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Full text of "Jean Paul. Sämtliche Werke II/2"

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JEAN PAUL 
SAMTLICHE WERKE 

Abteilung II 

Jugendwerke 

und vermischte Schriften 

Band 2 



JEAN PAUL 

Jugendwerke II 
Vermischte Schriften I 



ZWEITAUSENDEINS 



Herausgegeben von Norbert Miller 
und Wilhelm Schmidt-Biggemann 



l.Auflage, Marz 1996. 

2.Auflage, Marz 1996. 

Lizenzausgabe mit freundlicher Genebmigung 

des Carl Hanser Verlages. 

© 1976 Carl Hanser Verlag Munchen. 

Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht der 

mechanischen, elektronischen oder fotografischen Vervielfaltigung, 

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Zweitausendeins-Produktion bedurfen in jedem Fall der schriftlichen 

Genehmigung durch die Geschaftsleitung vom 

Zweitauseiideins Versand in Frankfurt. 

Herstellung^der Lizenzausgabe: 

Dieter Kohler & Bernd Leberfinger, Nordlingen. 

Druck und Einband: Friedrich Pustet, Regensburg. 

Umschlag: Angelo Marabese. 

Diese Ausgabe gibt es nur bei Zweitausendeins 

im Versand (Postfach, D-60381 Frankfurt am Main) oder 

in den Zweitausendeins-Laden in Berlin, Essen, Frankfurt, Freiburg, 

Hamburg, Koln, Munchen, Nurnberg; Saarbrucken, Stuttgart. 

In der Schweiz iiber buch 2000, 
Postfach 89, CH- 89 10 Affoltern a. A. 

ISBN 3-86150-152-X 



INHALTSOBERSICHT 

* 

Jugendwerke II 

7 

Vierte Abteilung 

Auswahl aus des Teufels Papieren (1789) 

und Vorstufen 

9 

Fiinfte Abteilung 

Satirische und ernsthafte Schriften 1789-1792 

471 

Vermischte Schriften I 
807 

Freiheits-Buchlein (1805) 
809 

Museum (18 14) 
877 

Nachbemerkung 
1049 

Inhaltsverzeichnis 

1055 



JUGENDWERKE II 



VIERTE ABTEILUNG 

AUSWAHL AUS DES TEUFELS PAPIEREN (1789) 
UND VORSTUFEN 



[AUSJ SCHERZE IN QUART 



MEINE ERSTE ZUSAMMENKUNFT MIT DEM LESER 



II. 

Verschiedene Perukkenstokke 

Als ich einmal einen Man sah, der seine Perukke - sie war in der 
That sein zweiter Kopf , oder auch das Hinterleder und der Puder- 
mantel seines ersten und er behauptete zuweilen ernsthaft, sie 
ware gar sein kleines Gehirn - sobald er sie mit beiden Handen 
von seinem Kopfe abgehoben hatte, einem holzernen aufsezte, 
der wie eines Raubers seiner auf einem Pfahle stak: so konte ich 
weiters nichts sagen als dies: dieser holzerne Kopf, auf den die 10 
Perukke komt, wenn sie der Herr ableget, ist bekantlich nichts 
als ein Periikkenstok. 

Als ich aber einmal einen Fiirsten sah, der seine Krone in den 
haufigen Augenblikken, wo er sich mit leichterem Haupte an 
den Busen des Vergniigens legen woke, abnahm und sie an den 
holzernen oder eisernen Kopf seines Gunstlings hieng, der ihn 
schon durch eine friihe Bekantschaft vor dem Kronungstage an- 
-gewohnet hatte, sich ihm mit unbedektem Haupte zu zeigen: so 
sagteich so laut, daB ich es horte: ein Gunstling ist nicht sowol 
der Periikken- als der Kronenstok eines vortreflichen Fiirsten. 20 

Als ich einmal ferner einen Haubenstok sah, der sein Kopf- 
zeug, das er nur am Tage trug, zu Nachts dem Kopfe einer le- 
bendigen Dame iiberlies: so sagte ich ohne Bedenken: eine or- 
dentliche und lebendige Dame ist zwar nicht der Periikken- aber 
doch gewis der Haubenstok fur einen unbeleb ten Haubenstok. 

Als ich einmal den Doge von Venedig sah, und seine sonder- 
bare Muze und die drei Statsinquisitoren: so dachte ich so leise, 
daB ich selber nicht verstand, was ich denken woke: gliiklich 
ist der Doge von Venedig, der zuweilen ein brauchbarer Muzen- 
stok ist und noch gluklicher sind die 3 . Kopfe der Statsinquisito- 30 
ren, die insgesamt diese Muze auf einmal aufhaben. 



SCHERZE IN QUART • I. ZTJSAMMENKUNFT 1} 

Als ich endlich iezt mich selber sah, wie ich meine Schlaf miize, 
weil ich wachen und satirisiren wolte, auf den Kopf meines Le- 
sers "fallen lies, der darunter sofort einschlief: so schrieb ich so- 
gleich: ist nicht ein guter Leser der Schlafmiizenstok eines guten 
Schriftstellers? 

Und so geht im Lehr-, im Wehr- und im Nahrstand dem be- 
sten Kopfe stets ein Periikkenstok zur Seite, der ihn in der Ernst- 
haftigkeit abloset, so daB wechselsweise, einer um den andern 
gros, machtig, gliiklich, ernsthaft und verstandig ist. O! vanitas 

io vanitatum! 

Daher ist es sehr gut, daB ich mich seit einiger Zeit bios mit 
der Schnizung von Stokken fur alle moglichen Hike und Miizen 
abgebe. Ein Notarius, der viele falsche Testamente, Dokumente 
und Instrumente ausgefertigt und iiberhaupt viel gestohlen hat, 
von diesem kan man doch nicht mit Recht verlangen, daB er 
durch sein ganzes Leben sich von einer Krdutermiize* driikken 
lasse? Daher hab* ich recht wol gethan, daB ich mich seiner er- 
barmet, indem ich zu seinem grosten Nuzen einen Krautermu- 
zenstok gezimmert habe, auf den er, wenn er sich seiner Siinden 

20 nicht langer erinnern wil, nur iene Miize oder sein Gedachtnis 
abzuladen braucht. Personen, die, weil sie aus dem Staube in die 
Wolken gestiegen, ihre alten und niedrigern Wolthater und Be- 
kante gern zu vergessen und gar nicht mehr zu kennen wun- 
schen, diese konnen sich ebenfals einen Krautermiizenstok bei 
mir bestellen lassen. - Stuzern, deren Arme ihren Chapeaubas- 
hut nicht mehr halten wollen, wart' ich mit einem wolgerathe- 
nen Chapeaubashutstok auf, den ich auf ihren Hals pflanze und 
den ich so kiinstlich arbeite, daB es ordentlich lasset als ob sie ei- 
nen Kopf aufhatten; daher sollen sie ohne Bedenken zu Hause 

30 ihren Hut ablegen und aufsezen, weil ihr Kopf eben dieser von 
mir geschnizte Stok ist. - Desgleichen bring* ich fur Bischofs- 
miizen und Kardinalshiite besonders saubere Stokke zu Markt, 
die unter dem Namen und der Gestalt schoner Huren algemein 
bekant und beliebt sind und um die sich neulich bei mir ein gan- 

* Mit Krautermiizen pflegt man sich das Gedachtnis zu starken. 



14 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

zes Konklave gepriigelt, - Fur pommerische Miizen und spani- 
sche Kappen* hab' ich die besten theils eisernen theils bleierne 
Stokke gebildet und sie auf dem Halse der Richter der Gefcflter- 
ten mit Sorgfalt aufgenagelt; allein wie ich hore, so wollen sich 
die Richter zum grosten Nachtheil der Inquisiten diese Muzen 
und Kappen gar nicht aufsezen lassen, indem sie vorschuzen, 
ihre Kopfe waren keine dergleichen Stokke und sie schienen es 
nur so. - Am allerliebsten hatte ich auch fur euch, arme Selen, 
auf deren schuldlosen und doch geduldigen Hauptern stechende 
Dornenkronen liegen, Stokke gebildet, auf die ihr euere schmerz- ro 
haften Kronen hattet niederlegen konnen; allein ich kan mir ia 
selber keinen drechseln und ich muste mich damit begniigen, 
meinen eignen Kopf etwan so hart zu machen als ein solcher Stok 
selber ist - doch hab' ich den oft verkanten Tod gebeten, daB er 
alle Nachte in der Gestalt seines Bruders (des Schlafes) zu euch 
geht und mit seiner betaubenden Hand die Krone vom wunden 
Haupte abhebet: dan spielet euer erloster Geist, obgleich in sei- 
nen schlafenden Leichnam eingemauert, froh in einem aufblii- 
henden Paradiese und der Schlaf dekket ihn gegen die Schmer- 
zen, die um sein Lager herumgehen und ihm sein Paradies 20 
misgdnnen. Mich beweget dieses, ungeachtet ich mich durch 
Satiren ernahre. 



IIII. 

Einige Gleichnisse 

Wenn ein kleiner Fiirst bei einem grossern ist: so spielet er vor 
denen, die ihn sonst anbeteten, eine heruntersezende Rolle; er ist 
dan ein Aposteltag, der in einen Sontag fallet und den man iiber 
diesen ganz vergisset. 

Gluklich ist dieganze Welt: denn es ist sehr gut, daB das Stekken- 
pferd der Thorheit das eiseme Vieh der Menschheit ist. 30 

* Dies sind zwo bekante Arten von Torturen. 



SCHER2E IN QUART • I . ZUSAMMENKUNFT I 5 

DersonderbareMenschistderlange Gedankenstrich im gotlichen 
Buche der Natur. 

Wir loben grosse Manner selten eher als bis sie es nicht mehr ho- 
ren konnen und tod sind, und Ziehen gleich einem Stolzen oder 
Zerstreueten auf der Strasse vor ihnen den Hut ab, nachdem sie 
langst vor uns vorbeigegangen. 

Der, welcher in diesem bewolkten Leben glaubt, der Tod konne 
uber unsern Geist Herr werden und ihn zerstoren, der gleicht 
nicht bios darin dem Raguel, daB er zu Nachts fur den frommen 
io Tobias ein Grab bereiten lasset: sondern er wird ihm auch darin 
ahnlichen, daB er es am Morgen der £rwachung wieder fiillen 
mus. 

Es giebt wenige kostbare, vortheilhafte und angenehme Thor- 
heiten, die nicht die untern Stande erst aus den Handen der obern 
bekommen hatten: so wehen die nuzlichen Winde zuvor in den 
obern Gegenden der Luft, eh' sie die untern beziehen und erfiillen. 
Nehm' ich aber an, daB der Staat ein Staatskorper ist; so diirfte 
ich die Thorheiten wol mit den Blattern vergleichen rmissen, die 
am Kopfe des Kindes zuerst ausschlagen, hernach an den Handen 
20 bliihen und zulezt die Fusse desselben nehmen, um auf ihnen da- 
vonzugehen. 

Fast alle Leute, die vol von vortreflichen, aber einfaltigen und 
aberwizigen Gedanken sind, lesen sich nur Personen, die ihnen 
geschikt nachzubeten und beizustimmen wissen, zu Ohrenzeu- 
gen ihres Verstandes aus: so lasset die angenehme Nachtigal ihre 
Gesange gern vor Orten ertonen, aus denen ihr ein Echo ant- 
wortet. Mancher braucht seinen Nachbar nur zum Horrohisci- 
ner eignen Meinung. 

Zum Umgange mit ienen Personen, deren zarte Empfindung 
30 von der unschuldigsten Beriihrung versehret wird, soke man 
nur die Augenblikke auswahlen, in denen man selber zartlicher 
und warmer empfindet als gewohnlich; so wie man die zer- 
brechlichen Kanarienvogel nur mit warmen Handen anzugreifen 
die Vorsicht gebraucht. 



1 6 JUGENDWERKE ' 4. ABTEILUNG 

VIII. 

Ende der ersten Zusammenkunft } nebst einigen Gedanken aufden Weg 

Sonach gehen wir denn, ich und der Leser, das erstemal wieder 
aus einander. Allein ich habe schlechtes Vergnugen aus seinem 
Besuche, der mir sonst lieb und theuer war, schopfen konnen. 
Der Leser hatte aus guter Meinung den Rezensenten mitge- 
bracht, durch den aber sich und mir den ganzen Spas versalzen. 
Der Rezensent ist ein fataler Mensch mit einer diinnen spizen 
Nase, langlichten griinen Augen und tragt stets ein verstektes 
Stilet; dazu hat er die Angewohnheit, daB er auf alle meine Mi- 
nen eine spizbiibische Aufmerksamkeit wendet und in alien L6- 
chern meines Buches herumschleicht, um etwan eine Spur auf- 
zuiagen, daB ich mit dem Feuer (der Phantasie) nicht vorsichtig 
genug umgehe: dan lasset er unvermerkt selbst eine Kohle fallen 
und halt sie dem Leser mit den Worten hin: »diese Kohle ist wol 
der augenscheinlichste Beweis, daB H. Hasus sehr unachtsam 
mit dem Feuer umspringt und ich werde es an seinem Orte an- 
zugeben wissen, damit man ihn in die gehorige Strafe verfalle. « 
Wahrhaftig es diirfte einmal leicht kommen, daB ich den Rezen- 
senten mit den Fussen zu meinem Buche hinausschobe und hin- 
auskegelte. - Aber ich wil mich nicht erbossen, sondern mit der 
unnachahmlichsten Gelassenheit dem Leser folgende theils wi- 
zige theils scharfsinnige Spriiche als Zehr-, Ehren- und Noth- 
pfennige uberreichen. 

Ein grosser Man zeigt gleich dem auferstandnen Christus, sich 
und seinen Werth nur seinen Freunden, aber nicht dem gaffen- 
den und sturmischen Pobel. 

Es gehoret weit mehr Wiz, Scharfsin und Gelehrsamkeit dazu, 
schlechte Biicher zu ediren und zu kommentiren als sie zu ma- 
chen. 

Wie die Bildsaule ihre Glieder nicht bekommen hat, um sie 
durch Arbeiten abzuniizen, und ihre Hande nicht, um damit zu 



30 



SCHERZE IN QUART • I. 2USAMMENKUNFT ^7 

kochen oder zu nahen, noch ihren Mund, urn zu reden, noch 
auch ihr Gehirn, urn damit nachzudenken und selbst ihre Sele 
nicht, damit diese ihren Korper belebe und besele: eben so gab 
die Natur den Damen gleichfals die Glieder nicht, sie durch An- 
strengungen zu entstellen, noch die Hande, damit etwas zu thun, 
noch den schonen Mund, ihn in unnothige Bewegungen zu se- 
zen, noch das Gehirn, es durch Nachdenken aufzureiben und 
endlich die Sele nicht, damit sie sich durch Wirkungen zur Schau 
ausstelle und ihr Dasein merken lasse: sondern sowol die Statuen 
io als die Damen sind auf der Welt, damit es Dinge gebe, die or- 
dentlich ins Auge fallen und die man beschauet. Wer aber ein 
Mittel ersanne, die Damen gar mit der Unbeweglichkeit der 
Statuen zu begaben: der hatte sie wol mit der lezten und schon- 
sten Ahnlichkeit mit den Bildsaulen ausstaffiret: denn sie konn- 
ten dan ordentlich auf nette Postamente gestellet werden. 

Die gemeirien Leute scheidet das Konsistorium erst von Tisch 
und Bet, wenn sie einander schon geehlicht haben; aber die vor- 
nehmen scheidet der Priester von Nachttisch und Gastbet, indem 
er sie kopuliret. 

20 Man hat das Leben in der grossen Welt ein Leben auf einem to- 
benden Mere genant; und giebt es denn da nicht wirklich auch 
eine Seekrankheit, der sich ieder Schiffer unterziehen mus? Unter 
der Seekrankheit zieF ich auf die algemein beliebte - venerische 
Seuche. 

Leuten, denen alle Sterne, der Merkur, der Mars, die Venus p. 
giinstig sind, ist doch oft der einzige Hundsstem nicht gewo- 
gen. 

Wenn das Genie nachahmet, so ist es eine Biene, die den Honig 
aus den Blumen nimt und in ihren eignen verwandelt; wenn aber 
3 o der Nachahmer nachahmet, so ist er eine Biene, die nicht aus 
Blumen, sondern aus Bienenstokken Honig entwendet. 

Der Mensch ist ein verpestetes Schif und mus im Grabe Quaran- 
tine halten. 



1 8 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

Die griechische Philosophic handelte, die deutsche denkt bios; 
diese ist ein Hofmeister, der in der Stube unterweiset, iene war 
ein Hofmeister, der mit auf Reisen gieng. 

Die Regenten sind die wahren Hirten des Volks und wenn sie 
auch die Hirtenflote, womit sonst die Schafe ergozet wurden, 
weggeworfen haben, so halten sie doch noch einen langen Hir- 
tenstab in Handen, mit dem sie uns prugeln d. h. ob sie gleich 
dem Gebrauche der sanftern Beherschungsmittel vollig entsaget 
haben, so bedienen sie sich doch noch der harten und gewalttha- 
tigen. IO 

Sonst wurde der Leib des Menschen, iezt wird die Sele desselben 
aus einem Erdenklose gemacht. 

So wie die Feuerwerke zuweilen Schlachten vorstellen, so stellen 
die Schlachten wieder Feuerwerke vor und geben mir Anlas zu 
dieser Anti these. 

Der Reichthum schuzet einen Staat zwar nicht vor dem Tode\ 
aber ich tadle es doch nicht, daB er gleich meinem armen Nach- 
bar, das Geld zu seinem Begrabnisse in einem kleinen versiegelten 
Beutelgen zuriikgeleget und hinterlassen hat. 

Ich kenne einen Priester, der (was so gewohnlich nicht ist) seiner 20 
Kanzel volkommen gleicht, welche einen Anzug von dem be- 
sten Tuche tragt und doch von altem Holze ist. 

Im grossen Tempel der Natur mus einem hohern Geiste, in des- 
sen Herzen grosse Empfindungen einen weitern Spielraum als 
in unserem eingeschrumpften finden, unser kindisches Geschrei 
iiber irdische Schmerzen ungefahr so widerlich klingen als uns 
das Geschrei eines Kindes, wenn wir in der Kirche sind. 

DiemitlernStande, diezuNachts traumen, haben ein wolf eileres, 
dauerHaf teres und grosseres Vergniigen, als die obern, die zu 
Nachts wachen. 30 



SCHERZE IN QUART • I. 2USAMMENKUNFT 19 

Die Ursache, warum die Menschheit so wenig gliiklich ist und 
so wenig tugendhafte Fruchte tragt, ist einzig und.allein die, weil 
wir keinen grossen Wiesenhobel* haben: denn wenn wir den hat- 
ten, so tauschte sie mit dem Konig nicht; wir zogen dan den Ho- 
bel iiber die ganze Erde und arbeiteten damit alle die Thronen, 
welche von regierenden Maulwiirfen aufgeworfen worden, 
ganz geschikt darnieder. 

Man mus lange die Gedanken anderer nachgesprochen haben, 
eh' man in den Stand komt, seine eignen zu haben; so wie die 
10 Kaufleute, eh' sie mit eignen Waren handeln konnen, Kommis- 
sionshandel mit fremden treiben. 

Schluslich wiinsch' ich und hoff ich, daB der Leser den Schlaf , 
den ich ihm durch die Schwingfeder einer Gans so gliiklich ein- 
geflosset, auf den Pflaumfedem derselben recht geniessen 
moge. 



Emsthafte Noten 

Es giebt gewisse edle und grosse Wahrheiten, denen erst das 
grosse Herz den Eingang in den Kopf verschaffen kan und an die 
man niemals. glauben wird, wenn man nichts kan als denken; so 
20 stellet der zauberische Krystalspiegel nur dem Auge eines un- 
schuldigen Knaben die Zukunft dar, die in ihm verborgen liegt. 
Unter iene Wahrheiten gehoret selbst die mit, die ich iezt gesagt. 
Uberhaupt ist die Verkniipfung unserer Meinungen mit unsern 
Neigungen viel enger als man oft glaubt und nicht ieder Irthum 
ist daher unstraflich, auch nicht iede Wahrheit. Die Neigung 
vermag es zwar vielleicht nicht, mich gegen die Griinde eines 
Sazes blind zu machen; aber sie treibt mich doch auch nicht an, 
sie aufzusuchen, denn sie schlagt mir stets nur das, wofiir sie ein- 
genommen ist, zur Erforschung vor und von ihrem Einflus 

* Mit dem sogenanten Wiesenhobel schleift man die Maulwurfshau- 
fen der Wiesen eben. 



20 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

hangtzwar nicht die Art, aber doch der Gegenstand der Untersu- 
chung ab. Sie ist der Redner in meiner Sele, der durch Schmuz 
oder Firnis mir meine Ideen unkentlich macht und der im Hin- 
terhalteiede ein wenig verandert; es sezet daher viel Tugend und 
viel Herschaft iiber seine Neigungen voraus, wenn man in Ir- 
thumer fallen kan, ohne Strafe zu verdienen. Zwar sagt man, da!3 
es urspriingliches Gesez des Verstandes ist, dem Wahren den 
Vorzug vor dem Irrigen zu geben; allein dem Guten vor dem 
Bosen den Preis zu lassen, das ist auch ein ewiges Gesez dessel- 
ben und gleichwol wahlt er oft die Ubelthat. In dem Falle des 10 
Lasters wird nun seiae fehlerhafte Wahl nicht durch den Schein 
des Guten entschuldigt, den im Augenblik derselben die Nei- 
gung dem Bosen lieh; aber so kan auch im Falle des Irthums der 
Anstrich des Wahren, womit die Neigung das Irrige verschonert 
hatte, dem Verstande nicht zur Rechtfertigung seine[r] Ver- 
wechselung gereichen. Die meisten Griinde gegen die Strafbar- 
keit des Irthums gelten auch gegen die Strafbarkeit des Lasters. 
- Jeder Mensch (ich meine keinen Altags- sondern einen Son- 
tagsmenschen, ein Sontagskind) erhalt einmal einen Stos, der die 
Richtung seines Kopfes auf sein ganzes Leben entscheidet; und 20 
einen, der die seines Herzens bestimt. Man erstaunt aber iiber die 
Veranderungen, die dieser leztere Stos auch in den Meinungen 
anrichtet und keiner wird tugendhaft, ohne den grosten Theil 
seiner vorherigen Ideen umzuschmelzen. 

Die Republiken ermorden freilich so gut grosse Manner als die 
Monarchien; aber sie zeugen auch mehrere als diese. In ienen darf 
man doch etwas Grosses thun, eh' man Verfolgung leidet; in die- 
sen ist die grosse That selber verwehret und man ist nicht im 
Stande, Undank zu verdienen. In ienen wird der grosse Man 
fruher belohnt als gemishandelt; in diesen umgekehrt. In ienen 30 
macht meistens zu angstliche Sorge fur die Freiheit ungerecht 
gegen das Verdienst; in diesen thun es niedrige Leidenschaften. 
Oberhaupt ist zwischen dem Ostrazismus und einem lettre de 
cachet ein grosser Unterschied. 



SCHERZE IN QUART ■ I. ZUSAMMENKUNFT 21 . 

Der Mensch scheint zu keiner Sache Krafte zu haben, wenn er 
sie nicht iibertreiben darf und Extremen sind sein Element. Er 
sol nur einer einzigen Tugend obliegen: so bringt er es mit der 
grosten Leichtigkeit in ihr zu einem Grade, iiber den man er- 
staunt. Aber ienes Mittel zu halten, das alle Tugenden und Anla- 
gen der Obung wiirdigt, das keiner nichts zu Gunsten der andern 
vergiebt und das sie alle in einer harmonischen Eintracht erhalt 
- das ist uns schwer und beinahe unmoglich und das fodert 
Starke der Vernunft; denn die Leidenschaften reichen so weit mit 
io ihrer Hulfe nicht und sie konnen mit ihrem Feuer wol einige, 
aber nicht (weil sie sich selber widersprechen) alle Tugenden be- 
giinstigen. Wo ist aber der noch gluklichere Man, der durch lan- 
ges Verbessern alien seinen moralischen Kraften den Schwung 
ertheilt, den ein anderer nur einer einzigen durch Obertreibung 
geben konte? 

Kalten Menschen gelingt nur die Verstellung (dissimulatio); war- 
men auch die Anstellung (simulatio) . Ich meine, in der Macht ei- 
nes Menschen, der die Tugend nur von Horensagen kent und 
dessen Herz nie von grossen Gefuhlen geadelt wurde, steht 

20 nichts als Verstekkung seiner schlimmen Seite; aber einer, der 
einmal gut war, und durch Erinnerung und Warme sich in die 
Rolle der Tugend hineinversezen kan, bethoret uns leicht durch 
die Anmassung eines fehlenden Werthes, zuweilen halt er im 
Feuer der Anstellung wie gute Schauspieler seine angenommene 
Rolle fur seine naturliche und volfuhret dadurch den Betrug mit 
mehrerer Tauschung. Dieser Art Menschen traut man zu viel; 
einer gewissen andern wiederum zu wenig; wir werfen namlich 
auf keine den Verdacht der Verstellung so leicht als auf die, an 
denen uns zuriikkehrende oder fortlaufende Veranderungen des 

30 Karakters irre machen und deren Unbestandigkeit uns mit Wi- 
derspriichen ihres Betragens argert und es kostet uns viel, bis wir 
die Veranderlichkeit nicht mehr mit der Verstellung verwech- 
seln. Ubrigens ist die Aufrichtigkeit die seltenste Tugend und 
wird es noch mehr werden. Nur tugendhafte Gemiithsverfas- 
sung, aber nicht das Temperament kan sie gewahren. Entsteht 



22 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

sie bios aus diesem, so wird man in gleichgultigen Fallen auf- 
richtig und in den iibrigen, wo der Eigennuz ins Spiel trit, falsch 
sein. Daher [abgebrochen] 



MEINE ZWOTE ZUSAMMENKUNFT MIT DEM LESER 



I. 

Von meiner Krankheit und von meiner Bitschrift an das Konsistorium 

[Anfang fehlt] sich gern in der Geselschaft von Personen und 
Biichern befindet, denen es an Wiz, Scharfsin und Gelehrsamkeit 
ganzlichmangelt: das »Damenjournal« ist hievon ein lebendiger 
oder lebloser Beweis, und unsere meisten Monatsschriften 
ebenfals. 

Da ich schon langst wuste, daB ich mich nie entschliessen 
wurde, des Lesers wegen mein Buch vortreflich und meisterhaft 
zu machen; da ich aber auch voraus sah, daB ich, wenn ich es so 
schlecht zu Markte brachte als man es iezt wirklich findet, kein 
glanzendes Gliik damit machen konte: so war ich so verstandig, 
diesen mislichen Wirkungen durch folgende Bitschrift vorzu- 
bauen, die ich vor einigen Monaten bei dem Konsistorium 
wirklich eingereicht. 

P. P. (d. h. praetermissis praetermittendis) 

Es ist einem hochpreiBlichen Konsistorium ganz wol bekant, 
daB der Mensch nicht bios darum auf der Welt lebt, damit er stu- 
dire, und ein Christ und endlich - welches wol die hochste Stufe 
der menschlichen Gliikseligkeit und Weisheit ist - ein Konsisto- 
rialrath werde: soridern er mus auch seine Selenkrafte iiben und 
verbessern. Daher ruft uns Salomo so laut, daB wir, die wir viele 
tausend Jahre von ihm entfernt stehen, es ganz wol vernehmen 
konnen, zu: alles hat seine Zeit. Wir miissen namlich alle Anla- 
gen, welche die Natur in uns gesaet, in die Baumschule der 
Ubung und Entwikkelung schikken. Nun hat sie auch uns alien 



SCHERZE IN QUART ■ 2. ZUSAMMENKUNFT 23 

sowol ein Vermogen, vortrefliche Schriften abzufassen, als ein 
entgegengeseztes kostbares, schlechte zu machen, eingesenket; 
beide Krafte erwarten aber von unserer Hand ihren Anbau. Wir 
konnen daher weder der einen noch der andern diese Ausbildung 
versagen, ohne ganz unser eignes Gliik auf die Seite zu sezen. 
Was das Vermogen, vortrefliche Werke in die Presse zu geben, 
anlangt: so ist es schon bekant, daB ich mich sehr mit demselben 
abgegeben, und wie hatte es auch sonst iene schmakhaften 
Fruchte tragen konnen, die iezt unter dem Namen meiner bes- 

10 sern Werke algemein genossen werden? Aber auch meine An- 
lage, schlechte Biicherzu verfertigen, glaubte ich durfe von mir, 
der auf die Vervolkomnung seines ganzen Wesens aussein wil, 
gar nicht ohne Warte und Pflege gelassen werden. Ich habe daher 
wirklich ein Buch gemacht und »Scherze in Quart mit ernsthaf- 
ten Noten« betitelt, das wie ich hoffe, zu meinem Vortheil ent- 
scheidet, ob ich gute schlechte Schriften liefern kan und ob ich 
meine Anlage dazu gehorig bearbeitet habe oder nur brach liegen 
lassen. 

Allein ich weis nicht, ich habe fast gar keine Hofnung, daB 

20 mein Werk das Gliik bei dem Publikum machen werde, das es 
vielleicht verdient: nur gar zu oft hab' ich schon gesehen, daB es 
die schlechtesten Schriften nicht viel besser als gute behandelte 
und iene so wol wie diese vergas. Ich darf ia hier nur an die 
schlechten Schriften erinnern, welche ein hochpreiBliches Kon- 
sistorium in seinen Schuz nahm und den Gotteshausern anzu- 
schaffen befahl: diese fanden in der gelehrten Welt die giinstige 
Aufnahme gar nicht, deren sie gewis nicht unwerth waren und 
nur das ganze Gewicht eines solchen Beifals wie der eines sol- 
chen Konsistoriums ist, konte der algemeinen Verachtung der- 

30 selben auf alle Weise die Wage halten. Ich weissage auch meinem 
Werke kein gliiklicheres Schiksal, wofern sich nicht anders ein 
hochpreiBliches Konsistorium zu seinem Besten verwendet. Es 
ergehet daher an dasselbe meine gehorsamste Bitte 

daB ein hochpreiBliches Konsistorium alien Gotteshausern 
im ganzen Lande auferlegen moge, mein Buch betitelt: 
» Scherze in Quart nebst ernsthaf ten Noten« in Betrachte, daB 



24 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

es so gar schlecht ist und daher auf schlechten Absaz rechnen 
lasset, wie auch alle dieienigen kiinftigen Schriften von mir, 
dienoch schlecht sein werden, sich anzuschaffen und zu kau- 
fen. 

Mein Ehrgeiz schrankt sich auch bios auf den Wunsch ein, daB 
mein Werk einige Kaufer bekomme und die Eitelkeit ist fern von 
mir, ihm auch Leser zuschanzen zu wollen; daher ich das Konsi- 
storium angeflehet, nur die Kaufung aber nicht die Lesung mei- 
nes Werkes einer ganzen ehrwiirdigen Geistlichkeit anzubefeh- 
len. Es ist zudem iiblich, daB gute Schriften mehr Leser als 10 
Kaufer, und schlechte mehr Kaufer als Leser erhalten. 

Mochte nur auch mein Buch so schlecht sein, als ich es wiin- 
sche und als es sein mus, urn nicht unwerth zu sein, daB ein 
hochpreisliches Konsistorium seiner sich annimt! Ich weis aber 
nur gar zu wol, daB es dem ersten Ansehen nach kein theologi- 
sches zu sein scheinet und andere als theologische, z. B. medizi- 
nische, iuristische, heraldische Werke befiehlt ein hochpreisli- 
ches Konsistorium ia wol nie den Gotteshausern anzuschaffen. 
Indessen wenn man in meinem nur das suchen wil, was eigent- 
lich das wahre Wesen eines theologischen ausmacht, so wird 20 
man es darin gewis nicht vermissen. Ich widerspreche in dem- 
selben - und mich diinkt dieses so wie das folgende, war immer 
der zuverlassigste Beweis, daB ein Buch nicht nur schlecht, son- 
dern auch theologisch ist - alien Menschen und mir selber auf 
alien Seiten und die meisten Gedanken desselben sind in einen 
einheimischen Krieg verwikkelt; die Worte leben mit den Sa- 
chen darin in bestandiger Logomachie und die Phantasie horet gar 
nicht auf, sich mit dem gesunden Menschenverstande zu duelli- 
ren; ich behaupte in demselben, daB es wenig vernunftige Leute 
gebe, die nicht narrisch sind, daB ein grosser Theil der Men- 30 
schen, die nicht gehangen werden, doch zum Teufel fahren, daB 
man mit guten Werken nichts verdienen konne bei den - Fur- 
sten, daB es auch in kalten und nordischen Landern Skorpionen 
gebe, daB es mit dem Teufel gar so und so sei und zuweilen 
scheint es als ob ich gar nicht wisse was ich wolle. Endlich darf 
ich auch von meinem oft besagten Buche behaupten, daB es in 



SCHERZE IN QUART ■ 2. ZUSAMMENKUNFT 2$ 

Quart ist, wie es nicht nur der Titel verspricht, sondern auch das 
Werk selbst wirklich leistet; unter einem Buche in Quart und ei- 
nem theologischen ist aber wol kein Unterschied, so wie man 
auch von Riesen angemerkt, daB sie alle wenig Verstand haben 
und eine Sele in ihrem Kopfe fuhren, die - als wenn Epikurs Iso- 
nomie wahr ware - eine entgegengesezte Seltenheit, namlich 
eine Zwergin ist. 

Oberhaupt scheint es das Schiksal schlechter Biicher zu sein, 
daB man sie nicht sammelt; sie sind bis iezt fast bios in die Sam- 

io lungen guter Schriften zerstreuet und nur in kostbaren Univer- 
sities- und Rathsbibliotheken iaget man zuweilen einige ganz 
schlechte Werke auf . Aber dieser Mangel kan nicht lange mehr 
wahren, wenn ein hochpreisliches Konsistorium fortfahret, die 
Gotteshauser zum Einkaufe schlechter Biicher anzuhalten und es 
diirfte vielleicht bald bei ieder Kirche eine hubsche Samlung 
elender Schriften aufstehen. Eine solche Bibliothek konte man 
alsdan wol mit Recht eine gute Trivialschule fur alle und auch die 
einfaltigsten Menschen nennen; oder auch ein Pantheon, das die 
untern Gotter unter den Autoren inne hatten; desgleichen ein In- 

20 validenhospital; und wenn keine Puz- doch eine Feldkuche fur den 
menschlichen Verstand und Gaumen; am besten ein Unterhaus, 
wo die Gemeinden sind, weil die Samlung guter Autoren ein 
Oberhaus ist, wo die Lords sind; desgleichen die Schadelstzttc 
kleiner Gehirne; ferner ein Waisenhaus, in das sich die Kinder 
oder Biicher ziehen, deren Vater samt ihren Namen gestorben 
sind; und endlich das, was sich etwan noch zu einem neuen 
Gleichnis schikt. 

Schliislich betriig' ich mich wol in der Hofnung nicht, daB 
man meinem Buche nicht darum den Namen eines schlechten 

30 verweigern werde, weil sein Verfasser etwan kein Konsistorial- 
rath ist: denn ein iedes lebende Wesen, war' es auch nichts als ein 
Autor, kan doch eben so gut ein schlechtes Buch zu Stande brin- 
gen als irgend ein Konsistorialrath; bekantlich macht ia nicht das 
Kleid den Man. 

Ich ersterbe mit aller gebiihrenden Ehrerbietung pp. 



26 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

Diese Bitschrift hab' ich vor einigen Monaten eingegeben und 
ich glaube nicht, daB sie mir abgeschlagen wird. Allein meine 
Krankheit, lieber Leser, gewint zusehends Plaz und ich habe 
schon nach dem Doktor schikken mussen. Wenn er komt: S9 wil 
ich scherzen; denn dadurch gewinn' ich ihn sehr und schreib' es 
grostentheils mei- [BlattschluB] 



III. 

[Allegorien] 

Die Taufe des Lasters 

Das Laster faste einmal den unerschiitterlichen Entschlus, ein 10 
Christ zu werden: aber nicht unedle und heuchlerische Absich- 
ten bestimten es dazu,sondern sein einziges Augenmerk dabei 
war, durch seine Religionsveranderung einiger Groschen sich zu 
bemachtigen; eine Absicht, deren sich getaufte Juden gleichfals 
riihmen. Es stand bei dieser Taufe niemand zu Gevatter als die 
- Tugend, die das heilige Werk auch willig verrichtete und dem 
Laster gern ihren Namen gab. Uberhaupt gieng bei der Taufe 
des Lasters alles ordentlich von statten. Erstlich schrieb ich schon 
vorher den Gevatterbrief an die Tugend. Zweitens hatten wir ei~ 
nen ordentlichen Taufengel, der vor seinem Falle unter die gut en 20 
Engel gehoret hatte und durchaus von Holz war. Drittens wurde 
uber das Laster der Exorzismus gesprochen und ich bin ein Au- 
genzeuge, daB aus demselben der Satan in unsichtbarer Gestalt 
entwich. Viertens war das Laster von Kopf bis auf den Fus in das 
weisse Unschuldsgewandgekleidet, das sonst die Tauflinge tru- 
gen; aber es wolte dasselbehernach gar nicht wieder ablegen und 
ich glaube erst gestern war es, wo ich das Laster am Hofe noch 
in seinem Unschuldskleide nebst dem Sterne der drei Weisen auf 
der Brust, erblikte. Bei der Taufe bekam das Laster den Namen 
der Tugend, seiner Taufzeugin, die fur dasselbe zu sorgen, es an 30 
seinen Taufbund zu erinnern und in der christlichen Lehre zu 



SCHERZE IN QUART - 2. ZUSAMMENKUNFT 27 

unterrichten laut und fest versprechen muste. Da iibrigens die 
romische Kirche alle Verehlichung zwischen dem Taufling und 
seinem Gevattern verbeut: so sieht man, warum seit dem, daB 
das Laster den Namen der Tugend empfangen, eine genauere 
Vereinigung zwischen beiden nicht moglich ist. Da ich schliis- 
lich auch volkommen Recht habe: so ist es lacherlich, wenn 
einige grosse Gelehrte behaupten wollen, ich hatte nicht vol- 
kommen Recht, sondern das Laster hatte seinen Taufnamen 
(Laster ist sein Geschlechtsname) durch Laien in einer Noth- oder 
10 Jagdtauic erhalten und es muste daher erst noch von einem Prie- 
ster in der Kirche feierlich eingesegnet werden. 

Testamente der Tugend, des Amors, der Thalia und Melpomene, und 
der Gerechtigkeit 

Die Ausziige aus diesen Testamenten, nach denen ich die ganze 
Welt schon so lange schmachten lassen, geb' ich hier endlich. 
Ungeachtet ich auf den Namen eines Notarius Anspruch mache, 
so bin ich doch mit diesen Testamenten ganz wie ein ehrlicher 
Man umgegangen und man wird bald wahrnehmen, daB ich nir- 
gends an ihnen etwas zu verandern oder zu verfalschen mir ver- 

20 gonnet habe als da, wo es mein eigner Vortheil und mein Eigen- 
nuz ausdriiklich befahl. 

Als die Tugend sterben wolte, lies sie mich rufen, um ihr Te- 
stament ihr aufzusezen. Die sieben Todtsunden waren die Zeu- 
gen. »MeinenK6rper, (must' ich niederschreiben) sol man nicht 
begraben, sondern ihn unter die Menschen austheilen. Und so 
vermach' ich denn erstlich mein ganzes Gesicht y wie es ist, den 
Hofleuten; meine Augen ausgenommen, die den Gelehrten ge- 
horen so wie auch meine Zunge. Mein Herz sol man wie das Herz 
der Konigein ein goldnes Gefas thun; ich vermache solches aber 

30 den todten Konigen, als welchen man ihr Herz herausgeschnit- 
ten: denn die lebendigen konnen meines doch nicht brauchen, 
weil sie gliiklicherweise noch das ihrige haben.« 

In Amors Testamente, bei dem die acht dii gentium minorum 
Zeugen waren, weil er blindist, find' ich das Merkwiirdige, daB 



28 JUGENDWERKE ' 4. ABTEILUNG 

er die Stabsofficiers zu Erben seiner Pfeile einsezte: (ich habe sie 
ihnen schon eingehandigt; und sie verschiessen wie ich hore 
sie wirklich stat Pulver und Blei) seine Fliigel hinterlies er den 
Kopfen der Damen. Sehr lacherlich must' es daher diesen vor- 
kommen, daB bisher die besten Kenner die Schwingfedern, wo- 
mit ihre Kopfe fliegen und die aus Amors Flugeln waren, mit 
den Schwanzfedern des Straussen haben verwechseln konnen. 
Die tragische und die komische Muse starben mit einander auf 
Einem Bette; vor ihrem Tode (das sol ich zu ihrem Ruhme mel- 
den) wurde durch meincBemiihung das gute Vernehmen zwi- to 
scheri beiden volkommen wiederhergestellet. Zum Zeichen ih- 
rer Aussohnung machten sie beide nur Ein Testament, wo iede 
die Freunde der andern wie ihre eignen behandelt; nur aus einer 
solchen Eintracht konte iene auffallende Stelle in ihrem Testa- 
mente fliessen: )>ich Thalia vermache den Freunden meiner 
Schwester, den deutschen Tragodienstellern meinen Sokkus; 
und ich Melpomene erklare wieder die Freunde meiner Schwe- 
ster, die deutschen Komodienschreiber zu Besizern meines Ko- 
thums. « Weiter unten fahret Melpomene fort: »und was den ver- 
dienstvollen H. Hasus anlangt, so sol er fur seine Bemuhungen 20 
um unsere Versohnung und fur seine andern nicht geringern 
Verdienst[e] meinen tragischen Dolch bekommen: man kan von 
demselben erwarten, daB er wie ein geschikter Schauspieler ihn 
nicht zum Morden, sondern nur zum Verwunden ziehen 
werde.« Durch diese Stelle, die ich in das Testament eigenmach- 
tig eingeschoben, glaubte ich mir zu einem brauchbaren Dolche 
zu verhelfen und uberhaupt meiner Ehre und meinem Vortheil 
nicht iibel zu rathen; bios daher hab' ich das Testament damit 
verfalschet und dieser Nuzen schien mich zu berechtigen, den 
Karakter eines ehrlichen Mannes, den ich sonst behaupte, hier 30 
ein wenig zu verlassen: denn sonst weis ich wol, daB man alge- 
mein glaubet, Laster seien eine vollig unerlaubte, unmoralische 
undsundliche Sache; doch scheu' ich mich auch nicht, diesen al- 
gemeinen Saz noch durch die Einschrankung zu berichtigen, daB 
der Mensch seinen Kopf , den er stets gen Himmel gerichtet tra- 
gen sol, unmoglich aufrecht erhalten kan, wenn man magneti- 



SCHERZE IN QUART - 2. ZUSAMMENKUNFT 29 

sches Gold vor seine Fiisse wirft, das den Kopf auf die Erde nie- 
derzieht, so wie kein Hund im Stande oder verbunden ist, noch 
lange auf seinen zwei Fiissen zu bleiben, wenn die Lokspeise von 
seiner Nase herabgefallen ist und ihn zu ihr niederzusinken an- 
lokt; daher wird keine gesunde Moral die Laster abordnen, die 
uns etwas eintragen. Allein diesen Saz dehnen nur die Moralisten 
bei weitem nicht so sehr aus als sie wol konten und solten. Gern 
treten mir wol die meisten bei, wenn ich nur so weit gehe, daB 
ich z. B. einem Ver waiter rathe »sei ein hiziger polternder auf- 

10 fahrender Man; denn dies sezet dein zahlreiches Gesinde in eine 
nuzliche Furcht« oder einem feinen Manne » spare keine Ver- 
laumdungen; denn diese sind der einzige Weg, den Ruhm eines 
guten Geselschafters zu erringen« oder dem Unterhandler ir- 
gend eines Hofes »der Vortheil deines Fiirsten, deiner Ehre und 
deines Gluks fodern iezt von dir, daB du dich als einen Man auf- 
fuhrst, der gut betriigen, bestechen und beliigen kan« oder dem 
Manne in einem Anxte, das wenig Besoldung hat und viel Spor- 
tuln haben kan: »so lange du den Fiirsten nicht beraubest, so 
lange bleibt es schlecht mit dir und deiner Familie; aber hat dir 

20 denn nicht dein Fiirst eben eine so schmale Besoldung angewie- 
sen, damit du dich an den vielen Sportuln, die ihm gehoren, 
desto besser deines Schadens erholen mochtest, indem du sie 
ohne Bedenken iiber die Halfte unterschlagst? Ich frage dich das 
noch einmal« - Wie gesagt, wenn ich nur so weit gehe, so blei- 
ben die meisten Moralisten gern auf meiner Seite: denn die Ge- 
wohnheit hat eines Theils von diesen erlaubten Lastern schon die 
erschrekliche Larve weggeglattet und anders Theils werden wir 
an sie durch Vortheile angeleimet, die wir schon zu lange genos- 
sen haben, urn sie wegzugeben. Allein weiter begleitet mich nie- 

30 mand Einen Schrit; und doch mus ich noch zu grossern Lastern 
fortgehen, denen ich die Rechtfertigung, die den obigen zu stat- 
ten kam, billigerweise ebenfals nicht versagen kan. Denn ich 
darf nur den Vortheil, der zu einer kleinen Versiindigung Er- 
laubnis geben konte, verhaltnismassig verdoppeln, um mit ihm 
eine grosse zulassig machen zu konnen und wenn unsere Kauf- 
leute gewisse kleine Unredlichkeiten nicht ohne ziemlichen Ab- 



30 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

bruch ihrer Kasse unterlassen konnen, so kan Algier seine See- 
raubereien nicht ohne die ganze Umkehrung der Republik 
vernachlassigen. Ich tadele hier unsere Kaufleute nicht, aber ich 
kan nur auch die Seerauber nicht tadeln. Aus diesem alien ergiebt 
sich, daB der Vortheil alien Lastern das Siegel der Zulassigkeit 
aufdriikken konne und ich war schon lange der Meinung, daB 
Morden, Rauben pp. in ieder gesunden Moral die Stelle erlaub- 
ter Handlungen behaupten diirfen. Freilich geb' ich dadurch der 
ganzen Moral einen gefahrlichen Stos; allein ich gestehe auch, 
daB dies gar nicht wider meine Absicht ist. - Da ich den Dolch 10 
der Melpomene nicht zum Ermorden, sondern nur zum Ver- 
wunden gebrauche - wenigstens hab' ich noch nicht gehoret, 
daB die Leser sich meiner Satiren wegen aufgehangen, wie es et- 
wan wirklich wegen der Satiren des Archilochs und des Boileau 
geschah, sondern nur, daB sie sich gebessert haben - so diirften 
mir die Kunstrichter den besagten Dolch wol lassen konnen. 

Eh' die Gerechtigkeit zu den Sternen auffuhr d. h. eh' sie ver- 
schied: machte sie ein wolgerathenes Testament, das so lautete: 
» mich selbst wie ich bin vermach' ich den Gesezbiichern der R6- 
mer, des Friedrichs und der Katharine; was aber Richter und 20 
Advokaten anlangt, so sind sie von mir formlich enterbt. Auch 
werden sie vergeblich dieses Testament damit umzustossen su- 
chen, weil ich nur 7 Zeugen dazu nahm: denn es ist falsch, daB 
ich blind bin und man hatte mir bisher nur die Augen zugebun- 
den. « - Indessen sagt sie im Kodizil noch: »doch sollen die Rich- 
ter haben mein Schwerdt und die Fischweiber meine Wage, die 
sie durch ein Paar Locher leicht zu einer Fischwage machen kon- 
nen. « 



VII, 

Ende der zwoten Zusammenkunft nebst den Gedanken mil aufden Weg 30 

[Anfang fehlt] Magen auf unsere Hare versaen: denn ich gebrau- 
che, wenn ich mich pudern lasse, immer die Vorsicht, daB ich 
nicht nur die Augen meines Korpers, sondern auch die meiner 



SCHERZE IN QUART ■ 2. ZUSAMMENKUNFT 3 1 

Vernunft ganz fest verschliesse: diese Art von vorsezlicher 
Blindheit gewahrt mir den Vortheil, daB alle Griinde gegen das 
Pudern mich nicht bezwingen und bewegen konnen. Und hof- 
fentlich denke nicht bios ich so, sondern es giebt mehrere, mit 
denen ich diese Gesinnungen gemein habe. 

Der grosse und tugendhafte Man ist unter den andern Men- 
schen, die bald Lusthauser, bald Gefangnisse, bald angebrante 
Rumen, bald schandliche Hauser sind, ein Tempel im Schimmer 
der Abendsonne; und das Leiden ist der Donner, der in diesen 
io Tempel einschlagt. 

Die Leidenschaften solten doch so klug und billig sein, den De- 
mokrit zum Muster zu nehmen, der dem Sklaven'Diagoras die 
Freiheit schenkte, weil er zuviel Scharfsin und Genie fur einen 
Sklaven besas: aber ich weis wol, was fragen die Leidenschaften 
nach dem herlichsten Verstande? Da er weder eine Hure, noch 
ein Ordensband, noch ein Louisd'or, noch ein Braten ist: so se- 
zen sie ihn bei aller Gelegenheit hintan. 

Ein Fiirst, der Titel austheilet, wagt sich an das schwere Geschaft 
Adams und giebt den Thieren Namen. 

20 Balzac behauptet, er wolle lieber ein biirtiges als ein gelehrtes Weib 
ausstehen. Wennich meineEmpfindunguntersuche, so find' ich 
gerade das Widerspiel und auf einen Burgermeister, der einige 
Kenntnisse besasse, wiird' ich mehr Werth sezen als auf einen, 
der einen Bart hatte. 

Wenn eine Dame, die mit ihrer Jugend ihre Anbeter eingebiisset 
hatte, in ihren altern Tagen aus ihrer unbesuchten Einsamkeit 
hervorbrache und uns alien sichtbar erschiene: so wiird' ich mich 
ihr nahern und ihr die verzeihliche Schmeichelei machen, daB ich 
sie mit eben den Empfindungen betrachtete, womit ich ein altes 
30 heidnisches Gbzenbild besehe, das man von Ungefahr aus der 
Erde aufgegrabenund das weiten Spielraum fiir angenehme Aus- 
schweifungen der Phantasie gewahrt. Ich wiirde vielleicht noch 
weit mehr sagen; allein ich ersuche nur erst die alte Dame, mir 



32 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

durch ihre Erscheinung die Gelegenheit zu diesem Gleichnisse 
und zu andern Schmeicheleien zu geben. 

Wenn ich sehe, daB ein vornehmer Man gehangen wird: so sag' 
ich alzeit, das ist nicht Recht und es ist schlim, dan an dem Gal- 
gen, der zur Falle fur geringe Leute aufgestellet ist, vornehme 
sich fangen; so wie es ein wahres Ungliik ist, wenn in die Fallen, 
welche den Thieren bereitet sind, Menschen gerathen und wenn 
das Fuchseisen stat eines Fuchses einen Spizbuben ergreift. 

Liebe Menschheit! ich besorge, du bist weder gescheut noch 
tiefsinnig. Denn eben iezt, wo alle deine kriegerischen Wallun- 
gen besanftigt sind und wo deine heldenmuthige Mordsucht 
dem Geist der Liebe Plaz gemacht, iezt schleppest du dich mit 
einer volstandigen Riistung, legest dir selbst die Strafe des Ge- 
wehrtragens auf und komst Tag und Nacht, Sommer und Winter 
nicht aus deiner beschwerlichen Verpanzerung. Ich erwarte da- 
her, daB du das erstemal, das ich sehe, nichts tragest als etwan 
an der Seite einen kleinen geschmakvollen - Sommerdegen. 

Bei verschiedenen Gelegenheiten, wo ich von den Geistlichen 
dieubernaturlicheBelehrungempfange, pfleg' ich zu denken: es 
ist recht gut, daB die Priester die Brief e, welche vom Himmel 
an die Menschen abgelassen werden, uns wirklich uberbringen; 
aber war' es nicht noch besser, wenn sie denen Postmeistern 
nicht glichen, die das Franko auf den Brief en ausstreichen? 
»Aber war' es nicht noch schlimmer?« sagen die Pabste, die auf 
ihr Recht der Fehlbarkeit trozen. 

Ein talentreicher Kopf mit einem niedrigen Herzen gleicht den 
Schlangen, die bios den Kopf in die Hohe richten, aber mit dem 
Bauch auf dem Staube liegen und, ich kenne iene Schriftsteller, 
die mit erhobnem Haupte umherschauen, indessen sie das Herz 
durch den Koth nachziehen. 

Ich sage nicht, daB die Arbeit von sich selbst unterschieden sei; 
aber ich behaupte nur, daB zwischen einem Arbeitsbeutel und ei- 
nem Arbeitshaus der groste Unterschied ist, gerade so wie zwi- 



SCHER2E IN QUART ■ 2. ZUSAMMENKUNFT 33 

schen der Dame, die ienen tragt, und der H-, die dieses be- 
wohnt. 

Wir haben es iezt weit besser als Adam, wenn wir in ein Laster 
fallen wollen. Adam gab durch eine Versiindigung das gotliche 
Ebenbild Preis; wir aber in unsern Tagen sezen durch die grosten 
Schandthaten nur das menschliche in Gefahr und man denke sich 
einen Fiirsten noch so schlim, so hat er doch von seiner Verdor- 
benheit keinen andern Schaden als daB er aufhoret, ein Mensch 
zu sein. 

10 Wie ich vernehme, streuet man liberal aus, ich hatte irgend wo 
behauptet, daB das Gluksrad des Zahlenlotto das Schopfradw'ire, 
welches die Guter der Unterthanen erhobe; allein das ist gar nicht 
wahr; denn so eine Rede hatte sich fur mich durchaus nicht ge- 
schikt; wol aber bin ich in alien Hausern herumgegangen und 
habe den Leuten weisgemacht, [aus] den Worten Heinrichs IV: 
»die offentlichen Einkiinfte sind das Blut des Staates« folge wol 
ganz off enbar: daB ein Fiirst dem Volke nicht oft genug zur Ader 
lassen konne, weil er, das Haupt, von der Volbliitigkeit dessel- 
ben alzeit am meisten leide; daB diese Verblutung, oft wieder- 

20 holt, ein Volk ganz fet machen konne, wenn man anders dies aus 
den Kalbern schliessen diirfe, die (nach Lister) in England durch 
Aderlassen gemastet werden; und daB die Wage der Gerechtig- 
keit die wahre Blutwage des D. Glasers in Sula sei, welche beim 
Aderlassen das Maas des schon mit dem Wasser vermischten 
Bluts genau anzeiget. Nur Sachen von solchem Nuzen fur die 
Fiirsten, pfleg' ich zu behaupten und zu predigen. 

Nicht iede Narheit ist ein Vergniigen und wer auf seinem Stek~ 
kenpferde sizt, fiihlt oft das, was sonst der Soldat fuhlte, der sich 
zur Strafe auf ein holz ernes Pferd (oder Esel) sezen muBte. Ein Ge- 
30 wicht an den Beinen gab den Schmerzen desselben noch mehr 
Nachdruk und ist nicht bei uns der schwere Korper ienes Ge- 
wicht? 

Man loschte sonst mit den Evangelien Feuersbrunste aus; 
warum priift man nicht noch iezt diese Wunderkraft derselben 



34 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

bei den Scheiterhaufen der Inquisizion und versucht sie mit den 
Evangelien stat anzufachen, auszutilgen? 

Eine grosse tugendhafte Sele in einem kranklichen Korper, der 
schon ein halber Leichnam ist, ahnlicht einem guten Engel, der 
am Grabe den Leichnam eines Frommen bewacht. 

Die Schwelgerei stosset die erhabensten Anlagen des Menschen 
vom Throne, trit den edlern Theil desselben mit Fiissen und un- 
ter dem Tische, urn den herum die Thiere, die im Menschen 
wohnen, sizen und fressen, liegt ein darbender Konig; so wie 
unter dem Tische des Adanibesek 70 Konige mit verhauenen 10 
Daumen lagen und Brosamen assen. 

Wenn wir iiber unsern Korper nicht unser Ich und uber unser 
Erdenleben nicht unser kiinftiges Sternenleben vergessen: so 
ahnlichen wir dem Monde, der indem er um diese kothige Erde 
lauft, doch auch mit die glanzende Sonne umschift. 



Meine dritte Zusammenkunft mit dem Leser 



I. 

Lobrede auf den Magen 

Ich weis vor Vergmigen gar nicht, was ich sagen oder schreiben 
soL In der That das war brav vom Leser, daB er den widerlichen 20 
Rezensenten nicht mitgebracht, der stets alle unsere Freuden 
meisterte. Wie Ludwig XV nach den Lustbarkeiten seiner Kro- 
nung sagte: »Gotlob! die Lustbarkeiten sind endlich vorbei: nun 
konnen wir uns doch einmal einen guten Tag machen«; so kan 
ich und der Leser ausrufen: »Gotlob! der Rezensent ist ausgeblie- 
ben: nun konnen wir doch einmal mit Vergmigen etwas aus den 
Scherzen in Quart lesen.« Ich hatte lange fur den Leser einen 
hubschen Schaz von einfaltigen und aberwizigen Gedanken zu- 



SCHER2E IN QUART ■ 3 . ZUSAMMENKUNFT 3 5 

riikgeleget, den ich ihm nach meinem Ableben woke einhandi- 
gen lassen: der sol aber iezt schon hervorgesucht werden und 
was ich sonst noch schlechtes im Vermogen habe, das der Re- 
zensent nicht wissen darf- denn sogar die schlechtesten Gedan- 
ken must' ich vor ihm zu verstekken suchen - das wil ich iezt 
auftischen, damit ich und der Leser uns daran laben. 

Vor alien Dingen miissen wir meinen Wiener horen, den ich 
darum heraufkommen lassen, damit er uns meine Lobrede auf 
den Magen, an der er nun acht Monate lernt, laut und ordentlich 

10 halt. Ich besorge aber, daB er sie noch nicht behalten und daB sein 
Magen einem bescheidenen Manne gleicht, der eine Lobrede auf 
sich gern unterdriikt: denn seine Sache vom Morgen bis an den 
Abend ist ein ununterbrochener - Fras. 

[Der] Magen gehoret unter die Dinge, von denen man al- 
lerflei] sagen kan. Ich kan von ihm sagen, daB er das Schmukkast- 
genist, aus dem der Mensch die leiblichen und geistlichen Zier- 
rathennimt, die ihn empfehlen. Der Magen ist das von Schirach 
zur Ausbriitung der Bienen erfundene Briitkastgen, worin unsere 
besten Ideen ausgesessen werden. Der Magen ist (besonders bei 

20 einem Konig) der Zolstok der ganzen Natur. Er ist der Klingel- 
beutel, den der Pabst in der christlichen Kirche herumtragt und 
in den ieder etwas Beliebiges werfen sol. Er ist der Arbeitsbeutel 
derer, die von ihren Renten leben und sonst nichts anders thun, 
ia er ist auch der zweite HerzbeuteL Er hilft denen sichtbar, die 
eine ungerechte Sache haben, wenn sie ihn zum Maulkorbe des 
Richters machen wollen. Ich kan es aber, ohne die Wiener Geist- 
lichen und Skribenten zu erbittern, schwerlich sagen, daB er fiir 
die erstern ein guter Spruch- und fiir die leztern ein volstandiger 
Schriftkasten ist. Er ist ein Blumentopf, in welchem unsere Poeten 

30 nicht die schlechtesten poetischen Blumen Ziehen, und doch ist 
er auch zugleich ein Spalttopf, worin unsere Philosophen delikate 
Friichte und Systeme bauen, sonst aber ist er uberhaupt ein 
Glukstopf, aus dem alle Stande ihre Ideen, Worte und Entschlusse 
Ziehen konnen und auch ziehen. Wenn der Korper ein Tempel 
fiir die Sele ist, so ist der Magen ia die Bundeslade, vor welcher 
dieser Dagon, die Sele, zertrummert niederfallet, welches ich 



36 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

mit meinem eignen Beispiele zu erweisen erbotig bin. Unsere 
Theologenhabenkeinen andern Weihkessel als ihn, wenn sie ihre 
Worte und Gedanken ein wenig heiligen und salben wollen; ich 
diirfte es aber vorher noch hin und wieder uberlegen, eh' ich 
mich nicht mehr scheue, den Magen die - Bakschussel des Genies 
zu heissen, ungeachtet ich gar wol weis, daB er oder der Leib der 
edelsteund schonste Theil des Menschen ist, namlich die Sele. - 



II. 
Vier kleine Ironien; und wie ich dem Leser meine Ironien verstandlich 

macken wollen 10 

Es geht wol selten ein Tag voriiber, woran ich nicht irgend etwas 
Verniinftiges thate. Jezt z. B. arbeite ich an dem sehr einsichts- 
vollen Versuche, dem Leser meine Ironie verstandlich zu ma- 
chen. Dennich besorge, daB ich ohnehin schon in den Fehler des 
D. Swift gefallen, der das miihsame Geschaft, seine Ironie zu 
verstehen, fast grostentheils dem Leser zuschob und uberhaupt 
zu glauben schien, daB der blosse Inhalt der Ironie und das blosse 
Nachdenken des Lesers, ohne weitere typographische Winke 
(z. B. eine Hand am Rande) zu einem Schliissel derselben schon 
tauge. Allein ich nab' es nicht vergessen, wie oft es mir der Leser 20 
geklagt, daB er selten etwas sahe, das nicht ganz auf der Oberfla- 
che sizt und daB ihm eine Ironie, die nur einigermassen gut und 
verborgen ist, niemals faslich ware. Er gieng mich daher schon 
eh' [ich] mich noch an dieses Buch gemacht hatte, zu verschiede- 
nen malen an, ia alle meine Ironien mit einem beliebigen Merk- 
und Denkzeichen zu versehen, damit er alzeit wuste, woran er 
ware: »Ich verstehe ia ohnehin so wenig ernsthafte Schriften; 
wenn ich gar nicht einmal spashafte mehr verstande, was wiirde 
da werden?« sagte der Leser. Zulezt wurde ich mit ihm eins, iede 
Ironie mit einer Hand am Rande zu begleiten, deren ausgestrek- 30 
ter Zeigefinger ihn erinnern soke, das Geg en theil von dem zu 
verstehen, was ichim Texte behaupte; z. B. wenn ich schriebe: 
»niemandist wol scharfsichtiger, wiziger, schlauer und mit dem 



SCHERZE IN QUART - 3. ZUSAMMENKUNFT 37 

ironischen Tone bekanter als mein Leser« so machte ich mich 
anheischig, hart darneben eine Hand (oder einen Handschuh, 
denn das ist einerlei) beinageln zu lassen, an welche der Leser sich 
halten konte und die das obige Lob desselben ganz wieder aus- 
loschte. Und ich glaube, auch die Gesandten thaten sonst etwas 
ahnliches. Wenn der bestochene Sekretair die Chiffern seines 
Hern einem fremden Hofe verrathen hatte: so schrieb der Ge- 
sandte dem seinigen alzeit das Gegentheil dessen, was er meinte, 
um die Spionen, die ihn entzifferten, auf eine umgekehrte Spur zu 

10 fuhren: vorher aber hatte er mit seinem Hofe das Zeichen abge- 
redet, wodurch er das Gegentheil seines Berichts andeuten 
wiirde und das man die vernichtende Chiffre hies . Eine solche ver- 
nichtende Chiffre- »ich wiirde weit lieber und mich diinkt rich- 
tiger sagen, Keri« sagte hier der beste Masorethe Deutschlands 
- soke nun die gedachte Hand am Rande sein. Allein da in der 
Drukkereikeine solche Hand, von der man vor Alters haufigern 
Gebrauch gemacht, zu haben war: so ist die ganze Sache, wie 
man siehet, gar unterblieben und zu meinem grosten Schaden 
werd' ich iezt vom Leser ohne alle Anweisung gelesen, wenn er 

20 glauben sol, daB ich ihm eine X Kir ein U mache. Dennoch er- 
such' ich alle Buchdrukkereien der ganzen Erde, keine Zeit zu 
verlieren, sondern sobald als moglich sich mit einer ungeheuern 
Quantitat von dergleichen Handen, die den Text berichtigen 
und das Gegentheil desselben zu verstehen rathen, zu versorgen: 
denn das schlechtesteund das wahrhaf teste Buch kan eine solche 
Hand nicht entrathen, die ein Handlanger fur den Leser ist, aus 
der er chiromantisch prophezeiet und die ihm Hand- und Span- 
dienste thut. Warum findet man in den besten Dedikazionen, 
Leichenkarmen und akademischen Lobreden nichts als lauter 

30 Ltigen? weil keine Hand am Rande steht, die dem Leser ansagte, 
daB man das Gegentheil meine. Kan eine solche Hand nicht die 
iibertriebenste Lobrede auf einen zweideutigen Konig in blosse 
pure Wahrheit und in blosse Gerechtigkeit verwandeln, die man 
seinen Verdiensten schuldig ist? Man knikere doch nicht so mit 
den Handen am Rande: sondern vervielfaltige sie an einer Kon- 
douitenliste unglaublich oft, damit solche algemein bewahrt ge- 



38 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

funden werde. Unsern Schmeicheleien, unsern Brief en und un- 
serm Umgange fehlt es gar nicht an Wahrheit, aber wol an einer 
Hand am Rande; und selbst meiner Unterredung mit Damen 
wiirde es nur gar zu oft an reiner Wahrheit mangeln, wenn ich 
die gedruckte Hand nicht durch eine sonderbare Bewegung mei- 
ner organisirten zu ersezen wiiste. Einem weiblichen Gesichte, 
das Geist verspricht, ist nichts unentbehrlicher als eine Hand - 
wenn nicht am Rande doch - am rechten Arme, die einen Brief 
oder sonst etwas schreiben kan. Wenn einer in unsern Tagen auf 
sein Versprechen seine Hand giebt: so ist diese Hand in der That 10 
eine Hand am Rande; und wenn eine Dame einem Narren mit 
dem Gestandnis »ich Hebe Sie« zugleich ihre Hand schenket, was 
thut diese Hand anders als die wirklichen Dienste einer Hand am 
Rande, welche sagt: »ich hasse und ehliche Sie«? - Hier sind in- 
dessen die kleinen Ironien, die ich, damit der Leser glaubt, daB 
sie wirkliche Ironien sind, Ironien betitle. 



1. 
Ein Satiriker kan mit seinem Schiksal zufrieden sein 

Er gleicht zwar einem Arzte, sowol weil das, was er verschreibt, 
zu bitter ist, als auch, weil es gar nichts hilft; allein er hat auch 20 
eine Unahnlichkeit mit demselben, die ihn wieder zu einem sehr 
gluklichen Geschopfe macht. Den Arzt namlich verfolgt das 
Schicksal, daB er keine Krankheit beschreiben kan, die nicht 
auch ieder Leser sogleich zu haben fuhlte; an manchen Personen 
wechseln die eingebildeten Krankheiten mit den Beschreibun- 
gen derselben ab und ich bin versichert, wenn iezt irgend ein 
grosser Arzt einen faslichen und furchterlichen Traktat von der 
venerischen Seuche in den Druk gabe, so wiirden wenige vor- 
nehme und phantasiereiche Personen von beiden Geschlechtern 
denselben lesen konnen, ohne auf die qualende Einbildung zu 30 
verfallen, sie waren mit den F . . . angestekt. Dagegenhat es nun 
der Satiriker ganz anders und besser. Denn er.mag von alien 
moglichen und wirklichen Selenkrankheiten noch so treue, 
schrekliche und lange Schilderungen ausstellen, so darf er doch 



SCHERZE IN QUART ■ 3. ZUSAMMENKUNFT 39 

nicht im geringsten besorgen, daB irgend ein Leser sich in den 
Kopf sezen werde, er habe eine oder gar alle geschilderten 
Krankheiten und er kan ohne alles Bedenken Mordsucht, Hab- 
sucht, Schmahsucht und alle andere Laster frei beschreiben, 
ohne daB einer von alien seinen Lesern sich damit behaftet glau- 
ben wird - wenigstens keiner, der daran wirklich siechte; wel- 
ches sehr gut ist: denn wie ein leiblicher Arzt dem Pazienten seine 
wahre Krankheit, besonders wenn sie gefahrlich ist, verheim- 
licht, so wird ein rechtschaffener Leser, sobald er an einem Laster 
10 krank liegt, wie in allem so auch hierin sein eigner geistlicher 
Arzt sein und sich seinen eignen Selenzustand, wenn er zumal 
sehr schlim ware, wo moglich zu verhalten und auszureden su- 
chen. Das ist wie gesagt der Vortheil, den der Satiriker gewis vor 
dem Arzte voraus hat und der allein machen kan, daB ihn die 
Rolle eines geistlichen Arztes mehr beseligen als foltern mus. 

2. 

Lob auf eine Dame, die alzeit in Ohnmacht zu sink en schien, wenn sie 

ihre Tugend unterliegen lies 

Eine Dame wird selten ohnmachtig werden, sie muste sich denn 
20 vorher entweder aus Has oder aus Liebe gezankt haben. Die 
Dame, von der ich iezt [BlattschluB] 



VI. 

Die verschiedenen Gesichtspunkte, worausderTeufel, der Tod und der 
Maler die Welt ansehen 

Die Welt hat so viele Gestalten als Augen sie betrachten. Nicht 
bios iedes Thier sieht an ihr eine besondere Seite: sondern auch 
ieder Mensch erblikket seine eigene Welt wie seinen eigenejn] 
Regenbogen. Der Kaufman halt das Buch der Natur fur ein 
blosses Handlungsbuch, der Akkerman fur ein Grund- oder La- 
30 gerbuch, der Theolog fur die Polyglottenbibel, der Hofman fur 
einen Hofkalender, der Pabst fur eine goldene Bulk, der Henker 
fur die Halsgerichtsordnung Karls V und ich, ich behaupte oft 



4° JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

gar, daB Swift einen ziemlichen Theil seines unnachahmlichen 
Mahrgens von der Tonne aus dem Buche der Natur diebisch ab- 
geschrieben. Inzwischen (ibertreibt es hierin der Teufel, der Tod 
und der Maler am meisten. 

Man frage erstlich den Teufel. Er halt unsere Erde fur den 
Bloksbergim Grossen; unsere schonsten Damen sieht er fur Zau- 
berinnen an und mich kan er, ungeachtet ich nur ein Autor bin, 
noch immer schlecht von einem geschikten Hexenmeister un- 
terscheiden. Unsere bestenDichter, welcheden Fursten der Welt 
dieherlichstenLobeserhebungenertheilen, sindin seinen Augen 10 
wenig mehr als eben so viele Miltone, die epische Lobgedichte 
auf die Teufel schreiben; und von ihm soke man den Irthum am 
wenigsten erwarten, da6 die erstgebornen Prinzen zuweilen 
Wechselkinder (Kielkropfe) sein: denn der Teufel miiste es ia sel- 
ber am ersten wissen, ob er an die Stelle des Kronerben ein Mis- 
geschopf , das hernach iiber ganze Lander schaltet, untergescho- 
ben. Es zeiget auch wenig Verstand von ihm, daB ihn die blosse 
Ahnlichkeit der Favbevermogen kan, die exemplarischsten Prie- 
ster, die beinahe nie ihren geistlichen Ornat weglegen, dennoch 
mit seines Gleichen zu vermengen: besonders mus einem das 20 
sehr am Satan auffallen, daB er, dessen Auge sonst so treffend 
sieht, auf den Kopfen aller Manner seine Horner wiederfindet 
und den Fiissen einiger Damen seinen Pferdehuf ansieht und 
aufschlagt. Es ware daher kein Wunder, wenn er auch seine Flu- 
gel* nicht fur sich behielte, sondern unsern erhabensten Poeten 
welche andichtete; indessen thut er dies, wie man zu seinem 
Ruhme gestehen mus, doch nicht. Auch find' ich nicht, daB er 
zwischen unsern Stuzern und den kartesianischen Teufelgen den 
eingefiihrten Unterschied zu machen wiiste; vielmehr sezet er 
beider Werth in ein belustigendes Hupfen. Und er wird wol, so 30 
lang Europa steht, die Meinung nicht fahren lassen, daB die 
Kammermadgen lauter Sontagskinder sind, die bekantlich Ge- 
spenster sehen konnen; ungeachtet die gelehrtesten Manner sich 
schon die Miihe gegeben, es ihm begreiflich zu machen, daB die 

* Dem Jeufel werden von den Rabbinen Flugel zugeschrieben. 



SCHERZE IN QUART ■ 3. ZUSAMMENKUNFT . 4-1 

ungeschmiikten Damen, welche abends und morgends den 
Kammermadgen erscheinen, keine wahren Gespenster sind und 
nur die Gestalt von ihnen entlehnen. Er urtheilt wie ein uberaus 
einfaltiger Man, wenn er glaubet, daB so wie die Turken schonen 
Bildsaulen die Nase abschlagen, um von ihnen die bosen Geister, 
die schone gern bewohnen, durch diese Verunzierung zu entfer- 
nen, daB auf dieselbe Weise schone Jiinglinge sich die Nase ab- 
schneiden lassen, damit dem Teufel der Wollust, der sich gern 
in so schone Size einmiethet, durch ihre Entstellung der Spas 

10 verleidet werde: denn dieser leztere Teufel ist es selber, der die 
Nase aus Neid zerbricht, wenn er den Jungling verlasset, damit 
hernach kein anderer Wolluststeufel sich da niederlassen konne. 
- Und aus diesem teuflischen Gesichtspunkte betrachtet der 
Teufel die ganze Welt: ia es sol mir lieb sein, wenn er von Sokra- 
tes und Addison endlich so weit gebracht worden, daB er nicht 
mehr einen Satyr mit einem Teufel verwechselt. 

Und macht es der Tod wol besser? Kaum lasset er sich beleh- 
ren, daB die Erde kein Schlachthaus und kein Maststal ist, wo die 
Geschopfe zu seinen Ebenbildern, zu Prdparaten grosgefiittert 

20 werden. Eine verstandige und wolgebildete Dame soke auf ihn 
eine sehenswiirdige und unnachahmliche Schmahschrift ausar- 
beiten: denn sagt er nicht liberal, daB die Damen, denen wir den 
Namen Engel geben, in seine[n] Augen wahre Todesengel waren, 
die entweder dem Leben, oder dem Verstande oder dem Reich- 
thume oder der Nase verliebter Manner die todtlichsten Stosse 
versezten? Kan er wol laugnen, daB er iene kalten, hiipfenden 
manlichen Gespenster in grossen Stadten, denen eine durch un- 
natiirliche Schwelgereien beschmuzte und erschopfte Jugend 
nichts ubrig gelassen als das Vermdgen, auf ihr Dasein noch zu- 

30 weilen durch einige frostige Siinden aufmerksam zu machen, im 
ganzen Ernste mit denen Todten vergleicht, die nichts mehr so 
gut verrichten als wenn sie noch lebten, nur ihre Nothdurft aus- 
genommen, deren Kopf nichts mehr als Hare und deren Hande 
nur noch Nagel erzeugen? Der Tod antworte mir: wil er es wol 
in Abrede sein, daB er wider alle Wahrheit und Hoflichkeit iene 
vornehmen Huren, welche ihren ehebrecherischen Liebhaber 



42 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

gewis weit spater urn das Leben als um die Kleider bringen, den- 
noch schon oft Henker genant, welchen die Kleider des Misse- 
thaters, den sie hingerichtet, ansterben? Daher ist auch der Tod 
nur ein schlechter Jurist und ich hab' es selbst einmal gehoret, 
daB er eine donatio mortis caussa fur eine inter vivos halten wol- 
len. Er denkt ferner, wenn zu Nachts die Menschen einschlafen, 
so sei er es, der ihnen die Augen zudriikke, da es doch bekantlich 
sein phlegmatischer Bruder thut. DaB er neulich die Schlafenden 
Figuranten unter den Todten nante, mag als ein blosser Spas noch 
hingehen. Allein ein betriibtes Beispiel, wie selbst der Tod, der ro 
uns alle kliiger macht, sich nicht kliiger macht, ist, daB er die Ge- 
falligkeit der Damen, dem Manne wenn sie ihm nichts mehr ge- 
ben konnen doch noch die Hand zu schenken d. h. ihn zu heira- 
then, fur eine Art von Recht der todten Hand* ansieht; eine 
Verwechselung, die im Munde eines Satirikers ein sehr boshafter 
Spot iiber diese Damen, die Vermogen und Gesundheit den 
Liebhabern und nur ihre Hand dem Manne zuwenden, sein 
wiirde. »Die Keuschheit stirbt am schonsten und langsamsten 
von oben herab« : eine Redensart, die der Tod oft im Munde fiihret 
und die ohne zweifel aus dem eigenen Gesichtspunkte, woraus 20 
er alles beschauet, zu erklaren ist. Wenn nur niemals diese Fehl- 
blikkedes Todes zu schadlichen Handlungen ausschlugen! Aber 
hat er nicht erst neulich, weil er ein Gesundheitsglas gar fur sein 
Stundenglas ansah und das Auslaufen des erstern fur das Auslau- 
fen des leztern aufnahm, den armen gesunden Trinker gewis- 
senlos sogleich zu Boden und ins Grab gelegt? Durch die auffal- 
lenden Meinungen, die er von den wichtigsten Personen der 
Erde heget und verbreitet, zieht er sich liberal Feinde auf den 
Hals; denn schon seit langer Zeit (und wie ich hore, sezet er's 
noch fort) geht er herum und kiindigt es liberal ab, daB er mit 30 
allem Rechte einen wandernden Quaksalber fur seinen Reisedie- 

* Nach dem Rechte der todten Hand wird der Stiftsvogt von dem 
verstorbenen Leibeigenen fur das Pferd und das Kleid, das dieser ihm vor 
Armuth nicht abliefern konnen, durch die abgehauene rechte Hand des- 
selben schadlos gehalten. 



SCHERZE IN QUART ■ 3. ZUSAMMENKUNFT 43 

ner y einen einsichtigen Arzt fur seinen Sekundanten (gestern sagte 
er doch nur Waffentrager), einen verstandigen General fur seinen 
Proviantmeister, einen gelernten Henker fiir seinen Vorschneider, 
einen Artilleristen fiir seinen Maschinenmeister, einen ordentli- 
chen Feldscherer fiir seinen Purschhund, der nur blutendes Wild- 
pret anpakket, einen Doktor der Arzneikunst fiir seinen Nunzius 
a latere*, einen kurirenden Hirten hingegen nur fiir seinen Konsi- 
storialboten ansehe und einen mit dem andern verwechsele. Sehr 
unterscheidet sich der Tod von uns alien, daB er die politischen 

10 Gesprache der Lebendigen in den Visitenzimmern zu den ge- 
drukten Gesprachen im Reiche der Todten zahlet und niemand ist 
wol noch auf den Einfal gekommen, mit ihm die Bemiihungen 
der heutigen Damen, sich unfruchtbare und kinderlose Wolluste 
zu verschaffen, fiir wahre bethlehemitische Kindermordungen 
auszugeben. Und da der Tod von gar nichts den Gedanken des 
Untergangs abzusondern vermag: so ist es kein Wunder, daB er 
sich durch keine Erfahrung iiberreden lasset, die Existenz des 
ewigenjuden zu glauben, der mich doch erst am vorigen Sontage 
betrog. - Allein der Maler wil nicht langer warten und ich mus 

20 ihn vorlassen. 

SeingrosterFehlerist, daB ihm die Welt nicht wie. [erne] Real- 
schule, nicht wie eine Trivialschule (wie mir) , nicht wie eine Sing- 
schule (wie den Poeten) sondern wie eine gute Zeichenschule vor- 
komt, in die wir durch die Geburt geschikket werden. Daher 
gefallet es ihm, daB die Natur die Wiesen mit Huysum'schen 
Blumenstukken iiberlegt. Ober die Thiere fallet er nicht das hart- 
herzige Urtheil des Deskartes, der sie zu blossen Maschinen 
macht; vielmehr halt er sie fiir die besten Thierstukke, die er kent. 
Dem Tage giebt er den Namen einer Gemaldeausstellung mit 

30 Freuden und die Nacht, welche dem Tempel der Natur seine 
schimmerndsten Zierrathen nimt, schreiet er fiir eine iibrigge- 
bliebene Bildersturmerin aus. Nicht bios grossen Helden, sondern 
auch sich selbst zu Gefallen, verweigert er einer wuthigen und 
morderischen Schlacht den Namen und den Rang eines lebhaf- 
* Der Kardinalshut, den dieser Nunzius vor einem de latere voraus 
hat, vedeihet eine Anspielung auf den Doktorhut. 



44 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

ten und natiirlichen Schlachtstuks nicht. »Hat nicht iedes Ob el 
seine besten Folgen? Und wenn es weder Pestilenz noch theuere 
Zeit gabe, welcher Maler konte sie malen? Mich dunkt aber die- 
ses sind al zu wichtige Siijets, als daB ein Maler sie sich aus den 
Handennehmenlassensolte«: aus diesem philosophischen Tone 
redet der Maler oft. Obrigens wiirde er das himlische Dekkenge- 
malde iiber unsern Hauptern so gut als einer. bewundern, allein 
die Stembilder, die darauf skizziret worden, miisten nicht so sehr 
schlecht und unformlich sein. »Jede Erde und Welt, die urn euch 
hangt, ist ein orbispictus, mit dem euch der Tod bekanter machen 10 
wird, damit ihr was lernt« sagt er zuweilen zu Nachts. Er weis 
zwischen der Gerechtigkeit, die er manchmal gemalet sieht, und 
der Ungerechtigkeit keineri andern Unterschied zu finden als 
daB iene ein allegorisches, und diese ein historisches Gemalde ist. 
»Sonst, behauptet er, wurde der Mensch aus blosser Erde ge- 
schaff en; iezt wird er aus schoner Farbenerde gemacht« : er scheint 
sonach behaupten zu wollen, daB die Kleider, die man eben mit 
Farbenerden zieret, Leute machen und daB ein Rok ein Mensch 
sei. Auchbesteht errcu£ xat Xa^darauf, daB unsere bessern Da- 
men fur ausgemachte katholische Bilder zu achten, die man mit 20 
Juwelen und Kleidern aufpuzt und vor denen man den Hut ab- 
nimt; er kan leichter behaupten als beweisen, daB die Schmin- 
ken,. womit die adelichen Damen ihre Reize heben, den Namen 
der Tinkturen heraldischer Figuren verdienen und was seine Mei- 
nung anlangt, daB eine Schone, die ihre weisse Wangen durch 
Kunst in rothe verwandelt, ein peintre en ramequin* sei, so las- 
set sich dariiber noch disputiren. Der malerische Gesichtspunkt, 
aus dem er seine Augen auf die Erde wirft, ist sehr mit schuld 
daran, daB er die Speisen der Grossen wolgestalte Schaugerichte 
heisset, da doch gewis ist, daB sie die Speisen, die sie auftischen 30 
lassen, nur selten ansehen. Mochteer doch so hoflichsein und die 
Thore in den Wohnungen derselben, vor die sie Schweizer stel- 
len, nicht blinde oder tauschendgemalte Thore nennen, welche 
den Zutrit sowol verheisseri als verbieten! Und wenn ihm eine 

* Ein Maler auf - Kas. 



SCHERZE IN QUART • 3. ZUSAMMENKUNFT 45 

schone Blume minder gefallet als die Farbepflanzen, die in den 
Stand sezen, iene nachzubilden: so ist ihm das leichter zu glauben 
und verzeihen als wenn er furstliche Braute stets unter dem Bilde 
findet, das sie von sich vorangehen lassen und fur das ihn nichts 
so sehr auf Kosten derselben einnehmen konte als sein Geschmak 
an der Malerei. Da er endlich diese Welt eine camera obscura ei- 
ner bessern nent, aus welcher leztern sich einige verkleinerte Bil- 
der in die unsrige verlaufen haben: so mus ich wol folgern, daB 
der Mensch kein Mikrokosmus, nicht einmal ein Mikrovestis 
10 (wie doch Swift sagt) sondern ein blosses Miniaturbild und ein 
fliegender Schatten ist; allein das macht mich so traurig, daB ich 
nicht langer fortfahren kan, zu scherzen. 

VII. 

Wahnsinnige Sprunge, wodurch ich mich und den Leser einzuschlafern 

trachte 

Leibniz lobet das Zahlen als das beste Mittel der Einschlaferung 
an. Einige alte Philosophen luden den Schlaf durch Musik ein, 
die indessen selbst wieder eine unvermerkte Ausiibung der Re- 
chenkunst ist. Zuweilen schlafere ich mich ein, indem ich alle 

20 meine Denkkrafte auf Eine unbedeutende oder sinlose Idee ein- 
schranke und hinhefte und ich erinnere mich, daB ich mich ein- 
mal durch die Betrachtung eines lateinischen M in Schlummer 
brachte, das so gros war wie ich und auf dem ich wie ein Narri- 
scher auf und niedersprang. Indessen schlug das Hiipfen der 
Ideen alzeit am besten an. Denn da der Traum der Ubergang 
vom Wachen in den Schlaf und wieder von diesem in ienes ist, 
das heisset, da wir vor dem Einschlafen rasen mussen: so ist es 
natiirlich, daB ein unbandiges Springen unter den Ideen herum, 
das uns dem Zustande der Raserei naher bringt, uns zugleich in 

30 den des Schlafes versezet. Ich wil daher dem Leser erstlich mit 
dem Wahnsin aufwarten, womit ich mich einschlafere, und das 
um so lieber, weil - denn ich wolte oft die Scheidewand zwi- 
schen Raserei und Laune in Augenschein nehmen, habe aber nie- 
mals eine angetroffen - etwas Rasendes selten ohne alle Laune 



4.6 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

ist. Der Zusammenhang mangelt folgendem Unsin also vollig: 
- es solte Mode werden, daB man mich eine Zeitlang lobte . . . 
und daB man sich anstelte, als ob man algemein verniinftig ware 
. . . und Paris solte seine besten Moden - sogar Deutschland 
selbst solte Mode werden - sich aus Deutschland verschreiben 
und sich stat der Puppen unsere Weiber und stat unserer Weiber 
unsere Manner mit vielen Kosten kommen lassen . . . Aber das 
Gesez der Ideenassoziazion erklart es ganz und gar nicht, warum 
ich unter so vielen Ahnlichkeiten gerade die schlechteste, oder 
die schonste oder die mittelmassigste ausklaube und ergreife und 10 
warum sollen ahnliche Ideen begreiflicher und leichter auf ein- 
ander folgen konnen als unahnliche . . . Inzwischen vernehmen 
wir alle von der Spharenmusik, die am Himmel aufgespielet 
wird, nicht Einen Laut und der Himmel hat wahrhaftig kein 
Efloch* . . . und warum verstekt die schnelle Zeit ihre grossen 
grauen Fliigel unter blizende goldene Flugeldekken und macht 
mir was weis . . . Denk' ich aber der Sache weiter nach, so find' 
ich, daB der Mensch das beste schlechte Ding auf dem grossen 
Rund der Welt ist und daB bei ihm und bei den Noten in der Mu- 
sik bald der JCop/bald der Schwartz oben ist und die Oberhand 20 
hat . . . gluklich sind die feurigen Damen am Hofe, desgleichen 
die ungluklichen Kastraten, die die Elektrizitatstrdger der feurigen 
Damen sind . . . wie denn auch die schonsten und schimmernd- 
sten Laster bis auf den Faden abgenuzte Sontagskleider sind, die 
ieder Nar iezt alle Tage tragt . . . Indessen wird an Hofen doch 
des Widders geschonet und er mit einem Isaak geloset, den 
Abraham an dessen Stelle opfert und schlachtet . . . Man saume 
aber nicht und werfe der Welt Staub in die Augen, der Konig 
Goldstaub, der Rektor Schulstaub, der Poet Federstaub von seinen 
Fliigeln und die schone Dame und Blume Blumenstaub, so wird 30 
alles wol gehen . . . Daherkan ich nurwenig und schlechte Wolle 
von dem gegenwartigen Leben scheren und mus mich ganz und 
gar an den herlichen Fetschwanz desselben, an das kiinftige Le- 
ben, halten . . . Und so wird man oft im grosten Spasse traurig 

* Die Schallocher an der Violine nent man so. 



SCHERZE IN QUART • 3. ZUSAMMENKUNFT 47 

und denkt nach und weint ohne Bedenken und greift nach einem 
Betaufhelfer, an dem man sich aus dem elenden Bette dieses Le- 
bens schwinge in eine hellere Welt, wo man gliiklich und ver- 
standig ist . . . Swifts Raserei ist ia die beste Tragodie und ich 
werde von ihr zu tief beriihrt . . . Hofleute sind bei allem dem 
von einigem Werth: denn hat nicht der Engel Michael, da er mit 
dem Teufel Whist urn Selen spielte und alles verlor, ihm hundert 
tausend Hofleute als Spielmarken gegeben? aber er hat seine 
Spielschuld langst getilgt . . . Unddennoch woltederPabstdem 

10 und ienem das Thor des Himmels aufsperren und dachte, er 
hatte das Mistthor Jerusalems vor sich, wie denn einige Pfarrer 
dachten, sie hatten das Schafthor Jerusalems vor sich . . . die 
Lampe der Vernunft wird fast allemal angeziindet, wenn die 
' Blutlampe* erlischt und ich hore den Athem der Konige, wie er 
wie ein Sturm iiber die Welt hinblaset und ganze Regimenter 
Blutlampen ausloscht . . . und ich sehe einen Fleischhakkerstok, 
den ich mit einem Thron verwechsele . . . und es fliegen neben- 
einander Weiber und Puppen, nakte Geistlichen und angezogene 
Kanzeln, und die grosse Welt und ihr iiingster Tag, und der 

20 Teufel samt seiner guten und seiner bosen Sele, und der Tod an 
der Hand des Schlafs ... 

Ich wil abbrechen, um nicht durch den fernern Verfolg dieser 
wahnsinnigen Spriinge, die immer weiter und schneller werden, 
den Verstand des Lesers selbst aufs Spiel und in Gefahr zu sezen. 
Ich versprach aber zweitens auch, durch andere Spriinge, die in 
der That nichts als abgerisseneSatiren sind, den Leser selber einzu- 
schlafern, indemich ihn um seine Vernunft bringe. Hier sind sie: 
Eine gute Kriminaliurisprudenz wird nie saumen, den Selbst- 
morder mit den Strafen, die abschrekken und bessern, zu bele- 

30 gen, sondern sie wird such en, ihn entweder schon eh' er sich er- 
hangen, aufzuhangen oder ihn doch nachher, nachdem sie ihn 
wieder zum Leben gebracht, an den Galgen zu thun. 

Goropius Bekanus berichtet uns, daB die Monche Sterbenden 

* Die Blutlampe oder Lebenskerze wird durch Prozesse der hohern 
Chemie aus Menschenblut gemacht, kundigt die Gemuthsveranderun- 
gen eines Menschen an und erlischt bei seinem Tode. 



48 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

einen Schweinskopf vorzuhalten gewohnt gewesen, um ihnen 
dadurch die siindliche und epikurische Ahnlichkeit, die sie mit 
diesem Thiere hatten, zu Gemuthe zu fuhren. Mir traumte, ich 
hatte in Bayern einen fetten Monch gesehen, der glaubte, bei 
dem Sterbenden, dessen Augen ohnehin schon brachen, den 
mangelnden Schweinskopf durch seineri eignen ersezen zu kon- 
nen. Er wies daher mit seinen beiden Handen an seinen Kopf und 
redetedem Sterbenden so zu: »du Siindenkind! du hast dich, wie 
das Schwein, dessen Kopf ich hier auf dem Halse habe, in allem 
Schlam gewalzet. Betrachte diesen Kopf, den ich deiner Busse 10 
wegen mitgebracht: du warst so wenig wie dieses Schwein 
keusch, du frassest und soffest wie das und grunztest den ganzen 
Tag. Bekehre dich doch in deiner lezten Minute, denn du stirbst 
den Augenblik und bist ia schon ohne Verstand!« 

Simonides sagt, Got allem verstehet die Metaphysik recht; 
und ich sage, der Teufel allein hat die Politik volkommen inne 
und die besten italianischen Hofe sind wenig mehr als blosse 
Echo's desselben. 

Hume erzahlt, daB ein buklichter Kerl sich in der rue de Quin- 
quempoix in Paris wahrend dem Missisippihandel durch seinen 20 
grossen Bukkel ernahrte, den er den Aktienhandler[n] stat eines 
Schreibpults darhielt und worauf man die Kontrakte unter- 
schrieb. Daher klag' ich und seufze ich stets, daB ich mich da- 
durch erhalten mus, daB ich nur ein schreibendes Wesen vor- 
stelle und nicht eines, worauf geschrieben wird. Wie viel besser 
ist es auf dieser Welt, einen grossen Bukkel als einen grossen 
Kopf zu haben! 

Die Konige in Frankreich begleiteten die Beriihrung eines 
Menschen, dem sie von seinem Kropfe helfen wolten, alzeit mit 
den Worten: le Roy te touche et Dieu te guairit (der Konig be- 30 
riahrt dich und Got heilt dich). Ungeachtet die meisten Arzte die 
wunderbare Gabe, gesund zu machen, mit den Konigen von 
Frankreich gemein haben: so diirften sie doch auch die From- 
migkeit derselben ein wenig nachahmen und zum Kranken et- 
wan so sagen: » der Stadt- und Landphysikus betastet deinen Puis 
und beriihrt deine Stirne; aber Got stellet dich wieder her.« 



SCHERZE IN QUART • 3. ZUSAMMENKUNFT 49 

Wenn wir kriegen, so spielen die Teufel Schach mit uns und 
wir sind ihre Figuren; gleich gewissen unruhigen und unrecht 
begrabenen Todten, frisset dan die Menschheit sich selber. 

Jener Tiirke befahl seiner Sele aus Frommigkeit, sich aus sei- 
nem Korper, eh' er ihn mit Wein anfiillete, fortzumachen; und 
so soke ieder grosse Kopf der Verdauung wegen der seinigen 
untersagen, ihn bis an die Tafel zu begleiten. Daher isset kein 
Mensch mit so vielem Verstande als einer, der gar keinen hat. 

In der Monarchic stehen wie in einem schlechten ohne Per- 
10 spektiv gemachten Gemalde, die Figuren, die hinter einander 
stehen sollen, uber einander. 

Johnson erzahlt in seinem Rambler vom Ritter Matthias Hale, 
daB er seinen Entschlus, sich dem strengsten Christenthum zu 
widmen, verborgen gehalten, damit nicht die Ehre der From- 
migkeit unter seinen etwannigen Fehltritten leiden moge. Wenn 
man indessen mit den iezigen Grossen, die Religion zu haben 
laugnen, vertrauter wird: so macht man die Bemerkung bald, 
daB sie ein ahnliches Lob ganz wol verdienen. In ihrem Kabinete 
und Herzen sind sie der Religion so gut als einer ergeben und sie 
20 hangen nur gar zu sehr auf ihrer Seite; allein eben diese Liebe fiir 
dieselbe halt sie ab, ihre Frommigkeit bekant werden zu lassen 
und rath ihnen an, es iedem wo moglich auszureden, daB sie nur 
die geringste Religion besizen; weil sie zu sehr besorgen mussen, 
durch ihre Handlungen auf den Ruf einer Religion, zu deren An- 
hanger sie sich bekenten, ein schimpfliches Licht zu werfen: lie- 
ber stellen sie sich als Bekenner der Nichtreligion an, um die- 
selbe durch ihr Rauben, ihr Huren u. s. w. geschikt zu 
beschimpfen und das Lob, das sie ihr mit Worten geben, durch 
Werke wieder zu untergraben, wie sich etwan Hofleute fiir eine 
30 Sache erklaren, um unter dem Dekmantel der Sorge fiir sie die 
Rathgebungen anzubringen, die sie gerade zu hintertreiben die- 
nen. 

Madame des Houlieres behauptet in ihren Idyllen, ein Schops 
ware viel gluklicher daran als ein Mensch. Indessen find' ich, daB 
einer, derbeides zusammen ist, doch noch weit gluklicher ist. 

Nach Herder unterscheidet sich der Affe durch die Werkzeuge 



50 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

des Ganges vorziiglich vom Menschen; und wenn man einen 
Tanzmeister genau betrachtet, findet man wol einen andern Un- 
terschied zwischen ihm und einem Menschen als auch den der 
Beine? 

Rauber und Aufriihrer wurden zuweilen bestraft, indem man 
sie auf einen gluhenden Thron sezte und mit einer gluhenden 
Krone und einem gluhenden Szepter versah. Helden und glukli- 
che Heerfiihrer bekommen zwar auch das, allein alle drei, 
Thron, Szepter und Krone sind ganz kalt und sie konnen diese 
daher lebenslang ohne sich zu verbrennen, behalten und genies- 10 
sen. So wurde in England denen, die das beneficium cleri erlan- 
gen, sonst ein heisses, iezt ein kaltes Eisen in die Hand gedriikt. 
Auch fallet mir die altdeutsche Probe mit dem gluhenden Eisen, 
iezt ohne alle Veranlassung ein, das mancher Obelthater ohne 
Schaden hielt. 

- Das sind nun einige narrische Sprunge. Oberhaupt war dies 
die Gelegenheit, auf die ich lange gepasset, einige schlechte Ge- 
danken loszuwerden. Jedem Autor mus ein gewisser Plaz in sei- 
nem Buche verwilligt werden, den er einzig und allein dazu an- 
wenden darf, darauf seine elenden Ideen auszuladen. Man mag 20 
nun dies en Plaz unter dem Namen einer Miststatte begehren, 
oder einer Freistat, in welche die Gedanken fliichten diirfen, de- 
nen der Geschmak mit Feuerbranden nachsezt; man mag ihn ein 
Ei sf eld nennen, das in seiner Kalte schimmert und keine Friichte 
tragt, oder auch einen Gottesakker, wo ich meine todten Einfalle 
begrabe: so ist doch ausgemacht, ieder Autor mus so einen Plaz 
nothwendig haben. 

Ich wil uberhaupt den Leser zu meinen Bibliotheken fuhren. 
Ich habe etliche 40 Bibliotheken in meinem Besize, die ich - man 
kan es beinahe gar nicht glauben - insgesamt selbst geschrieben 30 
und ausgesonnen habe. Es ist eine alte Gewohnheit von mir (ich 
weis nicht, ob sie nachgeahmet zu werden verdienet), daB ich 
alle die geistliche Speise, die meine Sele etwan vonnothen hat, 
selber koche und zubereite und von den meisten Buchern, die 
ich lese, bin ich der Verfasser, so wie der Sophist Hippias sich 
vor den Ohren des ganzen Griechenlands das Lob beilegen 



SCHER2E IN QUART • 3. ZUSAMMENKUNFT 51 

konte, daB er alles, was an ihm leibte und lebte, selber zuge- 
schnitten und verfertigt habe. Ich habe eine hiibsche theologi- 
sche Biichersammlung, die iiber alle moglichen Gegenstande in 
diesem Felde herliche Abhandlungen enthalt und die ich selbst 
geschrieben und mit meiner Handpresse selbst gedrukt habe; 
desgleichen eine Samlung von iuristischen Schriften, die ich 
fleissig studire und die sich ebenfals meine geistigen Kinder nen- 
nen. Wil ich in der Heraldik grossere Schritte thun: so sperre ich 
mich in meine heraldische Bibliothek ein und mache mich da mit 

10 den besten Werken bekant, die iiber die Wappenkunst aus mei- 
nem Kopfe und meiner Feder geflossen. Sehne ich mich, meine 
alchymistischenKentnisse aufgeklart zu sehen: so nehme ich die 
Schriften, die ich iiber die Alchymie ausgearbeitet, in die Hand 
und bemuhe mich, den Schlussel zu denselben ausfiindig zu ma- 
chen und sie dadurch, daB ich sie verstehen lerne, in .Gold zu ver- 
wandeln. Und so hab' ich in iedem Fache etwas geschrieben, das 
gut ist und das die Absicht und das Vermogen hat, mich wenn 
ich es amsig lese, in alien Wissenschaften emporzubringen und 
meine Kentnisse theils zu berichtigen theils zu erweitern: sogar 

20 eine kritische Bibliothek hab' ich, die mich das Gehalt meiner 
andern Bibliotheken genau angeben lehret und deren Rezensio- 
nen mich durch den sanften und tadellosen Ton, in dem sie von 
mir abgefasset worden, stets anziehen und erbauen konnen und 
werden. Soke daher der Leser, wie ich vermuthe, durch mein 
gcgenwartiges Buch veranlast werden, mir das Lob eines beson- 
dern Genies und einer ausgebreiteten Gelehrsamkeit zu geben: 
so mus ich dieses Lob, wenn ich gerecht sein wil, von mir ab- 
schieben; sondern bios dem Fleisse, den ich Tag und Nacht auf 
die Lesung der von mir geschriebenen Bibliotheken gewendet, 

30 hab' ich es zu verdanken, daB ich gegenwartig einige Stralen des 
Ruhmes schiessen kan und iiber meine schriftstellerischen Ne- 
benbuhler so weit hervorsteche. Inzwischen kan man daraus 
auch abnehmen, auf was fur einen Grad der Vorziiglichkeit ich 
das gegenwartige Buch habe treiben konnen, da es nichts mehr 
und nichts weniger als eine reiche Quintessenz aus alien meinen 
Bibliotheken ist; und in der That kan man es keinem, der die 



52 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

wichtigsten Glieder seines Korpers, namlich seinen Kopf und 
sein Herz zu bilden wiinscht, oft genug einscharfen, daB er diese 
grosse Bildung am besten von den Handen der »Scherze in 
Quart « sich versprechen diirfe . . . Hier ist aber die erste Biblio- 
thek. 



VIII. 

Bibliothek von Schriften die Schauessen betreffend 

Ich wil dem Leser die ganze Bibliothek vorlesen. Das erste Buch, 
das der Leser hier vor sich sieht, lautet so: 



1 . Kochbuch fur die Augen, das ist, verniinftige und weitlauftige An- 10 
weisung, Schaugerichte aller Art zu verfertigen, zu giessen, zu formen 
und auch zu drechseln 

(Von diesem kostbaren Bucheist noch nichts als die Vorrede ans 
Licht d. h. in diese Bibliothek getreten (wie denn uberhaupt iede 
Auflage dieser Schriften immer zwei Exemplare stark ist, das 
geschriebene und das gedrukte) und ich bin noch nicht im 
Stande, die Anweisung selbst zuliefern, da ich bis zur Zeit noch 
keine gefunden. Die Vorrede nun saget so:) 

Das Essen ist dieienigeEigenschaft, wodurch sich der Mensch 
von alien leblosen Geschopfen des Stein- und Pflanzenreichs 20 
merklich unterscheidet; so wie ihn das Vermogen zu lachen, von 
den Thieren absondert und wie er weiter hinauf von hohern We- 
sen und von den Cherubinen dadurch sich trent, daB diese Ver- 
nunft haben - indessen nicht bios die Thiere werden an der Hand 
des Todes uns nachsteigen und endlich lachen lernen, sondern 
auch wir werden hohern Wesen nachriikken und nach dem Tode 
zur Vernunft kommen, die uns anstirbt. Daher ist es der Bestim- 
mung eines Geschopfes wie der Mensch, das kein miissiges 
Pflanzenleben fiihren sol, gemas und vortheilhaft, daB es taglich 
etwas zu essen trachte und durch iede Speise, die es einnimt, sich 30 



SCHERZE IN QUART • 3. ZUSAMMENKUNFT 53 

iibe und anschikke, eine noch bessere und schwerere geniessen 
und vertragen zu konnen. Es kan nicht fehlen, daB der Mensch, 
wenn er so almahlig in den Fusstapfen der Natur fortgefuhret 
wird, endlich aus dem schwachen Kind, das wenig oder nichts 
verdauet, zum volkomnen und reifen Manne heranwachset, der 
viele und schwere Kost einnehmen und bezwingen kan, zu ei- 
nem ausgebildeten Btirgermeister, der einer Rathsmalzeit bei- 
zusizenvermogendist, zu einem wizigen Kopfe, der sich an eine 
vornehme Tafel schikt, zu einem ordentlichen Gesandten, der 

10 liberal zurEhre seines Hern (es miiste denn zum Schaden dessel- 
ben wegen Bestechung sein) zu speisen im Stande ist oder gar 
zu einem guten Regenten, der seine Tafelgiiter gut und ihrer Be- 
stimmung zustandig benuzet und anleget. Unsere hohen Schu- 
len, unsere Kriegs- und sogar Judenschulen miissen daher nichts 
als eben soviele Kostschulen sein, aus denen wir die tauglichen 
Subiekte fur die verschiedenen Amter Ziehen konnen, die nichts 
sind als verschiedene Arten zu essen: ein Geheimer Rath z. B . ist 
ein Mitglied des Staates, das anders und besser zu essen verbun- 
den ist, als sein Sekretair; das Geschaft eines Monchs ist, Fische 

20 zu verzehren; der Nahrstand - er heisset so, weil er die andern 
ernahret - ist geschaffen, damit er sich an den Vegetabilien 
weide; andere Stande miissen sich mit der Verdauung des Flei- 
sches und Aases abgeben; hohere Stande werden ihre Pflicht er- 
fiillen, wenn sie viele Insekten und Wiirmer (Frosche, Austern 
p.) fressen; den Friseur wird man loben konnen, wenn er viel 
Pudermehl - das sonst auf den Kopfen ohne alien Genus um- 
komt- schmauset und einzieht, bis er an einer Brustkrankheit 
stirbt; der Gelehrte und der grosse Man hingegen wird auf den 
Ruhm, das Seinige gethan zu haben, Anspruch machen durfen, 

30 wenn er so wenig als moglich konsumirt, ia wenn es moglich 
ware sich wie das Chamaleon bios mit der Luft des Lobes saturirte 
oder behalfe; und nur grossen Potentaten liegt es endlich ob, 
Marktflekke, Stadte und ganze Lander zu verschlingen und zu 
schmausen. Ober die Ursachen und Endabsichten davon verlei- 
het uns die Philosophic den Aufschlus. Sie sagt uns, daB die Ge- 
wachse insgesamt keinen Magen haben und daB sie daher gewis- 



54 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

ser Maschinen, die an ihrer stat ihre Nahrung zermalmen, . 
kochen und zubereiten und von denen sie selbige unter der Ge- 
stalt des Mistes schon ganz zugerichtet uberkommen, nicht 
leicht Umgang haben konnen. Diese Maschinen nun sollen die 
Menschen wirklich sein, sie sollen sonach den neuen Koch- und 
D amp f maschinen in England gleichen; so wie die Hunde und an- 
dere Raubthiere in Riiksicht der Knochen Koche des Pflanzen- 
reiches sind und gute papinianische Maschinen abgeben. Wahr- 
scheinlich ist dieses Verdauen auch unsere vorzuglichere 
Bestimmung in ienem Leben; diese Erde scheint nur ein Voressen 10 
zu einer kiinftigen zu sein und von dem grossern oder geringern 
Fleisse, mit dem wir schon hienieden die Vervolkomnung und 
Starkung unsers so weit von seiner urspriinglichen Hohe gesun- 
kenen Magens besorget haben, werden wir die Menge und den 
Werth der Speisen hoffen miissen, die dort seiner warten, um 
durch ihn fur feinere Gewachse in feinere Nahrung verwandelt 
zu werden. Daher haben die Personen, die aus den Banden der 
Erde sich aushenkten und bios den Vorbereitungen fur die kiinf- 
tige Welt nachhiengen, stets die Sorge fur ihren Magen zu ihrer 
ersten Angelegenheit erhoben und noch iezt fehlt es in den Klo- 20 
stern nicht immer an den bessern Mannern, die sich von irdi- 
schern und bios auf ihren Kopf bedachten Weltleuten dadurch 
unterscheiden, daB sie nach den besten und grosten Schusseln 
ringen*; so daB man doch noch auf sie anwenden kan, was der 
alte Sebastian Francus singt: 



* Daher sieht der Pater Provinzial bei der Visitazion eines Klosters auf 
nichts so sehr als auf die Gute der Malzeit, die man ihm giebt, und be- 
stimt darnach den ganzen Werth desselben: von Klostern, wo er schlecht 
isset, vermuthet er leicht, daB es mit ihrer Sorge um ihre Sele d. h. um 
ihren Magen schlecht bestellet sein musse. Und so mus umgekehrt 
dasienige Kloster stets seinen Beifal erlangen, das am besten Schaze auf- 
haufet: denn diese bahnen eben den Weg zur Vervolkomnung des Men- 
schen und zu seiner Sattigung, so wie von der Grosse des Honorariums, 
das dem P. Provinzial gegeben wird, die Bestimmung dieses leztern 
ganz abhangt. 



SCHERZE IN QUART • 3. ZUSAMMENKUNFT 55 

Kleyder auB, Kleyder an, 
Essen, Trinken, Schlaffen gan, 
1st die Arbeit, so viel Orden han. 

Selbst den schlechtesten Religionen ist diese Hofnung besserer 
Speisen nach dem Tode nicht ganz unbekant und die Erdichtun- 
gen Muhammeds haben den Werth des Paradieses gerade in das 
gesezet, worein auch die Wahrheit ihn sezet. Wenn van Helmont 
Recht hat, den Magen zum Size der anima sensitiva zu machen 
oder ein anderer Arzt, der ihn fur das zweite Gehirn ausgiebt; 

10 wenn ferner Bonnet Recht hat, daB die Sele sich aus unserem 
Korper mit der Biirde eines kleinen Korpers, eines kleinen Ge- 
himgens wegbegebe: so scheint es, man konne es nicht mehr 
Iaugnen, da6 sie eine Art von kleinem feinerm Magen - an den 
wahrscheinlich alle die Volker eben dachten, die die Todten mit 
Speisen versorgen und begraben - mit sich aus der Welt in die 
kunftige hinubernehmen werde. Und das ist eben der Magen, 
der grobe Nahrung verschmaht und sich bios mit Schaugerich- 
ten sattigt: man kan ihn den platonischen nennen, um ihn nicht 
mit dem andern, der der biiffonsche heissen mag, zu verwirren. 

20 Jeder Mensch ist mit diesen doppelten Magen, mit dem grossen 
und dem kleinen, versehen so wie mit dem grossen und kleinen 
Gehirn; allein in wenigen wird der kleine abgewartet und ange- 
bauet und die meisten glauben, sobald sie nur den grossen nicht 
ganz vernachlassigen, nun nichts weiter mehr fur ihre Bestim- 
mung thun zu miissen. Besonders erfahret dieser feinere Magen 
von den Wilden und Landleuten eine unglaubliche Verabsau- 
mung und bekomt selten einen Bissen. Es scheint auch, daB seine 
Pflege eine,Verfeinerung vorausseze, die man nicht liberal an- 
trift. Denn der grobe Magen im Unterleibe ist eine untere Selen- 

30 kraft, aber der feinere, der bei uns wie bei den Krebsen im Kopfe 
sizt, ist eine obere Selenkraft und wird daher von alien Menschen 
so sehr verwahrloset. Diesem leztern Magen wird uberdies seine 
Kost durch den feinsten Sin, durch die Augen zugefuhret; eine 
Art zu essen, die fur die meisten zu fein ist und von der selbst 
ienes Volk im Ktesias, das vom Geruche gewisser Apfel zehrte, 



56 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

nur einen sehr irdischen Vorschmak hatte, weil es noch weit 
geistiger ist, mit den Augen als mit der Nase zu schmausen und 
weil der Geruch der Speisen noch immer mehr sattigt als die Phy- 
siognomic derselben. Endlich kan der himlische Magen nur auf 
Rechnung des irdischen begiinstigt werden und nie vertragen sie 
sich mit einander; dieser mus daher erst durch Oberladung zum 
Schweigen gebracht, entkraftet und getodtet worden sein, eh' 
man hoffen darf , ohne Zerstreuung an der Sattigung des himli- 
schen zu arbeiten: darum giebt es bei Schaugerichten keinen 
schlechtern Koch als den Hunger und wie man behauptet, daB 
ein Lasterhafter an dem ganzen Himmel wenig Vergniigen fin- 
den wiirde, weil seine Verdorbenheit ihn zur Holle harmoni- 
scher gestimt, so kan man gleichfals sagen, daB ein Mensch, der 
noch mit den Foderungen des groben Magens zu kampfen hat 
und der von den niedrigen Befehlen desselben sich noch nicht 
losgemacht, d. h. ein hungriger an einer Tafel vol der herlichsten 
Schaugerichte, nur wenig Vergniigen schmekken wiirde. AUein 
zu dieser Ertodtung des irdischen Magens gelangen nur sehr we- 
nige, und in der That bios einige Grosse und etwan manche Da- 
men, welche leztere so wie Christus (nach der Behauptung des 
Klemens von Alexandrien) Speisen genos, nicht weil er sie be- 
durfte (denn eine himlische Kraft ernahrte ihn) sondern weil er 
dadurch dem Verdachte eines Scheinkorpers vorbauen wolte, 
wirklich weniger des wegen Speisen zu sich zu nehmen scheinen, 
weil sie ihrer vonnothen haben (denn die Schauessen erhalten sie 
schon) als darum, weil sie den Verdacht, einen blossen Schein- 
korper zu haben, einen Verdacht, den ihre Schein-SX/ zngen, 
-Hare und -Adern ohnehin schon so sehr erwekken, nicht durch 
vollige Enthaltung vom Essen noch mehr unterhalten wollen. 
Ist es daher ein Wunder, daB diese Art der Ernahrung, die eine 
gewisse Erhabenheit des Geistes, eine gewisse Herschaft iiber die 
niedrigern Gefiihle zum voraus sezet, bei unpolizirten Volkern 
noch gar nicht, und bei polizirten noch nicht viel weiter vorge- 
drungen ist als zu den wenigen Grossen, die durch den Adel ihrer 
Geburt und ihrer Denkungsart iiber die Menge hinausragen? 
So stelle ich mir den Ursprung und Endzwek der Schauge- 



SCHERZE IN QUART - 3. ZUSAMMENKUNFT 57 

richte vor, in deren Verfertigung mein Buch so gliiklich unter- 
weiset. Indessen hegen andere Philosophen hieriiber wieder an- 
dere Meinungen und ich halte mich verbunden, die 
hervorstechenden Gedanken auszulesen und hier zusammenzu- 
tragen. Ich sehe iiberhaupt die Samlung fremder Erfindungen 
fur gar keine Arbeit an, die sehr unter der Wiirde eines Mannes 
ware, der eigene machen kan und ich habe bisher vielmehr ge- 
glaubt, mirdurch dieienige Samlung aller sonderbaren Meinun- 
gen iiber die unbedeutendsten Dinge, die ich iezt unter der Feder 

10 habe, einen weit dauerhaftern und grossern Ruhm zu erwerben 
als alle meine bisherigen Arbeiten mir brachten; ich wenigstens 
bin alzeitbegierig, iiber die geringfugigste Sache die verschiede- 
nen und unterhaltenden Meinungen aller Philosophen zu erfah- 
ren und ich hore es stets mit Vergniigen, wenn so iede philoso- 
phische Sekte iiber ein so unerhebliches Ding wie z. B. ein 
Fidelbogen ist ihre eigene Gedanken hat und iede ihre eigenen 
Wege einschlagt, den Fidelbogen ohne Schaden ihrer Lehrge- 
baude unterzubringen. 

Die alteste Meinung scheint der meinigen und der Wahrheit 

20 noch am nachsten zu bleiben. Sie sagt, daB in den altern Zeiten 
gar niemand daran gedacht hatte, die Speisen zu essen: sondern 
liberal wurden sie bios angesehen. Kurz darnach wurde die 
ganze bewohnte Erde stokblind und mithin ganzlich unvermo- 
gend, mehr einen Bissen zu geniessen und mit den Augen zu 
verschlingen. Es ware vielleicht iederman aus Mangel des Ge- 
sichtes Hunger gestorben, wenn nicht gliiklicher Weise ein ge- 
wisser Koch, der an den Thieren oft bemerkt hatte, daB sie die 
Nahrung nicht bios mit den Augen, sondern auch mit dem 
Munde verschlukten, auf den Einfal gerathen ware, von den 

30 Thieren, die uns alle Erfindungen geliehen haben, auch die Er- 
findung des Essens zu entlehnen. Er versuchte es daher, von den 
alten Schaugerichten Abformungen zu nehmen und nach ihnen 
die weichern Speisen (denn die Schaugerichte waren auf die 
Dauer gemacht und hart) zu bilden und zu bakken, die wir noch 
haben. Er lies es almahlig bekant werden, daB er ein Mittel 
wisse, wie Blinde den Mangel des Gesichts bei Mahlzeiten durch 



58 JUGENDWERKE ' 4. ABTEILUNG 

das Gefuhl, das auf der Zungeund am Gaumen am feinsten ware, 
leicht ersezen konten: zum Oberflus gab er noch vornehmen 
Herren und Damen wochentlich zweimal Unterricht, wie sie die 
Zunge und die Kinbakken hin und her bewegen miisten, um 
seine neuen Abbildungen der Schaugerichte gehorig zu befuhlen, 
gerade so wie man iezt die Stummen die Sprachwerkzeuge be- 
wegen lehrt. Die zermalmten Speisen schob er alzeit sanft mit 
einem altcn Ladestokin die Speiserohre hinunter. Durch den Bei- 
stand eines grossen Nusknakers, mit dem er den Mechanismus 
des Kauens vormachte, brachte er es wirklich bald dahin, daB 10 
seine vornehmen Schiiler ohne Anstos kauen konten und ganz 
fertig assen. Diese brachten es wieder andern bei, das Kauen 
wurde endlich auch von dem gemeinen Manne nachgeaffet und 
in Kurzem as man algemein mit dem Munde. Auch wurden die 
Verdienste des alten Koches nicht verkant; ieder Poet beeiferte 
sich, ihn dafur durch Verse zu belohnen und wie der Prinz Sans- 
severo gelobet wurde, dafi er den Bienen das Honigmachen, 
oder Montgolfier, daB er den Vogeln das Fliegen abgelernet 
hatte, so wurde der Koch bewundert, daB er den Thieren das Es- 
sen abgemerket: iiberhaupt wird nicht iedem grossen Manne der 20 
Lohn seines Werths erst nach seinem Tode ausgezahlt und Kop- 
fen, die sich glanzende Verdienste um die Okonomie oder ahnli- 
che erworben haben, huldigt man stets bei ihrem Leben schon; 
darauf zielteich, als ich neulich einen gewissen Kerl, der mit sei- 
nen elektrischeh und andern Kunststiikken im Lande herumzu- 
ziehen nicht den Muth hatte, weil er erst nach seinem Tode be- 
lohnt und geschazet zu werden besorgte, auf seine trefliche 
Fuchswittemng aufmerksam machte und vertrostete, die ihn ge- 
wis nicht fallen liesse und um deren willen allein kein Land- 
edelman ihn verkennen wurde. Man bemerke noch, wie schon 30 
die Geschichte hier mit der Behauptung des La Mettrie zusam- 
mentrift, daB wir den Mund nicht zum Essen haben, sondern 
daB wir ihn nun einmal, weil wir nichts bessers damit zu thun 
wissen, von ungefahr dazu anwenden; denn in der That fiel erst 
der oft besagte Koch darauf und ohne ihn war' es noch eine 
grosse Frage, ob wol iezt einer von uns alien und La Mettrie 



SCHERZE IN QUART ■ 3. ZUSAMMENKUNFT 59 

selbst den Mund zum Essen zu gebrauchen und zu niizen wiiste. 
Inzwischen wurde hernach der ganzen Welt der graue Staar ge- 
stochen; allein man hielt es, ungeachtet iederman seine Blikke 
wieder an den alten Schaugerichten vollig sattigen konte, doch 
nichtfurgut, dieneuen Abbildungen derselben darum abzudan- 
ken, sondern glaubte, es konten neben Speisen fur das Auge auch 
Speisen fur den Gaumen gut bestehen und es konte nichts scha- 
den, wenn Sehende auch so assen als ob sie noch Blinde waren. 
Wie es scheint, so wollen die Augen der Menschen, die die 

10 Scharfe des wilden Zustandes ganz verloren haben, den Verfal 
der Schaugerichte ieden Tag vermehren und die Besorgnis, daB 
mit der Zeit die Menschen ihre Sattigung wol ganz und gar nur 
auf kaubare Nahrung einschranken werden, scheint sich taglich 
dermassen zu bewahren, daB fur die, welche den Menschen gern 
in den vorigen Stand einer geistigern Sattigung gesezet erblik- 
ten, immer schlechtere Hofnung iibrig bleibt, vielmehr einen 
ganzlichen Verfal der Gaumenspeisen zu erleben und die aus- 
schliessende Einfuhrung der Schaugerichte vielleicht dadurch zu 
beschleunigen, daB sie gewisse Brillen schleifen, welche nach- 

20 stens ans Licht treten sollen, die bei dem Essen der Schaugerichte 
auf gesezet werden konnen und die den Kas erreichen sollen, 
durch dessen Genus der Wein so schmakhaft wird. Wenn ubri- 
gens die Kalmiikken und einige Braminen behaupten, daB die 
Geister anfangs den Genus ihrer Liebe in blosses Anschauen sez- 
ten und erst nach ihrer Verdorbenheit ihn in naherer Vereinigung 
suchten: scheinen sie nicht nachdenklich auf die Art zu zielen, 
womit die Menschen den Speisen ihre Liebe erklaren? 

Andere Philosophen nennen indessen diese Philosophen aus- 
gemachte Narren und fragen sie, ob sie wol iiberleget haben, daB 

30 ein Konig, namlich Midas der Langorichte I. der Erfinder der 
Schaugerichte war, indem er alle Speisen sogar in goldene ura- 
sezte, wiewol er sich bei Einem Hare an seiner neuen Art von 
Speise zu tod gegessen hatte? Denn, fahren sie fort, die Schauge- 
richte sind offenbar bios zum Besten solcher Personen, die in 
hohen Ehrenamtern sizen und von Geburt sind, erfunden wor- 
den, weil alle diese einen schlechten Magen haben und ausser den 



60 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

Schaugerichten wenig andere Speisen zu sich nehmen und ver- 
dauen konnen. Wahr ists auch, erhabene und vornehme Perso- 
nen brauchen und vertragen weniger Nahrung als geringe, 
gleich dem Makrokosmus, der (Robinet halt ihn fur ein grosses 
Thier) weit weniger zehret als der Mikrokosmus, der auch ein 
Thier ist; es ist sogar wahr, daB auch die Waden derselben, urn 
nicht als Biirgen der Lenden angehalten zu werden, sich langst 
unsichtbar gemacht- ein Vater des Volks z. B. zeugt nichts an- 
ders und ie feiner und ie ansehnlicher Personen sind, desto mehr 
steht zu besorgen, daB sie gleich Misgeburten sich nicht fort- 10 
pflanzen, wie etwan die feinsten Birnen die schlechtesten Kerne, 
Holzbirnen aber stets solche liefern, die leicht aufgehen; daher 
sogar Minister gezwungen sind, die Kinder ihrer Lakaien zu 
adoptiren und das wizige Plagiat fur ihre eigne Erfindung auszu- 
geben - allein der ganze Fehler liegt blos*darin, daB diese herli- 
chen Personen nicht auch wie die grossen Thiere, welche nach 
Lukrez und Epikur die ersten Probstiikke des schaffenden Chaos 
waren und denen das Vermogen zu fressen und zu zeugen fehlte, 
sogleich umkommen; welches doch so sehr zu wiinschen ware, 
weil sie der wahre Spielraum ihrer mannigfaltigen Talente wol 20 
nirgends als in der - Holle erwartet. 

Es giebt Philosophen, die auch diesen widersprechen. Sie ra- 
then erstlich an, iiber die ganze Sache nicht so viel und so laut 
zu reden; hernach glauben sie, daB die Sympathieund Antipathie 
hier naher sind als man hoft. »Es ware Schade, sagen sie, wenn 
man die ganze Sache nicht dunkel liesse und man geht schon 
weit, wenn man bios anmerkt, daB die Speisen mit den Klystiren 
manche Ahnlichkeit haben. Ein gewisser Man namlich lies sich 
nach der Erzahlung des Montaigne das Klystir, das er noting 
hatte, nie beibringen: sondern er betrachtete es bios; er verspiirte 30 
dan bald den erweichenden Einflus dieser Betrachtung und das 
Klystier that seine Pflicht; ia als seine Frau einmal aus Geiz und 
in der Meinung, ein bios angeschautes Klystir diirfe nicht eben 
das volkommenste sein, die theuersten Ingredienz[i]en daraus 
weglies, schlug es dan wol wie alzeit an? muste es nicht erst von 
neuem mit den gehorigen Ingredienzien prapariret werden? Man 



SCHERZE IN QUART ■ 3. ZUSAMMENKUNFT 6 1 

denke aber iiber die Schaugerichte unbefangen nach. 1st es wol 
ganz und gar widersinnig anzunehmen, daB sie vielleicht eine 
bessere Bestimmung haben als die, mussige Liikkenbtisser der 
Tafel oder aufbliihende Nahrung der Eitelkeit zu sein? Und ist 
man mit den innersten Triebradern der wunderbaren Natur, von 
der man vielleicht nichts als das Zifferblatsrad ein wenig kennet, 
gut genug vertraut, urn denen, welche bescheidner sind und die 
sich nicht zu laugnen unterfangen, daB gar wol zwischen den 
Wirkungen der Schaugerichte und des gedachten Klystirs einige 

10 Ahnlichkeit moglich sein konne und daB die Schauessen ver- 
moge der Sympathie eben so gut sattigen konnen als ein Schau- 
klystirheilen, Verstandund Glaubwiirdigkeit sofort absprechen 
zu diirfen? Denn die ganze Sache wird iiberhaupt beinahe so gut 
als gewis, wenn man gar bemerket, daB die, die Schauessen ge- 
niessen, seltennach andern Speisen noch sehr viel fragen, so daB 
es scheint, sie haben aus ienen schon ganz die Nahrung gezogen, 
die ihnen diese anzubieten kommen. Und ausserordentlich auf- 
fallend und nachdenklich ist hier noch eine gewisse Redensart 
des gemeinen Lebens. Minister und Potentaten fressen Hauser 

20 und verschlingen Land und Leute, sagt man; den Worten nach 
ist das aber grundfalsch: denn man kan wol von ihnen sagen, daB 
sie die Hauser kaufen, die Leute verkaufen und das Land aus- 
schopfen, aber verschlungen wird Land und Leute alzeit nur von 
einem Erdbeben, weil nur dieses es kan. Inzwischen lassen diese 
Worte noch einen andern Sin zu, der wahr und tief ist. Die 
Schaugerichte stellen namlich zuweilen ganze Gegenden mit ih- 
ren Bewohnern vor: darauf aber mag die obige Rede zielen und 
die abgebildeten und aufgetischten Lander mag man im Auge 
haben, wenn man vom Verschlungenwerden desselben spricht: 

30 denn die Gross en verschlingen dieselben als Schaugerichte 
wirklich. H. Hasus entschuldigte einmal an einer Tafel, wo 
mehr der Stolz als der Magen genahret wurde, wo aber er keine 
Maasse in seiner Sattigung hielt, sich so: wenn es schon im alten 
Bunde dem David erlaubet war, die h. Schaubrodte zu essen: so 
konne es ihm im neuen Bunde, wo kein Zeremonialgesez mehr 
herscht, wol verziehen werden, dafi er die gegenwartigen 



62 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

Schaubrodte (d. h. die Gaumenspeisen) angegriffen und verzeh- 
ret habe. Das scheint ein blosser Spas zu sein, wir halten es aber 
fur einen herlichen Spruch und sagt nicht selbst H. Hasus in ei- 
nem sehr.ernsthaften Buche, daB es zweierlei Schaugerichte 
gebe, solche, die man kauen kan und die der Koch zubereitet, 
die aber nur von den Bedienten, die sie allein verdauen konnen, 
genossen werden und solche, die man nicht wol kauen kan, die 
der Kunstdrechsler am besten kocht und die von der Herschaft 
allein gekostet werden, welche wie ein platonischer Liebhaber, 
ganzvom Anschauendes geliebten Gegenstandes lebet?- Sonach 
werden Vornehme also von den Gaumenspeisen weit weniger 
als von den Schauspeisen genahret und erhalten; und das ist eben 
das Geheimnis. Man entziffert es zwar vielleicht ein wenig, 
wenn man annimt, daB die Sympathie hier ihre Rolle spiele, 
oder daB (nach dem Epikur) von den Schauessen wirkliche Bil- 
der in das Auge hineindunsten, welche eine gute Nahrung sind, 
und wenn man behauptet, daB ein Mensch, der am Tage nichts 
zu essen bekame, sich, fals er nur zu Nachts im Traume nahr- 
hafte Kost (die am Ende ein Schauessen ware) empfienge, ganz 
gut erhalten miiste; aber besser fahrt man immer, wenn man 
vielmehr froh ist, daB man ein Geheimnis hat und wenn man sich 
begniigt, im Stillen zu erstaunen und nachzusinnen, wienach es 
wol moglich ist, daB die Grossen und Vornehmen, die in ihrem 
Kopfe und doch auch in ihrem Unterleibe Speise haben, der hol- 
zernen Ente des H. Vaukanson gleichen, in deren Oberleib die 
Korner, die sie einnimmt, sind und in deren Hintern zugleich ein 
kiinstlich gemachter und verdaueten Kornern ahnlicher Aus- 
wurf bereit lieget.« 

Wie ganz anders denkt dariiber ein bekanter szythische[r] Welt- 
weiser! Nachdem er die vorigen Sekten alle mit seiner Feder aus- 
einandergeiaget hat: so ruft er aus: »solte man wol glauben, daB 
die iezt von mir widerlegten Philosophen die ganze Gewohnheit 
der Schaugerichte durch ihre Meinungen dariiber nicht haben 
lacherlich machen wollen, wenn man nicht gewis wiiste, daB es 
ihnen ein Ernst damit war? Wie schwach, sag' ich alzeit, ist doch 
der Korper und der Verstand guter Philosophen! « Er fangt als- 



SCHERZE IN QUART • 3. ZUSAMMENKUNFT 63 

dan an, gute und schwache Beweise von der Massigkeit der 
Grossen beizubringen und horet nicht eher auf , dem Leser diese 
Massigkeit derselben aus den Quintessenzen, die sie stat un- 
formlicher Bissen zu sich nehmen, aus den unzahligen Vorkeh- 
rungen, die sie gegen die Enstehung des Hungers treffen, der 
stets zur Uberladung anstiftet, und aus ihrem unschuldigen 
Kunstgriffe, kein Obst in der Jahrszeit, in der es wachset und 
worin es durch seinen Preis und seine Gute die Enthaltsamkeit 
so leicht verdrangt, sondern alzeit in der zu geniessen, in der es 
gar nicht wachset und wo es so selten und so schlecht zu haben 
ist, daB man damit sich schwerlich Cibernimt, er horet sag' ich 
nicht eher auf, aus allem diesen dem Leser die Massigkeit der 
Grossen zu erweisen als bis er wenig Knopfe mehr an ihm abzu- 
drehen hat. Gleichwol sezt er noch eine Frage hinzu, die seinen 
Beweis offenbar nur mehr verlangert und viele Zeit raubet: 
»Wenn iiberhaupt die Grossen nicht so massig waren, wiirden 
sie wol so unmassig sein als man von ihnen saget? Denn nichts 
ist wol ein besserer Beweis ihrer Massigkeit als ihre unlaugbare 
Unmassigkeit; wenigstens scheint es, dafi der zu hohe Grad, 
worauf sie iene getrieben (in der That er war dem Fehlerhaften 
nahe) die Ursache war, warum sie, um diesen Fehler - denn eine 
unmassige Massigkeit oder monchische Enthaltsamkeit ist einer 
- durch einen entgegengesezten leichter zu brechen und zu be- 
siegen, ihren Widerwillen gegen die Unmassigkeit erstikken 
und ihr sich ganz geloben, so wie man von den Abschreibern des 
neuen Testamentes sagt, daB sie, wenn sie einen Schreibfehler 
begangen hatten, bald darauf einen entgegengesezten freiwillig 
machten, um dadurch den erstern zu verbessern.« Und diese 
Massigkeit erfand die Schaugerichte: eine Erfindung, sagt unser 
Szythe, die auf eine wunderbare Weise das Ubermaas mit der 
Massigkeit verkniipfet und bef reundet. So lange namlich die Es- 
begierde sich in den Schranken halt, die ihr die Massigkeit vor- 
stekket: so stillen sie die Grossen gern mit Gaumenspeisen; geht 
sie aber weiter: so versagen sie ihr zwar diese unmassige Befrie- 
digung, sind ihr indessen doch zum Schein zu Willen, indem sie 
stat wirklicher Speisen scheinbare unterschieben, an denen sie 



64 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

schwelgen kan, ohne den Magen zu iiberladen und deren Ge- 
nusse sie sich ohne den geringsten Nachtheil der Massigkeit und 
des Korpers ganz unbandig iiberlassen darf . »Und ohne Schau- 
essen, sagt hier der Philosoph mit einer Mine, die ihm nicht ge- 
wohnlich ist, waren die Grossen auch gar nicht zu ersattigen und 
wenn iener Thrazier es ein Gliik nante, daB Xerxes des Tages nur 
Einmal as, so wollen wir es ein noch grosseres preisen, daB un- 
sere Grossen doch auch Schaugerichte mit fressen und ihren 
schreklichen Hunger auch mit abgebildeten Landern und nicht 
bios mit wirklichen stillen.« 10 

- Nur dem Leser zu Gefallen hab' ich diesen Narren so lang 
reden lassen, der um die Schaugerichte zu loben kein anderes 
Mittel weis als daB er die Unmassigkeit verkleinert. Aber ich 
darf ia eben so gut meinen Magen mit Fras als meinen Kopf mit 
Kentnissen (iberschutten: denn was fur die Sele eine neue Wahr- 
heit ist, das ist fiir den Magen ein neues Gericht; und der Vieles- 
ser verdient nicht mehr Tadel als der Vielwisser. Sagt nicht 
iiberhaupt der grosse Rechtsgelehrte Mazianus in seinem sech- 
stenBuche von den Fideikommissen; non solent, quae abundant, 
vitiare scripturas; und kan wol der Oberflus dem Magen mehr 20 
schaden? 

Unter alien genanten Philosophen sind unstreitig dies die 
schlechtesten, die auf eine ernsthafte Untersuchung des Ur- 
sprungs und Nuzens der Schaugerichte sich gar nicht einlassen, 
sondern sofort sie ausschimpfen und ohne Riiksicht auf Stande, 
die doch stets Ehrfurcht und Bewunderung von uns begehren 
konnen und die man gewis nie ungestraft antastet, von nichts als 
Narren reden, die Farbenklaviere zur Tafelmusik machen, diewie 
die Wilden sich an Niirnberger Puppenware laben und die wie 
die Kinder, welche Kochens spielen, steinerne und ungeniesbare 30 
Speisen auftischen. Der Leser wird nicht erwarten, daB ich Be- 
hauptungen umstosse, die uber ihre eignen Fiisse fallen; aber ich 
mus diese Philosophen erinnern, daB sie sich sehr tauschen, 
wenn sie hoffen, daB ein nachdenkender Leser es da nicht mer- 
ken werde, wo sie an die Stelle der Griinde, die ihnen fehlen, 
blossen Predigereifer zu sezen suchen und daB die Heftigkeit ih- 



SCHERZE IN QUART ■ 3. ZUSAMMENKUNFT 65 

res Tons nicht sogleich ihre ganze Sache verdachtig machen 
konne. 

