inmaßen die 
Meisler mit handt gegebenen treuwen an eines Hechten Aidts 
stall, ireloben, den Meistern den sybnern und gesellen In seinem 
beuelcti zu gehorchen und j^eirewlichen 2ü warten, und am 
Rhein gleich eim als dem andern, dem frembden al3 dem 
heimischen nach seiner besten Verstendlnftß zu meßen, niemand t 
zu Lieb noch zu Leidt. 

9) Ileiu der Zeiger seil alle sonlag und andere tay so man 
schießen willens, den Rein schwertzen oder bestreichen oh es 
anders noth ist. 



ukiÄÄhican 



— 185 — 

10) Item der Zeiger soll auch u(l die Schulz die da ge- 
sehenen, wahr nemmea, oh einer zwen Klotz, oder gefidert 
Klotz schieße, und so es geschehe soll er den Schützenn 
Meistern solches förderlichen und alßbaldt anzeigen, die wißen 
sich darnach weilhers darinn zuhalten, wie In eins nachfol- 
genden articul dauon gemeldet wilrt. 

11) Item dem Zeiger soll man (sie) zu Lohn geben werden 
so mann uuib die Hoßen schiest, zwen Pfennig, von dem der 
die Hosen denselbigen tag gewint, und darzü die Klotz die der 
Ter (sie) verschoßen, die auch sonnt Keiner suchen oder uffhehen 
soll, dann er der Zeiger bey sechs Pfennig straff. 

12) Item wann die Meister gedunckt noth seiu, ein Ver- 
guiiuiluug gemeiner schießgeselleu zfi haben, und deßbalbeu 
«in lag oder stand! für nehmen, unnd denn Zeiger befehlen den 
gesellen ufl dieselbig »tündt züüerkhünden und anzusagen sul 
er dem hinderlichen nachkommen. 

13) Item welcher dann zu solchem gebott ungehorsam und 
ohn Redliche entschuloiguug die durch die Meister für genüg- 
saiu yeacht möcht werden, ußplib, der beßert so offt das 
bescheue sechs Pfennig. 

14) Item were es saeh das sich ann einem bontag oder 
sunst an einem Tag, so mann umb die Hoßen schießen solt be- 
gebe, daß under swelff schießgesellen am Rein wehren, der Jeder 
sein eigen bucht unnd geaeüg helle, so soll man den tag nil 
umb die Hoßen schießen, sonder t'ürschlagen oißes die Schützen- 
meieter dunekt geschiclclich sein. 

15) Item ob uff ein Sontag ein Jars lag oder hoch fest als 
unnser Lieben Frawen tag, oder dergleicbenn gehell, So soll 
man denselbigen tag auch nit schießen. 

16) Item ob sich auch uflf ein Soiilag oder sonst uf ein 
üg so man umb die Hosen schießen woit, Solch Ungewilter 
oder andere YertiQuderuiig begebt das den lag mit dem schießen 
slillgeslamien wurde, so soll es ujeichermaß ungeschlagen 
werden, docli also wann man will, darnach umb dieselben un- 
geschlagen Hoßen schießen, daß ein Meister solches den ge- 
selleu durch den Zeiger oder so sie ohne das am Rein ver- 
sandet seindt verkhünden sollen, sich darnach mögen gerichten. 

17) Item ein Jeglicher Ußlcndiscbcr oder Bürgers Knecht 
derein schießgesell sein, und in diegesellschafrt knommen will, 
der soll Züuor In die ßüchß geben einen Schilling Pfennig und 
sein geschütz habenn, und halten, und weicher daß nit thäte 
der soll nit angenommen noch zugelaßen werden. 

18) Item es mag ein Jeder frembder er seye welcher er 
wolle, umb die Hoßen schießen, doch daß er die frey mit den 
Meisten schützen und angestochen gewinne. 



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ukiÄÄhican 



— 186 — 

1'.') item wan ein hvmbder die Hosen gewinnt, so soll er 
mit der Inlege gehallen werden, wie manu frembde schützen 
an dem ort, da er her ist hall, wehre er aber uß eim Heekhen 
oder Dorff, da kein büchßen schießen gehallen würde, so soll 
demselbigen uinb unsers Gn. Herren gab zu schießen nit zü- 
«elaßen werden, Aber unib den Zinn may er woll schießen, 
«loch soll er sich mit dem Doppel und Zeigergell hallen, wie 
der brauch ist. 

20) Item su man uuiL die Musen schießt, soll Keiner zu 
dem Rein gohn, elwas der schütz halben zu besichtigen, ohne 
beuelch oder Zülnßunjc der Meiatcr, aonder dem Zeiger daiümb 
glauben, welcher daß darüber t hat der soll denselbigea tag 
Kein gewinnend nn den Hosen haben, und darzu In die Buchfi 
beßeren sechs Pfennig. 

21j Item Welcher in di* echeib schießt, der halt ein 
schütz, und als bald! er den schütz gewinnt soll er den an- 
zeigen laßen, wo er aber daß nit thdte und wartete biß ein 
anderer schütz geschehe, so soil er den schätz verloren hann 
und im nichts riarffir wei'den. Es were dann- saeh, das Inm 
etwt.fi redlicher Ursachen daran saümbte, die därch die Schützen- 
meister linüysain geachtet werden möcht, daß auch zä der- 
selben erkantnuß stahn soll. 

22) Item Ol> einer uff ein lag so man umb die hosen 
schießt die meiste schütz heue, und aber denselben Sommer 
die Hosen iuor ein mal ^ewünoen nette, demselbigen sollen 
die Hosen denselben Sommer nimer ge^ebenn, Sonder dem 
der. darnach demselben, die meisten schütz hall, gefiolgt werden. 

23) Item, welcher uff ein la« die hosen gewiuut, der soll 
den anderen nechsten tag, so man wider schießt, dem Zeiger 
helffen steckken und das feür halten. Welcher daa nit thete, 
oder Kein anderen an sein slat bestelle» ehe man anfahet zÖ 
schießenn der soll beßeren In die büchß sechs Pfennig. 

-4) Item Welcher am stanndt dreymal anschlecht, es brenn 
oder nit, der soll den schütz dormit gelhon haben. 

25) Item es soll Keiner am stanndt .Inneren oder ander 
Bistung thün, Sonder zääor und ehe er an den stand golit 
allerdings Gerüst sein bey- sechs Pfennig straff. 

Sri) Item welchem sein hftchs ?iim aweiten mahl versejt 
und er die andcrwerls laden wolt, soll Ime nit gegönnt werden, 
Sonder vi:m drilten mahl anzünden, versagt sie [ine dann zum 
letstenmahl, so soll er den schütz damit #ethon haben. 

27) Item welchem sein büchs also wie obsieht versagt, der 
soll die alßpalt uffgwicht gegen dem Himmel unnd nit gegen 
die Leuten heben, uffdas nieraandts dadurch schaden geschehe, 
Welcher das nit lhate. der beßerl In die bücliß sechs Pfennig, 



Orion fl irom 
UWVERSnYörVKHIGAN 



- 187 - 

Wo aber geferde von einem rermerckt würde, der solle da- 
rumb sein slrofl ncmcn und deren warten sein. 

28) Item es soll auch ein Jeder der urnb die Hosen, gelt, 
gaben oder Kleinster schieße» will, mit freyem arm ahne allen 
Vortheil und geüerden schießen, die büchß fornea nit ansetzen 
noch u fliegen, Welcher aber daß verbreche und KundLlich von 
einem würde, der soll darumb nach der Schützenmeidter der Sibner 
i.r.ml i-cmcii^ schießj>esellen erk^ndlnuß ^esirafTt werden, und 
beßerung tbfin, afleh derselb schütz zfi gewann Ime nit gellen. 

29) llem es soll auch Keiner keinen gefiderlenKLotzschießen. 
schrodt wehre, auch Keiner zwenn Klotz In einem Schutz 
schießen, welcher deren aber eins verbrach, unnd daß Kßndt- 
lich würde, der soll sein htichß »und schießgezeiig tinnachlöß- 
lichen verloren haben, und darzu nach erkandtnuß der Meister 
und gemeiner schulzenn gestrafft werden. 

30) Item welcher Kerne und schießen wolt, nach dem die 
gselleu angefangen, und ein schütz yelliou hallen, der iiiay 
auch wol schießen, doch das er sein Doppel Inlege, und uff 
cen geschehenen schütz vereeiche, dann dem Kein nachschfttz 
gezäunt werden solle, darumb sich ein Jeder schicken soll das 
er unverzogenlich zu zwelffen am Rhein seye, dann bald' es 
schlecht sollen sie zÖ schießen anfahen. 

31) Item es soll Keiner an einem Sontatf oder anderen 
tag: so man umb die Hosen oder andere gaben schießen will, 
leinen Versuchschutz zum Khein oder Scheiben Ihn», welcher 
caß verbrech, der soll denselbigen tag umb die hoßen oder 
ander Kleinster Zuuersteehenn nit Zögelaßan werden. 

32) item wehre es sach daß einer die scheih (reff, und 
der Klotz nit durch gieiitf. also, das rnan daß Luch nit zu- 
schlagen möcht, der soll damit keinen schütz gemacht oder 
einen lsenen Nagel troffen helle. 

33) Item welcher ein Slreifschurz thäte also daß der 
Zweckh nit hefften oder sleckhen inechte, der soll damit Keinen 
schütz gemacht haben, Es seye umb die hoßen oder andere 
gaben, und damit mann deß bewöruiig hab, so soll der Zeiger 
nach dem er dem Zweckh Ingesleckhl hal, die sebeib drey- 
malen umlrfreiben otine (reuerdt, Bleibt dann der Zweckh 
steckben, so liatt er ein schütz, fallt er aber Im Umblreibenn 
herauß, hall er damit Keinen schütz gemacht. 

34) llem wan einer schupft I und die sebeib doch trifft So 
soll er damit Kein schätz gemacht nahen, wo aber einer ver- 
■neiner wolt, er bette nit gC6chüplTt, so sohlen zwen unparley- 
ischen durch die Meister verordnet werden solche sampt dem 
Zeiger zu besichtigen, und waß sie rfeßhalb sagen dem soll 
geglaubt werden. 



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mänwSoKm 



— LÖS — 

35) IUmi so offt elwaß Irrungen und Zweifeln der schütz 
halben entstann, und der Zeiger begert Im© Jemandls von den 
gesellen zu be&ichtigen zßgeben, sollen die Meister ihfin, und 
zwen des fürnemmens unparl heyisch verordnen die dem Zeiger 
solchs h elften besichtigen und nach der besieht igung darinn 
brechen, wie Im nächsten artieul hierinn vermeldt. 

36) Item welchem solche besichtigung wie vor steht durch 
die Meister gepotten und beuolhen vrürt, der soll sich der nit 
widern Sonder gehorsamlichen thm welcher daß nit tbäte 
der heßert unnachlößlich In die Buchs 6 A. 

37) Item welcher an dem smndt stoht 211 schießen und 
Ime angzündt also das die Biichß ußgaht, der soll sein schütz 
damit getliou Laben, er habe die büchfl wie er wOll. 

38) Item wan einer den senutz gelhon, so soll er daß feür 
ableschen, und nit zu den gesellen oder in die Uülenn tragen, 
damit Inen Kein schad besehene, welcher daß verpricht der 
beßeit so offt daß geschieht sechs Pfennig. 

39) Item welcher etwas von geechirr Es sej gleich was es 
woltj das den gemeinen schießgesellen züslah ', zerbricht oder 
verwußt, der soll alßbaldt von stund an anderß In gleichem, 
und nit minderem Werdl an die Statt Knuffen oder In dem- 
selben Werdt bezalcn ohne Widerrede, Welcher duß nit tlmte, 
und an solcher Widerlegung seümig würde, der soll nach der 
Meister der sybner und gemeiner gesellen Krksndtnuti weither 
gestrafft werden, und solchen schaden demnach auch bezalenn. 

4*») liem welcher der anderen In ernst heißt hegen oder 
Zorniglichen flucht eder ein freuenlichen schwur thfit, der soll 
so off das heschicht ohnnachl.'ißlichen In die huchä ließpren 
einen Schilling Pfeuuig. 

41) Item wan eiu Meister einem gebeut zu schweigen und er 
nit von stundt an gehorsam were, der soll beßeru sechs Pfennig, 
Gepotte er Ime züin aaderen mahl und er noch nit gehorsam 
were, der soll beßern zwenn Schilling, würde aber einem zum 
dritten mehl spotten, ao beßert er für Jedcßmchl einen Schilling 
Pfennig, wo aber einer über das dritt gepott ungehorsam 
wehre, waß dann zu letzt durch die Meister Sibncr und ge- 
sellen gemeinlich oder der Mehrer theil deßhalb erkannt würdt, 
daß tollen die Meister von dem oberfaretiden Inbringen und Ime 
daran nichtzit auch laßen. 

42) Item es soll Keiner, Esseyen Schiit2enmeister oder andere 
gesellen am Hein, umb die Hosen, gaben, gelt, oder Kleinster 
schießen, der Kein Hosen anheile, Ks were dann sach daß 
einer elwas mangels oder gebrechens an Ime hetle, derselb soll 
ungestraft zügelaßen werden, doch daß er sonst mit Erbaren 
und zimhlichen Kleidern die Ine bedecken angethon seye. 



ukiÄÄhican 



— 189 — . 

43) Item welcher etwas unzucht mil reibßen oder der- 
gleichen begohdt, oiler unzüchtige und sur.il schampere wort 
redt, mil Uflsatz. und volbedachtem möt, der soll so offt das 
beachicht unnachläßlichen bcßcrcn sechs Pfennig, Es möchte 
aber ein solche grobe Untücht eei» die einer großen straff 
würdig were, dersell>en straff sollen die Meister maeht haben 
auch die nach erkandtriuß nit nachzülaßen. 

UL) Item were es sach daß etliche gesellen am Rein oder In 
Jt*r schießhülen miteinander zwylrfichtig würden so sollen sie 
Spenn für die Meister bekommen, die sollen die syhner und 
welchen sie sonst mehr von den gesellen wollen, zu Innennemen 
und waß die darum erklienneu oder machen, dabey soli es 
bleiben. Welcher aber dar wider theie der beßert züsampt vor- 
erkandter straff umiacbläßlich fünf Schilling. 

45) Item ob sich zfl zeitten begebe, daß Borger oder 
ändere frembdt oder Heimisch die nit schießgesellen wehren 
licj Jneu Zehren oder aunat ge&ellschaftt Lallen wollen, dern- 
halb sich einicherley Uneinigkeit begebe, die sollen daß auch 
für die Meister und gesellen bekommen und waß dieselben 
rlarinn entscheyrfen, dabey soll es pleiben, und weither nit ver- 
thedingt werden, Wo aber eine» daa r.it hielt, und sieb da in 
Kein straff begeben wollt, der soll durch Schultheißen und 
Räth umb unsere wegen nachaestalt der Sachen gestrafft werden. 

46) Item ein Jeder schießgesell, soll der Meister gepotten am 
Reinn gehorsamb sein, welcher das nit thete der soll nach Uß- 
weisung der Artic&l hieftor und nach ge3chriben gestrafft werden. 

47) lieni welcher Srliießgesell am Vierdten Sontag mit 
seiner Buchßen zflm schießen genial nit ann Keirn Korne, oder 
sein Doppell am YierdMm Sontag nit lulegte der soll deusel- 
rigen Sommer Kein gewinne an den hosen haben. Es thäte 
daune einer deß Redlichen .Ehehaffte entschßldiifuDg, als da 
ist, Leibs luili, Herren notb, und dergleichen, alsdann soll er 
(Jnersert sein darinn auch die Meister, die Sybner und gesellen 
erkbemieu, und sprechen sollenn. 

48) Item ob ein schießj;esell einen Sohne oder Knecht 
belle dem er sein büß zu unseren Diensten oder nöthen ge- 
tanen hetle, Als zu eim Veldl Ziig oder sunst Erlichen Sachen, 
oder er aelbs In solchen unseren Diensten üß wehre, soll dem- 
selben oh er am Vierdten Sontag nit an Reinn Kerne, sein 
freyheit und Gerechtigkeit zu cen hosen unbenohmen sein, 
sonder wie ein anderer schieß^esell zö allem gewian wider 
zügelaßen werden, Unnd damit Jelz gemalte bücbßenscbützen 
dest Gutwilliger und geneigter seyent, solch loblich gesellschafft 
wie vcrslal 711 halten. So haben wir mit sampt eim Krsnmen 
Rath Unserer stat RA fach geordnet Inen allen Sontag und andere 



r 



ukiÄÄhican 



— 190 — 

lag, so sie uinh die hosen schießen vier maß Wein* zu geliert, 
doch so sollen wir bisebofl Wilhelm obgemclf, ol) sich ein 
suleher grober und schwerer Handel zwischen genielten Böchßen- 
schützen, einem Zweyen oder mehren begeben, daß Uns üß fürst- 
licher Oberkeit zö straffen züsleet und geimerei. würde, daß der 
Uns und Unseren nachkommen vorbehalten sein soll auch solche 
Ordnung zu mehren und z4 minderen nach unseren und unserer 
nachJcnniniHn willen und gefallen, aller Iltn» ungeriahrli<hen_ 

Geben uff &t. Jergen deß heiligen Ritters vnd marteres 
Tai», Nacli Christi Unser» Lieiieu Herrn seburl gezalt, Tauseat 
Fünflhändert dreißig und neun Jar. 

Registraturvermerk auf dem Bücken des letzten Blattes: 

Copei oder vei'zeichnuß 

Schützenmeister und gemeiner f Gesellschaft der Bücbßen 
Schützen / zA Rufach Löblicher Ordnung. 1539. 

Kstabtisseinent in Reglement j concernant la confrairie 
| des Tireurs de la ville de f Ruffaclj, an 1500 { Nr. 40. / 

lit c ad lascicul. 16, Ruffacli. Lei zl eres durch- 
8 tri c h en. 

Papierheft mit bekröntem Schild mit Lilie und VVR. 8 Bll. 

Ar ui brüst Schützen Ordnung zu R A f fa c h. 1574. 

ZuwiJten Als der Uochwürdig Fürst und Herr, Herr Jo- 
hann Erwölter Biseliofl zu SlraHburg und Lauotgraue zu Elsaß, 
Unser Gnediger Kurst und Herr, und auch die Fürsichligen 
Ersamen und Weisen Schultheiß und Rhat der Statt Ruflach, 
den schiebVesellpn deß Armbrust Reins dsseihsl Jährlich zwi- 
schen Sanct Georgen und Sanct Michelstagen, alle Sontag 
Üiüecli zft einem liar Hoßen züüerschießen außgel«n. Und 
damit sollich schießen desto stalllicher und redlicher seinen 
fürgang habe, auch ^Ate geselschafft gehalten werde, so seindt 
diese hienach stehende Punclen und Articul darüber uffgericht 
und gesteh, Also und der gestalten, wo einer oder mehr 
darwirier thfln würden, das der oder dieselben ohne gnad, ver- 
rao% dieser Ordnung, daruinb gestrafft werden sollen, doch 
möchte sien einer so ungeschicklich halten, daß man Inen bei 
dieser Straff, hierin^ernelt, nit würde pleiben laßen, besonder 
andern beöelbtii, und Ineu die straff zu weißen» darnach würdt 
sich ein Jeder voll zu hallen wißen. 

1) Rem In bernelter Zeit und Soniagen nach dem Morgen 
Imbiß, so die glock Eilnen schlecht, sollen die schutzenmeister 
schießen, und das Zyl utauateckon und cinzoschicßen, Auch uf 
den tag nieman züüersuecben, wo das erfunden würdf, soll 
uf don tag umb dio hoßen nit schießen und man soll senden 
wan die glock zwölfte schlecht. 



Onoiv! frorn 

uwvEnsm'ör.MCHiciAN 



— 191 - 

2) Itern Es soll auch ein Zeitglock am Schießrain sein, 
dieselb Zeitglock soll man w;.n der erst schütz geschehen ist. 
darnach z& allen Schützen wjd man wider ansieen will zu 
schießet, gebn laßen, und die weil: die gloclc nil leötPt, dann 
schießen, und wer do schießet wan die glock geleület hat dem 
geh man nicht/ umb den schlitz, und man soll nieman schirmen, 
ob Ime ein windtfadcu oder am bletzwerck geborsten hat, noch 
soll die gluck nit abgerichi werden, die gemein gluck hab deo 
züüor Zwölften geschlage-n, und nach außweißung derselben fftr 
und für bili zu endl also geschoßen werden. 

3) Item were, daß nit zwöliT Schulzen da werenl, derhal- 
ben man nit die Gabea gehaben tnöcbl. Sollen sie nach Rhat 
der schießgesellen gemacht werden. 

4) Item were das einer die meisten schüls rrette, der 
vornihals denselben Snoimer die Hoßen gewönnen hetle, dein 
sollen die darnach nit wider werden. Im so.l die best gab nach 
den Hoßen werden, die einer nit mehr dan eiamhal gewinnen: 
soll, Und die Hoßen dein, der nach die meisten schütz hat, und 
wer also die Hoßen gewinnet, der soll neben vier Rappen In die 
Buchs, und soll denselben nechsten Snntag darnach, die neehslen 
-B'1'2 Im Schilt tragen, oder einen bestellen an sein statl, wer 
daß nit thal, soll geben den gesellen ein Schilling, doch soll er 
dem Schützenmeister und dem Zeiger helffenn müßen, und 
sonst nieinan hinzü^ehn, obn UrlaÄb, bei Puß einer maß weins. 

5) Iiem Ein Jeder so Jeden schätz der nechsl, soll «n 
Haller geben, und den nachfolgenden schütz aidtmun sein. 

6) Ilem wer* eß, haß ul pinwi Sontag, so man umb die 
Hoßen schießen soll, und nit sieben schiefyesellen, der Zeil 
In der Stall wereiidt, oder sonst ungeschickter oder etlicher 
ifeschäfft halben, so soll man umb die Heß denselben tag nit 
schießen, sonder lürschlagen uf ein Andern geschicklern lag, 
dech mit verkündung der schießgesellen. * 

7) Ilem eß mag auch ein Jeglicher frembder, der nit 
Borger zu Rflffach oder schießgesell ist, umh die ho3en schießen, 
doch daß er sie frey gewinnen soll, mit meisten schützen, und 
ob ein heimischer gleich mit dein frembden schütz helle, sollen 
sie mit einander stechen, der frernbde umb daß gelt, der hei- 
misch umb die Hoßen 

8) Item Es soll kein Handt\vercksge3ell die Hoßen gewin- 
nen als ein heimischer. Sonder als ein frembder wie obsleht, 
Es were dan daß der gedingt were mitJahrlnhn, doch soll ein 
Jeder sein eigenen schieß Zug haben. 

9) Hern Es soll auch geineiulicli eß sei frembder oder 
heimisch mit i'reyem Arm schießen, ohn allen vortheill und 
gefehrde, wer aber hierinnen seümig erfunden würdt, soll 



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— 192 — 

darumb gestrafft werden, mich erkandluüß gemeiner schieß- 
ges eilen. 

10) Jtem t£s sollen gemeine schießgesellen, alle Jalir zwen 
schüt2enrneister setzen und ordnen, die der Gesellen gelt und 
gefeil, treulich einzusamlen, und einzubringen, afich außzii- 
geben waß sieh von den gesellen wegen gepürt. Und wan sie 
darfion abslehn, Rechnung zu thuen, auch anderer sachen, die 
die gesellen antreffen fretrefilich 7Merwalten, und wan die 
Schützen meiater Jet zfindt von des Reins oder der Schießgesellen 
wegen zQ R ha Ischlagen hal«n, So sollen Inen die Alten 
Sckützenmeister behilfllich sein, und waß sie also ordnen und 
machet), das soll dabei bleiben, Ducti uiisrern Gnedigeu Hern. 
und der Statt Ir Recht und Freyheilen vorbehalten. 

11) Item lis soll auch ein Jeder Zeiger geloben, den ge- 
meinen schießgesellen, und waß zu derselben geselschatfi gehört, 
treulich zu warten, und In dtsui Rhein gleich Zyll rneßen, dein 
frembden als dem heimischen nach seinem peslen vermögen, 
Niemand! zu Lieb noch zu Lcidt, sonder *ich Heißen des Bollz 
am auß&iehen so best er mag und kau, Es soll auc i ein Jeder 
Zeiger gehorsam und gewärtig sein, was sie Inen dan heißen 
von der Gesellen wegen, ohn getelirde. 

12) Item deß-deichen waß Im beftolhen würdt «in snkaüflen 
und zAbeetelleu, Es were brotl oder anderß, soll ers getreulich 
thuen, nachdem aller bebten und gleichsien Pfennig, und so er 
daß also kouflt, dem gesellen nit höher oder theurcr rechen, dan 
wie eis genhoirien bat, also soll ers Zeilen dem Schutzennieister 
oder den Schieß^esellen, ob die SchüUenincister nit da werendt. 

13) Item Es soll auch Keiner schweren bei dein Namen und 
Glidern Jesu Christi, fräuentlieh Gott damit zu nhennen, welcher 
das verbricht, also Gott lesteit mit Zornigen frluentliehen Wor- 
ten, rter soll gehen ein Schilling In St. Sebastians BrfideischaiTl 

14) Item Es soll auch keiner den Andern am schießen 
r'r;ii enlich heißen liegen In verachmfiß weiß, wo das geschehe 
der soll beßern zwo maß weins den gesellen. 

15) (!nd auch weiter hat man gemeinen Schießgesellen rar- 
behalten, und Insonderheit auch unserrn Gnedigen Fürsten und 
Herrn, von Straßburg, diese gesthriebne Ordnung haben zu meh- 
ren, zu mindern, und zu endern, nach Ihrer F. G. gefallen, unri 
ist diese Ordnung gehen und gemacht am Sontag nach St. Geor- 
gentag, als man Zalt der gepurt Chrisii unsere Lieben Herrn 
und seligiuauhurs. Fünfsehn hundert Siehenizi;? und vier Jahre. 

Armbrustschützen Ordnung /.Q Rfi flach. 
Papierbogen mit Wasserzeichen : Buslerstab, darunter ein 
Kreuz. Eine andere Abschrift davon auch; Papieibugcn mit 
Wasserzeichen: Schild dlrin *\ee Baslers ab, darunter Mi. 



ukiÄÄhican 



VII. 



Sprachliches aus Straöburger Rats- 
protokollen (der XXI). 

Mitgeteilt von 

L Hüller. 

1570 Mäii 6. 

Streit zwischen den Umwohnern des Ulmer Grabens wegen 
AusführuQg des «Notwerks» (Abfuhr des Menschenkots). 

April 22. 

Der Lochen* seißt an, er hab vor Jahren all wegen 5 Grendel 
vor dem Weißen Timm Rehabi, die im Fall etwan Reuter ms 
Land kommen, verschlossen werten, daiu die Thorschließer 
Schlüssel gehabt. Die seien nun abfangen. Erkannt; Bauherrn 
und Dreier sollen die Grendel wieder zurichten und verbessern 
lassen. 

April 24. 

Die Illkircher Wart sei wohl mit einem Grendel ver- 
wahrt, daß man nit herüberfahren könne, man könne aber 
mit viel hundert Pferden herCberkcmmen. Soll besichtigt 
werden. 

Mai 8. 

Ein 7, y 1 Sahnen werde um 10 ß geboten, was zu teuer. 
Van soll die Sa Innen wieder nach dem Pfund verkaufen. 

Dezember 30. 

Nicolau« UäQsaraba, ein Herzog Bassarabiä, Valaehiä und 
Transalpinae (? Transsilvaniae) bittet um eine Steuer, hat Zeug- 
nisse von Venedig, vom Koni? von Hispanien etc. Erkannt: 

13 



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- 194 — 

Der Roraff soll das Maul auftua uad ihm 
20 Taler in das Angesicht speuen. 

4571 September 10. 

Daß die Schwaben, denen das Burgrecht abgeschlagen 
werde, nit desioweniger mit Weib und Kinder hie bleiben. 

September 15. 

Der Ammeister zeigte an, es sei ein Seh wob bei denen 
am Ungelt gewesen und ein Zeichen für 70 Fiertel Früchte be- 
gehrt. 

September 10. 17. | 

Dos Gestünde und Verkaufcns halb jvor dem Münster 
unter der Predig — der Släjuderling halb unter der Predig 
uff den SonUg vor dem Münster und hin und wieder auf den 
Platzen. 

1571 Oktober 1. 

Wann den Schwaben das Burgrecht Ton E. Rathabge- 
schlagen wird, kommen sie doch wieder, verändern die Namen, 
verkleiden sich und bleiben nichtsdestoweniger in der Stadl. 
Erkannt, Haussuchung vonJHaus zu Hau« durch riie Zünfte 
anstellen zu lassen. 

Oktober 8. 

Daß viel großer Leitsclien oder Hund auf der Gassen 
laufen, der Ammeister soll, wann es Gelegenheit, befehlen, sie 
zu schlagen. 

Oktober 10. 

Daß der Stadt wider das alt Herkommen Commissarii auf- 
gedrungen und also Neuerung fürgenommen werden wollten. 

Oktober 31. 

Noppen au (Oppeiiau). 

1572 Februar 25. 

Der Schaffner im Spital wird wegen eines unpassenden 
Ausdrucks in einem Bericht zurechtgewiesen. Am Hand: 
Schaffner im Spital ein V i I tz m a n I ei. 

August 13. 

Dr. Sebaidus Hanwe n reute r (wiederholt so !), 
auch 1575 Dec. 21. 

September 10. 

Etliche G r ä ti de 1 oder Schlag vor der Stadt seien von neuem 
au machen. Man sollte sie so zurichten, wann man sie fallen 
ließ, daß sie sich selber inschJießen. 



ukiÄÄhican 



— 196 — 

4573 Januar 49. 

Betr. Aufnahme von einigen Kindern ins Waisenhaus, 
die andern aber, so bresthaft böse Köpf haben, soll man in 
lic Boß auf- und annehmen. 

November 26. 

Nahe oder Fährschiff 

1573 März 2. 

Peter Kest, künstlicher Laternenmacher (verehrt dem 
ftath eine Laterne). Er wird für die schön groß Lucern mit 
30 Thalern verehrt, ist ein armer alter Mann von München. 

August 24. 

Zeitungen aus Antorff 15. August sprechen von Erfolgen 
der (ruften (Geusen). 

Oktober 23. 

Die Lotringer kaufen viel Spint oder Füllspeck alhie. 

November 23. 

Die Triackorskrämer (Theriakskrämer) haben am Fiech- 
markübrunnen fei, sulleu aber künftig am Gimpel mark 
feil haben. 

1574 Februar 8. 

Aergeraiß in der Karwochen durch Spielen auf dem 
Häflemarkt am krummen Mittwoch. 

August 23. 

Jacob Riedinger, Claus Bauß und Jacob $art, meiner 
Herrn Hautnerker, aul altleutsdi Katschierer, bitten lim 
Erhöhung ihres Wochenlohns von 7W S ß auf 9 Schilling. 

(Am Rand ; Khatschierer). 

Es sind wobl die am 20. Oktober erwähnlen Horb- 
k a r c h c r gemeint, deren Besoldung wöchentlich auf 9 j£ ge- 
bessert wird. 

November 15. 

Dem Wasenmeister verboten, auf die großen Bettag mit 
dem Scheußkarch tür die Kirchen zu fahren. 

1575 Mai 25. 

Statt Dicbio am Hand : Diebenio zu Obflrebnheim 
(wiederholt so). 

Juni 22. 

Wehren des Kostens, so auf die neuen Werb zwischen 
der [grünen] Wart und dem Wyckbäuslein gangen, wird >or- 



S 



ukiÄÄhican 



— 198 — 

geschlafen, daß der Zollkeller im Wykhäuslein ein Wegseid 
erhebe. von jedem Wagen 8 «f, von einem Karch 4 -f das 
Jahr nur einmal. Genehmigt. Jftrjj; von T.andsperg ist da mit 
einer Gutechen förg«fahren , wollte daß Weggeld nicht 
geben . 

September 5. 

Große Klage, daß die Vaß nicht recht gesinnt werden. 

Der Bischof soll der Sinn halben den näuniuiigöko^eu 
tragen. 

Septernher 4. 

Dieirich Coron von Tor neck in Flandern Passement- 
macher (Toumai, Donrniek). 

September 17. 

Faulkriesheim (Pful£riesheim). 

Novembor 14. 

Man sagt, dß eine große Anzahl Reuter wiederum in dies 
Land herauf ziehen solle and daß, wo solches Volk nicht Wein 
und Brot finde, es übel haushalte. Zu bedenken, ob ui.d wie 
ein Com miß cur die Reuter anzurichten. 

November SM. 

Neben E. Hat von Schietstatt steht auch : Unat zu Sc hleck- 
statt 

1575 Dezember 15. 17. 

Ein Gesandter de3 Herzogs von Alencon, des Bruders des 
französischen König», Namens W. de la Nocle, kommt vor Rat 
and tragt seine Werbung französisch vor, die durch ßtittel- 
bronn(Procurator)üböl vertcutscht wird. Von don Käthen uno 1 
XXI — wird gelegentlich angeführt — seien etliche der 
französischen Sprach auch erfuhren. 

Dezember 19. 

COMOD hei R u r n d i*a u 1 1 (Pruntrut). 

157G Januar 30. 

\m Rand: Michael Möller c« Hans Walsletter Hosen - 
scheu ssens halb (es handelt sich um eine Schimpferei). 

Februar 18. 

Häufiger Vorname Ülade, Cladi oder Gl ade = Clau- 
dius. 

April 28. 

Es ist von Ackerleuten zu Illkirch die Reüe t am Rand 
steht als Betreff dafür Ackermeyer. Im Eintrag auch ein- 
mal: die Meyer. 



ukiÄÄhican 



— 197 — 

Mai 5. 

Hans Scbewcnpl'legel, auch Scheu den pf legel. 

1576 Mai 12. 

Den verbrannten Leuten bu Gries läßt man aus 
Erbarm bei das Bauholz zollfrei passieren. 

Mui 14. 

Dem Ammeister M. Liechtensteiger wird eine Bitte ab- 
geschlagen. Dies sollen ihm die Herrn Johann Schcnkbcchcr und 
Sixt Baldner mi Heilen, bedankt sieh Herr Sehen kuecn er des 
Sc blech lins. 

Mai 21. 

Anläßlich eines Diebstahls 2U Barr steht um Kand als Be- 
treff : D i e b e n i o zu Barr. 

Mai 23. 

Wenn man die Pfeifer brauchen wolle, könne man ihnen 
nichts weiter als sie verlangt, abihädigen (abdingen, 
weniger geben). 

Mai 2-3. 

Biäher sei Stoffel von Westhofea Kuchen uieislec auf des 
Ammeisters Stuben gewesen, nah sich aber desselben Befelchs 
en tschättet. Man habe deshalb mit Jacob Beckern ge- 
bandell, der sei willig der Zunft zu dienen. 

Juli 9. 

Die auf den Reichstag verordneten Herrn schreiben, es 
werde nit viel zu machen sein, sondern au besorgen, was die 
ebern und höhern Stand thun und bewilligen, da müssen die 
Stett naehhetschen, man wehre sich, wie man Voll. 

Juli 48. 

Hans Götz, an der Kays. M'. Hof ein Guardiknecht 
oder Trabant. 

Juli 30. 

Wie der Türck in C r a b a t e n Einfall median, etliche 
Grenitzheuser eingenommen. 

August 6. 

Herr Wolfgang Schütterlin, Ueichstagsabgesandter, schreibt, 
er habe eich bereden lassen, sich auf den Reichstag zu be- 
gebet» und sein Haushaltung au ein Negelir, gehenket. 

1577 Mai 11. 

Absünderun; der Wald und Loochung der Bäum. Am 
Rand ? Loochbaum zu Barr. 



uwvERsrrvörvicHiGAN 



— 198 — 

1576 August 6. 

Der Amtmann von Barr schreibt, daß ein I.atiehbaum 
in den Barrischen Wäldern , daran die Oberehnhei mische 
und Rathsamhausische Wälder, umgefallen, der über Menschen 
Gedächtnuß da gestanden, da die Notturft erfordere, einen 
andern zu 1 a u c h e n , da es meinen Herrn großen Schaden 
und Nachteil bringen könnte, wenn es unterlassen würde. Es 
sei gut, sich mit Hans Friederichen von Rhalsamhäusen zu 
vergleichen und eines andern Baum zu la neben. 

Aujrust 18. 

Dem Herrn von Rappoltstein wurde 1565 bewilligt, daß 
sein Gemaael und Sobn alhie wohnen dCrfen. Die Jahr- 
acht wurde auf 10 Jahr gesetzt. Er bittet, sie auf 15 Jahr 
zu erstrecken. 

August 20. 

Herr Friedrich vuu Barr bringt allerlei Beschwerden vor. 
man erkennt aber in ihnen lauter Fretlereien und läßt 
sie deshalb unbeantwortet. 

August 17. 

Soviel Herrn Friedriebt Schreiben belangt des Holz halben, 
soll mans ein Fretterey pleiben lassen. 

September 3. 

Angezeigt, daß einer von Marlenhein! allerband ungebühr- 
liche Reden ungeschlagen. Bei der Nachfrage befand sich, daß 
esgickis, geckes. 

— Der Förster im Oedenwald zeigt an, es seien auf einem 
Platz, der mit dein Bischof spennig sein soll, 40 inroße Bäume 
abgehauen worden auf des Bischofs Befehl. Kr meine, dieweil 
dieser Platz ein Missing (also nennt man die spennigen 
Plätze), sollt sich dessen kein Theil annehmen. 

September 8. 

Ein Schreiben an Herrn Friedrich zu Barr soll so abge- 
kürzt werden, wie es dann ignotan (bereits jetzt) in dem 
Missivinim ist (in über missivarum zu ergänzen). 

September 22. 

Den auf den Reichstag zu Regensburg gesandten Herrn 
wird bewilligt, ein Gautschen und Pferd zu kaufen, dar- 
mit ihren Blundei heranzuführen. (Sie haben Truhen bei sich.) 

Oktober 15. 

Susanna Volmarin bittet sie zu begnadigen, ihr Mann 
habe sie am 3, Ta^ nach dem Kirchengan^ verlassen, sie habe 



UKlÄör'SlCAN 



— 199 — 

sieb 8 Jahr lanjj wohl gehalten, lebiich sich als ein blödes 
Weibsbild übersehen und sich petzen lassen. 

1577 Februar -13. 

Triakerskrerner — Theriakskrämer. 

Mirz 11. 

In der Klage wider den verschuldeten Vidam de Chartres 
heißt es, er habe seinen Gutschir, der ein Teutscher, 
übel abgeschmiert, weil er nit fahren wollen. (Der Vidam 
wollte heimlich aus der Stadt.) 

April 3. 

Zu Griesbach seien 3 Häuser und 13 Scheuren e b g e - 
h r u n n e n . 

April 29. 

Jetzuader seien vil kranker Leut, sonderlich vil in G e- 
giebten Hegen, deswegen sollten die Schütten bei ihrem 
Umzug nicht plemperen (schießen^. 

Mai 11. 

Man hat zu Barr einen Brunnen delben wollen und 
iat uff 8 Glafler tief hinabgekouitneu, aber kein Wasser ge- 
funden. 



UWVEnSITl^rMCHICAN 



VIII. 



Ein Beitrag- zur Geschichte des 
oberelsässischen Weinbaues. 



Von 
Wilhelm Beemelmaiis. 



s. 



tehr oft hören wir von unseren Freuen bewegliche 
Klagen über die Dienatbotennot, und ältere Damer versichern 
hei solchen Gelegenheiten recht gern, in ihrer Jugend, in der 
sogenannten guten aller Zeil, sei es auch damit weit besser 
gewesen. Im Bezirksarchiv in Coliiiai 1 Jijj den 'sich einige Ak- 
tenstücke aus dem Ende des XVI. bis Mitte des XVII. Jahr- 
hunderts [1579— 1(>46), in denen uns dasselbe Klagelied ent- 
gegengingt. Einzelne Sätze könnten heute geschrieben sein, 
so sehr passen sie auch auf unsere jctaigcn Zustände ! Doch 
ist 94 nicht die alte und doch immer wieder neue Feststellung, 
— daß der Mensch mit seinen Fehlern und Schwächen, seinen 
Leiden und Sorgen, zu allen Zeiten sich gleich bleibt — die 
uns zu einer Besprechung dieser Urkunden veranlaßt. Vielmehr 
will uns da» Mittel, mit dem man die Schäden zu heilen und 
dem Uebel zu steuern suchte, als der Darstellung besonders 
wert erscheinen — haben wir es doch mit Vereinigungen 
von elsassischen Slädten und Herrschaften zu tun, welche 
die Arbeits- und Lohnverhaltnissc für den Rebbau regeln 
wollen. 

Es kommt hierbei hauptsächlich das Gebiet der heuligen 
Kreise Colmar und Rappoltsweiler, also etwa drei Fünftel der 
mit Reber bepflanzten Fläche des Elsasses in Frage. 



1 Bezirksarchiv des OtereUasses : Serie E 49. Herr Archiv- 
direktor Dr. H&uviller hatte die Güte, mich auf diese Aktenstücke 
aufmerksam zu machen. 



ukiÄÄhican 



— 201 — 

Durch eine Bittschrift », welche Schultheiß, Bürgermeister, 
Rät und geschworene Richter samt der tanzen gemeinen 
Bürgerschaft der Herrschaft Hohlandsberg am 31. Oktober 155Ö 
von Kienzheim aus aa ihren Herrn richteten, werden wir mit 
der Lage der elsässischeu Reblmuern vertraut gemacht. Der 
«wohlgeborene, gnädige Herr», an den die Bittschrift ging, war 
kein geringerer als Lazarus von Schwendi, Freiherr von Hohen- 
l.inrlsberg, der sich in Kienzheim von seinen Kriegstaten aus- 
ruhte und der sich in seinen Besitzungen rechts und links des 
Rheins als weitschauender und einsichtiger Landesvater be- 
wiesen hat. Dadurch, daß er die Tokajer Reben im Elsaß aus 
Ungarn einfuhrt«?, hat er sich auch um unseren Weinbau ein 
bleibendes Verdienst erworben * ! 

In der erwähnten Bittschrift wird ausgeführt, in den lelzten 
H bis 10 Jahren hätten sich nicht nur die Lohne mehr als 
verdoppelt, die Lebensmittel seien auch immer mehr gestiegen 
und dazu käme, daß die Knechte, Mägde und Tagelöhner über- 
mutig, stolz, eigenwillig und halsstarrig geworden seien. Früher 
hätten sie sich su Fastnacht, zur Erntegans und zum HarbsU 
braten nach alter Sitte mit einem Feiertage begnügt. Jetzt 
wollten sie drei oder vier Tage in den Wirtshäusern liegen, 
unbekümmert darum, ob der Acker- oder nebbau solche Unter- 
brechungen vertragen könne. Tänze und Kirch weihen suchten 
sie nach Gutdünken auf und verhetzten sich gegenseitig zu 
Halsstarrigkeit und rnhotmäßigknl. Kein Dienst hnte ließe sich 
mehr etwas saj^en und ginge beim geringsten Tadel ohne Kün- 
digung und Rücksicht auf da* Ziel davon. Der Dienstherr 
müsse sich dann nicht nur unter der Zeit einen neuen Knecht 
für einen unverhältnismäßig hohen Lohn dingen oder seine 
Güter mit Tagelöhnern bebauen, er werde sogar von. rien Amt- 
leuten oder Richtern gezwungen, dem ausgetretenen Knecht 
den Lohn zu bezahlen. Der Rebmann sei unter diesen Um- 
ständen genötigt, jede Nachlässigkeit und jeden Mutwillen 
vou den Knechten zu ertragen, ihnen Essen und Trinken nach 
Wunsch aufzutischen, damit sie nur bis zum Ziel bei ihm aus- 
hielten. Nicht anders benahmen sich die Fuhrleute und die 
Mägde. Wenn das so weiter ginge, brächte der Rebbau nicht 
mehr so viel auf, um Knechte und Mägde zu besolden und zu 
beköstigen. Die Bürger müßten von ihrem ellauptgute»' zu- 



I Diese Bittschrift ist bereits erwähnt bei Hanauer, £:u<lcs 6cono 
miqofig, Tome II, Denreee et salaires, Paris Strasbourg 1878, p. 511 ff. 

3 Vgl. Dr. Adolf Eiermann: Lazarus TOtt Schwendi, Freiherr 
von HohenlanilRhftrg. Freibnrg 1*104, Saite 100. Aura. 4. 

II Stau Ilauptgat sagen wir beute Kapital. 



ukiÄÄhican 



— 202 — 

setzen uod endlich selbst zu Knechten und Tagelöhnern werden. 
Die Güter blieben ungebaut liegen und würden zu <regerden»i. 
Die Bürgerschaft werde schließlich nicht allein cmit Weib und 
Kind in das Klend ziehen und den Bettelstab an die Hand 
nehmen», auch die Obrigkeit müßte einen merklichen Abbruch 
»n Steuern, Gewerfen*, Schätzungen, Frondiensten und Grund- 
zinsen erleiden und dadurch selbst der Schmälcrung und dem 
Untergang entgegengehen. Es sei deshalb dringend geboten, 
durch einen nachbarlichen Vergleich dieser Gefahr zu begegnen. 
Dies sei um so eher möglich, als die wörtlembergischen und 
rappoltsleinischen Untertanen, sowie die Stadt Kaysersberg 
unter den gleichen Verhältnissen lillen. Auch in diesen Ge- 
bieten nahe man ähnliche Rirtsrhrifien an die Obrigkeit ge- 
richtet. Die Einwohner der Herrschaft Hohlandsberg baten ihren 
Herrn nicht nur mit den angefahrten Nachbarn, sundern auch 
mit den Städten Colmar und Schieltstadt sich in Verbindung 
m selten, damit ein Tax ausgeschrieben würde zur Eeratuug ; 
«weichermaßen solche vorerzählle uolrägliche Beschwerden ab- 
geschafft uod darlegen zur Handhabung der Oberkeilen Repu- 
tation, der gemeinen Rnrgerschaft in diesem Elsaß zu Gutem 
und zur Erhaltung ihrer haushäblichen Wohnung und Nahrung 
eine gemeine Vergleichen;: und beständige Ordnung, wie man 
sich fürhin rait de6 Dienslvolks, als Rebbnechten, Karrern, 
Kellerin Besoldung und andern) dergleichen, auch der Taglchuer 
und Verding Ober das Jahr oder einer Arbeit insonderheit halb, 
halten, fürgenornmen und aufgerichl werden möch1e.> 

Die Bittschriften der einzelnen betroffenen Rebbaugebiete 
an ihre Obrigkeiten hatten den gewünschten Erfolg. Am 7. 
Januar 4580 traten die Bevollmächtigten der wurtleraber^ischen 
Gi-af- und Herrschaften Herburg und Beichenweier, des Laziirus 
Ton Schwendi und der Städte Colmar, Kaysersberg; und Türk- 
heim in Colmar zu einer Beratung zusammen. Klaus von Hatt- 
statt und Egenolf von Rappoltstein waren ebenfalls eingeladen 
worden, aber nicht erschienen. Zu Colmar wurde eine ein- 
gehende Ordnung: der Löhne und Arbeitsbedingungen für den 
Rebbau entworfen. Am 18. Februar 1580 fand eine neu« all- 
gemeine Zusammenkunft statt, bei welcher der Entwurf zum 
Beschluß erhoben wurde. Egenolf von Rappoltstein nahm am 
11. Mai 1580 zu Gemardie Ordnung an. Von den Entschlie- 
ßungen Klausens von Hatistatt erfahren wir nichts. Mit jfaju 
starb schon 1585 sein Geschlecht aus. 



1 egert = ungepflögtee Feld Brachfeld. 

2 (rewerf, die direkten steuern. 



ukiÄÄhican 



— 208 — 

Bei dem Colmarer Beschluß bandelt es sich lediglich um 
den Schulz der Arbeitgeber. Di»? Arbeilrehmer sind bei den 
Verhandlungen weder vertreten (reisen aoeh gehörl worden. 
Wenn wir den Angaben der lanrisbeorischen Bittschrift glauben, 
ist die darin bekämpfte Sleigerun? der Löhne alter auch auf eine 
Vereinbarung der Arbeitnehmer zurückzuführen. Wir blicken 
also in einen Lohnkampf, der nahezu mit modernen Mitteln 
gefuhrt wird ! 

Noch der Darstellung der Bittschrift von *157y hatte ein 
Rebknecht und Karrer (Fuhrmann) vor 8 — 10 Jahren, also um 
das Jahr 1570 höchstens acht Gulden > Lohn halbjährlich nebst 
der Kost und dem Zubehör. Im Jahre 1579 forderie er für den- 
selben Zeitraum schon 13—15 Gulden. Die Mägde stiegen mit 
ihren Lohnansprüchen gleichzeitig von 2 — 2'/* f auf 5—6 f. f 

Die Ordnung- von 1580 beginnt H; mit, daß sie das Abdingen 
des Gesindes vor dem Ziel verbietet. Wer einen Rebknecbt, 
Karret* oder Bauersknecht <in wahrendem Ziel» abdingt hat eine 
Strafe von 3 g 5 ß Happen zu gewärtigen. Jeder der *ertrag- 
schlie3enden Obrigkeiten steht es aber frei, höhere Strafen zu 
verhängen. Weil die Mägde sich nach Ablauf ihrer Dienstzeit 
nicht in Herbergen aufhallen können, his sin eine neue Stelle 
gefunden haben, ist es gestattet, sie einen Monat vor dem Ziel 
eu dinge«, aber auch uur dann, wenn sie vorher (mit ihren 
Meistern und Frauen sich des Weilerdienens gänzlich entschlauen 
und gegeneinander beurlaubt haben». 

Die Ziele waren zu Johanni (24. Juni) und Weihnachten 
(24. Dezember). 

Die Dienstboten werden in der Ordnung angewiesen, ihren 
Dienst pünktlich anzutreten und nicht, wie bisher, vier, sechs 
oder acht Tage über das Ziel auszubleiben. Wer länger wie 
zwei Tage ausbleibt, erleidet einen I,nhnahzii*r. Der Knecht 
im Sommer 3 [J, im Winter 2 ß, die Magd, im Sommer *i ß, 
im Winter i ß. 



* Die hier in Betracht kommende Wälirnng ist die Colmarer. 
Im folgenden werden als Abküraangca gebraucht werden; U für 
Pfond Rappen oder Coimarer Pfund. % für Schilling:, -ti für Pfennig. 
f für Florin oder (iulden. 

Das Pfaad Happen war eine Recftnungsraünzc, die nie ausge- 
prägt worden ist. Sie hatte den doppelten Wert des Pfundes Stäbler 
Baseler Wahrung:. 

Daa Pfand ß hatte 20 Schilling ß, der Schilling 12 -f. 

■ Im Jahre 1583 galt das U Rappen 5.8i Ji, der 3 29 Pfennig, 
der J 2 4 Pfennig und der Gulden 3.6* •■#. 

vgl Hanauer, £tndea economjqnes Tome I, Les monnaies, Paris- 
Strasbourg 1Ö76. p. 499 ff. 



ukiÄÄhican 



.— 204 — 

Als Haftgeld oder Gottespfennig darf einem Knecht nicht 
mehr wie 3 ß, der Magd atemur 1 ß gegeben werden. Wie weiter- 
gehenden Geschenke und Verehrungen sind bei Strafe von i ff 

verboten, da sie eine verschleierte Lohnerhöhung bedeuten 
würden. 

Wenn ein Uienstbole sich von mehr als einem Herrn Haft- 
geld geben läßt, muß er 1 ff Slrafe zablen und dem ersten 
Meister dienen. Wenn er dies nicht tut, muß er den Ort, an 
dem er den Frevel begangen bat, verlassen. Für die Dauer 
eines Jahres darf er in dem Gehiet des nachbarlichen Vereins 
nicht mehr zu Diensten 2ugclasecn werden. 

Wenn das Gesinde ohne erhebliche oder redliche Ursachen 
vor dem Ziel den Dienet verläßt, iet der Mieter nicht verpflichtet, 
ihm für die abgediente Zeit Lohn zu geben. Der betreffende 
Dienstbote ist von der Obrigkeit mit Gefängnis zu bestrafen 
und Jahr und Tag lang im Vereinsgebiet nicht mehr zu Diensten 
zuzulassen. 

Das Gesinde darf in Zukunft sich keine Feiertage nach 
Belieben mehr schaffen. Au Fastnacht, tu der Erntegans und 
zum Herbhthraten soll es je einen Tag feiern. Wenn die Dienst- 
boten zu ehrlichen Hochzeiten eingeladen werden, können sie 
höchstens 6wei Tage fortbleiben. Wenn sie die Feiertage mut- 
willig vermehren oder verlängern, erleiden sie Lohnabzug nach 
den Regeln, die für den verspäteten Dienstantritt gelten. 

Alle «Winkeltänze», d. h. die heimlichen Tänze, aus denen 
schon viel Unrecht entotonden sei, sollen in dem nachbarlichen 
Verein ganz abgeschafft werden. Nur bei ehrlichen Hochzeiten 
und ; -r: deren, von der Obrigkeit erlaubten «bürgerlichen Freuden» 
ist ein Tanz gestattet. 

Nach dieser Dienstbolenordnung bringt der Vergleich Be- 
stimmungen über die Welschen, die mit dem Lohnkampf 
nur in .«ehr losem Zusammenhang stehen. Datei sind zweierlei 
"Welsche zu unterscheiden, die Franzosen, Savoyarden (Sophayer) 
und Lothringer einerseits und die von Mümpeljart. Pruntruil 
und die aus dem «'.rbi£thal, hieseit der Fürst * gebürtig». 
andererseits. Die letzteren sind als würtleinbergische, bischöf- 
lich Daseiische und rappoltsteimsche Untertanen ja keine Einge- 
wanderten und Landfremden ! Die ersteren dürfen weder als 
Bürger aufgenommen, noch dienstweis geduldet» sondern müssen 
«ausgesebafft und vertrieben» werden. Hierbei sprachen nicht 
nur politische Bücksichleu wegen der K^efab Hieben Läufe» und 
der immerwährenden französischen Ueberfätle und Durchzüge 



J-cbieseit der Füret (First)» iL h. auf der elsässische;! Seite der 
Vogesen. 



ukiÄÄhican 



_ 205 — 

mit, es spielte auch eine gewisse Eifersucht eine hülle. Die 
Welschen halten offenbar sehr oft Witwen uad RürnerslOebter 
geheiratet, talso da£ lelztlichen kein ehrlicher Bür^ersohn zu 
keiner Heirat mehr kommen konnte I» Es wurde daher in 
unserem Beschluß für die Zukunft auch die Eheschließung mit 
der ersten Gruppe von Welschen verboten'. Die swette Gruppe 
muß jeder Obrigkeit schwören, daß sie «alles dasjenig, was sie 
hören oder in Erfahrung bringen, das der Obrigkeit, den Städten, 
Flecken oder diesem Land zu Nachteil reichen möchte, bei 
ihren Eiden d«r Obrigkeit alsobald anzeigen und mit keinem 
unbekannten fremden Welschen keine Gemeinschaft habe») noch 
machen wollen». 

Der wichtigste Teil des Vertrages ist die Lohnordnung, die 
für Württemberg» Rap polt stein. Hohlandsherg, Haltstatt, Kaysers- 
berg, Ttirkheim und Oberhergheim gelten soll, Uie Stndt Cölmar 
konnte sich nicht entschließen, diese Lohnordnung anzunehmen 
und zwar deswegen, weil ihre Rebbauern dem Gesinde nicht 
das Essen und Trinken in die weitentletrenen Weinberge nach- 
tragen könnten. Ihre Arbeiter maßten sich tagsflner mit Kfls 
und Brot behelfen und hätten daher auch Anspruch auf andere 
Lohne wie die Arbeiter, denen die KosL geliefert würde. 

Die Lobnordiiunjr bezieht sich auf das Gesinde, die Tage- 
löhner und die Stücklohnarbeiter. 

I. Das Gesinde wird halbjährlich entlohnt und zwar 
erhallen : 

1 . ein Rebknecht, der den Rebbau selbständig leiten kann oder 
ein Karrer (Fuhrkueclit), der tu mehr wie einem Roß ^cdunjren 
wird, den Ackerbau, das Waldwerk und das Fahren verstellt : 

11 Gulden und 4 Lümmel oder Blälz Leder». 

2. ein Knecht, der den Rebbau nicht seihst besorgen kann, 
oder ein Karrer, der nur mit einem Roß fährt : 

7 Gulden und 4 Lümmel Leder. 

3. eine Magd oder Kollerin, die den Haushalt, die Vieh- 
zucht und den Rebbau versteht : 

3 Gulden und an Zubehör : 

a) entweder 6 Ellen Leinentuch oder (3 g 

b) s 2 Paar Schuh oder G ß 

c) * 1 Schleier oder -2 i 6 4 

4. eine Majrd die nichts versteht : 

"2 Gulden und dasselbe Zubehör. 



1 Vgl. bezgl. der ähnlichen Vorschriften und Verlm! Luisse in der 
Stadt Ensisheim S. 5 und 21 in meiner Arbeit über: «Die Verfassung 
und Verwaltung der Stadt Eneiehcirn*. Straßbur^, J. E. Ed. Hcita, 1908. 

< Lümmel =■ Schuhfleck. Offenbar erhielten die Knechte die 
Lederstücke damit sie ihr Schuhwerk in Ordnung: halten konnten. 



ukiÄÄhican 



ien*. 


Band 


iß 
t ß 


3 4 

10 4 


iß 

2ß 


8 4 


Iß 
1 ß 


64 
io 4 



- x 206 — 

II. die Tagelöhner erhalten für den Tag : 

1 . im Winter, d. b. vom Herbst bis nach Fastnacht und 
zum Beginn des Schneidens 1 : 

a) für Grund- und Misitragen, Stecken ausziehen 
abziehen* und ähnliche Arbeit im Feld. 

b) ein junger Bub 

c) zu gruben zur Winterszeit* 

2. von Fastnacht bis Jakobi (25. Juli): 

,ii ein Mann im Feld oder in den Beben 
b) zu gruben 

3. von Jakobi bis Herbst: 

a) ein Mann 

b) eine Frau im Feld 

c) eine Magd 

den Tagelöhnern, Männern wie Frauen, werden neben den 
Löhnen weder Nachtessen noch Nacbltrünke verabreicht! 

III. Die Stück) o hnarbei t er zerfallen wieder in 
solche, die: 

1. einen Acker Reben im Bann von Reichenweier und 
Rappoltsweiler und den dazu gehörigen Flecken und Dörfern 
in Bebauung nehmen. Sie erhalten für das Jahr und Jcuchert 
(Jochart)» 12 Gulden und 1 Ohm (SO 1) Trinkwein. Die ab- 
gängigen Heb p tu hie verbleiben dem Eigentümer und dürfen 
ohne seine Erlaubnis nicht entfernt werden. Der Arbeiter hat 
nur Anspruch auf das Abfallhclz. 

2. für jede Arbeit insbesondere bezahlt werden. Es wurde 
festgesetzt für einen Acker oder Jcuchert Reben; 

a) im Schnittet (Beschneiden- der Stöcke) i U Rappen 

b) zu Sticken (Aufstellen und Richten der 
RebptfihU») 10 ß 

c) das erste Hacken 3 f. 

d) das Rühren (zweites Behacken) mit dem 
Karst 1 8 

e) das Rühren mit der Schober oder Schöbet 
(Jäten ?) 15 ß 



1 Vjrl. Herzcg. Die Bnt^ickelung uad Organisation des elaässi- 
schen Weinbaues im Mittelalter. Jahrbuch des Vogescnklnba, XII. 
Jahrgang, S. 27 ff. 

2 Die Pfähle werden angezogen, damit dio Koben über Winter 
In die Erde eingelegt werden können. 

s Band abziehen r= Vorbereiten der Weidenblitder. 

4 gruben - Aufwerten der (Jrubeu. 

s Jeucaert oder Jichart = 30 a. Hanauer, a. a. ., 8. 536. 



ukiÄÄhican 



— 2Ü7 - 

das Biegen, der beim Schneiden stehen 

gebliebenen fierten 1 5 ß 

g) das Heften (der grünen Schößlinge) und 
Erbrechen (Verkürzen der Trauben 
tragenden Aesle und Ausbrechen der 
Austriebe am alten Holze) J5 $ 

h) zu Räumen (das Auslauben zur Beför- 
derung der Traubenreife) 12 ß 6 4 

Mit der Luliuordiiuiix schließt unser freuudiiacbbaHiclier 
Vergleich. Wir erfahren aus unserem Aktenbündel nichts mehr 
über die Schicksale des Beschlusses. Es ist anzuneunieu. daß 
die Herren und Städte diese, den Arbeitgebern so günstigen 
Vorschriften und Lohnsätze mit aller Strenge zur Geltung 
brachten. 

Eine reue Regelung der Lohnverhältnisse wurde zur zwin- 
genden Notwendigkeit, nachdem die Kipper und Wipper die 
gan2e Geldwirtsehaft Deutschlands in heillose Verwirrung: ge- 
setzt hatten. Unsere Akten enthalten wenigstens eine Einigung 
zwischen den «drei ehrbaren Slädten Kaisersberg, Ammers- 
weillcr und Cüenßheim» 1 vom 23. Dezember 1623, die uns 
zugleich ersehen läßt, wie die Lohne von 1580—1623, also. in 
43 Jahren gestiegen waren. 

In dieser Zeit der größten Münzversehlechierung (1621 — 
1623) wurde das gute alte Geld eingeschmolzen und zu ver- 
ringertem Werte neugeprägt. Aus einem Taler, der anfangs 
in 24, Sparer in 36 Groschen zerfiel, wurden damals bis zu 
360 Groschen gemünzt*. Mit der Entwertung des Geldes kam 
ein liederliches Leben und Schuldenmachen und gar bald trat 
ein gewalliger Krach ein. Es mutiten Mittel und Wege gefunden 
werden» um in einigermaßen gesunde Verhältnisse zurückzu- 
kommen. Vor dem Krach, am 24. Juni 1623. waren im 
oberelsässischen Weingebiete die Knechte und Mägde ein dem 
hohen ersteigerten Geldvalor und zwar ganz ungleich gedingt 
und angenommen) worden. Vor Ablauf des halben Jahres, 
für welches der Dienstmietvertrag galt, war das Geld «abge- 
würdiget (entwertet) und fast wieder in den alten Gang* ge- 



1 Amnurschweier und Kienztieim sind gemeint Kienzheim Ist 
nie Stadt gewesen. 

8 Ueber «Kipper uad "Wippei - virl. IL Balke; Einleitung in das 
Studium der Numismatik. Berlin 3882, 5. 131 ff. — Derselbe: Hand- 
wörterbuch der Münzkunde, Berlin 190fl, S. 158 ff. - F. Friedensburg: 
Di« Münzo in der KoLurgceohiclrto. Berlin 19C9, S. 122 ff. 

* Statt »Gang» sagen wir heute «Kurs». 



ukiÄÄhican 



— 208 — 

richtet». £s war desbalo vorauszusehen, daß zu Weihnachten 
bei der Lohnzahlung, viele Streitigkeiten entstehen und die 
Obrigkeiten überlauten werden würden. Der Vergleich 
zwischen den «drei ehrbaren Stadien» kommt nun zu einen, 
mehr wie seltsamer Befehl. Am Zahltage soll einem «wohl- 
geslandcnen» Oberknecht nicht mehr wie 15 f, einem starken 
Mittelkueclit «etwa 11 oder 12 f und einem Jungen oder 
Unterknecht 6, 7 oder 8 f und nicht darüber in der «jetzt 
laufenden gemeinen Geldtaxo gegeben werden. Mit der. 
Löhnen der Karrer, Mägde und Killerinnen soll nach dem- 
selben Verhältnis verfahren werden. Wenn aber das Gesinde 
mit diesem Vergleich nicht einverstanden sein sollte, müsse 
ihm der ausbedun^ne Lohn in dem «hohen Geld» bezahlt 
werden und wenn sich die Herrschaften mit dem Gesinde etwa 
bereits in anderer Weise geeinigt hätten, solle es dabei bleiben. 
Der ganze Befehl hatte wenigstens zur Erleichterung der Lage 
der Arbeiiyeber bei der Entwertung des Geldes keinen Zweck. 
Solange es dem Arbeitnehmer frei stand, den ausbedungenen 
Lohn zu fordern, ist nicht einzusehen, warum Höchstsätze für 
die Lohnzahlung zu Weihnachten 1623 nach dem damaligen 
Kurse Yor^esch rieben wurden. 

Für die neu zu schließenden Verträge vereinbarte man 
folgende Lohnsätze, die zwar verschiedene Abstufungen zu- 
lassen, aber schon in ihrem Mindestbeirage gegenüber den- 
jenigen von 1580 eine erhebliche Steigerung aufweisen *; 

1. ein belagler verständiger 
Oberknecht oder Karrer soll 

erhalten 14, 15, 16 höchstens 17 f 

2. ein Mittelknecht 11, 12 oder 13 f 

3. ein Unterknecht 6, 7 oder 8 f 

Für Mägde und Retterinnen sollen dieselben LDline gellen 
wie vor & oder 5 Jahren. 

Das Hartgeld bleibt sich gleich. 

Außer dem Lohn darf keinerlei «Verehr», weder Geld 
noch Gehleswert versprochen werden. 

Es scheint sogar das Zubehör weggefallen zu sein, denn 
es wird nicht erwähnt. 

Wer sich an diese Bestimmungen nicht halt, «sowohl 
Herr» Meister und Frau, als auch Knecht und Nagd» zahlt 
seiner Obrigkeit ohne Gnade 5 ff Strafe. 



' 8. oben S. 208, Ann.. 1 und 2. Am 26. Juni 1623 galt das 8 
Rappen A .96.,*, der ß 0,31 A. der -) 0,019 M mod der Gnlden 3,10 JL 



ukiÄÄhican 



— 209 — 

Bezüglich der Verdingreben gelten folgende Sätze : 
Es kostet ein Acker Reben zu bauen : 

i. in der Weite oder mit starken Böden oder 

in großen Gelinden 15 f 

2. in der Nahe, am Berg, in sandigen oder heiß- 

seheinipeni Böden oder in kleinen Geländcn 42 — 13 f 

l>ie einzelnen Arbeiten unterließen folgender Taxe : 

1. Schneiden, und Sticken 2 ! j» f 

2. Hacket 3>Jt f 

3. die kleinen Arbeiten 2 '/t f 

Wer aich an diene SäUe nicht halt, verwirkt eine Strafe 
von 3 ff. 

Es wird verboten für einen Fremden, «er sei gesessen, 
wo er gleich wolle», Reben im Stück- oder Tagelohn zu hauen. 
Die Obrigkeit kann höchstens im Einzelfalle einem Bürger er- 
lauben, für einen Fremden >/» Jeuchert Reben jahrlich zu be- 
bauen, z. B. für den Hau$2ins oder gegen Messung einer Matte 
oder dergl. 

Jeder Bürger muß für «einen Mitbürger im Tagelohn ar- 
beiten und zwar bekommt : 

1. ein Mann für Schneiden, Sticken, Hacken, 
Kühren und die andere Arbeit, neben der Kost 2 ß 2 *-f 

2. ein Weib für die kleine Arbeit — neben 

der Kost i ß 3 J 

Außer diesen Fallen soll ein Mann neben Essen und 
Trinken durchschnittlich 6* ß, vom Gruben aber nur 3 ß em- 
pfangen. 

«Wer mehr gibt oder nimmt, soll je nach Beschaffenheit 
der Uebertretung gebührendermaßen abgestraft werden.» 

Auch von dem zweiten Beschluß, den oberelsä3sischen 
Obrigkeiten zu Nutz und Frommen des Weinbaus erlassen 
haben, wissen wir nicht, wie er wirkte. Haben die andern 
Teilnehmer am Vergleich von 1580 Aehnliches verordnet, tiaben 
die «drei ehrbaren Städte» bei ihrem Vergleich das Beispiel 
benachbarter Iterierungen befolgt oder aus eigenem Antrieb 
gehandelt? Unsere Papiere schweigen hierzu Sie erzählen 
uns aber, daß die Ohrigkeiten der hauptsächlichsten Weinbau- 
gebiete kurz vor dem Westfälischen Frieden sich veranlaßt 
sahen, nochmals eine einheitliche Regelung der Löhne für den 
Rebbüu herbeizuführen. 



1 Heißscoeiuig: sind solche Böden, deren schlechte Beschaffenheit 
■rst unter der Einwirkung der Sonnenhitze sichtbar wird. 

14 



' ukiÄÄhican 



— 210 — 

Am 13. Juni 1646 traten die fAl^esancten des Herzogs 
Leopold Friedrich von Würllembery;-Mfimpelgart wegen Horburg 
und Reichenweier, der Herren Georg Friedrich und Hans 
Jakob zu Rappoltstein, der Frau von und zu Hattstein *, ge- 
borenen von Horneck, als Inhaberin der Herrschaft Hohlandsberg, 
ferner der Städte Kaysereberg, Amrnerechweier und Türkheim 
zu einer Beratung in Heichenweier zusammen. Zur Begrün- 
dung dieses Vorgeheng wiederholte man die Klagen aus dem 
Jahre 1579 fast mit denselben Worten. Alsdann wurde hervor- 
gehoben, daß von der Königlichen * Regierung zu Breisach, 
der Fürstlichen Regierung von Mümpelgart* und den Städten 
Straßburg und Basel «auf ebenmäßig l-*=i ihnen eingekommene 
Klagen bereits dergleichen heilsame Fürsehung^ucb besehenen*. 

Es kam zunächst zu keiner* Beschlußfassung, vreil man erst 
wissen wollte, was die Stadt Colmar für ihr Gebiet angeordnet 
habe. Nachdem der Rat der Sladt Colmar am 20. Juri 1C4G 
eine Ordnung erlassen hatte, traten dieselben Abgeordneten 
am 25. Juni 1646 in Colmar im Wagkellert wieder zusammen, 
verstärkt durch die Vertreter von Colmar und Nünster im 
Gregoriental. 

K& empfiehlt sieb, hier zunächst dio Beschlüsse der Stact 
Colmar ins Auge zu fassen. 

Die neue Ordnung 30II zu Johanni 4646 in Kraft treten 
und mufi hei einer Strafe von 5 u Rappen * streng befolgt 
werden. 

Die Fuhr- und Ackerknechte sind auf das Jahr*, die Reb- 
kneehte und Mägde nur auf ein halbes Jahr eu dingen. 

I. Im Jahr soll erhalten : 

1. der A.ckermei$lor oder Oberknecht in bar: 20— 30 f 
und (> ß Haftgeld. 

an Zubehör: 3 Paar Schuh oder für jedes i f 

12 Lümmel, dem Pfund nach zu 7 p 

3 Ellen weiß wollenes Tuch zu 11 ß 

3 Ellen Zwilch zu 4 ß 



1 EU. Oberst von Hattstein hatte die Herrschaft "cn Bernhard 
von Weimar erkalten. 

8 Die Kegieranjr Ludwigs XIV. in Breisach. 

3 Hier ist die Regierung: für die Grafschaft Ifontbeliard selbst 
geineint. 

* Der Wagkeller war das Rathaus der Stadt Von: 22. Mai 1GSB 
bis zum 1". September 100G diente er ab Site für den höchsten 
Gerichtshof unseres Landes. 

& Vgl. oben S. 203, Aam. 2. Im Jahre 1646 galt iae ffüappen 
4,40 M. der 3 0,22 .*,, der ^ 0019 .* und der Gulden 2,75 JL 

6 Vgl. § 3 der Oefiinfiaordnung vom 23. Juli 1903. 



ukiÄÄhican 



— SU — 

2. der Mittelknecht : 16—18 f an Lohn und Haftgeld und 
Zubehör wie der Oberknecht. 

3. ein starker Roßbube ; 8—10 f und an Zubehör; 

2 Paar Schuh 211 12 ß 

8 Lümmel nach dem Gewicht 

2 Ellen weißwollenes Tuch zu ll ß 

4. Der Lohn der kleinen Roßbuben bleibt der freien Ver- 
einbarung: überlassen. 

II. Im halben Jahre soll erhalten : 

1. ein Rebknecht: an Lohn 14 — 15 f; an Zubehör: ein 
Paar Schuh zu 18 ß und die gewöhnliche Zahl Lümmel. 

2. ein Rebjunge neben der üblichen Zubehör 8 — y f 

3. eine Viehmagd, die nicht zu Acker fährt, 5 f 

an Zubehör: 1 Paar Schuh ohne Ab- 
sitze 711 12 ß 
4 Lümmel, 
6 Ellen Tuch zu 6 Kreuzer, 

4. eine andere Magd 4 f 

5. eine gemeine Hausinagd 3 f 
fr ein großes Mägdlein 2 f. 

Es wir! verboten, daß Leute, die vorher im Dienst waren, 
sich als Tagelöhner ernähren. Sie sollen wieder einen Dienst 
annehmen. Kein Bürger darf sie ohne Erlaubnis aufnehmen 
oder ihnen Unterschlupf gewähren. 

Das Gesinde muß bis ans Ziel bleiben. Selbst die Ver- 
heiratung gilt, nicht als Künriigungsgnind, es sei denn, 'laß 
der Dienstbote für i<ir.nehtr.lichea» Ersatz sorgt. 

Die neue Ordnung wirkt auch auf ältere Dieustverlräge 
zurück ; diese müssen ihr angepaßt werden. 

Da3 Verbot des Abdingens wird aufs neue eingeschärft 
und ehensn der pünktliche Antritt des Dienstes geholen. 

Diese Colmarer Ordnung wurde bei der Versammlung im 
Wagkeller gutgeheißen und mit den Beschlüssen der übrigen 
Teilnehmer fast übereinstimmend befunden. 

Die Beschlüsse der Tagung sollten von jeder vertretenen 
Obrigkeit angenommen und dann durch den Anschlag ver- 
öffentlicht werden. Damit wollte man auch einen Druck auf 
die Handwerker und Gewerbetreibenden ausflhen, damit sie ihre 
Preise herabsetzten, infolge guter Ernten seien Frucht und 
Wein «in slaikem Abschlag und bei Mannesgedeukeii kaum 
erhörte Wohlfeile gekommen». Der arme, aller Mittel ent- 
blößte Landmann habe darunter viel zu leiden und täglich 
würden sehr große Klagen gehört. 



ukiÄÄhican 



— 212 — 

Im Eingang der Ordnung für die Vereinsgeuosseu werden 
die allgemeinen Vorschriften betreffend Dienstantritt, Abdingen, 
Austritt, Heirat, Tagelohn und Haftgeld wiederholt. Als Tag 
des Inkrafttretens wird ebenfalls der 24. Juni 164ti testjresetTL 
Die Ordnung muß bei 5 S Strafe befolgt werden. 

Die Löhne des Gesindes werden in allen Fällen nur tür 
das halbe Jahr bestimmt. Das Haflyeld darf 2'| 9 f nicht über- 
steigen. Die neue Lohnordnung enthält eine Reibe von Be- 
stimmungen, die in den früheren fehlten. Jn einzelnem be- 
stimmt sie fftr : 

I. Das Gesinde. 

A. Knechte. 

1. ein Ohftr- oder Rehknecht, der den Kehhau seihst fflhren 
kann, oder ein Karrer oder Fuhrknecht, der zu mehr wie 
einem Roß gedungen wurde und den Ackerbau leiten kann, das 
Waldwerk versieht und des Fahrens kundig ist, erhalt: 16 f 

2. ein Mittel kriecht, der keinen Rebbau führen kann, oder 
ein Karrer, der nur mit einem Roß fährt, erhalt: 10 — 12 f 

3. ein starker Junge erhalt; 6— 8 l 
Diese drei Knechte habe« dasselbe Zubehör zu beanspruchen, 
ein Paar Schuh oder dafür 1 f 3 ß sowie 4 Lümmel zu 7 ß 
das Pfund. Alle anderen Zugaben sind verboten. 

4. einem kleinen Hoßbuben oder anderen Jungen muß der 
Lohn im Verhältnis tu den übrigen Sätzen befahlt vrerden. 

B. Mägde. 

1. eine Ma#d oder Kellerin, die Haushalt, Viehzucht und 
Ki-hhan versteh i, bekomm! : 5 f 

2. eine Magd, die das nicht versteht: 4 f 

an Zubehör sind beiden zu geben : 6 Ellen Leinentuch 
oder dafür 9 ß und ein Paar Schub oder 1 f. 

3. einer Kindsmagd stellen zu an Lohn 1 f 9 ß und 
4 Ellen Tuch und ein Paar Schuh. 

II. R ebl e ut eor d n. u n % (Stücklohn). 

i. Ein VierzeM Rehen übers Jahr zu hnnen koste) r 

a) in schweren Gründen und großen 

Geländen 4 f fc> j) 3 -J 

und 2 Maß Trinkwein, 

b) in (pichten Gründen und Sandboden 4 f 
und \ Maß Trinkwein. 



1 Ein Viertel ist ein Viertel eines Morgens. 



Orion?! Itom 
UWVERSnYörVKHIGAN 



— 218 - 



Das Bauen umfaßt : Schneiden, Sticken, Hacken, Rühren, 
Schaben, Anbinden, Heften, Erbrechen, Räumen und alle kleine 
Arbeit bis zum Herbst. 



'i, Ein Vierzel Heben im Verdinj schneiden und sticken : 

a) in wohlgebauten Gütern, die viel 
Holz haben 

b) in minderen Reben 

3. Ein Vierzel hacken : 

a) in s'.arker. Böden 
und 2 Maß Trinkwein, 

b) in leichten Böden 
und 2 Maß Trinkwein, 

4. Ein Vierzel rühren : 

a) in starken Böden 
und 1 Maß Trinkwein, 

b) in leichten Böden 
und 1 Maß Trinkwein 

5. ein Vierzel zu schaben oder den 
dritten Bau mit dem Geschirr zu tun 

6. ein Vierzel anzubinden und zu 
biegen 

7. ein Vierzel zu erbrechen und zu heften 
6. ein Vierzel zu räumen 

9. in einem Viersei das Holz aufzulesen, 
aufziihindpn und hinauszutragen 

10. einen Pfahl zu graben : 

a) in starken Böden und bei alten 

Stöcken 2 4 

b) in leichten Böden und bei jungen 

Stöcken l'f s 4 



1 f 10 4 
11 ß 8 4 

1 f 2 3 6 4 
1 f 



10 p 

8ß 44 

öS 8^ 

3ß 44 
2 ß 

I ß 3 J 



Kost 



III. Ta$;e lö h neror dn ung. 

A. Für Schneiden und Sticken erhält : 

1. ein Rebrnann ohne Kost 

2. » » mit Kosl ohne Nachtlager 

3. 9 » ji x mit u 

4. » Weib oder ein starker Bub ohne 



5. 



Kost 



mit 



ftß 

1 ß 
1 ß 


2-J 

94 


1 ß 


Q4 


1 ß 








OrioinH from 

uwvsnsm'orwicHiCAN 



— 214 — 

B. Für Hacken und Rühren erhah: 

i. ein Kebmann, dar sein eigenes Ge- 
schirr braucht, ohne Kost 5 ß Ö J 

2. ein Rebmann, der sein eigenes Ge- 
schirr nicht hraucht, ohne Kost S ß 

3. ein Rebraann mit Kost 2 ß 6 *$ 

4. ein Fremder ohne Kost 4 ß 7 J 

5. ein Fremder mit Kost und Nachtlager 2 ß 

Außer dem Lohn und der Kost dürfen die Tagelöhner nichts 
bekommen. Das Abfallholz von Reben und Pfählen dürfen sie 
nur mit Erlaubnis ihres Brotherrn mitnehmen. Es ist ihnen 
verhüten, das Abiäumlaub fortzuschleppen und Körbe in die 
Reben zu bringen. 

IV. Die anderen Arbeiten werden je nach der 
Jahreszeit verschieden entlohnt: 

A. im Winter, d.h. von Herbst ibis Lichtmeü (2. Fe- 
bruar) erhalten diejenigen, die Grund (huiuus) und Besserung 
(Dünger) tragen, Stecken ausziehen, Band abziehen und andere 
Arbeilen in Wald und Feld ver richten ; 

1. ein Bürgersmann ohne Kost 3 (3 4 -$ 

2. » j mit ö i ß • 6 4 

3. ein Fremder, den man beherbergen muß, 

ohne Kost 3 ß 

4. ein Fremder, den man beherbergen muß, 
mit Kost 

5. ein Weih oder starker Junge ohne Kost 

6. > » > » » mit > 

7. n kleinerßub oder ein Mägdlein ohne Kost 

H. » > » > » i> mit » 

t 

Die Uf»in*n Ruhen nnd Mägdlein tragen nur Grund oder 
Besserung in die Rehen. 

B. Von Lichtmeß bis Georgi (23. April) för 
Arbeiten im Feld und Wald oder Garten bekommt: 

1. ein Riirger r>hne Kost 4 ß 2 J 

» mit » i ? 8 j 

Fremder ohne Kost 3 ß 8 4 

» mit » 1 ß 4 .j 

Weib oder ein starker Junge ohne Kost 2 8 iO -j 

y, » » » » mit y, 1 ß 



{ 


p 


3J 


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3. 


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5. 


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OiahH Irom 

uwvEnsm'ör.MCHiciAN 



Bürger ohne Kost 


4ß 


M 


» mit » 


SB 




Fremder ohne Kost 


4ß 


M 


» mit e 
Weib oder starker Junge ohne Kost 


1 P 
3{J 


M 


» * > » mit > 


< ß 


3 J 



— 215 - 

& Von Georgi bis Michaelis (29. September) für 
die gewöhnliche Feldarbeit erball ; 

1. ein 

2. » 

3. » 

4. » 
5 > 
6. » 

Neben der Kost darr kein Nachtessen oder Schlaftrunk 
verabreicht werden. 

L. Für die Herbst zeit wird keine LohntOKO aufge- 
stellt. Es bleibt jeder Ortsobrigkeit überlassen, alljährlich die 
Herbstcrdnung zu machen und tu verkünden. Die Löhne der 
Leser, Halt ch träger, Ausleerer, Trollknechte, Fuhrleute und 
dergleichen Personen sind darin festzusetzen . 

V. Besondere Taxen. 

1. Mäher und Schnitterlohn beim Heumachen und in der 
Ernte 

a) für den Tag Mattenmachen sollen gegeben werden : 
an Lohn 5 ß, ein vierpfündiger Laib Brot und ein 

Maß Wein. 

b) für einen Acker Frucht zu schneiden sind zu 
geben : an Lohn 1 f, ein vierpfündiger Laib Brot 

und zwei Maß Wein. 

2. Stecken mac herlohn : 

Ein Arbeiter, der Rebpfuhle im Verding macht, erhall fürs 
Hundert au Fällen, Spitzen und Schaben 6 ß 3 j 

Diese letzte Lohnordnung aus unserem Aktenbündel unter- 
scheidet sich von ihren Vorgängerinnen durch die größere Zahl 
von Einzelbestimmungcn und durch den scharfen Unterschied, 
den sie zwischen Fremden und Einheimischen macht. Unter 
den Fremden sind hier aber nur die Ortsfremden zu verstehen. 
Zu einer Ausweisung der Welschen hatte man damals gewiß 
nicht mehr den Mut, nachdem [die «gefährlichen Läufe» zu 
einer Besetzung des österreichischen Gebietes durch die Fran- 
zosen und zur Errichtung einer Königlichen Regierung in Grei- 
sach geführt hatten. 

