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GESCHICHTE, SPRACHE UND LITERATUR
ELSASS-LOTHRINGENS
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HISTORISCH-LITERARISCHEN ZWEIGVEREIN
DI3
VOGESEN-CLUBS
XXVI. JAHRGANG.
STRASSBURG
J. H. ED. HEITZ (HEITZ & MÜNDEL)
( \n -* iL- Orgiia fron)
'^" JlIVtfömUtMUlKAI
/ Oroinalfrcrn
JNVERSTYt^MCHKSAI
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36 7C-C
Inhalt.
Seil«
I. Gedichte, 1. Dem Präsidenten des Vogcsenklube, Ge-
heimrat Professor Dr. Enting, zum Eintritt in den
Kuliestand and seil einnndfiiebEigstes Lebensjahr, 2.
Dem Herategeber des Vogosenklub- Jahrbuchs, TJniver-
sitjitspror'cäüor Dr. Marlin, beim Ausscheiden st» dem
Hoehscfculimt, 8. Vor dem Akatietf, 4. Sylvesterspruch,
ö. Kurh&ns Bocken von Christian Schmitt.
6. Auf Sankt Odilien von Ä jguat Dietz . . . 1
II. Das Armen- und Krankenkaeienwesen des mittelalter-
lichen Sttaßburg von Martha Goldberg (Fe rt-
SBtSQIl^) 8
HI. Eid altes Anniversarienbuch des Klosters St. Morand
bei Altkiroh von Theobald Walter (mit Abbil-
dungen; 69
IV. Die bnrgnndisehe Hystorio und ihr Verfasser von K.
Schneider 9&
V. Ein unbekanntes Gedicht von SebasÜau Brant mitgeteilt
von Karl ötonzol , . 165
VI. Die Scki'UengeselUchaften im Oberen Mandat von
Aug. Herttog-MetÄ . 167
VJi. Sprachliches aas Straßbuigäx JUtsprotokolIec (der
XXI) mitgeteilt von L. Müller 193
VIII. Ein Beitrag aar Geschichte des oberels&ssischea Weia-
banes von Wilhelm Beamelmans ...... 200
IX. Ein Aktenstück des Ffalsgrafen Georg Bans von Yel-
denz-Lützel stein cur Gründung* einer deutschen Flotte
mitgeteilt von G. Wolfram 217
X. Alsatia antiqna. Bild von L. v. Kramer mit Erläute-
rungen von K Martin 225
XI. Zu Mündels «Haus Sprüchen und Inschriften» ven F.
Monte- Colmar 990
XII. vvnitha-t Spanien berg, GeachUnte des Meistergeaanga
von E. M , . . 231
XIII. Dan Wanderbuch eines eh&ssischen Schneiders von
1607 bis 1514 ron Theodor Renaud 231
( Orghä frorn
JlIVlßllfül-MtHKiAl
— IT —
Seit«
XIV. Eia Spottgedicht auf die Straßburgcr Umgebung der
Daupaine Marie Antoiiiette und die Antwort darauf
1770 mitgeteilt von E. Martin . . 250
XV. .Iiiiiiin Rcnadiet Selierar, ein Straßbnrger Aulonomist
der Revolutionszeit von Theodor Renaud . . . 276
XVI. Carolina Flcgoliana mitgeteilt von W. Teichmann 204
XVII. Traamgedifiht eines WainbnrgerR von Adolf Ja-
coby -Weitersweiler 320
XVIII. Eine geistliche Auslegung: des Kartenspiels von Adolf
J a co by- Weilersweiler 32ö
XIX. Sagan und VolkstfimUchee aus Weitemweiler und
Umgebung von Adolf Jtco by-Weitersweiler . 399
XX. Tagebuch Ludwig Sp&chs über seine ertte italienische
Beisc 1825- 182t» herausgegeben von 0. Wiiickcl-
raann 340
XXI. Gedichte in StraiSburger Mundart von Frau Charlotte
EngaUiardt-Schweigrh&UBer mitgeteilt von EM.. . . 39s
XXII. Die Brtttler Matthls von Ernst Stadler . . . . 40j
XXIII. Neuere Ocdichte in Stroßburg-or Mundart. 1. .Ilitt
grattta in ^r bi Wind und Stnrm, uff d' Sehnftf.kft nnff
vum Münsehterturm» vjn AI bert Hat l bis, 2. Drilss
uffiu «Gloecklschbarri» von Adolphe Hatthis 422
XXIV. Chrcnik iiir liKtt) 42*J
XXV. Sitzangsberichto 4"K)
Uigiliioc . >. -o. JMVU4IIWMUHWI
I.
Gedichte.
Von
Christian Schmitt
I. Dem Präsidenten des Vogesenkluba,
Geheimrat Professor Dr. Euting:,
zum Eintritt in den Ruhestand und in sein
einundsiQb2igstes Lebensjahr.
(Gesprochei bei dem Abendfest im »Tivoli» «u Straubing
am 10. Juli 1909.)
Der Urgeist aus des Wasgaue Uüchbe/-irken
Ist dieser feierlichen Stande Gast.
Er kommt, ein trntzhaft unermüdlich Wirken
Zu krümm unter uns bei froher Rast
Der Jahre denkt er, da sein Reich verschlossen
Mit all der Füll o tiefster Wunder lag,
Bis ihm der Zaubrer kam. der unverdrossen
Den Lichtstrom seiner Kräfte rief zutag.
Wir kennen ihn, den Waekcrn, der zersprengte
Den alten Bann und Weg* und Ffad gebahnt
Durch Felb und Furst. Kühn zum Erwachen drängte
Dornröschen er. in Schönheit lang geahnt
Daß Bcfileierlos den Reichtum ihrer Reize
Die Holde zeigt: er sei dafür geehrt!
Und daß sie nicht mit ihren ftihen geize.
Sein liebreich Werben hat es sie gelehrt.
Der Jubel, den von tausend sichern Wegen.
Von Berg and Bnrg erhebt der Wandrer Schar,
Ihm klingt er hell au Preis und Lob entgegen,
Der uosrer Heimathohn Erobrer war, —
( \n -* iL- Crciia fror«
Uigiiizcc .^.o. JMVtföllYWMUHWI
— 2 —
Ihm und den Tapfen, die sein Wort begeisternd
"Und ftiolgcwifi znm großen Werk geführt,
Tatfest den stumpfen Widerstand bemusternd
Und nie von Spott noch Ungunst je berührt.
Ton Volk zu Volk half bauen er die Brücke,
Doch klar erkannt als ganzer deutfichar Mann,
Der, echt and ohne Falsch, mit gleichem Glücke
Den Eingang auch in jedes Herz gewann.
Was forschend er der Wissenschaft ^evesen
Und was er ratend rings und helfend uchuf,
Auf rnhmbeglänatcn Blättern stoht'fl zu lasen,
Und auch die Ferne weiß von seinem Ruf
Daß aber, wohl bewutit des eig'aen Wertes,
Als Mensch er schlicht in seiner Seele blieb.
Das machte sein Erscheinen, sein begehrtes
Und gern begrüßtes, allen doppelt liefc.
Htm, da von früchteschwerem Tun 6ftin Wille
Zur Abendruh gemächlich kehrt den Schritt,
Vom regen Pflichtg^schäft auch in die Stille
Geht unser Dank und unsre Treue mit.
Wie droben, iiberai Gieaawall aufgerichtet.
Der Steinturm seinen biedern Namen trägt
So sei die Zukunft auch für ihn um lichtet
Ten edler Freundschaft, die kein Sturm zeraühlägt!
AU Stärkung werde «ie von ihm empfanden,
Und was im Zeitstrom auch hinuntertreibt :
Wir sind mit ihm, sr ist mit ans verbunden,
Und unser war er, wie er unser bleibt!
2. Dem Herausgeber des Vogesenklub-
Jabrhuchs,
Universitätsprofessor Dr. Martin,
beim Ausscheiden aus dem Hochschulamt
{Gesungen von der Feslverisaramlung bei der Ebrenfcier im
<BäckehJesel» zu Smiöburg am 20. Februar 1910.)
Wir ehren und erheben
In dankbewegtem Kreis
Ein sebön erfülltes Leben
Mit lautem Lob und Preis.
Der Teure, deu wir meine«,
Gehl aue der Tat nur ßuK,
Treu bringen ihm die Seinen
Den Gruß uer Liebe zu.
( v , . ,1,. ürcha frern
Ul 9'"" '1> K JMIVtHbJnOI-MC.HK.AH
— 3 —
Wie stand im Werk nnd Wollen
Er rein and jrat nnd echt!
Beschenkt hat ane dem Vollen
fie.Rfthlfir.ht er nm OiRthlecht.
Mild war, wo er erschiene«,
Sein Wort uud »eine Hand,
Und immer war sein Dienen
Ein Dienst fürs Vaterland.
So viel die Zeit zu dampfen
im Herzen hat vermocht.
Er scheute nickt ror Kämpfen,
Die stark sein Wort durchfocht.
Gern schlüge fremdes Trachten
Das freie Recht in Bann ;
Wir aber wollen achten
Den edeln deutschen Mann.
Die Sa&t aus langen Tagen
ftinfj anf in Halm nnd Keim;
Der Kinder Enkel tragen
Daraus noch Garbea heim. —
£ieh, wie Dein Jb'eld sich weitet.
Zu stiller Schau bereit!
Wie Segen Dn verbreitet,
Sei Segen Dein lidleit!
3. Vor dem Abstieg
Sahen färbt der Bergwild sich im herben,
EritUhltea Spathauch bunt and fahl.
Die Blumen welken hin und sterben t
St c ran lieg^ und nebelgrau das Tal.
Was hold entaproßt den lauen Nächten
Und was gereift die Sommerzeit,
Das fillt zum Raub den dunkeln Mächten
Dor siegenden Vorg>ngflishkeit.
Wir aber stehn nnd sehn dem Kommen
Der starren Ocdc lüclieltd fil;
Was auch im Frost uns wird genommen.
Das Eerz erträgt's in guter Ruh.
Vor keinem Stnrm zerbricht der Glaube,
Daß u1Il;b Lebeu muß beoieUu ;
Uni wird auch, was da blüht, zu Staube :
Nea keimt ein Werden im Vergehn.
üigilücc ■-, >. -o. JMVUCsmWMUHWI
— 4 —
4. Sylvesterspruch.
Sinkt, hinab nur. Tag and Standen.
Wie daß Schicksal es bestimmt!
Bleibt genug* ons doch verbunden.
Was kein Wechsel von ans nimmt
Kehrt das alte Liekt nicht wieder,
Neue Sterne scheinen nieder.
Deren TroBt uns hell erglimmt.
Viel ist hinter ins geblieben,
Und zurück tragt »na kein Stoff \
Doch zum Str«bon nnd zum liehen
Liegt auch vor uns frei der Weg.
Nor nicht zagen, nur nicht schwanket.
Denn von Kräften und Gedaukcn
Ist der Geist noch frisch und reg!
Steht zam Wirken nicht und Basen
Rings das Feld um uns bereit?
Klar r.um Huflea und Vertrauen
Blaut der Himmel, hoch und weit,
Dnd in Tränen wie zum Scherzen
Gibt die FreunJechaft warmer Herr.eo
Hent wie gestern las Geleit
5. Kurhaus Bocken.
Ueber Hcrgen am Zürichsee.
(Meiucn Züricher Fronden im Hause Leopold Meyer
zbi Erinnerung:.)
Wie winkst du hell aus grünem Kranz
Von deinem Hochsitz droben,
Du gastlich Heim, vom Sonncnsrlans
Mit lichtem Gold am woben !
In blauer Ferne tief verhallt
Der Lärm der Welt, der schrille.
Durch deine Räun;e friedlich wallt
Ein Hauch verklärter Stille.
Hier ist der Ort, wo, frei vom Bain
Der eitelu Lebenslügen,
Die Seele neu sich klären kann
Zu seligstem Genügen.
In Freiheit frok darf eich das Hera
Am Sehonheitskertj berauschen
Und um der Sergen Qual und Schmers
Das Glück der Hoffnung tauschen.
Uigilizcc . «. -o. JMvU4IIY(*MUHWI
— o —
Breie dehnt sieh unterm Ziegeldach,
Vom Altersernst umschauen,
Der Bau, der manche* tngemach
Ter Zeit hat überdauert.
Di« Schatten vripfcl am ihn her
Im Wind die H&npter wiegen
Vom Hang, an den sich traubenschwer
Die Rebenreihen schmiegen.
Leis lockend rührt im Mattensaum
Her Wald die dunkeln Zweige.
Als ob er unter ßu&cl* und Baum
Viel Heimliches verschweige.
Am Bach, der aus der Kluft ins Tal
Sich stürzt mit wildem Schäumen,
Lädt sieb's im weichen Dammerstrahl
Gar saß and wonnig* träumen.
Zu Füßen spiegelt Lrf&r der See
Die grünen Uferkreise.
Wo ist des Sangers Mund, der je
Ikn wahr und würdig preise?
Solch ungezählten TJeberschwang
Von märchenhaften Bildern
Weift kßiner >prach& Wort und Klang
Erfcchuufrnü auszuschulen-.
Stolz reckt der Eieseilierge 8tirn
Empor sich in die Lüfte.
Weißlockig fällt der Silfcerfirn
Herab zur Felsenhufte.
I De uiiii;; beugt der Mensch das Knie
In seiner Kleinheit Blöße
Vor dieser Formcnrurroonie
Und ihres ächöpfers (Jröße.
Das ist ein Reichtum, drin der Blick
Anfstaunenri satt sich badet.
Wchl jedem, den ein Huldgeschick
Mit solcher Schan bognadett
Wchl jedem, dem nach Leid und Harm
Hier eine Rast beschieden!
Er sage fürder nicht, daß arm
Geblieben er hienieden !
Auch ich in dankerfüllter Brust
Will dein Gedächtnis wahren.
Du Stätte, wo mir reinste Lust
Und Liehe widerfahren!
f
( 's\ * iL- Oroiia frorn
' ^" JIIVU&m0>M(.HKAI
— 6 —
Gott, der durch Stnrm und WetteTgraus
Bis hierher dich getragen.
Er schirme dich, du freundlich Baus,
Bie eu den formten Tagen !
6. Auf Sankt Odilien».
Von
August Dietz.
Ein pracht'ger Abend *ut den Wasigrenhö'h'n.
Am Horizont, in purpnrros'gem Prangen,
Den Himmel weit verklärend, raärchenscliÖD
Dia müde Sonne war zur Buh' gegangen ;
Langst war verweht den Tages wirr Getiin,
Im aiwergrase nur die Grillen Baugen
Ihr heimlioh Lied — eonet feierliches Schweigen:
Die Stunde, wo die Geister niedersteigen.
Fern strahlte noch — ein Sviinebclieidekuß —
Hcca auf dem HoehfeM ein verblüh'nder Schimmer,
In meiner Kähe auch, in letztem Gruß,
Odilieub Eluausr streift' ein gvldiiez Flimmer, —
Doch biß znm tränten Tälchen, mir zu Paß,
Der Glanz, der malerische, reichte nimmer:
Auf iN'iedeimünsters traumemehen Hatten
Sehen wob die Dämmerung die dunkeln Schuten.
Ca plötzlich eine schimmernde Gestalt,
So m&rchcnlicblich, en dem Waldcsraade,
Voll myfit'schor Weihe langsam niederwallt,
Eil Lichtgeblld aus sei 'gern Wunderlande,
Und mich ergreift's mit magischer Gewalt,
AU sie mir naht' in strahlendem Gewände,
Herzlich u inloht von FliranierBoiuieiigoMe ;
Die Mnse war's, die süße, minneholde.
Sie sprach zn mir in sanftem Flüsterton,
He laug zu mir, wie in seraphischem Sänge.
«Dein Tag zur Neige geht, o Erdensofcn,
Im Pilgertalc wallest nicht mehr lange
Die nächtig- dii ßtern Schatten nahen schon.
Und deine Sonne ist in Untergänge:
Mlk' sie« als schönste der Apotheosen,
Kook hauchen einen (Jlanz von blüh'ndcn Jtccor !
Prolog einer noch unveröffentlichten größeren Dichtung.
( ürcha frern
JHIVt^VÜI-MCHIGAH
Was Herzergreifendes du je erlebt
In Wcfcl ond Weh, in weehselvollon Tagen,
Was eoansaehtsehauernd du jfeträamt, gestrebt.
In icälmem Adlerflng, du tolUt es wagen,
Uli ü tin Gewand der Sage huld verwebt.
Begeistert ea zu singen and ca sagen . . .
Ate Testament, dein ganzes (Haiben, Lieben,
Mit deinen glßh'nden Herzblut sei's geschrieben!'
Sie sprach* — und wieder schwebt' ins Aetberücht,
Ine HeimatUod der herrlichen Kamönen,
Die ewfcea Lenzes Blütenflor umflicht,
las sonnbeglanzte Reich des Ewigschönen . . .
Hier nnn das gottgeheiligte Gedicht,
Hit dem mein fluchtig Laben ich will krönen, —
Ein Weitedenkmal schlichtbe3cheidner Gaben
Mit ffoUoer Schrift; «Hier Uejrt mein Herz begraben».
( ",-, «i iL- n 3 frern
Uigilüoc . >. -O. JMVU4I!Y(*MUUWI
II.
Das Armen- und Krankenwesen des
mittelalterlichen ^traßburg.
Von
Martha Goldberp.
(Fortsetzung).
3. K JVPITEL.
Das Lehen in den Spitälern.
Ein genossenschaftliches Zusammenleben war im Mittelalter
nicht anders denkbar, als in klösterlichen Formen- Auch wo
Laien sich zu profanen Zwecken zusammentaten, z. B. in den
gewerblichen Zünften, durfte ja der religiöse Zweck nicht fehlen.
Bei den Spitälern mußte nun noch besonders in dieser Richtung
der Gedanke wirken, daß, nach der asketischen Anschauung
der Kirche, die Armen «ein vollkommener Stands seien, deren
Aufgabe in einem frommen Leben und Gebet für die Spender
der Almosen bestand. So schrieb man z. ß. auch in Straßburg
den Leprosen vor: «sie sollten unser n lieben Herrn Gott täglich
bitten für alle die, die da ihr Almosen zu dem Hof, Bau und
Herberge gegeben haben und auch darum aie die Gol lesgaben
der Pfründen genießen». Für die Leprosen legten gewisse
Aeußericfckeiten, die ihnen mit Rückeicht auf die Sicherheit
der übrigen Welt oder auf die Gesundheit der Aussätzigen
geboten waren, nämlich der Zwang» innerhalb der Mauern des
Hofes zu bleiben, gleiche Kleidung zu trögen uud keusch zu
leben, schon ohnehin dies klösterliche Leben nubc. So streng
jedoch, wie etwa in dem Haus zu Schwartau in der DiÖ?es*
Lübeck oder im Nikohihof 711 Lüneburg lind mehreren nord-
deutschen Spitälern, wurde in denStraßburgern Krankenhäusern
die klösterliche Lebensweise nichl durchgeführt*. Man achtete
( na froni
JHVU4IIYÜfMU1KiAI
— -
nur darauf, daß ein frommer christlicher Geist uaJ christliche
Ordnung im Spital herrsche. Die Pfründner brauchten nicht
besondere Andacutstunden hüllen und taglich eine bestimmte
Zahl von Rosenkränzen durchbeleo", aber auf unentschuldigtes
Fernbleiben Tonn allgemeinen Gottesdienst, den der Priester
des Hauses morgens und abends und an den hohen Fasttagen
der Karwoche hielt, stand Strafe. Arn Gründonnerstag mußten
die Leprosen an sich die Zeremonie der Fuß wusch uny* vor-
nehmen lassen. Nur die reichen Pfründner, die in besondern
Häusern beim Hofe wohnten, waren von dieser doch etwas
demüii^enden Verpflichtung* frei.
Hauptsächlich erhellt aber das Interesse, das die Bürger-
schaft wie dje weltliche Verwaltung au dem Seelenheil der
Armen nehmen, aus der Talsache, daß bei keinem Spital wohl-
dotierie Stiftungen für einen oder mehrere Priester fehlen.
Wie erwähnt, wurde in Itolenkirr.hen im Jahr« 1407 vom Hat
der Siadi für die seit alten Zeiten besiehende bophienkanelle
im Leprosenhof eine Prieslerpl'rüude gestiftet; das Geld dazu
haben die Pfleger Johann z. Trubel und Hansemann Pcigers
durch Sammlung in der Bürgerschaft aufgebracht. Der Priester
erhält ein Haus in der Stadt zur Wohnung, wird aber, da sich
ein Bedürfnis nach seiner häufigeren Anwesenheit ergibt, bald
verpflichtet, in Ilotenkirchen tu residieren 5 . Dem so häufigen
Mißbrauch dieser Pfründen wird vorgebeugt, indem dem
Präbendar der Besitzenderer «jgotsgoben > neben dieser und die
Einsetzung: eines vicarius generalis, der alle Geschäfte des
Priesters lür einen Hun^erluhn zu übernehmen pflegte, unter-
sagt wird.
Täglich hst der Kaplan durch dreimaligem Glockenläuten
seine (iemeinde aum Gottesdienst zu rufen ; Rein« Verpflichtungen
am Werklag wechseln je nach dem, was für Meßstiftungen für
den betreffenden Ta^ im Seelbuch vorgeschrieben sind. Sonntags
muß er predigen und das Evangelium, das auf diesen Tag fällt,
deutsch vorlesen, «las paternoster, den glouben und die schulde»,
sowie die auf die kommende Woche Tauenden Heiligen- und
Jahrzeitstage verbunden. Für Singmessen stand ihm ein Chor-
knabe zur Seite. An Lichtmeß verteilt er die nötigen Kerzen
an die Siechen und das Gesinde; das Wachs, das er zu diesem
Zwecke erhält, darf er nicht zum persönlichem Gebrauche ver-
wenden. Droht dem Hause Gefahr von Feinden, so übergibt
er den Pflegern die Werlgegenslande, die in der Kapelle vor-
handen sind, Kelche, Altartücher, Meßgewänder und Bücher.
Gemäß einer allen Abmachnng mit dem Kirchherrn der Parochie
Kotenkirchen hat ihm jener des Recht, die Beichte zu hören
und die Sterbesakramente den Siechen zu geben, abgetreten ;
'^" JIIVUamO>M(.HKAI
— 10 —
auch beerdigt der Kaplan die Spitalinsassen auf dem zum
Hause gehörigen Friedhof. Dafür zahlt ihm jeder neu eintretende
Pfründner 2 1 /* g; tritt dann ein Todesfall ein, so hat der
Pfarrer weder für das Begräbnis noch die zugehörigen Toten-
messen eine Forderung zu erheben.
Die Stellung des Kaplans im Hause ist der der übrigen
Bea a»len gleichgestellt ; ebenso wie sie untersieht er der Kontrolle
der Pfleger; eigenmächtige Anordnungen zu treffen, wird ihm
besonders verboten ; denn alle «ordenunge, ufsatzuoge und
bniderschaft, die er macht, darum b das im dadurch gelt oder
anders von den siechen zugefallen möchte» widersprechen nach
Ansicht 6er Stadträte dem Interesse der Kranken, «die ihr
Geld selbst notwendig brauchen», Bszeicnoend für den sitt-
lichen Stand des Klerus im 15. Jahrhundert ist es, daß man
dein Pfarrer einschärft, ein moialisches Leben zu führen und
auf ehrbares Gesinde zu achten.
Der Leprosen kaplan war aus h der Beiehtvaterder städtischen
Gefangenen; dies gehl hervor :ius einem Legat des Pflegers
Wilhelm Böcklin, der eine gewisse Summe dem Priester
bestimmt, wenn er «nach der Gewohnheit» am Osterdienstag
den Gefangenen in den drei Türmen das Sakrament gab*.
Wie nach landläufiger Anschauung" zu jedem Krankenhaus
ein Seelsorger gehörte, so auch die Kapelle zum äußeren
Bild des Spitalkomplexes. Wie noch heute standen die
Gelräude der Spitäler, schmucklose Bauten, mit ihren Wirt-
schaftsgebäuden in weiten Gärten, mitunter von einer Mauer
umschlossen; ein Teil des Gartens rings um die Kapelle war zum
Friedhof geweiht . Der Friedhof des großen Spitals hei der
Erhardkipelle in der Nähe des Münsters gewann eine ziemliche
Bedeutung, da man dort xit Pestzeiten alU die begrub, die
nicht in den Pfm-rfriedhofen untergebracht werden konnten 7 .
Er blieb noch in Benutzung, als das Spital längst vor die Stadt
hinaus Terle^t worden war und auf dem Platt, wo es gestanden,
Wohnhäuser errichtet waren *. Diese Häuser auf dem Grund
und Boden des Spitals und noch einige andere, die dem Spital
durch Schenkung zugekommen waren, sind wühl mit der
häufiger vorkommenden Be2eichnung «des Spitals Häuser»
gemeint, nicht etwa zum Spi'al selbst gehörige Wirtschafts-
gebäude 9 . Innerhalb der Spitalmauer stand neben den zwei
Pfrfindnerliäusern und dem eigentlichen Spital — in Roten-
Kirchen waren es zwei Häuser für Reiche und der Schnelling
für die Armen — noch etwa ein Sommerhaus, ein kleiner
Pavillon im Garten, in dem man im Sommer die Mahlzeiten
einnahm; gelegentlich fand dort auch ein Herrenpfründncr
Wohnung, während man in Kotenkirchen kleine Häuser im
( " ürQha frern
'^" JlIVU&llYUtMUlKAI
— 11 —
Garten für diese bevorzugten Gaste errichtete. Nahe beim
Haus mußte auch Ja« Waschhaus und das Backhaus (pisterye)
liegen ; die SpitaUmfihle dagegen, in der das dem Spital als Rente
zufließende Korn gemahlen wurde, lag bei den andern Mühlen
im Oslen vor der Sladt, in der Nabe des Reuerinnenklosters "»
Ueber da3 Leben der Pfründner gibt uns nur die Roten-
kirchener Leprosenordnung einigen Aufschluß, während die
Spitalstaluten lediglich Keamtenordnungen darstellen. Oh es
vor der Aufnahme ins städtische Spital der Formalitäten bedurfte
und ob auch hier die Pfründner Haiisrat miUu Linusen hatten,
wissen wir nicht. Dagegen scheint man, was mit dem geist-
lichen Charakter des Spitals zusammenhängt, bei dem Eintritt
in« Krankenhaus den Kranken die Sakramente gereicht zu
haben".
Im Leprosenhaus ging der \ufnahme die Untersuchung
durch die städtischen «Beeeher», die wir bereite besprochen
haben, voraus. Die Beseher meldeten^ den Spitalpflegern, wen
sie als aussätzig erkannt halten, damit nicht die Untersuchten
sich dennoch zum Schaden der Allgemeinheit dem Leprosenhaus
entzögen. Das Vermögen der Eintretenden unteniehn die
Pfleger einer gerichtlichen Aufnahme, (um danach die Summe,
die stHtntengemäB dem Hof zufallt, zu bestimmen». Vnn 200 ff.
Vermögen erhält nämlich das Leprosenhaus den fünften Pfennig,
d. Ii. 20 Vo, wenn keine Erben vorhanden sind, dagegen nur
10 •)(>, wenn Kinder da sind. Die zu zahlenden Summen
änderten sich proportional dem GesamtvermÖgen und zwar in
Abstufungen von 10 j zu 200, 50 zu 100, 25 zu 50 und 15 zu 20.
Das geringste Vermögen, das zur Aufnahme ins Pfründnerhaus
berechtigte, betrug 15 — 20 ff; Leute mit diesem Vermögen hatten
nur den «Dienst», (5 ff und 5 sh), den alle andere neben ihren
Abgaben noch entrichteten, zu zahlen.
Kinder reicher Eltern mußten auf dem Hofe von diesen
gänzlich unterhalten werden, zahlten aber kein EiltriltSgeld ;
dagegen erhielt die Anstalt beim Tode der beiden Eltern oder
«ines der Eltern eine bestimmte Summe, die in derselben
Weise wie dif Eintrittsgelder h'rwarhspner bestimmt wurde.
Für Mönche und Priester aus Straßburger Klöstern, die ja das
Gelübde der Armut abgelegt hatten und daher im juristischen
Sinn kein Vermögen mehr hatten, mußte ihr Kloster 10 S bei
der Aufnahme entrichten, jedoch erhielten sie dafür noch keine
Verpflegung. Wellten sie ihrem geistlichen Beruf auch als
Leprose obliegen, so wurde ihuen das Messenlesen im Seiten-
schiff der Sophienkirche gestaltet ; aber sie mußten das allge-
meine Verbot für die Leprosen, den Chor und die Sakristei
nicht zu betreten, beobachten.
C ioogk
Cigna frant
JHIVLHbl IY Uh MCHIGAH
— 12 —
Aermere Bürger mit einem Vermögen von weniger als
15 S landen im Schnelling Aufnahme, konnten aber später,
sobald ihnen durch Erbe etwa größeres Vermögen zufiel, gegen
Nachzahlung der Aufnahmegebühr ohne weiteres in das
Pfründnerhaus überwiesen werden. Im Schnelling empfing
man auch die Klein- oder Schullheißenbürgeri*, jedoch erst,
wenn sie bereits 10 Jahre unbestraft in der Stadl Bürgerrecht
genossen halten.
Neben denen, die eigentliche «SiechenplVünde aßen» und
an den regelmäßigen Verteilungen von Sponden Teil hatten,
gab es andere, Hie nur auf dem Hofe wohnten, ohne Rrüder
der Gemeinde zu werden ; sie nahmen eine bevorzugte Stellung
ein, da sie in besondern Häusern wohnten und von den religiösen
Verpflichtungen der andern PfrCindner frei waren. Sie zahlten
eine Pauschalsumme, die einer bloßen Miete gleichkommt. Eine
letzte Gruppe von Pfrfinrinern bildeten nun die, die die Gefälle
der Pfründen als Leibrente bezogen, ohne sich in Rotenkircbeii
aufzuhalten; gegen Zahlung des «Dienstes» aber konnten sie
jederzeit auf den Hof zurückkehren.
Fremde werden gemäß der egoistischen Politik der Städte
prinzipiell nicht aufgenommen, außer wenn sie der Auslalt so
viel Nutzen bringen, daß die Pfleger, denen die Entscheidung
darüber ünsleht, die Ausnahme für genügend gerechtfertigt
ansehn.
Wie aber auch im Einzelnen ihre Stel ung auf dem Hofe
war, alle waren gleichermaßen verpflichtet, das nötige Möbel
und Geschirr, das sie benutzen wollten, mitzubringen. Der
«Haußrat> der Pfiündner bestsnd aus einein Betl im Mindestwert
von 1 8 5, dessen Einrichtung, (Kopfpolster, zwei Kissen, zwei
Paar Leintücher, und xwei Decken, wohl eine wollene und eine
Federdecke), ferner einer Ruhebank (spaubeUe). einem Tisch,
zwei Tischtüchern, zwei Handtüchern, einem Schrank (kenster-
lin), einer größeren und einer kleineren Kanne, einem Misch-
kännlein und einem Salzfaß.
Ueher die Größe der Spital- und Leprosenpfi finden wissen
wir nichts, außer daß die Hei renpfründuer, die die hohe Summe
von 60 8 eingezahlt halten, wöchentlich 'Z % 6 l erhielten;
dazu aber kamen noch ansehnliche Zuschüsse aus der Büchse
des Klinglers, ferner Piktantien und Almosen 16 .
Daß die Verpflegung in den Spitälern nicht karg war, zeigt
eine Speiseordnung für das Leonhardsspital ; es kam jeden Tag
entweder Fleisch oder Fisch noben Suppe und Gemüse auf den
Tisch und jeder erhielt eine ziemliche Portion Weintß.
Liebevolle Wohltäter hatlen daran gedacht, den Armen an
den Feiertagen auch eine Pestfreude zu bereiten. Stiftungen
( v , . ,1,- ürqha frern
'^" JlIVU&mUtMUlKAI
- 18 —
zum Essen, die in das gleichmäßig? Menü etwas Abwechslung
brachten, sind Oberall häufig. So erkielten t. B. die Kranken
im Phynenspital nach einer Stift uog der Gründerin Phyna seihst
an jedem Feiertag zu ihrer sonstigen Kost eine Semmel, einen
halben Becher Wein, und gekochtes wie gebratenes Fleisch,
resp. in den Fasten Fische ,T .
In der Elendenherberge gab*» gleichfalls kräftige Kost, wenn
auch our zweimal wöchentlich Fleisch ,ö . Der Wein fehlt auch
hier nicht, wie er auch in der Ordnung der Beginenhäuser
eine große Holle spielt. Zwei l-egöte, die schon kurz nach der
Gründung der Herberte 4363 und 1377 gemacht wurden '•,
sollten den ausgehungert Ankommenden abends eine warme
Speise (Labung) gewähren. Eine Erbsensuppe oder Brei wird
den Fremden jeden Abend gereicht.
Welchen Beschädigungen die Pfründner außer der
Teilnahme am Gottesdienst >ucb widmeten, ist nur von den
Leprosen bekannt; sie durften nämlich, wenn sie ein Handwerk
gelernt hatten, dies auf dem Hofe ausüben, jedoch keines ihrer
Produkte auf den allgemeinen Markt bringen. Der Grund dieses
VerkauFaverbotes war in erster Linie die Furcht vor Ansteckung
durch die Waren. Vielleicht aber wirkten dabei auch die
üllgemeinen Prinzipien der Stadtwirtschaft, die den Fremden
und Nichunnftigeti von der gewerblichen Konkurrenz ausschloß.
Sonst wurden die Leprosen wohl noch im Haushalt des Spitals
zu allerlei Diensten verwendet ; hatte man doch verhältnismäßig
sehr wenig gemietetes Personal.
Das arbeitsamste Leben unter den Annen, die die bürger-
liche Armenfürsorge genossen, fährten die Begioen, Sie
widmeten sich teils der Krankenpflege in Privatheusern, teils
dem Spinnen und Weben. Nur ruhige Beschäftigungen sind
ihnen gestattet; deshalb müssen sie auch zum Spinnen statt
den schnurrenden Rades die geräuschlose Kunkel benutzen* 1 .
Nach dem Statut des Ruffachschen Hauses war jedoch ihre
Arbeit auf die Verwendung im eigenen Gebrauch beschränkt,
wahrscheinlich um den Webern keinen Anlaß zum Konkurrenz-
neid 7i] gehen . In Köln war es ja wegen des ausgedehnten
Verkaufs von Leinwand, den die Reginen trieben, zu einem
Kampf mit der WeberzunfL gekommen. Das Betteln, das eigentlich
ursprünglich das Recht aller Armen gewesen war, wurde an
den Spitälern allmählich abgeschafft. Den Beginen ist es aus-
drücklich verbeten; ja, mitunter wird es gerade als Zweck des
Hauses bezeichnet, frohere Bettlerinnen von diesem ihrem
Gewerbe fernzuhalten 11 .
Dagegen durchziehn häufig kleine Gruppen — nie mehr
als vier — von Leurosen des Armenhauses bettelnd die Stadt;
r
( 's\ -* iL- ürQha frern
'^" JlIVUUlYUtMUlKAI
— 14 —
am Magdalenentag, den das Reuerinnenkloster, und am Arbojrasts-
tag, den das Kloster St. Arhogast besonders feierte, durften sie
an <Jen Türen eben dieser Klöster Gaben heischen und am Kar-
mittwoch :m einem Imbiß teilnehmen, den daß Stift St. Pctcr
allen Be'.t ern austeilen ließ« Aber stets mußten ^ie vor (ein
Uhr) mittags die Stadt wieder räumen«.
Iu der Krankenpflege scheinen sich die Stiaßburger
Beginen weniger beschäftigt zu haben : nur zwei Stiftungen
erwähnen diese Verpflichtung der Beginen ; die Schwestern des
Hauses /ur Spitz nämlich übernahmen in der Infirmaria von
St. Thomas die Pflege kranker Stiftsherrn und das Gotteshaus
zum Gürtler richtete 1456 sogar selbst ein Siechenhaus ein».
Jedoch die meisten Beginen bevorzugten eine bequemere
Tätigkeit, die ihnen ebenso viel Verdienst einbrachte ; sie ließen
sich nämlich dalür bezahlen, als sog. Seelschweslern bei Regrab-
nissen und an Jahresseitsiagen mit brennenden Kerzen über die
Gräber tu ziehu. Dieser Müßiggang war der Anfang und
Grund ihrer schlicßlichen Entartung und ihres Verfalles heim
Beginn der Reformation.
Hausordnungen, die da3 Benehmen der Glieder der
Genossenschaft regelten, gab es wohl in allen Konventen und.
Spitälern, da ohne Disziplin die Ordnung j* nicht aufrecht
erhalten 'werden kann. Man verlangte von den Brüdern und
Schwestern christliches, verträgliches Benehmen M. Schimpfen
und gotteslästerliches Fluchen, Singen unanständiger Lieder,
Lärmen mit Pfeifen, Hörnern und Trommeln besonders zur
Nachtzeit, Spielen um Geld und Spielhalten, Tragen zu kurzer,
unanständiger Kleidung, besonders aber unkeusches Leben,
Buhlerei und Kuppelei waren streng verboten und wurden von
den Ptlegern «der geschulte noch», d. h. nach ihrem Gutdünken
gestraft. Im Sommer mußten alle um 10 Uhr, im Winter um
9 Uhr zu Bette gehn ; es ist die Polizeistunde, die auch für alle
Bürger in der Stadt gilt. Ueber schwerere Krimiualvergehn,
wie Stehlen, hlulrunzig machen, d. h. blulig ritzen, dann
Cerwuntien und Totschlag entschieden** z.T. die Pfleger, ;eils
bringen sie es vors Ratsgericht , die ausgedehnten gerichtlichen
Befugnisse der Leprosenpfleger machen es nötig, auch solche
Bestimmungen in die Hausordnung aufzunehmen, die sonst nur
im [öffentlichen] Stadtrecht ihren Platz linden. Die übrigen
Teile der umfangreichen Ordnung lassen sich nach zwei Ge-
sichtspunkten gruppieren ; sie dienen entweder dazu, die All-
gemeinheit vor der Ansteckung durch die Kranken zu schützen
oder sie sind sanitärer .Natur.
Zur ersten Gruppe gehört namentlich das Verbot, die Anstalt
ohne Erlaubnis der Pfleger zu verlassen and außerhalb eines
( ' Ongina frorn
1 ' IMUWMiYdLM"
JIIVlHyiYuKMl.HK.AI
— 15 —
abgegrenzten Teiles der am Hofe vorbeiziehenden Landstraße
spazieren zu frehn, oder querfeldein zu wandern. Wurde es
ihnen gestattet, zum Betteln in die Stadt zu ziehn — worin ja
eigentlich oino Inkonsequenz lag, für die wohl die christliche
Charitas verantwortlich ist — so sollten sie doch alles Ge-
dränge, die belebten Marktplätze (fischmarkt, Melzig und Hol-
wig oder Koiuuarkl), auch Kirchen und Kapellen im ganzen
Gebiet der Stadl meiden. Am Tsge der Fronleichnams-
prozession, am Sehwortag, wo alle Bürger vor dem Münster
zusammenströmten, um den Schwur auf die Verfassung zu
leisten, auch Dienstags and Donnerstags ist ihnen die Stadt
verschlossen.
Jede direkte und indirekte Berührung mit «Schönem ist
ihnen verboten; Eheleute müssen sich trennen, wenn der eine
Teil krank wird; wenn ein Gesunder sich in «bulschaflswise»
mit einem Leprosen einläßt, wird er vorn Rat zur Verant-
wortung gezogen» «damit andere nicht von ihm entreiniget
werden?. Kein Gesunder darf im Leprosenhaus (Schnelliug)
Gastfreundschaft genießen, nicht einmal Kinder dürfen über
Nacht bei ihren Ellern bleiben. Die Brunnen vor dem
Hause, an denen die Landleul« ihr Wasser zu holen pfle-
gen , die Geräte de* Kirchencbors und der Tresorkaramer,
sind ihnen m berühren, dae Hau* des Kaplans *zu betreten
verboten.
Man gestand ihnen zwar die Vergünstigung tu, Irotz des
allgemeinen Vorkaufsverboles bei Cen in die Stadt ziehenden
Landleuten ihren Bedarf an cBrot, Wein, Getreide, (Jansen,
Enten, Hühnern, Tauben, Milch, Käse, Butter, Molken, Eiern
und allen Arien Obst*, schon bevor die Ware auf den Markt
kam, zu decken; jedoch sollten sie sich der Vermittlung ihrer
gesuudeu Dienstboten bedienen und nichts selbst cbeknotzen,
handeln noch anrüren». Nichts, was im Leprosenhaus ent-
standen oder einmal benutzt worden war, sollte heraus kom-
men dürfen. Kleider von Verstorbenen durften nicht in der
Sladt verkauft, Gerate nicht an Gesunde verliehn werden.
Die schmutzige Wäsche mußte auf dem Hofe gewaschen
werden, Handel und Handwerk der Kranken blieben be-
schränkt.
Welchen Wert der Rat gerade auf diese Vorschriften legte,
geht daraus hervor, daß alle Ueberlre Hingen in dieser Richtung
mit der stärksten den Pflegern zustehenden Strafe, nämlich der
Verbannung vom Hofe bedroht waren ; eine besonders harte
Strafe, weil keine gröbere Stadt fremde AusKälzi^e aufnahm,
die Ausgestoßenen also zum ruhelosen Wandern verurteilt
waren.
r
( \n -, iL- Onoina frarn
C ' W JlIVtfömUtMUlKAI
— 16 —
l'rii auch dem Publikum ein Mitfei, sich zu schützen, an
die Hand zu geben» mußten die Leprosen eine bestimmte gleiche
Tracht trügen, Männer nämlich einen grauen schlichten breiten
Filzhut und einen grauen Mantel ', Frauen ebenfalls graue Mäntel
und eine graue Kapuze (akulhut») ohne Zipfel über Schleiern.
Aehnlich waren in Nürnberg die Bewohner der Siechenkohel
gekleidet *'.
Die Bestimmungen die wir als hygienische oder sanitäre
bezeichnet haben, verdienen diesen Namen insofern, als sie die
Kranken zur Reinlichkeit, die noch heute als die wichtigste
Forderung hei allen Hautkrankheiten gilt, zu erziehen ver-
suchen. «Wüste Tücher, Binden, Pflaster und Fnßwasser»
durften die Kranken nicht herumstehn und liegen lassen,
sondern mußten allen Schmutz in den Wasserabfluß bei der
Bade^tube tragen ; dieser wird in bestimmten Zeilabständcn
vom Klingler gereinigt,. Im Sommer, ««nlangre die Gesunden
im Garten wandeint, darf keine schmutzige Flüssigkeit zum
Fenster hinaus geleert werden ; dafür ist das «Sprochhus* da.
— Wäsche darf in der Küche erst gewaschen werden, wenn
das Essen sekocht ist, damit keine Unreinheit an die Speise
kommt .
Teils der Reinlichkeit, teils der medizinischen Fürsorge
dienten die Bader. Die große Badestube auf dem Hofe, die nur
alle vier Wochen geheizt werden durfte und die kleinere am
Schncllmg, die dazwischen einmal gewärmt wurde, waren
wohl bloße Heißluftbäder, die im Mittelalter häufiger waren als
die Wasserbäder. Doch konnten die Kranken «zu einer not-
durfte», d. b. zu Kurzwecken, auch mit jeweiliger Erlaubnis
der Pfleger Wasserbäder bekommen, mußten eber die Kosten
der Heizung bezahlen und dem Klingler 8 ', der das Wasser
herheitrug, ihnen auch sonst mit «rihen und weschen» zur
Hand war und die Badstube nach Gebrauch wieder zu reinigen
halle, seine Dienste besonders vergüten.
Auf Grund des Protokollbuches, in dem uns die Urleile der
LeprostiipHefcei eutlmlleu sind, haben Schmidt 89 und Krieger 88
ein Urteil über den moralischen Zustand im Roten kirchener
Haus gefällt; sie sind zu entgegengesetzten Resultaten gekom-
men. Wenn auch Kriegers günstigeres Urteil nach der Lage
der Dinge, da in 105 Jahren nur 49 mal die Pfleger Recht
sprachen, richtiger erscheint, als die verurteilenden Aeußerungen
Schmid!s, so wird mon sich doch eines moralischen Urteils
besser überhaupt enthalten, da uns ja alle Vergleichszahlen
fehlen.
( < ■
Cigna frarn
JHIVLHbl IY 01- MCHIGAH
— 17 —
II. Absei ni I I.
Die Armenpflege in Strasburg außerhalL der
Spitäler und die Stadt. Armenpolizei.
I. Almosenverteilungen und HautArmenpflege.
Die Hospitäler der mittelalterlichen Städte, von deren Größe,
Bedeutung und Vielseitigkeit wir uüs soeben einen Begriff zu
machen versuchten, bildeten zwar naturgemäß ein Zentrum aller
WohltAtigkeitaprlege, besonders seit sie unter der städtischen
Verwaltung eine einheitliche Organisation hatten, /«doch ergSbe
sich nur ein unvollständiges Bild dessen, was im mittelalter-
lichen Straßburg für die Armen geschah, wollte man daneben
die ausgedehnten, allerdings wenig organisierten Almosenver-
teilungen, die durch die Hand der Kirche gingen, und die
soziale Fürsorge, die die bürgerlichen Genossenschaften pflegten,
außer Acht lassen.
Zwei Arten von UnteislüUunÄsbedürftigen sind es, denen
mit einer Aufnahme und dauernden Verpflegung* im Spital nicht
gedient sein kann, die vielmehr nur kleinerer und momentaner
Unterstützungen bedürfen, wie sie das Almosen in Geld oder
Naturalien gewählt: Die Hausarmen und die eigentlichen Bettler.
Auch die Hansa rnen sind Bettler, d. h. Leute, die sich infolge
besondere ungünstiger Umstände nicht über den Zustand der
Armut emporbringen können und datier auf wohltätige Gaben
angewiesen sind'. Jedoch haben sie vor den herumwandernden
Bettlern den großen Vorteil voraus, Bürger der Stadt zu sein.
Dies hatte zur Felge, daß sie immer Arspruch auf Unterstützung
hatten und von den allgemeinen Bettel verboten nicht betroffen
wurden. In gewissem Sinne war so das «GSsterechi», das die
exklusive Tendenz der «Stadt Wirtschaft» charakterisiert, auch
auf das Gewerbe lies Bettels übertia^en*.
Die wirtschaftlichen Ursachen, rtie im 18. Jahrhundert
namentlich ein starkes Anwachsen der Bettelscharen verschul-
deten, haben wir bereits geschildert *. Mau wird jedoch nicht
umhin können, einen erheblichen Anteil an dieser Schuld daneben
der almosenfreundliehen, asketischen Weltanschauung des
Mittelalters aufzubürden. Das Volk, durchdrungen von der
Lehre der Kirche, daß Almosen^eljen an sich ein gutes Werk
si:i und daß man durch die Weggabe des Besitzes dem Stande
der Vollkommenheit näher komme, gab reichlich und gern die
milde Gabe, aber ohne genügende Rücksicht auf die Würdig-
keit des Emplänjers*.
2
y
( v , . ,!,- ürqha frern
'^" JlIVUUlYUtMUlKAI
— 18 —
Wieviel Spenden auf direktem Wege, ohne Dazwischen-
treten einer dritten Stelle, vom Publikum an die Armen flosser,
entzieht sich der geschichtlichen Betrachtun?. Größere Gaben
aber wurden seit frühester Zeit der Kirche zur Ueberniiltlung
an die Armen überwiesen, meist in der Form von ewigen Renten,
deren Ertrag «in remediam animarum», zum Seelenheil Ver-
storbener, an bestimmten Jahr- oder Gedenktagen verteilt
wurde. Die Kirchen waren, ganz abgesehu von den religiösen
Motiven solcher Stiftungen, besonders zur Ausführung der
Legate geeignet, weil aie ja auch als Kulturträger von sich aus
zur Spendung von Almosen und zur Armenpflege verpflichtet
waren. Neben den Hospitälern, die sie eigentlich unterhalten
sollteu, (später allerdings kaum mehr besaßen)», bestand bei
den meisten Kiichenverwaltungen ein Almosen fonds, dem der
Thesaurar oder ein besonders dazu angestellter Eleemosynarius
vorstand. Häufig wurde in der früheren Zeit (bis zum 13. Jahr-
hundert) dieser aus Kirchenvermögen und bürgerlichen Spenden
zusammengekommene Fonds such zur Fortführung der altkircb-
I ir i ic n , individuellen Gemeint) earmenpflege \ur wendet, indem
man daraus Pfründen für Gemeindearme, scg. cmatricularii>,
bildete . Aus Köln werden uns zwei solche, dem Dom ange-
hörige, Krndersc halten von Gemeindearmen, die Lupus- ur.d
die Margareienbrüder, ausführlicher geschildert; sie bestanden
in Köln, wo sich die Domverwallung ihre Unabhängigkeit von
der Stadt lange bewahrte, bis ins 14. Jahrhundert*.
Eine diesen ähnliche Bruderschaft, in der wir einen Rest
altchrisllicher Armenpflege zu sehn glauben, war die «t'raternitas
Saudi Spiritus» am Straßburger Münster; sie wird uns freilich
nur zweimal genannt, näm lieh 1225 und 1246 ; im ersten Falle
erhält sie eine Rente zusammen mit den Leprosen, das zweite
Mal eine solche gemeinsam mit einer rein geistlichen Genossen-
schaft (dralernites que post prandium in refeclorio celebraluro'
am Münster^, Es rechtfertigt sich schon hieraus wohl die An-
nahme, daß es sich um eine Genossenschaft von Armen handelt,
nicht nur um eine rein geistliche Körperschaft. Darauf deutet
auch der Name Sti. Spiritus hin. Md dem Svmhol des heiliger
Geistes, dem Sinnbild der christlichen Barmherzigkeit und
Nächstenliebe, bezeichnete man nämlich besonders Stiftungen
zu wohltätigen Zwecken». Am meisten aber scheint mir die
spätere Entwicklung der «fraternitas» für die Auffassung zu
sprechen, daß wir es hier mü einer Form der allkirchlichen
Geiueiiidearnienußege zu tun haben 10 . Als nämlich nach dem
Jahre l'dföj wo die Stadt den Bischof besiegt halle, das Ver-
mögen der Münsterfitbrik in die Verwaltung der Stadt kam ",
wurde die tfrateruilas» als solche zwar beibehalten, aber ihre
i , Cr aha frarn
^ JlIVUamOI-MUlKiAl
— 19 -
Fonds, im Sinne der früheren Verwertung, zu den sog. Heilig-
Geislpfründen, einer Almosenstiftung für Hau&trme, jedoch
ohne kirchlichen Charakter, umgewandelt '•-
Aehnliche Almocenfonds besaßen wohl die meisten Pfarr-
kirchen und Stifter; auf die Schicksale und Hie Verwaltung der
Heilig Geistpfründen von St. Martin und St. Nikolaus, die gerade
so verwaltet wurden wie die am Münster, werden wir zurück-
kommen. Zunächst sind hier einige frühe oder besonders be-
merkenswerte Heispiele für Almosenstiflungen an Straßburger
Kirchen 211 nennen, die an den Kirrhentüren für alle Armen,
die Jsich zur Verteilung einstellten, ausgegeben wurden. So
lange die Naturalwirtschaft noch durchaus hei rechte, bestanden
diese Gaben meist in Brot und in Tuch zu Kleidern; auch
später, als das Geld sich längst seinen P lata im Wirtschafts-
lehen erobert hatte, behielt man meist die Spenden in Natura-
lien bei, weil sie einen Mißbrauch eher ausschlössen als Geld-
geschenke u . Die frühste bekannte Stiftung füi die Armen im
allgemeinen (von den, Spenden für die einzelnen wohltätigen
Anstalten haben wir ja bereits im ersten Teile gesprochen)
stammt aus dem Jahre 1100; der Kanonikus Burchard setzte
damals nämlich dem Münster eine Rente aus, von deren Ertrag
der Pförtner (portenarius) jährlich Tom Tage nach Allerheiligen
für 2 unzen Brot und für 1 unsc Käse oder cino andere Zu-
speise den Armen vor dem Münster verteilen sollte; auch was
an diesem Tag von dem reichen Essen übrigblieb, das den
Domherrn, gleichfalls aus einer Stiftung Burchards, gereicht
wurde, sollte den Armen zufallen, ebenso die Ration eines
kranken Kanonikus". Eine Rente für Tuch «ad vestiendos
menriirns et miserahiles paup*»res lairosa, d. h wir Bekleidung
von Bettlern und Hausarmen, stiftete 1321 der Domprahendar
Heinrich Dietmar, der aueti die armen Doiuschüler, die beson-
ders auf milde Gaben angewiesen waren, bedachte". Bekannt-
lich war den Chorschülern der Bettel in der Form gestattet,
daß sie singend vor den Häusern Gaben heischten, decti wurde
ihnen in der Itefommtionszeil dies Recht wegen der damit ver-
bundenen Belästigung des Publikums wesentlich beschnitten 1 *.
— Eine Menge ähnlicher Spenden wurde an einzelnen Altären
verteilt ; die Altarpfründe, die der spätere langjährige- Pfleger
der Elendenherberge, 'Oeltelin von Ulenheim, i349 innehatte,
verpflichtete z. 3. ihren Inhaber, jährlich 10 s. für die Anne
an dem] Altar eu verteilen 1 *.
Davon, wae im Ganzen so durch die kirchliche Vermitt-
lung an Almosen den'Armen zuteil wurde, können wir uns
heute keinen rechten Begriff mehr machen, weil der größte
Teil der Stiftungsurkunden 2ur Reformationszeit verloren ginjj ;
Uigimcc . ^ »<X Igle JMVUüllf C+MLHKAI
- 20 -
dünn nach der Kirchenreforrn besaßen sie keinen praktischen
Wert mehr. Die Feier der Jahrzeilen und Seelenmessen wurde
abgeschafft und alle früher dazu bestimmten Gelder dem all-
gemeinen Arineufuuds zugefübit.
Zu gleicher Zeit, als die Stadt Straßburfc das Leonhards-
spüal und das Leprosenhaus in ihre Verwaltung brachte,
dachte sie auch daran, auf die nichtanstalt liehe Armenpflege
Einfluß su gewinnen. Was die Sladt auf dern Gebiet der Almo-
.senplle^e unternahm, zeichnet sich vor der kirchlichen Gaben-
vertoilunn vor nllom dadureh aus, daß der Rat ein ^ewieses
System, eine einheitliche Organisation auch auf diesem Gebiet
anstrebte, soweit er es in die Hand bekam.
Aufler dem ouenerwähuilen Armenfonds des Münsters kam
im Lauf des 14. Jahrhunderts (vor 1353) noch derjenige der
Pfarrkirche von St. Martin in städtische Verwaltung; beide
wurden, /ereint und gemeinsam verwaltet, in erster Linie zur
ünterstiH2ung bürgerlicher rtausarmer verwendet. Wir haben
also hier die ersten Anfänge eiues staatlich oitfauisierlen Ahno-
senamtes vor uns, wie sie in der Reformationsseil überall, be-
sonders aber auch in den Territorien eingeführt werden. Die
Städte sind diesen also in der Erkenntnis, daft odie Förderung
des leihlichen wie ueistiyen Uiii^erwohls sittliche Aufgabe eines
-ilaallichen Gemeindewesens sei» 1 ', um iwei Jahrhuiidette vor-
aus I8 .
Das hl. Geistalmosen wie es die Stadt organisiert hatte,
bestand in Brotspenden ; jeder Pfründner des Münsters erhielt
allsonntagüch zwei Brotlaibe von je 4 ff, die Almosenempfänger
bei St. Mail in nur einen Laib. Die 2ahl der Pfründen je nach
dem SUtnddes Sliftunßsvermöp'eiie festzusetzen, stand den Pflegern
xu ; seil Ellenhards Vorgan«.' w behielten die einzelnen Pfründen
ihre ursprüngliche Größe, ihre Zahl wurde aber beständig ver-
mehrt. Im Jahre 1292 betrug diese 43 ; in der kurzen Zeit von
1348-58 kommen allein fünf neue Pfründen zu denen des
Münsters hinzu; bei den St. Mariinspfründen in fünf Jahren
drei Pfründen; beide iinterslulzlen im Jahre 1358 zusammen
7ö Leute, was freilich in einer Sladt von ca. 20 000 Einwohnern
eben nicht viel heißen will *>. Auch die Auswahl derjenigen, die
die Graben erhalten sollten, lag in der Hand der Pfleger. Leute
mit weniger als fünf Pfund Vermögen, die keine Arbeit mehr
tun konnten, sei es wegen Alters oder Krankheit, und sich
ehrbar und fromm hielten, wurden des Almosens würdig be-
funden. Ließ sich ein solcher aber etwas zu Schulden kommen,
so sollten 'ihm die Pfleger die Pfründe entziehen. Wie man
in manchen Begfmenhäusern die, die später Vermögen erwar-
ben, zum Austritt veranlaßle, so verloren auch hier diejenigen
( v , . ,i,. cha freni
JlIVU&mUtMUlKAI
-- 21 —
die durch Jen KrirfriLl in einen Dienst in (Jen Stand gesetzt
wurden, sich selbst zu ernähren, dasAmeeht auf das Almosen.
Besonders kam die Stiftung allen Dienstboten zugute; 1299
sicherte der Pfleger der Stiftung, Ellenhard, z. B. seiner allen
Dienerin (junefrowe) eine der von ihm gestifteten Pfründen**.
Seil der Mille des 14. Jahrhunderts wurde aus der Stillung:
auch ein Beginenhaus unterhalten, das außer gewissen ßrot-
lieferungen auch eine Rente für tlolz, Licht und Muß (Gumposl)
von der Verwaltung des hl. Geistes crhiell.
Die 275 (260 -{-15) Brote, die der AJmosenknecht allsonn-
ta<*lich zu verteilen hatte, wurden aas dem aus Getreiderenten
einlaufenden Roggen («rocken») hergestellt". 18 Sester (=0
heutige Scheffel) Roggen" schickten die Pfleger wöchentlich durch
ihren Knecht zur Mühle (die Itaile in Konstanz hat so^ar ihre
eigene Mühle), dann ließen sie das Mehl vom Bäcker verarbeiten.
wofür dieser jeweils 25 4 Back löhn bekam. Die beim Mahlen
abfallende Kleie blieb der Verwaltung, die sie offenbar noch
kapitalistisch verwertete. Das Auslesen der Spende am Sonntag
besorgte ein besonders dafür bezahlter Knecht, dessen Stellung
also ungefähr der des Spitalschaflfners gleichkam. Hin Analo/on
zu der Spitalbesliramung, daß das Erbe eines insassen des
Spitals dem Hause verfallen sei, ist die Verfügung, daß der
beste Roch oder das beste Kleid eines verstorbenen Pfründncre
dein hl. Geist gehöre. Solche Gefälle bildeten einen erwünschten
Zuschuß zu dem sonst meist aus rentetragendem Grundbesitz
bestehenden Grundstock des ArmenvermögenH, Sowohl einzelne
Bürger, wie auch die Siadtpememde steuerten durch häuGge
Schenkungen zu dem guten Werke bei. 1358 bestimmt so der
Hat, daß, zum Dank für die glückliche Krreltung aus der Erd-
bebengefahr, der 1356 da's benachbarte Basel halb zum Opfer
gefallen war, fortan am Lukasta? eine Prozession der Ratsherrn
stattfinden solle. Die grauen Mäntel, die die 56 Ratsherrn
dabei tragen, und eine Brotspende aus 20 Viertel (40 Scheffel)
Korn sollen nachher unter die städtischen Armen und in die
Gotteshäuser verteilt werden 1 *.
Die Beamten, die der Stiftung; der hl, Geistpfründen vor-
standen, waren die Pfleger; ein städtischer omagister pauperum
saneti Spiritus» tritt 12vy auf; wie der Zusalz, «deputatus ad
hoc ex ordinatione magistri et con*ulum Argentinensiums ver-
muten laßt, ist er überhaupt der erste städtische Pfleger der
Heilig-Geistatiftung«. Von 1 208- 1304 bekleidet dies Amt der
obengenannte Ellenhard gen. «.na^nu«, der zugleich Pfleger
der Domfabrik i?t**. Seine und seiner Frau reiche Schenkungen
bringen das gute Werk ein schönes Stück vorwärts«. Seil die
Pfründen von St. Martin hinzu gekommen sind, verwalten zwei
S
i v , . ,1,- Orgha frarn
KXlglt JMVIKillfOfMLHIWI
— 22 —
Pfleger dies Amt gemeinsam (zu gegenseitiger Kontrolle).
Aus der Abrechnung, die 135Ö die beiden Pfleger Knecht
S warber und Johann zur Megede dem Hat übergaben, schöpfen
wir unsere Kenntnis der Institution dos städtischen AlmosonumtoE
zum hl. Geist«. Dir Stellung und Komrwten? der Pfleger war
die gleiche, wie die all ihrer Kollegen an den Spitälern und
geistlichen Instituten ; auch ihre ursprüngliche Selbständigkeit
in Geschäften für den Fonds wurde wohlallmählicheinge^chrfinkt ;
1474 werden sie in einer Reihe mit all den Schaffnern der Klöster
und Wohltätiglteitsanstnlten genannt und ihnen die Bekleidung
eines weiteren städtischen Amtes neben ihrer cschafFeny» unter-
sagt». Ihnen unterstanden die wenigen Knechte, deren das
Werk zur Fortführung des Getreides in die Mühle und zur
Verteilung der Brote bedurfte. Von einem besonderen Bureau der
Heilig-fieistverwallunK hören wir nichts; vermutlich besorgten
die Pfleger die einfache Rechnung allein 30 . Jeder der beiden
Pfleger und der Rat haben ein Buch, in dem die Stiftungen
und Ersparnisse, sowie auch die Namen derer, für die Scel-
rnessen zu lesen sind, notiert werden. Die Pfleger werden bei
ihrem Amtsantritt unter Kid gefragt, ob sie die «zinse und
gülte gerwe (vollständig) haben», d. h. ob sie die Kasse bei
ihrem Eintritt in die Verwaltung in Ordnung vorgefunden
hätten.
Eine Alrnosenstiftung des hl. Geistes gab es auch bei dem
Stifi St. Thomas, von der ein Beginenhaus im Sprengel der
St. Thomas unterstellten Nikclaikirche Unterstützung erhielt 8 '.
Die Verwaltung dieser Pfründen aber blieb stets in Händen des
Stifts. Im Jahre 151-4 verteilte dort nach Schmidts Angabe der
Pförtner wöchentlich 20 Oeldspenrten M. Dali d;is Stitl St. Thomas
sich so viel Isnger vor Eingriffen der Stadt in seine Verwaltung
Schützen kannte, als das Donistift, kam wohl daher, daß im
Münster lauter Nicht-Slraßbjrger Freiherrn saßen, die von
Anfang m mit der Stadt auf gespanntem Fuße standen /wahrend
das Thomasstift nie im Gegensalz zur Stadtregierung geriet;
denn es war ein Hochsitz der Patriziersöhne, deren Interessen
mit denen des Stadtrates bis zu einem gewissen Grade Hand
in Hand fingen.
Diese von den Kircheri und der Stadt geübte IJausarmen-
pllege, die sich, wie wir saher, auf ca. 100 Menschen jährlich
erstreckte, hatte kaum etwas bedeuten können, wäre sie nicht
für einen wesentlichen Teil der Bevölkerung durch die Selbst-
hilfodor genossenschaftlich geeinten Bürgor-
scha ft ergänzt worden.
Man kann wohl sagen, daß in der mittelalterlichen Stadt fast
jeder Bürger irgend einer Genossenschaft, sei sie gewerblicher,
( v , . ,1,- Orgila frarn
' 'N K JiivuamutMUiKAi
— 23 —
religiöser oder rein jresellifferNatur angehört habe. Ein Charakte-
ristikuni dieser mittelalterlichen Vereine ist es, daß sie ihre Mit-
glieder möglichst ganz und nach jeder Seite hin zu erfassen
suchten. Die Glieder einer Gilde oder «iner Zunft fühlten sich im
eigentlichen Sinne als Brüder und Schwestern. Daraus ergab sich
die Notwendigkeit, ohne Schuld ins Unglück geraten« Mitglieder
zu stützen und mit Dar lehn aus der dringendsten Not zu retten.
Die ursprünglich nur religiösen, gewerblichen und geselligen
Zwecken dienenden Zunftkassen wurden so im 14. und 15. Jahr-
hundert mehr und mehr ?u eharitativen Leistungen herange.
zogen". Kranke Mitglieder wurden nicht nur von den Kassen-
beiträgen befreit, sondern konnten auch Ke^en Pfand Darlehn
aus der Kas3e bekommen. Daß die Zunftmit-rlieder stets ihre
Toten seihst zu Grabe trugen, da es als Unehre gilt, von Fremden
niederen Standes das letzte Geleite zu erhalten, ist zwar eine
Einrichtung, die dem religiösen Charakter der Zunft entspringt,
darf jedoch auch in diesem Zusammen ha DU als ßeley für die
innerhalb der Genossenschaft geübte Liebestätigkeit genannt
werden.
besonders ausgeprägt findet sich der Gedanke der gegen-
seitigen Unterstützungspflicht in den Statuten der im 14. Jahr-
hundert entstehenden Gesellenbruderschaften. Für die Gesellen,
die meist unverheiratet warm und, wenn sie krank wurden,
zu Hause keine Pflege fanden, war [mit einer bloßen Geldunter-
stützung häutig nicht genug: geschehn. Deshalb vereinbarten
in Straßburg z. B. die Leinenwebergesellen mit dem Bernhards-
spilal, daß ihre siechen Brüder in das Krankenbaus aufge-
nommen werden 3ollten ; i 3 zahlte dafür die Büchse tätlich als
Krankengeld SS Die Spitalkirche war zugleich der Sitz der
Leinwebergenossenschafl. Dort war die Büchse «unser lieben
fron wen», die die Genossenschaftsgekler enthielt, verwahrt, dort
standen auch die Kerzen, die die Leinenweber bei feierlichen
Prozessionen, via alle Zünfle, herumzutragen pflegten. Las
rii'.ih für die Gesellen der Bruderschaft war auf dem Spital-
friedhof • Es geht aus dieser allgemeinen Ordnung nicht hervor,
welche Dienste die Geselleu dem Spital als Gegenleistung
erwiesen. Jedenfalls waren Schenkungen vorausgegangen.
Eine ähnliche Abmachung trafen die Bäckerknechte ;
«Schaffner oder meisten n im spilfal sollent ein yeden brotliecken-
knecht in der Bruderschaft, der von irem buchsenknecht siech
in den spiltal brecht wurt, enpfohen und ufnehiiien, er sige
geachediget worden nl» gesla^en, gestochen oder hcltc slüre
oder andere gebresten oder siechtaffen». Es scheint, daß von
den ßäckerknechten dem Spital im einzelnen Fall keine besondere
Vergütung gezahlt wurde. Jedoch brauchte das hier nicht
S
( ', , «, ,1,- ürqha frarn
' N K JlIVtfömUtMUlKAI
— 24 —
erwähnt zu sein; denn die Ordnung repräsentiert nur eine Er-
neuerung und beschäftigt sich hauptsächlich mit den Details
der VerpflenungM, die den Gesellen im Spital zu Teil werden
soll. Auch die Bader haben eine {Bruderschaft im großen
Spitah, die zugleich die Funk. ionen einer Krankenversicherunsf
erfüllte»
Sehr wichtig für die Geschichte der nicht auslaltlichen
Armen- und Krankenpflege wurden die besonders zum Zweck
der Krankeufürsorge und Totenbestaltung gegründeten Bruder-
schaften von Laien. Diese Laiengenossenschaflen lehnen
sich zwar in ihrer Organisation noch an die Kirche an, indem
ihre Mitglieder z, B. Tciliarier eines Beltelcrdene (sog.Beghar-
den) sind oder der Regel Augustins als sog. Alexianer tollen.
Aber in den meisten Städten gewann der Rat so viel Einfluß
auf sie, daß man in ihnen wohl mit Recht die Anfänge einer
modernen bürgerlichen, obrigkeitlich geleiteten Armenpflege
sehn darf.
In Strasburg sind im 14. Jahrhundert solche Laienbruder.
schatten, z. B. die «fratres dicti die gewilligen armen», mehr-
mals genannt, jedoch erfahren wir nichts fiber ihre Entstehung
und ihr Wirken. Wo sie mehr religiös gerichtet waren, fielen
diese Genossenschaften rasch dem moralischen Verfall heim und
wurden wie ein Teil der ihnen in der Idee verwandten Beginen-
kongregaiionen als Ketzer von der Kirche verfolgt»'. Eine
segensreiche soziale Tätigkeil entfalteten sie offenbar im 15. Jahr-
hundert, ufs die Stadtverwaltung auch auf sie, wie auf die
Wohltätigkeitsanslalten und Beginenhäuser, ihren Einfluß aus-
dehnte. Einer solchen Bruderschaft, die sich im Jahre 1472
aus den froheren Genossenschaften «zum Rebslock» und «im
Rosengarten» konstituierte und im ehemaligen Haus «zum
Rehstock» Wohnung nahm»«, gab der Rat eine Ordnung, in der
er ihr ihre bisherige Hausordnung, besonders räch der religiösen
Seite, bestätigte, zugleich aber ihre Pflichten gegenüber der
Allgemeinheit und ihre Ansprüche für geleistete Dienste nach
seinem Guidünken regelle 83 . Die Aulgaben dieser Bruderschaft
besteben vor allem in der Krankenpflege, der Tolenbestattungf
und der geistlichen Vorbereitung armer Sünder sur Hinrichtung.
Auch machten sie im Auftrage anderer, die vielleicht eine
Buße tu vollbringen oder eine Wallfahrt gelobt hallen und
verhindert worden, sie auszuführen, «Ferien zu den heiligen»,
(Wallfahrten) die ihnen nach der Meile bezahlt wurden. Die
Kranken, deren Pflege ihnen oh lag, nahmen diese Brüder nicht
etwa in ihren Häusern auf, sondern sie wurden in Privaihäusern,
wo schwer Erkrankte lagen, als Pfleger herbeigerufen M . Für
eine Tag- und eine Nachtwache erhielten sie 6 3. Dabei
( v , . ,1,- urqjia frarn
Uigilizoc . ^ »OOgl€ JMVlßllf OfMLHKAI
— 25 —
sollen sie sich nichl darauf beschränken, für das körperliche
Wohl der Kranken und Sterbenden zu sorgen, sondern auch
auf deren Seelenheil bedacht sein, ihnen ein «gut Beiepiel vor-
tragen», d. h. erbauliebe fromme Geschichten era&hlen, und
sie zu Reue und Beichte anhalten. Natürlich arbeiteten sie
dabei zu Gunsten ihrer Freunde und Herrn, der BarfCßer, die
jede Gelegenheil ergriffen, den Parochialpfarrern in der Seel-
sorge Konkurrenz zu machen, besonders wenn, wie bei Sterbe-
fällen, reicher Gewinn zu erwarten stand. Auch für die «abelÄle»
(die armen Sünder), hei denen man die Brüder in der Nacht vor
der Hinrichtung wachen ließ, weil es oft geschehn war, daß die
Verbrecher sich in Todesangst und Verzweiflung selbst etwas
angetan hatten 40 , solllen sie «das Beste tun mit tröstlichen Ermah-
nungen und guten Gebeten». Nach altem Herkommen trugen
sie dem zu Tode Verurteilten das Kreuz voran zur Richtstätte.
Ihre Lohnforderung für die Ueberführung einer Leiche
zum Friedhof normiert der Rot auf höchstens 6 8; wenn
der Weg kurz ist, erhalten sie nur 4 fc. Armen lun sie es
mm Gottes willen» ohne Lohn. Mit diesen Löhnen .«ollen sie
sich begnügen und nicht mehr verlangen oder drängen, daß
man ihnen mehr ^ebe, «Einer tue es denn aus freiein Willen
Kern». Alles was die Brüder erhalten, fließt in die gemeinsame
Kasse, denn die Genossen haben das Gelübde Her Armut abge-
legt («es soll ir keiner kein Eigenschaft in dem hus« besitzen»).
Die «Büchse» ist zugleich eine Reservekasse, in der der wöchent-
liche Ueherschuß aufgehoben und aus der ein ev. Defizit gedeckt
werden kann. Die Organisation der Laienhrüder, das Leben
im Hause trägt, wie in allen Spitälern, Beginenliäusern, und
sonstigen Genossenschaften einen klösterlichen Zug, der hier
bedeutend mehr hervortritt als bei den Spitälern, da die Brüder
gemäß der dritten Regel des hl. Franziskus das Gelübde der
Armut und Keuschheit abgelegt haben. Ihr Leben ist der
Arbeit gewidmet; Dienerschaft im Hause gibt es nichl. Das
Amt des Kochs wandert von einem zum andern, jeder besorgt
es, so gut er's kann. Bei Tisch j^eht es schweifend zu. Statt
unnütze Worte zu machen, soll jeier auf ernste Gedanken und
Gebet für seine Wohltäter bedacht sein. An der Spitze des
Hauswesens steht der vom städtischen Pfleger ernannte Meister,
der sog. «Obermeister»; ihm ist als Gehilfe und Slellvertreter
der «unlemieictei» unterstellt. Der Obermeister besorgt und
verwahrt die Lebensmittel «noch notdurft des gemeinen mannest,
d. b. nach dem Bedürfnis der Allgemeinheit ; diu andern schulden
ihm Gehorsam. Wochenilich gibt er den Brüdern Rechenschaft
über den Verbrauch und die Einnahmen des Haushaltes. Ein-
mal im Jahr soll auch der Meister dem Pfleger Rechnung ab-
( ' ürqha frern
Uigimcc . ^ »<X lgl€ JMVlKillf Ü>M(.HKAI
— 26 —
legen, damit die Stadt, wisse, «wie es umb das husz geslalt
habe». Ohne Erlaubnis des Meisters darf niemand das Haus
verlassen ; seine Strafgewak erstreckt sich jedoch nurauf geringere
Vergeh n, wie unentschuldigtes Fernbleiben vom Gottesdienst.
Die Strafe bestand meist in Entziehung von Wein oder Speise.
Ueber Aufnahme und Ausstoßung von Mitgliedern hingegen
muß der Meister die Stimme des städtischen Pflegers hören.
In geistlicher Hinsieht haben die Franziskaner das Auf-
sichtsrecht über das Gotteshaus; deshalb müssen auch die
Bruder hei ihnen das Sakrament empfangen und Reichte tun ;
die andern geistlichen Verpflichtungen der Broder ergehen sich
aus der Re;el, die sie angenommen haben.
II. Die Arwenpolizei
Jede positive Armenpflege bedarf einer Ergänzung nach der
negativen Seite. Sobald man eich darauf beschränkt, Almosen
zu verteilen, ohne zugleich diejenigen, die seiner nieht bedürfen
oder r.i-ht würdig sind, auszuscheiden, züchtet man mehr den
Beitel als man der Armut abhilft. Der ursprünglichen Trägerin
der Armenpflege irn Mittelalter, der Kirche, wa:* und blieb der
Gedanke, daß mit ihrer Almosenverteilung; auch eine Auswahl
der Empfänger verbunden werden müsse, fremd. Sie betonte
nur die Verdienstlichkeit der Gabe in Hinsicht auf den Geber,
der sich dadurch weltlichen Besitzes entäußerte. Da sie die
Armut als einen vollkommeneren Stand pries und in den Orden
der Bettelmönche dies Ideal zu neuem Leben erweckte, war es
ihr unmöglich, gegen den Bettel einzuschreiten, selbst als dieser
sich zu einen) allgemeinen sozialen Uebel ausgewachsen halle.
So stand die weltliche Obrigkeit dem wachsenden Bettelun-
wesen allein gegenüber. Sie sah sich genötigt, als Schätzerin
der allgemeinen Sicherheit und als Vertreterin der Interessen
des Publikums diese Plage zu beseitigen ; andrerseits aber
wurde diese moderne Erkenntnis von dun Pflichten der Regie-
rung zurückgedrängt durch die den einzelnen von der Kirche
eingeprägte [Teberzeugun^r, daß die Bettler notwendige Glieder
der rhrist iiihen üesellsehnft seien. Dieser Konflikt hinderte im
ganzen Mittelalter eine wirksame Bekämpfung des Bettels und
der Landstreicherei in deu Städten u.
Wenn man dic.Beltler in zwei gro3e Gruppen, nämlich
die Arbeitsunfähigen und die Arbeitsfähigen scheidet, so ließ di<?
mittelalterliche Gesetzgebung rier ersten Gruppe soweit sie ans
Angehörigen derStadt bestand, völlige Freiheit zu betteln. Nament-
lich Insassen von Spitälern und Leprosenh&usern hallen das
Hecht, auf den Straßen und vor den Kirchen Gaben zu heischen.
( Orgila frant
JHIVt^VÜI-MCHIGAH
— 27 —
Nur mußten sie häutig zur Unterscheidung vuu den Unberech-
tigten Abzeichen tragen, (so in Konstanz schon 1459 dir* fimp-
fänger des Raitinealmosens)«. Ein Einschreiten der städtischen
Behörden aber traf die Landstreicher und herumziehenden
Bettler, die auf betrügerische Weise das Almosen erlangten.
Mit frommen Märchen von Wundererscheinungen und Buß-
fahrten, mit erheuchelter Epilepsie und Veitstanz suchten sie
das Mitleid des Volkes zu erregen. Gefahrlicher ah sie waren
der öffentlichen Sicherheit die stehlenden und raubenden egar-
tendon Krocht», auegediente oder beschäftigungslose Söldner,
die mit falschen Würfeln Hie Leute im Spiel betrogen und ähn-
liches Gesindel mehr«. Herumziehende Zigeuner werden 1418
im Elsaß zuerst genannt, doch kamen sie nicht in die großen
Städte«*. Die barbarische Handhabung der Justiz schuf selbst
viele Arbeitsunfähige, die mit abgehauenen Händen, Zungen
Oder Ohren dann der Allgemeinheit zur l^ast Helen, und den
ohnehin großen Betielsehwarm vermehrten, der von einer Stadt
zur andern zog. Allgemeine Erlasse gegen den Beitel in der
Stadt finden wir seil dem Beginn dos 14. Jahrhunderts, Im
fünften Stadtrecht ron Straßhurg« wird »allen Beutelschneidern,
regem, wegeleren und Wucherern (lehenere), Schlemmern
(esser) und Kupplern* geboten, den Burgbann bei Strafe der
Bleuduug hinnen drei Tagen zu verlassen. Doch was konnte
wohl eine so nilgemeine Verfügung nül&cn, zumal da ihre Aus-
führung, wie anzunehmen ist, einfach den Organen der allge-
meinen Exekution, den Bütteln, überlassen blieb? Eigne Be-
amte der Fremdenpolizei finden wir ja erst viel später. Das
wirksamste Mittel gegen die Bettler, das der befestigten Stadt
zur Verfügung jostontlen hätte, die Kontrolle on den Toren,
fiel weg-; denn m&n achtete nur in Kriegs?eiten eigentlich dar-
auf, wer aus- und einging. Ein Paäwasen existierte noch nicht.
Fing man doch überhaupt erst im Jahre 1330, unter dem
Druck kriegerischer Unruhe im Land, wieder an, die Tore der
Stadt nachts regelmäßig zu schließen«.
Besonders wenn der Stadt ein Krieg drohte, mußte man
liedacbt sein, keine unnützen M hesser innerhalb der Mauern
zu haben. Einheimische Anne kounle man natürlich nicht aus-
weisen, Dagegen traf 1301, beim Aushruch des sojr. Rappolt-
steinischen Kriegs*?, alle «Giler und Gileriu, Bettler und Bett-
lerin und alle Müssiggänger in der Stadt, die da nicht ein Jahr
Speise (Korn) in ihren Häusern haben noch auch nicht ihre
gilerigen Mönche haben noch ire gilei igen Frauen (Bettelmönche
und Bcginen), denen sie dienen», der Befehl, die Stadt binnen
drei Tagen zu räumen oder sich mit einer Arbeit zu beschäf-
tigen«. Als solche Arbeiten, zu denen ituch ein Ungelernter
/"
( \n -* iL- üroha frarn
JlIVU&mUtMUlKAI
— .28 -
taugt, werden in einem späteren, inhaltlich ähnlichen Erlali
das ctrei&eno d. h. Kriegsdienst, tun, fischen und Vogelfang ge-
nannt 4 *.
Eigentliche Erlasse £«yen '' 0I1 betrügerischen Bettel m ? die
der Stadtrat 14Ö9 und 1411 ausgab, sind r i.-ht interessante
Stimmungsbilder als daß sie eine praktische Wirkung genaht
haben trögen* 1 . Sie enthalten ganz allgemein die Bestimmung,
daß die Bettler, die das Almosen in Wirtshäusern zu unerlaub-
ten Zeiten &3 im Spiel und mit «üppigen Frauen» verzehren
und rverqueseniß, bestraft werden «ollen ; jedoch wird noch
keine Exekulivbehorde rar diese Falle ernannt. Interessant ist,
daß sehen aus dem Erlaß des Rates von 1411 der in der Be-
formationszeit zur Grundlage der Armenpflege jremachte Salz:
«Wer nicht arbeitet, soll auch nicht essem und damit die An-
erkennung des Wertes der Arbeit herausklinyt *».
Im Laufe des 15. Jahrhunderts nahm der Bettel allent-
halben ao zu, daß sich die Stadtverwaltungen endlich gezwun-
gen sfchen, besondere Beamte zur Kontrolle des fahrenden Volkes
einzusetzen und nun auch einige konkretere Maßnahmen gegen
den Bettelunfug zu treffen**.
Es bildete sich eine Ratsdeputaliot) von drei Annen pflegern,
die vielleicht zugleich die Pfleger des städtischen Almosens zum
hl. Geist waren; einer von ihnen, der sog:, xobervogt, den die
slat ordnet», hat die Aufsicht Ober die niederen Beamten, den
«undervegt der armen Inte», auch «bettelvogi» genannt, und
die Knechte. Die beiden andern Oberlieirn weiden nur bei
wichtigeren Fällen herangezogen. Wahrscheinlich war auch fdej"
do geordnet ist von der sUt, die fremden ^uten lute (d. h.
die Leprosen) nszzutntmni, flieser Behörde unterstellt«. Der
Untervogt hat die eigentliche Arbeit mit den Bettlern; in der
Stadt darf ei keinem, der «des nicht Notdurft isla, den Bettet
gestatten; im Notfälle mtUsen seine Knechte bei solchen Leuten
Haussuchung hallen; findet man, daß die Hausarmen ohne
Bedürfnis das Almosen in Anspruch nähmen, so hat der Ouer-
vogt, eventuell sogar die drei Pfleger, (nicht der Untervogi)
eine Strafe zu diktieren. Der Untervo^t ist nur Polizeibeamter;
er erstattet die Anzeige und hat die Exekution der von den
nbern fiehörden erkannten Urteile. Fremde Bettler dürfen nicht
länger als drei Tage in der Stadt bleiben ; auch wer sie länger
beherbergt , verfallt der Strafe von 5 sh uder einem halben
Jahr Verbannung. Für die Einhaltung dieser Vorschriften hat
der Reltelvogt hauptsächlich zu sorgen. Er bedient sieh dazu
seiner Organe, der Knechte, die die widerspenstigen Bettler mit
Gewalt vor die Tore un<i bis ober den Rhein hinwegfflhren ;
auch der Knecht, der besonders bestellt ist, die bettelnden
( v , . ,1,- urqha freni
' 'N K JlIVU&mUtMUlKAI
— 29 —
fremden Le prosei, zu beaufsichtigen, soll diejenigen, die länger
als drei Tage in der Stadt bleiben, rors Tor hinausgeleilen, um
sich 7n versichern, daß sie hinweg sind. Findet er Widerstand,
so hat er das Recht, die leprosen in dem Turm gefangen au
halten, bis er einen Ratshescheid bekommt m,
Dis zum Jahre 1473 erhallen allein die Knechte «ine Be-
soldung för ihr unerfreuliches Amt; von einem . Bettler, den
sie über den Rhein führen, erheben sie 6* d, wovon, ebenso wie
von andern Strafen, die sie einsammeln, die Hälfte oder ein Teil
dem Frauen werk, ein Teil ihnen zufällt. Der ßettelvogi sollte
seine Stellung ehrenamtlich verwallen ; als aber Heinrich Bisinger
im Jahre 1473 aintfimüde eich von »einem Posten zurückzog, da
fand sich niemand, der ihn ersetzen wollte. Darauf beschloß der
Rat, daß fortan dem Vogt ein Jahres^ebalt von 30 p ausgesetzt
werden solle und setzte sogleich den Peter Gries zum Bettel-
vegt ein. Die3 Gehalt wurde beschafft, indem man dem Fiauen-
werk seine bisherigen Einkünfte aus Bettelstrafen entzog und
diese in eioer besonderen Büchse sammelte; such den Knechten
20^ man hier und da von ihren Gefällen etwas ab, um desto
mehr in die Kasse zu bekommen. An Weihnachten öffnen die
Pfennigherrn die Büchse ; beträgt der Inhalt weniger als 30 ß,
so hat der Vogt das Nachsehn, beträgt er mehr, so erhält das
Fraimnwerk einen Anteil. Auch der Schultheiß, dessen altes
bischöfliches Polizeigericht sich seltsamerweise in Konkurrenz
mit den städtischen Gerichten noch bis ins 17. Jahrhundert
einige Rechte bewahrt hat, erhält die ihm gebührenden Ein-
künfte, den c Frevel» w. Es ist hier wieder charakteristisch,
daß die Obrigkeit, obwohl sie schon im modernen Sißiie ihre
Pflicht auf dem Gebiete der Wohlfahrtspflege erfaßt hat, doch
noch in mittelalterlicher Weise die materielle Ausführung und
Unterstützung dieser Gedanken den einzelnen beteiligten Be-
hörden oiler Bevölkerungsgruppen überläßt.
Die Maßregeln, zu deren Ausführung der ßettelvogt und
seine Leute angestellt waren, lasser sich, wie angedeutet, in
die gegen die in der Stadt domizilierten und in solche gegen
fremde Bettler und Landstreicher teilen. Straßburg leistete in
dieser Richtung 1 nicht mehr als alle anderen Städte Süddeulscli-
lands in jener Zeit. Von Augsburg, von Nürnberg, von Frank-
furt und von Konstanz 58 liegen aus der Zeit von ca. 1460 bis
zur Reformation inhaltlich fast gleichlautende Ordnungen vor.
Die engen Beziehungen der Städte zueinander, die allmählich,
infolge der immer ähnlicher werdenden allgemeinen Lage, sie 1 )
ausbildende Solidarität der Städte findet gerade auf diesem
Gebiet der Wohlfahrtspflege, besonders aber auch, wie wir sehn
werden, im Medizitialwesen .«einen frühsten Ausdruck. In Bezug
/ " ürqha frern
k " jiivu&mutMUiKAi
- 30 -
auf die Hausarmen begann man, ihre Bedürftigkeit durch Haus-
suchungen strenger zu prüfen und verlangte, daß sie äußerlich
sichtbare Zeichen trugen*»», damit das Schamgefühl nicht ganz
verloren gehe. Schon in der Richtung der Präventive bewegt
sich die Vorschrift, daß der Schultheiß, der das Recht hat,
Leute mit weniger als 10 U Vermögen aufsur.eb.men, diejenigen
nicht als Bürger empfangen dürfe, die von \ornherein die Ab-
sicht hätten, ihr Bürgerrecht zum Bettel auszunutzen. Es war
offenbar häufig; vorgekommen, daß Bettler, wenn sie sich die
zum Erwerb des niederen Bürgerrechts nötige Summe erspart
hatten, sich in der Stadt einkauften, wo man ihnen dünn nicht
mehr, wieden eigentlichen Fremden, den Bettel verbieten konnte.
So schützten sich die ;Seh lauen vor den Geldstrafen und vor
der Austreibung mich drei Tagen, die sonst über den fremden
Bettler verhängt waren. Wenn «ie diesen Schwindel etwa in
mehreren Städten nacheinander machton, so konnte es recht vor-
teilhaft sein. Erwachsene kräftige Kinder von Bettlern dürfen
nicht das Gewerbe ihrer Ritern fortsetzen ; ebenso ist natürlich
der alte Bettler! rici., Kinder anderer Leute sich zur Hülfe beim
Betteln zu leihn, unter Strafe gestellt w.
So vernünftig diese Bestimmungen gegen derr Bettel im
Einzelnen erscheinen, sie blieben auf die Dauer ohne Wirkung,
selbst wenn man die angedrohten Strafen immer mehr ver-
schärfte. Es bedurfte einer Reform, die sich nicht auf einzelne
Maßregeln beschränkte, sondern den sozialen und wirtschaft-
lichen Mißständen, deren Foljre das Bettelunwesen war, an
die Wurzel griff. Es ist kein Zufall, daß die ersten umfassen-
den Am Zuordnungen, die den Uebergang von der bloß repres-
siven Eeltelpolizei zur positiven Fürsorge bedeuten, in die Zeit
der Reformation fallen und von den Städten ausgingen. «Hier
vereinigte sich die bereits vorhandene, auf Abstellung des
Bettels gerichtete, sozial-politische Strömung mit der durch die
Reformation hervorgerufenen religiös - sittlichen» 8 ', die nach
Luthers Vorgang den Bettel als unsittlich verwarf und den
Wert und die Notwendigkeit der Arbeit betonte.
Strikte Bettelverbote für Einbeimische wie für Fremd© sind
erst möglich, nachdem man mit der kirchlichen Anschauung
von der Liebestatigkeit gebrochen hat, seit man in dem Bettler
nicht mehr einen heiligen Mann, sondern einen sozialen Schäd-
ling sieht. Wo man aber den wirklich Armen durch das
allgemeine Verbot^ auf Straßen und in Kirchen Raben zu
heischen, ihre bisherige Nahrung entzog, mußte die weltliche
Obrigkeiufür einen ausreichenden Ersatz soiyen. Daraus ent-
standen die völligen Neuordnungen des Arnienwesens in den
Städten, deren erste die 1522 erlassene Au^sburger Ordnung
( v , . ,1,- ürqha frern
JMVU&mc+MUlKAI
- 31 -
ist; ihr folgt noch im gleichen Jahre die Nürnberger, im Jahre
•1523 die Slraßburger, Breslauer und Regen sburger ? 1&24 die
Magdeburger Ordnung".
Obwohl, wie die Nfirnberger, noch zur Zeit des Bestehens
der alten Kircheuordnuug entstanden *» l steht die Straflburger
Armenordnung ton 1523, deren Entwurf bei Drucker gedruckt
ist, schon völlig unter dem Einfluß der reformierten Predigt
und der von Li her verkündeten Ideen. Auch ihre praktische
Durchführung wurde durch die realen Veränderungen, die die
Einführung der Reformation iu Strasburg mit »ich brachte,
erst wirklich ermöglich!; insofern, als man die im Laufe des
3. Jahrzehnts des '16. Jahrhunderts eingezogenen Kirchengüter
und alten Stiftungen von Seelspenden zu dem allgemeinen Al-
mosenfonds heranzog, lößl sich dieser wobl als die cersle wohl-
tätige Frucht der Reformalion» bezeichnen**.
Um aus der Ordnung nur dts wichtigste herauszugreifen,
erwähnen wir, daß eine ziemliche Anzahl Stifter, Klöster und
reiche Bürger den Almosenpfleg^rn «ire gestylte Almusen und
spenden» zur Gründung eines «gemeinen Almosens» zur
Verfügung stellten, um die Hausarnien, die man, je nach der
Bedürftigkeit, in vierteljährlichen Umgängen in der Stadt sorg-
sam auswählte, davon ausreichend zu unterstützen. In allen
Kirchen wurde zugunsten der Armen mit «säcklin an släblin»
gesammelt, auch die Ertrage der Almosenstocke (büchsen>
kamen dem «gemeinen Almosen», das später im ehemaligen
Kloster St. Marx untergebracht wurde, zugute. Die Verrech-
nung dessen, was dem Almosen zufallt und was ausgegeben
wird, besorgt der Almosenschaffner ; er hat auch ein Ver-
zeichnis aller zum Almoseneinpfang Berechtigten; diese tragen
ein c Wortzeichen». Arme, die bedürftig sind, aber das Ab-
zeichen zu tragen sich schämen, erhalten das Almoseo heim-
lich von den Pflegern.
Fremde Bettler sollten womöglich gar nicht in die Stadt
gelassen oder wenigstens von den Zollwächiern au der Rhein-
brücke und an der III bei Grafenstadeii verpflichtet werden, nur
durchzuziehn oder, wenn sie in der Elcndenherberge eine Nacht
Aufnahme gefunden hätten, am andern Morgen weiter zu wan-
dern und die Stadt innerhalb eines halben Jahres zu meiden.
Die Organisation des Almosenarntes knüpfte an den Ge-
denken an, den Geiler von Kaisersberg im Jahre 4500 schon
im 43. seiner XXI Artikel *& geäußert hatte, daß jede Gemeinde
ihre Armen selbst unterstützen solle; es wurde nämhrrh aus
jeder der neun Pfarreien je ein Bürger zum Ptlejcer ernannt.
Diese hatten mit Hülfe von vier Knechten und unter Kontrolle
von vier Ratsvercrdneten, den Oberherrn, die Verteilung der
'^" JlIVUUlYOtMUlKAI
— 32 —
Spenden an die Hausarmen zu besorgen. — Was nun die Streit-
frage na eh dem Anteil de* Mittelalters an dieser Schöpfung der
Reformation angeht, so darf man wohl sagen, daß schon vor-
her tasleude Versuche in der Richtung auf das 1323 erreichte
Ziel nicht gefehlt haben, wozu besonders die Heilig-Geistpfründen
und die Laienbröderschafleti zu zählen sind. Jedoch bedurfte
es immerhin noch der neuen Gedanken der Reformation, um
dieser Ansätzen zur Wirkerinen Ausgestaltung zu verhelfen«.
III. Alischnitt.
Das Sanitätswesen von Strasburg.
I. Gesundheitspflege der Stadtverwaltang.
Das öffentliche Sanitatswesen umfaßt nach moderner nalional-
Okoiiuinibdiei Definition zwei Gebiete; 1) die Sauilätspolizei,
«durch welche das staatliche Eingreifen zur Herstellung gesund-
heitsgeniääer Lebensbedingungen und zur' Abwehr von Gesuud-
heitsschädigungen in den Fällen vermittelt werden soll, wo der
Einzelne hieizu nicht imstande ist» und zweitens die Medizinal-
polizei, <in deren Bereich die Sorge für Erkrankte und die
UcberwoöKung des Hcilwc3cns (Acrztc, Hebammen, Apotheker)
feilt» i.
Obwohl dieser Satz von den Aufgaben des modernen
Staates und von dem modernen Staatsbegriff ausgeht, so dürfen
wir ihn doch auch für die mittelalterlichen Städte zum Aus-
gangspunkt einer Darstellung der Gesundheitsfürsorge nehmen.
Denn gerade dies ist das Gebiet, auf dem sieh am frühsten die
Wohlfahrtspflege der mittelalterlichen Obrigkeit betätigte. Wir
sahen, wie in dem (eng an dies angrenzenden) Bereich der Annen-
und Krankenpflege lange vor dem Eingreifen der staatlichen
Organe die Kirche und bürgerliche Genossenschaften eine um-
fassende Tätigkeit enl falteten. Jedoch betonten sie in erster
Linie den ethisch-religiösen Gesichtspunkt und erhoben auch
ihre Krankenpflege nicht über das Zufällige und Individuelle
hinaus. Daß auf dem Gebiet der eigentlichen Krankenfürsorge
im Spital auch der mittelalterliche Stadtstaat noch sehr wenig
leistete, sahn wir bereits ; jedoch zeigen sich schon sehr früh
die Ansalze zu einem Eingreifen der Stadtregiemng in dem Teil
des Saninätswesens, der unbedingt der obrigkeitlichen Autorität
bedarf und den wir vorbin als SanitÄtepolizeJ bezeichneten. «2ur
Herstellung gesund heitsgemäßer Lebensbedingungen» gehörte es
vor allem, daß man gesundheitsschädliche Stoffe und Dünste von
der nächsten Umgebung des Menschen fernhielt, daß man also
( v , . ,1,- üroha frern
Uigimcc y^»<X JMVlföllYWMUHWI
— 33 —
im Innern der Stadt auf Reinlichkeit, Ordnung und Verhütung
schmutziger Anhäufungen iu den Sti öflen achtete. Scliou in der
Mitte des 42. Jahrhunderts findet sich im Straßlurger Stadt -
recht die Verordnung, niemand dürfe Mist und Unrat vor meinem
Haut» lagern, «andern man solle diese Abfälle an bestimmte
Orte an der Peripherie der damaligen Stadt wegführen*. Ob
diese Verfügung von dem bischöflichen Polizei beamlen, dem
Burggrafen ausging und gehandhabt wurde oder ob sie der
Kompetenz der freien Stadtgemeinde entsprang, läßt sich nicht
entscheiden. Das erste Straßhurger Stadtrecht will ja keine
vollständige Kodifikation des bestehenden Rechts, sondern nur
ein Weisturn aber das BischofsrechL in der Stadt sein». Frei-
lich lassen die im Zusammenhang mit diesem Paragraphen
stehenden Verordnungen über Baupolizei und über das Halten
von Schweinen vermuten, daß neben sanitären Gründen auch
die Rücksicht auf den Verkehr iu der Stadt, ah» allgemeinere
Yerkchrsinteresscn, den. Anlaß zu dieser Maßregel gegeben
haben. Dieser Anfang einer staatlichen Gesundheitsfürsorge
wurde im Lauf der nächsten Jahrhunderte zu einer ziemlich
organisierten Reinlichkeitspolizei ausgebaut. Die Viehhaltung,
die hei dem autarkischen Charakter der bürgerlichen Haus-
haltungen noch unentbehrlich schien, wurde später einge-
geschränkt, Schweine schon im 12. Jahrhundert ton einem
Stadthirten gemeinsam in einem dazu bestimmten Hofe (curtia)
an der Mauer gehütet und verholen, sie frei auf den Straßen
umherlaufen zu lassen**. Hundert Jahre später (ca. 1300) ist
es nur noch den Bäckern und Oelleuten, da sie mit dem Ab-
fall ihres Gewerbes gerade diese Tiere ohne besondere Kosten
mästen könnet), erlaubt, eine größere Zahl, nämlich im Sommer
acht, im Winter zwölf Schweine zu hallen .
Je mehr sich die Rejjierunx des Rates in jeder Uinsichl
befestigte, umso energischer wurde fCr die Reinheit der Straßen
gesorgt. Gepflasterte Straßen linden wir früh«. Sollte aber das
Pflaster Wert und Bestand haben, so mußte man den Schmutz
und den gewöhnlich aus den Haushaltungen kommenden Ab-
fällen Abzugsbfibnen schaffen. Kanäle und Röhren zogen von
den Häusern teils unter der Erde, teil« auf Msuern zu den
größeren Granen, die die ganze Stadt, durchliefen und schließ-
lich in den Fluß, die Breusch, einmündeten 1 . Streitigkeiten
über solche Abflüsse beschäftigten häufig die a Bauherrn», die
städtische Baupolizei ; ihre Anlage ebenso wie die der Aborte
bedurfte im li Jahrhundert der Bestätigung durrh fii** Ohrig.
keit. (Jener die Reinigung der Aborte, die meist von zwei oder
drei Häusern zusammen benutzt wurden, nahm man iu die
Mietverträge stets eine Klausel auf, die jedoch nicht auf obrig-
8
( ' ürqha frern
KXlglt JMVIKillYC+MUHWI
— 34 —
keitliche Verfügungen, sondern eher auf private Abmachungen
der Parteien zurückgehen 8 . Im 14. Jahrhundert legte die Stadt
auch öffentliche cSprochhüser» im Zentrum der Stadt an, die
in der Nähe eines Stadtgrabens Platz fanden, um Ausdünstungen
zu vermeiden 9. Da man die Wichtigkeit des fließenden Wassers,
auch wenn es nioht gerade schiffbar war, bereits kannte,
schützte man durch häufige Verbole, mit Steinen und Holz
und sonstigem Bauschutt (gerere) untermischten Schmutz in
die Breusch zu schulten, den Lauf des Flusses vor dem Ver-
sanden. Mit dem Gassenschlamm aber, den man zusammen-
fegte, wußte man sich keinen andern Rat, da er nicht weit zu
transportieren war, ah daß man ihn von der Mitte einer Brücke
in den Fluß hinabgoß; dort riß ihn die Strömung gleich mit,
wie man glaubte, und so schadete er der Tiefe des Flußbettes
nicht". Solche Reinlichkeilspolizei zu üben sind bereits seit
dem 14. Jahrhundert Stadtknechte, die sog. Ilorbknechte, an-
gestellt, die zugleich auch über das Pflaster zu wachen haben.
Sie unterslehn einem vom Rat ernannten Lohnherrn. In regel-
recht organisiertem Dienst führen sie den Schmutz aus den
Häusern und Straßen an die durch Ptähle bezeichneten Steller
der Allmende 11 .
Auch ihrer präventiven Pflicht, «der Abwehr
von Gesundsheitsschädigungen» genügte die Stadt auf mancherlei
Weise, natürlich wieder nur, soweit ihr überhaupt die Erkennt-
nis der sanitären Mangel und Gefahren hei dem niedrigen Stand
der Wissenschaft möglich war. In welch nachdrücklicher Art
die Stadtregierung die wichtige Lebensmittelkontrolle ausübte,
hat A. Herzog in einer Monographie über die f Lehensmittelpolitik
der Stadt Strasburg im Mittelalter:» dargetan.
Welche Anstalten man zur Beschaffung von gesundem und
reinem Trinkwasser besaß, konnte ich nicht finden; vermutlich
begnügte man sich mit einzelnen gegrabenen Brunnen, die, aus-
gemauert, von Zeit zu Zeit einer gründlichen Reinigung unter-
zogen werden konnten. Die Bedeutung reinen Trinkwassers
für die Öffentliche Gesundheit erkannte schon das 5. Stadt-
recht an, in dem auf das Abhaun und Verunreinigen von
Brunnen eine besonders hohe Strafe gesetzt wurde**. Die Pest
von 1349, die auf die Brunnenvergiftung durch die Juden zu-
rückgeführt wurde, war gewiß geeignet, das Interesse an einer
richtigen Wasserversorgung zu beleben. Deshalb wurde — von
welchem Datum ah, wissen wir nicht — mr Kontrolle über
die Brunnen der ganzen Stadt ein Oherhrnnnenmeisler einge-
setzt, dem die für jeden Brunnen ernannten Brunnenmeister
zur Seile slehn. Diese, aus der den betr. Brunnen benützenden
Anwohnerschaft gewählten Bürger, haben für dessen Instandhal-
'^" JMVUUlYUtMUlKAI
- 35 —
tung und Reinigung zu sorgen ; die Kosten trägt halb die Stadt,
halb die Bürgerschaft. Für die <Brunnensehöpfer>, die die Rei-
nigung der Brunnen übernehmen, wird ein gesetzlicher Lohn
von 3 ß, reep. 2 ß, ein Maß Wein und ein Laib Brot pro Tag
festgesetzt, damit sie nicht ferner zu unverschämte Preise er-
heben können. Leute, die eigne Brunnen im Hause hatten,
brauchten sich weder an dieser PoliEeieinrichlung noch an der
dafür erhobenen Sleuer zu beteiligen ».
Das einzige Gebiet der Sanitätspolizei, auf denn sich auch
die Kirche, und zwar früher als die weltliche Gewalt, betätigte,
war das Beerdigungs w esen. Der Zusammenhang, in deu
das kirchliche Dogma die Beerdigung mit der Auferstehung
brachte, die Riten, mit denen es den Tod umgab, um ihm in
den Augen der Ueberlebenden seine Schrecken zu nehmen,
brachten es von selbst mit sich, daß bei jeder Kirche auch ein
Friedhol errichtet wurde und so die Fürsorge für die Totenbe-
stattung als ein Liebesdienst der Kirche vorbehalten blieb. Aber
soweit es sich dabei um rein sanitäre Fragen handelte, z. B.
die Lage der Friedhöfe, die Anlage der Gräber, die Schnellig-
keit der Beerdigung, mußte doch mitunter die Obrigkeit ein-
greifen. Zuerst geschah es in Zeiten der Pest und des Massen-
sterbens, wie sie seit dem \'i. Jahrhundert so häuGg die euro-
päischpn Städte bedrohten, daß die Stadträte eine Verfügung zur
Verhütung der Ansteckung trafen: und aus solchen Anfängen
entwickelte sich dann eine Aufsicht des Staates über das ganze
Begräbniswesen, wobei sich sogar mitunter ein kleiner Gegen-
satz zwischen den Forderungen der Sariitatspolizei und den Riten
der Kirche herausslellte. Die selbst im Geiste des Christentums
lebenden Behörden suchten diese Klippen möglichst ohne An-
stoß bei den Vertretern des Glaubens, mitunter im Widerspruch
gegen ihre eigenen Sanitälsmaßregeln zu umgehen 14 . So unter-
ließ man es z. B. in Straßburg auch in den schlimmsten Pest-
zeiten, wenn die Toten so rasch als möglich in irgend eine Grube
geworfen werden mußten, nicht, anstelle der eigentlichen Leiche,
die morgens in der Kirche selbst eingesegnet zu werden pflegte,
wenigHtens einen leeren Sarg hinzustellen, über den der Priester
seinen Segen sprach und die vorgeschriebene Seelmesse halten
konnte. Der Tote ruhte aber in Wahrheit längst im Grabe».
Da jeder Friedhof bei einer Kirche und innerhalb eines
Pfarrsprengels liegen mußte, waren fast sämtliche Begräbnis-
stätten innerhalb der Stadtmauern und zwar über die ganze
Stadt zerstreut. Daß dies wegen dar Ausdünstungen, die ein
Friedhof meist verbreitet und weyen der geringen Ausdehnungs-
möglichkeit, wenn der ursprüngliche Raum zu klein wurde,
große Mängel mit sich brachte, ist kaum zweifelhaft. So mußte
r
i ' üroha frern
'^" JlIVtfömtftMUlKAI
— 36 —
man den großen Spilal/riedhof, auf dem in Pestzeilen alle
Armen und Fremden begraben wurden, im Jahre 1316 vor die
Tore der Stadt verlegen 1 » 1 . Mit dem Uebergsing des Spitals an
die Stadt war auch der Friedhof zu städtischem Besitz geworden,
und dort wurden wohl zuerst städtische Knechte als Toten-
gräber angestellt, während die kirchlichen Friedhöfe ihre eigenen,
von den Kirchenvorslehem eingesetzten Totengräber hallen. So
ißt 2. B. bei Sl. Thomas ein «servus, qui facit sepulcr-ü»
genannt'*. Das Friedhofsweseii war mit den kirchlichen Insti-
tutionen der mittelalterlichen Siadt so en<r verknüpft, daß man
im Mittelalter nicht daran denken konnte, eine ausschließlich den
sanitären Anforderungen entsprechende Aenderung zu treffen,
nämlich die Verlegung aller Friedhöfe vor die Mauern. Zugleich
wäre der Mauerring der Itefestigten Si.nll ein Hindernis für die
Anlage van Friedhöfen außerhalb der Wälle gewesen. Denn
wie leicht kouute ein belagernder Feind diese ummauerte
Stätte zum militärischen Stützpunkt benutzen. Erst als man
überhaupt mit den kirchlichen Traditionen brach, in der
Reformationszeit, und Hie Wichtigkeit der Befestigung zurück-
ging, konzentrierte man alle Begräbnisse auf drei Plätze im
Weichbild der Stadt. 1527 \erbot man jede Beerdigung inner-
halb der Stadtmauern ; dieselbe Verfügung war kurz vorher in
Nürnberg dem heftigsten Widerstand der katholischen CJeislIich-
keit begegnet ; erst eine kaiserliche Urkunde hatte dort den Streit
zu Gunsten der Stadt und der modernen Hygiene entschieden »
Besonders reiche und rornehme Leute pflegten sich, statt
auf dem Friedhof ihrer Pfarrkirche, innerhalb einer von ihnen
ausgewählten und reich beschenkten Stift- oder Klosterkirche
begraben zu lassen. Wegen der Gefahr» die in Pestzeiten
solche verwesende Leichname für die Kirchenbesucher dar-
stellten, mußte man 1349 auch diese Sitte für kurze Zeit ver-
bieten. Jedoch kam sie rasch wieder in Aufnahme und hielt
sirh überall bis zur Reformation >s.
Uefcer die Zeit, die man von dem Eintreten des Todes an
bis zur Beerdigung verstreichen lassen dürfe oder müsse, kannte
man keine Bestimmungen. In gewöhnlichen Zeiten waren sie
ja wohl nicht unbedingt notig, da einfache Erwägungen und
ein gewisses Herkommen flie beule schon von selbst veranlafilen,
die Toten in einer angemessenen Zeit aus dem Hause zu
schaffen. Nur wenn eine Pest wütete, gebot man streng, eine
Leiche auch nicht über eine Nacht in der Wohnung zu lassen,
sondern «ie, seihst vor der Einsegnung in der Kirche, sofort tu
bestatten. Daß dabei wohl hie und da ein Scheintoter lebendig
dem Grane verfiel, daran dachte man in -solchen Schreckens-
zeiten nicht u\
( < ■
Crqha'frain
JIHVtra YJtMUtl'iAH
— 37 -
Eine große Bolle spielte im Gefühlsleben des Volkes das
ehrenvolle Begräbnis. Eine Bestallung mit möglichst viel Prunk
und trroüem Geleite zu erlangen und die Sicherheit xu haben.
von Standesgenossen zu Grabe g:elraeen zu werden, war einer
der Hauptgedanken, die den religiös -genossenschaftlichen Zu-
sammenschluß der Handwerker, Gesellen und Kaufleute her-
beiführten. In allen Zünften und Bruderschaften waren ja
die Brüder verpflichtet, ihren verstorbenen Genossen das Toten-
geleite zu geben und bei der in der Kirche abgehaltenen
Totenmesse zugegen zu sein, Anatirninlungen von Menschen,
wie sie hei diesen Feiern entstanden, mußle mnn y wenn eine
Seuche wütete, natürlich möglichst verhüten ; das ausgeprägte
Standesbewnßtsein des städtischen Patriziats aber ertrug das
1349 erlassene Gebot, daß das Tragen durch die Genossen
unterbleiben sollte *>, nur so lan^e, als es die herrschende Pest
nötig machte. Obwohl man sich inzwischen schon daran
gewöhnt hatte, fremde Tolenträger z. B. die frommen Genossen-
schaften der Laieuurnder, zu diesem Geschäft zu (nieten, so
«schametent sich gute lüte, das ir ungenosseu au soltent tragen
oder das sü knehten soltent Ionen» und deshalb cgebot man
wiederum» die alte Sitte, duß die Slandesgenossen der Toten
diese zu Grabe tragen sollten. Eine unheilvolle Durchbrechung
dieser VorbeuKuny,siuaöreuelri zur Pestzeit ist es, weuu mau
auch für die Zeilen, in denen di» Geleite verboten ist, den
Bischof, Domherrn und fremde Landesherrn von diesem Verbote
ausnimmt so.
Der Bestattung: der Armen und Fremden widmeten such
die eben erwähnten Laienbrüdergenosseiischnflen. Sie wurden
in dieser ihrer christlichen Liehestätigheit von der &tidtischen
Verwaltung ha ufig durch Zuschüsse und Schutz unterstützt".
Nicht zu verwechseln mit denjenigen, die die Leichen zum
Grabe tragen, sind die eigentlichen Totengräber. Seit dem
45. Jahrhundert gab es in Strasburg drei von der Stadt konzes-
sionierte Totengräber, die auch das Reinigen der Stadttürme
mitu bernahmen u. Die Stadt setzte ihnen eine Taxe fest»,
die interessante Abstufungen fürdie einzelnen Kirchhöfe aufweist.
Aus ihnen kann man erkennen, wie die betreffenden Kirchen
in dem Volke geachtet und eingeschätzt wurden. Am teuersten
sind überall die Begräbnisse im Innern der Kirchen und in
den Kreuzgängen. Der teuerste Begräbnisplatz ist naturlich
das Münster ; jedoch geben die Preise bei St. Martin, St. Thomas
und Sl. Peter denen für das Muraler kaum uaeh. In den
Kirchen, die, wie St, Thomas z. 13. früher eijjne Totengräber
hatten, also auch deren Gebühren selbst einzogen, lieferten die
städtischen Totengräber nach einer Abmachung mit den betr.
( " ürqha frern
'^" JlIVUUlYOtMUlKAI
— 38 —
Kapiteln» einen Teil dessen was sie vom Publikum erhielten
an den Küster ab. Am billigsten sind die Gräber in den
Frauenfclöslern. Bis zur Mitte des 15. Jhs. betrugen die Preise
für daher, (d. Ii. nur für die Hei rieh tun*, wenn mau bereits
durch viel Spenden an den Fonds der Kirclie daa Recht bei
der betr. Kirche begraben zu werden erkauft hatte) höchstens
18 — *>0 ß, mindestens aber für den Erwachsenen 3 ß. Diese
hohen Preise erhob eine Gesellschaft von dre: Leuten, Heintze-
muiin Halerach, Kleiuhaus \on Greßwillei* und Rulmann von
Hagcnau, ungehindert durch Konkurrenz, bis sich ein anderes
Dreigestirn, Peter Vorwurf, Liebolt Geiler und Berthold Spitzysen,
die sich die «nahtrieler» (Machtreiter) nennen, dem Rat für alle
von jenen geleisteten Dienste um die Hälfte des Lohnes anbietet.
Wie dieser Wettstreit ausging:, wissen wir nicht.
Aus einer spätem Zeit, vielleicht schon nach 1527, stammt
wohl der uns erhaltene Eid der Totengräber, in dem die Taie
für deren Arbeit nur nach der Größe und nach dem Alter
des Toten fesijreselzt wird. Von den Unterschieden der Fried-
höfe ist nicht mehr die Rede. Die Totengräber geben jeweils
die Hälfta ihrer Rinnahmen dem Frauen werk vom Münster,
das nach der Reformation die Zentrale fftr kirchliche Ver-
waltung wurde". Seine Taxe darf ein Gräber übersleigen,
wenn dei Boden gefroren ist, so daß er feuern muß, um graben
zu können, oder wenn die Leiche, die vorher in dem Grab
lag, nur mit Schwierigkeit zu entfernen oder der einzufügende
Sarg außergewöhnlich groß ist. Lrhehen sich über solche
Forderungen Streitigkeilen, so schlichiet sie das «Werk» des
Münsters.
In dieser Ordnung dos 46. Jahrhunderts finden wir die
er«te Vorschrift über die Tiefp, die ein Grab haben muß ; in
Straßbury soll es 6 Schuh tief sein; in Eßlingen beträgt die
vorschriftsmäßige Tiefe 7 Fuß«*.
Ueber den in Straßburg innegehaltenen Begräbnisturnus
gehen die Quellen keine Auskunft.
Selhslmörder fanden nach der kirchliehen Lehre keinen
Platz auf der geheiligten Stätte eines Friedhof«. Der Nachrichter
oder Henker war von der Stadt dazu angestellt, die Leichen
solcher Sünder aus den Häusern abzuholen, in ein Faß zu
schlagen und aus der Stadt wegzuschaffen. Er erhielt dafür
10 ß (später nur 5 0) Sohl und das Faß, wenn nicht der Tote
so viel Vermögen hinterlassen hatte, um oiese Kosten zu be-
al reiten.
Wenn wir nun noch fragen, was die mittelalterlichen
Städte ?um Schutz vor der schlimmsten Gesundheitsbedrohung
taten, nämlich zum Schutz vor der Pest, so werden wir
( ' Crcha frern
'^" JMIVtfömühMC.HKAII
— 89 -
präventive Maßregeln, die das Einschleppen von außen verhin-
dert hätten, kaum je ßnden oder erwarten dürfen. Auch wenn
die Seuche einmal in die Stadt gedrungen war, wuSte man,
soweit unsere Quellen das erkennen lassen, nicht viel mehr
dagegen zu tun, als was eben bei Besprechung des Reerriigungs-
wesens erwähnt wurde. Erst im 16. Jahrhundert erkannte die
medizinische Wissenschaft so recht den kontayiösen Charakter
der Pest und nun begann auch die Stadtverwallung der (iefabr
schon zu be^nen, bevor sie in den Mauern war. Die im
17, Jahrhundert geschaffene Behörde der iKuutaKionsuerru* ist
ein Produkt dieser modernen Bestrebungen **.
Mit diesem Ueberblick über die Straßen- Wasser- Viktua-
lien- und Leichenpolizei haben wir wohl den Kreis derjenigen
Einrichtungen und Vorkehrungen umschrieben, die der eigent-
lichen Sanilätspoliaei, d. h. der prä ve ntiven Seite der staat-
lichen Gesundheitsfürsorge angehören. Wenn hier auch die
mittelalterlichen Städte, die doch in dieser Hinsicht den Terri-
torien noch weit voraus sind, über schwache Anfänge nicht
hinaus gekommen sind, so darf man daraus nichl den Vorwurf
ableiten, die städtische Verwaltung hätte ihre Pflichten nichl
erkannt; vielmehr machte der niedere Stand der Wissenschaft
und Kultur die Hilfe des Sinnlos häufig unmöglich 48 .
II. Modiziiiülpolieei.
Naturgemäß machen wir dieselbe Beobachtung, wenn wir
uns nun zu der eigentlichen Medizmalpoli?ei, d. h. der Für-
sorge der Stadt für Kranke und ihrer Kontrolle ries Heilspersonals,
wenden. Daß man die eigentliche Krankenpflege, der die staat-
lichen Spitäler dienten, mehr vom ethisch- religiösen als vom
sunilär- medizinischen Standpunkt aus auffaßte, haben wir bereits
gesehen. Die Spitäler waren nicht Kranken-, sondern mehr
Armenhäuser; nur die Leprosenhäuser verdienen etwa die Be-
zeichnung von Hospitälern, da sie wenigstens vorwiegend Kranke
aufnahmen, wenn auch von ärztlicher Behandlung nie die Rede
war. Eigentliche Krankenhäuser eind erst die der Neuzeit an-
gehörenden «Blallernhäuser» für syphilitisch« Kranke.
Gleichwohl war tu allen Zeiten in den Städten ärztliche
Hülfe zur Stelle, wenn man ihrer bedurfte. Unter den Geist-
lichen der Stifter fand sich, wie wir oben sahen, stets einer oder
mehrere, die mit der ärztlichen Kun.at, wie die alten Griechen
Hippokrates und Galen sie gelehrt hatten, wohl vertraut waren.
Die Tätigkeil duser heimischen geistlichen Aerzte war jedoch
durch kirchliche Gesetze auf die Heilung der inneren Krankheiten
r
( v , . ,1,- ürtjha frern
'^" JlIVU&mUtMUlKAI
— 40 —
beschränkt. Zur Ausübung: der Chirurgie bedurfte man deshalb
teils der niederen, aus dem Schererstand hervorgegangen a Wund-
ärzte:», teils der fremden Aerzte, die häufig die Städte durch-
togen. Diese Wauderärzte fttehorten häufig der jüdischen Nation
an 89 ; besondein Ruf genossen die Südländer, namentlich wenn
sie etwa in Salerno gebildet waren. Der erste Arzt, dem wir in
StraBburg begegnen, ist ein Lombarde Humbert, wahrscheinlich
ein Laie, der mit Frau un<i Sohn in Straßburg Bürgerrecht
erworben hat 80 . In frommer Gestunuog vermacht er in der
uns erhaltenen Urkunde die ansehnlichen Liegenschaften, die
er «ein Eigen nennt, für dan Fall seines Todes verschiedenen
Kirchen. Zugleich sichert er damit seiner Frau einen Platz in
der Klause von St. Arbogast. seinen Sohn kauft er im Stift St.
Peter ein. Fürs eigne Seelenheil sliftet er eine ewige Messe und
vielleicht zog er sich auch als Bruder in ein Kloster zurück. Seit
dem 13. Jahrhundert begegnen uns in den Urkunden häutiger
Aerzte, die jedoch fast alle dem geistlichen Stande angehören ;
ihre lateinische Bezeichnung lautet bald «medicusi, bald ephy-
sieus». Aus unsern kargen Beispielen läßt sich nicht ableiten,
ob dieser Scheidung ein tatsachlicher Unterschied zugrunde
liegt. Daß gerade die Aertte der Bettekirden mit Vorliehe «me-
dia» genannt werden, dürlle ein Zufall sein". Auch liegt kein
Grund vor, in deu physici, wie Baas will, stets Stndtärzte zu
sehn. Als Laicnerzte lassen sich unter allen nur zwei sicher
erkennen, nämlich der 1328 bis nach 1363 erwähnte physicus
Henricus de Saxonia» und der «magister Matheus phisicus>,
dessen Sohn 1390 als Apotheker den Spuren des Vaters folgt;
denn zwischen Apothekern und Aerzlen ist in jener Zeit noch
keine strenge Scheidung. 1400 genießt auch ein Arzt Johann
(Gbaiiä) von Sacheon das allgemeine Vertrauen w.
Während filier die Stellung der beiden letztgenannten ztr
Stadtobrigkeit nichts 2U ermitteln ist, scheint Herr Heinrich
aus Sachsen oder «aus Nordhausen» der erste eigentliche Sladl-
arzt gewesen zu sein ; denn er führt den Titel eines «physicus
civitatis ArgentinensisnSs. Kr bewohnte ein Haus in der Prediger-
gasse, das 1363, noch zu seinen Lebzeilen, die reichen Beginen
«um Offenburg» ihm abkauften ; er besaß dies Haus schon seit
1328, war also wohl städtischer Burger; jedoch muß er nicht
während der ganzen Zeit Stödtarzt gewesen sein; vielleicht wurde
er erst unter dem Einfluß der Panik, die der schwarze Tod von
1349 hervorrief, zum Stadtarzt gemacht. Denn es ist sehr wahr-
scheinlich, daß, wie auf dem Gebiel des Begräbnis weseiis, so
auch för du3 eigentliche Mediiinalwcsen die Pest von 1341) der An-
fang des Interesses der Behörde gewesen sei. «Der schwarze Tod
war die Wiege der Sanitätspolizei im Mittelalter» sagt Hfiniger**.
* " Groha frern
JMVU4IIYU-M(.HK»AI
— 41 —
Nicht nur in Pestzeiten fühlte der Rat die Notwendigkeit,
einen Arzt für seine Beamten zur Verfügung zu haben, sondern
auch zu Kriegszeiten und im Feldlager, jedoch scheint man zu
piner Verwendung des Stadtarztes in normalen Zeiten noch keine
Veranlassung gefunden zu haben; denn man stellte den Arzt
regelmäßig tad hoc» auf einige Jahre an und lief) ihn dann
meist wieder seines Weges ziehn. Sin solcher Wanderarzt war
der jüdische «Meister Gutlebem. den die Stadt Straßbury 1388
auf sechs Jahre mit einem Sold von (im Ganzen) 3UO 11. an-
stellte 9 «. Man gestattete ihm als besondere Vergünstigung, neben
seiner ärztlichen Tätigkeit auch den Geldgeschäften nachzugeben.
Id Frankfurt, wo man den Aerzien dies ausdrücklich verbot,
gestand man ihnen Steuerfreiheit zu. ein Zeichen, daß man sie
auf jede Weise bevorzugte, wenn man sie brauchte. Meister
Gutleben ist viel herumgekommen : Vor 1375 in Kolrnar, wird
er (in diesem Jahre) auf zwei Jahre vom Freiburger Rat auf-
genommen, 1379 mit 50 ft. Lohn in Basel als Stadlarat ange-
stellt ; in Straßburg, wo er b*e 1380 engagiert w*r, blieb er
vielleicht noch länger, da dort gerade 1389 eine neue Pest aus-
brach^ wie (Cönigshofen berichtet. 1893 wieder nach Kolmar
verschlagen, tritt er mil einem verhältnismäßig geringen Lohn
in den Dienst dieser Stadt; 1308 endigt wohl seine Wander-
fahrt in Basel, wo er samt seiner familie auf Hl Jahre Auf-
nahme flndel. Später hören wir nichts mehr von ihm.
Leider ist uns kein Dienstbrief eines solchen Stadialstes
au6 Straßburg erhalten ; seine Pflichten werden jedoch die
gleichen gewesen sein, wie die der Frankfurter und anderer
Stadiärzte, die bestanden:
1) in der Pflege der im städtischen Dienst Erkrankten und
der schweren Fälle im Spital;
2) der Untersuchung der Lcpravcrdachliyen in Gemeinschaft
mit einer Kommission von Scherern;
3) mitunter in der Verpflichtung, im Kriegsfälle mit den
eUdtischeu Truppen ins Feld zu ziehn und Verwundeten Hilfe
zu bringen". Ohne Erlaubnis des Rates durfte kein Stadtarzt
die Stadt verlassen. Als im Jahre 1501 Frcibur^ den Straß-
burger StaHtarzt Joh. Fachs sur Visitation der Freiburger Apo-
theken zu haben wünschte, mußte es erst vom Straßhurger Rat
für ihn Urlaub erbitten^.
Wie aus diesen Verpflichtungen der Stadtärzte hervorgeht,
gehörten sie nicht immer oder sogar meist nicht der Klasse
der Leib- oder Bauohärzte, d. h_ der rein theoretisch an den
griechischen Autoren geschulten Aerate für innere Krankheiten
an, sondern waren zugleich auch Wundärzte, die sich nicht
scheuten, selbst Wundverbande anzulegen und Operationen vor-
( \n -* iL- ürqha frarn
'^" JlIVU&mUtMUlKAI
- 4ä -
zunehmen. Solche «Leute \on der Handtwirckung» nannte man
im Unterschied von den cphysici» chirurgici ; jedoch läßt sich
über die Unterscheidung der leiden Gruppen von Aerzten im
früheren Mittelalter gar nichts sa^en. Cyrurgici sind in Stras-
burg 1301 und 1346 genannt, jedoch mehr als den Namen der
beiden Männer erfahren wir nicht**.
Eine ausdrückliche Scheidung: zwischen «physich und «chi-
rurgici», zwischen arlzot Jiid wuuüearlzot begegnet uus erst im
Jabre 144M ; die Wundärzte bildeten demnach zu Ende des
Mittelalters einen eelbeländigon Stand zwischen don Acrztcn
und den Scherern ; in Prankfurt werden sie zur Scherer-
zunft einbezogen &. Ihre Bedeutung wuc-hs zu Anfang des 16.
Jahrhunderte, da ihnen die Behandlung der unbekannten Krank-
heit, der Syphilis, die sich «ruerst in den italienischen Feld-
lagern einstellte, zufial. Eine Zeitlang standen sich die gelehrte
Medizin), wie sie an den Universitäten gelehrt wurde, und die
Chirurgie zum Schaden der Wissenschaft feindlich gegenüber.
Die Erkenntnis, daß das Gute auch hier auf dem Mittelwege
zu suchen sei, ging von den Wundärzten aus. Traktate wie die
des Straßburger Chirurgen GrersdorfT und Brunsehwigk zu An-
fang des 1t>. Jahrhunderts waren geeignet, bei den theoretischen
Medizinern einiges Interesse und Verständnis für die guten
Lei&Uuigen der praktischen Chirurgie nachzurufen, Jedoch hielt
die alte Scheidung der beiden Lierute noch vor bis zum 17. Jahr-
hundert **. Die Differenzierung zwischen den Berufen <\ev Aerzle
und Wundärzte war in letzter Linie hervorgerufen durch die Zu-
nahme, die das medizinische Studium infolge der Entstehung
zahlreicher Universitäten, namentlich, im 15. Jahrhundert erfuhr.
Don veränderten Verhäl tnissen paßten sich die Sladlre^ieruniren
rasch an. Seit die «gelehrten Doktoren» häutiger wurden und
selbst unter den Sühnender Stadt zu fintier, waren, wählte man
den Stadtarzt möglichst aus den Bürgern und bestellte ihn auf
längere Zeit. Statt des früher einzigen traten zwei und drei
Amte in den Dienst der Stadt. Seit ca. 1500 verlangte man,
daß ein Stadtarzt ein cgelerter Doktor sein soll, der auch sein
üHnni 1 )) 'Diplom) zeigen soll, daß er duclor wäre»* 1 . Einer
dieser Stadtärzte wohnte seit 1500 im Spital, vro er Kost und
Sold erhielt.
Sobald anstelle der wenigen Aerzte, die es früher gab, immer
mehrau Hauchten, mischten sich auchQuacksalberundKurpfuscher
unter die Menge und richteten mit ihren Mixturen und Tränken
häufig Schaden on. Selbst vo sich ihre Tätigkeit nur so harmlos
zeigte, wie in dem von Hegel uns berichteten Fall des Heinrieh
Lindenast* 2 , lag doch immer eine Ueliervorteilung und
Beschwindelung des Volkes vor, der zu wehren der Ral für
( \n -* iL- ürqha frern
'^" JlIVU&mUtMUlKAI
— 43 —
seine Pflicht erachtete. Heinrich Lindenasl wurde 1409 als
Betrüger vor den Hat gehracht ; eine der zahlreich verhörten
Zeuginnen erzählt, wie er noch nicht einmal den Urin habe
diagnostizieren können, aus dem ein anderer Arzt, Johann von
Sachsen, sofort ersehn nahe, daß der Kranke «eine böse Leher
•hätte und steckte voll Geblüte um das Herzu. Ein unbedingter
Schutz gegen derartiges Gelichter ist schon deshalb unmöglich,
weil das ungebildete Volk selbst die Quacksalber stets bevorzugt.
So konnte es der Hat nicht hindern, daß auch im 16. Jahr-
hundert noch iclliih weyher zu Strasburg» mit dem Ruf ihrer
Zdubermitlel *He Landl>evölkerung von weither heranlockten,
wie der Arzt Fries aus Colmar in seinem «Spiegel der Arzney»
unwillig erzählt *s.
Immerhin zeugen die Aerzteordnungen des Rates, die eine
Frucht vor allem des Kampfes gegen die Kurpfusclierei sind,
von den ernstlichen und wohl im Ganzen erfolgreichen Be-
mühungen des Rates, das Medizinalwesen seiner Autsicht zu
unterstellen und in gute Ordnung zu hringen. Leider können
wir die Entwicklung dieser städtischen Gesetzgebung nicht
genau verfolgen, da die ganze Abteilung Medizinalakten des
Straßburger Archivs im Revolutionsjuhre 1789 zu Grunde
ging«*. Eine Aerzte-, eine Apotheker- und eine Heh^mmen-
ordnung aus der Mitte des Ui. Jahrhunderts, die jedoch im
großen Ganzen auch for die frflheren Verhaltnisse Geltung
nahen, fand sich im Freihurger Stadtarchiv. Auf Ersuchen des
Freiburger Rates hatten die Straßburger nämlich ca. 1560 ihre
Ordnungen dorthin zum Musler geschickt. Ein solcher. Ge-
dankenaustausch zwischen den Städten ist besonders auf dem
Gebiet der Wohlfahrtspflege häutig;. Freiburg wandte sich in
gleicher Angelegenheit auch an Zürich, und Nürnberg bat, als
es ein neues Spital l>auen wollte, sogar Florenz um Pläne dazu'V
Die Straßburjrer Aerzteordnung ;»ilt nicht etwa bloß für die
von der Stadt besoldeten Aerzte, sondern sie muß von jedem,
der auf Grund eines Universilätsetudiums oder auch anderweit
erworbener medizinischer Kenntnisse in Straßburg «üb oder
wundarlzenye triben» will, beschworen werden. Es ist ein
Versuch, das Publikum vor Uebervorteilung durch die Aerzte
durch Festsetzung einer Taxe Ml schützen. So soll fortan jeder
Arzt verpflichtet sein, für einen Gulden einen Patienten eine
Woche lang in seinem Hause zu besuchen : hei Armen erhält
er für jeden Gang 1 p, jedoch wird es der «göttlichen Liehe
und Andacht! der Aerzte freigestellt, auch weniger zu nehmen.
Für die am häufigsten vorkommende Untersuchung durch
Urinbesehn wird zusammen mit dem Rezeptschreiben 6 8 bezahlt«.
«Wer nit also geleret isti», wie die akademisch geMIdeten Aerzle
( v , . ,i,- ürQha frern
'^" JlIVtföllYC+MUlKAI
— 44 —
und doch mit spezieller Krlsubms des Rates sich in der Medi-
zin heutigen will, darf nur die Hälfte der Geböhren bean-
spruchen. Nur Bürger sind zum ärztlichen Beruf zugelassen ;
diese Bestimmung, die in jeder Zunftordnung ihre Parallele
findet» entspricht durchaus der allgemeinen Tendenz der
städtischen Verwaltungen.
Auch die in der späteren Stadtgeschichte so stark betonte
Scheidung der Gewerbe spielt in der Aerzteordnung: eine Rolle ;
den Aeralen wird nämlich jede Hantierung, die zum Beruf der
Apotheker gehört, auszuüben verboten; sie dürfen weder Med i-
kamenc herstellen noch verkaufen, besonders aber keine giftigen,
durch die irgend ein Unglück entstehen könnte. Kur ver-
brecherische Handlungen, wie Vergiftung und Abtreibung wn
Geburten («abortus»), werden die Aerzte durch da» öffentliche
Gericht zar Verantwortung gezogen.
Wer also in der Stadt praktizieren wollte, wurde auf diese
Vorschriften vereidigt. Die oberste Behörde für alle Aerzie
waren die zwei «mit einem ziemlichen Lohn» besoldeten Stadt-
ärzte. Sie sollen, wenn möglich, verehelicht sein, «arg wem zu
verniyden» und «damit sie desto bessern fiyss ankeren», wenn
sie mit Weib und Kind an die Stadt gefesselt sind. Ihre
Pflichten sind wohl die oben erwähnten geblieben, das wichtigste
war, daß nie beide oigleich die Stadt verlassen durften, besonders
«zufallenden kranckeitten». d. h. einer Pest oder sonstigen
Epidemie nicht ausweichen sollten. Zugleich bildeten sie die
Kontiollbehörde für die Apotheker, Kräutler und Wurzler.
Alljährlich nahmen 3ie begleitet von zwei Abgeordneten des
Rates, eine Visitation aller Apotheken und Kräuterläden vor* 1 .
An diese Funktion dar Sladtörztc knüpft dann im W. Jahr-
hundert die Bildung der «colietfiu medica* in den Städten an,
in denen wir eine einheitliche Aufsichtsbehörde für das gante
Medizinalwesen sehn. In Nürnberg wurde schon 1592 ein
solches modernes Sanitätsamt begründet.
Die Apotheker, d&ren gewerbliche Rechte die Aerzle-
ordnung schützt, sind erst seit dem 15. Jahrhundert in die
Reihe der eigentlichen Medizinalbeamten aufgenommen. In
älterer Zeil bereiteten die Aerzte ihre Medikamente meist selhsl ;
die orientalischen Gewürze und Heilmittel, die sie dazu
brauchten, kauften sie bei dem Krämer in seiner «Apotheke»,
il. h. seinem Laden. Der «Apotheker» im 13. Jahrhundert
halt Hülsenfrüchte, Gewürze, Arzneistoffe neben allerlei Lat-
werg, Konfekt, Wachs und sogar vom Orient oder Italien impor-
tierte Seidenstoffe feil. Später aber stellte er selbst aus den fe.l-
^ehaltenen Ingredienzien Tränke und Salben her : schließlich
blieb dies sein Spezialgebiet, auf dem er dann, wohl begünstigt
'^" JlIVU&motMUlKAI
— 46 —
durch das Aufkommen komplizierterer und mineralischer (statt
rein vegetabilischer) Medikamente, deren Herstellung (ür die
Aerzle zu zeitraubend war, den Sieg über die Jünger Äskulaps
davontrug* 8 .
Von den ältesten Straßburjter Apotheken läßt sich wenig
sagen 19 . Die älteste, die uns genannt wird, lag dem Spital
yejjenüber, Ecke Kiäinergasse und Münsterplatz; 1268 hat sie
Heinrich «filius Philippi» inne; 1014 kauft ein «Philippus apo-
thecarius», vielleicht ein Sproß derselben Familie, um hundert
Mark Silber den Hof «zu den Störchen» in der Predigergasee ;
diese Apolheke wird öfter genannt und noch heut« führt eine
Straßburger Apotheke diesen Namen. Ein «Johann in der
Apotheke* ist 1352 Ratsherr. Um 1336 scheint neben der
ersten Apotheke eine zweite begründet worden zu sein, denn
es ist vou einer «allen Apotheke» die Rede. Die Apolheken
waren» entsprechend dem Bedürfnis, überall nur in geringer
Zahl vorhanden, meist nicht mehr als zwei. Ihre Inhaber
genossen als oicbUünftige Bürger hohes Ansehn und gehörten
meist, wie der obengenannte Rateherr Johann, den Patriziern an.
Wegen der Gefährlichkeit der von ihnen verkauften Waren
werden sie im Jahre 1400 vom Rat ermahnt, recht vorsichtig
xu sein und nur an erwachsene Personen ihre giftigen Materi-
ellen abzugeben. Zu einer strengeren Regelung des Giftver-
kaufs konnte aber die eigen« dasu ausersehne Kommission
nicht gelangen, de man den Handwerkern, nämlich Seherern,
Malern und Schmieden, die zu «ihrer Hantierung mancher
Gifte bedurften, keine Schwierigkeiten bereiten wollte* 1 .
Für die weitere Entwicklung der Apotheken fehlen uns die
Quellen; wir sind auf eine im Freiburger Stadtarchiv befind-
liche Apothekerordnung aus dem 16. Jahrhundert angewiesen,
die jedoch in ihren Grundzügen schon dem vorhergehenden
Jahrhundert angehört $'.
Wer in Strasburg eine Apotheke übernehmen will, hat
erstens vor einer aus zwei Aerzten und zwei Apothekern be-
stehenden Kommission eine Prüfung auf seine Kenntnisse an-
zulegen, dann, wie die Aerzte, den Bärufseid zu schwören, in
dem er geloht, alle Gebote seiner Ordnung zu halten. Auch die
Apotbekerknechte werden einer kleinen Prüfung unterzogen, ob
sie wenigstensder lateinischen Sprache «berichl und ue er! seien»,
da die Aerzte die Substanzen stets mit lateinischen, mitunter
auch mit griechischen und arabischen W T orten bezeichneten.
Für dies Examen zahlt ein Apolheker 10 ß, ein Knecht die
Hälfte.
Der Schutz des Publikums und seine gute Bedienung ist
der oberste Zweck dieser Ordnung. Gewissenhaft nach den Vor-
üigilizcc . V. »0< IgIC JMVlföllWMUHWI
— 46 —
schriften der «Lehrer in derArzney», pünktlich und ohne An-
sehn der Person sollen die Apotheker ihre Gäste bedienen.
Eine Anzahl Mixturen, Pflaster und sonstige «Vermisch-
ungen», die ohne Rezept in allen Apotheken verkauft werden
dürfen, find nach den Anraten eines von den Apolhekerherrn
ausgearbeiteten und mit Preisen versehenen Rezeptbuches oder
«Dispensatoriums» anzufertigen M , genau in den gleichen Maßen,
damit das Publikum für gleiches Geld stets gleiche Ware er-
halte. Jede Medizin trägt einen Vermerk, wann sie zubereitet
ist ; sn kann man sich selbst überzeugen, oh sie noch frisch
und heilkräftig- ist. Die Medikamente, die die Apotheker nach
der städtischen Taxe frei verkaufen dürfen, sind ; «suppeditoria»
(Abführmittel), «pilluli pestilenliales» (Pestpillen), «elfagiua» (?)
und «capsia listuli» {!). Wenn jemand derartiges haben will
oder ein Mittel gegen Husten, «Keuschen und Kngkheit der
Brust» unii will nicht zum Arzt geh», so dürfen ihm die Apo-
theker nach ihrem besten Wissen Rat unti Hilfe gewähren, je-
doch nur gegen die Bezahlung, die sie für das Medikament zu
beanspruchen haben. Weiler aber dürfen sie in das den Aerzten
vorbehaltene Gebiet nicht eindringen. Wasser zu besehn, Kranke
zu «purgieren, clistierea oder üizit zu geben, davon sin schad
begegnen möchte», wird ihnen höchstens bei nahen Verwandten
gestattet. Den Aerzten gegenüber sind ei c ganz und gar nur
Handlanger, denen jede selbständige Aei derung des Rezeptes
untersagt ist, auch wenn sie darin Fehler zu finden glauben ;
in diesem Falle müssen sie den Arzt darauf aufmerksam
machen; besteht er auf seinem Text, so trifll den Apotheker
in keinem Fall die Schuld ; er hat «seiner Constitution genug
getan». Aber nicht nur der Konkurrenz der Aerzte und Apo-
theker, auch einer allzu engen Freundschaft der beiden Berufe,
die dem Publikum zum Schaden gereichen konnte, sucht man
zu steuern, (g 12). Aerzte und Apotheker 9ollen miteinander
«weder teil noch gemein haben», die Apotheker keinen Arzt
bestechen, etwa einem «mehr zuzuweisen dann dem andern
oder ein köstlicher (teurer) Rezept zu schreiben, das dem ge-
meinen Mann zu schaden dbieneii möchte». Kleine Tafelspenden
«esfender oder trinkender Speis», jedoch nicht mehr als für
einen Gulden Wert, darf der Arzt vom Apotheker wohl an-
nehmen. Auch die Aerzte sollen künftig in ihren Häusern die
Apothekerlaxe aufbangen, damit die Leute gleich wissen, was
sie das Rezept kosten wird. Entstehn trotz der neuen Taxord-
nung Streitigkeiten mit den Patienten, so schlichtet sie die
Kommission, die auch die Preise festgesetzt hat ; sie besteht
aus den zwei StadtSrzten, einem weiteren erfahrenen Arzt aus
der Stadt und dem ältesten Apotheker, zu denen später noch
( v , . ,1,- ürtjha frern
JlIVtfömOtMUlKAI
— 47 —
einer «vom Regiment» oder aus der Bürgerschaft, der der
([Materialien bericht und veratendig sei» hinzukam*.
Diese Apothekerherren, deren Kollegium sich jeweils durch
Ratocrncnnung ergänzte, haben zwei Mol im Jahre, im Früh-
jahr und im Herbst, die Apotheken cerStad», Heren Zahl natür-
lich im 15. Jahrhundert sehr gewachsen war, zu besichtigen,
dort nicht nur «corrposita», d. h. die vom Apotheker hergestell-
ten Tränke und Salben, sondern auch <lie «simplicia; , die einzel-
nen, dazu verwendeten Vegetabilien und Chemikalien und alle
leeren und vollen Gefäße zu besann, oh nicht alles, verdorbenes
und minderwertiges Material vorhanden sei und nicht etwa
der schlechte Thomaszucker statt des von den Kanarischen
Inseln oder aus Madeira importierten verwendet werde (§ 7)«.
Daß solche Visitationen in Wahrheil keine allzu scharfe Kon-
trolle sein konnten, lassen gewisse Bestimmungen, die auf
schlimme Erfahrungen deuten, vermuten; so, wenn es verboten
wird (jj 33), einem andern Kollegen etwas, das diesem zur Zeit
der Berichtigung fehlt, zum Vorzeigen zu leihn oder verbolene
und schlechte Arzreien beiseite zu schaffen. Daran konnte man
ja die Apothekenbesitzer doch schwer hindern. Wenn die «Ver-
ordneten» schlechte oder «verlegene» (alte) Materialien in einer
Apotheke fanden, so überantworteten sie diese ihrem Knecht,
der eio jo nach ihrer Beschaffenheit sofort im Wasser oder
Feuer zu vernichten hatte. Für jede Visitation erhielten die
Aerzte und der Apotheker ein Pfund, der begleitende Ratsherr
10 ß Vergütung.
Die einheimischen Blumen, Kräuter, Samen und Wurzeln,
die die Apotheker brauchten, bezogen sie häufig von den sog.
«Kreutlernunrt Wurzlern», armen Leuten, die mit
einigen volkstümlichen Kenntnissen in der Botanik ausgestattet,
in Feld und Wald die Heilkräuter in den für sie günstigen
Jahreszeiten aufsuchten. Bekanntlich glaubte man, daß die Heil-
kraft der Kräuter besonders mit der Stellung der Grestirne in
der Zeit, als man sie sammelte, zusammenhinge. Diese «Kreut-
ler» mußten, bevor sie die Konzession zum eignen Verkauf ihrer
Waren erhielten, ebenfalls einer Fachprüfung durch die Apo-
tbekerherra sich unterziehn und einen Eid schwören, nach
bestem Wissen und Können und im Einklang mit den städti-
schen Verordnungen ihren Beruf auszuüben. Allen, die nicht
diesen Eid geschworen haben, ist es verboten, innerhalb Stras-
burgs Gifte, etabulalo, trenck und unguenta» (Salben), die
nicht in Strasburg; und unter der Kontrolle d«r Ratekornmission
hergestellt sind , zu verkaufen, besonders der Vertrieb von
Theriak** wird verfolgt, weil die Bettler unter der Maske der
Tberiakskrämer geradezu eine gefährliche Landplage geworden
f
i v , . ,1,- üroha frern
'^" JlIVUUlYOtMUlKAI
- 4ö --
waren, und «zum üfflennal den Menschen tätlichen Schaden*
brachlen.
lieber eine der allerwichtigslen Personen, die aktiv an der
Krankenpflege beteiligt sind, die Hebammen, Wissen wir ans
dem Mittelalter so gut nie nichts. Natürlich gab es überall
und immer «weise Frauen>; jedoch finden wir im Slraß burger
Urkundcnbuch nur einmal, im Jahre 1356, eine«obsletrix Ellina>,
die ein Haus in der Burggasse besiizt, erwähnt*". Wahrschein-
licb nahen wir unter den enrztotinne», von denen das sechste
Stadtrecbl die Meldung des Aussat/es verlangt, verwiegend Heb-
ammen xu verslehn, wenngleich auch andere Aerzt innen im Mit-
telalter hie und da belebt sind \ für Straßburg allerdings nicht.
Der Bedeutung Hei- geburtshilflichen Medizin war ir.an
sich irr Mittelalter allgemein zu wenig bewußt, als daß
wir erwarten könnteu, daß die städtischen Verwaltungen sich
viel mit der Organisation des Hcbammenvesene beschäftigt
hätten. Die «weisen Frauen» auf ihre Kenntnisse hin au präfen
und ihre Tätigkeit zu kontrollieren, begann man meist erst,
nachdem man längst Stadiärzte angestellt und das Aerztewesen
geordnet hatte. Nürnberg war durch Anstellung einer städti-
schen Hebamme 1381 anleiu Städten weit voraus; dort über-
nahm ein Kollegium von Fatrizierfrauen, «assidentes matronae»,
die sachkundige Aufsicht. Spater wurden dann in allen Stadien
sämtliche Hebammen unter Kid genommen und aus ihrer Zahl
einige von der Stadt besoldet, damit besonders för arme Frauen
stets Hülfe zur Stelle sei* 9 .
Nach der Straßhurger Ordnung von 1556YM, die jedoch auch
für den Ausgang des 15. Jahrhunderts schon herangezogen
werden darf, hatte Strasburg sechs vereidigte Hebammen; der
Stadtäizl und einige ehrsame und erfahrene Bürgerinnnen, die
der Rat ernannte, prüften die, die siuh zu diesem Amt melde-
ten. Die Hebammen sollen in ihrem Beruf alle nötige Sorgfalt
anwenden, eine Frau, die in Nöten ist, nicht um einer reicheren
willen im Stich lassen, keioe Frau drängen oder aüberdriben
zu kindenrbeit» ; in gciährlichen Fällen muß der Rat der Kolle-
ginnen oder des Arztes eingeholt werden ; wenn der Gebrauch
von Instrumenten nötig ist, um das Rind zu abrechen), sollen
sie das dem Arzt Oberlassen und kein «grausam lieh oder un-
geschickt Instrument» wie Zangen uud Haken gebrauchen. Das
eigenmächtige «Brechen» oinos lebensfähigen Kindes wird mit
Körperstrafe geahndet. Auch in der Woche nach der Geburt
soll sich die Hebamme noch der Mutier und des Neugehowen
mit gutem Rate annehmen.