Da alle diese Meinungen der meinigen, die wie schon oben 
gedacht richtig ist, schnurstraks entgegenlaufen: so hab* ich wol 
nicht nothig, sie noch mit einer andern weitlauftigern Widerle- 
gung zu versehen. Inzwischen sol ihre Lesung niemand reuen: 
ein iedes Ding lasset sich zu etwas gebrauchen und eine iede 
Meinung, sie sei noch so abgeschmakt, hat doch irgend einmal 
friih oder spat den Nuzen, daB sie zu einem guten Gleichnis ver- 
wendet wird: dan aber ist es iedem lieb, daB er von ihr etwas ge- 
horet hat. 

Und so schliess' ich die lange Vorrede zu meinem Buche, das 
vielleicht eines der reichhaltigsten und besten ist, die seit vielen 
Jahren von mir oder von andern der Presse iibergeben worden. 
Was das Buch selbst anlangt, so ist es sehr gut ausgefallen und 
es sol daher nachstens auf ahnliche Art wie seine Vorrede, ge- 
drukt erscheinen: ich darf desto weniger besorgen, es nicht so 
schleunig liefern zu konnen, da ich schon fast das Wichtigste 
iiberstanden und Titel und Vorrede, wie man sieht, gluklich in 
die gelehrte Welt gebracht habe; ia man kan beide als das Pfand 
ansehen, das ich dem Leser auf die baldige Erscheinung des iibri- 
gen Werkes hier gebe und das ihm dafiir haftet. Rezensenten er- 
suche ich,- meine sauere Arbeit nicht nach dem blossen Titel zu 
priifen, sondern gerecht zu denken und sich die Miihe [zu] ge- 
ben, meine ganze Vorrede langsam durchzulesen, um erst nach 
dieser das Urtheil abzumessen, das sie uber mein Produkt fallen 
miissen, wie sie ia bei einigen wichtigern und schwerern Werken 
auch zuweilen thun. Die Anweisung zu Schaugerichten werd* 
ich ubrigens in wolklingenden Versen geben, da die alten Gesez- 
geber ihre wichtigsten Geseze, die alten Philosophen ihre gehei- 
men Lehren und die alten Poeten ihre versifizirten Gedichte 
ebenfals in Versen abgefasset: nur hab' ich, ganz und gar dem 
Redner Evenus aus Paros unahnlich, der die bittersten Ausfalle 
auf seine Gegner allezeit in Verse sezte, damit man sie leichter 
behielte, gerade die haufigen Lobeserhebungen, die ich von bei- 
den Seiten den vortreflichen Personen zuwerfe, deren Speisesale 



66 JUGENDWERXE ■ 4. ABTEILUNG 

ichbisher zieren diirfen, dutch eine platte und angenehme Prose 
von den Schaugerichten selber unterschieden. - In magnis volu- 
isse sat est: dies soke sich ieder Rezensent meines Werkes einpra- 
gen, um etwas 2u haben, wornit er seinen Zorn besanftigen mag, 
wenn ich iiber die Schaugerichte nicht so gut schreibe als wol 
ihre Wichtigkeit verdienet, wie ich denn freilich voraus anmer- 
ken mus, daB ich verschiedene Stellen meines Buches wegen 
meines ausserst schwachlichen Korpers, ganzlich ohne Sin lassen 
mussen: aber ich kan mir diese Billigkeit der Rezensenten gar 
nicht weismachen oder prophezeien und die Einbildung, die ich 10 
liberal mit herumtrage, daB ich mich werde nach dem Bewust- 
sein meines eignen Werthes umthun mussen und daB meine Re- 
zensenten mich mit einem so unbegriindeten und lieblosen Tadel 
belegen werden, daB sie denen, welchen sie in den Weg treten, 
so gar Ehre machen, wie es in A then ein gliikliches Zeichen war, 
wenn man einer Krote begegnete, diese fatale Einbildung schei- 
net ein nicht sehr verwerflicher Vorbote von dem Schiksale zu 
sein, das meiner Anweisung zu Schaugerichten aufpasset, fals 
ich mehr als Ein Exemplar drukken lasse oder dieses schlecht 
verwahre. Obrigens lasse ich dem Publikum den aufrichtigen 20 
Wunsch nach, daB es doch bald mit mehreren Autoren begluk- 
ket werden moge, die so gut, so tiefsinnig und so algemein niiz- 
lich schreiben wie ich; wiewol es in der That unserer nicht werth 
ist. Denn ob ichs gleich nicht fur ganz unmoglich auszugeben 
wage, daB es noch bei meiinen Lebzeiten richtige Begriffe von 
meinem wahren Gehalte fasse und annehme und daB es sich da- 
durch sogar anfrischen lasse, mich mehr ans Licht hervorzuzie- 
hen und auf einen Posten zu heben, wo ich mit meinen Talenten 
auf die ganze bewohnteErde den wohlthatigsten Einflus aussern 
konte: so wil es mir doch gar nichts anders vorkommen als daB 30 
ich das Schiksal eines gewissen Kreugas haben werde, von dem 
Pausanias in seinen schonen Merkwurdigkeiten Arkadiens be- 
richtet, daB er den Lohn seines Fechtersiegs, um den ihn bei Leb- 
zeiten Damoxenus von Syrakus gebracht, noch nach dem Tod 
empfieng, indem man ihm (aber zu spat!) eine Krone aufsezte 
und eine Statue errichtete. 



SCHERZE IN QUART • 3. ZUSAMMENKUNFT 67 

So weit diese Vorrede, deren Ende mich nach einer so haufi- 
gen Durchlesung iezt wieder ganz geriihrt, auf den hartherzigen 
Leser aber wie ich sehe wenig Eindruk machen konnen. 

Das kleine Biichelgen im zweiten Fache von oben herein ist 

2, Die Fabel vom Vogel Straus 

»Ich sehe, die Kunstrichter wollen mich sehr schlagen und mir 
durch ihre Fauste die argsten Schmerzen machen. Dies nothigt 
mich auf meine Verwahrung zu denken; ich bin daher fest ent- 
schlossen, mich in alien Feldern der Gelehrsamkeit sehr hervor- 

10 zuthun und mich eines Ruhmes zu bemachtigen, an dem alle 
Kunstrichter ihre todlichen Krafte umsonst versuchen: und es 
scheinet in der That, daB ich den griechischen Faustkampfern 
nicht sehr unahnlich bin, die sich durch das Fet und das Fleisch, 
womit sie ihren Korper gleichsam auszupanzern suchten, gegen 
die feindlichen Schlage beschirmten und unempfindlich machten: 
meine Verdienste, die ich an mir immer grosser wachsen lassen 
mus, sind namlich das Fet und das Fleisch, in dem ich die An- 
griffe der Kritiker theils nicht sehr zu furchten habe theils wenig 
empfinde. Um zu beweisen, daB sich meine wenigen Anlagen 

20 nicht auf ein einziges Feld der Wissenschaften einschranken, nab' 
ichbisher bald in dieses bald in ienes und zuweilen in ganz entle- 
gene Felder kuhne und gliikliche Ausfliige gethan: iezt hab* ich 
mich auch im Felde der asopischen Fabel niederzulassen gewaget 
und eine Fabel vom Vogel Straus erdacht und ausgefuhret, die 
man hier dem Publikum mittheilet, damit es daraus sich den 
richtigsten Begrif von dem geringen Ansaze, den ich etwan zur 
Fabel verrathe, formiren moge und hernach mir ihn bekant wer- 
den lasse. 

Der Vogel Straus hatte oft die Schaugerichte schmahen horen, 

30 »inzwischen, sagte er, mocht' ich doch wissen, wie sie schmek- 
ken.« Einmal sah er ein Schaugericht von Porzellain, das eine 
Jagd vorstelte und fras es mit dem grosten Vergniigen auf: denn 
der Vogel Straus verschlingt Kupfer, Steine, Kohlen und der- 
gleichen ohne vielen Schaden. Als er daher bei dem Fabeldichter 



68 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

war, der die Schaugerichte wieder in ein zweideutiges Licht zu 
sezen suchte, lies er sich so aus: »ich verzehrte neulich auch ein 
Schaugericht; ich mus aber sagen, daB es mir sehr geschmekt 
und noch besser bekommen. Wahrscheinlich sind die Magen der 
vornehmen Menschen noch weit volkomner und geschickter als 
meiner, da soviele gute Koche selbige unterweisen und ihnen 
taglich etwas neues zu behalten aufgeben; und es bleibt ihnen wol 
niemals ein Schaugericht ini Magen liegen: das lob' ich aber: 
denn der Magen macht den Man und wenn euere Vornehmen 
und Grossen die siissen Wasser von einem Essen, die sie nur zur 
Zierde und zur Schau auf die Tafel stellen, wirklich frassen: so 
wiirden solche starke, robuste und gesunde Leute unter ihnen 
bald rar werden, von denen ich erst gestern einen sah, der aber 
einen geflikten Rok anhatte und baarfus gieng: sobald ihnen die 
Schaugerichte aus Porzellain eine zu harte Speise werden, so 
gebe ia niemand einen Groschen mehr fur ihre Waden. Und das 
namliche Lob verdienen euere vornehmen Weiber, die sowenig 
weichlichsind, daB sie diehartesten Schauessen ganz gut vertra- 
gen; ia ich sah einmal eine, die schwanger war und die dennoch 
einehiibsche Porzion Kreide, welche sogar noch roh und zu kei- 
nem Schauessen zubereitet war, mit Appetite as, desgleichen ein 
an einer Saure sehr krankes Madgen, das noch immer Kalch 
fortgenos. Ich beneide die Geizigen und Reichen, die wenig 
Fleisch- und Gewachsspeisen auf ihre Tafel kommen lassen und 
die meistens Gold und Silber, in runde Scheibgen trenschirt, 
schmausen konnen: stat daB ich nur schlechtes Kupfer fressen 
mus. Wiegesagt ich halt' es mit den Schaugerichten, diezugleich 
so gut aussehen und so sehr nahren und die dem Auge ein Ver- 
gniigen machen und doch auch dem Magen etwas zu verarbeiten 
geben.« 

Mochte doch diese Fabel, die keine Moral hat, eine Fabel 
sein!« 

Der Leser lange mir das dritte Buch herunter, das den Titel 
hat 



SCHERZE IN QUART ' 3. ZUSAMMENKUNFT 69 

3. Einige neue Vortheile, die sich von den Schaugerichten vielleicht 
diirften ziehen lassen, nebst einem Stiik aus der Zeitung 

Wenn ein Fiirst eine grosse Handlung thut- unter seine grossen 
gehoren auch seine kleinsten mit - so soke ein algemeiner Auf- 
lauf entstehen und iederman solte ihn loben, besonders aber die 
Zeitungsschreiber, fiir die ein Blat aus der Universalhistorie eine 
Welt ist. Denn Lob ist ia die einzige Ursache, warum gute Fur- 
sten grosse Handlungen in einer Seltenheit verrichten, die sol- 
chen eben Werth und Ruhm verschaft; ob man gleich gestehen 
10 mus, daJ3 es freilich noch hie und da einen giebt, der es weniger 
als er solte zu bedenken scheint, daS Geschenke von Louisd'ors, 
aber sparsamer gegeben, einem Regenten weit mehr Ruhm bei 
den Zeitungsschreibern erwerben, als Geschenke von Tausen- 
den, aber haufiger ertheilt oder gar den Landleuten ertheilt. Man 
hore daher folgenden Artikel aus der Sonabendszeitung in einer 
besondern Gemuthsstimmung: 

»Den 22 August. 
Wie sich in unsern Tagen alle Fiirsten um die Wette um das Wol 
ihrer Unterthanen beeifern - welch eine interessante Szene fiir 

20 den Menschenfreund und Weltbemerker! ! ! - so konnen auch wir 
auf einen Antonin stolz sein, der fiir die Wonne seines Landes 
wacht! Folgendes theil' ich Ihnen als eine karakteristische Anek- 

dote unsers Jahrhunderts mit, des Trajanen Sakul's! Unser 

Landesvater geruhten heuer den ganzen Sommer mit dem 
** Gesandten zu Deroselben hochstem Plaisir brillante Par- 
forceiagden anzustellen; wobei denn die Landleute liberal aufge- 
boten werden musten und wodurch auch ihre Felder in einen 
Stand gesezet wurde, daB sie wirklich soviel wie Eisf elder trugen 
und nicht weniger wie Hofleute versprachen. Ich wil das alge- 

30 meine Frohlokken des Landmans nicht beschreiben, als er sich 
nun (nach langem Ansuchen) endlich gliiklich aller beschwerli- 
chen nachtlichen Wachen zur Abhaltung des Wildes auf einmal 
entledigt sah. Aber unser Landesvater wolte fiir die Ernte seine 
Unterthanen, die ihm wol noch mehr mit dem grosten Vergnii- 



70 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

gen aufgeopfert hatten, noeh besser entschadigt wissen. 
Hochstdieselbenverfiigtendahergnadigst, daB Summen vorge- 
schossen und auf landesherliche Kosten iedem Dorfe eine reich- 
licheMalzeit gegeben werden soke, iedoch dergestalt, daB nicht 
gewohnliche Speisen, sondern - um die Freude volkommen zu 
machen und den arm en Landleuten zu zeigen, daB ein recht- 
schaffener Bauer in den Augen des Fursten eben so viel gelte als 
der tagliche Geselschafter seiner Tafel- lauter Schaugerichteihnen 
vorgesezet werden solten. Und hierin wurde denn auch, wie 
leicht zu erachten, nichts gesparet: sondern Schauessen allerlei 10 
Art - eine wachserne Vorstellung der Felder, die eben durch das 
Jag en verdorben, nahm sich sehr aus - bedekten verschwende- 
risch die langen rothangestrichenen Tafeln. Eine algemeine 
Freude bemachtigte sich der Landleute, denen es wol nie in ih- 
rem Leben getraumt hatte, daB sie einmal auf eine so vornehme 
Weise essen wiirden. Die Gegenwart des Fursten vermehrte 
noch das Frohlokken und den Lippen »entquol« Dank. Was die 
Freude ungemein vergrosserte, war, daB ieder, nachdem er sich 
an diesen Speisen sat gesehen hatte, von dem Tische aufstehen 
und noch zum Oberflus allerlei Viktualien, welche Leute aus der 20 
Stadt in Menge herbeigeschaft hatten, um den billigsten Preis 
haben konte; und selbst von dem erlegten Wildpret lies ihnen der 
Furst so viel zukommen als sie nur bezahlen wolten, als welches 
(wie es alle geruhmet) in einem Oberflus vorhanden war, daB 
es grostentheils verdarb: die Jagdhunde bekamen es sogar gratis. 
Von Mitfreude hingerissen sol der Furst sogar geaussert haben, 
daB man schon mehrere dergleichen Lustbarkeiten von ihm er- 
warten diirfe und daB kunftighin ungleich mehrere Parforce- 
Jagden sollen angestellet werden, theils um oftere solche Malzei- 
ten zu geben, theils um Wildpret fur den kaufslustigen Bauer zu 30 
schiessen. Wie man noch vernimt sollen daher den Kornmagazi- 
nen, welche nach der lezten grossen Theuerung angeleget wor- 
den, die grosten Veranderungen bevorstehen und gegen die 
Hungersnoth besondere Verfiigungen getroffen werden; we- 
nigstens versichert mich ein auswartiger Freund, daB bereits an 
verschiedene[n] Schaugerichten gearbeitet werde. Auch die 



SCHERZE IN QUART ■ 3. ZUSAMMENKUNFT 7 I 

Mundporzion des Soldaten ist ansehnlich vergrossert worden 
und es wird ein grosseres Kommisbrod an iedem Lohnungstage 
wie die Hostie der Katholiken ordentlich herumgetragen und al- 
ien Regimentern vorgewiesen, aber nicht gegeben, weil es nicht 
zu essen ware, massen es der Furst, urn die Sparsamkeit aufs 
hochste zu treiben, nicht mehr aus verdorbenem altem Mehle, 
sondern (wie die Probesemmeln der Bekker) aus Thon bakken 
lasset. Gleichwolist der Hunger des Heeres noch so unglaublich 
stark, daB verschiedene gewiinschet, man mochte es kompa- 
10 gnienweise von Dorf zu Dorf betteln gehen lassen und dabei ihm 
nicht sehr verbieten, zuweilen zu stehlen. Mochten doch meh- 
rere Fursten pp.« 

Das stell* ich als ein Muster fur alle auf , die Leute unter sich ha- 
ben, denen sie zuweilen etwas zu essen geben sollen. Mein 
Wunsch ist namlich, daB die Schaugerichte von den vornehmen 
Tafeln auf die niedrigern und armern Tische mochten herabge- 
schoben werden: ein Projekt, zu dessen Ausfuhrung die langen 
Hande der Grossen so viel thun konten und vielleicht thun wer- 
den, da ihre Begierde, niizliche Projekte auszufuhren, stets so 

20 gros war, daB nurihre Begierde, sie durchzulesen und anzuhoren, 
noch viel grosser sein konte. Wird nicht fast an alien Orten der 
Geringere zu gewissen Zeiten auf Kosten des Reichern gespeiset 
und hat er nicht liberal wenigstens eine ahnliche Entschadigung 
seines Gaumens, iiber die er hernach alle seine vorigen Entbeh- 
rungen willig vergisset? Und mit diesen Malzeiten sol man eben 
keine geringere Anderung als diese vornehmen, daB man fiir 
keine andern Sinne des Pobels kiinftighin noch Nahrung auf- 
tischet als fiir den feinsten, fiir die Augen, oder hochstens fiir das 
Ohrnoch eine gute Tafelmusik, so daB eine Malzeit zu den scho- 

30 nen Kiinsten sich erhebt, die gleichfals nur den Augen und den 
Ohren dienen. Der gemeine Man konte dies als gutgemeinte 
Obungen ansehen, welche die Grossen mit ihm vornehmen, um 
ihn schon iezt almahlig auf dieienige Zukunft vorzubereiten, wo 
alle seine sinlichere Kost so von ihnen wird besessen werden, daB 
sie fiir ihn nichts mehr ist als ein trefliches - Schauessen, das ihm 



72 JUGENDWERKE - 4. ABTEILUNG 

zum Gliikke wol niemals entstehet: denn die schlimsten Konige 
schnitten doch nie dem Magen ihrer Unterthanen die Nahrung 
so sehr ab, daB sie nicht zuweilen offentliche Malzeiten gehalten 
hatten, woran ieder, und der Geringste so gut wie der Vor- 
nehmste, Antheil mit seinen Augen nehmen durfte, wie auch die 
Theologen von dem Teufel riihmen, daB er Christo alle Reiche 
der Welt auf einer Generalkarte gezeichnet gewiesen hat - ia der 
Regent zeigt seinem Volke nicht einmal blosse in Kupfer gesto- 
chene oder abgemalte Speisen, sondern offenbar wirkliche ge- 
kochte und rauchende, nicht zu gedenken, daB dasselbe mit dem 10 
Vergniigen der Sattigung zugleich das Vergniigen, die Komodie 
eines vornehmen Essens und das ganze Schauspiel eines Hofes 
zu sehen, paren und geniessen kan, wie auch das romische Volk 
alzeit ein Schauspiel und eine Malzeit mit einander bekam. - Der 
Hauptvortheil aber ware, daB auch das gemeine Volk nach und 
nach so wenig zu essen anfienge als ob es todkrank oder stein- 
reich oder blutarm ware: dan konte es ferner das schone Mehl, 
das es iezt in seinen Magen verstekt, wo es doch als ein iiberflus- 
siger Zierath liegt und den Magen ohne alien Nuzen pudert, auf 
dem Kopfe tragen und ieder konte weis aussehen - inzwischen 20 
verringere man alsdan die Lohnung des Soldaten darum, weil er 
etwan nichts mehr isset, weiter nicht, denn sie war niemals gros- 
ser als sie gerade sein mus, um damit den Aufwand des Haar- 
und Schuhschmierens zu bestreiten. - Noch mehr: niemand 
richtete sich dan mehr durch Kornbrod hin, das ein wahres 
schleichendes Gift ist, wiees nicht bios Linguet, sondern auch die 
Erfahrung mehr als zu wol erwiesen, indem man von den mei- 
sten Europaern, die Brod assen, die traurige Bemerkung ge- 
macht, 'daB sie ihr Leben selten hoher als auf 50, 70 Jahre ge- 
bracht - so viele Zeit bedarf dieses Gift, um seine Wirkung zu 30 
aussern - und von ihm abgemergelt, aller Sinne beraubt und ent- 
stellet alzeit ins Grab gesunken, ohne Methusalem's Alter er- 
reicht zu haben. - 

Keine Hauser werden sich, wenn stat geniesbarer Speisen bios 
gut gearbeitete Abbildungen derselben aufgetischet werden, wie 
etwan die armen Agypter ihren G6tter[n] stat wahrer Opfer- 



SCHERZE IN QUART • 3. ZUSAMMENKUNFT 73 

schweine Bilder derselben darbrachten, dan noch durch Gaste- 
reien ruiniren konnen; denn ist es nicht eben der besondere Vor- 
zug der Schauessen, dan sie wie die Speise im katholischen h. 
Abendmal, nicht kleiner werden, es mogen noch so viele vonih- 
nen speisen, und nicht schlechter schmekken, man mag sie hun- 
dertmal aufwarmen? 

Ich weis es, die kultivirte kaufende und lesende Welt gabe 
10 Kreuzer darum - aber die Fischhandler in London geben 
ebensoviel wo nicht mehr urns Gegentheil, welche auf die Ge- 

10 sundheit des Pabstes trinken, weil seine Untruglichkeit ihren 
Fischabsaz vermehret - wenn die wienerischen Schriftsteller 
oder gar die wienerischen Denker es in zweibogenlange Be- 
trachtungzogen, ob es nicht vielleicht sowol der Sele, die bisher 
durch die ganze Sache wollustig wurde, als dem Staate, der Geld 
dabei zusezte, recht sehr zutraglich ware, wenn man stat der 
Fische die Schauessen die Dienste der Fastenspeisen versehen 
Hesse. Und zu einem Schaugericht in der Fastenzeit schikt sich 
iede Sache in der Welt, denn eine Hostie kan es sein, ein Duzend 
Jus de tablette oder auch Bou[i]llonkugeln kan es, wenn man sie 

20 auf dem Altar zur Schau aussezet, gleichfals sein - sogar kan fun- 
die Damen ein/etterM6nch auf der Kanzel das Schaugericht sein, 
das die Stelle der wollustigen Fastenspeisen (der Fische) vertrit. 
»In der That, sagt' ich vor wenigen Tagen zu mir selbst, dein 
Vorschlag, mein lieber Hasus, hat meinen ganzen Beifal und ich 
habe selber schon langst daran gedacht, daG eine Supplik ihren 
Zwek nicht verfehlen wurde, die man in der Gestalt eines Schau- 
essens iiberreichte; zumal in unsern Tagen, wo man der Koch- 
kunst der Schaugerichte iede poetische und unschuldige Freiheit 
gern verstattet. Was wilst du sagen, Hasus, gedenket nicht Mer- 

30 cier eines Schaugerichts, das die ganze franzosische Oper vor- 
stellete und wiederholte? Ja lies nicht der Intendant von Gascog- 
nen zum Vergniigen des Adels der Provinz ein Schauessen aus 
Wachs auftragen, das, um die Geburt eines Herzogs von Bur- 
gund zu feiern, alle Geburtswehen der Dauphine vermittelst ge- 
wisser von einem Uhrwerk getriebener Wachsfiguren, so gluk- 
lich nachahmte, dafi verschiedene dariiber sich verwunderten? 



74 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

Es geht also eben so an, ia es geht noch viel leichter an, dao einer, 
der den Fiirsten urn etwas zu flehen hat, die ganze Sache ihm in 
einem Schaugericht vorstellig und anschaulich zu machen und 
stat im KurialstyU im lapictarischen vorzutragen versucht, wie 
(nach Quintilian) sonst die romischen Redner ihre Sache weni- 
ger durch ihre Beredsamkeit als durch eine auf Leinwand gemalte 
Vorstellung der species facti gewannen oder wie noch iezt die 
Bankelsanger weit mehr durch das Gemalde, worauf ihr Stab die 
grosten Mordgeschichten nachweiset, als durch die Poesie, wo- 
mit sie das Gemalde unterstiizen, ieden riihren. Z. B. ich trachte 10 
nach nichts mehr als nach einer betrachtlichen Pension von mei- 
nein Fiirsten. Wenn ich nun em Schaugericht schnizen liesse, das 
michin meinem Museum vorstellete mit 9. Kindern hinter mir, 
von denen drei noch ganz unerzogen waren, desgleichen mit 
noch sechs verstorbenen Kindern, die in die herumstehenden 
Sarge verstreuet waren und die alle 1 5 von mir Nahrung begehr- 
ten, das ferner mich selbst in dem elendesten diderotischen 
Schlaf rock abbildete ohne alle Miize oder doch nur in einer bart- 
losen Periikke, die wie ein grosser Man in ihrem Alter sich gar 
nicht mehr gleich ware, und unaufmerksam auf die vielen Pa- 20 
piere um mich, die wie die Heldengedichte alle einen gleichen 
Anfang hatten und mit »Beliebten und Emp£iengen« anhiiben, 
und das vielleicht gar einem Rezensenten unter den Tisch Iegte, 
der mich ieden Augenblik einmal bestahle und bisse - soke das 
fehlschlagen? Wenn es mislange, so ware wenigstens nur das 
schuld, da6 ich zur Schonung der Kosten alles bios auf einem 
Kirschkern eingeschnitten hatte; ich wiirde es daher mit einer 
prozellainen Supplik versuchen miissen. Ich glaube aber, ich 
wiirde es erst treffen, wenn ich mein Familiengemalde in Silber 
auftischen lies; wenigstens that' ich nachher keinen Schrit mehr, 30 
sobald es mir auch nicht geriethe, wenn ich mein ganzes Elend 
sogar in ein goldenes Schaugericht veredelt hatte; allein das 
Elend in einer goldnen Einkleidung bewoge den Fiirsten gewis, 
was meine Feinde auch sagen mogen. Kurz dein Einfal, lieber 
Hasus, besteht die Probe der Erfahrung und macht dir viele 
Ehre. Und eben diese herliche Gabe, die du vor so vielen voraus 



SCHERZE IN QUART ' 3. ZUSAMMENKUNFT 75 

hast, alzeit etwas verniinftiges zu erfinden, alzeit etwas, das wi- 
zig ist und doch einen tiefen Sin hat, und liberal Ideenverbindun- 
gen zu machen, die manches Licht geben - das ists, was ich an 
dir so bewundere und was mich so zu deinem Freunde macht, 
daB wir in der That nur Eine Sele sind. « Der Leser argere sich 
an meinem Lobe nicht, das ich von keinem andern erschlichen 
habe sondern das mir hier aufrichtig von mir selbst gegeben 
wird: er ahme mich vielmehr nach und seze ieden Tag gewisse 
Stunden bios dazu aus, daB er sich mit sonderbaren Lobspriichen 
belegt, ia er dulde gleich mir kein Accidenz und kein Attribut 
(z. B. Wiz, Verstand, Tugend, Demuth) einen Tag in seiner Sub- 
stanz, das nicht taglich einmal sich ihm gefallig macht, indem 
es sich vor ihn hinstellet und eine d'alembertische Lobrede auf 
ihn selbst mit Anstand halt. 

Die Hofleute und die Geselschafter der furstlichen Tafel kon- 
ten ebenfals die Schaugerichte nicht iibel anlegen und gebrau- 
chen: sie konten namlich durch sie etwas lernen. In der That ich 
habe oft mit wahrem Mitleiden dem betriibten Zustande zuge- 
sehenundnachgesonnen, in dem der Kopf der Hofleute sich be- 
findet und aus dem ihn doch niemand zu Ziehen Anstalt macht: 
die Hofleute thun for ihn alles was sie konnen; sie puzen ihn mit 
iremden Haren und mit feinem Puder auf, geben sogar ihm ei- 
nen guten Geruch und lassen kein Mittel, das ihn nur einiger- 
massen zu verbessern verheisset, unversucht; ia sie nehmen ihn, 
wenn sie ausgehen, allezeit mit und tragen ihn auf ihrem Halse 
an alle Wohnplaze der Unterweisung hin: allein man mus zwei- 
feln, ob iiberhaupt ihr Rumpf gleich dem Atlas, ihren Kopf, 
diese Weltkugel, diese hole mit Kartenstreifen besezte Himmels- 
kugel zu tragen und zu unterstiizen Krafte genug hat - denn ein 
Hofman hat nicht die Halfte des Verstandes, den sein Kopf hat, 
er versteht oft gar nicht, was dieser haben wil und man soke sie 
iiberhaupt beide von einander abzutrennen und zu erlosen su- 
chen -; wenigstens findet man, wenn man sich in diesem Kopfe 
umsieht, daB alles darin leer ist und daB da niemand wohnt als 
der Wiederhal oder gar nur die Resonanz, er scheint ein Audienz- 
zimtner, aber keine Wohnstube a\\cr Wissenschaften zu sein, er ist 



7<5 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

in der That weniger ein Kopf als eine Schadelstatte und, da das 
Herz des Hofmans langst erfroren und gestorben ist, so mag er 
etwan noch der Witwensiz des Teufels sein: weiter aber ist er 
nichts und man ist nicht im Stande, ihn mit noch irgend etwas 
anderem wizig zu vergleichen. Man trage aber ieden Tag ein 
Stiik aus der Geschichte auf einem Schaugericht geschnizet, ge- 
gossen oder gebakken, auf die Tafel und lasse die Hofleute es 
aufmerksam betrachten: so werden sie nach und nach grosse Hi- 
storiker werden; denn die Universalhistorie ist nach ihren Kent- 
nissen in der Miniaturhistorie des Hofes zu urtheilen, eigentlich 10 
das Fach, worin sie sich hervorthun werden. Dem ersten Mini- 
ster bringe man doch die ersten Anfangsgriinde der Geographie 
durch General- und Spezial-Schauessen bei, auf welchen die 
Lander und Flusse gebakken dort liegen! Wenigstens wurde es 
das Departement der auswartigen Angelegenheiten nicht be- 
reuen, wenn es die Kosten nicht scheuete, sondern einige Schau- 
gerichte zimmern Hesse, aus welchen der Gesandte so viele geo- 
graphische und statistische Kentnis des Landes, in das man ihn 
schikket, schopfen mochteals er vonnothen hat, um dieienigen 
Gesandten zu iibersehen und weit zuriickzulassen, die ganz und 20 
gar nichts verstehen und die, wenn sie nicht zuweilen ihren eige- 
nen Hof belogen und dadurch zu Kriegen Anlas gaben, in der 
That zu gar nichts zu gebrauchen waren. Der Fiirst selbst - von 
seinem General, der nicht Einen Zol von den Gegenden, die er 
einmal erobern sol, zu kennen scheint, hab' ich gar noch nicht 
geredet - thut wol, wenn er wenigstens auf der Spezialkarte des 
Landes, das er gut regiret, kein'Fremdling zu bleiben trachtet: 
man meinet damit gar nicht, daft er den zweideutigen Unterricht 
seiner Diener zu Rathe Ziehen sol, noch weniger, dan er mit dem 
Biisching in der einen Hand, und auf der Landkarte mit der an- 30 
dern, sich der ganzen Lastigkeit einer geographischen Unter- 
weisung Preis gebe - daB er sein Land kennen lerne, indem er 
es umreiset, das werden auch die nicht verlangen, die dabei arm 
wiirden - sondern ich habe, um diesen bittern Unterricht ge- 
schikt zu versilbern und zu verzukkern - ia ich habe mehr gethan 
als Thomas Murner, der sonst alle Wissenschaften den Kindern 



SCHERZE IN QUART ■ 3 . ZUSAMMENKUNFT 77 

durch Kartenspiele einfloste, ich habe soviel gethan als die Wil- 
den, die die Speise ihrer Kinder zu einem Mittel des Unterrichts 
in Bogen und Pfeil beniizen - nach langem Nachsinnen mir die 
Freiheitgenommen, hier Euer . . . ein gutes Schaugericht aufzu- 
tragen, das das Seinige leistet; es stellet das Land, das Eure . . . 
so glorreich beherschen, erst im Algemeinen aber doch so dar, 
daB man ganz darauf zu bauen hat und da6 es mir nicht mehr 
Ehre bringen konte; aber die ubrigen Schaugerichte, die ins Spe- 
ziale gehen, sollen nicht aussen bleiben und iede Festung, iede 

. 10 Stadt und ieder Marktflek sol auf Hochstderoselben Tafel kom- 
men; iezt iiberreich' ich noch Ew. einen Mandelkern, der mehr 
ein Schau- als Esgericht sein sol und der einen hinlanglichen to- 
pographischen Unterricht von dem Dorfe zu ertheilen vermo- 
gend ist, in dem ich meine Satiren schreibe und wo ich so sehr 
auf eine Pension passe. Ich ersuche Ew., mit der Sattigung Ihres 
Leibes sonach stets die Sattigung Ihrer Sele zu verbinden und die 
agyptischen Konige weit zu iiberholen, die alzeit erst sogleich 
nach der Malzeit durch die Anhorung der h. Biicher ihre konig- 
lichen Kenntnisse vermehrten . . . 

20 Jezt schliess' ich dieses Buch. Obrigens scheint das Gerucht 
sich immer mehr zu verbreiten, ich ware oft narrisch; ich ergreife 
aber hier mit Vergniigen die Gelegenheit, den Leser vom Ge- 
gentheile zu versichern; und ich bin vielmehr, so viel ich weis, 
stets verniinftiger und einsichtsvoller als irgend etwas.« 
Das lezte Buch dieser Bibliothek lautet: 

4. Tischreden uber die Schaugerichte, vom Verfasser selbst zusammen- 
getragen und acht mitgetheilt 

»Die Tischreden der Hunde sind in der That selten etwas bessers 
als Knurren und Beissen und scheinen es nicht zu verdienen, daB 
30 man sie mit besonderem Fleisse auffange und drukken lasse; aber 
die Tischreden der Menschen hingegen sind ordentlich und ver- 
nunftig, bestehen aus wahren und bekanten Vokabeln und sind 
in vieler Ruksicht es mehr werth, daB sie gedrukt werden. Da 
ich, wie bekant, auch von der Zahl der Menschen bin: so schie- 



78 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

nen mir auch meine eignen Tischreden alles zu besizen, was sie 
zur Ehre der offentlichen Bekantmachung befugen kan. Ich ge- 
denke alle Wissenschaften durch die Tischreden, die ich iiber 
iede gesagt, nach und nach einzuflossen; und ich hebe hier mit 
meinen Tischreden iiber die Schaugerichte an. 

Der gelehrte Politianus begleitete manches seiner Epigramme 
mit der Anzeige des Jahres seines Alters, worin er es gemacht; 
ich trete in solche beruhmte Fusstapfen ohne Bedenken. 

Im 15 Jahre meines Alters, (am i6]un.) hielt ich die erste 
Tischrede und hies die Schaugerichte eine wahre kalte Kuche. 

Wenig Tage darauf konte ich sie schon ein Postskript der esba- 
ren Speisen mit algemeinem Beifal nennen. 

Es scheint, daB meine Kentnisse schnel gewachsen, indem ich 
in meinem 17 Jahre am 1. Febr. wirklich im Stande war, meinen 
Rektor zu fragen, ob wol iemand gliiklicher als Tantalus war, 
der von Schauessen ganz umringet wurde und der den ganzen 
Tag in ihrer Betrachtung schwelgen konte, »ia was die Schau- 
tranke anlangt: so war er offenbar noch weit besser daran: denn 
dergleichen haben wir noch gar nicht und wir bekommen die 
Schaugerichte wie die romisch Katholischen das h. Abendmal 
nur unter Einer Gestalt.« 

»Oberhaupt, sagt' ich in meinem 40 tetl Jahre, an einem De- 
zembertage, sind alle Dinge in der Welt, Tugend und Weisheit 
ausgenommen, wol gemachte Schaugerichte, aber weiter 
nichts.« 

In meinem 23 Jahre sagte ich bei dem Magisterschmause: »die 
Schaugerichte miissen nothwendig eine Malzeit beschliessen, 
wie die Doxologie das Vaterunser, die Luther auch nicht langer 
weglies als er Monch war; sie sind das Dakapo derselben, wir 
wiederkauen in ihnen die Sattigung und ich bitte Sie insgesamt, 
meine Herren, sind sie nicht ausgemachte bouts rimes, zu denen 
die Phantasie die Erganzung erfindet?« 

Ich wolte wetten, ich war damals - und dan wiirde die fol- 
gende Tischrede nur etwas spater als [die] vorige fallen - verliebt 
als ich sagte: »Der enthullete Busen der Damen ist das beste 
Schaugericht, womit sie die Tafel schmukken und an dem ich 



SCHERZE IN QUART - 3. ZUSAMMENKUNFT 79 

mich nicht satzxx sehen vermag: welches Liebesmahll Ja sagen Sie 
mir - indem ich mich zu einem neben mir sizenden Gelehrten 
in einem leisern Tone wandte - ist das nicht den Skoten in Gallien 
besonders ahnlich, die nichts lieber frassen als weibliche Busen?« 

Die lezte Tischrede sagte ich vor wenigen Monaten: »in der 
That lassen die Schaugerichte weder die Phantasie noch den Hw«- 
^erunbefriedigt und nahren Sele und Korper zugleich: so dafidie- 
se Nahrung der Grossen die groste Ahnlichkeit mit der Nahrung 
der Kinder im Himmel hat, welche nach Schwedenborg die Sele 
10 und den Leib derselben auf einmal sattigt und mastet.« 

Schluslich werden meine gedrukten Lieferungen von Tischre- 
den so lange anhalten und ihren Fortgang haben als ich an Essen 
den hinlanglichen Mangel verspiire. - 



Ende der dritten Zusammenkunft nebst den gewohnlichen Gedanken 
auf den Weg 

Hier sind folgende Gedanken: 

Die Barbarei und die Verfinsterung des Menschen lauft wie der 
grosse Schatten des Mondes (bei der Sonnenfinsternis) liber die 
20 Erde und beriihrt ein Volk um das andere. 

Ist der Mensch nicht frei: so kan die Moral uns zu keiner Richt- 
schnur dienen, sondern nur dem Wesen, das uns zimmerte und 
aufzog; so wie die neuen Rechnungsmaschinen aus Pescheks Re- 
chenbuch wenig oder keine Anleitung erhalten, das nur den Her- 
ren Hahn und Muller die Hande fuhrte, als sie selbige machten. 

Mochten doch manche Kronprinzen Esaus sein und dem Jakob 
ihr Recht der Erstgeburt um ein blosses Linsengericht verhan- 
deln! 

Zu einem wahren und volkommenen Zanke zwischen einem 
30 Manne und einer Frau scheint blosse Liebe nicht zuzulangen, 



80 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

sondern sie miissen in der That erst einander geehlichet und um- 
armet haben, eh' sieim Stande sind, einen aufrichtigen Zank mit 
einander zu erheben: so gehoret in Italien unter die zwanzig Be- 
dingungen, die zu einem Duel erfodert werden, auch die mit, 
daB die Duellanten sich vorher miissen umarmet haben. 

Das Publikum mus schon sehr alt und bei Jahren sein, weil sein 
Gedachtnissosehrverfallet: denn wieieder alteMan weises sich 
zwar noch recht gut auf die Geschichte seiner Jugend zu besin- 
nen, den ganzen Homer und Plato kan es auswendig, mit denen 
es aufgewachsen, und iiberhaupt kan es sich der altesten Perso- 
nen, die es vor vielen Jahren in Griechenland kennen lernte, nur 
noch gar zu wol und zu oft erinnern; aber die Autoren, mit denen 
es erst in seinem Alter bekant wird, kan es gar nicht merken, die 
neuesten Bucher entfallen ihm den Augenblik und ich weis ge- 
wis, ich, der ich doch so neu bin, werde weit leichter von ihm 
vergessen als der steinalte Pythagoras oder Homer. 

Man ruhmt es von den Spartern, daB sie, ungeachtet sie die 
Furcht verehrten und anbeteten, dennoch selber keine hatten; al- 
lein ich hoffe, ein kiinf tiger' Voltaire wird auch von uns anmer- 
ken, daB wir, so sehr wir auch die Religion zu ehren schienen, 
indem wir ihr wirklich einige Kirchen gebauet, gleichwol das 
Lob verdienen, daB wir im Herzen hie die geringste besessen und 
stets uns derselben in unsern Handlungen ganzlich zu enthalten 
getrachtet haben. 

Ich werde es alzeit behaupten, daB auf den Thronen Menschen- 
liebe, Grosmuth, Uneigenniizigkeit und iiberhaupt iede edlere 
Empfindung - horste*. 

Ichfrageieden, sind die Fiirsten, welcheihr Land anwerben, da- 
mit es beschuzet werde, die aus seinen Junglingen das schonste 



* Ich habe diesen Term von dan Jagdverstandigen entlehnet, welche 30 
von den Raubvogeln, die gewohnlich auf hohen Orten ihren Siz haben, 
zu sagen pflegen, sie horsten daselbst; Ausdriikke, dergleichen sie noch 
mehr haben. 



SCHERZE IN QUART • 3. ZUSAMMENKUNFT Hi 

' Stamholz ausheben und solches zu Ladstokken (Soldaten) schni- 
zen\ um damit dem Feinde trozzubieten, Muster oder nur Nach- 
ahmer derer Bauern, die dem Akkerfelde die fruchtbare Erde, 
unter der nichts als todter Boden liegt, abreissen und sie an dem 
Umkreis desselben zu Haufe fuhren, um damit einen Wal, der 
es so gut wie ein diirrer Zaun beschtizet, um solches zu ziehen? 
Und da von bringt auch der Teufel die Bauern nicht ab. 

Ein adelicher Stambaum ist zwar kein Baum des Erkentnisses aber 
wol der des Lebens; und doch achtet man wenig auf mich, wenn 
10 ichiungenEdelleute[n], dieinfremde Lander fahren oder reiten, 
noch nachschreie: bewahret doch euere Waden vorziiglich und 
haltet so viel auf sie als wenn sie von pur Seide und gar nicht euer 
waren! 

Wenn ich ein gewisses Band dem H. v. A. queer iiber den Ober- 
leib gleich einem Tragriemen herunterbinde: so hat er ein Or- 
densband und den Ruhm eines rechtschaffenen Mannes und die 
vollige Macht, mich hangen zu lassen: thue ich hingegen das ge- 
dachte Band um seinen Hals herum, so hab' ich ihn gehangen 
und er ist ein Dieb. Ich kan euch daher mit keiner Zuverlassigkeit 
20 bestimmen, ob der und der ein ehrlicher Man oder ein Rauber 
ist, bis ihr mir gesagt, wo ihm sein Band sizt. - Gliiklich macht 
iiberhaupt ieder, der ein Ordensband umgehangen, den Teufel, 
der ihn bedienet und begleitet: denn an dasselbe kan doch der Sa- 
tan wie an den Lakaienriemen der Kutsche ein Bedienter, sich 
halten, damit er nicht in den Koth herunterfallet. 

Woher komt es, daB auf die Brunnenkur zuweilen die Speichelkur 
erfolgt? und wenn iener Engel dem Teiche zu Bethesda durch 
seine Erschiitterung die Kraft zu heilen ertheilte, wie lasset es 
sich erklaren, daB die Damen, die doch auch Engel sind, den be- 
30 sten Gesundbrunnen durch ihre Ankunft todlich machen und 
vergiften? wienach konnen sie denselben in [eine] Lowenfalle 
verwandeln? warum ist die Liebe die Seekrankheit der Brunnen- 
trinker? und warum sind die Gesundbrunnen Trankherde, wo die 



82 JUGENDWERKE * 4. ABTEILUNG 

Damen den angekoderten Mannern die Schlinge anwerfen? 
Lauter Fragen, die wol einer gelehrten Auflosung wiirdig waren 
und deren Beantwortung ungemein viel orientalische Gelehr- 
samkeit und heraldische Kentnisse heischet. 

War' ich ein hollandischer Kaufman und sah' ich dan zu den 
Sternen mit dem Erstau[n]en iiber ihre Harmonie und ihren tau- 
sendseitigen Zusammenklang hinauf: so wiird' ich gewis aufru- 
fen: welchen herlichen Hanseatischen Bund haben da oben die 
Sterne mit einander geschlossen und wie ist da iede Welt eine 
Hanseestadt so gut als unsere Erde und als Hamburg auf dersel- 10 
ben! 

Die Laster sind die tiikkischsten und unversohnlichsten Feinde 
der Menschen; desto mehr Ehre macht es vielleicht unserem 
Christenthume, daB wir diese Feinde dennoch lieben und ihnen 
alzeit dienen. 

Ein Advokat ist so geschikt! Wenn ich einen einmal wegen seiner 
Gewissenhaftigkeit preisen und gar kanonisiren wil, so dulde er 
doch das nicht sondern seze sich gegen mich und werde sein eig- 
ner - Teufels Advokatl* 

Das Wachen ist die Prose, der Traum die fliegende Poesie des 20 
Lebens; und die Narheit ist die poetische Prose. 

In den Augenblikken, wo eine lange Sicherheit uns von der 
Wachsamkeit gegen unsere niedrigern Triebe zu feiern erlaubt, 
werden wir eben am ersten von ihnen uberrumpelt und iiber- 
mannet; so wie die Diebe ihren Diebstal bis an den Morgen hin- 
aussezen, wo der Nachtwachter abgedankt hat und unbesorgt zu 
Bette geht. 

Die Natur verbirgt wie Christus zuweilen ihre Wunder, wenig- 
stens vor den Jiiden. 

* So wird in Italien bekandich der genant, der die Mangel dessen, der 30 
zum Heiligen gesprochen werden sol, mit der grosten Genauigkeit auf- 
dekken und dessen Wunderwerke anfechten mus. 



SCHER2E IN QUART ■ 3. ZUSAMMENKUNFT 83 

Die Poeten konnen selten gute Prose reden, und die Prosaisten 
selten gute Verse singen; wie die Vogel, welche reden konnen, 
schlecht singen und die, dieienes nicht konnen, dieses gut verste- 
hen. 

Die Menschen gleichen in Riiksicht der Meinungen Personen, 
die in Staubwolken gehen. Jeder glaubt, hart an ihm sei der Staub 
(der Unwissenheit) am diinsten, urn die hingegen, die in einiger 
Entfernung vor oder hinter ihm herziehen, sei selbiger ganz 
dicht undundurchsichtig und verdekke ihnen den Weg, den nur 
10 er fortzuerblikken das Gluk habe. 

Wie in den englischen Garten nachgeahmte Ruinen stehen: so 
giebt es auch gewisse Menschen in unserer Welt, die fur sie zu 
gros angelegt scheinen und die man fur nachgeahmte Ruinen ei- 
ner grossern Welt ansehen konte. - Obrigens ist kein Mensch so 
klein, daB ein blosser anderer Mensch ihn ganz verachten zu 
diirfen gros genug ware; im elendesten Erdensohne lieget ein 
zertrummerter salomonischer Tempel, der anirgend einer Hand 
sich noch gewis emporrichtet. Und das unuberwindliche Ge- 
fuhl, noch im Besize des Vermogens zur Vervolkomnung zu 
20 sein, dieses Gefuhl, das noch im verruchtesten Menschen redet 
und das oft zur langern Verschlimmerung einschlafert, ist mir 
Burge, daB ieder aus seinem Sumpfe einmal waten oder gar flie- 
gen wird. 

Die neuen Gesangbiicher waren ein herlicher Hafen fur Ge- 
dichte, die sonst Schifbruch gelitten hatten und man soke es sol- 
chen verachteten und abgestorbenen poetischen Geburten nicht 
misgonnen, daB sie gliiklicherweise - in die Kirche begraben wur- 
den. 

Bucher, die sich und anderestets wiederholen und wiederhallen, 
30 sind selten, aber von grossern Werth und ich trage solche Repe- 
fr'nihren nie ohne einigen Stolz bei mir. 

Das Musenpferd der Lehrdichter, die uns Verse mit einigen un- 
formlichen Blumen und mit einem pfeifenden Reim hinten dran, 



84 JUGENDWERKE * 4. ABTEILUNG 

iibergeben, scheint den kleinen niirnbergischen Pferdgen zu glei- 
chen, die mit unbekanten Blumen auf dem Bauche bemalet sind 
und in deren Hintern ein Pfeifgen stekt, das angenehm tont. 

Drako's Geseze waren mit Blut geschrieben; unsere sind es mit 
blosser schwarzer Dinte, allein mit Blute pflegen wir'sie auszu- 
streichen und zu verbessern, wie der Schulmeister die Obungen 
des Knaben mit rother Dinte korrigirt. 



VON DER VERARBEITUNG DER 
MENSCHLICHEN HAUT 



Als ich vor einigen Augenblicken nackt die Stube auf- und nie- 
derlief und mich im Spiegel vom Kopf bis auf den Fun besah, 
so war ich endlich in der That genothigt, mich so anzureden: 
» Wahrhaftig! ich weiB ganz und gar nicht, was ich bisher dachte, 
daB ich seit langer Zeit nicht anders als vollig gekleidet herum- 
gieng. 1st nicht diese meine Haut eine vollstandige wohlge- 
machte Kleidung, die nett genug anliegt und die so wenig wie 
der Israeliten ihre in der Wusten, bis auf den Fad en abgetragen 
werden kann? Was kann ich an den Beinkleidern aussetzen, die 
meine Beine anputzen, und die zugleich meine bestandigen 10 
Nachthosen zu seyn scheinen? Erweitern sie sich nicht sichtbar 
mit meinem Korper und meinen Kenntnissen? Daher ist es aus- 
serordentlich gut, daB sie mir so gut wie die Erbsiinde angeboh- 
ren worden, und daB ich zu ihnen sogar noch fruher als zu mei- 
nen wirklichen Siinden gekommen, gleich dem Adam, der, 
wenn ich dem Pinsel alter Mahler glauben darf , wirklich schon 
vor seinem Falle ein Feigenblatt trug. Ich laufe seit meiner Geburt 
auf einemPaar Sohlen, die ich bekanntlich noch nicht zum Alt- 
reis schick en miissen, und sehe, die Wahrheit zu sagen, nicht, 
was meinen natiirlichen Striimpfcn ausser dem Loche, das ein 20 
SchuB im vorigen Feldzuge darein gemacht, mit Recht zur Last 
zu legen ist. Sogar eine anstandige Periicke hab' ich auf, die aus 
meinem Kopfe von selbst hervorgewachsen, und deren Haare 
wohl keinem Diebe oder Leichname angehoren, und die wahr- 
haftig so lang ich sie tragen werde, es jedem vollkommen ver- 
hehlen kann, daB ich ganz kahl bin. Dazu ist meine angebohrne 
Menschenuniform vollig nach der Mode, und wird, wie ich 
sehe, von jedem getragen; ja ich wollte daher wetten, wenn wir 
Manner insgesamt uns in dieser Nationalkleidung der Menschheit 
geschickt den Damen prasentirten, es gefiele ihnen liberaus. Lie- 30 
ber Himmel! warum gehen selbst manche Damen selten in die 
Kirche und zur Beichte? Ich weiB wohl, sie bilden sich wider 
meinen Willen ein, sie waren zu schlecht dazu equipiret - wir be- 
wtirben, sagen sie, uns herzlich gern an heiligen Orten um den 



VERARBEITUNG DER MENSCHLICHEN HAUT 87 

Rock der Gerechtigkeit, aber unser Kirchenanzug ist leider gar 
nicht fertig - alleir* sie haben doch insgesamt eine schone weisse 
Haut an, sie solten, gleich der Wahrheit und den alten Magieren 
und den Adamiten in mittlern Zeiten, bloB in diesem auBersten 
Neglige frohlich die Kirche besuchen; hochstens diirften sie 
noch den spartanischen Schleyer der allgemeinen Ziichtigkeit 
iiberwerfen. - Ueberhaupt nimmt mich, wie es scheint, diese 
naturliche Drapperie, durch die ich mich so merklich vom ar- 
men Tode unterscheide, der vom Scheitel bis zur FuBzehe vdllig 

10 unbekleidet ist, ausserst ein, und ich will meinen Anzug, da ich 
ihn schon mit auf die Welt gebracht, wie die Minerva ganz aus- 
staffiret aus ihrem Vater hiipfte, nun auch vor meinem Tode gar 
nicht ausziehen, sondern meine sogenannte Haut iiberall, im 
Bade und im Bette, ohne Bedenken an mir lassen; so wie Hr. 
Diivaudire dermaassen an seinem Ordensbande hieng, daB er es 
- er f ragte nach alien Vorstellungen nichts - weder im Bette noch 
im Tode vom Leibe brachte, und sich sogar ein blechernes be- 
stellte, um auch im Bade eines anzuhaben.« 

Leider horcht, wie ich jetzt merke, der Herr im Seitenzimmer 

20 sehr aufmerksam auf mein Selbstgesprach, und ich fahre besser, 
wenn ich das Uebrige liber eine so wichtige Sache schriftlich ab- 
fasse. 

Allein die Haut des Menschen soke gleich den Thierfellen 
nicht nur ihn allein erwarmen, sondern auch andere Menschen 
bekleiden. Ich bleibe dabcy, England, Frankreich und Holland 
bringen uns mitihren Tuchern in Kurzem an den schweren Bet- 
telstab, wenn wir nicht sehr bald anfangen, einander in der That 
zu schinden; und jene drey Lander - sie haben dabey ein langes 
Scalpirinstrument in der Hand - ziehen uns zuverlassig die Haut 

30 endlich ab, wenn wir es nicht selber thun, um uns darin zu klei- 
den. Ueberhaupt ist es ein iiberaus schlechter Ruhm, daB wir 
nicht einmal die Haut des Menschen gnugsam benutzen, da die 
Wilden den ganzen Korper desselben zum Besten des allgemei- 
nen Wesens zu verwenden eilen, indem sie ihn, wie bekannt, 
aufessen. Ich will aber hoffen, daB die Zeit dieser NachlaBigkeit 
meistens voriiberist, und daB man mit starkern Schritten als bis- 



88 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

her, die alten Alanen zu iiberholen trachte, welche die menschli- 
che Haut zu nichts zu verbrauchen wuBten als zu Schabaraken. 
Wahrhaftig es ware zu wiinschen, ich ware ein Staar, der reden 
gelernet, ich konnte dann - das Schimpfen und das Absingen 
verschiedener geistlicher Lieder ware davon immer noch der ge- 
ringste Nutzen - den Lesern die Aufmunterung zu einem bessern 
Gebrauche ihrer Haut in jedem Augenblicke wiederholen, wie 
sonst Konige sich von gewissen Knaben an dieB und jenes erin- 
nern liessen; und es ist nicht gut, daB ich den Leser mit folgen- 
dem Wenigen entlassen muB: 10 

Erstlich schiesse doch der Furst auf der Parforcejagd statt des 
unbrauchbaren Wildes mit unter einige oder mehrere Bauern, 
denen es wohl nicht miBfallen kann, daB sie aus den vergange- 
nen, gegenwartigen und nachfolgenden Muhseligkeiten der 
Parforcejagd durch einen schnellen Tod gerissen werden. Der 
Hauptvortheil aber ware, daB ihre Haute, wenn sie geschickt ge- 
gerbet wiirden, einen ganzen Hof mit Tanzschuhen versorgen 
konnten. Ich will nicht glauben, daB es in unsern Tagen noch 
Moralisten gebe, die diese Benutzung der Bauern nicht gelinde 
genug finden; sie werden vermuthlich insgesamt ganz wohl ein- 20 
sehen, daB w.enn erst neuerlich in einem gewissen Landchen je- 
der Jagerpursche die wohlthatige ErlaubniB bekam, die Ge- 
richtsbarkeit iiber Hals und Hand eines jeden, den er im Walde 
fur einen Wilddieb ansieht, so fort ihn ohne vorher anzurufen, 
das heiBt, ohne die Formalitaten des peinlichen Prozesses, mit 
der Flinte auszuiiben, daB, sag ich, ein Furst oder ein Reprasen- 
tant von seiner Seele, wohl nicht gegen die Billigkeit anlaufen 
konne, wenn er an geringen Bauern in der That die blosse Ge- 
richtsbarkeit iiber Haut und Haar geltend macht, indem er sie 
jedoch, urn sie fur die Schmerzen der Enthautung einzuschla- 30 
fern, vorher todt zu schiessen sucht. - Und da ich gerade bey den 
Schuhen bin, so soke ich meinen, daB man die Absatze der Da- 
menschuhe dem Anschein nach wohl mit keinem feinern und 
wohlfeilern Leder bekleiden konnte, als mit der Haut eben der 
Arbeiter, die an dem BleyweiB umkamen, womit sie die besag- 
ten Absatze iiberstreichen muBten; und wenn man zumal gar 



VERARBEITUNG DER MENSCHLICHEN HAUT 89 

hoffen diirfte, daB an dem Bestreichen immer so viele sterben 
wiirden, als zum Bekleiden etwan nothig sind, so verdiente dieser 
Gedanke noch mehr Empfehlung. 

Wenn irgend ein Mensch jetzt clem Pabst den Pantoffel mit 
wahrem Vergniigen kiissen soil, so blattert er in Gedanken so 
lange in der Universalhistorie herum, bis er da findet, daB man 
dem heiligen Vater sonst nur die Hand gekiisset, und deswegen 
kiisset er ihm darauf den Pantoffel mit so wenigem Vergniigen! 
SaB' ich inzwischen auf dem apostolischen Stuhl- man drehet ihm 

10 beylaufig jetzt ein modisch krummes Bein nach dem andern aus, 
ohne nur daran zu denken, daB er am Ende dartiber wahrhaftig 
umfallen muB, und daB er uberhaupt doch auch stets der Melk- 
stuhl Europens gewesen- so diirft' ich mich wohl geschickt ge- 
nug betragen; ich wiirde mich nach einer forceps deceptoria um- 
sehen, und damit meiner linken Hand die Haut abziehen; diese 
Haut wiirde auf alle Falle zu einem Pantoffel zulangen; ich wiirde 
ihn am Ende an tragen, und darin erwarten, ob ich dem Vortheil 
des pabstlichen Pantoffelkusses nicht sichtbar dadurch die Hand 
geboten. Wie gesagt, das that' ich, wenn ich drey Miitzen auf 

20 hatte; aber da ich leider nur Eine mit Schellen trage (vergeblich 
streb' ich nach dem Liripipium) so kann ich nichts thun, als - 
nicht mehr ausschweifen, sondern fortfahren. 

Die Montirung der Armeen erschopfet die Kriegscassen zu 
sehr. Ich bin zwar weit entfernt, damit die Sparsamkeit der Re- 
genten in den geringsten Zweifel zu Ziehen; viele verdienen viel- 
mehr wahrhaftig das Lob, daB sie ihren Heeren die schlechteste 
Montur anziehen, (wie einige Ordensstifter, z. B. der heilige 
Franciscus, den ihrigen,) in der sie weit weniger vor irgend ei- 
nem Feuer als vor Kalte zittern - indessen hat das dennoch den 

30 fatalen Nachtheil, daB der Kriegscommissar wirklich eine so 
schlechte Kleidung kaum noch schlechter zu liefern vermag, und 
dahernurauf sehr unerhe.bliche Bestechungen zahlen kann, wo- 
mitihm die Tuchhandler die ErlaubniB, noch schlechtere Waare 
als begehret worden, zu liefern, abkaufen. - Allein der Fehler ist 
der: Die gedachten Regenten iiberlegten es viel zu wenig, daB 
sie ihre Volker wohl am besten in menschliches Leder kleiden, 



90 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

das ihren Feinden abgezogen worden; denn dieses Leder ist eine 
Art von Panzerrock und eine dauerhafte Montur, und kann da- 
bey sowohl im Winter als im Sommer mit augenscheinlichem 
Nutzen getragen werden. Ich fragte einmal den verstorbenen 
Bielefeld: »Warum nicht die Englander sehr wohl thaten, wenn 
sie den Russen die im Handlungsvertrage von 1741 erneuerte 
Verbindlichkeit, die Armee in englische Wolle zu kleiden, vollig 
erliessen, und ihnen dafiir die neue auflegten, solche lieber in 
englische Haute zu montiren.« Allein ich glaube nicht, daB er mir 
darauf hatte antworten konnen, wenn ich auch nicht plotzlich 
fortgegangen ware. Dazu wiirden alsdann die Russen, gleich den 
romischen Fahnenjunkern, in Lowenhauten gehen, weil der 
Lowe das englische Wappenthier ist. Was wiirde - ich setze 
namlich, daB man in meinen Vorschlag einwilligte - hernach ein 
Potentat fur einen noch gerechtern Vorwand, den Nachbarn mit 
Krieg zu iiberraschen, in seinem Manifeste anzufiihren brau- 
chen, als der seyn wiirde: »Die menschenlederne Montur seiner 
besten Regimenter sey offenbar vollig abgeniitzt und voll L6- 
cher; er konne daher wohl nicht anders als ihnen ernstlich befeh- 
len, daB sie die Regimenter seiner . . . Majestat oder Durch- 
laucht mit Vortheil zu schinden suchen mochten.« Vielleicht 
wiirde dadurch die Miene des Kriegs uberhaupt ein wenig men- 
schenfreundlicher und lieblicher, und den Pliinderungen, Er- 
mordungen und Nothziichtigungen desselben mochte in etwas 
vorgebogen seyn, wenn beyde Heere in einer Art von Wetteifer 
lediglich darauf sannen und arbeiteten, einander ohne Zeitver- 
lust die Haut abzustreifen und einander vom Kopf bis auf den 
Stiefel zu scalpiren . . . Du abscheuliches Ungeheuer, reissender 
Krieg! du totale SonnenfinsterniB der Menschheit, der du die 
Menschen mit Haut und Haar verschluckst; vielleicht ist ein 
schwacher armseliger Autor wirklich vermogend, dir einen 
Theil deines Frasses abzujagen, und dich zu nothigen, daB du 
wenigstens die Haute der verschlungenen Menschen zum allge- 
meinen Besten wieder fahren lassest, wie etwan nach guten Na- 
turforschern der sogenannte Kirchenfalk von den Mausen, die 
er aufgefressen, nach einigen Stunden die Felle wieder von sich 



VERARBEITUNG DER MENSCHLICHEN HAUT 91 

giebt! . . . Woke freylich der Feind seine Haut durchaus nicht 
hergeben, so wiirde ein guter Fiirst wohl wissen, daB es nun Zeit 
und Pflicht sey, die Unterthanen selber anzutasten und abzu- 
schalen; dazumal jeder rechtschaffene Burger mit Vergmigen 
daran gehen wird, dem Soldaten, der fur ihn ficht und exercirt, 
seine ganze Haut nunmehr abzutreten, und sich fur den Krieger, 
der nicht nur ihn sowohl beschrankt - Soldatenrocke sind die 
buntfarbichten Tuchstiickchen, womit die Claviersaiten durch- 
flochten werden, und die dem Pobel das unzeitige Tonen ver- 

io bieten - sondern auch dem Fiirsten wahre republicanische Frey- 
heit zusichert, etwan ein einzigesmal in seinem ganzen langen 
Leben unmetaphorisch schinden zu lassen. 

Ein Universalerbe eines iiberaus reichen Onkels soke mir zu 
Gef alien bestandig sagen: »die Reliquien meines Onkels sind in 
aller Riicksicht schatzbarer und wirksamer als er, den ich der Al- 
legorie wegen einen Heiligen nennen will.« Und so ists wahr- 
haftig mit alien Heiligen; ihre Reliquien, ihre Knochen, ihre 
Kleider thun weit mehrere Wunder als sie selbst, und Paris war 
nicht eher im Stande, andere von Krankheiten zu befreyen, als 

20 bis er selbst an einer umgekommen war. Inzwischen wird dieses 
alles nicht eher zum unsaglichen Nutzen der medicinischen Fa- 
cultat gereichen, als bis der Marquis von Puysegur an die ganze 
Sache denkt. Dieser grosse Mann sticht durch wunderbare Cu- 
ren vor vielen hervor, und strenget dabey gar nichts an als seine 
fiinf Finger, mit denen er den Patienten streicht. Wir alle haben 
an unserer Hand nicht mehr als Einen sogenannten Arzney finger ; 
aber der Marquis hat in Wahrheit fiinf Arzneyfinger an jeder 
Hand sitzen, in denen die ganze Fulle der gesamten materia tne- 
dica leibhaftig wohnet, und die alle mit Doctorringen gezieret 

30 seyn solten. Daher kann dieser herrliche Mann nicht bald genug 
zum Kruppel gemacht werden; wiewohl es einige Scribenten 
giebt, die sich dariiber so auslassen, daB es fur ihn, es sey nun, 
daB er Wunder verrichte, oder daB er keine thue, auf alle Falle 
viel rathsamer sey, mit seiner Seele aus der Welt davon zu gehen, 
weil alsdann sein Korper offenbar eine wohlgerathene Reliquie 
seyn wiirde, die viel wirkte, und die Heilkrafte besasse und 



92 JUGENDWERKE " 4. ABTEILUNG 

ausserte, welcheseinem Verstandejetzt fehlen. Diese Scribenten 
scheinen durch ihren Rath sowohl dem Marquis als mir selber 
einen heimlichen StoB versetzen zu wollen, denn sie haben mich 
sicher allein zum vorigen langen Perioden veranlasset. Aber ich 
bin wie gesagt vollig fiir seine Verstummelung, es sey nun, daB 
man seinem Arme die Hand, oder dieser doch die Haut ablosete. 
Aus dieser letztern wurde zum wahren Vortheil unzahliger We- 
sen jener universalmedicinische Handschuh gliicklich gebeizt 
undzugeschnitten werden, den alle Aerzte so lange erwartet, und 
ohne den sie nicht absehen, wie sie mit ihrer blossen unbewafne- 10 
ten Hand die groBten Krankheiten vortheilhaft bekriegen sollen. 
Lieber Himmel! der Marquis von Puysegur ist da; seine Hand 
ist auch da; die Haut daran ist gleichfalls da; sogar Incisionsmes- 
ser sind endlich da; und doch mag niemand in der ganzen Welt 
diese kostbare Haut uns liefern, die, so lange sie belebet bleibt, 
unmoglich die geringste Wundercur zu thun vermag, und erst 
als todte Reliquie die groBten verheisset, wie die Haut des Mar- 
syas, der selbst gar kein musicalisches Gehor besaB, ihm abge- 
trennt, tactmassig bey phrygischer Music zu tanzen anfieng? 
Wahrhaftig ich begreife das nicht und shine vergeblich dartiber 20 
nach. 

Es ist mir nicht zu verdenken , daB ich dem Hof mann F-ve hier 
einen wahren Dienst erweise; denn er ist zu schlimm daran. Mu- 
thet man ihm nicht von alien Seiten zu, wie ein rechtschaffener 
Mann auszusehen? Und giebt man ihm nicht dadurch versteckt 
zu verstehen, daB man es gern sahe, wenn er die Muskeln seines 
Gesichts statt eines Zaums stets so hielte und anzoge, daB es sich 
in eine tugendhafte Maske verwandelte? Dabey kann er den 
Spiegel fast niemals entrathen. Ich glaube aber, wenn ich hier 
sichtbares Mitleid mit ihm habe und die ganze Welt dahinbringe, 30 
daB sie auf Mittel denkt, rechtschaffenen Mannern die Haut - 
nicht des ganzen Korpers wie man doch sonst den Heiligen that, 
sondern hochstens - des Gesichts ohne die groBten Schmerzen 
abzunehmen, so konnte der Hof mann F-ve sie als eine wahre 
noble masque auf seinem Gesichte tragen, und kame darunter 
verschiedenen Personen als ein ehrlicher Mann vor, ohne daB er 



VERARBEITUNG DER MENSCHLICHEN HAUT 93 

doch sein Gesicht durch eine gewaltsame Verstellung, die alle- 
zeit unerlaubt ist, zu beschimpfen brauchte. »Wenigstens sitzt 
dann auf seinem Gesichte die copia vidimata eines Tugendhaften, 
und jenes ist das Silhouettenbret von dies em, so ,wie dieses der 
geistliche Ornat von jenem ware, oder auch irgend etwas anders 
in der Welt;« inderThatist esfastso, wie es die Leser hier sagen. 
Solten sie selbst noch einen und den andern Hofmann kennen, 
der sich langst bey ihnen iiber sein nacktes Gesichte beschweret 
und nach einer Kapsel fur dasselbe mit sichtlichern Ernste nach- 

io gefraget hatte, so weisen sie mir ihn ohne Bedenken auch zu; 
denn mein Hauptaugenmerk auf dieser bunten Wasserblase im 
Meer des Aeters ist es ja sicher, nicht Einem, sondern unzahligen 
Hofleuten unsaglich niitzlich zu seyn. 

Karl XII. hielt seinen Stiefel nicht ganz fur ungeschickt, seinen 
Reprasentanten und Reichsvicarius sehr wohl abzugeben. In- 
zwischen ist ein vollstandiges Kleid weit mehr als ein Stiefel, und 
ein Mensch viel weniger als ein Reichsvicarius; daher ist es auf 
mein Wort nicht zu laugnen, daB die Kleider mit wenig Miihe 
Leute zu machen vermogen; und die Sache sogar a priori angese- 

20 hen, was konnen auch die Kleider wohl anders seyn als die wah- 
ren bildenden Kunstler belebter Statuen und die warmsten Treib- 
hauser vieler Verdienste und Reize, und die praexistirenden Keime 
der besten Bonsmots und Anmerkungen? Zum Gliick bin ich im 
Stande, mich iiber die Wahrheit dieses Satzes, der doch noch 
seine Laugner findet, ganz auf das Urtheil der Hunde zu bezie- 
hen; diese sollen uns wie den Blinden in England richtig leiten. 
Ein Hund, der sehen kann, sucht die Menschen, die EinlaB be- 
gehren, nicht nach triigenden Merkmahlen zu beurtheilen, son- 
dern er richtet seine Augen auf ihren Anzug; an den halt er sich 

30 ganz. Von Personen, welche erbarmlich gekleidet ankommen, 
weiB er sehr gut was er denken soil, und setzet sich ihrem Ein- 
tritte ernsthaft entgegen, anstatt daB er Leuten, die sich durch 
keine Bettlerskleidung verdachtig machen, mit Vergniigen und 
ohne Murren den Zugang bewilligt. Wie wenig ahnlich den 
Hunden betragen sich hierin die Menschen, die so selten oder 
niemals den Mann nach dem Kleide, sondern immer dieses nach 



94 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

jenem schatzen wollen und allemal zu spat daran denken, daB der 
wahrhaftig nur wenig Reichthum des Verstandes und Herzens 
besitzen konne, der ausserst schlecht angezogen ist und an den 
Werkeltagen im Sonntagsrock erscheint. Inzwischen kame es 
doch wie es scheint, dem Menschen sehr zu in die FuBtapfen des 
Hundes, der ein so kluges Thier ist, glucklich zu treten, und von 
ihm den MaaBstab zur Menschenschatzung etwan zu entlehnen. 
Freylich wenn man meinen Rath anhorte und die menschliche 
Haut zur Kleidung gebrauchte, so wiirde es jeder noch besser 
einsehen, daB die Kleidung oder die menschliche Haut Leute 
oder Menschen machen konne; denn ein Mensch ist in der That 
bloB eine mit einer Menschenhaut iiberzogene Osteologie, die 
aberlachenkann-unddasists, was ich durch meinen Vorschlag 
zu bewirken dachte. 

Ich wunschte manchen Damen eine viel schonere Haut der 
Hande: denn ich leide am meisten darunter, weil ich diese stiind- 
lich kiissen muB. Man soke aber nicht eher rasten, bis man sie 
dahingebrachthatte, daB sie die Haut von ihren Handen sich ab- 
ziehen liessen. Ich meyne gar nicht, daB sie darauf diese Haut 
verkaufen solten, sondern sie miissen sie vielmehr wieder anle- 
gen und wirklich statt der Handschuhe tragen, um die neue Haut 
zu beschirmen, zu verhehlen und zu putzen. Inzwischen ist diese 
Ablosung der Haut nicht einmal durchaus nothig, und die Dame 
braucht nur, wenn ich ihr die Hand mit Anstand kusse, mich zu 
erinnern: »das, was Sie jetzt zu kiissen suchen und anfassen, 
miissen Sie in der That fiir weiter nichts als den ledernen Hand- 
schuh der verborgenen Haut ansehen, die Sie nicht kiissen und 
nicht anfassen; ich trage diese Handschuhe - es sind keine Blech- 
und keine Fingerhandschuhe- schon von meiner Geburt an, und 
auch im Bette.« Ich wiirde mich dann bemiihen, aus dem 
Stegreife auf folgende Replic zu fallen: »Beynahe hatte ich doch 
jetzt gleich den Indianern, als sie die ersten Europaer sahen, die 
Kleidung wenig von dem Korper unterschieden und leider fast 
beyde fiir eins genommen.« 

Warum werden doch den Negersclaven nicht die schwarzen 
Felle iiber die Ohren gezogen und nach Europa verschicket? Wir 



VERARBEITUNG DER MENSCHLICHEN HAUT 95 

konnen sie zur Land- und zur Privattrauer unmoglich entrathen, 
und wir wollen mit Vergniigen, falls diese Abhautung etwan 
mehrere Neger als der Zucker ermorden soke, den Tod derselben 
in ihrer eigenen Haut betrauern; ja wir weigern uns nicht, so bald 
wir werden gestorben seyn, ihnen unsere weissen Haute zu iiber- 
lassen, damit sie darein den Teufel, den sie fur ein weisses Wesen 
halten, oder auch seine Priester kleiden. Aber bey den Sinesern, 
die weiB trauern, konnen wir unsere Haute vielleicht mit mehr 
Vortheil absetzen. 

io Ein geiziger Wucherer und Rentirer hat keinen andern Weg, 
die Kanzel, ohne einen Heller Unkosten, ganz neu kleiden zu 
lassen, als den, daB sie mit seiner Haut ausgeschlagen wird. Seine 
Leichenpredigt wiirde ihr zur Schande, allein seine Haut nur all- 
zusehr zur Zierde gereichen; versichert uns denn nicht 
R. Elieser, daB eben so die Haut der namlichen Schlange, die 
den ersten Eltern den Ruhm der Tugend geraubet hatte, einen 
hiibschen Anzug fiir beyde hergab? 

Die wenigen Hofleute, die bisher wegen ihres Verstandes und 
Korpers blosse Wandtapeten der Vorzimmer gewesen, diirften 

20 wohl zum Fiisse lecken und kiissen auf einmal gelangen, wenn 
sie aus ihrer Haut nicht so sehr viel machten, sondern sie frey- 
willig als ein Regale dem Fiirsten anboten, damit er sie etwan als 
Fufitapeten hinbreiten liesse. Sie wiirden als dann, gleich gewis- 
sen Thieren, den Ruhm hinter sich lassen, daB sie nach ihrem 
Tode sogleich von einigem Nutzen waren; aber ich glaube, es 
bliebe kaum bey diesem unerheblichen Lobe. 

Es ist freylich etwas sehr Schlimmes und daher Ungewohnli- 
ches, daB auf der Insel Tarento (im adriatischen Meerbusen) die 
Flohe dermaassen iiber Hand genommen, daB die Leute sich im 

30 Sommer wirklich mit ledernen Striimpfen gegen ihre Stiche ver- 
panzern miissen. Allein die dasigen Autoren haben diese lacherli- 
cheBeindecke vielleicht kaum vonnothen. Denn wenn die Auto- 
ren - so wie die Minerva sich mit dem Kopfedev Medusa beschiit- 
zete - die Haut der tarentinischen Rezensenten, welche dabey ihr 
Leben verldhren, unversehends anzogen, was konntedann jene 
mehr stechen? Ja sie brauchten die Haut nicht einmal anzuziehen: 



96 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

In Leyden werden aus Habgier nach Milch die Kiihe und in 
Persien aus Thierfreundlichkeit die Hunde gekleidet. Allein ich 
habe immer geglaubt, das Vieh sey in der That nicht ehrgeizig 
und frage nach einer unehrlichen Kleidung so viel wie nichts; 
man diirf te daher wohl ohne Bedenken den erstern die Haute der 
Seelenverkaufer umthun; fur die Hunde aber erwart' ich, daB die 
Damen nachstens etwas Ausnehmendes thun werden. 

Die Alten - hat man angemerket - trugeri iiberaus gern die 
Haute der Thiere, mit denen schon ihr Character in einiger Ver- 
wandschaft stand, und zu deren Nachahmern sie sich aufwarfen; 
daher gieng Agamemnon nach dem Virgil in einer Lowen- und 
Acestes in einer Barenhaut. Wenn ich einen Rauber gegen einen 
Helden, oder einen Dieb gegen einen grossen Finanzminister 
halte, so kann ich nicht anders als finden, daB der Rauber und 
Dieb ein wabres Thier, hingegen der Held und Finanzminister 
erst ein Mensch ist, wenigstens vergleichungsweise. Das soil 
eben so wenig Schmeicheley seyn als der Vorschlag, (wiewohl 
man auch diesen dafur ausschreyen wird) den ich hinzufiige, daB 
es die beste Nachahmung der obigen Alten seyn wiirde, wenn 
der Held die Haut des Raubers und der Finanzbediente die des 
Diebes geflissentlich anlegte und seine Tracht von diesen Thie- 
ren borgte. 

Bey den Thieren wird das Fell durch den Hunger, allein bey 
den Menschen durch die Ueberladung ausnehmend verbessert; 
daher die siberischen Tatarn den Fiichsen die Speise friiher als die 
Haut entziehen; daher Personen von Stande und aus Wien gar 
nicht zu essen aufhoren und selten ein zwey und dreyBig Theil 
Pause darin machen . Auf meiner letzten Reise durch das siidliche 
Europa, die vieles, vielleicht das Meiste zu meiner nicht ganz ge- 
wohnlichen KenntniB von der menschlichen'Haut beytrug, fand 
ich es fast immer, daB die Menschen die feinsten und weissesten 
Felle hatten - ich weiB nicht, ob Sommer und Winter auf diese 
so grossen EinfluB haben wie auf Hasenbalge - welche die beste 
Nahrung, die wenigste Arbeit und das meiste alte Gebliit hatten; 
ich glaube aber, in F- sind sie vielleicht besser als irgendwo und 
versprechen F- mehr als zu wohl fur den Pelzhandel zu entscha- 



VERARBEITUNG DER MENSCHLICHEN HAUT 97 

digen; warum sie daher Herr Crome auf seiner so vollstandigen 
Producentenkarte mit anzufuhren vollig vergessen, das ist wohl 
nicht begreiflich. Uebrigens lockte mich dieses, ich kann es be- 
kennen, weit mehr als einige Reiseschulden an, in F- ein ge- 
drucktes politisches Project zu hinterlassen, worin ich leidlich 
gut darthue, da8 man, ura dieses ganze Land wieder auf einen 
schuldenfreyen FuB zu setzen und seine Provinzen zu bereichern 
und zu bevolkern, weiter gar nichts nothig habe, als nur hinzu- 
gehen oder auch hinzufahren und das goldene VHes (die feine 

io Haut). von den reichen und vornehmen Personen, woran es 
hangt, und die es zu angstlich bewachen - diese stiirben hernach 
wohl zuverlassig an diesem Verluste - mit geiibten Handen her- 
abzunehmen. Auf der Haut des Hamsters, mit der man die Klei- 
der doch nur futtern kann, steht im Gothaischen ein Preis; allein 
ich habe noch nirgends gehoret oder gelesen, daB man auch auf 
die viel weissern und feinern Felle gewisser Personen einen ge- 
setzet, damit man sie fleissiger einlieferte, und selbst wenn man 
auf anatomischen Theatern einige antrift, so weiB man sie doch 
so wenig zu gebrauchen, daB man in ihnen wahrhaftig Heu auf- 

20 bewahret wie etwan in Futtersacken. Ich tadle es nicht, daB man 
den Alfred lobet, der sich von den Wallisern den Tribut in Wolfs- 
kopfen entrichten lieB; allein kann ich es billigen, daB man ihm 
nicht nach ahmet und daB kein Regent - so viel ich wenigstens 
weiB, der ich nicht gerade jede politische Zeitschrift in die Hande 
bekomme - seinen armern Unterthanen die Steuern in feinen 
Amtmanns-Zolleinnehmers-Justiz- und Hofbeamtenfellen ab- 
zufuhren anbefohlen? Man fehlet hier sichtbar. 

SchlieBlich: ich sehe nicht ab, warum man nicht behaupten 
soke, da es wirklich kein besseres Unterhemd giebt, als eines je- 

30 den eigne Haut, daB die Damen es dem Wohlstande schuldig 
sind, ihren Busen wenigstens mit dieser angebohrnen Decke zu 
belasten und durch diese Bekleidung uns seine Reize zu verhul- 
len - ich sehe ferner nicht ab, warum nicht der ganze leichteKor- 
per eines zuriickreisenden Grafen einen anstandig gemachten 
Skaphander (Schwimmkleid) solte abzugeben vermogen, falls er 
nur erst anzuziehen ware, welches aber wahrhaftig unmoglich 



9^ JUGENDWERKE ' 4. ABTEILUNG 

ist - ich sehe auch noch nicht ab, warum man nicht der Haute 
der Kaufleute, der Renommisten, der Stutzer, vieler Aerzte und 
unzahliger Rezensenten sich auf einmal bemachtigen soke, da 
die erstern mit so vielem wahren Vergmigen die ihrigen zu Re- 
chenhauten, diezweiten ihre zu guten Degenscheiden, die drit- 
tenzu Nahkussen, die vierten zum Leder fur grosse Heftpflaster 
und die letztern zum konservirenden und gegen Motten, 
Schmutz und Zerstorung sichernden Einbande classischer Au- 
toren herschossen - ich sehe noch weniger ab, warum nicht aus 
den Nonnen gute Nachthosen fur die Monche in alien Standen 10 
sehrbald solten gearbeitet werden, da doch Prokulus, Landpfle- 
ger des Konigs Genserich, sogar kein oder wenig Bedenken 
trug, aus den Altartuchern der Kirchen in der zeugitanischen Pro- 
vinz in Africa sich verschiedene Beinkleider zuschneiden zu las- 
sen, die er hernach oft anzog - ich sehe endlich in der That nicht 
ab, warum ich nicht so gleich aufhoren soke. 

J. P. F. Hasus 



[AUSJ FAUSTINS NACHLASS 



I. Absaz 

Er handelt ganz von dem unglaublichen Schaden, den ich mir thdte, 
wenn ich bet dem Antritte eines so wichtigen Buches heftig hinter den 
Cuts de Paris oder parisern Ae. . . . her sein wolte, um sie zu sta'upen 



Haberman, Bessenius und Eugenius hatten es vielleicht schon 
auf der Gasse gar wol gesehen, daB ich mit dem cul am Fenster 
war und iiber ihn aus alien Kraften nachsan, ohne dabei zu sizen. 
Indessen kehrt' ich mich um, als der erste fur sich und die andern 
anklopfte, undhieltihnen bios den franzosischen cul weit genug 
entgegen: »der Hintere ist endlich wol da, sagt' ich, und der 
Postmeister strich auch zu meinem offenbaren Schaden das 
Franko durch; aber bisher treib' ich am ganzen Gliede noch gar 
kein einziges organisches Kiigelgen auf, aus dem ich eine anziig- 
liche Satire schaff en konte und ich bin dariiber schon in manchen 
Aengsten. Eh' Sie kamen, nahm ich es ein wenig in Augen- 
schein.« 

» Vielleicht, sagte Haberman und behielt noch Hut und Stok, 
langen dieGleichnisse, die ich mitgebracht, fur die Satire zu. Ich 
habe sie zu Hause nach einer Handzeichnung von einem parisi- 
schen Cul aus freier Hand verfertigt. Der Himmel wird geben, 
daB die Zeichnung vollig richtig war: sonst war' es kein kleines 
Ungliick fur uns samtlich und ich miiste mehr als 20 Aehnlich- 
keiten, die der ganzen Welt ungemein hatten zu Passe kommen 
konnen, auf den Mist kehren. - In der Tasche (er gab den Hut 
der linken Hand, die den Stok hatte und zog einige Zettelgen 
heraus, die nach Mosers seinen zugeschnitten waren) werd' ich 
wol einige gutehaben. No. 1. nent den PariserH- bios einenge- 
schickten Assessorund Adiunktusdes natiirlichen H-und halt sich 
durchaus nicht dabei auf, daB er ihn einen Hofum die Sonne oder 
gar eine bunte Nebensonne des natiirlichen hiesse: aber No. 2 be- 
fasset sich damit mehr und schenkt noch obendrein ihm den pas- 
senden Namen eines Vorgrundes und Vorgeburges, das den ange- 



FAUSTINS NACHLASS 101 

schaffenen so hebt. Wie konten aber diese Zettel in einige 
Betrachtung gegen den darneben kommen, den ich iezt ansehe 
und der bei dem ganzen Handel den ersten Matador vorstellet? 
(Er hielt seine Zettel wie ein Spiel Karten und that seinen Biischel 
von Einfallen nach Art eines Pfauenschwanzes auseinander) 
Wahrhaftig No. 3. verhehlt es nicht, daB man ohne diesen apo- 
kryphischen H-, sich Jahraus Jahrein nur mit solchen wiirde be- 
helfen mussen, die sicher kein Alphabet stark waren und noch 
obendrein im Taschenformate. Ich konte No. 4 ganz und gar 
weglassen, worin ich bios ins Reine bringe, daB der naturliche 
cul beim Aufstehen aus dem Bette fast noch im ersten Viertel ist 
- kleidet man sich verstandig an, so mus der Mond immer 
schneller zunehmen und um halb 4 Uhr kan man wahrhaftig 
schon mit einem volstandigen Volmond ausfahren - Und ich 
glaube nicht einmal, daB auch an No. 5. mehr ist; es sagt bios, 
der parisische cul ware die nothigste Verstarkung des Hintertref- 
fens und die Damen wolten uns mit beiden und mit ihrer bewaf- 
neten Neutralitat ganz gut besiegen. Auf No. 6. hab' ich, wie ich 
iezt sehe, gar kein Wort geschrieben.« 

a — Auf einmal brach der gelehrte Bessinius, der unterdessen 
auf nichts Acht gegeben hatte als auf die arabischen Vokabeln, 
die er im Kopfe sein Gedachtnis iiberhorte, unversehends fol- 
gendergestalt los: »wolte der Himmel, ich konte vorher auf der 
Rathsbibliothek einiges iiber die Culs de Paris am Sonabend 
nachlesen: soviel muthmass' ich aber gar wol, das gegenwartige 
Glied hangt fast mit alien Wissenschaften iiberaus genau zusam- 
men; und selbst mit dem Hebraischen, es sei denn daB man es 
anfeinden wolte, wenn ich den Damen-cul zu den fiinf Buchsta- 
ben der Hebraer schlage, die am Ende schicklich vergrbssert wer- 

a In iedem Buche giebt es schmale Streifen von grosser Gelehrsam- 
keit, Feinheit und schleppender Sprache: allein in meinem sind sie wol 
am haufigsten; indessen bau' ich den grosten Nachtheilen daraus ganz- 
lich vor und halte durch 2 Striche von vornen und 2 von hinten (oben 
sieht man sie) viele Leser, die sie nicht verstanden, leicht von ihrer Le- 
sung ab. Lieset sie hernach einer doch, so kan er wenigstens nicht sagen, 
ich ware daran mit schuld. 



102 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

den; wiewol selbst diejenigen langen Pfingstprogrammen, die 
ich in meinen jiingern Jahren dariiber dem Publikum vorgelegt, 
das kaum leisten, was ihr Titel verheisset und ich wiinschte, ent- 
weder die gelehrte Welt mochte sie zu meiner Ehre gar verges- 
sen, oder ich eroberte in meinem Alter die Zeit und die Krafte, 
es mit ganz andern Griinden auszufiihren, daB der pariser cul 
theils das Suffixum theils die Penultima des natiirlichen und folg- 
lich die Antepenultima der ganzen Dame in der That ist. Obrigens 
ist es iedem, der nureinige promptuaria juris gelesen, bekant ge- 
nug, wieviel Muhe sich die Juristen zu alien Zeiten gegeben - am 10 
meisten in diesem Jahrhundert -, bios um vollig darzuthun, daB 
man den oft besagten pariser cul nicht so wol den Maskopeigesel- 
len des natiirlichen, als die clausula salutaris einer wahren Dame 
nennen miisse, und wer kan die hohen Ball en von iuristischen 
Disputazionen ganz durchblattern, die sich uber den Punkt, daB 
die promptuarien ganzlich fehlgeschossen, indem sie ienem cul 
nicht so wol den Titel eines curatoris absentis, als den eines sub- 
stituti cum spe succedendi hatten vergonnen soil en, auf eine Art 
auslassen, die stets gef alien? - Ja vermocht' ich mir wol noch bis 
auf diese Stunde soviel Augenblikke auszusparen, daB ich nur 20 
meine lateinische medizinische Doktordisputazion hatte lesen 
konnen, die ich mir, wie ich mich ruhmen kan, nicht von dem 
ersten besten sondern vqn einem ganz geschickten Manne 
schreiben lassen und von der ich erwarte, daB sie die schicklich- 
sten Griinde zu Hause gefiihret, warum die Weiber wenigstens 
die anus cerebri b seltener. vergrosseml « — 

»Ich konte Sie, fiel Haberman ungeduldig ein, dafur reichlich 
entschadigen, wenn Sie mich zum Ablesen meiner andern Zettel 
in der linken Westentasche wolten gelangen lassen, die ich schon 
so lange hake. Es sind sieben Zettel oder Nummern, die sehr 30 
mit einander hadern. Der parisische cul ist in der That, sagt 
No. 1., nichts anders als eine prachtige Stukkaturarbeit, am na- 
tiirlichen angesetzt- Wahrhaftig, sagt No. 2, eher eine erhobene 
Arbeit desselben und feines Schnizwerk - Schonheit mus ia bei 

So heisset der Anfang einer Gehirnkammer. 



FAUSTINS NACHLASS 103 

den Damen zu Miethe sein; wo kan aber die Schonheit wolfeiler 
wohnen als hinten heraus, sagt No. 3 - ich woke es auf der Stelle 
beschworen, daB er schlechthin seine Bakkentasche ist, wie die 
Affen mehr des Nuzens als Spasses wegen haben, sagt No. 4 - 
Am Ende wird man finden, daB er nur dessen Put- und Wetter- 
dach sein sol, sagt No. 5 - Und das sag ich auch, sagt No. 6 -. 
Aber Siind' und Schande ists, uber den Reprasentanten und das 
Agio und die Ueberfracht eines Gliedes, das kiinftig nicht einmal 
wie andere ehrbare Gliedmassen von den Todten auferstehen 

10 darf c , soviel Worte und Gleichnisse zu machen, und die Rezen- 
senten solten es zu ihrer Zeit schon hinlanglich anzufechten und 
zu riigen wissen, sagt endlich No. 7. - Und das sind die Gleich- 
nisse in meiner Weste. In den beiden Hosentaschen hab' ich 
nichts.« 

»Und ich wiird' es gern sehen, sagt' ich, daB ich in meinem 
Kopfe nicht so unglaublich wenig dariiber hatte. Ich wollte we- 
nigstens, ich konte mich dagegen sezen, daB ich mir iezt weder 
von den Philistern noch von den Ehemannern eine Vorstellung 
machte. Denn diese zwei Ideen konnen mich noch dahin brin- 

20 gen, daB ich die Pariser culs ernsthaft lobe; und damit kont' ich 
Ihrer und meiner Satire dariiber mit der Zeit schaden. Hatten 
eben die Philister, denen ohnehin Unpaslichkeit und Mause so 
sehr wehe thaten, in ihrem ganzen Lande nur fiinf culs de Paris 
vorrathig gehabt: so lasset sich leicht ausrechnen, wie viel sie da- 
durch in ihrem Beutel wiirden behalten haben: so aber musten 
sie das Geld aufwenden und fiinf culs aus purem Golde miinzen 
lassen, um solche an die Israeliten abzuschicken, die sich daraus 
mit Vergniigen eine medizinische Vorstellung von ihrer Krank- 
heit machten und denen diese goldnen Symptomen eben so lieb 

30 waren als ein langes Bierglas Urin oder eine gedrukte Semiotik. 

c Die alten Theologen sahen sich hieriiber im Besize viel genauerer 
Kentnisseals die neuern; es war ihnen nicht unbekant, daB ich von Tod- 
ten auferstehen wiirde ohne Magen und Gedarme und mit wenigen Haa- 
ren pp. Die Damen, sagten sie, koramen unter andern auch mit einem 
Busen aus dem Grabe, der gar keine Milch giebt. Siehe Gerhard. Loc. 
Theol. Tom. VIII. 



104 ' JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

Ich sag' es noch einmal, hatten die philisterischen Damen culs 
de Paris angehabt und deren funf zum Versenden hergeschossen: 
die Israeliten wiirden daraus vollig eben so gut und deutlich den 
statum morbi ersehen haben. - Nicht minder kommen sie auch 
den Ehemannern, von denen ich mir vor wenigen Augenblicken 
eine Vorstellung mit machte, recht zu statten. Wenn sonst ein 
Man seine Liebesbriefe einaschern und sich kopuliren lassen 
wolte: so war er schlim daran und ihm wurde vor dem Altar eine 
eheliche Halfte, die ganz aus Leib und Seele bestand, fest angesezt. 
Aber iezt fahret ein Eheman unbeschreiblich viel besser und auf 
keinem Trauer- sondern Elias- und Triumph wagen: er heirathet 
namlich in der That nur ein - eheliches Viertel und es ist gut, daB 
ich das sowohl durch eine Apotheker- und Fischwage als durch 
eine leipziger Elle zu erharten vermag. Denn wenn man durch 
chymische Scheidung eine Dame und ihren Anzug vollig von 
einander bringt und spalt - so daB man im Ernst hier zur rechten 
Seite die blosse Dame, zur linken den ganzen Anzug vor sich lie- 
gen hat- wenn man hernach die abgetrente Dame und ihre Seele 
in die eine Schale der Komtorwage (die Justiz wolte mir ihre 
Wagenicht leihen und schiizte vor, sie habe sie vor einigen Tagen 
verlegt, all ein ich sah sie ganz wol am Himmel hangen) zu wer- 
fen sucht; und in die andere die Schuhe, besonders den cul de Pa- 
ris, und den Kopfschmuk driikt: so findet man den Augenblik, 
daB die beiden Schaalen so gleich als ob gar nichts in keiner ware 
stehen und es ist nicht der geringste Ausschlag da. 

Der Anzug der Dame ist also die Halfte derselben und der Pre- 
diger, der mich geschiktkopuliret, saget etlichemale: >er versehe 
mich hiemit aus leicht begreiflichen Ursachen mit einer wahren 
ehelichen Halfte. < Wenn ich aber mit der Braut nach Hause fahre 
und auf einem Bogen Papier die Kleidung subtrahire: so hab' ich 
in Wahrheit ein eheliches Viertel; ich lege auch hernach bei Gele- 
genheit dem Prediger die Gewissensfrage vor, ob er es zu den 
Kardinal- oder zu den Temperaments- oder gar nur zu den mit- 
lernTugenden zu rechnen pflege, wenn einer, um eine ordentli- 
che eheliche Halfte zusammenzubringen, Tag und Nacht, Som- 
mer und Winter, in hizigem und sturmischem Wetter einem 



FAUSTINS NACHLASS 105 

zweiten ehelichen Viertel nachsezet urld aufpasset, welches man 
schiklich genug eine Maitresse nennet: denn im Ernst erst Eine 
Frau und Eine Maitresse und Ein Man konnen ein Ganzes ohne 
Bruch formiren.« 

— »Wahrhaftig, sagte Bessenius, ich schiebe die Schuld fast 
mehr auf den Teufel als auf sonst jemand. Ich weis es zwar recht 
wol, daB Plato vom Jupiter berichtet, er habe die ehemaligen ko- 
lossalischen Menschen entzwei zu sagen befohlen und ihm sei es 
schuldzugeben, daB gegenwartig jeder, wenige Misgeburten 

10 ausgenommen, nur zwei Beine und Einen Kopf u. s. w. habe: 
allein treibt es denn nicht erst der Teufel eigentlich bis zum Feh- 
lerhaften? Dieser stirbt einmal darauf , dafi die Menschen wie die 
Polypen und die Materie, ohne ihren Schaden sich ins Unendliche 
theilen lassen. Und nun schneidet er wie narrisch fort. Jupiter 
halbirte uns samtlich bios; aber der Teufel hat alle gar schon ge- 
viertheilt und die geschiktesten Damen mussen nun, urn sich nur 
einigermassen wie sonst, als eheliche Half ten zu geberden und 
zu erweisen, den Ersaz ihres abgetrenten Menschenviertels von 
dem Frauenzimmerschneider erwarten, der ihnen ein sehr ahn- 

20 lich aus Kleidern nachgemachtes annaht; den Manspersonen 
bringts der Mansschn eider: daher man auch in den neuern Zeiten 
seit dieser teuflischen Amputazion viel vorsichtiger verfahren zu 
mussen vermeinet und wol keinem iibrigens ganz guten Manne 
Aemter, Titel und andere nicht gleichgultige Vortheile vergon- 
net und zuschlagt, von dem man nicht mit Augen sichet, daB er 
wirklich eine reiche nach dem Modejournal zugeschnittene Er- 
ganzung dessen anhat, was der Teufel ihm abschnit. Und wolte 
Got, der Satan stande hierbei stille! Aber sagte er nicht neulich 
in Gegenwart vieler Personen und wies dabei hinter sich mit dem 

30 Daumen auf einen Priapus von Samt aus Italien: >und mit der 
Beinsage sol es mir besonders gerathen! Wahrhaftig wenn ich 
mit dem Kaiserschnitte beginne und hernach auf alle mogliche 
heraldische Schnitte ausbin, auf Kegelschnitte und Haupt- 
schnitte, auf Queerschnitte und Wellenschnitte, auf Wolken- 
schnitte und Zahnschnitte, ich wil nicht schworen, aber bei mei- 
ner Seele in kurzem wird die Menschheit in Infusionsthiergen 



106 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

zerfahren und es werden Menschen und Buchbinder geschikket 
werdenim 128 Format mit 8 Signatures < Und wenn diese trau- 
rige Zeit einmal kommen wird, aus der man wie in einem andern 
Lande die Griechen und die Romer wie Kolosse und Gebirge, 
weit von sich in den Wolken der Vergangenheit stehen sehen 
wird: was werd' ich dan, gesezt ich sahe mich in Frankreich, oder 
in Italien oder in Deutschland oder im Monde um, auf den 
Thronen und hinter den Sessionstischen und Kanzelpulten und 
in den Generalfeldmarschalszelten ertappen? Ach auf dem 
Throne werd' ich das dasige caput mortuum gar nicht wahrneh- 10 
men konnen, sowol weil es fur diese Hohe viel zu klein ist als 
weil eine Krone dariiber gedekket steht; hingegen um die Ses- 
sionstische werd* ich menschliche bouts rimes sizen sehen, deren 
Gleichlaut uns um Verstand anspricht und ob mich gleich das 
Segment von einem Menschen, das hinter dem Kanzelpulte hor- 
bar zu werden strebet, gewissermassen ruhren konte: so wil ich 
dochlieberindasGeneralszeltschauen, worin ein Wesen hauset, 
dessen Leib und Seele mit weit mehr Feinheit und Kleinheit ge- 
arbeitet sind als die u6Gesichter des Kirschkerns in Dres- 
den. « - '- 20 

»DaB sich Got erbarm, (schrie Haberman plotzlich, der mei- 
nem Barbierspiegel gegeniiber sas und darin wahrend der vori- 
gen Digression den Begebenheiten auf der Gasse zugesehen 
hatte,) dort steigt die Ministerin ein und hat nur einen einzigen 
H-. Das versalzt mir viele Gleichnisse und dem H. Bessenius 
seine Digressionen und uns alien die erste Konferenz: denn wir 
konnen uns darauf verlassen, daB man die culs de Paris nun in 
wenigen Tagen aus dem ganzen Lande ausmerzt; in Paris mus 
es schon vor 14 Tagen mit ihnen vorbei gewesen sein. Unsere 
umstandliche Satire dariiber wird aber iezt iedem vollig anstin- 30 
ken.« 

»Ich ware selber froh gewesen, hatte diese Narheit nur solange 
angehalten, daB ich vorher noch eine sehr nuzliche Satire auf sie 
in die Welt hatte schaffen konnen: diese wiirde vielleicht viele 
Damen von ihr geheilet haben . . . 

»wahrhaftig keine einzige; (unterbrach mich zwar Eugenius) 



FAUSTINS NACHLASS 107 

denn hochstens verfangt Satire nur gegen Thorheiten etwas, 
die erst anzulanden wagen und deren Misgestalt noch Anstos 
giebt. Auch mangelt unserer Zeit nicht die Einsicht ihrer un- 
zahligen Narheiten, sondern die Kraft und der Muth, sie ab- 
zudanken; die Gottin des Erasmus hat aufgehoret sich selbst 
zu loben und der fremde Spot wiederhallet bios ihren eignen. 
Der feine Weltman hat keine einzige Narheit, die er nicht 
selbst verhohnte« - »Und so auch keine einzige Tugend«* 
sezte noch Haberman hinzu; allein ich lies vom obigen Saze 
10 nicht ab, sondern fuhr fort: 

»ia wahrscheinlich alien Damen hatte meine Satire die Pariser 
Ae . . . ausgezogen - das Bewustsein aber, eine Thorheit fruher 
vom Theater weggepeitscht zu haben, mochten wir Satirema- 
cher mit nichts vertauschen: - indessen ist mir es so - vollig eben 
so lieb und noch weit lieber. Es ist erschreklich, lieben Freunde, 
wenn man fluchtig iiberlegt, mit welchen Martern die Rezen- 
senten mich gezuchtiget hatten, fals ich das, was ich und Sie bis- 
her iiber die'c'uls satirischer und unziichtiger Weise vorbrachten, 
hatte drukken lassen, welches ich nun nach Habermans Entdek- 
20 kung wol nicht thue. >Hasus hat in Faustins Nachlasse den Wol- 
stand und die Schamhaftigkeit augenscheinlich und ohne Noth 
erschlagen und es ist unglaublich< hatten unzahlige Rezensenten 
gesagt und sogleich, ohne ein Wort weiter zu schreiben, dem Sa- 
tan einen Wink gegeben, die drei Obel, das metaphysische, das 
physische und das moralische, die er an einen Strik gekuppelt halt 
- sie sind bekanntlich die drei Grade der Tortur fur die Mensch- 
heit - ohne Bedenken auf mich loszulassen und loszuhezen. 

* Welches Jahrhundert nach Christi Geburt ists, worin die Verfeine- 
rung des Kopfes mit der Verschlimmerung des Herzens in gleichem 
30 Schritte geht, worin die Kluft zwischen Einsicht und Handlung immer 
breiter und tiefer wird, worin die Bekantschaft mit der Armseeligkeit 
schimmernder Thorheiten und aufgefarbter Freuden und gekronter 
Vorurtheile zugleich mit einem kriechenden Unvermogen, sich uber 
diese drei durch manliche Tugend zu erheben, taglich zunimt? Wenns 
nicht das achtzehnte Jahrhundert ist, so ists sicher das neunzehnte oder 
sonst ein anderes. 



108 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

Und wenn ich vollends, lieber guter Haberman, Ihre sonst 
gute Anmerkung da in Ihrem Souvenir: >es sei unsinnig und mo- 
disch genug, daB man in Paris lieber hinten als vorne dik sein 
wolle und einer verehlichten Frau den cul de Paris lieber als die 
Schwangerschaft vergebe< mitin die Presse schikte: wiirden sich 
dan wol die Rezensenten ein Bedenken machen, ungemein un- 
schiklich aus einer Allegorie (aus der obigen) in eine ganz andere 
zu gerathen und mich vor unzahligen Menschen zu nehmen und 
ans schmahlige Kreuz zu heften, dessen Reliquien doch bei armen 
Monchen stiindlich wachsen? Dan aber schrumpfte dem An- 
schein nach wol alles, was die Welt noch von mir zum Lesen 
habhaft wiirde, auf wenige sieben Worte am Kreuze ein. 

Jezt hingegen kan ich die Munterkeit selber sein; der Wolstand 
bleibt mein Freund, die Rezensenten auch, ich gleichfals und es 
ist iiberhaupt auch in vielen andern Rucksichten weit besser, daB 
ich vielmehr iiber folgenden Gegenstand mich fast meisterhaft 
auslasse: 



XI. 
Ernsthafter Anhang von Eugenius 

I. 
Ein Brief uber Gegenstande der Lebensphilosophie 

. . . Ich geniesse den Sommer allemal im Fruhling und Herbst. 
Die Freuden des Menschen konnen nur in der Zukunft und der 
Vergangenheit leben; die Gegenwart reibet sie auf. Selbst bei den 
rauschendsten Vergniigungen borgt jeder gegenwartige Au- 
genblick seinen Zauber von dem Versprechen des nachsten; 
nicht wenn der Bal angeht, sondern gegen Morgen, wenn die 
innern Phantasien die Sinne iibertonen, wenn die larmende Ge- 
genwart sich in einen Traum verdunkelt und wenn man die Mu- 
sik mehr entfernt und in sich als ausser sich horet, erst dan ver- 
sinkt man in die wollustige Trunkenheit des Genusses. An ieder 



FAUSTINS NACHLASS 109 

wahren Freude - die allemal unerwartet und ungerufen komt - 
labt mich der Gedanke am meisten, daB ich mich wieder einer 
neuen zu erinnern habe: denn du weist, daB ich in meinem Kopfe 
ein schones Winterhaus vol bluhender und siisser Erinnerungen 
angeleget habe. Hasus nent gar das Vergnugen Lagerobst, das 
nicht am Baume, sondern durch Liegen nach dem Pfliikken 
milde wird. Der Poet und der Stoiker sind sich vielleicht nicht 
so unahnlich; ieder wirft sich aus der aussern Welt in seine eigne: 
nur daB der Poet der wirklichen Welt mehr seine schimmernde 

10 Tauschungen anmalt und der Stoiker hingegen ihr mehr ihre 
ftirchterlichen abzieht; wenn man der erstere nicht mehr bleiben 
kan, so musman der andere werden. Dem J. J. Rousseau vertrat 
seine Phantasie die Stelle der Apathie. 

Du sagst, ich wurde allemal im Friihling ein Poet: ich glaube, 
es *geht mehrern so und man wil dan der Natur, die da ihre 
Blumen wieder auferwekt, es auch nachthun. Der Morgen, der 
Friihling und die Jugend werden von den Dichtern hiniiber und 
heruber mit einander verglichen: und sie haben wahre Ahnlich- 
keit. (Uberhaupt sind am Ende alle Ahnlichkeiten, die der Wiz 

20 zwischen Begriffen iiberraschet, eben so wahr und gegriindet als 
die, die der Scharfsin unter ihnen auskundschaftet: denn der Wiz 
unterscheidet sich vom Scharfsin nicht durch den kleinern Grad 
der enthiilten Ahnlichkeiten- weil Ahnlichkeit gar keine Grade 
haben kan - sondern durch die kleinere Zahl derselben. Daher 
giebt oft im ersten Anblikke eine scharfsinnige Erfindung das 
Vergnugen einer wizigen, weil man an ihr noch nicht alle die 
Ahnlichkeiten ansichtig wird, die sie zu einer scharfsinnigen 
machen. Daher vielleicht hohere Wesen das schimmernde Band, 
das der Wiz nur zwischen zwei Dingen erblikt, mit seinen beiden 

30 Enden noch tausend andere Dinge werden umschlingen sehen 
und ihnen wird unser Scharfsin Wiz und unser Wiz Scharfsin 
diinken.) - Eben so wahrhaft ahnlich sind Abend, Herbst und 
Alter; sie fiihren alle drei denselben Lebensiiberdrus, denselben 
Ekel am ewigen Wiederkauen unserer Muhe und Freude, und 
dasselbe Sehnen nach der Vergangenheit und Zukunft mit 
sich. 



110 JUGENDWERKE - 4. ABTEILUNG 

Ach! ware der ewige Wechsel unserer Freude mit dem 
Schmerze, unserer Gesundheit mit der Krankheit, der Spannung 
unsers Kopfes und Herzens mit der volligen Kraftlosigkeit von 
beidem, ware dieser Wechsel nur plozlicher, gabe nicht der 
Zwischenraum der Abstufung iedem Zustande einen solchen 
Anschein der Dauer: so wiirde der Mensch die Eitelkeit des Le- 
bens starker fiihlen und keine Furcht und keine Hofnung be- 
thorte ihn mehr urn seinen Stoizismus. Denn das macht uns eben 
gliicklich und unglucklich und bose, daB uns jede Empfindung 
ewig zu [BlattschluB] 



AUSWAHL AUS 
DES TEUFELS PAPIEREN 

nebst einem nothigen Aviso vom Juden Mendel 



Les betes nous peuvent estimer betes comme nous les 
estimons 

Montaigne 



Nothiges Aviso vom Juden Mendel 



Als ich von der Frankfurter Messe nach Hause kam, hinter- 
brachtemanmirandernMorgensfruh, daB mein Schuldner, der 
gelehrte Hasus schon vor acht Tagen begraben worden. Man 
hatteihm, ohne mich zu befragen, unter andern guten Effekten, 
auch seinen ganzen Korper, den mir der anatomische Professor 
wiirde abgehandelt haben, mit in den Sarg gegeben und mich ar- 
men Juden ganzlich darum betrogen: da ich nachher in den Be- 
sitz der Effekten mich zu setzen kam, so war nichts mehr da als 
Papier, theils reines, theils beschmiertes und Papiere hatteer mir 10 
schon bei lebendigem Leibe genug gegeben. Ich schamte mich, 
das in deutscher Sprache beschmierte Papier, da es keine andert- 
halbe Pfund wog, groBen Gewiirzhandlern anzubieten, deswe- 
gen lieB ich alles, wie man sieht genau und ohne Druckfehler ab- 
drucken damit's einige Zentner wiirde und man es besser einem 
hiesigen Gewurzhandler antragen konnte: dabei kann man's 
noch vorher alle deutsche und polnische Gelehrte (deren ich in 
Frankfurt, Braunschweig, Naumburg viele auf den Gassen sah) 
zu ihrer Lust durchlaufen lassen. Wahrhaftig wenn man so zu- 
sieht, wie sehr ein alter und ein junger Gelehrter nachdenken 20 
muB, und wieviel er sich ( und seinem Sessel ab- und aussitzet, 
um nur ein oder zwei Pfund weiser und stilisirter Biicher zu 
schreiben, so preiset man Handel und Wandel von Herzen, es sei 
nun mit Material- oder mit schneidenden Waaren oder mit Vieh, 
und lasset weder Sonne noch Tochter studieren. Gut ists, daB 
dieses Buch wie ich hoffe vom Teufel gemacht ist. Der Setzer 
der es ganz durchgesehen (denn ich hatte noch nicht Zeit dazu 
und frag' auch gar nichts darnach) will mir dafiir haften, daB im 
Grundelauter fatale Stachelschriften darin leben und weben, die 
nach den Menschen beissen und schnappen. Das war aber des 30 
guten Hasus Sache nie; er konnte im Umgange niemand ver- 
hohnen: denn er liebte Menschen und Vieh, er war weichherzig 



TEUFELSPAPIERE ■ NOTIGES AVISO 1 1 3 

und wollte sich aus Unmuth hangen, als er erfuhr, daB die All- 
raosenkasse Kapitalien haufe und verleihe; er trug (so sagte er 
selbst) wie ein Embryon sein Herz aussen auf der Brust; er war 
die Bescheidenheit selbst und gestand mir oft, sein Kopf hatte 
von ieher verdient, daB die Geographen den ersten Meridian 
(welches fast todlich sein miiste, glaub' ich) durch denselben ge- 
zogen hatte; er war des festen Vorsatzes, der ganzen Erdkugel 
dadurch zum grosten Nutzen zu gereichen, daB er die Kopfe der 
Menschen noch vor seinem 6oten Jahre hinlanglich erhellete, 

io nicht bios ihr kleines Gehirn, sondern auch sagte er, ihr groBes 
und ihr Ruckenmark bis hart ans Steisbein hinan, er liebte den 
Verstand wollte dessen haben und bat Gott um einen langen fi- 
gurlichen Bart: allein ich sagte zu ihm: »Menschenkind, warum 
willst du einen haben? das Buch Rasiel lehret, daB der Bart Got- 
tes eilf tausend und fiinfhundert rheinische Meilen lang ist: laB 
ab da dein Kinn doch keinen herausspinnt, der nicht kiirzer ware 
als einen Sabbatherweg;« schliiBlich nahrte er (ich weis es gewis 
genug) eine heimliche Neigung zum Judenthum und wollte sich 
deswegen die heilige Schrift vom Buchbinder kaufen: denn er 

20 lies sich nicht wie die Christen einen Zopf und eine Frisur ma- 
chen, sondern trat einfaltiger daher als selbst der Saamen Abra- 
hams in Frankfurt am Main, der in seiner Gasse rebellirte, um 
frisirt zu bleiben und dadurch den groBen Rabbi Hurwiz mit 
Zorn fast urns Leben brachte. Ich sagte neulich diesem Rabbi, 
ich hatte vorzubeten, daB denProselytenHasuseinpaar Wurmer 
im Grabe beschnitten und daB ihm ein israelischer Bart vor- 
wiichse, er antwortete: das geschahe ohnehin, es stand' aber 
nichts davon in der Gemara. 

Nimmermehr hat wie gesagt, Hasus diese Stachelschriften 

30 aufgesetzt: aber der Teufel ist zu Nachts in den guten Korper 
meines Schuldners wie in eine Schreibmaschine gefahren* und 

* Unsere Rabbinen lehren uns nemlich, daB aus iedem schlafenden 
Menschen die Seele austrete, um im Himmel ein Haupthandelsbuch (iber 
ihre Handlungen zu fiihren und zu schreiben: wahrend dieser nachtli- 
chen Entseelung lasset sich der Teufel in den Korper nieder. Daher miis- 
sen wir schnell nach dem Erwachen den befleckten Korper waschen. 



114 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

ist wahrend die Seele im Himmel die besten Sachen und ihre 
eigne Lebensbeschreibung abfaste, mit dem Kdrper oft bis der 
Nachtwachter abdankte aufgesessen (Nachbarn bezeugens hau- 
fig, die nach Mitternacht den Hasischen Korper am Schreibepult 
heftig schreiben sahen) und hat im Nam en und mit der Hand des 
Verstorbnen Sachen hingeschrieben, die nun natiirlich aus der 
Presse kommen und in denen er spashafterweise alle Menschen 
und einige Teufel und sich selber angreift und rauft. So giebts 
noch tausend keusche, einfaltigscheinende und sanftmuthige 
Gelehrte und Rabbinen, die mit ihrer eignen Hand die unziich- 
tigsten, scharfsinnigsten und bittersten Biicher schreiben und es 
ist.leicht zu muthmassen, wer sich eigentlich macht und wer der 
Spitzbube ist, der die frommen Leiber solcher Manner zu sol- 
chen Schreibereien verwendet: gute Engel denken in ihrem Le- 
ben nicht daran. Adam, Isaak, Jakob, Abraham hatten Leiber an, 
die groBe Schriftsteller waren und bleiben: und solchen Korpern 
bliesen die heiligen Engel ganze Ballen schoner Biicher ein, die 
gar immer zuhaben sind, wie ia unsere Rabbinen es so verstand- 
lich lehren, da6 ein Kind es fassen kann und ein alter Cretin. 

Gottlos ists vom Teufel, daB er im ganzen Buche (wie ich 
hore) sich anstellet als war' er Hasus und kein Wort sich merken 
lasset,daB ers selbst gesetzet. Er hoffte damit ganz offenbar, 
mich und den H. Verleger ungewohnlich in Schaden zu setzen, 
weil Bucherlustigehernacn das Buchgar nicht begehren wiirden, 
wenn sie sahen, daB es nicht vom Teufel geschrieben worden: 
allein Alt und Jung halte sich nur an das Titelblatt dieses Werk- 
leins, worauf man den wahren Namen des Verfassers mit der 
klarsten Fraktur andeuten lassen, und auf einen ehrlichen Juden 
ist auch mehr zu bauen als auf den Teufel, an dem wol nicht viel 
ist. Ueberhaupt kanns keinem Menschen etwas verschlagen, 
wenn er das Buch sich kauft; und da wie ich hore die Rezensenten 
die Biicher ordentlich und quartaliter loben: so sprech' ich alle 
Rezensenten in groBen Stadten hiemit ausdrucklich darum an 
und hoffe sogar, daB sie es mehr als ein anderes empfehlen, weil 
ein armer unbezahlter Jude sich daran seines Schadens zu erholen 
sucht: denn ich bin nichts bessers und anstatt daB andere Juden 



TEUFELSPAPIERE ■ NOTIGES AVISO 1 1 S 

sonst von der Medizin und iezt von der Justiz Nahrungen haben 
und Richtern und Klienten leihen und nehmen konnen, kann ich 
nichts weniger als das und sitze ohne alien Zuflus da und grame 
mich iiber das Ehepfand, das mir nicht "meine Frau sondern der 
Konsistorialsekretair aufhieng aber viel zu theuer, und zeuge in 
der Welt Sonne und ein paar Tochter, die nach meinem Tode 
nichts werden konnen als Schnuriuden, schlecht und nackt aber 
uhverschuldet bin ich in diese Schofelwelt gekommen und nackt 
werd' ich wieder aus ihr fahren aber mit recht erheblichen Schul- 
den. 

Mendel B. Abraham 



VORREDE 



Dem heiligen Ambrosius wars selber lieb, daB er sagte: der 
Mussiggang ist ausgemachtermassen das Kopfkissen des Teu- 
fels. Ich habe geglaubt, der Teufel verdiene gar keines; daher 
hab' ichs ihm wie einem Sterbenden, unter dem Kopfe vor ei- 
nem halben Jahre vollig weggezogen: ich meine bios, ich habe 
mich vom Miissiggange losgearbeitet und in der Stille hergesezt, 
um meine Zeit edler anzulegen lind einige ganze muntere Pas- 
quille zusammenzuschreiben. 

Die besten sezt' ich vor meiner Geburt schon auf und ich 
werde nachher die Persorien mit Namen vorfiihren, die sie mir 
nebst anderen Werken gestohlen: aber die schlechtern, die ich 
bios auf dieser griinen Erde gebar, leg* ich hier der gelehrten und 
selbst der besten Welt mit Achtung vor. Mein Jammer ist natur- 
licherweise der: alle Menschen (wie vielleicht der einfaltigste aus 
dem Plato und aus seiner eignen dunklen Erinnerung weis) und 
mithin auch ich, wir lebten vor unserem Nazionalbankerot recht 
vergniigt im bessern Planeten, aus dem uns einige Todsiinden 
auf diese Ponitenzpfarre des Universums, auf die Erde durch die 
Geburt heruntertrieben: dieses Leben ist sonach nichts als eine 
Narbe des vorigen. Auf ienen beBern Planeten bracht* ich nun 
meine besten Stunden und Jahrhunderte damit zu, daB ich am 
Schreibepult stand und Werke ausspann, wie ich wiinschte, daB 
iejder sie zu schreiben den Ansatz hatte. Sie waren ernsthaft und 
spashaft, aber immer gut genug; ich stekte durch sie dem 
menschlichen Verstande, der Poesie und der deutschen Sprache 
lange Flugel an: ich nahm aber deswegen Windmuhlenflugel, 
damit die iibrigen Gelehrten hernach nichts mehr dazu zu ma- 
chen brauchten als den Wind. Es ist fur siindige Menschen inter- 
essant, hinter die gewissesten Ursachen zu kommen, warum ich 
sonst so vielen Verstand besas; ich hatte nemlich im Elysium 



TEUFELSPAPIERE - VORMDE 1 17 

keine EBlust noch und brauchte kein Brodstudium und hatte 
weder Kind noch Kegel; alle Register der menschlichen Krafte 
werden dort an Einem Menschen zu gleicher Zeit zur verstark- 
tern yarmonie gezogen und es ist nichts seltenes da auf Men- 
schen zu stoBen, die so viel Gelehrsamkeit besitzen, als ein hiesi- 
ges Ehrenmitglied einer Akademie, um nicht gar zu sagen als ein 
Wirkliches. - Jetzt ists leicht auszumachen, welche von meinen 
Freunden Recht haben, ob die die es Giite, oder die die es Einfalt 
nennen, daB ich dort einen und den andern Gelehrten in meinen 

10 Manuskripten blattern lies und manchen gar sie vollig vorlas. 
Soviel ist ganz gewis, Swift und Sterne hatten keinen Schaden 
davon, daB ich ihnen ganzeBallen meiner ertraglichsten Satiren 
laut und gut genug vordeklamirte und solche Werke wie das 
Mahrgen von der Tonne und den Tristram ihnen auf Wochen 
in der Handschrift vorstrekte. Ich sezte sie dadurch in Stand, 
es wieiener alte Poet zu machen, der (nach Seneka) die Gedichte, 
die ein anderer Poet offentlich herlas, den Augenblick in seinem 
groBen Gedachtnis behielt und sie fiir seine erklarte, weil ihr 
wahrer Verfasser sie nicht, wie er, auswendig herzubeten wuste; 

20 sie trugen auch wirklich iene zwei Werke, in ihr unermestliches 
Gedachtnis versteckt, auf die Erde wider die gemeine grosten 
herunter und hatten da nun zum Ruhme der grosten Autoren 
nichts mehr vonnothen als daB sie mir, der ich droben in der an- 
dern Welt noch passen muste und es auf gar keine Art zur Geburt 
bringen konnte, den meinigen stahlen und meine zu meinem 
hiesigen Fortkommen aufgesezten Gedanken fiir ihre verkauf- 
ten. Ich merkte das den Augenblick, da ich geboren war und ich 
wollte fiir Erbossung wieder in den alten Planeten hinauf . - Ich 
wiinschte aus eben so viel Rucksicht auf fremde als auf meine 

30 Ehre, daB ich wenigstens von einigen meiner besten ernsthaften 
Schriften sagen konnte, ihr Schicksal ware besser gewesen und 
besonders die ausgesuchten, die ein gewisser H. Herder ganz f rei 
unter seinem Namen ediret, waren dem traurigen Loose ent- 
kommen, daB man sie iezt in mehr als Einem Kreise Deutsch- 
lands bei alien ihren offenbarsten Merkmalen und Geriichen ci- 
nes hohern atherischen Vaterlandes, bei ihren Sonnensystemen 



1 1 8 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

stralender Gedanken, bei einem Ausdruck, der Bliite und 
Friichte (wenn ich mir nicht zuviel schmeichle) zugleich tragt, 
gleichwohl in das Register der Werke eintragt, die wirklich auf 
dieser Erde und von einem hiesigen Menschen waren gezeuget 
worden: freilich ist die Tauschung leicht und wenn Zizero sagt, 
er glaube wenn er seinen Kato vom Alter lese, den Kato selbst 
zu lesen, so glaub ich selbst oft wenn ich die angeblichen Werke 
des H. Herder lese, fast ihn selbst zu horen. Es wird wenig Leser 
geben, die sich mein Erstaunen denken konnen, als ich nach lan- 
gem Harren vor einigen Jahrzehenden auf das Theater des Le- 
bens niederspringen durfte und inne ward, daB die besten 
Werke, die ich schaffen konnen, schon unter fremden Namen 
umliefen und daB mehr als 19 der besten Kopfe sich in den gro- 
Ben breiten Lorbeerkranz getheilet, den ich allein aufhaben 
wollte und der. so schwer wie Davids Krone war, welche mehr 
als 113 Pfund gewogen. Indessen haben Personen von Einsicht 
und Welt keine so schlechte Meinung vom Publikum, daB sie 
denken konnten, es gebrech' ihm an iener Billigkeit, die fast ie- 
dem das Seine ertheilt, und die allerdings schon den Muth hat, 
Namen iedes Standes mit Gewalt aus dem rauberischen Besitze 
eines groBen Ruhmes zu iagen und den Lorbeerkranz, worunter 
sich 19 Kopfe gestellet, seinem Einzigen rechtmaBigen Eigner 
wieder aufzupacken, welcher sich bios hingesetzt hat und ihn in 
einer Vorrede durchaus aber bescheiden wieder haben will. Son- 
derbarer Weise giengs und gehts noch mit den schonen Werken 
nicht besser, die gewisse Monche aus dem 1 3 . Jahrhunderte 
machten (wie P. Hardouin am ersten grundlicher als alle nach 
und vor ihm erwiesen,) und die man gleichwol fast allgemein ei- 
nem Virgil, Zizero und Livius noch iezt zuschreibt: die Aeneis 
z. B. fertigte ein Benediktiner aus, allein Virgil fahret nun auf 
dessen Triumphwagen herum und kennt fur Stolz weder sich 
noch andere, noch seinen verwesten Vater. 

Gleich der Erde kann ich iezt, da ich einemal auf sie geboren 
bin, wenig rechts mehr zeugen und werde von Tag zu Tag mat- 
ter und selbst einfaltiger. Was kann ein Wesen in einem hypo- 
chondrischen Korper, der das von innen mit Nageln besteckte 



TEUFELSPAPIERE • VORREDE 119 

FaB des Regulus ist, undim Frohndienste des Magens wol Gutes 
fur seinen Verleger und Nachdrucker in die Presse senden? Es 
mu6 und wird weit unter den bliihenden Abkommlingen seines 
freiern Lebens fallen. Man vergleiche nur z. B. das mir abge- 
stohlne Mahrgen von der Tonne und den Tristram mit der ge- 
genwartigen Nachgeburt, die ich bios auf diesem Planeten her- 
vorgebrachthabe: so wird maniiber den machtigen Unterschied 
erstaunen und kaum begreiffen konnen, wie so verschiedene 
Friichte aus einem Baume wachsen konnten; und mancher an- 

10 dere hat mich vielleicht mit mehr Aehnlichkeit nachgeahmet als 
ich selbst. Der angebliche Blumenflor biickt sich welkend im 
Spatiahr. Ich hatte keine Zeile aufsetzen sollen: es wird wenig 
Leser haben, ich meine keine zwei. 

Denn es ist iiberhaupt metaphysisch da von zu reden, nicht 
mehr als Einer moglich, wenn ich mich mit zahle und ich brachte 
das erst diesen Morgen mit einem Grade meines Schreckens her- 
aus, den ich einmal an andern beobachten mochte. Ich stand 
nemlich vergnugt iiber einen Traum voll Potentaten auf, zog 
mich unter vielen Betrachtungen an und freuete mich auf die 

20 Welt, die mein ganzes Buch mit einer Begierde in die Hande 
nehmen wurde, von der ich wenig Beispiele weis. Allein ein mir 
aufsatziger Egoist und transszendentaler Realist 3 lies einen Ge- 
danken aus seinem Kopfe los, der ein todtendes. Basiliskenauge 
fur alle Wesen und der StoBvogel des Universums war, alle 
Kreaturen in alien Welttheilen, Kanzleidiener und die regieren- 
den Haupter in den genealogischen Verzeichnissen, der ewige 
Jude selbst und die 4 Fakultaten waren wie weggeblasen urid es 
blieben nicht so viele Wesen lib rig als man mit einer Pelzmiize 
bedecken konnte, wiewol er keine Miitze dazu da lies. Dieser 

30 giftige Gedanke zwang alles auszusterben und reutete zulezt 



a Ein Egoist ist ein Philosoph, der das Dasein aller Dinge, ausser sein 
eignes bezweifelt: das ist der unerlaubte Egoismus - der erlaubte ist (und 
zum Gliick sind die leztern Egoisten die haufigern) wenn man andern 
Dingen das Dasein nicht abspricht, sondern nur den Vorzug und sich 
nicht sowol fur das einzige Ding ansieht als fur das beste. 



120 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

auch den Egoisten selber mit aus; denn da er nach einem ewigen 
Gesetze das ich seit langer Zeit zu studiren mir schmeichle nur 
Ein Wesen unvernichtet stehen lassen darf: so muste, weil ich 
dieses restirende Wesen war, der Egoist selbst wider seine Er- 
wartung bei diesem iiingsten Tage umkommen und es war ihm 
nicht zu helfen. Also war nicht einmal er mehr zu haben, der 
mein Buch mit wahren Vergniigen hatte in miissigen Stunden 
durchlaufen konnen. Wahrhaftig dem Egoisten kanns nimmer- 
mehr wolgehen, daB er durch sein reissendes Thier von einem 
Gedanken es in wenigen Paragraphen so weit gebracht hat, daB 
ich iezt die Quintessenz und der kurze Inbegriff aller ausgemerz- 
ten Leser sein muB und der unzufriedene Reprasentant des gan- 
zen corpus. So sitz' ich hier und bin von keinem Wesen gelesen; 
denn ich selber habe dazu wenig Zeit und kaum genug zum 
Schreiben. 

Ich will mich zwingen, eines und das andere ernsthafte Wort 
zu reden: ich werd' es aber gar nicht konnen, weil eine Vorrede 
so ausserordentlich lacherlich ist; alle ernsthafte Reden darin sind 
am Ende ein Verhak, in den sich der Autor gegen die kritischen 
Anfalle einbauet. Unter alien Dingen, selbst unter den schlim- 
men, ist keines so leicht als sich selbst vertheidigen - oder so 
angenehm oder so lacherlich . 

Da ein heraldisches Buch nur der Heraldiker, ein iuristisches 
nur der Jurist etc. in seinen Gerichtssprengel zu ziehen wagt: 
so war' es recht gut, wenn nur Leser, die sich gerade mit den 
schonen Wissenschaften befassen, sich des Urtheils dariiber un- 
terfiengen und wenn man dachte, es gebe Sachen, die man fruher 
verstehen als beurtheilen miisse. Bios ausgebreitete Lektiire ge- 
wahrt den gebildeten Geschmack, zu welchem der Deutsche, 
der sich nicht wie andere Nazionen auf einheimische Schonhei- 
ten einschrankt, vielleicht auf dem kiirzesten Wege ist; freilich 
der Deutsche, aber nicht die Deutschen; denn wer guten anato- 
mischen Seckzionen an deutschen Kinnen beige wohnt oder ob- 
gelegen, der wird noch wissen, wie wenige Lachmuskeln, an 
den en Sterne oder Musaus hatten ziehen konnen, er allzeit her- 
ausschund - die (ib-rigen Muskeln insgesammt hatten Kranz oder 



TEUFELSPAPIERE * VORREDE 121 

der »Kirchenalmanacher«, angefast und damit das ganze Ge- 
sicht gelenkt. 

Geschmack gewinnt man irgend einer Art von Humor so we- 
nig durch Eine Lesung ab, daB ich bios deswegen den Tristram 
40 mal las, eh' ich ihn fiihlte, den Hudibras 20 mal, Swiften 11 
mal, Musaus 5 mal, Liskov 3 mal: dies muB mich entschuldigen, 
wenn ich iedem zumuthe, mich V^q mal zu lesen, womit ich 
wenn das Buch 400 Seiten hat, meine er soil das Titelblatt ganz 
lesen. 

10 Mich f reuet in diesem auf geklarten Jahrhundert nichts so sehr, 
als daB es sich mathematisch darthun lasset, daB die S chief e der 
Ekliptick und der Kopfe taglich abnimmt; denn ihre Abnahme 
belauft sich nachLouville in iedem Jahrhundert auf eine Minute, 
welches viel ist. 

Wenn auch die Satire seltener die Laster als die Thorheiten 
forttreibt; so thut sie doch den Lastern von Zeit zu Zeit so viel 
Schimpf an als nothig ist, daB ein ehrlicher Mann mit ihnen aus- 
ser im aussersten Nothfall nichts zu schaffen haben mag und sie 
verachtet, indem er sie gebraucht. In alien Jahrhunderten hatten 

20 die Laster ihre Leibeigene, ihre Lehnleute, ihre Lohnlakaien - 
aber nur in den verderbtesten hatten sie ihre Lobredner, ihre 
Laureaten, ihre chevaliers d'honneur; und es ist eben ein Beweis, 
daB es noch ganz gut mit uns steht, daB wir z. B. die Unkeusch- 
heit wirklich noch eben so sehr persifliren als die - Keuschheit. 
Wenn Leute mit dunkeln Augen, bei denen es 3 / 4 Stunden eher 
als bei andern Leuten Nacht wird, in eine Stube stolpern, worin 
man durch Ein Fenster durftige Stralen fallen lassen, weil die Ge- 
malde keine reichlichern vertragen - wenn ferner auch Maler 
von Profession und mit hellen Augen darin stehen - wenn die 

30 Leute mit dunkeln sich iiber die Dunkelheit darin halb tod flu- 
chen, was soil der Inhaber da machen? Licht oder Gemalde oder 
Augen? bios griine Brillen und eine argerliche Mine. 

Langeder Perioden und ein gewisser Zuschnitt nach den alten 
Sprachen riicket so sehr mit der Schonheit der Sprache wenig- 
stens mit der Natur der Ironie und Laune zusammen, daB viel- 
leicht der coupirte, tanzende und unverkniipfte Styl der Franzo- 



122 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

sen die Ursachen vermehrt, warum sie den Englandern nicht in 
der Satire nachkommen. 

Ich ersuche die Herausgabe aller Journale auf Akademien und 
uberall, recht musterhafte und verniinftige Rezensionen von 
diesem Werklein machen zulassen und zu bestellen, und ich will 
selbst alle Kosten davon tragen und kann vielleicht gegen Aller- 
seelentag dazu einige Schwanzdukaten herschiessen. 

Herr Wolfgang Haberman, von dem in diesem Werke ver- 
schiedene Ideen vorlaufen, ist ein wahrer Bratschist und half, 
wenn er der Bratsche satt war, am Buche mit bauen: es war aber 
nicht anders zu machen. 

Ich will wiinschen, daB dieses eine Vorrede ist und empfehle 
mich fast iedem hiemit, will aber durch Stillschweigen nichts 
eingeraumt haben, sondern setze Freunden und Feinden gene- 
ralia juris et facti ganzlich entgegen, und reservire mir nicht erst 
seit gestern quaevis competentia und protestire iiberhaupt ge- 
nommen gegen dies und das, wo nicht gegen alles. 

I. P. F. Hasus 



ERSTE ZUSAMMENKUNFT MIT DEM ANGENEHMEN LESER 
I. 