Es ist nicht unsere Aufgabe, die weitere Eulwickelung der 
Löhne im Elsaß zu verfolgen. Wir wollten nur versuchen, ein 
Bild von den Lchnkämpfen der Weinbauern aus der Zeit vor 



ukiÄÄhican 



— 216 — 

und während des dreißigjährigen Krieges zu geben. Leider 
hören wir nicht, wie die Arbeiter, die sich den Ordnungen zu 
filmen hatten, mit ihren Vorschriften 2ufrieden waren. Im 
kleinen stellen sich die Taguntren der weinbaul reibender Re- 
gierungen und Städte als eine Art internationaler Arbeileeber- 
schuizkonferenz dar und dürften daher auch heute noch einiges 
Interesse verdienen. 



UWVEnSITl^rMCHIGAN 



IX. 



Ein Aktenstück des Pfalzgrafen 

Georg» Hans v. Veldcnz-Lützelstein zur 

Gründung einer deutschen Flotte. 

Mitgeteilt 

von 
GL Wolfram. 

L/aa nachfolgende Aktenstück, d&3 ich aus dem Straß- 
burger Bezirksarchiv hier wiedergebe, gehört ia die Reibe der 
Berichte und Schreiben, die Höhlbaum in den Mitteilungen aus 
dem Kölner Stadiarchiv veröffentlicht hatte*, um auf rlie Be- 
strebungen des Pfalzgrafcn Georg Hana v. Veldcnz-Lützelstein 
zur Gründung eiuer Jeutschea Flotte hinzuweisen, ich nahe 
mich mit der merkwürdigen Persönlichkeit des Pfalzgrafen 
etwas eingehender in einem Vortrage beschäftigt, der als Ein- 
leitung der Sammlung von Aktenstücken über die Gründung 
von Pfalzburg, die sein Werk war, \oraufjreschickt ist*. 

Schon früher hat Winckelmann in dieser Zeitschrift ober 
seine Wegebauten in den Vogesen und das Projekt eines 
Kanals durch das Zorntal gesprochen', v. Weech hat seine 
Denkschrift Ober eine BeichKjustizreform veröffentlicht *, Pfan- 



> Höhtbaam, Die Admiranulcten von ffalzgraf Georg Bans, 
Graf zu Veldeuz. Mitteilungen &us dem Stadtarchive von Köln 
XVJII. 1 ff. 

* Jahrbuch der Gesellschaft für lothr. Geschichte und Alter 
tumsfeande XX. 177 fl. 

> Bani VII, 1891, p. 63 ff. Ein Förderer des Verkehrsvaaens 
In Elsaß-Lothringen in 16. Jahrhindert. 

* Ein Projekt zur Reform der Keichsjn&tie ans den 16. Jahr- 
hundert. Neue Heidelberger Jahrbücher in, p. n ff. 



/ ' Oiaii'l Itom 

UWVERSITYörVICHiaAN 



— 218 - 

w 

nenschmiri ■ ■ seine Verdienste um Hie Flößerei in den Vogesen 
gestreift, v. Bezold 1 und Holländer' haben sich etwas eingehender 
mit seiner politischen Stellung beschäftigt 

Die Beurteilung, die ihm die Genannter zuteil werden lassen, 
ist durchweg nicht günstig. Arn schärfsten äußert sich Bezold, 
wenn er sagt; «Ein fürstlicher Praktikant ersten Randes, dessen 
Gesielt in allen deutschen und außerdeutscben Händeln prahlend, 
drohend und vor allem bettelnd zum Vorschein kommt. Ein 
Mann, der mit seinen wunderlichen Einfallen und seiner origi- 
nellen Grobheit ein gewisses Nameurecht genoß». 

Nun ist es ohne Zweifel richtig, daß seine Projekte sieb 
überstürzt haben, daß er politisch mit einem Größenwahn be- 
haltet war, der in keinem Verhältnis zu seinen Mitteln stand, 
daß ihn die Notlage, in die er sich und seine Familie durch 
den Bau von Pfalzburg: und andere kostspielige Unternehmungen 
gebrecht hatte, zu den verzweifeltsten Mitteln veranlaßte, um 
sich zuhalten. Aber andrerseits muß man doch sajfen, daß die 
Plane, mit denen er sich trug last durchweg im Kerne ge- 
sund und gut waren und daß sein größter Fehler darin bestand, 
seiner Zeit mit diesen Projekten um hunderte \on Jahren vor- 
ausgeeilt zu ?ein. Ich habe in der oben genannten Abhandlung 
auf Grund des Originalplans, den ich fand, zeigen können wie 
sein Projekt eines Vogesenkanals durchaus richtig gezeichnet 
und wohl ausführbar war. Es ist im Wesentlichen dasselbe 
Werk, wie wir es heute zwischen Zabern und Arzweiler aus- 
geführt sehen. Die Wege, die er gegen den Widerstand aller 
Nachbarn durch die Vogesen baute, dienen 2um Teil noch 
heute dem Verkehr. Die Gründung einer Spcrrfesle auf den 
Vogesen, wie er sie in Pfilzburg schuf, war nach dem Falle 
von Metz durchaus notwendig, wenn man dem französischer 
Vormarsch auf Straßburg Widerstand leisten wollte. Auch 
seine größeren Kanalprojekte für eine Verbindung von Mosel 
und Maaß, von Maafl und Scheide waren technisch recht wohl 
ausführbar, wenn die politischen und finanziellen Mittel dazu 
vorhanden gewesen wären. Vor allem aber wird ihm sein 
Plan eine deutsche Flotte ZU grOudeu die teilnehmende Er- 
innerung sichern. Die Art seines Vorgehens war dabei wohl 
erwogen ; das Gelingen seines Planes hätte dem Reiche unend- 



i. Die Flößerei in alten Zeiten. Literar. Beilage zur Gemeinde- 
zeitung für Elaa.VLotti ringen. 1881. 

* Brief« des PfaUgmfen Johann fiasimlr. 'A Bände München 
1882. 

5 Straßbarg und die französisch« Politik 1574 nnd 1575. 
Oberrhein Zeitöchr. XI. p 496ff. — Ders. Ein AnsohUg gesjen die 
Unabhängigkeit Strasburgs i. J. 1Ö7S». B. XVII, p. 291 ff. 



ukiÄÄhican 



— 219 — 

üchen Segen gebracht. Aber er hatte hei seinem Stürmen und 
Drängen mit zwei Faktoren nicht gerechnet; mit der Schwer- 
fälligkeit dsa Kaisers Rudolf und mit der kleinlichen Eifersucht 
der deutschen Fürsten. Fast komisch mag es erscheinen, 
laß er sich selbst als Admiral dieser Flotte in Aussicht nimmt. 
Aber bedenken wir hierbei, daß es sich zunächst um organisato- 
rische Arbeiten handelte : man maß — so sagt er — einen guten 
G5nner haben, der dafür sorgt, daÖ die notwendigen Schrift* 
stocke in der Mainzer Schreibstuben vor andern Sachen ab- 
kopiert werden, daß sie bei Kurfürsten, Fürsten und Städten 
vor andern Sachen ad consultandum gebracht werden, daß es 
im Rat vorgebracht werde, wenn die fautores nicht abwesend 
sind, . . . man muß wissen, «was Johannes mit dem gülden 
Mund bei den obersten Gradibua ausrichten kann», vor allem 
aber muß es ein Mann sein, «der vor K. Majestät, Kurfürsten, 
Fürsten und Ständen das Maul auftun darf, auch die Bänke 
und Verhinderungen keimt, su mau uflegl einzustreuen.» Für 
all diese Tätigkeit war er jedenfalls wohl geeignet. Die Krieg- 
führung; zur See konnte man dann ruhig den Kapitänen der 
Hansestädte überlassen 

Viele menschliche Schwichen haften dem Pfalt^rafen an, 
über all den Sorgen und Fehlschlagen hat sich sein Geist, der 
von Anfang an unruhig und unstet jrewesen ist, schließlich 
uinnacbtet. Aber wir haben keinen Grund an der Ehrlichkeit 
seiner Worte zu zweifeln, wenn ©r sagt: «Gottes Furcht, 
meine Vaterlands Nuts und mein Ehr mir lieber soll sein als 
Geld». 

Das nachfolgende für die Sache wie für die Persönlichkeit 
der Pfalzgrafen sehr charakteristische Stuck ßndet sich nicht in 
den publizierten Akten. Die Orthographie der Vorlage ist, wenn 
auch kein Autograph des Pfalzgrafen der Abschritt zu Grunde 
liegt, doch beibehalten. Sie entspricht 2um großen Teil der 
nicht nur stilistisch sondern auch orthographisch senderlichen 
Schreibart des Pfalzers, wie ich sie sonst in Oiigiiialsiückeii 
von seiner IIa ml beobachten konnte. 

Pfalzgraf Georg Hans v. Veldenz-Lüttelslein richtet an Kaiser 

Rudolf eine Bittschrift um Förderung des Admiralitätswerks i . 

1582 nach Sept. id. 

Allergnedipster Herr. Es spüren £. K. M. nhunmehr 
gnugsam, in was groben eetaden und nachleill daß H. K. Reich 
von wegen der Hintragt, so den seestellen mit benhemun? irer 



■ Das Datum ergibt sich ans der Erwähnung ies An?abiirgor 
Bcichetagca. 3. veitor unten, p. 233. 



ukiÄÄhican 



— 220 — 

freyheitlen und aufferlegte beschwerun^en von freinbden poten- 
tntoi: begegnet, also dae innerhalb Her zeitl, dar ich E. M. htnr 
vater sehligen *on Verordnung eines ammirals, der die seesied: 
in ainigkeit erhielt und deß Reichs contoren und cnmmercieii 
wieder in rechten zwang brecht, über die 100 million, wie 
klarlich dargethan kan werden, daß Römisch Reich schaden 
gelitten, dahergegen wo man meinem ratth gefolget, nicht allein 
solchen schaden, der schon begegnet, - vermuten sonder auch 
ettlich million goltts E. M. herr vater sehliger durch daßelh 
mittel! zu erhaltung der Ungerischen grentzen gasten dem 
Tu reiten zugneiiem khomen wehre«, dieweill es ein haupl fuuda- 
meni ist und darauß am allerbesten ein stattliche summ geltls 
jerlichen ohne sondere des Reichs bescuweruiig au die liaudi 
inajf gebracht werden, dardurch einem Römischen kayser contri- 
buirt und die handl gebotten mag werden, und dan ein be- 
willigte türckensteur über sieben oder acht lonnen gollts jars 
nicht ertregt und E. M. so große mühe haben, solches von den 
ölenden zu erlangen, und do doch durch daß amrnirallwerck 
zwo, drey million zu wegen gebracht werden kan und es die 
außlendi sehen merer theill auch den Inst mußen tragen heißen, 
auch die slend über die turkenschat2ung in die haf gar 
unwillig werden, gleich ;als auch 30 ein nolturft ist, daß uff 
den fall E. M. hauß vom luyserthumb khomen sold, doch also 
versehen möchte werden, daß ein beslendiges zu erholtun^r der 
grenzen dero hauß verwilligt und verordnet werd, welches durch 
kein ander mittel von den elenden erlangt werden und geschehen 
magk als durchs mittel! deß ammiralwercks und erneuerurig der 
contorn und kauffmansgewerb, also das mich vor Gott wunder 
mmbt, daß E. M. und dero reith so blindt oder 90 unachtsam 
sein, daß sie die schone gelegenheilt, so lange zeitt versäumen. 
Den erstlich vrißen Eurer M. reth. daß nachdem ich E. M, 
berrn vater seidigen die geheim außen deß ainiiiirallwercks uffen- 
barlt habe mit der condition, daß dieweill daß inventum von mir 
herkhome auch ich viel! uu kosten 5 und muhe draußgewendt, 
daß Ir M. mich, meine kinder und hauß vor andern mir 
solchem tittcl und anjpt befördern wolden, wie ea dan Ire M. ( 
wie dero schreiben noch außweißen, wie eß dezumahl von ihrer 
M. bewilligt und zugesagt, zu befurdern jederzeitt sich erclert, 
auf solches ich dazumals zuwegen gebracht, daß es wie die 

1 Georg" Hanw natte vorgeschlagen, für den Ertrag - , der aich 
nach Aufhebung des Suudr.olls. zu der er Dänemark mit der deut- 
schen Flotte zwingen wollte, durch eine verhältnisniäßig gering?« 
Abgabe der deutscher Handelsschiffe ergrebem würde, die Türken- 
eteuer «u ermäßigen oder aufzuholen und die neugewonnenen Uittol 
gegen die Türken zu verwenden. 



UWVEnSITl^rMCHICXN 



— 221 — 

reichsacten außweißeo, im fürslen rattb, der K. M. bochlob- 
ligter gedechtnu», dlß ein uochaottwendig nuUuch werck ife- 
achtet, trey heimzusteilen sey scbritltiich erclert und übergäben 
worden. Nacbmalä uuch durch die drey als Niedersächsische, 
Westindische und Btirgundisclie kreiß auf gehaltenem tag zu 
Gruningen lür ein hochnottwendig nutzlicb werekh geachtet und 
H. K. M. ein. ararairal) su verordnen beimlge&telll worden. 
Wie aber durch den unbedacht, daß man halt die Niedarlen- 
dischen handlang mit der freibeutlerey unzeittiieben einmischen 
wollen, eß von landtgraff von Heßen und andern protestierenden 
elenden uff dem depttationatatf 2u Kranckfurib L aufgeschoben 
worden und nachmals mff dein reiebstag zue Regenspurg durch 
deü königs von Uennamark gefreundten verwurdt und gesteckt 
worden, die nit gern die scbmelerung seines neuen gelegten 
zots am si:n<in gesehen, weißeus die acta genugsamb auß, also 
daß kurtzlich davon zu reden schimpflich ist, daß solche eigentt- 
lich nutzliche Handlung bishero verplieben, willen gesebweigen 
«ieß Schadens, so man drauß eutpfangen, auch noch teglich zu 
gewarien, dardurch deß Heichs undergang eigentlich für äugen 
schwebt, wo man eä nitt verbessern will. Und ob weil nicht 
ein geringe urstcb auch gewesen, daß Heßen weill Holstein sein 
sebwager (der vermeiutt gebapt ammirall zu werden) mir zu 
mißgunst, daß ich ins amrnirallwerck nicht kbern, die meiste 
Verhinderung uff dein depulationstag zu Franc klurt eingestrawel, 
so wehr doch voll zu helffen gewesen uff mein zeittlich an- 
rnhanen und verwarnen ; und die war heilt zu sagen, so seindt 
wir alle beid in der wahrbeitt nicht sovill wertth, daß das Reich 
uiub soviell million ^oltts cinßtlieilß deß mißgunst gesprengt ist 
worden und noch soll werden. Und ob woll ich mich geringes 
Verstandes weiß; jedoch weiß ich auch hergegen, daß kheiner 
in vielen jaren in ertahrung solches wereks, wie ichs verstehe 
nutzlieh ins werck zu richten khomen wurdt, auch ein beslen- 
dige stattliche summ F.. M. zu den Ungerigchen grenzen darauB 
zu wegen xu bringen. Und ob ich wall mittel gewißt und noch 
weiß, wie ich den seestedteu ubne daß belflen köndt, so hab 
ichs doch nicht offenbaren wollen, unangesehen daß mit dem- 
selben ^dreich alle meine miß^unner und die Ew. [M.] zu hindern 
understandftn, recht bezalt wurden; den under dreyen streichen, 
ist diß der geringst, daß dieseestedt sich miit den Brabendischen 
Städten verbinden; delhea sie das, so köndten die seestedt 



l Der Frankfurter Deputationstag var 1571. Vgl. Hohlbfcum, 
Die AdrairaUaktcn von Pfalzgraf Qeorg Hans in den Mitteilungen 
(ins d»m StidUrchiv von Köln XV1L1, p üL 

a S Anmerkung: S 220. 



m/SSfSrSoKM 



— 222 — 

Btabant manuieniren und die Bratender wieder die seesledt 
und könden die beschwernußen die von Dennemark vom Sundt 
ihnen begegnen, weill sie die macht an schiffen haben, vermog 
dem bedenken, so ich E, M. letzlich zugeschickt, ballt abhelfen; 
und wen sie sich deß Sundls rnechtig anechten, wie sie lliueu 
können auß den gefeilen deß zolle ein stedten krieg gegen ire 
feinde führen kondlen. Nun werden die seestedt, wo man ihnen 
nicht hilfft, mit meinem vorgeschlagenen mittel sich anderstwo 
ihrer beschwehrung sich zu entschutten einlaßen mußen. Nun 
achte ich diße mach! der seesied t vor den d ritten iheiH macht 
'leß Rhönaischen Keichs. Solle d.in nun daß Keicb einmbail 
solchen dritten theill verlieren, so wurdieß sicher mißlich hernach 
umb daß Reich stehen, dann es bleibt nicht Ue\ einem schaden, 
sonder ein schadt bringt allzeit einen andern. Wie lanj? hab 
ich E. M. herr vatier sehliger gewarnt der Franzosischen practiken 
halben in Brahantt. Nun siht man, waß man dran gewindt, 
wen man solclie ding in windt schlecht. Bilte demnach ganz 
underthenigsl, E. M. wollen dießen handelt des ammirall wereks 
nicht schlefferig* hergehen lassen sonder weill daran E. M. und 
deß Reichs hogste wolfart gelegen, einmals mitt ernst solch? 
wichtige sachen treiben, und ob ich woll nicht zweifei 1* daä 
R. M. (weill ich dießer anfenger des ammirallwercks gewesen) 
mir dero herr vater sehligen zusag nach, so eß einen fortgang 
gewinnen wurde, mich für andere dazu zu befördert) conlinuiren 
werde, so habe ich doch, weill ich noch ein großen Unkosten 
in erhaltung der personen, »■» mir anleitlung in demselben zn 
gehen vvißen und erhallung auch der eöirespondenz mitt den 
seestedten aufwenden mußen, E. M. underthenigst ersuchen und 
hitien wollen, mich zu verstendigen, nh E. M. dieselbe hand- 
lung befurdern und fori zutreiben oder aber ersitzen wollen laßen, 
damit ich mich wiß darnach zu richten, welchszu erclerung ich 
undertheriigst verhoff E. M. sich nicht beschweren werden, in 
ansehung eß un pillig, ich wegen meines treuen gemütts lenzer 
je weitterfn] sorge, muhe und Unkosten von wegen eiffer und 
treuer Zuneigung gegen E. M. und dem Reich stecken und 
pleiben .«oldt, damit ich auch, dieweill ich einmahl den see- 
stedlen zu hellten mich versprochen und verptlicht, inen aulT 
imieru weg geburlich sovill in ug lieh verhelfTen möge, versehen 
ich mich ganz underthenijrst, E. M. werden hierauß gleichfaU 
wie auß andren mehren meine sorgfeldigkeitt und eilTer, E. M. 
hauß und deß Reichs wolfart zu befurdern, genugsam spüren 
und abnehmen, ao heißt es auch wie daß sprichwortt laut! 
ctre wer knecht, trewer berr», auch das Sprichwort cfroute 
capillata, post haec cccasio calva», dan die zcitl und poryonen 
die daß gemulh und erfalirung haben, ettwas ins werck iu 



m/SSfSrSoKM 



— 223 — 

richten, nicht alzeitl, wen man «€ haben will, zu bekhomen. 
Weill ich auch nun mehr rnutth bin, so langweilig- nitr 
den hendlen irnibzii^ehn und nun mehr in die zwölfT jar 
daß arnmirallwerck woll getrieben, wolle ich gern endtlichen 
ein endtsr-hafTt dran machen, dornit ich der muh. sorg und 
unkostens einmal abkheme und es in andere wege wiße zu 
richten, dein mitl solchen langwürigen hendlen in solchen 
wichtigen Sachen wirdt einer pillich verdrußi^, wob ein herr 
nicht gleichen eiffei Jiatt, alß ein diener die machen forti zu 
treiben, daß haben E. M. woll zu bedenken ZU nhemen und 
ihre, dero hauß und deß Reichs wolfartth, da Gott die zeitt und 
die personen gihtt nicht zu verwahrloßen und zu versäumen. 
Daß hab ich tJ K. M. underthenigst umb dero und deß Heichs 
wolfartt willen, so woll auch meiner selbst notturfft wegen 
underthenigst treuherziger meinung nicht verhalten woller und 
thun mich hirmitt E. K. M. zu K. gnaden und befurderung zu 
riero gehorsamen diftnsten hevhelen, und nh woll F.. K. M. 
mich letzlich von denn reichsta^ zu Augsburg; 1 miß vonn dem 
15, septeinbris beantwortet, daß das aiuuiirallwerk alß eine 
hochwichtige weittsehende sache ohn gemeinen r;iltli der 
reichstend nicht zu verhandlen sey, so weiß ich doch auch, 
daß wo E. M. sonst ie die sacher betten wollen angelegen 
lassen sein, daß es zum wenigsten von newen proponirt, sonder- 
lich da man mit der seesledt clag ein gutt ansam gebäht, wehre 
worden und ich deseelbigen bey zeitten durch E. M, avisirt bette 
können weiden, bey den stenden im tursten rath es abermahl 
durch zu bringen, daß K. M. daß arnmirallwerck beim zu stellen 
sey, bey den stedten wehr eß leichtlich zu erhallen gewesen, 
alß ob der churfürstenratth doch sich hett difficultiren wollen 
und Dennemarck nicht gern erzürnen, so hette man doch 
disparia vota referirt und bey E. M. der au seh Inj» freigestanden, 
sich mitl dem bcyfall zum förstenratt oder churfürslenratth zu 
ercleren. Eß dünkt mich, wan ich an E. M. ßladt wehre und 
ein bestendigkeit uil ein miliion ^ollls kondte durch das arnmirall- 
werck zu guttem zu erhaltung der grenzen bekhoiunien, daß 
ich zum wenigsten versuchen woldt laßen und zu dank wollt 
annhemen von demjenigen, der mir also meine wolfarlh be- 
f'urdern woMf. Sieht also nunmher bei K K M., ob sie folgen 
wollen oder nicht, also nicht allein deß nutzens entrathen, 
sondern auch die ursach nicht uffhelien, dardureu die stedl vom 
Reich heutt oder morgen kommen mögen und <iie compeütores 
imperii E. M. und dem hauß destar mehr zusetzen können. 
Ich meins treuhertzig und gutt und getraw es auch wafi ich vor 



> 1582. 



ukiÄÄhican 



— 224 — 

nutzbarkeitten proponir zu beweißen und ins werck zu richten, 
weill cij dan ohn C. M. schaden oder Unkosten geschehen hau, 
daß man deren nutz suchen kau, dunkt mich nillich nicht zu 
versäumen und also flechlich die wichtige puneten, so man zu 
guttera £. M. anbringt, zu beaiultworteii sein. Thue £. K.M. 
nochmaln dem almechtigen zu langwüriger keyserlicher regierang 
underihenigst bevehlen und bin deren bu aaderthenigsten treu- 
hertzigen eifferigen diensten zugethan, mich hergeben auch zu 
K. gnaden und befurderung underthenigst befhelendt und ge- 
trftstend . 

Sttaßb. Bee.-Arch. E .WO. GUwhz. Gopie. Ohne Datum. 



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Nach einem Gemälde von L. v. I 



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.RAMER im Straßburgcr Museum. 







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X. 

Alsatia antiqua. 
Bild von L. v. Kramer 

mit Erläuterungen von 

E, Martin. 



I 



u der städtischen Gemäldesammlung tu Slraßburg be- 
findet sich unter Nr. 5U5ein Bild, welches die geistigen Grüßen, 
besonders die Schriftsteller und Künstler des Elsasses bis zu 
Ende des 16. Jahrhunderts darstellt. Es ist ein farbiger Karton 
(2 m OU hoch, U t 48 m breit), den L. v. Krämer in München 
1877 angefertigt und die Landeäverwaltung angekauft hat. Mit 
gütiger Erlaubnis der Witwe des Künstlers erscheint hier eine 
Verkleinerung der Photographie, welche zu Ende der 70er 
Jahre des vorigen Jahrhunderts vielfache Verbreitung gefunden 
hatte. Sie ist im Verlag von Hanfstängl in München erschienen, 
in der Galerie moderner Meisler. Iteigpgehen war der Photo- 
graphie ein Deckblatt, worauf die Nummern der auf dem Bilde 
vereinigten Personen unter den Kupfutnrisseu angegeben waren 
mit Angabe der Namen: dies Deckblatt, mir durch Herrn Jung 
im Kupferstichkabinett freundlichst nachgezeichnet, hängt in der 
Gemäldesammlung dem Karton gegenüber. Es sind nicht alle 
Köpfe auf dein Bilde so verzeichnet : einige, die schon auf dem 
Bilde stark zurücktreten, sind als Nebenfiguren ohne Namen 
geblieben . 

Ich gebe nun eine Aufzahlung der einseinen Figuren, i. A. 
in der Reihenfolge, die durch die hier ebenfalls wiederholte 
Bezifferung freboten ist. 

In der Mitte steht eine Gruppe von vier Personen, welcher 
(rechte vom Beschauer her beginnend) angehören (1) Jakob 

15 



ukiÄÄhican 



— 238 — 

St u rm (148y-1553), der als Stättmeister von Strasburg 
hier die I.eforrnation durchführte und die Unabhängigkeit 
seiner Vaterstadt ebenso gegen Karl V., wie gegen Heinrich II. 
von Frankreich verteidigte. Neben ihm steht {2) Johannes 
Sturm (1507— 158S), der aus Schieiden in der Eifel gebürtig 
seit 1538 das protestantische Gymnasium, 1566 zur Akademie 
ausgestaltet, als Rektci leitete. Er reicht die Rechte dem Vater 
der deutschen Pädagogik, (3) Jakob W i m p h e I i n g (aus 
Scblellstadt, 1450— 15£8). Neben diesem steht sein Freund (4) 
Jnhün nes Geiler (1445 — 1510, von Kaysersberg genannt, 
weil er dort von seinem (irotivater mütterlicherseits erzogen 
worden war), der berühmte Münsterprediger. Der Drille in 
diesem Kreundschaftsbunde war der rechts au Jakob Sturm 
herantretende (35) Sebastian Eranl, 1457 zu Stoß- 
burg geboren, seit 1475 in Basel als Student, spater öl« Pro- 
fessor, bis er nach der Lostrennung Basels vom Deutschen 
Reich sich 1501 als Stadtschreiber nach seiner Vaterstadt be- 
rufen ließ, wo er 1521 ttarb. Der Dichter des Narrenscbiffs 
trögt eine Maske in der Hand ; vielleicht balle der Künstler 
ihm jenen mit abschätzigem Lächeln niederblickenden Aus- 
druck geben können, den ein aufgezeichnetes Bild auf dem 
Rathaus trägt, welches man gegenwärtig in der Porträtaus- 
stellung im Alten Schloß als Nr. 572 sehen konnte. 

Hinter Geiler kommt eine Künstlergruppe: zunächst vorn 
(5) Martin Schön oder vielmehr Schongauer (gest. 
1488), dessen Namen das Colmarer Museum träjit. An seiner 
linken Körperseite erscheint (6j Mathias Grünewald 
aus Aschnffcnburg, der Meister des Isenheimer Hochallars im 
Colmarer Museum aus 4er 1. Hälfte des Ifi. Jahrhunderts. 
Ganz vorn sitzt (7) Isaak Hab recht aus Schaffhausen 
(1544 — 1620), der Verferliger der StraJJburger Münsleruhr 
(nach den Berechnungen von Dasypodius). 

Hinler M. Schongauer schreitet, auf ihn hinweisend, (8) 
Heinrir, h Vogtherr der altere aus Wirnpfen, 
Maler und Dichter geistlicher Lieder (1490 bis etwa 1542); der 
jüngere, wohl sein Sohn, ist unter Nr. Ifi zwischen Fagius 
und Zell gestellt worden; als Maler und Radierer lebte er 1513 
his 1567. An der linken KOipei seile des alleren erscheint 
Hans Baidung Grün (bis 1545), Maler und Holzschnitt- 
künstler. Ganz hinten, links vom Beschauer aus, steht (10) der 
Maler und Architekt Wendel Dieterlin (1550—1599), 
und vor ihm \11) der Maler und Kupferstecher Tobias Stirn 
in er (geb. 15S4 tu Scliaffhausen, gest. 1587), sowie, höher 
aufragend (1*2) Nikolaus Heusner aus Löwenberg in 
Schlesien, geb. 1542, gest. 1602 zu Jena ; (Kramer setzt al s 



> 



ukiÄÄhican 



— 227 — 

Vornamen, J(eremias), den Namen des jüngeren Bruders) Jurist, 
Herausgeber der leer. es 1587, einer Sammlung von Portrats mit 
Lobversen, wozu Tobias Stimmer mitgewirkt halte. 

Gans im Hintergrund zeigen sich (13) Johann Mar 
bach (aus Lindau, geb. 1521, gest. 1581) und (14) Johann es 
Pappus (aus Lindau, 1549— 1610), zwei Theologen, die 
dem Luthertum gegen die Reformierten zum unduldsam benutzten 
Siege verhalfen. Vor ihnen schreiten die Reformatoren (15) Paul 
Fa gi us (aus Rhein?al>err 1504, gest. zu Cambridge 1549), (17) 
M a t h i a 8 Z e I I (aus Kayseraherg, geh. 1477. gest. 154&), 
(18) Wo-I f js n ng Musculus isu Dicuze geb. 1407, gest. 
Bern 1569); \or diesen (18) Martin Butzer (geb. Sculelt- 
stadt 1491, gest. 1551 zu Cambridge) und (20) seine Frau mit 
dem Kind auf dem Arm, wie sie bei der Yerköndung de» In- 
terim durch Karl V. Strasburg verlassen, ebenso wie Fagius 
und Musculus. Vor ihnen ragt über Wimpheling und Job. 
Sturm uer mystische Dominikaner (22) T a ulei (12U0-1SG1) 
aufj hinter ibm, unmittelbar vor dem alten Vierungsturm des 
Münster« (21) Rudolf Agri:ola (1442-1485), einer 
der ersten Humanisten, geb. zu Groningen in Friesland, gest. 
in Heidelberg (oder Worms?), also eigentlich nicht mit dem 
Elsaß in näherer Verbindung. Noch weiter hinten nach rechts 
steht (23) Kaepar Schwenckfcld, ein Schwärmer 
der Reformationszeit, (geb. in Schlesien 1489, gest. in Ulm 
1561); dann über Job. Sturm, (£4) Calvi n , der französische 
Reformator (geb. in Noyon 150U, gest. in Genf 1564) : beide 
waren sie eine Zeitlang in Straßburg als Flüchtlinge. 

Hierauf ein heranstürmender Barfüßer, der Satiriker und 
eifrige Berampfer der Reformation, (95) Thn ma s Mur Der 
(geb. zu Oberehnheim 1475, gest. ebenda 1537). Kill paar 
andere Mönche bleiben uribezeichuet. Dann erscheint eine 
Gruppe \on Architekten : (26 und 27) die J u n k e r von 
Prag (zu Anfang des 15. Jahrhunderts?), vor ihren der be- 
rühmteste Munsterbaumeister ("28) Erwin vnn Stein- 
bach (gest. 1318) ; weiter hinten (29) der Festungsbaumeister 
Daniel Specklin (gest. 1489;. 

Weiter nach rechts zeigt (30) Johann Gutenberg 
aus Mainz {gest. 1468) seinen Druckbogen vor ; neben ihm er- 
scheint unter andern ungenannten (31) Johann Mentelin 
(gest. 1478) mit einem Buche; auch ihm wurde eine Zeitlang 
die Erfindung der Buchdruckerkunst zugeschrieben. 

Zwischen ihnen und Jakob Sturm steht (32) der Altertums- 
forscher Beatus Rhenanus (aus Schlettstadt 1485 bis 
1547) im Gespräch mit dorn Sotirikcr (33) Johann 
F i sc h a r t (gest. 1590), Hinter diesem der Arzt und Natur- 



ukiÄÄhican 



— 228 — 

forscher (34) Melchior Sebizius (Krämer schreibt 
Seibizius; aus Schlesien 1Ö39— 1025 oder sein berühmterer 
Sohn, ebenfalls Arzt 1578—167-1). Dann kleiner, unter ihm 
der Arzi und Reformator (3ö) Otto Brunfels (gest. 
1534); hierauf, ein Buch in der Hechten, die Linke aufs Knie 
gestützt, der Geschichlschreiber der Reformal iunszeit Johan- 
nes Sleitianus (aus Schleiden, gsb. 1506 oder 1508, gest. 
1566). Endlich ganz rechts unten der Organ»! (38) Bern- 
hardin Schmidt (1500—1592?). 

Man könnte über die Auswahl der Personen, hie und da 
auch über die Auffassung der Einzelnen streiten ; von mehreren 
wie z. B. von Beatus Rhenanus, gibt es überhaupt kein zeit- 
genössisches ßild. Auf jeden Fall wird man die Gewissenhaf- 
tigkeit des Künstlers ebenso wie seine sinn- und schwungvolle 
Anordnung durchaus anerkennen. 

bemerkenswert ersclieinl, daßSiraßbur«, dessen altes Stadt- 
bild t\itn Hintergrund bildet, in der Tal such lür die meisten 
der dargestellten Künstler und Schrittsteller den Schauplatz 
ihres Lehens abgegeben hat ; daß aber viele von ihnen aus 
anderen elsasäischen Orten, oder auch aus dem sonstigen 
Deutschland stimmten. So ist die grfißre Geistestat, auf 
welche Strasburg stets besonders stolz war, die Erfindung der 
Guchdruckerkuost einem Maiuzer liier #eg;lückt, wo er sich 
über ein Jahrzehnt aufhielt Andererseits haben Elsässer im 
Ausland sich Verdienste und Ehren erworben, wie etwa Philipp 
Jakob Spener, der Vater des Pietismus, der das Christentum 
nicht in Worten, sondern im Leben und Tun fand und so dem 
verderblichen Streit der Bekenntnisse auch von Seilen der Re- 
ligion her die Berechtigung entzog. 



Orioh?l Itom 

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XI. 

Zu Mündels 
„Haussprtichen und Inschriften". 

Von 
F. Itentr-Colmar. 

Auf S. 51 des obengenannten Werkes führt Mündel eine 

verschwundene Inschrift des Schlettstadter Rathauses folgender- 
maßen an : 

Einigkeit aus kleinen Sachen 

Große vienderding zu machen 

Wo die Hertzen seynt zertrennt 

In der Welt das Glück sich trennt. 

AI* Quelle für Mündel dienten Slöbers Zusammenstellungen 
in Alemannia VII (S. '234), doch hat Stöber die Inschrift achon 
in der Alsatia (1850, S. 99) veröffentlicht und nennt dort 
als seinen Gewährsmann Dorlan (Notices bist, sur PAIsacc I, 
S. 233). 

Der erste Teil der Inschrift scheint verslümmelt zu sein, 
da das Verbum finitum fehlt, doch sind ja solche Hausinschriften 
manchmal syntaktisch mangelhaft. Vielleicht ist anstatt zu 
machen zu lesen kan machen. Ganz unmöglich aber ist das 
Wort vienderding, das Stöber (a. a. O.) und, ihm folgend, 
Mündel als «Feindschaften» erklärt, das sich aber weder bei 
Martin und Lienhart (Wörterb. d. eis. Mundarten) noch bei 
Gh. Schmidt (Hist. Wort erb. d. eis. Mundart) nachweisen läßt. 
Außerdem paßt «Feindschaften» in keiner Weise in den Text, 
denn die Einigkeit erzeugt doch keine Feindschaften, auch aus 
kleinen Dingen nicht. Es ist schade, daß die Inschrift ver- 
schwunden ist, sousl würde eine genauere Nachprüfung sicher 



ukiÄÄhican 



— 230 — 

ergeben, daß statt avienüerdiug» zu lesen ist «Wunderding». 
Das ist zwar kein eleässisches Wort, ein solches ist aber auch 
gar nicht mßebrachl, weil die ganze Inschrift hochdeutsch ist. 
Daß der Spruch das bekannte Zitat aus Salluels Jugurthinischeoi 
Kriege, Kap. 40 concordia res parvae creseunt, diseordia ma- 
ximae dilabuntur, wiedergibt, ist sicher, weil es nach Mündels 
Angabe an dem Schlettstadter Rathaus darüber stand. 



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XII. 



Wolfhart Spangenberg, 
Geschichte des Meistergesangs. 

Von 
E. N. 

Johannes Bolle, der ausgezeichnete Kenner unserer volks- 
tümlichen Literatur, machte mich gütigst auf eine Petersburger 
Handschrift aufmerksam, welche vielleicht das von mir auf einer 
großen Zahl von Bibliotheken vergeblich gesuchte Drama W. 
Spangenbergs Ober den deulschen Meistergesang 1630 enthalte. 
Leider sind wir nach wie vorauf den Auszug in Gotteehede Nötigem 
Vorrat angewiesen. Das ergibt sieb aus dem Auszug, den Herr 
K. J. v. Voß gütigst besorgt hat und den ich im folgenden zum 
Abdruck bringe. J. Bolte weist darauf bin, daß die Prosa- 
schrift W. Spangenbergs wohl nur eine Abschrift oder Aus- 
arbeitung von der Schrift seines Vaters Cyriacus Span«enberg, 
Von der Mnsiea und den Meistersänge™ (ed. A. Keller im 
Stuttgarter Liter. Verein, 1861), S. 113— 1Ö7, sein werde, für 
die nhrigpns auch ein rjreslauer und ein Hannoverscher Kodex 
in Frage komme. Kine Abschrift davon besitzt Dr. Frit« 
Qelirend in Berlin, er hält aber das ganze Werk nicht für 
eines Abdrucks wert ; nur gegen das Ende fänden sich einige 
bemerkenswerte Mitteilungen. 

Signatur d. Hdschr. in d. Oeffentl. Bibl. in Petersburg: 
Deutsche Handschriften, Q XVIII 5. 

Die Handschrift umfaßt 60 engbeschriebene Blätter in Quarto. 
Sie ist leicht lesbar, stellenweise etwas verblaßt, aber nicht so 
weit, naß die Kntzitlernng unmöglich würde. 



Onaivl frorn 
UWVERSITVörVICHIGAN 



— 232 — 

L'eberschrifl : 

Von derMusika, Singekuust oder Meisler Gesang, sc bey 
den Teutschen üblich und gebräuchlich gewesen: auch 
was etwan für Voinebuie Meislersinger nahmhaft ge- 
macht werden, welche in Teutscher Nation gelebt, 
und diese Kunst darinnen geühet. 

Wolfhart (Wolfahrt) Spangenberg versteht unter dem 
Meistergesang die Dichtkunst und will eine vollständige Ge- 
schichte der Dichtkunst bei den Germanen geben. Er geht 
von der Genesis aus, leitet die Abstammung der Germanen 
von Japhet her, spricht dann vuu Maiinus und lnge\on, die 
er als Könige bezeichnet und religiöse und moralische Gedichte 
verlassen läßt. Bald nach diesen Zeiten seien die Germanen 
zu Heiden geworden. Nun wird von der Priestersnhaft der 
«Uralten Teutschen» yesproshen und, mit Hinweis suf ver- 
schiedene Quellen, eine Anzahl von Benennungen, die die 
Priester gehabt hätten, angeführt und erklSrl, darunter 
«Barden» und «Druiden», Von diesen, die die Dichtkunst ge- 
pflegt hätten, werden mehrere namentlich aufgeführt und be- 
sprochen (Froh, Deuth, Ilsan u. a.). Weiter wird eine Anzahl 
Druiden erwähnt, die durch ihre Dichtungen der Verbreitung 
des Christentums entgegenzuarbeiten suchten. Dann wird der 
Bekehrung solcher Druiden gedacht, die nun ihre Kunst in 
den Dienst des Christentums stellten. Weiter wird kurz über 
die Dichtkunst unter Karl d. Gr. und seinen Nachfolgern ge- 
sprochen und ausführlich über einen Streit der «Meistersinger» 
mit den Pfaffen zur Zeit der Ottonen berichtet, und die Ueber- 
lieferiing- früher kritisch beleuchtet. «Was aber für A'or- 
nehme Meistersinger von der 2eit Kaiser (Jarlen des Großen 
vom 800 jähr der Geburlh Christi, hiß auf die Regierung 
Kaiser Friedrichs des ersten des Nahmens, welchen man Bar- 
barossa, das ist, Hotbart genennet : und also vor dem 4162 Jahr 
gelebt und d2 Meistersingen geübt haben, rinvnn find ich keinen 
weiteren Bericht.» Immerhin sagt Wolfhurt (Blatt 20 der 
Hdschr.) einiges allgemeine fiber die Dichtung dieser Zeit und 
fährt dann (Blatt 21) fort; «Derer Meistersinger aber, welche 
umb und nach dein 1102 Jähr Christi biß auf unsere Zeit vor 
andern berühmt gewesen, werden etliche in alten Schriften 
nahmhaft gemacht, wie folgt ;» Nun bespricht der Verfasser, 
beginnend mit Konrad von Würzburg, eine Reihe von Minne- 
sängern, darunter Walter v. d. Vogelweidc (recht kurz), Her- 
mann von Sachsetiheim, Wernher vuu Ttifeu, teilt Ereignisse 
aus ihrem Leben mit und führt bei einigen Lieder oder Verse 
wörtlich an. Bei Gelegenheit Heinrichs von Ofterdingen, den 



ukiÄÄhican 



— 29S — 

er Eßertitigea nennt und für historisch hält, berichtet er 
über den Sängerkrieg. Weiter kommt er auf den Verfall der 
höfischen Dichtung und den eigentlichen Meistergesang zu 
sprechen (es mehren sich die Zitate), geht aber dabei durchaus 
nicht streng chnmulogisch zu Werke. Gegen Ende der Schrift 
werden der Vater und Großvater des Verfassers (Johannes und 
Cyriacus Spangenberg) ausführlicher besprachen. 



ukiÄÄhican 



XIII, 

Das Wanderbuch eines elsässischen 
Schneiders von 4607 — 1614. 

Von 

Theodor Renaud. 

Uas Wanderbuch eines deutschen Handwerksburschen vor 
dem dreißigjährigen Krieg. Es wird, was Zeil und gesellschaft- 
liche Schicht anlangt, kaum Seinesgleichen haben oder doch 
eine große Seltenheit sein. Zudem ist der tapfere elsässische 
Schneider Johann Gottharit aus Eckirch nicht nur durch 
ganz Süddeutscbland und Oesterreich gewandert, sondern 
sogar in Italien bis Neapel Torgedrungen. Ich habe die Hand- 
schrift in einem Familienbuch auf der StraBburger Universi- 
tät»- und Landesbibliotbekt gefunden. Die 40 ersten Seiten 
enthalten von 1630 an bis Januar 1674 allerlei Eintragungen 
ober Gerichtstage (Bergrichter) in Eckirch, über Fleischpreise, 
Geburts-, Hoohzeits-, Todestage in der Familie u. dgl. Dann 
kommt (S. 43ff), anfangs anscheinend zum Teil von Paul 
Gotthards, des älteren Bruders, Hand ein 



1 «GuliWdi Jühuim, Chronikalische Notisen über Eckirch 1630 
bis 1674. - S. 43—121 Chronik «der Familie Gotthardt aus Sachsen, 
dxnn in Eckireh und Markirc]; j umfaßt die Zoit vom 16. Jahrhundert 
bt& 1709. Eingehend beschrieben das Leben der Bruder Paul and 
Johann von Jon. Öotthatt 1M»2 IGT".. Blatt 41 und IUI ausgerissen.* 
So ist die Handschrift im Kataloge Barack, S. 116, Nr. 117 beschrie- 
ben, ohne besondere Ervähnung des Wanderbuchs. — Die «Silber- 
bergwerke» bei Markirch im Lebert&l wurden seit etwa 1530 von 
herbeigerufenen sächsischen Knappen betrieben. 



ukiÄÄhican 



- 235 — 

«Kartier A uß gezoge a Bericht Meines des Pauli üb 
Colthardt riidt Johann Gotthardt, gebrüdter von Mariakircb 
vndt Eckirch gebQrdtig, rnsserfs] Ehrlichen herkomens, 
[unsrer] Stern vnd vorEltern, vnsrer vndt rnsrer Kindter 
gebort, vnsern Nachkomen zu Ehren vndt getechtnus auff- 
geNotiert, vfzubeben vnd zu verwahren, den Allmechtigen 
Gott bidtend, wie bißhero noch fortan vneeres Namens ge- 
schlecht vnd Nachkomen für Sündt vndt Schandt ge- 
[nädig] zu bewahren vndt Samtlich in sein Ewiges Reich 
ein za setzen». 

Vnsser VrGroß vatter Hat geheißen Jacob Golthardt. Der 
ist gewesen ein Bergwergsverwalter zu Sonnen wall [= Sonne- 
walde in Schwarzburg-Hudolstadt] vndt ein RahtsHerr da- 
selbst eil. 

Vnsser Groß vatter sei. Hat geheißen Antreß [Andreas) 
Got'hardt ; der ist ein burger vndt Rergkeßner [ Rerglc as^enver- 
wallerV) zu Mariaberg [Mmenlvarg] jn Mcyßen gewesen, eine 
Bergstatt. 

Vnssere Großmutler sei., obgemeldten Großvatterns :i*uß- 
frau, hat geheißen Anna: Pfältzer gesehleehts [?]. Soll ein Klein 
weiblein gewesen sein. 

"Vnsser Vatter" Padlus Gotthardt 

ist der 3. Sohn gewesen. Der ist alß ein Jung berggesell ao 
4576 auß Meyßen naeh Mariakireh komen. 

AI I ß sich nun vnaer Vatter sei. Paulus Gotthardt vber 
13 [*?] Jar leiigerweiß zu Mariakirch vndt Eckirch im Leber- 
thal! vffgehalten, hat er sich mit Anna Kirschnerin, Bastian 
ECirschnern Dochten zu Cckhirch, voser^r Mutter sei li gen, in 
heyraht eingelassen Tndt einandter die Ehe versprochen. Dar- 
auf ist er in sein Heimat gezogen .... vndt Rein geburts- 
brieff geholt, so ich, Johan Gotthardt, in Hendcn hab ; mein 
ßrndffr Paultus hats Acopiert. [Trauung des Paares durch Pfarrer 
David Dolch am 6. Okt. 1577 «in der Evangelischen Kirch vff 
der Madien»]. 

Nota: Es ist sein gebürtsbriefl vndler .... Wolfgang 
Herzog zu ßrunschwig vndt Lunenburg zu Claußeiithal, da der 
Kergslab war, sußgeterdiget worden. 



1 Auf S. 53 steht über ihn unter anderen Familienaufzeich- 
innigen: «Uneer Vatter Selig ist in Seinen Jungen lagen ein statt- 
licher Bergsinger gwesaen, der anr.h mit Seiner geseUfnafft seih« 
vor dem alten Graffen Eberhart. Herr zu Kappolstein be.v 
Seiner Ersten HoclizeyL so luritjdie Hoch/.eyt geweret hat. gesiigeu 
Die Negst (nächste) stim nach dem disohganite [Diskant] gefürt.> 



Orion fl Irom 

uwvERsrrvörviCHiGAN 



- 836 — 

In wärender zeyt seiner Ehe zu Eckirch hat er sicli . . . 
mit Lergwergs Arbeyt . . . erhalten, Tiidt, dieweill er ein hoch 
verstentig berg;mann gewessen, ist er zu einem huetmnnn 
[Steiger, Aufseher einer Grube] zu St. Wüllhelm IGrubeanarae] 
gesellt worden. Nachgehns [hernach] auch vermesser ?] da- 
selbst, wie auch zu Gotlesgah [Giubennarae] ellich Jar lang 
gewessen, biß er sein .lebensziell erreich! hat. [Fr starb am 
9. August 1595 und «ligt in Kirchhoff zu Eckirch begraben.*. | 



Johann Gotthardt [S. 60]. 

Den 30 Juri 1692 um Jnhaiiniz*it hin ich uff einen Sambs- 
ta^ Nilags zeyt geboren . . . Den 21 Mey 1G04 bin ich zu 
Straßburg bey M. [MeislerJ Bartholome Friß 3 Jar verdinkt 
worden, das Schneidterhantwerlc zu tebren zu 26 II Lehrgelt, 
aber nur ein Yirtell Jahr [bei] im verharrt. Nachgehns bey M. 
ßalthasarn Wiltermut, jetzig zeyt des Rahts einer zu Siraßburg, 
vollendet außgelernel vndt anno 1607 in die Wan d terschaf f t 
gezogen, wie cachvolget, wie ich dan [S. 03 II.] mein Reiß in 
etlich bücher Nolirt und auüge&chnben hab, besondierlich ein 
kleines Dücblin, so ich zu Venedig . , . gescliriben hab vnd 
angefangen, mein condticion auszuzeichnen. 

Das Wände i b u eh. 

1607 und 1608. 

Von Straßburg biß Lichtenau, ein statt . . . 3 Meill' 
Von Lichtenau biß Slollhofen, ein s:. [Pfarrdorf] . 2 9 
Von St oll holen biß Rastatt, ein Mo rk[t flecken] . . i » 
Von Rastatt biß Eyteuheim [Philippsburg] ein Statt 2 » 

Da hab ich ein halben Jai in dem PischofTbofl getient vnd 
bin öfters lag mit dem Pischoff «annbt die -J- [Kreuz] walfarl 
nach Spei er geweßen. Da hat ein iellicn [jeder] *»in mispell 
[müspelc = Mund voll] brodt vndt ein diunckh wein bekomen 
zu seim Lohn f [= als Lohn]. 
Von Eytenheim, oder Philibsburg ietz genandt, biß 

Spei er, ein reichsstatt 2 Meill 

Von Speier bis Heytellber^, ein statt 3 > 

Von Hey telberg bis Wurmß, ein R. St. [= Reichs- 
stadt] 6 * 

Von Wurmß bis Obenheim [Oppenheim], ein St. 

|= Stadt] ......' 3 » 



Mit den Meilenzahlen wird es oft sehr «rund» beitellt sein. 



ukiÄÄhican 



Meill 
» 



- 237 — 

Von Oben bei in biß Meiilz, 1 Pi schöltet 4 Meill 

Von Menlz hiß Host [Höchst], ein Stall .... 3 > 
Von Host bis Franckfordl, ein R. St. . . . 1 > 
Von Franckhfort hiß Hanau w, ein Statt ... 2 > 

Gedient ein halb Jar in deß ^raffen Schloß. 
Von Hannauw biß Büdlingr [BQdingea], ein stau. . 1 i 

Gedinntin derFrauen-Zirnerschaiecl [Frauenzimmer-Schnei- 
derei] 'f* jar. 
Von Bödlinjf biß Üorstein [Birstein, Markt mit Schloß] 

ein Schloß, gehört dem Gräften von EyßenburK 

[Ysenburg] 

Von Borstein bis StcinLach [Steinau], 1 Sl. Hanauwisch 
Von Steinbach biß AUCronen [?], ein Dorflf . . 
Von AltCronen biß Hamelburg, ein R. St. . . 
(Zurück] Von Hamelbur^ biß Dölin^, ein schloß vnd St 
Von Büdtingbiß Gellenhaußen [Gelnhausen], ein R. St 
Von Gelleuhausen biß H a n a w, ein Schbßstatt . 
Von Hanau biß Asehenhnrtf [Ascbaffenb nr^], ein 

Statisch loß 3 * 

Da fan^t ahn dev Walt, der Spelzer [Spessarl) genannt ist, 
4 MevIL breydt. Darnach lindt man Dörfler. 
Von Aschenbur^ biß Wü rtzbu rg, ein bischoffl. St. 
Von Wiirfzhiirg biß Kitfingen, fin Statt .... 

Von Kitvin«; bis Nierberg, ein R. St 10 

Von Nierberg bi3 Neuwenmarck [Neumarkt], ein St. 

I hier] ist der Walt 2 Meill breyt. 
Von Neuwenmarckh biß Denn in x [Deining], ein Dorff 
Von Deining biß Regenspery, ein R. St. 
Von RegensperK vf der Tbonna biß strubüiK . 
Von Strubing biß Vilßhoffen, ein St. ... 
Von VilßhoHen biß Bassau, ein Sladtschloß . 
Von Bässau biß Linlz, St., schön Schloß . 
Von Lintz biß Ibß [Ips], ein St. an der Tbona 
Von Ibß biß Krembß, ein St. an der Thoaa . 

Steinen [Stein] li£t [näher] dran, Maudren [Maulern] ligt 
vber [jenseits an) der Thonna, 3 Släli bev ein andlcr, vnd ein 
stattliche brück da vf der Tliona. 

Von Krembß hiß Wien in östonrich, ein St. . . 10 Meill 
Von Wien wiler [wieder] herauffer an der Thona vf 

Kranhurg [Klosterneuburg], ein Sl., ein stalllieh 

Kloslcr 1 » 

Von Kranhtirg biß Maudren [Mauiern] hey Kremhß 8t. 9 » 
Von Maudtren biß St. Bilten [St. Polten], ein St. . 3 > 

Da ligt darzwiseben ein statllich £ lost er, Ketwein [Goitweiy] 
genant, kert [gebörl] dem Bisclioff zu bassauw. 



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Orion; I Ironi 

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— 233 — 

Von St. Billen biß Lorschdorfl [Losdorf], ein Dorff . 2 Meill 
Von Lwsdorf bis Melckh [Melk], ein Marck, eiu statt- 
lich Closler an der Thona autt" ein berg ... 1 » 
Von Melckh biß Mannstette [Amtstetlenl, eia Marckh 4 > 

Nota. Mann muß dazwischen vber ein wasser [die Ips] mit 
schiffen schiffen. 

Von Mangslette biß Aschbach [Aßbach]. ein Marckh 2 Meill 
Von Aschbach biß Steier, ein Statt im Lönt obter 
entz [Ens]; da fließt da» Wasser, die enß ge- 
nant; ist schiffreich 4 » 

Von Steier biß Enß [Eons], ein St 4 > 

Von Enß bis Madlhaussen [Mar hausen], «in Marck 

an der 'J'ooa 1» 

Von Madthaussen biß geraunt am wall (Gmünd 

unter der Enz nordöstlich von Knns] ... 28 [V] > 

Da hak ich einen Leydtenant ein >/s Jahr gelient vndter 
dem obersten Hager, der. Landtatenden Ihren obersten vber 
10 fanen fußvolck in [?J gelben Reckleu vndt da Musterung 
gehalten 1609. 

1609, 

Von Gemnndl am Walt hißLischauw[Litsehau], ein St. 3 Meill 
Von Lischauw biß Tobersberg[Dober6berg], ein Marckh 3 » 

Von Tobersbeix biß RosLburg [ein Weiler? oder 

Ürosendorf], ein St 2 > 

Von Rostberg biß Born, ein St. Da haben die landstend 
in Österrich ein lanthauß, da sie zusamen komen. 
Von Hörn bis Woltcrslorff[Wullersdorf ?], ein Marckh 3 Meill 
Von Wollerstorff biß Hollenborn [Oh. Hollabninn], 

ein Dort! 1 » 

Von Holenborn biß Kirenberjr (Kirchberg?], ein Marckh 4 » 

Von Kirenberg biß Krembß, ein St 3 » 

Von Kremtfi bis Steier, ein St . 18 » 

Von Steier hiß Wien in osterreich 28 » 

Von Wien biß Trciß Kirch ITraiskircheo], ein Marckh 4 » 
Von TreißKirch biß Neuweustatt [Wiener Neustadt] . 4 » 
Von Neuwenstell bis Perstein, ein fest schloß . . 2 > 

Dem Wacht Meisier vndter den von Kinsehnerg [Kfins- 
berg-? 1 ] Reidterrey #etiendt </ 8 Jar. Weydter gedtient dem 
Huffineisler von Kinschberg zu Perstein aufl' dem Schluß ein 
'/* Jar, Kr. [?] Steinellen genandt [also unter fremdem Namen]. 
Darnach \un im [ihm] luilgezufceu. 



' Es gibt in Steifttmarlf Klnihspargar von Erdorl. Die Kinds 
berg = KiiBbbeit sind fränkischer Adel. 



Orion 1 ! frorn 

uwvERsrrvörvKHiGAN 



— 239 — 

Von Perstein biß Aschbang [Aspang, 3. von Wiener 

Neustadt] 2 Meill 

Von Aschbang, ein D. vndt schloß biß Neu wen statt 4 » 

Von Neuwen Statt biü Neuwen Kirch [Neunkirchen] 8 » 

Von Neuwen Kirch biß Glocknitz. ein Closter 2 » 

Von glocknitz bißfcchodtwien [Schottwien], ein Marckh % » 
vber ein hohen herg [Semmertng] auff Pfitall 

[Spital] Marfkt| 2 » 

Von Pfllal biß Bruckh ahn der Mmr, St 5 » 

Von Bruckh an der Murr bis fronlevdten [Frobn leiten], 

ein St 3 p 

1610. 

Von Fronlerdten bis Greiz [Graz], ein fest schloß, St. 3 Meill 
Von Greiz biß Bimelz [Leibnitz?], ein Marckh . . 4 » 
Da muß mau mil schiffen vber die Murr fahren vf 

Marburg« ein St 4 » 

Von Marburg biß Petta [Pettau], ein St., flißl der Trag 

[Drau] . 4 » 

Von Petta biß Zilli im granland [Krain?], ein St. 9 » 
Von Zilien biß Labach [Laibach], ein st., winüsch 

[wendisch] sprach 8» 

Von Labach biß Kronburg [Krainbur^], ein St. . . 4 » 
Vou Kronburg biß Neuwen Marck [Neumarkl] ein 

Schloß 2 l 

Von Neuwen Marckh bis glogenfort [Klagcnfurtl 
in Kernten. Da muß man durch ein hohen ber# 
[Loiblpaß?]; ist durch gehauwen mit einen stollen, 
vT 80 Cloffter lang-. Da fangt sich das Kern ten- 
lant an, vndt durch einen thall t da man Eissen 
macht bis glogenfort, ein hübsch neuwen Statt 
[erst seit dem 16. Jahrhundert Hauptort Kärntens] 6 » 

Da haben die Landtstent deß Lants ihren lanthauß vndt 
MinßhcfT [Münzhot] für die berggruben. Da hub ich die Fr. 
[Gr.?] Hackbeil [Grube Huckhell?] allß Mintzverwolte;i] >/» Jar 
gedient. 

Von glogenfort biß Fein am Sehe [Velden am Wörther 

See], ein schloß 2 Meill 

Von glogenfort biß St. Feyt [St. Veii] 2 » 

Von glogenfort biß veltKirch [Feldkirchen] ... 3 » 

Von Fellen [Velden] am Sehe hiß Villach [Kärnten] 2 » 

Von Vülach bin ich Mit dem Herrn [?] Fenrich Jacob 
Piindter [Pfindtel ?] von HoffEck anff M e y 1 s n d t : vndter den 



/ ' Oiaivl frorn 

UWVERSITYörVICHIGAN 



— 240 — 

großen von Matrusch» Regement, obersten vber ließ Kinig 
in Hispanien 11 Clement, so [zwo] fanen hoch tcisch [hochdeutsch] 
Krigsvoljrs, wie mein Baßbordt außweißl, die ich Johan Gott- 
hardt Noch in handien hab 1612. 
Von Villach, da die Trag TDrau] fleißt biß Spittall 
[Spittal], da wohnen jrraffen vndl ein freyher von 
KifFenhiler" 4 Meill 

1011 [?]. 

Von Spittal biß Drogburg [Drauburg], da fängt sich 

das Thirol I lant an, ein Dorff vndt Schloß . 2 Meill 

Von Drogbuiv biß Lentz [Lienz], ein St. ... . 6 » 

Von Lientz hiß Jenctaen [Jenirhen], ein Marr.kh . . 2 i> 

Von Jench biß Welschburg [Wclsbcrg], ein Marckb 2 > 

Von Welhchburg biß Bruuecktien [Bruneck], ein Sl. 4 » 

Von Bruneekhen biß Bri xe n, ein St 4 » 

Von Briden biß Sürtzing [Sterling], ein St. , . . 7 » 
Von StirUing vber den Brenemberg [Brenner], dar- 
aufT ist einen warmen bat [Brennerbad] biß Iß- 

\> i u ■ k h [Innsbruck] in Thirnll 6 » 

Von Ißbruckh bis Dclffs [Tclfs], ein Morckh . . . 6 » 
Von Delflfö biß bei [?] Atierberg [Arlberg, Wirts- 
haus] ein Dorff 5 :< 

Vber den Atllerberg [A v I berg], ist ein Kalter berg 5 > 

Veitkirch, ein St., biß rosehet [Rorschaeh] ... 6 » 

Man muß vber den Rein v£ roachet. 

Von Roschet am Bodtsehe biß St. galten .... 2 » 

Von Sl. (ia 1 1 en bis Ansiuell [KinsiedelnJ. ein Closler 7 > 

Von Ansigell biß Schweitz [Schwyz] vber ein l>erg . 3 » 

Von Schweitz bis eir Dorff beim sehe [Brunnen] . 1 > 

Vber den Sehe gefahren. Altorff, Vry [Uri] . . . 4 » 

Von Vry biß dem Gotihardtberg 8 » 

Vber den Gotthart. a uff den Berg ein sehe [See] vndt 
ein würthshauß, vndl durch den TJiall auf ßelle- 

zona [Be 1 1 i n zo na], ein St. Ilaliaufisch] . . 16 > 
[und] Varis [Giubiasco ?]» ein Statt, Barlal [sprichl] 

Italian[isch], [bis] Caleray [Gordola ?| . [? Meilen] 3 » 

' Madrncoi oder Hadrutzsch, ein aieliges Geschlecht nach den 
Dorf« Madrnzzo genannt zwischen Trieat und Riva. 

- Khp.-^nhiiller. Das Geschlecht stammt aua Franken, sitet aber 
schon seit 103Ü in Kärnten. 

* Der Weg ging* über Lngano (deutscht Lauis) und Porlasza 
oder über Locarno au den Goiner See; aber die verschollenen oder 
verballhornten deutschen Ortsnamen kann ich mit ihrer italienischen- 
Namen nicht feststellen. «Margroffihan» ist wohl sioher = Graredona 
(Mar — ■ Jflarktl. 



ukiÄÄhican 



— te\ — 

Von Callenray biß Luchgero y [Locarno, deutsch: Lug- 

garua ?] ein St 2 Nfeil I 

Von Luechgeray bis Kumham Sehe [Canobio am Lago 

Maggiore ?| 6 > 

Von Kumb biß Munscb [Pallanza ?] ein St. . . . 4 » 

[Über den See?] Von Bormieau [Oertlichlceit bei den 
borromäisehen Inseln*?] vf Kumb [Como] ein Statt 
am Sehe 4 » 

Vhcr den sehe vffMargroffthan [Gravedona] d[an diej 9 » 
Da bin ich Abgetanclctht wordten laut haßbort 1611, vf 

10 Meil biß gen Bergamo [und] brischi [Brescia] gerechnet. 

Von Nargroffenthan vher fien Kamer Sache geschifft vndt durch 

das Venediger lant vf Be rgamo. Ein- Fes* Schloß am Berg 

ligt vndt den Venerlijr zujrehnrl. 

Von Bergamo a fnach !] Breschen [R r e s c, i a] vne 

sitten (una cita = eine Stadt !] 6 Mcill 

Von Brechen a Schallauw [Salö?|, silu [a= cita, Stadt] 8 » 

Da fanjft sich der gardt Sehe an. Vber den Sehe 9 » 
a Reiff [Riva], sita. Da wont der praff von motrusch 

[Madrutiseh.] 4 » 

Von Keiff a Drinden [Trient], sita, bi&choffsitz . 4 » 

Von Drint a Tramin, sita in eUchland ..... 1 » 
Von Tramin a St. Pauli, wegß [wäcbstjder besi Rtsch- 

lantwein 2 » 

Von St. Pauli a Bozan [Botzen], Sita granta [!] 4 »(!] 

Von Bozan a Clauß [Klausen], sita 2 » 

Von Clauß a Brixen, sita 11 n 

Von Bnxen a Ißbrucbh, sita 16 > 

Von Ißbruckh biß ßruueckh, sila 22 » 

Von Brunekh biß Villach, sita 15 » 

Von Villach biß bontoffel [Pontalel an der ital. 

Grenze], purgo [= hurgo !] 6 » 

Von Bontoffel o Bischcl [Buja ?], Dorff, Venedig gebüct 5 > 

Auff St. Daniell [S. Daniele], sita 3 > 

fort biß [an] ein wasser [Taglimento] fart man mit 
schiff vher biß Bordteti [Pordeuuue?], sita. Sind 

iatrisch p] Meyll 20 » 

Borta ist ein Statt vndt ein Nidt erlag für alten wahren, 
die Miß Ostenreich. Yferreri und Bollen, Bomerland [Btxiraen] 
Steiermark, Kerndten [für] die zu venedtig bombt vndt von 
Venedig witer beraußer andtre wahr gefürt würt. Da Heißt eia 
stieß wasserfluß auß dem gebürg Tiroll vndt Kernden [Meduna] 
vndt ist da schiffreich. Da geht man zu schiff vndt fahrt 4 Meill. 
in eim Cannall zwischen wissen vndl sumbfigen Madten. Dar- 

16 



ukiÄÄhican 



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— 242 — 

nach kombt man in das hohen Mehr, Golf von Venezia genant; 
ist gar geferiich zu fahren, wo der Sißwssserfluß [l ] iave'?] in 
das Mehr lauft, wegen den grossen wellen deß Mers, so dar- 
gegen?ioßt. Von Dalo ist 18 [)] Meil l>i£ Venedig, sita polli- 
simrna granda. [!] 

1612 

Zu Venedig das KaufThauß heiöl manDeuschhaus [Deutsch- 
haus = Warenhaus der deutschen Kaufleute], dieweill die 
Kauffherrn [/] Ihren foktoreyn da wohnen. Hat ein ieter ßederj 
sein besondter gemach I [Gemach] ; ist ein schönes liauß ; ligt 
Aller regst bey der Reiall Steinen bruckh [Ponte di Rialto], so 
eine Schon*; bruckh ra.it einem [einzigen] Bogen, da sonst vber 
denselben breyten C<mall kein bruckh ist als disse allein. 
Vndt [es] wärt Jene seyt der statt genant a la Heall [die Brücke 
war bis 1834 die einzige Veibindung der Ost- mit der West- 
seite). Aulf der bruckh sint vill gath [gaden — : Buden] ge- 
bauwet, da man allerley wahr feill hat, mit 3 gang durchzu- 
gehn. 

Zu Venncdig in dem Zeyghauß, so Archinall [Arsenale) 
genant, hab ich gesehn, wie man hineinkoiiibt aufl der Ünkhen 
Seydt, 4 Schönen Rist Kamern von wehren vndt pfeilien. Dar- 
nach hinüber vor die bruckh die Scliuüt [Schmiede] gesehen 
vndt gegenhinüber die Rist Kamer von Reuter [?]. Darnach 
die stückh [Kanonen] Modteil, darnach die Kamer von bolwern 
[Pulver], darnach, wo man die grossen gallehern seilt macht, 
darnach fort 3 wo die sLückh Kamcr[n| sindt, 2. vndt aufF der 
ünkhen seyt. Vndt ob die (über der] Reitter risl Kamer vnd 
auff die andtre seyt 2 nst Kamer, da die Mesing stückh 
ligen, Ist da ein stückh, hat 7 löcher vndl eins mit 3 loch 
oben. Uf dissesindt weitere 2 rist Kammern von Allerley schönen 
Sachen vndt grossen Latenzen], so Man auff die schiff braucht 
deß Nachts. Darnach gegen vber ein Kainer, dariuu lagen 710000 
Eißronrit [eirunde] Kuglen, vf 2 Pfund [?] schwer das stückh. 
Vndt in ein Kamern ein Nagel gesehn, der ist 28 schue lang:; 
den haben sie von ein dtirckischen gallehr bekomen von die insell 
Sipris [Cypern] 1572. Darnach [bin ich] umb 2u0 galler [Galcrcn] 
vmbgangeu, su alle gerisl, aulf das Mehr su führen, Arn enl 
der galler ligen 2 grosse Sehiflf; die haben sie von den 
Türckhen bekomen. Darbey liegt das vbergolten [ftbergoldelel 
•»chitl [ßueentaur] da der Herzog [Doge] am olferstag [AuiTahrls- 
tag, Himmelfahrt! drein ouff Ehliche [Ehelichen, Ehelichung. 
Vermählung] fäi L vndt wirfl't ein gullen ring in das mehr. Vnd 
der Patriarch segnet das Meer. — Darnach in den Keler, da der 
guett wein war; versucht und getrunckhen vndt Huzenley 



Orion;! frorn 

uwvERsrrvörvicHiGAN 



- 243 — 

[Hu'ielbrot ?* — ] darzu geseen. Mein Jr. [flinker] hat will. 
[Junker kellenourg 3. u.J 

Zu Venedig vf St. Markis Platz hat es ein 4eckhet 
dum [Turm = Glockenturm, il Campanilc di San Marco]; hat 
28 gang [Schneckenwindan^en] hinauff zu gehn. Man khan 
hinauf? vi ein roß re\dten ; es gehet, als wan einer einen berg 
auflsteigt. Hat oben 5 g locken. Da khan man die gantz statt 
sehen, il;s hohe mehr, rii© Statt Mauran [Murano, auf einer 
Insel i/i St. nördlich], da man die schönen Oislallen^lesser 
macht, die4nhern ^nltpn Rnsser vorn aiiflf die Kirch St. Marx, 
den Herzogualast [Dogenpalast, Pnl. Ducale], das schöne Hauß 
[Ca Hnrn?] die Mönlz [Zec.ca], vill schöne vn*lt stattlich Cluster, 
die im mer (igen. 

Mehr hah ich jn rieß Her7og[s]palasl die vhergullen Saal 
[SaU de) Maggior Con.sigHo, Sal des großen Rats] vndt wo der 
herzog Essen trauet, gesehen. Arn Grün* Donterstag vndt am 
Carfreytap hab ich zu Venedig gesellen, alß der Abent körnen 
ist, etlich 1000 lejt [Leute], Pfaffen, Eitle vndt von Etlen 
[Kinder von Edelleutenf], ein jeder ein groß wa^ß Kirtz [Wachs- 
kerze] angezint in der hant ^etraicen vndt in proses vrabgung 
von allen Kirchen biß Ht. Marx, die haubtkirch. Da sindt 
etlica vndt 30 Person, weiber vndt Man, vermumert mitgangen, 
mit leinen Kitoll vberzogen, deu rückhcii gantz nackhet. Die 
haben sich gegeisellt, daß da» blul gelloßen ist vber den ruckhen, 
wie in dem bat [bei] dem scbrcbffen [Schröpfen]. Meines 
theills mag ich kein solche schreobhöm [Schröpftiörner] ge- 
brauchen i aie gefallen mir nicht. Wan der ufaff mir dae vfer- 
legt, wot [wollte, würde] ich sagen: «... verriebt die Sach 
für mich [statt meiner; geißle du dich selbst] ; wii dem Herrn 
ein Drinckgelt verehren!» 

Am Palm. Tag- hab Jch zu Venedig gesehen vor der St, 
Marx Kirche: Da wahren Mener [Männer] vndt pfaffeu gesindtell 
vf den Gang, da die vbergolten Roß stehen. Da haben sie 
vögell vndt tauben berabfligen lassen vndt Dumenrantz [Pome- 
ranzen], Ebpfell, Nuäsettj chastell Süssen [Kastanien] \ndter 
die leyt geworden. Da ist ein Kunstlich werekh zu sehen [im 
Uhrturm]: 3 König können heraußer an der urr vndt haben 
vbergulten cron auff ihren höbt, ziehen ab vorn Mariabilt vndt 
biegen [verbeugen] sich*: darnach gehen sie witter hinein in 
die Kirch oben autf den gang. 



1 Hutzele heißt ehäaeiseh auch das kleine Schwein, Spanferkel. 
* So auch on dar alten astronomischen Uhr im .Stranbnrg«r 
Möniter. 



ukiÄÄhican 



- 244 — 

An Weinnach, oslern, St. Marxtay steck lien sie vi 3t, Marx- 

blafz vor iler Kirch 3 [VI fahnea auIT[an den Flamen* 

Slang« n, pili,] den gantzen tag zu sehen: der Lewen St. Marx 
steht in der Miteil gante von golt. Bctcuct [die 3 Fahnen be- 
deuten] ihre 3 Kinigreich [Cyperii, Gandia, Moreal. 

Zu weinnacht vndl ostern vndt fronleichnamfitag zeigen 
sie ihren schätz vf dem Altar, jn die Kirch St. Marx. [Die 
Schatzkammer. le$oro di San Marco, Eingang im rechten Kreuz- 
schiff.] 

1612 Julij den 24. Hai» Uli zu Venedig den Herzog [Dogen] 
Memmus 1 sehen [?] erwellen [erwählen]. Da hal man in 
[ihn] gel ragen vmb den St. Mancplalz herrum sanili 2 Wügri- 
inren [Signoren; Senatoren?) Neben ihm. Die haben polt und 
silber Mintz radier die Leyt tfeworflfen. Hah 1 bekomen vt 
6 Kr. wert, thuel in ihrer Minlz 10 soll [solrii]. Seines Alterst 
[ist der Doge] 71 Jar ye wessen, 

7m Vennedig Am Fruleiclinamstag da siebt [sieht] Einer 
Mehr all'. 1000 pfaffen vndt München sambl dem patriareben 
vnd Herzog jn der proaes [Prozession] herum mergehn vf 
St. Marxplatz. Da gehet der Herzog Sambt Hern gantzen 
Raht, ein jeter ein groß wa^ßkerez brcnnenl in der liant, vndt 
Keben ein jetem aufl der Rechten aeydl ein Arme Frau oder 
.Vlon auch mit einen wagßbrenenten ICera hergeh n bis in die 
Kirch St. Marx. Da bekombt ein jeter ein mispfcll [rnispel = 
mundvoll] brodt. vndt das (i herige wagßlicht, so nicht verbrandt 
ist. So temoitigen sie sich [demütigen sie sich die adeligen 
Her reu] die Venediger denselben tag. 

[Ils] würt auch ein Jung Kneblein, ganz Nackhet biß oll 
ilie Scham, off eines man[s] arm darnach gelragen. Der bat 
ein galten Keten vmb sein leib; die ist an gebundten an die 
hörner eines Kleinen witers ; beteut: Jsaac, deß Abraham 
Sohn. 

Nota; Am Carfreytag ist ein Jurist autlgericht in Sl. Markx 
Kirch, vmb initernacht, wan die leicht [Leiche] deß Herrn 
kombt, von4Etlen getragen, zu begraben. Da zeigt der pateriarch 
bluet in einem gieß. Da meint das volckh, es sey Christus 
bluet, das am stammen deß hl. Groitz ist vergossen wordten. 
Da geht die geissell erst recht an diejenigen, die sich geißlen ! 
Ich mocht mein lückhen nicht dargebeti zu saldier Wallfahrt; 
gefalt mir nicht ' 



1 Marcus Antonius BIcramo 1€ 18 — 15. Die Mcramo sind ein 
iraltes Geschlecht. Kiner davon, üomiiiicas lloneg^ro. soll schon 
755 Doge gewesen sein! — Im Juli war Gotthordt zum zweiten 
Hai In Venedig (auf dnm Rilekwe? von Neapel). 



ukiÄÄhican 



— 245 - 

Donlerstag, die erst wocben in 'der Fasten, hab ich zu 
Venedig eiu schöne Gomedtij gesehen vi St. Marxplatz zwischen 
deß herzog palasl vnd dem Mintzhauß. Das ist <ier lestz tag 
des Jars vor [t'ftr] die, die sich vermumren vndt wochen lang: 
Maschgera! h geloffen haben. [cDer Karneval von Venedig.»] 

Da haben die .Melzger S ojrßen Mit dein Schwell die Köbll' 
vom halß «ehawen lebentig. Der dem ein[en] ogß den Kohlt 
in ein streich hat abgehawen, isl der Metzger Kinig wordlen ; 
den haben die amjleru Metzger genuinen, Ihrer 2, vndt 
getragen, vndt er das Schwert in seiner hant ofrecht gehalten 
biß in das Hau£, wo die Kiniglen [königliche] Mallzeit zugericht 
ist ^ewessen. Da das verrichtet wahr, da haben [sie] angefangen, 
Auff einem groBen vndt hohen gcrist, daß alle menschen haben 
Sehen Konen, Cometlij ze hallen mit stattlichen springen, die 
ich sonst mein lebenszeit nicht stattlicher gesehen halt. Der 
Herzog selhs sambt dem ganfzen etell geschlecht [war zu- 
gegen]. Oft* dem blatz vor dem Closter Johann Pauli [S. Gio- 
vanni e S. Paolo, Dominikaner] steht ein vhergulten roß, von 
Meiahll gegossen, darauf! ein reidtersmaii IBartolonimeo Colleoui] 
Vndt in der Kirch [steht] ein Klein schilt, da deß Sohns [der 
Sohn] Keisser Cards dreiu gelangen ist wurden ['/J'. Weiter zu 
St. Jilio [San Giuliano] der thurn, den Kaiser Carte* hat 
bawen lassen, die statt zu bekomen [?]. Da sieht das starekh 
Hauß [?], da die drein gelegt werden, die sich vnderhalten 
lassen, biß sie ein schiff vol haben. [La Fava?| 

[Eine unbeschriebene Seile.] 

Ano Mi 12 in Meyohin ich, Johann GotthaniL Mit- Meinem 
Jungh. [Junker] Kellenberg», bei Vüllach in Kernten wohn- 
haft tig. In Gottes Namen In Schill getreten, auff dem Mehr 
Nach Angona zu fahren, aber wegen wilerwertig windt still 
gehalten in einem Hawen; am mer äele^en zwischen St. Joseph 
[Cbioggia?J vndt Rauwenen [Ravenna]. Da wahr ein thurn, wie 
in Dei[t]schen landt die hohen wart vor »lic stett. Darin lagen 
7 Solu Um, den Hawen zu verwahren wegen die mehr raüber 
vndt Tu reichen. Da sindt mihi* [wir] zu landt gestigen. Da 



i fn der capp. del Rosurio. die zur Erinnerungen den 5eesieir 
Don Juans d'Austria bei Lepanto 1571 ausgeschmückt, aber 1Ö67 
durcli Feuer verwüstet wurde? Don Juan, Kaiser Carls V. natür- 
licher Sohn, starb 1578 ata Statthalter der Niederlande. 

« Carl V. lag nie vorYenedig. Erst in dar «heiligen Lig-a* des 
Papstes Clement VJI. löä*3 stand die Republik aaf der Saite der 
Feinde des Kaisers. 

3 Die Keller von Kellerberg, kärtner Adel. Wo und warm 
Johann in den Dienst oder die Begleitung dieses reisenden Edel- 
manns kam, ist nicht erzählt. 



unÄÄhican 



- 246 - 

begegnet mihr ein vnglückh mit einen pfeifen, lern ich einen 
Maullschell gab fein hart auff Sein backhen. (So mir mein 
Junker geoeissen bat.) Da gierig der bösse pfalT zu denen Sol- 
taten, sich zu clagen seines «mosten [? genossenen] Maulschell, 
so ich Tuiesge [Deutseber] im [ihm] auff das Maul geben 
hab, vndt es sey geschehen in dem heiligen Landt deß 
Pabstfes]. 

Da hab ich die geseJ&chafft vndt meinen J. [Junker] quilirt 
vudt mich vber ein schiflreich &öß Wasser fürn hissen, so da 
in da3 Mer einlauffl [Po di Primaro ?], vndt fort am Mer ge- 
marchiert, biß ich einen würtshauß erlangt hab. Vngefehr 
vinb die 11 vr deß Nach(ts) da an körnen, da ich da gefert 
[Fahrgelegenheit] gefundten hab Nach Ruuwcncn: 2 Gflppuzincr 
vudt ein post Knecht mit 5 pferl zurüokli pr Tera [!] auff Angona. 

Rauwena. 'sita pelisima [!] ligt von Venedig • ■ 2oMeill 

Rimeni [Rimini], sita, ligt vf 8 [oder 10 Meill [von 

R'auwena: Da hab ich meinen Jr. [Junker] samb 

der gantzen geselschaft witer angetroffen. Witer 

zu schiff biß A ngon a, Sita pellisima in riera [!] 

saneta [Kirchenstaat] . , 56 » 

Von Augona biß Mandtona Loreta [Madonna Lorelo], 

ein Closler 3 » 

Von Loreta biß Machnrat [Macerala], sita .... 3 * 
Von Macharat a Vellin [Foligno"?], sila ..... 10 > 

Von Vellin ;« Ternin [Terni], sita 8 » 

Von Ternin a Karmin [Narni] sita, 2 » 

Von Narr ii iii e Liutaua Ga-sielaua [Civita Castel ?] . . 4 i 

Von Lindana Castelana a [Name fehlt] 7 > 

Von Castelana [Gilla Casiellana vgl. Goethe, ilal. Reise, 

'28. Okt. 1786] a Romrna, Sita granda . . . 8 » 

Im Meyo 161 2 an einem Montag fruwe bin ich vndt Mein 
Jr. [Junker] Kellenberg auff die steinen bruckh l>ey San: Angellij 
Castel [Kngelshurg] gangen vndt da den Pahst [Paul V, ItnrjT- 
hese] erwart, der von seinem luslgartcn [Villa BorghesaV] von 
Munden Capell [? Santissima Trinita de* Monti?] auff einer 
rotten Senft mit a weißen Maull Essel vber die bruckh gelragen 
|wurde] in seinen palast Lei St. Pelter Kirch. Da ist ein ß roß 
gepfalsler [gepflasterter] blatz; da steht eiu lang seyll [Obelisk. 
seit 1686 in Rom] yon slein vfT 4 Lewen Outrecht vor die [der] 
Kirch St. Petler. Da hat man vor deß Pahst Senfl ein lehren 
[leeren] Senfl mit 2 weißen Maull Esse! lassen «ertragen. Da 
ich Hie levt gefragt hab, waß desselben Senil beleyl [bedeutet], 
so haben sie mihr geanlworl, es sey Seines loresFar [Vorfahren] 
Scnffl gewesen. 



ukiÄÄhican 



— 247 - 

Da hat Mein 4. [Junker] den Schweischzern [Schweizern] 
einen Duckhat verehrt, daß wir buch im palast hinein koroen 
sint. Da hab ich voll Schöne vndt Alte Cardinall, prelat. 
BüscbofT vndt Anseher [Zuschauer] usw. gesehen, die ich dieeer- 
halb [? Loch im Papier J nicht schreiben mag. Der Pabst hat 
sellmoll [damoh] Seinen Cardinalln Audientz geben. Ist ein 
hübscher grower [grauer] alter Man gewessen. Hatunß Allen, die 
off der Bruekh gestandten, den Se^ren ^ehen. Gott vergelts im, 
was ers — guet gemeint hat! |Leere Seite. | 

Ano 1612 den 16. [?] Meyo bin Ich, Johau golthart vudt 
Jr. [Junker] Kellerberg In Gottes Namen 2U Schiff getreten 
vndt durch [?] St Roma auff die Tiber gefahren ± Meill. Da 
fall die Tiber in das Mehr ; da ist gefehrlich zu fahren wegen 
die wellen des Honen Miterianschen Mehr[esl. Etlich tag in 
einem wurlzhauß am fluß still gehallen, aber auffs lest [letzte] 
wagen müssen. "Was gefahr Mihr [wir] ausgestanden haben, 
ist viunOglich im erteilen. Gotl lob vudl Dauck gesagt der 
mir durch alle Nölten geholffen hal ! Ich beger nicht mehr dahin I 
Am Mehr ligen etliche Stett. Die tümmnbsten sindt 
von Roma a Natuna [Nettuno], sita bellisima . . 14 Meill 
von Natuna a Gayeida [Gaela], sila Gastella ... 12 » 
von Gayeida a sita pelisima Castella Napoli . . . 4 » 

Von Napoli bin Ich vndt Mein Jr. [Junker] durch den 
ber£ gangen, der durch geluweu ist nach Ditzolla [Pozzuoli]. 
Ist wie ein stoln durchgehauen [Grotta vechia di Pcsilipo) ; 
in der Mitell [hat man] einen loch vber sich wie ein bergschach[l], 
Firgelins [Vermlius], der dieße Grooden [Grotte] angefangen 
hat[!], ligt im an fang des Lochfs] obcrhalben In einen steinen 
Kasten [lombn rli Virgilio], daß man den Kasten Sehen kalm. 
Da? Loch oder die Groda genant ist 1222 meiner sehnt lang. 