Keine Hebamme soll ihre Diepste einer schwangeren Frau
aufdrängen oder eine Kollegin durch böse Reden zu verdrängen
( v , . x \„ ürqha frern
JUVU&IIVOHMUilWN
— 49 —
suchen , es ist die alle Konkurrenzklausel, die in allen gewerb-
lichen Ordnungen der Stadt vorkommt. Als Beamte der Stadt
haben die Hebammen auch die Pflicht, wenn sie etwas Gesetz-
widriges sehn, es d?m Rat zu melden ; wenn sie z. B. Verdacht
schöpfen, daß ein unehlich geborenes Kind von der Mutter ein
den weysen slul> an» Monster ausgesetzt werden soll, also der
städtischen Wsisenpflege als Findelkind zugeschober werden
soll, so sollen sie alles tun, um den Vater des Kindes ausfindig
au machen, damit ihn der Waisenvater oder die Waisenpfleger
zur Erfüllung; setner Pflichten heranrieh n können.
Der Gehalt der Hebammen beträgt 1 8 jährlich neben den
Geschenken und Trinkgeldern, die sie noch in den Privath.tusern
erhalten. Ein weiteres Pfund zahlt die Stadt denjenigen, die
«Vorläu(ferinnen> d. Ii. Lehrmädchen in ihrer Kunst unter-
richten. Durch die Aussetzung dieses Gehaltes schuf der Rat
veitschauend eine forllaufende Reihe gut ausgebildeter städti-
scher Geburtshelferinnen.
Eine größere Rolle als die gelehrten Aerzte spielen im
Lebendes Volkes die sog. niederen Heilspertonen, dieScherer
und Rad er. Ihre gemeinsame Domäne ist das beim Volke
eehr beliebte und- als Mittel geyet» alle Uebel gellende Ader-
lasseu und Schröpfen , freilich waren die Bader erst Eindring-
linge in dem Gebiet der Heilkunde, nur insofern, als man auch
schon im Mittelalter Bäder zu therapeutischen Zwecken ver-
wendete, gehören sie schon von vornherein zu den Hedpersonen.
Das Recht zu schröpfen jedoch erlangten sie erst, als die Sitte
aufkam, den Aderlaß nach dem Bade vorzunehmen ; aber
sie wurden dabei niemals der Konkurrenz der Seherer ledig.
Die Scherei* od*r Barhierer waren vielseitig in ihrem Beruf.
Wie ihr Name sagt, besorgten sie das Scheren von Hart und
Haar, wobei übrigens betreffe des Alters ihres Gewerbes zu
sagen ist, daß vor 1200 die Sitte, das Haar abzuschneiden, bei
Laien nicht gefunden wird*'. Neben dein Schröpfen gehörte
dann noch besonders die Wundbehandlung, das Untersuchen
und Verbinden offener Wunden zu ihrer Beschäftigung. Die
Wundärzte, die /,u dein [liclilxQufti^eu Stand der eigent-
lichen Aerzle nufsLiegen, sind wohl in früherer Zeit meist aus
den Kreisen der Scherer hervorgegangen. Im Ganzen sind un-
sere Quellen gerade für Strasburg zu dürftig, um uns eine
scharfe Ab^renzun^ der drei Gebiete der Wundärzte, Scherer
und Bader zu gestatten; auch zwischen Hadern und Scherern
herrschen in allen Städten Kompotonsstroiliftkcilen. die auf die
verschiedenste Weise gelöst werden. In Kolmar, wo die Bader
neben dein Schröpfen auch das Haarschneiden und Rasieren
für sich in Anspruch nahmen, entschied z. 8. der Hat, daß
4
ürgha frern
urena rnm
JMVIßllfOI-MCHIWI
— 60 —
den Barbieren das Scheren der Einheimischen bleiben sollte,
die Bader das der Fremden übernehmen dürften«.
Was wir über die Beziehungen der StraÖburger Barier zu
den Scheren) wissen, betrifft nur ihresjemeinsime Stellung zur
Stadt. Die beiden Zünfte wurden, da sie offenbar nicht sehr
groß waren, im 14. Jahrhundert, als man die Zahl der zünfl:-
schen Vertreter im Rat au» politischen Gründen festsetzen mußt«,
zusammengefaßt, d. b. nur jeweils durch einen Abgeordneten
vertreten. Auch an der militärischen Verteidigung der Stadt
sind sie gemeinsam beteiligt ; Scherer und Doder zusammen
atcllon neun Mann, eine riebt sehr beträchtliche Zahl, wenn
z, B. die Gärtnerzunft 22 Leute zur Mauerwacbc entsendet w.
Jedoch blieben die Zünfte völlig getrennt, wie die Baderzuntl-
artikel von 1400, die die Scherer gar nicht erwähnen, bewei-
sen M, fc>st gegen Ende des Jahrhunderts werden die beiden
Zünfte auf Ratsgeheiß geeint, vermutlich um den Streitigkeiten
ein Knde zu machen, wie sie in allen Städten sich erhohen
Jedenfalls geht jedoch aas dem Gesagten hervor, daß die
Bader nicht wie in manchen Städten zu den unehrlichen Ge-
werben gezahlt wurden, denn sie hatten ja Wnffenrechl.
Ueber die Organisation der Scherer in Strasburg und
ihre Kontrolle durch den Rat erfahren wir nur, daß schon früh
Scherer su saniiatspoiizeilichen Leistungen herangezogen wurden.
Die städtische Kommission cur Untersuchung des Aussatzes
bestand, wie erwähnt, aus zwei Aerzten und zwei von der
Stadt vereidigten Scherern. Auch alle Barbiere und Bader sind
verpflichtet, wenn ihnen ein Aussatzverdächtiger unter die
Hände kommt, ihn der Leprakommission zuzuweisen. Um ge-
richtlich festzustellen, ob die bei einer Rauterei entstandenen
Verwundungen unter die Kategorie des Blutrunncs oder der
Wunde falle, ruft man die Hilfe der sachverständigen Scherer
an M . In freiburg sind schon 1273 zwei Scherer beauftragt, bei
allen Verwundungen Gutachten über deren Gefährlichkeit ab-
zugeben, im 17. Jahrhundert war jede Verwundung einer Kom-
mission von vier Wundenbesehern, die ans Seherern bestand,
zu melden W.
Um von der Bedeutung des Badergewerbes eine Vorstellung
zu bekommen, muß in.ni wissen, daß im Mittelalter ein Bad
eine Rolle im Volksleben spielte, die sich mit der heutigen
nicht vergleichen laß). Das Bad diente nicht nur zur Reinigung,
sondern auch zur Belustigung und IJnlerhillung; man traf da
seine Bekannten, man schwalzte, man ließ sich schröpfen, ja
man tafelte nicht seilen im Dade ; wu, wie es häuß# vorkam,
Männer und Frauen ^eineinechuftlich badeten, artete das harm-
lose Vergnügen, nicht ohne Zutun der Bader, häufig in Unzucht
( v , . ,1,. ürqha frern
'^" JMIVLHbJnOI-MC.HK.AH
— 51 -
aus, so daß, wie eine Straßburger Ordnung sagt, cfromme
Frauen und Doch ter das Rad oft riimen und myden mössen»*8.
Schließlich verbot daaQ der Stadtrat das gemeinschaftliche
Baden*, wie es z. B. auch der Baseler Rat 1401 auf Veranlas-
sung der Reforrapartei des Kirchenkoncils getan hatte.
Die gewöhnlichen Bäder die man im Mittelalter nahm,
waren Schwitzbäder, die hilliger und bequemer herzustellen
waren als die Wisserbäder *». Die große, mit Bänken besetzte
Badestube wurde durch Aufgießen von Wasser auf heiße Steine
mit heißen Dämpfen erfüllt, denen die Badegäste, auf Bänken
ausgestreckt, ihren Korper aussetzten. Die Bedienung der Bader
und seine Mägde — denn es waren meist weibliche Bediente da,
auch in den Männerbädern, — Übergossen dabei die Badenden
mit lauwarmem Wasser, und strichen sie mit den Badebüscheln
oder massierten sie mit Tüchern, unu die Transpiration zu er-
höhen. Wer es wünschte, konnte dann noch geschröpft und
frisiert werden, wenn nicht vom Bader selbst, so von einem
Scherer, der neben der Badestube sein Handwerk trieb Für
ein solches Bad besahlte man in Straöburg 2 4 ; Kinder waren
eine Zeitlang frei, dann aber wurde auch von ihnen 1 Helbling,
wenn sie über 12 Jahre alt waren, 1 4 erhohen. Von der
Benutzung der Öffentlichen Badestubea ausgeschlossen waren
die Leprosen und, zur Zeil, als die Svuüilis eiiigesdileppl wurde,
besonders die damit Behafteten. Die Juden mußten ebenfalls
mit ihren besondern Bädern vorlieb nehmen.
Wohl um die Frequenz der Bäder zu Gunsten der Bader zu
regeln, war das Heizen der Bäder and das Baden nicht jeden
Tag gestattet ; Montag, Mittwoch und Samstag sind für Straß-
burg im Winter (von Michaeli bis Nathiä [Februar 24]) die
erlaubten Badtage, im Sommer durfte man an jedem Werktag
baden it.
Die Öffentlichen Badestuben waren recht zahlreich, besonders
wenn man bedenkt, daß die vornehmeren Leute daneben noch
ihre eigenen Badeanlagen hatten. Nach dem Straßburger TJr-
Stundenhuch lassen sich im 14. Jshrhundert mindestens 17
öffentliche Badestuben zählen; im 16 Jahrhundert, nach der
Trennung in Männer- und Fraueabäder, schmilzt ihre Zahl
auf 8, 5 für Männer, 3 für Weiber, zusammen », im 10. Jahr-
hundert ist ein allgemeiner Rückgang des Badewesens zu ver-
spüren. Die Schuld daran trug die allgemeine Furcht vor syphi-
litischer Ansteckung und ferner das Steigen der Holzpreise,
des die Bäder naturgemäß verteuerte 71 .
Seit wann die Bader in Straßburg zu einer Zunft zusammen-
getreten sind, wissen wir nicht. Es ist uns über ihre Zunft
our eine, angeblich au» dem Jahre 1400 stammende Ordnung er-
( v , . ,1,- üroha frern
'^" JMVU&mOtMUlKAI
— 52 —
halten?*, irt der der Amnieister und die Altamnieister der Stadt
den Badern einige Artikel ihrer Zunftordnung (offenbar von
neuem) bestätigen. Wir erfahren dabei, daß an der Spitze der
Zunft ein jährlich neu gewählter Meister steht, der mit vier
Handwerksmeistern zusammen das Zuuflgeric-ht bildet. Diese
fünf erhalten als Ehrengabe vom Handwerk je zu St. Martin
zwei Kappen und ein halb Viertel Wein. Sie haben die
Schlüssel zur Znnfikasse, in die ein mit 8 H besoldeter Knecht
die Deiträice der Genossen einzusammeln hat. Die Aufnahme
in «Ciiiuii£ und Recht« Jei Buder kostet füi Manu oder Frau
2 tf, wovon mindestens 5 ß sogleich hur zu bezahlen sind ;
oheliche Kinder von Zunftmitgliedern werden zu dem geringen
Preise Ton 5 ß aufgenommen, uneheliche zahlen das Doppelte.
Knechte, die ohne selbst Bades! üben -zu halten, "sich in den
Schulz der Genossenschaft begeben wollen, erlangen dies um
I 8. Alle Mitglieder sollen Ünrger sein und ihrer Wehrpflicht
biegen die Stadt Genüge leisten, besonder* ihren Harnisch stets
in Ordnung haben. Im Kriegstalle (reise.) bestreitet jedoch die
allgemeine Kasse die Kosten des Aufgebotes. Die Ordnung
enthäT. noch einige typische Vorschriften für den geselligen
Verkehr der Genossen, worin das Lärmen, Streiten und Schlagen
auf der Zunflslube hei Strafe verboten wird, reber die gewerb-
liche Seite der Zunft erfahren wir aus diesem Dokument nichts.
In welchem Zusammenhang nuu diese Zunft zu der «Brtder-
brüderscliaft im Spital» steht, deren ausführliche Ordnung vom
Jahre 1477 bei Brucker gedruckt ist, ist schwer festzustellen.
Vielleicht, fällt die Vereinigung der Bader- und Schererzunft in
die Zeit vor 1477", und die Bader gründeten dann eine
besondere, rein religiösen, ^e^elli^en und charitativen Zwecken
dienende Bruderschaft, wie diese innerhalb und neben den
Zünften auch vorkommen. Die Organisation ist die gleiche, wie in
der eben erwähnten Zunft, nur erfolgen die Wahlen der vier Vierer
halbjährlich uud statt des einen Meisters werden zwei im Jahre
gewählt, von denen einer die yroße und einer die kleine Büchse
der Genossenschaft in Verwahrung nimmt. Die Vierer, von
denen jeweils einer ein Handwerksmeister sein .soll, haben
Schlüssel zu der großen Büchse -und sollen auf die Kerzen der
Bruderschaft, die in der Spitalkircbe zu den clronfasteu inessen>
und bei feierlichen Gelegenheiten sonst gebrannt werden, achten
und für ihre Aufbewahrung in dem ctrogko, d. h. der Trübe
der Brüderschaft, sorgen.
Das Eintrittsgeld in die Bruderschaft betragt ein Achtel
Wachs, der Wochen beitraj einen Halbling. Strafen für Nicht -
zahlen des Beitrags, schlechtes Benehmen in der Gesellschaft,
Fernbleiben von einem «Opfer», d. h. einer Totenmesse für
( \n -, iL- ürqha frern
V. KXlglt JMVlföllWMUHWI
— 53 —
einen Bruder oder wenn sonst der Meisler eine Zusammenkunft
gebietet, werden immer mit Bußen in Wachs gezahlt ; das
Wachs wird zu den Kerzen am Altar verwendet, deren Große
der Stolz der Bruderschaften war.
Die soziale Bedeutung der Bruderschaft liegt besonders
darin, daß sie ihren Mitgliedern bei Krankheit und Nor Hülfe
gewährt. Erkrankte Reiberinnen, d. h, Badeoägde, und
Knechte, werden acht Tage lang wie sonst bezahlt, bei schwerer
Krankheit wird ihnen, bis sie wieder arbeitefähig sind, die
Zahlung des Hnchsengelries erlassen. Arme Kranke werden
ev. mit Darlehn auf Pfand bis zur Höhe von 3 f unterstützt.
Geldgeschenke machten diese Kästen jedoch aus Prinzip nicht.
Auch für verheiratete Wochenbetterinnen tritt sechs Wochen
Befreiung vorn Wochenbeitrag; ein. Dagegen scheinen die Bader
sich nicht, wie z. B. die Bäckergesellen ein Freibett für ihre
kranken Brüder im Spital gesichert zu haben' 7 . Bezeichnend
dafür, wie die Bruderschaften die Slandesehre und die
Ehrlichkeit des Gewerbes hochhielten, ist die Verfügung,
man dürfe keine Bademagd dingen, «die in einem gemeinen
leben gelaufen 13t, si sey dann vorhin umbgan«*en und ge-
bessert nach christlicher ordnunge» Gerade im Baderyewerhe
war nämlich der Zudrang von liederlichen Frauen groß, <Ja
der Beruf einer der wenigen wur, wo man geringe Vor-
kenntnisse brauchte. Auch bot der laseive Ton, der in den
Bädern herrschte, ihnen häufig Gelegenheit, ihr früheres Ge-
werbe nebenbei weiter zu betreiben. JL>ie Statuten wenden sich
freilich hier gegen diesen Unfug besonders, weil er im Wider-
spruch mit der christliehen Weltanschauung und den Tenden-
zen ihrer kirchlichen Bruderschaft steht. Im Ktnzelnen taten
wohl die Bader selbst wenig gegen die sittlichen Mißstände
in den Badern. Wird ihnen doch in der Ordnung, in der die
Trennung der Manner- und Frauenbader verfügt wird, aus-
drücklich verboten, Kuppelei zu treiben und in unanständiger
Kleidung einheizugehn ».
f
( 's\ -* iL- Orciia frern
JNrVtHSIIYÜfMtHIWN
ANMERKUNGEN ZU KAPITEL 3.
i Brueker, S. 43.
2 Genauere Vorschriften für das Leben dar Siechen liegen nur
im Leprogenhaus vor; jedoch laßt die Analogie der sonstigen Ver-
hältnisse, die Abhängigkeit böider vom Bat, vermuten, daß im
großen Ganzen der Charakter de« Lebens in diesen Spitälern der
gleiche vir.
s Im Nürnberger Siechiobel von St. Joe- waren die Einwohner
v erpfliehtet, täglich 7 Paternoster nnd 10 Are Maria zu beten,
während nie in 3t. Sebald ein ganz klösterliches Leben führten.
Mnmmerhofl 7 , S. DO.
* cf. Uhlhorn, S. 79 und ö2. Die Fußwaschuag an Armen
war &h sog. mandatum novam in coena domini in den Ritus am
Gründonnerstag eingeführt jeit Erinnerung, daß Christus beim letzten
Abendmahl die Föße wasch; noch heute existiert der Branch an
vielen Orten.
* Die ganze Stiftungsurkunde Brueker, 3. üä-72. Die materielle
Grundlage der Pfründe besteht aus einem Bau in der Burggasse,
das der Pfarrer in gutem bewohnbaren Zustande erhalten soll
nnd 10 ft Ewtggelt von einer Badestube; 6 5 erhält er von den
Pflegern für jede Messe, ferner don größten Te:l aller Opfer, die
in der auch von nicht Siechen besuchten Leprusenkapelle darge-
bracht werden; u. a. Brueker, S. H9f.
* Schmidt, S. 252 nach einer Notiz im Seeltuch, von dem zwei
Exemplare im Straßburger Stadtarchiv liegen sollen.
7 d. h. Fremde und Arme. Olosencr, 8. 120. 1349 spricht :i
von den Yielen, «die in den Kirchspielen begraben worden, ohne
die. die man in den 8pltteltrug->. Nach Krieg"!;. I, S.SO war auch In
Frankfurt der Spitalfriedhof Armcnbegräbniß.
8 Nach den Aufzeichnungen Heinr.'s von Homburg ÜB H.
S. 285; n. a. gehörte zu diesem auch des Boppen ofenhas. Daß Bonp
der Bäcker des Spitals war, geht aus einem Zusatz zu Ellenhards
Chronik iMon. SS. 17. S. S6i hervor, wo eine öeelstiftung des
Wornhor diotus Bopp, pietor et frator hoßp. erwähnt ist.
9 STB III, S. 121. 17 und 124. 1.
10 SUberniann, Lokalgeschichte 8tr.'s, S. ]Ö4. L*B VII, S. 428.
(1371). Das dort erwähnte Wighus ist identisch mit dem domiu
( v , . ,1,- Grqha frarn
'^" JlIVU&motMUlKAI
— 66 —
fntivalis ; außcrdcn: ist im Garten ein «steynin hnaelin, da der
gartener eine körbe in leit», erwähnt.
11 3ohan&, Gesch. d. deutschen Geaellenverbande, 3. 235, Ver-
trag der Bäckerfc do elit d mit dem Spital i so baid einer siech in den
spittal empfangen vnrt, so soll er von stand an Dichten, sieh losten
mit den hl. Sacramenten bewaren . . . wie ein ander siech noch
harkiime.ii der gewcnheit des apitats.
n Bracher, S. 31-37.
is TJeber Sehnlthai&enbnrger: Winkreimann, Straßburgu Ver-
fassung im 16. Jbdt ZGOB. N. F. 18.
14 Für Jeu SGkneUing rorlaugte man etwas weniger Hausrat i
Ein Bett nur im Wert von 12 ah., weniger Kissen, keinen Tisch,
keine Handtücher. TTeber die Teile de« Beitas ef. M. Heyae: Deutsche
Baasaltertumer 1, S. 263 a. 267. In Nürnberg verlangte man fast
die gleiche Anestattang. Mummenhoff, S. 94.
" Brücket, 8. 41.
16 Läeke, B. StraßbHr^r Spital, Str. Prorektoratarede 1879.
Die Ordnnag ist undatiert, stammt aber von vor 1478, da 147B aof
eine solche Ordnung verwiesen ist.
n DB 1IT. & 3.^3.
» 8 Ordnung von 1639, im Aaszag nach dem Manuskript bei
Krieger, I. c, 8. 54.
i» ÜB VU, 199.44 and 349,34. Ein gleiches Legat in der
Bruohsaler Elondenherberge. Krie^k, S. 154 and ZOOR 7.
*> ÜB VII, £. 164 a. oftor. Sokmidc, S. 164 f.
«l Schmidt, Alsatia, 1658 S. 1 r>4 1
" Brucker, S. 39.
»3 Alsatia, 1558 S. 166 u. 180.
"« Bracker, S. 44-46.
'a Das ni. e. Straf rocht achoidet:
1; trockene Schlage: «Hauen Stoßen mit fausten. Messera,
Beugeln, Steinen u. dcrgL», wie auserc Lepioseuordnang
Brüsker, S. 45 aich ausdrückt.
2) Blatrins: ungefähr), blutende Verletzung.
3) Wirkliche Wände. Die Feetstellung, ob Blutruns oder
Wunde, steht einem Scheier onter Assistenz der Pfleger
zu. cf. auch Str. Stadtrecht VI: ÜB IV, 2. S. 86ff.
2« In andern Städten hatten die Siechen anch eine Klapper,
durch die sie vor einer Berührung warnten, in Straubing ist diese
nicht erwähnt.
21 Bracker. S. 58.
« Schmidt \ Bulletin, S. Sfö
2« Krieger. 8. 46 f.
ANMERKUNGEN ZUM 11 ABSCHNITT.
" of. Wörterbuch dor V. W. * 1 S. 237. ß. v. Armenwosens
«Armut ist der Zustand, wo die zur Lebenshaltung erforderlichen
Mittel nicht vorhanden sind und nicht erworben werden können,
wo demgemäß das Einkommen des Einzelnen durch fremde Zu-
( \n -, iL- ürQha frern
'^" JUVlKsIlYU-MCHKAI
- 5t> —
schlisse ergänzt werden muß .... Armut hält die Mitte /wischen
Elend und Dürftigkeit».
z Mone, ZGOR. 19, S. ltfO.
3 siehe oben.
4 Uhlhorn 8. 121 ff. 138. Hering; »Die- Liebest&tigkeit d. ;
MA. na'.> den Krenzafigen» betont mit Recht, daß im 13. Jhdt. die
Beliebtheit der ßettelmöncli« dazu beitrug, dem Bettel überhaupt
Sympathien za werben,
5 siehe oben.
fl Die Bezeichnung «niatricularü» ruhit davon her, daß nach,
der ältesten Kirchenverfasaung der Diakon verpflichtet war, die
Gemelndearmen in eine «nutricnla» (Liste) einzuschreiben, spater
wurden sie einfach zu prabendierten Genossenschaften, die ein Haue
beim Mümter bewohnten nnd au bestimmten niederen Kirchen-
diensten verwandt wurden, cf. Ducange, «Glossarium nie die et
infime latinitatiB»: s. v. <inatrieularü> Ratzing3t. Geschichte der
christlichen liebestatigkeit I16S4), Ö. Äf». TJhlhort S. 241. Maarer,
Geschichte der 8tädteverfaseun£ Ell, S. öO.
* Woikownky Bicdaa, 3. 5/4.
8 ÜB I. S. 162. 9 n. 229.21.
B vergl. Woikowsky-Biedaa, S. 25. über die /.ahireichen Hl.
Geiatsp; taler, die nur z. T. von dem Spitalorden des hl. Geiste«
abhängen, z. T. selbständig diesen Namen erlangt haben
,n Diu:: darf wohl als Beleg für die von Hauck ausgesprochene
Ansicht daß die altkirchlich • Armenpflege sich noch langer als
ühlnoro (S. 6ö u. a.) annimmt ins MA. hinein erhalten habe, gelten.
Hauck IV, 8. 52. Ihm schließ: sich an Tröl tsch; «Die Sozial-
lehren de» christlichen Kirchen» im «Archiv f. Sor.ialwisRcriachaft
und Sozialpolitik», Heft 27.1. ISO».
ii Durch den Vertrag von 1263 kam ja Jas Leonhardsspital
in die Haad der Stadt ; etwas spater findet sich die Münsterfabrik,
das sog. Frauen werk in Stadt. Verwaltung, jedoch Ist eine Ab-
rauchung nber diesen Korapetencwecheel nicht erhalten, cf. Winkel -
mann, 8b.% Verf. im lt» Jhdt. % GOR N. F. Ifi.
l - Ein strikter Beweis für den Zusammenhang 1 dieser beiden
Einrichtungen ist nicht zu erbringen; jedoch spricht die Gleichheit
des Namens, dann die Tatsache, daß die «frateriiitas» nach 12*3
nie mehr genannt wird, für die Wahrscheinlichkeit meiner Annahme.
Man wird schwerlich dagegen geltend machen wollen, daß im Jahre
131)8 (L B Vll, S. 2W>) der städtische Pfleger die Pfründe* des hl.
Geistes au Münster eine alle Stiftung der Bürger nennt; man
braucht daraus nur r.u folgern, daß eben die Organisation vom Ende
des 13. Jhdts. von den Bürgern herrührt; solche Ursprongsfragcn
pflegen sich durch die mündliche Tradition leicht sru verwirren.
'S In Augsburg und Ulm machte man mit der 15*23 einge-
führten Geldanterstatzrjn&r so schlechte Erfahrungen, daß man in
Augaburg 1541. iu Ulm schon früher die Naturalverpflegang wieder
einführte. Bisle, Oeffentl. Armenpflege von Augsburg, S. 9.
i« ÜB I, S. 52.
( v , . ,1,. üroha frern
'^" JMVUaiYOMUlKAI
— 57 -
i - U B rtl. S. -299, 1. Der Znsatz «tatcos» soll die Betrttndnche
Ausschließen, — Jeder Arme erhielt 7 Ellen graoes Tnch tod ge-
ringerem Freie («lerioris pretii»). Pur 8 8 Tuch ließ jährlich am
Tage nach Allerheiligen, also r.n Wintfrinfang. die Gründerin des
Phjneoapitals an Arme, anch außerhalb de» Spitals, verteilen. In
demselben Spital erhielten auch die «paaperes alii exira hotpitalc»
jeden Samstag: eiae Brotspende- die der Priester des Spitals zu ver-
walten hatte. 0B H, S. 2K8 (1311).
16 Die Zahl der Schüler wurde 1523 anf 100 eingeschränkt,
die dreimal wöchentlich singen darrten, seit 1D64 wurde innen
anch diee untersaget» dafür bekamen eic Gaben ans dem städt.
«Almosen»* nnd ea wurde vierteljährlich in den protest. Kirchen
für sie gesammelt Mone ZGOR I, 9. 151. - ÜB VII, 170, 1.
17 Gicrkc, Deutsches Genossenschaftsreoht II, S. 741.
,s Ein ähnliches städtisches Almosen gab es im 14 Jhdt. in
Basel; es wurde verwallet von awei Ratsherrn und einem Burger.
Vvhr.or. Basels Anstalten anr Unterstutvnng der Armen und
Kranken im HA. in «Beitragen znr vsterl. Geschiente vor Basel».
3d. 4. 1350. In Köln verwaltet die Stadt nachweislich seit 1450
Jen ganz besonders bedeutenden Fonds des Hl. QeisthaiiR«*, dessen
jährliche Ausgaben im 15- Jhdt. 2000 Rh. Gulden betrugen ; damit
beptritt man 700 Pfründen (WoikowsVy-Biedau. ö. 44.) In Konstanz
heißen die an die vier Pfarrkirchen der Stadt ang-escrilossenen
\rnienionds Haiti aen ( = Rechnungen}. Aach sie waren seit dem
14. Jhdt städtisch geleitet und weisen im einzelnen gröttte Aehn-
lichkelt mit den M Geistpfrllnden Strasburgs anf. Rappert, Kon-
stanzer geschichtliche Beitrage, Bd. 8. 1892, S. F-9ff. Za Baum,
«Straßburger Rat und Reformation bis 1529. 1887. S. fcO ist also
zu korrigieren, daß tein gewisse» städt Almosen» nicht nur im 15.,
sondern bereits Ende des 13. Jhdts. bestand.
*• ÜBVH. S. 266. 18&& Ellenherd. der bekannte Straßburger
Patrizier, auf dessen Voran laseung dio seinen Namon trogenden
Annalen entstanden, schenkte 1299 den Heilig Geiftt-Pfrfmden einen
bedeutenden Besitz mit der Bestimmung, daß das nen hinzukommende
Out nicht zur Versessernug der alten, sondern zur Schaffung neuer
Pfründen zu verwenden sei: «amb dac, dar. dehein orieg werde umbe
die pfründen, daß sie lihte zu gut wurdent*. ÜB III. S. 125, 26
and 90, &
" Das rasche Anwachsen der Stiftung In der Mitte des 14.
Jhdts. iat sicher durah das schrecklich© Auftreten der Post (Schwar-
zer Tod'i zu erklären. Wach dem Schrecken und der Todesangst
war das Volk umso geneigter zn guten Werken, Man mag jedoch
immerhin bedenken* daß die soziale Gliederung der m. a. Stadt
relativ weit ganstigsr war, als die moderne und ein sc großes
Proletariat nicht kannte. Uli! hörn II, 3. 437. K. Bücher, Entstehung
der Volkswirtschaft.
fll ÜB VH. S. 266. 3. 147. in. S. 125.
2« ÜB VII, 9. 267.
« 6 Sester = i Viertel = 2 prenß. Scheffel. Hegel, Städte-
ehroniken 9, S. 101Ü
^ iO\>
Cr aha frani
JMVUCsl IV «- MCHKiAl
- 68 —
-» Hegel, Städtechroniken, 9, S. 864. Daß die Zahl der Rata-
herren damals (1308) 56 betrug, cf. St-Ohr. 8, Einleitung.
ȆB III, S- 5.
28 Spaier sind die Pflegrer des Frauenwerks auch meist identisch.
mit denen der hl. Geist-Pfründen.
«ÜB III, S. 90, 6 u. 125, 96.
«HB VIT, S. 266-68.
» Eheberg, S. 250.
»" Knecht Swarber sagt 1358 über seine Verwaltung*: ÜB VII,
266, er labe «10 viertel rocken geltes and 2'/e l l t>. pfennig geltes
gebessert mit dem almrjgen dem hl geint zn unsere frowen mfinster . .
und Koste das 73 IIb. und 5 pfrunden me deine von. ' und Jol.
z. Megede hat «gebessert» für S;. Martiu 2 f£ Gcldrcnte and 2 Scster
Roggen aid 3 Pfründen makr als zuvor, d. n. offenbar sie haben
ihre überschüssigen Einnahmen in Reuten abgelegt und daraus
neue Pfründen gebildet.
31 Schmidt. Hißtoire da chapitre de St Thomas, p. 1661
U B VII, 8. 199, 38. 1353. Uobar dio ständische Zusammensetzung
Straliburger Stifter. siehe : Kothe, Straliburger kirchl. Zustände im
14. .! r.rtT... S. ■>)).
3? TJhlhorn, S. 405 ff. Gierke. I, S. 383 u. 5. 418. Seh an s,
Geschichte der deutschen Gesellenverbände, 1817. Urkundl. Belege
Nr. 79 (S. 214). Siehe unten. Uebrigens ist Schanz bei der Da-
tierung der Dorsualnotifc zu der von 1404 stammenden Urkunde,
Leu . die Bruderschaft der Kdrschnerkuechte, ein Fehler unter-
laufen. S. 171 (Kr, Q9). Den steht : -Ordenatg der kureonoibruder
schaft, so ßy sarapt irer hab halb ins platerhus. und das ander
halb in das gemein A I m u a e n geben uf mitwoch p. 9. Cantate
anuo 1426.» Da aber, wie vir wissen, das BUtterhaus für Syphi-
litische erst nach 1600 entstand, das «gemeine Almosen» aber eine
Schöpfeng von 1523 ist, so hat mau das XXVI., das 9ohanz wohl
nach dem hantigen Brauch dar Stadtach reiber alRJanreshezeichnuiig
vorfand, nicht als 1426, sondern besser als 1526 2U lesen. Danach
wäre dann auch die Darstellung* bei Schanz S. 67 zu ändern.
*» Siehe Urkunden bei Schanz 1. c., S. 234 u. 220 (1479 ü. 15.
Jhdt.). Aehnliche Beispiele ans Freiburg u. Seh I et ts ladt : Schanz, 3.
186, S.231 (Backerknechte) und S. 221.
81 Ueber die Behandlung der Bäckerknechte im Spital »icke
Kap. 3, \:im. 11. Der Büehscuknecht wie acr Spitnlnicister siad
belügt, die ihrer Ansicht nach genesenen Knechte oder solche, die
sich im Spital schlecht benehmen, auszuweiten oder zu entlassen.
8 r > Brucker, S. 82 ff. siebe unten.
M Utilhorn, S. 390 u. 391. Erwähnungen voi «Willigen Armen»
im 14. Jhdt ÜB III, 37Ö, 19.
« Näheres siehe : Als&tia 1858-61. S. 207— 11 ; ich gehe darauf
nicht i.iüiii ein. weil mir Jas ungedruckte Material, daa Schmidt
dort benutzt hat, nicht zur Verfügung steht
M Brucker, S. 325-28. Keutgen, Urkunden. S. 468.
sfl Wegen dieses Umstandes gehören sie auch nicht in den
ersten Abschnitt, der die anst<liehe Armen- nnd Krankenfürsorge
( v , . ,1,- Grqha frarn
'^" JMVUaiYOtMUlKAI
- oft —
behandelt, obwohl ihre Organisation große Aehntichkeit mit der
der Beginen aufweist.
*u Brocker, S. 20-22; Verfahren mit armen Sündern. — Der
Charakter solcher Brüderschaften scheint mir eng Yerwandt mit
dorn der in Nordd. besonders heimischen Elcndongildcn, die Dach
E v. Möller, Die Eleiidenbruderschaftei, 1906, hauptsächlich das
christliche Begräbnis und Seelenheil armer Fremder bezweckten.
[S. 166.) Die Tätigkeit der Laienbruder kam zwar nicht vorwiegend,
über doch auch den Fremden zustatten.
*t Von einer obrigkeitlichen ArmenfUrsorge und Armenpolizei
atf dem Land nrd für den Bezirk fürstlicher Territorien bann «rat
nach der Befunuation die Rede sein. Die Kelohsregierung beschäf-
tigte sich im ep&teren Mittelalter imr einmal mit dieser Frage, in-
dem sie auf dem Reichstag in Lindau 1497 verbot, daß Arbeitsfähige
betteln, cf. Handwörterbuch d. Staatswißsensch., 2. Aufl., 1, S. 1052,
s. v. Armenwesen (Aschrott). Löning, Handbuch d. polit. Oekonoraie.
Hl, 2, 8. 402.
41 Ruppcrt. Konstanter gCBchiehtl. Beitrage, III, S 61.
43Rnppert: a. a. 0., S. 112 ind Uhlborn, S. 43ÖfT. Beson-
ders Interessante Aufschlüsse über das BettelanweRen um die Wende
des 16. Jhdts. gibt der wahrscheinlich aus Pforzheim stammende
■ liier v&gatornm», demein Vokabular der Uaunerspraehe beigegeben
ist, %. T. gedruckt bei Kluge, EotweUch. 1903.
«» Grandidior. ceuvres inedits, Bd. 5. Ueber ihre Behandlung
ist nichts zu ermitteln.
,b U B IV, 2. S. 24, «reger» iet noch der Anmerkung vielleicht
= «veger« = «vagator», «wegelere» nach Scherz, Glossarium Gor-
manicum = Wegelagerer.
«« Closener bei Hegel, St.-Chron. 8, S. 89. 1330. cDie porten
waren zu guter meßes ohne Schloß und Riegel und das boht (Kot)
lacj vor den porten and darunter verkarstet, das man eü nit moht
h&n zngetonn, man h>ttp. danne riarzn gftmmet mit bikeln (Pickeln)».
47 Damals wurde auch aus fonifttatorischen Gründen das
Spital mit vielen Häusern vor der Mauer abgebrochen ; eiche Kap. 1.
" Ungedruckt: Str. St. A. tome 19, folio 163.
** Brucker, S. 13.1 Vermutlich aas der Zeit der Burguuder-
kriege ca. 1470. Nicht nur für Bettler, sondern auch für die hinter
die Mauern der Stadt flüchtenden Landieuie «alt die Vorschrift, daß
aia für oin Jahr Korr für eich und ihre Fainilio mitbringen mußten $
ftine Behörde von 2 Männern hatte dies in kontrollieren. Brueker,
S. 232, 15. .fluli. Die Landleute werden mitunter auch «arme leute»
genannt ale die Hintersassen der 3tadt in ihrem Territorium.
Maurer. Geschichte der Frohnhofe IV, 23. Auf sie besieht sich
wohl auch Eheberg S. 76G. 1477 : Nicht für die Bettler, sondern für
die in Geschäften in der Stadt weilenden städtischen Untertanen
steckte man im Winter an der Pfalz ein Wärmefeuer an; ausdrück-
lich verbot man den vriheiten, d. h. den Landetreiehern [Heyne.
Deutsches Wörterbach 1905, 1, S. 972), sich dort zu wärme«.
90 Aus Holraar ist ein frühes Verbot des Straßen betteis bei
Mone, ZGOB 19, S. 159 vom J. 1363 abgedruckt.
( v , . ,1,- ürQha frern
'^" JlIVUUlYUtMUlKAI
- 60 —
« Hegel, St.-Chron, 9. S. 1028. 140« n. 1411. . .
aB Zeiten, in denen es nicht erlanbt ist im Wirtshaus zu seil,
sind Sonntage während der Kirche und abends nach der Poliaei-
stunde, d. h. J) reep. 10 b . Brück. ;r, S. 481 u. %.
. ^ Hegel, St-Chron. D, S. 1029. «. . Alk luderer (Schlemmer?.
spiler, rippelreiger (Hurer) und riffioB» (Kuppen und Handwerks-
knechte, die ku faul xuro Arbeiten sind, «die sich tage und nacht
nit anders begont dennen spileudes. luderndes and rippelreigende»,
wo man die hinanvürder vindet müßig: gon, so man arbeiten sol . .
die sol man -trafen, das in wcgcr (besser) wer. sii hettent den tag
vergeben gearbeitet»
" Von den BeUtlyrduuu^eu. die Brücket 3. 2-14 u. 183-Stf
abdruckt, ist nur eine datiert, alle andern schlechtweg ins 15. Jkdt.
gesetzt. Es ergibt 6ich jedoch aus inhaltlichen Kriterien mit voller
Sicherheit, daß die Ordnung: Brucker, S. 3-11, erst aus dem lii.
Jhdt and zwar aus der Zeit rann der Reformation stammen kann.
Sie maß ein Entwurf der 1523 eingeführten neuen Armenordnung
Stroßburg-s gewesen sein. cf. die Notiz über deren Beginn: Moni I,
S. IÄ1 aid den verkürzten Abdruck des Katserlasses von 15SS3 bsi
B 5 brich, Mitteilungen aus der Geschichte der evangel. Kircfae
des Elsaß. I, 1356. S. 157, der sich inhaltlich mit dem bei Bracher,
voLlkomraen deckt, nur kurzer gefaßt ist. Der Titel des Einblattdrucks
von 1523 lautet: «Knrtzei Vergriff nß der ordnargen des gemeynen
Almuscns, so ein Ehrsamer Rat . . . fürgenoniraen hat, angegangen
uff Michaeli» Anno 1523». Auch Baum gibt eeheu 3. 57 mit voller
Bestimmtheit an, daß die Ordnung [bei Brucker S. 3-11] Str. St.
A. WO XIV., fol 13ft mit der von 1523 identisch sei. Es ist daher
kaum zu versteht), daß in der Bruckerschen Publikation, die 2 Jahre
nach Raams Werk erschien, eine solch irreführende Datierung vor-
kommen konnte.
-ä Brucker, S. i>3. Aussätzigeriordnung;. Für die Vermutung,
daß das hl. Oeistalmosen und das Frauen verk mit diesem Armen*
amt iu Verbindung stand, spricht auch der Umstand, daß nach
Brucker, S. 136 ein Ueberschuß an Strafgeldern dem Frauenwerk,
nicht etwa der städt. Fin&nzstatte, dem Pfennigtarm. zufiel.
*° Brucker. S. t>J. Dieser Knecht muß. aaeh am Karmittwoci»,
wenn die Leprosen bei St Peter ein Almosen gereicht bekommen,
dafür sorgen, daß sie bis 3 •' mittags wieder alle die titadt geräumt
haben. 4m Gründonnerstag, wo man beim Hochamt den Armen die
Füße trascht, soll er den Leuten wehren, daß niemand «kein Un-
zucht belange», d. h. Unfug treibe, «damit der Gottesdienst umso
lohlichfr vnllhraeht werde».
« Winckeliuann : St-, 's Verfassung im lö.Jhdt. ZGOR NF. IB.
— Im Laufe des 15. Jhdts. worden die Bußen der Bettler erhöht;
cf. die beiden inhaltlich gleichen Ordnungen Bracker, S. 11—13 und
S, 134 -36, wo in der zweiten, jedenfalls späteren, alle Strafen ver-
doppelt aind.
w Kriegk. S. 144: Frankfurt hat zwei Beitelvögte 6eit 14#5.
Die Nürnberger Ordnung von 1 17-5 war das Muster der Frankfurter.
In Augsburg erschwert man 1460 ahnlich wie in Straßbarg die Er-
» ürcha frani
JMVU4IIY0>M(.HK»AI
- 61 -
iangrung des Bürgerrechts. Kiele, S. 25 u. Urkunde S. 163. Im 16.
.Unit, erbalten Almosen nur Jie. die sehen eine Anzahl Jahre das
Bürgerrecht beeitz&iu St. St-A. BaUprotokolle- tome XXX VE, 23.
k 1 ipppi", Konatan'/sr geschieht! Beitrag* III
59 Brucker. S. 133; Ruppen. S. 60.
*» Brucker. a 11 und 13.
ei Uhlhorn, III. S. 6 und 54. Luther: -An d. christL Adel». . .
« Uhlhorn, III, S. 54 ff.
* J Die rcformicric Kirchonordnung wurde in Straßbuxg vom
Rat erst lf>30 eingeführt Winkelrnana ZGOK NF 18. S. t>22. — Die
Aluiuaenuidiuiugeu sind Liebt zu veiwechaelii mit den mit der
Kirchenreforni eag verknüpften Kaaienordnungen. z. B. .der Leis-
tüger, worauf zuerst Ehrle: «BeitT. z Gesch. der Armen pfleg"*» 1881
aufmerksam machte. Die Umwandlung des Straßburger Amenwesens
z. Zt. der Reformation brauche ich nur/u streifen, da bereits Raum
a. ■■• 0., >. ö7ff. über debsen Einrichtarg dab Wesentliche gesagt
hat; er betont in «ii«m Vergleich die AehnKchkeit der Straßburger
mit der Nürnberger Ordnung von i.">22 ird hebt betreffs der Trage,
üb die moderne Armenpflege eine Fracht der Refoimatioa sei. her-
vor, daß die Ordnung wenigstens «in innige Beziehung bo den
ethischen Tendenzen der Reformation gesetzt werden müsse».
•8 Eine Monographie der WohltktigkeitBanstaltcn Strasburgs
im 16. Jhdt. hat Winkelmann ZGOR NF. 18 (1933) angekündigt ;
sie steht allerdings ois heute noch aus.
« Baum : Oapito and Butter 1860, S. 230.
6B Dachen*, Jean Geiler, Pieees juttif XXXII.
60 Banm scheint mir die obrigkeitlichen Bestrebungen des 15.
Jhdts. auf diesem Gebiet etwae zu gering einzuschätzen.
.ASMBKKUN61SN ZUM 111. ABSCHNITT.
1 Wörterbach der Volkswirtschaft II*, 3. 738 a. v. Sanitäte-
wesen; vergl. au-l Maurer, Gesch. d. StädteverfaßSg. III. S. 3li — 42.
2 SUB I, S 472. Keutgen, Urkunden, S. 99. I. Stadtreeht
§ 8ä. «nemo Jim um aut purgationem ante domum snam ponat, nisi
btatim educere veJit exceptis locis ad hoc statulis: iuxta macellom
(Metzig), iuxta puleum in Coro equoram (Kugelbruunen auf dorn
Boßmarkt), iuxta sanclum Stephanum (im Osten der Stadt an der
jMsrier) et apud locam. qui dicitnr Gemrke> (Mistgrcbe vor der
Stadt, ßpUter der Brach genannt). Vergl. ähnlich in Berlin: Con-
sentiue: «Altbcrlih> S. 5 Br.low: Vjs. f. Sozial- u. Wirtar.aaffcgesch.
1908.
9 lieber Charakter und Datierung des ersten Stadirechtes cf.
Reuigen, Urkunden, S. 93, Aura. 1.
■ * ÜB I, S. 47ö : 1. Stadtreeht g Öö und »7. 8. 47»: 2. Stadt-
recht (ca. 1200) § 02; quicuraque vagantem poroum in platca eine
duetore ceperit, ipsam, si voluerit, reservabit. donee ab illo. euius
4>orcU6 «st. qniiKioe solidos recipiel.
( v , . ,1,- Orcha ftorn
'^" JlIVUaiYUtMlHKAI
— 62 -
* ÜB IV, 2, S. 34/3G. 5. Stadtrecht.
3 I"eber die Pflasteruig der Straften kaba ich wenig finden
können, jedoch wird 1403 das schon länger bestehende Amt eines
EstriohmoietcrG gonannt, dam sowohl dio Wagfährung des Mistes
als die Pflasterung der Sfrafien obliegt. EhebeTg. & 51, § 169-71.
' Silbermann, Lokalgeschichte, S. 180 ff. Oeber die Anlage
der einseinen Gräben ist a«8 dem Straßbarger Urkunden buch wenig
y.u ermitteln. Dagegen melden die Annales Oolmarienses maior.
Mon. SS. XVII, S. 219. 1292: «Flueules aquas per plaleas Argea-
tinenses artifex invenit» und 1293: «Invenlor et magiatsr operia,
qaod in Argentina Bruscarn auere per vicos iaciebat. . . . expiravit».
Die verschiedenen Kanäle durch die Straßen wurden also damals
angelegt. Schmoller: «Straßburgs Blüte im 13. Jhdt.* S. 20. -Später
verglich man die Stadt deswegen mit Venedig.*
* z. B. 1363: ÜB VII, 8. 3,6 (1332), S. 325, 25, 269, 830, 35 ;
schon 12j0: OB 1, 3. 2ö2, 9. Streit des Spitals mit einer Nachbarin
wegen Anlage eioee Kanals über die Mauer. U B III, 8. 334 u. S. G, 8.
U B. IV. 2, S 149.
* Hegel 9, 8. 716,25*: Ta. Königshofens Zeit (1420) gingen
«Sprochliuscr» in den sog. Schneidergraben, die heutige Verbindung
von den Gewerbslauben und Metzgertor. Auen an der Mauer neben
dem Judenkirchhof lag eine «prifeyge» (private). ÜB VI, S. 264.
Sehr ähnliche sanitäre Einrichtungen hatten im 14. Jhdt. alle
größeren Städte, cf. Heyne, Deutische Hausaltenümer, I, S. 531 ff:
«Baecl im 14. Jahrhundert», 8. 28. Züricher Ötadtbüchcr I, 6. 044.
Muromfnhnff, Die Gesundheitspflege im alten Nürnberg. Die Zeic,
inner t" all derer der Mist abgeführt werden muß, wechselt in den
einzelnen Städten zwischen 3 nnd 8 Tagen.
'« 5. Stadtrecht, § 47, TB TV. 2, S. 3i>. 6. Stadtrecht, § 471,
1522. L'B IV, :>, S. 160. 3urenge Verbote, etwas auf die Straße zu
schatten unter Tags (bofct, noch harn, noch ancer unflat .. Schwerts
«Gerere> von Dächern. Kellern etc. darf wnu weier in die Breuscb
noch sonstige Stadtgräben sohütten, E. B. den Burggraben, den
Kintsütergraben and Zollcrgießcn. vielmehr ß»ll man es wegfahren
auf die Allmende bei Biacliufs Burgtor oder iu die Gruben oder
aus der Stadt Kur «vegotte» ohne Steine, Erde and Mist darf man
statt auf die Straße in die Breusch schütten, jedoch so, tdaß ea
nicht zu Grunde gefallen mag.. Bei 5 '$ St-afe. ÜB IV, 2, S 3ö.
11 Bruekcr. 3. 409 u. 411. ihre Ordnung ms dem 15. Jhdt. j
sie werden aber schon 1405 bei der Venvaltnngsorganisation ge-
nannt Eheberg, S. 51.
»2 ÜB IV 2, S. 161, 85. ca. 1300. Königshofen bei Hegel:
S. 760.
ia ÜB IV, 2, S. 14B (1889) nnd Eheberg'. S. 758.
ii Ein solcher Widerspruch gegen alle Ifiolierungsvorschriften
In Peetzelten ist es. wenn man zur Erlösung von dem TJebel der
Pest, wie eon&tder Hungersnot und anderer Gefahr, Bittproacüeionon
veranstaltete, bei denen alles Volk sich znsammandrängte und die
zur Fortpflanzung der Ansteckung nur beitrugen. Hegel, S. 773; 1387.
( " üroha frorn
'^" JlIVtföllYOtMUlKAI
— 63 —
li Hegel, KÖuigshofen, S. 769 zu 1349: <wan vormals was ge-
wonhoit, das men die doten erliohen zu kirchcn trus:, ocd ließ sü
ia der kirchcn, onta mcn scelmes6c gesang». Das verbot roen jetzt;
diese Verordnung* wurde spater als d&iernd in das HtadtrecU auf-
geuuuiiueu. ÜB IV, 2, 3. 162. «und kol man ein ualkin cder ein
serje morndcs legen in die kirche alse gewonheit w*a de* jares
do der sterbot (wahrscheinlich 1349) vas>. Man hielt also die
kirchliche Ceremonie mit einem leerer Sarge oder einen mit dem
Leichentuch äberdeclten Balken ab.
'&* Hegel, Stääte-Chroniken, Bd. 0. 8. 738; die 8pitalgrube am
altr»ii Platze blieb bestehen nnrl erhielt 1S58 ein« neue Kapelle.
CUV, S. 393,8; in selben Jahre herrtchte wieder eine Pest und
«cr gebrast armen lülen begrebede au dem müaster», deshalb
machte man in seirer unmittelbaren Nahe, bei der Steinbutte, einen
neaen «Lichhof> (aaf der Südaeite des Munsters). Hegel, S 771.
» 6 ÜB 1, S. aot, 36. 1240. ÜB V, S. 377: Uer «cubIob» von
St. Thomae hat die Pflicht, den Friedhof zu unterhalten. — Aua
foitifikatoriechen Erwägungen wurde ja auch 1392 das stifit. Spital
wieder in das Innere der Stadt verlegt. 8. S. 19.
17 Krieger, Zur Geschichte der Vilksseuchen, S. 152. Murnruen-
Itoff. Gesundheitspflege im alten Nürnberg, S. 23.
»8 1412 nämlrr bestimmt eine Taxe fiir den Totengräber von
8t. Thomas, was Gräber in der Kirche koeten. ZOOE 12, S. 148 ;
ebenso erwähnt die Rateverordnong. Bracker, S. 4<0 Gräber im
Innern der Kirchen (Hegel). S. 121 (Closener) zu 1349. Eriegk,
Deutsches Bürgertum II, &. 132.
18 Hegel, &t.-Cbron. 8. S. 121 nnd ÜB IV, S. J62. 9. Daß man
nie unter Leichen recht lang unbestattet ließ, >- : - i tr t eine Nürnberger
Verordnung:, man dürfe sie nicht länger als 3 Tage liegen lassen.
Jeäoch liegt wohl schwerlich eine arge Willkür, wie Kriegk, auf
einen Artikel einer Gcsellcnvercinigung gestützt, annehmen zu
müssen glaubt (II, S. 156) darin, wenn man von den Handwerks-
gesellen verlangt, sie sollten <ire liehen begengnisse tun off Furtag
and nit Werktage» ; der Sau findet sich schon im Stadtrecht
ÜB IV 2, § 463, S. 158 für 1365. Be: der großen Zahl der Feier-
and Heiligentage, <ii> man damals hielt, wird die Frist bis zur Be-
stattung der Leiche nicht zu lang geworden sein. Vielleicht richtet
bich das Verbot auch nur gefeit das feiein des Begäufciübseb, das
ja mit Gelagen etc. verbunden war, nicht gegen die Bestattaog an
sieb.
*> ÜB IV, 2, S. 168. y und Hegel. 8. 121 und S. T6» t Closener
wie Königsnofen sind nicht ganz scharf im Ausdruck, wenn Closener
aach dem zitierten Satz weiterfahrt: «darum vorbot man's wider-
ambe>. so muß man das auf das Trafen durch Ungenossen beziehe;
wenn dagegen K. bei -fast demselben Text, fortfährt; «darum gebot
man's wiederurobe». *o denkt er eben allgemein an den früheren Zu-
itand,
( v , . ,1,- Grqha frarn
'^" JMVU&mUtMUlKAI
— 64 —
-'■ In Strasburg* die oben erwähnten Laienbrüder z, Rcbstoök;
in Noiddeutschland machten sich die sog. Elendenbruderschaften be-
sonders die Totenbestattang »ur Aufgabe. E. v. Möller, Die Elenden-
brudersshaften. S. Ij6.
n Ebenso In Basel. Sriegk II, S. 100. In Konstanz waren sie
tcli'jn 1888 als städt. Beamte angestellt.
'■» Brucker, S. 400. ZQOR 12. S. 14R Ordnung: von St. Thomas
für seine Totengräber. 1*12 bei Schmidt, Histoire du chap. de St
Thomas, p. 409.
** Brucker, S. 402, satzt diese Ordnung irrtümlich ins 1!>. Jhdt.
SR Kriegk II, S. 149 j in Frankfurt achtete man seit 1501 tur"
genügende Tiefe.
•'• Auch aus andern Städten ist nichts genaues darüber bekannt,
«f. Krieg* II, S. 140.
M SchickelÄ, Vorsichtsmaßregeln gegen die Pest im alten
Straßfcnrg. ZGOE NF. 21 (1906), S. 212 ff. weist nach, wie Im
1»'. Jhdt, besondere im Traktat Winthere v. Andernach «de pöBtüontia»
1564 die neuen Lehren toh Isolierung etc. aufkommen, die dann
lt>6ö iu dem Pesueglemem und der Ausgabe eines «Peetbüchleins»
durch die Stadt praktisch werden.
i 8 Gänzlich fehlt z. B. eine staatliche Kontrolle, auf dem Gebiet
der VYuhaungävcrhältnis&e and der BebchäftigiiflgbweisB vom sani-
täre* Standpunkt ans, die ja freilich erst heutzutage ausgebaut
wird.
» flefele-Knöpfler VI, 5. 560. Die Kirche suchte den Jaden
die Ausübung der Medizin zu wehren. 1335 auf der Synode Bene-
dikts VII. zu Salamanka wnide beschlossen : «.luden und Sarazenen
dürfen uicht Aery.te sein, weil sie die Christeu zu vertilgen suchen >.
80 V B I, S. 101,27. Ilfe7. «tatione Lang'obardus, professiene
mediens, dignitate eives Argontiuonsis • Mono, ZGOR, Bd. 1$,
führt ihn als Stadtar?t auf. also als Stadt. Beamten. Diese durch
nichts direkt gestützte Annahme wird widerlegt durch die Analogie
anderer Städte: nirgends finden sich solche Beamte vor dem 14.
Jhdt. Zum ganzen Kapitel: Kriegk, I, 1—60. Baas: «Gesandhsits-
pflege im m. a. Baden». Neujahrsblari der badischen historischen
Komrrission. 1909- 5. 50 ff.
51 1264: TB IV, 1, S. 146,8. 130€: III, 63 und 177. 19.
1321: III. 288p 27. 132b: HJ. 344, 18. 1343: 711, 113, 13. 1346:
VII, 146, 23. 1369; VII, 400, 25. 1300; YII, 716, etc. Bau,
Alemannia, Bd. &\'i: Freiburgs Gesundheitspflege, S. 106.
&2 ÜB VII. S. 318. S. 716, 5 (1390) Heirel, Chron. 9. {aus den
Batsprotokollen) S. 1026. Schmidt, Alsatia 185Ö— 6L «ßeginen»
S. 193. DB III. S. 360, 35. (L328; - ÜB. V S. 5: 1332 wird ein Hmi-
selin artzat genannt; er ist jedoch nicht Aiy,;, sondern Mitglied d*r
su zuleaaniiteii Familie «artzot», die im 14. ,'h. häufiger vorkommt.
ÜB. VII S. 134, 12. 230. 3tJ. (Job. dictus. Artzet».
M fiönig'er, Der seavarze Tod. S. 67.
. Crqha frarn
JMVU4IIY0I-M(.HK»AI
— 6ö -
»* ÜB VI. 8. 100, 6: das Original ist verloren, nur ein Ex-
zerpt Hegels erhalten, über die einzelnen Verpflichtungen des Arztes
ist also daraus nichts zn entnehmen. Krief?k. 3. 90. 50 fl. Sold jähr»
lica scheint eine uormale Höhe; Frankfurt zahlt, zu eben dieser Zelt
100 fl. jährlich ale Ausnahme. Gutlcbca eclbst hat vorher in Kolmar
3?S fl. erhalten.
** Hegel 9. S. 772. Ueber Gutlebens Schicksale: Baas, Aleman-
nia 33. S. 48. Fechter, Topographie Basels 1856 S. 79.
3« Kriegk I, & Äff.
9 * Baas, Alemannia 33, S. 125. Aue einem im Freibarger 8t-A.
Hegend on Bri&f.
38 Mone, 2G0E 12, S. 20. Anfceichanng 1301: Cop. B. des
Münsters, S. 50. ÜB VIT, S. 146 nnd 290,6; von diesam maxister
Nicolaus oirurgicus Argcntinensis hören wir nur, daß er ein ver-
mögender Mann war und von seiner Tochter beerbt wurde.
» Kriegk, 3. 12.
40 Wieger, Geschichte der Medizin aud ihrer Iiehr&usUlten in
Straßbarg (1885), S. 4. Gorsdorff nahm an don Burgandorkriogon
teil und kam später als Wandarzt nach Straßburg; ob er ange-
stellter Stadtartt war. ist nicht sicher. Bruaschwigk nennt sich
«Wundarzt der kaiserlich freien Reichsstadt Straßburg».
« Brueker, S. 28(1 ff : Anstellung des Spitalarztes (1500) siehe
oben.
M Hegel, 9. 3 1026, Exzerpt ans den 1870 leider verbrannten
Katsprotokollcn v. J. 141W.
« Baas, ZGOR NF 22. 1907. 3. 233.
«* Krieger, S. 158.
«* Mummenhoff, S. 40. Die Straßbarger Ordnungen hat Baas
Alemannia 83 z. T. abgedruckt, z. T. nur inhaltlieh wiedergegeben,
Freiburger 8t-A. XL, Kr. 2-10.
*• Ähnliche Taxen in Frelbur^: Alemannia 53, S. 115. In
Frankfurt kostet 1424 Urinbosehn 12 Heller, Kriegk I, S. 10.
47 Mummenhoff, S. IG. Die Wirkung solcher Taxen mag nie
groß gewesen sein ; der Straßburgör Hat schreibt kurz nach Erlaß
seiner neuen Ordnung schon den Freiburgern: «man habe es, das
Honorar betreffend, ungleich gehalten, weil die Krankheiten sowie
die Vermögenslage Jer Patienten zu ungleich tseion, es mit den Be-
suchen bei Tag uad Nacht zu ungleich gehe». Freiburgex St-A. XI.-
2—10.
48 Kriegk, Deutsches Bürgertum. 1, S. Gü.
« Seyboth, Die älteste Straßburger Apotheke 1897, bezieht
sich (vom kunstfcistor. Standpunkt auej nur auf das Gebäude.
bO OB VII, S. 41, 20: 1336. IIB III, 3. 240, 20. 716, 5j 1390.
841, 11: 1898 und Mone, ZGOR II. S. 22. ü B V, S. 255, 12.
»l Mr. im Straßburger St-A. tom« 24, fnlio 38 1519.
M Freiburger St.-A. XL, 4>|f. 1549. Diese Ordnung ist, wieder
Straßburger Schreiber bemerkt, erst kurz zuvor reformiere worden,
da sie sich nicht als sehr wirksam erwiesen hatte.
5
( v , . ,1,. üroha frern
JlIVtföllYUtMUlKAI
- 66 -
»> Dies «dispensatorium» wird offenbar später noch ergänzt
durol; uo-s yleioi; nachher genannte üucfa, Johannes Mesuae a
Silvio reoognitae and Silvias, de medicameatorum simplicium de-
lectn, fraep&rationibufl et mixtiomg modo, «*amrot andern, so
jederzeit von den Gelehrten dienlich erkannt werden>. (§ 24 1er
Ordnung.) Ueber Silviua liabc ioh niohts ermitteln können j Mcsuö
der Jüngere ist wahrscheinlich das Pseudonym eines Arztes, der
im 12. Jinit. «de bimplicibus» schrieb. Häser 8 i, 3. 577. in Frank-
furt werden auch 1461 dia Apotheker verpflichtet die «Authoditom»
(?) Me&ue zu benutzen, (finegk I. S. 17). .
M Öle Ordnung Bprleht § 20 von 4 «Verordneten Über die
Apotheken*» § 20 von 5j die ursprüngliche Ordnung reichte wohl
bis § 2f) nnd sie wurde dann mit reichlichen Znsätzen and Ver-
besserungen versehen; daher die verschiedenen kleinen Widersprüche
und der Mangel an Disposition.
65 Ueber Thomaszucker kennte ich sogar bei B. v. Lippmann,
Ocsch. des Zuckers (J690) lichte Näheres 6nden. Auf Madeira und den
Kanarischen Inseln wird noch heute Zucker -plan!.
ifl Theriak = &rjpta*öv aväcoTOv, ein aas Schlangen fleisch be-
reitetes Gegengift, später ein aus gepulverten VÜanzenteilen mit
Honig angemachtes Latwerg als Arznei. Driakel bekommt dann
schlechthin den Nebensinn: Betrügerei. Grimn, D. Wb. 2, S. 1373.
«Er hat ein gesohrey wie ein Zaanbrecher oder Triackers Knc-
mer», sagt ein Sprüchwort des 15. Jhdts. Machraer, KrankenwcEen
von Hildesheim.
a^üß VII, S. 239.
äs Brucker, S. 81. Kriegk I, S. 38, 42, 43 and S. 7.
ra SCuiiirnenhoff, S. 20. Kriegk I, S. IS: in Frankfurt sind seit
1479 vis* tStadtammen», 1456 wird ein Legat gemacht, das be-
sonders armen Frauen unentgeltlich Geburtshilfe sichert. Die erste
Frcifcurjcr Hebammenordnuii£ stammt von 1510) sie weist große
Aehnlichkeit mit der im HVeiriurgp.r Archiv befindlichen, erst 1HSR
geschriebenen, aber inhaltlich alteren Strafibarger Ordnung au!.
Baas, Alemannia 33, S. 133. Für Kulmar ; ZOOR NF. 22. 190".
Für norddeutsche Verhältnisse: Machraer, Das Krankenwesen voa
Hildesheim, wo ebenfalls erst spät eine Ilebamraenkontrolle ein-
setzte.
60 Die Straßburger Heb&mmenordriüng 1556 ; Freiburger St.-A.
XXXV. Polizoivörordnungeti Nr. 128 (ungedruckt).
öl Eriegk, 8. 33.
« 2GÜK 1907, S. 234 ff. In Ulm heißen die Scherer im Gegen-
satz zu den Badern, die nach dem Bade, wenn die Haare ual>
waren, scheren durften, «Tiockenscherer». (Martin, deutsches Bade-
wesen, ö. 70).
es i3$8-97. 8 ÜB VI, ß. 2fi4, 2GC, 2G9, 072, 087, G86.
« S«. St.-A. 1400. 20, 34. Ms. ÜB VII, 1391, S. 742,4 wird
«der bader stube» genannt
es Bracker, S. 81. ÜB IV 2, S. 132.
( v , . ,1,. urqjia frern
.OOglt JMVlßllfWMLHIWI
— 87 —
** z. B. im Leirosenhaue: Brucker, S. 4ö— 46 ' «. . . do die
pflagere und ein scherer erkeanent, das es ein blutrunz ist».
• T Heit«, StraÖkurger ZanfUvcKtu (für 19. u. 17. Jhdt.), 3. 172.
Borselbo S. 48 a. 6« beriohtet, daß in. 17. Jhdt. dia Chirtrgren auf
der vornehmen Zunft czur Luzern* dienten, die Bader dagegen bei
der Schmiedezunft. Betreff der Bezeichnungen ist za bemerken, daß
Bader (balneatores) den Barbieren = Scherern = tonnore« gegen-
überstehen. Maurer, Städtegesch. II, 474, irrt wohl.
•* Stadtarchiv 24, 7S uudaüerL, wohl Anfang des 16. Jhdte.
Fechter: Topographie von Basel und Martin: Dentechea Rade-
wesen. S. 86. Bezeichnend Tur die Anschauung, daß Baden ein
Vergnügen sei, ist der Ausdruck Bodogold im Sinne uuserta heutigen
«Trinkgeldes».
«• Brucker, S. 60. Kriegk, S. 30 ff. Martin. S. 176.
'• StraÖburg-ftr Stadt-Archiv 24, fol. 78, undatiert, vielleicht
Anfang 16. Jhdt.
Tl Die Manne rbider heißen: Zum Kerff, Naßbanm, zum nuoß-
linbad, Pfauenhof und Sankt Barbellen. Die Frauenbäder: Znro
Koch am Weinmarkt, zum Merlin und sura Hörnlein. Mit den im
11 Jhdt. genannten Bädern lassen dieEe eich nicht identifizieren, da
jene immer nach ihrer Lage in dermale anderer Häuer bezeichnet
aind, nicht mit Eigennamen.
72 Kriegk II, S. 85 and Zappcrt im Archiv für Kuado öster-
rftiehischer ftaRehiftlturuellen. Bd. 21.
™ Ms. im Str. St-A. 20, 34.
w Daß es sich hier -wirklich nm eine Zunft, nicht bloß eine
Bruderschaft handelt, geht schon aus der direkten Bezeichnung als
Zunft, wie auch aus dem Erscheinen des Gewerbegeiicbu hervor
and aus der Erwähnung der Militärpflicht, wenn auch vom Zunft -
swang z. B. nicht die Rede ist.
7a 13ie daraaf beziigl. Verordnung des Rates im Str. St.-A.
tjme 28, fol. 237, ist undatiert, aber jedenfalls vom Ende des
15. Jhdt.
*« Brucker, S. 80ff 1477. Es schämt fast, als ob diese Bruder-
schaft ein Gresellenvarband gewesen Eei; denn es ist davon die
Rede, daß «Die knechte, die in der brodersehaft» sind, diese auf-
lösen vollen and wo von der Krankenversicherung die Hede ist.
vrerden nur «reybeiinnen» und Knechte erwähnt. Andrerseits aber
ut von dem Dingen von Mägden die Rede, waa doch nur Meister
aogeht; daß einer dar vier Geschworenen de3 Genossensctuftsgerichts
ein Handwerksmeister sein soll, ist kei% Kriterium; es ist sowohl
möglich, daß die Heister eich dies Recht in feindlicher Absicht
gegen dun Gesollenvoibaiid uubbedaugon, aU daß diu iu der Genossen-
schaft befindlichen Heister sieh diesen Einfloß sicherten In jedem
Fall ist die Bruderschaft religiösen Ursprungs. Es ist zu bemerken,
daß die Qenehmigurig des Rates nur auf Widerruf erteilt ist. Schanz
nni Schönlank sehen darin ein besonderes Mißtrauensvotum der
Stadträte gegen die Gesellen.
üigilizcc . ^ -o. i JMIVLHbJnOI-MC.HK.AH
— fiH —
■w L'cber solche Abmachungen mit dem seädt. Öpital in So.
Schau?, Geschichte der Geeellenverbände u. oben.
M Straßborger St.-A. 24. 73. «es soll ein bader keine frowo
zn einigem mann nirgftn gastMIftn, wodurch etwas argweniges ent-
stünde» und sie «sollen mit leinen undercleider(aj bedecke sin binden
ufld formen*.
( ",-, «i iL- ürclia freni
JMVtHSIIYÜI-MtHIWN
111.
Ein altes Anniversarienbuch
des Klosters St. Morand
bei Altkirch. *
Von
Theobald Walter'
«Ein Fuhrt wont wir verbringen
Zue # einem Gotteslians schon.
Darin vor allen Dingen
S&nt Biorand ißt P&tron ...»
Altes Wallfaortslicd'.
I
nmitten der frucht- und waldreichen Hügelreihen des
Stndgaues erhebt sich auf slotaer Höhe das Slädtchen Allkirch
and zu seinen Füßen an der erlenurnsäumlen, brausenden III
das ehemalige Prion»! zu St. Monnd, heule ein städtisches
Hospital und Waisenhaus mit vielbesuchter Wallfahrtskirche.
St. Morand, Fddbach und St. Ulrich im Largtale waren
drei uralte Sundgauer Benediktiner- bezw. Gluniazenserstifte,
die ihre Entstehung und ihren Ausbau zu blühenden Kultur-
stätten des ausgehenden Mittelalters größtenteils dem Wulil-
tätigkeilssinne der mächtigen Grafen von Pfirt verdankten. Was
das Kloster St. Morand selbst anbelan^l, so föllt seine Grün-
dung in das Jahr 1105 ; damals übergab Graf Friedrich von
1 Die Siegel sind nach (jipsabjriissen der Archive in Oolmar
und Basel gezeichnet, die sie in dankenswertester Woiso zur Vor
ftlijung stellten.
; ; R i n schon gei e tl i c h Lied von «Um hl. W orand,
Probst des löblichen und uralt;« Stiffts S. Christoffel
n Altkirch. - Alsatia 1856, S. 34ff.
( \n -* iL- urqha frarn
üigilücc ■-, >. -o. JMVlKsllYlfrMUHWI
J- 70 —
Mümpelgard, der erste Pfirler, ein schon vorhandenes, aber
arg heruntergekommenes (ihorherrenstifl mit aller Christoforus-
kirche den Cluniazenserrj, die es sofort bezogen. Wenige Jahre
später erschien il.nu. dei Mönch Morandus, der der Umgegend
TT,
r*
M O
von Worms entstammte, bis dahin indes in der französischen
Auvergne mit besonderm Eifer gewirkt halte, im neuerworberien
Slifle und eroberte durch seines Herzens Bescheidenheit, seiner
heilij;rriäßigen Wandel und seine treue Hingabe an das Land-
volk in kurzer Zeit die Liebe und Zuneigung der gesamten
Anwohner. Er starb tief betrauert im Jahre 1115, wurde
V r< ■
Orolia front
JMVfcföl I Y C* MLHKAI
— 71 —
Ende desselben Jahrhunderts kanonisiert und hinterließ dem
Kloster Name und Ruf. Sein Grab ist bis auf den heutigen Tag
die heißersehnte Pil^erstätte jedes biedern Sundgauers geblieben 1.
Uie weitem Wechsel vollen Schicksale dp« Klosters 711 schil-
dern, ist hier nicht der Ort ; der am '28. April 1878 in Hir-
singen verstorbene Pfarrer Fues hat es übrigens bereits 18ö0
in einem später vielfach aufgelegten Schrifteben g;ctan «, des-
gleichen A. Deny 1901 abermals in zuverlässiger, eingehender
Weise*. Der Zweck dieser Zeilen besteht vielmehr darin,
Siege; des Klosters St. Morand hei Allkirch.
unter Benutzung eines alten, bis jetzt kaum beachtelen Schrift-
stückes, das Kloster St. Morand in seinem Verhältnis zum
1 Das Siege) des jeweiligen Priors neigte den uralten patronum
loci. St. Christof, wie er. auf seinen Stab jrestützt, das Christuskind
donjh die Wellen trägt; vielfach ist das jiersönliche Wappen unten
angefügt, Des obigen Siegels bedienten .-ich die Drüder und Kon-
vrntsgönoseen durch Jahrhunderte: es trögt St, Morand mit ge-
falteten Händen im Pilgertrewande, vohl in Anlehnung an den
Bericht von seiner Wallfahrt nach Santiago de ComposlcLla, die ihn
äeni Clnniazensernnien zuführte. Die von Ingold in Miscellanea
Aleatica, 1804, S. 'Off., veröffentlichte Note sur l'ieono^-raphic
i ■■ salnt Morand kennt diese Danullunirsweise nicht.
2 Der Heilige Siorand, Apostel und Patron des Sundgaues und
der Stadt Altkirch von F. J. Fues. — Straßbarg 1850.
3 Sankt-Morand bei Altkirch Dem Sundg*anc gewidmet von
A. D. — Rixheim 1901. Auch in französischer Uebersetzuiiß.
( ' iia frorn
8 K JMIVtfömUKWC.HK.AH
— 72 —
alten Sund gauer Landadel zu zeigen, und swar in einer Zeit,
die uns sehr wenig Urkundenmaterial geliefert hat. Die bösen
Kriegsfahrten vom 14. zum 16. Jahrhundert haben leider die
Arcbivbestände unserer Landklösler allzuarg gelichtet, [st
doch von St. Morand, da» besonders im Dau&rnkriege schwer
geschädigt wurde, w:hr wenig, von St. Ulrich und Feldbach
nichts mehr aus alleren Tagen übrig geblieben*. Doch ?ur
Sache. —
Im oberelsässischen ßezirksarekiv zu Colmar* wird eia
schlichtes Popicrbändchcn, dem ein älteres Pergarncntblutt als
Hülle diant, aufbewahrt. Die späteren KlosUrschriflen gelten
ihm gewöhnlich die Bezeichnung das t\ 1 1 cuaterey vndt
conuent buch S. Josephus; und in der Tat trägt die
vordere Außenseite unserer Handschrift in stark abgebleichfen
SchriftJÜgen den alten Namen S. Josephus. Das Titelblatt
im Innern berichtet dafür um so ausführlicher :
Sequuntur anniveraarU, que debent
celebrari per convenlum eaneti Morandi
prope Ältkilch, prout sequi lur scriptum
et coneeptum anno Domini M'CCCC'XXX^IllI
i:i claro.
Das Büchlein selbst enthalt, nach der Folge des Kalendariums
geordnet, durchweg sog. Seelengedächtnisse für Wohltäter des
Klosters. Wie schon dei Titel merkeu IS£t, ist die Zusammen-
stellung aber keine ursprüngliche, keine authentische, sie i=t
vielmehr das Ergebnis sorgfältiger Auszöge aas älteren Vor-
lagen und enthält nur Anniversarien, von denen die Sliftungs-
güter noch nachweisbar waren, SeelengedSchtnisse also, die
damals in Wirklichkeit noch gefeiert wurden. Auf S. 24
werden im seltsamen Mönchtdatein jener Zeit ale Quellen der
Abschritt zwei ältere Pergament bände angegeben :
Item in primo libro a n n i v e r sa riorum
sunt XXIIII ftlia in pergameno, inleger et
nu Ho defec t us.
Unm in vero o ri jr i naü libro a.nni versario-
rum, que coperitur eiquoudam copertorio
nigro et in dorso destruituV ad longum,
sunt XII folia in pe rjr'a.merio . . .
Diese Originale, die Ende des- i&. Jahrhunderts nicht mehr
aufzufinden waren, gingen wahrscheinlich im Bauernrummel
von 1525 vollends zu gninde.
1 Vgl. Dor Wanderer im Elsaß, 1894, S. 269.
J Sc Morand, I, 11.
( \n -, iL- Grqha frarn
c '^" JlIVtföllYOtMUlKAI
- 78 -
Bei der Transskription wurden leider, wie das fast allge-
mein üblich war. die Sterbedaten unterdrückt und nur der
Gedä»;htnistag und da» geschenkte (int übernommen, so daß
das Ganze, abgesehen von der Form, eher einem Zinsurbar als
einem Totenbuch gleich sali. Im allgemeinen bauen folgende
drei Schemen in buntem Wechsel Anwendnng gefunden:
Item XIII Kai. Martii cetebraturaoniver-
sarium Agnese, filie Vlrici R a s o r i s , que
c o n t u 1 i t XVIII 4 super a g r u m an dem
Rockgen ptope vineas (b) urtum c I pomnic-
rium ad lumem ecclesie scu capcllc in jV 1 1 -
kilch et VI -j super ortum . . .es oposito
castri prope tiliam.
Item omni feria II* per totum annum
memoria fiat generaliter omni u im defuoc-
torum et specinlitcr Domini Hcinrici
Motzet . qui contulit III ff super bona sua
in villa et banno in Walhen . .
Item in die Philippi et Jacobi obiit Bur-
kar d u s Knapp, qui contulit ortum suum
iuxta fontem Lochspu rnen, situm penee
ortum Johannis dieli Stürtzel, cuilibel
sacerdoti in oppirto ce lebranti, u t agatur
ann iversa rium suum et Mechtildis uxoris
sue, Elizabeth etJohannis filiisui et He-
dine, tilie predicte Mechtildis, et ipse
sacerdos de hei d a re sinyulis annis reli-
gio s i s i n s a n c l o Morando III ß et capelle in
Altkilcb II ß ad iuinen.
Nichtsdestoweniger soll im folgenden versucht werden,
aus anderem verfügbarem Urkundenmaterial einschlägige Daten
zu bestimmen und etliche der alten Ritler und Herren in ihrem
Eigen wieder aufleben, etliche längst dahin gesunkene Weiler
und Dörfchen wenigstens dem Namen nach wieder erstehen zu
lassen. Kloster-, Ade la- Und Dorfgeschichte werden gewißlich
einigen Nutaen davon haben.
Das Verzeichnis wurde schon "1451 durch Michael
Bartenstein de Columbaria, procurator tunc
temporis huius cpnventus, abermals erneuert, doch
ohne nennenswerte Abänderungen Wahrscheinlich hatten die
Armagnakeneinftlle, die ja 1444 St Morand in großen Schaden
brachten, eine genauere Sichtung notwendig gemacht. Der
Gesamtertrag fiel ziemlich spärlich aus; betrug er doch nur
noch 15* V ß in Geld, 2 Hühner, 2 Viertel Roggen, 5 Viertel
3 Sesier Dinkel und 4 Vierte) Hafer.
( *. >. * iL- ürqha frern
c '^" JlIVtfömUtMUlKAI
- 74 —
Mark würdiger weise ist kein Name der älteren Priore in
den Aufzeichnungen erwähnt geblieben; nur Johann von Alt-
dorf (1421—1450) und seine Eltern Hugo von Altdorf und
Ehüue von Hageubach sind 1451 nachgetragen worden; auch
Heinrich von Harnstein, der Vogt zu Altkirch, und seine Haus-
frau erlangten 1452 für LXX ff stur an den Iura 1 , daß
man ihr Jahr^ezeit am dritten 'Jag nach Ncrandi feierte. Von
den 8lien Stiftern, den Grälen von Pfirt, dagegen ist jegliche
Spur yerschwunden ; die urallen, reichen Uingbofgefälle in
Carepach, Spechbach, Obcranepach, Bcremweilcr, Ettlingen,
WerenEhau^on, Henningen, Aspach, Ensehingen, Buetweiler
und Bammersmatl, die noch 1421 einen stattlichen ftand
t'tfllten «, wurden von der Klostergenossenschaft wohl längst als
patrimonial empfunden, die pro f u nda to r ib us zu nichts
mehr verpflichteten. Dagegen eröffnet das jährlich am Dienstag
nach St. Nikiaus wiederkehrende Seelengedächtnis des Herzogs
Friedrichs von Oeslerreich und seiner Gemahlin Anna die
Reihe. Princeps illustris Dominus Fredericus,
dux Austritt, transmisit imaginem argeuteum
saneti Morand i, ut memoria sui et conjagis
sue . . celebrare debet, sagt der Bericht; und zu dem
Silberbilde 8 füifte Johannes Volkart. der advocatus ia
Beffurt jährlich im Nanieu der Herrschaft 1 Viertel
Roggen hinzu.
Herzog Friedrich IL, der Sohn des 1386* bei Sempach ge-
fallenen Leopold, wurde 1 410 Landgraf im Oberelsaß, und war
zweimal verheiratet, in erster Ehe mit der Pfolzgräfin Elisabeth,
der Tochter des Königs Ruprecht, und in zweiter erst mit Anna,
der Tuchter Friedrichs von ßraunschweig. Die obige Stiftung
erfolgle im Laufe des Jahres 142$, er selbst starb 143&.
Die bedeutendste Begräbnisstätte des alten Kirchleins be-
saßen unstreitig die Edlen von Zäsingen. Heute ein unan-
sehnliches, weltverlorenes Dauerndörfchen im hintersten Wal-
hachtsle, einer Verzweigung des Hundsbnchertalee, gab es schon
im 13. Jahrhundert einer vielgenannten Adelssippe Ursprung
und Name.
Nacfi Trouillat* saß schon 1277 Heinricus de Ze-
singer als Lehensmann der Pfirter Grafen in Altkirch. Unser
1 Der Kirchturm dor alten Klosterkirche
* BA. Colroar. St Morand 4. - Die alten Hofrodelu sind von
Stoffel in Grimms Wcistämcrn IV, 3lff., veröffentlicht worden und
»ach in der els&asißcheu Soaderausgabe von Steffel. — Vgl. auch
Gasser, Btata des fonds et revonna du prieure de St. Mo-
rand en 1772. Revue d'Alsace 1682. 386 Ä
a Vgl. Ä. D, St. Morand fcei Altkirch, S. 39.
* Trouillat, II 281.
( "*vk iL- Crqha frarn
JUVlföllYOtMUlKAI
— 75 —
Totenbuch kennt indes einen alleren Verlreter des Geschlechtes,
dem es den Namen Antonius v. Z. gibt, und der für sein
crastino Agathe virginis gefeiertes Seolenorat Hafer-
zinsen in Mnrschweier (ObermorMhweier) an das Kloster
vergabt e.
Die 5. Kaienden des Monats Mfirz geben uns dann ziem-
lich zuverlässig tlea Stammbaum der Altkircher Linie der
Zäsinger, der sich den Hauptpersonen nach folgendermaßen
gestaltet :
Heinricus de Z. miles
Margreie de Neuenburg, ux.
I
Hetzel de 2 M miles
dementia de Steinbrunn, m.
I
Rudol fus de Z.
Herzlauda de Uffbeim, ux.
Richard de 2,
.\ n n a de Brunnendrut, ux.
Wie nun stellen sich die ans den Urkunden gezogenen
Belege zu dieser Genealogie ? —
Heinrich ist iQ7i und wie schon gesagt 4277 bezeugt 1 ;
i^y-2 tausebte er Güler in Kösllach mit Lfitzel* und lebte noch
im folgenden Jahre 5 ; seine Witwe Margret erwarb l v 206Wein7.inaen
in Steinbach 4 . Er hinterließ als Kinder; Hezel, Henainus,
Anna und Katharina *,
Heinrichs Sehn Hetze] ist urkundlich nur einmal nachge-
wiesen, wie er nämlich 1313 Güter in der Nähe von Altkirch
an einen gewissen Heinrich, den Schmied, veräußerte, die er
in Gemeinschaft mit seinen Veitern Hezzel 8 , Heinrich, Richard
1 Trouillat, II 266 und 281.
* Trouillat. III €74.
8 Urk. v. Basel, HI 71.
* BA. Colraar. Lützel 135.
6 Nebeu deiu in Attkirch ansässigen Beiiricus kennen die Lützler
Urkunden noch einen üeinricus dictus deZeesingen resident!
in üfholtz, 1287 (BA. Colraar, Linzcl 159, 8), einen Neffen des
obigen [Lutzel 13S). Auf ihn bezieht eich wohl auch die im Basler
rrkandenbnch, HI 24» abgedruckte Crkmnde. Er und fiuritr.mann
v. Z. gehen 1319 Güter in Üffholz an Joh&nncs ron Altdorf ob (BA.
I olmar C. 25 )
6 Dieser Vetter Hasse] ist es wohl, der 1318 für sich and Beine
Frau ein Seelenge Jachtnis bei den Predigern zu Basel stiftete. StA.
Basel, Prediger urk. Kr. 196.
( \-, -* iL- üroha frern
JMIVtHyn-UhMC.HKAH
- 76 —
und Kudin besali '. Nach unserer Vorlage aus St. Morand
könnte Hetzel jwei Töchter geistlichen Standes schabt haben .
S y rao d i a t, mo n i al is de Ve 1 1 pa c h uti<J Margret, Kloster-
frau iu valle Ma s u u is (Masiuünsler).
Rudolf v. Z. saß 1349 ia Altkircli * ; er war ein Schwager
des später zu erwähnenden Slocker von Pruntrut und hinter-
ließ zwei Söhne, Richard unil Heinrich, die 1360 hezeugt sind.
Im Jahre 1361 erhielten die beiden Brüder vom Horzo^
von Oesierreich gemeinschaftlich ihre österreichischen, d. li.
die alten Pfirtor Lehen übertrugen, nämlich: /ohntgorechtig-
keiten in Pruutrul, den Bannweiu iu Allkirch, den Graben
hinter ihrt»m Hause daselbst nebst Ackerfeld, Renten von der
äiC|>Cl IU; '•.■] i'Oll /-; i: ;;i. :i 13H.
uiedern Mühle und Rebaiusen, alles in Allkirub. Ferner er-
hielt Richard für sieh allein die österreichischen L«hen, die
durcii den Tod seires Anverwandten Walther von Steiiibrunn,
ledig geworden waren s. Im Jahre 13X2 war Richard tot*;
eine sonst unbekannte Janeta, filia i p * i u s Richardi
wird in St. Morand dem Gebete der Gläubigen empfohlen,
desgleichen Katharina und Elisabeth, zwei Töchter Heinrichs.
Diese ganze tfenealojrische Zusammengehörigkeit kann nicht
in Zweifel gezogen werden ; ist sie uns doch nicht nav durch
die übersichtliche Abfassung des vorliegenden Textes verbürgt,
i RA. Colmtr T.iitzel 159. *-
* Kindlcr v. Knobl., Der alte Adel. IIS.
s HA. Oulmar, 35.
* Trouillat, IV 415.
gk
r>iciral fronn
UNIVERSIIYO" MICHIGAN
- 77 —
sondern auch durch die gemeinschaftliche Finanzierung durch
Zinsen super dorn um et ort um dicti La n gor in
Crispingen iuxta ecclesiam und durch Y ß, die der
Rektor in Cn«pinoen von seinem eigenen Hauec Abzufragen
hatte. C rispin gen war der Name einer alten Dorfschalt, die
sich im Wiesengrunde zwischen Walheim und Tagoleheim aus-
breitete. Item in dem gründe ze Krispingen ein
Jnch neh^ntH^rThninan rnnTagctlaheim, 1&21 ;
zur selben Zeit war auch Herr Heinrich von Crispingen, nach
St. Morand 7inspfH>htig i .
Das vorliegende Seelbuch kennt indes noch zwei weitere
Richard von Zäsiwjen. Das Seelengedächnis des einen, der
mit Greda von Koppach vermählt war, wurde an den 1b. Ra-
tenden des Mcnats November gefeiert und wurde damals (1434)
von dem Jettinger Villicus Hudinus durch Gefalle von Hof und Gut
daselbst bezahlt ; das des andern, dessen Eheweib sich Elsine
von Mörsperg nannte, fand regelmäßig am Dienstag vor Maria
Himmelfahrt slalt. Letztere verkauften nachweislich 1409 Güler
in Hundsbach an Hans Gehharri von Basel und hinterließen
zwei Töchter, Cäcilia und Elisabeth, die 1423 im Steinenkloster
zu Basel den Schleier trugen*.
Schließlich finden noch am Dienstag um Michaelis Hetzel
v. Z. und seine Frau Siguna von Eptingen Erwähnung ; für
sie wurden u , a. bezahlt 1 j$ adponendum e e r $r i u ro
etil ca ndelas super sepulcrum. Hetzel wird 4382
und 13Ö0 als f i 1 i us Ri c h a rd i erwähnt » und schließt sich
somit als Sohn des obengenannten Mitgliedes der Altkircher
Linie an. Seine Frau Siguna war die Toehler Günthers von
Eplingen und der Greda von Ph*rl. Als ihre Nachkommen sind
uns Hans Erhard und Katharina bekannt 4 . Hans Erhard wurde
1443 vom Kaiser seines Adels entsetzt, und dessen Sohn
Richard, der mit seiner Frau Agnes von Espach 1468 nochmals
an der alten Grutt seiner Vorfahren in St. Morand ein Seelen-
gedaxhni* stiftete, blieb der allerletzte mannliche Nachkomme
des wackern Geschlechts*.
Vereinzelt gedachte man am Dienstag nach Fronfasten Luziä
einer Dum ine Brand ine de Zessinxeu, der man
sprächet die von Rotsch, vnd irs mannes Herre
1 1 e n v o n R o l s c h, eins f r y eil s e 1 i g e n , die regel-
' BA. Colni&T. 8t. Morand 4.
2 StA. Baeel, Mar. Warf. Urk. Kr. 28£, 320 und 863.
s Trouiilat, IV 415. Basier Urkundcnh. V, 152.
' StA. Basel, Ma-r. Magd. Urk. Nr 471 and Prediger Urk. Kr. 191.
ö Kindlor t. KnobL. Der alte Adel, 118.
,l r r>iciralf(OTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
— 78 —
mäßig Kerzen über ihr Grab bekamen, urkundlich aber nicht
nachzuweisen sind.
Eng versippt mit der Familie von Zäsingen war das Pruu-
fruter Geschlecht der Stocker. Es hatte seinen gesonderten
Gedächtnistag am Freitag \or St. Gallus und besaß im alten
St. Moranderkirehlein seine Gruft vor dem Altar zu St. Jo-
hann Baptisten>. Dort hatte der Edelknecht Hans Richard
Stricker mit seinen beiden Frauen Agnes Zurhein und Ka-
tharina von Beuani (?) seine letzte huhe gefunden ; desgleichen
sein Vater Heinrich Stucker und dessen Eheweib Grede von
Zäsingen. Kudolf von Zäsingen und dementia von Uirheim, die
Schwiegereltern Heinrichs, ruhten wohl in der altern Zäsiuger
Gruft.
Hans Richard Stocker, Heinrichs Sohn, ist uns 1387 be-
zeugt *, 1394 war er abermals Zeuge, als Elsio von Gewilre,
die Amennin, Güter an Johannes von Dameret, Propst in
St. Morand verkaufte*. Heinrich Stocker, Johanns Sohn, er-
hielt 1J60 mit Zustimmung Rudolfs von Zäsingen von .seinem
Großvater Richard Zehnten zu Pruiitrut in Leheu. Er fiel in
der für Oesterreich so unglücklichen Schlacht bei Sempach
1386, und sein Leichnam mag wohl nach St. Morand über-
geführt worden sein*. Nach Trouillat, [V 240, muß der hier
erwähnle Kudolf v, Z. mit dem früher genannten nicht identisch
gewesen sein und drei Kinder hinterlassen haben : Henmann
(■J- 138^), eine an Efcerlin von Möraherg vermählte Tochter und
Greda, die Gemahlin Heinrich Stockers. Das Unterpfand für
das St. Morander Seelengedacht nis bildeten Garten- und Acker-
zinsen in Emiingen.
Ebenfalls alt war die Stiftung der Edlen von Knöringen,
eines am Oberrhein weitverbreiteten Geschlechtes, das seine
Heimat im einsamen Knöringen im obersten Hundsbachertale
besaß. Die letzten Reste des alten Schlosses verschwanden
erst vor wenigen Jahrzehnten. Die Eintragungen unter den
dritten Nonen des Mirz nennen uns :
Otto miles de Knöringen et Benedicta
uxor ei us, Uns, Hurnbertus, pater, et Rela,
mater die 1 1 Domini Ottonis,
1 . . . ente *lt*re soi. Job. Bap t . . . , sunt sepulti »i. b
filtare . . -
3 Trouillat, IV 587.
3 BA ColmiT, St. Morand 12.
* — Aliuraiu deniqie Nobiliuui BOiftgint» vel quasi
&d pioprias »norum Majorvm sepultnr&s sunt deveeta
corpora. — Tb. v. Liebeaau, Dio Schlacht bei Somp&ch, 103.
,| fViciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
— 79 —
Dns. Friedericas rniles. A^nesa, liberi
predicli Ot tonis, ei Ita predicti Frederici
uior,
ferner außer der Reihe Dna. Johannes de Knöringen
et Klisabeth de G randewilr uxor eius.
Otto Ton Knöringen erscheint 1270 und 1*271 als Zeuget;
1275 besiedelte er eine Schenkung Johanns von Walheim an
las Kloster Wachstalt in Bunruinl * und wird 1297 ein letztes
Mal erwähnt*. Um dieselbe Zeit lebte 1-84 Johannes von
KnÖrJnyeu ; ein Johannes von Knftrjugen eiiiielt 1335 zu Pllrt
die Vogtei Traubach und das Gericht in Damraerkircb in Lehen*.
Ob es wohl noch derselbe war?
Ein Humbertus de Knöringen verkaufte 1297
Güter in Fialis an Et. Leonhard in Basel ; doch nennt sitii seine
Gemahlin Gfila «. Friedrich von Knoringen stand 134^5 Zeuge;
sein dreieckiges Sichel hangt noch an einer Urkunde von 1376
im Feichsarchiv München. Die VIII ß Zinsen zur Stiftung
flössen von einem Hause vff dem burggraben und von
dem Hause eines Wetzel von Largitzan in suburhio zu
Artkirch.
I t em 111 mi. marin, lesen wir in unserer Quelle weiler,
obiit Petrus rtictnsSchörin, quonriam procu-
ra tor in AI t ki leb, et H eil w ig i s uxor eius. Leider
war es nicht möglich, bestimmte Angaben über den Schaflner
Petrus Schön n aufzufinden. Ein Schaffner aur Entgegennahme
und Verrechnung der herrschaftlichen Gefälle befand sich in
Altkirch von altersher; so kennen wir u. a. 1349 Johannes
Kaupart«, den Wohltäter der alten Schule, 1B99 Heinrich
Woran! und 1438 den Edelknecht Kann Meiger von Hftningen.
Die Familie Schörins warziemlich verzweigt; der Eintrag neunl
außer seinen Kindern Adelheid, Katharina, Anuu, Margret,
Gisela und Agnes, die Anverwandten : Kudolfus, decanue
Sunilgaudie, dessen Bruder Johauues mit seiner Frau
Katharina, ßurkhardus de Sulztnatt, sacerdos- 9 ,
Bulinus de Brunnendrui et Agnes uxor eius,
Heinricusde EschcItawilrB, sacerdos, Methar-
i Tronillat. It '206.
« Trotiillat II 266.
» Urhnndenb. v. Basel. IFi 188.
» Kindler v. Knonl, Oberbadisches Geoohlechfccrb., II 330.
* Tr oui Hat. II 644.
■ Tronillat. III 61&
7 . . . inxta domnm dicti Sulzmatt ia Ältkirea. . . St. Morand 1/11.
8 Clewelin van E»choltzwilr von Altkilch stand 1371
vor dam Landtag in UatUnheim. BA. Colmar, St Morand 12.
,l r r>iciralftOTi
*"■ UIWERJITYO'MICHKAN
— BO-
nns et Mechtildis de Ilfurl, liberi predicti
R u I i n i und Reinhard ue cammeinrius Sundgau-
i ie.
Die Gelder zur Seebnmesse l^&teten auf einem Hause in.
Altkirch, das als Angrenzer einen gewissen Rot und einen
Rudinus von B a I de rs to r f hatte.
Daß das alte Sundg&uer Geschlecht von Hagenbach, das
seinen eigenen freien Hnf zu Altkirr.h an der Ringmauer in
der Nähe der späteren Offizialität besaß, in unserm Kloster-
buche auch zu t reifen ist. scheint eigentlich selbstverständlich;
und doch ist es nur durch seine Allianzen nach St. Morand
gekommen. Laa doch die herkömmliche Familiengruft im
längstverschwundenen Dorffcirchlein zu Hagenbach seihst».
3t. Morand gedachte der Dom ine AI seh de Zessingen,
uxoris Stephan i de Hagenbach , armigeri und
ihrer Sohne Heinricus und Anthonius. Stephan
von Hagenbach ist 1384 erwähnt 1 . Hans Bernhard von Hasen-
bürg erlaubte duren Urkunde v.om 5. August 1405 dem Edel-
knecht Stephan von Hagenbacli, die alten Hasenburgei Lehen
meiner Krau Alesch von Zäsingen als Leibgedingzu vermachen 8 .
Heinrich von Hagenbacb war 1420 Geselle der Riliergeöellschaft
zum Lechbart und Antonius, Thongo, 1419 Schaffner in
Thann. Die Mühle in Walheim gab die nötigen Gelder zur
Gedächtnisfeier. Schließlich ist das Geschlecht noch vertreten
durch die schon genannte Elsine von Hagenbacb, die Mutter
des Priors Johann von Altdorf 7 und durch eine. Grede Lörlerin
von Hagenbach, uxor dicti Egon oll, die Güter und
Zinsen in Largilzen verschenkten. Mit Lüil bezeichnete sich
eine Seitenlinie derer von Hagenbach. Hermann von Hagenbacb,
der Lfli I, hatte 1349 keine lebensfähigen Kinder mehr und
verfügte deshalb, daß nach seinem Tode seine Lehen an seine
Vettern Johann und Heintzmann von Hagenbach fallen sollten *.
Grede mag wohl die Letzte ihres Geschlechtes gewesen sein ;
der Name Lürl ist später nicht mehr zu treffen. —
Schöne Ackerzelge, die in der Owe tu Hirzbach uebei:
Junker Conrad von Schweighausen sich ausbreiteten, kamen
durch die Freigebigkeit eine; Elsiua von Buinkircti. der Witwe
des Edelknechtes Thomas Röckhing von Regisheim an unser
Kloster. Nachdem ihre Tochter Tine in Feldbach Nonne ge-
1 Doe KiroKloin stand an der Landetraße am Südwostonde des
Dorfes, v>) heute noch ein von Tannen umraaschtes Madonnenbild
sich erhebt.
a Kindler v. Knobl, Der alte Adel, & 52.
s StA. Bafel, Hagenba«h Nr. 6.
4 StA. Basel. Hagenb&ch Nr. 2.
,| r>iciralftOTi
*"■ UWEM1Y0" MICHIGAN
— 81 —
worden Aar, verlebte die Mutter ihre Witwentage ■ m nahen
Altkirch, wo die Familie altes Eigengut l>esaß. Wenigstens
kaufte 1438 der Prior \on 5t. Morand ein Haus in der nierlern
Vorsiadt zu Altkirch von Friedrich von Rejnsheim K Thoman
von Re jcensh eim , dein man sprichei Röching-,
ein Edelknecht, stand 1.175 in Mulhansen Zeuye*.
hane interessunteGruppe Sundyauer Patrizier liildcl dicSippe
der Swigger, äcliwiyyei . M a %\ sler H erlhold us S w ig gar
mit seinen beiden Khel'raueu El 61 na Klingelerin de
lugeltssol' und G r e d e B i u I. u s i n d e M u I h u s e n und
die Zdgebracble Tochter (?) Kleine EÜingeleriu, die Gemahlin
Pelcrs von Frieden, führen uns mit ilner Stiftung in da* Ilann-
"ebiet der längst verschwundenen Dorfschaft Tennach hei Haus-
Siccel BerthoIJ bcnvieeers. 14CV.
gauen. Ulin Meiner von Tennach bebaule noch sein Feld da-
selbsi ; ei n a n e w e n d e r zog auf den lian von Tennach,
der Rietacker auf den widmen z e T e n n a c h. Der
fr ige garten ist jre legen ze Tennach, Aecker lasen
2 e Tennach h y M a r t i S b 6 in , am Wunde rtzgraben»
und :iocli rauschte der Räch au der Muli ze Tennach vor-
bei ins Tal hinunter 4 . Mag. Berthold Swigger war 140!) wohl-
bestallter Stad (schrei her der Siadt Allkiich 5 . und Junker Peter
1 UA Colmar, 3t. Morand 1. 2.
s Oait d. Mnlh., I 292.
5 Augeot.
■* Eid Benno v. Tennach u-ar 1347 Schaffner des riteinenkl osters
in Basel. Das Dorf stand noch I3SJ. Vgl. StA. Basel. Gnaden-
thal TTrfc. Nr. t66.
£ StA. Basel. Mar. Magd. L'rk Nr. 320. — 1408 nennt er oioh
de Sulz, diocesib Cor.stauLieiisis, couiraoraus in opido
. . . Altkilch. Die UrkunJs trägt auch sein Handweichen. — 13A.
Colmar. St. Morand 12.
gk
rviciralfroTi
U1IVERSITY0" MICHIGAN
— 82 —
von Friesen und sein Weib Else Klingelerin verkauften 1403
Aecher in Hirsingen 1 . Nach 1418 war die Familie Swigger in
Altkirch noch ansässig; vertrug sich doch der Allkircher Yogt
Hans von Kunigspach mit Johannes Swigger, Heinrich Swigger
und Claus Swigger, Johanns Sohn, wegen Geldforderungen'.
Friesen liegt heute einsam an atiller Talscnkc im mittleren
Lar^tal. Vom alten Schiasse, das einst dein alten Rilterge-
schlechte ^an-.c ur.d Heimat verlieh, lobt keine Kunde mehr
im Volke. St. Morand aber gedachte stets am Donnerstag r.ach
Judica des Edien Ditschinus von Friesen und seines Weibes
Lauda von MÖrsberg, sowie ihrer Kinder, des Edelknechtes Ru-
dolf, rlesSt. Morander Kustos Peter, Martins und der Feld hacher
Nonne Bellina. und erhob gemeinsam mit St, Alban in Basel und
riVm Kloster Felrihar.h ein gesp.hpnkt&s Quart des 'Zehnten in Hir-
singen. Junker Berner (1) von Friesen zahlte 1421 Zinsen an St.
Morand ven Heinlzin Harnesches Gut in Friesen. Peter von Friesen
kautle 1428 von Ludmano von Kudiswilr den vierten Teil des
Zehnten in Ilirsingen ; im folgenden Jahre war er tot, und seine
Schwester Beiina, conventualis in Feldbach, trat in
seine Rechte». Schon 1359 saß ein Herr Peter von Friesen
mit den Rittern Rudolf von Zässingen, Hermann von Hirzbach
und Eberhard von Mörsberg zu AJlkirch im Gericht 4 . Aber
hier handelt es sich wahrscheinlich um Junker Peter vor Friesen,
der 1340 mit seiner Frau Agncaa Schultheißin von Blolzheim
Güter daseibat veräußerte^.
Vereinzelt treffen wir das sonst in Mülbausen ansässige Ge-
schlecht der Wunnenberg durch ein Seelen^edächluis Ber-
tholdide Wunenberg armigeri etGrede uxoris
eius et librorum vertreten. Es ist dies der Edelknecht
Bart, Barthel von Wunnenherg, der 1397 mit Heinrich von
Hegisheirn wegen Unfriede aus Mülhausen ausgewiesen wurde
und mit seiner Familie im stets gastfreundlichen Altkirch Unter-
schlupf und im slillen St. Morand Frieden nach sehr bewegter
Erdenfahrt gefunden hat. Die Allkircher Urkunden kennen ihn
noch aus dem Jahre 1408, wie er vor dem dortigen Gerichte
Zeuge stände.
Wenig bekannt ist auch die schon frühe erloschene Fa-
milie von Sept (Obersept), vun der in unserm Verzeichnis ein
i StA. Basel. Mar. Ma*d. TJrk. Nr. 291.
2 StA. Altkiroh. Urk. Nr. 49.
8 StA. Basel. St. Alban Urk. Nr. 308 und 814.
4 BA Colmar. Liitzst 6*>, 6.
* StA. Basel. Mar. Ma-gd. Urk. Nr. 96, 97 and 98.
« Cut. <ie MnlK I pifigim. — RA. Colmar. .St Morud 12.
Sein Siegel trägt den Löwen der Zfisinger.
' ' "Pgk unweremw Michigan
- 88 -
Dietricus de Sept und seine Frau Adelheid Erwähnung
finden, dabei ihre Kinder Dietrich, Grete, Heinrich und Wern-
her aU Johanniter, und Johann samt seiner Frau Adelheid. Ein
her Dietrich von Septe, ein ritter, stand am 20.
Mai 1201 in Altkirch Zeuge*, und dort scheint die Familie
auch begütert gewesen au sein, da sie Huhnerzinseii daselbst
tür üir &eelengedächlni£ an St, Morand verschenkte. Diettier
von Sept, ein Edelknecht, vertrat 1335 Vuylstelle bei den
Kindern Hartmanns von Mörsberjr, mit Namen Guta^ Grede
und Ebeilm, im Gerichte zu Altkirch 8 . Sein Siegel zeigt das-
selbe Bild wie das der Adeligen von Grandvillars.
An einem sechsten Tage des Monats Juli starb nach unserer
Quelle zu Altkirch Dominus Thomas de E geshei m und
Siegel Dietrichs von Sept. 1335.
auf denselben Tag wurde sein Seelengedächtnis festgelegt. Ein
TIji. cn an aus dem Ministerialengeschlecht der Egisheimer ist
132b erwähnt». Unser Totenbuch gibt indes weitere Aufschlüsse
über seine Familie. Anna nannte sich sein Eheweib, und sie
selbst war wieder die Tochter eines Petrus procurator
und seiner Frau Elsinc. Elsine nennt ferner als ihre eigenen
Kinder Anna, Petrus und Katharina die Nibelingin*. Die
i Urk. v. Basel, 111 187.
* StA. Basel. St. Clara ürk. Nr. 332.
3 Scherten. Die Herren von Hatistatt, öOn.
4 Eisin Niblingin verkaufte 1417 an Burk&rd von Eurnkircu
Güter bei St. Morand. - EA. Colraar, St. Morand 12. — Bride von
Osthoim und ihr Sohn Berthold verkauften schon 1Ö4G Guter in
Altkirch neben Guntz von Ostheim an St. Morand. wo damals Bor-
tholde liober Cime Herr Herr Johannes Propst war. St.
Morand, 12.
ÜIIWEMnVOr MICHIGAN
— 84 —
Nibeling» Nibelung waren ein Zweig des allen Geschlechles von
Osiein bei lsenhciin, dessen Wappen sie führten* Hierher ge-
hört wohl auch die im Diarium Wmstisens 1 genannte Anna
de Egisheim, relictn dni. Richardi de Zersingen.
Den Tag: nach 5t. Laurenlienlag; Hoden wir durch Hca-
mann diclus MO n cli, quou d am advocalus in Tru -
b a ch , durch seine Gemahlin Elsine deWörmes and ihre
Kinder Bernhard, Heinrich, Johannes und Elsine für das Ge-
schlecht .der Manche belegt. Ein Franz Belzscheler, Edelknecht,
und seine Frau Elsine von Grandwiler beschenkten 13*9 eiueu
Altar in capella nouiter edificata seu construeta
apud ecelesiam opidi Altkilch. und LuLinus M< ■
nachus arraiger, natu» Arnotdi Monachi mi litis
Basiliensis, tamquam fraler et hcre-9 Franzoni
stimmte 13.55 dieser Schenkung, die pich um (iftterzinsen des
Edelknechtes Hcnmonn von Hirzb&ch, jionannt Sermentzer, im
Carspacher Banne bewegte, feierlich zu*. Somit hüben wir es
mit einem nach Allkirch abgewanderten Nebenzweige der Basier
Münche zu tun. Hans Manch, vo?t ze Trobach, gehörte 1396
7i i den schidlüten Sundgauer Edelinge im Streite mit der
Stadt Mülhausen*. Jehan dit le Moinne d'Autekilch,
wo«s de Trobes ; pachtete am 7. Februar 1402 den Zehnten
in Scpt von Klosterfrauen in Rcmiremont *. Zu seinem Seelen-
Gedächtnis sollten u. a. II II. ab abbate Vallis Dei vnl-
gariter dem apt zu grün a erhoben werden. Die Vogtei
trübes, Tiaubach, Obei iraubach, gehörte zur Herrschaft Thaim
und bestand aus den Meiertöniern Darnmerkirch, Obertraubacb,
Falkweiler, Breiten und I\eppe. Der Vogt bewohnte als Öster-
reicher Lehensmann (gewöhnlich den Burgstall am Helgen-
Kraben äu Traubach 8 , Ein Dominus Diel merus Monachus
erscheint in der Marschall des früher genannten Thomas \on
Egishcim. Die Bctachelcr schließlich werden 1408 ein letztes Mal
erwähnt; Kraft von Ungersbeim erhielt mimlich Lehen in AH-
kirch, die von Anna Belecheler an Ulrich von PGrt gekommen
waren 7 .
1 M>. im Basler Staatsarchiv
» BA. Colmar. St. Morand 14/4.
3 Cart. de Mulh., I 379.
* ilone, Zeitschrift, XI 336
*> GotUsthal. Valdieu, im Kantone Uamirerkirch. Von der
ehemaligen Abtei ist keine Spur mehr übrig geblieben. Der alte
NameGroie abfir lp.hr. he.ufp. noch im Vollffmnnrte als Ortshezeifth»
nnng weiter.
* BA. Colmar. C 25, 14.
7 Benner. Invent. raU. du t*onds Scey-Ferret&e, 25.
,1 DiÖralfroTi
& IV - UWEM1Y0" MICHIGAN
— 86 —
In besonderen Ehren stand im Kloster der von Grand
\v i I er »rid. in dem nachweislich Heinrieb von Grand wiler und
i'row Irene Manch sin hulfrow, ihre Tochter Elsine
und deren Gemahl burkart von burnkirch zur Erde bestalle!
waren. Die Totenfeier der ersteren vollzog sich jährlich am
Dienstag vor Mari» Geburt und war durch Alinendziiiseu in
Ta^olsheiin finanziert ; über die der letzteren sagt ein späterer
Nachtrag von Marlin GraiUtiers schwerfillligei Hund ; Item
fro» Eisin von Grand wi Ire vnd Jungher Bern-
hard v u u ii \j I I rt i 1 I e i ■ ', i i u i l h gern abl. derJorxil
ist man begu n d ♦ ■ . vi l'rita g noch der alt vaß-
nacht v n d aol der custor Uli keiUen vnd viu aergen
vfder von grandviler grab tun.
Heinrich von GranJwiler versah 4347 bei der Teilung der
Erbschaft des letzten Grafen von Pßrt im Mus hause zu AU-
kirch, dorn großen Speisesaale der Burg, das Amt eines verei-
digten Schätzers* und schwär 1358 der Stadt Ol mar Urfehde.
Elsine von Urandwiler und Burkard von Burnkirch gaben 1430
Güter an das Spital in Basel in Lehen 9. Letzterer war 1442 noch
Hofherr ries Din^hofe« 211 BlolzheirnV Von dein ehemaligen
Uorfe Burnkirch zeugt außer der Ueherlieferung allein noch die
einsame Friedhotkapelle zulllfurt*. Ein Junker Berner (?) von
Burnkilcli besaß 1421 Eigenster in der Stadt Altkirch, auf
deren Mauern Friedrich vnn Burnkirch 1375 im Kampfe tfpgen
die stürmenden sog. wilden Engländer sein Leben hingegeben
hatte ö .
in Bailersdorf nannle St. Morand 1421 u. a. Güter und Haus-
tinsen ab eiui irutliuß neben! Bei sc hin von Bern-
wilr, sein eigen, che gewöhnlich mit dem Namen Würants
gut bezeichnet wurden, und die der Pnor Mai tin Granlner 1453
veräußerte, um das Geld in Walheim besser unterzubringen.
1 Lese- bezw. Schreibfehler Grantaers für Borghard von Barnkirch.
s Troaillat, 11 1 K47.
9 SgA. Datei. Spitalur'i. Nr. 416. Eine andere Elsine von Gr.
war 1400 3emaJtlin Heintzmauas von Eulingeu. — St. Peter Urk.
Nr. 733 a.
■' StA. Basel, Mar. Mag-d. Urk. Nr. 519.
s Daa Urbar von St. Morand erwähnt 1421: Item 1 J aoh
Hinder Bnrnkilch nechst dem widmen voa Burnkilcli.
Item ze Wilr biBurnkilch 1 Alan werk. An dieses Will er,
einen ebenfalls nntergegangenen nnd in der Rnrnkirnhe Aingppfurr-
ten Weiler, erinnern noch die Flurnamen Willerfeld und Willer-
matten zwischen lllfurt uuü Tagoltsheiiu.
8 Vgl. Stöber, Das vordore Illtal, 29. — Berner ist wohl Bern-
hard von Burnkirch. der mit Fritschmam von Rotbery? und Hans
Richard Stocker 1394 im Gerichte z« Altkirch als Zeuge stand. —
St, Morand 12.
,l r fViciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
86 -
Nach dem vorliegenden Anniversarienbuch kam das Gut
durch den Edelknechl Her» mann Wfiranl und seine Gemahlin
Elsine Zielempin' als Geschenk an das Kloster.
Das 1"2tf7 in Friespn ansässige Geschlecht bewohnte 1365
das heule längst verschwundene Dörfchen Kuelisbrun, Ruseh-
hnrn, im "Walri^ehipf zwischen Füllern und Carspach. Hpii-
mannus Wiirant de Rolspulrn a r m i (je r, nalus
quonilam Wemlieri Wfiranl schenkte 1968 Laien«
zehnten an St. Clara in basel«. Sein Sieseibild ist der sprin-
gende Hirsch der Adeliyeu von Hlrsbach und auch die Umschrift
berichtet untrüglich : S. J oh annis Wo r aat d e H i i z b a eh.
Die Wfirant waren demnach eine Seilenlinie der Hirzbaoher.
Siegel Henmann Woranta, 1361
Nachdem ihr Waldnesl 1375 von den Walchen sebroelien
worden war, \ er legten sie ihren Siti Dach dem slurinfesten AU-
kireb. Dort helfen wir 1399 und 1421 Heinric|us Wfiran.l
t o ii Hi'ilöpurn, einen Edelknecht, als Schaffner mit dem-
selben Sie^elbiMe 3 .
Das einsam im wilden Forste verlorene Kirchlein Rulis-
brunn wurde mit der Präponitur von St. Mciand vereinigt, die
dort noch 14 r >0 einen Johannes Bemardus als vicariue unter-
hielt*. Lhs Sepien Gedächtnis der Wftrant fand in St. Morand
jjcwöhnlie
h am Freitag vor Katharincntag stett.
1 Die Zielempen bewohnten ein einfaches Wcierh&us in Walbach.
Vß-1. Merts. Burgen des Sisgaues II.
i StA. Basel. St. Clara- Urk. Nr. 478.
* Ebenda Xr.
* StA. Bein Heg. comp. — l'repositura sti. Noraadi
cum ecctesiis i nco rp orat i s, videlieet Altkilch et
gk
r>iciralfroTi
USIVERSITYO" MICHIGAN
— 87 —
Von den Edlen von Rotberg, die sonst im stolzen Basel und
seiner Umgebung heimisch waren, fand Arnold v. Rotberg in St.
Morand Ruhestätte und Seelengedachtnia. Die Gelder flössen von
einem Hause in Allkirch iuxta domum Dni. Nicolai de
Gildwilr, das Grab selbst lag an bevorzugter Stelle subter
lampadc sji Mo'randi. Er kam wohl durch 6eine Ver-
bindung mit den Edlen von Grand vi II an nach dein seinem Ge-
scfalechte sonst völlig fremden St.jMorand. Anna von Grand wiler,
die Gemahlin des Ritters Arnolds von Hotberg, tral 4361 ein
Haus zu Basel an den Messerschmied Berthold von Speier abi
und Arnold selbst lebte noch 136ö*. Ein Eintrag an den k 2. Iden
des Oktober nennt den Edelknecht Fritschmann von Rotberg
und seine Frau Elsine Töchterlin von Z&singen, die dem Kloster
A eck er in Zasin^en vergabten.
Das Diarium Wurstisens kennt 1380 Fritzmann von
Roperg, a'm geriebt zjü Altki|lc*hs. Diejbeiden Kdel-
Jcn echte Fritzmann von Rotberg und (Hans) Richard Stocker
verkauften 1400 der [früher genannten Frau Elsine von Mftrs-
berg und ihrem Gemahl Richard von Zäsingen Güterzinsen tu
Franken, [woffir Stephan von H.igenhach und Hans Ludmann
von Rolberg Bürge wurden*; letzterer bekleidete 1411 die Stelle
eines herzoglichen Vogts in Altkirch.
Arn 5. Juli, sagt ein weiterer Eintrag, starb Katharina von
Neuenburg, f*t m u la i 1 1 nr u m rl e H i r i ha e h ; sie gah an
das Kloster Hauszinsen in Altkirch, und zwar in via cerdo-
num, u t memoria fiat Cläre de Nuwenburg,
sororis, Johannis fratris sui et Domini Johann 18,
capellani i n JCVu wenn urg patris et Benedict«
malris eorum, et Henrici de H irzbach Scolaris.
— Ein Jobannes van Neuenburg war nach Trouillat (III, 788)
1340 bereits tot, und sonst ist meines Wisseos^das Geschlecht
im Sund tau nicht zu belegen.
Die Edlen von Hirzbach aher waren naturgemäß von alters-
her in der Umgehung" vrm Altkirch hegiilert. Graf Ulrich von
Pfirt gab 1295 dem Ritter Heinrich von Hirzbach ein Weiber-
lebert in Altkirch; damals war seine Heimat noch Mulhausen.
Butisprun LXXXY mirek. 1 ecerunt XXXUll S -J. — Uns.
Juli. Bernhardns pro fligilln in v es ti ture vi ca r i e i n
Rulisfciuuueu dal Tl. * I. et l e n e lu r u a um iuf r a . n e \-
taneiis.
1 StA. Basel. August. Vik. ^r. 48.
fl Trouillat, IV 57 u. 700.
3 StA. Basel. Ms S. 91.
* Ebenda. Mm. Magd., MM 25.
r
' ' "Pgk unweremw Michigan
— S8 —
Die Gebrüder Hemnann und Götzmona von Hirzbach aber, die
4367 dem Basler Bischof Geldanleihen gewährten, wohnten
in Altkirch. Henmanns Tochter Ursula war 13iÜ mil dem
Basier Edelknecht Arnold von ßärenfels vermählt <; Gotzmann
ist 1386 tot gemeldet 1 . Auch er halle Grab und Seelen -
gedächtnis in St. Morand um1 zwar lelz:eres jeweilig an Fron-
fasten. —
Grete Ammanin, ihr Mann Henslin von Nien und ihre
Brüder Hennin und Jecklin verschenkten für ihr SeelenRedächt-
nis im ß de tnrculari prope lorcular custodia
sli. Morandi iuxla fonlern dictum Tuchei-
burne.
Die Familie von Nien war sonst in Illfurt ansässig. Das
St. Morander Urbar von 1421 berichtet: Item Dns, Heinri-
cus Grantz, rector in Illfurt, rlat x fi minus in -J
von -u n em Husnebent Heinricus von Nien einsii,
andersit neben t Hennin von Nien. Henselin v. N.
bewohnte 1438 Allkirch und 2nhlta dort Oelzinsen an St. Mo-
rand«.
Von sonstigen urkundlich nicht erweisbaren Familien seien
aus Altkirch erwähnt:
Johannes dictus Jäger et Grete uxor eius
. . . , mit einem Gartenzins vnden an dem Rocken by der
Lad s t u be n,
Tine Kaufmennin und ihre Schwester Metze, mit in ß ab
dem Hause des Melkers AVerliu SdiieViu,
Henslinus dictus Falkenstein sartor. . qui
co n lu I it in ji super d o m u m . . q ue ia m possiriet et
tenet Bcrtholdus Walde, scriptor et rcceptor
d u in i n i i in A 1 1 k i I c h, . . i u x t a d o in um nlirn fratruiu
l Arnold von Bärenföls war nachweislich 1400 österreichischer
Lehensträger des Din gbo ffes t nd Hoffes. den man spricht
dfi<i ^raffen Hoff zft AI tkilch .. . BA Colroar. St Mor&nri
12.
* Trouillat IV 108, 760 u. 790.
3 BA. (lolmar. St. Morand 4. — Harnannns de Nyen
hofipea et domina Qreda f 1 1 i a qnondam Hup-
raanni dict: Scherer verkauften 140n 3üter vor Berthold
ßchirigfrer in Altkiron. — St. Morand 12.
* Da« iIoiuuh iratrtini minorum var wohl aar eine Her-
beige (Hospiüuia; für den jeweilig in der Umgebung Urminiereudeu
Faifü-Vr. — Berth. Walde, sc riptor in A., zahlte 1434 1 U von der
ATertacn ; iure zfi Altkilch an das Kloster.
,l r r>JciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
- 89 -
Dominus Johannes de Berna, v i i.ariu s in Alt-
kilch , . el Katharina dicta de Hellingen, ' soror
ei us,
Hc:nckin Büchacnmcister, die Houszindcn schenkt iuxta
dam um consulum vel civium,
OttoRaeor et usor oiusGertrud et Mathias
filius . . et Margretha et A^nesa filie . ., qui con-
tulerunt vß euperdomum, quo respicit contra
capellam et plateam dicendo die Kreygen iuxta
Pet r u m Rudelin,
Petrus de PbeUerliusen, sein Weib Mechtild Besehe und
Spina Tochter Katharina und Grate, die ihr ganzes Hau? ver-
schenkten,
Dominus Johannes riietus Molitor, capel-
laus in Waltikouen, dessen Leichnam nach St. Morand
übergeführt wurde, um dort an der Seite seiner Ellern beige-
setzt zu werden, und schließlich
Conrad Rum man,' eonve nt ua li s monasterii
Bti Moraadi.
Damit wäre unseres Büchleins Inhalt, soweit er die ältesten
\nniversarien anbelangt, erschöpft. Welch wechselvolle Reihe
AJtsundgauer Edelinge zog nicht an unser m Geiste vorüber I
Uiul doch enthält unsere Quelle nur den geringsten Teil alter Auf-
zeichnungen. Die meisten der holden Frauen, der gestrengen
Herren, die in jenen alten Zeiten stolz um ßurg und Stadt
Altkirch hausten, sie fuhren zu ihrer Zeit still und bleich den
toten weg durchs Wiesental und fanden Totenmttl, Fürbitte
und Ruhe im Kloslerfrieden sti Morandi.
Freilich ist heute dort der Mfmche Grahgesang auch ver-
stummt, und Ober St. Morands Grabstätte wölben sich seit
Jahrzehnten moderne Gotteshallpn, die dem frommen Pilgrirn
wenig mehr aus fernen Tagen zu bieten vermögen; nur drei
Zeugen alter Herrlichkeit haben unversehrt im Neubau Auf-
nahme gefunden. Das ehrwürdige Mausoleum filier des hl. Mo-
rands Totengruft, das Grabmal des Priors Guno (von Schauen-
burg?), f 22. \JI. 1314, und der Denkstein des edlen Kloster
1 Haltingen ist; ein abgegangener Weiter zwischen B&llersdorf
und Hagenbach, Item zem ersten ein Acker zfl Hattingen,
äiBo der wegin die für: gad 11421). — Vgl "Walter. Ballers-
iorf. 47.
a Ein X&niniis Euraan starb JÖ12 als Schaffner inAltklrch.
v&n seinem am 12. Juli 1494 verstorbenen Soliua Heinrich lehnt
eine interessante Grabplatte, die den Jüngling: aaf dem Totenbette
darstellt, an der Eirchhofmauer za St. Morand.
<
' ' "Pgk UNWEREHYOr MICHIGAN
— 90 —
renovators, Martin Granlncr von Colmar (1451—1482). Alles
andre ist spurlos dem Zahne der Zeit oder dem Geisl der Zer-
störung zum Opfer gefallen, Tempus edax rerum, h9mo
edaoiur. So mögen denn diese Seilen eines schlichten Sohnes
des Sundgaues den vergessenen Geschlechtern zum neuen ge-
meinsamen ELren- und Gedächtnismal werden. R. I. P.
Grafcraal des Prior* Cuno (von Schauenbunz)
(+ 32. Juli 1314>.
gk
r>iciralfroTi
U1WERH1Y0" MICHIGAN
NAMEN- UND ORTSVERZEICHNIS i.
Adelheid . . 83
Altdorf, Hujjo v., 74.
Johann 74, 7fi, 80.
Amman Grete 88.
He ii n in.
Jeckelin.
Auge ot, Engelsod, 81.
Bärenfels, Arnoki v., 88.
Ballersdorf 85.
Rudia v., 80.
Bartenstein Michael 73.
Basel W, 79, 81, 84, 8G, 37.
Bela . . 78.
öenedicta . . 78, 87.
Bei fort 74.
Bern weiler, Eerschin v., 85.
Berue, Johann de, 89.
Besehe Mechtild 89.
Betscheler Anna 84.
Franz.
Bevant Kathar. 78.
Biohusin Gredc 81.
Eblzheim, Agn. Schulth. v.,
Braunsctrweig, Anna v., 74.
Buchsenmeisier Uenckin 8D.
Burnkirch, Hurkard v., 83, 85.
Ehine v., 80.
Berner 85.
Friedrich.
Carspach 84.
Crispinjren 77.
Heinrich v., 77.
Cuno . . 89, 90.
Dammerkir^ 79.
Ebenol f 80.
ügisheim, Thomas v., 83, 84.
Anna 84.
Klsine . . 83.
Emiingen 78.
Eptingen, Günther v., 77.
Heinzmann 85.
Siguna, 77.
Eschenzweiler, Heinrich v., 79.
Clewelin.
Espach, Agnes v., 77.
Falkenstein Henslin 88.
Feldbach 70, 80, 82.
Fislis 79.
Franken 87.
1 Or(*uMuea sind gesperrt gredruttt. Wo keine Zahl hinter
dem N&men steht, gilt die nächst höhere. Altkirch und St. Moruad
sind aus naheliegenden Gründen Im Verzeichnis anberüclcsiehtijrt se-
blieben. e s
/"
r>iciralftOTi
U S I VERSI TY " MIC HIC AN
92 —
Friesen 82, 86.
Bclina v., 82.
Berner v.
Dietscbin.
Martin.
Peter 81, 82.
Rudolf 82.
Oildweiler, Nikol. v ( 87.
Gottesthal, Grün 84.
Granweiler, Anna v., 87,
Elisabeth 79,
Klsine 84, 85.
Heinrich 85.
Granlner Martinus 85.
Granlz Heinrich 85/
Guta . . 79.
Hagenbach, Anton v., 80.
Elsine 74, 80.
Heinich ÖU.
fleintzmann.
Johannes.
Stephan 80, 87.
S. a. Lürl.
Hattingen 89.
Katharina v.
Hasenburg, HansBernh. v.,80.
Heilwigts . . 79.
Hirzbach 80.
Götz mann v,, 88.
Heinrich 87.
Henmann 82, 84,
88.
Ursula 88.
H i r s i n £ e n 82.
H u iids Lach 77.
III fürt 85, 88.
Metardiis v., 80.
Meehtiid.
Ita . . 79.
Jä^er Johannes 88,
Jettingen 77.
Kappart Johannes 79.
Kauffmann Tine 88.
Metze .
Klingerin Elsine 81.
Knapp Burkard 73.
Knöringen Friedrich v., 79.
Agnesa.
Humbcrt 78, 79.
Johannes 79.
üito 78, 79.
Kösllach 75.
Kunigspach, Hans v., 82.
Langer 77.
Larjritzen 80.
Welzel v., 79.
Lürl Grede 80.
Henmann.
Lütze 1 75.
Mas in ft ns te r 70.
Meiger Hans v. Hüningen 79.
Mörsberjr, Eberhard v., 82.
Eberlin 78. 83.
Elsine 77, 87.
Grede 83.
Guta.
Hartmann.
Lauda 82.
Mocz Heinrich 73.
Moli oi Julia i iics 89.
Mülhauseu 81, 82, 84-, 87.
Mönch Arnold 34.
Bernhard.
Dietmar.
Elsine.
Heinrich.
Henmann.
Johannen.
Lulinus.
Vrcne 85.
S. a. Betschelcr.
Neuenbürg, Clara v., 87.
Johannes 87.
oglc
r>iciralftOTi
U S I VERSI TY " MIC HIC AN
— 93 —
Neuenburg, Katharina 87.
Maruarethe 75.
NibeÜng Anna 83.
Petrus.
Katharina.
Nien, Henslin v., 88.
Heinrich.
Hennin.
Oberrnor seil weier 75.
Oesterreich, Friedrich IL v.,74.
Ostheim 84.
Bride v., 83.
Benhold.
Cuntz.
Ffederhausen, Grete v M 83.
Katharina.
Petrus.
Pflrt, Greda r., 77.
Procurator Petrus 83.
Pfontrut 76, 18.
Anna v., 75.
Rulinua 70.
Harnstein, Heinrich v., 74.
Rasor Agnes 73, $$.
Mathias.
Margret.
Otto.
Ulrich 73.
K^iehcim, Thom. Rodung v.,
80, 81.
Tino.
Friedrich v. ? 81.
Henrich 82.
Roppach, Greta v., 77.
Rotberg, Arnold v., 87.
Frilsehmann 85, 87.
Hans Lud mann 87.
Rotsch, ÜUü v M 77.
Riidiswiler, Ludraann v., 82.
Ruel isb r u n n, Ruschburn,
86. 87,
Rumann Conrad 89.
Heinrich.
Mariin.
Schauenburjr, Cuno v., 90.
Schicklin WeiliD 88.
Schorin, Adelheid 79.
Agnes.
Anna.
Gisela.
Johannes.
Katharina.
Margret.
Pelrua.
Rudolf us.
Schweiffhousen, Conrad y„ 80.
Sept 82. 84.
Dietrich v\, 83.
Grete.
Heinrich.
Johannes.
Wernher.
Speier, Bert hold v., 87.
Steinbflch 75.
Steinbrunn, dementia v., 75.
Walther 76.
Stocher 76.
Hans Hichard 78, 85,
87.
äeinrieh 78.
Richard 78.
Sulzmal!, Burkard de, 79.
Sundgau 79, 80.
Swigger Berthold 81, 88.
Claus 82.
Heinrich.
Johann.
Tagolsh ei in 85.
Thornann v»,
77.
Ten nach 81.
Benno v., 81.
Thann 80.
Traubach 70, 84.
r
. >s>k
r>iciralfroTi
U S I VERSI TY " MIC HIC AN
— 94 —
Cffheim, dementia v., 78.
Herzlauda 75.
Uffholz 75.
Ungcrsheim, Kratt v., 84.
Tulkart Johannes 74.
Walde Rerlhold 88.
Waldighofen 8«.
Walheim 73, 80, 85.
Johannes v., 79.
Weiler, Willer 85.
Wunnenberjr, Berlhold v., 8 k i.
Wuranl Heinrich 79, 86.
Heu mann 86.
Wernher.
Wurmes, Elsioe v.> 84.
Z äs sin gen 74, 87.
Alsch v., 80.
Anna 75.
Anton 75.
Drandina 77.
Cäcilia 77.
Cuntzrnenn 75.
Zässingen Elisabeth 76, 77 .
Eisin Töcbter-
lin 87.
Creda 78.
Haus Erhard
77.
Heinrich 74,
75, 76.
Henmann 78.
Hetze) 75, 77.
Hezinus 75.
Jancta 76.
Katharina 75.
76,77.
Margret 76.
Richard 75,70,
77, 84, 87.
Rudolf 75, 76,
78, 82.
Rüdin 76.
Symonial.
Zielempin Elsine 86.
Zürnet n Agnes 78.
K »gl«
rViciralffOTi
U S I VERSI TY " MIC HIC AN
IV.
Die burgimdische Historie
und ihr Verfasser.
K. Schneider.
IN achstehende Zeilen führen uns in eine bewegte Zeit aus
Strasburgs Vergangenheit, in eine Zeil äußerster No» und Be-
drängnis, in eine Zeit glühender Begeisterung. Jährelang hatten
die verbündeten Fürsten und Städte mit ihrem Todfeind ge-
rungen, dem allzumächti^en Herzog Karl dem Kühnen von Bur-
gund, in großen Sohlachten, bei Grandson und Murten hatten
sie seine Rilterhepre besiegt und vor Nancy halle der Herzog
selbst den Tod gefunden :
«Kein man lebt nit uf erden hie,
der soliehs hab gesechen nie,
dri grüszer strit in einem jar
mit gotes hilf ganz olTenbar,
zu Granson, Murten und N&Qse ;
des danken gole iemerme!*»
Aus den zahlreichen Gedichten, die jene Kampfe besingen.
greifen wir im folgenden eines der wichtigsten heraus, die
tburgundisctie Hjslurie», eine Ö39 vierteilige Strophen zählende
Reimchronik, welche hier in Straßburg cgetruchet vnd geeebri-
ken* wurde.
1 Stroplic 14 des Gedichts «Vom strit von iN'ansf » j a. Liliencron,
Die historischen Volkulteder der Deutschen, Bd. n. Leipzig 1868,
8. 107,
,l r ' r>JciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
— 96 —
Diese kleine Chronik liegt uns in zwei verschiedenen Aus-
gaben des Jahres 1477 vor, in einer Quartausgabe, die wir als
Druck A bezeichnen und in einer Folioaus^abc = Druck ß.
Auf Grund der Quart ausgäbe wurde die burundische Hy-
sterie (im folgenden = U. H.) herausgegeben von E. Wendung
uud Aug. Stöber in der Alsatia 18VO/70, Culmar 1870, S. 367
bis 451 und mit einer Einleitung versehen. Der Titel lautet :
«Die burundisch Hyalorie eine Reim-Chronik von Hans Erharl
Tusch 1477>. Nach dieser Ausgabe werden wir im folgenden
zitieren; Seite, Strophe, Vera.
Die mit acht blattgroßen Bildern geschmückte Folioausgabe,
als deren Drucker mit Sicherheit Heinrich Knnulochtzer nach-
gewiesen wurde 1 , ist in L. IJains Repertorium bibliographicuai
angezeigt unter «Erhart (Hans)* in Bd. ], 2. Teil, S. 321.
Eine Veryleichung des Abdrucks der Alsatia mit dem auf
der Straßburger Lniveisiläls- und Landesbibliolhek befindlichen
Originaldruck A ergab, daß sich «ahlreiche (Jngenauigkeiten in
den Abdruck eingeschlichen haben ; eine Vergteichung der
Drucke A und B veranlagte uns, A die Priorität zuzuerkennen.
Wir beschränk en uns liier aul die.se kurzen Angaben und
verweisen für alles weitere auf diu eben erschienene Dissertation :
«nntersuchuiiyeii zur burundischen Hysterie des Hans Erhart
Düsen» ; StraJßburjr 1910.
Allgemeineres Interesse dürften dagegen füllende Unter-
suchungen beanspruchen, die sich, nach einem kurzen Ueber-
blick Ober den Inhalt der ß. H., mit den liierarischen Bezie-
hungen dieser Chronik und weiteren an sie wie auch an die
Persönlichkeit dc$ Dichters eich knüpfenden Kragen beschäftigen
werden.
1 Vgl. K. Schcrbach nnd M. Spirgftt.:s, Heinrich Knoblochteer in
SttaßboTg (1477— I4fi4}. Bd. I der «Bibliographischen Stadien zur
Buchdruck er beschichte Deutbcalaude», St-raßburg 18B8.
,1 . fViciralfroTi
£s ,v - UWEM1Y0" MICHIGAN
- 97 -
Der Inhal! der B. H.
A. Inhaltsverzeichnis*.
E i n I e i I ii n g :
357, 1, i-360, 6, 4; Karls Zuge gegen Frankreich; Hoch-
zeit ; Gefangennahme des Herzoge von Geldern.
I Hau ptleil:
Die Neusaer Zeil: 381, 1, 1-413, 1, 4.
A. Belagerung von Neufl : 861, 1, 1—390, 5, 4.
1. Kämpfe vor Neuß bis zur Ankunft des Kaiserlichen
Heereg: 3öl, 1, 1— 36S, 4, 4.
a) Kämpfe; Zustand der Stadt; 361, 1, l— 367, 8, 3.
b) Intervention des päpstlichen f.agaten; Verluste: 367,
3, 3—368, 4, 4.
2. Ankunft des Kaisers vor Neuß ; Stärke des Reichsheers :
308. ä, 1-Ö87, 4, 4.
Straöburger Zuzug ; 360, 3, 1— 3Ö3, 2, 4.
3. Tätigkeit des Reichsheers vor Neuß: 387, o, 1—390, 3, 2.
B. Ereignisse auf anderen Kriegsschauplätzen während der
Belagerung von Neuß; Tätigkeit der Feinde Karls: 31)0, 2, 3
bis 413, 1, 4.
1. Hajcenbachs Wirken und sein Tod ; 890, 6, 1—894, 1, 4.
2. Rache Karls urd FeldzOge der Verbündeten im Jahre
1474: 394, 2, 1-401, 4, 3.
a) Lösung: der Pfandechafl ; Greuel der Burgunder: 394,
2, 1— 394 3 6, $.
b) Sehlacht Lei Hericourt: 394, 6, 4-398, 7, 4.
c) Moralische Betrachtung: 399, 1, 1—399, 6, 4.
d) Uebergabe von Hericourt: 400, 1,' 1—400, 7, 4.
e) Abzug;: 401, 1, 1—401, 4, 3.
i Folgend« Einteilung wird durch Urnck B unterstützt In ihm
stellen z. B. auf ßl. 2 v. nur nenn atrophen, letzter Vers : 360, 5, 4.
Nachdem nun das Stichwort cNeuß» gefallen ist, folgt auf Bl. 3 r.
das Bild dieser Belageruag. Ebenso endigl Bl. 15 v. mit Vers 418,
1, 4 und li&t den liest der Spalt« b leer, während der zweite Haupt-
teil aaf Bl, 16 v. beginnt Vg;l. nooh Bl. 20 r, mit vier Strophen,
endigend Vars 426, 6, 4.
7
| e Qidrilfon
IJM.'£R.".nYO", l .',HHI',AN
— 98 —
3. Feldzüge der Verbündelen im Jahre 1475: 401,4, 3 bis
413, 1, 4.
a) Eroberung von L'Isle: 401, 4, 3—403, 4, 1.
b) Zug vor firandson: 403, 4, 2-403. ö, 4.
c) Zug vor Blamont: 403, 6, 1—408, 3, 1.
d) AufeSlilung der eroberten Schlösser . 40b, 3, 2—41 2, 3, 4.
e) Vergleich Karls mit Alexander: 412, 4, 1—413, 1,4.
I]. Haupitei I:
-Karls Niedergaus und Ende ; 413, 2, 1—449, 4, 4.
1. Karl in Lothringen: 413, 2, 1—416» 7, 4.
2. Kerls Zug vorGrandaon, Eroberung der Stadl : 416, 1,
1—418, 2, 4.
3. Grandson: 418, 3, 1 — 426, 2, 4.
a) Schlacht: 418, 5, 1-422, 4, 4.
b) Karls Flucht; Beute: 422, 5, 1—428, 2, 4.
4. Mnrten: 426, 3, 1— 436. 1, 4.
a) Vorbereitungen Karls: 426. 3, 1—426, 6, 4.
b) Beschießung und vergeblicher Sturm: 427, 1, 1 bis
427. 7, 4.
c) Enlsalzheer: 427, 8, 1— 429, 3, 4.
d) Schlacht: 429, 4, 1-434, 2, 2.
e) Beule 4.31, 2, 3—135. 1 4.
5. Eroberungen der Verbündelen uud Tag iu Frei bürg :
436, 2, 1-436, 3, 4.
6. Wiedereroberung von Nancy : 436, 4, 1-437, 2, 4.
7. Nancy: 437, 3. 1—449, 4. 4.
a) Beschluß Karls, Nancy zurückzuerobern : 437, 3, 1 bis
437, 5, 3.
b) Belagerung : 437, 5, 4 440, 4, 4.
c) Schlacht: 440, 5, 1—444. 3, l.
d) Flucht der Burgunder, Gefangene : 444, 3, 2—445,6, 4.
e) Karls Leichnam wird gefunden und erkannt; 446, 7 ?
1—447, 1, 4.
Betrachtung; Karls Beisetzung: 447, 2, 1—449, 4,4.
Schluß:
449, 6, 1 — 461, 6, 4: Anrufung der Maria; Name des
Verfassers und des Gedichts.
B. Kurze Inhaltsangabe.
Die Kinleitunjr umfaßt einige wichtigen; Da en aus dem
Leben Karls des Kühnen vom Jahre 1466 — Juli 1174- So wird
,[ . D-iciralftOTi
<S IV - UWEnSITYQ" MICHIGAN
— 99 —
erwähnt Karls Zug: gegen Frankreich im Jahre 1465 (357, 4,
3), seine Eheschließung im Jahre 1468 (358. 1), die Zerstörung
von Ditnmt und Lüttich, ein zweiter Zug gegen Frankreich im
Jahre 1472 (358, 5), der, nach vergeblichem Sturm auf Beau-
vais und Rouen, mit Karls Rückzug endete. Hierauf folgt die
Gefangennahme des Heizöls von Geldern, der Versuch Karls,
bei der Trierer Zusammenkunft mit dem Kaiser im Jahre 1473
(OGOt 1. 1) sich krönen zu lassen und endlich der Zug vur Neuß
im Jahre H74 (360, 4. 2).
I. Hauptteil: Die Neußer Zeit.
A. Belagerung von Neu 13.
1. Heftig wird Neuß beschossen, mannhaft verteidigen sich
die Belagerten. Die Belagerer graben Minen, um auf diese Weise
in die Stadt iu kommen. Die Neußer legen Gegenminen an,
so daß sich ein unterirdischer Kampf entspinnt, in dem viele
Tausende fallen. Um seine Leser nicht zu langweilen, will der
Dichter von einer Schilderung der einzelnen Kämpfe absehen
und nur noch kurz von den Beschädigungen erzählen, die Neuß
erlitten hat. Er macht zu diesem Zwecke mit dem Leser einen
Rundgang um die Stadt, wendet sich, mit dem südlichen Tor,
dem Ohertor, beginnend, zunächst nach Osten und versucht an
der Hand der Tore sowie sonstiger hervorragender Punkte ein
Bild von den Folgen der Beschießung und einzelnen an die be-
treffende Stelle sich knüpfenden Kämpfen zu geben, — Der
milde Gott verläßt die tapferen Neußer nicht, zur rechten Zeit
kommt die Vermittlung des päpstlichen Legaten und die Hilfe
des Reichsheers.
Die Neußer verloren nur 800 Mann (387, 6, 3), die Bur-
gunder 16000 Reiter und Fußsoldaten (368, 2). Die Neußer
eroberten 19 Fahnen, zwölf Schlangen und viel Vieh.
2. Auf S. 368—387 folgt ein ziemlich eingehendes Ver-
zeichnis der vor Ncuß vertretenen Roicnsstände, das die anderen
Verzeichnisse, soweit sie gedruckt vorliegen, teilweise wenig-
stens, ergänzt und verbessert.
Die Liste der vor Neuß befindlichen Fürsten und Herren
ist abgedruckt in den B. Chr. II, S. &l 1, A. zu S. 260.
In der Liste der Städte macht Straßburg den Anfang. Der
Dichter benutzt diese Gelegenheit, tdes rjues huste krön» mög-
lichst hervorzuheben und fügt eine Schilderung der Ausrüstung
und Bemannung der 14 Schilfe bei, welche die Straßhurger
FuJtruppen den Rhein hinabführten. Die Schilderung ist leben-
dig uud beruht wohl auf Augenschein,
vgl* univeWiiyo-Sican
- 100 —
383, 1 und 2 wird die Uebergabe des Reichsbanners an
die Straßburger erwähnt.
Hierauf folgen die Namen der übrigen 64 vor Neuß Ter
tretenen Städte, din wir im folgeiideu wiedergeben^,
1. Colne : graff philips von 3t. Kempten ;
arburg;
2. Basel;
3. Lybeck ;
4. Außspurg ;
6. Costentz ;
6. Nurenberg ;
7. Franekfurt ;
8. Och;
9. Vlm : grafif Wilhelm von
kirchberg; heinrieb herr
zu gengen ;
10. Wurrnsz ;
11. Spir ;
12. Eszlin^cn;
13. Wii;
14. Gemunde;
15. Nordiiiigen ;
16. Memyn^en ;
17. Kullingen ,
18. Rotenburg a. d. tuber;
19. Hall;
20. Vierlingen;
21. Ratv.il ;
22. Ravenspurir ;
23. Lyndow $
24. Heltprunn;
25. Dunckelsebuhet ;
26. Werd;
27. Schwinfurt ;
28. Wissen bu ig a. d. atten
mute ;
29. Winszheim;
30. Bibpranh;
32. Yseny :
33. Alen;
34. Lutkirch ;
35. KoufTburen ;
36. Gengen ;
37. Boppfingen ;
38. Colmer;
39. Hagenow ;
40. Sshletstatt;
41. Ehenheim ;
42. Keyserszbergk ;
43. Munster in santjorjren tal:
44. Roszbdm ;
45. Turckheim ;
45. Goszlar ;
47. Wangen ;
4B. Buchorn ;
1 d. Mulhusen ;
50. Norlliuseii ;
51. Wetlflor»;
52. Wympflen ;
53 SchafFhiißen;
54. Sani Gallen;
55. Pfultendorf;
58. Kobelentv;
57. Roparten ;
58. Hamburg ;
59. Lymburg;
60. Weeeel;
31. Wys*nriar ;
'62. Münster ;
63. Bremen;
64. Gruningen.
3. Als alles zum Streit bereit ist, macht der Legat einen
Vermittlungsversuch. Mehr als vier Tage wird in den schönen
Zelten vom Morien bis in die Nacht hinein beratschlagt. Dieses
i = "Wetelar. vgl. Egli. Nomina geographica, Leipsig 1893.
S. 005,
oglc
r>iciralftOTi
U S I VERSI TY " MIC HIC AN
— 101 —
lange Zögern verdmttl viele der jungen Hitler, lu 388, 4, 4 bis
389, 2, 4 ist in direkter Rede diese Kaiupfessliinruung trefflich
zum Ausdruck gebracht.
Allmählich sinkt dein Burgunder der Mul, er entschließt
sich wohl oder übel abzuziehen, bebt am Dienstag den 27. Juni
1475 (390, 1) die Belagerung auf und kehrt Neuß den Rücken.
B. Ereignisse auf anderen Kriegsschauplätzen während der
Belagerung von Neuß; Tätigkeit der Feinde Karl?.
1. HageubacUs Wirken und »ein Tod.
Da Herzog Beinhart nicht in seinem Land weilte, wandle
sich Karl der kühne zunächst gegen dessen Land. Das Bündnis
der Fürsten und SUdle, dem jener angehörte, seine Freund-
schaft mit den Deutschen kränkle ihn. Die Wirkung dieses
Defensivbündnisses der ton Karl bedrohten Fürsten und Slädte
bekam auch der von Karl über die ihm von Herzog Sigmund
von Oeslerreich verpfändeten Ländereieo gesetzte Landvogt Peler
von Hagenbcicli zu verspüren, der sich um Freiheit und Recht
wenig kümmerte und eine neue Steuer, den bösen Pfennig,
einführen wollte.