Habermans grofie Tour und musikalischer und logischer Cursus dutch 

die Welt, von ihm selbst gut genug beschrieben und bios summarisch ab- 

gefasset 

»Ich danke dem Himmel und der Erde, sagt' ich, und machte den 
Yorik ganz zu, daB ich gleich den besten Reisebeschreibern einen 
Hintern habe, und damit mich zu einer recht verniinftigen Reise 
einsetzen kann. Ich will, so ohne alle verzogerliche Einreden, so 

io ohne alle Hemketten und Gedanken durch Europa fahren, daB 
viele, die vor meiner Chaise vorbeireiten, im nachsten Wirths- 
hause anmerken, es sei ein Herr darin gesessen, dessen Stand si- 
cher besser ware, als sein Rock. Was meine Reisebeschreibung 
anlangt, die ich so nothwendig als die Reise selber und beide un- 
ter Weges zu machen habe: so stell' ich rnir vor, sie kann, wenn 
ich darin nur nicht zu selten >sagt' ich< sage, vielleicht dem einen 
und dem andern ge£allen.« 

Ich sperte also meine elende Studierstube zu, und trat nebst 
meiner Schreibtaf el nach Einem Monate in einer wolf eilen Wein- 

20 schenke zu Wien im Angesichte einer ganzen Gasse ab. Ich 
machte Abends auf der dasigen Redoute einen blessirten Gene- 
ralfeldzeugmeister und erhielt in dieser Qualitat von einer Dame 
einelauteOhrfeige, die ins politische Journal 3 gesezt wurde. Das 
war mir ganz lieb und ein schicklicher AnlaB zu einer Rede. 
» War ich nicht (so fieng' ich sie an) ein wahrer ausgemachter Ge- 
neralfeldzeugmeister: so konnt' ich dariiber im Grunde zornig 
werden b . Am allermeisten konnt' ichs, wenn ich so wenig bei 

a S. Jahrgang 1784. S. 188. wo zwei solche Beispiele vorkommen, die 
leicht beweisen, daB die vom Tazitus gepriesene Tapferkeit der deut- 
30 schen Damen noch da ist. 

b War' ich nicht Konig, so wiird' ich zornig werden, sagte ein guter 
und ich wollt' ihn eben nachahmen. 



1 24 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

Sinnen ware, daB ich fast gar kein Wort davon wiiste, wie offen- 
bar die Wiener Damen mit ihrem weltlichen und doch schonen 
Arm gleich einem elektrischen Funken uns nur deswegen schla- 
gen, damit wir zu Zeugen ihrer dynamischen Reize allzeit uns 
Schick en, denn die alten Deutschen gab en allemal dem Zeugen, 
damit er sich auf sein ZeugniB leichter besanne, eine Ohrfeige. 
Daher ist die ganze Sache eine der grosten Wolthaten; und des- 
wegen - denn wer die Wolthat ertheilt, liebt bekanntlich mehr 
als der, der sie bekommt und den sie viel zu sehr demuthigt - 
miissen Sie, die Sie mir die gedachte Wolthat einhandigten, mich 
wirklich lieber haben als ich Sie, der sie bios erhielt . . . 
Ueberhaupt konnen (sagt' ich und sah dabei sehr herum) , die 
Wiener Damen fast noch glucklicher sein, als tausend andere: ich 
versichere die Redoute, sie sind im Stande, mit ihrem Angesichte 
Schmerzen, die wolthun (wie in Liebesbriefen steht), und mit 
ihren Handen Schmerzen, diehoff ich wehe thun, zu alien Zeiten 
zu erregen. Wahrhaftig sie schlagen dem Herzen und Wangen 
eines ieden ordentlichen Mannes rechte Wunden, der still in 
Wien angefahren kommt, und sich in einigen Vierteln desselben 
ein wenig umschauen will.« 

Ich merkte nun wohl, daB ich mitten auf dem Wege war, 
wirkliche Feinheit und Galanterie in meine Gewalt zu bekom- 
men. Ich sann daher nach, wie ich die Feinheit so weit treiben 
konnte, daB gar kein Mensch wiiste, was ich wollte. Ich stellte 
mich deswegen, als schlief ich gar stehend ein, wie ein vierfiissi- 
ges Thier: allein ich hatte dabei die feinsten Absichten im Kopfe, 
und hielt mehr als eine witzige Geburt zurecht, indem ich bios 
auf eine Geburtszange und den Roonhuysischen Hebel paste. Ich 
hatte Bonmots zum voraus fertig gemacht, auf alle drei Stande, 
auf die zwei Geschlechter, auf ieden Domino und Jesuiten der 
da war, und es hatte mir unmoglich fehlen konnen; besonders 
wiinscht' ich von Herzen, eine Dame mochte hinter mir sagen: 
»dieser da verdient den Traum gliicklich zu sein; denn er 
schlaft.« Denn wichtige MaaBregeln waren darauf genommen, 
ich ware gahling aufgewacht und hatte bios aus dem Stegreif re- 
pliziret: »o Sie konnen mir leichter die Wirklichkeit als den Traum 



TEUFELSPAPIERE • I. 2USAMMENKUNFT ■ I 125 

des Gliicks gewahren.« Allein ich wurde keines einzigen guten 
Gedankens loB, und sank zuletzt vor lauter Unmuth in einen 
wahren Schlaf . »Es ist nur gut, (sagt* ich als ich wie neugeboren 
aufwachte), dafi ich der Welt eine kleine aber angenehme Reise- 
beschreibung zu geben, vorhabe: in der kann der Einfall ganz 
geschickt untergebracht werden.« 

Ein vernunftiger Reisebeschreiber mochte in Wien ganz des 
Teufels werden, wenn er in demselben schon die Sonne der Auf- 
klarung scheinen sieht, und er sagt, seine astronomischen Tabel- 

10 len konnten doch nicht triigen: allein er bedenkt leider nicht, daB 
das nur noch bios der Schein und das Bild der Aufklarung, das 
(wegen der Stralenbrechung) allzeit eher da ist, als sie selbst. Das 
Beste ist, er vergleicht diesen Fall mit dem auf Nova Zembla, 
wo nach der langen Nacht das Bild der Sonne allemal 16 Tage 
eher, als die Sonne selbst am Himmel aufgeht. 

Mit leichter Muhe begab ich mich von Wien nach Syrien, be- 
sonders nach Aleppo. Der Graf von Cagliostro war fiir seine 
Person auch da, und hatte seinem dasigen Schwiegervater, ei- 
nem Juden, weis gemacht, er sei seinem besten Wissen nach, 

20 auch einer. Ich kannte den erstern und sagte zu dem andern: 
»wenige Juden haben von den egyptischen Pyramiden soviel 
wahre KenntniB abgekrazt als Cagliostro, und er sollte mit mir 
sein Gliick in ganz Europa suchen: besonders da ers augenblick- 
lich riechen kann, wenn einer ein Atheist ist. Denn nicht alle 
mogliche Nasen (fuhr ich fort und klopfte dem Schwiegervater 
zu hart auf die Achsel) hat der Himmel so geformt, daB sie wie 
Ihres Schwiegersohnes seine richtige Fiihlhorner oder Visitireisen 
oder krumme Sucher (Sondeurs) des Atheismus abgaben - so 
und dergestallt etwan, daB man selbst durch die Ohrenbeicht 

30 nicht mehr von den Irthiimern eines Menschen erfiihre als durch 
diese Nasenbeicht, wie die Kaufleute in Indien das Gold durch 
Beriechen priifen - wahrhaftig nicht alle, sondern nur seltene, 
und in ganz Europa kenn' ich dergleichen Nasen wenig. Die 
meisten dasigen Geistlichen und Rabbinen erforschen mit der 
Nase nicht so sehr die Meinungen eines Menschen, als seinen 
Gestank; daher weiB dort gar noch keine Seek, was eine atheisti- 



126 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

sche ist, und in Deutschland halt man die Philosophen fiir Athei- 
sten und in Frankreich die Atheisten fiir Philosophen. « Nach 
einigen Tagen hatte Cagliostro das Gliick seine Frau zu bekom- 
men und zu bestehlen: denn wahrend sie mit ihren durch Harz 
zugeleimten Augen a vor ihm saB , pakte er mit wahrem Vergnii- 
gen ihre Habseligkeiten zu den seinigen ein, und gieng damit 
frohlich auf und davon. 

Ich that das leztere freilich auch, aber ich nahm nichts hinweg, 
das mir dabei reine Freude machte, als die leere Betrachtung, daB 
in meinem Vaterlande nicht der Braut die Augen zugepappet 10 
sind, sondern nur dem ganz angenehmen Brautigam, dem sie 
alsdann zu gleicher Zeit auf- und ubergehen. Jene weiB, was sie 
bekommt, dieser weiB kein Wort, keine Sylbe und keinen Buch- 
staben davon: denn daB ihr Anbeter schon mehrere angebetet 
und gleich ganzen Volkern von der Vielgotterei zur Ohngotterei 
iibergeflogen, daB er zuweilen pointiret, daB er seine Bedienten 
meines Erachtens nicht christlich gepriigelt, oder das Gegentheil 
von allem kommt dem Madgen so gut zu Ohren als seinen Fein- 
den und seine Narheit oder Tugend fieng sich friiher, als seine 
Liebe an - das Madgen ihre aber einige Wochen spater, vor der 20 
Ehe stekt die Schone in einer Karaktermaske, in derselben legt sie 
kaum eine Spitzenmaskean; vor solcher ist ihre SonnenfinsterniB 
ganz Europa unsichtbar oder doch keinen Zoll groB, in solcher 
kann der erfreuete Mann eine totale an ihr beobachten, die ich 
meinen Rechnungen zufolge auf 12 Zoll ansetze, so, daB die ehr- 
liche Haut von einem Mann aus Einfalt denkt, der jiingste Tag 
sei da oder schon vorbei. 

Ich gieng hernach (Hospitirens wegen) zum Doktor S. in Er- 
lang, der (wenn ich alten und neuern Fanatikern glauben soil) aus 
nichts andern bestehen kann, als aus Geist, Seele und Leib. Ein 30 
jeder von diesen Theilen, wies sich und seinen Werth schon den 
Europaern durch die besten Schriften und wir alle besitzen an 

a In Aleppo werden die Augen einer iiidischen Braut (nach Russel) auf 
eine gewisse Zeit mit Harz zugeklebt und vom Brautigam wieder aufge- 
macht. 



TEUFELSPAPIERE ■ I. ZUSAMMENKUNFT 'I 127 

ihm eine zusammengewachsene Drillingsgeburt von Autoren, 
oder auch keine schlechte schriftstellerische Triplealliance. Ich 
bezeuge, daB ich gar wol einsehe, warum neulich auch sein drit- 
ter Theil, sein Korper auf den Gedanken verfiel, etwas zu ediren. 
Dieser Korper kann ohne Noth so gedacht haben: »jeder Be- 
standtheil des Herrn D. gebar bisher der Welt ein Buch, nur du 
nicht, sondern schandlicherweise wars dir schon genung, sein 
bloBer Schreiber und Setzer zu sein, wie die Welt wol weis. Al- 
lein, so handeln verniinftige Leiber nicht. Diese uberlegen, daB 
aus ihrer Achsel ein langer diirrer Arm herausgewachsen, der in 
funf Finger auslauft, die stets eine Feder halten und damit unge- 
zwungen, wenn ich nicht irre, ganz gute Gedanken aufsetzen 
konnen. Denn der menschliche Arm bleibt doch stets der her- 
vorstehende Pumpenschwengel, dessen Bewegung manches 
theils gute theils hernach gedruckte Buch aus dem Magen, der 
Gallenblase oder aus noch tiefern Gefassen heraufpumpet: 
Glaube mir ganz, deine funf Finger konnen zu jeder Stunde funf 
Pussirgriffel abgeben, die ein schones geistiges Wachskind for- 
men und glatten.« Der Korper machte auch wiirklich einen so 
ruhrendenEindruckauf sich, daB er sichhinsetzteundseineHand 
nahm und damit schrieb: den »S . . . Auszug aus der Bibel « der 
in den unsrigen nun ist. So wie jener Professor, der sich nur die 
schonsten Stellen im Homer anstreichen wollte, so viele unterli- 
nirte, daB zuletzt der ganze Homer unterstrichen war; so zog der 
Korper des Herrn Doktors die ganze Bibel aus der Bibel heraus, 
und fuhrte so viele schone Stellen zu Haufe, daB sie die anstoBi- 
gen insgesamt, deren doch recht viele im Auszuge mit sind, 
wirklich verdecken. Als ich nachher nach B- kam, so fragt' ich 
das Konsistorium hoflich genug, ob es nicht sein Spediteur und 
Kollekteur ware, wie ich recht sehr wiinschte. 

Es sagte: »es ware aber noch weit mehr der Spediteur und 
Kommissionar des beliebten Zeit- und Handbuchleins des be- 
liebten Herrn Kiinneths, an welchem erstern nichts einfaltig 
ware als der Titel, und es zwange jeden Geistlichen sich und dem 
Verfasser durch dessen Kauf unsaglich zu niitzen. Ueberhaupt 
soke man jedem Autor ein ganzes Land schenken, iiber das er 



128 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

ein ordentliches Zwangsrecht ausiiben konnte, und das alles 
kaufen miiBte, was er Tag und Nacht schriebe, es mochte zu ge- 
brauchen sein zu was es woke: so sei z. B. dem Federkiel des 
Doktor S. . das Fiirstenthum B. geschenkt und er packe ihm alle 
seine Produkte auf . « 

Ich mochte gar nicht darauf antworten; denn ich sah, es ware 
weit besser, wenn ich schnell in Hof im Voigtlande einzufahren 
gedachte und vorher unter dem dasigen Thore einen Namen an- 
gabe, den kein Finger von der ganzen Wache schreiben konnte, 
und keine Gehirnfiber merken. Hier kann ein Reisebeschreiber 
mit Vergniigen bemerken, daB noch Stadte in Deutschland lie- 
gen, die dem Geniewesen, dem Tandeln mit den schonen Wis- 
senschaften, der Empfindsamkeit, den iiberfeinen Gesellschaf- 
ten, der Schwarmerey etc. entgangen sind; diese Stadt mit 
grauen Haaren erwehret sich alles dessen recht gut und fangt 
nach viel solidern Dingen- ein Ruhm, den Reisende weniger zu 
verkleinern als zu verdienen suchen solten, und den iiberhaupt 
nur einer ablaugnen kann, der Mangel einzelner Personen gern 
einer ganzen Stadt und Vorstadt aufdichtet, und der Reiseuniform 
nicht von Nazionalkleidung zu trennen weis. Ich gestehe gern, 
daB alda, wieiiberall die Schneider, Friseurs und Haubenmache- 
rinnen schlimme Neologen sind, und nicht so denken, wie im 
anno decretorio 1624 (denn man lasset sie ja lei der nichts be- 
schworen oder unterschreiben): allein glucklicherweise pflanzen 
sie ihre Neuerungen nur auf, nicht in den Kopf , geben nicht so- 
wohl den Ideen neue Formen als den Haaren, und die namliche 
Hirnschaale, auf der die Kupferstiche des halben Modejournals 
realisiret liegen, deckt ein Gehirn in welchem das Gehirn der 
Grosmutter, als eine verkleinerte Mumie noch konserviret wird, 
kurz, das 18. Jahrhundert wird vom 16 nur durch die Hirn- 
schaale getrennt- wodurch alles wieder gut wird. - Meine Leser 
muss en von den vielen historischen Gesellschaften in Deutschland 
etwasgehorethaben: abergelesenhab' ich selber noch nichts da- 
von und es ist meine Pflicht, das Publikum so angenehm und so 
gut ich mit meinem Arme kann - der seit 8 Tagen lahm ist und 
den Fidelbogen nicht halten kann - daruber zu belehren. - 



TEUFELSPAPIERE ■ 1 . 2USAMMENKUNFT 'I 129 

Ich kann jene grossern historischen Gesellschaften oder Aka- 
demien nicht meinen, denen die Fiirsten Pensionen zuwerfen; 
sondern ich habe vor, die kleinern zu beschreiben, die nichts ein- 
tragen, als ein Abendessen. Es giebt vielleicht keine Wissen- 
schaft, die sich riihmen kann, in den meisten kleinern deutschen 
Stadten und also auch in Hof so allgemein - denn es ist kein 
Stand, kein Alter, kein Geschlecht ausgenommen - und so un- 
ausgesetzt - ich meine Jahr aus Jahr ein, und auch an Bus- und 
Jahrmarktstagen - und so eifrig - viele thun gar nichts anders 

io und bleiben darein versenkt auf den Gassen stehen wie Sokrates 
- getrieben zu werden, als eben die Geschichte. Es ist ein Gliick 
fur die Wissenschaften, daf3 diese historische Liebhaberey nicht 
von ungefahr etwan auf die alte oder auslandische Geschichte 
verfiel, (denn jedes Jahr nahm bisher eine Feder aus dem Flugel 
der Zeit und schrieb damit eine neue alte Geschichte, und es 
macht einen groBen Theil der neuern Geschichte aus, zu wissen, 
was iiber die alte geschrieben worden) sondern auf die neueste 
und vaterlandische und vaterstadtische, denn eine solche histori- 
sche Stadt, die hundertmal nutzlicher ist, als die von Maupertius 

20 vorgeschlagene, lateinische, - ich meine eben bios deswegen, 
weil sie nicht wie die lateinische Republick iiber die griechische 
und romische Geschichte ihre eigene vergisset, sondern iiber 
diese jene- besteht aus lauter Geschichtsforschern, die sich bios 
mit den diinnesten und aussersten Zweigen der Geschichte be- 
fassen; ganze Akademien nisten auf den dicksten Aesten dieses 
Baumes der Erkenntnis, aber jene hausen wie Blatminirer auf 
seinen Blattern und wachsen da f iirs Beste der Welt und der Stadt 
darin.Geschichtsforscher dieser Art (welches jeder ist der eine 
Zunge im Munde hat) und noch mehr ihre Weiber, die Ge- 

30 schichtsforscherinnen, konnen - und es ist kein Wunder, da sie 
ausser den Quellen auch die historischen Hulfswissenschaften, 
worunter wie bekannt Friseurs, Barbiere, Miinzwissenschaft, 
Archaologie, Genealogie und andere griechische Worter ver- 
standen werden, bei jedem Schritt zu Rathe Ziehen, - gute Bio- 
graphen von der ganzen Stadt und jeder Sakgasse liefern; ein an- 
derer liegt der Kirchengeschkhte der Geistlichen und der 



130 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

walchischen Ketzergeschichte von jedem ob; Synchronologie fodert 
ihren eignen Mann und ihre eigne Frau; manche bearbeiten noch 
kleinere Zweige der Geschichte und erwarten ihren Ruhm von 
der Statistik eines einzigen Hauses, die diesen Namen nicht ver- 
dient ohneeine genauere Kenntnis der Tafelgiiter, der Nazional- 
schulden, der Regierungsform etc. eines Hauses als der erste be- 
ste gewohnlich hat; Buschingische wochentliche Nachrichten 
liefert jede Frau, die einen Kopf hat zum - Frisiren und jeder der 
frisirt, und die eine liebt die historische, der andere die ehliche 
Treue; ich wiinschte, es gabe mehrere, die sich und die gewisse- 
ste Geschichte ungewohnlich liebten namlich ihre eigne und 
deswegen wie Xenophon und Zasar keine andere Thaten be- 
richteten, als ihre eigne. Diese Mitglieder der spezialhistorischen 
Gesellschaften haben unbestimmte Zusammenkunfte, wo ieder 
das, was er gearbeitet nicht sowohl vorlieset (denn keiner hats 
aufgeschrieben) als vorsagt, und zwar in ienem sirripeln Style des 
Polybs den Monboddo so hoch iiber Tazitus seinen emporriickt, 
und ohne eine Religion, Tugend und Liebe die Dionys von Hali- 
karnas und jedem Historiker verbannt, und ohne den Fehler, den 
Rousseau der ganzen Geschichte beimisset, daB sie bios Konige 
und ihre Kriege, aber nicht den Menschen im Schlafrok male: 
allein es hat kein Historiker was von solchen Sessionen (ieder 
von den 40 Akademikern in Paris hat von der Beiwohnung einer 
Session 1 Silberpfennig) und das was er, wie in einem Weinberg 
in den Mund und nicht die Tasche stecken darf , will wenig sa- 
gen. Was die Wahrhaf tigkeit dieser Historiker anlangt, so ist sie 
weit grosser, als ich dachte; denn es widerspricht ieder dem an- 
dern und wenn Chrysostomus, schon aus der doch unbedeuten- 
den Dish arm onie der Evangelisten auf ihre Glaubhaf tigkeit zu 
schliessen rieth, weil sie eben den Verdacht der Verabredung ab- 
wende, so laB' ich jeden selbst ermessen, um wie viel grosser die 
Glaubwurdigkeit unserer Historiker sein mag, da ihre Dishar- 
monie in der That zehnmal grosser und der Argwohn der Ver- 
abredung zehnmal kleiner, als bei den Evangelisten ist. 
Wenn man sich niedersetzt und dies erwagt und noch dazu lieset, 
daB, so wie die griechischen Geschichtschreiber oft die Lander 



TEUFELSPAPIERE ' I . ZUSAMMENKUNFT 'I I 3 I 

bereiseten, deren Geschichte sie gaben auch unsere Manner und 
Weiber hundertmal ein Haus besuchen, urn der Geschichte sei- 
ner Bewohner etc. mehr Genauigkeit zu verschaffen - oder 
wenn man hort, daB wie nach Meiners die alten Historiker ihre 
groBe Tour oft durch Tempel nahmen, urn aus deren Inschriften 
zu lernen, auch unsere durch Kirchengehen eben so wohl ihre 
historischen als ihre religiosen Kenntnisse zu vermehren trachten, 
- oder wenn man die Zahl dieser Geschichtsforscher einer einzi- 
gen Stadt, die der Zahl ihrer Bewohner allzeit gleich ist, mit der 
verhaltnismaBiggeringenZahl der Schreiber der ganzen franzo- 
sischen Geschichte vergleicht, die sich nach Le Long's richtiger 
Angabe nicht hoher belaufen, als auf acht und zwanzig tausend: 
so fragt man aus guter Absicht, was aus der groBen argerlichen 
C/irom'dederMenschheit, namlich der Universalhistorie, mit der 
Zeit werden mtisse, fur die so viele tausend kleine argerliche 
Chroniken verfasset werden? - gar nichts, so lange kein Teufel 
etwas davon in die Welt hinausdruckt, und das ist eben die Erb- 
simdevonMillionenMenschen, daB sie nichts drucken lassen als 
Kattune: allein ich geige das der Welt vergeblich vor, seit Jahr 
und Tag. 

Es ist ein ewiges Naturgesetz, daB das Wunderbare auf solche 
Historiker im umgekehrten Verhaltnis seiner Entfernung wirke. 
In der Stadt selbst ist ihnen die Geburt eines Kindes z. B. interes- 
sant; zwei Stunden von ihnen interessiret sie nur eine Zwillings- 
geburt, 3 Stunden Drillinge und so muB man mit den Stunden 
die Geburten haufen, die zulezt ohne Abbruch des Interesse gar 
keine Menschen mehr sein konnen, sondern grauliche Misge- 
burten. Es ist mir hundertmal lieber, (denn ich gefalle weit mehr 
mit der Erzahlung) wenn ein da angesessener Mann seinen Be- 
dienten maBig und schlechtweg auspriigelt, als wenn ein West- 
indier seinen Sklaven zerschnitzet und lebendig gerbet, ia wenn 
er ihn auch sogar mit alien vier Elementen folterte, um ihn in 
alle vier Elemente zu zersetzen: denn bei alien Martern des Kerls 
liegt doch Westindien nicht in der Stadt. Verlaumden ist eine so 
nothige Bewegung des Mundes als fur einen asiatischen das Be- 
telkauen und beides giebt Schwarze: es miissen also besondere 



132 JUGENDWERKE * 4. ABTEILUNG 

Ursachen da sein, warum schlechterdings kein Mensch in be- 
sagten Gesellschaften seit vielen Jahren nur einmal verlaumdete. 

Als ich durch Fg. fuhr und horte, da6 das Konsistorium und 
meine Frau da ware: macht' ich Anstalten, daB das eine mich von 
der andern schiede. »Ich hoffe ganzlich, sagt' ich zum Konsisto- 
rialsekretair, die Sache hat gar keinen Anstand: denn ich habe 
den Referenten lange auf der Bratsche unterwiesen« - »Ist Ihr 
Ring da an Ihrem Finger, versezte er, das ganze Ehepfand?« - 
»Nur das halbe: meine Frau tragt einen eben so schlechten von 
mir und beide Ringe formiren ein Ehepfand, das hoff ich so er- 
barmlich ist, wie die Ehe. « - »Ich erinnere mich lebhaft genug 
(sagte der Sekretair und machte ein zu saueres Angesicht), daB 
das Konsistorium vor einigen Jahren zertheilende Mittel ge- 
brauchte und damit die Ehe zweier Personen wirklich deswegen 
aufschmolz, weil sie mit Ehepf andern von 900 Thaler Werth zu- 
sammengesiegelt war; denn preiswurdige Konsistorien fangen 
aus Pflicht und mit Lust solche Pfander ein, und bitten Gott urn 
noch mehrere iede Nacht, wie zu vermuthen. Wenn daher Ehen 
deswegen, weil sie mit zu unerheblichen Pfandern gekiittet wer- 
den, die (wie wenig Leim besser als viel Leim) fester kleistern, 
als grosse, durchaus nicht auseinander wollen; so kann niemand 
weniger dafur als das hiesige Konsistorium, das allemal mit Ver- 
gniigen und Leichtigkeit Ehen zersetzet, die gehorig und mit 
keinen andern Pfandern amalgamirt sind, als mit kostbaren: und 
ich muB das wissen. Mit einem Diamant (im Ehering) schneidet 
es ein eheliches Ganze so lustig entzwei, als wars von Glas; und 
aus Gold praparirt es denk' ich mit Verstand das Konigswasser, 
das Leib und Seele (Mann und Weib) so gut auseinander treibt. « 
Ich warf mirs jezt selber gelassen vor, daB ich nicht christlich 
dachte: denn ein anderer Mann ware froh gewesen, daB er nur 
- wie die Katholiken durch das Schleppen holzerner Figuren bei 
Prozessionen Siinden abzubiissen hoff en, - an seiner Frau eine 
solche holzerne Figur besessen hatte, durch deren geduldiges 
Schleifen und Ziehen er sich aus dem Lufthimmel auf die Lange 
doch in den Freudenhimmel werfen konnte. 

Es wird keinem Menschen etwas schaden, wenn ich hier bei- 



TEUFELSPAPIERE ■ I . ZUSAMMENKUNFT "I 133 

bringe, daB ich einmal in meiner Jugend vorgehabt, durch ein 
vortrefliches Buch - wie denn der MeBkatalog cs so gar schon 
verhies - die Ursachen auseinanderzusetzen, warums Weiber 
giebt, zumal schone. Ich sagte gleich anfangs darin, ich must* es 
unterdessen als erwiesen voraussetzen, daB dieser Erdball bios 
die Vorstadt und der Vorgrund eines bessern Planeten ware. Auf 
diesem bessern Planten, schreib ich weiter, den ich sehen 
konnte, wennich einen achromatischen Tubus nahme» stisse ein 
verminftiger Mann nach seinem Tode in der That auf ganz an- 

10 dere und reizvollere Gegenstande, die die wahre platonische 
Liebe verdienten und entflamten. Bios diese wollen die Theolo- 
gen unter dem Namen Engel gemeinet haben. Sie waren, sagt' 
ich in einer Note, so voll zarter und doch heisser Liebe! so voll 
geistiger Reize! daB ein Mann, der sie liebte, sich seines Ichs und 
der Liebe zu selbigem beynahe schamte, und das seinige nur am 
ihrigen zu lieben wagte. Ich konnte nichts dafur, daB ich damals 
diese Schilderung weit trieb; denn ich war nicht iiber 20 Jahre alt 
und brachte den Plato selten aus der Tasche. »Inzwischen, (fuhr 
ich fort und bediente mich eines zu niedrigen Ausdruks) kon- 

20 nen wir Manner doch nicht auf der Erde bios da sein, daB wir 

die Hande in die Tasche stecken: desgleichen die Weiber gar 

nicht. Sondern lettemussen vorbereitungsweise schon hienieden 

zu einer gewissen Hohe der Seele aufkonnen und diese mussen 

die Hebel- es sey nun heterodrome oder homodrome - dabei ab- 

geben. Aber ich will auf eine oder die andere Art ganz ohne 

schwere Metaphern reden. Oft wenn ich einem Jager zusah, der 

einen Falken zur Nachiagung des groBen Wildprets abrichtete 3 : 

so sagt' ich, wolte Gott, es wiirde dir das Gliick, daB du dieses 

Verfahren des Jagers einmal zu einem GleichniB, oder einer Er- 

30 

Er stopft die Haut eines Fuchses oder andern Thieres aus, verkniipft 

einen Kopf, damit und lasset aus dessen Augenholen den Falken ge- 

wohnlich f ressen; darauf bewegt er das ausgestopf te Thier anfangs lang- 

sam, und zulezt auf einem Karren sehr schnell, um den Falken durch 

diese scheinbare Entziehung seines FraBes zur Verfolgung des lebendi- 

gen Wildes, in dessen Augenhohlen er seine Kost vermuthet, abzurich- 

ten. 



134 JUGENDWERKE * 4. ABTEILUNG 

lauterung verwenden konntest: das eine oder die andere konnte 
deinem Kopfe den Ruhm eines witzigen bescheeren. Dieser 
wachset mit iezt wiirklich zu: denn mit iener Abrichtung erlau- 
ter' ich mein System stark. Man verbittert den Weibern das Le- 
ben wenig, wenn man bios behauptet, daB sie die vollige Gestallt 
der Engel haben, die sich kiinftig von uns Iieben lassen: allein wir 
Manner vermengen alles und halten das Gehause fiir den ent- 
fernten englischen Einwohner und den aussern Menschen fiir 
den innern, die hiesige Frau fiir den kiinftigen Engel - das ist aber 
gerade die Absicht der Natur. Die schimmernde Oberflache des 
Weibes und die Lokspeise in ihren Augenhohlen soil ieden Mann 
nothigen, ihr so eifrig nachzusetzen, als war' er ein Narr und sie 
ein Engel, wovon sie doch nur die ausgestopfte epidermis ist. Ja 
. die Natur thut noch einen neuen Schritt. Wie der Jager das aus- 
gestopfte Wild mit vollen Augenhohlen auf einem Karren her- 
umschiebt, urn durch diese scheinbare Flucht den Falken auf die 
wahre des lebendigen Wildes vorzubereiten: so halt die Natur 
verschiedene Flechsen in der Hand, mit denen sie durch ein ge- 
ringes Zerren so fort das ganze Weib unvermerkt ins Laufen 
bringt, sobald der Mann kein Indifferentist mehr sein will, son- 
dern sich der algebraischen Approxitnazion bedient: sie springt 
vor ihm zuriick; er wird kaufslustiger; keines giebt nach; der 
Spas wird vielmehr grosser; ia die Flucht hat gar ihre - Granzen: 
allein, eben diese Nachiagung nach dem zum Scheine fliehenden 
Wilde gewohnet uns im andern Leben hinter dem im Ernste flie- 
henden sehr herzusein. Wenn wir Manner nun am Ende mit Tod 
abgehen: mit welcher Liebe fiir die Engel, deren hiesige Gestalt 
uns in ihrer Liebe schon zum voraus iibte, werden wir in den 
bessern Planeten aussteigen! wie unaufhaltsam wird unser 
Nachsetzen sein! wie auffallend gros unsere Lust! zum wenigsten 
wird man dann bekennen, niemand habe aller Wahrscheinlich- 
keit nach die Schilderung der Sache weniger ubertrieben, als ich 
und es sei ganz'naturlich. Ich selber that mir unendliche Dienste 
mit meinem System, ich meine mit der Praxis desselben; denn 
ich liebte deswegen fast 3 3 solche Gipsabgusse von Engeln so gut 
wie moglich, und es miiste der Henker sein Spiel haben, wenn 



TEUFELSPAPIERE ■ I. 2USAMMENKUNFT "I 135 

ich dadurch nicht Liebe genug zusammengebracht hatte, fiir ei- 
nen Engel auf dem kiinftigen Planeten . . . Sogar Leute, die es 
nicht systematisch wissen, merken aus einem dunkeln Geftihle, 
daB sie an den Weibern den wahren Einband und die noble mas- 
que von Engeln haben, und sagen deswegen oft: o mein Engel! 
Und wenns im >fluchtigen Paten nicht steht, daB die Apokalyp- 
sis die franzosischen Weiber, die nicht sowol von den Man- 
nern, als dem mannlichen Geschlechte geliebt werden, unter 
dem Namen Engel der Gemeine weissage: so muB es anderswo 
io gewislich stehen, etwan hier. « - Jezt mochte ich dieB ganze Sy- 
stem aus keinem Laden um einen Groschen mitnehmen, - denn 
da ichs nicht druken lassen, so kont' ich wenn ich nur woke, 
meine Meinung andern und war an nichts gebunden, - aber 
meineDedikazion an die Frau de la Roche Verfasserin der Stern- 
heim etc. werd' ich immer glauben und loben, so lang* ich Au- 
gen habe, um ihre Schriften zu lesen. 

»Ich eigne ihnen, Madame, nichts zu, als ein iunges System. 
GroBe Gelehrte sind meiner Einsicht noch gar oft voll Verstand. 
Da sie aus irgend einem alten Sylbenstecher wusten, daB die Al- 

20 ten die Statuen eingetheilet, in Statuen die der Gott, dessen Bild 
sie waren, beseelte, und in solche, die unbewohnet standen: so 
war ihnen das etwas zu troken und sie applizirtens begierig auf 
die Weiber. Diese sind, sagen sie, glatte Statuen der Engel und 
tragen. deren ganze Gestalt - aber weiter nichts, den F.all eben 
ausgenommen, wenn in diese Statuenallee eine Statue einriickt, 
in der das abgebildete Original schon lebt. Mein System aber 
treibt die Menschen an, an korperlichen Engeln, die geistigen 
lieben zu lernen, und es muB sein. 

Katholiken z. B. Franzosen lassens dabei gar nicht, sie beten 

30 die Engel auch an, und die Scholastiker wollen uns dazu durch 
die Vorhaltung ihres Verstandes, ihrer Giite etc. locken: all ein 
es geht schlechterdings nicht, und ein ehrlicher Lutheraner kann 
nichts weniger sein, als Madame, 

Anbeter 
W. Haberman.« 



136 JUGENDWERKE ' 4. ABTElLUNG 

Es ist mir nicht zu verdenken, daB ichs iezt ganz mit dem alten 
Skotus hake, wiewol der heilige Athanasius und Basilius selbst 
nichts anders verfechten. Diese drei schreibens an irgend einem 
Tage in die Welt hinaus, sie konne glauben, iede Frau - auBer 
der Maria - kame als ein hiibscher wolgewachsener Mann aus . 
dem Grabe hervor und im Himmel liefen lauter Chapeaux 
herum. Es that anfangs wenige Wirkung auf beide Kirchen,' die 
sichtbare und unsichtbare: man glaubte ihnen bios, ohne sein 
Leben im geringsten darnach zu andern; und selbst in den neuern 
Zeiten ist es mehr Zufall als Verdienst, daB die Weiber besser 10 
wissen, was sie auf der Erde sollen, und daB sie, da das Grab der 
Strekteich ihres Korpers ist, und ihn in einen Mann umgiest, die 
eben so nothige Umschmelzung der andern Halfte, der Seele, 
schon bei Lebzeiten zu betreiben ■ anfangen, weil sonst ihre 
w.eibliche Seele gar nicht in den mannlichen Korper hineinpassen 
wurde. Seit 30 Jahren aber muB sie hineinpassen, wenn anders 
ihre bisherige Losreissung von weiblicher Kleidung, Schamhaf- 
tigkeit, Zartlichkeit, Bescheidenheit, Einsamkeit so groB und 
ernstlich gewesen, als ich mich bereden mochte, um sie den. 
Mannern ahnlich zu linden. Schamhaftigkeit besonders schei- 20 
net, die Wahrheit zu sagen, einer Frau und einem Kranken gleich 
iibel zu stehen, und man priifet ia Damen und Rothel daran, daB 
sie beide einem an den Lippen hangen bleiben. Ich war nicht im- 
mer so ungliicklich, aus Gesellschaften verwiesen zu leben, wo 
die Damen, deren Geschlecht ich doch aus ihrem Kopfputz 
merkte, so gut iiber Physik und Chemie sprachen, und im Gan- 
zen genommen, so gut fluchten und schworen, daB dieser und 
jener aus Einfalt annahm, sie waren rasirt. Daher lassen gute 
Anatomiker beide Geschlechter elend in Kupfer stechen, damits 
die Welt selber sieht, daB sogar ein weiblicher Embryon bis auf 30 
ein Haar (wenn er eines hatte) einen mannlichen gleich sei, und 
manwiirde ewig beide vermengen, wenn sie niemals geboren 
und erzogen wiirden: denn dann, nach der Geburt weis man 
wahrhaftig kaum mehr, ob das Weib nur iemals ein Mann war. 
Ich glaub' auch nicht, daB die etwas anders als mein besagtes Sy- 
stem im Kopfe gehabt, die es fiir etwas gewisses ausgaben, daB, 



TEUFELSPAPIERE • I . ZUSAMMENKUNFT 'I 137 

wenn irgendwo Frauenschneider und Sattel nicht zu haben wa- 
ren, so wars im HimmeL Deswegen kan freilich dort ein ganzer 
Eimer von Jungferschaftsessig (vinaigre de virginite) wenig zu ge- 
brauchen sein; denn bios auf der Erde niizt er ein wenig und ist 
das wahre Bad der Wiedergeburt von tausend verlorenen Tu- 
genden. 

Es war meinen Freunden und Feinden nicht lieb, daB ich zu 
Yf- denn mein Weg trug gerade durch die Residenz - den Thron 
bestieg. Allein, wie wenig war diese ganze flandlung metapho- 

ro risch und allegorisch! Sondern sie war bios wirklich und korper- 
lictu Da der Thron gerade ledig stand, weil der Fiirst, fur den 
er und die Ehrenpforte gebauet war, iede Stunde eintreffen 
wollte: so nahm ich mir die Freiheit und stieg hinan und sazte 
mich darauf . Ich schaute mich darauf um: giitiger Himmel! wie 
hoch ist ein Thron! Ich konnte von da herunter die Unterthanen 
fur nichts als aufgerichtete und tanzende Mause nehmen, so ab- 
gekiirzt kamen sie mir vor. »Ich besorge, fragt' ich zu einem da- 
neben stehenden Hofmann, ich halt es auf diesem Throne nicht 
lange vor Schwindel aus, sondern rolle in kurzem zu iedes 

20 Schrecken hinunter.«. Der Hofmann lachelte, aber unter dem 
Lacheln nahm er eine groBe am Throne hangende Brille a und 
schnallte sie um mein Haupt, das ich nicht sowol zu den gekron- 
ten rechne als zu den iibrigen. »Ich merke alles, sagt' ich, als ich 
die Brille fest um den Kopf hatte und durchsah; freilich hinter 
einer solchen Brille ist der Mensch vor dem Schwindel so sicher 
als saB' er auf einem glatgebohnten FuBboden, und iede Klaue 
von einem Unterthan und kurz, der ganze untere Schifsraum des 
Staats ist durch diese Brille wie weggeblasen.« - »Ohne eine sol- 
che Brille, sagte der Hofmann, als ich sie ihm wieder hinlangte, 

30 genosse auch kein Regent, dessen Augen weit sehen, eine frohli- 

H. Pingeron dachte zuerst an eine Brille, die die entfernten Gegen- 
stande unsichtbar macht und nur die nachsten zeigt. Wer sie nun um hat, 
sagt er, kann ohne Schwindel auf dem hochsten Seile tanzen, weil sie die 
Hohe und Tiefe entzieht und dadurch die Furcht wegnimmt. Sammlung 
von Kunststiicken fur Kiinstler etc. von Wiegleb iibersezt 2ter Th. S. 
188. 



I 38 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

che Minute, und honette Gesellschafter des Fursten konnen, 
denk ich, nicht zu sehr ihm eine umzulegen eilen, damit er von 
seinem Mastkorb mit seinem Blick nicht tiefer herunter reiche, 
als bios bis zu uns Hofleuten: mit kurzsichtigen Fursten brauchts 
freilich das nicht; ihre Augen sind selbst eine solche Brille. « Man 
nehme mir es nicht libel, daB ich dem Himmel Dank sagte, daB 
mir der Hofmann so fein geschmeichelt hatte. 

In Hardenburg 3 hatt' ich - denn nimmermehr hatte das Insekt 
sich mit Fleis von mir abgekehret, da ich ia so lebendig war als 
irgend etwas, - Burgermeister werden konnen, wenn ich an 10 
meinem Kopfe einen Bart gehabt hatte, der vollig auf den Elek- 
zionstisch heruntergegangen ware. Seine Kiirze aber ist zu be- 
kannt. Ueberhaupt sind meine Absichten nicht unredlich, wenn 
ich iezt mit einem unvermischten Bedauern diesem Insekte zu 
Last lege, daB es gar nicht wissen muB, daB tausend eben so gute 
Insekten im deutschen Reiche die besten Burgermeister, Pfarrer, 
Schullehrer etc. wahlen, ohne nur an einen Bart zu denken, nicht 
einmal an einen metaphorischen. Und zergliedert man den Be- 
grif , den man sich von einem unverfalschten Burgermeister bil- 
det, mit gutem Erfolge: so must' es der Henker sein, wenn man 20 
nicht fassen wollte, warum. An einem gut eingerichteten Staats- 
korper mussen durchaus Glieder sitzen, die fett sind. Der Staat 
thut dabei so viel er kann und noch viel weniger. Er glaubt, daB 
er, wenn er an gewissen von seinen Dienern durch Erziehung 
oder sonst den Kopf wegschaft, (daB der sichtbare noch dableibt, 
schadet wenig; er ist bios das Futteral oder das SchaalengehauBe 
oder der Geschaftstrager des weggeschaften) seinen Zweck nicht 
ganzlich verfehle, diese Diener dadurch zu masten, wie man 
auch die Baume durch Wegnehmung ihres Gipfels dicker macht. 
Zweitens erschwert die Bewegung das Fettwerden, wunderbar. 30 

Die Schoppen von Hardenburg (in Westphalen) setzen, wenn sie ei- 
nen neuen Burgermeister brauchen, eine Laus auf eine runde Tafel und 
sich an dieselbe. Der Bart eines ieden langt auf den Tisch herab. In wes- 
sen seinen nun die Laus kriecht: der ist nach der Wahlfolge der neue Bur- 
germeister und ieder ist zufrieden genug. Hommel Obs. DXLVI. 



TEUFELSPAPIERE • I. ZUSAMMENKUNFT 'I 139 

Wenn mithin das gemeine Wesen nicht darunter einbiissen 
sollte: so musten durchaus gewisse groBe Hauser (man nennt sie 
ia bekanntlich Rathshauser, Kollegien etc.) bios darzu aufge- 
bauet werden, damit man die Mastsubiekte (so wie man Kapau- 
nen und Ganse in enge Behaltnisse zum Fettwerden einklam- 
mert).von Zeit zu Zeit darein thate und da zu'dem Stillesitzen 
nothigte, ohne welches nicht einmal ein Schwein fett wird; man 
nennt diese bestimten Enthaltungen von der Bewegung Sessio- 
nen oder Sitzungen. Freilich blendet man noch den gedachten 

io Kapaunen die Augen: aber ich denke, bey verniinftigen Raths- 
gliedern, die wissen, daB sie zum Fettwerden die Augen, wenn 
die Session was helfen soll,~nothwendig zuschliessen mussen, 
wird mans nicht nothig haben. Staaten, die dieses nicht 
hintansetzen, kommen, wenn ein Fremder wie ich durchfahrt, 
diesem wie geschonte Walder vor, wo alles von dicken Baumen 
starret . - Die Gelehrten gehen z war auch darauf los , ihren matten 
Unterleib zu paraphrasiren, sie studiren und sitzen daher iiber 
den besten Werken die sie lesen und den schlechtesten die sie 
schreiben, unablassig: allein es gab zu alien Zeiten einen oder den 

20 andern der den Kampf von den Vizeralklystiren in der Stube 
oder im Kopfe hatte und vor dem mans nicht verhehlen konnte, 
daB das Fett, womit Gelehrte sich gurten, wirklich nichts sei, als 
elend' pituose, hypochondrische Materie oder Infarktus, die ge- 
gen den Fettpolster eines gesunden und weisen Rathes in die al- 
lerschlechteste Betrachtung kommen. - Was die Geistlichen 
aufm Lande anlangt, so kenn' ich viele Leute, die aus Furcht, der 
Satire auf einen ganzen Stand beschuldigt zu werden, es nicht zu 
gestehen wagen, wenn einer oder der andere von ienen hager 
und mager ist und schlecht trinkt: allein was kann der Stand fur 

30 ein oder zwei Glieder, die schlechte Fasser der Erwahlung sind 
und haben, wenn er auf der andern Seite sich wieder mit zehn 
andern rechtfertigt, die es mit Nutzen wissen, wozu sie die hi- 
storische Wahrheit verbunde, daB Bachus der Erfinder des Got- 
tesdienstes und des wahren Trinkens gewesen? Gleichwol be- 
sorgte die Kirche, es wurden die wenigsten von ihnen wachsen 
und trinken, und wikkelte sie daher in die hangenden aufgedun- 



140 JUGENDWERKE ' 4. ABTEILUNG 

senen Priesterkleider ein, damit sie wenigstens bei Amtsverrich- 
tungen den Schein der Dickleibigkeit umhatten, wie ein einge- 
dorrter Akteur, der den Falstaff nicht gemacht hat sondern noch 
macht. Die Staaten sind niemals ungliicklich, sagen Leute von 
Einsicht, die vom Kanditaten eines Amtes nichts fodern als un- 
glaubliche Konvexitat des Ruckens und Bauches, und ich logirte 
selbst zu Nachts in solchen Staaten: Das ist aber gar kein Wun- 
der, denn die Kammer muB glucklich sein, weil sie dem Kandi- 
daten das Besoldungsbrennholz unter der naturhistorischen 
Entschuldigung einziehen kann, es gebe keinen warmeren Pelz 
als Fett, und der Kandidat muB noch gliicklicher sein, da er wie 
das Mikroskop im Verhaltnis seiner Konvexitat iedes goldne In- 
sekt, und sich vergrossert. - 

Es war ganz meine Absicht, eine Reise zu machen, deren Er- 
zalung einen Tag bediirfte, der so lang ware wie der Reichstag, 
namlich 125 Jahr oder so; ich hatte sie franzosisch beschrieben 
und darin fiir deutschen Druck und Pranumerazion iibersezt: 
aber in Marseille lies mich der dasige Biirgermeister unchristlich 
auf lange blessiren, weil ichim Parterre mit stand und entsetzlich 
trommelte und pfif (wie die andern alle), urn durch diesen Lar- 
men zu hindern, daB er nicht die so oft wiederkauete Oper »Ze- 
mire und Azor« zu Gef alien einer Dame noch einmal wieder- 
kauen liesse. Allein, der Biirgermeister machte einen noch 
grossern Larm und lies unter uns samtliche trommelnde Zu- 
schauer schiessen, wie unter wilde Ganse; indessen ware das 
noch passabel gewesen, wenn nicht gerade diesen Abend der 
Teufel einen besondern Groll gegen mich gehabt, und meinen 
linken Arm, und das Schienbein so geschickt zwei Kugeln ge- 
geniiber gestellet hatte, daB sie besagte Glieder nothwendig ladi- 
ren musten. Es wurde mir dadurch mit dem Arm zugleich mein 
kleiner Nahrungszv^eig zerschossen und ich konnte vor keinem 
gescheuten Oh re eine Note mehr greiffen, ob ich gleich, die 
Wahrheit zu sagen, auf meinem ganzen Hausiren durch Europa, 
von keinem Hofe fiir mein starkes Bratschespielen so bezahlt 
und beschenkt geworden, daB ich ware zufrieden gewesen, - es 
war auch kein Hof mit meiner Bratsche, allein man hatte sichs 



TEUFELSPAPIERE ' I. 2USAMMENKUNFT I 141 

einfaltigerweise in den Kopf und ins Ohr gesezt, ich handhabte 
mein Instrument so schlecht wie der Heuschreckenzug der ge- 
wohnlichen Virtuosen. Ich kam in meiner Erzahlung davon ab, 
daB ich nichts hatte; und obgleich in Marseille ein Munzhof und 
in diesem ausserordentlich viel Geld war, so war ich doch nicht 
im Stande, es zu einer Koniunkzion mit den Gold- und Silber- 
scheibenodernurzum Gesechsterschein zubringen, (welches bei- 
des gut ist) sondern ich blieb, ich mochte segeln wie ich wollte, 
bestandig in der Opposizion stehend, die recht schlimm ist, 

jo wenn nicht der Kalendermacher mich wie ein Zeitungsmacher 
beliigt. Ich ware langer ohne Geld und Gut geblieben, wenn 
nicht meine Reise durch diese Welt, sich in eine Reise in die an- 
dere hatte zu verwandeln geschienen, d. i. wenn nicht ein 
schneller Blutverlust mich in eine solche gluckliche Ohnmacht 
begraben hatte, daB redliche Christen mit so gutem Gewissen 
mich beerdigen konnten als ob ich schon gestunken, welches sie 
auch thaten, - allein, ich wiirde dennoch diese Beerdigung fur 
kein Gliick gepriesen haben, wenn ich bios in das Franziskaner- 
kloster, (ich begreiffe aber nicht, wie man mich mit einem vor- 

20 nehmen Katholiken verwechseln konnen) ware beigesetzet 
worden; - denn der groste Vortheil dieser heiligen Begrabnis- 
statte, lief darauf hinaus, daB mir ein Drittel meiner Siinden ver- 
ziehen wurde: ich brauchte aber eben das gar nicht, da ich erst 
in Madrid fur die Beschauung von 8 Stiergefechten, deren En- 
treegelder zu einem Kirchenbau kamen, von den Franziskanern 
auf 2 ganze Jahre achten Ablas erhandelt hatte, und mithin ohne 
alien Stof zum Vergeben da lag - ich meinte, ich hatte es kein 
Gliick genannt, wenn ich bios ware begraben und nicht wieder 
(ich glaube, eine Ratze thats oder ein Heiliger) auferweckt wor- 

30 den; das erste was meine auferstandene Augen in der Klosterkir- 
che sahen, war ein langer breiter silberner Fufi und ein Marien- 
bild, an dem er herunterhieng, und dem ein Podagrist fur die 
Belebung des seinigen und dadurch gedankt hatte, daB er die 
Maria in einen DreifuB verkehrte. Da ich mir bewust war, daB 
ich zufalligerweise mehr Ablas als Siinden besasse und lange 
siindigen muste eh' ich nur einem Heiligen ohne Siinde gliche: 



142 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

so konnteich mit Lust zu Einer greifen d. i. zum silbernen Fusse 
- ich rede deutlicher wenn ich berichte, daB ich besagten FuB mit 
meinen Handen sakularisirte und dieses Klostergut einzog, urn es 
nicht so wol zu einem Religions- als Lebensfond zu machen. Als 
ich mich und den FuB aus der Kirche gestohlen hatte: merkt ich 
erst, daB ich lebendig war, und da mir der metallene FuB weit 
mehr zum Fortkommen diente als die 2 fleischernen, wovon ei- 
ner durch den schiessenden Biirgermeister ladirt war, so war ich 
ohne einen Geigenstrich in 2 Monaten, und ohne den silbernen 
Kothurn wieder am gegenwartigen - Schreibtisch, auf dem ich 10 
iezt mit Lust dieses an H. Blanchard hinschreibe: 

Ich verderbe die Zeit und Feder durch diese Anrede an Sie, lie- 
ber Blanchard, nur deswegen, weil ich Sie gliicklich preisen will, 
daB ich in guten Zeitungen gelesen, daB Sie, wie man merkt' 
nichts zu stehlen brauchen als hochstens - Geschenke. Wenige 
leben wie Sie bios von der Luft, die sie machen, und in der man 
wohl Schlosseraber keine Schiffe bauct, und nur ein Feind von Ih- 
nen kann Sie unter eine Luftglocke und in den luftleeren Raurn 
verwiinschen, wo Sie noch eher sturben wie ein Frosch, und 
ohne wie dieser sich darunter aujzublahen. Ich erinnere mich 20 
recht gut, daB ich oft, wenn ich auf meiner Reise mich zu FuBe 
forthaspelte, und Siedoch oben gerade iiber mir (welches zwei- 
mal geschah) mit Ihrer Arche erblickte, Sie ausserordentlich 
schimpfen wollte; ich hatte mir es ausgesonnen und wollte Sie 
einen Styliten nennen - oder schlechtes Treibeis und mich 
Grundeis - oder Sie einen todten und oben schwimmenden 
Hecht und mich einen lebendigen, den seine durchstochene 
Blase an den Boden picht und kniipft - ich wollte Ihnen vorwer- 
fen, Sietrieben auf Ihrem Schiffe einen Grosavanturhandel oder 
auch einen Kiistenhandel nahe an unserer Erde, und ich triebe 30 
weit mehr und alles, hatte aber nichts - ich wiinschte es einmal 
laut,'5/ehorten es aber in Ihrem Apogao gar nicht, 5/emochten 
als ein schlechter Niederschlag prazipitirt werden, ich wollte 
einmal gar eine Windbuchse borgen und nach Ihnen schiessen: 
allein es war lauter Neid und ich sah das ein so gut wie Sie, und 
wenn ich es noch eher und vielleicht besser abgewogen hatte, 



TEUFELSPAPIERE ■ I. ZUSAMMENKUNFT * I 143 

wie gros Ihre Verdienste um das Luf tschif , um die Luft selbst und 
um die ganze Athmosphare denk' ich sind, und wie wenig Ihnen 
dafiir Belohnung zufalle (ia ich mochte, das Geld ausgenommen, 
fast sagen gar kerne, die in Lobe, von Naturforschern gemiinzt, 
besteht), so war* ich sanft und ohne Gestikulazion unter Ihrem 
Schiffe weg und gar nach Hause gegangen, um diese Anrede an 
Sie spashafterweise zu schreiben. 

Das groste und feinste Bonmot, wozu ichs auf der Reise 
brachte, war der FuB- und Kirchenraub und er mag von Kriti- 

10 kern, als eine in Handlung gesezte Satire hin und wieder angese- 
hen werden, wiewol Satiriker dieser Art gar leicht gehangen 
werden. Andere, minder gefahrliche und minder nutzliche Bon- 
mots lies ich in Menge springen, wiirde aber kein einziges hier 
der Reisewelt anbieten, wenn ich nicht sahe, dafi eines oder ein 
paar, vielleicht etwas unziichtiges in sich hatten: dies mufi mich 
entschuldigen undihren geringen Witz. Erstlich wurde ich in ei- 
nen einfaltigen Streit iiber den Werth beider Geschlechter (es 
waren lauter Damen beisammen, die einander verabscheuten) 
gefragt: ob ich eine hatte werden mogen, ich war aber augen- 

20 blicklich mit meinem ersten Bonmot bei der Hand: »durchaus 
nicht: ich konnte ia dann keine mehr lieben« . - Das zweite Bon- 
mot schrieb ich mit Dinte, die erst durch Ofenhitze sichtbar 
wird, an einen Ofen, der die Gestalt eines nakten und vollstandi- 
gen Ganymeds hatte (im Modej ournal stekt er gestochen) : » das ist 
der einzige Ofen in der Welt der erwarmt, wenn man ihn nur 
ansieht, und Beinkleider es sei am Ofen oder am Anseher, sind 
der einzige Ofenschirm.« Das dritte verstand ich selber erst, 
nachdem ichs schon gesagt; es betraf eine Frau, die keine andern 
Freuden liebte, gab und nahm als die grosten, und deswegen ei- 

30 nen Magnetiseur herumfiihrte: ich fragte den Magnetiseur, »da 
Eisenstabe in lothrechter Richtung anziehend und magnetisch 
wiirden und in wagrechter die Kraft wieder verloren: bei wel- 
cher Person fragt' ich, seines Bedunkens es umgekehrt 
ware?« 

Ernsthafte Anmerkungen bracht' ich auf der ganzen Reise 
nicht mehr zusammen, als zwei. Die erste ist, daft einem der Weg 



144 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

nicht lang wird, sobald man sich steif einbildet, man wolle nir- 
gends hin als in den nachsten Ort, das ist: sobald man, weil die 
Zusammenzahlung der Mittel so sehf abqualt, iedes Mittel fur 
einen Endzweck ansieht, - mancher Schlafrock wird denken, ich 
meine die Reise durch unser kleines Leben, das uns sicher lang 
genug vorkame, wenn wir einen grop en Endzweck im Auge be- 
hieltenund nicht iedes Mittel zu einem Endzweck erhoben, (da- 
her der arme Mensch nach tausend erhinkten und erflogenen 
Zielen doch sein veraltetes Auge noch sehend nach einem rich- 
tet, das er selber nicht sieht): allein, ich dachte gar nicht daran. 
Die zweite Anmerkung ist fast ernsthafter: das Reisen, das in ie- 
dem Sinne Kosmopoliten schaft, macht einen so kalt wie einen 
Gastwirth oder Lohnlakai: ein Dorfbewohner hangt sich an ie- 
den Menschen mit einer Theilnahme als ob sie bei Einem Pfarrer 
beichteten; wen aber das Reisen zwingt, vor tausend Menschen 
gleichgtiltig vorbeizufahren, der gewohnt sich daran, iiberhaupt 
vor den Menschen gleichgiiltig voriiber zu ziehen und das Reisen 
und das Hofleben scheinen, - bis man sich bei den Seinigen wie- 
deransaugt und kein schwimmendes Meergewachs ohne Boden 
bleibt - aus einerlei Griinden, einerlei Kalte, Nachgiebigkeit, 
Toleranz und Hoflichkeit zu pflanzen. Daher iene Mordkalte der 
Grossen und Fiirsten, fur die wir schlechterdings bloBe kartesia- 
nische Thiermaschinen und Mumien, die man gliedweise zum 
Malen und zum Mediziniren zerschabt, vorstellen miissen, die 
um sich uns als lebendig zu denken, dazu die Figur der Prosopo- 
poie bediirfen, und die einen lebendigen Menschen, und Liebe 
fur ihn nirgends finden, als am Gunstling, an der Maitres- 
se und an den en Unterthanen insgesamt, die etwan von den 
Komodianten auf der Buhne reprasentirt und reflektirt wer- 
den. 

Von politischen Anmerkungen bracht' ich gleichfals zwei 
nach Hause: es ware mir aber nimmermehr zu verdenken, wenn 
ich sie unterschluge, und aus Furcht vor geistlichen Anfech tun- 
gen mit meiner Bitte an das ganze corpus evangelicorum nicht 
hervorgienge, namlich Hofleute und Wirthe von weitem aus- 
spioniren zu lassen, damit ich und die Berliner Monatsschrift da- 



TEUFELSPAPIERE ■ I. ZUSAMMENKUNFT 'I 1 45 

hinter kommen, ob die einen oder beide wirklich geheime aus- 
gemachte Katholiken sind, oder nicht. Denn es ist Verdacht da. 
Ich hebe hier aus keinem Hofkalender ein Mandel, Hofleuteaus, 
die die Unterstiitzung und Belohnung, die verdienstvolle Man- 
ner aus bessern Handen am Hofe holen, fiir das gute Werk ihrer 
eignen ausgeben: allein, ich konnt' es aus iedem Kalender. Ich 
will z. B. den Herrn nicht mit Namen hersetzen, der mir (ob ichs 
gleich von sicherer Hand schon wuBte, daB es der Minister selbst 
gethan) versicherte, es ware nicht so, sondern er habe auf rich tig 

io zu reden, der Hofdame die grossere Pension, dem Prinzenhof- 
meister die Oberhofpredigerstelle, und der Tanzerin die ausser- 
ordentliche Gage in einer glucklichen Minute zugefiihret, und 
es reue ihn halb. Wie weit steht er vom offenbarsten Katholizis- 
mus noch ab? das konnen wir alle ausrechnen. Denn wir haben 
alle gelesen, daB zufolge des Katholizismus der UeberschuB der 
guten Werke, den der Eigner (wie hier z. B. der Minister) nicht 
gerade durchaus zum Seeligwerden haben muB, recht gut einem 
andern armern Teufel (z. B. dem Hofmann) kann zugeschlagen 
und geschenkt werden; der kann sie brauchen wie er will und als 

20 seine eigne, der kann sie fiir seinen einzigen Religionsfond, fiir 
sein Szepterlehn, fiir sein Familienstipendium erklaren, wenn er 
gerade zu diesen ausserordentlichen Metaphern dabei greifen 
will. Dennoch fleh' ich GroB und Klein an, in der ganzen Sache 
nicht zu stolpern, sondern mehr die Unpartheilichkeit dabei zu 
zeigen, als den Verstand und die Einsicht. 

Ich wollte, es stande mit den Wirthen urn ein Haar besser. Al- 
lein, sie haben zu ihrem entsetzlichen Schaden den Bellarmin 
und einige neuere lateinische Katholiken - icl\ mocht* aber um 
alles wissen, wie nach und durch wen - in die kreidenartigen 

30 Hande bekommen - und nun messen sie keinen Tropfen Wein 
mehr weg, dem nicht ein eben so grosser Tropfen reines Wasser 
beigespant ware. Ich mochte den leeren Kopf nicht zwischen 
meinen Schultern haben, der die Wirthe beschirmen und sagen 
konnte, es geschahe alles aus den besten Absichten, bei denen die 
protestantische Religion ganzlich bestande; denn einem solchen 
Kopfe wiird' es ganz etwas unbekanntes sein, daB es eben eine 



146 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

Hauptdevise der romischen Kirche ist, allezeit dem Wein sogar 
im heiligen Abendmale Wasser beizuschutten. Die MeBpriester 
bestatigens, die ihn dennoch trinken miissen. 

Wenn also der Religionsabfall der Hoflinge und Wirthe sich 
wirklich bestatigte: so hatten wir alle ein neues Ungliick aus den 
Handen der Jesuiten erlebt, und man must' es diesen beimessen. 
Es ware iiberhaupt meine Pflicht, hier auf diesem Blatte die Je- 
suiten das zu nennen was sie sind, besonders heilige Vater aller 
unheiligen Sonne und Tochter, und Falsarii der Konige - ich 
verstehe darunter, ich sollte sie nicht sowol beschimpfen als Ent- 
repreneurs der Holle und Praadamiten des Teufels nennen, wie- 
wol der leztere das nicht leiden will, sondern sich vielmehr fur 
ihr Protoplasma ausschreiet - einer unpartheiischen Welt war' 
vielleicht auch lieb, wenn ich Scharfsinn verriethe und mit den 
besten Grunden vortrate, warum diese fatalen Hasenscharten an 
der schonen Gestalt der Menschheit, die Sonne zum Symbole ih- 
res Ordens ernannten a : aber wer unter den polizirten Volkern 
haftet mir dafiir, daB alle diese Verbaliniurien, die ich iezt den 
Jesuiten anzutun verhofte, aufrichtig zu reden meine eigene sind 
und Friichte meiner Denkungsart? Denn die Jesuiten selbst, die 
iezt zum Schein gegen sich selber schreiben und predigen, konn- 
ten sie mir ia ohne mein Wissen eingeblasen, sie konnten ia an 
die Stelle meines geringen Athems, womit ich in die zweite 
Trompete der Fama zu ihrem Nachtheil zu stoBen gedacht, ihren 
eigenen gespielet haben, so daB ich warlich am Ende hier oder 
anders wo stande und gar nicht wiiste, woran ich ware und was 
ich von den Jesuiten eigentlich hielte. Es ware daher eine Chri- 
stenpflicht, daB ein verniinftiger passabler Mann einen Bogen 
Papier nahme und mir schriebe, ob ich ein heimlicher Jesuit ware 
oder nicht, und ob ich eine ausserordentliche Abneigung oder 



a Und das muB in dieser Note geschen. Wenn man den Jesuiten zu- 
giebt, daB der Englander Swinden Recht hatte, die Sonne fur die Holle 
anzusehen: so hat man ihnen auch zugegeben, daB sie Recht haben, ihre 
europaischen Besizungen in der andern Welt, wohin sie Kolonien von 
Verbrechern abliefern, in ihrem Wappen zu fiihren; ich selbst geb' es zu. 



TEUFELSPAPIERE - I. ZUSAMMENKUNFT • I 147 

gar Liebe fur sie hatte; ia ob ich nicht gar diese Tour durch die 
Welt bios ihretwegen und der Proselytenmacherei will en, wirk- 
lich gethan und beschrieben. Das ware aber in iedem Betracht 
ein verdammter Streich. 

Indessen war' es eine Sunde gegen den heiligen Geist, die ich 
gegen mich selbst begienge, wenn ich fortfuhre und durch meine 
Reisebeschreibung Vergniigen und Nutzen mit einander aus- 
saete, wahrend die ganze Welt mir beides raubt und mich so 
gottlos verlaumdet. Denn ist es nicht eine gemeine Sage an recht 

io vielen Orten, ich ware auf meiner Entdeckungsreise in iedem 
Betrachte Hungers gestorben, wenn nicht eine gewisse kaiserli- 
che Untersuchungskommission mich und unzahlige Diatengel- 
der gratis mitgenommen hatte? Ziehen nicht einige, die dabey 
sitzen, die satirischen Achseln und beschworen, sie konnten 
schworen, dies hatt' es noch am wenigsten thun wollen, wenn 
ich ausser dem Hunger auch Ehre im Leibe gehabt und mich 
ernsthaft gestraubet hatte, verschiedenemale in Ungarn mir da- 
durch ein paar Kaisergroschen zu erringen, daB ich, weil gerade 
eine Marionette von meiner Statur fehlte, diese reprasentirte und 

20 meine Glieder durch Drahtfaden regen lies und ohne Scheu den 
graflichen Zuschauern weis machte, ich ware im Grunde von 
hartem Holz und stellte mich nur zuweilen auf der Gasse leben- 
dig, wie ein holzernes Bein? Und ware damit mein armer aber 
guter Name nicht schon boshaft genug an die Schandscule ge- 
bunden gewesen, ohne daB noch hinzuzukommen von nothen 
war, ich hatte in Wien meinen Bart im Verborgenen unchristlich 
lang anwachsen lassen und hernach doch abgeschoren und roth- 
lich gefarbt, urn ihn den fromsten Seelen mit vielen Umstanden 
ins Haus zu schicken, damit sie mir etwas weniger dafur geben, 

30 undnachher bei guter MuBe vor ihm in der Hofnung niedersan- 
ken, es ware zum Gliick nichts schlechters als des verda.mmten 
Verrather Judas nachgelassener Bart a ? - Ja haben nicht viele sich 

a Ich laugne deswegen nicht, dafi andere Leute, wie auch Herr Nikolai 
berichtet, frommen Wienern Reliquien und Heiligenbilder auf ein oder 
ein paar Tage zum Verehren leihen, wie bei uns Besen. 



I48 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

geschamt es laut zu thun und es dem Nachbar dennoch leise bei- 
gebracht, ichhatte, um in Berlin einigen Goldkoth aufzuhaschen, 
den man da fast so hoch als boue de Paris achte, auf eine mehr 
freche als andere Weise mit einem betagten Alchimisten, der aus 
dem menschlichen Koth den allgemeinen Lebensgeist zu exzer- 
piren verstand, den lacherlichen und doch wichtigen Kontrakt 
gemacht, daB ich ihm, fals er mir die nothigen praexistirenden 
Keime, dazu herschosse, namlich das Mittagsessen, taglich ein 
ordentliches Sediment einhandigen wollte, gerade als war* in 
ganz Europa in Rucksicht der guten Meinung, die man davon 
hat und der Leichtigkeit, Gold und allgemeinen Lebensgeist dar- 
aus zu extrahiren, nicht der caca du Dauphkf der allerbeste? - 
dann waren von diesen teuflischen Verlaumdungen nicht die 
meisten falsch: so hatt' ich ia hier Dinte und Papier, es zu geste- 
hen; allein ich schreibe gerade das Gegentheil und konnte die 
Gottin der Wahrheit ein Wort reden, so miiste sie selber sagen, 
daB sie mich auf meiner kostbaren Reise bios davon leben sehen, 
daB ich gleich iedem zirkulirenden Virtuosen liberall, wo ich 
Ohren oder einen Konzertsaal erblickte, sofort mit meiner Brat- 
sche hineingegangen und darauf so gut gegeigt, als es menschli- 
che Arme und Seelen in ihrer irdischen Verbindung vermogen; 
und wer weis es anders? Ich stand daher, die Wahrheit zu sagen 
oft, auf dem Komodienzettel mit. 



II. 

Der Edelmann nebst seinem kalten Fieber, und die Unterthanen nebst 
ihren kalten Hausern 

Diese vier Arten von Wesen muB ich haben, sie sind das Garn, 
woraus ich meinekleineErzalung weben soil. Sie braucht weiter 
keine Vorrede als die, daB das was ein Autor (wie Gott die Welt 
nach Kepler) am langsten Tage schaft durchaus vom Leser am 
kiirzesten Tage muB gelesen werden - oder doch vor dem Friih- 
lingsaquinokzio . 

Da mir kein Mensch in der Welt soviel von meiner probaten 



TEUFELSPAPIERE ■ I. ZUSAMMENKUNFT ■ II 149 

Fuchswitterung abkauft, als die Edelleute: so schaz ich die lez- 
tern in vielem Betracht. Ich berg* es daher gar nicht, daB ich Er- 
zalungen, wie die folgende, weit lieber ins Publikum trage als 
solche, die auf die besten Kaufer von Fuchswitterungen bose 
Schatten werfen: gleichwohl darf niemand deswegen meine Er- 
zalung fiir ein lobsiichtiges Gewebe von wahren und ersonne- 
nen Thatsachen ansehen, und ich habe zwar einen Landedel- 
mann lieb, aber noch mehr die Wahrheit, - zumal in einer recht 
angenehmen Erzahlung vom Edelmann nebst seinem kalten 

io Fieber. 

Der hiesige adeliche Rittergutsbesitzer duellirte sich 12 Wo- 
chenlang mit dem kalten Fieber, der Doktor war der Secundant 
von beiden, und verlies sich auf seinen Degen. Ich hingegen 
stand mit probaten Fuchswitterungen: unten im kalten Haus- 
platz und sah wie ein melirter lebendiger Eiszapfe aus, indeB ich 
vom Koche, der noch mehr Kalte hatte, erfuhr, sein gnadiger 
Herr habe eine noch grossere als wir beide - ganz natiirlich, sagt' 
ich, weil seine aus der Physiologie und Pathologic her ist - und 
wolle um die Kalte friiher wegzuschmelzen, dazu das Geliibde 

20 probieren, so vielen Unterthanen Hauser zu bauen und zu 
schenken, so viele Wochen ihn das Fieber schwenken und rutteln 
werde. Es schwenkte ihn bis zum ersten Epiphanias und der 
Pfarrer auf der Kanzel sagte es, der fiir die Genesung und fiir 
einige Batzen sich heiser dankte. Am Montage wurden 12 Bau- 
ern 12 Baustatten vom Vogte angewiesen. Was die Baumateria- 
lien betrift, so wohnte kein Mensch im ganzen Dorfe,der auf an- 
dere als die gewohnlichen schlechten im Geringsten aufgesehen 
hatte und ein alter polizirter Garnweber sagte, wenn wir nur 
Bauholz und Dreck haben, so lasset uns geniigen: allein der er- 

30 warmte Edelmann wollte so weit uber sein Geliibde und die all- 
gemeine Hofnung hinaussteigen, daB er zu Baumaterialien 
nichts geringers nehmen lies, als eine kostbare durchsichtige 
Materie, die uber das Krystall in iedem Vorzuge, sogar in der 
Zerbrechlichkeit und Menge siegt, deren Mangel in Italien so 
unertraglich ist, als der Mangel eines Pabstes, namlich achtes Eis. 
Es ist diese glasartige Materie, die unserm Welttheile darum in 



I$0 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

Menge geschenkt, und dem reichen Indien darum abgeschlagen 
zu sein scheint, damit Europa alien Kostbarkeiten Indiens durch 
eine einzige die Wage hielte, vollig die namliche, woraus das 
Empyraum - so viel man erfahren konnen - zusammengenagelt 
ist, und woraus auf der Erde die silbernen Dacher der Fische und 
Frosche gegossen werden. Gleichwol lies der Edelmann, dem 
die Kostbarkeit dieses Materials so gut wie mir bekannt gewe- 
sen, oder vielmehr eben darum lies er Eis aus seinen Eiskellern 
und Teichen ohne Kargheit brechen und abliefern. In wenig 
Wochen sah ein armseliges Dorf - statt daB das reiche RuBland 10 
nie mehr als Einen Pallast von Eis und nur fur einen reichen Hof- 
narren hervorgetrieben - 12 solche Hauser fur bloBe Bauern in 
seinen Ringmauern aufschieBen, wenn man sich anders die end- 
lichen Schranken des Dorfes als Mauern denken will. Als ich 
14 Tage darauf durchritt, fast' ich auf dem Pferde ein langes 
Karmen auf den Vorfall ab und sang: »o du mein Geist, in der 
Schweiz oder sonst wo ist am besten Hause nichts, von Eis als 
die Fensterscheiben: aber hier alles bis auf die Ofenbank, und 
wer in Europa und Wien besingt dies etwan nach Wiirden?« We- 
der ich noch mein Pferd beantworteten die dythrambische 20 
Frage: sondern wir machten bios die prosaische Bern erkung, daB 
da man in diesen 12 himmlischen Hausern wenigstens mit 
Naphtahatteheizen konnen und es doch nicht thate, die 12 Bau- 
ern mit ihren Kindern und Knechten und Magden zu der Holz- 
ersparenden Gesellschaft in Berlin gehoren musten. 

Man kann die Zeit mit etwas besserm verbringen, als mit lan- 
gem Erharten, daB der Bauer nicht wie der Stadter Sommerhauser 
brauche; es war daher nicht wieder das Naturrecht, daB der 
Fruhling diese 12 Winterhauser in wenig Tagen subhastirte, und 
es war aus dem Winter kein Moratorium zu bringen. Das ist 30 
eben so viel, aber weit verniinftiger, als wenn ich bios erzahlte, 
daB im April das kleine Dorf zerlief und vertrocknete; und nach- 
dem dasselbe wieder - als war' es aus den gewohnlichen Materialien 
gezimmert gewesen- in die Keller und Teiche des Edelmanns ge- 
schwommen war, so konnten die 12 Bauern so gut als der 
reichste Edelmann, von der Stadt aufs Land ziehen. 



TEUFELSPAPIERE • 1 . 2USAMMENKUNFT 'III 151 

1st es nun so ausserst nothig als viele im Schlafe glauben, daB 
ein wichtiger Autor 3 Jahre auf einer Universitat, um Verstand 
genug, und eben so lange bei einem Edelmanne muB gegessen 
haben, um auch Billigkeit genug zu besitzen, damit er so viel 
einsehen und im Nothfall erweisen kann, daB ein einziges sol- 
ches Beispiel von adelichem Verschenken der Hauser - und es 
kann ia in Zukunft zu mehreren Beispielen befeuern - zehnmal 
im Stande ist, zehn andere Beispiele, die den Adel verschreien, 
aufzuwiegen und gut zu machen, ich meirie nicht bios iene Bei- 
10 spiele, wo der Edelmann den Leuten Geld zum Bauen leihet, um 
solches wenn das Haus fertig ist, plotzlich aufzukiindigen und 
dann die muhsam zusammengebaute Hiitte an Zahlungsstatt zu 
rauben, - sondern iiberhaupt ieden andern Fall, wo der Ge- 
richtsherr in der Gestalt des Gerichtshalters die Bauern ge- 
schickt, aus ihren Hausern staupt und trommelt 

mit dem Naturrecht, 

mit dem romischen Recht, 

mit dem Landesrecht, 
. mit dem Lehnrecht, 
20 mit dem Dorf- und Bauerrecht, 

mit dem Faust- und Kolbenrecht, 

mit des Teufels und seiner Grosmutterrecht? 



III. 

Von denfunf Ungeheuem, und ihren Behaltnissen, wovon ich mich an- 
fanglich ndhren wollen 

Ich wiinschte, ich hatt' es eher gewust - nur ein paar Tage vor- 
her, - daB ich einmal meine Nahrung vom Schreiben guter Bii- 
cher Ziehen wiirde. Ich hatte mich dann nicht nur glucklich um 
die wenigen orthographischen, numismatischen, heraldischen 
und iibrigen Kenntnisse beworben, die man iezt leider den be- 
sten Autoren ansint: sondern ich war' auch gar nicht darauf ver- 
fallen, mir mit dem grosten Aufwand eine Quelle des Unterhal- 
tes aufzumachen, die fur mich iezt vollig vergeblich herspringt. 



152 JUGENDWERKE * 4. ABTEILUNG 

Es muB namlich bekannt genug sein, daB ich mir mit meinem 
mutterlichen Erbtheile fianf Ungeheuer und fiinf Behaltnisse 
dazu, theils erstanden, theils sonst aufgetrieben. Ich wollte sie 
auf der ganzen und bekannten Welt herumfahren und mich da- 
durch vollig erhalten: mein Plan war naturlicher Weise, damit 
die Messen zu beziehen - und vorher die christlichen Hofe, der 
allerchristlichsten gar nicht zu gedenken. Allein nun fallen sie 
mir den ganzen Tag wirklich zur Last, da ich mich wie gesagt, 
seit gestern einzig ans Buchermachen halten will. Indessen kann 
sie ieder besehen, besonders der Leser, der uberhaupt gerade bei 
mir ist; und wollte der Himmel, der gienge gar darauf urn, sie 
mir abzukaufen, damit er sich an der Hand dieser eintraglichen 
Ungeheuer leicht durch das gefraBige Leben zoge: denn ich 
merke wol, daB auch mein armer Leser so wenig als ich was hat, 
und im Grunde bios darum zu mir gekommen, um durch die 
geistige Sattigung an meinen Scherzen seine leibliche unge- 
wohnlich zu erganzen. So feuert deutlich der Hunger uns beide 
zu etwas Gutem an, mich wie schon erwahnt, zur Ausarbeitung, 
und ihn zum Genusse des gegenwartgen Buchs dieser ausge- 
suchten Seelenkost. Es gehoret mehrZeit dazu als ich iezt bis auf 
Pauli Bekehrung habe, um auf die Frage das Beste zu antworten: 
»ist es nicht sonderbar, daB die edle menschliche Seele den gro- 
ben halbsuchtigen, spitzbubischen, verhurten und iiberaus ge- 
dankenlosen Korper warten und azen, daB sie der Proviantmei- 
ster desselben und sein Montirungslivrant und im Ganzen 
genommen ein verachteter Hundswarter sein soll?« 

Das erste Ungeheuer, das ich hier aus diesem Kasten - es war 
der groBe Pfeifenstock unserer alten Orgel - zu springen no- 
thige, ist und bleibt einnehmend, und thut meiner Ehre gewisse 
Dienste. Es ist ein lebendiger Tanzmeister, den ich von ungefahr 
auf meiner Stube gefangen. Der Hals des Ungeheuers hat, wie 
ich und der Leser sehen, alles hervorgetrieben, was man zu alien 
Zeiten an einem wahren vollstandigen Kopfe sucht, und es fehlet 
bios der Theil des Hauptes, worin gewohnlich das kleine Gehirn 
liegt. Das eben muB sicher die Ursache sein, warum ich dem 
Ungeheuer iezt befehle, vor dem geneigten Leser den Hut abzu- 



TEUFELSPAPIERE ■ I. ZUSAMMENKUNFT -III 153 

nehmen; es thuts mithin nicht aus besonderer Hochachtung fiir 
den Leser - denn es hegt gar-kerne fiir ihn - sondern bios, damit 
dieser den Mangel des Gehirns besser wahrnahme und besahe, 
den sonst der Hut vollig uberdeckte . 

Haberman merkte dabei an: ein schlechter Hut, wie des Tanz- 
meisters seiner, that es schwerlich, nicht einmal ein dunner Da- 
menhut oder gar eine Schellenkappe: allein von Doktor-, Fiir- 
sten- und rothen Hiiten, an denen insgesamt die Arbeit gut 
genug ist, auch von Martirer kronen lieB' ers freilich zu. - Die 
grosse Nase, wodurch das Gesicht des Ungeheuers sich in die 
wahre Gunst des Lesers sezt, ist hoffentlich ganz von mir, und 
ich habe sie in einer miissigen aber rohen Stunde aus sogenann- 
tem Jungfernwachs zusammengedreht. Augenscheinlich wollt' 
ich durch sie die meisten Zuschauer auf den unschuldigen Irr- 
thum fuhren, das Ungeheuer konne sicher noch ehebrechen: al- 
lein, die verwittibte russische Graf in von** schloB daraus, es 
konne sicher noch englisch tanzen und lies mich daher urn sol- 
ches mit einer Hoflichkeit ersuchen, die weder ich noch andere 
haben. 

Das zweite Ungeheuer, das dort gleich dem Diogenes in ei- 
nem Weihrauchsfasse, welches unter den Rauchfassern das Hei- 
delbergische vorstellet, ohneBewegungsizt, ist meiner Emsicht 
nach ein treflicher, grocer ia aufgeblasener Mann. Allein, ich 
hab' ihn sichtbar zu fest eingepakt und ich und der geneigte Leser 
werden Miihe haben, ihn ganz herauszudrehen und zu schleifen 
und neben uns herzuwerfen. Dieses Ungeheuer wohnte, wie 
mehrere Geschopfe, auf unserem Planeten. Es nahm sich, bevor 
ichs seiner Familie abfieng, durch seine reiche Gemaldesamm- 
lung und durch schone Anlagen, wenn nicht zu guten doch zu 
ordentlichen Versen, vor einem und dem andern Menschen aus, 
dessen Name hiebei nichts thut. Es war gut, dan es die Einge- 
bungen des Apollo und die Menge seiner achten und unachten 
Gemahlde ansehnlich aufbliesen: allein man konnte nicht sagen, 
dan es genug war. Sondern ich muste das Beste bei der Sache 
thun und den armen Teufel erst durch Kunst zu einem ausseror- 
dentlichen Wesen aufblasen, wie etwan die Bettelleute die Kin- 



154 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

der, so lange mit eingeblasener Luft verdicken, bis sie solche fur 
natiirlicheMisgeburten, urn das Almosen und Mitleiden zu ver- 
groBern,ausgeben konnen. Ich gieng daher taglich in sein Bil- 
derkabinet und ich und ein junger Maler, der da allemal die 
schlechtesten Stiicke kopierte, wir liessen iedesmal so viel un- 
schuldigen Wind (Lob) in die Ohren des Ungeheuers nachlassig 
fahren, als zwei Menschen machen konnen. Dadurch dehnten 
wir es sehr aus: ich kanns wissen, da ich ieden Tag an seinem 
Schatten abmafi, wie viel es aufgeblahter geworden. 

Warum konnten nicht einige Verlaumder meiner Redlichkeit 
selber Augenzeugen sein, da ich zulezt wirklich mich des Unge- 
heuers (denn es war nicht weiter aufzutreiben und schien zu einer 
Misgeburt fur den dritten Platz gar nicht schlecht) redlich be- 
machtigte, indem ich seinen Kopf uber dieses weite RauchfaB 
hielt und es durch den empordringenden Weihrauch so betaubte, 
daB es so fort hineinsank. Ich schafte es verstandlos hieher, wo 
der Platz ist, auf dem ich den Lohn so vieler Bemuhungen aus 
der Hand des Lesers vergniigt erheben will. Ich will im Vorbei- 
gehen zu sagen, es glauben, daB es weder bloBe Liebe zum allge- 
meinen Wol, noch zu meiner Person allein, sondern gegen bei- 
des zusammen ist, wenn man meine geringe Verdienste urn die 
GroBe dieses Ungeheuers iiberall einsieht und fast uberflussig 
vergilt: allein, warum handelt man gegen hundert Hofpagen an- 
ders und widerspricht sich mit Gewalt? Denn bestiegen wol 
manche beriihmte Regenten die Erde mit einer grossern Aufge- 
blasenheit als mein Ungeheuer, die erst durch den A them unbe- 
lohnter Hofpagen so viel GroBe erreichten, daB sie nun als er- 
hebliche Ungeheuer ihren weiten Thron so ruhmlich 
auszufiillen vermochten, daB ich auf keinen Kubikzoll leeren 
Raum darin hinweisen konnte? Wahrhaftig es ware kein Wun- 
der, wenns viele Hofpagen kiinftig bleiben liessen. - Eine Nutz- 
anwendung, das ist, ein usus epanorthoticus ist Sommer und 
Winter, hinten und vornen gut: denn er ist ein Zoadikalschein, 
ein Zugemusse, eine Trauerschleppe, die gut genug zu irgend 
etwas in der Welt passet. Ich nahe daher ohne Sunde diese an; 
der Leser lasse doch von seiner fatalen Gewohnheit ab, mit kei- 



TEUFELSPAPIERE • I. ZUSAMMENKUNFT • III 155 

nem Lobe so lange zu passen, bis der Autor nicht mehr am Leben 
ist. Wie mir aus verschiedenen Hauptstadten geschrieben wird, 
so will er auch mich durchaus - ich mochte, sagt er, immerhin 
Himmel und Erde gegen ihn in Bewegung setzen - nicht eher 
sehr loben und aufblasen als bis ich maustod sein werde. Er 
scheint es also gar nicht fur seine Pflicht zu halten, vorziiglich 
den Zigeunern nachzueifern, die das lebendige Pferd, eh' sie es 
auf den Rosmarkt reiten, am geschicktesten durch Aufblasung 
aus einem magern in ein feistes verwandeln, das kaum mit Geld 

io zu bezahlen stent. Aber wahrhaftig ich verlange meinen Ruhm 
eher; und Lob ist gar keine Sache, die etwann wie der Himmel 
noch nach dem Tode konnte verdauet werden. Man wird daher 
nicht sauer sehen, daB ich um den Wind, den der Leser mir zu 
geben hat, noch bei Lebzeiten anhalte, da er zumal nicht vor- 
schiizen kann, er habe iezt keinen; denn ich will nun aus wichti- 
gen Griinden mich selbst noch lebend, aufgetriebener, und be- 
sonders den Leser durch den Abgang des entrichteten Windes 
etwas kleiner und merklich aus seinen Kleidern geschwunden, 
erfinden. 

20 Ueberhaupt kann man bei alien Standen in unsern Tagen mit 
dem Lobe nicht zeitig genug anlangen, und man hat keine Se- 
kunde zu passen. - Z. B. Will man an einem Fiirsten nicht nur 
die tolerante Meflfreiheit, die er alien Urtheilen iiber den Staat 
vergonnt, sondern auch tausend andere Tugenden, welche die 
Reisebeschreiber gar nicht beschreiben konnen, nicht zu friihe 
preisen: so kann mans freilich thun, wenn er noch Kronprinz ist. 
Allein es ware zu wiinschen, ich stande dabei, wenn er in zarter 
Kindheit das Ordensband umbekommt: ich wiirde da das ge- 
dachte Lob ein fur allemal anbringen. - Wer eine Dame feurig 

30 erheben will wegen ihrer Unschuld - ihrer Kunstlosigkeit - ihrer 
Tugend: - der lasse doch Butter am Feuer stehen und halte seine 
Lobrede, eh siezum erstenmale beichtet, ich meine ihre Sunden. 
Grosmuth und Uneigennikzigkeit kann man an einigen iudi- 
schen Proselyten recht verherrlichen, aber nicht wenn sie getauft 
werden, sondern schon bei dem ersten Sakramente, bei ihrer 
Beschneidung, damit es der graue Prophet Elias selbst mit anho- 



I56 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

ren kann a . - Den Teufel kann man iezt gar nicht mehr loben: 
schon langst entweder vor seiner Schopfung oder unter dersel- 
ben, hatte ihm der zugedachte Lorbeerkranz aufgesetzt werden 
miissen; denn er wurde, so plotzlich darnach ein wahrer Teufel, 
daB man nicht so viel Zeit hatte, Paff dazwischen zu sagen, und 
verfiel wirklich schon im zweiten Augenblicke seines Daseins - 
Steuchus Eugubinus denkt gar, es war der erste - auf die 
schlechtesten Gedanken, wie die meisten Scholasticker wol nicht 
anders wissen b . - Endlich sogar am besten Autor (denn es tritt 
doch zuweilen ein guter hervor) muB das beste Herz die sicht- 10 
bare Enthaltung von Sternischen Digressionen nicht erst loben, 
wenn er diese schon gemacht hat, soridern nur einige Wochen 
oder Blatter vorher. 

Wenn der Leser sich umkehren will: so kann er an der Wand 
ein en weiblichen Arbeitsbeutel hangen sehen, der so lang ist, als 
ich. Ich verwahre darin eine Dame, die vielleicht mein drittes 
und schonstes Ungeheuer ist. Denn man will mich bereden, sie 
sei nicht ganz und gar von deri Unfdrmlichkeiten entblost, die 
eine Dame sehenswiirdig machen und sie aus der Klasse der al- 
taglichen schonen Frauenzimmer in die der seltenern Ungeheuer 20 
erheben konnen. Bios meine Hand bescheerte ihr alle diese Ver- 
dienste, mit denen sie mich, ihren Pflegevater, so gut ernaren 
kann als lebte ich von Luft. Denn, als ich diese Dame aus dem 
Staube ihrer Abkunft durch meine Verehlichung zog: wie sah. sie 
da wol aus? Ich will sie nicht im Geringsten verkleinern, da sie 
meine Frau ist: aber ich kann doch wahrhaftig nicht laugnen, daB 

a Nach den Juden ist dieser Prophet bei der Beschneidung so gut als 
das Beschneidungsmesser, und sezt sich auf den Stuhl, den sie ihm, weil 
sie wissen, daB er nicht ausbleibt, allemal hinstellen. 

Die Scholastiker stritten vernunf tiger weise, wenn der Teufel - ob 30 
im ersten, oder zweiten oder dritten Augenblick seines Daseins - das 
erstemal siindigen konnte. Damen, die sich mit einer gelehrten Nach- 
spiirung dieser Kampfe auf keine Art befangen konnen und kein Latein 
verstehen, werden hoffentlich in Voetii select disput. Part I, pag 919 und 
noch ad 2 dist. 5. et 1 Thorn. 9.63. art. 6. allzeit so viel fin den, als sie 
brauchen und ich verweise sie auf den einen oder den andern Autor. 



TEUFELSPAPIERE ■ I. ZUSAMMENKUNFT * III T57 

sie damals wenig besser, wie ein schlankes, errothendes Land- 
madgen aussah und einen Ansatz zu einem Ungeheuer verrieth, 
der schlecht war. Wir wollen aber alle horen, wie ich sie verbes- 
sert und durch was fiir Meiselhiebe ich aus dieser unbrauchbaren 
schonen Statue die geheime Misgestalt fast ganz hervorgeholet. 
Ich muBte ihr ein paar Poschen damals kaufen, um ihre zweite 
Halfte unnaturlich breit zu machen, desgleichen nachher einen 
erschrecklichenparisischenHintern, umsie, mit diesem Assessor 
und Adiunktus des natiirlichen von der Seite, von der die hasli- 

10 chen am leichtesten schon aussehen, auffallend zu entstellen. Die 
Diinnigkeit ihres Oberleibs, die ich wahrscheinlich bis zur Wid- 
rigkeitgetrieben, ist gleichfals mein Werk. Die Gelbheit und die 
Runzeln ihrer Wangen miiste sie die Wahrheit zu sagen, entra- 
then, war' ich nicht da gewesen: aber ich sparte kein Geld und 
uberfuhr sie alle Morgen unter dem Morgensegen mit scharfer 
Schminke; und wenn ihre Augen noch gut sind, so bin ich mir 
nicht bewust, daB ich schuld daran bin. Bios die Schonheit ihrer 
Zahne fall' ich noch mit Queksilberschminken an. 

Menschen wie Haberman loben manchen; daher, sagte er, es 

20 war 1 ihm lieb, daB die iezigen Damen ihren Mannern fast gar 
nichts kosteten: in der Universalhistorie waren die Weiber 
schlimmer. » Aber, fuhr er fort, wo ist iezt der Mann - oder voll- 
ends die Frau, die es haben wollte - der wie sonst die persischen 
Konige, seiner Gattin zur Anschaffung des Giirtels eine ganzebe- 
sondere Provinz, und wieder eine andere fiir den Halsschmuck 
etc. anweisen muste? Warlich der vollstandige Anzugeiner Frau 
mit alien ihr inkorporirten Preziosen kostet iezt weniger und mit 
dem ganzen Vermogen, das etwa ein mittelmassiger Kaufmann 
hat, getrau' ich mir alle Schulden seines Weibes abzuthun: dieses 

30 sieht man am besten, wenn er daruber Bankerut macht.« 

Die Natur legte um das menschliche Haupt den kostbarsten 
Schmuck und erhob es zur schonen Welt im Kleinen; besonders 
das eines schonen Vikomte: ich will hier nicht da von handeln, daB 
der Vikomte eine korinthische Saule mit 16 Schnorkeln, 8 Seen-, 
geln und 3 Reihen Blatter ist und bleibt; aber gefallen nicht die 
Kalberzane anseinem Kapitale manchen? Ich konnte mir es daher 



I 58 JUGENDWERKE - 4. ABTEILUNG 

nicht verbergen, wie sehr umgekehrt mein Nutzen und meine 
Pflicht von mir begehre, vorziiglich den Kopf einer Dame, die 
ich iiberall als ein selteneres Ungeheuer ankiindigen wollte, mit, 
den meisten Verunstaltungen zu umringen. Ich wiinsche die 
schmasuchtige Zunge nicht im Munde zu haben, die sagen 
konnte, ich hatte dabei dieB und das vergessen. Schlept' ich nicht 
auf ihn Menschenhaare und Pferdehaare zusammen? Wirrete, 
drehte und rollte ich sie nicht auf eine schreckbare Weise unter- 
einander und untermengte das alles noch mit Mehl, Fett, Werg 
und gar mit Eisen, welches leztere eben soviel zur Misgestalt als 
zur Ableitung der elektrischen Materie wirken sollte, damit ich 
wenn ich meiner Frau gegenuber sasse, vom Gewitter nicht er- 
schossen wiirde? Ja steckt' ich zulezt, da mir noch einiges Wie- 
derwartige dem Kopfe zu fehlen schien, nicht wie halbnarrisch, 
schwarze und griine und feuerfarbene und gelbe Federn darauf? 
Und machten diese nicht eine solche Figur, daB ich zusammen- 
fuhr und dachte, ich ware vom Verstande gekommen, da ich zu- 
mal vorher gar den Kamm als wenn ich ein Pferd anpuzte, in 
seine Haare eingetrieben hatte? - Uebrigens sollen wichtigen 
Briefen zufolge Damen verschiedener Stadte, die ich mein Un- 
geheuer aus weitgetriebener Hoflichkeit beschauen lassen, sich 
gar nach ihm modeln, und ihm eine und die andere groBe HaB- 
lichkeit eifersuchtig nachkopiren: allein, das hat mir niemals ge- 
fallen. Denn offenbar entwendet diese Nachaffung meinem Un- 
geheuer allmahlig alles Verdienst der Seltenheit und entkraftet 
mit Gewalt die Wirkung seiner unformlichsten Auswiichse, die 
sobald sie allgemeiner werden, ihren Werth nicht anders als ver- 
andern konnen und zu bloBen Schonheiten herunterkommen 
miissen. 

Ueber das vierte Ungeheuer hab' ich einen Schriftkasten aus 
der Buchdruckerei gedeckt. Es ist sicher einer unserer grosten 
Autoren. Zwar scheint er den Fehler zu haben, daB er fast aus- 
sieht wie wir alle: allein, ich habe das Zutrauen zu ihm, es werde 
doch irgendwo auf seinem Korper etwas von einer Misgeburt 
verborgen sitzen, was eben alle Reisende zu seiner Beschauung 
so anriB. Ich wurde seiner unvermuthet mit Gewalt habhaft, als 



TEUFELSPAPIERE ■ 1 . 2USAMMENKUNFT ■ III 159 

er dem neugierigen Ungestiim der Reisenden, die aus alien L6- 
chern Deutschlands auf ihn losruderten undum seinen Anblick 
kampften, durch einen Sprung in meine ode Nachbarschaft ent- 
kommen wollte und mir zum Gliick begegnete. Um die Lange- 
weile seiner Gefangenschaft ihm zu versuBen, gab ich ihm erne 
musterhafte Einladungsrede, worin ich iedes Wesen zur Besich- 
tigung grosser Manner ansporne, zu lernen auf: hab' ich denn 
manchmal einen guten Freund bei mir, so muB sie das Unge- 
heuer langsam hersagen. »Georg, sag' doch deine nicht unange- 

io nehme Rede her, der Herr Leser sind da und die ubrigen, und 
mach' es hubsch genung.« Ich wiinschte, Georg wiirde durch 
keinen von uns unterbrochen. - »Gliicklich ist der Autor, den 
ieder sehen will, und noch gliiklicher der, der ihnbesieht. Man 
kann einen Autor vielleicht gut in zwei Theile eintheilen, in den 
Leib und die Seele. Bios die leztere lebt durch seine Bucher an 
iedem Orte und besonders unter den Nachkommen, bei der 
Nachwelt liegt sie den ganzen langen Tag: sein Korper aber. 
nicht; der gehoret lediglich der Mitwelt zu; die muB ihn so gut 
sie weis niitzen und handhaben: denn durch nichts machte man 

20 sie verniinftigen Feudalisten lacherlicher, als wenn man erweisen 
wollte, dieser mannliche Korper ware bios ein Kunkel- oder 
Weiberlehn. Daher ist es schlimm, wenn nicht alle Fremde Ka- 
ravanenweise zu einem beriihmten Autor walfahrten und sehen, 
wie er im Grunde aussieht; besonders sollen wenigstens die Ein- 
faltigen bedenken, daB man ihnen zumuthen kann, ihn zu um- 
schiffen und seinen ganzen Korper fest als hielten sie ihn mit ei- 
nem Stekbriefe zusammen, in die Augen zu fassen. Denn es kann 
doch niemals genug sein, das eine Bein auf den Arm des Kana- 
pees zu streken und so das Buch des Autors von der Titelvignette 

30 bis zu den Drukfehlern durchzuflattern, ohne vom langen Autor 
selbst vielleicht nur einen halben Zoll erblickt zu haben, so wie 
die, welche am Sonntage bios zu Hause die Predigt lesen, ohne 
in die Kirche zu fahren und da den Prediger selber anzusehen und 
anzuhoren, nur schlechte Christen heissen, gesezt auch der Pfar- . 
rer aBe abends bei ihnen und sie sehen ihn an. Ueberhaupt ver- 
steht man selten einen Autor, den man niemals gesehen und 



l6o JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

kenntniBbegierige Leser wunschen ihn immer einige Tage oder 
Wochenfriiherzubesuchen, alszulesen: denn unsere Kenntnisse 
fangen ia durchaus von den 5 Sinnen an - (ia oft muB zu dieser 
Observazionsarmee noch als ein Hintertreffen der sechste stossen, 
von dem die groBten Weltweisen und Edelleute allenthalben 
gern lernten und der die Wahrheit zu sagen und offenbar nichts 
anders ist als unser Fakeltrager und unsere Epiktetslampe und 
unsere mit Queksilber gefullte Nachtschlange und unsere dritte 
Form der Anschauung und unser Taschenperspektiv fiir viele 
Kenntnisse, wiewol er taglich mehr zu einer bloBen auf der 
Morgenseite angebrachten Sonnenuhr zu werden droht, die 
nicht langer als vom Morgen (des Lebens) bis gegen 1 1 . Uhr 
Mittagszu gebrauchen ist, und es ist ein wahrer und lateinischer 
Satz: non est in intellectu quod non fuerat in sensu d. i. unmdg- 
lich kann man mehr von einem Autor wissen, als was man durch 
seine funf Sinne von ihm erfahren. Es kann daher niemand im 
Ernste laugnen, daB ein guter Schriftsteller viel in seinen so aus- 
serst dunkeln Werken faBlich machen wiirde, wenn er oder sein 
Buchhandler seinen Korper statt eines Glossators und Schliissels 
dem denkenden Leser zuschickte; mit einer Schriftstellerin ists 
eben so. Wenn es nicht bekannt ist, wie sehr Aristides Kennt- 
nisse durch die Stubenkammeradschaf t und noch mehr durch die 
Beriihrung des Sokrates gewonnen: der kann den Theages des 
Plato unmoglich gelesen haben. Wahrhaftig, eine nicht kleinere 
Rechnung finden noch taglich die Einsichten des iiingsten Rei- 
senden, bei dem Anblicke grosser Manner und sein eignes Be- 
wustsein und sein grosserer Stolz, der meistens mit den Kennt- 
nissen schwillt, und seine groBere Redseligkeit konnen und 
dafur wohl nicht die unsichersten Biirgen sein. . . . Nach guten 
Philosophen oder gar nach Stahl, zimmert sich die Seele ihren 
Korper im Mutterleibe selbst: das weiB nun ieder; deswegen 
wollen eben Personen, die die Seele eines groBen Mannes noch 
nach ganz andern und zuverlassigern Probstiicken als seine 
Schriften sind, welche sie erst in ihrem spatern und kraftlosern 
Alter, oft 20 Jahre nach der Geburt verfertigte, zu schatzen und 
zu richten begehren, daher wollen solche gern zum Meister- 



TEUFELSPAPIERE ■ I. 2USAMMENKUNFT 'III l6l 

stiicke der Seele selber reisen und bios ihren Korper betrachten, 
der immer die Hauptriicksicht bei der Entscheidung bleibt, wie 
viel an der Seele ist. Liesse man das seltener aus der Acht: so 
konnten Genie, Anstand und Schonheit nicht so oft Autoren 
(besonders denen aus der groBen Welt!) lacherlicher Weise abge- 
sprochen werden, die zu ieder Stunde des Tages einen Korper 
vorfuhren konnen, der Genie und Anstand und Schonheit leicht 
aufweiset und uber dessen Ausfeilung man die'groBern Unvoll- 
kommenheiten ihrer Schriften eben so gerne ubersehen sollte, 
als man der Iliade die Odyssee verzeiht - eben so wiirden Hof- 
leute nicht mehr so willig ihr feines Lob an so manche schlechte 
Autoren verschwenden, wenn sie die Leiber derselben einmal 
gesehen hatten, an denen offenbar kein Schimmer von der 
Schonheit, dem Anstand und dem Genie ihrer Schriften ist. - 
Das wichtigste ist endlich, daB Zudringlichkeit aller Art dem 
groBen Manne fast nie lastig fallt: denn eine sonderbare stoische 
Unempfindlichkeit hebt ihn iiber alle Foltern von aussen hin- 
weg, und es ist ihm im Ganzen einerlei, ob man ihn besucht oder 
in einem gliihenden Ofen zu Pulver brat. Stande er indessen 
noch nicht unter dem Sturmdache des Stoizismus: so miiBten ihn 
eben mehrere Neugierige dadurch darunter treiben, daB sie sich 
zusammen thaten und ihn durch unermudetes Besuchen zu einer 
mannlichen Standhaftigkeit in der Langweile und Verlegenheit 
abrichten, durch die er Ch. ahnlich wurde, der sich in der Holle 
ohne alle Schmerzen befand. « Ich habe wahrend der ganzen Ein- 
ladungsrede des Georgs an nichts gedacht, als an einen eben so 
guten Vorschlag. Wenn unsere samtlichen guten Autoren den 
Millionen Menschen, die nach ihrer Beschauung schreien, das 
sauere Reisen erlieBen und vielmehr selbst in einen kleinen Pha- 
lanx sich zusammenzogen, um gemeinschaftlich und nicht ein- 
zeln sich dem heiligen romischen deutschen Reiche darzustellen: 
so war' es der Welt angenehm und alles gieng aufs Beste von 
statten; und ich meines Ortes mache mich anheischig, sogleich 
von der Zahl zu sein. Wenn freilich das Pagenkorps der schlechten 
Autoren durchaus das gehende Heer der guten, die ihnen oft ge- 
schadet, vor sich her durch Stadte und Marktflecke treiben 



l62 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

wollte, urn nur das Schaugeld zu erwischen: so miiBt alles mog- 
liche vorgesucht werden, um nur ein erbarmliches Spektackel 
abzuwenden, das uns Autoren alle um Brod und Ehre brachte. 

Im Barenkasten dort springt noch mein funftes und leztes Un- 
geheuer munter auf und nieder: ich mag es aber gar nicht her- 
ausiagen. Denn ich habe Ursache, mich seiner vor iedem zu 
schamen, weil man mich mit ihm schandlich betrog. Mir wurde 
es unter christlichen Schwiiren fur ein wahres menschliches Un- 
geheuer verhandelt: es ist aber, wie gestern ein aufrichtiger Pro- 
fessor mit Recht behauptete, augenscheinlich weiter nichts als 
ein Affe. 

Das sind die fiinf menschlichen Ungeheuer, die ich alien Men- 
schen vorfuhren wollte und fiir ftinf Treffer aus dem Zahlenlotto 
des Gliickes halten konnte. Allein, ein gesunder Mann kann sich 
von so wenigen unmoglich bekostigen, sondern muB nach 
mehrerern iagen. Und meines Erachtens giebt es audi, es mogen 
Leute, die es verstehen oder nicht verstehen, dagegen sagen was 
sie konnen, noch viel mehrere einzufangen. Freilich ist in Lon- 
don ieder, der betteln will, in mehr als einer Rucksicht, gluck- 
lich. Bei einer Amme in der Vorstadt klaubt er sich unter vielen 
blinden, lahmen, kriipelhaften Kindern das nach Gefallen aus, 
mit dem er das meiste Mitleiden der Christen zu erwecken ver- 
hoffet: ich weiB aus Biichern, er zahlt dafur, fiir diesen lebendi- 
gen Bettelbrief des Tages nicht mehr als 18 Pence. Allein, man 
muB uns doch nicht fiir so gleichgultig gegen den Ruhm 
Deutschlands oder unbekannt damit ansehen, daB man uns zu- 
trauet, wir wiisten von seinem Vorrath an guten Ungeheuern 
das Wenigste. Nur das ist schlimm und bekannt, daB wenige 
Ungeheuer darin - gesezt auch, man wollte ihnen monatlich et- 
was Weniges dafiir geben - sich in der halben Welt wollen zur 
Schau herumfahren lassen, und ich weiB das Leztere aus sichern 
Proben. Ich hab' es, aber ohne den geringsten Erfolg (gleichwol 
verdriesset es mich nicht, es eben iezt wieder zu thun) probieret 
und iedem, der es gewiB weiB, daB er ein Ungeheuer ist, zuge- 
muthet, sich auf der Post einschreiben zu lassen und zu meiner 
Truppe und Horde zu stoBen: ich versprach es alien theuer, ich 



TEUFELSPAPIERE ■ I. ZUSAMMENKUNFT ■ III 1 63 

wollte, urn mir und meinen Ungeheuern groBeres Mitleiden zu- 
zuwenden, in den meisten Stadten und Dorfern sagen, ich ware 
leider ihr leiblicher Vater: sogar den hiesigen alten Acciseinneh- 
mer und einen Advokaten wollt' ich, wenn sie mit zogen, beide 
adoptiren. Ueberhaupt halt Deutschland noch Ungeheuer in 
seinem Beschlusse, die ungemein sind, die aber von den wenig- 
sten groBen Stadten beniizt und beschauet werden. So stand 
z. B. noch schwerlich auf einem holzernen Theater, der Kron- 
prinz fiir Geld zur Schau aus, auf dessen Halse bei seiner Geburt 

10 (ich sahe selbst ihn durch das Vorzimmer tragen) statt des ge- 
wohnlichen Kopfes eine hohe Krone saB, und vielleicht ist er gar 
nicht mehr am Leben. In meiner Gegend ist es etwas Bekanntes, 
daB ich vor wenigen Jahren im Schlambade zu St. Amand einen 
gewissen nakten Kammerprasidenten uberfiel, an dessen Korper 
die Wahrheit zu sagen mehr als hundert Hande herunter hien- 
gen, mit deren ieder er den Unterthanen etwas weniges nahm, 
um den Fursten mit seinen zwei natiirlichen etwas Geringes da- 
von abzugeben, sie warenihm alle wie dem Tausendfusse seine 
zahlreichen Fusse erst lange nach der Geburt hervorgewachsen. 

20 Vom Minister weiB es der ganze Hof und der entlegendste 
Landpfarrer, daB er eine Zunge in seinem Munde und zwischen 
seinen Zahnen fiihrt, die (was doch auch vielen nachdenklich ist) 
so gut als ein langer Geldbeutel belohnen, bereichern und Bedie- 
nungen hergeben kann , wie gewisse andere Ungeheuer mit ihrer 
Zunge nahen, schreiben u. s. w. konnten. Gleichwol besorg' 
ich, daB noch fast gar an keine Anstalt gedacht worden, diese 
beiden Ungeheuer in einem weiten Gitterkasten vor die Augen 
der Welt hinzufahren, und sie werden noch lange ihres Amtes 
mit einer Treue warten, die um kein Haar von der historischen 

30 und ehelichen absteht. 

Oft ist der Korper eine lange und breite Allongeperiicke, die 
die innerlichen Hocker der Seele verdeckt. Daher erstreckt sich 
leider oft die Misgestalt der besten und schonsten Ungeheuer 
nicht liber das Herz und das Gehirn hinaus und geht fiir die Welt 
so gut als verloren: aussen um den Korper herum ist alles glatt 
und recht. Hatte das Fortunatus Lycetus in seinem Traktate de 



164 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

monstris besser als ein andererer ausgefiihrt: so konnt' er noch 
im SargeeinenLorbeerkranzhaben. In einem solchen Falle kann 
nun wol der Direktor oder Ordensgeneral oder Thierkonig der 
Ungeheuer das Beste bei der Sache thun und seinen Bekannten 
zeigen, daB er kein Tropf ist. Denn es ist dann seine Pflicht, an 
solche Ungeheuer die letzte Hand zu legen, und den Korper 
vollends gar nach der Seele umzugiessen. So gut nun der Teufel 
Misgeburten zusammensetzen kann a ; so gut bloBe Menschen 
sich auf der Maskerade die Gestalt eines ieden Thieres umzuge- 
ben wissen: so gut hoff ich als zeitiger Ungeheuerndirektor 
nicht ganz und gar ungeschickt zu sein, durch langes Unterbin- 
den, Ausdehnen, Amputiren, In- und Transfusion und durch 
tausend bessere chirurgische Operazionen einen alten guten 
Staatsminister in eine Hyane zu verwandeln, oder einen Hof- 
mann in eine kouleurte stille Schlange, oder einen Konsistorial- 
sekretair in einen jiidischen Juwelenhandler, oder einen Wiener 
Autor in einen spassenden Hasen. Wilde Moralisten werden mirs 
deswegen doch nicht verdenken, wenn ich iedem Zuschauer 
weis mache, diese Personen, die ich selbst erst zu Ungeheuern 
gemacht, seien vielmehr schon so geboren worden. - Will sich 
ubrigens eines dieser Ungeheuer nicht lebendig in meine thatigen 
Hande wagen: so bin ich auch gar der Mann nicht, ders ihm iibel- 
nahme, wenn solches vorher seine Seele in den Himmel oder in 
die Holle triebe und mir bios den Korper einhandigte. 

»Das namliche soil die Gerechtigkeit gethan haben, sagte Ha- 
a Denn die alten Theologen schreiben dem Teufel aus Griinden die 
Schopfung der Misgeburten zu. Gedachter Lyzetus giebt im 3. Kapitel 
des zweiten Buches vielleicht die meisten Handgriffe an, mittelst deren 
der Satan einen Fotus zur Misgeburt umarbeitet; und ein Ungeheuerndi- 
rektor hat nothig, sich den einen und andern guten davon zu merken, 
z. B. Lyzetus berichtet, der Teufel stecke den Fotus mit Krankheiten an 
die dem Gesichte thierische Verzerrung eindrucken. Was hatte dem zu- 
folgeein geschickter Ungeheuernordensgeneral zu thun, um der misge- 
stalten Seele eines wolgebildeten Wollustlings einen eben so misgestalten 
Korper umzuthun? Was der Teufel thut: er mufi ihn durch eine Schone 
(wie denn schon nach Tazitus unsere Vorfahren keine andern Aerzte hat- 
ten als Weiber) kranklich machen lassen. 



TEUFELSPAPIERE * I. ZUSAMMENKUNFT ■ IV 165 

berman; allein, der Schuster in Wezlar, von dem ichs leider habe, 
belog mich ofters und aus Spas. Es ist ihm gewis so wenig als 
den Juristen zu glauben, welche den Menschen, ihren Mitbrii- 
dern, glaublich machen wollen, sie klemten die ausgewurzelte 
Gerechtigkeit in den Gesetzbiichern wie Krauter in lebendigen 
Herbarien mit einigem Nutzen ein und, konservirten sie da aus- 
getrocknet und aufgepapt nicht schlecht. Sondern ich denke, mit 
der Gerechtigkeit steht es eben nicht schlimmer als mit andern 
Tugenden, besonders der Keuschheit und Redlichkeit, ia viel- 

10 leicht eben so gut: denn als diese Tugenden boshafter Weise aus 
unserm Herzen sich heraus schleichen wollten: so schnapten wir 
insgesamt unversehends und gleichgiiltig mit dem Maule zu und 
hielten sie alle in Haft: nun miissen diese Tugenden fast auf eine 
lacherliche Art seit langer Zeit auf unseren Zungen, wie auf 
schmutzigen Sitzstangen sitzen.« 

Man hat sich gar nicht zu wundern, da6 die Aussagen des 
Schusters, der Juristen und des Bratschisten von ordentlichen 
und ausserordentlichen Professoren untersiegelt werden: Denn 
diesen alien nab' ich noch kein Jota von folgender Geschichte er- 

20 zahlen konnen: 



IV. 

Himmelfahrt der Gerechtigkeit 
1 
Ich und alle mogliche und wirkliche Advokaten und Richter und 
Denunzianten wir waren gerade dabei, als die Gerechtigkeit mit 
Leib und Seele vom Berge Sinai auf gen Himmel fuhr. Einige 
fragten mich, ob ich nicht etwan Christi Himmelfarth wider 
meinen Willen mit ihrer vermenge, allein ich weis sehr wol, was 
ich sage und fur den Druck zusammenschreibe. Die Gerechtig- 
keit hatte zwar schon vorher einigemale bedenkliche Auffliige 
30 vom Berge gethan: aber wir konnten an nichts schlimmes den- 
ken; denn sie kam allemal wieder. Beim lezten Auffluge wirbelte 
sie sich ganz langsam in die Hohe: aber auf einmal in einer ge- 
wissen Weite schnellte sie sich in einen reissenden Flug. »Meine 



1 66 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

Herren, sagt' ich zu den umstehenden Advokaten und Denunzi- 
anten, ich will nimmermehr hoffen, da6 uns alien unverdienter 
Weise ein besonderer Jammer droht: aber sie sehen doch, daB die 
Gerechtigkeit immer hoher und schneller steigt. Wenn wir uns 
lange besinnen: so kann sie gar weg sein. Will ihr denn niemand 
etwan gelassen nachpfeifen und sie herunter locken? Das ist aber 
doch in der That recht beweinenswerth, dan keiner von uns un- 
geschickten und ohne Ehre hier in Gallakleidern sitzenden Falk- 
nern insgesamt den wahren Terminus technicus weis, mit dem 
man unsern davon flatternden Falken - schlecht ists iiberhaupt, 10 
daB wir aus Hunger nach irdischem Fang, von seinen Augen die 
Falkenhaube abthaten und wir hatten ihn alle gar nicht steigen 
lassen sollen - allenfalls zuriickzubringen vermochte. « Ich riB 
meinem Nachbar - denn die Gerechtigkeit wurde zusehends 
kleiner und sah nur noch wie ein mittelmaBiger Rabe aus - ein 
Packt Akten aus der Hand und rollte sie zu einem Sprachrohr zu- 
sammen, aus dem ich ihr aus alien Kraften und iiber den Stoizis- 
mus der umstehenden Pri ester der Gerechtigkeit erboBet, nach- 
rief: »Poz tausend! bekannte Gerechtigkeit! spasse nicht so und 
f liege geschwind wieder herunter. Du kanst doch wahrhaftig des 20 
Sinnes nicht sein, auf und davon und unter die Fix- und Irrsterne 
zu gehen? Hor' doch! Aber lieber Himmel, du horchst gar nicht 
herunter! Ich sage namlich, du sollst unpartheiisch bedenken, 
was deine hier anwesenden Herren Priester zu deiner Entwei- 
chung sagen mussen, die du iezt in die Nothwendigkeit setzest, 
sich bios an die Ausleger des corpus iuris und an die Landesge- 
setze zu halten. Suche dich doch wenigstens damit zu riihren, 
daB du dir lebhaft vorstellest, wie deine armen Unterthanen, die 
Klienten, sich geberden mussen, wenn sie von uns Advokaten 
und Richtern mit den groBten Schmerzen erfahren mussen, daB 30 
die schone Gerechtigkeit nicht mehr auf der Erde ist.« Ich hielt 
innen: aber die Gerechtigkeit zog immer. »Wenigstens Bescheid 
muB sie mir doch geben« sagt' ich, und sezte das umgekehrte 
Sprachrohr statt eines Horrohrs an mein bestes Ohr und vernahm 
dieses: »sagemeinenuntenstehendenjiingern, daB ich nicht ganz 
von ihnen weiche, sondern wo im Brandenburgischen zwei oder 



TEUFELSPAPIERE ' I. ZUSAMMENKUNFT "V 1^7 

drei Richter in meinem Namen versammelt sein werden, da 
werd' ich mitten unter ihnen sein. Am iiingsten Tage aber muB 
ich wieder kommen, zu richten die Richter und die Klienten, 
und auch die zeitigen immatrikulirten Advokaten. « Ich sagte das 
dem ganzen Berge wieder und er war vergniigt genug. Man zer- 
schlug sich darauf , der eine Theil gieng auf das Rathhaus, der an- 
dereinsRegierungskollegium, einigemustenFatalien abwarten, 
ich selbst schritt nach Hause, urn mein Gesuch, den Terrain zum 
4tenmale (wegen der vielen Zeit, gab ich an, die mir das Aufset- 

io zen der Dilationsgesuche wegraubte) zu verschieberi, hurtig zu 
Ende zu schreiben. Es war auch bald geschrieben; und ich konnte 
mich mit MuBe an eine der wichtigsten iuristischen Arbeiten 
machen, die iemals aus einem iuristischen Briitofen heraustrat 
und von der ich meines Bedunkens glauben muB, daB sie alles, 
was ich oder ein anderer im Advokatenfache vor sich gebracht, 
ziemlich uberhole. Viele wiirden dahero alles darum geben, 
wenn sie den Aufsatz auf einen Tag haben konnten: sie haben 
aber das ihrige schon beim Kaufe dieses wolfeilen Buches darum 
gegeben; denn hier kommt er mit unter meinen spashaften Auf- 

20 satzen gedruckt vor: 



V. 

Unterthanigste Vorstellung unser , der samtlichen Spieler und redenden 

Damen in Eutopa entgegen und wider die Einfiihrung der Kempeli- 

schen Spiel- und Sprachtnaschinen 

P. P. 

Es ist mehr als zu wol bekannt, daB vor einiger Zeit zwei sonder- 
bare Maschinen, wo von die eine spielte und die andere sprach, 
die grosse Tour durch Europa machten, und in den besten Stad- 
ten abstiegen. Herr von Kempele leistete beiden Europasfahrern 
30 als Spiel-Sprach- und Hof meister auf ihren Reisen so gut Gesell- 
schaft als er konnte, und machte nicht wie tausend schlechtere 
Hofmeister ein GeheimniB daraus, daB er seine Eleven selbst ge- 
macht. Indessen konnte doch niemand dazu ein besonderes sau- 



1 68 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG ■ 

res Gesicht machen, dazumal dieseMaschinen Jungund Alt durch 
ihre Uneigenntitzigkeit vol]ig hinrissen: denn es ist keine Erdich- 
tung, sondern von hundert Zeugen bestatigt, daB sie von den an- 
sehnlichen Summen, die ihnen fur ihr Reden und Spielen einlie- 
fen, keinen Pfennig fiir sich behielten, sondern alles ihrem armen 
Vater, dem Herrn von Kempele ohne Uberwindung zusteckten. 

Zum Schaden der halben alten Welt gefiel dem leztern diese 
Schenkung unter den Lebendigen ganz. Erfragte seine Freunde, ob 
nicht so eine Grosmuth allemal im Stande sei, ihn besonders ein- 
zunehmen und zum Entschlusse anzufrischen, die Welt noch 
mit tausend solchen gut denkenden Maschinen zu besetzen? 
»denn an groBmiithigen Wesen fehlts der Erdkugel recht« sagte 
er und meinte uns, Allein, wir halten es fiir unsere erste Pflicht, 
zu bezeugen, daB wir unsers Orts noch Menschen von beiden 
Geschlechtern genug kennen, so wol gemalte als geschnizte und 
auch in Wachs bossirte, die so gern verschenken wie Fiirsten und 
es ist ia noch in der besten Menschen Angedenken, daB ein 
rechtschaffenes Marienbild im Franziskanerkloster zu Wien sein 
ganzes Mobiliarvermogen zu 100000 fL so willig als warens 
Haare, dem Kaiser iiberlies. Es ware aber hart und einfaltig, 
wenn man laugnen wollte, daB auch andere Kloster solche gut- 
gesinnte Bilder der Maria in Menge bilden und beherbergen. 

Was aber uns Damen und Spielern allzunahe angeht, ist, daB 
er uns Brod und Arbeit aus den Handen schlagen will. Denn es 
muB aus dem Wiener Neuigkeitenblatt schon der groBen Welt 
bekannt sein, daB er um ein Privilegium eingekommen, die ft 
Staaten mit Spiel- und Sprachmaschinen bios aus seiner Fabrik 
zu versorgen; den Menschen ist auch der Name der Gasse kein 
GeheimniB mehr, worin der Pallast steht, den er zur Anlegung 
seiner Maschinenfabrik zu erkaufen'strebt. Desgleichen sollen 
sogleich auf die erste Messe so viele Sprachmaschinen versendet 
werden, daB man bis an den iiingsten Tag gar keine Damen mehr 
vonnothen hat, welche reden und in Auerbachs Hof will er per- 
sonlich zur Probe mit einer weiblichen Sprachmaschine am Arm 
offentlich herumrucken, welche um Galanteriewaren so lange 
feilschen soil, bis sie selbst abgekauft wird. Eben so will er alle 



TEUFELSPAPIERE ■ I. 2USAMMENKUNFT "V 1 69 

mogliche Sortiments von Spielern zusammen setzen, durch alle 
Hazard- und Komerzspiele hindurch, so daB der schlechtste Kerl 
bei ihm nach Maschinen soil fragen konnen, die urn 3 Pfennige 
Einsaz »labeten, ohnedaBDaus undNeunefortgeht«: erhatseine 
bose Absicht erreicht, wenn durch diese Veranstaltung ktinftig- 
hin an alien Spieltischen in den Assembleen und an alien Spielta- 
feln in denDorfschenken keine einzigelebendige Seele mehr sizt. 
Sollen wir aber zur allgemeinen Einfiihrung von Maschinen 
still sitzen, die durch die grossere Dauer und Giite ihres Redens 

10 und Spielens uns vollig ruiniren mussen? Uns diinkt in andern 
Handwerken litt man bisher den Gebrauch solcher, zu arbeitsa- 
mer Maschinen nicht. 

Schon von ieher brachte man Maschinen zu Markt, welche die 
Menschen ausser Nahrung sezten, indem sie die Arbeiten der- 
selben besser und schneller ausfuhrten. Denn zum Ungluck ma- 
chen die Maschinen allezeit recht gute Arbeit und laufen den 
Menschen weit vor. Daher suchen Manner, die in der Verwal- 
tung wichtigerer Aemter es zu etwas mehr als trager Mittelmas- 
sigkeit zu treiben wiinschen, so viel sie konnen ganz Maschinen- 

20 masig zu verfahren, und wenigstens kunstliche Maschinen 
abzugeben, da sie ungliicklicherweise keine naturliche sein kon- 
nen. An vielen Orten durfte man die Einfiihrung der Bandmuhle 
nicht wagen, weil unzahlige Bandweber zu verhungern drohten. 
In Kemniz kamen vor kurzem alle Spinner und Spinnerinnen mit 
einer deutschen Vorstellung gegen die neuen Spinnmaschinen ein, 
die besser und mehr als 25 Menschen spinnen und weder zu 
Nachts noch (da sie nimmermehr Glieder der unsichtbaren Kir- 
che sein konnen) am Sonntage abzusetzen brauchen. Die Bucher- 
kopisten in Konstantinopel halten nur darum noch nicht den Bet- 

30 telstab statt der Feder in den Handen, weil da noch keine 
Drukerpressen gehen; und wenige von uns standen noch den 
Hunger der Monche aus, deren Abschreiben durch die Erfin- 
dung der Druckerei entbehrlich wurde: daher sie mit Recht sag- 
ten, den Erfinder derselben, den D. Faust, hatteleider der Teufel 
unstreitig geholet und es war nur gut, daB sie sich noch durch 
das Malen der Anfangsbuchstaben in gedrukte Bucher hinfriste- 



170 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

ten. So ist noch bis auf diesen Tag die Buchermaschine a in Eu- 
ropa unnachgemacht geblieben, deren Zusammensetzimg Swift 
oder Gulliver alien Buchhandlern unfehlbar in der lieblosen Ab- 
sicht so deutlich beschreibt, damit ahnliche europaische leichter 
darnach gezimmert und dadurch gutmeinenden Autoren, die 
sich bisher vom Biichermachen bekostigten und kleideten, ein 
iammerlicher Garaus gespielet wiirde; denn die leztern haben 
sich auf nichts anders eingeschossen. Sonst ists freilich unlaug- 
bar, dan eine solche Maschine in Menge und ohne Honorar (der 
Kerl der sie drehte, ware fast mit nichts zufrieden) recht gute 10 
Sonntagspredigten, Monats- Quartal- Kinder- und berlinische 
Spasschriften fur den Druck abfassen rmiste. - Stiindlich er- 
schiessen und ertranken sich gute feine Herren halb in Ernst. Al- 
lein, wenn die Polizei sich darwieder sezte, daB so viele Damen 
sich statt ordentlicher Menschen Maschinen das ist: sogenannte 
Schooshunde, Schooskazen und Schoosvogel - denn die Thiere 
sind schon nach Descartes, gutgearbeitete Maschinen und brin- 
gen wie alle Maschinen, gewisse menschliche Verrichtungen 
z. B. Sehen, Horen, Riechen, Lieben, Hassen weit geschickter 
und besser zu stande - zu Liebhaberri erobern und wahlen: so 20 
konnten einige von den ersofnen feinen Herrn, die durch iene 
Maschine ausser Gebrauch gesezt worden, wirklich noch am 
Leben sein. Daher ist ohne einen strengern Hunds- und Kazen- 
schlag an eine allgemeine Liebe der Damen fur ihre Anbeter vor 
der Hand gar nicht zu gedenken, und ieder Schooshund, den 
man nicht erschiesst, wird durch einen Chapeau erkauft, der da- 
fur sich wiederschiesset. - Endlich, was sonst als die betrubteste 
Verhungerung so vieler Barbiere, die iezt ganz vergmigt auf dem 
Reichsboden und weiterhin grasen, konnte die Menschen von 
einer Ausbreitung der Bartrosmiihlen b abmahnen, die so weit 30 

a Gulliver sah in Lagado eine Maschine, die gewisse in ihr liegende 
beschriebene Zettel, wenn man sie umdrehte, so untereinander warf, 
daB ieder, dem man sie hernach vorlas, freilich nicht wissen konnte, ob 
er ein gewohnliches Buch hore oder nicht. 

b DieBartrosmuhle(S. Kriinizokonom. Enzyklopadie B. III.) ist ein 
rundes Gebaude mit Kopflochern, in die ieder seinen Baft halt, der ihn 



TEUFELSPAPIERE ■ I. ZUSAMMENKUNFT "V 1 71 

hatte gehen konnen, daB in iedem Gasthof eine fur die Werber 
und ihre Rekruten gestanden hatte? Denn nur wenig menschli- 
che Wesen rasiren so schnell wie sie, und wenns sonst der rasi- 
rende Gaul aushielte, so ware mit einer die ganze Judenschaft, 
die sich vor dem Einbruche des iiingsten Gerichtes taufenlasset, 
in ein paar Stunden zu scheeren. 1st indessen das ihr geringster 
Vorzug, daB sie nicht wie Millionen Barbiere bios den Bart, (sie 
thuns freilich, urn iede Woche etwas zu scheeren zu haben) son- 
dern auch die Wurzel und den Boden des Unkrauts selbst, nam- 

io lich das ganze Kinn leicht herunterzuschneiden vermag? das ist 
etwas, was selten ein geschickter Barbier mit ihr gemein hat; an 
ungeschickte ist gar nicht zu denken. 

Wir hoffen darzuthun, daB bei uns Damen und Spielern der 
namliche Fall eintrate,' wenn das Reden und Spielen durch Ma- 
schinen ausgerichtet wiirde. Die erstern werden zuerst ihre Vor- 
stellungen beizubringen sich erdreisten. 

Bekanntlich ist ieder Ort ganz voll Siinden; die iungen Leute 
legen sich auf Jugendfehler und die alten auf Schwachheitssiin- 
den, und wenn ein Pfarrer da ist, so sucht der ieden Tag seine 

20 Lust gar in einigen peccatis splendidis. Allein, kaum ein Achtel 
dieser Siinden wird vor einen weltlichen oder geistlichen Rich- 
terstuhl gezogen: denn die wenigsten kann man beweisen, z. B. 
die schlimmen Absichten des Kammeriunkers, oder bestrafen. 
z. B. das peccatum splendidum des Pfarrers, der seiner Frau in 
der vorigen Messe oft die besten und theuersten Kleidungs- 
stiicke nicht kaufen wollte. ^Es legten daher viele polizirte Volker 
bei Zeiten einen neuen Gerichtshof an, der sich ordentlich mit der 
Untersuchung und Abstrafung solcher kleiner Verbrechen be- 
gabe; er wird grostentheils von uns Damen formirt und wir 

30 richten oder verlaumden - wiewol man den leztern Ausdruck 
besser gar abkommen liesse, da man mit ihm doch so wenig wie 
mit den Worten Schuft, Pfaf etc. noch den alten edlern Begrif 
verkniipft - fast alle Tage; denn wir haben nicht einmal Kaniku- 

weghaben will; innen treibt ein Pferd ein Horizontalrad, woran die 
Scheermesser in verschiedenen Richtungen sitzen. In 1 . Minute kann sie 
eine ganze Fakultat von 60 Barten uberscheeren. 



172 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

larferien. Manheissetunser Gericht auch das Splittergericht. Wir 
hielten bisher ordentlich, nicht nur ieden Sonntag, wie in Vene- 
dig der groBe Rath, sondern auch an Werkeltagen Session, oder 
wie man gewohnlich sagt, Assemblee, und erschienen ohne un- 
sere Amtskleider selten. Wenn verlieB uns gewissenhaftes Be- 
streben nach der Auskundschaftung der geringsten Fehler? Be- 
soldeten wir nicht gern unseie fiskalischen Advokaten, wozu man 
sonst in Rom Jiinglinge, und wir alten Frauen und Friseurs ge- 
brauchten, die nicht wie andere Fiskale die Vergehungen der 
Reichenund Machtigen anzuklagen scheuten? Unsere Denunzi- 
anten kennt die Welt, und der Satan die Wienerischen. Wir tha- 
ten oft selbst Haussuchung nach den Mangeln iunger Ehe- und 
Schulleute. Wir sezten endlich auch gute Erdichtungen (soge- 
nannte iuristische Fikzionen) nicht immer bei Seite, durch die 
man die meisten Fehler an Unschuldigen ertappen kann, und da 
die Juristen einen doppelten Betrug den Guten und Bosen (do- 
lum bonum et malum) zulassen, so wechselten wir mit beiden 
nach Befinden. Wir wollen hoffen, daB wir in der Zuchtigung 
der Fehler nicht verdroBner, als in ihrer Erforschung verfuhren. 
Viele werden vielleicht den Willen aber nicht das Vermogen ha- 
ben, es zu unserer Schande hinlanglich darzuthun, daB wir ie- 
mals ein Verbrechenin unserer Stadt - von der Siinde gegen den 
heiligen Geist an, bis zu den GedachtniBsunden herab, die der 
erste Minister oder sein Sekretair iede Terzie veriibt (welches 
man an einer Terzienuhr gut beobachten kann) - mit der gehori- 
gen Infamienstrafe verschont hatten, die wir mit der Zunge rich- 
tig vollstreckem Die griechischen Richter bestach oft bloBe 
Schonheit des Leibes: allein, wir verachteten niemals unser Amt 
und seine Pflichten so sehr, daB uns sogar Schonheit der Seek 
zur Nachsicht hatte vermogen konnen, sondern wir widerstan- 
den ganz gesezt. Kein Richter sollte sein Amt zu seinem Neben- 
werk heruntersetzen: wir vermochten das wenigstens niemals 
iiber uns selbst, sondern opferten dem unsrigen gern Zeit, 
Oekonomie und alles auf . Da kein Gericht bios aus Einer Person 
bestehen darf: so soil uns Herr von Kempele. beweisen, daB ie- 
mals Eine Dame allein ein Splittergericht formiren wollen: zur 



TEUFELSPAPIERE ■ I. 2USAMMENKUNFT • V 173 

bessern Handhabung der Gerechtigkeit musten allzeit einige un- 
gelehrte Beisitzerinnen wenigstens unterschreiben; oft war indessen 
auch die ganze Stube voll Richterinnen. - Der Konig von Lo- 
ango muB bei ieder rechtlichen Entscheidung einmal trinken, 
und es ist dann so viel, als wenn er das kleine Insiegel darauf 
sezte, oder als wenn er Verstand dabei bewiese: allein Herr von 
Kempele muB oft selbst dabei gesessen sein, daB wir ohne Thee, 
Limonade, Wein etc. selten richteten; zum wenigsten aBen wir 
etwas weniges dazu. - Nach den meisten Juristen thut die Un- 
io wissenheit der Rechte uns wenigen Schaden, sondern nur den 
Mannern: aber nach dem Juristen Toullieu (Leyser Specc, 
CCLXXXIX) sizt eben den Mannern, aber nicht den Weibern 
Unwissenheit der Rechte gut. Vielleicht halt sich auch hier die 
Wahrheitin der Mine auf und die Richter fahren am verniinftig- 
sten, die weder nichts noch viel, sondern wenig von den Rechten 
zu wissen suchen: wenigstens schien eine solche Halbwissen- 
schaft recht fur uns Damen zu passen. Endlich haben wir zwar 
unser iiingstes Gericht, das auch bloBe Gedanken verurtheilt, an 
' sehr verschiedenen Orten zu halten gewagt; bald unter dem 
20 Thore wie die Hebraer, bald auf dem Gottesacker wie die alten 
Norweger, bald in unserem Kopfe wie das Gewissen, bald im 
Tempel wie die Deutschen vor den Zeiten Karls des GroBen: al- 
lein, das ist ganz gleichgultig. 