Bey der Statt Bitzolla ist der Schwehellherg; der brendt 
Tag vndt Nacht. Wer [Es wäre] vüll darvon zu schreiben, bin 
aber zu fault dareu. Wer lust zu Sehen hat einen guelen 
Landt, der Reißt in Pulio [Apulien] vnd galabri [Calabrien]. 

Nieapoli ist die hauptstatl. St. Elmo n\ Niejpnli, vf dem 
Berg [ein] Schloß oberhalb des Closters St. Maritius (San Mar- 
ino], ist ein fest schloß ; daraufl slehn 16 große stück h. gezilt 
vf das Hohe Meer. Das vornembst ist [trägt] deß Curlürstan 
von Sagsen walten : ein Raudten grüner Kranz vndt 2 Schwerdter. 

Zu Niflboli wohnt ein Kitz Ret [der spanische Vizekönigj. 
Der hal sein Hoffhaltung in einen schönen Schloß in der Statt 
[Palazzo Reale, 16U0 erbaut] nicht weyt vom Mehr. Dar rar ist 
ein grosser weydler blatz, da alle Tag Nachmitag vüll grosse 
Herrn vndt frawenzimer sich da findten, vndt rill Rtterliche 






Orion? I Irom 

uwvsnsm'or.wicHiCAN 



— 248 — 

Spill da gehalten Werden, <Jefi ich meines Lebens zeyt kein 
lustiger art gesehen h;ib, alß zu Niapolis. Deß Kinig Leih 
quiarta sind 100 hoehdei[t]sche Meaer. Die andler wicht sind 
Spanier ; deren ziebeu alle Tag vf die wachl 100. — [fc!s] litft Noch 
ein schloß im Mehr, genant Caslell doro [Caslel delP Ovo] ; 
steht vf ein steinen felß wie ein Ey. Neben dem SchiiThawen 
oder pnrdo [porto] da ligl ein sr.arr.kh wach ta&f vndt Nacht vnn 
Spanier Soltaten. An einem Montag IV ij hab ich zu Napoli 
41 Mener auß der Feiyerey [Viuaria = Gastet Gapuano], das ist 
das Rahthauß, vndt wo die gel«)ngen[en] ligen, seilen aufführen 
vt die gallehrn, Mit Keten [aneinander] geschrnit, das haubt 
Mit einem Scherniesser plat geschoren, nur ein Schüben [Schopf] 
harr of dem haubt «dessen wie die Türckhen. 

Zu Niapoli Sieht man So schöne pferdl oder Roß alß in 
keinem Ort in dem gantzen ltallya. 

Umb diße Statt vndt Uutschaffl wegA[l] guel vreiü ; der 
wirt zu Romma teurer verkauft!, genannt : Winno Napoli Exelen- 
dicimo, wie auch die warheit ist. 
Im Junj 1612 bin ich, Johan Gotthardt, von Napoli 

witer verreißt nach Arawersch [A versa] . . - SNfeill 

Von Arawersch a Kapta, sita 10 » 

Von Kapua muß Man vber das Wasser Gari^uano [der 

O.irigliano fließt nordw. von Capua ; bei Capun 

der Vollurno] mit schiffen vber fahren .... 2 » 

Vrab die Regent hat es vüll Melckerev \on willen 

ogsen, die gnandt werdten Büffel. — a Fund) 

[Fondi], sita 1 » 

Von Fundti biß zu einen Thurn, da ist ein grosse wacht. 
Da wirt man bezucht [untersucht), ol> Keiner keine seyt wahr 
[Seidenwar**] aus dem Xapolotanier Lanl trefft vn verzollt. Denn 
das Spanicrlandt hat da ein ent und fan^t eich das Hafp'st land 
witer [wieder] an. 
Von dißera Zoll a Teracina [Terracina], sita .... 7 Meill 

Von Teracina a Veletri [Velletri], sita 4 » 

Vnn Veletri vber ilas | Albaner] gebOrg a Romma, sita 

granda , 10,V> 

Von Romma a Viterbe. sita 10 » 

Von Viterbe a Monlefioschgcna [Montefiasccr.e] . . . 2 » 

wegß guet W[ein]. 
Von Montefiaschgonna a Sena |&ieaa], si'a pelisima . 12 > 
Von Senna In Tuechgsna a Florentz, sita .... 7 » 

Zu Floren tz hab ich in des Herzugen ' Stall seine Schöne 
Ruß gesehen. Die damit vrnbgehn sint das Mehrtbeil Türckhen. 

i Cosimo 11. 3609—21. 



Oiahfl froro 
UWVERSITVörVICHIGAN 



- 24» — 

Da siclit [sieht] man ö lebentiye Lewen, "5 Tickhert [Tiger], 
3 Derren, 2 Atlkr, 1 Düß [^] KaU [Disamkatee?], 1 wolff, 1 Eyll 
vndt andtre willen Tihre, daß es ein tust ist an cu sehen. Man 
bat vnß gueten wein da zu trinefchen geben. An einem Montag 
früw ein actione Benrei da gesehen: sindt Knaben [Jünglinge] 
autF pferl gerent one [V] saiell vmb6 Ellen rotter Scarlach duch 
| Scharlachtuch]. Ist ellicb niebt woll gangen, sindt vber «las 
Roß abgefallen vndt halb tett of die ert gelegen . 

Mehr sieht einer auff dem blalz, da die dei[t]sche wach ist : 
ein Herzog auff einem Roß in Metali gegossen vndt vbergolt 
[Cosimol. auf der Piazza della Signoria] auff eine Marmelsteiu, 
daß oinor sieb dran spielen LI an, vndt in dem hoff, da die 
wacht ist, der besle bronen [Brunnen; Neptunsbrunnen 1 ?] jn 
der gantzen statt. [Ferner] ist da das KautThauß. Die Haubt 
Kirch [der Dom] ist mit Marmelstein aufgebawen, am Spitzem 
grosser vergulter Knopff, ein 4 eckhet Dum [il Campanile] 
darneben von laudier Marmelstem ; man kau sich dran spipfeln. 
Nicht weit darvon ist ein Kirch, da stht einer eLlichelOOO Mi- 
rackcllslflckh: Hassen, Hnet, Hemhte, rock, mandell. strimpff 
\nd vill andtcr lumben- vnd Narcnwerckh ! 

Von Florentz vber das gebürg auf ßolonia . . . llMeill 
Von Boloni.i auff einem Wasser [Elena] hiß Ferrum, 

situ pclisima, ist 6 » 

Von Ferrara a Franckholi [Franco?], ein Eorff . . I > 

1612. 

Da Heißt ein groß Süßwasser, dipo [Po] genantt, vor 
zeyten Fridanus [Dicht. Name des Po bei Virgil : 
Eridanus*] geheißen — Biß 1613 Vened ig, sila 
pelisimn grando ['.] lö Meill 

Jn den Fasten 1613 bin Ich, Johan Gotthardt, von Ve- 
nedig weg gereißt nach Paduua. An Einen 
Montag deß Abcnent In gottes Namen zu echiiF 
[auf der Rrenta] gangnn vndt am Dienstag des 
Morgens die Statt Patua erlange! ..... 1 > 

Von Patua a Vitcenz [Vicenza], siU H » 

Von Vitcanla a Verr'ona, Sita pelisima .... 3 » 

Von Veronna a Pischkeiey [Peschiera] beim gart- 

sehe 6 » 

Von Bischkerey a Breacha [B r esci a], sit. pelisiria . 10[V> 

Von Rrescha a Mi I l;t no, sit. grandta. 



i Wo hat das Schneiderlem das aufgeschnappt t 



UNVEnOTOrMOKkN 



— 260 — 

Meylandt ist die »rosl Statt in Italia. Da liegt St. Gurrte 
G**rl«> Burnwieu, Enbisdiof J ] begraben, der so voll Mirackbell 
in Italia soll gethan haben. Wan einer in die haubl Kirch 
St. Bartholome* eingeht, sibl man in der Miteil beim großen 
Aliar Sein grab». 

Da ist ein tfroß eyssen gütler darvber [Tür zur Krypta?]; 
da sieht einer vill gell darauff werften. Mibr ist aber keins zu 
theill worden \ 
Von Mevlant a Cum [Cmnoj, ligt an dem Kumer 

Sehe 6 MeiU 

Von Cum a Lugan, sita bei Sehe 6 » 

Von Lugan a Bellezonc, sita 3 » 

Von Beliehne dur[cli] das tliall biß aufF deu Guttharl 10 j> 

AufFdem berg ist ein wärt? Hauß vndt ein Spitall. 

Von dem WiirtzhauB hiö Altoiff ist 10 i 

Von Allorff biß Fligell [Finden] am Sehe .... I j 

Vber den Sehe auff Lutzern 8 » 

Von Lulzern a Zu ^ fing "Zofm^ren] 6 » 

Von Zufing hiß Liesteil [Liestal] 4 b 

Von Li.«lel a Base II 2 b 

Von Baßell a Coli mar 8 b 

Von Collmar a St. Marria [Markirch] 3 > 

Eckirch ankörnen in den Festen 1613. 



II. 

Im Meyo 16 13 bin Ich, Johan Goithardt, witer [wieder j 
hinwekh gereißt nach Venedig. 

Von Eckirch biß Pistom Hohen steij* 10 Meill 

Von Bistom Hohen Steig a -tum buch [in Baden] 2 » 

Von Steinbach a Msrgroffenbadt [Baden-Baden] . . 2[?]> 

Von Iflargrroffenb&dt a Durlach . 4 b 

Von IJurlach a Pforlz [PfbrlzheimJ 2 * 

Von Pfortz a Stuckhart 4 b 

Von Stuckharl a essling 2 b 

Von Essling a Vlm 12 » 



1 JK38-84. Heilig gesprochen 1010. 

- Dar Dom. I» ihm befindet sich eott 1?>Ö2 ein Standbild des 
In Armenien geschua denen Apostels Bartolomaeus. von dem der Dom 
hiernach seinen ursprünglichen Namen hat. 

8 Verwechslung mit dem lironzetempel des Ciboriums im Chor? 
Das Grab ist in der Kryjjta. 

4 = Rheinbischcfsheim («Bischofsheim euiq hohen Steg:» 1574). 
Vgl. Topogr. Wörterbuch des Ooßh. Baden von A. Krieger 1004. 



ukiÄÄhican 



— 251 — 

Von Vlm off der Donna a Dillingen 6 Meill 

Von Diliny a Dimawert 7 i 

Von Uonawert a Neuwburg: 3 » 

Von Neuwburjs a lo^elstatt 3[?]w 

Von Ingelslatt a Regenspery 6 » 

Von Flegenaperg ofT der Dona biß Lintz .... 80 » 
Von Lintz u WelU [Wels] ein statt [an der Traun]. 4 » 

Von Weliz a Kiitorff [Kirchdorf] . 4 » 

Von KirtorfT a Spilall (Spital am Pyhrn] ein Klosler 10 » 

Von Spilall a Rcthnan [lloltenmann] 4 » 

Von Rottmpn a Neuwemnar«:kh [Neurmirki] ... 12 » 
Von >'euwen Marckn biß St. vert in Kernten . . 6 » 
Von St. Veit biß Vüllach in Kcmdcn ...... 6 » 

Von Villachbiß Ven n edijrlhuetcwLschen [zwischen ; 

etwa] 38 » 

In 1613 den 15 Augusto bin Ich, Johan Gotlhardt, witer 
[wieder] zu vcnctig" An komen, Krankh an einem Fieber und 
dsrrnit gemartert hiß 

1614. 
Mil Einem Juhenliere , von Prag Lürfig, midi Iteiauß 
gefürt nach Porta; von danen nach Villa eh. !>;* ist er 
Ton mir verschiten [geschieden) vndt nach Prag <rereißt. Hat 
mihr vi II guets ^ethon vndt erwissen. Der 1. fiot: rergell es 
ihm vndl all Seinem geschlecht! Wun der 1. Gott vndt er 
nicht wer [wäre] <rewessen, so het mein leben ein ent ge- 
nomer. — 

Da mich das viber Nachgelassen sainht der hitzigen 
Kranckheit, so ich ein lany teil gehabt hab, hin 
ich in Gottes -Namen von Vüllach In Kernten 
anffgebrochen vndt all^emacht [gemach] nach 

Manntet [Millstadt] 2 Meill 

Von Mangsteht biß gemiet [Gmünd] in ohern Kernten 7 » 
Von gemint bis Auflf St. Michel [St. Michael] vber 

den Ketzschherjc [Katschberjr] 3 » 

bis auff den tauweiherK [Kadsläoter Tauem-Paß.] . 5 7) 
Von Tauwerberg bis Hnll, [rlnllein], wr> man salß siet 12 » 
Von Holl biß SalBburg, Bu>ctiom>tall . . . . 2 > 

Von Salßbur* biß Wasserburg 10 > 

Von Wasserburg bis München ö >> 

Von München biß Äugst bürg 9 > 

Von Augstburgr biß ginlzberg" [Gfiittbupg] an der Ille[r| 7 » 

Von Ginlzberg an' d. Elle biß Vlm 3 » 

In IÖ14 in den Fasten zu Vlm ankörnen Kranckh vndt 
Armselig. 



ukiÄÄhican 



- 252 — 

Von Vlm bis gübiug ^Göppingen! 6 Meill 

Von Gübiag, da ein saurbronen ist, bis Kan^tat . 4 » 

Von Kanstatt bis etling [Etittn^en] ...... 8 » 

Von Etlin* biß S t raßl> arg 8 » 

Von Straßburx biß Freyburg im Preißgaw . . 8 * 

Von Freyburg biß Zurzach [Schweiz] 9 » 

Von Zurzach biß ßaiel 7 >■ 

Von Bafiell biß Eckirch 1514 11 » 



Aus der Familiengeschichte. 

Johann tiottuardt ist auf seinen Wanderungen zum Teil 
den Spuren seines 13 Jahre älteren Bruder» Paul (geb. 1579 
in Markirch) gefolgt. Dieser war Kaufmann, hatte in Straßbur^ 
bei «Michell Schuemann würts Krenier» gelernt und sich von 
Januar bis Juni 1601 in Metz aufgebalten. 

«Nacb^ehends (Seite 56 ff.) ist er gereißl vndt bloß ein 
Meyll von Strasburg in einem Dorff, Fegerschen [Fe#ersheim], 
vber Nacht gelegen.» Da überraechlc ihn — eine schlimme 
Vorbedeutung ! — zwischen ein und zwei Uhr am 8. September 
«das große ertbidem» [Erdbeben]. Sein We# ging über Frank- 
furt und Augsburg «durch das etschland» nach Venedig- Er 
kam dort im Oktober 1601 an und blieb 14 Tage. Von Venedig 
fuhr er zu See nach Aneoaa und wonderte dann ül>er Loreto 
nach Ho in, wo er am S. November anlangte. Diese Reise 
hatte er «bi liger weiß» d. h. mit einem Pilgerzug gemacht. 
Darum — grollt sein Bruder — hat er auch bei Papst 
Clemens VIII. [1&92— 1606] «u Gast gessen vndt dem Pahst 
iiocn nicht vergolten». Wenn dieser ihr», Johann Gotlhardt 
einlüde, und ihm cein soliges irnes» (Imbs, Imbiß] gäbe, «sc 
wolt ich ihm zur Dancksagung Einen hübschen Lutherischen 
Psalmen oder; «Erhalt und, Herr, bey Deinem wort» gesunken 
haben für die Woltat !» Und, setzt er hinzu : «Nota. Aber die 
schmorotzer schweigen still vndt weschen das Maull vndt gehen 
dar von. [Vgl. Sprüche Sal. 30» 20]. Ich bin auch zu Rom ge- 
wesen anno 1612, hab aber meine wirdt bezalt, wo ich gessen 
hab, vndt dem Pabst sein guel Nicht abgefressen. Het er [der 
Bruder] ihn recht bericht, wer er gewessen und was Glauber. 
er geglaubt», der Papst hätte ihm «die Malzevt gesegnet!» 

Vm 30. November ist Paul von Rom iort und bis Februar 
1602 «in die Italianerstett vmbgczogen». In Pisa lag er vier 
Wochen im Spital, wo ihm viel Gutes erzeigt wurde; hat also 
«glück gebäht heim PahRt vndt im SpiLtsl.» 



ukiÄÄhican 



- 253 — 

Am 8. April kam er wieder in Kckireh an «von seiner 
Pillgerschaffl* mit cvill I^uß vndt wenig gelt.» 

Am 14. April 1307 wurde er als Handlungsgehilfe bei 
Jost Schac.hmug ?u Straßhurg von «Helfler Johann Schwing» 
mit Maria Gm im Monster getraut. — Er starb 1649 (S. 97). 

Der jüngste Bruder Johannes, erst 1595 geboren, namens 
David, wurde Schuster. Er gieng 1613 auf die Wanderschaft 
und verscholl. «Soll xu Utrecht im Nidterlandt in der Be- 
satzung gelegen sein«. Seviher weydter Nigs von ihm gehört.» 
(S. 51.) 

Ein Sohn von Paul, der Schreiber war und auch Paul 
hieß, «soll 1640 vor Co sali in Italien fGasale zwischen Turin 
und Mailand, Hauptstadt des Herzogtums Montferrato] erschoßen 
sein wordten», * 



Johann selbst (S. 93) hat am 30. April 1615 in Eckirch 
seinen «hochzeytlichen Freydientag gehalten» mit «Elisabet 
Wagrierhiö, einer Tochter des «Beckhs vudl fruchthantier»» 
Wagner dcrtselbet. 

1620 kaufte er sich ein Haus iTir 108 11 16 Kr. (S. 105). 
Ks war viel daran zu verbauen, nämlich 74 fl 34 Kr. «wie zu 
sehen in dem Kleinen Btichell, so ich zu Venedig ange- 
fangen hah, mein Reiß zu Schreiben». 

Am 6, Februar 1630 «neu wen Calendcr» erhielt er in 
Eckirch «das weibel Arnbl>. 

Seine Krau starb im Mai 1331, im sechsten Wochenbett. 
Das Kind überlebte die Mutter nur einen Ta*r, die fünf anderen 
waren alle vor ihr gestorben, davon Tier 1631 in ihrem Todes- 
monat. Das hat die arme Mutter wohl unter die Eide gebracht. 
Es mnß eine Seuche geherrscht nahen; denn die Leichen wurden 
im Garten begrahen. Erst 1635 brachte man die Geheine nich 
dem Kirchhof (S. 93 fl'.). 

1644 schloß Johann eine zweite Ehe <mit Bennidt [Bene- 
dieta ?] Cladt von Wanemon 5 in Lutringen, deß Jeiremias 
Scnerrer hinterlassne Witib». Sie starb lb62 ohne Kinder 
(S. 97). 

Da hat es der tapfere Schneider und Weibel zum dritten 
Mal gewagt und als 71jähriger Mann. [Eintrag von fremder 



1 Also in der Zeit des Waffenstillstandes mit Spanier 1609—21. 
Nach Ablauf desselben brach der Krieg wieder aus, und erst der 
westfälische. Frieden bracht« die Anerkennung der Unabhängigkeit. 

2 Im Kriege zwischen Wen Franken nnri Spanfern. 
8 Vauemont, südlich von St. Die bei St. Löonard. 



f 



ukiÄÄhican 



— 264 — 

Hand S. 113] am ö. November 1663 «mit Johanna Vourion 
Hochzeit gehalten», der Tochter eines Zimmermanns uud Bürgers 
Samuel Vourion in Markirch. Sie gebar ihm [wieder eigen- 
händiger Eintrag] zwei Töchter lein, die bald starben, und noch 
drei Söhne: Andreas 1666, Paul 1669 und David 1672 (S. 116). 
Andreas überlebte die zwei jüngeren Brüder, pflanzte, gleich- 
falls als Schneider, das Geschlecht weiter und führte — die 
Hauschronik sehr unordentlich (S. im). 

Sein Vater segnete (S. 116, Eintrag von geschulter Hand) 

am 16. April 1676 das Zeitliche, «im 83. Jahr seines Alters». 
— In das Hausbuch hatte Johann seine Wanderschaft aus dem 
in Venedig begonnenen cklpinen Büchell», erst 1642 eingetragen. 
Auf dem pergamentnen Umschlag des Heftes steht von seiner 
Hand kaum mehr lesbar: «Vor dj oeuk) von Vnser Geschlecht 
vndt [wie?] mein Wandtersehaft [vndt7] tonilicion vorgangen. 
J. Gotthardt 1642. a Scripta manserunt. Ob auch die Gott 
hardts? 



ukiÄÄhican 



XIV. 

Ein Spottgedicht 

auf die 

Straßburger Umgebung der Dauphin o 

Marie Antoinette und die Antwort 

darauf 1770. 

Mitgeteilt vo» 

E. Martin. 

Melodie: Rühmt mir des Schult/.en Tochter nicht. 



Lob denGeschimak der Großen 
nicht 

nein, sag nur, er ist toll ; 

dir [lies: dis] fallt ja deutlich 
ins Gesicht 

man sieht es aus der Roll 

der Jungfern, die sie ausge- 
sucht 

als die Daupliiae kam 

es sollte, bald hält ich ge- 
flucht 

von Schonen seyn der Nam. 



Lobt den Geschrnackdes Michels 
nicht, 

nein, sagt nur, er ist toll, 

dir [lies : dis] fällt ja deutlich 
ins Gesicht 

er ist von Unsinn voll, 

die Jungfern, die man ausge- 
sucht, 

als die Diiuphine kam, 

sind, hätt der Esel gleich ge- 
flucht, 

von Schönen doch der Nam. 



Ich Michel Hanß seh gern ein 

Kind, 
das mit der Schönheit prangt 
ein Baur ist mein Seel nicht 

blind 



Der tumme Kerl sieht gern ein 

Kind 
das mit der Schönheit prangt 
und dennoch ist er hier so 

blind, 






Oriahrl from 
UMVEHSITYGrVICHICAN 



— 266 — 



er weiß, was er verlangt, 
wenn mich ein Mädchen reiaen 

soll 
eo ist mir nicht genug, 
daß es hängt Ton Jubelen voll, 
das ist nicht, was ich such. 



dem Dorfe sey's gedankt, 
wenn ihn ein Mädchen reizen 

soll, 
so iste ihm nicht genug 
daß es sey aller Schönheil voll, 
er sucht es nur heym Pflug. 



3 

Ein schlanker Leib, ein schön 

Gesieht 
und eine volle Bru3t, 
das ist, was mir das Herzten 

bricht 
uu<J was mir bringet Lust, 
ich gieng deswegen in die Stadt 
zu sehen dieße Zier, 
die man daselbst erwehlet hat 
und die man rühmte mir. 



Ein schlanker Leib, ein schön 

Gesicht 
und eine volle Brust 
sind, warlicli, für den Michel 

nicht 
war es ihm bewußt, 
so käme er nicht in die Stadt 
und aparte sein Gcschmir 
das jeder ein Verabscheu hat 
und daß ich parodir. 



4 

Allein wie sehr betrog ich mich, 
was Teufels sah ich da? 
Zwey Duzend MSdgeu säuber- 
lich 
mit ihren chapeaux bas, 
Sogleich war meine Lust gestillt 

ich sah sie nach der Reyh 

und hier geh ich ihr wahres 

Bild 
ich schwöre bey meiner Treu. 



Herr Michel, wie betrog ersieh, 

wenn er geglaubt allda 

zu sehen Dirnen säuberlich, 

wie er im Oorfe sah ; 

Hält er nur seine Lust ge- 
slillt 

bey meiner [lies; seiner] Dorf- 
Schal mey 

so war die Stadt jetzt nicht 
erfüllt 

mit seiner Flegeley. 



Die Jgfr. Böhmin ist zwar schön 
nur weiß sie niirs zu viel 
ein jeder soll ihr Gunst erflehen 
das ist des Teufels Spiel » 
bisweilen zwar denkt sie an den 
den sie so lan^ vermißt, 
doch zweifei ich oh es jwird 

gschehn 
wenn sie in Gsellschaft ist. 



ö. 

Die Jgfr. Böhrnin ist sehr schön 
sie hat der Reize viel, 
ein jeder will ihr Gunst erflehen 
das ist des Henkers Spiel ; 
allein siedenki noch oft an den, 
den sie schon lang vermißt 
drum wird dirjedei eingestehen, 

daß sie für dich nicht ist. 






Orion'! fror» 
UMVEHSITYGrVICHICAN 



- 257 — 



0. 

Ihr Bruder ist ein Grobian 

ich sajr es ohne Scheu 

so frech, nte wie ein charletan 

und unverschämt dabev 

doch dieses rühret ja beym Blut 

nicht von ihm Selbsten her, 

es ist ja sein natürliche Gut 

was hat er sonslen mehr? 



e. 

Du Michel bist ein Grobian 

ich sag dira ohne Scheu 

du prangst als wie ein charletan 

mit deiner Raumerey 

was tadelst du an Böhmen Blut 

wa3 schnappst du in die Quer 

die Dummheit ist dein ganzes 

Gut 
was hast du sonst noch mehr? 



7. 

Die Gambßin lobt zwar jeder- 
mann 
das macht ihr viele Ehr, 
doch wünscht ein wahrer 

Bidermann 
daB sie noch schöner war. 
Türkheimin hat ein gutes Herz 
und viel Verstand dahin- 
ein muntier Sinn und feiner 

Scherz 
ziert sie bey meiner Treu. 



7. 
Die Gambßin lobet jedermann 

das macht ihr viele Ehr 

und wünscht mit jedem Bider- 

mann 
daß Michel klüger war. 
Türkheimin hat ein gutes Herlz 
und viel Verstand dabey 
doch haßt sie deinen tummen 

Scherlz 
und deine Schmierercy. 



8. 

H. Türkheim hat recht viel H. 

studirt 
das muß man zwar gestehen, 
doch weh dem, dein er opponirt 
es ist um ihn geschehen 
aus großem Eifer wird er grob 
und stoßt Sottisen aus 
er map hinfort zu seinem Lob 
nur bleiben fein zu Hauß. 



8. 

Tu rk heim hat recht viel 
studirt. 
das muß man ihm gestchen 
doch wenn er einem opponirt 
wie kan diß Michel sehen? 
aus ächter Boßheit wirst du gcrob 
und stotTst sottisen aus 
du maffst hinforl zu deinem Lob 
nur Weihen fein zu Häuft, 



9. 



0. 



I>ie Jgfr. Grauelin hübsch und Die Jg-fr. Grauelin hfthsch und 
fein fein 

ist ziemlich wohl gemacht ist warlich wohl gemacht, 

sie leuchtet wie der Monden- du lobst, als hätt der Sonnen- 
schein schein 

in einer ünstorn Nocht dich um dein Hirn gebracht, 

17 






Orion; I frorn 
UMVEriSITYOrUICHICAN 



— 268 — 



ihr Bruder hat zu seinem Spott 
sich einen Freund erwehlt 
dems, ach verzeih mirs lieber 

Gott 
an keinem Lasier fehlt. 

10 

Spielmännin ihr gelallt mir 

nicht 
wenn ihr als welsche stuzt 
doch hoft nur nicht, daß es 

geschieht 
wenn ihr auf leutsch gebuzt 
Zwar weiä ich nicht worans 

flieh fehlt 
doch dieses glaubet nur 
wenn ihr bisher amanten zehlt 

so daokts der professur. 



und ihren Bruder quält die weit 
beym Freund, den er erwehil 
o Michel, rias verzeih dir Gott. 

daß du so turnni geschmält. 

. 10 

Spielmännin ihr gefällt mir 

nicht 
wenn ihr als welsche stuzt 
und giaubt auch nicht, daß es 

geschient 
wenn ihr euch teutsch gebuzt 
ich weiß gar wohl, woran 

fürs fehlt 
ja Michel glaub mirs nur 
wenn ferner dich die Heim- 
sucht quält 
so brauch die Narren Chur. 



11 

Ihr Bruder der jüngst Professor 
wollt werden in der Stadt 
sagt jeeerman die Großen vor 

die er gegrüßet hat 
jetzt rechnet er die Meilen her 
die er sehon hat gereißt 
und sagt, wie man 2u Mann- 
heim war 
und wie man da gespciSt. 



il 

II. Spielmanci der als Professor 
einst ehren wird die Stadt 
ließt andern seihst dein Lied- 
gen für 
und lacht sich drüber satt. 
Sag Michel sag die Meilen her 
die du auch schon gereißt 
man sieht an dein'm GeschwÜz 

so leer 
daß dich dein Dort' noch speißt. 



12 

H. L">uis Spielmann ziert sich 

sehr 
mit seiner Wissenschaft* 
doch hsit er alle seine Lehr 
kaum halb noch angegafft 
was braucht er auf den Grund 

zu $ehn 
sein göttliches Gerne 
läßt ihn gleich alles ubersehn 
ohn die geringste Müh. 



12 
Louis Spielmann den ziert sehr 

der Rechten Wissenschaft. 
Doch Michel du haet seine Lehr 
wohl noch nicht angegafft 
was brauchest du ihn hier au 

schmähen 
dein bäurisches Genie 
läßt Überall dich Fehler sehen, 
Kein andrer siehet sie. 






iogIe 



O'iaimlFiom 
UNIVKSITYOFMCHIGA^I 



259 — 



13 

Ach Städlerin was denkt dann 

ihr 
daß ihr nicht besser wehlt 
und daß ihr euch die gröBte 

Zier 
von Poltrons habt erwehlt, 
der eine kriegtauf dem Ca 116g 

weil er sich machte groß 
und raisonnirte bey dem Jeu 

jüngst manchen Rippenstoß. 



13 



Was fehlt bey StSdelUin dir? 

ich weiß es, was dir fehlt, 
man sieht, wann man dein toll 

Geschmihr 
ließt, daß der Neid dich quält. 
Kämst du hier auf ein Caffee- 

hauß 
und machtest dich nur groß 
man schmiße dich zur Thür 

hinaus 
und gab dir [lies: mit?] man- 
chen Rippenstoß. 



14 



Der Jgfr. Sachßin wohlgemuth 
gibts auch ein hübsches Paar? 
die älteste wird, wie ichs ver- 

niulh, 
doch gib ichs nicht für wahr. 
Zum Leonbard nach Frankfurt 

ziehn 
denn sie ist seine Braut, 
für die jüngste wird noch man- 
cher gebn 
dieweil sie wohlgebaut. 



14 

Der Jgfr. Sachßin wohlgemuth 
gibts auch ein hübsches Paar? 
es scheint der Michel ist ihr 

gut 
doch gibt mnns nicht für wahr, 
es wird auch keine mit ihm 

ziebn 
noch werden seine braut, 
nur Viehmagd werden für ihn 

glühn 
bey Speck und Sauerkraut. 



15 

Die Nicolain macht mich toll 
daß sie so stoli sich ziert 

sie war sonst aller Anmulh voll 
ich sags ihr ohn flaltin 
jüngst sagte man, als ob H. 

Hecht 
wird werden ihr Gemahl 
obs wahr ist, weiß ich noch 

nicht recht . 
drum sag ich nichts zur Wahl. 



15 

Bey Mcolain sieht man wohl 
daß dich der Teufel suheurt 

[lies: schiert], 
sie ist gewiß sehr anmuthsvoll 
ich sag es ohn flattirt. 
was geht es dich an, ob H. 

Hecht 
wird werden ihr Gemahl, 
man wird gewiß dich Bauren 

Knecht 
nicht ziehen zu der Wahl. 



f 



'.. ' ii 



O'ioJnilFiom 
UNIVKSITYOFMCHIGA^I 



— 260 — 

16 16 

Wißmännin die erfreut sicu Wißmünnin die erfreut pich 

jetzt, jezt 

daß sie »Meine ist, Haß sift »Heine ist. 

doch wenn mans rech) beim Und daß kein Schlingel mif 

Lichte schäzt ihr schwäzt 

so ists unreine [lies: nur eine] wie du H. Michel bist. 

Lisi 

sie gönnt der Schwester ihren Will sie nur ein mal einen Manu, 

Mann 

doch einen wünscht sie sich gewiß er (in (ei sich : 

es scheint als oh sie dann und nur map sie keinen Grobian, 

wann 

doch so u fast inniglich. dis ist dir ärgerlich. 

47 17 

Die Jg;fr. Bau ein sii.d so sloltz Wer sagt dir, daß die Baurin 

stol* 

als wie des Schulzen Mey wie deines Schulzen Mey ? 

sie glauben »ich von beßerm Du warlich bisl vun schlechtem 

Holtz Höh 

als wir ganz ohne Scheu wir sayens ohne Scheu 

doch sind .«ies auch? nein war- ja glaube, man heiriegi sich 
lieb nicht nicht 

Du zeigest uns ja dar 

es zeigt sich ja auf ihrem Gsicht durch dein so läppisches Ge- 
dicht 

Der ßaur offenbar. den Flegel offenbar. 

18 18 

Ihr Uruder #eht in der Stadt Du bists wohl, der sich in der 

Siadl 

einher als wie ein Pfau mag brüsten wie ein Pfau 

doch halt, er sitzt im Kleinen doch da dichs Dorf erzogen hat, 
Rata 

bald maent ich eine Sau, so bleibst du eine Sau ! 

ganz rasend in sich seihst ver- Du bist in deinen Reim ver- 
lieht lieht 

als wie dort ein Narciß der doch so elend ist. 

wünscht alles was ihm Freude Solch Zeug wie uns dein JLied- 
$ibt geu gibt 

allein auf seinem Kiß. wachst nur auf deinem Mist. 



I . D'iaina From 

INWERSnVOFMCHIGAM 



- 261 - 



■19 

Drauf nahe ich ein süßes Kind 

an Namen und an Taat 

sie ist so wie man wenig Qndt 

nur ist es ewig Schad 
daß ihr H. Führer eben so 
ja nocti viel süßer kam. 
er ist ein Schuß in folio 
und Kinbek ist sein Nam. 



19 

Die SüSin ist ein schönes Kind 

sie ist es in der Thal 

sie ist wie man sehr wenig 

findt. 
nur 13t C3 ewig Schad, 
daß sie dir tollen Schadenfroh 
auch in Gedunken kam 
du bist ein Schuß in folio 
und ßaur bleibt dein Nam. 



20 

Die Fibichin kam bald hernach 

mit ihrem schlanken Laib 
sie ist, daß ich jezt sonst nichts 



recht gut zum Zeitvertreib 
beym Tanzen nemlich wohlge- 
merkt 
<l*nn so will ichs verstehen 
Was mich noch m*hr riarinn 

bestärkt 
das ist ihr zierlich gehen. 

21 

Ottoin ist so klein sie ist 
Joch schon eine coquctlc 
Ich weit man wird in kurzer 

frist 
sehn wen sie gerne hätte 
wie jauchzet nicht das kleine 

ding 
daß man es invitirt 
es schäzet alle andre gring 
die nicht mit parariirl. 

22 

Langheinrichin ist ziemlich 

wild 
man würde manches sehen 
wenn der papa den Zaum nicht 

hielt 



20 

Hat Fibichin schön wie der 

rag 
mit ihrem schlanken Leib 
dir schon bey einem Itorfaelag 

gedient zum Zeitvertreib? 

Du bist, so wie ich stäts ge- 
merkt, 

ein rechter pasquillant, 

und was uns noch darinn be- 
stärkt, 

ein yroöer ijfnorant. 

Otloin ist, so klein sie ist, 
gewiÜ sehr fein und nett 
man wird gewiß in kur?er 

Frist 
sehn, wen sie gecne hätt : 
doch du, du bist ein dummes 

Dinjr. 
Daß du dich so moquirst 
und daß ilu alle schäzest gring, 
die man hat invitirt. 

22 
Du nennst Lanishciiirichin sehr 

wild 
was hast du dann gesehen? 
wenn sie dein lumrnes Lob 

erhielt 



r 






O'ioJnilFrom 
UNIVKSITYOFMCHIGA^I 



— 262 — 



was wurde dann geschehen ? 
Man sagt <heGraußin kam zum 

Fest 
weil sie nicht grausam isf 
und weil man von ihr könnt 

aufs best 
absehen der Jungfern List. 



so wärs um sie geschehen. 
Du sagst die Grausin kam zum 

Fest 
weil sie barmherzig ist. 
ey geh ins Tollhauß, das ists 

best 
weil du wahnwizia bist. 



23. 

Die Kartin tollt so blumb ein- 
her 

wie unsers Hirten Liß 

sie tanzt so schön als wie ein 
Bsr 

Dem man das Handwerk wieß. 

Von ihrem Chapeau bas kann 
ich 

weil ich ihn gar nicht kenn 

nichts sagen, drum erfreue dich 

daß du kommst aus der Brenn. 



23 

Wie kommt denn wohl dein 

Spott hieher 
den man auf Karthin ließt? 
Dein Mensch vielleicht tanzt 

wie ein Bär 
wie man mit Grunde schließ' 
H. Michel i erfreue dich 

Daß ich dich gar nicht kenn, 
Du kämest, glaubs mir sicher- 
lich, 
gar grimmig in die Brenn. 



24 

Die Jfc'fr. Steinin prangt ver- 
flucht 

in ihrer teutschen Tracht 

es schien, daß sie Conqueten 
sucht 

weil sie so lieblich lacht. 

Urauf kam auch noch ein ding 
hieher 

Das viele Reize hat 

man sagte, daß es Kolbin war 

aus einer fremden Stadt. 



24 

Wies scheint, so prangst du 

ganz verflucht 
mit dem was du gemacht. 
Wenn Steinin einst conquetten 

sncht 
wird deiner nicht gedacht, 
wenn denn H. Michel klüger 

war 
eo geh ich ihm den Rath, 
Daß er zu seiner eignen Ehr 
Thal was sein Tater that. 



25 

Holzapfleriu was fehlt dann dir? 

Du folgst Europens Spur 

Du liebst recht zärtlich einen 

Slier 
der «ra3t auf deiner Flur. 



25 

Sprich, Micbel, sprich, was 

fehlt neun dir? 
Du folgst Europens Spur 
Er mache [lies : machte] sich 

aus Lieb zum Slier, 
Du bist es von Natur. 






O'iaiml fiom 
UNIVKSITYOFMCHIGA^I 



— 263 - 

Du denkst, wen Dom dir slot- Du glaubst was du uns hier 

ternd sagt gesagt, 

ich liebe dich recht sehr soll deine Ehre seyn : 

Die Liebe hält ibn stumm ge- Wir haben über dich gelacht 

macht 

und liebst ihn desto mehr. auch ül>ers Lied? o.nein. 

26 

Doch diese war ja nicht beym 

Fest 
was red ich denn von ihr 
ey nun, es stehe immer vest 
was ich geschrieben hier 
mein zweytes Duzent ist jezt 

voll 
was braucht sie» weiter mehr 
bin ich nicht recht der Tbor- 

heit voll 
Daß ich so viel mich schär. 



27 

Allein mein Lied wird allzu- 
groß 
drum denk ich jezt ans End 
und sorge jezo nur noch bloß 

daß man mich nicht erkennt 
gebt euch nur keine Müh darum 

Zu wißen, wer ich sey 

Ich bin euch wie ein Fisch so 

stumm 
ich schwörs bey meiner Treu. 



27 

Du sprichst, dein Lied wird 

allzugroß 
Ja lerder das ist wahr. 
Komm, Michel, komm und gib 

dich bloß 
und mach dich offenbahr. 
sey nicht mehr stumm, ver- 

theidge dich, 
ich bitte dich recht sehr 
denn jwlw» ich ganz sicherlich 

dir mündlich eine Lehr. 



Der Einzug der Dauphine Marie Antoinette in Strasburg 
ist uns durch Goethes Erzählung in Lichtung und Wahrheit 
(Buch IX) gegenwärtig. Aber er hai auch sonst Spuren hinter- 
lassen, die uns au dies von so verriürigriisvollen Füllen be- 
gleitete Ereignis erinnern. Das Hollental bei Freiburg i./B. 
wurde damals zuersl in eine fahrbare Straße verwandelt; auch 
das Kiffeehaus zum Kopf in Freiburg ist damals eröffnet worden. 
Hier in Str.ißhurg wurden der alte Met/Zerplatz und die Metz- 
gergasse (eig. Viehgasse) damals place Dauphine und nie Dau- 
phine genannt, un<l trotzdem die Revolution, dann da* Kaiser- 



r 






ioglc 



O'ioJnilFiom 
UNIVKSITYOFMCHIGA^I 



— 264 — 

tum Wipclcon^ sie wieder umtauften, und letzteres dabei den 
Namen JVusterlitz verherrlichte, von wo Napoleon 1805 hier 
durch kam, so kennen doch alte Stiaßburger noch immer 
die Dauphinesgaß. 

Ueber die beim Durchzug der damals erst I4jäbrigen 
Braut veranstalteten Festlichkeilen gibt es eine nicht umfäng- 
liche, aber sorgfältige und aus den Akten gfsr.höprie Darstellung: 
von E(ujten) Müller. L'archiduchesse Marie Antra nette a Stras- 
bourg le 7. et 8. mai 1770, Str. 18Ö2. 

Das äußerliche ist übrigens schon in einer gleichzeitigen 
Festschrift zu finden: «Beschreibung dei*er festlichen Anstalten, 
welche, als die durchlauchtigste Prinzessin Maria Antonia ver- 
mählte Dauphin© von Frankreich, geborene Erzherzogin vod 
Oesterreich die Stadt Straßburg den 7ten Mai 1770 mit Höc-bst- 
deroselbcn huldreichster Gegenwart beehrten, auf obrigkeitliche 
Verordnung vollzogen worden.» Straßburj; bei Jonas Lorenz, 
Buchdrucker. Mit Hoher Erlaubniß (auch in französischer 
Sprache). 

Von E, Müller werden ausdrücklich (Note zu S. 57) einige 
Irrtümer in den Memoires de la baronne d'Oberkirch berichtigt, 
welche 1789 geschrieben und von dem Enkel der Verfasserin, 
dem Grafen Montbrison 1853 herausgegeben worden sind. Die 
Baronin Henriette, geh. vor Waldner-Freundstein, war ziemlich 
gleichailarijr mir Marie Antoinette, und ist dieser nach ihrer 
Angabe damals vorgestellt worden. Aber wenn sie behaupte', 
daß man Kinder von 12—15 Jahren in dem Kostüm der Cent 
Suisses, der königlichen Leibgarde, aufgestellt und die Wache 
habe beziehen lassen ; daß man durch 18 Paare von Gärtnern und 
Gärtnerinnen der Dauphioe habe Blumen anbieten lassen ; daß ein 
ganzer Ochse zur Verteilung unter der Mcnjio gebraten worden 
sei, öo ist davon bei Müller keine Rede. Die Angaben der 
Baronin acheinen teilweis«; aus den Berichten über den limpfaDt: 
Ludwigs XV. in Straßburg 1744 übertragen zu sein. Diese Be- 
richtigungen werden uns nun auch für einen Punkt in Goethes 
Lebensgeschichte wichtig erscheinen. Die Aeußerungen des 
jungen Goethe über das Unpassende der Darstellungen auf den 
Gobelins, die im Empfangsgebäude auf der Snor*-ninsel aufge- 
hängt. Jason, Medea und Kreusa, also schreckliche Namen au« 
der griechischen Mythologie darstellten (sie hängen jetzt noch in 
einem /immer des Kathauses), legt die Baronin der jungen 
Prinzessin selbst in den Mund. K& ist ganz unglaublich, daß 
diese während ihres kurien Verweilens im Hauptsaale eine 
solche Bemerkung gemacht haben könnte Die Baronin war 
mit Goethe bekannt ; sie wird von ihm die Worte gehört 
haben, die sie Marie Anloinette zuschreibt. 



, . .I > O'iaimlFiom 

v 'ö ,C UNWRSITYöFMKHISyW 



— 266 — 

Müller hebt übrigens mit Recht stark hervor, wie sehr 
der Empfang der Dauphine an Pracht und Aufwand hinter 
dem Ludwigs XV 1744 zurückblieb. Damals hatte die Stadt 
400 000 Livres ausgegeben ; 1770 betrugen die Ausgaben etwa 
6t> 000 Livree. 

Allerdings war der König: begreiflicherweise der Mittelpunkt 
größerer Feste; die Dauphine wurde r.och als ein erst künftiges 
Mitglied der Hcrrscherfamilic ungesehen. Daß der französische 
Hof sie nicht selbst an der Grenze schon begrüßte, lag sn der 
hochmütigen Etiquette; selbst die Baronin von Olierkirch macht 
über die geringe Ehrung der fremden Fürsten am französischen 
Hofe ihre Bemerkungen. , 

Jene Feste von 1744 hatte der Prätor Klinglin mit größtem 
Aufwand von der Stadt veranstalien lassen. Noch jetzt geben 
Stiche davon eine Vorstellung, welche neuerdings von Leroy de- 
Sie. Groix wiederholt worden sind : I/Alsace en fete Strasbourg 
et Paris 1880. Diese Stiche hatten allein die Stadt 80 000 
Liv. gekostet und schwer lastete die ganze Summe der Aus- 
gaben auf der Sladt, welche seit dem Untergang ihrer Selbst- 
ständigkeit ihren alten Wohlsland mehr und mehr mit einer 
stets wachsenden Schuldenlast vertauscht hatte (s. Müller S. 7). 

Wesentlich dacu beigetragen hatte die Verwaltung der 
Prätoren familie Rlinglin, deren Tragödie gleichfalls von Goethe 
erwähnt wird. Sie verdiente einmal jjanz ausführlich und 
kritisch dargestellt zu weiden : Nichts zeigt so großartig die 
furchtbare Mißwirtschaft, welche Straßburg nach der Vereini- 
gung mit Frankreich Generationen hindurch über sich hat er- 
gehen lassen müssen. Ludwig XIV. hatte bekanntlich die alte 
Verfassung der Reichsstadt zwar äußerlich bestehen lassen, 
aber gleichzeitig- durch die Einsetzung eines Prätors so gut 
wie außer Kraft gesetzt. Der Prälor wohnte nicht nur allen 
Sitzungen der verschiedenen Uegierun^skollegien hei ; seine 
Summe, hinter der die ganze Gewalt Frankreichs stand, ent- 
schied. Kr hatte ein Veto einzulegen, sobald irgend ein Inter- 
esse des Königs verletzt zu sein schien. Vor allem wußte die 
Familie Klinglin, welche seit 1706 diesen Posten inae hatte, 
durch die brutalste Gewalt und zugleich durch ein rSnkevolIes 
BcMechungssystem die Stadt geradezu despotisch zu regieren. 
Der Sohn des ersten Prätors Klinglin, Franz Joseph (der ältere 
hieß Jean Daptiat) folgte diesem 1725. Um 1740 machten sich 
die ersten Zeichen der Unzufriedenheit selbst bis Paris hin 
fühlbar. Doch gelang es Klinglin uoch einmal sich in Gunst 
zo setzen und der großartige Empfang Ludwigs XV schien 
seine Macht für immer zu befestigen: es wurde ihm sei u Sohn 
als Nachfolger bestimmt. Als er aber wie die Stadt so auch 



(^ , , I . O'iginil fiom 

UNWffiSITYOFMCHIGAN 



- 966 

die Universität gegen die Kapitulation von 1681 ihres prote- 
stantischen Charakters berauben und die Altemalion, den 
Wechsel zwischen Protestanten und Katholiken einfuhren 
wollte, trat der gelehrte Schöpflin ihm entgegen und seinen 
Vorstellungen #aben die Minister Gehör. War hier also Klinjrlin 
nicht durchgedrungen, eo brachte ihm ein weilerer Akt der 
Willkür und Grausamheit vollends den Unleryang;. Ein Haupl - 
werkzeuy seiner Finanzoperationen, der Lottcriedireklor und 
Inspektor des Umgelds, Paul Beck, erschien ihm vielleicht geeignet 
als Sundenbock der Entrüstung der Straßburjier geopfert 2u 
worden, und zugleich desseu eingeheimstes Vermögen wenigstens 
für seine sonsligen Parteigänger eine reiche Beute zu gewähren. 
Unter der Beschuldigung, er habe falsche Schlüssel tu einer 
Öffentlichen Kasse machen lassen und aus dieser große Summer 
jiacli Arrsterdam auf die Bank geschickt» wurde Beck 1749 
verhaftet. Mit Mühe entmin;? er dem Galgen, er wurde nach 
Marseille ins Bagno geschickt, nachdem man ihm die Marke 
des Galeerensträflings eingebrannt hatte. Aber der schlaue Fuchs 
wußte mit dem bei Seite geschahen üelde seine Wächter zu 
l»estechen ; er entkam lisch Holland und fand indem Leidener 
Professor Schwartz einen Berater, mit deesdn Hilfe er das 
berühmte «Factum», Frunkfurt a. M. 175£>, erscheinen ließ. 
Wenn man auch den Versicherungen Becka von seiner Un- 
schuld, von den Gebeten, die er jeden Abend für den Prätor 
und seine Familie habe zum Himmel steigen lassen, nur mit 
Zweifeln begegnen wird, so belegt er doch die Jahrzehnte lang 
fortgesetzt«!) Ungerecutijrfceiiun uud Erpressungen Klinylins so 
haarklein, daß auch damals alle Welt davon überzeugt worden 
ist. Unter anderem erzählt er, wie der PrätDr die Ratsstellen 
verkaufte (S. 72). Kuenda berichtet er die berühmte Geschichte, 
wie Klin^lin 211 seinem Palais, dpr späteren Präfektnr, tiem 
gegenwärtigen Statthalterpalais gekommen war. 

«Der Herr Prätor ha1 ein Haus, oder besser zu sagen, 
einen fürstlichen Palast bauen lassen ; Er bediente sich der 
Stadt Arbeiter und Materialien dazu, und dieses ist jedermann 
bekannt- Es war im Jahr 1740 ausgebaut, als er bei Hofe 



1 Der genaue Titel ißt: Factum Oder aufrichtige und wahrhafte 

Eis.ählmg; der Uugerecliiigkeüeii uud unerhörten GrHUsainkeiten. 
tt'elclie inoils der KÖnigl Praetor Joseph Klinge iag* theüe der große 

Hat a . auf dessen Anstiftoug. wider die Person, Bhrd. Haab und Criitei 
des F. K L. Paul Book, Schöffen und Aufseher der Einkünften der 
Siadt Straßbnrg im Mertz .149 begangen bat* Von besagtem F, N 
L. P. Beck aufgesetzt, und mit einem Anhang vou CXII glaub- 
würdigen Urkunden bewiesen. Frankfurt am K&ju. zu finden iu den 
hirsigen Buchläden 1752. 



I , O'iqini fiom 

UNWRSITYOFMCHIGAN 



— 267 — 

wegen seiner üblen Haushaltung verklaget war und sich ver- 
antworten mußte ; was Ihat er? Kr lies sich von diesen Hand- 
wercksleuten falsche Quittungen ?eben, daß er sie bezahlet 
Hätte, obwohl sie keinen Sota erhalten hatten. Zur Belohnung 
machte Ar diese nemliche Maurer, Schreiner, Ziinmerleute, 
Schuhmacher zu Raths- Herren, dieses macht um so mehr einen 
Kalh ansehnlich und ehrwürdig, da der Blut-Schreiber davon 
ein Peruquenmacher>Gesell gewesen. 

«Wenige Zeil darauf nnthigte er die Sladl ihm diesen Palast 
um 200 000 Lines abzukaufen, und in 8 Jahren zu bezahlen, 
nemlich alle Jahr 25 000 Livres. Nachdem alles bezahlt war, 
so verehrete es ihm der Rath wieder ; mithin hatle er das Haus 
umsonst, und 400 000 Livres darüber.» . 

Aber gerade dieser Gewinn wurde für Klinjjlin verhängnis- 
voll. Der Intendant der Provinz «oll ihn deshalb beneidet haben. 
Auch der Kardinal Rohati war dem Prälur feiudlicb. 

Sehr wesentlich zu der Mißachtung und dem Hasse gegen 
Klinglin hatte sein Sohn heigetraffeo, ein liederlicher und ver- 
schwenderischer Menden, der als Advokat am Cnnseil Souverain 
in Colmnr beschäftigt, mich bereits verheiratet war, der aber für den 
K.u3 eines Mädchens einmal 200 Louisd'or bezahlt haben sollte, 
wie Beck S. iü erzählt. Kr war, wie er selbst behauptet, 
Wucherern in die Hände gefallen und sollte sich sojror mit 
Falschmünzern in Verbindung gesetzt haben. Ja, als dem Kar- 
dinal Rohan beim Empfang eineß fürstlichen Gastes das Silber- 
zeug gestohlen wurde, hieß es daß Her junge Prätor die Diebe 
oder die Hehler geschützt habe (S. 11). 

Auf jeden Fall waren Klinglin Vater und Sohn tief verhaßt. 
Beck seihst teilt S. 33 den Spottvers mit : 

War der Beck gehenkt, der Prätor ertränkt, 

Sein Sohn in cer Bastille, das nützte mancher Familie. 

Ah nun Becks Factum erschien, ward es natürlich ver- 
boten, aber nur um so mehr gelesen. Noch 1753 erschien ein 
königlicher Koininiisir. Die beiden Kliciglin wurden verbaflel 
und das Urleil dem Gericht von Greaoble zugewiesen. Wahrend 
der Haft starb der Vater. 

Der Sohn ließ zu seiner Verteidigung eine Schrift er- 
scheinen: Memoire de Monsieur de Klinglin, preieur royal de 
la ville de Strasbourg:, ä Grenohle, ehez Andre tiiroul et la 
veuve d*Andre Faure 1753. Natürlich leugnet er alles und gibt 
die Verfolgung des Vaters der Kabale Schuld, welche seine 
Stellung beneidet habe. Nur soviel gesteht er zu, daß der 
Prötor Geschenke angenommen habe. Aber er behauptet, das 
sei in Straßburg; wie in andern deutschen Reichsstädten von 



i , 

UNWRSITYOFMCHIGAN 



— 268 - 

jeher Sitte gewesen. J a ** 5 *» e, ° uralter deutscher Brauch 
Dafür beruft er sich (S. 187) auf Tacilus Germania, wo es von 
den alfer» Deutschen heiße : «üaudent inuneribus ; sed nee 
data imputsnt, nee acceplis obliganturs. 

Also der Herr Prätor ist erst durch die schlechten Sitten 
der Straßburger verderbt worden. Es muß das wie blutiger 
Hohn trehlungen haben : eist brutalisiert er die wehrlosen, 
allen Reichsstädten» dann korrumpiert er sie, um sie zuletzt 
noch zu ironisieren ! 

Der Prozeß gegen den Sohn Klinglin wurde nach dem 
Tode des Vaters niedergeschlagen und die Geldforderungec 
der Stadt durch einen Vergleich beendigt. Aber in Straßburg 
vergaß man die Sache nicht so bald, und dies mag beigetragen 
hüben au dem keineswegs glänzenden Empfang der Dauphine. 

Bei anhaltendem Regenwetter kam sie am 7. Mai 4770 an. 
Auf der Sp-oreninscl, in dem besondere hier-su errichteten Ge- 
bäude, ging sie ans den Händen ihrer Österreichischen Begleiter 
in die der Abgesandten des französischen Hofes über. Die Dau- 
phine selbst mußte alles zurücklassen; selbst ihre Garderobe bis 
zum Hemd und zu den Strumpfen wurde ihr vom französischer 
Hofe nen geliefert. 

Auf dem Metzgerplatz empfing sie der Magistrat. Hier war 
auch ein Triumphbogen errichtet, an welchem 24 junge Paare 
aus der feineren Kreisen der Bürgerschaft und der Universität 
sie empfinden. Die Mädchen streuten Blumen ; die Dauphine 
küßte eine von ihnen. 

Im Schloß des Kardin»! Hohan begrüßte sie der elsassische 
Adel. Auf der Rückseite des Schlosses erschien ein Zug von 
Winzern und Weinstechern, unter denen euch Bacchus unö 
Silenus auftraten. Bei Dunkelwerden wunie ein großes Feuer- 
werk auf der überbrückten III abgebrannt. Im Theater war 
Auflülirung und Ball. 

Arn andern Morgen erschienen die Korporationen zur Ee- 
grüßun^, darunter auch der hohe Gerichtshof von Colmar; mit 
drei Verbeugungen näherte er sich dem Thronsessel und kehrte 
nach einer Ansprache ebenso mit drei Verbeugungen bis zur 
Türe zurück. Daß der elsassische Adel vor dem Gerichtshof 
eingelassen worden war, yab Anlaß zu einem formellen Protest 

Vor der Abreise hesuohte die Dauphine das Münster, wo 
der damalige Koadjutor sie feierlich hejmißre und durch die 
Erinnerung an ihre Mutter sie zu rühren wußte. Es war der- 
selbe Rohan, der später im Halsband prozeß Marie Antoinette 
so unheilvoll sich genäher' hat. 

Als poetischer Willkomm war der Dauphine ein ziemlich 
schwülstiges deutsches Gedicht überreicht worden, das ein aus 



I , O'iQim fiom 

IWBtSrrYOFMCHKM 



-• 26<> - 

Erlangen gekommener junger Literat, Jobann Haut tust rauch, 
verfaßt hatte). Einen Neudruck hat Thiebault Straßburg bei 
Heitz mit den Gnj-itialtypen veranstaltet ; ihm ist das Bild der 
Dauphine beigegeben, recht hübsch, aber auch mit dem vollen 
Bewußtsein ihrer Würde. Die erste Strophe lautet : 

«Jauchzt Völker l jauchzt dem Gott der Götter I 

Hebt dankend Herz und Hand empor! 

Er mehret Frankreichs Lilien-Blauer, 

Und setzt Sie in den schönsten Flor. 

Er schenkt uns eine neue Sonne, 

Die eine unumschränkte Wonne 

Bewirkt durch ihre Fruchtbarkeit. — — 

Ein Lenz, der Zeit und Glück verjünget, 

Der alk-n Menschen Wohlfahrt bringet. 

Hat dieses ^enzc Reich erfreut.» 

Ein ganz anderes Gedieht, das sich allerdings mit der 
Dauphine selbst in keiner Weise beschäftigt, war handschrift- 
lich im Besitz einer Dame erhalten, welche von einer darin 
mitbetroffenen Familie abstammte. Sie gestaltete mir eine 
Abschrift zu nehmen, wie ja auch ihre Handschrift nur eine 
alte Abschrift dee gewiß längst nicht mehr vorhandenen Origi- 
nales war. Meine Abschrift übergebe ich der Laiserl. Bib- 
liothek. Fehler, die niemand stören können, verbessere ich 
nicht. 

Das Gedicht verspottet die 24 jungen Damen aus der 
feineren StraBburger Gesellschaft, welche der Dauphine auf- 
warteten und einige ihrer Begleiter. Von diesen spricht auch 
die Baronin Oberkirch ohne näheres anzugeben, als daß sie 
in deutscher Tracht erschienen seien. Im Geflicht erfahren 
wir ihrer aller Namen. Folgende junge Damen werden genannt : 
Böhm, Gambs, Türkheim, Grauelin, Spielmann, Stadler, zwei 
Fräulein Sachs, Nicolai, Wißmann, zwei Bauer, Süß, Fihich, 
Otto, Langheinrich, Graufl, Kart, Stein, Kolb, Holzapfler, zu- 
sammen 21, so daß also drei übergangen sind. Literarisch 
bekannt ist wohl nur Frl. (Cleophe) Fibich. die Lenz als 



i Der genaua Titel ist: Der glucklichste Frühling: für den an- 
ackätebarea Flor des Französischen Liliengartens betreffend die von 
Gott gefügte. 

Allel höchste Vermahlung 

de» Allcrdurclilaichli^sieii und Oelieb testen Königlichen Dauphins 
von Frankreich und Nfcvurra otc. etc. mit Ihre Königl. Hoheit der 
Alierdorchlauchlig&tei und Liebenswürdigsten Prinzessin Anionia 

Sebohrcne Erzherzogin von Oestcrreich etc. etc. geschildert von 
o ha n ii itautenstrauck. Straßburg, im Ifayraonat 1770 gedreckt bei 
J. H. Heitz Unirtrsiiitsbuchdrnckcr. Mit hoher Approbation 



I , O-iqnn Fiom 

UNWRSITYOFMCHIGAN 



- 270 - 

Araminta gefeiert hat, später die Braut eines der Herren 
v. Kleist, die Lenz nach Straßburg begleitet hatte. Doch ver- 
ließ Kleist sie, trotz schriftlicher Zusicherung. Was der Pas- 
quillant an den jungen Damen auszusetzer hat, sind Fehler 
nicht eben schwerer Art : Mangel an besonderer Schönheit oder 
an hervorragendem Versland. Koketterie und Stolz. Interessanter 
ist was er über die jungen Herren nag), von denen er allerdings 
nur werugencnnt: Einen ßrudor der Frl. Böhm, G-raucI, Bauer, 
Türkheira, einen Spielmann, der Professor werden wolle und 
viel von seinen Reisen erzähle, die Herren Einbeck und Hecht, 
die als vermul iche Bräutigam mer angeführt werden. Türk- 
heim ist wohl der spätere Gatle von Goethes Frankfurter Braut, 
LiJi=EüsabelhSchönernarr). Er wurde 17üö stuil. phil. (Straß- 
buryer Matrikeln 1, 444). In diesen Matrikeln erscheint auch 
ein atnd. phil. Michael HÖhm neben einem andern aus Karls- 
ruh 17u3, wie auch verschiedene Grauel in den Matrikeln zu 
1762 und 1770 auttauchen. Die Personalien genauer festzu- 
stellen, wurde die Mühe doch wohl nicht lohnen. 

Das Ganze ist eine Parodie eines Liedes von Hagedorn 
(Eschenburgs Ausgrabe 3, SO), das auch Wekherlin (s. u.) ein- 
mal anführt : 

«Rühmt mir des Schulzen Tochter nicht, 

Nein sagt nur, sie ist reich. 

Im ganzen Dorf ist kein Gesicht 

Der flinken Hanne gleich. 

Das Mensch gefällt auch ungeputzt. 

Ich sag es ohne Scheu, 

Trotz mancher) die in Füttern stuzt, 

Sie sei auch wer sie sei. 

Wie frei und weiß ist ihre Stirn 
Und rot ihr Inserier Mund I 
Wie &rlatt der Haarzopf meiner Dlrn' 
Und ihre Brust wie rund! 
Ihr Au«' ist schwarz, wie reife Sclileh, 
Drum komm ich auf den Wahn, 
Wenn ich ihr lang ins Auge seh', 
Sie hat mir's angetan.» 

Also dieselbe StrophenfDrm, die noch in Raymunds «Ver- 
schwender* für das I.ied des Schreiners Valentin benutzt ist : 

«Da streiten sich die Leut herum* usw. 

vielleicht könnte auch die Melodie dieselbe gewesen sein. Dem 
entsprechen nun also die Strophen des Spottgedichts, das nur 
sehr weit, ausgeführt erscheint ; der Dichter schließt mit der 
27. Strophe. 



(^ , , . I . O-iqni fr;>m 

UNWRSnYÖFMCHI&M 



— 271 — 

In der überlieferten Abschrift ist jeder Strophe die eines 
Antwortgedichles beigeschrieben, Ausgenommen die '26. Strophe, 
welche dazu keinen Anlaß geboten zu haben scheint. In 
dieser Antwort wird der Pasquillant verhöhnt und bedroht. 
aber ohne daß man ihn gekannt zu haben acheint. Dieser 
Anwalt der Straßburger Jugend hat sich seiner Aufgabe nicht 
ungeschickt entledigt. 

Der WiUdes Pasquilltinten ist nicht eben hoch anzuschlagen. 
Es ist nur ersichtlich, doß er die Persönlichkeiten sehr gut 
kannte. 

Wer es gewesen ist, dafür lassen sich kaum Vermutungen 
aufstellen. Rautenstrauch ist es suf keinen Kall gewesen ; 
er hatte Verwandte gerade in Universitätskreisen. Kr ist 4771) 
im Herhst nach Wien gegangen und hat dort der Aufklärung 
publizielifch yodient. Durchaus loyal hat or Maria Theresia, dann 
Joseph II., Leopold, Franz II. verherrlicht. Auch hier in Straßbur* 
hat er 1708 «das beglückte Slraßburg» geschrieben und eine 
Bearbeitung davon 4770 Schöpften gewidmet ; das Gedicht 
ht eine höchst prosaische, steife Heimerei : So sagt er S. 30 
vom Münster 

Conradus, so damals der dritte Bischof wäre, 

Wars, der von diesem Werck den Anfang mieben ließ, 

Deshalb versammlele er eine ganze Öchaare, 

Mit einem Meister, der Ei wiu von Steiubach hießt 

Denn ihme war hierzu ein Eifer etugepräget, 

Er selbsten warf am Grund da? allererste auf. 

Und da das Fundament desselben war geleget, 

So legte er auch seihst den ersten Stein darauf. 

Am Sanct Urbani Tag geschähe es von diesen, 

DieiJ wird von Schadao und andern mehr, erwiesen. 

Die t'eierlichlsnge Slrophenforrn, Hallers Alpen entlehnt, 
macht die Inhaltsleere nur noch mehr bemerklich. Daß der 
Dichter später als Lustspieldichter ein© etwas bessere Begabung 
auswies, zeigt Eugen Schlesinger, J, Hautcnstrauch 1746—1801. 
Biographischer Beitrag zur Geschichtoder Aufklärung in Ocster- 
reich. Wien 1807. 

Nur eine uanz 'unsichere Vermutung ist es, welcher der 
Verfasser dieses Aufsatzes lange Zeit nachgegangen isi. Konnte 
eicht der spatere Publizist Ludwig W ekln I in auch hier be- 
teiligt sein, dessen launige Satire sich gang besuuders gegen 
die verrotteten Reichsstädte richtete und der auch sonst die 
Fcrm des Spottliedes gebraucht haL? Seine Schicksale haben 
trüh Interesse erweckt; sie bieten ein Gegenslück, vielfach auch 
einen Gegensatz zu denen des Dichters Schubart, des Gefangenen 



. O'iainilFiom 

■ ^ " " IINIYRSITYÖFMCHIGA>1 



-- 272 - 

des Herzogs Karl \ou Württemberg auf dem Hufcnaspery. Sein 
Lebenslang ist nicht gar« Mar, trotz mancher Untersuchungen, 
die zuletzt Böhm, Mönchen 1893, gesichtet and zusammengefaßt 
hat. 

Auch Wekhrlin war ein Schwabe wie Snhulwirt, ein ge- 
borner Untertan des Herzoge Karl : aus Bothnang bei Stuttgart, 
wo er 173^ zur Welt «am. Sein Vater, ein Pfarrer, starb 
früh. Der Stiefvater, Stadtschreiber Heuplin in Ludwigsburg, 
war dem Kind aus erster Ehe feindlich gesinnt und gewiß 
gab dieser auch seinem Erzieher allen Anlaß zur Unzufrieden- 
heit. Aus der Schreibstube begab er sich 1766 nach Wien, 
wo er in den protestantischen Kreisen Eingang fand und zu- 
letzt als Lehrer an einer Handelsakademie gewirkt haben soll. 
Aber sein bei gefälliger Begabung zynisches Üetragen veranlaßte 
daß er 1776 Wien unfreiwillig verlassen mußte. Er giny nach 
Augsburg, dann nach Nürdliiigeu. Hier war aber seines Blei- 
bet!* nicht, er zoy in ein nahes Dorf BakKugeu, von >vy er 
die Stadt, wie er sich ausdrückte, benetzen konnte, auf das 
Gebiet des Fürsten von Oeltingen - Wallerstein. Schon in 
Wien hatte er geschriftstellert und besonders Sitlenheschrei- 
bun<ren verfaßt, welche eire gute Beobachtungsgabe und eine 
leichte, unterhallende Darstellungsweise bekunden. 'Jetzt ließ 
er Zeitschriften erscheinen, welche bald auch von auswärts 
Korrespondenzen besonders satirischer Art erhielten. Durch 
seltsame Titel erregte er Neugierde: schon in Wien schrieb 
er «Karaifcische Briefe». Des «Anseimus Rabiosus Heise in 
Oberdcutschland» erschien 1778. Es folgte das Felleisen, 
die Chronologen , das Graue Ungeheuer, hyperboreische 
Briefe, Paragraphen. Als er die Hinrichtung einer Magd in 
Glarus wegen Hexerei mit wohlberechtigtem Tadel geschildert 
hatte, wurde seine Schrift dort von rlenkershand verbrannt; 
er schickte seine Silhouette dazu ein autn das Festin zu ei- 
böhn». 

Wegen eines anonym erschienenen Spottgedichts auf den 
Nördlinger Bürgermeister v. Tröltsch, den er als «Pips von 
Hasenfuß» verhöhnte, wurde er 1787 vom Fürsten von Wal ler- 
steiii auf Schloß Hochhaus eingesetzt. Die Haft war nicht 
streng : die Hüter liebten den lustigen Menschen, und bemit- 
leideten den armen, dürftigen Kranken. Kr durfte auch 
seine Verwandten in Wurtemberg besuchen. Erst 1792 aber 
konnte ar sich nach Ansbach begeben, das aben an Preußen 
gefallen war. Er begründete dort mit Genehmigung des späteren 
Kanzlers Fürst Hardenberg eine Zeitung «Die Anshacher 
Blätter» Aber seine I^achriehten über die Fortschritte der 
französi scl»en Revolutionsarmee beunruhigten die Bevölkerung 



(^ , , .1 . O'iaiml fiom 

INVBtSrTYOFMCHKM 



- 273 - 

der Art, daß mar ihn, als Verräter, mißhandelte. Infolge davon 
starb er noch im November 1792. 

Wekhrün vertritt durchaus die Aufklärung nach dem 
Muster der französischen Schriftsteller des 18. Jahrhunderts. 
Voltaire war sein Abgott. Wann und wo er sich die Kennt- 
nis dieser Literatur verschafft hatte, ist ganz unbekannt. Er 
deutet an, daß er in Frankreich geweseu, das konnte innerhalb 
der Jahre 1757 und 1767 geweseu sein. Aber in Paris war 
er wohl nicht; davon müßten 3ich doch Spuren in seinen 
Schriften finden. Aber warum nicht in Straßburg: ? Und zwar 
als Informator oder sonst in literarischer Stellung, welche ihm 
die nähere Bekanntschaft mit Aen im Spottgedicht verhöhnten 
Familien verschaffte. In den Matrihein habeich seinen Namen 
nicht gefunden. 

Natürlich müite er 1770 von Wien aus wiedor nach 
Straßburg gekommen sein, wenn *»r der Verfasser unseres Spott- 
gedichtes wäre. Er könnte dem Gefolge der Dauphine ange- 
hört haben ; er spricht davon, daß die Kaiserin ihm ihre Gunst 
zugewandt habe. 

Und nun ist es tür unsere Frage wichtig, daß er sich 
später als Legationsrat des Prinzen Renan bezeichnet: das ist 
der damalige Koadjutor, der 1771—74 in Wien als Gesandter 
tätig war und auf Wunsch von Maria Theresia abberufen 
wurde. 1779 —1802 war ei bekanntlich der letzte Kardinal 
Fürstbischof von Siraöburg, Sein Charakter ist bekannt genug 
aus der Halsbandgeschicbte. Anfangs als Opfer der Despotie 
bedauert, wurde er als Emigrant Gegenstand des Spottes. Es 
gibt eine Sammlung lasziver Gedichte in der Art der Contes 
von Lafontaines, welche damals als Contes et Poesies du C Col- 
lier (Cardinal Collier], commandact general des croisades du 
Hu'-Rhir:, erschienen, Tome t und 2, Saverne 171M und 1792. 

Eine größere Sicherheit für die Verfasserschaft Wekhrlins 
w5re 2u gewinnen, wenn er 1770 als in Straßburg anwesend 
nachgewiesen werden konnte. Ich habe mich s. Z. an das 
Archiv des Fürsten Alain von Rohan in Böhmen gewandt, 
aber keiue Antwort erhalten. Das Karlsruher Archiv besitzt 
nur Akten, welche sich auf die Rokansche Besitzung Etten- 
heim beziehen. 

Sprachlich ist auch nichts in dieser Beziehung zu ermitteln. 
Die wenigen Dialekteigenheiten sind z. T. Alsatismen, welche 
freilich auch ein Fremder sich hier hatte aneignen können. 
Der Art ist z.B. in Str. 1 «Der Narr.x. l)as ist nicht «der 
Naroe», sondern was sonst edie Nahmen heißt, die Wahl, das 
Ausgezeichnete. Auch das masc. kommt sonst vor, wie Grimms 
Wb. ausweist, und nicht bloß in elsassischen Quellen. 

18 



I . O'iQirntfiom 

INWERSnVOFMCHIGAM 



/" 



— 274 — 

Zweifelhaft ist auch Str. 18: «wünscht Alles was ihm 
Freude macht, allein auf seinen Riß». Irr, DWli. wird Kiß 
«krückenförmige Scharre* besonders als mittel- und nieder- 
deutsch bezeugt; schweizerisch ist kisen «ziehen». Der Ant- 
wortdichler verwechselt Kiß mit €Mist>. 

Dagegen findet sich «aus cer Brenn» (23) besonders bei elsassi- 
schen Schriftstellern, auch bei Moscherosch. Ecbt atraßburgisch 
ist die Betonung «Pr6fc3sör> (11)- Vielleicht wollte der Dichter 
gerade diese Aussprache lächerlich machen. 

Um nicht mit solchen Fragen zu schließen, darf ich schließ- 
lich noch darauf hinweisen, daß sich 1770 gerade der größte 
deutsche Dichter in Strasburg befand, J. W. Goethe. Für 
die beiden Spottgedichte kommt er freilich gewiß in keiner 
Weise in Betracht. Wohl aber hat er, nach seinen eigenen 
Angaben, damals ein Gedicht in französischer Sprache auf die 
Ankunft der Dauphine verfaßt, worin er die polizeiliche Ver- 
ordnung, da 3 alle flettler mit Gebrechen sich von dem We^e 
der Dauphine fem halten mußten, in Vergleich stellte zu dem 
Zudrang solches Volkes beim Einzüge Jesu. Erhallen ist uns 
dieses Gedicht nicht; denn ein dafür ausgegebenes in Freimund 
Pfeiffers Büchlein, Goethes Friederike, Leipzig iß-il S. 13*, 
ist nicht bloß wegen einee fehlenden Versfußes als Goethe 
untergeschoben zu erkennen. 

Aber der Anblick der liebenswürdigen Dauphine hat auf 
Goethe tief eingewirkt. Dies zeigte sich später, ah der berüch- 
tigte Halsbandprozeß, das Vorspiel der französischen Revolution, 
Marie Antoinetle mit dem leiden Kardinal Rchan in eine für 
ihr Ansehen geradezu verhängnisvolle Verbindung brachte. Als 



1 Freimund Pfeiffer, Uoeihes Friederike, Anhang: Seaenheimer 
Liederbuch, Leipzig, W. Eugolmann 1841, S. 13. 

Loraque le üb du Dien descendifc sur la terre 
Pour benir les mcrtels combles de niedre, 
On vit de tous cöt£s ße preBser sur ses p&e 
Das boiteux, des perclus gisant sur lcars grabats. 
Mais lorsque des b'rnic,a.is l'auguate reine avanee, 
Quelle pose le piec snr la terre de France, 
La police attentiva a soin de de*creter 
Qii'a son royal rejs.ru* ne doit se presenter 
N. bossu ni goutteux ni pauvre apoplectique, 
v pftrclQK nt bau es I ni meine racheci^ne. 
Ooiume $a de ches aoi Siraebourg fait lea honnears. 
sicclc! o tomps ! o moeorsl 

D*su S. 149: die Worte combie de misere möchte ein kritischer 
Franzose mit Rceht tadeln; einmal wegen einer mangelnden Silbe, 
dann weil r-omble nur in gutem Sinne gebrauch- "wird: combie de 
blenfaits, de faveurs, de joie, aber nicht combie* de triste68C, do 
QÜBere usw. [Man könnte »accables> lesen wollen.] 



(^ . . . ■ I . O'iaina From 

UNWffiSITYOFMCHIGAN 



- 275 — 

er die Gunst der Königin, welche durch ihre Muller vor ihm 
beständig gewarnt wurde, mit aller Mitteln zu gewinnen 
strebte, wurde ihm, dem gläubigen Verehrer des Schwindlers 
Caglioslro, vorgespiegelt, daß sie ihm dafür dankbar sein würde, 
wenn er ihr den Erwarb eines kostbaren Halsbandes möglich 
machte. Eine Betrügerin spielte die Rolle der Königin ; der 
Kardinal g:ib das Halsband in die Hinde einer Vermittlerin 
um bald zu erfahren, daß man ihn schmählich gelauscht hatte. 
Der König, entrüstet darüber, daß der Kardinal durch einen 
solchen Handel sich die Gunst der Königin zu erwerben ge- 
glaubt hatte, ließ ihn in die Bastille werfen. Aber der Prozeß 
wurde von den Richtern nicht zu seinen Ungunsten entschieden, 
freilich vertrieb ihn die ausbrechende Revolution bald nach 
Ettenheiiu in Baden, wo er 1802 starb. 

Goethe hat in Palermo sich der Familie Cagliosirus ge- 
nähert, unter dem freilich nicht einwandfreien Vorwand von 
ihrem Oheim empfohlen 2U sein ; er hat ihr Geh) überbracht, 
das Karl August ihm vorgestreckt hatle. Er hat dann die 
ganze Halsbandgeschichte mit genauer Quellenuntersuchung 
erst als komische Oper bearbeiten wollen, dann als Lustspiel 
<Der Großkophta» auegeführt. Cr hat es dann auch und gewiß 
mit vollster Entrüstung erleben müssen, daß die stolze Königin 
die tiefste Ernicdrigucg erfuhr, als sie in der Concicrgeric in 
einem korridorartigen Geloß, keinen Augenblick ohne die Ueber- 
wachung durch einen Nationalgardisten, ihrem Todesurteil ent- 
gegen sah. So endete der Lebenslauf, dessen heilere Anfangs- 
szenen der Dichter hatte vor seinen Augen vorüberziehen sehen. 

Doch möge dieser Ausblick wie so manche andere nicht 
unmittelbar mit dem Gegenstande verbundene Betrachtungen 
ni«r Nachsicht finden, da der Gegenstand selbst nur eine 
fluchtige und geringfügige Episode in der elsassischen Literatur- 
geschichte ausmacht. 



I * O'iqim fiom 

UNWRSnYÜFMCHIGAN 



XV. 



Johann Benedict Scherer, 

ein Straflhtirger Autcmomist in der Revolutionszeit. 

Von 
Theodor Renaud. 

Uie Z*hl der Slrußburger Autonomsten auf Grund der 
Kapitulation von 1681 ist größer gewesen, als man gewöhnlich 
annimmt. Die deutsche freie Reichsstadt war königlich franzö- 
sische Frcisüdt geworden ; das Volk fühlte kaum einen Wechsel. 
Nach wie vor besuchte man die Messen in Frankfurt imil 
Leipzig; die Zollsfrenze lag nicht am Rhein, und Straßbui-y 
mit dem ganzen Elsaß war tatsächlich eine «wirklich fremde 
Provinz» Frankreichs 

Das entsprach aber je langer, je mehr keineswegs dem 
Sinne der französischen Beamten und der aus dem Innern 
zugezogenen Bevölkerung. Von dem Intendanten de la fialai- 
ziere z. B. erzählt Scherer in seinem Ruche: «Wichtige 
Anekdoten eines Augenzeugen über die franz. Rev.» (I, S. 89), 
dieser Herr habe mit seinen Schreibern jährlich 100 000 und 
mehr Klafter städtisches Holz [?] unnütz verschwendet, und 
wenn ein Ratsherr auf der Intendanz in Geschäften erschienen 
sei, hätten sich die Heizer in seiner Gegenwart zugerufen; 
«Lange mir da noch einen großen dicken Ammcister, Drei- 
zehner oder Fünfzehner her!» 

Di© FOiifsehner hatten sich in letzler Zeit freilich auch 
bei vielen einheimischen unbeliebt gemacht. Am 21. Juli 1789, 
genau eine Woche nach der Erstürmung der Bastille, warf 
das Straßburger Volk die Fenster des Rathauses (der «Pfalz» 
auf dem heutigen Guienbergplatz) mit Steinenjuml Marktrüben 



I . O'iqim fiom 

UNWRSITYOFMCHIGAN 



— 277 - 

ein, hob die Dachziegel ab, zerfetzte die Papiere des Archivs, 
zapfte die Fässer im Ratskeller an und ließ den Wein laufen, 
ein Schauspiel, dem zum größten Aerger der Bürgerschaft die 
Besatzung Gewehr hei Fuß zusah. Unter diesen Um- 
ständen beschloß der Magistrat auf Drängen des königlichen 
Kommissärs Dietrich (die Sitzung fand im Hause seines Vaters, 
des Ehreusleltineistärs, statt» vgl, Scherers • Greuel der Ver- 
wüstung» 1793, S. o4) die Entlassung zu nehmen. Aber die 
Schöffen weigerten sich» das Gleiche zu tun, bis ihre Zünfte 
selbst es begehrt hätten. Das geschah ; deich wurden, ein 
Sieg der Autnnornisten, fast alle früheren Schöffen wiederge- 
wählt, und am 17. August um 8 Uhr trat der inzwischen auch 
ti ingestaltete neue einstweilige Magistrat mit den 300 Schöffen 
zu einer ersten Sitzung zusammen, im «Spiegel &; denn 
die Pfalz war noch nicht wieder in Stand gesetzt. 

Unter den wiedergewählten Schöffen befand sich als einer 
der zwei Obmänner der Kürschnerzunft auch der «Evsenator» 
Scherer. Er hatte lange im .\uslande, besonders in Ruß- 
land und Frankreich gelebt. Acht Jahre nach seiner flückkehr, 
1787, war er Schöffe geworden und als solcher Mitglied des 
Rates. 1740 zu Straßburg geboren. i, hatte er in der Vaterstadt 
die Hechte studiert und den Licentiaten juris erworben*. 

Den SchöfVenverdciminliingen pflegten der Magistrat, 
wenigstens teilweise, und der königliche Kommissär beizu- 
wohnen. 