Dieser Landvogt hatte sich durch seine Willkürherrschatt
im ganzen Lande verhaßt gemacht, hafte Frauen geschändet und
Bürger ohne richterlichen Spruch enthaupten lassen. Endlich
wurde er in Breiäach von dem deutschen Fußvolk gefangen
geselzl, gefoltert, verurteilt und enthauptet:
[Der vrsaeh worent vil zu vil
disz. recht vrleil ward nit geändert
mit scbarJTer dingen sc h nid subtil
wart sin leben mit lode gewandert*,
2. Hericourt.
Schon früher, als der Bund sich erhob, war die Lösung
der Pfandschaft verkündet worden. Die freie Stadt, die der
Burgunder vorher verachtet hatle, [Basel], wurde als Auszah-
Itingsort bestimmt. Alsbald begannen nun die Raub- und Rache-
züge Stephans von Hagenbuch in den Sundgau und ins Elsaß,
worauf der Bund einen Zug vor Hericourt (Elleeorli) unter-
nahm.
An einem Sonntag Vormittag (394. 7, 1) rückte der Herr
von Blamont mit einem starken Heere, 9000 Reitern und 5000
Fußgängern, vor Hericourt «das ellerort zu rechter were ge-
spisel wurd jm gescharnriutze» (395, 3, 3—4).
1 Zwischen Mompelgart und Beifort.
,l r rViciralfroti
*"■ UWEM1Y0" MICHIGAN
— 102 -
Man hielt das feindliche Heer im deutschen Lager für an-
ruckende Verstärkungen, die damals gerade erwartet wurden.
Ein Edelmann, Johann von Entsch, genannt Formhagen, ritt
ihnen ohne Harnisch entgegen, da traf ihn ein Pfeil in dea
linken Arm. Als das seine Leute sahen, die zum Fouragieren
ausgelitten waren, brachten sie den Verwundeten heim uud
meldeten den Vorfall.
Niemand erschrak, obgleich niemand gerüstet wer. Rasch
legte man die Rüstung an und ergriff die Waffen. Bei den
Strefiburgern hielt Mang von Haspeng. Mit den achtzehn zur
Verfügung stehenden Pferden griffen sie die Welschen an. die
alsbald die Flucht ergriffen, 4600 Tote auf der Wohlstatt zn-
'rucklassend (397, 2, 2).
Ohne dae energische Eingreifen der Eidgenossen, die cwyl
an einen reynj» zogen, wäre nicht jeder vierte Mann toi zurück-
geblieben. Sie fielen nämlich, gerade im entscheidenden Augen-
blick, den Welschen in die Flanke, die so schnell als möglich
flohen. Fleisch, Brot, Gewehre, Pulver u. a. wegwerfend. Auch
Reit- und Lastpferde, Maultiere, Hainische erbeuteten die Deut-
schen, die ihre Gegner ?wei Meilen weit verfolgten. Viel wäre
darüber noch zu berichten. Die zu bald anbrechende Nacht
machte die weitere Verfolgung unmöglich und zwang die Deut-
schen, die keinen Mann verloren hatten (898, 3,2), zur Umkehr.
Etliche gingen in das Dorf, in dem sich viele Feinde ver-
borgen halten. Zahlreiche Geschütze wurden ihre Beute. In
der Nähe stand eine Wagenburg, die mit Leuten und Gütern
verbrannte. Viele hundert Schädel fand man, als das Feuer
erloschen war.
Viele sind wohl tot, die lieber ruhig zu Hause bei Weib
und Kind geblieben wären, aber sie mußten gehorchen. Holt
erbarme sich ihrer Seelen 1
cAm funflflen lag» (400, 1, 2) .ergab sich Hericourt. Eis
konnte sich nicht mehr hallen, da die Deutschen die Verprovian-
tierung verhindert hatten. Vierzehn Schuh* dick ist die Mauer
des mit vier Tflrmen ausgestatteten Schlosses. Wäre es ihren
Freunden gelungen, Proviunt in die Stadt zu werfen, so hetten
die Burgunder das Schloß noch ein halbes .fahr halten können.
Der Besatzung wurde freier Ahziijj mit Gepäck gewährt.
l)a der Winler heranrückte, beschloß man, von weiteren Zagen
abzusehen. So geschehen im Jahre 1474 (401» 4, 2—3).
8 Feldzüge im Jahre 1475.
Im folgenden Jahr (1476t, nach dem 24. Juni (40l ? 4,
—34), unternahm der Bund einen weiteren Kriegszug, der rnil
,l r D-iciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
— ios —
der Belagerung; von L'Isle (Lyle) begann. Landvogt Graf Os-
walt von Tierstein 20g voraus und eroberte die wichtige Brücke
Pont de Roide (Ponterade), indem er die Besatzung des zu ihrem
Schutze bestimmten starken Turmes niedermachte. Darauf
wurde L'Isle beschossen, wobei der Strauß von Strasburg sich
hervortat ; die Stadt wurde erobert und die Verteidiger nieder-
gemacht. Nachdem Grange mit leichter Mühe genommen worden
war, txvg der Bund vor das feste BlamODt. vor dern man am
dritten Tag das Lager aufschlug. Hier gilt die B. H. Einzel-
heiten der Beschießung, die offenbar von einem Auxeuzeugen
herrühren. Nachdem rnan den Strauß auf einen günstigeren
Platz gestellt hatte, konnte sich BlamoiH nicht mehr hallen.
Der Besatzung wurde freier Abzug gewahn, das Schloß abge-
brochen und ausgebrannt, die Cisternen und Brunnen unbrauch-
bar gemacht. Jedermann entsetzte sich darüber, daß die Lom-
barden, die cby hundert» waren, dieses prachtvolle wohl verpro-
viantierte Schloß, das einem Kaiser als Wohnsitz hätte dienen
können, so rasch aufgaben.
Der Herr von Froberg und etliche Edle von Malhee er-
gaben sich. Hierauf zogen die Verbündeten nach Mömpclgart.
Es wurden in Jahresfrist von dem Bund folgende Schlösser
erobert (408, 3, 2 ff.}:
1. Grauionl (— Grammont}
2. Falung (— Fallon)
3. Ponterayd (— Pont de Roide)
4. Lyle (— L'Isle sur le Douhsi
5. Gramont sollte wohl Blarnont heißen, da Grarnont als Nr. 1
bereite jerwähnt ist und Blarnont 3onst vollständig fehlen
würde; auch in A A. 282, 3 des Sl.-Arch. : Blarnont.
6. Clemont ( — Clemont. südwestlich Blarnont)
7. L-iroUche. Das Schloß La Roche, Östlich St. Üipnolyte, wurde
im Dezymber 1474 erobert; vgl, B. Chr. II, 151, A. 1.
8. Cor(3chettun (— CouivImIoii, nönil. von L'Isle)
9. Naan (wohl — Nans)
10. Villetschefrie ( — Vcllechevreuz)
11. Grange (— Grauge)
12. Monby (- Montby)
13. Menny (— ?)
14. Lomont (— Lornont zwischen Lure und Hericourtj
15. Monfan (- ?, vielleicht — Möntfort)
16. Mathe (— ?)
17. Beta (— ?)
18. Maudur (— Mandenre, sfidl. Mompelgart)
19. Dammpier ( — baunpierre sur Salon)
20. Befan (— Bavans am Doubs).
' ' "Pgk univeWiiyo-Sican
— 104 —
Auch die Besitzer der eroberten Schlösser werden fuel durch-
weg genannt. Es gehörte :
1- Ludwig von Gramonl und Herrn Tiebolt.
2. Ludwig von Grarnont.
3. 4. 6. 6. Heinrich von Nuschelte (Straßh. Sl.-A. AA. 282, 3:
Nuwenburg), ouch der Ivanen von Blamont,
7, 8. 9. Johan von Beferinuot, Herr zu Say
10. Besitzer in der B. H. nicht genannt. Nach AA. 282, 3
gehörte das Schloß den Brüdern Ludwig und Wilhelm von
Grarnont.
11. Grat' Heinrich von Wörtern ber g«
13. Jakob von Franckenum (FranqueraonQ.
14. Den Herren von Ürsum.
Ib. Wilhelm von Montan (V — Montforl).
16. 17. Erhart und Tiebolt Berschene.
18. Dem Bischof von Bysantz, von Blainunt der geburt ist er.
19. Jjhanr von Marinnier.
20. Oda von Lefryna.
Alle diese Herren verloren ihre Schlösse! und Städte durch
ihr Vertrauen auf das Glück des Herzogs, der alle Welt zu be-
zwingen und wie Alexander der Große König und Kaiser zu
werden hoffte.
II. Hauplteil:
Karls des Kühnen Niedergang und Ende.
1. Karl in Lothringen.
Die Erzählung knüpft an '390, 2, 3, ff. an, an den Zug
nach Lothringen, den Karl nach seinem Abzug von Neuß aus-
führte, Wir werden sofort nach Nancy versetzt, wo Karl in
prächtig ausgeschmücktem Saale vor den in grußer Zuhl ver-
sammelten lothringischen Kittern und Knechten vier Stunden
lang spricht, ihnen die Vorteile auseinandersetzt, die sie unter
seiner Herrschaft 2u erwarten haben und sie tu bewegen sucht,
ihm zu huldigen und aus seiner Hand ihre Lenen zu empfangen.
Trotz der cgiiien Worte» beschlossen die lothringer, drei
Monate Aufschuh von Karl dem Kühnen zu verlangen, da der
Rat nicht vollzählig beisammen sei. Inzwischen wollten sie ver-
suchen, die Säumigen zum Erscheinen zu bewegen. Ein aus
ihrer Mille gewählter Sprecher teilte Karl diesen Beschluß mit
und bat um Gewährung dieser ersten Bitte.
Karl wußte nun, was er zu erwarten hatte, er besetzte die
Stadt, schickte alle Geschütze, die er fand, nach Lutzelnburg
und rüstetet
,l r rViciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
— 106 -
2. Karl erobert Grandson.
Karl der Kühne versuchte zunächst, Savoyen für sich zu
gewinnen, was ihm auch, 2una Schaden der Suvojer, gelang.
Dann zog er vor Grandson, dessen aus vierhundert .Eidgenossen
bestehende Besatzung (416, 3) trotz Mangels an Nahrungsmitteln,
tapferen Widerstand leistete, in der Hoffnung auf Entsatz durch
ri°n Rund nnd die Rerner. In der Tat hätte sich der Bund in
löblicher Weise sofort aufgemacht, die «frommen Leute» zu
retten. Doch er kam ni spät, funem Versprechen des Herwigs
vertrauend ergab sich die Besatzung «mee hungers halb dann
keyner sach>. Doch Jei herzog ließ zweihundert aufhängen,
achtzig stieß er ins Wasser und schleppte den Rest mit sich
fort (417, 7tT_). Wie es diesen ging, weiß Gott wohl am jüngsten
Tag, wo auch die anderen Untaten, wie das En ranken schwan-
gerer Frauen in Lütt ich, ihre Slrafe finden werden.
3. Grandson. t
Das 20000 Mann starke Herr der Eidgenossen, das sieb
am 1. März (418, 3, 2) [14(6] in Peseux (Basys) versammelt
halte, zog am Samstag früh (418. 6, 1) [— 2. März] gegen das
50000 Mann (418, 6. 4) starke burgundische Heer, das alsbald
das Lager verließ und sich in drei Haufen teilte. Vor Beginn
der Schlacht Helen die Schweizer auf die Knie und baten
Gott um seinen Beistand, Ein Teil der Deutschen bildete die
Nachhut. Die drei feindlichen Kaufen Schlüssen sich zusammen
und bildeten einen Keil (scharpfen spitz), Der Kampf währie
nicht lange; bald siegten die Verbündeten und ihre Reiterei
brachte den Fliehenden starke Verluste bei. Von Vaumarcus
(Famcrcko) aus waren die Burgunder in der Richtung auf ihre
erste Wagenburg und dann weiter Montagny (Montaigin) au
gellohen. Erschöpft kehrten die Verfolger zurück und landen
ni dem Lager überaus reiche Beute, darunter den Kran/, des
Herzogs, sein grobes Siegel und das des Herrn Anthonius, eines
burgundischen Bastards, ferner des Herzogs geheime Kanzlei
und 475 Geschütze (424, 6). Zwei I.ager hatte Karl der
Kühne vor Grandson gehabt. Unter der Gefallenen war der
Sohn eines Königs von Neapel. Die Zahl der Toten, die sehr
groß war, katin der Lichter nicht mitteilen, da (er sie nicht
kennt
Im Schloß blieben 26 Burgunder (426, 1, 1), die wurden
zu der» Fenstern hioausg et riehen mit Ausnahme von drei Edeln
und zwei Knappen, gegen die man Brandolff von Stein und
zwei von Frei bürg auslösen wollte.
,| rViciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
— lÜfi —
4. Murlen.
Der Herzog hatte eich nach Lausanne (Losan) zurückge-
zogen, um sich von dem schweren Sehlaß 2u erholen. Er er-
hielt jedoch bald aus seinen Landen, von Savoyen und dem
Grafen von Romnnt Unterstützung; und h&lagerie Murten.
Die von den Hauptleuten von Fryburg und von Ilubenberpj
befehligte Stadt wies trotz heftiger Beschießung einen Sturm
ab, der Karl den Kühnen mehr als 9UU Mann kostete (127, 4, 4).
Wieder schrieben die Eidgenossen dem Bunde um Hilfe,
die denn auch ohne Zögern geleistet wurde. Der Herzog von
Lothringen eilte persönlich herbei. Am Samstag den 22. Juni
(429, 3, 3 uud 4. 2) [1*76] näherte sich das Bundesheer Murten
und bald begann das Gefecht, in dem Herzog Reinhart von
Lothringen sich besonders hervortat. Eine Zeit lang leistete der
Feind heftigen Widerstand, dann wandte er eich zur Flucht,
auf der viele ihr Leben ließen. Eiu Versuch der Feinde, »ich
zu sammeln, und die Verfolger anzugreifen, mißlang. Reich war
die Beute, Waffen aller Ali bedeckleo den Boden. Viele Bur-
gunder, die sich in Hecken oder auf Baume geflüchtet halten,
wurden hertiitergeachoasen. Viele Tausend liefen in die See,
wo sie elend umluimen.
In dieser Schlacht verloren die Burgunder über 14 (XX) Mann
(433, 2, 1), naeh einem anderen Bericht 800 mehr. Auf deut-
scher Seile fielen nicht vieraig (133, 8, 1).
Der Dichter bedauert die große 'L<\ hl der Toten: Ach wollte
Golt, der türkische Kaiser halte 4UO000 Mann verloren an
Stelle der armen Christenmenschen! (433, 3).
Man verfolgte die Feinde bis in die Nacht hinein. In des
Herzogs Lager fand man tausend köstliche 'Zelte und auch das
kleine hölzerne Häuschen, welches der Herzog mit sich zu führen
pflegte und das jetzt Herzog Reinhart als Unterkunft diente.
B. Eroberungen der Verbündeten.
Nacheinander wurden dann von den Bundesgenossen erobert :
1. Renionl ( — Koinont)
2. Milden (- Moudon)
3. Stefis (— Stäfis, Eslavayer)
4. Viffis (— Vevey)
5. Kerrien ( — Yvenlou)
6. Heuerlingen (— Peterlingen, Payerne)
7. Morse (— Morges)
8. Jenfl (- Genf)
9. Losan (Lausanne)
8. 9 gehörten dem Grafen von Komonl .
,l r D-iciralftOTi
*"■ UWEM1Y0" MICHIGAN
- 107 -
6. Wiedereroberung: von Nancy.
Als nun Karl der Kühne zu Salins (Sa Hin) lag, beschloß
der Herzog von Lothringen, Nancy wieder zu erobern, was ihm
auch endlich mit Hilfe des Bundes gelang.
7. Nancy.
Sofort begann Karl der Kühne auf Wiedereroberung zu
sinnen und bnid strömte ein Heer aus allen Teilen seines weilen
Reichs zusammen, um ihm aus Schanden zu helfen. Tag und
Nacht wurde Nancr beschossen, zahlreiche kleinere Kämpfe, auf
die der Dichter nicht näher eingehen will, erfolgten.
So iiuninen die Deutschen bei Saint Nicolas du Port (Sant
Niclaus Port) den Burgundern tausend Pferde weg und töteten
fünfhundert Mann (438* 7). Trotzdem hätte sich die Besatzung
nicht mehr lange halten können, da es ihr an Nahrungsmitteln
fehlte.
Der Herzog von Lothringen setzte alles daran, mit Unter-
stützung des Bundes Nancy zu entselzen. Am Sonntag den
5. Januar 1477 (440, 5) beschloß der Herzog Rein hart den An-
griff. Kt liehe rieten, man solle bis morgen warten, dann käme
Proviant» auch sähe man bei dem Unwetter nicht weit.
Trotzdem wurde der Angriff beschlossen und der Vormarsch
begonnen, was im Heere allgemeine Freude erregte. Als Kart
der Kühne die Signale der Eidgenossen hörte, erschrak er und
hose Ahnungen regten sich in ihm. Die Deutseben knieten
nieder und baten um Sieg, der ihnen durch dys Unwetter er-
leichtert wurde. Bei der Verfolgung verloren die Burgunder
5000 Mann (44a, 4, 4). Gefangen wurden u. a. die beiden
hurgundischen Bastarde und der Graf von Nassow von Breda.
Diese alle hatten mehr Glück als ihr Herzog, der das
Lehen verloren hatte und der von einem seiner Knauuen drei
Tage später (446, 5, 2) nackt und bloß aufgefunden wurde.
Dieser brachte die überraschende Neuigkeit, die zunächst nie-
mand glauben wollte, nach Kancy, doch bald wurde die Leiche
erkannt.
Es folgt eine Reihe allgemeiner Betrachtungen und Ver-
gleiche. In der St. Georgskirche wurde der Herzog begraben.
Die Witwe bot 1ODO0O Goldgulden für den Leichnam, den sie
in der Familiengruft zu Uijon beisetzen lassen wollte. Doch ver-
weigerte der Herzog von T*othringen die Herausgabe.
Der Schluß enthält den üblichen Epilog an die Ilimmels-
kaiserin .Maria zu deren Glorie Hans Erhart Tusch diese B. H.
▼er faßte.
cS^ UNMREITYOr MICHIGAN
— 108 —
Verhältnis der B. H. zu den Quellen nehsl historischen
Bemerkungen,
Nachdem wir im vorigen Kapitel kurz in den Inhalt der
B. H. eingeführt und mit den wich finalen dort behandelten
Ereignissen bekannt wurden, erübrigt u. a., diese Berichte über
geschichtliche Vorgänge mt ihre Zuverlässigkeit zj prüfen und
Näheres über den Wert des B. H. als Quelle festzustellen.
Es isi. wie wir unlen sehen werden, üLeiaus wahr-
scheinlich, daß der Verfasser der -B. H. persönlich an verschie-
denen Feldiugeu teilnahm; ferner wissen wir, daß die B. H.
noch im Todesjahre Karls des Kühnen veröffentlicht wurde
(357, 1 und Schluß) und somit, wenigstens was den zweiten
Teil betrillt, auf ziemlich frischer Erinnerung beruht 1 .
ßo ist es wohl möglich, daß der Verfasser der B. H. als
Augenzeuge der von'ihm geschilderten Kreignisse manche Einzel-
züge mitteilt, die den ardern «Berichterstattern» unbekannt ge-
blieben sind.
Es handelt sich also im folgenden darum, die in der B. H.
ü bei lieferten historischen Begebenheiten näher zu untersuchen,
um festzustellen, inwieweit dem Verfasser, der gelegentlich auf
die große Aufmerksamkeit hinweist, die er seinem Werk in
Bezug auf die historischen Angaben geschenkt hat *, die ihm
von Stoffel beigelegte Bezeichnung «bislorien* zukommt *.
Zugleich werden auffallende Uebereinslimmungen der B. II.
mit andern Quellen berücksichtigt und so der Versuch gemacht
werden, die Abhängigkeit des Dichters von diesen bezw. seine
Originalität festzustellen.
Neben den in Kap. I aufgezählten Werken in deutscher
Sprache wurden im folgenden häufiger benutzt die Akten des
StraJJburger Stadtarchivs (St.-Arch.) sowie folgende neuere Be-
arbeitungen der Hurgunderkriege * :
1 Vgl. unten.
* z. B, 362,3, 2.
3 Dictionnaire biographique d'AUace, Liste preparatoire, Mul-
housö 1869, p. 90. - Vereinzelt wurde die B. H. als Quelle benutzt
von Witte, Zß. 0. Rh., N. F. IV o. im Jahrbuch der Gasellschaft
für lothringische Ire schichte u. Altertumskunde 4, 1; von Liliencruu,
HisUr. ValVfllipder IT, S. 5t n., sowie in den B. Chr. II, S. 5U9ff. in
den Nachtragen z. S.62,8; 12n, 24ff; I2h\ 19; 141, 17 ff.; 2rtO. A. I;
281, A. 2. Bd. III. ä 392, A. 1.
4 Vor allem koounea in Betracht die in den Sü-Chr. 20, fc'Iöf.
aufgezahlten Werke, Briefe und Urkunden. — Weitere Bibliogr. bei
E. Toutcw Charles le T6m.6rairc et la ligue de Ccnetauoe, Paris 1902,
p. 465 470.
,1 r>iciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
- lüfl -
E. v. Rodt, Die Feldznge Karin des Können, Herzogs von Bur-
gund und seiner Er\>on. 2 BJc, i>chaffhuu-*en 1848—44.
Strobel-Engelhardt, Vaterländische Geschichte des Elsasses. Bd.
III, Strnßburg 1861«.
J. Fester Kirk, Hislory of Charles the Bold, duke of Burgundy.
Philadelphia, Bd. J u. II, 1884, Bd. DI, 1868.
H. Witte in verschiedenen Bänden der Z«. G. 0. Rh., N. F.
(1, 2, 6, 7, 8) -
Einzelschriften sind beim ersten Auftreten genau bezeichnet.
Einl e i tu ng.
Der hier gegebene Rückblick auf das Leiten und die Taten
Karls d. K, ist zuverlässig, die Jahreszahlen richtig.
Dits 8C8, 3 erwähute Ertranken der Frau«] zu Luttfch
scheint nicht auf Talsachen, sondern einem allgemein verbrei-
teten Gerächt tu beruhen, vgl. Moue III, 443, A. Die Leg.
sprich! von 200 ertränkten Frauen. Bezeugt ist nur, daß am
Tage nach der Einnahme, am 30. Oktober 1468, die Mönche und
Hie Frauen der besseren Stände in Booten nach Maastricht ge-
bracht wurden '.
Beim Niederschreiben der Einleitung scheint der Dichter
die der Leg. im Gedächtnis gehabt zu haben ; jedenfalls fällt
die AebnlichkeiL besonders am Anfange «fori auf*. Aber auch
im weiteren Verlauf finden sich enge Beziehungen zwischen
den zwei Gedichten, die auf eine Abhängigkeit des zweiten Ge-
dichts von dem zuerst verfaßten schließen lassen.
Es werden nämlich in den beiden Gedichten die Ereignisse
toiii Jahr 14bä bis zum Beginn der Belagerung von Neuß ge-
nau in derselben Keihenfolge und teilweise mit denselben Worten
erzählt.
Bei den sich widersprechenden Ansichten ober das Ver-
hältnis der beiden Gedichte zueinander gehen wir etwas nSher
darauf ein.
Es folgt also nacheinander der Krieg mit Frankreich, schlie-
ßend mit einem Vertrag:
Leg. (nach Hormayr), S. 314: B. H. 357, 6, 3-4:
Doch mustensy in künig lassen gembijr must er jn kung Ion
hleyben.
Dann es ward ein rachlunge raebtung ward des getroffen
troffen. glich,
■ üie B. H. koramt wiederholt darauf zurück, so 4 »8, 2. —
Vgl. F. Kirk I, Witt; St.-Chr. 14, 821 ff.
z Vgl. unten.
,l r rViciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
— 110 —
daran die Eheschließung:
Leg., S. 314. B. ff. 368. 1 ff. :
Darnach griff er tu der ee Dar nach in dryen joren balde
Beycrey iaren minder oder mee. verhefft er sich ansz dich joch
Auff der hor.hzeyt was hoher liuher frawen manigfalde
frauwen tantz
an Schönheit erea koment doch
zierlich sur huchzit als mau
thut.
Sprach cr,er sehe lieber streytes der kurUwilbel ei bald zu vil
glanlz
Tod schlafen und gnrgel ab- vnd hall gesehen vergießen Mut
stechen
Stürmen vechren, stntie viiud stürmen vechten der selben wil
sehlos brechen
Als er zu dienanl helle getan Wie tu dienand vor hin be-
scach . . .
Darauf folgt die Eroberung von Lüttich, das Versenken
schwangerer Frauen, der Zug vor Beauvais und Rouen :
Leg. B. H. 359, 1, 3-4 und 2, 1.
Der seihen stat gewan er wie grase sin macht gewesen
auch nit an sy
Dann das er mit vil raube vnd gewan er ir doch nuteit an.
brfinde . . .
Wann das durch brant dot-
slage roub . . .
Weiter berichten beide Gedichte von der Gefangennahme
des Herzogs von Geldern, der Trierer Zusammenkunft and
Karls d. K. Zug vor Kcufi:
Leg. 315 und 316 o. B. H. 360, 5, lff. :
Dann ob ich uch lang darvon
seit
Zoch er mit seiner bulschaflt mit lampariern vnd hicicartenn
von laiiiuarLen
V n d mit seiner geselscbafft den er sich mit sinera bussen leit
pickarten
Auch mit vil büchsser klein für nusz die statt die ich hie
und grosz nenn.
Für die statt neysz die er vast KCit allen bussen er vastschos
Losch osa
Zu iren turnen mauren vnd zu porLen zyunea turnen mu-
potfen ... ren . . . .
| e Oririnlfon
IJ-I.'ER.-HV '0" ,'/i: HI'.,AN
— 111 —
Die Leg. erwAhnt nun kurz die Minenkflnipfe und die
Fricdcnsvcrmittlungcn des Legalen, um eingehender von Hagen
bachs Untaten und seinem Ende zu berichten.
Die Ucdichfc fahren dann fort:
Leg. 318, 4il.:i JB. H. 394, 2, 1 ff . ;
Eswardauchdauomach anfange Der ptandschalfl losung wna
des bunrips tonen nde riar vor
DemBura,ui)diächenseinei plant- verkündet durch eynen heroll
sehaflfi losung verkündet
Mit eim herolt in brieflen der so bald der Lunl sich erhub
pfamschilling uegriudei iwor
Wie er in eine Lenant freystat wo burgunner sin gereit golt
in golt rot
Wäre gelegt .... Mocht nennen in der ffryen
stall . . .
Weiterhin folgen in beiden Gedichten die Kachezüge der
Burgunder, dieleilweise in denselben Worten geschildert werden
(B. H. 394, 4 IT. und Leg. 318, 10 IT.) und auch im weiteren
Verlauf der Gedichte lassen sich zahlreiche Parallelen aufzählen,
wie der «löbliche herzug», der «fursten herren sietl vnd lender»
vor «Ellekor:» füfcrtc, der Vergleich Kaile d. K. mit Alexander
dem Großen u. a. m.
Ge^eii Ende ist tiie Uebereinislitiiinuiig nicht inelu so gioÜ
wie gerade in der Einleitung.
I. Hauptteil ; Die Neußer Zeil.
A. Belagerung von Neuß.
1. Die ganze Schilderung der Beschädigungen von Neuß,
welche die B. H, entwirft, 3timmt nshezu wörtiieh überein mit
dem Bericht eines Fortsetaers von Königshofen : Bibl. Kai., Mss.
All. 83. Pfietcr äußert Eich zu «Fragment 66» auf' S. 221
seines obengenannten Buches folgendermaßen t «A la suite de
c« real, nous Irouvons le Journal d'un habitant de Strasbourg
qui g'&ait rendu, an dehnt de retle annee 1475, a\ee I*p
lioupcs de la villc a Pamicc de l'cnnpercur Frederic 111 detail
Neuss. — — L*auteur du fragment qui suit nous lait le ree:t
da l'dxpedriion enfreprise par \e eontingent de Strasbourg. —
Le conlinuateur de la ehronique de Kn>nigshofen (manuscrit 83)
avsit d'abord raconte les guerres du duc de .Bcurgogne, en re-
samant Thistoire du siege de Neuss, dans les meines terraes
q.ie da as l'Archivchromk. Puis il a deeouvert ce reeit plus de-
,1 r>iciralffoii
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
— 112 -
veloppe du soldal strasbourgeois et il l'a iiwere comme . piece
justiGcative>
Diese Annahme ist überaus wahrscheinlich. Es handelt
sich nur darum, ob der eingehendere Bericht, den Ms. All. 83
benutzt, die B. H. oder ein Prosahericht war. Auch die Arcbiv-
chronik, S. "187 iL, scheint diesen Bericht benutzt zu haben,
doch mit bedeutenden Kürzungen. Um von der Ueberein-
-timmiirr dor Archivchronilc mit Ms. AH. 83 und der B. H.
sowie den Kürzungen einen Begriff zu geben, wird es ger
nngen, die zwei ersten Sätae dieser Chronik abiudrueken :
«Die oberste portt an der statt Neüsz die ist wol erbaowen,
mit! vier runden Ihflrnen. Voi der seihen portten lȣ ein
gro&z haupt büchsen, und sunst ettlich schlangen darbey>. Die
Arch. Chr. nennt wie Ms. All. 83 nur 20 Häuser, die ver-
brannten.
Lieber das Verhältnis der B. H. iura Ms. All. 83 wird fol-
gende Gegenüberstellung näher unterrichten.
Ms. All. 83.
229, U: Die ober port an
Nüsse ist vast wol erbuwen,
«{lieh als ein sloss? mit vier
runderter thürnen, in mitten
ein umbhusz. TTfT der linckhen
syten als man zu der porten
ingat ist in denselher. tnurn
geschossen zvrey grosse löcher,
in das uiitlelyehü-se zwejr locher
ouch. Und in den Ihurn uff
der rechten siten ist in die
venster geschossen worden. Der
locher ist kein; durchrangen.
229, 19: Vorderseiben porten
nit verer ist ein giottc houpt-
bühße gelegen, und sust elt-
liche elaugen.
229, 21 ; Hart vor der poi teil
hetten die Burgundischen ein
bolwerck so nohe gemacht zu
der von Kusz bolwercke das
sü mit spießen einander ge-
reich! haben.
B. H. 362, 5—6;
Die ober port zu nusz ist vasl
erbuwen wol starck wie ein
vest
vier runder turn gen sonnen
glast
daz z wuschen ein schon husz
diyu zu lest
Insz mitttelhusz geschossen
warl
vnd in die fordern turn all
beyd
mit der grosten me dann ein
fart
noch heschach den turnen nie
Icyd.
362, 7, 4 f. : ein houplbussz
lag husz vtl dem ploo
Mit vil schlangen vud dem ge-
wuriu.
388, 1, 2 ff.; ein bollwerck by
der statt bollwerck
schlug burgunner vff jm ge-
siurrn
glich hoch als ob es wer ein
herck
iv ^k
r>iciralfroTi
U S I VERSI TY " MIC HIC AN
— 113 -
Vnd so Dofa «las sy miltspieften
von dem eynen 7u dem andern
sich so fruntlich koniient gril-
lten »
das lachen jn weinen kan
wandern.
Ms. All. &3.
ß. U.
229, 2o ; Vor derselben por- 363, 3, 1 fl.: Von der selben
ten au »Jein Rin abe ist die »orten an
mure gantze bis an sanct Mer- den ryn hinab ist noch gar
genberg, doselbs slol ein fröwen a^n\z
Zoster, • • ■ die mur . . .
363, 4, 1 II. : l'urbas bisz an
sarat inergenberg
dar noch unferr von der rint-
mure
siol ein frowen closterwerck . . .
Diese Beispiele werden genfigen zu 2eigen, daß eine Kenntnis
des einen Berichts bei dem Verfasser des andern unbedingt vor-
ausgesetzt werden muß.
Im folgenden verweisen wir auf die entsprechenden Stellen,
um zu zeigen, daß die zwei Berichte sich Schritt für Schritt
folgen und zitieren nur einige Stellen, die stärker voneinander
abweichen.
Ms. All. 83: 229. 27 ff. entspr. Als.: 363, 4, 4
I » > 230, 10 ff. » v 366, 1, 1
» » ä 280, 12fT. * d 3B5, 2, 1,
230, 14 : Vor dem thore ist 366, 3, 2 ff. ; ein bollwerck
ein vest gu» bollwercke gc- gut stot vor dem tor
macht, innerthalp der porten oh t rissig huser brantent
eint zwentzig hüscr vor- worlich
brant von dem geschütte des an dem end jn nusz als ich
hert zogen. «eil vor.
Ma. All. 83: 230. 16 fl. entspr. Als. : 36o, 4, 1
» » * 230, 1911. » M 366, 7, 1
» > » 230, 2211. » t 300, 1, 2.
1 Vgl. Straßb. St,-Äxoh. ; AA. 278, 21. — vnd sine so iohe
by eiaander gelegen das sy mit werten xa sumen gestochen
habent -
M^K
rViciralffOTi
USIVEnSIlYO" MICHIGAN
— 114 —
Ms, All- 83. B. h.
230, 26 : — zolport = Oeher- 36B, 1, 2ff : die 2ollport oder
port. — Darumbe so hatl der ochertor
herizog nit wollen d3rzu sehie- keynerley Schießens nit befint.
ßen lossen als man seil sü ist vmb unser frowen willen zwor
ouch jetzund gemacht das man verhetz burgunner vmb las
mit pferden usz und in kom- die
niet und sust an keiner porien strasw gon cch dar usa ging
rner. vnd fort
zu vnser frowen die porl doch
hie
genant wurl vaser frowen port.
Ms. All. 83; 230, 28 entspr. Als.; 36ö. 6, 1
» o • 230, 31 » » 366, 7, 1
Die swei Berichte sind zutreffend, die Reihenfolge der Tore
und hervor ragen der Punkte stimmt mit Wierstraat überein ,
überhaupt ist die Schilderung durch einen Augenzeugen unver-
kennbar.
Bei 366, 1, 2 scheint der Verfasser der B. H das Znlltnr
mit dem Obertor verwechselt zu haben, das am 21. April 1475
den Namen «rT.iehfrauentnrö erhielt (Wterstraat 2367 fl.), nach-
dem am Charfreitag, am 24. März, von den Burgundern der
äußere Wall zwischen Ober- und Zulltor genommen, gleichzeitig
von den Lombarden am Rheinior eine große Bresche gelegt
und dadurch die Stadt in die größle Gefahr gebracht worden
war.
Die Richtigkeit der übrigen Angaben läßt sich leicht nach-
weisen. Greifen wir z. B. die Geschichte des Rheintores, die
sich hier abspielenden Kämpfe, heraus, so können wir uns ein
Bild von dem Umfang der durch die Belagerung angerichteten
Zerstörungen machen.
Das Tor wird zu Anfang niedergeschossen (627) 1 ; die
Belagerten errichten starke Wälle (631); am 10. September
stürmen die Burgunder uns neue Bollwerk am Hheintor (569 ff.);
am Fest der heiligen drei Könige fällt ein Teil der äußeren
Mauer in den Graben (1415). Weitere erbitterte Kämpfe und
neue Bollwerke am In*., 22. und 25. Februar (1696 IT.), worauf
das hart bedrängte Tor umgetauft wird und den Namen «Qui-
rinstori erhält. Am Karfreitag erdlich findet der bereits er-
wähnte Sturm statt (1929).
Vgl. damit B. H. 363, & ff.
1 Die in diesem Abschnitt in Klammern beigefügten Zahlen,
beziehen sich auf die Verse der Wientraat'schen Keinichronik.
,\ - D-iciralftOTi
">"■ UWEWIYO'MICHICAN
- 116 -
Die Angaben Her R. H. über die Verluste der Neusser
und ihrer Belagerer sind etwas ru hoch (367, 6 ff.)- Nach
Wierstraat* verlor die Besatzung lfi hessische Ritter, 700
Bürger und Knechte, 17 Bürger von ilonn und 11 Krauen.
Ueber die Verluste der Burgunder äußert sich Knebel': cplus
quam 10 rnilia homimun. et re vera famatur inullo nmphus
quam scribo.»
2. Wir besitze! zahlreiche Listen über das Reichsheer
vor Neuß.
Zwei sind hrsg. von A. Ulrich in den (Akten zum Neusser
Krieg, 1472—1475»».
Weitere Verzeichnisse Ünden sieh:
3. bei Koelhoff, St.-Chr. 14, S. Ö38, 19— 34 ;
4. in de» Zusätzen der StraBlmrger Hs. 844, Vfone I,
S. 277—260;
ö. in der Speirischen Chronik, Mone I, 51ä ;
6. in dem von Knebel mitgeteilten Brief Ludwigs von Ep-
tingen, B. Chr. II, S. 2Ö0 IT. ;
7. in einem auf dem Staatsarchiv Luzern 4 befindlichen
Bericht über die Belagerung von Neuß. Gedruckt in Bd. II
der Eidgenössischen Abschiede, S. 547 f.
Dazu tritt nun die in der B. H. gegebenen Liste, von der
ein Teil, die vor Neuß versammelten Füreton und Herren um-
fassend, abgedruckt ist in den B. Chr. II, S. 511. Der Ver-
fasser der B. H. nennt, wie dort bemerkt ist, «mehrere
Namen, welche bei jenen beiden [zwei der obigen Listen |
fehlen ; allerdings fehlt ihm auch einzelnes was sie haben».
Der die Reichsstädte umfassende Rest der Liste der B. H. ist
in unsere Inhaltsangabe eingeschoben.
Zahl und Gruppierung der Reichsstände ist in den einzelnen
Quellen verschieden, häufig sind die Namen entstellt oder die
Vornamen vertauscht.
Immerhin ist eine gewisse Übereinstimmung der Reihen-
folge in den Aufzählungen der B. 11., Ludwigs von Eptingen
und der Speirer Chronik hervorzuheben, die sieh auch auf
die zwei Ulrichscher Listen erstreckt, deren erste, S. 147 ff.
nur die Fürsten und Herren, nicht auch die Städte berück-
sichtigt. —
i 1. a. 0. S. 611 V. 3075 ff.
* B. Chr. TT, 164, 28.
5 In den «Annalen des historischen Vereins für den Nieder-
raeiu», Heft 49, Külu 1889, S. 147 ff. u. löOff.
* Allgemeiner Abschiedsband D lliff.
' ' "Pgk UNMREITVOr MICHIGAN
— 116 —
Die Liste der vertretenen Städte isl in der ß. II. voll-
ständiger als in den meisten andern Quellen i. Nur in der
Fortsetzung der Hs. 844 finden sich sämtliche in der B. H.
genannten Städte und zwar nahezu in derselben Reihenfolge >.
Auch in der Aufzählung: der vor Keuß vertretenen Städte
in Herzogs Chronik » ist nahezu dieselbe Reihenfolge einge-
halten, doch fehlen hier drei Städte. — Noch weniger voll-
ständig isl itie zweite Ulrichsche Liste, S. löO ff. ; sie nennt
aber dafür die Fuhrer der rcichsstädtischen Truppen, was
sonst nirgends der Fall Ist. — Das Stadteverzeichnis der
Speirischen Chronik ist mit dem Ludwigs von Eptin^en ver-
glichen in den D. Chr. II, S. 202, A. 1. Ebenda, 3. S12,
ist Eplingens Verzeichnis verglichen mit der Liste der B. H.
Größere uogediuckte Listen befinden pich nach Pßster *
im Ms. All. 83 der Bibl. Nationale bei einem Fortsetzer des
Königshofen. — Eine weitere «Aufzählung der Herren und
Städte im Reichsheero befindet sich nach Liliencron II, 58, A.
in einer Handschrift der Fürstlich Oettingeii-Wallersleinsclieii
Bibliothek zu Mnihingen.
Ueber die 380, 3, 1 — 383, 2, 4 geschilderte Ausrüstung
der 14 Slraßburger Schiffe haben wir sonst keine Nachricht.
Ueber den Tag der Abfahrt des 4—500 Monn zählenden Fuß-
volks am 27. März sind die Quellen einig; nicht so ober die
Zahl der initgeführten Schiffe, die von 6 — 16 schwankt*. Der
Unterschied der Zahlenangaben mag daher kommen, daß die
Provianlschiffo teilweise nicht mitgerechnet wurden oder daß
nicht alle Schiffe bis nach Köln mitfuhren. Jedenfalls machen
diu Angaben der H H. in ihrer Genauigkeit einen sehr zuver-
lässigen Eindruck und scheinen auf Augenschein zu beruhen.
Die meisten Quellen beschränken sich darauf, kurz die Zahl
der Schiffe und der Söldner zu erwähnen und nur Meyer hebt die
1 Zwei Naineu der Sibirischen Chronik konnten wir in der B. H.
oicht wiederfinden: Erttort u. Wincerheym. Sollte mit letzterem
Winszheim ■= Nr. 2$ gemeint sein ?
* Nr 39 Eagencw steht in Hs. £44 Ülone 1, 278) vor Nr. 38;
Nr. 60 Weisel steht vor Nr. &8 a. 59; Kr. 63 Bremen vor Nr. 62
Münster o. Nr. 8 Och steht als letzte Sturit.
» S. Kap..L3m. -
* Pfister, a. a. O.. S. 325 u. 228 gibt nur die Uebersciriften: S. 225:
Die nach geschahen für&ten und herren einb by dem keyaer zu
löhn« gewesen nemmlich .... Des keysers hofgesynden : -
3, 228; Wie alle fiirsten und herren die by dem keyser im valde
gewesen in der wagenburg gewesen gint: —
Die harnaeh geschriben sint die stett die dem Reiser zu Dienst
sint gewesen: —
* Area. Chr.: 16; B. H.: 14; Meyer u. Wencker: 8, Knebel: 6.
' ' "Pgk u^iveWiiyo-Sican
— J17 —
gute Ausrüstung mit Pioviant hervor «als wein, brut, mel,
fleisch, habern, holtz, kolen, vellbuchßen, wagen, karrieh, ge-
zell». Hier wird auch, wie bei Knebel ', der Backofen bezeugt,
von dem in B. H. 382, 5 II die Hede ist*.
Heber die Fahr! selbst berichtet die B. H. nichts näheres.
Wir sind jedoch eingehend «her sie unterrichtet durch den
Bericht eines Teilnehmers, wohl desselben, der auch die Be-
lagerung von Neuß schilderte».
Zu 333, 1, 1 IT. Ueber diese Uebergabe des Banners an
Philipp von Müllenheim siehe dessen Brief an den Straßburger
Rat bei Schilter, S. 1105.
3. Der Bericht der B. H. über die Tätigkeit des Reichs-
heers vor Neuß ist unklar, lückenhaft und nicht geeignet, ein
klares Bild von den Ereignissen zu iceben. So wird von keinem
einzigen Treffen zwischen kaiserlichen und hurgundischen
Truppen berichtet, obgleich deren, verschiedene stattfanden.
Diesem Bericht nach wäre der Herzog abgezogen ohne auch
nur den Versuch gemacht zu haben, dem kaiserlichen Heere
Widerstand zu leisten — weil es ihm schmerzlich war, daß
der Kaiser und das Reich ihn Neuß, vor dessen Msuem er
Tausende verloren hatte, nicht vollends nehmen lassen wollten!
Diese ganze Schilderung: ist in der B. H. tendenziös ge-
färbt. Der Dichter will glauben machen, daß Karl d. K. es
gar Dicht wagte, dem glänzenden kaiserlichen Heere, dessen
Kampflust Tü>ch trefflich zu malen weiß, {»e^en überzutreten.
sondern es vorzog, sich zeitig aus dem Staube zu machen.
Wann das erwähnte tl-angta^en» stattfand, ist nicht mit
Sicherheit festzustellen.
Das Ms. All. 83, mit dem. wie wir gesehen haben,
der Bericht der B. H. teilweise nahezu übereinstimmt, er-
wähn! verschiedene Verhandlungen, die vom 29. Mai*, vom
1 B. Cbr. II, 199: mm r«e navihu* onußtissimis vietuallbus, intcr
unas nna preeipue habnit rnolendinura cum fumc pinsali . . .
2 Mcvcr: Und bcanndera hette die statt ein bachoffen and ein
deickgedec in ein schiff lassen buwen. darin buch man stettes tag
and nacht.
3 Mitget. ven Poster a. a. 0., S. 222ff. Auch dieser Bericht ist.
wie der über die Neußer Belagerung, nachträglich eingeschaltet.
Nach ihm waren die einseinen Stationen folgende: HngM&zhfiim.
Selaz, Germers/heim, Mannheym, Wormsz. Mentze, Rndeszheim,
Bopar.en. Andernach «hie fundent wir den reysigen r.oge».'. Bunne.
Oöfne (•aide logent wir by drigen wochen»).
Es wird hierauf das Eintreffen der Reichs&ruppcn mit Angebe
der Stärke and dos Datums der Reihe nach erzählt.
+ Ffistör a. a. 0„ S. 228 : «Am mentag nach corporis Christi
3lng man zwey gezelt uff im velde off zwen oderdrii armbroste
schütze vor unser Wagenburg: darunter tagt man utK naht; der
' ' "Pgk UNWErenYoY MICHIGAN
— 118 —
1. Juni" und endlich die \'om 17. Juni und den folgenden
zwei Tagen ».
Jedesmal wurde in einem besonders zu diesem Zweck er-
richlcten Zelt außerhalb des Lagers getagt.
Aul welche Verhandlungen bezieht sich nun die Angabe
der B. H., nach dar vier Tage lang gotagt wurde?
Ms. All. 83 nennt nur eine dreitägige Verhandlung am
17. Juni; die andern scheinen nach ihm nur einen Tag ge-
dauert zu haben.
Nun hatlo aber am 16, Juni ein Tür die Deutsehen ziora
lieh verlustreicher Kampf stattgefunden' , so daß die unge-
duldigen Wort© des jungen KtlUrs nicht recht verständlich
wären. Sie weisen vielmehr hin auf den Anfang der Ver-
handlungen, auf diejenigen, die dem Frieden vom 30. Mai
vorangingen*. Diese dauerten länger als einen Tag und
wurden während de« Waffenstillstands fortgeführt 5.
Auch hier war jedoch ein Kampf, der für das Reichsheer
erfolgrpif.rie Kampf vom 23. Mai, voran sgfi»aiigen.
Mit Sicherheit ist somit das Datum des Langtagens nicht
festzustellen, da die Worte des jungen Ritters nicht genau zu
nehmen Bind ; hatten doch in beiden Fällen Kämpfe bereits
stattgefunden. Sie sind vielmehr aufzufassen als rein stilisti-
sches Mittel mit dem Zweck, die Kampflust der jungen Ritter
zu zeigen. Wir müssen uns also darauf beschränken, die
zwei Möglichkeiten festzustellen : entweder dachte der Dichter
an die Verhandlungen zu Anfang Juni, etwa 1. — 4.» oder an
legat arbeitet sich sere darinnen Vgl. Bericht Eptfngens in Basel
bei Knebel B. Ohr. Ii, 2*56, IG ff. l. Wülcker, Urkunden u. Aktca
betreffend lie Belagerung ler Stadt Neuß (- Neujahrsblatt, des Ver.
f. Gesch. u Altertumskunde zu Frankfurt am Main). 1877. ä. 95.
1 «An doirestag darnach slüg man aber ein gusselt im velde
äff . . • Vgl R Chr. It. 366, 22 f. a. Wä'Ukar a. a. 0.. S. 96.
2 Pfister, 8. 23t : Item utT den samstag darnarca [vorher: Uff
fritag nach sanet Viti und Modestitag] wart aber ein gazalt by
unser Wagenburg im velde uffgeslogtn und d&iuuder deu genanten
samstag ouch den suutag und uieutag getagt. — Bestätige durch
Knebel. B. Chr. II, 258, 17 u. Wülcker a. a. 0.. 8. 104.
3 Dieses Gefecht fand allerdings gegen den Willen des Kaisers
statt. Den kampflustigen Truppen wurde das Lager vcrsohloEsen,
so daß der größte Teil nieiargemacht wurde. Rodt I, 40'i; Annalen
des hist. Ver. für den Jwederrhein, Bd. 4». S. l'jy : Brief vom 17. Juni;
Wierstraat, S f>06; R. Chr. IT 973, A. 3. —
* A. zu Wierstraat. 3. 599; Annalen a. a. 0., S. 117t; Knebel.
B. Chr. IL 265, 37; Schilling, S 160.
'' Schilling S. 100. Lew. and als man in diesen und andern
Diniren lange Zit, von elm Tag an den andern, getedinget hat, ... —
Wülcker, S. 9&ff.: Kaebcl. B. Chr. H, 2fl7, 36; nach Stolle, S. 101.
fonden sogar na an am 6. Juni Beratungen statt.
,[ . r>iciralfroTi
S"" UWEnSITYO" MICHIGAN
— 119 —
die Mille Juni, die nach Ms. All. 83 allerdings nur drei Tage
dauerten. Letztere Angabe wird bestätigt durch zwei Briefe
bei Wülcker, S. 105, nach denen vom 17,-19. verhandelt
wurde. In diesem Falle hätten wir in ihnen die eigentlichen
Friedensverhandlungen ' zu sehen, die dem Abzug Karls d. K.
von Neuß vorangingen.
Dieser erfolgte nach der B. H. am 27. J im 1475 (390, 1),
was auch sonst bestätig ist*. Nach Wierstraal verließ der
Herzog sein am 10. Juni bezogenes Lsger an der Erfl » am
26. Juni, der Kaiser das seinige am 27*. Nach Koelhoff
(841, 8 ff.) und Slclle (104) fand der Abzug am 29. Juni statt.
Letzterer gibt zugleich die Erklärung für diese Abweichungen:
«sie logen zu trotze keineinander . . . also stunt isz lange an.»
In der Tat zog sich der Herzog, durch schlechte Erfahrungen
gewilzigt, äußerst langsam und vorsichtig zurück und bezog
bereits am Abend des 27. ein neues Lager bei Schloß Hücken-
rode, das er erst am 30. verließ. Diese Angaben bei Rodt
werdeu bestätigt durch einen Bericht über den Entsatz von
Neu£*, demzufolge der Hersog auf Dienstag« [27. Juni] ab-
rücken sollte. Der Abmarsch rfe-s Herzogs verzögerte sich jedoch
bis Freitag [30. Juni] <vnd das ist schuldt vnd brüst siner
wagen gewesen vnd fürun^ hallt, als er fArwandt*. Und am
Freitag rückle nach diesem Bericht der Herzog kaum von
der Stelle.
B. Ereignisse auf andern Kriegsschauplätzen während der
Belagerung von Neuß; Tätigkeit der Feinde Karls d. K.
1. Hagenbachs Wirken und sein Tod'.
Die Untaten Hagenbuchs, seine Gefangennahme zu Breisach
und sein Ende sind in Kürze zutrelTend erzähll. vielleicht tles-
1 Ulrioh, \, sa Wicrstraat, S. 606; «Diese Friedensverhand-
lungen sind Wierstraat unbekannt geblieben . . .* Rodt I. 405 nennt
den 17. Juli (statt Juni) 147") aU den Tag des Abschlusses des
Waffenatilhtandes.
2 Ancienne Chrcnlque, Lenglet, t. II, p. 217 (F. Klrk Hl, 12»);
Wälcker, Urkunden und Akten .... S. 108 (Brief vom 27. Junii ;
Rodt I, 406.
1 A. zu Wierstraat. S. 605.
1 Wierstraat, Y. 2907 ff.
* Abaehiedeband B 117 ff. (Staataarehiv Lasern); der Bericht ist
abgedruckt in den «Eidgenössischen Abschieden > Bd. II, S. "4"> ff.
* Onnh aol der Herzog vf Morn Zinsta(? hynn vnd enweg rücken
vnd darnach dleK. M. dem Hertzog vun Burgundien alt nach ziehen.
(8. 547).
1 Mono III, S. 25B— 3ÖÖ. - Bibliogr. bei Ch. Nerlinger, Pierre
de Hagenbach et la dominatien boirgnignonne en Alsace, Nancy
1890, p. 164-169. - Vgl. Alsatia 1878)74, S. 324 f. und besonders
Witte in Zb. ö. 0. Eh, N. F. 2, 1 nnd 901 ff.
,| rViciralftOTi
*"■ UWEM1Y0" MICHIGAN
— 120 -
halb so kurz, weil dem Verfasser die große Breisaeher Reirn-
chronik, die j* Peter von Hagenbachs Leben eingehend be-
handelt, bereits bekannt war; vgl. unten.
2. Hericourl 1 .
Die Vera 304, 3 erwähnte freie Stadt wer Basel. Hier lag
das Geld zur Auslösung der verpfändeten Lande in der Höhe
von 80 000 fl. bereit.
Man bann «ich den Zorn Karls d. K. denken, als er von
den KonHanzer Abmachungen *, denn Tode des Landvoftfe und
der drohenden Haltung der Städle horle.
Die alsbald erfolgenden hurgundiseben Einfalles wurden
mit dem Zug des Bundes vor HeVicourt beantwortet.
Der Berinht nher die Schlacht ist zutreffend, von der
Ueberrascliung des Heeres der Verbündeten *, dem Kuttern
der Pferde, dem Entgegenreiten Formhagens * und seiner Ver-
wundung wissen auch die andern Quellen zu erzählen.
Nach einem Bericht des Straßburger Rats an den Kaiser
vom 21. November 1474 (St.- Aren., AA. 269), tend die
Schlacht am 13. Novemher 1474 statt und die Ueherpahe von
Stadt und Schloß am 17. November, also, wie auch die B. H.
berichtet, «am funftlen tag» . Nach beiden Berichten durfte
die aus mehr als 300 Pikanten bestehende Besatzung mit Ge-
päck abziehen.
Die Angaben über die Verluste der Burgunder sind sehr
schwankend ; jedenfalls ist jedoch die von der B. H. überlieferte
i Vgl. Witte, Zb. ü. 0. Rh., W. F. VI, 361 ff.
' Die Verhandlangen waren am 23. März 1474 zum Abschluß
gebracht worden. Die Urkunde über die Varhinrinng der H Orte und
der niederen Vereinigung 1 vurde am 31. Mars ausgestellt; EidgenöBs.
Abschiede II, 482, 911 f.
' Am bekanntesten ist der Einfall Stephans von Ilagenbach, des
Binders Peters, der am 10. August 1474 mit (SUOO Beleihen einen
Einfall in 4cn Sandgau roschtc: Knebel, B. Chr. II, 103, 19 ff. und
111, '&I2S., Schilling, S. 128 f.
* Liste der vertretenen Herren und Städte bei Schilter, S. 374.
Stärke des Heeres: lft— 2tMXK) Mann.
1 Schiller, S. 373; vor dem Hage.
* Falsch ist die in verschiedenen Quellen sich findende Datierung
der Schlacht aal den 6. November 1474, so Arch. Chr., Ms. All Bit
und Schilter. Meyers und die Iralinschc Chronik geben, wie auch
«ie B. H., kein genaues Datum. F. Kirk III, 30 nennt falsch liehe r-
•veise den 14. November als den Tag der Schlacht. — Auch die
TJebergabe von Stadt und Schloß verlegen Arch. Chr. sovie Meyer
irrtümlich auf den der Sehlacht folgenden Tag (tan dem andren
tag»). Richtig setzen ScliiUiofc' (S. 143) und Knebel (B. Chr. II,
im 19) die TJebergabe auf Donnerstag: früh an.
,| D-iciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
- 121 -
Zahl von 4500 Toten zu j(roß, wobei allerdings zu berücksich-
tigen ist» daß auch in «ien andern Berichten von den großen
Verlusten die Rede ist, die der Feind nach der Schlacht durch
(Jen Brand der Wagenburg und eines Dorfes erlitt ".
Während ferner nach der B. H. das feindliche Heer sich
aus 91K)Ü Reisigen und oOOO Fußgängern zusammensetzte,
schwanken die Angaben der anderen Quellen zwischen 16 bis
20000 Mann'.
Die 397, 2, 3 ff. erwähnte Flankierung des burundischen
Heeres durch die Schweizer, die in der Starke von 4000 Mann
den linken Flügel der Verbündeten bildeten und nach schwie-
rigem Marsch cgar su rechter lyl nebent zu bar vff eyuer syl*
kamen, ist ebenfalls bezeugte
Da die sonst ziemlich vollständig erhaltenen Berichte der
Straßburger Hauptleute uns für diesen Feldzug fehlen und auch
die Arch. Chr. sowie SchiHer nur kurze Schilderungen geben,
ist der mit Einzelzügen ausgestattete Bericht der B. H. für
diese Schlacht doppelt beacblcnawert und wurde auch von Witte
wiederholt herangezogen«. Auch die B. Chr. verweisen in
Bd. II, S. £11 auf Tusch, «der überhaupt eine beachtenswerte
Schilderung der Schlacht gibt.*
3. Feldiuge im Jahre 1476».
Nachdem die Straßburger am 1. Juli des folgenden Jahres
ausgezogen waren und sich mit dem Bundesheer bei L'lsle
vereinigt halten, erfolgte die durch den «Strauß« vorbereitete
Erstürmung dieser Stadt am 20. Juli 8 . — Der wichtige Brücken-
kopf Pont rte Roide war bereits am 12. Juli von dem Lanrivogl
Oswalt von Thierstein genommen worden, —
Bei der ziemlich eingehend geschilderten Belagerung von
Blamont berührt der Dichter den vergeblichen Slurm der Ver-
bündeten am Freitug, den 4. August 7 , bei dem auch die unter
i Schilter: 2000 in der Schlicht gefallan, £00 nachträglich in
zwei Dörfern umi Leben gekommen j Arch. Ohr.: IHM) •+- 600; Kusch;
2000 (so Strooel: III 324), Meyer: 1000.
3 So Arch. Chr.. Ms. AU. 88 n. a. Schilt er nimmt 1500O Mann
an; Schilling 12000 Reisig-e and sehr viel Fußvolk.
8 8. Wittes Dai-MeUun*. a, a. 0.. 3. 889f. und F. Kirk III, 21 f.
« S. Witte, *. a. 0-, S. 369 A. ; S. 377, A. I ; S. 387, A. 4
ft Vgl Witt« Darotcllung ia der Zs. G. 0- Eh., N, P. VIII. S.
224 ff.
« Stärke de* Bandesheeres s. Witte, a. a 0., S. 227. — YfL
Schilling*, 'S. 191 f. und über den Stnrm die Briefe des Hans Krhart
Dusch, 8t.-Aroh. ÄÄ. 281, 24 und AA 2ft1, 2fi.
7 St -Arch . AA 274, 30; Knebel. R Chr. 11,277. 15 und Schilling,
S. 197. — Kodt I, 440 ff-
,1 r>iciralftOTi
*"■ UNWERSITYO'MICHKAN
- 122 -
Caspar Harpfennigs Führung stürmenden Straßbur»er empfind-
liche Verluste erlitten und der in ihren Reiben allgemeine
Niedergeschlagenheit und Unzufrieden heil hervorrief, ziemlich
kurz, um mit deeto größerem Interesse bei den Wundertaton
des durch Meisler Hans von Nürnberg bedienten «Straußes:» zu
vorweilen. Es wird sogar der Stellungswechsel erwähnt, der
mit diesem Geschütz «viT yensit 4er slatt vGF den berg» (405,
2, 1) unternommen wurde J.
Diese Stelle der B. H., wie auch verschiedene Wendungen
der Strophen 401, 1—3, erinnern an ein auf dem St. -Aren. (AA.
274, 92) befindliches Schriftstück. Die hierher gehörige Stelle
desselben lautet : — vnd durch mey9ter hansen rruren vnd
turne noch dem aller besten beschossen vnd troffen habent / hat
sollich schießen an dem end f dursh vberl reiflich beschültiinge
der muren innwenditf nit verfangen / do durch wir vff eynen
herg vnd vher ein lal von wytem ?u schießen mit rier Ixißen
vnd etlichen slungen geruckt habent / . . .
Die aus 400 Söldnern bestehende Bwalaung durfte mit
ihrer Habe am 9. August 1475 abziehen. Das 3chb3 wurde
tfgantz zerrissen, zerbrochen, und auch terbröni» J und die
für das hochgelegene jBlamont so notwendigen Cisternen un-
brauchbar gemacht. Von den unliebsamen Vorgäni»en bei den
Straßburgern, deren Leute zum Teil einfach davonliefen, als die
Haiintleute nicht sofort heimziehen wollten», weiß die B. H.
nichts. Es wird nur die Wegnahme von Grammont und Fallen
gemeldet und hierauf werden verschiedene Schlösser mit A.u-
gab9 ihrer Besitzer aufgezahlt,
lue die zyl vnd Yiilaug dar vor
gewonnen wurdent durch den bunt
zum allerlengsten in eym jor (409, 3),
Diese eroberten Schlösser wurden bereits in der Inhalts-
angabe auch unter den modernen Namen, soweit sie festzustellen
waren, aufgezählt.
Wir besitzen verschiedene mehr oder weniger umfangreiche
Listen mit den Namen der iu diesem Feldzug eroberten Städte,
so bei Schilling, S. 191 ff., bei Knebel, B. Chr. II, 27$, 14, ff.,
in der Ärchivthronik, S. 208 f. und besonders in dem Bericht
an Herzog Sigmund über die Eroberungen in Hochburgund und
der WaaÜ, ab**! ruckt in den B. Chr. III, 421 ff.
' S. Witte, a. i. 0., S. 242. - Schilling S. 201.
2 Schilling, S. 204.
» S. St.-Areh. A4- 290.
,l r rViciralftOTi
*"■ UWERSIIYO'MICHKAN
— 123 —
Die zwölf in der B. H. in erster Linie genannten Schlösser
und Städte finden sich auch in dem Liede des Zöllner Lei
Liliencron JI, 66 ff. und, wie die B. Chr. II, 231, A. 2 be-
merken, «kommen in der Tat, wenn wir die hei Schilling, im
Liede und hei Knebel genannten Schlösser zusammenzählen,
19 heraus . . . ,)
Die Namen sind in der B, H. nicht nach dem Datum der
Eroberung aufgeführt.
Am nächsten kommt der Lisle der 3. II. ein undatiertes
Schriftstück des StraSbui-ger St.-Arch., AA. 282, 3, in dem,
wieder in anderer Reibenfolge, sämtliche Namen der B. H.
sip-h wiederfinden. Ein einziger Name nur scheint in der B. H. zu
fehlen: «Monyaye ist gesin hern Lepolten fryherre zu froberg
ritler». — Dies« Notiz bezieht sich auf die Eroberung des dem
Herrn von Froberg 1 gehörige n gleichnamigen Schlosses, frz.
Montjoie, am rechten Ufer des Doubs, nordöstlich St. Hippo-
lyte gelegen, dessen Uebergabe in der B. H. in Vers 408, 2, 1
erwähnt wird *.
Die Angaben der B. H. erweisen sich als zuverlässig, so-
weit der moderne Name der Schlösser festgestellt werden
konnte. Die Namen einiger Schlösser sind derartig entstellt,
daS wir sie mit Fragezeichen verschen mußten.
Vgl. zu 412, 7, 2 ff. Stolles Chronik, S. 62 ; «Vnd list
ome allezit leszen zu tische historiam Alexandri» und S. 83 :
«Sundern er wolde selbest korfurste, konnig, keiser vnd bobist
Bin.» Knebel, B. Chr. J1I, 104, 26: «... legit hystorias
.Mexiindri magni . . .»
In der Tat hatte Karl d. Et. i. J. 1464 die Geschichte
Alexanders des Großen von Quintus Curtius durch Vasco de
Lucena bearbeiten lassen.
Zu 413, 1, 1 -2 vgl. Stolle, S. 61 : «das er die werlt vndir
sich beenge sulle, also koningk Allexander gethon hat» und das
Gedicht «Vom strit von Nanse> bei Liliencron 11, 108, 10:
Er schabt sich Küng Alexander glich ;
er wolt bezwingen alle rieh.
11. Hauptteil.
Karls des Kühnen Niederlage und Knie.
1. Karl d. K. in Nancy«
Nachdem Karl d. K. seine Rüstungen möglichst beschleu-
nigt hatte, wandte er sich geg?n Lothringen und jagte der
1 Ueber die Herren von Froberg b. B. Chr. II, 202, A. 3.
* Vgl. B. Ckr. in, 427, 6.
rViciralftOTi
UWERSIIYO'MICHKAN
— 124 —
niedern Vereinigung, die einen Einfall ins Elsaß befürchtele,
keinen geringen Sehrecken ein'. Nachdem er das nahe an
der Grenze gelegene Epinal am 19. Oktol>er 1475 genommen
haue, erschien er am 24. Oktober vor Nancy, das ihm am
27. November die Tore öffnete, so daß er am 30. unter Ent-
faltung großen Pompes seinen Einzug in Lothringens Hauptstadt
halten konnte*. Der Herzog versäumte es nicht, sofort in der
St. Georgskirche einer feierlichen Messe ueiiuwuhneu, öffentlich
den Eid als Landesherr zu leisten und demselben noch eine An-
saht Versprechungen beizufügen — ohne daß es ihm gelungen
wäre, die Sympathien des Adels oder der Bevölkerung für sich
eu gewinnen, cNc firent Messieurs de la Noblesse aueun sem
blant de l'ouir, et sernbloit a leur silenne, nVavoient perdus
par mort tout eentiment, taut furent t'roidcmcnt reeuce les
cajoleries et festoiement que leur fit ce Prince 8 .»
Am'18. Dezember berief der neue Landesherr die Stände
Lothringens nach Nancy, Aber auch die versöhnliche Rede,
die er vor ihnen am 87. Dezember hielt, machte keinen Ein-
druck, vielmehr bemerkt Bournon, conseitler d'Rtat, dem wir
die Aufzeichnung der von Cayon wiedergegebenen Rede ver-
danken : cCe discours ne fit grand effet, encore que Mous de
Bievres, et Mons La Marche, qu'eetoit Capitaine es Gardes du
susdit Duc, fit crier, en payant, vive li Duc de Bourgongne
et Lorraine» und die «Chronique de Lorraine» 'fflgl ihrpm
Bericht ausdrücklich hinzu: «Chascun crya : Oy. Ains en v
eilt que [bien] altrpment dAsyroifint*.»
Da in der B. H. uusdiücklich vom (dursten sal» die Rede
ist, so haben wir es mit der Bede Karls am 27. Dezember zu
tun». Auf sid beziehen sieb auch die Berichte der meisten
Chroniken ö . Der Ton der Rede ist vom Verfasser der B. II.
1 Ueber Stiaßbugb ftüsluiigeii vgl. "Wille, Zu. ö. 0. Rh., K. F.,
X, S. 238, A. 5 und S. -248.
2 La Chronique de Lorraine, Nancy 1659, p. 181 s. ; Duguenin,
Histoire dd la guerra de Lorraine et du siege ae Nancy. Metz 1837.
p. 81 s.
3 Ans dem «Eitraitdes Hömoirei de Thiriat» veröffentlicht von
T. CaYon fn «Souvenirs et Mcnnmens de la Rataille de Nancy»,
Nancy 1837.— Vorher bereits bemerkt Thiriat: tLea steurs qu'estoient
Chanoiues de U ColUgiale de SaiutrGeurgeö. fireut graude inipru-
dence et donneront ^rand mecoatentement a tons les bons et lojaux
Sajeto Lorrains .... Do cc faren» les Ohanoines en graad© rifice . . . .»
* A. *. , S. 185. Vgl. auch die Anmerkung; ferner H. Witte
im -Jahrbuch der tieaeUichaft für Lothringische Geschichte und
Altertumskunde», 2. Jahrg., Metz 189Ü, S I — 100.
5 Vgl Huguenin jenne, a. a. 0., p. 91 9. Witte, a. a. 0., kennt
nur die Rede der Ctron. de Lorraine.
Ä a. B. der bei 3ohiltcr, S. 87ö.
,L- D-iciralftOTi
U "J IVER5I TY " MIC HICAN
- 125 —
trut gslroflen und der Stimmung Karls trefflich angepaßt.
Wähi-end die Lothringer jedoch nach übereinstimmenden Be-
richten es nicht wagten, Karls Anerbietungen zurückzuweisen
und die sofortige Huldigung zu verweigern, läßt der Verfasser
der B. H. die Lothringer um Aufschub des Huldigungsaktes
bitten, ein Zu*, der sonst unseres Wissens nicht überliefert
ist, vielmehr den raschen Abfall der Lothringer beschönigen
und die durchaas feindselige Stimmung der Lothringer gegen
Karl d. K. deutlich zum Ausdruck bringen soll. (Ueber die
zehn Bitten der Stande an Karl vgl. Digot, Histoire de Lor-
raine, t. IM, Nancy 1856, p. 274.)
2. Karl der Kühne erobert Grandson*.
Die Darstellung der Eroberung von Grandson durch den
Herzog unl der schrecklichen Bache, die er an der 400 Mann
starken eidgenössischen Besatzung nahm, ist, abgesehen von
ler Frage, uli Karl d. K. Wortbruch beging, zutreffend. Nach-
dem die Be5at2ung schon am 21. Februar die Stadt aufgegeben
und sieb auf das feste Schloß hatte zurückziehen müssen, er-
gab sich auch dieses am 28. des Mona s, kurz ehe das aut
die Hilferufe Denis zusammenströmende Heer der Verbündeten
dem sehweibedränglen Schloß den ersehnten Ersatz /.li bringen
vermochte.
Zahlreiche Quellen, schweizerische wie elsässische, und mit
leüteren dieB. H.*, versichern, daß Karl d. K.der Besatzung freien
Abzug versprochen halte und wortbrüchig wurde, als er den Ge-
laufenen das Leben nahm. Auch wissen wir, daß twei an die
Garnison der StadL Murlen gerichtete Aufforderungen zur Ergebung
mit Hinweis auf des Hci-zogs bei Grandson geübte Treulosigkeit zu-
rückgewiesen wurden ; vgl. Rodt 11, 235 und 249. Nach Kirk 111,
Ö13 f. sind diese übereinstimmenden Berichte nicht durchaus
beweisend, zumal aus andern Quellen, den Briefen des Berner
Rat* und insbesondere den Berichten des mailfindischen Gesund
t«n Petrus Panicharola u. a. ein derartiger Vorwurf nicht ent-
nommen werden kann. — Es handelt sich wohl um eine List
des Herzogs, der, von den heranrückenden Scharen der Eidge-
nossen und den niedern Hundes benachrichtigt, sich noch rasch
des Schlosses bemächtigen wollte, was ihm auch gelang ; vgl.
Rodt II, 50 ff.
I Vgl. für die Einnahm* und Schlacht von Urandson den Auf-
suz von .Frederic Da ßois: «Li Bataille de Graason» in der Zs. der
Antiquar. GenellRcn. in Zürich, Ri. IT, Heft 4, 8. 81— M, mit 3 Tafeln.
* 417, 3ff. und 432, 7.
,| r>JciralftOTi
*"■ UWEMTYO" MICHIGAN
— 126 —
Die in der B. H. 417, 1 auftretenden Zahlen 200 und SO
finden sich auch in einem Brief bei Knebel, B. Chr. II, S. 362.
Hiernach wurden jedoch 200 ertränkt, 80 erhängt und der
Best weggeschleppt, so daß also in einem der beiden Berichte
eine Zahlenverlauscliung vorliegt.
3. Grandson.
Auch hier stimmt die Schilderung der B. H. mit den
übriyeu Quellen übereiu. Beru, Schwyz und Byel befanden
sich in der Tat im Vortrupp der Schweizer. Das Glebet der
Eidgenossen, «Jessen Auslegung durch den Herzog und die Auf-
stellung des burgundischen Heeres sind Zuge, die sich in allen
Berichten wiederholen. Der in Strophe 4SI, 6 erwähole Banner-
herr war der Herr von Chäteau (inyon ; vgl. Schilling, S. 288,
Du Bois, a. a. 0., S. 61 und Rodt II, 79.
Die Straßburger Truppen, aas 269 Beisigen bestehend *,
waren zu Beginn der Schlacht nicht anwesend und konnten
nach Schilling (S. 291) nur noch an der Verfolgung sich be-
teiligen, da die Wege versperrt waren, Sic bildeten nach
Schilling eine Zeitlang _mit dem Basler Fußvolk zusammen den
Nachtrab, was auch, aus der B. H. deutlich hervorgeht.
Die Stärke des Heeres der Verbündeten wird sehr ver-
schieden angegeben, die Angabe der B. H. hält sich mit
20000 Mann etwa in der Mitte*.
Iuleressant und für die lu'slurieche Treue der B. H. charak-
teristisch, ist die Erwähnung der aufmunternden Worte, welche
die zurückbleibenden Straßburger den vorbeiziehenden Ba»leni
zurufen. Diese Einzelheit wird durch einen Brief Ulrich Mel-
tingers von Basel bestätigt : «denn sy r =s die Straßburger]
worend dureht die Fydgenossen georderet die hinderhAt zu hal-
ten, . . . . und der von Flcckcnstein s behielt unser volk do-
hindan, dasz sy übel verdrosz. und als man in zu berg sach
rucken *, was herre i lern ia i von Eptingen by uns und sust
wenig niler, der rüfll uns an und &ch etlich fässzTclk : , frommen
Basler, werent dasz er da inner nit kommend Vgl. dazu B. H.
420, 3, 3-4, 3.
1 Naoh nnscheinend protokollarischer Aufeeichnang der Beotc-
meicter; Staatsarchiv Luzern: Borgunderlrrieg; b. Eidgenöss. Ab-
schiede II, S. 593.
* Aren Chr., Ms. All. 83: 24000 Mann; Mey«, Knebel: WJÜU Wann.
3 Fahrer der StraßbargM; vgl. auch B. Chr. IT, 8. 514.
4 B. H. 'l'JO, 3, 11: Ale mai sach eynon hoffen rächen ?u berg.
* Der Brief sieht bei Knebel; s. B. Chr. II, 358, 34 ff.
,1 D-iciralftOTi
& IV - UWEWIYO'MICHICAN
- 127 -
' In diesem Brief werden auch wiederholt die drei Haufer.
erwähnt, m die nach 419, b, 3 und 7 der Herzog sein Heer
geteilt halle 1 .
Auch weiterhin ergeben sich auffallende Uebereinstimmungen;
man vergleiche z. B. 420, 6 ff. mit einer weiteren Stelle aus
obigem Brief: cdie dry hulTen schlügen zusammen, und ward
ein huß", und niachtent einen finen spitz mit ylelicben küris-
seren . . . . su ay trunieten und chuetei j» uud 421, 5» 4 II.
mit der nahezu wörtlich übereinstimmenden Stelle des genann-
ten Briefes, S. 359, welche die für den vorsichtigen Eptin?en,
<:er denn auch seine Reisigen bald von weiterem Nachsetzen
zurückhielt • , go charakteristischen. Worte entbdlt . Die Stelle
lautet : « . . . hielt sieb herre Herman von Eptingen als ein
wyecr und schickte im die eoldeoer und knecht hinnceb und
sprach : ,ir frommen von Basel, begebend üch kein.s Vorteils,
denn das fässzvolk mag üch nit zu gevolgen, solte er sieb
denn gegen üch wenden, so were uwer zu wenig 1 .»
Sc» wird weiterhin der Baoneiherr erwähnt, der erstochen
wurde, Her Rain, an dem die Feinde sich wandten — kurz,
die Ucbcreinstimmung ist eine derartige, daß wir sie ohne die
Annahme der Abhängigkeit des einen Berichts vom andern
nicht zu erklären vermögen.
Der Brief Mellingertu der an der Schlacht teilnahm, ist
gerichtet an «Johaneen Kriderieh von Munderstat notarien 2Ü
Basel» und ist nach Knebel im Lager vor Grandson geschrieben',
also nicht allzulange nach der Schlacht, denn aus dem IrJgenrlen
offiziellen Bericht an Basel ergibt sich, daß die Basler bereits
am 5. März das Lager vor Grandson verließen. Es ist anzu-
nehmen, daß dem Verfasser der B. H. dieser Brief Mellingers
bekannt geworden war und daß er ihn im Original oder in
einer Kopie bei der Abfassung seines Gedichtes vor Augen
hatte*.
Noch mit einem ^weiteren Briefe hat die B, H. verschiedenes
gemein. Derselbe wurde von der Stadt Biel an den Bürger-
meister und Bit der Sladl Bern gerichtet und steht bei Knebel.
B. Chr. II, 361 ff. Hieraus zitiert F. Kirk III, 329 eine Stelle,
die zur B. H. 419, 5, 3 und 7 vortrefflich paßt. Vgl. außer-
dem B. H. 418, 6-419, 1 mit ß. Chr. II, 362, 32 ff. Aut
die Vertauschung der Zahlen 200 und fcO, die wahrscheinlich
auch diesem Briefe entnommen, jedoch vom Verfasser des B. H.
« f. E. B. Okr. II, 368.
2 Rodt II. 86.
s «Littdrft nissa da castrie ante biatison»
« Vgl. B. Chr. IX, 514. Nachträge zu S. 857 nnd 8. 555 A. 2.
,1 rViciralfroTi
ö"" UWEWIYO'MICHICAN
— 126 —
verwechselt wurden, haben wir hercils hingewiesen. Eine
weitere Abhängigkeit, diesmal über ein Fehler, der von der
B. H. übernommen wurde, ist der, daß nach 426, 3, 3-4
Friedrich von Tdieiil, der Sulm des Königs vuu Neapel, in der
Schlacht fiel, ein Irrturn, der sich auch in dem eben erwähnten
Briefe, S. 3G3, findet.
Die nberaus reiche Beute, welche die Verbündeten im
Lagrer Karls d. K. vorfanden, wird in den meisten Quellen ein-
gehend beschrieben. Der Ansähe der B. H., daß 476 GeschDIze
erobert wurden, kommt die bei Schiller. S. 376, am nächsten,
nach dem 400 giuße Schlangenbüchsen, 60 Steinbücbseu und
neun Haupt uüchsen, zusammen also 469 Geschütz« in die
Hände der Sieger fielen. Rodt II, 98 nennt nach archivalischer
Quelle 419 Feuersehlünde, noch weniger die Arch. Chr. S. 199.
Nach der B. H. 426, 1 ff. waren in Grandson 26 Burgun-
der zurückgeblieben. Diese wurden getötet bis auf drei Erite
und 2 Knappen, die man gegen Brandolf vom Stein und zwei
vou Frei bürg auswechseln wollte.
Auch hier folgt die ö. H. dem Briefe Meltingers, B. Chr. II,
360; nach einem andern Briefe (B. Chr. IS, 304) waren 26
Burgunder im Schlosse, die alle erstochen wurden tuszgenom-
inen ein burger von Disanlz und zwei edel, mit denen meint
man BrandolOf vom Stein ze lösen.» Rodt II. 90 spricht von
26 Gefangenen, die «vor den Augen der Hauptlcute niederge-
macht wurden» ; Schilling, S. 291 f., von «wol dryszig», die
totgeschlagen wurden,
4. Murleni.
Nachdem der Herzog sein zersprengtes Heer wieder ge-
sammelt, neuen, teilweise auch in der B. 11. erwähnten Zuzug
erhalten und seine Artillerie ergänzt halte, verließ er am 27. Mai
sein Sammellu^er bei Lausanne, um am 9. Juni vor Murten
zu erscheinen, das Adrian vun Bubeoberg (427, 7, 2) mit
1600 Eidgenossen iwsetzt hielt*.
Als Karl d. K. von dem Nahen des Entsutsheeres hörte,
machte er verzweifelte Anstrengungen, des Platzes sich noch
rasch zu bemächtigen. Nach heftigster Beschießung am 17. und
18. .luni^ (zu 427, 2, 4 und 8, I der B. H.) unternahmen die
i Vgl. H. Wattetet, Die Schlacht bei Murten, Freibirgor Ge-
eohioKteMäUcr I. Frcibarg- i. üo- 1804, S. Jl 94. — Material bei
Ochsenbein, Die Urkunden dar Belagerung und Schlicht von Murten.
Freiburg i. üe 1876. Ü. 443 ff. ist der auf diese Schlacht beaögliehft
Teil der B H. abgedruckt.
£ Mi - , der Maunschaft aus Stadt und Bezirk Murten 2000 Siauii ;
Meyer uuJ Rodt II, 190
* Schilling, S. 831.
' ' "Pgk u^iveWiiyo-Sican
— 129 —
Burgunder abends zwischen sechs und sieben Uhr den in der
K H. erwähnten Sturm, der jedoch zurückgeschlagen wurde
und die Burgunder j;roße Verluste kästele. Die in der B. H.
angegebene Zahl von 900 Mann, die ejn dem graben kleben»
blieben, stimmt zu den wohl eu hohen Zahlen der schweize-
rischen Quellen, die nach Rodti zwischen 700—LOOU Mann
3ch wanken.
Vier Tage nach jenem für die Burgunder so verlustreichen
Sturm, am Samstag 22. Juni 1476, kam es zwischen Mittag
um zwei Ulli (vgl. dazu 429. 7, 2)* zu der Schlacht mJL den
tum Entsatz herbeigeeilten Eidgenossen und ihren Verbündeten.
Nach männlichem Widerstand wandten sich die Burgunder
zur Flucht« Die Angaben der verschiedenen Quellen über ihre
Verluste sind (Hieraus schwankend », da viele- im See ums
Leben gekommen waren 4 . Auffallend ist die Bemerkung der
B. H., die vüii 14000 Tuten zu Wasser und zu Land spricht
und dann fortfährt :
achthundert niee seyt der Las kau
dar von yesagen dan jeh melde. 433. 2, 3 — 4.
Die Verluste auf deutscher Seite betragen nach der B. H.
nicht 40 Mann).
2u 426 t 5 zu vergleichen der Bericht eines Schweizers
uher die Schlacht, ahgedr. hei Orhsenhein, » a. O., S. 325:
«und die Bettler (wie er uns nannte) . . .»; P. Etterlyn bei
der Schilderung der Schlacht Nancy: «die Eidgenossen, denen
er die bättler sprach» und Veit Webers Gedicht : Von dem
slrit von Murteu, Str. 31.
Zu 429, 4, 3 vgl. die Listen der 18 vor der Schlecht zu
Rittern ^e*cblageiieii Straßburser in der Aren. Chr., S. 200
und bei Meyer, S. 105«.
Zahlreiche Einzelzuge erinnern stark an Veit Wehers
Murtenlied, was bereits von den Herausgebern in der Als.,
S. 431, A. 3 und 432, A. l angedeutet wurde. Die Zahl der
Vergleiche ließe sieh unschwer vermehren, wir nennen nur
i IC, 210.
a Vgl Wattelet, a, a. 0., S. ft4 sowie A. 135 und 138 auf S. ÖO.
9 Die Angaben schwanken zwischen 8000 und 227001 Am
nächsten kommt der B. H. Meyer, nach dem die Burgunder über
14000 Mann verloren.
4 Die Aren. Chr. z. B. nennt 8000 Tote und fügt hinzu, da IS
viele im Soe ertranken.
a Zu gering! Vgl. Bodt II, 287, der 500 Tete annimmt.
« Zn 499, 4, 3fl vgl. weiter Wntr.elftt, n. a. O., S. 3Ä u. A.
hierti auf 8. 78.
: ' "Pgk uNWErenw Michigan
— 130 —
das die Schiacht einleitende Reitertreffen, von dem beide
Dichter zu erzählen wissen 1 .
Zu den Strophen 431, ß und 6 \gl. Knebel, B. Chr. III,
18, 12 : «Interim cciam dueontoe viroe in quodam nemore
repertos interfecerunt» ; ferner Schilling, S. 339 : «Do wurden
auch otlich uff den hochan Böwmen, daruff «y dann von rechter
textlicher Angst und Not gestigen waren, erstochen, die muszten
lehren fliegen ohn alles Gefider . . .ä und Gedicht hei Lilien-
cron II, S. 93, Str. 22.
ft. Dieses Verzeichnis der eroberten Schlösser und Städte
ist nicht vollständig. Hingehenderes Verzeichnis bei Schilling,
S. 246 f. und in dem Bericht an Herzog Sigmund in den
B. Chr. III, 421 Ü. — Ueber die Plünderung von Lausanne
(B. H., 436, 6, 2 fl.) vgl. Schilling, S. 346 f.
Der 436, 2 (T. erwähnte Tag zu Freihurg im Uechtland fand
statt vom 25. Juli bis 12. August *.
6. Der Herzog Rein hart war nach der Schlacht bei Murten
zurnck gekehrt, hatte mit Unterstützung der elgfiasischen Stflrile
und vieler Adligen des größten Teils seines Landes sich wieder
bemächtigt und insbesondere seine Hauptstadt Nancy nach
sechswöchentlicher Belagerung am 6. Oktober wieder erobert.
7. Nancj ».
Bereits am 22. Oktober erschien Karl d. K. vor Nancy
und begann die durch strenge Kälte, Seuchen und zahlreiche
für die Lothringer günstige Scharmützel sehr erschwerte Be-
lagerung. Die B. 11. erwähnt nur ein größeres Zusammen-
treffen, das vom 2. Dezember*, in dem bei St. Nikolaus von
1000 Burgundern nicht weniger als 800 fielen ; 438, 3 und
439, 4 weist sie auf die andern Treffen kurz hin.
Inzwischen war es dem Herzog Reinhart durch die Unter-
stützung des r> Jedem Bundea und der Schweizer gelungen, ein
' Vgl. besonders Liüencron n. 8. 93, Str. 14. 4 ff. mit 8. H.
420, 7, 1 ff.
* Chmel, Monnmenta Hababnrgica I, I, S- 218 ff. ; Eidgenössische
Abeohicdc, Bd. 2, S. bOlff.j Schilling fl. zm ff.
» Ueber die Geschichte von Nancy i. J. 1476 vgl. Ch. Pfster.
Histoire de Nancy I, Nancy 1WHJ, p. Küfs , über die Schlacht p. 1Ö2 ».:
7.11 letzterer ferner H. Witte im Jahrbuch der ttasellßoh. für lothring
Gesöhichta 4, 1; Matz IflSfö, 8. 117ff. ; II, Laux, üeber die Schlacht
bei 3ancj. Rust. JJisB.: Berlin 1895. Mit einem Plan der Schlacht
Liuratur'-crzeichnis u. Quellenkritik. — J. Meyer, Bericht eines
Zeitgenossen aber die Schlacht bei Nanzig u. den Tod Karls des
Kütncn, Alemannia Bd. X, Bonn 1382. S. 137-142.
* Kodt fälschlich: 2. September. Wach Sßhilter, S. 3^9 wurden
600 erstochen und 200 ertränkt. Die B. H. spricht voa 500 die
umgebracht wurden n. manchem, der «wassersüchtig wart».
,| D-iciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
- 131 —
Heer zu sammeln, mil dem er am 4. Januar in St. Nikolaus
anlangte gerade zu rechter Z«it, um Nancy, in dem Mangel
an Nahrungsmitteln herrschte, zu entselzen. Oboe Zögern
griff er bereits am folgenden Tag den Herz:»* an, der ihn in
einer festen Stellung erwartete.
Die in der B. H. gegebene Darstellung der Schlacht ist
ziemlich naiv, dabei aber mit zweifeltos richtigen Einzelzügen
ausgestattet und auch im allgameinen mit den andern Quellen
übereinstimmend.
Zu 443, 3 ff. vgl. den Bericht bei Meyer, S. 107 : cDo
erhuh sich ein ernstlich fechten und stryten wider einander
zu roß und zu fuß mit großem schalle, dran I dran ! und vile-r
trumpeten und boucken getane und besonder des büfTelhorns
von Ure jrrob* mugeechrey, davon der Burgunder merekte
seiner widerpart macht und bald empfände daß er geschlagen
was.»
Hier wird auch der in der B. H. erwähnte starke Nebel
und Schneefall sowie der darauffolgende Sonnenschein bezeugt.
Auch die Chr. von Peter von Hagenbach, Schilling und Etter-
lyn wissen von dem sLarkeu Schneefall zu berichten, unter
dessen Schutz die b'Iankierung der burgundischen Stellung
gelang.
Zu 443, 2 fT- : Nach der Chronique de Lorraine (S. 293) "
seizte Vaukrin Wisse den Führern der Eidgenossen vor der
Schlacht die Lage folgendermaßen aufeinander; «Messieurs, il
est tiecessiley »Je seavoir par quel nioyen uous vollous deslivrer
ceste bataille ä duc de ßourgoigne, car il a [sur] ce chemin
tout son cas asseure, [et toute son grtylleric y fest affeutee, il
Masseure que droiet ä luy nostre bataille nous vollons presenter,
quond ainsy Ic feriez (feriens). aon artyllerie grand domraaige
nous feroit . . .»•
Ganz ähnliche Utberlegun^eti legi unser Dichter in Ueber-
einstimmur.g mit Knebel den deutschen Führern Oswalt von
Pi erste in und Wilhelm Herler in den Mund. Witte, a. a. 0.,
S. 123 f. i3l der Ansicht, daß W. Herter die Umgehung vor-
schlug, währendf er den Bericht der Chronique nur insofern
gelten lassen will, als Vaultrin Wisse auf einen alten Karren -
weg hinwiee, der die Um^chun^r erleichterte. Digot folgt in
seiner Darstellung (a. a. O., S. B41) der Chronique.
Die Angaben über die Zunlenvcrhältnissc der zwei Heere 9
sowie die Verluste der Burgunder weichen ziemlich voneinander
El
i Aehnlich in der Ohr. von Rftgenbach ;Mcne III, 412, 21211}.
8 Vgl. Lauas, a. a. 0., S. 16.
| £ Oidnlfon
UMVEraTYO'HCHl'iAN
— 132 —
ab; die ß. il. wiid die Verluste mit 6000 Mann zu hoch an-
nehmen >.
Ueber die Gefangenen, die Auffindung der Ltdehe des
Herzogs am dritten Tag, seine Heiselzung in der St. ücorgs-
kirehe, sowie die Weigerung des Herzogs Reinhart, den Toten
der Witwe zu überlassen, sind die Quellen einig.
Aus vorstehender Untersuchung glauben wir folgende
Schlüsse ziehen zu dürfen :
1. Die B. H. ist im ganzen ziemlich zuverlässig. Direkt
falsche Angaben konnten nur ganz wenige nachgewiesen werden.
2. Es werden aus den jahrelangen Kämpfen nur die
wiehtigslen herausgegriffen und behandelt. Kleinere z. T. für
die Deutschen ungünstige Scharmützel, zahlreiche größere und
kleinere Unternehmungen der Verbündeten werden nicht oder
nur ganz flüchtig erwähnt.
9. Die D. II. teilt die Sclmächeu der zeitgenössischen
Werke, die jedem Historiker sattsam bekannt sind. Ein Ein-
blick in den Zusammenhang der Ereignisse ist hier, wie auch
>onst, kaum zu entdecken, tendenziöse Entstellung der Zahlen*
Verhältnisse hier wie dort üblich.
4. Andere Züge wiederum, die sich im Laufe der Zeit als
unrichtig herausgestellt haben, teill die B. H. mit andern Ge-
dichten und Chroniken ihrer Zeit, 30 dati wir eine wirkliche
Legendenbildung annehmen müssen. Wir erinnern an das
.unehliche Ertranken schwangerer Frauen zu Lüttich sowie
einzelne Aussprüche Karls d. K.
5. Ob der Verfasser der B. H. die Namenverzeichnisse,
denen große Sorgfall gewidmet ist und die sieh in dieser Aus-
fuhrlir-.hkeil sonst selten finden, persönlich verfertigte oder ob
er die anderer benulzte, läßt sich nicht teststellen. Immerhin
liegt die Vermutung nahe, daß der Verfasser persönliche Auf-
zeichnungen benutzte, da er, wie wir in. folgenden sehen
werden, Augenzeuge eines Teiles der von ihm besungenen
Ereignisse war.
6. Der Verfasser der B. U. hat teilweise fremde Quellen
benutzt. Eine solche Abhängigkeit ist in einem Fall (Brief
Ulrich Meltingers) mit größter Sicherheit anzunehmen, in zahl-
teichen weiteren Fallen überaus wahrscheinlich.
1 Allerdings steht die B. H. nicht allein: die Chr. voi Hagren-
bach W«iH von ebensoviel Toten zu erzählen, noch höhere Zahlen
geben die Aren. Chr.: f>67S u. hctailter • über tiUUU
,l r D-iciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
— 133 —
Der Verfasser.
Geber die Person des Dichters ist ziemlich wenig bekannt,
ja selbst über 3einen Namen ist man nicht einig.
Heißt der Dichter nur Hans Erbart, wie Hain ' annimmt,
und ist lösch* nur ein Beiname, = tütsch, der seine deutsche
Gesinnung den Welschen gegenüber zum Ausdruck bringen
soll?
Oder enthält dieses tusch = leutonice einen Hinweis .vif
den Gebrauch der volkstümlichen Sprache im Gegensal2 zu dem
damals üblichen Latein der Gelehrten ? — So druckt z. B.
Hochholz auf S. 21Ü seiner «Eidgenössischen Uederchronik»* :
«Haus Erhart, tütsch Beschreibung der Burg. Kriege . . . .»
und jrihl die ersten drei Verse der II. li. wieder.
Gegenüber dieser Auffassung -ist mit Als. S. 344 darauf
hinzuweisen, «daß der Dichter in seiner Historie stets tutsch.
plur. lutsche, und niemals tusch fflr deutsch schreibt».
Ibt endlich lüsch zum Geschlechtsnamen geworden, wie
neuerdings allgemein angenommen und gedruckt wird?
Hieß der Dichter Hans Erhart, so sind wir bei der relativen
Häufigkeit dieses Nomons im 16. JahrhundcrL in ziemlicher
Verlegenheil.
Rcetfce, der den Dichter «Tusch» in der A. d. ß. 39,
S. 26—27 bespricht, weist für diesen Fall in einer Anmerkung
hin auf den bei RodM erwähnten Büchsenmeister Erhard, der
in einem Berner Schreiben vom li). April 1476 bezeugt ist.
Derselbe 'war nach Hodt durch den Hauptmann Bubenberg der
Sladt Straubing empfohlen aber sonderbarer Bedingungen wegen
vom Hat nicht in Dienst genommen worden,
i Repert. bibl. I, S. 321, Nr. 66B4.
- Die*e Aussprache ist zweifellos anznuehmen, wir- auch in der
A. d. B, 39, S. 26 und neuerdings im Grundriß geschehen ist. Als.
und mit ihr öödeke n. a. drucken tusch in Uebereinstiminuug mit
der in A übliehen Schreibung, wo kusch: tuaoh reimt, B druckt
kusch: tusch.
küscti. ktlsch oder kaseh ist elsäss. Schreibung für das aus ahri.
kuski uro geläutete mfcd. kiusch(e).
Da A nur selten den i l 'miaut des u duicli r.vei Striche an-
deutet, so ist dar kusch : tusch nicht auffallend und es kann über
den Lautwert des u =-= ü in diesem Falle kein Zweifel sein.
3 Bern lB3x
4 v. Rudt, Die Kriege Karls des Kühnen, Bd. II, Schaffhansen
1844, 8. 188.
r
,\ D-iciralftOTi
*"■ UWEMIYO'MICHICAN
— 134 —
ba der Dichter an den Feld2ögen, wenigstens teilweise,
zweifellos teilgenommen hatte und großes Interesse für Belage-
rungen zeigt», so hat Rcethes Vermutung, daß der Dichter
Bücheenrneister war, viel fnr sich '.
Für die Existenz eines Dichters, und zwar eines Straß-
hurgers, mit dein Geschlechtsnaroen Tusch spricht dagegen
eine Wiener Handschrift, die von H. Lamhel verödenüicht
wurde unter dem Titel ; «Meislerlied von H. E. Tüsch> ». Das
Gedicht besieht aus zwei Strophen zu acht und neun Versen.
Es ist vollstäudig* und verdient die ihm von Gödckc beigelegte
Bezeichnung «Spielerei» in vollem Maße, hat doch der nieder-
schreibende Dichter an dessen Adresse das Gedicht gerichtet
war, selbst für nötig befunden, die Reirnwurle durch gleiche
Interpunktionen (, ; . „ • .-. . .) hervorheben.
Das Gedicht trägt im Wiener Codex die UeLerschrifl :
Sequitur Carmen vulgare a Johanna Erhardo Tijech eivi Argen-
tinensi in me factum. Am Schluß steht: finit. Die folgende
stark abgekürzte Zeile liest Lnmbcl folgendürnvtflen : Sequitur
carmen a me in prrediclum in Signum gralnrurn priore scilicet
cermine editum a .
Die R. H. selbst gibt wenig Auskunft üher ihren Verfasser,
der den «lest on alle glose» (399, 7, 2) sagen will.
Folgende Punkte scheinen geeignet, auf die an die Person
dee Dichlere eich knüpfenden Fragon einig«; Licht zu werfen ;
Seine Heimat ist sehr wahrscheinlich Straßburg.
Kost he« bemerkt dazu: «Wie der Druckort zeugt auch
der Inhalt dafür, daß der Poet in Stroßhurg zu Hause war:
die Heimaistadt, «des Rheines hochsie Krön)', ist die eiste,
1 Vgl. die Schilderung der Belagerung von Blamont, S. 403. 1
—405, 4,
* Eino im Stroßb. St -Aroh. AA. 998, 10 befindliche Liste von
1) Bächsenmeistern mit ihren Knecaten enthält weder den Namen
Erhart noch Tusch.
a Im «Archiv für die Geschichte deutscher Sprache u. Eichung».
Hrsg. von Wagaer, Wien 1873 ff. Bd. I, S. 442 t Milteilg. ans Cod.
3214 der Wieuer HuftiibliuLliek, lö. Jahrk., Bl. 202 v. tfafaulae II.
234:.
* Godekes Bemerkung" «uavollslöndig> scheint uns nicht gerecht-
fertigt. vGrdr. zur Göschiolit© der deutschen Dichtung, 1 *. S. 315,
Nr. 3B\
& Es folgt dann eine auch bei God«ke, a. a. 0.. erwähnte Be-
merkung mit ihrer symbolischen Ausdeutung der Zahl der Sit/.leio
und der Silben. Leider ist uub das durch dies interessante Vorwort
eingeführte Gedieht nicht erhalten. Es hat wehl schon früh eeinen
Liehhaber gefanden, denn das folgende Blatt ist ausgeschritten.
n A. d. B., Bd. 39, a 2« f.
* 3&0, 3, 1.
,| r>iciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
— 13B —
die er in der Reihe der gegen Neu3 ziehenden blüiite nennt; er
verweilt gerne bei den Wundertaten des StraSburger Geschützes,
des Straußes». Maria ruft er an, weil ihr Bild in der Straß-
burger Streitfahne schwebt*: bei fast allen Ereignissen, von
denen er berichtet, waren auch StraäburgerTruppenbeteiligt.. .»
Hinzuzufügen «are u. a. noch die eingehende Beschreibung
der Ausrüstung der vierzehn in den Neußer Krieg ziehenden
Straßburger Schiffe, die nur von einem Augenzeugen, wo nicht
Beteiligten, herrühren kann : bu be&chten auch V. 381, 7, 3—4 :
<6B füren mit vil fremder künden
derhalben ich nit nennen kan.»
V, 39ö, 7 f, :
«Mang: von hasperg der fromm vnd werd
hielt hy strassburgem vfT der ban . . i
Auch beim Marlener Entsatzheer wird unmittelbar nach
dem Herzog Hein hart von Lothringen Straßburg genannt,
s. 429, 1, 3.
In dem Wiener Codex endlich wird ein Tusch oder Tijsch
unmittelbar als «civia Argcntincnsis» bezeugt. Daß diese An-
gabe sich auf den Verfasser der B. H. bezieht, 9leht nicht fest,
ist jedoch mit großer "Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
Aber auch ganz abgesehen von dem letztgenannten Zeug-
nis, abgesehen von der zweifellos elsässiachen Sprache der
B. H. haben wir nach Vorstehendem allen Grund, Tfisch als
einen StraBburgcr Bürger zu betrachten.
So nennt ihn denn auch Witte gelegentlich den «gleich-
zeitigen Straßburger».
Ob der Dichter in Straßburg geboren wurde, ist ungewiß.
In dem Buigerbuch, das über Fremde» die das Straßburger
Bürgerrecht erwarben, gewissenhaft Buch führt, findet sich
lein auf Tusch bezüglicher Eintrag,
K. ReuB* spricht die Vermutung aus, daß Tusch aus
Schlettstadt. stamme, auf Grunde eine«; Lotes dieser Stadt in
Strophe 386, J, eine Ansicht, der wir uns den zahlreichen für
Ötraßbua" sprechenden Zeugnissen gegenüber nicht anschließen
können.
i 402, 4, 3 : 403, 7, 4 ff.
* 398. 4.
5 De ßcriptorihus rerurn alsatkarum iiBtoricis . . ., Aigentorati
1898, is. 69: «et nesoio an e Salestadiensi eivitate ortuo alt qunni
eam arbem aonunis laudibu» extollat».
f
' ' "Pgk MWErenvor Michigan
— 136 -
Die Persönlichkeit des Dichters tritt in der B. H.
sehr wenig hervor. Selten nur spricht (kr Verfasser von sich
in der ersten Person. Erst der Schluß enthält die «nicht ganz
unzweideutige Angabe» 1 des Namens des Autors ; 451, 6, 3 — 4 ;
«bescblussel hie hans erhait tusch
die burgundisch hyslorie.»
Die durch die Beschießung angerichteten Beschädigungen
der Stadt Neuß hat der Dichter mit eigenen Augen gesehen ;
363, 6, 1-2: ,
« — als ich habe
geprufet vnd manig fiumm man'.»
Ebenso kann nur ein Augenzeuge wie Tusch sprechen ;
384, ö, 3—4:
«wer den do sacb [den gezugcj vor ader noch
der wdsz das ich des iiiemaii trüge.»
Vielleicht war der Dichter auch an der Schlacht hei Murien
beteiligt; 430, 3, 3-4;
csfhiesmi seh lagen slrytlichs gefacht
erhub sich bald als jch erschein.»
Wahrscheinlich ist jedoch hier erschein nur als Flickwort
aufzulassen = deutlich mache.
Für die Teilnahme Tuschs an den übrigen Kämpfen fehlen
zwar direkte Zeugnisse, doch ist die ganze Art der Schilderung
eine derartige, daß die Anwesenheit des Dichters sehr wahr-
scheinlich ist — 3o wird u B. die Belagerung von Blamont
mit vielen Einzelheilen in einer Weise erzählt, die den Augen-
zeugen deutlich verrät. Auch die Schilderung der Schlacht
bei Grandson und der hieif gemachten Beule ist h> lebendig,
daß die Annahme, der Dichter sei persönlich auf dem Schlacht-
feld© gewesen, sehr nahe liegt.
Bcslärktj werden wir in dieser Annahme durch die
treffenden wiederholt eiugeslreuteu direkten Heden, welche die
ganze Stimmung und Lage I reiflich charakterisieren und von
einem Unbeteiligten schwerlich in derartig treffender Kürze
hätten wiedergegeben oder nach klassischem Muster erdacht
werden tonnen*.
1 Roaihe, a. a. 0.
» Nach Wifsrstraat, 8. 601. wurde vom 31. Mai bis 3. Juni 1475
von Freund zu St Quirin gewallfahrtet. - Vgl. St-Arch., AA. 279, 22.
s Roethe in der A. d. B.: «wohl möglich, daß Tisch . . . Zeuge
vieler der erzählten S4usftmmen6töße war». — «... und dUErohernnft
,1 D-iciralfroti
*"■ uwewiyo'michican
— 137 —
Des Dichters reges Interesse für Geschütze und Beschie-
ßungen wurde bereits erwähnt, doch ist bemerkenswert, daß
das Inleresse für die Artillerie in jener Zeit überhaupt ziemlich
allgemein und nicht nur Tusch eigen ist. Wiederholt berichten
auch die andern Quellen von den Taten des cSiraußes», des
berühmten Slraöburger Geschützes, das von 18 Henjrstcn ge
zogen wurde.
Auch über die sittlich-ethischen Vorstellungen des Verfassers:
sowie seinen Charakter werden wir durch gelegentliche Re-
flexionen etwae unterrichtet.
Das Beslreben, die Wahrheit zu sagen, wird von dem
Dichter wiederholt betont, so in dem bereit« silierten Vers 384,
5, 4 ; ferner auch 362, 3, 1—2 :
«Doch umb das man ein dein fernem
das ich mit gedieht nieman Irujje.»
Ferner ist neben einem gewissen Hang zu ironischen und
satirischen Bemerkungen' sowie einem sehwach entwickelten
NaturgefGhl' tor allem die liefe Religiosität und der sittliche
Ernst des Dichters, ein Zug, der durch las ganze Gedicht
hindurchgeht und wiederholt in moralischen Betrachtungen
sich äußert. Hier ist besonders bemerkenswert die Betrachtung
nach der Schlacht bei Hericourt auf S. 399».
Ebenso fällt sofort auf der tiefe Haß des Dichters gegen
Karl d. K. Nicht müde wird er, demselben wirkliche und
angebliche Greuel, wie die zu Lüstich, vorzuwerfen und jede
Gelegenbeil benutzt er. dem verhaßten Gegner einen Stich zu
versetzen, so nach der Schilderung der Schlacht bei Murten
433, 7;
srhie und vor granson die vnzucht
macht adlera flugein manig schart.»
Aber dieser Haß ge^en Karl d. K. ist wohl begründe!.
Er entspringt einem ausgesprochenen Nationalgefühl, das urs
bei Töaeti, der seinem Namen darin alte Ehre macht, so sym-
pathisch berührt und ihn in dieser Beziehung zu einem Vöt-
Ton allerlei kleinen und großen Sc-Möseein mit dem Behagen des
Beteiligten aafgez&hlt».
Witto <Zs. 0. 0. Rh., N.P. VIII, S. 223, A. 2) nimmt ebenfalls
persönliche Teilnahme Tuschs an.
Zwei Stallen, die einer persönlichen Anwesenheit des Dichters
vor Heiieonn zo widersprechen scheinen, nämlich SÖ5, 4, 4—5, 1
und 400, 4, 2—3, Bind vielleicht durch den Beim veranlaßt.
1 Vgl. 385, 6, 1 ; 403, 2, 4; 4Ö2, 7. 4; 434, I, 1 ; 4ö8, b und ti,
8; 444, 4, ü-4; 445, 7, 4.
2 374, 2, V (f.; 401, 8 und 447, 2 und 3.
» Vgl. ferner 85», 6, 4; 367,9, 4 ff.; 410, 4 j 421, 2 j 438, 8 ff. n.o.
,1 rViciralftOTi
& IV - UWEWIYO'MICHICAN
— 138 —
ganger Wimpfelings (1501 Germania) macht. Er haßl den
stolzen Burgunderfüraten aus Herzensgrund, weil er in ihm
<lea National feind sieht, der bei dem Versuch, im Osten festen
Fuß eu fassen, schmählich zugrunde ^eht.
Die Wegnahme von Neuß wird nach Tusch durch das
Eingreifen des Reichs, dos die ihm drohende Gefahr recht -
aidtig erkannt hat, verhindert und die folgenden Kämpfe führen
die verbündeten Deutschen von Sieg zu Steg. Durch diese
Einigkeil der Deutschen werden die schweren Schlag auf Schlag
einander folgenden Niederlagen der Welschen, des Romanen-
tums, herbeigeführt. Bei jeder Erwähnung des Bundes gibt
der Poet seiner Freudn nhar den Zusammenhalt, nher die Be-
reitwilligkeit der Bundesgenossen, einander Hilfe zu leisten,
herzten Ausdruck».
Hierin vermögen wir Raethe nicht zu folgen, der dem
Dichter, ier ifür das Heroische des verhaßten und gefürchteten
Mannes gar keinen Sinn hat», «parteiischen Nationaldünkeh
vorwirft.
Zsveifellos hat der Dichter, wie jwir gesehen haben, in
seine Darstellung manche tendenziöse Entstellung der Wirk-
lichkeit aufgenommen. Geschah das aber slets mir Absicht?
Und wenn er es auch absichtlich tat, ist ihm das so sehr zu
verdenken? Man denke sich nur in die wenig beneidenswerte
Lage Straßburjjs in jener Zeit, da das burgundUche Nachbar-
reich zu einer immer gewaltigerer Großmacht herangewachsen
war, die den Nachbarn schon unter Karls d. JC. Vorgängern
ernste Besorgnis einflößte. Man hatte sich in Straß ijurg auf
das Sclili lim-:!.; gefußt jjenuoht und energische Maßregeln ge-
troffen, um die Widerstandsfähigkeit der Stadt für den Fall
einer Belagerung zu erhöhen.
Und als die zunächst bedrohten Fürsten am Oberrhein
endlieh, mit den Städten zu Schutz und Trutz vereinigt, die
Offensive ergriffen hatten, unterstützte Straßburg die Unter-
nehmungen jedesmal in hervorragender Weise.
Jahrelang tobte der erhitterle Kampf und als der befürch-
tete. Gegner endlich beseitigt war, — wer möchte es da dem
Dichter übel nehmen, daß er dem allgemeinen Gefühl der Er-
leichterung in etwas uberschwänglicher Weise Ausdruck ver-
lieh?
Auch die andern Schriftsteller der Zeit, vor allem Knebel,
machen aus ihrer Gesinnung keinen Kehl ; auch ihm ist, um
mit Witte zu reden «bei Erfolgen der Burgunder kein Wort
1 Vgl be&onders 410, 7 ff. uu4 434, 7; ferner 387, 3 uai 4;
.'190, 4. ff. ; .H94, 5, 4ft; 401, 5; 428, lj 43B, 6.
,l r D-iciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
— 139 —
stark genug, um seinen Haß und seine Furcht gegen die Person
des hurgundischen Herzogs und alles, was damit zusammen-
hangt* auszudrücken»".
Trotz aller Mangel berührt uns das Werk Tuschs in dem einen
Punkle besonders sympathisch, in der warmen aus ihm sprechen-
den Liebe für die Heimat, in dem berechtigten Stolz auf die
Erfolge der Verbündeten, die sich in seltener Eintracht gegen den
Todfeind wenden, in der Betonung des Gennaueatuins, Jeutscher
Eigenart und Kraft dem anstürmendem Welscbtum gegenüber*.
Ueber den Stand und die Bildung des aus bürgerlichen
Kreisen stammenden Verfassers ist der B. H. wenig m ent-
nehmen; auch die Frage, ob sie das Werk eines Laien oder
Pfaffen war, ist nicht leicht zu entscheiden. — Wir haben
bereits von den zahlreichen volkstümlichen Bildern und Redens-
arten gesprochen, die durch das ganze Gedicht hindurchgehen.
Lassen sie mehr auf einen Mann aus dem Volke schließen, so
weist doch eine gewisse Vertrautheit mit der Literatur, auch
der alteren, die in einzelnen Redensarten und in den Schlachten-
schilderungen sich kund tut, auf eine höhere Bildung hin.
Wahrscheinlich konnte Tusch lesen und schreiben , s. 372, 3, 1 :
«zwclfthundert zu rosz ^esehribenn (in.»
Auch einige geschichtliche Kenntnisse besaß Tusch 8 .
Ob dagegen aua den einpjeatreuten französischen Worten
auf eine Kenntnis der franzosischen Sprache geschlossen werden
darf, ist zweifelhaft 1 .
Obige Kenntnisse sowie der religiöse Zug, der durch das
ganze Gedicht hindurchgeht, würden vielmehr in Verbindung
mit biblischen Kenutnissen auf den geistlichen Sland hinweisen*.
Dieser Annahme widersprechen jedoch einzelne Stellen, wie
1 Zs. 0. 0. Uh M N. F. VI. 414.
2 Uctoer die natioaale Bedeutung ; ener Kämpfe &u3ört sieh üfecr-
oinstimmoad Witte in der Zu. ö. 0. Bh. : N. P. VI, 15; H. Diemar,
l>ie Entstehung" des deutschen Beichsfcrieges gegen Herzog Karl den
Kähnen von Barg;und; Marburg 18%, S. 10l.
ö Alexander: 4J2, 5. 4ff.; 422, X 3; 436, 4, I U. ö.
* (Vgl. die A. der Ah.)
cappstenger &H 1. 2; capitaa© 431, 3. 2 = c&pitaine.
sin amye het in schon floriert 370, 1, 2.
aruchier = archer 396, 2, 1.
flutsch - flfecbo 396, 2, 2.
allaraort = a ia raort 3S7, 4, 4.
kry ku erier 400, 2. 1.
vine (statt viue.i qni vlntz 414, '5, 4.
sokantz =• cliance 426, 3, 4.
a Vgl 398, 1,4; 412, 4 3—4 ; 447, 4, 3-4; 447, fi a. ö.; An-
roiang der Maria am Schi id.
,| r>JciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
— 140 —
423, 3, 3 ff. Jedenfalls kann über die streng religiöse Ge-
sinnung des Verfassers kein Zweifel bestehen.
Doc Dichtere Lebensverhältnisse scheinen keine glänzenden
gewesen zu sein; wenigstens nennt er sich selbst «arm» ;
373, 1, 3—4:
«das sagen rieh arm ritler knechl
vnd auch jeh armer offenbor.>
Rast he vermutet auf Grund der Stelle 372. 6—7 und 373. 1
Beziehungen des Dichters zu dem Markgrafen Christoph von
Niederbaden. Zweifellos entwirft die R. H. ein durchaus zu-
treffendes Bild des tapferen Herrsebers, das auf persönliche Teil-
nahme schließen läßt. Dieser Markgraf, der Sohn Katharinas,
der Tochter des Herzogs Ernst des Eisernen von Oesterreich,
die den Markgrafen Karl I. geheiratet halle, war in der Tal
•des keysers Schwester kini>, denn der Bruder seiner Mutier.
Friedrich III. (1415—1493) wurde am 2. Februar 1440 zum
römischen Kaiser und deutschen Köuig gewählt.
Der allgemein wegen seiner Aufrichtigkeit und edlen Ge-
sinnung geehrte Christoph I. war im Heere vor Neuß und ging
bald nach seiner Thronbesteigung (im Februar 1475) an den
Huf seines Oheims nach Wien, um hier längere Zeil m ver-
weilen. Durch die Annahme, daß Tusch ihn dorthin begleitete,
könnte das Gedicht im Wiener Codex leiciil erklärt werden,
das doch wohl aus Oesterreich, wahrscheinlich aus Wien selbst
stammt.
Näheres über die Beziehungen des Dichters zu Christoph I..
dem Markgrafen von Baden und Hochberg-, konnte nicht er-
mittelt werden.
Verschiedene andere Herren werden wo dem Dichter in
ähnlich überschwänglicber Weise gerühmt, allerdings ohne daß
der Dichter eich reibet erwähnt, vgl. 378, 2—4.
Noch eine Sielte könnte für Beziehungen in Betracht
kommen: 370, 2: «min herr von mcnlz». Dicsod <minner»
d. h. monsieur, monseigneur, entspricht durchaus dem damaligen
Sprachgebrauch, doch fällt es auf, daß diese so gebräuchliche
Wendung in dem ganzen Gedicht sonst nicht mehr vorkommt.
Weitere Stellen, die uns einige Aufklärung über die Per-
sönlich keit des Dichters Rieben könnten, sind nicht vorhanden.
Dem Gesa m leindruck nach scheint der Verfasser jeden-
falls mit dem mililärischen Beruf näher betraut gewesen zu
sein. Abgesehen von der Belagerung vou Neuß, wo des Ver-
fassers Anwesenheit hinlänglich bezeugt ist, kommen auch sonst
kleinere Andeutungen vor, die militärische Kenntnisse verraten.
' ' "Pgk UNMREITVOr MICHIGAN
— 141 -
So betont der Verfasser die Notwendigkeil, Heserven zurück-
tuhalten bei Gelegenheit der Schlacht von Grandson; 420, 1 ff.;
«Der lutschen etlich zu rosz vnd fusz
do binden worent durch noch hut
als man die rlinjr nrdnieren nrtusx :
verborgen volek dick schaden tut . . .
. . . ." (zwei Verse)
etlich die deshalb clagtent sich
haben! wenig der meynung n in.»
In der Tat hatten die Straßburger in jener Schlacht die
NachhuM.
Da nun Tusch, wie wir gesehen haben, auch lesen und
tcbreiben kann, so haben wir es wohl nicht mit einem gewühu-
lichen Söldner zu tun und der Gedanke liegt nahe, in ihm
einen der Führer der Straßburtfcr Truppen au sehen.
Aber auch für die£e Annahme läfit sich kein Zeugnis bei-
bringen, dean der Name Tusch findet sich nicht unter den
Führern der Neußer Truppen, die nebst ihren Stellvertretern
lekannt sind*. Auch in den ?onsli^cn Listen der StruBburger
Offiziere laßt sich Tuschs Name nicht nachweisen.
Es bleibt nun uueh die Möglichkeit, daß Tusch nicht als
Soldat oder Offizier, sondern in irgend einer andern Stellung
die Slraßburger Truppen auf ihren Zügen begleitete. Als Arzt,
Geistlicher, Schreiber vielleicht? Hierüber können wir auf
Crund der B. H. allein nichts näheres feststellen.
Auch die Akten des Straßburger Stadtarchivs und das
ßürgeibuch wissen von einem Hans Eihart Tusch oder Tysch
nichts. Dagegen linden sich verschiedene Spuren eines Hans
Erhart Dusch um jene Zeit,
So findet sich in dem auf dem Straßb. Si.-Arch. befindlichen
Bürgerbuch I (1440-1630) beim Jahre 1460, Spalte 106, fol-
gender Eintrag :
«bise hant ir burgreht abgeseit anno x I.X w. Es folgt ün
dritter Stelle: «Item hanns erhart dusch hat sin burgreht abe
geseit vff den palm abent«. {— - 6. April 1460).
Ferner befindet sich in AA. 294 ein nicht datierter Zettel
mit Notizen über Vorbereitungen zu einem bevorstehenden
Feldzug, der mit den Kidgenossen zusammen unternommen
weiden soll.
i S. o. Militärische Erfahrung ferner zu entnehmen: 369, 3,
1-2; S9fl, 2, 3-4.
a WiederhoH aufgezählt im Straßb. St-Aroh. AA. 273.
,\ - D-iciralftOTi
UWEM1Y0" MICHIGAN
- 142 —
Es sollen dem Heere cctlich die welsch können* beigegeben
werden. Es heiß! weiter: eist diser noch geschriben gedoht
in die revee» : tfrantz nage kan welsch» (folgen zwei Namen)
«Ileui haus erharl dü&cbj.
Es befinden sich weiter in AA. 281 zwei Briefe \on einem
Hanns Erhalt Dusch, vorn 24. und 20. Juli 1470 (Nr. 26 und
24), gerichtet an Jakob Ber« in Straßburg upd an seine Frau
Eve Düschin ebenda.
Die Schrift ist flieBend und läßt auf ziemliche Uebung
schließen, was bei einem Kriegsmann jener Zeit auffällt. Der
Brief an seine Frau ist sorgfältiger geschrieben als der an Ber.
Wir göbän dies© zwei Briete in chronologischer Reihenfolge
wieder« :
Str. SL-Aieh. AA. 281, 24.
Brief vom 20. Juli 1475.
Der erbern frauw Eve Duschin zu straszburg myner lieben
busz frauwen.
Mynen frunllichen grüsz liebe husz frauw. Wisz das wir
alle gar gesurt sint vnd vns von goaden des Almechtiyen gottes
wol get, des glich beger Ich von dir vnd Jallen vnsernn ge-
truwen lieben frunden zu verheren allezijt | wisz daa wir vfT
hüt vmb den mittäte ein gute statt ond ein scblosz dar inn
gewonnen haben mit eym stürm rn vnd dar mnetich erstochen
vnd gefangen, und weysz noch nil ob wir die brechen werden
oder nit J doch so halt ich wol «sie werd gebrochen oder ver-
brunt f auch so wollen wir furbasz für ein ander slosz vnd statt
rucken i da mir nit zwyfelt das wir auch die glucksamlich er-
obernn werden. Anderes weisz ich dir disz mol nil zu schrihen
wenn so vil das mich wundert das du mir nit noch bisz har
Vornagols* halben gesehriben ha3t vnd wie es dar urnb stände
vnd best du gefrrtnt so nyrnm ria^ dar vff also recht ist / Vnd
wenn die frörmnge usz kompt so nymm ein furvsz dagen dar
vff \elen wir dann so istes nit vmb vi I zu tun J deich gloub
ich fch hab mit tnymm herren herr Peter Schotten * zu wegen
1 Jakob Ber ist zu lesen, nicht Jacob Bor, wie Witte in der
Zs. e. 0. Rh.. H. F. VIII. S. 223, A. will, wo dieser Brief Düschs
ermahnt vird.
3 Die Schreibung der Worte ist beibehalten, die Abkürzungen
aufgelöst, doch sind die großen regellos mitten im Sata auftretenden
Buchstaben durch kleine ersetzt. Umgekehrt sind einige kleine Bach-
staben durch große ersetzt bei Eigennamen.
a Name.
4 Berühmter Aiameißter von StraQburg, Urgroßvater von Jakob
Sturm. War Ammeister 1470, 76. 82 und 88. In der Zwischenzeit,
leistete er als Feldherr and als Diplomat der Stadt Straßburg her-
,1 D-iciralftOTi
& IV - U ^ I VE05I TY " MIC HIC AN
- 143 —
brocht das mir etwas an mynen schulden werden sol ) dann
man ist im nnc.h etwas von siner biiien schuldig blyben } Wirt
mir dann hie und dort gelt was mir dann vberugs wirt wil
ich wyder schaffen mit hilff mynes herren das es denen weide
den er schuldig ist vlT das ich in uit vber uymm. Grüsz mir
[durchstr. . liivini] vnser mutier swester kinde frunüe Marien
vnd als sin volck vnd sag [durchstr. ; ich wolt den dryen vfl
dem pfenning 1 ] her Ilur.s Munch f des glichen auch mynen
dienst vnd allen denen der kantzelien. Vnd gib im ey bussei
vol scbrifcsandca das mir der nehate bott der vns geschickt
werd mit im bringe / dann ich sin gar hedurfflich würde.
Disz mal nit nie dann $olt pflege uwer oller noch dem besten.
Geben im leger au lyle vff dondor&tag ver sant maria magda-
lenen dage Anno x LXXV i«
H - E • D -
Str. Sl.-Arch. AA. 881, 23.
Briet' vom 24. Juli 1476.
Dem ersamen tnrnemen Jacob Beren, burger zu slraszburg
rnym innsonndern guten frundc.
Minen frnntlichen dinst zu vor lieber Jacob ( nuwen wor-
liehen liandcl vch zu echriben, weisz ich n:t anders nie dann
das mynem herren Lyle halben \orgeschriheti ist j was sieh
ab^r furler [durchslr. : Lyle halben] begeben wirt so verr ich
zyl gehaben mag wil ich uch gernn zu wissen tfln | \mb
willen furler uwer ratsfrunde vnd die scheffel sant Thomar.s
plan I auch ander vmb cancelie vnd vngelt der dinge zu berich-
ten | ir niögent auch den selben uwern buntgenossen 8 riemen
dz man ir ehisam Kit 211 crem» vsz irem rat für einen but-
meister gezogen | vrtd gemäht bei Bartholorneus Barpfenuig* ;
der mir VM der bute hei lossen werden disz buch das ir den-
selben als ein rechthnrh leijgen vnd für haben mögen I doch
werdent ir vil schöner rechenschaJU vnd offenture dar irme
vprstpn I sollich hiich tiet nyner von lyle by irne gehebt vff
vorragende Dienste.. Näheres iinrt Lit. filier ihn s. Mone IIT, S. 276,
Spalte a, A. *.
1 Zu ergänzen ist jedenfalls «türm». Der Pfenrjigturm war ein
turmaitiges Gebäude, in dem der städtische Soh*tc und die wicktig
sten Urfcanden aufbewahrt wurden. Die «Dreier auf dem Pfennig-
en ■ waren Finanzbcnrnte.
2 War Stadtschreiber.
8 = Kollegen.
* Brief denselben, in dem er sein Amt erwähnt In AA. 291. Am
Anfang des 16. Jährt underts verschiedeneroale Ratsmilgliec 1 . Weitere
Mitglieder dieter starken Familie werden in den K&tslisten des lö.
und 16. Jahrhunderts häaüg erwähnt; 5. auch JW dt I. 43J und 441 0.
,[ . r>iciralftOTi
^ lv - UWERfllYO'MICHKAN
- 144 —
den dag als die stalt gewonnen wart f der nvalewandijf vsz der
statt mit andernn ins* wasser gefallen vnd in einen werd können
ist | dar inne sie die py genossen funden vnd erstochen haben J
sollich hüeh treib das wasser ab vnd ward gantz nasz vnd
wider gelandt das ich dar noch wider gretrucken;. habe |
das ich ueh hie schick hisz Ichs har noch bm gelesen mage j
wellentz nit zu vndtmck sonder in gülerschymplflicher meynung
vermerck | dann ich ucli die auw zu lallende ere uwer hunt-
genoszschuiTt ' nit lenger verhalten wollt. Ich bilt uch mynen
lierren des selbeu buuries, deu bereu der canizilien vnd viigells
mynen diost zu sa^en ( wissen das wir vff hüt dato disz brielts 9
für Grange geruckt sint die ku erobernn des ich uch bitt vos
heils 2U bitten f des wir vast bedorfflich sint so wol gejfen
Icncn vnd vi Hiebt baaz die >nser frunde sullent sin | also gein
den finden als har noch clerlicher wnrl geseit | sag mier
mincr huez frauwen min j^esuntheit vnd frunllichen gräsz wen
ich kein zijt zu schribeu hell. Geben vor Wie als der reysi^e
gezuge wol vfT ein mile vsz dem leger gerucket was vfl sant
Jacobs oben Anno x LXX.V 10
Hanns Erhart
Dusch x..
In dem «JuveiiUire soinu aiie des archives communales de
la ville de Strasbourg anterieurs ä 1780* von J. Brucker, Straß-
burg lo*7ß, ist der Verfasser dieser zwei Briefe, Dusch, als
xcapitaine» bezeichnet. Diese Angabe scheint, da wir sie nir-
gends bestätigt finden, auf einer bloßer Annohme zu beruhen.
Weiterhin fragt es sich, ob der Schreiber dieser Briete
und der weiter erwähnte Dusch, der «welsch» kann und der-
jenige, der im Jahre 1460 Slraßburg verließ ein und dieselbe
Person sind. Diese Frage ist zu bejahen, da der heule nicht
seltene Name sich damals in Slraßburjr sonst nicht nachweisen
läßt, womit allerdings nicht ausgeschlossen ist. daß noch weitere
Mitglieder der Familie Dusch in Straßburg lebten. Wir müssen
dies nach dem Briefe Düschs an seine Frau sogar annehmen.
Unmöglich erscheint es jedoch, daß zu derselben Zeit mehrere
Mitglieder dieser Familie die Yunumen Haas Erhart führten.
Näheres über die Familie Dusch festzustellen, war nicht
möglich« du die Kirchenbücher nicht so weit Zurückreichen
und das erwännte Bürgerbuch nur eine Art polizeiliches An-
und Ahmeidebuch ist, in dem das seßhafte Element kaum er-
wähn! wird.
i = Soliepen, s. o.
* Kanzleistil. Derartige Wendungen finden sieh in zahlreichen
Urkunden jener Zeit
,l r D-iciralfroTi
ö 1 *" ■ UWERHIYO'MICHKAN
— 145 —
Soviel sieht jedenfalls fest, daß der Hans Erhart Dusch,
der im Jahre 1460 Straßburg verließ, der H. E. Dusch, der
«welsch» kann und der Briefschreiber sehr wohl diesellte Per-
son sein können, ja die größte Wahrscheinlichkeit, daß Iden-
tität vorliegt, bleibt ans obengenanntem Grunde bestehen.
Auch bei einer Untersuchung der Lebensverhältnisse Dusche
sind wir, da ja die genannten Quellen für unsere Zeil versagen,
gan2 auf die wenigen Schlüsse angewiesen, die wir aus den
Briefen ziehen können.
Aus ihnen ergibt sied, daß ein Hanns Erhart Dusch, der
nahe Beziehungen zu den Kanzlei- und Finanzbeamten der
Stadt. Straßbur^ hatte, dessen Frau und Verwandte in dieser
Stadt lebten, der also kein Kleriker war, in dem Heere vor
L'Isle anwesend ist. Derselbe scheint im Dienste des früheren
Ammeisters Peter Schott zu stehen und hat literarische Inter-
essen, wie daraus hervorgeht, daß ihm ein Buch aus der Beule
von L'Jsle überlassen wird, das er einem Bekannten sendet,
um es nach seiner Rückkehr in Ruhe lesen zu können. Er be-
sitzt also eine gute Bildung. Dazu würde die andere Nachricht
passen, nach der er auch französisch sprechen konnte. Nur
wie es sich mit der Entfernung Boschs aus Straßburg und
seiner Rückehr dorthin verhält, bleibt dunkel. Er hatte sich
wohl eine Zeitlang in fremde Dienste begeben und war dann
wieder zurückgekehrt : ein auf seine Bückkehr bezüglicher Ein-
trag fehlt jedi»ch im Bürgerbuch.
Ist nun dieser H. E. Busch mit unserem H. E. Tusch,
dem Verfasser der B. H. identisch 9
Sprachlich ist gegen die Veruuschung des anlautenden d
und t in jener Zeit, zumal im alemannischen Sprachgebiet,
nichts einzuwenden, zeigt doch die Orthographie gerade in den
ersten Jahrzehnten der JBuchdruckerkunst die größten Willkür-
lichksiteii umi Schwankungen. Zugleich machen sich yegen
Kode des 15. Jahrhunderts Beslrebungen nach Vereinheitlichung,
nach Normalisierung und Regulierung der herrschenden ortho-
graphischen Anarchie gegenüber geltend, die es durchaus mög-
lich erscheinen lassen,' daß das d in ein t umgewandelt wurde'.
Auch der Laut- und Formenstand der Worte in den zwei
Briefen stimmt übet-cin mit der B. H.
Es erhebt sich ferner die Frage, ob sachliche Widersprüche
eich ergeben, indem die der B. H. entnommenen Anhaltspunkte
den aus den Briefen gezogenen Schlüssen widersprechen ?
Welche Angaben sind widerspruchsvoll? Ergibt sich insbeson-
1 In den Urkunden findet sich z. B. nebeneinander dutech. und
tatsch. - AI. Qr. § 179.
10
cS^ UHrrtREITVOr MICHIGAN
— 146 -
dere Uebereinstimmung ober die Teilnahme am Sommerfeldzu;.'
des Jahres 1476 vor Blarnonl?
Derartige Widerspruche sind nicht vorhanden. Die aus der
B. K. sich ergebenden Schlösse finden in den Briefen keinen
Widerspruch» vielmehr ergänzen sich die Nachrichten über den
Dichter in Überaus wertvoller und brauchbarer Weise.
Der Dichter hätte demnach an der Schlacbi und Einnahme
von Hericourt und der Belagerung: von Neuß teilgenommen,
das er wohl kurz nach dem Abzüge Karls d. K., kurz nach
dem 27. Juni 1475 (390, 1) mit andern Sliaöburgern he-
suchte. Sofort nach seiner Rückkehr hätte er dann dein
Zug: vor L'Isle und Blauiont sich angeschlossen, wie au» der
B. H. sowie den zwei eben wiedergegebenen Briefen sich er-
geben würde. Daß der Dichter den ganzen Feldzug mitmachte
und nicht nur die Belagerung von L'Isle, ist, wie bemerkt,
sehr wahr schein lieb. Diese Annahme würde bestätigt durch
die in AA. 274 enthaltenen Briefe (s. u.), die der Dichter
wohl als Schreiber im Auftrag der Hauptlcatc schrieb'. Von
weiteren Unternehmungen der Verbündelen in diesem Jahre
erfahren wir aus der B. H. fast nichts — wohl weil der Ver-
fasser nicht selbst dabei gewesen war, — Am Samstag vor In-
vokavit, .im 2. März 1476 (41tf, 3 und 6) finden wir ihn wieder
auf dem Schlachtfeld von Grandson, einige Monate später, am
22. Juni (429, 3) auf dem von Mnrten und endlich auf dem
von Nancy, am &. Januar 1477 (440, 5).
Weiter ergiht sich ans den Briefen, daß Dusehs Vermftgfins-
verhSltnis.se keine glänzenden waren; seine Frau muß durch
ihrer Hände Arbeit Geld verdienen und er selbst bekommt nur
schwer von seinem Herrn sein Geld ; dazu paßt die Bemerkung
der B. IL, deren Verfasser sich acarm> nennt, s. o.
Dusch' s Schreibkunst, seine Beziehungen zum Stadtschreiber
und den Kanzleien sowie die Erwähnung des Schreibsandes
legten den Gedanken nahe, zu versuchen, auf Grund einer Ver-
gleichung der iu den damaligen Urkunden und Briefen auf-
tretenden Schritt mit den zwei erhaltenen Briefen Düschs fest-
zustellen, ob er vielleicht als Schreiber talig war.
Da ergab sich denn auf Grund eingehender Vergleichung
einzelner Buchstaben sowohl wie ganzer Schriftzüpe, daß ver-
schiedene auf den hurgundischen Krieg bezügliche Briefe von
Dusch herrühren. Ganz besondere deutlich ist Düschs Schrift
I Der erste dieser Briefe stammt aus dem Lag&r von Kosten
holz vom 10. Juli (AA. 274, 18), der letzte (AA. 274, 43i teilt mit.
daß die Rückkehr der Truppen am Sonntag den 27. August *« er-
warten sei.
,\ - D-iciralfroTi
*"■ IM I7EM1Y0" MICHIGAN
— 147 —
in den Berichten an cMeisUr und Rat der Sladt Straßburg»
vom Sonimerfcld2ug 1475 zu erkennen, vielleicht deshalb, weil
die Zeit der Abfassung dieser Briefe derjenigen der iwei er-
haltenen Privatbriefe am Nächsten liegt, AA. 274, 1 besteht
au« ^nsammengehpftpten K^nyprilen tn diesen Briefen, während
die eigentlichen, auf Grund jener Konzepte verfaßten Briete
sich ebenda finden : 18-25, 29—30, 32—35, 37, 39—41, 43.
Danach hätte also Uösch den ganzen Sommerfeldzujj var ßla-
mont als Schreiber mitgemacht J.
In der Tat ist die Wahrscheinlich kei', daß Dusch dem
Schrei »erstand, diesem «theqiiemstpn Mitteinnsien 7wisr,hen well-
lichem|und pcistlichem Slando angehörte, sehr #roßV
Kr hätte dann als Schreiber, Privatsekretär oder in ähn-
licher Stellung das Heer begleitet und über dessen Taten be-
richtet.
Auch die in der B. H. vorkommenden franziisischen Wnrte
sowie dio eich aus ihr ergebende höhere Bildung des Verfasser«
würden durch die Annahme, daß Haus Erliart Tüsdi aus Straß-
hurg und Hans Erhart Dusch aus Straßburg ein und dieselbe
Person sind, erkliirt.
In der Tat wird diese Annahme, wie wir sehen, in jeder
Weise bestätigt, su'daß wir uns für berechtigt hallen, Dusch
für den Verfasser der H H. su erklären]^ uno m^'Tüseh eine
.Nebenform dieses Naineos zu sehen 9 ,
1 In verschiedenen weiteren Schriftstücken aas jener Zeit glauben
wir Duschs Jeder nachweisen zu können, so in AA. 282, 17, £0 a. a.
Eine Ycrgleiehung der Handschriften jener Zeit ist ziemlich schwierig
und es gehört gr>3c Uebang daau. mit einiger Sicherheit aus ihnen
Schlüsse 20 ziehen. Deshalb haben wir uns im wesentlichen auf die
in AA. -74 enthaltenen Briefe bei der Vorgleichung beschränkt und
glauben hier, namentlich in den Konzepten, mit ziemlicher Sicher -
hait Diischs Sehrift erkannt za haben
Bei weiterer Vergteiehong von Aktenstücken würden sieh wohl
nach weitere von Dusch geschriebene Schriftstücke vorfinden und
ei ließe sich auf diesa Weise wenigstens der jeweilige Aufenthalt
Dusch» feaU teilen. Duck iat, wie bemerkt, diese Yergleiehuiig eben-
so schwierig, wie wenig zuverlässig, zumal wenn sie nicht von fach-
männischer Seite ausgeführt wird* Außerdem ist es sehr fraglich, ob
die Resultate der aufgewandten Zeit und Mühe entsprechen würden,
därfte doch zu der Feststellung, daß Dusch als Schreiber das Beer
begleitete, bereits die Vergleichung der Briefe in AA. '274 genügen.
* Wir erinnern an Seb. Brant, Wierstraat u. a.
9 Diese Identifikation scheint, stillschweigend bereits Witte in
der Zs. Ö. Rh , K. F. VIH, zweites Heft, vorgenommen zu haben.
8. 223, A. 2 erwähnt er nämlich die Roirachronik Tuschs tder selbe)
an dem Feldzuge [L'lsle, Blamont] teilnahm> und erwähnt auf S. 228
den oben wiedergegebenen Brief Hans Ürbart Düichs an Jakob Ber.
•9S' € univeWiiyo-Sican
- 148
Die burgundhehe Historie.
A. Ist die R. H. ein Meistergesang?
Aus dem Gedicht des Wiener Codex dürfen wir mit Sicher-
heit schließen, daß Düsen ein Meislersinger war. Das Gedicht
läßt an Künstelei nichts zu wünschen übrig: und auch die Ant-
wort scheint in ähnlicher Weise verfaßt worden zu sein, wie
*ich aus der vielversprechenden Ankündigung ergibt. Zugleich
sehen wir daraus, daß Dilsch auch Beziehungen zu auswärtigen
Mcistersängcrn hatte.
Auf die Form der 3. H. ist weniger Kunst verwendet, so
«laß es fraglich ist, oh wir sie im eigentlichen Sinne als
«Meistergesang» bezeichnen dürfen. Jedenfalls nicht im engeren
rfinne, gehört doch nach J. Grimm zum Meistergesang unbe-
dingt die Dreiteiligkeit der Strophe, die zwei Stollen und der
Abgesang*. Jedenfalls zeigt sich in der B. H. die dem sing-
baren Lied eigene Slupheiitniteiluiiy verbunden mit einem
Streben nach Gleichzahl der Silben und regelmäßigem Wechsel
von Hehungen und Senkungen. Eben dieses den Äbrijcen Heim-
* h ronist en fremde Bestreben scheint uns auf einen geschulten
Sänger, einen Meistersinger, hinzuweisen.
Damit ist noch nicht gesagt, daß die B. H. ein Meisterge-
sang ist*.
Meistersänger waren ums Jahr 1477 in Straßbun? zweifel-
los vorhanden. Gerade in den Reichsstädten des Südens lassen
sich bereits im 14. Jahrhundert Zusammenkünfte bürger-
licher Dichter nachweißen, bei denen Wettsingen veranstaltet
wurden. Ffir Straßburg haben wir zuverlässige Zeugnisse für
die Existenz der Meistersänger (a. u.). Vielfach waren die
Sänger noch keine seßhaften Handwerker, die ihre Kunst nur
nebenbei betrieben, vielmehr waren es meist Wanderpoctcn,
die, von Hof au Hof. von Stadt zu Stadt tiehend, sich mühsam
durchs Leben schlugen 8.
Wahrscheinlich widmete sich auch unser Dichter diesem
Wanderleben, als er im Jahre 1460 Strasburg verließ. Auf
seinen Fahrten hätte er dann die Bekanntschaft fremder Kol-
logen gemacht*, und wäre mit dem zunftmäßigen Betrieb des
1 «Leber den altdcotßchan Meistergesang» Göttirgen 1811,
s. 43. — Vgl. W. Sommer, Die Metrik des Hans Sachs. Halle
1889, S. lOGff.
» Vgl. Grimm, a. a. 0., S. 13«. 139 n. o.
» Wir erinnern an das bewegt© Leben des Nürnberger« Hans
Rosen pl tu und des Schwaben Michael RehAjm.
* Eine ttolehe ist durch den Wiener Codex direkt bezeugt
,\ - rViciralftOTi
UWEWIYO'MICHICAN
— L49 —
Meistergesangs, wie er sich tfo^en die Mitte des Jahrhunderts
zunächst in Nürnberg und Ulm entfaltete, bekannt geworden.
Dieser Aufschwung des Meistergesanges, der sich bald auch äußer-
lich in dem Zusammenschluß zu ueschlosserien Gesellschaften
mit bestimmten Kegeln aeigte, wurde zweifellos in dem damals
geistig so Oberaus regsamen Straßburg beuchtet und aufmerk-
sam verfolgt. Fahrende Sänger, welche diese neue Art des
ifeister&eäangs kennen gelernt halten, kehrten in ihre Vater-
stadt zurück, sargten für die Verbreitung der neuen Gedanken
und führten bald dem Gesang neue Freunde zu.
Um bewährte Preiseänger sammelten sich alsbald wißbe-
gierige Schüler und so entstunden die eigentlichen Meisterschulen.
Im Jahre 1492 vereinigten sich sechzehn Handwerker und
gründeten eine Vereinigung zur Pflege des Gesangs in unserer
Stadt. Eine Chronik" bemerkt dazu: «Diese 16 mann — sin<l
räthig geworden, daß sie das singen anders wollen ordnen, als
man vor ihnen Meistergesang allhier zu Strasburg gesungei»
hat, länger dann niemand gedenken mag (aber nit artlich i — — ».
Aus Strasburg stammt denn auch die älteste «Tabulatui'»,
die älteste Hegelsammlung einer solchen Schule, die wir kennen.
in Dusch glauben wir, wie bemerkt, noch den älteren
Typ, den des fahrenden Sängers zu sehen, der hinauszieht in
die Welt, um dort sein Gläck zu suchen, der es auch nicht
verschmäht, gelegentlich statt der Feder das Schwert zu er-
greifen, oder sich als Schreiher sein Geld zu verdienen. So
stellt sich wohl unser Sänger, als er von den geplanten Ver-
einigungen der bedrohten Städte gegen Karl den Kühueu hört,
seiner Heimatstadt fctrjtfburg zur Verfügung, mit dem Nehen-
gedauken, seiue Erlebnisse poetisch zu »erwerten und beteiligt
sich an den verschiedenen Zügen der Strafiburger Truppen als
Schreiber, vielleicht nuch als bestellter Dichter von Gewerb im
Solde seiner Vaterstadt».
B. Die strophische Keimchronik.
Wie wir bereite gesehen haben, bat Dusch für seine Reim-
chrooik eine sonst für derartige Werke nicht übliche Form, die
Strophenform gewählt. Was veranlüßtc ihn dazu, von der sontl
üblichen Form der paarweisen Reimpaare, wie sie diese Chro-
niken als Aual&ufer und teilweise bewußte'Nachahmerinnen des
1 S : «Fragment« des anpiennes chroniqnes fAIsac« IV.», Stria
jotirg- 1901, p. 202 f.. wo auch die Namen der 16 Mitglieder aufg^e*
tihlt werden. Ein Tusch uder Dusch ist. nicht darunter. — E Martin.
Die Meistersänger so Str&ßbarg. Strasburg- 1832. 3. 12.
- Bin solchar war t. B. Veit Weber aus Freiburg: i. Br., wie
er selbst gelegentlich bemerkt.
r
A rViciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
— IM) —
höfischen Epos liebten, abzuweichen? Suchte sich der Dichter
bewußt ein*» neue Form, oder zei^l er sich von anrlerpn ab-
hängig?
Beschranken wir unsere Betrachtung zunächst aufrias FJsaß,
so ist hier unseres Wissens Düschs B. H. die einzige strophi-
sche Reimchronik, die wir besitzen.
Auch die in paarweiseu Reimen verfaßte Chronik ist in
diesem Lande auflallenderweise sehr schwach vertreten.
So groß der Sinn der EHässer für die Geschichte war, wie
ihre überaus große, ganz einzig dastehende Chronikliteratur
zeigt: dieser Zwittergattung, diesem Gemisch von Geschichts-
schreibung und Poesie konnten sie kein Interesse abgewinnen 1 .
So stoßen wir gegen Ende des 15. Jahrhunderts nur auf
eine Reimchronik, die ebenfalls die burgundischen Kriege
schildert und einen ihrer Hauplteile dein Landvogt des Her-
zogs, Peler von Hapenbach, widmet, nach dem sie mich be-
nannt ist (s. o.)*. Während aber diese Chronik in Kapitel ein-
geteilt ist, beinahe durchweg 1 Reimpaare und nur gelegentlich*
gekreuzte Reime zeigt, ist in [der B. H., wie wir gesehen
habsii, der gekreuzte Reim streng durchgeführt und auch die
Einteilung in Strophen bereits in den ersten Drucken vorhan-
den. Während also die Form der ?wei Chroniken verschieden
ist, stimmt der Ton und der ganze Stil ziemlich überein. Hier
wie dort finden wir epische Erinnerungen besonders bei den
Schlachtenschilderungen, hier wie dort Anklänge an die Volks-
lieder der Zeil, ähnliche Ausdrücke für ähnliche Lagen und
eingestreute direkte Reden.
Die strophische Form ist zweifellos von dem stets slrophisch
gebauten sangbarer» und damals wie heute allgemein beliebten
Volkslied übernommen.
Lilieiidim hal in seinem Vorwort, zum zweiten Band der
«historischen Volkslieder» auf die Bedeutung der ((politischen
Volksdichtungen», der Sprüche wie der Lieder, hingewiesen,
auf ihre Verbreitung und allgemeine Beliebtheit, Diese Dich-
tungen wurden teils durch Vorleser der hörbegierigen Menge
vorgetragen, teils, wie auch heute noch, bei verschiedenen Ge-
legenheiten vorgesungen und wurden so rasch Gemeingut der
Menge. Als Frzherzoj* Sigmund mm 20. April 1474 in Rasel
• ' Vgl. Lor. T. 130.
"- 3. L'ji. I, 130; «Durch diweö sehr Ausgedehnte uud groß-
artig angelegte Reimwerk kommt .übrigens in später Zeit des
15. Jahrhanderta in den veitsn Oebietcu von Elsaß und Schwaben
eine in anderen Landern längst und sehr eifrig" gepflegte Litcntur-
g'&ttiiug /, im Dnrchbruch.>
> ?.. B. S. ATA, 21 ff.
,l r rViciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
— 151 —
einrilt, um die Pfandlande wieder in Hosii? zu nehmen, emp-
•inyeti ihn die Knaben mit einer Parodie des Ostergesangs
(s. Linencron 11, 31).
So bestanden denn auch zahlreiche, als fliegende Blätter
gedruckte Lieder über die Burgunderkriege; vgl. Liliencrun II,
S. 29 ff. i Sprüche und Lieder fanden hei der Popularität jener
Kämpfe großen Absatz.
Natürlich ließen es sich auch die Meislersänger nicht
nehmen, das Ihre zu jenen Gesängen beizutragen. Das Ver-
fahren, geschichtliche Lieder für das $rcße Publikum zu
verfassen, war ihnen nie fremd gewesen. Erweckten doch
gerade diese Gesänge im Gegensatz zu dem formalistischen
Meistei^esang kunrenliouelleu Inhalts allgemeines Interesse. So
erkennen wir z. B. in dem bei Mone III, 154 abgedruckten
Gedicht cBrysaachv den Reat eines von einem Meistersänger
verfaßten, in strophischer Form gehaltenen Gedichts, das ein
Zeitereignis zum Gegenstand bat. Die Strophen bestehen, wie
die der B. H., aus vier kreuzweis gereimten Versen, wobei
Silbenzahl und Gcechlcoht der aufeinanderfolgenden Veree regel-
mäßig wechseln, so daß die zusammengehörigen Reimpaare
gleich viele Silben bilden. Die Strophen 4—7 2eigen noch
kunstvollere Formen«
Die beiden Dichlungsarten, der eigentliche Volksgesang und
das von Meistersangern herrührende Lied, gehen bald gemein-
same Wpge, denn um Anklang zu finden, miißie der Kunst-
dichter sich möglichst dem Volksliede zu nähern suchen.