Wer daher schriebe, wir standen unserem Richterstuhle viel 
zu schlecht vor und die Sprachmaschinen musten sich darauf 
setzen: der loge ungemein. 

Er konnte f reilich fortfahren und diesen Spies wider uns selbst 
halten und sagen, wir und die Sprachmaschinen konnten gliick- 
lich mit einander zugleich auf der Richterbank sitzen und mit 
30 wechselseitiger Aufklarffng die besten Entscheidungen gebaren: 
allein, es geht nicht und wir wollen den Augenblick zeigen, daB 
die Maschinen (wie alle Maschinen) so gut richten wiirden, daB 
es mit uns bald aus ware. 

Wie gut im Ganzen, Maschinen richten, beweisen schon ihre 
Schwesternin Italien 3 und wir wollen von groBen Kriminalisten 

a In Italien wird die Enthauptung von Maschinen verrichtet. 



174 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

gar nicht reden, weil in unsern Tagen Schriftsteller leben, welche 
sagen, diese hatten eine Art von Seele. Die Hauptsache ist wol, 
daB die Sprachmaschine und die Gerechtigkeit wirklich aus anli- 
chen Bestandtheilen zusammengesetzt sind, und das kann unbe- 
schreiblich viel thun. Die Gerechtigkeit ist (wie ieder weiB, der 
sie an den Rathhausern oder sonst gesehen) meistens von Stein 
oder auch Holz und ohne alles Leben: aus Holz will nun Kempele 
auch seine Maschinen schnitzen, und das Leben will er ihnen 
gleichfals nicht geben. Allein, die besten Richter und also auch 
wir bestehen bios aus Fleisch und Blut und leben ganzlich. Wenn 
mithin der Gerechtigkeit und den Maschinen, die als leblose 
Wesen nach Leibnitz vom Kopfe bis zur Ferse ganz aus schlafen- 
den Monaden und dunkeln Ideen zusammengebacken sind, das 
Richten am wenigsten mislingt: so ists ganz natiirlich: derm der 
Schlaf- diese kurze Zeit der hohern Erleuchtung - war von ieher 
fur einen Richter vortheilhafter, als das romische Recht und 
selbst der Schwabenspiegel, und die dunkeln Ideen" konnen ohne 
dunkle Ausdrucke gar nicht sein, die eben in richterlichen Ent- 
scheidungen wahre Wunder thun und die einem bios lebendigen * 
Richter, der oft den ganzen Tag kerne Viertelstunde von den 
deutlichsten Ideen los ist, lei der nicht haufig zuf alien. - 

Ferner: es ist wol nicht zu verhehlen, wie wenig mannigfaltig 
die Sprachen zu alien Zeiten waren, in denen die Richter ihre Be- 
scheide und wir unsere sogenannten Verlaumdungen ausferti- 
gen: wenn es jene in ihren Dekreten zur Vereinigung'des deut- 
schen und lateinischen, und wir in Gesellschaften zur 
Zusammenkunft des Deutschen, Franzosischen und Undeut- 
schen das getrieben hatten: so waren wir beide froh. Allein die 
Sprachmaschinen reden in ihrer Jugend {wie Europa an der er- 
sten sah) die meisten europaischen Sprachen; sie wiirden sich da- 
her auf dem Richterstuhle so ausdriicken konnen, daB man nicht 
Ein gezogenes Register sondern die ganze Orgel aller Sprachen 
horte. 

Am wenigsten kann in der ganzen Sache von nachdenkenden 
Kopfen das System der vorher bestimmten Harmonie vergessen 
werden. Dieses System und Leibniz machten langst folgende 



TEUFELSPAPIERE ■ I. ZUSAMMENKUNFT "V 1 75 

Wahrheiten ruchbar: der Leib und die Seek treiben, wie in un- 
sern Tagen Mann und Frau, iedes seine Haushaltung ftir sich; die 
Seele hat da ganze Monate nicht den geringsten Jagd- oder 
Hand- und Spandienst des Korpers auf ihren vielen Noth- und 
Ehrenziigen nothig, und macht sich Jahraus Jahrein ihre unzahli- 
gen Gedanken in der That allein und selbst; eben so sieht sich der 
Korper wenig nach der Seele urn, er springt sehr, tanzt gut, 
schreibt die scherzhaftesten Biicher, redet laut und vernunftig, 
sezt sich in Gunst, lasset mit Lust taufen, schiebt die Krone wie 

io eineMiitzeleichtauf dem ganzen Kopf herum, schlagt einen an- 
dern Korper gewissermassen fast halb tod, wird deswegen nach 
einer Bekehrung elendiglich aufgehangen und fuhrt sich iiber- 
haupt als der einzige Perpendickel dieser runden Erde auf, ohne 
sich in seinem Leben nur darum zu bekummern, ob eine Seele 
in der Welt und in ihm sitze und iibernachte: indessen bewegen 
sich beide wie ein Doppelklavier genau zugleich, sie kommen 
gleich schonen Geistern, ohne da6 beide einen Buchstaben von 
einander wissen, stets auf gleiche Erfindungen, ia wenn man die 
spashafte Probe gemacht und Leibnizens Korper nach England 

20 geschift, seine Seele aber in Hannover dagelassen hatte, so ist 
schon zum voraus moglichst dargethan, der Korper ware in 
London auf seiner Studierstube zu seinem ewigen Ruhme zuerst 
auf den methodum fluxionum verfallen, wahrend die Seele zur 
namlichen Sekunde in Hannover ohne die geringste Hiilf e einer 
Gehirnfiber die Differenzialrechnung herausgebracht hatte, 
(wiewol sie freilich wegen Mangel der verreiseten Hande wenig 
oder nichts fur die acta eruditorum hatte niederschreiben kon- 
nen); kurz, die beiden Half ten von Leibniz waren zu gleicher Zeit 
auf die namliche herrliche Entdeckung in der Algeber gestossen. 

30 Allein, ob der menschliche Korper sein Werk denn doch nicht 
fertiger und ausgesuchter triebe, wenn das arme Wesen mit gar 
keiner Seele zusammengespannt ware, daruber lasset sich frei- 
lich disputiren und die Gelehrten rauften sich deswegen unter- 
einander wechselseitig dermaBen, daB man die Haare haufig auf 
dem Boden sah: inzwischen ist so viel gar nicht undeutlich, daB 
dem Korper sein Reden, Schreiben etc. ganz anders von Handen 



I76 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

gehen miiste, wenn nicht allemal zu gleicher Zeit die Seele un- 
nothigerweisedasnamlicheins Werk zu setzen strebte, und dem 
Viehe, dieser bloBen kartesianischen Maschine, schragen dahero 
so viele menschliche Handlungen augenscheinlich besser ein. 
Ein Frauenzimmer spricht daher weit schneller und mehr als ein 
guter Kopf , dessen Seele allezeit bei den Reden des Korpers et- 
was oder gar viel zu denken sucht. Um desto mehr diirfen wir 
Ew. ** zu iiberlegen bitten, welche erhebliche Vorziige die 
kempelischen Maschinen im Splitterrichten, worin wol die Be- 
wegung oder Zunge nie zu schnell sein kann, schon dadurch vor 10 
uns voraus haben miissen, daB sie ganz ohne Seele sein konnen, 
statt daB wir Damen insgesamt bei iedem Urtheile, das unsere 
Zunge fallen will (und auch sonst) ganz sicher befiirchten kon- 
nen, daB sogleich unsere Seele, die in uns halt und stets mit dem 
Korper ohne Nutzen harmoniren will, einen unzeitigen Versuch 
machen wird, auch das ihrige dabei zu denken: denn liberal tanzt 
sie ia mit hinten nach, und macht den gesundesten Christen 
Teufelsnoth. 

Wir schlieBen. Wird uns durch kempelischen Maschinen das 
bisgen Verlaumden abgefischt: so sehen wir unsers Orts nicht 20 
mehr ab, was auf dieser schwarzen Erde noch unser wahres Ver- 
gmigen sein soil oder was man Personen, die vielleicht von dem 
altesten Adel sind und nichts zu thun haben, fur ein anderes eben 
so niitzliches Geschaft vorzuschlagen denkt. Ganz vergeblicher- 
weise hatten sich also verschiedene der belesensten Theologen, 
als sie von der Akademie zuriick waren, hingesezt und es fiir 
einige Pflicht gehalten, aus dem teleologischen Hefte einen nicht 
so wol griindlichen als faB lichen Beweis offentlich zu fiihren, daB 
das Pfund der Verlaumdung den Weibern von einem guten 
Geiste als ein kleiner Ersatz fiir die Folter des Kindergebahrens 30 
und die Burde des Hauswesens geschenket worden: denn man 
will uns diesen Ersatz nehmen - noch vergeblicher wars also, 
wenn wir gar hoften, man wiirde kunftighin nicht einmal mehr 
gleichgiiltig bleiben, daB uns wegen des allgemeinen Mangels an 
Thorheiten manchen Nachmittag ganzliche Diirftigkeit der 
neuen Geschichte und Eckel an der Wiederholung der alten (von 



TEUFELSPAPIERE ■ I. 2USAMMENKUNFT ■ V 177 

40 Jahren her) im vollen MaBe driicken diirfe, sondern man 
wiirde etwan in ieder Stadt einen besondern Kerl hohern Orts 
wegen drdentlich anstellen und Pflicht nehmen, der von der 
samtlichen Biirgerschaft (wenn sich die Adelichen ihren eignen 
Kerl halten wollten) bios dazu unterhalten und besoldet wiirde, 
damit er ieden Tag offentlich eine vorgeschriebene Zahl ganz 
aufiallend narrischer Streiche veriibte, die allgemein zu reden 
und zu tadeln gaben; an diesem schlcchten Kerl hatten wir alle 
einen bestandigen Elektrizitatstrdger des weiblichen Witzes haben 

10 konnen und gemeinschaftlich an ihm ein zutragliches Richter- 
amte geiibt . . . Aber wir wiinschen hur nicht, daB das Elend, 
das H. v. Kempele iiber uns durch seine Sprachmaschinen 
bringt, ihn noch auf seinem Todenbette in Schweis setze, und 
wir besorgen in der That nichts schlimmers; vielleicht wird ihn 
sogar in seinen gesunden Tagen, wenn er vor einem Visitten- 
zimmer voll redender Maschinen zufallig vorbeigeht und sie 
deutlich genug reden horet, der wiederkehrende Gedanke kran- 
ken: »achin dieser groBen Stube konnte auch auf iedem Kriipel- 
stuhl eine lebendige Dame und auf dem Kanapee noch mehrere 

20 sitzen, und ihr gewohnliches Gericht, wie ich glaube, halten und 
iiberhaupt sich untereinander unbeschreiblich laben, hatt' ich 
dem Satan widerstanden; aber so schnattern iezt 12 ausserst fatale 
Maschinen drinnen recht munter, und horen weder auf sich noch 
ihres gleichen. Wahrhaftig sie konnen zulezt eben so viele lange 
Nagel zu meinem Sarge werden und die Supplick der Damen 
sagte das leider voraus.« 

Nun treten wir Spieler schon auf. 

Der Marquis de Poncis ist iiberflussig bekannt; besonders sein 
Vorschlag fur Generale eine scharfe Papierscheere anzufassen, 

30 und damit von Papier Soldaten auszuschneiden: in der Entfer- 
nung, behauptet er fest, miiste sie der Feind ganzlich mit wahren 
vermengen und sich noch mehr fiirchten. Gleichwol lies noch 
kein Fiirst an seine Gewehrfabrik eine Soldatenfabrik anbauen, 
und die Kompagnieschneider bringen noch immer wie sonst 
iiber dem linken Arme weiter nichts vom Soldaten hergetragen 
als die Montur und nicht ihn selbst. Das kann unmoglich davon 



178 JUGENDWERKE * 4- ABTEILUNG 

herruhren, weiletwan die Fiirsten nicht erfahren oder begreifen, 
daB papierne Krieger auffallend tiber lebende vorragen, da sie 
weder Lohnung (welches so gut ist als standen sie das ganze Jahr 
auf Urlaub) noch Uniform, (mehr konnte an schlechtem Tuch 
gar rficht ersparet werden), noch Regimentsfeldscheerer (da der 
Zeltschneider, der sie zugeschnitten, sie auch flicken muste) 
noch Feldprediger bediirfen: allein man merke nur, daB gute und 
von Prinzenhofmeistern aufgezogene Fiirsten auch auf der an- 
dern Seite es sich nicht verhehlen konnen und wollen, daB im 
Augenblicke, da die papierne unter die Fahne schwiiren, eine 10 
Mengelebendiger entbehrlich und mithin tausend Gemeine dar- 
unter der Uniform und funfzig Officiers des Avancements ver- 
lustig wiirden: dieses unerhorteElend aber stiffen solche Fiirsten 
urn vieles Geld nicht an. Daher bis auf diese Stunde unter alien 
den Soldaten die Europa beschirmen und putzen, keiner auszu- 
fragen ist, der wirklich von Papier ware; sogar wenn ein Bein 
derselben nicht organisirt sondern holzern ist, so wird der Kerl, 
der darauf geht, schon abgedankt und ihm lieber das Betteln, das 
man ihm vorher verbot, vollig verstattet, was iibrigens die blei- 
ernen oder silbernen Soldaten anlangt, die zuweilen kleine 20 
deutsche Fiirsten kommandirten: so ist ja bekannt, daB sie es 
nach ihrem fiinften Jahre wirklich unterliessen . . . Nun ist hof- 
fentlich das Spiel ein wahrer Krieg: H. v. Kempele hat also auf 
eine ahnliche Weise vor, an unsere Stelle Maschinen von Holz 
(wie der Marquis, von Papier) zu setzen, die so gut als wir auf 
Kartengefechte ausziehen. Allein, daB Ew. ** die Vollendung 
eines Anschlags, der eine ganze dem Staate nicht unniitzliche 
Gesellschaft (wir Spieler schmeicheln uns so eine zu sein) ins 
Verderben drangen soil, nicht vereiteln werden, das ists eben, 
woran wir so stark zweifeln, zumal da Ew. ** nicht einmal die .30 
papiernen Krieger des Marquis angenommen haben. 

Denn auf der Seite der Spielmaschinen befanden sich, wie es 
scheint, zu betragtliche Vorziige. Jene Kaltblutigkeit, iene Ent- 
fernung von zerstreuender Aufmerksamkeit auf andere Gegen- 
stande, iene Spielkenntnisse, c die ihnen so sehr zu Gebote stehen, 
sucht man alle bei uns umsonst, und es kann uns nicht einmal 



TEUFELSPAPIERE ■ I. ZUSAMMENKUNFT 'V 179 

iemand Biirge werden, daB nicht H. v. Kempele kunftighin in 
seinen Maschinen hin und wieder Triebwerke eingesezt, mittelst 
. welcher sie entsetzlich fluchen und betriigen konnen. Wer mit 
seiner Schachmaschine gespielet, der wird sagen, wir iibertrei- 
ben gar nichts. - Das Wichtigste ist noch, daB diese Maschinen 
so iiberaus dumm und unwissend sind, wenn anders solche edle 
und nur fur lebendige Menschen nicht zu hohe Ausdriicke sich 
fur Maschinen schicken. Bekantlich haben schlechte Kopfe mei- 
stens mehr Ansatz zu Spielerkenntnissen als gute; und man kont' 

io es der franzosischen grossen Enzyklopadie ansinnen, die wahre 
Ursache davon vollig aufzudecken, indem sie namlich etwan 
bios bemerkt hatte, daB das Spiel ein Krieg sei und mithin Tap- 
ferkeit darin, wie bei den Athleten gern mit Unwissenheit unter 
einer Hirnschale zusammenwohne. Nannten nicht deswegen die 
Griechen den Esel ein unuberwindliches Thier und liessen sie nicht 
ganz gute alte Miinzen schlagen, worauf das Konigreich Dazien 
zum Beweise seiner Tapferkeit einen Eselskopf aufhat? Daher 
schreibt ein braver Officier nicht gern iiberall orthographisch; 
Daher ist zu wiinschen, daB man uns Spieler mit den alten Zelten 

20 vergleiche, denen die Wissenschaften vollig verderblich fur 
Krieger vorkamen, und die deswegen ihren Namen niemals 
schreiben lernen wollten. » Wahrhaftig, sagte einmal ein Spieler, 
aber nicht ohne alien Unwillen, wenn der Kopf eines Spielers 
wie des miltonschen Teufels seiner taglich eine groBe gesunde 
Siinde hecket, die ihm mit Spielen hilft: so ists gut genug und 
man sinn' ihm nicht an, daB er noch wie Jupiters seiner eine Mi- 
nerva gebare . . .Das geht so weit, daB gute Gesellschaften das 
Aussenbleiben oder Versiegen vernunftiger Gesprache als den 
verstandlichsten Wink benutzen, die Spieltische zu rufen. Es ist 

30 aber iezt die Sache der Vernunft und Tugend, zu entscheiden, 
ob ein lebendiger Spieler, dessen Verstandesschwache und Un- 
wissenheit stets ihre Granzen hat, wol viel gegen die Spielma- 
schinen verfangen konne, die vielleicht nicht einmal ein Gehirn 
iiberhaupt besitzen. 

Durch diese Maschinen wird nun tausend rechtschaffenen 
Gliedern des Staats, Officiers, Edelleuten eine Arbeit aus den 



l80 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

Handen gespielt, bei der sie sich bisher ganz wol befanden, und 
deren Entziehung sie leider zum Rauben nothigen kann: denn die 
gedachte Unwissenheit, die uns im Spielen so zu statten kam, 
ist kein Talent, das ausser dem Bezirke der Spieltische mehr 
vortheilhaft als beschwerlich ware. Bisher hatten wir dem Steh- 
len obzuliegen wenig noting, da wir allenthalben Karten antra- 
fen, womit wir unsere Hande so sehr verlangern konnten als 
Konigshande, um etwas zu erfassen, wie man auf einem Plane- 
ten, iiber den der Hunger und die Sattigung in einer vermischten 
Regierungsform herschen, fruh oder spat nicht anders kann. Wir 10 
bezogen die Messen. Besonders giengen wir mit der ordinaren 
Post nach Spaa. An diesem schonen Badorte lieBen wir uns von 
Juden zu Michaelisrittern erheben und hielten zu unserm wahren 
Vortheile da Bank. Wir konnten bald die Bemerkung machen, 
wie wenig spielende Christen ans Stehlen zu denken brauchten, 
sobald andere pointirten; und in Wahrheit man mochte iiber- 
haupt die Frage thun, warum halt nicht fast die ganze Welt Bank. 
Es war zwar lacherlich, wenn man neuerer Zeit hofte, die bloBe 
Ausreutung, der Galgen wiirde schon die der Diebe mit sich 
fuhren: allein es ware geschehen, wenn man noch an die Stelle 20 
der abgebrochenen Galgen Pharao-Creps und andere Spieltische 
sofort aufgepflanzet hatte und Tausende, die nun unermudet 
stehlen, hatten dann bios hinter der Vorspan des Spiels als gesat- 
tigte und doch ehrliche Leute iiber diese Erde fahren konnen. 
Wir kannten in Spaa einen Croupier, der selbst mit Vergnugen 
und Vernunft gestand, der Wind fand ihn langst am Galgen, 
war' ihm nicht, da er auf dem Scheidwege des Herkules schon 
den linken FuB auf den Hollenweg hingehalten hatte, auf dem 
Tugend- und Himmelswege der Genius der Tugend in der Ge- 
stalt des Spiels entgegengeritten und hatte der ihn nicht mit Ge- 30 
wait auf die engere Strasse zu seinem ewigen Gliicke geschlep- 
pet: »iezt, sagte er, hoi ich auf dieser Strasse mir leicht vom 
Spiele meinen ehrlichen Unterhalt, ohne iemand zu versehren, 
und bin dabei noch dazu sicher, daS man mich nicht hangt.« 
Dazu schwimmt doch wahrhaftig allzeit von der Beute, die die 
Banken in Spaa erangeln, etwas dem Bischoffe von Liittich zu; 



TEUFELSPAPIERE ■ I. 2USAMMENKUNFT "V l8l 

allein es mag ein Kerl so viel er kann bios stehlen„so kommts 
doch den Bischoffe am wenigsten zu Passe. Wie sollen es aber 
guteMenschengenugsambeklagen, wenn gleichwol handgreif- 
liche Versuche gemacht werden, so gar die wenigen Spieler, die 
etwas noch vorhanden sind, von ihrem Geschafte zu entfernen 
und dadurch die Opposizionsparthei gegen den Diebstahl hin- 
langlich zu entkraften? Wahrhaftig es wird kaum Ein Monat 
nach der Einfiihrung der Spielmaschinen verfliessen, so sieht 
man in England neue Galgen und in Deutschland neue Gefang- 

io nisse bauen. 

Ueberhaupt kann es der Adel fiir einen der kiihnsten Eingriffe 
in seine Vorrechte ansehn. Er lebte, wie man aus der deutschen 
Geschichte weiB, sonst vom Rauben und hiefi es »von Sattel oder 
Stegreif leben«; denn jeder Eigenthiimer eines Schlosses hatte 
zur gewaltthatigen Abladung eines ieden, der davor vorbeiritt 
oder fuhr, Befugnis genug. In ieder Rucksicht ist daher das Spiel 
der Schlechte aber doch einzige Ersatz, fiir den er einen so ein- 
traglichen Weg des Rechtens verlieB, und von alien andern 
Schatzen seiner Nachbarschaft als den wenigen unbedeutenden 

20 seiner Unterthanen die Hande abthat. Um destoweniger lasset 
sichs mit der Moral vereinen, wenn Herr von Kempele auch 
diese Entschadigung schmalert: wahrhaftig ein Edelmann, bei 
dem weder Ahnen noch Schulden zu zahlen sind, muB wenig- 
stens suchen, durch Karten dem Aufwande des Soupees fiir die 
Mitspieler, beizukommen. Dieses alte Recht zum Rauben kann 
gar nicht genug vorgeschutzet werden, wenns erklaret werden 
soil, warum die strengsten Verbote der Hazardspiele niemals auf 
andere als burgerliche Personen ausgedehnet werden konnen: 
denn diese hatten das Recht zu rauben nie. Der Fiirst ertheilt zu- 

30 erst sich und da er allein nicht spielen kann, auch anderen Perso- 
nen von Geburt das Privilegium der schicklichsten Ausnahme 
und lasset gern (gerade das Widerspiel von Kaligula) die Gesetze 
so rie/annageln, daB sie der Pobel unten leichter als er und groBe 
Personen oben lesen und befolgen konnenVpie Spielmaschinen 
a In der That steht man auf einem hohen Throne, so kann man un- 
moglich die unten herumbefestigten Gesetze lesen, und man nimt die 



I 82 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

sind wahrlich nicht die Wesen, die ienes so kostbar bezahlte 
Recht des Edelmanns beschneiden diirften; zum wenigsten 
wenn dieser sich erklart, er wiirde, wenns mit den Maschinen 
Ernst wiirde, auch seine alten Gerechtsame wieder aufgraben 
und augenblicklich unten satteln lassen und auf der nachsten 
LandstraBe einem Kaufmannsdiener die Geldkatze abringen: so 
konnte man nichts dagegen sagen, man mochte die Lehre von 
Kontrakten verstehen oder nicht. 

Unmoglich sind die groBten europaischen Hofe mit dem Ge- 
brauche dieser Maschinen zufrieden. Das Spiel machte daselbst 
bisher eine Unterhaltung aus, die einer feinen, witzigen und 
kenntniBvollen Gesellschaft (wie man denn die Wahrheit zu sa- 
gen am Hofe keine andere findet) ganz angernessen war, und 
worin der unersattliche Geist eines hollandischen Kaufmanns 
gesunde Nahrung finden konnte. Urn eine soiche Unterhaltung 
suchen die Maschinen die feinsten und witzigsten Personen zu 
bringen und scheinen alles auf eine Mishandlung derselben an- 
zulegen, deren Ausgang kein anderer als der sein kann, daB am 
Ende so erhabene Personen sich bei allem ihren Witze nicht an- 
ders unterhalten konnen als die armsten Gelehrten, die man we- 
gen ihres elenden Anzugs (denn ein Mensch und eine Billardtaf el 
sind desto unbrauchbarer, ie grober das Tuch ist, das beide'be- 
kleidet) memals genug verachten kann: die ganze Unterhaltung 
dieser armen Schacher aber besteht offenbar bios in vielem Re- 
den. 

Die Karten waren bisher ein gut angeschnaltes Flugwerk, auf 
dem man zuweilen am Hofe zu hohern Staffeln aufflatterte . . . 
Das Gold ist das schwerste Metal und man muB es deswegen aus 
dem Luftschiffe, womit man emporzuschweben sucht, fast mit 
beiden Handen rechts und links ausschleudern, damit besonders 
die vornehmen Personen den Strick, womit sie das Luftschiff 
niederhalten, fahren lassen, um die herunterkommenden Me- 
talle einzustecken. Beilaufig: Personen von Verdienste miissen 

Anfangsbuchstaben fast fiir bloBe Perlenschrift: die kleinen sieht man gar 
nicht. Daher konnen die Unterthanen freilich leichter und eher als ihr 
Herrscher selber wissen, was er zu thun hat. 



TEUFELSPAPIERE ■ I. ZUSAMMENKUNFT V I 83 

es bios sich selber beimessen, daB aus ihnen immer nichts wird: 
denn man ist hdhern Ortes gar nicht abgeneigt, sie auf die wich- 
tigsten Posten, aufzunehmen und ihnen sogar Personen ohne alle 
Verdienste vollig nachzusetzen: allein man rechnet nur auch dar- 
auf , daB sie ihrer Seits den Geldbeutel hervorziehen: das wollen 
nun Leute von Verdienst oft schon darum nicht, weil sie keinen 
haben. Bisher konnte man doch mit den Karten leicht so spielen, 
daB die Hofdame, deren Hande oder Zunge oder Gesicht oder 
Busen etc. den Posten zu vergeben haben, die erlaubte Beste- 

10 chungssumme geschickt gewann; war freilich keine Dame von 
EinfluB da, so that mans gegen den Minister, oder den fremden 
Gesanden oder den Satan. Allein, sobald die Spielmaschinen uns 
die Karten aus den Handen ziehen: so hat kein ehrlicher Mann, 
der ein Amt begehrt, einen Prasentirteller, worauf er das Geld 
mit Anstand einhandigen konnte und man konnte auf beiden 
Seiten gar nicht verlegner sein. 

Drangen sich indessen doch die Maschinen ein: so ists wenig- 
stens keine unbillige Bitte, daB man uns als die unentbehrlichsten 
Sekundanten und Alliirten derselben betrachte. Denn ein 

20 Mensch muB erschrecken wenn er iiberlegt, daB diese Maschi- 
nen schwerlich betriigen konnen. Ein lebendiges Wesen hinge- 
gen kann das wirklich. Der Betrug ist der Universal- und Le- 
bensgeist eines guten Spiels und wers laugnete, must' es erst 
beweisen. Das Gliick, das die Karten ausspendet und mischt, ist 
stockblind und es muB sich daher wie mehrere Blinde mit seinem 
Ge/wfc/zuhelfen wissen. Ein Spieler soil nun eben seine zart fuh- 
lende Hande nehmen und sie dem Glucke vorstrecken, damit es 
die guten Karten ergnible und sie ihm hinlange: eben so verfuhr 
der groBe Michel Angelo, als er blind geworden, und studierte 

30 die alten Statuen, woran er nicht mehr mit den Augen lernen 
konnte, mit den tastenden Handen. Was wurde uberhaupt das 
Kartenbefiihlen, wenn man sich hier auf gute Metaphern einlas- 
sen konnte, anders sein, als ein nutzliches Fiihlen am Pulse des 
Gliicks, obs wolauf ist? In dieser Riicksicht sind verschiedene 
Finger Fangzdhne des Gewinsts. Wie? wenn man in einem klei- 
nen Taschenkalender einen angenehmen Sorites zu schicken 



184 JUGENDWERKE - 4. ABTEILUNG 

verhieBe, der es so gut als er konnte mit Wenigem darthate, daB 
ein wahrer Spieler gleich den Schnecken seine Augen vorn auf 
den Fiihlhdrnern seiner Finger sitzen habe? Die Folge davon ware, 
daB alle Menschen es erst recht einsahen, wie muthwillig man 
dem Spieler sein Handwerk erschwert, wenn man ihn zu weilen 
mit glassirten Handschuhen zu spielen zwingt: lieber Himmel! 
ists denn da dem Manne noch im Geringsten moglich, herauszu- 
bringen, was er dem andern fiir Blatter zutheile und ob er sich 
gute zuwerfe? Zwar durch einen gut angebrachten Taschenspie- 
gel kann er sich noch helfen; der ist ein Zauberspiegel, der nicht 
sowol den Dieb (welches er ia selbst ist) als den Diebstahl zeigt, 
das ist, die Wege dazu. So wie Perseus ganz geschickt den Streich 
auf die todliche Meduse fuhrte, indem er bios auf ihr Bild im 
Spiegel hinsah: so leget ein guter Spieler die feindlichen Karten 
mit leichterer Muhe zu Boden, wenn er auf ihr Bild im Spiegel 
zielen kann; wenigstens soil ers. 

Wenn das Spielen ohne Spionen, ohne Rekognosziren der feind- 
lichen Karten ware: so war es entweder kein Krieg oder es ver- 
dienteiiberhaupt gar nicht, daB sich ein gesunder Mann dariiber 
im Karlsbade hypochondrisch saBe. Der tap fere General uber- 
waltigt die Hiilfstruppen des Feindes; der bessere, der kluge las- 
set sie nicht einmal zu ihm stossen; und gewiB gehet ein Spieler, 
der dem Gegner gute Karten abschneidet, dem liberal vor, der 
sie bios besiegt und sie ihm erst nimmt, nachdem er sie ihm 
schon gegeben. Wir wiinschten aber, es ware hier der schick- 
lichste Platz, iiber den offenbaren Nutzen einer andern recht 
groben Kriegslist das Beste beizubringen, wir meinen die: man 
fallet mit einigem Nutzen den feindlichen Karten in den Rucken 
und schlaget ihnen kleine Wunden von hinten - die schimpflich- 
sten und leichtesten unter alien, weil eine Nadel sie machen 
kann, - solche Truppen mussen dann gleich gebrandmarkten 
Sklaven ihren Titel und Namen auf den Rucken tragen. 

Noch froher als iiber den Gewinst selbst ist mit Grunde fast 
ieder Spieler dariiber, daB doch dieser sogenannte Betrug ohne 
wahre Verletzung der Tugend ablauft; hochstens kann er fiir sie 
ein Stab Sanft aber kein Stab Wehe sein. Denn so- wie die Rechte 



TEUFELSPAPIERE - I . ZUSAMMENKUNFT 'V 1 85 

dem Soldaten die Unwissenheit der Gesetze zulassen: so kann man 
auch dem Spieler, der gleichfals kriegt, ohne ungemeine Par- 
theilichkeit nicht ansinnen, daB er die Gesetze besonders die mo- 
ralischen wisse und mithin etwan ihnen frohne; er hoft, daB die 
Dinge, die er betreibt, etwas viel wichtigers und wirklich vor- 
theilhafteres sind. - Zu diesem unentbehrlichen und frommen 
Betruge bleiben nun Maschinen ausgemachtermassen ewig un- 
geschickt; und unsere obige Bitte verdient wol hier erneuert zu 
werden, daB man uns, fuhrte man sie auch ein, dennoch beibe- 

10 halten mochte, damit allzeit hinter ieder Maschine, die bios or- 
dentlich spielte, ein ausgewachsenes lebendiges Wesen stande, 
das seiner Seits betroge. 

Vor dem Schlusse unserer Vorstellung riicken wir Damen und 
Spieler zugleich, dem H. v. Kempele die wichtige Frage ans 
Herz: ob er nicht seiner Ehre und seiner Tugend besser gerathen 
hatte, wenn er anstatt sich niederzusetzen und feurig Sprach- 
und Spielmaschinen auszubriiten, die auf einmal tausend seiner 
Briider ausser Nahrung setzen, recht nachgesonnen hatte und 
wirklich mit Denkmaschinen zum Vorschein gekommen ware: 

20 denn da nur sehr wenige Profession vom Denken machen, so 
hatt' er geringes oder kein Unheil anrichten konnen, da zumal 
die wenigen, die durch die Nebenbuhlerei der Denkmaschinen 
verhungert zu seyn geschienen hatten, sicher auch ohne diese 
Hungers gestorben waren. Vielleicht hatte dann - statt daB auf 
das orientalische Worterbuch des Meninsky niemand pra- 
numerirte als der Konig von Pohlen - fast ieder Fiirst sich eine 
Denkmaschine zum Gebrauche seines ganzen Landes kommen 
lassen, weil Ein Mann zwar (nach Sonnenfels) nur fur zehn 
Mann ackern, allein sicherlich fur mehr als zehntausend denken 

30 kann: ia einer aus Luthers Reformazionszeit konnte fur die ganze 
Nachkommenschaft denken. 

Prometheus der so gut wie H. von Kempele Menschen er- 
schuf , wurde dafur abgestraft: aber H. v. K. hat auch eine Leber. 



I 86 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

VI. 

Unvergeflliche Entlarvung des Teufels 

Der Teufel ist iiberhaupt nicht so schwarz als ihn die Maler und 
die Komodianten machen und Leute die ihn genauer kennen, 
machen Glieder an ihm namhaft, die blond sind. Er ist ein auf- 
richtiger und thatiger Feind, ein wahrer Vater seiner Kinder und 
liebreich gegen alle leblosen Geschopfe und spielt ehrlich genug; 
man kann von ihm beweisen, da£ er nicht nur ein Exiesuit ist, 
sondern auch ein Jesuit und in der ost- und westindischen Han- 
delskompagnie in Rom, in der propaganda schreiet er »Halb 10 
Part«. Um die ganze Welt mocht' er so zu sagen kein Maulchrist 
sein, sondern er will lieber in die Kirche springen, da aus lobens- 
werthen Grunden einen aufmerksamen Zuhorer abgeben, ich 
meine von der Musik, ein altes Lied aus dem Gedachtnis mitsin- 
gen, um dadurch einen Nachbar irre zu treiben der ein verbes- 
sertes flotet, und ein Kind im Unterleib z wick en, damit es in das 
Geschrei des Pfarrers schreie, und endlich sich fast gebessert 
wieder fortmachen: ich konnte etwas ahnliches von mir und an- 
dern Christen ohne PferdefuB betheuern, alien es leben Men- 
schen die dachten, mir war' es hauptsachlich um Spas zu thun. 20 
Sogar den Rock der Gerechtigkeit wollt* er einmal anversuchen, 
allein dieser safi ihm um drei Ellen zu kurz »und in einem Prie- 
sterrock y sagt' er, sahe man doch nicht aus wie ein Narr, so lang 
sei solcher.« Sonst diente der Teufel als bestandiger Brautfuhrer 
der christlichen Braut oder Kirche und die Pabste hatten ihn lieb: 
allein wenn er iezt als der schwarze Verschnittene iiber iene wacht, 
so ist das noch eben so viel Ehre. »Der Mann ist gut und hort 
doch nicht auf zu zahlen« sagte zu mir ein Genfer Kaufmann, 
und er wird wol den Teufel gemeint haben. - Allein was stent 
nun in der Gewalt angesehener Autoren, wenn unzahlige den 30 
Karakter des Teufels zweideutig machen und einen Eid thun 
wollen, er ziehe mit Pferdefiissen herum und mit Hornern und 
mit einem Schwanze, dessen Spitze wie eine Puderquaste auf- 
recht stehe und ans Hinterhaupt hinauflange, das sie mit poudre 
a canon vollpudere? Am besten ists, die Autoren scharren die 



TEUFELSPAPIERE • I. ZUSAMMENKUNFT ■' VI 1 87 

. Quelle dieser Verlaumdung zu: allein es kanns keiner als nur ich. 
Gestern Abends namlich zwischen n und 12 Uhr klopfte der 
Teufel, der bei Buchermachern sonst nur Visitenkarten (namlich 
Bucher) abgiebt, in Person an; ich hatte ihn langer nicht gesehen 
als in 7. Wochen. Ich wollte gerade von neuem zu einem 
schlauen Titel dieses Buches ansetzen; deswegen must' ich ihn 
ersuchen, daB er ein wenig passete und mich dieses gefahrliche 
Geschaft mit der zusammengesezten Anspannung aller Seelen- 
krafte, des Verstandes, der Vernunft, des Witzes, des Gefiihls 

10 und der Erinnerung vollfuhren Hesse, da ein Titel, sagt' ich, 
nicht so hurtig und so obenhin sich machen lasset, als etwan ein 
Buch. Indes gerieth er auf mein Hauspositiv; und meines mu- 
sikalischen Erachtens greift der Teufel einen feinen Choral, ob 
ers gleich in der Bosheit that, urn mich irre und meine Frau, die 
daneben schlief, vergmigt zu machen. Endlich kams zwischen 
uns zu einzelnen Worten und zulezt zum fortlaufenden Ge- 
sprach. Wir sprachen von hundert Dingen, von Pestilenz und 
theuern Zeiten und Kriegsnothen, und Kriegssteuern auch von 
meinem Buche, und ziemlich lang vom Herrn Leser selbst, den 

20 ich bei dieser Gelegenheit (es scheint meine bloBe Pflicht gewe- 
sen zu sein) in das allervortheilhafteste Licht schob und brachte; 
ich pries seine Talente- sein Herz und andere Eingeweide - alle 
Theile, woraus er nach der Methaphysik besteht - und seine gute 
Lage, angesehen wir Autoren uns fiir ihn fast todtgeschrieben; 

" ich sagte, er sei kein wahrer Filz, sondern kaufte aus dem Buch- 
laden Bucher, um sie nicht zu lesen, und lese aus der Leihbiblio- 
thek Bucher, um sie nicht zu kaufen - ich machte am Ende den 
Teufel in ihn vollig vernarrt. 

Und in der That wars so gut als hatt' ich 35 Ehren- oder Ge- 

30 dachtniBmunzen auf den Leser geschlagen, da ich sagte: »Er ist 
so pfiffig wie Sie, und Sie sollten seine entsetzliche Bibliothek 
sehen, von der der Kalif Omar ganze Ballen nehmen konnte und 
damit ein halbes Jahr nicht sowohl sein Herz erwarmte als Bad- 
stuben. Seine Weisheitszahne sind nicht kurz und sein philoso- 
phischer Bart ist so lang als mein Zopf . Ob er gleich nur ein kon- 
kretes und abstraktes Wesen sein muB, d. i. ein von tausend 



188 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

lesenden Menschen abgeschundener Begrif - und in dieser 
Riicksicht mein ichs, wenn ich den elendsten Wind gliicklicher 
preise, der doch sein Dasein und einen ordentlichen Raum und 
mehr schlafende Monaden hat als ein Kloster wachende - so sizt 
er dennoch seit der Erschaffung der Welt in einem harten Sessel 
und lieset alles was herauskommt, von Noah bis zu mir selbst, 
es mag dran sein was es will und wie Machliabechi, auch das 
iammerlichste Buch und fragt nichts nach Format und Druck. 
In dieser unverriickten sitzenden Verfassung must' er sich ganz 
naturlich mit so viel Kenntnissen vollschlingen und ansaugen, 
daB ehrliebende Autoren es fur die groBte Schande hielten, fur 
iemand anders als fur ihnihre unentbehrlichen Biicher zu ediren, 
und keiner von uns mag fur kleine Kaufleute, Pastetenbacker 
und Haarkrausler nur eine Feder eintunken. Und in der That 
war' es moglich und sein Verstand oder sein Geschmack oder 
seine Gelehrsamkeit nur im mindesten schlechter, als sie sind: so 
mocht' ich wissen, wie er dann einen Klopstock, oder Sterne, 
oder Kant vollig fassen konnte. Wie gesagt es ist iammerschade, 
daB er nicht lebt.« Auch auf den Rezensenten prest' ich wider 
meine Ueberzeugung ein diinnes Lob hervor, weil ich merkte, 
daB ihn der Teufel schazte: ia ich bat diesen, ihn zu holen. 

Auf einmal that er nach dem Athem den hastigen Zug, womit 
man gewohnlich zum frischen Sprechen ausholt, wie man etwan 
die Blasebalge der Orgel wehen hort eh' sie selber tonet. Er lies 
aber den eingefangnen Athem ohne Reden und Nutzen wieder 
aus; »Sie wollten was sag en? « sagt' ich, »Ihren weiten Stiefel- 
knecht wolt' ich bios haben«, versezte er. Ich langt' ihn hin und 
er zog auf ihm - denn mich hatte er alzeit in der Drapperie und 
der poetischen Einkleidung des Schwanzes, Pferdefusses etc. 
besucht, - zu meinem unaussprechlichen Erstaunen seine Pfer- 
defiisse wie alte Stiefel aus. »Das sind bios, sagte er im Herunter- 
treten vom Stiefelknecht, meine uralten Halb stiefel und sie ge- 
horten dem Pferd des Alexanders an. Ich war der erste der auf 
Pferdefiissen gieng und nur auf zweien: aber Menschen von 
Stande regen sich auf weit mehrerern, und wer 32 Ahnen hat, 
der kann seine Bewegung um die Axe und urn die Erde ohne 32 



TEUFELSPAPIERE * I. ZUSAMMENKUNFT • VI 1 89 

Pferdefiisse gar nicht verrichten, daher kommts, daB vornehme 
Personen immer gehen konnen, sob aid man ihnen die Beine ab- 
schiesset oder ihren Pferden. Die Halbstiefel sind als Brautigams- 
schuhe nicht mit Geld zu bezahlen, die ich auf meiner Hochzeit 
mit einer vornehmen Yahoos zum erstenmale angehabt.« An 
seinen Beinen glanzte nun ein glatter melirter Strumpf , der aus 
der wedelnden Wade und tibrigen Hiilse der Beine eines Graf en 
gegerbet worden, den ich, (sagte der Teufel,) doch nicht kennen 
wiirde, wenn er mir ihn auch nennte. Strumpf und Wade repra- 

10 sentiren einander wechselseitig. Auf seinen Schuhen (das Leder 
war vom Fusse eines Baarfilsser Monchs, damits hielte) flatterten 
Ordensbander als Schnallen. »Sie hatten sich auf keinen schonern 
Fuji setzen konnen, Herr Teufel« dieses iammerliche Wortspiel 
heckte wie leicht zu vermuthen, ich. 

Hierauf schoB er seinen Kopf einigemale vorwarts: sofort 
sprangen seine zwei Horner in die Stube, die ich auflas und als 
ein Paar gute Pulverhorner befand. Als der wilde Jager kont' er 
sie keine Nacht entrathen. Ich merkte iezt, daB er sich von oben 
in eine saubere Frisur endigte, wie fast ein iagender Mensch; al- 

20 lein, deswegen bleibt doch immer zwischen einem Jagermeister 
nebst seinen Leuten und zwischen dem wilden Jager nebst dem 
wuthenden Heer der gute Unterschied, daB bios iener den Bau- 
ern dieErnte zerriittet, aber nicht dieser, und der Teufel und der 
Oberiager sind hierin gar nicht zu vermengen. 

»Mein Schwanz lasset sich dehnen und spannen sie ihn.« Als 
ich anzog, dreht' ich ihn gar heraus und hielt ihn ausgerauft in 
Handen, wie ein Kind den des entwischten Vogels. Wir trugen 
ihn darauf wagerecht miteinander ans Licht und besahen ihn aus 
Zerstreuung. Er wollte mir weismachen, er hatte ihn einem 

30 Hanswurst, der auf dem lezten Jahrmarckt den Teufel damit agi- 
ren wollte, a posteriori abgef angen , und der Hanswurst hatte ihn 
von einem RoBhandler und der hatte ihn von einem deutschen 
Pferde gehabt, das nun ohne Naturalisazionsackte zu einem 
Englander geworden: allein ich sagt* es ihm, er sollte nicht laug- 
nen was die christliche Kirche schon wisse, daB er langer einen 
fuhre. »Ich bin der Vater der Liigen aber bios aus Humor, sagte 



190 JUGENDWERKE ' 4. ABTE1LUNG 

er; die Rabbinen wissen, daB Gott den Adam mit einem 
Schwanze besezt hat, den er ihm, weil er ihm nicht gefiel, soil 
abgenommen und zu einer Frau verbraucht haben: es ist aber 
nicht wahr, sondern der Schwanz blieb wie er war und sezte sich 
so an mich; inzwischen ist kein Mensch zu anglisiren, sondern ie- 
der tragt so gut wie der Teufel seinen Pferdeschweif, aber nur in- 
nen.« Der Teufel dachte, ich wiirde wenig Anatomie verstehen 
und dieses figurlich nehmen: allein, ich wuste sie recht gut und 
sagte ihm den Augenblick, daB er ia ganz mit uns Anatomikern 
rede, wenn er die Endigung des Ruckenmarks den Pferde- 
schweif benahmse. 

Nun fing der bose Feind auch an, almahlig seine Haut aufzu- 
knopfen, und ich gefror fast vor Verwunderung. 

Die Knopfe waren alle unter ihr eingeneht, und liefen von bei- 
den Achseln bis zu den beiden Kniescheiben. Die schwarze Haut 
ritt und kugelte von ihm herunter und er schritt mit den Worten 
aus ihr: »Dieser ungeistliche Ornat ist gut genug und thut einem 
so warm als hatte man den alien Adam an, der indessen bestialisch 
aussieht: allein ich mag den Ornat nicht mehr, so lang noch 
Leuteherumlaufen, dieihnzerschneiden konnen, urn etwas bes- 
sers daraus zu gerben, nach welchem die besten Stande taglich 
fragen lassen und das einem Mann von Ehre so unentbehrlich ist 
als eine Lowenhaut oder als seine eigene« - »Und was war' das 
urns Himmels Willen?« fragt' ich. 

»Konservazionshautgen!!!« versezte der Satan. 

Sein himmelblaues Gillet wiirde der halben schonen Welt 
nicht gleichgiiltig gewesen sein, denn er hatte statt der modi- 
schen Thierstiicke die Silhouetten der halben schonen Welt dar- 
auf gesaet und unter dem Unterfutter saB noch meine eigne. Sein 
Herz dekte kein Ordensstern, sondern eine Ordenssonne (das Sym- 
bol der Jesuiten) die, wie er sagte zwar im Wintersolstizio, aber 
darum der Erde nur desto naher ob wol in schiefern Stande gegen 
sie sei. Die Menschen vom Korkabsatz der Jungfer Europa an 
bis zu ihrer Haube werden in Exklamationen die Hande uber den 
Kopf zusammenschlagen, wenn ich ihnen berichte, daB der 
Teufel wirklich alle siebenPriesterweihen hat, und Jesuit im 4ten 



TEUFELSPAPIERE • I. 2USAMMENKUNFT 'VI 1 91 

Grade ist und sich zu Missionen verschicken lasset und dennoch 
der unbekannte Obere von alien ist: das bleibt mir und unzahligen 
Lesern unvergeBlich, und ich schrieb daher liber diese Erzalung 
den Titel »unvergeBliche Entlarvung.« Man muste nicht zum 
Fenster hinaus oder in eines (an einer Kutsche) hineinsehen kon- 
nen, wenn man nicht gesehen hatte, was fur ein guter Missio- 
narius der Teufel ist: in ieder Chaise fahren Protestanten von 
Stande mit den grosten Tonsuren, die augenscheinlich nichts 
anders sind als Priester der Venus (sezt die Chiffre ganz naturlich 

10 hinzu und meint den Abendstern, der nach der untergegangnen 
Ordenssonne schimmert und mit Absicht den Namen Luzifer 
fuhrt); und die wenigen, die diese Tonsuren einer gewissen 
Krankheit beimessen, zeigen wahren Verstand: denn ohne diese 
Krankheit hatte eben der Teufel bei seiner Mission keine Scheere 
in der Hand gehabt, urn so wol die Tonsur zu scheeren als das 
Gelubde der Enthaltsamkeit zu erleichtern. 

Uebrigens handel' ich ehrlich, wenn ich versichere, daB der 
Teufel nach dieser Entpuppung im ganzen aussah, wie ein or- 
dentlicher leibhafter Mensch, man muste denn sagen, daB er im 

20 Profil ein wenig minder einem Menschen und mehr einem west- 
indischen Sklavenhandler geglichen: allein es ist die Frage noch. 
Aufrichtig zu reden, so hatt' ich ihn in seiner gehornten Larve 
viel lieber. Denn ich wollt' ihm lange ins unstete Gesicht 
schauen: aber er lieB auf ihm das an menschliche Tugend un- 
glaubige Lacheln eines Hoflings so schrecklich herumfliessen, 
daB das Grausen und meine Haare immer hoher stiegen und ich 
ihm geradezu sagen muste, ich wurde ohne Bedenken augen- 
blicklich drei Kreuze schlagen, wenn er nicht sogleich ver- 
schwande. 

30 Indessen haftet dieses fatale Lacheln noch immer in meinem 
Kopfe und es grauset mir seitdem vor manchem lachelnden 
Mann von Welt zu sehr, und das eben aus dem lacherlichen 
Grunde, weil mir niemand dafiir burgen kann, daB ein solcher 
Weltmann nicht etwan wieder der Teufel sei, von dem ich nun 
weiB, daB er vollig wie ein Mensch aussieht. Daher sollen mirs 
belesene Hofleute nicht verargen, daB ich nicht mit meiner 



192 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

Sanfte zu ihnen komme: denn ich bezeug' es vor iedem der 
mich gekauft, ich thue es wahrhaftig nicht etwan, weil ich 
manches Lacheln fur das Hangen der Tugend in effigie, oder fur 
das Zugwerk und die Zierbuchstaben des Hasses ansehe, noch aus 
Bosheit oder gar aus Mistrauen, (welches ohnehin in keiner Be- 
trachtung statt hatte) sondern nur aus der unschuldigen Besorg- 
niB , es konne einer oder der andere von ihnen der lebendige Teuf el 
selber sein. Etwas ganz anders war' es, gesteh' ich selbst, wenn 
man ein gutes Merkzeichen, urn zwei so verschiedene Wesen 
nicht zu verwechseln, wirklich hatte und ich dennoch, mich nicht 
daran halten wollte, sondern wie ein Narr zu Hause sitzen bliebe. 

Fiir Despoten, Madgenverfuhrer, Sklavenhandler und ge- 
wisse Werber und iiberhaupt fiir alle, die aus ihrer Aussenseite 
gern das Feigenblatt und die spanische Wandihres Innern machen, 
und ihre innern Aehnlichkeiten mit dem Satan gern durch aus- 
sere Unahnlichkeiten verlarven wollen, ergiebt sich aus meiner 
Erzahlung ganz klar, daB das am wenigsten angehe,so lange sie 
die menschliche Bildung beibehalten, in der ia eben der Teufel 
selbst herumrennt, und daB sie sich in gewisser Betrachtung weit 
mehr von ihm unterscheiden wiirden, wenn sie sich mit Pferde- 
schwanzen befranzten und in Pferdefussen giengen und mit un- 
zahligen Hornern. Aber zu schnakisch war' es und ich lache 
selbst, wenn ich sie mir nur denke. 

SchluBlich wird durch Briefe und auch Visitten in vielen Hau- 
sern ausgebreitet, ich hatte, man nab' es von guter Hand, diese 
ganze Erzahlung vom Teufel, die ich ein paarmal mundlich 
mittheilte, meistens selbst erdacht und es ware zu wiinschen, ich ■ 
und die Erzalung wiirden deswegen von einem fliegenden Blatt 
lacherlich genug gemacht. Allein ich ersuche die ganze Welt zu 
mir zu kommen; es sollen ihr vielleicht zwei Pferdefusse und 
Pulverhorner wirklich vorgewiesen werden und sie soil daraus 
selbst abnehmen, was der Teufel bei mir gethan. Seine Haut 
kann ich nicht aufbreiten, da ich sie schon zu einem langen Peit- 
schenriemen verschnitten und an den Peitschenstiel geflochten, 
den ich natiirlicherweise aus nichts gemacht als aus dem 
Schwanze selbst- und das ist ia eben die satirische Peitsche, wo- 



TEUFELSPAPIERE ■ I. ZUSAMMENKUNFT ' VII 193 

mit der durch tausend Federn und meine eigne belustigte Leser 
mich vor wenigen Minuten einen alten hagern Rezensenten so 
munter streichen sehen. 



VII. 

Der in einem nahen schwahischen Reichsstadtgen wegen einer Haar- 
verhexung auf den Scheiterhaufen gesezte Friseur 

Ich wollte, eh' ichs erzalte, etwas Brauchbares und Durchge- 
dachtes voranlaufen lassen: allein, zu meiner Schande entfiel mir 
unter den Handen fast alles und ich brauche mich gar nicht dar- 

10 iiber zu wundern. Denn ich muB es durch allerlei ansehnliche 
Siinden, es mogen nun vergangene oder gegenwartige oder zu- 
kiinftige sein, mir zugezogen haben, daB ich Tag und Nacht von 
einer solchen Rotte von Arbeiten umlagert und umsponnen 
werde, daB ich mich oft gar nicht kenne und haufig ganze Bogen 
an meinem Buche fertig mache, eh' ich mich wieder besinne. Ich 
kann eben mich nicht ruhmen, daB ich iene wolthatigc Trag- 
heitskraft oder vis inertiae, womit die schlechtesten Wesen und 
was nur ein Stiickgen Existenz hat ausgepolstert sind, die aber 
bei den wenigsten Wesen, etwan bei Rentirern und GroBen, zu 

20 ihrer bestimmten Entfaltung gelangt, in einem gemeinen Son- 
neniahre von 365 Jahren iiber neunmal anwenden konnte, und 
diesc ganze Anlage bleibt vollig unangegriffen in mir sitzen. Ich 
hake mich namlich in einem Kopfe auf , den niemand etwas bes- 
sers nennen sollte, als ein holes Arbeitshaus oder eine Anticham- 
bre, worein die ganze Welt in Stro men zieht, u'msich mirzupra- 
sentiren - ich soil sie ansehen und fixiren, und kennen lernen. 
Kaum hab' ich die Augen aufgemacht (ich liege noch im Bette): 
so muB ich mich gefaBt machen, daB tausend typische und abge- 
bildete Wesen - Nachdriicke und Naturspiele und redende Wap- 

30 pen der wirklichen Dinge - munter auf dem Nervensaft herauf- 
segeln werden und ich kanns keinem wehren. Es ist mein 
Nutzen nicht, daB iedes solches Wesen seine Spil- und 
Schwerdtmagen, seinen weitlauftigen Anverwandten, seinen 



194 JUGENDWERKE ' 4. ABTEILUNG 

Namensvetter und seine blossen Wand- und Thurnachbarn hat 
- denn diese halt das Wesen alle an der Hand und bringt sie 
gleichgultig auch mit in den Kopf herein, so daB in wenigen Mi- 
nuten der Kopf mit Wesen, die alle einander verwandt sind, der- 
maBen vollgepflanzt und geladen wird, daB ich nicht f roh genug 
sein kann, keinen Raum einnehmen zu konnen. Die starksten 
Philosophen konnen mir dabei nichts helfen als daB sie diesen 
Ideen- Nepotismus eine Ideenassoziazion benennen, und ohne 
Noth meine Arbeiten nur noch mehr verdoppeln aber nicht 
meine vielen Kenntnisse. Wenn inzwischen der Leser mit der 
Kalte, womit er diesen Aufsatz zu lesen angefangen, zu lesen 
fortfahrt: so bring' ich ihms gar nicht bei, was das heiBe, das 
ganze Universum besucht eine arme Seele und der Makrokos- 
mus will sich durchaus auf den Mikrokosmus hinaufsetzen; der 
Leser sollte vielmehr in den seltensten Enthusiasmus von der 
Welt gerathen und sichs ein wenig vorzustellen wissen, wie viel 
abstrakteund fleischfarbene Wesen taglich in meinem Kopf ein- 
fliegen - als da sind nur z. B. Titel aus den Pandekten und Ad- 
dreskalendern - dicta probanda und Epiphanius mit einer Kup- 
pel von 80 bellenden Ketzern - alle Zasarianer und 
Kurf (irstenerianer und Fiirstenerianer - groBe Lexika mit Billio- 
nen Wortern aus eben sovielen Sprachen - Visittenblatter die die 
Kardinaltugenden abgeben - Kardinallaster in Person - Nuntiia 
und de latere - ia Pabste selbst - Spitzbuben z. B. Nickellist - 
Scholasticker bei denen der Verstand und die Narrheit noch viel 
groBer ist, als bei mir - Einfalle iiber die man lachen sollte - der 
Leser selbst und mein eigen Ich- mein zweites Ich, meine Frau, 
die noch dazu auch ausser meinem Kopfe neben mir existirt - 
einige Rechtswolthaten- Hintere, die nicht einmal an einer me- 
dizaischen Venus sitzen - ganze lange Kollegien in corpore - ia 
sogar puncta salientia die noch nicht einmal das liebe Leben recht 
haben, und Tode die es schon wieder verloren — Wahrhaftig 
der Henker oder sein Knecht mochte da Seele sein und ein aus- 
serordentlicher Gelehrter sollte weiter laufen, als ihn seine kalten 
Beine tragen. 

Zum wenigsten sollte man bei solchen Umstanden viel lieber 



TEUFELSPAPIERE ' I. ZUSAMMENKUNFT *. VII 195 

P. Provinzial werden oder auch ein Pralat, damit in den be- 
schornen Kopf nur solche Bilder (und keines mehr) einzogen, 
deren Originale nachher zugleich nachkamen und sich im Ma- 
gen festsezten. 

Von dem Friseur, dem ich, wie gesagt, nichts Brauchbares 
vorausschicken konnte, hab' ich aus dem Schreiben meines Kor- 
respondenten dieses ohne falschen Zusatz zu berichten. 

Dieser gegenwartig gepiilverte Friseur betrug sich von aussen 
so, daB es der Teufel selbst nicht errathen hatte, daB er einen Pakt 

io mit ihm gemacht. Er suchte bios, den fur den Staat nicht un- 
wichtigen Posten eines Friseurs vormittags sich so zinsbar zu 
machen, daB ers nachmittags verbergen konnte, daB er einer 
ware. Sogar das langere Bleiben in der Kirche, das Zanger und 
Heil nicht unter die schlechtesten Anzeichen der Hexerei stellen, 
konnte man nicht auf ihn bringen, denn er kam, da er unter der 
Vormittagspredigt iiber das Evangelium andere zu krauseln 
hatte und unter der Nachmittagspredigt iiber die Epistel sich 
selbst, gar niemals hinein. Krusiusund Bodinus suchen es gliickli- 
cher als andere festzusetzen, daB Gestank leider des Dasein einer 

20 Magie nur allzuwol bescheinige: allein mein Korrespondent 
schreibt, der gebratene Friseur habe liberal (ausser auf dem 
Scheiterhaufen) ganz anmuthig gerochen und nicht schlechter 
als jeder fromme und denkende Christ. Es ist wahr, aus den Kri- 
minalakten des ganzen Prozesses (das gesteht auch sein Defensor 
frei und oft) scheint zu erhellen, daB der HaarkrauBler viel zu 
mager und hager und leicht fur ein gesundes Glied der Kirche 
gewesen, und mehr Pomade und Fett aussen als innen an seinem 
Leibe besessen; daraus scheint freilich (da die menschlichen We- 
sen insgesammt mit dem Vermogen zum SchlieBen bewafnet 

30 worden) fur jedes dieser sinnenden Wesen der leichte SchluB zu 
flieBen, daB der Friseur auf der Stadtwage zu Oudewater (in 
Holland), worauf man (nach Becker) sonst einen zweideutigen 
Christen sezte und dessen Frommigkeit abwog, alle Leichtigkeit 
eines wahren Hexenmeisters, wider seinen Willen wiirde geaus- 
sert haben: allein, dann blieb doch der groBe Punkt noch immer 
unentschieden, ob ihm diese Magerheit als Hexenmeister oder 



196 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

als Friseur beiwohne; denn nicht bios der Satan mergelt einen 
menschlichen Korper erschrecklich aus, sondern auch ver- 
schlukter Puder. 

Hatte man daher auf keine festern Griinde fussen konnen: so 
glaub' ich in Ewigkeit nicht, daB bios aus diesen Griinden das 
schwabischeReichsstadtgendenbesagten KrauBler, ob er gleich 
noch diinner war wie eine Schindel, hatte nehmen und zu seinem 
grosten Schaden in das Feuer setzen konnen, das man noch im- 
mer mehr urn ihn anschiirte; daher er darinn auch Todes verfuhr. 
Allein in der That diese starkern Griinde fehlten gar nicht. Das 
ganze menschliche Geschlecht bescheidete sich schon langst so- 
viel, daB fatale Hexen in den Kopf eines sonst guten Menschen 
oder vielmehr unter dessen Haut soviel und mehr Haare hinein- 
zaubern konnten, als aussen naturliche auf ihr stehen; und man 
lieB auch die Fabrikantinnen solcher hollischen Haare niemals 
ungestraft. Die Aerzte wollten die Welt zwar atheistisch machen 
und sezten ihr in den Kopf, die Sache ware natiirlich, denn unter 
eines ieden Menschen seiner Haut wiichsen die Haare weit und 
breit herum, so bald sie sich nicht durch die Fett-Zellen iiber die 
Haut hinausdrucken konnten und dieB machte Beulen. Allein 
ich wiinschte, ein gesezter und erbaulicher Mann versezte ihnen 
zur Antwort hierauf, daB solche verdachtige Reden niemals 
mehr erwiesen als hochstens den natiirlich en Saz, daB die inwen- 
digen Haarsammlungen auch durch Fett-Zellen konnten gebil- 
det werden. Denn das ist wahr, schliesset aber den Teufel von 
der ganzen Sache nicht aus, sondern beweiset vielmehr, daB die 
namliche Wirkung zuweilen von einer iibernaturlichen, zuwei- 
len von einer ganz natiirlichen Ursache abstamme. Daher kann 
man den Fall des natiirlichen und den Fall des iibernaturlichen 
Haares so wenig mit zu vieler Vorsicht unterscheiden, daB die 
altern Zeiten das groBte Lob verdienen, welche den Fall des 
iibernaturlichen Haares hochst ungern und in der That nur dann 
annahmen, wenn ihnen das eigene Gestandnis der Inkulpaten, 
das Urtheil aller Fakultisten und ihres eignen Verstandes keinen 
andern zu denken lib rig lies: ohne das alles brachte man kein 
Loth Menschenfleisch ans Feuer. 



TEUFELSPAPIERE • I. ZUSAMMENKUNFT • VII 197 

Der Friseur wuste nun so gut als ein Gelehrter, wie kenntlich 
diese alte Hexerei sei: er sann folglich eine neue Wendung dersel- 
ben aus, zum Ungliick war ihm der Teufel nicht dabei zu wider. 
Beide zauberten also die Haare nicht unter die Haut hinein wie 
sonst, sondern aussen unter die natiirlichen, damit ganze Visit- 
tenzimmer beide mit einander verwirten. Die abscheulichsten 
Haare, von Leuten am Galgen von Toden, von Satan selbst - 
einige sagen zwar, es waren nur RoBhaare: allein es ist wol nichts 
leichter als oft die Haare des Teufels, der selber einen PferdefuB 

io und Schwanz hat, mit wirklichen Pferdehaaren zu verwechseln 
- wuste dieser verdammte HaarkrauBler durch teuflische Kiin- 
ste, die man bekannt machen sollte, auf die schonsten und kahl- 
sten Damenkopfe unter der Hand zu spielen. Wochentlich 
kammten zwar bekehrte Damen diese gefahrlichen Einschal- 
dungen, auf deren Druck sich Kopfschmerzen und rothe Augen 
einfanden, vollig heraus: es half aber nichts; gegen Morgen um 
io Uhr machte der magische Friseur die Thure (indem er gleich 
drauf anklopfte) wieder auf, schmiB seinen weissen Hut hin, be- 
machtigte sich der Einschaldungen ohne Ansehen der Person 

20 und lud sie alle wieder auf den entzauberten Kopf , daB hernach 
die Haare grosser wurden als der gemarterte Kopf: er bekum- 
merte sich nachher gar nichts darum, wenn schlechte Menschen 
diese Hargeschwulste den Damen selbst aufburdeten und sicher 
aus Satire fragten, ob ihr Kopf etwas schlimmers ware als ein 
schoner Nebenplanet des runden Haargebaudes oder als eine le- 
serliche Randglosse der Frisur oder als deren Vorgrund und 
Ueberfracht und als eine schon gewundene Titelvignette der 
ganzen liebenswurdigen Edizion in langfolio. Seit diesem Vor- 
fall werf ' ich haufigere Blicke auf die weiblichen Kopfe: aber ich 

30 finde wahrhaftig diesen teuflischen HaariiberschuB fast allge- 
mein und es ist ein auffallender und^trauriger Beweis, wie gern 
die Stadtvogte falsche Mausse machen, daB noch keiner auf den 
Damenkopfen Haussuchung that und ernstlich nachsah, ob die 
Haare ordentlich darauf gewachsen oder ob sie durch recht teuf- 
lische Kiinste dahin verpflanzet worden. Aber leider lassen sich 
die Stadtvogte von solchen Leuten selbst frisiren und machen 



190 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

sich nichts daraus, wenn ihrem eignen Kopfe em langer 
Pseudo-Zop£ sichtbar angezaubert wird. 

Auf dem ganzen Gerichtswege zum Scheiterhaufen that der 
Friseur nichts als sich (da er Zeit zur Bulk hatte und noch ganz 
roh und ungebraten war) immer mehr bekehren und es recht 
aufrichtig (hoff ich) bereuen, daS er, da er nun doch einmal zu- 
sammengebrennt wiirde, bei seiner weitlauftigen Kundschaft 
ungluklicherweise nicht ofter die Ehe gebrochen: »'s war wahr- 
haftig bios meine eigene Schuld und keine andere« , murmelte er 
noch zu sich, als man ihn an den Pfahl giirtete und schniirte. In 
dieser Rucksicht war' er noch mehr zu beiammern, wenn er gar 
in dem Himmel mit seiner Reue iezt ware: es ist aber zu hoffen, 
daB er anders wohin flog. 



VIII. 

Brief uber die Unentbehrlichkeit unzahliger Taufzeugen 

Ein Edelmann in meiner Nachbarschaft horte, ich ware zur Zeit 
einer der besten Skribenten in Deutschland. Da er den Umgang 
mit Biichern, Buchbindern iiberlasset: so dachte er, ich ware ein 
sogenannter Schreiber. Er beehrte mich daher mit folgendem 
Briefe, an dem nicht sowol das Sigellack als das Petschaft wirk- 
lich adelich war! 

P. P. 

Wie ich hore, so sind Sie ohne einen Prinzipal und Sie werden 
auch sobald schwerlich unterkommen, denn es ist iezt alles mit 
Skribenten graulich iibersezt und es mag sie niemand umsonst. 
Weil ich aber vor einiger Zeit, wie etwann bekannt, in den Stand 
der Ehe zum zweitenmal geschritten: So kont' ich wol einen 
hubschen Skribenten brauchen, damit er mir die unzahligen no- 
thigen Gevatterbriefe an die Pathen meines kunftigen Kindes, 
deren ich vielleicht auf drei hundert und funf und sechzig ausser 
einem alten Schaltgevatter zusammenbitten muB, ausserordent- 
lich nett und sauber abschreibt, damit sie alle fertig da liegen eh' 



TEUFELSPAPIERE - I. ZUSAMMENKUNFT ■ VIII 199 

das Kind nur kommt. Und wenn wir sonst ubereinkommen, so 
konnen Sie fast lebenslang bei mir Ihr gutes Brod essen und Jahr- 
aus Jahrein abschreiben, indem Sie bios, wenn Sie mit den Ge- 
vatterbriefen des gebornen Kindes auch fertig waren, sich iiber 
neue Gevatterbriefe fur das Kind hermachten, das gar noch nicht 
da ware und auf dessen Zeugung ich erst nach Gelegenheit 
dachte: denn ich kann keinen Faullenzer in meinem ganzen 
Hause ausstehen und bin ohne Ruhm ein guter Haushalter, aber 
nur allemal zu giitig. Und glauben Sie ia nicht, daB ich mich im 

io geringsten an meine Herren Nachbarn kehren werde, die weil 
sie selbst etwa nur 50, 60, hochstens 100 Gevattern bitten, und 
deswegen eines Skribenten selten iiber ein Vierteliahr bediirftig 
sind, mirs gewaltig veriibeln wollen, daB ich gar 365 (als so viel 
Tage im Jahr sind) nehmen und darum einem bestandigen 
Schreiber (oder auf franzosisch Secretaire perpetuel de Tacade- 
mie) zu fressen geben will. Niemand kann einem vorschreiben, 
so und soviel Gevattern must du durchaus bitten, oder so und 
so oft must du zum heiligen Abendmale gehen. Ich halte aber 
dafiir in unsern unchristlichen'Zeiten (es will mich ieder betrii- 

20 gen und kein Mensch zahlt seine Intressen richtig) kann man gar 
nicht zu viele Gevattern zusammenscharren. Der Pfarrer sagt, 
ein Taufzeuge war sonst ein Zeuge, daB einer ein Christ oder so 
et was geworden; und das ist ia ieder verniinftige und wohlgezo- 
gene Taufzeuge noch bis auf diesen Tag. Nun bitt' ich aber ie- 
den, ob es wol in unsern schlimmen Zeiten (wie denn zur Kirch- 
weih ein eigner Verwandter von mir sagte, er habe eben so viel 
Geld gegeben, um nicht getauft zu werden als andere fur die 
Taufe auszahlten, und redete spashaft von einer Taufe zur See 
unter einer Linie, welches ich in meinem Leben nicht gehort) die 

30 Welt glauben wiirde, daB ein iunger Edelmann gleich nach seiner 
Geburt ein gewohnlicher Christ geworden, wenn sie nicht 
Taufzeugen und Wunder sahe. Ein Mandel oder auch ein halb 
hundert wollens warlich nicht ausmachen. Wenn man einem 
Kardinal beweisen will, daB er leider gehuret: so muB man, wie 
mir mein Gerichtshalter aus dem apokryphischen Recht erzah- 
let, an die 72 Zeugen stellen konnen, sonst glaubts kein Teufel: 



200 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

allein zwischen der Hurerei und dem Christenthum ist gar ein 
groBer Unterschied und dieses lasset sich noch viel schwerer ei- 
nem Manne beimessen als iene. Hat einer nur einen Taufzeugen 
und der stirbt ihm so ist er erbarmlich daran und hat keinen rech- 
ten Beweis mehr, daB er ein wirklicher Christ ist. Wer aber mit 
365 Taufzeugen umpallisatirt hat, der ist seiner Religion allemal 
gewis, und bis alle 365 Beweise seines Christenthums gestorben 
sind, so lang lebt er selbst gar nicht. Daher haben auf meine Ehre 
auch Juden und Hurenkinder mehr Pathen von ieher als andere 
Leute bekommen, weil ihnen niemand das Christenthum zu- 
trauen will. Und von den Glocken glaubts nun gar kein Mensch; 
deswegen bat man in den alten Zeiten, wenn man sie taufte, wol 
30oPersonenzu Gevattern, die alle ein daran gebundnes Seil an- 
fasten, damits so gut ware als hielten sie alle das Kind oder die 
Glocke auf den Armen hin: und doch will es einem Manne bei 
alien diesen untadelhaften und vielen Zeugen schwer eingehen, 
recht zu glauben, daB eine blosse leblose dumme Glocke ordent- 
lich zur christlichen Religion iibergetreten. Ein wahrer Edel- 
mann wird aber allzeit kliiger und ansehnlicher bleiben als Ju- 
den, Hurenkinder und Glocken zusammengenommen. Wenn in 
Arabien ein adeliches Pferd fohlt: so sitzen Leute genug dabei, 
die bezeugen konnen, daB das Fohlen von guter Geburt ist, und 
ein schriftliches Zertificat davon binden sie ihm in einer Kapsel 
auf zeitlebens unter den Hals: aber bei der Wiedergeburt eines 
Menschen, der vielmehr ist als iedes Pferd, sollen nur ein Paar 
Zeugen stehen und das ist recht erbarmlich; daran ist gar nicht 
zu denken, daB er gar mit einer Kapsel an den Hals versehen 
wiirde, auf die er es ankommen lassen kdnte, wenn ihm einer 
sein Christenthum streitig machte: denn die meisten Pfarrer sind 
und bleiben so blind, daB sie dasselbe aus alien unsern Worten, 
Werken und Gedanken nicht merken konnen. Mein Hofmeister 
muste mir die Griinde sagen, warum ich so viele Gevattern bitte, 
und ich habe sie hier geschrieben, weil Sie meinen Brief alien 
Leu ten zeigen sollen, da mancher nicht weis warum ichs thue: 
erwarte baldige Antwort etc. 

So weit der ehelustige Edelmann. So wenig aber ein verniinf- 



TEUFELSPAPIERE - I. ZUSAMMENKUNFT • EX 201 

tiger Mann diese gute Gewohnheit meiner adelichen Landesleute 
(es ist aber auch in Franken fast eben so) , oft 90 Gevattern zu bit- 
ten, im Ernste tadeln wird: so wenig heisset er es dennoch gut, 
daB das Kind vielleicht nicht halb so viel Namen als Pathen be- 
kommt. Wiirde dasselbe denn nicht offenbar sobald es zu 
90 Namen gelangte, wie etwan das Schwerd bei Arabern 300 
hat, einen eigenen romischen N omenklatorbr auchen konnen, der 
es nicht sowol fremde als seine eigene Namen kennen lehrte? 
Gabe nicht dann, fals es in Meusels gelehrtes Deutschland kame, 
sein einziger Namen ein ganzes gutes Namenregister ab? Kont' es 
nicht, wenn die Taufzeugen nach den Namen des Kalenders ge- 
wahlt waren, sein Leben (denn was soil das Leben eines Edel- 
manns, der seinen H - auf einem Rittersitz hat, seiner Bestim- 
mung nach anders sein) zu einer ununterbrochenen Feier seiner 
Namenstage machen? freilich wenn bei so vielen Namen ein 
Edelmann einmal vergasse, wie er hieBe: so konnte man doch 
von ihm nimmermehr sagen, er ware narrisch oder besoffen. 



IX. 

Ob nicht die Wissenschaften sowol als das peinliche Recht den besten 
Gebrauch von den Aerzten machen konnten 

Wenigstens dreimal hundert tausend Epigrammen und Satiren 
gegen die Aerzte laufen auf die Pointe aus: sie morden. Die Sati- 
riker von Adam an bis auf mich wissen die Aerzte nur mit dieser 
einzigen Waffe anzufallen, und diese wird seit so langer Zeit von 
Hand zu Hand gereicht. So hatten auch die Graen, die Schwe- 
stern der Gorgonen, insgesamt nur Einen Familienzahn, der von 
einer Zahnlade in die andere zog und in dem Munde einer ieden 
bifi. 

Indessen, sagt Haberman, seine Sache war' es nicht, diese 
Pointe zu verfechten, sondern lieber die Metaphysik, welche zu 
erweisen wagt, kein Arzt, ia kein collegium medicum sei im 
Stande etwas am elendesten Menschen todzumachen, weder 
seine Seele, (wozu Allmacht gehore) noch seinen Korper, der 



202 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

niemals leben konnte, weil er von ieher bloBe pure Materie und 
eine Marionette war, die bios der Geist belebt und tanzen las- 
set . . . Meine Sache ists freilich noch viel weniger. 

Deswegen wird doch kein Mensch daruber erstaunen, daB der 
Tod gelesen, wie die Jager in Indostan die Enten fangen. Sie las- 
sen namlich unter die lebendigen Enten eine ausgestopfte 
schwimmen, unter welcher der Jager watet. Die tode schlafert 
die Furcht der lebendigen ein, und der Jager kann unter dem 
Wasser und unter den Enten eine nach der andern mit unsichtba- 
rer Hand an den Fiissen hinunterziehen. Wider meine Erwartung 
thuts der Tod ihm nach, dem es wenig niitzt. Durch gewisse mit 
Fleisch und Gedarm ausgestopfte Wesen, die vollig wie wir aus- 
sehen und im gemeinen Leben ordentlich Aerzte heissen, benimt 
er uns alle BesorgniB seiner Nahe: allein verborgen schleicht er 
unter der Erde und unsern Fiissen herum, und fasset einen nach 
dem andern bei den kranken Fersen an und zerret ihn ins Grab 
hinein. Spitzbiibischer konnte der Tod nimmermehr verfahren; 
ausser wenn er eine andere Fangart der west- und ostindischen 
Jager - der Jager fliesset namlich, den Kopf in einem zweiloche- 
richten Kiirbis bergend, auf die Enten zu, und raubet unter ihnen 
nach Gef alien, weil sie seinen Kopf fiir nichts anders halten als 
fur einen Kiirbis - aus Arglist nachmacht und seinen Kopf da- 
durch verbirgt, daB er des ersten besten Arztes seinen aufsezt: ia 
wahrhaftig er geht noch weiter als die Jager, er bemeistert sich 
auch des Rumpfs des Arztes, wirft uber ienen Kopf eine medizi- 
nische Periicke, um diesen Rumpf eine medizinische Kleidung, 
giirtet dem ganzen Quasileib einen schlechten Degen um, und 
fahret darauf nachlassig und hochmuthig unter den sterbenden 
Patienten herum. - Aber o du vollig beseelter Himmel! auf diese 
Art ists ia kein Wunder, daB am Ende ieder mit Tod abgeht, er 
mag es anfangen wie er will, und er kann sich desselben immer 
90 Jahre mit grostem Gliick erwehret haben; er geht doch leider 
darauf. 

Um aber wieder auf den Arzt zuruckzugehen so soil er den ge- 
plagten Menschen zu dem Sprunge, durch den sie sich von die- 
sem Planeten auf einen andern hinubersetzen, in etwas an die 



TEUFELSPAPIERE • I . ZUSAMMENKUNFT ■ IX 203 

Hand gehen, indem er ihnen von hinten oder auch von vornen 
einen StoB beibringt, der sie iiber ein langes Leben behend hin- 
iiberwirft. Unsaglich wichtig ist diese Arbeit liberal, wird aber 
kaum dafur angesehen; War' es meines Thuns, mich mit Zier- 
rathen aus Peuzers oder Weissens Oratorie des Putzes wegen zu 
umhangen - Zierrathen, die mehr der Gefalligkeit und Munter- 
keit des Jiinglings als dem ernsthaften Wesen eines betagten 
Mannes wie ich, anzupassen scheinen — so konnt' ich den Arzt 
vielleichtnach WiirdenundmitErfolg abmalen: in einer solchen 

io Absicht ware freilich nichts besser als wenn ich sagte, daB der 
Arzt- auch der Feldscheerer, Accoucheur, ia sogar der Wurm- 
dokter - die Menschen leicht und gern aus diesem schmerzhaf- 
ten Leben wikle und sie einem bessern gebe, daB er ihnen Dis- 
pensazion von der Trauerzeit ertheile - daB *er der rechte Wecker 
sei, der uns aus dem driickenden Schlafe des Lebens plotzlich 
wecke, oder auch der Wunderthater und Arzt, der uns dem Tode 
- so nennt Zizero dieses Erdenleben - gewaltsam aus den Han- 
den ringe und unsere bei diesem als Geisel niedergelegte Seele 
einzulosen komme. Von iedem Rezepte, das er vor- oder nach- 

20 mittags verordnet, will uns der Arzt dafur haften, es konne fur 
den gliicklichen Kranken ein guter Todenschein oder ein Ge~ 
leitsbrief ins andere Leben oder eine Naturalisazionsakte zur an- 
dern Welt und dergleichen sein; und eben so will der Apotheker 
ieder Mixtur den Namen einer lezten Oehlung von innen erwer- 
ben. Freilich will ich weder laugnen noch ganz entschuldigen, 
daB dennoch mancher Kranke, es mogen so viele Aerzte als wol- 
len ihn umsetzen, oft nicht vom Leben zu heilen ist, ia die Bei- 
spiele solcher umgeschlagenen Kuren wiirden noch haufiger 
sein, als sie wirklich sind, wenn nicht zuweilen recht gliicklicher 

30 Weise der Apothekers Junge die Signaturen des Rezeptes falsch 
lase und Brechmittel mit uberschlagender Wage zutheilte und 
dadurch aufs Theater einen erwiinschten Tod hinriefe, den der 
Arzt nicht seiner eignen Geschicklichkeit zuschreibe, sondern 
der Ungeschicklichkeit des Jungen: allein man bedenke, wie oft 
der Kranke sich sein Lebendigbleiben selber schuld zu geben 
habe und wie unmoglich es sei, daB der beste Arzt die Seele eines 



204 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

Menschennach Wunsch von seinem Korper aushenke, wenn der 
Korper entweder die verordneten Mittel nicht gehorig ein- 
nimt, oder den Doktor erst am Ende der Krankheit begehrt, 
oder zugleich auch andere Kopfe ohne Dokterhut in Dienste 
nimt. Der Arzt und der Kranke haben gewissermaBen einen Bi- 
lateralkontrakt mit einander aufgerichtet; bricht der Kranke den 
Vertrag auf seiner Seite, so ist auch der Doktor nicht mehr ge- 
halten, den seinigen zu erf alien und den Kranken zu toden. Ich 
schreibe dieses gerade neben dem Zimmer wo mein Schwieger- 
vater, der das Vermogen meiner Frau noch in der Handlung 
festhalt, mit alien chamaleontischen Symptomen der Hypo- 
chondrie sich schlagt. Der Doktor halt die Symptomen fur 
Krankheiten. Nun liegt mir selber ob, den Fehler zu vermeiden, 
den ich selber oben geruget, ich muB einsehen, daB iezt die Zeit 
sei, wo ich den Statuten und Satzungen des Doktors gehorchen 
muB; der Schwiegervater muB zu ieder Mixtur genothigt wer- 
den - zu den bolis emeticis - diaphoreticis - diureticis und auch 
purgantibus: thu ichs nicht, so kann der Doktor nichts dafiir, 
wenn der alte zahe Mann sich in ein Paar Monaten wieder aus 
dem Bette und auf die Fiisse macht. 

Ich merk' es recht gut, auf wen man zielt, wenn man den Vor- 
wurf macht, daB die Krankheit oft dem Rezepte trotze und 
gleich der Wahrheit durch die Menge ihrer Feinde und Anfalle 
gewinne, man zielt auf furstliche Personen, mit deren Krank- 
lichkeit oft ein ganzer KongreB von Aerzten kriegt: allein, wer 
ist es dann anders als dieser medizinische Phalanx, der am Ende 
doch die Krankheit aus dem Felde schlagt und mit sicherem 
Ruhm sie zwingt, ganz dem Tode zuzurucken? Und merkt das 
denn nicht alle Welt den Augenblick, wenn der Furst auf dem 
Paradebett ansassig wird, (um sogar da alien Unterthanen Au- 
dienz zu geben) wo der Geruch seines Namens und Korpers 
wahrhaftig noch gut genug ist? 

EslassensichhierunddaLeute von wenigem Verstandsehen, 
die zum Ausziehen des Sterblichen die Hande des Arztes zu ent- 
rathen hoffen, weil das Sterbliche von selbst herunterfalle: aber 
Leute von Verstand werden ihn stets in der Kutsche holen lassen 



TEUFELSPAPIERE ■ I. 2USAMMENKUNFT ' IX 205 

und an ihm doch keinen miissigen Zuschauer ihrer Verpuppung 
zu bekommen fiirchten. Denn wie das Alter das abrinnende Le- 
ben mit verdoppelten Kummernissen vergallen muB, urn uns 
das Leben eckelhaft und seinen Ablauf dadurch leicht zu machen, 
so ist der Arzt zu gleichem Endzweck wie das Alter von der Na- 
tur erschaffen: ein verstandiger Lazaretharzt und sein guter 
Freund der Apotheker sinds, die die Natur auf die Erde gesezt 
hat, damit sie dem Menschen durch lange Peinigungen, durch 
diatetische Verbote und Gebote, durch Arzneien aller Art durch 

10 Instrumente aller Art, welches sie alles in die Krankheit einflech- 
ten, das Leben dergestalt versalzen, daB der Mensch mit dem 
grosten und lezten Vergniigen auf den Abschied des Lebens und 
der Aerzte passet. Wenn er 70. Jahre und nicht einmal eben so- 
viel Haare auf seinem Kopfe hatte, ware das besser? 

Es ist daher eines der unzweideutigsten Kennzeichen einer 
aufgeklarten Obrigkeit, daB sie die medizinische Fakultat bei ei- 
nem Handwerke, das nur fur den Pazienten niitzlich und fur sie 
selbst oft lebensgefahrlich ist, so sehr decket. Denn z. B. als der 
hiesige Geburtshelfer mit meiner Frau und ihrem Kinde vor bei- 

20 der Tode anatomische Sekzionen angestellet: hatt' ich da nicht den 
Hahn aufgespannt und wollte diesen Prosektor wirklich vor den 
Kopf schiessen? Allein, eben vor dem Stadtvogte scheuete ich 
mien, der mich gewiB meinem gekopften Kinde und Weibe ab- 
brevirt nachgesendet hatte. Sonst, in andern Fallen und Mord- 
thaten scheint die Obrigkeit auf diese Beschutzung derselben 
nicht viel zu halten, ia von Mordthaten auf der Landstrasse ist 
sie fast eine erklarte Feindin, und man sieht daB sie der franzosi- 
schen Meinung ist, Ermordungen wiirden in der wirklichen 
Welt wie auf dem Theater am allerschicklichsten bios hinter der 

30 Buhne vorgenommen. Denn wie gesagt, sie leget einem Arzt 
(auch den Wurmdoktor eingerechnet) der doch offentlich zu ent- 
seelen wagt, wenige oder gar keine von den Hindernissen in den 
Weg, womit sie ehrlichen Spas- und Stosvogeln auf der Land- 
straBe so ausserordentlich beschwerlich und selbst nachtheilig 
fallet, daB es kein Wunder ware, wenn sie alle nach Italien abflo- 
gen. Es ist daher die Pflicht eines Autors, der scharfsinniger als 



206 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

andere sein kann, diesen andern die Ursachen beizubringen, 
warum man den Arzt vor andern so auffallend beschirmt - of- 
fenbar wegen der Schwierigkeit seines Geschaftes selbst. Denn 
es ist ein vollig ungegriindetes Vorurtheil, daB einer schon ein 
guter und vollendeter Arzt sei, wenn er etwa diesen oder ienen 
ein wenig geschikt hangen oder kopfen kann, und daB ein 
Scharfrichter den Doktorhut durch langes Abmahen dessen 
worauf man ihn sezt, eriage - nichts ist grundfalscher und selbst 
den Aerzten gereichts nicht zur Ehre - sondern zu einem achten 
Arzte wird ohne Uebertreibung gefodert, daB er Jahre lang auf 
einer irdandischen Akademie Professoren fur korperliche Nah- 
rung und Wirthe fur geistige bezahlet- daB er in Leipzig den Hut 
durch Kenntnisse und das Versprechen errungen, was er noch 
nicht gelernt, sogleich nach dem Doktorschmausse nachzuholen 
- daB er etwas Schwarzes auf etwas Weisses in Quart drucken 
und entweder machen oder rezensiren lassen - daB er ein ordent- 
Hches System auf zeitlebens geheirathet, von dem ihn weder die 
Erf ahrung noch derTeufel selbst abbrachte- daB er eine zeitlang 
sich (seiner eignen Gesundheit wegen) alles Denkens und Lesens 
entaussert und' sich nur brave Mozion, ich meine eine Reise in 
verschiedene die Seele erheiternde und die Gedanken an Kranke 
und Krankenhauser verscheuchende Stadte gemacht, z. B, 
Wien, Paris - daB er mehr Hunde und Katzen als der Leser in 
seinem Leben noch gesehen, lebendig auseinander geschnitten, 
um in der Abhartung gegen die Gestalt des Todes, von den ge- 
ringern Thieren stufen- und versuchsweise zu dem edlern Men- 
schen aufzulaufen, wie etwan das Jagerkorps sich am Wilde im 
Niederschiessen der Feinde tibt, oder auch wie Domizian friiher 
das Fliegen als der Menschen Wiirgengel gewesen - und daB er 
endlich das Seinige gelernt. Denn Gelehrsamkeit und Geschick- 
lichkeit ist etwas, das der Handthierung eines Arztes gar nicht 
entgegen lauft, wie auch die Eule die Begleiterin der Weisheit 
(Minerva) und wirklich die Heroldin des Todes (nach der gemei- 
nen Meinung) ist. Ein sehrgelehrter Arzt sitzet an sein Schreibe- 
pult angeleimt und fragt mehr nach Rezensenten als Pazienten; 
er will einen Lorbeerkranz und keine Burgerkrone (coron. civil.) 



TEUFELSPAPIERE ■ I. ZUSAMMENKUNFT ' IX 207 

auf den Kopf sich binden. Unter die Bestandtheile eines guten 
Arztes stellet man an alien Orten ein hohes Repositorium engli- 
scherBuchev. Wenn er bei diesen etwas erspart, was er bei deut- 
schen nicht erspart, namlich das Lesen derselben, da er wie be- 
kannt das Englische nicht versteht: so verliert er doch auf der 
andern Seite durch den Kauf des theuern englischen Originals 
doppelt wieder an Gelde. Driicken aber wol solche Ausgaben 
und Voriibungen einen, der bios in einen Holweg hineinspringt 
und da einen gesunden erschiest? Daher nimmt wahrhaftig aus 
recht guten Griinden die Obrigkeit bios den Arzt in Schutz und 
thut fur niemand als fur ihn noch folgendes. Man setze, es 
schicke einer in die Apotheke und lieBe Gift nicht zum Malen 
sondern zum Selbstmord begehren, so gabe man ihm keinen. 
Das nothigt ihn, den Stadtarzt in Nahrung zu setzen und sich 
von diesem gegen Provision das verordnen zu lassen, woran er 
umkommen will. Es ist sonderbar, aber gleichwol darf sich kei- 
ner von uns alien eigenhandig vergiften. Sogar der krankte Arzt 
selbst kann sich, in Wien z. B. nicht in seine eigne Kur nehmen, 
sondern muB sich wieder von einem andern den Stab brechen 
lassen. 

Die meisten Handwerker bedienen den Armen schlechter als 
den Reichen; allein die Aerzte sind nicht von dieser Zahl, son- 
dern springen wo moglich den erstern weit mehr als den leztern 
bei. Zum wenigsten horet man selten, daB ein Armer, der sich 
unter der Bedingung einer schnellern Auflosung in die Arme des 
Arztes geworfen, sein Krankenbett anders hatte verlassen mus- 
sen als vollig genesen und tod. Der Reiche hingegen fand oft bei 
dem gutbezahlten Arzte die Rechnung seines Wunsches, mog- 
lichstbald den Himmel zu ersteigen, schlecht genug, und muste 
in der That seine Krankheit mit der fortgesezten Rolle des Le- 
bens vertauschen. Der Dokter Pompasius sagt, er that' es des- 
wegen: Von dem Armen wisse er wahrscheinlich, daB dessen 
Entweichung aus seinem Korper sein Schicksal verbessere, da- 
her sei er ihm zur Entspringung aus diesem GefangniB so behiilf- 
lich: allein von einem aus der groBen und reichen Welt miisse 
er vermuthen, daB solcher yerdammt werde; darum greif er lie- 



208 JUGENDWERKE ' 4. ABTEILUNG 

ber zum kleinem Uebel der erneuerten Ankettung an den Kor- 
per und halte diese Seele so lange in ihrer Bastille fest, bis er 
denke, sie sei nun alt, kaltblutig, schlim, modisch und politisch 
genug, um etwan in der Holle mehr AnlaB zum Vergnugen als 
zum MiBvergmigen anzutreffen, wie ganz graue Bosewichter in 
Gefangnissen zufriedener sind als Anfanger. Der Arzt gleicht 
sonach der elektrischen Materie: in der Gestalt des Blitzes todet 
sie gemeine Leute aui demFelde, in der Gestalt kleiner Funken aber 
stellet sie viele Vornehme von UnpaBlichkeiten wirklich her. 
Man sehe zu, ob nicht von dieser Heilung der Vornehmen zum 
Theil der Wahn entsprang, das Amt des guten Arztes bestehe 
mehr im Heilen als im Gegentheil. Ausserordentlich befrem- 
dend ists, daB den Scharfrichter ein ahnlicher, nur umgekehrter 
Wahn verfolgt; er mag sein ganzes Leben Menschen und Vieh 
auf die eine oder andere Art kuriren und sogar die furstl. Jagd- 
hunde durch Nahrung beim Leben erhalten: so bleiben doch 
ganze Zunfte - ich weiB selbst Beispiele - dabei, bios weil der 
arme Mann in vielen Jahren einen Deliquenten abthat, sein Amt 
bestehe mehr im Toden als im Heilen. Das ist aber, lieber Leser, 
eine kleine Probe, wie man liberal sowol den Scharfrichtern als 
den Aerzten mitfahrt und man sollte sich schamen. Freilich 
scheint den Aerzten selbst nicht viel daran gelegen zu sein, daB 
geschickte Schriftsteller dieses Vorurtheil berichtigen. Denn die 
Eitelkeit der Menschen ist ein seltsamer Kauz. Man horet sich 
lieber in einer Nebensache, die man schlecht versteht, als in der 
Hauptsache, die man gut versteht, gepriesen; weil man seine 
Vortreflichkeit in dieser schon als eingestanden zum voraus set- 
zet, fur die in teneraber erst Beweise aus fremden Lobspriichen 
sucht und durch die fremde Ueberzeugung, seiner eignen nach- 
helfen will; Der Philosoph hort sich am liebsten wegen seines 
Witzes, und der schone Geist wegen seines Verstandes ge- 
schmeichelt. Eben des wegen sch einen die meisten Aerzte, deren 
Vorzuglichkeit Toden und deren Nebenwerk Heilen ist, aus ei- 
nem Lobe, das man ihnen in diesem zuwirft, ungleich mehr zu 
machen als aus einem, das man ihnen in iener bewilligt, wofern 
sie nicht gar gegen das leztere ganz gleichgultig sind: und man 



TEUFELSPAPIERE ■ I. ZUSAMMENKUNFT • IX 209 

kiizelt in den meisten Fallen ihre Eitelkeit viel sicherer und fei- 
ner, wenn man ihnen groBe Starke im Heilen beimesset, als 
wenn man ihnen eine noch so groBe im Toden zuspricht. 

Obrigenshab' ich ganz andere Dokumente als ihre Vorreden, 
worinn sie von nichts als ihrer langen Praxis und ihren unzahli- 
gen Leichenofnungen reden konnen, wenn ich darthun will, daB 
sie gar nicht eitel sind; ich habe ihre Krankengeschichten. Gerath 
ihnen namlich eine Kur und beurlaubt sich die Seele des Kranken 
ohnelanges Mediziniren vom einfallenden Korper: so lehnen sie 

io das Lob derselben aufrichtig ab, und machen die von ihnen aus- 
gewirkte Entweichung der Seele vollig zu einem Verdienste des 
baufalligen und ungehorsamen Kranken. Lauft aber die Kur so 
iibel ab, daB aus der Entseelung des Kranken nichts wird und der 
Mann oder die Frau wieder auflebt: so zeihen sie bios sich selber 
dieses Misglucks und geben sein Aufkommen ihren Arzneien, 
nicht aber seinem unbezwinglichen Korper Schuld. Bios zu Wi- 
derholung ihrer Bescheidenheit schrieb' ich diesen langen Ein- 
gang nieder: indessen ists mir wahrhaftig eben so sehr urn die 
Wahrheit zu thun, als um das Lob der Aerzte und ich gestehe, 

20 zum voraus ich wiirde, sollt' ich einmal ganz entgegengesezte 
nachtheiligere Erfahrungen von den Aerzten bekommen, es gar 
nicht wie die alten Dichter machen, denen Bayle vorriickt, sie 
hatten das Lob solcher Person, auf die sie nachher spotteten, 
dennoch wegen seines Witzes stehen lassen, sondern ich wiirde 
das ganze bisherige Lob auf die Aerzte ohne Mitleid auskrazen, 
so witzig es auch unzahligen vorkommen mag. 

Es soil mich aber wundern, wenn ich weis, wo ich iezt bin: 
denn bey der Hauptsache, merk' ich leicht steh ich nicht und ich 
muB wol seit der Zeit, daB ich den Titel dieser Abhandlung ge- 

30 schrieben, bios einer Ausschweifung nachgegangen sein. O 
meine Freunde, der Mensch ist weit kurzsichtiger als ein Stutzer 
und keine Prophetenschule bringet ihm das Prophezeien bei. 
Denn ich weis aus meiner eignen Erfahrung, ich mag es, wenn 
ich iiber eine Dissertazion oder ein fliegendes Blatt den Titel 
schreibe, es immerhin noch so deutlich vorauszusehen glauben, 
daB ich darinn etwan von dieser oder iener Materie - diese weis- 



2IO JUGENDWERKE ■ 4- ABTEILUNG 

sag' ich alsdann schon auf dem Titel - so viel immer moglich 
handeln diirfte: so sell* ich mich sogleich bei den ersten Zeilen 
von dem stoischen Fatum vermittelst eines Nasenrings zu einer 
ganz andern Materie geschleift, die weder ich noch der geneigte 
Leser meines Bediinkens erwarten konnte, und fur deren Bear- 
beitung hernach der arme Autor doch den kritischen - Thieren 
vorgeschleudert wird. So hoft' ich z. B. iezt, da ich diese Ab- 
handlung betitelte, vielleicht und ebenfals (wenns meine hausli- 
chen und korperlichen Umstande litten) von dem besten Ge- 
brauche etwas Schickliches beizubringen, den sowol die 
Wissenschaften als das peinliche Recht in Zukunft von den 
Aerzten machen konnten; ich konnte daher auch, da ich ganz auf 
diese Hofnung fuBte, dem Leser es in dem Titel verheissen: 
gleichwol seh' ich, daB ich iezt in einem ganz f rem den Felde 
hake, wo ich bios von den Aerzten iiberhaupt gehandelt und sie 
weitlauftig nach bestem Wissen gelobt. Solche und andere noch 
schlimmere Zufalle miissen einen denkenden Autor immer 
mehr uberreden, daB er vielleicht besser fahrt, wenn er alles un- 
behutsame Weissagen: »von der und der Materie werd ich in der 
nachsten Zeile sehr reden« ganz einstellet und den Vorhahg der 
Zukunft, der oft aus etlichen Blattern undurchsichtigen Papier s 
bestehen kann, gar nicht aufzuzerren sucht. Der bessere Autor 
gehe lieber gern ieder Kabinetsordre des stoischen Fatums nach, 
und mache sich mit Lust iiber iede Materie her, die ihm von ie- 
nem zu behandeln vorgeworfen wird, ohne (wie man bisher 
that,) mehr mit vergeblicher Ermiidung auf das von ihm selbst 
muth willig auf dem Titel der Abharidlung auf gerichtete Ziel 
auszusein, das gar in keinem Betrachte hatte vorgepflanzet wer- 
den sollen: dann werden Manner, die in der Sache einiges gethan 
haben, von selbst sagen: » diese Abhandlung ist nichts anders als 
die erste kunstliche Wildnis von Gedanken in Deutschland, und 
es braucht unsers Bediinkens keines Beweises, daB sie des Na- 
mens philosophischer Pandekten wiirdig ist, die wol aus 2000 
Materien zusammengebracht sein mogen. « Dann wird er kein 
Spiel der Digressionen und besser daran sein als ich geschlagener 
Autor, der es noch fur ein besonderes Gliick schatzen kann und 



TEUFELSPAPIERE ' I . ZUSAMMENKUNFT 'IX 211 

wird, wenn ihm nach Einem ganzen Bogen die eiserne Noth- 
wendigkeit verstatten will, nuretwan in folgendem Absatze den 
besten Gebrauch abzuhandeln, den theils die Wissenschaften 
theils das Kriminalrecht von den Aerzten in den nachsten Mona- 
ten machen konnten und sollten. 

Ich rede von den Wissenschaften zuerst. Denn sie stehen auf 
dem erbarmlichsten Fusse, weil wir Gelehrte nicht kranklich ge- 
nug sind. Freilich wird mehr als einer mir die Griechen und R6- 
mer entgegen setzen, bei denen die Gesundheit des Korpers, der 

I0 Gesundheit des Geistes mehr Vorschub als Eintrag that; der thie- 
rischeLeib und die menschliche Seele wurden da mit einander er- 
zogen, genahrt und unterwiesen, wie in der Reitschule zugleich 
die Pferde und die Menschen reiten lernen. Indessen konnten die 
Alten von dieser Schulfreundschaft der beide zankenden Theile des 
Menschen gewis keinen andern Vortheil gewinnen als den, daft 
sie eben so gut handelten als dachten; und der Korper des Sokrates 
war eingesunder, flinkerKammermohrundSchildknappe, dem 
die Seele nur zu befehlen brauchte. Es ware ein Ungliick fur uns, 
wenn wir hierin nicht grostentheils von den Alten abgetreten 

20 waren; allein unsere Begriffe von der menschlichen Bestim- 
mung lauterten sich ganz betrachtlich, so daB wir am ganzen 
Menschen wirklich den einzigen Kopfzm Bildung und Verbes- 
serung ausgeschossen, wie die Juden an Gansen nichts vergro- 
Bern und masten als die Leber, in welche die Auguren den Sitz der 
Seele verlegten, ohne sehr auf den H. Fabre zu horen, der neulich 
aus Paris schrieb, die Seele saBe wol im plexus Solaris. Daher 
wundere man sich nicht, daB wir es im Ganzen so weit bringen, 
daB wir Zwerge sind und wie sie groBe Kopfe haben; daher den- 
ken wir auf alle Falle fast noch besser als wir handeln, und unsere 

3<r Vorsatzeund Vorschriften sind so gut, so erhaben, so glanzend, 
daB man gar nicht glauben sollte, unsere burgerlichen Handlun- 
gen hatten so herrliche Ahnenbilder zu Vorfahren. Daher kann 
weiter zwischen einem Kranken und einem grofien Gelehrten nur 
ein schlechter Unterschied statt haben. Daher eben must' ich auf 
die Untersuchung verfallen, ob sich nicht viele Wissenschaften 
ganzunbeschreiblichan der Hand der Aerzte emporrichten soil- 



212 JUGENDWERKE * 4. ABTEILUNG 

ten; man kann mich vollig unrecht verstehen: aber mein Ge- 
danke ist bios der, da Genie und Krankheit Milchbriider gewor- 
den; so sollten die Aerzte denen die griechische Beschreibung 
keiner Krankheit zu schwer ist, sich auf die Komposizion solcher 
Krankheiten legen, die der ganzen Litteratur etwas nuzten. Lie- 
ber Hirnmel! wie gieng man denn mit den Muscheln urn? Man 
kam auch darhinter, daB die kranklichsten Musche]n die meisten 
und schonsten Perlen gebaren, und benahm ihnen zum Vortheile 
ihrer Perlenfruchtbarkeit sogleich den gesunden Korper. 

Warum miissen sich so viele schone Geister iiber ihren Mangel 10 
an Witz und feiner Empfindung beschweren? Der Fehler ist, sie 
haben nur natiirliche Waden, aber keine kiinstlichen, die man bei 
dem Strumpfwirker kaufen muB. Sie sollten sich mehr zu ent- 
kraftenden Getranken halten und sich von einem guten Arzte et- 
was gegen die Gesundheit und Einfalt verordnen lassen. Thaten 
nicht tausend Weltleute fur die Aussprache des Franzosischen 
ungleich mehr? Sie schaften namlich, so wie der h. Hieronymus 
seine Za/mewilligbefeilen lies, um sie zur Aussprache des Hebra- 
ischen zuzurunden, von ihrer Nase so viel weg als ihnen in der 
Prononciazion der voyeles nasales im Wege stand. 20 

Man klagt in alien Buchladen, der Menschenverstand der 
Wiener Autoren sei ganz und gar nicht gesund. Allein sie essen 
auch viel zu viel. Wiirden sie aber zum Doktor gehen und um 
einige Magentropfen zur Schwachung des Appetits anhalten: so 
muste, wenn ihr Kopf sich nicht auf der Stelle besserte, der Ma- 
gen gar nichts dafiir konnen, sondern gewissermaBen die Nor- 
mal schulen. 

Aus Moriz Erfahrungsseelenkunde wissen es viele, daB ein 
Bauer sich in einer Krankheit auf das Griechische aus seiner Ju- 
gend besan; und aus andern Biichern sind mir und dem Leser die 30 
auffallendsten Beispiele von Erinnerungen bewust, deren Mut- 
ter eine Krankheit gewesen. Ich mochte daher fragen, ob man 
sich gar nicht ein Gewissen macht, Menschen oder Kandidaten 
oder Autoren, die das Hebraische und Griechische langst ver- 
gessen, gleichwol zu einer Zeit zu examiniren, wo sie so gesund 
sind, wie Fische im Wasser? Vollends wenn sie es nie gelernt, so 



TEUFELSPAPIERE ■ I. ZUSAMMENKUNFT 'IX 213 

ists die groBte erdenkliche Bosheit, ihnen anzumuthen, diese 
Sprachen eher zu wissen als in einer Krankheit. Aber christlich 
wiird' es von den Examinatoren gehandelt sein, wenn sie durch 
einen Arzt iunge Leute so lange krank machen liessen bis sie sich 
auf die alten Sprachen besannen. Wer freilich ganz tod ist - der- 
gleichen Menschen giebts - dem sind alle tode Sprachen eine 
wahre Lust; daher reden alle Menschen, Weib, Knechte, Magde 
und Kinder im Himmel (zu folge den alten Theologen) hebraisch 
oder doch (nach Imhofer) lateinisch: aber wie wenige von uns 

10 sind schon tod? 

Ich seh' es freilich so gut, als ein anderer, daB unsere Dichter 
nicht im Stande sind, die wasserigen Meteoren des franzosischen 
Stils mit den feurigen des englischen zu vertauschen; es gehet ih- 
nen der englische Gmrnoch sehr ab: aber das nehm' ich auch mit 
einigen deutlich wahr, daB die Schuld auf die Aerzte fallet: 
konnten oder auch mochten diese lieber Leser, den Korpern er- 
wachsener Personen - und das sind freilich viele von unsern 
Dichtern - die englische Krankheit eben so gut dnimpfen als sie 
den Kindern sie nehmen: so wiinscht' ich nichts als ein solcher 

20 mit der englischen Krankheit versehener Dichter zu sein. Ich 
wiirde alsdann - denn dieses Uebel niizt dem Kopfe recht und 
fullet ihn mit alien Kraften des ausgesognen Rumpfes; bei Kin- 
dern namlich; wie vielmehr bei ganz ausgewachsenen Dichtern 
- fast noch besser schreiben als ie^t. 

Bucklichte Leute, sagt Platner in seiner Anthropologic, sind 
sehr verstandig. Ich bin zwar nur das erstere; aber wenn ich auch 
das leztere ware, so kont' ich iezt doch nichts vorbringen, das 
noch kliiger ware als meine Bemerkung, daB es gar nichts Ta- 
delhaftes bei sich fuhrt, wenn die Damen lieber krumm als 

30 dumm sein wollen und sich um ihre Taille, die sie durch Schniir- 
briiste zerstohren, viel weniger als um ihren Verstand, den sie 
dadurch verbessern, bekiimmern. Da sich die GroBe des Ver- 
standes so sehr nach der GroBe des Buckels richtet: so wird stets 
eine enge Schniirbrust, wenn sie diesen grosser oder schiefer 
machen kann - und alle Frauenzimmer versichern, sie wiisten 
gewis, sie kont' es - ein herrliches Sublimirgefas des Witzes, ein 



214 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

erprobter Verhak gegen Einfalt, ein drittes Seelenorgan und 
corpus callosum, und noch weit mehr sein; und ich sage, ein phi- 
losophischer Mantel ia ein Doktorhut kommt gegen eine 
Schniirbrust in keine Betrachtung. Allein wenn ich meine Frau 
ansehe, die bisher durch die engsten Brustkefichte nichts werden 
wollte als krumm: denk' ich denn Unrecht, wenn ich will, man 
solle nicht.mehr vom Schneider, der den Henker davon weis, 
sondern vom Arzte sich das Riickgrat so lang verdrehen lassen, 
bis der Verstand gerade ist? Ich gabe aber viel von meiner Frau 
darum, wenn mir iemand voraus sagen konnte, ob's die Pen- 
sionsanstalten wirklich thun werden. 

Ich kenne seit Jahr und Tag einige hubsche Tragodiensteller, 
die sogleich nach der Lesung dieser Abhandlung fortarbeiten 
werden: aber sie solltens durchaus nicht thun, sondern vielmehr 
folgendes Billet an den Doktor schicken: »Wir sollen in der 
Eile etliche ganz gute Tragodien, die allgemein riihren miis- 
sen, ausbriiten; und unser Wille ists auch. Wir ersuchen Sie daher 
lieber Herr Doktor, mit unserem Korper- denn der wird wol das 
Schwimmkleid bleiben, durch den sich unsere Seele erhebt - eine 
dramaturgische Kur vorzunehmen und ihm ohne Zeitverlust ein 
ziemliches hitziges FiVberbeizubringen. Waren wir hernach mit 
den Tragodien zu Rande: so stiind' es ganz in Ihrem Belieben, 
es wieder zu einem kalten herabzusetzen.« 

Und wahrhaftig werd ich nicht in Kurzem viel kliiger, schalk- 
hafter und talentreicher als ich seit vielen Jahren war: so iiber- 
nehm ich mich selber nachstens mit Nieswurz, der, wie die alten 
Aerzte versichern, auf den Korper die Wirkung ernes heftigen 
Giftes thut; meine wenigen Freunde mogen sagen was sie wollen 
und mich immerhin anmahnen, den Verstand nicht zu achten, 
sondern in ein Amt zu treten. 

War' ich ein ordentlicher Apotheker, ich meine, schickt' ich 
dem Doktor das gewohnliche Neuiahrsgeschenk: so that ich das 
durchaus nicht wenn er nicht zum Vortheil seines medizinischen 
Verstandes und zur Heilung seiner Pazienten des Jahres ein paar- 
mal sich selbst tod krank gemacht hatte - nicht durch den un- 
massigen Gebrauch der Arzeneien, sondern der besten Biicher 



TEUFELSPAPIERE ■ I . ZUSAMMENKUNFT "IX 21 5 

dariiber, woraus er sich mit Kentnissen und Infarktus anfullte. 
Was die Rezensenten anlangt: so gebraucht sie freilich ieder zu 
Einwiirfen und sagt, Gallenfieber, Hypochondrie, Gelbsucht 
etc. verliessen sie Jahraus Jahrein auf keine Weise, und dennoch 
blieb' ihr Verstand und Herz eben so krank als war' ihr Korper 
gesund. Gut! Aber man treibe doch dieses Gallenfieber, das al- 
lerdings ihren Verstand mehr schwacht als starkt, eben weil es 
noch gering und fast nur metaphorisch ist, auf den hochsten er- 
sinnlichen Grad: so gewinnt ihr Verstand, der bei einer kleinen 

10 Zerriittung ihres Leibes fast verlor, unerhort bei der groBen, wie 
der kleine Ris einer Glocke den Klang derselben nur so lange ver- 
dumpft als man ihn nicht grosser macht; der weitere gibt ihr so- 
gleich den Wollaut wieder. Unter der groBen Zerriittung des 
Korpers verstand ich, wie man wol merkte, die vollige Tren- 
nung der kritischen Seele von ihm oder den Tod. Denn ein Re- 
zensent sei noch so einfaltig und ungeschliffen und selbst 
schlimm; so wird er doch, wenn man ihn umgebracht hat, gah- 
ling ein ganz anderes Wesen, er fangt an, mehr und besser zu 
denken, er fodert - da er gerade vor dem Munde vorbeifliegt - 

20 seinen so lange dastehenden und hermetisch versiegelten Ver- 
stand ein, er verhelet im Himmel seinen Namen nicht mehr, ist 
nicht so bitter und scheint iiberhaupt gar nicht das alte Unge- 
heuer mehr zu sein, das er doch noch kurz vor dem Tode war. 
Ob ich indessen das alles bios in den Wind geschrieben habe, 
oder ob ein und der andere Rezensent dennoch erwaget, daB die 
Damen ihren wahren Werth, ihre Schonheit gern mit Verlust ih- 
rer Gesundheit bezahlen, und daB daher ein Mann wol fur den 
bessern Verstand auch weit mehr aufzuopfern schuldig sei, und 
das es deswegen Aerzte gabe - das erseh' ich leicht aus den kiinf- 

30 tigen Todenlisten. 

Von dem peinlichen Rechte hab' ich iezt zu handeln. War es 
zweifelhaft, ob die Obrigkeit toden darf: so wiird ich hier zur 
bundigsten Widerlegung des Beckaria, gegen den man das 
Wichtigste bisher noch gar nicht erortert hat, viele Einwendun- 
gen aufstellen, die ein geschickter Henker gewis gegen die Ab- 
schaffung der Todesstrafen machen konnte. Das merk ich doch 



216 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

an, alien Mord der Unterthanen ordnet unmdglich ein verniinf- 
tiger Denker ab, sondern nur den schnellen, Denn richtet der 
Staat gar keine Missethater mehr hin: so mocht' ich erfahren, wie 
er sie bekostigen will. Sonach scheinet es schon darum von der 
ausserstenNothwendigkeitzu sein, daB von Vierteliahr zu Vier- 
teliahr etwas gehangen oder gekopfet werde: weil sonst die be- 
sten Missethater in der That verhungern miisten. »Es ist, konnte 
man zwar sagen, ia gut genug, daB ein Fiirst schon etwan von 
seinen bessern Unterthanen den Tod des Hungers abwendet, in- 
dem er sie gern der besten ersten Macht, die Krieg fiihrt und 
nicht ohne Geld ist, oder auch beiden kampfenden Machten zu- 
gleich vorschiesset unddurch das feindliche Schwerd den armen 
Unterthan auf immer vor der Verhungerung sichert: aber Mis- 
sethater verdienen diese Giite kaum. Sind sie indessen nicht auch 
Unterthanen? Haben sie alles Recht an den Beistand ihres Herrn 
durch ein Paar Missethaten verscherzt? Mich diinkt vielmehr, 
der Fiirst muB sie eben so gut als ieden Unterthan hinrichten las- 
sen, damit sie nicht im Geringsten darben . . . Ich will doch 
einige Todesarten durchlaufen und zu Beispielen verwenden, 
wie die Hand des Arztes sie etwan aus schnellen in langsamere 
umsetzen diirfte. 

Erstlich das Kopfen! das Trepaniren sez' ich an seine Stelle, 
weils eben so viel ist . Es ware mir verdrieBlich , wenn man gleich- 
wol den Henker nicht abdankte: der Delinquent hat dabei sicht- 
bar den Vortheil, daB er ordentlich und langsam aus der Welt 
gefuhret wird. Von Kindern red' ich nicht, denen der Geburts- 
helfer mit Einsicht die Kopfe abschneiden kann: Denn sie leiden 
diese Exekuzion mehr fur ihre Erb- als wirklichen Siinden. 

Zweitensder Strang! Nach Wepfer ist kein Tod sanfter als der 
am Galgen. Auch soil ihn der Arzt - ich befehl' ihm das hier 
deutlich genug - dem Delinquenten auf keitie Weise versalzen: 
er mag deswegen, da Gehangte an einem Schlagflusse verschei- 
den, die ganze Kurart eintreten heissen, wobei er bei ehrlichen 
und unschuldigen Pazienten dem Schlagflusse begegnet. Es wird 
hoffentlich dann eben so viel sein als hatt' er den Kauz von Mis- 
sethater wirklich gehangen. 



TEUFELSPAPIERE • I. ZUSAMMENKUNFT "IX 217 

Statt einen Delinquenten erbarmlich mit dem Rade zu stossen: 
verleibe ihm doch ein rechter Arzt die Gicht ein, die bisher die 
Strafe der Unkeuschen und Unmassigen gewesen; allein das war 
ia zu streng. 

In Rucksicht des lebendigen Vergrabens wird man wol bei 
Missethatern die Art und Weise beibehalten miissen, auf die es 
bisher bei ehrlichen Personen vorgieng, an denen man es gern 
sah, wenn sie vorher in einer starken dem Tode ahnlichen Ohn- 
macht lagen, eh' man sie lebendig verscharrte. Der Arzt miiste 
dafur sorgen, daB der Delinquent in die Ohnmacht fiele, eh' man 
ihn begriibe: sonst wird diesem an dem ganzen Leichenbegang- 
niB nichts gefallen. 

Man wiirde sich in neuern Zeiten des Ertrankens vielleicht ofter 
bedienet haben! wenn ich eher hatte vorschlagen konnen, das 
Urthel so zu machen: 

»Auf Klag, Antwort und alles gerichtlich Fiirbringen auch 

nothdiirftige, wahrhaf tige Erf ahrung und Erfindung, so des- 

halben alles, nach laut Kayser Carls des Fiinften und des 

Heiligen Reichs Ordnung, geschehen: 1st durch die Urtheiler 

und Schopfen dieses Gerichts, endlich zu Recht, erkannt 

daB N. N. so gegenwartig vor diesem Gericht steht, der 

Uebelthat halber, so er mit N. geiibt hat, mit Mixturen vom 

Leben zum Tode gestraft werden soll.« 

Ich konnte die Sache weiter und mit vielen Ehren ausfuhren: 

wenn ich nicht gewis wiiste, daB Herr Quistorp mir sein Ver- 

sprechen halten wird, in seiner neuen Auflage seines peinli- 

chen Rechts sich weitlauftig genug dariiber auszulassen. Ob 

H. Klaproth mir iiber diese Vorschlage etwas schreiben wird, 

wie mir ein Verwandter von ihm verhies: das muB er selbst am 

besten wissen. 

Wenn indessen der Arzt, der bisher die Missethater nur seziren 
diirfen, auch gar abthun diirfte: so war's unbeschreiblich gut; die 
Griinde Bekkarias gegen die Todesstrafen verfiengen dann gar 
nichts mehr, weil wir die Morder nicht schnell, sondern langsam 
hinrichteten und das sogar, bios weil sie sonst verhungerten: der 
Ehrgeiz der Inkulpaten ware so geschont, daB sie bios von der 



2l8 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

ehrlichen Hand des Arztes stiirben: zwischen der Todesart eines 
Missethaters und eines ieden andern Christen ware dann denk' 
ich gar kein Unterschied mehr da, weil wir ia alle in unserm Lez- 
ten auch den Doktor freiwillig holen lassen, so wie den Pfarrer, 
damit er uns zum Tode begleite und bessere; es wiirde dann ganz 
gleichgiiltig werden, ob die Richter einen Unschuldigen zum 
Tode verdammen oder nicht, weil er sich ihm doch endlich, fru- 
her oder spater hatte unterziehen miissen, und sie konnten dann 
von iener angstlichen Behutsamkeit, mit der sie bisher stets (und 
auch ganz mit Recht) iiber Leben und Tod eines Menschen loo- 
seten, vieles nachlassen. Ich weis, ich vergesse hier manche Vor- 
ziige meines Projekts. 

Z. B. den: bisher zwang die Krankheit eines Missethaters zum 
Aufschube seiner Strafe und man muste mit seinem Tode auf 
seine Qenesung warten. Dieses Uebel hebet sich iezt selber: denn 
eine Krankheit ware eben der beste und glucklichste Zeitpunkt, 
den der Arzt nur abpassen konnte um die Hinrichtung zu unter- 
nehmen. Dieser Zeitgewinnst ist offenbar fur die Burger des 
Staats, die den Missethater kostfrei halten miissen, ein gefunde- 
ner Schaz und mehr. 

Man diktirte seit vielen Jahren dem Scharfrichter t der den De- 
linquenten nicht zu toden verstand, eine kleine Strafe: ich werde 
mich aber nicht erdreisten, selber etwas Gewisses festzusetzen, 
sondern es ganz der Obergerichtsbarkeit freistellen, wie sehr sie 
einen Arzt bestrafen will, der einen ihm ausgelieferten Missetha- 
ter entweder zu langsam oder ganz und gar nicht zu Tode kuriret 
hat. So viel aber wird die Obrigkeit doch sehen, daB Maupertuis 
unsinnig war, da er Aerzten, die einen Pazienten vollig abgeto- 
det, das Honorarium doch zu versagen anrath: denn diese Strafe 
- damit andere abgeschrecket werden - verdienen umgekehrt 
die, die den Kerl bei Leben liessen, wie Jupiter mit einem Don- 
nerkeil nach dem Aeskulap geworfen, weil er einen Menschen 
nach dem andern leben lies. 



TEUFELSPAPIERE • I. ZUSAMMENKUNFT • X 2T9 

X. 

Der ironische Anhang 

Den allerwenigsten Dingen in der Welt fehlet ein Anhang. Die 
allgemeinedeutscheBibliothekhat dentheuersten, der Kalender 
den wohlfeilsten. Die Pradikamente selbst, so abstrakt sie an- 
dern scheinen mogen, wollten doch nicht gegen die allgemeine 
Mode schwimmen, sondern lieBen 4 gute Postpradikamente 
zum Spasse hinter sich nachnicken, die groBte Hofdame schauet 
sich nach einem schwarzen Anhang um, der unter der Gestalt ei- 

10 nes Kammermohren iedem fiirstlichen Hunde bekannt ist: wenn 
aber deswegen einige glauben, seine Schwarze pflanze sich her- 
nach auf die Seelen vieler Hofleute fort: so miissen sie gar nicht 
wissen, daB gerade durch nichts so sehr, sich die Farbe der Moh- 
ren verbessere als durch Vereinigung mit den Weissen. Sogar 
blosse mogliche Dinge -z. B. der Ehebruch bei GroBen, die 
Bauernschinderei bei Gerichtshaltern und Jagermeistern, die 
Betrugereien bei Gesandschaftssekretairen - solche mogliche 
Dinge wollen keinen Nachmittag ohne einen Anhang leben, 
den die Wolfianer aus Einfalt complementum possibilitatis (das 

20 Agio der Moglichkeit) nennen. Ich will daher nicht, daB man 
nach meinem Tode oder noch eher sagen konne, ich hatte fast 
iede Zusammenkunft mit dem Leser ohne den geringsten An- 
hang gelassen; ich will vielmehr noch weitergehen als man hoft, 
und in der That gar einen Postzug von Anhangern - diesen vier 
lezten Dingen ieder Zusammenkunft - allzeit nachziehen lassen, 
den ironischen, launigten, wizigen und ernsthaften. Hier ist of- 
fenbar schon der ironische: 

I. 
Ueber den Witz der Wiener Autoren, aus Lamberts Organon 

30 Aus der Aukzion der Lambert'schen Bibliothek erstand ich unter 
andern das Organon von Lambert, worein er mit eigner Hand 
unschatzbare Anmerkungen nachgetragen; denn er lies es deB- 
wegen mit leerem Papier durchschiessen. Seiner Semiotik giebt 



220 JUGENDWERKE - 4. ABTEILUNG 

er durch einen Zusatz neues Gewicht, den man immer gern hier 
in einem Buche lesen wird, das ohnehin zu nichts als zur Ver- 
breitung der tiefsinnigsten abstraktesten Kenntnisse bestimmt 
ist. 

»Ehe man (schreibt er, aber sehr klein zur Ersparung des 
Raums,) besonders den Wiener Schriften Mangel des Geistes 
schuld gabe: sollte man doch, scheint es, wenigstens so weit sein, 
daB man von den Chiffern und Zeichen, in die sie ihren Witz 
verhiillen, etwas weniges verstande. Wiirden wir den Schriften 
der Griechen und Englander den Witz, der in ihnen lebet, aus- 
fiindig machen, wenn uns die Zeichen, die sie zu den Vehikeln 
ihres Witzes auslasen, vollig fremde waren, namlich ihre 24 ver- 
schiedene Buchstaben oder Figuren nebst den Spiritussen? 
Langst sind bekanntlich aber die Wiener Autoren (nebst ver- 
schiedenen auswartigen Schweizern etc.) einsgeworden, ihren 
Witz nicht mehr durch einen lastigen Aufwand von 24 Zeichen, 
sondern bios durch ein einziges und einfacheres auszudriicken: 
wer also ihren Witz zu geniessen wiinschet, muB dieses Zeichen 
im Kopfe haben, Ich kann mir nicht vorstellen, daB sie sehr Un- 
recht hatten, zu vermuthen, sie wiirden am faslichsten bleiben, 
wenn sie- da iezt die Chymie freiern Zutritt zu gewinnen scheint 
- dieser das Zeichen abborgten, und - da der Spiritus des Chy- 
misten und der Witz und Geist des Autors die groste, eigentliche 
und uneigentliche Verwandschaft mit einander haben - gerade 
mit dem horizontalen Striche, wbmit der Chymist oft den Spiritus 
und alles feine fluchtige Wesen bezeichnet, alien Witz und Geist 
auszudriicken und zu geben versuchten: dieser Strich ist unter 
dem Namen Gedankenstrich ganz bekannt und ich habe oben 
deren viere hingezogen. Wie wenig es den Wienerischen Pro- 
dukten an wahrem Witz und Geist gebreche, das weis ieder; der 
nur ein Zehnkreuzerwerk von ihnen in der Tasche hatte, und die 
Fiille von Gedankenstrichen darin wahrzunehmen, den Ver- 
standbesas: in der That sie haben vielleicht der Gedankenstriche 
(wie die Englander des mit 24 Zeichen dargestellten Witzes) eher 
zu viel als zu wenig. Von der Dumheit der Hottentotten nur 
einigen Begrif zu geben, bring' ich hier fur Denker bei, daB ich 



TEUFELSPAPIERE ■ I. ZUSAMMENKUNFT 'X 221 

authentische Beweise in Handen habe, daB sie der Welt noch 
keinen einzigen Gedankenstrich geschenkt. 

Man uberseh' aber bei dieser Gelegenheit am allerwenigsten, 
wie weit der menschliche Geist die Erweiterung seiner geistigen 
Vehikel unaufhorlich treibe (und wie er schlechte Kanoes in 
prachtige Fregatten und Kauffartheischiffe verwandele.) An- 
f angs deutete er iedes Ding durch ein Gemalde desselben, darauf 
durch seinen ungefahren UmriB an, hernach durch ein besonde- 
res wilkiirliches Zeichen (wie noch die Sineser) endlich nur 

io durch 24 Zeichen, die die Schulmeister gemeinhin das A. B. C. 
nennen. Jezt lasset ers nicht einmal dabei beruhen: sondern er 
sinnt nach, ob er nicht statt dieser 24 Zeichen eine noch allge- 
meinere Formel zu ergriinden und vielleicht durch ein oder zwei 
Zeichen alle Abanderungen des Witzes, Scharfsinnes etc. auszu- 
driicken vermoge. Das ahnliche Gliick der Rechenkunst 
schreckte ihn am wenigsten davon ab: denn auch sie lernte von 
den Arabern alle mogliche Summen mit 10 Zeichen, von Wei- 
geln schon mit vieren und endlich von Leibnizens Dyadik bios 
mit zwei Ziffern schreiben und ausdriicken. Von diesem Grade 

20 der Vollkommenheit (denn es giebt nur noch zwei hohere, den, 
alles durch Ein Zeichen, und den Lezten alles durch gar nichts 
hinzusetzen und anschaulich zu machen) steht vielleicht die Ge- 
dankensymbolik weniger ab, als meine Rezensenten denken. 
Man driikt iezt aus durch 

1) einen horizontalen Strich (-) alle mogliche scharfsinnige, wit- 
zige und erhabene Ideen, sowie auch die entgegengesezten 

2) durch mehrere vertikale gerade oder geschweifte Striche (!!!!, 
????) alle mogliche satirische, riihrende und wahrhaft tragi- 
sche Empfindungen, so wie wiederum das GegentheiL 

30 Es wird aber wenig mehr noch auszudrticken da sein. Wenn 
nun die gedruckte mir iezt gerade linker Hand liegende Seite des 
Organons hinlanglich erweiset, daB die bloBe Erfindung der 24 
Buchstabenzeichen dem menschlichen Geiste das Geschaft des 
Denkens unendlich kiirzer und bequemer gemacht: so muB die 
Einschmelzung derselben in zwei Zeichen ia wol von den aus- 
serordentlichsten Folgen sein, so daB man das gar wol glauben 



222 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

kann, was in den Zeitungen steht, es gabe hie und da Knaben 
von mitlerem Alter, die Witz und tragisches Genie bekanntlich 
in den Druck schickten; denn der vorher so schwere Ausdruck 
von beiden lauft ihnen iezt dadurch von selbst in die Hand, daB 
sienichts als zwei Striche, einen wag- und einen lothrechten Zie- 
hen zu konnen, vonnothen haben; welches sonst vielleicht ieder 
Edelmarin konnte, der statt seines schweren Namen drei Kreuze 
(f ft) unterschrieb. (Daher war' es gut, wenn der Knabenschul- 
meister den Kindern bei dem Buchstabenschreiben auch das Bu- 
cherschreiben spielend nebenher beibrachte). Freilich unter- 
mengen einige den Gedankenstrichen (wie die Gesandten ihren 
Chiffern) noch besondere Wdrter; allein diese diirfen doch nie- 
mals mehr sein als das schlechte Gestein, durch das sich die dik- 
ken Silberadern der Gedankenstriche vielfaltig hinstrek- 
ken.« — !? 

II. 

Abmahnung fur sehr gelehrte Theologen 

Lasset euch einen Pomponius Latus und einen Hemon de la Fosse 
zur Warming dienen. Aus den Essais historiques sur Paris de Mr. 
de Saintfoix erinnert ihr euch noch dunkel, daB dieser Hemon 
de la Fosse, der ein Schulmeister unter Ludwig XII. war, durch 
das Lesen der alten Schriftsteller zu einem Heiden wurde; ihre 
Schonheiten befreundeten ihn mit ihrer Religion und er glaubte 
an den Jupiter und die elysaischen Felder so fest, daB man am 
Ende sich genothigt sah, ihn gar zu verbrennen und dahin abzu- 
senden. Der zweite Gelehrte, Pomponius Latus, war noch arger, 
er verehrte die heidnischen Gotter durch Altare und Opfer 
u. s. w. Ich will zwar nicht wiinschen, daB euch ein ahnlicher 
eben so moglicher Unfall ubereile, und daB ihr so wie diese zwei 
Manner durch alte heidnische Schriftsteller selber zu Heiden 
ausarteten- so durch das Studium alter christlicher Schriftsteller 
zu wahren Christen werdet; allein eine Versicherung des Ge- 
gentheils, die hypothekarisch ware, kann euch niemand hieriiber 
geben. Es ware iiberhaupt gar nichts grillenhaftes, schon von 



TEUFELSPAPIERE • I. ZUSAMMENKUNFT ■ X 22} 

vornen zu befiirchten, daB Personen, die immer die sogenannte 
Bibel des Kommentirens wegen lesen miissen, die aus der Spra- 
che der Anhanger der alten christlichen Religion soviel asthe- 
tisches Vergniigen schopfen, und den ganzen Tag vermittelst 
der Kirchengeschichte der ersten Jahrhunderte gewissermaBen 
ordentlich unter blosen Christen leben und weben, daB solche 
Personen selber am Ende zu Christen gedeihen miissen. Allein, 
fraget man gar die Geschichte um Rath, die uns vielleicht in ie- 
dem Jahrzehend einen Mann, der durch sein Studium zum aus- 
gemachten Christen reifte, auffiirt und die fur die Erneuerung 
dieses traurigen Beispiels so sehr streitet, daB man fur die Wie- 
derkunft eines Christen fast eben so sicher als fur die eines Kome- 
ten biirgen konnte: so wird man angstlich. Anfangs hatten frei- 
lich sowol iene zwei Heiden als diese Christen nicht einmal einen 
Gedanken an die Moglichkeit einer solchen Verkehrung; sie lez- 
ten sich bios an den guten Skribenten beider Religionen und 
wurden Proselyten derselben, hochstens nur in den kurzen Au- 
genblicken der poetischen Begeisterung und Traumerei: allein, 
der Traum span sich nur zu bald in den langern Wahnsinn aus. 
Rezensenten theologischer Schriften sollten daher den Verfas- 
sern derselben dieses zur Warnung vorhalten. Ich wiinschte, ich 
muBte mich hier nicht sogar eines braven Officirs in meiner 
Nachbarschaft (er ist einen BiichsenschuB von mir) erinnern, 
dem man wenn er kein Christ ware, durchaus nichts vorzuwer- 
fen hatte, der aber iezt einen traurigen Beweis abgiebt, wie leicht 
es ist, daB auch der gelehrteste, philosophischste und heterodo- 
xeste Mann, trotz der iezigen Vollkommenheit der Aufklarung 
und des Handels, das Christenthum das wir alle mit Augen ein- 
steigen und fortfahren sahen, auf einer Retourfuhre wieder mit- 
bringe und sonach, wie ein schlechter Tragodiensteller, wider 
alle Einheit der Zeit das erste und das achtzehnte Jahrhundert in 
einander menge. 



224 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

III. 