Gleich in der ersten Siizung wurden zwei Ausschüsse 
eingesetzt, einer zur Abfassung einer Erklärung an die 
National versarn ml ung gegen deren Beschlüsse vom 



1 Mola 174!, wie Süeua in der A.l*r. deutschen Bicgi. angibt. 

2 Scherer war Protestant. Sein Qöbumschoin (Kirchenbuch 
Ten St. Thoraas, Sudtarchivl lautet; «1740 Kr. 432. Donnerstag, 
den 1. äeptember gpgtn Mitternacht najh 11 Uhr ist gebohren und 
Samstag, den :». ejisdem getaufft wordüi ein Söbnlein mit Nahmen 
Joannes Benedictus, dessen Eltern sind s. t. Herr II. [Magister Jo- 
bann Friderich Scherer, IV a ' classis Pr&eceptor und Ecclesiastes Pa- 
laiopetrinus und Fr. Maria Salome geb. Lederlinin, seine eheliche 
Hausfr. Die Tanfz^ugen sind Herr Benediktus Heinrich Marbach, 
Schaffner des Stifts St. Thoma und Eurgrer allhier. Herr M. Johann 
Caspar Reuchlin, Membr. Seminarii Ecelesiastici und Yicariia Prac- 
ceptor Super. Gymnssii und in dessen Nahmen Herr M. Philipp flriderich 
Kolli, S. S. Theo» Sud. und Frau Margareilia 3aluiue BLigelliaidiu, 
veyland Hrn. Heinrich Ludwig Engelharit, gewesenen Handelsmanns 
und Burgers allhier nachgelassene Witüfe». — [Es folgen die Unter- 
schriften des Vaters, der «Pfetter» Marbach. n. i. V.Kohl, sowie der 
«Götteb Engelharot und des Diakonen *\1 . oh. Georg Schweif hei» er» |. 
0er Vater (1702—1718) -wurde später Mitglied des Thomiekapitels 
und palt (nach Xarousse) als tüchtiger Orientalist. 



I . O'iQJnit fiom 

l " INIVKSITYOFMCHIGAM 



— 278 — 

4, August, durch die nicht nur die Feudalrechte, sondern 
auch alle Vorrechte der Provinxen, Slädle, Züiifle elc. aufge- 
hoben worden waren, und ein zweiter zu Vorschlägen für 
eine Siraßburger Justiz-Verwaltungs- und Polizeireform. 

Scherer wurde mit Levrault, dem zweiten Vertreter 
der Kürschner, in den wichtigeren ersten Ausschuß gewählt 
und später in einen dritten zur Prüfung der Stadtfinanzen, 
der ihn als seinen «Secretariue» bestimmte. 

Die deutsch geschriebenen Sitzungsberichte sind erhalten 
auf dem Stadtarchiv und abschriftlich «Protokoll des jrroßen 
Rats der Schoflen» (Barachs Handschriflenkatalog:, S. 6ß), auf der 
Univ. Bibliothek. Die Urschrift geht bis zum 16. Januar 1790, 
die Abschrift nur bis zum 16. Dezember 1789. 

Schon am 19. August (etwas rasche Arbeit!) legte der 
Ausschuß den Entwurf der Erklärung od die National- 
versa m ra I u ng vor; die zwei Vertreter der Stadt in Ver- 
sailles, Schwendt und von Türkheim, begehrten jedoch ein 
bestimmteres Schriftstück. Ein solche« wurde dann in der 
Sitzung vom 1. Okl ober einstimmig, aber wohl unter 
Kopfschutteln Dietrichs, gut geheißen. 

Den französischen Text dieser deutlichen Erklärung findet 
man bei H. Keuß, «L'&lsace dans la revolution, Akten des 
Straßhnrgw Stadtarchivs» I, S. 197, den deutschen teilt 
Scher er mit als Beilage III, S. 62 ff., seiner Schrift «Was 
ist von den ausgewanderten Klsaßern und Lothringern zu 
halten? Gedruckt in Cairo [Ulm?] 1799». 

Ich vermute, er selbst war der Haupt Verfasser. Diese 
eProtestation und Deklaration» beginnt mit den "Worten: «Die 
Stadt Straßburg war ehedessen ein souveräner Frevstaat unter 
der unmittelbaren Oberherrschaft des teutschen Reiches. Durch 
Ire Y willige Unterwerfung wurde sie mit der Krone Frankreichs 
vereinigt und diß vermöge einer Kapitulation, welche ihr alle ihre 
Privilegien, Rechte, Slatuteu und Gewohnheiten zusichert nach 
Inhalt des westfälischen Friedensschlusses, der durch den Nim- 
wegischen bestätig) ist.» Man wolle ja gerne dem Patriotismus 
der Nationalversammlung möglichst entgegen kommen, müsse 
aber in der Hauptsache auf der Beibehaltung des jetzigen Zn- 
standes beharren i. 



> Es handelte sich nlctr nur am den Verlust der städtischen 
Freiheit, sendern auch um den ansehnlichen Landbesitz der 
Stadt. In diesem Punkte pikt Schwendt zu: tla ville se trouve en 
<?galit£ Darfakc de droits avec les princeb ponsessiotiös en Alsace» 
'Renn, L'^ls dans la Rev. II, S. 12 u. 13) und, kann man liiuzu- 
seuon. mit dem Bischof. 



I , O'iqim fiom 

UNWRSITYOFMCHIGAN 



— 279 — 

Das ganze Schriftstück hier abzudrucken, verbiete! der 
Raum, zumal das bei zwei andern bisher unbekannten 
weiter unten geschehen muß. 

Nur sei bemerkt, daß der städtische Generaladvokat 
Levraull, im Anschluß sn die Erklärung eine Hede hielt, worin 
er sagte, dieser Entwurf beruhe auf dem letzten Beechlue&e 
der Versammlung, war auf die Vorrechte betreffs der Auflagen 
zu verzichten, dafür aber um so fester uuf der Aufrechterball ung 
der alten Verfassung zu besichert. Auch das hiesige Dom- 
kapitel, sowie der geistliche und adelige Stand der ganzen 
Provinz hätten sich gegen die Beschlüsse der Nationalver- 
sammlung- erhoben; diese werde schließlich wohl nachgeben ; 
denn der Köni-j sei gegen die Neuerung 1. 

Allerdings hstle Ludwig XVI. noch hei der Jahrhundert- 
feier der Uebergabe Straßburgs 1781 feierlichst versprochen, 
es solle alles beim Alten bleiben ; aber was hatte das jetzt zu 
bedeuten ? 

Inzwischen begann es in den SchölTensitzungen selbst zu 
gären. Die Finaiizkornmission war an die Arbeil gegangen, 
und am 24. November legte ihr Sekretär Scherer eine aus- 
führliche kräftige Denkschrift vor, worin die Finanzlage der 
Stadt in den düstersten Farben dargestellt und auf rücksichtslose 
Einschränkung der Aufgaben gedruugen wurde. Namentlich 
die Holzlieferungen an höhere Offiziere etc., die Freiwuutmugeii 
derselben, seien, wenigstens einstweilen, einzustellen. Man 
brauche auch keinen Prätor mehr, der jährlich 60 000 L 
koste ; jeder Bürger sei heute ja stolz darauf, ein Franzose zu 
beißen. 

Das war natürlich eine Spitze gegen den königlichen 
Kommissär Dietrich, der die Stelle des Prators vergab, und 
deshalb blieb die Denkschrift wirkungslos; die Versammlung 
beschloß nur, die Kommission * mö^c mit der städtischen 
Finanzkammer einen genauen Arbeitsplan abfassen und ihr — 
vorlegen! Infolgedessen gab es in der Kommission selbst 
Heibungen; am 11. Dezember erklärten vier Mitglieder ihren 
Austritt, und schließlich war sie bis auf 16 abgebröckelt! 
Statt Scherer erscheint ein neuer Sekretarius , nainens 
Trombert. 



1 Einer der Schöffen, der Lic. Graffenauer. beantragte sogar einen 
Zusatz, daß StraÖburg wie bisher auch «von der Ziehung der Miliz* 
befreit bleibe ; afcer man hielt es nicht für zweckmäßig, dieser heiklen 
Punkt zu berührst, und genehmigte die Absendnng des verwiegten 
Entwurfes, von dem auch alle Minister Abschrift erhalten sollten. 

2 Sie tagte im »Alten HerrenstalU 'Finkweiler 2). 



I , D'iaina From 

IMtfBtSrTYOFMCHKM 



-- 280 — 

A;i. 2. Dezember erfuhren die Schölten aus den ßericlitcn 
Schwerull.s, des stadtischen Abgeordnelen in Versailles (der 
zweite, Altammeister von rürkheim, hatte seine Entlassung 
eingereicht), daß Straßburg die neue Sh'idteverfassung anzu- 
nehmen habe und jede Berufung an den Könijf, wie die Dinge 
nun lägen, aussichtslos, ja gefährlich wäre. Am 1. Januar 
17^0 gelangte das bei reifend« Dekret an den Magistrat, am 2. 
wurde es einregistriert und am 4. veröffentlicht. 

Der Widerstand war gebrochen. Nur noch einmal kam 
man zusammen, am 16. Janaar, und beschloß, um sieb vor 
der Bürgerschaft zu rechtfertigen, daß «über sämmtliche Ver- 
handlungen und Fürschrille, welche M. H. gethan haben, um 
die Beibehaltung der Privilegien hiesiger Stadl zu bewirken, 
durch eine hierzu zu ernennende Kommission ein Bericht auf- 
gesetzt, in neiden Sprachen gedruckt und der ganzen Bürger- 
schaft aiisgetheilt werde». 

Am 18. März ging dann Dietrich mit 3312 Stimmen als 
erster Maire Straßburgs aus der Urne hervor; aber für seinen 
autonornislischen, konservativen Gegenkandidaten, den Alt- 
ammeister Poirol, war doch die noch recht ansehnliche Minder- 
heit von 2286 Bürgern mit dem Wahlzettel eingetreten 1 . 

Während der Wahl hatte der cGesammle Rats noch ein- 
mal, Turn letzlen Male, getagt; die hierbei gehaltenen Keilen 
sind in seinem «Memorials* (Stadtarchiv) nicht mehr einge- 
tragen. Der Katsschreiber ließ dafür Stellen frei, um das 
nachzuholen; hat es aber nicht mehr getan. Wozu auch'? 
Es war ja doch alles vorbei. Dagegen sind die Schlußworte 
dieses letzten Protokolls wahrhaft rührend in ihrer drama- 
tischen Schlichtheit: «Als m. gn. Herrn ihre Plätze verließen. 
stellte sich Herr Maire nebst den zween zuerst gewählten 
MunizipalLeamteu, Herrn Spiehnaiiii und Herrn Herve, an den 
iuiieru Theil der Thür, all wo sie geblieben, bis ein Huchlöl»- 
licher Magistrat, Herr Gen. Advokat Mogg, der Sekretarius 
und die beede Herrn Prctocol listen die Stube verlassen hatten. 

Finis.> 

Diesiss Finis klingt wie der letzte Seufzer der sterbenden 
allen Reichsstadt ! — 

Hier wird der Platz sein für den Abdruck der zwei schon 
erwähnlen merkwürdigen Aktenstücke. Es handelt sich dabei 



1 Für Dietrich hatten aeben seinen ciuheiniischen Anhängern 
natürlich auch die zugezogenen Frauzosen gestimmt, namentlich die 
Beamten, so daß man schier ron einer «offiziellen Kandidatur» reden 
könnte. 



I , O'iqim fism 

UNWERSITYÜFMCHIGAN 



— 231 — 

um eine Bittschrift des alten Magistrats an den — Kaiser als 
Garanten des Westfälischen Friedens und 
eine darauf erfolgte Antwort. 

Scher er teilt sie als Beilage 1 seiner Schrift: «Was ist 
>oq den ausjfe wanderten Elsassern und Lothringern zu halten ?* 
S. 47 mit, wie fol^t; 



I. 

Allerunterthänigste Bittschrift anSr. Kaiser 1. 
Majestät von Seiten d es Mag i st rats zu Straß- 
burg, um den Schutz und Garantie, der in den 
Friedensschi ösun festgesetzt worden, von 
Allerhöchst demselben gegen dieDekrele der 
Neu tränkischen Nationalversammlung zu 
erlangen. 

«Monarch ! Der Magistrat der Stadt Straßburg wirft sich 
zu Euer Majestät Füßen, um im Abgrund der Greuel der 
greiieo Anarchie vou Allerhöchst denselben den mächtigen Schulz 
anzuflehen, den ihm die Friedensschlüsse zusichern. 

Mitten im Frieden eroberte Ludwig XIV. diese wichtige 
Festung mittelst einer Capitulatiim vom 3. Okt. Iiisl. Durch 
diese Ucbcreinkuntt sind unter Königlichen Wort und Glauben 
olle Rechte und Vorrechlo dieser Stadt nuoh dem darinn sich 
befindenden Verzeiehniß vorbehalten worden. Kaiser und Reich 
traten in Gemäsheit dieser Gapitulalion durch den lü. und 17. 
Artikel des Ryßwiekiseheii Friedens [I6£*7] Straßbury ab, und 
diese Capitulation erhielt noch nach dem Bndischen Frieden 1 
durch einen Beschluß des Staatsrats Ludwigs XIV. ihre Be- 
Rfäligung*. 

Diesen heiligen Belegen pntyegwi ist. nichts weniger*« di* 
Stadt Straßbnrg durch die Dekrete der Nationalversammlung 
aller ihrer Hechte beraubt, ihre Constitution ist ihr mit Gewalt 
entzogen worden. Ihre Deputirten hielten sich zwar gleich 
in den ersten Sitzungen der Generalslaaten Frankreichs ihre 
Vorrechte auf das bündigste vor. Das SchölFcncorps wieder- 



1 Der Frieden xu Bast alt und Baden 1714 nach dem epaaischen 
Erbfolgeln-taff. 

* Scherer druckt diesen Beschluß (vom 39. Joli 1716; als Bei- 
lage« II ab. - Auch der bekannte protestantische Theolog: Blessig 
dachte aatononüstisek, wenn er schrieb (Questions d'gtat 113] i «De- 
meurons Francais de coeur .... mais soions Allcmands Ae principe 
et de Constitution, cerame nos interets jwlitiques l'äxigent et [juc les 
trtites de reunirm r.ous Tont assare.» (Vgl Ludwig* «Die deutschen 
Reiclisstände im Elsaß etc »). 



I . O'iainilfiom 

UNWRSITYOFMCHIGAN 



— '282 — 

holte es durch die Irifrtijj&ten Prulestationen und durch eine 
Deklaration, die sie den 1. Oktober 1789 der Natioual- 
vei'samralun£ vorlegten ; ja ihre Beharrlichkeit wurde durch 
die Protokolle und Verhandlungen vom ö. Dec. [89] und 
2 Jana AI* 1790 bestätigt >. 

Ohnen*i*.htet aller dieser Vorsehrilte gelang est piner Bande 
von Aufruhrern, den Magistrat mit Gewalt abzusetzen, die 
Zunftstuben ?u zernichten, ihre Constitution umzuwerten, ihre 
Vorrechte zu rauhen. 

Der Augenblick ist also gekommen, in 
welchem der Magistrat der Stadt Straßburg durch die gesetz- 
mäßige Beharrlichkeit ihrer Gemeinde, ihre Rechte und alle 
Constitution heyzubehalten, ohne Scheu den Schutz und 
Schirm Euer Kaiser!, Majestät anrufen darf, um unter 
Frankreich wieder in den Zustand einge^eltl zu werden, 
den ihre Capitulation im Munde führet. 

Es k jiri ml dem Magistrat nicht zu, Euer Majestät Gesin- 
nungen ihrer Stadt wegen ergründen zu wellen, da die offen- 
bare Verletzung der Friedensschlüsse von Seiten Frankreichs 
Tyrannen jedem vor Augen liegen. Seine Treue und 
Ergebenheit gegen Frankreichs geheiligten 
Monarchen läßt sie noch weniger ihre A b - 
reissung von diesem Reiche begehren. Sollte 
aber dieeas unglückliche Reich dergleichen Schritte erheischen, 
dann flehet die Stadt StraÜburg in tiefster Unlei'thänigkeit 
Euer Majestät Gerechtigkeit an. um dieselbe hey nllen ihren 
Rechten und Vorrechten, die durch die Capitulation von 1681 
hevbehalfen und bestätigt worden, zu erhalten und gegen jeden 
zu beschützen. 

Aeufierst betrübt wäre es für den Magistrat und dessen 
guigesinnte Borger, wenn sie, des unerbittlichen Gesetzes der 
Eroberunz we^en. ihrer uralten Rechte verlustig erklärt werden 
sollten, die sie bis auf diesen Augenblick mit so 
vielem Mulhe und Standttafligkeit behauptet haben Die Grofi- 
tind Edelmut h Euer Majestät versichert sie für sich und ihre 
Nachkommen wegen dieses wichtigen Punktes des GegenlheiU. 
Unüberwindlicher Monarch | Sie würden allergnüdigsl Rechte 
und eine Constitution beibehalten, die die Stadt Straßburg 
durch die Milde Dero Vorfahren auf dein Kaiserlichen Throne 
erhalten und die Gerechtigkeitsliebe ihrer Ahnen bis jetzt jeder- 
zeit bestätigt hat. Die ewigen Gesinnunxea der Treue, die 
die Starit auch unter Frankreich an den Taj gelegt, würden 



1 Dir durchschossen gedruckten Stellen sind von mir unter- 
strichen vorden. 



I , 

IMVBtSrTYOFMCHKM 



— 988 - 

Kuer Majestät von iIiiht Treue und kurHligen Anhänglichkeit 
der kralligste r»iir«je seyn. Sie zweifeln also nicht, daß sie 

iq dem einem oder andern falle der Kille der Groümuth des- 
jenigen Monarchen völlig und ungezweifelt sich versichern 
können, der die süsse unjjezweifelte Hoffnung zweyei der ersten 
Reiche Europens ausmacht 1 . 

Da Unterdrückung und Gewalt ihn hindert, sieh in Pcison 
zu Euer Kaiscrl. Majestät Füßen zu werfen, so bittet <iev Ma- 
gistrat der Stadt Straßbur^ Euer Eaiserl. Majestät allerunter- 
thäni^sl, von der grenzenlosen Ehrfurcht versichert zu seyn, 
mit der er in tiefster Ergebenheit nie authören wird, tu seyn 

Euer Kaiser!. Majestät 
allcriiiitcrthänigstc gelreueste Diener, 

Der Meister und die Mitglieder des R i\ i li s 

der !t ; a .! : S t ro JS i>ur $i. 

[Da'urn fehlt] S. [Siegel] von A m t s we^en.» 

IL 

Antwort. 

[Ohne Unterschrift und Datum.] 

«Ich habe das unterthäni^ste Gesuch Sr. Durchlaucht dem 
Füislen GolLoredo übergeben, der es Sr. Kaise;l. Majestät vor- 
^ck'uL. und den Akten der Reickskaiizley, die zu einem künf- 
tigen Frieden sco ngreß bestimmt sind, einverleiben lassen. Ich 
habe eine Abschrift davon dem Herrn Baron von Spieimann, 
erstem Oestert eichischen Reichsreferendarius, eingereicht, der 
diu Klugheit dieses Schrilles phen si sehr gehilliget hat, .ils 
der Reichskanzler, und von beyrien Departementen die Ver- 
sicherung erhalten : d a 15 in allen möglichen l*ällen 
die Stadt Slraßburg in i h r,e durch die Caui- 
tulation bestätigte und beibehaltene Rechte 
wieder eingesetzt werden soll*.» 

Scherer erzählt S. 26 (T., diese Bittschrift des alten 
Magistrats sei dem Kaiser Franz II. -t>ey peiner Krönung am 



1 Man rechnete also mit der Möglichkeit eines kriegerischen 

Eingreifens des Kaisers. Das ahnten die Franzosen, und so erklart 
sich der wütende Argwohn, von dem namentlich die Gewalthaber 
der Schreckenszek auf die «österreichischen' Straßbur^er und üiiter- 
cUasser beseelt w&rca 

* Diese Stelle ist bei Seherer gesperrt gedruckt. 



(^ , . .1 . O'ioJmt fiom 

UNWERSITYÜFMCHIGAN 



— £64 — 

20. Juli I7Ö2 in Frankfurt überreicht worden. Aber der 1790 
gestürzte alte Rat wird doch nicht nach zwei Jahren, noch 
dazu in einer Zeit» wo Frankreich an Oeslerreich schon den 
Krieg erklärt hatte, solch einen Schritt getan haben. Er war 
tatsächlich auflöst und auch nicht mehr in der Lage, über 
die Stadtsiegel l zu verfügen. Dem letzten Arameiater, Poirot, 
hatte hui sogar einen Malz im neuen Gemeinderat eingeräumt 
und um dann, noch im Jahr 1790, sum Präsidenten der 
Direktorial Verwaltung des Niederrheins wählen lassen. Andere 
Milglieder des alten Rates werden sich nach und nach mit der 
neuen Ordnung abgefunden haben, und wieder andere, die 
unversöhnlichen Autonomsten, waren außer Landes gegangen. 
Und so wird wohl R. Reu B in Versailles, der zur Zeit 
beste Kenner der Revolutionszeit seiner Vaterstadt, Recht 
haben, wenn er mir schreibt : «daß eine wirkliche offizielle 
Bittschrill des alten Straßburger Magistrats an Kaiser Kranz, 
nach der Kriegserklärung gar, abgegeben worden sei, möchre 
ich kategorisch bezweifeln. Dazu waren die Mitglieder der 
verschiedenen Kollegien, die ja nachweisbar zumeist im Lande 
geblieben waren, viel zu klug und teilweise auch (selbst die 
Adligen) zu patriotisch gesinnt. Das hindert aber nicht, daß 
einzelne Ratamügliedcr, solche die als Emigranten doch bereits 
alles riskiert hatten, eine derartige Schrift aufgesetzt haben 
konnten und auch die Unverfrorenheit gehabt haben, solche 
als eine Emanation des ge&wimten Magistrats zu präsentireo. 
Daß man sie als solche angenommen und nach Ihrer Mitteilung 
auch beantwortet hat, scheint mir bei der bekannten» nie 
ruhenden Propaganda für Oeslerreich im Elsaß recht wohl 
möglich*.» 

Aber woher das Sladtsiegel unier der Bittschrift V 

Die Worte darin: «dar Augenblick ist also gekommen» 

und weiter unten: «bis auf diesen Augenblick» geben, wie 

mir scheint, in ihrem Zusammenhang Aufschluß über die Zeit 

der Abfassung. Sie fällt in die Tage der großen Erbitterung 



1 Der letzte regierende Stättmeister hatte es an Dietrich auagi- 
liefert (Friese. Vaterl. Ueäfh. V. ay. Vgl. ftnr.fi Strobel-Engelhardt, 

2 Das Kais. u. Kon. Baus-, Hof- u. Staatsarchiv in Wien, dessen 

Verwaltui.K als musterg'lllc.ig- g-ertthmt wird, schrieb mir ara 9. April 

1910, daß die in den dortigen Beständen • g'cpflogonca, sorgfältigen 
und umfassenden Xachsacmin^en nach der Bittschrift leider völlig 
ergebnislos (reblieben» seien. «Der in unser in Archiv aufbewahrte 
Bestand Straliburger Archivalien, die Akten der Reichskanzlei mit- 
inbegriffen, unifaßt eine sehr lückenhafte Aktengruppe von drei 
mäßigen F&ezikeln. die mit der r. weiten Hölftc des 16. Jahrhunderts 
beginnen und eben nur M3 J6S1 reichen.» 



(^ , . . I . O'iaimi fiom 

UNWffiSITYOFMCHIGAN 



- 5?Sb — 

der unterliegenden Autonomisten, in die Wochen vor der 
Maireswahl 1790. 

Das Protokollbuch der Schöffen endigt, wie wir gesehen, 
mit dem 1(5. Januar. Von der Erhitzung der Geister erzählt 
Scherer in seiner Schrift «Greuel der Verwüstung 1793», $. 78, 
Dietrich habe tegepen das Ende dar SchöfTenversammlungen» 
(sie waren öffentlich) dem Am meist er Poirot, der lieben ihm 
saß, durch Drehung des Stuhles den Rücken zugekehrt und 
«es wundert mich noch immer, daß hei den letzten Gaukel- 
.-jjielen, wo er fast anGen^r, bitter 2u weinen und die Schöffen 
zu beschwören, der französischen Constitution sich völlig zu 
unterwerfen, die Vernünftigsten lori^i engen», statt ihm den 
Rücken zu streichen ! 

Aber die Bittschrift soll ja 1792 dem Kaiser Franz 
überreicht worden sein, während 1700 noch Leopold II. 
regierte . 

Die betreffende Stelle bei Scherer lautet wörtlich : 

«Ihro Majestät der Kaiser, der verewigte Franz IL, 
haben der armen Elsaßer Recht nur zu sehr anerkannt und 
dasselbe außer allen Zweifel gesetzet. Ich lege als unwider- 
ruflichen Beweis die atlerunlerthänigste Bittschrift des alten 
StraBhur#er Magistrat:! hey nebst W darauf ertheilteo huld- 
reichsten Antwort, welche ihm [also dem Kaiser Kranz] in 
Frankfurt am Mayn bey seiner Krönung den 20. Julius 1792 
überreicht worden, um jedes Reichsjrlied von dem unwider- 
sprechlichen Rechte und Befugniß der Elsasser und Straßmir^er 
vollkommen zu Überföhren.» 

Der verewigte Franz iL ! Es lieyt hier offenbar ein 
Druckfehler oder wahrscheinlicher ein Schreibfehler des flüchtigen 
Verfassers vor. Es muß heißen : [Schon] der verewigte 
Leopold IL* etc. und statt dhm» weiter unten: «dem Kaiser 
Franz«. 

Hiernach scheint sich mir zu ergeben: die Bittschrift ist, 
sei es nun vom ganzen Rat, sei es von den autonomutischen 
Mitgliedern, 1790 abgefaßt worden. Daß davon im Protokoll 
nichts steht, ist in beiden Fällen begreiflich. Wahrscheinlich 
hat man sie gar nicht abgeschickt ; aber ein Mitglied, vielleicht 
Scherer selbst» welcher der Vater des Gedankens gewesen sein 
mag, nahm sie au sich, übergab sie hernach allein oder mit 



1 Koch Im Februar 1791 hat man ia — Colmar «wieder sebreyen 
hören. Es lebe Kaissr Leopold!» (Gesch. der gegen w. Zeit, S. 475. 
>I4 Hornang»). Leopold war bekanntlich der Bruder der unglück- 
lichen Marie Antoinette. 



I , D'iaina From 

UNWffiSITYOFMCHIGAN 



— 286 - 

anderen Emigranten dem Kaiser Franz und erhielt die mitge- 
teilte Antwort. 

Auf diese Weise erklärt sich das Fehlen des Datums auf 
beiden Schriftstücken, sowie das der ersten bogedruckte Stadt- 
siegel. Als Scherer 1799 mit seiner Veröffentlichung kam, 
war Dietrich längst enthauptet (29. Dez. 93); wer noch lebte, 
schwieg sich aus; das Protokollbuch versagt«} die Spur war 
verwischt. 

Mit welcher Leidenschaftlichkeit und nachhaltigem Haß 
AutonomisUn und «Constitutionelle» vor der Schreckenazeit 
gegeneinander losfuhren, besonders seil der Forderung des 
Prieslereides und ihren Folgen, davon geben gerade Scherers • 
Schriften ein nicht schönes, aber anschauliches Bild. Nach- 
stehend eine kleine Blurnmlese. 

Zuerst aus dem «Greuel der Verwüstung». Das 
Uuch (220 Seiten in 13 Kapiteln) «allen biedern Deutschen zum 
Unterricht, allen angesteckten Deutschen zum Schrecken durch 
einen biederen Elsasser, Ueutsculand 17y3 in allen Buchhand- 
lungen:» ist dem Kaiser Franz 11. und «Friedrich Wilhelm, 
Könige der Preuüen» gewidmet, die «sich gegen die französische 
Natterbrut mildem Schwerdte der Gerechtigkeit umgürtet» haben. 

Da lesen wir ; Der letzte köiu PrÄtor, Herr von 
Gerard, ein geborener Elsasser (£>• 28 IT.), ist den Bürgern 
Heb gewesen, "weil man iim «in der Muttersprache seine Not 
klagen konnte». Wegen Kränklichkeit nahm er Urlaub naefc 
Paris. Diese Gelegenheit benutzte Dietrich, der damals auch 
durl sich aufhielt, um durch seine Verbindungen mit hohen 
Persönlichkeiten an Gerards Stelle zu kommen. Leider unter- 
stützte ihn dabei auch sein Jugendfreund, dar Ammeister Türk- 
heim. Aber Gerard wehrte sich, und Dietrich kam deshalb nur 
in aiißpriwlentlieher Sendung als kön. Kommissar nach Stras- 
burg, Türkheim aber sagte, als der Freund nun da war und 
zu wirken begann: «Kennte ich mir vorstellen, daß er in so 
kurzer Zeit ein so großer Spitzbube geworden?» 

Besonders auf Dietrich eben hatte Scherer eine maßlose 
Wut. Straßburg «wimmelte» dank ihm (S. 41) «von unnützem 
[fremden] Gesindel, so da3 der alte eingesessene Bürger auf 
seine alten Tage nur noch auf das Spital und St. Marx Anspruch 
machen konnte.» Der kön. Kommissär wünschte «eine voll- 
kommene Anarchie» und (S. 47) «erkaufte mit Versprechungen 



1 Stiobei-Engelhardt bezsichnet «S.> (den Namen Scherer kennt 
er schoii nicht mehr) V, S. $26* als «eine giftigs Feder, die viel Un- 
richtigem, Uabertriebenea neben einigen auf Wahrheit gegründeten 
Tatsachen» geschrieben hah?. 



(~' i \ \ •] - O'iQinilfrom 

UNWRSITYOFMCHIGAN 



— 287 — 

künftiger Versorgungen unwürdige Leute, die durch ihre Schriften 
den Magistrat gegen die Bürger und die Bürger gegen den 
Magistrat aufhetzten*. cDie Gefahrlichsten waren: Salzmann 
'Herausgeber der conatitutionellen Strsßburgischen Zeitung], 
Ulrich [der spätere Herausgeber des «bauen Buchest]. Simon 
[Herausgeber des patriotischen Wochenblattes und später mit 
Andreas Meyer der «(beschichte der gegenwärtigen Zeit»: Strohel- 
Engelbardt nennt ihn V, 384 einen cexaltirlen Demokraten«] 
undLaveaux [Herausgeber des jakobinischen französischen Courier 
de Strasbourg, ein Hauptfeind Dietrichs!], Leute, die in der 
Abgefeimlheit selbst den Teufel übertrafen I» Simon, (der in 
der Unzucht erzeugte bekannte große Betrügen und die ge- 
nannten Gesellen, < warfen sich, sozusagen, zu der armen Stadt 
Gesetzgebern auf» 1 . 

Lei Sturm aufs Rathaus war Dietrichs Werk! — «Die alte 
berühmte deutsche Stadt bat iiiemalen die verlarvle französische 
Freiheit angenommen» ; Dietrich und sein Anhang zwangen sie 
dazu. «Die alten ehrlichen Straßhurger Bürger sind mit ihrem 
alten Magistrat stolz auf ihre durch die Friedensschlüsse und die 
Capitulation gesicherten Vorrechte und hoffen von der Gerech- 
tigkeit der Mächte, die der Stadt Freyheit im westphäli3cben 
Frieden garanlirt haben, in dieselbe wieder förmlich einleset zet 
zu werden. Ein gezwungener Eyd thut Gott leid!» 

In den «Wichtigen Anekdoten oinee Augen- 
zeugen über die französische Revolution, Berlin und Leipzig 
1300* wird Dietrich, wenn möglich, noch gehässiger behandelt. 
Der erste Band hat 238, der zweite 261 Seiten. Jener ist in 
der Torrede einem Unbekannten gewidmet, den «Ehrlichkeit, 



1 In den «Anekdoten* nennt Sohercr (II, 69, 1 deu «ganz ver- 
rinrhenpn Simon» den «natSrlichan Hohn einen Nntarins aus Straß - 
burg.' Ich habe raioa an anderer Stelle mit diesem Manne beschäf- 
tigt und dabei festgestellt, daß er als slielicher Sohn des Perncken- 
macherts 8. am 23. Hai 1751 geboren und tags darauf in der Neuen 
Kirche getanft worden ist. Er hatte sioh als Schreiber des Patrio 
tischen Wochenblattes die Feindschaft der Straßbnrger Antonomiaten 
zugezogen, die er als «mit Blindheit geschlagene Maulvurfsaugen» 
and als -Schafsköpfe- behandelte. (Vgl Zeitschrift für die Je seh. 
den Oberrheintt N. F. Bd. 23, Heft 3, S. 455.) Reuß bemerkt in 
«L'Alsace dans la re>oL> I, S. 809, gelegentlich eines Briefes Simons 
an den reg*. Amraeisier vom 15 12. 89: »Avcir un jonrnat a sa. dis- 
position saffiaait alore poar arracher aus. rauDicipalites biea d© con- 
eeffiiona riangp.renfiftfi, rjnand on aavftit hitnlement allier 1 e 8 p e r - 
Bpectivcs de dcioüciaiioiifl h des promesses d'elcges.» 

Und in «La cathedrale de Str. pend. la rev.» nennt derselbe 
S. 224, den «Unmaßgeblichen patriotischen "Vorschlag"» öimona (Gesch. 
der gcg"enw. Zoit v. 1. Brachmond 1791), Betschwestern, die bei den 
Umgängen des vereidigten Bischöfe in der Bittwoche demonstrirt 
hatten« mit «Farrenwedeln> r,n züchtigen, «une brutale invit&tion,» 



I , 

UNWRSITYOFMCHIGAN 



— 2S6 - 

Biederkeit» Aufrichtigkeit und wahre Menschenliebe jedem ehr- 
lich Denkenden schätzbar und unvergeßlich macht», dieser 
«dem um das Wohl seines Vaterlandes und seiner Mitbürger 
eifrigst beflissenen Herrn Franziskus Xaverius von F**.> 
Waren es Elsässer? 

«Die Nationalversammlung (II, S. 14) schenkte dem unwür- 
digen Dietrich ein unbeschränktes Zutrauen». Er (I, S. 28 ff.) 
war der Hauptmacher der revolutionären Propaganda de» 
Illuminatenordens und der Freimaurer Tür Deutschland, 
wie Fouchet für Frankreich. «Eine Menge von ihm besoldeter 
Kaufleute, besonders ein Tabakfabrikaut Müller, der Kaufmann 
Rübsamen, der Gastgeber zur Stadt Wien Kiener*» brachten 
Hetzschriften über den Rhein, deren ich «eine Men#e bei dem 
Kaufmann Reinhold in Steinbach [unweit Baden-Baden] in 
Händen gehabt.» Dazu kamen Agenten anrüchigster Art, wie 
der aus dem Wilbelmerstift ausgestoßene clutherische Theolog: 
Frienshnlz vnn Schiltigheim» (vgl. auch IT, 22). Dietrich ließ 
«mir selbst die größten Summen anbieten, am sein Anhänger 
zu werden» (I, S. 32); er schickte deshalb (1, S. 224) den Straß- 
burger Postmeister Mouilleseatix an mich und «stellte mir frei, 
die Summe, die ich verlangte, selbst festzusetzen». Denn er 
hatte von der Propaganda Millionen zur Verfügung. 

Bei der Moireswahl (II, S. 169) «erhielt jeder, der ihm seine 
Stimme gab. eine Boutcillc Wein, Brod, nebst 24 Sola in Gold». 

«So stürzte dieser Mann mit Gewalt den alten Rath und 
brachte seine guten Mitbürger um die ihnen durch die heiligsten 
Friedensschlüsse zugesicherten Rechte, obgleich beide [der große 
und der kleine Ral] sieben Protestalioneu nach der Reihe der Na- 
tionalversammlung insinuieren und auf den Pulpel* legen ließen.» 

In der letzten Sitzung des alten tlates gab ihm Dietrich 
«den HerzstoßB. Mit seiner einschmeichelnden Art wollte er 
die Herren bereden, alle Dekrete der Nationalversammlung von 
Anten? an ein die Stadtregister eintragen zu lassen». Aber 
man protestierte einstimmig dagegen, auch fc'egen die nun vor- 
geschlagene provisorische Kintragung. «Endlich erhob er doch 
seinen ihm eigenen gebieterischen Ton und sprach: Da die 
Herren nicht wollen, so befehle ich est — Kaum ertönten diese 
Worte, so (logen die Stühle aller Anwesenden»; mit Unwillen 



l Die Bürger Kiener and QrimmoisoE beschwerte* eich (Hu 1791) 
beim Maire, daß sie in Oberkirok von Emigranten niißli&ndeli worden 
seien (Beul. LAU. dann In rcv. II, 294 ff.). 

8 Folpet = polpite, palpitre. pnpitre. Palt, vom lateinischen 
pul pi tun. Wir würden heute sagen : «auf den Tisch des Hauses.» 

3 «Die vornehmsten Mitglieder» waren sogar bo erbittert, «daö 
sie die Stühle ergriffen, hinwarfen and fortgiengea.» («Was ist voa 
den ausgsv. Eis. au halten?», S. 24.) 



(^ . . . x .i . 

UNWffiSITYOFMCHIGAN 



— 289 — 

verließ jeder die große Ralhsslube, und der eigenmächtige 
Dietrich, der mit dein GeneraladvokaLeii Fischer und seinen 
Schreibern allein zurück blieb, that, was er wollte». 

«Seine Frau trieb sich beim Bundesfest mit den gemeinen 
Soldaten Arm in Arm herum» usw. [I], und er selbst verteilte 
unter sie «liederliche Metzen, die ihre Heize dazu anwendeten, 
(I: t die Soldaten endlich ihrem Könige allen Gehorsam auf- 
kündigten.» War auch hei diesen Dingen Scherer «Augenzeuge»? 

Nach der mißlungenen Flucht des Königs bekam Dietrich 
Angst und «trennte sich von den Jakobinern», um nun (ranz 
«zu den Feuillans überzusehen». Aber die Jakobiner, die er 
groß gezüchtet, «klagten ihn öffentlich als einen Verräter, als 
einen Meineidigen an» (II, 171 ff.). «Die Zuchtruthc des Höchsten 
ließ sich nicht mehr aufhalten.» Als er nach der Ankunft der 
beiden Pariaer Nationalkommissäre im Sladthause erschien, 
kündigte der von diesen ernannte provisorische Maire, der Arzt 
la Chausse, an, er habe «hier nichls weiter zu thuu, ei sei 
seiner Stelle enlsetzl.» — «So löUle ein Uebelgesinnler den 
andern ab.» . . . Dietrich zahlte schließlich «seine Torheiten> 
mit dem Kopf, «der einzige, wiewohl leidige Trost, wenn es 
anders einer ist !» 

Die dritte Schrift Scherors <rW as ist von den au sge- 
■,v;. micrien £ls5ssern und Lothringern 2 u 
holten?» bringt wenig Persönliches. Sie will (S. 12^ nur «der 
Welt beweisen» daß in einem Staate, der «die allgemeine Rechts- 
pflege» unterdrückt, «die Religion mit Füßen tritt, den König 
gemordet hat und dos Eigentum nicht mehr schützt, jeder 
Untertan ohne alle Ausnahme das Recht hat, auszuwandern». 

Die Hugenotten fanden seiner Zeit Freistätten in Deutsch- 
land, und ebenso die «vor 50 Jahren» durch «Intoleranz» zur 
Auswanderung gedrängten Salzburger. Jetzt haben «den Heber« 
mut und die Sitleulosinkeiü» vieler französischer Eniigrauteu 
«ihre Gegner gut zu benutzen gewußt, um alle zu versciueyeii». 
Aber (S. 44) es sind doch auch «:in Menge teutsche» 
darunter, «biedere Elsaßer, bieder« Straßbiirger», die man als 
Landsleule bebandeln müsse. St. Just und I,e Rns nannten 
(S. 86) die EUSsser «Henkersknechte», «mit deren Köpfen 
man die Guillotine nähren müsse, um ein schreckliches Beispiel 
der Rache der Nation »u geben und alle ihre Güter in den 
Schatz de* Convcnta zu bringen I» Und die Volkerepräeentanten 
[Lei den Rheincrrneenl La Coslc urd fcnudol hätten am 16. 
Ni\ose 2 [6. Januar 1793] beschlossen. «Considerant que la 
pertie de la Republique, qui formoit la eidevant Alsace et 
principalement le Departement du Bas-Khin, etoit peuplee d'une 
masse d'individts plus Attaches aux tyrans de l 1 Au triebe qu'ä 

19 



(~~ , . I . O'iainilfiom 

UNWRSnYOFMCHIGAN 



— 290 — 

Ja Republique francoise il a fallu ordonner des arres- 

talions les plus multipliees, und eine Commiesion eingesetzt, pour 
les juger sur le champ.i — «Himmelschreiend ist es, was die 
guten Etsaöer wegen ihrer alten Anhänglichkeit erdulden mußten», 
und dabei heißen (S. 21) ihre im französischen Heer cfreywillijr 
oder gezwungen dienenden» Landsleute «bey jeder Gelegenheit: 
cces fichus betes allemands !» 

Weitere politische Schriften Scherers sind mir nicht hekanni 
geworden ' . 

Zum Schlüsse, was noch aus seinem Leben zu ermitteln ist. 

Lei* junge Jurist mu£ wohlhabend gewesen sein ; er konnte 
auf «gelehrte» Reisen gehen und hätte, wäre die Revolution 
nichl ausgebrochen, kaum jemals politische Schriften verfait. 
Wie Eisenbach mitteilt, hielt er sich Unsere Zeit in Jena, 
Leipzig und Freiberg auf. Durch irgend welche, wohl elsäsaiache, 
Verbindungen kam er nach Petersburg, und wurde dort «Juris- 
consulte du College Imperial de Justice pour les nffaires de b 
Livonie, d'Esthonie et de Finlaudet. So betitelt er sich selbst 
in seinen 1777 bei Brunei in Pari?- erschienenen «Recherchen 
historiques et geographiques sur le nouveau-monde». Das Buct. 
(auf der Univ.-Bibl. vorhanden) ist gewidmet: «A. monsieur 
Alexandre-Conrad Gerard, conseiller-secretaire du Ro , 
Synriif», <\e la ville de Strasbourg, prpmier comfris des affaires 
Strang., seigneur d'Knsweiter [?] et autres lieux». Nach der 
Vorrede war er dreizehn Jahre abwesend, meist in Ruß- 
land. In der Erinnerung an den russischen Aufenthalt hatte er 
auch eine Uebersetzunp von G. VV. Stellers Beschreibung \oi» 
Kamtschatka herausgegeben (1774 Frankfurt und Leipzig), sowi«- 
«des heiligen Nestors usw. älteste Jahrbücher der russischen 
Geschichte von 868 bis 1203» übersetzt und mit Anmerkungen 
verschen (Leipzig 1774). [Herauf folgten (Frankfurt und Leipzig 
bei f. G. Fleischer 1776) die «Nordischen Neuenstunden d. i. 
Ahliaudlungeu über die alle Geographie, Geschichte und Altei- 
Ihümer des Nordens:», die «Herrn F. G. Pfeffel [dem Bruder 
des Dichters], Königl. Rat bey dem CoDejrio der auswärtigen 



1 Die drei erwähnten sind auf der Univ.-Bibl. Nach Eisenbach 
(Beschreibung und Geschichte der Universitär und Stadt Tübingen 
1X22) sfthrieh er auf diespm (Tfthiet.p noch* cUntprnng »Her Revoll- 
tiu.itu elc, 1780», • Gesch. des Generals Mi k bauiiuI der Offenbar uug 
Bou&partes» o. J. und «Die Urheber des Mordts der französischen 
Kongrießgresandten» o. J. Auch «kleinere Abhandlungen in den Straß- 
barger wöchentlichen Ephemsriden» sind da genannt; sie werden 
aber kaum politischer Natur gewesen sein, nie vnn Kisenbs.cn auf- 
gezählten Schriften Scherers. seines Kollegen, hat dieser ihm wohl 
selbst angegeben. (Vgl. den Lebensabriß in der A\\g deutschen 
Biugr., Bc. 31. von L. Stieda ) 



(~* . . . . I . O'ioinil fiom 

UNWffiSITYOFMCHIGAN 



• - 291 — 

Sachen in Versailles und Stadimeister der Stadt Colrcar» ge- 
widmet sind. (Das Buch ist auf der Univ. ßibl.). Und noch 
178Ä (Paris) eine Hislcire raisonnee du commerce de la Russie» 
und (ebenda) «Annales de la petite Kussie.» (Beide et ersetzt 
von Karl Hammerdörfer, taipzig 1789.) 

Nach Eiaenbach wurde Scherer, später vom Pariser Mini- 
steril im der französischen Gesandtschaft in Petersburg neigegehen 
und su verschiedenen diplomatischen Sendungen nach Polen, 
Schweden, Kopenhagen, Hamburg und Berlin gebraucht. 1775 
kam er nach Versailles als — so betitelt er sich selbst in den 
{Nordischen Nebeastunden» — 't Pensionär [durchschossen 
gedruektj Sr. Allershristliohsten Majestät l>CYm Coltegio der aus- 
wärtigen Sachen». 1730 kehrte er, auf Antrag entlassen, nach 
Slraßburg" zurück. Er hat auch seinen Vater bei der Heraus- 
gabe von Montfaueons 1 Wörterbuch [?] untcrstüzt (Eisenbach). 
Inzwischen war er auch «Membre de plusieurs Academies et 
Sociales litlerairea* geworden (sc auf dein Titelblatt von den 
«Recherches hist.» usw.), und das varen (nach Eisenbaeb) «die 
gelehrten Gesellschaften zu Basel, Upsala, Halle, Berlin, Bern 
und Lyon.» — Erst 1787 trat er, ATt Jahre alt, in den vater- 
städtischen Dienst als Schöffe und ließ noch als solcher die oben 
erwähnten Rücher (1788) in Paris erscheinen *. 

Nach alledem war Scherer gewiß kein unbedeutender Mann. 

Um die Revolution an der Quelle kennen zu lernen, reiste 
er 1790 und 91 wieder nach Paris und besuchte die National- 
versammlung. Das erzählt er selbst auf S. 6 und 8 seiner 
Schrift: «Was ist von den ausgewanderten usw.» zu halten? 
1781 war er sogar 2 bis 3 Monate in der Hauptstadt'. 

Als er sich 1792 (Eisenbach) Gesundheits halber in Baden- 
Baden aufhielt, wurde er —das rechte Rheinufer jzalt eben damals 
mit Recht als verdächtig — auf die Emigtauleuliste gesetzt, 
was die Einziehung seines Vermögens * zur Folge halte. In 



■ Dom Bernard tie tfontfaueon 1655—1741, gelehrter Benedik- 
tiner. Welche* seiner zahlreichen Werke unter dem cWörterbuch» 
gemeint ist, weiß ich nicht. 

s Koch einige andsie gibt Stieda in ier Allg. deutschen Bio- 
graphie an. 

8 1794 auf S. 8 ist oin Druckfehler für 1791, wio echon aus den 
Worten «bald darauf i vorher ist vom Okt. 1791 die Rede; hervorgeht. 

4 Er scheint in dci K&lbsgaasc gewohnt /«a haben. Wenigstens 
sind am 7. plnviose l'an II 126. Januar 1794) Möbel bzw Gerumpel 
aus dem Haushalte das <nomme de loi Benclt Scherer», das im Hautse 
des Bürg-ers Enjrelmann in der Kalbsgasäe aufbewahrt lag, baschlag- 
n ahmt worden. Schitzmgwert: 115 fr. 8 s.! (L. Adm. d&part. 
Emigräe: Strasbourg aif dem Bezirks arekiv). Bin Lic Engelmann 
eaß mit Scherer im letzten Stadtrat als äehöffe der «Zirnroerleot». 
Auf dem Stadtarchiv in dem auf Veranlassung des Dep. -Direktoriums 



C nn •] - O'iginil fiom 

IMVBtSriYQFMCHKM 



- 292 - 

dieser Lage soll er durch seinen Landsmann, den Feldmarschall 
von Wurmser, eine Stelle in der österreichischen Kriegs- 
kanzlei erhalten und sich später als französischer Sprachlehrer 
zu Kirchheim u. T. durchlesen lagen haben. 1798 lebte er 
(Meuasel «Das gelehrte Deutschland» Bd. VII, 1798) wieder in 
Strasburg als Privatmann und taucht (ebenda Bd. X, S. 666} 
um 1301 als Herr von Scherer in Stuttgart auf. Den Adel 
verlieh ihm wohl Herzog Friedrich von Württemberg, der ihm 
Dank schuldete (vielleicht für Beratung bei seinen Ersatzan- 
sprüchen für die verlorene Herrschaft Reichenweier-Mörnpel- 
gard) und ihm zu Liebe als neuer Rheinbundkönig 1808 auch 
einen Lehrstuhl för französische Sprache und Literatur in 
Tübingen gründete, den dann Scherer als außerordentlicher 
Professor «auf königlichen Befehl* einnahm 1 Er las (Eisen- 
hach) außer Aber französische Sprache und Literatur ciiher 
Geschichte der französischen Revolution und des russischen 
Reiches, über Diplomatie, griechische Altertümer und ander? 
geschichtliche Fächer». 1814 erhielt er von Ludwig XVIII., dein 
Spender der «konstitutionellen Charte», den Lilienorden. Gerne 
wäre er ordentlicher Professor geworden ; aber (König Friedrich 
war 1816 gestorben) der Minister lehnte 1819 ein deshalb ein 
gereichtes Gesuch ab (Sticda). Erst am lö. Oktober 1824 tral 
er. 84 /«hie alt, in den Ruhestand. 

Uebcr sein Todesjahr und seine Gattin, die wahrscheinlich 
eine Deutschrussin war*, habe ich nichts ermitteln können. 



gedruckten «Verr.. der beweg:!, u. onbewegl. Güter der Emigranten) 
vom 28. Sept. 1792 (II. 64) ateht Scherer mit «avrei Stücken Leinwaad 
iaventiert» ! Diese Liste t.rk^r. bereits unter den Untersch ritten den 
Kamen des später so berüchtigten Maires Menet als «General-Pro- 

kurator-Syndik». 

«Es handelte sich dabei weniger darum, för die Univcrsitä; 
zn sonjeii, als einen Mann, dein die Regierung- verpflichtet vir. 
unterzubringen. AU Lehrer hatte er, obglcbh nicht ohne Bilduag" 
und Kenntnisse, wenig Bedeutung, da er sieb erst in vorgerückten 
Alter dem Sprachunterricht widmete> (K. Klapfol auf S. 370 seiner 
«Gesch. der Univ. Tübingen», 1849). Und derselbe S. 80 in der Fest- 
schrift -Die Univ. Tübingen in ihrer Vergangenheit u. Gegenwart». 
1877: cTür franz. öpr&cha n. Literatur war schon 1808 ein Lehr- 
stuhl errichtet worden; aber die erst© Wahl war nicht glücklich. 
uii J die Stelle wurde längs Zeit nur durch Frivatdozenten und 
Sprachlehrer besetzt« bis 1837 Adolf Pesehier von Genf definitiv «r- 

naam wurde.» 

2 In letzter Stunde kommt mir noch folgfiido gütige Mitteil aig 
des Herrn Sekretärs Kaliber am .Stadtarchiv zn: 

«Bei Durchsicht der Traaungeregieter dei Neuen Kirche find« 
ich eben unterm Lg. 1778 [M 116 pag. 196) eine zweite Heirat (das 
Aufgebot) von Johann Benedikt Scherer («Beamter des 
Königl Collegii der ausländischen Angelegenheiten in Versailles 
pensioanaire bey Ihre Könige Majestät in Fr&nckreich, aich Wittwer 



(~* . . . I . O'ioJnil fiom 

UNWERSITYÜFMCHIGAN 



— 203 - 

Ein Sohn von ihm, A. N. (Alexander Nikolaus), der in Peters- 
burg zur Welt kam, wurde (Meussel cDas gelehrte Deutschland» 
Band X, S. 661, 1803) im Jahre 1800 ordentlicher Professor der 
Physik in Halle, später (ei.enda Bd. XX, S. 91) Direktor der 
pharmazeutischen Gesellschaft in Petersburg und hat sich (nach 
Sticca) als Chemiker einen Namen gemacht. 

Sein greiser Vater wird wohl in Tübingen gestorben sein. 



alhier, welcher in der ersten Ehe gelebat hat mit weyl. Frau Mario. 
Dorothea, gebohrner Berg, auß Petersburg gebürtig) und Jungfer 
Albertina Franzieea Nobenius, Hrn. Ernst Christoph 
Nebenius, Hochfurstl. Margraf!. B&adischen K&tha und Amtmanna zu 
Rlodt ehel. erzeugte Jgfr. Toonter». Die Trauung aelb&t fand zu 
II ho dt statt.- — Rhddt ist jetzt pfalzb&yeriach (bei Landau). Der 

badische Minister Karl Friedrich Nebenins, geb. 1784 In Rhodt. gest. 

1857 in Karlsruhe, war also wohl ein Schwager Sonorere. 



O'ioJnilfrom 
: ' v " IINIVRSITYOFMCHIGA^ 



XVI. 

Carmina Flegel iana. 

tfitgeteilt von 

W. Teichmann. 

< l)\e fröhlichen Stunden, welche wir als Jugend- und 
Herzensfreunde am 25. u. 26. Dezember 1819 in der Hub 
miteinander zugebrach! hatten, floßlen uns den natürlichen 
Wunsch ein, das seelige Band der Freundschaft wöge uns unser 
ganzes Leben hindurch so fest umschließen, als es bis zu jenen 
(rohen Tagen geschehen war. Zugleich sahen wir den Zeit- 
punkt nahe, wo das Schicksal uns in verschiedene enlfernta 
Gegenden zei'sf reuen sollte, wo neue Umgebungen uns leichl 
tur Vernachlässigung unsrcr innigen früheren Verhältnisse 
bringen könnten. Dicfi vcianleßtc uns den Bund der uns jetzt 
vereinigt su stiften. — Er soll unsre Freundschaft verewigen, 
beständige Uebereinstmimung in unsern Gesinnungen erhalten 
und uns zur thätigslen Tlieilnahme an den Schicksalen der 
Brüder verpflichten. Unser Zweck ist also nicht blos zuweilen 
fröhliche Stunden miteinander zuzubringen und der Abwesenden 
mit Freude zu gedenken, sondern auch einander gegenseitig 
beizustehen, m warnen, zu ermahnen, wie es wahre Freund- 
schaft fordert; denn nur riann kann unser Bund fest seyn, 
wenn wir durch treue Erfüllung der Pdichlen gegenseitige 
Achtung und Zuversicht bewahren. — Ein unbedeutender Zu- 
fall isl Schuld, daß wir ihm den Namen Klegeüa geben. Wir 
brachten nämlich den Abend des 26. Xbre mit Tanz zu und 
beobachteten gegen die Mädchen, welche mit uns an jenem 
Vergnügen theilnahmen, die gehörige Höflichkeil, wiewohl nach 
unsrer Gewohnheit nicht ' ohne Uebertreibun^. Dennoch glaubte 
eines von ihnen eine Beleidigung emufai]£e;i zu haben und er- 
laubte sich, uns Flegel zu betiteln. Diese kleine Hache machte 
uns vielen Spaß ; wir begrüßten einander in der Folge scherE- 
weia mit dem Namen der uns beschimpfen sollte und gebrauchen 

1 Dies «nicht» stört den Sinn, es ist wohl zu streichen. 



I . O'iainil fiom 

INWRSITVOFMCHIGAM 



— &9ö - 

ihn jetzt um damit die Mitglieder unsere Bundes zu bezeichnen. 
Soll er indeß eine besondere Bedeutung in sich fassen, so 
drücke er die biedre Derbheit aus, die alles Kriechen vor 
hohen und jedes sclavische Beiragen gegen Weiber verachtend 
den Brüdern ein freies offenes liebevolles Herz beweißt. Unser 
Wappen besteht aus einem Schilde mit drei Feldern, wovon 
das erste das obere Drittheil desselben einnimmt und 12 silberne 
Sterne auf blauem Grund enthält. Unter diesem Felde ist zur 
rechten das zweite Feld mit zwei grünen Eicbenzweigen auf 
Man kern Grund; zur linken das dritte Feld mit einer goldenen 
Irfder auf grünem Grunde. Den Sinn dieses Wappens erklärt 
folgende Stanze : 

Durch die Nscht der Erde glänzt dem Bunde 
Aus dem lichten Blau die Stemenschaar ; 
Freudig bietet auf dem reinen Grunde 
Sich der Eichenzweig dem Hanna dar. 
Und ein muntres Lied in trüber Stunde 
Hallet Trost vom grünenden Altar. 
Wenn vir treu und rein arn Bunde halten 
Wird der Hoffnung Knospe sich entfalten. 
Nach unsrer Uebereinkunft darf die Anzahl der Mitglieder 
uns res Vereins nie 12 übersteigen ; ohne völlige Uebereinstim- 
■ 11 u n«j" aller jetzigen Mitglieder kann niemand darin aufgenommen 
werden, und wer abgeht, wird nicht mehr ersetzt. Diese Ein- 
scbrankunjjen verhindern aber nicht daß auch andre Freunde 
iinsern Zusammenkünften beiwohnen und an unsern Freuden 
Theil nehmen können. Wer auch nur von einem unsrer Brüder 
empfohlen wird, sey uns allen willkommen. 

Mehrere Mitglieder der Klegelia sorgen für die Erbeitrung 
itnsrer Zusammenkünfte durch das Dichten von Liedern, welche 
• tie Gesinnungen ausdrücken die uns nl Je beleben, Jeder von 
une soll diese Lieder nach der Reihe in welcher 3ic erscheinen 
in einem eignen Büchlein niederschreiben. Den 25. Dccember 
1824 wird die Sammlang geschlossen. Bey jedem "Vivat oder 
an jedem Abend, den wir der Erinnerung an alle nahen und 
fernen Brüder weihen sollen diese Lieder aus unsenn Munde 
erschallen. Wenn sie auch aus Mangel an Stimmen nicht ge- 
sungen werden können, so sind sie doch unsrer Durchlesung 
empfohlen. Sie rufen uns manche Fata, manches Zusammen- 
treffen unsrer Brüder in der Fremde ins Gedächtnis zurück, sip 
vergegenwärtigen die Abwesenden einander; sie stimmen uns 
tu denselben harmonischen Gefühlen, sie sind der beständige 
Ruf des Freundes zum Freunde. 

Sollten sie nieht ewig unsres Andenkens werth seyn ! I 
Vt F«.» 



f 



. O'ioJnilFiom 

■ ■ ^ IINIYRSITYÖFMCHIGA>1 



- 20(1 - 
]. 

Rückerinnerung' von Franz Härter. 

Mus. von Schweigh&euscr mit Klavier. 

1. 

Wie schwanden uns im lieblichen Thale 
Die Tage, die Stunden im Fluge dahin 
Reym völligen Klange der vollen PsJcale 
Weckt Rachus die Muse im festlichen Saale 
Lud Kummer und nagende Sorgen eatfliehn. 

2. 

Alles vergessend im wirbelnden Tonzc 
Schwebt nun der Jüngling das Mädchen im Arm 
Unschuld und Freude im strahlenden Glänze 
Winden uns Lilien und Rosen zum Kranze 
Weihn den Genuß und verbannen den Uarm. 

3. 

Aber die Lieder der Freude verhallen 
Horch! Es ertön[e]t das schreckliche Wort 
Trennung! das Snriinksal mit eherner Krallen 
Reißet uns los ans den lieblichen Hallen 
Hort auch mit blutendem Herzen, fort, fort. 

4. 

Langsam wallen «ir zurück 
Keine Sonne leuchtet unserm Pfade 
Einen trüben Abschiedsblick 
Senden wir zum fliehenden Gestade 
Matt erstirbt der Freude Liebt« 
Doch die Liebe welket nicht. 



n. 

"Worte von Franz Haerter. 

Muaick von Wilhelm Schweighaeaser. 

1. 

Ca mil dem Humpen in der Hand, ihr theuern Drude: 
Frey von des Lebens Zwang: und Tand, 
Wir in der Freude Tempel weihten unsre Lieder, 
Der Freundschaft und dem Vaterland; 



I , O'iQim dorn 

INWERSnVOFMCHIGAM 



— 297 — 

Schwanden uns die holden Tage hin, 
Die eh der Lein entflieht an unsrer Bahn entblühn 
Hinaus ins wilde Treiben reißt uns nun das Leben, 
Lebt wohl ihr Brüder! lebet wohl! 

2. 

Koch stets umschweben uns in wonnevollem Bilde 

Bis an Europeas fernsten Rand 

Des Theuern Mutterlandes bluinichte Gefilde 

Und unserer Heilern Alsa Strand ; 

Wo sorgenlos in wilder Knahenlust 

Zum ernsten Kampfe sich gestählt die freye Brust; 

Wo sich noch jugendlich die zarteren Gefühle 

Gestimmt zu sanfter Harmonie. 



Frohlockend kehren wir nach Jahren alle wieder 

In Vater Rheines seeiges Thal ; 

Dann reicht mit treuer Hand beym Hochklang unsrer Lieder 

Dem Chor die Liebe den Pobal. 

Und feyerlich ertänt der Uecherklang 

Dem Glück das jeder sich durch eignen Werth errang. 

Und eine Männerthräne weinen wir dem Bruder, 

Der Iäng3l im stillen Grabe ruht. 



111. 



Erzflegral auf dem Blocksberg. 
23. September 182D. 

Im Wolkenhimmel wirklich sitzt 
Ein Bursche woblgemuth 
Er hal den Tag durch viel geschwitzt 
Und das war gut. 
Doch denkt er seiner Brüder jetzt 
Die fern im Vaterlande 
Der Freundschaft Decher hoch ergötzt 
An Yater Rheines Strande, 
So stimm ich fröhlich denn mit ein 
Es lebe Freundschaft San? und Wein 
Vivat Alsatia ' 



I . O'iQJnii fiom 

UNWffiSITYOFMCHIGAN 



— SfiS — 

IV. 

Flegols Antwort von Friedrich Eduard 
Kampmann. 

Bey 'r Tobackspfeife wirklich sitzt 
Ein Flegel wuhlgeuiuth. 
Hat heute zwar nicht viel geschwitzt 
Doch war es so auch gut. 
Da denkt er seines Bruders jetzt 
Der an der Saale Strände 
Mit liier und Oxen sieb ergötzt 
In Preußens Torf und Sande 
So stimm ich fröhlich denn mit «in 
Es lebe Freundschaft Sang und Wein 
Vival Alsatia ! 

V. 
Von F. Haerter. 

I. 

Kommt Brüder wir sinken der Freude (Jodel) 
Ein Liedchen mit inniger Lusl , 
Denn selten erfüllt sie wie heute (Jodel) 
So rein und so seeli# die Brust. 



Wie flattern die fröhlichen Stunden 
.\uf rosigen Schwingen uns zu 
Wir haben die Freunde gefunden 
Den Becher der Freude dazu. 

3. 

Wir schwatzen wir lachen wir singen 
Von Wünschen und Sorgen befreit. 
Da kann schon ein Liedchen gelingen 
Der Freude des Lebens geweiht. 

Komm freundliche Göttin hernieder 
Dir öffnen so gerne sich heut 
Die Herzen der draulichen Brüder 
Die ferne das Leben zerstreut. 



I . O'iainil fiom 

IMVBtSrTYOFMCHKM 



- 299 - 

5. 

Komm strahlende Freud und umschwebe 
Im ganzen Europa den Chor 
lind jeder mit Hochgesang liebe 
Für alle den Becher empor. 

6. 
Zwar sind wir jetzt fern von einander 
Doch bleiben die Herzen «ich nah; 
Und jeden ja alle wirds freuen 
Wenn einem was Gutes geschah. 

7. 

Und kommen wir wieder zusammen 
Auf wechselnder irdischer Buhn 
So knüpfen ans fröhliche Ende 
Den fröhlichen Anfang wir an. 



VI. 

Flegel-Lied von F. F. Kampmann 
Hei. : Vom hoh'n Olymp etc. 

1. 

Wenn fern vuu AlsVs hei ma (blieben Gauen 

Den Feuerwagen Phöbus lenkt, 

Und über Stsdt und Dorf und Feld und Auen 

Die Nacht den kühlen Schleier senkt ; 

|: Schalle i zum Himmel der I'legelgesang, 

Beym Humpengetöu und beym Becherklanjr :| 

2. 

Seht zu den Slernen die am Himmel blinken 

Und sende: hin den Bruderkuß. 

Seht wie die Sterne freundlich niederwinken 

Es ist der fernen Flegelgruß. 

«Jauchzet den grüßenden Sternen den Dank 

Himmelan töne der Flegelgesang.» 

Beym volen Glase nun ihr lieben Brüder ! 

Das ihr den fernen Flegeln weiht. 

Und bey dem Hochklan;.' unsrer allen Lieder 



1 Gestrichen Tann er . . . 



I . O'iainil fiom 

n >^' ,H ' UNWRSnYQFMCHI&M 



— 300 — 

Gedenkt der schönen illen Zeit. 

«Knüpfet die Bande der Freundschaft recht fest 

Vivant die Flegel in Ost und West.» 

4 

Es töne vivat an der Seine Strande . 

Den Flegeln und Alsatia! 

Und vivat tön aus Preußens Torf und Sande 

Dem Elsaß und Fle^elia ! 

«Knüpfe Flegelia fester dein Dand 

Vivaut die Flegel zuerst uns genannt. > 

5- 

Und fQhren einst die freundlich waltenden Sterne 

In ihrem e^gen Wechseltanz 

2ur schönen Heinialh aus der fernsten Ferue 

Uns wieder in der Flegel Kuiü, 

«Lieder des Danks dann in feurigem Chor 

Jubelt zur Göttin der Freude empor. d 



VII. 

Humpenlied von Theodor Kampmann. 
Me!.: lebeT die Keschwerdcn etc. 

1. 

Setzet euch Brüder in die Runde, 

Füllt die Becher bis zum Rand, 

Unser ist noch diese frohe Stunde, 

i: Drum nehmet frisch das Glas zur Hand. ;| 

Jauchzt ein Hoch dem Bruderbünde, 

Hub Flegelia genannt , 

Bringt es Brüder; jubelnd dann zum Munde; 

|: Unten sey was oben stand. t| 

2. 

Alle unsre treue Bundesgi ieder 
Sind vereint bey Pfeif und Glas 
Sinken frohe flotte Burschenlieder 

Bey der Gerste edlern Naß. 
Trinken auf das Wohl der Brüder 
Manchen Schoppen manche Maaß 
Drum füllt die leerer Gläser wieder 
Hier aus diesem vollen Faß 



I . O'iaimlfiom 

IMVBtSrTYDFMCHKM 



- 301 — 

3. 

Bey der vollen Gläser Jubelsclialle 
Denken wir der Brüder gern; 
Unsre wcnnetrunkne Lippe lalle 
Allen Brüdern nnh und fern. 
In Porie, Berlin und Halle 
Die jctel Tisch und Krug" im Stern 
Mit sich rtiederziehn rielleichl im Falle 
Einen Srocllis meine Herrn. 



VIII 

Erzflegels Ankunft nach Berlin 
den O l#r Aprill 1821 von Theodor Aufschlager. 

Hai.; Hier sitz ich nnf Rasen et«. 

1. 

Geliebtester Bruder begrüßet seyst du ! 

j: Von ferne schon bringen ;| 

Dir trauliche Flegel den Bruderkuß zu. 

2. 

Bald schwindet die Zeit die von dir uns noch trennt. 

Du kommst — welche Wonne ! 

Wenn jubelnd im Chor dir der Flegelgruß tönt. 

3. 

möchte sie länger doch währen die Zeit 

Die jet2t uns erwartet 

(Jne Flegel die ferne das Schicksal zerstreut. 

4. 

Doch tröste dich Flegel Flegelia lebt fort. 

Du bist nicht verlassen 

Du findest ja einen hier andere dort. 

5. 

Schon hören wir ferne des Posthornes Schall 

Es nahet der Flegel 

Auf Brüder versammelt und freuet euch all. 

6. 

In Osten und Westen und ferne und nah 

Lebt buch nun ihr Flegel! 

Auf schwingt die Pokale Erzflegel ist da ! 



I , O'iQim fism 

UNWERSITYÜFMCHIGAN 



— 302 - 

IX. 

Erzflegels Wanderlied alB er nach der Heimath 

zo|r. Aprill 1821. von W. Schwghsr. 

Hei.: Hein Lebenslauf ist etc. 

1. 
Der Bursche greift zum Wandeisiab, 

Ade du Saale Strand 

Er zieht Berg auf, er zieht Berg ab, 

Durch manches Dorf und Land. 

Doch scheide! er von Halle gern. 

Ihn führt ja da3 Geschick 

Aus Preußens Sande kalt und fern 

Ins Vaterland zurück. 

2. 
Zwarblühtauch dort der Freundschaft Glück 
Das edle Herzen lohnt 
Es lebe hoch der Musensitz 
Wo Burscheufreiheit wohnt! 
Doch ist's auch schön im fremden Land, 
Nie wirds zur Heimat h mir. 
Heimath l schönes Vaterland ! 
Mein Busen aoliläyl nur dir. 

3. 
Und winkst du mir von ferne zu 
Erwinia Himmelsbraut, 
Und lächelt mir dem Müden Ruh 
fiey Freunden lieb und traut, 
Wenn der bekränzte Becher schallt 
Den Brüdern fern und nah 
Dann jaunhz ich, daß die Erde lullt 
Vivat Alsatia :■ 
Vivat Flegelia ! Vivat Alsatia! 

X. 

Flegels Abschied von F. E. Kampoiaau. 
tfel.: Es reuieu 8 Schneider etc. y. 4 Minore g. mol. 

1. 

Es ziehet der Flegel aus Vaters Haus ade ! 

Fort in die weite Welt hinaus arte! 

Leicht fließt sein Blut froh ist sein Sinn, 

So eilet er rasch durch das Leben dahin 

Ade ! Schöne Heimath ade Schöne Heimath ade I 



(^ , , I . O'iainil fiom 

IMVBtSrTYOFMCHKM 



— 303 — 



Die mich solange pepfleget ha! 
Lebwohl du liebe Vaterstadt 
Ich weile nicht länger in deinem Schoos 
Des Lebens Treiben es reißt mich los 
Ade du Beste ade ! 

3. 

Sieh kühn an der heitern Alsa Strand 
Dein werd ich gedenken im fernen Land 
Denn treu bewahrst du in Freue und Schmerz 
Mir all meiner Theuern Hebend Herz 
Ade ihr Guten ade ! 

4. 

Feins Liebchen auch laß ich in dir zurück 
Aus der Ferne oft schwebe zu ihr mein Blick 
Behalte mich lieb! wenn alles auch bricht 
Dein hin ich, dein bleib ich "Vergißmeinnicht 
Ade du Einzge edel 

6. 

In deinem Boden auch kühl und still 

Da wohnen ach schon der Geliebten so viel 

Doch ruht auch die Asche an tiefem Ort 

So bleibt* eure Liebe im Leben doch fort 

Ade ihr Geliebten ade; Wir sehn uns nicht wieder ade! 

6. 

Zum nächsten Dorfe geleitet jetzt 
Ihr trauten Flegel mich noch zuletzt 
Einen Becher vaterländischen Wein 
Noch einmal zu leeren im Flegelverein. 
Ade Ihr Getreuen ade. 

7. 

Es lebe hoch Flegelia I l'ivat hoch I 
Und dreimal hoch Aleatia ! Hurrah hoch ! 
Nun Herz an Herz den letzten Gruß 
Und Mund auf Mund den Abschiedskuß. 
Wir finden uns wieder ade ! 
Hier oder dort oben ade! 



1 Zuerst : s© blüht ihre. 



I . O'iainil fiom 

IMVBtSrTYOFMCHKM 



— 304 — 

XL 

Flegels Erdenwallen von F. E. Kampmann 

Mel.: Mein Lebenslauf clc. 

1. 

Es ziehet Flegel* wohlgcmuth 

Durch Flur und Au und Feld; 

Es treibet ihn das rasche Blut 

Dort in Hie weite Well. 

Er wallet aus und wallet ein 

Hat immer froher Sinn 

Was half es ihm auch traurig se^n 

Was brächt ihm das Gewinn. 

2. 

Er wallet hin und wallet her 

Er ist bald hier bald dort 

Trägt sich mit Sorben nimmermehr 

Er pilgert mutig fürt. 

Wohin er auch die Schritte führt 

Rlühn Hosen ihm so schön 

Uie Blumen bricht er, unberührt 

Läßt er die Dornen siehn. 

8. 

So manchem ist ein Jammerthal 

Der Erde schönes Rund, 

Sieht Angst und Kummer überall 

fteibl Seel und Hers sich wund. 

Er schwimmt in einem Sorgenmecr 

Sieht alles schief und krumm. 

Er quält (sich) hin er quält sich her 

"Weiß selbst wohl nicht warum 

4. 

Doch Flegel eilet frank und fray 
Und sorgenlos dahin 
Genießet froh des Lehens Mai 
Läßt trübe Wolken ziehn 
Und schlägt die Freude nimmer aus 
Mag ihr sich gerne weihn 
Und findet er ein frölich Hf»us 
So kehrt er immer ein. 



I . O'iginil fiom 

UNWffiSITYOFMCHIGAN 



- 300 - 

5. 

Er scheuet Arbeit nicht und Drang 

Und keiner Müh er weicht 

Ein rnunlree Lied ein heitrer Sang 

Macht ihm ja alles leicht. 

Ihn treibcts fort in rascher Eil 

Mit ungehemmtem Lauf, 

Und atclp«rt er auch jn zuweil 

So steht er wieder auf. 

6. 
Ein Hera voll innger Liebe (schlägt) glüht 
Im Busen rein und gut 
Und schirmt wenn Sturm ihn rings umzieht 
Und giebt ihm frohen Mulli 
Und trägt ihn durch des Lebens zwang 
Auf leichtem Fittig hin 
Drum tragt die Stirn er frei und frank 
Drum blitzt das Aug ihm kühn. 

7. 
Er treib! mit immer frohem Sinn 
Fori durch die weile Welt 
Seiu Erdenleben rasch dahin 
So lauy ea Gott jrcßlh. 
Und dankt Gott daß zum Vaterland 
Er ihm Alsatia gab 
Hält treu und fest am Flegelband 
Bi3 an sein kühles Grab. 

XII. 

Von F. E. Kampoxann. 

Hei.: Stoßt &u etc. 

1. 
Stoßt an Rebensaft lebe! Hurrah hoch! 
Weil der feurig schäumende Becher erblinkt, 
Zum Brüdcrgclage die Freude uns winkt. 
Freut euch und trinkt ! 

2. 

Stoßt an Minnesang lebe ! 

Was ein Gott uns gab was dem Herzen entblüht 
Das Leben verherrlichet Minne und Lied 
Singel und lieht ! 

20 



(^ , . I . O'ioJnrifiom 

IMtfBtSrTYOFMCHKM 



- 30i> - 

Stoßt an Männermuth lebe ! 
Denn zum Kampfe muthig der Busen sich regt 
Für Wahrheit und Tugend und Freiheit und Recht 
Weihet dies Glas! 

Stoßt an Frauenreiz lebe! 
Denn der Busen der Frauen rein und zart 
Was schön und was gütlich ist heilig bewahrt 
Ehret die Frauen I 

5. 

Si'j3i an Brudertreu lebe! 
Wer auf Brudertreu nicht bauen kann 
Ist wali i lieh ein armer geschlagener Mann 
Bleibet euch treu ! 



XIII. 

Erzfiejrels Willkomm im Vaterlande 
von Fr. Haerter. 

Mol.' Edle Brüder. 
1. 

Mit dem Ränzchen auf dem Hucken 
Und dem Dornstock in der Hand 
Kehrt mit wonnetrunkneu Blicken 
Heim der ßursch aus fernem Land. 
Seiner harrt im Hubcrlhule 
Schon der Freunde Jubelreihn 
Argefüllt eind die Pokale 
Und der große Krug von Stein. 

2. 

Kuß und Cruß nach Väterweise 
fcruder Präses dir zuvor 
Sey willkommen von der Reise 
In der trauten Flegel Chor. 
Ob du Freunde auch verlassen 
An der Saale fernem Slrand 
Wenn dich Flegel froh umfassen 
Denkst du nur ans Vaterland. 



I . O'iaimi fiom 

IMtfBtSrTYOFMCHKM 



- 307 

3. 

Trink €s tönen unsre Becher, 

Dir ein ilottes Lebehoch ' 

Grüß dich Sott du wackrer Zecher 

Bist der alle Flegel noch ! 

Riß dich längst aus unsrer Mitte 

Auch das eherne fiese hirk 

Führen heute deine Schritte 

Doch Eur Heimalh dich zurück. 

4. 

Jubelnd um ihn jeder hebe 

Hoch das Glas zum Brudergruß 

Um die lernen Freunde schwebe 

Treu der Flegel Genius. 

Auf ihr Brüder laßt uns trinken 

Vivat hoch Alaalia E 

Seht die Sterne freundlich winken 

Vivat hoch Flegelia ! 



XIV. 

Trinklied von Fr. Hoorter, 

dem Krzdegel zu StutUfard tnitgetheflt den 20. Mai 1821 

1, 

Uin unsera Zirkel schlingen heute 

Drei Grazien ein schönes Band ; 

Die Jugend, die bekränzte Freude, 

Die hehre Freundschaft Hand in Hand. 

Vervreben wonnevollc Stunden 

In unsrer Tage Gnstein Zug 

Uud träufeln Balsam in die Wunden, 

Die uns des Schicksals Härte schlug:. 

2. 

Nur von den letzten Morgenstralen 
Der Jugend glüht noch unsre Brust ; 
Doch reichet uns in vollen Schalen 
Die Freude jetzt des Lethe s Lust. 
Und zwischen ihren Schwestern glänzet 
Diu Freundschaft in des Aethers Licht ; 
Der Zweig womit sie uus bekränzet 
Verbleichet mit der Locke nicht. 



(^ , , .1 . O'iaiml fiom 

01 UNWRSITröFMCHI&M 



— 308 — 

3. 
Dank sei den himmlischen! sie lehren 
Genuß den keine Thräne stört. 
Wohlan I den Grazien zu Ehren 
Sey dieses volle Glas geleert. 
Doch der die durch des Lebens Hallen 
Uns leitet aut'h in düstrer Nacht 
Der biedern Fretinrischalt sey vor allen 
Ein feierliches Hoch gebracht. 

XV. 

Des Flegels Ziel und Lust von 
Wilhelm Scliweigrhaeuser. 

Siel.: Was ist: des Deutschen Taterlftnd etc. 

1. 
Praeses solo : Was ist des Flegels höchstes Ziel '? 

Ists Reicht h um? Isis Glanz und Ruhm? 

Isis uroße Herrschaft sich erwerben ? 

Isis eitel n Ahnenstolz ererben? 
Tutti: nein, o nein, o nein, o nein, o nein 

Des Flegels Ziel muß edler sein 

Df>r Freundschaft und dem Vaterland, 

Sich weihi» mit Mund und Herz und Hand 

Das ist des Flegels höchstes 'Ziel. 
2. 

Was ist des Flegels höchste Lust?' 

Ists Weichlichkeit? Isis Sinnenfreud? 

Ists seine Schätze überzählen? 

Ists täglich neue Freude wählen ? 
| : O nein, o nein, o nein, o nein, o nein. 

Des Flegels Lust muß eriler sein. : | 

Ein Herz, das ihm voll Liebe schläft 

Der Hände Saat die Früchte trägt 

Das ist des Flegels höchste Lust. 

Hub am 27 Mai 21. 

XVI. 

Von Gustav Kampmanri d. 9 Juny 1821. 
Hei.: Im Wald, im Wald atc. 

1. 
Heym bier, beim Bier, da mag; es mir gefallen, 
Itey voller Humpen Klans, Beim Hurapenklang:, 
Wenn laut ertönt in diesen hohen Hallen 
j: Der Flej^lsang, der Flegelsang: ;| 



I . O'iQJtut fiom 

UNWRSITYOFMCHIGAN 



- 309 - 



Bekränzter Krug, wie blickest da so heiter 
Die frohen Flegel an ; 

Wer dir nicht gerne zuspricht ist doch leider 
Kein braver Mann. 

3. 

Im Kreiß, im Kreiß der Flegel bin icb selig 

Bin nirgends sonst so gern 

Und laut erschall : cWar lange nicht sc fröhlich — » 

Von Stern zu Stern ! 

4. 
Ja freudig halten wir am Flegelbunde 
Mit fesler I reuer Kraft. 

Dem Bruderbünde: Heil 1 führt schnell zum Munde 
Den Gerstensaft. 

6. 

F.uch Brüdern die ihr ferne von uns wallet 
Sey dieses Glas gebracht . 
Horcht auf! Der Flegel vivatruf durchschallet 
Die Nacht, die Nacht. 

6. 
Auch dir gebührt in allen Flegelliedern 
Alsatia Vaterland 

Ein herzlich Lebehoch von alleu Brüdern 
Du schönes Land, 

7. 
Den Guten die befreyt von allem Kummer 
Nicht mehr hienieden gehn 

Weih ich dies Glas, bald ruhn auch wir im Schlummer 
Auf Wiedersebn, 

8. 
Eni ruft mich daua Freund HajK als Friedensbote 
Dem lieben heimgehen Strand, 
Dann führ mich sanft du ernster Götlerbote 
Ins bessre Land. 

XVII. 
Von F. E. Kampmann. 

MeL: Heil nnsprm Sipgenliranf et*. 
1. 

Heil unserm Bunde Heil ! Dem Bund der Treue Heil ! 
Den Flegeln Heil ! 

Jauchzet der Freude Dank, Töne der frohe Sang, 
Schalle der Becherklaiig : Dem Eisali Heil 1 



s~~ , , .1 . O'iainil fiom 

: '^' OU . UNWRSnYQFMCHISjM 



^N 



- 310 — 

2. 

Beicht euch die Bruderhand Hallet der Treue Band 
Hallet es fesl ! 

Das unsre Väter schon Knüpften viel Jahre schon 
Hielten ; der Treue Lohn Erndten sie jetzt. 

3. 
In ihrer Söhne Treu blühe der Hund aufs neu 
Der sie erfreut. 

Jubelt den Guten, Dank Sey ihnan. Freudesang, 
Ihnen beym Humpenklang dies Glas gereicht. 

4. 

Was längst in uns gelebt, Längst uns als Bild umschwebt, 

Tritt nun hcrror, 

Frölich zur Wirklichkeit. Treue in Freud und Leid, 

Üir ser der Bund geweiht Blühe empor. 

5. 

Oh das Geschick uns dräng! Und uns in Fesseln zwängt, 
Merken wir nicht. 

Treue ist unser Hort! Nimmer ein leeres Wort, 
Olülie im Herzen fort. Werde zur Frucht! 

6. 
Heil ! uaserm Bunde Heil ! Dem Bund der Treue Heil ! 
Den Flegeln Heil! 

Jauchze: der Freude Dank, Töne der frohe Sang, 
Schalle der Becherklang: Dem Elsaß Heil ! 



XVIII. 

Von Fr. Härter am Tage vor der Abreise 

aus Paris. 

Mel.: Im Kreise froher kluger Zecher etc. 

1. 

Wenn an des Biedermannes Busen 
Seit» Buh und Freude sanft geschmiegt, 
Wenn ihm im Kreise holder Musen 
Des Frohsinns Quelle nie versiegt, 
Dann schallet unier Becherklang 
Der Männerweihe Hochgesang. 



1 Soll wohl heißon; Sind. 



(^ . . . I . O'iainil fiom 

UNWRSnYQFMCHI&M 



— 311 — 

2. 

Zum heitern Sonnensitze schwebet 
Der Aar im kühnen Flog empor. 
Wer immer an der Erde klebet. 
Tritt aus dem Dunkel nie hervor 
Drura achte nicht der Laden Heer 
Und schreite froh als Mann einher. 



3. 



Der Mann erschrickt vor keinem Throne 
Beugt sich vor keinem Herrsclierstab 
Und mit des Stolzes edlern Hohne 
Sieht er auf FQrsien^unst herab. 
Ihn blendet Ran» nnd Reicht hu m nicht 
Er folgt nur Gott und seiner Pflicht. 



4. 