Fr. Vogt bemerkt dazu : iBerühruiigeu zwischen den beiden
Gattungen bleiben nicht aus, denn neben den Personen ver-
schiedenen Standes, welche an den Ereignissen, die sie besingen,
selbst teilgenommen haben, fehlt es auch nicht an meisterlich
geschulten Dichtern, die gleichfalls auf Grund eigenen Erleb-
nisses oder nach dem Hörensagen solche Lieder für das große
Publikum verfertigen» *.
Wir finden also um das Jahr 1477 eine überaus verbrei-
tete und beliebte aus Sprüchen und Liedern bestehende Lite-
1 In den Aiiiuertmigeii zu einem solchen Gedicht II 114) be-
merkt Lilicnorcn auodrüokiich ; «ßeliT moglioh, daß euch dies echon
1477 als fliegendes Blatt gedruckt war. Die Presse beschäftigte
eioh, namentlich die Straßburgcr im Jahr 1477 lebhaft mit Karl
Ton Burgand > Spatere Drueke des Jedichts siehe ebenda.
» Grundriß 2, 1 =, S. U97; vgl. auch J. Grimm, a. a. , S. 134:
«Die Volbssangßr sachten sich manche einfache Welse des Meister-
gesangs aneueignen, and dieser fiel bllmülig so in den bürgerlichen,
gemeinen Stand herat. daä es schon aus dem Grund, in Ermanglung
anderer Kennzeichen. zTreyfelhaft sein kann, ob ein befragtes Ge-
dicht von einem (am dann so zu sagen) ■wirklichen Meister, oder
^on einen Bänkelsänger in Meisterten gediohtot worden».
r
,\ - r>iciralfroti
*"■ UWEftfllYO" MICHIGAN
— 162 —
ratur, welche die ruhmvollen Kampfe der jüngsten Vergangen-
heit zum Gegenstande hal, der gegenüber die umfangreiche,
in dem hergebrachten Gleise sich mühsam fortschleppende
Reimchronik vollkommen zurücktritt. Nach dem Gesagten ist
es leicht erklärlich, wie ein Dichter auf den Gedanken kommen
konnte, einmal eine Reimchromk in Strcphenform zu schreiben,
um sich die Popularität dieser Form au Nutze zu machen.
Oder, anders betrachtet, der Gedanke lag nahe, die verschie-
denen umlaufenden Lieder zu einem Ganaen zusammenzustellen,
um so ein zusammenfassendes Hill jener Kampfe zu gehen
nach Art der übrigen Reimchromken.
Bai der B. H. kann dies allerdings nicht nachgewiesen
werden, da die Verschmelzung, falls eine solche hier wirklich
vorliegt, sehr geschickt vorgenommen wurde, so daß auffallende
Näte fehlen. Die aHistorie von Peter Ha^enbach» dagegen
(Hain 8346) läßt sich ohne weiteres in verschiedene Gedichte
zerlegen.
Das beste Beispiel bierfür ist jedoch Wierslraats Reim-
chronik, «ein Gedicht, welches durch Verwendung wechselnder
Strophenformen noch deutlicher [als Tuschs ß. H.J den Zusam-
menhang dieser metrischen Form der Beiiuchronik mit dem
historischen Liede verrät» 1 .
In der Tat ist die Entstehung der strophischen Reimchronik
um mit Fr. Vogt zu reden «weder Zufall noch Laune, sondern
ein Ergebnis der besonderen Entwicklung der historischen
Dichtung dieses Zeitraums.» *
Uebcr dic3c der Volkscpilt, die ebenfalls die durch die äl-
teren Lieder üblich gewordene strophische Form übernahm,
•ntsprechende Entwicklung d«r strophischen Reimchronik vyl.
Pauls Grundriß 2, 1«, S. 298.
Mit der Form des Volksliedes wurde aber auch sein Ton
mit übernommen, seine ganze Tendenz. Sein erster Zweck isf
nicht der, triie geschichtliche Regebpnheit ohjektiv als ange-
schlossenes Faktum zu erzählen, sondern es will auf den Gang
der Dinge vom Parteistandpunkt einwirken, die Massen für
seine Auffassung der Dinge gewinnen» ."
Um Dusch einigermaßen gerecht zu werden, um ihn und
den parteiischen Geist, der sein Werk durchweht, zu verstehen,
müssen wir wiederholt en dieses Herauswachsen der strophi-
schen Reimchronik aus dem historischen Lied erinnern, dessen
i Paule Grundriß 2, 1«, 8. 298.
•- Paule Grundriß 2, l 2 , S. 297.
* J. Bacehtold, i. a. 0., 8. 192. Vgl auch Fr. Vogt, Loben
ind Dächten der deutischen Spielleute im Mittelalter, Halle a. S. 1876,
S. 12.
,| rViciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
— laß —
Aufgabe und Zweck es geradezu war, die gegnerische Partei
zu verspotten und Stimmung für oder gegen zu machen. Wir
möchten Düschs Gedicht mehr als eine politische Zeitung be-
trachtei wiesen, die verfaßt ist unter dem lebendigen Eindruck
großer Ereignisse und welche dieselben nun vom Parteisland-
punkte aus beleuchtet, von dem Standpunkte einer an den
Kriegen nächstbeteiligten deutschen Reichsstadt, die durch ihre
Lage dazu bestimmt war» ein Bollwerk des Deutschtums dem
Romanenlum gegenüber zu bilden.
Der hier herrschenden Stimmung, dein leidenschaftlichen
Haß gegen die Welschen, vor allem gegen den stolzen Herzog,
den «Wüterich*, hat unser Dichter Aufdruck verliehen. Daß
er dabei zuweilen die Grenzen der Wahrheit überschritt, können
und dürfen wir ihm nicht verübeln. Fand er doch den Beifall
seiner Zeitgenossen in hohem Maße, wie die Veranstaltung von
zwei Drucken der B. H. in einem Jahre beweist. Er gab ihrem
Empfinden beredten Ausdruck, er sprach aus, was die anderen
fühlten — darin ist er ein Dichter. Außerdem ist es sehr fraglieh,
ob die übrigens nicht allzu häufigen Entstellungen der geschicht-
lichen Ereignisse sowie der Zahlenverhältnisse stets aufs Konto
unseres Dichters zu schreiben sind. Soweit sie nicht in Untei-
lassungssfinripn hestphen, d. h. soweit nicht irgend ein Mißer-
folg der Deutschen unerwähnt bleibt, oder zu kurz abgetan
wird, sind seine L'ngenauigkeiten, wie wir bereits gesehen
haben, verschwindend gering gegenüber der Kulte wirklich
brauchbarer und durchaus zutreffender Angaben.
Selbst Roethe, der dem Dichter gewiß nicht gewogen ist,
gibt die Möglichkeit zu edaß er [der Dichter] vielfach unter
der Herrschaft der Legende stund, nicht selbst fälschte».
Ein Beispiel bierfür ist das vom Dichter wiederholt er-
wähnte angebliche Ertränken schwangerer Frauen zu Lüttich,
das auch in anderen Quellen, in der Chronik von Peter von
Hagenbach und der Leg. sich findet. —
Wir wissen, daß die strophischen Reiinchruuiken vorgelesen
oder auch gesungen wurden. So finden wir z. B. in der
1462—65 verfaßten strophischen Reimchronik Michael Beheims,
dem «Buch von den Wienern is :-.ls Ueberschnft des ersten
Abschnittes die Worte : «Dises sagt von den wienern vnd stet
das man es lesen mag Ms ainen Spruch, oder singen als ain
iei, vnd Michel Peham hat es gemacht, vnd es haißet in seiner
angst weis, wann er uieng es an tu wien in der purg du er
in großen angsten waz. Wer doz singen well der heb es in
disru nuten hie viiden alsu ai.u
i Hrsg:, von Kar&jan, Wien 1*43.
/
,\ - fViciralftOTi
*"■ UWEM1Y0" MICHIGAN
- 154 -
Es folgten hierauf die in Kuiajarw Ausgabe als Beilage
wicdcrgcgcbcnen Noten.
Wurde aber Beheiins überaus umfangreiche Chronik ge-
sungen, 60 dürfen wir dies mit viel größerer Wahrecheinlichkeit
auch für die kuriere B. H. annehmen.
Wir cehen also in d«r B. H. eine strophische Reimebronik,
eine Chronik, die vorgelesen oder auch nach einer bestimmten
Melodie gesungen werden konnte. Diese Art der Chronik hat
von dem politischen Volkslied die Form und die Tendenz über-
nommen, umfaßt ataftr, im Gegensatz zu diesem und im An-
schluß an die übrigen Reimchroniken, nicht nur ein einzelnes,
*ondi»rn verschiedene zusnmmenpehörijre Ereignisse.
C. Die Entstehungszeit der B. H.
Ueber die Zeit der Entstehung der R. H. kennen wir fol-
gendes feststellen.
Nach eigener Angabe des Dichters wurde das Gedicht im
Jahre 1477 geschrieben und gedruckt. Zweifellos konnte der
letzte Teil, der von der Schlacht von Nancy handelt, erst nach
dieser, nach dem 5. Januar 1477 geschrieben werden.
Es fragt sich nun, ob der Dichter das ganze Gedieh! erst
um jene Zeit schrieb, oder ob er Teile desselben bereits früher
verfaßt hatte.
Für die Bearbeitung des ganzen Stoffs nach dem 5. Januar
U77 spricht in erster Linie der Vers 359, 7, der, noch in der
Einleitung, des Herzogs als eines Toten gedenkt: wo burgunner
noch in leben wer.
Demgegenüber st aut die {Möglichkeit hinzuweisen, daß
die Einleitung erst nachträglich zu einem bereits fertigen Teile
hinzugedichtet wurde.
Auch die dauernde Berührung der B. H. mit der Leg.,
die ja auch den Tod des Herzogs noch erwähnt, und die nach
unserer Ansicht dem Dichter bekannt war, als er sein Gedicht
schrieb, ist hier zu nennen.
Besonders aber möchten wir die Abhängigkeit der B. H.
von dem Briefe Ulrich Meltingers von Basel betonen, Dic?er
schrieb, wie wir oben gesehen haben, zwischen dem 2. und
h. März 1476, also spätestens am dritten Tage nach der
Schlacht von Orandsou einen Brief, der Dusch offenbar im
Original oder in einer Kopie zu Gesicht kam. Hätte der Dichter
seine Eindrücke sofort niedergeschrieben, so hätte er schwerlich
so ausgiebigen Gebrauch von diesem Berichte gemscht.
G egen eine gemeinsame nachträgliche Behandlung spricht
vor allem die außerordentliche Frische und Anschaulichkeit der
,1 rViciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
— 165 -
Darstellung, so daß mau geneigt ist, an eine Abfassung uuler
dem unmittelbaren Eindruck der Ereignisse zu denken.
Dazu kommen die langen, sonst in dieser Ausführlichkeit
kaum gebotenen Nampnven'eichnUse, die der Dichter unmöglich
erst nachträglich nach dem Gedächtnis zusammenstellen konnte,
die vielmehr nur an Ort und Stelle angefertigt werden konnten.
Wir werden dadurch zu folgendem Vergleich zwischen den
beiden angeführten extremen Ansichten geführt :
1. Der Dichter war bei einer großen Zahl der geschilderten
Ereignisse persönlich anwesend und notierte «ich die ihn inter-
essierenden Vorgänge, sowie die Namen von Personen und
Schlössern, vielleicht in der Absicht, diese Aufzeichnungen hei
Gelegenheit in metrische Form zu gießen.
2. Es ist nicht ausgeschlossen, daß einzelne Teile des
Gedichts sofort formgerecht niedergeschrieben wurden.
8. Wie aus der B. H. selbst und der Benützung verschie-
dener Quellen sich ergibt, wurde jedoch der jrrößie Teil des
Werks erst nach dem 5. Januar 1477 gedichtet.
Ist die B. H. originell ?
Auf das Verhältnis der B. H. zur Leg. wurde bereits
oben näher eingegangen. Manche Gelehrte erblickten in der
Leg. geradezu reinen Auszug aus der Arbeit des Tusch», was
von andern bestritten wurde.
Unsere bereits geäußerte Ansicht geht dahin, daß dem
Verfasser der B. H. die Leg. vorlag, als er nur Feder griff,
ihr großer Krfolg mag ilin veranlaßt haben, diesen populären
Stoff unter Benützung der ihm als Kriegsteilnehmer bekannten
Einzelheiten nochmals zu bearbeiten. Dieses Verfahren der Er-
weiterung oder der Zusammensetzung bekannter Lieder wäre
nichts besonderes, ist vielmehr im Mittelaller nicht seilen'.
Außerdem ist die Form der Leg. roher und formloser als
die der B. H., dabei aber poetisch durchaus nicht minderwertig.
Immerhin scheint auch dies auf die Priorität der Leg. hinzu-
weisen, so daß wir wohl in Düschs B. H. die erweiternde
Uiuarlieiluug eines Spruchgedichts aktuellen Inhaltssehen dürfen.
1 Pauls Grundriß ?.,[-, 3. 298; «Aub kur& gefaßten Liedern
sotstefien hie und da größere Gedichte durch erweiternde Bearbei-
tung eines einzelnen oder mehrerer auf denselben Gegenstand be&ig*-
liehen Gesänge» R. von Liliencron nahm im großen Sempäßhorhcd
'/« Dutacad kleinerer Licdor an. s Baeohluld, S. 195 ff. und Gerrinus,
Gesch. der deutscher Dichtung, II, S 398. Anm. 471.
,1 fViciralfroTi
*"■ UWEM1Y0" MICHIGAN
— 156 -
Außer der Leg. scheint aber Dusch [noch wehere Quellen
bei Abfassung seines Werks benutzt zu hsben, so besonders
den mehrfach e mahnten Brief Ulrich Meltingers, wie oben
gezeigt wurde.
Wahrscheinlich weist auch 433, 2, 3 — 4 auf die Benützung
einer schriftlichen Quelle hin :
achthundert mee seyt der l»as kan
dar von gessgen dan jch melde.
Wie wir bereiU gesehen haben, lassen eich weitere Bezie-
hungen zu dem Ms. All. H'6 feststellen. Hier ist jedoch die
Aulorfrage sehr verwickelt. Spricht der nachträgliche Ein-
schub in der Chronik dafür, daß dem Fortsetzer Königshofen-«
«tun r6r.it plus develnppAi in die Hände fiel, so hleiht doch die
Frage bestehen, ob dieser Bericht gerade die B. H. war. Jn
sie war es wahrscheinlich nicht» denn dieser nachträglich ein-
geschobene Bericht enthält Angaben, die in der B. H. nicht ent-
halten sind, z. B. die genaue Beschreibung der Rheinfahrt des
Straßburger Fußvolks.
Es scheint beiden Verfassern, dem Forlsetzer Köni^shofens,
wie dem der r». H., ein und derselbe Prosabericht eines Straß-
burgers Ober die Belagerung von Neuß bekannt geworden zu
sein, den beide in ihre Werke aufnahmen und den Dusch in
Verse brachte.
Endlich wäre noch die auch für die Heimat des Verfassers
der B. fl. wichtige Frage zu entscheiden, ob unserem Dichter
die offiziellen Akten der Stadt Straßburg zugänglich waren, ob
sich Spuren der Benutzung solcher in seinem Gedicht nach-
weisen lassen.
Wir haben oben schon wiederholt Gelegenheit gehabt,
auf Akten und Briefe des Straßburger Studiarchivs zu ver-
weisen, um die Richtigkeil dieser oder jeuer Angabe unserer
Chronik daizutun. Vielfach ist es jedoch sehr fraglich, ob die
betreifenden Angaben der LI, II. in der Tat iaus jenen Akten
stammen.
Bei zwei Aktenstücken nur ist eine nähere Berührung mit
der B. H. festzusleller, bei AA. 274, 32 mit den Angaben
über die Beschießung von Blamont und besuuders bei AA. 282,3
mit den sämtlichen im Jahre 1475 und Anfang 1476 erober-
ten auch in der D. II. namhaft gemachten Schlössern nebst
Besitzern ; siehe oben. Gerade das letalere Aktenstück könnte
dem Verfasser der B. H. wohl als Vorlage gedient |haben,
doch wäre es auch möglich, daß der Dichter eigene Auf-
zeichnungen benutzte.
,l r rViciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
- 167 —
Auflallend wäre bei letzterer Annahme allerdings, daß in
beiden Berichten nicht nur die wahrend des Blamonter Feld-
zuges selbst eroberten Schlösser uud Städte aufgezählt werden,
sondern daß beide Listen denselben längeren Zeitraum umfassen,
denn nur so vermögen wir die Uebereinstimmunx der Namen
in ihnen zu erklaren.
Wir kommen somit zu dem Resultat, daß Dusch wahr-
Rcbeinlich einzelne offizielle Akten benutzte, vermögen dies jedoch
mit Bestimmtheit nicht darzutun.
Weitere Quellen, die Dusch für seine B. H. benutzt hätte,
lassen sich nicht nachweisen. Zu zahlreichen in seinem Werke
-Ich findenden Stellen und Angaben konnten wir keine Parallele
auffinden. Diese Angaben erwiesen sich jedoch hei näherer
PrüTung als zutreffend und wir haben sie wohl eis des Ver-
fassers Eigentum anzusprechen.
Immerhin sehen wir aus dem Angeführten, daß Dusch,
was den Inhalt seiner B. H. betrifft, niclil ganz selbständig ist
und daß er es nicht verschmähte, auch fremde Berichte heran-
zuziehen. Dies hängt wohl mit der späten Abfassung seines
Werkes zusammen.
Schwerlich jedoch wäre es dem Dichter gelungen, ein so
frisches Werk zu schaffen, wenn er nicht selbst die Schlachten
mitgemacht und sieb an Ort und Stelle befunden hätte. —
Da die Dreisadler Chronik ebenfalls die burguudisefaen
Kriege behandelt, liegt es nahe, an einen Zusammenhang zwi-
schen diesen zwei elsässischen Chroniken zu denken. So hat
denn auch Lor. I, S. 131, Anm. 2 die Frage gestellt: «Wie
verhält sich die Reimchronik des Hans Erhart Tusch ....
zu der Itreisacher Chronik?»
Doß formale Beeinflussung nicht vorliegen kann, wurde
im vorigen Kapitel bereits gezeigt; wie sieht es aber mit dem
Inhalt?
Wir wissen, daB von der Breisacher Chronik eine Original-
handschrift, deren Verfasser nicht mit Sicherheit festgestellt
werden kann. Instand I. Dieselbe konnte noch nicht aufgefun-
den werden.
Es wäre nun vielleicht möglich, daß Dusch, dessen Gedicht
zu Anfang des Jahres 1477 erschien, einen Teil dieser Reino-
irhronik eingesehen hätte. Wenigstens macht Mone * wahr-
scheinlich, daß ein Teil der Chronik bereits 1474, sofort nach
Ilagenbaehs Tode, verfaßt und erst der Schluß, wie auf S. 417
zu lesen, im Jahre 1480 hinzugefügt wurde.
■ Hone HI. 258.
« Hone III, 251.
,l r fViciralftOTi
t> ,v - UWEM1Y0" MICHIGAN
— 168 —
Dazu würde passen, daß e;iier der Hauptteile der Breisacher
Chronik, der von Peter von Ilagenbach handelnde, bei Dusch
auf S. 390 — 393 sehr kurz abgemacht wird, vielleicht, weil es
dem Verfasser bekannt war, daß eine anderweitige Bearbeitung
dieses Stoffes bereits bestand.
Auf der anderen Seite ist zu betonen, da£ in den zwei
Chroniken, welche ja dieselben Ereignisse behandeln, nähere
Beziehungen oder irgend welche Angaben, <lie auf eine gewisse
Abhängigkeit der zwei Chroniken voneinander in formeller oder
inhaltlicher Beziehung schließen lassen könnten, nicht aufzu-
finden sind.
Die literarischen Vorbilder der Breisacher Chronik «deren
Form sich so vollendet zeigt, daß irtao dem Verfasser eine große
Bekanntschaft und Vertrautheit mii diesem großen Zweige der
Literatur zuschreiben muß» sind noch nicht genau festgestellt.
Jedenfalls fand der Verfasser am Oberrhein kein Vorbild, das
ihm hatte als Muster dienen können 1 .
Deuleu einige mittel- und mederrlieiiiische Funneu im
Reime z. B. Kapitel 4, 17—18, wo [gefallen : kallen (reden)
reim ', auf niederdeutsche Vorbilder, die auch Lor. anzunehmen
scheint, so ist andererseits einer Annahme niederdeutschen
Einflusses gegenüber zu bemerken, daß für das Elsaß in oraler
Linie oberdeutsche Chroniken als Vorbilder in Betracht kommen.
^* Obcrihcin, Schwaben und die Schweiz mit der Universität
Heidelberg, der sich im 15. Jahrhundert Freiburg (1454) und
Basel (1'itO) beigesellten, gehörten zusammen und bildeten ein
zusammengehöriges Ganzes', einen Kulturkreis, innerhalb dessen
rege Beziehungen aller Art lebendig waren.
Von diesem Kreis haben wir bei der Untersuchung litera-
rischer Einflüsse zunächst auszugehen und wollen versuchen,
hier strophische Reimchroniken nachzuweisen, die dem Dichter
der R. H. als formelle Vorbilder dienen konnten.
Wir erinnern uns in erster Linie verschiedener Chroniken
des {Hauptveureters dieser Gattung, des Schwaben Michael
Beheim.* 1416 zu Sülzhach in Württemberg geboren, verfaßte
dieser überaus fruchtbare Dichter, der lange Zeit teils als
Kriegsmann teils als Meistersänger in fremden Diensten stand,
neben verschiedenen historisch wertvollen Liedern 6 zwei um-
> Lor. i, 131.
1 Mone III, 256.
> S. Zarncfce, Eml, zum Karr., S. XU u. A. 1.
* Vgl über ihn Barts&h in A. d. B. 2, 260 f. nni Pauls Grund-
riß 2. 1 *, 3. «298 f.
' «ZeJin Gedichte Michael Beheimb zur Geschichte Oesterreichs
and Ungarns». Herausgegeben von Earajaa ia «Quellen aad For-
,[ . D-iciralftOTi
U "J IVER5I TY " MIC HICAN
— 1Ö9 —
fSngliche strophische Reimchronilcen, die uns hier näher inter-
essieren.
Die eine, das cRuch von den Wienern», umfaßt die Er-
eignisse der Jahre 1462 — 1466 und wurde auch um diese Zeil
gedichtet. Der Rau oVr Strophe ist höchst einfach, ihr Schema :
aabbee, und zwar sind die vier ersten Verse männlich, acht-
silbig und vierhebig, der Abyesang weiblich, meist siehensilbig
und rlreihebig.
Als Beheim später bei dem Kurfürsten Friedrich 1. von
der Ffalz ein Unterkommen gefunden hatte, verherrlichte er
dessen Leben ebenfalls in strophischer Form. Diese Chronik '
reicht bis 1471 und ist gedichtet auf Grund einer Prosabio-
graphie.
In der Schweiz finden wir vor dem Erscheinen der B. H.
keine eigentlichen strophischen Reimchroniken, wenn wir nicht
die zu Anfang des 16. Jahrhunderts verfaßte Reimchronik des
Appenzellerkriegs* als eine solche betrachten wollen. «Es ist»»
sagt Lor., «nicht eiue fortlaufende Efzäiiluiifcj, was der Reim*
ebronist bietet, sondern eine Heine von Schilderungen, welche,
einzeln betrachtet, sich mehr den historischen Liedern, als den
großen Reimchroniken des 14. Jahrhunderts vergleichen lassen.
Die siebzehn aufeinanderfolgenden Kapitel sind auch äußerlich
durch Anfang- und Sch!ußverse jedesmal wie ein besonderes
Ganzes behandelt. Das Werk hält aich gleichsam in der Mitle
zwischen dem historischen Lied und der eigentlichen Reim-
chronik, allein es gab keinen Anstoß zur Weiterentwicklung
der letzteren Gattung von historisch-literarischen Quellen. Es
war such nur sehr wenig verbreitet und lange Zeit in der
Bibliothek von St. Gallen gänzlich vergraben.»
Aus letzterem Grund, zugleich auch wegen der formellen
Verschiedenheit — die Chronik ist in paarweisen Reimen abge-
faßt — ist an einen Einfluß von dieser Seite nicht zu denken.
Die nächste Reimchronik finden wir erst nach der Ent-
stehung der B. H. 2U Anfang des 16. Jahrhunderts in der 1600
abgesL-hloseenen Chronik des Sehwabenkriegs des Joh. Lenz*,
Rurger zu Freiburv« der in seine in Reimpaaren abgefaßte
Chronik verschiedene teilweise selbstgedichtete Lieder eintlichi,
schungen zur vaterländischen Geschichte, Literatur und Kunst*.
Wien 1849, S. 1 65. Weiter© Gedichte in Doeens «Sammlung für
altdeutsche Literatur und Knast», Bd. 1. Breslau 1812, S. 37—74.
i 2. n. 3. Huch krag. Ton Hofmann in -Quellen und Erörterun-
gen zur bfcyer and deutschen Geschichte» 111, Müncnen lb63, S. 1 —
258 u. 316—324.
8 Hrsg. von J. von Ärx. St. Gallen 1830.
« Hreg. H. von Eiesztach, Zürich 1849. Vgl. Baechtold 3. 200ff.
,1 D-iciralftOTi
& IV - UWEMTYO" MICHIGAN
- 160 -
zum Beispiel S. 28, S. 70 und besonders am Schluß S. 149 ff.
Hier erkennen wir deutlich den Uebergang von der paarweis
gereimten zur strophischen Reimchronik.
Wir Anden also am Oberrhein und in der Schweiz neben
Heheims Dichtungen keine strophischen Reimchroniken, die
dem Verfasser der B. H. die Anregung zu der von ihm gewähl-
ten Form hätten geben können.
Nun ist alier die Strophe der D LI., im Gegensat! zu der
von M. Benenn gebrauchten, vierteilig und kreuzweis gereimt,
so daß aho ein Einfluß Beheims auf die Form der Strophe nicht
anzunehmen ist. Wohl aber kann Dü9ch durch dessen Werke
dazu angeregt worden sein, einen mehrere Jahre umfassenden
Zeitabschnitt in strophischer Form zu besinnen.
Ob Dusch mit dem Dichter des cDuchs von den Wienern»
persönlich bekannt war, ob er mit dem Hofsänger des Kur-
fürsten und Walzgrafen heim Rhein, Friedrichs des Siegreichen,
am Heidelberger Hofe, in Wien oder sonst zusammentraf,
oder ob er nur von dessen Dichtungen gehört hatte, wiesen wir
nicht.
Es ist allerdings nicht wahrscheinlich, doß Dusch den
Heidelberger Hof besuchte. F.r, der entschieden auf der Seite
des Kaisers «tand', verweilte wohl koum an' diesem, dem
Kaiser feindlich gesinnten Hofe, wenn wir nicht annehmen
wollen, daß er, wie nicht wenige eeinar Kollegen, dem Grund-
satz huldigte: «Wes Brot ich eß', des Lied ich sing'.»*
Daß niederdeutsche Roimchroniken, wie etwa die Wier-
slraats, die in Straßburg kaum gelesen und verstanden wurden,
auch wegen ihres lokalen Charakters wohl kaum besondere
Aufmerksamkeit erregten, Einfluß auf Dusch gehabt hätten, ist
nicht anzunehmen, da sich von dieser Seite her weder sprach-
licher noch formaler Einfluß in der B. H. zeigt.
Wir glauben bei der Entstehung der B. H. mehr an spon-
tan« Einflüsse denken zu sollen.
Besonders beachtenswert scheint uns z. D. die hinlänglich
bezeugte Anwesenheit des Dichters im kaiserlichen Lager vor
Neuß. Hier hatte er Gelegenheit genug, mit andern Sängern
1 Vgl. 387, 3, 4-4, 4.
» Vgl. Mich. Beheims Reimchronik, in »Quellen und Forachna-
gon cur bayerischen uni deutschem Geschichte» 3. Bd., Manchen
1863, S. 258:
Der fürst mich nett in kneehtes miet
ic'i aft Bin hrot vnil B&i)g sin liei.
et ich ?.u einem andern kam,
ich UcliL im auch, tut er mir drum.
-ich sag- lob sfnem Tiamen.
' ' "Pgk UNMREITVOr MICHIGAN
— 161 —
aus allen Teilen Deutschlands in Berührung zu kommen. Im
Lager und in Jen umliegenden Dörfern ging es da oft recht
lebhaft zu, Kampf und Streit wurden vergessen, Becher- und
sanjcealust triten in ihre Rechte und auf beiden Seilen begann
«süßer, sanflei Melodie lieblich Juikiliren* Ums Feuer geleert
lauschten die Kämpen dem Sänger, der ihre Talon pries und
brüllten auch wohl selbst von Zeil zu Zeit ein derbes Söldner-
lied. JDie^ö Laj,'erstimmung tritt uns gelegentlich in einer Stelle
der B. H. (423, 3, 3 ff.) entgegen, aus der wir auch den Namen
eines dieser Lieder [herunckenbunckji erfahren.
In dieser Umgehung schrieb unser Dichter wohl die ersten
Veisfc seiner B. H. und faßte allmählich den Plan, den ganzen
Feldzu^ au besingen.
Zur Zeit der Entstehung der B. H. kannte Dnsch auf 1er
einen Seile die Spruchgedichte in paarweise gereimten Veisen.
die unter großem Beifall überall voryelritgen wurden. Anderer-
seits erfreuten sich auch die sangbaren Lieder, die einzelne
Abschnitte des Krieges behandelten, allgemeiner Beliebtheil.
So lag der Gedanke, den unser Sänger zur Ausführung
brachte, Aberaus nahe, ein Werk zu schaffen, das wie dei
historischen Lieder sangbar sein, zugleich aber auch, wie ein
Teil der Sprüche, verschiedene Ereignisse, den ganzen krie^r,
umfassen sollte.
Die Urteile über Dusch und sein Werk tauten ziemlich
ungünsliy. So wird die B. II. von Friedrich Vogt* geradezu
als abschreckendes Beispiel einer strophischen Reimchronik
zitiert: «Eine solche ist Erhart Tuschs im Jahre 1477 tu Straß-
burg gedruckte hurgundische Historie, ein entsetzliche« Geleier
in mehr als 600 Strophen von Karls des Kühnen Fefdzügen.»
Eine eingehendere Hespreehun;», auf die im Vorsiehenden
wiederholt Bezug genommen wurde, widmeleclerselbenKoel he». Kr
schließt seine Besprechung mit den Worten: (Bin untergeord-
neter Bursche also, dessen Gesinnung und Talent vielleicht für
ein derbes Siegeslied unmittelbar nach der Schlacht ausgereicht
hätte, der aber an iler größeren AutgaLe klaglich scheitert,»
1 = Herr OnkapaunU Vgl. Johann Fiscaarta yeschichtklitte'
rung (Gargantua.) in den «Neudrucken . . .>, Halle ft. 8. IHM, S. 10:
Sang auch . . . :
Aach wie Bruder Jan Onkapauiit
Mit der Kreuths ituineu. fociit, . . .
und S. 380 ff.
* Tanla Grundriß 2, 1«, S. 208.
' A. d. B. &. a. 0.
11
,l r D-iciralftOTi
*"■ UWEM1Y0" MICHIGAN
— 162 —
Wir möchten uns diesen beiden Urleilen nicht unbedingt
anschließen, obwohl wir der zahlreichen Mängel des Werkes
uns wohl bewußt sind und diese Ansicht auch an geeigneter
Stell© bereits zum Ausdruck gebracht nahen.
Dusch stellt nach Hoethe, «die Höhepunkte, die Taten von
Neuß, Hericdurt, Blamont, Granrisnn, Murten und Nancy ohne
rechten [febergang nebenoinander>.
Hepthp fährt fort: cSolche Beschränkung auf die rfaupt-
szenen des Trauerspiels würde Lob verdienen, wenn das Ganze
ein Sirehen nach künstlerischer Einheit verriete. Davon ist aber
keine Rode. lösch ist ein elender, ungeschickter Darsteller,
der den Stoff in Einzelheiten verzettelt. Wie kläglich schil-
dert er bei aller Ausführlichkeit die berühmte Belagerung von
NeußU
Dieses Urteil ist nur zutreffend, wenn man das Gedicht
als ein Ganzes betrachtet; Wir fühlen hier deutlich die Seh wie
rigkeiten, mit denen der Verfasser auf Schrill und Trili zu
kämpfen hatte. Wir glauben aber andererseits die Anschau-
lichkeit de* Gedicht» im einzelnen betonen zu müssen. Hier
braucht nach unserer Ansicht die B. H. den Vergleich mit
anderen Gedichten ihrer Zeil nicht zu scheuen, und wir können
uns Kcelhe nicht anschließen, der, nachdem er im einzelnen
Düschs Schilderung der Belagerung von Neuß besprochen hat,
fortfährt: «Aber auch die äußerst charakteristischen Schlachten-
bilder von Grandson und Murlen verwischt der Stümper voll-
kommen». Dieses Urteil scheint uns entschieden zu hart. Man
vergleiche z. B den auf die Schlacht bei Nurten bezüglichen
Teil der B. H. i mil dem entsprechenden Gedicht des besten
Dichters joner Zeil, Veit Webers*. Es ist dies wohl eine der
schwerslen Proben, die wir der B. H. auferlegen können und
sie fällt denn auch zu ihren L n^unsten aus. Der Grund jedoch,
weshalb wir Veit Webers Gedient vorziehen, ist nur in
der größeren tormalen und sprachlichen Gewandtheit dieses
Dichters zu suchen. Der Grad der Anschaulichkeit scheint uns
durchaus derselbe zu sein.
Wir geben einerseits ohne weiteres die Mängel der B. H.
zu, <tie mangelnde Sprachbeherrscbun^, das Verzetteln in Ein-
zelheiten und das kunstlose Nebeneinanderstellen der Haupt-
erei&nisse, das vielleicht durch die Art der Entstehung der
Chronik au erklären is;. Daß Dusch kein Sprachkünstler ist,
1 Oohuenbeia, a a. 0., S. 443 f.: B. H. 426, 0, 4 ff [
» Ochsenbein, a. a. 0., S. 448 f.; LUißicron II, 92 ff. Bei
Oehsenbein S. 19iff. weiter© auf dieaelbe Schlacht bezüglich« Ue-
dichte,
,l r rViciralftOTi
*"■ UWERSIIYO'MICHKAN
- 163 -
haben wir wiederholt bemerkt. Die sprachlichen Schwierig-
keiten, mit denen er zu ringen hatte, führten ihn zu jenen
kühnen Konstruktionen und Worlkürzuripen, welche die Ge-
duld des Lesers auf manch* harte Prnhe stellen unri ihm unter
Umständen den Genuß an der Lektüre verderben.
Wir müssen jedoch andererseits neben den Schattenseiten
auch die guten Seiten unseres Dichters, die volkstümliche Frische
seines Stils und die Anschaulichkeit seiner Darstellung im ein-
zelnen anerkennen- Ebenso schlagen wir ihm sein starke«
patriotisches Gefühl, auf das wir bereits hinwiesen, hoch an.
Wir hallen diese Betonung des Nationalen für eine der bebten
Seiten unseres Dichters, der bereits in jener Zeit der Zer-
splitterung den Wert des Zusammenhalts und der Einigkeit er-
kannt und dieser Ueberzeugung wiederholt beredten Ausdruck
verliehen hat.
Aus den eben^euannten Gründen können wir uns den
beiden angeführten Urteilen nicht anschließen, da sie unserer
Ansicht nach dem Dichter Dicht gerecht werden.
Treffender erscheint uns das in der Einleitung der Alsatia,
S. 350, abgegebene Urteil, dem wir vollkommen beistimmen.
Es lautet folgendermaßen ; «Dabei glauben wir, irn Allgemeinen
das L'rtheil aussprechen au Kumten, daß das Gedicht hinter des
gleichzeitigen Veit Weber*« Kriegs- und Siejcsliederii zurück-
geht, dagegen viele andere, im färb- und leblosen, pedantischen
Tone der Meistersän^er jojrefaßlen Reimwerke überragt.»
"Verzeichnis der oft und daher abgekürzt
zitierten Werke.
A. d. B. = Allgemeine deutsche Biographie. Leipzig*
187ft ff.
AI. G-r. = Alemannische Grammatik von K. Weinhotd,
Berlin l*M>3.
Als. =. Alsatia, Zeitschrift hrsg- von August Stober,
Coiraar I8n0— 7ß. Ohne Jahreszahl = Alsatia.
187Ö/7Ö, Oolrnar 1«7Ö.
Arch. Chr. =* Straliburijer Archivchronik j Bruchstücke ab-
gedruckt im «Code hiatoiique et diplomatique
de la ville de Strasbourg» I, 2, Strasbourg"
1843, p. lftl-220.
Baechtold = Jacob Bacchtold, Geschichte der deutschen
Literatur in der Schweiz, Frnuerifeld 1H32.
,l r rviciralfroti
*"■ UWEMTYO" MICHIGAN
— 164 —
B. Chr.
B. H.
Knebel
Koelhoff
Leg.
Lor.
Meyer
Hone
Ms. AU. 83.
— Basier Chroniken, ö Bände. Leipzig 1872 —
1902.
= Burgundisehe Hysterie, s Einleitung;.
= Jon Kupiifi Chronik; hrsg. in B. Car. ir n.
III.
— KoelhofT&che Chronik; hrsg. in den 3t. -Chr..
Bd. XIII u XIV.
= Burgiindesche Legende; Hain 8341 unter
Hagenbach -Peter), Bd. 11. I. Tl., S. 1. Zitiert
nach dem Abdruck in Horma>r's «Taschen-
buoh für vaterländische Geschichte», München
1850— IÖ61, S 314-324.
= 0. Lorenz.. Dentec.hlands fieR,«hicr,tsnjifiIlen
im Mittelalter. 2 Hie. Berlin 18863 u . 18873.
= J. J Mcjcr'a Chronik; hrsg. von R. Reuß :
• La Chronique Strasboargeoise de Jean-
Jacques Meyer . . .,» Strasbourg 1873.
= F. J. Moae, Qi:ellensammlang der badischen
Landosgeschichte. Bd I— III, Karlsruhe 1845—
1860,
— Eine Straßburger Chronik, der Bibliotheqne
Nationale gehörig 1 Ch. Pflster teilte «8 Frag-
meate aas dieser Chronik mit in t> Buche:
Lee manascrite allemande do la bifcliothcque
nationale relativ k IMiistorre d'AUace. Paris
1893. p. (»2-247.
= vir!. Ms All. ÖS.
= Chronik von Dieb. Schilling: fc Beschreibung
der BurgandUchen Kriegen, Und einicher , , .»
Bern 1743.
m = Joli. Schiller'* Ausgabe der Chronik Jakob&
von Königshofcn. Straßbarg 1698.
= Stra&burger Stadtarchiv.
= Die Chroniker, der deutschen Städte . . ..
Itttft
= Konrad Stulle e Tbüringisch-Erfniter Chronik.
= Joh. Wencker's Chronik, b. «Fragtnents des
andennes chroaiqiifsri'AUaeß» III, Strasbourg-
1892, p. 140—142.
= Reirachronik von Christian Wierstraet; hrsg.
in den Sc. Chr., Bd. 20. Leipzig 1867, S. »09—
(i!4.
£&. 0.0. Rh.. V. F. •=■- Zeitschrift für Geschichte des Oberrheiiis;
Nene Folge \ Freiburg i. B. 1896—92, Karls-
ruhe 1893 ff.
Poster
Schilling
Schil-cr
St.-Arch
St-Chr.
Stolle
Wender
Wieretraat
oglc
fViciralftOTi
U S I VERSI TY " MIC HIC AN
Ein unbekanntes Gedicht von
Sebastian Brant.
Mitgeteilt von
Karl Stenzel.
In dem im Straöburger Stadtarchiv aufbewahrten Turnus I
der Colleclanea histoneo-politiei von Wencker belinden sich unter
Nr 38" Notizen über die Besuche Kaiser Maximilians in Straß-
bürg und die vom Haie der Startt jedesmal getroffenen- Vor-
kehrungen und dem Kaiser dargebrachten Geschenke. Im
Anschluß dann folgen Klagen nl>er die vielfachen finanziellen
Anforderungen, die unter der Regierung dieses Herrschers
an den städtischen Säckel £«sielli wurden ; es heißt dann weiter :
L.'lT .solch s villeltigs ansuche ns der vinanlzer macht doclor
Brand selig, disser zeit Stattschreiber, disse nachvolgenrie
reymen : ■
Die vinantzer seind dess gewon ;
«ein anders her! das* ist verthon !
wir wollen in dem rieh uffrumen,
daz* die nachkummen sich versumen,
duz 9 in ir musen wurt zu schmal,
daz* sie nichts finden u berat,
jetzt wend wir die Frantzosen schlagen,
Venediger ufaer ineer ussjayen
1 Während der folgende Abdruck sieh in der Orthographie (von
der Durchführung kleiuei Aufniigebuchstabeu abtfeBtdiün) streug
an das Original hält, ist die Interpunktion von mir hinzugefügt
worden,
* Das Original hat fast immer die Schreibung* de,
r
A D-iciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
— 166 —
und zu dem rieh die Ungern bringen;
das ■ Gellerlanrit wend wir bezwingen;
die römisch cron wend wir gantz freyen;
Italienland und Lambardien
wend wir bringen su «ehorsamkeit.
der T0i*ck hau uns wjdcrseil
und zühet daher an unser gräniizea.
die Teutschen müssen ^elt bar schwülen,
voruss di« stett deee reiche, die buren,
die ir gut haben hiuiler den muren,
die müssen creulz und marter trafen,
die füisten werden gern ja sogen,
allein man forder vonn in nitz.
die stett, die müssen tragen doz creutz;
und drutz in, daz ' sie sich des wegern t
oder wir wend sie also schiefern,*
daß sie verlieren all ir freyheit,
all treal und gned in werd verseift
wir wend sie fahen, thurnen, plöcken.
daz 1 kind in mutherlib er&töeken.
sollen wir schon die buren vertriben,
das« keiner hey dem rieh möeht pliben, *.
die Loden wend wir in usshawen,
1 wie fast sie ulT den nund'sehueh drawen.
es ist nil not,, daz * wir uns schammen.
bald wider dran in gottes nammen'
glück und unjrlück yoth nohe zusammen.»
daz» ist die Ordnung der vinanlz.
£Ott geb inen ullen band Vixlantz !
Das Gedicht, das der gegen das Kode von Maximilians» Regier-
ung allgemein herrschenden Erbitterung über die finanzielle
Mißwirtschaft der kaiserlichen Beamten kräftig Ausdruck ver-
leiht, ist sowohl Charles Schmidt als auch t&robel und Zarncke
unbekannt geblieben ; es ist wohl auch ausgeschlossen, daß es
zu Lebzeiten Bronts veröffentlicht worden ist»
i Das Original hat last, immer die Schreibang df.
* sehlegerr» - schlagen, strafen; vergl. Oh. Schmidt. Histori-
sches Wörterbuch der elsässischen Mundart po£. 305 «schleigera».
>
•Ogk unwerehw Michigan
VI.
Die Schützengesellschaften
im
Oberen Mandat
Von
Aug. Hertzof-Metz.
Dei Auflauf, Ruhestörungen aller Art, bei feindlichen L'erier-
fallen, so oft überhaupt Sturm geläutet wurde, mußte in früheren
Zeiten jeder Untenan die Waffen ergreiten, um Stadt und Land
zu verteidigen. Der Landesherr hatte das Recht des Aufge-
botes, dem alle waffenfähigen Uniertanen gehorchen mußten.
Wir werden in den hier zum Abdruck gelangenden Sc nützen -
Ordnungen von Rufach noch gehen, daß Herrendienst ein ehe-
hafter Grund gewesen isl, an den Scbützcnversammlunuen nicht
zu erscheinen.
Wenn aber das Volk in Waffen Dienöle leisten sollte, so
mußte es auch im Gebrauche derselben geübt werden, und zu
diesem Zwecke gab es kein besseres Mittel als die Organisation
der waffenfähigen Männer zu Schützengilden, Schütcengesell-
schaften oder Schützen vereinen wie sie damals genannt wurden.
Diese Gesellschaften waren deshalb auch für den Landesherrn
von gan? hesonderer Bedeutung, und konnten in den Territorial-
p'ebietcn nur mit Genehmigung desselben errichtet werden ; in
den freien Städten mit Genehmigung des Stadtmagistrafs. Die
Schützenmlden waren das Volk in Wulfen.
Nur wenn wir dies berücksichtigen, können wir verstehen
wie es möglich war, daß unsere Bauernheere, beim großen Bauern-
aufstände von 1525, solche Erfolge erringen konnten. Nur so
ist es zu erklären, daß die nötigen Waffen sich in Händen der
f
,1 D-iciralftOTi
*"■ UWEWIYO'MICHICAN
- 168 ~
Aufständischen befinden, daß diese Oberhaupt solche kriegeri-
sche Betätigung besitzen kennten.
Werfen wir nun einen fcurzen Blick auf die Organisation dieser
Schützenyesellscriaften, an Hand der hier zum Abdruck ge-
brachten Armbrust- und Schul zenordnun^en von Rufacb, die
wohl zu den ältesten Irkumlen dieser Art zähle» dürften,
welche die verschiedenen elsassisehen Archive, his auf unsere
Ta^e hinühcr&ercttct hoben.
Die älteste Rufitcher Schützenordnung ist von 1503. und
bezieht sich auf die Armbrustschützen, d. h. auf Leute, die
noch mit Pieilgeschützen versehen waren. In diesen ältesten
Urkunden über die Rufscher Schützen, wird ihre Gilde nicht
etwa als eine neue Einrichtung, sondern als eine schon langst
bestehende, erwähnt ; wir dürfen somit annehmen, daß diese
Sehützengcscllschaftcn zu ßufach sicher im XV. Jahrhundert
bereits bestanden, fn diesen Urkunden werden aber noch
andere Sehützengesellschaften erwähnt, so die von Herlisheim,
Hattstatl, Egisheim, PfaHenheim und Geberschweier. Die zweite
Sdmt7ennrrtnung von Rufach ist die der Büchsenschfitzen von
1539, eine ziemlich umfangreiche Zusammenstellung der darin
geltenden Vorschriften, in 4H Artikeln. Fs 13 Sl uns diese Ur-
kunde ganz besonders in die damaligen Schützeruehrüuche einen
fesselnden Einblick hallen; wir sehen hier wie diese Leute siel i
bei ihren Uebungen verhielten, wie sie sich dabei ergötzten,
am guten Rutacber Weine labten und was sie für Gaben
herabgeschossen haben. Aber am meisten dürften die Sr-hieß-
und Gcwinnregeln unsere eUässischen Schützen der Neuzeit
interessieren. Eine dritte Rufacher Ordnung stammt von 4574,
und ist wieder eine Armbrustschülzenordnuntf. Hierdurch sehen
wir also daß es damals noch zweierlei Öchiitzensesellschaften
gegeben hat : eine, die mit Röhren oder Flinren, sogenannten
Schützenröhren, in die Scheiben schoß, und eine zweite, die an
den mit Annbrust fortgeschossenen Bolzen festhielt. Die Feuerwaffe
hat also die Zuj-woffc, die Armbrust, nicht sogleich verdrängt ;
noch recht lange wurde mit dieser mittelalterlichen Schießwaffe
in die Scheiben geschossen, und es bestanden in vielen Orten,
wie z. B. in Hufach, zwei Schützenyesellschaften nebeneinander.
Bevor wir aber diese Ordnungen näher betrachten,
wollen wir noch ihre Waden mustern; denn sowohl die
Armbruste als die alten Schützenreihren und Büchsen sind,
nun seilen geworden. Zwar gibt es Schfttzenraine, wie z. B.
in meinem Geburtsdurfe Geberschweier, wo die alten Scheiben*
röhre noch in Gebrauch und zugelassen sind.
Die damals gebräuchliche Handfeuerwaffe war die Hacken-
büchse. Liiese schoß gewöhnlich vieriölige Kugeln von Blei
ukiÄÄhican
— lue -
[das Loi — 16,5 nrj, ihre Län^e war 1 Dl, und deren Gewicht
5 kg. Uas war die «ranze Hackenbuchse, mit welcher aufge-
legt geschossen wurde. Im Vorderteil slützte sich das Rohr
auf die Brustwehr der Mauer, auf ein eigenes Gestell, cder auch
auf eine mitgeführte Gabel. . Der Schaft wurde an die Schulter
des Mannes, welcher das Rohr richtele, angelehnt, und uichi
seilen diente ein zweiter Mann zur Hilfe um die Lunte zu enl-
: finden; denn ursprünglich haue man keine Zündschlösser. Nach
unserer BüchsenschüUenordnunx wurde aber freihändig ge-
schossen, durfte eicht «ungelegt werden ; das Gewehr, dessen man
sich iii Rufach und Um^ehun^ hedienle, war somit keine schwere
Hackenbücbac sondern nur die soffen, hulbe Huckenbüchse oder
da» Haudrubr, welches viel leichler wir als die obenerwähnte
eiste Uüchfe, und nur S'it-Iötige Kugeln schoß. Es scheint
»ho daß die weit schwereren, jetzt noch im Gebrauche stehenden
Scheiben röhre, erst spater auf den Schülzenrainen unserer
Gegend eingeführt wurden. Es waren dies — wohl erst
seir. der Annexion an Frankreich eingeführt — geg^n 2 m
lange und Ü— 10 kg schwere Rohre, Musketen, die eine
Kugel von 1 Lot schössen und aufgelegt werden mußten.
Ursprünglich hallen sie ein Keuersteinschloü. das «laim liegen
1820 durch das Zündhutschloß oder Perknssionsschloß ersetzt
wurde
Die Armbrust war ein Pfeil- oder Bolzengeschütz. Als
KriegswafTe war sie schon im Altertum bekannt, und wurde seil
dem 12. Jahrhundert besonders in Deutschland zu kriegerischen
Zwecken gebraucht, wiewohl sie die Papste seit 1139 lür den
Kampf mit Christen verholen hatten. Es war der Gebrauch
dieser Schußwaffe, welche den Städtern, sowie den Insa.**sen
der Land hen schatten zur Bildung von Schützengesellscharten
Anlaß gab. Die durch diese veranlaßten Schützenfeste sind
lur Genüge bekannt. Die Armbrust hlieh bis in das 16. Jahr-
hundert Kriegswaffe, in Frankreich hießen die Armbrustschülzen
— nur Fußvolk, — narlialetriersp. Die Armbrust bestand «us dem
Schafte («Büstung>) häufig mit Kolben, dem Bügel (Holz. Stahl,
Fischbein, der Dogen), der Sehne, die, wenn gespannt, in einer
Vertiefung des Schaftes (Nnß, die Nute) ruhte um! durch den
Abzug (auch mit Stecher, d. h. ein von unten hinaufcepreßter
Zapfen) aus ihrer gespannten Lage befreit wurde, und das
Geschoß, zuerst einen Pfeil («.Strahl») dann eint*n Bolzen, auch
eine Kugel aus laufäbnlichen Röhren, in Uewegung setzte und
fortschleuderte. Zum Spannen des sehr strammen Bügels oder
Bogens, dienten oft eigene Vorrichtungen, Spannwinden, Geiß-
füße. Flasctienzfige und Zahnräder. Das Geschoß durchdrang
noch auf 2&0 Schritt einen Panzer.
r
ukiÄÄhican
— 170 —
(Jeher die Art und Weise diese Schußwaffen zu gebrauchen
und zu behandeln neben unsere SihüUenoitlnurigen ausführliche
Anweisungen. An dem Schießtaiii der Armbrustechützen soll
eine Zeiiglocke aufgehängt sein; mit dieser Glocke sollen die
Zeichen zum Schießen gegeben werden, jedesmal wenn der
Schills? aurn Schießen ansieht; solange die Glocke läutet, soll
der Schütze nicht andrücken, damit alle Leute die von ungefähr
in die Schußrichtung gelangt sein konnten und die acheiben-
zeiger, Zeit hätten »ich rechtzeitig in Deckung zu begeben. Wer
schießt solange die Zeitglocke läutet, der hat seinen Schuß ver-
loren, «niici gebe ihm nichts um den Schuß> ; dies soll dann
noch geschehen, selbst wenn der Schütze eigentlich nichts dafür
kann, wenn ihm ein Windfaden beim Aufziehen der Armbrust
zerreißt . Es soll mit freiem Arme geschossen werden, wer das
nicht tut, soll darum nach Urleil der Schießgesellen gestraft
werden.
Weiter gingen schon die Vorschriften über Vorsichtsmaß-
regeln beim Gebrauche der Handfeuerwaffen, wie dies aus der
Büchsenschützenordnung von llufach hervorgeht (1539).
Wer am Schießstande dreimal anschlug, es brenne oder
nicht, der hatte damit seinen Schuß getan (Nr. 24) Keiner
sollte am Stande einrühren, d. h. die Büchse laden oder andere
liMuiu im; ; modern sollte ehe er an den äUud sich beyah
gei üstet sein ; bei sechs Pfennig Strafe (Nr. 25).
Welchem die Büchse zum zweiten Male versagte, und er
sie anders laden wollte, das solle ihm nicht erlaubt sein ; er
soll sie vielmehr zum dritten Male anzünden ; und versagt sie
ihm dann noch einmal, so soll er damit seinen Schuß getan
haben (Nr. 26).
Welchem seine Büchse, wie oben geschildert, versagte, der
soll dieselbe sofort gegen den Himmel, und nicht gegen die
Leute gerichtet, tragen, damit so niemand zu Schaden gelange*
Wer das nicht täte, der bessert in die Lade sechs Pfennig
(Nr. 27). Ein jeder, der um eine Gabe schoß, mußte auch hier
dies mit freiem Arme, unini fgelegt, tun ; er sollte die Büchse vorn
weder ansetzen noch auflegen. Der Säumige wurde nach Urteil
der Schützemneister, Siebener und gemeiner Schießgesellen ge-
straft. Der so getane Schuß durtte ihm nicht zum Gewinnne
angerechnet werden (Mr. 28). Es sollte auch keiner einen ge-
llederten Klotz, Schrot, auch keiner zwei Klotze — d. h.
Kugeln — schießen; welcher dies verbrach, der verlor seine
BOchse und Schießgezeug iiniiar.hlaßlich, wurde ferner noch nach
gemeinem Urteil der Schützen gesiratt (Nr. 29).
Wer am Stande zum Schießen bereit stand, ihm ange-
zündet wurde, derart daß die Büchse ausging, der sollte seinen
ukiÄÄhican
— 171 —
Schuß getan Italien ; er konnte weiter die Büchse halten wie
er wollte (Nr. 37). Darnach hatte ein Zweiter dem bereiten
Schützen die Lunte angezündet ; die Büchsen von 1539 hatten
»mit noch kein Zündschloß; wenn die Lunte ausgegangen war,
war auch keine Gefahr für die Umstehenden vorhanden. Wenn
einer den Schuß getan hatte, so sollte er auch das Feuer aus-
löschen, und dasselbe nicht zu den Gesellen in das Schützenhaus
oder die Schüizenhütte, träfen, damit denselben kein Schaden
geschehe; welcher das vei brach, der besser!« jedesmal sechs
Pfennig. Bei Un^ewittcr sollte auch nicht geschossen weiden
(Nr. 16): diese Bestimmung linden wir übrigen* auch in der
Ordnung der Arwbrustschützen, (Nr. C von 1503). Beim
behießen sollte auch der Schulze ruhig stehen, nicht csthupfei»
\ h. keinen Ruck tun ; der Schub 1 war für denselben verloren,
selbst wenn er zufällig doch einen Treffer gemacht halte. Ite-
hauptete der Schutze, er halte nicht geschupft, so sollten zwei
Unparteiische mit dem Zeiger die Scheibe besieht igan und
darüber entscheiden (Nr. 34).
Niemand sollte, beim Schießen um die Gaben, unbefugt
und ohne Auftrag sich an den Rain begeben ; wer dies nicht
talhlgie, der konnte am Preissehießen dieses Tages nicht mehr
teilnehmen, und mußte dazu noch sechs Pfennig in die Büchse
uhlen (Nr. 20). Das unbefugte begehen des Schießraiues Aar
mit großen Gefahren verbunden. Dies Verbot bestellt heute noch.
Es wurde um Gaben geschossen ; diese Gaben waren eot-
weder vom Landesherrn, dem Bischof von Straßburg, oder
auch von der Stadt Rufach gestiftet. Diese Gaben hießen die
Freigaben. Auch die Schßtzengesellschaft selbst stiftete ver-
schiedene Gaben, als Geld, Zinngeschirr, Schützeukleinodien
aller Art, wie silberne oder goldene Becher, Schüsseln und
Tafelstücke; später gab es auch auf den Schützern u inen
Scbandeln und Kerzen als Gaben. Nach der Armbruötschützen-
ordnun<r von 1503 bestand die Freigabe des Bischofs in Barchent
xu einem Wams {Nr. '1 u. 2 von 4503); noch der Schul aen-
ordnung von 1574 wurde urn ein Paar Hosen geschossen, das
ebenfalls vom Bischof und dor Stadt Rufach geatitlel war (fcin-
leilung von 1574). Auch die Büchsenschützenordnung von
1539 spricht von Hosen als Freigabe. Es scheint als seien die
Hosen in dieser Zeit sogar noch nicht sehr gemein gewesen,
und daß es immernoch Männer yah, die ohne diese Bekleidung
einhergingen; doch die erwähnte Schützenordnung duldete dies
nicht bei ihrem Breischießen, und enthält die gewiß auffallende
Vorschrift, daß wer um die Hosen schießen wollte, auch solche
an haben sollte, es sei denn dal Leibesgebresten ihn daran
hinderten (Nr. 42 von 1539). Dieselbe Ordnung erwähnt noch
f
ukiÄÄhican
— 172 —
GeM, sonstige Gaben und Kleinerer, Schützenkleinodien als
Gabun. In Artikel 19 liieser Ordnung wird auch Zinn, d. h
Zinn^esctiirr als Gabe erwähnt, Das Zinn war in allen Schülzen-
rainen noch bis in unsere Zeiten hinein, mit den Scbandeln
(Taljilichlern) und Bougies (Stearinkerzen) eine beliebte Gabe
(cGob* heißt es im Dialekt meiner Hei mal), und ich habe
noch solches Zinn in meiner Familie bis in die 00 er Jahre
hinein gesehen und heim Käsen gebrauch'.. Unter diesem Ge-
schirre waren förmliche Zier- und Schaustücke, iiie von unserem
Urgroßvater herrübrlen und $ämtlich auf den Schützenrainen
aufgeschossen worden waren. Sie stammten aus den 1740 er
Jahren. Mein eigener Großvater war einer der besten Schützen
de*» oberen Mnndats, und karri nie ohne reiche Gewinne nach
Hause: Zinn, Schandeln, Kisten voll Käse beim Herbstschießen.
Im Jahr I3U8 richtete die Rul'achcr BiVhseiischiVzcngesellsehaft
ein Gesuch an den Bischof von Straßburg, um klrhöhun^ seines
Zuschusses, damit sie su Gaben, statt Landsberger Geluch,
Lundtisch Tuch kauten könnte, um dadurch dem Gespött«
der Nach baren zu entgehen. Die recht lesenswerte Hiltschrifl
linden die Leser in den Anlagen abgedruckt; ich fürchtete
derselben ihren eigenen Reiz zu rauhen, wenn ich sie trocken
und kurz in modernen Deutsch übertragen wollte.
Wir wollen nun noch die Spiel- oder tichießregelri uns
näher betrachten, für diejenigen Sonntage, an denen die Frei-
gaben <tusgeschossen wurden.
Nach der Armbrustschützenordnung von 1503 sollte in
Zukunft immer vom nächsten Sonntag nach Geurjri an, jedeti
Sonntag und bis Michaeli, um Bari;uetit für ein Wams ge-
schossen werden, zu welchem sowohl der Bischof von Straß-
burg als auch die Stadt Itufach eine Zuateuer spendeten (Nr. 1
von 1503). < Nach der Arrnbrustsehützeriordnun^ von 1574
wird in derselben Zeit wie oben bestimmt, Tuch zu einem
Paar Hosen, jeden Sonntag aufgeschossen ^Einleitung).
Das Schießen begann punkt zwölt Ulir ; an den Sonntagen,
wo am die Freigabe geschossen wurde, durften keiae Versuchs-
schüsse j-etan werden ; wer dies dennoch tat, der sollt« an
diesem Tage weder um die freie Gabe noch um sonst etwas
schießen (Nr. '2 vnn 1503). Nach der Ordnung von 1574
wurde bereits um elf Uhr mit dem Schießen begonnen, und
zwar dadurch, daß die öchützenuieistei das Zie! aufstecken
ließen und einsebossen, d. h. die ersten Schüsse auf die
Scheibe taten. Die übrigeu Gesellen sollten auf uuukt zwölf
Uhr geboten werden.
Sobald der erste Sciiuß geschehen, sollte ein jeder seinen
Bolzen mit vier Kappen lösen ; falls jedoch mehr wie zwölf
Giahfl Itom
UMVEHSITYGrVICHICAN
- 173 -
Schützen zugegen warer», gab ein jeder von ihnen nur drei
Rappen Lösegeld für den Bolzen
Dies Geld sollten die SchütEenmeister dazu verwenden,
um Geschiii'stQcke und anderes all zu kaufen, wozu die Ge-
sellschaft Gelegenheit und Bedürfnis hatte (Nr. 3 von 1503).
Es sollleu nie weniger als neun Schützen um die Freigabe
schießen (Nr. 6 von 1503). Welcher Schütze jeweils der
nächste am Ziele war, der sollle heim folgenden Schießen der
Spielordner sein (der Schutz Eid man?) und die anderen Gesellen
zum Schieben antreiben (Xr. 4 von 1503). Nacli Nr. 5 von
1574 sollte dieser einen Heller befahlen, «und ebenfalls den
nachfolgenden Schütz Aidliiian sein». Was dies bedeutet fder
nachfolgenden Schütz Aidlman sein», ist int Vorhergehenden
des Näheren erklärt, d*ß er die anderen Schützen zum Schießen
antreiben und anspornen sollte; dies konnte flber doch nur für
das jeweils draullblgendt» Schießen der Fall sein, war es doch
nicht unmöglich, daß der beste Schütze an einem Sonnhtpj
gerade derjenige gewesen sei, welcher zulelzt geschossen hatte,
und da konnte er doch am selben Tage nicht mehr der fol-
genden Schützen «Aidtmanns weiden. In derselben Ordnung
heißt es ferner, daß wenn nicht zwölf Schützen da wären um
für die Gaben zu schießen, so sollte darüber entschieden
werden, ob die Gabe dennoch zum AusscliieJieii ^langen sollte
(Nr. 3 von 1574). Weiter heißt es hier noch, daß wenn an
einem Sonntage, so man um die Hosen schießen wollte, nicht
sieben Schieß^esellen da waren, dann sollte man diesen T<tg
nicht um die- Hosen schießen dürfen, es sollte auf einen
besseren Tag verschoben , und dann jedem Gesellen an-
gekündigt werden (Nr. 6 von 1574). Nach der erstgenannten
Ordnung von 1003 war die Minderzahl, bei welcher um die
Freigabe nicht mehr geschossen werden durfte, neun Schützen
(Nr. t> von 1503), Auch hei Regenwetter sollte nicht ge-
schossen werden [Nr. 6 von 1503).
Wenn einer die meisten Treffer hat, der im laufenden
Sommer die Freigabe schon einmal gewonnen hatte, dein sollte
dieselbe nicht mehr. zuteil werden, sondern die beste Gabe dar-
nach, und so auch mit den anderen Gaben; die beste der-
selben konnte ebenfalls nie zweimal gewonnen werden ; der
Gewinner erhielt dann immer die jeweils nachfolgende Gabe
(Nr. 5 von 1508). Dasselbe sagt auch die Arrubrust&cliütztMi-
orduung von 1574, hier ist dann die höchste Gabe ein Paar
Hosen. Wer die Hosen gewann, der gab vier Pappen in die
Lade, und mußte den Sonntag drauf die Bolzen im Schilde
oder dem Köcher tragen, oder einen anderen dazu bestellen.
Tat er das nicht, so bezahlte er den Gesellen einen Schilling.
r
K
Orion;! frorn
UMVEriSITYOrUICHICAN
— 174 —
Doch mu£te er dem Schützen meisler und dem Scheiben zei^er
helfen messen ; sonst sollte aber niemand anders hinzugehen,
ohne Erlaubnis, bei Buße einer Maß Weins. Wie hieraus er-
sichtlich, wurde die Entfernung der eingeschossenen Bolzen
von der Niete, auf der Scheibe gemessen, um so den Rang
der einzelnen Schüsse zu bestimmen (Nr 4 von 1574). Vorher
haben wir schon gesehen (Nr. 3 von 4503), dnß jeder Schütze
seinen Bolzen mit vier resp. drei Happen lösen sollte, und in
der Ordnung von 1574 ferner noch vernommen, daß der Ge-
winner der Freigabe am folgenden Sonntag die Bolzen int
Köcher tragen sollte. Es schein! demnach, daß die Bolzen auf
gemeinsame Kasten der Gesellschaft angekauft wurden, daher
auch die Bestimmung, dab" jeder Schübe seinen Holzen lösen
mußte, und dann eine weitere, daß sie der Zeiger beim Heraus-
reißen möglichst schonen sollte.
Was nun das Recht der Fremden heim Äusschießen der
Freigabe betrifft, so bestimmt Nr. 7 von 1903, daß fiin jeder
Fremde um die Freigabe schießen kenn und darf, doch soll er
dieselbe gewinnen cfry mit den ineiuslen schützen» ; hat aber
ein heimischer Schütze mit ihm die meisten Treffer, so soll
der Fremde dann diese Gabe nicht bekommen. Dasselbe sagt
auch die Ordnung von 1574, doch sollten der heimische und
der fremde Schulze daaa miteinander stechen, d. h. noch
einmal schießen, der Fremde bekam dann Geld, der Heimische
aber die Hosen (Nr. 7 von 1574). Waren aber die Schützen
Handwerksgesellen, so konnten von diesen auch nur die
heimischen die Hosen gewinnen, und zwar unter den obigen
Bedingungen \ war dagegen ein fremder Gesell mit Jahrlohn ge-
dungen, so wurde er wie ein Einheimischer behandelt, doch sollte
ein jeder Handwcrks^esell sein eigenes Schießzeug haben. Das
Gebot des freihändig Schießen galt auch für die Fremden (Nr. 9
von 1574).
Wer um die Freigabe schießen wollte, der sollte am
dritten Sonntag nach dem die Schützenkampagne eröffnet
worden war, auf dem Raine zugegen sein, sich am Schießer
unter Erlegung des Doppeleinsatzes (des teppels) beteiligen. Wer
es nicht täte, sollte den Sommer über die Freigabe nicht mehr
gewinnen können (Nr. 15 von 1503).
Sonst sollten aber die Schützen auch mit militärischer Pünkt-
lichkeit erscheinen; wer nicht bei Zeiten kam, wenn man mil
Schießen anfing, konnte, solange der drille Schuß noch nicht ge-
fallen war, doch zum Schießen zugelassen werden, ein Säumnis-
schu j ward ihm gestattet. Tanger wurde aher nicht gewartet.
Die Schützen von Egisbeim, Pfoffenhoim, Geberschweicrpund
Hattstalt sulllen die gleichen Rechte hüben, wie die von Rufach.
ukiÄÄhican
— 176 —
Wenn nun alle Schützen ihre Schüsse getan haben, und
auch die Slechschüssc geschehen sind, d. h. jene Schüsse,
welche nun noch diejenigen (un müssen, die auf demselben
Fange stehen, denselben Gewinn miteinander erschossen hären,
sollen die Schulzen «allgemein lieh verbunden sein, zwen spiel
Zugesellen zu schießen». Falls dieser Text richtig überliefert
ift, ist mir dieser Satz nicht recht klsr. Was ist unter «zwen
Spiel Zugesellen» zu verstehen '? Ist es eine besondere Spielart ?
Alle müssen hieran teilnehmen, es w5re denn, daß der
Schülzenmeisfer jemanden beurlaubt hätte. Daraufbin bekam
d:e Gesellschaft von tler Stadt eine Zusteuer von vior Maß
Weins (ür cgemeiue Gesellen». Bezieht sich dies in Anehnunt?
an die Bestimmung über dip Rechte der fremden Schlitzen.
auf die sonstwo auch Übliche Vorschrift, daß bei Freischießen
jtdei Fremde einen Schießyesellen habeu müsse; soll es
beißen, daß die Schützen gemeiniglich verbunden seien in
swei GSuaeii oder Spieleu. als «Zugesellen* fremder Schützen
zb schießen, es sei denn, sie hätten vom Schützenrneister
Urlaub?
Bei Freischieilen leistete jeder Schütze, der sich beteiligte,
doppelten Spieleinsatz, den «Doppel» oder «Teppel».
Es sollen jetzt noch die Vorschriften, das Freischießen be-
tieflend, aus der Büchsenechülzenordnung von 1539, soweit e«
nötig erscheint, kurz erklärt werden.
In der Büchsenschülzengesellschait wurde als freie Gabe
ein Paar Hosen aufgeschossen. An hohen Festtagen durfte
aber nicht geschossen werden (Nr. 15 von 1539).
Waren an einem Sonntage, wo um die Hosen geschossen
werden sollte, nicht zwölf Schützengesellen mit ihren eigenen
Büchsen und SchieJizeutf Anwesend, so sollte nicht um die
Freigabe geschossen werden. Der weitere Termin dazu wurde
durch die Schüt2enmeister festgestellt (Nr. 14 von 1531}).
Wollte ein fremder oder ein Bürgers kuecht Schießg'eselle
werden, so sollte er als Eintrittsgeld einen Schilling hezahlen,
und eigenes Geschütz haben (Nr. 17 von 1539). Ein Fremder
durfte auch nm die Hosen schießen, doch mußte er sie frei-
wejr mit den meisten Treffern und ungestochen gewinnen
(Nr. lÖfvou 1539). Wenn ein Fremder die Hosen gewann, so
sollte man es mit seiner Einlage so hallen, wie es dort geschah,
wo derselbe her war ; war er dagegen aus einem Flecken
oder Dorfe, wo nicht geschossen wurde, so durfte er nicht um
die Gabe des Gnädigen Herrn (das Paar Hosen) schießen,
wohl darf er aber um Zinn schießen (Nr. 11) von 1539).
Wer£in die Scheibe geschossen hat, dem wird der Schuß
k'ezähll, er habe getroffen oder nicht ; hat er aber einen Treffer
ukiÄÄhican
- 176 -
so soll er denselben gleich anzeigen noch bevor ein anderer
Schuß gefallen sei, tat er das nicht rechtzeitig, so war sein
Treffer verloren (Nr. '21 von 1539). Zweimal in einem Jahre
durfte derselbe Schulze auch hier die Hosen nicht gewinnen
(Nr. 22 vOn 1530). Wer an einem Tage die Ho3öd gewinnt,
der soll den anderen Tag, vro wieder geschossen wurde, den
Zeiger helfen filecken, das heißt, die Schußlöcher mil Zapfen
verstopfen, und das Feuer halten, d. Ii. die brennende Lunte
zum entzünden der Ladung, hallen und bewahren, daß damit
kein Unfug geschehe (Nr. 23 von 1539).
Auch die Bncti-senschützen mußten pünktlich von zwölf
Uhr am Raine sein. Wer aber nach dem Eröffnen des Schießens
erst erschien, wenn schon ein Schuß gefallen war, der durfte
wohl schießen, aber unter KinUge des Doppels und unter Ver-
zicht auf den geschehenen Saumscbuß (Nr. 30 von 1539).
Auch hier war heim Schießen um die Freigabe oder um
andere Gaben, jeder Versuchsschuß zum Raine hin oder auch
auf die Scheibe verboten (Nr. 31 von 1539).
Falls der Klotz nicht durch die Scheibe hindurchdrang,
so daß das Loch nicht zugeschlagen werden mochte, oder einen
eisernen Nagel traf, der tollte damit keinen Schuß getan haben
(Nr. 32 von 1539). Dasselbe galt bei Streifschüssen, so da3
der Zupfen oder Zweck nicht haften oder stecken bleiben
konnte; der sollte damit auch keinen gültigen Schuß gemacht
halien.
Zur Feststellung dessen wird die Scheibe dreimal schnell
umgedreht , bleibt der Zweck dann doch stecken, so zählL der
Schuß (Nr. 33 von 1539).
Wer am Stande dreimal anschlägt, es brenne oder nicht,
der hat 1 1 mit den Schuß getan (Nr. 24 von 1539). Ebenso
hatte derjenige einen Schuß, dem das Feuer nach entzünden
der Lunte ausging (Nr. 37 von 1539). Wein nach den An-
zünden die Büchse dreimal nacheinander versagte, der sollte
damit auch seinen Schuß uetan nahen (Nr. 26 von 1539).
Die Schützengesellschaften waren Genossenschaften mit
weitgehender Selbstverwaltung, wie sie alle mittelalterlichen Ge-
nossenschaften besaßen, jedoch halte die Stadtobrigkeit, sowie
die landesherrliche Behörde, weitgehende Ueberwacbungsrechte.
Die Statuten, jede A ender ung denselben, mußten der bischöf-
lichen Zentralbehörde in Zabern vorgelegt werdenj und wurde
von derselben genehmigt oder verworfen.
Wie jede Genossenschaft halten die Schfitxenvereine eine»
Vorstand .
Nach der Armbruslschutzenordnun^ von 1503 sollten die
Schießgesellen alle Jahre zwei Schulzenmeisler, einen von Ru-
ukiÄÄhican
— 177 —
fach, den anderen aus der Mundat, wählen. Was diese ordneten
und ansetzten, dabei sollte es I (leihen, vorbehaltlich der Ohrig-
Jteitsrechte m. gn. Herrn des Bischofs (Nr. 9 von 1503). Das-
selbe besagt die Ordnung von 1574. mit dem hinzufügen, daß
beiden Beratungen derSchaizenmeisler, die zwei allen Schützen -
meister beigezogen werden sollten (Nr. 10 von 1574).
Nach der Büchsenschützenordnun^ von 1539 sollten eben-
falls alle Jahre, am Geor^i Tag, zwei Schützen meister gewählt
werden, welche aber beide Bürger von Hufach sein sollten.
Die Pflichten dieser Meister richten sich nach den Vorschriften
der genannten Statuten (Mr. 1, 2, 3, 4 u. 5 von 1539). Diesen
war aber ein Beirat von sieben Sehieߣesell*n, die sog. Siebener,
beigegeben, ähnlich wie auch die Zünfte solche Siebener hatten.
In allen wichtigen Sachen sollten diese dam Meister beistehen,
und mit demselben beraten. Die austretenden Altschützenmeister
waren von reehtswegen Mitglieder des Rats der Siebener (Nr.
6 von -1539).
Als ein Beamter der Schützengesellschaflen ist dann
noch in allen drei erwähnten Ordnungen der Scheibenzeiger,
oder kurzweg der Zeiger genannt. Unsere Ordnungen kennen
den launigen Wilzlmld und Spaßmacher der miiielalierlichen
Schützen vereine, den Pritschen meisler nicht ; wer aber heut-
zutage noch die oft sehr witzigen Gebärden, Spässe und Re-
densarien #ar mancher Scheibenzeigers, mit Aufmerksamkeit
verfolgt, vtird bald einsehen, daß darin wohl alle Ueberliefe-
rungen stecken dürften, traditionelle Bewegungen, Gebärden
und Witze beim Anzeigen der Schußresullate, und zum Schlüsse
kommen, daß der Scheibenzei^er wohl beide Aemter in einer
Person vereinig;!; er ist Zeiger und Prilschen meisler zugleich.
In Bezug auf die Pflichten dieses Beamten sei auf die
entsprechenden Bestimmungen genannter Staluten verwiesen ;
es wäre zu weilläufig, dieselben hier näher zu besprechen ;
gehen sie doch uliein schon aus der Bezeichnung dieses Mannes
zur Oenü-} hervor.
Die Gesellen sollten sich immer gesittet und anständig be-
nehmen, wenn sie auf dem Schul /onhauee beim Schießen, oder
bei den Jahresversammlungen und sonstigen festlichen Anlassen
beisammen waren. Deshalb haben alle drei Ordnungen diesbe-
zügliche Bestimmungen. So das Fluch- und Schwörverbot am
Raine (Nr. 12 von 1508 und Nr. 13 vnn 1574); 'Scheltworte
jeder Art waren unter Strafe gestellt durch die Büchsenschützen-
ordnung von 1o74 (Nr. 40). Dem Schweiggebole der Meisler
sollte jeder Geselle sofort entsprechen (Nr. 4t). tWer etwas
Unzucht mit Reibsen oder dergleichen begebt, oder un-
seQchtige und zuviel schainpere (unflätige) Wort redt, mit Uff-
12
ukiÄÄhican
/"
— 17Ö -
salz und volbedachtem Mut», der besserte, so oft es geschah,
6 Pfennige; vorbehaltlich größeier Straten für grobe Unzucht
und Unfug (Nr. 43). Bei entstehender Zwietracht und Händel,
sollt*» die Sache vor Meisler und Siebener gebracht werden
(Nr. 44 u. 45). Die Schützenfeste vraren zu jeder Zeit, wie
heute, nnrh, die freudigsten Feste unserer bürgerlichen und
bäuerlichen Voreltern. Von weither kamen die Gäste, um die
von der Obrigkeit und der Gesellschaft ausgetanen Gaben
herauszuschießen. In Strömen floß da der Wein unserer elsäs-
sischen Rebhügel, wahre Berge von Fleisch, Gemüse und Ge-
bäck wurden dabei aufgetragen, und zuletzt fehlte wohl auch
nicht ein lustiger, fröhlicher Tanz. Man muß schon selbst
solche Frei* und Eudschießeu uiilgeiuacbt haben, um eine leu-
hafte Vorstellung dieser Festlichkeiten sich machen zu können.
Mit dem Wunsche unsere elsässiächen Schützenvereine, die wohl,
wie wir sahen, alle auf ezi hohes Aller zurückblicken können,
tiiöeh cn weiler sich kräftig und lebensfähig erhalten, wachsen,
blühen und gedeihen, und so ein Slück urgesunden Volks-
lebens und altehi würdiger Gebräuche noch auf lange Zeiten hin
zu reiten, sei diese kurze Darstellung alten Schülzenwesens ge-
schlossen. Die in den Anlagen mitgeteilten Urkunden, werden
den Lesern noch manches Interessante und Wissenswerte bieten
können. Auch sie sind Denkmaler der Sprache unserer
Voreltern.
Beilagen -,
R u f a c h e r Armbrust schätzen Ordnung, 1503.
Diß ist die Ordnung der Ariribrostschutzen zu Ruffach, durch
den Kdlen strengen Herrn Ludwigen von Rioaeh, Hitler vogt
zu huffach und Linharten Frischhertz Schaffner doselhs Ange-
setzt Inn Anno xv«iij Jor«.
1) Item zirem ersten soll fürlhin al wegen ufF den nechslen
sunntag nsch Sani Jergen tag an geschossen werden und all
nochuolgend Suntag hiß Sant Michelstag Uarchet zu einem
wames fry ußgeyeben werden, daran kompl m. g. H. deß
glichen die Statt RfnTach zu stur das ouch solch schießen
dester nrden lieber 7fi»:ang So «eint gemein ar.hießgesellen diser
noch^escliribncn punclen und articklen über cinkomen. Jeden
puneten hy siner straf zflhehalien.
1 Xuchbcacichuctc Urkunden liegen alle: Uoz. Arch« Obor-
iiiuadat Buffach, L. 10. Sf E.
Orion; I from
UWVEROTVörVICHIGAN
— 178 —
2) Item wann die gloclc zwölfe ist, so soll man alwegen
anschießen und das Zilt stecken, und soll uff ein ycdcu sün-
ta$> Sa mar umb die fryen #ab schAsse sieh nieman In den
Kein versuchen, wer das verbricht soll uf den lag umb die
fryen gab noch sunsl nit schieien und man soll senden wan
die glock Z-welfe schlecht.
3) Item wann der erst Schulz geschieht. So soll ein Jeder
«inen hnltzen Insen mit iiii Kappen. So aber der Sehnig mer
wereti dann Zwölf. Sol dann ein Jeder geben dry Rappen.
Solch gell sollet die Schützen meister ufhal>en. und soll gmeiner
schießgeselleü zu stür komen an gfeschirr und Anderm so man
darumb koufl und zu jeder Zit, solleui die schülzeuineisler
darumb rechnun^ geben.
4) Item es sollen nie mynder dt in ix Schützen umb die
fryen gob schießen, und welcher jedesinol der nechst ist, soll
iaroocli der nechste- schütz Eidman (Vj sin und die Andern
Schützen Livhen »ich tu furdern zum Schießen.
5) Item wer es das einer die mensten schütz hett der
vormoU den sommer die fryen gab gewonnen het, denn soll
die fry yab nit mer werden sunder die best gab darnach.
Were das einer die best j.'ab den Sonner einest gwonnen hette
dem soll sy furter ouch nimer werden sonder die nechst dar-
noch soll Im werden, dann ein Jeder der die fry gab deu-
tlichen die nechst daiuocli zum Jor eimiiol gwiiil mag und
soll ey darnoch In dem Jore fürlhin nimer gwinen.
6) Item ob man umb die fryen gab ungewitter halben nit
schießen wält, oder nit ix grellen am Rein werent ma^' man die
fürschlagen, und das den Seh ieß^ßel len verkünden.
7) Item es majr Pin Jeder fremhder srJiießpn »mh die
fryen gob doch soll er sy pvs innen fry mit den meinsten
schätzen, ob dann ein Heimischer die fryen gab vor ßwonnen
het Soll dem fremden nit zu statten komen Wann Iren dry
glich schütz haben!» mögent sy verstechen umb die mindern
gaben noch der fryen gab.
8) Item ein Jeder soll schießen mit fryem Arm.
9) Item gmein Hchießgeselleri sollen All Jor Zwen Schützen*
meisler wollen, Ein von Ruflach und ein uß der Montatt.
Dieselben sollent lubringen die gefeil und deppel unnd darumb
wie vorstat rechnung zu Ihiin ; Die Alten den Nüwen behelflich
zu sein. Was sy ordnen und ansetzenn soll doby blibun unver-
griflen die oberkeit m. g. H.
10) Item ein Zcügcr soll den febutzen swern, oder uf
das minst glopenn getrwlirh am Rein zu warten ouch glich zu
messen, fremden und Heimischen noeh einer besten verstent
nus, niemant zu lieb noch zu leid, sieh ouch fließen die bollz
f
ukiÄÄhican
— 130 -
uß zfi ziehen und deren zu schonen sovil Im inu^lich ist, und
gehorsam zu Bin, was in die Schieügesellen heitten. Dergegen
soll Im gedihen und werden wn eim Jedeu so die fryen gab
;;uint ü Rappen. Ueß^lichen der die nee liste gab noch der
fryen »wim «rit im ii Rappen und (allen schütz diewil die
zwölf schul« werent. welcher rio der nechsl Ist der git Jerier
dem Zeuger 1 Heller) : das in Klammern stehende
gestrichen! tlie naechst darnach tri! ein Rappen. Von
ei n e r spä te re n Hand, vvohl 17. Jahrhunderts,
hinzugefügt!
11) Iietn was dem Zecher bevolhen würt: kouffen oder zu-
beslellen, wiu brot oder Anders soll er getrwlicb tbün, nit
hoher geben dünn eis halt. Solr.hs den Schulzen meistern zeflgen.
■IS) Item wer es das einer unzimlich schweren thet oder
sich In Ander weg unzimlich iiielle, es wer mit Haderen oder
Anderm Soll gebessert werden mit 1 moS- wines, doch vorbe-
halten die grofi des Mißhandels.
13) Item Ein yeder so die fryen gab gwint soll den
neehsteu noch genJ sunlag die bollz im schilt tragen (und die
iLohea Stucke?) oder einen verfugen für In zu thun by einer
penn thul i (i.
14) Item so die schult geschehen soll keiner für den Rein
loülTen sonder der Zeuyer und der die boltz Im schtll lre»t
Es wer dann das man ein schützen meislers nottürffij> wer zu
messen, mag man In darzu hernffen (by der straff thitt i muß
wiii es). Von späterer Hand hinzugefügt, wohl
17. Jahr hundert!
15) Item ein Jeder so umb die fryen gab schießen will
der soll lu£en das er ungewarüch den dritten Sünlag noch dem
und man angeschossen hatt, do sy und ouch schieße, mit er-
slattung des teppels. Welcher das nit tete ssoll den surncr die
fryen gab nit gwinnen.
16) Item wer es ouch das einer nit fci Ziten kern, So man
an valit zu schießen, ist eim Jeden zugeloßen, So er kuinpt
Ee der drill Schutz geschehen ist, den will man sin sümschulz
losten erfüllen. Weiter wirt Keim zugeloßen.
17) Item die von (Egeßn, überschrieben von der-
selben Hand jedoch mit anderer Tinte), pfaffen-
heim und geberschwiler, soll in diser geselechafi glieb als die
von Rüffaeh gehalten werden. Von anderer Hand: Auch
die von Hatstalt mit [rem Anhang.
18) Ilem wann die xii schütz geschossen und ouch ver-
slochen wi'rl so sollent die schützen allgmeinlich verbfinden
sin zwen spiel Zugesellen zu schießen. Es wer dann dz eim
Ein Schützenmeister erloubt ursach halb hinweg zugen dann
ukiÄÄhican
- 161 -
heu man der statt alweg iiij moß Win», feompl ^meinen gsellen
zd stur.
Von anderer sp-Uer^r Hand, wohl noch 16.
J i ii r h n niler t :
19) Welcher die fryen j*ob wil gwinnen soll tor V* (= einen
halben) schießen dan schießen und den deppel gehen.
Spätere Registratur- Schützen Ordnung
Vermerke ;
SnhAlzenordniing ZU Rufach.
Bemerkung ! Ein Rogen Papier. Wasserzeichen, Ochsen-
kopf mit T.
1508.
Die S ch ü tzc n g escl I seh a f » von Rufach bittet
deu Bischof von S'raßl>ui(.' um Krliölm ny der
bisherigen Gc Id^ubvcnl ion.
Hochwürddiger Fürst Gnediger Herr \\. F. G. Seindt unser
uimderthönig ^ehor34m schuldig unnd £untz williger Diennst
jeder Zeit! zuvor bereit!, Demnach H<>chwürddij{er Fürst Gne-
diger Herr geben E. F. Gn. wir schützenmeiater Sampt der
ganlzen geselschnfft der Fucbsenschntzen dißer Statt Ru facti mit
Pitt gannts unnderthenigclich und demuti^eltcn zu erkhennenn
wie daß Obbemelte Geselschaflt diaer Statt von E. F. Gn. nit
mehr dann vier gülden unnd von dero Stall zweenn gülden
unnd Sechs Crefltzer haben daß difie Geselsch*fft dero ßüchsen-
whu 7i-n dißer Statt Rufach alle Sonntay Nur umb Lsnndt-
herger schießen unnd die Geselschafll Ina zimlichem Abyan«
unnd sich täglichen schwächt deren deinen gaben halben
Onnanngesehcn daß tun In allcnn umbliegennden Stätten
iiiriil Fleck heu Irin dein unnd großen uund IiinsuniiderlieilL zfl
Herrleßbeim unnd Haltstatt umb LuniidtiftrJi tücher Schießen
Ihüt. So ist es doch dißer Statt HGt.nl) die doch die Haupl-
statt dißer E. F. Gn. Herrschaft Oherun Monndiaht Ja nit Nor
Spöttlich Sonndern ganntz nschtheillig ist.
Unnd Wir mitt Vorwysunj», mäßen hören n In «eselschafft
wo wir hinauß kommen unnd so unnser Kinei dero Schützen
dißer Stall Rüfach ein ^ab ilußw. gewinnt! tjo Sprüchen uimseie
uinbligennde nachbauren So wir zu Rüfach Nur umb Lannd-
ber^er schießen So wollend sie unns aöch deß^leiicben geben
und dero Spöttlichen Wortt zu dem daß sich die Geselschafft
täglichen schwächt unnd unns Anndcic umbildende Schulzen
schiei* nit mehr zö unns wöle und unns woln und unns des-
halben zun. tiieil cßßcrn tätlich höreiin mäßen und entgelten.
r
ukiÄÄhican
— 182 —
Nünn wörennd noch vil lnn dißer Statt Höfach dein unnd
große Hannsen Keuch unnd Ann Bürger die gerne schießen
wollten So man umb Lenndlische tücher schieben würde wie
ann anndern Ortten unnd Enden Daß es diser Statt RÜfacti nit
Nor vorweiölich unnd Spottlieh ist Sonndern ganntz nachteillig
und abbrtechig.
Derrenn geUwungner unnd nachteiligen Ursachen halben
La im gl ann Ir« F. Uri. uimser unndertbönige und ganntz de-
mütige Dille AunnifTeu unim flehen daß die uuÖer F. Gn.
wöllennd dißer GeselschafH der Büchßenschützen dißer Statt
Rüfach Ire gaaben De»*erun und Störckhen darmit Obbemcltc
Bfichßen Schützen nach F.. Fl. Gn. Ordnung alle Sonntag umli
ein Lundtisch tüch schießen möchten Damit Obbcroclto Geacl-
scbafTL uu. Wiegender uachbaurschafft Onverweißlich und dißer
Statt Rutsch Onnochteilij daß der Stattlicher luii Gott und
ehrenn möchte erhalten werden wie andern um Mietenden ennden.
Das wollend von £. FI. Gn. wir dero schfit/en (_l?«elschafft
obbstent mit tröstlicher Zuversicht In aller Gehorsamkhcilt
unnd demütiger Lnndeiihönigkheitl ein Gnedigen Hanntt-
reichung gewArltig sein, unnd Neben dem mit Leih und gütt
wie wo) das wönig ist gehorsam mgkheit verpflichten ^eborsam-
lich Unverdrossen verdiennen wollen Da rinn In Golt unnd E.
Fl. Gn. Schutz unnd sebürm uantz vunderlljöniylichen be-
velhen thün.
K. Fl. Gn.
unndertböni^e
und gehorsamme
Cor.nradt Schilling
und Jaccb Läpp Leide scliüuen
m eitler Sampt dero
pannUs Geselseliaft't der
liüchßen Schützen der Slatt
Hüfach.
Supplieationn Ann
Hochwürddigen Fürsten und
Herrenn Herrenn Johann
Li wollen unnd besteltigten
Hischoue zu Straßburg
Landgrauen In Eisuli
unrserr, Gnedigen Fürsten
unnd Herrenn Herrenn
Unaderthönige unnd dein-
mfUtige Buchßen Schützen
meist er Sampt dero gantze
OsellschalTi iißer Slatl Rufach
ukiÄÄhican
— 183 -
Kanzleivermerke; Receptus 7 April A*>. 508.
Beyern J. f. g. wollen gnädig
dise stoür thün dz sie gleich andern
mögen umb lindische düocher schießen.
Original. Papierbogen mit Wasserzeichen : Bischöfliches
Wappen von Straßburg mit Monogramm BL unten am Schild,
Rufacher Sc li ü tze n or d n u ng. 1639.
Zu vrißen das der Hochwürdig Fürst und Herr, Herr
Wilhelm Bischoue Zu Strasburg und Landtgraue zu Elsaß
SchüUenmeisleren und gesellen derBücbsenschützen Zu Rufach
umb mehrung und handihabung Löhlicbs wesens und guter
Ehrlicher geselbchufft willen Solch Hernach gesch ri bei) Ordnung,
wie die von stfickh z« stßrk begriffen isi, In betrachtung daß
das dadurch solche gesellschailt desler bestendijier In eiin er-
baren und Züchtigen wesen Lest an und bleiben mögen« be-
willigt, zu^relossen, und becrefftiget halt, Als das sich, heimisch
und frombd Schützen mit dem schießen auch so sich Irrungen
und Zweyi rächt under Inen begeben, darnach zu halten wißen,
bey den Pocncn und Pesserungen In nachfolgenden articlen be-
griffen.
1) Item Anfangs und Zürn Ersten aollen Geinei..e Büchßen
schützen der Statt Rüfaeli alle Jar ufT St. Jörnen laß des Hei-
ligen Ritters, Zwen Schützenmeister under Inen «ätzen und
welen, die beide Burger zft Hüfach seindt, solche Ordnung zß
Handhabung und wie hernach volgt sin Llffsehen ?fi thfin.
2) Item welche Zwen durch die schießgesellen gemeiulich
oder der mehrer Theill also gesetzt und geweblt würden die
sollen sich des nit sperren, sonder daßelb Jar uß Meister sein
und pleibeii. Er helle dann einer deß gfftt redliehe entsohül-
digung, die durch gemeine Schützen fflr genüg9am geachtet
werden möcht, Also dann soll er deßen erlosen und ein an-
derer an deßelbigen stall erweit werden.
3) Item es sollen gedachte Meister wann sie also »esetzt
und gewalt werden mit Hand (gegebnen treüwen an eins Hech-
ten aidt3 stat geloben, ein getrew unnd fleißigs UfTsehen bey
den gesellen zu haben, Unfflr unnd Ungeschicklichkeit nach
«iues Jeden Ubcrlretlung au slralTen. Solch Ordnung zu ha mit-
haben und die gesellen gleich, einen als den anderen umb
sein Uberlrettung mit Inbringung der beßerüngen anzuhalten
und daran nach crkandlnflß nichtzit nachgelaßen , Unnd ob sich
begebe das einer under Inen, Er were, wehr er wolt, bfieß-
fällig würde, und sich in verfall ne 3traff nit begeben, und den
OiaJi'l Itom
UWVERSITVörVKHGAN
— 184 —
Meistern solch beßeruntren eigens in in will ans for halten weil,
Also das sie Ine xü deren bezalung nicht bringen möchten,
Alßdann sollen sie solches an einen Vogt gelangen lassen der
Inen beholfen aein soll, auch denselbigcn umb sein Ungcbor-
Aöiube weithers zu sliaflfen macht haben.
4) Jlem die Meister sollen auch solches gell so sie vonn
straffen und anderen Innern en gelrewlich verwaren, und in
«in veischloßene büchs legen, und die beide Meister die böchß
hinder Inen behalten, und keiner ohne den anderen die bßchs
uffschließen, und waß von gemeiner schützen wegen Inzünemen
unnd ußzugebon nofb ist eollen eie gotrewlich thün.
5) Item es tollen auch die zwen Meister samptlich nach
ußgan^r Irs Meieterampts, den new gewöllen Meistern, In bey-
sein gemeiner schießgesellen oder de£ mehrern theils Ihr In-
nemens und Uflpebens, jjflete Erharr Rechnung thfin und was
fürstaodts sie haben mit sumpf der Biichßen Inen übergeben.
0) Item es sollen auch die Meister und Gemeine schieß-
gesellen u fl" gemalten St. Jörgen tag syben under Inen sitzen
und wehlen, die sibener genannt, derenn zwenn der Alten
Meister sein sollen, unnd wann die Meister sareint oder sonders
etwas von gemeiner Schützen wegen zuhandlen haben, daß sie
für sich selbs allein nit genügsam wehrendt. ußzurichten,
Sollen sie gemelte Sybner darzft berüeffen unnd erforderen, und
Inen Gelegenheit lrs anliegend» oder ffirueuiena fuiballeti, die
eollen Inen Ire HÄth und gut bedüncken darinnen gelrewlich
mit theülen, und waß sie also hanndeln, das soll daher pleiben
und von den gesellen nit widersprochen werden.
7) Item es soll Keiner von den gesellen eigens fOrnemens
understahn etwas zu thün, das gemeine schießgesellen betreffe,
Efi wordt luic dann d&rch die Meister, odor Inn Irem abwesen
durch die sybner beuoluen, so auch einer von den Meistern
oder sybnern zu etwas erfordert wärt, der soll Inen des £e-
hoisarob sein, Welcher aber deren eins übertrett, der beßert
nach derselben erkantnnß und Gelegenheit der Ungehorsame.
8J Item es soll auch uli gemelten St. Jörgen tage ein Zeiger
gesetzt werden, der voll den Schützenmeistern Inmaßen die
Meisler mit handt gegebenen treuwen an eines Hechten Aidts
stall, ireloben, den Meistern den sybnern und gesellen In seinem
beuelcti zu gehorchen und j^eirewlichen 2ü warten, und am
Rhein gleich eim als dem andern, dem frembden al3 dem
heimischen nach seiner besten Verstendlnftß zu meßen, niemand t
zu Lieb noch zu Leidt.
9) Ileiu der Zeiger seil alle sonlag und andere tay so man
schießen willens, den Rein schwertzen oder bestreichen oh es
anders noth ist.
ukiÄÄhican
— 185 —
10) Item der Zeiger soll auch u(l die Schulz die da ge-
sehenen, wahr nemmea, oh einer zwen Klotz, oder gefidert
Klotz schieße, und so es geschehe soll er den Schützenn
Meistern solches förderlichen und alßbaldt anzeigen, die wißen
sich darnach weilhers darinn zuhalten, wie In eins nachfol-
genden articul dauon gemeldet wilrt.
11) Item dem Zeiger soll man (sie) zu Lohn geben werden
so mann uuib die Hoßen schiest, zwen Pfennig, von dem der
die Hosen denselbigen tag gewint, und darzü die Klotz die der
Ter (sie) verschoßen, die auch sonnt Keiner suchen oder uffhehen
soll, dann er der Zeiger bey sechs Pfennig straff.
12) Item wann die Meister gedunckt noth seiu, ein Ver-
guiiuiluug gemeiner schießgeselleu zfi haben, und deßbalbeu
«in lag oder stand! für nehmen, unnd denn Zeiger befehlen den
gesellen ufl dieselbig »tündt züüerkhünden und anzusagen sul
er dem hinderlichen nachkommen.
13) Item welcher dann zu solchem gebott ungehorsam und
ohn Redliche entschuloiguug die durch die Meister für genüg-
saiu yeacht möcht werden, ußplib, der beßert so offt das
bescheue sechs Pfennig.
14) Item were es saeh das sich ann einem bontag oder
sunst an einem Tag, so mann umb die Hoßen schießen solt be-
gebe, daß under swelff schießgesellen am Rein wehren, der Jeder
sein eigen bucht unnd geaeüg helle, so soll man den tag nil
umb die Hoßen schießen, sonder t'ürschlagen oißes die Schützen-
meieter dunekt geschiclclich sein.
15) Item ob uff ein Sontag ein Jars lag oder hoch fest als
unnser Lieben Frawen tag, oder dergleicbenn gehell, So soll
man denselbigen tag auch nit schießen.
16) Item ob sich auch uflf ein Soiilag oder sonst uf ein
üg so man umb die Hosen schießen woit, Solch Ungewilter
oder andere YertiQuderuiig begebt das den lag mit dem schießen
slillgeslamien wurde, so soll es ujeichermaß ungeschlagen
werden, docli also wann man will, darnach umb dieselben un-
geschlagen Hoßen schießen, daß ein Meister solches den ge-
selleu durch den Zeiger oder so sie ohne das am Rein ver-
sandet seindt verkhünden sollen, sich darnach mögen gerichten.
17) Item ein Jeglicher Ußlcndiscbcr oder Bürgers Knecht
derein schießgesell sein, und in diegesellschafrt knommen will,
der soll Züuor In die ßüchß geben einen Schilling Pfennig und
sein geschütz habenn, und halten, und weicher daß nit thäte
der soll nit angenommen noch zugelaßen werden.
18) Item es mag ein Jeder frembder er seye welcher er
wolle, umb die Hoßen schießen, doch daß er die frey mit den
Meisten schützen und angestochen gewinne.
r
ukiÄÄhican
— 186 —
1'.') item wan ein hvmbder die Hosen gewinnt, so soll er
mit der Inlege gehallen werden, wie manu frembde schützen
an dem ort, da er her ist hall, wehre er aber uß eim Heekhen
oder Dorff, da kein büchßen schießen gehallen würde, so soll
demselbigen uinb unsers Gn. Herren gab zu schießen nit zü-
«elaßen werden, Aber unib den Zinn may er woll schießen,
«loch soll er sich mit dem Doppel und Zeigergell hallen, wie
der brauch ist.
20) Item su man uuiL die Musen schießt, soll Keiner zu
dem Rein gohn, elwas der schütz halben zu besichtigen, ohne
beuelch oder Zülnßunjc der Meiatcr, aonder dem Zeiger daiümb
glauben, welcher daß darüber t hat der soll denselbigea tag
Kein gewinnend nn den Hosen haben, und darzu In die Buchfi
beßeren sechs Pfennig.
21j Item Welcher in di* echeib schießt, der halt ein
schütz, und als bald! er den schütz gewinnt soll er den an-
zeigen laßen, wo er aber daß nit thdte und wartete biß ein
anderer schütz geschehe, so soil er den schätz verloren hann
und im nichts riarffir wei'den. Es were dann- saeh, das Inm
etwt.fi redlicher Ursachen daran saümbte, die därch die Schützen-
meister linüysain geachtet werden möcht, daß auch zä der-
selben erkantnuß stahn soll.
22) Item Ol> einer uff ein lag so man umb die hosen
schießt die meiste schütz heue, und aber denselben Sommer
die Hosen iuor ein mal ^ewünoen nette, demselbigen sollen
die Hosen denselben Sommer nimer ge^ebenn, Sonder dem
der. darnach demselben, die meisten schütz hall, gefiolgt werden.
23) Item, welcher uff ein la« die hosen gewiuut, der soll
den anderen nechsten tag, so man wider schießt, dem Zeiger
helffen steckken und das feür halten. Welcher daa nit thete,
oder Kein anderen an sein slat bestelle» ehe man anfahet zÖ
schießenn der soll beßeren In die büchß sechs Pfennig.
-4) Item Welcher am stanndt dreymal anschlecht, es brenn
oder nit, der soll den schütz dormit gelhon haben.
25) Item es soll Keiner am stanndt .Inneren oder ander
Bistung thün, Sonder zääor und ehe er an den stand golit
allerdings Gerüst sein bey- sechs Pfennig straff.
Sri) Item welchem sein hftchs ?iim aweiten mahl versejt
und er die andcrwerls laden wolt, soll Ime nit gegönnt werden,
Sonder vi:m drilten mahl anzünden, versagt sie [ine dann zum
letstenmahl, so soll er den schütz damit #ethon haben.
27) Item welchem sein büchs also wie obsieht versagt, der
soll die alßpalt uffgwicht gegen dem Himmel unnd nit gegen
die Leuten heben, uffdas nieraandts dadurch schaden geschehe,
Welcher das nit lhate. der beßerl In die bücliß sechs Pfennig,
Orion fl irom
UWVERSnYörVKHIGAN
- 187 -
Wo aber geferde von einem rermerckt würde, der solle da-
rumb sein slrofl ncmcn und deren warten sein.
28) Item es soll auch ein Jeder der urnb die Hosen, gelt,
gaben oder Kleinster schieße» will, mit freyem arm ahne allen
Vortheil und geüerden schießen, die büchß fornea nit ansetzen
noch u fliegen, Welcher aber daß verbreche und KundLlich von
einem würde, der soll darumb nach der Schützenmeidter der Sibner
i.r.ml i-cmcii^ schießj>esellen erk^ndlnuß ^esirafTt werden, und
beßerung tbfin, afleh derselb schütz zfi gewann Ime nit gellen.
29) llem es soll auch Keiner keinen gefiderlenKLotzschießen.
schrodt wehre, auch Keiner zwenn Klotz In einem Schutz
schießen, welcher deren aber eins verbrach, unnd daß Kßndt-
lich würde, der soll sein htichß »und schießgezeiig tinnachlöß-
lichen verloren haben, und darzu nach erkandtnuß der Meister
und gemeiner schulzenn gestrafft werden.
30) Item welcher Kerne und schießen wolt, nach dem die
gselleu angefangen, und ein schütz yelliou hallen, der iiiay
auch wol schießen, doch das er sein Doppel Inlege, und uff
cen geschehenen schütz vereeiche, dann dem Kein nachschfttz
gezäunt werden solle, darumb sich ein Jeder schicken soll das
er unverzogenlich zu zwelffen am Rhein seye, dann bald' es
schlecht sollen sie zÖ schießen anfahen.
31) Item es soll Keiner an einem Sontatf oder anderen
tag: so man umb die Hosen oder andere gaben schießen will,
leinen Versuchschutz zum Khein oder Scheiben Ihn», welcher
caß verbrech, der soll denselbigen tag umb die hoßen oder
ander Kleinster Zuuersteehenn nit Zögelaßan werden.
32) item wehre es sach daß einer die scheih (reff, und
der Klotz nit durch gieiitf. also, das rnan daß Luch nit zu-
schlagen möcht, der soll damit keinen schütz gemacht oder
einen lsenen Nagel troffen helle.
33) Item welcher ein Slreifschurz thäte also daß der
Zweckh nit hefften oder sleckhen inechte, der soll damit Keinen
schütz gemacht haben, Es seye umb die hoßen oder andere
gaben, und damit mann deß bewöruiig hab, so soll der Zeiger
nach dem er dem Zweckh Ingesleckhl hal, die sebeib drey-
malen umlrfreiben otine (reuerdt, Bleibt dann der Zweckh
steckben, so liatt er ein schütz, fallt er aber Im Umblreibenn
herauß, hall er damit Keinen schütz gemacht.
34) llem wan einer schupft I und die sebeib doch trifft So
soll er damit Kein schätz gemacht nahen, wo aber einer ver-
■neiner wolt, er bette nit gC6chüplTt, so sohlen zwen unparley-
ischen durch die Meister verordnet werden solche sampt dem
Zeiger zu besichtigen, und waß sie rfeßhalb sagen dem soll
geglaubt werden.
r
mänwSoKm
— LÖS —
35) IUmi so offt elwaß Irrungen und Zweifeln der schütz
halben entstann, und der Zeiger begert Im© Jemandls von den
gesellen zu be&ichtigen zßgeben, sollen die Meister ihfin, und
zwen des fürnemmens unparl heyisch verordnen die dem Zeiger
solchs h elften besichtigen und nach der besieht igung darinn
brechen, wie Im nächsten artieul hierinn vermeldt.
36) Item welchem solche besichtigung wie vor steht durch
die Meister gepotten und beuolhen vrürt, der soll sich der nit
widern Sonder gehorsamlichen thm welcher daß nit tbäte
der heßert unnachlößlich In die Buchs 6 A.
37) Item welcher an dem smndt stoht 211 schießen und
Ime angzündt also das die Biichß ußgaht, der soll sein schütz
damit getliou Laben, er habe die büchfl wie er wOll.
38) Item wan einer den senutz gelhon, so soll er daß feür
ableschen, und nit zu den gesellen oder in die Uülenn tragen,
damit Inen Kein schad besehene, welcher daß verpricht der
beßeit so offt daß geschieht sechs Pfennig.
39) Item welcher etwas von geechirr Es sej gleich was es
woltj das den gemeinen schießgesellen züslah ', zerbricht oder
verwußt, der soll alßbaldt von stund an anderß In gleichem,
und nit minderem Werdl an die Statt Knuffen oder In dem-
selben Werdt bezalcn ohne Widerrede, Welcher duß nit tlmte,
und an solcher Widerlegung seümig würde, der soll nach der
Meister der sybner und gemeiner gesellen Krksndtnuti weither
gestrafft werden, und solchen schaden demnach auch bezalenn.
4*») liem welcher der anderen In ernst heißt hegen oder
Zorniglichen flucht eder ein freuenlichen schwur thfit, der soll
so off das heschicht ohnnachl.'ißlichen In die huchä ließpren
einen Schilling Pfeuuig.
41) Item wan eiu Meister einem gebeut zu schweigen und er
nit von stundt an gehorsam were, der soll beßeru sechs Pfennig,
Gepotte er Ime züin aaderen mahl und er noch nit gehorsam
were, der soll beßern zwenn Schilling, würde aber einem zum
dritten mehl spotten, ao beßert er für Jedcßmchl einen Schilling
Pfennig, wo aber einer über das dritt gepott ungehorsam
wehre, waß dann zu letzt durch die Meister Sibncr und ge-
sellen gemeinlich oder der Mehrer theil deßhalb erkannt würdt,
daß tollen die Meister von dem oberfaretiden Inbringen und Ime
daran nichtzit auch laßen.
42) Item es soll Keiner, Esseyen Schiit2enmeister oder andere
gesellen am Hein, umb die Hosen, gaben, gelt, oder Kleinster
schießen, der Kein Hosen anheile, Ks were dann sach daß
einer elwas mangels oder gebrechens an Ime hetle, derselb soll
ungestraft zügelaßen werden, doch daß er sonst mit Erbaren
und zimhlichen Kleidern die Ine bedecken angethon seye.
ukiÄÄhican
— 189 — .
43) Item welcher etwas unzucht mil reibßen oder der-
gleichen begohdt, oiler unzüchtige und sur.il schampere wort
redt, mil Uflsatz. und volbedachtem möt, der soll so offt das
beachicht unnachläßlichen bcßcrcn sechs Pfennig, Es möchte
aber ein solche grobe Untücht eei» die einer großen straff
würdig were, dersell>en straff sollen die Meister maeht haben
auch die nach erkandtriuß nit nachzülaßen.
UL) Item were es sach daß etliche gesellen am Rein oder In
Jt*r schießhülen miteinander zwylrfichtig würden so sollen sie
Spenn für die Meister bekommen, die sollen die syhner und
welchen sie sonst mehr von den gesellen wollen, zu Innennemen
und waß die darum erklienneu oder machen, dabey soli es
bleiben. Welcher aber dar wider theie der beßert züsampt vor-
erkandter straff umiacbläßlich fünf Schilling.
45) Item ob sich zfl zeitten begebe, daß Borger oder
ändere frembdt oder Heimisch die nit schießgesellen wehren
licj Jneu Zehren oder aunat ge&ellschaftt Lallen wollen, dern-
halb sich einicherley Uneinigkeit begebe, die sollen daß auch
für die Meister und gesellen bekommen und waß dieselben
rlarinn entscheyrfen, dabey soll es pleiben, und weither nit ver-
thedingt werden, Wo aber eine» daa r.it hielt, und sieb da in
Kein straff begeben wollt, der soll durch Schultheißen und
Räth umb unsere wegen nachaestalt der Sachen gestrafft werden.
46) Item ein Jeder schießgesell, soll der Meister gepotten am
Reinn gehorsamb sein, welcher das nit thete der soll nach Uß-
weisung der Artic&l hieftor und nach ge3chriben gestrafft werden.
47) lieni welcher Srliießgesell am Vierdten Sontag mit
seiner Buchßen zflm schießen genial nit ann Keirn Korne, oder
sein Doppell am YierdMm Sontag nit lulegte der soll deusel-
rigen Sommer Kein gewinne an den hosen haben. Es thäte
daune einer deß Redlichen .Ehehaffte entschßldiifuDg, als da
ist, Leibs luili, Herren notb, und dergleichen, alsdann soll er
(Jnersert sein darinn auch die Meister, die Sybner und gesellen
erkbemieu, und sprechen sollenn.
48) Item ob ein schießj;esell einen Sohne oder Knecht
belle dem er sein büß zu unseren Diensten oder nöthen ge-
tanen hetle, Als zu eim Veldl Ziig oder sunst Erlichen Sachen,
oder er aelbs In solchen unseren Diensten üß wehre, soll dem-
selben oh er am Vierdten Sontag nit an Reinn Kerne, sein
freyheit und Gerechtigkeit zu cen hosen unbenohmen sein,
sonder wie ein anderer schieß^esell zö allem gewian wider
zügelaßen werden, Unnd damit Jelz gemalte bücbßenscbützen
dest Gutwilliger und geneigter seyent, solch loblich gesellschafft
wie vcrslal 711 halten. So haben wir mit sampt eim Krsnmen
Rath Unserer stat RA fach geordnet Inen allen Sontag und andere
r
ukiÄÄhican
— 190 —
lag, so sie uinh die hosen schießen vier maß Wein* zu geliert,
doch so sollen wir bisebofl Wilhelm obgemclf, ol) sich ein
suleher grober und schwerer Handel zwischen genielten Böchßen-
schützen, einem Zweyen oder mehren begeben, daß Uns üß fürst-
licher Oberkeit zö straffen züsleet und geimerei. würde, daß der
Uns und Unseren nachkommen vorbehalten sein soll auch solche
Ordnung zu mehren und z4 minderen nach unseren und unserer
nachJcnniniHn willen und gefallen, aller Iltn» ungeriahrli<hen_
Geben uff &t. Jergen deß heiligen Ritters vnd marteres
Tai», Nacli Christi Unser» Lieiieu Herrn seburl gezalt, Tauseat
Fünflhändert dreißig und neun Jar.
Registraturvermerk auf dem Bücken des letzten Blattes:
Copei oder vei'zeichnuß
Schützenmeister und gemeiner f Gesellschaft der Bücbßen
Schützen / zA Rufach Löblicher Ordnung. 1539.
Kstabtisseinent in Reglement j concernant la confrairie
| des Tireurs de la ville de f Ruffaclj, an 1500 { Nr. 40. /
lit c ad lascicul. 16, Ruffacli. Lei zl eres durch-
8 tri c h en.
Papierheft mit bekröntem Schild mit Lilie und VVR. 8 Bll.
Ar ui brüst Schützen Ordnung zu R A f fa c h. 1574.
ZuwiJten Als der Uochwürdig Fürst und Herr, Herr Jo-
hann Erwölter Biseliofl zu SlraHburg und Lauotgraue zu Elsaß,
Unser Gnediger Kurst und Herr, und auch die Fürsichligen
Ersamen und Weisen Schultheiß und Rhat der Statt Ruflach,
den schiebVesellpn deß Armbrust Reins dsseihsl Jährlich zwi-
schen Sanct Georgen und Sanct Michelstagen, alle Sontag
Üiüecli zft einem liar Hoßen züüerschießen außgel«n. Und
damit sollich schießen desto stalllicher und redlicher seinen
fürgang habe, auch ^Ate geselschafft gehalten werde, so seindt
diese hienach stehende Punclen und Articul darüber uffgericht
und gesteh, Also und der gestalten, wo einer oder mehr
darwirier thfln würden, das der oder dieselben ohne gnad, ver-
rao% dieser Ordnung, daruinb gestrafft werden sollen, doch
möchte sien einer so ungeschicklich halten, daß man Inen bei
dieser Straff, hierin^ernelt, nit würde pleiben laßen, besonder
andern beöelbtii, und Ineu die straff zu weißen» darnach würdt
sich ein Jeder voll zu hallen wißen.
1) Rem In bernelter Zeit und Soniagen nach dem Morgen
Imbiß, so die glock Eilnen schlecht, sollen die schutzenmeister
schießen, und das Zyl utauateckon und cinzoschicßen, Auch uf
den tag nieman züüersuecben, wo das erfunden würdf, soll
uf don tag umb dio hoßen nit schießen und man soll senden
wan die glock zwölfte schlecht.
Onoiv! frorn
uwvEnsm'ör.MCHiciAN
— 191 -
2) Itern Es soll auch ein Zeitglock am Schießrain sein,
dieselb Zeitglock soll man w;.n der erst schütz geschehen ist.
darnach z& allen Schützen wjd man wider ansieen will zu
schießet, gebn laßen, und die weil: die gloclc nil leötPt, dann
schießen, und wer do schießet wan die glock geleület hat dem
geh man nicht/ umb den schlitz, und man soll nieman schirmen,
ob Ime ein windtfadcu oder am bletzwerck geborsten hat, noch
soll die gluck nit abgerichi werden, die gemein gluck hab deo
züüor Zwölften geschlage-n, und nach außweißung derselben fftr
und für bili zu endl also geschoßen werden.
3) Item were, daß nit zwöliT Schulzen da werenl, derhal-
ben man nit die Gabea gehaben tnöcbl. Sollen sie nach Rhat
der schießgesellen gemacht werden.
4) Item were das einer die meisten schüls rrette, der
vornihals denselben Snoimer die Hoßen gewönnen hetle, dein
sollen die darnach nit wider werden. Im so.l die best gab nach
den Hoßen werden, die einer nit mehr dan eiamhal gewinnen:
soll, Und die Hoßen dein, der nach die meisten schütz hat, und
wer also die Hoßen gewinnet, der soll neben vier Rappen In die
Buchs, und soll denselben nechsten Snntag darnach, die neehslen
-B'1'2 Im Schilt tragen, oder einen bestellen an sein statl, wer
daß nit thal, soll geben den gesellen ein Schilling, doch soll er
dem Schützenmeister und dem Zeiger helffenn müßen, und
sonst nieinan hinzü^ehn, obn UrlaÄb, bei Puß einer maß weins.
5) Iiem Ein Jeder so Jeden schätz der nechsl, soll «n
Haller geben, und den nachfolgenden schütz aidtmun sein.
6) Ilem wer* eß, haß ul pinwi Sontag, so man umb die
Hoßen schießen soll, und nit sieben schiefyesellen, der Zeil
In der Stall wereiidt, oder sonst ungeschickter oder etlicher
ifeschäfft halben, so soll man umb die Heß denselben tag nit
schießen, sonder lürschlagen uf ein Andern geschicklern lag,
dech mit verkündung der schießgesellen. *
7) Ilem eß mag auch ein Jeglicher frembder, der nit
Borger zu Rflffach oder schießgesell ist, umh die ho3en schießen,
doch daß er sie frey gewinnen soll, mit meisten schützen, und
ob ein heimischer gleich mit dein frembden schütz helle, sollen
sie mit einander stechen, der frernbde umb daß gelt, der hei-
misch umb die Hoßen
8) Item Es soll kein Handt\vercksge3ell die Hoßen gewin-
nen als ein heimischer. Sonder als ein frembder wie obsleht,
Es were dan daß der gedingt were mitJahrlnhn, doch soll ein
Jeder sein eigenen schieß Zug haben.
9) Hern Es soll auch geineiulicli eß sei frembder oder
heimisch mit i'reyem Arm schießen, ohn allen vortheill und
gefehrde, wer aber hierinnen seümig erfunden würdt, soll
f
mSSwSoKm
— 192 —
darumb gestrafft werden, mich erkandluüß gemeiner schieß-
ges eilen.
10) Jtem t£s sollen gemeine schießgesellen, alle Jalir zwen
schüt2enrneister setzen und ordnen, die der Gesellen gelt und
gefeil, treulich einzusamlen, und einzubringen, afich außzii-
geben waß sieh von den gesellen wegen gepürt. Und wan sie
darfion abslehn, Rechnung zu thuen, auch anderer sachen, die
die gesellen antreffen fretrefilich 7Merwalten, und wan die
Schützen meiater Jet zfindt von des Reins oder der Schießgesellen
wegen zQ R ha Ischlagen hal«n, So sollen Inen die Alten
Sckützenmeister behilfllich sein, und waß sie also ordnen und
machet), das soll dabei bleiben, Ducti uiisrern Gnedigeu Hern.
und der Statt Ir Recht und Freyheilen vorbehalten.
11) Item lis soll auch ein Jeder Zeiger geloben, den ge-
meinen schießgesellen, und waß zu derselben geselschatfi gehört,
treulich zu warten, und In dtsui Rhein gleich Zyll rneßen, dein
frembden als dem heimischen nach seinem peslen vermögen,
Niemand! zu Lieb noch zu Lcidt, sonder *ich Heißen des Bollz
am auß&iehen so best er mag und kau, Es soll auc i ein Jeder
Zeiger gehorsam und gewärtig sein, was sie Inen dan heißen
von der Gesellen wegen, ohn getelirde.
12) Item deß-deichen waß Im beftolhen würdt «in snkaüflen
und zAbeetelleu, Es were brotl oder anderß, soll ers getreulich
thuen, nachdem aller bebten und gleichsien Pfennig, und so er
daß also kouflt, dem gesellen nit höher oder theurcr rechen, dan
wie eis genhoirien bat, also soll ers Zeilen dem Schutzennieister
oder den Schieß^esellen, ob die SchüUenincister nit da werendt.
13) Item Es soll auch Keiner schweren bei dein Namen und
Glidern Jesu Christi, fräuentlieh Gott damit zu nhennen, welcher
das verbricht, also Gott lesteit mit Zornigen frluentliehen Wor-
ten, rter soll gehen ein Schilling In St. Sebastians BrfideischaiTl
14) Item Es soll auch keiner den Andern am schießen
r'r;ii enlich heißen liegen In verachmfiß weiß, wo das geschehe
der soll beßern zwo maß weins den gesellen.
15) (!nd auch weiter hat man gemeinen Schießgesellen rar-
behalten, und Insonderheit auch unserrn Gnedigen Fürsten und
Herrn, von Straßburg, diese gesthriebne Ordnung haben zu meh-
ren, zu mindern, und zu endern, nach Ihrer F. G. gefallen, unri
ist diese Ordnung gehen und gemacht am Sontag nach St. Geor-
gentag, als man Zalt der gepurt Chrisii unsere Lieben Herrn
und seligiuauhurs. Fünfsehn hundert Siehenizi;? und vier Jahre.
Armbrustschützen Ordnung /.Q Rfi flach.
Papierbogen mit Wasserzeichen : Buslerstab, darunter ein
Kreuz. Eine andere Abschrift davon auch; Papieibugcn mit
Wasserzeichen: Schild dlrin *\ee Baslers ab, darunter Mi.
ukiÄÄhican
VII.
Sprachliches aus Straöburger Rats-
protokollen (der XXI).
Mitgeteilt von
L Hüller.
1570 Mäii 6.
Streit zwischen den Umwohnern des Ulmer Grabens wegen
AusführuQg des «Notwerks» (Abfuhr des Menschenkots).
April 22.
Der Lochen* seißt an, er hab vor Jahren all wegen 5 Grendel
vor dem Weißen Timm Rehabi, die im Fall etwan Reuter ms
Land kommen, verschlossen werten, daiu die Thorschließer
Schlüssel gehabt. Die seien nun abfangen. Erkannt; Bauherrn
und Dreier sollen die Grendel wieder zurichten und verbessern
lassen.
April 24.
Die Illkircher Wart sei wohl mit einem Grendel ver-
wahrt, daß man nit herüberfahren könne, man könne aber
mit viel hundert Pferden herCberkcmmen. Soll besichtigt
werden.
Mai 8.
Ein 7, y 1 Sahnen werde um 10 ß geboten, was zu teuer.
Van soll die Sa Innen wieder nach dem Pfund verkaufen.
Dezember 30.
Nicolau« UäQsaraba, ein Herzog Bassarabiä, Valaehiä und
Transalpinae (? Transsilvaniae) bittet um eine Steuer, hat Zeug-
nisse von Venedig, vom Koni? von Hispanien etc. Erkannt:
13
ukiÄÄhican
- 194 —
Der Roraff soll das Maul auftua uad ihm
20 Taler in das Angesicht speuen.
4571 September 10.
Daß die Schwaben, denen das Burgrecht abgeschlagen
werde, nit desioweniger mit Weib und Kinder hie bleiben.
September 15.
Der Ammeister zeigte an, es sei ein Seh wob bei denen
am Ungelt gewesen und ein Zeichen für 70 Fiertel Früchte be-
gehrt.
September 10. 17. |
Dos Gestünde und Verkaufcns halb jvor dem Münster
unter der Predig — der Släjuderling halb unter der Predig
uff den SonUg vor dem Münster und hin und wieder auf den
Platzen.
1571 Oktober 1.
Wann den Schwaben das Burgrecht Ton E. Rathabge-
schlagen wird, kommen sie doch wieder, verändern die Namen,
verkleiden sich und bleiben nichtsdestoweniger in der Stadl.
Erkannt, Haussuchung vonJHaus zu Hau« durch riie Zünfte
anstellen zu lassen.
Oktober 8.
Daß viel großer Leitsclien oder Hund auf der Gassen
laufen, der Ammeister soll, wann es Gelegenheit, befehlen, sie
zu schlagen.
Oktober 10.
Daß der Stadt wider das alt Herkommen Commissarii auf-
gedrungen und also Neuerung fürgenommen werden wollten.
Oktober 31.
Noppen au (Oppeiiau).
1572 Februar 25.
Der Schaffner im Spital wird wegen eines unpassenden
Ausdrucks in einem Bericht zurechtgewiesen. Am Hand:
Schaffner im Spital ein V i I tz m a n I ei.
August 13.
Dr. Sebaidus Hanwe n reute r (wiederholt so !),
auch 1575 Dec. 21.
September 10.
Etliche G r ä ti de 1 oder Schlag vor der Stadt seien von neuem
au machen. Man sollte sie so zurichten, wann man sie fallen
ließ, daß sie sich selber inschJießen.
ukiÄÄhican
— 196 —
4573 Januar 49.
Betr. Aufnahme von einigen Kindern ins Waisenhaus,
die andern aber, so bresthaft böse Köpf haben, soll man in
lic Boß auf- und annehmen.
November 26.
Nahe oder Fährschiff
1573 März 2.
Peter Kest, künstlicher Laternenmacher (verehrt dem
ftath eine Laterne). Er wird für die schön groß Lucern mit
30 Thalern verehrt, ist ein armer alter Mann von München.
August 24.
Zeitungen aus Antorff 15. August sprechen von Erfolgen
der (ruften (Geusen).
Oktober 23.
Die Lotringer kaufen viel Spint oder Füllspeck alhie.
November 23.
Die Triackorskrämer (Theriakskrämer) haben am Fiech-
markübrunnen fei, sulleu aber künftig am Gimpel mark
feil haben.
1574 Februar 8.
Aergeraiß in der Karwochen durch Spielen auf dem
Häflemarkt am krummen Mittwoch.
August 23.
Jacob Riedinger, Claus Bauß und Jacob $art, meiner
Herrn Hautnerker, aul altleutsdi Katschierer, bitten lim
Erhöhung ihres Wochenlohns von 7W S ß auf 9 Schilling.
(Am Rand ; Khatschierer).
Es sind wobl die am 20. Oktober erwähnlen Horb-
k a r c h c r gemeint, deren Besoldung wöchentlich auf 9 j£ ge-
bessert wird.
November 15.
Dem Wasenmeister verboten, auf die großen Bettag mit
dem Scheußkarch tür die Kirchen zu fahren.
1575 Mai 25.
Statt Dicbio am Hand : Diebenio zu Obflrebnheim
(wiederholt so).
Juni 22.
Wehren des Kostens, so auf die neuen Werb zwischen
der [grünen] Wart und dem Wyckbäuslein gangen, wird >or-
S
ukiÄÄhican
— 198 —
geschlafen, daß der Zollkeller im Wykhäuslein ein Wegseid
erhebe. von jedem Wagen 8 «f, von einem Karch 4 -f das
Jahr nur einmal. Genehmigt. Jftrjj; von T.andsperg ist da mit
einer Gutechen förg«fahren , wollte daß Weggeld nicht
geben .
September 5.
Große Klage, daß die Vaß nicht recht gesinnt werden.
Der Bischof soll der Sinn halben den näuniuiigöko^eu
tragen.
Septernher 4.
Dieirich Coron von Tor neck in Flandern Passement-
macher (Toumai, Donrniek).
September 17.
Faulkriesheim (Pful£riesheim).
Novembor 14.
Man sagt, dß eine große Anzahl Reuter wiederum in dies
Land herauf ziehen solle and daß, wo solches Volk nicht Wein
und Brot finde, es übel haushalte. Zu bedenken, ob ui.d wie
ein Com miß cur die Reuter anzurichten.
November SM.
Neben E. Hat von Schietstatt steht auch : Unat zu Sc hleck-
statt
1575 Dezember 15. 17.
Ein Gesandter de3 Herzogs von Alencon, des Bruders des
französischen König», Namens W. de la Nocle, kommt vor Rat
and tragt seine Werbung französisch vor, die durch ßtittel-
bronn(Procurator)üböl vertcutscht wird. Von don Käthen uno 1
XXI — wird gelegentlich angeführt — seien etliche der
französischen Sprach auch erfuhren.
Dezember 19.
COMOD hei R u r n d i*a u 1 1 (Pruntrut).
157G Januar 30.
\m Rand: Michael Möller c« Hans Walsletter Hosen -
scheu ssens halb (es handelt sich um eine Schimpferei).
Februar 18.
Häufiger Vorname Ülade, Cladi oder Gl ade = Clau-
dius.
April 28.
Es ist von Ackerleuten zu Illkirch die Reüe t am Rand
steht als Betreff dafür Ackermeyer. Im Eintrag auch ein-
mal: die Meyer.
ukiÄÄhican
— 197 —
Mai 5.
Hans Scbewcnpl'legel, auch Scheu den pf legel.
1576 Mai 12.
Den verbrannten Leuten bu Gries läßt man aus
Erbarm bei das Bauholz zollfrei passieren.
Mui 14.
Dem Ammeister M. Liechtensteiger wird eine Bitte ab-
geschlagen. Dies sollen ihm die Herrn Johann Schcnkbcchcr und
Sixt Baldner mi Heilen, bedankt sieh Herr Sehen kuecn er des
Sc blech lins.
Mai 21.
Anläßlich eines Diebstahls 2U Barr steht um Kand als Be-
treff : D i e b e n i o zu Barr.
Mai 23.
Wenn man die Pfeifer brauchen wolle, könne man ihnen
nichts weiter als sie verlangt, abihädigen (abdingen,
weniger geben).
Mai 2-3.
Biäher sei Stoffel von Westhofea Kuchen uieislec auf des
Ammeisters Stuben gewesen, nah sich aber desselben Befelchs
en tschättet. Man habe deshalb mit Jacob Beckern ge-
bandell, der sei willig der Zunft zu dienen.
Juli 9.
Die auf den Reichstag verordneten Herrn schreiben, es
werde nit viel zu machen sein, sondern au besorgen, was die
ebern und höhern Stand thun und bewilligen, da müssen die
Stett naehhetschen, man wehre sich, wie man Voll.
Juli 48.
Hans Götz, an der Kays. M'. Hof ein Guardiknecht
oder Trabant.
Juli 30.
Wie der Türck in C r a b a t e n Einfall median, etliche
Grenitzheuser eingenommen.
August 6.
Herr Wolfgang Schütterlin, Ueichstagsabgesandter, schreibt,
er habe eich bereden lassen, sich auf den Reichstag zu be-
gebet» und sein Haushaltung au ein Negelir, gehenket.
1577 Mai 11.
Absünderun; der Wald und Loochung der Bäum. Am
Rand ? Loochbaum zu Barr.
uwvERsrrvörvicHiGAN
— 198 —
1576 August 6.
Der Amtmann von Barr schreibt, daß ein I.atiehbaum
in den Barrischen Wäldern , daran die Oberehnhei mische
und Rathsamhausische Wälder, umgefallen, der über Menschen
Gedächtnuß da gestanden, da die Notturft erfordere, einen
andern zu 1 a u c h e n , da es meinen Herrn großen Schaden
und Nachteil bringen könnte, wenn es unterlassen würde. Es
sei gut, sich mit Hans Friederichen von Rhalsamhäusen zu
vergleichen und eines andern Baum zu la neben.
Aujrust 18.
Dem Herrn von Rappoltstein wurde 1565 bewilligt, daß
sein Gemaael und Sobn alhie wohnen dCrfen. Die Jahr-
acht wurde auf 10 Jahr gesetzt. Er bittet, sie auf 15 Jahr
zu erstrecken.
August 20.
Herr Friedrich vuu Barr bringt allerlei Beschwerden vor.
man erkennt aber in ihnen lauter Fretlereien und läßt
sie deshalb unbeantwortet.
August 17.
Soviel Herrn Friedriebt Schreiben belangt des Holz halben,
soll mans ein Fretterey pleiben lassen.
September 3.
Angezeigt, daß einer von Marlenhein! allerband ungebühr-
liche Reden ungeschlagen. Bei der Nachfrage befand sich, daß
esgickis, geckes.
— Der Förster im Oedenwald zeigt an, es seien auf einem
Platz, der mit dein Bischof spennig sein soll, 40 inroße Bäume
abgehauen worden auf des Bischofs Befehl. Kr meine, dieweil
dieser Platz ein Missing (also nennt man die spennigen
Plätze), sollt sich dessen kein Theil annehmen.
September 8.
Ein Schreiben an Herrn Friedrich zu Barr soll so abge-
kürzt werden, wie es dann ignotan (bereits jetzt) in dem
Missivinim ist (in über missivarum zu ergänzen).
September 22.
Den auf den Reichstag zu Regensburg gesandten Herrn
wird bewilligt, ein Gautschen und Pferd zu kaufen, dar-
mit ihren Blundei heranzuführen. (Sie haben Truhen bei sich.)
Oktober 15.
Susanna Volmarin bittet sie zu begnadigen, ihr Mann
habe sie am 3, Ta^ nach dem Kirchengan^ verlassen, sie habe
UKlÄör'SlCAN
— 199 —
sieb 8 Jahr lanjj wohl gehalten, lebiich sich als ein blödes
Weibsbild übersehen und sich petzen lassen.
1577 Februar -13.
Triakerskrerner — Theriakskrämer.
Mirz 11.
In der Klage wider den verschuldeten Vidam de Chartres
heißt es, er habe seinen Gutschir, der ein Teutscher,
übel abgeschmiert, weil er nit fahren wollen. (Der Vidam
wollte heimlich aus der Stadt.)
April 3.
Zu Griesbach seien 3 Häuser und 13 Scheuren e b g e -
h r u n n e n .
April 29.
Jetzuader seien vil kranker Leut, sonderlich vil in G e-
giebten Hegen, deswegen sollten die Schütten bei ihrem
Umzug nicht plemperen (schießen^.
Mai 11.
Man hat zu Barr einen Brunnen delben wollen und
iat uff 8 Glafler tief hinabgekouitneu, aber kein Wasser ge-
funden.
UWVEnSITl^rMCHICAN
VIII.
Ein Beitrag- zur Geschichte des
oberelsässischen Weinbaues.
Von
Wilhelm Beemelmaiis.
s.
tehr oft hören wir von unseren Freuen bewegliche
Klagen über die Dienatbotennot, und ältere Damer versichern
hei solchen Gelegenheiten recht gern, in ihrer Jugend, in der
sogenannten guten aller Zeil, sei es auch damit weit besser
gewesen. Im Bezirksarchiv in Coliiiai 1 Jijj den 'sich einige Ak-
tenstücke aus dem Ende des XVI. bis Mitte des XVII. Jahr-
hunderts [1579— 1(>46), in denen uns dasselbe Klagelied ent-
gegengingt. Einzelne Sätze könnten heute geschrieben sein,
so sehr passen sie auch auf unsere jctaigcn Zustände ! Doch
ist 94 nicht die alte und doch immer wieder neue Feststellung,
— daß der Mensch mit seinen Fehlern und Schwächen, seinen
Leiden und Sorgen, zu allen Zeiten sich gleich bleibt — die
uns zu einer Besprechung dieser Urkunden veranlaßt. Vielmehr
will uns da» Mittel, mit dem man die Schäden zu heilen und
dem Uebel zu steuern suchte, als der Darstellung besonders
wert erscheinen — haben wir es doch mit Vereinigungen
von elsassischen Slädten und Herrschaften zu tun, welche
die Arbeits- und Lohnverhaltnissc für den Rebbau regeln
wollen.
Es kommt hierbei hauptsächlich das Gebiet der heuligen
Kreise Colmar und Rappoltsweiler, also etwa drei Fünftel der
mit Reber bepflanzten Fläche des Elsasses in Frage.
1 Bezirksarchiv des OtereUasses : Serie E 49. Herr Archiv-
direktor Dr. H&uviller hatte die Güte, mich auf diese Aktenstücke
aufmerksam zu machen.
ukiÄÄhican
— 201 —
Durch eine Bittschrift », welche Schultheiß, Bürgermeister,
Rät und geschworene Richter samt der tanzen gemeinen
Bürgerschaft der Herrschaft Hohlandsberg am 31. Oktober 155Ö
von Kienzheim aus aa ihren Herrn richteten, werden wir mit
der Lage der elsässischeu Reblmuern vertraut gemacht. Der
«wohlgeborene, gnädige Herr», an den die Bittschrift ging, war
kein geringerer als Lazarus von Schwendi, Freiherr von Hohen-
l.inrlsberg, der sich in Kienzheim von seinen Kriegstaten aus-
ruhte und der sich in seinen Besitzungen rechts und links des
Rheins als weitschauender und einsichtiger Landesvater be-
wiesen hat. Dadurch, daß er die Tokajer Reben im Elsaß aus
Ungarn einfuhrt«?, hat er sich auch um unseren Weinbau ein
bleibendes Verdienst erworben * !
In der erwähnten Bittschrift wird ausgeführt, in den lelzten
H bis 10 Jahren hätten sich nicht nur die Lohne mehr als
verdoppelt, die Lebensmittel seien auch immer mehr gestiegen
und dazu käme, daß die Knechte, Mägde und Tagelöhner über-
mutig, stolz, eigenwillig und halsstarrig geworden seien. Früher
hätten sie sich su Fastnacht, zur Erntegans und zum HarbsU
braten nach alter Sitte mit einem Feiertage begnügt. Jetzt
wollten sie drei oder vier Tage in den Wirtshäusern liegen,
unbekümmert darum, ob der Acker- oder nebbau solche Unter-
brechungen vertragen könne. Tänze und Kirch weihen suchten
sie nach Gutdünken auf und verhetzten sich gegenseitig zu
Halsstarrigkeit und rnhotmäßigknl. Kein Dienst hnte ließe sich
mehr etwas saj^en und ginge beim geringsten Tadel ohne Kün-
digung und Rücksicht auf da* Ziel davon. Der Dienstherr
müsse sich dann nicht nur unter der Zeit einen neuen Knecht
für einen unverhältnismäßig hohen Lohn dingen oder seine
Güter mit Tagelöhnern bebauen, er werde sogar von. rien Amt-
leuten oder Richtern gezwungen, dem ausgetretenen Knecht
den Lohn zu bezahlen. Der Rebmann sei unter diesen Um-
ständen genötigt, jede Nachlässigkeit und jeden Mutwillen
vou den Knechten zu ertragen, ihnen Essen und Trinken nach
Wunsch aufzutischen, damit sie nur bis zum Ziel bei ihm aus-
hielten. Nicht anders benahmen sich die Fuhrleute und die
Mägde. Wenn das so weiter ginge, brächte der Rebbau nicht
mehr so viel auf, um Knechte und Mägde zu besolden und zu
beköstigen. Die Bürger müßten von ihrem ellauptgute»' zu-
I Diese Bittschrift ist bereits erwähnt bei Hanauer, £:u<lcs 6cono
miqofig, Tome II, Denreee et salaires, Paris Strasbourg 1878, p. 511 ff.
3 Vgl. Dr. Adolf Eiermann: Lazarus TOtt Schwendi, Freiherr
von HohenlanilRhftrg. Freibnrg 1*104, Saite 100. Aura. 4.
II Stau Ilauptgat sagen wir beute Kapital.
ukiÄÄhican
— 202 —
setzen uod endlich selbst zu Knechten und Tagelöhnern werden.
Die Güter blieben ungebaut liegen und würden zu <regerden»i.
Die Bürgerschaft werde schließlich nicht allein cmit Weib und
Kind in das Klend ziehen und den Bettelstab an die Hand
nehmen», auch die Obrigkeit müßte einen merklichen Abbruch
»n Steuern, Gewerfen*, Schätzungen, Frondiensten und Grund-
zinsen erleiden und dadurch selbst der Schmälcrung und dem
Untergang entgegengehen. Es sei deshalb dringend geboten,
durch einen nachbarlichen Vergleich dieser Gefahr zu begegnen.
Dies sei um so eher möglich, als die wörtlembergischen und
rappoltsleinischen Untertanen, sowie die Stadt Kaysersberg
unter den gleichen Verhältnissen lillen. Auch in diesen Ge-
bieten nahe man ähnliche Rirtsrhrifien an die Obrigkeit ge-
richtet. Die Einwohner der Herrschaft Hohlandsberg baten ihren
Herrn nicht nur mit den angefahrten Nachbarn, sundern auch
mit den Städten Colmar und Schieltstadt sich in Verbindung
m selten, damit ein Tax ausgeschrieben würde zur Eeratuug ;
«weichermaßen solche vorerzählle uolrägliche Beschwerden ab-
geschafft uod darlegen zur Handhabung der Oberkeilen Repu-
tation, der gemeinen Rnrgerschaft in diesem Elsaß zu Gutem
und zur Erhaltung ihrer haushäblichen Wohnung und Nahrung
eine gemeine Vergleichen;: und beständige Ordnung, wie man
sich fürhin rait de6 Dienslvolks, als Rebbnechten, Karrern,
Kellerin Besoldung und andern) dergleichen, auch der Taglchuer
und Verding Ober das Jahr oder einer Arbeit insonderheit halb,
halten, fürgenornmen und aufgerichl werden möch1e.>
Die Bittschriften der einzelnen betroffenen Rebbaugebiete
an ihre Obrigkeiten hatten den gewünschten Erfolg. Am 7.
Januar 4580 traten die Bevollmächtigten der wurtleraber^ischen
Gi-af- und Herrschaften Herburg und Beichenweier, des Laziirus
Ton Schwendi und der Städte Colmar, Kaysersberg; und Türk-
heim in Colmar zu einer Beratung zusammen. Klaus von Hatt-
statt und Egenolf von Rappoltstein waren ebenfalls eingeladen
worden, aber nicht erschienen. Zu Colmar wurde eine ein-
gehende Ordnung: der Löhne und Arbeitsbedingungen für den
Rebbau entworfen. Am 18. Februar 1580 fand eine neu« all-
gemeine Zusammenkunft statt, bei welcher der Entwurf zum
Beschluß erhoben wurde. Egenolf von Rappoltstein nahm am
11. Mai 1580 zu Gemardie Ordnung an. Von den Entschlie-
ßungen Klausens von Hatistatt erfahren wir nichts. Mit jfaju
starb schon 1585 sein Geschlecht aus.
1 egert = ungepflögtee Feld Brachfeld.
2 (rewerf, die direkten steuern.
ukiÄÄhican
— 208 —
Bei dem Colmarer Beschluß bandelt es sich lediglich um
den Schulz der Arbeitgeber. Di»? Arbeilrehmer sind bei den
Verhandlungen weder vertreten (reisen aoeh gehörl worden.
Wenn wir den Angaben der lanrisbeorischen Bittschrift glauben,
ist die darin bekämpfte Sleigerun? der Löhne alter auch auf eine
Vereinbarung der Arbeitnehmer zurückzuführen. Wir blicken
also in einen Lohnkampf, der nahezu mit modernen Mitteln
gefuhrt wird !
Noch der Darstellung der Bittschrift von *157y hatte ein
Rebknecht und Karrer (Fuhrmann) vor 8 — 10 Jahren, also um
das Jahr 1570 höchstens acht Gulden > Lohn halbjährlich nebst
der Kost und dem Zubehör. Im Jahre 1579 forderie er für den-
selben Zeitraum schon 13—15 Gulden. Die Mägde stiegen mit
ihren Lohnansprüchen gleichzeitig von 2 — 2'/* f auf 5—6 f. f
Die Ordnung- von 1580 beginnt H; mit, daß sie das Abdingen
des Gesindes vor dem Ziel verbietet. Wer einen Rebknecbt,
Karret* oder Bauersknecht <in wahrendem Ziel» abdingt hat eine
Strafe von 3 g 5 ß Happen zu gewärtigen. Jeder der *ertrag-
schlie3enden Obrigkeiten steht es aber frei, höhere Strafen zu
verhängen. Weil die Mägde sich nach Ablauf ihrer Dienstzeit
nicht in Herbergen aufhallen können, his sin eine neue Stelle
gefunden haben, ist es gestattet, sie einen Monat vor dem Ziel
eu dinge«, aber auch uur dann, wenn sie vorher (mit ihren
Meistern und Frauen sich des Weilerdienens gänzlich entschlauen
und gegeneinander beurlaubt haben».
Die Ziele waren zu Johanni (24. Juni) und Weihnachten
(24. Dezember).
Die Dienstboten werden in der Ordnung angewiesen, ihren
Dienst pünktlich anzutreten und nicht, wie bisher, vier, sechs
oder acht Tage über das Ziel auszubleiben. Wer länger wie
zwei Tage ausbleibt, erleidet einen I,nhnahzii*r. Der Knecht
im Sommer 3 [J, im Winter 2 ß, die Magd, im Sommer *i ß,
im Winter i ß.
* Die hier in Betracht kommende Wälirnng ist die Colmarer.
Im folgenden werden als Abküraangca gebraucht werden; U für
Pfond Rappen oder Coimarer Pfund. % für Schilling:, -ti für Pfennig.
f für Florin oder (iulden.
Das Pfaad Happen war eine Recftnungsraünzc, die nie ausge-
prägt worden ist. Sie hatte den doppelten Wert des Pfundes Stäbler
Baseler Wahrung:.
Daa Pfand ß hatte 20 Schilling ß, der Schilling 12 -f.
■ Im Jahre 1583 galt das U Rappen 5.8i Ji, der 3 29 Pfennig,
der J 2 4 Pfennig und der Gulden 3.6* •■#.
vgl Hanauer, £tndea economjqnes Tome I, Les monnaies, Paris-
Strasbourg 1Ö76. p. 499 ff.
ukiÄÄhican
.— 204 —
Als Haftgeld oder Gottespfennig darf einem Knecht nicht
mehr wie 3 ß, der Magd atemur 1 ß gegeben werden. Wie weiter-
gehenden Geschenke und Verehrungen sind bei Strafe von i ff
verboten, da sie eine verschleierte Lohnerhöhung bedeuten
würden.
Wenn ein Uienstbole sich von mehr als einem Herrn Haft-
geld geben läßt, muß er 1 ff Slrafe zablen und dem ersten
Meister dienen. Wenn er dies nicht tut, muß er den Ort, an
dem er den Frevel begangen bat, verlassen. Für die Dauer
eines Jahres darf er in dem Gehiet des nachbarlichen Vereins
nicht mehr zu Diensten 2ugclasecn werden.
Wenn das Gesinde ohne erhebliche oder redliche Ursachen
vor dem Ziel den Dienet verläßt, iet der Mieter nicht verpflichtet,
ihm für die abgediente Zeit Lohn zu geben. Der betreffende
Dienstbote ist von der Obrigkeit mit Gefängnis zu bestrafen
und Jahr und Tag lang im Vereinsgebiet nicht mehr zu Diensten
zuzulassen.
Das Gesinde darf in Zukunft sich keine Feiertage nach
Belieben mehr schaffen. Au Fastnacht, tu der Erntegans und
zum Herbhthraten soll es je einen Tag feiern. Wenn die Dienst-
boten zu ehrlichen Hochzeiten eingeladen werden, können sie
höchstens 6wei Tage fortbleiben. Wenn sie die Feiertage mut-
willig vermehren oder verlängern, erleiden sie Lohnabzug nach
den Regeln, die für den verspäteten Dienstantritt gelten.
Alle «Winkeltänze», d. h. die heimlichen Tänze, aus denen
schon viel Unrecht entotonden sei, sollen in dem nachbarlichen
Verein ganz abgeschafft werden. Nur bei ehrlichen Hochzeiten
und ; -r: deren, von der Obrigkeit erlaubten «bürgerlichen Freuden»
ist ein Tanz gestattet.
Nach dieser Dienstbolenordnung bringt der Vergleich Be-
stimmungen über die Welschen, die mit dem Lohnkampf
nur in .«ehr losem Zusammenhang stehen. Datei sind zweierlei
"Welsche zu unterscheiden, die Franzosen, Savoyarden (Sophayer)
und Lothringer einerseits und die von Mümpeljart. Pruntruil
und die aus dem «'.rbi£thal, hieseit der Fürst * gebürtig».
andererseits. Die letzteren sind als würtleinbergische, bischöf-
lich Daseiische und rappoltsteimsche Untertanen ja keine Einge-
wanderten und Landfremden ! Die ersteren dürfen weder als
Bürger aufgenommen, noch dienstweis geduldet» sondern müssen
«ausgesebafft und vertrieben» werden. Hierbei sprachen nicht
nur politische Bücksichleu wegen der K^efab Hieben Läufe» und
der immerwährenden französischen Ueberfätle und Durchzüge
J-cbieseit der Füret (First)» iL h. auf der elsässische;! Seite der
Vogesen.
ukiÄÄhican
_ 205 —
mit, es spielte auch eine gewisse Eifersucht eine hülle. Die
Welschen halten offenbar sehr oft Witwen uad RürnerslOebter
geheiratet, talso da£ lelztlichen kein ehrlicher Bür^ersohn zu
keiner Heirat mehr kommen konnte I» Es wurde daher in
unserem Beschluß für die Zukunft auch die Eheschließung mit
der ersten Gruppe von Welschen verboten'. Die swette Gruppe
muß jeder Obrigkeit schwören, daß sie «alles dasjenig, was sie
hören oder in Erfahrung bringen, das der Obrigkeit, den Städten,
Flecken oder diesem Land zu Nachteil reichen möchte, bei
ihren Eiden d«r Obrigkeit alsobald anzeigen und mit keinem
unbekannten fremden Welschen keine Gemeinschaft habe») noch
machen wollen».