Von Philosopher! und Alchymisten, denen es sauer gemacht wird, sich 
selber zu verstehen 



Allerdings muB Newton in seinen iungern Jahren vortrefliche 
Werke aufgesetzet haben, da er nicht einmal selbst sie in seinen 
alternnoch verstehen konnte. Allein, man muB auch auf der an- 
dern Seite nicht verhehlen, daB dieses Lob doch noch grosser 
sein wiirde, wenn er sich schon in seinen iiingern Jahren und 
nicht bios im Alter nicht verstanden hatte; denn im Alter gehen 
auch wol leichtere Schriften iiber die gesunkenen Krafte und der 10 
groBe Mann steht dann nur noch als seine eigne an ihn, und die 
Sterblichkeit erinnernde Mumie vor uns. Wir haben groBe Phi- 
losophen und Alchymisten, die in dem leztern Falle nicht sind, 
sondern die sich oder ihre Werke schon in ihren besten Mittel- 
iahren nicht verstehen, und in der namlichen Minute, in der sie 
im thatigsten Paroxysmus aller Seelenkrafte gerade die besten 
Werke zeugen, dennoch diese nicht fassen, konnten sie auch ein 
Kurfurstenthum damit verdienen, von welchem der Bayrische 
Kurfiirst verordnete, man solle es mit einem Ch. schreiben. 
Uebrigens sehn' ich mich nach ihrem glanzenden Loose wenig. 20 
Sie sind die schonen Opfer der allgemeinen Erleuchtung: denn 
indem sie durch ihre mir bekannten Schriften die halbe Welt er- 
hellen, so stehen sie auf der andern halben vollig unbeschienen 
und verfinstert, weil sie ihre oft aufgelegten Werke, die ihren 
Nachsten aufklaren, unmoglich verstehen und leider nicht halb 
so gut wie der Leser wissen konnen, was sie selber haben wollen. 
Sie haben diesen beschwerlichen Vorzug mit der Sonne gemein, 
aus der Licht auf alle geringeren Korper fliesset, in der selber aber 
es (nach Sack und nach Peyroux de la Coudroniere) so finster, wie 
in einem Schweinsstall ist; oder auch mit den Gebeinen des Elisa, 30 
die einem fremden Leichnam Leben und Seele einverleibten, fur 
sich selbst aber in ihren zaundiirren und unbeseelten Zustande • 
verharrten. Peter der GroBe sagte: »meine Nation konnt' ich an- 
dern, aber nicht mich.« Wahrhaftig tausend Schriftsteller der 
hohern Chymie sind dem Peter nicht bios im Genie, sondern 



TEUFELSPAPIERE ■ I. ZUSAMMENKUNFT • XI 225 

auch darin ahnlich, daB sie sagen konnen: »wir konnten zwar 
dreiBig unsichtbare Logen, aber nicht uns selbst kliiger ma- 
chen. « In diesem Punkte fahrt ein schlechter Wochenmensch wie 
unser einer, der nur im Hause der Gemeinen sizt, vielleicht besser; 
denn ob ich gleich nur diinne und kurze Stralen in die Kopfe der 
Menschen steigen lasse und keine vortrefliche Werke erschaffe, 
sondern nur gute: so kann ich sie zu meinem grosten Nutzen 
doch auch fur meine Person verstehen, kann das mannigfaltige 
Gute darinn ruckweise zu gesundem Milchsaft und diesen zu 
Blue verwandeln und kann mich durch die neuen Wahrheiten, 
Fingerzeige, Noten und Zurechtweisungen, die darin fast in ie- 
der Seite aufspringen, in einen der brauchbarsten und gesittet- 
sten Manner umarbeiten. So erwarmt ein Brenspiegel von 
schwarzem Marmor zwar andere Gegenstande minder, aber da- 
fur sich selbst auch mehr als einer von einer glanzenden Farbe. 



XL 

Launigter Anhang 

I. 

Wie ich tausend gute Menschen vom Tode auferwecke 

20 Ich erinnere mich, daB ich als ich noch sieben Pfund wog und 
erst ein Paar Wochen auf mir hatte, gar nicht daran dachte, mich 
nach einem Schreibepult umzuthun und darauf ein Buch zu 
schreiben und vor der Welt im Drucke nach Vermogen zu la- 
chen: ich lachte damals nicht einmal auf meinem Gesichte oder 
fur mich selbst. Allein, da meine Kenntnisse und meine Glieder 
sich weiter ausdehnten: so konnt' ich mir gar bald denken, daB 
ich ein ordentliches und vortrefliches Buch gebaren miiste, weil 
man damit dem Publikum einen wahren Gefallen erweiset. 1st 
es inzwischen daran genug und der ein rechtschaffener glanzen- 

30 der Autor, der nicht auch zuweilen selbst etwas drucket? In einer 
gewohnlichen Sekunde kann man mich verstehen. 

Es erbarmet mich namlich unsaglich, wenn Romanenschrei- 
ber ihre fromsten Helden so todmachen und ich f ragte oft meine 



226 JUGENDWERKE ' 4. ABTEILUNG 

vertrautesten Freunde, wie konnen getaufte Christen so sein? 
Allein, ich lass* es bei einer bios gewiinschten Hiilfe selten be- 
wenden, sondern ich bin mit wirklicher da, weil mir nun einmal 
der Himmel Vermogen und Willen dazu schenkt. Ich nehme da- 
her, wenn ich mit dem Buche zu Ende u.nd da bin, wo der Ro- 
manen- oder Tragodienschreiber die herrlichsten Menschen aus 
Eilfertigkeit oder wahrer Running mit der Feder niedersticht, 
sogleich ohne ein Wort weiter zu sagen oder unthatig daruber 
zu heulen und die Hande zu ringen, mit den leztern ruhig meine 
Handpresse hervor, und drucke mit derselben einige oder meh- 
rere Bogen in fortlaufender Seitenzahl an das Buch hinan: auf 
diesen posthumischen Bogen zwinge ich sie unvermuthet wie- 
der aufzuleben und lasse deswegen Doktor und Apotheker gar 
nicht aus dem Hause. Auf diese Art und durch die besten Sani- 
tatsanstalten bring' ich (wie man lebendige Beispiele davon her- 
umgehen sieht) aufgeklarte und iunge Menschen wieder zum 
Leben, die nachher der Welt noch viel Nutzen schaffen. So rieb 
und badete ich den armen eingefrornen Siegwart so lange bis er 
seine naturliche Warme bekam und ordentlich mit mir, wie ein 
Gesunder reden konnte: nun ist der ehrliche Schlag so gesund, 
wie ein Hecht im Wasser, sizt bei mir zu Miethe, zeugt seine 
iahrlichen Kinder, will sogar seine eigne Lebensgeschichte fort- 
setzen und die seines Biographen anfangen und kann (nach 
Druck und Lettern zu urtheilen) noch ein paar Jahr langer leben 
als Methusalem. Soviel ist aber richtig, daB ich von der Pramie, 
die sonst auf jeder Belebung eines Erfrornen steht, noch bis auf 
diesen Abend keinen Heller gesehen, noch wenig'er uberkom- 
men habe, und nun hab' ich Lust, sie auszuschlagen wo nicht zu 
verschenken. Es mussen noch Personen, die H. Schiller mit sei- 
ner Feder wie mit einem Froschschnepper todgespieBet hatte, 
am Leben sein und es sich, wenn ihnen dieses Buch zu Gesichte 
kommt, vielleicht nicht ohne Vergniigen erinnern, daB ich we- 
der scharfe Lettern noch gute Druckschwarze gespart und ganze 
Abende am Schriftkasten gestanden, um ihnen wieder zu dem 
Leben zu helfen, das sie iezt im sechsten Akte, den ich angedrukt, 
so sehr geniessen. 



TEUFELSPAPIERE ■ I. 2USAMMENKUNFT • XI 227 

Mit Freuden hatt' ich den armen lean Calas, der in Voltairens 
Abhandlung uber die Toleranz tod vorkommt, wieder belebt, 
wenn ich ware im Stand gewesen, kleine Zizero Ami qua aufzu- 
treiben: aber hat ein Parlement nicht mehr Geld (und vielleicht 
noch einmal so viel) als ich und konnt' es nicht dafur einen Zent- 
ner kleine Zizero Antiqua gieBen lassen, um dem guten Calas in 
einem guten Style hinter Voltairens Abhandlung das Leben zu- 
zustellen, das ihm lieber sein wiirde als iede andere Rehabilita- 
zion? 

Ich brauch' es nicht zu rechtfertigen, daB ich einen und den an- 
dern schlechten Kerl, den oft ein franzosischer Roman mit agyp- 
tischen Fleischtopfen und Wonnemonaten beschenkte, durch ein 
wenig Oel und RuB vergiftete; ich kann es gestehen, daB ich auf 
dem leeren Blatte, das der Buchbinder dem Ende des Buches an- 
kleistert, vor kurzen einen Finanzpachter mit der Druckerahle 
erstochen und den franzosischen Minister Terrai unter meiner 
Handpresse mitten auf seinem Landgute to'dgequetscht. - Denn 
das ist eben eine Folge der obern Gerichtsbarkeit iiber Hals und 
Hand, die ich durch meine Handpresse exerzire. 

FiirTragodien-und Romanenschreiber kann nichts wichtiger 
sein als daB - wenn in ihren Werken Helden und Heldinen der 
besten Art hinf alien wie Fliegen, an epidemischen Krankheiten, 
an chronischen, an Selbstermordungen, wenn sie schon 3 Tage 
im Grabe gelegen, wenn sie schon auf dem Rabenstein, unter 
dem Galgen sind, wenn sie gar nicht mehr ganz, sondern aus Fo- 
lio in den kleinsten Format gebrochen sind, - das alles gar nichts 
thut, so lange ich selbst noch am Leben bin, und es fur meine 
Pflicht ansehe, mit mir und mit meiner belebenden Handpresse 
zu ieder Stunde der Nacht bei der Hand zu sein. 

Wollte Gott, ich verstande soviel griechisch wie der Stadt- 
physikus, der an seinem ganzen Leibe keinen deutschen Muskel 
und Knochen hat, sondern bios griechische - nicht um mich ex- 
aminiren zu lassen, sondern um elysaische Felder aus deutschen 
zu machen und dem Sokrates und Zyrus im Xenophon durch 
fiinf griechische Seiten das Leben einzuhauchen. 



228 JUGENDWERKE - 4. ABTEILUNG 

II. 

Meine vielen und erheblichen Rollen, die ich nicht sowol auf dem Thea- 
ter des Lebens als eines Dorfes in Einem oder ein Paar Abenden machte 

Viele Menschen spielten auf dem groBen Welttheater und auch 
auf dem kleinen Nazionaltheater, das der Regent auf ienes setzen 
lass en, wirklich grofie Rollen, und manche Furs ten machten den 
Fursten auf beiden: aber wenigen wurd' es stets gegeben (so daB 
ich mich recht sehr wundere, daB es mir gegeben wurde), viele 
oder unzahlige Rollen zu machen und zwar auf einmal, an Einem 
Abend, fur Ein Entreegeld; der Teufel selbst aber konnt' es nicht 10 
anders machen, wenn er auf einem elenden Dorf theater mit 
Ruhm agiren muste und doch keine Leute hatte. Und so wars 
bei mir. Die ganze mich mit Bewunderung lesende Welt hatte 
dabei gesessen sein sollen, bei meinem wunderlichen Agiren, 
und es ist nur ein wahres Gluck, daB ich Papier, nehmen und ihr 
fast alles erzahlen will. Aber das Theater muB doch noch vorher 
beschrieben werden, soviel ich merke. Ich trat in die Ecke der 
Wirthsstube, und in nichts war die Ecke leichter umzuformen 
als in ein geraumiges Theater, wenn das Ehebet des Wirthes aus 
ihr herausgeschoben wurde: ich sagte deswegen im Prolog mit 20 
wenigen Worten, die Ecke ware schon vorher ein gutes Theater 
gewesen und der Wirth hatte auf ihm, nur drei Schuhe hoher, 
seine Pflicht gethan, als erster und als zweiter Liebhaber zu- 
gleich. Das Orchester hieng in Gestalt einer Trommel an der 
Wand und war auf der Gasse hinlanglich geruhret worden: in- 
zwischen hatt' ich sie dennoch vor dem ersten Akte geschlagen, 
wenn ich vier Arme gehabt hatte; denn meine zwei musten zum 
Handelsgeschafte verwendet werden, das draussen vor der Thiir 
zwischen mir und den Bauern im Gange war, die um das Entree- 
geld nicht christlich mit mir handelten, sondern iiidisch, und ich 30 
schame mich in iedem Betracht, es in die lange Welt hinauszu- 
schreiben, der Klingelbeutelvater wollte gratis hinein und trug 
zum Vorwand einen Krug Bier vor sich her. Ich selbst war, wie 
man schon wird gemerkt haben, der zeitige, trockne Direkteur 
der ganzen Schauspielertruppe, die sich, wie Wahrheitsfreunde 
bestatigen konnen, die sie gezalet, nicht unter zwei Mann belief, 



TEUFELSPAPIERE ■ I. 2USAMMENKUNFT ■ XI 229 

von welchen zwei Mannern niemand der eine war als ich selbst; 
der andere Mann war ein unfrisirter und wie ein Heiliger fasten- 
der Pudel, der weil er unter der ganzen Truppe am besten tanzte, 
allzeit den ersten Liebhaber agiren muste und weiter nichts. Man 
muB diesem geschikten Akteurdas Lob geben, daB er seine Rolle 
nicht zu wenig studirt, sondern fast den ganzen Tag (und das ist 
recht, da ich keine Komodienprobe anstelle) nach Vermogen 
probirt, und ich sande in verschiedene Theaterkalender ein weit- 
lauftiges und mit wahrem Geschmack geschriebenes Lob seines 
naturlichen und doch pathetischen und niiancirten Spieles un- 
frankirt ein: aber aus Neid gegen den Hund wurde nichts davon 
abgedrukt und das Thier ist noch bis auf diesen Tag dem Publi- 
kum wenig bekannt. Ich bin ein unerheblicher Mathematiker: 
aber ich maB den Augenblick ab, daB Gallerie und Parterre des- 
wegen einander gleich waren, weil beide GroBen einer dritten 
gleich waren, namlich der Logenreihe - iiberhaupt lagen die drei 
Grosten in Einer Ebene, namlich in des Wirthes Stube, wenn 
man nicht mit ein wenig mehr Genauigkeit sagen will, daB auf 
dem Tisch das Bier und die Gallerie gewesen. Die Logenreihe 
muB von Schriftstellern, die in soliden Theaterzeitungen dar- 
iiber mit hinlanglicher Prazision zu schreiben wunschen, aller- 
dings bios auf die groBe Loge und ihre beiden Seitenlogen einge- 
schrankt werden; und die groBe Loge muB der Scharfe nach bios 
auf einen Stuhl eingeschrankt werden, worauf hart am Vor- 
hange der Haupthonorazior, der Schulmeister, voransaB, und 
die 2 Seitenlogen auf die zwei andern Stuhle des Wirthes und des 
Baders, welcher leztere der Welt und sich selbst noch nicht so 
bekannt werden konnte, als seinen Bartkunden. Allein gegen 
den 1 6, 17 Akt, wo ich allgemein hinriB und kein Mensch mehr 
wuste wer er oder sein Nachbar war und wo, riikte und trat fast 
das halbe Paterre mit aktiven und passiven Schieben iiber die drei 
Stuhle hinaus und es gieng wie in den Saturnalien und in der To- 
denauferstehung her, die entferntesten Stande wurden ganzlich 
mit einander vermischt und der vomehmste konnte, wenn er 
wollte, den geringsten beim Barte fangen, z. B. der besagte Ba- 
der seine besagten Kunden. Da eine ausserst angenehme Dar- 



230 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

stellung des SchweiBes und des Rennens, womit eine wandernde 
Schauspielertruppe es so weit bringt, daB sie vor den Zuschauern 
in einer anstandigen Dekorazion und Garderobe auftreten kann, 
die erst unter den Zuschauern selbst zusammengetragen und ge- 
bettelt wurde, und zu deren Gabe und Wiedergabe zu alien Zei- 
ten wechselseitige Requisitorialschreiben und Kapturbefehle der 
besten Art vonnothen sind, einem andern kiinftigen Druckbo- 
gen und Fruhjahr aufgesparet werden muB: so wird in dem ietzi- 
gen nichts daraus, so gut ich auch schon iezt im Stand sein 
mdchte, von ienem unendlichen Schweisse einen recht passen- 
den Begrif zu geben, wenn ich ienen mit dem vergliche, den eine 
arme ehrliebende Familie wenn sie ein Soupee geben will vergie- 
Bet, um nicht sowol das Bisgen Essen zusammen zu bringen als 
Teller und Stiihle und einen Vorlegloffel. 

Wenn ich kurz vor dem ersten Akte ein paar unisonische 
Stosse in die Trompete zum Fenster hinausthat - und wenn ein 
Verleger den Pranumerazions-Praklusionstermin noch um eine 
sachsische Frist verlangert: so sind wir beide natiirlicher Weise 
auf die Paar Groschen erpicht, die noch durch die Frist und 
Trompete einlaufen; allein angefangen muB doch einmal wer- 
den, nicht die Komddie, sondern die bloBe angenehme Erzah- 
lung derselben. 

Der halbe Feiertag muB im altesten Kalender schon stehen, an 
dem ich mich eben so ausserordentlich anstrengte und ohne ein- 
mal dazwischen zu trinken, alle Personen des alten Testaments 
im Gallop so durchmachte, daB ich nur den einzigen Ahitophel 
auslieB weil mir der Wirth gleich voraussagte, er hafte mir nicht 
dafur, daB mich iemand abschnitte, wenn ich einmal hienge. Ein 
gewisser narrischer Miiller in RuBland will es noch weiter trei- 
ben, als ich, und sagt und glaubt, er sei alle Personen des alten 
und neuen Bundes auf einmal; allein der Henker mag ihm das 
nachglauben; da mir hingegen ieder vernunftige und sein En- 
treegeld erlegende Mensch meine biblischen Rollen an den 
Rockknopfen ansehen konnte, auf denen - und seit dem sind 
auch bei einigen Parisern die Buchstaben von den Stirnen auf die 
Knopf e gezogen - ieder Patriarch, der ich abends war, nament- 



TEUFELSPAPIERE ' I. ZUSAMMENKUNFT "XI 23 I 

lich stand, und auf den nicht verschliessenden Taschenknopfen 
saBen die Konige Israels, und auf den Beinkleiderknopf en bios die 
apokryphischen Weiber. Das war aber der erste Akt und ich sah 
ihn an, und er war sehr gut. 

Ich machte im zweiten mit Beifall einen franzosischen Mini- 
ster, aber keinen Krieg und keine neue Auflage deswegen, und 
die ganze Schenke muB meine Riicksicht auf die Schenke und die 
Landleutezu riihmen wissen: es wiirde so etwas auch sein Konig 
nimmermehr gelitten haben, der ein recht kluger und guter Herr 
war, und sich auf die meisten Fahnenschwenkungen des Szepters 
verstand, und der nothwendig- da an den Pudel nicht zu denken 
war, der mit der Reprasentazion der ganzen Paradewache der- 
maBen die Pfoten voll zu thun hatte, daB er eine sich selbst rau- 
chende Tobakspf eif bios mit der Nase hielt - wieder von mir ge- 
spielt werden muste. Ich sehe freilich so gut wie ieder andre ein, 
' daB diese hypostatische Personenunion und diese Rollenver- 
kuppelung mit dem wirklichen Leben (gleichwol sollte das 
Theater nur dessen Spiegel sein) vollig streite; ich warf mir es 
selber vor, daB darin der Fall so sehr anders ware, daB man da 
gar noch keinen Minister oder Regenten gesehen hatte, der den 
Minister und den Regenten zugleich und auf zwei Beinen, (nicht 
auf vier) hatte machen wollen - ia die Schenke selbst muB ge- 
dacht haben, ich ware gar toll geworden, und stache boshaft das 
widernaturliche VerhaltniB ihres Amtmanns und seines Aktuar- 
ius an. Indessen muste sie doch auch soviel sehen (und das trostet 
mich) daB das der zweite Akt war, der gar nicht iibel war. 

Einige Geistliche miissens bios fur einen absichtlichen Spas im 
dritten nehmen, wenn ich gar nicht anders konnte, sondern den 
Geistlichen und doch zugleich in einem Rocke, in einer Minute 
die entsetzlich vielen Saufer, Ehebrecher und Heuchler - ich 
konnte die Wahrheit zu sagen nur die Zunge fur den Geistlichen 
eriibrigen und muste mit den iibrigen Gliedern profane Rollen 
agiren - machen muste, an deren Herz ich mit so faBlichen und 
erwecklichen Leichsermonen und Kasualpredigten und Nutz- 
anwendungen anpochte, daB ich der Satan selbst gewesen sein 
muste, wenn ich nicht meine schlimme Sinnesart hatte bessern 



232 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

wollen. Ich wars aber nicht einmal; denn ich konnte im Dorfe 
weder Schwanz noch PferdefuB dazu habhaft werden. Des- 
wegen hoff ich, daB besagte Geistliche wenn sie mit auf der 
Frontloge gesessen waren, doch gestanden hatten, es ware 
bios der dritte Akt und der ware recht gut aber ein wenig nar- 
risch. 

Wenn ein recht ein si ch tiger Mensch ein en fingirten Graf en zu 
agiren hat, der gliicklicher weise die Oberiagt oder die Oberge- 
richtsbarkeit und auf einmal neun Schelme fur diese ehrlich be- 
sizt, die am Ende auf eine verniinftige Art geradert und gehan- 
gen werden sollen: so kann diesem Menschen, der Abend noch 
sauerer wie den neun Schelmen selber werden, sobald er diese 
zehen Rollen mit nicht mehr Personen zu besezen weis als mit 
einer, namlich seiner eignen; er und ieder, (sagt er und hoft, ich 
gebe ihrn Recht), sahe die klare Unmoglichkeit vor sich im 
namlichen Leibe, Rocke und Geiste und Abende einen Grafen 
und einen Missethater zugleich zu machen. Allein ich geb ihm 
nicht recht; und viele Zuschauer besoffen sich nicht sondern sa- 
hens selbst, dafi ich abends - nachdem ichs zu Mittage hinter ei- 
ner Trommel, die den Komedienzettel ersezen wollte im Dorfe 
herumgeschrien hatte, es soke und muste abends mit gnadigster 
Erlaubnis eine ganze heillose Diebsbande geradert, geviertheilt 
und ungewohnlich gemartet werden, zu iedes eingepfarrten 
Christen Spas und Besserung - mich wirklich an die Sache 
machte. Allerdings ist der Ruhm des Schulmeisters und des 
Spiegelhandlers hierin gros; allein die Welt muB doch erst lesen 
wienach und warum. Ich wurde zum Grafen gemacht - nicht 
weil ich dafiir der Reichshofkanzlei 4000 fl. Tax zahlte und dem 
Vicekanzler 600, und dem Sekretario 300 und Kanzlei-Jura 400, 
sondern bios - vom Schulmeister, der beim Uhraufziehen in die 
Kirche gieng und aus der Herrschaftlichen Kirchenloge die 
graflichen Leichensporen nebst dem Degen und Wappen auf eine 
Nacht furs Theater borgte. Ich that das alles an und sah darin na- 
turlicherweise wie ein halber Graf aus. Den ubernachtenden 
Spiegelhandler beredte ich, die' neunspannige Diebsbande zu 
verfertigen und mir flange Spiegel vorzustrecken. Diese wur-. 



TEUFELSPAPIERE ■ I. ZUSAMMENKUNFT "XI 233 

den auf dem Theater um mich herum gestellt. In iedem stand ich 
und agirte zum Schein einen Diebsgesellen und alles war fast 
prachtig und ich hatte doch mein wahres Ich zum Grafen noch 
vorrathig. An diese neun Ichs oder Verdopelungen meiner Ge- 
stalt hielt ich diese Verrische Rede: »ihr Inkulpaten allzumal, ihr 
solt iibermorgen bei fruher Tageszeit geradert werden und ich 
brauche keine Aktenfaszikel dazu sondern nur ein Rad. Denn 
wozu bin ich mit Obergerichtsbarkeit und Niedergerichtsbar- 
keit uber Menschen und Vieh eigentlich belehnt? Ich soil durch- 
aus an iedem, der eine von beiden an meinem Dorfe exerziren 
will, selbst eine von beiden exerziren: das muthen mir Kaiser 
und Reich zu und schreiben mirs aus Regenspurg lateinisch. 
Und ich wil's auch; denn ich fuBe dazu auf einige starke Griinde 
und auf Trillionen schwache. Ihr habt euch auf eine summari- 
sche Art in meine Obergerichtsbarkeit gemengt, indem ihr 
Leute aus meinem Dorfe torquirtet und umbrachtet und keinen 
Kreuzer fur einen Defensor, oder corpus delicti, oder einen Stos 
Akten, oder einen Schoppenstuhl oder einen Freitag ausgabet: 
was bleib.t denn noch fur ein Unterschied zwischen mir und euch 
und woraus will bei so gestalten Sachen ein verniinftiger Mann 

- und hingen neun Barte und Doktormtizen von ihm herunter 

- noch abnehmen, wer von uns eigentlich die Obergerichtsbar- 
keit habe und iibe, ihr oder ich? Ehebruch gehort auch ziir Ober- 
gerichtsbarkeit: es sehens aber alle Juristen aus eueren Blutringen 
um die Augen und aus eurer Stimme, daB ihr in euerem Leben 
mehr Eheb niche begangen als ich mir noch gedacht habe, und 
ich kann nur nicht recht herausbringen wo und mit wem. An 
eure leere Hufte - (ich wies mit der Hand darauf: aber dadurch 
veranlaBte ich, daB die neun Schelme neun Hande ausstreckten 
und auf mich zum Gelachter des Parterre wiesen, das von den 
Gesetzen der Katop trick wenig verstand; ich hingegen erklarte 
mir aus diesen gut das Handeausstrecken und konnte mithin 
nicht lachen) - habt ihr Degen geklebt: aber ganz naturlich habt 
ihr damit aus manchem meiner Unterthanen seine Goldkorner 
ausgedroschen, undes ist ein verfluchter Flegel, der Degen, und 
was die Hufte anlangt, so gehts mich nichts an, daB sie eure Ah- 



234 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

nen beschliesset und nicht fortsezt und mehrt. Warum spitzen 
eure armirten Fersen sich in Sporen zu, die die Pferde radern? 
Der gemeine Menschenverstand sagt schon, weil ihr beides 
mauset und ich will wegen der Sporen in meiner Empor in der 
Kirche nachschauen lassen oder an den Fersen der Menschen. Ob 
ihr gleich eure Beinkleider mehr mit Geld als mit eurem Korper 
ausfullet: so sind sie doch so wenig Geldes werth und gleich dem 
Ueberroke so erbarmlich, daB ihr handgreiflich dasselbe auf 
Pharaokarten wieder fortsegeln lassen musset; durch Hazard- 
spiele aber wird wenigstens in meine niedere Gerichtsbarkeit 
eingegriffen. Von dem Fette eures Leibes (hier wies ich wieder 
auf sie, aber nur in der Vorstellung), das ihr meinem Dorfe aus- 
gebraten und ausgeschnitten, kann ich ubermorgen ein Paar 
dicke Altarlichter oder einige Trauerfackeln fur meine Leiche 
giessen lassen, und auf eurer Haut kann ich, wenn sie ausgebaizet 
worden, neunmal in LebensgroBe so gemalet werden, daB mein 
Gesicht auf eures, mein Arm auf eueren und so weiter kommt. 
»Ich sehe aber, es steckt mir bei diesem hochst nothpeinlichen 
Gericht doch anspielender Spas im Kopfe. Gott gebe nur haupt- 
sachlich, daB wir alle niemals verdamt werden, sondern samtlich 
aus dem Sarge mit denselben Gliedern herausschiessen konnen, 
mit denen wir hienieden in die Steckbriefe gesetzt werden; euch 
vollig ausgenommen: denn wenn ihr etwa hoftet, ihr waret bios 
in effigie allhier und es ware nichts mit euch zu machen: so ware 
das narrisch und ich wollte wol so viel Geld zusammentreiben, 
daB die Hinrichtungsgebuhren ziemlich bestritten und der Herr 
Spiegelhandler, dem mans gabe dafiir bezahlt wiirde, daB er in 
diese Ecke sich sezte und von den Spiegeln hinten das Quecksil- 
ber wegkrazte und abbtirstete, dem die grosten Schelme iezt 
noch ausser euch neunen das salivirende Leben verdanken. Aber 
ich merze euch eben so gut aus, wenn ich bios das Licht aus- 
putze.« - Da ichs that: wollt' es viele Bauern unglaublich ver- 
driessen und ich und meine Trommel, sagten ein Paar, hatten 
heute Mittags bekanntlich etwas viel Verniinftigers und Entsez- 
lichers als so etwas Dummes versprochen, und es miiste vor al- 
ien Dingen was geradert werden. Ich beniizte oder ersezte den 



TEUFELSPAPIERE • I. ZUSAMMENKUNFT • XI 23 5 

Mangel an Musik zwischen den Aufziigen und redete durch den 
porosen Theatervorhang diese Paar verniinftigen Worte heraus, 
daB - da die Schelme, die aufs Rad sollten, ja offenbar bios treue 
Kopien dessen waren, der sie darauf brachte (vermoge seiner 
unstreitigen Obergerichtsbarkeit), und da folglich nach den Ge- 
setzen der Katoptrick und Karls V. die Bestrafung der Diebsge- 
sellen die vorspielende Bestrafung des Grafen voraussezte, wel- 
ches nicht mehr gegen das Reichsherkommen als gegen meinen 
Korper ware - daB im Falle einer Exekuzion wenigstens zu be- 
fiirchten stande, das Rad brachte mich um meine geraden Glie- 
der und das ganze Paterre um den funften Akt, den ich mit ihnen 
ausserdem gespielet hatte; denn die Rede und die Spiegel waren 
nichts gewesen als der vierte, der recht wacker und lang 
ware. 

Unter dem Lichtanziinden befragte ich den Schulmeister, ob 
er aus allem die Moral zu ziehen vermochte, daB Fortunens Rad 
den Stehenden fahre, den Liegenden radere? 

Die Deutschen miissen bemerken, daB ichim lezten Akte vor- 
hatte den Autor und das ganze leibhafte Publikum durchaus in 
einem Nu zu machen: das geht aber nur im wirklichen Leben an 
und ich kam freilich darhinter. Deswegen giengen in meinem 
Plane die wichtigsten Vcranderungen vor, und ich muste die 
schwierige Rolle des Publikums oder meiner Leser, - weil sie 
selber nicht in der Schenke zu haben waren, - bios mit den dasi- 
gen Bauern besetzen die wider ihr Wissen Zuschauer und Ak- 
teurs zugleich sein sollten. Ich hatte dabei auf solche Verwir- 
rung, solche Anspielungen und solchen Spas gerechnet, daB man 
dreizehn alte Hyprochondristen damit hatte von Toden aufer- 
wecken konnen. Ich wollte in meiner unbeweglichen Kleidung 
fur die unbeweglichen Feste, verbleiben und einen elenden Au- 
tor machen, der eben die erzahlten 4 Akte ausgesessen hatte; die 
Schenke wollt' ich wie gesagt, ganzlich fur das lebhafte deutsche 
Lesepublikum halten, dem ich die Akte und einen Epilog dazu 
iiberbrachte: auch wollt' ich das Meinige dafur haben, besonders 
Entree-NachschuB und Riickstand. Ich hatte im gedachten Epi- 
log also zur Schenke gesagt - und sagt' es auch wirklich,- ich 



236 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

ware gottlob der Verfasser des Epilogs und der vergangnen 
4 Akte und hatte ein gutes Herz, aber weiter nichts, wenn ich 
meinen guten Kopf ausnahme. Aber es ware sonderbar, wenn 
beide nicht ein solches Publikum goutirte und lohnte, das seinen 
weichen Gaumen an den besten, alten und neuen Produkten er- 
probe (hier verfiel der Wirth auf eigenliebige aber dumme Ge- 
danken von seinem Biere und Essen). Man konne einem solchen 
deutschen Publikum. alle Einfalle, wie die Kaffeebohnen nur 
halbirt hinreichen; allein es wisse recht gut, woran es im Ganzen 
sei und lachle immer voraus. Und wen anders hab' ich denn auch 10 
(fragt* ich und wollte in ausserordentlichen Eifer gerathen) im 
Grunde vor Gesicht und versorg' ihn mit meinen ertraglichen 
4 Akten, als eben Kenner und Leser, die sich niedersetzen und 
ein Publikum formiren, das niemand mehr versteht und liebt, 
als den H. Hamann, - der Wirth sagte laut, aber die Juden waren 
auf ihn erboBet und schlugen iahrlich in den Synagogen mit 
Hammern nach seinem Kopfe - und Wieland und Herder und 
ieden? Allein, da ich mit noch mehr Witz fortfahren und das 
Gleichnis abweben wollte, daft nicht nur wir Autoren ein brau- 
ner, Honig erbeutender Humrnelnschwarm, sondern auch das 20 
Publikum unsere Hummelkonigin sein muBt, die gleich der na- 
tiirlichen sehr hiibsch und ohne Fliigel und ohne Haare und 
kohlschwarz ware; da ich wie gesagt fortfahren wollte: so konnt' 
ich- weil ich aus meinem Bogenlangen Traume wach wurde; 
denn wie schon 30 UnregelmaBigkeiten dem Leser ausgeplau- 
dert haben miissen, alles Bisherige und das Dorftheater und 
meine Grafschaft war bios ein verniinftiger Traum ~ eben des- 
wegen urn so besser fortfahren; denn seit meinem Aufwachen 
ruht ia eben das Publikum, das ich durch die ganze Schenke 
wollte reprasentiren lassen, lebendig vor mir und vor meinen 30 
4 Akten, und wir sind wieder beisammen. Daher bite* ich es im 
Ernste und aus wichtigen Ursachen, alles der Schenke aufge- 
klebte Lobe zu nehmen und auf sich selbst zu deuten und noch 
zulezt an einem mussigen Tage abzuurtheln, ob nicht, ohne den 
vorigen 4 Akten viel Unrecht anzuthun, gegenwartiger der 
flinfte und der beste und lezte ist. 



TEUFELSPAPIERE • I. 2USAMMENKUNFT 'XI 237 

Dennden i6tenund I7ten, wovon rnir oben eine Zeile entfiel, 
konnt' ich natiirlich gar nicht geben, weil ich nicht einmal den 
funften ausschlief, sondern in der Mitte aufwachte. 

III. 

Warum ich kein Jesuit geworden 

Kein Mensch weis warum ich vor etlichen Tagen gar ein Jesuit 
werden wollte? freilich wurd' ich nach einigen Minuten leicht 
wieder anders Sinnes; allein ich hatte doch einen gewaltigen 
Kampf , und ihn hier in lauter Metaphern abzuschildern ist wol 

io meine Pflicht. Ich sas namlich vorgestern auf meinem Reitstul 
und bewegte mich und meine Hypochondrie darauf nach Gefal- 
len, ohne einen schlimmen Gedanken zu haben: als sich auf ein- 
mal ein heftiger Religionskrieg zwischen meinen Leidenschaften 
und meiner Vernunft entspan, der vielleicht viele Augenblicke 
wahrte und erst nach Einer Minute ausgieng. Die Leidenschaften 
verlangten, ich sollte ein Jesuit werden, die Vernunft fragte, 
wienach sie so etwas zugeben konnte. Die ganze stehende Armee 
meiner Neigungen wurde gehend und fafite die Waffen. Der 
Korper warder Waffentragerderseiben-ubevhaupt ist mein Kor- 

20 per in alien Stiicken ein schlimmer Geselle: meine Seele nahm ihn 
zwar zum Gesellschaftskavalier und zum Zizesbeo an, er sollte 
oft ihr bester Reprasentant und gar ihr curator absentis sein, da sie 
nicht immer bei sich ist; allein es ist auffallend, wie ers meistens 
treibt und ich will hiemit den Leser besonders angesprochen ha- 
ben, dafi er ihm, sollt' er auf ihn treffen, es mag sein wo es will, 
in meinem Namen einen tapfern Stos versetze. - Die Wollust 
kam, damit ich ein Jesuit wurde, mit scharfem Untergewehr, 
wiewol auch der Korper sich im Hintertreffen mit einer alten 
Streitkolbe und einem langen Streitflegel sehen lies. Der Zorn ver- 

30 lies sich ganz auf das Feuergewehr, der Stolz schoB aus einer er- 
traglichen Windbuchse. Der Teufel hielt es fur nichts anders als 
fur seine Schuldigkeit, den Buchsenspanner und Stuckgiesser bei 
den Leidenschaften abzugeben. Der Aberglaube war bekannt- 
lich auch da, und drohte mit einer harten Eselskinbakke vom al- 



238 JUGEND^ERKE ■ 4. ABTEILUNG 

ten Simson. Auf der feindlichen Seite war ich und meine Ver- 
nunft. Da ich eigentlich die bewafnete Neutralist vorstellte: so 
konnt ich die Potentaten mit Nutzen nachahmen und unter dem 
Dekmantel der Neutralist mich ganz fur Eine Parthei erklaren. 
Die Vernunft saB, wenn man mir glauben darf, auf dem Wagen 
der Psyche wie auf einem Streitwagen; die streitende Kirche ver- 
sagte ihr (und mich diinkt, ganz naturlich) das Reichskontingent 
nicht. An den vier Kardinaltugenden hatte sie eine Quadrupelal- 
liance, die den Jesuiten mehr Schaden brachte als die sieben Tod- 
siinden Nutzen. Antonin und Rousseau waren die Gewehr- und to 
Munizionslivranten und blieben doch dabei (man wird es nicht 
glauben wollen) ganz ehrliche Leute. Seneka stand nicht weit 
davon, aber im Grunde mehr zum SpaBe, er lies eine elektrische 
Batterie auf die Leidenschaften spielen und trug einen angeneh- 
men Sommerdegen . Ersagte, seine Sache war' esallemal gewesen, 
der Vernunft die passauische Kunst beizubringen und sie ganz 
fest zu machen. Die Vernunft hielt kurz vor der Schlacht eine 
auswendig gelernte Rede an alle meine Vorsatze (denn die besten 
Feldherrn im Livius tadeln solche gute Reden nicht) und bewies 
ihnenauf iede Art, es ware ihr Nutzen, wenn siesich gut hielten. 20 
Allein es half nicht das mindeste; der Phalanx der Leidenschaften 
ubermannte uns alle durch eine fatale Verstarkung aus einem 
Hinterhalte, wo ganze Ameisenhaufen dunkler Ideen seit vielen 
Jahren gestanden waren, und meine besten Grundsatze kamen 
in Gefangenschaft. Zum Gluck riickten Biester und Nikolai 
ohne Furcht vor meinen Leidenschaften an. Ohne sie waren 
nicht einmal Friedensunterhandlungen auf das Tapet gekommen, 
noch weniger ein ewiger Friede zwischen meiner Vernunft und 
meinen Leidenschaften abgeschlossen worden. Zu meiner Si- 
cherheit halt' ich das Friedensinstrument in Handen und will mich 30 
damit decken, wenn man wiederum zu mir sagte, ich miiste 
nothwendig ein Jesuit werden. 

Es ist schlecht, daB dieMenschen ihre Kriegsexpedizionen die- 
ser Art selten offentlich bekannt machen, und ich bin der erste. 



TEUFELSPAPIERE • I. ZUSAMMENKUNFT • XII 239 

XII. 

Witziger Anhang 

Ein guter Schriftsteller will allemal mehr sagen als er in der That 
weis, und wird mehraus seinem Kopfe herauszupressen suchen, . 
als darin sein mag; wie bei einem, der sich erbricht, die Anstren- 
gung der Natur, etwas gut Verdauetes von sich zu geben, auch 
noch fortwahret, wenn er gar nichts mehr darinnen hat. 

Man kann es in unsern Tagen nicht zu oft wiederholen, daft da 
die Augen des Goldarbeiters nicht mehr vom Glanze des Goldes 
10 und Feuers leiden, als die Augen einer Dame vom Glanze der 
Nebenbuhlerin, nicht nur die Goldarbeiter, um ihre Augen zu 
erholen, fast iede Stunde in den Spiegel sehen sollen, sondern 
auch die Damen. 

Ohne Aussinnung ganz besonderer Unglucksfalle kann man 
wahrhaftig weder einen angenehmen Roman noch einen ange- 
nehmen Bankerut zu machen begehren. 

Unser Jahrhundert, das sonst gar nicht unkaufmannisch ist, ge- 
net wie das elektrische Feuer doch gem den Metallen nach. 

Leute, die ein gedriicktes Leben fuhren und iede Freude dem 
20 Schicksale erst mit sauerm Kampfe abgewinnen musten, sind, 
wenn nicht kriechend doch gebukt, wie solche die in bergigten Ge- 
genden wohnen, immer mit gebognen Ruck en gehen. 

Die Gelehrsamkeit wird in Kopfen und die franzosischen Weine 
in Bouteillen zu Schanden, die damit nicht ganz bis an den Kork 
gefullet sind. 

Von Genies sollte eine gewisse Sanftheit, Bescheidenheit und auf 
geringfiigige Dinge angewante Menschenfreundlichkeit (das ist 
wahre Lebensart) noch seltener geschieden sein als von mittel- 
mafiigen Menschen, wie (nach der Frau de la Roche) Menschen 
30 von grosser Statur das Tanzen nothiger ist als Leuten von mitle- 
rer GroBe, weil die Bewegungen der erstern starker, abgebro- 
chener, eckigter und mithin misfalliger sind, als der leztern ihre. 



240 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

Diese Menschenfreundlichkeit ist die Decke Mosis auf dem stra- 
lenden Angesicht und eine Art von Menschenwerdung, die uns 
an ihnen so erquickend thut als mir in meiner Jugend an der 
Sonne das ihr eingemalte Menschengesicht im Kalender. 

Wenn der kleine Furst bei einem groBern ist: so spielet er vor de- 
nen, die ihn sonst anbeteten, eine heruntergesezte Rolle, er ist 
alsdann ein Aposteltag, der in einen Sonntag fallet und den man 
iiber diesen ganz vergisset. 

»Der Superintendent ist der beste Mensch unter der Sonne und 
den ubrigen Sternen, sobald er etwas besoffen ist. « So sagt auch 10 
der Pobel und schon Epiphanius von den Schlangen, daB sie so 
lange ihren Gift wegsetzen, als sie saufen. 

Die Natur pflanzte dem Herrn von Grossing iene edle Art von 
Stolz und Aufblasung ein, die vielleicht der beste Panzerrock ge- 
gen die unzahligen Schlage ist, womit ihn die Rezensenten im 
Zorne iiberhaufen. So hat auch der Dachs (nach Plinius) das 
Vermogen, sich dermassen aufzublahen, daB kein BiB und 
Schlag viel wider ihn verfangt. 

Um gewisse Menschen von edler und stolzer Denkungsart zu 
bezwingen und zu entwafnen, thut man wol, wenn man sich ih- 20 
nen durchaus von der schlechtesten Seite zeiget: sie mogen sich 
dann nicht besudeln und springen ab. So sollen (nach Dapper) 
auch die Dienstmagde iiber die afrikanischen Lowen glucklich 
dadurch siegen, daB sie den Rock aufheben und ihnen gewisser- 
massen den H - weisen. 

Wenn einige Schonen die Religion und Liebe in einander giessen 
und von Gott und dem Liebhaber in Einem Athem reden, so 
thun sie so wenig etwas lacherliches, daB sie vielmehr ganz den 
Skarabeis (gewissen geschnittenen Steinen) gleichen, auf deren 
vertiefter Seite eine Gottheit und auf deren erhabener ein getroffe- 30 
ner Kafer eingeschnitten steht. 

Gemeine Leute scheidet das Konsistorium erst von Tisch und 
Bett, wenn sie einander geehlicht: aber die Vornehmern trennt 



TEUFELSPAPIERE " I. ZUSAMMENKUNFT * XII 241 

der Priester von Nachttisch und Gastbett schon dadurch, daft er 
sie kopulirt. 

Eh' iunge Edelleute oder gar Fiirsten aufpacken lassen und die 
grosse Tour durch Europa machen, so fullen sie sich vorher mit 
alien den Kenntnissen an, die sie dazu so nothig haben; so wie 
die Bienen, eh sie aus ihrem Bienenstock nach Honig ausfliegen, 
vorher auf dem Flugbrete ihre Augen saubern und heller ma- 
chen. 

Der sonderbare Mensch ist im Buche der Natur der lange 
[o Gedankenstrich. 

Es ist nicht genug, daB einer, der an irgend einer Hand aus dem 
Staube seiner Geburt aufkam, einen Stammbaum machen lasset 
und fremde Vater, wie ein anderer fremde Kinder adoptiret: es 
sollte auch durch Gesetze dafur gesorget sein, daB - so wie nur 
Leute, die keine eigene Kinder haben, fremde an Kindesstatt er- 
kiesen diirfen - auch nur solche Personen fremde Vater adopti- 
ren durften die keinen eigenen haben. 

Es wird mich niemals reuen, wenn ich so gut es mit guten 
Gleichnissen moglich ist, hier ieden lehre, was diese Welt ei- 

20 gentlich ist. Sie kann gar wol das Sakgasgen in der groBen Stadt 
Gottes sein oder eine blosse Provinzialstadt in Vergleichung mit 
andern Planeten, Sie ist der Gangel- oder Laufwagen der 
Menschheit, urn sie aufschreiten zu lehren. Sie ist - das scheint 
eine strenge Folge aus den vorhergehenden Gleichnissen zu sein 
- die Kulisse und Anziehstube fiir eine andere Welt, in der wir 
erst unsere Rollen nicht ohne Beifall machen. Sie ist eine dunkle 
Kammer, (camera obscura) in die ein Stral umgewendete und zu- 
sammengezogene Bilder einer schdnern tragt und malt; in der 
Riicksicht ware freilich das Schonste auf ihr, urn das schon Plato 

30 daher die sogenannten Gansefusse ,aus der Druckerei herum 
schrieb, irgend wo anders her entlehnt. Sie ist die Kiiste zur 
Schopfung Gottes: sie ist ein dunstvoller Hof um eine bessere 
Sonne; sie ist der Zahler zu einem noch unsichtbaren Nenner; 
wahrhaftig ich sage, sie ist fast gar nichts. 



242 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

XIII. 

Ernsthafter Anhang 
Ueber die Tugend 

Eine einzige gute Handlung enthiilt uns die heilige Gestalt der 
Tugend mehr als zehn Systeme und Disputazionen dariiber und 
der beste Mensch hat die beste und richtigste Vorstellung von 
der Tugend. Was SeelengroBe, hoher Geist, Verachtung des Ir- 
dischen ist, wird keiner fassen, in dem sie nicht schon keimen 
oder bluhen, und dem nicht schon bei ihren Namen das Auge 
und die Brust weiter wird. Es sind ungliickliche Menschen, die 
den Pythagoras und Plato und Apollonius fur schwarmerische 
Narren halten und etwas grossers auf der Erde kennen, als von 
ihrlosgehoben, mit den Wurzeln ausser ihrem Schmutze zu sein 
und sie disseits des Grabes zu verschmahen: Denn iene Men- 
schen sind hiilflose Menschen. 

Gleichwol ists gut, Zweifel gegen die Tugend heben, die we- 
nigstens in den Minuten unserer Ermattung siegen oder storen. 
Kant, der endlich sich und die ganze Nachwelt zum ersten 
Grundsatze der Moral durcharbeitete, tritt wie ein belehrender 
Engel unter Zeitgenossen, vor denen franzosische Philosophic 
und abmattende Verfeinerung und Mode mit vergiftendem 
Athem predigen. Zuweilen wenn der Lehrer mit grosseren 
Schiilern grossere Dinge vornimt: ubertragt er einem andern 
Schiiler das Geschaf t, kleinern das A . B . C. zu zeigen - oder (wel- 
ches eben soviel ist) in einem ernsthaften Anhange einPaar Worte 
uber die Tugend einige Monate nach Kant zu schreiben. 

Wer eigne GKickseligkeit fur den Zweck der Tugend halt: der 
kann drei verschiedene Irthumer auf einmal glauben; aber ieder 
dieser Irthumer zerbricht die Flugel der Seele und macht sogar 
das Vergniigen an der Tugend schaal. Er kann erstlich glauben, 
daB sie das Treibhaus und der Kuchenwagen der Gliickseligkeit 
sein soil - mit deutlichern Worten, daB diese Gottin auf die Erde 
gesendet ist, damit sie uns nicht den Himmel gebe, sondern 
Nahrung und Kleider und gesunden Leib und Lustigkeit, und 
damit sie mit ihren himmlischen Handen das fiir uns zusammen- 



TEUFELSPAPIERE • I. ZUSAMMENKUNFT ■ XIII 243 

grase, was dem Thier der Instinkt viel reichlicher vorschiittet. 
Um so gliicklich zu sein wie die Thiere brauchten wir ia nur die 
Thiere im Unterleib (nach der platonischen Dichtung) nicht zu 
bekampfen sondern zu masten. Der Abscheu vor Mord z. B. 
lage also aus keiner andern Ursache mit den festesten Wurzeln 
in unserem Herzen, als - damit die Gattung bestande; da doch 
oft vier mordsiichtige Tiergattungen die fiinfte nicht zertrum- 
mern konnen - da doch die namliche Absicht durch eine Krank- 
heit weniger in der Welt, oder durch grossere Fruchtbarkeit bes- 
ser erreicht wiirde - da doch endlich es das alles gar nicht 
brauchte, weil allgemeine Mordsucht sich besser das Gleichge- 
wichthalten wiirde, als iezt Mordsucht und Mordabscheu. Eben 
so soil die mutterliche Zartlichkeit keinen grossern Zweck 
haben, als Aufazen der Kinder; aber die thierische Jungenliebe 
zieht ia die Jungen ohne diesen Aufwand groB. Haben die 
menschlichen Tugenden keine himmlischern Zwecke, als die 
ahnlichen thierischen haben? Noch etwas: Legte die Natur die 
Wolthatigkeit nur als ein Fruchtmagazin fur fremde Nothen in 
unser Herz: so - aber ich wiirde mich zu hart ausdriicken. Ich 
sage nur das: wenn es fur alle Pflicht ist zu geben: so hebt sich 
das Geben wechselseitig auf , und es ist fur die Gliickseligkeit so 
viel, als gabe keiner - wenn es Tugend auf meiner Seite ist, mei- 
nem Freunde meine korperliche Gliickseligkeit aufzuopfern, 
wenn es folglich auch auf seiner Seite Tugend ist, wiederum mir 
die seinige aufzuopfern: so gewinnt ia durch diesen Pfandwech- 
sel nicht die Gliickseligkeit, die man fur den Zweck und Lohn 
dieser Aufopferungen ausschreiet - wenn es endlich so sehr Tu- 
gend ist, irgend einem Menschen Gesundheit und Nahrung und 
Vergniigen zu verschaffen: warum ists denn keine mehr, wenn 
ich mich selbst zum Subiekte meiner eignen Wohlthatigkeit er- 
kiese, und warum macht der Unterschied der eignen und der 
fremden Begliickung, der keinen in der Gliickseligkeit macht, 
einen so groBen im Verdienst? Eben deBwegen, weil die Vor- 
aussetzung falschist, machte er einen - eben weil die Tugend et- 
was bessers und grossers ist als ihr sichtbarer Uebungsstof und 
als das Blei worauf sie sich abpragt - und eben weil alle kamera- 



244 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

listischeundstatistischeGliickseligkeit, die Antoninerschuf, gar 
nicht in der Wage ziehen kann, in der sein groBes Herz liegt, urn 
dessen Tod eine Welt weinte, weil sie vor dem Tode seltener zu 
weinen brauchte? Ueberhaupt ist in der groBen Weltmaschine 
die Tugend das langsamste Rad (ob gleich vielleicht alle schnellern 
mit an diesem drehen) und die Menschen- und die Thierwelt 
verdankt nur bleiernen Gewichten ihren Gang. Aber dieser 
Wahn ist fast von alien Seiten zu verwundern. 

Der zweite Irthum ist abscheulicher und verunstaltete den 
Kopf des Helvetius: nach ihm dienen alle Tugenden - und alle 
Laster - bios unsern Liisten und Vortheilen und sind die stummen 
Knechte an den Maschinentafeln unsers Korpers; aus dem Ma- 
gensaft und noch einem andern rinnen alle Kenntnissse und Tu- 
genden und fliessen wieder dahin zuriick. Aber hatte denn Hel- 
vetius keinen Busen, in dem er eine Achtung flir Handlungen 
empfand und aufhob, die nach seinem System gar nicht existiren 
konnten? Denn den eigenniitzigen, die er allein zulieB, konnt' er 
diese das Herz groBmachende Achtung nicht hinwerfen. Wenn 
Tugend und Laster nur eine verschiedene Kalkulazion des natnli- 
chen Vortheils ist; wenn die Kluft zwischen Sokrates und Borgia 
mithin nicht von verschiedener Anstrengung des Willens, son- 
dern des Verstandes herkommt: so giebts keinen andern Grund, 
warum wir uns mit dem tiefsten Hasse vor Borgia entsetzen, als 
den weil er - nicht genug auf seine Gesundheit bedacht gewesen, 
und keinen andern Grund, warum unser Herz, fur das des So- 
krates in liebender Eintracht schlagt, als den weil er - ganz gute 
Diat gehalten und von keiner Pest zu bezwingen war; kurz, un- 
ser HaB wird hier bios durch einen fehlsehenden Verstand, und 
unsere Liebe, durch einen rechtsehenden gewonnen, ob wir 
gleich, oft sonst Dumheit lieben und Scharfsinn hassen. Wenn 
das nicht Widerspriiche sind: so ist die menschliche Natur einer. 
Und es ist noch obendrein die Frage, ob nicht die korperliche 
Gluckseligkeit, die das Ziel der Tugend sein soil, Borgia besser 
als Sokrates erlauft: denn Borgia holt durch die Intension der 
Freuden diesen in der Extension derselben ein, und wenn Sokra- 
tes (nach diesem System) sich eine grossere korperliche Gliick- 



TEUFELSPAPIERE ■ I. ZUSAMMENKUNFT • XIII 245 

seligkeit (ich weiB nicht recht, welche) durch die Aufopferung 
der kleinern, das Leben namlich, kaufen durfte: warum soil sich 
Borgia verrechnen, wenn er die gegenwartigen Freuden der 
Wollust mit einem Theile seiner Gesundheit bezahlt? Und den- 
noch verabscheuen wir den, der sich nicht verrechnet. Man 
konntediesenStralnochandersbrechenundz. B. auf die Selbst- 
verachtung des gliicklichen Lasterhaften lenken oder auf die 
Sonderbarkeit, daB wir einen gewissen Eigennutz. verachten, ei- 
nen andern (den erlaubten) dulden, und einen dritten (wie Hel- 

10 vetius die Uneigenniitzigkeit nennen muB) bewundern: aber es 
ist schon zuviel gewesen, daB ich diese der Erde abgeborgte 
Neumondsstralen in die Sonnenstrahlen eingemengt, die H. Ja- 
kobi in seinen vermischten Schriften auf Helvetius System nie- 
dersteigen lassen. 

Es bleibt indessen diesen Tugendsozinianern noch die Aus- 
flucht iibrig, daB diese Achtung fur die Tugend des andern bios 
aus der Bercchnung des Nutzens entspringe, den er uns und der 
Welt damit schaffe; und wenn Hutcheson darauf das antwortet, 
daB uns uneigenniitzige Handlungen, wenn sie auch alien scha- 

20 deten, dennoch gefielen und umgekehrt: so versezt Basedow 
wieder darauf, daB wir, von Jugend auf gewohnt, mehr die of- 
fers vorkommenden Folgen als die einmaligen zu schatzen eine 
uneigenniitzige schadliche Handlung darum hoher als eine ei- 
genmitzige vortheilhafte achteten, weil iene doch in den meisten 
Fallen niizte und diese doch in den meisten Fallen Unheil stiftete. 
Ich begreif es aber nicht, wie man aus einer unbestimmten Be- 
rechnung unbestimmter Vortheile ein so lebendiges und durch 
alle Herzen des Erdbodens ziehendes Gefiihl fur die Tugend ko- 
chen wollte: eben so gut wohY ich die Liebe fur weibliche 

30 Schonheit aus der kaufmannischen Zusammenaddirung der 
Vortheile, die sie iiber die Welt bringt, z. B. der grossern Einla- 
dung zur Fortpflanzung, der grossern Verfeinerung, zu der sie 
die nebenbulerischen Manner nothigt, entsprissen lassen. Nach 
der Basedowschen Ausrechnung miiste der Eigennutz, der die 
unzahligen groBen Rader des Handels treibt und der unter alien 
Neigungen das wenigste Verdienst und die grosten Vortheile 



246 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

zuriick lasset, unserer grosten Achtung, und die Uneigenniit- 
zigkeit, deren himmlische Arme selten weit reichen, unserer 
Verachtung wiirdig sein, und es gabe keinen tugendhaftern 
Mann als einen Fabrikanten, den tausend besoldete Hande da- 
durch nahren, daB sie sich selber nahren. Und in wiefern soil mir 
das durch Tugend fortgeriikte Wol der Welt Achtung abgewin- 
nen? Denn das Wol des Ganzen kann mich nach ienem System 
nur durch den Antheil interessiren, der auf meine Schultern oder 
in meine Hande kommt: ein Antheil, den nur die feinste Sozie- 
tatsrechnung kalkuliren, den nur der Zufall lassen, den eine 
schlimme oder eigenniitzige Handlung mir eben so gut zuwen- 
den kann, und der uns unmoglich iene erquickende Empfindung 
einer liebenden, neidlosen Bewunderung eingiesset, womit uns 
bei dem Gedanken einer hohen uneigenmitzigen Seele, die wie 
eine warmende Sonne iiber diese Erde an ihrem Himmel geht, 
das Auge heller wird und das Herz freier und der Athem defer. 
Kann endlich die Achtung fur unsere eigne Tugend aus den 
Vortheilen entwickelt werden, die wir durch sie uns und andern 
brachten? Und wenn gewisse Menschen, die eine allgemeine 
Wahrhaftigkeit, eine allgemeine Keuschheit etc. schadlich fur 
das Ganze und das Individuum halten, gleichwol sich der Ach- 
tung fur diese Tugenden oder fur den, der sie ohne Ausnahme 
(ibt, nicht entschlagen konnen: wie vertragt sich das mit der Ba- 
sedowschenBehauptung?-Derlezte Kunstgrif, um die Tugend 
fur eigennutzig auszuschreien, giebt das Vergniigen ihres Be- 
wustseinsfiir den lohnsiichtigen Zweck derselben aus. Aber ge- 
rade umgekehrt, eben weil wir die Tugend lieben, macht uns das 
Bewustsein ihres Besitzes Vergniigen: so wie ia das Gefallen an 
weiblicher Schonheit nicht daher kommt, weil dieses Gefallen 
uns siisse ist, sondern diese Sussigkeit ist eben die Wirkung 
(nicht die Ursache) des Gefallens. 

Der dritte Irthum, den man unter den obigen Worten meinen 
konnte, betrift die Hektik der menschlichen Tugend. Wer kann, 
sagt man, den lebenden, dunkeln Abgrund seiner unedeln Re- 
gungen so bewachen und beleuchten, daB sie nicht unsichtbar 
hervorfliegen und in die schonsten Friichte seines Herzens ihre 



TEUFELSPAPIERE • I. ZUSAMMENKUNFT ■ XIII 247 

giftigen Geburten graben. Das beweiset aber nicht bios, daB die 
unedelsten Regungen wie Teufel unsere edelsten, sondern daB 
auch unsere edelsten, wie Engel unsere unedelsten begleiten 
konnen: denn aus der Wirksamkeit dunkeler Triebe (also guter 
und schlechter) folgt beides. Wenn unsre menschenfreundlich- 
sten Handlungen mit geheimen eigensiichtigen Zwecken legirt 
sind: so gesellet sich vielleicht z. B. zu des Kornsiuden gewin- 
siichtigen Freuden noch die kleine uneigenniitzige, daB er so 
viele Menschen vom Hunger rette. Denn es handelt ia niemals 
Ein aus alien Ringen ausgehenkter, isolirter, selbstandiger Trieb 

10 des Menschen, sondern der Mensch selbst mit alien seinen Trie- 
ben und das ganze Instrument mit alien seinen Saiten ertont vom 
Beruhren eines aussern Schalls, nur aber jede Saite in ihrem dis- 
sonen oder unisonen Verhaltnisse zu diesem Schalle. Und eben 
dieses Bewustsein dunkler Mitwirkungen artet im Tugendhaf- 
ten zur schmerzhaften Tauschung, als hatt" er zweideutig gehan- 
delt, und im Lasterhaften zur schmeichelhaften aus, als hatt* er 
gut gehandelt. Aber beides ist eben Tauschung: denn eine unei- 
genniitzige Handlung wird dadurch nicht ganz eigenniitzig, daB 
sie es zum Theil ist und umgekehrt. 

20 Ueber keinen Text predigte unser fleischernes Jahrhundert so 
gern und so oft als iiber den, daB die Seele an der Kette des Kor- 
pers liege, daB die Windlade des Unterleibes der versteckte Sou- 
fleur des im Kopfe regierenden Theaterkonigs sei, und daB un- 
sere Tugenden oft von einem tiefliegenden Mistbeete getrieben 
werden. Die Erfahrung ist wahr, aber falsch der Schlus daraus, 
der den menschlichen Geist entheiligen will. Denn so wenig es 
diesen erniedrigt, daB er zu seinen Gesichtsempfindungen des 
Sehnervens bedarf: eben so wenig beschimpft es einige seiner 
edelsten Empfindungen, daB sie erst durch die Sekrezion, die 

30 den Kastraten fehlt, in Blute schlagen. Denn iener Sehnerve und 
diese Sekrezion sind als Materie von gleichem Werth und sind 
in moralischer Riicksicht weder edel noch unedel, und wenn die 
Empfindung des Erhabenen uns kiinftig nicht mehr die Brust 
ausdehnte, sondern dafiir den Unterleib: so befande sie sich da- 
durch nicht um einen Atom erniedrigt - ausser in den Augen ie- 



248 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

ner vornehmen Frau, von der Platner erzahlt, daB sie vor Eckel 
von Sinnenkam, da sie aus dem Unrath eines aufgeschnittenen 
Schweins zum erstenmale errieth, wie wenig es in ihrem eignen 
Inwendigen so reinlich aussahe als in einer hollandischen Stube. 
So wenig tiefes Nachdenken darum, weil es sich oft in Erbrechen 
und Polluzionen schloB, mit beiden eine herunterstellende Ver- 
wandschaft hat; so wenig Leibniz aus dem Zwiebak, der ihn in 
den himmlischen Stunden des Erfindens erhielt, seine Monaden 
sog: so wenig benimt irgend eine Nerven- Mitleidenschaft ho- 
hen Empfindungen ihren Silberblick. Denn der vom Stral be- 
tastete Gesichtsnerve, ist ia doch nicht die Gesichtsempfindung 
selbst, die obige Sekrezion ist ia doch nicht die edle Empfindung, 
hat gar keine Aehnlichkeit damit, lasset sich gar nicht zur Ursa- 
che davon machen und das Materielle ist noch weniger, als der 
stinkende Diinger, den die saugende Blume zum Duft umarbei- 
tet, mit dem sie ihren Kelch umringt. 

Der Mensch thut oft Fragen, die man mit nichts beantworten 
kann als damit, daB er sie nicht hatte thun sollen. So fragt er: 
» wenn ich die Tugend nicht als verkleidete Gliickseligkeit suche: 
warum such' ich sie denn?« denn gesezt ich gab' es zu: so kann 
ich ia meiner Seits fragen: warum suchst du denn die Gliickselig- 
keit? Er kann bios antworten: » weil sie meiner Natur gemasist« 
und eben das antwortete der Stoiker auf deine obige Frage. Die 
Verbesserung und Fortfiihrung dieser stoischen Antwort trieb 
seit 6 Jahrtausend kein Scharfsinn so weit, als der Kantische und 
wessen Tugend die Schriften dieses Mannes nicht starken, der 
sieht nur seines Geistes- nicht seine SeelengroBe, nur seinen 
sichtbaren Kopf, nicht sein unsichtbares groBes Herz. 

Mochte mir dieser ernsthafte Anhang, durch den ich im 
Grunde mich selbst riihren und bessern wollen, verziehen wer- 
den! Noch besser war's, wenn er gar den Leser dahin brachte, 
Satire eben so vertraglich mit duldender Menschenliebe und der 
noch schwerern Menschenachtung zu finden, als Kriminalur- 
theile und Strafpredigten, und den Advokaten des Teufels vom 
Freunde des Teufels zu trennen. Mir zum Besten fug' ich noch 
zwei Regeln an: warte niemals auf ausserordentliche Lagen zum 



TEUFELSPAPIERE " 2. ZUSAMMENKUNFT - I 249 

Gutsein, denn die alltaglichste ist die verdienstlichste dazu und 
versprich dir nie von deiner eignen Tugend die Entziickungen, 
die die Bewunderung der fremden gewahrt, sondern schmerzli- 
ches Aufopfern - und wie reissende Thiere leichter iibermannt 
werden als Insektenschwarme, so ist der Sieg - nicht iiber die 
seltenen und groBen sondern - iiber die kleinen und taglichen 
Versuchungen besser und schwerer. 



ZWEITE ZUSAMMENKUNFT MIT DEM LESER 
I. 

Mein Auto-da-fee im Kleinen 

to Wahrend der Leser nicht da war, bracht' ich die Zeit nicht ubel 
zu und hielt mein kleines Autodafee. 

Dieses ist eine unbekannte aber sehr gluckliche Nachahmung 
des groBen. Das spanische geht bekanntlich auf Tod und Leben 
und niitzet bios durch die Ziichtigung derer, die in den wichtig- 
sten Dingen irren, dergleichen z. B. die unbeflekte EmpfangniB 
der Maria ist. Meines aber ist weniger todlich als schmerzhaft 
und brat nicht einmal das Vieh. Das hochste, was ich mir darin 
vergonne, ist daB ich den Inquisiten etwan heftiger als gewohn- 
lichschlage. Zweitens miissen die Irthumer, mit derenHeimsu- 

20 chung ich mich befassen soil, ganz unerheblich sein, einen 
Atheisten, einen Patripassianer etc. feind' ich niemals an, aber 
ich werde gar wol im Stande sein, einen der z. B. die Meinung 
hegt, die modischen Uhren seien zu klein und die Hute zu groB, 
eine ganze Viertelstunde auszupriigeln, urn ihm sie auszustrei- 
ten. Ich denke, eben weil das groBe Inquisizionsgericht nur mit 
Wahrheiten gemeine Sache macht, deren Verbreitung der 
Wunsch und das Ziel der ganzen Menschheit ist - ich fuhrte, 
schon eine zum Beispiel an: - so kann neben ihr noch recht gut 
ein kleineres bestehen, das mehr iiber solche wacht, die vollig 

30 unwichtig sind und von denen daher ieder und der GroBinquisi- 



25O . JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

tor denkt, sie seien gar meistentheils vogelfrei. Wie oft dacht' 
ich, wenn ich in den Visittenzimmern Freidenker iiber die gro- 
sten Kleinigkeiten im Streit und Irthum fand: »diese Kleinigkei- 
ten diirfte eine kleine Inquizion bald aufklaren und sie ware hier 
gewis in ihrem wahren Fache. « Denn nichts ist ia wol auf unsrem 
Erdgen, diesem Zwicksteine im Weltgebaude so groB, als Klei- 
nigkeiten. 

Besonders den Damen kommt meine Inquisizion wahrhaft zu 
Passe: Denn die meisten und grosten Irthiimer,mit denen sie sich 
schleppen, betreffen eben vorziiglich blofle Kleinigkeiten. 

Ich schame mich, es zu bekennen, daB ein Traum die Entste- 
hung meiner kleinen Inquisizion, wie in Portugall die Erneue- 
rung der groBen, verursachte. Indessen zwing' ich doch nie- 
mand meine Begriffe von dem Traume auf: nur behalf' ich mir 
es vor, meine eignen unverwehrten Betrachtungen dariiber an- 
zustellen, und es von Tag zu Tag nachdenklicher zu befinden, 
daB es gerade ein Esel war, der mir im Traume aufstieB und mich 
iiber die Nothwendigkeit einer kleinen Inquisizion belehrte. 
Hatt' ich ihn genauer angeschauet: so hatt' ichs aus den Haaren 
undOhrenleichtlichsehenkonnen, obs der Esel war, der einmal 
einer Predigt des H. Ammonius mit Bedacht zuhorchte und ge- 
wissermassen Verstand hatte. Uebrigens schien sich der Esel 
bald in die groBe Inquisizion selber (als kroche aus ihr die kleine,) 
bald in einen langen Grosinquisitor der beschnitten ware zu ver- 
lieren, so daB ich selber irre wurde; zumal da zulezt sogar mein 
eigner Verstand die Gestalt des Esels anzunehmen strebte. Man 
kann sich hier der Bemerkung nicht erwehren, wie wenig der 
arme Mensch sogar im Traume unvermogend ist, sich in einem 
dauerhaften und ungekrankten Besitze seines gesunden Ver- 
standes zu behaupten und etwan in Einem fort so lange verniinf- 
tig zu bleiben bis er wieder erwacht. 

Sonst hieng man in England wochentlich nur ein paar mal; iezt 
ist taglich da der jungste Tag der Rauber. Man hielt mir dieses 
Beispiel zur Nachahmung vor: allein ich entschuldige mich all- 
zeit gut, wenn ich darauf antworte: » wochentlich zweimal einen 
Hundsschlag der Ketzer anzuordnen, ist stets genug; und bleib' 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. 2USAMMENKUNFT 'I 25 I 

ich nur dabei, so werd' ich ganz sicher weder zu viel noch zu we- 
nig fiir die Wahrheit thun.« Das lezte freitagige Autodafee lief 
nun folgendermasen ab. 

Schon urn 8 Uhr morgens, als rhir Johann den Thee brachte, 
hort' ich von diesem: »es wird heute ein sehr starkes Autodafee 
werden: Melak (das ist mein Buttel) hat wol an die ioo Ketzer 
aufgegriffen und festgemacht und er bringt stiindlich mehrere 
geschlept.« - »Ist, sagt' ich, der Hundsstall schon voll?« Denn 
ich habe mir einen vom Oberiagermeister bios zum Besten der 

io Ketzer gemiethet, weil ich nicht wollte, daB so viele Leute unter 
dem freien Himmel standen. Mein Bedienter beiate die obige 
Frage und ich lies dem Melak anbefehlen, alle Ketzer in den Vor- 
saal der Gerichtsstube hinaufzutreiben. 

Es ist nicht unwichtig, daB ich immer glaubte, meine Rolle 
mit weit grosserem Erfolge zu machen, wenn ich (vermittelst 
einer metaphorischen Verkleidung) mich stellte, als war' ich die 
Wahrheit in Person. Ich must' es noch vom Lyzao her wissen, 
daB die Alten die Wahrheit als eine nakte Frau mit einer glanzen- 
den Sonne auf dem Haupte und mit einem Palmzweig in der 

20 rechten Hand gebildet: ich zog mich daher eben so an, deckte 
eine goldpapierne Sonne auf den Kopf , impfte eine lange Spies- 
gerte in die Hand und that iiberhaupt das Meinige, um die wahre 
Wahrheit zu sein, und da die nakte Wahrheit den Damen nicht 
gefallt, so hatt' ich sogar Hosen an. Ich that meiner Sache da- 
durch keinen Schaden, daB ich durch den Vorsaal und durch die 
Ketzer gehend, die linke Hand auf die Brust ausspreizte und mit 
der rechten die Spiesgerte mit einem Anstande bewegte, der die 
groste Ehrerbietung einflossen sollte, und iiberhaupt wie der 
Gipsabdruck eines hohern Wesens auszusehen suchte, um es al- 

30 len Ketzern leicht zu machen, die herliche Gottin der Wahrheit 
zu erkennen. 

Die Papiertapeten der Gerichtsstube sind Blatter, die ich 
langst aus guten Schutzschriften der Inquisizion und aus ortho- 
doxen intoleranten Werken ausgerissen hatte. Diese Tapeten 
miissen alle Inquisiten mit Beifall lesen und auf Leitern die ganze 
Stube durchblattern. Der Gerichtsstuhl worauf ich mich sezen 



252 JUGENDWERKE * 4. ABTEILUNG 

muB, mag vielleicht mit dem Stuhle des Pabstes die groste 
Aehnlichkeit haben: aber das kann mir weder der Pabst noch sein 
Stuhl verdenken; beide soil ten erwagen, daB ich eben so unfehl- 
bar wie sie selber bin (wiewol wir dreie es mehr in Glaubenssa- 
chen als inhistorischen sind,) da ich wie ich nicht nur einmal ge- 
sagt, die Wahrheit bin und allezeit Recht habe. Ein Tisch neben 
dem Stuhle breitet vor den Ketzern alle die Griinde aus, mit de- 
nen die Wahrheit den Menschen vom Irwahn trennen muB und 
will, und die mein gauzes Gericht unter dem Namen Hezpeit- 
schen, chirurgische Instrumente etc. seit Jahren gut genug kennt; n 
und wenn es noch verkorperte Logik in der Welt giebt, so liegt 
sie auf meinem Tisch. Neben mir sizt an der Wand der Konig 
von Portugal, samt der ganzen koniglichen Familie. Weil, dacht 
ich, dieser groBe Konig dem groBen Autodafee allzeit sogar in 
Person beisizt, so wiird' es meinem kleinen geringe Ehre brin- 
gen, war' er gar auf keine Weise dabei; ich make ihn daher zum 
SpaBe an die Wand. Das Gemalde selbst ist ganz gut, und mein 
erstes und verdienet gleich den ersten Kupferabdrucken viel- 
leicht den schmeichelhaften Beifall der Kenner in iedem Be- 
tracht. Seitdem maF ich ofter und reisse taglich einige Ideale 2c 
fiirstlicher Kopfe ab, die mir offenbar gerathen. Ich misbillige 
es zwar nicht, daB man die Anmerkungen macht, die Verstan- 
deslosigkeit, die diese meine Ideale verunziert, sei weder ein Be- 
standtheil der idealischen noch der wirklichen Furstenkopfe, 
sondern das wahre Kennzeichen eines ungelenken Zeichenschu- 
lers, dessen erste Gesichter gewohnlich dumm aussehen: allein 
mich diinkt sehr, dies macht meinen malerischen Kenntnissen 
schlechte Ehre und ich kann es gar nicht glauben. 

Ich sezte mich nieder und trat nach einigen Verbeugungen an 
den Konig von Portugal und an die Ketzer das Autodafee, wie 30 
gewohnlich, mit dieser Rede an: 

» Meine Herren und Dam en. 
Ich halte bei alien meinen Autodafeen immer eine und dieselbe 
Rede: sie kann daher auch heute nicht anders als folgendermaBen 
lauten: Ich wiinschte freilich, mein Anzug, die Sonne auf mei- 



TEUFELSPAPIERE • 2. ZUSAMMENKUNFT "I 253 

ncm Haupte und die Spiesgerte die ich hier halte, konnten sie" 
ohne Miihe iiberzeugen, daB ich nichts anders als die Wahrheit 
bin: aber es geschiehtnicht; derm ieder von Ihnen will nur seinen 
Irthum, dessenwegen ich ihn einfangen lassen, fur die Wahrheit 
erkennen. Epikur schreibt mit seinem Griff el, die Sinne sind 
nuncii veri, Boten der Wahrheit: allein hab' ich Ihnen nicht durch 
zwei Ihrer verniinftigsten Sinne, durch das Auge und Ohr iezt 
meine Ankunft kund thun lassen? Ich kann also nichts dafiir, 
wenn Sie nicht glauben, daB ich die Wahrheit bin, und es da- 

[o durch sich erschweren, es zu begreifen, daB ich allzeit Recht habe 
und mithin auch iezt, wenn ich das groBe und das kleine Auto- 
dafee so vertheidigen werde: 

Die Ketzer sind Thiere in einer menschlichen Gestalt: das sagt 
Ignazius in seinem 6ten Briefe an die Smymaer. Durch diese 
blosse Metapher- wenn sie nicht mehr ist, da die alten Glossato- 
ren so sehr darauf baueten und gar (und das nicht im Trunke) 
sagten, Vermischung mit einer Ketzerin ware offenbare Sodo- 
mi&) - bahnte der Kirchenvater eine gliickliche Mittelstrasse 
zwischen dem mordsuchtigen Fanatismus und dem todkalten 

20 Indifferentismus. Denn sind die Ketzer Thiere: so gehen die auf 
der einen Seite vollig fehl, die aus affektirter Gutherzigkeit diese 
Thiere gar nicht zu schlachten verstatten und den Damen glei- 
chen, die kein Huhn ab wiirgen konnen; so straucheln die auf die 
andere hin, die iiber das Mitleiden, das diese Thiere nur zu toden 
aber nicht zu qualen erlaubt, sich grausam hinwegsetzen, und so 
halten sich nur die im richtigen Wege, die den Thieren oder Ket- 
zern einen pflichtmaBigen aber kurzen Tod anthun, dergleichen 
ohne Zweifel das Verbrennen ist. Das Toden der Ketzer ist 
uberhaupt nichts anders als die Herrschaft iiber die Thiere, die den 

30 Fursten nicht durch den Verlust des gottlichen Ebenbildes ver- 
loren gieng. Diese Thiere sind das anstandigste Gefolge der 
Christen, wie die Evangelisten in der Begleitung von vier Thie- 
ren gehen. Waren sie keine Thiere: so waren sie im Stande, zu 
schielen und verdorbene Augen zu haben; denn dieses Vorrecht 

a Hommel, Rapsod ad Obs. CCCCXXVI. 



254 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

haben die Menschen, zuverlassig wie Plinius behauptet 3 , oder 
die Rechtglaubigen; denn ich rede ia seit einigen Minuten in einer 
guten Allegoric Ich fahre in ihr sogar fort, da diese Thiere eiser- 
nes Viehsind, das sich aus dem christlichen Schaafstall nie verlie- 
ren soil, und ich oder die Wahrheit eine Sonne bin, die diesen 
Thierkreis auf- und abgeht und bald im Stier, bald im Skorpion 
sein muB. Fur was kann ich daher Walchs Kezergeschichte an- 
ders ansehen als fur eine wolgerathene Zoographie aber ohne 
Kupfer? Hochstens fur Bocharts Hierpzoikon. 

Die Ketzer sind, im Vorbeigehen dariiber zu reden, geistlich 
tod; und wir konnen f reilich mit nichts die Pflicht von uns ableh- 
nen, ihnen auf irgend eine Art die lezte Ehre anzuthun. Allein 
darum mussen wir diese Leichen gar nicht, wie auch die Alten 
die ihrigen, verbrennen: sondern es ist den Sitten von ganz Europa 
gemaBer, daB wir sie, wie die iibrichen Leichen, begraben. Auch 
that man es schon sonst in Klostern und es war da unter dem Na- 
men »lebendiger Einmauerung« nicht unbekannt. 

Die Rechtmassigkeit des Todens selbst ist iibrigens durch die 
starksten gedrukten Bucher viel zu gut befestigt, als daB sie noch 
meinen d. i. der Wahrheit Beitritt bediirfte. Gab nicht sogar 
meine ausgemachte Feindin, die Unwahrheit, der Zuverlassig- 
keit der Ketzerhinrichtungen ihre Stimme willig? Ich kann aber 
nicht weniger wie sie thun . Das Allerwichtigste ist , daB man wol 
- gesezt auch man schluge deBhalb viele Bucher nach - keine an- 
dere erlaubte Weise finden wird, die Irglaubigen auf die rechte 
Strasse zu zerren, sobald man nicht die Hand des Henkers dazu 
nimt. Denn Bekehrung durch Grunde ist ein so schlechter Behelf 
als einer. Grunde sind erstlich gar nicht so leicht zu haben als ein 
Henker, woran vielleicht niemand zweifelt. Grunde sind zwei- 
tens ein solches Zwangsmittel fur die armen Seelen, daB ieder 
rechtschaffene Mann sich desselben zu einer Bekehrung zu be- 
dienen schamt. Denn wahre und nur in einigem Grade starke 
Grunde sind eine Art von Fatum, von Maulkorb und von Dau- 

a Uni animalium, homini oculi depravantur: Plin. H. N. L. XL 
C. 37- 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. 2USAMMENKUNFT 'I 255 

menschrauben fiir den menschlichen Verstand, die ihn zu alien 
Meinungen von der Welt vermogen und ihm vollig die Freiheit 
ihrer Wahlbenehmen; sie springen unmittelbar auf die Seele los: 
Verbrennen hingegen, Gefangnis und Exkommunikazion und 
Kassazion sind gelinder, tasten bios den Korper an, und entreis- 
sen immer der Seele noch von ihrer Freiheit nichts, was sie will 
zu glauben. Dritens haben Griinde sich schon so oft zur Verfech- 
tung der groBten Liigen dingen lassen, daB ein Missionar sich 
schamen muB, sich deren zur Vertheidigung seiner richtigen 
Meinungen zu bedienen; sie treten wie die Schweizer in ieden 
Sold und unterstehen sich denn nicht hier, gar wie die Juden un- 
ter dem Titus, wider sich selbst zu fechten? Wie vielmehr voll- 
ends gegen die Wahrheit; Ich mache mir daher beinahe ein Ge- 
wissen, noch meinen lezten Grund gegen diese seine Mitbriider 
aufzufuhren. Er kann iibrigens nicht anders als so klingen: 
Griinde treffen selten in einem Irglaubigen das aufgelockerte 
Gehirn an, das sie zum Einwachsen bedurfen und das im Kopfe 
eines Kindes, aber keines Erwachsenen liegt. Was konnen also 
Griinde bei einem Irglaubigen verfangen, der vollig so alt ist wie 
ich? Wiesollenbesonders schwache sich in sein versteinertes Ge- 
hirn einbeissen, da sich in das des verniinftigsten Inquisitors 
nicht die starksten einarbeiten? Es geht nicht und die ganze Be- 
kehrung des armen Ketzers, den man doch nimmermehr zum 
Kinde mit einem weichen Gehirn machen kann, wird bios da- 
durch boshaft aufgehalten, daB man ihn auch nicht verbrennen 
will, welches das wenigste ist was man fiir ihn thun kann. Ich 
habe eine katholische Streittheologie in Prag geschrieben, in der 
ich nach hundert Sommer- und Winterfeldziigen gegen die Ket- 
zer doch am Ende sage, daB ich es nun dem Henker iiberlassen 
miisse, das der Streittheologie zu geben was ich nicht konne, 
namlich Anhanger und Besiegte und daB ich zu den bloBen 
Wahrheiten, die ich in Linie gestellt, aus seiner Hand die Beweise 
erwarte. Man probir' es doch nur und mach' ein entsetzliches 
Feuer und brenne einen Menschen wegen irgend eines groBen 
oder kleinen Irrthums vollig zu Pulver: lasset er ihn dann nicht 
fahren, es sei nun mitten im Brennen und Verstauben (ware der 



256 JUGENDWERKE ' 4. ABTEILUNG 

Rauch nicht, so konnt ers uns melden) oder es sei nach demsel- 
ben (wenn er in den Himmel oder die Holle gefahren, wo ich 
- die Wahrheit - auf ihn passe und ihn, nach seiner Losfesselung 
vom sundigen Korper fast spielend umkehre:) so hab ich verlo- 
ren und Wahrheit ist leider Unwahrheit. 

Ich bringe es schon anderswo ein, wenn ich hier zu weitlauftig 
gerathe. Ich wil daher noch sagen: ein Laster ist eine Art von Irr- 
thum und gute Philosophen behauptens haufig. Auch gute Poli- 
zeibeamte behauptens und fugen daher an manchen Orten das 
Zucht- und das Tollhaus in Ein Gebaude zusammen und der 
Verbrecher ist der Stubenkamerade des Rasenden: gienge dieser 
Zusammensperrung auch der kammeralistische Nutzen ab, so 
blieb' ihr doch iederzeit der, daB die Verbrecher dadurch am er- 
sten rasend werden und folglich durch unsinnige Gedznken vollig 
die sundigen verdrangen. Das Laster ist also ein Irrthum, indessen 
doch nur auf eine sehr entf ernte Art. Gleichwohl beleget die Ob- 
rigkeit diesen nur uneigentlichen Irrthum mit todlichen Strafen, 
urn den Inquisiten und Zuschauer zu bessern. Wie weit mehr 
muB sie befugt und verbunden sein, von ketzerischen Meinun- 
gen, die nicht etwan wie Mordthaten, entfernter Weise sondern 
im eigentlichen Sinne Irrthiimer sind, durch die Strafe des Todes 
theils loszureissen, theils abzuschrecken? Indessen hatte man das 
eher iiberlegen sollen. 

Sucht man nun wichtige Irrwege mit Scheiterhaufen zu ver- 
bauen: so kann ich ia mit Grunde an un wichtige Irsteige untodli- 
che Schreckbilder hie und da aufstellen; und wenn der, der uber 
den Werth des groBen Inquisizionsgerichts in Irrthum schwebt, 
gebraten zu werden verdient; warum soil der, der sich von mei- 
nem kleinen unrichtige und anzugliche Vorstellungen macht, 
nicht zum wenigsten werth sein, daB ich ihn maBig priigle? Und 
da Sie insgesamt, wie ich vermuthen kann, sicher so schlecht von 
meinem ganzen Autodafee denken: so mocht' ich mich wol an 
der strengsten Billigkeit nicht sehr vergreifen, wenn ich iezt, eh' 
ich ieden wegen seines besondern Solo-Irrthums in concreto 
priigle, die ganze Versamlung wegen ihres gemeinschaftlichen 
Irwahns nur im Allgemeinen priigelte und iiberhaupt Sie vor- 



TEUFELSPAPIERE ' 2. ZUSAMMENKUNFT "I 257 

laufig darum schliige, um erst einen rechten Beweis zu fuhren, 
dafi ein Stock und ein Sorites nicht zweierlei ist: denn eh' ich das 
mit dem Stocke dargethan, kann ich gar nicht daran denken, ihn 
weiter zu handhaben. Aber das Autodafee soil doch ange- 
hen. « - 

Der erste Inquisit, der mir vorgefiihret wurde, war ein roth- 
gekleideter junger Lieflander, der irgendwo studiret hatte. Sein 
Verbrechen war, er hatte auf einem Kaffeehause im Ernste be- 
to hauptet, er wollte sein Pferd verwetten, er ware weiter nichts als 
eine bloBe Maschine. Ich nahm daher einen alten Krutnstab und 
schlug ihn eigenhandig so lange bis er ruhig gestand, es fehlte 
ihm an Grunden gar nicht, zu glauben, er bestehe aus zwei Ma- 
schinen, namlich aus dem Leibe und der Seele. Das freuete mich 
unsaglich und ich redete ihn so an. »Sremusten den Artikel von 
der Eva im Bayle gar nicht gelesen haben, wenn Sie nicht wii- 
sten, was einige Rabbinen von ihr erzahlen. Die Eva, sagen sie, 
brach einen Ast vom Baume des Erkenntnisses herunter und 
hieb so lange damit auf den ungefalnen Patriarchen loB, bis er 
20 nachgab und einen Bissen vom Baum nahm. Sie werden das 
ganze Autodafee leicht bereden, dan das Werkzeug, womit ich 
Sie vor einigen Augenblicken zum Baume der ErkenntniB trieb, 
das namliche war. Siekonnen iezt sagen, daB Sie ienem Kerl, 
von dem Sie fliichtig im altern Pikus von Mirandula gelesen*, 
so ahnlich sind wie ein Ei einem gemalten: Der konnte - und 
hatte man ihm Geld gegeben oder eine Grafschaft - durchaus 
nicht seine Geliebte umarmen bevor sie ihm nicht quantum satis 

* Der Lieflander hatte auch in andern Schriftstellern Beispiele davon 
finden konnen; und waren sie nicht so haufig, warum hatten denn die 
jo Kanonisten die Frage gethan, ob eine Frau, die iede Umarmung aus dem 
Mann erst erprugeln muB, zu diesem elektrisirenden Schlagen verbun- 
den sei? Briikner in seinen decis. matrim. und Lange in seinem Geist. 
Recht sagen, Nein und die Frau konne, wenn sie den Mann nicht priigeln 
wolle, sich von ihm trennen lassen - einige Weiber sagen Ja, und dieie- 
nige Frau, sagen sie, miiste sehr hart sein, die nicht mit Lust den Mann 
durchschlagen wollte, zumal aus solchen Grunden. 



258 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

abgepriigelt hatte. Sie konnen fragen, ob Sie vor der ganzen 
Operazion wol sehr warm fur mich, diese sichtbare Wahrheit, 
gewesen und mich Ihrem unsichtbaren Irrthum vorgezogen? 
Denn es geschah erst wirklich nach der Operazion. Eben so ists 
schon eine alte Geschichte aber eine der merkwurdigsten, daB 
ein gewisser Stoiker, da ich - nach einer verdriiBlichen Disputa- 
zion iiber die Zornlosigkeit — seine langsten Seitenhaare in meine 
Hande schlang und sie aus Lust und aus menschlichen Absichten 
hin und her zog, und dadurch seinem Kopf im Vorbeigehen das 
Ansehen gab, als wiirde derselbe von iemand in etwas geschiit- 
telt, daB sag' ich dieser Stoiker auf die verdruBliche Vermuthung 
verfiel, ich woll' ihn im Grunde raufen. Was that ich aber in die- 
ser Lage? Ich that nichts, sondern sagte zu ihm: »konntest du in 
mein Herz hineinsehen; so wiirdest du so gut empfinden als ich, 
mit welchem Rechte du dir weis machst, ich schuttelte dich nicht 
sowol aus Liebe als aus Abneigung und wahrer Kalte. So aber 
gehst du ganz uber das hinweg, daB ich einen vernunftigen 
Schlosser sichtbar nachahmen will: dieser wird allemal die 
Eisenstangen, die man ihm feilbietet, in die Hohe halten und ge- 
waltig schutteln; denn sind sie uberhartet und schlecht, so springen 
sie da von entzwei und er mag sie nicht kaufen. Aus einer ahnli- 
chen wiewol figiirlichen Absicht riittelte ich dein Haupt vermit- 
telst deines natiirlichen Haares sehr: mein Vorsatz war, wenn du 
diese Bewegung ohne vor Zorn zu zerspringen ausgehalten hat- 
test, zu mehr als einem zu sagen, du warest meines Wissens nicht 
uberhartet, sondern gerade stoisch genug.«' 

Es wurde ferner vorgebracht, ein dicker Verwalter einiger 
furstlichen Domainen. Nicht daB er iemals vom Gifte der Philo- 
sophic genaschet hatte - er riihrte ihren Gift so wenig als ihren 
Honig an- aber daB er ein heimlicher Ubiquitist sei, und folglich 
die gefahrlichsten Zweifel gegen den groBen Satz des Wider- 
sp ruches nahre, das schien durch gewisse Spuren in seinem 
Schreiben an die Furstliche Kammer, schlecht widerlegt zu wer- 
den. Denn er behauptete darin mit durren Worten, den Theil des 
furstlichen Getreides, den er aufgezehret hatte, hatte der Korn- 
wurm gefressen und schien es demnach fur moglich zu halten, 



TEUFELSPAPIERE • 2. ZUSAMMENKUNFT * I 259 

daB einer und derselbe Scheffel Kom dem Fiirsten konne vom 
Kornwurm und vom Verwalter zu gleich gestohlen werden. Ich 
lieB ihn gerade vor mich hintreiben, und flehte ihn in der beweg- 
lichsten Rede, die man noch seit Christi Geburt gehalten, urns 
Himmels und einiger Philosophen willen an, er mochte doch 
nicht aus blosser FreBsucht den herrlichen Satz des Wider- 
spruchs, auf den sich alle menschliche Kenntnis steure und der 
noch unentbehrlicher ware als Korn frevelhaft umreissen und 
ausmerzen: »warlich, sagt ich mit erlaubtem Eifer, ohne ienen 
Satz halt die wahre Philosophie kein Monat Haus, sondern na- 
hert sich ihrem iiingsten Tage entsetzlich und was bliebe noch 
ubrig? Es ist kaum der Rede werth, bios die ganze Philosophie 
der Hofe und einiger Bodensatz vom theologischen System. « 
Aber der Verwalter war mit nichts zu riihren. Ich muste daher 
befehlen, ihn augenblicklich in die Rauchkammer abzufuhren, 
und da so lange ohne einen Bissen zu lassen, bis er seinen eignen 
Diebstahl nicht mehr auf die Kornwurmer walzte, sondern ge- 
stande, eine Sache, konnte offenbar nicht zugleich sein und nicht 
sein: »Denn, rief ich dem fortgehenden Verwalter nach, nichts 
klaret wol den armen menschlichen Kopf mehr auf als dauerhaf- 
ter Hunger: der Geist azet sich in einem solchen Fall gleich dem 
Baren, aus volligem Mangel ausserer Kost unablassig mit eig- 
nem Fette und eine magere sensitive Seek apportiret, wie ein 
hungriger Jagdhund stets der vernunftigen weit flinker. 
Ueberhaupt wenn ich mich daran erinnere, daB vielleicht alle 
jetzige Menschen einen Magen haben und daB dieser seinen gu- 
ten Anlagen nach . . . (der Verwalter stand mit den beiden Fus- 
sen auf der Thiirschwelle und machte mit iedem Komma meiner 
Nutzanwendung die Thiire weiter auf) der Verwalter soil doch 
stehen bleiben und meine nicht unangenehme Nutzanwendung 
vollends aushoren: er eilt dergestalt, daB man so hurtig reden 
muB, daB ich noch bis auf diese Minute nicht weis, was ich in 
der vorigen wollte . . . daB der Magen seinen guten Anlagen 
nach durch ein schwaches Darben sicher werden konnte der Blu- 
men- und Nelkentopf der herrlichsten poetischen Gewachse - der 
Spalttopf hoher philosophischer Baume der ErkenntniB mit 



260 JUGENDWERKE - 4. ABTEILUNG 

grossen Friichten - das Schirachische Briitkastgen und der Brut- 
ofen, worinnkameralistischeldeenausgesessenwerden, wieman 
sie nicht uberall hat - das SublimirgefaB der rohesten alchymisti- 
schen Gedanken - das Seitenholgen mehr als eines reichen Pieti- 
sten- der Religionsfond wahrer Jesuiten - der laute Klingelbeutel, 
den der Pabst in der ganzen christlichen Kirche unabsehlichen 
Handen herumbdte - der Arbeitsbeutel der miissigsten Rentirer 
und Damen - das Samengehause weitwurzelnder Begebenheiten 
in der Universalhistorie und Zeitung - das Trieb- und Mistbeet 
des richtigen Witzes aller Seelen und auch der meinigen - und 
iiberhaupt das sensorium commune von ganz Deutschland a - 
. . . Gottbehuteundbewahre, mit meinem Verstande gehen be- 
denkliche Dinge vor und die ganze Welt scheint mir um mich 
und sich zu springen- aber bios der fatale wegwollende Verw al- 
ter brachte mich in diesen schlimmen SchuB, worin ich keine 
einzige Metapher uberlegen konnte, Dinge wofur mich die 
Zorn- und Dintenschale der Rezensenten an ihrem Orte gewiB 
begiesset: da er nun fort ist, so setz' ich meinen Stab gelassener 
und ohne besondere Beleidigung der Kritiker weiter . . . wenn 
ich mich, sagt' ich sehr weit oben, daran erinnere, wie unsaglich 
viel der arme menschliche Magen durch den Hunger werden 
konnte; so gefallet es mir nicht, daB die Menschen auf diesem 
Planeten etwas zu essen haben. Die Pallaste beherbergen mehr 
erstikte Genies als die Hiitten, und Schwelgerei todet den Geist 
ofter als der Hunger; und die Polizei vergisset ihres Amtes ganz, 

a Er must' es denn schon sein. Bei wenigen Volkern nahm die Kultur 
die gluckliche Wendung, daB sie wie das Deutsche von der Neigung zu 
den schonen Wissenschaf ten entfernet blieben: nur unser ernsthaf ter Ka- 
rakter (und der Hollandische) arbeitet nicht sowol auf diese wahre Spie- 
lerei als auf Selbsternahrung los, und ein ordentlicher Pachter ist uns in 
tausend Stiicken lieber als ein unordendicher Poet, welcher sagt, er sei- 
nes Ortes floge stets. So hat man auch vom nutzlichen Hausthiere, vom 
Schweine bemerkt, daB sein Temperament mannlichen Ernst beweise, 
daB es niemals, nicht einmal in seiner Kindheit, wie andere Thiere spiele 
und scherze, und daB sein ganzes Dichten und Trachten nie auf etwas 
schlechters gehe als auf einen ordentlichen - FraB. 



TEUFELSPAPIERE * 2. ZUSAMMENKUNFT "I 26 1 

wenn sie mit so wenig wahrem Ernste dafur sorgt, daB die Le- 
bensmittel zu alien Zeiten mangeln. Aber ich kenne der Welt 
Lauf ganz gut: so wie Reichthum vor dem Mangel umbeugt und 
stets wieder nur zu Reichthum rinnet; so wird wahrer Hunger 
dem selten zu Theil, der einen schlechten Kopf auf seinen Hals 
geladen und es wird mit ihm nicht besser umgesprungen als war' 
er eine lebendige Kochmaschine; die hingegen fliehet der beste 
und gesundeste Hunger nie, die ohnehin schon die besten Kopfe 
aufhaben und die sich daher nimmermehr mit Recht beschweren 

10 konnten, wenn man sie manchmal zu Gaste bate.« 

Melak und sein Hund fiihrten eine ganze Rotte von Gesellen 
aller Handwerker herein, die man der Aufwarmung einer alten 
Ketzerei mit vorziiglichen Griinden beziichtigte. Die ersten 
Christen aus dem Judenthum feierten bekanntlich anfangs neben 
dem christlichen Sonntag auch den iiidischen Sabbath; die kop- 
tischen thuns noch und folglich gerade heute und morgen. Diese 
unnothige Verdoppelung des siebenden Tages hatten die einge- 
fangenen Gesellen aus frommen Absichten wieder hervorge- 
sucht: nur bildeten sie sich ein, sie konnten ihre heimliche Nei- 

20 gung zu den Juden vielleicht dadurch verstecken, wenn sie den 
wollebenden Sabbath nicht vor, sondern nach dem Sonntage 
(daher dieser Postskriptsonntag an manchen Orten der blaue 
Montag heisset,) und nicht in der Kirche, sondern in ihren Syn- 
agogen, den sogenannten Wirtshausern feierlich begiengen: al- 
lein der Sang und Klang daselbst, ihr GenuB des Fettes, ihr Lesen 
in einem gewissen Buche, das sie den Psalter nennen, ihr mitter- 
nachtliches Niederfallen auf das Angesicht, ihre Schabbeslichter, 
ihre Beobachtung der unehelichen und ehelichen Pflicht, ihre 
neueSeele, alle diese ersten Kennzeichen des iiidischen Sabbaths 

30 machen es wahrhaftig keinem Klugen schwer, die wirkliche 
Absicht ihrer montagigen Kongresse zu treffen. Indessen als ich 
mich umgukte und den korperlichen Inhalt eines Gesellen nach 
dem andern in einige Betrachtung zog: so wurd' ich sehr tiefsin- 
nig; nicht etwan weil ich nachsann, wieviel wol von solchen ver- 
erzten Korpern weggebrent werden muste, eh' sie zu verklarten 
gediehen und wie leicht dagegen ein groBer Gelehrter fast mit 



262 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

seinem ganzen hiesigen Korper, (so diinn ist dieser,) in den 
Himmel unter dem Vorwande treten konne, er trage schon einen 
verklarten - wenigstens konnte man sagen, daB sehr gelehrte 
Seelen im Grunde schon auf diesem Planeten aus ihrem Korper 
auskrochen und bios etwan wie ausgesessene Rebhuhner noch 
.ein Stiickgen Eierschaale hinten klebend triigen - nicht deswe- 
gen, sondern weil ich mich fiirchtete; ich lieB michs ausserst 
reuen und fluchte auf den Damon, der mir den gefahrlichen Ein- 
fall eingeblasen hatte, solche ausserst wehrhafte Leute bekehren 
zuhelfen, denen der FraB des zweiten Sonntags zehnmal theurer 
blieb als ich, ungeachtet sie mit eigenen Augen sahen, wie wenig 
ich meiner ganzen Gestalt nach etwas anders sein konnte als die 
Wahrheit in natura. 

Ich redete sie mit rechtgemassigter Stimme an, »ihr thatet mir 
einen unaussprechlich en Gef alien, wennihreuerenlrrthumfrisch 
zum Teufel iagtet; und ich wiird' es in der ganzen Gegend und 
auswarts recht nach Wiirden zu preisen wissen. Ich muthe euch 
nicht einmal an, daB ihr die Wahrheit annehmet, sondern ihr 
sollt sie nur bekennen, und alsdann war' es schlecht von mir ge- 
handelt (weils gar nicht nothig ware,) wenn ich nur noch eine 
Mine machte, euch auf die Folter hinzuspannen und zu strek- 
ken.« Durch diese Anrede (denn das trotzige Amtsgesicht mei- 
nes Melaks hatte dem meinigen alien guten EinfluB seiner 
Freundlichkeit benommen) sezt' ich uns alle und so, gar den 
Hund in Gefahr, todgeschlagen zu werden. »Ihr lieben Gesellen 
verschiedener Handwerke, sagt' ich, ich sprach warlich nur sehr 
gleichnisweise und mein' es ia mit keinem ubel. An eine ordent- 
liche Folter denk' ich auf mein Gewissen am allerwenigsten. 
Meine Meinung ist, nur euch damit ihr ehrwiirdige Bekenner der 
Wahrheit wiirdet, etwan und allenfals die so angenehme Realter- 
rizion zu appliziren, die dem Pabste in Rom selbst gefallen 
wiirde, wenn sie ihm ein anderer groBer aber guter Herr anthun 
wollte. Ihr hort, ich rede nicht sowol gemein als gelehrt und 
iuristisch. Ich gehe namlich darauf um, euch mit dem bloBen 
Schein der Folter in einige Furcht zu setzen. Melak wiirde, wenn 
ich iezt ausgeredet hatte und ihr wolltet, euch die Augen verbin- 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. ZUSAMMENKUNFT ■ I 263 

denunddieMarterinstrumente wirklich ansetzen: ihr verspiirtet 
aber, ob ihr gleich im Marterkittel da saBet, im Grunde so wenig 
als ich, weils namlich nach dem Willen der Gelehrten ein bloBer 
unverfalschter Realschrecken d. i. eine Realterrizion sein soil 
und weiter nichts. Indessen um euch zu zeigen, daB ich nach eu- 
rer Angst gar nicht ringe: so will ich euch eine weit kleinere 
(Angst) einiagen und nach der beliebten Nominalterrizion bios 
greifen, die fast aus lauter achtem Spas zusammengesezt zu sein 
scheint; es sollen euch namlich iezt die Marterinstrumente bloB 

:o dort am Fenster gewiesen werden, Melak soil euch auf ein paar 
Schrittesein fatales drohendes Gesicht vorhalten und im Ganzen 
sich am ganzen Korper geberden, als wollt' er euch in der That 
torquiren: allein, ihr werdet sehen wie unmerklich euere Angst 
dabei ausf alien wird. Glaubt mir, lief es nicht gegen main rich- 
terliches Ansehen: so sollte mir Melak die Nominalterrizion au- 
genblicklich selbst anthun, damitich euch an mir selbst bewiese, 
in was fur eine kleine Furcht man dabei gerath.« - Sie giengen 
aber alle aufgebracht fort. »Das ist endlich, sagt' ich, nach mei- 
nem Wunsche: ich habe sie also wie es scheint wirklich in Angst 

20 gesezt und zwar nicht sowohl durch die Drohung der Folter als 
durch die Drohung der Drohung; eine witzige Wendung! die in 
der Praxis selten vorfallt. Dabei schwiegen sie und raumten mir 
folglich alles ein: qui tacet, consentit. Allein die Obrigkeiten ins- 
gesamt, die den montagigen Unfug dulden und keine andere 
Feiertage abordnen als christliche, sollen mir grausam dafiir bii- 
Ben; und das ists eben, was mir am nachsten Autodafee fast noch 
mehr gefallen wird als die ungewohnliche Pracht, die es durch 
die angesehenen Inquisiten erreichen muB, die Melak dazu von 
alien Orten und Richterstuben zusammenholet.« 

30 Jezt wurde mit leichter Miihe der Edle von Tratner herbei ge- 
zogen, ein sonst guter Mann, der den 300 Buchhandlern, die aus 
Bosheit den matten Umlauf seiner Verlagsbucher nicht durch 
einen erlaubten Nachdruck beleben wollen, doch nicht Gleiches 
mit Gleichem vergilt, sondern alle, ihre Artikel willig nachdruckt 
und dadurch sogar Werken, die schon viele Kaufer haben, noch 
weit mehrere zuzuleiten sucht. Aber zu seinem Ungliick war 



264 JUGENDWERKE - 4. ABTEILUNG 

ihm einmal in Melaks Gegenwart die Aeusserung entfahren, ein 
Dieb sei vollig ein eben so gutes Geschopf als ein Nachdrucker, 
und so wenig man einem den Nachdruck untersagen konne, so 
wenig konne man einem rechtschaffenen Burger das Stehlen 
verbieten; ia er war einmal besoffen und behauptete, es gabe ge- 
genwartig gar keine andere Ablasbriefe als die Privilegien von 
Fursten, und man wiirde finden, daB sein Privilegium iiber den 
Nachdruck, auf die zweite Tafel Mosis gebreitet, zum wenigsten 
so lang und so breit ware wie das siebende Gebot: »Aber die 
Auslegung des seeligen Lutheri kont's Privilegium doch 
schwerlich zudecken«, versezte mein Buttel. Es war keine Ver- 
stellung von mir, daB ich eine griindliche korperliche Widerle- 
gung des H. v. Tratners nicht leicht befand. Denn ich konnte 
nicht hoffen, ihn vielleicht durch den Pranger zurechte zu fuh- 
ren. Ich hatte ihm damit nichts anderes erwiesen als einen beson- 
dern Gef alien, weil er selbst iedes seiner Avertissements zugleich 
zu einem Pranger zu erhohen sucht, auf dem er sich der Welt 
vorweiset. Und was die Ohren anlangt, so lasset sich ieder ver- 
nunftige Mann fast mit Lachen das eine wegschnitzen, wenn ihm 
ein anderes langes verbleibt. »H. von Tratner selbst, sagt' ich, 
trift am Ende der Schaden, wenn mir kein korperliches Mittel 
seiner Widerlegung einfallet: allein ist es wol meine Schuld oder 
irgend eines Menschen seine daB ich, da ich bios die Wahrheit 
und nicht der Reichthum bin, iiber das eigentliche tratnerische 
Ich, iiber seine Seele, keine Herrschaft habe? Indessen kann ich 
wenigstens mir eine erlaubte Lust mit ihm machen und pro 
forma muB doch etwas mit ihm vorgenommen werden.« Ich 
langte in die Tasche und spann einen kurzen Strick hervor. Ich 
erinnere ohne Exordium und Spas, sagt' ich, daB das ein iunger 
Franziskanerstrick ist: gelegentlich kann er ein zaher Musculus 
antagonista werden, der die Hande des H. v. Tratner vom Neh- 
men und Irren abzerret. Ein Mensch, der ihn umbindet, veredelt 
sich in 3 Stunden in ein Wesen, das weder Geld noch Bucher beta- 
stet, geschweige lieb hat und das man nicht anders und kurzer 
nennen kann, als einen Franziskaner. Nun ists ein rechtes Gliick, 
daB ich herausgebracht, daB ich aus dem H. v. Tratner iene Geld 



TEUFELSPAPIERE • 2. ZUSAMMENKUNFT • I 265 

und Biicherliebe,. mit der seine teuflischen Skrupel iiber das sie- 
bende Gebot kamen und gehen wurden, augenblicklich fegen 
kann, so bald ich ihm den gegenwartigen Franziskanerstrick urn 
den Hals herumflechte, um den Hals sag' ich von dem so wenige 
Spannen zum ketzerischen Gehirne sind, und der ia offenbar an 
dem Menschen der Tragesessel ist, worauf der Kopf und die 
Seele und das schwache Gedachtnis und hinlanglicher Verstand 
und Einfalle aller Art seBhaft sein miissen. In Zeit einer Viertel- 
stunde konnte der Strick den ganzen tratnerischen Korper die 
Wahrheit zu sagen kreuzigen und abtodten und von ihm und 
dessen ketzerischen Einfliissen seine Seele losspalten, die doch 
ein reiner Geist ist. Am meisten miisse er uns samtlich riihren 
und bekehren, wenn ich ihn hier gar statt eines Kruzifixes des 
bekehrten Schachers mit seinem Franziskanerstrick an die Wand 
und an einen Nagel au£henkte.« Dies verdroB ihn so sehr, als 
hatt' ich mich an seiner Ehre vergriffen und seine Gesichtshaut 
schlug solche Wellen, daB ich ihm sagte, er sollte doch bedenken 
daB er ein Philosoph ware. Allein, mit einer viel zu unbescheide- 
nen Mine erwiederte er, er muste in der That keiner sein und we- 
nig Verstand besitzen, wenn er nicht merken wollte, daB mein 
ganzer Anschlag im Grunde nur ware, ihn zu hangen: allein er 
riethe mir als ein guter Freund den Beckaria - 

»DenBeckaria, unterfuhr ich ihn, mein lieber Mann, muB ich 
langst gelesen und verdauet haben und ich schlug in Italien an 
dieses Philosophen Hausthure mein Wasser ab, eh' man noch in 
Deutschland einen Bogen von seiner Uebersetzung abgedruckt 
hatte. Er mahnet ieden Menschen vom Hangen der Diebe ab. 
Spricht er nun von groBen Dieben: so pfeift er uns eine bekannte 
Melodie in die Ohren, und wir wustens alle. Denn eh* noch ein 
Schreibfinger von Beckaria auf der Welt war: so liessen schon 
andere Schreibfinger der Justiz Gerechtigkeit widerfahren und 
verhehlten es nicht, daB sie groBe Diebe gern am Leben lasse und 
weite Halse, die ganze Stadte, Armeen und Lander einschlingen 
und hinabdriicken, mit keinem Strick versperre: und ist denn der 
ausserordentliche Erfolg davon der Welt und H. Beckaria so 
ganz unbekannt? Denn eben durch diese parziale Abs chaff ung 



266 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

der Todesstrafen verlor der Gott des Diebstahls gleich gewissen 
schlecht kriegenden Machten immer im Felde (d. i. HeerstraBe) 
und gewann bios im Kabinete. Will aber Beckaria auch kleine 
Diebe wie den H. v. Tratner laufen lassen: so weis er nicht was 
er redet und was das deutsche Sprichtwort italienisch heisse: 
>kleine Diebe muB man hangen etc.<« 

»Das Merkwiirdigste, fuhr Tratner fort, ist iiberdies daB ich 
gar kein Dieb bin, sondern nur em ungemein ansehnlicher 
Nachdrucker, der wol nur auf eine sehr entf^rhte Art ein Dieb 
gescholten werden darf . Will mich daher durchaus iemand han- 
gen; so beharr' ich darauf , daB man auch nur eine sehr entfernte 
Art des Stranges fur mich ausdenke.« 

Ich argerte mich, daB seine ganze Absicht war, nur in effigie 
gehangen zu werden. Daher macht' ich die rechten Gestus und 
fiihrte in einer kursorischen Rede das schone Thema aus, daB der 
menschliche Korper aus guten aber unbekannten Griinden das 
treffendste Bild der Seele sein-ich trieb den Satz weit und flickte 
noch bei: »undzwar einBild in LebensgroBe und mit naturlicher 
Karnazion, aber doch ein Pastelgemalde von buntem Staube, das 
einLiiftgen auseinanderbrockelt.« Meine Nutzanwendung war, 
ich diirfe mithin mir eine Metapher zu Nutze machen, um die 
Strafe dahin zu mildern, daB nicht er selbst, sondern - da zumal 
der Eindruck davon um nichts schwacher wiirde - nur sein Bild, 
seine effigies namlich sein gegenwartiger Leib an meine tape- 
zierte Wand solle aufgewunden und gehangen werden. Das 
wurde darauf von uns sofort mit Gewalt und Lust vollstreckt. 
Ich lies ihn 1 7 Minuten hangen und f ragte ihn: ob ihn noch kein 
Schlag getroffen oder treffen wolle, oder wenigstens keine He- 
miplexie. Er sagte, es ware eine Beleidigung der ganzen gelehr- 
ten Republik, daB man ihn an einer Metapher umbra chte. Ich 
wande mich an das Autodafee und sagte: man wiirde ihn nur um 
so viel eher hangen mussen, wenn man nicht sein Bild sondern 
ihn selbst vor sich hatte, und groBe Kriminalisten schreibens von 
einem Winkel Europens zum andern. Ich that noch einige Ge- 
schafte ab und ich bat ihn noch einmal, es nicht zu verhehlen 
wenn er tod ware. Er senkte den Kopf. Wir langten ihn daher 



TEUFELSPAPIERE • 2. ZUSAMMENKUNFT • I 26j 

herunter und liessen ihn nach Hause -laufen. Ich sagt' es aber der 
ganzen Gesellschaft noch den namlichen Tag voraus: da wir sei- 
nen Leichnam nicht begraben hatten, so wurde sein Geist ihn 
nehmen und jeder Christ wiirde Teufels Noth mit ihm haben; 
denn die Alten hatten nicht ohne Grund den grosten Unfug von 
unbeerdigten Leichnamen befiirchtet. Wirklich schifte er sich in 
ein paar Tagen auf der Donau ein, und nahm in Wien seinen 
Nachdruck und seine Dekalogus-Skrupel wieder vor: Indes 
konnen wir alle, seitdem mein Strick seine Seele aus ihm gezo- 

io gen, aus seiner Kezerei nicht viel machen und die christliche Kir- 
che wacht nur iiber der Geister, nicht der Leiber Glauben und 
verb rent deswegen einiges Holz. Die Seele des wienerischen 
Edeln fahrt nun im Himmel herum und denkt da gewiB richtiger 
als ihr hiesiger Korper, der auf unserm Nebelstern sich noch satt 
frist und zwar im bekannten Wien. Diesen narrischen Korper 
wollen wir daher wenig anfechten, so toll ers auch nach Befinden 
noch mache: Denn freilich erst neulich tunkte der besagte Kor- 
per ins Din tenfas und seztezwei Avertissements (S. Alg. litterat. 
Zeitung 1785 No. 103) zusammen, in denen kein Sinn ist und 

20 einige Bosheit. 

Weiter wurde vorgetrieben ein alter Gelehrter, der einmal la- 
teinisch gesagt hatte, Voltairen ware die Wahrheit, da er sie um- 
halsen wollen, wie der Potipharin Joseph entsprungen und er 
hatte nur ihr Kleidin Handen behalten: »nur ein wenig mehr hat 
er geschrieben als gelogen« sezte er hinzu. Ich hielt dem Gelehr- 
ten eilig vor, daB es allemal nicht anders als so kommen konnte 
und daB bis ans Ende der Welt solche schiefe Bonmots entstehen 
musten, wenn man, aus einer unbeschreiblichen Unbekannt- 
schaft mit der neuern Litteratur, gar keine Sylben von den zwei- 

30 erlei Edizionen der voltairischen Werke wuste und nur die Edi- 
zion in Grosoktav kennte: »allein, fragt' ich, giebts denn 
wirklich keine zweite, die zwar die namlichen Buchstaben, In- 
ter punkzionen, Worter und Gedanken enthalt wie die erste - 
wenn das principium indiscernibilium reden konnte, so muste 
es beide fur gleich erklaren- die aber ungleich mehr rein demon- 
strate Wahrheiten aufweiset, indem sie augenscheinlich in 



268 JUGENDWERKE * 4. ABTEILUNG 

Quart ist? Ich hoffe, Sie wollen nicht absichtlich zwei Edizionen 
von so verschiedenem Formate verwirren, sondern streiten nur 
der Oktavausgabe groBe Unpartheilichkeit, Gelehrsamkeit und 
Wahrheitsliebe ab.« Das ware nicht zweierlei sagte er auf grie- 
chisch. Ich lies aber eine voile Quartausgabe Voltairens herbei- 
schleifen, und sezte dem alten matten Gelehrten die ganze 
schwere Edizion theils auf, theils schniirte ich sie ihm urn. Vol- 
taire sas nicht 7 Minuten auf ihm, als ihm das schmerzhafte Ge- 
fiihl seines Gewichts einen freien Widerruf abpreste: stets war er, 
erklarte er sich, der sonderbaren Meinung gewesen, niemand 
habe wol die Wahrheit mehr geliebt, gepuzt und iiberhaupt sel- 
tener belogen als H. von Voltaire, den er eben aufhabe und mit 
dessen Gehirnschale H. Wekherlin seine eigne glatte und bohne. 
Ich lachelte stufenweise und nachlassig und sagte mit wachsen- 
der Grazie: »Solche Vorfalle im menschlichen Leben und im lit— 
terarischen gelten bei einem guten Kopf fur einen triftigen Be- 
weis, dan das Gewicht, das ein europaischer Autor seinen vielen 
Behauptungen ertheilt, sie am allerbesten glaublich mache; und 
gegen den Skeptizismus dieses leichten Franzosen gab es keinen 
prachtigern Gegengift als den, daB seine Sachen in Quart ge- 
druckt und gebunden wurden, weil damit dem gemeinen Weseh 
doch gezeigt wurde, daB es noch wahre Demonstrazion in der 
Welt und in den Repositorien gebe. Wenn es eine noch bessere 
Widerlegung ihres zweifelsiichtigen Inhalts als ihr Quartformat 
giebt: so ists bios eine Folioedizion, auf die ich den Augenblick 
denken wurde, wenn ich die alte Sorbonne ware, oder aus Gex. « 
Zwei Damen aus Berlin gaukelten Hand in Hand zu meinem 
Richterstuhle und lachten mich aus. Die eine bestand nicht aus 
Leib und Seele, sondern aus Spas und alle ihre Muskeln waren 
Lachmuskeln; sie glaubte, alle Menschen, vom Affen an bis zu 
mir, saBen bloB zum Scherzen auf der Welt und auf den Richter- 
stiihlen. Daher konnt* ich mich nicht wundern, daB sie tiber die 
Sentenzim Stambuche des H. Sohnes des H. Nikolai »Zuwachs 
an KenntniB ist Zuwachs an Schmerz« drei Tage und drei 
Nachte lang gelacht hatte. Eine solche Ketzerei war ganz erheb- 
lich und konnte in Autodafeen auftreten. Ich stand auf, um mich 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. ZUSAMMENKUNFT ■ I 269 

auf den Pechkuchen hinzubringen, der verborgen unter meinen 
Fiissen bereit lag - von einer ins Nebenzimmer gestellten Elek- 
trisirmaschine lieB ich mich, durch eine geheime Verbindung 
mitihr, nachundnach mit elektrischer Materie volladen, um im 
Nothfalle einige Gewitter auf der Zunge zu haben. Ich konnte 
nun anfangen, die Dame anzumahnen, ganz ernsthaft zu werden 
und sich unter den Gelehrten und unter dem Leben etwas iiber- 
aus Wichtiges, und unter der menschlichen Erweiterung der 
Kenntnisse etwas mehr Schmerzhaftes als Lustiges vorzustellen. 

I0 »Sie konnen mir, sagt ich, mehr glauben als iedem, da ich (wel- 
ches Sieauch sehen) gar die Gottin Wahrheit selber bin. « Sie ver- 
fiel in ein chronisches Gelachter und haftete mit ihren Augen auf 
meinem Kinne. Ich errieth ihren Einwurf meines merklichen 
Bartes. »WaV ich sagt' ich, eine Mannsperson: so must ich doch 
wochentlich rasirt werden; so aber bin ich, wie naturlich eine 
ausgemachte Dame und zwar die Wahrheit. Ich habe gar keinen 
Bart (denn grosse Doktoren rissen mir ihn ab und banden ihn 
vor ihr odes Kinn) und viele Damen, die es nicht glauben wol- 
ten, haben mich deswegen beim Kinne angefasset.« Sie thats 

20 selbst, und heraus sprang aus meinem Bart ein ellenlanger elek- 
trischer Funke, der sie entsezlich stach. »Dieser Funke, ist nichts 
anders, sagt' ich, als das Lichtder Wahrheit und es ist mir nur lieb, 
dafi Sie es doch selbst empfunden, mit welchen Schmerzen die 
Erforschung und Ertappung der Wahrheit sich endige. « Inzwischen 
fieng wider meine Absicht das ganze Autodafee- bios der Konig 
in Portugal suchte samt seiner Familie sich ernsthaft zu erhalten 
- an zu lachen und ich fiel zulezt auf meinem Pechkuchen selber 
mit ins allgemeine Gelachter ein. O du sonderbares Wesen! ich 
meine dich, du Mensch, deine Widerspriiche vermehrest du wi- 

30 der meine Erwartung dadurch recht, daB du sie erstlich fiihlst 
und zweitens mit so vieler Lust. 

Mit der andern Dame must' ich viel ernsthafter umspringen. 
Freilich war sie vom Stande, wie denn iiberhaupt vielen Men- 
schen eine edle Abstammung zufallt, die tausend andere gar 
nicht haben (ich will hier bios mich und den Rezensenten nennen 
und die Reichshofkanzlei ist meistens schuld, die nicht gratis wie 



270 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

eine Mutter giebt:) aber stadt- und schulkiindig ists doch, daB 
sie, diese Dame ohne alle Riicksicht fiir die Wiirde der Bordelle, 
in diese geschlichen und da ieden mit folgenden Irrlehren zu 
vergiften gesucht: »es ware erstlich das Ende der Welt, an das 
gar niemand dachte, endlich da und es musten daher zum groB- 
ten Vergniigen eines ieden die zwei Geschlechter auf alien 
5 Welttheilen und ihren Inseln fest wieder in Eins - in ein seltenes 
tete -a-tete - zusammengethan und gelothet werden* - Die Un- 
gleichheit der Stande und der Geschlechter ware ferner eine poli- 
tische Nothliige, vor der sich RoB und Mann zu hiiten hatte und 
die auch in die Bordelle hinein wollte; und iiberhaupt musten 
einfaltige Personen, die es zu widerlegen auf sich nehmen woll- 
ten, daB die vornehmste Dame und der geringste Mann einander 
so gleich waren als nothig, erst die herrliche geometrische Defi- 
nizion des Freiherrn von Wolf umschiessen konnen, daB offen- 
bar alle Figuren einander gleich sind, die einander ordentlich dek- 
ken: aber das konnten sie nicht.« Ein groBes Pflaster war' es fiir 
die wunde Streittheologie gewesen, hatte die Dame ihre Irrthu- 
mer nicht allemal nur Einer Person und zwar einer mannlichen 
gepredigt: so aber that sie den grosten Schaden. Denn Irrthumer 
dieser Art stecken, wie nach Georg Pye (in Leys. sp. 358) die 
Pest, Menschen in Haufen schwerer an als einen Einsamen, zu- 
mal Avenn diese eine gar zum denkenden mannlichen Ge- 
schlechte gehort. Wenn daher unsere Dame in Kurzem zu Berlin 
iaber 30 Manner zu ihren Proselyten und Glaubensgenossen um- 
goB: so ists gar kein Wunder. Sondern ein neuer Beweis ists, daB 
die Achtung, die die alten Deutschen fiir die Weissagungen und 
Religionskenntnisse der Weiber hegten, sich noch nicht so sehr 
verlorenhabe, daB nicht noch recht viele iezige Manner die Aus- 
spriiche der Frauen fiir gottlich und fiir richtig hielten - durch 
nichts sind so leicht Ketzer zu machen als durch Ketzerinnen. 
Anfangs warb sich unsere Dame - man sollte nachforschen, ob 

* Schon Amalrikusim 13 Jahrhundert behauptete, am Ende der Welt 
schmolzen die zwei Geschlechter wieder in Eins zusammen. Die Bouri- 
gnon und Bohme auf seiner Schusterwerkstatt, sagten, iener hatte ganz 
Recht. 



TEUFELSPAPIERE * 2. ZUSAMMENKUNFT • I 27 1 

sie ein Mitglied der propaganda in Rom ist - bios unter Personen 
von Stande Anhang, und machte die groBe Welt zur besten Welt; 
siedachte, sie hatte ihre Ursachen, warum sie oder ihre Meinun- 
gen, wie (nach Olof Dalims schwedischer Geschichte) das Chri- 
stenthum in Norden, zuerst unter den hohern Standen Glau- 
bensgenossen errangen und hernach etwa defer stiegen. Das 
leztere that sie auch, indem sie endlich in alle Welt ausgieng, um 
den Irrthum von der Union und Koalizion der beiden Ge- 
schlechter auf deutsch zu lehren und zu predigen. Ihre Bedienten 

io hatten schon vorher ihrem Hausgottesdienst und ihren Konven- 
tickeln beigesessen; ich verdrehte aber die Sachen bei vielen wo 
ich war. Ich wollte selber ihre Irrlehre annehmen und fragte un- 
sere Unitarierin, ob ichs konnte: sie sagte aber, ich sahe dazu viel 
zuhaslich aus. Die besten Jesuiten gestehen (nach Paskals Brie- 
fen) dafi man ohne alle Siinde - gesetzt auch, man sahe voraus, 
daB man darinn eine begehen wiirde - in iedes Bordel schleichen 
konne, sobald man keine andere Absicht hatte als die, darinn ie- 
mand zu bekehren; und damit konnte die obige Dame sich ent- 
schuldigen, ia sie hatte sogar die lautere Absicht, nicht etwa ei- 

20 nen und den andern Mann zu ihrer Meinung zu bekehren, 
sondern fast ieden: allein niemand kehret sich daran weniger als 
ich. Ich fuhr vor dieser Ketzerei so sehr zusammen als ich 
konnte; besonders da sie ihre Ketzerei mit ganz guten Beweisen 
beschirmte: denn sie unterstiitzte sie mit ihrem schonen Gesichte, 
wie etwan bei den Arabern der Zeuge seine Aussage durch einen 
Theil seines Gesichts, durch seinen langen Bart befestigt. »Ich 
will verloren haben, sagt' ich zu ihr, wenn Sie nicht griindlicher 
denken als viele Damen; Sie beweisen doch ihren Satz mit was: 
denn was ist ein sehr schones Gesicht anders - oder ich rmiBte 

30 keine einzige Logik noch gesehen haben - als ein richtiger SchluB 
in barbara, als ein quod erat demonstrandum, als ein deutliches 
dictum probans, als ein Beweis ganz zum ewigen Gedachtnis, 
wenn man »ewig« in meinem Sinne nehmen will? Freilich wen- 
den einige strenge Logiker ein, das Gesicht formirte kaum einen 
halben oder achtels Beweis, wenn es nicht zugleich auf einem 
schonen Korper stande; allein es herscht hier groBer Spas auf al- 



272 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

len Seiten, bei mir und den Logikern. So viel ist es gewis, dafi 
ich mir vorgesetzt, Sie nicht zu verwunden, sondern ganz 
griindlichzu verfahren und den Hauptbeweis, den Siebei iedem 
fur ihren Irrthum beibringen, sofort anzugreifen und zu zersto- 
ren, namlich Ihr schemes Gesicht« - »Melak (ich wandte mich 
zu meinem Buttel) hoF er mir doch sechs gutartige Blattern von 
seinem Buben herauf!« - »Ueberhaupt (fuhr ich wieder gegen 
die Dame fort) mufl es mir ausserordentlich willkommen sein, 
daB ich dadurch Gelegenheit gewinne, in meinem kleinen Auto- 
dafee das groBe nachzuahmen. Dieses schnitt vor vielen Jahren 
einem schonen Madgen die Nase, bevor es den iibrigen Korper 
auf den Scheiterhaufen sezte, mit Verstande herunter, um durch 
diese Vernunstaltung ihrem schonen Gesichte den Beweis ihrer 
Unschuld und den Vortheil des Mitleidens abzuschneiden. 
Nichts schlechters nehm' ich iezt in meinem Kreise vor: ich rui- 
nire nun ihr Gesicht durch Blattern iiberaus und schaffe dadurch 
den wahrscheinlichen Anstrich, den es Ihrer Ketzerei bei so vie- 
len ertheilt, spielend hinweg. « 

»Ueberhaupt sind im Ganzen genommen (began ich leiser und 
suchte meine Lanzette mit bei den Handen in der Tasche und mit 
den Augen auf dem Tische) gefahrliche Krankheiten die besten 
Heidenbekehrer, die man der menschlichen Seele schicken kann, 
oder auch einem Heidenbekehrer selbst. Einige Millionen Blat- 
tern thun mehr zum Seelenheil einer Dame, als der haBlichste 
Gewissensrath; sie konnten vielleicht den Irrthum von der Zu- 
sammenschmelzung der beiden Geschlechter, der sich sogar in 
die Hofe immer tiefer einfrisset, da noch einhalten. Freilich red' 
ich von keiner leichten Krankheit, von keinen Kopfschmerzen, 
von keiner Migrane; denn wie nach Bako ein wenig Philosophic 
nur irrglaubig und erst viel Philosophic wieder rechtglaubig 
macht, so kann eine kleine Krankheit, sie sei wirklich oder 
verstellt, die Dame und den Mann, dem sie ihr Gesicht (wo 
nicht mehr) zum Beweise vorhalt, gerade recht weit in 
den Unionsirrthum versenken und erst eine grossere und ge- 
fahrlichere nothig machen, die beide aus ihm zieht . Ich betheuere 
es, daB ich hier mit dem grosten Tiefsinn rede.« 



TEUFELSPAPIERE • 2. ZUSAMMENKUNFT • I 273 

Melak kam mit zehn Blattern und der Lanzette an, die sie aus- 
gehoben. »Dabei (fuhr ich im alten Tone fort, mit allmaliger 
Annaherung ans Gesicht der Dame) kann ich noch obendrein, 
indem ich Ihre Seek durch meine Blattern bessere und wider- 
lege, sie da durch auch so gut ziichtigen als es von meinem 
schlechten Autodafee zu erwarten ist. Die Sache ist offenbar so: 
das Gesicht ist das Bild der Seele - erst beifugen, daft es daher 
oft ein Thierstuck, selten ein Altarblatt, noch seltner ein Sternbild 
sei , hiesse weiter nichts als die Sache recht geschickt bestimmen: 
- nun bau' ich halb darauf , daB schon die Hexen einen Menschen 
selbst zu verwunden glauben, wenn sie bios sein Bild zerfetzen 
und daB das wahr ist; daher muste der Teufel sein Spiel haben, 
wenn nicht auch Ihre Seele oder Sic selbst ieden Einschnitt, den 
ich in das loBe Bild der erstern, in Ihr Gesicht mit der Lanzette 
hole, wirklich fuhlen wollten. Das ist aber eben die von mir dik- 
tirte Strafe haereticae pravitatis. « Warum nahm ich die Inokula- 
zion nicht auf den Handen vor? weil sie die zeitigen Sitzstangen 
der mannlichen Lippen sind. 

Seit dem Autodafee und der Inokulazion wird die Dame be- 
wacht und nur von einem alten Stadt- und Landphisikus be- 
sucht, der es bios durch seine Unbekanntschaft mit den neuern 
Heilmethoden soweit zu bringen sich verpflichtet, daB iede ino- 
kulirte Blatter sich in ein Saatkorn tausend kiinstlicher verwan- 
deln soil; er hoffe, sagt er, im Ganzen iede malerische Tauschung 
aus dem Gesichte der Dame so gut auszuscheuern, daB es her- 
nach nicht zum elendesten Beweise der elendesten Ketzerei mehr 
zu gebrauchen sei. Ich weiB wol, H. Thiimel erzalt singend eine 
Inokulazion der Liebe: aber ich fur meine Person erzahle hier mit 
Vortheil prosaisch bios eine Inokulazion des sechsten Gebots . . . 
Ueberhaupt kam es mir oft in Kopf , ob man nicht viele Damen 
keusch machen konnte (so daB eine Keuschheitskommission 
oder ein Fordyce mit seinen Predigten selbst nicht soviel be- 
wirkte), wenn man selbige (fals es ohne Schmerzen abliefe) et- 
wan schiinde. 

Man gebe Acht, daB iezt ein Kerl vorgeschleift wurde, der sich 
verlauten lassen: »in den Gedichten im Geschmacke Grecourts 



274 JUGEND^ERKE - 4. ABTEILUNG 

konne ein rechtschaffener Mann mit wahrem Vergniigen blat- 
tern und der Verfasser selber sei einer. « - Alle iunge Leute (zu- 
mal die alten) wissen, daB dieses Buch abscheulicher caca du 
Dauphin und eckelhafte boue d' Allemagne ist; ich hatte es langst 
auf dem geheimen Gemach verbraucht, wenn ich nicht besorgte, 
ich wurd' es auf demselben vorher ein wenig lesen, wie D. Sem- 
ler leider thut. Ich wuste daher kaum, wie ich den Ketzer heftig 
genug anfahren sollte: ich spannte den Flintenhahn meiner Nase 
auf und driickte mich folgendergestalt - los: » Verflucht und ver- 
dammt!Er ist beides nicht wenig; sein Irrthum ist in gewissem 
Betrachte satanisch und Er kann es allenthalben fur eine beson- 
dere Ehre preisen, die ich ihm anthat, dan ich ihn vom Wirbel 
bis zur Ferse mit Willen gepriigelt. Es wird freilich Leute geben, 
die auf die Gedanken verfallen, ich werde iezt mit der Peitsche 
liber sein eigentliches Ich herfahren; allein kann es fur Menschen, 
die meinem ganzen Verfahren in diesem Autodafee einige Auf- 
merksamkeit geliehen und mein ganzes allegorisches, figiirliches 
und anspielendes Betragen darinn gewissenhaft bemerket ha- 
ben, kann es denen etwas unerwartet sein, daB ich iezt dem Arta- 
xerxes nachfolge, der nach dem Plutarch, den ich vorher gele- 
sen, nicht den Hofmann selbst, der sich vergangen, sondern das 
bloBe Kleid desselben schlagen lies? Und bin ich daher ohne alle 
Autoritat, wenn ich von seiner ganzen gegenwartigen Seele - ich 
mein* ihn - iezt nichts als das elende Kleid derselben, namlich sei- 
nen sogenannten Korper mit einer diirren Ochsensehne tapfer 
durchgeisele und ausklopfe?« Aus seiner Durchstaupung 
schopfte ich soviel erlaubtes Vergniigen, daB ich fast gar nicht 
damit aufhoren wollte. »Ich mochte doch, brach er aus, einen 
Irrthum nicht so scharf heimsuchen, den er sicher nie behauptet 
hatte, wenn er nicht der Verfasser der Gedichte im Geschmacke 
Grecourts selber ware.« Diese Neuigkeit erboste mich unsag- 
lich. »Gleich da nehm' er'n, Melak, und entmann' er ihn gar 
drunten, wenn er ihn nicht infibuliren kann.« Der Biittel sah 
mich an; ich fuhr deswegen in meinem gelassenern Tone fort: 
»unverschamte Leute entmannen, kann nichts anders heissen, 
mein Lieber Melak, als ihnen - die Zunge auskneipen: denn bei 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. ZUSAMMENKUNFT • I 275 

vielenist die Keuschheit nichts andersals Stummheit; und miibuli- 
ren heifiet einem Autor durch Daumenschrauben unvermogend 
machen zum - Schreiben.« 

Melak kam nach der Abfiihrung des Autors zuriick und be- 
richtete, dieser gabe vor, es hatte ihm weh gethan und er konnte 
schworen, er hatte offenbare Striemen. »Das ware, sagt' ich, 
wieder ein neues hiibsches Beispiel, was die Einbildungskraft zu 
alien Zeiten und an alien Menschen vermag. Die Sache ist gar 
wol moglich. Man glaube mir, ich nebst vielen tausend andern 
Menschen wirhabenimMalebrancheoder sonst wo langst gele- 
sen, daB einmal die Macht der Einbildungskraft einen Zu- 
schauer, der iemand radern sah, von iedem Stos ein Merk- 
mal einstach; war er daran gestorben, so hatte man be- 
haupten konnen, er ware wirklich mit geradert worden. Den 
ahnlichen Fall konnen wir vor wenigen Augenblicken gehabt 
haben. Ich schien es beinahe ordentlich darauf angelegt zu haben, 
in der Phantasie des Autors den Gedanken der Schlage ganz zu 
beleben und zu starken. Wie sehr must* ich nicht in ihm die Idee 
von Schmerz und Striemen anregen, da ich die Ochsensehne 
auffliegen lies und sie auf ihn herunterfuhrte! Den hochsten Grad 
der Lebhaftigkeit muste aber die Vorstellung des Gepriigeltwer- 
dens erringen, als ich gar seinen Leib mit der Peitsche recht heftig 
umgiirtete: wahrhaf tig bei solchen gunstigen Umstanden wiirde 
man sich eher haben wundern miissen, wenn seine Phantasie 
nicht vermogend gewesen ware, ihn von innen heraus - indem 
sie meine Peitsche zum Rostral gebrauchte - mit Striemen zu 
liniren. Inzwischen gehoren diese Striemen in die Physio- 
logic « 

Ein gutes philosophisches Lehrgebaude ist nichts als eine Bil- 
derblinde, in die ein Mensch sich selbst als eine Statue hineinstel- 
let, um von unzahligen angebetet und angeschauet zu werden. 
Ich holte mir vor funf Jahren auch meine Bilderblinde aus. Das 
Hasische System ist ia wegen seiner unglaublich vielen Kunst- 
worter und wegen seiner Vortreflichkeit bekannt und beliebt; 
wenigstens solt' es im vollen MaBe oder konnt' es: denn ich fur 
meine Person habe iiberhaupt Ruhm genug; allein die Bevolke- 



276 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

rung ist zu iibermaBig und gab' es nur weniger Menschen auf 
dieser ganzen Erde - etwann so viel wie in meinem Wohnort, so 
miiste mich und mein System fast ieder Hund kennen. Dieses 
nehm' ich nur daraus ab, weil in der That an dem Platze, wo ich 
hause, mein Lehrgebaude weiter nicht unbekannt ist und ich bin 
ganz und gar nicht der einzige Hasianer daselbst. Daher hatt' ich 
auch einen Antihasianer, den Melak zur weitern Bestrafung der 
ganz verschiednen Meinung der er mit mir war, gerichtlich auf- 
gehoben hatte. Ich must' es iezt ganzlich vergessen, daB ich Ha- 
sus hiesse, und mich bios erinnern, daB ich die Wahrheit war: 10 
freilich ist, wenn man seine funf Sinne maBig anstrengt, der Un- 
terschied zwischen dem Philosophen Hasus und der Gottin 
Wahrheit am Ende nicht betrachtlich und betrift vielleicht b]os 
die Kleidung. 