Und wenn ein Bund sich treu vereinet 
Kür Vaterland und Völkerrecht 
Wem» endlich das Gericht erscheinet 
Und nieder die Tyrannen schlägt : 
Dann kämpft der Mann mit heiterm Muth 
Und wa^et Freiheit Gut und Blut. 



6. 



Doch in der heimalhlichen Hülle 
Krwartet er des Schicksals Huf. 
Da lebt er treu der Vätersitte 
Von dem was Peine Hand erschuf. 
Von Gier und eitcln Wünschen fern 
Weilt er in Freundes Kreise gern. 



C. 



Auf BrüJer füllt die Becher wieder 
Dem Männermulh ein Hoch zu weihn, 
Denn in den Jubel unsrer Lieder 
Stimmt keine feige Seele ein. 
Ks lebe hoch Fleyelia 
Und dreimal hoch Alsalia. 



/■ 






O'ioJnilFrom 
UNIVKSITYOFMCHIGA^I 



— 312 — 

XIX. 

Der Flegel in der Ferne an die im "Vaterlande 
10. October 21. Von Th. Kampmann. 

Hei.: Heil unserm Bande Heil J 



1. 

Was mir im Busen glühl 
Was mich hin ru Euch zieht 
Wie Sprech icbs aus ! 
Nennet es Schwärmerei 
Nennet es Liebestreu 
Mir ist es cinerley 
Ihr Sprech Is nicht aus. 

2. 

Vom Himmel oft zurück 
Kehrt sieb mein (ruber Blick 
Feme von hier. 
Ueber den Rheinslrum hin 
Wo meine Lieben zieuu 
Sieht dann rneia Flegelsinn 
HeimaÜi zu dir. 

3. 

Elsaß du schönes Land 
An deinem Mutterstrand 
Rettet Aicha weich 
Dem fällt ein schönes Loos 
Der in der Heimat Schoos 
Lebet der Liebe blos 
War ich bey euch. 

4. 

Vaterland rufst du mir 
Nahen sich die Feinde dir 
Tobt mir die Brust 
Stell ich mich muthig ein 
Kämpf in der Brüder Reihe 
Setze das Leben ein 
Sterbe voll Lust. 



I > O'iaiml fiom 

IMVBtSrTYQFMCHKAN 



— 313 - 

6. 

Heil dir mein Vaterland 
Heil unserm Bruderhand 
Den Flegeln Heil. 
Für mich ist hier kein Kuh 
Heim den Vogesen zu t 

Ruf ich von fern euch zu 
Dem Elsaß Heil. 



XX. 

Liedlein in Vaterländischer Mundart von 
Fr. Härter. 

Dor creto Vore in Strasburg geeungen. Dio 3 letzten alt er an der 
Werra hinzog. OcUfe. 1821. 

Älel.: TInn de wurscti mere nii ete. 

1. 

Wemmer zowe so bisamme sitze, 
Simmer allewil e bissei lusehli. 
Wemmor zowe so bieammo sitze. 
Simmer allewil c bisscl froh. 
Henke dSorje an da Naujel, 
Blose d' Grille in de Wind, 
Singe dannetwann e luschdis Liedel 3 
Wo sich keiner lang druff b'sinnt. 

2. 

Alli Litt wos welle vornehm driwe 
Die verslehn nit wie iner froh iscb 
Wercmer nummen allewil zefridde bliewe 
Fehlt es nix uff unserm Bisch. 
Nurre Wirsehdel, e Salädel 
Unn im Glas e kreflis Bier 
Unn zuem Pfiffe! noch e draulis Werde! 
Wer woddß besser hann sU mier. 

8. 

Was mer duen des gschicht in Ehre 
Ohne lange Kumblimende 
Brave Fiejle derf mer nix verwehre 
Denn sie wisse was sie sinn. 



f~" t-\ . I . O'iaiml fiom 

INWERSnVOFMCHIGAM 



— 314 — 

Alle Vetlren, alle Baase, 
Wo de Gumma ng nit verstehn 
Dehne mache mer-nurr langi Nase 
Wenn sie uns nit losse gehn, 

4. 

Jetzitt widdcr ctnol c Licdcl gsun^c 
S' saat wohl iemer, daß er roch klingt 
Doch im Flejel isch dies k'hupft wigsprunge 
S' geht schunn tflatl rus wenn er drinkl. 
Alli Liedle vunn de Flejel 
S;nn doch kreefli jun^r unn frisch 
Unsrem liebe Herr GoM singe ti' Vejel 
Wie ne der Schnawel gewachsen isch. 



XXI. 

Von Theodor Kampmann 
Md.: Laßt nur die Politiker sprechen. 

I. 

Laßt nur die Herrn Philister sprechen 
Mag uns auch lästern ihr hö^cr Mund. 

VTi^ei. sie gluuhen es sei um zu zechen, 
Daß sich versammle nur unser Bund. 
WßS Qcht uns frohe Fiedel dieß an, . 
Nimmer zerreißt uns ihr kritischer Zahn. 

2. 

Zwar nicht verschmähn wir die göttlichen Gaben 
Dankbar und fröhlich genießen wir sie 1 
Denn um die durstigen Drüder zu laben 
Schenkte der Schöpfer uns Wein und Bier 
Ließ er uns wachsen virginisches Kraut 
Gab uns ein Hera mit der Freude vertraut. 

8. 

Wenn uns die Grillen wie Mücken umschwirren, 
Die Langeweile schläfrig uns winkt, 
Aengstliche Sorgen den Kopf uns "verwirren, 
Aerger und Kummer uns niederdrückt, 
Nehmen wir Pfeife und Becher und Bier, 
.lagen den Pack ins PliilUtorrevier. 

1 Soll heißen: sie wir, 



I . O'ioJnrifiom 

IMtfBtSrTYOFMCHKM 



— 31& — 
4. 

Nicht nur für wenig Monden und Jahre 
Schlössen wir Brüder den schönen Bund. 
Treue im Leben bis hin- zu der Bahre 
Schwuren ja alle mit Herz und Mund. 
Werden es halten, ob alles auch bricht, 
Bricht doch ein Flegel die Bruderlrcu nicht. 



Mulhige Wahrheit und treuherzige Sitte, 

Freundschaft und Tugend und treue Minn 
Sind keine Fremdlinge in unsrer Sitte 
Wohrcr und kräftiger Manncrsino. 
Schlingen stets enger das trauliche Band 
Unsrer Flegelia mit zaubrischer Hand. 



6. 

Auf denn eo lasset ein Vivat bringen 

Brüder es gelte dem Klegelband. 

Lasset die vollan Pokale erklingen 

Flegel es lebe das Vaterland. 

Treu so vereinet in Schmerz und Lust 

Bieten dem Schicksal wir muthig die Itrusl 



XML 

Von Gustav Kanipmauu. 

Mel- ; von Major Braun. 

1. 

Seelig wem das Loos gefallen 
Treuer Freunde Kreiinri tu sein. 
Seelig wem durch Krdenwallen 
Freundschatl lächelt hehr und rein. 
Herrlich blüht ihm jede Stelle 
Die er sonst nur öde fand. 
|: Heile liegt ihm vor der Seele 
Was er lange nur geahnt ;| 



f 



(~~ , . .1 . O'iaiml fiom 

UNWRSITYOFMCHIGAN 



— 316 — 

2. 

Da wo ächle Freundschaft wallet 
Wird sie nimmer uutergehn 
Flegeis Freundschaft nie erkalte! 
Kwig wird sie fort hestehn. 
Mag das Schicksal toben, rasen, 
Flegels Herz ist Unterpfand 
Nie wird er den Freund verlassen 
Nie entziehn die Bruderhand. 



3. 



Feste stehet Flegels Treue 
Wie die Sonn in blauer Babn. 
Bruderlreue, Fle^ellreue 
Ist kein leerer flüchiger Wahn. 
Ha, Ftegelia, aller Leben, 
Heil dir, schönes trautes Band 
Dir ist aller lierz ergeben 
Bleihl es bis an Grabes Rand. 



4. 



Elsaß! Vaterland der Freunde I 

Heil! Heil dir Alsatia ! 

Wer es schlecht mit dir je meinte 

Trete nie dem Hunde nah. 

Dem das Herz nicht Flammen sprühet 

Bey dem Nomen Vaterland 

Der dem nicht der Busen glühet 

Sev auß unserrr Kreiß verbannt. 



o. 



Seelhx wem das Loos gefallen 
Treuer Freunde Freund zu sein. 
Seelig wem durch Erden wallen 
Freundschaft lächelt hold und rein 
Freundschaft Liebe Saft der Reben 
Glücklich ist wer euch gekannt 
Dem das schöne Tuyendleben 
Froh in euernt Ann verschwand. 



f s-i . I . O'igiml fiom 

UNWRSITYOFMCHIGAN 



317 - 

Vorstehende Lieder bilden mit der Vorrede den Inhalt 
eines kleinen Heftchens, welches unter andern Erinnerungen 
an verstorbene Familiengliedei pietätvoll in einer alten ange- 
sehenen Straßburger Familie aufbewahrt wird. Dafür, daß es 
mir zur Veröffentlichung Obertassen wurde, möchte ich auch 
an dieser Stelle meinen besten Dank aussprechen. Ich glaubte 
zuerst Beiträge für meine Vnlkslifidersammlnng darin flu finden, 
war aber bei näherem Zusehen angenehm enttäuscht. Lieder* 
tiefte werden dem Sammler immer willkommen sein ; wir be- 
sitzen aber deren so viel, daß es auf eines mehr oder weniger 
nicht ankommt. Die Carolina Flegeliana sind dadurch wert- 
voll, daß sie uns Einblick fe r ewäbren in das Leben eines Straß- 
burjfcr studentischen Kreises im ersten Viertel des ID. Jahr- 
hunderts. Sic sind für diese Zeit und für Verhältnisse, die 
biaher nur oberflächlich bekannt waren, eine vorzugliche Quelle. 

Ueber die Entstehung der Sammlung berichtet die Vorrede. 
Mehrere Mitglieder der Gesellschaft Flegelia, die eich auswärts, 
in Paris, Berlin und Halle aufhielten, haben einen Teil der Lieder 
eingeschickt. Sie sollten den geistigen Zusammenhang mit den 
Mitgliedern am Orte unterhalten. Die übrigen verdanken der 
fröhlichen Stimmunjr des Augenblicks ihre Entstehung . Sie 
waren nicht allein zum Vorlesen, sondern auch zum Singen 
hestirnmt. Noch lange nachher achriehen sich Straßhurger 
Studenten ihre Kommersbücher eigenhändig zusammen. Die 
Flegel um 1820 dichteten sich ihren Hausbedarf an Liedern 
selbst. Nicht alle halten dazu Neijruag: und Begabung. Viel- 
leicht gab es auch damals schon trä^e Bundesbrüder, die es 
vorzogen zu genießen, was die anderen erarbeiteten. Die geistig 
regsamsten Mitglieder waren jedenfalls die in den Uetterschriften 
als Verfasser gcnunnlen: Franz Härter für Nr. 1, 2, 5, 13, 14, 
18. 20, F. E. Kampmann für Nr. 4, 6, 10, H, 12, 17, Th. 
Kampmann für Nr. 7, 19, 21, Gustav Kampmann für Nr. 16, 
22. W. Schweighäuser für Nr. 9, 15, Th. Aufschläger für Nr. 8. 
— Für Nr. 3 ist nur der Erzflegel angegeben, jedenfalls der 
Unglückliche, der bei den Kampm&xin'schen Damen Anstoß 
erregt und der Gesellschaft den Namen Flegelia zugezogen hat. 

Der fruchtbarste unter den jungen Dichtern ist auch der 
berühmteste geworden. K> müßte schon ein ganz neugebackener 
oder sehr unkirchlieher Slraßburgei* sein, der noch nichts vom 
alten Pfarrer Härter gehört hätte, Ueber F. K. Kampmann 
liegt eine Biographie vorl. Die übrigen Namen zweifelsfrei 
festzustellen, wäre nicht ganz leicht, da es sich um weitver- 



1 Faudel, Notice biographique sur Fr. Kampmatiu pere (Ball. 
de la Soc d'hist. nat. de Colmar 14/15. 1873,(74). 



I , O-iqni fr;.m 

UNWffiSITYOFMCHIGAN 



— 318 — 

zweigte Familien handelt, bei denen Öfter dieselben Vornamen 
wiederkehren. Zum Glück waren die poetischen Studenten 
vorher begabte und fleißige Schüler. Wir finden sie von 1805 
an immer wieder im Programm de3 Protestantischen Gymna- 
siums als Preisempfänper und Deklamatoren bei der Schluß - 
feier. Es sind Unter Straßbarger, die drei ECampmann Söhne 
des Stadtkämmerers Friedrich Gottfried Kamp manu ; Friedrich 
Eduard, geboren am ti. August 1797, Theodor August, am 
2. Mai 1800, Karl Gtistat, am 21. Mai 1802. Joh. Wilh. 
Schweigbäuscr, geboren am 9. März, und Härter, geboren am 
1. August 1797, sind Altersgenossen des ältesten Kampmann; 
Tb. Aufschläger vom 11; September 1800 sieht zu dem zweiten 
in demselben Verhältnis. Wir sehen also, daß eine Anzahl 
Cona tut Orienten sich zu einem geselligen Kreise zusammen- 
geschlossen und, wie das heute noch geht, ihre jüngeren 
Brüder und deren Freunde nachgezogen halfen. An einer 
großen Zahl von Mitgliedern war den Leuten nichL gelegen, wer 
nicht m dem schon von den Välern ererbten Freundeskreise 
gehörte, konnte nur Gast werden. Die Zusammenkünfte fanden 
oft in dem Kampmann'schen Besitztum auf der Hub hei ßühl 
statt. Der Straßburger Student war gewöhnt seine Kneipe 
auswärts zu haben z. li. in Schiltigheirn oder Kehl ; und ein 
Geschlecht, welches noch Halle und Berlin zog mit dcm'Ränzcl 
auf dem Rücken, schreckte vor einem Fußmarsch von mehreren 
Stunden nicht zurück. 

Dt pleiten wir die wackern Burschen im Geiste, um einen 
Blick in ihr Kneipzimmer zu werfen. Wir seilen sie um den 
Tisch sitzen, vor sich die Triiikfjeräle, in gehobener Sprache 
Pokale, sonst schlechthin Humpen oder Becher genannt. In 
der Mitte thront der große Krug aus Stein», welcher den Stoff 
enthält, wie in Jena heute noch die Sprittkanne. Die Tobaks- 
pfeifen mit virginischem Kraut dürfen nicht fehlen. Zu einer 
Zeit, da es verboten ist öffentlich zu rauchen — wir schreiben 
noch nicht 1848 — ist die Pfeife das Symbol der Freiheil. Ein 
Präses lührt den Vorsitz. Der Comment, den er zu wahren 
hat, ßndel bei Vettern und Baseu nur wenig Verständnis. 
Dafür sind sie eben Philister. An die Trinkfahigkeit der Corona 
werden große Ansprüche gestellt; schoppen- und maßweis 
gleitet daa Bier die Kehle hinab, beim Vivat wird exgclrunkcn 
und zur Probe das Glas umgedreht. Vergessen wir nicht, daß 



1 Abbildungen damaliger Krnjre kann iiimi sehen am roten 
Löwen in der Judengasse, am goldenen Löwen im Schifttotstadea 
und an der «Hoffnung:*. Et.u-*< kleinere Krüge ans jener Zeit besitzt 
Herr Zackerbacker Jundt am Kibcnplate. 



I - 

■*-'OOgK UNWRSnYÖFMCHI&M 



- 31« — 

es sieb um leichtes einheimisches Bier handelte, von dem man 
schon viel trinken mußte, ehe die 7, 3 als möglich angenommene 
Niederlage eintrat. 

Es soll jetzt Studenten geben, denen der Kommersgesang 
langweilig und lästig vorkommt. Von dieses Gedankens Blässe 
waren die Flegel nicht angekränkelt. Schweighjiuser war an- 
scheinend ein großer Musikus. Auch im Kampmann'schen 
Hause herrschte reger Kunstsinn. So ist denn zu den Carmina 
Flegeliana ein Notenheft mit vierstimmigem Salz vorhanden. 
Konnten die Carmina zuweilen aus Mangel an Stimmen nicht 
gelungen worden, so reichte die Besetzung doch immer zu ein- 
stimmigem Gesang. Aus den Melodienangaben ist zu entnehmen, 
was Im Flegelkreise gern gesungen wurde. v on bekannteren 
Weisen Qnden sich : Vom boh'n Olymp herab, 6, Hier sitz ich 
auf Rasen, 8, Mein Lebenslauf ist Lieb und Lust, 9, 11; Stoßt 
an, Strasburg soll leben, 1*2; Im Wall, im Wald, 10, Heil, 
unserm Bunde Heil, 17, 19; Im Kreise froher, kluger Zecher, 
18 und — Was ist de3 Deutschen Vaterland, 15. 

Es sind also um 4820 in Straßburg dieselben Lieder, die- 
selben Trinksitten, der Comment und die übrigen Formen 
studentischer Geselligkeit heimisch gewesen wie auf den deut- 
schen Hochschulen. An anderm Orle hohe ich Gelegenheil 
gehabt zu zeigen, daß bis 1813 StraSburg von zahlreichen 
deutschen Studenten besucht war, und daß unter ihnen mehrere 
Landsmannschaften bestanden. Damals waren die zukünftigen 
«Flegel» in den oberen Gymnasialklassen. Es ist sehr erklär- 
lich, daß sie die Gebräuche der älteren Semester nachahmten, 
als sie selbst Studenten geworden waren, bis auf das Wappen 
und den Namen auf -ja. Die Übeln Seiten des Verbindung 
lebens haben sie vermieden. Sie sagen dem StraÖburger und 
Flsässer Studenten auch heute nicht zu. So blieb ihnen bis 
in die höchsten Semester und über die Studienzeit hinaus eine 
ungetrübte Begeisterung für ihren Bund. 



| . O'iaiml fiom 

^"OOgK iinwrsityofmchisjm 



XVII. 

Traum gedieht eines Weinburgers. 



Von 
Adolf Jacoby-Weitersweiler. 



D, 



"a3 in unseren Dörfern noch mancherlei volkskundlicb 
iuteressinte fliegende Blätter zu finden sind, wird der Sammler 
solcher Dinge zu bestätigen öfters Geleueulieil habeo. Das poli- 
tische Gedicht eines Zulzendorfer Bauern aus dem Jahre 184$ ' 
ist auch uns in einer Abschrift hier in Weitersweiler in die 
Hände gekommen, ein Beweis, daß es seinerzeit einen tiefen 
Eindruck auf die Gemüter gemacht hat, so daß man die Mühe 
sich nicht verdrießen ließ, es abzuschreiben. Ein zweites Blatt 
«die geistliche Auslegung des Kartenspiels» wird in diesem Band 
veröffentlicht. Ich füge dem ein weiteres Blatt hinzu, ein 
«Traumgodieht eines Weinhurgers> aus dem Jahre 1829. 

Der Wert solcher Er2©ugnisse liegt natürlich nicht in in 
Form, die höchstens geschickte Reimerei ist, auch kaum einmal 
in den Gedanken, die meist weder tief noch besonders originell 
sind. Aber sie werfen doch ein bezeichnendes Licht auf die 
landliche Denkart, auf die Art, wie sich politische, religiöse, 
sozial« Verhältnisse und Ereignisse im Denken der ländlicher 
Kreise widerspiegeln. 

Weinburg in ein kleines Dorf unfern Ingweiler. Von 
einem Bürger dieses Ortes stammt die Haud schritt, die auf 8 
Quartseiten sauberer Schrift das tTraumgedichtB ohne Yers- 
absalz darbietet. Wie weit der Verfasser, dessen Name aus 



Vgl. Jahrbuch Bd. XXIII, 147—150. 



I , D'iaina From 

UNWffiSITYOFMCHIGAN 



— 321 - 

naheliegenden Gründen nicht genannt wird, Vorbilder benutzt 
hat, ist schwer festzustellen ; bessere Kenner dieser volkstüm- 
lichen Literatur wissen vielleicht manches anzugeben ». Die, 
wenn auch in entstellter Form, mehrfach erwähnten religiösen 
Bekenntnisse und Richtungen lassen auf einen nicht ganz un- 
gebildeten Mann schließen. Ist auch die Einkleidung des 
Ganzen in den Rahmen eines Traumgesichts nicht absolut 
originell, so ist sie doch für ein Dorf abseits der großen Straße 
ungewöhnlich. Die Gedanken der rationalistischen Epoche, die 
in starkem Maße die Grenzen der Bekenntnisse verwischt hatte, 
ist in dem Gedicht unverkennbar und so ist es als Stimmungs- 
bild der Zeit nicht wertlos. 

Daß die Satire sich dieses Gegenstands, des Kampfes und 
der Ueberhebung der einzelnen Bekenntnisse, ihrer Intoleranz 
und Exklusivität sction frühe bemächtigt bat, dafür nur ein 
Beispiel, In dem schonen Buch von _P. Drews cDer evangelische 
Geistliche» ist ein «Geistlicher Rauffhandeb abgebildet, ein 
Flugblatt auf den Streit der Konfessionen aus dem Jahre 1620, 
illustriert durch zwei kleine Abbildungen: links Papst, Luther 
und Calvin irn Streit miteinander ; rechts die Einfalt, ein be- 
tender Hirte (darunter Ps. 23, 1), dem Gott Gewährung für sein 
Gebet aus den Wolken zusagt 9 . In die Kategorie solcher Blätter 
gehört auch un^er «Traumgedicht». 

Traum gedieht 1829. 

Jüngst saß icli Spät zu Nacht und laße solche Schriften, 
worinn man sich befleißt die Einigkeil zu stiften, 
die EinniglteiL der Kirch und von der Religion, 
die Einnigkeit der Kirch von Christi Gottes Sohn, 
die Einnigkeit des Geistes die Christen viel gebühren, 
die Glaubenseinniukeit und grobem dispudieren, 
wodurch nur. öffters mal des Himmels uns beraubt, 
weil wir dem Schein geschwäz dos Priesters nur geglaubt, 
ich laße noch darinn als Moriz* mich bedeckte, 



1 Herr Prof Martin macht mich fieandlichst darauf aufmerk- 
sam, daß Reinhold Köhler in Zachers Zeitschrift für dftntoche 
Philologie IV (1872), 8 131 f, zwei ähnliche, aber nicht identische 
Gedichte bespricht. Des eine, in Voß' Luise, ist nach Volt -einem 
wirklichen Vülksiuirclien. welches gutmütige Einfalt erfand» nach- 
gebildet; das andere von Schnbarb, Teatoche Chronik auf? Jt.hr 1776, 

9.327 t. ist überschrieben «Der rechts Glaub«, eine Ugenle ans 

einem alten Buch». Ee handelt eich also vrohl in der Tat um einen 
von den beiden Dichtern benatzten Volkssehw&nk. 

* Vgi. Monograpldön zur deutsche» Kulturgeschichte Xtl, S. 56. 

3 Was bedeuten die beiden Eigennamen? Moritz und Moritzke 
wird in hessischen Hexenprozeßakten der Teufel genannt vgl. Zeit- 
schrift f. deutsche Myth. u. Sittenk. II, G4 ; das führt aber nicht weiter. 

2i 



I . O'iainil fiom 

IMVBtSriYQFMCHKM 



- 323 — 

und Aukei nach und nach in tiefen Schlummer streckte, 
die außer Sinnlichkeit die hörte völlig auf, 
allein das ungemach ward meiner Seelen drauf, 
die ganze Nacht hindurch mit dem ich mich beschäftigt, 
--vis mancher Thioloch ' vom Himmel uns bekräftigt, 
wie nämlich nur derselb dem seye zugedacht, 
der hier nach seiner Lehr, sein Leben zugebracht, 
und als ich Schlummerte, und war auch ganz gelassen, 
da harn mich voller reiz an meiner Hand zu fassen, 
der führte mich zwar Schnell, doch Sanft in jene Höhn 
yon welcher ich die Welt, könnt völlig übersehn, 
da sah ich, wie man Gott, ja so dort anders Ehret, 
wie liier der Priester dies der jenes von ihm Lehret, 
wie nur der Catholik, zum Himmel könnte kommen, 
und denn der anders glauht, derselbe sey benommen, 
nun heißt es anderswo, nur der so Refformieret, 
der wird auch dermaleinst zum Himmel eingefuhret 
nein schrie ein andrer irauf, wer nicht mit Luther Glaubt, 
der wird ins künftige des Himmels ganz beraubt, 
nein schrie darauf ein Krieg 8 vor uns ist er bestimmt, 
weil Gott die Krieger (korr. Griechen) nur zu sich ii» 

[Himmel nimmt, 
nein schrie ein andrer drauf, von denen Aposicrcn 8 , 
nur uns gebühret er, als Cotlca rechte Diener, 
ein £:nßendörfcr sprach, wir auch ein Eetisl*, 
still, doch ihr thörigten, wißt daß er unser ist, 
ach Gott wer hat hier recht, dacht ich bey diesem Zanken 
allein mein führer sprach bezähme die gedanken, 
und Worleö bis ich dich 2ur Himmels Pfort gebracht, 
allein so gib nur dort auf alle Sachen acht, 
worauf ich folgendes prstannent. hah gesehen, 
kaum als er dies gesagt, sah ich des Himmels Ptort, 
es war ein Herrlicher und angenehmer Ort, 
zu welchem nur ein Weg, ja auch zum Himmel führte 
bej dem eiu Buhe Banck. auf beiden Seiten Zierte, 
zum ersten kommt ein Herr, in einem Purpur Kleide 
sehr Groß und wohl gestallt, dem wich ich auf die, Seite, 
und bükte mich vor ihm indem ich gleich erkant, 
es muß ein Priester sein vom allerhöchsten SUnd, 
und kurs er war es euch, indem ich gleich vernommen, 



1 Theolog:. 

2 Grieche, wie die Verbesserung dos Autors im zweiten Fall 
selbst angibt. 

a ? 

1 Pietist. 5 warte. 



I . O'iQJnii fiom 

INWERSnVOFMCHIGAM 



— 323 — 

als er nach wenigem zur Himmels Thur gekommen, 

er rauschet 1 sieb zuerst, drauf klopft er süttlich* an, 

und da ihm alsobald St petrus aufgelhan, 

sprach dieser wer seid ihr, ich bin ein hoch Heiliget* Vater, 

ich bin ein Gatholik und deines Stuhls beraiher 

Krkenst du mich denn nicht, ich bin ein Cardinal, 

darum lasse mich dein Kind, in deinen Himmels Saal, 

was Kind was Cardinal hat. Petrus drauf gesprochen, 

was hast du hier so frech, am Himmel anzupochen, 

fort fort ich kenn dich nicht, Si petrus Schloß das Thor, 

da stand der Purpur Herr beängstigt nun davor, 

er höbt er zitterte er weiß »ich nicht zu fassen, 

er muß sich auf der Bank zur Seiten niederlassen, 

kaum als er sich gesezl, kam ein betagter Mau», 

Mit einem spitzen Bart, und kohlschwarz anreihen, 

einen Krägcl * um den Hals, samt einem hohen Hute, 

dem war bey seiner Sach, so ziemlich wohl zu Muthe, 

dann sprach er ganz beherzt, wie stehts ihr Cllements * 

es scheint St. Petrus gibt demselben, die Sittens 5 

so ist ihr Herren mein«, wenn man Catholisch sey, 

das einem Gott sofort, das Himmelreich verleibe, 

allein gefehlt mit euch wir kommen nur hinein 

wie ihr sogleich an mir je?« soll ein /engen sein, 

drauf gehl er untl klnpft an, St. Petrus läßl sieh hören, 

und spricht wer neuerdings pflegt, meine Kuh zu stähren, 

der Spitzbart sagt darauf, ich bin ein Predickant, 

ein reiner Calfienist wie aller Welt, bekant. 

was Kind was Calfienist was heißen diese Possen, 

ich glaub du bist mein Freund mit Hassen Schrott geschossen, 

fort fort ich kenn dich nicht, stöhr nur nicht meine Ruh. 

Sobald er das gesagt, schloß er den Himmel zu, 

da stand der Predickant als an den Kopf geschlagen, 

er fing zu zittern au zu ächzen und zu klageu, 

lief auch zum Cardinal und sagt was ihm geschehen, 

drauf sah ich neuerdings noch einen her zu gehen, 

mit einem srroäen Gruße und auch schwarz angethan, 

dem war ich ohn vermerkt in meiner Brust gewogen, 

er grüßt die vorigen Zwey und geht nhn eini# wort 



l räuspert 
9 Mlüich — sittOÄH. 

3 Noch heute Ausdruck für das Bafichen des evangelischen 
Pfarrers. 

* Für Eminenz. 

a Sentenz. 

6 So ist's; ihr Herren meint . . . 



f r\ u-iln 0'ioiml fiom 

UNWRSnYQFMCHI&M 



'S 



— 324 — 

vor selbigen vorltey, ^rad, nach der Himmelspforl, 
klopft an heißts wer da, Ich bin ein Lutheraner 
und zur Konfesion in Augsburg Zugethancr, 
St. Petrus sah ihn an. und sprach was Sägst du da, 
der Lulhrisch Pfarrer rief so bald er Petrum sah, 
ich bin ein hoch Heiliger Mann, des Lulherturns Verfechter, 
still, sagt St. Petrns draul, du bist mir wohl ein Kechter, 
fort Uiksack fort mit dir dpv Himmel liebet nicht 
einen solchen fetten Wangfit 1 , und vollen Angesicht, 
der Pfarrer war erstaunt, bey solchen Donner Worten, 
die ja ouch ihm sein Harz und seine Seel durchbohrten, 
er ?eht (ohn) gestürzt zurück, ja nach den andern zu». 
allein er etöhrete nur noch mehr derselben ruh, 
sie sprachen wer wird denn nun noch in den Himmel 

[kommen, 
uns dieyeu ist er nun auf einmal %auz beuuiumeii 
wer glaubt dann je/t hier Recht, nicht er nicht ihr nicht ich, 
fürwahr ihr Freunde das ist mehr als jämmerlich 
weil dieses ihnen nun so sehr zu Herz gedrungen, 
so halten sie darauf das frohe Lied gesungen, 
Wir glauben all an einen Gott. 
Sobald als das geschaeh. 
war Petrus wieder da. 

Wer erlaubet hier an Gott, wer pflegt ihn so 2u Ehren,— 
wer dieses Christlich thut, kann wohl zun) Himmel kommen, 
wir sind es schrieen sie, wir sind es heiliger Mann, 
ey spricht er ihr habt mir es ja nicht kund gelhan, 
der lezte sagt nur er aey ein Lutheraner 
und zur Confession in Augsburg zugethanner, 
der zweite nennte sich schlecht wegs ein Callienist, 
der Erste sagt* er sey Gatbolisch ein Papist, 
und Uiuer saxi von Coli, noch daß er sey ein Christ, 
Pfui schämt euch, euren Glauben nicht besser zu bekennen, 
und euch das was ihr seyd, euch blos Chrislen pflegt zu 

[nennen. 
des glaubens Finnigkeit, und zwar ihn Jesu Christ, 
ist da» was Gott gefällt, ohn streiltigkeit und Zwist, 
werGottund Jesum Hebel kann wohl zum Himmel kommen. 
hier höhr ich Plözlich auf der Traum ist mir genommen. 



I Watst. 

* bestürzt. 



, O'iaimlfrom 

■' V ' IINIYRSITYÖFMCHIGA>1 



XVIII. 

Eine geistliche Auslegung* 
des Kartenspiels. 

Von 

Adolf Jacoby-Weilersweiler. 

In meiner Gemeinde Weitcrawcilcr üel mir vor einiger 
Zeit das folgende geschriebene Blatt in die Hände, dessen In- 
halt ich gebe ; 

«Eine noch ganz neue politische und noch nie erhorchte 
wahre Geschichte eines Soldaten, welcher sich unterstand in 
der Kirche während der Predigt Karten zu spielen, dessen Er- 
folg sehr würdig isl. 

Der Solda! und der Major. 

Das Regiment machte Kirchen Parade an einem Sonnlag. 
Soldat setzte sich muten in die Kirche und indem raun ver- 
meinte, er nehm« ein Gesangbuch, so halte er^ein Spiel Karten 
aus der Tasche yezojcen und legte dieselben auseinander vor 
sich her. Der Adjudand und der Feldwebel voller Bosheit be- 
fahlen ihm, er solle sein Spiel Karten in die Tasche stecken 
und solches hinffihro ninht mehr Ihun. Der Soldat sagte 
seinem Feldweh?! nichts, sondern betrachtete sein Spiel be- 
ständig. Unterdessen war die kirehe aus, und rier Ksldwehel 
warlete vor der Kirchthür auf den SoM:il, führte ihn 211 seinem 
Major und verklagte ihn bey demselben um Haß was er in der 
Kirche gethan hatt. Der Major redete den Soldat mit böser 
Gestalt an; Wie kanst du dich unterstehen in der Kirche 
Karten zu spielen ! Kanst du dich nicht verantworten, so 



I . O'iqim fiom 

l " UNWRSnYÖFMCHI&M 



— 326 - 

rollst du Gassen laufen ohne einzige Gnade, Der Soldat sagte : 
Ich habe Ursache genug, wenn es mir erlaubt ist. Der Platz 
ist ein heiliger Oit und ich habe alle Leute mit Frieden gelassen, 
die darinnen waren. Der Major antwortete : Ich sehe es ist 
nicht wahr, und verantworte dich besser oder ich schicke dich im 
Aresl. Der Soldat zog Bin Spiel Karten aus der Tasche zeigte 
sie dem Major und sa^te r Sobald ich ein AS sehe, daß zeigt 
mir, [fehlt: daß ein Gott ist, der Himmel und Erde erschaffen 
hat; eine zweite zeigt mir], daß zwey Personen« in Christo sind, 
die göttliche und menschliche. Eine dritte zeigt mir die 
drey Personen in der Gottheit. Eine vierte zeigt mir die 
Evangelisten — Matthäus, Markus, Lukas und Sankt Johannes. 
Eine fünfte zeigt mir fünf Wundern» Christe. Eine sechste 
zeigt, daß Gott sechs Tage gearbeitet und den siebenten geruht 
hat an welchem wir nichts thun, sondern ihm dieneu sollen. 
Eine Achte zeigt mir die Achte Seel die in der Arche das 
Leben erhalten, das ist Noa nein Weib und jedes Sohnes Weib, 
eine neunte zeigt mir die Gesundheit, doch das einer von den 
neunten Gott gedanket für seine Gesundheit. Eine zehnte 
zeigt mir die zehn Gebothe so Golt Mosas auf dem berge 
Sinai gegeben. Wie der Soldat alle Karten durchgegangen 
hatte so nahm er den Kreutzbauer, legte ihn auf die Seite und 
sagte: dieser wäre nicht ehrlich. Die andern drei sind 
Scbindersfcnechle, so Christum gegeißelt haben bey Pilatus 
Die vier Damen zeigen, mir eine Maria und die 3 Jungfrauen 
so zu dem Grabe giengen Christum den Herrn zu suchen. Die 
vier Könige zeigen mir die 3 Könige ans Morgenbnd zu 
verehren den 4. so der grCßcston unter ihnen ist, Christus. 
Sobald ich ein Creutz sehe, das gebildet ist wie das Creuta 
wo Christus der Herr gekreuzigt worden, so glaube ich es 
wäre dasselbe. Die Schuhen geigen mir den Su^ei» die Nägel 
und die Dorueiikruiien, die Christum dem Herrn durch Mark 
und Bein gegangen. Das Herz sagt mir, daß Gott seine Kirche 
zum Gcttes Haus habe bauen lassen. Die Eckstein zeigen mir, 
daß die Kirche alle viereckig sind und (dar)um sind wir auch 
in der Welt zu zeugen. Ich linde 365 Augen in der Karte 
das sind die Tage im Jahr. Ich linde 52 Hriefe, das sind 
die Wogo im Jahr. Ich finde 12 Bilder das sind die Monaten 
im Jahr. Ich sage daß mir mein Spiel besser ist als ein Ge- 
sangbuch, ich kann mir meine Zeit besser vertreiben. Der 
Major fallt dem Soldaten in die Rede, du sogst mir ja nicht.« 
vom Creutzbaucr, welchen du auf die Seite geworfen und ge- 



1 Naturen. 
i Waiden. 



I . O'iaimi fiom 

IMVBtSrTYOFMCHKM 



— 397 — 

sagt hast: Er wäre nicht ehrlich. Ich bitle Sie, Herr Obrist- 
wachtmeisler, wenn sie mir versprechen, daß Sie mir kein 
\rest geben wollen. Der Major sa^te hierauf: Sage her, mein. 
Sohn, es soll dir nichts geschehen. Der Soldat sagte hierauf: 
Den Crcutzbauer, welchen ich auf die Seite ^elejft und gesagt 
iabc, er ist nicht ehrlich, das ist der Feldwebel : welcher hier 
steht, und mich verklagt hat. Der Major freude sich über das 
Verstand des Soldaten, zog eine Geldbörse aus <h;r Tasche 
heraus und schenkte ihm 6 Luisdor, da mein Sohn trinke 
ueine gesundheit, du bist der allerpolilische Windbeutel, so 
ich gesehn habe. Ich keime viele Leute die vieles in der 
Karte studiert haben. Es ist Ihnen altes unmöglich, was du 
mir anjetzl gesagt hast.» 

Ueber die Herkunft des Blattes konnte ich weiter nichts 
erfahren, als daß die Besitzerin es immer als Eigentum ihres 
längst verstorbenen Vaters kannte und da sie selbst die Siebzig 
überschritten hat, so gehört dasselbe wohl sicher in die erste 
Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Schrift nach möchte ich es 
zwischen 1820 und 1840 setzen, soweit hier ein Urleil gegeben 
werden kann. 

Die Erzählung: ist durch eine Untersuchung Boltes 1 ins 
Licht der Volkskunde gestellt worden. Nach seinen Ergebnissen 
(luden wir eine Fülle Rezensionen in französischer, englischer, 
schwedischer, dänischer, isländischer, deutscher, niederländischer, 
«panischer, portugiesischer und italienischer Sprache. Allein von 
der deutschen Fassung zählt er acht verschiedene auf, teils ge- 
druckt, teils handschriftlich, alle mehr oder weniger übereinstim- 
mend. Sic stammen mehrfach aus Handschriften von Soldaten, 
dann aus der Volksüherliefernng 2. P. Rügens, Mecklenburgs und 
Ueslerreichs \ zwei sind gedruckte Flugblätter, das eine aus Bre- 
men, um 1875 geruckt, das andere wahrscheinlich zwischen 1805 
und 1811 in Hannover gedruckt. Von den bei Bolte ge^abenen 
deutschen Rezensionen weicht die unsere in einigen unwesent- 
lichen Punkten und im Ausdruck hie und da ab. Bolte weist 
auch das Aufkommen dieser geistlichen Deutungen des Karten- 
spiels bereits im 15. Jahrhundert nach. * 

Bolte hat zu diesen Zahlenspielereien auch mit Recht die 
sogenannten Sluiuienlieder mit geistlicher Deutung verglichen. 
Auch diese sind im Elsaß bekannt gewesen. Die alte Hanauer 
Agende von 1659% die der Buchsweiler Superintendent G. 
Wegetin besorgt hat, bringt im ersten Teil, S. 70 ö., in der 
Anleitung zur sonntäglichen Hausandacht die Hede auf das 
Spiritiiale Horarium, das geistliche Uhrwerk aus des Gerhard 



» Vgl. Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1901, XT, 376-40G. 



I , 

UNWRSITYOFMCHIGAN 



— 388 — 

Schola Pielalis I. 2 c. 8 medit. 8. Es heißf dort zum Schlag 
Eins: cWanns Eins schlaf / so betrachte in deinem Hertzen: 
dal) ein einiger Gott sey / welchen wir ehren J vnd Jhm allein 
dienen sollen. Daß ein einiger Miller zwischen Goll vnd den 
Menschen sey / nemlich der Mensch Christus Jesus / welchem 
wir durch Glauben vnd Liebe sollen anhangen. Daß ein Geist 
sey j welcher alle geistliche Glieder am Leib Christi zusammen 
verbindet f vnd dieselbe zu allem guten treibet» u, s. f. durch 
alle 12 Stunden. Auf S. 78 folgt dann eine ähnliche «Tajrs- 
stundenbetrachtung genommen auß dem schoenen Nürnbergi- 
schen Mevrgeistreichen Handbuch», welche Wegelin, da sie 
manches andere bietet, auch ausführlich dort beisetzt. Sie 
schlieft mit den Worten: «Vnd also sihest du f mein lieber 
Christ ' was für schöne erinnerun^ du bey einer jeden Stund 
haben kanst f wirst du solcher anweisun* nachkommen . s> 
wirst du eine jegliche Siund wol anwendeni (S. 8fi). 

Frne solche Betrachtung, verbunden rnii. dem Kartenspiel 
und der Kahmenerzählung von dem klugen Soldaten, ist unsere 
Erzählung. 



, O'iaimlfrom 

' v " INIYRSITYÖFMCHIGA'1 



XIX. 

Sagen und Volkstümliches 
aus Weitersweiler und Umgebung 1 . 

Von 
Adolf Jacoby- Weiters weiter. 

1. Von der Pestzeil 1629. 

Es war im Jahre 1629, da wütete auch in Weitersweilei 
die Pest und raffte eine große Men^e Leute hinweg. Das noch 
erhaltene Kirchenbuch, berichtet von nicht weniger als 65 Todes- 
fällen, bei denen durchweg steht: pesle obiit. Bis heute wird 
von den Alten den Jungen erzählt, was auch Pfarrer F. A. Hirt 
(1835-43 am Ort) im Protokollbuch der Pfarrei aus denn Munde 
der Bevölkerung niederschrieb: «Eine Anecdole, die noch be- 
kannt ist und die zur Zeit der furchtbaren Pest 1629 allhiei 
sich zugetragen, verdient bemerkt zu werden — da die Zahl 
der Toten zu häufig wurde und niemand mehr dieselben tragen 
wollte, verfertigte ein Wagner allhicr ein dazu bestimmtet 
Wägelchen, um die Toten darauf transportieren zu können. 
Kaum war dieses Fuhrwerk fertig, so starb der Wagner, war 
der ersle und auch der letzle, der auf seinem Wägelchen trana- 
portirt wurde — nach seinem Tode hatte die Pest gänzlich 
aufgehört». Das Kirchenbuch weiß freilich nichts von dem 
Tode eines Wagners, als die Pest ein Ende hatte. 



1 Für einige Uitteilungren bin ich Herrn Lehrer Winter in Wer 
tewr eiler zn Dank verpflichtet 



C~' i \,\ •] - O'iomil fiom 

IMVBtSrTYOFMCHKM 



— 330 - 

2. Wie Weilersweiter zu seine in Namen kam. 

In alten Zeile», niemand weiß mehr wann, war in Lutzel- 
stein ein Missionar, der wollte wandern und sich anderwärts 
niederlassen. Wenn ihn nun die Leute fragten, wo er hin 
wolle, so antwortete er: Witterten will ich! Als er fort war 
und dio gleiche Frage nach dem Ziele d«s Missionars laut wurde, 
**o war stets die Antwort derer, die zuerst gefragt hatten: 
Witlerseh will er, hei er gaaal. So kam der Ort, an dem sich 
iler Missionar niedergelassen hatte, 2u seinem Namen (Weiters- 
weiler- Witlerschwiller, mundartlich). 

3. Vom schwarzen Hund*. 

Es ging einmal in der Hinlergasse eine Frau zu einer 
Wöchnerin. Unterwegs gesellte sich ein schwarzer Hund zu 
ihr und yeht mit. Zunächst erschrickt die Wöchnerin im Bell, 
als sie den Begleiter der Besucherin sieht, beruhigt sieb dann 
aber, als man ihr sagt, das Tier lue nichts. In der Tat lejzt 
es sich Ullters Reit und ist noch mehrfach gesehen worden, bis 
das Kind getauft war; dann verschwand es. 

Dio Taufe hat bekanntlich geisterbannende Kraft im Volks- 
glauben, während das ungeUufte Kind den Geislern ausgesetzt ist. 

4. Der bekreuzte Teig 1 . 

Zu der Sitte, den Teig zu bekreuzen, die z. B. auch Pröhle, 
Kirchliche Sitten 252, ferner Hintz, Die gute alte Sitte in Alt- 
preußen 108 erwähnt, wird in der Gegend Folgendes erzählt: 
Man muß in den Teig ein Kreuz machen, damit die kleinen 
Wichte, die Erdgeister, darin arbeiten und den Teiy so c hallen» 
machen. Ein Herr fragte einmal seine Magd darnach, was sie 
tue, als sie den Teig bekreuzte. Die Magd erklarte ihm die 
Sitte wie eben erzahlt. Der Herr wollte das aber nicht glauben 
und verbot ihr, das nächste Mal ein Kreuz auf den Teig zu 
inachen. Die schlaue Dirne ließ aber auch den Sauerteig aus 
der Masse und in der Tal, der Teig ging nicht. Das nächste 
Mal, ^agte drauf der Herr, solle sie ruhig wieder das Kreuz 
machen ; die Sitte war geretiet und gerechtfertigt. 

5. Der schwarze Mann im Daumen tal. 

Im Daumcntal bei Dosscnhcim * t rufen Wanderer öftere 
einen großen Mann, so schwarz, daß ihm das Weiße in den 
Augen hell leuchtete. Der mußte dort gehen und neckte und 



1 Vgl. den vorigen Jahrgang S. 1Ö0 Nr. 9. 
* Vgl. den vorigen Jahrgang S. 104 Nr. 18. 
s Vgl. Bd. XXV, S. 97 Nr. 6. 



I . O'iqim fiom 

UNWRSITYQFMCHISjM 



— 331 - 

quälte die ihm Begegnenden. Man hörte ihn auch oft murmeln : 
L'f mim Eijetumsbode ! (auf meinem Eiüentumsbode.i». Zog 
man aber die Kappe ah und stellte sich drauf, sc war man vor 
ihm sicher. 

Augenscheinlich steht der Spruch des schwarzen Mannes 
in Beziehung zu dem Mittel, vor jlini sich zu schützen . wer 
auf seiner Kappe steht, sieht auf Eigentum. Dieser Zu»; der 
3age ist, wie ein Blick in Grimms Deutsche Myltiologie lehrt, 
bekannt aus den Erzählungen vom wilden Jäger. 

6. Der Wunderdoktor. 

In Obersuhbach war ein Mann, der nun schon seil Jahren 
tot ist, von dem man sich noch heute allerlei Wundericuren 
^P7ählt, denn «er konnte etwas». Einmal mitten in der Nacht 
gegen 12 Uhr fuhr eine Kutsche nei ihm vor. da sollte er mit- 
fahren, um seine Kunst hei einem Leidenden zu Oben. Er ging 
erst mit, als man ihm mit heiligen Eiden geschworen hatte, 
daß er unversehrt zurückgebracht würde. In rasender Fahrt 
gin^s dann über Stock und Stein, bi» sie vor einem heller- 
leuchteten großen Schlosse hielten, in das er mit rerbunJcoen 
Augen geführt wurde. Als man ihm die Binde abnahm, war 
er in einer Gesellschaft, die um ein junges Mädchen versammelt 
war, das hatte überm lustigen Spiel so gelacht, doß es den 
Krampf in die Kinnbacken bekommen, Die sollte er heilen. 
Er sagte : «Nicht» leichter als das» und ließ alle zurücktreten, 
stellte das Mädchen hin in die Mitte des Zimmers, hinter sie 
einen Stuhl, und sprach: cWenn ich auf drei gezählt habe, so 
setz' sie sich». Er zählte und als sie auf drei niedersaß, zog er 
den Stuhl schnell hinter ihr weg, daß sie zu Boden üel. Aus 
Schrecken schrie sie auf und der Krampf war vorbei. Reich 
belohnt wurde der kluge Mann wieder heimgeführt, hat aber 
nie erfahren wo er in jener Nacht war. 

7. Die Lau rin g seh la n ge 1 . 

Zu dieser Sage, die im vorigen Jahrgang mitgeteilt wurde, 
gibt e9 außer andern auch eine Form, die sich an die Ruine 
l,üt2elburg knüpft. Das verwunschene Burgfräulein wartet 
dort auf die Erlösung. Wenn eine auf dem einen Turm 
wachsende Birke so stark geworden ist, daß aus ihrem Holz 



« Vgl Bd. XIV. 101 Nr. 11. Ant. Panzer. Bayerische Sagen 1, 177 ; 
II. 198 ff. Zur Lätzelburger Sage vgl. auch Straßburger Post 1910, 
Nr. 5S4. Sic Ist bereits Luther bekannt gewesen, der in den Collo- 
qaia oder Tischreden durch Johaanem Aurifabern 1574, Bl. 213, 

die Lützclburgcr Melusins nennt. 



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(~~ .\ » •! - O'ioinil fiom 

UNWffiSITYOFMCHIGAN 



— 332 — 

eine Wiege gemacht werden bann, dann ist die Enösungsülunde 
nabe. Aber noch stets bat der Sturm die Birke geknickt, 
wenn sie anfing, stark zu werden ; doch schlagen die Wurzeln 
stets neu aus. Besonders interessaut ist dabei, daß die Junj:- 
frau auch «Melusins» genannt wird. Den Zug dieser weitver- 
breiteten Sage, nach dem aus|dem Holz eines jetzt noch als jung« 
Bätirnchen stehenden Stammes die Wiege des künftigen Erlöser» 
gemacht werden wird, kl, wie "Weinhnld hemerkt hat, den mittel- 
alterlichen Adam- und Kreuzbolzlegenden entlehnt '. 

Kerner wurde mir folgende Variante *as Neuweiler mit- 
geteilt: Ein Hirle schlief nachts draußen ein. Da erschieß 
ihm eine weiße Jungfrau und hieß ihn, ihr folgen. Cr würde 
an eine Truhe gelangen und auf dieser eint: Schlange sehen. 
solle sich aber nicht fürchten \or dem Tier, sondern die Truhe 
mit einem Schlüssel, den sie ihm gab, aufschließen. Das Tier 
könne ihm nichts tun, es würde auch nicht sein Schade 
sein und sie wü'de erlüäl. Es geschah, wie sie sagte. Die 
Jungfrau führte ihn in einen Keller der Hüneburg, wo die Truhe 
stand und die Schlange dsrauf. Aber als der Mann das Schlot 
öffnen wollte, da zischte das Ungeheuer so stark, daß er vor 
Schreck den Schlüssel fallen ließ und davonlief. So muß die 
Jungfrau weiter warten. 

Ö. Der Hessenberg. 

Gegen Lütgelslein hinauf liegt nicht weit von Weitersweilei 
der Ernberg, der auch Hennenberg und Hessenberg genannt 
wird. Der letzte Name rührt daher, daß dort im Kriege des 
großen Napoleon einmal durchziehende Hessen lagerten. Die 
alten Leute erinnern sich noch, daß man im Dorfe davon er- 
zählt«, wie die Einwohner den Hessen das Essen bringen 
mußten, vor allem Pfannenkuchen, die jene mit besonderer 
Freude Versehrten. 

9. Der Glockenba um*. 

Als im dreißigjährigen Kriege die feindlichen Soldaten dei 
Gegend nahten, da haben die Mönche der Abtei Neuweiler die 
silbernen Glocken ihres Gotteshauses zwischen Neuweiler und 
Weitereweiler in einer bohlen Eiche versteckt. Den Baum 
nannte naen den Glockenbaum. Der Blitz hat ihn später 2er- 
schmettert, aber die Gegend behielt den Nomen «am Glocken- 
baum». Dazu hat Herr Lehrer Winter, a. a. 0., die Lichten- 



1 Zeitschrift des Vereins für Volkskunde I, 2. 

' Vgl. Elsaß-Lothringisches Schutblatt 1510 Nr. 6, 116. 



f~\ . » •! - O'igim fi?m 

UNWffiSITYOFMCHIGAN 



- 333 - 

berger Variante gesetzt ; Im dreißigjährigen Kriege versenkten 
die Mönche des Tierkirchleins, das zwischen Lichtenberg und 
Injrweiler liegt, ihre lwei silbernen Glocken, als der Feind nahte, 
in einem Brunnen im Tal. Die Mönche, deren Kloster zerstört 
wurde, konnten ihre Glocken nicht mehr holen, aber heute 
noch heißt Her Brunnen cGlockenl>runacn>, das Tal «Bröder- 
tal». In pchönen, klaren Nächten hel>cn sich die Glocken 
zum Brunnenrand und werden sichlbar; ja, einige wollen sie 
sojrflr schon gesehen haben. Zu diesen Glockensagen \gl. Zeit- 
schrift des Vereins filr Volkskunde VII, 113, 270, 868 ; ins- 
besondere 270 ff. Moscfaerosch nennt die Soldaten seiner Zeil aus- 
drücklich : in caropanis auferendis expediiissimi (Gesichte 
Philanders von Sittev/sld II, 6). 

10. Nachweinen. 

Einer Frau in Obersulibach war der Mann gestorben und 
bereits drei Taue im Grab. Da wachte sie morgens um 5 Uhr 
auf — die Kirchenglecke schlug gerade zu der Stunde — und 
hörte dreimal ans Fenster klopfen. Es wnr heller Mondschein, 
trotzdem sah sie niemand, als sie zum Fenster hinausschaute, 
weil sie meinte, ein Nachbar klopfe. Am Morgen ging sie zu 
ihrer Göltet, die ihre Beraterin war, und fragte diese um ihre 
Meinung über das geheimnisvolle Erlebnis. Die erkundigte eich, 
r»b sie noch den Tolcnbaum (Sarg) schuldig sei. Das war nicht 
der Fall, So solle sie still sein : «Huck stille unn steer'm 
d'Rüj nit I» (Mir als tatsächliches Erlebnis mitgeteilt.) 

Vgl. dazu Hochbolz, Deutscher Glaube und Brauch 1,207. 
Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde I, 62. 
U, 251. Grimm. Deutsche Mythologie* 884. W. Möller und 
SultainbacJi, Niedersäclis. Sagen 133. y. Schulenburg. Wen- 
dische Sagen 237 f. Zeitschrift des Vereins fnr Volkskunde 
IV, 456. 

11. Von einem Hexenmeister. 

Gegen Ende des vergangenen Jahres 1909 erzählte mir ein 
Mann aus Obersulzbach eine Anzahl Geschichten von einem 
verkommenen Menschen aus Ingweiler, den er den «Brauerle» 
na ante und der nun längst tot sei. Der Brauerle «konnte» 
allerlei. So will mein Gewährsmann in seiner Jugend ainnial 
Zeuge folgenden Erlebnisses gewesen sein. Kr saß eines Tages 
mit dem JBrauerle zusammen im Haag sehen Gasthaus. Da sah 
der Brauerle durchs Fenster einen Bauern, der auf der Straße 
dahergefahren kam, und sagte : Der will jetzt nach der Rau- 
schenburg ; ich spiel ihm jetzt einen Spuk. Als der Wagen 



f 



I . O'iQJnjtffom 

UNWRSnYÖFMCHI&M 



— 334 — 

gerade an dem Wirtshduse durchfuhr, blieb das Pferd plötzlich 
siehen und war nicht mehr von der Stelle zu bringen, wie 
wenn es einen Fuß übertreten oder gebrochen habe. Der Be- 
sitzer girier um das Tier herum, trieb es an, aber umsonst. 
Jetzt wollte er dem Tierarzt eine Depesche schicken und meinte 
dabei : Zehn Mark gäbe er, wenn das Tier gesund wäre. Der 
Brauerle war inzwischen auch hinaus an da« Gefährt getreten 
und nahm den Kauern gleich beim Wort, indem er sich an- 
heischig machte, das Pferd wieder in Ordnung zu bringen. 
Ale er die zehn Mark hatte, ging er um das Pferd herum, 
hieß den Bauern aufsitzen und sprach: Jetzt haltet den Gaul 
gut, denn er geht mit euch durch. In der Tat, das Tier ging 
so rasch davon wie nie zuvor. 

Her Brauerle hat auch einmal einem Flöhe angezaubert. 
Kaum war der aus dem Zimmer, su lief er voll Ungeziefer und 
mußte sich bis aufs Hemd ausziehen, um sich zu reinigen. 
Andere sayen freilich, es sei kein Hexenwerk gewesen, daß 
man vor einem Besuch beim Brauerle Ungeziefer mitbrachte. 

12. H e xen g I a übe. 

Bei kleinen neugeborenen Kindern kommt öfters die 
merkwürdige Erscheinung vor, daß die ßrüslchen schwellen 
und aus den Warzen etwas Milch absondern. In kurzer Zeit 
verschwindet diese Absonderung wieder. Nach dem Volks- 
glauben trinken an solchen Kindern die Heien 1 . Im Oktober 
1908 kam mir ein solcher Fall vor und dabei wurde mir Fol- 
gendes erzählt. Das Kind habe die iMilchsusscueidung daher, 
daß während die Mutter schwanger ging, aus einem bestimmten 
Hause einmal Käse geholt wurde. Die Frauen jenes Hauses 
aber seien Hexen und durch den Käse, den die Mutter während 
ihrer Schwangerschaft genossen habe, seien die Hexen über 
das Kind Herr geworden ; daher die Geschwulst der Brüstchen 
und oie Absonderung der Milch. Zur Bestätigung dessen sollte 
dienen, daß, als die Frau des Erzählenden noch ein Kind war, 
das eben anfing zu reden, jene Hexe einmal ins Haus kam 
und das Kind «beschritt : cAch das schöne Kind, das schöne 
Kind! Gott behüt's, Gott behüt's !• Kaum war sie fort, so 
wurde die Kleine unruhig. In der Nacht um 12 Uhr wollte sie 
yai übet- den Rand des YYayens, in dem sie lag, hinaus. 
Mehrere Nächte ging es so fort. Auf den Rat eines Nachbarn, 
der sich darauf verstand, stellte man neben die Tür auf jede 



" Vgl. Ploss-Bartels, Das Weib. 



, , . I , O'igimlfiom 

l " UNWRSnYQFMCHI&M 



— 33ö — 

Seite je einen neuen, ungebrauchten Besen 1 und tat darauf je 
drei Handvoll (oder Körnchen ; der Berichtende wußte das 
nicht mehr genau) Salz; ins Schlüsselloch steckte man ein 
Messer. Jetzt konnte die Hexe nicht mehr herein. Um Mitter- 
nacht klopfte es, Irotzdern das Hofior fest verschlossen war, 
ans Fenster. Es war die Hexe ; hätte man das Fenster ge- 
öffnet, so wäre sie herein gekommen. Man merkte zunächst 
an dem Kinde nichts; plötzlich fing die Unruhe wirr: er an : 
durch eine zerbrochene Scheibe hatte die Hexe doch Zutritt 
gefunden. Aber an dem Messer indem Schloß blieb sie schließ- 
lich hängen und fing sich als Holzspan, doch entwischte sie. 
Als Holzelück polterte sie die Treppe hinunter und zur ge- 
schlossenen Tür hinaus. 

Als sie einmal zu Leuten' kam, die butterten, wollte sie 
unbedingt die Butler betupfen. Die Fol^e war, daß die Butter 
jede Woche um ein Pfund abnahm und schließlich wie «Ab- 
tritt» wurde, au d*3 man sie wegschütten mußte. 

Bei einem andern war eins der Kinder carmselig», jede 
Nacht so unruhig, daß es an den Wanden hinaufwollte. Oefters 
rief es dabei cs'Kätsel lejt uff m'r, s'Kfitzel druckt mich u.a.». 
Seitdem hat das KinH je und je eine Brustfellentzündung. 

Auch ein Mnr (Mutterschwein) litt eines Tages heim gleichen 
Bauern an solcher Unruhe, daß sie die Wand im St: 1 em- 
por wollte und schließlich auf dem ebenen Boden beide Hin- 
terbeine brach, daß sie pe«chlachtet »erden mußte. Die Hex/^ 
hatte sie geritten. 

13. Ein Volkslied (Weite rsweiler). 

Alles was auf Erden schwebet 
Kommt von einer Taube her. 
Tfiube ist ein schönes Tier, 
Tauten, die gefallen mir 

Tauben, die gefallen mir*, Tauben die gefallen 

[mir, die gefallen mir. 

Morgens früh um halb acht Uhren 
Steh ich aus meinem Hettlein auf 
Seh, was meine Tauben machen, 
Ol sie schlafen oder wachen, 
Ob sie auch noch alle, oh sie auch noch alle, 

[bei dem Leben sein. 



I Wann mau einen neuen beseen uuibgekehrt Itiuler die liauO- 
tliier stellet, eo kau kein hex hinein noch hinaus. Abb. der Wiener 
Akad. der Wiss. 1900, Sehönbach S. 152. 



I > O'iainil fiom 

UNWRSITYOFMCHIGAN 



— 386 - 

Daraul kommt die Mittagsstunde 
Fliegen sie um Nahrung aus. 
Ach wie ist mir (so) angst und web, 
Weil ich keine Taub' mehr seh, 
Weil ich keine Taub', weil ich keine Taub* 
[weil ich keine Taub' mehr seh. 

Abends spät da kommen sie wieder. 
Freunde haben sie mitgebracht. 
Kehren sie wieder bei mir ein, 
Daß sie möchten sieber sein, 
Daß sie möchten sieber, daß sie möchten sicher 

[vor dem Stoßvogel sein. 

Handschriftlich aus der Gegenwart. Vgl, Zeitschrift des 
Vereins für Volkskunde XVIII, 85. 

14. Volk? medizinisches. 

1. Um Muttermale bei einem Kinde zu vertreiben, muß 
man die Stellen mit der blutigen, frischen Nachgeburt einer 
Wöchnerin einschmieren, die einen Knaben geboren hat. Das 
Mittel wurde in der Tat im vergangenen Jahre angewendet, 
aber ohne Erfolg. 

Vgl. Knoop Volksaageu, Erzählungen usw. aus dem öst ■ 
liehen Hinterpommern (1836) S. 156 Nr. 3: Da3 Muttermal 
kann die Hebamme gleich bei der Entbindung vertilgen; sie 
muß die Stelle, noch ehe es sonst jemand gesehen hat, mit 
der Nachgeburt bedrücken oder bestreichen. 

2. Zur Vertreibung von Halsschmerzen und Erkältungen 
gräbt man Regenwürmer aus und bindet sie in ein Tuch, das 
dem Leidenden um den Hals gewickelt wird. Das Tuch muß 
solange bleiben, bis die Würmer abgestorben und schwarz <*e- 
worrten sind. 

"Vgl.: wenn einem ein alter Schade gar nicht heilen will, 
so nehme man lebende Hegenwürmer und binde sie über den 
Schaden, wechsle aber mit den Würmern fleißig ab (Tirol: 
Zeitschrift des Vereins für Volkskunde VIII, 187). 

Gcpen Erkältungen Li T unfehlbar eine Kohlraupe, die in 
ein Säcklein genaht um den Hals gehängt wird, jedoch darf 
der Patient den Inhalt nicht kennen. Nacb zwei bis drei Tagen 
.-stirbt die Raupe und der Kranke gesundet (Pirmont, nach 
Frederic Casfiglia). 

3. Gegen gewisse Ausschläge an Kindern wird Tee Yon 
«Hasenliolleu», den Exkrementen der H:isen und Kaninchen 
gekocht und dem Kind eingegeben. 



I . O'iQJnit fiom 

UNWRSITYOFMCHIGAN 



- 397 - 

4. Ist einem ein Fremdkörper ins Auge geflogen, so soll 
man drei Mal übers Auge streichen und sprechen : 

Liewi wissi Frau, 

Nimm mr des Ding üs m Au. 

(Liebe weiße Frau, 

Nimm mir dies Ding aus dem Auge.) 

ß. Gegen Gliederweh nimmt man einen Kuckuck, tut ihn 
vollständig in einen neuen, ungebrauchten Hafen und ver- 
schließt diesen oben vollständig. Dann stellt man das Gefäß ins 
Feuer, bis der Vogel au Pulver gebrannt ist und nimmt von 
der Asche in Wein oder Milch gemengt ein. 

Vgl. das gleiche Mittel gegen Podagra und Gliederreißen 
in Tirol: Zeilschrift des Vereins für Volkskunde VIII. 168. 
fielen fallende Sucht : Zeitschrift fiir deutsche Mythologie lind 
Sittenkunde III, 266. Es ist dasselbe Mittel, das nach den 
cJugenderinnerungen eines alten Mannes (Wilhelm von Kü- 
gelgan)» 5. Teil c. 2 «Geheime Eisten. kraft» der Pastor Roller 
aus Lausa anwandle, nur daß er eine Elster benutzte. 

6. Bei Verbrennungen soll man rasch mit der gebrannten 
Stelle hinters Ohr fahren ; der Schmers Lört sofort auf. 

Iß. Bräuche und Glauben. 

1. Auf der Unterseite eines frischen Brotlaibs, den (nun 
anschneiden will, macht man ein Kreuz mit dem Messer. Ob 
heute noch die Sitte lebendig isl in Weitersweiler, konnte ich 
nicht feststellen, wohl aber, daß sie im Elsaß noch vorkommt. 

Vgl. über einen Brotlaib soll man drei Kreuze machen, 
ehe man ihn anschneidet, dann dauert er länger (Panzer, 
Bayarische Sagen I, 267). 

Wenn man einen Laib Brot anschneiden will, so mache 
man zuerst auf der untern Seite mit dem Messer ein Kreuz, 
sonst gehört dasersfe Stück davon dem Teufel (Niederösterreich : 
Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde IV, 148). 

Ehe man ein Brot anschneidet, macht man mit dem Messer 
über demselben oder auf der Rückseite drei Kreuze ; es ver- 
schlägt dann mehr. 

Wenn man nimmt ein Irisches Brot, 

So ist es die- höchste Net, 

Daß man erst mit Vorbedacht 

Mit dem Messer ein Kreuze macht. 



Hints, die gute alte Sitle in Altpreußen 100. 



22 



I . O'iaimlfiom 

UNWRSnYQFMCHISjM 



— 336 - ' 

Für Sachsen bezeugt durcb Piöhle. kirchliche Sitte 262. 

2. Man darf ins Brot nicht mit dem Messer stechen, da 
man sonst dem Heiland ins Herz stiehl. 

3. Wenn ein Kind unruhig ist, was man auf Verhexung 
zurückführt, so legt man zwei Messer gekreuzt auf den Tisch ; 
das vertreibt die Hexen und macht sie unschädlich. 

4. Eine Schwangere soll man nicht als Palin nehmen \ 
es könnte dem Kind schaden. 

Vgl. Lambs, üeber den Aberglauben im Elsaß (1880) S, 43. 

Knoop, a. a. 0., 157 W. 18; Schwangere dürfen bei 
Mädchen nicht Gevatter stehen, sonst lileibt das Mädchen nicht 
ehrlich .* 

Schönbach, Studien 2ur Geschichte der altdeutschen Predigt 
in Abhandlung der Wiener Akademie der Wissenschaften, 
Phil.-hist. Klasse, Bd. CXL1I (191)0), Ahh. VII. S. 152, 
Wiener Hd. 11, 821 (17—18. Jahrhundert): «Wann ein 
schwangen* frau ein kindt über tauff trägt, so muß das kindl 
bald sterben. » 

6. Wenn eine Frau ins Wochenbett gekommen ist, sc 
bringen diejenigen, die bei dem Kind gern Patenstelle über- 
nehmen möchten, der Mutter Zucker, Katlee und ähnliche 
Gaben. Dann weiß die Mutter, wer Pale sein möchte. 

Die weit verbreilete oitte ist sehr all und wird 2. B. 
in allen Proklamabüchern des Egerer Stadtrats schon 1087 und 
1692 erwähnt aUetierscIiiokuug der Victuelien in das kiade- 
betlh» vgl. Zeitschr. d. Ver* f. Volkskunde VII, 395. 

6. In Obersulzbach stellen in der Nacht zum 1. Mai die 
Burschen den Mädchen und Wirten Maien. Sie holen in den 
vorhergehenden Nachten im Walde junge Tannen und plündern 
unter dem Schutz des Dunkels die Gärten. Mit den Rlumei 
schmücken sie die Bäumchen und befestigen diese in der Nach! 
zum 1. Mai auf dem Hoftor oder am Dach des Hauses, u« 
ihre Mädchen wohnen. Doch ist die erste Arbeit der Mädcher. 
am Morgen, die Maien wegzunehmen, um neugierigen Frager 
und Neckereien aus dem Wege zu gehen. Dagegen bleiben die 
Maien der Wirte. 

7. Wer mit Verstand Sünden und Unrecht tut, der wird 
nach dem Tode schwarz. 5o ist ein Bangert, der unrechte 
Protokolle machte, als ei siarb, ganz schwarz geworden. Kinder, 
die ohne Versland sündigen, iriffl diese Strafe nicht. 

8. Warum die Dorfbaien usw. verschwinden, erklärte ein 
aller katholischer Knecht aus Dettweiler mit den Worten: Der 
Papst Pins IX. hell mit'ra Herrgott geredt nnn hett'm gsail : 
Wenn d'se strofe will, so strof se in dr andere Weh, aber 
loß mr se do nit e so rumlaute. Vgl. Jahrbuch 1919, 104, 



C , , v - I - O'igim fern 

UNWERSITYÜFMCHIGAN 



— 339 — 

9. In der Christnacht kann man das Wetter für das kom- 
mende Jahr erraten. Man sehneidet eine Zwiebel in zwei 
Hälften und nimmt die einzelnen Lagen auseinander, die dann 
eine Art Schüsselchen bilden. Dabei beginnt man mit einer 
Hälfte in der Mille und legt nun die Lagen, die immer grüßer 
werden, bis man sechs hat, nebeneinander; dann nimmt man 
die andere Zwiebelbalfle, beginnt mit den äußeren, großen 
Lagen und legt sie nebeneinander, wie sie immer kleiner 
werden, wieder sechs. Die zwölf benennt man dann nach den 
Monaten und schüttet in jedes Schüsselchen etwas Salz. Nach 
12 Uhr in der Christnacht zeigt sieb, dann daran, 'ob das Salz 
trocken geblieben ist oder feucht wurde oder gar zerlief, 
wie das Wetler in dem betreffenden Monat wird, ob dürr oder 
naß. Der Brauch wird noch vielfach geübt. 

Auch werden die sogenannten Loslege zwischen Weih- 
nachten und EpiphGiiicn beobachtet, um die Wetterprognose zu 
stellen. 

Für die weite Verbreitung solcher Gebrauche vfrl. z. D. 
aus Qazwini (Uebers. von Ethe I, 160/61) : Die Landleute hei 
den Persern nehmen 7 Nächte vor Aufgang des Sirius (Hunds- 
stern) eine Tafel und säen darauf die verschiedenen Arten von 
Körnern. Sobald min die Nacht erscheint, in der der Sirius 
aufgeht, legen sie diese Tafel oben auf einem Dach an einen 
hohen Punkt, zwischen dem und dem Himmel nichts da- 
zwischen liegt. Was nun am nächsten Morgen davon grün ist, 
das wird in diesem Jahr gedeihen, was aber am Morgen bleich 
ist, wird in ihm \erkommen, — Am 12. Tarn uz ist der erste 
Tag der Entscheidung für das Jahr. Jeder Monat entspricht 
im Wetter einem dieser Entscheidua^stage. 



, O r ic 

' v " IINIYRSITYÖFMCHIGA1 



XX. 

Tagebuch Ludwig Spachs 

über seine erste italienische Reise 1825 — 1826. 

Herausgegeben von 

0. Win ekel mann. 

Vorbemerkung dos Herausgeber a. 

Beim Ordnen des handschriftlichen Nachlasses der beiden 
Brüder Ludwig und Gustav äpach in der Straßburger Stadt- 
bibliothek stieß ich unter anderm auf einige Tagebücher Lud- 
wigs aus seinen Jugendjahren. Die Aufzeichnungen umfassen 
die Zeit vom 3. September 1826 bis zum 10. Februar 1826 — 
allerdings mit einer Lücke vom 22. Oktober bis 18. Dezember 
— i rieclcert sich also zum Twl mit Spachs Autobiographie, die 
X. Kraus vor einigen Jahren in dieser Zeilschrift veröffentlicht 
hau. Ein Vergleich ergab sofort, daß das Tagebuch hie und 
da fast wörtlich mit der Lebensbeschreibung übereinstimmte, also 
zweifellos bei deren Ausarbeitung zu Grunde gelegen halle. Nur 
bricht die Biographie leider gerade dort ab, wo der Verfasser 
sich anschickt, über seinen ersten Besuch Italiens zu berichten] 
der ihm so viele neue und tiefe Eindrücke vermittelte. Die 
Bekanntgabe der anschließenden Teile de.- Tagebuchs dürfte 
daher nicht ohne Interesse sein. Die Aufzeichnungen sine 
anfangs ziemlich knapp und nüchtern, werden aber bald immer 
lebendiger und ausführlicher, je weiter der für Kunst und Natur 



i Jahrgang XV, 4&-88, XVI, 93-138, XVII, 182—224, XVTJI, 
42-108. 



i"^ . u-iln 0'ioiml fiom 

UNWRSnYQFMKHI&M 



- 341 - 

so überaus empfängliche Verfasser in das Land seiner Sehnsucht 
eindringt. Natürlich lesen sich die flüchtig hingeworrenen 
Nolizen nicht so fließend und angenehm wie die sorgfältig aus- 
gearbeitete und stilisierte Selbstbiographie; dafür haben sie aber 
den Vorzug, die Eindrücke des Beisenden ganz unmittelbar und 
unietuschiert wiederzugeben. Vielleicht sind auch für den 
Kunsthistoriker manche Angaben des Autors nicht ohne Wort. 

Ueber die äußere Beschaffen faeit des Manuskripts will ich 
nur kurz bemerken, daß der erste Teil, vom 3. September bis 
21. Oktober 1825 reichend, aus einem starken Oktavheft mit dem 
allen Originulpappdecbel "besteht, während der zweite Teil, der 
im nächsten Jahrgang gedruckt werden soll, vom 18. Dezember 
bis 10. Februar (1826) geht und ein dännes Quartheft umfaßt. 
An ihn schließ! sich ein drittes Heft, das die Zeit vom 
9. Februar bis zum 6. Mai 1836 hehandelt und der Straßhurjjer 
Universiläts- und Landesbibliothek gehört. Sehr flüchtig und 
großenteils mit Bleistift geschrieben, dürfte es der Entzifferung 
so große Schwierigkeiten bieten, daß auf eine Wiedergabe besser 
verzichtet wird. 

In den sachlichen Erläuterungen zum Text, der völlig un- 
verkürzt gegeben wird, habe ich mich auf das Alleraotweodigste 
beschränkt. Im allgemeinen möchte ich nur kurz daran erinnern, 
daß Spach die Reise als Hauslehrer und Begleiter der gräflichen 
Fanülie Saint-Aulaire unternahm '. Die dadurch bedingte Ab- 
hängigkeil hat schwer auf ihm gelastet, wie so mancher Stoß- 
seufzer und so manche bittere Bemerkung zeigt. 



Bellinzona > 26. September Morgens. 

Zu meinem 25sten Gehurtstap; erwache ich in Italien. Ob 
zu meinem Glücke? — ich hin unwillig gestimmt ; meine Jugend 
ist genuülos verflossen ; hier, wo alles Genuß ist, fühle irrh's 
doppelt. Die reine heitre Luft, der Spaziergang im Städtchen, 
auf eines der drej aiten Schlösser, die Brücke des Tessics, der 
Ueberblick der drey hier zusammenstoßenden Thäler zeigt mir 
genug, um überzeugt zu sein, daß ich allein oder mit meinen 
Brödern genußreiche Tage hier leben könnlc. 

Die geographische Lage von Beilenz leuchtet mir jetzt 
ganz klar ein j ich sah die zwei Wege südlich nach Lugano 
und Locarno, nördlich den doppelten Einschnitt ins Leventincr 
und Misoxerthal. Vom westlichen Schluß herab lief ich durch 



« Vgl Jahrgang XTU, S. 43 ff. 

■ Ueber die Reiseerlebnisse vor der Ankunft in Bellinzona vgl. 
Jahrgang XVIII, «2—108. 



f 



. . I . O'ioJnilFiom 

,V 'U«JK UNWRSnYöFMKHI&M 



— 342 — 

BebgUrlen an dieTeasinerbrßcke ; das Morgenlicht ruht herrlich 
auf den fruchtbaren Gebirgen und schimmert blendend von den 
weißen Dörfern ab. Das ganze Thal ist durch Bellinzona und 
seine drey auf eben so viel Hageln liegende Schlösser versperrt ; 
das westliche ist das niederste, das östliche das höchste. Genug 
italienische Gesichter sind mir schon aufgestoßen ; die Frauen 
tragen schon schwarze Schleyer; schöne sind mir keine aufge- 
fallen. 

Im Wirlhshaus selbst mag es der Henker aushalten, oder 
wenigstens muß man die Augen schließen, nicht auf den Boden, 
nicht an die Wände sehen; über alIen™BegrifT ist das unreinlich. 
Skorpionen habe ich noch keine andre gefunden, als den in 
der eignen Brust; das Mutiergotiesbild über dem Bette hilft 
nicht ab. 

Dichten möcht ich, sollt ich, und hatte Stoff, aber wo 
Kräfte, wo Muße? Auf dem Schlosse unter Reb^clindern habe 
ich mein Bellinzona angefangen; ich möchte aber alles zerreißen 
in diesem Land. 

Bellinzona. 

Bellinzona 1 süßer Name 
— der mir schön re noch verkündet 
Roma, Florenz und Neapel — 
Hier beginnt das Sonnenland. 
Durch den breiten Thalurund windet 
Sich die Straße; lern verschwindet 
Schon der Gletscher starre Wand 

Und Hie Erde schmückt sich wieder. 
Und die Löfie werden milder; 
Hohe Reiseländer schwanken 

Ueuer jede Straße hin ; 
Und verhüllt von ihren Ranker 
Stehn die Muttergotlesbilrter, 
Wie Violen schüchtern Mühn. 

Schwarze Schleyer, weiße Mädchen, 
In der Sonne faule Buben, 
Offne Fenster, hohe Stuben, 
.Mies zeigt den Uehergang. 
Alte 1 Formen, sie verdrießen ; 
Nicht beschreiben, nur genießen ; 
Keine Worte, nur Gesanft! 



1 Ueber dem Wort «Alte» Ist überschrieben; «Nordsche>. 



f~* Original frorn 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



— 343 - 

Gegen Mitlag. 

Zum zweitenmale bin ich auf einen der Sohloßberge ge- 
kielten (den Östlichen), um noch einmal das Städtchen, die 
Thölcr und die Schlösset zu überschn. Obgleich schon geherbstet; 
nehmen sich die terrnssenmäßig ^pflanzten Reben theatralisch 
aus j Kaslanienbäume stehn unten am Hügel ; die Wege 
zwischen den Mauern sind alle mit Traubengeländern beschattet 
und mildern die Hitae, die auf die Bernardinerkälte hin doppelt 
stechend erscheint. Alle Plätze zwischen den alten Mauern 
bilden liebliche Gärten; ein wahres Paradies! und das wird 
immer schöner werden. 



Lugano, 26. September. Abends 9. 

Es wird immer schöner außen, und immer unerträglicher 
innen. Der Wagen war angespannt, wir hielten eine Viertel- 
stunde vor Bellinzona, weil die Pferde schlecht waren, und ge- 
wechselt werden mußten. In der Mittagshitze zwischen Reb- 
mauern und im Staube starrte ich die hohen reinen Alpen an, 
mich in den Schatten der Kutsche flüchtend. Rückwärts ragten 
die drey Schlösser von Bellinzona empor; vor uns die Berge 
gegen den Lago maggiore, und der Moni Cenere, den wir hinter 
San Antonino, einem elenden Dorfo, zu besteigen anfiengen. 
Locarno und Magadino an der äußersten Spitze des langen Sees 
lagen unten am Fuße, durch Kastanienalleen schlängelt sich der 
Weg wie bei ... .i Mit Winzern aus der Gegend von Lugano 
stieg ich zu Fuß aufwärts, über die Reben und die Regierung 
sprechend ; nur abgerißne Phrasen aus ihrem Patois könnt ich 
verstehn. Oben, durch die prächtigste Gegend hin. zwischen 
himmelhohen Alpen und liebliche Dörfer, mußte ich lateinisch 
lesen; — wie angenehm das seye, laut sich nicht sagen ! mil 
wahrem Heißhunger Wickle ich verstohlen hinaus« Gegen 
Lugano hin, vermulhlich bei Cadanpino oder Taverno wird die 
Gegend völlig italienisch ; es ist ein Luxus in der Vegetation, 
dem nichts gleichkömmt, was ich bisher gesebu ; alle Frucht- 
bäume, Aepfel, Nüsse, Trauben wild durcheinander; Wiesen 
mil Erlengebüsch, Weiden und Bächen dazwischen, Dörfer am 
Fuße der Alpen, kahle Felsen oben in der Ferne; schon hin 
und wieder waren liebliche BeWedere, aus grünen zugeschnittenen 

Arkaden von Ulmbäumen bestehend ; mehr italiäaieche Phyeiog- 

nomieen zeigten sich an der Straße; liebliche Kinder, grandiose 
Weiber; ein Arzt zu Pferde befühlte auf der Straße den Puls 
eines kranken Mädchens ; daneben stand ein andres, Trauben 



1 Unleserlicher >'ame. 






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- 344 - 

essend. Solche Gemahlde mit dem Hintergründe der schönen 
Gegend, wären reizend; ich habe analoge in der letzten Aus- 
stellung gesehn. 

Der sieilft Mnn Salvador mit seiner Kirche -zeigte sieh ; 
und auf einmal, von einer kleinen Höhe herab, das liebliche 
Lugano am ziemlich ernsten See, mit seinen Kirchtürmen, 
Villen und Gärten ; links ein reizendes Thal in blauer Abend- 
tinie. Wir ro.lten yegen das Städtchen hinunter; eine reizend 
gekleidete Italienerin, groß und schoogewachsen, mit schwarzen 
durchbohrenden Augen gieng neben der Kutsche, mit einer 
Kannnierjungfer; sie neigte sieb mit Grazie; ich hätte nieder- 
fallen mögen. 

In Lugano, das wie Bellenz mit Arkaden geziert ist, 
eilte ich gleich an den See, aß Trauben in der Straße, und 
ergötzte mich am Gewühl der Menschen, den Familien, die in 
der Abend kChlung unter den Arkaden saßen, den Schiffern, 
die mir ihre Dienste anbuten, den Knaben, die Trauben kauften, 
den Priestern, die steif in ihrem schwarzen Ornate vorl>ey 
giengtn. 