Der wichtigste Teil des Vertrages ist die Lohnordnung, die
für Württemberg» Rap polt stein. Hohlandsherg, Haltstatt, Kaysers-
berg, Ttirkheim und Oberhergheim gelten soll, Uie Stndt Cölmar
konnte sich nicht entschließen, diese Lohnordnung anzunehmen
und zwar deswegen, weil ihre Rebbauern dem Gesinde nicht
das Essen und Trinken in die weitentletrenen Weinberge nach-
tragen könnten. Ihre Arbeiter maßten sich tagsflner mit Kfls
und Brot behelfen und hätten daher auch Anspruch auf andere
Lohne wie die Arbeiter, denen die KosL geliefert würde.
Die Lobnordiiunjr bezieht sich auf das Gesinde, die Tage-
löhner und die Stücklohnarbeiter.
I. Das Gesinde wird halbjährlich entlohnt und zwar
erhallen :
1 . ein Rebknecht, der den Rebbau selbständig leiten kann oder
ein Karrer (Fuhrkueclit), der tu mehr wie einem Roß ^cdunjren
wird, den Ackerbau, das Waldwerk und das Fahren verstellt :
11 Gulden und 4 Lümmel oder Blälz Leder».
2. ein Knecht, der den Rebbau nicht seihst besorgen kann,
oder ein Karrer, der nur mit einem Roß fährt :
7 Gulden und 4 Lümmel Leder.
3. eine Magd oder Kollerin, die den Haushalt, die Vieh-
zucht und den Rebbau versteht :
3 Gulden und an Zubehör :
a) entweder 6 Ellen Leinentuch oder (3 g
b) s 2 Paar Schuh oder G ß
c) * 1 Schleier oder -2 i 6 4
4. eine Majrd die nichts versteht :
"2 Gulden und dasselbe Zubehör.
1 Vgl. bezgl. der ähnlichen Vorschriften und Verlm! Luisse in der
Stadt Ensisheim S. 5 und 21 in meiner Arbeit über: «Die Verfassung
und Verwaltung der Stadt Eneiehcirn*. Straßbur^, J. E. Ed. Hcita, 1908.
< Lümmel =■ Schuhfleck. Offenbar erhielten die Knechte die
Lederstücke damit sie ihr Schuhwerk in Ordnung: halten konnten.
ukiÄÄhican
ien*.
Band
iß
t ß
3 4
10 4
iß
2ß
8 4
Iß
1 ß
64
io 4
- x 206 —
II. die Tagelöhner erhalten für den Tag :
1 . im Winter, d. b. vom Herbst bis nach Fastnacht und
zum Beginn des Schneidens 1 :
a) für Grund- und Misitragen, Stecken ausziehen
abziehen* und ähnliche Arbeit im Feld.
b) ein junger Bub
c) zu gruben zur Winterszeit*
2. von Fastnacht bis Jakobi (25. Juli):
,ii ein Mann im Feld oder in den Beben
b) zu gruben
3. von Jakobi bis Herbst:
a) ein Mann
b) eine Frau im Feld
c) eine Magd
den Tagelöhnern, Männern wie Frauen, werden neben den
Löhnen weder Nachtessen noch Nacbltrünke verabreicht!
III. Die Stück) o hnarbei t er zerfallen wieder in
solche, die:
1. einen Acker Reben im Bann von Reichenweier und
Rappoltsweiler und den dazu gehörigen Flecken und Dörfern
in Bebauung nehmen. Sie erhalten für das Jahr und Jcuchert
(Jochart)» 12 Gulden und 1 Ohm (SO 1) Trinkwein. Die ab-
gängigen Heb p tu hie verbleiben dem Eigentümer und dürfen
ohne seine Erlaubnis nicht entfernt werden. Der Arbeiter hat
nur Anspruch auf das Abfallhclz.
2. für jede Arbeit insbesondere bezahlt werden. Es wurde
festgesetzt für einen Acker oder Jcuchert Reben;
a) im Schnittet (Beschneiden- der Stöcke) i U Rappen
b) zu Sticken (Aufstellen und Richten der
RebptfihU») 10 ß
c) das erste Hacken 3 f.
d) das Rühren (zweites Behacken) mit dem
Karst 1 8
e) das Rühren mit der Schober oder Schöbet
(Jäten ?) 15 ß
1 Vjrl. Herzcg. Die Bnt^ickelung uad Organisation des elaässi-
schen Weinbaues im Mittelalter. Jahrbuch des Vogescnklnba, XII.
Jahrgang, S. 27 ff.
2 Die Pfähle werden angezogen, damit dio Koben über Winter
In die Erde eingelegt werden können.
s Band abziehen r= Vorbereiten der Weidenblitder.
4 gruben - Aufwerten der (Jrubeu.
s Jeucaert oder Jichart = 30 a. Hanauer, a. a. ., 8. 536.
ukiÄÄhican
— 2Ü7 -
das Biegen, der beim Schneiden stehen
gebliebenen fierten 1 5 ß
g) das Heften (der grünen Schößlinge) und
Erbrechen (Verkürzen der Trauben
tragenden Aesle und Ausbrechen der
Austriebe am alten Holze) J5 $
h) zu Räumen (das Auslauben zur Beför-
derung der Traubenreife) 12 ß 6 4
Mit der Luliuordiiuiix schließt unser freuudiiacbbaHiclier
Vergleich. Wir erfahren aus unserem Aktenbündel nichts mehr
über die Schicksale des Beschlusses. Es ist anzuneunieu. daß
die Herren und Städte diese, den Arbeitgebern so günstigen
Vorschriften und Lohnsätze mit aller Strenge zur Geltung
brachten.
Eine reue Regelung der Lohnverhältnisse wurde zur zwin-
genden Notwendigkeit, nachdem die Kipper und Wipper die
gan2e Geldwirtsehaft Deutschlands in heillose Verwirrung: ge-
setzt hatten. Unsere Akten enthalten wenigstens eine Einigung
zwischen den «drei ehrbaren Slädten Kaisersberg, Ammers-
weillcr und Cüenßheim» 1 vom 23. Dezember 1623, die uns
zugleich ersehen läßt, wie die Lohne von 1580—1623, also. in
43 Jahren gestiegen waren.
In dieser Zeit der größten Münzversehlechierung (1621 —
1623) wurde das gute alte Geld eingeschmolzen und zu ver-
ringertem Werte neugeprägt. Aus einem Taler, der anfangs
in 24, Sparer in 36 Groschen zerfiel, wurden damals bis zu
360 Groschen gemünzt*. Mit der Entwertung des Geldes kam
ein liederliches Leben und Schuldenmachen und gar bald trat
ein gewalliger Krach ein. Es mutiten Mittel und Wege gefunden
werden» um in einigermaßen gesunde Verhältnisse zurückzu-
kommen. Vor dem Krach, am 24. Juni 1623. waren im
oberelsässischen Weingebiete die Knechte und Mägde ein dem
hohen ersteigerten Geldvalor und zwar ganz ungleich gedingt
und angenommen) worden. Vor Ablauf des halben Jahres,
für welches der Dienstmietvertrag galt, war das Geld «abge-
würdiget (entwertet) und fast wieder in den alten Gang* ge-
1 Amnurschweier und Kienztieim sind gemeint Kienzheim Ist
nie Stadt gewesen.
8 Ueber «Kipper uad "Wippei - virl. IL Balke; Einleitung in das
Studium der Numismatik. Berlin 3882, 5. 131 ff. — Derselbe: Hand-
wörterbuch der Münzkunde, Berlin 190fl, S. 158 ff. - F. Friedensburg:
Di« Münzo in der KoLurgceohiclrto. Berlin 19C9, S. 122 ff.
* Statt »Gang» sagen wir heute «Kurs».
ukiÄÄhican
— 208 —
richtet». £s war desbalo vorauszusehen, daß zu Weihnachten
bei der Lohnzahlung, viele Streitigkeiten entstehen und die
Obrigkeiten überlauten werden würden. Der Vergleich
zwischen den «drei ehrbaren Stadien» kommt nun zu einen,
mehr wie seltsamer Befehl. Am Zahltage soll einem «wohl-
geslandcnen» Oberknecht nicht mehr wie 15 f, einem starken
Mittelkueclit «etwa 11 oder 12 f und einem Jungen oder
Unterknecht 6, 7 oder 8 f und nicht darüber in der «jetzt
laufenden gemeinen Geldtaxo gegeben werden. Mit der.
Löhnen der Karrer, Mägde und Killerinnen soll nach dem-
selben Verhältnis verfahren werden. Wenn aber das Gesinde
mit diesem Vergleich nicht einverstanden sein sollte, müsse
ihm der ausbedun^ne Lohn in dem «hohen Geld» bezahlt
werden und wenn sich die Herrschaften mit dem Gesinde etwa
bereits in anderer Weise geeinigt hätten, solle es dabei bleiben.
Der ganze Befehl hatte wenigstens zur Erleichterung der Lage
der Arbeiiyeber bei der Entwertung des Geldes keinen Zweck.
Solange es dem Arbeitnehmer frei stand, den ausbedungenen
Lohn zu fordern, ist nicht einzusehen, warum Höchstsätze für
die Lohnzahlung zu Weihnachten 1623 nach dem damaligen
Kurse Yor^esch rieben wurden.
Für die neu zu schließenden Verträge vereinbarte man
folgende Lohnsätze, die zwar verschiedene Abstufungen zu-
lassen, aber schon in ihrem Mindestbeirage gegenüber den-
jenigen von 1580 eine erhebliche Steigerung aufweisen *;
1. ein belagler verständiger
Oberknecht oder Karrer soll
erhalten 14, 15, 16 höchstens 17 f
2. ein Mittelknecht 11, 12 oder 13 f
3. ein Unterknecht 6, 7 oder 8 f
Für Mägde und Retterinnen sollen dieselben LDline gellen
wie vor & oder 5 Jahren.
Das Hartgeld bleibt sich gleich.
Außer dem Lohn darf keinerlei «Verehr», weder Geld
noch Gehleswert versprochen werden.
Es scheint sogar das Zubehör weggefallen zu sein, denn
es wird nicht erwähnt.
Wer sich an diese Bestimmungen nicht halt, «sowohl
Herr» Meister und Frau, als auch Knecht und Nagd» zahlt
seiner Obrigkeit ohne Gnade 5 ff Strafe.
' 8. oben S. 208, Ann.. 1 und 2. Am 26. Juni 1623 galt das 8
Rappen A .96.,*, der ß 0,31 A. der -) 0,019 M mod der Gnlden 3,10 JL
ukiÄÄhican
— 209 —
Bezüglich der Verdingreben gelten folgende Sätze :
Es kostet ein Acker Reben zu bauen :
i. in der Weite oder mit starken Böden oder
in großen Gelinden 15 f
2. in der Nahe, am Berg, in sandigen oder heiß-
seheinipeni Böden oder in kleinen Geländcn 42 — 13 f
l>ie einzelnen Arbeiten unterließen folgender Taxe :
1. Schneiden, und Sticken 2 ! j» f
2. Hacket 3>Jt f
3. die kleinen Arbeiten 2 '/t f
Wer aich an diene SäUe nicht halt, verwirkt eine Strafe
von 3 ff.
Es wird verboten für einen Fremden, «er sei gesessen,
wo er gleich wolle», Reben im Stück- oder Tagelohn zu hauen.
Die Obrigkeit kann höchstens im Einzelfalle einem Bürger er-
lauben, für einen Fremden >/» Jeuchert Reben jahrlich zu be-
bauen, z. B. für den Hau$2ins oder gegen Messung einer Matte
oder dergl.
Jeder Bürger muß für «einen Mitbürger im Tagelohn ar-
beiten und zwar bekommt :
1. ein Mann für Schneiden, Sticken, Hacken,
Kühren und die andere Arbeit, neben der Kost 2 ß 2 *-f
2. ein Weib für die kleine Arbeit — neben
der Kost i ß 3 J
Außer diesen Fallen soll ein Mann neben Essen und
Trinken durchschnittlich 6* ß, vom Gruben aber nur 3 ß em-
pfangen.
«Wer mehr gibt oder nimmt, soll je nach Beschaffenheit
der Uebertretung gebührendermaßen abgestraft werden.»
Auch von dem zweiten Beschluß, den oberelsä3sischen
Obrigkeiten zu Nutz und Frommen des Weinbaus erlassen
haben, wissen wir nicht, wie er wirkte. Haben die andern
Teilnehmer am Vergleich von 1580 Aehnliches verordnet, tiaben
die «drei ehrbaren Städte» bei ihrem Vergleich das Beispiel
benachbarter Iterierungen befolgt oder aus eigenem Antrieb
gehandelt? Unsere Papiere schweigen hierzu Sie erzählen
uns aber, daß die Ohrigkeiten der hauptsächlichsten Weinbau-
gebiete kurz vor dem Westfälischen Frieden sich veranlaßt
sahen, nochmals eine einheitliche Regelung der Löhne für den
Rebbüu herbeizuführen.
1 Heißscoeiuig: sind solche Böden, deren schlechte Beschaffenheit
■rst unter der Einwirkung der Sonnenhitze sichtbar wird.
14
' ukiÄÄhican
— 210 —
Am 13. Juni 1646 traten die fAl^esancten des Herzogs
Leopold Friedrich von Würllembery;-Mfimpelgart wegen Horburg
und Reichenweier, der Herren Georg Friedrich und Hans
Jakob zu Rappoltstein, der Frau von und zu Hattstein *, ge-
borenen von Horneck, als Inhaberin der Herrschaft Hohlandsberg,
ferner der Städte Kaysereberg, Amrnerechweier und Türkheim
zu einer Beratung in Heichenweier zusammen. Zur Begrün-
dung dieses Vorgeheng wiederholte man die Klagen aus dem
Jahre 1579 fast mit denselben Worten. Alsdann wurde hervor-
gehoben, daß von der Königlichen * Regierung zu Breisach,
der Fürstlichen Regierung von Mümpelgart* und den Städten
Straßburg und Basel «auf ebenmäßig l-*=i ihnen eingekommene
Klagen bereits dergleichen heilsame Fürsehung^ucb besehenen*.
Es kam zunächst zu keiner* Beschlußfassung, vreil man erst
wissen wollte, was die Stadt Colmar für ihr Gebiet angeordnet
habe. Nachdem der Rat der Sladt Colmar am 20. Juri 1C4G
eine Ordnung erlassen hatte, traten dieselben Abgeordneten
am 25. Juni 1646 in Colmar im Wagkellert wieder zusammen,
verstärkt durch die Vertreter von Colmar und Nünster im
Gregoriental.
K& empfiehlt sieb, hier zunächst dio Beschlüsse der Stact
Colmar ins Auge zu fassen.
Die neue Ordnung 30II zu Johanni 4646 in Kraft treten
und mufi hei einer Strafe von 5 u Rappen * streng befolgt
werden.
Die Fuhr- und Ackerknechte sind auf das Jahr*, die Reb-
kneehte und Mägde nur auf ein halbes Jahr eu dingen.
I. Im Jahr soll erhalten :
1. der A.ckermei$lor oder Oberknecht in bar: 20— 30 f
und (> ß Haftgeld.
an Zubehör: 3 Paar Schuh oder für jedes i f
12 Lümmel, dem Pfund nach zu 7 p
3 Ellen weiß wollenes Tuch zu 11 ß
3 Ellen Zwilch zu 4 ß
1 EU. Oberst von Hattstein hatte die Herrschaft "cn Bernhard
von Weimar erkalten.
8 Die Kegieranjr Ludwigs XIV. in Breisach.
3 Hier ist die Regierung: für die Grafschaft Ifontbeliard selbst
geineint.
* Der Wagkeller war das Rathaus der Stadt Von: 22. Mai 1GSB
bis zum 1". September 100G diente er ab Site für den höchsten
Gerichtshof unseres Landes.
& Vgl. oben S. 203, Aam. 2. Im Jahre 1646 galt iae ffüappen
4,40 M. der 3 0,22 .*,, der ^ 0019 .* und der Gulden 2,75 JL
6 Vgl. § 3 der Oefiinfiaordnung vom 23. Juli 1903.
ukiÄÄhican
— SU —
2. der Mittelknecht : 16—18 f an Lohn und Haftgeld und
Zubehör wie der Oberknecht.
3. ein starker Roßbube ; 8—10 f und an Zubehör;
2 Paar Schuh 211 12 ß
8 Lümmel nach dem Gewicht
2 Ellen weißwollenes Tuch zu ll ß
4. Der Lohn der kleinen Roßbuben bleibt der freien Ver-
einbarung: überlassen.
II. Im halben Jahre soll erhalten :
1. ein Rebknecht: an Lohn 14 — 15 f; an Zubehör: ein
Paar Schuh zu 18 ß und die gewöhnliche Zahl Lümmel.
2. ein Rebjunge neben der üblichen Zubehör 8 — y f
3. eine Viehmagd, die nicht zu Acker fährt, 5 f
an Zubehör: 1 Paar Schuh ohne Ab-
sitze 711 12 ß
4 Lümmel,
6 Ellen Tuch zu 6 Kreuzer,
4. eine andere Magd 4 f
5. eine gemeine Hausinagd 3 f
fr ein großes Mägdlein 2 f.
Es wir! verboten, daß Leute, die vorher im Dienst waren,
sich als Tagelöhner ernähren. Sie sollen wieder einen Dienst
annehmen. Kein Bürger darf sie ohne Erlaubnis aufnehmen
oder ihnen Unterschlupf gewähren.
Das Gesinde muß bis ans Ziel bleiben. Selbst die Ver-
heiratung gilt, nicht als Künriigungsgnind, es sei denn, 'laß
der Dienstbote für i<ir.nehtr.lichea» Ersatz sorgt.
Die neue Ordnung wirkt auch auf ältere Dieustverlräge
zurück ; diese müssen ihr angepaßt werden.
Da3 Verbot des Abdingens wird aufs neue eingeschärft
und ehensn der pünktliche Antritt des Dienstes geholen.
Diese Colmarer Ordnung wurde bei der Versammlung im
Wagkeller gutgeheißen und mit den Beschlüssen der übrigen
Teilnehmer fast übereinstimmend befunden.
Die Beschlüsse der Tagung sollten von jeder vertretenen
Obrigkeit angenommen und dann durch den Anschlag ver-
öffentlicht werden. Damit wollte man auch einen Druck auf
die Handwerker und Gewerbetreibenden ausflhen, damit sie ihre
Preise herabsetzten, infolge guter Ernten seien Frucht und
Wein «in slaikem Abschlag und bei Mannesgedeukeii kaum
erhörte Wohlfeile gekommen». Der arme, aller Mittel ent-
blößte Landmann habe darunter viel zu leiden und täglich
würden sehr große Klagen gehört.
ukiÄÄhican
— 212 —
Im Eingang der Ordnung für die Vereinsgeuosseu werden
die allgemeinen Vorschriften betreffend Dienstantritt, Abdingen,
Austritt, Heirat, Tagelohn und Haftgeld wiederholt. Als Tag
des Inkrafttretens wird ebenfalls der 24. Juni 164ti testjresetTL
Die Ordnung muß bei 5 S Strafe befolgt werden.
Die Löhne des Gesindes werden in allen Fällen nur tür
das halbe Jahr bestimmt. Das Haflyeld darf 2'| 9 f nicht über-
steigen. Die neue Lohnordnung enthält eine Reibe von Be-
stimmungen, die in den früheren fehlten. Jn einzelnem be-
stimmt sie fftr :
I. Das Gesinde.
A. Knechte.
1. ein Ohftr- oder Rehknecht, der den Kehhau seihst fflhren
kann, oder ein Karrer oder Fuhrknecht, der zu mehr wie
einem Roß gedungen wurde und den Ackerbau leiten kann, das
Waldwerk versieht und des Fahrens kundig ist, erhalt: 16 f
2. ein Mittel kriecht, der keinen Rebbau führen kann, oder
ein Karrer, der nur mit einem Roß fährt, erhalt: 10 — 12 f
3. ein starker Junge erhalt; 6— 8 l
Diese drei Knechte habe« dasselbe Zubehör zu beanspruchen,
ein Paar Schuh oder dafür 1 f 3 ß sowie 4 Lümmel zu 7 ß
das Pfund. Alle anderen Zugaben sind verboten.
4. einem kleinen Hoßbuben oder anderen Jungen muß der
Lohn im Verhältnis tu den übrigen Sätzen befahlt vrerden.
B. Mägde.
1. eine Ma#d oder Kellerin, die Haushalt, Viehzucht und
Ki-hhan versteh i, bekomm! : 5 f
2. eine Magd, die das nicht versteht: 4 f
an Zubehör sind beiden zu geben : 6 Ellen Leinentuch
oder dafür 9 ß und ein Paar Schub oder 1 f.
3. einer Kindsmagd stellen zu an Lohn 1 f 9 ß und
4 Ellen Tuch und ein Paar Schuh.
II. R ebl e ut eor d n. u n % (Stücklohn).
i. Ein VierzeM Rehen übers Jahr zu hnnen koste) r
a) in schweren Gründen und großen
Geländen 4 f fc> j) 3 -J
und 2 Maß Trinkwein,
b) in (pichten Gründen und Sandboden 4 f
und \ Maß Trinkwein.
1 Ein Viertel ist ein Viertel eines Morgens.
Orion?! Itom
UWVERSnYörVKHIGAN
— 218 -
Das Bauen umfaßt : Schneiden, Sticken, Hacken, Rühren,
Schaben, Anbinden, Heften, Erbrechen, Räumen und alle kleine
Arbeit bis zum Herbst.
'i, Ein Vierzel Heben im Verdinj schneiden und sticken :
a) in wohlgebauten Gütern, die viel
Holz haben
b) in minderen Reben
3. Ein Vierzel hacken :
a) in s'.arker. Böden
und 2 Maß Trinkwein,
b) in leichten Böden
und 2 Maß Trinkwein,
4. Ein Vierzel rühren :
a) in starken Böden
und 1 Maß Trinkwein,
b) in leichten Böden
und 1 Maß Trinkwein
5. ein Vierzel zu schaben oder den
dritten Bau mit dem Geschirr zu tun
6. ein Vierzel anzubinden und zu
biegen
7. ein Vierzel zu erbrechen und zu heften
6. ein Vierzel zu räumen
9. in einem Viersei das Holz aufzulesen,
aufziihindpn und hinauszutragen
10. einen Pfahl zu graben :
a) in starken Böden und bei alten
Stöcken 2 4
b) in leichten Böden und bei jungen
Stöcken l'f s 4
1 f 10 4
11 ß 8 4
1 f 2 3 6 4
1 f
10 p
8ß 44
öS 8^
3ß 44
2 ß
I ß 3 J
Kost
III. Ta$;e lö h neror dn ung.
A. Für Schneiden und Sticken erhält :
1. ein Rebrnann ohne Kost
2. » » mit Kosl ohne Nachtlager
3. 9 » ji x mit u
4. » Weib oder ein starker Bub ohne
5.
Kost
mit
ftß
1 ß
1 ß
2-J
94
1 ß
Q4
1 ß
OrioinH from
uwvsnsm'orwicHiCAN
— 214 —
B. Für Hacken und Rühren erhah:
i. ein Kebmann, dar sein eigenes Ge-
schirr braucht, ohne Kost 5 ß Ö J
2. ein Rebmann, der sein eigenes Ge-
schirr nicht hraucht, ohne Kost S ß
3. ein Rebraann mit Kost 2 ß 6 *$
4. ein Fremder ohne Kost 4 ß 7 J
5. ein Fremder mit Kost und Nachtlager 2 ß
Außer dem Lohn und der Kost dürfen die Tagelöhner nichts
bekommen. Das Abfallholz von Reben und Pfählen dürfen sie
nur mit Erlaubnis ihres Brotherrn mitnehmen. Es ist ihnen
verhüten, das Abiäumlaub fortzuschleppen und Körbe in die
Reben zu bringen.
IV. Die anderen Arbeiten werden je nach der
Jahreszeit verschieden entlohnt:
A. im Winter, d.h. von Herbst ibis Lichtmeü (2. Fe-
bruar) erhalten diejenigen, die Grund (huiuus) und Besserung
(Dünger) tragen, Stecken ausziehen, Band abziehen und andere
Arbeilen in Wald und Feld ver richten ;
1. ein Bürgersmann ohne Kost 3 (3 4 -$
2. » j mit ö i ß • 6 4
3. ein Fremder, den man beherbergen muß,
ohne Kost 3 ß
4. ein Fremder, den man beherbergen muß,
mit Kost
5. ein Weih oder starker Junge ohne Kost
6. > » > » » mit >
7. n kleinerßub oder ein Mägdlein ohne Kost
H. » > » > » i> mit »
t
Die Uf»in*n Ruhen nnd Mägdlein tragen nur Grund oder
Besserung in die Rehen.
B. Von Lichtmeß bis Georgi (23. April) för
Arbeiten im Feld und Wald oder Garten bekommt:
1. ein Riirger r>hne Kost 4 ß 2 J
» mit » i ? 8 j
Fremder ohne Kost 3 ß 8 4
» mit » 1 ß 4 .j
Weib oder ein starker Junge ohne Kost 2 8 iO -j
y, » » » » mit y, 1 ß
{
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3J
1
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1
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3.
»
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»
5.
»
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>'
OiahH Irom
uwvEnsm'ör.MCHiciAN
Bürger ohne Kost
4ß
M
» mit »
SB
Fremder ohne Kost
4ß
M
» mit e
Weib oder starker Junge ohne Kost
1 P
3{J
M
» * > » mit >
< ß
3 J
— 215 -
& Von Georgi bis Michaelis (29. September) für
die gewöhnliche Feldarbeit erball ;
1. ein
2. »
3. »
4. »
5 >
6. »
Neben der Kost darr kein Nachtessen oder Schlaftrunk
verabreicht werden.
L. Für die Herbst zeit wird keine LohntOKO aufge-
stellt. Es bleibt jeder Ortsobrigkeit überlassen, alljährlich die
Herbstcrdnung zu machen und tu verkünden. Die Löhne der
Leser, Halt ch träger, Ausleerer, Trollknechte, Fuhrleute und
dergleichen Personen sind darin festzusetzen .
V. Besondere Taxen.
1. Mäher und Schnitterlohn beim Heumachen und in der
Ernte
a) für den Tag Mattenmachen sollen gegeben werden :
an Lohn 5 ß, ein vierpfündiger Laib Brot und ein
Maß Wein.
b) für einen Acker Frucht zu schneiden sind zu
geben : an Lohn 1 f, ein vierpfündiger Laib Brot
und zwei Maß Wein.
2. Stecken mac herlohn :
Ein Arbeiter, der Rebpfuhle im Verding macht, erhall fürs
Hundert au Fällen, Spitzen und Schaben 6 ß 3 j
Diese letzte Lohnordnung aus unserem Aktenbündel unter-
scheidet sich von ihren Vorgängerinnen durch die größere Zahl
von Einzelbestimmungcn und durch den scharfen Unterschied,
den sie zwischen Fremden und Einheimischen macht. Unter
den Fremden sind hier aber nur die Ortsfremden zu verstehen.
Zu einer Ausweisung der Welschen hatte man damals gewiß
nicht mehr den Mut, nachdem [die «gefährlichen Läufe» zu
einer Besetzung des österreichischen Gebietes durch die Fran-
zosen und zur Errichtung einer Königlichen Regierung in Grei-
sach geführt hatten.
Es ist nicht unsere Aufgabe, die weitere Eulwickelung der
Löhne im Elsaß zu verfolgen. Wir wollten nur versuchen, ein
Bild von den Lchnkämpfen der Weinbauern aus der Zeit vor
ukiÄÄhican
— 216 —
und während des dreißigjährigen Krieges zu geben. Leider
hören wir nicht, wie die Arbeiter, die sich den Ordnungen zu
filmen hatten, mit ihren Vorschriften 2ufrieden waren. Im
kleinen stellen sich die Taguntren der weinbaul reibender Re-
gierungen und Städte als eine Art internationaler Arbeileeber-
schuizkonferenz dar und dürften daher auch heute noch einiges
Interesse verdienen.
UWVEnSITl^rMCHIGAN
IX.
Ein Aktenstück des Pfalzgrafen
Georg» Hans v. Veldcnz-Lützelstein zur
Gründung einer deutschen Flotte.
Mitgeteilt
von
GL Wolfram.
L/aa nachfolgende Aktenstück, d&3 ich aus dem Straß-
burger Bezirksarchiv hier wiedergebe, gehört ia die Reibe der
Berichte und Schreiben, die Höhlbaum in den Mitteilungen aus
dem Kölner Stadiarchiv veröffentlicht hatte*, um auf rlie Be-
strebungen des Pfalzgrafcn Georg Hana v. Veldcnz-Lützelstein
zur Gründung eiuer Jeutschea Flotte hinzuweisen, ich nahe
mich mit der merkwürdigen Persönlichkeit des Pfalzgrafen
etwas eingehender in einem Vortrage beschäftigt, der als Ein-
leitung der Sammlung von Aktenstücken über die Gründung
von Pfalzburg, die sein Werk war, \oraufjreschickt ist*.
Schon früher hat Winckelmann in dieser Zeitschrift ober
seine Wegebauten in den Vogesen und das Projekt eines
Kanals durch das Zorntal gesprochen', v. Weech hat seine
Denkschrift Ober eine BeichKjustizreform veröffentlicht *, Pfan-
> Höhtbaam, Die Admiranulcten von ffalzgraf Georg Bans,
Graf zu Veldeuz. Mitteilungen &us dem Stadtarchive von Köln
XVJII. 1 ff.
* Jahrbuch der Gesellschaft für lothr. Geschichte und Alter
tumsfeande XX. 177 fl.
> Bani VII, 1891, p. 63 ff. Ein Förderer des Verkehrsvaaens
In Elsaß-Lothringen in 16. Jahrhindert.
* Ein Projekt zur Reform der Keichsjn&tie ans den 16. Jahr-
hundert. Neue Heidelberger Jahrbücher in, p. n ff.
/ ' Oiaii'l Itom
UWVERSITYörVICHiaAN
— 218 -
w
nenschmiri ■ ■ seine Verdienste um Hie Flößerei in den Vogesen
gestreift, v. Bezold 1 und Holländer' haben sich etwas eingehender
mit seiner politischen Stellung beschäftigt
Die Beurteilung, die ihm die Genannter zuteil werden lassen,
ist durchweg nicht günstig. Arn schärfsten äußert sich Bezold,
wenn er sagt; «Ein fürstlicher Praktikant ersten Randes, dessen
Gesielt in allen deutschen und außerdeutscben Händeln prahlend,
drohend und vor allem bettelnd zum Vorschein kommt. Ein
Mann, der mit seinen wunderlichen Einfallen und seiner origi-
nellen Grobheit ein gewisses Nameurecht genoß».
Nun ist es ohne Zweifel richtig, daß seine Projekte sieb
überstürzt haben, daß er politisch mit einem Größenwahn be-
haltet war, der in keinem Verhältnis zu seinen Mitteln stand,
daß ihn die Notlage, in die er sich und seine Familie durch
den Bau von Pfalzburg: und andere kostspielige Unternehmungen
gebrecht hatte, zu den verzweifeltsten Mitteln veranlaßte, um
sich zuhalten. Aber andrerseits muß man doch sajfen, daß die
Plane, mit denen er sich trug last durchweg im Kerne ge-
sund und gut waren und daß sein größter Fehler darin bestand,
seiner Zeit mit diesen Projekten um hunderte \on Jahren vor-
ausgeeilt zu ?ein. Ich habe in der oben genannten Abhandlung
auf Grund des Originalplans, den ich fand, zeigen können wie
sein Projekt eines Vogesenkanals durchaus richtig gezeichnet
und wohl ausführbar war. Es ist im Wesentlichen dasselbe
Werk, wie wir es heute zwischen Zabern und Arzweiler aus-
geführt sehen. Die Wege, die er gegen den Widerstand aller
Nachbarn durch die Vogesen baute, dienen 2um Teil noch
heute dem Verkehr. Die Gründung einer Spcrrfesle auf den
Vogesen, wie er sie in Pfilzburg schuf, war nach dem Falle
von Metz durchaus notwendig, wenn man dem französischer
Vormarsch auf Straßburg Widerstand leisten wollte. Auch
seine größeren Kanalprojekte für eine Verbindung von Mosel
und Maaß, von Maafl und Scheide waren technisch recht wohl
ausführbar, wenn die politischen und finanziellen Mittel dazu
vorhanden gewesen wären. Vor allem aber wird ihm sein
Plan eine deutsche Flotte ZU grOudeu die teilnehmende Er-
innerung sichern. Die Art seines Vorgehens war dabei wohl
erwogen ; das Gelingen seines Planes hätte dem Reiche unend-
i. Die Flößerei in alten Zeiten. Literar. Beilage zur Gemeinde-
zeitung für Elaa.VLotti ringen. 1881.
* Brief« des PfaUgmfen Johann fiasimlr. 'A Bände München
1882.
5 Straßbarg und die französisch« Politik 1574 nnd 1575.
Oberrhein Zeitöchr. XI. p 496ff. — Ders. Ein AnsohUg gesjen die
Unabhängigkeit Strasburgs i. J. 1Ö7S». B. XVII, p. 291 ff.
ukiÄÄhican
— 219 —
üchen Segen gebracht. Aber er hatte hei seinem Stürmen und
Drängen mit zwei Faktoren nicht gerechnet; mit der Schwer-
fälligkeit dsa Kaisers Rudolf und mit der kleinlichen Eifersucht
der deutschen Fürsten. Fast komisch mag es erscheinen,
laß er sich selbst als Admiral dieser Flotte in Aussicht nimmt.
Aber bedenken wir hierbei, daß es sich zunächst um organisato-
rische Arbeiten handelte : man maß — so sagt er — einen guten
G5nner haben, der dafür sorgt, daÖ die notwendigen Schrift*
stocke in der Mainzer Schreibstuben vor andern Sachen ab-
kopiert werden, daß sie bei Kurfürsten, Fürsten und Städten
vor andern Sachen ad consultandum gebracht werden, daß es
im Rat vorgebracht werde, wenn die fautores nicht abwesend
sind, . . . man muß wissen, «was Johannes mit dem gülden
Mund bei den obersten Gradibua ausrichten kann», vor allem
aber muß es ein Mann sein, «der vor K. Majestät, Kurfürsten,
Fürsten und Ständen das Maul auftun darf, auch die Bänke
und Verhinderungen keimt, su mau uflegl einzustreuen.» Für
all diese Tätigkeit war er jedenfalls wohl geeignet. Die Krieg-
führung; zur See konnte man dann ruhig den Kapitänen der
Hansestädte überlassen
Viele menschliche Schwichen haften dem Pfalt^rafen an,
über all den Sorgen und Fehlschlagen hat sich sein Geist, der
von Anfang an unruhig und unstet jrewesen ist, schließlich
uinnacbtet. Aber wir haben keinen Grund an der Ehrlichkeit
seiner Worte zu zweifeln, wenn ©r sagt: «Gottes Furcht,
meine Vaterlands Nuts und mein Ehr mir lieber soll sein als
Geld».
Das nachfolgende für die Sache wie für die Persönlichkeit
der Pfalzgrafen sehr charakteristische Stuck ßndet sich nicht in
den publizierten Akten. Die Orthographie der Vorlage ist, wenn
auch kein Autograph des Pfalzgrafen der Abschritt zu Grunde
liegt, doch beibehalten. Sie entspricht 2um großen Teil der
nicht nur stilistisch sondern auch orthographisch senderlichen
Schreibart des Pfalzers, wie ich sie sonst in Oiigiiialsiückeii
von seiner IIa ml beobachten konnte.
Pfalzgraf Georg Hans v. Veldenz-Lüttelslein richtet an Kaiser
Rudolf eine Bittschrift um Förderung des Admiralitätswerks i .
1582 nach Sept. id.
Allergnedipster Herr. Es spüren £. K. M. nhunmehr
gnugsam, in was groben eetaden und nachleill daß H. K. Reich
von wegen der Hintragt, so den seestellen mit benhemun? irer
■ Das Datum ergibt sich ans der Erwähnung ies An?abiirgor
Bcichetagca. 3. veitor unten, p. 233.
ukiÄÄhican
— 220 —
freyheitlen und aufferlegte beschwerun^en von freinbden poten-
tntoi: begegnet, also dae innerhalb Her zeitl, dar ich E. M. htnr
vater sehligen *on Verordnung eines ammirals, der die seesied:
in ainigkeit erhielt und deß Reichs contoren und cnmmercieii
wieder in rechten zwang brecht, über die 100 million, wie
klarlich dargethan kan werden, daß Römisch Reich schaden
gelitten, dahergegen wo man meinem ratth gefolget, nicht allein
solchen schaden, der schon begegnet, - vermuten sonder auch
ettlich million goltts E. M. herr vater sehliger durch daßelh
mittel! zu erhaltung der Ungerischen grentzen gasten dem
Tu reiten zugneiiem khomen wehre«, dieweill es ein haupl fuuda-
meni ist und darauß am allerbesten ein stattliche summ geltls
jerlichen ohne sondere des Reichs bescuweruiig au die liaudi
inajf gebracht werden, dardurch einem Römischen kayser contri-
buirt und die handl gebotten mag werden, und dan ein be-
willigte türckensteur über sieben oder acht lonnen gollts jars
nicht ertregt und E. M. so große mühe haben, solches von den
ölenden zu erlangen, und do doch durch daß amrnirallwerck
zwo, drey million zu wegen gebracht werden kan und es die
außlendi sehen merer theill auch den Inst mußen tragen heißen,
auch die slend über die turkenschat2ung in die haf gar
unwillig werden, gleich ;als auch 30 ein nolturft ist, daß uff
den fall E. M. hauß vom luyserthumb khomen sold, doch also
versehen möchte werden, daß ein beslendiges zu erholtun^r der
grenzen dero hauß verwilligt und verordnet werd, welches durch
kein ander mittel von den elenden erlangt werden und geschehen
magk als durchs mittel! deß ammiralwercks und erneuerurig der
contorn und kauffmansgewerb, also das mich vor Gott wunder
mmbt, daß E. M. und dero reith so blindt oder 90 unachtsam
sein, daß sie die schone gelegenheilt, so lange zeitt versäumen.
Den erstlich vrißen Eurer M. reth. daß nachdem ich E. M,
berrn vater seidigen die geheim außen deß ainiiiirallwercks uffen-
barlt habe mit der condition, daß dieweill daß inventum von mir
herkhome auch ich viel! uu kosten 5 und muhe draußgewendt,
daß Ir M. mich, meine kinder und hauß vor andern mir
solchem tittcl und anjpt befördern wolden, wie ea dan Ire M. (
wie dero schreiben noch außweißen, wie eß dezumahl von ihrer
M. bewilligt und zugesagt, zu befurdern jederzeitt sich erclert,
auf solches ich dazumals zuwegen gebracht, daß es wie die
1 Georg" Hanw natte vorgeschlagen, für den Ertrag - , der aich
nach Aufhebung des Suudr.olls. zu der er Dänemark mit der deut-
schen Flotte zwingen wollte, durch eine verhältnisniäßig gering?«
Abgabe der deutscher Handelsschiffe ergrebem würde, die Türken-
eteuer «u ermäßigen oder aufzuholen und die neugewonnenen Uittol
gegen die Türken zu verwenden.
UWVEnSITl^rMCHICXN
— 221 —
reichsacten außweißeo, im fürslen rattb, der K. M. bochlob-
ligter gedechtnu», dlß ein uochaottwendig nuUuch werck ife-
achtet, trey heimzusteilen sey scbritltiich erclert und übergäben
worden. Nacbmalä uuch durch die drey als Niedersächsische,
Westindische und Btirgundisclie kreiß auf gehaltenem tag zu
Gruningen lür ein hochnottwendig nutzlicb werekh geachtet und
H. K. M. ein. ararairal) su verordnen beimlge&telll worden.
Wie aber durch den unbedacht, daß man halt die Niedarlen-
dischen handlang mit der freibeutlerey unzeittiieben einmischen
wollen, eß von landtgraff von Heßen und andern protestierenden
elenden uff dem depttationatatf 2u Kranckfurib L aufgeschoben
worden und nachmals mff dein reiebstag zue Regenspurg durch
deü königs von Uennamark gefreundten verwurdt und gesteckt
worden, die nit gern die scbmelerung seines neuen gelegten
zots am si:n<in gesehen, weißeus die acta genugsamb auß, also
daß kurtzlich davon zu reden schimpflich ist, daß solche eigentt-
lich nutzliche Handlung bishero verplieben, willen gesebweigen
«ieß Schadens, so man drauß eutpfangen, auch noch teglich zu
gewarien, dardurch deß Heichs undergang eigentlich für äugen
schwebt, wo man eä nitt verbessern will. Und ob weil nicht
ein geringe urstcb auch gewesen, daß Heßen weill Holstein sein
sebwager (der vermeiutt gebapt ammirall zu werden) mir zu
mißgunst, daß ich ins amrnirallwerck nicht kbern, die meiste
Verhinderung uff dein depulationstag zu Franc klurt eingestrawel,
so wehr doch voll zu helffen gewesen uff mein zeittlich an-
rnhanen und verwarnen ; und die war heilt zu sagen, so seindt
wir alle beid in der wahrbeitt nicht sovill wertth, daß das Reich
uiub soviell million ^oltts cinßtlieilß deß mißgunst gesprengt ist
worden und noch soll werden. Und ob woll ich mich geringes
Verstandes weiß; jedoch weiß ich auch hergegen, daß kheiner
in vielen jaren in ertahrung solches wereks, wie ichs verstehe
nutzlieh ins werck zu richten khomen wurdt, auch ein beslen-
dige stattliche summ F.. M. zu den Ungerigchen grenzen darauB
zu wegen xu bringen. Und ob ich wall mittel gewißt und noch
weiß, wie ich den seestedteu ubne daß belflen köndt, so hab
ichs doch nicht offenbaren wollen, unangesehen daß mit dem-
selben ^dreich alle meine miß^unner und die Ew. [M.] zu hindern
understandftn, recht bezalt wurden; den under dreyen streichen,
ist diß der geringst, daß dieseestedt sich miit den Brabendischen
Städten verbinden; delhea sie das, so köndten die seestedt
l Der Frankfurter Deputationstag var 1571. Vgl. Hohlbfcum,
Die AdrairaUaktcn von Pfalzgraf Qeorg Hans in den Mitteilungen
(ins d»m StidUrchiv von Köln XV1L1, p üL
a S Anmerkung: S 220.
m/SSfSrSoKM
— 222 —
Btabant manuieniren und die Bratender wieder die seesledt
und könden die beschwernußen die von Dennemark vom Sundt
ihnen begegnen, weill sie die macht an schiffen haben, vermog
dem bedenken, so ich E, M. letzlich zugeschickt, ballt abhelfen;
und wen sie sich deß Sundls rnechtig anechten, wie sie lliueu
können auß den gefeilen deß zolle ein stedten krieg gegen ire
feinde führen kondlen. Nun werden die seestedt, wo man ihnen
nicht hilfft, mit meinem vorgeschlagenen mittel sich anderstwo
ihrer beschwehrung sich zu entschutten einlaßen mußen. Nun
achte ich diße mach! der seesied t vor den d ritten iheiH macht
'leß Rhönaischen Keichs. Solle d.in nun daß Keicb einmbail
solchen dritten theill verlieren, so wurdieß sicher mißlich hernach
umb daß Reich stehen, dann es bleibt nicht Ue\ einem schaden,
sonder ein schadt bringt allzeit einen andern. Wie lanj? hab
ich E. M. herr vatier sehliger gewarnt der Franzosischen practiken
halben in Brahantt. Nun siht man, waß man dran gewindt,
wen man solclie ding in windt schlecht. Bilte demnach ganz
underthenigsl, E. M. wollen dießen handelt des ammirall wereks
nicht schlefferig* hergehen lassen sonder weill daran E. M. und
deß Reichs hogste wolfart gelegen, einmals mitt ernst solch?
wichtige sachen treiben, und ob ich woll nicht zweifei 1* daä
R. M. (weill ich dießer anfenger des ammirallwercks gewesen)
mir dero herr vater sehligen zusag nach, so eß einen fortgang
gewinnen wurde, mich für andere dazu zu befördert) conlinuiren
werde, so habe ich doch, weill ich noch ein großen Unkosten
in erhaltung der personen, »■» mir anleitlung in demselben zn
gehen vvißen und erhallung auch der eöirespondenz mitt den
seestedten aufwenden mußen, E. M. underthenigst ersuchen und
hitien wollen, mich zu verstendigen, nh E. M. dieselbe hand-
lung befurdern und fori zutreiben oder aber ersitzen wollen laßen,
damit ich mich wiß darnach zu richten, welchszu erclerung ich
undertheriigst verhoff E. M. sich nicht beschweren werden, in
ansehung eß un pillig, ich wegen meines treuen gemütts lenzer
je weitterfn] sorge, muhe und Unkosten von wegen eiffer und
treuer Zuneigung gegen E. M. und dem Reich stecken und
pleiben .«oldt, damit ich auch, dieweill ich einmahl den see-
stedlen zu hellten mich versprochen und verptlicht, inen aulT
imieru weg geburlich sovill in ug lieh verhelfTen möge, versehen
ich mich ganz underthenijrst, E. M. werden hierauß gleichfaU
wie auß andren mehren meine sorgfeldigkeitt und eilTer, E. M.
hauß und deß Reichs wolfart zu befurdern, genugsam spüren
und abnehmen, ao heißt es auch wie daß sprichwortt laut!
ctre wer knecht, trewer berr», auch das Sprichwort cfroute
capillata, post haec cccasio calva», dan die zcitl und poryonen
die daß gemulh und erfalirung haben, ettwas ins werck iu
m/SSfSrSoKM
— 223 —
richten, nicht alzeitl, wen man «€ haben will, zu bekhomen.
Weill ich auch nun mehr rnutth bin, so langweilig- nitr
den hendlen irnibzii^ehn und nun mehr in die zwölfT jar
daß arnmirallwerck woll getrieben, wolle ich gern endtlichen
ein endtsr-hafTt dran machen, dornit ich der muh. sorg und
unkostens einmal abkheme und es in andere wege wiße zu
richten, dein mitl solchen langwürigen hendlen in solchen
wichtigen Sachen wirdt einer pillich verdrußi^, wob ein herr
nicht gleichen eiffei Jiatt, alß ein diener die machen forti zu
treiben, daß haben E. M. woll zu bedenken ZU nhemen und
ihre, dero hauß und deß Reichs wolfartth, da Gott die zeitt und
die personen gihtt nicht zu verwahrloßen und zu versäumen.
Daß hab ich tJ K. M. underthenigst umb dero und deß Heichs
wolfartt willen, so woll auch meiner selbst notturfft wegen
underthenigst treuherziger meinung nicht verhalten woller und
thun mich hirmitt E. K. M. zu K. gnaden und befurderung zu
riero gehorsamen diftnsten hevhelen, und nh woll F.. K. M.
mich letzlich von denn reichsta^ zu Augsburg; 1 miß vonn dem
15, septeinbris beantwortet, daß das aiuuiirallwerk alß eine
hochwichtige weittsehende sache ohn gemeinen r;iltli der
reichstend nicht zu verhandlen sey, so weiß ich doch auch,
daß wo E. M. sonst ie die sacher betten wollen angelegen
lassen sein, daß es zum wenigsten von newen proponirt, sonder-
lich da man mit der seesledt clag ein gutt ansam gebäht, wehre
worden und ich deseelbigen bey zeitten durch E. M, avisirt bette
können weiden, bey den stenden im tursten rath es abermahl
durch zu bringen, daß K. M. daß arnmirallwerck beim zu stellen
sey, bey den stedten wehr eß leichtlich zu erhallen gewesen,
alß ob der churfürstenratth doch sich hett difficultiren wollen
und Dennemarck nicht gern erzürnen, so hette man doch
disparia vota referirt und bey E. M. der au seh Inj» freigestanden,
sich mitl dem bcyfall zum förstenratt oder churfürslenratth zu
ercleren. Eß dünkt mich, wan ich an E. M. ßladt wehre und
ein bestendigkeit uil ein miliion ^ollls kondte durch das arnmirall-
werck zu guttem zu erhaltung der grenzen bekhoiunien, daß
ich zum wenigsten versuchen woldt laßen und zu dank wollt
annhemen von demjenigen, der mir also meine wolfarlh be-
f'urdern woMf. Sieht also nunmher bei K K M., ob sie folgen
wollen oder nicht, also nicht allein deß nutzens entrathen,
sondern auch die ursach nicht uffhelien, dardureu die stedl vom
Reich heutt oder morgen kommen mögen und <iie compeütores
imperii E. M. und dem hauß destar mehr zusetzen können.
Ich meins treuhertzig und gutt und getraw es auch wafi ich vor
> 1582.
ukiÄÄhican
— 224 —
nutzbarkeitten proponir zu beweißen und ins werck zu richten,
weill cij dan ohn C. M. schaden oder Unkosten geschehen hau,
daß man deren nutz suchen kau, dunkt mich nillich nicht zu
versäumen und also flechlich die wichtige puneten, so man zu
guttera £. M. anbringt, zu beaiultworteii sein. Thue £. K.M.
nochmaln dem almechtigen zu langwüriger keyserlicher regierang
underihenigst bevehlen und bin deren bu aaderthenigsten treu-
hertzigen eifferigen diensten zugethan, mich hergeben auch zu
K. gnaden und befurderung underthenigst befhelendt und ge-
trftstend .
Sttaßb. Bee.-Arch. E .WO. GUwhz. Gopie. Ohne Datum.
ukiÄÄhican
tote.
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ukiÄÄhican
Nach einem Gemälde von L. v. I
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.RAMER im Straßburgcr Museum.
Oiaii'l Irom
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(hnvl Ifom
UWVERSITYÖF! MICHIGAN
X.
Alsatia antiqua.
Bild von L. v. Kramer
mit Erläuterungen von
E, Martin.
I
u der städtischen Gemäldesammlung tu Slraßburg be-
findet sich unter Nr. 5U5ein Bild, welches die geistigen Grüßen,
besonders die Schriftsteller und Künstler des Elsasses bis zu
Ende des 16. Jahrhunderts darstellt. Es ist ein farbiger Karton
(2 m OU hoch, U t 48 m breit), den L. v. Krämer in München
1877 angefertigt und die Landeäverwaltung angekauft hat. Mit
gütiger Erlaubnis der Witwe des Künstlers erscheint hier eine
Verkleinerung der Photographie, welche zu Ende der 70er
Jahre des vorigen Jahrhunderts vielfache Verbreitung gefunden
hatte. Sie ist im Verlag von Hanfstängl in München erschienen,
in der Galerie moderner Meisler. Iteigpgehen war der Photo-
graphie ein Deckblatt, worauf die Nummern der auf dem Bilde
vereinigten Personen unter den Kupfutnrisseu angegeben waren
mit Angabe der Namen: dies Deckblatt, mir durch Herrn Jung
im Kupferstichkabinett freundlichst nachgezeichnet, hängt in der
Gemäldesammlung dem Karton gegenüber. Es sind nicht alle
Köpfe auf dein Bilde so verzeichnet : einige, die schon auf dem
Bilde stark zurücktreten, sind als Nebenfiguren ohne Namen
geblieben .
Ich gebe nun eine Aufzahlung der einseinen Figuren, i. A.
in der Reihenfolge, die durch die hier ebenfalls wiederholte
Bezifferung freboten ist.
In der Mitte steht eine Gruppe von vier Personen, welcher
(rechte vom Beschauer her beginnend) angehören (1) Jakob
15
ukiÄÄhican
— 238 —
St u rm (148y-1553), der als Stättmeister von Strasburg
hier die I.eforrnation durchführte und die Unabhängigkeit
seiner Vaterstadt ebenso gegen Karl V., wie gegen Heinrich II.
von Frankreich verteidigte. Neben ihm steht {2) Johannes
Sturm (1507— 158S), der aus Schieiden in der Eifel gebürtig
seit 1538 das protestantische Gymnasium, 1566 zur Akademie
ausgestaltet, als Rektci leitete. Er reicht die Rechte dem Vater
der deutschen Pädagogik, (3) Jakob W i m p h e I i n g (aus
Scblellstadt, 1450— 15£8). Neben diesem steht sein Freund (4)
Jnhün nes Geiler (1445 — 1510, von Kaysersberg genannt,
weil er dort von seinem (irotivater mütterlicherseits erzogen
worden war), der berühmte Münsterprediger. Der Drille in
diesem Kreundschaftsbunde war der rechts au Jakob Sturm
herantretende (35) Sebastian Eranl, 1457 zu Stoß-
burg geboren, seit 1475 in Basel als Student, spater öl« Pro-
fessor, bis er nach der Lostrennung Basels vom Deutschen
Reich sich 1501 als Stadtschreiber nach seiner Vaterstadt be-
rufen ließ, wo er 1521 ttarb. Der Dichter des Narrenscbiffs
trögt eine Maske in der Hand ; vielleicht balle der Künstler
ihm jenen mit abschätzigem Lächeln niederblickenden Aus-
druck geben können, den ein aufgezeichnetes Bild auf dem
Rathaus trägt, welches man gegenwärtig in der Porträtaus-
stellung im Alten Schloß als Nr. 572 sehen konnte.
Hinter Geiler kommt eine Künstlergruppe: zunächst vorn
(5) Martin Schön oder vielmehr Schongauer (gest.
1488), dessen Namen das Colmarer Museum träjit. An seiner
linken Körperseite erscheint (6j Mathias Grünewald
aus Aschnffcnburg, der Meister des Isenheimer Hochallars im
Colmarer Museum aus 4er 1. Hälfte des Ifi. Jahrhunderts.
Ganz vorn sitzt (7) Isaak Hab recht aus Schaffhausen
(1544 — 1620), der Verferliger der StraJJburger Münsleruhr
(nach den Berechnungen von Dasypodius).
Hinler M. Schongauer schreitet, auf ihn hinweisend, (8)
Heinrir, h Vogtherr der altere aus Wirnpfen,
Maler und Dichter geistlicher Lieder (1490 bis etwa 1542); der
jüngere, wohl sein Sohn, ist unter Nr. Ifi zwischen Fagius
und Zell gestellt worden; als Maler und Radierer lebte er 1513
his 1567. An der linken KOipei seile des alleren erscheint
Hans Baidung Grün (bis 1545), Maler und Holzschnitt-
künstler. Ganz hinten, links vom Beschauer aus, steht (10) der
Maler und Architekt Wendel Dieterlin (1550—1599),
und vor ihm \11) der Maler und Kupferstecher Tobias Stirn
in er (geb. 15S4 tu Scliaffhausen, gest. 1587), sowie, höher
aufragend (1*2) Nikolaus Heusner aus Löwenberg in
Schlesien, geb. 1542, gest. 1602 zu Jena ; (Kramer setzt al s
>
ukiÄÄhican
— 227 —
Vornamen, J(eremias), den Namen des jüngeren Bruders) Jurist,
Herausgeber der leer. es 1587, einer Sammlung von Portrats mit
Lobversen, wozu Tobias Stimmer mitgewirkt halte.
Gans im Hintergrund zeigen sich (13) Johann Mar
bach (aus Lindau, geb. 1521, gest. 1581) und (14) Johann es
Pappus (aus Lindau, 1549— 1610), zwei Theologen, die
dem Luthertum gegen die Reformierten zum unduldsam benutzten
Siege verhalfen. Vor ihnen schreiten die Reformatoren (15) Paul
Fa gi us (aus Rhein?al>err 1504, gest. zu Cambridge 1549), (17)
M a t h i a 8 Z e I I (aus Kayseraherg, geh. 1477. gest. 154&),
(18) Wo-I f js n ng Musculus isu Dicuze geb. 1407, gest.
Bern 1569); \or diesen (18) Martin Butzer (geb. Sculelt-
stadt 1491, gest. 1551 zu Cambridge) und (20) seine Frau mit
dem Kind auf dem Arm, wie sie bei der Yerköndung de» In-
terim durch Karl V. Strasburg verlassen, ebenso wie Fagius
und Musculus. Vor ihnen ragt über Wimpheling und Job.
Sturm uer mystische Dominikaner (22) T a ulei (12U0-1SG1)
aufj hinter ibm, unmittelbar vor dem alten Vierungsturm des
Münster« (21) Rudolf Agri:ola (1442-1485), einer
der ersten Humanisten, geb. zu Groningen in Friesland, gest.
in Heidelberg (oder Worms?), also eigentlich nicht mit dem
Elsaß in näherer Verbindung. Noch weiter hinten nach rechts
steht (23) Kaepar Schwenckfcld, ein Schwärmer
der Reformationszeit, (geb. in Schlesien 1489, gest. in Ulm
1561); dann über Job. Sturm, (£4) Calvi n , der französische
Reformator (geb. in Noyon 150U, gest. in Genf 1564) : beide
waren sie eine Zeitlang in Straßburg als Flüchtlinge.
Hierauf ein heranstürmender Barfüßer, der Satiriker und
eifrige Berampfer der Reformation, (95) Thn ma s Mur Der
(geb. zu Oberehnheim 1475, gest. ebenda 1537). Kill paar
andere Mönche bleiben uribezeichuet. Dann erscheint eine
Gruppe \on Architekten : (26 und 27) die J u n k e r von
Prag (zu Anfang des 15. Jahrhunderts?), vor ihren der be-
rühmteste Munsterbaumeister ("28) Erwin vnn Stein-
bach (gest. 1318) ; weiter hinten (29) der Festungsbaumeister
Daniel Specklin (gest. 1489;.
Weiter nach rechts zeigt (30) Johann Gutenberg
aus Mainz {gest. 1468) seinen Druckbogen vor ; neben ihm er-
scheint unter andern ungenannten (31) Johann Mentelin
(gest. 1478) mit einem Buche; auch ihm wurde eine Zeitlang
die Erfindung der Buchdruckerkunst zugeschrieben.
Zwischen ihnen und Jakob Sturm steht (32) der Altertums-
forscher Beatus Rhenanus (aus Schlettstadt 1485 bis
1547) im Gespräch mit dorn Sotirikcr (33) Johann
F i sc h a r t (gest. 1590), Hinter diesem der Arzt und Natur-
ukiÄÄhican
— 228 —
forscher (34) Melchior Sebizius (Krämer schreibt
Seibizius; aus Schlesien 1Ö39— 1025 oder sein berühmterer
Sohn, ebenfalls Arzt 1578—167-1). Dann kleiner, unter ihm
der Arzi und Reformator (3ö) Otto Brunfels (gest.
1534); hierauf, ein Buch in der Hechten, die Linke aufs Knie
gestützt, der Geschichlschreiber der Reformal iunszeit Johan-
nes Sleitianus (aus Schleiden, gsb. 1506 oder 1508, gest.
1566). Endlich ganz rechts unten der Organ»! (38) Bern-
hardin Schmidt (1500—1592?).
Man könnte über die Auswahl der Personen, hie und da
auch über die Auffassung der Einzelnen streiten ; von mehreren
wie z. B. von Beatus Rhenanus, gibt es überhaupt kein zeit-
genössisches ßild. Auf jeden Fall wird man die Gewissenhaf-
tigkeit des Künstlers ebenso wie seine sinn- und schwungvolle
Anordnung durchaus anerkennen.
bemerkenswert ersclieinl, daßSiraßbur«, dessen altes Stadt-
bild t\itn Hintergrund bildet, in der Tal such lür die meisten
der dargestellten Künstler und Schrittsteller den Schauplatz
ihres Lehens abgegeben hat ; daß aber viele von ihnen aus
anderen elsasäischen Orten, oder auch aus dem sonstigen
Deutschland stimmten. So ist die grfißre Geistestat, auf
welche Strasburg stets besonders stolz war, die Erfindung der
Guchdruckerkuost einem Maiuzer liier #eg;lückt, wo er sich
über ein Jahrzehnt aufhielt Andererseits haben Elsässer im
Ausland sich Verdienste und Ehren erworben, wie etwa Philipp
Jakob Spener, der Vater des Pietismus, der das Christentum
nicht in Worten, sondern im Leben und Tun fand und so dem
verderblichen Streit der Bekenntnisse auch von Seilen der Re-
ligion her die Berechtigung entzog.
Orioh?l Itom
uwvEnsm'ör.MCHic.KN
XI.
Zu Mündels
„Haussprtichen und Inschriften".
Von
F. Itentr-Colmar.
Auf S. 51 des obengenannten Werkes führt Mündel eine
verschwundene Inschrift des Schlettstadter Rathauses folgender-
maßen an :
Einigkeit aus kleinen Sachen
Große vienderding zu machen
Wo die Hertzen seynt zertrennt
In der Welt das Glück sich trennt.
AI* Quelle für Mündel dienten Slöbers Zusammenstellungen
in Alemannia VII (S. '234), doch hat Stöber die Inschrift achon
in der Alsatia (1850, S. 99) veröffentlicht und nennt dort
als seinen Gewährsmann Dorlan (Notices bist, sur PAIsacc I,
S. 233).
Der erste Teil der Inschrift scheint verslümmelt zu sein,
da das Verbum finitum fehlt, doch sind ja solche Hausinschriften
manchmal syntaktisch mangelhaft. Vielleicht ist anstatt zu
machen zu lesen kan machen. Ganz unmöglich aber ist das
Wort vienderding, das Stöber (a. a. O.) und, ihm folgend,
Mündel als «Feindschaften» erklärt, das sich aber weder bei
Martin und Lienhart (Wörterb. d. eis. Mundarten) noch bei
Gh. Schmidt (Hist. Wort erb. d. eis. Mundart) nachweisen läßt.
Außerdem paßt «Feindschaften» in keiner Weise in den Text,
denn die Einigkeit erzeugt doch keine Feindschaften, auch aus
kleinen Dingen nicht. Es ist schade, daß die Inschrift ver-
schwunden ist, sousl würde eine genauere Nachprüfung sicher
ukiÄÄhican
— 230 —
ergeben, daß statt avienüerdiug» zu lesen ist «Wunderding».
Das ist zwar kein eleässisches Wort, ein solches ist aber auch
gar nicht mßebrachl, weil die ganze Inschrift hochdeutsch ist.
Daß der Spruch das bekannte Zitat aus Salluels Jugurthinischeoi
Kriege, Kap. 40 concordia res parvae creseunt, diseordia ma-
ximae dilabuntur, wiedergibt, ist sicher, weil es nach Mündels
Angabe an dem Schlettstadter Rathaus darüber stand.
UWVEnSITl^rMCHIGXN
#
XII.
Wolfhart Spangenberg,
Geschichte des Meistergesangs.
Von
E. N.
Johannes Bolle, der ausgezeichnete Kenner unserer volks-
tümlichen Literatur, machte mich gütigst auf eine Petersburger
Handschrift aufmerksam, welche vielleicht das von mir auf einer
großen Zahl von Bibliotheken vergeblich gesuchte Drama W.
Spangenbergs Ober den deulschen Meistergesang 1630 enthalte.
Leider sind wir nach wie vorauf den Auszug in Gotteehede Nötigem
Vorrat angewiesen. Das ergibt sieb aus dem Auszug, den Herr
K. J. v. Voß gütigst besorgt hat und den ich im folgenden zum
Abdruck bringe. J. Bolte weist darauf bin, daß die Prosa-
schrift W. Spangenbergs wohl nur eine Abschrift oder Aus-
arbeitung von der Schrift seines Vaters Cyriacus Span«enberg,
Von der Mnsiea und den Meistersänge™ (ed. A. Keller im
Stuttgarter Liter. Verein, 1861), S. 113— 1Ö7, sein werde, für
die nhrigpns auch ein rjreslauer und ein Hannoverscher Kodex
in Frage komme. Kine Abschrift davon besitzt Dr. Frit«
Qelirend in Berlin, er hält aber das ganze Werk nicht für
eines Abdrucks wert ; nur gegen das Ende fänden sich einige
bemerkenswerte Mitteilungen.
Signatur d. Hdschr. in d. Oeffentl. Bibl. in Petersburg:
Deutsche Handschriften, Q XVIII 5.
Die Handschrift umfaßt 60 engbeschriebene Blätter in Quarto.
Sie ist leicht lesbar, stellenweise etwas verblaßt, aber nicht so
weit, naß die Kntzitlernng unmöglich würde.
Onaivl frorn
UWVERSITVörVICHIGAN
— 232 —
L'eberschrifl :
Von derMusika, Singekuust oder Meisler Gesang, sc bey
den Teutschen üblich und gebräuchlich gewesen: auch
was etwan für Voinebuie Meislersinger nahmhaft ge-
macht werden, welche in Teutscher Nation gelebt,
und diese Kunst darinnen geühet.
Wolfhart (Wolfahrt) Spangenberg versteht unter dem
Meistergesang die Dichtkunst und will eine vollständige Ge-
schichte der Dichtkunst bei den Germanen geben. Er geht
von der Genesis aus, leitet die Abstammung der Germanen
von Japhet her, spricht dann vuu Maiinus und lnge\on, die
er als Könige bezeichnet und religiöse und moralische Gedichte
verlassen läßt. Bald nach diesen Zeiten seien die Germanen
zu Heiden geworden. Nun wird von der Priestersnhaft der
«Uralten Teutschen» yesproshen und, mit Hinweis suf ver-
schiedene Quellen, eine Anzahl von Benennungen, die die
Priester gehabt hätten, angeführt und erklSrl, darunter
«Barden» und «Druiden», Von diesen, die die Dichtkunst ge-
pflegt hätten, werden mehrere namentlich aufgeführt und be-
sprochen (Froh, Deuth, Ilsan u. a.). Weiter wird eine Anzahl
Druiden erwähnt, die durch ihre Dichtungen der Verbreitung
des Christentums entgegenzuarbeiten suchten. Dann wird der
Bekehrung solcher Druiden gedacht, die nun ihre Kunst in
den Dienst des Christentums stellten. Weiter wird kurz über
die Dichtkunst unter Karl d. Gr. und seinen Nachfolgern ge-
sprochen und ausführlich über einen Streit der «Meistersinger»
mit den Pfaffen zur Zeit der Ottonen berichtet, und die Ueber-
lieferiing- früher kritisch beleuchtet. «Was aber für A'or-
nehme Meistersinger von der 2eit Kaiser (Jarlen des Großen
vom 800 jähr der Geburlh Christi, hiß auf die Regierung
Kaiser Friedrichs des ersten des Nahmens, welchen man Bar-
barossa, das ist, Hotbart genennet : und also vor dem 4162 Jahr
gelebt und d2 Meistersingen geübt haben, rinvnn find ich keinen
weiteren Bericht.» Immerhin sagt Wolfhurt (Blatt 20 der
Hdschr.) einiges allgemeine fiber die Dichtung dieser Zeit und
fährt dann (Blatt 21) fort; «Derer Meistersinger aber, welche
umb und nach dein 1102 Jähr Christi biß auf unsere Zeit vor
andern berühmt gewesen, werden etliche in alten Schriften
nahmhaft gemacht, wie folgt ;» Nun bespricht der Verfasser,
beginnend mit Konrad von Würzburg, eine Reihe von Minne-
sängern, darunter Walter v. d. Vogelweidc (recht kurz), Her-
mann von Sachsetiheim, Wernher vuu Ttifeu, teilt Ereignisse
aus ihrem Leben mit und führt bei einigen Lieder oder Verse
wörtlich an. Bei Gelegenheit Heinrichs von Ofterdingen, den
ukiÄÄhican
— 29S —
er Eßertitigea nennt und für historisch hält, berichtet er
über den Sängerkrieg. Weiter kommt er auf den Verfall der
höfischen Dichtung und den eigentlichen Meistergesang zu
sprechen (es mehren sich die Zitate), geht aber dabei durchaus
nicht streng chnmulogisch zu Werke. Gegen Ende der Schrift
werden der Vater und Großvater des Verfassers (Johannes und
Cyriacus Spangenberg) ausführlicher besprachen.
ukiÄÄhican
XIII,
Das Wanderbuch eines elsässischen
Schneiders von 4607 — 1614.
Von
Theodor Renaud.
Uas Wanderbuch eines deutschen Handwerksburschen vor
dem dreißigjährigen Krieg. Es wird, was Zeil und gesellschaft-
liche Schicht anlangt, kaum Seinesgleichen haben oder doch
eine große Seltenheit sein. Zudem ist der tapfere elsässische
Schneider Johann Gottharit aus Eckirch nicht nur durch
ganz Süddeutscbland und Oesterreich gewandert, sondern
sogar in Italien bis Neapel Torgedrungen. Ich habe die Hand-
schrift in einem Familienbuch auf der StraBburger Universi-
tät»- und Landesbibliotbekt gefunden. Die 40 ersten Seiten
enthalten von 1630 an bis Januar 1674 allerlei Eintragungen
ober Gerichtstage (Bergrichter) in Eckirch, über Fleischpreise,
Geburts-, Hoohzeits-, Todestage in der Familie u. dgl. Dann
kommt (S. 43ff), anfangs anscheinend zum Teil von Paul
Gotthards, des älteren Bruders, Hand ein
1 «GuliWdi Jühuim, Chronikalische Notisen über Eckirch 1630
bis 1674. - S. 43—121 Chronik «der Familie Gotthardt aus Sachsen,
dxnn in Eckireh und Markirc]; j umfaßt die Zoit vom 16. Jahrhundert
bt& 1709. Eingehend beschrieben das Leben der Bruder Paul and
Johann von Jon. Öotthatt 1M»2 IGT".. Blatt 41 und IUI ausgerissen.*
So ist die Handschrift im Kataloge Barack, S. 116, Nr. 117 beschrie-
ben, ohne besondere Ervähnung des Wanderbuchs. — Die «Silber-
bergwerke» bei Markirch im Lebert&l wurden seit etwa 1530 von
herbeigerufenen sächsischen Knappen betrieben.
ukiÄÄhican
- 235 —
«Kartier A uß gezoge a Bericht Meines des Pauli üb
Colthardt riidt Johann Gotthardt, gebrüdter von Mariakircb
vndt Eckirch gebQrdtig, rnsserfs] Ehrlichen herkomens,
[unsrer] Stern vnd vorEltern, vnsrer vndt rnsrer Kindter
gebort, vnsern Nachkomen zu Ehren vndt getechtnus auff-
geNotiert, vfzubeben vnd zu verwahren, den Allmechtigen
Gott bidtend, wie bißhero noch fortan vneeres Namens ge-
schlecht vnd Nachkomen für Sündt vndt Schandt ge-
[nädig] zu bewahren vndt Samtlich in sein Ewiges Reich
ein za setzen».
Vnsser VrGroß vatter Hat geheißen Jacob Golthardt. Der
ist gewesen ein Bergwergsverwalter zu Sonnen wall [= Sonne-
walde in Schwarzburg-Hudolstadt] vndt ein RahtsHerr da-
selbst eil.
Vnsser Groß vatter sei. Hat geheißen Antreß [Andreas)
Got'hardt ; der ist ein burger vndt Rergkeßner [ Rerglc as^enver-
wallerV) zu Mariaberg [Mmenlvarg] jn Mcyßen gewesen, eine
Bergstatt.
Vnssere Großmutler sei., obgemeldten Großvatterns :i*uß-
frau, hat geheißen Anna: Pfältzer gesehleehts [?]. Soll ein Klein
weiblein gewesen sein.
"Vnsser Vatter" Padlus Gotthardt
ist der 3. Sohn gewesen. Der ist alß ein Jung berggesell ao
4576 auß Meyßen naeh Mariakireh komen.
AI I ß sich nun vnaer Vatter sei. Paulus Gotthardt vber
13 [*?] Jar leiigerweiß zu Mariakirch vndt Eckirch im Leber-
thal! vffgehalten, hat er sich mit Anna Kirschnerin, Bastian
ECirschnern Dochten zu Cckhirch, voser^r Mutter sei li gen, in
heyraht eingelassen Tndt einandter die Ehe versprochen. Dar-
auf ist er in sein Heimat gezogen .... vndt Rein geburts-
brieff geholt, so ich, Johan Gotthardt, in Hendcn hab ; mein
ßrndffr Paultus hats Acopiert. [Trauung des Paares durch Pfarrer
David Dolch am 6. Okt. 1577 «in der Evangelischen Kirch vff
der Madien»].
Nota: Es ist sein gebürtsbriefl vndler .... Wolfgang
Herzog zu ßrunschwig vndt Lunenburg zu Claußeiithal, da der
Kergslab war, sußgeterdiget worden.
1 Auf S. 53 steht über ihn unter anderen Familienaufzeich-
innigen: «Uneer Vatter Selig ist in Seinen Jungen lagen ein statt-
licher Bergsinger gwesaen, der anr.h mit Seiner geseUfnafft seih«
vor dem alten Graffen Eberhart. Herr zu Kappolstein be.v
Seiner Ersten HoclizeyL so luritjdie Hoch/.eyt geweret hat. gesiigeu
Die Negst (nächste) stim nach dem disohganite [Diskant] gefürt.>
Orion fl Irom
uwvERsrrvörviCHiGAN
- 836 —
In wärender zeyt seiner Ehe zu Eckirch hat er sicli . . .
mit Lergwergs Arbeyt . . . erhalten, Tiidt, dieweill er ein hoch
verstentig berg;mann gewessen, ist er zu einem huetmnnn
[Steiger, Aufseher einer Grube] zu St. Wüllhelm IGrubeanarae]
gesellt worden. Nachgehns [hernach] auch vermesser ?] da-
selbst, wie auch zu Gotlesgah [Giubennarae] ellich Jar lang
gewessen, biß er sein .lebensziell erreich! hat. [Fr starb am
9. August 1595 und «ligt in Kirchhoff zu Eckirch begraben.*. |
Johann Gotthardt [S. 60].
Den 30 Juri 1692 um Jnhaiiniz*it hin ich uff einen Sambs-
ta^ Nilags zeyt geboren . . . Den 21 Mey 1G04 bin ich zu
Straßburg bey M. [MeislerJ Bartholome Friß 3 Jar verdinkt
worden, das Schneidterhantwerlc zu tebren zu 26 II Lehrgelt,
aber nur ein Yirtell Jahr [bei] im verharrt. Nachgehns bey M.
ßalthasarn Wiltermut, jetzig zeyt des Rahts einer zu Siraßburg,
vollendet außgelernel vndt anno 1607 in die Wan d terschaf f t
gezogen, wie cachvolget, wie ich dan [S. 03 II.] mein Reiß in
etlich bücher Nolirt und auüge&chnben hab, besondierlich ein
kleines Dücblin, so ich zu Venedig . , . gescliriben hab vnd
angefangen, mein condticion auszuzeichnen.
Das Wände i b u eh.
1607 und 1608.
Von Straßburg biß Lichtenau, ein statt . . . 3 Meill'
Von Lichtenau biß Slollhofen, ein s:. [Pfarrdorf] . 2 9
Von St oll holen biß Rastatt, ein Mo rk[t flecken] . . i »
Von Rastatt biß Eyteuheim [Philippsburg] ein Statt 2 »
Da hab ich ein halben Jai in dem PischofTbofl getient vnd
bin öfters lag mit dem Pischoff «annbt die -J- [Kreuz] walfarl
nach Spei er geweßen. Da hat ein iellicn [jeder] *»in mispell
[müspelc = Mund voll] brodt vndt ein diunckh wein bekomen
zu seim Lohn f [= als Lohn].
Von Eytenheim, oder Philibsburg ietz genandt, biß
Spei er, ein reichsstatt 2 Meill
Von Speier bis Heytellber^, ein statt 3 >
Von Hey telberg bis Wurmß, ein R. St. [= Reichs-
stadt] 6 *
Von Wurmß bis Obenheim [Oppenheim], ein St.
|= Stadt] ......' 3 »
Mit den Meilenzahlen wird es oft sehr «rund» beitellt sein.
ukiÄÄhican
Meill
»
- 237 —
Von Oben bei in biß Meiilz, 1 Pi schöltet 4 Meill
Von Menlz hiß Host [Höchst], ein Stall .... 3 >
Von Host bis Franckfordl, ein R. St. . . . 1 >
Von Franckhfort hiß Hanau w, ein Statt ... 2 >
Gedient ein halb Jar in deß ^raffen Schloß.
Von Hannauw biß Büdlingr [BQdingea], ein stau. . 1 i
Gedinntin derFrauen-Zirnerschaiecl [Frauenzimmer-Schnei-
derei] 'f* jar.
Von Bödlinjf biß Üorstein [Birstein, Markt mit Schloß]
ein Schloß, gehört dem Gräften von EyßenburK
[Ysenburg]
Von Borstein bis StcinLach [Steinau], 1 Sl. Hanauwisch
Von Steinbach biß AUCronen [?], ein Dorflf . .
Von AltCronen biß Hamelburg, ein R. St. . .
(Zurück] Von Hamelbur^ biß Dölin^, ein schloß vnd St
Von Büdtingbiß Gellenhaußen [Gelnhausen], ein R. St
Von Gelleuhausen biß H a n a w, ein Schbßstatt .
Von Hanau biß Asehenhnrtf [Ascbaffenb nr^], ein
Statisch loß 3 *
Da fan^t ahn dev Walt, der Spelzer [Spessarl) genannt ist,
4 MevIL breydt. Darnach lindt man Dörfler.
Von Aschenbur^ biß Wü rtzbu rg, ein bischoffl. St.
Von Wiirfzhiirg biß Kitfingen, fin Statt ....
Von Kitvin«; bis Nierberg, ein R. St 10
Von Nierberg bi3 Neuwenmarck [Neumarkt], ein St.
I hier] ist der Walt 2 Meill breyt.
Von Neuwenmarckh biß Denn in x [Deining], ein Dorff
Von Deining biß Regenspery, ein R. St.
Von RegensperK vf der Tbonna biß strubüiK .
Von Strubing biß Vilßhoffen, ein St. ...
Von VilßhoHen biß Bassau, ein Sladtschloß .
Von Bässau biß Linlz, St., schön Schloß .
Von Lintz biß Ibß [Ips], ein St. an der Tbona
Von Ibß biß Krembß, ein St. an der Thoaa .
Steinen [Stein] li£t [näher] dran, Maudren [Maulern] ligt
vber [jenseits an) der Thonna, 3 Släli bev ein andlcr, vnd ein
stattliche brück da vf der Tliona.
Von Krembß hiß Wien in östonrich, ein St. . . 10 Meill
Von Wien wiler [wieder] herauffer an der Thona vf
Kranhurg [Klosterneuburg], ein Sl., ein stalllieh
Kloslcr 1 »
Von Kranhtirg biß Maudren [Mauiern] hey Kremhß 8t. 9 »
Von Maudtren biß St. Bilten [St. Polten], ein St. . 3 >
Da ligt darzwiseben ein statllich £ lost er, Ketwein [Goitweiy]
genant, kert [gebörl] dem Bisclioff zu bassauw.
9
Meill
4
»
10
»
fi
9
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X
8
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10
»
/*
Orion; I Ironi
uwvEnsm'ör.vicHiCAN
"V
.
— 233 —
Von St. Billen biß Lorschdorfl [Losdorf], ein Dorff . 2 Meill
Von Lwsdorf bis Melckh [Melk], ein Marck, eiu statt-
lich Closler an der Thona autt" ein berg ... 1 »
Von Melckh biß Mannstette [Amtstetlenl, eia Marckh 4 >
Nota. Mann muß dazwischen vber ein wasser [die Ips] mit
schiffen schiffen.
Von Mangslette biß Aschbach [Aßbach]. ein Marckh 2 Meill
Von Aschbach biß Steier, ein Statt im Lönt obter
entz [Ens]; da fließt da» Wasser, die enß ge-
nant; ist schiffreich 4 »
Von Steier biß Enß [Eons], ein St 4 >
Von Enß bis Madlhaussen [Mar hausen], «in Marck
an der 'J'ooa 1»
Von Madthaussen biß geraunt am wall (Gmünd
unter der Enz nordöstlich von Knns] ... 28 [V] >
Da hak ich einen Leydtenant ein >/s Jahr gelient vndter
dem obersten Hager, der. Landtatenden Ihren obersten vber
10 fanen fußvolck in [?J gelben Reckleu vndt da Musterung
gehalten 1609.
1609,
Von Gemnndl am Walt hißLischauw[Litsehau], ein St. 3 Meill
Von Lischauw biß Tobersberg[Dober6berg], ein Marckh 3 »
Von Tobersbeix biß RosLburg [ein Weiler? oder
Ürosendorf], ein St 2 >
Von Rostberg biß Born, ein St. Da haben die landstend
in Österrich ein lanthauß, da sie zusamen komen.
Von Hörn bis Woltcrslorff[Wullersdorf ?], ein Marckh 3 Meill
Von Wollerstorff biß Hollenborn [Oh. Hollabninn],
ein Dort! 1 »
Von Holenborn biß Kirenberjr (Kirchberg?], ein Marckh 4 »
Von Kirenberg biß Krembß, ein St 3 »
Von Kremtfi bis Steier, ein St . 18 »
Von Steier hiß Wien in osterreich 28 »
Von Wien biß Trciß Kirch ITraiskircheo], ein Marckh 4 »
Von TreißKirch biß Neuweustatt [Wiener Neustadt] . 4 »
Von Neuwenstell bis Perstein, ein fest schloß . . 2 >
Dem Wacht Meisier vndter den von Kinsehnerg [Kfins-
berg-? 1 ] Reidterrey #etiendt </ 8 Jar. Weydter gedtient dem
Huffineisler von Kinschberg zu Perstein aufl' dem Schluß ein
'/* Jar, Kr. [?] Steinellen genandt [also unter fremdem Namen].
Darnach \un im [ihm] luilgezufceu.
' Es gibt in Steifttmarlf Klnihspargar von Erdorl. Die Kinds
berg = KiiBbbeit sind fränkischer Adel.
Orion 1 ! frorn
uwvERsrrvörvKHiGAN
— 239 —
Von Perstein biß Aschbang [Aspang, 3. von Wiener
Neustadt] 2 Meill
Von Aschbang, ein D. vndt schloß biß Neu wen statt 4 »
Von Neuwen Statt biü Neuwen Kirch [Neunkirchen] 8 »
Von Neuwen Kirch biß Glocknitz. ein Closter 2 »
Von glocknitz bißfcchodtwien [Schottwien], ein Marckh % »
vber ein hohen herg [Semmertng] auff Pfitall
[Spital] Marfkt| 2 »
Von Pfllal biß Bruckh ahn der Mmr, St 5 »
Von Bruckh an der Murr bis fronlevdten [Frobn leiten],
ein St 3 p
1610.
Von Fronlerdten bis Greiz [Graz], ein fest schloß, St. 3 Meill
Von Greiz biß Bimelz [Leibnitz?], ein Marckh . . 4 »
Da muß mau mil schiffen vber die Murr fahren vf
Marburg« ein St 4 »
Von Marburg biß Petta [Pettau], ein St., flißl der Trag
[Drau] . 4 »
Von Petta biß Zilli im granland [Krain?], ein St. 9 »
Von Zilien biß Labach [Laibach], ein st., winüsch
[wendisch] sprach 8»
Von Labach biß Kronburg [Krainbur^], ein St. . . 4 »
Vou Kronburg biß Neuwen Marck [Neumarkl] ein
Schloß 2 l
Von Neuwen Marckh bis glogenfort [Klagcnfurtl
in Kernten. Da muß man durch ein hohen ber#
[Loiblpaß?]; ist durch gehauwen mit einen stollen,
vT 80 Cloffter lang-. Da fangt sich das Kern ten-
lant an, vndt durch einen thall t da man Eissen
macht bis glogenfort, ein hübsch neuwen Statt
[erst seit dem 16. Jahrhundert Hauptort Kärntens] 6 »
Da haben die Landtstent deß Lants ihren lanthauß vndt
MinßhcfT [Münzhot] für die berggruben. Da hub ich die Fr.
[Gr.?] Hackbeil [Grube Huckhell?] allß Mintzverwolte;i] >/» Jar
gedient.
Von glogenfort biß Fein am Sehe [Velden am Wörther
See], ein schloß 2 Meill
Von glogenfort biß St. Feyt [St. Veii] 2 »
Von glogenfort biß veltKirch [Feldkirchen] ... 3 »
Von Fellen [Velden] am Sehe hiß Villach [Kärnten] 2 »
Von Vülach bin ich Mit dem Herrn [?] Fenrich Jacob
Piindter [Pfindtel ?] von HoffEck anff M e y 1 s n d t : vndter den
/ ' Oiaivl frorn
UWVERSITYörVICHIGAN
— 240 —
großen von Matrusch» Regement, obersten vber ließ Kinig
in Hispanien 11 Clement, so [zwo] fanen hoch tcisch [hochdeutsch]
Krigsvoljrs, wie mein Baßbordt außweißl, die ich Johan Gott-
hardt Noch in handien hab 1612.
Von Villach, da die Trag TDrau] fleißt biß Spittall
[Spittal], da wohnen jrraffen vndl ein freyher von
KifFenhiler" 4 Meill
1011 [?].
Von Spittal biß Drogburg [Drauburg], da fängt sich
das Thirol I lant an, ein Dorff vndt Schloß . 2 Meill
Von Drogbuiv biß Lentz [Lienz], ein St. ... . 6 »
Von Lientz hiß Jenctaen [Jenirhen], ein Marr.kh . . 2 i>
Von Jench biß Welschburg [Wclsbcrg], ein Marckb 2 >
Von Welhchburg biß Bruuecktien [Bruneck], ein Sl. 4 »
Von Bruneekhen biß Bri xe n, ein St 4 »
Von Briden biß Sürtzing [Sterling], ein St. , . . 7 »
Von StirUing vber den Brenemberg [Brenner], dar-
aufT ist einen warmen bat [Brennerbad] biß Iß-
\> i u ■ k h [Innsbruck] in Thirnll 6 »
Von Ißbruckh bis Dclffs [Tclfs], ein Morckh . . . 6 »
Von Delflfö biß bei [?] Atierberg [Arlberg, Wirts-
haus] ein Dorff 5 :<
Vber den Atllerberg [A v I berg], ist ein Kalter berg 5 >
Veitkirch, ein St., biß rosehet [Rorschaeh] ... 6 »
Man muß vber den Rein v£ roachet.
Von Roschet am Bodtsehe biß St. galten .... 2 »
Von Sl. (ia 1 1 en bis Ansiuell [KinsiedelnJ. ein Closler 7 >
Von Ansigell biß Schweitz [Schwyz] vber ein l>erg . 3 »
Von Schweitz bis eir Dorff beim sehe [Brunnen] . 1 >
Vber den Sehe gefahren. Altorff, Vry [Uri] . . . 4 »
Von Vry biß dem Gotihardtberg 8 »
Vber den Gotthart. a uff den Berg ein sehe [See] vndt
ein würthshauß, vndl durch den TJiall auf ßelle-
zona [Be 1 1 i n zo na], ein St. Ilaliaufisch] . . 16 >
[und] Varis [Giubiasco ?]» ein Statt, Barlal [sprichl]
Italian[isch], [bis] Caleray [Gordola ?| . [? Meilen] 3 »
' Madrncoi oder Hadrutzsch, ein aieliges Geschlecht nach den
Dorf« Madrnzzo genannt zwischen Trieat und Riva.
- Khp.-^nhiiller. Das Geschlecht stammt aua Franken, sitet aber
schon seit 103Ü in Kärnten.
* Der Weg ging* über Lngano (deutscht Lauis) und Porlasza
oder über Locarno au den Goiner See; aber die verschollenen oder
verballhornten deutschen Ortsnamen kann ich mit ihrer italienischen-
Namen nicht feststellen. «Margroffihan» ist wohl sioher = Graredona
(Mar — ■ Jflarktl.
ukiÄÄhican
— te\ —
Von Callenray biß Luchgero y [Locarno, deutsch: Lug-
garua ?] ein St 2 Nfeil I
Von Luechgeray bis Kumham Sehe [Canobio am Lago
Maggiore ?| 6 >
Von Kumb biß Munscb [Pallanza ?] ein St. . . . 4 »
[Über den See?] Von Bormieau [Oertlichlceit bei den
borromäisehen Inseln*?] vf Kumb [Como] ein Statt
am Sehe 4 »
Vhcr den sehe vffMargroffthan [Gravedona] d[an diej 9 »
Da bin ich Abgetanclctht wordten laut haßbort 1611, vf
10 Meil biß gen Bergamo [und] brischi [Brescia] gerechnet.
Von Nargroffenthan vher fien Kamer Sache geschifft vndt durch
das Venediger lant vf Be rgamo. Ein- Fes* Schloß am Berg
ligt vndt den Venerlijr zujrehnrl.
Von Bergamo a fnach !] Breschen [R r e s c, i a] vne
sitten (una cita = eine Stadt !] 6 Mcill
Von Brechen a Schallauw [Salö?|, silu [a= cita, Stadt] 8 »
Da fanjft sich der gardt Sehe an. Vber den Sehe 9 »
a Reiff [Riva], sita. Da wont der praff von motrusch
[Madrutiseh.] 4 »
Von Keiff a Drinden [Trient], sita, bi&choffsitz . 4 »
Von Drint a Tramin, sita in eUchland ..... 1 »
Von Tramin a St. Pauli, wegß [wäcbstjder besi Rtsch-
lantwein 2 »
Von St. Pauli a Bozan [Botzen], Sita granta [!] 4 »(!]
Von Bozan a Clauß [Klausen], sita 2 »
Von Clauß a Brixen, sita 11 n
Von Bnxen a Ißbrucbh, sita 16 >
Von Ißbruckh biß ßruueckh, sila 22 »
Von Brunekh biß Villach, sita 15 »
Von Villach biß bontoffel [Pontalel an der ital.
Grenze], purgo [= hurgo !] 6 »
Von Bontoffel o Bischcl [Buja ?], Dorff, Venedig gebüct 5 >
Auff St. Daniell [S. Daniele], sita 3 >
fort biß [an] ein wasser [Taglimento] fart man mit
schiff vher biß Bordteti [Pordeuuue?], sita. Sind
iatrisch p] Meyll 20 »
Borta ist ein Statt vndt ein Nidt erlag für alten wahren,
die Miß Ostenreich. Yferreri und Bollen, Bomerland [Btxiraen]
Steiermark, Kerndten [für] die zu venedtig bombt vndt von
Venedig witer beraußer andtre wahr gefürt würt. Da Heißt eia
stieß wasserfluß auß dem gebürg Tiroll vndt Kernden [Meduna]
vndt ist da schiffreich. Da geht man zu schiff vndt fahrt 4 Meill.
in eim Cannall zwischen wissen vndl sumbfigen Madten. Dar-
16
ukiÄÄhican
/•
— 242 —
nach kombt man in das hohen Mehr, Golf von Venezia genant;
ist gar geferiich zu fahren, wo der Sißwssserfluß [l ] iave'?] in
das Mehr lauft, wegen den grossen wellen deß Mers, so dar-
gegen?ioßt. Von Dalo ist 18 [)] Meil l>i£ Venedig, sita polli-
simrna granda. [!]
1612
Zu Venedig das KaufThauß heiöl manDeuschhaus [Deutsch-
haus = Warenhaus der deutschen Kaufleute], dieweill die
Kauffherrn [/] Ihren foktoreyn da wohnen. Hat ein ieter ßederj
sein besondter gemach I [Gemach] ; ist ein schönes liauß ; ligt
Aller regst bey der Reiall Steinen bruckh [Ponte di Rialto], so
eine Schon*; bruckh ra.it einem [einzigen] Bogen, da sonst vber
denselben breyten C<mall kein bruckh ist als disse allein.
Vndt [es] wärt Jene seyt der statt genant a la Heall [die Brücke
war bis 1834 die einzige Veibindung der Ost- mit der West-
seite). Aulf der bruckh sint vill gath [gaden — : Buden] ge-
bauwet, da man allerley wahr feill hat, mit 3 gang durchzu-
gehn.
Zu Venncdig in dem Zeyghauß, so Archinall [Arsenale)
genant, hab ich gesehn, wie man hineinkoiiibt aufl der Ünkhen
Seydt, 4 Schönen Rist Kamern von wehren vndt pfeilien. Dar-
nach hinüber vor die bruckh die Scliuüt [Schmiede] gesehen
vndt gegenhinüber die Rist Kamer von Reuter [?]. Darnach
die stückh [Kanonen] Modteil, darnach die Kamer von bolwern
[Pulver], darnach, wo man die grossen gallehern seilt macht,
darnach fort 3 wo die sLückh Kamcr[n| sindt, 2. vndt aufF der
ünkhen seyt. Vndt ob die (über der] Reitter risl Kamer vnd
auff die andtre seyt 2 nst Kamer, da die Mesing stückh
ligen, Ist da ein stückh, hat 7 löcher vndl eins mit 3 loch
oben. Uf dissesindt weitere 2 rist Kammern von Allerley schönen
Sachen vndt grossen Latenzen], so Man auff die schiff braucht
deß Nachts. Darnach gegen vber ein Kainer, dariuu lagen 710000
Eißronrit [eirunde] Kuglen, vf 2 Pfund [?] schwer das stückh.
Vndt in ein Kamern ein Nagel gesehn, der ist 28 schue lang:;
den haben sie von ein dtirckischen gallehr bekomen von die insell
Sipris [Cypern] 1572. Darnach [bin ich] umb 2u0 galler [Galcrcn]
vmbgangeu, su alle gerisl, aulf das Mehr su führen, Arn enl
der galler ligen 2 grosse Sehiflf; die haben sie von den
Türckhen bekomen. Darbey liegt das vbergolten [ftbergoldelel
•»chitl [ßueentaur] da der Herzog [Doge] am olferstag [AuiTahrls-
tag, Himmelfahrt! drein ouff Ehliche [Ehelichen, Ehelichung.
Vermählung] fäi L vndt wirfl't ein gullen ring in das mehr. Vnd
der Patriarch segnet das Meer. — Darnach in den Keler, da der
guett wein war; versucht und getrunckhen vndt Huzenley
Orion;! frorn
uwvERsrrvörvicHiGAN
- 243 —
[Hu'ielbrot ?* — ] darzu geseen. Mein Jr. [flinker] hat will.
[Junker kellenourg 3. u.J
Zu Venedig vf St. Markis Platz hat es ein 4eckhet
dum [Turm = Glockenturm, il Campanilc di San Marco]; hat
28 gang [Schneckenwindan^en] hinauff zu gehn. Man khan
hinauf? vi ein roß re\dten ; es gehet, als wan einer einen berg
auflsteigt. Hat oben 5 g locken. Da khan man die gantz statt
sehen, il;s hohe mehr, rii© Statt Mauran [Murano, auf einer
Insel i/i St. nördlich], da man die schönen Oislallen^lesser
macht, die4nhern ^nltpn Rnsser vorn aiiflf die Kirch St. Marx,
den Herzogualast [Dogenpalast, Pnl. Ducale], das schöne Hauß
[Ca Hnrn?] die Mönlz [Zec.ca], vill schöne vn*lt stattlich Cluster,
die im mer (igen.
Mehr hah ich jn rieß Her7og[s]palasl die vhergullen Saal
[SaU de) Maggior Con.sigHo, Sal des großen Rats] vndt wo der
herzog Essen trauet, gesehen. Arn Grün* Donterstag vndt am
Carfreytap hab ich zu Venedig gesellen, alß der Abent körnen
ist, etlich 1000 lejt [Leute], Pfaffen, Eitle vndt von Etlen
[Kinder von Edelleutenf], ein jeder ein groß wa^ß Kirtz [Wachs-
kerze] angezint in der hant ^etraicen vndt in proses vrabgung
von allen Kirchen biß Ht. Marx, die haubtkirch. Da sindt
etlica vndt 30 Person, weiber vndt Man, vermumert mitgangen,
mit leinen Kitoll vberzogen, deu rückhcii gantz nackhet. Die
haben sich gegeisellt, daß da» blul gelloßen ist vber den ruckhen,
wie in dem bat [bei] dem scbrcbffen [Schröpfen]. Meines
theills mag ich kein solche schreobhöm [Schröpftiörner] ge-
brauchen i aie gefallen mir nicht. Wan der ufaff mir dae vfer-
legt, wot [wollte, würde] ich sagen: «... verriebt die Sach
für mich [statt meiner; geißle du dich selbst] ; wii dem Herrn
ein Drinckgelt verehren!»
Am Palm. Tag- hab Jch zu Venedig gesehen vor der St,
Marx Kirche: Da wahren Mener [Männer] vndt pfaffeu gesindtell
vf den Gang, da die vbergolten Roß stehen. Da haben sie
vögell vndt tauben berabfligen lassen vndt Dumenrantz [Pome-
ranzen], Ebpfell, Nuäsettj chastell Süssen [Kastanien] \ndter
die leyt geworden. Da ist ein Kunstlich werekh zu sehen [im
Uhrturm]: 3 König können heraußer an der urr vndt haben
vbergulten cron auff ihren höbt, ziehen ab vorn Mariabilt vndt
biegen [verbeugen] sich*: darnach gehen sie witter hinein in
die Kirch oben autf den gang.
1 Hutzele heißt ehäaeiseh auch das kleine Schwein, Spanferkel.
* So auch on dar alten astronomischen Uhr im .Stranbnrg«r
Möniter.
ukiÄÄhican
- 244 —
An Weinnach, oslern, St. Marxtay steck lien sie vi 3t, Marx-
blafz vor iler Kirch 3 [VI fahnea auIT[an den Flamen*
Slang« n, pili,] den gantzen tag zu sehen: der Lewen St. Marx
steht in der Miteil gante von golt. Bctcuct [die 3 Fahnen be-
deuten] ihre 3 Kinigreich [Cyperii, Gandia, Moreal.
Zu weinnacht vndl ostern vndt fronleichnamfitag zeigen
sie ihren schätz vf dem Altar, jn die Kirch St. Marx. [Die
Schatzkammer. le$oro di San Marco, Eingang im rechten Kreuz-
schiff.]
1612 Julij den 24. Hai» Uli zu Venedig den Herzog [Dogen]
Memmus 1 sehen [?] erwellen [erwählen]. Da hal man in
[ihn] gel ragen vmb den St. Mancplalz herrum sanili 2 Wügri-
inren [Signoren; Senatoren?) Neben ihm. Die haben polt und
silber Mintz radier die Leyt tfeworflfen. Hah 1 bekomen vt
6 Kr. wert, thuel in ihrer Minlz 10 soll [solrii]. Seines Alterst
[ist der Doge] 71 Jar ye wessen,
7m Vennedig Am Fruleiclinamstag da siebt [sieht] Einer
Mehr all'. 1000 pfaffen vndt München sambl dem patriareben
vnd Herzog jn der proaes [Prozession] herum mergehn vf
St. Marxplatz. Da gehet der Herzog Sambt Hern gantzen
Raht, ein jeter ein groß wa^ßkerez brcnnenl in der liant, vndt
Keben ein jetem aufl der Rechten aeydl ein Arme Frau oder
.Vlon auch mit einen wagßbrenenten ICera hergeh n bis in die
Kirch St. Marx. Da bekombt ein jeter ein mispfcll [rnispel =
mundvoll] brodt. vndt das (i herige wagßlicht, so nicht verbrandt
ist. So temoitigen sie sich [demütigen sie sich die adeligen
Her reu] die Venediger denselben tag.
[Ils] würt auch ein Jung Kneblein, ganz Nackhet biß oll
ilie Scham, off eines man[s] arm darnach gelragen. Der bat
ein galten Keten vmb sein leib; die ist an gebundten an die
hörner eines Kleinen witers ; beteut: Jsaac, deß Abraham
Sohn.
Nota; Am Carfreytag ist ein Jurist autlgericht in Sl. Markx
Kirch, vmb initernacht, wan die leicht [Leiche] deß Herrn
kombt, von4Etlen getragen, zu begraben. Da zeigt der pateriarch
bluet in einem gieß. Da meint das volckh, es sey Christus
bluet, das am stammen deß hl. Groitz ist vergossen wordten.
Da geht die geissell erst recht an diejenigen, die sich geißlen !
Ich mocht mein lückhen nicht dargebeti zu saldier Wallfahrt;
gefalt mir nicht '
1 Marcus Antonius BIcramo 1€ 18 — 15. Die Mcramo sind ein
iraltes Geschlecht. Kiner davon, üomiiiicas lloneg^ro. soll schon
755 Doge gewesen sein! — Im Juli war Gotthordt zum zweiten
Hai In Venedig (auf dnm Rilekwe? von Neapel).
ukiÄÄhican
— 245 -
Donlerstag, die erst wocben in 'der Fasten, hab ich zu
Venedig eiu schöne Gomedtij gesehen vi St. Marxplatz zwischen
deß herzog palasl vnd dem Mintzhauß. Das ist <ier lestz tag
des Jars vor [t'ftr] die, die sich vermumren vndt wochen lang:
Maschgera! h geloffen haben. [cDer Karneval von Venedig.»]
Da haben die .Melzger S ojrßen Mit dein Schwell die Köbll'
vom halß «ehawen lebentig. Der dem ein[en] ogß den Kohlt
in ein streich hat abgehawen, isl der Metzger Kinig wordlen ;
den haben die amjleru Metzger genuinen, Ihrer 2, vndt
getragen, vndt er das Schwert in seiner hant ofrecht gehalten
biß in das Hau£, wo die Kiniglen [königliche] Mallzeit zugericht
ist ^ewessen. Da das verrichtet wahr, da haben [sie] angefangen,
Auff einem groBen vndt hohen gcrist, daß alle menschen haben
Sehen Konen, Cometlij ze hallen mit stattlichen springen, die
ich sonst mein lebenszeit nicht stattlicher gesehen halt. Der
Herzog selhs sambt dem ganfzen etell geschlecht [war zu-
gegen]. Oft* dem blatz vor dem Closter Johann Pauli [S. Gio-
vanni e S. Paolo, Dominikaner] steht ein vhergulten roß, von
Meiahll gegossen, darauf! ein reidtersmaii IBartolonimeo Colleoui]
Vndt in der Kirch [steht] ein Klein schilt, da deß Sohns [der
Sohn] Keisser Cards dreiu gelangen ist wurden ['/J'. Weiter zu
St. Jilio [San Giuliano] der thurn, den Kaiser Carte* hat
bawen lassen, die statt zu bekomen [?]. Da sieht das starekh
Hauß [?], da die drein gelegt werden, die sich vnderhalten
lassen, biß sie ein schiff vol haben. [La Fava?|
[Eine unbeschriebene Seile.]
Ano Mi 12 in Meyohin ich, Johann GotthaniL Mit- Meinem
Jungh. [Junker] Kellenberg», bei Vüllach in Kernten wohn-
haft tig. In Gottes Namen In Schill getreten, auff dem Mehr
Nach Angona zu fahren, aber wegen wilerwertig windt still
gehalten in einem Hawen; am mer äele^en zwischen St. Joseph
[Cbioggia?J vndt Rauwenen [Ravenna]. Da wahr ein thurn, wie
in Dei[t]schen landt die hohen wart vor »lic stett. Darin lagen
7 Solu Um, den Hawen zu verwahren wegen die mehr raüber
vndt Tu reichen. Da sindt mihi* [wir] zu landt gestigen. Da
i fn der capp. del Rosurio. die zur Erinnerungen den 5eesieir
Don Juans d'Austria bei Lepanto 1571 ausgeschmückt, aber 1Ö67
durcli Feuer verwüstet wurde? Don Juan, Kaiser Carls V. natür-
licher Sohn, starb 1578 ata Statthalter der Niederlande.
« Carl V. lag nie vorYenedig. Erst in dar «heiligen Lig-a* des
Papstes Clement VJI. löä*3 stand die Republik aaf der Saite der
Feinde des Kaisers.
3 Die Keller von Kellerberg, kärtner Adel. Wo und warm
Johann in den Dienst oder die Begleitung dieses reisenden Edel-
manns kam, ist nicht erzählt.
unÄÄhican
- 246 -
begegnet mihr ein vnglückh mit einen pfeifen, lern ich einen
Maullschell gab fein hart auff Sein backhen. (So mir mein
Junker geoeissen bat.) Da gierig der bösse pfalT zu denen Sol-
taten, sich zu clagen seines «mosten [? genossenen] Maulschell,
so ich Tuiesge [Deutseber] im [ihm] auff das Maul geben
hab, vndt es sey geschehen in dem heiligen Landt deß
Pabstfes].
Da hab ich die geseJ&chafft vndt meinen J. [Junker] quilirt
vudt mich vber ein schiflreich &öß Wasser fürn hissen, so da
in da3 Mer einlauffl [Po di Primaro ?], vndt fort am Mer ge-
marchiert, biß ich einen würtshauß erlangt hab. Vngefehr
vinb die 11 vr deß Nach(ts) da an körnen, da ich da gefert
[Fahrgelegenheit] gefundten hab Nach Ruuwcncn: 2 Gflppuzincr
vudt ein post Knecht mit 5 pferl zurüokli pr Tera [!] auff Angona.
Rauwena. 'sita pelisima [!] ligt von Venedig • ■ 2oMeill
Rimeni [Rimini], sita, ligt vf 8 [oder 10 Meill [von
R'auwena: Da hab ich meinen Jr. [Junker] samb
der gantzen geselschaft witer angetroffen. Witer
zu schiff biß A ngon a, Sita pellisima in riera [!]
saneta [Kirchenstaat] . , 56 »
Von Augona biß Mandtona Loreta [Madonna Lorelo],
ein Closler 3 »
Von Loreta biß Machnrat [Macerala], sita .... 3 *
Von Macharat a Vellin [Foligno"?], sila ..... 10 >
Von Vellin ;« Ternin [Terni], sita 8 »
Von Ternin a Karmin [Narni] sita, 2 »
Von Narr ii iii e Liutaua Ga-sielaua [Civita Castel ?] . . 4 i
Von Lindana Castelana a [Name fehlt] 7 >
Von Castelana [Gilla Casiellana vgl. Goethe, ilal. Reise,
'28. Okt. 1786] a Romrna, Sita granda . . . 8 »
Im Meyo 161 2 an einem Montag fruwe bin ich vndt Mein
Jr. [Junker] Kellenberg auff die steinen bruckh l>ey San: Angellij
Castel [Kngelshurg] gangen vndt da den Pahst [Paul V, ItnrjT-
hese] erwart, der von seinem luslgartcn [Villa BorghesaV] von
Munden Capell [? Santissima Trinita de* Monti?] auff einer
rotten Senft mit a weißen Maull Essel vber die bruckh gelragen
|wurde] in seinen palast Lei St. Pelter Kirch. Da ist ein ß roß
gepfalsler [gepflasterter] blatz; da steht eiu lang seyll [Obelisk.
seit 1686 in Rom] yon slein vfT 4 Lewen Outrecht vor die [der]
Kirch St. Petler. Da hat man vor deß Pahst Senfl ein lehren
[leeren] Senfl mit 2 weißen Maull Esse! lassen «ertragen. Da
ich Hie levt gefragt hab, waß desselben Senil beleyl [bedeutet],
so haben sie mihr geanlworl, es sey Seines loresFar [Vorfahren]
Scnffl gewesen.
ukiÄÄhican
— 247 -
Da hat Mein 4. [Junker] den Schweischzern [Schweizern]
einen Duckhat verehrt, daß wir buch im palast hinein koroen
sint. Da hab ich voll Schöne vndt Alte Cardinall, prelat.
BüscbofT vndt Anseher [Zuschauer] usw. gesehen, die ich dieeer-
halb [? Loch im Papier J nicht schreiben mag. Der Pabst hat
sellmoll [damoh] Seinen Cardinalln Audientz geben. Ist ein
hübscher grower [grauer] alter Man gewessen. Hatunß Allen, die
off der Bruekh gestandten, den Se^ren ^ehen. Gott vergelts im,
was ers — guet gemeint hat! |Leere Seite. |
Ano 1612 den 16. [?] Meyo bin Ich, Johau golthart vudt
Jr. [Junker] Kellerberg In Gottes Namen 2U Schiff getreten
vndt durch [?] St Roma auff die Tiber gefahren ± Meill. Da
fall die Tiber in das Mehr ; da ist gefehrlich zu fahren wegen
die wellen des Honen Miterianschen Mehr[esl. Etlich tag in
einem wurlzhauß am fluß still gehallen, aber auffs lest [letzte]
wagen müssen. "Was gefahr Mihr [wir] ausgestanden haben,
ist viunOglich im erteilen. Gotl lob vudl Dauck gesagt der
mir durch alle Nölten geholffen hal ! Ich beger nicht mehr dahin I
Am Mehr ligen etliche Stett. Die tümmnbsten sindt
von Roma a Natuna [Nettuno], sita bellisima . . 14 Meill
von Natuna a Gayeida [Gaela], sila Gastella ... 12 »
von Gayeida a sita pelisima Castella Napoli . . . 4 »
Von Napoli bin Ich vndt Mein Jr. [Junker] durch den
ber£ gangen, der durch geluweu ist nach Ditzolla [Pozzuoli].
Ist wie ein stoln durchgehauen [Grotta vechia di Pcsilipo) ;
in der Mitell [hat man] einen loch vber sich wie ein bergschach[l],
Firgelins [Vermlius], der dieße Grooden [Grotte] angefangen
hat[!], ligt im an fang des Lochfs] obcrhalben In einen steinen
Kasten [lombn rli Virgilio], daß man den Kasten Sehen kalm.
Da? Loch oder die Groda genant ist 1222 meiner sehnt lang.
Bey der Statt Bitzolla ist der Schwehellherg; der brendt
Tag vndt Nacht. Wer [Es wäre] vüll darvon zu schreiben, bin
aber zu fault dareu. Wer lust zu Sehen hat einen guelen
Landt, der Reißt in Pulio [Apulien] vnd galabri [Calabrien].
Nieapoli ist die hauptstatl. St. Elmo n\ Niejpnli, vf dem
Berg [ein] Schloß oberhalb des Closters St. Maritius (San Mar-
ino], ist ein fest schloß ; daraufl slehn 16 große stück h. gezilt
vf das Hohe Meer. Das vornembst ist [trägt] deß Curlürstan
von Sagsen walten : ein Raudten grüner Kranz vndt 2 Schwerdter.
Zu Niflboli wohnt ein Kitz Ret [der spanische Vizekönigj.
Der hal sein Hoffhaltung in einen schönen Schloß in der Statt
[Palazzo Reale, 16U0 erbaut] nicht weyt vom Mehr. Dar rar ist
ein grosser weydler blatz, da alle Tag Nachmitag vüll grosse
Herrn vndt frawenzimer sich da findten, vndt rill Rtterliche
Orion? I Irom
uwvsnsm'or.wicHiCAN
— 248 —
Spill da gehalten Werden, <Jefi ich meines Lebens zeyt kein
lustiger art gesehen h;ib, alß zu Niapolis. Deß Kinig Leih
quiarta sind 100 hoehdei[t]sche Meaer. Die andler wicht sind
Spanier ; deren ziebeu alle Tag vf die wachl 100. — [fc!s] litft Noch
ein schloß im Mehr, genant Caslell doro [Caslel delP Ovo] ;
steht vf ein steinen felß wie ein Ey. Neben dem SchiiThawen
oder pnrdo [porto] da ligl ein sr.arr.kh wach ta&f vndt Nacht vnn
Spanier Soltaten. An einem Montag IV ij hab ich zu Napoli
41 Mener auß der Feiyerey [Viuaria = Gastet Gapuano], das ist
das Rahthauß, vndt wo die gel«)ngen[en] ligen, seilen aufführen
vt die gallehrn, Mit Keten [aneinander] geschrnit, das haubt
Mit einem Scherniesser plat geschoren, nur ein Schüben [Schopf]
harr of dem haubt «dessen wie die Türckhen.
Zu Niapoli Sieht man So schöne pferdl oder Roß alß in
keinem Ort in dem gantzen ltallya.
Umb diße Statt vndt Uutschaffl wegA[l] guel vreiü ; der
wirt zu Romma teurer verkauft!, genannt : Winno Napoli Exelen-
dicimo, wie auch die warheit ist.
Im Junj 1612 bin ich, Johan Gotthardt, von Napoli
witer verreißt nach Arawersch [A versa] . . - SNfeill
Von Arawersch a Kapta, sita 10 »
Von Kapua muß Man vber das Wasser Gari^uano [der
O.irigliano fließt nordw. von Capua ; bei Capun
der Vollurno] mit schiffen vber fahren .... 2 »
Vrab die Regent hat es vüll Melckerev \on willen
ogsen, die gnandt werdten Büffel. — a Fund)
[Fondi], sita 1 »
Von Fundti biß zu einen Thurn, da ist ein grosse wacht.
Da wirt man bezucht [untersucht), ol> Keiner keine seyt wahr
[Seidenwar**] aus dem Xapolotanier Lanl trefft vn verzollt. Denn
das Spanicrlandt hat da ein ent und fan^t eich das Hafp'st land
witer [wieder] an.
Von dißera Zoll a Teracina [Terracina], sita .... 7 Meill
Von Teracina a Veletri [Velletri], sita 4 »
Vnn Veletri vber ilas | Albaner] gebOrg a Romma, sita
granda , 10,V>
Von Romma a Viterbe. sita 10 »
Von Viterbe a Monlefioschgcna [Montefiasccr.e] . . . 2 »
wegß guet W[ein].
Von Montefiaschgonna a Sena |&ieaa], si'a pelisima . 12 >
Von Senna In Tuechgsna a Florentz, sita .... 7 »
Zu Floren tz hab ich in des Herzugen ' Stall seine Schöne
Ruß gesehen. Die damit vrnbgehn sint das Mehrtbeil Türckhen.
i Cosimo 11. 3609—21.
Oiahfl froro
UWVERSITVörVICHIGAN
- 24» —
Da siclit [sieht] man ö lebentiye Lewen, "5 Tickhert [Tiger],
3 Derren, 2 Atlkr, 1 Düß [^] KaU [Disamkatee?], 1 wolff, 1 Eyll
vndt andtre willen Tihre, daß es ein tust ist an cu sehen. Man
bat vnß gueten wein da zu trinefchen geben. An einem Montag
früw ein actione Benrei da gesehen: sindt Knaben [Jünglinge]
autF pferl gerent one [V] saiell vmb6 Ellen rotter Scarlach duch
| Scharlachtuch]. Ist ellicb niebt woll gangen, sindt vber «las
Roß abgefallen vndt halb tett of die ert gelegen .
Mehr sieht einer auff dem blalz, da die dei[t]sche wach ist :
ein Herzog auff einem Roß in Metali gegossen vndt vbergolt
[Cosimol. auf der Piazza della Signoria] auff eine Marmelsteiu,
daß oinor sieb dran spielen LI an, vndt in dem hoff, da die
wacht ist, der besle bronen [Brunnen; Neptunsbrunnen 1 ?] jn
der gantzen statt. [Ferner] ist da das KautThauß. Die Haubt
Kirch [der Dom] ist mit Marmelstein aufgebawen, am Spitzem
grosser vergulter Knopff, ein 4 eckhet Dum [il Campanile]
darneben von laudier Marmelstem ; man kau sich dran spipfeln.
Nicht weit darvon ist ein Kirch, da stht einer eLlichelOOO Mi-
rackcllslflckh: Hassen, Hnet, Hemhte, rock, mandell. strimpff
\nd vill andtcr lumben- vnd Narcnwerckh !
Von Florentz vber das gebürg auf ßolonia . . . llMeill
Von Boloni.i auff einem Wasser [Elena] hiß Ferrum,
situ pclisima, ist 6 »
Von Ferrara a Franckholi [Franco?], ein Eorff . . I >
1612.
Da Heißt ein groß Süßwasser, dipo [Po] genantt, vor
zeyten Fridanus [Dicht. Name des Po bei Virgil :
Eridanus*] geheißen — Biß 1613 Vened ig, sila
pelisimn grando ['.] lö Meill
Jn den Fasten 1613 bin Ich, Johan Gotthardt, von Ve-
nedig weg gereißt nach Paduua. An Einen
Montag deß Abcnent In gottes Namen zu echiiF
[auf der Rrenta] gangnn vndt am Dienstag des
Morgens die Statt Patua erlange! ..... 1 >
Von Patua a Vitcenz [Vicenza], siU H »
Von Vitcanla a Verr'ona, Sita pelisima .... 3 »
Von Veronna a Pischkeiey [Peschiera] beim gart-
sehe 6 »
Von Bischkerey a Breacha [B r esci a], sit. pelisiria . 10[V>
Von Rrescha a Mi I l;t no, sit. grandta.
i Wo hat das Schneiderlem das aufgeschnappt t
UNVEnOTOrMOKkN
— 260 —
Meylandt ist die »rosl Statt in Italia. Da liegt St. Gurrte
G**rl«> Burnwieu, Enbisdiof J ] begraben, der so voll Mirackbell
in Italia soll gethan haben. Wan einer in die haubl Kirch
St. Bartholome* eingeht, sibl man in der Miteil beim großen
Aliar Sein grab».
Da ist ein tfroß eyssen gütler darvber [Tür zur Krypta?];
da sieht einer vill gell darauff werften. Mibr ist aber keins zu
theill worden \
Von Mevlant a Cum [Cmnoj, ligt an dem Kumer
Sehe 6 MeiU
Von Cum a Lugan, sita bei Sehe 6 »
Von Lugan a Bellezonc, sita 3 »
Von Beliehne dur[cli] das tliall biß aufF deu Guttharl 10 j>
AufFdem berg ist ein wärt? Hauß vndt ein Spitall.
Von dem WiirtzhauB hiö Altoiff ist 10 i
Von Allorff biß Fligell [Finden] am Sehe .... I j
Vber den Sehe auff Lutzern 8 »
Von Lulzern a Zu ^ fing "Zofm^ren] 6 »
Von Zufing hiß Liesteil [Liestal] 4 b
Von Li.«lel a Base II 2 b
Von Baßell a Coli mar 8 b
Von Collmar a St. Marria [Markirch] 3 >
Eckirch ankörnen in den Festen 1613.
II.
Im Meyo 16 13 bin Ich, Johan Goithardt, witer [wieder j
hinwekh gereißt nach Venedig.
Von Eckirch biß Pistom Hohen steij* 10 Meill
Von Bistom Hohen Steig a -tum buch [in Baden] 2 »
Von Steinbach a Msrgroffenbadt [Baden-Baden] . . 2[?]>
Von Iflargrroffenb&dt a Durlach . 4 b
Von IJurlach a Pforlz [PfbrlzheimJ 2 *
Von Pfortz a Stuckhart 4 b
Von Stuckharl a essling 2 b
Von Essling a Vlm 12 »
1 JK38-84. Heilig gesprochen 1010.
- Dar Dom. I» ihm befindet sich eott 1?>Ö2 ein Standbild des
In Armenien geschua denen Apostels Bartolomaeus. von dem der Dom
hiernach seinen ursprünglichen Namen hat.
8 Verwechslung mit dem lironzetempel des Ciboriums im Chor?
Das Grab ist in der Kryjjta.
4 = Rheinbischcfsheim («Bischofsheim euiq hohen Steg:» 1574).
Vgl. Topogr. Wörterbuch des Ooßh. Baden von A. Krieger 1004.
ukiÄÄhican
— 251 —
Von Vlm off der Donna a Dillingen 6 Meill
Von Diliny a Dimawert 7 i
Von Uonawert a Neuwburg: 3 »
Von Neuwburjs a lo^elstatt 3[?]w
Von Ingelslatt a Regenspery 6 »
Von Flegenaperg ofT der Dona biß Lintz .... 80 »
Von Lintz u WelU [Wels] ein statt [an der Traun]. 4 »
Von Weliz a Kiitorff [Kirchdorf] . 4 »
Von KirtorfT a Spilall (Spital am Pyhrn] ein Klosler 10 »
Von Spilall a Rcthnan [lloltenmann] 4 »
Von Rottmpn a Neuwemnar«:kh [Neurmirki] ... 12 »
Von >'euwen Marckn biß St. vert in Kernten . . 6 »
Von St. Veit biß Vüllach in Kcmdcn ...... 6 »
Von Villachbiß Ven n edijrlhuetcwLschen [zwischen ;
etwa] 38 »
In 1613 den 15 Augusto bin Ich, Johan Gotlhardt, witer
[wieder] zu vcnctig" An komen, Krankh an einem Fieber und
dsrrnit gemartert hiß
1614.
Mil Einem Juhenliere , von Prag Lürfig, midi Iteiauß
gefürt nach Porta; von danen nach Villa eh. !>;* ist er
Ton mir verschiten [geschieden) vndt nach Prag <rereißt. Hat
mihr vi II guets ^ethon vndt erwissen. Der 1. fiot: rergell es
ihm vndl all Seinem geschlecht! Wun der 1. Gott vndt er
nicht wer [wäre] <rewessen, so het mein leben ein ent ge-
nomer. —
Da mich das viber Nachgelassen sainht der hitzigen
Kranckheit, so ich ein lany teil gehabt hab, hin
ich in Gottes -Namen von Vüllach In Kernten
anffgebrochen vndt all^emacht [gemach] nach
Manntet [Millstadt] 2 Meill
Von Mangsteht biß gemiet [Gmünd] in ohern Kernten 7 »
Von gemint bis Auflf St. Michel [St. Michael] vber
den Ketzschherjc [Katschberjr] 3 »
bis auff den tauweiherK [Kadsläoter Tauem-Paß.] . 5 7)
Von Tauwerberg bis Hnll, [rlnllein], wr> man salß siet 12 »
Von Holl biß SalBburg, Bu>ctiom>tall . . . . 2 >
Von Salßbur* biß Wasserburg 10 >
Von Wasserburg bis München ö >>
Von München biß Äugst bürg 9 >
Von Augstburgr biß ginlzberg" [Gfiittbupg] an der Ille[r| 7 »
Von Ginlzberg an' d. Elle biß Vlm 3 »
In IÖ14 in den Fasten zu Vlm ankörnen Kranckh vndt
Armselig.
ukiÄÄhican
- 252 —
Von Vlm bis gübiug ^Göppingen! 6 Meill
Von Gübiag, da ein saurbronen ist, bis Kan^tat . 4 »
Von Kanstatt bis etling [Etittn^en] ...... 8 »
Von Etlin* biß S t raßl> arg 8 »
Von Straßburx biß Freyburg im Preißgaw . . 8 *
Von Freyburg biß Zurzach [Schweiz] 9 »
Von Zurzach biß ßaiel 7 >■
Von Bafiell biß Eckirch 1514 11 »
Aus der Familiengeschichte.
Johann tiottuardt ist auf seinen Wanderungen zum Teil
den Spuren seines 13 Jahre älteren Bruder» Paul (geb. 1579
in Markirch) gefolgt. Dieser war Kaufmann, hatte in Straßbur^
bei «Michell Schuemann würts Krenier» gelernt und sich von
Januar bis Juni 1601 in Metz aufgebalten.
«Nacb^ehends (Seite 56 ff.) ist er gereißl vndt bloß ein
Meyll von Strasburg in einem Dorff, Fegerschen [Fe#ersheim],
vber Nacht gelegen.» Da überraechlc ihn — eine schlimme
Vorbedeutung ! — zwischen ein und zwei Uhr am 8. September
«das große ertbidem» [Erdbeben]. Sein We# ging über Frank-
furt und Augsburg «durch das etschland» nach Venedig- Er
kam dort im Oktober 1601 an und blieb 14 Tage. Von Venedig
fuhr er zu See nach Aneoaa und wonderte dann ül>er Loreto
nach Ho in, wo er am S. November anlangte. Diese Reise
hatte er «bi liger weiß» d. h. mit einem Pilgerzug gemacht.
Darum — grollt sein Bruder — hat er auch bei Papst
Clemens VIII. [1&92— 1606] «u Gast gessen vndt dem Pahst
iiocn nicht vergolten». Wenn dieser ihr», Johann Gotlhardt
einlüde, und ihm cein soliges irnes» (Imbs, Imbiß] gäbe, «sc
wolt ich ihm zur Dancksagung Einen hübschen Lutherischen
Psalmen oder; «Erhalt und, Herr, bey Deinem wort» gesunken
haben für die Woltat !» Und, setzt er hinzu : «Nota. Aber die
schmorotzer schweigen still vndt weschen das Maull vndt gehen
dar von. [Vgl. Sprüche Sal. 30» 20]. Ich bin auch zu Rom ge-
wesen anno 1612, hab aber meine wirdt bezalt, wo ich gessen
hab, vndt dem Pabst sein guel Nicht abgefressen. Het er [der
Bruder] ihn recht bericht, wer er gewessen und was Glauber.
er geglaubt», der Papst hätte ihm «die Malzevt gesegnet!»
Vm 30. November ist Paul von Rom iort und bis Februar
1602 «in die Italianerstett vmbgczogen». In Pisa lag er vier
Wochen im Spital, wo ihm viel Gutes erzeigt wurde; hat also
«glück gebäht heim PahRt vndt im SpiLtsl.»
ukiÄÄhican
- 253 —
Am 8. April kam er wieder in Kckireh an «von seiner
Pillgerschaffl* mit cvill I^uß vndt wenig gelt.»
Am 14. April 1307 wurde er als Handlungsgehilfe bei
Jost Schac.hmug ?u Straßhurg von «Helfler Johann Schwing»
mit Maria Gm im Monster getraut. — Er starb 1649 (S. 97).
Der jüngste Bruder Johannes, erst 1595 geboren, namens
David, wurde Schuster. Er gieng 1613 auf die Wanderschaft
und verscholl. «Soll xu Utrecht im Nidterlandt in der Be-
satzung gelegen sein«. Seviher weydter Nigs von ihm gehört.»
(S. 51.)
Ein Sohn von Paul, der Schreiber war und auch Paul
hieß, «soll 1640 vor Co sali in Italien fGasale zwischen Turin
und Mailand, Hauptstadt des Herzogtums Montferrato] erschoßen
sein wordten», *
Johann selbst (S. 93) hat am 30. April 1615 in Eckirch
seinen «hochzeytlichen Freydientag gehalten» mit «Elisabet
Wagrierhiö, einer Tochter des «Beckhs vudl fruchthantier»»
Wagner dcrtselbet.
1620 kaufte er sich ein Haus iTir 108 11 16 Kr. (S. 105).
Ks war viel daran zu verbauen, nämlich 74 fl 34 Kr. «wie zu
sehen in dem Kleinen Btichell, so ich zu Venedig ange-
fangen hah, mein Reiß zu Schreiben».
Am 6, Februar 1630 «neu wen Calendcr» erhielt er in
Eckirch «das weibel Arnbl>.
Seine Krau starb im Mai 1331, im sechsten Wochenbett.
Das Kind überlebte die Mutter nur einen Ta*r, die fünf anderen
waren alle vor ihr gestorben, davon Tier 1631 in ihrem Todes-
monat. Das hat die arme Mutter wohl unter die Eide gebracht.
Es mnß eine Seuche geherrscht nahen; denn die Leichen wurden
im Garten begrahen. Erst 1635 brachte man die Geheine nich
dem Kirchhof (S. 93 fl'.).
1644 schloß Johann eine zweite Ehe <mit Bennidt [Bene-
dieta ?] Cladt von Wanemon 5 in Lutringen, deß Jeiremias
Scnerrer hinterlassne Witib». Sie starb lb62 ohne Kinder
(S. 97).
Da hat es der tapfere Schneider und Weibel zum dritten
Mal gewagt und als 71jähriger Mann. [Eintrag von fremder
1 Also in der Zeit des Waffenstillstandes mit Spanier 1609—21.
Nach Ablauf desselben brach der Krieg wieder aus, und erst der
westfälische. Frieden bracht« die Anerkennung der Unabhängigkeit.
2 Im Kriege zwischen Wen Franken nnri Spanfern.
8 Vauemont, südlich von St. Die bei St. Löonard.
f
ukiÄÄhican
— 264 —
Hand S. 113] am ö. November 1663 «mit Johanna Vourion
Hochzeit gehalten», der Tochter eines Zimmermanns uud Bürgers
Samuel Vourion in Markirch. Sie gebar ihm [wieder eigen-
händiger Eintrag] zwei Töchter lein, die bald starben, und noch
drei Söhne: Andreas 1666, Paul 1669 und David 1672 (S. 116).
Andreas überlebte die zwei jüngeren Brüder, pflanzte, gleich-
falls als Schneider, das Geschlecht weiter und führte — die
Hauschronik sehr unordentlich (S. im).
Sein Vater segnete (S. 116, Eintrag von geschulter Hand)
am 16. April 1676 das Zeitliche, «im 83. Jahr seines Alters».
— In das Hausbuch hatte Johann seine Wanderschaft aus dem
in Venedig begonnenen cklpinen Büchell», erst 1642 eingetragen.
Auf dem pergamentnen Umschlag des Heftes steht von seiner
Hand kaum mehr lesbar: «Vor dj oeuk) von Vnser Geschlecht
vndt [wie?] mein Wandtersehaft [vndt7] tonilicion vorgangen.
J. Gotthardt 1642. a Scripta manserunt. Ob auch die Gott
hardts?
ukiÄÄhican
XIV.
Ein Spottgedicht
auf die
Straßburger Umgebung der Dauphin o
Marie Antoinette und die Antwort
darauf 1770.
Mitgeteilt vo»
E. Martin.
Melodie: Rühmt mir des Schult/.en Tochter nicht.
Lob denGeschimak der Großen
nicht
nein, sag nur, er ist toll ;
dir [lies: dis] fallt ja deutlich
ins Gesicht
man sieht es aus der Roll
der Jungfern, die sie ausge-
sucht
als die Daupliiae kam
es sollte, bald hält ich ge-
flucht
von Schonen seyn der Nam.
Lobt den Geschrnackdes Michels
nicht,
nein, sagt nur, er ist toll,
dir [lies : dis] fällt ja deutlich
ins Gesicht
er ist von Unsinn voll,
die Jungfern, die man ausge-
sucht,
als die Diiuphine kam,
sind, hätt der Esel gleich ge-
flucht,
von Schönen doch der Nam.
Ich Michel Hanß seh gern ein
Kind,
das mit der Schönheit prangt
ein Baur ist mein Seel nicht
blind
Der tumme Kerl sieht gern ein
Kind
das mit der Schönheit prangt
und dennoch ist er hier so
blind,
Oriahrl from
UMVEHSITYGrVICHICAN
— 266 —
er weiß, was er verlangt,
wenn mich ein Mädchen reiaen
soll
eo ist mir nicht genug,
daß es hängt Ton Jubelen voll,
das ist nicht, was ich such.
dem Dorfe sey's gedankt,
wenn ihn ein Mädchen reizen
soll,
so iste ihm nicht genug
daß es sey aller Schönheil voll,
er sucht es nur heym Pflug.
3
Ein schlanker Leib, ein schön
Gesieht
und eine volle Bru3t,
das ist, was mir das Herzten
bricht
uu<J was mir bringet Lust,
ich gieng deswegen in die Stadt
zu sehen dieße Zier,
die man daselbst erwehlet hat
und die man rühmte mir.
Ein schlanker Leib, ein schön
Gesicht
und eine volle Brust
sind, warlicli, für den Michel
nicht
war es ihm bewußt,
so käme er nicht in die Stadt
und aparte sein Gcschmir
das jeder ein Verabscheu hat
und daß ich parodir.
4
Allein wie sehr betrog ich mich,
was Teufels sah ich da?
Zwey Duzend MSdgeu säuber-
lich
mit ihren chapeaux bas,
Sogleich war meine Lust gestillt
ich sah sie nach der Reyh
und hier geh ich ihr wahres
Bild
ich schwöre bey meiner Treu.
Herr Michel, wie betrog ersieh,
wenn er geglaubt allda
zu sehen Dirnen säuberlich,
wie er im Oorfe sah ;
Hält er nur seine Lust ge-
slillt
bey meiner [lies; seiner] Dorf-
Schal mey
so war die Stadt jetzt nicht
erfüllt
mit seiner Flegeley.
Die Jgfr. Böhmin ist zwar schön
nur weiß sie niirs zu viel
ein jeder soll ihr Gunst erflehen
das ist des Teufels Spiel »
bisweilen zwar denkt sie an den
den sie so lan^ vermißt,
doch zweifei ich oh es jwird
gschehn
wenn sie in Gsellschaft ist.
ö.
Die Jgfr. Böhrnin ist sehr schön
sie hat der Reize viel,
ein jeder will ihr Gunst erflehen
das ist des Henkers Spiel ;
allein siedenki noch oft an den,
den sie schon lang vermißt
drum wird dirjedei eingestehen,
daß sie für dich nicht ist.
Orion'! fror»
UMVEHSITYGrVICHICAN
- 257 —
0.
Ihr Bruder ist ein Grobian
ich sajr es ohne Scheu
so frech, nte wie ein charletan
und unverschämt dabev
doch dieses rühret ja beym Blut
nicht von ihm Selbsten her,
es ist ja sein natürliche Gut
was hat er sonslen mehr?
e.
Du Michel bist ein Grobian
ich sag dira ohne Scheu
du prangst als wie ein charletan
mit deiner Raumerey
was tadelst du an Böhmen Blut
wa3 schnappst du in die Quer
die Dummheit ist dein ganzes
Gut
was hast du sonst noch mehr?
7.
Die Gambßin lobt zwar jeder-
mann
das macht ihr viele Ehr,
doch wünscht ein wahrer
Bidermann
daB sie noch schöner war.
Türkheimin hat ein gutes Herz
und viel Verstand dahin-
ein muntier Sinn und feiner
Scherz
ziert sie bey meiner Treu.
7.
Die Gambßin lobet jedermann
das macht ihr viele Ehr
und wünscht mit jedem Bider-
mann
daß Michel klüger war.
Türkheimin hat ein gutes Herlz
und viel Verstand dabey
doch haßt sie deinen tummen
Scherlz
und deine Schmierercy.
8.
H. Türkheim hat recht viel H.
studirt
das muß man zwar gestehen,
doch weh dem, dein er opponirt
es ist um ihn geschehen
aus großem Eifer wird er grob
und stoßt Sottisen aus
er map hinfort zu seinem Lob
nur bleiben fein zu Hauß.
8.
Tu rk heim hat recht viel
studirt.
das muß man ihm gestchen
doch wenn er einem opponirt
wie kan diß Michel sehen?
aus ächter Boßheit wirst du gcrob
und stotTst sottisen aus
du maffst hinforl zu deinem Lob
nur Weihen fein zu Häuft,
9.
0.
I>ie Jgfr. Grauelin hübsch und Die Jg-fr. Grauelin hfthsch und
fein fein
ist ziemlich wohl gemacht ist warlich wohl gemacht,
sie leuchtet wie der Monden- du lobst, als hätt der Sonnen-
schein schein
in einer ünstorn Nocht dich um dein Hirn gebracht,
17
Orion; I frorn
UMVEriSITYOrUICHICAN
— 268 —
ihr Bruder hat zu seinem Spott
sich einen Freund erwehlt
dems, ach verzeih mirs lieber
Gott
an keinem Lasier fehlt.
10
Spielmännin ihr gelallt mir
nicht
wenn ihr als welsche stuzt
doch hoft nur nicht, daß es
geschieht
wenn ihr auf leutsch gebuzt
Zwar weiä ich nicht worans
flieh fehlt
doch dieses glaubet nur
wenn ihr bisher amanten zehlt
so daokts der professur.
und ihren Bruder quält die weit
beym Freund, den er erwehil
o Michel, rias verzeih dir Gott.
daß du so turnni geschmält.
. 10
Spielmännin ihr gefällt mir
nicht
wenn ihr als welsche stuzt
und giaubt auch nicht, daß es
geschient
wenn ihr euch teutsch gebuzt
ich weiß gar wohl, woran
fürs fehlt
ja Michel glaub mirs nur
wenn ferner dich die Heim-
sucht quält
so brauch die Narren Chur.
11
Ihr Bruder der jüngst Professor
wollt werden in der Stadt
sagt jeeerman die Großen vor
die er gegrüßet hat
jetzt rechnet er die Meilen her
die er sehon hat gereißt
und sagt, wie man 2u Mann-
heim war
und wie man da gespciSt.
il
II. Spielmanci der als Professor
einst ehren wird die Stadt
ließt andern seihst dein Lied-
gen für
und lacht sich drüber satt.
Sag Michel sag die Meilen her
die du auch schon gereißt
man sieht an dein'm GeschwÜz
so leer
daß dich dein Dort' noch speißt.
12
H. L">uis Spielmann ziert sich
sehr
mit seiner Wissenschaft*
doch hsit er alle seine Lehr
kaum halb noch angegafft
was braucht er auf den Grund
zu $ehn
sein göttliches Gerne
läßt ihn gleich alles ubersehn
ohn die geringste Müh.
12
Louis Spielmann den ziert sehr
der Rechten Wissenschaft.
Doch Michel du haet seine Lehr
wohl noch nicht angegafft
was brauchest du ihn hier au
schmähen
dein bäurisches Genie
läßt Überall dich Fehler sehen,
Kein andrer siehet sie.
iogIe
O'iaimlFiom
UNIVKSITYOFMCHIGA^I
259 —
13
Ach Städlerin was denkt dann
ihr
daß ihr nicht besser wehlt
und daß ihr euch die gröBte
Zier
von Poltrons habt erwehlt,
der eine kriegtauf dem Ca 116g
weil er sich machte groß
und raisonnirte bey dem Jeu
jüngst manchen Rippenstoß.
13
Was fehlt bey StSdelUin dir?
ich weiß es, was dir fehlt,
man sieht, wann man dein toll
Geschmihr
ließt, daß der Neid dich quält.
Kämst du hier auf ein Caffee-
hauß
und machtest dich nur groß
man schmiße dich zur Thür
hinaus
und gab dir [lies: mit?] man-
chen Rippenstoß.
14
Der Jgfr. Sachßin wohlgemuth
gibts auch ein hübsches Paar?
die älteste wird, wie ichs ver-
niulh,
doch gib ichs nicht für wahr.
Zum Leonbard nach Frankfurt
ziehn
denn sie ist seine Braut,
für die jüngste wird noch man-
cher gebn
dieweil sie wohlgebaut.
14
Der Jgfr. Sachßin wohlgemuth
gibts auch ein hübsches Paar?
es scheint der Michel ist ihr
gut
doch gibt mnns nicht für wahr,
es wird auch keine mit ihm
ziebn
noch werden seine braut,
nur Viehmagd werden für ihn
glühn
bey Speck und Sauerkraut.
15
Die Nicolain macht mich toll
daß sie so stoli sich ziert
sie war sonst aller Anmulh voll
ich sags ihr ohn flaltin
jüngst sagte man, als ob H.
Hecht
wird werden ihr Gemahl
obs wahr ist, weiß ich noch
nicht recht .
drum sag ich nichts zur Wahl.
15
Bey Mcolain sieht man wohl
daß dich der Teufel suheurt
[lies: schiert],
sie ist gewiß sehr anmuthsvoll
ich sag es ohn flattirt.
was geht es dich an, ob H.
Hecht
wird werden ihr Gemahl,
man wird gewiß dich Bauren
Knecht
nicht ziehen zu der Wahl.
f
'.. ' ii
O'ioJnilFiom
UNIVKSITYOFMCHIGA^I
— 260 —
16 16
Wißmännin die erfreut sicu Wißmünnin die erfreut pich
jetzt, jezt
daß sie »Meine ist, Haß sift »Heine ist.
doch wenn mans rech) beim Und daß kein Schlingel mif
Lichte schäzt ihr schwäzt
so ists unreine [lies: nur eine] wie du H. Michel bist.
Lisi
sie gönnt der Schwester ihren Will sie nur ein mal einen Manu,
Mann
doch einen wünscht sie sich gewiß er (in (ei sich :
es scheint als oh sie dann und nur map sie keinen Grobian,
wann
doch so u fast inniglich. dis ist dir ärgerlich.
47 17
Die Jg;fr. Bau ein sii.d so sloltz Wer sagt dir, daß die Baurin
stol*
als wie des Schulzen Mey wie deines Schulzen Mey ?
sie glauben »ich von beßerm Du warlich bisl vun schlechtem
Holtz Höh
als wir ganz ohne Scheu wir sayens ohne Scheu
doch sind .«ies auch? nein war- ja glaube, man heiriegi sich
lieb nicht nicht
Du zeigest uns ja dar
es zeigt sich ja auf ihrem Gsicht durch dein so läppisches Ge-
dicht
Der ßaur offenbar. den Flegel offenbar.
18 18
Ihr Uruder #eht in der Stadt Du bists wohl, der sich in der
Siadl
einher als wie ein Pfau mag brüsten wie ein Pfau
doch halt, er sitzt im Kleinen doch da dichs Dorf erzogen hat,
Rata
bald maent ich eine Sau, so bleibst du eine Sau !
ganz rasend in sich seihst ver- Du bist in deinen Reim ver-
lieht lieht
als wie dort ein Narciß der doch so elend ist.
wünscht alles was ihm Freude Solch Zeug wie uns dein JLied-
$ibt geu gibt
allein auf seinem Kiß. wachst nur auf deinem Mist.
I . D'iaina From
INWERSnVOFMCHIGAM
- 261 -
■19
Drauf nahe ich ein süßes Kind
an Namen und an Taat
sie ist so wie man wenig Qndt
nur ist es ewig Schad
daß ihr H. Führer eben so
ja nocti viel süßer kam.
er ist ein Schuß in folio
und Kinbek ist sein Nam.
19
Die SüSin ist ein schönes Kind
sie ist es in der Thal
sie ist wie man sehr wenig
findt.
nur 13t C3 ewig Schad,
daß sie dir tollen Schadenfroh
auch in Gedunken kam
du bist ein Schuß in folio
und ßaur bleibt dein Nam.
20
Die Fibichin kam bald hernach
mit ihrem schlanken Laib
sie ist, daß ich jezt sonst nichts
recht gut zum Zeitvertreib
beym Tanzen nemlich wohlge-
merkt
<l*nn so will ichs verstehen
Was mich noch m*hr riarinn
bestärkt
das ist ihr zierlich gehen.
21
Ottoin ist so klein sie ist
Joch schon eine coquctlc
Ich weit man wird in kurzer
frist
sehn wen sie gerne hätte
wie jauchzet nicht das kleine
ding
daß man es invitirt
es schäzet alle andre gring
die nicht mit parariirl.
22
Langheinrichin ist ziemlich
wild
man würde manches sehen
wenn der papa den Zaum nicht
hielt
20
Hat Fibichin schön wie der
rag
mit ihrem schlanken Leib
dir schon bey einem Itorfaelag
gedient zum Zeitvertreib?
Du bist, so wie ich stäts ge-
merkt,
ein rechter pasquillant,
und was uns noch darinn be-
stärkt,
ein yroöer ijfnorant.
Otloin ist, so klein sie ist,
gewiÜ sehr fein und nett
man wird gewiß in kur?er
Frist
sehn, wen sie gecne hätt :
doch du, du bist ein dummes
Dinjr.
Daß du dich so moquirst
und daß ilu alle schäzest gring,
die man hat invitirt.
22
Du nennst Lanishciiirichin sehr
wild
was hast du dann gesehen?
wenn sie dein lumrnes Lob
erhielt
r
O'ioJnilFrom
UNIVKSITYOFMCHIGA^I
— 262 —
was wurde dann geschehen ?
Man sagt <heGraußin kam zum
Fest
weil sie nicht grausam isf
und weil man von ihr könnt
aufs best
absehen der Jungfern List.
so wärs um sie geschehen.
Du sagst die Grausin kam zum
Fest
weil sie barmherzig ist.
ey geh ins Tollhauß, das ists
best
weil du wahnwizia bist.
23.
Die Kartin tollt so blumb ein-
her
wie unsers Hirten Liß
sie tanzt so schön als wie ein
Bsr
Dem man das Handwerk wieß.
Von ihrem Chapeau bas kann
ich
weil ich ihn gar nicht kenn
nichts sagen, drum erfreue dich
daß du kommst aus der Brenn.
23
Wie kommt denn wohl dein
Spott hieher
den man auf Karthin ließt?
Dein Mensch vielleicht tanzt
wie ein Bär
wie man mit Grunde schließ'
H. Michel i erfreue dich
Daß ich dich gar nicht kenn,
Du kämest, glaubs mir sicher-
lich,
gar grimmig in die Brenn.
24
Die Jfc'fr. Steinin prangt ver-
flucht
in ihrer teutschen Tracht
es schien, daß sie Conqueten
sucht
weil sie so lieblich lacht.
Urauf kam auch noch ein ding
hieher
Das viele Reize hat
man sagte, daß es Kolbin war
aus einer fremden Stadt.
24
Wies scheint, so prangst du
ganz verflucht
mit dem was du gemacht.
Wenn Steinin einst conquetten
sncht
wird deiner nicht gedacht,
wenn denn H. Michel klüger
war
eo geh ich ihm den Rath,
Daß er zu seiner eignen Ehr
Thal was sein Tater that.
25
Holzapfleriu was fehlt dann dir?
Du folgst Europens Spur
Du liebst recht zärtlich einen
Slier
der «ra3t auf deiner Flur.
25
Sprich, Micbel, sprich, was
fehlt neun dir?
Du folgst Europens Spur
Er mache [lies : machte] sich
aus Lieb zum Slier,
Du bist es von Natur.
O'iaiml fiom
UNIVKSITYOFMCHIGA^I
— 263 -
Du denkst, wen Dom dir slot- Du glaubst was du uns hier
ternd sagt gesagt,
ich liebe dich recht sehr soll deine Ehre seyn :
Die Liebe hält ibn stumm ge- Wir haben über dich gelacht
macht
und liebst ihn desto mehr. auch ül>ers Lied? o.nein.
26
Doch diese war ja nicht beym
Fest
was red ich denn von ihr
ey nun, es stehe immer vest
was ich geschrieben hier
mein zweytes Duzent ist jezt
voll
was braucht sie» weiter mehr
bin ich nicht recht der Tbor-
heit voll
Daß ich so viel mich schär.
27
Allein mein Lied wird allzu-
groß
drum denk ich jezt ans End
und sorge jezo nur noch bloß
daß man mich nicht erkennt
gebt euch nur keine Müh darum
Zu wißen, wer ich sey
Ich bin euch wie ein Fisch so
stumm
ich schwörs bey meiner Treu.
27
Du sprichst, dein Lied wird
allzugroß
Ja lerder das ist wahr.
Komm, Michel, komm und gib
dich bloß
und mach dich offenbahr.
sey nicht mehr stumm, ver-
theidge dich,
ich bitte dich recht sehr
denn jwlw» ich ganz sicherlich
dir mündlich eine Lehr.
Der Einzug der Dauphine Marie Antoinette in Strasburg
ist uns durch Goethes Erzählung in Lichtung und Wahrheit
(Buch IX) gegenwärtig. Aber er hai auch sonst Spuren hinter-
lassen, die uns au dies von so verriürigriisvollen Füllen be-
gleitete Ereignis erinnern. Das Hollental bei Freiburg i./B.
wurde damals zuersl in eine fahrbare Straße verwandelt; auch
das Kiffeehaus zum Kopf in Freiburg ist damals eröffnet worden.
Hier in Str.ißhurg wurden der alte Met/Zerplatz und die Metz-
gergasse (eig. Viehgasse) damals place Dauphine und nie Dau-
phine genannt, un<l trotzdem die Revolution, dann da* Kaiser-
r
ioglc
O'ioJnilFiom
UNIVKSITYOFMCHIGA^I
— 264 —
tum Wipclcon^ sie wieder umtauften, und letzteres dabei den
Namen JVusterlitz verherrlichte, von wo Napoleon 1805 hier
durch kam, so kennen doch alte Stiaßburger noch immer
die Dauphinesgaß.