»Herr Hasus, redete ich meinen Widersacher an, ist wie es 
scheint einer unserer groBten Philosophen; diesem Urtheile fal- 
let er selbst und Deutschland mit Vergniigen bei. Das sollten Sie 
vorher recht iiberleget haben: noch mehr - in der That unbe- 
schreiblich-hatteieden andern als Sie das geriihret, daB das Ha- 
sische System vor alien moglichen und wirklichen den Vorzug 20 
besitzet, daB es bis auf das kleinste Scholion ganz von der Wahr- 
heit unterschrieben wird, wie mich die Menschen nennen: alle 
andere Systeme hingegen entbehren diesen meinen Beitritt in ie- 
dem Betracht. Wahrhaftig wenn ich den Zizero anschaue, der 
gestand, er wollte lieber mit dem Plato irren, als mit iedem an- 
dern Recht behalten: so seh' ich, daB Sie nicht einmal etwas aus- 
serordentliches thaten, wenn Sie sich erklarten, Sie wollten viel 
lieber mit der Wahrheit irren, als mit der Un wahrheit Recht ha- 
ben und lieber meinem Systeme beitreten, als einem wahren an- 
dern: denn Plato wiegt, so bald man.ihn in dielinke, und die 30 
Wahrheit in die rechte Wagschaale sezt, gegen Sie so viel als seine 
Asche gegen meinen Korper. Wider meine ganze Neigung thu' 
ichs: aber ich muB Sie recht hart staupen.« 

Er sagte, es ware kaum drei Minuten, daB er vom Hasischen 
System ganz gut uberzeuget worden: »denn was ist (nach Plat- 
ner) die wahre Ueberzeugung anders als die lebhaf te Vorstellung 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. ZUSAMMENKUNFT ■ I 277 

eines Satzes? a Und diese leztere fehlet mir iezt von ihrem Sy- 
steme nicht. « - »Wahrhaftig, sagt' ich, ich freue mich dariiber, 
wie ein Kind. Daher hab ich einen schlechten Stecken mitge- 
bracht, der in Kriegs- und Friedenszeiten einige gute Dienste 
thut und zuieder Stunde zu gebrauchen sein wird, man mag nun 
seinem Nebenchristen und Leuten von anderer Religion damit 
etwas versetzen oder nur verzeihen wollen. Da gewisse Monche 
in Italien (nach Moore) durch die Beriihrung mit einem Stecken 
absolviren: so kostet es mich iezt gar keine Muhe, Sie in alien 

to Stiicken- vielleicht kont' ich Sie damit zu einerrr Ritter des Ha- 
sianismus schlagen - von Ihrem Irrthum loszusprechen, indem 
ich gegenwartigen, schweren Stecken mit ziemlicher Schnelle 
auf Ihren verbesserten und aufgehellten Kopf aufsinken lasse.« 
Und ihr groBen Philosophen vieler Zeiten, deren Schriften 
wir nicht einmal alle haben, gebt selber die nothigen Winke, ob 
die Hand eines ordentlichen und verniinftigen Wesens wie ich 
das gute System, das sein Kopf entwarf, mit andern bessern 
Hiilfsmitteln verbreiten konne, und ob ich es nicht alien leben- 
digen Philosophen mit MaBen empfehlen soil? Denn hab' ich 

20 Unrecht, wenn ich es ganz frei heraus gestehe, daB die wenigsten 
von ihnen den Muth und Willen haben', Personen, die ihr Lehr- 
gebaude beschmutzen und einstoBen, so fort zu priigeln und 
dem Zasar, der gleich gut focht und schrieb, nachzustreben in- 
dem sie die Unterthanen ihres Systems iede Woche vermehren, 
es sei mit der schwachen Feder, es sei mit dem starkern Stocke? 
Nachdem ich endlich noch 50 Exiesuiten aus dem Herzog- 
thume Julich, die sich daselbst durch eine Bittschrift die Erlaub- 
niB sichzugeiseln, glucklich erschlichen hatten, so lange in geo- 
metrischer Progression geiseln lassen als unumganglich nothig 

30 war, um aus ihnen den Wahn von der Vorziiglichkeit des Gei- 

. selns zu veriagen: so konnt' ich mit gutem -Gewissen mein Auto- 

dafee zu meiner grosten Zufriedenheit feierlich und riihrend be- 

a Wenn bloBe lebhafte Vorstellung eines Satzes Ueberzeugung von 
ihm ist: was ist denn lebhafte Ueberzeugung? Nicht im bloBen Grade 
der Lebhaftigkeit, der an der Ueberzeugung selbst abwechselt, kann 
Ueberzeugung und ihr Gegentheil verschieden sein. 



278 JUGENDWERKE ' 4. ABTEILUNG 

schliessen, und gieng mit eben dem Ernst, womit ich 
gekommen war, mit der Spiesgerte und in der Begleitung der 
samtlichen Inquisiten und des voraus springenden Hundes (der 
sich einbildete, er hatte der Religion soviel als die spanischen 
Hunde in Peru genuzt) hochmuthig nach Hause, und sann nach, 
aus was fur Absichten ich der Wohlthater von tausenden und der 
Hebebaum der ganzen Erde geworden? Ich meine, ob aus ganz 
reinen. 



n. 

Kleiderschrank der Tugenden und Laster und anderer Wesen, die ganz 
abstrakt sind 

Eine angenehme Allegoric 

»Ei, sagt' ich im Traume zum Zeremonienmeister, es gefiele mir 
sicher, wenn Sie mir den Kleiderschrank der Tugenden, Laster 
oderauch anderer Wesen, die nicht existiren, wiesen.« Er sperrte 
den Schrank auf. 

»Eine solche schone Seeuniform wie diese hatt' ich noch nicht 
an: wer tragt sie wol?« - »Die Keuschheit, versezte der Zeremo- 
nienmeister; denn die ist stets zur See a ; auf dem festen Lande aber 
thut auch die Unkeuschheit diese Uniform willig um.« 

»Potztausend, da ist gar ein langes Hinterleder; wem -?« 
»Auch der Unkeuschheit, unterfuhr er mich, gehorts. Sie um- 
wand sie zwar sonst auch noch mit einem Schamtuch, das iezt 
nicht da ist; aber dieses bindet sie seit vielen Jahren nur um das 
Maul und die Augen.« 

» Was frag' ich darnach; und wenn mir iemand augenblicklich 

a Da die Seeleute auf dem Schiffe keine Weiber haben: so ist freilich 
die Keuschheit ihr Schifprediger. So wie indessen Leute, die auf dem 
Schiffe die Seekrankheit nicht bekamen, sie mit grosserer Starke auf dem 
Lande bekommen: so wird die Schifskeuschheit - gerade als ware sie ein 
Seethier - sobald sie ans Land steigt, krank und nach einigen Minuten 
verscheidet sie. 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. ZUSAMMENKUNFT * II 279 

sagte, die Amors-Binde hatte sich langst von den Augen zur Nase 
heruntergeschoben und in eine schone Habichtsbinde* verwan- 
delt: so wiird' ich ihm dennoch kaum dafiir danken. Mich inter- 
esiren iezt bios die groBen Hosen dort hinten, auf denen ich eben 
das Auge habe: sie mussen auf mein Wort einem dicken Kerl zu- 
gehoren.« - »Gar nicht! sagt er. Sondern zwei zaundiirre Wesen 
ziehen sie mit einander zugleich an. Die platonische Liebe steigt 
in das rechte Bein der Hose, die buffonsche fahrt ins linke und 
dann spielen sie mitganzguter Art Hosenlaufens b , wiedieBaiern: 

10 einen solchenSpas machen abstrackte Wesen immergern und ich 
kann ihn alle Tage sehen. Den geistlichen Ornat dort legte die 
Frommigkeit einmal ab; und nun erstand ihn die Heuchelei aus der 
Aukzion; er lasset ihr ungemein: denn sie hat ihn wenden lassen, 
so daB nun die innere oder Aasseite viel schlechter als die aussere 
ist, die die Gerber die Haarseite nennen.« 

Mich unterbrach die Tugend, diehereintrat, nebst der Freund- 
schaft, Schamhaftigkeit , Aufrichtigkeit und Standhaftigkeit . Mein 
Herz schwoll auf bei ihrem Anblick: denn ich begegnete ihnen 
auf meiner Erdenpilgrimschaft ganz selten. Sie giengen alle mit 

20 einem wolkenlosen Anlitz hin zum Schrank und nahmen - Ster- 
bekleider. Die menschliche Umhullung schien wie eine verschat- 
tende Wolke unter ihrer Stralensonne hinwegzufliehen, und sie 
diinkten mich langsam gen Himmel zu ziehen, o du arme Erde, 
warum verlassen dich die Tugenden? 

Ich wollte mich nach den Kleidern erkundigen, die ich an den 
ledigen Nageln des Schrankes vermiste: es zog aber wieder ein 
Regiment abstrakter Wesen herein. Der Stolz kam in einem an- 
standigen Demuthskleid oder dem sogenannten Habit des H. 
Alexis c : »Das ist, bemerkte der Zeremonienmeister, das Galla- 

30 a Habichtsbinde nennt der Chirurg die Bandage einer verwundeten 
Nase. 

Der eine Kerl zieht in Baiern das eine Bein der Hose und der andere 
das zweite an und so laufen sie. 

Der Habit des H. Alexis ist aus Millionen Lumpen zusammenge- 
flickt und der Karmeliter blaht sich auf, der die Erlaubnift, ihn auf ein 
Jahr umzuhangen, vom Superior ausgewirkt. 



280 JUGENDWERKE ' 4. ABTEILUNG 

kleid, das der Stolz nur ausser Haus anlegt: zwischen seinen vier 
Pfahlen behilft er sich mit einem Rock er mag so kostbar sein 
als er will.« Er zog es aus und hiengs in den Schrank. Die Freude 
kam inganzer Trauer und zog sich gleichfals aus. Der Eigennutz 
kam in einem Taufkleide, das er hurtig herunterzerrte; er war ge- 
rade getauft worden, weil er sich fur einen Juden ausgegeben 
hatte: auf das Buch, in dem er die Schopfungsgeschichte seiner Be- 
kehrung schreiben wird, will ich und ieder andere Christ mit der 
Zeit vorausbezalen. Die Schamlosigkeit traf auch ein, aber split- 
ternakt; nur hatten ihre Wangen ein paar Schminklappen angezo- 
gen. Verschiedene gutdenkende Laster z. B. die Heuchelei und 
die Sprddigkeit sprangen um sie herum, und wollten ihr das 
Hemd reichen; allein sie schlug's aus: da sie sogar sich erboten, 
sie sogleich vollig zu schinden und aus ihrer Haut - wie die 
Schauspieler mit fremden Hauten nakte Rollen machen - ihr ein 
Kleid zu schneiden, wollte sie nicht einmal das . Ich kann beinahe 
sagen, daB auch die Freiheit ankam; denn sie schien mehr ein ge- 
maltes, als beleibtes Wesen zu sein. Ich dachtedaher nicht sowol 
an die Reichsritterschaft als an den Rock der Freiheit, der auf ei- 
nem Schilde stand und nur gemalet. war, wie es alle andere Wap- 
penrocke sind; die lezten Glieder in diesem Ideenreiche waren der 
Friede in einem schrecklichen Panzer und mit einer Grenatier- 
miitze, und der Krieg in einem griinen Schlafrock, den ich fast 
fur ein Jagtkleid genommen hatte. Der Friede fuhrte den Krieg 
bei der Hand, und ich konnte sie mit Noth von einander unter- 
scheiden, und verwechselte sie ein oder zweimal. 

Von ungefahr beriihrte ich mit dem Finger den Mantel der 
Liebe. »Ichglaube, sagt' ich, den wird man so oft borgen wollen 
wie einen Leichenmantel und deswegen sieht er so abgeschliffen 
aus. « - »Keine lebendige Seele, sagte er, will ihn haben; und ich 
gab mit Fleis darauf Acht - nicht einmal die Kleidermotten mo- 
gen ihn umnehmen.« - »So thu, ichs: (versezt ich) und zwar mit 
Lust. Ich habe nach und nach einen Familienzirkel von abstrak- 
ten Wesen (man nennt sie im gemeinen Leben Sunden und Feh- 
ler) zusammengezeugt, die ganz des Teufels sind und ihrem gu- 
ten Vater und andern viele Streiche spielen: indessen sinds 



TEUFELSPAPIERE • 2. 2USAMMENKUNFT • III 28 1 

allemal meine leiblichen Kinder und keine Mantelkinder und 
konnen von mir gut verlangen, daB ich sie warm halte und mit 
dem alten Mantel der Liebe bedecke. Wollt' ich' ihn freilich auf 
fremde Fehler legen: so wtird' ich sehen, daB er viel zu kurz 
ware. « Und wenn unsere Tage nach Leute zeugten, die sich ein 
Vergnugen daraus machten, an den Korper verdienstvoller 
Manner Ehrenkleider zu hangen: so ware gewis der Konsisto- 
rialrath Fex nicht der lezte, der eines anbekame. Es ist der beste 
Mann von der Welt und iibersieht gern die Fehler, die er etwan 
hat. Er hoft, so wie Zasar die eroberten Briefschaften des Pom- 
peius verbrannte, urn lieber die Beleidigungen desselben nicht 
zu kennen, als nicht zu verzeihen, so hab' er es vielleicht so weit 
gebracht, daB er lieber seine Fehler gar nicht wissen, als sich in 
Gefahr setzen wollte, sie sich vielleicht nicht gerne zu vergeben, 
und er versagte sich freiwillig die Mittel ihrer Auskundschaf- 
tung. Ich wunschte, das Lob dieser Nachsicht fur eigne Fehler 
kame alien Damen zu: Aber die Wahrheit zu sagen, nur eine ge- 
ringe Menge von ihn en verdients. 

Da ich mich entschlossen hatte, diesen Traum in eine Allego- 
ric zu verkehren: so wacht' ich auf. 



III. 

Habermans Predigt in der Kirchenloge, worm er die Menschen, seine 

Mitbruder zur Verlaumdung anspomt; nebst der Nutzanwendung, 

warum man ihn in Niirnberg nicht hangen konnen 

Es ist bekannt und erwiesen, daB Haberman einmal in der Kirche 
sas, als gerade eine heftige Predigt gegen die Verlaumdung ge- 
halten wurde. Das that ihm ungemein wehe und er wollte des- 
wegen fast nichts in den Klingelbeutel werfen: denn er war sich 
bewust, daB er funfzig Griinde kannte, womit die Verlaumdung 
auf das allerbeste beschirmet werden konnte. Zulezt lieB er die 
Logenfenster zuschnappen, bestieg einen Predigtstuhl, das ist 
einen Stuhl legte vor denen, die in der Loge um ihn saBen, eine 
leise Predigt fur die Verlaumdung ab. Jedesmal, daB der Pfarrer 



282 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

auf der Kanzel einen neuen Tadel auf die Verlaumdung abschoB , 
lies Haberman in der Loge ein neues Lob auf sie losfahren: in der 
Luft konnten hernach Lob und Tadel einander begegnen, und 
etwa in Gemeinschaft die Reise fortsetzen. Ob er freilich damit 
seine Kontrapredigt rechtfertiget, daB er schreibt, iede Kirche sei 
eine Simultankirche und er wisse nicht anders als er und der Pfar- 
rer hatten in hiesiger eine alte Koppeliagd nach f rommen Seelen: 
das bestimm' ich nicht, sondern hore das hochpreisliche Konsi- 
storium. Hier ist die Predigt. 

Andachtige Zuhorer zweier Redner! 10 

An einen Eingang ist gar nicht zu gedenken. Ich muB iezt scharf 
hinter dem Pfarrer hersetzen, der seinen Eingang sch on vor dem 
Kanzelliede gehalten und nun mit einer gesunden Predigt heftig 
vorausiagt. Ich habe nicht einmal so viel Zeit, daB ich sagen 
konnte, von was ich griindlich handeln will und in welche Theile 
ich fur meine Person das Hauptthema iezt zerfalle. Wahrhaftig 
bei iedem Worte, das ich dariiber verliere, dringt der Pfarrer 
noch weiter und ich werde gewaltsam eilen miissen, wenn ich 
nur noch den zweiten Theil meiner Rede - ich konnte unordent- 
licher gehen und hinten anfangen: aber hat der Mensch nicht ein- 20 
gepflanzte Liebe zur Ordnung und will er nicht allemal wie der 
Epopaenschreiber vollig in der Mitte der Sache beginnen? - ganz 
durchlaufen und doch dem Pfarrer, der nun im dritten arbeitet, 
schon im vierten begegnen will, um dann im namlichen Theile 
neben ihn herzureiten bis zum Amen und zum Gebet fur reisende 
und kriegende Machte. 

Nachdem wir, andachtige Zuhorer, den ersten Theil unserer 
Rede gleichgultig mit einander iibersprungen haben: so wollen 
wir im zweiten hurtig betrachten, was die Verlaumdung noch 
ausserdem niitzet. Wie die Raubthiere den grausamen langsa- 30 
men Tod des Alters und Hungers von andern Thieren durch ihre 
Auffressung abwenden: so soil die Verlaumdung auf ahnliche 
Weise das langsame Ende des guten Namens durch ein schnelles 
verhuten. Ich will setzen, ichhatte einen guten Namen oder Ruf: 
so must' er sich, da nichts ewig lebt, doch darauf gefasset ma- 



TEUFELSPAPIERE • 2. ZUSAMMENKUNFT ■ III 283 

chen, einmal vor Alter aus dem Andenken der Menschen zu 
scheiden, ich mochte seinen Tod nun erleben oder nicht. So 
gieng der gute Name meines Urgrosvaters in seinem 40. Jahre 
mit Tode ab: mein Urgrosvater selber folgte ihm in 15 Jahren 
nach. Allein, dieses Umsinken vor Alter ist grausamer als eine 
Folter, die iiber eine Stunde selten wahrt; der gute Name sitzt 
wie eine zusammengeschrumpfte Spinne einsam in einem alten 
Winkel, redet nicht mehr und ieden Tage wird ihm derer, die 
ihn kannten, einer weniger. Warlich der gute Name muB wie 

ro Zasar ein schleuniges Ende verlangen. Nichts anders empfangt 
er nun von der Verlaumdung: wie manchem guten Namen - ich 
wiinschte selbst, mich auf Mortalitatstabellen stiitzen zu diirfen, 
es sind aber keine hierin da - der noch viele Jahre hatte leben 
miissen, und dem unterdessen allmahlig ein Bekannter nach dem 
andern weggestorben ware, hat nicht eine gutartige Verlaum- 
dung ein schnelles und gliickliches Ende gemacht? Stinken 
konnt' er dann nach dem Tode so lang' er wollte. 

Da ich ein Bratschist bin: so must' ich - um nicht aus dem Or- 
chester hinausgeschoben zu werden - meine Pflicht so kennen, 

20 daB ich neulich von dem reisenden Virtuosen, der die Bratsche 
meisterhaft spielte, gewissen Personen von EinfluB schon eh' er 
nur den Fidelbogen anfaste, frei und ohne Nebenabsicht ge- 
stand, er scheine mir auf der Bratsche ein zu schlechter Held zu 
sein. Er muste ungehort durchreisen und ich stehe noch bis auf 
diesen Tag im hiesigen Orchester und geige da vergniigt mit ei- 
nem gesunden Arm. Inzwischen lies ich durch eine f unite Hand 
folgendes Zettelgen in die Rocktasche des ungehorten Virtuosen 
fallen: ein guter Maler theilet der Hauptfigur das meiste Licht 
und die hochsten Farben zu, den Nebenfiguren bricht er an bei- 

30 den ab und treibet sie in Schatten: allein, auch hierin kopirt ein 
gutdenkender Mensch den Maler fast immer. Er weis so gut als 
einer, daB er selbst (denn wen wollt' er sonst dafiir achten?) 
nichts anders ist als die Hauptfigur auf der Welt, diesem orbis pic- 
tus; die iibrigen Menschen kann und soil er in das Register unbe- 
deutender Nebenfiguren einschreiben. Aber hier kann er glaub' 
ich von seiner Starke in der klugen Austheilung des Lichts und 



284 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

Schattens alles verrathen. Wenn er wirklich der Hauptfigur, sei- 
nem Ich die groBere Beleuchtung zuwendet und alle Nebenfigu- 
ren, (die andern Menschen,) geschikt in den Hintergrund wirft 
und vollig in Schatten ruckt: so hat er alien Foderungen der Welt 
und seiner Kunst wahrhaftig ein Geniige geleistet; thut er das 
Gegentheil: so muB ich wider meinen Willen bekennen, weder 
ich noch ein guter Hof mann wird konnen von ihm eine vortheil- 
hafte Meinung fassen.« Mich diinkt, dieser Zettel rettete nicht 
nur die Ehre meines Verhaltens, sondern auch der Verlaumdung 
sehr. 

Ich wollt', ich war' ein ordentlicher Fiirst, damit an meiner 
statt der mich errathende Hofling verlaumdete; daher auch Fiir- 
sten es niemals selber zu thun such en oder brauchen, wie man 
schon an den vier elenden Konigen und sechs Fiirsten unter den 
hebraischen Accenten mehr als zu wol siehet. Die Welt fodert es 
von Autoren und Kontrapredigern, die besten Griinde anzuge- 
ben, die einen Hofling zur Verlaumdung verpflichten konnen. 

Man kann es durch die kliigsten Wendungen nicht verbergen, 
daB der beste Fiirst doch stets (oft weis er's selber nicht) einen 
oder mehrere Manner um sich hat, die GroBe und Verdienste 
haben und vor denen ich nicht geigen mochte, sie mogen nun 
im Departement der auswartigen oder der innern Angelegen- 
heiten sein. Ich werde an einem andern Orte (es ist nichts als eine 
besondere Schrift fiir den Hof) besser auseinandersetzen und 
vielleicht die erschiitterndsten Belege auftreten lassen, wie we- 
nig an einem groBen Manneist. Man vergesse nur das nicht, daB 
ob es gleich so bekannt ist, daB um Thronen eben so wenig grosse 
Manner als um Festungen Anhohen stehen diirfen, solche Manner 
gleichwol es zu sein sich kein Gewissen machen, sondern ihre 
GroBe noch eher vermehren als vermindern. Sie treten der Maie- 
stat dadurch vielleicht bedenklich nahe. Bei den Romern durfte 
man nicht einmal seine Statuehohcr als des Kaisers seine stellen 
(weil man damals bios auf die Vorzuglichkeit des K6rpers a sah, 

a Bei den Aethiopiern, Spartern und den meisten Wilden war der 
schonste und starkste Mann Konig; auch bei den Hofdamen. 



TEUFELSPAPIERE • 2. 2USAMMENKUNFT -III 285 

und die groBte Macht nur der groBten Statur auflud): aus wel- 
chem Rechte diirfen oder wollen in unsern Tagen, wo man nicht 
sowol den Korper als die Seele kronet, und wo eben die grossern 
Geistesgaben den Konig formiren, schlechte und vielleicht ge- 
meine Menschen nach Willkiihr nicht nur eben soviel, sondern 
gar mehr Verstandinihrem unbewafneten Kopfe haben, als der, 
der wahrhaftig eben-deswegen eine alte Krone aufgesezthat, da- 
mit ieder ein sinnliches Merkzeigen hatte, in welchem Kopfe er 
den meisten Verstand zu suchen habe. Bemeistern sich Leute 

to von solchem Verstande nicht klar genug der ersten Anspriiche, 
die der Regent zum Regiren besizt? 1st das nicht eben so viel, als 
wurfen sie zum Oberherrn sich auf? denn wie gesagt bios der 
geistigen GroBe gebuhret die weltliche des Szepters. Ich be- 
fiirchte ganz, besonderer Verstand stehet billiger unter den 
Maiestatsverbrechen als die Geringfiigigkeiten die die romische 
Tyranei darunter stellte. Ob freilich dafiir die Strafe des Ver- 
laumdens, die an einem solchen Manne die Hoflinge vollziehen, 
indem bios die Zunge (und nichts scharfers) ihm das Glied nimt, 
womit er siindigte, namlich den Kopf , die angemessenste und 

20 grosseste ist, das weis ich nicht: aber so viel weis ich, daB sie die 
einzige ist und ohne vollige Zerriittung des Regirungswesens 
schwerlich erlassen werden kann. 

Ich wollte aber, ich ware schon im vierten Theile; man be- 
merke indeB, daB ich iezt zum dritten gekommen bin und darin 
alles thun will, was meines Amtes ist. »Woher anders, sagt Hel- 
vetius und die halbe Welt, kommt die Partheilichkeit, nur die 
Fehler und nicht die Tugenden des Abwesenden abzuschildern, 
als weil der Neid, die Satire, die Eigenliebe, die Gedankenlosig- 
keit, die Langweile bei den Mangeln ihre groBere Rechnung fin- 

30 det?« Esistgottlos, sag' ichzur AntwortindieserLoge, daB man 
in unsern Tagen die edelsten Handlungen und die Verlaumdung 
zuerst aus eigenniitzigen Quellen ausringen lasset. Allein weder 
Menschenliebenoch achte Verlaumdung sind Kinder des Eigen- 
nutzes. Wenn ich verlaumde es sei die Amerikaner, oder Euro- 
paer oder den Kapelmeister oder meine Frau: so denk' ich nicht 
an meinen Privatnutzen, sondern ich lege mit Vergniigen eine 



286 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

Ohrenbeicht von den vielen erwiesenen Siinden ab, die der andere 
begieng: die Zuhorer sitzen Beicht und haben den Bindeschlussel 
in den Handen und einen Wachsabdruck vom Loseschliissel in der 
Tasche. Wie gemeine Leute in ihrer Beicht sich aller Siinden zei- 
hen: so wird es von mir verlangt, daB ich in der Beicht, die ich 
freiwillig im Namen des andern hersage, ihm alle gangbare Feh- 
ler anschuldige und der Nutzen dieser Uebertreibung kann nicht 
aussenbleiben. Wie der Katholick zuweilen zukiinftige Siinden 
beichtet: so werd' ich bedenken miissen, daB auch ich als Beicht- 
prokurator des andern Fehltritte von ihm erofnet habe, die er gar 
noch nicht gethan: thut er sie auch nachher nicht, so kann ich 
nichts daf iir und ich schreieblos iiber ihn, daB ich liigen miissen. 
Bin ich ein Prediger: so weiB ich, daB die Kanzel der schicklir- 
chere Platz ist, wo ich die Fehler meines Kollegen ohne Riickhalt 
bekenne und beichte; ich fange namlich schon in der Predigt die 
sogenannte allgemeine Beicht an, die ich nach derselben ablese und . 
in der ich im Namen der Gemeinde und also auch des sundvollen 
Kollegen ihren Neid, ihre Verketzerung, ihren Stolz, ihre Ver- 
laumdung ganz kursorisch und summarisch zu gestehen habe. 
-Ueberhaupt giebts in einer so wichtigen Sache wichtige Meta- 
phern und Allegorien. Z. B. Ein lasterhafter Mensch ist ein aus- 
gemachter Seelenkriipel und kann auf diese Gebrechlichkeit bet- 
teln: allein es giebt hungerige Menschen, deren Seelenglieder 
insgesamt gesund sind, die sich aber aus Eigennutz wie Bettler 
furKriipel ausgeben, z. B. abgedorte Stutzer, die sich beklagen, 
(ob gleich kein Wort wahr ist) daB ihre Seele an ihren keuschen 
Theilen seit vielen Jahren ganz gebrechlich sei, einfaltige Pra- 
tendenten anHof- und Staatslist, die sich falschlich beschweren, 
die ihrige sei bekanntermaBen von Schlauigkeit und Vers tell ung 
nur gar zu sehr vergiftet, aberglaubige Damen, die ein langes 
falsches Pflaster aufkleben und hernach iiber ihre blinden Augen 
seufzen und sagen, sie hiengen vielleicht auf die Seite der Athei- 
sten. Solche Quasikriipel sind auf alien StraBen ansassig und 
bringen die wahren um alien Glauben; und eben unter dem Um- 
stande, daB so viele sich fur lasterhaft verkaufen, die es doch 
nicht sind, leiden die, die es wirklich sind, am allermeisten: denn 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. ZUSAMMENKUNFT • III 287 

die schon hundertmal geaften Leute vermuthen am Ende, es 
gebe iiberhaupt gar keine achten und wirklichen Lasterhaften 
und wollen wenigstens nicht entscheiden. Man thut daher alien 
Seelenkriipeln einen wahren Dienst, wenn man von ihnen an- 
dere iiberfuhrt, daB sie es wirklich sind und mit vorgeb lichen 
nicht verwechselt werden diirfen: Das ists wenigstens, wornach 
die Verlaumdung allzeit mit Ernste ringet. 

Wenn Iselin in einer Vorrede die Feder bewegt und hin- 
schreibt, daB ieder Staat fur den, der ihm neue Mangel seiner 
VerfaBung aufdekte, Preise anordnen sollte; so sagt er damit so 
wenig etwas den kleinern Hofen ungewohnliches, daB ich be- 
sorge, er hats ihnen gestohlen. Denn eh' vielleicht Iselin als 
Punkt herumsprang: belohnten gut geartete kleine Hofe schon 
Manner, die ihnen - denn nach wahren Philosophen lernt sich 
die Seele am besten durch den Korper und der Mensch an sich 
an andern kennen, - f reimiithig die Mangel fremder Hofe zeigten. 
Man beleidigt iezt keinen einzigen kleinen Hof mehr, wenn man 
ihm den schlechten Geschmack, die Schulden, die Prachtlosig- 
keit und die innere Schwache eines andern grossern oder glei- 
chen Hofes, den er nachahmt und beneidet, zu gestehen wagt; 
sogar wenns mit lacherlichen Farben geschieht, so freuets ihn, 
weil er weis, wie sehr die Satire allenthalben bessert. Ein. alter 
fast schielender Hofmarschall wiirdigte mich zu sagen, er ware 
seinem Hofe so unentbehrlich, als die Oper und die Karten, weil 
er in kurzer Zeit mehr argerliche Anekdoten von einem nahen 
Hofe (er wunschte, er konnte mir ihn nennen) ausdachte, als 
10. Kammerherrn in 14. Tagen vermochten. Er sezte hinzu, 
»das groste Ungliick fur den Menschen sei, daB er nicht immer 
loge. Wie man in den schonen Kiinsten sich die Aehnlichkeit mit 
der Natur nur bis auf einen gewissen Grad, wenn man gefallen 
will, erlauben diirfe; ein Portrait, eine Statue ergotze mehr als 
ein Bild im Spiegel undein Wachsabdruck, weilienedem Origi- 
nal in vielen, diese aber in alien Punkten gleichen; eben so werde 
man sich zwar nichts daraus machen, daB der geschikte Hof- 
mann in der Erzalung, die er von einem andern Hofe macht, 
einige Aehnlichkeit mit der Wahrheit herrschen lasse: allein, die 



288 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

ganze Tafel versehe sich doch von ihm, daB er allemal die Ahn- 
lichkeit bei Seite zu bringen willig sei, wo die Erdichtung mehr 
gef alien konne. Dann erst sei er kein bloBer gerichtlicher Zeuge 
sondern ein wahrer Erzahler. « Thut er das nicht, sagt' ich, so ist 
er wahrhaftig kein Portraitmaler der Wahrheit, sondern ein bloBer 
Spiegel derselben. Als ich diesen meinen Worten nachsann, 
freuete es mich herzlich, daB ich sie selbst fiir wahr hielt. 

Wenn einer von uns ein Bettelmonch ware oder doch ein Wie- 
ner, der ihm etwas zu essen gabe: so ware mir das recht er- 
wunscht. Allein ich kann es auch verantworten, wenn ich - weil i< 
ich durchaus einen Bettelmonch haben muB, um euch, andach- 
tige und lachende Zuhorer, doch zu zeigen, daB es mir an edel- 
denkenden Wesen niemals fehle, denen ich das Vorurtheil gegen 
die Verlaumdung glucklich auszureden unternehme - mir selber 
einen mache, der nachher meine Rede mit aushoren muB. Die 
Alchymisten, selbst Kagliogstro haben Teufelsnoth, wenn sie 
einen wahren Menschen in ihren Retorten Schmieden sollen, und 
wie lang war am Ende selbst das menschliche Geschopf , das Ju- 
lius Camillus nach einem langen chymischen Prozesse in die 
Welt sezte a ? Glaubwiirdige Schriftsteller versichern ihren Leser, 20 
es war nicht langer als mein Daumen. Einen Bettelmonch hin- 
gegen back' ich in meinem Kopfe in kurzem zusammen und 
mach' ihn, wie man sich schmeichelt, dennoch so lang wie einen 
Potsdammer Soldaten. Es war meine Absicht niemals, andere 
Ingredienzien zu ihm zu nehmen als vier Elemente - ein Apothe- 
ker begehrt zur elendesten Arznei mehrere -. Diese mische und 
knat' ich wol bis sie in einen Fleischklumpen aufgahren, welches 
ein moglicher Fall sein muB. Plastische Formen verschrieb ich mir 



a Die Alchymisten glauben, die Gegen wart eines Frauenzimmers 
schade ihren Arbeiten und nehmen an, alchymische Prozesse seien keine 
iuristischen: allein ein aufrichtiger Goldmacher sagte mir, es ware z. B. 
in dem Falle, wo durch einen alchymischen Prozes ein Mensch zu er- 
schaffen ware, grundfalsch. Er machte darauf diese Entdeckung gedrukt 
in alchymischer Sprache ganz bekannt, und nun sind unabsehliche Al- 
chymisten dariiber her und wollen die Erfahrung fragen, was d'ran ist. 



TEUFELSPAPIERE • 2. ZUSAMMENKUNFT • III 289 

nicht erst seit gestern vom Formschneider Cudworth aus London 
in Menge: ich kann mithin eine vom Biicherschrank herunter- 
nehmen und in die groste - ich gesteh' es, ich kenne die For- 
men,worin der Pabst seine agnus dei iahrlich bakt; allein solche, 
worin man epikuraische Schweine gestaltet, sind offenbar grosser 
- den Klumpen schlagen. Ich riitle ihn aber bald wieder heraus 
und stelle einer so groBen Last zwei Schildhalter oder Lasttrager 
unter, die wir nicht anders nennen, als menschliche Beine; that' 
ichs nicht: so konnte der Monch wirklich keine fiinf Schritte bet- 
teln gehen. Man tadle mich nicht, daB ich ihn darauf eine 
menschliche Seele - zumal da ich einen elenden Ladenhuter unter 
den Seelen nehme - in die Nase einschnupfen lassen; denn (nach 
Staht) nimmt bios die Seele die wichtigern Lebensbewegungen 
z. B. Zusammenziehen des Herzens, Verdauen etc. vollig iiber 
sich und sie ist des wegen da; daher bin ich so gewiB als vom mei- 
nem Dasein iiberzeugt, daB man aus einem Domherrn ohne 
Zerriittung der ganzen Maschine eben so wenig die Seele, als das 
kleine Gedarm ausheben durfte, und Satiriker, die das Gegen- 
theil gesagt, machten sich selber lacherlich und verriethen, wie 
wenig sie Stahlianer waren. Es wird mir zu statten kommen, daB 
ich meinem Monch einen langen Magen einhange, den ich mit 
soviel Magensaft benetze, daB er soviel essen kann als war' er ein 
Wiener von Geburt. Ich weiB, wenn ich endlich dieses Wesen 
noch in eine Monchskutte eingewunden und iiber sie einen Bet- 
telsack geworfen: so ists genug und es wiirde mir von In- und 
Auslandern verdacht werden, wenn ich dem Monch gar das 
Theuerste namlich Gewissen und Schamhaftigkeit noch 
schenkte. »Nun must du, lieber Bettelmonch, einer kleinen 
Rede von mir deine Ohren gonnen; denn fur diese schuf ich sie 
und dich iezt wider deine Erwartung. Kommst du nach Wien: 
so zeige, daB ich dir einen Magen nebst etwas Magensaft ge- 
schenkt, damit du so gut warest wie ieder dasige Bettelmonch 
wie er auch heiBe. Ich habe dir Hunger und nichts dazu zu essen 
gegeben: damit du nicht sages t, ich hatte dich ohne alien Trieb 
zur Verlaumdung auf die Welt gesezt und es lieBe dich des wegen 
kein Mensch in Wien mit essen. Ich wiinschte, du hattest im 



290 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

Athenausgelesen- es war dir aber unmoglich, da ich dich kaum 
gemacht - daB ein gewisser Schiiler des Plato keinem, der die 
Geometric nicht wuste, zur Tafel des Konigs Perdickas Zutritt 
lies; du wiirdest es auf dich anwenden und daraus schlieBen, daB 
ein Mensch, der ohne alle Einsicht der Verlaumdung dieser ho- 
hern Meflkunst ist, die aus wenigen schlimmen Ziigen und Linien 
die ganze GroBe eines entlegenen Menschen findet, keinen Loffel 
Suppe werth ist und bekommt. Die Beicht fremder, wenn nicht 
erwiesener doch groBer Fehler, iiber die ich oben eh' du geschaf- 
fen warest einiges Geschikte gesagt habe und sagen hatte sollen, 
ist zwar nicht von der Bibel selbst nothwendig mit dem Abend- 
mahl, das man von einem Wiener empfangt, gepaaret worden 
und man konnte darum nicht in die Holle fahren, wenn man iene 
von diesem wegliesse: allein, iene Beicht ist doch eine ganz gute 
Einrichtung der christlichen Kirche, die man beibehalten soil 
und kann, wie tausende aus dem Katechismus nicht anders wis- 
sen konnen. Es hatte daher, lieber Bettelmonch, viel zu sagen, 
wenn nicht mit dem ersten Bissen, den dir dein Wirth hinlangt, 
der vollige Satan in dich fuhre und ich will das Gegentheil wiin- 
schen. Kehre dich doch nicht an die Seligen im Himmel, die frei- 
lich so selten verlaumden als einer: warst du ein Protestant, so 
hattest du langst mit einer Aufmerksamkeit, die mir ganz gefal- 
len, Gerhards locos theologicos durch gegangen: in diesen hat- 
test du gefunden, daB alle Scholastiker und er selber uns hinlang- 
liche GewiBheit geben, daB kein Seliger einen Magen bei sich 
triige, der auch nur so groB ware, wie eine HaselnuB: aber ohne 
den muB man ia gegen das Brodstudium der Verlaumdung viel zu 
kalt bleiben, und der Mundzm Kopfe des Menschen will immer 
unter sich einen obern Magenmund wissen, zu dessen Vortheile 
er sich hienieden bewege.« 

Ich seh' es gern, andachtige Zuhorer, daB ihr alle gar schlafet. 
Die groBten Redner sind nicht im Stande, an mir etwas mehr 
einzuschlafern als wenige unbedeutende Glieder, die Ellenbogen 
und die Beine (und diese kaum ohne den grosten Aufwand von 
Feuer und Scharfsinn). Allein, ich bringe wider meine grosten 
Erwartungen fast euren vollstandigen Korper in Schlaf , was viel 



TEUFELSPAPIERE • 2. ZUSAMMENKUNFT • III 29I 

ist. Ichhoffe, ich kann diesen Schlummer als einen guten Beweis 
ansehen, daB euch meine Rechtfertigung der Verlaumdung nicht 
lacherlich - ihr waret sonst nicht eingeschlafen, - sondern wirk- 
lich so ernsthaft und durchdacht vorkam, als viele Redner ihre 
Sache vorzustellen wiinschen: denn die menschliche Natur ist si- 
cher so gut gearbeitet, daB ieder so bald man uber wichtige 
Dinge (z. B. Religionssachen) mitihmredet, nicht eher ruhig ist 
als bis er in Schlaf verf alien, der durch die Losfesselung von alien 
Sinnen und von ieder Zerstreuung dem tiefern Nachdenken 
wahre Dienste thut, daher sind in Vergleichung mit philosophi- 
schen Abhandlungen Stadtneuigkeiten und selbst statistische fur 
ieden viel zu unerheblich, als daft er uber sie einschlafen und 
nachdenken sollte. 

Ich konnte iezt selber mit einschlafen und den Eindruck, den 
meine Rede auf andere macht, auch empfinden; ia ein sehr guter 
Redner muB schon vorher selbst von den Empfindungen durch- 
drungen sein, in die er andere versetzen will . Allein meine wich- 
tigere Pflicht ist iezt nicht sowol zu schlaf en als zu liigen. Denn 
es ware mir unmoglich, den Pfarrer einzuholen, der wegen der 
auslaufenden Kanzeluhr seit einer Viertelstunde so unchristlich 
zu eilen begonnen, daB er gegenwartig weit uber die Halfte des 
vierten Theils wegzieht, wenn ich nicht meinen Zuhorern weis- 
machte, ich hatte wahrend sie im Schlummer dagesessen, den 
vierten Theil weitlauftig und geschickt genug abgehandelt. Ver- 
mittelst dieses Springstabes schieB' ich mich uber den vierten 
Theil fast ganzlich hinweg und der Pfarrer muB sich noch darin 
abarbeiten. Ich will meinen Zuhorern iezt ins Ansgesicht blasen 
und sie wecken. 

— Aufgewacht. Zuhorer! ihr werdet iezt wie Epimenides 
und die Siebenschlafer, mit eueren muntern Augen auf groBe 
Veranderungen um euch treffen und gar nicht wissen, wo ihr 
sizt. Denn wahrend ihr ganz ruhig schliefet, haben wir, ich und 
der Pfarrer die grosten Dinge unternommen und vollendet. In 
einem so engen Zeitraum muste sich der ganze vierte Theil - er 
war denke ich der langste unter alien, da ich zumal noch an ihn 
den f ehlenden ersten sties - von mir umstandlich abpredigen las- 



292 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

sen, und der iiberrittene Pfarrer schnaubt iezt erst (wie ich eben 
hore) in der Halfte des vierten Theiles herum. Ich lies mich im 
besagten Theile iiber vieles nach meinem besten Wissen heraus 
und blieb immer allgemein niitzlich. Es wird mir nichts schaden, 
daB ich darin nicht gelassen genug mich der Damen annahm, die 
die Gedachnisfehler andercv Damen - eine Dame vergisset oft die- 
ses sie vergisset oft ienes Gebot, iibertreten aber wird sie keines 
- schon mit der Zunge abzustrafen eilen eh' sie noch begangen 
worden: dennich konnte mich dabei recht auf den Beckaria stei- 
fen, der den Zwischenraum zwischen dem Verbrechen und der 
Strafe moglichst abzukiirzen anrath; ich sagte, solche Damen, 
die einen Fehler so schnell abstrafen, daB die Thaterin gar nicht 
Zeit hat, ihn vorher zu begehen, standen vielleicht weit den 
Richtern vor, die oft das groste Verbrechen erst heimsuchen, 
wenn es schon bereits verubet worden. - Hatte niemand ge- 
schlafen: so hatt' ich in diesem Theile sicher, ganz anders als ich 
that bewiesen, daB ein grosser Verlaumder durch Reichthum 
glaubwiirdig genug werde und sich auf gar keine andere Griinde 
zu beziehen brauche, als auf liegende, daher denkende Advoka- 
ten in ihren Fragartikeln allezeit die Glaubwurdigkeit nach dem 
Gelde schatzen und einem begiiterten Zeugen mehr als einem 
diirftigen glauben. Ich hatte hieriiber das merkwiirdigste nicht 
vergessen sollen; mein eignes Beispiel namlich, daB ich statt daB 
der romische Prator, wenn er iemand verdammte, vorher seinen 
kostbaren Purpurrok von sich warf, allemal wenn ich einen oder 
mehrere zu verlaumden hatte, (welches oft nicht anders sein 
kann) einen feinen Rok anzog, damit niemand denken konnte, 
ich loge. - Jezt hatt' ich mehr Zeit als bei der hastigen Durchren- 
nung des vierten Theils, es zu untersuchen, warum - ob aus 
Tragheit oder Unverstand - die wenigsten Menschen die Fehler 
des andern so zergliedern, daB aus einem mehrere werden: allein 
um nur einige oder mehrere Minuten zu erkargen, stelt' ich mich 
als fiele mirs gar nicht ein, daB Augustin und die Theologen uns 
die brauchbarsten Handgriff e davon langst an der Siinde Adams 
vorgemacht; ich wuste, ich hatte dann die lange Ausrufung thun 
mussen: »Wenn der h. Augustin (in seinem Enchiridion) in der 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. ZUSAMMENKUNFT • III 293 

Aepf elnascherei der ersten Eltern die Sippschaf t aller Siinden an- 
trift und diese Universalsiinde in Stolz, Gotteslasterung, Tod- 
schlag, Hurerei und Geiz paraphrasiren kann: so sind wir Men- 
schen ia nicht werth, daB wir nur eine spitzige und vernunftige 
Zunge fiihren, wenn wir mit ihr nicht aus einer kleinen Siinde 
- ich sage nicht einmal, mehrere sondern nur - eine groBe spin- 
nen wollen oder konnen; ia wie wenig kann noch immer der, der 
auch aus einem Spaziergange unter dem Monde einen Ehebruch, 
aus einem modischen Anzuge Verschwendung, aus einem hete- 
rodoxen Einwurf den Atheismus 3 zur Noth zu machen versteht, 
sich mit dem h. Augustin vergleichen! « Ich sagte oft zu meinen 
Freunden in langen Winterabenden ich mochte wissen, wem ich 
gliche. 

Ich will die Nutzanwendung meiner Predigt so geschwind als 
thulich machen; denn wenn ich einige Minuten eriibrige, so hab' 
ich Lust, in das Exordium noch einige beilaufige Ausspriinge zu 
thun. 

Ich bestehe selber am wenigsten darauf , daB alle Griinde, die 
ich auf diesem niedrigen Stuhle fur die Verlaumdung zusam- 
mengerufen, eine gleiche Achtung verdienen, und die menschli- 
che Schwache setzet mich wahrhaftig am wenigsten ausser Sor- 
gen mich zuweileh wider meinen Willen mit offenbaren 
Scheingrunden gedeckt zu haben: allein die Verlaumdung selber 
kann nie meine Vertheidigung entgelten, ia gesetzt, ich hatte sie 
mit lauter falschen Griinden zu vertheidigen das Ungliick ge- 
habt, so wiirde ein denkender Mann doch daraus noch nichts an- 
ders schliessen, als daB er die gultigen Griinde fur ihre Zulassig- 
keit sich sicher nicht von mir versehen konne, sondern von 
einem geschicktern. 

Allein ohne folgende Erzahlung bleibt mein ganzer usus epan- 
orthoticus ewig ohne gewissen Nutzen fur meine so unzahligen 
Nebenchristen. Ich war namlich in Nurnberg und der Rath da- 
selbst wollte mich durchaus wider meinen klaren Willen hangen. 

a Man kann in Gesellschaft eine Religionslehre mit geringerer Gef ahr 
verspotten als bestreiten, weil man an die Vermuthung sich gewohnet hat, 
daB die Menschen Satze, die sie belachen, oft dennoch glauben. 



294 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

Ich sagte anfangs zum Rathe, »er hatte an mir vielleicht einen 
ausgemachten Juristen vor sich, der ganz wol wisse und es langst 
vergessen, was zu ieder Stunde des Rechtensist; ob er denn nicht 
sahe, daB ich wiiste, daB die fiinf Guldern, auf deren Diebstahl 
Karl V. den Strang gesezt, heut zu Tage von den altesten Juristen 
viel anders und fur fiinf ungarische Goldgiilden genommen 
wiirden, und daB die Juristenfakultat zu Jena ausdrucklich haben 
wollte, einer, der wegen eines Diebstahls gehangen zu sein 
wiinschte, miisse fur seine Person erst 26 Rthlr. und 16 gr. aus 
leicht begreiflichen Ursachen entwenden. Zum Beweis, sagt' 
ich, daB ich nicht luge, bitt' ich, daB man den Gerichtsdiener 
oder sonst einen Kerl fortlaufen und mit der 6ten Edizion von 
Kochs Kriminalrecht wiederkommen lasse: ich kann den 
197. Paragraphen, wo ichs las, aufschlagen und vor iedem hier 
ins Deutsche vertiren. Ueberhaupt glaube man mir, ich will vol- 
lig auf den FuB der Advokaten behandelt werden, die ebenfalls 
kein Mensch zu hangen wagt, bios, weil sie in kleiner Schrift 
durch die weitlauftigsteHand, durch Beschneidung des Papiers, 
durch Einflechtung langer Allegate dem Klienten gerade 26 
RthL sondern allzeit weniger stehlen; und man muB diekurze Zeit 
gar passenbis ich die ganze,erfoderlicheSumme irgendwo werde 
genommen haben. « Allein man versetzte*, ich hatte freilich 
nichts geraubet und es ware auch nicht moglich: aber ein gewis- 
ser Kerl aus dem B amber gischen hatte unglaublich viel an Geld 
und Meublen gestohlen und daftir konne man mich nicht anders 
als auf hangen: »Wie so?« sagt' ich. »Weil er nicht da ware, repli- 
zirte man, und man ihn nur in effigie an den Gelgen schaffen 
kdnnte; es ware zwar sonst zweierlei, ob man nur ein gemaltes 
oder ein lebendiges Bild von ihm, namlich mich, aufhienge: al- 
lein man ersparte den Aufwand des Malens und brachte noch 
dazu ein Bild an den Galgen, in welchem er unter alien am 
kenntlichsten sehe, wenn man, wie schon beschlossen, mich 
wirklich dazu nahme. a « Ich verlor alien Muth und beinahe die 

a Daraus ist es vielleicht begreiflicher als aus andern Dingen, warum 
die Justitz allemal nur Schuldige todmacht. Denn der Unschuldige, den 
sie entseelet, ist am Ende das leibhafte Bild irgend eines Bosewichts, dem 



TEUFELSPAPIERE ■ 2, ZUSAMMENKUNFT ■ III 295 

Furcht auch, und hielt um die Todesangst an, die ich mit dem 
grosten Vergniigen auszustehen versicherte. Wahrhaftig, sagt' 
ich und redete schon ohne Bewustsein und Vernunft, die Todes- 
angst ware fur mich so arg als der Tod selbst, wenn man be- 
herzigen wollte, daB ich ein iunger zart aufgeazter Edelmann 
bin, der meines Wissens eine ganze Kompagnie kommandiret, 
der schrii tsassig in iedem Falle ist und im Grunde die Kriminal- 
verbrechen und das Kriminalrecht sehr hasset.« Die Sache 
wurde merklich schlimmer, als man den Dieb selbst einfieng. 
Denn sein Defensor bewies in einer Schrift, die Einen Perioden 
hatte, es sei nicht bios ganz zweifelhaft, wer von uns beiden das 
Bild oder Original des andern sei: sondern aus den Akten und 
aus meinem sub. Lit. A. angebognen Taufschein erhelle wol 
ganz sonnenklar, daB ich viel alter als der Bambergische Inquisit, 
und mithin (da das Original allzeit alter sei als seine Kopei) auch 
nicht das Bild (wie ich vorgabe) sondern das wahre Original 
des sei ben ware, das man nun ohne Zeitverlust wirklich aufzu- 
hangen hatte. Aus einem solchen Handel rettete mich bios eine 
tiichtige Verlaumdung und deswegen erzahl' ich alles . Der alte 
bekannte boshafte Rabulist ** war damals noch gar nicht tod, 
sondern fertigte aus Liebe zu meinem Bratschespielen den fata- 
len verlaumderischen Beweis aus, ich und der Spitzbube seien 
seine leibhaften Bilder und er miisse es einfolglich, wenn man 
uns beide hienge, so aufnehmen als hatte man ihn, dessen ganzes 
langes Leben ein langer Nutzen fur den Staat gewesen, auf ein- 
mal doppelt in effigie an den Galgen gekniipft. Man hatte den 
Muth nicht, ihnzuerbittern, sondern man lies uns beide los, um 



sie nicht anders als in effigie zu Leibe kommen kann, und den sie durch 
diese stellvertretende Genugthuung zu iedermans Nutzen hart abstrafen 
muB . Freilich ist die ganze Sache nur eine iuristische Fikzion: allein wenn 
so etwas nicht galte, wie konnte sich ein gerechter Richter noch ruhig 
auf den Richterstuhl setzen ," um iiber einen Schuldlosen ohne Gefahr den 
Stab zu begehren? War' er dann wol hinlanglich sicher und miiste er sich 
nicht das pflichtmaflige Verdammen der Unschuld durch die grosten 
Besorgnisse verbittern? Man iiberlege das ofter. 



296 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

als lebendige Beweise vom Nutzen der Verlaumdung noch iezt 
herumzugehen. 

Das Bisgen ausgesparte Zeit hoff ich iezt zu einem Exordio 
zu verwenden. Ich kann alsdann doch sagen, da6 ich in dieser 
Loge eine Kontrapredigt gehalten, die ordentlich und schon war: 
ich fieng beim zweiten Theile an, und schritt darauf zum dritten 
iiber so wie auch zum vierten, aus dem ich in den erstern einen 
hinlanglichen Ausfall that; ich lies darauf den usus epanorthoti- 
cus nicht weg, und konnte doch das Exordium anstricken, wel- 
ches wie ich glaube wohl nicht anders als so lautet: Gesetzt die 
grosten Gelehrten fiengen einen heftigen Krieg an, wo eigentlich 
meiner Predigt das Exordium, das ist der Kopf sasse - und ich 
besorge gar nichts anders, da der geendigte ahnliche, wo dem 
Bandwurme Kopf oder Schwanz stehe, sie nicht mehr da von 
abhalt - so wiird' ich mich doch stellen als sah' ichs nicht und 
darum nicht unruhiger in diesem Exordio fortfahren, das viel- 
mehr die wahren, nicht die falschen Ursachen zu berichten hat, 
warum ich unter der ganzen Predigt eine Mutze aufhatte. 
Ueberhaupt hat ieder Mensch zwischen seinem Halse und sei- 
nem Hute im Grunde etwas Rundes sitzen, von welch em er 
liberal aussagt, er halte das fur nichts anders als fur seinen Kopf; 
daher hort er es ungern, wenn man im Disputiren behauptet, er 
habekeinen: denn das besagte runde Ding scheint ihm gewisser- 
maBen etwas anders zu beweisen. Inzwischen predigt der Qua- 
ker doch mit und unter dem Hute; unter der Predigt, sagt er, 
sollte allzeit dem Menschen etwas auf dem Halse stehen, es mag 
nun ein Kopf oder ein blosser Hut sein, und er sollte ohne die 
ausserte Noth nie beide mit einander abziehen. Demungeachtet 
laB ' ich - ich kann iiberhaupt in diesen Reden wenig Zusammen- 
hang des Quakers mit meiner Miitze inne werden - die leztere 
droben. Denn sie ist eine sogenannte Krdutermiitze, die das Ge- 
dachtnis unendlich starkt. Denn das Gedachtnis des Menschen, 
und mein eignes ist ia ganz schwach und wirds von Tag zu Tage 
dergestalt mehr, daB das Publikum - es miiste denn nicht zu spat 
eine Krautermiitze aufsetzen oder einen elenden Knoten ins 
Schupftuch binden - am Ende nicht mehr wissen wird, (- wir 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. ZUSAMMENKUNFT * IV 297 

Autoren mogens ihm noch so oft auf unsern Titelblattern wie- 
derholen -) wie dieser oder iener Autor oder ich selber heisse: 
alsdann wiirden wir Autoren alle uns iiber das vergesliche Publi- 
kum fast halb tod lachen. Diese Miitze ist die Schweinblase an 
meiner Predigt, wodurch sie nicht im Letheflusse untersinket. 
Wahrhaftig, wenn ihr, andachtige Zuhorer, gleich anfangs mir 
die Krautermiitze gewaltsam abgezogen hattet: so hatt' ich 
meine memorirte Prdigt ganzlich fahren lassen und von diesem 
Stuhle schandlicherweise hinunterpringen miissen, ohne ein 
Wort mehr von meiner Predigt herausgebracht zu haben, als: 
Amen! 



IV. 

Brief eines Naturforschers iiber die Wiedererzeugung der Qlieder bei 

dem Menschen 

P.P. 



Nicht eine Grate von den Meerfischen kann ich Ihnen uberma- 
chen v auf die wir beide so lange pasten. Die Tonne damit langte 
gestern aus Amsterdam in einem Zustand an, daB mein Sohn 
sagte, sie gliche der einen Tonne in Jupiters Vorsaal ganz, die 
nichts als lauter Schlimmes enthielt. Alle die seltenen Meer- 
fische, fur die ich schon verschiedene Platze in meinem Na- 
turalienkabinet ausgeraumet hatte - ich warf von allem Un- 
rath, den ich etwan dreifach hatte, ein Drittel zum Fenster 
hinaus - must' ich diesem nachwerfen. Das versofne Matro- 
senvolk hatte wieder (wie neulich) die Tonne angefallen und 
den Brandwein, der unsere Fische konserviren sollte, meistens 
herausgezapft. 

Indessen kommt auf Lei d immer Freu de und die Sonne, die am 
Charfreitage verfinstert wird, tanzt (wie sonst die Leute glaubten) 
am ersten Ostertage offentlich. BiiBet auch der Mensch zuweilen 
Meerfische ein: so macht er doch bald darauf eine Entdeckung 
in der Naturgeschichte, auf die glaub' ich wenige fallen. Sie wer- 



298 JUGENDWERKE - 4. ABTEILUNG 

den von meiner Entdeckung vielleicht nachstens im hallischen 
Naturforscher einen langen Aufsatz antreffen: ich muste darin 
besonders mit zeigen, daB ich meine Entdeckung nicht gestoh- 
len, sondern daB unzahlige naturhistorische Schrifts teller nichts 
vonihraufzuweisenhaben, als einige praexistirende Keime, denen 
noch die ganze EntwickJung fehlt. Ich schrieb ungefehr so. 

In der Lehre von der Reprodukzion oder Wiedererzeugung 
der Thiere weis man nur das gewis, daB die Eidexe einen neuen 
Schwanz, einige Schnecken einen neuen Kopf, andere neue 
Fuhlhorner, die Krebse neue Scheeren etc. hecken, wenn sie die i. 
alten einbussen: ich glaube nicht, daB man noch hoher den Vor- . 
hang aufwand, der zwischen der Natur und den Naturforschern 
herabhieng. Es sollte vielleicht mir zugedacht bleiben, den Vor- 
hang noch hoher aufgehen zu lassen: zum wenigsten hats noch 
niemand offentlich gezeigt, daB ausser den Insekten und Wiir- 
mern auch die Menschen neue Glieder an der Stelle der verlornen 
treiben. 

Nach meinen iezigen Erfahrungen erneuern sich am Men- 
schen bios Nase, Zahne und Augen: ob ihm auch Kopf, Magen 
und Beine wieder nachwachsen, das kann ich, eh' ich meine 2c 
Versuche weiter getrieben, iezt gar nicht beiahen. Die grosten 
Naturforscher sollten aber iiber die Ursache etwas drucken las- 
sen, warum diese leibliche Wiedergeburt der Glieder, die alten nie 
durch neue aus Fleisch, sondern stets durch solche aus Metall 
oder sonst etwas hartem erstatte. 

Schneiden Sie nur- ich gehe Sie ausdriicklich darum an, und 
machen Siezn so vielen Personen den Versuch als Sie 7 Zeit haben 
- schneiden Sieeinem Jiingling, oder wem Sie wollen, die Nase 
ab: so werden Sie wenn Sie wieder kommen, mit Erstaunen fin- 
den, daB wirklich eine frische nachgesprossen, aber keine aus 30 
Fleisch, sondern, wiees auch der Justizergieng, eine ordentliche 
aus Wachs. Zum wenigsten stehen solche Ditonasen auf vielen 
Gesichtern der Damen in Paris und Marseille, die mehr aus Liebe 
zur Naturgeschichte als auf mein Zureden die Probe machten - 
denn gleich den Volkern stiegen die Weiber von der Oekonomie 
zu den schonen und zulezt zu den ernsthaf ten Wissenschaf ten auf 



TEUFELSPAPIERE • 2. ZUSAMMENKUNFT * IV 299 

- und ich wiinschte, Sie waren xnit diesen verstandigen Damen 
bekannter. - Was die Augen anlangt, so stach, schnitt und baizte 
ich unzahligen Damen ihre aus, - denn da ich in der hiesigen Ge- 
gend fur einen nicht ganz schlechten Okulisten (vielleicht mit 
Unrecht) gelte: so gewinn' ich viele Gelegenheiten richtige Ver- 
suche anzustellen und halbblinde Augen ganz neuen Platz ma- 
chen zu lassen - allein, nie konnt' ich an den nachgewachsenen 
wahre Aehnlichkeit mit den verlornen verspiiren: vielmehr wiir- 
de mancher lieber behaupten, sie schienen ihm von Gold oder 

io Glas zu sein, wenn er sie befiihlte oder auch woge. Auch haben 
mir verschiedene Damen versichert, man konnte mit solchen 
metallenen Augen am allerwenigsten sehen und ich will h of fen, 
daB sie mich nicht belogen: das ware wieder ein grosser Unter- 
schied vor den naturlichen, mit denen man wie bekannt, vollig 
sehen kann. - Endlich nimmt man an alien weiblichen Zahnen, 
die an der Stelle der ausgefallenen aufschiessen, die unerwartet- 
ste Aehnlichkeit mit WalroB- und Elephantenzahnen wahr, wie- 
wol nicht so sehr in der GroBe als in der Materie; und doch sitzen 
diese Zahne in einem menschlichen Munde und erfiillen sich 

20 wahrscheinlich mit menschlichen Saften: hat man dergleichen 
und viel andere Dinge in der ganzen Naturgeschichte noch er- 
hort? Ich wollt' es anfanglich gar nicht einraumen, sondern bat 
mir erst von einer Dame ihre Zahne, die solche Nachlese waren, 
auf eine Nacht zum Besehen aus: ich steckte ihr Gebis zu mir und 
reiste am andern Morgen in groster Friihe davon, vergas es aber 
(wiewol nicht ohne Vergniigen,) vollig ihr die Zahne wieder 
einzuhandigen. Daher kommt es nun, daB sie iezt in meinem 
Naturalienkabinette stehen, und von iedem leicht in die Hand 
genommen werden konnen, ders nicht recht glauben will, daB 

30 sie wie Elephantenzahne aussehen. 

Es waren allerhand Theologen auf meiner Stube, die mich 
fragten, warum ich diese Entdeckung nicht zum grosten Nutzen 
der Theologie verwendete? Ich gestand ihnen, es thate mir leid, 
daB sie nicht vor dem Abgange der Hallischen Post in meinen 
Aufsatz hatten schauen konnen, in dem ich gegen die grosten 
Atheisten einen Religionskrieg wagte. In der That wenn wir 



300 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

darum doppelte Augen von der Natur bekamen, urn dem Ver- 
luste eines so wichtigen Gliedes minder bios zu stehen: so miiste 
einer ia wol des Teufels sein, wenn er leugnen wollte, daB die 
Natur aus der namlichen Ursache sich nicht einmal bei der bio- 
Ben Verdoppelung des Auges beruhigte, sondern in die Augen- 
holen unzahliger Menschen noch das Vermogen legte, neue aus 
Gold oder Glas anzuschiessen. Warum lasset aber die christliche 
Kirche es geschehen, daB mich die vernunftigsten Leute auslach- 
ten, als ich vor einem halben Jahre die besten Bucher um eines 
vermehrte und in diesem in einem fliessenden Style bewies, daB 
wir Manner zwei kleine Briiste an uns aus keiner andern Absicht 
haben als weil wir die Kinder, die wir hervorbringen, auch sau- 
gen und unsern Weibern die Verunstaltung des schonern Busens 
ersparen sollen? Oder dankte deswegen auch nur Eine Dame ihre 
Amme ab, und legte das Kind an die Brust ihres ernsthaften 
Mannes? Nicht einmal meine eigne wollt' es. Ich bitte Sie aber, 
kann ich wol bei solchen Umstanden einige Aufmunterung ha- 
ben und mich und andere iiberreden, ich schafte wenigstens Ei- 
nem Welttheil gewissen Nutzen, der vier andern gar nicht zu er- 
wahnen? 

Sonst wird die Naturgeschichte mir von Tag zu Tage lieber; 
und ich wollte, ich konnte der Anekdote, die mir gestern erzah- 
let wurde, ganz trauen. Zwar die Alten lachten gar nicht dar- 
iiber, als sie auf Platos kindliche Lippen drei Bienen sitzen sahen, 
sondern sie schlossen daraus vielmehr, er wurde wie diese, atti- 
schen Honig zusammentragen. Aber wiird' ich unsern freiden- 
kenden Zeiten vielleicht nicht Stof zum Auslachen anbieten, 
wenn ich annehmen wollte, der wirklich sonderbare Zufall, da 
einmal mein Grosvater vor mir - ich schlief neben einer Hasel- 
staude - vorbei gieng und auf meinem Maule drei Hornschroter 
antraf , ware gewisser Massen nicht ohne alle Vorbedeutung? Ich 
miiste den Vorfal namlich so ausdeuten; Diese Thiere, dienichts 
thun als Insekten fangen, waren Propheten - mehr kleine, als 
Teraphim - gewesen, daB ich es wie sie, zum Hauptgeschafte 
meines Lebens machen wurde, Insekten zu fangen und zu spies- 
sen. 



TEUFELSPAPIERE • -2. ZUSAMMENKUNFT • IV 301 

Ueberhaupt, will es mir vorkommen, schatzen die meisten 
Menschen das Ungeziefer ieder Art noch wenig. Nicht daB ich 
mich zu sehr fiir die Aegypter erklarte, die den Kafern Tempel 
baueten; wie wol ich gar gerne es nicht verhele, daB ich mein 
kleines Naturalienkabinet mir mit Vergniigen als eine Art von 
Tempel oder Lararium vorstelle, worin ich meine Insekten als 
so viele Hawsgotteraufgestekt, die mir vielleicht werther sind, als 
dem Romer die seinigen: allein zum wenigsten behutsamer 
wiird' ich an anderer Stelle in der Geringschatzung der Insekten 
verfahren zu miissen denken, wenn ich bald da lase, daB der Kir- 
chenvater Ambrosius ohne alles Bedenken Christum mit einem 
Kafer verglich, bald im Pausanias erfiihre, daB die Elaer den Ju- 
piter am wiirdigsten unter dem Bilde einer Fliege abzubilden 
glaubten. Sehr wiird' es mich noch fiir die Insekten einnehmen, 
wenn ich sahe, daB man so wol die Krebse als die Hofleute in den 
neuern Zeiten darunter rechnet. (Es ist daher weniger ein 
schmeichlerisches, als ein wahres Lob, wenn man die Fiirsten 
Gofter nennet: denn schon durch ihr Walten iiber ihre Hoflinge 
verdienen sie den Namen eines FHegengottes oder des Apollo cu- 
liciarius oder des Herkules Konopius.) Freilich kann das Bild ei- 
nes Insekts, worunter man iezt den Hofling gern vorstellet, mit 
der Zeit viel von seinem Adel verlieren, wie die Homerischen 
Vergleichungen mit Eseln und Kiihen in unsern Zeiten nicht 
halb mehr so wiirdig sind, als in den troianischen: aber gut ge- 
nug, daB iezt dieses Bild ganz edel ist und wenn nicht fiir die 
Gdtter selbst, wie sonst, doch fiir die Diener derselben, die Hof- 
linge, sich noch ausserordentlich schicket. 

Ich habe viel Biicher dariiber nachgeschlagen; aber weder die 
noch meine Vernunft lehren mich etwas anders als daB dem 
Menschen unmoglich eine minder edle Bestimmung beschieden 
seinkann, als die augenscheinliche ist, sich durch Kenntnis von 
den Insekten dieser Welt auf die von den Insekten der zukiinfti- 
gen in einem gewissen Grade zu riisten, das Ungeziefer zu seiner 
wahren Gesellschaft zu machen, es zu fangen, zu klassifiziren, 
zu beschreiben und so mit interessanten Stekbriefen unbekann- 
ter Insekten »die allerneuesten Mannigfaltigkeiten in Berlin« zu 



302 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

segnen, die ich meines Erachtens sehr gern lese, und endlich 
nicht aus dieser Welt zu scheiden, ohne ihr ein gewis nicht 
schlechtes Naturalienkabinetnachzulassen, an deren Veraukzio- 
nirung sich Frau und Kind erholen kann, und in dem die meisten 
Stiicke wie in Holland gar doppelt sind. 

Wie kommts, daB es nichts hilft, daB die Menschen das Buck 
der Natur, das sie weniger lesen als nachdruchen und rezensiren, 
vor sich liegen haben? Sie wissen es gar wol, daB in diesem Bu- 
che die groBen Thiere die grobe Sabonschrift, die Menschen die 
Kapitalbuchstaben, die Sterne die Sterngen, die auf weitere Erlau- 
terungen hinweisen, und bios die Insekten die kursiv und Perlen- 
schrift ausmachen: gleichwol kann man nur wenigen Gelehrten 
(in Holland sind deren einige mehr) das Lob nicht versagen, daB 
sie wie bei einem andern Buche, so auch bei dem der Natur ihre 
Augen meistens auf die kursiv Schrift oder das Ungeziefer hef- 
ten, nicht wie die Kinder, die sich an den Kapitalbuchstaben be- 
lustigen. Und wenn die Anmahnung des delphischen Tempels 
sich selber kennen zu lernen, nicht schadlich war - denn es wird 
sie ohnehin kein verniinftiger Mann befolgen: - so ist gewis die 
vollends unentbehrlich, die Insekten kennen zu lernen; denn 
ohne eine wahre Kenntnis derselben wird der Mensch niemals 
wahrhaftig gros, sondern verlauft sich immer weiter von seinem 
Ziele, und in der That machten die Mikroskopen durch Aufdek- 
kung ganz neuer Miniaturwelten zugleich die Insekten und den 
Menschen und den Naturforscher gros genug. 

Und ich wollte wol meine besten Konchylien darauf verwet- 
ten, daB die Betrachtung und Samlung des Gewiirms das darin- 
nen saB, und uberhaupt der Thiere in der kunftigen Welt eine der 
allerreinsten Freuden der Seligen ausmacht; denn ich will hoffen, 
daB die Philosophen es ein wenig beweisen, daB dort dergleichen 
Geschopfe, bios des Menschen wegen in Menge hausen. Zum 
wenigsten sen' ich so viel voraus, daB mir, wenn es da an allem 
Ungeziefer und sogar an seinen Seelen fehlet, der ganze Him- 
mel, es mag so viel Musik und Lust da sein als man will, unfehl- 
bar so gut als vollig versalzen sein wird; und ich werde mich den 
ganzen Tag bios nach Holland herunter sehnen. 



tEUFELSPAPIERE * 2. ZUSAMMENKUNFT "IV 303 

Ja, lieber Freund, wenn man so sieht, daB sogar Fiirsten, deren 
Gedanken der Thron zugleich mit ihrem Korper hebt, ihre 
wichtigsten Geschaf te und den Umgang mit den besten Hofleu- 
ten nicht dem Umgange mit Insekten vorziehen, daB sie 
Schmetterlinge fur wurdigere Gegenstande der Parforceiagd er- 
kennen als die besten Hunde, Jager und Bauern, und daB sie nie- 
mand weiter mit gluhenden Zangen zwicken und spieBen lassen, 
als sehr rare Kafer: so wandelt einen leicht ein unschicklicher 
Hochmuth an, daB auch unser einer einem Geschaf te obliegt, das 

so grose und lange Hande adeln. 

Dieses alles hab' ich fast mit den namlichen Worten im halli- 
schen Naturforscher vorgetragen. 

Der hiesige Subrektor hatte in der vorigen Woche einen guten 
Tag: seine Frau erfreuete ihn mit einem sonderbaren Abortus, 
den er Tages darauf mit eben soviel Vergniigen einbalsamirte 
und aufbewahrte als er ihn, erzeuget hatte; »auch in Rucksicht des 
Vergniigens, sagte er, ist die Erhaltung die andere Erschaffung.« 
Von der heimlichen Freude, womit ein Autor seine Sammlung 
fremder geistiger Kinder (seine Bibliothek) durch sein eignes 

20 vermehret sieht, giebt iezt das Vergniigen des Subrektors einen 
Begrif , wenn er sich als den Eigenthiimer einer Sammlung von 
Misgeburten denkt, die er um eine eigene verstarken konnen. 
Sagen Sie Ihrem H. Bruder, ich arbeitete zur Zeit noch an der 
Aufzalung der Stralen des bewusten Meersterns, und ware erst 
bei dem dritten Tausend. Mit dem Korkstopsel aber bin ich zu 
Rande; er enthalt dreizehnhundert und sechs und siebzig Zellen 
und der H. Bruder konnen in Ihrer natiirlichen Theologie zu ver- 
sion tlich darauf fussen; denn ich zahlte sie dreimal durch. Auf 
den Schwanz der Meerkatze pass' ich schon seit funf Wochen 

30 vergebens. 

Der Kautz, der Poet, hat meinem Schreiben ein langes Post- 
kript angekntipft, worin er seine Nase lobt. Am Sylvestertage 
wollt' er sich ertranken, weil niemand mehr Verse und Silhouet- 
. ten bei ihm bestellet, die er beide immer besser macht. etc. 



304 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

V. 

Physiognomisches Postskript uber die Nasen der Menschen 

N. S. 

Wenn ein Mann einen Fehler einmal abgedanket hat; so kann er 
nachher ganz frei ihn gestehen und verschreien: Eben so kann ei- 
ner, der sich seiner Nase entledigt hat, ohne Schande sie herun- 
tersetzen und ihre MiBgestalt bekennen; ia nur desto mehr Ehre 
bringt ihm ihre Vertreibung, bei Gutdenkenden. Ich bin wol 
unter alien Menschen vielleicht am wenigsten ruhmredig und es 
ware oft zu wiinschen, ich ware minder bescheiden: aber ich 
konnte die Wahrheit nicht auf meiner Seite haben, wenn ich es 
unterdriicken wollte, wie wenig meine damalige Nase meinen 
Fahigkeiten angemessen war: wahrhaftig sie blieb ganz unter 
meinem Gehirn und man konnte wol nicht von ihr sagen, sie 
ware ein diinner Sekundenzeiger meiner Ideen und eine lange 
Sitzstange meiner Gaben; weit getriebene Ausdriicke, deren ich 
mich doch von tausend andern Nasen ohne Gefahr bedienen 
wollte. Indessen bestanden meine Freunde ganz steif auf dem 
Gegentheile und wiinschten, man bedachte, daB einer nicht 
buchstabiren miiste konnen, der auf meiner Nase nicht auffallen- 
den Verstand und Tiefsin Vase, Ich bestand zulezt selber darauf. 
Denn ich konnte gar nicht anders. Mein Grundsatz ist: da der 
pfiffigste Mann unmoglich alle die Voziige selber inne werden 
kann, die ihm wirklich beiwohnen - weil er entweder, wie z. B. 
Fiirsten, Poeten und Weiber, nicht immer auf sich merkt, oder 
weil uberhaupt die Vollkommenheiten gleich den Unvollkom- 
menheiten durch ihre stete Gegenwart dem Auge des Besitzers 
unsichtbar werden: - so sollt' er es mit Danke annehmen und es 
glauben, wenn ein guter Freund, der sie leichter sieht, sie ihm 
offenbaret. Denn dadurch lernt er sie zulezt auch selber erblik- 
ken. Wenn ich daher einige schwache SelbstkenntniB besitze, so 
ist sie sicher weniger die Frucht eigner Beobachtung oder eignen 
Lobes als des fremden, das ich bekam, und der Gewohnheit, 
mich selber allzeit so anzureden: »wie der Mann im Monde 
wenns droben Nacht ist, der Erde leicht den Glanz ansieht, den 



TEUFELSPAPIERE • 2. 2USAMMENKUNFT • V 305 

wir hier, da wir ihr so nahe auf dem Halse sitzen, an ihr vollig 
iibersehen: so wundere dich nicht, daB der arme lebende Teufel 
da an dir eine und die andere leuchtende Seite auskundschaftet, 
die dir wegen deiner eignen Nahe vollig entwischen miissen, 
sondern vergleiche dich mit den grosten Potentaten, die oft hin- 
ter ihre schonsten Vorziige, nicht anders kommen konnen als 
durch das GestandniB eines aufrichtigen Hofmans.« 

Ueberhaupt trau' ich iedem, wenn man ihn auf dem Toden- 

bette fragte, wem man seines Bediinkens unter alien seinen Be- 

kannten am aller wenigsten etwas vorgeschmeichelt habe, das 

Zeugnis zu: ihm selbst. Dieses galte auf einem solchen Bette ei- 

nem Schwure gleich. 

Wenn meine Freunde getauschter Weise besondere Geistesga- 
ben auf meiner obigen Nase walten und leuchten sahen: so war 
mein Umgang Schuld; dieser stieB sie in den Fehler aller Physio- 
gnomisten, die Schliisse aus dem Umgange ganz mit den 
Schlussen aus dem Gesichte zu vermengen und das mir anzuse- 
hen, was sie vorher auf eine viel gewissere Weise schon wusten. 
Eben so wenig hatt' ich selbst dem oft angeregten Gliede beson- 
10 dere Talente angemerket, ware nicht der Mensch mit dem in- 
nern Gefuhle seines Gehaltes bewafnet und hatt* ich mich selbst 
minder gekannt. 

Um dieselbe Zeit fiengen die Bardendichter an, einen guten 
gesunden Vers zu setzen. Ich hub das namliche an. Nicht daB ich 
Unkundigen weismachen wollte, ich hatte vorher keinen ver- 
niinf tigen Vers gemacht und nachher herausgegeben; ich gestehe 
vielmehr von freien Stiicken, daB viele meiner vorherigen Verse, 
das ist mein Musenpferd, wie ein wahres mirnbergisches Pferd- 
gen aussah, ich meine, es war liberal am Leibe mit poetischen 
io geruchlosen Blumen iibermalt und streckte im Hintern ein kurzes 
Pfetfgen aus, das ist den klingenden Reim: allein, so viel sollte sich 
doch auch der uniiberlegteste Liebhaber meiner gereimten Verse 
bescheiden, daB meine Bardenverse nirgends gereimt waren, 
sondern mit iedem Gedichte um die Wette streiten konnten, das 
durch unbeschreiblichen poetischen Putz und durch gesunden 
mannlichen Plug sich gewiBen Seevogeln (den Penguins) gleich- 



306 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

sezt, die mit gestiktem Qefieder des Leibes kurze nakte Flugel ver- 
kniipfen. Bei solchen Umstanden wundere ich meines Ortes 
mich wenig, daB sich alle meine Seelenkrafte zusehends hoben 
- o! grosse Kritiker! ein Kopf, den Braga und Apollo nebst so 
vielen Musen und ihren Instrumenten und tausend anderen Sa- 
chen auf eine Viertelstunde besetzen wollen, um da etwas poeti- 
sches und melodisches aufzuspielen, ein solcher Kopf, glaub' 
ich, muBgroB werdenoderesschonsein, undes thut zumRaum 
fur so viele Gaste wenig, daB vorher alles Gehirn sauber hinaus- 
gekehret worden. Eben so muste der Kopf des rhodischen Ko- 10 
lossus, in welchem oft ein ganzes Orchester Musikanten musi- 
zirte, groB nicht minder sein als hohl. Der Mensch hat darum 
eine Nase und ernahret sie darum mit theuerem Spaniol, damit 
der Physiognomist aus ihr ersehe, was er von den Seelenfahig- 
keiten, die wenige Zolle hoher wohnen, zu ieder Stunde zu hal- 
ten habe; sie ist ein aussen an der Schenke herausgestektes Bit- 
kengipfelgen, das das Bier darin richtig verkiindigt; sie ist ein 
Assekuranzbrief auf das verborgene Gehirn und im Falle der 
Noth konnte man sich an niemand halten als an sie; sie ist der 
Erker des menschlichen Hauptes, das seines Orts der Schuld- 20 
thurm der herabgebanten menschlichen Seek ist; endlich ist sie, 
glaub' ich noch immer, etwas ganz anders . . . Bei dem obigen 
Wachsthum meiner samtlichen Seelenkrafte hatte sich nun mei- 
ne Nase zuerst andern sollen: aber sie blieb noch wie sie war. 

Da ich indessen freilich mit der Vermehrung meiner Seelen- 
krafte durchaus nicht aufhorte, sondern sogar zu einer Wiener 
Sangerin (sie ist langst tod) gieng, und durch sie und meinen 
Wein alien meinen Witz und alle meine Phantasie in ein ausser- 
ordentliches Feuer versezte, und zum grosten Schaden meiner 
Gesundheit, meine untern Seelenkrafte zu wiederholtenmalen 30 
iede Woche uberschraubte: so hielt es natiirlich meine so prosai- 
sche Nase nicht langer aus, sondern beurlaubte sich und machte 
sich bei Nacht und Nebel aus einem Gesichte davon, hinter dem 
ein Geist stand, der sich so anstrengte und verbesserte. An der 
Stelle der alten hob sich ungesaumt eine neue in die Hohe, wie 
sie sich allenfals fur meine entfalteten Gaben Schick en mochte. 



TEUFELSPAPIERE * 2. ZUSAMMENKUNFT • V 307 

Und diese soil so lange an meinem Kopfe wohnen, als ich selbst 
darinne haushalte: was den Tod anlangt, so kann der uns am we- 
nigstens auseinander werfen. Denn am bonnetischen Korpergen, in 
und mit welchem meine arme Seele sich aus ihrem grossen Kor- 
per und aus der Welt, worauf er steht, da von macht, muB auf 
alle Falle eine z weite Auflage dieser aussern Nase sitzen . Ich habe 
diese Nase iezt ausser Haus statt meiner Silhouette an H. GeiBler 
den iungern verschickt. Da er - wie sonst Zwerge durch ein 
schlechtes Blasen dem Ritterschlosse die Ankunft von Prinzes- 

10 sinnen und Riesen sagten, - alle edle Deutsche ohne Rucksicht 
auf Geschlecht in der Stille lobt; so wird ers vielleicht in Kurzem 
die 10 Kreise Deutschlands und das Konigreich Bohmen und 
Mahren und Lausiz und einen Theil von Schlesien, desgleichen 
die reichsritterschaftlichen Orte und verschiedene gauerbschaft- 
liche Oerter gedruckt lesenlassen, daB die Senkung, die Wurzel, 
die Spitze, der Herunterschwung meiner neuen Nase seines Be- 
diinkens nicht gemein waren, sondern Dinge prophezeieten, 
iiber die er seines Orts zu Zeiten staune, wie ein Narr. Ich danke 
dem H. GeiBler mit Vergniigen fur dieses kiinftige Lob, bei dem 

20 er selbst (wie bei alien seinen Lobreden) keines gewinnen kann, 
sondern nur das gewohnliche Honorarium: allein er sollte wis- 
sen, daB ich das noch gar nicht bin, was sie verheisset; hingegen 
was seinen eignen Verstand anlangt: so sollte H. GeiBler (und 
auch andere Feinde von ihm) es einraumen, daB er seinen besag- 
ten Verstand, der nun erst seit den wenigen Jahren seiner Autor- 
schaft abwesend ist, nach den mir bekannten Rechten in Deutsch- 
land nur erst, wenn er wenigstens 70 Jahre weg ist, und 
schlechterdings nicht eher fur tod und verloren schatzen kann: 
und das blosse Gericht, schreibt Leyser, beweiset den Tod eines 

30 Abwesenden weiter gar nicht. Allerdings in Frankreich kont er 
iezt um seinen Verstand schon trauern, und da reicht bios zehn- 
iahrige Abwesenheit vollig zu: allein weis es denn nicht die halbe 
Welt und er selbst dazu, daB er in Sachsen, dem blossen Gipsab- 
gus von Frankreich sizt? 

Es ist ein Jammer, daB ich die vielen Hypothesen schwerlich 
erleben und durchsehen kann, welche der bessere Theil der Ge- 



308 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

lehrten iiber meinen Erfahrungssatz ersinnen wird, daB sich auch 
die festen Theile des Gesichts - denn bisher bemerkte mans nur 
an den weichen - nach den Verwandlungen der Seele modern, 
und daB die Seele das phisiognomische Gebaude abbricht, urn 
sich geraumiger anzubauen: denn so wird iezt bei tausend Leuten 
vom guten Tone das Genie, die Wahrheit zu sagen, fur ihre Nase 
zu groB und ab sprengt es sie daher auf einen oder zwei Schritte, 
wie etwann der Soldatenkrebs seinen Schaalenlosen Schwanz 
aus der fremden Schneckenschaale, worein er ihn eingemiethet, 
ohne Anstand zieht, wenn er sie ausgewachsen, und ihn in eine 
weitere thut. 

Allein hart fallet es mir, daB eine solche phosthumische Nase 
nicht dauerhaft sein kann und soil: denn ich glaube nicht, daB sie 
von etwas anders ist als von Wachs. Zum wenigsten scheints 
beim Feuer so; denn ich will wol nicht befurchten, daB mich 
mein wirklich zu fleissiges Dichten so weit heruntergebracht, 
daB ich nicht mehr recht wiiste, woraus ich bestande, sondern 
mir bios einbildete meine erworbene zweite Nase ware wach- 
sern. Das las ich leider allerdings vor wenig Wochen auf der 
Rathsbibliothek, daB einer der sonst ein so verniinf tiger Mensch 
war, als noch einer auf einem anatomischen Theater lag, sich 
wirklich iiberreden konnen, er bestande aus bloBer Butter und 
wiirde daher sicher an der Sonne zerlaufen: und wahrhaftig ie 
tiefer ich durchsinne, desto mehr will es mir vorkommen, daB 
ich nicht viel Grund habe, bei meinem Gedanken einer wachser- 
nen Nase gleichgiiltig zu bleiben. Denn was ist zulezt fur ein 
Unterschied zwischen Butter und Wachs? Ich will mir solche 
gefahrliche und thorichte Grubeleien aus dem Sinne schlagen, 
die meinem Verstande drohen. 

»Lassen Sie diesen Brief immer mit drucken etc. « 
Ich hab es gethan, weil der arme Poet sich darauf spizte: aber 
seine einfaltige Grille, als ob er sich die wachserne Nase nur ein- 
bildete und als ob es mit seinem Verstande nimmer richtig 
stande, hatte ihn bei einem Haare wirklich darum gebracht, 
wenn ich ihn nicht von diesen Irrthum durch einen zweiten los- 
geholfen hatte. Ich lies ihn namlich mit verbundnen Augen auf 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. ZUSAMMENKUNFT * VI 309 

eine Redoute (denn er war in seinem Leben auf keiner) fiihren 
und die Nasen der meisten Masken befiihlen, die er fur das na- 
turliche Gesicht ansah. Darauf fragt* ich ihn ein wenig ernsthaft, 
ob er nicht ein Narr ware, daB er dachte, nur er ware so sehr von 
Stande und hatte eine solche genialische Nase, aber kein Mensch 
weiter. »Au contraire, sagt* ich, auf der Redoute tanzten Leute 
herum, denen unter den befiihlten wachsernen Nase gar noch 
eine zweite wachserne saB: aber das Genie ist auch darnach, und 
fast ausserordentlich.« 



10 VI. 

Ein Avertissement und eine Preisaujgabe 

Da die Leser eben so viel Recht als wir Autoren haben, darauf 
loszuarbeiten, daB sie ihren Namen gedruckt und verewigt er- 
blicken: so will ich meine Krafte, die mir der Himmel zur Ausar- 
beitung eines Buchs verliehen, bios an eines strecken, das nicht 
sowol mich verewigt (wie etwan meine an dern) als die samtli- 
chen Kaufer. Ich weis recht wol, es fehlt schon iezt hie und da 
nicht an Werken, die ein oder ein paar Bogen haben, welche viele 
Namen der Pranumeranten vorweisen und konserviren: allein 

20 was sind die gegen eines wie das meinige, das vom Anfange bis 
zum Ende durchaus kein anderes Wort enthalten soil als bloBe 
Namen der Pranumeranten darauf? Und wenn das Publikum 
doch offenbar Werke unterstiizte, die hochstens einige Seiten 
seinen Namen weihten: was kann nicht der erwarten, der eines 
mit vieler Miihe ediren will, dessen Seiten insgesamt nichts un- 
witziges oder tolles oder unverstandliches, sondern bios Namen 
enthalten? die GroBe und die Zahl seiner Theile hiengen alsdann 
ganz von der Unterstutzung des Publikums ab, und ich konnte 
an einem Werke, das gewis iedem Pranumeranten ein reines 

30 Vergniigen gewahrte, so lange fortschreiben als ich eine Hand 
an mir hatte. Ja war' es nicht dabei ein Addreskalender, eine Mu- 
sterrolle, ein Hofkalender von tausend pranumerirenden Men- 
schen? - Es ware solches auch ein klassisches Buch, weils ieder 



310 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

lase: denn klassische Biicher nenn ich nicht so sehr solche, die das 
Genie einhaucht, als solche, die ieder Teufel durchlieset, so wie 
nach Semler kanonische Biicher der Bibel nicht solche bedeuten, 
die der H. Geist inspiriret als solche, die man in der ersten Kirche 
offentlich vorlas. - 

Die hiesige Akademie setzet heuer wie gewohnlich einen be- 
schnittenen Schwanz Dukaten auf die beste Beantwortung der 
Preisfrage: Welches sind die niitzlichsten Preisfragen, die die 
Akademie fur das kunftige Jahr aufzuwerfen hat? - 



VII. 

Wurde man nicht vielen Misbrauchen der belletristischen Rezensionen 

steuern, wenn kein anderer ein Buck rezensiren durfte als der, der es 

selbst gemacht? 

Vorschlag 

Wenn der Prophet Samuel (so erzahlen die Juden) einen guten 
Traum gehabt hatte; so fragte er verneinungsweise: »reden wol 
dieTraumeEitelkeiten?« Wars hingegen ein schlimmer, so sagte 
er und behauptete es: »es reden wol die Traume Eitelkeiten.« 
Nicht anders kann ieder verstandige Mann verfahren; besonders 
bei Rezensionen. Wird meinem Buche eine giinstige zu Theil: so 
nehm' ich sie in der Tasche mit hin zu meinen Freunden und 
sage: »Ich wollte darauf schworen, ein Rezensent weis vollig, 
was er will und sagt; es ist fur mich das erste Kennzeichen eines 
verdachtigen Autors, wenn er der kritischen Iury Billigkeit und 
Verstand abspricht. Denn einer, der beides hat, urtheilet stets 
von seinen Richtern viel bescheidener.« Suchet aber eine tadel- 
siichtige dieses Werkgen heim: so bring' ich bios das leztere mit 
und sage zu meinem besten Freunde: »es ist ein wahrer Jammer, 
daB die Autoren gleich den Schauspielern von Leuten ausgepfif- 
fen werden, die auf der Gallerie, aber nicht in der groBen Loge 
stehen. Dariiber wundere ich mich gar nicht, daB Autoren, die 
dieses kritische Geschmeis durch Lob bestach, es wieder loben: 
aber von Unpartheiischern sollte man etwas Griindlichers er- 



TEUFELSPAPIERE • 2. 2USAMMENKUNFT -VII 3 II 

war ten. Hat nicht denn, lieber Freund, ein Kunstrichter nur Eine 
Stimme und nur Einen Kopf? Ich weis, Sie geben nicht einmal 
das leztere gern zu.« 

Ich stelle dieses voran, um dem Verdachte zu begegnen, ich 
thate meinen Vorschlag zur Abschaffung der Rezensenten aus 
den schlechtesten Absichten. 

Es verdient bekannter zu sein, daB ich schon vieles drucken 
lassen: ich machte mich schon am Morgen meines Lebens, bevor 
mein Verstand noch aufgegangen war, auf den schriftstelleri- 
schen Weg, hake noch iezt bei dem hochsten Stande desselben, 
damit an und gedenke auch am Abend des Lebens, nach dem 
schonen Untergange meines Verstandes, noch ein wenig fortzu- 
schreiben und unserem Deutschland eines und das andere schaz- 
bare Werk zu geben. Gleichwol gieng alien diesen Schriften 
reichliches Lob gar nicht ab; ia unter meinen Rezensenten war 
einer, der meine Produkte theils mit aufrichtigen theils mit un- 
eingeschrankten Lobspriichen belegte, und ich will ihn nur nen- 
nen, namlich mich selbst. Damit streitet daher das Vorgeben au- 
genscheinlich, daB gute Kopfe den Undank der Welt iriiher als 
ihren Danke erfiihren; und es ist eine blosse und noch dazu 
schlechte Metapher, daB man ihnen gleich den Mumien erst mit 
baizenden Mitteln zusezte und das Gehirn benahme, bevor man 
sie mit wohlriechenden Spezereien fur die Nach welt auf sp arte. 
Vielmehr glaub' ich, mein Lob ausgesaet zu haben, ehe noch der 
bose Feind das Unkraut des Tadels gepflanzet, und so werden 
mehrere gute Autoren friiher gelobt als getadelt. 

Ich glaube daher mich ohne Unbescheidenheit als einen Mann 
vorstellen zu diirfen, der im Selbstrezensiren, iiber das er reden 
will, eigne Uebungen nicht ganz entbehrt. 

Der erste Fehler eines Rezensenten ist, er lobet fremde und den 
Autor, der sie macht, oft sehr. Denn da bios das Ungefahr die 
Hand ihm fiihrt, mit der er ienem den Pranumerazionsschein der 
Unsterblichkeit schreibet, so halt er so wenig Maas und Ziel im 
Loben, daB ich dariiber errothen wiirde, wenn ich der gelobte 
Autor ware. Der Selbstrezensent aber lobt sich zwar auch: allein, 
wie es scheint nicht unmaBig - weil er sich selbst keine Rothe 



312 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

abzuiagen willens ist, - und nicht wider seine Ueberzeugung 
von seiner Wiirdigkeit, (statt daB der bloBe Rezensent oft mit 
volligem BewuBtsein des Unwerths lobet) denn iiberhaupt sind 
wir Autoren dem Eigenlobe wenig gewogen und so sehr, als 
Monarchen und gemeine Leute sich loben, das unterfiengen sich 
wenige von uns urn das groste Honorarium. Ich borgte oft den 
eitelsten Autoren Geld, die ieden schmeichelhaften Brief eines 
GroBen unter ihren Bekannten zurkuliren liessen, ieden guten 
Schriftsteller zu ihren Nachahmer und ihre Vorlesungen zu aka- 
demischen Lobreden auf ihre eigne Werke machten: nichts desto 10 
weniger priesen sie stets darin von dem ganzen Publikum, unter 
das sonst ieder gern sein Lob zu bringen wiinscht, sich selbst nur 
maBig und bescheiden. Der elendeste Kerl, der nicht lesen und 
schreiben kann weis es, daB alle gesittete Volker den Autoren 
gewisse Bogen ihrer Schriften zum Tummeplatze und zur Frei- 
stat ihrer Eigenliebe - sie sollte da freie Religionsiibungen und 
Maskenfreiheit wirklich haben - aus eigner Entschliessung ange- 
wiesen und bewilligt, damit die iibrigen Bogen des Traktats und 
die Leser derselben von dem schrif tstellerischen Eigenlobe ganz 
unangetastet blieben: diese Bogen, die wir alle unter dem Na- 20 
men Vorreden kennen und die gewis die achtesten Milchschwe- 
stern der Selbstrezensionen sind, standen nun iedem Autor zum 
grosten Selbstlobe offen und frei und kein Teufel konnte etwas 
darwider haben; aber der Autor mag nicht. Alles Lob, das er sich 
darin zufliessen lasset, lauft wirklich auf eine bloBe Verneinung 
des Tadels, Misbilligung fremder schlechterer Arbeiten, Dank- 
sagungen fur das Lob des ersten Theils und dergleichen hinaus. 
Man schlagez. B. die Vorrede nach, die man gerade bei und in 
der Hand hat, meine namlich. Ich hatte darin ohne Miihe versi- 
chern konnen, ich ware ganz verstandig oder der erste Satiriker, 30 
oder der zweite (da Swift schon geschrieben,) oder der dritte (da 
auch Sterne schon dessen Doublette gewesen) oder der vierte 
Weise aus dem Morgenland, oder der fiirifte groBe Prophet 
A. T\, oder die sechste kluge Jungfrau; ia ich hatte in meinem 
Selbstlobe noch weiter gehen konnen als mein Witz: denn ich 
hatte offenbar aus unpolirten Steinen (wie die Juden musten) mir 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. 2USAMMENKUNFT 'VII 313 

fiir meine Privatperson einen der breitesten Rauchopferaltare 
bauen konnen: allein, ich dachte vielleicht gar nicht daran; son- 
dern ich nahm aus den Dosen meiner Freunde und meiner eignen 
ein Paar P risen Weihrauch und biikte mich dabei wie man beim 
Tobacknehmen immer thut; ia ich glaubte, ich rock nur daran 
wie der Pariser an den Schnupftaback; kurz, ich trat das Recht 
meiner Beurtheilung ganz an die spateste Nachwelt ab. Wer 
biirgt aber mir und dem Publikum dafur, daB die Rezensenten 
sich zur namlichen MaBigung in meinem Lobe zwingen werden? 
Ich will es herzlich wunschen: aber ich bekenne auf richtig meine 
ganze Besorgnis, ich werde, damit man nicht das Publikum 
durch ziigellose Anpreisungen dieses Buches beriikt, am Ende 
solches selber loben und rezensiren rmissen. 

Auch trau' ich schon darum dem Selbstrezensenten groBere 
MaBigung des Lobes als dem Rezensenten zu, weil man von ie- 
nem doch wahrscheinlicher als von diesem hoffen kann, daB er 
das Buch, das er lobt, wirklich gelesen. 

Bekanntlich schrieb Pope seinem Kommentator Warburton 
- der wie ieder gute Paraphrast, den Schlaf , der oben im Texte 
vertrieben wurde, unten in den Noten erregte - auch dieses Lob: 
»er (Warb.) verstehe ihn viel besser als er selbst.« Und dieses 
konnen nicht nur mehrere Kommentatoren, (denn Warburton 
istnoch nicht der Beste) sondern auch gute Rezensenten, dieeben 
darum uns Autoren so unbeschreiblich loben und preisen. Allein 
verschliessen nicht Selbstrezensionen diese verdachtige Quelle 
des Lobes? denn kann z. B. ich mich besser verstehen als ich? 

Freilich macht bloBe Einschrankung des Lobes die Sache noch 
gar nicht aus; und ich versichere viele meiner Freunde, ich bin 
gewohnt, fiir wichtigere Gegenstande die bekannte Maschine zu 
nehmen und durch einen Druck derselben die Feder zu schnei- 
den. Allein MaBigung des Lobes ist auch aller dings der wichtig- 
ste Vorzug des Selbstrezensirens so wenig, daB vielmehr Um- 
stande (ich werde sie genauer anfiihren) sich zusammenfugen 
konnen, wo sogar Uebertreibung des Lobes sein weit wichtige- 
rer ist. 

Denn der haBlichste Fehler der Rezensionen ist ihr Tadel. 



314 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

Dem glaub' ich nun durch eine Selbstrezension mehr zu wehren 
als durch alles Geld und alle Exemplare, die ich ienen schenke. 
Ich habe iooo Grunde - worunter freilich auch schlechte sind -. 
Die Rede eines Rezensenten herzusetzen, worin er selbst seine 
Rezensentenfehler vor seinem Tode bekennt: ich konnte sie so 
gut horen als er selbst, weil ich dem Galgen mit am nachsten 
stand und dieser Kunstrichtung viel deutlicher sprach als die ge- 
wohnlich thun, die man nach der Rede hangt. 

Rede unter dem Galgen, dessen Redner nicht wie einige Geistliche 
unter sondern nach derselben die Augen zuthat. 10 

»Ani liebsten war* es mir, Rousseau ware nicht auf der 
Pappelinsel sondern hier: er muste sich wundern, wenn ich ihm 
iezt auf der Leiter bewiese, daB man auch ohne alle Wissenschaft 
recht schlimm sein kann; er laugnete dieses oder etwas ahnliches; 
allein die Rezensenten kdnnens. Ich will eh' der Professor der 
Anatomie meinen Kdrper zergliedert, hier dasselbe an meiner 
Seele thun. 

Hatt' ich nichts vorgenommen als daB ich an einem schonen 
Sommerabende einem rothwangigten Jungling, der fiir alle seine 
poetische Blumen, die er mir gab, nichts begehrte als einen von den 20 
vielen Lorbeerkranzen an einem Arm, dafur spottischer Weise 
eine stechende Dornenkrone aufgesetzet: so lieB* ich mich gar 
nicht hangen. Allein, ich beraubteimBambergischen 36 von der 
Messe zunick fahrende Autoren, wie ich schon auf der zweiten 
Folter bekannt. Sah ich einen mit seinem Kinde an der Hand oder 
derer Schreibefingern dahergehen: so fiel ich aus dem Gebiische 
hervor, zog das - Federmesser, hielts ihm an die Kehle und 
schwur, sie ihm und seinem Buben auf der Stelle abzuschneiden, 
falls er mir nicht etwas fiir alle diese Muhe gabe. Vier Autoren 
und neun Kinder schoB ich einmal an Einem Abende, da ich be- 30 
soffen war, mit meinen befiederten Pfeilen durch und nieder, ich 
brauchte dazu Gansfedem sowol als Rabenfedern und vergiftete 
ihre Spt^ehinlanglich mit einem gewissen schwarzen Safte oder 
auch mit meinem Speichel: ich erboste mich namlich in einem 
gewissen Grade und verwandelte den leztern in solchen Gift, daB 
ich keinen zu kaufen brauchte, und andere sollten sich dieses un- 



TEUFELSPAPIERE • 2. ZUSAMMENKUNFT 'VII 315 

schuldige Hausmittel merken. Einem geschikten Harfenisten 
versehrte ich die rechte Hand durch einen ProbeschuB soldier 
maBen, daB er sie auf keine Davidsharf e mehr bringen durf te und 
dariiber Hungers starb. Oft blies ich einem Fotus im Mutterleibe 
das Lebenslicht nach Befinden aus. Ich will nicht hoff en, daB eine 
Dame, deren eines Kind ich todgeschlagen, das andere dariiber 
abortirte; aber neulich hort' ichs wol. Nur Eine Handlung kann 
ich billigen. So wie iener Parthe - die Gelehrten konnen wenn 
sie nach Haus kommen, den Julius Afrikanus aufschlagen - ein 

o Schild mitPfeilen so tref fend beschoB , daB die Locher davon zu- 
lezt das Bild seines Besitzers vorstelten: eben so lies ich auf das 
Schild eines Autors, hinter dem er zwar sicher aber auch unkent- 
//c/iblieb, so viele treffende Pfeile abfahren, daB die Merkmale 
meiner Schusse zulezt das vollige Bild, das Volgesicht des Au- 
tors auf dem Schilde entwarfen; es kannte und lobte ihn hernach 
ieder Hund . . . Zu meinem grosten geistlichen Schaden ge- 
reichte mir der leibliche Nutzen, daB ich ieden Autor, den ich 
anpakte, durch die verfluchte Vorspiegelung muthlos machte, 
die ganze Bande kame nach: dcnn ich blies in ein Spitzbubenpfeif- 

20 gen als wollt' ich damit den Hinterhalt herrufen. Ich habe das- 
selbe hier in der Tasche und konnte es herausthun und vor alien 
Zuschauern hineinpfeifen, wenn ich glauben konnte, so etwas 
schikte sich genugsam unter dem Galgen. O! mochten doch 
viele Rezensenten, die rauben und morden - und ich rede hier 
die edlern Highwaymens die den Autoren nichts nehmen als 
Geld, so gut an als die schlechten Footpads, die dem Namen der- 
selben das Leben rauben - nach Hause gehen und da auf keine 
Siinden mehr aussein, als auf Schwachheitssunden! Mochten sie 
eine Profession ergreiffen, wie Emil oder ein Sultan! . . . Jezt 

30 aber, lieber Freund Scharfrichter, kann er, wenn es ihm gefallet, 
mich aufhangen. 

Alles was man iezt von mir fodert, ist daB ich vollig erweise, 
daB wir dieselbe Uebertreibung des Tadels, durch die der Re- 
zensent unsern Unwillen auf sich lud nicht auch von dem Selbst- 
rezensenten zu befahren haben, sondern daB er sowol die Fehler 
als die Schonheiten seines Buches mit aufrichtiger und nicht 



316 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

scheinbarer Schonung zu beurtheilen wisse: erhart' ich das zu- 
reichend, so hoff ' ich weniger als ein anderer es zu erschweren, 
daB Selbstrezensionen sich in unsern bessern Journalen der mei- 
sten Platze der Rezensionen vollig bemachtigen. 

Zuerst von Fehlern. Man wird es nach Jahrhunderten noch 
einsehen, daB es unmoglich ist, von den meisten Rezensenten 
Schonung der Fehler zu erleben, so lange sie heimlich eine ge- 
wisse Plagegottin verehren, die unter dem Namen »des guten Ge- 
schmacks oder der Kritik« Todesengel unter die besten Biicher 
ausschikt: in Paris hat sie ihre Altar e und in London gar ihren 
Aufenthalt, denn eben da lieB sie durch einen gewissen Home zwei 
Geseztafeln machen, die ein guter Skribent stets wiinschen muB 
zuzerschmeiBen. Diese Gotzendiener suchen wie ich glaube viel 
darin, daB sie die unehrbaren Theile* welche doch an alien Wesen, 
die partes extra partes haben, wohnen miissen, durchaus von den 
geistigen Kindern der Autoren weghaben wollen; ihr Vergnii- 
gen waV es, wenn sie ieden Pegasus entmannten und sie ziehen 
darauf vielleichtnicht weniger los, als gewisse Schwarmer (z. B. 
die Paterniani) auf die menschlichen, die gar sag ten, diese hatte 
der Teufel ersonnen und hernach gemacht. 

Man kann vielleicht einige, ia viele Rezensenten auf bessere 
Gedanken bringen; aber wahrhaftig nie alle. Ich gieng oft zu den 
letztern ins HauB und hielt ihnen vor: es ware meines geringen 
Bediinkens eine Schande, daB sie mir nicht beifielen; ich fragte 
sie, ob sie den Muth hatten, mir ins Gesicht zu sagen, ich loge, 
wenn ich behauptete, ein schoner Geist konnte ohne Gewissens- 
bisse seine Geburten nicht entmartnen, ia nicht einmal - die Liebe 
zum mannlichen Style verbot* es - beschneiden, wie denn auch 
selbst die Juden weder das Silbergeld noch die Madgen beschnit- 
ten. Ich sprach vor ihnen, weil das noch nicht anschlug, stun- 
denlang von dem abscheulichen Verfalle unserer Zeiten, die aus 
einem gewissen falschen Geschmack die pudenda der geistigen 

Ich verlange, daB man es weiB, daB ich unter unerbaren Theilen Un- 
sinrt, Sprachmangel, phantastischen Schwulst, Zoten etc. guter Schrif- 
ten verstehe. 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. 2USAMMENKUNFT • VII 317 

und leiblichen Kinder schlecht schatzten und ungern nennten, da 
doch die Alten der en Meisterstiicke wir noch haben, die unerba- 
ren Glieder unter dem Namen Phallus und Faszinus anbeteten, 
eine Latrie, die iezt die eine Halfte des Menschengeschlechtes 
vollig unterlasset, - und eh' ich gieng drang ich in solche Rezen- 
senten mit der Frage, ob nicht FiieBlin in seiner Kirchenge- 
schichte erzalte, daB gewiBe Manichaer selbst unter dem Baume 
des Erkenntnisses nichts anders verstanden? Allein Haberman lies 
mich und andere nicht ihres Weges gehen, sondern langte Va- 

[o lentini in novell. med. legal. Cas. V. vom Bucherbrete herab, 
und las mir und den Rezensenten die sonderbare Anekdote vor, 
daB einige danische Konsistorien steinerne und holzerne Modelle 
davonhatten: »mit diesen Typis, sagte Haberman, hielt das Ehe- 
gericht die Originate zusammen und trennte, im Falle ihrer Un- 
ahnlichkeit, leichtlich die Ehe. Wenn ich nun behaupte, daB man 
gleichermaBen aus Home's Grundsatzen der Kritik und aus 
Pope's Abhandlung vom Bathos die parties honteuses heraushe- 
ben konnte, um darnach die unserer belletristischen Werke rich- 
tig abzumessen; wenn ich ferner behaupte, (und die Allegorie 

20 verlasse) daB Gedichte und Schauspiele, die die Schwulst, Nied- 
rigkeit und Geschmaklosigkeit ihrer Muster zu wenig erreich- 
ten, ohne Gnade verworfen und einem vernunftigen Publikum 
entzogen werden muste: behaupt ich dann etwas Unverniinfti- 
ges?« 

Ganz und gar nicht - antwort' ich hier bios schriftlich - und 
so lange man eben diesen nahern Weg nicht betritt, so lange wird 
tausend solchen Autoren aus Wien das rechtmaBigste und groste 
Lob entrissen, aus denen doch geistige Kinder fur halbes Geld 
gequollen, die einige Aehnlichkeit mit ienem leiblichen Kinde 

30 behaupten konnten, dem (nach dem Bericht des Iournal de Me- 
dicine) zum vollkommenen Manne nichts gefehlt, als die GroBe 
der ubrigen Glieder. Nach dem aber was ich gesagt, ist nicht zu 
befahren, daB Autoren die sich selber offentlich beurtheilten, in 
iene tadelsuchtige Behandlung schriftstellerischer Fehler fallen 
wurden; unmoglich konnt' ihnen verborgen sein, daB einer sol- 
chen Behandlung nur Menschen sich erdreisten konnen, die 



3l8 JUGENDWERKE - 4. ABTElLUNG 

Knechte und immerwahrende Sekretaire des sogenannten guten 
Geschmackes sind. Aber solche Knechte sind sie nimmermehr; 
und nimmermehr kann der namliche sogenannte schlechte Ge- 
schmack, der ihrem Schreiben beispringt, sie im Beurtheilen 
dieses, Geschriebenen verlassen. 

Dennoch hab' ich mir einige B alien Selbstrezensionen vor die 
Thiire aus dem Buchladen schieben lassen und eben iezt bios 
darum darin geblattert, um recht gewiB zu werden, daB ich den 
Leser nicht beloge, und daB sie wirklich sich ienes schonenden 
Riigens der Fehler beeif erten . Aber ich bin nun durch meine Au- 10 
gen davon uberfuhrt. Beinahe ieder Selbstrezensent dieser Bal- 
len (besonders im Journal der schonen Wissenschaften bei 
Schneider in Leipzig) fallet mit einer wahren Nachsicht (lasse sie 
doch immer von der zu strengen Wahrheit so viel nach als sein 
muB) und ohne alle Bitterkeit der gewohnlichen Kritiker iiber 
die Fehler seines Buchs ein wolwollendes Urtheil, und keine 
Galle darf seine Feder besudeln, die entweder glaub' ich aus 
Hamburg ist oder nicht. - Auch fallet mir dabei ein Unterschied 
zwischen dem Rezensenten und dem Selbstrezensenten auf, der 
den leztern zu so vielem Lobe gereichen kann, als das ist, das sie 2c 
sich selbst ertheilen. Der Rezensent tadelt namlich frech die gro- 
sten Fehler groBer Autoren hie und da; er klopfet und pfeifet mit 
Lust den litterarischen Schauspieler aus, der doch auf seiner 
Buhne den Konig spielt und dem doch das ganze Theater (denn 
ich nehme nur den Soufleur aus) auf einige Stunden unterthan 
ist. Ich werde das in einem besondern Traktate halb erweisen. 
Allein, der bescheidnere Selbstrezensent unterfangt sich nicht 
einmal gegen sein eignes Kind diese kuhne Tadelsucht, sondern 
er wirft auf die entblosten Schamtheile desselben gern den Man- 
tel der Entschuldigung, wie der gute Sem, dieser Stammvater 30 
so vieler Juden, Syrer, Perser und Kaldaer. Ich kann nicht glau- 
ben, daB ich uberhaupt der erste bin, der es bemerkt und lobt, 
daB der Selbstrezensent ieden Tadel, den er zuweilen iiber das 
Buch aussprechen muB, wahrhaftig menschenfreundlich und im 
Geiste der christlichen Liebe gegen sich, durch ein entgegenge- 
seztes Lob vollig entkraftet, iede Wunde des Selbsttadels mit 



TEUFELSPAPIERE • 2. ZUSAMMENKUNFT ■ VII 319 

dem wolriechenden Oele des Beifals begieBet, und im Ganzen 
dem klugen und doch guten Kramer nachzuschlagen sucht, der 
den beissenden Pfeffer stets gern mit mildernden Lorbeern zum 
grosten Nutzen seines Nachsten und Ladens versezt. Allerdings 
stosset z. B. Herr v. Grossing in Halle, (so oft er sich selbst beur- 
theilt) audi in die zwote Trompete der Fama; allein, wie harmo- 
nisch fallet er nicht mit der ersten ein? Und viele Gedankenstri- 
che hindurch lasset er die zwote pausiren. Ich ware ein schlechter 
Mensch, wenn ich einen zweiten Unterschied zwischen beiden 

10 Leuten dem Leser zu verhalten suchte: den, daB der Kunstrichter 
allzeit durch Lob zum Tadel, der Selbstrichter aber durch Tadel 
zum Lobe ausholet. Jener, der kaum verdient, daB ich semen 
Namen so oft hieher zu schreiben mir die Muhe gegeben, hat 
vollig den Teufel im Leibe, der hernach auf den Kopf wirkt, und 

' er umringt den armen Schelm, den Autor, wie einen Deserteur, 
auf einmal mit Spiesmthen und Musik und schlagt ihm, bei aller 
Ergotzung des Ohres, den Riicken fast weg; er kiisset und bittet 
das Biichlein wie der Henker um Verzeihung, daB ers radern 
musse. Feme sei aber von dem Selbstrezensenten dieses ha- 

20 mischeBetragen, der wahrhaftig, mehr den Damen gleich, statt 
der Geisel einen schonenden Facher gegen die galanten Siinden 
des Buches aufhebt und diese mit den leisen Schlagen in der That 
mehr belohnen und vermehren, als bestrafen will; und iene Fein- 
heit des D. Swifts und des Voitiire mit anscheinendem Tadel das 
Lob nur noch mehr zu heben, hat er. 

Und wenn ein Selbstlob keine Unbescheidenheit ist, sobald es 
einem andern Menschen zu noch grosseren Vortheilen gereicht: 
so ertheil ich mir das auf diesem Blatte ganz frei, daB, wenn auch 
andere Selbstrezensenten von ihrem Werthe so aufgeklarte und 

30 groBe Begriffe hegen, als ich von meinem, es in ihren Selbstre- 
zensionen vielleicht nicht an Lorbeerkranzen gebrechen diirfte: 
denn ich f iir meine geringe Person bin durch langes Nachdenken 
und sonst in allem Betrachte iiberzeugt, (und werd' es bleibenso 
lang ich einen Kopf aufhabe), daB ich mit anhaltendem Scharf- 
sinn nicht nur von den Fehlern eines Buchs schon bewiesen habe, 
sondern auch von den Schonheiten desselben augenbliklich be- 



320 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

weisen werde, daB beide der Selbstrezensent nicht ohne groBe 
Schonung behandle. 

Eh' ichs aber thue, muB ich nicht so wol eine Ausschweifung 
vorausschiken als eine Ausholung. 

Wenn ich denn werde aufgedecket haben, was fur Jammer die 
Rezensenten auf dem Parnasse angestiftet: so werde ich und der 
Leser dariiber weinen und gestehen, daB die Selbstrezensenten 
nodiig sind, ihn wieder zu tilgen. Namlich niemand, als iene, 
sezten das neuliche goldne Zeitalter unserer Litteratur (die soge- 
nannte Genieepoche) in das iezige Queksilberne urn, und diesen 
Vorwurf walzet vielleicht in Ewigkeit niemand von ihnen ab. 
Ich wunschte, meine meisten Leser sympathisirten mit mir und 
mit dem traurigen Tone, in dem ich den Augenblick von dieser 
Epoche reden werde. So groBe Kopfe und dazu eine so groBe 
Anzahl derselben, weiBet ausser Utopien gar kein Land auf als 
wir Deutsche im vorigen Jahrzehend wirklich aufzeigten; so 
wahr ist die Bemerkung des Velleius Paterkulus, daB groBe 
Manner gern miteinander - wie ich denn damals in einem 
Abende deren 29 im Kuchengarten zu Leipzig zusammenzahlte, 
- und auf einmal erscheinen; daher auch einer den andern ganz 
verdunkelte und verschattete und man, da GroBe nur relativ ist, 
viele dieser groBen Manner nicht mit essen lies. Wenn nun aber 
ein ganzes Volk von Riesen die Vergrosserung eines Parnasses 
im Ernste vorhat, und ieder seinen Berg mit zu den Bergen der 
andern hinaufwirft: so wird ein solcher Parnas ia wol am Ende 
selbst ein Riese unter den Parnassen werden miissen. Der 
Deutsche wurd' es wirklich; und zwar in dem Grade, daB einem 
Manne, der oben auf ihm stand und sich umsah, der franzosische 
vielleicht nicht viel grosser, als dessen Staffel vorkam. Wir 
Deutsche machten damals fast in ganz Europa, sogar in Norda- 
merika - well unsere Truppen die besten Produkte des Genies 
in der Tasche mit hinbrachten - wahre Epoche und nicht nur in 
England, sondern auch in Deutschland verschlang man unsere 
Meslieferung mit dauerhaftem Vergnugen und ohne Gerausch. 
Daher nahm die Verfeinerung des Publikums ohne dessen eignes 
Zuthun dermassen zu, daB kein Mensch mehr sagen konnte, es 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. 2USAMMENKUNFT "VII 321 

genosse den Schnepfendreck und der schonen Geister ihren 
mit ungleicher Lust: ganz schlechte Personen verachteten bei- 
den. Wir iibersezten nicht mehr ins Deutsche, sondern ins Fran- 
zosische und niemarid als uns selber. Jeder Autor war originel 
und ich am meisten: denn wir ahmten nicht mehr fremden Na- 
zionen sondern uns unter einander selber nach. Eben die Folge, 
daB wir die Franzosen zu kopiren nachliessen, brachte ganz na- 
tiirlich diebessere mit, daB uns die Britten mit Gliick zu kopiren 
anfiengen; welches meines wenigen Erachtens der groste Heili- 
genschein ist, der seit langen Jahren um unsern Kopf gefiihret 
worden und ich hatte, wie man sich schmeichelt, .daran meinen 
reichlichen Antheil mit. GroBer Himmel! es wuste richtigen hi- 
storischen Zeugnissen zufolge damals gar kein Mensch, woran 
er war; des Genies hatten wir insgesamt mehr als genug, und 
mein iunger Vetter von Gaben, wollte mit einem falschen spani- 
schen Rohre einen alten vernunftigen Sylbenstecher maustod 
machen; die Poeten zogen rothlichte Stiefel an und lief en in die 
schoneNaturhinaus, und brachten die besten Zeichnungen der- 
selben nach Hause; ich vergas im Tumulte und in der Geschwin- 
digkeit alles und sogar die toden Sprachen und darauf die leben- 
digen, und hatte die erhabensten Ideen, und doch keine wahren 
Hosen und priigelte viele Protestanten aus; Weygand in Leipzig 
wollte die herrlichsten Werke des Genies wegen ihrer Menge fast 
umsonst haben und lies sich nichts ablocken als Komplimente; 
das Ende der Welt suchte zu kommen . . . Leider! das Ende der 
gelehrten Welt! denn iezt, was ist iezt wol iener Parnas anders, 
als ein ausgebrartter Vulkan? wo haben die Manner, die Gothe's 
Flamme von sich spriihte, ihren Gtaz und ihre Wdmte gelassen? 
und muB ich etwan gar behaupten, sie glichen iezt den Planeten, 
die (nach Buff ons System) als sie von der Sonne wie abgeschla- 
geneFunken eben kaum losgesprungen waren, noch gleich ihrer 
Mutter gl'dnzten und brantenund deren Bild vervielfachten, allein 
bald darauf almalig zu erbleichen anfiengen und zu erkalten noch 
nicht aufhoren? Leider! muB ich das behaupten und unsern Him- 
mel verschonert bios noch Eine Sonne. 

Allerdings konnte man ein paar Bogen schreiben und darin 



322 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

darthun, ich ware ein Narr, und nicht die Rezensenten, sondern 
offenbar das Publikum hatte unsern Parnas so unterholet, daI3 er 
nun so tief eingesunken ware: allein dieses will ich mit Anmuth 
voraus widerlegen. Ich fange meine Anklage der Rezensenten 
bios mit der Rechtfertigung des Publikums an. 

Ware das ganze Publikum nicht selbst mein Leser; so konnt' 
ich es hier mit mehr Freiheit und weniger Verdachte loben; iezt 
muB ich mich bios auf das Gestandnis einschranken, daB es nur 
zu wiinschen ware, andere (z. B. die Franzosen, Italianer, Spa- 
nier, Neuseelander und Obersachsen hatten mit so vielen Auf- 
munterungen als unser Publikum die sogenanten Genies unse- 
rem Parnasse zu erhalten getrachtet: wir hatten sie dann 
vielleicht nicht einbiissen miissen; denn dieses sparte weder Gold 
noch Weihrauch noch Myrrhen: und das gefallet iedem Gelehr- 
ten ungemein: virtus amat praemia, das ist, ein verdienstvoller 
Gelehrter halt gern die ofne Hand hin, ausser wenn er bios ein 
Bar ist, der als einen Lohn seines Tanzes einige Groschen in den 
Hut des Verlegers zusammentragt. Auch konnte wol ein Publi- 
kum gegen iene Belletristen schwerlich kalt und undankbar sein, 
fur deren Schriften sein Gaumen durch Natur und Uebung 
nichts weniger als unempfindlich geblieben war: und in der That 
wenn bios der ungekiinstelte, einfaltige und natiirlich rohe Ge- 
schmack nicht nur der richtigste sondern auch der ist, der aus ie- 
nen Meisterstucken des Bombasts oder (unzweideutiger) des 
Erhabenen das meiste Vergniigen ziehen kann: so muB er wahr- 
haf tig bei einem Lesepublikum - oder sonst nirgends - anzutref- 
fen sein, dessen groster Theil glucklicher Weise ganz aus Da- 
men, Studenten, Kaufmansdienern und Bedienten besteht. Das 
deutsche Publikum ist das amusabelste Wesen und ein Buch mu- 
ste schon ausser or dentlich gut sein, dem es ganz und gar kein 
Vergniigen abgewanne: gefiel ihm nicht sogar Wieland an ver- 
schiedenen Stellen? Haman auch. Dieses Publikum schranket 
ohne lange Zeremonien seinen Verstand ein, so bald er die Magie 
eines schongeisterischen Produkts zu zerstoren droht, es sei nun 
die weisse oder die schwarze. Und man antworte mir biindig 
und ernsthaft, hat es wol das Kolophonium, womit einige Au- 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. ZUSAMMENKUNFT • VII 323 

toren das Blitzen des Wizes ersezten und nachmachten, fur nichts 
anders als Kolophonium, oder die harten Erbsen, mit deren 
trocknem Gerausche die Empfindsamen einen Thranenregen 
nicht untheatralisch vorstellten, fur nichts anders als Erbsen ge- 
halten? Ich will wenigstens hoffen, daB der Falle nicht viele sind, 
worin es sich so sehr vergessen hatte: allein eine nahere Untersu- 
chung bringt sie gewis auf den einzigen zuruck, wenn der 
Schauspieler selbst das Publikum bei der Hand nahm und es hin- 
ter den Maschinen des Theaters herumfiihrte, desgleichen in die 
Anziehstube: ich will damit sagen, wenn einige Genies sich zu- 
lezt in Spotter derer verkehrten, deren Ebenbild sie sonst gewe- 
sen. Und bei solchen Umstanden gesteh' ich, wiirde ich selbst 
nicht besser wie das Publikum meine Unwissenheit zu behaup- 
ten gewust haben, sondern ich hatte sie auch verloren. Denn ein 
Billiger der den Shakespear gelesen, sage selbst, kann man- ge- 
sezt auch man wollte sehr - den Klaus Zettel, den Weber - wenn 
ich ihn anders nicht mit Schnock dem Schreiner verwechsele - 
wol mit dem kurzorichten Thiere (dem Lowen) verwirren, un- 
ter dessen Haut er steckt, wenn der Weber (oder der Schreiner) 
in der Lowenmaske mit der Warnung an das Orchester kriecht, 
ihn doch fiir keinen Lowen, sondern bios fur den Weber zu hal- 
ten? 

Sogar noch iezt wiirde das Publikum iene Produckte des 
Bombasts schatzenkonnen, wenn man veranstaltenkonnte, daB 
sie erst in der nachsten Messe herauskamen. Denn sein ganzer 
scheinbarer Abf all von seinen Gottern ist ein blosser Tausch der 
Bildsaulen, in denen es sie angebetet, und es will durch seine 
Vergessenheit an ienen Schriften nichts bestrafen, als den Fehler, 
daB sie nicht in diesem Jahre gedrukt sind; einen Fehler, den doch 
die Titelblatter der elendesten Schriften vermeiden. Naturlich 
vergisset es, wenn so gar Adolphs Briefe ihr Leben in seinem 
Gedachtnisse verwirkten, die schlechtern Litteraturbriefe noch 
leichter. 

Ich sehe, daB ich nicht anders verfahren kann als geradezu ge- 
stehen, daB es meines geringen Bediinkens das allerschlechteste 
Herz verrath, den Tadel, den das Publikum iiber die Genieepo- 



324 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

che nachspricht, ihm selber anzuschreiben: denn die Zunge des- 
selben driikt doch offenbar nicht sowol seine eigne Empfindun- 
gen als der Rezensenten ihre aus, die die besagte Zunge leicht 
bewegen konnen, weil sie seine Zungenbander ganz in Handen 
halten. Eskannnichts anders nachsprechen als was ihm von die- 
sen vorgesprochen wird. Audi ist diese gelenke Biegsamkeit, 
womit es seine Kehle zu einem Sprachrohre der Rezensenten er- 
weitert, gewis nicht sein geringster Vorzug: aber ein Ungluck 
ists, daB die Rezensenten solche so haufig zum Nachtheil der 
Autoren misbrauchen. Ein MiBbrauch dieser Art hatte schon 
langst uns Autoren zum Selbstrezensiren rufen sollen, damit ein 
grosser Mund, den wir zu unsern Lobes erhebungen vibriren las- 
sen konnten, nicht ewig zur Verbreitung unserer Schande im 
Gangerhalten wiirde. Wahrhaftig man stosset auf Sch rifts teller, 
die bei aller Habsucht nach Lorbeern dennoch vom besten Laub- 
brecher dazu - namlich von iener Biegsamkeit - schlechten Ge- 
brauch machen und lieber Briefe voll Lob auf sich selbst einem 
ehrwurdigen Publikum andichten, als durch Selbstrezensionen 
es in den Stand setzen wollen, ihnen dieses Lob mit Ueberzeu- 
gung und ungeheuchelt zu ertheilen. Andere Nazionen haben 
das deutsche Publikum nicht und behelfen sich schlecht. Hatte 
die franzosische es - aber leider wurd ihr keines bewilligt das 
nicht liberal selbst alles entscheiden wollte: - so war' es ia gar 
nicht nothig gewesen, daB man einem gewissen Autor, dessen 
Theaterstiicke niemand beklatschte, (nach Merrier) den Rath ge- 
geben hatte, sich eine Maschine zu bestellen, mit der man das 
Klatschen von etlichen ioo Handen nachzumachen vermochte: 
die Meinung des Rathgebers war bios die, die Maschine sollte 
ein treuer Freund in einem Winkel des Schauspielhauses treiben 
und drehen - dadurch klatschte sie gar leicht den schonen Emp- 
findungen, schonen Reimen und Antithesen des S tucks ein en 
unbestochnen freiwilligen Beifall zu, - und es ware einerlei, ob 
der Schall durch Fleisch und Bein oder durch Leder und Holz ge- 
macht wiirde. Ich will hier gar nicht das ganze deutsche Publi- 
kum zum Nachtheil des franzosischen und auf Kosten der guten 
Skribenten erheben, da ich mich selber darunter befinde: aber 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. ZUSAMMENKUNFT ■ VII 325 

verhehlen lasset es sich nicht, wie wenig wir Skribenten es ver- 
dienen, daB es uns so gut geworden, eine eben so gute wo nicht 
bessere Klatschmaschine (ohne einem Batzen Macherlohn) an 
unserem Publikum wirklich zu besitzen, dessen tausend laute 
Hande schon eine einzige Feder spiclen lassen kann und zu dessen 
Bewegung und Beherrschung (so wie bei der Bandmuhle) bios 
die Krafte eines Knaben ganz gut auslangen. Folglich werden 
wir Genies insgesamt nur darum wenig gelobt, weil wir zu trage 
waren, uns selbst zu loben, und wir theilen die Strafe so wol als 

10 den Fehler mit den grossen Romern, von denen Sallust in seinem 
Katilina anmerkt, daB weniger der Mangel an grossen Thaten als 
der an grossen Lobrednern derselben sie unter die Griechen her- 
unter zu stellen geschienen. 

Ich falle iezt die Rezensenten an, wie ich versprochen: ich be- 
schuldige sie hier eines volligen Mangels an Geftihl, der von 
nichts herriihrt, als von einem nicht kleinern Mangel an Blind- 
heit. Wie nur rohe ganze Volker die Reize der Ton- und Dicht- 
kunst bis zur Berauschung, und die Mangel derselben gar nicht 
fuhlen: so wird ein einzelner Kunstrichter die Schonheiten des 

20 schlechtesten Gedichts desto inniger und seine Flecken desto 
weniger empfinden, ie mehr er sich ungebildet zu erhalten ge- 
wust, und ie mehr er vom Geschmack des Pobels noch besizt. 
Aber kann man das von alien Rezensenten sagen? vielleicht von 
vielen: aber ein eben so groBer Theil denkt gar nicht daran, daB 
man (im Geistigen und Leiblichen) ewig das Gefuhl ohne den 
Beistand der Blindheit zu keiner besondern Starke erhebt; und 
alle, die mit blossem Tasten Karten und Farben unterschieden, 
waren meiner geringern Lekture zufolge stockblind. Nun denke 
man sich einmal Rezensenten, welche poetische Gemalde, wor- 

30 auf die Farben so hoch aufgemauert waren, daB man sie ohne 
Zweifel fuhlen konnte, und deren Erhabenheit weder dem erhab- 
Henoch eingelegten Bildwerk etwas nachgab, die solche Gemalde 
anstatt sie zu befiihlen - worauf sie dann die Feinheit und den 
malerischen Werth derselben wirklich gespiiret hatten - aus- 
gemachter MaBen nur ansahen: was fur Unheil musten sie an- 
richten? Sie musten so unbilliger Weise den poetischen Malern 



326 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

die dicken Pinsel aus den Handen ziehen, so ungerechter Weise 
den Handen des Publikums das Befuhlen und Beklatschen er- 
schweren, daB noch das sorg' ich, als das groste Ungliick hinzu- 
kam, daB mir gerade damals bei Frostwetter meine erfrornen Fin- 
ger aufbrachen, mit denen ich ein Paar zu seiner Zeit geredte 
Worte gegen den ganzen ProzeB hatte hinschreiben konnen. 

Indessen thu' ichs, weil ichnicht daran gestorben bin, iezt und 
wende meine genesenen Hande dazu an die Bitte an meine Leser 
hinzuschreiben, ob sie es nicht bedenken wollten, daB die Auto- 
ren iene Blindheit haben. Folglich fuhlen sie die Schonheiten ih- 10 
rer eignen Werke so, daB nur wenige sie in die Hande bekom- 
men, die sie besser fiihlen. Schon um einen guten poetischen 
Gesang den Ohren der Welt zu geben, musten sie eine gewisse 
Verdunklung des Verstandes in ihrem Kopfe unterhalten, so wie 
man Finken blendet, damit sie besser singen: sollten nun ihre Ei- 
gen- und Geldliebe und tausend andere bessere Regungen nicht 
diese Verdunklung zu erneuern vermogen, wenn es darauf an- 
kommt, dadurch mit zarterem Gefuhle die Schonheiten ihrer 
Produkte auszugriibeln? Und dann erst konnte ein feiner Mann 
nichts thun als sie mit den Leithunden vergleichen, denen der Ja- 20 
ger die Augen verhunzt und verdirbt, damit diese minder die ta- 
stende Nase im Aufsuchen des Wildes zerstreuen. 