Daß ich mich jetzt eben so ergötze, könnte ich geradezu 
nicht sagen, die Flügel sind mir im eigentlichen Sinne abge- 
schnitten; ich schlafe im selben Zimmer, und muß also jade 
meiner Bewegungen nach denen der andern richten; kann 
nicht dichten und denken, wie ich will. Ich will indeß nicht 
hadern mit dem Schicksal ; es erhalte mir nur erträgliche 
Gesundheit und bringe mich nach Neapel ; so mag dann auch 
die schwarze Seite mit hinlaufen. Wie verstohlen lief ich 
soeben hinaus an den See. den erhabenen Salvador und die 
gegen ö bei liegenden Berge im Mondlicbl beschauend; ein leichter 
Nebelduft schwamm um ihren Fuß hin ; im Hafen war noch 
Bewegung; in der Stadt giengen viele spazieren. Wenn ich 
mich allein Tertiefen könnte in dieses Treiben, dahinleben mit 
den südlichen Faullenzem! — aber ich bin, wie in einem 
Schiff, das durch einen reizenden See hinfahrt, ohne eine Stadt 
Oder Bucht in der Nähe zu hesehn. Ich fahre im Wagen durch 
das Land, sehe einige schöne Gemähide, und hiermit genug. 
— Aber mit jedem Schritt, der mich noch mehr von der Hei- 
math entfernt, wird mir das Herz schwerer!; es ist, als sollte 
ich entweder nicht zurückkommen, oder ganz anders als ich 
kam, unglücklich und Unglückliche lindend: 

«SCCiT0VTtJU)p00»UVOC.» ' 



1 Auf deutsch der «Selbstpeiniger>. AnepieWng auf die gleich- 
namige Komödie des Terenz. 



- 



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— 346 — 

Und jetzt heißt es, gehe zu Bett«, denn die andern legen 
sich auch; schlafe ein, wenn du kannst; wo nicht» so schweig 
still und leide. Morgen bleiben wir in Lugano ; das thut mir 
leid, so schön die Gegend auch seyn inatf, weil ich doch immer 
bey Veränderung eines Aufcnthallortes die Hoffnung habe, 
allein einquartiert zu werden. 

Lugano, 27. September 1825- 

An die Unannehmlichkeiten kann ich mich nicht gewöhnen; 
manche schöne Scene wird dadurch verdorben, und jeden 
Augenblick regl sich die Galle. Wann werde ich vernünftig 
seyn und ertragen lernen? — Wenn es zu spät seyn wird 
So ärgert mich in diesem Augenblicke, daß ich die Dinte, die 
ich mit vieler Mühe transportire, den andern eediren muß, und wie 
geliehener mich derselhen bediene; daß ich, . . . doch wozu 
Ursachen aufzählen, die nun einmal sind und mir Zeit und 
Papier rauben. 

Nach einer Völlig schlaflosen Nacht giengen wir um */* 7 
auf den See, der noch im Morgennehe] ruhle. Drey Schiffer 
waren in der Barke, wovon der eine schön und lieben Aus- 
druck im Gesicht hatte. Ich grub mir die geographische Lage 
des Luganersees ein, der hier Arme hat. wovon 3 bey 
Lugano zusammenstoßen. Der ein« v/endet «ich nordöstlich 
gegen Porlezza ; awey andre südlich a) yegen Capo di 

Lfig-o, wo der Weg von Como, b) gegen ', wo 

der Weg von Varese. Wir schifften zuerst gegen Castagnola 
hin, einem auf lieblichem Rebhüfrel gelegnen Dorf ; oben die 
Kirche, in der Mitte Häuser; unten nicht bewohnt« Villen, 
mit zerbrochenen Scheiben und prächtigen Terrassen. £s ist 
unmöglich, die Anmuth dieserLa^e zu beschreiben ; ich wünschte 
mir, wie gewöhnlich, die Villen. 

Hier erkennt man den Hintergrund des nördlichen See- 
busens ; überall ist er mit Ungeheuern Bergen umgehen, nhn- 
gefär wie der ßrienzer oder Vevay See. Die Sonne stie£ empor, 
aber ziemlich in Nebel, und die ferneren östlichen Ansichten 
gewannen keine Gonsisteriz. Aber gegen Nordwest zeigte sich 
hinter lieblichen Hügeln in weiter Ferne der Riese Monte 
bianco 8 ; denn italiänisch hörte ich ihn zum ersteiimal nennen; 
südwestlich der Monte Sun Salvador schroff vom See aufsteigend, 
mit seinem Kirchlein oben auf der Spitze ; nördlich Lugano 



1 Lttcke im Original Der hierher gehörige Ortsname ist Porto 
Ceresio. 

* Ein rrrtnm ries Verfassers. Der lUontblne ist vom Sa* 
ft-uo nicht sichtbar. 



r 



- 



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- 348 - 

seihst, amphitheatralisch mit Kirchen und prächtigen Facaden 
längs dein See hingereilit, sich au schöne Hügel und Boskette 
lehnend. Wir näherten uns den Felskellern von foprino, wo 
die Luft in der Thal bedeutend kalter wurde, drauf, nach kurzem 
Hinblick in den südlichen Theil des Sees, den ein weites Vor- 
gebirg beynahe verdeckt, kehrten wir nach Lugano. An den 
Schiffern heilte ich mein Italiäniscli geübt ; sie erzählten gleich- 
gültig von einem Mord, der b«y Mailand und bey Como sir.h 
zugetragen; der lelztere unter anderm trug sich zwischen Bir- 
bante* und Ostreich ischem Offizier zu. Der erste wehrte sich 
con il 3uo solo coltello eine Stunde lang gegen den Offizier; 
und der erzählende Schiffer bewunderte nur die Tapferkeit de» 
Räubers. Auch von Pergami und der Prinzessin von Wallis' 
sprachen sie; sie hatten das liebliche Paar auf dem Luganer- 
see spazieren (reführt. Liebte sie den Pergami, fragten wir; 
(Tamara a morte!» 

In der Kirche De< Angeli sahen wir ein ungeheures Fresko- 
gemählde von Luvino, die Kreuzigung. Luvino hatte einen 
Buben ans Kreuz geheftet, und ihn im estro pittorico erstochen, 
um die Natur getreuer zu mahlen, — so erzählle uns wenig- 
stens der frate capucino, der uns herumführte — hierauf 
flüchtete der Mahler hieher ins Kloster und füllte Kirche, 
Kreuzhang und Refeetorium mit Passionsgeraahlden. Ins 
Innere des Klosters durften wir Männer allein treten; im 
Speisesaal war gedeckt; vor jedem Platze lag ein Brod und drey 
Pfirsiche oder Acpfd. Im Vorbeygehn sah ich . auoh einen 
jungen Kapuziner mit interessantem Gesicht; wenn das Innere 
entspricht, wie muß solch einer leiden. 

Die Gemählde von Luvino selbst Selen mir nicht auf, weil 
ich nicht an die Frescomahlerey gewöhnt, und die biblisclien 

Gegenstände mich geradezu nicht aoziehn. Das Abendmahl im 

Refeetorium soll dem von Leonardo da Vinci, dessen Schüler 
Luvini war, nachgeahmt seyn. An der KaLhedralkirche fiel 
mir eher die prächtige Aussicht auf den See als der prächtige 
[Kirlicus in die Augen. Ins Innere gierig ich nicht und plau- 
derte auf der Terrasse mit einem Krämer (Termulhe ich), von 
Lugano. Abends allein, zu Land, gen Castagnola. Es ist dies 
wieder einer der wenigen genußreichen Augenblicke, die ich 
abstehle. Durch liebliche Landhäuser führt der Pfad an den 
Ka$tanienhfi£el; hinauf wendet er sich, immer mit dem Blick 

' Dor Nams ist »vcifclhoft 

* Es handelt sich um die Prinzessin Karollae von Wales, die 
verstoßene Gemahlin König: Georgs IV von England, die mit einem 
luliener namens Kerganii größere Reises unternahm und hei vielen 
als doBsen Geliebte galt. 



Original from 



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— 847 — 

auf den unten rauschenden See, Caprino und St. Salvador. Weiter 
oben unter Reblauben hin ins Dorf. Hier {jab mir ein Landmann 
Trauben von der Leiter herab und wollte drauf kein Geld, 
[ch wandelte die Scene poelisch um; ein "Winfzennädchen 
reicht mir die Trauben, auch habe ich in der That im Rück- 
weg ein hübsches angetroffen; auch während ich im Dorf 
Trauben aß, die weißgekleidete Dame wieder gesehn. 

Der Rückweg w;»r ebenso angenehm ; ich eilte noch in 
die Rel>en hinter der Katbedralkirche, durchstrich jene para- 
diesischen Hügel in mancher Richtung, immer dichtend. Mit 
jedem Augenblicke suche ich mich zu verschmelzen, mit jedem 
auf immerhin eins zu werden. 

Morgen über ein Stück des Sees und Capo di lago nach 
Gomo. Indessen habe ich meine Ellern heule hintangesetzt ; 
ich verzeihe mir diese Vernachlässigung nicht, 

28. Septemlier, Comn, Mittag 

Von Lugano gegen Capo di Logo zu, am Fuß des Salvador- 
berges hin; üastagnola und die Stadt lagen lieblich am Hügel; 
der We$ windet sich immer zwischen Reben hin bis öt. Mar- 
tioo, einem Dorf auf einem Vorsprung des Landes ; hier selzt 
man die Pferde und Wagen in eine fliegende Drücke , wir 
fuhren in einem Nachen über. Der See schlug Wellen und 
ein kalter Wjnd hielt uns bey 2o Minuten auf der kurzen 
Ueberfahrt. Im gegenüberliegenden Dorle nß ich Trauben, 
während man auf die Pferde wartete; es liegt dieses lieblich 

am Seeufer mit Arkaden. Durah Melano nach Capo di laj;o, 
wo der See aufhärl, auch die Berge werden kleiner^ dap Thal 
breiter ; hinter Mendrisio verläßt man die Schweiz. Nur der 
Pinsel eines geschickten Landschaftmalilers kann den Keia 
dieser Gegend wiedergehen; diesen zunehmenden Luxus der 
Vegetation, diesen Duft auf den Hügeln, diese Fcenvillen, diese 
Thäler übersät mit Wintzerhäusern, Maulbeerbäumen, Nuß- 
bäumen, Türkisch körn, Trauben^eländen, Gemüsegärten, alles 
bunt durcheinander; nirgends eine Spur von Sorye ; das wächst 
wie die Kinder auf, die sorglos in den Häusern an der Straße stehn. 

In Chiasso ist die Oestrebhische Dogana. Wir wurden 
ziemlich leicht visitirt ; nur den Büchern spürten sie wie 
wahrem Unrat h nach. Es machte mich weder verdrießlich 
noch reizte es zum Lachen, (xleichunltigkeit und Skeptizismus 
fangen an, die Leiter meines Leben» tu werden. 

Etwas weiter frage ich: wo isl Como ? — und d*>r Weg 

dreht sich, und die Göilerstadt dehnt sich prächtig am See 
hin; ein göttliches Amphitheater. Hinter ihr heben sich drej 



r 



r~* Original frorn 



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— 348 — 

Hügel mit Schlössern ; vor ihr am Wasserspiegel hin schöne 
Berge mit Villen übersät. Ueber die Häuser empor liebt sich 
die prächtige Kuppel der Hauptkirche ; andere Kirehthürme 
streuen stolz in die Hohe. Die erste schlanke Pinie sah ich 
in einem Garten ; beim Einfahren in die Stadt mehrere Land- 
häuser mit Kolonnaden und ungeheuren Flügelthüren, wie man 
Feenpallä*te in der Oper sieht, Madonnengesichter an den 
offenen Fenslern, rauhes Volk in den schmutzigen Straßen. 
Nirgends darf man den Boden berühren ; wie hinüberfliegen 
muß man über dies glückliche Land. 

Abends. 

Gewesen: 

Villa d'Este am westlichen Seeufer ; hier lebte Caroline 
und Pcrjiami ' ; ein wahrer epikureischer Aufenthaltsort; präch- 
tige Säle, angenehme boudoire, ein Schau^pieleaal, pesohmack- 
voll dekorirt, Gärten am Berg hinauf; eine Art nachgeahmter 
Festung, die sich von Ferne sonderbar genug ausnimmt, in 
der Mihi? aber als eitel Spielwerk vorkommen muß. Die /immer 
der Königin selbst durften nicht gezeigt werden, auf Verbot 
des jetzigen Eigenthfimers, des hanquiers Toriini (?) ?on Hom. 
Sie hatte das Schloß vor ihrer Abreise nach England verkauft. 
Eine schöne Italienerin zeigte uns die Zimmer, ganz die süd- 
liche feurige Physiognomie, wie sie Byron in seinem Juan 
mahlt. — Ecco l'altarc del sccritlzio. sagte sie mit cinemmahle. 
— Ecco coracolo — Wir lachten laut auf. Das ist italiänischer 
Geschmack» Säle zu bauen für keinen bestimmten Gebrauch; 
wie Kinder die Häuser mit Schindeln aufrichten und wieder 
umzureißen oder zusammenfallen zu lassen. 

Villa Odescalchi, in der Nähe der Stadl, eine grandiose 
Facade, ein glänzender Opernsaal; nichts so prachtvolles habe 

ich in Trianon und Versailles gcachn. Es mag eine Höhe \on 

60 KuJS seyn; oben ;<eht eine Gallerie herum. Die Möbeln all 

dieser Palläste sind häßlich und elend ; es ist ein seltsames 
disparates Wesen. Man baute und verbesserte gerade an ein*m 
ungeheuren Saal. Wozu'.^ — Zum Riesensturz, sagte der sigoor 
fattore. 

Plimana, Sommanva und andre Villen, ihr bleibt leider 
un besucht. 

Der Dom in der Stadt, sus Marmor erbaut, ist innen und 
außen prächtig. GeinäliMe von Luini, und schön gearbeitete 
Arabesken zieren das Innere; ein si^nor abbate fahrte uns ge- 
fällig überall herum; er kam mir eher langweilig vor, denn 
nicht ein einziger Allar blieb unübergangei». 



Vgl. oben S. 31«. 



Original frorn 
UMVEPSTYO.yiCMGAH 



— 349 — 

Caeo. Giovio: der Graf, ein NachkÖmling; dco berühmten 
Schriftstellers führte uns in die Bibliothek, wo viel Manuskripte 
des Paolo Giovio sind ; in eine Gemähldegallerie von Portrait« 
berühmler Männer : Michel Angeln von ihm Reihst ge- 
mahlt; Heimlich VIII., Franz I., Dante, Petrarca, Boccaccio, 
Ficinus, Leo X. etc. Unten im Eingangsind viel alte Inschriften 
unri Grabsteine zusammengestellt. Das Motto des Paolo Giovio 
«fato prudentia minor» steht über mehreren Thüren eingegraben. 
Moblirt ist dieses Haus ebensoschlecht, als die Villen, die wir 
schon gesehen. 

Abends spielten und sangen vor dem Hause einige herum- 
ziehende Musikanten ; der See ruhte slill ; alles spricht naher 
vom Süden. Morgen nach Bergamo. 

Bergamo, 29. September, Abend». 

Ich reise durch das paradiesische Land wie ein Dlinder, 
die echnne Tinte über den ftemählrien erlischt ffir einen Kranken. 

Hinter Como windet sich ein Weg aufwärts, und mehrere* 
mal zurückblickend lag: die schene Stadt unten an den Hügeln 
des Schlosses Baratello ; in der ferne schimmerten zum letzten 
mahle die Gletscher von Chamouoy und des Oberlandes!' Es 
war mir, als seye ich Doch nicht ganz vom Vaterland getrennt, 
so lang ich die schönen Gestallen, die auch das Elsaß erblickt, 
noch vor Augen hatte. 

An crey oder vier Seen auf der reciilen Seite hin ; links 
Alpengegend, d. h. schroffe Felsen, und unten italienische 
Kultur, Wellenbewegung im Grunde, und die kleinen Thfller 
mit Früchten aller Art, Mais, Rcbcnguirlanden bcsctzl ; die 
Hügel mit Villen gekrönt. Der Maulbeerbaum wächst schon 
auf der Straße wie bey uns die Nußbäume. Der zwejte See 
bey Erha, I.ago d'Alperio geheißen, mit lieblichen Hügeln um- 
ringt, ist mir nur schwach, der erste gar nicht im Gedächtnis 
geblieben. Der See von Pusiano hingegen mit seiner C y presse n - 
insel nah am Ufer, seiner reichen Hügel- und öergumgebung, 
den Villen und Dörfern jenseits, hat Spuren in meiner Erinne- 
rung gelassen, sc wie der See von Annone, der schon in der 
Nahe von Lecco; bey Malgrate erblickt man zuerst wieder 
diesen Tr.eil des Komersees, ernst, mit steilen Felsen umringt ; 
Ober die Adda, die hier aus dem See strömt, führt eine lange 
Brücke, und eine Aussicht in alle vier Himmelsgegenden, die 
schwer mit Worten zu geben ist. 



1 Spach irrt hier wieder Was er gesehen, können nicht die 
Bergriesen dee (Barner) Oberlandes und des MontMancgeMete» ge- 
vesen eeh>. 



Original from 

. ■■ 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



— 360 - 

Vor sich hohe Berge, rail Wolkenzufällen (?) wie in der 
Schweiz, liuks der Loccoaec, rechts die Adda, kleinere Seca 
bildend, hinter sich Malgrale am Gestade. 

In Lecco aelbat besahen wir das unbedeutende Städtchen, 
mit einer schönen Kirche, wo die Aussicht auf den eingekeilten 
See in der Diät herrlich ist. Man haut wirklieb eine Straße 
direkt nnch Wien ;uf dieser See^eite ; sie wird über Riva 
führen. Ein elendes Mittagessen 40 fres. 

Hinter Lecco an der seebildenden Adda und ziemlich steilen 
Bergenhin, durch immer mnetunenden oder doch gleichbleibenden 
Luxus von Kultur nach Caprino, wenn es der Ort ist. den ich 
meine. Die gute Karle von ' Keller verläßt mich und die 
Postkarten Italiens geben alles unvollständig an. Ich glaube, 
es war in Olginate oder ßrivio, wo wir anhielten und ein 
zierliche« Marionen mir Traulien hra^hte. 

Bergamo selbst überraschte mich ; auf eine gleichgültige 
Stadt gefaßt, wie ward mir, als vom Hügel herunter mit 
Pallasten die alte citta dein Reisenden entgegensah, und weit 
in der Ebene hin sich die neue Stadl , il borgo, hindchnte. Durch 
eine prächtige Hauptstraße fuhren wir ins albergo d'ltalia. 
Ich wollte Suhl heimsuchen; ein Cicerone führte mich zum 
Nachfragen in ein Kaufrnannshaus; er war noch nicht ange- 
koimntu, Bey dieser Gelegenheit sali ich mit siiikeuder Nacht 
öffentliche Promenaden, Straßen mit Iroltoirs. breit und bequem, 
stieg in die citta hinauf, und orientirte mich dort. Das 
Abendroth glühte noch hinter den Bergen von Como , gegen 
Brescia und Venedig verschwammen die Hügel in Duft, unter 
mir erkannte ich deutlich noch die weite Ausdehnung ces 
borgo's und der Gärten, welche zwischen heyden Irieilen der 
Stadt Bergamo inne liegen; ganz oben über der eiltä das 
eastellc in der Dämmerung verschwindend. Zwey Pal last t> 
prangen hier an der Promenade und sind mir, glaub ich, schon 
von der Straße von Gomo her in die Augen gefallen. Im 
Hinaufsteigen in die citta die piazza della (iera, mit einem 
prächtigen o^pedale ; im Heruntergehn auf einer entgegen- 
gesetzten Seite die Kirche San Alessandro della Golonaa. Aber 
soeben im Heimkehren erfahre ich, daß wir Morgens früh die 
Stadt noch besehen werden und in Brescia schlafen. Der Lohn- 
bedienle hat mir überdies von der unsichera Straße zwischen 
Brescia und Verona vorgeschwatzt. 

Heute sitze ich allein, nach vier Tagen, in einem schönen 
Zimmer ; aber auch krank, mit unsäglichem Herzklopfen, mit 
Angst auf die fernere Reise. — Ich hatte mir ausgemahlt, daß 
ich in Bergamo bleiben wurde, krank, irn Spital, und den 
Bruder meines alten Freundes um Hülfe anrufend ; und was 



f~* Original frorn 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



— SM — 

nicht iet, fcnnn noch worden . • .' wie, wenn ich von Venedig, von 
Femara-, von Bologna zurückmüßte, mich überall in dem weiten 
Lande nach einem Freunde umsähe . . .' einen Schleyer her ! 

So schön da* WirthshauR, so reinlich es «ingerichtet iet, 
vermisse ich ordentliche Thiiren, die man zuschließen kann, 
rechte Fenster, ordentliche Stühle. Die Betten sind alle unge- 
heuer breit, man könnte zu 3 darin schlafen. 

Aus Lugano habe ich den Besuch bey einem Kaufmann 
nachzu hohlen, dessen Haus auf den See gehl, und wo in einem 
an den Garten stoßenden Vorsaal ein Mauergemählde von 
Luini sich befinde!. Es ist nicht so wohl das letzlere, welches 
mich anzog, als die Einrichtung dieser angenehmen Hausflur. 
Ein doppelter Vorhang, der sich in der Mitte wie ein Zelt 
öffnet, dient auf der Seite des Gartens zu Schirm gegen Sonne ; 
inwendig ein Sopha gegen dem Gemähide überschräg an der 
Wand ; im Hintergrund gegen den Vorhang eine Kolonnade. 
Alles geschmackvoll, nett, alles wie eine Feercy, eine wahre 
Theaterdeltoration . 

Bergamo, SO. September, Morgens. 

Die Hauptkirche ä Santa Maria Maggiore in der cittä be- 
sucht. Die zsveite ist in venetianischem Geschmack; Löwen 
tragen die Seiten des Portals; rolh und weißer Marmor, eckigt 
eingelegt, zieren einen Flügel des Gebäudes. In der Kirche 
seilet sind Gemählde von Giulio Romano, die Jünger am Grabe 
der Maria; die Beleuchtung hinter dem HaupUllai iet falsch, 
man sieht nichts ; sehr altes Schcitzwerk in Holz am Getäfel des 
Chors ; Faunen als Arabesken ; in der Kapelle des Kapitäns 
Goglioni, der sicli zuerst der Kanonen bediente, ist sein künst 
lieh gearbeitetes Grab; eine Jungfrau von A. Kaufmann, 
raphaelisch ; Statuen von S-insovino über dem Hochaltar; neuere 
Statuen, zwey Engel, zart gearbeitet, unter dem Altar, von 
einem modernen mailändischeu Bildhauer. 

Völlig gothiseh ist die cittä, und besonders der Platz vor 
dem vecchio pulazzo del governo, mit dem Kerkertnurm da- 
neben; gegenüber der neue Pallast des Gouverneurs aus ziemlich 
disparaten Theilen zusamengefü£l. 

Die Ansicht von Bergamo selbst, setzt mich noch fester in 
meinem gestrigen Urlheil ; die Stadt ist grandios, sauber und 
gleicht eaer einer Hauptstadt. 

Brescia, 30. September, Abends. 

Durch eine fruchtbare Ebene, Gaveruago und Palazzuolo, 
wo eine Brücke über den Oglio führ!. Im letzten Dorfe 

1 Die Funkte bedeuten keine Auslassung sondern entsprechen 

dem Manuskript. 



Original from 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



— 352 — 

sprang ich aus der Kutsche und sprach mit einen jungen, 
ziemlich wohlgekleideten Italiäner, der ein ausgezeichnetes 
feuriges Gesicht hatte, über die Merkwürdigkeiten, die in 
Brescia zu ich tu wären . . . Eraprach mir vorn tempio d'Ercole, 
der noch nicht lang entdeckt worden seyn soll ; vom Weg am 
lago di Garda vorbey ; von Mestrc uod Fusina. Ungern ließ 
ich mich in den Wogen zurücktreiben ; ein Bettler hatte sich 
neben den perorirenden Jüngling gestellt; es bildete das Ganze 
eine Gruppe. 

Ospidaletto ist die letzte Station vor Bergamo. Die ganze 
Straße von Bergamo bis hieher hatte auf einer Seite Ebne, auf 
der andern in der Entfernung von Ufa Stunden Berge ohnue- 
rahr von der Höhe der Vo^esen gehabt. Jetzt fuhren wir 
hinein; aus einiger Entfernung hatte ich schon den Dom und 
das Kastell gesehn, letztres auf einem Hügel über der Stadt. 

Gleich ausgegangen durch breite Straßen, die auf beyden 
Seiten für Fußgänger mit troltoirs, die man hier pietre heißt, 
wie fiergauiu** Gassen, belegt sind ; in der Mille sind ebenfalls 
ähnliche Quadersteine, um die Wagenräder weicher auflaufen 
zu lassen; auch rollen die Kutschen mit einer ungeheuren 
Schnelligkeit dahin. — ' Am Thor begehrte der Zöllner la buona 
mano, wie gewöhnlich. 

Die piazza dcllo giustizia ist wohl noch auffallender als die 
ähnliche vor dein palazEo del governo 2u Bergamo. — Auf der 
einen Seite sind die Gefängnisse, auf der andren große Gebäude 
mit Arkaden; im Hintergrund ein uralter Pallast, unten mit 
römischen Inschriften, großen feingearbeiteten Kolonnaden ; 
unser schlechter Cicerone konnte uns dessen Ursprung nicht 
erklären; ebensowenig wurde mir seine Bestimmung klar; aus 
dem venetianischen Dialekt des Bedienten bekam ich nur soviel 
heraus, daß es eine Art Tribunal 1 ster Instanz seye. 

Von dem großen palazzo di giustizia. der in einem andern 
Quartier liegt, in die doppelte Hauptkirche; an der neuern 
wird inwendig noch gebaut; sie gleicht außen der Kuppel van 
St. Geoovefa in Paris; inwendig ist auch etwas ahnliches; die 
ältere Kathedralkirche gerade daneben mit Gemahl den ; die 
Kirche Santa Afra mit prächtigem plafond ä fresque gemahlt 
von Rassi, die Ehebrecherin von Titian ; es ist das erste 
Gemähide, das ich von ihm sehe; diese Farbenfülle entzückte 
mich, mehr noch der Ausdruck von Milde im Gesichte 
des Herrn und von Bu3e im interessanten Blick der Sünderin, 
Hinten im Chor die Verklärung auf Thnbor vom Tintorett } es 
ist etwas giganteskes in der zurückgeworfenen Stellung der 
Apostel; Wolken rollen auf sie herab, wie von Geistern herunter- 
ge worfen. — - Die Taufe der Santa Afra; sie liegt vor einem 



f~* Original from 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



- 353 — 

Bischof; er gießt Wasser auf sie; eine etherische Beleuchtung 
fällt auf den Nacken der hingebogenen Heiligen ; es ist der 
Segen des Himmels. Engel schweben mit Lichtern in den 
Wolken ; jedes solche Gemähide ist ein episches Gedicht. Ich 
glaube dieses ist von Bassano. Der Märtyrertod der Santa Afra 
von Paul Yeronese. Die andern Gemähide verwischt ; überhaupt 
inu3 man sich genügen, nur im Flug zu sehn, die Hauptsache 
herauszunehmen, sich nicht zu übersättigen. 

Der Tempel des Hercules, halb ausgegraben. Die Säulen 
des peristyliums sind alle kenntlich, aber in der Höhe halb 
zerbrocher. Der eigentliche Tempel ist noch mit Schult bedeckt. 
Wir krochen in ein Gewölbe, vro noch frescoiuahlerey «in der 
Mauer und Mosaikboden zu sehen ist. Hin Arbeiter mit einem 
Wachslicht führte uns; dieser Mann in seinen Lumpen, mit 
antikem Geeicht und antiker Bewegung schien dies dus mebr 
7.u fühlen als mancher Antiquar. Einige Signori von Brescia 
linken an diesen merkwürdigen Tempel ausgraben zu lassen. 
Die Regierung setzt es fori. — Der Pallast des Generals 
Mazuchelli, das Bischofshaus, der Pallast, wo Franz II. bey 
seinen Iieisen wohnt, fielen uns im Flujie auf. Ein prächtiger 
neuer Kommarkt, <iec alles hinter sich läßt, was Parts ähnliches 
aufzuweisen hätte, Arkaden mit geschmackvollen Läden, doch 
denen des palais royal nicht gleichkommend, zeichnen sich 
unter den öffentlichen Gebäuden aus; an unzähligen Kirchen 
liefen wir vörö her, sie kaum betretend ; im Heimweg in der 
Dämmerung traten wir in die älteste der Stadt, deren Name mir 
entfallen: die Einwohner der Nachbarschaft waren hier ver- 
sandet, ihr Abendgebet iu verrichten, ohne daß sonstiger Gottes- 
dienst wäre; es herrschte eine feierliche Slille im Tempel und 
ein ahnungsvolles Dunkel füllte die Hallen. Ich war ergriffen. 

Das Klima wirkt, die Sinuc sind gefangen ^ ich kann bis 
jetzt nur die schöne Seite des ganzen Landes sehn. Es mag 
diese Fruchtbarkeit, ohne schweres hartnackiges Arbeiten, ver- 
bunden mit einer milden aber 'Finsterliugsregierung um so 
fürchterlicher auf den Charakter der Einwohner einwirken, als 
ihr Einfluß unter schöner Hülle verborgen ist. 

Ehe wir nach Haus gingen, noch die Gallerte der Familie 
Lecclii ; eine Reihe von Sälen und Schlafzimmern ist mit den 
prächtigsten Gemahlden der venezianischen Schule (Paul Veronese, 
Titian etc.) angefüllt ; auch ist dieser Pallast sehr geschmack- 
voll und reich rneuhlirt. 

Von Gemahlden blieb mir im Kopfe: Die Geliebte des 
Titian als büßende Magdalena; mehrere porlniits yoq Vandyk 
und einem Portugiesen, ich glaube Job. Bapt. Murano. Der 
Garten des Pallastes gleicht manchem, den meine Eiubldungs- 

23 



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— 364 - 

kraft eich träumte, wenn von Taseo und Leonore die Rede w*r. 
In solchen Bogengängen von Buchsbaum, bey solchen Spring- 
queller las er seine Verse vor. Als wir d«s Haus verließen 
und unter den Arkaden des Hofes hinausgiengen, sahen wir 
im Garten einen Kavalier mit einer Dame; ich glaubte, es seye- 
der Eigentümer ; im Wirtbshaus erfuhr ich, es seye der 
majorduoino und die prima cameriera gewesen; der Eigen- 
thümer selbst» vermuthlich ein Garbonaro, ist von Brescia ver- 
bannt. Er war ehemals in französischen Diensten; auch hängen 
seine unteren Zimmer voller Bildnisse des Kaisera. 

Nach Tische gien£ ich in den Unstern Straßen Brescias 

umher; ge^en die Arkaden hin, wo in erleuchteten CaiFes 
junge Elegants, tont comme che* nous, saßen und die Vorüber - 
gebenden begafften. Hierauf getreu das Thor, durch welches 
wir angekommen (ich empfinge immer uasrn einen doppellen 
Eindruck vom nämlichen Gegenstand); auf beyden Seiten dehnt 
sich, so viel ich im aufsteigenden Mondlicht erkannte, eine 

öffentliche Promenade hin. J)ie östreiehische Trommel unter- 
brach allein die tiefe Stille. Die Straßen alle waren leer, 
und man hätte ohne Aufsehn den finarfenstich eines heimlichen 
Feindes erhalten können. Solche Spaziergänge bleiben mir mehr 
im Kopf und Herzen und ireben mir beßre Begriffe vom Land 
als Gemablde-Gallerien und Kirchen. 

Verona, den 1. October 1825 

Heute Morgen lief ich noch durch die Straßen von Brescia, 
liegen das alle Schloß hin, um eine Aussicht zu erhallen. Ich 
blieb am Fuße des Hügels, auf dem Walt ; die Berge bis gegen 
Bergamo zeigen sich anmuthig wie die hei math liehen Vogesen; 
ein Hügel in der Nähe der Stadt ist mit Villen bedeckt. Aber 
den Eindruck des italienischen Himmels fühlte ich seit gestern 
nicht mehr ; es war sehr kalt und unerträglich windigt. 

Der Weg hieher ist um ein bedeutendes minder schön; 
die Dörfer in geringer Anzahl ; die Villen verschwinden bei- 
nahe, die Berge sieht man erst bey Desenzano am Gardasee 
wieder, der sich schäumend am Ufer brach; die Berge waren 
beynahe von den Wolken verdeckt ; sie bilden vermuLhlich ein 
schönes Amphitheater, so viel ich von den großen, sichtbaren 
Formen urtheilen kann. Zwischen Desenzano und der traurigen 
Festung Peschiera strebt das Promontorium Sinuiuiu in eleu 
See hinaus; dort »dl Ca tu I 's Landhaus gestanden haben; 
man findet noch Ruinen. Das alles erfuhr icb zu meiner 
Schande erst hier und ließ den Wagen an der klassischen 
Gegend vorbeyrollen, ohne beynah hinauszuseha ; ich wachte 
kaum, Zahnschmerzen leidend. Wozu auch diente es mir» 



C Original frorn 



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— 356 — 

wenn ich gewußt hätte, was zu finden? Ich fliege vorüber 
und sehe genug, um den Weg kennen zu lernen nnd den 
Wunsch zu hegen, wieder zu kommen. Das geschieht aller 
menschlichen Wahrscheinlichkeil nach nicht mehr. Luiialo 
war mit seinen altertümlichen Festungsmaueri; vor Desenzano 
schon Hegen geblieben ; in Peschiera ekellen mich die Kasernen 
und die Garnison an ; nur der See bildet am Hafen zwischen 
zwey ßasteyen ein schönes Gemähide. 

Zwiechcn Cösfcl nuovo und Verona brach die Kutsche ; 
wir mußten im Staub drey Viertelstunden zu Fuß ins Wirths- 
hauu gehen ; es ist grandios und reinlich, (alle due Toni; das 
zu Brescia . . . .1); alles in ilaüänischer Reinlichkeit und 
Ordnung übertrifft bis jetzt meine Erwartung. 

Die Thürme von Verona sah ich fern auf der Straße ; es 
lietft völlig eben, und machte mir eben deßwegen nicht den 
bellen Eindruck. Aber kaum in der Stadt, in den breiten 
Straßen, rechts und links Antiquitäten, polnische und römische, 
war auch alles andre vergessen ; unter einer urallen Brücke 
strömt da die Etsch beym vecehio casteilo vorbey ; dort zeigen 
sich Palllste, vielleicht aus der Zeit derMontague und Qi pulet ; 
moderne PailSste mit Kolonnaden, gewiß schon von manchem 
angesehenen Haupte bewohnt ; Kirchen von einer Bauart, die 
die Phantasie nicht erdenken mag; Öffentliche Plätze, die von 
allem, was wir in unserm Norden sehn, verschieden sind — - 
hier die piazze del mercato mit einer alten Kolonne; der 
palazzo del consiglio ziert die eine Seile; der Plalz, wo ein 
Scala ermordet wurde. Dort sind die alterthümlicheu Wohnungen 
dieser Tyrannen ; in der Nähe ihre Grobmfiler, alle in derselben 
Einfassung; ich kann sie nur dem Gralie der Heloise und des 
Ahälards vergleichen; zierliche gothi sehe Arbeit, delikates Schnitz- 
werk, und doch ernst und imponirend, liegen sie da in ihren 
alten Särgen. 

Ueber meine Unwissenheit in historischer und antiqua- 
rischer Hinsicht muß ich klagen ; wie viel übergehe ich nicht, 
wie vieles prägt sich deswegen nicht fest genug ein. 

Durch eine prächtige Straße gelangten wir aut einmal 
2um Amphitheater. Es ist das erste Werk römischer Baukunst, 
das ich sah; ich erwartete mich also auf einen nervösen, para- 
lysirenden Effekt, wie \or einigen Monaten auf RigistafTel , 
dieser erfolgte aber keineswegs ; ich blieb ruhig, wie wenn ich 
das Straßburger Münster sähe. Es haben mir einzelne Ge- 
bäude, der Louvre z. B., imponirt; warum dieses schöne har- 
monische beynahe ganz bewahrte Theater nicht? Die Schweiz 



1 Unleserliches Wort, vermutlich ein >Jame. 



S 



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N 



— 366 — 

bat mich an das eigentlich Große gewohnt, und jedea Werk 
von Menschenhand, da ich es nur in seinem Totaleftekt beur- 
theilen kann, wird künftig an mir verfahren gehn oder nur 
wirken, wenn es sieb mil einer schönen Naturöcene verbindet. 
Das Bauwerk allein ist nichts für mich; r.ur in dieser oder 
jener Beleuchtung bekömmt es Werlh und fcxislenz; es gleite! 
in meinem Gedächlntß vorüber, wenn es nicht an einen Berg 
sich lehnt, an einem Fluß sich spiegelt. 

Genug, Verona's A.mphitheater — als ich auf seinen 46 

ütereinander gebauten Stuten umheispranjr, in die Arena 
hinunlcrblicHc, über die Stadt weg sah, sich in meinem Ge- 
dächtnis der große Cirkel mit Hörnern lullte, — wollte dennoch 
nicht mein Blut in Bewegung bringen, nur ein in die Mitte 
gekleckstes Polischinelltheatfr, das sich mit seinen elenden 
Brettern im ungeheuren Raum verliert, machte mich unwillig. 
Uebrigens untersuchte ich ziemlich kalt den Ort, wo dieThiere 
in die Arena gelassen wurden, die Yomiiorien, durch welche 

dos Volk in den Circus strömte, die außen, vier Arkaden, 
welche einzig: noch bestehn und deren giganteske Höhe dem 
K '->!>"•--"" i im ein so innjcslÜtischcs An sehn gehen müssen; sah 
östreithisebe Soldaten nuf den Steinen herutnkletlern und 
hörte ihren elenden Jargon in diesem großen Gebäude sprechen 
. . . ein Italiener tra! zu mir und sagte eeco una bella relilta 

(reliqtia). Dieses Wort vom gemeinen Soldaten machte mir 

mehr Vergnügen als alle commenlarien der Gesellschaft. Dur 

Musäum neben dem Theater hat manches merkwürdige ; ein 
auf Stein geschriebnes Testament einer Spart iatin, Torsen, 
Altäre, Inschriften, hesonriers viel bis-reliefs. Die Facade des 
Theaters auf dieser Seite ist von P<d)adio. Im Heimweg die 
porta Galieni. durch welche wir schon angekommen ; sie steht 
mitten über der Straße wie ein Triumphbogen ; die Kirche rieben 
dem Wirthshause, deren Kuppel man gerade zum Fes: der na- 
donna della Corona beleuchtete; in dem Dom selbst brannten 
überall Kerzen vor der im GoldstofT prangenden Madonna, und 
verschleyerle Frauen wählen auf und ab in den Botengängen. 
Nach Tisch suhen wir den Mond hinter der allen Etsch- 
brücke aufgehn ; Bürgers Lied vom braven Mann kam mir ua- 

willkQhrlich ein. Ehe wir heute ans Amphitheater kamea, 
liefen einige IUiliänisehc Wüstlinge in der Straße gegen uns ; 
ihr g i a ride, welches sie einigemal ausstießen, machte mich 
so grimmig, daß der Eindfuck mir lanj; nachhallte. Ja, sie 1 
lachte; sie lacht noch unschuldig be\m Anhlick des Lasters in 



1 Gemeint ist offenbar das an der Reise beteiligte Töchterchen 

des öiafen si, Aulaire. 



C Original from 



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- 357 - 

die Welt hinaus; aber auch das wird sich ändern; sie wird 
vom Baum der tfrkenntniß essen, wie wir alle, und der öluthen- 
staub der Unwissenheit, der lieblichen kindlichen Unwissenheit 
wird darüber abgewischt werden. 

Noch eine andre moralische Bemerkung von heute ist, 
daÜ die Bemerkungen, die man mir über ineinen irreligiösen 
Sinn macht, mich gerade immer mehr ins andre Extrem 
werfen ; besonders weil ich sehe, daß das Bibeltesen un ge- 
wissen Personen gar nicht gut anschlügt, weil sie sich zum 
Gewissen6direktor der andern aufwerfen wollen, Ich bin auf 
dem Weg, katholisch zu werden. 

Verona, 2. October, Sonfa* Morgens, 
Ich habe ira Gewühl der piazza del mercato meine Trauben 
genossen ; bin wieder am Begräbnis der Scala gewesen ; 
bewundre doppelt, was ich gestern oberflächlich gesebu. Die 
Stadt hat ein viel ehrwürdiger Ansehn als Bergamo und 
Brescia in ihren alten Theilen; überall Hauser mit gothiseber 

Zierrath, überall Erinnerung an Vorzeit. 

Zu meinem Fenster hinaus seh ich eine prächtige cupola, 
vermutlich die Kathcdralkirchc, und Cbcr die Diiclicrdcr Stadt 
hinaus einen schönen mit Villen bedeckten Hügel im Strahl 
der Morgen sonne. 

11 Uhr. 

Im Saal del consiglio sind ungeheuer viel alte Gemäblde ; 
unter andern die Seh lüasel Überreichung bey dem Eintritt des 
Dogen in sein Amt ; lauter sprechende Figuren j von Francesco 
Cavasole > biblische Sceneu auf Goldgrund ; von Felicu Bruasa- 
sole s Schi achtenge mahl de. 

Auf der piazza dei Signori, wo Mastin della Scalu von 
1 Scaramelli ermordet wurde, und wo dio Stelle noch durch den 
Namen il volto barbaro bezeichnet ist, waren auch die Woh- 
nungen der Scaligeri, wie man sie hier heißt ; eine Seile ist 
jetzt zu Gefängnissen benutzt; die andre Seile, wo der Gönsi- 
gliensaal, ist von Sansovino erbaut ; Statuen von Benedelto 
Campani zieren den Frontispit2. Im Hintergrund des Platzes 
ist diejenige Wohnung des Gouverneurs. 

In der Hauptkirche liegt der verjagte Julius III. begraben; 
es sind zwey Orgeln drinnen, die mit FJQgeltbuTen verschlossen 
sind und mit Gcinäblden geziert. An dem plafond des fiaupt- 
chors sind die Gemäblde von der Zeichnung des Giulio Romano, 
die Mahlerey von Turbido. 



1 Lies : CftrazKota. 

2 Brusasurci? 



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- 358 - 

Ueber einem Altar ist ein prächtig Gemähide des Tilian: 
die Jünger am Grabe der Maria; sie selbst achwebt in roaen- 
rolhen Wolken über ihnen : ein göttlicher ErTftkt ; das G[emälde] 
war in Paris. 

Jetzt höre ich die Kirchenmusik aus den Hallen von Santa 
Athonasia herüberfönen und eile die Töne näher .inzuhören, 

mich Ungläubigen unter die Gläubigen 2u mischen. 

Ergeisstimmen törlen von der Tribüne herab und eine 
Harmonie, die sich gzewiß mit keinet' französischen Kirchen- 
musik von Weitem nur vergleichen darf. Was mich ebenso 
viel anzog als die Sopranstimme eines H. Chiari und die Noten 
Rossinis waren vier FeueraugOD in meiner Nähe, wie heut 
Abend zwey andre ; welche Gesichter ! Welcher Ausdruck neben 
dem platten unsrer nordischen Weiber. Wie hatte Byron recht t 
Es ist eigentlich nur diese Kirchenmusik heute und gestern das 
Amphitheater, was mir aus Verona im Gedächtnis bleiben wird; 
vielen Detail heut Abend haben wir gesehn, aber kein Games. 

Yoran stelle ich die verschiedenen Aussichten gegen die 
Hügel in Verona'« Umgebung ; sie sind alle lieblich und die im 
Vordergrund strömende Etsch erhöht die Landschaft, welche sich 
beeondore schön aus dem palczzo Canoesa und dor Brüske (delle 
nave oder nuovo), wo das Haas des Zöllners stand, ausnimmt. 
Die Brücke delle pietre, welche aus unsrer Nachbarscliaft nach 
Veronetta hinüberführt, soll von Vitruv gebaut worden seyn. 

Mauergemählde auf der Straße sahen wir an einem Eck- 
haus eines eonsiliere aulieo; im Innern zieren sie eine unge- 
heure Hausflur. Unter den Kirchen sahen wir noch San Giorgio 
mit Gemählden von Paul Vtronese und, ich glaube, von Titian ; 
San Zenone nah am Thor von Brescia, wo in einer unter- 
irdischen Gruft das Grabmahl Pipins ist. 

Eine Gemähldegallerie i tri Hause Albarelli, worunter ein 
Dctphael, ein Bellino (sein Portrait), ein Leonard» da Vinci (auch 
sein eignes Portrait) ; sonst blieb mir nichts ; der heutige Tag 

ist zerstückelt; ich habe kein Resultat herausgezogen. Jetzt 
zerbreche ich mir den Kopf, um noch etwas aus den alten 
Steinen zu behalten, und gelange nicht dazu. Auch aus den 
Gedichten bringe ich kein Ganzes zusammen. 

Der Abend bleibt mir; wir gehn nicht ins Theater, wo der 
barbiere di Sewglia aufgeführt wird ; morgen Früh nach Vicenza 
und Padua, übermorgen hoffentlich erwache ich nicht fern vom 
palazzo di San Marco (Comersee bearbeitet). 

Padua, 4. Oktober 1Ö26, Nachts. 

Vorgestern Nachts hörte ich lange noch einem harmonischen 
Gesang auf der Straße zu ; ich glauhte das Sizilianische Fischer- 



r~* Original frorr 



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- 353 — 

lied darunter zu hören und Stellen aus der Kirchenmusik, die 
mich des Morgens so sehr entzückte. In einem Kaffeehaus fand 
ich um 10 Uhr noch 4 abbati und eine Mailänder Hofzeitung, 
die auch dergleichen interessante Nachrichten enthielt. 

Den 3ten durch Caldiero und Montebello nach Vicenza. Die 
Gegend wird heynahe ganz ehen, nur links sind in einiger 
Entfernung Hügel, biswelen alte Schlösser und Dörfer. Monte- 
bello hat eine Citadelle auf dem Berj-e. 

In Vicenza seihst lief ich planlos durch die prächtige 
Stadt, die mit Facaden von Palladio wie eine Feeustadl ge- 
niert ist. 

1) Der Plalz yor dern Hathhaus, das mit seinen ungeheuren 
Kolonnaden sich theatralisch ausnimmt, 2) einige Palläste 
(Ghiericati), 3) Der öflentliche Spatziergang campo Marzio, mit 
Aussicht auf göttlich schöne Hügel südlich von der Stadt, 4) be- 
sondere das teatro Olympien, von Palladio nach den Plänen 
Vilruvs gebaut, und eine sehr richtige Idee von den alten 
Theatern gebend; im Hintergrund befindet sich der Eingang 
der Stadt Theben; über den Bänken der Zuschauer in unzähligen 
Nischen die Bildsäulen römischer Imperatoren; hier eine antike 
Tragödie aufführen zu sehen, wäre gewiß von magischer 
Wirkung, und mehr als jede Beschreibung von Antiquaren hat 
mir der Anblick dieses Gebäudes einen richtigen Begrifl der 
alten Theater gegeben. 

Das ist ohngefar, was ich in U/i Stunden mit Zahnweh 
und ohne Führer durchlief. Die Kirchen darf ich nicht rechnen ; 
ich bin oberflächlich durchgelaufen. Auf dem ponte dei angeli 
lermuthlich sah ich den Bachiglione. Seit dem Eintritt in 
Italien war ich I ev Lecco über die Adda, bey Pdlazzuolo über 
den Oglio, der aus dem tago d'faeo fließt, hey Peschiera über 
den Miuciu, bey Verona über die Elach, bev Vicenza endlich 
über den Bachiglione getreten. 

Der Weg von Vicenza nach Padua führt immer durch 
Ebne hin ; aber sie ist so angenehm, daß man leicht dio Berge 
entbehrt; Rebenfestons hängen von Baum zu Baum und 
schwarze Trauben ziehen sie beynahe zu Boden. Eine große 
Strecke weit waren dm fiärten (i. e. Felder) so gebaut, daß 
etwa von 200 zu 200 Schritten eine Reihe Bäume und Trauben 
j>aralell an die Straße lief; der Zwischenraum war entweder 
mit Mais oder Klee bewachsen ; angenehme länglichte Quadrate, 
in denen man überall verweilen mögte, um Trauben zu essen 
und den blauen Himmel anzustaunen. 

Auf einer Poststation Casalenga, zwischen V[icenza] und 
Padua ist statt der Hausflur eine prächtige Kolonnade, die einem 
Pallasle nicht übel stehen wurde, angebracht. 



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- 360 

Durch Paduas finstre Straßen rollte der Wagen, immer an 
Arkaden hin, endlich bey der Litanei 3t. Autuuiusltirche v.h- 
bey in einen schlechten Gasthof. 

Er Ite^l in Padua begraben 
Beym heiligen Antonius, 

sieht geschrieben vom Mann der Frau Schwerdtlein. 

Wir liefen gleich am Bürgerhospilal und andern Pallästen 
vorbey an den Canal der Breola um die Barken nach Venedig 
711 hesehn ; sie sind sehr fclein und dumpfig ; wir kehrten 

unentschlossen zurfick ; im Dämmerlichte noch besah ich die 
vielen Kuppeln der St. Anloniuskiiche und auf dem Platze die 
Statuedes Venitianisclien Feldherrn Gattamelata (fecilDonaiello). 

Des Abends hatte ich die angenehme Arbeit, die durch- 
näßten und verschimmelten Kleider des Mantelsackes zu sichten. 

Heule fi üli 1) Das innere der Kiiche, und eine Nebeiikirche 
von St. Antonius mit Fresko^emäblcJeu von Titian und seiner 
Schule. 2) Am botanischen Garten vorbey in die St. Giuslioa- 
Kirche, die eine edle einlache Bauart hat. Man glaubt in einen 
egyptischen Tempel zu trelen. Es sind einige sehr schöne 
Marmorgruppen ouf Nobcnaltören; dio Namen der Bildhauer 
sind mir entfallen; ein Gemahlde von Paul Veroneseim Hinter- 
gründe des Chor« von ungeheurer [lobe zwischen vier goldenen 
Kolonnen, das Marl ei* der Heiligen Justin.n vorstellend, wird 
sehr gerühmt; deutlich erkannte ich nur Jesus Christus in 
den Wolken, die Heilige zu sich rufend ; solch ein ungeheures 
Gemahlde ist wirklich ein episches Gedicht. 3) lieber den 
großen Platz prato della Volle, wo in einem weilen Zirkel 
Statuen thronen und Käume grünen, in den palazzo Papafava, 
wo, wie gewöhnlich in Prachtsälen, Siatuen von Ganova ; eine 
Helu, «jnttlifh, einfach, antik. Hinter ihr aus einem einzigen 
Bluck Marmor, uu^el<ir 4 Fuß hoch, isl der Sturz der bösen 
Engel (60 Figuren) *on 1 hiesigen Künstler verteiligt; ich 
muß es tour de force nennen; aber schön kann icti die unge- 
heuren verschlungenen labyrinthiachen Windungen der Füße 
und Arme und Flügel und Köpfe nicht nennen. Ganova soll 
davon gesagt haben ; Si, 6 la caduta dei diovoli, roa egli che 
l'ha fatto 6 anco un diavolo. Nun ja. 4) In der Hauptkirche 
ein huste des Petrarchs von Ganova. 6) Der 300 Faß lange, 
100 Fuß höh« Saal des palazzo di uiuetizia (von Cozza gebaut 
1172). Der Luftballon der Mad. Garnerin hieng gerade an 
einem Ende desselben und verlor sich beynahe in dem großen 
Baume. Ein gleichgültiges Monument zu Ehren des Titus 
Livius ziert den Saal. Von der äuBeren Gailerie herunter sieht 
man auf den belebten Platz delle erbe. 



Original from 



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— 361 — 

6) Die Akademie oder Universität ron Palladio ; ich hatte 
kaum Zeit einen Blick in den schönen Kolonnadenliof zu 
werfen . 

7) Da:» sogenannte Grab des Antenor ! — — In den 
Straßen zogen die Oeslreicher festlich geputzt einher; es war 
der Namenstag des Kaisers; gleichgültig sehen die Ilaliäner 
ihre fremden Herrn. Frimont kominandirt. 

Auf eine Musik in der St. Antoniuskirche wartete ich nicht. 
Sie fiel auch schlecht au9. Der schönste Theil des Tages ist 
wohl die Heise nach Arqua. Obgleich von Staub beladen und 
erstickt, von Regen bedroht, sah ich ziemlich poetisch gestimmt 
die sparsamen Villen an, die hie und da am Kanal der ßrenta 
liegen ; erst jenseils delle battag1ie(wo ein berühmtes Schwefel- 
bad) fängt die gebirgigte Gegend wieder an und mit ihr belebt 
sich die Landschaft. Oliven und Trauhen wachsen dicht wie 
ein Wald neben der Straße ; Pallfisle liegen an und auf den 
Hügeln. Gegen Arqua zu ist der Weg selu schlecht ; man ver- 
gißt's beym Anblick der fruchtbaren Anhöhen \ ich möchte sie 
mit den Bergen bey Molsheim, Dorlisheim usw. vergleichen, in 
Rücksicht auf die Höhe wenigstens; natürlich verändert die 
Bauart und das Klima vieles. Auf der Anhöhe über dem 
kleinen Dörfchen, das auf dem Weg nach Este und Monselice 
liegt, traten wir ine kleine schwarze Landhaus Petrarcas. Ein 
"Winzer bewohnt es; Reben verdecken die Mauern. Es gehört 
einem Giaf Süvestre von Rovigo, der wenig für die Erhaltung 
thul. Es sieht alles elend aus. In einem kleinen Hintertinimer 
starb P[etrarca], sein hölzerner Lehnstuhl wird hinter einem 
Gitter verwahrt ; alte uobedeuende Gemähide bedecken die 
Wände der vordem Zimmer, auf die Novellen Peirarchs sieb 
beziehend ; plump und dumm. So liegt der Dichter und weint 
und etrli fa un fönte delle sue lajrrime, wie es auch der erklärende 
Winzer sagt. Was noch unerträglicher ist, die Wände sind 
verschmiert mit Kamen und elenden Versen ; doch unter einer 
Tafel steht ein Sonett von Alfie.'i auf die Mauer geschrieben, 
und um deßwillen mag das übrige hingeh n. Das nämliche 
Sonett habe ich in jder Sammlung von Ugo Foscolo zu Zürich 
gefunden. Eine Katze Petrnrch? steht ausgestopft über einer 
Thüre. il suo gatto! Auf dem Balkon geniettt man die lieb- 
lichste Aussicht der Welt ; sie ist das Angenehmste des ganzen 
Wegs und die Reise eltein werth. Zwischen zwey Reihen 
Hügeln hin, öffnet sich in der Entfernung einer Stunde das 
fruchtbare Thal gegen Padua hin; unter dem Balkon etehr. 
Oehlbäume, Pfirsichbäume mit glühenden prugniolen, Rebge- 
länder; etwas ferner Villen mit Bäumen umringt; Hügel bald 
waldigt, bald felsigt; es ist entzückend ; hier stand der Sänger 



Original from 

. ■■ 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



- SÖ2 - 

•oft; ich war allein, und diesen Augenblick dachte ich recht an 
ihn, der mir so manchen wahren Genuß verschallt, so manche 
meiner Lagen geschildert. 

Bey der Kirche ist sein Grab, sleinern, einfach ; auf vier 
Fußgestellen der Sarg; zwev Lorbeerbaume leiten kümmerlich 
daneben, zerpflückt von allen Fremden. Der Pfaffe, ein erz- 
prosaischer Kerl, zeigte uns Manuskripte von Petrarch und 
eine schöne Ausgabe seiner Gedichte (Padova. 2 vol. 4° 150 fr.). 

Im Heimweg fieujr ich an zu dichlen, wie ich im Hinweg 
ein Sonett augel'augeu zu übersetzen (das 201 slej. Aber wie 
gewöhnlich wird nichts fertig, und jetzt verhindert mich der 
•Schlaf, selbst das angefangene nur niederzuschreiben. Morgen 
Venezia \ — — 

Venedig, Mittag 5 Oktober 1825. 

In der Brautstadt des Meers, im alten Venedig, das mir 
als Kind in feenhafter Ferne vorschwebte, nah an dar berühm- 
ten Kialtobrücke wäre denn die schwarze Gondola gelandet. 
Es ist alles Traum in diesem Leben ! Das Unmögliche wird 
wirklich und wahr; das Mögliche und Wahrscheinliche zu 
nichte. 

Durch Darui, Schiller, Byron, Shakespeare habe ich 
poetische und reelle Begriffe von dieser Stadt erhalten ; sie 
kommt mir wie eine alte Bekannte vor. Ich hin nicht das 
erstemal hier. Durch diese Kanäle fuhr ich wohl tausendmal, hörte 
schon die Barcarolen, sah sie, die Gölierstadt, selbst schon mehr 
als einmal emporsteigen aus dem Meere. Als wir gegen Fusine 
kamen und die Thürme im Wasser sich zeigten, jauchzte mein 
Herz j es glaubte sich daheim ; so sehr vermag das Genie auch 
dem Entfernten Wirklichkeit zu «i.enen .... Schillers Geister- 
aeher besonders hat mich oft in dieso Wasserstraßen versetzt. 
— Auch erinnere ich mich der Erzählung meiner Eltern von 
einem Onkel, der im vergangnen Jahrhundert als Kauf- 
mann oft die Reise nach Venedig machte und die Damas- 
cenerklinge mit einem Bestecke als Reiseapparat zurückließ. 

Um Ordnung in die Daten zu bringen: wir sind um i/ 8 (i 
durch Paduas finstre Straßen, durch das Thor am Canal der 
Brenta hinausgefahren. Das Welter war trübe, ein feiner 
Regen drang überall her; die Umgehungen der Rrenta kamen 
mir bey weilem nicht so entzückend vor, ais man sie gevtöho- 
4ich ausschreit; erstens sind sie flach \ dann geben überall die 



1 Daru ist Verfasser einer Geschichte Venadigs in 7 Bänden. 
{Parie 1810-21). 






Oriainalftom 
UMVEPSTYOfMCMGAH 



— 3tt - 

Weiden ein melancholisches Ansehn, und diese kleine Reise von 
Padua bereitet ganz wohl auf den traurigen Anblick einer 
sterbenden Stadt vor. 

In Dolo, glaub ich, hielten wir; es ist ein anmiithifrer 
Flecken mit schonen Häusern an der Brenia. Zwischen Dolo 
und Fusina erblickten wir Venedi« emporsteigend aus dem 
Nebel; unzählig die Anzahl seiner Tliünne, und groß tiie Aus- 
dehnung der Stadt; es schien eine Zaubersladt in dem Ozean. 
Die Lagunen traf ich über meine Erwartung ausgedehnt und 
flüssig; sie gleichen mit einem Worte dem Meer, das ich mir 
schon ewig lang vorstellte, wie es ist, obgleich ich unzählige 
mal wir vorsingen lassen mußte, daß es ganz anders aussehe, 
als man sich's vorstelle. Ozaneaux > halte wohl recht, als er 
mir dies vergangnes Jahr in Beireff von Dünkirchen sagte. 

Einige Dutzend Barkenführer umgeben schreyend den 
tosenden in Ptrsina, um ihn zu bewegen, ihre Barke zu rniethen ; 
mit schwarzem Tuch überzogen, eng und klein, wie ein Sarg, 
lipj'pn die Schiffchen da und durchschneiden rnil ungeheurer 
Schnelle die Kanäle der Lagunen, die durch Prahle angedeutet 
sind, vermuthlich um die Untiefen zu vermeiden. Ich sah wenig 
von der Stadt, eingepreßt in den engen Raum. Oesilich am 
Horizont zeigte man mir Malamekko und die andern Erdzungen 
oder schmalen Inseln, welche die Lagunen vom hohen Meere 
trennen ; bey einer Insel, worauf San Giorgio minor mit einigen 
Häusern sich lielilinh ausnimmt, fuhren wir rasch vorbey ; 
schon erkannte ich deutlich die Bäume, welche die Häuser an 
der Südseite von V[enedig] zieren; nah beym Kanal della 
Giudecca fuhren wir in die Studt, zuerst zwischen unansehn- 
lichen Häusern und unter kleinen Brücken hin ; bald zwischen 
I J allasten, endlich im Haiplkanol gegen der Rialtobrücke hin 
in das Hotel de Bretagne« das selbst ein Pullast ist. Gondeln 
kreuzen sich unaufhörlich unter den Fenstern; die Schiffer 
schreyen, und doch ist alles, sagt man, in Verfall 1 Wie muß 
es zur Blüthenzeit gewwsen seyn I 

Lords Byron's Haus (Moncenigo's Pallast) zeigte man mir 
im Herfahren ; nnd ich war sonderbar bewegt bey der einfachen 
Anzeige. Auch Tassos Stanzen hörte ich hersehnarren von 
einem Schiffer; er schnitt die Verse immer in der Mitte durch; 
die Melodie ist einförmig und rauh; sie machte mir keinen poe- 
tischen Eindruck. Jetzt, nachdem ich den Pallast (Hotel de 
Bretagne) im Detail gesehn, die Marmortreppc auf- und abge- 
stiegen, Statuen und Gemähide uegattt, ist's Zeit hinauszueilen 
ins Labyrinth der Wasser und der Inseln. San Marco ruft. 



1 Jugeudfreuud Spachs 






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- 364 — 

Abends, 6. Okiober 10 Uhr. 

Von der Brücke des Rialto herab, die sich bogenförmig 
mit Laden auf beuten Seiten Ober den großen Kanal schwingt, 
schweift der Blick über die Barken und Palläsle hin; bald 
aber verlieft er sich lieber in den l&byrint bischen Gingen des 
Quartiers della inerceria, um auf den Platz von St. Marco zu 
kommen. 

Wir treten hervor; iln lieyt die Kirche mil den vier ehernen 
Pferden über dem Portal, mit dem abgesonderten vidi eckten 
Thurme der ehemaligen Kirche St. Geminiuno, mit den diey 
Obelisken-Säulen, Chyprus, Morea und Kandia bezeichnend. Da 
licyl der ungeheure Platz mit den Caaini, der Procuratia», dem 
pulaxza ducale, den Arkaden und reichen Läden ; da liegt vor 
uns das Meer, denn so sehen die Lagunen eigentlich doch uus, 
und am Hafen die xwey Kolonnen, wovon eine den IAiven, 
die andere eine Amphytrite (?) liäu.l. 

Wir besehen näher, was zuerst wie eine Operndekoration 
blendend auf uns einwirkt. Da zieren prächtige Statuen, Ge- 
mählde von Mosaik auf Goldgrund das Portal, den Vorhof des 
Tempels; wir treten hinein ins Heilb/thum durch die alten, 
von Konstanliuopel mitgebrachten Pforten, und der asiatische 
Pomp, der ganz fremde bizarre Anblick der Kuppeln, wo lauter 
Mosaikjremählde hervorquellen, die schöne Gestall der Marmor- 
säulen, das blumcnbaftc magische des musaischen Fußbodens, 
alles verwirrt und deutet an, daß der Fremde aus der euro- 
päischen Civilisaiiou hinausgetreten ist, uaier einem ahgefion- 
derten Volke wandelt ; daß hier schon dtr Orient mit dem 
Occideiil zuiawniensloße. Kaum wagt, es mein Fuß hinzugleiten 
auf dem echfrlgewiraten steinernen Teppich, kaum darf der 
Blick sich vertiefen in deu Himmel, der an den Kuppeln 
ausgespannt ist; die ehrwürdigen Grat allen des a- u. n. T.t 
treten in arianigtachen Bildern hervor aus dem alles be- 
deckenden Coldgrunle ; es ist ein heidnisch-christlicher Olymp! 
Und wenn ich vorbereite am U»pti^lerium, worüber Christus 
schwebt, vorbey an der Weihurne, die auf einem antiken 
griechischen Piedestai ruht, so verliert sich der Blick wieder 
im dunkeln Hintergrund des Chors ; er scheint das heilige 
Grab in sich tu schließen, so sonderbar ist er verwahrt mit 
durchsichtigen Kolonnaden, worauf Statuen der Christlichen 
Götterwelt ach stolzen; so mystisch ist der Hochaltar verziert, 
so ehrwürdig schützend schwebt im hohen Dome St, Markus 



» So muß es offenbar heißen, statt des unleserlichen mit «Pro- 

cuta» beginnenden Wortes 

2 Soll heißen: «He* &>.■»- und neuen Testaments». 



Original frorn 



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— 36e — 

^iganleeko Gestalt. Noch hinter dem Hochaltar in verbor- 
gener Stille zieren Säulen von Agath den Altar, vor dem die 
Slaalsinquisitoren ungesehn die Messe hörten. Sie schließen 
das Ganze, dunkel, geheimnisvoll und ernst. Jn einem Seiten- 
gang liegt der alle blinde Dandolo begraben; auch die Stelle 
zeigt man, wo Friedrich Barbarossa vor dem Pabst sich ernie- 
drigte. Wo ist ein Schritt auf diesem Boden, der nicht eine 
nahmhnfte Stelle berührte ? 

Wir treten an den Hafen hervor und werten einen Blick 
hinter urs auf den Plans San Marco; da zeigt sich ern Ende 
die Sladiuhr, rechts die Kolonnade, mit ogivischen Fenstern 
der palaazo ducale j links glaube ich die Cccca *, und der 
königliche Garten. Jetzt? Wir .sehen auf die !*Ag<inen ; gegen- 
ül>er zeigt sich San Giorgio Maggiore, majestätisch emporsteigend 
aus der Fluth, i Gipuccini und andre Dome mehr ; in der 
Weite erkennt man einen Streif, welcher das lido andeutet. 
Wenig Kauff&rthcyschiiTe, eine große .Ynzahl Gondeln liegen 
da. Wir gehn ein wenig an der Facade des Dogenpallastes 
abwärts und sehn von unten die Seufzerbrücke über den engen 
finstem Kanal. 

Wir sind vom Schauen müde geworden. Wir ruhen ney 
der Erzählung des Lohnbedienten aus, der 74 Jahre alt und 
ehemaliger Kammerdiener des vorletzten Dogen, manches zu 
sagen hat. Er spricht mit mysteriöser Stimme von den Inqui- 
sitoren, als oh ihn die Sbirren noch belauschten .... aber 
Venedig ist todl und seinen Leichnam bewachen einige Oest- 
reichische 'Soldaten mit aufgepflanzten Kanonen und glänzenden 
Flinten; ihre Figur ist unausstehlich auf dem St Marktplätze. 

Giovanni, der 74jährige, erzählt uns noch von Byron, den 

er bedient, in dessen Zimmern wir wohnen; er spricht von 
den Luntfahrten und Spazierritten, die er mit ihm auf dem Udo 
gemacht, wo der Meerschaum die Pferde -bespritzte, er aber 
immer mit offenem Buche voran ritt ; und das alles erzählt der 
Alte so einfach, daß fürwahr kein Zweifel an seiner Wahrhaftig- 
keit bleuen kann. 

Wir treten wieder in ein Gebäude ; es ist der prächtige 
Hof des Dogen pal lastes ; antike Statuen stehn unbeachtet in 
den Nischen ; wir gehen die Treppe der Biesen hinauf, wo 
einst der Kopf des Faliero herunlerrollte, wo einst Foscari, der 
Würden entsetzt, herunteigienß. OI>en stehn zwey Slalueu von 
Sansovino, Mars und Neptun ; kollossaliseh, aber grandios und 
hchon. fiier ist das Loch, vor dem ehemals der Löwenrachen ; 
hier eine zweyte prächtige Treppe, die uns in das Innere der 



Gewöhnlich «Zecca» geeclirleben. die alte )Hii/.e. 



r 



. 



Oriainalffom 
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— 366 — 

Säle fuhrt. Hier verwirrt sieb mein Gedachttiiß, und es wird 
eines zweiten Besuches bedürfen, um die Säle zu ordnen mit 
ihren Gemählden, ihrer ehemaligen und jetzigen Bestimmung, 
endlich mit ihrer Reihenfolge. Genau eingeprägt sind noch die 
labyrinthischen Gänge, welche auf die Seufzerbrücke führen, 
die gegenüberliegenden Gefunjrnisöe, die pluiubi auf den Dacti- 
21 ,110 n, die Zimmer, wo die inquisilori die Gefolterten exami 
nirlen und hinrichten ließen Hier ist die Eintbcilung der 
Zimmer etwua verändert, aber Giovanni stellte sie in ihrer 
Urgestalt her und erzählte an Ort und Stelle die Hinrichtung 
einiger armen Gesellen, die er selbst mit stranguliren ansab, 
versteckt in einem Winkel von einem Shirren. Den folgenden 
Tag hiengen die Leichname draußen öffentlich autgehangeu, 
mit dem Zettel «per cosa di stato» — sie hatten in htrien kon- 
spirirt, es war aber damahls nichts davon aus Tageslicht ge- 
drungen. In wiefern Giovanni'e Erzählung Glauben beizumessen 
sey, lasse ich anheimgestellt. 

Unter den Sälen ist der des Eingangs, delle quatlro porte 
mit Gemählden von Panlo Veronese und Titian ; vom letztem 
der Glaub eu, eine schöne Gestalt, glänzend von Farbe und 
Li cht eile kl ; der ungeheure Saat dei pregbati und hinter' 
dem DogensiUe die Hauskapel.e des Dogen; der finstre Saal der 
Dogenwahl, wo die verwirrten und komplizirten scrutine 
stattfanden; andere Säle, wo jetzt das Kriminalgericht seinen 
Sitz hat; ehemals sola dei dieci; noch mehrere andere hinten 
daran; miß mit prächtigen plafund- und Seitenmahlereyßn dar 
venetianiseben Meisler, immer wohlerhallene Meisterslücke — 
eo sind in den vier Ecken des letzten dieser Gemächer vier 
Gemähide des Tinloretto, mit glühender Farbe ; Venus, die Mars [?] 
und \ iadne verheuratnet, die Grazien usw. Von Paolo ist 
irgendwo der Haub Kuropens, unstreitig das schönste, das ich 
von ihm gesehn. Der Kopf des schmeichelnden Stieres ist so 
naiv als möglich, und Europa reizend, üppig, frisch. 

Müde sah ich oft über die Häuser hinaus in einzelne Theile 
des Hafens, die hie und da durchblickten; kehrte auch in der 
Nacht noch einmal auf den St. Markusplatz zurück. Das Meer 
lag still ; die Lichter auf den Inseln schimmerten herüber; die 
Schiffer sangen nicht. — ttnigeBarken mit einer Laterne gleiteten 
Mumm und schnell vorüber, wie Särge mit einer Todtcnlampc. 

Auf dem Plane habe ich mich umgesehn, er hilft aber nichts, 
um sich in den vielen namenlosen Gißgen zurecht cu finden ; 
und do:h mö>ta ich jeden Augenblick, den ich allein auftreiben 
kann, benutzen 



1 Undeutlich infolge einer Korrektur. 



C Original from 



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— 367 — 

Donuer&iafc, 6. Oktober, 9 Uhr Morgens. 

Ich war allein im Quartier der Merceria, auch an einer- 
Kirche. vr in großen Leitern geschrieben stand: Volle Indul- 
genz lür die Lebenden, lb eil weite Iudulgenz für die Todlen, 
wenn man an einem der Altäre dieser Kirche betet. 

Hierauf Kien* ich über die ttiallobiücke auf den je lebten.. 
Fischmurkt, der mich völlig in die Pariser Hüllen versetzte, iik- 
die Kirch» San Maria Gloriosa dei Iran, wo Titians Grab, ein 
Monument in ejjyptischen Styl zu Ehren Ganovas; er selbst halle - 
es angefangen zu Ehren TizianoV Ein prächtiges Gemähide - 
dieses letztem, Statuen von Sansovino in der nämlichen ; durch-.. 
die Kirche San Paolo zurück. 

Freitag, 7. Okiober, Abend». 
Gestern in Gesellschaft stieg ich in die Gondel und fuhr in— 
die Kirche der Jesuiten, wo Marini's Asche und das Mirlyrthunv- 
de« St. Liurcnüus, eines Geniähldes von Titian, gleich an>. 
Kiri^:in^. Der HauptfinhlL-k der Kirche ist schimmernde Pracht. 
Der Hauptaltar ist mit Kolonnen von eingelegtem Venelianischen 
und Karrarischen Marmor, weiß in grün, geziert; 10 Kolonnen, 
sind Ober dem Altare, 4 an deu Ecken. * 
Unter den übrigen Gemähldea: 

Die Enthauptung St. Johanns, von Halma Giovine'; von ,. 
Tinloretto : die Ueschneidurg; von Tiepoletto ist der plafond. . 

Im P»l laste Manfrini : 
von Gioniano, Porzia sich lödtenri. 
» Belli no, eine Jungfer, portrait. 

» Giorgione, ein Portrait; es war ein Schüler Bellinos. er- 
starb 34 Jahre alt. 
» Dürer. Engel beten das Jesuskind lein an. 
» Tifiiua, ein Portrait des Arioslo; herrlich, lebhaft. 
» » ta regina Com uro, 
» Gennari, 1 Sibylle. 
» Rembrandt 1 Portreit. 
» Moriglio, 1 Schäfer. 
> Pordenone, er selbst in der Mitle von 5 seiner Schüler.-.. 

1 Heurath der Jungfrau ; 
ß Bellino, Christus in Emaus. 

Ein gonzeß Zimmer voll von oj ton Gemähldon von Cirnabue, .. 
Giotto, Manlegna. 

von Giorgione ; ein Weib und zwer Männer; man glaubt- 
Tifian, seine Geliebte und Giorgione; unnachahmlich schön - 
und lieblieh. 



i Lies: Oiovaae. 






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— 368 — 

Ji;li:> Romano, Cirse gibt dem Ulysses den Becher. 

Guercino, Der verlorne Sohn bey seiner Rückkehr. 

Velasquez, eine Jungfrau. 

Tizian, Kreuzabnahme. 

Pietro di Perugino, Meister Haphaels, biblische Gemähide; 
an einer Frauenphysiognomie erkennt man schon Raphael. 

Luriovico Caracci (Ftolognesische Schule), «;ce homo. Fra 
Bartolonteo della Porta, ein Portrait. Gerard Dow, ein Doktor 
besieht den Harn. Von Carlo Dolci eine Jungfrau (Florentiner). 

Chiesu di San Maria dci scalzi ; ohngclahr wie die Jesuiten- 
kirclie des Morgens; prächtig» überladen mit Pomp; rothe Marmor- 
säulen über denn Ilaupteltjr. 

Wir fuhren durch den ganzen Canal grande bis an die 
Isola Sapta Chiara, wo sich die Aussicht gegen Mestre hin 
öffnet, und zurück bis an die piazza San Marco. Es isl eina 
prächtig* Spazierfahrt zwischen diesen Patlästen der versunkneu 
Herrlichkeit hin . . . Die letztere Seite, bey der grandiosen; 
Kirche della Salate und der eleganten Dogana, welche auf der 
äußersten Spitze des westlichen Theils der Stadt liegt, ist wirk- 
lich magisch. Der reine italienische Himmel, der üher der 
ganzen Wasserfläche, den Inseln und der Sladt lag, die hin 
und her kreuzenden Barken, die bewegte Menge auf dem 
Markusplatze und am Gestade dei Sctuavoni hin praßten ein 
unauslöschliches Bild in mein Gedächtnis. 

Wir landeten, um eine Ausstellung der hiesigen Manufak- 
turen zu sehn ; sie hatte weiter nichts merkwürdiges für mich, 
als daß sie in dem Gebäude der allen Bibliothek] sich befindet 
und der Saal mit prächtigen GemahkJeti der venetianischen 
Schule geziert war: (Tintorett P. Veronese, Salviati). 

Fahrt auf das Udo. 

Es gieng vorbcy an der öffentlichen Promenade, welche die 
Fi-anzosen an der östlichen Spitze der Stadt angepflanzt haben, 
an St. Helena, der ferneren ICarlhause, auf den sonnenhellen 
Lagunen. Wenn ich hier wire, würde ich jeden Tag eine 
andre Insel zum Spazierpunkt wählen; sie sehen alle wie 
Oasen aus; denn so niedrig dag Wasser der Lagunen seyn mag, 
so gleicht es doch dem Meere. Auf den Festungswerken des 
Lido landeten wir um 3 Uhr und ich sah von oben herab das 
blaue Arlriatische Meer seine Wellen tobend ans Ufer rollen. 
Schifferbarken schwebten in Unzahl ; ut der schonen Fläche. 
Großen Eindruck hat es mir nicht «remacht; ich war nicht 
allein und die Wogen netzten ineine FüDe nicht; auch bau ich 
rnir's leicht vorstellen können und finden, wie es war. 

Im Rückweg blieben wir wieder auf dem M[arkus]plaize, 
im einzelnen die Fanden der Pal laste untersuchend. Am palaszo 



C Original from 

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- 309 — 

ducale isi die #egen den molo huckende Seite unter Marino 
Falieri erbaut, im arabischen Styl; unter Foscari (1423) der 
größere Theil der Facade. welche auf die piazzetta sieht. Hier 
sind im zweiten Rang zwey rothe Kolonnen; sie bezeichnen die 
Stelle, wo die Kriminalsenleiizen publizirt wurden. Der Winkel 
zwischen der piazetta und dem molo ruht auf einer einzigen 
Kolonne. 

Durch die porla di Carla Irrt! mau in den Hof, vro auch 
die verschiedenen r'apaden zu bemerken; die auf der Seile der 
Ulli) 1607 erbaut, mit Statuen geziert; zur nämlichen Zeil die 
Facade auf der rechten Seite des Eintretenden. 

Gegen der scala dei Giganti über ist eine von Bergamasco 
1520 erbaute elegante Facade; die, welch« auf der Seite des 
rio di Palazzo sich findet, ist 1600 unter den Barbari^o erbaut. 

Die 3cala dei Giganti von Rregno, ge^en 1400 geendet; 
Mars und Neptun oben darauf, kolossale Statuen von Sansovino. 
Hier oben wurde der Doge gekrönt. Die liöherliegetiiie scala 
d'oro, welche in die Säle Führt, 1538 — 1577 erbaut ; Dojje Sebasl. 
Yenier. 

Wir kehrten auf den Platz zurück. Der Thurm von 
Sät. Marcus 902— llöO: an seinem Fuße ist die Logiria del 
campanile, ein kleines nettes Gebäude reit Statuen von. Sanso- 
vino. 1540. Die torre dell orologio; Pietro Lomhardo 1498 
erbaut. Ein prächtiger Quadrant. — Daran stoÜen le procuratie 
vecchie, die eine Seite lies Markusplatzes füllend; jetzt sind sie 
wo Privatpersonen bewohnt, 14d0, 1&3 möires lang, 18 hoch. 
Gegenüber, die andere Seite des Platzes einnehmend 1) le pro- 
curatie nuove, 2) oder paiazso reale, 3) oder alle Biblio- 
thek. Die letztere hat die Facade auf die piassetta; die Biblio- 
thek wii hier bis 1812; Sansovino fien£ sie an; es sind 21 
Arkaden in Lärigje, 3 in die Höhe ; Slatucu vou Sansovino 
zieren eben die Balustrade. 

Die procuratie nuove #ehn längs der piazza maggiore hin. 
Vinccnzo Scnmozzi 1684 erbaute sie meist; 38 Arkaden lang. 
Die nuova fabrica, welche den Platz tregen der Kirche am 
andern Ende schließt and am Ort errichtet ist, wo die Kirche 
San G?niiniano stand, wurde erst 1810 erbaut. Diese drey 
Facaden zusamen bilden die Wohnung des Kaiser-Königs. 

Den Sonnenuntergang sahen wir suf St. Markus, den man 
ohne Treppen, wie einen Berg besteigt. Nur der Rigi ist 
dieser Aussicht an die Seite zu setzen. Zu den Füllen die 
ungeheure Stadt, drauf Insela, drauf Udo und Malamocco, 
drauf das Meer. Auf der andern Seite der Kontinent und die 
Tyrolergebirge und dieEugannischen Hügel, hinter die der Sonne 
ftlulb versank ; die violette Seite mit Purpur vermischt am 

24 



Original from 



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— 370 - 

ganzen Horizont; hundert Kirchthürine und Mäste im Hafen, in 
den letzten Strahlen schimmernd .... es ist unaussprechlich 
reizend, und doch liegt ein Leichnam Venedig zu meinen 
Füßen! alter als tausend Gondeln die fjigiinen füllten, der 
Schiffer Gesänge, das Tosen des St. Markusplatzes heraufklan^* 
als Asiens Reichthümer hier statt Fischen und Engländern aus- 
geladen wurden, welch' ein Schauspiel damabls! 

Den heutigen Tag muß ich auf morgen lassen oder viel- 
mehr auf heute den gestrigen, denn es schlägt 1 Uhr und der 
6 lc Oktober ist angebrochen , der letzte Tag in der Meerstadt. 
den 6len Abends in der com media di rarallere von Goldoni : 
la donna hizarra ; es war im Theater San Benedeit o ; obgleich 
sekundär, ist es schön geziert und hat fünf Reihen Logen in 
größerem Zirkel als das Iheatre fr[anceis]. Ich war ein wenig 
mortifizirt, nicht alles zu verstehen. — Gestern den 7 ten auf 
der Bibliothek im palazio durale. Es ist ein langer Saal, unten 
mit Büchern, drüber mit geschichtlichen Gemälden, höher 
mit Bildnissen dar Dogen geziert; in der Milte taufen zwey 
Reihen antiker Siatuen hin ; an beyden Enden, in die Breite, 
sind bas-reliefs, Torsen, kleinere Statuen ; alles in Unzahl, 
aber schön geordnet. Rechts beym tinlntt ist das ungeheure 
Gemälde von Tintorett, il paradiso ; eine Riesenkomposition, 
mehrere hundert Köpfe und Figuren, die sich wie Ueerps wogen 
um den Thron des Ewigen drängen ; wunderbar spielt das Liebt 
zwischen den Gruppen. 

Unter diesen sind xwey bas-reliefs, die man dem Phidias 
zuschreibt. Am andern Ende des Saals die Gesetze Dracons. 
auf der Insel Delos von einem Grimani gefunden ; ein bas-relief 
wo sie Trauben siampfen. 

Unter den großen geschichtlichen G[einäldeu] : der Sie/ 
bey Cniogga voa P. Ver[onese]. Heinrich Dandolo, den Daiduin 
krönend, unter dem Bildnis desselben Losen und dem schwarzen 
Schleyer, welcher M. Falieros Stelle bezeichnet. 

Die Eiuualune Conslanlhiuuels von Tintorett. Unter den 
Statuen ein Ulysses; er kämpft und spricht. Amor, den Rogen 
spannend. 

Bachus und ein Faun, sich umarmend. Von Winkel m [an r] 
beschrieben. 

In einem Zwischensaal eine antike Venus. 

In der Sala del scrutinio die große Schlacht von LepanU. 
von Andrea Vicentino ; das übrige ist verwischt. 

Das Haue, woCanova starb. Inschrift: cUas aedes francis- 
«coniorum, quas ob diuturnae amicitiae candorem lautioribus 
«hospitiis praetclerat, Antonius Ganova sculpturae prineeps ei- 
«tremo hahitu ronsecravil. 3 id. Oct. 1822. 






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- 871 — 

In der Kirchs San Salvador: 

Grab der Königin Cornaro, des Dogen Vemeri ; Gemähide 
von Titian und Bellino. 

Pallaät Pisani : 

Tod Darius', von Piazzetti. Familie des Darius zu Alexan- 
ders] Füßen, Meisterstück von Paul Veronese. 

Pallast Barberi^o: 

Magdalena von Titian ; zwey Kinderköpfe von Correggio ; 
ein aiw/efangen Gemahlde von Titian» St. Sebastian vorstellend ; 
er slarb ober der Ausführung. Portrait* von Giorgione. 

Dei frari, wo ich schon gewesen : ein Sakiati (Hör. Schule), 
eine Statue von Sansovino ; Pesaros Grab ; alte Gemählile von 
Contarini und Carpacio. 

Acadeinia delle belle Arti. 

Eisige mit nach geformten Slutuen angefüllte Säle ; ich 
lernte hej dieser Gelegenheit die Statuen [V] voraus kennen, die 
ich in Florenz und Rom treffen werde. Es sind Statuen von 
Canova da, die tfewiß den Antiken gleichkommen ; in die Prin- 
zessin Borghese verliebte ich mich ; das ist die schönste idea- 
lische Gestalt und Form, die ich eah. Gegen ihr über die 
Mutter Napoleons, edel, sireng, eine Klytemnestra. 