Ueber die beim Durchzug der damals erst I4jäbrigen
Braut veranstalteten Festlichkeilen gibt es eine nicht umfäng-
liche, aber sorgfältige und aus den Akten gfsr.höprie Darstellung:
von E(ujten) Müller. L'archiduchesse Marie Antra nette a Stras-
bourg le 7. et 8. mai 1770, Str. 18Ö2.
Das äußerliche ist übrigens schon in einer gleichzeitigen
Festschrift zu finden: «Beschreibung dei*er festlichen Anstalten,
welche, als die durchlauchtigste Prinzessin Maria Antonia ver-
mählte Dauphin© von Frankreich, geborene Erzherzogin vod
Oesterreich die Stadt Straßburg den 7ten Mai 1770 mit Höc-bst-
deroselbcn huldreichster Gegenwart beehrten, auf obrigkeitliche
Verordnung vollzogen worden.» Straßburj; bei Jonas Lorenz,
Buchdrucker. Mit Hoher Erlaubniß (auch in französischer
Sprache).
Von E, Müller werden ausdrücklich (Note zu S. 57) einige
Irrtümer in den Memoires de la baronne d'Oberkirch berichtigt,
welche 1789 geschrieben und von dem Enkel der Verfasserin,
dem Grafen Montbrison 1853 herausgegeben worden sind. Die
Baronin Henriette, geh. vor Waldner-Freundstein, war ziemlich
gleichailarijr mir Marie Antoinette, und ist dieser nach ihrer
Angabe damals vorgestellt worden. Aber wenn sie behaupte',
daß man Kinder von 12—15 Jahren in dem Kostüm der Cent
Suisses, der königlichen Leibgarde, aufgestellt und die Wache
habe beziehen lassen ; daß man durch 18 Paare von Gärtnern und
Gärtnerinnen der Dauphioe habe Blumen anbieten lassen ; daß ein
ganzer Ochse zur Verteilung unter der Mcnjio gebraten worden
sei, öo ist davon bei Müller keine Rede. Die Angaben der
Baronin acheinen teilweis«; aus den Berichten über den limpfaDt:
Ludwigs XV. in Straßburg 1744 übertragen zu sein. Diese Be-
richtigungen werden uns nun auch für einen Punkt in Goethes
Lebensgeschichte wichtig erscheinen. Die Aeußerungen des
jungen Goethe über das Unpassende der Darstellungen auf den
Gobelins, die im Empfangsgebäude auf der Snor*-ninsel aufge-
hängt. Jason, Medea und Kreusa, also schreckliche Namen au«
der griechischen Mythologie darstellten (sie hängen jetzt noch in
einem /immer des Kathauses), legt die Baronin der jungen
Prinzessin selbst in den Mund. K& ist ganz unglaublich, daß
diese während ihres kurien Verweilens im Hauptsaale eine
solche Bemerkung gemacht haben könnte Die Baronin war
mit Goethe bekannt ; sie wird von ihm die Worte gehört
haben, die sie Marie Anloinette zuschreibt.
, . .I > O'iaimlFiom
v 'ö ,C UNWRSITYöFMKHISyW
— 266 —
Müller hebt übrigens mit Recht stark hervor, wie sehr
der Empfang der Dauphine an Pracht und Aufwand hinter
dem Ludwigs XV 1744 zurückblieb. Damals hatte die Stadt
400 000 Livres ausgegeben ; 1770 betrugen die Ausgaben etwa
6t> 000 Livree.
Allerdings war der König: begreiflicherweise der Mittelpunkt
größerer Feste; die Dauphine wurde r.och als ein erst künftiges
Mitglied der Hcrrscherfamilic ungesehen. Daß der französische
Hof sie nicht selbst an der Grenze schon begrüßte, lag sn der
hochmütigen Etiquette; selbst die Baronin von Olierkirch macht
über die geringe Ehrung der fremden Fürsten am französischen
Hofe ihre Bemerkungen. ,
Jene Feste von 1744 hatte der Prätor Klinglin mit größtem
Aufwand von der Stadt veranstalien lassen. Noch jetzt geben
Stiche davon eine Vorstellung, welche neuerdings von Leroy de-
Sie. Groix wiederholt worden sind : I/Alsace en fete Strasbourg
et Paris 1880. Diese Stiche hatten allein die Stadt 80 000
Liv. gekostet und schwer lastete die ganze Summe der Aus-
gaben auf der Sladt, welche seit dem Untergang ihrer Selbst-
ständigkeit ihren alten Wohlsland mehr und mehr mit einer
stets wachsenden Schuldenlast vertauscht hatte (s. Müller S. 7).
Wesentlich dacu beigetragen hatte die Verwaltung der
Prätoren familie Rlinglin, deren Tragödie gleichfalls von Goethe
erwähnt wird. Sie verdiente einmal jjanz ausführlich und
kritisch dargestellt zu weiden : Nichts zeigt so großartig die
furchtbare Mißwirtschaft, welche Straßburg nach der Vereini-
gung mit Frankreich Generationen hindurch über sich hat er-
gehen lassen müssen. Ludwig XIV. hatte bekanntlich die alte
Verfassung der Reichsstadt zwar äußerlich bestehen lassen,
aber gleichzeitig- durch die Einsetzung eines Prätors so gut
wie außer Kraft gesetzt. Der Prälor wohnte nicht nur allen
Sitzungen der verschiedenen Uegierun^skollegien hei ; seine
Summe, hinter der die ganze Gewalt Frankreichs stand, ent-
schied. Kr hatte ein Veto einzulegen, sobald irgend ein Inter-
esse des Königs verletzt zu sein schien. Vor allem wußte die
Familie Klinglin, welche seit 1706 diesen Posten inae hatte,
durch die brutalste Gewalt und zugleich durch ein rSnkevolIes
BcMechungssystem die Stadt geradezu despotisch zu regieren.
Der Sohn des ersten Prätors Klinglin, Franz Joseph (der ältere
hieß Jean Daptiat) folgte diesem 1725. Um 1740 machten sich
die ersten Zeichen der Unzufriedenheit selbst bis Paris hin
fühlbar. Doch gelang es Klinglin uoch einmal sich in Gunst
zo setzen und der großartige Empfang Ludwigs XV schien
seine Macht für immer zu befestigen: es wurde ihm sei u Sohn
als Nachfolger bestimmt. Als er aber wie die Stadt so auch
(^ , , I . O'iginil fiom
UNWffiSITYOFMCHIGAN
- 966
die Universität gegen die Kapitulation von 1681 ihres prote-
stantischen Charakters berauben und die Altemalion, den
Wechsel zwischen Protestanten und Katholiken einfuhren
wollte, trat der gelehrte Schöpflin ihm entgegen und seinen
Vorstellungen #aben die Minister Gehör. War hier also Klinjrlin
nicht durchgedrungen, eo brachte ihm ein weilerer Akt der
Willkür und Grausamheit vollends den Unleryang;. Ein Haupl -
werkzeuy seiner Finanzoperationen, der Lottcriedireklor und
Inspektor des Umgelds, Paul Beck, erschien ihm vielleicht geeignet
als Sundenbock der Entrüstung der Straßburjier geopfert 2u
worden, und zugleich desseu eingeheimstes Vermögen wenigstens
für seine sonsligen Parteigänger eine reiche Beute zu gewähren.
Unter der Beschuldigung, er habe falsche Schlüssel tu einer
Öffentlichen Kasse machen lassen und aus dieser große Summer
jiacli Arrsterdam auf die Bank geschickt» wurde Beck 1749
verhaftet. Mit Mühe entmin;? er dem Galgen, er wurde nach
Marseille ins Bagno geschickt, nachdem man ihm die Marke
des Galeerensträflings eingebrannt hatte. Aber der schlaue Fuchs
wußte mit dem bei Seite geschahen üelde seine Wächter zu
l»estechen ; er entkam lisch Holland und fand indem Leidener
Professor Schwartz einen Berater, mit deesdn Hilfe er das
berühmte «Factum», Frunkfurt a. M. 175£>, erscheinen ließ.
Wenn man auch den Versicherungen Becka von seiner Un-
schuld, von den Gebeten, die er jeden Abend für den Prätor
und seine Familie habe zum Himmel steigen lassen, nur mit
Zweifeln begegnen wird, so belegt er doch die Jahrzehnte lang
fortgesetzt«!) Ungerecutijrfceiiun uud Erpressungen Klinylins so
haarklein, daß auch damals alle Welt davon überzeugt worden
ist. Unter anderem erzählt er, wie der PrätDr die Ratsstellen
verkaufte (S. 72). Kuenda berichtet er die berühmte Geschichte,
wie Klin^lin 211 seinem Palais, dpr späteren Präfektnr, tiem
gegenwärtigen Statthalterpalais gekommen war.
«Der Herr Prätor ha1 ein Haus, oder besser zu sagen,
einen fürstlichen Palast bauen lassen ; Er bediente sich der
Stadt Arbeiter und Materialien dazu, und dieses ist jedermann
bekannt- Es war im Jahr 1740 ausgebaut, als er bei Hofe
1 Der genaue Titel ißt: Factum Oder aufrichtige und wahrhafte
Eis.ählmg; der Uugerecliiigkeüeii uud unerhörten GrHUsainkeiten.
tt'elclie inoils der KÖnigl Praetor Joseph Klinge iag* theüe der große
Hat a . auf dessen Anstiftoug. wider die Person, Bhrd. Haab und Criitei
des F. K L. Paul Book, Schöffen und Aufseher der Einkünften der
Siadt Straßbnrg im Mertz .149 begangen bat* Von besagtem F, N
L. P. Beck aufgesetzt, und mit einem Anhang vou CXII glaub-
würdigen Urkunden bewiesen. Frankfurt am K&ju. zu finden iu den
hirsigen Buchläden 1752.
I , O'iqini fiom
UNWRSITYOFMCHIGAN
— 267 —
wegen seiner üblen Haushaltung verklaget war und sich ver-
antworten mußte ; was Ihat er? Kr lies sich von diesen Hand-
wercksleuten falsche Quittungen ?eben, daß er sie bezahlet
Hätte, obwohl sie keinen Sota erhalten hatten. Zur Belohnung
machte Ar diese nemliche Maurer, Schreiner, Ziinmerleute,
Schuhmacher zu Raths- Herren, dieses macht um so mehr einen
Kalh ansehnlich und ehrwürdig, da der Blut-Schreiber davon
ein Peruquenmacher>Gesell gewesen.
«Wenige Zeil darauf nnthigte er die Sladl ihm diesen Palast
um 200 000 Lines abzukaufen, und in 8 Jahren zu bezahlen,
nemlich alle Jahr 25 000 Livres. Nachdem alles bezahlt war,
so verehrete es ihm der Rath wieder ; mithin hatle er das Haus
umsonst, und 400 000 Livres darüber.» .
Aber gerade dieser Gewinn wurde für Klinjjlin verhängnis-
voll. Der Intendant der Provinz «oll ihn deshalb beneidet haben.
Auch der Kardinal Rohati war dem Prälur feiudlicb.
Sehr wesentlich zu der Mißachtung und dem Hasse gegen
Klinglin hatte sein Sohn heigetraffeo, ein liederlicher und ver-
schwenderischer Menden, der als Advokat am Cnnseil Souverain
in Colmnr beschäftigt, mich bereits verheiratet war, der aber für den
K.u3 eines Mädchens einmal 200 Louisd'or bezahlt haben sollte,
wie Beck S. iü erzählt. Kr war, wie er selbst behauptet,
Wucherern in die Hände gefallen und sollte sich sojror mit
Falschmünzern in Verbindung gesetzt haben. Ja, als dem Kar-
dinal Rohan beim Empfang eineß fürstlichen Gastes das Silber-
zeug gestohlen wurde, hieß es daß Her junge Prätor die Diebe
oder die Hehler geschützt habe (S. 11).
Auf jeden Fall waren Klinglin Vater und Sohn tief verhaßt.
Beck seihst teilt S. 33 den Spottvers mit :
War der Beck gehenkt, der Prätor ertränkt,
Sein Sohn in cer Bastille, das nützte mancher Familie.
Ah nun Becks Factum erschien, ward es natürlich ver-
boten, aber nur um so mehr gelesen. Noch 1753 erschien ein
königlicher Koininiisir. Die beiden Kliciglin wurden verbaflel
und das Urleil dem Gericht von Greaoble zugewiesen. Wahrend
der Haft starb der Vater.
Der Sohn ließ zu seiner Verteidigung eine Schrift er-
scheinen: Memoire de Monsieur de Klinglin, preieur royal de
la ville de Strasbourg:, ä Grenohle, ehez Andre tiiroul et la
veuve d*Andre Faure 1753. Natürlich leugnet er alles und gibt
die Verfolgung des Vaters der Kabale Schuld, welche seine
Stellung beneidet habe. Nur soviel gesteht er zu, daß der
Prötor Geschenke angenommen habe. Aber er behauptet, das
sei in Straßburg; wie in andern deutschen Reichsstädten von
i ,
UNWRSITYOFMCHIGAN
— 268 -
jeher Sitte gewesen. J a ** 5 *» e, ° uralter deutscher Brauch
Dafür beruft er sich (S. 187) auf Tacilus Germania, wo es von
den alfer» Deutschen heiße : «üaudent inuneribus ; sed nee
data imputsnt, nee acceplis obliganturs.
Also der Herr Prätor ist erst durch die schlechten Sitten
der Straßburger verderbt worden. Es muß das wie blutiger
Hohn trehlungen haben : eist brutalisiert er die wehrlosen,
allen Reichsstädten» dann korrumpiert er sie, um sie zuletzt
noch zu ironisieren !
Der Prozeß gegen den Sohn Klinglin wurde nach dem
Tode des Vaters niedergeschlagen und die Geldforderungec
der Stadt durch einen Vergleich beendigt. Aber in Straßburg
vergaß man die Sache nicht so bald, und dies mag beigetragen
hüben au dem keineswegs glänzenden Empfang der Dauphine.
Bei anhaltendem Regenwetter kam sie am 7. Mai 4770 an.
Auf der Sp-oreninscl, in dem besondere hier-su errichteten Ge-
bäude, ging sie ans den Händen ihrer Österreichischen Begleiter
in die der Abgesandten des französischen Hofes über. Die Dau-
phine selbst mußte alles zurücklassen; selbst ihre Garderobe bis
zum Hemd und zu den Strumpfen wurde ihr vom französischer
Hofe nen geliefert.
Auf dem Metzgerplatz empfing sie der Magistrat. Hier war
auch ein Triumphbogen errichtet, an welchem 24 junge Paare
aus der feineren Kreisen der Bürgerschaft und der Universität
sie empfinden. Die Mädchen streuten Blumen ; die Dauphine
küßte eine von ihnen.
Im Schloß des Kardin»! Hohan begrüßte sie der elsassische
Adel. Auf der Rückseite des Schlosses erschien ein Zug von
Winzern und Weinstechern, unter denen euch Bacchus unö
Silenus auftraten. Bei Dunkelwerden wunie ein großes Feuer-
werk auf der überbrückten III abgebrannt. Im Theater war
Auflülirung und Ball.
Arn andern Morgen erschienen die Korporationen zur Ee-
grüßun^, darunter auch der hohe Gerichtshof von Colmar; mit
drei Verbeugungen näherte er sich dem Thronsessel und kehrte
nach einer Ansprache ebenso mit drei Verbeugungen bis zur
Türe zurück. Daß der elsassische Adel vor dem Gerichtshof
eingelassen worden war, yab Anlaß zu einem formellen Protest
Vor der Abreise hesuohte die Dauphine das Münster, wo
der damalige Koadjutor sie feierlich hejmißre und durch die
Erinnerung an ihre Mutter sie zu rühren wußte. Es war der-
selbe Rohan, der später im Halsband prozeß Marie Antoinette
so unheilvoll sich genäher' hat.
Als poetischer Willkomm war der Dauphine ein ziemlich
schwülstiges deutsches Gedicht überreicht worden, das ein aus
I , O'iQim fiom
IWBtSrrYOFMCHKM
-• 26<> -
Erlangen gekommener junger Literat, Jobann Haut tust rauch,
verfaßt hatte). Einen Neudruck hat Thiebault Straßburg bei
Heitz mit den Gnj-itialtypen veranstaltet ; ihm ist das Bild der
Dauphine beigegeben, recht hübsch, aber auch mit dem vollen
Bewußtsein ihrer Würde. Die erste Strophe lautet :
«Jauchzt Völker l jauchzt dem Gott der Götter I
Hebt dankend Herz und Hand empor!
Er mehret Frankreichs Lilien-Blauer,
Und setzt Sie in den schönsten Flor.
Er schenkt uns eine neue Sonne,
Die eine unumschränkte Wonne
Bewirkt durch ihre Fruchtbarkeit. — —
Ein Lenz, der Zeit und Glück verjünget,
Der alk-n Menschen Wohlfahrt bringet.
Hat dieses ^enzc Reich erfreut.»
Ein ganz anderes Gedieht, das sich allerdings mit der
Dauphine selbst in keiner Weise beschäftigt, war handschrift-
lich im Besitz einer Dame erhalten, welche von einer darin
mitbetroffenen Familie abstammte. Sie gestaltete mir eine
Abschrift zu nehmen, wie ja auch ihre Handschrift nur eine
alte Abschrift dee gewiß längst nicht mehr vorhandenen Origi-
nales war. Meine Abschrift übergebe ich der Laiserl. Bib-
liothek. Fehler, die niemand stören können, verbessere ich
nicht.
Das Gedicht verspottet die 24 jungen Damen aus der
feineren StraBburger Gesellschaft, welche der Dauphine auf-
warteten und einige ihrer Begleiter. Von diesen spricht auch
die Baronin Oberkirch ohne näheres anzugeben, als daß sie
in deutscher Tracht erschienen seien. Im Geflicht erfahren
wir ihrer aller Namen. Folgende junge Damen werden genannt :
Böhm, Gambs, Türkheim, Grauelin, Spielmann, Stadler, zwei
Fräulein Sachs, Nicolai, Wißmann, zwei Bauer, Süß, Fihich,
Otto, Langheinrich, Graufl, Kart, Stein, Kolb, Holzapfler, zu-
sammen 21, so daß also drei übergangen sind. Literarisch
bekannt ist wohl nur Frl. (Cleophe) Fibich. die Lenz als
i Der genaua Titel ist: Der glucklichste Frühling: für den an-
ackätebarea Flor des Französischen Liliengartens betreffend die von
Gott gefügte.
Allel höchste Vermahlung
de» Allcrdurclilaichli^sieii und Oelieb testen Königlichen Dauphins
von Frankreich und Nfcvurra otc. etc. mit Ihre Königl. Hoheit der
Alierdorchlauchlig&tei und Liebenswürdigsten Prinzessin Anionia
Sebohrcne Erzherzogin von Oestcrreich etc. etc. geschildert von
o ha n ii itautenstrauck. Straßburg, im Ifayraonat 1770 gedreckt bei
J. H. Heitz Unirtrsiiitsbuchdrnckcr. Mit hoher Approbation
I , O-iqnn Fiom
UNWRSITYOFMCHIGAN
- 270 -
Araminta gefeiert hat, später die Braut eines der Herren
v. Kleist, die Lenz nach Straßburg begleitet hatte. Doch ver-
ließ Kleist sie, trotz schriftlicher Zusicherung. Was der Pas-
quillant an den jungen Damen auszusetzer hat, sind Fehler
nicht eben schwerer Art : Mangel an besonderer Schönheit oder
an hervorragendem Versland. Koketterie und Stolz. Interessanter
ist was er über die jungen Herren nag), von denen er allerdings
nur werugencnnt: Einen ßrudor der Frl. Böhm, G-raucI, Bauer,
Türkheira, einen Spielmann, der Professor werden wolle und
viel von seinen Reisen erzähle, die Herren Einbeck und Hecht,
die als vermul iche Bräutigam mer angeführt werden. Türk-
heim ist wohl der spätere Gatle von Goethes Frankfurter Braut,
LiJi=EüsabelhSchönernarr). Er wurde 17üö stuil. phil. (Straß-
buryer Matrikeln 1, 444). In diesen Matrikeln erscheint auch
ein atnd. phil. Michael HÖhm neben einem andern aus Karls-
ruh 17u3, wie auch verschiedene Grauel in den Matrikeln zu
1762 und 1770 auttauchen. Die Personalien genauer festzu-
stellen, wurde die Mühe doch wohl nicht lohnen.
Das Ganze ist eine Parodie eines Liedes von Hagedorn
(Eschenburgs Ausgrabe 3, SO), das auch Wekherlin (s. u.) ein-
mal anführt :
«Rühmt mir des Schulzen Tochter nicht,
Nein sagt nur, sie ist reich.
Im ganzen Dorf ist kein Gesicht
Der flinken Hanne gleich.
Das Mensch gefällt auch ungeputzt.
Ich sag es ohne Scheu,
Trotz mancher) die in Füttern stuzt,
Sie sei auch wer sie sei.
Wie frei und weiß ist ihre Stirn
Und rot ihr Inserier Mund I
Wie &rlatt der Haarzopf meiner Dlrn'
Und ihre Brust wie rund!
Ihr Au«' ist schwarz, wie reife Sclileh,
Drum komm ich auf den Wahn,
Wenn ich ihr lang ins Auge seh',
Sie hat mir's angetan.»
Also dieselbe StrophenfDrm, die noch in Raymunds «Ver-
schwender* für das I.ied des Schreiners Valentin benutzt ist :
«Da streiten sich die Leut herum* usw.
vielleicht könnte auch die Melodie dieselbe gewesen sein. Dem
entsprechen nun also die Strophen des Spottgedichts, das nur
sehr weit, ausgeführt erscheint ; der Dichter schließt mit der
27. Strophe.
(^ , , . I . O-iqni fr;>m
UNWRSnYÖFMCHI&M
— 271 —
In der überlieferten Abschrift ist jeder Strophe die eines
Antwortgedichles beigeschrieben, Ausgenommen die '26. Strophe,
welche dazu keinen Anlaß geboten zu haben scheint. In
dieser Antwort wird der Pasquillant verhöhnt und bedroht.
aber ohne daß man ihn gekannt zu haben acheint. Dieser
Anwalt der Straßburger Jugend hat sich seiner Aufgabe nicht
ungeschickt entledigt.
Der WiUdes Pasquilltinten ist nicht eben hoch anzuschlagen.
Es ist nur ersichtlich, doß er die Persönlichkeiten sehr gut
kannte.
Wer es gewesen ist, dafür lassen sich kaum Vermutungen
aufstellen. Rautenstrauch ist es suf keinen Kall gewesen ;
er hatte Verwandte gerade in Universitätskreisen. Kr ist 4771)
im Herhst nach Wien gegangen und hat dort der Aufklärung
publizielifch yodient. Durchaus loyal hat or Maria Theresia, dann
Joseph II., Leopold, Franz II. verherrlicht. Auch hier in Straßbur*
hat er 1708 «das beglückte Slraßburg» geschrieben und eine
Bearbeitung davon 4770 Schöpften gewidmet ; das Gedicht
ht eine höchst prosaische, steife Heimerei : So sagt er S. 30
vom Münster
Conradus, so damals der dritte Bischof wäre,
Wars, der von diesem Werck den Anfang mieben ließ,
Deshalb versammlele er eine ganze Öchaare,
Mit einem Meister, der Ei wiu von Steiubach hießt
Denn ihme war hierzu ein Eifer etugepräget,
Er selbsten warf am Grund da? allererste auf.
Und da das Fundament desselben war geleget,
So legte er auch seihst den ersten Stein darauf.
Am Sanct Urbani Tag geschähe es von diesen,
DieiJ wird von Schadao und andern mehr, erwiesen.
Die t'eierlichlsnge Slrophenforrn, Hallers Alpen entlehnt,
macht die Inhaltsleere nur noch mehr bemerklich. Daß der
Dichter später als Lustspieldichter ein© etwas bessere Begabung
auswies, zeigt Eugen Schlesinger, J, Hautcnstrauch 1746—1801.
Biographischer Beitrag zur Geschichtoder Aufklärung in Ocster-
reich. Wien 1807.
Nur eine uanz 'unsichere Vermutung ist es, welcher der
Verfasser dieses Aufsatzes lange Zeit nachgegangen isi. Konnte
eicht der spatere Publizist Ludwig W ekln I in auch hier be-
teiligt sein, dessen launige Satire sich gang besuuders gegen
die verrotteten Reichsstädte richtete und der auch sonst die
Fcrm des Spottliedes gebraucht haL? Seine Schicksale haben
trüh Interesse erweckt; sie bieten ein Gegenslück, vielfach auch
einen Gegensatz zu denen des Dichters Schubart, des Gefangenen
. O'iainilFiom
■ ^ " " IINIYRSITYÖFMCHIGA>1
-- 272 -
des Herzogs Karl \ou Württemberg auf dem Hufcnaspery. Sein
Lebenslang ist nicht gar« Mar, trotz mancher Untersuchungen,
die zuletzt Böhm, Mönchen 1893, gesichtet and zusammengefaßt
hat.
Auch Wekhrlin war ein Schwabe wie Snhulwirt, ein ge-
borner Untertan des Herzoge Karl : aus Bothnang bei Stuttgart,
wo er 173^ zur Welt «am. Sein Vater, ein Pfarrer, starb
früh. Der Stiefvater, Stadtschreiber Heuplin in Ludwigsburg,
war dem Kind aus erster Ehe feindlich gesinnt und gewiß
gab dieser auch seinem Erzieher allen Anlaß zur Unzufrieden-
heit. Aus der Schreibstube begab er sich 1766 nach Wien,
wo er in den protestantischen Kreisen Eingang fand und zu-
letzt als Lehrer an einer Handelsakademie gewirkt haben soll.
Aber sein bei gefälliger Begabung zynisches Üetragen veranlaßte
daß er 1776 Wien unfreiwillig verlassen mußte. Er giny nach
Augsburg, dann nach Nürdliiigeu. Hier war aber seines Blei-
bet!* nicht, er zoy in ein nahes Dorf BakKugeu, von >vy er
die Stadt, wie er sich ausdrückte, benetzen konnte, auf das
Gebiet des Fürsten von Oeltingen - Wallerstein. Schon in
Wien hatte er geschriftstellert und besonders Sitlenheschrei-
bun<ren verfaßt, welche eire gute Beobachtungsgabe und eine
leichte, unterhallende Darstellungsweise bekunden. 'Jetzt ließ
er Zeitschriften erscheinen, welche bald auch von auswärts
Korrespondenzen besonders satirischer Art erhielten. Durch
seltsame Titel erregte er Neugierde: schon in Wien schrieb
er «Karaifcische Briefe». Des «Anseimus Rabiosus Heise in
Oberdcutschland» erschien 1778. Es folgte das Felleisen,
die Chronologen , das Graue Ungeheuer, hyperboreische
Briefe, Paragraphen. Als er die Hinrichtung einer Magd in
Glarus wegen Hexerei mit wohlberechtigtem Tadel geschildert
hatte, wurde seine Schrift dort von rlenkershand verbrannt;
er schickte seine Silhouette dazu ein autn das Festin zu ei-
böhn».
Wegen eines anonym erschienenen Spottgedichts auf den
Nördlinger Bürgermeister v. Tröltsch, den er als «Pips von
Hasenfuß» verhöhnte, wurde er 1787 vom Fürsten von Wal ler-
steiii auf Schloß Hochhaus eingesetzt. Die Haft war nicht
streng : die Hüter liebten den lustigen Menschen, und bemit-
leideten den armen, dürftigen Kranken. Kr durfte auch
seine Verwandten in Wurtemberg besuchen. Erst 1792 aber
konnte ar sich nach Ansbach begeben, das aben an Preußen
gefallen war. Er begründete dort mit Genehmigung des späteren
Kanzlers Fürst Hardenberg eine Zeitung «Die Anshacher
Blätter» Aber seine I^achriehten über die Fortschritte der
französi scl»en Revolutionsarmee beunruhigten die Bevölkerung
(^ , , .1 . O'iaiml fiom
INVBtSrTYOFMCHKM
- 273 -
der Art, daß mar ihn, als Verräter, mißhandelte. Infolge davon
starb er noch im November 1792.
Wekhrün vertritt durchaus die Aufklärung nach dem
Muster der französischen Schriftsteller des 18. Jahrhunderts.
Voltaire war sein Abgott. Wann und wo er sich die Kennt-
nis dieser Literatur verschafft hatte, ist ganz unbekannt. Er
deutet an, daß er in Frankreich geweseu, das konnte innerhalb
der Jahre 1757 und 1767 geweseu sein. Aber in Paris war
er wohl nicht; davon müßten 3ich doch Spuren in seinen
Schriften finden. Aber warum nicht in Straßburg: ? Und zwar
als Informator oder sonst in literarischer Stellung, welche ihm
die nähere Bekanntschaft mit Aen im Spottgedicht verhöhnten
Familien verschaffte. In den Matrihein habeich seinen Namen
nicht gefunden.
Natürlich müite er 1770 von Wien aus wiedor nach
Straßburg gekommen sein, wenn *»r der Verfasser unseres Spott-
gedichtes wäre. Er könnte dem Gefolge der Dauphine ange-
hört haben ; er spricht davon, daß die Kaiserin ihm ihre Gunst
zugewandt habe.
Und nun ist es tür unsere Frage wichtig, daß er sich
später als Legationsrat des Prinzen Renan bezeichnet: das ist
der damalige Koadjutor, der 1771—74 in Wien als Gesandter
tätig war und auf Wunsch von Maria Theresia abberufen
wurde. 1779 —1802 war ei bekanntlich der letzte Kardinal
Fürstbischof von Siraöburg, Sein Charakter ist bekannt genug
aus der Halsbandgeschicbte. Anfangs als Opfer der Despotie
bedauert, wurde er als Emigrant Gegenstand des Spottes. Es
gibt eine Sammlung lasziver Gedichte in der Art der Contes
von Lafontaines, welche damals als Contes et Poesies du C Col-
lier (Cardinal Collier], commandact general des croisades du
Hu'-Rhir:, erschienen, Tome t und 2, Saverne 171M und 1792.
Eine größere Sicherheit für die Verfasserschaft Wekhrlins
w5re 2u gewinnen, wenn er 1770 als in Straßburg anwesend
nachgewiesen werden konnte. Ich habe mich s. Z. an das
Archiv des Fürsten Alain von Rohan in Böhmen gewandt,
aber keiue Antwort erhalten. Das Karlsruher Archiv besitzt
nur Akten, welche sich auf die Rokansche Besitzung Etten-
heim beziehen.
Sprachlich ist auch nichts in dieser Beziehung zu ermitteln.
Die wenigen Dialekteigenheiten sind z. T. Alsatismen, welche
freilich auch ein Fremder sich hier hatte aneignen können.
Der Art ist z.B. in Str. 1 «Der Narr.x. l)as ist nicht «der
Naroe», sondern was sonst edie Nahmen heißt, die Wahl, das
Ausgezeichnete. Auch das masc. kommt sonst vor, wie Grimms
Wb. ausweist, und nicht bloß in elsassischen Quellen.
18
I . O'iQirntfiom
INWERSnVOFMCHIGAM
/"
— 274 —
Zweifelhaft ist auch Str. 18: «wünscht Alles was ihm
Freude macht, allein auf seinen Riß». Irr, DWli. wird Kiß
«krückenförmige Scharre* besonders als mittel- und nieder-
deutsch bezeugt; schweizerisch ist kisen «ziehen». Der Ant-
wortdichler verwechselt Kiß mit €Mist>.
Dagegen findet sich «aus cer Brenn» (23) besonders bei elsassi-
schen Schriftstellern, auch bei Moscherosch. Ecbt atraßburgisch
ist die Betonung «Pr6fc3sör> (11)- Vielleicht wollte der Dichter
gerade diese Aussprache lächerlich machen.
Um nicht mit solchen Fragen zu schließen, darf ich schließ-
lich noch darauf hinweisen, daß sich 1770 gerade der größte
deutsche Dichter in Strasburg befand, J. W. Goethe. Für
die beiden Spottgedichte kommt er freilich gewiß in keiner
Weise in Betracht. Wohl aber hat er, nach seinen eigenen
Angaben, damals ein Gedicht in französischer Sprache auf die
Ankunft der Dauphine verfaßt, worin er die polizeiliche Ver-
ordnung, da 3 alle flettler mit Gebrechen sich von dem We^e
der Dauphine fem halten mußten, in Vergleich stellte zu dem
Zudrang solches Volkes beim Einzüge Jesu. Erhallen ist uns
dieses Gedicht nicht; denn ein dafür ausgegebenes in Freimund
Pfeiffers Büchlein, Goethes Friederike, Leipzig iß-il S. 13*,
ist nicht bloß wegen einee fehlenden Versfußes als Goethe
untergeschoben zu erkennen.
Aber der Anblick der liebenswürdigen Dauphine hat auf
Goethe tief eingewirkt. Dies zeigte sich später, ah der berüch-
tigte Halsbandprozeß, das Vorspiel der französischen Revolution,
Marie Antoinetle mit dem leiden Kardinal Rchan in eine für
ihr Ansehen geradezu verhängnisvolle Verbindung brachte. Als
1 Freimund Pfeiffer, Uoeihes Friederike, Anhang: Seaenheimer
Liederbuch, Leipzig, W. Eugolmann 1841, S. 13.
Loraque le üb du Dien descendifc sur la terre
Pour benir les mcrtels combles de niedre,
On vit de tous cöt£s ße preBser sur ses p&e
Das boiteux, des perclus gisant sur lcars grabats.
Mais lorsque des b'rnic,a.is l'auguate reine avanee,
Quelle pose le piec snr la terre de France,
La police attentiva a soin de de*creter
Qii'a son royal rejs.ru* ne doit se presenter
N. bossu ni goutteux ni pauvre apoplectique,
v pftrclQK nt bau es I ni meine racheci^ne.
Ooiume $a de ches aoi Siraebourg fait lea honnears.
sicclc! o tomps ! o moeorsl
D*su S. 149: die Worte combie de misere möchte ein kritischer
Franzose mit Rceht tadeln; einmal wegen einer mangelnden Silbe,
dann weil r-omble nur in gutem Sinne gebrauch- "wird: combie de
blenfaits, de faveurs, de joie, aber nicht combie* de triste68C, do
QÜBere usw. [Man könnte »accables> lesen wollen.]
(^ . . . ■ I . O'iaina From
UNWffiSITYOFMCHIGAN
- 275 —
er die Gunst der Königin, welche durch ihre Muller vor ihm
beständig gewarnt wurde, mit aller Mitteln zu gewinnen
strebte, wurde ihm, dem gläubigen Verehrer des Schwindlers
Caglioslro, vorgespiegelt, daß sie ihm dafür dankbar sein würde,
wenn er ihr den Erwarb eines kostbaren Halsbandes möglich
machte. Eine Betrügerin spielte die Rolle der Königin ; der
Kardinal g:ib das Halsband in die Hinde einer Vermittlerin
um bald zu erfahren, daß man ihn schmählich gelauscht hatte.
Der König, entrüstet darüber, daß der Kardinal durch einen
solchen Handel sich die Gunst der Königin zu erwerben ge-
glaubt hatte, ließ ihn in die Bastille werfen. Aber der Prozeß
wurde von den Richtern nicht zu seinen Ungunsten entschieden,
freilich vertrieb ihn die ausbrechende Revolution bald nach
Ettenheiiu in Baden, wo er 1802 starb.
Goethe hat in Palermo sich der Familie Cagliosirus ge-
nähert, unter dem freilich nicht einwandfreien Vorwand von
ihrem Oheim empfohlen 2U sein ; er hat ihr Geh) überbracht,
das Karl August ihm vorgestreckt hatle. Er hat dann die
ganze Halsbandgeschichte mit genauer Quellenuntersuchung
erst als komische Oper bearbeiten wollen, dann als Lustspiel
<Der Großkophta» auegeführt. Cr hat es dann auch und gewiß
mit vollster Entrüstung erleben müssen, daß die stolze Königin
die tiefste Ernicdrigucg erfuhr, als sie in der Concicrgeric in
einem korridorartigen Geloß, keinen Augenblick ohne die Ueber-
wachung durch einen Nationalgardisten, ihrem Todesurteil ent-
gegen sah. So endete der Lebenslauf, dessen heilere Anfangs-
szenen der Dichter hatte vor seinen Augen vorüberziehen sehen.
Doch möge dieser Ausblick wie so manche andere nicht
unmittelbar mit dem Gegenstande verbundene Betrachtungen
ni«r Nachsicht finden, da der Gegenstand selbst nur eine
fluchtige und geringfügige Episode in der elsassischen Literatur-
geschichte ausmacht.
I * O'iqim fiom
UNWRSnYÜFMCHIGAN
XV.
Johann Benedict Scherer,
ein Straflhtirger Autcmomist in der Revolutionszeit.
Von
Theodor Renaud.
Uie Z*hl der Slrußburger Autonomsten auf Grund der
Kapitulation von 1681 ist größer gewesen, als man gewöhnlich
annimmt. Die deutsche freie Reichsstadt war königlich franzö-
sische Frcisüdt geworden ; das Volk fühlte kaum einen Wechsel.
Nach wie vor besuchte man die Messen in Frankfurt imil
Leipzig; die Zollsfrenze lag nicht am Rhein, und Straßbui-y
mit dem ganzen Elsaß war tatsächlich eine «wirklich fremde
Provinz» Frankreichs
Das entsprach aber je langer, je mehr keineswegs dem
Sinne der französischen Beamten und der aus dem Innern
zugezogenen Bevölkerung. Von dem Intendanten de la fialai-
ziere z. B. erzählt Scherer in seinem Ruche: «Wichtige
Anekdoten eines Augenzeugen über die franz. Rev.» (I, S. 89),
dieser Herr habe mit seinen Schreibern jährlich 100 000 und
mehr Klafter städtisches Holz [?] unnütz verschwendet, und
wenn ein Ratsherr auf der Intendanz in Geschäften erschienen
sei, hätten sich die Heizer in seiner Gegenwart zugerufen;
«Lange mir da noch einen großen dicken Ammcister, Drei-
zehner oder Fünfzehner her!»
Di© FOiifsehner hatten sich in letzler Zeit freilich auch
bei vielen einheimischen unbeliebt gemacht. Am 21. Juli 1789,
genau eine Woche nach der Erstürmung der Bastille, warf
das Straßburger Volk die Fenster des Rathauses (der «Pfalz»
auf dem heutigen Guienbergplatz) mit Steinenjuml Marktrüben
I . O'iqim fiom
UNWRSITYOFMCHIGAN
— 277 -
ein, hob die Dachziegel ab, zerfetzte die Papiere des Archivs,
zapfte die Fässer im Ratskeller an und ließ den Wein laufen,
ein Schauspiel, dem zum größten Aerger der Bürgerschaft die
Besatzung Gewehr hei Fuß zusah. Unter diesen Um-
ständen beschloß der Magistrat auf Drängen des königlichen
Kommissärs Dietrich (die Sitzung fand im Hause seines Vaters,
des Ehreusleltineistärs, statt» vgl, Scherers • Greuel der Ver-
wüstung» 1793, S. o4) die Entlassung zu nehmen. Aber die
Schöffen weigerten sich» das Gleiche zu tun, bis ihre Zünfte
selbst es begehrt hätten. Das geschah ; deich wurden, ein
Sieg der Autnnornisten, fast alle früheren Schöffen wiederge-
wählt, und am 17. August um 8 Uhr trat der inzwischen auch
ti ingestaltete neue einstweilige Magistrat mit den 300 Schöffen
zu einer ersten Sitzung zusammen, im «Spiegel &; denn
die Pfalz war noch nicht wieder in Stand gesetzt.
Unter den wiedergewählten Schöffen befand sich als einer
der zwei Obmänner der Kürschnerzunft auch der «Evsenator»
Scherer. Er hatte lange im .\uslande, besonders in Ruß-
land und Frankreich gelebt. Acht Jahre nach seiner flückkehr,
1787, war er Schöffe geworden und als solcher Mitglied des
Rates. 1740 zu Straßburg geboren. i, hatte er in der Vaterstadt
die Hechte studiert und den Licentiaten juris erworben*.
Den SchöfVenverdciminliingen pflegten der Magistrat,
wenigstens teilweise, und der königliche Kommissär beizu-
wohnen.
Gleich in der ersten Siizung wurden zwei Ausschüsse
eingesetzt, einer zur Abfassung einer Erklärung an die
National versarn ml ung gegen deren Beschlüsse vom
1 Mola 174!, wie Süeua in der A.l*r. deutschen Bicgi. angibt.
2 Scherer war Protestant. Sein Qöbumschoin (Kirchenbuch
Ten St. Thoraas, Sudtarchivl lautet; «1740 Kr. 432. Donnerstag,
den 1. äeptember gpgtn Mitternacht najh 11 Uhr ist gebohren und
Samstag, den :». ejisdem getaufft wordüi ein Söbnlein mit Nahmen
Joannes Benedictus, dessen Eltern sind s. t. Herr II. [Magister Jo-
bann Friderich Scherer, IV a ' classis Pr&eceptor und Ecclesiastes Pa-
laiopetrinus und Fr. Maria Salome geb. Lederlinin, seine eheliche
Hausfr. Die Tanfz^ugen sind Herr Benediktus Heinrich Marbach,
Schaffner des Stifts St. Thoma und Eurgrer allhier. Herr M. Johann
Caspar Reuchlin, Membr. Seminarii Ecelesiastici und Yicariia Prac-
ceptor Super. Gymnssii und in dessen Nahmen Herr M. Philipp flriderich
Kolli, S. S. Theo» Sud. und Frau Margareilia 3aluiue BLigelliaidiu,
veyland Hrn. Heinrich Ludwig Engelharit, gewesenen Handelsmanns
und Burgers allhier nachgelassene Witüfe». — [Es folgen die Unter-
schriften des Vaters, der «Pfetter» Marbach. n. i. V.Kohl, sowie der
«Götteb Engelharot und des Diakonen *\1 . oh. Georg Schweif hei» er» |.
0er Vater (1702—1718) -wurde später Mitglied des Thomiekapitels
und palt (nach Xarousse) als tüchtiger Orientalist.
I . O'iQJnit fiom
l " INIVKSITYOFMCHIGAM
— 278 —
4, August, durch die nicht nur die Feudalrechte, sondern
auch alle Vorrechte der Provinxen, Slädle, Züiifle elc. aufge-
hoben worden waren, und ein zweiter zu Vorschlägen für
eine Siraßburger Justiz-Verwaltungs- und Polizeireform.
Scherer wurde mit Levrault, dem zweiten Vertreter
der Kürschner, in den wichtigeren ersten Ausschuß gewählt
und später in einen dritten zur Prüfung der Stadtfinanzen,
der ihn als seinen «Secretariue» bestimmte.
Die deutsch geschriebenen Sitzungsberichte sind erhalten
auf dem Stadtarchiv und abschriftlich «Protokoll des jrroßen
Rats der Schoflen» (Barachs Handschriflenkatalog:, S. 6ß), auf der
Univ. Bibliothek. Die Urschrift geht bis zum 16. Januar 1790,
die Abschrift nur bis zum 16. Dezember 1789.
Schon am 19. August (etwas rasche Arbeit!) legte der
Ausschuß den Entwurf der Erklärung od die National-
versa m ra I u ng vor; die zwei Vertreter der Stadt in Ver-
sailles, Schwendt und von Türkheim, begehrten jedoch ein
bestimmteres Schriftstück. Ein solche« wurde dann in der
Sitzung vom 1. Okl ober einstimmig, aber wohl unter
Kopfschutteln Dietrichs, gut geheißen.
Den französischen Text dieser deutlichen Erklärung findet
man bei H. Keuß, «L'&lsace dans la revolution, Akten des
Straßhnrgw Stadtarchivs» I, S. 197, den deutschen teilt
Scher er mit als Beilage III, S. 62 ff., seiner Schrift «Was
ist von den ausgewanderten Klsaßern und Lothringern zu
halten? Gedruckt in Cairo [Ulm?] 1799».
Ich vermute, er selbst war der Haupt Verfasser. Diese
eProtestation und Deklaration» beginnt mit den "Worten: «Die
Stadt Straßburg war ehedessen ein souveräner Frevstaat unter
der unmittelbaren Oberherrschaft des teutschen Reiches. Durch
Ire Y willige Unterwerfung wurde sie mit der Krone Frankreichs
vereinigt und diß vermöge einer Kapitulation, welche ihr alle ihre
Privilegien, Rechte, Slatuteu und Gewohnheiten zusichert nach
Inhalt des westfälischen Friedensschlusses, der durch den Nim-
wegischen bestätig) ist.» Man wolle ja gerne dem Patriotismus
der Nationalversammlung möglichst entgegen kommen, müsse
aber in der Hauptsache auf der Beibehaltung des jetzigen Zn-
standes beharren i.
> Es handelte sich nlctr nur am den Verlust der städtischen
Freiheit, sendern auch um den ansehnlichen Landbesitz der
Stadt. In diesem Punkte pikt Schwendt zu: tla ville se trouve en
<?galit£ Darfakc de droits avec les princeb ponsessiotiös en Alsace»
'Renn, L'^ls dans la Rev. II, S. 12 u. 13) und, kann man liiuzu-
seuon. mit dem Bischof.
I , O'iqim fiom
UNWRSITYOFMCHIGAN
— 279 —
Das ganze Schriftstück hier abzudrucken, verbiete! der
Raum, zumal das bei zwei andern bisher unbekannten
weiter unten geschehen muß.
Nur sei bemerkt, daß der städtische Generaladvokat
Levraull, im Anschluß sn die Erklärung eine Hede hielt, worin
er sagte, dieser Entwurf beruhe auf dem letzten Beechlue&e
der Versammlung, war auf die Vorrechte betreffs der Auflagen
zu verzichten, dafür aber um so fester uuf der Aufrechterball ung
der alten Verfassung zu besichert. Auch das hiesige Dom-
kapitel, sowie der geistliche und adelige Stand der ganzen
Provinz hätten sich gegen die Beschlüsse der Nationalver-
sammlung- erhoben; diese werde schließlich wohl nachgeben ;
denn der Köni-j sei gegen die Neuerung 1.
Allerdings hstle Ludwig XVI. noch hei der Jahrhundert-
feier der Uebergabe Straßburgs 1781 feierlichst versprochen,
es solle alles beim Alten bleiben ; aber was hatte das jetzt zu
bedeuten ?
Inzwischen begann es in den SchölTensitzungen selbst zu
gären. Die Finaiizkornmission war an die Arbeil gegangen,
und am 24. November legte ihr Sekretär Scherer eine aus-
führliche kräftige Denkschrift vor, worin die Finanzlage der
Stadt in den düstersten Farben dargestellt und auf rücksichtslose
Einschränkung der Aufgaben gedruugen wurde. Namentlich
die Holzlieferungen an höhere Offiziere etc., die Freiwuutmugeii
derselben, seien, wenigstens einstweilen, einzustellen. Man
brauche auch keinen Prätor mehr, der jährlich 60 000 L
koste ; jeder Bürger sei heute ja stolz darauf, ein Franzose zu
beißen.
Das war natürlich eine Spitze gegen den königlichen
Kommissär Dietrich, der die Stelle des Prators vergab, und
deshalb blieb die Denkschrift wirkungslos; die Versammlung
beschloß nur, die Kommission * mö^c mit der städtischen
Finanzkammer einen genauen Arbeitsplan abfassen und ihr —
vorlegen! Infolgedessen gab es in der Kommission selbst
Heibungen; am 11. Dezember erklärten vier Mitglieder ihren
Austritt, und schließlich war sie bis auf 16 abgebröckelt!
Statt Scherer erscheint ein neuer Sekretarius , nainens
Trombert.
1 Einer der Schöffen, der Lic. Graffenauer. beantragte sogar einen
Zusatz, daß StraÖburg wie bisher auch «von der Ziehung der Miliz*
befreit bleibe ; afcer man hielt es nicht für zweckmäßig, dieser heiklen
Punkt zu berührst, und genehmigte die Absendnng des verwiegten
Entwurfes, von dem auch alle Minister Abschrift erhalten sollten.
2 Sie tagte im »Alten HerrenstalU 'Finkweiler 2).
I , D'iaina From
IMtfBtSrTYOFMCHKM
-- 280 —
A;i. 2. Dezember erfuhren die Schölten aus den ßericlitcn
Schwerull.s, des stadtischen Abgeordnelen in Versailles (der
zweite, Altammeister von rürkheim, hatte seine Entlassung
eingereicht), daß Straßburg die neue Sh'idteverfassung anzu-
nehmen habe und jede Berufung an den Könijf, wie die Dinge
nun lägen, aussichtslos, ja gefährlich wäre. Am 1. Januar
17^0 gelangte das bei reifend« Dekret an den Magistrat, am 2.
wurde es einregistriert und am 4. veröffentlicht.
Der Widerstand war gebrochen. Nur noch einmal kam
man zusammen, am 16. Janaar, und beschloß, um sieb vor
der Bürgerschaft zu rechtfertigen, daß «über sämmtliche Ver-
handlungen und Fürschrille, welche M. H. gethan haben, um
die Beibehaltung der Privilegien hiesiger Stadl zu bewirken,
durch eine hierzu zu ernennende Kommission ein Bericht auf-
gesetzt, in neiden Sprachen gedruckt und der ganzen Bürger-
schaft aiisgetheilt werde».
Am 18. März ging dann Dietrich mit 3312 Stimmen als
erster Maire Straßburgs aus der Urne hervor; aber für seinen
autonornislischen, konservativen Gegenkandidaten, den Alt-
ammeister Poirol, war doch die noch recht ansehnliche Minder-
heit von 2286 Bürgern mit dem Wahlzettel eingetreten 1 .
Während der Wahl hatte der cGesammle Rats noch ein-
mal, Turn letzlen Male, getagt; die hierbei gehaltenen Keilen
sind in seinem «Memorials* (Stadtarchiv) nicht mehr einge-
tragen. Der Katsschreiber ließ dafür Stellen frei, um das
nachzuholen; hat es aber nicht mehr getan. Wozu auch'?
Es war ja doch alles vorbei. Dagegen sind die Schlußworte
dieses letzten Protokolls wahrhaft rührend in ihrer drama-
tischen Schlichtheit: «Als m. gn. Herrn ihre Plätze verließen.
stellte sich Herr Maire nebst den zween zuerst gewählten
MunizipalLeamteu, Herrn Spiehnaiiii und Herrn Herve, an den
iuiieru Theil der Thür, all wo sie geblieben, bis ein Huchlöl»-
licher Magistrat, Herr Gen. Advokat Mogg, der Sekretarius
und die beede Herrn Prctocol listen die Stube verlassen hatten.
Finis.>
Diesiss Finis klingt wie der letzte Seufzer der sterbenden
allen Reichsstadt ! —
Hier wird der Platz sein für den Abdruck der zwei schon
erwähnlen merkwürdigen Aktenstücke. Es handelt sich dabei
1 Für Dietrich hatten aeben seinen ciuheiniischen Anhängern
natürlich auch die zugezogenen Frauzosen gestimmt, namentlich die
Beamten, so daß man schier ron einer «offiziellen Kandidatur» reden
könnte.
I , O'iqim fism
UNWERSITYÜFMCHIGAN
— 231 —
um eine Bittschrift des alten Magistrats an den — Kaiser als
Garanten des Westfälischen Friedens und
eine darauf erfolgte Antwort.
Scher er teilt sie als Beilage 1 seiner Schrift: «Was ist
>oq den ausjfe wanderten Elsassern und Lothringern zu halten ?*
S. 47 mit, wie fol^t;
I.
Allerunterthänigste Bittschrift anSr. Kaiser 1.
Majestät von Seiten d es Mag i st rats zu Straß-
burg, um den Schutz und Garantie, der in den
Friedensschi ösun festgesetzt worden, von
Allerhöchst demselben gegen dieDekrele der
Neu tränkischen Nationalversammlung zu
erlangen.
«Monarch ! Der Magistrat der Stadt Straßburg wirft sich
zu Euer Majestät Füßen, um im Abgrund der Greuel der
greiieo Anarchie vou Allerhöchst denselben den mächtigen Schulz
anzuflehen, den ihm die Friedensschlüsse zusichern.
Mitten im Frieden eroberte Ludwig XIV. diese wichtige
Festung mittelst einer Capitulatiim vom 3. Okt. Iiisl. Durch
diese Ucbcreinkuntt sind unter Königlichen Wort und Glauben
olle Rechte und Vorrechlo dieser Stadt nuoh dem darinn sich
befindenden Verzeiehniß vorbehalten worden. Kaiser und Reich
traten in Gemäsheit dieser Gapitulalion durch den lü. und 17.
Artikel des Ryßwiekiseheii Friedens [I6£*7] Straßbury ab, und
diese Capitulation erhielt noch nach dem Bndischen Frieden 1
durch einen Beschluß des Staatsrats Ludwigs XIV. ihre Be-
Rfäligung*.
Diesen heiligen Belegen pntyegwi ist. nichts weniger*« di*
Stadt Straßbnrg durch die Dekrete der Nationalversammlung
aller ihrer Hechte beraubt, ihre Constitution ist ihr mit Gewalt
entzogen worden. Ihre Deputirten hielten sich zwar gleich
in den ersten Sitzungen der Generalslaaten Frankreichs ihre
Vorrechte auf das bündigste vor. Das SchölFcncorps wieder-
1 Der Frieden xu Bast alt und Baden 1714 nach dem epaaischen
Erbfolgeln-taff.
* Scherer druckt diesen Beschluß (vom 39. Joli 1716; als Bei-
lage« II ab. - Auch der bekannte protestantische Theolog: Blessig
dachte aatononüstisek, wenn er schrieb (Questions d'gtat 113] i «De-
meurons Francais de coeur .... mais soions Allcmands Ae principe
et de Constitution, cerame nos interets jwlitiques l'äxigent et [juc les
trtites de reunirm r.ous Tont assare.» (Vgl Ludwig* «Die deutschen
Reiclisstände im Elsaß etc »).
I . O'iainilfiom
UNWRSITYOFMCHIGAN
— '282 —
holte es durch die Irifrtijj&ten Prulestationen und durch eine
Deklaration, die sie den 1. Oktober 1789 der Natioual-
vei'samralun£ vorlegten ; ja ihre Beharrlichkeit wurde durch
die Protokolle und Verhandlungen vom ö. Dec. [89] und
2 Jana AI* 1790 bestätigt >.
Ohnen*i*.htet aller dieser Vorsehrilte gelang est piner Bande
von Aufruhrern, den Magistrat mit Gewalt abzusetzen, die
Zunftstuben ?u zernichten, ihre Constitution umzuwerten, ihre
Vorrechte zu rauhen.
Der Augenblick ist also gekommen, in
welchem der Magistrat der Stadt Straßburg durch die gesetz-
mäßige Beharrlichkeit ihrer Gemeinde, ihre Rechte und alle
Constitution heyzubehalten, ohne Scheu den Schutz und
Schirm Euer Kaiser!, Majestät anrufen darf, um unter
Frankreich wieder in den Zustand einge^eltl zu werden,
den ihre Capitulation im Munde führet.
Es k jiri ml dem Magistrat nicht zu, Euer Majestät Gesin-
nungen ihrer Stadt wegen ergründen zu wellen, da die offen-
bare Verletzung der Friedensschlüsse von Seiten Frankreichs
Tyrannen jedem vor Augen liegen. Seine Treue und
Ergebenheit gegen Frankreichs geheiligten
Monarchen läßt sie noch weniger ihre A b -
reissung von diesem Reiche begehren. Sollte
aber dieeas unglückliche Reich dergleichen Schritte erheischen,
dann flehet die Stadt StraÜburg in tiefster Unlei'thänigkeit
Euer Majestät Gerechtigkeit an. um dieselbe hey nllen ihren
Rechten und Vorrechten, die durch die Capitulation von 1681
hevbehalfen und bestätigt worden, zu erhalten und gegen jeden
zu beschützen.
Aeufierst betrübt wäre es für den Magistrat und dessen
guigesinnte Borger, wenn sie, des unerbittlichen Gesetzes der
Eroberunz we^en. ihrer uralten Rechte verlustig erklärt werden
sollten, die sie bis auf diesen Augenblick mit so
vielem Mulhe und Standttafligkeit behauptet haben Die Grofi-
tind Edelmut h Euer Majestät versichert sie für sich und ihre
Nachkommen wegen dieses wichtigen Punktes des GegenlheiU.
Unüberwindlicher Monarch | Sie würden allergnüdigsl Rechte
und eine Constitution beibehalten, die die Stadt Straßburg
durch die Milde Dero Vorfahren auf dein Kaiserlichen Throne
erhalten und die Gerechtigkeitsliebe ihrer Ahnen bis jetzt jeder-
zeit bestätigt hat. Die ewigen Gesinnunxea der Treue, die
die Starit auch unter Frankreich an den Taj gelegt, würden
1 Dir durchschossen gedruckten Stellen sind von mir unter-
strichen vorden.
I ,
IMVBtSrTYOFMCHKM
— 988 -
Kuer Majestät von iIiiht Treue und kurHligen Anhänglichkeit
der kralligste r»iir«je seyn. Sie zweifeln also nicht, daß sie
iq dem einem oder andern falle der Kille der Groümuth des-
jenigen Monarchen völlig und ungezweifelt sich versichern
können, der die süsse unjjezweifelte Hoffnung zweyei der ersten
Reiche Europens ausmacht 1 .
Da Unterdrückung und Gewalt ihn hindert, sieh in Pcison
zu Euer Kaiscrl. Majestät Füßen zu werfen, so bittet <iev Ma-
gistrat der Stadt Straßbur^ Euer Eaiserl. Majestät allerunter-
thäni^sl, von der grenzenlosen Ehrfurcht versichert zu seyn,
mit der er in tiefster Ergebenheit nie authören wird, tu seyn
Euer Kaiser!. Majestät
allcriiiitcrthänigstc gelreueste Diener,
Der Meister und die Mitglieder des R i\ i li s
der !t ; a .! : S t ro JS i>ur $i.
[Da'urn fehlt] S. [Siegel] von A m t s we^en.»
IL
Antwort.
[Ohne Unterschrift und Datum.]
«Ich habe das unterthäni^ste Gesuch Sr. Durchlaucht dem
Füislen GolLoredo übergeben, der es Sr. Kaise;l. Majestät vor-
^ck'uL. und den Akten der Reickskaiizley, die zu einem künf-
tigen Frieden sco ngreß bestimmt sind, einverleiben lassen. Ich
habe eine Abschrift davon dem Herrn Baron von Spieimann,
erstem Oestert eichischen Reichsreferendarius, eingereicht, der
diu Klugheit dieses Schrilles phen si sehr gehilliget hat, .ils
der Reichskanzler, und von beyrien Departementen die Ver-
sicherung erhalten : d a 15 in allen möglichen l*ällen
die Stadt Slraßburg in i h r,e durch die Caui-
tulation bestätigte und beibehaltene Rechte
wieder eingesetzt werden soll*.»
Scherer erzählt S. 26 (T., diese Bittschrift des alten
Magistrats sei dem Kaiser Franz II. -t>ey peiner Krönung am
1 Man rechnete also mit der Möglichkeit eines kriegerischen
Eingreifens des Kaisers. Das ahnten die Franzosen, und so erklart
sich der wütende Argwohn, von dem namentlich die Gewalthaber
der Schreckenszek auf die «österreichischen' Straßbur^er und üiiter-
cUasser beseelt w&rca
* Diese Stelle ist bei Seherer gesperrt gedruckt.
(^ , . .1 . O'ioJmt fiom
UNWERSITYÜFMCHIGAN
— £64 —
20. Juli I7Ö2 in Frankfurt überreicht worden. Aber der 1790
gestürzte alte Rat wird doch nicht nach zwei Jahren, noch
dazu in einer Zeit» wo Frankreich an Oeslerreich schon den
Krieg erklärt hatte, solch einen Schritt getan haben. Er war
tatsächlich auflöst und auch nicht mehr in der Lage, über
die Stadtsiegel l zu verfügen. Dem letzten Arameiater, Poirot,
hatte hui sogar einen Malz im neuen Gemeinderat eingeräumt
und um dann, noch im Jahr 1790, sum Präsidenten der
Direktorial Verwaltung des Niederrheins wählen lassen. Andere
Milglieder des alten Rates werden sich nach und nach mit der
neuen Ordnung abgefunden haben, und wieder andere, die
unversöhnlichen Autonomsten, waren außer Landes gegangen.
Und so wird wohl R. Reu B in Versailles, der zur Zeit
beste Kenner der Revolutionszeit seiner Vaterstadt, Recht
haben, wenn er mir schreibt : «daß eine wirkliche offizielle
Bittschrill des alten Straßburger Magistrats an Kaiser Kranz,
nach der Kriegserklärung gar, abgegeben worden sei, möchre
ich kategorisch bezweifeln. Dazu waren die Mitglieder der
verschiedenen Kollegien, die ja nachweisbar zumeist im Lande
geblieben waren, viel zu klug und teilweise auch (selbst die
Adligen) zu patriotisch gesinnt. Das hindert aber nicht, daß
einzelne Ratamügliedcr, solche die als Emigranten doch bereits
alles riskiert hatten, eine derartige Schrift aufgesetzt haben
konnten und auch die Unverfrorenheit gehabt haben, solche
als eine Emanation des ge&wimten Magistrats zu präsentireo.
Daß man sie als solche angenommen und nach Ihrer Mitteilung
auch beantwortet hat, scheint mir bei der bekannten» nie
ruhenden Propaganda für Oeslerreich im Elsaß recht wohl
möglich*.»
Aber woher das Sladtsiegel unier der Bittschrift V
Die Worte darin: «dar Augenblick ist also gekommen»
und weiter unten: «bis auf diesen Augenblick» geben, wie
mir scheint, in ihrem Zusammenhang Aufschluß über die Zeit
der Abfassung. Sie fällt in die Tage der großen Erbitterung
1 Der letzte regierende Stättmeister hatte es an Dietrich auagi-
liefert (Friese. Vaterl. Ueäfh. V. ay. Vgl. ftnr.fi Strobel-Engelhardt,
2 Das Kais. u. Kon. Baus-, Hof- u. Staatsarchiv in Wien, dessen
Verwaltui.K als musterg'lllc.ig- g-ertthmt wird, schrieb mir ara 9. April
1910, daß die in den dortigen Beständen • g'cpflogonca, sorgfältigen
und umfassenden Xachsacmin^en nach der Bittschrift leider völlig
ergebnislos (reblieben» seien. «Der in unser in Archiv aufbewahrte
Bestand Straliburger Archivalien, die Akten der Reichskanzlei mit-
inbegriffen, unifaßt eine sehr lückenhafte Aktengruppe von drei
mäßigen F&ezikeln. die mit der r. weiten Hölftc des 16. Jahrhunderts
beginnen und eben nur M3 J6S1 reichen.»
(^ , . . I . O'iaimi fiom
UNWffiSITYOFMCHIGAN
- 5?Sb —
der unterliegenden Autonomisten, in die Wochen vor der
Maireswahl 1790.
Das Protokollbuch der Schöffen endigt, wie wir gesehen,
mit dem 1(5. Januar. Von der Erhitzung der Geister erzählt
Scherer in seiner Schrift «Greuel der Verwüstung 1793», $. 78,
Dietrich habe tegepen das Ende dar SchöfTenversammlungen»
(sie waren öffentlich) dem Am meist er Poirot, der lieben ihm
saß, durch Drehung des Stuhles den Rücken zugekehrt und
«es wundert mich noch immer, daß hei den letzten Gaukel-
.-jjielen, wo er fast anGen^r, bitter 2u weinen und die Schöffen
zu beschwören, der französischen Constitution sich völlig zu
unterwerfen, die Vernünftigsten lori^i engen», statt ihm den
Rücken zu streichen !
Aber die Bittschrift soll ja 1792 dem Kaiser Franz
überreicht worden sein, während 1700 noch Leopold II.
regierte .
Die betreffende Stelle bei Scherer lautet wörtlich :
«Ihro Majestät der Kaiser, der verewigte Franz IL,
haben der armen Elsaßer Recht nur zu sehr anerkannt und
dasselbe außer allen Zweifel gesetzet. Ich lege als unwider-
ruflichen Beweis die atlerunlerthänigste Bittschrift des alten
StraBhur#er Magistrat:! hey nebst W darauf ertheilteo huld-
reichsten Antwort, welche ihm [also dem Kaiser Kranz] in
Frankfurt am Mayn bey seiner Krönung den 20. Julius 1792
überreicht worden, um jedes Reichsjrlied von dem unwider-
sprechlichen Rechte und Befugniß der Elsasser und Straßmir^er
vollkommen zu Überföhren.»
Der verewigte Franz iL ! Es lieyt hier offenbar ein
Druckfehler oder wahrscheinlicher ein Schreibfehler des flüchtigen
Verfassers vor. Es muß heißen : [Schon] der verewigte
Leopold IL* etc. und statt dhm» weiter unten: «dem Kaiser
Franz«.
Hiernach scheint sich mir zu ergeben: die Bittschrift ist,
sei es nun vom ganzen Rat, sei es von den autonomutischen
Mitgliedern, 1790 abgefaßt worden. Daß davon im Protokoll
nichts steht, ist in beiden Fällen begreiflich. Wahrscheinlich
hat man sie gar nicht abgeschickt ; aber ein Mitglied, vielleicht
Scherer selbst» welcher der Vater des Gedankens gewesen sein
mag, nahm sie au sich, übergab sie hernach allein oder mit
1 Koch Im Februar 1791 hat man ia — Colmar «wieder sebreyen
hören. Es lebe Kaissr Leopold!» (Gesch. der gegen w. Zeit, S. 475.
>I4 Hornang»). Leopold war bekanntlich der Bruder der unglück-
lichen Marie Antoinette.
I , D'iaina From
UNWffiSITYOFMCHIGAN
— 286 -
anderen Emigranten dem Kaiser Franz und erhielt die mitge-
teilte Antwort.
Auf diese Weise erklärt sich das Fehlen des Datums auf
beiden Schriftstücken, sowie das der ersten bogedruckte Stadt-
siegel. Als Scherer 1799 mit seiner Veröffentlichung kam,
war Dietrich längst enthauptet (29. Dez. 93); wer noch lebte,
schwieg sich aus; das Protokollbuch versagt«} die Spur war
verwischt.
Mit welcher Leidenschaftlichkeit und nachhaltigem Haß
AutonomisUn und «Constitutionelle» vor der Schreckenazeit
gegeneinander losfuhren, besonders seil der Forderung des
Prieslereides und ihren Folgen, davon geben gerade Scherers •
Schriften ein nicht schönes, aber anschauliches Bild. Nach-
stehend eine kleine Blurnmlese.
Zuerst aus dem «Greuel der Verwüstung». Das
Uuch (220 Seiten in 13 Kapiteln) «allen biedern Deutschen zum
Unterricht, allen angesteckten Deutschen zum Schrecken durch
einen biederen Elsasser, Ueutsculand 17y3 in allen Buchhand-
lungen:» ist dem Kaiser Franz 11. und «Friedrich Wilhelm,
Könige der Preuüen» gewidmet, die «sich gegen die französische
Natterbrut mildem Schwerdte der Gerechtigkeit umgürtet» haben.
Da lesen wir ; Der letzte köiu PrÄtor, Herr von
Gerard, ein geborener Elsasser (£>• 28 IT.), ist den Bürgern
Heb gewesen, "weil man iim «in der Muttersprache seine Not
klagen konnte». Wegen Kränklichkeit nahm er Urlaub naefc
Paris. Diese Gelegenheit benutzte Dietrich, der damals auch
durl sich aufhielt, um durch seine Verbindungen mit hohen
Persönlichkeiten an Gerards Stelle zu kommen. Leider unter-
stützte ihn dabei auch sein Jugendfreund, dar Ammeister Türk-
heim. Aber Gerard wehrte sich, und Dietrich kam deshalb nur
in aiißpriwlentlieher Sendung als kön. Kommissar nach Stras-
burg, Türkheim aber sagte, als der Freund nun da war und
zu wirken begann: «Kennte ich mir vorstellen, daß er in so
kurzer Zeit ein so großer Spitzbube geworden?»
Besonders auf Dietrich eben hatte Scherer eine maßlose
Wut. Straßburg «wimmelte» dank ihm (S. 41) «von unnützem
[fremden] Gesindel, so da3 der alte eingesessene Bürger auf
seine alten Tage nur noch auf das Spital und St. Marx Anspruch
machen konnte.» Der kön. Kommissär wünschte «eine voll-
kommene Anarchie» und (S. 47) «erkaufte mit Versprechungen
1 Stiobei-Engelhardt bezsichnet «S.> (den Namen Scherer kennt
er schoii nicht mehr) V, S. $26* als «eine giftigs Feder, die viel Un-
richtigem, Uabertriebenea neben einigen auf Wahrheit gegründeten
Tatsachen» geschrieben hah?.
(~' i \ \ •] - O'iQinilfrom
UNWRSITYOFMCHIGAN
— 287 —
künftiger Versorgungen unwürdige Leute, die durch ihre Schriften
den Magistrat gegen die Bürger und die Bürger gegen den
Magistrat aufhetzten*. cDie Gefahrlichsten waren: Salzmann
'Herausgeber der conatitutionellen Strsßburgischen Zeitung],
Ulrich [der spätere Herausgeber des «bauen Buchest]. Simon
[Herausgeber des patriotischen Wochenblattes und später mit
Andreas Meyer der «(beschichte der gegenwärtigen Zeit»: Strohel-
Engelbardt nennt ihn V, 384 einen cexaltirlen Demokraten«]
undLaveaux [Herausgeber des jakobinischen französischen Courier
de Strasbourg, ein Hauptfeind Dietrichs!], Leute, die in der
Abgefeimlheit selbst den Teufel übertrafen I» Simon, (der in
der Unzucht erzeugte bekannte große Betrügen und die ge-
nannten Gesellen, < warfen sich, sozusagen, zu der armen Stadt
Gesetzgebern auf» 1 .
Lei Sturm aufs Rathaus war Dietrichs Werk! — «Die alte
berühmte deutsche Stadt bat iiiemalen die verlarvle französische
Freiheit angenommen» ; Dietrich und sein Anhang zwangen sie
dazu. «Die alten ehrlichen Straßhurger Bürger sind mit ihrem
alten Magistrat stolz auf ihre durch die Friedensschlüsse und die
Capitulation gesicherten Vorrechte und hoffen von der Gerech-
tigkeit der Mächte, die der Stadt Freyheit im westphäli3cben
Frieden garanlirt haben, in dieselbe wieder förmlich einleset zet
zu werden. Ein gezwungener Eyd thut Gott leid!»
In den «Wichtigen Anekdoten oinee Augen-
zeugen über die französische Revolution, Berlin und Leipzig
1300* wird Dietrich, wenn möglich, noch gehässiger behandelt.
Der erste Band hat 238, der zweite 261 Seiten. Jener ist in
der Torrede einem Unbekannten gewidmet, den «Ehrlichkeit,
1 In den «Anekdoten* nennt Sohercr (II, 69, 1 deu «ganz ver-
rinrhenpn Simon» den «natSrlichan Hohn einen Nntarins aus Straß -
burg.' Ich habe raioa an anderer Stelle mit diesem Manne beschäf-
tigt und dabei festgestellt, daß er als slielicher Sohn des Perncken-
macherts 8. am 23. Hai 1751 geboren und tags darauf in der Neuen
Kirche getanft worden ist. Er hatte sioh als Schreiber des Patrio
tischen Wochenblattes die Feindschaft der Straßbnrger Antonomiaten
zugezogen, die er als «mit Blindheit geschlagene Maulvurfsaugen»
and als -Schafsköpfe- behandelte. (Vgl Zeitschrift für die Je seh.
den Oberrheintt N. F. Bd. 23, Heft 3, S. 455.) Reuß bemerkt in
«L'Alsace dans la re>oL> I, S. 809, gelegentlich eines Briefes Simons
an den reg*. Amraeisier vom 15 12. 89: »Avcir un jonrnat a sa. dis-
position saffiaait alore poar arracher aus. rauDicipalites biea d© con-
eeffiiona riangp.renfiftfi, rjnand on aavftit hitnlement allier 1 e 8 p e r -
Bpectivcs de dcioüciaiioiifl h des promesses d'elcges.»
Und in «La cathedrale de Str. pend. la rev.» nennt derselbe
S. 224, den «Unmaßgeblichen patriotischen "Vorschlag"» öimona (Gesch.
der gcg"enw. Zoit v. 1. Brachmond 1791), Betschwestern, die bei den
Umgängen des vereidigten Bischöfe in der Bittwoche demonstrirt
hatten« mit «Farrenwedeln> r,n züchtigen, «une brutale invit&tion,»
I ,
UNWRSITYOFMCHIGAN
— 2S6 -
Biederkeit» Aufrichtigkeit und wahre Menschenliebe jedem ehr-
lich Denkenden schätzbar und unvergeßlich macht», dieser
«dem um das Wohl seines Vaterlandes und seiner Mitbürger
eifrigst beflissenen Herrn Franziskus Xaverius von F**.>
Waren es Elsässer?
«Die Nationalversammlung (II, S. 14) schenkte dem unwür-
digen Dietrich ein unbeschränktes Zutrauen». Er (I, S. 28 ff.)
war der Hauptmacher der revolutionären Propaganda de»
Illuminatenordens und der Freimaurer Tür Deutschland,
wie Fouchet für Frankreich. «Eine Menge von ihm besoldeter
Kaufleute, besonders ein Tabakfabrikaut Müller, der Kaufmann
Rübsamen, der Gastgeber zur Stadt Wien Kiener*» brachten
Hetzschriften über den Rhein, deren ich «eine Men#e bei dem
Kaufmann Reinhold in Steinbach [unweit Baden-Baden] in
Händen gehabt.» Dazu kamen Agenten anrüchigster Art, wie
der aus dem Wilbelmerstift ausgestoßene clutherische Theolog:
Frienshnlz vnn Schiltigheim» (vgl. auch IT, 22). Dietrich ließ
«mir selbst die größten Summen anbieten, am sein Anhänger
zu werden» (I, S. 32); er schickte deshalb (1, S. 224) den Straß-
burger Postmeister Mouilleseatix an mich und «stellte mir frei,
die Summe, die ich verlangte, selbst festzusetzen». Denn er
hatte von der Propaganda Millionen zur Verfügung.
Bei der Moireswahl (II, S. 169) «erhielt jeder, der ihm seine
Stimme gab. eine Boutcillc Wein, Brod, nebst 24 Sola in Gold».
«So stürzte dieser Mann mit Gewalt den alten Rath und
brachte seine guten Mitbürger um die ihnen durch die heiligsten
Friedensschlüsse zugesicherten Rechte, obgleich beide [der große
und der kleine Ral] sieben Protestalioneu nach der Reihe der Na-
tionalversammlung insinuieren und auf den Pulpel* legen ließen.»
In der letzten Sitzung des alten tlates gab ihm Dietrich
«den HerzstoßB. Mit seiner einschmeichelnden Art wollte er
die Herren bereden, alle Dekrete der Nationalversammlung von
Anten? an ein die Stadtregister eintragen zu lassen». Aber
man protestierte einstimmig dagegen, auch fc'egen die nun vor-
geschlagene provisorische Kintragung. «Endlich erhob er doch
seinen ihm eigenen gebieterischen Ton und sprach: Da die
Herren nicht wollen, so befehle ich est — Kaum ertönten diese
Worte, so (logen die Stühle aller Anwesenden»; mit Unwillen
l Die Bürger Kiener and QrimmoisoE beschwerte* eich (Hu 1791)
beim Maire, daß sie in Oberkirok von Emigranten niißli&ndeli worden
seien (Beul. LAU. dann In rcv. II, 294 ff.).
8 Folpet = polpite, palpitre. pnpitre. Palt, vom lateinischen
pul pi tun. Wir würden heute sagen : «auf den Tisch des Hauses.»
3 «Die vornehmsten Mitglieder» waren sogar bo erbittert, «daö
sie die Stühle ergriffen, hinwarfen and fortgiengea.» («Was ist voa
den ausgsv. Eis. au halten?», S. 24.)
(^ . . . x .i .
UNWffiSITYOFMCHIGAN
— 289 —
verließ jeder die große Ralhsslube, und der eigenmächtige
Dietrich, der mit dein GeneraladvokaLeii Fischer und seinen
Schreibern allein zurück blieb, that, was er wollte».
«Seine Frau trieb sich beim Bundesfest mit den gemeinen
Soldaten Arm in Arm herum» usw. [I], und er selbst verteilte
unter sie «liederliche Metzen, die ihre Heize dazu anwendeten,
(I: t die Soldaten endlich ihrem Könige allen Gehorsam auf-
kündigten.» War auch hei diesen Dingen Scherer «Augenzeuge»?
Nach der mißlungenen Flucht des Königs bekam Dietrich
Angst und «trennte sich von den Jakobinern», um nun (ranz
«zu den Feuillans überzusehen». Aber die Jakobiner, die er
groß gezüchtet, «klagten ihn öffentlich als einen Verräter, als
einen Meineidigen an» (II, 171 ff.). «Die Zuchtruthc des Höchsten
ließ sich nicht mehr aufhalten.» Als er nach der Ankunft der
beiden Pariaer Nationalkommissäre im Sladthause erschien,
kündigte der von diesen ernannte provisorische Maire, der Arzt
la Chausse, an, er habe «hier nichls weiter zu thuu, ei sei
seiner Stelle enlsetzl.» — «So löUle ein Uebelgesinnler den
andern ab.» . . . Dietrich zahlte schließlich «seine Torheiten>
mit dem Kopf, «der einzige, wiewohl leidige Trost, wenn es
anders einer ist !»
Die dritte Schrift Scherors <rW as ist von den au sge-
■,v;. micrien £ls5ssern und Lothringern 2 u
holten?» bringt wenig Persönliches. Sie will (S. 12^ nur «der
Welt beweisen» daß in einem Staate, der «die allgemeine Rechts-
pflege» unterdrückt, «die Religion mit Füßen tritt, den König
gemordet hat und dos Eigentum nicht mehr schützt, jeder
Untertan ohne alle Ausnahme das Recht hat, auszuwandern».
Die Hugenotten fanden seiner Zeit Freistätten in Deutsch-
land, und ebenso die «vor 50 Jahren» durch «Intoleranz» zur
Auswanderung gedrängten Salzburger. Jetzt haben «den Heber«
mut und die Sitleulosinkeiü» vieler französischer Eniigrauteu
«ihre Gegner gut zu benutzen gewußt, um alle zu versciueyeii».
Aber (S. 44) es sind doch auch «:in Menge teutsche»
darunter, «biedere Elsaßer, bieder« Straßbiirger», die man als
Landsleule bebandeln müsse. St. Just und I,e Rns nannten
(S. 86) die EUSsser «Henkersknechte», «mit deren Köpfen
man die Guillotine nähren müsse, um ein schreckliches Beispiel
der Rache der Nation »u geben und alle ihre Güter in den
Schatz de* Convcnta zu bringen I» Und die Volkerepräeentanten
[Lei den Rheincrrneenl La Coslc urd fcnudol hätten am 16.
Ni\ose 2 [6. Januar 1793] beschlossen. «Considerant que la
pertie de la Republique, qui formoit la eidevant Alsace et
principalement le Departement du Bas-Khin, etoit peuplee d'une
masse d'individts plus Attaches aux tyrans de l 1 Au triebe qu'ä
19
(~~ , . I . O'iainilfiom
UNWRSnYOFMCHIGAN
— 290 —
Ja Republique francoise il a fallu ordonner des arres-
talions les plus multipliees, und eine Commiesion eingesetzt, pour
les juger sur le champ.i — «Himmelschreiend ist es, was die
guten Etsaöer wegen ihrer alten Anhänglichkeit erdulden mußten»,
und dabei heißen (S. 21) ihre im französischen Heer cfreywillijr
oder gezwungen dienenden» Landsleute «bey jeder Gelegenheit:
cces fichus betes allemands !»
Weitere politische Schriften Scherers sind mir nicht hekanni
geworden ' .
Zum Schlüsse, was noch aus seinem Leben zu ermitteln ist.
Lei* junge Jurist mu£ wohlhabend gewesen sein ; er konnte
auf «gelehrte» Reisen gehen und hätte, wäre die Revolution
nichl ausgebrochen, kaum jemals politische Schriften verfait.
Wie Eisenbach mitteilt, hielt er sich Unsere Zeit in Jena,
Leipzig und Freiberg auf. Durch irgend welche, wohl elsäsaiache,
Verbindungen kam er nach Petersburg, und wurde dort «Juris-
consulte du College Imperial de Justice pour les nffaires de b
Livonie, d'Esthonie et de Finlaudet. So betitelt er sich selbst
in seinen 1777 bei Brunei in Pari?- erschienenen «Recherchen
historiques et geographiques sur le nouveau-monde». Das Buct.
(auf der Univ.-Bibl. vorhanden) ist gewidmet: «A. monsieur
Alexandre-Conrad Gerard, conseiller-secretaire du Ro ,
Synriif», <\e la ville de Strasbourg, prpmier comfris des affaires
Strang., seigneur d'Knsweiter [?] et autres lieux». Nach der
Vorrede war er dreizehn Jahre abwesend, meist in Ruß-
land. In der Erinnerung an den russischen Aufenthalt hatte er
auch eine Uebersetzunp von G. VV. Stellers Beschreibung \oi»
Kamtschatka herausgegeben (1774 Frankfurt und Leipzig), sowi«-
«des heiligen Nestors usw. älteste Jahrbücher der russischen
Geschichte von 868 bis 1203» übersetzt und mit Anmerkungen
verschen (Leipzig 1774). [Herauf folgten (Frankfurt und Leipzig
bei f. G. Fleischer 1776) die «Nordischen Neuenstunden d. i.
Ahliaudlungeu über die alle Geographie, Geschichte und Altei-
Ihümer des Nordens:», die «Herrn F. G. Pfeffel [dem Bruder
des Dichters], Königl. Rat bey dem CoDejrio der auswärtigen
1 Die drei erwähnten sind auf der Univ.-Bibl. Nach Eisenbach
(Beschreibung und Geschichte der Universitär und Stadt Tübingen
1X22) sfthrieh er auf diespm (Tfthiet.p noch* cUntprnng »Her Revoll-
tiu.itu elc, 1780», • Gesch. des Generals Mi k bauiiuI der Offenbar uug
Bou&partes» o. J. und «Die Urheber des Mordts der französischen
Kongrießgresandten» o. J. Auch «kleinere Abhandlungen in den Straß-
barger wöchentlichen Ephemsriden» sind da genannt; sie werden
aber kaum politischer Natur gewesen sein, nie vnn Kisenbs.cn auf-
gezählten Schriften Scherers. seines Kollegen, hat dieser ihm wohl
selbst angegeben. (Vgl. den Lebensabriß in der A\\g deutschen
Biugr., Bc. 31. von L. Stieda )
(~* . . . . I . O'ioinil fiom
UNWffiSITYOFMCHIGAN
• - 291 —
Sachen in Versailles und Stadimeister der Stadt Colrcar» ge-
widmet sind. (Das Buch ist auf der Univ. ßibl.). Und noch
178Ä (Paris) eine Hislcire raisonnee du commerce de la Russie»
und (ebenda) «Annales de la petite Kussie.» (Beide et ersetzt
von Karl Hammerdörfer, taipzig 1789.)
Nach Eiaenbach wurde Scherer, später vom Pariser Mini-
steril im der französischen Gesandtschaft in Petersburg neigegehen
und su verschiedenen diplomatischen Sendungen nach Polen,
Schweden, Kopenhagen, Hamburg und Berlin gebraucht. 1775
kam er nach Versailles als — so betitelt er sich selbst in den
{Nordischen Nebeastunden» — 't Pensionär [durchschossen
gedruektj Sr. Allershristliohsten Majestät l>CYm Coltegio der aus-
wärtigen Sachen». 1730 kehrte er, auf Antrag entlassen, nach
Slraßburg" zurück. Er hat auch seinen Vater bei der Heraus-
gabe von Montfaueons 1 Wörterbuch [?] untcrstüzt (Eisenbach).
Inzwischen war er auch «Membre de plusieurs Academies et
Sociales litlerairea* geworden (sc auf dein Titelblatt von den
«Recherches hist.» usw.), und das varen (nach Eisenbaeb) «die
gelehrten Gesellschaften zu Basel, Upsala, Halle, Berlin, Bern
und Lyon.» — Erst 1787 trat er, ATt Jahre alt, in den vater-
städtischen Dienst als Schöffe und ließ noch als solcher die oben
erwähnten Rücher (1788) in Paris erscheinen *.
Nach alledem war Scherer gewiß kein unbedeutender Mann.
Um die Revolution an der Quelle kennen zu lernen, reiste
er 1790 und 91 wieder nach Paris und besuchte die National-
versammlung. Das erzählt er selbst auf S. 6 und 8 seiner
Schrift: «Was ist von den ausgewanderten usw.» zu halten?
1781 war er sogar 2 bis 3 Monate in der Hauptstadt'.
Als er sich 1792 (Eisenbach) Gesundheits halber in Baden-
Baden aufhielt, wurde er —das rechte Rheinufer jzalt eben damals
mit Recht als verdächtig — auf die Emigtauleuliste gesetzt,
was die Einziehung seines Vermögens * zur Folge halte. In
■ Dom Bernard tie tfontfaueon 1655—1741, gelehrter Benedik-
tiner. Welche* seiner zahlreichen Werke unter dem cWörterbuch»
gemeint ist, weiß ich nicht.
s Koch einige andsie gibt Stieda in ier Allg. deutschen Bio-
graphie an.
8 1794 auf S. 8 ist oin Druckfehler für 1791, wio echon aus den
Worten «bald darauf i vorher ist vom Okt. 1791 die Rede; hervorgeht.
4 Er scheint in dci K&lbsgaasc gewohnt /«a haben. Wenigstens
sind am 7. plnviose l'an II 126. Januar 1794) Möbel bzw Gerumpel
aus dem Haushalte das <nomme de loi Benclt Scherer», das im Hautse
des Bürg-ers Enjrelmann in der Kalbsgasäe aufbewahrt lag, baschlag-
n ahmt worden. Schitzmgwert: 115 fr. 8 s.! (L. Adm. d&part.
Emigräe: Strasbourg aif dem Bezirks arekiv). Bin Lic Engelmann
eaß mit Scherer im letzten Stadtrat als äehöffe der «Zirnroerleot».
Auf dem Stadtarchiv in dem auf Veranlassung des Dep. -Direktoriums
C nn •] - O'iginil fiom
IMVBtSriYQFMCHKM
- 292 -
dieser Lage soll er durch seinen Landsmann, den Feldmarschall
von Wurmser, eine Stelle in der österreichischen Kriegs-
kanzlei erhalten und sich später als französischer Sprachlehrer
zu Kirchheim u. T. durchlesen lagen haben. 1798 lebte er
(Meuasel «Das gelehrte Deutschland» Bd. VII, 1798) wieder in
Strasburg als Privatmann und taucht (ebenda Bd. X, S. 666}
um 1301 als Herr von Scherer in Stuttgart auf. Den Adel
verlieh ihm wohl Herzog Friedrich von Württemberg, der ihm
Dank schuldete (vielleicht für Beratung bei seinen Ersatzan-
sprüchen für die verlorene Herrschaft Reichenweier-Mörnpel-
gard) und ihm zu Liebe als neuer Rheinbundkönig 1808 auch
einen Lehrstuhl för französische Sprache und Literatur in
Tübingen gründete, den dann Scherer als außerordentlicher
Professor «auf königlichen Befehl* einnahm 1 Er las (Eisen-
hach) außer Aber französische Sprache und Literatur ciiher
Geschichte der französischen Revolution und des russischen
Reiches, über Diplomatie, griechische Altertümer und ander?
geschichtliche Fächer». 1814 erhielt er von Ludwig XVIII., dein
Spender der «konstitutionellen Charte», den Lilienorden. Gerne
wäre er ordentlicher Professor geworden ; aber (König Friedrich
war 1816 gestorben) der Minister lehnte 1819 ein deshalb ein
gereichtes Gesuch ab (Sticda). Erst am lö. Oktober 1824 tral
er. 84 /«hie alt, in den Ruhestand.
Uebcr sein Todesjahr und seine Gattin, die wahrscheinlich
eine Deutschrussin war*, habe ich nichts ermitteln können.
gedruckten «Verr.. der beweg:!, u. onbewegl. Güter der Emigranten)
vom 28. Sept. 1792 (II. 64) ateht Scherer mit «avrei Stücken Leinwaad
iaventiert» ! Diese Liste t.rk^r. bereits unter den Untersch ritten den
Kamen des später so berüchtigten Maires Menet als «General-Pro-
kurator-Syndik».
«Es handelte sich dabei weniger darum, för die Univcrsitä;
zn sonjeii, als einen Mann, dein die Regierung- verpflichtet vir.
unterzubringen. AU Lehrer hatte er, obglcbh nicht ohne Bilduag"
und Kenntnisse, wenig Bedeutung, da er sieb erst in vorgerückten
Alter dem Sprachunterricht widmete> (K. Klapfol auf S. 370 seiner
«Gesch. der Univ. Tübingen», 1849). Und derselbe S. 80 in der Fest-
schrift -Die Univ. Tübingen in ihrer Vergangenheit u. Gegenwart».
1877: cTür franz. öpr&cha n. Literatur war schon 1808 ein Lehr-
stuhl errichtet worden; aber die erst© Wahl war nicht glücklich.
uii J die Stelle wurde längs Zeit nur durch Frivatdozenten und
Sprachlehrer besetzt« bis 1837 Adolf Pesehier von Genf definitiv «r-
naam wurde.»
2 In letzter Stunde kommt mir noch folgfiido gütige Mitteil aig
des Herrn Sekretärs Kaliber am .Stadtarchiv zn:
«Bei Durchsicht der Traaungeregieter dei Neuen Kirche find«
ich eben unterm Lg. 1778 [M 116 pag. 196) eine zweite Heirat (das
Aufgebot) von Johann Benedikt Scherer («Beamter des
Königl Collegii der ausländischen Angelegenheiten in Versailles
pensioanaire bey Ihre Könige Majestät in Fr&nckreich, aich Wittwer
(~* . . . I . O'ioJnil fiom
UNWERSITYÜFMCHIGAN
— 203 -
Ein Sohn von ihm, A. N. (Alexander Nikolaus), der in Peters-
burg zur Welt kam, wurde (Meussel cDas gelehrte Deutschland»
Band X, S. 661, 1803) im Jahre 1800 ordentlicher Professor der
Physik in Halle, später (ei.enda Bd. XX, S. 91) Direktor der
pharmazeutischen Gesellschaft in Petersburg und hat sich (nach
Sticca) als Chemiker einen Namen gemacht.
Sein greiser Vater wird wohl in Tübingen gestorben sein.
alhier, welcher in der ersten Ehe gelebat hat mit weyl. Frau Mario.
Dorothea, gebohrner Berg, auß Petersburg gebürtig) und Jungfer
Albertina Franzieea Nobenius, Hrn. Ernst Christoph
Nebenius, Hochfurstl. Margraf!. B&adischen K&tha und Amtmanna zu
Rlodt ehel. erzeugte Jgfr. Toonter». Die Trauung aelb&t fand zu
II ho dt statt.- — Rhddt ist jetzt pfalzb&yeriach (bei Landau). Der
badische Minister Karl Friedrich Nebenins, geb. 1784 In Rhodt. gest.
1857 in Karlsruhe, war also wohl ein Schwager Sonorere.
O'ioJnilfrom
: ' v " IINIVRSITYOFMCHIGA^
XVI.
Carmina Flegel iana.
tfitgeteilt von
W. Teichmann.
< l)\e fröhlichen Stunden, welche wir als Jugend- und
Herzensfreunde am 25. u. 26. Dezember 1819 in der Hub
miteinander zugebrach! hatten, floßlen uns den natürlichen
Wunsch ein, das seelige Band der Freundschaft wöge uns unser
ganzes Leben hindurch so fest umschließen, als es bis zu jenen
(rohen Tagen geschehen war. Zugleich sahen wir den Zeit-
punkt nahe, wo das Schicksal uns in verschiedene enlfernta
Gegenden zei'sf reuen sollte, wo neue Umgebungen uns leichl
tur Vernachlässigung unsrcr innigen früheren Verhältnisse
bringen könnten. Dicfi vcianleßtc uns den Bund der uns jetzt
vereinigt su stiften. — Er soll unsre Freundschaft verewigen,
beständige Uebereinstmimung in unsern Gesinnungen erhalten
und uns zur thätigslen Tlieilnahme an den Schicksalen der
Brüder verpflichten. Unser Zweck ist also nicht blos zuweilen
fröhliche Stunden miteinander zuzubringen und der Abwesenden
mit Freude zu gedenken, sondern auch einander gegenseitig
beizustehen, m warnen, zu ermahnen, wie es wahre Freund-
schaft fordert; denn nur riann kann unser Bund fest seyn,
wenn wir durch treue Erfüllung der Pdichlen gegenseitige
Achtung und Zuversicht bewahren. — Ein unbedeutender Zu-
fall isl Schuld, daß wir ihm den Namen Klegeüa geben. Wir
brachten nämlich den Abend des 26. Xbre mit Tanz zu und
beobachteten gegen die Mädchen, welche mit uns an jenem
Vergnügen theilnahmen, die gehörige Höflichkeil, wiewohl nach
unsrer Gewohnheit nicht ' ohne Uebertreibun^. Dennoch glaubte
eines von ihnen eine Beleidigung emufai]£e;i zu haben und er-
laubte sich, uns Flegel zu betiteln. Diese kleine Hache machte
uns vielen Spaß ; wir begrüßten einander in der Folge scherE-
weia mit dem Namen der uns beschimpfen sollte und gebrauchen
1 Dies «nicht» stört den Sinn, es ist wohl zu streichen.
I . O'iainil fiom
INWRSITVOFMCHIGAM
— &9ö -
ihn jetzt um damit die Mitglieder unsere Bundes zu bezeichnen.
Soll er indeß eine besondere Bedeutung in sich fassen, so
drücke er die biedre Derbheit aus, die alles Kriechen vor
hohen und jedes sclavische Beiragen gegen Weiber verachtend
den Brüdern ein freies offenes liebevolles Herz beweißt. Unser
Wappen besteht aus einem Schilde mit drei Feldern, wovon
das erste das obere Drittheil desselben einnimmt und 12 silberne
Sterne auf blauem Grund enthält. Unter diesem Felde ist zur
rechten das zweite Feld mit zwei grünen Eicbenzweigen auf
Man kern Grund; zur linken das dritte Feld mit einer goldenen
Irfder auf grünem Grunde. Den Sinn dieses Wappens erklärt
folgende Stanze :
Durch die Nscht der Erde glänzt dem Bunde
Aus dem lichten Blau die Stemenschaar ;
Freudig bietet auf dem reinen Grunde
Sich der Eichenzweig dem Hanna dar.
Und ein muntres Lied in trüber Stunde
Hallet Trost vom grünenden Altar.
Wenn vir treu und rein arn Bunde halten
Wird der Hoffnung Knospe sich entfalten.
Nach unsrer Uebereinkunft darf die Anzahl der Mitglieder
uns res Vereins nie 12 übersteigen ; ohne völlige Uebereinstim-
■ 11 u n«j" aller jetzigen Mitglieder kann niemand darin aufgenommen
werden, und wer abgeht, wird nicht mehr ersetzt. Diese Ein-
scbrankunjjen verhindern aber nicht daß auch andre Freunde
iinsern Zusammenkünften beiwohnen und an unsern Freuden
Theil nehmen können. Wer auch nur von einem unsrer Brüder
empfohlen wird, sey uns allen willkommen.
Mehrere Mitglieder der Klegelia sorgen für die Erbeitrung
itnsrer Zusammenkünfte durch das Dichten von Liedern, welche
• tie Gesinnungen ausdrücken die uns nl Je beleben, Jeder von
une soll diese Lieder nach der Reihe in welcher 3ic erscheinen
in einem eignen Büchlein niederschreiben. Den 25. Dccember
1824 wird die Sammlang geschlossen. Bey jedem "Vivat oder
an jedem Abend, den wir der Erinnerung an alle nahen und
fernen Brüder weihen sollen diese Lieder aus unsenn Munde
erschallen. Wenn sie auch aus Mangel an Stimmen nicht ge-
sungen werden können, so sind sie doch unsrer Durchlesung
empfohlen. Sie rufen uns manche Fata, manches Zusammen-
treffen unsrer Brüder in der Fremde ins Gedächtnis zurück, sip
vergegenwärtigen die Abwesenden einander; sie stimmen uns
tu denselben harmonischen Gefühlen, sie sind der beständige
Ruf des Freundes zum Freunde.
Sollten sie nieht ewig unsres Andenkens werth seyn ! I
Vt F«.»
f
. O'ioJnilFiom
■ ■ ^ IINIYRSITYÖFMCHIGA>1
- 20(1 -
].
Rückerinnerung' von Franz Härter.
Mus. von Schweigh&euscr mit Klavier.
1.
Wie schwanden uns im lieblichen Thale
Die Tage, die Stunden im Fluge dahin
Reym völligen Klange der vollen PsJcale
Weckt Rachus die Muse im festlichen Saale
Lud Kummer und nagende Sorgen eatfliehn.
2.
Alles vergessend im wirbelnden Tonzc
Schwebt nun der Jüngling das Mädchen im Arm
Unschuld und Freude im strahlenden Glänze
Winden uns Lilien und Rosen zum Kranze
Weihn den Genuß und verbannen den Uarm.
3.
Aber die Lieder der Freude verhallen
Horch! Es ertön[e]t das schreckliche Wort
Trennung! das Snriinksal mit eherner Krallen
Reißet uns los ans den lieblichen Hallen
Hort auch mit blutendem Herzen, fort, fort.
4.
Langsam wallen «ir zurück
Keine Sonne leuchtet unserm Pfade
Einen trüben Abschiedsblick
Senden wir zum fliehenden Gestade
Matt erstirbt der Freude Liebt«
Doch die Liebe welket nicht.
n.
"Worte von Franz Haerter.
Muaick von Wilhelm Schweighaeaser.
1.
Ca mil dem Humpen in der Hand, ihr theuern Drude:
Frey von des Lebens Zwang: und Tand,
Wir in der Freude Tempel weihten unsre Lieder,
Der Freundschaft und dem Vaterland;
I , O'iQim dorn
INWERSnVOFMCHIGAM
— 297 —
Schwanden uns die holden Tage hin,
Die eh der Lein entflieht an unsrer Bahn entblühn
Hinaus ins wilde Treiben reißt uns nun das Leben,
Lebt wohl ihr Brüder! lebet wohl!
2.
Koch stets umschweben uns in wonnevollem Bilde
Bis an Europeas fernsten Rand
Des Theuern Mutterlandes bluinichte Gefilde
Und unserer Heilern Alsa Strand ;
Wo sorgenlos in wilder Knahenlust
Zum ernsten Kampfe sich gestählt die freye Brust;
Wo sich noch jugendlich die zarteren Gefühle
Gestimmt zu sanfter Harmonie.
Frohlockend kehren wir nach Jahren alle wieder
In Vater Rheines seeiges Thal ;
Dann reicht mit treuer Hand beym Hochklang unsrer Lieder
Dem Chor die Liebe den Pobal.
Und feyerlich ertänt der Uecherklang
Dem Glück das jeder sich durch eignen Werth errang.
Und eine Männerthräne weinen wir dem Bruder,
Der Iäng3l im stillen Grabe ruht.
111.
Erzflegral auf dem Blocksberg.
23. September 182D.
Im Wolkenhimmel wirklich sitzt
Ein Bursche woblgemuth
Er hal den Tag durch viel geschwitzt
Und das war gut.
Doch denkt er seiner Brüder jetzt
Die fern im Vaterlande
Der Freundschaft Decher hoch ergötzt
An Yater Rheines Strande,
So stimm ich fröhlich denn mit ein
Es lebe Freundschaft San? und Wein
Vivat Alsatia '
I . O'iQJnii fiom
UNWffiSITYOFMCHIGAN
— SfiS —
IV.
Flegols Antwort von Friedrich Eduard
Kampmann.
Bey 'r Tobackspfeife wirklich sitzt
Ein Flegel wuhlgeuiuth.
Hat heute zwar nicht viel geschwitzt
Doch war es so auch gut.
Da denkt er seines Bruders jetzt
Der an der Saale Strände
Mit liier und Oxen sieb ergötzt
In Preußens Torf und Sande
So stimm ich fröhlich denn mit «in
Es lebe Freundschaft Sang und Wein
Vival Alsatia !
V.
Von F. Haerter.
I.
Kommt Brüder wir sinken der Freude (Jodel)
Ein Liedchen mit inniger Lusl ,
Denn selten erfüllt sie wie heute (Jodel)
So rein und so seeli# die Brust.
Wie flattern die fröhlichen Stunden
.\uf rosigen Schwingen uns zu
Wir haben die Freunde gefunden
Den Becher der Freude dazu.
3.
Wir schwatzen wir lachen wir singen
Von Wünschen und Sorgen befreit.
Da kann schon ein Liedchen gelingen
Der Freude des Lebens geweiht.
Komm freundliche Göttin hernieder
Dir öffnen so gerne sich heut
Die Herzen der draulichen Brüder
Die ferne das Leben zerstreut.
I . O'iainil fiom
IMVBtSrTYOFMCHKM
- 299 -
5.
Komm strahlende Freud und umschwebe
Im ganzen Europa den Chor
lind jeder mit Hochgesang liebe
Für alle den Becher empor.
6.
Zwar sind wir jetzt fern von einander
Doch bleiben die Herzen «ich nah;
Und jeden ja alle wirds freuen
Wenn einem was Gutes geschah.
7.
Und kommen wir wieder zusammen
Auf wechselnder irdischer Buhn
So knüpfen ans fröhliche Ende
Den fröhlichen Anfang wir an.
VI.
Flegel-Lied von F. F. Kampmann
Hei. : Vom hoh'n Olymp etc.
1.
Wenn fern vuu AlsVs hei ma (blieben Gauen
Den Feuerwagen Phöbus lenkt,
Und über Stsdt und Dorf und Feld und Auen
Die Nacht den kühlen Schleier senkt ;
|: Schalle i zum Himmel der I'legelgesang,
Beym Humpengetöu und beym Becherklanjr :|
2.
Seht zu den Slernen die am Himmel blinken
Und sende: hin den Bruderkuß.
Seht wie die Sterne freundlich niederwinken
Es ist der fernen Flegelgruß.
«Jauchzet den grüßenden Sternen den Dank
Himmelan töne der Flegelgesang.»
Beym volen Glase nun ihr lieben Brüder !
Das ihr den fernen Flegeln weiht.
Und bey dem Hochklan;.' unsrer allen Lieder
1 Gestrichen Tann er . . .
I . O'iainil fiom
n >^' ,H ' UNWRSnYQFMCHI&M
— 300 —
Gedenkt der schönen illen Zeit.
«Knüpfet die Bande der Freundschaft recht fest
Vivant die Flegel in Ost und West.»
4
Es töne vivat an der Seine Strande .
Den Flegeln und Alsatia!
Und vivat tön aus Preußens Torf und Sande
Dem Elsaß und Fle^elia !
«Knüpfe Flegelia fester dein Dand
Vivaut die Flegel zuerst uns genannt. >
5-
Und fQhren einst die freundlich waltenden Sterne
In ihrem e^gen Wechseltanz
2ur schönen Heinialh aus der fernsten Ferue
Uns wieder in der Flegel Kuiü,
«Lieder des Danks dann in feurigem Chor
Jubelt zur Göttin der Freude empor. d
VII.
Humpenlied von Theodor Kampmann.
Me!.: lebeT die Keschwerdcn etc.
1.
Setzet euch Brüder in die Runde,
Füllt die Becher bis zum Rand,
Unser ist noch diese frohe Stunde,
i: Drum nehmet frisch das Glas zur Hand. ;|
Jauchzt ein Hoch dem Bruderbünde,
Hub Flegelia genannt ,
Bringt es Brüder; jubelnd dann zum Munde;
|: Unten sey was oben stand. t|
2.
Alle unsre treue Bundesgi ieder
Sind vereint bey Pfeif und Glas
Sinken frohe flotte Burschenlieder
Bey der Gerste edlern Naß.
Trinken auf das Wohl der Brüder
Manchen Schoppen manche Maaß
Drum füllt die leerer Gläser wieder
Hier aus diesem vollen Faß
I . O'iaimlfiom
IMVBtSrTYDFMCHKM
- 301 —
3.
Bey der vollen Gläser Jubelsclialle
Denken wir der Brüder gern;
Unsre wcnnetrunkne Lippe lalle
Allen Brüdern nnh und fern.
In Porie, Berlin und Halle
Die jctel Tisch und Krug" im Stern
Mit sich rtiederziehn rielleichl im Falle
Einen Srocllis meine Herrn.
VIII
Erzflegels Ankunft nach Berlin
den O l#r Aprill 1821 von Theodor Aufschlager.
Hai.; Hier sitz ich nnf Rasen et«.
1.
Geliebtester Bruder begrüßet seyst du !
j: Von ferne schon bringen ;|
Dir trauliche Flegel den Bruderkuß zu.
2.
Bald schwindet die Zeit die von dir uns noch trennt.
Du kommst — welche Wonne !
Wenn jubelnd im Chor dir der Flegelgruß tönt.
3.
möchte sie länger doch währen die Zeit
Die jet2t uns erwartet
(Jne Flegel die ferne das Schicksal zerstreut.
4.
Doch tröste dich Flegel Flegelia lebt fort.
Du bist nicht verlassen
Du findest ja einen hier andere dort.
5.
Schon hören wir ferne des Posthornes Schall
Es nahet der Flegel
Auf Brüder versammelt und freuet euch all.
6.
In Osten und Westen und ferne und nah
Lebt buch nun ihr Flegel!
Auf schwingt die Pokale Erzflegel ist da !
I , O'iQim fism
UNWERSITYÜFMCHIGAN
— 302 -
IX.
Erzflegels Wanderlied alB er nach der Heimath
zo|r. Aprill 1821. von W. Schwghsr.
Hei.: Hein Lebenslauf ist etc.
1.
Der Bursche greift zum Wandeisiab,
Ade du Saale Strand
Er zieht Berg auf, er zieht Berg ab,
Durch manches Dorf und Land.
Doch scheide! er von Halle gern.
Ihn führt ja da3 Geschick
Aus Preußens Sande kalt und fern
Ins Vaterland zurück.
2.
Zwarblühtauch dort der Freundschaft Glück
Das edle Herzen lohnt
Es lebe hoch der Musensitz
Wo Burscheufreiheit wohnt!
Doch ist's auch schön im fremden Land,
Nie wirds zur Heimat h mir.
Heimath l schönes Vaterland !
Mein Busen aoliläyl nur dir.
3.
Und winkst du mir von ferne zu
Erwinia Himmelsbraut,
Und lächelt mir dem Müden Ruh
fiey Freunden lieb und traut,
Wenn der bekränzte Becher schallt
Den Brüdern fern und nah
Dann jaunhz ich, daß die Erde lullt
Vivat Alsatia :■
Vivat Flegelia ! Vivat Alsatia!
X.
Flegels Abschied von F. E. Kampoiaau.
tfel.: Es reuieu 8 Schneider etc. y. 4 Minore g. mol.
1.
Es ziehet der Flegel aus Vaters Haus ade !
Fort in die weite Welt hinaus arte!
Leicht fließt sein Blut froh ist sein Sinn,
So eilet er rasch durch das Leben dahin
Ade ! Schöne Heimath ade Schöne Heimath ade I
(^ , , I . O'iainil fiom
IMVBtSrTYOFMCHKM
— 303 —
Die mich solange pepfleget ha!
Lebwohl du liebe Vaterstadt
Ich weile nicht länger in deinem Schoos
Des Lebens Treiben es reißt mich los
Ade du Beste ade !
3.
Sieh kühn an der heitern Alsa Strand
Dein werd ich gedenken im fernen Land
Denn treu bewahrst du in Freue und Schmerz
Mir all meiner Theuern Hebend Herz
Ade ihr Guten ade !
4.
Feins Liebchen auch laß ich in dir zurück
Aus der Ferne oft schwebe zu ihr mein Blick
Behalte mich lieb! wenn alles auch bricht
Dein hin ich, dein bleib ich "Vergißmeinnicht
Ade du Einzge edel
6.
In deinem Boden auch kühl und still
Da wohnen ach schon der Geliebten so viel
Doch ruht auch die Asche an tiefem Ort
So bleibt* eure Liebe im Leben doch fort
Ade ihr Geliebten ade; Wir sehn uns nicht wieder ade!
6.
Zum nächsten Dorfe geleitet jetzt
Ihr trauten Flegel mich noch zuletzt
Einen Becher vaterländischen Wein
Noch einmal zu leeren im Flegelverein.
Ade Ihr Getreuen ade.
7.
Es lebe hoch Flegelia I l'ivat hoch I
Und dreimal hoch Aleatia ! Hurrah hoch !
Nun Herz an Herz den letzten Gruß
Und Mund auf Mund den Abschiedskuß.
Wir finden uns wieder ade !
Hier oder dort oben ade!
1 Zuerst : s© blüht ihre.
I . O'iainil fiom
IMVBtSrTYOFMCHKM
— 304 —
XL
Flegels Erdenwallen von F. E. Kampmann
Mel.: Mein Lebenslauf clc.
1.
Es ziehet Flegel* wohlgcmuth
Durch Flur und Au und Feld;
Es treibet ihn das rasche Blut
Dort in Hie weite Well.
Er wallet aus und wallet ein
Hat immer froher Sinn
Was half es ihm auch traurig se^n
Was brächt ihm das Gewinn.
2.
Er wallet hin und wallet her
Er ist bald hier bald dort
Trägt sich mit Sorben nimmermehr
Er pilgert mutig fürt.
Wohin er auch die Schritte führt
Rlühn Hosen ihm so schön
Uie Blumen bricht er, unberührt
Läßt er die Dornen siehn.
8.
So manchem ist ein Jammerthal
Der Erde schönes Rund,
Sieht Angst und Kummer überall
fteibl Seel und Hers sich wund.
Er schwimmt in einem Sorgenmecr
Sieht alles schief und krumm.
Er quält (sich) hin er quält sich her
"Weiß selbst wohl nicht warum
4.
Doch Flegel eilet frank und fray
Und sorgenlos dahin
Genießet froh des Lehens Mai
Läßt trübe Wolken ziehn
Und schlägt die Freude nimmer aus
Mag ihr sich gerne weihn
Und findet er ein frölich Hf»us
So kehrt er immer ein.
I . O'iginil fiom
UNWffiSITYOFMCHIGAN
- 300 -
5.
Er scheuet Arbeit nicht und Drang
Und keiner Müh er weicht
Ein rnunlree Lied ein heitrer Sang
Macht ihm ja alles leicht.
Ihn treibcts fort in rascher Eil
Mit ungehemmtem Lauf,
Und atclp«rt er auch jn zuweil
So steht er wieder auf.
6.
Ein Hera voll innger Liebe (schlägt) glüht
Im Busen rein und gut
Und schirmt wenn Sturm ihn rings umzieht
Und giebt ihm frohen Mulli
Und trägt ihn durch des Lebens zwang
Auf leichtem Fittig hin
Drum tragt die Stirn er frei und frank
Drum blitzt das Aug ihm kühn.
7.
Er treib! mit immer frohem Sinn
Fori durch die weile Welt
Seiu Erdenleben rasch dahin
So lauy ea Gott jrcßlh.
Und dankt Gott daß zum Vaterland
Er ihm Alsatia gab
Hält treu und fest am Flegelband
Bi3 an sein kühles Grab.
XII.
Von F. E. Kampoxann.
Hei.: Stoßt &u etc.
1.
Stoßt an Rebensaft lebe! Hurrah hoch!
Weil der feurig schäumende Becher erblinkt,
Zum Brüdcrgclage die Freude uns winkt.
Freut euch und trinkt !
2.
Stoßt an Minnesang lebe !
Was ein Gott uns gab was dem Herzen entblüht
Das Leben verherrlichet Minne und Lied
Singel und lieht !
20
(^ , . I . O'ioJnrifiom
IMtfBtSrTYOFMCHKM
- 30i> -
Stoßt an Männermuth lebe !
Denn zum Kampfe muthig der Busen sich regt
Für Wahrheit und Tugend und Freiheit und Recht
Weihet dies Glas!
Stoßt an Frauenreiz lebe!
Denn der Busen der Frauen rein und zart
Was schön und was gütlich ist heilig bewahrt
Ehret die Frauen I
5.
Si'j3i an Brudertreu lebe!
Wer auf Brudertreu nicht bauen kann
Ist wali i lieh ein armer geschlagener Mann
Bleibet euch treu !
XIII.
Erzfiejrels Willkomm im Vaterlande
von Fr. Haerter.
Mol.' Edle Brüder.
1.
Mit dem Ränzchen auf dem Hucken
Und dem Dornstock in der Hand
Kehrt mit wonnetrunkneu Blicken
Heim der ßursch aus fernem Land.
Seiner harrt im Hubcrlhule
Schon der Freunde Jubelreihn
Argefüllt eind die Pokale
Und der große Krug von Stein.
2.
Kuß und Cruß nach Väterweise
fcruder Präses dir zuvor
Sey willkommen von der Reise
In der trauten Flegel Chor.
Ob du Freunde auch verlassen
An der Saale fernem Slrand
Wenn dich Flegel froh umfassen
Denkst du nur ans Vaterland.
I . O'iaimi fiom
IMtfBtSrTYOFMCHKM
- 307
3.
Trink €s tönen unsre Becher,
Dir ein ilottes Lebehoch '
Grüß dich Sott du wackrer Zecher
Bist der alle Flegel noch !
Riß dich längst aus unsrer Mitte
Auch das eherne fiese hirk
Führen heute deine Schritte
Doch Eur Heimalh dich zurück.
4.
Jubelnd um ihn jeder hebe
Hoch das Glas zum Brudergruß
Um die lernen Freunde schwebe
Treu der Flegel Genius.
Auf ihr Brüder laßt uns trinken
Vivat hoch Alaalia E
Seht die Sterne freundlich winken
Vivat hoch Flegelia !
XIV.
Trinklied von Fr. Hoorter,
dem Krzdegel zu StutUfard tnitgetheflt den 20. Mai 1821
1,
Uin unsera Zirkel schlingen heute
Drei Grazien ein schönes Band ;
Die Jugend, die bekränzte Freude,
Die hehre Freundschaft Hand in Hand.
Vervreben wonnevollc Stunden
In unsrer Tage Gnstein Zug
Uud träufeln Balsam in die Wunden,
Die uns des Schicksals Härte schlug:.
2.
Nur von den letzten Morgenstralen
Der Jugend glüht noch unsre Brust ;
Doch reichet uns in vollen Schalen
Die Freude jetzt des Lethe s Lust.
Und zwischen ihren Schwestern glänzet
Diu Freundschaft in des Aethers Licht ;
Der Zweig womit sie uus bekränzet
Verbleichet mit der Locke nicht.
(^ , , .1 . O'iaiml fiom
01 UNWRSITröFMCHI&M
— 308 —
3.
Dank sei den himmlischen! sie lehren
Genuß den keine Thräne stört.
Wohlan I den Grazien zu Ehren
Sey dieses volle Glas geleert.
Doch der die durch des Lebens Hallen
Uns leitet aut'h in düstrer Nacht
Der biedern Fretinrischalt sey vor allen
Ein feierliches Hoch gebracht.
XV.
Des Flegels Ziel und Lust von
Wilhelm Scliweigrhaeuser.
Siel.: Was ist: des Deutschen Taterlftnd etc.
1.
Praeses solo : Was ist des Flegels höchstes Ziel '?
Ists Reicht h um? Isis Glanz und Ruhm?
Isis uroße Herrschaft sich erwerben ?
Isis eitel n Ahnenstolz ererben?
Tutti: nein, o nein, o nein, o nein, o nein
Des Flegels Ziel muß edler sein
Df>r Freundschaft und dem Vaterland,
Sich weihi» mit Mund und Herz und Hand
Das ist des Flegels höchstes 'Ziel.
2.
Was ist des Flegels höchste Lust?'
Ists Weichlichkeit? Isis Sinnenfreud?
Ists seine Schätze überzählen?
Ists täglich neue Freude wählen ?
| : O nein, o nein, o nein, o nein, o nein.
Des Flegels Lust muß eriler sein. : |
Ein Herz, das ihm voll Liebe schläft
Der Hände Saat die Früchte trägt
Das ist des Flegels höchste Lust.
Hub am 27 Mai 21.
XVI.
Von Gustav Kampmanri d. 9 Juny 1821.
Hei.: Im Wald, im Wald atc.
1.
Heym bier, beim Bier, da mag; es mir gefallen,
Itey voller Humpen Klans, Beim Hurapenklang:,
Wenn laut ertönt in diesen hohen Hallen
j: Der Flej^lsang, der Flegelsang: ;|
I . O'iQJtut fiom
UNWRSITYOFMCHIGAN
- 309 -
Bekränzter Krug, wie blickest da so heiter
Die frohen Flegel an ;
Wer dir nicht gerne zuspricht ist doch leider
Kein braver Mann.
3.
Im Kreiß, im Kreiß der Flegel bin icb selig
Bin nirgends sonst so gern
Und laut erschall : cWar lange nicht sc fröhlich — »
Von Stern zu Stern !
4.
Ja freudig halten wir am Flegelbunde
Mit fesler I reuer Kraft.
Dem Bruderbünde: Heil 1 führt schnell zum Munde
Den Gerstensaft.
6.
F.uch Brüdern die ihr ferne von uns wallet
Sey dieses Glas gebracht .
Horcht auf! Der Flegel vivatruf durchschallet
Die Nacht, die Nacht.
6.
Auch dir gebührt in allen Flegelliedern
Alsatia Vaterland
Ein herzlich Lebehoch von alleu Brüdern
Du schönes Land,
7.
Den Guten die befreyt von allem Kummer
Nicht mehr hienieden gehn
Weih ich dies Glas, bald ruhn auch wir im Schlummer
Auf Wiedersebn,
8.
Eni ruft mich daua Freund HajK als Friedensbote
Dem lieben heimgehen Strand,
Dann führ mich sanft du ernster Götlerbote
Ins bessre Land.
XVII.
Von F. E. Kampmann.
MeL: Heil nnsprm Sipgenliranf et*.
1.
Heil unserm Bunde Heil ! Dem Bund der Treue Heil !
Den Flegeln Heil !
Jauchzet der Freude Dank, Töne der frohe Sang,
Schalle der Becherklaiig : Dem Eisali Heil 1
s~~ , , .1 . O'iainil fiom
: '^' OU . UNWRSnYQFMCHISjM
^N
- 310 —
2.
Beicht euch die Bruderhand Hallet der Treue Band
Hallet es fesl !
Das unsre Väter schon Knüpften viel Jahre schon
Hielten ; der Treue Lohn Erndten sie jetzt.
3.
In ihrer Söhne Treu blühe der Hund aufs neu
Der sie erfreut.
Jubelt den Guten, Dank Sey ihnan. Freudesang,
Ihnen beym Humpenklang dies Glas gereicht.
4.
Was längst in uns gelebt, Längst uns als Bild umschwebt,
Tritt nun hcrror,
Frölich zur Wirklichkeit. Treue in Freud und Leid,
Üir ser der Bund geweiht Blühe empor.
5.
Oh das Geschick uns dräng! Und uns in Fesseln zwängt,
Merken wir nicht.
Treue ist unser Hort! Nimmer ein leeres Wort,
Olülie im Herzen fort. Werde zur Frucht!
6.
Heil ! uaserm Bunde Heil ! Dem Bund der Treue Heil !
Den Flegeln Heil!
Jauchze: der Freude Dank, Töne der frohe Sang,
Schalle der Becherklang: Dem Elsaß Heil !
XVIII.
Von Fr. Härter am Tage vor der Abreise
aus Paris.
Mel.: Im Kreise froher kluger Zecher etc.
1.
Wenn an des Biedermannes Busen
Seit» Buh und Freude sanft geschmiegt,
Wenn ihm im Kreise holder Musen
Des Frohsinns Quelle nie versiegt,
Dann schallet unier Becherklang
Der Männerweihe Hochgesang.
1 Soll wohl heißon; Sind.
(^ . . . I . O'iainil fiom
UNWRSnYQFMCHI&M
— 311 —
2.
Zum heitern Sonnensitze schwebet
Der Aar im kühnen Flog empor.
Wer immer an der Erde klebet.
Tritt aus dem Dunkel nie hervor
Drura achte nicht der Laden Heer
Und schreite froh als Mann einher.
3.
Der Mann erschrickt vor keinem Throne
Beugt sich vor keinem Herrsclierstab
Und mit des Stolzes edlern Hohne
Sieht er auf FQrsien^unst herab.
Ihn blendet Ran» nnd Reicht hu m nicht
Er folgt nur Gott und seiner Pflicht.
4.
Und wenn ein Bund sich treu vereinet
Kür Vaterland und Völkerrecht
Wem» endlich das Gericht erscheinet
Und nieder die Tyrannen schlägt :
Dann kämpft der Mann mit heiterm Muth
Und wa^et Freiheit Gut und Blut.
6.
Doch in der heimalhlichen Hülle
Krwartet er des Schicksals Huf.
Da lebt er treu der Vätersitte
Von dem was Peine Hand erschuf.
Von Gier und eitcln Wünschen fern
Weilt er in Freundes Kreise gern.
C.
Auf BrüJer füllt die Becher wieder
Dem Männermulh ein Hoch zu weihn,
Denn in den Jubel unsrer Lieder
Stimmt keine feige Seele ein.
Ks lebe hoch Fleyelia
Und dreimal hoch Alsalia.
/■
O'ioJnilFrom
UNIVKSITYOFMCHIGA^I
— 312 —
XIX.
Der Flegel in der Ferne an die im "Vaterlande
10. October 21. Von Th. Kampmann.
Hei.: Heil unserm Bande Heil J
1.
Was mir im Busen glühl
Was mich hin ru Euch zieht
Wie Sprech icbs aus !
Nennet es Schwärmerei
Nennet es Liebestreu
Mir ist es cinerley
Ihr Sprech Is nicht aus.
2.
Vom Himmel oft zurück
Kehrt sieb mein (ruber Blick
Feme von hier.
Ueber den Rheinslrum hin
Wo meine Lieben zieuu
Sieht dann rneia Flegelsinn
HeimaÜi zu dir.
3.
Elsaß du schönes Land
An deinem Mutterstrand
Rettet Aicha weich
Dem fällt ein schönes Loos
Der in der Heimat Schoos
Lebet der Liebe blos
War ich bey euch.
4.
Vaterland rufst du mir
Nahen sich die Feinde dir
Tobt mir die Brust
Stell ich mich muthig ein
Kämpf in der Brüder Reihe
Setze das Leben ein
Sterbe voll Lust.
I > O'iaiml fiom
IMVBtSrTYQFMCHKAN
— 313 -
6.
Heil dir mein Vaterland
Heil unserm Bruderhand
Den Flegeln Heil.
Für mich ist hier kein Kuh
Heim den Vogesen zu t
Ruf ich von fern euch zu
Dem Elsaß Heil.
XX.
Liedlein in Vaterländischer Mundart von
Fr. Härter.
Dor creto Vore in Strasburg geeungen. Dio 3 letzten alt er an der
Werra hinzog. OcUfe. 1821.
Älel.: TInn de wurscti mere nii ete.
1.
Wemmer zowe so bisamme sitze,
Simmer allewil e bissei lusehli.
Wemmor zowe so bieammo sitze.
Simmer allewil c bisscl froh.
Henke dSorje an da Naujel,
Blose d' Grille in de Wind,
Singe dannetwann e luschdis Liedel 3
Wo sich keiner lang druff b'sinnt.
2.
Alli Litt wos welle vornehm driwe
Die verslehn nit wie iner froh iscb
Wercmer nummen allewil zefridde bliewe
Fehlt es nix uff unserm Bisch.
Nurre Wirsehdel, e Salädel
Unn im Glas e kreflis Bier
Unn zuem Pfiffe! noch e draulis Werde!
Wer woddß besser hann sU mier.
8.
Was mer duen des gschicht in Ehre
Ohne lange Kumblimende
Brave Fiejle derf mer nix verwehre
Denn sie wisse was sie sinn.
f~" t-\ . I . O'iaiml fiom
INWERSnVOFMCHIGAM
— 314 —
Alle Vetlren, alle Baase,
Wo de Gumma ng nit verstehn
Dehne mache mer-nurr langi Nase
Wenn sie uns nit losse gehn,
4.
Jetzitt widdcr ctnol c Licdcl gsun^c
S' saat wohl iemer, daß er roch klingt
Doch im Flejel isch dies k'hupft wigsprunge
S' geht schunn tflatl rus wenn er drinkl.
Alli Liedle vunn de Flejel
S;nn doch kreefli jun^r unn frisch
Unsrem liebe Herr GoM singe ti' Vejel
Wie ne der Schnawel gewachsen isch.
XXI.
Von Theodor Kampmann
Md.: Laßt nur die Politiker sprechen.
I.
Laßt nur die Herrn Philister sprechen
Mag uns auch lästern ihr hö^cr Mund.
VTi^ei. sie gluuhen es sei um zu zechen,
Daß sich versammle nur unser Bund.
WßS Qcht uns frohe Fiedel dieß an, .
Nimmer zerreißt uns ihr kritischer Zahn.
2.
Zwar nicht verschmähn wir die göttlichen Gaben
Dankbar und fröhlich genießen wir sie 1
Denn um die durstigen Drüder zu laben
Schenkte der Schöpfer uns Wein und Bier
Ließ er uns wachsen virginisches Kraut
Gab uns ein Hera mit der Freude vertraut.
8.
Wenn uns die Grillen wie Mücken umschwirren,
Die Langeweile schläfrig uns winkt,
Aengstliche Sorgen den Kopf uns "verwirren,
Aerger und Kummer uns niederdrückt,
Nehmen wir Pfeife und Becher und Bier,
.lagen den Pack ins PliilUtorrevier.
1 Soll heißen: sie wir,
I . O'ioJnrifiom
IMtfBtSrTYOFMCHKM
— 31& —
4.
Nicht nur für wenig Monden und Jahre
Schlössen wir Brüder den schönen Bund.
Treue im Leben bis hin- zu der Bahre
Schwuren ja alle mit Herz und Mund.
Werden es halten, ob alles auch bricht,
Bricht doch ein Flegel die Bruderlrcu nicht.
Mulhige Wahrheit und treuherzige Sitte,
Freundschaft und Tugend und treue Minn
Sind keine Fremdlinge in unsrer Sitte
Wohrcr und kräftiger Manncrsino.
Schlingen stets enger das trauliche Band
Unsrer Flegelia mit zaubrischer Hand.
6.
Auf denn eo lasset ein Vivat bringen
Brüder es gelte dem Klegelband.
Lasset die vollan Pokale erklingen
Flegel es lebe das Vaterland.
Treu so vereinet in Schmerz und Lust
Bieten dem Schicksal wir muthig die Itrusl
XML
Von Gustav Kanipmauu.
Mel- ; von Major Braun.
1.
Seelig wem das Loos gefallen
Treuer Freunde Kreiinri tu sein.
Seelig wem durch Krdenwallen
Freundschatl lächelt hehr und rein.
Herrlich blüht ihm jede Stelle
Die er sonst nur öde fand.
|: Heile liegt ihm vor der Seele
Was er lange nur geahnt ;|
f
(~~ , . .1 . O'iaiml fiom
UNWRSITYOFMCHIGAN
— 316 —
2.
Da wo ächle Freundschaft wallet
Wird sie nimmer uutergehn
Flegeis Freundschaft nie erkalte!
Kwig wird sie fort hestehn.
Mag das Schicksal toben, rasen,
Flegels Herz ist Unterpfand
Nie wird er den Freund verlassen
Nie entziehn die Bruderhand.
3.
Feste stehet Flegels Treue
Wie die Sonn in blauer Babn.
Bruderlreue, Fle^ellreue
Ist kein leerer flüchiger Wahn.
Ha, Ftegelia, aller Leben,
Heil dir, schönes trautes Band
Dir ist aller lierz ergeben
Bleihl es bis an Grabes Rand.
4.
Elsaß! Vaterland der Freunde I
Heil! Heil dir Alsatia !
Wer es schlecht mit dir je meinte
Trete nie dem Hunde nah.
Dem das Herz nicht Flammen sprühet
Bey dem Nomen Vaterland
Der dem nicht der Busen glühet
Sev auß unserrr Kreiß verbannt.
o.
Seelhx wem das Loos gefallen
Treuer Freunde Freund zu sein.
Seelig wem durch Erden wallen
Freundschaft lächelt hold und rein
Freundschaft Liebe Saft der Reben
Glücklich ist wer euch gekannt
Dem das schöne Tuyendleben
Froh in euernt Ann verschwand.
f s-i . I . O'igiml fiom
UNWRSITYOFMCHIGAN
317 -
Vorstehende Lieder bilden mit der Vorrede den Inhalt
eines kleinen Heftchens, welches unter andern Erinnerungen
an verstorbene Familiengliedei pietätvoll in einer alten ange-
sehenen Straßburger Familie aufbewahrt wird. Dafür, daß es
mir zur Veröffentlichung Obertassen wurde, möchte ich auch
an dieser Stelle meinen besten Dank aussprechen. Ich glaubte
zuerst Beiträge für meine Vnlkslifidersammlnng darin flu finden,
war aber bei näherem Zusehen angenehm enttäuscht. Lieder*
tiefte werden dem Sammler immer willkommen sein ; wir be-
sitzen aber deren so viel, daß es auf eines mehr oder weniger
nicht ankommt. Die Carolina Flegeliana sind dadurch wert-
voll, daß sie uns Einblick fe r ewäbren in das Leben eines Straß-
burjfcr studentischen Kreises im ersten Viertel des ID. Jahr-
hunderts. Sic sind für diese Zeit und für Verhältnisse, die
biaher nur oberflächlich bekannt waren, eine vorzugliche Quelle.
Ueber die Entstehung der Sammlung berichtet die Vorrede.
Mehrere Mitglieder der Gesellschaft Flegelia, die eich auswärts,
in Paris, Berlin und Halle aufhielten, haben einen Teil der Lieder
eingeschickt. Sie sollten den geistigen Zusammenhang mit den
Mitgliedern am Orte unterhalten. Die übrigen verdanken der
fröhlichen Stimmunjr des Augenblicks ihre Entstehung . Sie
waren nicht allein zum Vorlesen, sondern auch zum Singen
hestirnmt. Noch lange nachher achriehen sich Straßhurger
Studenten ihre Kommersbücher eigenhändig zusammen. Die
Flegel um 1820 dichteten sich ihren Hausbedarf an Liedern
selbst. Nicht alle halten dazu Neijruag: und Begabung. Viel-
leicht gab es auch damals schon trä^e Bundesbrüder, die es
vorzogen zu genießen, was die anderen erarbeiteten. Die geistig
regsamsten Mitglieder waren jedenfalls die in den Uetterschriften
als Verfasser gcnunnlen: Franz Härter für Nr. 1, 2, 5, 13, 14,
18. 20, F. E. Kampmann für Nr. 4, 6, 10, H, 12, 17, Th.
Kampmann für Nr. 7, 19, 21, Gustav Kampmann für Nr. 16,
22. W. Schweighäuser für Nr. 9, 15, Th. Aufschläger für Nr. 8.
— Für Nr. 3 ist nur der Erzflegel angegeben, jedenfalls der
Unglückliche, der bei den Kampm&xin'schen Damen Anstoß
erregt und der Gesellschaft den Namen Flegelia zugezogen hat.
Der fruchtbarste unter den jungen Dichtern ist auch der
berühmteste geworden. K> müßte schon ein ganz neugebackener
oder sehr unkirchlieher Slraßburgei* sein, der noch nichts vom
alten Pfarrer Härter gehört hätte, Ueber F. K. Kampmann
liegt eine Biographie vorl. Die übrigen Namen zweifelsfrei
festzustellen, wäre nicht ganz leicht, da es sich um weitver-
1 Faudel, Notice biographique sur Fr. Kampmatiu pere (Ball.
de la Soc d'hist. nat. de Colmar 14/15. 1873,(74).
I , O-iqni fr;.m
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zweigte Familien handelt, bei denen Öfter dieselben Vornamen
wiederkehren. Zum Glück waren die poetischen Studenten
vorher begabte und fleißige Schüler. Wir finden sie von 1805
an immer wieder im Programm de3 Protestantischen Gymna-
siums als Preisempfänper und Deklamatoren bei der Schluß -
feier. Es sind Unter Straßbarger, die drei ECampmann Söhne
des Stadtkämmerers Friedrich Gottfried Kamp manu ; Friedrich
Eduard, geboren am ti. August 1797, Theodor August, am
2. Mai 1800, Karl Gtistat, am 21. Mai 1802. Joh. Wilh.
Schweigbäuscr, geboren am 9. März, und Härter, geboren am
1. August 1797, sind Altersgenossen des ältesten Kampmann;
Tb. Aufschläger vom 11; September 1800 sieht zu dem zweiten
in demselben Verhältnis. Wir sehen also, daß eine Anzahl
Cona tut Orienten sich zu einem geselligen Kreise zusammen-
geschlossen und, wie das heute noch geht, ihre jüngeren
Brüder und deren Freunde nachgezogen halfen. An einer
großen Zahl von Mitgliedern war den Leuten nichL gelegen, wer
nicht m dem schon von den Välern ererbten Freundeskreise
gehörte, konnte nur Gast werden. Die Zusammenkünfte fanden
oft in dem Kampmann'schen Besitztum auf der Hub hei ßühl
statt. Der Straßburger Student war gewöhnt seine Kneipe
auswärts zu haben z. li. in Schiltigheirn oder Kehl ; und ein
Geschlecht, welches noch Halle und Berlin zog mit dcm'Ränzcl
auf dem Rücken, schreckte vor einem Fußmarsch von mehreren
Stunden nicht zurück.
Dt pleiten wir die wackern Burschen im Geiste, um einen
Blick in ihr Kneipzimmer zu werfen. Wir seilen sie um den
Tisch sitzen, vor sich die Triiikfjeräle, in gehobener Sprache
Pokale, sonst schlechthin Humpen oder Becher genannt. In
der Mitte thront der große Krug aus Stein», welcher den Stoff
enthält, wie in Jena heute noch die Sprittkanne. Die Tobaks-
pfeifen mit virginischem Kraut dürfen nicht fehlen. Zu einer
Zeit, da es verboten ist öffentlich zu rauchen — wir schreiben
noch nicht 1848 — ist die Pfeife das Symbol der Freiheil. Ein
Präses lührt den Vorsitz. Der Comment, den er zu wahren
hat, ßndel bei Vettern und Baseu nur wenig Verständnis.
Dafür sind sie eben Philister. An die Trinkfahigkeit der Corona
werden große Ansprüche gestellt; schoppen- und maßweis
gleitet daa Bier die Kehle hinab, beim Vivat wird exgclrunkcn
und zur Probe das Glas umgedreht. Vergessen wir nicht, daß
1 Abbildungen damaliger Krnjre kann iiimi sehen am roten
Löwen in der Judengasse, am goldenen Löwen im Schifttotstadea
und an der «Hoffnung:*. Et.u-*< kleinere Krüge ans jener Zeit besitzt
Herr Zackerbacker Jundt am Kibcnplate.
I -
■*-'OOgK UNWRSnYÖFMCHI&M
- 31« —
es sieb um leichtes einheimisches Bier handelte, von dem man
schon viel trinken mußte, ehe die 7, 3 als möglich angenommene
Niederlage eintrat.
Es soll jetzt Studenten geben, denen der Kommersgesang
langweilig und lästig vorkommt. Von dieses Gedankens Blässe
waren die Flegel nicht angekränkelt. Schweighjiuser war an-
scheinend ein großer Musikus. Auch im Kampmann'schen
Hause herrschte reger Kunstsinn. So ist denn zu den Carmina
Flegeliana ein Notenheft mit vierstimmigem Salz vorhanden.
Konnten die Carmina zuweilen aus Mangel an Stimmen nicht
gelungen worden, so reichte die Besetzung doch immer zu ein-
stimmigem Gesang. Aus den Melodienangaben ist zu entnehmen,
was Im Flegelkreise gern gesungen wurde. v on bekannteren
Weisen Qnden sich : Vom boh'n Olymp herab, 6, Hier sitz ich
auf Rasen, 8, Mein Lebenslauf ist Lieb und Lust, 9, 11; Stoßt
an, Strasburg soll leben, 1*2; Im Wall, im Wald, 10, Heil,
unserm Bunde Heil, 17, 19; Im Kreise froher, kluger Zecher,
18 und — Was ist de3 Deutschen Vaterland, 15.
Es sind also um 4820 in Straßburg dieselben Lieder, die-
selben Trinksitten, der Comment und die übrigen Formen
studentischer Geselligkeit heimisch gewesen wie auf den deut-
schen Hochschulen. An anderm Orle hohe ich Gelegenheil
gehabt zu zeigen, daß bis 1813 StraSburg von zahlreichen
deutschen Studenten besucht war, und daß unter ihnen mehrere
Landsmannschaften bestanden. Damals waren die zukünftigen
«Flegel» in den oberen Gymnasialklassen. Es ist sehr erklär-
lich, daß sie die Gebräuche der älteren Semester nachahmten,
als sie selbst Studenten geworden waren, bis auf das Wappen
und den Namen auf -ja. Die Übeln Seiten des Verbindung
lebens haben sie vermieden. Sie sagen dem StraÖburger und
Flsässer Studenten auch heute nicht zu. So blieb ihnen bis
in die höchsten Semester und über die Studienzeit hinaus eine
ungetrübte Begeisterung für ihren Bund.
| . O'iaiml fiom
^"OOgK iinwrsityofmchisjm
XVII.
Traum gedieht eines Weinburgers.
Von
Adolf Jacoby-Weitersweiler.
D,
"a3 in unseren Dörfern noch mancherlei volkskundlicb
iuteressinte fliegende Blätter zu finden sind, wird der Sammler
solcher Dinge zu bestätigen öfters Geleueulieil habeo. Das poli-
tische Gedicht eines Zulzendorfer Bauern aus dem Jahre 184$ '
ist auch uns in einer Abschrift hier in Weitersweiler in die
Hände gekommen, ein Beweis, daß es seinerzeit einen tiefen
Eindruck auf die Gemüter gemacht hat, so daß man die Mühe
sich nicht verdrießen ließ, es abzuschreiben. Ein zweites Blatt
«die geistliche Auslegung des Kartenspiels» wird in diesem Band
veröffentlicht. Ich füge dem ein weiteres Blatt hinzu, ein
«Traumgodieht eines Weinhurgers> aus dem Jahre 1829.
Der Wert solcher Er2©ugnisse liegt natürlich nicht in in
Form, die höchstens geschickte Reimerei ist, auch kaum einmal
in den Gedanken, die meist weder tief noch besonders originell
sind. Aber sie werfen doch ein bezeichnendes Licht auf die
landliche Denkart, auf die Art, wie sich politische, religiöse,
sozial« Verhältnisse und Ereignisse im Denken der ländlicher
Kreise widerspiegeln.
Weinburg in ein kleines Dorf unfern Ingweiler. Von
einem Bürger dieses Ortes stammt die Haud schritt, die auf 8
Quartseiten sauberer Schrift das tTraumgedichtB ohne Yers-
absalz darbietet. Wie weit der Verfasser, dessen Name aus
Vgl. Jahrbuch Bd. XXIII, 147—150.
I , D'iaina From
UNWffiSITYOFMCHIGAN
— 321 -
naheliegenden Gründen nicht genannt wird, Vorbilder benutzt
hat, ist schwer festzustellen ; bessere Kenner dieser volkstüm-
lichen Literatur wissen vielleicht manches anzugeben ». Die,
wenn auch in entstellter Form, mehrfach erwähnten religiösen
Bekenntnisse und Richtungen lassen auf einen nicht ganz un-
gebildeten Mann schließen. Ist auch die Einkleidung des
Ganzen in den Rahmen eines Traumgesichts nicht absolut
originell, so ist sie doch für ein Dorf abseits der großen Straße
ungewöhnlich. Die Gedanken der rationalistischen Epoche, die
in starkem Maße die Grenzen der Bekenntnisse verwischt hatte,
ist in dem Gedicht unverkennbar und so ist es als Stimmungs-
bild der Zeit nicht wertlos.
Daß die Satire sich dieses Gegenstands, des Kampfes und
der Ueberhebung der einzelnen Bekenntnisse, ihrer Intoleranz
und Exklusivität sction frühe bemächtigt bat, dafür nur ein
Beispiel, In dem schonen Buch von _P. Drews cDer evangelische
Geistliche» ist ein «Geistlicher Rauffhandeb abgebildet, ein
Flugblatt auf den Streit der Konfessionen aus dem Jahre 1620,
illustriert durch zwei kleine Abbildungen: links Papst, Luther
und Calvin irn Streit miteinander ; rechts die Einfalt, ein be-
tender Hirte (darunter Ps. 23, 1), dem Gott Gewährung für sein
Gebet aus den Wolken zusagt 9 . In die Kategorie solcher Blätter
gehört auch un^er «Traumgedicht».
Traum gedieht 1829.
Jüngst saß icli Spät zu Nacht und laße solche Schriften,
worinn man sich befleißt die Einigkeil zu stiften,
die EinniglteiL der Kirch und von der Religion,
die Einnigkeit der Kirch von Christi Gottes Sohn,
die Einnigkeit des Geistes die Christen viel gebühren,
die Glaubenseinniukeit und grobem dispudieren,
wodurch nur. öffters mal des Himmels uns beraubt,
weil wir dem Schein geschwäz dos Priesters nur geglaubt,
ich laße noch darinn als Moriz* mich bedeckte,
1 Herr Prof Martin macht mich fieandlichst darauf aufmerk-
sam, daß Reinhold Köhler in Zachers Zeitschrift für dftntoche
Philologie IV (1872), 8 131 f, zwei ähnliche, aber nicht identische
Gedichte bespricht. Des eine, in Voß' Luise, ist nach Volt -einem
wirklichen Vülksiuirclien. welches gutmütige Einfalt erfand» nach-
gebildet; das andere von Schnbarb, Teatoche Chronik auf? Jt.hr 1776,
9.327 t. ist überschrieben «Der rechts Glaub«, eine Ugenle ans
einem alten Buch». Ee handelt eich also vrohl in der Tat um einen
von den beiden Dichtern benatzten Volkssehw&nk.
* Vgi. Monograpldön zur deutsche» Kulturgeschichte Xtl, S. 56.
3 Was bedeuten die beiden Eigennamen? Moritz und Moritzke
wird in hessischen Hexenprozeßakten der Teufel genannt vgl. Zeit-
schrift f. deutsche Myth. u. Sittenk. II, G4 ; das führt aber nicht weiter.
2i
I . O'iainil fiom
IMVBtSriYQFMCHKM
- 323 —
und Aukei nach und nach in tiefen Schlummer streckte,
die außer Sinnlichkeit die hörte völlig auf,
allein das ungemach ward meiner Seelen drauf,
die ganze Nacht hindurch mit dem ich mich beschäftigt,
--vis mancher Thioloch ' vom Himmel uns bekräftigt,
wie nämlich nur derselb dem seye zugedacht,
der hier nach seiner Lehr, sein Leben zugebracht,
und als ich Schlummerte, und war auch ganz gelassen,
da harn mich voller reiz an meiner Hand zu fassen,
der führte mich zwar Schnell, doch Sanft in jene Höhn
yon welcher ich die Welt, könnt völlig übersehn,
da sah ich, wie man Gott, ja so dort anders Ehret,
wie liier der Priester dies der jenes von ihm Lehret,
wie nur der Catholik, zum Himmel könnte kommen,
und denn der anders glauht, derselbe sey benommen,
nun heißt es anderswo, nur der so Refformieret,
der wird auch dermaleinst zum Himmel eingefuhret
nein schrie ein andrer irauf, wer nicht mit Luther Glaubt,
der wird ins künftige des Himmels ganz beraubt,
nein schrie darauf ein Krieg 8 vor uns ist er bestimmt,
weil Gott die Krieger (korr. Griechen) nur zu sich ii»
[Himmel nimmt,
nein schrie ein andrer drauf, von denen Aposicrcn 8 ,
nur uns gebühret er, als Cotlca rechte Diener,
ein £:nßendörfcr sprach, wir auch ein Eetisl*,
still, doch ihr thörigten, wißt daß er unser ist,
ach Gott wer hat hier recht, dacht ich bey diesem Zanken
allein mein führer sprach bezähme die gedanken,
und Worleö bis ich dich 2ur Himmels Pfort gebracht,
allein so gib nur dort auf alle Sachen acht,
worauf ich folgendes prstannent. hah gesehen,
kaum als er dies gesagt, sah ich des Himmels Ptort,
es war ein Herrlicher und angenehmer Ort,
zu welchem nur ein Weg, ja auch zum Himmel führte
bej dem eiu Buhe Banck. auf beiden Seiten Zierte,
zum ersten kommt ein Herr, in einem Purpur Kleide
sehr Groß und wohl gestallt, dem wich ich auf die, Seite,
und bükte mich vor ihm indem ich gleich erkant,
es muß ein Priester sein vom allerhöchsten SUnd,
und kurs er war es euch, indem ich gleich vernommen,
1 Theolog:.
2 Grieche, wie die Verbesserung dos Autors im zweiten Fall
selbst angibt.
a ?
1 Pietist. 5 warte.
I . O'iQJnii fiom
INWERSnVOFMCHIGAM
— 323 —
als er nach wenigem zur Himmels Thur gekommen,
er rauschet 1 sieb zuerst, drauf klopft er süttlich* an,
und da ihm alsobald St petrus aufgelhan,
sprach dieser wer seid ihr, ich bin ein hoch Heiliget* Vater,
ich bin ein Gatholik und deines Stuhls beraiher
Krkenst du mich denn nicht, ich bin ein Cardinal,
darum lasse mich dein Kind, in deinen Himmels Saal,
was Kind was Cardinal hat. Petrus drauf gesprochen,
was hast du hier so frech, am Himmel anzupochen,
fort fort ich kenn dich nicht, Si petrus Schloß das Thor,
da stand der Purpur Herr beängstigt nun davor,
er höbt er zitterte er weiß »ich nicht zu fassen,
er muß sich auf der Bank zur Seiten niederlassen,
kaum als er sich gesezl, kam ein betagter Mau»,
Mit einem spitzen Bart, und kohlschwarz anreihen,
einen Krägcl * um den Hals, samt einem hohen Hute,
dem war bey seiner Sach, so ziemlich wohl zu Muthe,
dann sprach er ganz beherzt, wie stehts ihr Cllements *
es scheint St. Petrus gibt demselben, die Sittens 5
so ist ihr Herren mein«, wenn man Catholisch sey,
das einem Gott sofort, das Himmelreich verleibe,
allein gefehlt mit euch wir kommen nur hinein
wie ihr sogleich an mir je?« soll ein /engen sein,
drauf gehl er untl klnpft an, St. Petrus läßl sieh hören,
und spricht wer neuerdings pflegt, meine Kuh zu stähren,
der Spitzbart sagt darauf, ich bin ein Predickant,
ein reiner Calfienist wie aller Welt, bekant.
was Kind was Calfienist was heißen diese Possen,
ich glaub du bist mein Freund mit Hassen Schrott geschossen,
fort fort ich kenn dich nicht, stöhr nur nicht meine Ruh.
Sobald er das gesagt, schloß er den Himmel zu,
da stand der Predickant als an den Kopf geschlagen,
er fing zu zittern au zu ächzen und zu klageu,
lief auch zum Cardinal und sagt was ihm geschehen,
drauf sah ich neuerdings noch einen her zu gehen,
mit einem srroäen Gruße und auch schwarz angethan,
dem war ich ohn vermerkt in meiner Brust gewogen,
er grüßt die vorigen Zwey und geht nhn eini# wort
l räuspert
9 Mlüich — sittOÄH.
3 Noch heute Ausdruck für das Bafichen des evangelischen
Pfarrers.