Dabei sind mir auch ihre beilaufigen Rezensionen fremder 
Werke viel zu sichere Burg en von dem Werthe derer, die sie von 
ihren eignen machen werden, als daB ich nur eine Minute furch- 
ten mochte, iene Blindheit und iene Entfernung vom guten Ge- 
schmack, die allein einen vortreff lichen Autor in der Schatzung 
seiner Werke billig lasset, gebrach ihnen ein wenig; und eben ie- 
ner nur zu sehr gegriindete Tadel, womit sie einen Klopstok, 
Lessing, Herder, Hermes, Schiller, oder einen Pope, Diderot, 30 
Voltaire auf der andern Seite belegen, saget der gelehrten Repu- 
blik allemal fur die ganze Blindheit gut, die man ihnen zumuthen 
muB, damit sie im Lobe ihrer Werke nicht den Rezensenten 
nachbleiben. Auch verwandelt die glucklicheUnahnlichkeit, die 
zwischen ienen getadelten Mannern (Lessing etc.) und unsern 
tadelnden Autoren obwaltet, die Herabsetzung der erstern in 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. ZUSAMMENKUNFT • VII 327 

eine so schmeichelhafte Selbsterhebung der leztern, daB wir uns 
schon darum von ihren Selbstrezehsionen eine Freigebigkeit im 
Selbstlobe versprechen diirfen, die meiner Einsicht nach an- 
sehnlich ist. 

Ich glaube nicht, daB die grosten Gelehrten mich durch Briefe 
oder Bucher widerlegen werden, wenn ich hier bios den Satz 
aufstelle, daB die Rezensenten nicht wissen was sie wollen. Ich 
merkte neulich in einer Vorrede, die ich zu einem fremden Bu- 
che schrieb, urn durch meinen Namen auf derh Titel ein gutes 

10 Vorurtheil fur selbiges zu erregen, ganz deutlich folgendes ge- 
gen die Rezensenten an. 

Sie verwechseln in den Werken des Geschmaks nur zu oft 
Hauptsachen mit Nebendingen und schneiden nach dieser Ver- 
wechselung ihr Urtheil zu. Rezensiren sie z. B. eine guten Ro- 
man, so must' es, sollte man denken ihre erste Sorge sein, zufo- 
derst nachzusehen, ob es ihm - denn wer kann es wissen - etwan 
sehr an Gedankenstrichen fehle, ob der Verf . neue und viele Er- 
findungen in der - Orthographie geliefert, (denn ein ordentli- 
cher Mann wird stets sein eignes Glaubenssystem und seine 

20 eigne Orthographie haben und sich in beiden nicht nach der 
Menge richten) wie die Zeichnung der Karaktere gerathen, mit 
der- Chodowiezki den Roman gezieret, und ob das Papier weis 
und die Lettern schwarz oder ob eines schwarz und diese weis 
ausgefallen; allein sie bekummern sich um diese Hauptsachen, 
wornach doch der Verf. gemessen sein will, weil er ihnen bei 
weitem die meisten Krafte gewidmet, bei ihrem Urtheile fast gar 
nicht: sondern sie bleiben bei den Nebensachen, die der Autor 
(und mit Recht) nicht der ganzen Anstrengung seines Kopfes 
wiirdig hielt und in denen man von ieher Nachlassigkeiten zu 

30 Gunsten der Hauptsache lieber verzieh als Auspolirung auf Ko- 
sten derselben, ganz und gar haften und machen wirklich das 
ganze Gliik eines Romans, der sonst gut genug nicht so wol ge- 
schrieben als gedrukt ist, vom Dasein der Menschenkenntnis, 
des Plans, des Witzes und noch geringerer Nebendingen abhan- 
gig. Wiirden so etwas die Selbstrezensenten thun? 

Ferner. Die Rezensenten sagen, der Poet soil, er selber mag 



328 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

bekleidet sein wie er will, wenigstens seinen Ausdruck nicht 
diirftig kleiden, sondern kostbar genug. Die Poeten konnten das 
horen und es war ihnen iiberhaupt nicht lieb, daB man zugleich 
der deutschen Nazion schlecht montirte Poeten aller Art und 
diesen schlechte eingekleidete Gedanken vorriikte; daher dach- 
ten si,e nicht unvernunftig, sondern sie opferten der Einkleidung 
alles auf und blieben doch dabei natiirlich, bios indem sie - so 
wie die Natur den schlechtesten Thieren, den Inseckten, den 
grosten Farbenschmuck anlegte - auf die unbedeutensten Sachen 
die schimmernsten Zierathen malten. Und so auch in der Prose 
wo der entseelte Sinn die prachtigsten Todenkleider anbekam. 
Denn leider ist unser Publikum durch das Franzosische schon 
ganz so weit gefallen, daB es Schriften, sie mogen immer die be- 
sten in ihrer Art sein und vollig vom gesunden Menschenver- 
stand abweichen, doch nur dann erst liebgewint und liest, wenn 
sie zu dem Verdienst des Unsinns noch das kleinere eines bilder- 
reichen Styles paren - so sehr, mein Leser, ziehest du das Niitzli- 
che dem Angenehmen vor und duldest Belehrung nur in der 
Larve der Belustigung, gleich den schlechtern Metallen, die das 
Gold bios mit der Beimischung des Queksilbers annehmen . . . 
Gleichwol lobte mancher Rezensent die Poeten deswegen we- 
nig; allein, die Selbstrezensenten hatten hoffentlich anders ge- 
handelt. 

Ich denke noch gar nicht daran, aufzuhoren: sondern ich setze 
das grosse Geschrei hieher, das die Rezensenten nach Gotscheds 
Zeiten iiber die allgemeine Unfruchtbarheit an poetischen Blu- 
men erhoben. Die Poeten halfen ihr nach bestem Wissen ab; ia 
sie wurden das in ihrem Fache, was Kohlenreuter in seinem war. 
So wie dieser Mann im Wurtembergischen durch Vereinigung 
unahnlicher Blumen von ungleichen Farben sogenannte Bastart- 
blumen erzielte: so brachten die Poeten durch Zusammenwer- 
fung ganz ungleicher poetischer Blumen neue Arten derselben 
hervor, iiber die viele erstaunten. Die Rhetoriker halten nicht 
viele Genies dieser Anstrengung fahig und sie nennen sie eine 
Vermischung der Metaphern oder Anagramme von Aehnlichkei- 
ten oder dies und ienes. Was thaten aber gleich wohl die Rezen- 



TEUFELSPAPIERE • 2. ZUSAMMENKUNFT • VII 329 

senten, ungeachtet ihnen die Billigung der Rhetoriker entgegen- 
stand? Eben das, was sie thaten, als sie nach ihren ewigen 
Beschwerden iiber unsere Armuth an poetischen Figuren, Hy- 
perbeln und Allegorien, endlich nicht mehr verhehlen konnten, 
daB sie Trauerspiele entstehen sahen, denen die scharfste Kritik 
so viel ich weis, hinlanglichen Ueberflus an ienen Schonheiten 
wirklich eingestand: sie lobten fast gar nicht, ia ie hoher vielmehr 
der Tragodiensteller die poetischen Figuren aufhaufte, ie unver- 
droBner er alien Personen seines Stiicks, zur Zeit und zur Unzeit 

10 Pointen und Metaphern in den Mund legte - denn iede lies er bei 
ihrem Tode am meisten mit Witz schimmern, wie die Fische in 
Otahiti sterbend die schonsten Farben spielen - ia ie weniger er 
sich daraus machte, die grosten Schonheiten der Karakterzeich- 
nung, nur um diesem Schmucke Platz zu machen, wegzustrei- 
chen; nur um desto scharfer ward beinah' ihr Tadel und die 
Nach welt wirds gar nicht begreiffen. Hatten die Selbstrezensen- 
ten sich so weit vergangen? 

Ja man nehme nur mich. Da die Kunstrichter mir unaufhorlich 
vorsangen, ich sollte erhaben singen, und doch nicht zu erhaben, 

20 sondern mit einer gewissen kritischen Kalte: so that ichs, und 
ohne viel Wesens. Ich wuste, daB in deutschen Lexizis viel er- 
habne Worter stehen und daB die deutsche Sprache die Erschaf- 
fung neuer nicht verwehre: aus zwei solchen Hulfsquellen 
schopft' ich leicht und niemand gefiel mir so sehr als ich. Da ich 
aber auch kalt dabei sein sollte - denn in der That, ein Gedicht 
hat gleich einer tugendhaften Handlung desto mehr Werth, ie 
kalter und gelassener und ferner von dem Antriebe eines gewalt- 
samen Gefuhls der Mann ist, der beide erzeugt - so lies ich mich 
ganz frostiger und fast spashafter Weise auf meinen Sessel nie- 

30 der, und heckte einen Vers in die Welt der erhaben war, so wie 
etwan die Fruhlings/e<i7te die Baume sehr hebt. Man wird es nicht 
glauben wollen: aber ich bezeug' es, die Rezensenten wollten 
mich fast deswegen nieder machen. Aber wie hatt' ich in meiner 
Selbstrezension mich dabei benommen? recht gut; ich hatte hof- 
fentlich gestanden, ich ware dem Anschein nach ein groBer 
Dichter; ia sag' ich denn iezt noch etwas anders? - 



330 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

Wenn ich diesem alien den Kranz aufsetze und frage: ob die 
Rezensenten bei ihrem erwiesenen Mangel an Blindheit sich 
hinfort der Herrschaf t iiber die schonen Geister wol mit grosse- 
rem Rechte anzumassen denken, als Adam die iiber die Thieve 
behaupten durfte, da er vom Baume des Erkenntnisses gegessen 
hatte und seine Augen geofnet waren: so wird man dagegen fra- 
gen, woher ich so viel Witz habe? Ich versetze darauf , vielleicht 
nicht so wohl vom Studiren als von Natur. 

Und ich hatte auch mehr Verstand, wenn ich eine Bibliothek 
hatte. Die reichsten und vornehmsten Personen konnen bios da- 10 
durch die gelehrtesten werden, daB sie eine Bibliothek besitzen, 
in die sie nebst einigen Fremden gehen konnen. Noch kein Phi- 
losoph hat es erklaren wollen, warum und wienach ein reicher 
Mann gepriifte Gelehrsamkeit - denn ich berufe mich auf die 
Fremden, die sie den Besitzer derselben ins Gesicht zuschrieben 
- bios dadurch erbeute, daB er in den Biichersaal geht, ohne ei- . 
nen Buchstaben darin zu lesen: allein ich wiirde glauben, dieses 
Phanomen sehr durch ein verwandtes zu erlautern: wenn man 
in einen gahrenden Weinkeller geht, so wird man da, ohne den 
GenuB eines Tropfens, berauscht und ein ehrlicher Mann komt 20 
aus ihm, bios weil er eine Nase hat, besoffen heraus. 

Allerdings ist nicht ieder Rezensent so schlecht, daB er bios die 
Lettern, das Format und seine Laune zum Maasstabe vom 
Werthe des Buches machte: sondern viele halten das Publikum 
besserer und mehr gegriindeter Beurtheilungen werth, und wa- 
gen es nicht ihm andere Rezensionen vorzulegen als solche, de- 
ren Lob oder Tadel sich ganz auf dem Namen des Verfassers 
griindet. Allein, wenn nun der beruhmte Mann seinen Namen 
verbarg; so ist dem Rezensenten das genommen, woran er sich 
halten sollte: der Selbstrezensent hingegen weis allemal, wie er 30 
selbst heisset und die festeste Stiitze seiner Selbstrezension, sein 
Name, kann ihm daher nie entrissen werden. 

Oft bricht man iiber Schriften den Stab, die meines Bediin- 
kens offenbar von solchen Schonheiten des Vortrags und des 
Innhalts uberfliessen, die aus ganz beriihmten Werken genom- 
men sind. Allerdings ist der Tadel des Rezensenten zu entschul- 



TEUFELSPAPIERE • 2. ZUSAMMENKUNFT 'VII 331 

digen, da er kein Wort von der beriihmten Quelle iener Schon- 
heiten wissen konnte, sondern denken muste, derselbe 
unbedeutende Autor habe sie erschaffen, der sie nur abgeschrie- 
ben. Allein man glaube mir, diese Unwissenheit der Rezensen- 
ten hat schon tausend Autoren das Lob geschmalert, dem sie 
entgegensehen konnten, da sie die Schonheiten ihrer Werke 
nicht aus den ersten besten, sondern aus den vortreflichsten 
Schriftstellern zusammengef ahren hatten. Es mindert das Uebel 
wenig, daB in unsern Tagen eben die meisten Schriften mit den 

io grosten gestohlnen Reizen geschminket auftreten, und eben so 
viele griechische Tempel sind, in denen der Verf . den Schmuck 
und die Riistung aufgehangen; dier er seinen Feinden, den guten 
Schriftstellern kriegerisch abgepliindert. Will daher nicht kiinf- 
tig (welches ich eben nicht tadeln wiirde) ieder Autor seinem 
Werckgen ein kleines Namenregister derer guten Autoren an- 
heften, woraus er dessen Reize gezogen, damit ein Rezensent mit 
einem Blicke in den Stand gesetzt wiirde, es zu loben: so muB 
er sich selbst dem Geschafte unterziehen, weil ieder Selbstrezen- 
sent die guten Werke am besten wissen kann, woraus er den 

20 Werth des Seinigen gefischt. Mir war' es zu verdrieBlich, wenn 
der Autor den einzigen Lohn seines Plagiats, das Lob verfehlen 
muste: da er Fanggeld nicht will. Denn nicht die Vermehrung 
der Bogenzahl, sondern sein Geschmack mahnte ihn an, nur 
schone Gedancken aus andern ab- und sich zuzuschreiben, wie 
etwan Rousseau bios solche Notenstticke kopirte, denen sein fei- 
ner Geschmack einen Werth beimaB, kurz er begeht sein Plagiat 
aus keiner andern Liebe als der zum Ruhm und giebt fremde 
Kinder fur eigne aus, nicht um wie der Bettler mit ihnen sein 
Allmosen zu vermehren, sondern um wie der vornehme Mann 

30 . durch sie seinen unfruchtbaren Namen auf die Nachwelt fortzu- 
pflanzen. - Ich traue dem Selbst rezensenten nicht zu, daB es ihm 
ungelegen ist, daB er unter dem Scheine, sich selbst zu loben, in 
der That die feinste Lobrede auf die Verfasser seines halben 
Buches macht; und nur ein solches Selbstlob ist eigner Demuth, 
und fremdem Neide am wenigsten entgegen. Mit ahnlicher 
Feinheit richten (nach ThickneB) die Franzosen das Lob auf 



33^ JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

einen Fremden nie an ihn selbst, sondern an ihre Lands- 
leute. 

Man laugne es nicht, die Rezensenten iibertheuern - wie viele 
Hofe die Titularrathe (daher man oft ein Jahr lang nach dem 
wolfeilsten herumfeilschen muB) - die Unsterblichkeit zu sehr; 
und ich glaube nicht, daB sie fur das bloBe Exemplar des Buchs 
den Lorbeerkranz abstehen wollen, gesezt audi es ware ganz 
sauber eingebunden. Man glaube mir, ich lies in Paris einen 
Livre wechseln und gab ein paar Sous davon einer Frau auf dem 
Fischmarkt, damit sie auf mich hinlanglich schimpfte - denn 
mehrere Reisende machen sich diesen beredten Spas, um sich an 
satirischer Beredsamkeit zu laben: - als ich nach Leipzig kam, 
schenkt' ich gerade in der entgegenstehenden Absicht die iibri- 
gen Sous einem armen Teufel von Studenten, der rezensirte: 
mein Gedanke war bios er sollte mich im » rasonnirenden Ver- 
zeichniB der Bucher, bei Crusius« nach Vermogen loben. Hatt' 
ich aber diese verschenkten Sous nicht fur meinen kranken Kor- 
per verwendenkonnen, wennich mich in eigner Person rezensi- 
ret hatte? Warum wollen wir so bekannte Autoren Lorbeer- 
baume erst von andern uns mit vielem Geld erhandeln? Es ist 
offenbar, wir konnen uns selber dergleichen Ziehen, dabei kann 
gar keinem gliicklich organisirten Autor angesonnen werden, 
sich vollig gratis zu loben: sondern der Verleger muB das Seinige 
recht thun. Ueberhaupt hatt' ichs niemals erwartet, daB es unter 
1000 Millionen Menschen keinem Auffallen wurde als mir, daB 
wir Menschen lacherlicher Weise unsere besten und feinsten 
Lobspruche (wie die Hollander ihre besten Bucher und ihre But- 
ter) andern und Fremden lassen und verkaufen, die schlechtesten 
und kleinsten hingegen (wie iene Tuch und Butter) fur uns selbst 
aufheben oder aufkaufen. Wahrhaftig kaum der Teufel konnte 
sich bei dem magern Lobe beruhigen, das sich in unsern Zeiten 
ein reifer gesunder Mann mit Weib und Kindern geben darf und 
Helvetius schreiet ausserst dariiber. 

Mein altester Sohn der ein Buchhandler geworden sah' es 
gern, wenn ich noch ein wenig sitzen bliebe und folgendes her- 
sezte. Unverantwortlich schieben die Bucherrichter gewohnlich 



TEUFELSPAPIERE * 2. ZUSAMMENKUNFT ■ VII 333 

ihre Entscheidungen auf , und fallen meistens ihr Urthel nicht 
eher als bis das Buch im Gefcingnisse schon verschieden ist, und 
thun wie Moses Infamienstrafen keinen andern Missethatern an 
als toden. Am siindlichsten ists, gar mit dem Lobe einer Schrift 
bis auf deren Tod auf diese wahre Widerlegung desselben zu 
warten: das heist offenbar, die allerherrlichsten Schriften - es 
mogen nun meine oder andere sein - mit Weihrauch nur einbal- 
samiren, und nicht einparfumiren. Ein Biicherrichter begiebt sich 
dadurch ganz schandlich alles seines richterlichen Einflusses, 
wenn er vom Publikum das Schicksal eines Buches entscheiden 
lasset und fur sich es nur bestatigt, so wie wir etwan alle viele 1000 
Jahre schon im Himmel und in der Holle sitzen werden, eh' end- 
lich der iiingste Tag beide uns durch einen richterlichen Aus- 
spruch bescheidet . . . Erwaget man, o! ihr Musen, die ihr unse- 
rem Parnasse ganz gut vorstehet, noch die zeitige Hinfalligkeit 
der Biicher, deren Millionen an ihrer Anzahl, tausend an ihrer 
Jugend sterben, viele durch Wurmer hingeraft werden und we- 
nige lebenssatt und vor Alter entschlafen; erwaget man ferner, 
dafi ich vor einigen Jahren an meinen Schreibtisch gieng und da 
im Namen von nooo Romanenschreibern in einer der besten 
Suppliken den Rezensenten begreiflich zu machen suchte, daft 
das Gesetz des Karls des Grofien, das an Gerichtstagen die Armen 
zuerst anzuhoren und abzufertigen befiehlt, auf niemand ausge- 
dehnet werden konne als auf die Romanenschreiber; erwaget 
man dies alles in heitern Stunden: so sieht man ein, daB ich fol- 
gende Erlauterungen gar nicht zu geben bedarf . Im vorigen Jahre 
allein hatten 6 Trauerspiele und 9 Nonnengeschichten auf mein 
Wort 2 Monate langer auf den Toiletten als bunte Schauerge- 
richte aufgesetzet werden konnen, hatten sie ihre zu lange aufge- 
schobene Verewigung in verschiedenen Zeitungen erlebt; und 
viele Kranzische Schriften haben es bios dem friihen Lobe, wo- 
mit sie in groster Eil der Verf . selbst im voraus belegte, Dank 
zu wissen, daB sie den Gerichtsweg vom Buchladen zum Kramla- 
den, vom Gefangnis zum Richtplatze doch unter einer ganz be- 
trachtlichen Begleitung von einigen 100 Lesern und des lachen- 
den Pobels zuriicklegten. Nicht schlechter werden es die iibrigen 



334 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

Selbstrezensenten machen: sie werden den eisernen Brief oder das 
Moratorium der Selbstrezension schon vor dem Bankerute aus- 
fertigen, und den Lorbeerbaum (wie gewisse Volker) zugleich 
mitihrem geistigen Kinde pflanzen, damit es sich in seinen alten 
Tagen oft darunter setze. Dadurch konnen vielleicht iiberdies 
tausend schlechte Schriften noch in ihrer unverdorbenen Neu- 
heit dem Publikum zugefiihret werden, die es nachher und spa- 
ter nur mit Eckel hatte genieBen konnen, da nichts elender ist als 
ein elendes Buch, das alt ist, wofern das nicht gar einerlei ist. 
Auch find' ich hier den Ort, wo ich dem Leser die Hofnung ma- 
chen soil, daB ich diesen langen Aufsatz vielleicht nach wenigen 
Bogen ganz beschlieBen diirfte. 

Allerdings kann man ohne verwerfliche Chikane wenig dage- 
gen vorbringen, wenn die Rezensenten fragen, ob sie wol noch 
wie die alten (z. B. Salmasius, le Clerc, die Skaliger etc.) Pedan- 
ten waren, die alien Henker wiisten. Ist es aber wol ein wahres 
Wunder, wenn bei der allgemeinen Verbesserung aller deut- 
schen Gelehrten, die nun insgesamt (vielleicht zu einiger Be- 
schamung der englischen) sich auf einige wenige in ihrem eignen 
Kopfe gepflanzte und gezogene Kenntnisse einzuschranken ge- 
lernet, ohne mehr gleich wahren Schulknaben in den alten Au- 
toren nachzublattern, wenn sag* ich auch die Rezensenten ge- 
meinschaftlich sich mit geandert und gebessert haben, so daB 
man iezt freilich alle 10 Quadratmeilen leicht einen auftreibt, der 
nichts weiB? Ich hoffe nicht unter die Leute zu gehoren, denen 
von dieser zu gliicklichen Umkehrung der Rezensenten wenig 
zu Ohren gekommen; solche mogen ihnen immer die alte Pe- 
danterei und Gelehrsamkeit noch nachreden und sie daher - sie 
machen dabei eine verhaste Anspielung auf eine Sitte der Kar- 
meliter, die iedem Novizen, dem ein Wort Latein und Gelehr- 
samkeit entgieng, mit den Zipfeln seines Skapuliers ein Paar 
Eselsohren ansezten - gar noch immer Esel nennen: ich werde ih- 
nen diesen pobelhaften Namen niemals geben, da ich weiB, daB 
sie ihn nicht verdienen, sondern wirklich ungelehrt sind. Ich 
muB es gestehen, daB sie eben hierin den Hauptgrund haben, auf 
den sie und andere die Hofnung ihrer Beibehaltung meistens set- 



TEUFELSPAPIERE • 2. 2USAMMENKUNFT -VII 335 

zen; denn eine gewisse Unwissenheit ist das unentbehrlichste Er- 
forderniB eines ieden Richters - daher sogar in den altern Zeiten 
nur Ungelehrte* auf dem peinlichen Richterstuhle saBen - am 
meisten eines litterarischen. Die Sache ist nach dem vereinten 
Bediinken tausend groBer Manner die : kein Richter braucht die 
Griinde seiner Entscheidung zu bekennen oder zu haben; kein 
Zensor thuts oder brauchts; ein Rezensent ist also ein sehr 
schlechter Mann, der die Griinde seines Urtheils beichtet. Denn 
man kann gar nicht einsehen, zu was dem Publikum diese Of- 

io fenbarung seiner Griinde dienen soil, da diese dem Gewichte sei- 
ner Behauptung nichts zuwerfen, sondern eher manches abthun 
konnen und da die leztere iiberhaupt ganzlich von ihnen unab- 
hangig ist, weil man sonst von einer durch Griinde abgenothig- 
ten Behauptung sagen muste, sie ware nicht ganz frei. Auch 
steuern sich die besten und dauerhaftesten Urtheile in der Welt 
auf ganz etwas anders als auf Griinde, die viel zu leicht zu unter- 
graben waren und besonders die litterarischen und gerichtlichen 
fodern weit gesiindere Stiitzen. Es ist daher nicht verniinftig ge- 
dacht, dem Rezensenten eine Unmoglichkeit, namlich die An- 

20 zeige der Griinde seines Urtheils zuzumuthen, da man so gut 
weis, daB er selber keine hat und welche sucht . . . Allein diese 
Unwissenheit und Unpedanterei, womit der Rezensent sich so 
vieles weiB, hat er ia offenbar - und Undank sollte ihn nicht ab- 
halten, es zu bekennen - erst den Autoren selbst zu verdanken, 
die sich die Miihe gaben und iene klassischen Werke schrieben, 
die ich auch gelesen und durch deren Lesung und Beurtheilung 
ein Rezensent seine angebohrne unschuldige Unwissenheit ge- 
lehrter Dinge theils konservirt theils grosser macht; denn ob 
man gleich iiber Shakespear die Frage die man kaum verneinte 

30 erhob, ob er gelehrt gewesen: so soil doch hoff ich iiber uns 
spatere schone Geister dieser Zweifel ganzlich wegfallen und 

a Auch iezt halt mans weder mit Kriminal- noch Zivilrichtern 
schlechter. Nur hoff* ich mussen sie vorher ent weder einige Jahre auf der 
Akademie oder in einer Schreibstube oder in einem Vorzimmer oder in 
einem Schlafzimmer gewesen sein und dies macht den ganzen Unter- 
schied. 



336 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

kein Argwohn einer Gelehrsamkeit auf uns sitzen bleiben, gegen 
die wir die Brunnenkur der Hippokrene als Lethewasser tranken. 

So war es z. B. den Autoren ein leichtes gewesen, so gar Witz 
- wie er etwan im annee litteraire und andern franzosischen 
Journalen funkelt - den deutschen Rezensenten (wie die obige 
Unwissenheit)am Ende beizubringen, wenn sie selber mehr da- 
von besessen und mi thin den Rezensenten lauter witz voile 
Werke zu lesen und zu verdammen gegeben hatten: und auf kei- 
nen festern Grund konhte selbst der Projektmacher in Lagado (in 
Gulivers Reisen) gefusset haben, da er versicherte, die Spinnen ic 
wurden, wenn sie lauter bunteFliegen aujzunagen und zu morden 
bekamen, ahnliche bunte Faden drehen und den kiinftigen Raub 
mit schonern Fallstricken umwickeln. 

Da ich anfieng, etwas bessers zu fiihlen als Hunger und die 
Empfindungen an meinen entgegengesezten Enden erwachten: 
so 'war schon die Ueberschrift einer Ode an die Sonne fur mich 
Sonnenschein und Entziickung; und ich schafte mir die »Men- 
schenfreuden« von SinteniB zu meinen eignen an. Dieses weiche 
Gefuhl fur dichterische Schonheiten, das die Jugend hat, wird 
vom Alter ausgehartet und der arme zusammenfallende Mensch 20 
fiihlt dann nichts mehr als - Satiren, deren ich einige hier dem 
Publikum mit wahrer Lust vorlege. Daher ist ein belletristischer 
Rezensent nur so lange tauglich als er noch nicht maioren ist: 
wenigstens mdcht' ich ihm nur in seiner Minderiahrigkeit sehr 
gute Werke zu schatzengeben. Daher sagen bei der Geburt eines 
Buches die iungsten Rezensenten allzeit ihr Gutachten zuerst, 
weil es das wichtigste ist, hinterdrein reden die alten nach ihren 
verschiedenen Jahren und Einsichten, und zulezt die Zeit; so wie 
die iungern Rathe ihre Stimme zuerst geben, die altern darauf und 
der Konig zulezt. Denn sonst gab, und iezt schwacht das Alter 30 
die Weisheit. Ich halte mich daran, daB unsere Autoren recht 
iung sind und mithin auch in dieser Riicksicht sich rezensiren 
konnen. Nicht daB ich schon ihre Korper nahe gesehen hatte - 
es sei als Arzt, um ihre Krankheit, oder als Sklavenkaufer, um 
ihre Gesundheit zu erforschen - aber ich sah doch viele ihrer 
Schriften, in denen ich - besonders wenn sie fur Kinder und Da- 



TEUFELSPAPIERE • 2. ZUSAMMENKUNFT ■ VII 337 

men geschrieben waren - ienen iungen Menschenverstand gar 
leicht wahrnahm, der durch unschuldige Kinderspiele ieden 
Kinderfreund in einem gewissen Grade an sich zieht und den Le- 
ser an seine eigne Kindheit und an dasienige Alter des Verfassers 
erinnert, worin derselbe noch seine ganze Liebenswiirdigkeit 
meiner Einsicht nach besitzen muB. In der That dem weiblichen 
Publikum gefallen der Leib und die Seek genau zur gleichen Zeit 
und ich werde ganz munter, wenn ich zuweilen dariiber hin und 
her denke, daB ich einmal Jahre durchlaufen, worin mein Ruhm 

to einen Zoll hoher gewachsen war als mein Bart. So lange daher 
der Verstand noch nicht im Gefolge der kaltern Jahre angekom- 
men, so lange kann der argste Menschenfeind einem vergniigten 
Dichter das Recht zum Selbstrezensiren nicht aus den Handen 
spielen, wie auch der Priester die Gottin der Weisheit (der Pallas) 
in Elatea (nach Pausanias) nicht eher seines Amts entlassen 
wurde als bis er miindig war. Spinn ich aber gar den Gedanken 
weiter aus, daB alsdann keine kritische Kalte mehr die besten 
Bliiten zerkniken kann, sondern daB manches aufkeimende Ge- 
nie in seinen Selbstrezensionen sich durch ein geschickt ange- 

20 brachtes und minder verdientes als anspornendes Selbstlob zum 
Aushalten auf seiner Bahn anfrischen wird: so wird es mir 
schwer, meine Gedanken und Reden bescheiden zu erhalten und 
meine geringern Nebenchristen um mich nicht vollig zu verach- 
ten, indem ich offenbar zu mir sagen kann: »nicht ieder hat wie 
du das Verdienst, eine Weirauchsklistirmaschine (d. i. die 
Selbstrezension) in Gebrauch gesezt zu haben, durch die ieder, 
der festenKoptes ist, sich zur Entladung ganz gut verdaueter Ge- 
danken anzuregen vermag; vielwohl H. Generalchirurgus The- 
■ den dich dadurch erreichen mag, daB er eine Tabacksklistierma- 

30 schieneeriznd, mit der ieder kranke Burger des Staats sich selbst 
klistierenkann, wie ich mir sagen lassen.« Aber warum bin ich 
unter andern auch darum auf die Welt gestellet worden, um ihr 
nach Gefallen einen gedrukten Spas zu machen? 

Wie kann schliiBlich der Kopf eines Rezensenten der Richter 
iiber ein fehlerhaftes Buch sein wollen, da das Forum delicti bios 
im Kopfe des Selbstrezensenten ist? Im Kopfe des Autors wurde 



33 8 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

der Fehler begangen und bios in diesem kann er auch abgestraft 
werden. 

In meinem fallen wie in einem guten Staate nichts als Beloh- 
nungen vor, die diesem Aufsaze selbst wie den iibrigen mit mei- 
nem Willen nicht gebrechen sollen. 

Da ich die grosten Gelehrten deswegen gefragt hatte, so 
schrieben sie mir: ich hatte ganz Recht und Herder, Wieland, 
Klopstock, Lichtenberg etc. a wiirden allerdings am besten fah- 
ren, wenn ieder von ihnen seine Selbstrezension schon aufs 77- 
telblatthinschriebe, welche sie auch meines Bediinkens recht wol i< 
wenn nicht in ihren Geschlechtsnamen allein, doch in ihren Tauf- 
namen zusammenpressen konnen. Und hier war' es mir am lieb- 
sten, wenn der Verf. von Sophiens Reisen in sich gienge und 
seine kiinftige Geschichte vom Pastor Gros, die auf mein Wort 
nicht ihr verdientes Lob den Rezensenten abgewinnt, lieber so- 
gleich selber lobte und auf ihr Titelblatt ohne alles Bedencken 
seinen Tauf- und Geschlechtsnamen stellte: diese beiden Namen 
wiirden, welches freilich schmeichelhaft ware, folgender Mas- 
sen das Buch anzeigen: »endlich konnen wir einmal ein Buch an- 
kiindigen, dem niemand (es miiste es denn der H. Verf. selber 2c 
sein) bei einigen Fehlern grosse Welt- und Menschenkenntnis, 
getreue und warme Karakterzeichnungen, edles Gefiihl, riih- 
rende Verse und in der That gar (ob gleich der H. V. Welt hat 
und Franzosisch kann) reine moralische Gesinnungen abstreiten 
kann. « Freilich faste neulich H. Lavater von seinem »Pontius Pi- 
latus« in seinem Namen auf dem Titel eine Selbstrezension ab, 
die fast zu giinstig war. 

1st es aber nicht theils naturlich theils schlimm, daG die Rezen- 
senten, weil ich ihren kritischen Richterstuhlen in Deutschland, 
in Portugal, Franckreich etc. die Stuhlbeine ausgedreht und mit 3< 
ihnen ihren Kopfen die obigen Schlage versetzt habe, mir einen 
Banditen nachschicken werden, damit mich der Spitzbube nie- 
dersteche? Denn zwar nicht die schlechten, aber gerade noch die 

Diese etc. setzen Fiirsten und Gelehrte an das Ende ihrer Titel, zum 
Beweise, diese hatten noch keines. 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. ZUSAMMENKUNFT * VII 339 

guten Schriftsteller angstigen sich vor den Rezensenten, wie 
auch wirklich nicht sowohl die Fliegen als die Schonen vor den 
Spinnen da von laufen: und mein Ungliick ists, daB ich mich ge- 
rade unter den guten befinde. Allein, die Rezensenten sollten den 
Seneka und die besten Griinde vor die Hand nehmen, die er ih- 
nen gegen alien Zorn seit vielenjahren anbeut und sie sollten sich 
selbst (nicht das Publikum) beherrschen. Dies wurde sie am be- 
sten in Stand setzen zu bedencken, daB ich ihnen nicht die Hande 
abgeschnitten und sie zum Pasquilliren unbrauchbar gemacht 
habe; denn so gottlos sind nur wenige Autoren, daB sie ihnen 
diese Quelle eines rechtmassigen TJnterhaltes zutreten und zu- 
wiihlen sollten. Auch tausendmal grossern Nutzen als bisher 
wurden die Rezensenten stiften, wenn sie das Amt der Pasquil- 
lanten ordentlich bekleideten, fur dessen Nothwendigkeit und 
Brauchbarkeit groBe Schriftsteller langst das Nothigste gesagt. 
So viel ist gewiB, ein so wichtiges Amt - das nichts als ein un- 
partheiisches Rezensiren der Handlungen ist - wird schlecht er- 
sezt und besezt durch die wenigen kritischen Urtheile, die in gu- 
ten Gesellschaften sparsam iiber fremde Handlungen vorkom- 
men, oder durch dieseltenen pasquillantischen Blatter, die die 
indignatio (welche dem Juvenal Verse eingab) in die Konduk- 
tenlisten, welche geistliche und weltliche Inspektoren von ihren 
Untergebenen einreichen, mit einzuheften wagt. In Rom wird 
dieses Amt der alten censores morum gar nur von zwei alten 
Bildsaulen versehen, wie iedes romische Kind weis. Kurz, man 
kan ohne unserem Jahrhundert oder dem deutschen Reiche Un- 
recht zu thun, frei behaupten, daB dieser so erhebliche Posten 
darin sicher sedes vacans sei und die Rezensenten waren blosse - 
Vikarien. Auf der andern Seite ists wahr, guter Stof fur das Pas- 
quil, (ich meine grosse Minister, grosse Professoren, grosse 
Heilige,) fehlt hauptsachlich und wenn der h. Franciskus dem 
Bruder Leo bei der h. Observanz befahl, ihn pasquillantisch zu 
schmahen, ihn einen Morder, einen Dieb, ein en Hurer zu schel- 
ten, ob ers gleich nicht war, - so gebrach es in unsern Tagen an 
allem, an einem Franciskus sowol als an einem Leo. Das ist in 
der That ein breiterer Stein des Anstosses als tausend glauben; 



340 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

der Pasquillant von Verdienst wird dadurch, da er keine grossen 
tugendhaften Menschen zu Gegenstanden seines Pasquils auf- 
treibt, auf schlechte dumme eingeschrankt. Allein, der Pasquil- 
lant sollte nie vergessen, daB er audi als Rezensent nicht alle Tage 
Sontagskinder des Genies an seine kritische Pillory Schmieden 
konnte, sondern sich oft mit Kielkropfen und Teufelskindern be- 
half - er sollte ferner aus der Jurisprudenz wissen, daB sie einem 
Manne, der bloBe Lasterhafte pasquillirt, darum den Namen ei- 
nes Pasquillanten nicht abspreche und er sollte iiberhaupt sich 
mit dem Bewustsein beruhigen, daB er. dem Staate durch 
Schmahschriften auf Lasterhafte eben so sehr (wenn nicht mehr) 
als durch die auf Tugendhafte niitze. Es ware nicht das unbedeu- 
tendste Verdienst dieses kurzen Aufsatzes, wenn ich dadurch die 
Rezensenten haufiger auf den Weg des Pasquils hintriebe, auf 
dem sie sich bisher zu gut als bloBe Spazierganger vorthaten, als 
daB sie darauf kiinftig ohne grossern Ruhm als Wettlaufer er- 
scheinen konnten. Der Nutzen ist noch grosser als der Ruhm. 
Denn so unbedeutend die bisherigen Pasquille waren - sie liefen 
meistens auf fliegende Blatter hinaus, und an eine ordentliche 
Allgemeine deutsche Bibliothek war in diesem Fache gar nicht 
zu denken - so gefielen sie doch allgemein weil das Pasquill eines 
von den wenigen Werken des Witzes ist, das unserer Eigen- und 
Menschenliebe, unserer Wis- und Lehrbegierde und unserem 
Abscheu vor fremden Fehlern so viel Nahrung vorsetzt als recht 
ist: man macht zwar von Pasquillen wie von Zeitungen keine 
zweite Auflage, aber um die erste zankt und schlagt man sich 
doch. Eine Rezension hingegen will nicht einmal, ungeachtet er 
der halbe Verfasser ist, (er miiste denn gerade zu viele Staats- 
schriften zu konzipiren, haben) der Teufel lesen; statt daB den 
ansassigen Pasquillanten der zahlte, der ihn liebte und der, der 
ihn furchtete. Es ware mir ubrigens nicht lieb, wenn ein Rezen- 
sent es sich nun reuen liesse, daB er sein altes Handwerk bios um 
es wieder aufzugeben so lang' getrieben, oder wenn er alle Krafte 
fur verlorenbedauerte, die er nicht dem neuen pasquillantischen 
widmen konnen. Denn er ubersehe nicht, daB seine alten Be- 
schaftigungen seinen neuen wahrhaft zu statten kommen und im 



TEUFELSPAPIERE • 2. ZUSAMMENKUNFT • VII 341 

Grunde die eigentlichen Voriibungen dazu sind, ohne die noch 
kein Europaer ein erheblicher Pasquillant geworden. Er frage 
sich selbst, ob es ihm beim Pas quill etwas geschadet, daB er 
schon als Rezensent den Namen (auf der Stirne mit dem Hute) 
verbarg, den grosten Mannern in die Wade fiel, im Autor den 
Menschen ziichtigte, auf Personalitaten anspielte und doch so 
wenig Neid bewies als ein Hund: wenn ich geirrt habe, so soil 
er wieder zu rezensiren anheben und zwar mich zuerst und zwar 
in der A. D. Bibliothek. 

Indessen muB ich wider meinen Willen diese Abhandlungen 
einmal ausmachen und schieb' ichs auch heute aiif , so seh' ich 
schon, muB ich doch mo r gen daran. Es haben alle meine 
Freunde - und ich kann selber nicht an der s - es iederzeit fur einen 
gedruckten Ausbruch meiner Eitelkeit gehalten, daB ich hier mir 
zum Lohne eines so langen Aufsatzes hauptsachlich das bedinge 
und darauf beharre, daB die schonen Geister, wenn ich mit Tod 
abgegangen bin, am 7 Schlafertag (dem Geburtstage dieser Ab- 
handlung) Stiefel anziehen und damit hinaus auf mein altagliches 
Grab sich setzen, und da ohne wahre Running in folgende Kla- 
gen ausbrechen sollen, die kaum schlechter sein konnten: »na- 
tiirlicherweise ist hier unten die Hand (wenigstens der Staub da- 
von) des bekannten Hasus zu haben, die durch Selbstrezensiren 
das einzige Mittel vorfand, Bucher auch ohne attisches Salz der- 
massen einzupockeln, daB sie sich doch halten. Und wir waren, 
soviel wir davon einsehen, auch nicht werth, daB uns die Sonne 
wenn sie wieder hervorkommt anschiene, wenn wir - zumal da 
ers selber haben wollte - seinen Aufsatz iiber das Selbstrezensi- 
ren, den wir deswegen mitgebracht und den selber die von ihm 
erdachte Einpockelung konservirt, nicht mit groBem Geschrei 
ablesen wollten, sondern vollig unverniinftig wieder fortzogen 
und heimliefen. « Ich werde, ungeachtet ich tod bin, doch so viel 
im Kirchhofe zu antworten streben: »fast den namlichen Spas 
fiihrte Kaiser Karl V. dessen Kleider noch getragen werden, auf 
des alten Hollander Beukels Grabe aus, da er darauf einen 
schlechten Hering auf as, urn dadurch das Andenken des Hollan- 
ders zu feiern, der wie bekannt die Einsalzung des besagten He- 



34 2 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

rings ausgesonnen.« Und das wird wol das erste und lezte 
Gleichnis bleiben, das ich nach meinem Ableben werde machen 
konnen oder auch in diesem Aufsatze. 



VIII. 

Erzahlung dessen, was ich einige Schlafende reden horen 

Die Wilden horen mit ihren durch Uebung gescharften Ohren 
Meilen weit. Die Leser nicht; sie haben zwar musikalische aber 
taube Ohren. Meine richtete ich durch die Jagd dermassen ab; 
daB ich noch weiter hore als sehe; ausserdem kann ich sie bewe- 
gen und spitzen, wie ein Pferd; und das Publikum konnte es 
auch, wenn es seine Ohren nicht in seiner Kindheit durch Hau- 
ben sich so schandlicher Weise hatte lahmen lassen. Auf meinen 
nachtlichen Sommerspaziergangen durch unsere Stadt hore ich 
daher vieles, was Schlafer und Schlaferinnen im Traume spre- 
chen: am Tag breit' ich hernach alles in der Stadt aus und werde 
dadurch ein ganz angenehmer Gesellschafter. Ich will's auch un- 
ter das Publikum ausbringen und die Nacht des 2 1 ten Maies dazu 
ausheben. 

Die Nacht war still und ich horte nichts als meine Fiisse und 
ein paar Spharen, als ich zum Thore hinein kam. Aus den zwei 
ersternHausernkonnt'ich wegen dem lauten Fluchen und Spie- 
len im und am Thore nichts rechts vernehmen. 

Das nachstfolgende gewahrte mir einige wahnwitzige Reden 
und da ich nicht wuste, ob sie zum Verfasser einen Poeten, der 
eine Tragodie machte, oder einen Schauspieler, der sie dekla- 
mirte, oder einen Fieberkranken, oder einen Schlafer hatten: so 
wollt' ich deswegen fast das Haus aufwecken. 

Im dritten Stockwerk des Alischen HauBes entfuhren dem 
kleinen Jaques (es ist ein Knabe von 11 Jahren, der Sohn einer 
adelichen Landdame aus Cassel) einige offenbar deutsche Wor- 
ter. Ob ich gleich sehe, daB ers nur im Schlafe gethan, und ich 
so gut als einer weis, daB er sich wachend verniinf tiger namlich 
franzosisch ausdriicken wiirde: so muB ich doch seine vortrefli- 



TEUFELSPAPIERE • 2. ZUSAMMENKUNFT ' VIII 343 

che Mutter bedauern, daB der kleine Schelm in seiner deutschen 
Muttersprache, die er wachend vielleicht bei franzosischen Bii- 
chern und Bedienten wirklich verlernen konnte, wider meine 
Erwartung im Schlafe sich iibt: aber wahrhaf tig niemand wird 
dies wiinschen, der es denk' ich ein wenig weis, daB man 
mit den Menschen wie mit den Hunden bios franzosisch reden 
soil. 

Ich schlich vor meiner Wohnung voriiber, in der niemand 
mehr als mein Johann aufsas, der unter dem Warten auf mich vor 
seinem Lichte eingeschlafen war. Er hinterbrachte gerade mei- 
nem Schwestersohn die frohliche Nachricht von meinem friih- 
zeitigen Ableben und beantwortete die Kondolenz mit einiger 
Hoflichkeit und kurz. Zu meinem Erstaunen stammelte er iezt 
wenig, da er sonst wachend iedes Wort zehnmal wiedergebaret. 
Ich konnte, wenn ich wollte, diese Bemerkung den erklarenden 
Philosophen hier als ein kleines Geschenk uberreichen. 

Es iammert mich, daB es mir im nachsten Hause vorkam, als 
hort' ich meinen Beichtvater schlaf end iiber die Keuschheit in ei- 
nem Zimmer nicht schlecht predigen, das eine ganze Gasse von 
seinem eignen schied und das einer Schonen zugehorte, die wol 
das Schaf, aber nicht die Schaferin dieses Seelenhirten sein 
konnte. Mit ihrem Manne konnt* ich ihn unmoglich vermengen; 
denn der zog kurz darauf , hinter dem Bedienten einer Schauspie- 
lerin, die Gasse herauf. Ich besorge aber vollig, es war gar der 
Teufel, der sich darum in diesen schwarzen Engel des Lichts ver- 
kapte,um meinen armen Seelsorger durch meine Feder - es soil 
ihm aber nicht gelingen und ich setze des wegen diese Hy pothese 
ausdriicklich her - bei dem grosten Theil von Deutschland in den 
Ruf zu bringen, er habe in einem fremden Schlaf zimmer nicht 
nur geschlafen sondern auch gewacht. Ich befragte ihn iiberdem 
den andern Tag selbst darum und der gute Mann wuste von dem 
ganzen Vorfall kein Wort, so wenig als seine Frau. Es scheint, 
ich setze die Dazwischenkunft des Satans vollends ausser Zwei- 
fel, wenn ich noch beibringe, daB dieser schon neulich ahnliche 
Possen spielte. Denn ich setze meinen Kopf zum Pfande, ich er- 
rath' es, wers war, der neulich in der Gestalt meines Beichtvaters 



344 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

liberal herumschlich und den Kollegen desselben durch From- 
melei die Beichtkinder abfieng. Indessen bin ich nicht so unbil- 
lig, daB ich laugnete, fiir diese List verdiene der Satan fast den 
wahren Dank meines Seelenhirten, da sie offenbar nur seiner 
Rechtschaffenheit zu einigem wirklichen Nachtheil, seinem 
Beutel hingegen zum grosten Nutzen gereichte. 

Ein paar Verliebte sahen schlafend aus einem EkhauB zum 
Fenster heraus und redeten mit einander ganz gut und leise, um 
sich nicht aufzuwecken. 

Auf dem Markte horcht' ich bios auf zwei Nachtigallen. Die 
Verfluchungen aus dem hintern Zimmer eines Kaffeehauses - sie 
kamen offenbar nur von schlafenden Pharaospielern, da sie ganz 
laut und verniinftig waren - vergas ich insgesamt vor Schrecken 
iiber meinen Schatten, den ich von ungefahr im Mondschein er- 
blickte. 

Im prachtigen f - schen Gebaude hort ich einige franzosische 
Worter, die ich sicher hier offentlich dem Papagai und nicht der 
Dame des HauBes zuschriebe, wenn ich nicht von ihrem Friseur 
Tags darauf erfahren hatte, daB das Papgen, das die Dame sich 
verschrieben, um von ihm reden zu lernen (denn sie kanns noch 
nicht) bis auf die Stunde, da er mich frisirte, gar noch nicht ange- 
kommen ware. - Was in der namlichen Gasse eine vom Tanze 
zuriik gekommene Dame gesprochen, muB ich wider meinen 
Wunsch vollig unterdriicken, um nicht der Schamhaftigkeit 
meiner mannlichen Leser damit ein Aergernis zu geben. Weiter- 
hin votirte ein alter Rathsherr in seiner Schlafkammer, als wenn 
er auf dem Rathhause saBe und die wichtigsten Dinge ent- 
schiede. Sonderbar ists, daB er mir am andern Tage beim Termin 
selber erzahlte, ihm hatte getraumt, er schliefe. 

Nun gieng ich vor dem Gasthof zum griinen Esel vorbei. Im 
ersten Stockwerk beteten, im zweiten fluchten die Schlafer. Im 
dritten vorne heraus hort' ich iemand parliren und ich dachte, 
der franzosische Sprachmeister that es im Schlafe; allein am 
MorgenfuhrH. v. Kempele nebst seiner sprechenden Maschine 
ab, die iene Reden gefuhret hatte. 

» Porto und der Teufel! « rief der Sammler einer Monatsschrif t: 



TEUFELSPAPIERE * 2. ZUSAMMENKUNKF ■ VIII 345 

allein die unfrankirten Briefe, die er im Traume bekam, hatte er 
ia selbst geschrieben. 

» Wau! Wau! « boll der traumende - »Hund« wird der Leser mit 
einer vollig tadelswerthen Voreiligkeit herausfahren: allein wie 
kann das sein, da es nicht nur der Poet selber war, der oben 
wohnte, sondern da auch der Pudel desselben im neulichen 
Hundsschlag schon gefallen war? Wahrscheinlich las der schla- 
fende Herr des erschlagnen Hundes einem andern Poeten seine 
Verse vor; (der darum dariiber nicht einschlief , weil er gar nicht 
existirte): denn in den Versen guter ieziger Dichter kommen die 
Stimmen von allem Vieh und also auch des Hundes seine gar 
haufig vor. 

Die lezte Person, die ich im Schlafe reden und sogar blasen 
horte, war niemand als der Nachtwachter. Aus seinem lauten 
und abgebrochnen Gesange und aus seiner krachzenden 
Stimme, womit er sich selbst geschickt in den Schlummer und 
andere aus demselben sang, und aus den erlaubten Hinweglas- 
sungen, womit er seine youngischen Nachtgedanken von sich 
gab, merkt' ich augenblicklich, er sei fest eingeschlafen; und die 
Wahrheit zu sagen, es schlafen oft die besten Nachtwachter und 
Konige. Auch wolt' ich den Mann nicht mit meiner blossen Bitte 
aufwecken mir nur in Prose zu sagen, wie viel Uhr es sei, son- 
dern spazierte unbelehrt nach Hause. 

Es kann mir und diesem Aufsaze nicht zutraglich sein, daB ich 
vieles verhalten mussen: allein, ich will nicht durch Offenbarung 
der Schandthaten, die mir viele Schlafende gebeichtet, unsere 
Stadt in eine Verwirrung setzen, daB der Reisende, der durch 
unsere Thore geht, denken muB, man baue da den Thurm zu 
Babel gar aus. Indessen zog ich dabei - denn die Ohrenbeichte 
einer ganzen Stadt scheint mir vieles auf sich zu haben - nicht 
bios meine Einsichten zu Rathe, sondern auch eines Exiesuiten 
seine. Er versezte: »ich und meine Ordensbriider offenbaren auf 
Befragen nur, was das Beichtkind nicht gebeichtet; nennt man 
aber das, was es wirklich gebeichtet, so schweigen wir und sagen 
um alles nicht das geringste. « Da ausser dem Jesuiten noch die 
Nachtigall f iir diese Meinung war, welche an den Stellen, die ihr 



346 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

Nest bios umgeben, schreiend herumflattert, an dem Sitze des- 
selben aber plotzlich zu schweigen anfangt, urn es den Menschen 
nichtzu verrathen, die daher nicht eben dieses Stillschweigen zu 
einem Mittel der Entdeckung brauchen soil ten: so kann man 
nicht beweisen, daB ich nicht recht thue, wenn ich neugierigern 
Fragern zwar gern sage, was ich gewisse Schlafer nicht bekennen 
horen, allein ihnen nie mittheile, was sie bekannten, sondern 
wenn man in mich viel zu unbedachtsam dringt und mich aus- 
holen will, ob der hiesige Jagermeister A. von Holz- und Wild- 
diebereien, ob die Frau v. S. von ihren bethlehemitischen Kin- 
dermordungen ihrer Schonheit wegen, ob der H. G. von den 
Siinden, die er mit den Schonen erst wiederholet eh' er sie be- 
straft, ob der Kaufmann Z. von seinen Schindereien der Fuhr- 
leute, fur die er vom offentlichen Almosengeben Ablas erwartet, 
und der Fruhprediger L. von seiner Rauberei und Verachtung 
zeitlicher Giiter a , ob sag' ich diese sich von dem alien etwas im 
Schlafe entf alien liessen: so werd' ich recht gut wissen, daB ich 
iiber alles dieses, da es wahr ist ein wolangebrachtes Stillschwei- 
gen zu beobachten und nicht einmal mit meiner Mine etwas zu 
verrathen habe - am allerwenigsten mit meiner Feder. 

UnmoglichkonntediePolizei, besonders der Polizeileutenant 
in Paris ausserordentlichen Schaden haben, wenn sie oder er 



a Sieht man freilich die Sachen mit einem philosophischen Auge an: 
so hat der Fruhprediger vielleicht Recht. Wer die zeitlichen Giiter nicht 
zu sehr schatzet und ihren Beitrag zur wahren Gliickseligkeit fast auf 
Nicht s heruntersetzet: der kann sich nicht entschuldigen wenn er sie s ei- 
nem Nachsten, den sie so wenig wie ihn selbst begliicken, weniger ab- 
nimmt als aufladt. Denn man muB seinen Nachsten ganz wie sich selber 
lieben und nicht bios sich solche Giiter aus Tugend versagen, sondern 
auch andern. Indessen wenn ich auf der einen Seite meinen Mitchristen 
diese zweideutigen Giiter nehmen und versagen soil: so seh ich auf der 
andern deutlich daB ich grosse Verpflichtung habe, desto f reigebiger mit 
dem einzigen wahren Gute zu sein, namlich mit Ermahnungen zur Tu- 
gend. Ein frommer wird z. B. nicht sowol Freigebigkeit selbst zu ha- 
ben trachten als sie andere zu lehren und das sollte ieder. 



TEUFELSPAPIERE • 2. ZUSAMMENKUNFT • VIII 347 

Leute mit guten Ohren zu Nachts in die Gassen vertheilte, damit 
sie ieden Burger des Staats belauschten wenn er schliefe. Ich 
wiinschte ohnehin, man konnte in Zukunft den GroBen nicht 
mehr vorwerfen, sie waren den Spionen und Denunzianten eben 
so unzuganglich, als den Personen von Verdienst: die Welt er- 
wartet von ihnen vielmehr, daB sie unter alien ihren Ohren, die 
sie dem tausendziingigen Elende verschlieBen miissen, doch das 
Ohr des Dionisius 3 offen erhalten und eine Selbstanklage fast 
wenns moglich ist, noch lieber horen als eine Selbstvertheidi- 

g un g- 

Ich bin kein Konsistorialrath und es thut meiner korperlichen 
Verfassung Schaden: allein auch ohne diese Wiirde steh' ich das 
Unheil auf alien Seiten ein, daB hohe und niedrige Geistliche im 
Schlafe oft Behauptungen ausstossen diirfen, die der Scharfe 
nach nichts anders sind als ausserst ketzerisch. Es stehet hellse- 
henden Konsistorien vielleicht an, ieden Geistlichen bei seiner 
Ordinazion mit darauf schworen zu lassen, daB er nichts im 
Schlafe und Traume glauben und predigen und schreiben wolle, 
was er nicht vollig mit den symbolischen Buchern harmonisch 
befande, wenn er ausser dem Bette ware und die Nachtmutze 
herunter hatte. 



IX. 

Der Mensch ist entweder ein lebendiger Bienenstock oder auch ein 
lebendiges Feldmausloch 

Es wird die funfzig Reichsstadte, mithin die 3 1 lutherischen so- 
wol als die 14 katholischen nebst den fiinf vermischten tagelang 
frappiren, daB ich von einem lebendigen Feldmausloch rede: al- 
lein in unsern aufgeklarten Tagen und Nachten kann alles ge- 
dacht und geschrieben werden, wenigstens Allegorien, und man 

o a Diesen Namen tragtein Gefangnis, das sich nach oben zu einem 
Horrohr oder Trichter spizte und dadurch dem Dionisius die leisesten 
Worte der Gefangenen mittheilte. 



. 34& JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

verbrent sich als Fackeltrager der Wahrheit nicht einmal die Fin- 
ger mehr, geschweige den ganzen Leib nebst dem Mag en. 

Leibnitz sagte unter andern: der Begrif der Ausdehnung sei die 
dunkle Vorstellung mehrerer wirkenderMonaden. Sonach sieht 
Leibnitz in der ganzen Sache nicht halb so hell wie ich, und Ken- 
ner der Geschichte der Menschheit wissen sich diesen kleinen 
Vorzug den ich vor Leibnitz habe, gliicklich genug zu erklaren, 
namlich aus dem Wachsthum des menschlichen Verstandes 
iiberhaupt und daraus besonders, da/3 ich auf Leibnitz Schultern 
stehe, er aber nicht auf meinen - welches ihm schadet. Denn 
Leibnitz sah gar nicht, daB die Mehrheit der vorgestellten Mo- 
naden nur die Grofie der Ausdehnung selbst erschaffe, und daB 
wenn zwei Monaden die Idee der Ausdehnung veranlassen, auch 
Eine eben das vermogen musse und daB mit andern Worten auch 
unsere einfache Seele ausgedehnt scheinen musse. 

Mithin kann ich mir iezt getrauen, die paradoxe Folge daraus 
vor den Leser zu bringen, daB unsere Seele ganz und gar aussieht 
wie ein Bienenweisel. Ich wiirde mich selber iiber die Sache 
wundern, wenn ich sie bei einem andern laser allein ich hatte kurz 
vor Johanni das Gliick, nicht sowol organisirt, (welches vor 
meiner Zeugung geschah) als desorganisirt zu werden und durch 
diese Promozion meines ganzen Ichs, als ein solcher Graduirter 
im bessern Sinne aufzustehen, daB meine Seelenkrafte in Einer 
Nacht Schuhe hoch wuchsen und daB mein Selbstbewustsein 
besonders, das vorher nur die Gedanken, Gefuhle und Eigen- 
schaften meiner Seele zuriickspiegelte, durch eine ausserordent- 
liche Polirung gar die Gestalt derselben in seinem Fokus dar- 
stellte. Im ersten Augenblick dacht' ich, ich ware mit Tod 
abgegangen: allein, wenn ich mir iezt vorstelle daB die Wasser- 
prophetin zu Biel das ganze Konklave mit seinen Kardinalen und 
den Divan mit dem GroBherrn hundert Menschen und dem 
H. Lavater und mir selbst in einer blossen Bouteille voll Wasser 
zeigen konnte: so war ich freilich nicht vernunftig genug, es fur 
etwas ausserordentliches aufzufassen, daB mein Kopf ein Kry- 
stall geworden, in dem meine Seele bios den nachsten Gegen- 
stand, namlich meine Seele stehen sehen. Darin sah sie nun. wie 



TEUFELSPAPIERE • 2. ZUSAMMENKUNFT ■ IX 349 

gesagt, einem volligen Bienenweisel gleich und ich sah ihren 
langen Riissel und Schwanz. Dies sind die wenigen Faden, wor- 
aus ich ein ganzes auf den folgenden Blattern abgedrucktes Sy- 
stem zusammengesponnen, weilichnicht anders kann, als es fur 
die unnachlaBliche Schuldigkeit eines ieden groBen Gelehrten 
halten, gleich der Gartenspinne auf gerade wol einen Faden in 
die Luf t zu hofiren - dann zu passen bis der Wind ihn an irgend 
einen wirklichen Gegenstand anpicht - dann noch einen zu hofi- 
ren und mit ihm den ersten zu durchkreuzen - dann sich beide 
, zu Nutze zu machen und selbst als das Weberschif hinzuschies- 
sen und den Eintrag einzuweben - und so fortzufahren am Bau 
des wahren Luftschlosses bis die Gartenspinne das System oder 
der Gelehrte das Gespinnst fertig hat. 

Da bose Menschen keine gute sind: so kann ich beide nicht zu- 
sammenschlichten, sondern es muB erst von ienen geschrieben 
werden. Ihr Kopf ist ein lebendiges Feldmausloch, worin die 
Bienenkonigin sizt, um die in mannigfaltigen Entfernungen die 
mannlichen Bienen oder Drohnen sich lagern. Diese Drohnen 
tragen auf den Kanzeln den Namen Teufel: es ist aber einerlei und 
ganz naturlich. Denn der Teufel fiihrt einen Schwanz, die mann- 
liche Bienen auch - er tragt zwei Horner, sie auch - er hat Fliigel 
(wenn wir den Rabbinen glauben wollen), sie bekanntlich auch 
- er regt zwei Paar Krallen, sie nicht weniger und eher noch ein 
drittes Paar mehr - er ist geschwarzt, sie wars noch eher: denn 
Virgil singt, daB die Bienen eh' sie vom Jupiter, den sie in seiner 
Kindheit mit Honig aufazten, dafur zum Lohne golden angefar- 
bet wurden, eisenfarbig ausgesehen. Und der Leser besehe den 
Teufel aufmerksamer: so wird er befinden, daB er wirklich am 
Ende nicht sowol kohlschwarz als eisenfarbig ausfalle; und so 
kam er mir schon in Jahren vor, wo ich gar nicht daran denken 
konnte seine Farbe nach meinem System zu verrenken. Kurz, 
mir bleibt es unbegreiflich, warum man die Teufel in einer an- 
dern Gestalt als in der der Bienen abgemalet, in der allein sie doch 
in unserem Kopfe zu sitzen pflegen. Ja die Blindheit geht soweit, 
daB die meisten es lesen und erklaren horen konnten, daB die Bi- 
bel und gewisse Volker den Teufel einen Fliegenkonig genannt, 



350 JUGENDWERKE - 4. ABTEILUNG 

- daB ferner der Jupiter Apomyos, der wie ieder klassische Gott 
ein vermumter Teufel nach den Kirchenvatern gewesen, in der 
Gestalt einer Fliege modelliret worden - und daB der Doktor 
Baynyard sich den Satan gar nicht anders denken konnte, als wie 
eine groBe Bmmfliege: - dennoch blieben alle Leser und Horer 
dieser Dinge eben so weit wie vorher entfernt, auf gluckliche 
Vermuthungen zu verf alien und vor der Lesung dieser Seite von 
selbst die Teufel sich nicht anders vorzustellen als wie Bienen. 
Und noch nach den muhsamsten Aufhellungen, ist der Fall 
mdglich, daB mancher mich lieset und doch dariiber anders i< 
denkt als ich: er muB aber als ein formlicher Renegat und Apostat 
dieses Buches allgemein.verachtet werden. 

Das Dichten und Trachten dieser Drohnenteufel ist nun bios 
auf Parung mit dem Weisel gestellet, der sich dagegen unbegreif- 
lich spert. Denn er kann durchaus ihre schwarze Farbe nicht aus- 
stehen, ob sich gleich diese Antipathie so wenig auseinanderle- 
gen lasset, als des indianischen Halms seine gegen die rothe. 
Daher muB es erklart werden, warum die armen Teufel (die wir 
noch besser unter dem Namen boser Triebe und Neigungen 
kennen) bevor sie eine Vermahlung mit der Seele erringen, sich 2c 
mit den weitlauf tigs ten Praliminarien abmartern und eine Ver- 
mahlung zwischen Spinnen, ia zwischen hohen Hauptern thut 
sich vergleichungsweise weit schneller ab. Die Toilette der Teu- 
fel ist daher lang und schwer und die MiB Abington, die in Lon- 
don alle Morgen als Consulentin und Guvernante und Eduka- 
zionsrathin des Anzugs hau siren fuhr, hatte an den verliebten 
Kriegsrustungen der Teufel wenig zu bessern. Denn sie baden 
sich in Nervensaft, urn schon zu werden, wie sonst die Weiber 
eben deswegen in Badzuber von Eselsmilch stiegen. - Sie walzen 
sich so lange in poetischen Blumen der Phantasie auf und ab, diese 3< 
Bienen, bis sie sich dem Weisel mit Blumenstaub ganz weis ge- ' 
pudert prasentiren konnen. - Sie rollen die schonsten und 
wollustigen Bilder, die (wie Epikur zuerst sah) von den aussern 
Dingen ab und dem Kopfe zufliegen, auseinander und behangen 
damit die 4 Gehirnkammern an alien 4 Wanden, um durch Ge- 
malde, womit sonst Christen gemacht oder gebessert wurden, 



TEUTELSPAPIERE • 2. ZUSAMMENKUNFT 'IX 351 

den Weisel zu verschlimmern und ihn den verliebten Absichten 
der Drohnen anzupassen. - Ich zweifle aber, ob doch alle diese 
Kunste den Mohren-Scheu der Seele ubertaubten, wenn's nicht 
ein gewisser Liebestrank thate, der fast toll macht. Dieses merk- 
wiirdige Philtrum, das die Aerzte Nervensaft betiteln, wird 
durch die aufsteigende Destillazion aus Menschenblut unter dem 
Helme gezogen: allein ein oder ein paar Spitzglaser da von, die 
die Teufel dem Weisel eingeben, besaufen ihn dermassen und 
heitzen ihn mit einer solchen tollen Brunst gegen diese Drohnen; 
daB ausser dem Weisel niemand so sehr zu bedauern ist, als die 
Bierwirthe, daB sie, bios weil ihnen das Rezept eines so unge- 
mein berauschenden, Ingrediens verborgen ist, ihr Bier mit viel 
schwachern mit Kiehnrus und Schwindelhaber und Nieswurz 
vergiften und berauschen mussen. Dann ists aber auch gut; nun 
wird ohne Verzug zur ausserehelichen Pflicht geschritten, nur daB 
die ehelustige Drohne die Vorsicht noch gebraucht, den Weisel 
in einen dunkeln Wink el zu Ziehen, damit es an ordentlicher 
Brautnacht nicht fehle; die (ibrigen Drohnen halten wenn sie an- 
ders das Ihrige thun wollen, die guten Engel fest, (auch eine Art 
Bienen und auch zum Bienenstock gehorig, aber weiter unten 
erst vorkommend) weil sie sonst das Beilager mit Einspruchen 
versalzen und oft durch ihre stralende Gestalt die wollustigen An- 
strengungen der Seele auf der S telle lahmen, und Beispiele sind 
verhast. 

Aus dieser Ehe im unverbotenen Grade - weil niemand der 
Seele weniger verwandt ist als der Teufel - sprosset allemal ein 
iunger Satan hervor, den zwar wichtige Kasuisten eine Siinde 
nennen, den ich aber seiner Gestalt wegen lieber eine Arbeitsbiene 
nenne. Der Kreuzfahrer gegen die Unglaubigen an H. Hen- 
nings, namlich eben H. Hennings erzalt, daB eine Hexe Katha- 
rina Netzin, mit dem Teufel eine Fliege zusammengezeugt habe: 
aber das ist ia ein ausserordentlicher Fall und bios Arbeitsbienen 
sind die Abkomlinge dieser Ehe bei uns und andern. Ein solcher 
teuflischer Bienen wurm tritt wie die Neger anf angs mit der Un- 
schuldsfarbe, mit der weissen aus der Mutter: aber in wenigen 
Tagen zeitigt sie zur schwarzen und der Wurm wird der Seele 



352 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

unausstehlich. Denn nur wenige Bienenwiirmer werden gar 
schon schwarz geboren und fuhren den Namen schwarzer Sun- 
den, wie gewisse Blumenblatter schon in der versperten Kno- 
spe, ohne den farbenden Sonnenstral, mit ihrer Farbe liegen. 
Selten beschenkt die Seele die Geisterwelt mit einem stummen 
Teufel, der sogleich nach seiner Geburt die Seelenwanderung in 
ein zweites Schwein antritt; im Grunde fehlen gar in unsern Ta- 
gen solche Teufel ganz und alle bekannte stumme Siinden haben 
wie andere Taubstumme die Sprache gelernt und iiben sie in den 
vorziiglichsten Residenzstadten mit Nutzen. 

Es ist sonderbar, daB man dieser Bienen- und Teufelsmutter 
die Jungferschaft durch ein einf aches Hausmittel, so oft wieder- 
geben kann als sie sie verscherzet, und lezteres sollte in alien Di- 
spensatorien zu lesen sein. Man macht namlich ein wenig Wasser 
(Weihwasser) oder auch Oel (letzte Oelung) zurecht und be- 
schmiert bios damit den aussern Bienenstock: den Augenblick 
und eh' noch das Schmieren zu Ende ist, ist schon eine so voll- 
standige Ancora-Jungfernschaft da, daB es - und hatte die Seele 
bei tausend Teufeln geschlafen - dann eben soviel ist als hatte sie 
nicht Einen gesehen. Die langbartigen oder longobardischen 
Philosophen sollten sich dergleichen Meer- und Seelenwunder 
aufschreiben, urn die wichtigsten Schliisse und OstermeBpro- 
dukte daraus zu machen; sie wiirden dadurch die Physiologen 
nachahmen, die ahnliche Schliisse aus einem ahnlichen Arkanum 
mit Nutzen Ziehen. Ich meine den Jungferschaftsessig oder vi- 
naigre de virgmite, der im Leiblichen wirklich eben das leistet 
was das obige Hausmittel im Geistlichen thut, wie denn der Ma- 
cher des EBigs, ein FranzoB, vom Gebrauch desselben alien Da- 
men, in und ausser der Ehe die Wiedergeburt der Jungfernschaft 
so klar und mit so verstandlichen Worten verheisset, daB man 
in der That die f ranzosische Glaubwiirdigkeit vollig mit der pu- 
nischen und griechischen vermengen miiste, wenn man dennoch 
glauben wollte, der Franzos loge und sein Essig veriungfere 
nicht. Aber riihmlich ists fiir Leute die den Franzosen deswegen 
raufen, nicht, daB sie so etwas thun und eine wichtige Erfindung 
heruntersetzen konnen, mit der sie doch weder in Nonnenklo- 



TEUFELSPAPIERE • 2. ZUSAMMENKUNFT "DC 353 

stern noch in weiblichen Pensionistenhausern eine einzige ent- 
scheidende Probe angestellet haben, aus der sie wissen konnten 
was daran ist. 

Die leiblichen Bienen lassen sich oft an Mistpfuzen und Klo- 
acken nieder, um Futterbrei fur ihre Brut daraus einzuschopfen, 
und Bienen vater sehen unreine Oerter gern in der Nachbarschaft 
ihrer Korbe. Gerade so wurde im menschlichen Bienenstock die 
iunge Bienen- oder Teufelsbrut gar nicht aufgeatzet und groB 
gezogen werden konnen, wenn nicht die Vorsicht gebraucht 
ware, daB es an solchen Lachen voll Kordiale fur sie nicht fehlte: 
zum Gliicke sind aber im Bienenstock selbst wenigstens drei 
wichtige Pfuzen (im Magen, in der Gallenblase und in andern 
Blasgen) angebracht, in denen die Milchpumpe des Saugriissels 
allzeit so viel humores peccantes antrift, daB die iungen Teufel 
dabei lustig gedeihen und groB wachsen konnen. 

Im Herbst und vor dem Winter werden die Drohnen meistens 
erbissen und aus dem menschlichen Bienenstock getrieben. Der 
hiesige Kanonikus sagte mir: »Diesen Drohnenmord wurde er die 
Abtodtungdts Fleisches nennen und ieder Christ miiste seine Be- 
gierden kreuzigen, wenns auch nur an dem goldnen Kreuze eines 
Damenhalses ware, wie Kanonici und Kanonissinnen tha- 
ten.« 

Inzwischenbetasten die Arbeitsbienen alle Blumen und fullen 
mit deren Exkrementen ihre Gift- und ihre Honigbhse. Aus der 
Honigblase fiittern sie die Seele und die Drohnen, die beide ein 
solches Liebesmal zu neuen Begat tungen erweckt. Sind aber 
endlich die Blumen umgesunken und die Honigblasen ausge- 
schopft: so erleichtern alle Teufel die geschwollene Giftblase 
iiber ihrer Mutter und spornen sie mit ihren langen Stacheln zu 
den alten Parungen an, die sie ihr sonst mit honiggebenden 
Saugriisseln ablockten. Dem peinlichen Spiele macht ein altes 
fleischloses Gerip von einem Manne ein Ende, das mit einem 
krummen sensenartigen Zeidelmesser geschritten komt und 
breite Honigscheiben auszuschneiden willens ist: es ist aber 
nichts auszuschneiden da, als Scheiben und Teufelsbrut darinn 
und der alte Mann brennet vor dem Stocke Schwefelstangen 



354 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

quantum satis an und benimmt mit dem Schwefelrauch dem 
ganzen die Siissigkeiten verprassenden Pack, der Bienenmutter 
samt ihren Kindern das liebe Leben. - 

Mit den guten Menschen ists viel anders: es sind aber auch 
Bienenstocke. 

Nur sind die mannlichen Bienen darin, mit denen sich die 
Seele gattet, so wie die Arbeitsbienen, die daraus entspriessen, 
keine Teufel sondern gute Engel mit der volligen Gestalt der 
Bienen und mit dem Namen guter Triebe und guter Handlun- 
gen. Nur wenige menschliche Bienenstocke sind ordentlich 
musaisch mit Engeln ausgelegt und sehen aus wie Tempel, wie 
Pantheons, wie ein gestirnter Himmel. Solche Bienen, alter 
Plato, schmuckten unter deinem Schlummer deine Rosenlippen 
oder das Flugbret, deines Bienenstocks, da du noch ein Kind 
warst: aber sie blieben da nicht sitzen, sondern sie zogen, als du 
gewachsen und mehr in die Hohe als in die Tiefe gewachsen 
warst, gar weiterin denBienenstockhinein. Ich muB es hier, lie- 
ber Plato, alien meinen Lesern sagen, daB dein Leben nicht wie 
bei den meisten ein thierischer dicker mitternachtlicher Traum, 
nicht wie bei andern eine tappende Schlaftmnkenheit, sondern wie 
bei wenigen ein tagender Morgentraum gewescn. Mit deinem Zuge 
nach oben, der die Flugel am Menschen ersezet und der zwar 
auch wie der Zug nach unten die Fiisse in den Koth stolpern las- 
set, der aber sie heraus zuheben erleichtert, komst du mir wie 
einer in den pohlnischen Steinsalzbergwerken vor, der'gleich 
seinen unterirdischen Mitbrudern geboren und erzogen unter der 
Erde, zwar niemals in dem Himmel, der auf ihr liegt gewandelt, 
allein doch an der Ein- und Ausfahrth einen Blitz des iiberirdi- 
schen Tages zu sich hinunter leuchten sehen. Diesem Manne 
werden wie dir gewisse sehnsuchtige Ausdehnungen den seuf- 
zenden Busen driicken, die ihn aus seinem Salzbergwerke und 
aus der Erde auferstehen heissen. Ich sagte, so kommst du mir 
vor, schwer zu exponirender Plato. Eben deswegen nenn ich 
dich mit dem Chor aller Alten den Gottlichen, weil von der Tu- 
gend, die es ist, niemand so gut geschrieben wie du in deiner Re- 
publik, und weil du in dieser besonders das gezeiget, daB unser 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. ZUSAMMENKUNFT • IX 355 

Korper, worin unser Ich wie in einer beweglichen Bildsaule 
steckt, ein Weiselgefdngnis* ist, wie auch aus meiner ganzen Bie- 
nenallegorie erhellet, und dafi die ( diistere unreine Erdatmo- 
sphare, worin der arme Mensch sich miide watet, das heilige 
Grab ist fur die gekreuzigte Tugend. 

Wie wenig alle Systeme iiber die Erzeugung des Menschen die 
Wahrheit treffen: kann man iezt aus meinem sehen, das wahr ist 
und ienen alien ganz wiederspricht. Wenn namlich eine Bienen- 
konigin eine neue gezeugt, zu der sich der neue Bienen- und En- 
gelsschwarm gesellet, wenn dieser kleine Staat im Staat aus sei- 
nem alten Bienenstock an einem warmen Sommertag flattert: 
wenn er sich in einem neuen anlegt: so kann man entweder sagen 
- und es ist einerlei - der Bienenstock schwarmt oder er zeugt. 

Bienen- und Beichtvater sollten es sich merken, dafi der Honig 
in menschlichen und thierischen Stocken, der den Weisel, die 
Drohnen und Arbeitsbienen nahrt, bei zu schonem und warmen 
Wetter auseinander rinne. Das ist schlimm: denn der zerflossene 
Honig klebt sich an die Flugel der Bienen, leimt sie an die Hin- 
tertheik derselben und raubt ihnen so den Flug.** 

Bienen vers tandige haben langst an meiner S telle angemerkt, 
daB dieBienenstocke, die die Abend- und Morgensonne bescheint, 
den f riihsten und langsten Fleis beweisen und Krunitz und die al- 
ten Klassiker preisen das Licht zum Honigbau iiber alle Massen 
an - niemand als bios einige iezige Poeten preisen das Gegentheil 
iiber alle Massen an und wollen erharten, man habe zur Tugend 
eben so wenig Licht vonnothen als zum Dichten. 

Ein einziges Kazenhaar scheuchet alle gute Engel und Bienen 
aus dem Stocke hinweg: es ist das die namliche Antipathie, die 
ganze Menschen von ganzen Katzen abstosset. 

Es ist mir iiberaus lieb, daB ich mich im Stande sehe hier etwas 
vom Sokrates zu berichten was schwerlich ein anderer wissen 
kann. In der Nacht vor seinem Todestage vermehrte seine 

* So nennt man ein kleines BehaltniB von Drath, worein man den 
iungen Weisel einsperrt, wenn er im Bienenstocke nicht bleiben will. 
** d. i. der haufige GenuB des Vergniigens entkraftet die Tugend. 



3 $6 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

himmlische Seele noch im Traume durch neue Vermahlungen 
seine Bienenengel; und sie ist, da sie deren Geburt nicht erlebte, 
hinter ihrem Genius, rnit Bewohnern einer bessern Welt ge- 
schwangert aus der ungerechten fortgezogen. 

So tont zuweilen eine einsame Biene im Mondschein umher 
und schliirft aus den Lindenbluthen, auf denen sie am liebsten 
hangt, noch zu Nachts den Honig, zu dessen Einsamnilung ihr 
der langste Tag zu kurz geworden. 

Natiirlicherweise erhebt der Bienenvater im Herbst den Ho- 
nig aus den Stocken und grabt vox dem Winter den ganzen Bienen- 
stock in die Erde ein, wo es viel warmer ist und wo die schlum- 
mernde Biene unter den Sturmen iiber ihr, von ihren vorigen 
ausruhet. H. Neidhardt und andere haben die besten Proben ge- 
macht, daB das Begraben den Stocken so wenig Schaden thue 
daB im Fruhlingdev ganze Bienenstaat mit der alten Munterkeit 
aus dem Grabe auferstehet, sobald der Bienenvater die Erde da- 
von weggescharret hat. 

Und das war die einzige Sache, hinter die der vorige Konig 
in Preussen nicht recht kommen konnte. 

Wenn diese ganze Allegorie einen Fehler hat, (woran ich doch 
mit Recht zweifle) so muB es der sein, daB sie sich stellet als hatte 
der gute Mensch keinen, als ware in seinem Bienenstock keine 
Raubbiene, keine Wespe, keine Spinnenwebe, kein mit Wachs 
verlarvtes Aas. Ich bring' aber diesen Fehler fast vollig dadurch 
weg, daB ich das GleichniB mache: mit den besten Menschen - 
sie miisten denn iiber 50 Jahre zahlen - ists wie mit den schon- 
sten, reinsten, breitesten StraBen in Paris: die stinkensten dun- 
kelsten Queergasgen durchkreuzen sie oft. 



TEUFELSPAPIERE - 2. ZUSAMMENKUNFT • X 357 

X. 

Ironischer Anhang 

I. 

Ueber das Zahlenlotto 

Es ist schlimm, daB Fiirsten selbst, die das Zahlenlotto wie einen 
Friedensvertrag mit Garantie beschenken, nicht immer die rich- 
tigsten Begriffe davon haben, sondern kleine; und aus dem Ver- 
bote, womitsiedasEinsetzenin auswdrtige Lottos belegen, sollte 
man bei ihnen fast das gewohnliche Vorurtheil argwohnen, als 

o soge es die Unterthanen aus, wenn man nicht horte, daB sie zu- 
gleich das Einsetzen in die inldndischen verstatten. Desto mehr 
Ehre erschreibt sich ein Autor, wenn er sich mit dem Wole gan- 
zer Lander befangt und den Nutzen der Lottos in einem ironi- 
schen Anhange ein wenig beweiset. Allerdings ist das groBe 
Loos an sich, ohne ein Korrigens das die andern Ingredienzien 
entkraftet, ausserordentlich ungesund, und die Aerzte sollten es 
in der Diatetik strenger untersagen und sich selber. Wie viele 
hunderte kamen nicht an einer Quaterne um? Denn sie spritzt 
natiirlicher Weise das Blut in dicken Armen nach dem Kopf , und 

10 die Adern und das Lotto werden zugleich gesprengt. Eine Quin- 
terne ist gar formlicher Gift und eine Art von aurum potabile: 
man platzet augenblicklich davon maustod hin, wie ich selbst bei 
einem armen Schuster in Dresden sah, der mir ein Paar Stiefel 
auseinandertreiben wollte, als der Kurier ihm seinen Gewinst 
und seinen Tod ansagte. Das ist vielleicht die wichtigste Be- 
denklichkeit gegen das Lotto und ich fuhle sie selbst recht woL 
Allein, auf der andern Seite sollte man doch auch bekennen, daB 
man durch tiefsinnige Berechnungen schon so gute Vorkehrun- 
gen ausgefunden, daB eine gefahrliche Quinterne weit seltener 

o vorkommt als die kleinen nutzlichen Gewinste. Denn einem 
Fiirsten ist an seinen Unterthanen so viel als an seinem Nutzen 
gelegen: und es ist daher sein Wille gar nicht, wenn zuweilen das 
grosse Loos erscheint und das Leben eines nutzlichen Burgers ist 
ihm weit lieber als der groste Verlust, den er etwan bei einer 
Quinterne haben wiirde. In der That Zeitungen aller Art loben 



358 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

einen Fiirsten sehr, wenn er etwas verschenkt: aber warum erhe- 
ben sie es nicht eben so sehr, wenn er nichts herschenkt? Denn 
in diesem Falle niitzt er, wie gesagt, weit mehr und auch bessern 
Leuten. 1st es da nothig, noch die Anmerkung zu Hiilfe zu neh- 
men, daB man sogar diesen so selten erscheinenden Gewinst 
doch durch viele Manipulazionen , Korrigentia Erschwerungen 
und Beschneidungen so unschadlich macht, daB dieses gefahrli- 
che aurum potabile nach und nach ein so gesundes aurum ful- 
minans wird, daB es auch der ungesundeste Burger nehmen 
kann, ohne mehr daran vor Freude zu sterben. Folglich ist iedes i 
Glucksrad ein gut gearbeitetes Schopfrad, das auf der einen Seite 
das Vermogen der Unterthanen ohne Vermehrung der Auflage, 
auf eine unschadliche Weise einschopft und erhebt und auf der 
andern es wieder auf eine nutzliche vor den Fiissen des Regenten 
niedergiesset. 

Da die Hofnungen ieder Art mit nichts und mit keinem Gelde 
zu bezahlen stehen - denn sie sind die menschlichen Besitzungen 
in der neuen Welt der Gliickseligkeit - so muB es entweder gar 
keines Menchen Sache oder offenbar des Fiirsten seine, dem das 
Gliick des Landes obliegt, sein, den armen Biirgern und Kon- 2 
trahenten des gesellschaftlichen Vertrags hinlangliche Hofnun- 
gen zuzumessen; denn die wenigen Hofnungen, die der Minister 
oder der Hof verkauft, sind viel zu theuer und werden auch nur 
Personen von Geburt oder Verdiensten gelassen. Es gabe daher 
schwerlich einen grossern Verlust fur ein Land als die Aufhe- 
bung des Lotto, nicht nur weil man dadurch den armen Burger, 
der durch ein besonderes Ungliick die Halfte seines Vermogens 
verspielet hat, den Weg vertrate, durch den Einsatz der zweiten 
Halfte die erste etwann wieder zu gewinnen, sondern auch weil 
iiberhaupt im Lotto dem geringsten Unterthanen die grosten 3 
Hofnungen (es giebt verschiedene Hofnungen, Hofnungen von 
10 fl. bis zu Hofnungen von 100000 fl.) fiir wenige Groschen 
zugestanden werden. Der Fiirst selbst behalt sich durchaus keine 
vor: denn was er dabei gewinnt, ist Gewisheit aber keine Hof- 
nung; es nagt ihn vielmehr die kleine Furcht bei ieder Ziehung 
viele Ausziige, wo nicht gar eine Ambe zu verspielen, die der 



TEUFELSPAPIERE • 2. 2USAMMENKUNFT "X 359 

Unterthan noch als UeberschuB und Zugabe seiner Hofnung 
einstekt; der Unterthan hingegen kann nie mehr verlieren als 
seinen Einsatz. 



II. 
Griinde solcher Theologen, die das ubrige ohne Griinde glauben 

Rousseau erzahlt in seinen Spaziergangen: er habe sich in seinem 
40sten Jahre sein Glaubenssystem fur seine nachkommenden 
Jahre festgesezt; er gebe keinen nachherigen noch so wichtigen 
Zweifeln und Einwiirfen mehr Platz, und erneuere keine Unter- 
suchung mehr, die sobald sie seinem reifen Verstande fehlge- 
schlagen ware, noch weniger seinem alternden glucken konne; 
er vergesse die Griinde, aber ihm geniige an seinem Systeme, das 
er auf sie gebauet. Da ich selber nicht unter die Theologen ge- 
hore (und daran sind leider.die Austheiler der Stipendien ganz 
schuld) : so wend ich mit desto geringerem Verdachte des Eigen- 
lobes alles dieses auf sie an, auf die bessern zum wenigsten, die 
ein wenig mehr Meinungen als Griinde haben. 

Bekanntlich waren wir insgesamt - welches nur einer ungewis 
finden kann, der noch keinen Absatz im Plato oder in meiner 
Vorrede gesehen - vor unserer Geburt in einem weisern und tu- 
gendhaftern Zustande, aus dem uns einige Vergehungen auf 
diese Erde iagten. Natiirlicherweise waren die gedachten Geist- 
lichen auch mit droben; und mich diinkte allzeit, sie niitzten ie- 
nes vorlaufige Leben ganz gut. Sie studirten, weil sie da gar kei- 
nen Feldbau hatten, Jahraus Jahrein, um ihr orthodoxes System 
zu riinden. Ueber Satze, die nur vor den Richterstuhl der Kir- 
chengeschichte gehorten, zogen sie nicht wie wir - allein konnen 
wir im Grunde anders? - bios dieienigen Kirchenvater, die in 
Schweinsleder und in Foliobanden gebunden sind, sondern die 
in natura zu Rathe; derm gar viele Kirchenvater waren in den 
Himmel gekommenund ich sollte fast glauben, mich noch dun- 
kel zu erinnern, daB ich den einfaltigen Papias personlich ge- 
kannt. Esistkein Wunder, daB sie zum Vortheil der Orthodoxie 
viele Nachrichten aus dem Munde der Kirchenvater zogen, die 



360 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

in den bloBen Biichern derselben gar nicht stehen und die doch 
wahr sind. Ausserdem horten sie noch einen cursum hermeneu- 
ticum liber das N. T. bei den Aposteln selbst; und konnen daher 
iezt wol fodern, daB man ihren Auslegungen der Bibel mehr als 
fremden glaube. Und was ihren damaligen Verstand anbetrift, 
so wiinscht' ich, meiner oder ihr ietziger ware nicht kleiner, und 
es ist bekannt, des Lesers seiner will auch nicht viel sagen. Hatten 
nun die Geistlichen einen gelegnern Zeitpunkt treffen konnen als 
diesen, urn Irrthiimer auszuschiessen, Vermuthungen auszusie- 
den und iede Idee auf die Kapelle zubringen, ura gewis zu sein, 
daB man nichts als reines Gold zu seinem Schatze mache? Mich 
dunkt, die Neuern konnen ihre Verwerfung des alt orthodoxen 
Systems mit so vielen und gliicklichen Priifungen desselben 
nicht rechtfertigen als die Orthodoxen dessen Annahme. Mitten 
unter diesen Priifungen begiengen sie iibrigens wie wir alle, 
einige auffallende Schandthaten, und kamen daher auf der hiesi- 
gen Erde mit einer grossen Erbsiinde im Herzen und einer . 
durchdachten Orthodoxie im Kopf e, einer nach dem andern, an. 
Und nun sind sie im Falle Rousseaus ganz: nun war es uberfliis- 
sig und nicht einmal sicher, wenn sie iezt, da sie schon langst ge- 
boren sind, ihr System noch einmal untersuchen wollten - alle 
Einwendungen, die man nun nach ihrer Geburt noch gegen ihr 
Glaubenssystem machen kann, kommen fur sie wirklich zu spat, 
weil sie vollig unvernunftig handeln wiirden, mit ihrem iezigen 
schwachern Verstand ein System zu priifen, das vor ihrem da- 
maligen besser ganz bestand, so wie Rousseau seinen 70 iahrigen 
Verstand nicht das Resultat seines 40 iahrigen richten lies. Ja ge- 
sezt ihnen waren die Griinde ihres Systems ganzlich entfallen: so 
konnen sie schon zufrieden sein, daB sie nur das System selber 
noch haben und sie wissen wol, daB sie es vor ihrer Geburt nicht 
ohne wichtige Griinde angenommen. Daher griinden sich ihre 
Meinungen nicht so wol auf ihren Verstand als auf ihr Gedacht- 
niB; und eine (die Memorie starkende) Krautermiitze niitzet ih- 
rem Kopfe so viel als ein dictum probans. Was die Heterodoxen 
anlangt: so haben sie nur iiber wenig exegetische Punkte (z. B. 
die Lehre vom Teufel) vor ihrer Geburt aus dem Munde der 



TEUFELSPAPIERE • 2. 2USAMMENKUNFT • X 361 

Apostel selbst eine interpretatio authentica geholt, die sie iezt der 
doctrinali entgegensetzen konnen und miissen; daher komts, 
daB sie ob sie gleich ihre Sache nicht vor dem hermeneutischen 
Richterstuhle beweisen konnen, doch Recht haben. 



III. 

Ueber die Wahrheitsliebe der Hof- und Weltleute 

Am Hofe fallet ieder so gut er kann mit Drukkugeln, die Belidor 
aussann, seinen Nachsten und dessen Verwandte an; die Krieger 
sind iiber der Erde, der Krieg ist unter der Erde und der Mineur 

[o der einen Parthei grabet oft dem Mineur der andern entgegen, 
und beide holen hart nebeneinander, - aber das ist auch das ein- 
zige was man gegen den Hof aufbringen kann. 

Denn eben da ists, wo man iiber den groBen Werth der Un- 
wahrheit so wie iiber zwanzig andere Punkte der Moral mehr am 
allergesundesten denkt; es ist dasselbst kein bohmisches Dorf 
und keine auffallende Wahrheit mehr, daB der Mensch die 
Wahrheit eben so wenig und eben so schwer redert als finden 
konne und fur die freiwillige Verbreitung oder Erschaffung eines 
Irrthums eben so viel Toleranz verdiene als fur die Annahme des- 

20 selben. Wahrhaftig sich selber heftet ieder ohne Bedenken iede 
Woche eine Luge auf , bald eine metaphysische, bald eine theolo- 
gische, bald eine pharmazeutische bald eine anticke: warum soil 
ich nicht mit dem grosten Vergniigen auch meinem armen 
Nachsten, der doch wenigstens mein halbes Ich ist, verschiedene 
Liigen beibringen? In der That, wenn ich ihm bios von Zeit zu 
Zeit etwas weismache: so ists vielleicht nicht zuviel und der 
Teufel thate mehr. Wenn das Beispiel ganzer Volker, die ohne 
Pabst in Blutschande gelebt, endlich den Irrthum aus alten Hirn- 
schalen zu iaten vermochte, daB der Mensch einen naturlichen 

30 Abscheu vor ihr trage: so sollte doch ein sachkundiger Mann ein- 
mal er war ten, daB auch das Beispiel der Hofe machtig genug 
sein werde, um den alten Wahn wegzuloschen, als ob der 
Mensch wirklich eine Art Antipathie gegen die Liige hatte. Denn 
dort weis man von iener wahren Af fenliebe gegen die Wahrheit 



362 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

am allerwenigsten, und was gewisse Manichaer des 13, Jahr- 
hunderts (nach FueBlin) in ihren Antiphonien in der Kirche san- 
gen: »es ist gelogen was man sieht, es ist gelogen was man singt, 
es ist gelogen was man sagt« wiird' ich, wennich am Hofe lebte, 
nachsingen. 

Allein nichts ist leichter als daB das menschliche Geschlecht 
sich in den Ursachen dieses Phanomens vollig irret und Minia- 
turschwingungen in seinem Kopfe erregt, die gar nicht hergeho- 
ren. Denn man konnte denken, der meiste Dank dafur falle dem 
Plato anheim, der in seiner Republik dem Regenten die gialtige ic 
Erlaubnis der Luge ertheilt, diese Erlaubnis, konnte man weiter 
fortdenken, schranke sich wol nicht bios auf die, die den Regen- 
ten bei andern Regenten reprasentiren, namlich auf Gesande ein, 
sondern reiche sicher auf die ganze buntgeflekte Nachbarschaft 
seines Throns. Es ist aber vollig falsch und die Sache ist vielmehr 
bios so: die franzosischen Philosophen nahmen Sprachrohre, 
Herolde und die Staatssprache, und schrien damit in Europa 
herum, nun miiBe und solle ieder seines Orts beherzigen, daB 
es ietztnach einer ganzen abgelaufenenEwigkeit a parte ante Zeit 
genug sei, endlich gewisse Satze zu priifen und sie nicht iedem 2c 
oder sich selber aufs Wort zu glauben, nur z. B. den Satz von 
der Fortdauer der Seele. Dem Hofman im gesellschaftlichen Ge- 
wiihl fiel das so gut in die Ohren wie uns alien und er dachte 
ernsthaft dariiber nach, als er durchs Puderstubgen und dessen 
Schneewolken lief; da er vollends die Biicherselbst aus Paris be- 
kam: so las er den ganzen Rucken derselben mit Verstand durch 
und wustenun, woran er ware und dachte an seine Pflicht. Zum 
wenigsten must' ers, wenn nicht fur eine Pflicht, doch fur eine 
Mode halten, die wichtigern Wahrheiten, auf die scharf ste Probe 
zu bringen. Da der Graf Shaftesbury den Satz friiher als die Fran- 30 
zosen drucken lassen, daB das Lacherliche der treueste Probier- 
stein des Wahren sei: so kann der Hofmann den Satz recht gut 
von ihm geborgt haben. Er kann ihn aber auch aus den Alten 
eingeschopft haben, die das Lachen zum Unterscheidungszei- 
chen des Menschen vor dem Thier aufstellten; denn eben weil 
das Vieh keine Wahrheit priifen und belachen kann, so ists auch 



, TEUFELSPAPIERE • 2. ZUSAMMENKUNFT 'X 363 

ausser Stand eine zu erkennen - endlich kann er vielleicht 
durchs Hofbeispiel oder auch von selbst darauf gef alien sein. 
Zum Gliick ist doch soviel gewis, er machte von dieser Feuer- 
probe der Wahrheit den besten Gebrauch, einen viel bessern als 
Dutzende von Streittheologen und Rechtsfreunden, die durch 
Belachung nur die Satze ihrer Gegner, nicht ihre eigne probie- 
ren, oder als die gewohnlichen Satiriker, die durch sie nur 
nichtswurdige Satze (z. B. wie viel der Luftfahrer Blanchard 
oder die weiblichen Stahldiademe in Paris werth sind) untersu- 
chen; denn er hielt mit dem ganzen Ernste, den eine Priifung der 
grosten Materien auferlegt, viel wichtigere Satze (vom Dasein 
einer Gottheit, der Tugend etc.) an den besagten Probierstein des 
Lacherlichen und gab Acht, ob sie spashaft waren oder nicht. 3 

Er that das alles noch dazu nicht im Schlafrock, sondern im 
Gallakleid und an Kourtagen, wenn er gerade mit andern aus der 
Sache sprach, weil er in der Einsamkeit nichts Wichtiges, und 
ohne Reden gar nicht denken konnte. Es lasset sich leicht denken, 
daB eine so weitgetriebene Unpartheilichkeit der Priifung ihm 
das Resultat nicht lang verheimlichen konnte, wie wenig an al- 
ien menschlichen Behauptungen im Grunde sei, und wie so gar 
leicht sich ieder Satz und sein Gegentheil lacherlich und wankend 
machenlasse. Die einzige Wahrheit, die ihm diese satirische Un- 
tersuchung nicht ausrupfte, war die, daB der Mensch sicher zu 
etwas besserem auf der Erde stehe als dazu, die Wahrheit zu su- 
chen, die in einem tiefen Brunnen modert und klebt, und viel- 
mehr dazu, sein Gliick zu suchen, das auf oder an dem Throne 
nistet. Indessen lies ihm diese strenge Visitation des Reichs der 
Meinungen einen gewissen skeptischen Indifferentismus zu- 
riick, der fur einen Menschen und Hofmann von so groBen Nut- 

a TJeberhaupt ist vielleicht der Hof eben wegen seines Spottgenies der 
erste und angenehmste Priifungsort der Wahrheit. Bios da wachset ne- 
ben der giftigsten Persiflage die wolriechenste Schmeichelei, wie etwan 
in Italien Gef asse voll glatten Skorpionenohl in den geheimen Gemachern 
hangen, weil da die meisten Skorpionen lauern; wofern es anders schick- 
lichgenugist, diese Hofleute mit diesen Thieren zu vergleichen die nach 
der neuen Naturgeschichte, in Europa gar nicht giftig sind. 



364 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

zen ist und vor dem alle Satze und Beweise ohne Ansehen dersel- 
ben gleich sind, und der eben Leute von Verstand und Stand erst 
recht vermogend macht, heute iiber den Atheismus so gut zu 
spassen als morgen iiber den Theismus: kurz wie Attikus der 
Freund von Leuten war, die einander selbst anfeindeten, so weis 
besagter Hofmann sich in Freundschaft mit Satzen zu erhalten, 
die sich selber mit einander nicht vertragen. 

Wenn mein unbedeutender Scharfsinn Neid nachlies, weil er 
die bisherige lange Schluskette zu Schmieden und zu lothen wu- 
ste: so weis ich nicht, was erfolgen wird, wenn ich gar in selbige ic 
diesen Hauptring einhenke: Schon die griechischen Skeptiker 
sprachen und handelten doch im gemeinen Leben so als hatten 
sie nicht Recht; sie zogen z. B. die Gefahrlichkeit und das ganze 
Dasein des herspringenden tollen Hundes aus recht guten Grun- 
den in Zweifel, so wie die guten Grande und die Zweifel selbst: 
allein sie stellten sich doch als war' es, ihres Wissens, nicht so und 
schlichen dem Hund wirklich aus dem Wege. Es ist das eine 
Klugheitsregel, deren Beobachtung auch einem neuern Skepti- 
ker ansteht, wenn er nicht will toll werden. Deswegen spricht 
und handelt auch der skeptische Hofmann wirklich nicht so wie 20 
er denkt, sondern wie andere denken, wenigstens reden; er muB 
sich daher als den Pros ely ten einer ieden Meinung stellen, deren 
Eigner fur ihn ein Strebepfeiler, oder eine Staff el oder ein FuBge- 
stell werden kann; und das ist auch recht. Denn wahrhaf tig wenn 
die Seele keinen grossern Schmuck umlegen kann als Wahrheit: 
so giebt der Hofmann der seinigen (so wie dem Korper) niemals 
einen andern urn, als den gerade die meisten tragen und der mo- 
dische ist der beste. Wenn er vollends Griinden, die uberhaupt 
noch keine einzige gute Satire umstossen konnten, unterlage, 
ohne - in dieser Antinomie des reinen Witzes - ihnen einen siegen- 30 
den Einfall entgegenschicken zu konnen: so ware das ausseror- 
dentlich schlecht; aber ich wiirde es niemals glauben; die Atara- 
xie des Pyrrho konnte ihni niemals fehlen. 

Ich habe meiner gedruckten Uebersetzung von Arrians Epik- 
tet einen grossern Werth durch eine Note unten gegeben, die wie 
ich merke gar nicht weit in der Welt herum ist und hieher nicht 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. ZUSAMMENKUNFT ■ XI 365 

gehort. Sieheisset: »WennmandemZizero glauben wollte, ders 
fur schwieriger ausgiebt, das Gliick als das Ungliick ohne 
Uebermaas der Empfindung auf den Schultern zu haben: so 
sollte man nicht hoffen so viele Hofleute aufzutreiben als man 
wirklich ausfindet, die ihrer Freude iiber das groste Gliick philo- 
sophisch zu gebieten wissen, das einem andern zuwuchs und die 
sich beinahe nur desto gelassener, kalter und trauriger erhalten, 
ie grosser es gewesen. Eben so wird nur von wenigen Hofleuten 
das Misvergniigen iiber betrachtliche Unfalle iiberspannt, die 
andern zustossen. Es ist besser, sagen sie mit Antonin, daB wir 
dieses Ungliick (des andern) standhaft als gar nicht leiden. - Ich 
glaube mit Epiktet gern, daB ein Weiser an seinen Widerwartig- 
keiten, wenn er sie zum voraus wiiste, selber mit entwerfen und 
schneiden helfe: Denn im Grunde geht man in der guten Mei- 
nung von den Hofleuten nicht zu weit, wenn man sich von ihnen 
etwas ahnliches verspricht und wirklich glaubt, daB sie nichts als 
die zuverlassige Weissagung irgend eines groBen Unfalls oder 
Sturzes - er betreffe ihre Feinde oder ihre Freunde - begehren, 
um den Augenblick durch That zu zeigen, mit welchem Vergnii- 
gen sie den fremden Sturz mehr beschleunigen als erschweren. « 

Es giebt iiberhaupt da gute Seelen, die keinen Menschen fallen 
sondern bios ieden, den sein Sturz vor ihnen vorbeifuhrt, durch 
einen neuen Stos friiher dem Boden zuschnellen, gleich Piirsch- 
hunden, die nur angeschossenem Wilde nachsetzen. 

Da bei Deutschen zu Luthers Zeiten und den Hofleuten Witz 
Verstand heisset: 

So schreit' ich meiner Ehre wegen schon zum 



XI. 

Witzigen Anhange 

30 Da die Geschichte so billig war, bey den Spartern, die die Furcht 
mit Opfern, Tempeln und Anbetung beschenkten, gleich wol 
anzumerken, daB sie selber dennoch keine hatten: so sollten wir 
auch darauf rechnen und vertrauen, daB eben so gut auch unsere 



366 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

Geschichtschreiber, wenn sie erzahlet, daB die Hofe die Religion 
mit Hofkirchen und Hofpredigern verehret haben, auf der an- 
dern Seite den Urns t and der so viel entschuldigt niederzuschrei- 
ben die Billigkeit besitzen werden, daB besagte Hofe doch die 
Religion selbst nicht gehabt haben. 

Wir empfinden den Abscheu vor unsern Fehlern nicht eher als 
bis wir sie abgeleget; so wie uns vor unsern korperlichen Unrei- 
nigkeiten, vor unserem Speichel etc. nur eckelt, wenn wir uns 
ihrer entledigt haben. 

Nur die flachsten Menschen sind gleiche Freunde eines ieden, 
den sie sehen; gleich dem Arsenik vereinen sie sich mit alien Me- 10 
fallen und scheinen wie gewisse Gemalde, ieden aufmerksam 
anzuschauen, der sie besieht. 

Wenn der groBe Rousseau gern einen Wiesenhobel a gehabt 
hatte, um ihn hoff ' ich iiber die ganze Erde zu Ziehen und damit 
die Erhebungen, die iezt selbige so ungleich und hockerig machen 
und die von Eroberern zu ihren Sitzen und Thronen aufgewor- 
fen worden, so gut als moglich darnieder zu arbeiten: so verdient 
er dafiir nicht die Eicheln, die er den Menschen anpries, sondern 
die bloBen - Blatter derselben. 

Madame des Houlieres behauptet in ihren Idyllen, ein Schops sei 2 o 
viel gliicklicher daran als ein Mensch. Indessen find' ich, daB ei- 
ner, der beides zusammen ist, fast noch gliicklicher ist. 

Es ist nicht zu laugnen, der Engel Michael spielte mit dem Satan 
Whist um Seelen und muste ihm, da er nichts bei sich hatte, fast 
an die 100000 Hofleute als Spielmarken geben, allein man be- 
merke, er hat seine Spiels chuld langst bezahlt und ich lobe den 
Michael darum. 

Man lebt oft wie die eilf Apostel und stirbt wie der Zwolfte. 

Die Metalle genieBen zwei Sakramente; die edlen werden von 
den Juden beschnitten, und die unedlen (z. B. Glocken) von den 30 
Christen getauft. 

a Womit man die Maulwurfshaufen auf den Wiesen wegebnet. 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. 2USAMMENKUNFT • XII 367 

XII. 
Launigter Anhang 

I. 
Der Schweinskopf als Buswecker 

Die Monche nahmen sonst, wie Goropius Bekanus berichtet, ei- 
nen unbedeutenden Schweinskopf und hielten ihn dem Sterben- 
den vor die Augen, urn ihn wirklich zu riihren und zu erinnern, 
er ware die Wahrheit zu sagen, in der Lebensart und Moral ein 
ausgemachtes epikuraisches Schwein gewesen. Mir traumte, ich 
ware in Baiern neben einem fetten Monche gestanden, der bei 
einem Sterbenden-zumal da dessen Augen schon brachen - den 
wahren Schweinskopf, der aus mir unbekannten Griinden gar 
nicht zu haben war, durch seinen eignen zu ersetzen hofte. Er 
wies daher mit beiden Handen an seinen Kopf und redete dem 
Sterbenden aufs Beweglichste so zu und an »du fatales Siinden- 
kind! duhast dich, wie das Schwein, von dem ich bios den Kopf 
mitgebracht und hier zu deinem Nutzen auf den Schultern sitzen 
habe, in manchem Schlam gewalzet. Beschaue diesen schlechten 
Kopf und halte ihn fur einen reinen Buswecker: du warest so 
wenig wie dieses Schwein keusch und gut, du frassest und soffest 
(furcht' ich) wie das und grunztest den ganzen Tag sehr. Ich 
werde dir am iiingsten Tage vorwerf en, daB ich deinetwegen ein 
unschuldiges Schwein stechen lassen und daB dich doch der 
Kopf desselben nicht nach Wunsche gebessert. Bekehr' dich 
doch in deiner letzten Minute ein wenig geschwind: denn du 
stirbst den Augenblick und bist ia schon, wie ich langst gemerkt, 
vollig ohne Sinnen und Verstand, ohne den ich noch 
bin. « 

II. 
Nutzen der Elektrizitat fur das Christenthum 

Ich merkt' es oft nicht im Vertrauen an, sondern vor vielen Per- 
sonen: ich wiinschte, es gereiche der unsichtbaren Kirche nicht 
zum Schaden, daB man iezt die starksten Gewitter entkraftet, al- 
lein die Welt werd es sicher noch bedauern, daB Franklin und 



368 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

seine Gewitterableiter nicht zu Hause namlich in Amerika ge- 
blieben. Denn vor der Auspflanzung der Gewitterableiter konn- 
ten wir alle noch hoffen, vor einem Gewitter zu erschrecken und 
unshernach in einer oder mehr Minuten ein wenig zu bekehren: 
der Regen war dabei so gut als Weihwasser aber wolfeiles und 
der Donner brachte iedem den Berg Sinai in den Kopf , der aber 
wie ieder Berg ietzt immer kleiner werden muB: eine Art von 
schneller Bekehrung im Ganzen, wobei man Missionarien und 
Schiffe und Propaganda's am ersten erspart. Ich muB indessen : 
am besten wissen, was ich will, wenn ich glaube, noch Ret- 
tungsmittel dagegen in Bereitschaft zu halten. 

Mein hauptsachlichster Trost ist namlich, daB ein belesener 
Mann mit der elektrischen Materie Heilige so wol als Huhner 
auszubriiten weis; undbeide fallen vielleicht schwarz 2 aus. Denn . 
in unsern Tagen kann ein Experimentalphysiker gut ein Don- 
nerwetter machen, wie sonst die Hexen und der Teufel, hatt' ich 
nun einen oder ein Paar schlechte Hofleute zu bekehren, so 
wurd' ich in der Hofkirche an der Decke ein kunstliches Don- 
nerwetter anrichten . Zum Exordium wiirden vorlaufige Funken 2 
geschlagen werden, die 3, 4 Zolle lang waren, um einen gewis- 
sen Schrecken in der Hofkirche auszubreiten, ohne den nicht s zu 
thun ware. In den Theilen aber wurd' ich hef tiger werden und 
mit dem Hammer des Gesetzes stark auf die Kanzel schlagen; 
und in der Nutzanwendung wnrd' ich gar mit meinem Donner 
des Gesetzes, mit dem Gewitter einen und den andern Hofmann 
zum SpaBe wirklich erschlagen b . Ich hoffe, aus denen, die ich 
nicht erschliige, wiirden dann eine Art von Christen wer- 
den; viele wiirden nicht ohne Vergniigen iiber die wich- 



a Die durch die Elecktrizitat ausgebriiteten Huhner haben, wie 
Achard behauptet, ein schwarzes Gef ieder. Dieses bewiese den Vorzug 
der elecktrischen Warme vor der miitterlichen. 

Gegen das Ende der elektrischen Predigt muste man mit einer ge- 
tauften Glocke lauten; erstlich ihr Schall wiirde wie gewohnlich das Ge- 
witter zer theilen und zweitens wurd' es das bekannte Zeichen sein, daB 
die Predigt aus sei. 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. ZUSAMMENKUNFT - XII 369 

tigsten Artickeln einige Gewisheit und einiges (elecktrische) 
Licht bekommen und ich stehe eben nicht dafur, ob nicbt man- 
cher dachte, es gabe gar einen Gott; ein paar wurderi zu weit 
dringen und ausser dem Hof e noch eine andere Holle annehmen, 
und denkende Hof damen wiirden noch von einem andern Him- 
mel reden als von dem, den sie selber geben konnen; und ich 
hoffe im Ganzen, diesmal solke der Teufel so aufgebracht aus der 
Hofkirche fahren als ers noch niemals war. Und wenn ich vor 
einigen Jahren das Fenster eines Hotels damit verdarb und darauf 
to einkratzte, ich wiirde, wenn ich ein Geistlicher ware, die siindi- 
gende Materie durch die elecktrische mehr als zu gut zu bekampf en 
wissen: was hatt' ich dabei im Kopfe? Bios diesen zweiten lau- 
nigten Absatz. 

III. 

Wie sich Herr von Grossing erinnert, daB er ein Mensch ist und sterben 
muB 

Das ist eben der Punkt, worin er besser daran ist als ein und der 
andere Konig. Ich kenne Potentaten von Horensagen und sonst, 
die gewohnlich etwas daran wenden musten, wenn sie wissen 
wollten, ob sie Menschen waren und stiirben: sie stellten sich den 

20 ganzen Tag vor, ihr Leben ware ein achtes ewiges Vieh und sie 
selbst ausgemachte Honoraziores der Natur. »Mit wahrem Ver- 
gniigen, sagte iener alte Konig, will ich einem Jungen etwas ge- 
ben, wenn er mir nur alle Morgen sagen will, daB ich gar nicht 
ewig lebe. « In Babylon hatte man statt dieses Jungens vier Vogel 
zuBuBpredigern; sie hiengen von der Decke herab und konnten 
im Konige Passions- und Todesbetrachtungen erwecken, wenn 
nicht Alexander ab Alexandro im funften Kapitel seines dritten 
Buchs unchristlich Kiget. Was den Pabst anlangt, so ist der auf 
keine andere Art von seiner ganz bekannten Gebrechlichkeit zu 

30 iiberfuhren als daB man bei seiner Kronung etwas Stroh, das 
man niitzlicher verbrauchen konnte, vor seinen Augen verbrent: 
und doch wiird' ihn das noch nicht hinlanglich riihren, ver- 
kniipf te man nicht damit einen alten Nachtstuhl und schaf te ihn 



370 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

mit seinen drei Kronen darauf: beim Pabst thut das soviel als 
hatt' er Gozens Todesbetrachtungen in Handen, wiewol kunf- 
tighin der 'rdmische Stuhl selber einen Menschen besser an die 
Hinfalligkeit erinnern kann, als der verachtetste Nachtstuhl, auf 
den ohnehin der Dalai Lama, ie langer er darauf bleibt, nur 
destomehr sich iiberredet, er sei etwas GroBes und eine moluk- 
kische Gewiirzinsel im Kleinen. Denkt ein verniinftiger Autor 
sich diese beiden Manner und Pabste neben einander auf ihren 
zwei alten Nachtstiihlen gelassen sitzend: so wiinscht er (der 
Erinnerung der Sterblichkeit wegen) nichts mehr als daB der ta- 
tarische keine Oefnung hatte und der romische eine starke. - 
Griechen und Aegypter thaten sich nach Todengerippen von 
Silber und nach Mumien urn, damit sie ihres Todes eingedenk 
verblieben: aber es fragt sich, obs Damen und GroBe noch brau- 
chen? Denn zu was, wenns nicht dazu ware, um iiber den Werth 
ihres Geistes und Anzugs nicht ihre Sterblicheit ganz zu verges- 
sen, hielten sie mit besondern Kosten ein ganz gutes Todenge- 
rippe in Essen und Trinken frei, das sie noch dazu liberal und be- 
sonders an die Platze der Freude mit hinnehmen konnen, und das 
ia der Leser unter dem Namen ihres Korpers recht gut kennen 
muB? 

Herr von Grossing hat nun weder Jungen noch Vogel noch 
Nachtstuhle noch einen zaundiirren Korper zur Besinnung auf 
seine Sterblichkeit vonnothen; eben so wenig schiittelt er ein 
purpurnes Sackgen voll Erde - er weiB kaum, daB die konstanti- 
nopolitanischen Kaiser sich damit erinnerten - und denkt das 
seinige dabei, ia er hat nicht einmal die stillestehende Uhr der 
Konige von Frankreich: sondern er hat offenbar seine verschie- 
denen. nun gedruckten Werke. Diese schauet er vernianf tig und 
lange an, und ruft dann, (das Damenjournal und die Flora liegen 
vollstandig vor ihm) wie man glaubt so aus: »bin ich wol unver- . 
ganglicher wie diese meine Kinder, die ia taglich sterben? Denn 
ich will auch setzen, man liesse sie einbinden, so ware der Ein- 
band doch nur ihr Sterbehemd und die besten Buch- und Kauf- 
laden sind ihre ansehnliche Weltminsterabtei; und das thut der 
verniinftigen Hochachtung keinen Abbruch, die die bessern Da- 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. ZUSAMMENKUNFT ■ XIII 371 

men fiir mich hegen. Es ist merkwiirdig, daB mir taglich abge- 
schnittene Blatter meiner Werke in die gebarenden Hande kom- 
men. Wenns nicht achte Fraispfander der Ermordung meiner 
vielen Werke sind: so thu' ich sowol der Welt als mir selbst zu- 
viel. Besonders getrau' ich mir deutlich zu beweisen, daB ich gar 
kein Engel bin, wenn man die neun Hierarchien meint. Denn 
war' ich einer: so frag' ich, wie konnten dann meine Schriften 
so abgeschmakt sein? oder so eitel? oder so lacherlich trozig? 
oder so kenntnisleer? oder so ragephilosophisch? oder so kin- 
disch lehrend? Wahrhaftig Engel sind im Grunde hohere Geister, 
die wenn mans genau nimmt, mehr wissen als mancher Profes- 
sor in Halle, und sie halten nicht einmal ein solches Selbstge- 
sprach.« Ich gesteh' es, ein Frauenzimmer, wiirde den H. von 
Grossing und den vinaigre de virginite hoher schatzen. 



XIIL 

Emsthafter Anhang, 

In den ich gegen das Ende einen poetischen gemischt habe 

Am Ende sind alle Aehnlichkeiten, die der Witz zwischen Vor- 
20 stellungen aufdeckt, eben so wahr als die, die der Scharfsinn un- 
ter ihnen auskundschaftet. Denn der Witz unterscheidet sich 
vom Scharfsinn nicht durch den kleinern Grad der entdeckten 
Aehnlichkeiten - weil Aehnlichkeit als solche, bios Gleichheit 
von wenigern Theilen und mithin ohne Grade ist - sondern, 
durch die kleinere Zahl derselben, die sich meistens noch auf Ge- 
stalt, Farbe etc. beziehen. Daher gewahrt oft beim ersten An- 
blick eine scharfsinnige Erfindung das Vergniigen einer witzi- , 
gen, weil man an ihr noch nicht alle die Aehnlichkeiten ansichtig 
geworden, die sie zu einer scharfsinnigen erheben. Daher sehen 
30 vielleicht hohere Wesen das buntfarbige Band womit der Witz 
spielend unahnliche Dinge zusammennaht, mit beiden Enden 
um die halbe Schopfung laufen und sich schlingen; daher mag 
ihnen oft unser Scharfsinn, Witz und unser Witz, Scharfsinn 
duncken. 



372 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

Ich und ein gewisser Stoiker wir fiihren fast einen siebenjahrigen 
Krieg iiber die Frage: ob die Tugend von Vorstellungen oder ob 
sie von Trieben abhange? Ich weis, dieses Gedrukte flammt den 
Krieg nur noch mehr an: denn zwei Disputanten vereinen sich 
selten, nicht weil der eine die Griinde des andern nicht besiegen 
kan, sondern weil sich seine Meinung auf etwas mehr als diese 
besiegten Griinde stiitzt, da sie mit seinen iibrigen Ideen und sei- 
nem ganzen Wesen verwachsen und zusammen gewurzelt ist. 
Eine solche seltene Auswurzelung ackert den halben Kopf 
urn. 

Der Stoiker behauptete namlich: bios von der Vernunft hange 
die Tugend ab. Um iemand zu bessern, brauche man ihn nur 
aufzuhellen. Um ihn vom Zorn abzufiihren, brauche man ihm 
seinen Feind nur an Epiktets Lampe zu zeigen: denn sobald er 
begreiffe, der Feind verdiene keinen HaB , so heg' er auch keinen. 
Der Mensch miisse das Gute, das Nutzliche begehren; nur muste 
es ihm erst als solches erscheinen. Die Leidenschaft erobere un- 
sere Seele bios durch das Werfen der Dampfkugeln , mit denen sie 
alle Begriffe umnebele und einhiille. 

Ich behaupte nicht das Gegentheil, sondern nur etwas anders. 
Etwas sich vorstellen heisset darum nicht es wollen. Freilich ist's 
einerlei, wenn wir uns dieses etwas als gut, oder als das Bessere 
vorstellen: aber dann hat sich eben in die Vorstellung das Begeh- 
ren schon gemischt, und die subiektive Gute einer Sache konnen 
wir doch nie von unserer leeren Vorstellung, sondern von dem 
VerhaltniB in dem diese Vorstellung mit unseren Neigungen etc. 
steht, also von diesen erfahren. Die Wirksamkeit einer Idee mis- 
set sich also nicht bios nach der Deutlichkeit derselben, sondern 
auch nach der Starcke oder Schwache der Triebe, deren Gegen- 
stand sie ist. Ware das Willenssystem bei alien Menschen das 
namliche gute: dann konnte man ihre Besserung und ihre Auf- 
hellung fur einerlei ansehen und umgekehrt. Es ist der Lehns- 
fehler der heutigen Philosophie gegen die Menschheit, daB sie 
alles was schon im Menschen war, erst von aussen hineinerkla- 
ren will, - bios weil sie nicht begreift, wie es schon darin sitzt. 

So giebt sie Genie, Tugend, Neigungen fur Fabrikwaren und 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. ZUSAMMENKUNFT * XIII 373 

Emanazionen des Zufalls, der aussern Lage, der Erziehung etc. 
aus und vermengt Anlas mit Ursache. Das Schellengeklingel der 
Maulesel reisset oft auf den Schweitzergebirgen einige Schnee- 
flockenlos, die im Herunterrollen sich einen erdriickenden Berg 
von Schnee anballen: aber machen denn die Schellen die Lavine 
und setzen sie sie nicht vielmehr voraus? Viele bringen die Skla- 
venstirne schon auf die Welt und - wie das Kameel - die Brust- 
schwiele, auf der sie niederliegend ihre Beladung erwarten: an- 
dere hingegen saugen den ersten Athem an eine groBe weite 
Brust, in der kein angstliches lungensiichtiges Harren auf Be- 
fehle sondern Dursten nach Freiheitslust pocht. Keine Kunst er- 
zieht die RouBeau's, die Sidnei's; und keine verzieht sie. Eben 
so giebt es gewissermassen auch ein Genie zur Tugend; vom 
Himmel fallen sie herab, nicht aus Nilschlam keimen sie herauf, 
iene Menschen, die ohne den gewohnlichen Hunger nach dem 
irdischen Koder, ohne Hablust, ohne Eitelkeit, ohne gebieteri- 
sche Leidenschaft fur irgend etwas, mit vielleicht iibermachtiger 
Phantasie in der Welt weniger das Vergniigen suchen als ver- 
breiten, und die Erde nicht als Stof der Freude, sondern als Stof 
der Tugend achten und unter der gef rornen Verpuppung Fliigel 
fur einen fremden Friihling nahren. Ich besorge nichts von dem 
Fallen solcher Menschen: sie kriechen nicht lange auf dem 
schmuzigen, schwarzen und mit Blumen iiberwebten Boden 
neben den Insekten fort, sondern heben bald die edle Brust und 
das grosse Auge wieder in den Aether iiber ihnen. Eben solche 
Menschen schreiben den bessernden Eindruck, den deutliche 
Vorstellungen auf ihren Willen machen, bios den Vorstellungen, 
die doch an andern Kopfen ohne Eindruck abprallen, und nicht 
ihren Neigungen zu. Die, die nach Maximen zu handeln denken, 
haben schon ohne Maximen eben so gehandelt und eben aus der 
oft bemerkten Handlungsweise sich selbige abgezogen. Die 
Empfindungen und Neigungen erhellen und verfinstern unsern 
Ver stand und sind mehr seine Lehrer als seine Schiiler. Nicht 
durch die Verdunklung der Begriffe (- d. h. durch zu grelle 
und prismatische aber parziale ,Beleuchtung derselben -,) die 
sich eben so gut zu den grdsten Thaten gesellet, werden wir 



374 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

zu schlimmen hingetrieben, sondern durch die leidenschaftliche 
Kraft, die eben einer Vorstellung ienen verdunkelnden blenden- 
den Glanz ertheilen konnte; und hier hilft also nicht sowol 
Schwachung des iibermassigen Lichts als iener iibermassigen 
Kraft. Der Mensch mus sich selbst erziehen, wie er sein Kind er- 
zieht - nicht durch vieles Vormoralisiren, sondern durch frem- 
des Beispiel, durch gewahlte gute Lagen, durch Angewohnung. 
Wie wir nicht schlimm geworden sind durch Worte, durch An- 
mahnungen zum Laster und durch Fehltritte des Verstandes: so 
wird man auch schwerlich auf diese Art, oder durch schneHere i 
Schritte wieder gut. Wer hingegen von der Schnelle, mit der sein 
Verstand sich iezt iiber die Tugend aufklart, eine ahnliche daraus 
folgende Schnelle erwartet, mit der er sie dann liben werde; wer 
also an den noch ungebandigten Wiederstand der bosen Triebe 
nicht denkt: dem entsinkt alsdann beim wiederholten Siege, 
den die ungebesserten Triebe iiber den gebesserten Verstand 
erringen, der Muth zur Besserung und zum langwierigen 
Kampfe. 

Ich hatte noch anmerken sollen, daB es uns oft mitten in der 
Leidenschaft nicht an deutlichen Begriffen fehle, die gegen sie a 
ankampfen: allein sie sind vollig gelahmt und ohne Kraft, d. i. 
der gegen iene ringende Trieb ist ohne Kraft. 

Man sollte mit Personen von zarter und warmer Empfindung 
nur in denMinuten umgehen, worin man selber zarter und war- 
mer empfindet als sonst, so wie man die zerbrechlichen Kana- 
rienvogel nur mit warmen Handen anzufassen wagt. 

Die philosophischen Trostgriinde vermindern nicht sowol un- 
sere Leiden als sie unsere Freuden vermehren, indem sie uns im 
Gliick die Hofnung seiner Dauer und sorgenfreien GenuB ge- 
wahren und die Furcht des Uebels durch das Versprechen seiner 3c 
leichten Erduldung abweisen. 

Der Stoizismus im eigentlichen Sinne, der den ganzen Menschen 
starkt undhebt, macht selbstsuchtig und giebt dem moralischen 
Unkrautneue feste Wurzeln, wenn es nicht schon.vorher weg- 



TEUFELSPAPIERE " 2. ZUSAMMENKUNFT ■ XIII 375 

geschaft worden. So werden auch vom Arzt vor dem Gebrauche 
starkender Mittel allezeit abfiihrende verordnet. 

1st der Mensch nicht frei: so ist die Moral keine Richtschnur fur 
ihn, sondern bios fur das Wesen, das ihn mit seinem Geh- und 
Schlagwerk zusammensezte; so wie nicht die neuen Rechenma- 
schinen dem Rechenbuche gehorchen, sondern die Herren Hahn 
und Miiller, ihre Baumeister. 

Die meisten Griinde gegen den HaB z. B. der Grund von der Ge- 
brechlichkeit der menschlichen Natur, der Grund daB der Bose- 

o wicht als Seelenkriipel Mitleid verdiene, oder der daB wir uns 
nur an die S telle des andern setzen sollen, oder der von den vielen 
Versuchungen zur Beleidigung - diese Griinde sind wahr, wenn 
sie den Has mindern und ziigeln sollen, und sind unrichtig und 
schadlich, wenn sie ihn auswurzeln sollen. Sie sind schadlich, 
weil man schlechterdings einmal fiihlt, daB alle Griinde, die mo- 
ralische Haslichkeit in bloBe psychologische oder physiologi- 
sche veredeln, umgekehrt auch alle moralische Liebenswiirdig- 
keit in psychologische oder physiologische verwandeln, und daB 
mit dem Hasse gegen iene die Liebe gegen diese wegfalle. Z. B. 

20 verdient der Bosewicht als Seelenkriipel und Unglucklicher bios 
Mitleid: so verdient der Tugendhafte als Gliicklicher bios Mit- 
f reude und weiter nichts; setz ich mich an die Stelle des Beleidi- 
gers und mindere dadurch seine Schuld: so setz' ich mich auch 
an die Stelle des Freundes und mindere dadurch sein Verdienst 
und so weiter. Ich zwang mich sonst zum Glauben an ein Fatum 
bei schlimmen Handlungen, aber nicht bei guten und machte 
mir also wissentlich eine Liige weis: allein die Achseltragerei, 
selbst die bestgemeinte ist erbarmlich und erniedrigend. Die 
obigen Griinde sagen nicht sowol, man solle nicht hassen, als, 

30 man solle den und ienen nicht hassen; sie verwandeln uns den 
Gegenstand des Hasses in einen Gegenstand des Mitleidens und 
lassenuns noch immer unverwehrt, unsern HaB fur einen seiner 
wiirdigern Gegenstand aufzusparen. Oder wenn sich so ein mo- 
ralisch schlimmes Wesen als unser HaB traumt und nicht sieht, 
wirklich fande: diirften wir dann wieder keinen hegen? Wieder 



376 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

nicht: denn die Moralisten sagen, am Teufel muB man nur das 
Laster, nicht die Person hassen. Allein warum lieben wir denn 
den Tugendhaf ten selbst; und nicht seine abstrackten Vollkom- 
menheiten? Warum diirfen wir hier Subiekt und Beschaffenheit 
vermengen? Ueberhaupt wenii ich nicht das unmoralische Sub- 
iekt hassen soil: so giebts nichts mehr zu hassen; denn das physi- 
sche oder Aeusserliche oder psychologische an unmoralischen 
Handlungen ist weder hassens-, noch lieben swerth. Mann 
wend' es nur auf sich selbst an und probiere, ob man an seinem 
Ich Laster verabscheuen kann, ohne dieses Ich selbst mit zu ver- 
abscheuen und zu hassen. Das Gegentheil war' eben so viel als 
wenn ich eines Mannes Verstand in abstracto, aber nicht den 
Mann selbst bewundern wollte. IndeB soil diese Vertheidigung 
unsers so unbesieglichen Hasses gegen den Lasterhaften nichts 
mit der Vertheidigung der Rache zu thun haben, die unsere per- 
sonliche Verletzung zu einer moralischen verkehrt, noch die 
duldende Sanftmuth ausschlieBen, die ohne iibertreibendes Auf- 
brausen ieden so lang tragt und begliickt als sie nicht strafen 
muB. 

Nicht das Ungliick selbst sondern die dazwischen f allenden klei- 
nen Erquickungen und Hofnungen erweichen und entmannen 
den stan dhaf ten Muth, so wie nicht der harte Winter sondern die 
warmen Tage die ihn ablosen, die Gewachse aufreiben . . . Un- 
ser Geschrei uber ieden Stich des Schmerzes muB hohern Wesen 
im unausmeslichen Tempel der Natur so vorkommen, wie uns 
in der Kirche unter dem Nachdenken uber groBe Wahrheiten das 
Geschrei eines Kindes . . . Das Leiden das einen groBen Mann 
zertrummert, ist ein Donerschlag in einen Tempel. 

Das Schicksal gab alien oder einigen menschlichen Wesen auf ih- 
rem Wege zum Grabe eine Wolke zur Begleitung; iedes geht mit 
einer andern Wolke umhullet. Ueber und durch sie hinaus sieht 
keiner und sie lagert sich bestandig zwischen ihm und der Wahr- 
heit. Ist sie schwarz wie eine Wetterwolke: so ist er unglucklich 
und von ihr umschattet glaubt er mitten im Sonnenschein der 
Natur, es sei Nacht; ist sie erleuchtet und wie Abendroth 



TEUFELSPAPIERE ■ 2. ZUSAMMENKUNFT • XIII 377 

glimmend, so ist er gliicklich und f reuet sich, wie es in der Wolke 
so schon untereinander wallet und flimmert und sieht auf iedem 
bunten Dunstkiigelgen Erde und Himmel gemalt. Sie liegt, 
diese Wolke, iiber dem weiten Grabe der Menschen, in das sich 
wie ein Wasserfall der herabziehende Menschenstrom verstaubt 
und scheinet es zu fullen durch ihre blinkende Diinste. Bethoret 
tritt der Mensch hinein und nun zieht sich die lugende Wolke auf 
und entblosset auf einmal den f ressenden Schlund und die hellen 
weiten Gefilde der Wahrheit und Tugend, vor denen er mit ei- 
3 nem Seufzer einsinkt. 

Die Barbarei und Verfinsterung des Menschen lauf t wie der Rie- 
senschattedes Mondes bei der Sonnenfinsternis iiber die Erde und 
verhullet fliehend ein Volk urn das andere. 

Der Mensch hat die schwere Doppelrolle auf der Erde zu ma- 
chen, daB er seinen Geist erhebt indem er seine Bediirfnisse ab- 
f uttert und gleich den Gemsen am Berge auf warts klettert indem 
er frisset- oder auch die, daB er das Erdenleben in das kiinftige 
einwebt, wie der Mond indem er um diese kothige Erde lauft, 
doch auch mit die Sonne umschift. 

20 Gleich den nachgemachten Ruinen in den englischen Garten, 
scheinen manche fur diese Welt zu gute Menschen die nachge- 
machten Ruinen aus einer grossern zu sein. 

Wir irrende Menschen gleichen solchen, die in Staubwolken ge- 
hen: ieder von ihnen glaubt, hart um ihn fliege der diinste Staub 
oder gar keiner, nur um die in einiger Entfernung von ihm, sei 
er dicht und erstickend; und diese denken wieder wie er. 

Gleich einen Morgentraume wird das Leben immer heller und 
geordneter und auseinander geriickter, ie langer seine Dauer ist 
und ie naher sein Ende. 

30 Die Todten sind eingelegtes Bildwerk der Erde, die Lebendigen 

erhobenes. 

Die Menschen sind Bilder, welche die Zeit gleich einer Bilderuhr 



378 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

bei iedem Zeigerschlage aus der Nacht herausruckt und wieder 
zuriickreisset. 

Und warum soil ich in dieses mit ernsthaf ten Betrachtungen be- 
malte Trauerzimmer nicht auch diese Grabschrift auf einen 
Jiingling schreiben: »sein Herz gieng unter die Erde ohne die 
unendliche Wunde des Menschen: denn niemand, den es liebte, 
starb vor ihm?« Ach! wir werden alle viel traurigere Grabschrif- 
ten bekommen. 



DRITTE ZUSAMMENKUNFT MIT DEM EBEN SO MUDEN ALS 
BELIEBTEN LESER 



Ob die Schamhaftigkeit ohne Augenglaser vollig bestehen k'dnnte? 

Diese Frage konnte noch genauer ausgedruckt werden: denn ich 
mochte beinahe sagen, die Schamhaftigkeit beider Geschlechter 
wurde erst mit dem Augenglase erfunden. 

Junge Schonen sehen mit ihren Augen, die keine Arbeit an na- 
hen Gegenstanden abstumpfet und die das tagliche Zielen in die 
Feme nur noch mehr zuscharfet, leider weit und man erschrickt 
dariiber ofters. Je grossern Raum sie nun umschaueri konnen, 
desto mehrere argerliche Gegenstande miissen ihnen begegnen 
und nur ganz blinde Damen konnen fast gar keinen anstosigen 
Gegenstand erblicken. Sonst hatte das Alter die Erf in dung eines 
zweiten Auges, der Brille, vonnothen: allein tausendmal nothi- 
ger war iezt fur die Jugend em zweites Augenlied, ein Ding of fen- 
bar wie ein Scheu- oder Augenleder der Pferde, kurz ein Glas zu 
schleifen, das die Augen hinlanglich schwachte und ihnen das 
Weitsehen versperrte. 