Im hintern Saal ein alt GernShlde von Bellino (UDO) : die 
Prozession vor St. Marcus vorstellend. 

Im Gemäuldesaal ein Sankt Johann der Täufer von Titian. 

Dessen Himmelfahrt der Jungfrau ; es ist die Glorie des 
Himmels, welche so glühende Farben über alles ausgießt; 
feuerroth ist das Gewand der Jungfrau, feaerroth der Mantel 
manches der Apostel, die unten ir verschiedenen Posituren die 
Heilige oben in das Gold des Himmels verschwinden sehn. leb 
gebe diesem Gemähide von Titian die Palme. 

Von Pordetione, einem Zeitgeuutsseu fielliu's, eiue ganze 
Gallerie ; von Tintorett, ein Mirakel des Sl. Markus. 

In einem andern Saale Canovas Herz in einer Urne. — 
Im Hinaus^ehn bedachte sich ein schön gekleideter, junger 
Mann, der sehr verständig über Kunst mit uns gesprochen und 
uns unter anderm die Schuler Titians genannt hatte (Bonifacio, 
Padovano, Palma Giovine, Contarini, Rocco Marcnno) nicht 
einen Augenblick, die buonamano zu nehmen. 

Mit dem Grafen allein besuchte ich noch die Kirch© San 
Giovanni e Paolo, die mit Gräbern von Dogen überladen und 
von Zierrathen erdrückt ist; unter den fünf Kapellen im Hinter- 
grund der Kirche ist immer eine prächtiger geschmückt als 
die andre; schöne Glasscheiben, von der untergehenden Sonne 
beleuchtet, sind nicht die geringste Schönheit dieses Tempels ; 
aber vor allem steht das Gemahlde Titians, den Tod eines 



Original frorn 



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- 372 - 

Ano>t*?U, der van Räubern in einem Wald fiberfallen wird, vor- 
stellend. Es heißt il martirio di Sau Pelio, woher, weiß ich nicht, 
denn St. Peler soll tfekreuziwt worden seyn, den Kopf unterwärts. 
In der Fijiur des Gefährten, der unbewaffnet neben dem nieder- 
geworfenen und todtbedrohtcn Apostel steht, liegt außer der Ver- 
zweiflung und dem Schrecken eine tföltlicbe Hingabe, weil er die 
Elidel mit Palmen in Jen Wolken sieht. Es gehörte das Talent Ti- 
tians dazu, einem furchtsamen Charakter tlieseWürde aufzuprägen. 

Auf dein Platz vor der Kirche in der daransloßeudeu 
Scuola Ji San Marco ist eine Statue Coleonis. 

Des Abends im Theater San Benedetto: Oreste von AIQeri. 
Ich habe die Franzosen affeklirl geglaubt, die Italiener sind es 
zehnmal mehr; ich habe beynah keinen einzigen wahren Ton 
gehört ; nur der Augenblick, wo Orestes und seine Schwester 
sich erkennen, war rührend. 

Den 8Ien eilt ich früh morgens auf den Thurrn von St. 
Marens, den Sjonnen.iufgmi^ zu sehn ; es war eiskalt und die 
Sonne schon herauf, ;ils ich die letzten Treppen bestieg. Doch 
genoß ich noch die schönen Tinten auf dem Meerhorizonte ; 
im Ganzen ist der Untergang schöner. Arn Arsenal sah ich 
nur die äußere, ungeheuer lanjre Mauer, die Brücke und so- 
viel sieb durch das Gewitter [?] des Kanals erblicken ließ. 

Mit dem Grafen im detail das Innere und Aeußere der 
St. Maikuskirche. Sie wurde a* 976 begonnen und a 1071 
geendet. Die Architektur ist griechisch-arabisch ; 600 Kolonnen 
von Verde antico, Porphyr und Mnrmor zieren sie; mit einem 
Worte, was an diesem Gebäude nicht Gold, Erz oder Mosaik 
ist, besieht aus orientalischem Marmor. 

Fünf Mos&ikgemähhle zieren die Bötfen Her Facade ? wor- 
unter die Fortschaflung de.« Körpers des Heiligen aus rien 

Gräbern von Alcxondrin zu (»merken. 

Fünf Thüren von Erz schließen den Tempel, und die vier 

ehernen Pferde schnauben auf der Zinne. 

Die Farads links zählt viel has-reliefs ; rechts *>*? pn ' lp 
pia/elta sind mehrere Staluen. 

In der Vorhalle des Tempels ist die Stelle bezeichnet, wo 
Friedrich sich vor Alexander beugte; unzählige Mosaikgemflhlde 
D3ch Zeichnungen von Snlvioti, Titian etc., durch Zuccalo 
axoöerjtheils a. 1545 verfertigt ; rechis in der Vorhalle ist die 
Kapelle Zeno, die wir nicht betraten. 

In die Kirche selbst führen metallne Pforten ; eine rechter- 
haud soll von der Kirche San Sofia hergenommen seyn. 

In der Kirche selbst sind oben die Mosaik so üneinander- 
ifedrarigt, daß eine Analyse zu ermüdend wird ; mit einem Wort, 
der Christi. Olymp drängt sich herab. 



f~* Original frorn 



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— 073 - 

In der ßapListerium's Kapelle eine Madonna und zwey 
fcngel in Marmor und ein prächtiger Taufstein aus Marmor mil 
Deckel aus Erz ; darunter schwebt ein St. Johann. Ich über- 
gehe die vielen Nebenkapellen, der Hauplaltar ist von vier 
marmornen Kolonnen getragen; hinter demselben ist ein zweiter, 
auch mit vier Alabaslerkolonneu gezierl. 

Das Thor der Sakristey ist mit bas-reliefs von Sansovino, 
woran er 20 Jahre lang arbeitete, geschmückt; innen ist die 
Mosaik, wie überall» verschwendet. 

Indem ich das früher geschriebene über die>e Kirche 
durchlese, sehe ich, daß der Generaleindruck, so belaubend 
er seyn mag, doch das interessanteste Eiuzelne heraushebt, 
und daß das Zerbröckeln nichts weiter, nichts Neue* in den 
Kopf bringt. 

(Flor[enz] 28. Oktober am Krankentische geschrieben). Nach 
dem Frühstück das Theater AI 1 1 fenice; die easa Cicognarn 
des Aufsehers und Direkturs der \kaderoie der schönen Künste. 

In eleganten, schön meublirten Zimmern die ritralti de>lle 
statue di Canova; Bealriee, eine Büste von Canovas Arbeit etc 

Wir stiegen draur" in die Gondel, fuhren in die Kirche 
San Maria rtella Salute. Jedesmal wenn man aus den kleinen 
Kanälen in den großen beyrn St. Marcusplatze besonders, 
hervorkommt, wird der Blick von der Große der Ansich: 
überrascht ; es ist, als ob er aus der Nacht ans Licht käme. In 
der Kirche stie^ gerade der Weihrauch vor dem Altar empor., 
die Töne der Or^el schwollen; es war zum Hinsinken. 

In der Sakristey finden sich drey Gemühlde Titians, welche 
seine iltey Manieren kennen lernen. In der ersten ist ein 
Sebastian, in der 2ten und besten ein 3l. Vfaikua, in der 
dritten ein isaaksopter am plafond ; von Bellino eine Jungfrau ; 
von ProTenino eine Verkündigung:, liebliche kleine GemDhlde. 
Hinter der SakrUtey sind Altarzisiruthen, köstlich aus lapislazuli. 
Türkisen, Agathen zusammengesetzt und kleine Gemähide ein- 
schließend. 

Diese Kirche della Salute wurde 1630 auf ein Gelübde der 
Republik hin nach der Fest erbaut : die ehernen Statuen über 
dem Altar deuten allegorisch darauf hin. In den Choigängen 
des daranwenden Seminars ist ein altes von Torcello herge- 
brachtes l-as-relief. 

Wir fuhren in den hreilen Kanal della (litidecca hinüber 
in die Kirche al redentore, von Palladio 1570 erbaut, einfach 
und edel ; mehr zog mich immer der Anblick der schönen 
Meerbraut draußen im Freyen an. San Giorjrio major liegt 
am Ende des Kanals auf einer abgesonderten Insel : ich hatte 
schon oft von St. Markus herüber ihre t>dle destalt bewundert. 



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CemShlde : Santa Lucia, Märljrin von Baasano ; ein ziemlich 
ähnlicher Gegenstand von Tintorett. Im Clior ist sehr schönes 
Holzschnilzwerk, unter anderm St. Benedikt, welcher Brod in 
einem Korb von Gott item Vater am Seil heruntergelassen 
empfangt. 

Wir fuhren unter der Seufzerbrücke an Bianca Capellös 
Hause vorbey, in den Pallasi Grimani. Im Hör sind zwey 
kolossale Staiuen, Agrippa und Geaar» aus Rom hergebracht 
Die ungeheure Menge von allen ist sehr gut unterhalten; 
Ober einer Treppe am ulafuud sind Greiuählde vun Giurgiuuc iu 
dei ersten Manier Raphaels ; Gemählde ron SaUiati (die 
Psyche), von Tilian, von Öassoferrato, der völlig die Manier 
des Carlo Doloe bat ; ein großer Saal mit lauter portraits, von 
Tilian drey ; ein Saal mit alten Tapeten der Gobelins; ein 
andrer mit Büsten und bas-reüefs; Gemählde von Johann von 
Udine, dem ersten Mitarbeiter Raphaefe. 

Den Sonnenuntergang sali ich wieder auf dein Platze 
Sand Marcus, mich allein auf dem Stadan dei Schiavoni 
umsehend ; Gaukler wie auf den quais zu Paris ; ein impro- 
visirender Erzähler, um den sich das Volk drängte; er sprach 
ein reines Itaiiänisch und mit vielem Feuer: ich glaube, es war 
eine Art Feenmährchen. 

Rey Tische fielen mir Gedanken über Venedig; ein und 
ich brütete sie im teatro San Luxa unter Rossinis leichtsinnigen 
Akkorden aus. Im Hintertheil der Loge sitzend, hörte ich nur 
die Musik der Matilde de Scliabran, einer jener hundert Opern, 
die der beliebte Tonkünstler in allen kleinen Städten Italiens 
ausgesät hat. 

Venedig, 9. Okiober. 

Um t Uhr zu Beite und ohne zu schlafen Sontags um 
fi wieder auf. Ich legte mich bequem in eine Gondel, um 
allein eine Wasserfahrt zu genießen und fuhr gegen die Insel 
der Armenier. Die Stadt und der Markusplatz verachwanden 
hinter mir im Nebeldufte ; ich glaubte mich wirklich im offnen 
Meere. Im Kloster seihst bessh ich nur die Kreuzhänge, den 
Eingang der orientalischen BuchdruckcrcY und eilte ebenso 
schnell zurück ; die Glocken Venedigs tönten mir entgegen 
und der Nebel rollte langsam wie ein Vorhang weg von 
Palläslen und Tempeln. Noch einen Blick auf die Giudecca, 
den großen Kanal, und jetzt fuhr die Gondel in den engen 
Straßen zum Wirthhaue zurück ; man stand zu Hause erst 
auf, und ich hatte noch Zeit an den vielen Kcken, die ich 
liebgewonnen, Abschied zu nehmen. Wenn ich nur vier Tage 
wo verweile, so kwtte ich mich an, verschmelze mit der I^oca- 



. 



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lita( und werde wuhmüthig, wern'o fortgeht. In Venedig be- 
sonders hatte ich einen kurzen Zwischenraum von Seelenruhe 
und erträglichem physischem Wohlseyn gewonnen; kein Wunder, 
d.'Ii ich die Inselstadt ungern verließ. Ni-^ht die vielen 
Gallerien, die sich verwirrend in meinem Kopfe drängen, nicht 
die Tempel, wo orientalische Pracht mit katholischem Pomp 
sich verfeindet, nicht die Theater, selbst rieht das ganz 
fremde Bild des Markusplatzes ketteten mich an diese sonder- 
bare Stadt ; aber der Anblick des Meeres, das sich in jede 
Straße drängt, diese zerstreuten Inseln, die ich jjewiß alle 
einzeln bey Muße besuchl hätte, aber der Anblick der gefallenen 
Größe und doch noch die Heiterkeil beym nahen Toda, aber 
der schöne Himmel Italiens, den ich hier zum erstenmal auf 
ganz ilaliänischen, fremden Gegenständen liegen sah, das war's, 
was mir Venedig so anziehend darstellte, das wäre e5j was 
mich längeren Anferrthall wünschen ließe, wo dann die 
Ideen gewiß mit den Wogen des Meers herschvrimmen 
würden. 

Ich stand vertieft in den Anblick der Stadt hinten auf der 
Gondel, während der Fahrt nach Fusina ; etand und echautc 
hinüber nach Nalamocco über den schönen Mauen Spiegel 
hinüber auf die verschwindenden Thürme. In Padua lagen die 
^ekelhaften Packe zu besorgen; ein Sprung noch auf die piazza 
delle Erbe und dei signori; die letztere halte ich nicht gesehn, 
sie liegt an einem Thore etwa eine Gasse entfernt vom großen 
Hat h haus und ist mit schönen Gebäuden geziert. 

Ferrara, 10. Oktober. 

Zum Thore von Arqua hinaus; ich fühlte die Nähe eines 
in Leiden zuzubringenden Tages. Frühe noch kamen wir nach 
Catajo, dem Schlosse des Herzogs von Modena, das ich vor 
wenig Tagen im Vorbeyfahren nach Arqua gesehen, aber mit 
dem dahinführenden Wege vergessen hatte. Gleich beym Ein- 
tritt in den Hof zeigt sich eine Grotte mit einer Elefanten- 
slatue : von weitem nimmt sich das nicht übe) aus. Das 
Schloß selbst ist über allen Ausdruck grandios ia seiner alter- 
thümlichen Bauart, mit alten Gärten umgeben, wo zugeschnittene 
Buchsbäume in langen Reihen um Blumenbeete und Weyer 
e-tchn. In solchen Gärten las Taseo seine Verse vor. Sonder- 
bare Stiegen, die keine Staffeln, sondern Erhöhungen haben, 
auf die man sich stütz; (si parva licet componere ma^nis, wie 
bey den Hühnerstiegen) führen zur ersten Terrassej von deren 
Höhe man eine göttliche Aussicht in die Euganäischen Berge 
gegen Arqua hin, auf den Flecken Abattaglie und die frucht- 
bare Ebne hin genießt. Der schönste Morgen beleuchtete die 



Original frorn 



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— 376 — 

herbstliche Gebend ; d.i. reinste Licht, der reinste Himmel, 
die farbenreichste Erde. 

Untern tfieng ich iu die Säle hinein, wo Gemähide von 
Paul Veronese die Geschichte der Obizzi darstellen ; prächtige 
Meubeln, Tische von verde anticu, von Jaspis, Porphir[?] zu- 
sammengesetzt, zieren die hohen Säle. Durch verschiedene 
Stiegen, durch eine in Fels gehauene Hausflur gelangt man 
in ein Arsenal mit alten Rittersrüstungen angefüllt; man glaubt 
in eine Halle zu treten, wo die alten Kampfer sich wallnen. 
In zwey Reihen stehen sie von einem Ende zum andern; nu 
den Wänden herum hängen Flinten, Pistolen, Säbel, Schilde, 
alte Kanonen aus Leder, Mur^etisterne d. h. Keulen inil Eisen - 
spitzen um die Kuirassen einzuschlagen ; ein Pilgerslab inil 
drey verborgenen Dolchen ; ein Brevier mit eiuer verborgenen 
Pistole. 

Noch andre unterirdische Gemächer und Säle (ohogeuir 
wie die franc[Ösiachen] Küchen [?] erleuchtet) mit antiken Vasen, 
Sarkophagen, Statuen, Penaten, e^yptischen Idolen ; ein Musik- 
zimmer, wo Instrumente aller Art an den Wänden herum - 
hängen, vermuthlich um die Fortschritte in der Vervollkomin- 
nun^sbunst anzudeuten ; eine golhische Kapelle mit .roldnen 
Verzierungen . . . Dos wären raptim die Hauplgegenstände 
dieses merkwürdigen Schlosses, wo alles Fabelhaft zu seyn 
scheint Aus einem dieser unterirdischen Gemächer erblickt 
man auf einmal das Hauptgebäude seihst in weiter Ferne auf 
der Hohe liegend : ich kann's mit nichts vergleichen als mit 
Operndekorationen aus Richard Löwenherz, die mir als Kind 
in magischem Lichte noch vorschweben. 

Ueym Einsitzen in -die Kutsche standen eine Menge Lculc 
herum, unter andern? Pfaden; sono della faniiglia sagten sie, 
als sie mich mit den Kammerkätzcbeu eiusleigei, sahen j und so 
ist es auch . . . 

Bey Monselice, der ersten Poststation hinter Padua, hebt 
sich auf einem Hügel Larocca, ein stolzes Schloß mit Pinien 
empor; eine Stunde später [hei] Stanghella (wo ebenfalls ein 
Schloß), fuhren wir in einer fließenden Brücke über die Elsch, 
deren Ufer mir hier ziemlich platt vorkamen ; auch litt ich 
unaussprechlich von Zahnweb, Hitze, Staub und Hunger j es 
ist wirklich 8 Uhr Abends und seit 12 Stunden habe ich 
nichts gegessen ; alter das Fieber läßt alles vergessen. 

Bei Polesella fährt man zum erstenmal über einen Arm 
des Po; hier ist eine Brücke. Die Ufer sind unbedeutend, 
ehersaDdigt; die Gegend nimmt einen weniger fruchtbaren 
Charakter an ; hey Ponte Lagnsr.urn bringt eine fliegende 
Brücke über den zweiten Arm des Po, der hier noch flacher, 



Original frorn 



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- 377 — 

noch sandiger ist und sich doch in der Abendbeleucbtung 
schön ausnahm. Diese fliegenden Brücken sind hier durch 
sechs bis sieben oben im Strome stehende Scliifle befestigt; 
ein langes Seil zieht sich perpendikulär über die befestigenden 
Schiffe auf das fliegende hin und verhindert, daß es von der 
Strömung abwärts gezogen werde 1 . 

In Ponte Lagoscuro belritl man das päbstliche Gebiet und 
fährt zwischen Pappelalleen in's alte Ferra ra. Die Sonne gieng 
unterwegs glühend unter und vergoldete Reben und Bäume , 
Winzer lagen auf den Matten und bildeten schöne Gruppen, 
der Horizont nahm jene violette Tinte an, Hie mich in Venedig 
so entzückte. Und diese Götterszene ward mir durch eine Er- 
zörnuns und mein stechendes Weh verdorben, gerade als wir 
zum Thor hineinrollten. 

Als Straßenbemerkung mag mit hmgehn, daß man hier 
sehr schnell auf schmalen, einsitzigen Kabriolets dahinrollt und 
die Weiher in Piriiia Blumen poetisch im Haare tragen, statt 
jenen schweren einnenen Kugeln, die mir bey Brescia und 
Bergamo so sehr mißfielen. Jetzt schlägt endlich die Stunde 
der Erlösung, des Mittagessens. 

Dienstag Feirara, 11. Oktober, 11 Uhr Morgone. 

Während die Pferde angespannt werden, bringe ich etwas 
von dem Geschreibsel während dem Spaziergang durch die Stadt 
in Ordnung. Zuerst die piazza delle erbe vor der Kalhedral- 
kirebe ; in der Feme zeigt sich mit seinen Thürmen der palazzo 
d'Este, wo jelzl der K<udiual Legat Odescalchi wohnt. In 
der Kirebe sind Gemähide von Garofalo, dem Nachahmer 
Raphaels. Auf der Bibliothek, gleich beym Eintritt unter der 
Kolonnade, die Altert hümei ; zwey Crabmähler Hey dem alten Fer- 
rariola ausge^ruhen ; eines derselben von einer gewissen Faust inn, 
welche die Leute hier regina di ferrariola nannten; gewissere 
historische und chronologische detail« konnten sie nicht geben. 

Im riauptsaal, am Ende, ist Ariostos Grabmaal ; einen Blick 
warf ich hinaus auf den grünen botanischen Garten. 

Unter alten Maausknpten : Chorsdgesäoge, Bibl, Psalterbuch 
mit schönen Gemählden, unter andern der Sündenfall : 



eeco la creazion della donna 
eeco il peccato. 



1 Hier hat der Verfasser eine Üüchtige Fedeislcizze lolcher 
fließenden Brücke eingeschaltet. 

1 DnUserlichee Wort, vermutlich ein Name. 



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. ■■ 



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— 378 — 

In einem Schränk Ariostt Dintcnfaß aus Erz, sein alter 

hölzerner Stuhl, eine medaille mit seinem ßildniß, auf seinem 

Körper gefunden, als er aus der Kirche San rJeuedetto hieher 

gebracht wurde; sein Portrait von Üaseo Dossi, ein Manuskript 

von Taeso, Sonette im Gefängnisse ; sein Jerusalem, (eine schöne, 

niedliche Hand) ; Guarinis «pastor üdo». auch Original- 

manuskript. — Im Eintnttssaal Portraile der Kardinäle; unter 
andern de» Hippolito d'Esle; man erzählte uns die bekannte 
"Geschichte dessell>en: Messer Lodovico, che diavolo (iove avete 
raccollc tante coglionerie? — in suo gabino V. Eiuiueiiza ! 

Bolognn, 13. October Donnerstag. 

In Ferrara sahen wir noch Tassos Gefingniß ; es ist ein 
wahrer Keller; Linien in einer Ecke sein Bettyestell ausSleineu ; 
Lord Eyron nahm einen ganzen mit , sein Name stellt außen 
auf der Mauer. 

Das ehemalige herzogliche Schloß, mit einem stinkenden 
-Graben umgeben, durchliefen wir, es ist eine ungeheure Reihe 
von Sälen, weiter nichts I 

Die Sladt hat 23 000 Einwohner; worauf 8000 Ebrci, wie 

die lieben Leute hier heißen. Diese Zahl verschwindet in der 

Ungeheuern Zahl der Straßen, worunter viel schöne, z. B. die 

•Giorens , wo das Hospital St- Anna und das Theater 

liegen. 

Als ob wir das Fieber hätten, liefen wir zur Stadt hinaus ; 
die Gegend schien mir öde. sumpfig und schlecht bebaut. Bey 
Malalbergo, der ersten Poslslation und bey der zweiten Capodargine 
überfielen uns die Bettler mit kläglichem Geschrey. Es war 
päbsllirhes Gebiet. Lang disputirte ich mit dem Grafen über 
die Schädlichkeit der großen Eigentümer; wie es denn geht — 
jeder behalt seine Meinung, aber die Wirkung hier ist offenbar : 
die Felder bey weitem nicht mit so vieler Sorgfalt als in der 
Lombarde) und Schweiz angebaut und das niedre Yolk hungernd. 
Zu den prächtigen Thoren von Bologna rollten wir um 4 Uhr 
hinein. Die Stadt lehnt sich an Hügel, die letzten Ondulationen 
-der Apenninen ; die Straßen sind auf beyden Seiten nicht mit 
Arkaden, sondern Kolonnaden geziert; es ist ein prächtiger 
Anblick, überraschend, wie alles in diesem Land ; die schroffsten 
Kontrakte bort aneinander. 

Die Kirche des Hl. Petronius auf dem Hauptplatze stimmt 

-jeanz zu der Umgebung von gothischen Gebäuden; nahe dabey 

ist JohannU von Bologna Hauptwerk, il gigante, eine Statue, 

denen des Sansovino auf der Riesentreppe ähnelnd. Diese sahen 

-wir noch den nämlichen Abend, mit den beyden hängenden 

Thürmen (dei asinelli, dem höchsten und dem kleineren 14D, 



C Original frorn 



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- 379 — 

der wie der Thurm tu Pisa eich neigt), der allerthümlicheo 
Börse und einigen schönen Straßen. 

Abends in das Theater, das geschmackvoll und glänzend 
dokorirt ist, fünf Keinen Logen, wie in Venedig ; das Amphi- 
theater bleibt völlig dunkel, denn es hangt nur ein spärlicher 
Leuchteram plafond. Man gab Elisa bei ta, regina d'Inghilterra, 
von Rossioi. Wie groß war meine Ueberraschung, hier ein 
•Orchester so schdn als das Pariser zu hören und zwey Sänge- 
rinnen von erster Starke. Die eine Calande, welche die Königin 
spielte, sang mit einer Kühnheit, einer Kraft, sie warf ihre 
Stimme in die Luft und hielt sie nach Willkübr an ; sie mag 
der PnsU nicht viel uathstehu. 

Im Balett Ezzelioo fand ich alles aflektirt, Pantomime, 
Haltung. Tanz; nur das Ende, welches sich mit Ezzelins Pferd- 
sturz von einer gebrochenen Brücke hinab endet, überraschte 
mich durch die kecke Ausführung; nur ein Mazarier' würde 
<Jen Sprung wagen ; Dekorationen und Kostüm kommen der 
großen Pariser Oper gleich, und das sapt genug. 

Mittwoch 12. Okiober. Gallerten und Kirchen füllten den 
Tag; die Marionetten beschlossen ihn. Wenn ich ihn, ohne in 
fneine Noten zu sehn, rekapilulire, bleibt mir nichts als Cecilia 
und die Sybille, der j-iardinu und [Jau.-wuisl ; so verwischt, 
verdrangt ein Eindruck den andern. Die Schule des Caraggi 
verstehe ich nicht; ich babe ihnen noch nicht wie den 
Repha eliechen und Venezianischen GemShlden immer Haupt- 
charakter abgewinnen können; aber da ich nun einmal metho- 
disch reisen mui, so mag auch der trockne Katalog den Tag 
juift füllen. 

In der Kathedralkirche ist die Verkündigung von Lod. 
<:nr[raccij. 

Gegen der Kirche über das prächtige Seminarium and in 
der Nahe das Episkopat. Solche Pallästc hat Christus seinen 
Nachfolgern nicht bestimmt gehabt. 

In der Karmeliuineikirche sind Gemäblde von P*-rugini, 
Lehrer Hfaphaels], von Carpi, Francesco Francia, Luigi Mazzari 
(Himmelfahrt der Jungfrau). 

Im Yorbcygehn, der alte Pal last der H[errcn] von Bologna, 
<1er Bentivoglio, im löten Jahrhundert erbaut. 

Auf der reichhaltigen Akademie beym Eintritt alte Geinählde 
von Giotto 1360. griechische Marnereyen aus den Zeiten des 
Yerfalls, alles auf Goldgrund; von Buflalmaco und Calendrino, 
die zu Zeiten des Dante lebten, Scenen aus seinem Gedichte, 



' Zweifelhafte Lesart 



Original frorn 



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— 380 — 

von Francesco Francis, auf demselben Gemähide, Geburt, 
Nahrung und Tod des fl|erren]. 

Von Guido Reni ein ecce homo mit Bleyatift ; ein 
St. Sebastian von Lavigna Koniana, (vor den Carragpri) einer 
Schülerin und Tochter des Mahlers Fontana ; die Darstellung 
Karls des Vlll. als kleines Kind von seiner Mutter, der Gattin 
Ludw. XL, um den Segen des Hl. St. Vincent de Paulo zu 
erhalten. 

Bine Kreuzigung von Guido Reni. 

Das Märtyrihum der heiligen A^ae.se; il rosario von Domi- 
nichino, San Paolo, von I.ihI. Caracci. 

Fiaucia, Himmelfahrt der Jungfrau. 

Samson van Guido Reni ; der Kindermord. 

Vor allem Raphaels Caecilie; sie zerbricht ihre Instrumente, 
als sie die Engel hört. Hier machte ich die tollende Puralcllc : 
Caecilia schweigt; die tngel oben[?]. Die Gelände singt; das 

Chor schweift. 

ßu'iii nimmt Steine von Tassos Bett mit : nimmt alles mit. 
was sich ober jenen Gegenstand sagen läßt, 

Küche San Giaeomc maggiore, wo eine Kapelle der Familie 
Bentivoglio; Gemähide von Francesco Francia ; von Jnnocenzo 
da Imola eine Himmelfahrt der Jun^lnni. 

In der casa Guidolti (?), wo die Uallene zu verkäuten ist: 
Eine "Venus von Lud. Carraggi (seine Vettern waren Agostin 
und Annihal C[arram]>. 

Ein St. Johann in der Wüste von Guercino (250 Louis 
d'or). 

Eine Jungfrau von Albano (5UO L.) 

Die Sybille dos Uominiohino (1000 L.); sie hut eine Schritt 
in der Hand: eeie deoc 6o uövo; sercv uKzpixeysbrfi dieyrßQQ.» 

Diese iiisuinrlen Zü^e liufleullich vei^'cß ich nicht. Im 
Vorbeygehn ein Ge[mälde] von Anyelica. 

Pallast Luchini : 

Eine Herodiae von Guido. 

An^elica, die sich durch einen Kin£ unsichtbar macht (vid, 
Ariost) von Au£u*tin Caraggi. 

Der erste Salvator Rosa: eine Einsicht in den Wald. 

Von Dominichino: die Jungtrau nach dein Tode des H[errn], 
von Magdalena unterstützt. 

Ein altes portrait von Lucas Kranach. 

Eine Jungfrau von Correggio. 

Der Tod Cleopatras, von Giorpione di Castelfrancu, des 
Titian Nachahmer und Nebenbu liier. 

Eine Venus von Albano. 

Pallast Marescalehi (hier sank ich vor Müdigkeit zusammen): 



f~* Original frorr 



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— 381 — 

Die schönsten Correggios sind hier; ein ecce homo, mit 
einer wirklich himmlischen Glorie umgeben. Wir trafen hier 
einen Engländer mit seiner schönen Frau an ; ich selzle mich 
hinter sie, um den Correggio bequemer zu sehn. Es diene 
dieser Umstand nur dnzu, mir diese Gallerie einzuprägen. 
Ueberhaupt ist mir zuMuthe oder berede kl» mich, daß ich nur 
den Wcfp und die Art zu reisen kennen lerne uud wicJcrkebren 
werde. Ich fühle, daß aus diesem Lande entfernt zu leben, ein 
wahres Exil ist für die, so es kennen. 

Unier die Seltenheiten des Pallasts Mareecalchi gehört 
noch ein Klavier der Frau Ludwigs des XIV. ; es ist auf allen 
Seilen, auch inwendig, mit historischen Gemählden und Jagd- 
parthien des Königs angefüllt. 

In den Dominikanern an einem Altar ein ba9-relief von 
Lomhnrdo ; pin Engel, kleine Statue von Michelangelo. Wir 
besann das Innere des Kreuzgangs. Heut erfuhr ich auch im 
Vorbeygehn, daß die Inquisitoren hier wieder unter diesem 
Orden verborgen eingeführt sind. 

Vom Pollastc Bevilacqua erinnre ich mich nichts mehr; vom 
Pallast Hanuzzi hingegen, der jetzt an eine Familie Bajodhi [?] 
verkauft ist, bleibt mir der Eindruck der Facade, der präch- 
tigen doppelten Stiege, nach der Zeichnung M. Angelos gebaut, 
und die schone Aussicht auf die umliegeuden Hügel und die 
Straße, die nach Floren? führt. 

II giardino ist ein schöner Spaziergang am nördlichen Ende 
der Stadt beym Thor tod Ferra ra ; Aussicht in die Ebene und 
auf die Berge, wo die Madonna dellaguardia sich schön ausnimmt. 

Des Abends hielt icVs zwev Stunden in den Marionetten 
aus, wo aber alles im Bologneser Dialekt abgehandelt wird und 
ich weni^ verstand. Die Gesellschaft war so schlecht als mög- 
lich und der Gestank unausstehlich. Man riof immarwäbrDnd piesi 
tempi «und trastulli au». Als Loca [bemerk ung mag dienen, daß 
die Weiber hier üolo^neseihunde mit sich schleifen ; daß die 
noorladella hier eine sehr gute Wurst ist, und daß 160 lire di 
grano für 12 Paoli verkauft werden, was der Graf auf Treu 
und Glauben annahm, ich aber als farce des Lohnbedienten 
.in sehn muß. 

Heute Donnerstag* früh in öerCertosa. Sie dient jetzt zum 
Re-fräbnisplatz von Bologna ; der üeberblick des Gottesackers, 
campo sauto, ist sehr der Bestimmung gemäß; Arkaden um- 
geben einen freyen Platz, wo traurige Eiben sich erheben ; 
innerhalb der Arkaden sind die Familienbegräbnisse angebracht; 
viele mit Monumenten von Ganova darunter. Der Vater der 
berühmten Colbran liegt hier begraben und- seine Tochter hat 
ihre Stelle hier bezeichnet. 






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— 389 — 

Die Kirche selbst tiat wenig Merkwürdiges als Gernählde 
von GcU'r, und die anstoßenden unzähligen Kapellen, wo die 
Karlhäuser, jeder einzeln, ihre Messe lasen, sind mit schlechtem 
Geschmack verziert. In einer derselben hängen die Kellen der 
losgekauften Christensklaven aus der Seeräuber Gewalt mit dem 
Preise (10OU bis 30ÖÜ fr.). 

Im Rückweg in die Stadt fuhren wir an dem Portikus von 
700 Arkaden \orhey, welcher den Weg zu der Madonna della 
guardia bildet. 

Vorn Pallasie Zarnbeccari blieb mir nur ein allgemeiner 
Eindruck von der Schule der Carraggi, keine Einzelnheiten, kein 
eigentliches Meisterstück. 

Lst her voi \ssuerus, von Lucas Kranacd ; naiv, 

Lenz, altdeutsches Gemähide. 

Francia, eine Jungfrau, ganz raphaeliäch. 

Ciio.to, eine Jungfrau mit Goldkrone ums liaupi. 

Perugino, eine Jungfrau. 

Von Lodov. Car[racci] ein Union ; Petrus bevreint de* 
H[errn] Tod. 

Von Guido eine Magdalena. 

Vier Bildnisse der Hofdamen Karls des Uten von Legni, 
einem Mahler, der in England lebte. Es sind liebliche Figuren. 

Eine Magdalena von Guercino. 

Hercules und Omphale von Cesi [?]. 

Eine Kreuzabnahme, bas-relief in Erz von Benvenato Cellini. 

Von Kirchen sahen wir noch San Catherina di Bologna; ihre 
Geschichte ist in allen Kapellen gemahlt von Francesco Chini*. 

Drauf bestiegen wir vor der Stadt einen Hügel« wo das 
Kloster der Oiivetancr, San Michele in boseo liegt (vormal» 
Kaserne] und die Aussicht über die Stadt mit ihren hangenden 
Tuürmeu, die Umgegend mit Landhäusern bedeckt und die Hügel 
rechts und links, sehr reizend ist. Am 13. Oktober brannte 
mich die Sonne wohl nie so heiß .... ich konnte es, ohne 
im Schallen zu seyn, beinahe nicht aushalten. Gesegnetes 
Land, gesegnete Bewohner, sua si bona norint. Welch ein 
Leben wollte ich führen auf einer Villa Aldim, die auf der 
Spitze des gegenüberstehenden Hügels sich erhebt und über 
einem Bo&ketl und hundert andern Villen thront!! 

Abends fuhren wir an Rossinis Hause vorbey (es führt 
die Inschrift non domo dominus, sed domino domus) durch 
die porhi romanr. zum Mittagessen in die cesa Bignani. Es 
war das erstemal, daß ich das Innere einer ltaliänUchen Haus- 



1 Soll wohl Ocsi sein. 
% Llss: FranceschlDi. 



C Original from 



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- 585 — 

halUug »ehen sollte. Aber hier ist alles auf franz. Fuß ein- 
gerichtet, Billardzimmer, Salons, Bediente. Kostüm. Die höhern 
Klassen haben überall einen und denselben Schnitt. 

Nach Tische gieng man in den Konzertsaal. Vorher hat!» 
ich mich passabel gelangweilt : mit niemand konnte ich Sprecher* 
und stand wiedereinmal tüchtig als null im Hintergrund. E& 
wunderte mich, während dem Essen auf die päbstliche Re^ie- 
runff losziehn zu hören und die carbonari beklagt zu sehn ;_ 
man hat auch fürchterlich gepen sie hier verfahren. Eine 
deutsche Huf meisten n saß neben mir und ich hatte doch 
wieder jemand, an den ich mich wenden konnte, Aber 
die Musik des Abends war in der That herrlich, obgleich nur 
Fsrnilienkonzerl; die Mfidchen spielen KJctvier mit Ausdruck 
und ein aecompagnement zu Fagot und Klavier, das mir in 
dieser Reinheit noch nicht zu Ohren gekommen ; auch Singer», 
börle ich mit vielem Ausdruck eine junge Bolooeserin. Die 
Töne wiederhalllen voll im gewölbten Saal, auf dessen Wänden 
Baumalleeu ziemlich in die Ferne täuschend gemault sind ; 
rings herum saß die zahlreiche Gesellschaft, und mein Blick. 
verirrte sich auf einigen Julian ischen Gestalten« 

Morgen in die A.penninen, u»<i übermorgen hoffentlich in 
Florenz. 

Covitdiajo, 14. Oktober 1320. 
In den Apeninnen. 

Das ist gewiß, daß alles im Lehen erkauft werden muß, . 
und daß ein großer Genuß i neuer zu stehen komt. Venedig. 
wurde mit den schmahlen Wirlhshäusern, Re^en der mir die 
Packe verdarb, krsnke Täjre bezahlt; Florenz wird es durch 
die Reise uud den Aufenthalt in Ferrara, durch den heutigen 
Horigertag in den Apenninen und vprmuthlieh durch die elen- 
deste Nacht, welche sich auf Gottes Erdhorien iu einem Zigeuner- 
loch und in ... .* Bett für zwey auffinden läßt. Wollte 
Gott, wir wären des Nachts forlgezosen. Die Apenninen sind 
auf der Bolonesischen Seite rauh, waldentblößt, quellenarm 
und häuserleer; dennoch waren sie nicht eindrucksleer für 
mich, den jeder Berg im innersten bewegt; Herade diese Un- 
fruchtbarkeit mitten im götllichen Italien zwischen dem Garten 
der Lombaniey und dem veniiulhlicli noch schöneren Toskana, 
dieser imnicrwShrende Kontrast seit einigen Wochen, bald in 
Alpen, auf Felsen, auf Seen, bald in OliTenbüschen und Heb- 
gärten, bald auf dem Meere und in der flußdurchöchniUeneo 
Ebene, diese strengen Gegensätze gerade wirken wohlthätig. . 



KorxigiretoB anleserlichoß Wort. 



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Original frorri 



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— 384 — 

auf inicli, sie heften die Aufmerksamkeit auf das Aeußere 
und tölien »>ch und nach die eiternden Wunden der Jugend. 
So auch heute diese steinigten unfruchtbaren Gebirge nach 
den Ebenen von Padua, Femara und Bologna. Zuerst sind die 
Reben noch zahlreich, bald verlieren sie sicli mit den Villen ; 
Kastanien treten an die Stelle : in der Höhe zwischen Loja 10 
und Le Fili^are, wo m3n Toskana betritt, verschwindet jede 
fruchtbare Vegetation und Stangen an der Straße verrathen, 
daß hier der Schnee im Winter ziemlich hoth fallen muß. 

Die Gebirgskette ist zerrissen, spaltet sich in kleinere 
Thaler, läßt in der Ferne Felsuiassen sehen, die sich in blauen 
magischen südlichen Duft hüllen ; hin und wieder stecken 
Dörfer, hängen Kirchen, aber alles ohne hini eichender Schatten; 
es ist überall der nackte Roden, verbrannt und arm wie seine 
bettelnden Bewohner. Die Posten in Piativro, Lojano und 
Filipare wimmeln von Armen. Coviyliajo, wo wir schlafen, 

sind wenige Häuser. In der Nähe brennt die pietra nera, 
eine Art Vulkan, aber ohne Krater; man zeigte un« den Dampf 
von der Straße her ; ich erkannte nichts. 

(Des Morgens geschrieben.) 

Im Nachtdunkel jrientf ich soeben aus und genoß einen der 
wenigen Augenblicke, wo ich mir selber angehören darf. — 

Das Morjcenlicht glänzte noch über den Apenninen: Orion 
schwellte in der Heirnath anziehender Gegend j ein Waldbach 
rausche durch Kastanienwälder hin ; fernes Blau zuigte die 
verschwindenden Berge an ; ich war ruhi# in der nächtlichen 
Stille, ruhig für wenig Augenblicke; an die entfernten Freunde 
dachte ich und machte Reiseplane fnr meine Brüder und mich, 
hieher in das göttliche Land, mit freyerem Gemüth als jetet, 
wo jeder Schritt in Fesseln srele^t ist, jeder Gedanke nicht 
mir gehört, sondern der Lage, die anders seyn könnte und 
nun einmal so ist. 

Id. Oktober Morgens. 

Wie schön und warm das Mon/enlicht auf den Berten 
ruht. Könnte ich mich hier vergraben und wenige Gleichge- 
sinnte zu mir rufen, was kümmerte mich dann Florenz, Rom 
und Neapel, verkümmerte Reisen und jede andere Aussicht. 
Ich bin bewej?'-, erzürnt, über tausend kleine Verdrießlichkeiten, 
die mir den Reisejieruß vergällen. 

Samstag, Florenz 15. Oktober Abends. 

So zusammenhängend unglücklich habe ich mich nie ge- 
fühlt, als auf der heutigen Heise; meine Zukunft, durch eigne 



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— 385 — 

Fehler geschwärzt, lag vor mir, nicht die göttliche Gegend, 
die sich im Hinabfahrer öffnete. Das hätte ich nie geglaubt, 
daß man Italien mit diesen Nachtgcfühlcn durchreisen könne. 
Ich weiß nicht, warum ich mir den Stachel selbst immer 
tiefer in die Brust drücke . . . Wie schon nahmen sich 
hinter Monlecarelli die ersten Rehen wieder aus 1 Wie an- 
nnitiii;; schien jede Villa, jeder Olivenbaum nach der öden 
Fels- und Steingegend, die zwischen Covi^lisjo und Monte- 
carelli sich noch hindehnt. Der Morgennebel lag in den 
Thalern; ich hätte mich in eines vergreben mögen. 

Bey Gafaggiolo, wo eine Ar) von altem Schloß, lief ich 
voraus und sah noch auf die im Dlau verschwindenden höher- 
lie^enden Apenninen aurück ; sah zu meinen Füßen die zer- 
streuten Häuser des Dörfchens, von Hügeln aimutlii^ unter- 
brochen. Bis Foniebuona ist die Straße wieder öde ; drauf 
gegen Florenz hin öffnet sich das Thal. Die Stadt selbst mit 
ihren Thürmcn sah ich nur einen Augenblick ; die Sonne 
blendete. Der Staub verdüsterte und bald schlössen uns, die 
Hauptstadt verkündigend, von bejdeu Seiten Häuser und 
Mauern ein. Daß wir in Toseana seit gestern waren, ver- 
kündete der veränderte Kostüm, die reinere Sprache der 
Postillione, die womöglich niedlichere Geetolt derMädchan, die 
hin und wieder auf Wägen entgegenkamen. In geringer 
Entfernung von der Stadt ist eine mit Villen gan? Obersäte 
Gegend; der Olivenbaum scheint hier 2u Haus, aber Wasser 
ui;;ngelL 

Von Florenz habe ich im Durchfahren prächtige Straßen, 
einige Platze, vor allem aber die sonderbare Marmorkirche 
St. Croce bemerkt; der Arno ist trüb und morastig und 
stimmt wenig zu den prächtigen Brocken und Stade«. 

Wie glücklich, könnte ich hier allein nach Herzenslust 
herumirren, um Vergangenheit und Zukunft unbekümmert und 
mich dem göttlichen Klima überlassen, das seinen milden Ein- 
fluß doppell nach der kalten Apenninenreise fühlen läßt. 

11 Uhr. 

Es will nicht ruhiger werden in mir, obgleich ich laufe 
und mich zu betäuben suche. Ich komme aus dem Theater 
della pergola, wo ich eine Komödie von Nots, la vedova in 
solitudine, aufführen sah; ich verstand besser als in Venedig 
und war froh meine Fortschritte im Italiänischeii zu bemerken : 
das ist jetzt all meine Eitelkeit und mein emsiges Trachten. 
Das aufgeführte Stück ist ziemlich flach, doch etwas komischer 
und weniger sleif als die Stücke von (ioldoni ; auf jeden Fall 
weit hinter den deutschen; vun Vergleichungen mit den 'franz. 

25 



f~* Original from 

UMVERSTYOFMCHKJHI 



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- 386 - 

netten vaudeville$, mit diesen reinen Schilderungen der jetzigen 
Gesellschaft, darf vollende die Rede nicht seyn. Die farca, 
welche nach den Komödien hier zu Lande gegeben wird, sah 
ich nicht, weil der Graf nach Hause gieng und ich schicklicher 
Weise mit ihm zurückmußte. Die große Oper ist wirklich 
geschlossen und auch diese komische Truppe ist nur mo- 
mentan hier; mir zu Leide, denn das sind die.beslen ital. 
Lektionen. 

Der Saal ist schön, wie alle die ich bis jetzt in Italien 
sah ; mit breiten couloirs auf dem parterre, um hin- uad her- 
gehen zu können. Man behalt überall die Hüte auf. 

Von Gebäuden sah ich des Abends im Laufe den maje- 
stätischen Dorn und das ßabiisterium von St. Johann. Sie 
machen zusammen einer sonderbaren Effekt mit ihrem einge- 
legten Marmor; es scheint von fern eine Mosaik von Parterre's- 
quadraten; schwarze und weiBe Felder wechseln bizarr ab. 
Der hohe Thurm stehl von der Kirche getrennt, die einen 
hohen Dom und viele Nebengebäude vou großein L'mfu:i r hat; 
das Raptisteriura bildet eine schone Rolonde. Getreten bin 
ic.h in keines; der Abend nahte uud ich hatte mich auf den 
schönen Staden und Brücken, die mir lehhafl Paris ins Ge- 
dächtnis zurückriefen, verspätifrt. Auch mancher Buchhändler 
ward durchmustert und die Pläne der Stadt Florenz studiert; 
ich habe mich überall ohne Wegweiser verirrt und gefunden. 

Die Stadt gleicht einer französischen \ überall hört man 
diese Sprache, sieht man franz. Aushängeschilder. Wären 
nicht die alten Häuser aus schwarzen Quadratsteinen er- 
baut, mit Ketten [?] an ihren Mauern befestigt, mit Mauerzinnen 
statt Dachrinnen, wäre nicht vor allem der warme Himmel, 
ich hatte mich nicht so sehr aU in Venedig weit von meinem 
Vaterlar.de weg geglaubt. 

An die chiesa Maria della Novella verirrte ich mich ; sie 
hat eine Facade mit eingelegtem Marmor, welche den Dom 
nachahnt. 

Im Dunkel besah ich eben die piazza dcl gran ducn 
mit der Post, die Kirche San Michele, die Straße, wo die 
Mehrzahl von Kaufleuten wohnt, den Hospital auf der piazz» 
St. Maria nova ; von allein bleibt mir ein Nar.Heindruck, viel- 
leicht der, welcher micli liier vom ganzen Aufenthalt erwartet. 

Florenz. Sonntag den 16. Oktober 1825. 
Heute ist ein Tog ohne Gemähldc in einer Hauptstadt 

Italiens ausgefüllt worden ; wer glaubt das ! Ich seihst kaum. 

Früh Morgens lief ich an der gießen Gallerie vorbcy, die 

Staden aufwärts und hinüber in eine. Vorstadt gegen die portn 



C Original frorn 



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— 387 — 

Nicolo hin; überall liehlieh ist der ridge of hüls, wie Byron die 
hiesige Umgebung nennt , schön nahmen sich iin Norgenlicht die 
Apenninen aus; es ist von Weitem eine nicht zu verachtende Ge- 
birgskette. Der blaue Duft besonders, derauf ihren Felsen liegt, 
zeig t sie zu einem angenehmen Gemähide tüchtig und passend. 

Der Pallast Pitti von außen ist einfach und edel; die großen 
Quadersteine, keck aufeinander geworfen, geben ihn; das Ansehn 
eines egyptischen Pallastes. Es ist die Wohnung des Herzogs. 

Das Innere des Hole» besteht aus 3 Reiben dor., jon. und 
korinthischer Kolonnaden; im Hintergrund des Hofes ist eine 
Grotte, wo eine schöne Statue von Moses. — Von dem Giar- 
dino dei Boboli, der an den Hof stößt, sahen wir einen Theil ; 
die Grolle aus Bimssteinen, wo vier von Michel Angelo ange- 
fangene Slaluen j die hinten an den Pallast stoßenden Terrassen, 
alles königlich. 

Auf der piazza del gran duea zuerst, die loggia, im Jahr 
1366 erbaut, um die signoria im Trocknen öffentlich installiron 

zu können ; zwey Löwen aus Erz bewachen den Eingang ; 
unter den zwey Endarkaden isl ein Perseus von B, Gellini und 
die prächtige Gruppe des Haubs der Sabinerinnen von Jon. v. 
Bologna ; es ist sein Meisterstück : die drey kühn übereinander- 
geworfenen Gestalten, der unten liegende Greis, der kecke 
männliche Römer, die schöngetormte Frau, alles magisch, und 
doch wahr aneinandcrgekcltct, bringt einen wahren Kunst- 
eindruck hervor. 

Auf dem Platze seihst isl die Statue von Kosiino I, ein 
Werk Jon» v . Bol[ogna]. Diese erinnert besonders an die 
Siatue Heinrichs IV. auf dem pont neuf; die Stellung des 
Pferdes, die noble Haltung des Reuters, etwas sogar aus der 
Physiognomie scheint im franz. Werke Kopie oder Reminiscenz 
von der Arbeit Johann Bolognas. Ein großes Wasserbecken 
mit einem kolossalen Neptun ist neben dem palazzo vecchio, 
der ehemaligen Residenz der Meditis, der merchont-dukes. 

— Ein hoher alter Thurrn, der über dem Pallast aufsteigt und 
des Nachts mit trübe schimmernden Laternen beleuchtet ist, 
giebt ihm ein bizarres Anschn. Der Thurm heißt della vacca. 

— Im Eingang des Pallastes ist ein Hof von 9 Kolonnen unter- 
stützt und trägt das Gepräge des ital. Mittelalters, dieser 
sonderbaren Bauart, die mir in Bergamo und Brescia so sehr 
aufgefallen. — Statuen sind einige an der Treppe, Herkules 
den Kakus tödtend von einem Schüler Bandinellis; alle» Mahle- 
reyen erloschen an den Mauern rings umher. — 

Gegen den palazzo vecchio aber ist die Post, mit einem 
Ueherhsng, den Hie gefangnen Pisaner im Jahr 1354 erbauen 
mußten. Er heißt tetto dei Pisani. 



Original from 



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— 388 — 

Wohl führt der Dum mit Recht den Nimm San Maria del 
Fiore, wie Parlerrequadrate sieht eraufiea mit seinen eingelegten 
Marnioi'SleineQ aus; vielfarbig wie die Gebend, wie Italien ; 
das gegenüberliegende Baptisteiium mit den prächtigen Pforten, 
die Michelangelo die Pforten des Paradieses nannte. Man war 
genöthigt ein« kleinere Thüre davor zu stellen, um das Volk 
zu hindern, seinen Unrath an den köstlich gearbeiteten bmnze 
zu weifen. Florenz hat viel von seinem Kunstsinn verloren, 
sagt man ; jährlich wandern bey 1000 Gemöhldc nach England j 
alles ist feil. Das Volk selbst, das ich mir als ganz aus- 
gezeichnet vorgestellt habe, eine Art Schweizer, eine Qase 
der Kreyheit mitten in Italien, Reicht mehr oder minder 
den übrigen Völkern dieses Landes; es* lebt für sein tägliches 
kümmerliches Brod ohne Nationalcharakter, ohne Energie, 
Schwächlinge im Vergleich mit den Florentinern, die Pisa 
eroberten und unter Lorenz Europa? Wagschale hielten. 

Des Abends las ich Byrons Childe Harald, Canto IV; ei 
machte mich böse über -mich selbst; ich sollte alles, was ich 
geschrieben, ins Feuer werfen. Welch ein Abgrund von Ideen ! 
Wie wahr, wie warm ist Italien geschildert ! und wie doppelt 
interessant schien mir das alles, nachdem ich die Gegenden 
bereist, die der unsterbliche Piltfrirn belrat. 

Im prato sah ich die Masse der sonntäglichen Städter. 
schöne Frauen, häßliche Männer. Die Promenade ist staubig, 
aber doch noch grün ; die schlanke Pinie mit ihrem Regen- 
schirm hebt sich elegant über die andern Bäume. Leber dem 
Arno drüben sind auf Hügeln, wie nur der Dichter sie träumt, 
Klöster und Villen ; gegen den höheren Apenninen hin, auf 
der entgegengesetzten Seite (nördlich) ist auch alles mit Land- 
häusern übersät ; östlich lag ein Theil der Stadt mit den Arno- 
brücken, dem Pallast Pilti und einigen Thürmen ; die Abend- 
sonne beleuchtete die Spitzen und versank endlich glühend 
hinter einem Pappelwald. Den Himmel nahm die bekannte 
Purpurfarbe ein. 

Im Theater: la scutica rapita [?], schlechte Oper von Celli, 
noch schlechter exeltutirt. — Ein Balett, la fedra: keck wie 
Evelino stürzt sich Hippolyt mit seinem Wagen ins Meer; 
ä fiele tili sind wie immer die Gestikulazionen, schön die Deko- 
rationen der Hölle und schöner die Schenkel der Tänzerinnen. 
Der Mismuth wird in mir immer größer; ich mache einen 
dummen Streich um den andern ; Geld gehe ich ans. als ob 
es schneite und denke nicht an ineine ßröder . . . ich bin 
ganz verdorben und blicke mit Abscheu auf mich. Die Strafe 
liegt nah: die Reise nach Italien bleibt fruchtlos; es ist keine 
Hoffnung mehr für mich. 



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- Ö89 — 

Montag, 17. Oktober 1825. 

Die Gallerie ist heut« zum erstenmal betreten und mit 
Bewunderung begrüßt worden. Sie besteht aus einem Anhängsel 
von Kabinetten, denn der HaupUaal, welcher eine Galgenforrn 
bat, faßt weniger bedeutende Gemähide in sich; doch hält die 
lange Reihe der römischen Imperatoren, in antiken Büsten 
hier aufgestellt, den Eintretenden eine Zeitlang von den größeren 
Schätzen ab, die in den benachbarten kleineren Sälen ver- 
schlossen und nur der Feine nach geöffnet werden. Die Dis- 
position der Statuen und Büsten ist grandios I alle * iri weitem 
Räume, nichts erdrückt ; überall spielt das heitre Sonnenlicht, 
durch weiße Vorhänge gemäßigt, zwischen den Herien der 
allen Welt und auf den Farben des christlichen Olympos. 

Einer Schrill in die Tribüne . . . Hier steht Venus! steht? 
— Welches Won kann das Wesen dieses idealen Marmors 
ausdrucken? Hier haucht Venus Liebe in jede empfängliche 
Brust, reine etherische Liebe, obgleich sie nackt dasteht. Der 
Pinsel, der Rataels Madonnen auf das Tuch säuberte; der 
Meißel, welcher Venus hervorrief aus dem Staube des Marmors, 
beyde eiud göttlich, beyde rein, beyde bewegten mcu in einer 
Hand, welche ein Gleichgesinnter Geist führte. Ich saß vor 
Venus, als wäre sie eine Vestalin. 

Auf ieydcn Seiten nebon Vonus etehn die Ringer und 
der Arrotino. Letzterer ward lanjie für den Sklaven gehalten» 
der die Verschwörung der Söhne Brutus' entdeckt; jetzt ist 
heynahe erwiesen, es s«y* der äcythe, welcher den Marsyas 
schund. La Gutta, die Ringer, sind keck wie der Gladiator im 
Pariser Museum. 

Neben den Kingern steht der tanzende Faun, dessen Hände 
und Haupt meisterhaft von Michelangelo hergestellt wurden. 
Er scheint so lustig, so belebt, man glaubt seine Krotalen er- 
klingen, sein stabile [Crepezia) pfeifen zu hören. Auf letzterem 
ruht sein Fuß ; die Hände halten die Cy rubel n (Krolalen). 

Neben dein Arrolinu steht der Apoll int», vielleicht aus der- 
selben Hand, welche Venus erschuf, von Cleouienes, Sohn des 
Apcliodorus von Athen 1 « 

Venus ist nur vier Fuß, sieben Zoll, acht Linien hoch ; 
sie wurde zu Tivoli in der Villa Adriana gefunden und unter 
Kosimu 111. a. 1660 nach Florenz gebracht. 

In der nämlichen Rolande sind sechs Gemähide von Ka- 
phael. Neben der Thüre links die Fornarina; glücklich, wen 
solch ein Weib liebt! — St. Johann in der Wüste, zwey 



1 Hier folgt eine kleine Skizze, welche die Aufstellung der 

o Statuen zeigt. Wir lassen sie aU unwesentlich fuu. 






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— 390 — 

Madonnen mit Christuskindern und St. Johann, der Pubst 
Julius IL, eino Magdalena. Da kein Wort mehr. 

Die zwey Venus von litian atbmen Wollust ; Guereinos 
Sibylle, so inspirirt sie seyn mag, steht der Sibylle Doiiiiiiictiinos 
nach. Die alten Gemähide von Mantegna äguriren nicht un- 
würdig hier; von Leonardo da Vinci eine Herodias, so schon, 
so sanft und doch des Propheten Haupt danel>en ; man möchte 
an den Weihern dahey verzweifeln. Michelangelo, Corre«äo, 
Andrea del Sarto habe ich nicht genugsam betrachtet. Alle 
diese Gernflhlde sind für Venus eine würdige Umgehung. 

Nur oberflächlich könnte ich vom Saal der Niobe'sgruppe 
sprechen, welche, in 16 Figuren, rings in einem großen Saal 
aufgestellt ist ... . nur oberflächlich von der Venetianischeii, 
ltaliänische[n]. Toskanischen Schule; vom Saal der Mahler- 
portraits, wo flaphael ror allen mit seinem Kni/elsgesieht hervor- 
leuchtet, Michelangelo majestätisch thront, Leonardo da Vinci 
unglücklich genug erlischt, Rellino mit seinem treuen Gesicht 
völlig seine Madonnen ins Gedächtnis zurückruft, Angelika 
Kaufmann im weißen Kleide wie ein Engel erscheint, und 
einige unbekannte Engländer ziemlich anstößig hier in der Reihe 
der großen M&hlcr glänzen. Nur oberflächlich eilte ich durch 

den Saal der Bronzen, wo ein Mercur von Jon. V. Bologna leicht 
und el herisch emporaufliegen scheint, (nie würde man glauben, 
das seye dasselbe Werk de« Künstlers, welcher den Gigant» 
schuf) und ein etrurischer Lucumo das Volk anzureden scheint. 
Die Gallerie im ganzen ist königlich und nach Venedig, was 
mich bis jetzt am meisten angeregt. 

Auf einem Spaziergang durch die Stadt: das Innere des 
Baptisleriums, glänzend von Mosaik ; der ganze Plafond besteht 
daraus. Johann XXIII. liegt hier. Das Innere der Kathe- 
dralkirche ; schon war es tu finster geworden ; der Chor- 
Gesang der Priester ballte feyerlich im hohen Dorn und das 
Abendlicht spielte magisch in den Farbenscheiben. Damit der 
Eindruck nicht bleibe ; vor der Kirche eine Heerde Buben, 
groß und klein, welche einem entloifenen Schweine nach- 
rannten. 

Das Innere der Kirche St. Laurenz mit den Gräbern der 
Mediiäer. Die Hauptkirche ist von korintischen Säulen durch- 
schnitten und hat ein majestätisches Aussehn. 

In der 8akmtcy liegt rechts Julius v. Mcdizis begraben ; 
das Monument ist ein Werk Michelangelos ; der Herzog sit2t 
in einer Nhche und auf dem Grab, darunter liegt der Tag 
und die Nacht, grandiose antike Gestalten. Lorenz v. Medizis 
liegt gegenüber; auf seinem Grabe sind Aurora und die 
bümmerung : zwischen bey Jon Gräbern befindet sich eine 



Originalfrom 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



— 801 — 

Madonna, ebenfalls Michelangelos Werk, mit Statuen auf beydec 
Seiten, die ihm nicht Zubehören. 

In der kuppe) form igen capella dci principi, die wirklich 
ausgebessert wird, sind die Reichthümer, der Marmor, die 
Edelsteine verschwendet ; es scheinen überall inkruslirte Blumen- 
vasen enlgegenzuduften ; das ganze ist so schimmernd, so reich 
an Farben, daß man hier gewiß nichl den BegräbuisplaU der 
Med 12a er suchen würde, wenn nicht die Inschriften es andeu- 
teten: Kornaliren, Lapislazuli, Apath, Porphyr sind hier im 
eigentlichen Sinne wie Kieselsteine vcr»chwendct. Auch die 
Wappen mancher Stadt, von Fiesole. Siena, sind an den 
Wänden auf diese kostspielige Art angebracht. Byron nennt 
die MedizSer Merchant dnkes ; und nie ist ein Wort richtiger 
angewandt worden, als in dieser Kapelle. 

An des großen Kosimos Grab (1574 f) «prang ein Bube 
herum und las mir großlhuend die Inschrift: «dimmi, Chi fu 
Gosimo? — un uomo come noi.i 

Im Theater della piazza vecchia sah ich ein srthlechtps 
Melodram aus der römischen Geschichte; aber es lernt sich 
doch immer etwas. 

Mit Recht, o Florenz, heißest du die blühende; in deinen 
Kirchen wie in deinen Fluren blühen Marmorblumen auf und 
liebliche Madonnenbilder wandeln auf den Straßen, wahre 
ritratti aus deinen Museen . , . Florenz, warum blüht mir 
nicht ein neues Lehen in dir auf? — lft. Oktober, 1 Uhr Morgens, 

Florenz, Dienstag, 18. Oktober, 11 Uhr Nachts. 

Die Gallerie war verschlossen; der Morien gieng verlorer 
mit Beeebn der gestrigen Gegenstände, mit Einkaufen für Louis. 
Es sind dies praktische italienische Lektionen, und ich lerne 
dabey die Straßen kennen ; Hauptvortheil, den ich bis jetzt aus 
meinen Reisen zog ; so elend bin ich vorbereitet und so wenig 
empfänglich. 

Des Abends um 3 gieng ich allein in die Kirche Sants 
Croce; von fernher tönte der Vespergesang durch die halb- 
dunkeln Hallen des Doms; ich gehe vorbey an den Gräbern 
Michelangelos, wo die drey Sctaweslerkünste um ihren Vater 
trauern, vorbey an Alfieris Grab, den ltalia vergebens beweint, 
statt seinem Aufruf zu folgen, vorhey an Machiavellis Gruft, 
wo die einfache Inschrift : 

Tanto nomini nullum par elogium, 
und trete in eine einsame Kapelle, welche alte Gernählde. ver- 
mutlich aus Gi ottos Schule zieren. Nur ein frolc aus dem 
nahen Franziskanerkloster betete hier ; der Gesang im Chor 
hatte aufgehört, es herrschte eine tiefe Stille j ich kniete un- 



Original from 
' ' UMVEPSTYOIVICHIGAII 



— 392 — 

willkührlich neben dem frate nieder, überwältigt von der Heilig- 
keit de& Orts u ml den umgebenden Gräbern. Es ist liier das 
Pantheon von Florenz ; die guten Priester denken wohl nicht 
daran, Ober welcher Asche sie Messe lesen. t 

Im Fortgehn sah ich noch GalileU Gruft, um den die 
Slatuen der Geometrie und Sternkunde weinen. Ich dachte 
unwillkürlich an Galilei im Gefängnis, das ausdrucksvolle Ge- 
mählrie des LiiTemhnnrjr So erkauft man den Ruhm, in geweihter 
Erde mit einem großen Monument zu schlafen; und nicht ein- 
mal immer, denn wo sind Dante, Pelrarch und Boccaccio? Sie 
gehören hierher, um das Siebengesiim der großen Italiener zu 
vollenden. 

ich werde zurückkehren nach Sta. Groce und mich noch 
einmal bey den Urnen der großen Muriner klein fühlen ; es ist 
keine geringe Lehre. 

Vor dem Thore San Nieoki kletterte ich auf einen Hügel, 
den ein Kloster krönt ; es ist vermuthlich der monte di Sau 
Miniato oder alle croci; denn Kreuze zu einer Wallfahrt be- 
zeichnen den Weg. Auf der Höhe des Kirchhofs, unter Zipressen 
und neben Olivenhänrren, die aus dem nahen Pehgarten empor- 
ragten, warf ich den Blick umher. 

«Unter mir Hegt Florenz die blühende, mit dem Dom, 
«dem alten Schloß, dem Prato ; jenseits der Stadt dehnt sich 
«die Kctto der Apcnninon majestätisch aus. Die obere Spitzo 
«rauh und kahl, der untere Theil mit Villen, Palläslen und 
«Bosketlen übersät. Der schöne blaue Duft, den nur Italien 
«kennt, verhüllt die ferneren Gegenden. Zu meiner Hechten 
«und Linken sinir anrnutbige Hügel, Wein und Oehl und Obst 
«reich; ich selbst stehe im Schatten der Zypressen, deren 
«pyramidalische Form sich grell am Himmel abzeichnet; die 
«Sonne bringt die schönsten lichteftekte hervor zwischen den 
eblassen Oliven und den dunkleren Büschen, auf den kahlen 
«Apenninenfelsen und der truebtbaren Ebene.* 

Die Pflicht rief mich hinab; noch am Thor fragte ich eine 
junge liebliche Toskanerin um den Weg, den sie mir, den 
Fremden um seiner Sprache willen anlächelnd, gar anmuthig 
erklärte. 

Des Abentis im tealro ti. Piazza vecchia ; Francesco da 
Rimini von Silvio Pellico. Das wirklich schöne, zarte Trauer- 
spiel, das den Hauch der Liebe trägt, ist schändlich verdorben 
worden; der elendeste franz. Schauspieler halte mehr Würde, 
der plumpste Deutsche mehr Gefühl und Natur. 

So Gott will, sind wir in 3 Wochen in Roma; der 
neue Bndruck von Florenz ist schon verwischt und ich seufze 
nach etwas andern). 



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— 893 - 

Flor[cnz], Freitag, 21. Okiober 1826. 

Der Regen ist eingetreten und Nebel verhüllen die Berge; 
ich kann keinen Schritt aus dem Hause thun, ohne durchnetzt 
zu werden. Dabey ist ea noch warm, wie bey uns im Sommer- 
regen. Die Luftveränderung macht mich krank und ich habe 
seil 3 Tagten nichts mehr recht genossen. 

Nittwoch 19. 

In derTribuna brachte ich einige Standen zu, in Anbetung 
versunken vor Venu* und Raphaels Madonnen, vor seiner 
Fornarina, um deren Mund ein Engelsreiz schwebt! Auch die 
andern Geiuühlde betrachtete ich näher. 

Michelangelo : eine Madonna reicht das Jesuski od dem 
heiligen Joseph über die Schulter hin. Es ist keck gemahlt, 
aber es rührte mich nicht ; als Seltenheit mag es hin- 
geh n. 

Parmeggianino ; eine heilige Familie, wo St. Johann das 
Jesuskind gar lieblich und anmnthig umarmt. Vom blauen 
Gewand der Madonna fällt ein sonderbares Licht auf das nackte 
Kind ; man sollte nicht glauben, daß das Fleisch einen solchen 
Widerschein hal>en könne. 

Andrea del Sarto; eines seiner schönsten Gemähide hängt 
gegen der Eingangsthur gegenüber; die Madonna auf einem 
Piedestal ; 2 Heilige stehen neben ihr. Dies und seine Madonna 
del saeco. die ich a fresco gemahlt (Donnerstags) im Kloster der 
Kirche della Anr.unziata sah, setzen seinen Bang unter den 
ersten Mahlern fest. 

Von Paolo Veronese ; eine Madonna mit Jesus aul den 
Knien, Heilige umher \ die Einfachheit dieser Komposition hat 
mich völlig mit dem Mahler, den ich in Paris nicht von der 
schönen Seite kannte, versöhn». Von Annibal Carraceio (neben 
Paolo V[eronese]) eine Bachantin vom Rücken her gesehn ; eine 
Zartheit in den Muskeln, eine frische wollüstige Karnation, die 
ich ebenfalls bis jetzt an A. Carr[accio] nicht gefunden. Er 
übertritll sich hier. 

Von Peruginc, dem Meisler Baphaels, eine hfeilige] Familie 
unier einer Kolonnade. — Aber was sind all 1 diese hl. Familien 
neben den zwey Madonnen Raphaels : Die eine (neben der 
Fornarina) hält ein geöffnetes Ruch ; Jesus wendet sieh gegen 
Sl. Johann, der einen Distelnnken in der Hand hat. Die zweyte 
(neben St. Johann in der Wüste) zeigt ungefähr denselben 
Gegenstand: Kenner sagen, dies Gernäblde sey mehr bearbeitet 
— welchem gehört da die Palme ? 

Von Van Dyck ein Portrait Karls V. zu Pferde ; sehr 
lebhaft. 



C Original frorn 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



— 394 - 

Fra Bartolomeo della Porta : die Propheten Joel und Jesaias, 
kernhafi, grandios, iranz wie ich mir die alten Seher vorstelle. 
Es ist etwas ernstes und niederdrückendes im Pinsel dieses 
Baiiolorneo. 

Mit Corrcggio will ich den Saal verlassen; Maria in 
Egypten, weiß gekleidet, in ihren Armen Jesus. Maria vor 
dem schlafenden Jesus kniend. — Beyde athmen mütterliche 
Zärtlichkeit ; sie sind irdischer als Rephacls Madonnen, die alle 
nur EDjtelsliebe zu fühlen scheinen. Gorreggio hat die wahre 
Mutterliebe idealisirl dargestellt. Es sind noch zwei kleinere 
Werke von ihm da : 

Der Kopf Johannes des Täufern in einem Becken. 

Der Kopf eines Kindes, auf Papier gemalt It. Aus der Tos- 
kanischen Schule, die in 2 Sälen an die Tribüne links stößt, 
lialie ich für heule behalten: 

Leonardo da Vinci: ein Medusenhaupt mitSchlongenhaaren; 
gräßlich und doch schön. Von Raphael, ganz klein ; eine 
Venus mit Amor; nackt und liehlich ; vermulhlich eine Spielerey 
des genievollen Knaben. 

Von Gre^orio Pagani: der junge Tobias, der seinen Vatwr 
wieder sehend macht. Von Angelo Allori oder Bronzino ge- 
heißen : die Höllenfahrt Christi. Dieser Mahler wäre würdig und 
fähig: gewesen. Dante's giganteske Kompositionen auf das Tuch 
zu bringen. Die unterirdischen Bewohner drängen sich links 
und rechts herzu, um aus dem linstern Aufenthalt zukommen; 
der Erlöser selbst schwebt, eiu göttlicher Jüngling, zwischen 
ihnen ; denn es ist mehr als Gang, dieses majestätische, etherische 
Auttreten. Ich glaubte zuerst, es seye ein Werk Titians, so 
reizend und glühend sind die Weiher gemahlt ; Eva. schön wie 
Venus und schamhaft wie sie, zog meinen Blick unverwandt an. 

Biliverti l : Joseph reißt sich aus Potifars Armen los ; 
die Wollust athmende Frau tritt ihm mit ihrem FuB auf den 
seinen und hält ihn zurück, wie ein Mann das Weib halten 
würde, und doch 13t viel Weiblichkeit in ihrer Stellung und in 
ihrem Ausdruck. 

Hazzi, il sodorna geheißen; St. Sebastian, an einen Baum 
gebunden und von Pfeilen durchbohrt. 

Vor Tische kehrte ich mit meinern Zöglfinjj] in die ICirche 
§anta Croce zurück. Ich stehe nicht von meinem Lrihoil über 
Allieris Grabmal ab ; Jtalia weint in Marmor, wie sie wirklich 
weinen sollte. Man hat die Figur steif gefunden; warum, weiß 
ich nicht; aber was findet der lleherverfeinertfi nicht matt? 



1 Lieb; BiliveUi. 



Original frorn 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



— 386 - 

Abends gieng ich krank dem Theater zu. Der Herbst brach 
au. Auf der piazza üi Sta. Main Nuvella schlug ich eine Straße 
iinlts ein; sie war menschenleer; nur hin und wieder sah ich 
Licht bey arbeitenden Schustern, hörte da und dort melancholische 
PianotÖnc ; einsame. Lampen brannten \or Mudonncnbildern; die 
Häuser hörten auf und zwischen Gartenmauern führle der Weg 
hin. Der Wind tobte in den Pinien, als wäre es durch nordische 
Tannenbäume ; Her Mond war veivchleyert, mir ward unheim- 
lich zu Muth, und doch triebs mich vorwärts, bis der Weg an 
der Wdlmauer aufhörte. Nie hatte ich gedacht, in Florenz 
•einen so düstern Eindruck empfangen zu können. 

Im Theater sah ich Gorradino, ein erbärmliches Drama, und 
t ie flauta magica, eine ziemlich plumpe Farce; sie nennen das 
1a prezbsa farca ; es ist auch das beste. 

Donnerst ag 20- 

Mit dem Grafen fuhr ich in den palazzo Pitt i . Die Säle 
sind kaiserlich, nicht herzoglich eingerichtet und die Gemählde 
sind wehl tausend Go kl möbeln wenn. 

Da ist die liebliche marinnna della sediola, die schönste 
unter den himmlischen Marienbildern des geliebten Mahlerc , 
■da sind hundert andre, die ich zu flüchtig durchsah. Dort steht 
Canovas Venus, vielleicht eben so reizend als ihre ältere 
Schweeter 1 : «Such as ilieold of yore, Canova is to day.» Michel- 
angelos Haus betrat ich nur ; das Innere konnten vrir nicht 
aehn, weil der Besitzer abwesend war. 

In der Kirche dell Annunziata, die auf einem schönen, mit 
Ferdinands I. Statue vei-zierteu Platze steht, sab ich. die be- 
rühmte Madonna del saceo von Andrea del Sarto; eigentlich ist 
dieses Freskogemähide nicht in der Kirche selbst, sondern im 
Klostergange, der daran stößt und wo im ganzen Quadrat 
herum sehr wohlerhaltene Mahlereyen von Mascagni, Poccetti 
u. a. m. sich befinden. Academia delle belle Arti : Dieses 
Instilut, von f^wpold 1784 fr&stiftet, enthält eine vollständige 
äamrnluug von Gypsstatuen, zahlreicher als die in Yenedig, 
die Gemähide, welche den Preis davontragen (wir sahen sie 
nicht) ; in einem großen Saal eine chronologisch sjereihte Samm- 
lung der ältesten bis auf die modernsten Mahler, im Saale des 
Culossen (dessen Original in Korne aul der piazza di Monte- 
cavallo sieht) mehrere antike Köpfe, Canovas Gladiator und 
Gypsabgüsse von griechischen bas-reliefs, die der König von 
England hieher geschickt. 



> Quer am Bande hat der Verfasser vermerkt: Hantag den 
23« 1 « 1 geoohriebea. 



■ 



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— 39ö — 

Ein fürchterlicher Regen begleitete uns nach Haus und 
lenle mit dem folgenden Tage den lirund zu dem Bauchgrimmen, 
das mich heule (Sontag) an da» Zimmer fesselt, den Aufenthall 
verbitten und immer schreckliche Folgen fürchten läßt; wie 
konnte ich einen Zaum oer Einbildungskraft anlegen, da schon 
mehreremal die Wirklichkeit das gefürchtete Uebel eberstieg 

Abends mußte ich iifs Theater della piazza vecebia. Man gab 
le donne curiosc von Goldoni ; es war veniger schlecht, als was 
ich schon gesehn, und der Gang reule mich nicht; es sind wirk- 
lich komische Scenen, weil sie wahr, nicht konventionell sind. 

Freitags 21. 

Auf der GaLerie mehrere Säle besucht : 

1) Saal der Urnen und Vasen. 

In der Mitte ein Genius des Todtes ; hübsche Statue, aber 
fälschlich als Kupido restaurirt. 

Außer etrurischen Vasen sind hier in Großgrieckenlaud 
gefundene, in Volterra, Chiusi, AreHo, Elba ausgegrabene da. 
Im Kasten X sind zwey von beträchtlicher Größe; auf dem 
einen ist Caslor abgebildet, sein Pferd führend und eine Blumen 
fruirlande mit der rechten Hand haltend. 

Eine große Zahl Lampen, Thierchen (vielleicht ex volo), 
amphnren etc. sind auch in diesem Saal. 

2) Mobes Saal ; Nach Winkelmann läßt sich da was sagen. 
Als ich das erstemal diese Statuen im Saal herum gereiht sah, 
glaubte ich einer tragisch* mimischen Darstellung beyzuwohnen. 
Die Muller selbst am einen Ende des Saals, mit ihrem würdigen 
edlen Schmerz, ist wohl mehr als die Rachegötter, die ihre 
Kinder todten. Sie drückt mit unsäglicher Angst ihr jüngste? 
an den Busen; das rührt aber die dort oben nicht. Ge»en ihr 
über um andern Ende des Saals befindet sich der erschrockue 
Eizieher und an beyden Seilen herum die Söhne und Töchter : 
meist liebliche schöne Gestalten, rührend in ihrer Furcht vor 
dem Tode, rührQnd in ihrer Unbewußtlosigheit, bewundere - 
würdig in ihrem Trotz. Neben der Mutter ist ein Mädchen, 
schön aufblühend im ersten Heiz der Jungfräulichkeit und sich 
hingebend ins Verhängnis wie eine edlp VfaHnnna. Es ist schade, 
daß diese Statuen nicht als Gruppe aufgestellt sind ; der Ein- 
druck wäre stärker und dramatischer; so muß der Beschauer 
sich die Scene konstruiren. Aufgefunden wurden sie bey dem 
Thor St. Johann in Rom und aus der villa Medici unter Leopold 
hieher gebracht. 

3) Saal der Mahlerbildnisse (vide Montag). In der Mitte 
des Saals die schöne Urne der villa Medieis, worauf das Opfer 
Iphigenias eingraben. 



: 



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- 397 — 

Das Pantheon der Mahle r sah ich noch einmal einzeln und 
genau durch und in den wenigen Mahlern, die ich kenne, fand 
ich ihre Manier auch in diesen portraits wieder. Es ist nichi 
nur ein chronologisches und synchronistisches Exercitium, sondern 
auch eine Anwendung des Lavaferischen Systems von den treuen 
Gestalten unsrer Deutschen und Flamänder bis zu den Feuer- 
zügen der Italiener hinauf. 

Oft wend* ich mich, der Zauberfarben müde, 

Die reichlicher als jede Frühlingszeit 

Auf kalte Leinwand Titiaii gestreut, 

Zu alten Deutschen hin, wo sanfter Engelsfriede 

Selbst trocknen Zügan stilles Leben leiht. 

So spähet oft im Schatten der Oliven 

Mein stummer Bliek nach einem Tannenwald, 

Wo keine laue Luft, nur wilder Sturm erschallt. 

Boy lustgem Zitherklang greif ich nach ernsten Briefen, 

Aus fernem Nord, von Freunden treu und alt. 



Original from 



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XXL 

Gedichte in Straßbarger Mundart von 
Frau Charl. Engelhardt-Schweighäuser. 

Mitgeteilt von. 

E. M. 

JJurch die gütige Vermiltelung des Herrn Pasquay in 
Wasselnheim erhielt ich vor Jahren Kenntnis von einer haml- 
schriftlichen Sammlung <ier Gedichte, welche Frau Engelhardt, 
ij eh. Schweig hauser verfaßt und selbst zusammengestellt hatte. 
Die damalige Besitzerin ließ sich aber nur herbei mir Abschriften 
der mundartlichen Gedichte aus dieser Sammlung zukommen zu 
lassen mit der ausdrücklichen Bedingung daß ich sie nur zu 
Ihuleklstudicn verwenden dürfe. Nach 1:1 rem Tode ist diese Be- 
schrankuntr hinfällig gewerden. Jene handschriftliche Sammlung 
»3t in andere IJunde übergegangen und die Hoffnung wohl nicht 
unberechtigt, daß sie einmal in rlas Fl. saß zurückkehren werde. 
Was dann aus deu übrigen meist auf Familienbeziehungen hin- 
weisenden, mundartlichen und hochdeutschen Gedichten sich 

aur Veröffentlichung eignet, möjren Andere entscheiden. Mit 

erscheinen allgemeiner Beachtung wert jene mundartlichen Ge- 
dichte, cie als Beigaben zum Pfingstmontag iutgetaßl werden 
können. Ich erinnere nur noch daran, daß die Dichterin durch 
das Riesen frftulein vnn Nierleck, derer Wendungen aus der. 
Dialektdichtung durch Jakob Grimms hochdeutsche Prosa bis in 
Chamisscs Poel:sierun£ übergegangen sind, für alle Zeiten in der 
Geschichie der elsassischen Dichtung sich eine ausge2eichneie 
Stelle erworben hat. 



f~* Original from 



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— 899 — 

Der folgende Abdruck jener Dialeklgedichle hat die Inter- 
punktion teilweise zugefügt und ein paar kleine nieirische Fehler,, 
die wohl der Abschreiben n zugehören, stillschweigend verbessert. 

Das erste ist ein Fraubasengespräch, wie solche von F. W. 
Bergmann 1873 und nochmals im Elsässer Schatzkästel 1877 — 
wo auch eine kurze Biographie der Dichterin von Otte (Zetter) aus 
dem Samslagsblatt wiederholt ist — abgedruckt worden. Der 
Gegensatz zwischen der allen und neuen Mode ist frauenhaft 
abgehandelt. Bergmann S. 119 weist (iarauf hin, daß Frau 
\ Engelhardt auch andere Fraubasengespräche abgefaßt hat. IchV^ 
verweise auch auf M. Eogebardla Wanderungen durch dieVog;esen 
Ö. 61. ' ' ! 

Das zweite Gedicht ist ein Gespräch zwischen Frau Engel-; 
hardt und Ehrenfried Slöber (Veiter Daniel) über dessen eLob 
der Siadt Stroßburg>, wo insbesondere die Derbheit der Mund — 
art erörtert wird. ' • 

Das 3. endlich ist eine freudige Anerkennung des Lobet- > 
welches Goethe 1819 Arnold in seiner Anzeige des Pfingst- 
montags gezollt hatte. 

1. Teegesprach 1816. 

Die alt Frau Baß: Verzeih sie mir Frau Baß, i konT a bissei frühi, . . 
Awer äisch so min* Ait und's macht mer zueviel mühi, 
Wenn i muß üwer d'Gaß zwei raol im finstere tappe, 
Unn uff de glatte Stein mer so der Fuß thuet knappe. 

Hie jung Frau Baß: A mache sie keinä Spaß, es freut mi jo 
gar viel; — 
Freili bis d'andre komme, 'wärt's noch e gueli wil. 

Die AU: Es war doch ebbe Zit, wenn sie wil Caffe genn, 
Kr.; isch schon halber fünf, dort sich i Tas6e stebn, 
Uff zellem runde Tisch, un i riech au de Kueche, 
I hab c fini Naß un bruch mt lang zc sueche. 

Die Jung;: Caffe wurd nitt gereicht, s'isch d'Mode nimm, Frau 
Riß. 
Nur Thee unn Confi'.ur serwirt mer hittis Dsahe, 

Die Alt: Was Thee zum Zowweesix;? der eim sa bölü macht! 
Do kriejt me weier na jo Hurger in der Nacht. 