* Für Eminenz.
a Sentenz.
6 So ist's; ihr Herren meint . . .
f r\ u-iln 0'ioiml fiom
UNWRSnYQFMCHI&M
'S
— 324 —
vor selbigen vorltey, ^rad, nach der Himmelspforl,
klopft an heißts wer da, Ich bin ein Lutheraner
und zur Konfesion in Augsburg Zugethancr,
St. Petrus sah ihn an. und sprach was Sägst du da,
der Lulhrisch Pfarrer rief so bald er Petrum sah,
ich bin ein hoch Heiliger Mann, des Lulherturns Verfechter,
still, sagt St. Petrns draul, du bist mir wohl ein Kechter,
fort Uiksack fort mit dir dpv Himmel liebet nicht
einen solchen fetten Wangfit 1 , und vollen Angesicht,
der Pfarrer war erstaunt, bey solchen Donner Worten,
die ja ouch ihm sein Harz und seine Seel durchbohrten,
er ?eht (ohn) gestürzt zurück, ja nach den andern zu».
allein er etöhrete nur noch mehr derselben ruh,
sie sprachen wer wird denn nun noch in den Himmel
[kommen,
uns dieyeu ist er nun auf einmal %auz beuuiumeii
wer glaubt dann je/t hier Recht, nicht er nicht ihr nicht ich,
fürwahr ihr Freunde das ist mehr als jämmerlich
weil dieses ihnen nun so sehr zu Herz gedrungen,
so halten sie darauf das frohe Lied gesungen,
Wir glauben all an einen Gott.
Sobald als das geschaeh.
war Petrus wieder da.
Wer erlaubet hier an Gott, wer pflegt ihn so 2u Ehren,—
wer dieses Christlich thut, kann wohl zun) Himmel kommen,
wir sind es schrieen sie, wir sind es heiliger Mann,
ey spricht er ihr habt mir es ja nicht kund gelhan,
der lezte sagt nur er aey ein Lutheraner
und zur Confession in Augsburg zugethanner,
der zweite nennte sich schlecht wegs ein Callienist,
der Erste sagt* er sey Gatbolisch ein Papist,
und Uiuer saxi von Coli, noch daß er sey ein Christ,
Pfui schämt euch, euren Glauben nicht besser zu bekennen,
und euch das was ihr seyd, euch blos Chrislen pflegt zu
[nennen.
des glaubens Finnigkeit, und zwar ihn Jesu Christ,
ist da» was Gott gefällt, ohn streiltigkeit und Zwist,
werGottund Jesum Hebel kann wohl zum Himmel kommen.
hier höhr ich Plözlich auf der Traum ist mir genommen.
I Watst.
* bestürzt.
, O'iaimlfrom
■' V ' IINIYRSITYÖFMCHIGA>1
XVIII.
Eine geistliche Auslegung*
des Kartenspiels.
Von
Adolf Jacoby-Weilersweiler.
In meiner Gemeinde Weitcrawcilcr üel mir vor einiger
Zeit das folgende geschriebene Blatt in die Hände, dessen In-
halt ich gebe ;
«Eine noch ganz neue politische und noch nie erhorchte
wahre Geschichte eines Soldaten, welcher sich unterstand in
der Kirche während der Predigt Karten zu spielen, dessen Er-
folg sehr würdig isl.
Der Solda! und der Major.
Das Regiment machte Kirchen Parade an einem Sonnlag.
Soldat setzte sich muten in die Kirche und indem raun ver-
meinte, er nehm« ein Gesangbuch, so halte er^ein Spiel Karten
aus der Tasche yezojcen und legte dieselben auseinander vor
sich her. Der Adjudand und der Feldwebel voller Bosheit be-
fahlen ihm, er solle sein Spiel Karten in die Tasche stecken
und solches hinffihro ninht mehr Ihun. Der Soldat sagte
seinem Feldweh?! nichts, sondern betrachtete sein Spiel be-
ständig. Unterdessen war die kirehe aus, und rier Ksldwehel
warlete vor der Kirchthür auf den SoM:il, führte ihn 211 seinem
Major und verklagte ihn bey demselben um Haß was er in der
Kirche gethan hatt. Der Major redete den Soldat mit böser
Gestalt an; Wie kanst du dich unterstehen in der Kirche
Karten zu spielen ! Kanst du dich nicht verantworten, so
I . O'iqim fiom
l " UNWRSnYÖFMCHI&M
— 326 -
rollst du Gassen laufen ohne einzige Gnade, Der Soldat sagte :
Ich habe Ursache genug, wenn es mir erlaubt ist. Der Platz
ist ein heiliger Oit und ich habe alle Leute mit Frieden gelassen,
die darinnen waren. Der Major antwortete : Ich sehe es ist
nicht wahr, und verantworte dich besser oder ich schicke dich im
Aresl. Der Soldat zog Bin Spiel Karten aus der Tasche zeigte
sie dem Major und sa^te r Sobald ich ein AS sehe, daß zeigt
mir, [fehlt: daß ein Gott ist, der Himmel und Erde erschaffen
hat; eine zweite zeigt mir], daß zwey Personen« in Christo sind,
die göttliche und menschliche. Eine dritte zeigt mir die
drey Personen in der Gottheit. Eine vierte zeigt mir die
Evangelisten — Matthäus, Markus, Lukas und Sankt Johannes.
Eine fünfte zeigt mir fünf Wundern» Christe. Eine sechste
zeigt, daß Gott sechs Tage gearbeitet und den siebenten geruht
hat an welchem wir nichts thun, sondern ihm dieneu sollen.
Eine Achte zeigt mir die Achte Seel die in der Arche das
Leben erhalten, das ist Noa nein Weib und jedes Sohnes Weib,
eine neunte zeigt mir die Gesundheit, doch das einer von den
neunten Gott gedanket für seine Gesundheit. Eine zehnte
zeigt mir die zehn Gebothe so Golt Mosas auf dem berge
Sinai gegeben. Wie der Soldat alle Karten durchgegangen
hatte so nahm er den Kreutzbauer, legte ihn auf die Seite und
sagte: dieser wäre nicht ehrlich. Die andern drei sind
Scbindersfcnechle, so Christum gegeißelt haben bey Pilatus
Die vier Damen zeigen, mir eine Maria und die 3 Jungfrauen
so zu dem Grabe giengen Christum den Herrn zu suchen. Die
vier Könige zeigen mir die 3 Könige ans Morgenbnd zu
verehren den 4. so der grCßcston unter ihnen ist, Christus.
Sobald ich ein Creutz sehe, das gebildet ist wie das Creuta
wo Christus der Herr gekreuzigt worden, so glaube ich es
wäre dasselbe. Die Schuhen geigen mir den Su^ei» die Nägel
und die Dorueiikruiien, die Christum dem Herrn durch Mark
und Bein gegangen. Das Herz sagt mir, daß Gott seine Kirche
zum Gcttes Haus habe bauen lassen. Die Eckstein zeigen mir,
daß die Kirche alle viereckig sind und (dar)um sind wir auch
in der Welt zu zeugen. Ich linde 365 Augen in der Karte
das sind die Tage im Jahr. Ich linde 52 Hriefe, das sind
die Wogo im Jahr. Ich finde 12 Bilder das sind die Monaten
im Jahr. Ich sage daß mir mein Spiel besser ist als ein Ge-
sangbuch, ich kann mir meine Zeit besser vertreiben. Der
Major fallt dem Soldaten in die Rede, du sogst mir ja nicht.«
vom Creutzbaucr, welchen du auf die Seite geworfen und ge-
1 Naturen.
i Waiden.
I . O'iaimi fiom
IMVBtSrTYOFMCHKM
— 397 —
sagt hast: Er wäre nicht ehrlich. Ich bitle Sie, Herr Obrist-
wachtmeisler, wenn sie mir versprechen, daß Sie mir kein
\rest geben wollen. Der Major sa^te hierauf: Sage her, mein.
Sohn, es soll dir nichts geschehen. Der Soldat sagte hierauf:
Den Crcutzbauer, welchen ich auf die Seite ^elejft und gesagt
iabc, er ist nicht ehrlich, das ist der Feldwebel : welcher hier
steht, und mich verklagt hat. Der Major freude sich über das
Verstand des Soldaten, zog eine Geldbörse aus <h;r Tasche
heraus und schenkte ihm 6 Luisdor, da mein Sohn trinke
ueine gesundheit, du bist der allerpolilische Windbeutel, so
ich gesehn habe. Ich keime viele Leute die vieles in der
Karte studiert haben. Es ist Ihnen altes unmöglich, was du
mir anjetzl gesagt hast.»
Ueber die Herkunft des Blattes konnte ich weiter nichts
erfahren, als daß die Besitzerin es immer als Eigentum ihres
längst verstorbenen Vaters kannte und da sie selbst die Siebzig
überschritten hat, so gehört dasselbe wohl sicher in die erste
Hälfte des 19. Jahrhunderts. Der Schrift nach möchte ich es
zwischen 1820 und 1840 setzen, soweit hier ein Urleil gegeben
werden kann.
Die Erzählung: ist durch eine Untersuchung Boltes 1 ins
Licht der Volkskunde gestellt worden. Nach seinen Ergebnissen
(luden wir eine Fülle Rezensionen in französischer, englischer,
schwedischer, dänischer, isländischer, deutscher, niederländischer,
«panischer, portugiesischer und italienischer Sprache. Allein von
der deutschen Fassung zählt er acht verschiedene auf, teils ge-
druckt, teils handschriftlich, alle mehr oder weniger übereinstim-
mend. Sic stammen mehrfach aus Handschriften von Soldaten,
dann aus der Volksüherliefernng 2. P. Rügens, Mecklenburgs und
Ueslerreichs \ zwei sind gedruckte Flugblätter, das eine aus Bre-
men, um 1875 geruckt, das andere wahrscheinlich zwischen 1805
und 1811 in Hannover gedruckt. Von den bei Bolte ge^abenen
deutschen Rezensionen weicht die unsere in einigen unwesent-
lichen Punkten und im Ausdruck hie und da ab. Bolte weist
auch das Aufkommen dieser geistlichen Deutungen des Karten-
spiels bereits im 15. Jahrhundert nach. *
Bolte hat zu diesen Zahlenspielereien auch mit Recht die
sogenannten Sluiuienlieder mit geistlicher Deutung verglichen.
Auch diese sind im Elsaß bekannt gewesen. Die alte Hanauer
Agende von 1659% die der Buchsweiler Superintendent G.
Wegetin besorgt hat, bringt im ersten Teil, S. 70 ö., in der
Anleitung zur sonntäglichen Hausandacht die Hede auf das
Spiritiiale Horarium, das geistliche Uhrwerk aus des Gerhard
» Vgl. Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 1901, XT, 376-40G.
I ,
UNWRSITYOFMCHIGAN
— 388 —
Schola Pielalis I. 2 c. 8 medit. 8. Es heißf dort zum Schlag
Eins: cWanns Eins schlaf / so betrachte in deinem Hertzen:
dal) ein einiger Gott sey / welchen wir ehren J vnd Jhm allein
dienen sollen. Daß ein einiger Miller zwischen Goll vnd den
Menschen sey / nemlich der Mensch Christus Jesus / welchem
wir durch Glauben vnd Liebe sollen anhangen. Daß ein Geist
sey j welcher alle geistliche Glieder am Leib Christi zusammen
verbindet f vnd dieselbe zu allem guten treibet» u, s. f. durch
alle 12 Stunden. Auf S. 78 folgt dann eine ähnliche «Tajrs-
stundenbetrachtung genommen auß dem schoenen Nürnbergi-
schen Mevrgeistreichen Handbuch», welche Wegelin, da sie
manches andere bietet, auch ausführlich dort beisetzt. Sie
schlieft mit den Worten: «Vnd also sihest du f mein lieber
Christ ' was für schöne erinnerun^ du bey einer jeden Stund
haben kanst f wirst du solcher anweisun* nachkommen . s>
wirst du eine jegliche Siund wol anwendeni (S. 8fi).
Frne solche Betrachtung, verbunden rnii. dem Kartenspiel
und der Kahmenerzählung von dem klugen Soldaten, ist unsere
Erzählung.
, O'iaimlfrom
' v " INIYRSITYÖFMCHIGA'1
XIX.
Sagen und Volkstümliches
aus Weitersweiler und Umgebung 1 .
Von
Adolf Jacoby- Weiters weiter.
1. Von der Pestzeil 1629.
Es war im Jahre 1629, da wütete auch in Weitersweilei
die Pest und raffte eine große Men^e Leute hinweg. Das noch
erhaltene Kirchenbuch, berichtet von nicht weniger als 65 Todes-
fällen, bei denen durchweg steht: pesle obiit. Bis heute wird
von den Alten den Jungen erzählt, was auch Pfarrer F. A. Hirt
(1835-43 am Ort) im Protokollbuch der Pfarrei aus denn Munde
der Bevölkerung niederschrieb: «Eine Anecdole, die noch be-
kannt ist und die zur Zeit der furchtbaren Pest 1629 allhiei
sich zugetragen, verdient bemerkt zu werden — da die Zahl
der Toten zu häufig wurde und niemand mehr dieselben tragen
wollte, verfertigte ein Wagner allhicr ein dazu bestimmtet
Wägelchen, um die Toten darauf transportieren zu können.
Kaum war dieses Fuhrwerk fertig, so starb der Wagner, war
der ersle und auch der letzle, der auf seinem Wägelchen trana-
portirt wurde — nach seinem Tode hatte die Pest gänzlich
aufgehört». Das Kirchenbuch weiß freilich nichts von dem
Tode eines Wagners, als die Pest ein Ende hatte.
1 Für einige Uitteilungren bin ich Herrn Lehrer Winter in Wer
tewr eiler zn Dank verpflichtet
C~' i \,\ •] - O'iomil fiom
IMVBtSrTYOFMCHKM
— 330 -
2. Wie Weilersweiter zu seine in Namen kam.
In alten Zeile», niemand weiß mehr wann, war in Lutzel-
stein ein Missionar, der wollte wandern und sich anderwärts
niederlassen. Wenn ihn nun die Leute fragten, wo er hin
wolle, so antwortete er: Witterten will ich! Als er fort war
und dio gleiche Frage nach dem Ziele d«s Missionars laut wurde,
**o war stets die Antwort derer, die zuerst gefragt hatten:
Witlerseh will er, hei er gaaal. So kam der Ort, an dem sich
iler Missionar niedergelassen hatte, 2u seinem Namen (Weiters-
weiler- Witlerschwiller, mundartlich).
3. Vom schwarzen Hund*.
Es ging einmal in der Hinlergasse eine Frau zu einer
Wöchnerin. Unterwegs gesellte sich ein schwarzer Hund zu
ihr und yeht mit. Zunächst erschrickt die Wöchnerin im Bell,
als sie den Begleiter der Besucherin sieht, beruhigt sieb dann
aber, als man ihr sagt, das Tier lue nichts. In der Tat lejzt
es sich Ullters Reit und ist noch mehrfach gesehen worden, bis
das Kind getauft war; dann verschwand es.
Dio Taufe hat bekanntlich geisterbannende Kraft im Volks-
glauben, während das ungeUufte Kind den Geislern ausgesetzt ist.
4. Der bekreuzte Teig 1 .
Zu der Sitte, den Teig zu bekreuzen, die z. B. auch Pröhle,
Kirchliche Sitten 252, ferner Hintz, Die gute alte Sitte in Alt-
preußen 108 erwähnt, wird in der Gegend Folgendes erzählt:
Man muß in den Teig ein Kreuz machen, damit die kleinen
Wichte, die Erdgeister, darin arbeiten und den Teiy so c hallen»
machen. Ein Herr fragte einmal seine Magd darnach, was sie
tue, als sie den Teig bekreuzte. Die Magd erklarte ihm die
Sitte wie eben erzahlt. Der Herr wollte das aber nicht glauben
und verbot ihr, das nächste Mal ein Kreuz auf den Teig zu
inachen. Die schlaue Dirne ließ aber auch den Sauerteig aus
der Masse und in der Tal, der Teig ging nicht. Das nächste
Mal, ^agte drauf der Herr, solle sie ruhig wieder das Kreuz
machen ; die Sitte war geretiet und gerechtfertigt.
5. Der schwarze Mann im Daumen tal.
Im Daumcntal bei Dosscnhcim * t rufen Wanderer öftere
einen großen Mann, so schwarz, daß ihm das Weiße in den
Augen hell leuchtete. Der mußte dort gehen und neckte und
1 Vgl. den vorigen Jahrgang S. 1Ö0 Nr. 9.
* Vgl. den vorigen Jahrgang S. 104 Nr. 18.
s Vgl. Bd. XXV, S. 97 Nr. 6.
I . O'iqim fiom
UNWRSITYQFMCHISjM
— 331 -
quälte die ihm Begegnenden. Man hörte ihn auch oft murmeln :
L'f mim Eijetumsbode ! (auf meinem Eiüentumsbode.i». Zog
man aber die Kappe ah und stellte sich drauf, sc war man vor
ihm sicher.
Augenscheinlich steht der Spruch des schwarzen Mannes
in Beziehung zu dem Mittel, vor jlini sich zu schützen . wer
auf seiner Kappe steht, sieht auf Eigentum. Dieser Zu»; der
3age ist, wie ein Blick in Grimms Deutsche Myltiologie lehrt,
bekannt aus den Erzählungen vom wilden Jäger.
6. Der Wunderdoktor.
In Obersuhbach war ein Mann, der nun schon seil Jahren
tot ist, von dem man sich noch heute allerlei Wundericuren
^P7ählt, denn «er konnte etwas». Einmal mitten in der Nacht
gegen 12 Uhr fuhr eine Kutsche nei ihm vor. da sollte er mit-
fahren, um seine Kunst hei einem Leidenden zu Oben. Er ging
erst mit, als man ihm mit heiligen Eiden geschworen hatte,
daß er unversehrt zurückgebracht würde. In rasender Fahrt
gin^s dann über Stock und Stein, bi» sie vor einem heller-
leuchteten großen Schlosse hielten, in das er mit rerbunJcoen
Augen geführt wurde. Als man ihm die Binde abnahm, war
er in einer Gesellschaft, die um ein junges Mädchen versammelt
war, das hatte überm lustigen Spiel so gelacht, doß es den
Krampf in die Kinnbacken bekommen, Die sollte er heilen.
Er sagte : «Nicht» leichter als das» und ließ alle zurücktreten,
stellte das Mädchen hin in die Mitte des Zimmers, hinter sie
einen Stuhl, und sprach: cWenn ich auf drei gezählt habe, so
setz' sie sich». Er zählte und als sie auf drei niedersaß, zog er
den Stuhl schnell hinter ihr weg, daß sie zu Boden üel. Aus
Schrecken schrie sie auf und der Krampf war vorbei. Reich
belohnt wurde der kluge Mann wieder heimgeführt, hat aber
nie erfahren wo er in jener Nacht war.
7. Die Lau rin g seh la n ge 1 .
Zu dieser Sage, die im vorigen Jahrgang mitgeteilt wurde,
gibt e9 außer andern auch eine Form, die sich an die Ruine
l,üt2elburg knüpft. Das verwunschene Burgfräulein wartet
dort auf die Erlösung. Wenn eine auf dem einen Turm
wachsende Birke so stark geworden ist, daß aus ihrem Holz
« Vgl Bd. XIV. 101 Nr. 11. Ant. Panzer. Bayerische Sagen 1, 177 ;
II. 198 ff. Zur Lätzelburger Sage vgl. auch Straßburger Post 1910,
Nr. 5S4. Sic Ist bereits Luther bekannt gewesen, der in den Collo-
qaia oder Tischreden durch Johaanem Aurifabern 1574, Bl. 213,
die Lützclburgcr Melusins nennt.
r
(~~ .\ » •! - O'ioinil fiom
UNWffiSITYOFMCHIGAN
— 332 —
eine Wiege gemacht werden bann, dann ist die Enösungsülunde
nabe. Aber noch stets bat der Sturm die Birke geknickt,
wenn sie anfing, stark zu werden ; doch schlagen die Wurzeln
stets neu aus. Besonders interessaut ist dabei, daß die Junj:-
frau auch «Melusins» genannt wird. Den Zug dieser weitver-
breiteten Sage, nach dem aus|dem Holz eines jetzt noch als jung«
Bätirnchen stehenden Stammes die Wiege des künftigen Erlöser»
gemacht werden wird, kl, wie "Weinhnld hemerkt hat, den mittel-
alterlichen Adam- und Kreuzbolzlegenden entlehnt '.
Kerner wurde mir folgende Variante *as Neuweiler mit-
geteilt: Ein Hirle schlief nachts draußen ein. Da erschieß
ihm eine weiße Jungfrau und hieß ihn, ihr folgen. Cr würde
an eine Truhe gelangen und auf dieser eint: Schlange sehen.
solle sich aber nicht fürchten \or dem Tier, sondern die Truhe
mit einem Schlüssel, den sie ihm gab, aufschließen. Das Tier
könne ihm nichts tun, es würde auch nicht sein Schade
sein und sie wü'de erlüäl. Es geschah, wie sie sagte. Die
Jungfrau führte ihn in einen Keller der Hüneburg, wo die Truhe
stand und die Schlange dsrauf. Aber als der Mann das Schlot
öffnen wollte, da zischte das Ungeheuer so stark, daß er vor
Schreck den Schlüssel fallen ließ und davonlief. So muß die
Jungfrau weiter warten.
Ö. Der Hessenberg.
Gegen Lütgelslein hinauf liegt nicht weit von Weitersweilei
der Ernberg, der auch Hennenberg und Hessenberg genannt
wird. Der letzte Name rührt daher, daß dort im Kriege des
großen Napoleon einmal durchziehende Hessen lagerten. Die
alten Leute erinnern sich noch, daß man im Dorfe davon er-
zählt«, wie die Einwohner den Hessen das Essen bringen
mußten, vor allem Pfannenkuchen, die jene mit besonderer
Freude Versehrten.
9. Der Glockenba um*.
Als im dreißigjährigen Kriege die feindlichen Soldaten dei
Gegend nahten, da haben die Mönche der Abtei Neuweiler die
silbernen Glocken ihres Gotteshauses zwischen Neuweiler und
Weitereweiler in einer bohlen Eiche versteckt. Den Baum
nannte naen den Glockenbaum. Der Blitz hat ihn später 2er-
schmettert, aber die Gegend behielt den Nomen «am Glocken-
baum». Dazu hat Herr Lehrer Winter, a. a. 0., die Lichten-
1 Zeitschrift des Vereins für Volkskunde I, 2.
' Vgl. Elsaß-Lothringisches Schutblatt 1510 Nr. 6, 116.
f~\ . » •! - O'igim fi?m
UNWffiSITYOFMCHIGAN
- 333 -
berger Variante gesetzt ; Im dreißigjährigen Kriege versenkten
die Mönche des Tierkirchleins, das zwischen Lichtenberg und
Injrweiler liegt, ihre lwei silbernen Glocken, als der Feind nahte,
in einem Brunnen im Tal. Die Mönche, deren Kloster zerstört
wurde, konnten ihre Glocken nicht mehr holen, aber heute
noch heißt Her Brunnen cGlockenl>runacn>, das Tal «Bröder-
tal». In pchönen, klaren Nächten hel>cn sich die Glocken
zum Brunnenrand und werden sichlbar; ja, einige wollen sie
sojrflr schon gesehen haben. Zu diesen Glockensagen \gl. Zeit-
schrift des Vereins filr Volkskunde VII, 113, 270, 868 ; ins-
besondere 270 ff. Moscfaerosch nennt die Soldaten seiner Zeil aus-
drücklich : in caropanis auferendis expediiissimi (Gesichte
Philanders von Sittev/sld II, 6).
10. Nachweinen.
Einer Frau in Obersulibach war der Mann gestorben und
bereits drei Taue im Grab. Da wachte sie morgens um 5 Uhr
auf — die Kirchenglecke schlug gerade zu der Stunde — und
hörte dreimal ans Fenster klopfen. Es wnr heller Mondschein,
trotzdem sah sie niemand, als sie zum Fenster hinausschaute,
weil sie meinte, ein Nachbar klopfe. Am Morgen ging sie zu
ihrer Göltet, die ihre Beraterin war, und fragte diese um ihre
Meinung über das geheimnisvolle Erlebnis. Die erkundigte eich,
r»b sie noch den Tolcnbaum (Sarg) schuldig sei. Das war nicht
der Fall, So solle sie still sein : «Huck stille unn steer'm
d'Rüj nit I» (Mir als tatsächliches Erlebnis mitgeteilt.)
Vgl. dazu Hochbolz, Deutscher Glaube und Brauch 1,207.
Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde I, 62.
U, 251. Grimm. Deutsche Mythologie* 884. W. Möller und
SultainbacJi, Niedersäclis. Sagen 133. y. Schulenburg. Wen-
dische Sagen 237 f. Zeitschrift des Vereins fnr Volkskunde
IV, 456.
11. Von einem Hexenmeister.
Gegen Ende des vergangenen Jahres 1909 erzählte mir ein
Mann aus Obersulzbach eine Anzahl Geschichten von einem
verkommenen Menschen aus Ingweiler, den er den «Brauerle»
na ante und der nun längst tot sei. Der Brauerle «konnte»
allerlei. So will mein Gewährsmann in seiner Jugend ainnial
Zeuge folgenden Erlebnisses gewesen sein. Kr saß eines Tages
mit dem JBrauerle zusammen im Haag sehen Gasthaus. Da sah
der Brauerle durchs Fenster einen Bauern, der auf der Straße
dahergefahren kam, und sagte : Der will jetzt nach der Rau-
schenburg ; ich spiel ihm jetzt einen Spuk. Als der Wagen
f
I . O'iQJnjtffom
UNWRSnYÖFMCHI&M
— 334 —
gerade an dem Wirtshduse durchfuhr, blieb das Pferd plötzlich
siehen und war nicht mehr von der Stelle zu bringen, wie
wenn es einen Fuß übertreten oder gebrochen habe. Der Be-
sitzer girier um das Tier herum, trieb es an, aber umsonst.
Jetzt wollte er dem Tierarzt eine Depesche schicken und meinte
dabei : Zehn Mark gäbe er, wenn das Tier gesund wäre. Der
Brauerle war inzwischen auch hinaus an da« Gefährt getreten
und nahm den Kauern gleich beim Wort, indem er sich an-
heischig machte, das Pferd wieder in Ordnung zu bringen.
Ale er die zehn Mark hatte, ging er um das Pferd herum,
hieß den Bauern aufsitzen und sprach: Jetzt haltet den Gaul
gut, denn er geht mit euch durch. In der Tat, das Tier ging
so rasch davon wie nie zuvor.
Her Brauerle hat auch einmal einem Flöhe angezaubert.
Kaum war der aus dem Zimmer, su lief er voll Ungeziefer und
mußte sich bis aufs Hemd ausziehen, um sich zu reinigen.
Andere sayen freilich, es sei kein Hexenwerk gewesen, daß
man vor einem Besuch beim Brauerle Ungeziefer mitbrachte.
12. H e xen g I a übe.
Bei kleinen neugeborenen Kindern kommt öfters die
merkwürdige Erscheinung vor, daß die ßrüslchen schwellen
und aus den Warzen etwas Milch absondern. In kurzer Zeit
verschwindet diese Absonderung wieder. Nach dem Volks-
glauben trinken an solchen Kindern die Heien 1 . Im Oktober
1908 kam mir ein solcher Fall vor und dabei wurde mir Fol-
gendes erzählt. Das Kind habe die iMilchsusscueidung daher,
daß während die Mutter schwanger ging, aus einem bestimmten
Hause einmal Käse geholt wurde. Die Frauen jenes Hauses
aber seien Hexen und durch den Käse, den die Mutter während
ihrer Schwangerschaft genossen habe, seien die Hexen über
das Kind Herr geworden ; daher die Geschwulst der Brüstchen
und oie Absonderung der Milch. Zur Bestätigung dessen sollte
dienen, daß, als die Frau des Erzählenden noch ein Kind war,
das eben anfing zu reden, jene Hexe einmal ins Haus kam
und das Kind «beschritt : cAch das schöne Kind, das schöne
Kind! Gott behüt's, Gott behüt's !• Kaum war sie fort, so
wurde die Kleine unruhig. In der Nacht um 12 Uhr wollte sie
yai übet- den Rand des YYayens, in dem sie lag, hinaus.
Mehrere Nächte ging es so fort. Auf den Rat eines Nachbarn,
der sich darauf verstand, stellte man neben die Tür auf jede
" Vgl. Ploss-Bartels, Das Weib.
, , . I , O'igimlfiom
l " UNWRSnYQFMCHI&M
— 33ö —
Seite je einen neuen, ungebrauchten Besen 1 und tat darauf je
drei Handvoll (oder Körnchen ; der Berichtende wußte das
nicht mehr genau) Salz; ins Schlüsselloch steckte man ein
Messer. Jetzt konnte die Hexe nicht mehr herein. Um Mitter-
nacht klopfte es, Irotzdern das Hofior fest verschlossen war,
ans Fenster. Es war die Hexe ; hätte man das Fenster ge-
öffnet, so wäre sie herein gekommen. Man merkte zunächst
an dem Kinde nichts; plötzlich fing die Unruhe wirr: er an :
durch eine zerbrochene Scheibe hatte die Hexe doch Zutritt
gefunden. Aber an dem Messer indem Schloß blieb sie schließ-
lich hängen und fing sich als Holzspan, doch entwischte sie.
Als Holzelück polterte sie die Treppe hinunter und zur ge-
schlossenen Tür hinaus.
Als sie einmal zu Leuten' kam, die butterten, wollte sie
unbedingt die Butler betupfen. Die Fol^e war, daß die Butter
jede Woche um ein Pfund abnahm und schließlich wie «Ab-
tritt» wurde, au d*3 man sie wegschütten mußte.
Bei einem andern war eins der Kinder carmselig», jede
Nacht so unruhig, daß es an den Wanden hinaufwollte. Oefters
rief es dabei cs'Kätsel lejt uff m'r, s'Kfitzel druckt mich u.a.».
Seitdem hat das KinH je und je eine Brustfellentzündung.
Auch ein Mnr (Mutterschwein) litt eines Tages heim gleichen
Bauern an solcher Unruhe, daß sie die Wand im St: 1 em-
por wollte und schließlich auf dem ebenen Boden beide Hin-
terbeine brach, daß sie pe«chlachtet »erden mußte. Die Hex/^
hatte sie geritten.
13. Ein Volkslied (Weite rsweiler).
Alles was auf Erden schwebet
Kommt von einer Taube her.
Tfiube ist ein schönes Tier,
Tauten, die gefallen mir
Tauben, die gefallen mir*, Tauben die gefallen
[mir, die gefallen mir.
Morgens früh um halb acht Uhren
Steh ich aus meinem Hettlein auf
Seh, was meine Tauben machen,
Ol sie schlafen oder wachen,
Ob sie auch noch alle, oh sie auch noch alle,
[bei dem Leben sein.
I Wann mau einen neuen beseen uuibgekehrt Itiuler die liauO-
tliier stellet, eo kau kein hex hinein noch hinaus. Abb. der Wiener
Akad. der Wiss. 1900, Sehönbach S. 152.
I > O'iainil fiom
UNWRSITYOFMCHIGAN
— 386 -
Daraul kommt die Mittagsstunde
Fliegen sie um Nahrung aus.
Ach wie ist mir (so) angst und web,
Weil ich keine Taub' mehr seh,
Weil ich keine Taub', weil ich keine Taub*
[weil ich keine Taub' mehr seh.
Abends spät da kommen sie wieder.
Freunde haben sie mitgebracht.
Kehren sie wieder bei mir ein,
Daß sie möchten sieber sein,
Daß sie möchten sieber, daß sie möchten sicher
[vor dem Stoßvogel sein.
Handschriftlich aus der Gegenwart. Vgl, Zeitschrift des
Vereins für Volkskunde XVIII, 85.
14. Volk? medizinisches.
1. Um Muttermale bei einem Kinde zu vertreiben, muß
man die Stellen mit der blutigen, frischen Nachgeburt einer
Wöchnerin einschmieren, die einen Knaben geboren hat. Das
Mittel wurde in der Tat im vergangenen Jahre angewendet,
aber ohne Erfolg.
Vgl. Knoop Volksaageu, Erzählungen usw. aus dem öst ■
liehen Hinterpommern (1836) S. 156 Nr. 3: Da3 Muttermal
kann die Hebamme gleich bei der Entbindung vertilgen; sie
muß die Stelle, noch ehe es sonst jemand gesehen hat, mit
der Nachgeburt bedrücken oder bestreichen.
2. Zur Vertreibung von Halsschmerzen und Erkältungen
gräbt man Regenwürmer aus und bindet sie in ein Tuch, das
dem Leidenden um den Hals gewickelt wird. Das Tuch muß
solange bleiben, bis die Würmer abgestorben und schwarz <*e-
worrten sind.
"Vgl.: wenn einem ein alter Schade gar nicht heilen will,
so nehme man lebende Hegenwürmer und binde sie über den
Schaden, wechsle aber mit den Würmern fleißig ab (Tirol:
Zeitschrift des Vereins für Volkskunde VIII, 187).
Gcpen Erkältungen Li T unfehlbar eine Kohlraupe, die in
ein Säcklein genaht um den Hals gehängt wird, jedoch darf
der Patient den Inhalt nicht kennen. Nacb zwei bis drei Tagen
.-stirbt die Raupe und der Kranke gesundet (Pirmont, nach
Frederic Casfiglia).
3. Gegen gewisse Ausschläge an Kindern wird Tee Yon
«Hasenliolleu», den Exkrementen der H:isen und Kaninchen
gekocht und dem Kind eingegeben.
I . O'iQJnit fiom
UNWRSITYOFMCHIGAN
- 397 -
4. Ist einem ein Fremdkörper ins Auge geflogen, so soll
man drei Mal übers Auge streichen und sprechen :
Liewi wissi Frau,
Nimm mr des Ding üs m Au.
(Liebe weiße Frau,
Nimm mir dies Ding aus dem Auge.)
ß. Gegen Gliederweh nimmt man einen Kuckuck, tut ihn
vollständig in einen neuen, ungebrauchten Hafen und ver-
schließt diesen oben vollständig. Dann stellt man das Gefäß ins
Feuer, bis der Vogel au Pulver gebrannt ist und nimmt von
der Asche in Wein oder Milch gemengt ein.
Vgl. das gleiche Mittel gegen Podagra und Gliederreißen
in Tirol: Zeilschrift des Vereins für Volkskunde VIII. 168.
fielen fallende Sucht : Zeitschrift fiir deutsche Mythologie lind
Sittenkunde III, 266. Es ist dasselbe Mittel, das nach den
cJugenderinnerungen eines alten Mannes (Wilhelm von Kü-
gelgan)» 5. Teil c. 2 «Geheime Eisten. kraft» der Pastor Roller
aus Lausa anwandle, nur daß er eine Elster benutzte.
6. Bei Verbrennungen soll man rasch mit der gebrannten
Stelle hinters Ohr fahren ; der Schmers Lört sofort auf.
Iß. Bräuche und Glauben.
1. Auf der Unterseite eines frischen Brotlaibs, den (nun
anschneiden will, macht man ein Kreuz mit dem Messer. Ob
heute noch die Sitte lebendig isl in Weitersweiler, konnte ich
nicht feststellen, wohl aber, daß sie im Elsaß noch vorkommt.
Vgl. über einen Brotlaib soll man drei Kreuze machen,
ehe man ihn anschneidet, dann dauert er länger (Panzer,
Bayarische Sagen I, 267).
Wenn man einen Laib Brot anschneiden will, so mache
man zuerst auf der untern Seite mit dem Messer ein Kreuz,
sonst gehört dasersfe Stück davon dem Teufel (Niederösterreich :
Zeitschrift für deutsche Mythologie und Sittenkunde IV, 148).
Ehe man ein Brot anschneidet, macht man mit dem Messer
über demselben oder auf der Rückseite drei Kreuze ; es ver-
schlägt dann mehr.
Wenn man nimmt ein Irisches Brot,
So ist es die- höchste Net,
Daß man erst mit Vorbedacht
Mit dem Messer ein Kreuze macht.
Hints, die gute alte Sitle in Altpreußen 100.
22
I . O'iaimlfiom
UNWRSnYQFMCHISjM
— 336 - '
Für Sachsen bezeugt durcb Piöhle. kirchliche Sitte 262.
2. Man darf ins Brot nicht mit dem Messer stechen, da
man sonst dem Heiland ins Herz stiehl.
3. Wenn ein Kind unruhig ist, was man auf Verhexung
zurückführt, so legt man zwei Messer gekreuzt auf den Tisch ;
das vertreibt die Hexen und macht sie unschädlich.
4. Eine Schwangere soll man nicht als Palin nehmen \
es könnte dem Kind schaden.
Vgl. Lambs, üeber den Aberglauben im Elsaß (1880) S, 43.
Knoop, a. a. 0., 157 W. 18; Schwangere dürfen bei
Mädchen nicht Gevatter stehen, sonst lileibt das Mädchen nicht
ehrlich .*
Schönbach, Studien 2ur Geschichte der altdeutschen Predigt
in Abhandlung der Wiener Akademie der Wissenschaften,
Phil.-hist. Klasse, Bd. CXL1I (191)0), Ahh. VII. S. 152,
Wiener Hd. 11, 821 (17—18. Jahrhundert): «Wann ein
schwangen* frau ein kindt über tauff trägt, so muß das kindl
bald sterben. »
6. Wenn eine Frau ins Wochenbett gekommen ist, sc
bringen diejenigen, die bei dem Kind gern Patenstelle über-
nehmen möchten, der Mutter Zucker, Katlee und ähnliche
Gaben. Dann weiß die Mutter, wer Pale sein möchte.
Die weit verbreilete oitte ist sehr all und wird 2. B.
in allen Proklamabüchern des Egerer Stadtrats schon 1087 und
1692 erwähnt aUetierscIiiokuug der Victuelien in das kiade-
betlh» vgl. Zeitschr. d. Ver* f. Volkskunde VII, 395.
6. In Obersulzbach stellen in der Nacht zum 1. Mai die
Burschen den Mädchen und Wirten Maien. Sie holen in den
vorhergehenden Nachten im Walde junge Tannen und plündern
unter dem Schutz des Dunkels die Gärten. Mit den Rlumei
schmücken sie die Bäumchen und befestigen diese in der Nach!
zum 1. Mai auf dem Hoftor oder am Dach des Hauses, u«
ihre Mädchen wohnen. Doch ist die erste Arbeit der Mädcher.
am Morgen, die Maien wegzunehmen, um neugierigen Frager
und Neckereien aus dem Wege zu gehen. Dagegen bleiben die
Maien der Wirte.
7. Wer mit Verstand Sünden und Unrecht tut, der wird
nach dem Tode schwarz. 5o ist ein Bangert, der unrechte
Protokolle machte, als ei siarb, ganz schwarz geworden. Kinder,
die ohne Versland sündigen, iriffl diese Strafe nicht.
8. Warum die Dorfbaien usw. verschwinden, erklärte ein
aller katholischer Knecht aus Dettweiler mit den Worten: Der
Papst Pins IX. hell mit'ra Herrgott geredt nnn hett'm gsail :
Wenn d'se strofe will, so strof se in dr andere Weh, aber
loß mr se do nit e so rumlaute. Vgl. Jahrbuch 1919, 104,
C , , v - I - O'igim fern
UNWERSITYÜFMCHIGAN
— 339 —
9. In der Christnacht kann man das Wetter für das kom-
mende Jahr erraten. Man sehneidet eine Zwiebel in zwei
Hälften und nimmt die einzelnen Lagen auseinander, die dann
eine Art Schüsselchen bilden. Dabei beginnt man mit einer
Hälfte in der Mille und legt nun die Lagen, die immer grüßer
werden, bis man sechs hat, nebeneinander; dann nimmt man
die andere Zwiebelbalfle, beginnt mit den äußeren, großen
Lagen und legt sie nebeneinander, wie sie immer kleiner
werden, wieder sechs. Die zwölf benennt man dann nach den
Monaten und schüttet in jedes Schüsselchen etwas Salz. Nach
12 Uhr in der Christnacht zeigt sieb, dann daran, 'ob das Salz
trocken geblieben ist oder feucht wurde oder gar zerlief,
wie das Wetler in dem betreffenden Monat wird, ob dürr oder
naß. Der Brauch wird noch vielfach geübt.
Auch werden die sogenannten Loslege zwischen Weih-
nachten und EpiphGiiicn beobachtet, um die Wetterprognose zu
stellen.
Für die weite Verbreitung solcher Gebrauche vfrl. z. D.
aus Qazwini (Uebers. von Ethe I, 160/61) : Die Landleute hei
den Persern nehmen 7 Nächte vor Aufgang des Sirius (Hunds-
stern) eine Tafel und säen darauf die verschiedenen Arten von
Körnern. Sobald min die Nacht erscheint, in der der Sirius
aufgeht, legen sie diese Tafel oben auf einem Dach an einen
hohen Punkt, zwischen dem und dem Himmel nichts da-
zwischen liegt. Was nun am nächsten Morgen davon grün ist,
das wird in diesem Jahr gedeihen, was aber am Morgen bleich
ist, wird in ihm \erkommen, — Am 12. Tarn uz ist der erste
Tag der Entscheidung für das Jahr. Jeder Monat entspricht
im Wetter einem dieser Entscheidua^stage.
, O r ic
' v " IINIYRSITYÖFMCHIGA1
XX.
Tagebuch Ludwig Spachs
über seine erste italienische Reise 1825 — 1826.
Herausgegeben von
0. Win ekel mann.
Vorbemerkung dos Herausgeber a.
Beim Ordnen des handschriftlichen Nachlasses der beiden
Brüder Ludwig und Gustav äpach in der Straßburger Stadt-
bibliothek stieß ich unter anderm auf einige Tagebücher Lud-
wigs aus seinen Jugendjahren. Die Aufzeichnungen umfassen
die Zeit vom 3. September 1826 bis zum 10. Februar 1826 —
allerdings mit einer Lücke vom 22. Oktober bis 18. Dezember
— i rieclcert sich also zum Twl mit Spachs Autobiographie, die
X. Kraus vor einigen Jahren in dieser Zeilschrift veröffentlicht
hau. Ein Vergleich ergab sofort, daß das Tagebuch hie und
da fast wörtlich mit der Lebensbeschreibung übereinstimmte, also
zweifellos bei deren Ausarbeitung zu Grunde gelegen halle. Nur
bricht die Biographie leider gerade dort ab, wo der Verfasser
sich anschickt, über seinen ersten Besuch Italiens zu berichten]
der ihm so viele neue und tiefe Eindrücke vermittelte. Die
Bekanntgabe der anschließenden Teile de.- Tagebuchs dürfte
daher nicht ohne Interesse sein. Die Aufzeichnungen sine
anfangs ziemlich knapp und nüchtern, werden aber bald immer
lebendiger und ausführlicher, je weiter der für Kunst und Natur
i Jahrgang XV, 4&-88, XVI, 93-138, XVII, 182—224, XVTJI,
42-108.
i"^ . u-iln 0'ioiml fiom
UNWRSnYQFMKHI&M
- 341 -
so überaus empfängliche Verfasser in das Land seiner Sehnsucht
eindringt. Natürlich lesen sich die flüchtig hingeworrenen
Nolizen nicht so fließend und angenehm wie die sorgfältig aus-
gearbeitete und stilisierte Selbstbiographie; dafür haben sie aber
den Vorzug, die Eindrücke des Beisenden ganz unmittelbar und
unietuschiert wiederzugeben. Vielleicht sind auch für den
Kunsthistoriker manche Angaben des Autors nicht ohne Wort.
Ueber die äußere Beschaffen faeit des Manuskripts will ich
nur kurz bemerken, daß der erste Teil, vom 3. September bis
21. Oktober 1825 reichend, aus einem starken Oktavheft mit dem
allen Originulpappdecbel "besteht, während der zweite Teil, der
im nächsten Jahrgang gedruckt werden soll, vom 18. Dezember
bis 10. Februar (1826) geht und ein dännes Quartheft umfaßt.
An ihn schließ! sich ein drittes Heft, das die Zeit vom
9. Februar bis zum 6. Mai 1836 hehandelt und der Straßhurjjer
Universiläts- und Landesbibliothek gehört. Sehr flüchtig und
großenteils mit Bleistift geschrieben, dürfte es der Entzifferung
so große Schwierigkeiten bieten, daß auf eine Wiedergabe besser
verzichtet wird.
In den sachlichen Erläuterungen zum Text, der völlig un-
verkürzt gegeben wird, habe ich mich auf das Alleraotweodigste
beschränkt. Im allgemeinen möchte ich nur kurz daran erinnern,
daß Spach die Reise als Hauslehrer und Begleiter der gräflichen
Fanülie Saint-Aulaire unternahm '. Die dadurch bedingte Ab-
hängigkeil hat schwer auf ihm gelastet, wie so mancher Stoß-
seufzer und so manche bittere Bemerkung zeigt.
Bellinzona > 26. September Morgens.
Zu meinem 25sten Gehurtstap; erwache ich in Italien. Ob
zu meinem Glücke? — ich hin unwillig gestimmt ; meine Jugend
ist genuülos verflossen ; hier, wo alles Genuß ist, fühle irrh's
doppelt. Die reine heitre Luft, der Spaziergang im Städtchen,
auf eines der drej aiten Schlösser, die Brücke des Tessics, der
Ueberblick der drey hier zusammenstoßenden Thäler zeigt mir
genug, um überzeugt zu sein, daß ich allein oder mit meinen
Brödern genußreiche Tage hier leben könnlc.
Die geographische Lage von Beilenz leuchtet mir jetzt
ganz klar ein j ich sah die zwei Wege südlich nach Lugano
und Locarno, nördlich den doppelten Einschnitt ins Leventincr
und Misoxerthal. Vom westlichen Schluß herab lief ich durch
« Vgl Jahrgang XTU, S. 43 ff.
■ Ueber die Reiseerlebnisse vor der Ankunft in Bellinzona vgl.
Jahrgang XVIII, «2—108.
f
. . I . O'ioJnilFiom
,V 'U«JK UNWRSnYöFMKHI&M
— 342 —
BebgUrlen an dieTeasinerbrßcke ; das Morgenlicht ruht herrlich
auf den fruchtbaren Gebirgen und schimmert blendend von den
weißen Dörfern ab. Das ganze Thal ist durch Bellinzona und
seine drey auf eben so viel Hageln liegende Schlösser versperrt ;
das westliche ist das niederste, das östliche das höchste. Genug
italienische Gesichter sind mir schon aufgestoßen ; die Frauen
tragen schon schwarze Schleyer; schöne sind mir keine aufge-
fallen.
Im Wirlhshaus selbst mag es der Henker aushalten, oder
wenigstens muß man die Augen schließen, nicht auf den Boden,
nicht an die Wände sehen; über alIen™BegrifT ist das unreinlich.
Skorpionen habe ich noch keine andre gefunden, als den in
der eignen Brust; das Mutiergotiesbild über dem Bette hilft
nicht ab.
Dichten möcht ich, sollt ich, und hatte Stoff, aber wo
Kräfte, wo Muße? Auf dem Schlosse unter Reb^clindern habe
ich mein Bellinzona angefangen; ich möchte aber alles zerreißen
in diesem Land.
Bellinzona.
Bellinzona 1 süßer Name
— der mir schön re noch verkündet
Roma, Florenz und Neapel —
Hier beginnt das Sonnenland.
Durch den breiten Thalurund windet
Sich die Straße; lern verschwindet
Schon der Gletscher starre Wand
Und Hie Erde schmückt sich wieder.
Und die Löfie werden milder;
Hohe Reiseländer schwanken
Ueuer jede Straße hin ;
Und verhüllt von ihren Ranker
Stehn die Muttergotlesbilrter,
Wie Violen schüchtern Mühn.
Schwarze Schleyer, weiße Mädchen,
In der Sonne faule Buben,
Offne Fenster, hohe Stuben,
.Mies zeigt den Uehergang.
Alte 1 Formen, sie verdrießen ;
Nicht beschreiben, nur genießen ;
Keine Worte, nur Gesanft!
1 Ueber dem Wort «Alte» Ist überschrieben; «Nordsche>.
f~* Original frorn
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 343 -
Gegen Mitlag.
Zum zweitenmale bin ich auf einen der Sohloßberge ge-
kielten (den Östlichen), um noch einmal das Städtchen, die
Thölcr und die Schlösset zu überschn. Obgleich schon geherbstet;
nehmen sich die terrnssenmäßig ^pflanzten Reben theatralisch
aus j Kaslanienbäume stehn unten am Hügel ; die Wege
zwischen den Mauern sind alle mit Traubengeländern beschattet
und mildern die Hitae, die auf die Bernardinerkälte hin doppelt
stechend erscheint. Alle Plätze zwischen den alten Mauern
bilden liebliche Gärten; ein wahres Paradies! und das wird
immer schöner werden.
Lugano, 26. September. Abends 9.
Es wird immer schöner außen, und immer unerträglicher
innen. Der Wagen war angespannt, wir hielten eine Viertel-
stunde vor Bellinzona, weil die Pferde schlecht waren, und ge-
wechselt werden mußten. In der Mittagshitze zwischen Reb-
mauern und im Staube starrte ich die hohen reinen Alpen an,
mich in den Schatten der Kutsche flüchtend. Rückwärts ragten
die drey Schlösser von Bellinzona empor; vor uns die Berge
gegen den Lago maggiore, und der Moni Cenere, den wir hinter
San Antonino, einem elenden Dorfo, zu besteigen anfiengen.
Locarno und Magadino an der äußersten Spitze des langen Sees
lagen unten am Fuße, durch Kastanienalleen schlängelt sich der
Weg wie bei ... .i Mit Winzern aus der Gegend von Lugano
stieg ich zu Fuß aufwärts, über die Reben und die Regierung
sprechend ; nur abgerißne Phrasen aus ihrem Patois könnt ich
verstehn. Oben, durch die prächtigste Gegend hin. zwischen
himmelhohen Alpen und liebliche Dörfer, mußte ich lateinisch
lesen; — wie angenehm das seye, laut sich nicht sagen ! mil
wahrem Heißhunger Wickle ich verstohlen hinaus« Gegen
Lugano hin, vermulhlich bei Cadanpino oder Taverno wird die
Gegend völlig italienisch ; es ist ein Luxus in der Vegetation,
dem nichts gleichkömmt, was ich bisher gesebu ; alle Frucht-
bäume, Aepfel, Nüsse, Trauben wild durcheinander; Wiesen
mil Erlengebüsch, Weiden und Bächen dazwischen, Dörfer am
Fuße der Alpen, kahle Felsen oben in der Ferne; schon hin
und wieder waren liebliche BeWedere, aus grünen zugeschnittenen
Arkaden von Ulmbäumen bestehend ; mehr italiäaieche Phyeiog-
nomieen zeigten sich an der Straße; liebliche Kinder, grandiose
Weiber; ein Arzt zu Pferde befühlte auf der Straße den Puls
eines kranken Mädchens ; daneben stand ein andres, Trauben
1 Unleserlicher >'ame.
UMVERS TYOF MICHIGAN
- 344 -
essend. Solche Gemahlde mit dem Hintergründe der schönen
Gegend, wären reizend; ich habe analoge in der letzten Aus-
stellung gesehn.
Der sieilft Mnn Salvador mit seiner Kirche -zeigte sieh ;
und auf einmal, von einer kleinen Höhe herab, das liebliche
Lugano am ziemlich ernsten See, mit seinen Kirchtürmen,
Villen und Gärten ; links ein reizendes Thal in blauer Abend-
tinie. Wir ro.lten yegen das Städtchen hinunter; eine reizend
gekleidete Italienerin, groß und schoogewachsen, mit schwarzen
durchbohrenden Augen gieng neben der Kutsche, mit einer
Kannnierjungfer; sie neigte sieb mit Grazie; ich hätte nieder-
fallen mögen.
In Lugano, das wie Bellenz mit Arkaden geziert ist,
eilte ich gleich an den See, aß Trauben in der Straße, und
ergötzte mich am Gewühl der Menschen, den Familien, die in
der Abend kChlung unter den Arkaden saßen, den Schiffern,
die mir ihre Dienste anbuten, den Knaben, die Trauben kauften,
den Priestern, die steif in ihrem schwarzen Ornate vorl>ey
giengtn.
Daß ich mich jetzt eben so ergötze, könnte ich geradezu
nicht sagen, die Flügel sind mir im eigentlichen Sinne abge-
schnitten; ich schlafe im selben Zimmer, und muß also jade
meiner Bewegungen nach denen der andern richten; kann
nicht dichten und denken, wie ich will. Ich will indeß nicht
hadern mit dem Schicksal ; es erhalte mir nur erträgliche
Gesundheit und bringe mich nach Neapel ; so mag dann auch
die schwarze Seite mit hinlaufen. Wie verstohlen lief ich
soeben hinaus an den See. den erhabenen Salvador und die
gegen ö bei liegenden Berge im Mondlicbl beschauend; ein leichter
Nebelduft schwamm um ihren Fuß hin ; im Hafen war noch
Bewegung; in der Stadt giengen viele spazieren. Wenn ich
mich allein Tertiefen könnte in dieses Treiben, dahinleben mit
den südlichen Faullenzem! — aber ich bin, wie in einem
Schiff, das durch einen reizenden See hinfahrt, ohne eine Stadt
Oder Bucht in der Nähe zu hesehn. Ich fahre im Wagen durch
das Land, sehe einige schöne Gemähide, und hiermit genug.
— Aber mit jedem Schritt, der mich noch mehr von der Hei-
math entfernt, wird mir das Herz schwerer!; es ist, als sollte
ich entweder nicht zurückkommen, oder ganz anders als ich
kam, unglücklich und Unglückliche lindend:
«SCCiT0VTtJU)p00»UVOC.» '
1 Auf deutsch der «Selbstpeiniger>. AnepieWng auf die gleich-
namige Komödie des Terenz.
-
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 346 —
Und jetzt heißt es, gehe zu Bett«, denn die andern legen
sich auch; schlafe ein, wenn du kannst; wo nicht» so schweig
still und leide. Morgen bleiben wir in Lugano ; das thut mir
leid, so schön die Gegend auch seyn inatf, weil ich doch immer
bey Veränderung eines Aufcnthallortes die Hoffnung habe,
allein einquartiert zu werden.
Lugano, 27. September 1825-
An die Unannehmlichkeiten kann ich mich nicht gewöhnen;
manche schöne Scene wird dadurch verdorben, und jeden
Augenblick regl sich die Galle. Wann werde ich vernünftig
seyn und ertragen lernen? — Wenn es zu spät seyn wird
So ärgert mich in diesem Augenblicke, daß ich die Dinte, die
ich mit vieler Mühe transportire, den andern eediren muß, und wie
geliehener mich derselhen bediene; daß ich, . . . doch wozu
Ursachen aufzählen, die nun einmal sind und mir Zeit und
Papier rauben.
Nach einer Völlig schlaflosen Nacht giengen wir um */* 7
auf den See, der noch im Morgennehe] ruhle. Drey Schiffer
waren in der Barke, wovon der eine schön und lieben Aus-
druck im Gesicht hatte. Ich grub mir die geographische Lage
des Luganersees ein, der hier Arme hat. wovon 3 bey
Lugano zusammenstoßen. Der ein« v/endet «ich nordöstlich
gegen Porlezza ; awey andre südlich a) yegen Capo di
Lfig-o, wo der Weg von Como, b) gegen ', wo
der Weg von Varese. Wir schifften zuerst gegen Castagnola
hin, einem auf lieblichem Rebhüfrel gelegnen Dorf ; oben die
Kirche, in der Mitte Häuser; unten nicht bewohnt« Villen,
mit zerbrochenen Scheiben und prächtigen Terrassen. £s ist
unmöglich, die Anmuth dieserLa^e zu beschreiben ; ich wünschte
mir, wie gewöhnlich, die Villen.
Hier erkennt man den Hintergrund des nördlichen See-
busens ; überall ist er mit Ungeheuern Bergen umgehen, nhn-
gefär wie der ßrienzer oder Vevay See. Die Sonne stie£ empor,
aber ziemlich in Nebel, und die ferneren östlichen Ansichten
gewannen keine Gonsisteriz. Aber gegen Nordwest zeigte sich
hinter lieblichen Hügeln in weiter Ferne der Riese Monte
bianco 8 ; denn italiänisch hörte ich ihn zum ersteiimal nennen;
südwestlich der Monte Sun Salvador schroff vom See aufsteigend,
mit seinem Kirchlein oben auf der Spitze ; nördlich Lugano
1 Lttcke im Original Der hierher gehörige Ortsname ist Porto
Ceresio.
* Ein rrrtnm ries Verfassers. Der lUontblne ist vom Sa*
ft-uo nicht sichtbar.
r
-
UMVERS TYOF MICHIGAN
- 348 -
seihst, amphitheatralisch mit Kirchen und prächtigen Facaden
längs dein See hingereilit, sich au schöne Hügel und Boskette
lehnend. Wir näherten uns den Felskellern von foprino, wo
die Luft in der Thal bedeutend kalter wurde, drauf, nach kurzem
Hinblick in den südlichen Theil des Sees, den ein weites Vor-
gebirg beynahe verdeckt, kehrten wir nach Lugano. An den
Schiffern heilte ich mein Italiäniscli geübt ; sie erzählten gleich-
gültig von einem Mord, der b«y Mailand und bey Como sir.h
zugetragen; der lelztere unter anderm trug sich zwischen Bir-
bante* und Ostreich ischem Offizier zu. Der erste wehrte sich
con il 3uo solo coltello eine Stunde lang gegen den Offizier;
und der erzählende Schiffer bewunderte nur die Tapferkeit de»
Räubers. Auch von Pergami und der Prinzessin von Wallis'
sprachen sie; sie hatten das liebliche Paar auf dem Luganer-
see spazieren (reführt. Liebte sie den Pergami, fragten wir;
(Tamara a morte!»
In der Kirche De< Angeli sahen wir ein ungeheures Fresko-
gemählde von Luvino, die Kreuzigung. Luvino hatte einen
Buben ans Kreuz geheftet, und ihn im estro pittorico erstochen,
um die Natur getreuer zu mahlen, — so erzählle uns wenig-
stens der frate capucino, der uns herumführte — hierauf
flüchtete der Mahler hieher ins Kloster und füllte Kirche,
Kreuzhang und Refeetorium mit Passionsgeraahlden. Ins
Innere des Klosters durften wir Männer allein treten; im
Speisesaal war gedeckt; vor jedem Platze lag ein Brod und drey
Pfirsiche oder Acpfd. Im Vorbeygehn sah ich . auoh einen
jungen Kapuziner mit interessantem Gesicht; wenn das Innere
entspricht, wie muß solch einer leiden.
Die Gemählde von Luvino selbst Selen mir nicht auf, weil
ich nicht an die Frescomahlerey gewöhnt, und die biblisclien
Gegenstände mich geradezu nicht aoziehn. Das Abendmahl im
Refeetorium soll dem von Leonardo da Vinci, dessen Schüler
Luvini war, nachgeahmt seyn. An der KaLhedralkirche fiel
mir eher die prächtige Aussicht auf den See als der prächtige
[Kirlicus in die Augen. Ins Innere gierig ich nicht und plau-
derte auf der Terrasse mit einem Krämer (Termulhe ich), von
Lugano. Abends allein, zu Land, gen Castagnola. Es ist dies
wieder einer der wenigen genußreichen Augenblicke, die ich
abstehle. Durch liebliche Landhäuser führt der Pfad an den
Ka$tanienhfi£el; hinauf wendet er sich, immer mit dem Blick
' Dor Nams ist »vcifclhoft
* Es handelt sich um die Prinzessin Karollae von Wales, die
verstoßene Gemahlin König: Georgs IV von England, die mit einem
luliener namens Kerganii größere Reises unternahm und hei vielen
als doBsen Geliebte galt.
Original from
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 847 —
auf den unten rauschenden See, Caprino und St. Salvador. Weiter
oben unter Reblauben hin ins Dorf. Hier {jab mir ein Landmann
Trauben von der Leiter herab und wollte drauf kein Geld,
[ch wandelte die Scene poelisch um; ein "Winfzennädchen
reicht mir die Trauben, auch habe ich in der That im Rück-
weg ein hübsches angetroffen; auch während ich im Dorf
Trauben aß, die weißgekleidete Dame wieder gesehn.
Der Rückweg w;»r ebenso angenehm ; ich eilte noch in
die Rel>en hinter der Katbedralkirche, durchstrich jene para-
diesischen Hügel in mancher Richtung, immer dichtend. Mit
jedem Augenblicke suche ich mich zu verschmelzen, mit jedem
auf immerhin eins zu werden.
Morgen über ein Stück des Sees und Capo di lago nach
Gomo. Indessen habe ich meine Ellern heule hintangesetzt ;
ich verzeihe mir diese Vernachlässigung nicht,
28. Septemlier, Comn, Mittag
Von Lugano gegen Capo di Logo zu, am Fuß des Salvador-
berges hin; üastagnola und die Stadt lagen lieblich am Hügel;
der We$ windet sich immer zwischen Reben hin bis öt. Mar-
tioo, einem Dorf auf einem Vorsprung des Landes ; hier selzt
man die Pferde und Wagen in eine fliegende Drücke , wir
fuhren in einem Nachen über. Der See schlug Wellen und
ein kalter Wjnd hielt uns bey 2o Minuten auf der kurzen
Ueberfahrt. Im gegenüberliegenden Dorle nß ich Trauben,
während man auf die Pferde wartete; es liegt dieses lieblich
am Seeufer mit Arkaden. Durah Melano nach Capo di laj;o,
wo der See aufhärl, auch die Berge werden kleiner^ dap Thal
breiter ; hinter Mendrisio verläßt man die Schweiz. Nur der
Pinsel eines geschickten Landschaftmalilers kann den Keia
dieser Gegend wiedergehen; diesen zunehmenden Luxus der
Vegetation, diesen Duft auf den Hügeln, diese Fcenvillen, diese
Thäler übersät mit Wintzerhäusern, Maulbeerbäumen, Nuß-
bäumen, Türkisch körn, Trauben^eländen, Gemüsegärten, alles
bunt durcheinander; nirgends eine Spur von Sorye ; das wächst
wie die Kinder auf, die sorglos in den Häusern an der Straße stehn.
In Chiasso ist die Oestrebhische Dogana. Wir wurden
ziemlich leicht visitirt ; nur den Büchern spürten sie wie
wahrem Unrat h nach. Es machte mich weder verdrießlich
noch reizte es zum Lachen, (xleichunltigkeit und Skeptizismus
fangen an, die Leiter meines Leben» tu werden.
Etwas weiter frage ich: wo isl Como ? — und d*>r Weg
dreht sich, und die Göilerstadt dehnt sich prächtig am See
hin; ein göttliches Amphitheater. Hinter ihr heben sich drej
r
r~* Original frorn
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 348 —
Hügel mit Schlössern ; vor ihr am Wasserspiegel hin schöne
Berge mit Villen übersät. Ueber die Häuser empor liebt sich
die prächtige Kuppel der Hauptkirche ; andere Kirehthürme
streuen stolz in die Hohe. Die erste schlanke Pinie sah ich
in einem Garten ; beim Einfahren in die Stadt mehrere Land-
häuser mit Kolonnaden und ungeheuren Flügelthüren, wie man
Feenpallä*te in der Oper sieht, Madonnengesichter an den
offenen Fenslern, rauhes Volk in den schmutzigen Straßen.
Nirgends darf man den Boden berühren ; wie hinüberfliegen
muß man über dies glückliche Land.
Abends.
Gewesen:
Villa d'Este am westlichen Seeufer ; hier lebte Caroline
und Pcrjiami ' ; ein wahrer epikureischer Aufenthaltsort; präch-
tige Säle, angenehme boudoire, ein Schau^pieleaal, pesohmack-
voll dekorirt, Gärten am Berg hinauf; eine Art nachgeahmter
Festung, die sich von Ferne sonderbar genug ausnimmt, in
der Mihi? aber als eitel Spielwerk vorkommen muß. Die /immer
der Königin selbst durften nicht gezeigt werden, auf Verbot
des jetzigen Eigenthfimers, des hanquiers Toriini (?) ?on Hom.
Sie hatte das Schloß vor ihrer Abreise nach England verkauft.
Eine schöne Italienerin zeigte uns die Zimmer, ganz die süd-
liche feurige Physiognomie, wie sie Byron in seinem Juan
mahlt. — Ecco l'altarc del sccritlzio. sagte sie mit cinemmahle.
— Ecco coracolo — Wir lachten laut auf. Das ist italiänischer
Geschmack» Säle zu bauen für keinen bestimmten Gebrauch;
wie Kinder die Häuser mit Schindeln aufrichten und wieder
umzureißen oder zusammenfallen zu lassen.
Villa Odescalchi, in der Nähe der Stadl, eine grandiose
Facade, ein glänzender Opernsaal; nichts so prachtvolles habe
ich in Trianon und Versailles gcachn. Es mag eine Höhe \on
60 KuJS seyn; oben ;<eht eine Gallerie herum. Die Möbeln all
dieser Palläste sind häßlich und elend ; es ist ein seltsames
disparates Wesen. Man baute und verbesserte gerade an ein*m
ungeheuren Saal. Wozu'.^ — Zum Riesensturz, sagte der sigoor
fattore.
Plimana, Sommanva und andre Villen, ihr bleibt leider
un besucht.
Der Dom in der Stadt, sus Marmor erbaut, ist innen und
außen prächtig. GeinäliMe von Luini, und schön gearbeitete
Arabesken zieren das Innere; ein si^nor abbate fahrte uns ge-
fällig überall herum; er kam mir eher langweilig vor, denn
nicht ein einziger Allar blieb unübergangei».
Vgl. oben S. 31«.
Original frorn
UMVEPSTYO.yiCMGAH
— 349 —
Caeo. Giovio: der Graf, ein NachkÖmling; dco berühmten
Schriftstellers führte uns in die Bibliothek, wo viel Manuskripte
des Paolo Giovio sind ; in eine Gemähldegallerie von Portrait«
berühmler Männer : Michel Angeln von ihm Reihst ge-
mahlt; Heimlich VIII., Franz I., Dante, Petrarca, Boccaccio,
Ficinus, Leo X. etc. Unten im Eingangsind viel alte Inschriften
unri Grabsteine zusammengestellt. Das Motto des Paolo Giovio
«fato prudentia minor» steht über mehreren Thüren eingegraben.
Moblirt ist dieses Haus ebensoschlecht, als die Villen, die wir
schon gesehen.
Abends spielten und sangen vor dem Hause einige herum-
ziehende Musikanten ; der See ruhte slill ; alles spricht naher
vom Süden. Morgen nach Bergamo.
Bergamo, 29. September, Abend».
Ich reise durch das paradiesische Land wie ein Dlinder,
die echnne Tinte über den ftemählrien erlischt ffir einen Kranken.
Hinter Como windet sich ein Weg aufwärts, und mehrere*
mal zurückblickend lag: die schene Stadt unten an den Hügeln
des Schlosses Baratello ; in der ferne schimmerten zum letzten
mahle die Gletscher von Chamouoy und des Oberlandes!' Es
war mir, als seye ich Doch nicht ganz vom Vaterland getrennt,
so lang ich die schönen Gestallen, die auch das Elsaß erblickt,
noch vor Augen hatte.
An crey oder vier Seen auf der reciilen Seite hin ; links
Alpengegend, d. h. schroffe Felsen, und unten italienische
Kultur, Wellenbewegung im Grunde, und die kleinen Thfller
mit Früchten aller Art, Mais, Rcbcnguirlanden bcsctzl ; die
Hügel mit Villen gekrönt. Der Maulbeerbaum wächst schon
auf der Straße wie bey uns die Nußbäume. Der zwejte See
bey Erha, I.ago d'Alperio geheißen, mit lieblichen Hügeln um-
ringt, ist mir nur schwach, der erste gar nicht im Gedächtnis
geblieben. Der See von Pusiano hingegen mit seiner C y presse n -
insel nah am Ufer, seiner reichen Hügel- und öergumgebung,
den Villen und Dörfern jenseits, hat Spuren in meiner Erinne-
rung gelassen, sc wie der See von Annone, der schon in der
Nahe von Lecco; bey Malgrate erblickt man zuerst wieder
diesen Tr.eil des Komersees, ernst, mit steilen Felsen umringt ;
Ober die Adda, die hier aus dem See strömt, führt eine lange
Brücke, und eine Aussicht in alle vier Himmelsgegenden, die
schwer mit Worten zu geben ist.
1 Spach irrt hier wieder Was er gesehen, können nicht die
Bergriesen dee (Barner) Oberlandes und des MontMancgeMete» ge-
vesen eeh>.
Original from
. ■■
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 360 -
Vor sich hohe Berge, rail Wolkenzufällen (?) wie in der
Schweiz, liuks der Loccoaec, rechts die Adda, kleinere Seca
bildend, hinter sich Malgrale am Gestade.
In Lecco aelbat besahen wir das unbedeutende Städtchen,
mit einer schönen Kirche, wo die Aussicht auf den eingekeilten
See in der Diät herrlich ist. Man haut wirklieb eine Straße
direkt nnch Wien ;uf dieser See^eite ; sie wird über Riva
führen. Ein elendes Mittagessen 40 fres.
Hinter Lecco an der seebildenden Adda und ziemlich steilen
Bergenhin, durch immer mnetunenden oder doch gleichbleibenden
Luxus von Kultur nach Caprino, wenn es der Ort ist. den ich
meine. Die gute Karle von ' Keller verläßt mich und die
Postkarten Italiens geben alles unvollständig an. Ich glaube,
es war in Olginate oder ßrivio, wo wir anhielten und ein
zierliche« Marionen mir Traulien hra^hte.
Bergamo selbst überraschte mich ; auf eine gleichgültige
Stadt gefaßt, wie ward mir, als vom Hügel herunter mit
Pallasten die alte citta dein Reisenden entgegensah, und weit
in der Ebene hin sich die neue Stadl , il borgo, hindchnte. Durch
eine prächtige Hauptstraße fuhren wir ins albergo d'ltalia.
Ich wollte Suhl heimsuchen; ein Cicerone führte mich zum
Nachfragen in ein Kaufrnannshaus; er war noch nicht ange-
koimntu, Bey dieser Gelegenheit sali ich mit siiikeuder Nacht
öffentliche Promenaden, Straßen mit Iroltoirs. breit und bequem,
stieg in die citta hinauf, und orientirte mich dort. Das
Abendroth glühte noch hinter den Bergen von Como , gegen
Brescia und Venedig verschwammen die Hügel in Duft, unter
mir erkannte ich deutlich noch die weite Ausdehnung ces
borgo's und der Gärten, welche zwischen heyden Irieilen der
Stadt Bergamo inne liegen; ganz oben über der eiltä das
eastellc in der Dämmerung verschwindend. Zwey Pal last t>
prangen hier an der Promenade und sind mir, glaub ich, schon
von der Straße von Gomo her in die Augen gefallen. Im
Hinaufsteigen in die citta die piazza della (iera, mit einem
prächtigen o^pedale ; im Heruntergehn auf einer entgegen-
gesetzten Seite die Kirche San Alessandro della Golonaa. Aber
soeben im Heimkehren erfahre ich, daß wir Morgens früh die
Stadt noch besehen werden und in Brescia schlafen. Der Lohn-
bedienle hat mir überdies von der unsichera Straße zwischen
Brescia und Verona vorgeschwatzt.
Heute sitze ich allein, nach vier Tagen, in einem schönen
Zimmer ; aber auch krank, mit unsäglichem Herzklopfen, mit
Angst auf die fernere Reise. — Ich hatte mir ausgemahlt, daß
ich in Bergamo bleiben wurde, krank, irn Spital, und den
Bruder meines alten Freundes um Hülfe anrufend ; und was
f~* Original frorn
UMVERS TYOF MICHIGAN
— SM —
nicht iet, fcnnn noch worden . • .' wie, wenn ich von Venedig, von
Femara-, von Bologna zurückmüßte, mich überall in dem weiten
Lande nach einem Freunde umsähe . . .' einen Schleyer her !
So schön da* WirthshauR, so reinlich es «ingerichtet iet,
vermisse ich ordentliche Thiiren, die man zuschließen kann,
rechte Fenster, ordentliche Stühle. Die Betten sind alle unge-
heuer breit, man könnte zu 3 darin schlafen.
Aus Lugano habe ich den Besuch bey einem Kaufmann
nachzu hohlen, dessen Haus auf den See gehl, und wo in einem
an den Garten stoßenden Vorsaal ein Mauergemählde von
Luini sich befinde!. Es ist nicht so wohl das letzlere, welches
mich anzog, als die Einrichtung dieser angenehmen Hausflur.
Ein doppelter Vorhang, der sich in der Mitte wie ein Zelt
öffnet, dient auf der Seite des Gartens zu Schirm gegen Sonne ;
inwendig ein Sopha gegen dem Gemähide überschräg an der
Wand ; im Hintergrund gegen den Vorhang eine Kolonnade.
Alles geschmackvoll, nett, alles wie eine Feercy, eine wahre
Theaterdeltoration .
Bergamo, SO. September, Morgens.
Die Hauptkirche ä Santa Maria Maggiore in der cittä be-
sucht. Die zsveite ist in venetianischem Geschmack; Löwen
tragen die Seiten des Portals; rolh und weißer Marmor, eckigt
eingelegt, zieren einen Flügel des Gebäudes. In der Kirche
seilet sind Gemählde von Giulio Romano, die Jünger am Grabe
der Maria; die Beleuchtung hinter dem HaupUllai iet falsch,
man sieht nichts ; sehr altes Schcitzwerk in Holz am Getäfel des
Chors ; Faunen als Arabesken ; in der Kapelle des Kapitäns
Goglioni, der sicli zuerst der Kanonen bediente, ist sein künst
lieh gearbeitetes Grab; eine Jungfrau von A. Kaufmann,
raphaelisch ; Statuen von S-insovino über dem Hochaltar; neuere
Statuen, zwey Engel, zart gearbeitet, unter dem Altar, von
einem modernen mailändischeu Bildhauer.
Völlig gothiseh ist die cittä, und besonders der Platz vor
dem vecchio pulazzo del governo, mit dem Kerkertnurm da-
neben; gegenüber der neue Pallast des Gouverneurs aus ziemlich
disparaten Theilen zusamengefü£l.
Die Ansicht von Bergamo selbst, setzt mich noch fester in
meinem gestrigen Urlheil ; die Stadt ist grandios, sauber und
gleicht eaer einer Hauptstadt.
Brescia, 30. September, Abends.
Durch eine fruchtbare Ebene, Gaveruago und Palazzuolo,
wo eine Brücke über den Oglio führ!. Im letzten Dorfe
1 Die Funkte bedeuten keine Auslassung sondern entsprechen
dem Manuskript.
Original from
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 352 —
sprang ich aus der Kutsche und sprach mit einen jungen,
ziemlich wohlgekleideten Italiäner, der ein ausgezeichnetes
feuriges Gesicht hatte, über die Merkwürdigkeiten, die in
Brescia zu ich tu wären . . . Eraprach mir vorn tempio d'Ercole,
der noch nicht lang entdeckt worden seyn soll ; vom Weg am
lago di Garda vorbey ; von Mestrc uod Fusina. Ungern ließ
ich mich in den Wogen zurücktreiben ; ein Bettler hatte sich
neben den perorirenden Jüngling gestellt; es bildete das Ganze
eine Gruppe.
Ospidaletto ist die letzte Station vor Bergamo. Die ganze
Straße von Bergamo bis hieher hatte auf einer Seite Ebne, auf
der andern in der Entfernung von Ufa Stunden Berge ohnue-
rahr von der Höhe der Vo^esen gehabt. Jetzt fuhren wir
hinein; aus einiger Entfernung hatte ich schon den Dom und
das Kastell gesehn, letztres auf einem Hügel über der Stadt.
Gleich ausgegangen durch breite Straßen, die auf beyden
Seiten für Fußgänger mit troltoirs, die man hier pietre heißt,
wie fiergauiu** Gassen, belegt sind ; in der Mille sind ebenfalls
ähnliche Quadersteine, um die Wagenräder weicher auflaufen
zu lassen; auch rollen die Kutschen mit einer ungeheuren
Schnelligkeit dahin. — ' Am Thor begehrte der Zöllner la buona
mano, wie gewöhnlich.
Die piazza dcllo giustizia ist wohl noch auffallender als die
ähnliche vor dein palazEo del governo 2u Bergamo. — Auf der
einen Seite sind die Gefängnisse, auf der andren große Gebäude
mit Arkaden; im Hintergrund ein uralter Pallast, unten mit
römischen Inschriften, großen feingearbeiteten Kolonnaden ;
unser schlechter Cicerone konnte uns dessen Ursprung nicht
erklären; ebensowenig wurde mir seine Bestimmung klar; aus
dem venetianischen Dialekt des Bedienten bekam ich nur soviel
heraus, daß es eine Art Tribunal 1 ster Instanz seye.
Von dem großen palazzo di giustizia. der in einem andern
Quartier liegt, in die doppelte Hauptkirche; an der neuern
wird inwendig noch gebaut; sie gleicht außen der Kuppel van
St. Geoovefa in Paris; inwendig ist auch etwas ahnliches; die
ältere Kathedralkirche gerade daneben mit Gemahl den ; die
Kirche Santa Afra mit prächtigem plafond ä fresque gemahlt
von Rassi, die Ehebrecherin von Titian ; es ist das erste
Gemähide, das ich von ihm sehe; diese Farbenfülle entzückte
mich, mehr noch der Ausdruck von Milde im Gesichte
des Herrn und von Bu3e im interessanten Blick der Sünderin,
Hinten im Chor die Verklärung auf Thnbor vom Tintorett } es
ist etwas giganteskes in der zurückgeworfenen Stellung der
Apostel; Wolken rollen auf sie herab, wie von Geistern herunter-
ge worfen. — - Die Taufe der Santa Afra; sie liegt vor einem
f~* Original from
UMVERS TYOF MICHIGAN
- 353 —
Bischof; er gießt Wasser auf sie; eine etherische Beleuchtung
fällt auf den Nacken der hingebogenen Heiligen ; es ist der
Segen des Himmels. Engel schweben mit Lichtern in den
Wolken ; jedes solche Gemähide ist ein episches Gedicht. Ich
glaube dieses ist von Bassano. Der Märtyrertod der Santa Afra
von Paul Yeronese. Die andern Gemähide verwischt ; überhaupt
inu3 man sich genügen, nur im Flug zu sehn, die Hauptsache
herauszunehmen, sich nicht zu übersättigen.
Der Tempel des Hercules, halb ausgegraben. Die Säulen
des peristyliums sind alle kenntlich, aber in der Höhe halb
zerbrocher. Der eigentliche Tempel ist noch mit Schult bedeckt.
Wir krochen in ein Gewölbe, vro noch frescoiuahlerey «in der
Mauer und Mosaikboden zu sehen ist. Hin Arbeiter mit einem
Wachslicht führte uns; dieser Mann in seinen Lumpen, mit
antikem Geeicht und antiker Bewegung schien dies dus mebr
7.u fühlen als mancher Antiquar. Einige Signori von Brescia
linken an diesen merkwürdigen Tempel ausgraben zu lassen.
Die Regierung setzt es fori. — Der Pallast des Generals
Mazuchelli, das Bischofshaus, der Pallast, wo Franz II. bey
seinen Iieisen wohnt, fielen uns im Flujie auf. Ein prächtiger
neuer Kommarkt, <iec alles hinter sich läßt, was Parts ähnliches
aufzuweisen hätte, Arkaden mit geschmackvollen Läden, doch
denen des palais royal nicht gleichkommend, zeichnen sich
unter den öffentlichen Gebäuden aus; an unzähligen Kirchen
liefen wir vörö her, sie kaum betretend ; im Heimweg in der
Dämmerung traten wir in die älteste der Stadt, deren Name mir
entfallen: die Einwohner der Nachbarschaft waren hier ver-
sandet, ihr Abendgebet iu verrichten, ohne daß sonstiger Gottes-
dienst wäre; es herrschte eine feierliche Slille im Tempel und
ein ahnungsvolles Dunkel füllte die Hallen. Ich war ergriffen.
Das Klima wirkt, die Sinuc sind gefangen ^ ich kann bis
jetzt nur die schöne Seite des ganzen Landes sehn. Es mag
diese Fruchtbarkeit, ohne schweres hartnackiges Arbeiten, ver-
bunden mit einer milden aber 'Finsterliugsregierung um so
fürchterlicher auf den Charakter der Einwohner einwirken, als
ihr Einfluß unter schöner Hülle verborgen ist.
Ehe wir nach Haus gingen, noch die Gallerte der Familie
Lecclii ; eine Reihe von Sälen und Schlafzimmern ist mit den
prächtigsten Gemahlden der venezianischen Schule (Paul Veronese,
Titian etc.) angefüllt ; auch ist dieser Pallast sehr geschmack-
voll und reich rneuhlirt.
Von Gemahlden blieb mir im Kopfe: Die Geliebte des
Titian als büßende Magdalena; mehrere porlniits yoq Vandyk
und einem Portugiesen, ich glaube Job. Bapt. Murano. Der
Garten des Pallastes gleicht manchem, den meine Eiubldungs-
23
r~* Original frorr
UMVERSTYOFMCHIGAN
— 364 -
kraft eich träumte, wenn von Taseo und Leonore die Rede w*r.
In solchen Bogengängen von Buchsbaum, bey solchen Spring-
queller las er seine Verse vor. Als wir d«s Haus verließen
und unter den Arkaden des Hofes hinausgiengen, sahen wir
im Garten einen Kavalier mit einer Dame; ich glaubte, es seye-
der Eigentümer ; im Wirtbshaus erfuhr ich, es seye der
majorduoino und die prima cameriera gewesen; der Eigen-
thümer selbst» vermuthlich ein Garbonaro, ist von Brescia ver-
bannt. Er war ehemals in französischen Diensten; auch hängen
seine unteren Zimmer voller Bildnisse des Kaisera.
Nach Tische gien£ ich in den Unstern Straßen Brescias
umher; ge^en die Arkaden hin, wo in erleuchteten CaiFes
junge Elegants, tont comme che* nous, saßen und die Vorüber -
gebenden begafften. Hierauf getreu das Thor, durch welches
wir angekommen (ich empfinge immer uasrn einen doppellen
Eindruck vom nämlichen Gegenstand); auf beyden Seiten dehnt
sich, so viel ich im aufsteigenden Mondlicht erkannte, eine
öffentliche Promenade hin. J)ie östreiehische Trommel unter-
brach allein die tiefe Stille. Die Straßen alle waren leer,
und man hätte ohne Aufsehn den finarfenstich eines heimlichen
Feindes erhalten können. Solche Spaziergänge bleiben mir mehr
im Kopf und Herzen und ireben mir beßre Begriffe vom Land
als Gemablde-Gallerien und Kirchen.
Verona, den 1. October 1825
Heute Morgen lief ich noch durch die Straßen von Brescia,
liegen das alle Schloß hin, um eine Aussicht zu erhallen. Ich
blieb am Fuße des Hügels, auf dem Walt ; die Berge bis gegen
Bergamo zeigen sich anmuthig wie die hei math liehen Vogesen;
ein Hügel in der Nähe der Stadt ist mit Villen bedeckt. Aber
den Eindruck des italienischen Himmels fühlte ich seit gestern
nicht mehr ; es war sehr kalt und unerträglich windigt.
Der Weg hieher ist um ein bedeutendes minder schön;
die Dörfer in geringer Anzahl ; die Villen verschwinden bei-
nahe, die Berge sieht man erst bey Desenzano am Gardasee
wieder, der sich schäumend am Ufer brach; die Berge waren
beynahe von den Wolken verdeckt ; sie bilden vermuLhlich ein
schönes Amphitheater, so viel ich von den großen, sichtbaren
Formen urtheilen kann. Zwischen Desenzano und der traurigen
Festung Peschiera strebt das Promontorium Sinuiuiu in eleu
See hinaus; dort »dl Ca tu I 's Landhaus gestanden haben;
man findet noch Ruinen. Das alles erfuhr icb zu meiner
Schande erst hier und ließ den Wagen an der klassischen
Gegend vorbeyrollen, ohne beynah hinauszuseha ; ich wachte
kaum, Zahnschmerzen leidend. Wozu auch diente es mir»
C Original frorn
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 356 —
wenn ich gewußt hätte, was zu finden? Ich fliege vorüber
und sehe genug, um den Weg kennen zu lernen nnd den
Wunsch zu hegen, wieder zu kommen. Das geschieht aller
menschlichen Wahrscheinlichkeil nach nicht mehr. Luiialo
war mit seinen altertümlichen Festungsmaueri; vor Desenzano
schon Hegen geblieben ; in Peschiera ekellen mich die Kasernen
und die Garnison an ; nur der See bildet am Hafen zwischen
zwey ßasteyen ein schönes Gemähide.
Zwiechcn Cösfcl nuovo und Verona brach die Kutsche ;
wir mußten im Staub drey Viertelstunden zu Fuß ins Wirths-
hauu gehen ; es ist grandios und reinlich, (alle due Toni; das
zu Brescia . . . .1); alles in ilaüänischer Reinlichkeit und
Ordnung übertrifft bis jetzt meine Erwartung.
Die Thürme von Verona sah ich fern auf der Straße ; es
lietft völlig eben, und machte mir eben deßwegen nicht den
bellen Eindruck. Aber kaum in der Stadt, in den breiten
Straßen, rechts und links Antiquitäten, polnische und römische,
war auch alles andre vergessen ; unter einer urallen Brücke
strömt da die Etsch beym vecehio casteilo vorbey ; dort zeigen
sich Palllste, vielleicht aus der Zeit derMontague und Qi pulet ;
moderne PailSste mit Kolonnaden, gewiß schon von manchem
angesehenen Haupte bewohnt ; Kirchen von einer Bauart, die
die Phantasie nicht erdenken mag; Öffentliche Plätze, die von
allem, was wir in unserm Norden sehn, verschieden sind — -
hier die piazze del mercato mit einer alten Kolonne; der
palazzo del consiglio ziert die eine Seile; der Plalz, wo ein
Scala ermordet wurde. Dort sind die alterthümlicheu Wohnungen
dieser Tyrannen ; in der Nähe ihre Grobmfiler, alle in derselben
Einfassung; ich kann sie nur dem Gralie der Heloise und des
Ahälards vergleichen; zierliche gothi sehe Arbeit, delikates Schnitz-
werk, und doch ernst und imponirend, liegen sie da in ihren
alten Särgen.
Ueber meine Unwissenheit in historischer und antiqua-
rischer Hinsicht muß ich klagen ; wie viel übergehe ich nicht,
wie vieles prägt sich deswegen nicht fest genug ein.
Durch eine prächtige Straße gelangten wir aut einmal
2um Amphitheater. Es ist das erste Werk römischer Baukunst,
das ich sah; ich erwartete mich also auf einen nervösen, para-
lysirenden Effekt, wie \or einigen Monaten auf RigistafTel ,
dieser erfolgte aber keineswegs ; ich blieb ruhig, wie wenn ich
das Straßburger Münster sähe. Es haben mir einzelne Ge-
bäude, der Louvre z. B., imponirt; warum dieses schöne har-
monische beynahe ganz bewahrte Theater nicht? Die Schweiz
1 Unleserliches Wort, vermutlich ein >Jame.
S
f~~ Original frorn
UMVERS TYOF MICHIGAN
N
— 366 —
bat mich an das eigentlich Große gewohnt, und jedea Werk
von Menschenhand, da ich es nur in seinem Totaleftekt beur-
theilen kann, wird künftig an mir verfahren gehn oder nur
wirken, wenn es sieb mil einer schönen Naturöcene verbindet.
Das Bauwerk allein ist nichts für mich; r.ur in dieser oder
jener Beleuchtung bekömmt es Werlh und fcxislenz; es gleite!
in meinem Gedächlntß vorüber, wenn es nicht an einen Berg
sich lehnt, an einem Fluß sich spiegelt.
Genug, Verona's A.mphitheater — als ich auf seinen 46
ütereinander gebauten Stuten umheispranjr, in die Arena
hinunlcrblicHc, über die Stadt weg sah, sich in meinem Ge-
dächtnis der große Cirkel mit Hörnern lullte, — wollte dennoch
nicht mein Blut in Bewegung bringen, nur ein in die Mitte
gekleckstes Polischinelltheatfr, das sich mit seinen elenden
Brettern im ungeheuren Raum verliert, machte mich unwillig.
Uebrigens untersuchte ich ziemlich kalt den Ort, wo dieThiere
in die Arena gelassen wurden, die Yomiiorien, durch welche
dos Volk in den Circus strömte, die außen, vier Arkaden,
welche einzig: noch bestehn und deren giganteske Höhe dem
K '->!>"•--"" i im ein so innjcslÜtischcs An sehn gehen müssen; sah
östreithisebe Soldaten nuf den Steinen herutnkletlern und
hörte ihren elenden Jargon in diesem großen Gebäude sprechen
. . . ein Italiener tra! zu mir und sagte eeco una bella relilta
(reliqtia). Dieses Wort vom gemeinen Soldaten machte mir
mehr Vergnügen als alle commenlarien der Gesellschaft. Dur
Musäum neben dem Theater hat manches merkwürdige ; ein
auf Stein geschriebnes Testament einer Spart iatin, Torsen,
Altäre, Inschriften, hesonriers viel bis-reliefs. Die Facade des
Theaters auf dieser Seite ist von P<d)adio. Im Heimweg die
porta Galieni. durch welche wir schon angekommen ; sie steht
mitten über der Straße wie ein Triumphbogen ; die Kirche rieben
dem Wirthshause, deren Kuppel man gerade zum Fes: der na-
donna della Corona beleuchtete; in dem Dom selbst brannten
überall Kerzen vor der im GoldstofT prangenden Madonna, und
verschleyerle Frauen wählen auf und ab in den Botengängen.
Nach Tisch suhen wir den Mond hinter der allen Etsch-
brücke aufgehn ; Bürgers Lied vom braven Mann kam mir ua-
willkQhrlich ein. Ehe wir heute ans Amphitheater kamea,
liefen einige IUiliänisehc Wüstlinge in der Straße gegen uns ;
ihr g i a ride, welches sie einigemal ausstießen, machte mich
so grimmig, daß der Eindfuck mir lanj; nachhallte. Ja, sie 1
lachte; sie lacht noch unschuldig be\m Anhlick des Lasters in
1 Gemeint ist offenbar das an der Reise beteiligte Töchterchen
des öiafen si, Aulaire.
C Original from
UMVERS TYOF MICHIGAN
- 357 -
die Welt hinaus; aber auch das wird sich ändern; sie wird
vom Baum der tfrkenntniß essen, wie wir alle, und der öluthen-
staub der Unwissenheit, der lieblichen kindlichen Unwissenheit
wird darüber abgewischt werden.
Noch eine andre moralische Bemerkung von heute ist,
daÜ die Bemerkungen, die man mir über ineinen irreligiösen
Sinn macht, mich gerade immer mehr ins andre Extrem
werfen ; besonders weil ich sehe, daß das Bibeltesen un ge-
wissen Personen gar nicht gut anschlügt, weil sie sich zum
Gewissen6direktor der andern aufwerfen wollen, Ich bin auf
dem Weg, katholisch zu werden.
Verona, 2. October, Sonfa* Morgens,
Ich habe ira Gewühl der piazza del mercato meine Trauben
genossen ; bin wieder am Begräbnis der Scala gewesen ;
bewundre doppelt, was ich gestern oberflächlich gesebu. Die
Stadt hat ein viel ehrwürdiger Ansehn als Bergamo und
Brescia in ihren alten Theilen; überall Hauser mit gothiseber
Zierrath, überall Erinnerung an Vorzeit.
Zu meinem Fenster hinaus seh ich eine prächtige cupola,
vermutlich die Kathcdralkirchc, und Cbcr die Diiclicrdcr Stadt
hinaus einen schönen mit Villen bedeckten Hügel im Strahl
der Morgen sonne.
11 Uhr.
Im Saal del consiglio sind ungeheuer viel alte Gemäblde ;
unter andern die Seh lüasel Überreichung bey dem Eintritt des
Dogen in sein Amt ; lauter sprechende Figuren j von Francesco
Cavasole > biblische Sceneu auf Goldgrund ; von Felicu Bruasa-
sole s Schi achtenge mahl de.
Auf der piazza dei Signori, wo Mastin della Scalu von
1 Scaramelli ermordet wurde, und wo dio Stelle noch durch den
Namen il volto barbaro bezeichnet ist, waren auch die Woh-
nungen der Scaligeri, wie man sie hier heißt ; eine Seile ist
jetzt zu Gefängnissen benutzt; die andre Seile, wo der Gönsi-
gliensaal, ist von Sansovino erbaut ; Statuen von Benedelto
Campani zieren den Frontispit2. Im Hintergrund des Platzes
ist diejenige Wohnung des Gouverneurs.
In der Hauptkirche liegt der verjagte Julius III. begraben;
es sind zwey Orgeln drinnen, die mit FJQgeltbuTen verschlossen
sind und mit Gcinäblden geziert. An dem plafond des fiaupt-
chors sind die Gemäblde von der Zeichnung des Giulio Romano,
die Mahlerey von Turbido.
1 Lies : CftrazKota.
2 Brusasurci?
(~~ Original frorn
UMVERS TYOF MICHIGAN
- 358 -
Ueber einem Altar ist ein prächtig Gemähide des Tilian:
die Jünger am Grabe der Maria; sie selbst achwebt in roaen-
rolhen Wolken über ihnen : ein göttlicher ErTftkt ; das G[emälde]
war in Paris.
Jetzt höre ich die Kirchenmusik aus den Hallen von Santa
Athonasia herüberfönen und eile die Töne näher .inzuhören,
mich Ungläubigen unter die Gläubigen 2u mischen.
Ergeisstimmen törlen von der Tribüne herab und eine
Harmonie, die sich gzewiß mit keinet' französischen Kirchen-
musik von Weitem nur vergleichen darf. Was mich ebenso
viel anzog als die Sopranstimme eines H. Chiari und die Noten
Rossinis waren vier FeueraugOD in meiner Nähe, wie heut
Abend zwey andre ; welche Gesichter ! Welcher Ausdruck neben
dem platten unsrer nordischen Weiber. Wie hatte Byron recht t
Es ist eigentlich nur diese Kirchenmusik heute und gestern das
Amphitheater, was mir aus Verona im Gedächtnis bleiben wird;
vielen Detail heut Abend haben wir gesehn, aber kein Games.
Yoran stelle ich die verschiedenen Aussichten gegen die
Hügel in Verona'« Umgebung ; sie sind alle lieblich und die im
Vordergrund strömende Etsch erhöht die Landschaft, welche sich
beeondore schön aus dem palczzo Canoesa und dor Brüske (delle
nave oder nuovo), wo das Haas des Zöllners stand, ausnimmt.
Die Brücke delle pietre, welche aus unsrer Nachbarscliaft nach
Veronetta hinüberführt, soll von Vitruv gebaut worden seyn.
Mauergemählde auf der Straße sahen wir an einem Eck-
haus eines eonsiliere aulieo; im Innern zieren sie eine unge-
heure Hausflur. Unter den Kirchen sahen wir noch San Giorgio
mit Gemählden von Paul Vtronese und, ich glaube, von Titian ;
San Zenone nah am Thor von Brescia, wo in einer unter-
irdischen Gruft das Grabmahl Pipins ist.
Eine Gemähldegallerie i tri Hause Albarelli, worunter ein
Dctphael, ein Bellino (sein Portrait), ein Leonard» da Vinci (auch
sein eignes Portrait) ; sonst blieb mir nichts ; der heutige Tag
ist zerstückelt; ich habe kein Resultat herausgezogen. Jetzt
zerbreche ich mir den Kopf, um noch etwas aus den alten
Steinen zu behalten, und gelange nicht dazu. Auch aus den
Gedichten bringe ich kein Ganzes zusammen.
Der Abend bleibt mir; wir gehn nicht ins Theater, wo der
barbiere di Sewglia aufgeführt wird ; morgen Früh nach Vicenza
und Padua, übermorgen hoffentlich erwache ich nicht fern vom
palazzo di San Marco (Comersee bearbeitet).
Padua, 4. Oktober 1Ö26, Nachts.
Vorgestern Nachts hörte ich lange noch einem harmonischen
Gesang auf der Straße zu ; ich glauhte das Sizilianische Fischer-
r~* Original frorr
UMVERS TYOF MICHIGAN
- 353 —
lied darunter zu hören und Stellen aus der Kirchenmusik, die
mich des Morgens so sehr entzückte. In einem Kaffeehaus fand
ich um 10 Uhr noch 4 abbati und eine Mailänder Hofzeitung,
die auch dergleichen interessante Nachrichten enthielt.
Den 3ten durch Caldiero und Montebello nach Vicenza. Die
Gegend wird heynahe ganz ehen, nur links sind in einiger
Entfernung Hügel, biswelen alte Schlösser und Dörfer. Monte-
bello hat eine Citadelle auf dem Berj-e.
In Vicenza seihst lief ich planlos durch die prächtige
Stadt, die mit Facaden von Palladio wie eine Feeustadl ge-
niert ist.
1) Der Plalz yor dern Hathhaus, das mit seinen ungeheuren
Kolonnaden sich theatralisch ausnimmt, 2) einige Palläste
(Ghiericati), 3) Der öflentliche Spatziergang campo Marzio, mit
Aussicht auf göttlich schöne Hügel südlich von der Stadt, 4) be-
sondere das teatro Olympien, von Palladio nach den Plänen
Vilruvs gebaut, und eine sehr richtige Idee von den alten
Theatern gebend; im Hintergrund befindet sich der Eingang
der Stadt Theben; über den Bänken der Zuschauer in unzähligen
Nischen die Bildsäulen römischer Imperatoren; hier eine antike
Tragödie aufführen zu sehen, wäre gewiß von magischer
Wirkung, und mehr als jede Beschreibung von Antiquaren hat
mir der Anblick dieses Gebäudes einen richtigen Begrifl der
alten Theater gegeben.
Das ist ohngefar, was ich in U/i Stunden mit Zahnweh
und ohne Führer durchlief. Die Kirchen darf ich nicht rechnen ;
ich bin oberflächlich durchgelaufen. Auf dem ponte dei angeli
lermuthlich sah ich den Bachiglione. Seit dem Eintritt in
Italien war ich I ev Lecco über die Adda, bey Pdlazzuolo über
den Oglio, der aus dem tago d'faeo fließt, hey Peschiera über
den Miuciu, bey Verona über die Elach, bev Vicenza endlich
über den Bachiglione getreten.
Der Weg von Vicenza nach Padua führt immer durch
Ebne hin ; aber sie ist so angenehm, daß man leicht dio Berge
entbehrt; Rebenfestons hängen von Baum zu Baum und
schwarze Trauben ziehen sie beynahe zu Boden. Eine große
Strecke weit waren dm fiärten (i. e. Felder) so gebaut, daß
etwa von 200 zu 200 Schritten eine Reihe Bäume und Trauben
j>aralell an die Straße lief; der Zwischenraum war entweder
mit Mais oder Klee bewachsen ; angenehme länglichte Quadrate,
in denen man überall verweilen mögte, um Trauben zu essen
und den blauen Himmel anzustaunen.
Auf einer Poststation Casalenga, zwischen V[icenza] und
Padua ist statt der Hausflur eine prächtige Kolonnade, die einem
Pallasle nicht übel stehen wurde, angebracht.
r~* Original frorn
UMVERS TYOF MICHIGAN
- 360
Durch Paduas finstre Straßen rollte der Wagen, immer an
Arkaden hin, endlich bey der Litanei 3t. Autuuiusltirche v.h-
bey in einen schlechten Gasthof.
Er Ite^l in Padua begraben
Beym heiligen Antonius,
sieht geschrieben vom Mann der Frau Schwerdtlein.
Wir liefen gleich am Bürgerhospilal und andern Pallästen
vorbey an den Canal der Breola um die Barken nach Venedig
711 hesehn ; sie sind sehr fclein und dumpfig ; wir kehrten
unentschlossen zurfick ; im Dämmerlichte noch besah ich die
vielen Kuppeln der St. Anloniuskiiche und auf dem Platze die
Statuedes Venitianisclien Feldherrn Gattamelata (fecilDonaiello).
Des Abends hatte ich die angenehme Arbeit, die durch-
näßten und verschimmelten Kleider des Mantelsackes zu sichten.
Heule fi üli 1) Das innere der Kiiche, und eine Nebeiikirche
von St. Antonius mit Fresko^emäblcJeu von Titian und seiner
Schule. 2) Am botanischen Garten vorbey in die St. Giuslioa-
Kirche, die eine edle einlache Bauart hat. Man glaubt in einen
egyptischen Tempel zu trelen. Es sind einige sehr schöne
Marmorgruppen ouf Nobcnaltören; dio Namen der Bildhauer
sind mir entfallen; ein Gemahlde von Paul Veroneseim Hinter-
gründe des Chor« von ungeheurer [lobe zwischen vier goldenen
Kolonnen, das Marl ei* der Heiligen Justin.n vorstellend, wird
sehr gerühmt; deutlich erkannte ich nur Jesus Christus in
den Wolken, die Heilige zu sich rufend ; solch ein ungeheures
Gemahlde ist wirklich ein episches Gedicht. 3) lieber den
großen Platz prato della Volle, wo in einem weilen Zirkel
Statuen thronen und Käume grünen, in den palazzo Papafava,
wo, wie gewöhnlich in Prachtsälen, Siatuen von Ganova ; eine
Helu, «jnttlifh, einfach, antik. Hinter ihr aus einem einzigen
Bluck Marmor, uu^el<ir 4 Fuß hoch, isl der Sturz der bösen
Engel (60 Figuren) *on 1 hiesigen Künstler verteiligt; ich
muß es tour de force nennen; aber schön kann icti die unge-
heuren verschlungenen labyrinthiachen Windungen der Füße
und Arme und Flügel und Köpfe nicht nennen. Ganova soll
davon gesagt haben ; Si, 6 la caduta dei diovoli, roa egli che
l'ha fatto 6 anco un diavolo. Nun ja. 4) In der Hauptkirche
ein huste des Petrarchs von Ganova. 6) Der 300 Faß lange,
100 Fuß höh« Saal des palazzo di uiuetizia (von Cozza gebaut
1172). Der Luftballon der Mad. Garnerin hieng gerade an
einem Ende desselben und verlor sich beynahe in dem großen
Baume. Ein gleichgültiges Monument zu Ehren des Titus
Livius ziert den Saal. Von der äuBeren Gailerie herunter sieht
man auf den belebten Platz delle erbe.
Original from
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 361 —
6) Die Akademie oder Universität ron Palladio ; ich hatte
kaum Zeit einen Blick in den schönen Kolonnadenliof zu
werfen .
7) Da:» sogenannte Grab des Antenor ! — — In den
Straßen zogen die Oeslreicher festlich geputzt einher; es war
der Namenstag des Kaisers; gleichgültig sehen die Ilaliäner
ihre fremden Herrn. Frimont kominandirt.
Auf eine Musik in der St. Antoniuskirche wartete ich nicht.
Sie fiel auch schlecht au9. Der schönste Theil des Tages ist
wohl die Heise nach Arqua. Obgleich von Staub beladen und
erstickt, von Regen bedroht, sah ich ziemlich poetisch gestimmt
die sparsamen Villen an, die hie und da am Kanal der ßrenta
liegen ; erst jenseils delle battag1ie(wo ein berühmtes Schwefel-
bad) fängt die gebirgigte Gegend wieder an und mit ihr belebt
sich die Landschaft. Oliven und Trauhen wachsen dicht wie
ein Wald neben der Straße ; Pallfisle liegen an und auf den
Hügeln. Gegen Arqua zu ist der Weg selu schlecht ; man ver-
gißt's beym Anblick der fruchtbaren Anhöhen \ ich möchte sie
mit den Bergen bey Molsheim, Dorlisheim usw. vergleichen, in
Rücksicht auf die Höhe wenigstens; natürlich verändert die
Bauart und das Klima vieles. Auf der Anhöhe über dem
kleinen Dörfchen, das auf dem Weg nach Este und Monselice
liegt, traten wir ine kleine schwarze Landhaus Petrarcas. Ein
"Winzer bewohnt es; Reben verdecken die Mauern. Es gehört
einem Giaf Süvestre von Rovigo, der wenig für die Erhaltung
thul. Es sieht alles elend aus. In einem kleinen Hintertinimer
starb P[etrarca], sein hölzerner Lehnstuhl wird hinter einem
Gitter verwahrt ; alte uobedeuende Gemähide bedecken die
Wände der vordem Zimmer, auf die Novellen Peirarchs sieb
beziehend ; plump und dumm. So liegt der Dichter und weint
und etrli fa un fönte delle sue lajrrime, wie es auch der erklärende
Winzer sagt. Was noch unerträglicher ist, die Wände sind
verschmiert mit Kamen und elenden Versen ; doch unter einer
Tafel steht ein Sonett von Alfie.'i auf die Mauer geschrieben,
und um deßwillen mag das übrige hingeh n. Das nämliche
Sonett habe ich in jder Sammlung von Ugo Foscolo zu Zürich
gefunden. Eine Katze Petrnrch? steht ausgestopft über einer
Thüre. il suo gatto! Auf dem Balkon geniettt man die lieb-
lichste Aussicht der Welt ; sie ist das Angenehmste des ganzen
Wegs und die Reise eltein werth. Zwischen zwey Reihen
Hügeln hin, öffnet sich in der Entfernung einer Stunde das
fruchtbare Thal gegen Padua hin; unter dem Balkon etehr.
Oehlbäume, Pfirsichbäume mit glühenden prugniolen, Rebge-
länder; etwas ferner Villen mit Bäumen umringt; Hügel bald
waldigt, bald felsigt; es ist entzückend ; hier stand der Sänger
Original from
. ■■
UMVERS TYOF MICHIGAN
- SÖ2 -
•oft; ich war allein, und diesen Augenblick dachte ich recht an
ihn, der mir so manchen wahren Genuß verschallt, so manche
meiner Lagen geschildert.
Bey der Kirche ist sein Grab, sleinern, einfach ; auf vier
Fußgestellen der Sarg; zwev Lorbeerbaume leiten kümmerlich
daneben, zerpflückt von allen Fremden. Der Pfaffe, ein erz-
prosaischer Kerl, zeigte uns Manuskripte von Petrarch und
eine schöne Ausgabe seiner Gedichte (Padova. 2 vol. 4° 150 fr.).
Im Heimweg fieujr ich an zu dichlen, wie ich im Hinweg
ein Sonett augel'augeu zu übersetzen (das 201 slej. Aber wie
gewöhnlich wird nichts fertig, und jetzt verhindert mich der
•Schlaf, selbst das angefangene nur niederzuschreiben. Morgen
Venezia \ — —
Venedig, Mittag 5 Oktober 1825.
In der Brautstadt des Meers, im alten Venedig, das mir
als Kind in feenhafter Ferne vorschwebte, nah an dar berühm-
ten Kialtobrücke wäre denn die schwarze Gondola gelandet.
Es ist alles Traum in diesem Leben ! Das Unmögliche wird
wirklich und wahr; das Mögliche und Wahrscheinliche zu
nichte.
Durch Darui, Schiller, Byron, Shakespeare habe ich
poetische und reelle Begriffe von dieser Stadt erhalten ; sie
kommt mir wie eine alte Bekannte vor. Ich hin nicht das
erstemal hier. Durch diese Kanäle fuhr ich wohl tausendmal, hörte
schon die Barcarolen, sah sie, die Gölierstadt, selbst schon mehr
als einmal emporsteigen aus dem Meere. Als wir gegen Fusine
kamen und die Thürme im Wasser sich zeigten, jauchzte mein
Herz j es glaubte sich daheim ; so sehr vermag das Genie auch
dem Entfernten Wirklichkeit zu «i.enen .... Schillers Geister-
aeher besonders hat mich oft in dieso Wasserstraßen versetzt.
— Auch erinnere ich mich der Erzählung meiner Eltern von
einem Onkel, der im vergangnen Jahrhundert als Kauf-
mann oft die Reise nach Venedig machte und die Damas-
cenerklinge mit einem Bestecke als Reiseapparat zurückließ.
Um Ordnung in die Daten zu bringen: wir sind um i/ 8 (i
durch Paduas finstre Straßen, durch das Thor am Canal der
Brenta hinausgefahren. Das Welter war trübe, ein feiner
Regen drang überall her; die Umgehungen der Rrenta kamen
mir bey weilem nicht so entzückend vor, ais man sie gevtöho-
4ich ausschreit; erstens sind sie flach \ dann geben überall die
1 Daru ist Verfasser einer Geschichte Venadigs in 7 Bänden.
{Parie 1810-21).
Oriainalftom
UMVEPSTYOfMCMGAH
— 3tt -
Weiden ein melancholisches Ansehn, und diese kleine Reise von
Padua bereitet ganz wohl auf den traurigen Anblick einer
sterbenden Stadt vor.
In Dolo, glaub ich, hielten wir; es ist ein anmiithifrer
Flecken mit schonen Häusern an der Brenia. Zwischen Dolo
und Fusina erblickten wir Venedi« emporsteigend aus dem
Nebel; unzählig die Anzahl seiner Tliünne, und groß tiie Aus-
dehnung der Stadt; es schien eine Zaubersladt in dem Ozean.
Die Lagunen traf ich über meine Erwartung ausgedehnt und
flüssig; sie gleichen mit einem Worte dem Meer, das ich mir
schon ewig lang vorstellte, wie es ist, obgleich ich unzählige
mal wir vorsingen lassen mußte, daß es ganz anders aussehe,
als man sich's vorstelle. Ozaneaux > halte wohl recht, als er
mir dies vergangnes Jahr in Beireff von Dünkirchen sagte.
Einige Dutzend Barkenführer umgeben schreyend den
tosenden in Ptrsina, um ihn zu bewegen, ihre Barke zu rniethen ;
mit schwarzem Tuch überzogen, eng und klein, wie ein Sarg,
lipj'pn die Schiffchen da und durchschneiden rnil ungeheurer
Schnelle die Kanäle der Lagunen, die durch Prahle angedeutet
sind, vermuthlich um die Untiefen zu vermeiden. Ich sah wenig
von der Stadt, eingepreßt in den engen Raum. Oesilich am
Horizont zeigte man mir Malamekko und die andern Erdzungen
oder schmalen Inseln, welche die Lagunen vom hohen Meere
trennen ; bey einer Insel, worauf San Giorgio minor mit einigen
Häusern sich lielilinh ausnimmt, fuhren wir rasch vorbey ;
schon erkannte ich deutlich die Bäume, welche die Häuser an
der Südseite von V[enedig] zieren; nah beym Kanal della
Giudecca fuhren wir in die Studt, zuerst zwischen unansehn-
lichen Häusern und unter kleinen Brücken hin ; bald zwischen
I J allasten, endlich im Haiplkanol gegen der Rialtobrücke hin
in das Hotel de Bretagne« das selbst ein Pullast ist. Gondeln
kreuzen sich unaufhörlich unter den Fenstern; die Schiffer
schreyen, und doch ist alles, sagt man, in Verfall 1 Wie muß
es zur Blüthenzeit gewwsen seyn I
Lords Byron's Haus (Moncenigo's Pallast) zeigte man mir
im Herfahren ; nnd ich war sonderbar bewegt bey der einfachen
Anzeige. Auch Tassos Stanzen hörte ich hersehnarren von
einem Schiffer; er schnitt die Verse immer in der Mitte durch;
die Melodie ist einförmig und rauh; sie machte mir keinen poe-
tischen Eindruck. Jetzt, nachdem ich den Pallast (Hotel de
Bretagne) im Detail gesehn, die Marmortreppc auf- und abge-
stiegen, Statuen und Gemähide uegattt, ist's Zeit hinauszueilen
ins Labyrinth der Wasser und der Inseln. San Marco ruft.
1 Jugeudfreuud Spachs
UMVERS TYOF MICHIGAN
- 364 —
Abends, 6. Okiober 10 Uhr.
Von der Brücke des Rialto herab, die sich bogenförmig
mit Laden auf beuten Seiten Ober den großen Kanal schwingt,
schweift der Blick über die Barken und Palläsle hin; bald
aber verlieft er sich lieber in den l&byrint bischen Gingen des
Quartiers della inerceria, um auf den Platz von St. Marco zu
kommen.
Wir treten hervor; iln lieyt die Kirche mil den vier ehernen
Pferden über dem Portal, mit dem abgesonderten vidi eckten
Thurme der ehemaligen Kirche St. Geminiuno, mit den diey
Obelisken-Säulen, Chyprus, Morea und Kandia bezeichnend. Da
licyl der ungeheure Platz mit den Caaini, der Procuratia», dem
pulaxza ducale, den Arkaden und reichen Läden ; da liegt vor
uns das Meer, denn so sehen die Lagunen eigentlich doch uus,
und am Hafen die xwey Kolonnen, wovon eine den IAiven,
die andere eine Amphytrite (?) liäu.l.
Wir besehen näher, was zuerst wie eine Operndekoration
blendend auf uns einwirkt. Da zieren prächtige Statuen, Ge-
mählde von Mosaik auf Goldgrund das Portal, den Vorhof des
Tempels; wir treten hinein ins Heilb/thum durch die alten,
von Konstanliuopel mitgebrachten Pforten, und der asiatische
Pomp, der ganz fremde bizarre Anblick der Kuppeln, wo lauter
Mosaikjremählde hervorquellen, die schöne Gestall der Marmor-
säulen, das blumcnbaftc magische des musaischen Fußbodens,
alles verwirrt und deutet an, daß der Fremde aus der euro-
päischen Civilisaiiou hinausgetreten ist, uaier einem ahgefion-
derten Volke wandelt ; daß hier schon dtr Orient mit dem
Occideiil zuiawniensloße. Kaum wagt, es mein Fuß hinzugleiten
auf dem echfrlgewiraten steinernen Teppich, kaum darf der
Blick sich vertiefen in deu Himmel, der an den Kuppeln
ausgespannt ist; die ehrwürdigen Grat allen des a- u. n. T.t
treten in arianigtachen Bildern hervor aus dem alles be-
deckenden Coldgrunle ; es ist ein heidnisch-christlicher Olymp!
Und wenn ich vorbereite am U»pti^lerium, worüber Christus
schwebt, vorbey an der Weihurne, die auf einem antiken
griechischen Piedestai ruht, so verliert sich der Blick wieder
im dunkeln Hintergrund des Chors ; er scheint das heilige
Grab in sich tu schließen, so sonderbar ist er verwahrt mit
durchsichtigen Kolonnaden, worauf Statuen der Christlichen
Götterwelt ach stolzen; so mystisch ist der Hochaltar verziert,
so ehrwürdig schützend schwebt im hohen Dome St, Markus
» So muß es offenbar heißen, statt des unleserlichen mit «Pro-
cuta» beginnenden Wortes
2 Soll heißen: «He* &>.■»- und neuen Testaments».
Original frorn
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 36e —
^iganleeko Gestalt. Noch hinter dem Hochaltar in verbor-
gener Stille zieren Säulen von Agath den Altar, vor dem die
Slaalsinquisitoren ungesehn die Messe hörten. Sie schließen
das Ganze, dunkel, geheimnisvoll und ernst. Jn einem Seiten-
gang liegt der alle blinde Dandolo begraben; auch die Stelle
zeigt man, wo Friedrich Barbarossa vor dem Pabst sich ernie-
drigte. Wo ist ein Schritt auf diesem Boden, der nicht eine
nahmhnfte Stelle berührte ?
Wir treten an den Hafen hervor und werten einen Blick
hinter urs auf den Plans San Marco; da zeigt sich ern Ende
die Sladiuhr, rechts die Kolonnade, mit ogivischen Fenstern
der palaazo ducale j links glaube ich die Cccca *, und der
königliche Garten. Jetzt? Wir .sehen auf die !*Ag<inen ; gegen-
ül>er zeigt sich San Giorgio Maggiore, majestätisch emporsteigend
aus der Fluth, i Gipuccini und andre Dome mehr ; in der
Weite erkennt man einen Streif, welcher das lido andeutet.
Wenig Kauff&rthcyschiiTe, eine große .Ynzahl Gondeln liegen
da. Wir gehn ein wenig an der Facade des Dogenpallastes
abwärts und sehn von unten die Seufzerbrücke über den engen
finstem Kanal.
Wir sind vom Schauen müde geworden. Wir ruhen ney
der Erzählung des Lohnbedienten aus, der 74 Jahre alt und
ehemaliger Kammerdiener des vorletzten Dogen, manches zu
sagen hat. Er spricht mit mysteriöser Stimme von den Inqui-
sitoren, als oh ihn die Sbirren noch belauschten .... aber
Venedig ist todl und seinen Leichnam bewachen einige Oest-
reichische 'Soldaten mit aufgepflanzten Kanonen und glänzenden
Flinten; ihre Figur ist unausstehlich auf dem St Marktplätze.
Giovanni, der 74jährige, erzählt uns noch von Byron, den
er bedient, in dessen Zimmern wir wohnen; er spricht von
den Luntfahrten und Spazierritten, die er mit ihm auf dem Udo
gemacht, wo der Meerschaum die Pferde -bespritzte, er aber
immer mit offenem Buche voran ritt ; und das alles erzählt der
Alte so einfach, daß fürwahr kein Zweifel an seiner Wahrhaftig-
keit bleuen kann.
Wir treten wieder in ein Gebäude ; es ist der prächtige
Hof des Dogen pal lastes ; antike Statuen stehn unbeachtet in
den Nischen ; wir gehen die Treppe der Biesen hinauf, wo
einst der Kopf des Faliero herunlerrollte, wo einst Foscari, der
Würden entsetzt, herunteigienß. OI>en stehn zwey Slalueu von
Sansovino, Mars und Neptun ; kollossaliseh, aber grandios und
hchon. fiier ist das Loch, vor dem ehemals der Löwenrachen ;
hier eine zweyte prächtige Treppe, die uns in das Innere der
Gewöhnlich «Zecca» geeclirleben. die alte )Hii/.e.
r
.
Oriainalffom
UMVEPSTYOfMCMGAH
— 366 —
Säle fuhrt. Hier verwirrt sieb mein Gedachttiiß, und es wird
eines zweiten Besuches bedürfen, um die Säle zu ordnen mit
ihren Gemählden, ihrer ehemaligen und jetzigen Bestimmung,
endlich mit ihrer Reihenfolge. Genau eingeprägt sind noch die
labyrinthischen Gänge, welche auf die Seufzerbrücke führen,
die gegenüberliegenden Gefunjrnisöe, die pluiubi auf den Dacti-
21 ,110 n, die Zimmer, wo die inquisilori die Gefolterten exami
nirlen und hinrichten ließen Hier ist die Eintbcilung der
Zimmer etwua verändert, aber Giovanni stellte sie in ihrer
Urgestalt her und erzählte an Ort und Stelle die Hinrichtung
einiger armen Gesellen, die er selbst mit stranguliren ansab,
versteckt in einem Winkel von einem Shirren. Den folgenden
Tag hiengen die Leichname draußen öffentlich autgehangeu,
mit dem Zettel «per cosa di stato» — sie hatten in htrien kon-
spirirt, es war aber damahls nichts davon aus Tageslicht ge-
drungen. In wiefern Giovanni'e Erzählung Glauben beizumessen
sey, lasse ich anheimgestellt.
Unter den Sälen ist der des Eingangs, delle quatlro porte
mit Gemählden von Panlo Veronese und Titian ; vom letztem
der Glaub eu, eine schöne Gestalt, glänzend von Farbe und
Li cht eile kl ; der ungeheure Saat dei pregbati und hinter'
dem DogensiUe die Hauskapel.e des Dogen; der finstre Saal der
Dogenwahl, wo die verwirrten und komplizirten scrutine
stattfanden; andere Säle, wo jetzt das Kriminalgericht seinen
Sitz hat; ehemals sola dei dieci; noch mehrere andere hinten
daran; miß mit prächtigen plafund- und Seitenmahlereyßn dar
venetianiseben Meisler, immer wohlerhallene Meisterslücke —
eo sind in den vier Ecken des letzten dieser Gemächer vier
Gemähide des Tinloretto, mit glühender Farbe ; Venus, die Mars [?]
und \ iadne verheuratnet, die Grazien usw. Von Paolo ist
irgendwo der Haub Kuropens, unstreitig das schönste, das ich
von ihm gesehn. Der Kopf des schmeichelnden Stieres ist so
naiv als möglich, und Europa reizend, üppig, frisch.
Müde sah ich oft über die Häuser hinaus in einzelne Theile
des Hafens, die hie und da durchblickten; kehrte auch in der
Nacht noch einmal auf den St. Markusplatz zurück. Das Meer
lag still ; die Lichter auf den Inseln schimmerten herüber; die
Schiffer sangen nicht. — ttnigeBarken mit einer Laterne gleiteten
Mumm und schnell vorüber, wie Särge mit einer Todtcnlampc.
Auf dem Plane habe ich mich umgesehn, er hilft aber nichts,
um sich in den vielen namenlosen Gißgen zurecht cu finden ;
und do:h mö>ta ich jeden Augenblick, den ich allein auftreiben
kann, benutzen
1 Undeutlich infolge einer Korrektur.
C Original from
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 367 —
Donuer&iafc, 6. Oktober, 9 Uhr Morgens.
Ich war allein im Quartier der Merceria, auch an einer-
Kirche. vr in großen Leitern geschrieben stand: Volle Indul-
genz lür die Lebenden, lb eil weite Iudulgenz für die Todlen,
wenn man an einem der Altäre dieser Kirche betet.
Hierauf Kien* ich über die ttiallobiücke auf den je lebten..
Fischmurkt, der mich völlig in die Pariser Hüllen versetzte, iik-
die Kirch» San Maria Gloriosa dei Iran, wo Titians Grab, ein
Monument in ejjyptischen Styl zu Ehren Ganovas; er selbst halle -
es angefangen zu Ehren TizianoV Ein prächtiges Gemähide -
dieses letztem, Statuen von Sansovino in der nämlichen ; durch-..
die Kirche San Paolo zurück.
Freitag, 7. Okiober, Abend».
Gestern in Gesellschaft stieg ich in die Gondel und fuhr in—
die Kirche der Jesuiten, wo Marini's Asche und das Mirlyrthunv-
de« St. Liurcnüus, eines Geniähldes von Titian, gleich an>.
Kiri^:in^. Der HauptfinhlL-k der Kirche ist schimmernde Pracht.
Der Hauptaltar ist mit Kolonnen von eingelegtem Venelianischen
und Karrarischen Marmor, weiß in grün, geziert; 10 Kolonnen,
sind Ober dem Altare, 4 an deu Ecken. *
Unter den übrigen Gemähldea:
Die Enthauptung St. Johanns, von Halma Giovine'; von ,.
Tinloretto : die Ueschneidurg; von Tiepoletto ist der plafond. .
Im P»l laste Manfrini :
von Gioniano, Porzia sich lödtenri.
» Belli no, eine Jungfer, portrait.
» Giorgione, ein Portrait; es war ein Schüler Bellinos. er-
starb 34 Jahre alt.
» Dürer. Engel beten das Jesuskind lein an.
» Tifiiua, ein Portrait des Arioslo; herrlich, lebhaft.
» » ta regina Com uro,
» Gennari, 1 Sibylle.
» Rembrandt 1 Portreit.
» Moriglio, 1 Schäfer.
> Pordenone, er selbst in der Mitle von 5 seiner Schüler.-..
1 Heurath der Jungfrau ;
ß Bellino, Christus in Emaus.
Ein gonzeß Zimmer voll von oj ton Gemähldon von Cirnabue, ..
Giotto, Manlegna.
von Giorgione ; ein Weib und zwer Männer; man glaubt-
Tifian, seine Geliebte und Giorgione; unnachahmlich schön -
und lieblieh.
i Lies: Oiovaae.
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 368 —
Ji;li:> Romano, Cirse gibt dem Ulysses den Becher.
Guercino, Der verlorne Sohn bey seiner Rückkehr.
Velasquez, eine Jungfrau.
Tizian, Kreuzabnahme.
Pietro di Perugino, Meister Haphaels, biblische Gemähide;
an einer Frauenphysiognomie erkennt man schon Raphael.
Luriovico Caracci (Ftolognesische Schule), «;ce homo. Fra
Bartolonteo della Porta, ein Portrait. Gerard Dow, ein Doktor
besieht den Harn. Von Carlo Dolci eine Jungfrau (Florentiner).
Chiesu di San Maria dci scalzi ; ohngclahr wie die Jesuiten-
kirclie des Morgens; prächtig» überladen mit Pomp; rothe Marmor-
säulen über denn Ilaupteltjr.
Wir fuhren durch den ganzen Canal grande bis an die
Isola Sapta Chiara, wo sich die Aussicht gegen Mestre hin
öffnet, und zurück bis an die piazza San Marco. Es isl eina
prächtig* Spazierfahrt zwischen diesen Patlästen der versunkneu
Herrlichkeit hin . . . Die letztere Seite, bey der grandiosen;
Kirche della Salate und der eleganten Dogana, welche auf der
äußersten Spitze des westlichen Theils der Stadt liegt, ist wirk-
lich magisch. Der reine italienische Himmel, der üher der
ganzen Wasserfläche, den Inseln und der Sladt lag, die hin
und her kreuzenden Barken, die bewegte Menge auf dem
Markusplatze und am Gestade dei Sctuavoni hin praßten ein
unauslöschliches Bild in mein Gedächtnis.
Wir landeten, um eine Ausstellung der hiesigen Manufak-
turen zu sehn ; sie hatte weiter nichts merkwürdiges für mich,
als daß sie in dem Gebäude der allen Bibliothek] sich befindet
und der Saal mit prächtigen GemahkJeti der venetianischen
Schule geziert war: (Tintorett P. Veronese, Salviati).
Fahrt auf das Udo.
Es gieng vorbcy an der öffentlichen Promenade, welche die
Fi-anzosen an der östlichen Spitze der Stadt angepflanzt haben,
an St. Helena, der ferneren ICarlhause, auf den sonnenhellen
Lagunen. Wenn ich hier wire, würde ich jeden Tag eine
andre Insel zum Spazierpunkt wählen; sie sehen alle wie
Oasen aus; denn so niedrig dag Wasser der Lagunen seyn mag,
so gleicht es doch dem Meere. Auf den Festungswerken des
Lido landeten wir um 3 Uhr und ich sah von oben herab das
blaue Arlriatische Meer seine Wellen tobend ans Ufer rollen.
Schifferbarken schwebten in Unzahl ; ut der schonen Fläche.
Großen Eindruck hat es mir nicht «remacht; ich war nicht
allein und die Wogen netzten ineine FüDe nicht; auch bau ich
rnir's leicht vorstellen können und finden, wie es war.
Im Rückweg blieben wir wieder auf dem M[arkus]plaize,
im einzelnen die Fanden der Pal laste untersuchend. Am palaszo
C Original from
■
UMVEPSTYOF MICHIGAN
- 309 —
ducale isi die #egen den molo huckende Seite unter Marino
Falieri erbaut, im arabischen Styl; unter Foscari (1423) der
größere Theil der Facade. welche auf die piazzetta sieht. Hier
sind im zweiten Rang zwey rothe Kolonnen; sie bezeichnen die
Stelle, wo die Kriminalsenleiizen publizirt wurden. Der Winkel
zwischen der piazetta und dem molo ruht auf einer einzigen
Kolonne.
Durch die porla di Carla Irrt! mau in den Hof, vro auch
die verschiedenen r'apaden zu bemerken; die auf der Seile der
Ulli) 1607 erbaut, mit Statuen geziert; zur nämlichen Zeil die
Facade auf der rechten Seite des Eintretenden.
Gegen der scala dei Giganti über ist eine von Bergamasco
1520 erbaute elegante Facade; die, welch« auf der Seite des
rio di Palazzo sich findet, ist 1600 unter den Barbari^o erbaut.
Die 3cala dei Giganti von Rregno, ge^en 1400 geendet;
Mars und Neptun oben darauf, kolossale Statuen von Sansovino.
Hier oben wurde der Doge gekrönt. Die liöherliegetiiie scala
d'oro, welche in die Säle Führt, 1538 — 1577 erbaut ; Dojje Sebasl.
Yenier.
Wir kehrten auf den Platz zurück. Der Thurm von
Sät. Marcus 902— llöO: an seinem Fuße ist die Logiria del
campanile, ein kleines nettes Gebäude reit Statuen von. Sanso-
vino. 1540. Die torre dell orologio; Pietro Lomhardo 1498
erbaut. Ein prächtiger Quadrant. — Daran stoÜen le procuratie
vecchie, die eine Seite lies Markusplatzes füllend; jetzt sind sie
wo Privatpersonen bewohnt, 14d0, 1&3 möires lang, 18 hoch.
Gegenüber, die andere Seite des Platzes einnehmend 1) le pro-
curatie nuove, 2) oder paiazso reale, 3) oder alle Biblio-
thek. Die letztere hat die Facade auf die piassetta; die Biblio-
thek wii hier bis 1812; Sansovino fien£ sie an; es sind 21
Arkaden in Lärigje, 3 in die Höhe ; Slatucu vou Sansovino
zieren eben die Balustrade.
Die procuratie nuove #ehn längs der piazza maggiore hin.
Vinccnzo Scnmozzi 1684 erbaute sie meist; 38 Arkaden lang.
Die nuova fabrica, welche den Platz tregen der Kirche am
andern Ende schließt and am Ort errichtet ist, wo die Kirche
San G?niiniano stand, wurde erst 1810 erbaut. Diese drey
Facaden zusamen bilden die Wohnung des Kaiser-Königs.
Den Sonnenuntergang sahen wir suf St. Markus, den man
ohne Treppen, wie einen Berg besteigt. Nur der Rigi ist
dieser Aussicht an die Seite zu setzen. Zu den Füllen die
ungeheure Stadt, drauf Insela, drauf Udo und Malamocco,
drauf das Meer. Auf der andern Seite der Kontinent und die
Tyrolergebirge und dieEugannischen Hügel, hinter die der Sonne
ftlulb versank ; die violette Seite mit Purpur vermischt am
24
Original from
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 370 -
ganzen Horizont; hundert Kirchthürine und Mäste im Hafen, in
den letzten Strahlen schimmernd .... es ist unaussprechlich
reizend, und doch liegt ein Leichnam Venedig zu meinen
Füßen! alter als tausend Gondeln die fjigiinen füllten, der
Schiffer Gesänge, das Tosen des St. Markusplatzes heraufklan^*
als Asiens Reichthümer hier statt Fischen und Engländern aus-
geladen wurden, welch' ein Schauspiel damabls!
Den heutigen Tag muß ich auf morgen lassen oder viel-
mehr auf heute den gestrigen, denn es schlägt 1 Uhr und der
6 lc Oktober ist angebrochen , der letzte Tag in der Meerstadt.
den 6len Abends in der com media di rarallere von Goldoni :
la donna hizarra ; es war im Theater San Benedeit o ; obgleich
sekundär, ist es schön geziert und hat fünf Reihen Logen in
größerem Zirkel als das Iheatre fr[anceis]. Ich war ein wenig
mortifizirt, nicht alles zu verstehen. — Gestern den 7 ten auf
der Bibliothek im palazio durale. Es ist ein langer Saal, unten
mit Büchern, drüber mit geschichtlichen Gemälden, höher
mit Bildnissen dar Dogen geziert; in der Milte taufen zwey
Reihen antiker Siatuen hin ; an beyden Enden, in die Breite,
sind bas-reliefs, Torsen, kleinere Statuen ; alles in Unzahl,
aber schön geordnet. Rechts beym tinlntt ist das ungeheure
Gemälde von Tintorett, il paradiso ; eine Riesenkomposition,
mehrere hundert Köpfe und Figuren, die sich wie Ueerps wogen
um den Thron des Ewigen drängen ; wunderbar spielt das Liebt
zwischen den Gruppen.
Unter diesen sind xwey bas-reliefs, die man dem Phidias
zuschreibt. Am andern Ende des Saals die Gesetze Dracons.
auf der Insel Delos von einem Grimani gefunden ; ein bas-relief
wo sie Trauben siampfen.
Unter den großen geschichtlichen G[einäldeu] : der Sie/
bey Cniogga voa P. Ver[onese]. Heinrich Dandolo, den Daiduin
krönend, unter dem Bildnis desselben Losen und dem schwarzen
Schleyer, welcher M. Falieros Stelle bezeichnet.
Die Eiuualune Conslanlhiuuels von Tintorett. Unter den
Statuen ein Ulysses; er kämpft und spricht. Amor, den Rogen
spannend.
Bachus und ein Faun, sich umarmend. Von Winkel m [an r]
beschrieben.
In einem Zwischensaal eine antike Venus.
In der Sala del scrutinio die große Schlacht von LepanU.
von Andrea Vicentino ; das übrige ist verwischt.
Das Haue, woCanova starb. Inschrift: cUas aedes francis-
«coniorum, quas ob diuturnae amicitiae candorem lautioribus
«hospitiis praetclerat, Antonius Ganova sculpturae prineeps ei-
«tremo hahitu ronsecravil. 3 id. Oct. 1822.
UMVERS TYOF MICHIGAN
- 871 —
In der Kirchs San Salvador:
Grab der Königin Cornaro, des Dogen Vemeri ; Gemähide
von Titian und Bellino.
Pallaät Pisani :
Tod Darius', von Piazzetti. Familie des Darius zu Alexan-
ders] Füßen, Meisterstück von Paul Veronese.
Pallast Barberi^o:
Magdalena von Titian ; zwey Kinderköpfe von Correggio ;
ein aiw/efangen Gemahlde von Titian» St. Sebastian vorstellend ;
er slarb ober der Ausführung. Portrait* von Giorgione.
Dei frari, wo ich schon gewesen : ein Sakiati (Hör. Schule),
eine Statue von Sansovino ; Pesaros Grab ; alte Gemählile von
Contarini und Carpacio.
Acadeinia delle belle Arti.
Eisige mit nach geformten Slutuen angefüllte Säle ; ich
lernte hej dieser Gelegenheit die Statuen [V] voraus kennen, die
ich in Florenz und Rom treffen werde. Es sind Statuen von
Canova da, die tfewiß den Antiken gleichkommen ; in die Prin-
zessin Borghese verliebte ich mich ; das ist die schönste idea-
lische Gestalt und Form, die ich eah. Gegen ihr über die
Mutter Napoleons, edel, sireng, eine Klytemnestra.
Im hintern Saal ein alt GernShlde von Bellino (UDO) : die
Prozession vor St. Marcus vorstellend.
Im Gemäuldesaal ein Sankt Johann der Täufer von Titian.
Dessen Himmelfahrt der Jungfrau ; es ist die Glorie des
Himmels, welche so glühende Farben über alles ausgießt;
feuerroth ist das Gewand der Jungfrau, feaerroth der Mantel
manches der Apostel, die unten ir verschiedenen Posituren die
Heilige oben in das Gold des Himmels verschwinden sehn. leb
gebe diesem Gemähide von Titian die Palme.
Von Pordetione, einem Zeitgeuutsseu fielliu's, eiue ganze
Gallerie ; von Tintorett, ein Mirakel des Sl. Markus.
In einem andern Saale Canovas Herz in einer Urne. —
Im Hinaus^ehn bedachte sich ein schön gekleideter, junger
Mann, der sehr verständig über Kunst mit uns gesprochen und
uns unter anderm die Schuler Titians genannt hatte (Bonifacio,
Padovano, Palma Giovine, Contarini, Rocco Marcnno) nicht
einen Augenblick, die buonamano zu nehmen.
Mit dem Grafen allein besuchte ich noch die Kirch© San
Giovanni e Paolo, die mit Gräbern von Dogen überladen und
von Zierrathen erdrückt ist; unter den fünf Kapellen im Hinter-
grund der Kirche ist immer eine prächtiger geschmückt als
die andre; schöne Glasscheiben, von der untergehenden Sonne
beleuchtet, sind nicht die geringste Schönheit dieses Tempels ;
aber vor allem steht das Gemahlde Titians, den Tod eines
Original frorn
UMVERS TYOF MICHIGAN
- 372 -
Ano>t*?U, der van Räubern in einem Wald fiberfallen wird, vor-
stellend. Es heißt il martirio di Sau Pelio, woher, weiß ich nicht,
denn St. Peler soll tfekreuziwt worden seyn, den Kopf unterwärts.
In der Fijiur des Gefährten, der unbewaffnet neben dem nieder-
geworfenen und todtbedrohtcn Apostel steht, liegt außer der Ver-
zweiflung und dem Schrecken eine tföltlicbe Hingabe, weil er die
Elidel mit Palmen in Jen Wolken sieht. Es gehörte das Talent Ti-
tians dazu, einem furchtsamen Charakter tlieseWürde aufzuprägen.
Auf dein Platz vor der Kirche in der daransloßeudeu
Scuola Ji San Marco ist eine Statue Coleonis.
Des Abends im Theater San Benedetto: Oreste von AIQeri.
Ich habe die Franzosen affeklirl geglaubt, die Italiener sind es
zehnmal mehr; ich habe beynah keinen einzigen wahren Ton
gehört ; nur der Augenblick, wo Orestes und seine Schwester
sich erkennen, war rührend.
Den 8Ien eilt ich früh morgens auf den Thurrn von St.
Marens, den Sjonnen.iufgmi^ zu sehn ; es war eiskalt und die
Sonne schon herauf, ;ils ich die letzten Treppen bestieg. Doch
genoß ich noch die schönen Tinten auf dem Meerhorizonte ;
im Ganzen ist der Untergang schöner. Arn Arsenal sah ich
nur die äußere, ungeheuer lanjre Mauer, die Brücke und so-
viel sieb durch das Gewitter [?] des Kanals erblicken ließ.
Mit dem Grafen im detail das Innere und Aeußere der
St. Maikuskirche. Sie wurde a* 976 begonnen und a 1071
geendet. Die Architektur ist griechisch-arabisch ; 600 Kolonnen
von Verde antico, Porphyr und Mnrmor zieren sie; mit einem
Worte, was an diesem Gebäude nicht Gold, Erz oder Mosaik
ist, besieht aus orientalischem Marmor.
Fünf Mos&ikgemähhle zieren die Bötfen Her Facade ? wor-
unter die Fortschaflung de.« Körpers des Heiligen aus rien
Gräbern von Alcxondrin zu (»merken.
Fünf Thüren von Erz schließen den Tempel, und die vier
ehernen Pferde schnauben auf der Zinne.
Die Farads links zählt viel has-reliefs ; rechts *>*? pn ' lp
pia/elta sind mehrere Staluen.
In der Vorhalle des Tempels ist die Stelle bezeichnet, wo
Friedrich sich vor Alexander beugte; unzählige Mosaikgemflhlde
D3ch Zeichnungen von Snlvioti, Titian etc., durch Zuccalo
axoöerjtheils a. 1545 verfertigt ; rechis in der Vorhalle ist die
Kapelle Zeno, die wir nicht betraten.
In die Kirche selbst führen metallne Pforten ; eine rechter-
haud soll von der Kirche San Sofia hergenommen seyn.
In der Kirche selbst sind oben die Mosaik so üneinander-
ifedrarigt, daß eine Analyse zu ermüdend wird ; mit einem Wort,
der Christi. Olymp drängt sich herab.
f~* Original frorn
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 073 -
In der ßapListerium's Kapelle eine Madonna und zwey
fcngel in Marmor und ein prächtiger Taufstein aus Marmor mil
Deckel aus Erz ; darunter schwebt ein St. Johann. Ich über-
gehe die vielen Nebenkapellen, der Hauplaltar ist von vier
marmornen Kolonnen getragen; hinter demselben ist ein zweiter,
auch mit vier Alabaslerkolonneu gezierl.
Das Thor der Sakristey ist mit bas-reliefs von Sansovino,
woran er 20 Jahre lang arbeitete, geschmückt; innen ist die
Mosaik, wie überall» verschwendet.
Indem ich das früher geschriebene über die>e Kirche
durchlese, sehe ich, daß der Generaleindruck, so belaubend
er seyn mag, doch das interessanteste Eiuzelne heraushebt,
und daß das Zerbröckeln nichts weiter, nichts Neue* in den
Kopf bringt.
(Flor[enz] 28. Oktober am Krankentische geschrieben). Nach
dem Frühstück das Theater AI 1 1 fenice; die easa Cicognarn
des Aufsehers und Direkturs der \kaderoie der schönen Künste.
In eleganten, schön meublirten Zimmern die ritralti de>lle
statue di Canova; Bealriee, eine Büste von Canovas Arbeit etc
Wir stiegen draur" in die Gondel, fuhren in die Kirche
San Maria rtella Salute. Jedesmal wenn man aus den kleinen
Kanälen in den großen beyrn St. Marcusplatze besonders,
hervorkommt, wird der Blick von der Große der Ansich:
überrascht ; es ist, als ob er aus der Nacht ans Licht käme. In
der Kirche stie^ gerade der Weihrauch vor dem Altar empor.,
die Töne der Or^el schwollen; es war zum Hinsinken.
In der Sakristey finden sich drey Gemühlde Titians, welche
seine iltey Manieren kennen lernen. In der ersten ist ein
Sebastian, in der 2ten und besten ein 3l. Vfaikua, in der
dritten ein isaaksopter am plafond ; von Bellino eine Jungfrau ;
von ProTenino eine Verkündigung:, liebliche kleine GemDhlde.
Hinter der SakrUtey sind Altarzisiruthen, köstlich aus lapislazuli.
Türkisen, Agathen zusammengesetzt und kleine Gemähide ein-
schließend.
Diese Kirche della Salute wurde 1630 auf ein Gelübde der
Republik hin nach der Fest erbaut : die ehernen Statuen über
dem Altar deuten allegorisch darauf hin. In den Choigängen
des daranwenden Seminars ist ein altes von Torcello herge-
brachtes l-as-relief.
Wir fuhren in den hreilen Kanal della (litidecca hinüber
in die Kirche al redentore, von Palladio 1570 erbaut, einfach
und edel ; mehr zog mich immer der Anblick der schönen
Meerbraut draußen im Freyen an. San Giorjrio major liegt
am Ende des Kanals auf einer abgesonderten Insel : ich hatte
schon oft von St. Markus herüber ihre t>dle destalt bewundert.
C
UMVERS TYOF MICHIGAN
- 374 -
CemShlde : Santa Lucia, Märljrin von Baasano ; ein ziemlich
ähnlicher Gegenstand von Tintorett. Im Clior ist sehr schönes
Holzschnilzwerk, unter anderm St. Benedikt, welcher Brod in
einem Korb von Gott item Vater am Seil heruntergelassen
empfangt.
Wir fuhren unter der Seufzerbrücke an Bianca Capellös
Hause vorbey, in den Pallasi Grimani. Im Hör sind zwey
kolossale Staiuen, Agrippa und Geaar» aus Rom hergebracht
Die ungeheure Menge von allen ist sehr gut unterhalten;
Ober einer Treppe am ulafuud sind Greiuählde vun Giurgiuuc iu
dei ersten Manier Raphaels ; Gemählde ron SaUiati (die
Psyche), von Tilian, von Öassoferrato, der völlig die Manier
des Carlo Doloe bat ; ein großer Saal mit lauter portraits, von
Tilian drey ; ein Saal mit alten Tapeten der Gobelins; ein
andrer mit Büsten und bas-reüefs; Gemählde von Johann von
Udine, dem ersten Mitarbeiter Raphaefe.
Den Sonnenuntergang sali ich wieder auf dein Platze
Sand Marcus, mich allein auf dem Stadan dei Schiavoni
umsehend ; Gaukler wie auf den quais zu Paris ; ein impro-
visirender Erzähler, um den sich das Volk drängte; er sprach
ein reines Itaiiänisch und mit vielem Feuer: ich glaube, es war
eine Art Feenmährchen.
Rey Tische fielen mir Gedanken über Venedig; ein und
ich brütete sie im teatro San Luxa unter Rossinis leichtsinnigen
Akkorden aus. Im Hintertheil der Loge sitzend, hörte ich nur
die Musik der Matilde de Scliabran, einer jener hundert Opern,
die der beliebte Tonkünstler in allen kleinen Städten Italiens
ausgesät hat.
Venedig, 9. Okiober.
Um t Uhr zu Beite und ohne zu schlafen Sontags um
fi wieder auf. Ich legte mich bequem in eine Gondel, um
allein eine Wasserfahrt zu genießen und fuhr gegen die Insel
der Armenier. Die Stadt und der Markusplatz verachwanden
hinter mir im Nebeldufte ; ich glaubte mich wirklich im offnen
Meere. Im Kloster seihst bessh ich nur die Kreuzhänge, den
Eingang der orientalischen BuchdruckcrcY und eilte ebenso
schnell zurück ; die Glocken Venedigs tönten mir entgegen
und der Nebel rollte langsam wie ein Vorhang weg von
Palläslen und Tempeln. Noch einen Blick auf die Giudecca,
den großen Kanal, und jetzt fuhr die Gondel in den engen
Straßen zum Wirthhaue zurück ; man stand zu Hause erst
auf, und ich hatte noch Zeit an den vielen Kcken, die ich
liebgewonnen, Abschied zu nehmen. Wenn ich nur vier Tage
wo verweile, so kwtte ich mich an, verschmelze mit der I^oca-
.
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 375 —
lita( und werde wuhmüthig, wern'o fortgeht. In Venedig be-
sonders hatte ich einen kurzen Zwischenraum von Seelenruhe
und erträglichem physischem Wohlseyn gewonnen; kein Wunder,
d.'Ii ich die Inselstadt ungern verließ. Ni-^ht die vielen
Gallerien, die sich verwirrend in meinem Kopfe drängen, nicht
die Tempel, wo orientalische Pracht mit katholischem Pomp
sich verfeindet, nicht die Theater, selbst rieht das ganz
fremde Bild des Markusplatzes ketteten mich an diese sonder-
bare Stadt ; aber der Anblick des Meeres, das sich in jede
Straße drängt, diese zerstreuten Inseln, die ich jjewiß alle
einzeln bey Muße besuchl hätte, aber der Anblick der gefallenen
Größe und doch noch die Heiterkeil beym nahen Toda, aber
der schöne Himmel Italiens, den ich hier zum erstenmal auf
ganz ilaliänischen, fremden Gegenständen liegen sah, das war's,
was mir Venedig so anziehend darstellte, das wäre e5j was
mich längeren Anferrthall wünschen ließe, wo dann die
Ideen gewiß mit den Wogen des Meers herschvrimmen
würden.
Ich stand vertieft in den Anblick der Stadt hinten auf der
Gondel, während der Fahrt nach Fusina ; etand und echautc
hinüber nach Nalamocco über den schönen Mauen Spiegel
hinüber auf die verschwindenden Thürme. In Padua lagen die
^ekelhaften Packe zu besorgen; ein Sprung noch auf die piazza
delle Erbe und dei signori; die letztere halte ich nicht gesehn,
sie liegt an einem Thore etwa eine Gasse entfernt vom großen
Hat h haus und ist mit schönen Gebäuden geziert.
Ferrara, 10. Oktober.
Zum Thore von Arqua hinaus; ich fühlte die Nähe eines
in Leiden zuzubringenden Tages. Frühe noch kamen wir nach
Catajo, dem Schlosse des Herzogs von Modena, das ich vor
wenig Tagen im Vorbeyfahren nach Arqua gesehen, aber mit
dem dahinführenden Wege vergessen hatte. Gleich beym Ein-
tritt in den Hof zeigt sich eine Grotte mit einer Elefanten-
slatue : von weitem nimmt sich das nicht übe) aus. Das
Schloß selbst ist über allen Ausdruck grandios ia seiner alter-
thümlichen Bauart, mit alten Gärten umgeben, wo zugeschnittene
Buchsbäume in langen Reihen um Blumenbeete und Weyer
e-tchn. In solchen Gärten las Taseo seine Verse vor. Sonder-
bare Stiegen, die keine Staffeln, sondern Erhöhungen haben,
auf die man sich stütz; (si parva licet componere ma^nis, wie
bey den Hühnerstiegen) führen zur ersten Terrassej von deren
Höhe man eine göttliche Aussicht in die Euganäischen Berge
gegen Arqua hin, auf den Flecken Abattaglie und die frucht-
bare Ebne hin genießt. Der schönste Morgen beleuchtete die
Original frorn
UMVEPSTYOF MICHIGAN
— 376 —
herbstliche Gebend ; d.i. reinste Licht, der reinste Himmel,
die farbenreichste Erde.
Untern tfieng ich iu die Säle hinein, wo Gemähide von
Paul Veronese die Geschichte der Obizzi darstellen ; prächtige
Meubeln, Tische von verde anticu, von Jaspis, Porphir[?] zu-
sammengesetzt, zieren die hohen Säle. Durch verschiedene
Stiegen, durch eine in Fels gehauene Hausflur gelangt man
in ein Arsenal mit alten Rittersrüstungen angefüllt; man glaubt
in eine Halle zu treten, wo die alten Kampfer sich wallnen.
In zwey Reihen stehen sie von einem Ende zum andern; nu
den Wänden herum hängen Flinten, Pistolen, Säbel, Schilde,
alte Kanonen aus Leder, Mur^etisterne d. h. Keulen inil Eisen -
spitzen um die Kuirassen einzuschlagen ; ein Pilgerslab inil
drey verborgenen Dolchen ; ein Brevier mit eiuer verborgenen
Pistole.
Noch andre unterirdische Gemächer und Säle (ohogeuir
wie die franc[Ösiachen] Küchen [?] erleuchtet) mit antiken Vasen,
Sarkophagen, Statuen, Penaten, e^yptischen Idolen ; ein Musik-
zimmer, wo Instrumente aller Art an den Wänden herum -
hängen, vermuthlich um die Fortschritte in der Vervollkomin-
nun^sbunst anzudeuten ; eine golhische Kapelle mit .roldnen
Verzierungen . . . Dos wären raptim die Hauplgegenstände
dieses merkwürdigen Schlosses, wo alles Fabelhaft zu seyn
scheint Aus einem dieser unterirdischen Gemächer erblickt
man auf einmal das Hauptgebäude seihst in weiter Ferne auf
der Hohe liegend : ich kann's mit nichts vergleichen als mit
Operndekorationen aus Richard Löwenherz, die mir als Kind
in magischem Lichte noch vorschweben.
Ueym Einsitzen in -die Kutsche standen eine Menge Lculc
herum, unter andern? Pfaden; sono della faniiglia sagten sie,
als sie mich mit den Kammerkätzcbeu eiusleigei, sahen j und so
ist es auch . . .
Bey Monselice, der ersten Poststation hinter Padua, hebt
sich auf einem Hügel Larocca, ein stolzes Schloß mit Pinien
empor; eine Stunde später [hei] Stanghella (wo ebenfalls ein
Schloß), fuhren wir in einer fließenden Brücke über die Elsch,
deren Ufer mir hier ziemlich platt vorkamen ; auch litt ich
unaussprechlich von Zahnweb, Hitze, Staub und Hunger j es
ist wirklich 8 Uhr Abends und seit 12 Stunden habe ich
nichts gegessen ; alter das Fieber läßt alles vergessen.
Bei Polesella fährt man zum erstenmal über einen Arm
des Po; hier ist eine Brücke. Die Ufer sind unbedeutend,
ehersaDdigt; die Gegend nimmt einen weniger fruchtbaren
Charakter an ; hey Ponte Lagnsr.urn bringt eine fliegende
Brücke über den zweiten Arm des Po, der hier noch flacher,
Original frorn
UMVEPSTYOF MICHIGAN
- 377 —
noch sandiger ist und sich doch in der Abendbeleucbtung
schön ausnahm. Diese fliegenden Brücken sind hier durch
sechs bis sieben oben im Strome stehende Scliifle befestigt;
ein langes Seil zieht sich perpendikulär über die befestigenden
Schiffe auf das fliegende hin und verhindert, daß es von der
Strömung abwärts gezogen werde 1 .
In Ponte Lagoscuro belritl man das päbstliche Gebiet und
fährt zwischen Pappelalleen in's alte Ferra ra. Die Sonne gieng
unterwegs glühend unter und vergoldete Reben und Bäume ,
Winzer lagen auf den Matten und bildeten schöne Gruppen,
der Horizont nahm jene violette Tinte an, Hie mich in Venedig
so entzückte. Und diese Götterszene ward mir durch eine Er-
zörnuns und mein stechendes Weh verdorben, gerade als wir
zum Thor hineinrollten.
Als Straßenbemerkung mag mit hmgehn, daß man hier
sehr schnell auf schmalen, einsitzigen Kabriolets dahinrollt und
die Weiher in Piriiia Blumen poetisch im Haare tragen, statt
jenen schweren einnenen Kugeln, die mir bey Brescia und
Bergamo so sehr mißfielen. Jetzt schlägt endlich die Stunde
der Erlösung, des Mittagessens.
Dienstag Feirara, 11. Oktober, 11 Uhr Morgone.
Während die Pferde angespannt werden, bringe ich etwas
von dem Geschreibsel während dem Spaziergang durch die Stadt
in Ordnung. Zuerst die piazza delle erbe vor der Kalhedral-
kirebe ; in der Feme zeigt sich mit seinen Thürmen der palazzo
d'Este, wo jelzl der K<udiual Legat Odescalchi wohnt. In
der Kirebe sind Gemähide von Garofalo, dem Nachahmer
Raphaels. Auf der Bibliothek, gleich beym Eintritt unter der
Kolonnade, die Altert hümei ; zwey Crabmähler Hey dem alten Fer-
rariola ausge^ruhen ; eines derselben von einer gewissen Faust inn,
welche die Leute hier regina di ferrariola nannten; gewissere
historische und chronologische detail« konnten sie nicht geben.
Im riauptsaal, am Ende, ist Ariostos Grabmaal ; einen Blick
warf ich hinaus auf den grünen botanischen Garten.
Unter alten Maausknpten : Chorsdgesäoge, Bibl, Psalterbuch
mit schönen Gemählden, unter andern der Sündenfall :
eeco la creazion della donna
eeco il peccato.
1 Hier hat der Verfasser eine Üüchtige Fedeislcizze lolcher
fließenden Brücke eingeschaltet.
1 DnUserlichee Wort, vermutlich ein Name.
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Original from
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UMVERS TYOF MICHIGAN
>
— 378 —
In einem Schränk Ariostt Dintcnfaß aus Erz, sein alter
hölzerner Stuhl, eine medaille mit seinem ßildniß, auf seinem
Körper gefunden, als er aus der Kirche San rJeuedetto hieher
gebracht wurde; sein Portrait von Üaseo Dossi, ein Manuskript
von Taeso, Sonette im Gefängnisse ; sein Jerusalem, (eine schöne,
niedliche Hand) ; Guarinis «pastor üdo». auch Original-
manuskript. — Im Eintnttssaal Portraile der Kardinäle; unter
andern de» Hippolito d'Esle; man erzählte uns die bekannte
"Geschichte dessell>en: Messer Lodovico, che diavolo (iove avete
raccollc tante coglionerie? — in suo gabino V. Eiuiueiiza !
Bolognn, 13. October Donnerstag.
In Ferrara sahen wir noch Tassos Gefingniß ; es ist ein
wahrer Keller; Linien in einer Ecke sein Bettyestell ausSleineu ;
Lord Eyron nahm einen ganzen mit , sein Name stellt außen
auf der Mauer.
Das ehemalige herzogliche Schloß, mit einem stinkenden
-Graben umgeben, durchliefen wir, es ist eine ungeheure Reihe
von Sälen, weiter nichts I
Die Sladt hat 23 000 Einwohner; worauf 8000 Ebrci, wie
die lieben Leute hier heißen. Diese Zahl verschwindet in der
Ungeheuern Zahl der Straßen, worunter viel schöne, z. B. die
•Giorens , wo das Hospital St- Anna und das Theater
liegen.
Als ob wir das Fieber hätten, liefen wir zur Stadt hinaus ;
die Gegend schien mir öde. sumpfig und schlecht bebaut. Bey
Malalbergo, der ersten Poslslation und bey der zweiten Capodargine
überfielen uns die Bettler mit kläglichem Geschrey. Es war
päbsllirhes Gebiet. Lang disputirte ich mit dem Grafen über
die Schädlichkeit der großen Eigentümer; wie es denn geht —
jeder behalt seine Meinung, aber die Wirkung hier ist offenbar :
die Felder bey weitem nicht mit so vieler Sorgfalt als in der
Lombarde) und Schweiz angebaut und das niedre Yolk hungernd.
Zu den prächtigen Thoren von Bologna rollten wir um 4 Uhr
hinein. Die Stadt lehnt sich an Hügel, die letzten Ondulationen
-der Apenninen ; die Straßen sind auf beyden Seiten nicht mit
Arkaden, sondern Kolonnaden geziert; es ist ein prächtiger
Anblick, überraschend, wie alles in diesem Land ; die schroffsten
Kontrakte bort aneinander.
Die Kirche des Hl. Petronius auf dem Hauptplatze stimmt
-jeanz zu der Umgebung von gothischen Gebäuden; nahe dabey
ist JohannU von Bologna Hauptwerk, il gigante, eine Statue,
denen des Sansovino auf der Riesentreppe ähnelnd. Diese sahen
-wir noch den nämlichen Abend, mit den beyden hängenden
Thürmen (dei asinelli, dem höchsten und dem kleineren 14D,
C Original frorn
UMVERSTYOFMCHWH
- 379 —
der wie der Thurm tu Pisa eich neigt), der allerthümlicheo
Börse und einigen schönen Straßen.
Abends in das Theater, das geschmackvoll und glänzend
dokorirt ist, fünf Keinen Logen, wie in Venedig ; das Amphi-
theater bleibt völlig dunkel, denn es hangt nur ein spärlicher
Leuchteram plafond. Man gab Elisa bei ta, regina d'Inghilterra,
von Rossioi. Wie groß war meine Ueberraschung, hier ein
•Orchester so schdn als das Pariser zu hören und zwey Sänge-
rinnen von erster Starke. Die eine Calande, welche die Königin
spielte, sang mit einer Kühnheit, einer Kraft, sie warf ihre
Stimme in die Luft und hielt sie nach Willkübr an ; sie mag
der PnsU nicht viel uathstehu.
Im Balett Ezzelioo fand ich alles aflektirt, Pantomime,
Haltung. Tanz; nur das Ende, welches sich mit Ezzelins Pferd-
sturz von einer gebrochenen Brücke hinab endet, überraschte
mich durch die kecke Ausführung; nur ein Mazarier' würde
<Jen Sprung wagen ; Dekorationen und Kostüm kommen der
großen Pariser Oper gleich, und das sapt genug.
Mittwoch 12. Okiober. Gallerten und Kirchen füllten den
Tag; die Marionetten beschlossen ihn. Wenn ich ihn, ohne in
fneine Noten zu sehn, rekapilulire, bleibt mir nichts als Cecilia
und die Sybille, der j-iardinu und [Jau.-wuisl ; so verwischt,
verdrangt ein Eindruck den andern. Die Schule des Caraggi
verstehe ich nicht; ich babe ihnen noch nicht wie den
Repha eliechen und Venezianischen GemShlden immer Haupt-
charakter abgewinnen können; aber da ich nun einmal metho-
disch reisen mui, so mag auch der trockne Katalog den Tag
juift füllen.
In der Kathedralkirche ist die Verkündigung von Lod.
<:nr[raccij.
Gegen der Kirche über das prächtige Seminarium and in
der Nahe das Episkopat. Solche Pallästc hat Christus seinen
Nachfolgern nicht bestimmt gehabt.
In der Karmeliuineikirche sind Gemäblde von P*-rugini,
Lehrer Hfaphaels], von Carpi, Francesco Francia, Luigi Mazzari
(Himmelfahrt der Jungfrau).
Im Yorbcygehn, der alte Pal last der H[errcn] von Bologna,
<1er Bentivoglio, im löten Jahrhundert erbaut.
Auf der reichhaltigen Akademie beym Eintritt alte Geinählde
von Giotto 1360. griechische Marnereyen aus den Zeiten des
Yerfalls, alles auf Goldgrund; von Buflalmaco und Calendrino,
die zu Zeiten des Dante lebten, Scenen aus seinem Gedichte,
' Zweifelhafte Lesart
Original frorn
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 380 —
von Francesco Francis, auf demselben Gemähide, Geburt,
Nahrung und Tod des fl|erren].
Von Guido Reni ein ecce homo mit Bleyatift ; ein
St. Sebastian von Lavigna Koniana, (vor den Carragpri) einer
Schülerin und Tochter des Mahlers Fontana ; die Darstellung
Karls des Vlll. als kleines Kind von seiner Mutter, der Gattin
Ludw. XL, um den Segen des Hl. St. Vincent de Paulo zu
erhalten.
Bine Kreuzigung von Guido Reni.
Das Märtyrihum der heiligen A^ae.se; il rosario von Domi-
nichino, San Paolo, von I.ihI. Caracci.
Fiaucia, Himmelfahrt der Jungfrau.
Samson van Guido Reni ; der Kindermord.
Vor allem Raphaels Caecilie; sie zerbricht ihre Instrumente,
als sie die Engel hört. Hier machte ich die tollende Puralcllc :
Caecilia schweigt; die tngel oben[?]. Die Gelände singt; das
Chor schweift.
ßu'iii nimmt Steine von Tassos Bett mit : nimmt alles mit.
was sich ober jenen Gegenstand sagen läßt,
Küche San Giaeomc maggiore, wo eine Kapelle der Familie
Bentivoglio; Gemähide von Francesco Francia ; von Jnnocenzo
da Imola eine Himmelfahrt der Jun^lnni.
In der casa Guidolti (?), wo die Uallene zu verkäuten ist:
Eine "Venus von Lud. Carraggi (seine Vettern waren Agostin
und Annihal C[arram]>.
Ein St. Johann in der Wüste von Guercino (250 Louis
d'or).
Eine Jungfrau von Albano (5UO L.)
Die Sybille dos Uominiohino (1000 L.); sie hut eine Schritt
in der Hand: eeie deoc 6o uövo; sercv uKzpixeysbrfi dieyrßQQ.»
Diese iiisuinrlen Zü^e liufleullich vei^'cß ich nicht. Im
Vorbeygehn ein Ge[mälde] von Anyelica.
Pallast Luchini :
Eine Herodiae von Guido.
An^elica, die sich durch einen Kin£ unsichtbar macht (vid,
Ariost) von Au£u*tin Caraggi.
Der erste Salvator Rosa: eine Einsicht in den Wald.
Von Dominichino: die Jungtrau nach dein Tode des H[errn],
von Magdalena unterstützt.
Ein altes portrait von Lucas Kranach.
Eine Jungfrau von Correggio.
Der Tod Cleopatras, von Giorpione di Castelfrancu, des
Titian Nachahmer und Nebenbu liier.
Eine Venus von Albano.
Pallast Marescalehi (hier sank ich vor Müdigkeit zusammen):
f~* Original frorr
UMVEPSTYOF MICHIGAN
— 381 —
Die schönsten Correggios sind hier; ein ecce homo, mit
einer wirklich himmlischen Glorie umgeben. Wir trafen hier
einen Engländer mit seiner schönen Frau an ; ich selzle mich
hinter sie, um den Correggio bequemer zu sehn. Es diene
dieser Umstand nur dnzu, mir diese Gallerie einzuprägen.
Ueberhaupt ist mir zuMuthe oder berede kl» mich, daß ich nur
den Wcfp und die Art zu reisen kennen lerne uud wicJcrkebren
werde. Ich fühle, daß aus diesem Lande entfernt zu leben, ein
wahres Exil ist für die, so es kennen.
Unier die Seltenheiten des Pallasts Mareecalchi gehört
noch ein Klavier der Frau Ludwigs des XIV. ; es ist auf allen
Seilen, auch inwendig, mit historischen Gemählden und Jagd-
parthien des Königs angefüllt.
In den Dominikanern an einem Altar ein ba9-relief von
Lomhnrdo ; pin Engel, kleine Statue von Michelangelo. Wir
besann das Innere des Kreuzgangs. Heut erfuhr ich auch im
Vorbeygehn, daß die Inquisitoren hier wieder unter diesem
Orden verborgen eingeführt sind.
Vom Pollastc Bevilacqua erinnre ich mich nichts mehr; vom
Pallast Hanuzzi hingegen, der jetzt an eine Familie Bajodhi [?]
verkauft ist, bleibt mir der Eindruck der Facade, der präch-
tigen doppelten Stiege, nach der Zeichnung M. Angelos gebaut,
und die schone Aussicht auf die umliegeuden Hügel und die
Straße, die nach Floren? führt.
II giardino ist ein schöner Spaziergang am nördlichen Ende
der Stadt beym Thor tod Ferra ra ; Aussicht in die Ebene und
auf die Berge, wo die Madonna dellaguardia sich schön ausnimmt.
Des Abends hielt icVs zwev Stunden in den Marionetten
aus, wo aber alles im Bologneser Dialekt abgehandelt wird und
ich weni^ verstand. Die Gesellschaft war so schlecht als mög-
lich und der Gestank unausstehlich. Man riof immarwäbrDnd piesi
tempi «und trastulli au». Als Loca [bemerk ung mag dienen, daß
die Weiber hier üolo^neseihunde mit sich schleifen ; daß die
noorladella hier eine sehr gute Wurst ist, und daß 160 lire di
grano für 12 Paoli verkauft werden, was der Graf auf Treu
und Glauben annahm, ich aber als farce des Lohnbedienten
.in sehn muß.
Heute Donnerstag* früh in öerCertosa. Sie dient jetzt zum
Re-fräbnisplatz von Bologna ; der üeberblick des Gottesackers,
campo sauto, ist sehr der Bestimmung gemäß; Arkaden um-
geben einen freyen Platz, wo traurige Eiben sich erheben ;
innerhalb der Arkaden sind die Familienbegräbnisse angebracht;
viele mit Monumenten von Ganova darunter. Der Vater der
berühmten Colbran liegt hier begraben und- seine Tochter hat
ihre Stelle hier bezeichnet.
UMVERS TYOF MICHIGAN
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Die Kirche selbst tiat wenig Merkwürdiges als Gernählde
von GcU'r, und die anstoßenden unzähligen Kapellen, wo die
Karlhäuser, jeder einzeln, ihre Messe lasen, sind mit schlechtem
Geschmack verziert. In einer derselben hängen die Kellen der
losgekauften Christensklaven aus der Seeräuber Gewalt mit dem
Preise (10OU bis 30ÖÜ fr.).
Im Rückweg in die Stadt fuhren wir an dem Portikus von
700 Arkaden \orhey, welcher den Weg zu der Madonna della
guardia bildet.
Vorn Pallasie Zarnbeccari blieb mir nur ein allgemeiner
Eindruck von der Schule der Carraggi, keine Einzelnheiten, kein
eigentliches Meisterstück.
Lst her voi \ssuerus, von Lucas Kranacd ; naiv,
Lenz, altdeutsches Gemähide.
Francia, eine Jungfrau, ganz raphaeliäch.
Ciio.to, eine Jungfrau mit Goldkrone ums liaupi.
Perugino, eine Jungfrau.
Von Lodov. Car[racci] ein Union ; Petrus bevreint de*
H[errn] Tod.
Von Guido eine Magdalena.
Vier Bildnisse der Hofdamen Karls des Uten von Legni,
einem Mahler, der in England lebte. Es sind liebliche Figuren.
Eine Magdalena von Guercino.
Hercules und Omphale von Cesi [?].
Eine Kreuzabnahme, bas-relief in Erz von Benvenato Cellini.
Von Kirchen sahen wir noch San Catherina di Bologna; ihre
Geschichte ist in allen Kapellen gemahlt von Francesco Chini*.
Drauf bestiegen wir vor der Stadt einen Hügel« wo das
Kloster der Oiivetancr, San Michele in boseo liegt (vormal»
Kaserne] und die Aussicht über die Stadt mit ihren hangenden
Tuürmeu, die Umgegend mit Landhäusern bedeckt und die Hügel
rechts und links, sehr reizend ist. Am 13. Oktober brannte
mich die Sonne wohl nie so heiß .... ich konnte es, ohne
im Schallen zu seyn, beinahe nicht aushalten. Gesegnetes
Land, gesegnete Bewohner, sua si bona norint. Welch ein
Leben wollte ich führen auf einer Villa Aldim, die auf der
Spitze des gegenüberstehenden Hügels sich erhebt und über
einem Bo&ketl und hundert andern Villen thront!!
Abends fuhren wir an Rossinis Hause vorbey (es führt
die Inschrift non domo dominus, sed domino domus) durch
die porhi romanr. zum Mittagessen in die cesa Bignani. Es
war das erstemal, daß ich das Innere einer ltaliänUchen Haus-
1 Soll wohl Ocsi sein.
% Llss: FranceschlDi.
C Original from
UMVERS TYOF MICHIGAN
- 585 —
halUug »ehen sollte. Aber hier ist alles auf franz. Fuß ein-
gerichtet, Billardzimmer, Salons, Bediente. Kostüm. Die höhern
Klassen haben überall einen und denselben Schnitt.
Nach Tische gieng man in den Konzertsaal. Vorher hat!»
ich mich passabel gelangweilt : mit niemand konnte ich Sprecher*
und stand wiedereinmal tüchtig als null im Hintergrund. E&
wunderte mich, während dem Essen auf die päbstliche Re^ie-
runff losziehn zu hören und die carbonari beklagt zu sehn ;_
man hat auch fürchterlich gepen sie hier verfahren. Eine
deutsche Huf meisten n saß neben mir und ich hatte doch
wieder jemand, an den ich mich wenden konnte, Aber
die Musik des Abends war in der That herrlich, obgleich nur
Fsrnilienkonzerl; die Mfidchen spielen KJctvier mit Ausdruck
und ein aecompagnement zu Fagot und Klavier, das mir in
dieser Reinheit noch nicht zu Ohren gekommen ; auch Singer»,
börle ich mit vielem Ausdruck eine junge Bolooeserin. Die
Töne wiederhalllen voll im gewölbten Saal, auf dessen Wänden
Baumalleeu ziemlich in die Ferne täuschend gemault sind ;
rings herum saß die zahlreiche Gesellschaft, und mein Blick.
verirrte sich auf einigen Julian ischen Gestalten«
Morgen in die A.penninen, u»<i übermorgen hoffentlich in
Florenz.
Covitdiajo, 14. Oktober 1320.
In den Apeninnen.
Das ist gewiß, daß alles im Lehen erkauft werden muß, .
und daß ein großer Genuß i neuer zu stehen komt. Venedig.
wurde mit den schmahlen Wirlhshäusern, Re^en der mir die
Packe verdarb, krsnke Täjre bezahlt; Florenz wird es durch
die Reise uud den Aufenthalt in Ferrara, durch den heutigen
Horigertag in den Apenninen und vprmuthlieh durch die elen-
deste Nacht, welche sich auf Gottes Erdhorien iu einem Zigeuner-
loch und in ... .* Bett für zwey auffinden läßt. Wollte
Gott, wir wären des Nachts forlgezosen. Die Apenninen sind
auf der Bolonesischen Seite rauh, waldentblößt, quellenarm
und häuserleer; dennoch waren sie nicht eindrucksleer für
mich, den jeder Berg im innersten bewegt; Herade diese Un-
fruchtbarkeit mitten im götllichen Italien zwischen dem Garten
der Lombaniey und dem veniiulhlicli noch schöneren Toskana,
dieser imnicrwShrende Kontrast seit einigen Wochen, bald in
Alpen, auf Felsen, auf Seen, bald in OliTenbüschen und Heb-
gärten, bald auf dem Meere und in der flußdurchöchniUeneo
Ebene, diese strengen Gegensätze gerade wirken wohlthätig. .
KorxigiretoB anleserlichoß Wort.
r
Original frorri
UMVERS TYOF MICHIGAN
■N
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auf inicli, sie heften die Aufmerksamkeit auf das Aeußere
und tölien »>ch und nach die eiternden Wunden der Jugend.
So auch heute diese steinigten unfruchtbaren Gebirge nach
den Ebenen von Padua, Femara und Bologna. Zuerst sind die
Reben noch zahlreich, bald verlieren sie sicli mit den Villen ;
Kastanien treten an die Stelle : in der Höhe zwischen Loja 10
und Le Fili^are, wo m3n Toskana betritt, verschwindet jede
fruchtbare Vegetation und Stangen an der Straße verrathen,
daß hier der Schnee im Winter ziemlich hoth fallen muß.
Die Gebirgskette ist zerrissen, spaltet sich in kleinere
Thaler, läßt in der Ferne Felsuiassen sehen, die sich in blauen
magischen südlichen Duft hüllen ; hin und wieder stecken
Dörfer, hängen Kirchen, aber alles ohne hini eichender Schatten;
es ist überall der nackte Roden, verbrannt und arm wie seine
bettelnden Bewohner. Die Posten in Piativro, Lojano und
Filipare wimmeln von Armen. Coviyliajo, wo wir schlafen,
sind wenige Häuser. In der Nähe brennt die pietra nera,
eine Art Vulkan, aber ohne Krater; man zeigte un« den Dampf
von der Straße her ; ich erkannte nichts.
(Des Morgens geschrieben.)
Im Nachtdunkel jrientf ich soeben aus und genoß einen der
wenigen Augenblicke, wo ich mir selber angehören darf. —
Das Morjcenlicht glänzte noch über den Apenninen: Orion
schwellte in der Heirnath anziehender Gegend j ein Waldbach
rausche durch Kastanienwälder hin ; fernes Blau zuigte die
verschwindenden Berge an ; ich war ruhi# in der nächtlichen
Stille, ruhig für wenig Augenblicke; an die entfernten Freunde
dachte ich und machte Reiseplane fnr meine Brüder und mich,
hieher in das göttliche Land, mit freyerem Gemüth als jetet,
wo jeder Schritt in Fesseln srele^t ist, jeder Gedanke nicht
mir gehört, sondern der Lage, die anders seyn könnte und
nun einmal so ist.
Id. Oktober Morgens.
Wie schön und warm das Mon/enlicht auf den Berten
ruht. Könnte ich mich hier vergraben und wenige Gleichge-
sinnte zu mir rufen, was kümmerte mich dann Florenz, Rom
und Neapel, verkümmerte Reisen und jede andere Aussicht.
Ich bin bewej?'-, erzürnt, über tausend kleine Verdrießlichkeiten,
die mir den Reisejieruß vergällen.
Samstag, Florenz 15. Oktober Abends.
So zusammenhängend unglücklich habe ich mich nie ge-
fühlt, als auf der heutigen Heise; meine Zukunft, durch eigne
C
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 385 —
Fehler geschwärzt, lag vor mir, nicht die göttliche Gegend,
die sich im Hinabfahrer öffnete. Das hätte ich nie geglaubt,
daß man Italien mit diesen Nachtgcfühlcn durchreisen könne.
Ich weiß nicht, warum ich mir den Stachel selbst immer
tiefer in die Brust drücke . . . Wie schon nahmen sich
hinter Monlecarelli die ersten Rehen wieder aus 1 Wie an-
nnitiii;; schien jede Villa, jeder Olivenbaum nach der öden
Fels- und Steingegend, die zwischen Covi^lisjo und Monte-
carelli sich noch hindehnt. Der Morgennebel lag in den
Thalern; ich hätte mich in eines vergreben mögen.
Bey Gafaggiolo, wo eine Ar) von altem Schloß, lief ich
voraus und sah noch auf die im Dlau verschwindenden höher-
lie^enden Apenninen aurück ; sah zu meinen Füßen die zer-
streuten Häuser des Dörfchens, von Hügeln aimutlii^ unter-
brochen. Bis Foniebuona ist die Straße wieder öde ; drauf
gegen Florenz hin öffnet sich das Thal. Die Stadt selbst mit
ihren Thürmcn sah ich nur einen Augenblick ; die Sonne
blendete. Der Staub verdüsterte und bald schlössen uns, die
Hauptstadt verkündigend, von bejdeu Seiten Häuser und
Mauern ein. Daß wir in Toseana seit gestern waren, ver-
kündete der veränderte Kostüm, die reinere Sprache der
Postillione, die womöglich niedlichere Geetolt derMädchan, die
hin und wieder auf Wägen entgegenkamen. In geringer
Entfernung von der Stadt ist eine mit Villen gan? Obersäte
Gegend; der Olivenbaum scheint hier 2u Haus, aber Wasser
ui;;ngelL
Von Florenz habe ich im Durchfahren prächtige Straßen,
einige Platze, vor allem aber die sonderbare Marmorkirche
St. Croce bemerkt; der Arno ist trüb und morastig und
stimmt wenig zu den prächtigen Brocken und Stade«.
Wie glücklich, könnte ich hier allein nach Herzenslust
herumirren, um Vergangenheit und Zukunft unbekümmert und
mich dem göttlichen Klima überlassen, das seinen milden Ein-
fluß doppell nach der kalten Apenninenreise fühlen läßt.
11 Uhr.
Es will nicht ruhiger werden in mir, obgleich ich laufe
und mich zu betäuben suche. Ich komme aus dem Theater
della pergola, wo ich eine Komödie von Nots, la vedova in
solitudine, aufführen sah; ich verstand besser als in Venedig
und war froh meine Fortschritte im Italiänischeii zu bemerken :
das ist jetzt all meine Eitelkeit und mein emsiges Trachten.
Das aufgeführte Stück ist ziemlich flach, doch etwas komischer
und weniger sleif als die Stücke von (ioldoni ; auf jeden Fall
weit hinter den deutschen; vun Vergleichungen mit den 'franz.
25
f~* Original from
UMVERSTYOFMCHKJHI
r
- 386 -
netten vaudeville$, mit diesen reinen Schilderungen der jetzigen
Gesellschaft, darf vollende die Rede nicht seyn. Die farca,
welche nach den Komödien hier zu Lande gegeben wird, sah
ich nicht, weil der Graf nach Hause gieng und ich schicklicher
Weise mit ihm zurückmußte. Die große Oper ist wirklich
geschlossen und auch diese komische Truppe ist nur mo-
mentan hier; mir zu Leide, denn das sind die.beslen ital.
Lektionen.
Der Saal ist schön, wie alle die ich bis jetzt in Italien
sah ; mit breiten couloirs auf dem parterre, um hin- uad her-
gehen zu können. Man behalt überall die Hüte auf.
Von Gebäuden sah ich des Abends im Laufe den maje-
stätischen Dorn und das ßabiisterium von St. Johann. Sie
machen zusammen einer sonderbaren Effekt mit ihrem einge-
legten Marmor; es scheint von fern eine Mosaik von Parterre's-
quadraten; schwarze und weiBe Felder wechseln bizarr ab.
Der hohe Thurm stehl von der Kirche getrennt, die einen
hohen Dom und viele Nebengebäude vou großein L'mfu:i r hat;
das Raptisteriura bildet eine schone Rolonde. Getreten bin
ic.h in keines; der Abend nahte uud ich hatte mich auf den
schönen Staden und Brücken, die mir lehhafl Paris ins Ge-
dächtnis zurückriefen, verspätifrt. Auch mancher Buchhändler
ward durchmustert und die Pläne der Stadt Florenz studiert;
ich habe mich überall ohne Wegweiser verirrt und gefunden.
Die Stadt gleicht einer französischen \ überall hört man
diese Sprache, sieht man franz. Aushängeschilder. Wären
nicht die alten Häuser aus schwarzen Quadratsteinen er-
baut, mit Ketten [?] an ihren Mauern befestigt, mit Mauerzinnen
statt Dachrinnen, wäre nicht vor allem der warme Himmel,
ich hatte mich nicht so sehr aU in Venedig weit von meinem
Vaterlar.de weg geglaubt.
An die chiesa Maria della Novella verirrte ich mich ; sie
hat eine Facade mit eingelegtem Marmor, welche den Dom
nachahnt.
Im Dunkel besah ich eben die piazza dcl gran ducn
mit der Post, die Kirche San Michele, die Straße, wo die
Mehrzahl von Kaufleuten wohnt, den Hospital auf der piazz»
St. Maria nova ; von allein bleibt mir ein Nar.Heindruck, viel-
leicht der, welcher micli liier vom ganzen Aufenthalt erwartet.
Florenz. Sonntag den 16. Oktober 1825.
Heute ist ein Tog ohne Gemähldc in einer Hauptstadt
Italiens ausgefüllt worden ; wer glaubt das ! Ich seihst kaum.
Früh Morgens lief ich an der gießen Gallerie vorbcy, die
Staden aufwärts und hinüber in eine. Vorstadt gegen die portn
C Original frorn
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 387 —
Nicolo hin; überall liehlieh ist der ridge of hüls, wie Byron die
hiesige Umgebung nennt , schön nahmen sich iin Norgenlicht die
Apenninen aus; es ist von Weitem eine nicht zu verachtende Ge-
birgskette. Der blaue Duft besonders, derauf ihren Felsen liegt,
zeig t sie zu einem angenehmen Gemähide tüchtig und passend.
Der Pallast Pitti von außen ist einfach und edel; die großen
Quadersteine, keck aufeinander geworfen, geben ihn; das Ansehn
eines egyptischen Pallastes. Es ist die Wohnung des Herzogs.
Das Innere des Hole» besteht aus 3 Reiben dor., jon. und
korinthischer Kolonnaden; im Hintergrund des Hofes ist eine
Grotte, wo eine schöne Statue von Moses. — Von dem Giar-
dino dei Boboli, der an den Hof stößt, sahen wir einen Theil ;
die Grolle aus Bimssteinen, wo vier von Michel Angelo ange-
fangene Slaluen j die hinten an den Pallast stoßenden Terrassen,
alles königlich.
Auf der piazza del gran duea zuerst, die loggia, im Jahr
1366 erbaut, um die signoria im Trocknen öffentlich installiron
zu können ; zwey Löwen aus Erz bewachen den Eingang ;
unter den zwey Endarkaden isl ein Perseus von B, Gellini und
die prächtige Gruppe des Haubs der Sabinerinnen von Jon. v.
Bologna ; es ist sein Meisterstück : die drey kühn übereinander-
geworfenen Gestalten, der unten liegende Greis, der kecke
männliche Römer, die schöngetormte Frau, alles magisch, und
doch wahr aneinandcrgekcltct, bringt einen wahren Kunst-
eindruck hervor.
Auf dem Platze seihst isl die Statue von Kosiino I, ein
Werk Jon» v . Bol[ogna]. Diese erinnert besonders an die
Siatue Heinrichs IV. auf dem pont neuf; die Stellung des
Pferdes, die noble Haltung des Reuters, etwas sogar aus der
Physiognomie scheint im franz. Werke Kopie oder Reminiscenz
von der Arbeit Johann Bolognas. Ein großes Wasserbecken
mit einem kolossalen Neptun ist neben dem palazzo vecchio,
der ehemaligen Residenz der Meditis, der merchont-dukes.
— Ein hoher alter Thurrn, der über dem Pallast aufsteigt und
des Nachts mit trübe schimmernden Laternen beleuchtet ist,
giebt ihm ein bizarres Anschn. Der Thurm heißt della vacca.
— Im Eingang des Pallastes ist ein Hof von 9 Kolonnen unter-
stützt und trägt das Gepräge des ital. Mittelalters, dieser
sonderbaren Bauart, die mir in Bergamo und Brescia so sehr
aufgefallen. — Statuen sind einige an der Treppe, Herkules
den Kakus tödtend von einem Schüler Bandinellis; alle» Mahle-
reyen erloschen an den Mauern rings umher. —
Gegen den palazzo vecchio aber ist die Post, mit einem
Ueherhsng, den Hie gefangnen Pisaner im Jahr 1354 erbauen
mußten. Er heißt tetto dei Pisani.
Original from
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 388 —
Wohl führt der Dum mit Recht den Nimm San Maria del
Fiore, wie Parlerrequadrate sieht eraufiea mit seinen eingelegten
Marnioi'SleineQ aus; vielfarbig wie die Gebend, wie Italien ;
das gegenüberliegende Baptisteiium mit den prächtigen Pforten,
die Michelangelo die Pforten des Paradieses nannte. Man war
genöthigt ein« kleinere Thüre davor zu stellen, um das Volk
zu hindern, seinen Unrath an den köstlich gearbeiteten bmnze
zu weifen. Florenz hat viel von seinem Kunstsinn verloren,
sagt man ; jährlich wandern bey 1000 Gemöhldc nach England j
alles ist feil. Das Volk selbst, das ich mir als ganz aus-
gezeichnet vorgestellt habe, eine Art Schweizer, eine Qase
der Kreyheit mitten in Italien, Reicht mehr oder minder
den übrigen Völkern dieses Landes; es* lebt für sein tägliches
kümmerliches Brod ohne Nationalcharakter, ohne Energie,
Schwächlinge im Vergleich mit den Florentinern, die Pisa
eroberten und unter Lorenz Europa? Wagschale hielten.
Des Abends las ich Byrons Childe Harald, Canto IV; ei
machte mich böse über -mich selbst; ich sollte alles, was ich
geschrieben, ins Feuer werfen. Welch ein Abgrund von Ideen !
Wie wahr, wie warm ist Italien geschildert ! und wie doppelt
interessant schien mir das alles, nachdem ich die Gegenden
bereist, die der unsterbliche Piltfrirn belrat.
Im prato sah ich die Masse der sonntäglichen Städter.
schöne Frauen, häßliche Männer. Die Promenade ist staubig,
aber doch noch grün ; die schlanke Pinie mit ihrem Regen-
schirm hebt sich elegant über die andern Bäume. Leber dem
Arno drüben sind auf Hügeln, wie nur der Dichter sie träumt,
Klöster und Villen ; gegen den höheren Apenninen hin, auf
der entgegengesetzten Seite (nördlich) ist auch alles mit Land-
häusern übersät ; östlich lag ein Theil der Stadt mit den Arno-
brücken, dem Pallast Pilti und einigen Thürmen ; die Abend-
sonne beleuchtete die Spitzen und versank endlich glühend
hinter einem Pappelwald. Den Himmel nahm die bekannte
Purpurfarbe ein.
Im Theater: la scutica rapita [?], schlechte Oper von Celli,
noch schlechter exeltutirt. — Ein Balett, la fedra: keck wie
Evelino stürzt sich Hippolyt mit seinem Wagen ins Meer;
ä fiele tili sind wie immer die Gestikulazionen, schön die Deko-
rationen der Hölle und schöner die Schenkel der Tänzerinnen.
Der Mismuth wird in mir immer größer; ich mache einen
dummen Streich um den andern ; Geld gehe ich ans. als ob
es schneite und denke nicht an ineine ßröder . . . ich bin
ganz verdorben und blicke mit Abscheu auf mich. Die Strafe
liegt nah: die Reise nach Italien bleibt fruchtlos; es ist keine
Hoffnung mehr für mich.
-
UMVERS TYOF MICHIGAN
- Ö89 —
Montag, 17. Oktober 1825.
Die Gallerie ist heut« zum erstenmal betreten und mit
Bewunderung begrüßt worden. Sie besteht aus einem Anhängsel
von Kabinetten, denn der HaupUaal, welcher eine Galgenforrn
bat, faßt weniger bedeutende Gemähide in sich; doch hält die
lange Reihe der römischen Imperatoren, in antiken Büsten
hier aufgestellt, den Eintretenden eine Zeitlang von den größeren
Schätzen ab, die in den benachbarten kleineren Sälen ver-
schlossen und nur der Feine nach geöffnet werden. Die Dis-
position der Statuen und Büsten ist grandios I alle * iri weitem
Räume, nichts erdrückt ; überall spielt das heitre Sonnenlicht,
durch weiße Vorhänge gemäßigt, zwischen den Herien der
allen Welt und auf den Farben des christlichen Olympos.
Einer Schrill in die Tribüne . . . Hier steht Venus! steht?
— Welches Won kann das Wesen dieses idealen Marmors
ausdrucken? Hier haucht Venus Liebe in jede empfängliche
Brust, reine etherische Liebe, obgleich sie nackt dasteht. Der
Pinsel, der Rataels Madonnen auf das Tuch säuberte; der
Meißel, welcher Venus hervorrief aus dem Staube des Marmors,
beyde eiud göttlich, beyde rein, beyde bewegten mcu in einer
Hand, welche ein Gleichgesinnter Geist führte. Ich saß vor
Venus, als wäre sie eine Vestalin.
Auf ieydcn Seiten nebon Vonus etehn die Ringer und
der Arrotino. Letzterer ward lanjie für den Sklaven gehalten»
der die Verschwörung der Söhne Brutus' entdeckt; jetzt ist
heynahe erwiesen, es s«y* der äcythe, welcher den Marsyas
schund. La Gutta, die Ringer, sind keck wie der Gladiator im
Pariser Museum.
Neben den Kingern steht der tanzende Faun, dessen Hände
und Haupt meisterhaft von Michelangelo hergestellt wurden.
Er scheint so lustig, so belebt, man glaubt seine Krotalen er-
klingen, sein stabile [Crepezia) pfeifen zu hören. Auf letzterem
ruht sein Fuß ; die Hände halten die Cy rubel n (Krolalen).
Neben dein Arrolinu steht der Apoll int», vielleicht aus der-
selben Hand, welche Venus erschuf, von Cleouienes, Sohn des
Apcliodorus von Athen 1 «
Venus ist nur vier Fuß, sieben Zoll, acht Linien hoch ;
sie wurde zu Tivoli in der Villa Adriana gefunden und unter
Kosimu 111. a. 1660 nach Florenz gebracht.
In der nämlichen Rolande sind sechs Gemähide von Ka-
phael. Neben der Thüre links die Fornarina; glücklich, wen
solch ein Weib liebt! — St. Johann in der Wüste, zwey
1 Hier folgt eine kleine Skizze, welche die Aufstellung der
o Statuen zeigt. Wir lassen sie aU unwesentlich fuu.
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 390 —
Madonnen mit Christuskindern und St. Johann, der Pubst
Julius IL, eino Magdalena. Da kein Wort mehr.
Die zwey Venus von litian atbmen Wollust ; Guereinos
Sibylle, so inspirirt sie seyn mag, steht der Sibylle Doiiiiiiictiinos
nach. Die alten Gemähide von Mantegna äguriren nicht un-
würdig hier; von Leonardo da Vinci eine Herodias, so schon,
so sanft und doch des Propheten Haupt danel>en ; man möchte
an den Weihern dahey verzweifeln. Michelangelo, Corre«äo,
Andrea del Sarto habe ich nicht genugsam betrachtet. Alle
diese Gernflhlde sind für Venus eine würdige Umgehung.
Nur oberflächlich könnte ich vom Saal der Niobe'sgruppe
sprechen, welche, in 16 Figuren, rings in einem großen Saal
aufgestellt ist ... . nur oberflächlich von der Venetianischeii,
ltaliänische[n]. Toskanischen Schule; vom Saal der Mahler-
portraits, wo flaphael ror allen mit seinem Kni/elsgesieht hervor-
leuchtet, Michelangelo majestätisch thront, Leonardo da Vinci
unglücklich genug erlischt, Rellino mit seinem treuen Gesicht
völlig seine Madonnen ins Gedächtnis zurückruft, Angelika
Kaufmann im weißen Kleide wie ein Engel erscheint, und
einige unbekannte Engländer ziemlich anstößig hier in der Reihe
der großen M&hlcr glänzen. Nur oberflächlich eilte ich durch
den Saal der Bronzen, wo ein Mercur von Jon. V. Bologna leicht
und el herisch emporaufliegen scheint, (nie würde man glauben,
das seye dasselbe Werk de« Künstlers, welcher den Gigant»
schuf) und ein etrurischer Lucumo das Volk anzureden scheint.
Die Gallerie im ganzen ist königlich und nach Venedig, was
mich bis jetzt am meisten angeregt.
Auf einem Spaziergang durch die Stadt: das Innere des
Baptisleriums, glänzend von Mosaik ; der ganze Plafond besteht
daraus. Johann XXIII. liegt hier. Das Innere der Kathe-
dralkirche ; schon war es tu finster geworden ; der Chor-
Gesang der Priester ballte feyerlich im hohen Dorn und das
Abendlicht spielte magisch in den Farbenscheiben. Damit der
Eindruck nicht bleibe ; vor der Kirche eine Heerde Buben,
groß und klein, welche einem entloifenen Schweine nach-
rannten.
Das Innere der Kirche St. Laurenz mit den Gräbern der
Mediiäer. Die Hauptkirche ist von korintischen Säulen durch-
schnitten und hat ein majestätisches Aussehn.
In der 8akmtcy liegt rechts Julius v. Mcdizis begraben ;
das Monument ist ein Werk Michelangelos ; der Herzog sit2t
in einer Nhche und auf dem Grab, darunter liegt der Tag
und die Nacht, grandiose antike Gestalten. Lorenz v. Medizis
liegt gegenüber; auf seinem Grabe sind Aurora und die
bümmerung : zwischen bey Jon Gräbern befindet sich eine
Originalfrom
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 801 —
Madonna, ebenfalls Michelangelos Werk, mit Statuen auf beydec
Seiten, die ihm nicht Zubehören.
In der kuppe) form igen capella dci principi, die wirklich
ausgebessert wird, sind die Reichthümer, der Marmor, die
Edelsteine verschwendet ; es scheinen überall inkruslirte Blumen-
vasen enlgegenzuduften ; das ganze ist so schimmernd, so reich
an Farben, daß man hier gewiß nichl den BegräbuisplaU der
Med 12a er suchen würde, wenn nicht die Inschriften es andeu-
teten: Kornaliren, Lapislazuli, Apath, Porphyr sind hier im
eigentlichen Sinne wie Kieselsteine vcr»chwendct. Auch die
Wappen mancher Stadt, von Fiesole. Siena, sind an den
Wänden auf diese kostspielige Art angebracht. Byron nennt
die MedizSer Merchant dnkes ; und nie ist ein Wort richtiger
angewandt worden, als in dieser Kapelle.
An des großen Kosimos Grab (1574 f) «prang ein Bube
herum und las mir großlhuend die Inschrift: «dimmi, Chi fu
Gosimo? — un uomo come noi.i
Im Theater della piazza vecchia sah ich ein srthlechtps
Melodram aus der römischen Geschichte; aber es lernt sich
doch immer etwas.
Mit Recht, o Florenz, heißest du die blühende; in deinen
Kirchen wie in deinen Fluren blühen Marmorblumen auf und
liebliche Madonnenbilder wandeln auf den Straßen, wahre
ritratti aus deinen Museen . , . Florenz, warum blüht mir
nicht ein neues Lehen in dir auf? — lft. Oktober, 1 Uhr Morgens,
Florenz, Dienstag, 18. Oktober, 11 Uhr Nachts.
Die Gallerie war verschlossen; der Morien gieng verlorer
mit Beeebn der gestrigen Gegenstände, mit Einkaufen für Louis.
Es sind dies praktische italienische Lektionen, und ich lerne
dabey die Straßen kennen ; Hauptvortheil, den ich bis jetzt aus
meinen Reisen zog ; so elend bin ich vorbereitet und so wenig
empfänglich.
Des Abends um 3 gieng ich allein in die Kirche Sants
Croce; von fernher tönte der Vespergesang durch die halb-
dunkeln Hallen des Doms; ich gehe vorbey an den Gräbern
Michelangelos, wo die drey Sctaweslerkünste um ihren Vater
trauern, vorbey an Alfieris Grab, den ltalia vergebens beweint,
statt seinem Aufruf zu folgen, vorhey an Machiavellis Gruft,
wo die einfache Inschrift :
Tanto nomini nullum par elogium,
und trete in eine einsame Kapelle, welche alte Gernählde. ver-
mutlich aus Gi ottos Schule zieren. Nur ein frolc aus dem
nahen Franziskanerkloster betete hier ; der Gesang im Chor
hatte aufgehört, es herrschte eine tiefe Stille j ich kniete un-
Original from
' ' UMVEPSTYOIVICHIGAII
— 392 —
willkührlich neben dem frate nieder, überwältigt von der Heilig-
keit de& Orts u ml den umgebenden Gräbern. Es ist liier das
Pantheon von Florenz ; die guten Priester denken wohl nicht
daran, Ober welcher Asche sie Messe lesen. t
Im Fortgehn sah ich noch GalileU Gruft, um den die
Slatuen der Geometrie und Sternkunde weinen. Ich dachte
unwillkürlich an Galilei im Gefängnis, das ausdrucksvolle Ge-
mählrie des LiiTemhnnrjr So erkauft man den Ruhm, in geweihter
Erde mit einem großen Monument zu schlafen; und nicht ein-
mal immer, denn wo sind Dante, Pelrarch und Boccaccio? Sie
gehören hierher, um das Siebengesiim der großen Italiener zu
vollenden.
ich werde zurückkehren nach Sta. Groce und mich noch
einmal bey den Urnen der großen Muriner klein fühlen ; es ist
keine geringe Lehre.
Vor dem Thore San Nieoki kletterte ich auf einen Hügel,
den ein Kloster krönt ; es ist vermuthlich der monte di Sau
Miniato oder alle croci; denn Kreuze zu einer Wallfahrt be-
zeichnen den Weg. Auf der Höhe des Kirchhofs, unter Zipressen
und neben Olivenhänrren, die aus dem nahen Pehgarten empor-
ragten, warf ich den Blick umher.
«Unter mir Hegt Florenz die blühende, mit dem Dom,
«dem alten Schloß, dem Prato ; jenseits der Stadt dehnt sich
«die Kctto der Apcnninon majestätisch aus. Die obere Spitzo
«rauh und kahl, der untere Theil mit Villen, Palläslen und
«Bosketlen übersät. Der schöne blaue Duft, den nur Italien
«kennt, verhüllt die ferneren Gegenden. Zu meiner Hechten
«und Linken sinir anrnutbige Hügel, Wein und Oehl und Obst
«reich; ich selbst stehe im Schatten der Zypressen, deren
«pyramidalische Form sich grell am Himmel abzeichnet; die
«Sonne bringt die schönsten lichteftekte hervor zwischen den
eblassen Oliven und den dunkleren Büschen, auf den kahlen
«Apenninenfelsen und der truebtbaren Ebene.*
Die Pflicht rief mich hinab; noch am Thor fragte ich eine
junge liebliche Toskanerin um den Weg, den sie mir, den
Fremden um seiner Sprache willen anlächelnd, gar anmuthig
erklärte.
Des Abentis im tealro ti. Piazza vecchia ; Francesco da
Rimini von Silvio Pellico. Das wirklich schöne, zarte Trauer-
spiel, das den Hauch der Liebe trägt, ist schändlich verdorben
worden; der elendeste franz. Schauspieler halte mehr Würde,
der plumpste Deutsche mehr Gefühl und Natur.
So Gott will, sind wir in 3 Wochen in Roma; der
neue Bndruck von Florenz ist schon verwischt und ich seufze
nach etwas andern).
-
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 893 -
Flor[cnz], Freitag, 21. Okiober 1826.
Der Regen ist eingetreten und Nebel verhüllen die Berge;
ich kann keinen Schritt aus dem Hause thun, ohne durchnetzt
zu werden. Dabey ist ea noch warm, wie bey uns im Sommer-
regen. Die Luftveränderung macht mich krank und ich habe
seil 3 Tagten nichts mehr recht genossen.
Nittwoch 19.
In derTribuna brachte ich einige Standen zu, in Anbetung
versunken vor Venu* und Raphaels Madonnen, vor seiner
Fornarina, um deren Mund ein Engelsreiz schwebt! Auch die
andern Geiuühlde betrachtete ich näher.
Michelangelo : eine Madonna reicht das Jesuski od dem
heiligen Joseph über die Schulter hin. Es ist keck gemahlt,
aber es rührte mich nicht ; als Seltenheit mag es hin-
geh n.
Parmeggianino ; eine heilige Familie, wo St. Johann das
Jesuskind gar lieblich und anmnthig umarmt. Vom blauen
Gewand der Madonna fällt ein sonderbares Licht auf das nackte
Kind ; man sollte nicht glauben, daß das Fleisch einen solchen
Widerschein hal>en könne.
Andrea del Sarto; eines seiner schönsten Gemähide hängt
gegen der Eingangsthur gegenüber; die Madonna auf einem
Piedestal ; 2 Heilige stehen neben ihr. Dies und seine Madonna
del saeco. die ich a fresco gemahlt (Donnerstags) im Kloster der
Kirche della Anr.unziata sah, setzen seinen Bang unter den
ersten Mahlern fest.
Von Paolo Veronese ; eine Madonna mit Jesus aul den
Knien, Heilige umher \ die Einfachheit dieser Komposition hat
mich völlig mit dem Mahler, den ich in Paris nicht von der
schönen Seite kannte, versöhn». Von Annibal Carraceio (neben
Paolo V[eronese]) eine Bachantin vom Rücken her gesehn ; eine
Zartheit in den Muskeln, eine frische wollüstige Karnation, die
ich ebenfalls bis jetzt an A. Carr[accio] nicht gefunden. Er
übertritll sich hier.
Von Peruginc, dem Meisler Baphaels, eine hfeilige] Familie
unier einer Kolonnade. — Aber was sind all 1 diese hl. Familien
neben den zwey Madonnen Raphaels : Die eine (neben der
Fornarina) hält ein geöffnetes Ruch ; Jesus wendet sieh gegen
Sl. Johann, der einen Distelnnken in der Hand hat. Die zweyte
(neben St. Johann in der Wüste) zeigt ungefähr denselben
Gegenstand: Kenner sagen, dies Gernäblde sey mehr bearbeitet
— welchem gehört da die Palme ?
Von Van Dyck ein Portrait Karls V. zu Pferde ; sehr
lebhaft.
C Original frorn
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 394 -
Fra Bartolomeo della Porta : die Propheten Joel und Jesaias,
kernhafi, grandios, iranz wie ich mir die alten Seher vorstelle.
Es ist etwas ernstes und niederdrückendes im Pinsel dieses
Baiiolorneo.
Mit Corrcggio will ich den Saal verlassen; Maria in
Egypten, weiß gekleidet, in ihren Armen Jesus. Maria vor
dem schlafenden Jesus kniend. — Beyde athmen mütterliche
Zärtlichkeit ; sie sind irdischer als Rephacls Madonnen, die alle
nur EDjtelsliebe zu fühlen scheinen. Gorreggio hat die wahre
Mutterliebe idealisirl dargestellt. Es sind noch zwei kleinere
Werke von ihm da :
Der Kopf Johannes des Täufern in einem Becken.
Der Kopf eines Kindes, auf Papier gemalt It. Aus der Tos-
kanischen Schule, die in 2 Sälen an die Tribüne links stößt,
lialie ich für heule behalten:
Leonardo da Vinci: ein Medusenhaupt mitSchlongenhaaren;
gräßlich und doch schön. Von Raphael, ganz klein ; eine
Venus mit Amor; nackt und liehlich ; vermulhlich eine Spielerey
des genievollen Knaben.
Von Gre^orio Pagani: der junge Tobias, der seinen Vatwr
wieder sehend macht. Von Angelo Allori oder Bronzino ge-
heißen : die Höllenfahrt Christi. Dieser Mahler wäre würdig und
fähig: gewesen. Dante's giganteske Kompositionen auf das Tuch
zu bringen. Die unterirdischen Bewohner drängen sich links
und rechts herzu, um aus dem linstern Aufenthalt zukommen;
der Erlöser selbst schwebt, eiu göttlicher Jüngling, zwischen
ihnen ; denn es ist mehr als Gang, dieses majestätische, etherische
Auttreten. Ich glaubte zuerst, es seye ein Werk Titians, so
reizend und glühend sind die Weiher gemahlt ; Eva. schön wie
Venus und schamhaft wie sie, zog meinen Blick unverwandt an.
Biliverti l : Joseph reißt sich aus Potifars Armen los ;
die Wollust athmende Frau tritt ihm mit ihrem FuB auf den
seinen und hält ihn zurück, wie ein Mann das Weib halten
würde, und doch 13t viel Weiblichkeit in ihrer Stellung und in
ihrem Ausdruck.
Hazzi, il sodorna geheißen; St. Sebastian, an einen Baum
gebunden und von Pfeilen durchbohrt.
Vor Tische kehrte ich mit meinern Zöglfinjj] in die ICirche
§anta Croce zurück. Ich stehe nicht von meinem Lrihoil über
Allieris Grabmal ab ; Jtalia weint in Marmor, wie sie wirklich
weinen sollte. Man hat die Figur steif gefunden; warum, weiß
ich nicht; aber was findet der lleherverfeinertfi nicht matt?
1 Lieb; BiliveUi.
Original frorn
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 386 -
Abends gieng ich krank dem Theater zu. Der Herbst brach
au. Auf der piazza üi Sta. Main Nuvella schlug ich eine Straße
iinlts ein; sie war menschenleer; nur hin und wieder sah ich
Licht bey arbeitenden Schustern, hörte da und dort melancholische
PianotÖnc ; einsame. Lampen brannten \or Mudonncnbildern; die
Häuser hörten auf und zwischen Gartenmauern führle der Weg
hin. Der Wind tobte in den Pinien, als wäre es durch nordische
Tannenbäume ; Her Mond war veivchleyert, mir ward unheim-
lich zu Muth, und doch triebs mich vorwärts, bis der Weg an
der Wdlmauer aufhörte. Nie hatte ich gedacht, in Florenz
•einen so düstern Eindruck empfangen zu können.
Im Theater sah ich Gorradino, ein erbärmliches Drama, und
t ie flauta magica, eine ziemlich plumpe Farce; sie nennen das
1a prezbsa farca ; es ist auch das beste.
Donnerst ag 20-
Mit dem Grafen fuhr ich in den palazzo Pitt i . Die Säle
sind kaiserlich, nicht herzoglich eingerichtet und die Gemählde
sind wehl tausend Go kl möbeln wenn.
Da ist die liebliche marinnna della sediola, die schönste
unter den himmlischen Marienbildern des geliebten Mahlerc ,
■da sind hundert andre, die ich zu flüchtig durchsah. Dort steht
Canovas Venus, vielleicht eben so reizend als ihre ältere
Schweeter 1 : «Such as ilieold of yore, Canova is to day.» Michel-
angelos Haus betrat ich nur ; das Innere konnten vrir nicht
aehn, weil der Besitzer abwesend war.
In der Kirche dell Annunziata, die auf einem schönen, mit
Ferdinands I. Statue vei-zierteu Platze steht, sab ich. die be-
rühmte Madonna del saceo von Andrea del Sarto; eigentlich ist
dieses Freskogemähide nicht in der Kirche selbst, sondern im
Klostergange, der daran stößt und wo im ganzen Quadrat
herum sehr wohlerhaltene Mahlereyen von Mascagni, Poccetti
u. a. m. sich befinden. Academia delle belle Arti : Dieses
Instilut, von f^wpold 1784 fr&stiftet, enthält eine vollständige
äamrnluug von Gypsstatuen, zahlreicher als die in Yenedig,
die Gemähide, welche den Preis davontragen (wir sahen sie
nicht) ; in einem großen Saal eine chronologisch sjereihte Samm-
lung der ältesten bis auf die modernsten Mahler, im Saale des
Culossen (dessen Original in Korne aul der piazza di Monte-
cavallo sieht) mehrere antike Köpfe, Canovas Gladiator und
Gypsabgüsse von griechischen bas-reliefs, die der König von
England hieher geschickt.
> Quer am Bande hat der Verfasser vermerkt: Hantag den
23« 1 « 1 geoohriebea.
■
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 39ö —
Ein fürchterlicher Regen begleitete uns nach Haus und
lenle mit dem folgenden Tage den lirund zu dem Bauchgrimmen,
das mich heule (Sontag) an da» Zimmer fesselt, den Aufenthall
verbitten und immer schreckliche Folgen fürchten läßt; wie
konnte ich einen Zaum oer Einbildungskraft anlegen, da schon
mehreremal die Wirklichkeit das gefürchtete Uebel eberstieg
Abends mußte ich iifs Theater della piazza vecebia. Man gab
le donne curiosc von Goldoni ; es war veniger schlecht, als was
ich schon gesehn, und der Gang reule mich nicht; es sind wirk-
lich komische Scenen, weil sie wahr, nicht konventionell sind.
Freitags 21.
Auf der GaLerie mehrere Säle besucht :
1) Saal der Urnen und Vasen.
In der Mitte ein Genius des Todtes ; hübsche Statue, aber
fälschlich als Kupido restaurirt.
Außer etrurischen Vasen sind hier in Großgrieckenlaud
gefundene, in Volterra, Chiusi, AreHo, Elba ausgegrabene da.
Im Kasten X sind zwey von beträchtlicher Größe; auf dem
einen ist Caslor abgebildet, sein Pferd führend und eine Blumen
fruirlande mit der rechten Hand haltend.
Eine große Zahl Lampen, Thierchen (vielleicht ex volo),
amphnren etc. sind auch in diesem Saal.
2) Mobes Saal ; Nach Winkelmann läßt sich da was sagen.
Als ich das erstemal diese Statuen im Saal herum gereiht sah,
glaubte ich einer tragisch* mimischen Darstellung beyzuwohnen.
Die Muller selbst am einen Ende des Saals, mit ihrem würdigen
edlen Schmerz, ist wohl mehr als die Rachegötter, die ihre
Kinder todten. Sie drückt mit unsäglicher Angst ihr jüngste?
an den Busen; das rührt aber die dort oben nicht. Ge»en ihr
über um andern Ende des Saals befindet sich der erschrockue
Eizieher und an beyden Seilen herum die Söhne und Töchter :
meist liebliche schöne Gestalten, rührend in ihrer Furcht vor
dem Tode, rührQnd in ihrer Unbewußtlosigheit, bewundere -
würdig in ihrem Trotz. Neben der Mutter ist ein Mädchen,
schön aufblühend im ersten Heiz der Jungfräulichkeit und sich
hingebend ins Verhängnis wie eine edlp VfaHnnna. Es ist schade,
daß diese Statuen nicht als Gruppe aufgestellt sind ; der Ein-
druck wäre stärker und dramatischer; so muß der Beschauer
sich die Scene konstruiren. Aufgefunden wurden sie bey dem
Thor St. Johann in Rom und aus der villa Medici unter Leopold
hieher gebracht.
3) Saal der Mahlerbildnisse (vide Montag). In der Mitte
des Saals die schöne Urne der villa Medieis, worauf das Opfer
Iphigenias eingraben.
:
UMVERS TYOF MICHIGAN
- 397 —
Das Pantheon der Mahle r sah ich noch einmal einzeln und
genau durch und in den wenigen Mahlern, die ich kenne, fand
ich ihre Manier auch in diesen portraits wieder. Es ist nichi
nur ein chronologisches und synchronistisches Exercitium, sondern
auch eine Anwendung des Lavaferischen Systems von den treuen
Gestalten unsrer Deutschen und Flamänder bis zu den Feuer-
zügen der Italiener hinauf.
Oft wend* ich mich, der Zauberfarben müde,
Die reichlicher als jede Frühlingszeit
Auf kalte Leinwand Titiaii gestreut,
Zu alten Deutschen hin, wo sanfter Engelsfriede
Selbst trocknen Zügan stilles Leben leiht.
So spähet oft im Schatten der Oliven
Mein stummer Bliek nach einem Tannenwald,
Wo keine laue Luft, nur wilder Sturm erschallt.
Boy lustgem Zitherklang greif ich nach ernsten Briefen,
Aus fernem Nord, von Freunden treu und alt.
Original from
UMVERS TYOF MICHIGAN
XXL
Gedichte in Straßbarger Mundart von
Frau Charl. Engelhardt-Schweighäuser.
Mitgeteilt von.
E. M.
JJurch die gütige Vermiltelung des Herrn Pasquay in
Wasselnheim erhielt ich vor Jahren Kenntnis von einer haml-
schriftlichen Sammlung <ier Gedichte, welche Frau Engelhardt,
ij eh. Schweig hauser verfaßt und selbst zusammengestellt hatte.
Die damalige Besitzerin ließ sich aber nur herbei mir Abschriften
der mundartlichen Gedichte aus dieser Sammlung zukommen zu
lassen mit der ausdrücklichen Bedingung daß ich sie nur zu
Ihuleklstudicn verwenden dürfe. Nach 1:1 rem Tode ist diese Be-
schrankuntr hinfällig gewerden. Jene handschriftliche Sammlung
»3t in andere IJunde übergegangen und die Hoffnung wohl nicht
unberechtigt, daß sie einmal in rlas Fl. saß zurückkehren werde.
Was dann aus deu übrigen meist auf Familienbeziehungen hin-
weisenden, mundartlichen und hochdeutschen Gedichten sich
aur Veröffentlichung eignet, möjren Andere entscheiden. Mit
erscheinen allgemeiner Beachtung wert jene mundartlichen Ge-
dichte, cie als Beigaben zum Pfingstmontag iutgetaßl werden
können. Ich erinnere nur noch daran, daß die Dichterin durch
das Riesen frftulein vnn Nierleck, derer Wendungen aus der.
Dialektdichtung durch Jakob Grimms hochdeutsche Prosa bis in
Chamisscs Poel:sierun£ übergegangen sind, für alle Zeiten in der
Geschichie der elsassischen Dichtung sich eine ausge2eichneie
Stelle erworben hat.
f~* Original from
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 899 —
Der folgende Abdruck jener Dialeklgedichle hat die Inter-
punktion teilweise zugefügt und ein paar kleine nieirische Fehler,,
die wohl der Abschreiben n zugehören, stillschweigend verbessert.
Das erste ist ein Fraubasengespräch, wie solche von F. W.
Bergmann 1873 und nochmals im Elsässer Schatzkästel 1877 —
wo auch eine kurze Biographie der Dichterin von Otte (Zetter) aus
dem Samslagsblatt wiederholt ist — abgedruckt worden. Der
Gegensatz zwischen der allen und neuen Mode ist frauenhaft
abgehandelt. Bergmann S. 119 weist (iarauf hin, daß Frau
\ Engelhardt auch andere Fraubasengespräche abgefaßt hat. IchV^
verweise auch auf M. Eogebardla Wanderungen durch dieVog;esen
Ö. 61. ' ' !
Das zweite Gedicht ist ein Gespräch zwischen Frau Engel-;
hardt und Ehrenfried Slöber (Veiter Daniel) über dessen eLob
der Siadt Stroßburg>, wo insbesondere die Derbheit der Mund —
art erörtert wird. ' •
Das 3. endlich ist eine freudige Anerkennung des Lobet- >
welches Goethe 1819 Arnold in seiner Anzeige des Pfingst-
montags gezollt hatte.
1. Teegesprach 1816.
Die alt Frau Baß: Verzeih sie mir Frau Baß, i konT a bissei frühi, . .
Awer äisch so min* Ait und's macht mer zueviel mühi,
Wenn i muß üwer d'Gaß zwei raol im finstere tappe,
Unn uff de glatte Stein mer so der Fuß thuet knappe.
Hie jung Frau Baß: A mache sie keinä Spaß, es freut mi jo
gar viel; —
Freili bis d'andre komme, 'wärt's noch e gueli wil.
Die AU: Es war doch ebbe Zit, wenn sie wil Caffe genn,
Kr.; isch schon halber fünf, dort sich i Tas6e stebn,
Uff zellem runde Tisch, un i riech au de Kueche,
I hab c fini Naß un bruch mt lang zc sueche.
Die Jung;: Caffe wurd nitt gereicht, s'isch d'Mode nimm, Frau
Riß.
Nur Thee unn Confi'.ur serwirt mer hittis Dsahe,
Die Alt: Was Thee zum Zowweesix;? der eim sa bölü macht!
Do kriejt me weier na jo Hurger in der Nacht.
D'Jüng : Wer dunke jo eh's drin — Ich mach mer just nix drus.
S'isch awer d'Mude jetzt in jedem jätete Rüs.
D'Alt : Herrje ! s'fehlt mer e Nodel an rriner Stricket gar.
Oh, sei sie doch so gut un zei sie mer e Paar,
Ob mer nit eini paßt, des war mer gar e Trost.
DMung: Do isch min einzi B'steck . . .
D'Alt: Des isch jo ganz verrost. —
.
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 400 —
U'Jung: Drum isch's schun gar ze lang, daU i nim mit ha
g'strickt.
S'isch d'lfode jetzt, Frau Baß, daß mer nur neihi un stickt.
D'Alt: Des isch im Sommer guel, jetzt wurd mer jo schier blind.
Wenn mer bim Liecht so stickt, ich war mer nit so find.
D'Jung : Oh, es gtht nit so streng, mer babbelt au e wihl ;
Demo wenn ri" Herre komme, se geht's an d'Kartespiel.
D'Alt : Na wil min Nodel fehlt un i nit stricke kan,
Willi mit Stanges spiele, ä halwi Su der Jan.
D'Jun&: Standes spielt nieine meh; wer jetzt ken Rower macht,
Unn au nit hoston spielt, isch liberal veracht.
D'Alt: Wist kan i au e bissei, s'ßewersi isch min Pin.
D'Jung: Oh zell spielt nieme meh, s'isch schad, s'isch lusti
K9JD.
D'Alt; S'scheIH, lue sie doch! . . .
D'Jung: So friey kumrat nur*d'Frau Hahnewalle.
Frau Hahnewalle; Ihr Dienere, ihr Damme.
I ha gemeint i triff d'ganz G'seliscliaft schun bisamme.
I kom e bissei spot, i hau e Aer^er ft'hett.
1 Ka min Wasch noch ^'streckt, se finoti zwei Chemisette
Die g'höre miner maugd (isch dieß gepermediein v j
Von Kottnfidcl Musselin dreifach cm Hals garniert.
D'Jung: Dieß isch e bissei stark.
D'Alt: Doch kann mers nit verhiete.
Mer henn vor Zitte au so müsse d'Posche lide.
I ha's e mol beredt, so bei min Maud zum G'spaß
Si in de Merkorb g'stekt, un drunten uff der Ga3
Hett sie sie angelhon, i ha's vom Fenster g'seha.
Was hawi sauje welle? i ha's halt losse jr,ehn.
Frau Hahnewalle : Nein so guet bin i ritt : i ha's ere tichti g'sait
Un ba erecbl getiewwerl, s'isch hall e Herzeleid.
D'kfaud macht der Herrschaft noch : wenn die e Reifrok
trabt,
Mueß zelli Posche hun, do isch bi Gott ken Gnad.
Der Staat isch doch zue groß mit dene Stickereie,
Na, schmoll sie nur, Frau Baß, sie macht rni do nitt schweie.
Der Owerrnk mueß jetzt zwei Uand breit kürzer sin
Daß tne tlc seh ü hon» sieht, un do sinn Lücher d'rinn ! ! !
£ Gans frißt Graß derdurch — do kann mer sich jo denke
Daß bime jede Schritt rae mit dem Sehnen blit henke.
Dieß heißt jetzt g' feeton niri un ä jour Stickerei.
I ür. Falwela am Hals isch nimm jenue mit zwei.
Fünf Sechsmol uffenander als wie e Pfarrers Groß
Geht« un» de Hals herum, »'steht uns als wie ebs bnß
Deraochert u(T em Kopf . . .
UMVERS TYOF MICHIGAN
- 401 —
UMi: Erifer sie sich nit 1
Sic macht eich halvrcr krank, un l>esaert nix deraiit,
Mir ben au mit gemacht, wie mer noch jung sin g'sin.
Weis sie noch s'grus Tuppe un der roll» Puder drin ?
Posche drei Elle breit un \baStz hände hoch,
s'gepusuhl gase Helstuech, a ! liewi, schwei sie doch !
D'Jung; Die große pette en l'air, un spitze SchnaVelscbueh,
D'lange Warielmanschette, oh sV'hört noch viel derzu.
ETAll: Wemmer ebs neus sich kautt» muß sinn wie mer just geht.
Wen's noch so närrsch ussieht, isch mer doch allwil nett.
Freili in ri'Grimpelkammer kumt's oft am End' vom Johr.
Uu wemmer's wedder sieht meint mer s'i&cli niinmi wubr
Das mers getraue hett, un lacht, sich selber us
Un um ken Geld trieng mer so nie us cm Huß.
Awer es wßr hol! Zit, sie gab uns ihre Thee.
I hah am zwölf! gesse, s'wurd mer vor Hunger web.
D'Jung: S'schellt, ah jetzt kumme d'andre, u»'s Wasser sied
schon lang.
Wenn der Herr Vetter kommt, sin mer au drei für d'Stang.
2. E Strosburger Frau Bas an de Vetter Daniel,
nochdem sie sin Lob von der Sta<i t Strosbury gel ese.
Höre Sie, min Herr Vetter, es «ey ne liewer gsait
Nur ganz so. unter uns, sie mache's duch zu breit.
Eiß geht für eir.mol an, awer so allewil
ungemeinste Wort ussuche, diß isch doch schier ze viel.
Me kriet jo d'Muhlsperr ganz, wemme diß Ding muß lese!
Mer sin von jeher Hie su 2iraperli gewese. —
Min selige Frau Bas, die hett ken ander Wort
Als unser Sprach gekannt, un wenn i mimme dort
Hab e Visit gemacht, »e hau i mich erfreut
An dere luthrische Frau-Base-Höflichkeit.
E großes Predibuch, d' Uiwel, der Obeseye,
E Stricket un c Britl, sin uf em Tisch gelcyc.
Ihr hötli, hößli G'spräch, diu hett mi oft erbaut,
Öo einfach, frumm un gut, so ganz mit Gott vertraut.
Wer alle Sundahmorge schön in syn Prmli geht,
Viel in der Biwel leßt, und was er leßt versteht.
Dem kumme d'Woii von selbst gewählt zum Muhl herüs
üd war (er) uferzaue au im Handwerkshüs.
Es giebt noch viel so hie, un wenn me die hört an
(Freili de Cumplimente-Frau Basen-Sctilendrian,
Der so langwieli isch muß Y. au mit verschlukke),
Se'n isch doch unser Sproeh nitt so gemein un trukle.
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 402 —
Freili lauft dannetwann e Wörtele mitunter
Daß unser Grammatik für acht nitt hall, worunter
E manchi Redesart uns doch au wir bequem
Uu mir mien orum herum, zell isch nit angenehm.
Un in de Reime garr . . . Herr Vetter sie verzeihe
Daß i getadelt hab, es tliut mi jetzt fast keie • . .
Herr je ! ! ! Do iummt mir gar au so « Wort ior d'Fodder !
Aber so isch's hall hie, me kummt glich mit dem Wetter
Wemmer im Re<lde steckt, un was ich Ihne sah.
Der Mittelwei isch schwer, mer muß ball null, ball nah.
Wil's denn so mühsam isch, in. Mittelwei ze stehn
Se wär's jo hesser fast e bissei nuff ?e gehn
•Vis in's gemein su nab sich allwil ze verliere.
.\wer Erlaube Si, ich thu ze lang geniere.
Verzeihe Si, Herr Vetter, 's isch halt e so min Art
'S muß alles glich erus wie's über d'Lcwer fahrt.
Herr Vetter, ich hab d'fchr mich gehorsamst zen empfehle,
Ihrer Frau Liebsten au, dieß rnöcht i nitt verfehle.
•26. December 1817.
Antwort.
Strosbury de 7. Jänner 1818 am Julianustag.
I dank ere, Frau Rafi, für ihr verbindlt Schriwe;
Si denkt halt, mer muß nix, au 's Lob nidd üwwerdriwe.
Es isch au min Manier frisch von der Lewwer weck l
Es werfe viel e Wurst gern noch ere Svtl Speck,
Drum wurd d'Welt hyltis Da*s ou allewil verdruckter,
Un Fuchsschwanz giebl's genue, un sieslechli Kalfackter.
Doch alles hawwi ritt, was sie do schriebt, verstände,
I will's re numrne g'stehn, i hsteh bald doch mit Schande.
Sie macht e längs, e breite* daß me nitt breit soll were,
Un redde nitt gemein, mit sine Herr Gumbäre.
Sie hell gut reide, Si ! 's isch e Professers Maidel
Girad wie c Sundos-Kind, traht'a noch c Zwikkclklcidel,
Sen isch's schun e Schein: 1 wodd i derft au wohne
Imme Kapitelhüs, do isch der Hund nit ohne
Studirerey, mer meint er bellt gar uf klinisch ;
Zum wenigste verstellt er hocudiUuh, übenhinisch !
4n mir isch Hopfe, Mala, von Juget an verfahre,
I bin, min liewer Schatz, erzam-n-un ^ebohre
Im Drescher, denk Si nurr, diß isch e rücher Namme,
Nimmt's eine Wunder dno, wemme bi de Madamme
C Original from
UMVERS TYOF MICHIGAN
- 403 —
Kitt nett ze redde weis, wie mancher Geßgyddi
Der ei ball Hrscbi bückt, ball widder hinterschi,
Un cSallü» sad, <Madam, gommang wu porte wu?
Wuus edde bieng scholi, n me Faire tu fu!»
Nimm Si dißmoJ verlieb, en andermol wurd's besser,
I leer biß üwwer's Johr noch manch i Diiilefös&er.
Un nomol: Proat's Neujohr ! un grieß sie de Moritzel,
I schick ein e Handbatsch, un iere taa.d e Schmitzel :
A la Wie e a la Mor.
Der Vetter Daniel
3. Gespräch a 1s G oe thes Beurtheil u ng desPfingst-
niontags hier (in Strasburg) bekannt wurde.
Denke der Goethe meint me muß ä ganzes Lewe
Nochdenke, un studire, un b'sunders Achtung gewe;
Bis me mit vielem Wils so ä Pfingstmondah schribt,
Alles so ganz nstürli, un gar nix üherlriht.
Er meint, 's iscu gar se schwer, ä so fcienau ze treffe
Der Meislerfrau ihr Dewre, der Maud ihr widderheffe;
's Christineis Jungfrewitz, un 's Lissel sin gefeilter,
's Clärel syn LUbesnoth, un 's ÖJrbol fia, der Picker.
Unn vonn da Männere erst, do will i gar nitt redde,
Wyl die so uFgspitzt sinn, se will der Göthe wette,
Der Arnold hett sunsch nix syn Lewetang gethon
Als amrn Pfingstmondari gemacht: was halte ihr dervon?
Er isi'.li e ßurjersltind un hett halt anue g'schriewe
Was d'tieime syni Litt so g'sait benn unn getriewe.
Er hett in allem nur gebrücht zeh Morel Zitt,
I weiß es von iram selbst unn irr mi wem nit. —
E Hofrath freili wohl, der uns so überleye,
Der brächt syn lebtah kühm & so e Stück zeweye.
E witziger Kopf von Hie, lielU awer glich herüs,
Denn was er d'heim nitt sieht, sieht er im Nochbershüüs,
Uo frei e K tassebuh, wenn er weis uffzebasse;
Me hört dergliche Dings jo Hie uff alle Gasse.
In jedre Hüshalluag Und mer e Frau die schilt,
A. Maud die widierbefzt wenn sie ihr Herrschaft trillt,
Ä. Maidel dis nix kann als hable, gaffe, lache,
Unn diß nur allewil denkt wi's balt will Hochzitt mache,
Eo alti Jungfer dno, die Dau un Nacht studier),
Wie sie zürn Erstand noch ä gute Mann vertiert;
E jedi Nochbersfrau kummt.ba?c un Kalfacktere . . .
Me findt glich 's Ebebild zu dene Volkscharactere.
C Original from
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 404 —
— Gemach, 's isch nitt so licht, wie 's d* Jungfei Basel glaubt;
E bissei dispadire isch incr do wohl erlaubt.
Ebs wilsis diß me hört, so ungfahr nochzeschriewe,
Unn 's IScherli dervon wo tnö^Ii übeitiiwe
Iram 5 Fraubase G'sprSch, diß isch wohl %ar ze licht,
Unn mancher kann's doch nitt, wenn er de Kopf au bricht.
Gib sie im Schnyder do noch so viel Bretter un Balisa.
Er baut äre kenn Huß; nur Jäger schieße Palkä;
Nur d'Bekke bache Brot; ä Schmidt macht ken Parrück . . .
Isch einer kenn Genie, geroth em kenn so Stück . . .
Denk Si nur, z'erst da Plan so glQckli Oszedenke,
Vergalbppirt mer eich, glich wtdder inzölonke;
Wenn alles schilt unn krischt unn durchennander rennt,
Ze rechter Zitt doch 's Stück bringe aum guten Ennd
Unn uff de dümmste G'spaß ä gscheide Reim ze finde :
Wer nitt genialisch isch, thät sich urnsunst do schinde.
— Gezwifetl hab i nieh an's Arnold 's syn Genie,
Wenn einer so wie er, der lulrisch unn von Hie
k\s Herr Professor z'erst gelehrt i Curs thut gewe,
Unn in der große Welt utf große Fuß thut lewe,
Dcrnocliert gar wurd Roth by unserm Herr Präfeckt,
Unn au noch Herr Doyen, do hab i ^-1 ich Respeckt.
's isch mancher au nitt dumm, un kann's so wilt nitt bringe:
's Genie brückt au noch Glück, wenn's em so soll gelinge.
\wer do hemmer schier vergesse unser Rtdd,
1 hab am Anfang g'ssit, denke der Göthe hett
Geraeint, me muß so lang bowachte unn studiere
Umm ä Commödi -Stück wie dißdo üßzefiehre . . .
Freili im fremde Land, unn fra e großer Herr
Der brüchti vidi Zitt, unn wenn'a au Göthe war,
Diß sieht me schun an demm will er 's so gut bekrittelt :
Der Amold awer hett's nur üssem Ermel $r*schitlelt.
Genie unn Gluck, do hett me jerli Müh nur halb,
Unu 's Artiuld's Hulzbuok kritjt wolil imchsteidali ä Kalb.
Lotte Engelhardt geb. Scuweighuuser.
Original from
UMVERS TYOF MICHIGAN
XXII.
Die Brüder Matthis 1 .
Voi
Ernst Stadler.
In
Gcethes bekannter Re?en«Mri von Hebels Alemannischer»
Gedichten, die in freundlichem Eingehen auf den sinnfälligen
Heiz dieser bäuerlichen Schöpfungen die grundsätzliche Berech-
tigung einer liierarischen Verwertung der provinziellen Sprache
vertritt und ^esenüber den starren Verfechtern des schrift-
sprachlichen Prinzips vorn Schls«e Afielnnys auf die fruebfl-
1 Es erschienen bisher: Albert Matthis, E' SeMiltebardhie von
Niederbrunn in's Jajerdhaal am 2G. De/- 1890 (1697, faksiraile-
druck in 25 Exempl.;; Alb. u. Ad. Matthis Ziwwelbaainholz 1901);
Alb. u. Ad. Matthis, Maiattle (LMBi; Adolphe Matthis. «Drütf urTm
filoeekelschberri» (1907, äOUExempl ); dm., *JV Knn/.dinnirht» hini
Scharrach (19J8, !JO0 Exempl.); Albert Matthis. M'n Elsaß ;mit
Musik von Erb, o. J.,. Außerdem Vereinzeltes in Zeitschriften, bes.
in den «Affiches», in «le Bourdon» und der «Bevuc AUacieDne».
Die fEntdeckung» der Bruder Matthis für weitere Kreide ist <ltu
Verdienst Karl Grabers, dem auch dieser Artikel wertvolle Hinweise
verdankt. Grubeis Aufefcue iStraßb. Post v. 16. Juni 1901, Reichs-
land, Janaar 1903.Zoitgenössi6eho Dichtung d. Elsasses, LXXXTllIff.)
sind bei weitem cas Feinsinnigste, was bisher über das Diclterpaar
geschrieben wurde.
Walicud der Drucklegung dieses Aufsatzes geht mir Adolf»
jüngste Schöpfung, <D' BürehochziUi. zu, schon durch lir Thema
wie geschaffen zur vollen Entfaltung der besonderen Fähigkeiter.
dieses Dichters, flntt und farbig: im Vortrag und aufs glücklichste
herzhaft geschaute lu-iidaokftftliche Bilder mit lebendiger Zeichnung
bäuerlicher Gestalten und Gebräuche verbindend. Nach Brautzug:,
Hochzeitmahl, Feettrunk oid «Jurapfredanz» klingt das (iedicht, wie
so oft bei den Matthis, in Preis uad Segnung des Lindes nus.
Original from
. ■■
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 406 —
bare Steigerung hinweist, die der künstlich abgedämmten Ge-
meinsprache immer wieder durch den ungcfcssell und ur-
kräftig hinströmenden Dialekt zuteil wird, gibt der Dichter
dem schwäbischen Lyriker gelegentlich den Rat, doch ein-
mal versuchsweise caus dem sogenannten Hochdeutsch schick-
liche Gedichte b in seine Mundart zu übersetzen ». Solcher
Zuwache aus neuer., dem Dialekt ursprünglich fernliegenden
Stoffgebieten sollte nach Gcethes Meinung helfen, die natürliche
Enge der Umgrenzung mundartlicher Dichtung zu durchbrechen,
wie sich ja auch umgekehrt durch Umsetzung in die Schrift-
sprache oder eine der Schriftsprache angenäherte Form der
Geltungsbereich der dialeklischen Literatur wirksam erweitern
ließ.
Nichts kann der Idee und den innersten Ansichten der
DialektpDesie stärker widerstreiten als eine derartige Anleihe
hei dem festumzirkten Besitz schriftsprachlichen Gutes. Mund-
artliche Dichtung wird immer nur dann Sinn und Berech-
tigung haben, wenn sich gedankliche Anschauung und sprach-
liche Formung bei ihr decken, wenn das zum Ausdruck
Drängende wirklich im Mundartlichen seine reinste, seine
einzig vollkommene Versimilithung findet, wenu Bild und
Gedanke aus dem Dialekt heraus geboren, nicht nachträglich
in den Dialekt übertragen sind. Dichterischer Ausdruck muß
notwendig immer an die Mittel und Möglichkeiten des gegebenen
sprachlichen Materials gebunden bleiben. Wenn nun alle Sprache
ursprünglich aus btidmäßiger Anschauung herausgewachsen, -
aber in langen-. Gebrauch allmählich abgeschliffen und im "Be-
wußtsein des Spiechenden ihrer 'sinnlichen Werle entkleidet
worden ist, so hat demgegenüber die Mundart in viel höherem
Maße als die abstrakte Schriftsprache sich den Zauber und die
Frische ursprünglicher Hildhaftigkeit bewahrt. Hierin liegt ihr
Heiz, ihre relative Ueberlegenheil, , ihr Reichtum hei an und
für sich viel ärmerem Material. Gibt somit der Dialekt, indem
er stall aus eigener Fülle zu schöpfen, bei der abgeblaßten
Schriftsprache borgt, seine innersten Vorzüge preis, so birgt
solche Vermischung der besonderen Ausdrucksformen zugleich
eine ernstliche Gefahr für die ReinerhaUuny [des dialektischen
Bestandes. Ohnehin hat die Mundart ihren ärgsten Feind in
der herrisch vordrängenden Schriftsprache, "deren abglättender
Einwirkung sich heute, bei dein ungeheuer gesteigerten Verkehr,
selbst die entlegensten Winkel, in denen sich ältestes sprach-
liches Out mit zäher Energie behauptet hat, nicht zu entziehen
vermögen. Im Elsaß hat die eigentümliche politische Ent-
wicklung des Landes den Dialekt in einer fast wunderbaren
Reinheit behütet. Die französische Herrschaft sicherte ihm
Original from
UMVERS TYOF MC HIGAM
— 407 —
langen Fortbestand und gemach liebes Wachstum. Abgelöst
von allem lebendigen Zusammenhang mit. der hochdeutschen
Gemeinsprache und bis auf die Aufnahme vereinzelter volfcs-
mäßig umgebildeter Ausdrücke unberührt von dem seil 1840
immer mehr an Machtzuwachs gewinnenden Französischen, hat
sich der Dialekt in den breiten Schichten der Bevölkerung in
seiner ganzen kräftigen Bildlichkeit erhalten, die, auch vor
dem Niedrigen und Honen nicht zurflekscheuend, aber immer
lebendig und sinnfällig, den derben, auf herzhafle Erfassung
des Wirklichen gerichteten und dabei doch dt» weicheren Ein-
schlages nicht entbehrenden Charak-ter des Völkchens zwischen
Rhein und Gebirge malt. Es heißt doch die durch zwei Jahr-
hunderte bewährte treue Anhänglichkeit einer Bevölkerung an
ihre angestammte Mundart arg verkennen, wenn man mit
fccard' annehmen will, daß im Jahre 1870 bloß 20 Jahre
weiterer Zugehörigkeit zu Frankreich genügt hatten, um die in den
Kreisen der oberen Bourgoisie bereits eingebürgerte französische
Sprache auch in den niederen Volksschichten heimisch zumachen
Nicht aus der Ausbreitung des Französischen als der bequemen
und ausdrucksiThigen Geschäfts- und Verkehrssprache erwuchsen
dem Dialekt ernstliche Gefahren, wenn auch jener Grundsatz
vorurteilsfreier Duldung dem deutschen Sprachgebrauch gegen-
über, den Eccard für die französische Kegierunjr in Anspruch
nimmt, doch jedenfalls seit der bewußteren französischen Besitz-
ergreifung des Landes im 19. Jahrhundert nur noch in recht
bedingter Weise Durchführung findet. Wirklich gefährdet
wurde der Dialekt, sc paradox es klingen mag, erst durch die
Annexion. Und zwar einerseits dadurch, daß nun nach der
Einsetzung des Hochdeutschen als der offiziell gültigen Sprache
zahlreiche Familien, bei denen bislang zum mindesten im häus-
lichen Kreise die Mundart geherrscht hatte, aus einem falschen
Gefühl heraus, das im Dialekt etwas der schriftsprachlichen
Konvention gegenüber inferiores zu erblicken geneigt ist, zum
Französischen griffen. Andererseits dadurch, daß durch die
«ich nun ergebende Berührung mit den zugewanderten alt-
deutschen Elementen, durch Schule und öffentliches Leben von
der Schriftsprache her unaufhörlich neue fremdartige Elemente
in den Dialekt eindrangen und, indem sie sich seinem Laut-
stande anpaßten, unmerklich die fest gezogenen Grenzen seines
Sprachbesitzes verrflckien. Die hieraus erfolgende Sieigeruug
der dialektischen Ausdmcksmöylichkeiten vollzog sich notwendig
auf Kosien der bisherigen Keinlieit seines Charakters, Der
1 La Langte Franchise en Alsace (1910), S. 8.
Original from
. ■■
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 408 —
anaufhaltsam vorrückende Ausgleich zwischen Schriftsprache
und Mundart muß schließlich, dazu fähren, das eigentlich Aus-
zeichnende der mundartlichen Sprechweise, die kräftige Sinn-
lälligkeitder Rede, zu verwischen. Slatt zu dem aus lebendiger
Anschauung geborenen bildhaften Ausdruck greift nun auch der
Dialekt zu der von Her Schriftsprache her bequem sich bielen-
»lui. aber uusinnlichen und abgebrauchten Formel.
Der wissenschaftlichen Bergung des durch die immer
weiter greifende Abschleifuog bedrohten mundartlichen Besitzes
diente vor zehn Jahren die Herausgabe des Wörterbuches der
Elsässischen Mundarten durch Marlin und Lienhart. Kurz
vorher hatte eine kräftig einsetzende Dialekt bewegung, Stoskopfs
erste Lyrikbände und die Begründung des ElRässischen Theaters,
den gleichen Gedanken von der literarisch-schöpferischen Seite
her aufgegriffen. Schon Goethe hatte ja gelegentlich auf die
mannigfachen Vorzüge einer de» Dialekt in lebendiger Anwen-
dung und in allen Schattierungen und Abstufungen vorführenden
Dicht unt: gegeuaber der toten tfuchung des iMaterials hinge-
wiesen und gerade Arnolds köstliches Lustspiel als ein solches
«lebendiges Idiotikon» jene.« aherleutenden Straßburger Dialektes»
empfohlen. Nun schoß die Dialekldichlung üppig ins Kraut.
Unberufene, ohne alle Herrschaft über das Material, aus dem
sie schöpfen und jrestalien wollten» :lrui;;ttMi sich herzu, ge-
willt, an dem Ei folg mitsuzehren, der 30 plötzlich der mund-
artlichen Literatur zufiel, und vergeben* erhob ein temperamen! •
voller Artikel der Elsassischen Rundschau gegen die leichtfertigen
Mitläufer der Üialektbewegung, die «Dialeklschänder», scharten
Einspruch, Wenn selbst Hebels Gedichte, namentlich in den
späteren Nachbesserungen seiner Verse sich nicht immer vor
schrittsprachlichen Einflüssen freizuhalten wissen, so holen diese
seltsamen tfOialekfdiehler» nichts als Ödeste Durchschnitlslyrik,
aus der Schntlsprache kümmerlich in den Schein eines mund-
artlichen Gewandes gezwängt.
Solciiem Mißbrauch des Dialektes gegenüber muiteu alle
wahren Freunde munilan lieber Dichtung mit Freuden das Auf-
treten eines Talentes begrüßen, das, zunächst noch der breiteren
Allgemeinheit entrückt, damals hin und wieder in Vereins-
organen wie dem hektograpbisch hergestellten «Bourdon» aut-
tauchte: Albert Matthis. Die Gedichte dieses echten Ötraß-
burger Kindes, in der kecken Unbefangenheit ihrer Improvisation
jedem literarischen Herkommen fern, zeiujlen hei aller naiven
Uubeholfaiilieil von eine;* Druslik des Sehvermögens und des
Ausdrucks, die schon diese ersten Versuche hoch über das
meiste hinaushob, was sich an mundartlicher Lyrik daneben
hören ließ. Und diese Verse waren denn auch in einem Dialekt
c
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 409 —
geschrieben, über dessen Echtheit und Unvertälschtheit jeden-
falls kein Zweifel walten konnte. Kurz darauf brachten die
rAffiches» das Gedicht vom Münstersufstieg bei Wiud und
Sturm* das, wie alles Bisherige treulich am bestimmten Er-
lebnis haftend, aber doch zugleich allgemeiner gehallen, mit
der flotten Bewegung seiner Rhythmik und der drollig-pathe-
tischen Plastik seiner Bilder auch heute noch zu Alberte köst-
lichsten Sachen gehört. Wie wir hier mit dem Dichter, schwitzend
Jini zappelnd, aber immer im gewohnten «Drabb» bleibend,
Jie vielen Staffeln hinackleltern, aus dem immer heller werden-
den Zwielicht des katzengrauen Treppen gern äuers hinaustreten
auf die weile Ausbuchtung der Plattform, mit schwindelndem
ümblick auf die alten grauen Giebeldächer und das wimmelnde
Kreuz und Quer der Gassen, dann im Tuim hBher steigend,
am Glockenstuhl vorbei, die immer schlanker und luftiger
aufgelösten Wände entlang, bis zu den «Schnecken» empor-
klimmen, und wie so im raschen Zug des Aufstiegs die Wunder
von Erwins viel besungenem Dom sich vor uns enthüllen, das
ist in seiner schlichten und doch so eindrucksvollen Sachlich-
keit meisterhaft. Und wenn die wechselnden Gesichte dieser
impulsiven Höhenwanderung zwischendurch Ton mancherlei
Gedanken, begleitet werden, wie sie sich wohl einem einfachen
Menschen auf solchem Gange einstellen mögeu — Gedanken
aber die Unbeträchtlichkeit unseres Lehens und die Vergäng-
lichkeit aller Dinge — , so hebt sich der letzte freie Ausblick
von höchster Zinne über das in einem plötzlichen Sonnenleuchten
aufflammende Gewirr der Häuser ganz ungezwungen zu hellem
Preis der geliebten Stadt:
Aldi Stadt 1 du schöner Wappe!
Symbol blcnkel stolz in d'Wult,
Un hebb d' Sprooeh wo in de Kappe
D'Alde uns han annegstellt.
Ntcnt zufällig verknüpft sich hier der Stolz auf die glorreiche
Tradition der Stadt mit der treuen Liebe zur ererbten Sprache.
Dieser Lichter, dem der viel mißbrauchte Dialekt so prachtvoll
kernige uud yleichöaw unberührte Bilder herzieht, wurzelt so
tief im Sprachlichen, daß sein überall lebendig hervorquellendes
Heinjalgefuhl, wo es am kräftigsten durchbricht, dem Lob der
angestammten Mundart gilt. Und als einige Ja lue nach diesen
eisten Flugversuchen in aller Stille und mit bewußter Beschrän-
kung der Auflagezahl ein kleines Sammelbändcben erschien,
das den phantaslischen Titel «Ziwwelbaamholz» trug, da fand
sich in den einleitenden Huldi^ungsversen ans Elsaß die ganz
naive Folgerung: «S* Elsaß iech e seböner Streife, D'Sprooch
f~* Original frorn
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 410 —
«Haan bringt's jo suliun mit.» Zu diesem Buche halle zum
ersten Mal AlbertsZwülinfcsbrudei Adolf einige kleiuere Sachen
beigesteuert, zunächst noch hinter der ausgereifteren Persön-
lichkeit Alherls £Ui ücktiettiiJ, aber bald im gemeinsamen
Streben erstarkend und jetzt lange ein dem Bruder roll Eben-
bürtiger, dessen dichterische Physiognomie bei allem notwendig
Gemeinsamen doch ihr ganz besonderes Gepräge bat. Gemein-
sam erscheint neben vielfacher AehnlichkeiL der Anschauung
und Empfindung . wie sie ein so langes und inniges Zusammen-
leben erzeugt, in erster Linie die Ehrfurcht vor der Sprache.
Auch für Adolf ist «iJ'Nuedersurooch» die gute Wegweiserii),
<lie es fest «am Baenceh 2u halten gilt, und die erst eigent-
lich alle landschaftliche Schönheit aufschließt: «Sie fuehri es
Zürichs Loendel». Tatsächlich wachen diese tNaturdichter*, die
mit so souveräner Unbekümrnertheit um metrische und formale
Erwägungen ihre ganz unstilisierten Verse hervorsprudeln, über
«lern sprachlichen Ausdruck mit so bewußter und eifersüchtiger
Erblichkeit wie nur irgend ein von der Musik \lec Worte
terauschter Artist. Und für nichts finden sie im Gespräch
kräftigere Worte der Verachtung als für die Verunglimpfung
ihrer geliebten Sprache durch die schwächlichen Mitläufer der
Oialeklbewegung.
Mit gutem Grund freilich -wissen sie sich der heimischen
Sprache, deren zumeist nur nach dem engen Umkreis des
städtischen Gebrauches bemessene und darum leicht unter-
schätzte Möglichkeiten sich in ihren Gedichten in ganz anderer
Weise entfallen als etwa in der Dialektdramatik des ElsSssischen
Theaters, zu tiefem Danke verpflichtet. StSrker als bei den
meisten schriftsprachlichen Produkten fühlt man hier, wie die
Sprache das eigentlich Schaffende ist, und wie gleichsam am
sprachlichen Ausdruck «ich dip dichterische Anschauung ent-
zündet. Denn niemals gibt es für den Dichter ein Schauen
unabhängig von den Mitteln'der Sprache, niemals ein losgelöstes
und seihständiges Betrachten, das sich hinlerdrein die Form
der Mitteilung sucht, 3ondern eben aus dem Zusammentreffen
dieser neiden Prozesse wächst das dichterische Werk. Aber
wenn hei der schriftsprachlichen Schöpfung die Verlockung der
Sprache leicht zum unwesentlichen, verblasenen Ausdruck
leitet, und schon eine starke künstlerische Eneigie nötig ist,
hui aus dem abgeschliffenen und ins Begriffliche entwerteten
Material eine neue bildhafte Welt herauszugestalten, so bietet
Mch der Dialekt, in der frischen Kraft seines sinnlichen Lebens
dem poetischen Gebilde noch näher, in vieler Hinsicht bequemer
und müheloser dem schaffenden Dichter an. Es bedarf gleich-
kam eines weniger angespannten Willens, weniger bewußter
-
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 411 —
Formung;, um aus den bereit liegenden Schützen mundartlicher
Rede Eigenwertiges zu gestalten. Und wenn im Dialekt noch
ungebrochener das Gefühl für den metaphorischen Ursprung
der Worte rege ist, und eine herzhafte Lehhafiigkeit der Ein-
bildungskraft selbst dos Unbelebte und Seelenlose ins Mensch-
liche und Wesenhafle erhebt, so wird deutlich, wie hier in
gewisser Beziehung die naive Ausdrucks weise des Volkes mit
bewußt dichterischer Formung zusammentrifft. Und es erklärt
zugleich, wie unsere beiden Dichter, beinahe ohne aus irgend
<;incm anderen Bildun^sbereich zu schöpfen, durch die bloße
Meisterung; des Dialektes, dessen verborgenste Saiten ihnen
freilich erklingen, zu Schöpfungen von so beträchtlichem litera-
rischem Niveau gelangen konnten. Denn ihnen ist der Dialekt
nicht bloß Material, sondern zugleich im eigentlichsten Sinne
Bildungsmittel. Beinah« ängstlich schließen sie sich gegen
alles ab. was von außen her die Sicherheit ihres Schaffens ver-
wirren könnte, sei es nun die Berührung mit der hochdeutschen
Umgangssprache oder auch nur die Möglichkeit einer Beein-
flussung durch literarische Vorbilder. Sie sind sich des Eigen-
vrüchflig&n ihrer Poesie voll hewnßt und wollen sich ihren Kurs
nicht durch fremde Einmischung sturen lassen. Sie haben
wenig genug gelesen und finden hinreichend Kraft in sich
selbst, ohne Anlehnung an fremde Muster dem, was sie fühlen
und schauen, Ausdruck zu geben. Solche eigenwillige Ab-
schließung birgt unzweifelhaft die Gefahr einer geistigen Ver-
engung, und in der Tat wird man eine große Weite des
Gesichtsfeldes bei den Rrüdern Matthis nicht erwarten dürfen.
Aber diese Beschränkung gibt ihnen andererseits eine erhöhte
Sicherheit in dem, was wirklich ihr eigen ist, schärft ihren
Blick für das ihnen Erreichbare und beschirmt ihre helläugige
Beobachtungsgabe vor Verfluchung und Verbildung. Uner-
reichbar gleichsam allen störenden Einflüssen bausen sie bei-
sammen in dem hübschen geräumigen Pcelenstübehen im Fink-
vveiler, und wenn in früheren Jahren eine Zeillang noch
häufiger Mater und Literaten zu ihnen heraufgestiegen kamen
und sie wohl auch gelegentlich aus der Verschlossenheit ihrer
Klause sns Licht zogen, so haben sie sich jetzt wieder ganz
in dies beschauliche Zusammenleben zu zweien eingesponnen,
aus dessen ruhigem Gleichmaß sie nur seilen der Besnch eines
Freundes oder Neugierigen aufstört, und nirgends mundet
ihnen die geliebte Pfeife und der Krug Bier besser als an dem
einfachen Holztisch, der als neutrales Grenzg-ebiet die getrennten
Arbeitsreiche mit ihren beiden altmodischen Schreibtischen
scheidet. Man muß sie da gesehen haben, wenn sie abends
— der Tag hält sie in irgend einer belanglosen Beschäftigung
.
Oriainalfrom
UMVEPSTYOfMCMGAH
— 412 —
g'efarigren — beisammen sitzen, die Kappen auf dem schon
lichler werdenden Haar, und gut launig und. sprühend von
Temperament ihre kleinen Erlebnisse und Beobachtungen aus-
tauschen. Die Wände ringsherum sind behängt mit Bildern
und Zeichnungen von Straßburger Malern, Gaben der Freund-
schaft und Anerkennung, wie denn ja. was 3chon Gruber be-
merkt hat, in den Kreisen der Maler ihr Ruhm viel früher
gegolten hat als bei den Literaten. Und hier ist denn alles
gut altstädtisches Milieu, von der Zimmereinrichtung bis zum
malerischen Ausblick- auf die ollen Häuser, und man braucht
nicht lange zu suchen, um die Stoffwelt wiederzufinden, der
ihre schönsten Bilder und Gestallen angehören. Von dem
Fensler ihres Stäbchens schweift der Blick auf die stahl^rauen
Gewässer der III, die dort, in drei Armen sich ergießend, die
alten Spitzjriefaeligen Häuser des «kleinen Frankreich» mit
ihrer träfen Fiut umschlingt. Drüben zwischen den dunkeln
Hfluseiveilen und dem Wasser steht die alle Platane, die
Albert besungen hat, und schaukelt die «rold^rnne Last ihrer
Bläller wie eine Verheißung sommerlichen Glückes mitten in
der Stadt;
In gröuie Hoor stellt sie im Wetter
Stola wie e Palm im Barredis,
Un ihri goldi gaelile Diaeiter,
Sie singe roch e-n-aldi Wi's.
Und ahdnds, wenn das laufe und tätige Leben, das tagsüber
diese kleinen Gassen durchschütlert, abschwillt, und der Schein
der vielen Lichter über dem trüben Wasserspiegel aufflackert,
dann scheint das freundlich reizvolle Bild aus dem immer mehr
entschwindenden allen Straßbury erst seine intimsten Reize
herzugeben. Vom Münster herüber klingt über die spitzen
Dacher das Lauten der «Lumpen lock», Siraßbuijf* altes Schlum-
merlied, das schon .■*> vielen Generationen sein: «S'isch Zili
in's Bell, ihr (Uschis zutrerufen hat;
1. oDii scliun jjar manch i Xaacht
Helt sie ihr Sa«.h gemacht.
Und -o manche ultaludliache Erinnerung steigt wohl Erweckun^
heischend mit den grauen Gielieln empor. Freilich, solcher
Erinnerungskull lie^t so ciemlicli außerhalb des Miitthisscheu
Bereiches. Dies» herz haften Ge^enwerlrfiinmschen leiden nicht
an Beschwerung mit unnützer Historie, und die Bezauberung-
der V«rtnngcnheil hal nur wcnijf Macht über ihren resoluten
Wirklichkeitssinn. Kaum, daJi der Anblick alter heimatlicher
Waffenstücke — dess Alderdhum dess wueti schoen — ihnen
die Erinnerung 'lorreicher Waffentaire wach ruh :
-
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 413 -
Reschpckt vor dir, du aldcr Sawel,
Wie viel han sich vor dir geduckt.
Sebaschlepol hesch du geroche,
Im Malekoff de Rüss verdruckt.
Um so treuere Belifiler finden dafür in ihnen die kleinen loka-
len Traditionen, die mit aller festhaltenden Liebe und mit der
ganzen Wärme eigenen Erlebens aufgerufen werden. Da hatte
Adolf im ersten Bändchen ein Gedicht über die <rKneckes>,
ein kleines Uenrehild aus der schönen Zeit der Jugendspiele,
so echt und zwingend im Ton, daß gewiß kein Straßburger
die lebensprühende Beschreibung der anvertrauten Spiele —
Gschtunse, Kine, Fanges, Blodrieinür' —
CanaXs, Zebnmessers, Reise,
Un wie sie's alles hebe.
zu lesen vermag, ohne aus vollem Herzen dem siim mariseben
Eu Jurieil da» Dichters beizupflichten :
Der wo nix kennt vun dene Spieler,
Isch halt ernol kaan rechter Due.
Öder es wird rten mehr an die Jahreszeiten gebundenen Freuden
gehuldigt, und nicht minder kategorisch erklingt der Refrain
zum herbstlichen Vergnügen des Dracbenaufsliegs:
t
Eb d'Huehner bitt uff d'Steckle getin,
Ze muess aa miner Uracher slehn.
oder zum Frühlingsspiel mit dan Wöideapfeifen :
D'Sladt nüss, — uewers Spilzebrueckel, —
In de-n-Oachwald, — an de Rhin, —
'S klimmt rner kaaner — nundehickel —
Ohne WidepfifT erin
ßuewe, dhu*n de Knibbe schliffe,
L'Zitt isch do für d'WidepfilTe.
Oder Albert malt, nicht weniger lebhaft und ebenso fortge-
rissen von der eigenen Begeisterung, die Köstlichkeiten des alt-
heliebtea «Chrinchtkindelsmäriks», die es ihm, wie er in treu-
herzig-drastischer Weise versichert, schon so früh angetan
haben ;
Dess isch noch e-n-alder Zeije, —
Wo sie mich norh ohne Kleid
In d'r Windel han g'hetl leije,
Han sie mier na schun gezaijt;
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 414 —
Wo mier hiude's Hemd noch zierli
£ue de Hosse rüsgelacbt,
(Un as Knoschpe isch's manierli)
rlett'r mier schun Kraid gemacht.
Daneben winken dann Lockungen anderer Art. Vor allem
der Ruf ins Freie, vor die Tore der Stadt, aufs Land, dem
diese beiden Naturmenschen, wenn Zeit und Witterung es
irgend 2ulasßen, nicht so leicht widerstehen. Am liebsten
gehl's dann, 2U Fuß oder besser noch per Kahn, unter den
(gedeckten Brücken» hindurch, die III aufwärt?, an weiten
Feldern mit kleinen Häuschen vorbei, dann dem Lauf eines
engen grünen Seitenarmes folgend, bis hinauf zu der zwischen
mächtigen Baumkronen versteckten «Fischerinsel», wo ein land-
liches Gasthaus zu Rast und einfachem Imbiß ladt. Hier wo
sich Wochentags um die Mittagszeit oder am Abend aus der
umwohnenden Bevölkerung, Fischern, Hirten, Dauern, ein ge-
selliger Kreta beim «Öchöppel» zusammenzufinden pflegt, haben
die beiden Brüder manche Stande verbracht, im Gespräch und
Verkehr mit den einfachen Gasten manch kräftigem Wort und
manchen charakteristischen Zug auflesend. Hier haben sie dafür
gesorgt, daß ihnen die Sprache cnit schinimli» werde. Und von
hier hat namentlich Alborts leidenschaftlicher Natursinn reiche
Beute für sein dichterisches Schaffen heimgetragen. Hier bat
er die Schönheit der Riedlandschaft sehen gelernt, mit ziehen-
den Wolken über der schwermütigen Monotonie von Weiden
und Wasser. Der kar^e Zauber des Geländes um Straßburg,
oberflächlichem Schauen sich strenge verschließend, hat ihm
seiue geheimsten Beize offenbart. Im wechselnden Schmuck
der Gezeiten hat er es gemalt, wenn im Frühjahr in den phan-
tastisch gekrümmten Weidenstrünken der junge Salt steigt,
oder wenn der Späijahnnorgeii grau und bleiern überrn dlhin-
wäldel» liegt:
Ruej stehn d'Wide doj vcrschrockc
Schnid e Rhinscliwalb s'Newelmeer,
Drucwe dhuet e Uohr&potz locke
Ü3*m Liescht eiüs — i hoer
Vun de Baam wie d'Blätter falle,
Drunt© hoer i Well« springe,
Doch i hoer kaan Nächtige lle
Un kaon Widepfifle singe.
Zuweilen geht dann die Reise auch " weiter fort, und Bilder
und landschaftliche Stimmungen aus den benachbarten Vogesen-
tälern künden von manch gelungener Wanderfahrt. Du wird
C Original from
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 415 —
etwa tili Sominerabeüd am Hanauer Weiher oder die Früh-
dämmerun^ bei der Wasenburg oder ein « Wyhnaachtsow«*
ufPm Nideck» in schönen stimmungsvollen Versen festgehalten.
Oder dio Fahrt geht hinauf ins Wcinrcvicr, jenen glücklichen
Streifen des gesegneten Ländchen?, wo die strenge Verschlossen-
heit der Riedlandschaft plötzlich vertauscht ist mit aller Fülle
dp? reich und fruchtbar hingelagerlen Rehgeläudes, und die
hellen Ortschaften, wie bunte Perlen eine neben der anderen
in t das goldene Gewoge dar Kornfelder und das Grün der Reb—
hligel eingelassen, heröbsrvrußen. Man muß sie einmal im
sonntäglichen Staat gesehen haben, wenn sie ganz Übergössen
mit Knllisommerschein daliegen, umschwirrt vom Summen-
vieler Glocken und vielfarbig gesprenkelt in der lusligen Bunt-
heit des heimischen Trarhlen. Wenn dann Sankt Nabor «im
roote Roecketo beraufglätut, und von Barr herüber die An-
wohner dieses weinfrolien Winkels mit den gefüllten hölzerner»-
Gefäßen ins sonntägliche Land hinauspilgern, cann mag sich
dieses Bild reichen landschaftlichen Segens wohl wie in Adolf;*
schönem Gedicht in die Vision der heiligen Odilia zusammen-
drängen, der alten Schutzpatronin des Landes, wie sie, mit
beiden Hunden Segen ausstreuend, durch ihr geliebtes Elsaß-
hinschrehet : \
Sie winkt, — sie gitt es jetz <ie Saje, —
Verschaischt de-n-Aescher un de Wurm, —
Sie sprenzt es d'Reeb mit Maieräije,
Un d'Schoesale nimmt sie in de Schurm.
Un d'Hcljestaaner Schwaelmolneschter,
Die hüet sie wie ihr aijes Kind ;
Mit Mooacht fuellt sie im Bür de Tre3chter
Wenn em d'r Blitz in d'r Haibuehn zind.
Un dhuet d'r Wind e-n-Aeschlel knigge,
Ze haalt's «rd'Uedilli» wiedder lue,
Wenn d'Spatze Driwelbeere bicke,
Schickt sie de Sperwer firlich derzue.
Denn Sorri hebbt sie uewer's Laendel,
'S isch d'Mueder, — un i weit sie hett
D'Ishailije bim Sürkr&ttsiaeDtlel
Im Kloschterkeller an d'r Kett.
De Bangraz fuehrt sie am e Zeijel,
De Scrwaz pfclzt sie wie c Grott,
Un stutzt im Bonifaz de Fleijel,
Wenn «der» as uewer's Mircl wott.
Original frorn
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 416 —
Ist die vielbesungene ScIuUpalxonin des Elsasses jemals
begeisterter, gläubiger und zugleich menschlich vertrauter ge-
priesen worden? Und wie köstlich schickt sich hier in den
Tun des Ganzen die Schilderung, wie sie, die sonst in bla&seu
Strophen unwesenhaft Gefeierte, als resolute Hauswaltertn ihr
Gesinde im Zaum hält und im Kloslerkeller die bösen Eis-
heiligen vor schädlichem Ausbrechen bewacht. Man denkt etwa
an Gottfried Kellers so prachtvoll menschliche Legenden, wo
die heiligen Gestalten aus der kühlen Entrticktheit ihrer legen -
dari sehen Ferne in alle Traulfchkeit und Wärme des deutschen
Bürgerhau^s berDiedergeioyeri sind. Kellers feitie Schalk-
haftigkeit und graziösen Humor darf man freilich bei Mattrit«
nicht suchen. Hier ist alle« derber, gröber und weniger ins
Geistige erhoben- Sensibilität liegt ja überhaupt der robust
gesunden Veranlagung dieser Dichter fern genug". Sie sind
unberührt geblieben von der Gefühls- und Nervenverfeinerung
der Gebildeten unserer Zeit. Und als echte Elsässer sind sie
gänzlich unseniiinental. Ihre fest zugreifende Art, die auch
die tragischen und erschütternden Seiten des Lebens mit ruhiger
Gelassenheit hinnimmt, mag für schwächliche Gemüter zu-
weilen fast -das Rohe streifen. Tatsächlich sind sie gesunde
und tälige Naturen, viel zu fest im Wirklichen haftend, um
sich laii^e mit unnützen Träumen uud Gefühlsregungen abzugeben.
Dabei sind sie nicht etwa uiibesinnliche Menschen, vielmehr
— vor allem Albert — oft von einer tiefen und überraschenden
Nachdenklichkeit, und das Bild des Todes ist ihnen wie allen
Menschen des tätigen Lebens vielfach vertraut und nahe. Nur
daß es ihrer kräftigen Daseinsfreude nicht viel anzuhaben im
Stande ist, mag immer der Gedanke, daß anr.h ihnen die alte
Mü Osterglocke einmal nicht mehr läuten wird, vorübergehend
ihr helles Lehensgefühl herabstirnmen. Und sie hallen es wie
die Totengräber in Adolfs Gedicht, die in dem unerschütter-
lichen Gleichmut ihrem traurigen Handwerk gegenüber nicht
unwürdig ihrer berühmten Vettern, der Totengräber im Hamlet,
erscheinen, mit einer ausgesprochen diesseitigen Philosophie :
Lohn kaao grueni Blueme falle,
Bringe-n-em am letschte Daa
Liewer noch e Hammelsqualle
Oder e Kranz Serwilla.
Irdischen Freuden klingt das Lied dieser Dichter, und
auch das unverhüllt Materielle hat in dieser herzhaften und 30
ganz unverzärtelten Leben3belrachtung seinen Platz. Ein Ge-
dicht Alberts, das eine winterliche Fahrt von Niederbronn ins
Jägerlal hesingt, gilt fast ausschließlich dem Preise nahrhafter
C Original from
UMVERS TYOF MICHIGAN
- 417 -
Magenstärkung;, und über den Hymnen, die all den trefflichen
Gerichten gesungen werden, kommt das landschaftliche Bild
entschieden zu kurz. Da wird elwa das von altersher seiner
Küche wegen berühmte Hotel Matthis in Nietlerbronn mit den
\ersen apostrophiert;
«Villa Maddis), seboener Nammc,
(Mauedroeschter, wenn de witl,)
Denn sie isch für uns was d'Mamnie,
Wo im Kind noch's Duettel gitt,
Nur am Biberon siiri Spunde
Henld der Schellack wie e Klaell,
In d'r Babbsauce schwimme d'Schrunde
Vum e Kaibskopf aierli nett.
Oder die Aufforderung /.um Mahl (ludet so drastischen Aus-
druck wie in den Versen :
Als derzueghuckt ! nit lang griwle,
Mitte in de grosse Schwärm,
Kerwelkrütt un frischi Ziwwle
Genn dV Fleischsupp stolz de Arm,
Gfuellti Blatte, alli Sorte
Wickle mer jotzt uowor's Rod.
Kalti, warmi, zammt de kochte,
Alles keijt in d'naernli Laad.
Nicht zu vergessen natürlich des guten Tropfens, der auch
außerhalb der traditionellen «Bardhie in de Neije» beim rechten
Elsässer nie fehlen darf:
Un dV Durscht t — denk i an zelle, —
Mini Zung hett schwer gelutscht,
Fascht e Dutzed Winbudelle
Sin uas uewer d'Zaehn gerutscht.
Dieses Gedicht, eines der ältesten der ersten Sammlung,
ist übrigens darum bedeutungsvoll, weil es Alberts poetische
Gestaltungskraft auf frühester Stufe zeigt und seine Herkunft
vom einfach referierenden Gelegenheitsgedicht erkennen läßt.
Es ist noch ganz kunstlos, ganz unstilisiert, ohne alles Gefühl
für den notwendigen Abstand der dichterischen Schöpfung von
der Realität des Erlebnisses. Die Unbedenklichkeit, mit der
hier die einzelnen Etappen des Verlaufs, so wie sie sich dem
raschen Geist des Dichters aufdrängen, aneinandergereiht sind,
ohne den Versuch einer künstlerischen oder logischen Anord-
nung, ist sn fem von «Literatur*, daß diese Verse formlich
nach dem inüuiilichen Vortrag rufen und jedenfalls erst durch
27
Original frorn
UMVERSTYOFMOIGAN
— 418 —
die Rezitation, wo Betonung und Gebärde über manchen Sprung
im logischen Gebäude hinweghilft, zur eigentlichen Wirkung
kommen. Bis tu einem gewissen Grade gilt das freilich von
allen Matthisschen Gedichten, v.ie ja nicht zufällig beide Brüder
vortreffliche Rezitatoren ihrer Vrrso sind. Sie alle danken
ihre frische und plastische Unmittelbarkeit nicht zum wenigsten
Hern Mangel an «Stil», und es ist immerhin merkwürdig, zu
wissen, daß tatsächlich keines der Matthisschen Gedichte, wie
doch heut« die überwiegende Mehrheit aller lyrischen Erzeug-
nisse, unmittellar «auf dem Papier» entstanden ist, sondern
daß alle diese Verse im Sprechen konzipiert sind and erst
niedergeschrieben wurden, nachdem sie im lauten Vortrag
gewissermaßen die Probe ihrer Eindruckskraft bestanden
halten. Immer bleibt es so das gesprochene Wort, das mit
aller Nähe und Eindringlichkeit der mündlichen Rede aus den
Gedichten der Matthis zu uns spricht und das zur schriftlichen
Aufzeichnung nur als zu einem unvermeidlichen Notbehelf
greift. Das muß man sich gegenwärtig halten, um manche
Derbheit, die wohl der mündlichen Sprechweise verziehen werden
mag, richtig zu bewerten. Daß überdies auch bei allem Derben
und Massiven der Dialekt recht eigentlich der Führer und
Verführer ist, braucht kaum noch gesagt zu werden. Die elsässi-
sche Mundart, der von je die kräftige Drastik des Ausdrucks
in viel höherem Maße eignete als die Fähigkeit weicher ly-
rischer Akzente — wofcwi um so erstaunlicher die Wirkungen
diskrel-stimmungshafter Art bleiben, die namentlich Albert
oft aus dem spröden Material zu holen weiß — bestimmt
hier den derb-realistischen Charakter des Vortrags, ebenso-
wie sie zusammen mit der Lebenssphäre, der die Dichter
zugehören , der Phantasielätiglceit die bestimmte Richtung
weist.
Goethe hat von Hebel gesagt, er «verbaucro das Universum.
Das heißt doch nur, daß der schwäbische Dichter in voll-
kommenster Weise aus der Sprache und dem Vorstellungskreise
seiner bäuerlichen Umgehung heran »schafft und sich überall
ganz naiv den Standpunkt des einfachen und kindlichen Menschen
zu eigen macht, der alle Dinge um sich her auf sich bezieht
und von sich aus deutet. Bei den Matthis mag man oft Aehn
liches beobachten. Auch sie stellen häufig genug mit einer
köstlichen Unbefangenheit Gott und die Welt in ihren klein-
bürgerlichen Lebensbezirk, um dann gleichsam mit gewohntem
Hausrat dreist und lustig zu erhalten. Daraus ergibt sich
denn bei der untrüglichen Sicherheit des Beobachtungsver-
mögens, das diese Dichter auszeichnet, oft eine Symbolik, diu
ihren Gegensund mit eben so drolliger wie scharfer Anschau-
C Original from
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 419 -
lichkeit auszudrücken vermag. Schon jene frühen lustig unbc
hilflichen Verse, in denen Albert im ersten Bändchen die aus-
zeichnenden Merkmale der vier Jahreszeiten, etwa in der Manier der
alten Priameln mit vielen aneinander gereibten Vordersätaen
und einem sie zusammenfassenden Schlußsatz, besungen hat,
zeigen Spuren eines solchen ganz naiv aus dem bürgerlichen
Umkreis schöpfenden Symbolismus. Drastisch genug war da
etwa der Beginn der Sommerzeit damit angezeigt, daß «d'r
"Wald de Buch nüsshebbt», eder es hieß von der winterlichen
Natur; cS'Feld un d' Matte leijt in Gichter». Als eigentlichen
Meisler dieser Art von Nalursymholik aber hat man seit seinen
letzten eist nach Herausgabe der beiden Bandchen hervar-
getretenen Publikationen Adolf anzusehen, dessen später und
langsamer gereiftes Talent hierin seine reichste Entfahung gefun-
den hct. Adolf als der weniger Lyrische ist nicht wie der Bruder
von der Landschaft, sondern \om keck hingeworfenen Genre-
bild, von der flotten Zeichnung allberiilimter Straßburper Typen
ausgegangen. Was er aus diesem Bereich mit kräftig zu-
fassender Charakteristik hingeworfen hat, isl in seiner Art
vortrefflich, may er nun Hie rDoodedräjer» in ihrem schwarzen
«Lappeschwani» malen oder die für Straßburg so wichtige
«Gacnsstopfere», [eine vagierende cKoercbma^hersfamillb oder
die gefürchteten und mißliebigen Zigeuner, den Schweitzer vor
der Münsteruhr oder den jetat leider von seinem osüre Brot»
verdrängten Kommissionär». In seinen letzten Gedichten nun
ist alles das, was diese kleinen Augenblicksbilder so reizvoll
machte, kecke Erfassung des charakteristischen Momentes und
packende Drastik der Pinsel fdhrun«, aufs glücklichste dem
Landschaftlichen zugewendet. Ganz unvermerkt vrird hier
die Natur der derben Gemächlichkeit des kleinbürgerlichen
Ddöeius einbezogen , erfährt die Landschaft eine gänzlich
unfeierliche Symbolisierung, die ihre Zeichen den Lebensbe-
dingungen jener behaglich-herzhaften Sphäre entnimmt. Da-
bei weiß diese nicht etwa von außen hereingetragene,
sondern von innen her die Dinge durchdringende Symbolik
so scharf das Eigentümliche ihres Gegenstandes hervorzuholen,
daß Hild und Ausdruck den innersten Geist der Landschaft
auszusprechen scheinen. Da heißt es etwa vom Mond, der
über dem alten Stadtviertel hinten am Zornmühlengießen
aufsteigt :
Wie g&chlaessi schmatzt Y üs'iii Spalte
Vun dere Wolik, mit d'r Zung, —
Er streckt sich z'Morjes zue de-n-Alde
Un z'Owcs wurd 'r widder jung.
Original frorn
UMVERS TYOF MICHIGAN
- 420 —
M'r maant, er gschbirt, mer inüehn 'ne brüche,
Schulisch kutnmt Juan Naachtrucj d'Stadl erin, —
Er sieht, dhuet er uff d'Schaffbrill hüche.
Grad su wie e Professor drin.
Aha, do kummt 'r jo ze schlaepple, —
Mit Alle will V in'a Gercdd, —
i; Bluttkopf ohne Ohrelaepple
Wo d'Raenk un d'Stoess im SchlrQwwel hett.
Oder es wird das Hereinbrechen 6er Johannisnacht mit
einer auch das Trivialste nicht scheuenden und doch so unnach-
ahmlich lebendigen Bildlichkeit gemalt:
Stracks üs d'r Hoell kummt d'Sunn ze dahle, —
«rD'Iemaenner» sin am Brenndewin, —
De Deifel zeije d'Sunnestrshle
Am Waddel in's Gewoelik nin ;
D'Schaid dhuet ü*\ier Wind iu's ßoxhoru hetze, —
Wenn hinnicht d'Naacht de Morje saijt,
Hebsl's Früejohr uff de FJaafe setze
Un für c Dür in's Bett gelaijt. — —
Jetz schnappt d'r Daa — wo d'Züendwüerm zucke
Schlupft üs'm Dudder d'lCanzdi Vüs, —
D'r Mond dhuett nutf uff d'Reizel hucke
Un däält as Pfedder d'Stsrn© üs.
Und wie ist die sonnige Klarheit eines goldenen September-
tages in dem schönsten dieserGedichte, «Drüss uff'm Gloeckelsch-
berri», festgehalten:
Im kloore Da« steckt e Gelfleschtel,
Am Wald dort giti in aam Dhuea fürt
«D'Uedilli» im «Sant Schaggobb» 's Brüeschtel, —
I gschbier wie's mier aa grawli wurd ;
I will de Wind in d'Scblücpf begleite,
JNüss an de Draasack vun d'r Ehn, —
Aan Acker um de-n-andre waide, —
De Bluescht vun unsrem f.aendel sehn.
Deutlicher last noch als früher, wo nur die Verschiedenheit
der Stoffwabl eine äußerliche Abgrenzung- schuf, beten sich
nun, wo sie sich auf gemeinsamem Boden der Landschafts-
sr.hilriernng getroffen haben, die literarischen Physiognomien
der beiden Brüder voneinander ah: Albert weicher, kontem-
plativer, im Landschaftlichen dem Bildhaften zustrebend und
immer suchend, die zerstreuten Einzelzü-ce zur Einheit zusammen-
C Original from
. ■■
UMVERS TYOF MICHIGAN
- 421 -
zurunden, Adolf der spezifisch Krischen Begabung des Druders
gegenüber eher zum Dramatischen neigend, alles Gleichzeitige
in eine Folge rascher Bilder zerlegend, alles Nebeneinander in
Bewegung und Handlung auflösend. Daß sich die Eigenart
ihres dichterischen Stils, bei aller Enge des Zusammenlebens
und -wirkens solchermaßen erhalten, ja im Laute der Jahre
vertieft hat, ist nicht das geringste Zeugnis für die Echtheit
ihrer poetischen Begabung.
So gehen sie ihren Weg, unbekümmert um flüchtige
Augeriblickswirkung, jeder für sich und doch stets die Gemein-
samkeit des Zieles vor Augen : in ihren Versen ein Denkmal zu
schaffen der geliebten elsässischen Mundart, die ihnen teures
Vermächtnis der Väter und Ausdruck und Symbol alles dessen
ist, was ihre Herjen mit der elsässischen Heimat verbindet,
und was es gilt, in treunütender Liebe zu bewahren;
S'hett uns am Erbstfieck vun ile-n-Alde
An unsrem aijene Laeadel do
Kaan Mus ksan Faade abzebisse, —
Vor unsrem Elsas? d'Kabbe ab, —
Un wenn mer's noch so hoch dhuel schmisse,
Ze tallt's wie d'Katz uü" d'Uaan erab.
Original from
UMVERS TYOF MC HIGW1
XXJIl.
Neuere Gedichte in Straßburger
Mundart.
1. cHitt gruttle msr bi Wind uu Sturm
Uff d'Schneofce nuff vum Münschterdhurm.»
Ton
Albert Mvtthis.
Kaan Kneck«s hebbt raeh in de Hosse,
Kaan Pflaschter bliet' ae an d'r Sohl,
Sie schlaue's Rädel #rad wie gschosse,
'S isch DafFwi «n e leid's Gramhol,
Un d'Alde hirze as wie gstoctie,
Sie dretle binde niis gesch druff,
Un ihri aide, müede Knoche,
Sic nemmc's mit de junge uflT,
Wena's haiüt: im Kinnö d'Letscht gebacht.
Jetz i'Daan in d'Hdnd, 's isch üsgemacht,
Hitt grattle mer bi Wind un Sturm,
Uff d'Scbnecke nuff vum MGenschlerdhurra.
Fesclit am Saal gbeblit ! lüpfe d'Scbunke,
Rutscht mer kaaner üs' m Gleis,
Denke nit an d'Schwindelfunke,
'S koscht e mancher Sehoppe Schweiß,
Bis mV us d'r katzepröuie
Mür uff d'Plattform spanne kann,
Un bis mer de letsnhte Höuje
Vun d'r Stüj genumroe han.
"N
Original frorn
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 423 —
Luej wie klaan jetz d'Litt schun echine,
Maansch grad 's surrt e Dopf im Wuet,
Un Lisch dran 's $hoerl Alles dinne
Wo do drunte zawle dhuet,
Un do siesch ererscht dernewe,
As aa du gar wenni bisch,
Un as e' 30 Menschelewe
Nit viel nrieh as cd'Rehgais* isch.
Sachle jets dess Eck genumme,
D* Slüj lonn leije rechter Hand,
DrCeckle d'Stirn ab, denn mer fcumme
in de Durichzuck miinand,
D' Leitcre nuff bis lascht an d'Schindle,
Zue dV große Gloek derno, —
Starik zwarzigdöuisig Pfündle
Gu*d gewönje, henkt sie do.
Un wie rnej dhuet sie do henke,
Un wie nett iscta's wenn sie litt,
Un was mucss sie Alles denke.
Zitier dere lange Zitt»
Viel hell sie do mm sehn drämple,
Viel dervuri sin um de Kehr,
Un sie wurd aa lang uueh bämple,
Wenn aa ich sie nimmi hör.
HanY sie jetz recht gemesse,
Sin'r no vum Lueje müd,
7e haisst's 's Drinkgeld nit vergesse
Für Ue "Wächter wo sie büt,
Noch e Blick jetz ufTs Mirakel,
Un no witlersch nuff im Drabbj
*S Firlatcrnel, d'Sturmglockfackel
Wart schun in d'r Sidekapp.
Drowc dort de Glockeglipfel
HeU e Sperwer schun im Bschlaa,
Un rueft uns vum Münschterzipfel
Jetz de Morjegruess eraa,
Gsichsch schun_d V$cbte Krappesch aicho.
D'Spierle" hörech im " Dhurm dort drin,
Dess isch gar kaati letzes Zeiche,
As mer jetz ball drowe sin.
Original frorn
■
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 424 —
D'letscht Portion wart uffs Verdrucke,
D'Ietscbte Stapfle, J s sia noch swei,
Rutsche drüwer grad wie d'Mucke,
D'finscht BaschteetkufliniLcröcbl aud'Reih,
'S haisst noch zweimol d'Füss verstelle,'
Leije drei Zoll noch derzue,
HanV d'Wnchtstubb an de Schwelle,
Un aa d'Plattiorm an de Schach.
Griwle mer nit üwer d'Sorje
Jelz do howe, aldi Friend,
Für um: spielt jo verlicht Morje
'S Wälterßhnel mit >m Wind,
Do fehlt wie im Kloschtergaarde
D'Welt mit ibre rücbo Loen,
Nur dV cSchajfgob» mischteli d'Kaarte,
Un d'r «Schambediss> schlaat cZehn».
Genn' ne d'Hand, de aide Wächter,
Denn sie kenne uns, i well,
Durich zelle grosse Drächter
Hau sie schun mit uns geredt,
Gschpanne han mer do as d'Ohrc,
Ihri Wort han uns nit gfrail,
\wer u«ecri gröechie Cfohre
Han sie gsehn un uns ge-zait.
Un du helfech*nc d'Arwcit mache,
Stolz henksch do, un dach wie drey
Dhueacb für anser Lewe wache,
Aldi Sturmglock, aldep pays !
Du hülsen d'Stadt un d'alde Nüre,
Un wenn i as dich bedraweht,
Denk i d'Sorje lonn versöre,
UfTm Miinschter henkt jo d'Waacht!
D'Firlatern stellt d'Aue iinschter,
Un's <rot Fähnel» glürt un lacht
In de Glockedhurm vurn Münschter,
Ob denn d'Sturmglock nit verwacht;
Hörsch de groese «Bimbam» bocke,
'S Ührewerik irn Prozeß,
D' Wächter d'Müenschterdüwe locke,
D'Slund schlaat für in d'^EIfermess».
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 425 -
Uff'ra Müenschterplätzel schliche
D'Litt in d'Kirieh; siesch de Wind
Sachte um de Srhlnjwplat/ wiche
Mit'n Sturm, un d'Sunn sie zünd
Uns jfitz vorncdraan am Stecke,
Werzina, dess isch e Fraid,
Sie begleit uns uff d'vier Schnecke,
Un lüpft d*Stadt iu's Sundaakleiri.
Aldi Stadt! <iü echoeaer Wappe !
Symbol blenkel stoli in d'Welt,
Un hebb d'Sprooch, wo in de Kappe
D'Aldc uns lian annegslelli,
«Isere Mannt, spren? dQ de Gaarde,
No schlaat aa d'r Sood gued üs,
Dinni Blueme, d'rüch un zarte,
Bas&e in de grosse Schtrüss.
Vor uns steht d'r Bluemewase,
Manchi isch schun nawes nüs,
'S leijt schür manchi underem Rase,
Bim Sankt Collem&ttel drüs,
Aa uff uns wart dort dV Scherwe,
Uns aa steht dort's Dhörel uflf,
'S kummf 9 Zttl ze gratlle mier aa -
Nimmi uff d'vier Schnecke nuff.
2. Driiss uffm «Gloeckelscliberri»
Von
A d o lp h c Matthls.
1.
Wer pfuscht eych do in's Herrelewe.
Ihr Risse drüewe bi Odrolt?
Drüss steht e Mannsbue in de Rewe
Wo in eych alle wechsle wott,
E Krüpfel newe-n-eych, ihr Schloessle, —
Van eyrem Stamm boom küm e Blaelt, —
Un doch aans vun de-n-aeltschde Schocsslc
Wo *e Bodilogras je ghurzelL hell.
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 426 -
2.
Wo 's Gaisekiricbel as isch gstaade.
Wo jelz d'r Döod fischt mit d'r Gert, —
Wo cd'Blaeser BGre» d'Knoche lande,
Wenn 's Grnndloch hungri 's Müll uffsper/t,
Uorl biet es ufl" de krumme Scholle
K Dhüernel in d'r Daec-belskahb
— E kerzegrader Keitlaadstolle —
Vum Gbeckelschberri d'Zitl erab.
3.
CJn wie e Lockmeis fangt d'r Koohe
Mi uff de Buckel, aisgemach, —
Stibbeij«! gitt'r mit de Doobe,
Un nennrat mi mit an 's Kabbedach
NufT uff de Dhurn nuff, wo vor Zilie
D'r ItosseJ hett am Strang gelirt
Für 's Zaiclie mit d'r Glock ze litte
Wenn d'Landwaacht ebbs im Gai hett gschbirt
4,
D'r Wind verzapft e Luft vum Haehnel
As ob hilt d'Frucht verspringe sott, —
Er dräijt mi wie e Welterfaehnel,
Ball dilt i hischt, ball hindchott, —
Er laijt mer d'Otire wie de Haase,
D'r Milldau will mer d'Laepple nin, —
Im ganze Kehr wo ri'Ane graase
Spielt 's Dhüernel mit sirn WidJersobiu.
5
Im kloore Daa steckt e Gelüeschtel,
Am WaM dorl gilt in «am Dhuon fürt
«D'Uedilli» im «Sant Schaggobi s Brüeschtel,
I gschbier wie ! s mier aa grawli wurd ;
I will de Wind in d'Schlnepf begleite,
Nüss an de Draasack vun d'r Dm, —
A$n Acker um de-n-andre waide, —
De Bluescht vun unsrem Laendel sehn.
C Original from
UHVERSTYOF MICHIGAN
— 427 —
e.
E Driwelkocher vum c Riffe
Hett 's üewernaechli Reeblaub gspritzt,
Bis nüewer wo wie d'Origelpfifle
H. «Kolbse» di« Zil Beide sitzt ;
Wie d'Oole schliche dpunde d'Stroesale,
Mit Nüsse gepickt wie Marzepan,
Un drüewer drudle d'Ziwwelscheesle,
Her maant e Schilkrotl laaft 'ne dran.
7.
Wie 's Brischel druuder hurtebusselt,
Ua wie dV draecLti Bodde schwitzt, —
D'r SpatzeQu^K in d'Obsbaam schusselt
Un 's Erjerbacchel d'Matt nnbb blitzt! —
Wie aans um 's ander van de Schwaeimle
£ Müeckel üs ce-n-Ahre draat
Bis as am Schirdhoor üs de Haelmle
D'r Drescher sine Daalutui gebleut ! —
Dort kurame d'B&reknecht ze blotze,
Sie drabbe-n-ihri tBoeclo in d'Schwemm;
E jedi Kiitt wo d'Uaens schmarotze —
Was i uflTs Gaewele do nemm —
£ jeder Scholle wo vum Wetter
Verbuckelt isdi — was ^elt's gewett —
Han unsri Ur-un-Urjrrossvaedder
Schun uff d'r Steclischoor sitze gnett.
9.
Sie han vor uns as ulFm Bodde
D'Krüttsetzli ös d'r Bruel gezopft,
De Hampfsoot gslraijt bis uff «San! I^tte» —
Un uff de Sootsack 's Raeteel gslupft ;
As wo e Birel uff de Slüeckle
Schun z'Acker fahrt im Morjestern —
Wo 's haieet, ebb d'Sunn echint, d'Stirn abdrüecklc,
Do laije d'Hand ins FIr für d'Ern.
f~" Original from
. ■■
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 428 —
10.
Un vor mer leijl sie fruchber drunte, —
As in de csiewe feite Johr»
Kaan Sunn so dief helt nsbbgeiunde —
As i de Spruch in 's Dhfiruel bohr :
cSchunn Johr un Daa sin fremdi Freijer
«Uff d'Buehlachaft vun dem Laendel gstraifl,
cHan Ü wacht Buewe, denn 's isch eyer
«Was d'Ürgrossvaedder han gedaift.»
Original from
UMVERS TYOF MICHIGAN
XXIV.
Chronik für 1909.
1. Mai: stirbt Eduard Spach, emeritierter Pfarrer von
Lichtenberg, heimatlicher Dichter, geb. 7. III. 1836 in Weinburg.
2. Vfai : Einweihung des Mündeldenkmals am Panorama-
felsen bei St. Odilien (Reliefbild von W. Eberbach).
16. Mai ; Einweihung: des Möndelturms auf dem Heidenkopf.
19. 20. Juni : Generalversammlung; des Vogesenclubs in
Urbeis.
11. Juli: feiert der langjährige Präsident des Vogesen-
clubs Geh. Reg. Rat J. Euting seinen 70. Geburtstag.
15. — 18. Sept.: Deutscher Hi6torikertag in Straßburg.
17. Sept. : er Michels ngelo» von Hans Karl Abel wird auf dem
Stadtthenter in Straßbur^ aufgeführt.
Original frorn
■-
UMVERS TYOF MICHIGAN
XXV.
Sitzun gsberichte .
1. V o rst a n d s si t z u n$<
am 16. Januar 1S10, vormittags lO'/j Uhr, im germanistischen-
Seminar der Universität.
Anwesend dio Herrer Bceraclmans, v. Borrieu, Huber,
Lienhart, Luthmer, Mortui, Henaud, Chr. Schmitt, Stehle,
Wallher, — Entschuldigt die Herren Harbordt, Kassel, Lempfcid.
Der Vorsitzende herinhtet fiber die Mitgliederzahl des Zweig'
Vereins und regt an, der Hauptversammlung die Wahl von 4
neuen Vorstandsmitgliedern und eines Stellvertreters des Vor-
sitzenden vorzuschlafen, womit der Vorstand einverstanden ist.
Erwähnt wird sodann je ein Dankschreiben des früheren Statt-
halters Fürsten zu Hohenlohe-Langenburg; und des Staatssekre-
tärs Baron^Zorn v. Bulach für die Ueber&endung des 20. Jahr-
gangs unsres Jahrbuchs, und jaußerdem verschiedene andere Zu-
schriften, von denen der Torstand Kenntnis nimmt, darunter
auch Bitten um Unterstützungen, die aber abßelehnt werden.
Die für das nächste Jahrbuch bereits vorliegenden Beiträge
werden beaprochea und zur Beurteilung an einzelne Vorstands-
mitglieder verteilt. |
£Es folgt darauf um 1t Uhr die
»Allgemeine Sitzung,
welche der Vorsitzende mit dem Hinweis auf seinen Gesund-
heitszustand eröffnet, der in diesem Jahre die Verschiebung
der Hauptversammlung nötig machte. Er berichtet, daß der
Zweigverein z. Z. 2770 Mitglieder zählt. Er schließt aus der
beständigen Zunahme der Mitgliederzahl auf das wachsende
Interesse, das für den Verein vorhanden sei, sowie auf seine
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 431 -
Daseinsberechtigung, bringe doch das Jahrbuch Arbeiten und
Abhandlungen, die in anderen Zeitschriften verschwinden würden.
Die Versammlung teilt den Wunsch des Vorsitzender, an dem
Vereine festzuhalten und ihn zu weilerer Blüte zu bringen«
Zur Neuwahl des Vorstandes schlägt Herr üeheimrat
Dr. Wolfram vor, den alten Vorstand durch Zuruf wiederzu-
wählen, wogegen ein Einspruch nicht erhoben wird. Außerdem
werden dem Vorschlag des Vorsitzenden tentsprechend neu in
den Vorstand gewählt die Herren Geheimrat Dr. Wolfram,
Dr. Winckelmann, Dr. Kaiser und Ehretsmann (Mülhausen i. E.),
und für den Fall der Verhinderung des Vorsitzenden wird Herr
Geheimrat Dr. I.ufhrner als stellvertretender Vorsitzender be-
zeichnet, der später auch die Leitung des Vereins übernehmen
soll. Die Versammlung ist damit einverstanden.
Herr Prof. Dr. Wiegarid berichiei sodann über den Verlauf
des letzten Hislorikcrta-.»s, bei welcher Gelegenheit 200 Abzüge
ütisres Jahrbuches übergeben wurden, und der Kassenwart Herr
Dr. Huber legt Rechnung ab über das abgelaufene Geschäfts-
jahr : einer Einnahme von 4925,93 M. steht eine Ausgabe
von 3ö£9,?3 M. gegenüber, so daß der Verein aufcenbhcklir.h
über ein Vermögen von 1324.20 M. verfügt. Bis zur März-
sitzung; sollen die Itechnungsbeläge durch die Mitglieder CuJIIec
und Schweickhurdt gcpiüTl werden.
Auf Jbesonderen Wunsch des Direktor? der Unhersitlts-
und Landesbibliothek werden der Bibliothek atatt der bisherigen
160 Abzüge zu 1 M. in Zukunft 2C0 zu dorr gleichen Preise
überlassen.
Zum Schluß hielt Herr Prof. Dr. Mortin den angekündigten
Vortrag über zwei Spottgedichte auf die Slraßburger Umgebung
der Dauphine Marie-Antoinette 1770.
Schluß der Silnin; 12 Uhr -10.
2. Yorstandssitzung
am 16. März 1910, nachmittags 3 Ihr, im germanistischen
Seminar der Universität.
Anwesend die Herren Beernelmans, Ehretsmann, Euting,
flarbordt, Kaiser, Lienhart, Luthmer. Martin, Kenaud, Chr.
Schmitt, Stehle, Walther, Wiegand, Wulfram. — Entschuldig!
die Herren v. Borries, Huber, Kassel, LernplYid, Menges,
Winukelmann.
Der Vorsilzende legt die eingegangenen Beiträge vor, stellt
den ungefähren Umfang des nächsten Jahrbuches fest und ver-
teilt die Arbeiten zur Beurteilung unter die Mitglieder, soweit
dies noch nicht geschehen ist.
f
f~* Original frorn
UMVERS TYOF MICHIGAN
— 482 —
Hon- Geheimrat Dr. Wolfram wird ermächtigt, im Namen
des Vereins die Verhandlungen zu führen mit den gelehrten
Gesellschaften, mit welchen der Verein- in Zukunft in Schriften-
austausch zu treten gedenkt.
Nach Feststellung der Chronik und der Bezeichnung des
Sitzungslokales für die Novemberversammlung erfolgt zum Schluft
ein lebhafter Gedankenaustausch über das Tolkslieduntemehmen.
Es wird bemerkt, daß einige Besitzer der Liedersammlungen,
die nach Mündels Tod an Herrn Prof. Henning übergingen»
anfragen, was damit gescbehn sei. Der Gesanitvorstand ersucht
den Vorsitzenden, sich \m Prof. Henning danach zu erkundigen
und ihn m bitten, er inOchle sich in der uäcUAleu Sitzung
darüber äußern.
Schluß der Sitzung 4»|i Uhr.
Der Vorstand besteht z. Z. aus folgenden Herren:
1. Prof. Dr. Martin, Vorsitzender,
2. Geheimer Regierungs- und Oberschulrat Dr. Lnthmer,
stellvertr. Vorsitzender,
3. Rcalschuldircktor Dr. Licnharl, Schriftführer,
4. Kaiser!. Notar Dr. Huber, Kassenwart,
5. Staatsanwalt Deemelmans, Zabern,
6. Oberlehrer Prof. Dr. v. Borries,
7. Mittelschullehrer Ehretsmaun, Mülhausen,
8. Geheimer Regierungsrat Prof. Dr. Euting,
9. Oberlehrer Prof. Dr. Harbordt,
10. Archivdirektor Dr. Kaiser,
11. Kantonalarzl Dr. Kassel, Hochfelden,
12. Gymnasialdirektor Prof. Lempfrid, Hagenau,
13. Kreisschulinspektor Menses, Weißenhurg,
14. Geheimer Regierungs- und ScLulral a. D. Renaud,
16. Regierungssekretär Christian Schmitt,
16. Geheimer Regierung- und Schulrat Dr. Stehle,
17. Lehrer Theobald Walter, Rufach,
18. Geheimer Archirrat Prof. Dr. Wiegand.
19. Archivdirektor Dr. Wirickelirianii,
20. Geheimer Regierungsrat Dr. Wolfram, Direktor der
Dniversitäts- und Landesbibliothek.
f~* Original from
UMVERS TYOF MICHIGAN
OrioirartoTi
UHIVECSITYOFMCHGAII
OrioJral ; toTi
UMVERSITYOFMCHGAII
OrioJrah'toTi
UMVERSITYOFMCHGAII