D'Jüng : Wer dunke jo eh's drin — Ich mach mer just nix drus. 
S'isch awer d'Mude jetzt in jedem jätete Rüs. 

D'Alt : Herrje ! s'fehlt mer e Nodel an rriner Stricket gar. 
Oh, sei sie doch so gut un zei sie mer e Paar, 
Ob mer nit eini paßt, des war mer gar e Trost. 

DMung: Do isch min einzi B'steck . . . 

D'Alt: Des isch jo ganz verrost. — 



. 



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— 400 — 

U'Jung: Drum isch's schun gar ze lang, daU i nim mit ha 
g'strickt. 

S'isch d'lfode jetzt, Frau Baß, daß mer nur neihi un stickt. 
D'Alt: Des isch im Sommer guel, jetzt wurd mer jo schier blind. 

Wenn mer bim Liecht so stickt, ich war mer nit so find. 
D'Jung : Oh, es gtht nit so streng, mer babbelt au e wihl ; 

Demo wenn ri" Herre komme, se geht's an d'Kartespiel. 
D'Alt : Na wil min Nodel fehlt un i nit stricke kan, 

Willi mit Stanges spiele, ä halwi Su der Jan. 
D'Jun&: Standes spielt nieine meh; wer jetzt ken Rower macht, 

Unn au nit hoston spielt, isch liberal veracht. 
D'Alt: Wist kan i au e bissei, s'ßewersi isch min Pin. 
D'Jung: Oh zell spielt nieme meh, s'isch schad, s'isch lusti 

K9JD. 

D'Alt; S'scheIH, lue sie doch! . . . 

D'Jung: So friey kumrat nur*d'Frau Hahnewalle. 

Frau Hahnewalle; Ihr Dienere, ihr Damme. 

I ha gemeint i triff d'ganz G'seliscliaft schun bisamme. 

I kom e bissei spot, i hau e Aer^er ft'hett. 

1 Ka min Wasch noch ^'streckt, se finoti zwei Chemisette 

Die g'höre miner maugd (isch dieß gepermediein v j 

Von Kottnfidcl Musselin dreifach cm Hals garniert. 

D'Jung: Dieß isch e bissei stark. 

D'Alt: Doch kann mers nit verhiete. 

Mer henn vor Zitte au so müsse d'Posche lide. 
I ha's e mol beredt, so bei min Maud zum G'spaß 
Si in de Merkorb g'stekt, un drunten uff der Ga3 
Hett sie sie angelhon, i ha's vom Fenster g'seha. 
Was hawi sauje welle? i ha's halt losse jr,ehn. 

Frau Hahnewalle : Nein so guet bin i ritt : i ha's ere tichti g'sait 
Un ba erecbl getiewwerl, s'isch hall e Herzeleid. 
D'kfaud macht der Herrschaft noch : wenn die e Reifrok 

trabt, 
Mueß zelli Posche hun, do isch bi Gott ken Gnad. 
Der Staat isch doch zue groß mit dene Stickereie, 
Na, schmoll sie nur, Frau Baß, sie macht rni do nitt schweie. 
Der Owerrnk mueß jetzt zwei Uand breit kürzer sin 
Daß tne tlc seh ü hon» sieht, un do sinn Lücher d'rinn ! ! ! 
£ Gans frißt Graß derdurch — do kann mer sich jo denke 
Daß bime jede Schritt rae mit dem Sehnen blit henke. 
Dieß heißt jetzt g' feeton niri un ä jour Stickerei. 
I ür. Falwela am Hals isch nimm jenue mit zwei. 
Fünf Sechsmol uffenander als wie e Pfarrers Groß 
Geht« un» de Hals herum, »'steht uns als wie ebs bnß 
Deraochert u(T em Kopf . . . 






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- 401 — 

UMi: Erifer sie sich nit 1 

Sic macht eich halvrcr krank, un l>esaert nix deraiit, 
Mir ben au mit gemacht, wie mer noch jung sin g'sin. 
Weis sie noch s'grus Tuppe un der roll» Puder drin ? 
Posche drei Elle breit un \baStz hände hoch, 
s'gepusuhl gase Helstuech, a ! liewi, schwei sie doch ! 

D'Jung; Die große pette en l'air, un spitze SchnaVelscbueh, 
D'lange Warielmanschette, oh sV'hört noch viel derzu. 

ETAll: Wemmer ebs neus sich kautt» muß sinn wie mer just geht. 
Wen's noch so närrsch ussieht, isch mer doch allwil nett. 
Freili in ri'Grimpelkammer kumt's oft am End' vom Johr. 
Uu wemmer's wedder sieht meint mer s'i&cli niinmi wubr 
Das mers getraue hett, un lacht, sich selber us 
Un um ken Geld trieng mer so nie us cm Huß. 
Awer es wßr hol! Zit, sie gab uns ihre Thee. 
I hah am zwölf! gesse, s'wurd mer vor Hunger web. 

D'Jung: S'schellt, ah jetzt kumme d'andre, u»'s Wasser sied 
schon lang. 
Wenn der Herr Vetter kommt, sin mer au drei für d'Stang. 

2. E Strosburger Frau Bas an de Vetter Daniel, 
nochdem sie sin Lob von der Sta<i t Strosbury gel ese. 

Höre Sie, min Herr Vetter, es «ey ne liewer gsait 

Nur ganz so. unter uns, sie mache's duch zu breit. 

Eiß geht für eir.mol an, awer so allewil 

ungemeinste Wort ussuche, diß isch doch schier ze viel. 

Me kriet jo d'Muhlsperr ganz, wemme diß Ding muß lese! 

Mer sin von jeher Hie su 2iraperli gewese. — 

Min selige Frau Bas, die hett ken ander Wort 

Als unser Sprach gekannt, un wenn i mimme dort 

Hab e Visit gemacht, »e hau i mich erfreut 

An dere luthrische Frau-Base-Höflichkeit. 

E großes Predibuch, d' Uiwel, der Obeseye, 

E Stricket un c Britl, sin uf em Tisch gelcyc. 

Ihr hötli, hößli G'spräch, diu hett mi oft erbaut, 

Öo einfach, frumm un gut, so ganz mit Gott vertraut. 

Wer alle Sundahmorge schön in syn Prmli geht, 

Viel in der Biwel leßt, und was er leßt versteht. 

Dem kumme d'Woii von selbst gewählt zum Muhl herüs 

üd war (er) uferzaue au im Handwerkshüs. 

Es giebt noch viel so hie, un wenn me die hört an 

(Freili de Cumplimente-Frau Basen-Sctilendrian, 

Der so langwieli isch muß Y. au mit verschlukke), 

Se'n isch doch unser Sproeh nitt so gemein un trukle. 






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— 402 — 
Freili lauft dannetwann e Wörtele mitunter 

Daß unser Grammatik für acht nitt hall, worunter 

E manchi Redesart uns doch au wir bequem 

Uu mir mien orum herum, zell isch nit angenehm. 

Un in de Reime garr . . . Herr Vetter sie verzeihe 

Daß i getadelt hab, es tliut mi jetzt fast keie • . . 

Herr je ! ! ! Do iummt mir gar au so « Wort ior d'Fodder ! 

Aber so isch's hall hie, me kummt glich mit dem Wetter 

Wemmer im Re<lde steckt, un was ich Ihne sah. 

Der Mittelwei isch schwer, mer muß ball null, ball nah. 

Wil's denn so mühsam isch, in. Mittelwei ze stehn 

Se wär's jo hesser fast e bissei nuff ?e gehn 

•Vis in's gemein su nab sich allwil ze verliere. 

.\wer Erlaube Si, ich thu ze lang geniere. 

Verzeihe Si, Herr Vetter, 's isch halt e so min Art 

'S muß alles glich erus wie's über d'Lcwer fahrt. 

Herr Vetter, ich hab d'fchr mich gehorsamst zen empfehle, 

Ihrer Frau Liebsten au, dieß rnöcht i nitt verfehle. 

•26. December 1817. 



Antwort. 

Strosbury de 7. Jänner 1818 am Julianustag. 

I dank ere, Frau Rafi, für ihr verbindlt Schriwe; 

Si denkt halt, mer muß nix, au 's Lob nidd üwwerdriwe. 

Es isch au min Manier frisch von der Lewwer weck l 

Es werfe viel e Wurst gern noch ere Svtl Speck, 

Drum wurd d'Welt hyltis Da*s ou allewil verdruckter, 

Un Fuchsschwanz giebl's genue, un sieslechli Kalfackter. 

Doch alles hawwi ritt, was sie do schriebt, verstände, 

I will's re numrne g'stehn, i hsteh bald doch mit Schande. 

Sie macht e längs, e breite* daß me nitt breit soll were, 

Un redde nitt gemein, mit sine Herr Gumbäre. 

Sie hell gut reide, Si ! 's isch e Professers Maidel 

Girad wie c Sundos-Kind, traht'a noch c Zwikkclklcidel, 

Sen isch's schun e Schein: 1 wodd i derft au wohne 

Imme Kapitelhüs, do isch der Hund nit ohne 

Studirerey, mer meint er bellt gar uf klinisch ; 

Zum wenigste verstellt er hocudiUuh, übenhinisch ! 

4n mir isch Hopfe, Mala, von Juget an verfahre, 

I bin, min liewer Schatz, erzam-n-un ^ebohre 

Im Drescher, denk Si nurr, diß isch e rücher Namme, 

Nimmt's eine Wunder dno, wemme bi de Madamme 



C Original from 



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- 403 — 

Kitt nett ze redde weis, wie mancher Geßgyddi 
Der ei ball Hrscbi bückt, ball widder hinterschi, 
Un cSallü» sad, <Madam, gommang wu porte wu? 
Wuus edde bieng scholi, n me Faire tu fu!» 
Nimm Si dißmoJ verlieb, en andermol wurd's besser, 
I leer biß üwwer's Johr noch manch i Diiilefös&er. 
Un nomol: Proat's Neujohr ! un grieß sie de Moritzel, 
I schick ein e Handbatsch, un iere taa.d e Schmitzel : 

A la Wie e a la Mor. 

Der Vetter Daniel 



3. Gespräch a 1s G oe thes Beurtheil u ng desPfingst- 
niontags hier (in Strasburg) bekannt wurde. 

Denke der Goethe meint me muß ä ganzes Lewe 

Nochdenke, un studire, un b'sunders Achtung gewe; 

Bis me mit vielem Wils so ä Pfingstmondah schribt, 

Alles so ganz nstürli, un gar nix üherlriht. 

Er meint, 's iscu gar se schwer, ä so fcienau ze treffe 

Der Meislerfrau ihr Dewre, der Maud ihr widderheffe; 

's Christineis Jungfrewitz, un 's Lissel sin gefeilter, 

's Clärel syn LUbesnoth, un 's ÖJrbol fia, der Picker. 

Unn vonn da Männere erst, do will i gar nitt redde, 

Wyl die so uFgspitzt sinn, se will der Göthe wette, 

Der Arnold hett sunsch nix syn Lewetang gethon 

Als amrn Pfingstmondari gemacht: was halte ihr dervon? 

Er isi'.li e ßurjersltind un hett halt anue g'schriewe 

Was d'tieime syni Litt so g'sait benn unn getriewe. 

Er hett in allem nur gebrücht zeh Morel Zitt, 

I weiß es von iram selbst unn irr mi wem nit. — 

E Hofrath freili wohl, der uns so überleye, 

Der brächt syn lebtah kühm & so e Stück zeweye. 

E witziger Kopf von Hie, lielU awer glich herüs, 

Denn was er d'heim nitt sieht, sieht er im Nochbershüüs, 

Uo frei e K tassebuh, wenn er weis uffzebasse; 

Me hört dergliche Dings jo Hie uff alle Gasse. 

In jedre Hüshalluag Und mer e Frau die schilt, 

A. Maud die widierbefzt wenn sie ihr Herrschaft trillt, 

Ä. Maidel dis nix kann als hable, gaffe, lache, 

Unn diß nur allewil denkt wi's balt will Hochzitt mache, 

Eo alti Jungfer dno, die Dau un Nacht studier), 

Wie sie zürn Erstand noch ä gute Mann vertiert; 

E jedi Nochbersfrau kummt.ba?c un Kalfacktere . . . 

Me findt glich 's Ebebild zu dene Volkscharactere. 



C Original from 



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— 404 — 

— Gemach, 's isch nitt so licht, wie 's d* Jungfei Basel glaubt; 

E bissei dispadire isch incr do wohl erlaubt. 

Ebs wilsis diß me hört, so ungfahr nochzeschriewe, 

Unn 's IScherli dervon wo tnö^Ii übeitiiwe 

Iram 5 Fraubase G'sprSch, diß isch wohl %ar ze licht, 

Unn mancher kann's doch nitt, wenn er de Kopf au bricht. 

Gib sie im Schnyder do noch so viel Bretter un Balisa. 

Er baut äre kenn Huß; nur Jäger schieße Palkä; 

Nur d'Bekke bache Brot; ä Schmidt macht ken Parrück . . . 

Isch einer kenn Genie, geroth em kenn so Stück . . . 

Denk Si nur, z'erst da Plan so glQckli Oszedenke, 

Vergalbppirt mer eich, glich wtdder inzölonke; 

Wenn alles schilt unn krischt unn durchennander rennt, 

Ze rechter Zitt doch 's Stück bringe aum guten Ennd 

Unn uff de dümmste G'spaß ä gscheide Reim ze finde : 

Wer nitt genialisch isch, thät sich urnsunst do schinde. 

— Gezwifetl hab i nieh an's Arnold 's syn Genie, 
Wenn einer so wie er, der lulrisch unn von Hie 
k\s Herr Professor z'erst gelehrt i Curs thut gewe, 
Unn in der große Welt utf große Fuß thut lewe, 
Dcrnocliert gar wurd Roth by unserm Herr Präfeckt, 
Unn au noch Herr Doyen, do hab i ^-1 ich Respeckt. 

's isch mancher au nitt dumm, un kann's so wilt nitt bringe: 
's Genie brückt au noch Glück, wenn's em so soll gelinge. 

\wer do hemmer schier vergesse unser Rtdd, 

1 hab am Anfang g'ssit, denke der Göthe hett 

Geraeint, me muß so lang bowachte unn studiere 

Umm ä Commödi -Stück wie dißdo üßzefiehre . . . 

Freili im fremde Land, unn fra e großer Herr 

Der brüchti vidi Zitt, unn wenn'a au Göthe war, 

Diß sieht me schun an demm will er 's so gut bekrittelt : 

Der Amold awer hett's nur üssem Ermel $r*schitlelt. 

Genie unn Gluck, do hett me jerli Müh nur halb, 

Unu 's Artiuld's Hulzbuok kritjt wolil imchsteidali ä Kalb. 

Lotte Engelhardt geb. Scuweighuuser. 



Original from 



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XXII. 

Die Brüder Matthis 1 . 

Voi 
Ernst Stadler. 



In 



Gcethes bekannter Re?en«Mri von Hebels Alemannischer» 
Gedichten, die in freundlichem Eingehen auf den sinnfälligen 
Heiz dieser bäuerlichen Schöpfungen die grundsätzliche Berech- 
tigung einer liierarischen Verwertung der provinziellen Sprache 
vertritt und ^esenüber den starren Verfechtern des schrift- 
sprachlichen Prinzips vorn Schls«e Afielnnys auf die fruebfl- 



1 Es erschienen bisher: Albert Matthis, E' SeMiltebardhie von 
Niederbrunn in's Jajerdhaal am 2G. De/- 1890 (1697, faksiraile- 
druck in 25 Exempl.;; Alb. u. Ad. Matthis Ziwwelbaainholz 1901); 
Alb. u. Ad. Matthis, Maiattle (LMBi; Adolphe Matthis. «Drütf urTm 
filoeekelschberri» (1907, äOUExempl ); dm., *JV Knn/.dinnirht» hini 
Scharrach (19J8, !JO0 Exempl.); Albert Matthis. M'n Elsaß ;mit 
Musik von Erb, o. J.,. Außerdem Vereinzeltes in Zeitschriften, bes. 
in den «Affiches», in «le Bourdon» und der «Bevuc AUacieDne». 

Die fEntdeckung» der Bruder Matthis für weitere Kreide ist <ltu 
Verdienst Karl Grabers, dem auch dieser Artikel wertvolle Hinweise 
verdankt. Grubeis Aufefcue iStraßb. Post v. 16. Juni 1901, Reichs- 
land, Janaar 1903.Zoitgenössi6eho Dichtung d. Elsasses, LXXXTllIff.) 
sind bei weitem cas Feinsinnigste, was bisher über das Diclterpaar 
geschrieben wurde. 

Walicud der Drucklegung dieses Aufsatzes geht mir Adolf» 
jüngste Schöpfung, <D' BürehochziUi. zu, schon durch lir Thema 
wie geschaffen zur vollen Entfaltung der besonderen Fähigkeiter. 
dieses Dichters, flntt und farbig: im Vortrag und aufs glücklichste 
herzhaft geschaute lu-iidaokftftliche Bilder mit lebendiger Zeichnung 
bäuerlicher Gestalten und Gebräuche verbindend. Nach Brautzug:, 
Hochzeitmahl, Feettrunk oid «Jurapfredanz» klingt das (iedicht, wie 
so oft bei den Matthis, in Preis uad Segnung des Lindes nus. 



Original from 

. ■■ 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



— 406 — 

bare Steigerung hinweist, die der künstlich abgedämmten Ge- 
meinsprache immer wieder durch den ungcfcssell und ur- 
kräftig hinströmenden Dialekt zuteil wird, gibt der Dichter 
dem schwäbischen Lyriker gelegentlich den Rat, doch ein- 
mal versuchsweise caus dem sogenannten Hochdeutsch schick- 
liche Gedichte b in seine Mundart zu übersetzen ». Solcher 
Zuwache aus neuer., dem Dialekt ursprünglich fernliegenden 
Stoffgebieten sollte nach Gcethes Meinung helfen, die natürliche 
Enge der Umgrenzung mundartlicher Dichtung zu durchbrechen, 
wie sich ja auch umgekehrt durch Umsetzung in die Schrift- 
sprache oder eine der Schriftsprache angenäherte Form der 
Geltungsbereich der dialeklischen Literatur wirksam erweitern 
ließ. 

Nichts kann der Idee und den innersten Ansichten der 
DialektpDesie stärker widerstreiten als eine derartige Anleihe 
hei dem festumzirkten Besitz schriftsprachlichen Gutes. Mund- 
artliche Dichtung wird immer nur dann Sinn und Berech- 
tigung haben, wenn sich gedankliche Anschauung und sprach- 
liche Formung bei ihr decken, wenn das zum Ausdruck 
Drängende wirklich im Mundartlichen seine reinste, seine 
einzig vollkommene Versimilithung findet, wenu Bild und 
Gedanke aus dem Dialekt heraus geboren, nicht nachträglich 
in den Dialekt übertragen sind. Dichterischer Ausdruck muß 
notwendig immer an die Mittel und Möglichkeiten des gegebenen 
sprachlichen Materials gebunden bleiben. Wenn nun alle Sprache 
ursprünglich aus btidmäßiger Anschauung herausgewachsen, - 

aber in langen-. Gebrauch allmählich abgeschliffen und im "Be- 
wußtsein des Spiechenden ihrer 'sinnlichen Werle entkleidet 
worden ist, so hat demgegenüber die Mundart in viel höherem 
Maße als die abstrakte Schriftsprache sich den Zauber und die 
Frische ursprünglicher Hildhaftigkeit bewahrt. Hierin liegt ihr 
Heiz, ihre relative Ueberlegenheil, , ihr Reichtum hei an und 
für sich viel ärmerem Material. Gibt somit der Dialekt, indem 
er stall aus eigener Fülle zu schöpfen, bei der abgeblaßten 
Schriftsprache borgt, seine innersten Vorzüge preis, so birgt 
solche Vermischung der besonderen Ausdrucksformen zugleich 
eine ernstliche Gefahr für die ReinerhaUuny [des dialektischen 
Bestandes. Ohnehin hat die Mundart ihren ärgsten Feind in 
der herrisch vordrängenden Schriftsprache, "deren abglättender 
Einwirkung sich heute, bei dein ungeheuer gesteigerten Verkehr, 
selbst die entlegensten Winkel, in denen sich ältestes sprach- 
liches Out mit zäher Energie behauptet hat, nicht zu entziehen 
vermögen. Im Elsaß hat die eigentümliche politische Ent- 
wicklung des Landes den Dialekt in einer fast wunderbaren 
Reinheit behütet. Die französische Herrschaft sicherte ihm 



Original from 



UMVERS TYOF MC HIGAM 



— 407 — 

langen Fortbestand und gemach liebes Wachstum. Abgelöst 
von allem lebendigen Zusammenhang mit. der hochdeutschen 
Gemeinsprache und bis auf die Aufnahme vereinzelter volfcs- 
mäßig umgebildeter Ausdrücke unberührt von dem seil 1840 
immer mehr an Machtzuwachs gewinnenden Französischen, hat 
sich der Dialekt in den breiten Schichten der Bevölkerung in 
seiner ganzen kräftigen Bildlichkeit erhalten, die, auch vor 
dem Niedrigen und Honen nicht zurflekscheuend, aber immer 
lebendig und sinnfällig, den derben, auf herzhafle Erfassung 
des Wirklichen gerichteten und dabei doch dt» weicheren Ein- 
schlages nicht entbehrenden Charak-ter des Völkchens zwischen 
Rhein und Gebirge malt. Es heißt doch die durch zwei Jahr- 
hunderte bewährte treue Anhänglichkeit einer Bevölkerung an 
ihre angestammte Mundart arg verkennen, wenn man mit 
fccard' annehmen will, daß im Jahre 1870 bloß 20 Jahre 
weiterer Zugehörigkeit zu Frankreich genügt hatten, um die in den 
Kreisen der oberen Bourgoisie bereits eingebürgerte französische 
Sprache auch in den niederen Volksschichten heimisch zumachen 
Nicht aus der Ausbreitung des Französischen als der bequemen 
und ausdrucksiThigen Geschäfts- und Verkehrssprache erwuchsen 
dem Dialekt ernstliche Gefahren, wenn auch jener Grundsatz 
vorurteilsfreier Duldung dem deutschen Sprachgebrauch gegen- 
über, den Eccard für die französische Kegierunjr in Anspruch 
nimmt, doch jedenfalls seit der bewußteren französischen Besitz- 
ergreifung des Landes im 19. Jahrhundert nur noch in recht 
bedingter Weise Durchführung findet. Wirklich gefährdet 
wurde der Dialekt, sc paradox es klingen mag, erst durch die 
Annexion. Und zwar einerseits dadurch, daß nun nach der 
Einsetzung des Hochdeutschen als der offiziell gültigen Sprache 
zahlreiche Familien, bei denen bislang zum mindesten im häus- 
lichen Kreise die Mundart geherrscht hatte, aus einem falschen 
Gefühl heraus, das im Dialekt etwas der schriftsprachlichen 
Konvention gegenüber inferiores zu erblicken geneigt ist, zum 
Französischen griffen. Andererseits dadurch, daß durch die 
«ich nun ergebende Berührung mit den zugewanderten alt- 
deutschen Elementen, durch Schule und öffentliches Leben von 
der Schriftsprache her unaufhörlich neue fremdartige Elemente 
in den Dialekt eindrangen und, indem sie sich seinem Laut- 
stande anpaßten, unmerklich die fest gezogenen Grenzen seines 
Sprachbesitzes verrflckien. Die hieraus erfolgende Sieigeruug 
der dialektischen Ausdmcksmöylichkeiten vollzog sich notwendig 
auf Kosien der bisherigen Keinlieit seines Charakters, Der 



1 La Langte Franchise en Alsace (1910), S. 8. 



Original from 

. ■■ 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



— 408 — 

anaufhaltsam vorrückende Ausgleich zwischen Schriftsprache 
und Mundart muß schließlich, dazu fähren, das eigentlich Aus- 
zeichnende der mundartlichen Sprechweise, die kräftige Sinn- 
lälligkeitder Rede, zu verwischen. Slatt zu dem aus lebendiger 
Anschauung geborenen bildhaften Ausdruck greift nun auch der 
Dialekt zu der von Her Schriftsprache her bequem sich bielen- 
»lui. aber uusinnlichen und abgebrauchten Formel. 

Der wissenschaftlichen Bergung des durch die immer 
weiter greifende Abschleifuog bedrohten mundartlichen Besitzes 
diente vor zehn Jahren die Herausgabe des Wörterbuches der 
Elsässischen Mundarten durch Marlin und Lienhart. Kurz 
vorher hatte eine kräftig einsetzende Dialekt bewegung, Stoskopfs 
erste Lyrikbände und die Begründung des ElRässischen Theaters, 
den gleichen Gedanken von der literarisch-schöpferischen Seite 
her aufgegriffen. Schon Goethe hatte ja gelegentlich auf die 
mannigfachen Vorzüge einer de» Dialekt in lebendiger Anwen- 
dung und in allen Schattierungen und Abstufungen vorführenden 
Dicht unt: gegeuaber der toten tfuchung des iMaterials hinge- 
wiesen und gerade Arnolds köstliches Lustspiel als ein solches 
«lebendiges Idiotikon» jene.« aherleutenden Straßburger Dialektes» 
empfohlen. Nun schoß die Dialekldichlung üppig ins Kraut. 
Unberufene, ohne alle Herrschaft über das Material, aus dem 
sie schöpfen und jrestalien wollten» :lrui;;ttMi sich herzu, ge- 
willt, an dem Ei folg mitsuzehren, der 30 plötzlich der mund- 
artlichen Literatur zufiel, und vergeben* erhob ein temperamen! • 
voller Artikel der Elsassischen Rundschau gegen die leichtfertigen 
Mitläufer der Üialektbewegung, die «Dialeklschänder», scharten 
Einspruch, Wenn selbst Hebels Gedichte, namentlich in den 
späteren Nachbesserungen seiner Verse sich nicht immer vor 
schrittsprachlichen Einflüssen freizuhalten wissen, so holen diese 
seltsamen tfOialekfdiehler» nichts als Ödeste Durchschnitlslyrik, 
aus der Schntlsprache kümmerlich in den Schein eines mund- 
artlichen Gewandes gezwängt. 

Solciiem Mißbrauch des Dialektes gegenüber muiteu alle 
wahren Freunde munilan lieber Dichtung mit Freuden das Auf- 
treten eines Talentes begrüßen, das, zunächst noch der breiteren 
Allgemeinheit entrückt, damals hin und wieder in Vereins- 
organen wie dem hektograpbisch hergestellten «Bourdon» aut- 
tauchte: Albert Matthis. Die Gedichte dieses echten Ötraß- 
burger Kindes, in der kecken Unbefangenheit ihrer Improvisation 
jedem literarischen Herkommen fern, zeiujlen hei aller naiven 
Uubeholfaiilieil von eine;* Druslik des Sehvermögens und des 
Ausdrucks, die schon diese ersten Versuche hoch über das 
meiste hinaushob, was sich an mundartlicher Lyrik daneben 
hören ließ. Und diese Verse waren denn auch in einem Dialekt 



c 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



— 409 — 

geschrieben, über dessen Echtheit und Unvertälschtheit jeden- 
falls kein Zweifel walten konnte. Kurz darauf brachten die 
rAffiches» das Gedicht vom Münstersufstieg bei Wiud und 
Sturm* das, wie alles Bisherige treulich am bestimmten Er- 
lebnis haftend, aber doch zugleich allgemeiner gehallen, mit 
der flotten Bewegung seiner Rhythmik und der drollig-pathe- 
tischen Plastik seiner Bilder auch heute noch zu Alberte köst- 
lichsten Sachen gehört. Wie wir hier mit dem Dichter, schwitzend 
Jini zappelnd, aber immer im gewohnten «Drabb» bleibend, 
Jie vielen Staffeln hinackleltern, aus dem immer heller werden- 
den Zwielicht des katzengrauen Treppen gern äuers hinaustreten 
auf die weile Ausbuchtung der Plattform, mit schwindelndem 
ümblick auf die alten grauen Giebeldächer und das wimmelnde 
Kreuz und Quer der Gassen, dann im Tuim hBher steigend, 
am Glockenstuhl vorbei, die immer schlanker und luftiger 
aufgelösten Wände entlang, bis zu den «Schnecken» empor- 
klimmen, und wie so im raschen Zug des Aufstiegs die Wunder 
von Erwins viel besungenem Dom sich vor uns enthüllen, das 
ist in seiner schlichten und doch so eindrucksvollen Sachlich- 
keit meisterhaft. Und wenn die wechselnden Gesichte dieser 
impulsiven Höhenwanderung zwischendurch Ton mancherlei 
Gedanken, begleitet werden, wie sie sich wohl einem einfachen 
Menschen auf solchem Gange einstellen mögeu — Gedanken 
aber die Unbeträchtlichkeit unseres Lehens und die Vergäng- 
lichkeit aller Dinge — , so hebt sich der letzte freie Ausblick 
von höchster Zinne über das in einem plötzlichen Sonnenleuchten 
aufflammende Gewirr der Häuser ganz ungezwungen zu hellem 

Preis der geliebten Stadt: 

Aldi Stadt 1 du schöner Wappe! 

Symbol blcnkel stolz in d'Wult, 

Un hebb d' Sprooeh wo in de Kappe 

D'Alde uns han annegstellt. 

Ntcnt zufällig verknüpft sich hier der Stolz auf die glorreiche 
Tradition der Stadt mit der treuen Liebe zur ererbten Sprache. 
Dieser Lichter, dem der viel mißbrauchte Dialekt so prachtvoll 
kernige uud yleichöaw unberührte Bilder herzieht, wurzelt so 
tief im Sprachlichen, daß sein überall lebendig hervorquellendes 
Heinjalgefuhl, wo es am kräftigsten durchbricht, dem Lob der 
angestammten Mundart gilt. Und als einige Ja lue nach diesen 
eisten Flugversuchen in aller Stille und mit bewußter Beschrän- 
kung der Auflagezahl ein kleines Sammelbändcben erschien, 
das den phantaslischen Titel «Ziwwelbaamholz» trug, da fand 
sich in den einleitenden Huldi^ungsversen ans Elsaß die ganz 
naive Folgerung: «S* Elsaß iech e seböner Streife, D'Sprooch 



f~* Original frorn 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



— 410 — 

«Haan bringt's jo suliun mit.» Zu diesem Buche halle zum 
ersten Mal AlbertsZwülinfcsbrudei Adolf einige kleiuere Sachen 
beigesteuert, zunächst noch hinter der ausgereifteren Persön- 
lichkeit Alherls £Ui ücktiettiiJ, aber bald im gemeinsamen 
Streben erstarkend und jetzt lange ein dem Bruder roll Eben- 
bürtiger, dessen dichterische Physiognomie bei allem notwendig 
Gemeinsamen doch ihr ganz besonderes Gepräge bat. Gemein- 
sam erscheint neben vielfacher AehnlichkeiL der Anschauung 
und Empfindung . wie sie ein so langes und inniges Zusammen- 
leben erzeugt, in erster Linie die Ehrfurcht vor der Sprache. 
Auch für Adolf ist «iJ'Nuedersurooch» die gute Wegweiserii), 
<lie es fest «am Baenceh 2u halten gilt, und die erst eigent- 
lich alle landschaftliche Schönheit aufschließt: «Sie fuehri es 
Zürichs Loendel». Tatsächlich wachen diese tNaturdichter*, die 
mit so souveräner Unbekümrnertheit um metrische und formale 
Erwägungen ihre ganz unstilisierten Verse hervorsprudeln, über 
«lern sprachlichen Ausdruck mit so bewußter und eifersüchtiger 
Erblichkeit wie nur irgend ein von der Musik \lec Worte 
terauschter Artist. Und für nichts finden sie im Gespräch 
kräftigere Worte der Verachtung als für die Verunglimpfung 
ihrer geliebten Sprache durch die schwächlichen Mitläufer der 
Oialeklbewegung. 

Mit gutem Grund freilich -wissen sie sich der heimischen 
Sprache, deren zumeist nur nach dem engen Umkreis des 
städtischen Gebrauches bemessene und darum leicht unter- 
schätzte Möglichkeiten sich in ihren Gedichten in ganz anderer 
Weise entfallen als etwa in der Dialektdramatik des ElsSssischen 
Theaters, zu tiefem Danke verpflichtet. StSrker als bei den 
meisten schriftsprachlichen Produkten fühlt man hier, wie die 
Sprache das eigentlich Schaffende ist, und wie gleichsam am 
sprachlichen Ausdruck «ich dip dichterische Anschauung ent- 
zündet. Denn niemals gibt es für den Dichter ein Schauen 
unabhängig von den Mitteln'der Sprache, niemals ein losgelöstes 
und seihständiges Betrachten, das sich hinlerdrein die Form 
der Mitteilung sucht, 3ondern eben aus dem Zusammentreffen 
dieser neiden Prozesse wächst das dichterische Werk. Aber 
wenn hei der schriftsprachlichen Schöpfung die Verlockung der 
Sprache leicht zum unwesentlichen, verblasenen Ausdruck 
leitet, und schon eine starke künstlerische Eneigie nötig ist, 
hui aus dem abgeschliffenen und ins Begriffliche entwerteten 
Material eine neue bildhafte Welt herauszugestalten, so bietet 
Mch der Dialekt, in der frischen Kraft seines sinnlichen Lebens 
dem poetischen Gebilde noch näher, in vieler Hinsicht bequemer 
und müheloser dem schaffenden Dichter an. Es bedarf gleich- 
kam eines weniger angespannten Willens, weniger bewußter 



- 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



— 411 — 

Formung;, um aus den bereit liegenden Schützen mundartlicher 
Rede Eigenwertiges zu gestalten. Und wenn im Dialekt noch 
ungebrochener das Gefühl für den metaphorischen Ursprung 
der Worte rege ist, und eine herzhafte Lehhafiigkeit der Ein- 
bildungskraft selbst dos Unbelebte und Seelenlose ins Mensch- 
liche und Wesenhafle erhebt, so wird deutlich, wie hier in 
gewisser Beziehung die naive Ausdrucks weise des Volkes mit 
bewußt dichterischer Formung zusammentrifft. Und es erklärt 
zugleich, wie unsere beiden Dichter, beinahe ohne aus irgend 
<;incm anderen Bildun^sbereich zu schöpfen, durch die bloße 
Meisterung; des Dialektes, dessen verborgenste Saiten ihnen 
freilich erklingen, zu Schöpfungen von so beträchtlichem litera- 
rischem Niveau gelangen konnten. Denn ihnen ist der Dialekt 
nicht bloß Material, sondern zugleich im eigentlichsten Sinne 
Bildungsmittel. Beinah« ängstlich schließen sie sich gegen 
alles ab. was von außen her die Sicherheit ihres Schaffens ver- 
wirren könnte, sei es nun die Berührung mit der hochdeutschen 
Umgangssprache oder auch nur die Möglichkeit einer Beein- 
flussung durch literarische Vorbilder. Sie sind sich des Eigen- 
vrüchflig&n ihrer Poesie voll hewnßt und wollen sich ihren Kurs 
nicht durch fremde Einmischung sturen lassen. Sie haben 
wenig genug gelesen und finden hinreichend Kraft in sich 
selbst, ohne Anlehnung an fremde Muster dem, was sie fühlen 
und schauen, Ausdruck zu geben. Solche eigenwillige Ab- 
schließung birgt unzweifelhaft die Gefahr einer geistigen Ver- 
engung, und in der Tat wird man eine große Weite des 
Gesichtsfeldes bei den Rrüdern Matthis nicht erwarten dürfen. 
Aber diese Beschränkung gibt ihnen andererseits eine erhöhte 
Sicherheit in dem, was wirklich ihr eigen ist, schärft ihren 
Blick für das ihnen Erreichbare und beschirmt ihre helläugige 
Beobachtungsgabe vor Verfluchung und Verbildung. Uner- 
reichbar gleichsam allen störenden Einflüssen bausen sie bei- 
sammen in dem hübschen geräumigen Pcelenstübehen im Fink- 
vveiler, und wenn in früheren Jahren eine Zeillang noch 
häufiger Mater und Literaten zu ihnen heraufgestiegen kamen 
und sie wohl auch gelegentlich aus der Verschlossenheit ihrer 
Klause sns Licht zogen, so haben sie sich jetzt wieder ganz 
in dies beschauliche Zusammenleben zu zweien eingesponnen, 
aus dessen ruhigem Gleichmaß sie nur seilen der Besnch eines 
Freundes oder Neugierigen aufstört, und nirgends mundet 
ihnen die geliebte Pfeife und der Krug Bier besser als an dem 
einfachen Holztisch, der als neutrales Grenzg-ebiet die getrennten 
Arbeitsreiche mit ihren beiden altmodischen Schreibtischen 
scheidet. Man muß sie da gesehen haben, wenn sie abends 
— der Tag hält sie in irgend einer belanglosen Beschäftigung 



. 



Oriainalfrom 
UMVEPSTYOfMCMGAH 



— 412 — 

g'efarigren — beisammen sitzen, die Kappen auf dem schon 
lichler werdenden Haar, und gut launig und. sprühend von 
Temperament ihre kleinen Erlebnisse und Beobachtungen aus- 
tauschen. Die Wände ringsherum sind behängt mit Bildern 
und Zeichnungen von Straßburger Malern, Gaben der Freund- 
schaft und Anerkennung, wie denn ja. was 3chon Gruber be- 
merkt hat, in den Kreisen der Maler ihr Ruhm viel früher 
gegolten hat als bei den Literaten. Und hier ist denn alles 

gut altstädtisches Milieu, von der Zimmereinrichtung bis zum 
malerischen Ausblick- auf die ollen Häuser, und man braucht 
nicht lange zu suchen, um die Stoffwelt wiederzufinden, der 
ihre schönsten Bilder und Gestallen angehören. Von dem 
Fensler ihres Stäbchens schweift der Blick auf die stahl^rauen 
Gewässer der III, die dort, in drei Armen sich ergießend, die 
alten Spitzjriefaeligen Häuser des «kleinen Frankreich» mit 
ihrer träfen Fiut umschlingt. Drüben zwischen den dunkeln 
Hfluseiveilen und dem Wasser steht die alle Platane, die 
Albert besungen hat, und schaukelt die «rold^rnne Last ihrer 
Bläller wie eine Verheißung sommerlichen Glückes mitten in 
der Stadt; 

In gröuie Hoor stellt sie im Wetter 

Stola wie e Palm im Barredis, 

Un ihri goldi gaelile Diaeiter, 

Sie singe roch e-n-aldi Wi's. 

Und ahdnds, wenn das laufe und tätige Leben, das tagsüber 
diese kleinen Gassen durchschütlert, abschwillt, und der Schein 
der vielen Lichter über dem trüben Wasserspiegel aufflackert, 
dann scheint das freundlich reizvolle Bild aus dem immer mehr 
entschwindenden allen Straßbury erst seine intimsten Reize 
herzugeben. Vom Münster herüber klingt über die spitzen 
Dacher das Lauten der «Lumpen lock», Siraßbuijf* altes Schlum- 
merlied, das schon .■*> vielen Generationen sein: «S'isch Zili 
in's Bell, ihr (Uschis zutrerufen hat; 

1. oDii scliun jjar manch i Xaacht 

Helt sie ihr Sa«.h gemacht. 

Und -o manche ultaludliache Erinnerung steigt wohl Erweckun^ 
heischend mit den grauen Gielieln empor. Freilich, solcher 
Erinnerungskull lie^t so ciemlicli außerhalb des Miitthisscheu 
Bereiches. Dies» herz haften Ge^enwerlrfiinmschen leiden nicht 
an Beschwerung mit unnützer Historie, und die Bezauberung- 
der V«rtnngcnheil hal nur wcnijf Macht über ihren resoluten 
Wirklichkeitssinn. Kaum, daJi der Anblick alter heimatlicher 
Waffenstücke — dess Alderdhum dess wueti schoen — ihnen 
die Erinnerung 'lorreicher Waffentaire wach ruh : 



- 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



— 413 - 

Reschpckt vor dir, du aldcr Sawel, 
Wie viel han sich vor dir geduckt. 
Sebaschlepol hesch du geroche, 
Im Malekoff de Rüss verdruckt. 

Um so treuere Belifiler finden dafür in ihnen die kleinen loka- 
len Traditionen, die mit aller festhaltenden Liebe und mit der 
ganzen Wärme eigenen Erlebens aufgerufen werden. Da hatte 
Adolf im ersten Bändchen ein Gedicht über die <rKneckes>, 
ein kleines Uenrehild aus der schönen Zeit der Jugendspiele, 
so echt und zwingend im Ton, daß gewiß kein Straßburger 
die lebensprühende Beschreibung der anvertrauten Spiele — 
Gschtunse, Kine, Fanges, Blodrieinür' — 

CanaXs, Zebnmessers, Reise, 
Un wie sie's alles hebe. 

zu lesen vermag, ohne aus vollem Herzen dem siim mariseben 
Eu Jurieil da» Dichters beizupflichten : 

Der wo nix kennt vun dene Spieler, 
Isch halt ernol kaan rechter Due. 

Öder es wird rten mehr an die Jahreszeiten gebundenen Freuden 
gehuldigt, und nicht minder kategorisch erklingt der Refrain 

zum herbstlichen Vergnügen des Dracbenaufsliegs: 

t 

Eb d'Huehner bitt uff d'Steckle getin, 
Ze muess aa miner Uracher slehn. 

oder zum Frühlingsspiel mit dan Wöideapfeifen : 

D'Sladt nüss, — uewers Spilzebrueckel, — 
In de-n-Oachwald, — an de Rhin, — 
'S klimmt rner kaaner — nundehickel — 

Ohne WidepfifT erin 

ßuewe, dhu*n de Knibbe schliffe, 
L'Zitt isch do für d'WidepfilTe. 

Oder Albert malt, nicht weniger lebhaft und ebenso fortge- 
rissen von der eigenen Begeisterung, die Köstlichkeiten des alt- 
heliebtea «Chrinchtkindelsmäriks», die es ihm, wie er in treu- 
herzig-drastischer Weise versichert, schon so früh angetan 
haben ; 

Dess isch noch e-n-alder Zeije, — 

Wo sie mich norh ohne Kleid 

In d'r Windel han g'hetl leije, 

Han sie mier na schun gezaijt; 






UMVERS TYOF MICHIGAN 



— 414 — 

Wo mier hiude's Hemd noch zierli 
£ue de Hosse rüsgelacbt, 
(Un as Knoschpe isch's manierli) 
rlett'r mier schun Kraid gemacht. 

Daneben winken dann Lockungen anderer Art. Vor allem 
der Ruf ins Freie, vor die Tore der Stadt, aufs Land, dem 
diese beiden Naturmenschen, wenn Zeit und Witterung es 
irgend 2ulasßen, nicht so leicht widerstehen. Am liebsten 
gehl's dann, 2U Fuß oder besser noch per Kahn, unter den 
(gedeckten Brücken» hindurch, die III aufwärt?, an weiten 
Feldern mit kleinen Häuschen vorbei, dann dem Lauf eines 
engen grünen Seitenarmes folgend, bis hinauf zu der zwischen 
mächtigen Baumkronen versteckten «Fischerinsel», wo ein land- 
liches Gasthaus zu Rast und einfachem Imbiß ladt. Hier wo 
sich Wochentags um die Mittagszeit oder am Abend aus der 
umwohnenden Bevölkerung, Fischern, Hirten, Dauern, ein ge- 
selliger Kreta beim «Öchöppel» zusammenzufinden pflegt, haben 
die beiden Brüder manche Stande verbracht, im Gespräch und 
Verkehr mit den einfachen Gasten manch kräftigem Wort und 
manchen charakteristischen Zug auflesend. Hier haben sie dafür 
gesorgt, daß ihnen die Sprache cnit schinimli» werde. Und von 
hier hat namentlich Alborts leidenschaftlicher Natursinn reiche 
Beute für sein dichterisches Schaffen heimgetragen. Hier bat 
er die Schönheit der Riedlandschaft sehen gelernt, mit ziehen- 
den Wolken über der schwermütigen Monotonie von Weiden 
und Wasser. Der kar^e Zauber des Geländes um Straßburg, 
oberflächlichem Schauen sich strenge verschließend, hat ihm 
seiue geheimsten Beize offenbart. Im wechselnden Schmuck 
der Gezeiten hat er es gemalt, wenn im Frühjahr in den phan- 
tastisch gekrümmten Weidenstrünken der junge Salt steigt, 
oder wenn der Späijahnnorgeii grau und bleiern überrn dlhin- 
wäldel» liegt: 

Ruej stehn d'Wide doj vcrschrockc 
Schnid e Rhinscliwalb s'Newelmeer, 
Drucwe dhuet e Uohr&potz locke 
Ü3*m Liescht eiüs — i hoer 
Vun de Baam wie d'Blätter falle, 
Drunt© hoer i Well« springe, 
Doch i hoer kaan Nächtige lle 
Un kaon Widepfifle singe. 

Zuweilen geht dann die Reise auch " weiter fort, und Bilder 
und landschaftliche Stimmungen aus den benachbarten Vogesen- 
tälern künden von manch gelungener Wanderfahrt. Du wird 



C Original from 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



— 415 — 

etwa tili Sominerabeüd am Hanauer Weiher oder die Früh- 
dämmerun^ bei der Wasenburg oder ein « Wyhnaachtsow«* 

ufPm Nideck» in schönen stimmungsvollen Versen festgehalten. 
Oder dio Fahrt geht hinauf ins Wcinrcvicr, jenen glücklichen 
Streifen des gesegneten Ländchen?, wo die strenge Verschlossen- 
heit der Riedlandschaft plötzlich vertauscht ist mit aller Fülle 
dp? reich und fruchtbar hingelagerlen Rehgeläudes, und die 
hellen Ortschaften, wie bunte Perlen eine neben der anderen 
in t das goldene Gewoge dar Kornfelder und das Grün der Reb— 
hligel eingelassen, heröbsrvrußen. Man muß sie einmal im 
sonntäglichen Staat gesehen haben, wenn sie ganz Übergössen 
mit Knllisommerschein daliegen, umschwirrt vom Summen- 
vieler Glocken und vielfarbig gesprenkelt in der lusligen Bunt- 
heit des heimischen Trarhlen. Wenn dann Sankt Nabor «im 
roote Roecketo beraufglätut, und von Barr herüber die An- 
wohner dieses weinfrolien Winkels mit den gefüllten hölzerner»- 
Gefäßen ins sonntägliche Land hinauspilgern, cann mag sich 

dieses Bild reichen landschaftlichen Segens wohl wie in Adolf;* 

schönem Gedicht in die Vision der heiligen Odilia zusammen- 
drängen, der alten Schutzpatronin des Landes, wie sie, mit 
beiden Hunden Segen ausstreuend, durch ihr geliebtes Elsaß- 
hinschrehet : \ 

Sie winkt, — sie gitt es jetz <ie Saje, — 
Verschaischt de-n-Aescher un de Wurm, — 
Sie sprenzt es d'Reeb mit Maieräije, 
Un d'Schoesale nimmt sie in de Schurm. 

Un d'Hcljestaaner Schwaelmolneschter, 
Die hüet sie wie ihr aijes Kind ; 
Mit Mooacht fuellt sie im Bür de Tre3chter 
Wenn em d'r Blitz in d'r Haibuehn zind. 
Un dhuet d'r Wind e-n-Aeschlel knigge, 
Ze haalt's «rd'Uedilli» wiedder lue, 
Wenn d'Spatze Driwelbeere bicke, 
Schickt sie de Sperwer firlich derzue. 

Denn Sorri hebbt sie uewer's Laendel, 
'S isch d'Mueder, — un i weit sie hett 
D'Ishailije bim Sürkr&ttsiaeDtlel 
Im Kloschterkeller an d'r Kett. 
De Bangraz fuehrt sie am e Zeijel, 
De Scrwaz pfclzt sie wie c Grott, 
Un stutzt im Bonifaz de Fleijel, 
Wenn «der» as uewer's Mircl wott. 



Original frorn 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



— 416 — 

Ist die vielbesungene ScIuUpalxonin des Elsasses jemals 
begeisterter, gläubiger und zugleich menschlich vertrauter ge- 
priesen worden? Und wie köstlich schickt sich hier in den 
Tun des Ganzen die Schilderung, wie sie, die sonst in bla&seu 
Strophen unwesenhaft Gefeierte, als resolute Hauswaltertn ihr 
Gesinde im Zaum hält und im Kloslerkeller die bösen Eis- 
heiligen vor schädlichem Ausbrechen bewacht. Man denkt etwa 
an Gottfried Kellers so prachtvoll menschliche Legenden, wo 
die heiligen Gestalten aus der kühlen Entrticktheit ihrer legen - 
dari sehen Ferne in alle Traulfchkeit und Wärme des deutschen 
Bürgerhau^s berDiedergeioyeri sind. Kellers feitie Schalk- 
haftigkeit und graziösen Humor darf man freilich bei Mattrit« 
nicht suchen. Hier ist alle« derber, gröber und weniger ins 
Geistige erhoben- Sensibilität liegt ja überhaupt der robust 
gesunden Veranlagung dieser Dichter fern genug". Sie sind 
unberührt geblieben von der Gefühls- und Nervenverfeinerung 
der Gebildeten unserer Zeit. Und als echte Elsässer sind sie 
gänzlich unseniiinental. Ihre fest zugreifende Art, die auch 
die tragischen und erschütternden Seiten des Lebens mit ruhiger 
Gelassenheit hinnimmt, mag für schwächliche Gemüter zu- 
weilen fast -das Rohe streifen. Tatsächlich sind sie gesunde 
und tälige Naturen, viel zu fest im Wirklichen haftend, um 
sich laii^e mit unnützen Träumen uud Gefühlsregungen abzugeben. 
Dabei sind sie nicht etwa uiibesinnliche Menschen, vielmehr 
— vor allem Albert — oft von einer tiefen und überraschenden 
Nachdenklichkeit, und das Bild des Todes ist ihnen wie allen 
Menschen des tätigen Lebens vielfach vertraut und nahe. Nur 
daß es ihrer kräftigen Daseinsfreude nicht viel anzuhaben im 
Stande ist, mag immer der Gedanke, daß anr.h ihnen die alte 
Mü Osterglocke einmal nicht mehr läuten wird, vorübergehend 
ihr helles Lehensgefühl herabstirnmen. Und sie hallen es wie 
die Totengräber in Adolfs Gedicht, die in dem unerschütter- 
lichen Gleichmut ihrem traurigen Handwerk gegenüber nicht 
unwürdig ihrer berühmten Vettern, der Totengräber im Hamlet, 
erscheinen, mit einer ausgesprochen diesseitigen Philosophie : 

Lohn kaao grueni Blueme falle, 
Bringe-n-em am letschte Daa 
Liewer noch e Hammelsqualle 
Oder e Kranz Serwilla. 

Irdischen Freuden klingt das Lied dieser Dichter, und 
auch das unverhüllt Materielle hat in dieser herzhaften und 30 
ganz unverzärtelten Leben3belrachtung seinen Platz. Ein Ge- 
dicht Alberts, das eine winterliche Fahrt von Niederbronn ins 
Jägerlal hesingt, gilt fast ausschließlich dem Preise nahrhafter 



C Original from 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



- 417 - 

Magenstärkung;, und über den Hymnen, die all den trefflichen 
Gerichten gesungen werden, kommt das landschaftliche Bild 
entschieden zu kurz. Da wird elwa das von altersher seiner 
Küche wegen berühmte Hotel Matthis in Nietlerbronn mit den 
\ersen apostrophiert; 

«Villa Maddis), seboener Nammc, 
(Mauedroeschter, wenn de witl,) 
Denn sie isch für uns was d'Mamnie, 
Wo im Kind noch's Duettel gitt, 
Nur am Biberon siiri Spunde 
Henld der Schellack wie e Klaell, 
In d'r Babbsauce schwimme d'Schrunde 
Vum e Kaibskopf aierli nett. 

Oder die Aufforderung /.um Mahl (ludet so drastischen Aus- 
druck wie in den Versen : 

Als derzueghuckt ! nit lang griwle, 
Mitte in de grosse Schwärm, 
Kerwelkrütt un frischi Ziwwle 
Genn dV Fleischsupp stolz de Arm, 
Gfuellti Blatte, alli Sorte 
Wickle mer jotzt uowor's Rod. 
Kalti, warmi, zammt de kochte, 
Alles keijt in d'naernli Laad. 

Nicht zu vergessen natürlich des guten Tropfens, der auch 
außerhalb der traditionellen «Bardhie in de Neije» beim rechten 
Elsässer nie fehlen darf: 

Un dV Durscht t — denk i an zelle, — 
Mini Zung hett schwer gelutscht, 
Fascht e Dutzed Winbudelle 
Sin uas uewer d'Zaehn gerutscht. 

Dieses Gedicht, eines der ältesten der ersten Sammlung, 
ist übrigens darum bedeutungsvoll, weil es Alberts poetische 
Gestaltungskraft auf frühester Stufe zeigt und seine Herkunft 
vom einfach referierenden Gelegenheitsgedicht erkennen läßt. 
Es ist noch ganz kunstlos, ganz unstilisiert, ohne alles Gefühl 
für den notwendigen Abstand der dichterischen Schöpfung von 
der Realität des Erlebnisses. Die Unbedenklichkeit, mit der 
hier die einzelnen Etappen des Verlaufs, so wie sie sich dem 
raschen Geist des Dichters aufdrängen, aneinandergereiht sind, 
ohne den Versuch einer künstlerischen oder logischen Anord- 
nung, ist sn fem von «Literatur*, daß diese Verse formlich 
nach dem inüuiilichen Vortrag rufen und jedenfalls erst durch 

27 



Original frorn 
UMVERSTYOFMOIGAN 



— 418 — 

die Rezitation, wo Betonung und Gebärde über manchen Sprung 
im logischen Gebäude hinweghilft, zur eigentlichen Wirkung 
kommen. Bis tu einem gewissen Grade gilt das freilich von 
allen Matthisschen Gedichten, v.ie ja nicht zufällig beide Brüder 
vortreffliche Rezitatoren ihrer Vrrso sind. Sie alle danken 
ihre frische und plastische Unmittelbarkeit nicht zum wenigsten 
Hern Mangel an «Stil», und es ist immerhin merkwürdig, zu 
wissen, daß tatsächlich keines der Matthisschen Gedichte, wie 
doch heut« die überwiegende Mehrheit aller lyrischen Erzeug- 
nisse, unmittellar «auf dem Papier» entstanden ist, sondern 
daß alle diese Verse im Sprechen konzipiert sind and erst 
niedergeschrieben wurden, nachdem sie im lauten Vortrag 
gewissermaßen die Probe ihrer Eindruckskraft bestanden 
halten. Immer bleibt es so das gesprochene Wort, das mit 
aller Nähe und Eindringlichkeit der mündlichen Rede aus den 
Gedichten der Matthis zu uns spricht und das zur schriftlichen 
Aufzeichnung nur als zu einem unvermeidlichen Notbehelf 
greift. Das muß man sich gegenwärtig halten, um manche 
Derbheit, die wohl der mündlichen Sprechweise verziehen werden 
mag, richtig zu bewerten. Daß überdies auch bei allem Derben 
und Massiven der Dialekt recht eigentlich der Führer und 
Verführer ist, braucht kaum noch gesagt zu werden. Die elsässi- 
sche Mundart, der von je die kräftige Drastik des Ausdrucks 
in viel höherem Maße eignete als die Fähigkeit weicher ly- 
rischer Akzente — wofcwi um so erstaunlicher die Wirkungen 
diskrel-stimmungshafter Art bleiben, die namentlich Albert 
oft aus dem spröden Material zu holen weiß — bestimmt 
hier den derb-realistischen Charakter des Vortrags, ebenso- 
wie sie zusammen mit der Lebenssphäre, der die Dichter 
zugehören , der Phantasielätiglceit die bestimmte Richtung 
weist. 

Goethe hat von Hebel gesagt, er «verbaucro das Universum. 
Das heißt doch nur, daß der schwäbische Dichter in voll- 
kommenster Weise aus der Sprache und dem Vorstellungskreise 
seiner bäuerlichen Umgehung heran »schafft und sich überall 
ganz naiv den Standpunkt des einfachen und kindlichen Menschen 
zu eigen macht, der alle Dinge um sich her auf sich bezieht 
und von sich aus deutet. Bei den Matthis mag man oft Aehn 
liches beobachten. Auch sie stellen häufig genug mit einer 
köstlichen Unbefangenheit Gott und die Welt in ihren klein- 
bürgerlichen Lebensbezirk, um dann gleichsam mit gewohntem 
Hausrat dreist und lustig zu erhalten. Daraus ergibt sich 
denn bei der untrüglichen Sicherheit des Beobachtungsver- 
mögens, das diese Dichter auszeichnet, oft eine Symbolik, diu 
ihren Gegensund mit eben so drolliger wie scharfer Anschau- 



C Original from 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



— 419 - 

lichkeit auszudrücken vermag. Schon jene frühen lustig unbc 
hilflichen Verse, in denen Albert im ersten Bändchen die aus- 
zeichnenden Merkmale der vier Jahreszeiten, etwa in der Manier der 
alten Priameln mit vielen aneinander gereibten Vordersätaen 
und einem sie zusammenfassenden Schlußsatz, besungen hat, 
zeigen Spuren eines solchen ganz naiv aus dem bürgerlichen 
Umkreis schöpfenden Symbolismus. Drastisch genug war da 
etwa der Beginn der Sommerzeit damit angezeigt, daß «d'r 
"Wald de Buch nüsshebbt», eder es hieß von der winterlichen 
Natur; cS'Feld un d' Matte leijt in Gichter». Als eigentlichen 
Meisler dieser Art von Nalursymholik aber hat man seit seinen 
letzten eist nach Herausgabe der beiden Bandchen hervar- 
getretenen Publikationen Adolf anzusehen, dessen später und 
langsamer gereiftes Talent hierin seine reichste Entfahung gefun- 
den hct. Adolf als der weniger Lyrische ist nicht wie der Bruder 
von der Landschaft, sondern \om keck hingeworfenen Genre- 
bild, von der flotten Zeichnung allberiilimter Straßburper Typen 
ausgegangen. Was er aus diesem Bereich mit kräftig zu- 
fassender Charakteristik hingeworfen hat, isl in seiner Art 
vortrefflich, may er nun Hie rDoodedräjer» in ihrem schwarzen 
«Lappeschwani» malen oder die für Straßburg so wichtige 
«Gacnsstopfere», [eine vagierende cKoercbma^hersfamillb oder 
die gefürchteten und mißliebigen Zigeuner, den Schweitzer vor 
der Münsteruhr oder den jetat leider von seinem osüre Brot» 
verdrängten Kommissionär». In seinen letzten Gedichten nun 
ist alles das, was diese kleinen Augenblicksbilder so reizvoll 
machte, kecke Erfassung des charakteristischen Momentes und 
packende Drastik der Pinsel fdhrun«, aufs glücklichste dem 
Landschaftlichen zugewendet. Ganz unvermerkt vrird hier 
die Natur der derben Gemächlichkeit des kleinbürgerlichen 
Ddöeius einbezogen , erfährt die Landschaft eine gänzlich 
unfeierliche Symbolisierung, die ihre Zeichen den Lebensbe- 
dingungen jener behaglich-herzhaften Sphäre entnimmt. Da- 
bei weiß diese nicht etwa von außen hereingetragene, 
sondern von innen her die Dinge durchdringende Symbolik 
so scharf das Eigentümliche ihres Gegenstandes hervorzuholen, 
daß Hild und Ausdruck den innersten Geist der Landschaft 
auszusprechen scheinen. Da heißt es etwa vom Mond, der 
über dem alten Stadtviertel hinten am Zornmühlengießen 
aufsteigt : 

Wie g&chlaessi schmatzt Y üs'iii Spalte 
Vun dere Wolik, mit d'r Zung, — 

Er streckt sich z'Morjes zue de-n-Alde 

Un z'Owcs wurd 'r widder jung. 



Original frorn 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



- 420 — 

M'r maant, er gschbirt, mer inüehn 'ne brüche, 
Schulisch kutnmt Juan Naachtrucj d'Stadl erin, — 
Er sieht, dhuet er uff d'Schaffbrill hüche. 
Grad su wie e Professor drin. 

Aha, do kummt 'r jo ze schlaepple, — 

Mit Alle will V in'a Gercdd, — 

i; Bluttkopf ohne Ohrelaepple 

Wo d'Raenk un d'Stoess im SchlrQwwel hett. 

Oder es wird das Hereinbrechen 6er Johannisnacht mit 
einer auch das Trivialste nicht scheuenden und doch so unnach- 
ahmlich lebendigen Bildlichkeit gemalt: 

Stracks üs d'r Hoell kummt d'Sunn ze dahle, — 
«rD'Iemaenner» sin am Brenndewin, — 
De Deifel zeije d'Sunnestrshle 
Am Waddel in's Gewoelik nin ; 

D'Schaid dhuet ü*\ier Wind iu's ßoxhoru hetze, — 
Wenn hinnicht d'Naacht de Morje saijt, 
Hebsl's Früejohr uff de FJaafe setze 
Un für c Dür in's Bett gelaijt. — — 

Jetz schnappt d'r Daa — wo d'Züendwüerm zucke 
Schlupft üs'm Dudder d'lCanzdi Vüs, — 
D'r Mond dhuett nutf uff d'Reizel hucke 
Un däält as Pfedder d'Stsrn© üs. 

Und wie ist die sonnige Klarheit eines goldenen September- 
tages in dem schönsten dieserGedichte, «Drüss uff'm Gloeckelsch- 
berri», festgehalten: 

Im kloore Da« steckt e Gelfleschtel, 
Am Wald dort giti in aam Dhuea fürt 
«D'Uedilli» im «Sant Schaggobb» 's Brüeschtel, — 
I gschbier wie's mier aa grawli wurd ; 
I will de Wind in d'Scblücpf begleite, 
JNüss an de Draasack vun d'r Ehn, — 
Aan Acker um de-n-andre waide, — 
De Bluescht vun unsrem f.aendel sehn. 

Deutlicher last noch als früher, wo nur die Verschiedenheit 
der Stoffwabl eine äußerliche Abgrenzung- schuf, beten sich 
nun, wo sie sich auf gemeinsamem Boden der Landschafts- 
sr.hilriernng getroffen haben, die literarischen Physiognomien 
der beiden Brüder voneinander ah: Albert weicher, kontem- 
plativer, im Landschaftlichen dem Bildhaften zustrebend und 
immer suchend, die zerstreuten Einzelzü-ce zur Einheit zusammen- 



C Original from 

. ■■ 



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- 421 - 

zurunden, Adolf der spezifisch Krischen Begabung des Druders 
gegenüber eher zum Dramatischen neigend, alles Gleichzeitige 
in eine Folge rascher Bilder zerlegend, alles Nebeneinander in 
Bewegung und Handlung auflösend. Daß sich die Eigenart 
ihres dichterischen Stils, bei aller Enge des Zusammenlebens 
und -wirkens solchermaßen erhalten, ja im Laute der Jahre 
vertieft hat, ist nicht das geringste Zeugnis für die Echtheit 
ihrer poetischen Begabung. 

So gehen sie ihren Weg, unbekümmert um flüchtige 
Augeriblickswirkung, jeder für sich und doch stets die Gemein- 
samkeit des Zieles vor Augen : in ihren Versen ein Denkmal zu 
schaffen der geliebten elsässischen Mundart, die ihnen teures 
Vermächtnis der Väter und Ausdruck und Symbol alles dessen 
ist, was ihre Herjen mit der elsässischen Heimat verbindet, 
und was es gilt, in treunütender Liebe zu bewahren; 

S'hett uns am Erbstfieck vun ile-n-Alde 

An unsrem aijene Laeadel do 

Kaan Mus ksan Faade abzebisse, — 

Vor unsrem Elsas? d'Kabbe ab, — 

Un wenn mer's noch so hoch dhuel schmisse, 

Ze tallt's wie d'Katz uü" d'Uaan erab. 



Original from 



UMVERS TYOF MC HIGW1 



XXJIl. 

Neuere Gedichte in Straßburger 

Mundart. 

1. cHitt gruttle msr bi Wind uu Sturm 

Uff d'Schneofce nuff vum Münschterdhurm.» 

Ton 
Albert Mvtthis. 

Kaan Kneck«s hebbt raeh in de Hosse, 
Kaan Pflaschter bliet' ae an d'r Sohl, 
Sie schlaue's Rädel #rad wie gschosse, 
'S isch DafFwi «n e leid's Gramhol, 
Un d'Alde hirze as wie gstoctie, 
Sie dretle binde niis gesch druff, 
Un ihri aide, müede Knoche, 
Sic nemmc's mit de junge uflT, 
Wena's haiüt: im Kinnö d'Letscht gebacht. 
Jetz i'Daan in d'Hdnd, 's isch üsgemacht, 
Hitt grattle mer bi Wind un Sturm, 
Uff d'Scbnecke nuff vum MGenschlerdhurra. 

Fesclit am Saal gbeblit ! lüpfe d'Scbunke, 

Rutscht mer kaaner üs' m Gleis, 

Denke nit an d'Schwindelfunke, 

'S koscht e mancher Sehoppe Schweiß, 

Bis mV us d'r katzepröuie 

Mür uff d'Plattform spanne kann, 

Un bis mer de letsnhte Höuje 

Vun d'r Stüj genumroe han. 



"N 



Original frorn 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



— 423 — 

Luej wie klaan jetz d'Litt schun echine, 

Maansch grad 's surrt e Dopf im Wuet, 

Un Lisch dran 's $hoerl Alles dinne 

Wo do drunte zawle dhuet, 

Un do siesch ererscht dernewe, 

As aa du gar wenni bisch, 

Un as e' 30 Menschelewe 

Nit viel nrieh as cd'Rehgais* isch. 

Sachle jets dess Eck genumme, 
D* Slüj lonn leije rechter Hand, 
DrCeckle d'Stirn ab, denn mer fcumme 
in de Durichzuck miinand, 
D' Leitcre nuff bis lascht an d'Schindle, 
Zue dV große Gloek derno, — 
Starik zwarzigdöuisig Pfündle 
Gu*d gewönje, henkt sie do. 

Un wie rnej dhuet sie do henke, 
Un wie nett iscta's wenn sie litt, 
Un was mucss sie Alles denke. 
Zitier dere lange Zitt» 
Viel hell sie do mm sehn drämple, 
Viel dervuri sin um de Kehr, 
Un sie wurd aa lang uueh bämple, 
Wenn aa ich sie nimmi hör. 

HanY sie jetz recht gemesse, 
Sin'r no vum Lueje müd, 
7e haisst's 's Drinkgeld nit vergesse 
Für Ue "Wächter wo sie büt, 
Noch e Blick jetz ufTs Mirakel, 
Un no witlersch nuff im Drabbj 
*S Firlatcrnel, d'Sturmglockfackel 
Wart schun in d'r Sidekapp. 

Drowc dort de Glockeglipfel 

HeU e Sperwer schun im Bschlaa, 

Un rueft uns vum Münschterzipfel 

Jetz de Morjegruess eraa, 

Gsichsch schun_d V$cbte Krappesch aicho. 

D'Spierle" hörech im " Dhurm dort drin, 

Dess isch gar kaati letzes Zeiche, 

As mer jetz ball drowe sin. 



Original frorn 

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UMVERS TYOF MICHIGAN 



— 424 — 

D'letscht Portion wart uffs Verdrucke, 
D'Ietscbte Stapfle, J s sia noch swei, 
Rutsche drüwer grad wie d'Mucke, 
D'finscht BaschteetkufliniLcröcbl aud'Reih, 
'S haisst noch zweimol d'Füss verstelle,' 
Leije drei Zoll noch derzue, 
HanV d'Wnchtstubb an de Schwelle, 
Un aa d'Plattiorm an de Schach. 

Griwle mer nit üwer d'Sorje 

Jelz do howe, aldi Friend, 

Für um: spielt jo verlicht Morje 

'S Wälterßhnel mit >m Wind, 

Do fehlt wie im Kloschtergaarde 

D'Welt mit ibre rücbo Loen, 

Nur dV cSchajfgob» mischteli d'Kaarte, 

Un d'r «Schambediss> schlaat cZehn». 

Genn' ne d'Hand, de aide Wächter, 
Denn sie kenne uns, i well, 
Durich zelle grosse Drächter 
Hau sie schun mit uns geredt, 
Gschpanne han mer do as d'Ohrc, 
Ihri Wort han uns nit gfrail, 
\wer u«ecri gröechie Cfohre 
Han sie gsehn un uns ge-zait. 

Un du helfech*nc d'Arwcit mache, 
Stolz henksch do, un dach wie drey 
Dhueacb für anser Lewe wache, 
Aldi Sturmglock, aldep pays ! 
Du hülsen d'Stadt un d'alde Nüre, 
Un wenn i as dich bedraweht, 
Denk i d'Sorje lonn versöre, 
UfTm Miinschter henkt jo d'Waacht! 

D'Firlatern stellt d'Aue iinschter, 
Un's <rot Fähnel» glürt un lacht 
In de Glockedhurm vurn Münschter, 
Ob denn d'Sturmglock nit verwacht; 
Hörsch de groese «Bimbam» bocke, 
'S Ührewerik irn Prozeß, 
D' Wächter d'Müenschterdüwe locke, 
D'Slund schlaat für in d'^EIfermess». 






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— 425 - 

Uff'ra Müenschterplätzel schliche 
D'Litt in d'Kirieh; siesch de Wind 
Sachte um de Srhlnjwplat/ wiche 
Mit'n Sturm, un d'Sunn sie zünd 
Uns jfitz vorncdraan am Stecke, 
Werzina, dess isch e Fraid, 
Sie begleit uns uff d'vier Schnecke, 
Un lüpft d*Stadt iu's Sundaakleiri. 

Aldi Stadt! <iü echoeaer Wappe ! 
Symbol blenkel stoli in d'Welt, 
Un hebb d'Sprooch, wo in de Kappe 
D'Aldc uns lian annegslelli, 
«Isere Mannt, spren? dQ de Gaarde, 
No schlaat aa d'r Sood gued üs, 
Dinni Blueme, d'rüch un zarte, 
Bas&e in de grosse Schtrüss. 

Vor uns steht d'r Bluemewase, 

Manchi isch schun nawes nüs, 

'S leijt schür manchi underem Rase, 

Bim Sankt Collem&ttel drüs, 

Aa uff uns wart dort dV Scherwe, 

Uns aa steht dort's Dhörel uflf, 

'S kummf 9 Zttl ze gratlle mier aa - 

Nimmi uff d'vier Schnecke nuff. 



2. Driiss uffm «Gloeckelscliberri» 

Von 

A d o lp h c Matthls. 

1. 

Wer pfuscht eych do in's Herrelewe. 

Ihr Risse drüewe bi Odrolt? 

Drüss steht e Mannsbue in de Rewe 

Wo in eych alle wechsle wott, 

E Krüpfel newe-n-eych, ihr Schloessle, — 

Van eyrem Stamm boom küm e Blaelt, — 

Un doch aans vun de-n-aeltschde Schocsslc 

Wo *e Bodilogras je ghurzelL hell. 






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— 426 - 



2. 



Wo 's Gaisekiricbel as isch gstaade. 
Wo jelz d'r Döod fischt mit d'r Gert, — 
Wo cd'Blaeser BGre» d'Knoche lande, 
Wenn 's Grnndloch hungri 's Müll uffsper/t, 
Uorl biet es ufl" de krumme Scholle 
K Dhüernel in d'r Daec-belskahb 
— E kerzegrader Keitlaadstolle — 
Vum Gbeckelschberri d'Zitl erab. 



3. 

CJn wie e Lockmeis fangt d'r Koohe 

Mi uff de Buckel, aisgemach, — 

Stibbeij«! gitt'r mit de Doobe, 

Un nennrat mi mit an 's Kabbedach 

NufT uff de Dhurn nuff, wo vor Zilie 

D'r ItosseJ hett am Strang gelirt 

Für 's Zaiclie mit d'r Glock ze litte 

Wenn d'Landwaacht ebbs im Gai hett gschbirt 



4, 



D'r Wind verzapft e Luft vum Haehnel 
As ob hilt d'Frucht verspringe sott, — 
Er dräijt mi wie e Welterfaehnel, 
Ball dilt i hischt, ball hindchott, — 
Er laijt mer d'Otire wie de Haase, 
D'r Milldau will mer d'Laepple nin, — 
Im ganze Kehr wo ri'Ane graase 
Spielt 's Dhüernel mit sirn WidJersobiu. 



5 

Im kloore Daa steckt e Gelüeschtel, 

Am WaM dorl gilt in «am Dhuon fürt 

«D'Uedilli» im «Sant Schaggobi s Brüeschtel, 
I gschbier wie ! s mier aa grawli wurd ; 
I will de Wind in d'Schlnepf begleite, 
Nüss an de Draasack vun d'r Dm, — 
A$n Acker um de-n-andre waide, — 
De Bluescht vun unsrem Laendel sehn. 



C Original from 



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— 427 — 



e. 



E Driwelkocher vum c Riffe 

Hett 's üewernaechli Reeblaub gspritzt, 

Bis nüewer wo wie d'Origelpfifle 

H. «Kolbse» di« Zil Beide sitzt ; 

Wie d'Oole schliche dpunde d'Stroesale, 

Mit Nüsse gepickt wie Marzepan, 

Un drüewer drudle d'Ziwwelscheesle, 

Her maant e Schilkrotl laaft 'ne dran. 



7. 

Wie 's Brischel druuder hurtebusselt, 
Ua wie dV draecLti Bodde schwitzt, — 
D'r SpatzeQu^K in d'Obsbaam schusselt 
Un 's Erjerbacchel d'Matt nnbb blitzt! — 
Wie aans um 's ander van de Schwaeimle 
£ Müeckel üs ce-n-Ahre draat 
Bis as am Schirdhoor üs de Haelmle 
D'r Drescher sine Daalutui gebleut ! — 



Dort kurame d'B&reknecht ze blotze, 
Sie drabbe-n-ihri tBoeclo in d'Schwemm; 
E jedi Kiitt wo d'Uaens schmarotze — 
Was i uflTs Gaewele do nemm — 
£ jeder Scholle wo vum Wetter 
Verbuckelt isdi — was ^elt's gewett — 
Han unsri Ur-un-Urjrrossvaedder 
Schun uff d'r Steclischoor sitze gnett. 



9. 

Sie han vor uns as ulFm Bodde 

D'Krüttsetzli ös d'r Bruel gezopft, 

De Hampfsoot gslraijt bis uff «San! I^tte» — 

Un uff de Sootsack 's Raeteel gslupft ; 

As wo e Birel uff de Slüeckle 

Schun z'Acker fahrt im Morjestern — 

Wo 's haieet, ebb d'Sunn echint, d'Stirn abdrüecklc, 

Do laije d'Hand ins FIr für d'Ern. 



f~" Original from 

. ■■ 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



— 428 — 



10. 



Un vor mer leijl sie fruchber drunte, — 
As in de csiewe feite Johr» 
Kaan Sunn so dief helt nsbbgeiunde — 
As i de Spruch in 's Dhfiruel bohr : 
cSchunn Johr un Daa sin fremdi Freijer 
«Uff d'Buehlachaft vun dem Laendel gstraifl, 
cHan Ü wacht Buewe, denn 's isch eyer 
«Was d'Ürgrossvaedder han gedaift.» 



Original from 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



XXIV. 

Chronik für 1909. 

1. Mai: stirbt Eduard Spach, emeritierter Pfarrer von 
Lichtenberg, heimatlicher Dichter, geb. 7. III. 1836 in Weinburg. 

2. Vfai : Einweihung des Mündeldenkmals am Panorama- 
felsen bei St. Odilien (Reliefbild von W. Eberbach). 

16. Mai ; Einweihung: des Möndelturms auf dem Heidenkopf. 
19. 20. Juni : Generalversammlung; des Vogesenclubs in 

Urbeis. 

11. Juli: feiert der langjährige Präsident des Vogesen- 
clubs Geh. Reg. Rat J. Euting seinen 70. Geburtstag. 

15. — 18. Sept.: Deutscher Hi6torikertag in Straßburg. 

17. Sept. : er Michels ngelo» von Hans Karl Abel wird auf dem 
Stadtthenter in Straßbur^ aufgeführt. 



Original frorn 

■- 



UMVERS TYOF MICHIGAN 



XXV. 

Sitzun gsberichte . 

1. V o rst a n d s si t z u n$< 

am 16. Januar 1S10, vormittags lO'/j Uhr, im germanistischen- 
Seminar der Universität. 

Anwesend dio Herrer Bceraclmans, v. Borrieu, Huber, 
Lienhart, Luthmer, Mortui, Henaud, Chr. Schmitt, Stehle, 
Wallher, — Entschuldigt die Herren Harbordt, Kassel, Lempfcid. 

Der Vorsitzende herinhtet fiber die Mitgliederzahl des Zweig' 
Vereins und regt an, der Hauptversammlung die Wahl von 4 
neuen Vorstandsmitgliedern und eines Stellvertreters des Vor- 
sitzenden vorzuschlafen, womit der Vorstand einverstanden ist. 
Erwähnt wird sodann je ein Dankschreiben des früheren Statt- 
halters Fürsten zu Hohenlohe-Langenburg; und des Staatssekre- 
tärs Baron^Zorn v. Bulach für die Ueber&endung des 20. Jahr- 
gangs unsres Jahrbuchs, und jaußerdem verschiedene andere Zu- 
schriften, von denen der Torstand Kenntnis nimmt, darunter 
auch Bitten um Unterstützungen, die aber abßelehnt werden. 

Die für das nächste Jahrbuch bereits vorliegenden Beiträge 
werden beaprochea und zur Beurteilung an einzelne Vorstands- 
mitglieder verteilt. | 
£Es folgt darauf um 1t Uhr die 

»Allgemeine Sitzung, 

welche der Vorsitzende mit dem Hinweis auf seinen Gesund- 
heitszustand eröffnet, der in diesem Jahre die Verschiebung 
der Hauptversammlung nötig machte. Er berichtet, daß der 
Zweigverein z. Z. 2770 Mitglieder zählt. Er schließt aus der 
beständigen Zunahme der Mitgliederzahl auf das wachsende 
Interesse, das für den Verein vorhanden sei, sowie auf seine 






UMVERS TYOF MICHIGAN 



— 431 - 

Daseinsberechtigung, bringe doch das Jahrbuch Arbeiten und 
Abhandlungen, die in anderen Zeitschriften verschwinden würden. 
Die Versammlung teilt den Wunsch des Vorsitzender, an dem 
Vereine festzuhalten und ihn zu weilerer Blüte zu bringen« 

Zur Neuwahl des Vorstandes schlägt Herr üeheimrat 
Dr. Wolfram vor, den alten Vorstand durch Zuruf wiederzu- 
wählen, wogegen ein Einspruch nicht erhoben wird. Außerdem 
werden dem Vorschlag des Vorsitzenden tentsprechend neu in 
den Vorstand gewählt die Herren Geheimrat Dr. Wolfram, 
Dr. Winckelmann, Dr. Kaiser und Ehretsmann (Mülhausen i. E.), 
und für den Fall der Verhinderung des Vorsitzenden wird Herr 
Geheimrat Dr. I.ufhrner als stellvertretender Vorsitzender be- 
zeichnet, der später auch die Leitung des Vereins übernehmen 
soll. Die Versammlung ist damit einverstanden. 

Herr Prof. Dr. Wiegarid berichiei sodann über den Verlauf 
des letzten Hislorikcrta-.»s, bei welcher Gelegenheit 200 Abzüge 
ütisres Jahrbuches übergeben wurden, und der Kassenwart Herr 
Dr. Huber legt Rechnung ab über das abgelaufene Geschäfts- 
jahr : einer Einnahme von 4925,93 M. steht eine Ausgabe 
von 3ö£9,?3 M. gegenüber, so daß der Verein aufcenbhcklir.h 
über ein Vermögen von 1324.20 M. verfügt. Bis zur März- 
sitzung; sollen die Itechnungsbeläge durch die Mitglieder CuJIIec 
und Schweickhurdt gcpiüTl werden. 

Auf Jbesonderen Wunsch des Direktor? der Unhersitlts- 
und Landesbibliothek werden der Bibliothek atatt der bisherigen 
160 Abzüge zu 1 M. in Zukunft 2C0 zu dorr gleichen Preise 
überlassen. 

Zum Schluß hielt Herr Prof. Dr. Mortin den angekündigten 
Vortrag über zwei Spottgedichte auf die Slraßburger Umgebung 
der Dauphine Marie-Antoinette 1770. 

Schluß der Silnin; 12 Uhr -10. 

2. Yorstandssitzung 

am 16. März 1910, nachmittags 3 Ihr, im germanistischen 
Seminar der Universität. 

Anwesend die Herren Beernelmans, Ehretsmann, Euting, 
flarbordt, Kaiser, Lienhart, Luthmer. Martin, Kenaud, Chr. 
Schmitt, Stehle, Walther, Wiegand, Wulfram. — Entschuldig! 
die Herren v. Borries, Huber, Kassel, LernplYid, Menges, 
Winukelmann. 

Der Vorsilzende legt die eingegangenen Beiträge vor, stellt 

den ungefähren Umfang des nächsten Jahrbuches fest und ver- 
teilt die Arbeiten zur Beurteilung unter die Mitglieder, soweit 
dies noch nicht geschehen ist. 



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Hon- Geheimrat Dr. Wolfram wird ermächtigt, im Namen 
des Vereins die Verhandlungen zu führen mit den gelehrten 
Gesellschaften, mit welchen der Verein- in Zukunft in Schriften- 
austausch zu treten gedenkt. 

Nach Feststellung der Chronik und der Bezeichnung des 
Sitzungslokales für die Novemberversammlung erfolgt zum Schluft 
ein lebhafter Gedankenaustausch über das Tolkslieduntemehmen. 
Es wird bemerkt, daß einige Besitzer der Liedersammlungen, 
die nach Mündels Tod an Herrn Prof. Henning übergingen» 
anfragen, was damit gescbehn sei. Der Gesanitvorstand ersucht 
den Vorsitzenden, sich \m Prof. Henning danach zu erkundigen 
und ihn m bitten, er inOchle sich in der uäcUAleu Sitzung 
darüber äußern. 

Schluß der Sitzung 4»|i Uhr. 

Der Vorstand besteht z. Z. aus folgenden Herren: 

1. Prof. Dr. Martin, Vorsitzender, 

2. Geheimer Regierungs- und Oberschulrat Dr. Lnthmer, 
stellvertr. Vorsitzender, 

3. Rcalschuldircktor Dr. Licnharl, Schriftführer, 

4. Kaiser!. Notar Dr. Huber, Kassenwart, 

5. Staatsanwalt Deemelmans, Zabern, 

6. Oberlehrer Prof. Dr. v. Borries, 

7. Mittelschullehrer Ehretsmaun, Mülhausen, 

8. Geheimer Regierungsrat Prof. Dr. Euting, 

9. Oberlehrer Prof. Dr. Harbordt, 

10. Archivdirektor Dr. Kaiser, 

11. Kantonalarzl Dr. Kassel, Hochfelden, 

12. Gymnasialdirektor Prof. Lempfrid, Hagenau, 

13. Kreisschulinspektor Menses, Weißenhurg, 

14. Geheimer Regierungs- und ScLulral a. D. Renaud, 
16. Regierungssekretär Christian Schmitt, 

16. Geheimer Regierung- und Schulrat Dr. Stehle, 

17. Lehrer Theobald Walter, Rufach, 

18. Geheimer Archirrat Prof. Dr. Wiegand. 

19. Archivdirektor Dr. Wirickelirianii, 

20. Geheimer Regierungsrat Dr. Wolfram, Direktor der 
Dniversitäts- und Landesbibliothek. 



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