Ich bin iiberfuhrt, das Augenglas der Operngucker u. s. w. 
thun beides. Ich hatte oft die Ehre, hinter Damen aufrecht zu ste- 



TEUFELSPAPIERE • 3. ZUSAMMENKUNFT • I 379 

hen wenn nicht zu sitzen, die sich mit dem weitesten Gesichte 
gepeinigt sahen: diesen riet ich dawider fleiBigen Gebrauch der 
Augenglaser an: nun sagen sie an mehr als einem Orte, sie waren 
froh mir gehorcht zu haben, und waren iezt wirklich fast halb 
blind. Was wiirde der alte Gelehrte Passeratius, der ein Lob auf 
die Blindheit niederschrieb, dazu sagen, wenn er sahe und lase, 
daB gut erzogene Damen sie urn der Schamhaftigkeit willen 
liebhaben und suchen? Er wiirde, denk' ich, ohne Umschweif 
sagen, sie irrten nicht; ia er wiirde dies mit tiichtigen Beispielen 

bef estigen und etwann so f ortfahren wollen: denn iede Dame mit 
entkrafteten Augen kann ohne den geringsten Schaden der 
Schamhaftigkeit einen Polaken oder Halorum oder Matrosen 
nakt von der Briicke, iiber die sie trippelt, ins Wasser springen 
sehen; eben so wenig kann sie den Herrn von weitem erkennen, 
der sie gleichf als nur in der Nahe erkannte; so auch ihren Gemahl 
gar nicht, wenn er ihr beim Wegfahren aus dem Schauspielhause 
aufstosset - und was unsere kurzen Gillers anlangt, so sind sie 
ihrem kurzen und daher keuschen Blick so wenig anstossig, daB 
man denken sollte, sie waren um 4 Zolle langer. Ich kenne den 

20 Passeratius von alien Seiten viel zu gut, als daB ich nur einen oder 
mehrere von meinen Lesern iiberreden mochte, er lieB' es dabei 
bewenden: er wird das Lob der Damen aufs Hochste treiben 
wollen und fragen, ob Demokritus mehr gethan? Ich glaube 
schwerlich: Demokritus iatete, um ungestohrter zu philosophi- 
ren, - wiewol es noch dazu gar nicht wahr ist - seine beide Augen 
aus und erreichte dadurch nur mit Noth die Damen, die sich vol- 
lig blind machen, um sich schamhaft zu machen. Wenn ichs im 
Vorbeigehen gestehen darf , so laufet wol dem griechischen Phi- 
losophen niemand weiter vor als der deutsche, der der Logik und 

30 Metaphysik nicht nur, um sie ungestohrter zu treiben, seine 
leiblichen Augen aufopfert, sondern auch seine geisti- 
gen. 

Mein zweiter eben so feuriger Wunsch ist, zu beweisen, daB 
das Augenglas, das, so bald mans vorhalt, seiner Absicht nach 
das beste Auge hindern soil, etwas zu sehen, dieser Absicht ent- 
spreche. Man wird lachen und mir entgegenstellen, beim 



38O JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

Operngucker miiste mein Beweis vor der Hand hinken. Ich ge- 
steh' es, durch ihn sieht man: allein ich frage auf und mit dieser 
Zeile alle Damen, ob sie den Operngucker nicht allemal eh' sie 
durch ihn schaueten, so weit oder sowenig auseinandergezogen, 
daB sie, wenn ich anders noch meine Dioptrik weis, unmoglich 
im Stande waren, etwas rechts zu ersehen und ob nicht meines 
Bediinkens ihre ganze Absicht dabei gewesen, bios unverschamt 
zu scheinen, in der That aber es nicht zu sein, wie etwan der 
groBe Aristides mehr gerecht zu sein als zu scheinen suchte? Gute 
Damen konnen mich allemal eines Bessern belehren: aber ich 
kann mirs nicht vorstellen. Eben so Ziehen sie die Augenglaser 
ungezweifelt nur deswegen aus den Futteralen, damit sie nichts 
sehen konnen und daher sind sie so konkav geschliffen; denn ich 
erbiete mich die ganze Sache vor iedem Gerichtsstand zu be- 
schworen, weil ich oft wol tausende hoflich zwischen die Finger 
genommen und durch diese tausende, so weitsichtig sonst meine 
Augen sind, doch auf keine Spanne weit vor mich voraus zu 
schauen vermdgend gewesen; wie viel weniger vollends eine 
iibermassig kurzsichtige Dame! 

Ich bitte die deutschen Moralisten, ob dieser schamhafte Ge- 
brauch des Augenglases, den ich noch besser zu erweisen 
habe, nicht den entgegengesezten gut macht, zu dem einige den 
Facher bestimten. Freilich wollten die Wienerinnen vor langer 
Zeit durch milchflorne Facher den nakten Mohren des tripolita- 
nischen Gesandten (wiewol er vom Kopf bis auf den FuB ganz 
in den spartischen Schleier der allgemeinen Zuchtigkeit einge- 
mummet war) gewissermassen ansehen; und das kleine Glas in 
den Fachern der Pariserinnen soil wie die Stabe der Deutschen 
bis auf diese Stunde nichts verdecken als das sehende Auge a . Al- 

a Wollte man sagen, der Facher ware eine Par adeschildw ache der 
Schamhaftigkeit, so sezte dieser lacherliche Ausdruck voraus, sie ware 
noch am Leben: nennte man ihn aber eine Leichenwache derselben, so 
behauptete man ia gerade das Gegentheil. Viel niizt er der Schamhaftig- 
keit noch dadurch, daB iede, wenn sie sich anstellen muB als betete sie, 
ihn dabei vorthut. Schamhaftere Mannspersonen entbehren diesen 
Vortheil ungern; wir miissen uns, wenn wir die Mine und Stellung des 



TEUFELSPAPIERE • 3. ZUSAMMENKUNFT "I 38 1 

lein' ich werde den Augenblick den bessern Gebrauch des 
Augenglases so gut als moglich, ia noch besser dar- 
thun. 

Selten geht eine ganz angenehme Dame (schlechtere handeln 
freilich anders) vor einem argerlichen Gegenstande, vor einer 
unangezogenen Statue, oder einem Badorte vorbei, ohne - ge- 
sezt auch die Gegenstande lagen so weit ab, da6 sie solche kaum 
sehen konnte - das eine Auge gar ganz zuschliessen und vor das 
andere den Wall des Augenglases aufzufuhren, urn nichts zu se- 
hen; und nach solchen Vorkehrungen, sagt iede, leide ihre 
Schamhaftigkeit dabei fast nichts. Da man sich auf dieses Glas 
vollig verlassen kann: so nehmen schwache aber gutgesinnte 
Schonen dieses durchsichtige Schild ofters vor, wenn sie gegen 
die Angriffe entfernter Herren wenig zu bestehen furchten und 
machen, so wie der Naturforscher sich das goldne Insekt durch 
ein vergrosserndes Glas sichtbar macht, sich dasselbe durch ein 
verkleinerndes unsichtbar: ist die Liebe ein Feuer, (»wovon man 
Beispiele hat«) so ist so ein Glas nichts anders als eine Brand- 
mauer. Daher verschamtere Damen in der Kirche, wo die An- 
dacht vor den haufigsten Versuchungen kaum zu Athem 
kommt, diesen Lichtschirm wol nie vom Auge bringen, und die 
Kanzel ware der Plaz, wo das Lob eines solchen Betragens hin- 
gehorte. Es war neulich durchgangig nicht mein Ernst, da ich 
die Schamhaftigkeit solcher Damen weniger geordnet und 
zweckmassig als iibertrieben fand, die wirklich im Schauspiel- 
hause, sobald ein gefahrlicher Schauspieler aus der Kulisse 
schreitet, zwischen ihre Finger, wo ran sie offenbar keine beson- 
dern Ringe zu zeigen haben, iene Schneebrille in der Absicht neh- 
men, sich dadurch gegen seine ubermannenden Reize, vielleicht 
auf Kosten der theatralischen Tauschung, gliicklich zu ver- 
panzern. Diese Schamhaftigkeit ist, ich wiederhof es deutlich 

Gebets annehmen miissen, ganz ohne Facher hinstellen und uns von Un- 
verschamten ins nakte Angesicht bei einer Handlung schauen lassen, 
iiber die wol ieder errothen mu6, wenxi er auch nur einigermassen die 
Religion verachtet. 



382 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

gar nicht iiberschraubt, sondern ganz noch in den Granzen, 
worin sie eine groBe Tugend bleibt. 

Indessen will ich nicht gerade haben, daB der groste Theil der 
Welt Abwesenheit des Augenglases fur Abwesenheit der 
Schamhaftigkeit ansehe. Hatt' ich selber zuerst dieses bedacht: 
so hatt' ich genug unrnoglich in meiner vergriffenen Stadtebe- 
schreibung von Wien die Tugend einer alten und einer iungen 
Dame bios darum in Zweifel Ziehen konnen, weil die alte auf die 
Gemalde, an denen wir vorher eine seidne Schiirze aufzogen und 
die im ganzen genommen so unzuchtig waren, daB sie iedem ge- 
fielen, mitblossen Augen, und die iunge durch die Stabe des Fa- 
chers hinblikten, ohne freilich nur an ein Augenglas zu dencken. 
Allein ich hatte annehmen sollen, ihr Gesicht ware so schwach 
daB sie damit so wenig gesehen als hatten sie das Glas selbst in 
Handen. Kunftighin hab' ich mir daher vorgenommen, bei ie- 
dem verehelichten Weibe, das anstossige Dinge nur mit unbe- 
waffnetem Auge besiehet, auf die richtige Vermuthung zu ver- 
fallen, es sei gewissermassen halb blind, besonders wenn es gar 
dem anstossigen Dinge naher zu treten versuchte. 

Es war nie meine Sache mich zu stellen, als iibersah ich den 
groBen Werth sogenannter iunger und feiner Herren und ihre 
Schamhaftigkeit ganz. Denn wie kann ichs vergessen, daB ich 
selbst mit einem iiber 30 Meilen gereiset, der die Schwachung 
seine Gesichts aus einer unschuldigen Liebe zur Schamhaftigkeit 
(man mochte ihn immer wegen seiner Tugend lacherlich ma- 
chen) durch Augenglaser so hoch brachte, daB er in wenigen 
Quatembern nur die nachsten Gegenstande und zuletzt nur den 
allernachsten, namlich sich selbst erkennen und besichtigen 
konnte: ia das nothigte (und man hatt* es ihm prophezeiet) ihn 
zulezt, in den glanzendsten Geselschaften voll der herrlichsten 
Dames und Herren seine Blicke bios auf das nahe Gebiet seines 
Ichs, auf seine GliedmaBen, seine Kleidung einzuschranken und 
sein Vergniigen ganzlich an und in sich selbst zu suchen, gerade 
als war' er ein weiser Mann. 

Er fixirt oft sein Bild im Spiegel: allein Leute, die viel zu vorei- 
lig in Urtheilen dieser Art verfuhren, wiirden es mehr seiner 



TEUFELSPAPIERE • 3. ZUSAMMENKUNFT "I 383 

Kurzsichtigkeit als einer wirklichen Begierde beimessen, einer 
ganzen Gesellschaf t unendlich nutzlich und verstandlich zu sein. 
Es ist aber nicht wahr. Es ist ihm aus Lavaters Fragmenten recht 
gut bekannt, daB dieser wenn er Kinderlehre halt, allemal das 
schwachste und einfaltigste Angesicht, das nur in der Kirche 
aufzutreiben ist, anblicke, um nach diesem Gesichte die Faslich- 
keit seines Vortrags vollig zu stimmen. Da nun der gedachte 
f eine Herr wol in ieder Gesellschaf t der kliigste ist und lauter Zu- 
horer rings um sich sieht, die er fast wie Kinder zu behandeln 
und zu belehren hat: so ists ia sicher etwas bessers als Eitelkeit, 
was seine Augen auf sein Bild im Spiegel heftet, damit er am 
schwachsten Gesicht den Maasstab vor sich sehe, nach dem er 
die minder schwachern zu behandeln habe. Es versteht ihn dann, 
sobald er diesem schwachen Gesichte namlich seinem eigenen 
faBlich geworden, iedes andere nicht schlecht. Das ist nicht Ei- 
telkeit, sondern Demuth, aber viel zu groBe. 

Man muB von der andern Seite bekennen, daB wenn ich in fei- 
nen und scharfsinnigen Gesellschaf ten den Ton angebe, mir 
mein Gesicht im Spiegel recht gut zu statten komme. 

Ich vergess' es am wenigsten, daB ich in Leipzig oft aus 
Kirchthiiren her aus kam, aus denen hernach iunge Herren zo- 
gen, die nicht nur davor zwei Reihen (ich stellte mich selbst mit 
daruhter) for mir ten, durch die wie durch einen Thierkreis die 
Schonen wie Sonnen riickten, sondern die diese Sonnen auch 
durch Glaser observirten, die nichts zeigten als die Flecken der- 
selben. 

Es ist der Miihe vielleicht werth, dafi ich den Leser versichere, 
daB ich hiermit diesen Aufsatz beschliese. 



JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 
II. 

Fabeln 



Der zu tapfere Escl 

Der Esel zog einmal wieder die Lowenhaut an: »aber sagte er, 
in Rucksicht der Ohren will ich mich wenig von einem tapfern 
Lowen unterscheiden und Menschen und Esel a sollen mich ganz 
damit verwechseln. « Auch ziindete eine Karavane Reisende (wie 
ich weitlauftiger beweisen konnte) wirklich Feuer an, um damit 
diesen Konig der Thiere wegzubringen, weil der Lowe wie 
mehrere Konige allemal vor dem Feuer davon lauft. Allein, der 
angebliche thats nicht, sondern schritt aufgeblasen mit einem 
Muthe, der dem wirklichen Lowen stets gebricht, auf die 
Flamme los. »Das ist, sagten die Reisenden, sicher wieder nur 
der Esel, der abermals die Haut des Lowen iibergeworfen; er 
kann offenbar das Feuer leiden. « Man lies ihn so nahe treten, bis 
man ihn erlaufen und das samtliche Gepack auf ihn thurmen 
konnte . . . Der Esel wurde entlarvt, weil er aus Eitelkeit oder 
Dummheit nur die Vollkommenheiten, aber nicht die Schwach- 
heiten des Lowen nachgeaffet hatte: aber die Moral daraus ist 
wider die Moral. 

Der Szepterfahigc Bar 

Als die Thiere fur den erledigten Thron des Lowen (wiewol ich 
wiinschte, sie fiihrten statt der Wahl die Erbfolge ein, die sich fur 
unverniinftige Thiere besser schickt) einen Konig suchten: so 
schlugen einige gute Kopfe den Baren dazu vor, »das ist so gut, 
sagte der Fuchs, als erschlagen wir den armen Pez mit einem 
harten Raucherstecken: denn sein gebrechlicher Kopf* sanke un- 

a Denn der Einfaltige verlasset sich darauf, daft man keine andere 
Wege habe, ihn oder andere auszuholen als seine eigne, womit er ausli- 
stet: diese nun verbauet er bios. 

Der Bar hat bekanntlich den schwachsten Kopf und die starksten 
Tatzen. 



TEUFELSPAPIERE ■ 3. ZUSAMMENKUNFT 'II 385 

ter der Krone am ersten Tage ein, er kann gar keine halten.« - 
»Kann ich auch, (sagte der aufgereizte Bar und quetschte den 
Hals des denkenden Fuchses zwischen den Tazen) keinen Szepter 
halten?« der Bar wurde Thronfolger und die Krone sas als schir- 
mender Helm auf seinem zerbrechlichen Haupte. 



Der schone Affe und schone Aesop 

Ein misgestalter Affe gukte auf den eben so misges taken Aesop, 
ins Vergniigen iiber ihre Aehnlichkeit vertieft, lange vom 
Baume herunter, bis er so ausbrach: »Ich seh' es ganz gut, daB 
deine Aussenseite vielleicht eben so schone als meine ist: allein 
es ist die Frage, ist auch deine Seele eben so schon als die meinige 
und erfiillet sie das, was ihr Korper verheisset? Denn nichts be- 
thoret so oft als Lavaters physiognomische Fragmented - »Du 
hast, versezte Aesop gerade eine Fabel gemacht, wie sie sich fiir 
deine durch den Korper vorausgesagte Seele schikt: ich aber ma- 
che vollig eben so gute Fabeln.« 



Das Schauessen 

Der Vogel Straus fiel einmal nach dem FraBe eines Schaugerichts 
von Porzellain, das eine Jagd und ihn selber vorstellte - denn er 
schlucket Kupfer, Steine eta hinab - wieder seine Erwartung in 
drei Irrthumer auf einmal. Denn er sagte, »die GroBen, die Wei- 
ber und die Geitzigen haben die besten Magen. Die GroBen 
schmausen Gerichte von Glas, Wachs und gepulvertem Alaba- 
ster ganz leicht, und schauen die weichlichen und gekochten 
Schaugerichte von Ragouts nur an. Die Weiber fressen, sie mo- 
gen immerhin an Saure und an Schwangerschaft darnieder lie- 
gen, noch unzugerichtete Kreide und Kalk. Die Geitzigen wol- 
len fast gar keine Fleischspeisen auf der Tafel sehen, sondern 
letzen sich an Gold und Silber, das in runde Scheibgen wie Obla- 
ten trenchirt ist, statt daB ich schlechtes Kupfer fressen muB . . . 



386 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

Und solche Speisen machen, indem sie dem Magen ein Vergnii- 
gen zutheilen, doch auch den Augen eines neben her.« 

Mochte diese Fabel, die gar keinen rechten Lehrsatz gewahrt, 
x doch eine sein! 



III. 

Feilbietung eines menschlichen Naturalienkabinets 

Unsere Naturalienkabinete sind mit thierischen und vegetari- 
schen Seltenheiten gestikt, aber wenig mit menschlichen; und 
schmiikten nicht noch die katholischen Kirchen sich mit einigen 
menschlichen Naturalien, z. B. wachsernenBrustenundGebar- 
muttern, holen Zahnen und naturlichen Zopfen aus: so wiirde 
der Name eines menschlichen Naturalienkabinets vielleicht nur 
meinem gebiihren. Da unser Korper etwas uns ganz fremdes 
und nicht zu uns gehorendes und bios der Lauf- und Gangelwagen 
ist, worin unsere spielende Seele auftreten lernet: so nimt mich 
die Gleichgiiltigkeit unser er Wisbegierde hieriiber gewaltig 
Wunder, da wir doch sonst fremde und aussere Dinge so gern, 
und uns so ungern studiren. 

Ich gebe denen Beifall, die von iener neidischen Undienstfer- 
tigkeit der meisten Naturalisten mich lossprechen. In der That 
such' ich nichts als mein Kabinet recht gemeinmitzig dadurch zu 
machen, dafi ich es ordentlich ieden Schalttag, den Gott werden 
lasset, aufsperre und von fruh 7 Uhr bis um 7 Uhr Abends fur 
ieden Liebhaber, vornehmen oder gemeinen, alt oder neuadeli- 
chen, v^ol- oder iibelgestalteten offen halte. Mich diinkt, ichthue 
hierin nicht sowohl etwas Ausserordentliches als bios meine 
Pflicht. Eben diese konnte mir niemals verstatten mich sonder- 
lich zu freuen, wenn mancher Beschauer sich im Kabinete lange 
verweilte und vieles recht besehen wollte: denn es ist wol ausge- 
macht, daB ein gutes Naturalienkabinet nur erst dann wahrhaft 
geniitzet wird, wenn ieder es ohne zogerndes Besichtigen 
durchspringt und die Sehenslustigen einander gleichsam in einer 
galloppirenden Prozession hindurch iagen; denn nur auf diese 



TEUFELSPAPIERE • 3. ZUSAMMENKUNFT " III 387 

und auf keine andere Art kann darin weniges von ungemein vie- 
len besehen werden. Ein denkender Inhaber eines solchen Kabi- 
nets bestellet daher, urn eben diesen lastigen Aufenthalt darin 
abzuwenden, allemal Leute zu Aufsehern dariiber, die nicht die 
geringste naturhistorische Kenntnis haben und mithin den Ab- 
schied des Neugierigen nicht durch gelehrte Fingerzeige iiber die 
vorhandene Schatze verspaten, sondern durch dumme be- 
schleunigen. Ich fur meine Person lasse das Amt eines Aufsehers, 
urn zugleich einen unentgeldlichen und ungelehrten zu haben, 
durch niemand verwesen als mich. 

Dieses VerzeichniB seiner Merkwiirdigkeiten muB man aus 
meinem Hause taglich von 9-10 Uhr gratis abholen lassen. 

Versteinerte Stiicke vom Menschen sind so rar als welche von 
einem andern Planetenbewohner: denn was die afrikanische 
Stadt Bidolo und die Menschen, Baume, Hauser und Thiere 
darin betrift, die alle nach der Erzahlung eines gewissen Happe- 
lius (siehe Lessers Lithotheologie) 1634 ganz und gar versteinert 
wo r den, desgleichen den Kardinal Richelieu der eines petrifizir- 
ten Knabens davon habhaft worden: so kommt uns, H. Lesser 
und mir, diese ganze Erzahlung so verdachtig vor, daB ich mir 
sie in einem ausfuhrlichen und deswegen ausdriicklich geschrie- 
benen Oktavbandgen fast ganz umzuwerfen getrauete, wenn ich 
nicht schon so alt ware. Es ist daher ausserordentlich viel, daB 
ich mich im Besitze eines versteinerten Herzens sehe, das der Para- 
schist aus dem Leibe eines Konigs nach seinem Tode holte. 
Gleichwol ist dieses noch das einzige, was sich im Menschen am 
leichtesten versteinert und ich nehme fast den Urin nicht aus. Ob 
es (ibrigens ubel ware, wenn ein ganzer Hof statt der theuren 
Herzen, die man bisher aus Diamanten schlif und die dennoch 
durch E/wferweichet werden konnten, das eines abgeschiedenen 
Konigs - wenns anders nicht so weich ware als eines Hoflings 
seines - in viele kleinere verarbeiten Hesse und mehr zur Zierde 
als zum Andenken iiber seinem eignen Herzen triage: dariiber 
sann ich oft wochenlang recht vergeblich nach. 

No. III. hangt die Stirn eines altenAdvokaten,dessenProzesse 
dem Ehegericht lange ihren Ruhm behalten werden. Selbige ist 



388 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

so gut wie die darneben hangende rechte Hand des Gotz von 
Berlichingen wirklich eisern undbeide zieht der Magnet. Da sich 
im menschlichen Gehirn ausser dem Blute die meisten Eisen- 
theilgen zusammentreffen und da er seines nach und nach in die 
Stirne selbst verwandelte, hinter welcher nachher nichts mehr 
lag: so ists ganz naturlich. Einen andern vollstandigen Advoka- 
ten, der seiner Abneigung vor Fristgesuchen, vor Appellazionen 
und nicht vollig billigen Prozessen so lange den Ziigel schiessen 
lassen, bis esviel zu spat war und er sich aus Hunger ertranken 
muste, bewahr' ich mit Grummet ausgestopft, bios darum auf, 
um andere damit von seiner Nachfolge zuweilen abzuschrecken. 
Allein ist ein schlimmer Advokat im Ernste eine menschgewor- 
dene und mit Fleisch und Tuch iiberzogene Kautelariurispru- 
denz, der man wenig leihen soil und die dem geneigten Leser, 
der iiberall vorsichtiger sein sollte, zuverlassig eines versetzen 
kann und will? Und warum? 

In der Schachtel auf dem alten Schranke liegen ein Mandel bra- 
minische Nasen eingeschlichtet, deren Spitzen man gleich den 
Spitzen der elektrisirten Kirchthurme so wol im Finstern als 
Hellen unbegreiflich muste leuchten sehen, wenn ich gar das bra- 
minische Augedzzu hatte aufzutreiben vermocht, durch das man 
wie durch eine Brille ienes Leuchten allein wahrnimt. Keine bes- 
sere BewandtniB hats mit dem Nabel eines alten Hesy chasten 
oder Quietisten, auf dem man wiederum reines himmlisches 
Licht herstralen sahe, wenn ich sein Auge dazu hatte. Inzwischen 
wollen wir alle ganz froh sein, daB wir nur die Nasen und den 
Nabel haben. 

Verschiedene Benedicktiner liessen bei mir sich erkundigen, 
ob ich wirklich einige Glieder von der zu einer Salzsaule erkalte- 
ten Frau des Loths besasse. Sie sehen hier, daB man sie nicht 
falsch berichtet hat. An diesen Gliedern, die ich deshalb von 
einigen Kennern belecken lassen, vermisset man den achten 
Salzgeschmack gar nicht. Wollten indessen die ehrwurdigen Pa- 
tres solche Glieder weder in ihre Pokelfleischfasser, denen sie 
doch einen besondern Wolgeschmack beilegen wiirden, noch in 
das Futter ihrer S chafe thun: so bleibt ihnen allemal der Ausweg 



TEUFELSPAPIERE ■ 3. 2USAMMENKUNFT ■ III 389 

unbenommen, sie in eine schlechte Schachtel zu legen und auf 
dem Altar als unverdachtige Reliquien tausend Christen zum 
Kiissen auszustellen. Ja wenn einer von ihnen Pabst wiirde: so 
konnt' er mit dem Geschenk derselben das Rekreditiv eines ab- 
gehenden Gesandten begleiten. 

Das Gerippe der Helena, das man neulich wider mein eignes 
Vermuthen einige Aecker weit vom Grabe des Homers ausge- 
scharret, kann von iedem so lange besessen werden bis sie selbst 
von Toden aufersteht und sich desselben wieder ganz bemach- 
tigt. Wer nur das geringste Gefuhl fur weibliche Schonheit in 
seinen Nerven hat, dem muB das Gerippe einer Person, deren 
Reize von ganzen Armeen und von Greisen selbst bestatigt wur- 
den, sehr gefallen. 

Oben auf dem Gesimse verwahr' ich in einigen Flaschen etwas 
adelkhes Blut, das ich auf Bouteillen gezogen. Ich bat oft adeliche 
Damen, biirgerlichen Kindern vermittelst der placenta uterina 
einige Theetassen voll einzuspriitzen: wenn sie's thaten, so wur- 
den die Kinder, so bald sie groBer wuchsen, zart, klein an Wa- 
den, fast antipathetisch gegen wahre Burgerliche und borgten 
nicht ungern; was ihren Verstand anlangte, so wurde der so gut 
als moglich- welches fast beweiset, daB der Fall, wo einer durch 
die Einfliessung des Lamsbluts viel dummer wurde, gerade der 
entgegengesezte ist-ia fast noch besser, so daB sie nichts leichter 
als Biicher und Kenntnisse entbehren konnten und darnach 
kaum fragten. Es ware ein wahres Gliick fiir die Welt, wenn man 
mit dem Adelsbriefe zugleich eine Flasche solches Blut, dessen 
unwahrscheinliche Wirkungen ich iezt berichtet, in der Reichs- 
hofkanzlei einkaufen konnte: denn sonst behalt der alte Adel im- 
mer einigen Schein, bei Tische und sonst vorzugeben, der neue 
lange an ihn bekanntlich nicht halb. 

Ich bin leicht zu iiberreden, daB die verschiedenen Affen- 
schwanze, die ich hie und da in meinem Kabinete zerstreuet auf- 
genagelt, es wenigstens nicht verunzieren. Da ich sie einmal an 
einigen Affen ertappete und schon lange vorher aus Linnee, 
Rousseau und Monboddo ordentlich wuste, daB die Affen so gut 
Menschen sind als die Leute, die Diogenes mit seiner Laterne an- 



390 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

traf : so hab' ich sie ihnen - ich besorge, wider ihren Willen - als 
eine unschuldige Merkwiirdigkeit abhacken und damit die Liste 
meiner menschlichen Naturalien nach Vermogen und Umstan- 
den vergrossern wollen. 

Gewohnlicher Weise bilden sich die Menschen ein, ich wiird' 
es nur rait ein paar Worten beriihren, daB meine groste Merk- 
wiirdigkeit dem Anschein nach ein grosser Regalbogen ist, auf 
dem ich vor kurzem alle meine narrischen Ideen sauber genug 
aufgeleimet habe, die ungefahr wie Unkraut aussehen. Ich hatte 
namlich etwann ein Heft an diesem Buche geschrieben, als ich, 
da ich mich einmal Nachmittags zwischen 3. und 4. Uhr nach 
meinem Verstande umsehen wollte, zu meinem Erstaunen 
wahrnahm, daB er gar nicht mehr da war. So wenig nun mein 
Buch dabei litt, das ich ohne ihn und seine Inspirazion recht gut 
aus natiirlichen Kraf ten f ortsetzen konnte - wie es denn der Leser 
aus den Bdgen, die in iener Zeit aus meinem Kopfe giengen, bis 
zur Beruhigung ersehen muB: - so rasteten doch meine Ver- 
wandten und mein Taufzeuge nicht eher (weil sie wollten, ich 
sollte ihnen und der Familie wahre Ehre machen) als bis ich mich 
auf einen sichern Stuhl hinsezte und mich gehorig trepaniren 
lies. Der Wundarzt schopfte alle narrische Ideenfibern meines 
Gehirns - d. h. die, die wie ein Perpetuum Mobile unablassig in 
Schwung verharrten und ohne aussern oder innern Anschlag 
von selbst erklangen, wie verdorbene Orgeln zu tonen anfan- 
gen, eh' man noch eine Taste gegriffen - mit ernem Loffel heraus 
und hielt sie mir darin hin. 

Nach dieser Operazion, durch die mein Gehirn wahrschein- 
lich bis zur GroBe einer Sakuhr einlief , must' ich ganz verniinftig 
denken; ich hatte daraus einen der besten Schliisse fur den Mate- 
rialismus Ziehen konnen, wenn mir der Wundarzt die wenigen 
dazu nothigen narrischen Gehirnfibern nicht mit den iibrigen 
herausgezogen hatte. Seit dieser Kur bin ich, wie ich merke, gar 
nicht im Stande (in gemischten Gesellschaften verachtet man 
mich deswegen): nur Einen unsinnigen Gedanken zu bilden, zu 
schreiben oder herauszusagen und der Trepan hat, wie es 
scheint, nur dieienigen Fibern darin stehen lassen, die wenn ich 



TEUFELSPAPIERE * 3. ZUSAMMENKUNFT • III 39 1 

sie anschlage, bios die besten Ideen geben. Leider wird man das 
nur gar zu wol alien nach der Trepanazion geschriebenen Bogen 
dieses Werkgens anmerken, auf denen ichs mit aller verschwen- 
deten Miihe im Grunde zu keinem einzigen wahren narrischen 
Gedanken brachte, sondern lauter scharfsinnige erschwang. Auf 
dem gedachten Regalbogen aber sitzet wirklich das System von 
narrischen Gehirnfibern, die mir iezt selber fehlen, ausgebreitet 
und vollstandig genug und paragraphenweise aufgepappet. Ein 
philosophischer Leser sollte sich daher (es wiirde keinen Men- 
schen befremden und ich rath' es geradesweges an) diesen wol- 
feilen Regalbogen als ein lebendiges Krauterbuch, als eine See- 
karte bei meiner Arbeit, zu diesem Buche mit kaufen (ich weis, 
er konnte den Bogen vorn mit einschiesen las sen, und ihn bei 
meiner Lesung allemal heraus schlagen) um die narrischen Fi- 
bern auf dem Bogen gegen die narrischen Ideen im Buche zu 
halten und die trif tigsten Schltisse daraus hernach doch nicht zu 
vergessen. Denn iene Fibern sind die matres lectionis zu vielen 
unpunktirten Stellen dieses Werkgens, oder die Schreibelettern, 
deren Abdruck hernach auf s Papier gelangte, die funf Notenli- 
nien, in denen meine uninteressante Feder sich auf und nieder 
bewegte, und sie waren bisher immer der lange Faden der Mate- 
rie, den ich und der Leser selten verlor. 

Ich konnte noch mehrere Naturalien nicht ohne Wiirde be- 
schreiben, wenn ich mir aus schlechten was machte, die ieder 
Narrhat. Solche iiberall anzutreffende Stiicke sind z. B. ein paar 
wolgewachsene Waden aus Schafwolle, durch die man bios ein 
Paar ausgeholte Menschenknochen stosset, um in wenig Minu- 
ten ein paar gutgebaute Beine fertig zu bringen, die noch oben- 
drein schon von Natur Striimpfe anhaben - oder der empfind- 
same Damenkopf , der ohne Empfindung und Seele, wenn mans 
verlangt, Thranen ausschiittet und von dessen Mechanismus der 
Mechanismus der weinenden Marienbilder in den katholischen 
Kirchen, denk* ich, wenig abweicht - oder die mit Haaren aus- 
gefiillte Dame, die ihre Kunst sich wie ein unterwiesener Pudel 
tod zu stellen, doch noch kann und iibt, ob sie gleich nicht erst 
seit gestern tod ist, und die eben durch ihre seelenlose Gestalt ie- 



39 2 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

dem, der ihr trauet, noch so gut als ob sie lebte, weis macht, sie 
sei ohnmachtig oder gar tod. 

Ich erinnere mich noch wol, es steht in meinem Naturalienka- 
binet - iezt nab' ichs aber an diesem Schreibtische - noch ein 
menschliches Naturalienstiick, das vielleicht nicht iiberall zu ha- 
ben ist. Es ist mein eigner Korper, den ich durch meinen sauren 
Spiritus schon seit 24 Jahren konservire und der (wie ichs durch 
Briefe grofier Naturforscher aufs deutlichste erharten wollte) 
ninimermehr schon in einer andern Naturaliensammlung vor- 
handen sein kann. Allein dieses Stuck wird gar nicht - ob gleich j 
meine Frau sagt, sie wiiste ein anderes vom namlichen Ge- 
schlecht, und noch besseres und wolt' es beischaffen - mit den 
iibrigen veraukzionirt: sondern ich bin gesonnen, es fur mich 
selbst zu behalten und zuriickzulegen bis ich sterbe; es hat sich 
nun einmal meiner Liebe bemeistert und ich glaube, ich konnte 
ohne dasselbe keinen Tag leben. Ueberdies kann ichs zu vielem 
brauchen. 

Den grosten Putz meiner Sammlung, die ich deswegen fiir ein 
paar Thaler hoher ausbrachte, gabe der sonderbare Kopf eines 
Advokaten ab, wenn er mir ihn lieBe, welches er durchaus nicht ; 
will. Da dieser Kopf fast ausserordentlich gebauet ist - wenn 
man anders schon das so nennen kann, was sehr selten ist - in- 
dem er durch unabstehliche leere Holen (wie die Griechen durch 
Einmauerung leerer Topfe den Schall der Stimme auf dem 
Theater verdoppelten) eine Art von Resonanzboden fur die 
Stimme formirt und diese dadurch so verstarkt, daB der Advo- 
kat bios mit ihr ganze Prozesse bei Terminen ersiegt und mich 
selbst, als gegenseitigen Rechtsfreund oft mit Schande aus der 
Gerichtsstube hinaus hezt: so gieng ich viele male selbst zu ihm 
und sprach ihn beweglich um seinen Kopf fiir meine Sammlung 3 
an; ich legte ihm die klarsten und lebhaftesten Griinde vor und 
setzte ihm mit der Frage zu, ob nicht sein Kopf ihm auf einem 
Gestell in meinem Kabinete mehr wahre Ehre bringen wiirde als 
auf seinem Halse; ich machte mich anheischig, ihm soviel als ein 
englischer Wundarzt einem Missethater fiir seinen ganzen Kor- 
per zahlte, fiir den bloBen Kopf auszahlen zu lassen und den 



TEUFELSPAPIERE • 3. ZUSAMMENKUTSTFT "IV 393 

Rumpf ihm gar nicht abzuf odern; ich sagte, der Konig in Neapel 
wiirde mir fiir so einen Antrag vielmehr mit der ersinnlichsten 
Hoflichkeit begegnen, weil er iiber 3000 Advokatenkopfe in sei- 
nem Lande hatte und nicht wiiste wohin damit; ich fuhrte ihm 
auf mehr als eine Art zu Gemiithe, ich hatte schon deswegen 
(weil ich nichts weniger als so etwas befurchtet hatte) viele zum 
besten Abschneiden seines Kopfes nothige Instrumente in der 
Tasche und mein Bedienter wartete draussen im Vorsaal mit den 
iibrigen und konnte sie ihm weisen, - allein ich hatte leichter ei- 
nen Leichenstein als ihn riihren konnen und er nahms zulezt gar 
iibel und sagte, er miiB' erst ein paar Tage iiberlegen. 

Ganz gewohnlich ist die Zunge eines alten adelichen Frauleins 
weiter gar nicht, die augenscheinlich vergiften kann (wie Mith- 
ritades mit seinem Speichel,) indem sie wie es scheint sich bios 
durch eine schnelle Bewegung in eine gelinde Ausdunstung ver- 
sezt, die den Gift glucklich an den gehorigen Ort hintragt und 
damit den guten Namen iunger Leute, schoner Madgen, gliick- 
HcherPersonen etc. sowol durchdringet, daB er davon aufgeplazt 
zu Boden schiesset und maustod da liegt. Auch zieh' ich mich 
wirklich den Augenblick an und gehe eben hin und will ihr dieses 
rare Stuck geschickt ausschneiden. 



IV. 

Einfaltige aber gutgemeinte Biographic einer neuen angenehmen Frau 
von bloflem Holz, die ich langst erfunden und geheimthet 

Die altesten Personen in der Stadt erinnern sich noch, daB sie 
mich als ein Kind herumspringen sahen und sie sagen, ich sei gut 
ein Sechziger. Meine Frau ist so alt wie mein Kanapee, 49 Jahre; 
gerade so lange ist es auch, daB ich mit ihr im harten Stande der 
Ehe lebe; denn man muste mich den Augenblick, als ich sie f ertig 
hatte, mit ihr recht kopuliren und unsere Hande, wovon nur ihre 
nicht organisiret waren, unter einer Vorlesung aus der Kirchen- 
agende ordentlich in einander thun. Ich wollte ich hatte etwas 
von ihrer Geduld und Apathie in den schwersten Fallen, die sie 



394 JUGENDWERKE - 4. ABTEILUNG 

treffen; derm obgleich wol zwanzig hisige Weiber aus schlim- 
men Absichten versichern, sie wiirde, wenn sie lebendig und 
nicht meistentheils von Holz ware, zuverlassig anders sein und 
ihre Gelassenheit konnte kein Mensch mehr fur wahre erwor- 
bene als fur bloBe Temperamentstugend halten: so sehen doch 
polizirte Volker ein, daB meine Frau es auch nicht weiter treiben 
kann, da sie keine Vernunft hat. Es ist moglich, es schwachsin- 
nig zu finden, daB ich, da ich einmal an einem Sonntag abends 
recht vergniigt mit meiner Gattin und unserer Ehe war, ihr dia- 
mantenes Halskreuz anfaste und sie mit einer feinen Stimme 
fragte, ob sie nicht glaube, ich triige das Ehekreuz so lustig und 
leicht als sie ihr Halskreuz. Man will mir schmeicheln, ich kennte 
verschiedene Arten, den weiblichen Witz herauszulocken und 
man sahe mich fur einen lebendigen Funkenzieher desselben hau- 
fig an: ich kann es aber gar nicht glauben, und feine Schmeichelei 
herrschet iezt in der ganzen Welt, und auch gegen mich. 

Es scheint daher meine Christenpflicht zu sein, so unzahligen 
Mannern zu sagen, wie ich mir eine so gute Frau gemacht: sie 
konnen sich darnach doch ahnliche bei geschickten Bildschnit- 
zern, Modellirern und Wachsbossirern oder auch bei mir selbst 
bestellen,und sie gewisser maBen noch heirathen: denn ieder- 
mann kann zwei Weiber auf einmal ehlichen, fals Eine davon aus 
blossem Holz besteht. 

Da ein alter holzerner Moses miissig den Kirchboden be- 
wohnte - sonst trug er auf seinem Haupte und seinen Handen 
die Kanzel unserer Pfarrkirche mit einigem Ruhme allein bei ei- 
ner Reparatur hatte sich ein Apostel an die Stelle dieses zweiten 
Atlas und.Schildhalters gestellet- so muste mir ihn der Kirchen- 
vater gar schenken. Ich hatte an ihm nun auf einmal, ohne einen 
Tropfen Schweis, einen hiibschen Rumpf zu meiner Frau. Ich 
sagte ihm daher sein graues Haupt ab, dtssenAngesicht wenig- 
stens im Finstern viele Stralen warf , wie ia bekanntermaBen das 
faule Holz gern thut. Beilaufig unzahlige angenehme Autoren 
nehmen ihren Kopf zu Hulfe und thun hinlanglich dar, daB an 
des Heerfiihrers Mosis seinem vielleicht nicht viel sei, und daB 
ihm noch vieles zu einen franzosischen fehle. Die Wahrheit zu 



TEUFELSPAPIERE ■ 3. ZUSAMMENKUNFT • IV 395 

sagen, so konnt' ich selbst niemals an dem Kopfe des gedachten 
holzernen Moses ienen ausserordentlichen Verstand verspiiren, 
den die Predigt sonst an ihm schatzen und der wol nur in seinen 
Schriftenherrschen mag. Es ist mir daher nicht zu verargen, daB 
ich meiner Gattin, da ich selbst in einem Buche aus der hiesigen 
Lesegesellschaf t klare Beweise gelesen, daB der Kopf einer Dame 
ein wesentlicher Theil derselben und eben so wol der Sitz ihrer 
Schonheit als ihrer Seele sei, - wiewol mans wieder aufgiebt, 
wenn man den H. Zechini zulezt lieset, dem der Beweis leicht 
war, daB die Seele eines Fotus und seiner Mutter gar an Einem 
Orte sassen, so wie sein Korper - den morschen Kopf des Moses 
durchaus nicht aufsetzen, sondern lieber das Geld daran wenden 
und den redenden holzernen Kopf des Backo dazu verschreiben 
wollte. Allein ein redlicher Freund (iberzeugte mich durch 
Briefe, dieser Kopf ware gar nicht mehr zu haben, und wenn ich 
von der hiesigen Haubenmacherin einen Haubenkopf erhandeln 
konnte, der eine gliickliche Physiognomie hatte und damit eini- 
gen Witz, ein wenig Nachdenken und andere Seelengaben ver- 
sprache: so war's gewis am allerbesten. Ich thats mit Vergnugen 
und schlug einen Haubenkopf, der paste, mit Bedacht und unter 
groBen Hofnungen in den Hals des Moses ein. Indessen hatt' ich 
doch noch nichts vor mir als den blossen Embryon einer ausser- 
ordentlichen Frau. 

Schonheit must' ihm ietzt in einem seltenen Grade zugeleget 
werden. Ich offenbar' es ohne mich so schamen, daB ich freilich 
aus den besten Poeten recht gut wissen muste, unbeschreiblich 
schone Augen miisten ganz aus Achat, schone Zahne aus Perlen 
oder Elfenbein, schone Lippen aus Rubinen, schone Locken aus 
Gold, ein schoner Busen aus Marmor (offenbar weissem und 
nicht schwarzem) gearbeitet sein. Aber ich wiinschte, meine 
Vermogensumstande und meine Glaubiger waren allgemein be- 
kant: weil man sonst mich auf eine sonderbare Art beurtheilen 
wird, wenn man erfahrt, daB ich wider die deutlichsten Vor- 
schriften der Poeten meiner Frau die wohlfeilsten Glieder ange- 
setzt. Allein es sind schon diese erheblich und ich muste schon 
um dieser willen bei Kaufleuten, Juden und Juwelierern und 



39<5 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

Putzhandlern zu viel auf Kredit ausnehmen, um ihren Gliedern 
durch den Anzug nachzuhelfen und die Perlen in der Zahnlade 
durch Perlen um den Hals, das goldne Haar durch goldne Haar- 
nadeln, die Rubinen der Lippen durch Edelgesteine in den Ohren 
etc. am besten zu ersetzen. Wahrhaftig nur an sehr vornehmen 
Damen werd' ich eines ahnlichen Ersatzes ansichtig. Sonst weiB 
ich recht gut und handle stets darnach, daB nicht das Schulden 
machen, sondern das Schulden bezahlen eincn ordentlichen 
Mann und seinen vielfarbigen Beutel ganzlich auszehre. Denn 
durch die Vergrosserung der Schulden arbeitet man zugleich an 
die VergroBerung des Kredits und we-r eine halbe Million schul- 
dig ist, hatte offenbar eine halbe Million Kredit. Allein eben da- 
durch, daB fast ieder, wenn er nicht ein Furst oder ein auswiirti- 
ger Gesandter ist , vieles wieder bezahlen muB , wird das 
Aufborgen ausserordentlich erschweret und in eine wahre Ver- 
schwendung verwandelt; ich will nicht einmal erwahnen, daB 
der Jurist dabei tadelt, daB da das Leihen nichts ist als ein Kauf, 
wo der Glaubiger fur Geld Dokumente und Papiere vom 
Schuldner ersteht, die Wiederfoderung des Geldes deutlich ge- 
nug ein Reukauf ist, der dem Gaubiger nicht so frei stehen 
sollte; im Grunde und nach den Rechten miiste er die gekauften 
Papiere behalten. Wahrhaftig in hohern Standen borgt man 
mehr, aber man zahlt auch weniger zuriick und man sollte iiber 
diesen einzigen erlaubten Fall, der uns aus tausenden noch zur 
Ausiibung der spartischen und wilden Tugend des Diebstahls 
(ibrig gelassen worden, mehr halten, da sie zumal ietzt auch gar 
die geschicktesten fiirstl. Kassenbedienten grossentheils ab- 
schworen sollen. 

Ich fahre in der Kosmogonie meiner Gattin angenehmer Weise 
fort: denn ich halte den Menschen gar fur die Welt im Kleinen. 
Ich schabte aus dem Haubenkopfe die holzernen Augen muhsam 
heraus und driickte ein paar silberne hinein, um mich iiber die 
hiesige Prima Donna aufzuhalten, deren eines Auge offenbar 
nicht von Silber, sondern von Nerven, Blut und Feuchtigkeiten 
ist. Das rechte Auge malt' ich blau das linke schwarz aus, um 
die Zartlichkeit des erstern mit dem Feuer des letztern in Einem 



TEUFELSPAPIERE • 3. ZUSAMMENKUNFT "IV 397 

Gesichte zu verkniipfen: am meisten meinem Schwiegersohne 
zu Gefallen, der zugleich blonde und brunette Biere und Schon- 
heiten lieb hat, da die Backenzahne selten auftreten: so wird man 
hoff ' ich nicht unbandig dariiber schreien, daB ich ihren Mund, 
den ich deswegen erst ausholen muste, hinten bios mit einigen 
schlechten beschlagen, die ich einmal in einer katholischen Kir- 
che rechtmassiger Weise und weil ich gerade nahe genug an der 
H. Apollonia stand, an der sie hiengen, eingestecket hatte. In- 
dessen wust' ich auf der andern Seite gut, daB ich den Aufwand 

10 fur die Vorderzahne auf die Rezensenten der Zahne am ersten 
blicken, weit treiben muste und ihr keine geringern geben 
konnteals solche aus sehr schon gebleichten Rindsknochen. Die 
Poeten konnen, da sie das Geld haben, es immer tiberschrauben 
und in die Zahnladen ihrer weiblichen Ideale die achtesten Perlen 
saen, allein ich hoffe noch immer, iedes Frauenzimmer, das nicht 
gar zu eitel ist, wird damit zufrieden sein, wenns wie meine Gat- 
tin nur Zahne aus Rindsknochen darinn hat oder wie die Damen 
in Frankreich, etwan solche aus dem Munde armer Leute (die da 
die schonen Zahne verkaufen, um den iibrigen haslichen etwas 

20 zubeissen und zu brocken zu geben) oder auch der Wallrosse oder 
hochstens aus Gold. - Ich will niemals steif auf dem Vortheile 
beharren, den meine Frau vor meiner ganzen Gasse von Nach- 
barinnen zum voraus hat, die ihre Zahne und ihre Haarnadeln 
erst vor dem Schlafengehen ausziehen und ieden Morgen von 
neuem zahnen: sondern ich suche ihren wichtigsten Vorzug dar- 
in, daB sie ihren Mund unaufhorlich offen und folglich ihre Zahne 
unverdecket haltenkann. Ichbesorge, tausend lebendige Damen 
vermogens nicht und ihre Muskeln stehen es nicht aus, in einem 
fort freundlich und satirisch zu lacheln, um ihre Zahne aufzu- 

30 decken; und wir haben ihnen schon Dank zu wissen, wenn sie es 
in einer langweiligen Virtelstunde mehr als einmal vermogen. 
Millionen Leser, die niemals in mein Haus gekommen, wiir- 
den noch nichts sonderliches (und mit Grunde) an den Reizen 
meiner Gattin merken: ware der H. D. Foppolius nicht gewe- 
sen, der hiesiger Stadt- und Landphysikus und mein Gevatter ist 
und der gelehrten Welt nicht so wol als der ungelehrten bekannt 



398 JUGENDWERKE ' 4. ABTEILUNG 

genug sein mag. Nach vielen Jahren erst wenn ich schon ver- 
faule, wird das Publikum, dem alsdann die von mir erfundenen 
Weiber erst recht gefallen, daran dencken, daB es ausser mir kei- 
nem andern den grosten Dank dafur zu wissen habe als dem 
D. Foppolius, der mir aus seinem Naturalienkabinette die Haut, 
die iene parisische Dame sich abziehen lies, um einen schonern 
Teint zu gewinnen, (siehe Montaigne L. I. M. XXXX) mit der 
besten Art ins Haus geschickt. Ich konnte nun diese nehmen und 
damit meine Gattin vollig iiberziehen, die noch immer halb aus 
sah wie der Moses . . . Inzwischen suche doch der geschmack- 10 
voile Leser meine Gattin ietzt wiederum in seinem Kopfe aufzu- 
stellen und anzuschauen, aber mit der neuen Verschonerung, 
namlich angethan mit einer weiblichen betagten Haut: ihr Bild 
fallet nun ohne Zweifel in seiner Phantasie ein wenig schoner als 
oben aus, und entfernt sich vielleicht von der Gestalt einer leben- 
digen Pariserin, die eben aufgestanden noch nicht Toilette ge- 
macht, eben nicht so' weit mehr. Nun war ich auf einmal ein 
Mann, der so gut wie eine lebendige Frau eine Haut vor sich 
hatte, die ihm zu alien Verschonerungen das weiteste Feld anbot; 
oder eine Baustelle wahrer Reize, und ich durfte nur anfangen. 20 

Wenn eine Schdne es sein will: so malet sie zuerst blaue Adern 
auf ihre unsichtbaren. Es ist eine Sunde, Frauenzimmern, die 
sich mit den schonsten Adern ummahlen , ins Gesicht zu sagen , 
sie wollten uns betriigen und belogen uns durch die Larve eines 
mangelnden Reizes: strecken sich denn in ihnen nicht wirklich 
die Adern hin, die ihr Pinsel von aussen auffrischt, und ist denn 
wol ihre ganze Absicht etwas als eben sie geschickt durch die 
aussere Aufstreichung nur sichtbarer zu machen, da die grobere 
Haut sie vorher verhullte? Ganz und gar das leztere. Meine Frau 
scheint sich auch dadurch iiber eine, die lebt, zu erheben, daB sie 30 
diese hinfallige Malerei dabei verschmaht: denn ich fullte ihren 
Adern blaues Wachs vorsichtig ein. Es scheint nicht, daB ich da- 
durch der Freiheit der Manner etwas entziehe, die den Adern 
solcher Weiber allemal bios Spiritus einsprutzen wollen oder 
auch Quecksilber. 

Ein erfahrner Hausvater, der das jahrliche Kostgeld der Nase 



TEUFELSPAPIERE ' 3. ZUSAMMENKUNFT * IV 399 

ausgerechnet hat, weis zu alien Zeiten die einer unbelebten Frau 
zu schatzen, die wenig schnupft. Ich brauchte meiner Gattin an 
ihrem Geburtstage nur eine leere Tabatiere zu schenken, von de- 
ren Dosenstiick ich diesem Buche eine schlechte Zeichnung zum 
allgemeinen Vergniigen bewilligen wollte, weil es weit unzuch- 
tiger ist als man sich einbildet. Allein es wird eben so gut sein, 
wenn Damen die es schauen wollen, selbst zu mir kommen und 
es mit meiner Gattin allein besehen: denn vor weiblichen Augen 
werden weibliche Wangen weniger roth . . . Ich wurde diese 

Tabatiere bei einer Berlinerin ansichtig, als ich mitten in der Sa- 
kristei und im Absolviren stand. 

In den Kirchen groBer Stadte konnten ganze Linien dasitzen- 
der Weiber schoner angekleidet sein, wenn sie keinen Magen 
hatten. Es ist wahr, man kann von einigen sagen, daB sie sich 
lieber putzen als sattigen und daft einige neue Moden ihnen ein 
Fasten in der Wiisten zubereiten: und man kann ihnen nicht vor- 
werfen, daB sie nicht genug einsahen, wie wenig alle Aufopfe- 
rungen, die zur Vervollkommnung ihres wichtigern und edlern 
Ichs, der Kleider namlich, etwas beitragen, zu weit getrieben 

10 werden konnen. Allein schon Theologen vor der Reformazion 
haben es vorausgesehen und gesagt, daB der Magen ein siindli- 
ches Gliedmas ist, das keine Schone ausreissen und von sich 
werfen kann: und die lebendigen werden ewig nicht zu derieni- 
gen Enthaltung alles Essens hinaufsteigen, die zu einem herrli- 
chen Anzug iiber den Stand so nothig ist und die wie ich iiber- 
zeuget bin, noch kein scharfsich tiger Mann an meinem 
unbelebten vermiste. O ihr modischen Kleider insgesamt! die ihr 
den Menschen ziert, wie viel was vollig auf euch verwendet 
werden konte, muB euch taglich im ganzen Deutschland abge- 

io brochen werden, wenn es gewis ist, daB sich die Schonen taglich 
wenigstens halb satt essen. Die von mir erfundenen thuns nicht: 
sie konnen sich daher jahrlich 365 mal schoner kleiden als es- 
sende. Ich verlange nichts als gehoret zu werden, daB ich mich 
anheischig mache, augenblicklich von der Abschaffung der le- 
bendigen Dame abzulassen und den holzernen den Preis wieder 
zu nehmen, wenn man mir eine hinlangliche Versicherung ge- 



400 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

ben kann, daB iene so wenig essen lernen als diese. Denn ware 
iiberhaupt einmal die weibliche Halfte des Menschengeschlech- 
tes so weit, daB sie nichts warmes zu sich nahme: so wiirde die 
andere Halfte fast aus Schaam nicht weniger thun konnen und 
der groste Theil von uns Mannern wiirde bald nichts mehr essen: 
welches auch fast alle Konige in Frankreich thun, wenn sie tod 
sind. Denn man mag ihren Leichnam 40 Tage lang nach ihrem 
Ableben noch so gut Speisen vortischen (ich will nicht einmal 
ein Wort vom Tischgebete sagen, das doch ein Pralat verrichtet:) 
so lieset man doch bei keinem Autor sie hatten zugelanget, ge- 
rade als ware dem Leichnam mit der Seek auch der Magen aus- 
gefahren. Sehen freilich die kliigsten Minister und der Dauphin 
selbst, daB sie gar nichts mehr von ihren Tafelgutern beriihren 
wollen: so vermuthen sie, daB sie gestorben sind, und lassen sie 
nach dem 40 tagigen Fasten gar begraben: daher muB auch von 
den groBen Geschichtschreibern das Faktum abgeleitet werden, 
daB man schon verschiedene franzosische Konige in der That 
begraben hat. 

- Inzwischen glaube mir der Leser, nimmt meine Gattin, die 
doch nicht von der Luft leben kann, von den Schaugerichten or- 
dentlich allemal so viel wie wir alle zu sich, weil sie aus Mangel 
des Magens nichts grobers verdauenkann. Sie muB sich als mein 
grostes Schaugericht daher allzeitrnithinsetzen, wenn ich so viel 
zusammengeborgt habe, daB ich ein prachtiges Soupee geben 
kann. 

Ich kaufte mir die Farbkastgen und Muscheln und Topfgen 
dazu und fiihrte den Pinsel so lange auf der Halfte meiner Gattin 
herum bis ihr Teint sich so veriiingte, daB die Seele der alten 
Dame ihre eigne Haut wol nicht erkannt oder doch gedacht 
hatte, sie habe sie selber geschminkt. So wie die Natur gewisse 
Insekten mit rothem und weifiem Blute zugleich ausspriizte: so 
trug ich auf ihre Haut sowol die rothe als die weifie Schminke auf 
und belebte sie, so zu sagen, wiewol von aussen, mit doppeltem 
Blute: mich diinkt, dies konnte ihren Teint fein machen und 
ihre Gesichtsfarbe munter. Mein Kopf war niemals und iezt am 
wenigsten so sturripf und verhartet, daB ich nicht recht leicht 



TEUFELSPAPIERE ■ 3. ZUSAMMENKUNFT 'IV 401 

voraussahe, daB zu eifrige Verfechter und Riistzeuge der weibli- 
chen, lebendigen Schonen darauf versetzen werden, diese waren 
im Punkte der Farbe gar nicht weit unter den unbelebten, son- 
dern vielleicht eben so geschminkt, da sie eine gleiche aller Ma- 
lereien fahige Haut an sich hatten: »wo steht (werden sie sagen 
und sich der bereten Chrien des Peuzers ganz gegen mich bedie- 
nen,) eine Dame im Winter des Lebens ohne Nordschein auf den 
Wangen und ohne Schnee auf dem Halse? Und wurdc denn nicht 
eben hauptsachlich zur Verwandlung der gelben Farbe der Pari- 

serinnen die weifie erfunden, wie eben diese Franzosen in ihrem 
Wappen an die Stelle der gelben Krote die schonern Lilien pflanz- 
ten? Und sollte diese Anmerkung nicht einigen erheblich schei- 
nen?« Ich dachte selbst, als ich noch auf iungern Beinen stand, 
nicht anders, sondern ich sagte in «einem Almanach ein paar 
Worte dariiber, daB sonst die Weiber auch Kleider, iezt aber auf 
ihr halbes Ich, auf ihre eigne Buste Lilien und Rosen sticken: 
»Blumen nahen, schrieb ich, schikt sich ganz gut fur Putzmache- 
rirmen, aber am allerwenigsten fur Damen, die mit mehr An- 
stand deren malen; ienes ist musaische Arbeit, dieses hingegen ei- 

io gentliche Malerei, und schminkende Damen hiek man zu alien 
Zeiten dem Blumenmaler Huysum gleich: in der That es ver- 
steht sich mehr schon von selbst als es ein besonderes Lob ist, 
daB unsere Weiber lieber und ofter ihre Haut, als Tischtucher, 
Vorhange, bebliimen und man kann mit Gewalt darauf drin- 
gen. « Allein der Jammer ist, es halt alles keine 2 mal 24 Stunden. 
Wers Geld hat setze sich auf den Postwagen und f ahre nach Paris, 
Berlin, Wien, Petersburg: so wird er da anlangen und sehen, daB 
verschiedene Damen von Welt den Bettlern ganz und gar un- 
ahnlich scheinen. DieBettler lassen ihre Gebrechen am Tagevoi 

jo den Leuten leuchten; die Finsternis hingegen schenkt dem Krii- 
pel gerade Glieder, richtet die Beine des Lahmen umsonst ein 
und sticht den Blinden wie den Fledermaussen gliicklich den 
Staar: allein, einige Damen in ienen Stadten vermehren umge- 
kehrt den Tag mit ihrer Schonheit und die Nacht mit dem Ge- 
gentheil und sind bleich, zahnlos und kriipelhaft, wenn es finster 
geworden d. i. um 3 Uhr nach Mitternacht: nur bleiben darin 



402 JUGENDWERKE ' 4. ABTEILUNG 

die Bettler diesen Damen nach, daB sich iene haslich, diese aber 
doch schon anstellen. Heirathet unser Passagier vollends eine: so 
mochte niemand an seinem Platze sein, da sie wie ein groBer 
Mann gern vor ihrem geheimsten Freunde alle ihre Fehler ent- 
hullen und sich nur fur dieienigen schmiicken wird, die den Pas- 
sagier wieder schmiicken; kurz er wird zulezt in die Zeitung set- 
zen lassen, er sehne sich nach Schonen ganz, an denen die 
Schonheit nicht zu ihren beweglichen Gutern gehort, sondern de- 
ren Reize offenbar Erd- Nied- Wand- Band- und Nagelfest sind. 
Ich bin aber schon von der volligen Besorgnis eingenommen, 
daB er so etwas an keiner auftreibt als meiner unbelebten Art von 
Schonen, an denen alle aufgemalten Reize so lange halten als sie 
selbst, und ich erklare hier auf immer an Eides statt, daB alle 
Reize des Teints etc. die ich meiner Gattin an ihrem Geburtstage 
d. i. Hochzeittage auftrug, so wenig verschossen sind, daB es ein 
einfaltiger Gedanke von mirgewesen ware, sie im vorigen Som- 
mer zugleich mit meiner Gaststube ein wenig auffrischen zu las- 
sen, wenn ich nicht dabei die Absicht gehabt hatte, die Witten- 
berger in nichts vorauszulassen, die gleichermaBen (nach 
Nikolai) mit der Universitatskirche zugleich ein rares Bildnis des 
D. Luthers neu iiberfahren und bestreichen liessen. 

Mir gefallet es, daB viele Damen die bisherigen durchsichtigen 
Spitzenmasken des Busens verschmahen und ihn nicht mehr 
nakt entgegen tragen, sondern der mas sen mit weiBer Schminke 
(und sonst nichts) uberdecken, daB man nicht einmal sieht, was 
er fur eine Farbe hat: tausend andern gefallet es nicht, z. B. mei- 
ner alten GroB mutter. 

Ich warf nun den Korper meiner Gattin in das Staatsgefangnis 
einer modischen Kleidung. Ich verschrieb mir bios ihrentwegen 
- damit nicht die Nachbarn sagten, ich verwahrloste sie mehr als 
gewohnlich - eine mit unbeschreiblichem Geschmack angezo- 
gene Puppe in einem langen Futteral aus Paris. Solche Puppen 
sind (und werdens bleiben, so lange guter Geschmack in 
Deutschland herrscht) die besten Egerien und Moses, wenn un- 
sern Weibern anstandige Kleidergesetze vorgeschrieben werden 
sollen - oder die Anticken, wornach sie sich so sehr und so gliick- 



TEUFELSPAPIERE • 3. ZUSAMMENKUNFT • IV 403 

lich bilden oder die Protoplasmata derselben. Sobald ich meine 
Frau nach der besten Vorschrift, die vor mir dastand, emballiret 
hatte: so lieB ich sie durch das Fenster sichtbar werden, und ersah 
in ein paar Tagen nachher, daB sich die ganze weibliche Stadt 
nach ihr triige, weil man uberall dachte und von mir horte, sie 
ware eine Puppe und zwar eine parisische: denn Narrheiten wer- 
den wie das Bier immer besser und schmackhafter, ie weiter sie 
gefahren werden. Bin ich einmal mit Sack und Pack aus dieser 
Stadt gezogen: so wird mir immer bei witzigen Visitten der 
Nachruhm bleiben, daB seit 48 Jahren selten eine neue Mode 
aufschos, mit der ich nicht den guten Korper meiner Gattin be- 
hieng und ich bin im Stande in hiesiger Gegend Klein und GroB 
zu fragen, wer die erste im Grunde war, die hier schon montgol- 
fierische Hike aufsezte, als man hier noch nicht einmal wuste, 
daB es montgolfierische Kugeln gabe. Besitz' ich denn nicht den 
Almanac de la beaute & des graces und die Abbildungen der 
neuesten Damenmoden und alle Stiicke des Modejournals und 
die ersten der Pandora? Und aus welchen Griinden stellte ich wol 
in der Zahlwoche die halbjahrliche kostbare Reise nach Leipzig 
an, wenns nicht darum ware, um da im Auerbachischeri Hofe 
gleich tausend andern adelichen Damen und Herren die theuer- 
sten Galanteriewaren nicht bios zu beschauen und zu feilschen, 
sondern auch wirklich zu borgen a ? Die hiesigen Putzhandler 

a Es kann und soil mir einer vorwerfen (und der andere neben ihm 
soil es bestatigen), daB ich mich nach Gef alien auf den Kopf stellte und 
auf demselben vor dem ganzen Publiko sehr tanzte: ich werde beiden mit 
Liebe begegnen. Ich werde sie so gar bitten, zuriickzusinnen, wie es war, 
da sie beide noch Fotus gewesen. Sind sie gut und einsichtig und anato- 
misch: so werden sie gestehen, daB sie in den lezten Monaten der 
Schwangerschaft bestandig auf dem Kopfe gestanden: allein damals 
nahms niemand ubel. Diese Stellung ist mir viel natiirlicher als andere 
schlechtere; und erst nach dem Tode hoff ich auf den Fiissen herumzu- 
laufen. Sie werden zwar alles dieses fur eine witzige unzulangliche Wen- 
dung erklaren: allein ich halte sie selbst fur nichts anders und muste sie 
und den ganzen Streit hieher setzen, damit nicht die Leere einer halben 
Seite, die ich aus Versehen im Manuskripte gelassen, auch vom Setzer 
ins Werk verpflanzet wiirde. Im Drucke kanns anders ausfallen. 



404 JUGENDWERKE - 4. ABTEILUNG 

sollten wol ieden durch die zuverlaBigsten Papiere von der 
Menge der Modewahren iiberf iihren konnen, die ich seit mehre- 
ren Jahren bei ihnen borgte und vielleicht mit nachstem bezalen 
diirfte: allein, ich bitte nur den hiesigen Postmeister, der fast alle 
Brief e an mich erbricht, um mir keinen vergifteten zu schicken, 
er moge mir und der Wahrheit die Ehre des Zeugnisses geben, 
daB ich sonst viele Sachen des Putzes unmittelbar von Lyon be- 
zog. Steh' ich denn nicht sogar selber - welches ich fast nicht 
glauben kann - in einem modischen Gillet vor meiner Frau, auf 
dem ein ganzes Kollegium gestikter Affen spielt? Freilich thue 
ich und andere es nicht aus unvernunf tigen Absichten: wie sonst 
die Christen und Christinnen Kruzifixe an sich hiengen, um das 
Bild dessen, um dessen Nachahmung sie sich bewarben, immer 
vor sich zu sehen, so haben wir ebenfals die Bilder der Affen an, 
um stets den Typus im Gesichte oder im Spiegel zu behalten, 
nach dem wir uns ganz gut rnodeln . . . Die holzerne Struktur 
meiner Gattin thut mir bei ihrem Anzuge wahren Vorschub: bei 
einer fleischernen wurden die Kleider durchaus sich nach den 
Gliedern formen mussen, und das ware schlimm: allein bei mei- 
ner pan" ich vielmehr den Korper den Kleidern, wovon oft eines 
funfzehnmale umgeschnitten wird, um in funfzehn Moden zu 
floriren, nach Gefallen an und schnitze an einem Glied so lange 
herum bis ich merke, daB es dem Rocke anliegt; daher allein 
kommts daB ihre Statur taglich kleiner wird, und die hatten nicht 
Recht, die dieseEinschrumpfungihren Jahren beimassen . . . Im 
iibrigen Anzug that ich bios, was ich sollte und nicht mehr. Ich 
kammte die Haare mit einem bleiernen Kamme so lange durch, 
bis sie schwarz wurden. Der Friseur that seine alte Schuldigkeit 
bei der unentbehrlichen Aufbauung eines Bergschlosses oder 
Amphitheaters von Haaren. Die damalige Interpunkzion mit den 
Schonpflastergen wurde weiter nicht vergessen. Viele ihrer 
Glieder polsterte ich mit Riechsackgen aus und man muB hoffen, 
daB sie hernach wie Alexander roch, von dessen angebornem 
Wolgeruch ieder aus dem Plutarch einen Begrif hat. - Einen 
ganzen hangenden Garten von Blumen und Friichten lies ich auf 
ihrem Haupte Wurzel schlagen. - Einem kranklichen Pfau no- 



TEUFELSPAPIERE • 3. ZUSAMMENKUNFT • IV 405 

thigte ich seine bunte Schleppe ab und stekte sie als eine Feuer- 
fahne auf ihrem Kopfe auf , wo sie gegenwartig noch wehet. Von 
einem ernsthaften Manne wie ich wurd' es fast spashaft klingen 
- und Spas ware wol am wenigsten die Absicht, warum ich ir- 
gend etwas schreiben wiirde - wenn ich sagte, ich hatte sie da- 
durch, wie in der Fabel, schnell aus einer Krahe in einen Pfauen 
verwandelt: sondern die Anmerkung schikt sich fur mich und 
mein Nachdenken besser, daB sie wie die lebendigen auch auf ih- 
rem Kopfe Haare und Federn zugleich tragt; und man konnte das 

:0 fast fur einen groBen Beweis ansehen, daB sie ein Mensch ist: 
denn die Thiere haben entweder nur Federn oder nur Haare, aber 
nie beide und die Haare der Geier und Truthuhner konnen keine 
sein. - Ihr Kopf sizt unter seinem Hute, aber nicht (gewisser- 
massen spiel ich hier mit den Worten) ihre Finger: nicht einmal 
diese wenigen Bogen worauf ich sie lobe konnten sie heften und 
sie nahen wahrhaftig so wenig als bekame sie wirklich von mir 
Nadelgeld. - Die veralteten Poschen nahm ich ihr schon vor 2 
Jahren ab, da sie zumal dieses Seitengewehr der Keuschheit nicht 
so sehr als lebende bedarf : es muB es iiberhaupt die Philosophic 

20 und das Temperament zugleich sein welche sie in den Stand set- 
zen, von ihrem Fenster herunter die feinsten Liebeserklarungen 
feiner Gecken so unerwartet, kalt und unbeweget aufzunehmen, 
als ob ihre Brust von Stein und Marmor ware, die doch wie 
schon oben gedacht, von Holz und Moses seine ist. Diese passau- 
ische Kunst, sich gegen Amors Pfeile fest zu machen, scheint noch 
lange ein glanzender Vorzug nur solcher Damen verbleiben zu 
wollen, die aus Holz bestehen.- Eine iede Schonestellt man, eh' 
sie als gottliche Statue ahgebetet wird, auf ein Paar Schuhe mit 
hohen Absatzen, wie auf ein Postament; man nennt sie auch das 

30 erste Stockwerk oder Erdgeschoj] am ganzen weiblichen Ge- 
baude. Das beste war, ich dachte am allerersten daran, auch 
meine auf ein paar hohe Schuhe zu schaffen. 

Es ist Zeit, daB ich zu ihrer Seele komme, die man noch viel 
zu wenig kennt. Allein, da alle die Gelehrten, die den lebendigen 
Damen eine Seele versagen, ganz gewis auch den unbelebten 
keine werden geben wollen: so fodert man von mir, den Leser 



406 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

keinen Augenblick im Zweifel zu lassen, ob zufoderst iene eine 
haben; - daB auch die unbelebten von einem verniinftigeri Geiste 
bewohnet werden, das folgt hernach ia von selbst. 

Die Damen, sagt man, sind schmiickende Blumen und haben 
ausser dem Honig und Dufte (der wolriechenden Pomade) und 
ausser dem Blumenstaub (dem Puder) weiter nichts an oder in 
dem Kopfe. Allein man erinnere sich, was ich neulich auf dem 
Billiard als ich mich dariiber gerade verlief, anmerkte, daB die 
besten Naturforscher z. B. Bonnet aus den besten Griinden ge- 
glaubt, die Blumen hatten vielleicht eine Seele. 1st es nun un- 
wahrscheinlich, daB die Schonen ihnen auch in diesem Punkte 
gleichen? 

Am besten thu' ich die Beseeligung der Damen dar, wenn ich 
wirklich die der sogenannten feinen Herrn besser ausser Zweifel 
setze, als die meisten Philosophen noch immer thun wollen. 
Denn es miiste ein besonderes Ungliick sein, wenn man von der 
Beseelung ihrer volligen Ebenbilder - ich folge hierin bios der 
Meinung der besten Anatomiker, der eines Albinus, Hunter, 
Mekel, Haller, die insgesammt die Stutzer fur Hermaphroditen 
und folglich fiir verkapte Weiber halten - nicht recht gut auf 
ihre eigne schliessen konnte. Ich sah es niemals ein, warum sich 
diese Stutzer gegen so viele franzosische Philosophen, die sie zu 
blosser Materie umbacken wollten, nicht ofter auf ihre erwie- 
sene Aehnlichkeit mit den Schmetterlingen beriefen, die ganz si- 
cher Seelen haben, die Nachtvogel sowol als die Tagvogel, und 
deren Beschaftigungen uns nicht im geringsten etwan mehr als 
des Stutzers seine nothigen eine Beseelung dabei voraussetzen. 
Ich wollte wir giengen darin so tief.als die Alten, die aus diesem 
Grunde der Psyche d. i. der Seele &\e Gestalt eines Schmetterlings 
oder doch seine Fliigel gaben. Denn daB sie die Aehnlichkeit des 
Zweifalters und des artigen Herrn so wenig als wir verkannten, 
nehm' ich daraus ab, weil sie um die himmlische Venus immer 
die Gesellschaft eines Schmetterlinges malten, der namlich si- 
cherkemnaturlicher war, obsgleich die Mythologisten verfech- 
ten: denn konnte man wol die schonste Dame in der Welt und 
im Himmel von einem #blossen unmetaphorischen Schmetter- 



TEUFELSPAPIERE ■ 3. ZUSAMMENKUNFT * IV 4O7 

ling umflattern lassen, der an ihrem Busen nichts gekiisset hatte 
als die Rose dazwischen, die ihn beschattete? Konnt ich mir nun 
schmeicheln, ohne Belesenheit und Nachdenken den meisten le- 
bendigen Damen die Seek wieder eingeblasen zu haben, die ih- 
nen viele grofie Manner, das Konsilium zu Mazon ausgenom- 
men vollig ausbliesen: so hatt' ich wichtige Schritte zum 
Beweise der Seele derer unbelebten gethan die ihnen von der 
aussern und korperlichen Seite (nach alien bisherigen Beweisen) 
dermassen gleichen, daB ich nicht wuste was ich denken sollte, 
wenn die innere unahnlicher ware. Wahrhaftig der menschliche 
Korper ist, wie schon Edelmann bewies, nichts als ein wahrer 
Ausflusund SoJm und ein Gespinst der darin ubernachtenden Seele: 
bei meiner leblosen Frau ist nun aber dieser Korper, dieser Aus- 
flus wirklich da und es sieht ihn ieder: folglich kann doch warlich 
die Seele nicht fehlen oder weit weg sein, der dieser so sichtbare 
Ausflus entgieng und die Schnecke mus bios im Gehause, das sie 
ausschwizte, sich etwann nur verstecket halten. 

Freilich sizt bei solchen Umstanden die Seele in einem Korper, 
der ganz tod ist: aber die menschlichen Seelen haben das von ih- 
ren Korpern schon gewohnt. Im Grunde lebt ohnehin kein Kor- 
per; am wenigsten in der Ohnmacht, oder gar im Grabe: und 
gleichwol ist keine Seele herauszubringen; welches der im Sarge 
fortdauernde Wachsthum der Nagel und Haare bestatigt, der 
ohne das Dasein einer besondern vegetativen Seele nicht zu er- 
klaren stande, wie Bonaventura, Durandus und vielleicht ich es 
so gewis wissen, als man bei dergleichen Dingen kann. Da nun 
eine Statue (und meine Gattin kann nichts anders sein) weiter 
nichts nach der Bemerkung der Siamer als ein unbelebter toder 
Mensch ist; und da ferner der unsterbliche Geist wol niemals 
eher aus einem toden Korper abzieht als bis er verdamt stinkt, 
ein Erfahrungssatz, der sich auf das Ansehen der Aegypter und 
des H. Professor Hennings in Jena nicht mehr als auf unsere 
Sinne stiizt: so verkniipfet sich ia alles recht gliicklich, um uns 
zu befestigen, daB meine unbelebte Frau zum wenigsten so lange 
einen Geist besitzet, als sie noch ganz ist und ihn die Wurmer 
noch nicht ausgeiaget: gleichermassen sollen auch alle die iibri- 



408 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

gen Damen, die man noch bei mir bestellen wird, ihre ordentli- 
chen achten Seelen haben. Wie freilich eine hineinkommt, ob 
durch Tradukzi on, oder durch Praformazion oder durch augen- 
blickliche Erschaffung: das bringt in iedem Falle - ob das gleich - 
drei der besten Systeme sind, wo von ich eines nach dem andern 
selbst geglaubt - kein sterblicher Mann heraus, er mag nun eine 
unbelebte Dame machen oder nur ein belebtes Kind. 

Inzwischen frag' ich nichts darnach, sondern ich will wirklich 
annehmen, die lebendigen Damen hatten keine Seele so wenig 
als die Welt, die sie zieren; so konnte man doch daraus noch kei- i< 
nen ahnlichen SchluB auf unbelebte machen. Es wiirde mir hier 
viel helfen, werm ich mit einem Autor des 10. Jahrhunderts 
glauben wollte, die Seele ware eine wahre Pfeife: denn Damen 
meiner Art sind dazu recht gut auszuholen: dabei fiihrt der Autor 
nicht nur gute Griinde dafiir an, sondern auch funfzehn, ia ich 
konnte fragen, obs hicht ein sechzehnter ware, daB die Seele ei- 
nes Franzosen eine lockende Wachtelpfeife fur das zweite Ge- 
schlecht, die eines Kunstrichters eine Stimpfeife fur hundert Au- 
toren, die eines Polizeilieutenants eine Spitzbubenpfeife? Folglich 
waren alle menschlichen Korper oder die weiblichen hubschen 2c 
Pfeifenstockewie man sie in Orgeln findet. Wenn nach Helmont 
die Seelen bloBe Lichter sind (und er konnt' es wissen, da er ia 
selbst eine hatte): so kann meine obige Nachricht vom faulen 
und leuchtenden Holze des Moses und meiner Frau Denker weiter 
fuhren als sie selber wollen. Allein ich will mich mit Vergnugen 
stellen, als nahm'.ich diese zwei festen Stiitzen der Beseelung 
lebloser Damen nicht wahr; nur verhoff ich wieder, der Leser 
werde auch seiner Seits mir fur diese erlassenen Beweiseetwann 
ein paar Einwiirfe nachlassen und schenken, sobald sie namlich 
schwerer aufzulosen waren als der, daB ia das Gehirn eines Hau- 30 
benkopfes ieder Seele fast zu hart ware. Denn darauf kann ich 
wol ohne Nachdenken versezen, daB man schon aus beseelten 
lebendigen Menschen (von Statuen nicht zu reden) Gehirne aus- 
gehoben, mit denen man Feuer schlug und Monboddo schickte 
auf Schiffen Bucher aus England nach Deutschland, worin er 
beweiset, die Steine hatten Seelen. Ausserdem daB in ieder hoi- 



TEUFELSPAPIERE " 3. 2USAMMENKUNFT • IV 409 

zernen Dame sich eine gottliche Dryade ohne die weder Bau- 
noch Brenholz ist, aufhalten muB, welches noch besser als zwei 
Seelen ist: so sagt, auch die Vernunft noch das: wenn wirklich 
nach Platos Vorgeben mannliche Seelen zur Strafe in weibliche 
Korper gesenkt werden; wenn aber ferner die lebend;ge Scho- 
nen, wie man oben annehmen wollte, ganz und gar keine Seele 
beherbergen: so steht die grofie Frage auf, wohin sollen sie denn 
verbannt sein? Wenns nicht in die Haubenkopfe und Puppen 
d. i. in die von mir erfundnen und dem andern Geschlecht doch 

10 in der Gestalt am nachsten kommenden Weiber ist: so gesteh' ich 
gern, daB ich mir mit aller Belesenheit und Erfahrung auf der 
weiten langen Welt keine weibliche Menschenfigur auszuden- 
ken vermag, die zu einem rechten GefangniB fiir eine mannliche 
die Armseligkeiten des Putzes verschmahende Seele zu gebrau- 
chen ware. Ich schliesse daraus nur so viel, daB da die Beseelung 
lebendiger Damen zwar recht starke Griinde fiir sich hat, allein 
doch nicht wie der leblosen ihre gegen alle wichtige Zweifel ge- 
rettet werden kann, die Ehemanner wenigstens sicherer fahren, 
die vor der Hand nach meinen greifen: fiihrets hernach ein Kant 

20 oder sonst ein sicherer Philosoph in einem guten demonstrativen 
Beweise aus, daB sie trotz ihrer Sucht nach Kleinigkeiten eine 
Seele haben: so konnen wir alle insgesamt noch recht gut eine 
lebendige gar dazu heirathen und ich weis schon, was ich nach 
der Lesung ienes Beweises anstelle. 

Allein diese Seele ist nicht ohne ihre groBe Krafte; und diese 
sind nicht ohne ihre gewisse Zeichen und Devisen auf dem Ge- 
sichte, das der Anschlagezettel der innern Geschicklichkeiten ist. 
Es hat der Haubenkopf vielleicht eine mehr zuriickgehende als 
gerundete Stirn und verheisset so nach nicht so wol Verstand als 

30 betrachtliche Imaginazion. Freilich ist sie so wenig ohne Ver- 
stand als ihr schriftstellerischer Eheherr, und er sitzt auch bei ihr 
wie bei andern ordentlich auf und nicht unterdet Hirnschale und 
durch Lavaters Stirnmesser konnte man ihn, fals er klug genug 
am Kopfputze angesetzet wiirde, mit einiger Genauigkeit aus- 
messen, allein, da dieser angenehme Verstand von der Mode 
bald vergrossert bald verkleinert wird: so muB ich alle meine Le- 



4IO ' JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

ser, so unzahlige ihrer sein mo gen, auf die Abbildungen der 
neuesten Koeffiiren (in Kalendern) oder der weiblichen Verstan- 
desgaben fast ganz verweisen. Ihre Hande verbergen, wenn ich 
sie nicht zu eilfertig besehen habe, vielleicht niitzliche Anlagen 
zur Dichfkunst und die rechte nahert sich dem Erhabnen offen- 
bar: ich weis recht wol, daB ich dieses dem Riechsacke, womit 
ich gleich anfangs ihre Hande aufgetrieben, zum Theile beizu- 
messen habe, allein doch nicht ganz. Die iibrigen Glieder sind 
des Mosis seine, dessen volstandige Physiognomie den Lesern 
schon aus dem alten Testamente bekannt sein muB . . . Wahr- ic 
haftig wenn ich mich so sicher darauf verlasse, daB kein Mann, 
wenn er mit meiner Art von Schonen Ehepakten aufgerichtet, 
iiber mich die Hande zusammenschlagen und dabei schreien 
wird, ich hatte ihn mit den Holzernen so gut wo nicht rnehr be- 
trogen als die lebendigen: so steif ich mich auf keinen starkern 
Grund als den, daB ich die Physiognomie solcher Schonen ganz 
in die Gewalt des Mannes bringe, dessen Hand sonst der leben- 
digen ihre nicht so wol verbessern als bios entstellen konnte; er 
kann in ein solches Gesicht nicht nur die naturliche Moral 
schnitzen, sondern auchdie geoffenbarte. Wollte Gott, der Leser 20 
konnte sich auf die Drechselbank noch heute setzen, mit der ich 
durch geringe Aenderungen in der Physiognomie meiner Frau 
alle die darauf folgenden Aenderungen in der Seele ausarbeite, 
die ich zu unserem Ehestande nicht missen kann: schien mir z. B . 
ihre Stirn zu eckigt und hartsinnig, so brachte ich sie unter mein 
Eisen und hobelte damit einige Nachgiebigkeit nach Vermdgen 
hinein: auf diese Weise bildete ich ihr die vier Kardinaltugenden 
ohne Beredsamkeit und mit so gutem Erfolge an, daB ich das 
groste Mitleiden mit mir und iedem bekam, der sich statt von 
einer Drechselbank, bios von einer Kanzel will umbessern las- 30 
sen. Und wenn der Apostel Paulus unter der Beschneidung des 
Fleisches und der Lippen nicht diese wahre Beschneidung der 
Physigonomie verstand: so vermuth' ich wenigstens, daB er sich 
bios figurlich ausdriicken und auf meine unbelebten Damen gar 
nicht anspielen wollte. 

Es ist hier nicht der unschicklichste Platz, dem Leser einen 



TEUFELSPAPIERE * 3. ZUSAMMENKUNFT 'IV 4II 

nicht unvortheilhaften Begrif von der Entwickelung ihres Ver- 
standes dadurch beizubringen, daB ich ihm ohne Unwahrheit 
berichte, daB sie so wol die hiesige Lesegeselschaft Jahraus Jahr- 
ein auf meine Kosten mi thai t (welches mich oft anreizt, zu Zei- 
ten ein gutes Buch zu stehlen) als auch Besitzerin von einer we- 
niger starken als gewahlten Biichersammlung ist; Ueberhaupt 
diirfte sie wol der Natur wenig vom Werthe ihres Verstandes 
verdank^n, und dem H. v. Grossing alles, dessen Werke ich ihr 
vorgeleget habe: denn seine unsterbliche Schriften haben ia 
schon meistens das Sterbliche ausgezogen und ihren elenden pa- 
piernen Korper und Madensack verlassen und sitzen in Gestalt 
seines Verstandes zufrieden im Monde . . . Wenn H. Heinecke 
in Leipzig et wann vermuthete oder gar horte, meine Gattin hatte 
sich die Bildung ihres Kopfes besonders durch das Buchstabiren, 
das er nicht kleiner als das Uebel der Inquisizion und Erbstinde 
halten will, viel zu sehr erschweret und man konnte ihr nicht 
zutrauen, daB sie lesen konnte: so will ich ihm und andern hiemit 
nicht verhalten haben, das sie wirklich das Buchstabiren gar 
nicht kann. 

Sondern vielmehr das Poetisiren; welches noch seltener ist, 
aber auch besser. Denn ich niste Haus an Haus bei Feinden von 
meiner Frau, die sie und mich sobald ihr Pfund von Belesenheit 
wegen ihrer Stumheit ohne Wucher und ein volliger eingeschar- 
ter Gelds chatz bleibe, des wegen ausserordentlich lacherlich ma- 
chen wiirden. Daher versah ich ihre rechte Hand mit einigem 
Ansatze zur deutschen Poesie. Ich spannte namlich in ihrem 
Arme drei Wetterstrickeaui, die bekanntlich das schlimme Wetter 
verkiirzet und das gute verlangert. Diese in die drei Schreibefin- 
ger eingekmipften Sehnen setzen die letztern in eine horizontale 
Bewegung und zugleich die tragbare Schreibfeder mit Dinte, die 
dazwischen steht (und die bei H. Scheller in Leipzig fast in 
Menge zu haben ist) fals namlich das Wetter gut und die Diinste 
so aufgeloset sind, daB sich die Schreibeflechsen verlangern. Da- 
her kann ein Poet bei schlechtem Wetter, wo seine Schreibe- 
flechsen durch Mangel von Trockenheit und Sonne zusammen- 
schnurren, mit seinen zu kurzen nichts rechts Gutes hinsetzen. 



412 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

Regt sich einma] die Feder: so mufi das untergelegte Papier (wel- 
ches Tag und Nacht da liegen muB, weil niemand weis, wenn 
sich das Wetter zum Vortheil der Dichtkunst andert) von der 
linken Hand immer unter der schreibenden weggezogen wer- 
den, damit alle Worte und Gedancken leserlich auseinander riik- 
ken. Es thuns wieder ein paar Wetterstricke, durch deren Ver- 
kiirzung ein grosseres Rad und durch dieses ein kleines sich 
umdreht, um welches die Schnure gehen, die der rechten das Pa- 
pier allmahlig nehmen und es ist ein Ungliick fiir mich, daB der 
Leser nochkeinen Pyrometer mit Radern gesehen. Ein geborner 
Dichter kann also gar nicht die linke Hand ganz zur Poesie ent- 
behrlich finden, ob man ihm gleich f reilich nicht laugnet, daB die 
rechte bei weitem den meisten Antheil an einem guten Gedichte 
behaupte. Durch dieses Schreiben nun miissen naturlich Buch- 
staben hervorfliessen, die man muB entziffern konnen, daraus 
Worter (derm diese bestehen aus einem oder mehrern Buchsta- 
ben), aus diesen gluckliche Metaphern und gutgewahlte Bei- 
worter und hinlanglicher Flug und lauter Wolklang (denn alles 
das kommt bios auf Worter hinaus) und aus diesem alien im 
Grunde ein wahres Metrurn, da die Zeilen nicht wie Prosa 
sondern vollig wie Verse abgetheilet stehen, - wenn wir dieses 
Hingeschriebene dann eine Elegie oder eine Ode oder eine poe- 
tische Epistel oder ganz etwas neues iibertiteln: so ists blosser 
freier Wille von mir und meiner unbelebten Frau, zwei angeneh- 
men Eheleuten hienieden und sundigen Kindern des 
Adams. 

Da sie leider nicht im Stande ist, sich selbst zu rezensiren: 
(denn ich ersann zwar auch gute Rezensirflechsen, allein bios fiir 
meine Hand, weil man sie unmoglich in der namlichen Hand ne- 
ben den Poetisirflechsen aufspannen kann und weil sie gerade in 
dem entgegengesetzten Wetter sich verkurzen:) so will ich doch 
weder sie noch das Publikum dabei verspielen lassen, sondern 
mit eigner Hand fiir die Zeitung ihres Verlegers eine Rezension 
niederschreiben, in der ich sie und ihre Gedichte genug lobe: 
denn rechtschaffene Manner miissen stets die todgebornen Ge- 
dichte ihrer Weiber unbeschreiblich loben und dadurch beseelen, 



TEUFELSPAPIERE ■ 3. ZUSAMMENKUNFT -IV 4I3 

wie nach der alten Naturgeschichte der Lowe den todgebornen 
Jungen der Lowin durch seine Stimme das Leben zutheilt. Mein 
herzlicher Wunsch ists, die ubrigen Rezensenten mochten die 
Rezension der poetischen Werke meiner Frau nicht wieder zu ei- 
nem neuen Beweise gerathen lassen, wie sehr sie alle Achtung 
gegen das schone Geschlecht zu verletzen gewohnt sind und wie 
wenig bekannt es noch ihnen ist, daft denkende Kunstrichter die 
Damen unter die Poeten, wie Linaus die sanftmuthigen Tauben 
unter die Sangvogel, nicht seit gestern stellen. 

Man wird mich billigen, daB ich oben die Erhabenheit ihrer 
Hand nicht ganz dem Riechsacke beimessen wollte, sondern 
schon an die neben ihm eingesezten poetischen Anlagen dachte, 
die sich durch stille Erhebung der Hande ankiindigen. Wie we- 
nig ist die Physiognomik der Hande truglich und wie viele poe- 
tische Talente lebendiger Damenhande sind schon durch un- 
geistige Handarbeiten ganzlich niedergedriicket worden! Ich 
muB daher die Ausgabe ihrer Werke mit einer Silhouette ihrer 
Hand anfangen, und dadurch dem physiognomischen Riesen 
wider seine Erwartung ein neues Glied ansetzen, da er gegen 
seine Feinde so viele Schattenkopfe als die Hydra und so viele 
Schattenhande als Briareus vonnothen hat. 

Mich wundert nichts mehr als daft neulich ein gewisser Schul- 
recktor ein lateinisches Michaelisprograma gegen mich und 
meine dichtende Figur abgeschossen, worin er beweisen will, 
ein Wesen von Holz, wie meine, Gattin sicher sei, ware ganz und 
gar nicht im Stande, einen Vers hervorzutreiben, der verdiente, 
daB ihn das ganze gesittetere Publikum durchliefe. Dieser Mann, 
der einem Wesen, das doch existirt, aus keiner Ursache den Na- 
men eines anmuthigen Poeten abschlagt, als weil es nicht von 
Fleisch ist sondern von Holz, mu6 von ienen alten Theologen 
etwas an sich haben, die die Eva keinen Menschen nennen woll- 
ten, bios weil sie nicht wie Adam aus Erde sondern aus einer har- 
ten Rippe gestaltet worden. Es ist unmdglich, daB er folgendes 
vor der Schreibung seines Programes iibersonnen: wenn der 
blinde Blacklock (nach dem Berichte des Monboddo) herrliche 
Schilderungen der sichtbaren Gegenstande erschaffen konnte, 



414 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

ohne nur einen wegen seiner angebornen Blindheit gesehen zu 
haben: soil es meiner Gattin schwerer sein, bessere oder doch 
ahnliche poetische Abzeichnungen von Gegenstanden der Sinne, 
der Empfindung und des Denkens zu entwerfen, ohne diese Ge- 
genstande durch eigene Erfahrung zu kennen? - Alle Dichter 
nennt man figurliche Adler, weil sie hoch fliegen, wenn nun Re- 
giomontan aus Holz recht gut einen Adler schnizte, der fliegen 
konnte: getreuet sich wol der H. Recktor von der Unmoglich- 
keit einen kurzen Beweis zu fuhren, aus Holz auch einen Adler 
im metaphorischen Sinne zusammenzusetzen, der bios im figiir- 
lichen Sinne ein wenig hoch zu fliegen vermag? Und leuchtet 
ihm die Moglichkeit einer Mas chine, die mit einem Drucke die 
Federn, die sonst die Gelehrten sich zuspizten, schneidet, leichter 
und starker ein als die von einer, die die Feder eben so gut fuhrfi 
Oder wollen die grosten Gelehrten den Homer zu seinem Hel- 
dengedicht gern den Gebrauch vieler poetischer Maschinen ver- 
s tat ten: meiner armen leblosen Frau hingegen bei ihrem Poetisi- 
ren die einzige poetische Maschine verdenken, die ihr guter 
Ehemann in ihre rechte Hand einheftete, ein springender und la- 
chender Ehemann, von dessen Verdiensten ein Quartant zu 
schreiben ware? 

Gleichwol scheint es, daB sie mit diesem dichterischen Geiste 
eine Unzufriedenheit mit den alten Religionsbegriffen ver- 
kniipft, die vielen franzosischen Damen fehlet, wenn sie tod- 
krank sind oder allein; und ich denke, sie hat den rechten Un- 
glauben. Ich will hoffen, es ist keine Tauschung, wenn ich an ihr 
bemerkt zu haben glaube, daB sie in einer 48 iahrigen Ehe nicht 
Einmal Schmolkens Gebetbuch zur Hand nahm, so wie ich 
selbst nicht (und solt* ich deswegen vollig verdammt werden, 
so kann ich nichts dafur: sie hatte mir mit einem andern Beispiele 
vorgehen miissen und auf sie schiebe ich die meiste Schuld) ^ sie 
weis ferner noch kein Wort, daB wir eine reparirte Kirche neben 
uns haben, die ausdrucklich fur solche leblose Damen aufgefiih- 
ret ist - auch lies ich mich nie mit einem gewissen Jesuiten in Re- 
ligionsgesprache ein, ohne an ihr die schon oben angeregte la- 
chelnde Oefnung des Mundes wahrzunehmen, von der man 



TEUFELSPAPIERE • 3. ZUSAMMENKUNFT 'IV 415 

glaubt, daB sie damit nicht so sehr ihre natiirlichen als ihre satiri- 
schenZ'ihne weisen wollte (und mehr kann ein christlicher Leser 
von einem Haubenkopfe gar nicht gegen die Religion verlangen, 
als daB er sie auslacht) - endlich hab' ich in ihr auch den Wurzeln 
des weiblichen Aberglaubens den gewohnlichen Boden nicht 
bewilligt, d. h. kein Herz, sondern ich lies den Rumpf Mosis so 
leer als er unter der Kanzel und auf dem Kirchboden war. 
Ueberleg' ichs vollends, daB sie ausser dem Verstande auch eine 
franzosische Bibliothek hat: so kann ich unmoglich glauben, daB 
sie nicht denke, sondern wirklich noch glaube, sie habe eine 
Seele und keine Maschine, sie werde die Zerstorung ihrer ver- 
ganglichen Hiille iiberleben und fur ihre Tugenden einen auf- 
fallenden Lohn empfangen, sie sei kein Werk des Zufals, son- 
dern eines verniinftigen Wesens. Freilich muB ich ungluklicher- 
weise mehr aus ihren Handlungen und ihrem Aeussern als ihrem 
Innern schliessen, und sie konnte wider alle unsere Hofnungen 
doch nur einen blossen Mundunglauben haben: allein von dieser 
unangenehmen Unwissenheit ist man wirklich in Rucksicht der 
vornehmsten Hofdamen eben so wenig frei; denn sind ihre Re- 
den und Handlungen uns wol sichere Biirgen, daB sie nicht dem- 
ungeachtet geheim in ihrem Herzen noch den Glauben an Gott, 
Unsterblichkeit und Tugend nahren, einen Glauben, den man 
ihnen und desto mehr ohne Unbilligkeit zutrauen konnte, ie 
weniger sie tief und lange untersuchen konnen? Ich thue das 
gar nicht: aber ich sag' es nur so. Dabei hat eine unbelebte noch 
mehr Muth zum Nichtsglauben als wenige belebte. Denn sie zit- 
tert nicht nur vor der Holle wenig, sondern auch - und das halt' 
ich fur recht schwer - vor keiner Maus und man weis kaum, wen 
sie mehr verschmaht, ob den Teufel oder eine Spinne. Zwar 
streuet mein Johann, weil ich ihn ohne Livree fortgeiaget, da der 
Kerl doch vollig alt und unbrauchbar war, iiberall aus, er hatte 
selbst gesehen, daB sie bei starken Gewittern so gut als eine le- 
bendige zitterte (indessen brauchte doch eine gewisse lebendige 
es nicht zu thun, da es andere fur sie thun, die sie kennen -) allein 
gesezt auch, so wiist' ich doch nicht, warum man dieses Zittern 
lieber fur eine Folge ihrer erschiitterten Imaginazion als des 



41 6 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

Donnerschalles halten wollte, der wol grossere Gebaude in Be- 
wegung sezt? 

Ich nab' es schon oben erinnert, daB meine Gattin schamhaft 
oder geschminkt genug ist. Ich weis recht gut, daB ich oft mit 
Gelehrten spazieren gieng, die gegen mich behaupteten, 
Schminke und Schamrothe waren ganzlich zweierlei. Aber ich 
denke noch bis auf diese Minute, der ganze Unterschied lauft da- 
hinhinaus, daB die Rothe dort auf, hier in den Wangen sizt, dort 
von der Hand, hier von den Adern herkommt, daB die natiirliche 
Schamhaftigkeit kaum drei Minuten, die aus Zinnober aber ei- 
nen ganzen Tag, wenn er nicht heis ist, bluhen kann. Das Wich- 
tigsteist, daB die Schminke ein erlaubter und richtiger Nachdruck 
der Schamrothe ist, der sie ungemein haufig und wolfeil auf alle 
und sonst unkeusche Gesichter verbreitet; daher bei uns die 
Schamhaftigkeit, wie (nach Herodot) bei den Aegyptern der 
VogelPhonix, nicht nur in recht grossem Werthe steht, sondern 
auch uberall wirklich gemalet zu haben ist. Allein nur ist nichts 
an diesen lebendigen Damen zerstohrlicher als diese ahaf- 

tigkeit oder Schminke. Loschet sie nicht oft ein einziger KuB 
weg? Reibet sie nicht ein hef tiger Tanz auf? Thranen f iihren diese 
kostbare Blume fort, der hernach eine ungemalte nachschwimt 
und eine massige Erhitzung (deren zum Ungluck die so sehr ge- 
schminkten und verschamten Aktrizen sich nicht uberheben 
konnen) kann die Wangen entkleiden und ihnen diesen geistlichen 
Ornat ausziehen. Wie viel fester sizt an unbelebten Damen die 
Schamrothe! Ferner bleibt meine schamhaft oder geschminkt bei 
Tag und bei Nacht und an alien Orten. Aber bei der gegen warti- 
gen Unvollkommenheit der Schminke ist das den lebendigen 
fast unmoglich: nach Mitternacht sind ihre Wangen nakt und wie 
kann einer sich vorstellen, ihre Schamrothe stiege mit ihnen ins 
Bett, da sie sie schon vor dem Schlafengehen abwischen und auf 
der Toilette lassen? 

Ich will hoffen, meine Bemerkung ist nicht falsch, daB 
Schamhaftigkeit der Zunge nie weit von der Sprachlosigkeit ab- 
liegt; und wenn ich keuschen Sprachwerkzeugen oft lange bei 
den vornehmen Damen, die reden konnten vergeblich nach ge- 



TEUFELSPAPIERE ■ 3. ZUSAMMENKUNFT TV 417 

spurt: so fand ich sie endlich unverhoft bei solchen, die stumme 
waren: von diesen leztern horte man kein schmutziges Bonmot 
weder in der franzosischen noch deutschen Sprache. Da alle un- 
belebte Damen taub und alle taube Menschen stumm sind: so 
kann meiner Frau iene Stumheit gar nicht fehlen, von der ich ihre 
Schamhaftigkeit der Zunge hauptsachlich erwarte; sie ist hierin 
voniener Maschine des H. von Kempele zu ihrem Vortheil ver- 
schieden, die mehr Sprachen reden kann als die Apostel vor ihrer 
Begiessung. 

Und dabei giebt eine gluckliche Stumheit auch andern Fehlern 
nicht Raum, nicht der weiblichen Medisance, nicht der witzeln- 
den Geschwatzigkeit, nicht den abgedroschenen und auswendig 
gelernten hundertiahrigen Schmeicheleien, n; . den Kleinig- 
keiten-Erorterungen. Allein werden wol viele mifdieser ersten 
Anlage zu so vielen Tugenden geboren? Leider ist die Stumheit 
so selten als die Beredsamkeit. Und doch trift man unter der 
Menge derer, denen alien die Natur diesen Vorzug der Fische 
benahm, solche, die durch die Kunst der Natur berichtigten, 
wiederum so wenig an, daB fast erworbene Stumheit noch selte- 
ner als die angeborne ist. Ich laugne es freilich nicht, daB ich ein 
gewisses Projekt oder das Manuskript davon schon in der 
Druckerei gelesen und erwogen: allein was bringt wol dieses 
vor? folgendes: »So wie man, sagt' es, in unsern Tagen Institute 
fur Stumme anlegte, sie reden zu lehren: so musse man fur ange- 
nehme Damen entgegengesezte errichten sie schweigen zu leh- 
ren; und man hatte in unsern Tagen das offenbar vergessen. 
Derm wer et wann die Karthauserkloster f iir Madgenschulen des 
Stillschweigens ausschrie: der wiiste kein Wort davon, daB es in 
Deutschland zwar 68 Karthausen voll Monche, aber nicht mehr 
als 5 gabe, in die sich einige Nonnen zusammengethan die iiber- 
dies im Schlafe soviel reden diirften als ihnen beifiele. So wie 
aber die »Entstummungskunst« den Weg zur Wortsprache durch 
das Gebiet der Mimnsprache nahme: so muste auch die pythago- 
raische Kunst den Riickweg davon, wieder dadurch nehmen. 
Z. B. Um die Damen vom Verlaumden mit Worten mit wahrem 
Gliicke zu entwohnen: so muste man so viel Sorge tragen als 



41 8 JUGENDWERKE - 4- ABTEILUNG 

man konnte, ihnen die Mienen nach und nach gelauf ig zu ma- 
chen, worin ein ordentlich gebildetes Wesen diese feindselige 
Gesinnung eben so gut, wenn nicht besser auszulassen ver- 
mochte: eine alte Dame miiste daher auf ihrem Gesichte die Ver- 
laumdung gliicklich vorexerziren und der Uebung, der Anlage 
und der Erfahrung miiste hernach das Weitere ganzlich iiberlas- 
sen werden. Alsdann schritte man zu den wizigen Einfallen, die 
ohne wahren Verlust ihres komischen Sazes in gewisse Bewe- 
gungen des Kopfes, der sie ersinnt, der Hande und des Fachers 
konnten iibersetzet werden. Und wahrhaftig so fort.« Ich will 
kein Wort des Tadels iiber dieses Projekt aussprechen, zumal da 
es so wie meine Frau ganz von mir selbst gemacht worden. 

Die platonische Liebe ist sicher gar ein seltener Vogel und im-' 
mer besezt eine schlechtere oder okonomische Gewohnheits- 
freundschaft oder Hoflichkeit ihre schone S telle. Es war deswe- 
gen von ieher meine Sache, in mussigen Stunden darauf zu 
denken, wie ich die Damen von Holz zusammensetzen miiste, 
wenn ich mit ihnen der platonischen Liebe wahre Dienste leisten 
wollte. Ich sagte zu mir ohne Miihe: »die platonische Liebe fo- 
dert gleich dem paktmachenden Satan, in dem sie niemals ist, 
nicht sowol den Korper irgend einem Menschen ab, als seine so 
schone Seek. Es ist aber ein betriibtes Schicksal fur Damen und 
fur ieden, daB es, wenn man sie ungemein platonisch liebt, nicht 
lange wahret, und die grosten Denker saBen deswegen bis nach 
Mitternacht auf, urn die Ursache davon aufzuiagen; allein ich 
horte noch nicht, sie hatten etwas herausgebracht. Nennt man 
freilich die Seelenliebe mit Plato die Flugel der Seele, und die 
Kdrperliebe, dieses bekannte Anhangsel derselben, mit mir den 
Schwartz der Seelenfliigel, so wie gewissen Schmetterlingsflii- 
geln ein langer Schwanz ansizt: so wiirde ich mich allerdings mit 
unnothigen Besorgnissen martern, wenn ich dachte, auch leblo- 
ser Damen Seelenfliigel wiirden am Ende so fatal geschwanzt.« 
- Nichts bringt wol grossere Vorstellungen von der innern 
Schonheit, in die sich der petrarchische Liebhaber sehr verlieben 
muB, bei als die aussere und mit dieser wachset in Einem fort die 
Liebe fur iene: ia man trift den Hauptpunkt, wenn man den 



TEUFELSPAPIERE * 3. ZUSAMMENKUNFT ■ rV 419 

schonen Korper fiir die prachtigen Flugeldecken ansieht, worun- 
ter die schwachen Seelenfliigel verborgen liegen. Nun that ich 
bisher garnichts anders als weitlauftig beweisen, daB wenn man 
von den korperlichen Reizen reden wollte, den unbelebten Da- 
men niemand sichtbarer nachstande als die belebten: kann man 
daher wohl ohne Unvernunft besorgen, daB well bisher die pla- 
tonische Liebe gegen eine belebte Dame nicht langer halten 
wollte als eine Frisur, die gegen die geistigen Reize einer unbe- 
lebten auch nicht ewig dauern werde, deren korperliche doch er- 
wiesenermaBen so viel grosser sind? 

Sonst soil wie ich gewis will, in den bishergen Absichten des 
Reichthums, die stets iede gute Ehe stiften, durch meine unbe- 
lebten Damen wenig geandert werden: Will ein Reicher einen 
andern Reichen 50000 Thaler schenken: so lasset er sie noch im- 
mer wie sonst durch eine Tochter hintragen, nur daB sie ietzt von 
Holzist. Z. B. Will der Baron von Zet dem Freiherrn von Tezet, 
da ihre Rittergiiter offenbar so nahe an einander liegen, die 
Baronesse wirklich geben: so ists verniinftig, wenn er das auf 
sich anwendet, was der Maler Le Lorraine von seinen Land- 
schaftsgemalden sagte: le ne vende que mes paysages et donne 
les figures par dessus le marcjie: ein Bonmot, das ich in folgen- 
den allgemeinen Satz verwandeln will: »blos die Rittersitze wer- 
den in den Kauf oder Ehekonntrakten verkauft, die menschli- 
chen ehelustigen Figuren, die darin stehen, werden wirklich nur 
drein gegeben. « Zumal da der Maler Le Lorraine die Figuren sei- 
ner Landschaften gewohnlich andern hineinzumalen iiberlies. 
Potentaten laufen gewohnlich nach einer Gemalin herum, hinter 
der ein langer Brautschatz von Land und Leuten nachzeucht. Ich 
will daher hoffen, daB sie holzerne Prinzessinen als einen Holtz- 
zweig betrachten, den man nicht wegen seiner Frikhte, sondern 
wegen des grossen Bienenschwarms, der sich daran gelagert, ab- 
nimmt und forttragt. Freilich konnte man aus der Universalhi- 
storie etwas borgen und einwenden, die Fiirsten waren in wei- 
bliche Portraits so verliebt, daB sie kaum eine lebendige Dame 
geschweige eine weibliche Statue ehlichten. Es ist wahr, das 
Portrait der Prinzessin wird von ihr eingepackt vorausgeschickt, 



4^0 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

nur dieses kennt und liebt der Prinz, zumal da es wie iedes Origi- 
nal auch viel schoner ist als die nachkommende lebendige Kopie, 
und mit diesem Gemalde vollzieht der Regent sein Beilager, so 
wie kurz darauf mit der lebendigen Kopie die Vermahlung dutch 
Gesandte ohne die lacherliche Zermonie des dazwischenliegen- 
den Schwerdes ordentlich vor sich geht. Allein warum lieben 
gekronte die Gemalde so innig? Konnten sie nicht bedenken, daB 
das Kolossalische sich in der Bildhauerkunst weit besser als in der 
Malerei ausnehme und daB ich es nicht wagen wiirde, - fals es 
aus meinem eignen Kopfe kame - sie zu meinen Absichten durch 
folgende irgendwo liegende Weissagung zu versuchen: »Und 
dann wird erst oder bald darauf der grosse Fiarst aus Norden mit 
einer unbelebten Puppe die bekannte Jungfer Europe erheirathen, 
wie die Zeit ausdriicklich saget. « Man kann die unbelebte Puppe 
fuglich auf meine unbelebten Damen Ziehen und deuten.' 

Ich bin sonst nicht tugendhafter als es an einem Hofe nothig 
ist; und ich kann sagen, daB ich gar keine Moral habe. Z. B. will 
ich aus vielen Beispielen nur anfuhren, daB ich, als ich am 
** Hofe noch beliebter Prinzenhofmeister war, ganz und gar 
kein Bedenken trug, meinem Prinzen zu entdecken, daB die 
nicht geraumige Spitze des Thrones eine groBe Familie nicht wol 
fasse, und daB der Apanagengelder dann mehr wiirden als es den 
besten Kammeralisten lieb ware: ich f ragte ihn, ob er denn nicht, 
da kein Mensch mehr das Geliibbe der Enthaltsamkeit zu halten 
begehrte, vorher vom Gipfel des Thrones auf dessen breitere 
und niedrigere Stufen herunterspringen wollte, und daselbst 
nicht sowol seine Ebenbilder, als seine Unterthanen mit wahrer . 
Lust zu vermehren und zuriickzulassen; und ob er nicht die edle 
Lerche sich hierin ganz zum Muster nehmen mochte, deren Flug 
und Gesang in der Hohe, deren Nest aber in einer schmuzigen 
Furche ist, oder auch bios das Johariniswurmgen, das auf seinen 
Fliigeln zum Kothe herunterflattert, woran sein ungefliigeltes 
Weibgen angeleimet sitzt. Durch solche Reden und ein wenig 
mehr franzosische Philosophic als ein Narr kann, muB sich ieder 
bei Hof in Gunst zu schwingen wissen, er mag nun ein Hofpage 
sein oder ein bloBer Prinzenhofmeister. 



TEUFELSPAPIERE ■ 3. ZUSAMMENKUNET 'IV 421 

Oft wenn ich so den sonderbaren Verstand und Kopf und den 
Ueberschwang an den besten Erfindungen betrachte, den ich, 
wie man glaubt, habe: so stehts nicht in meiner Gewalt, mich 
nicht als ein seltenes Wesen mit wahrer Ehrerbietung anzusehen 
und dabei zu fragen: welche Rolle wiirdest du wol unter stock- 
dummen Wilden mit so ausserordentlichen Gaben spielen? Ich 
glaube noch immer, in vielem Betrachte die ehrwiirdige Rolle 
eines iiberirrdischen Gesandten und Wunderthaters . 

Ich wiinschte, meine Gattin wurde nicht von Stunde zu 
Stunde baufalliger und abschatziger, und ihr Leben suchte nicht 
wie dieser Auf satz mit weiten Schr,itten sein Ende. Es ist ein ein- 
fal tiger Satz, aber er ist wahr, daB man in Kurzem von ihr sagen 
wird, was ieder Indianer von einer stillstehenden Uhr behauptet: 
»sie ist gestorben« oder auch wir von vielen Fiirsten, die vorher 
lebten. Es war also dumm von mir, daB ich keinen langen Sarg 
sondern einen gewohnlichen Hausschrank bestellte, den ich ihr 
zum Witwensitz eingeben wollte, weil ich dachte, ich gienge eher 
mit Tode ab. Ungemein glucklich ist, der bekannte Doge von 
Venedig, der Stiefvater der Venus*, dessen alte Frau wie ich 
denkeniemals stirbt. Ich hofte zwar seither immer, wenigstens 
noch das Jahr mit ihr zu hausen, das uns zu einer funfzigiahrigen 
Ehe leider fehlet, urn doch darauf unser halb lacherliches Eheiu- 
bilaum mit einander in der hiesigen Pfarrkirche oder draussen 
auf dem Filial ganz f eierlich begehen zu konnen; und ich gestehe, 
daB ich schon eine lustige und riihrende Beschreibung des Jubi- 
laums bei dem hiesigen Zeitungskomtoir zum voraus bestellet. 
Es ist auch ferner wahr, es ist einfaltig, daB, da die Rota aus ei- 
nem iooiahrigen Jubilaum vier 25 iahrige langst herausgeschnit- 
ten, wir Eheleute doch noch immer auf das lange von 50 Jahren 
passen. Es verschluge auch weiter sogar das so ausserordentlich 
viel nicht, daB ein paar Millionen Holzwurmer nicht nur das 
groBe Gehirn meiner Gattin auf gef res sen haben sondern auch 
das kleine, denn ich wollte selber ohne ein Gehirn leben: dabei 
saBen diese Wurmer auch langst schon vor ihrer Geburt oder 
meiner Verfertigung in ihr, und konnen nichts beweisen als 

* Denn diese entstand aus dem Meer, das der Doge heirathet. 



422 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG- 

hochstens den Satz des H. Goze, daB die Eingeweidewiirmer 
den Thieren angeboren werden; daher ich ihm das ganze Faktum 
schrieb, das er aber in nichts benutzen wollte. - Sondern auf fol- 
genden Vorfall laB' ich alle Hofnung ihres langern Besitzes 
ganzlich fahren. An einem warnien Abende hort' ich in ihrem 
rechten Arme etwas stark schlagen und larmen. Ich stellte mir 
anfangs mit Freuden vor, es sei bios ihr Puis und fieng nach ihm. 
Aber meine Freude war weg, als ich horte, daB das, was in ihm 
so hammerte, eine wirkliche Todtenuhr war: einige nennen die- 
ses Insekt, das das Holzwerk zernaget, auch eine Biicherlaus. 
Nun ist so viel gewis, daB dieses schlechte Geschopf gleich den 
besten Aerzten den Tod meiner Gattin sowol prophezeien als 
verursachen und einen betriibten Ehemann hinterlassen wird, 
der dartiber ohne Vernunft iiircht' ich herumschleichen und mit 
Schmerzen daran denken wird, daB er und sie zwei lange Leiber 
und - welches nach Aristoteles die Freundschaft ist - doch nur 
seine Seele in beiden besessen. Das Beste was ich nachher noch 
thun kann, ist gottlob, daB ich ieden in der Stille und mit Weh- 
muth durchpriigle, der sagen will, der Pobel hatte wenig Recht, 
die Todenuhr fur ein Zeichen zu nehmen, »daB nun im Hause 
bald eines sterbe.« 



V. 
Wie ein Furst seine Unterthanen nach der Parforceiagd bewirthen lassen 

■ Obgleich auf den meisten Thronen Menschen- und Untertha- 
nenliebe und (iberhaupt iede edlere Empfindung wirklich hor- 
sten* und daher die Aeusserungen derselben gar nichts wunder- 
bares sind: so sollte doch iedesmal (und noch ofter) wenn ein 
Furst eine groBe Handlung thate - und meiner Einsicht nach ist 
wol seine kleinste eine - ein allgemeiner Auflauf deswegen ent- 

a Horstheisset dererhabene Ort, wo dieRaubvogel wohnenund ge- 3c 
hort mit unter die Jagertermen, die sich nach und nach so gut wie die 
theologischen verlieren werden. 



TEUFELSPAPIERE * 3. ZUSAMMENKUNFT ■ V 423 

stehen und iederman sollte ihn mit besonderm Geschrei loben, 
besonders die Zeitungsschreiber, fur die ein Blatt aus der Uni- 
versalhistorie eine Welt ist. Eine groBe Handlung wiird' ich es 
z. B. nennen kdnnen, wenn mir einer einen Louisd'or oder war' 
ich ein singender Kastrat, 200 schenkte. Man hore aber folgende 
edle Handlung aus der Sonnabendszeitung in einer besondern 
Gemuthsverfassung und verschone sie mit dem gewohnlichen 
Loose edler Handlungen, daB man sie bewundert aber nicht 
nachahmet. 

»den 29 August. 
Unser gnadigster Fiirst und Herr geruhten heuer den ganzen 
Herbst mit dem *** Gesandten zu Hochst deroselben Plaisir 
brillante Parforceiagden anzustellen, woran sowohl die Land- 
leute als das Wild einigen Antheil nehmen durften. Das Vergnii- 
gen des Landvolks, sich nun (nachlangem Ansuchen) durch die 
Gute seines Fiirsten auf einmal aller beschwerlichen nachtlichen 
Wachen zur Abtreibung des Wildes entlassen zu sehen, war so 
gros, daB verschiedene es gar nicht merkten, daB ihnen die feuri- 
gen Jager wegen ihres elenden Treibens mit Leichtigkeit theils 
Arme theils Beine von einanderschlugen: als sie nach Hause ka- 
men, sahen sie erst, daB sie nicht stehen konnten. Gleichwol 
wollte unser Landesvater nicht, daB diese Parforceiagd die ein- 
zige Entschadigung fiir die abgegrasete und niedergestampfte 
Ernde seiner Unterthanen sein sollte: sondern Hochstderoselben 
verfugtengnadigst, daB von der Kammer Summen hergeschos- 
sen und auf landesherrliche Kosten iedem Dorfe eine reichliche 
Malzeit gegeben werden sollte, iedoch dergestalt, daB man ihnen 
nicht gewohnliche rohe Bauerspeisen, sondern - um fast das 
Vergniigen aufs Hochste zu treiben und den armen Landleuten 
zu zeigen, daB ein rechschaffener Bauer von seinem Landesherrn 
nicht schlechter als der tagliche Gesellschafter seiner Tafel be- 
handelt werde- lauter Schaugerkhtev or setzte. Und hierin wurde 
auch, wie ich hatte voraussagen wollen, fast nichts gesparet, 
sondern Schaugerichte aller Art sowol aus erhabener Arbeit von 
Prozellain, Glas und Wachs, als aus Pastelgemalden von gepul- 



424 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

vertera Alabaster auf Spiegelplatten aufgetragen, standen haufig 
auf den langen roth angefarbten Tafeln hin, woran die Bauern 
mit ihren geniessenden Augen hinauf und heruntersaBen: es ge- 
fiel ihnen aber fast kein Gericht mehr als eine wachserne Vorstel- 
lung ihrer durch Hegen und Jagen des Wildes zertretenen Felder, 
die sie bestandig mit den vor ihnen liegenden abgeerndeten Ori- 
ginalen geschickt zusammenhielten. Was die allgemeine Freude 
an die aussersten Granzen trieb, war daB ieder, nachdem er sich 
an diesen gesunden Speisen vollig satt gesehcn hatte, vom Tische 
aufstehen und zum Ueberflus allerlei Viktualien, die Leute aus 
der Stadt in Menge hergeschoben hatten, fur Geld und gute 
Worte leichtlich haben konnte. Sogar vom erlegten Wildpret lies 
ihnen der Fiirst so viel zukommen als sie nur kaufen wollten, als 
welches (und viele ruhmten es auch) in einem Ueberflus vorhan- 
den war, daB es grostentheils anbriichig und stinkend wurde: 
denn die Jagdhunde konnten nicht alles, was die Bauern unge- 
kauft gelassen, zusammenfressen. Unser gnadigster Fiirst, der 
(und desgleichen auch unsere Landesmutter) darauf dringt, daB 
seine Leute mehr als gewohnlich lustig sind, hat daher den Land- 
leuten zu mehreren solchen Parforceiagden und kalten Kuchen 
hinlangliche Hofnung gemacht . . . 

Sonst ist nicht unbekannt, daB er iezt die Schaugerichte, bei 
denen allein der Magen am besten ein kontemplatives Leben 
fiihren kann, wunderbar in Gebrauch setzen will; daher wurde 
die Mundporzion des Soldaten recht ansehnlich vergossert, und 
es wird iezt ein ganz groBes Kommisbrod an idem Lohnungs- 
tage (wie die Hostie der Katholicken) ordentlich herumgetragen 
und einem Regimente nach dem andern vorgewiesen aber nicht 
gegeben, maBen es schlecht zu essen ware da es der Fiirst, urn 
lieber die Grosmuth als die Sparsamkeit zu iibertreiben, durch- 
aus nicht mehr aus verdorbenem alten Mehle back en lasset, son- 
dern (wie die Probesemmeln der Backer) aus reinem frischen 
Topferthon. Gleichwol verfangt dieser Thon gegen den Hunger 
des Heeres so wenig, daB es Kompagnieweise auf die Dorfer 
betteln gehen und doch dabei gelegentlich eine maBige Reiter- 
zehrung mit stehlen will.« 



TEUFELSPAPIERE • 3. ZUSAMMENKUNFT • V 425 

Ich merke zweierlei iiber dieses Zeitungsblatgen an. Erstlich 
muB ieder Bauer bekennen, daB ein Furst allemal zwischen ihm 
und dem groBen (sonst so geschatzten) Wildbrete einen groBen 
Unterschied zu machen wisse, indem er ihn weder schiesset wie 
dieses noch in harten Wintern mit Hiitten und Fras versorget wie 
dieses. Zweitens da ein Soldat ausser dem Muth nichts so drin- 
gendbedarf als Essen, das ihn vermehrt; und da er noch dazu das 
letztere in Krieg und Frieden, den erstern aber bios in Kriegs- 
lauften haben muB: so sollte im Kriegsdepartement mit Ernst 
darauf gedacht werden, wie weit es durch geschickte Maasregeln 
zu treiben ware, wenn man, da ieder geile Auswuchs an Montur 
und Gewehr ietzt durch die Hand der iiberlegenden Sparsamkeit 
iiber- und weggeschoren wird, auch den Magen der Regimenter 
ins Engere zoge. Man sollt' es probieren, wie lang ein Gemeiner 
von gewohnlicher Leibeskonstituzion das Fasten aushielte, eh' 
er verschiede: dieser Gemeine konnte dann zum Hunger-Regu- 
lativ oder zum Fasten-Flugelmann aufgerichtet werden, und sein 
Magen wiirde ganz zum Protoplasma fur die iibrigen Magen der 
Kompagnie angenommen. Stand' einer oder der andere diese 
Mund- und Fruchtsperre gar nicht aus: so konntens doch seine 
Kameraden und das Handgeld fur den Rekruten, mit dem man 
ihn erganzte, kame gegen die ersparte Ausgabe der groBen 
Mundporzionen (wie denn ietzt ein gesunder Soldat wirklich so 
viel zu essen kriget daB fast ein Kranker damit zu ersattigen 
ware) in gar keine Vergleichung. Die Soldaten noch auf halb- 
iahrlichen Urlaub nach Haus zu den Eltern zur Fastendispensa- 
zion und zur Eichelmastung abzusenden - hatte man dann auch 
nicht mehr nothig, sondern ieder konnte seinen Hunger in der 
Kaserne abwarten. Ich sehe leicht ein, daB die Kerls sich schwer 
auf denBeinen erhalten wiirden, allein (- ich bemerke nicht ein- 
mal, daB die im ersten Gliede ohnehin auf das Knie sich steuern 
konnen -) wenn die Fiirsten in eine unentbehrliche Hungerallianz 
zusammentreten, und, so wie nach einer europaischen Konven- 
zion das Blei weder zerhackt noch vergiftet in die feindliche 
Wundefahrendarf, gleicherweise verabreden wollten, daB ieder 
sein Heer zu einer 365 tagigen Fasten beordern und keiner einen 



426 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

Mann unter die Fahne lassen sollte, der satt ware: so wiirde - 
eben weil das kriegerische VerhaltniB bestande und matte Trup- 
pen, die Hunger hatten, nur auf Truppen schossen, die auch 
nichts anders hatten - schon etwas dabei herauskom- 



VI. 

Rede, womit ich die Tugend zum Leben uberreden wollte, 
da sie gestorben war 

Das Ableben der Tugend ist so wenig eine Neuigkeit mehr als 
das des Konigs in PreuBen und iederman bedauerte ihren Tod 
aufrichtig genug. Auch weiB man iezt langst, daB ihr nicht das 
Herz aus dem Leibe gerissen worden, wie man anfangs in eini- 
gen deutschen Provinzen glauben wollte, denn sie entschlief 
sanft an einer Krankheit und auf ihrem Bette. Die Krankheit, 
woran sie verschied ist keine schimpfliche, sondern die soge- 
nannten Franzosen, deren sich niemand schamen kann und die 
iederman vom Grosten bis zum Geringsten ietzt hat; sie ist nichts 
anders als die Seekrankheit, der sich ieder Mensch auf seiner 
Schiffarth durchs Leben durchaus unterziehen muB. Die Tugend 
fieng sie in einem Domino auf der Maskerade auf, den ein vor- 
nehmer Mann vorher damit infiziret hatte. Denn ein gutes Vor- 
recht des Adels ist das bekanntlich, daB ihn kein Henker zwingen 
kann, die QwdrawfatMeauszustehen. Der Doktor that bei der Tu- 
gend sein Bestes und stellte sie wider das allgemeine Vermuthen 
von den Franzosen her: aber in der Salivazionskur stand sie ab. 
Die Musen waren, ihre guten Krankenwarterinnen. Ihr Todenbett 
war, wie ich vom Wirthe erfuhr, das Hochzeitbett der platoni- 
schen Liebe gewesen, die da in der Brautnacht das Sterbliche 
ganzlich ausgezogen hatte. Der Teufel sprang wie toll im Kran- 
kenzimmer und um das Krankenbett herum und hatte sich als 
ihren Todesengel angestellet: Allein wir kannten ihn alle recht gut 
und sagtens ihm zulezt »unsertwegen bediirf er gar keiner Ver- 
kappung; wir waren keine solche Leute, die ihn hindern wiirden, 
der Tugend den Garaus zu spielen, sondern vielleicht bessere.« 



TEUFELSPAPIERE ■ 3. ZUSAMMENKUNFT - VI 427 

Es war Zeit, daB sie das Testament aufsetzen lieB. Es gefallet mir 
nicht, iezt von vielen Leuten zu horen, unter den sieben Todsiin- 
den, die dabei Zeugen sein musten, hatten einige gefehlet: denn 
man giebt dadurch vielleicht zu verstehen, man hielte den Pariser 
Polizeihascher, den Wiener Denunzianten und den Spaaer 
Croupier fur keine giiltigen Reprasentanten der drei fehlenden 
Todsiinden, von denen sie doch ausdriicklich hergesendet wor- 
den. Ich bin zum Exekutor des Testaments ernennt: allein ich 
werde nicht spitzbiibisch dabei verfahren, sondern iederman soil 

10 das haben, was ihm die Tugend vermachte, der hiesige Superin- 
tendent ihr Gesicht, die hiesige Herrnhuterin ihre Augen, und 
die Toden Konige ihr Herz »weil, liefi sie niederschreiben, man 
ihnen allzeit ihres nach dem Tode ausschneidet und es in ein 
goldenes GefaB einsargt: denn die Lebendigen, denen ich sonst 
meines gern gegonnet hatte kontens nicht brauchen, da sie 
gliicklicherweise wirklich noch ihr eignes haben. « Was noch von 
ihrem Korper iibrig bleibt, soil wie bekannt zu einer Mumie ge- 
baizet werden, damit man ihn wie andere Mumien zerreiben und 
zur braunen (mannlichen) Farbe brauchen konne. Ich merke nicht 

20 erst an, daB ihre Kleider gar nicht ins Testament kommen konn- 
ten, da sie in Paris verstarb und folglich als eine Fremde ihren 
ganzen Anzug dem Konige in Frankreich nach dem droit d' Au- 
baine hinterlassen muste, den ich Frankreich auch nicht vorent- 
halten will. 

Ich wollte, sie hatte niemand weniger im Testamente verges- 
sen als mich oder auch meine Frau. 

Als sie entschlafen war und wir alle still und einigen von uns 
die Erde enger wurde: so sagt' ich zum Satan, neben den ich 
stand, und trat ihn auf den Schwanz: »es ist, mein lieber Satan, 

30 in England gewohnlich, daB man um den Anverwandten, die 
nahe bei London wohnen, von der Hinrichtung des ihrigen 
Nachrichtzuertheilen, eine Taube vom Richtplaze dahin fliegen 
lasset: wie machen wirs! die Welt muB doch von dem betriibten 
Todtesfall belehret werden. « Freilich, sagte er, und er wolle es 
den Augenblick selbst thun. Er verwandelte sich in einen gros- 
sen Raben, dessen Schwarze er schon vorher hatte und schoB 



428 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

hinaus und zog langsam zum Zeichen iiber die Welt, daB die Tu- 
gend nun gestorben und in die bessere geflogen sei, wo die ersten 
Griechen wo die ersten Romer und ersten Christen sind, aber 
keine grosse Welt. 

Die Heuchelei hielt hernach ordentlich die Leichenwache und 
die Gelehrten dieses Jahrhunderts schossen die Lichter her, die 
ganz den Sarg umgaben und auf ihre blasse Grosse schimmerten. 
Die Trauerleute - welches alle Menschen waren, d. i. 1000 Mil- 
lionen ohne mich - wollten einige Begrabnismunzen und Sterbe- 
thaler schlagen lassen: allein ich fragte sie, ob sie denn toll und 
das bisherige Geld nicht eben so gut ware, besonders die Abhs- 
pfenigeund Subsidiengelder. Wie bei den Romern ein Sklave von 
dem Toden die Fliegen mit einem Fliegenwedel wegschlug: so 
stand ich mit einer langen satirischen Peitsche hart an der erbla- 
sten Tugend und schwenkte sie von Zeit zu Zeit, urn das philo- 
sophische und hofische Ungeziefer, das sich und seinen Unrath 
noch auf sie setzen wollte, wegzubringen: es ist wahr, himmli- 
sche Tugend, das ist das geringste, was ich oder ein anderer Au- 
tor fur dich thun konnte! Ich horte erst vor einigen Tagen, sie 
hatte in der Besorgnis, die Geistlichen wurden sie nicht gratis 
begraben wollen, in die Hildesheimer Sterbegesellschaft, in eine 
Todenlotterie und in die Gottingische Sterbebeitragsgesellschaft 
(diese zerschlug sich ia aber, so ich weis, schon langst) einige 
Gulden gesezt: ich ersuche daher Personen, die darum wissen, 
mir es gefalligst zu schreiben oder sagen zu lassen, obs wirklich 
wahr ist oder nicht. Die Jesuiten wollten sie ins heilige Grab bei- 
setzen und haderten dariiber mit mir sehr: allein ich fragte sie, 
ob denn dieses nicht in Palastina lage oder noch weiter ab, und 
obs nicht fur tausend Christen gemachlicher und naher ware, 
wenn man sie in die - Hofkirche begriibe. Und da wars, wo ich 
folgende Rede, die mir, wenn ich Leser ware (und ich bins auch) , 
unvergeBlich sein sollte, an die Tugend hielt 

»Erblaste Tugend! 
Die gemeinen Irlander (und auch viele andere Wilde) schelten al- 
lemal den Verstorbnen tapfer aus, daB er sich entschliessen kon- 



TEUFELSPAPIERE • 3. 2USAMMENKUNFT • VI 429 

nen, sich hinzulcgen und zu sterben; sie bitten ihn um alles in der 
Welt ruhig nachzusinnen, ob sein Tod seine verniinftigste 
Handlung sein konne, da er eine Kuh und Frau und Kinder und 
Kartoffeln genug gehabt. Ich muB es gestehen, Hebe Tugend, 
dein Ableben ist nicht die That, die mir von dir am meisten ge- 
fallet oder auch der Vernunft. Thaten wir Menschen dir denn et- 
was anders als die Ehre an, die sich fur dich und sie schikte? Oder 
liessen wirs vielleicht an Weihrauch fehlen? Waren nicht die 
Hofleute gegen dich so hoflich wie gegen das Laster? Wahrhaf- 
tig, ich vermuthe, wir thaten mehr als nothig war; du aber un- 
terliessest manches, du verschmahtest unsere 2 Herzkammern, 
die wir dir zu einer guten Wohnung aufschlossen und sagtest, 
du sahest nichts darin als Goldkoth und album graecum und 
Caca du Dauphin und Teufelsdrek, welches viele verdriissen 
muste: gleichwol frag ten wir ganz und gar nichts darnach, son- 
dern dachten allezeit gut und gelassen und brauchten dich gern, 
wie die Mexikaner ihr unsagliches Gold, aus Achtung bios zur 
Ausschmtickung der schonsten Tempel, aber gar nicht im Han- 
del und Wandel. Wir hoften ganz vergeblich dich dadurch zu 
riihren, daB wir dich zur Prima Donna unserer Nazional- Fami- 
lien- und Marionettentheater und Schuldramen seit vielen Jahren 
auserlasen; ia wir giengen so weit als wir bei aller Anstrengung 
vermochten und machten auf deine Reize so viel gute Verse, daB 
Unkundige hatten schworen sollen, du warest eine Konigin oder 
eine Geliebte und wir deine Unterthanen oder Liebhaber. Zum 
wenigsten war es einsichtigen und belesenen Personen niemals 
moglich sich vorzustellen, du wiirdest gleichgiiltig bleiben, 
wenn die machtigsten Potentaten sich gern fur deine Gonner 
ausgaben, in ihren Kriegs- und Friedensschliissen und Negozia- 
zionen und ostensiblen Instrukzionen der Gesandten deinen Na- 
men oft anfuhrten und mit mehr Riicksicht auf deinen als auf ih- 
ren Ruhm bios dir die grosten Uhternehmungen zuschrieben, 
die wie man ganz wol weis, nur ihre eigne Politik so gluklich 
volfiihret hatte; diese Politik, die vielleicht - so wie nach Simo- 
nides lediglich Gott die Metaphysik vollkommen versteht - nur 
der Satan recht inne hat, gegen den die besten italienischen Hofe 



430 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

nichts weiter vorstellen, als blosse deutsche Echos desselben.. 
Unmoglich hast du vor deinem Abster.ben ernsthaft genug 
iiberdacht, daB wir deinetwegen ein grosses Heer Leute, die wir 
Geistliche nennen, mit vielen Kosten langst in schwarzes Tuch 
gethan, und ihre Kanzeln in buntes und einige Beichtgroschen 
in ihre Beutel: dieses Tuch und diese Groschen beweisen mehr 
als schlechtere Griinde, daB die Menschen fur dich zu alien Zei- 
ten vielleicht eben so sehr eingenommen waren wie fur das La- 
ster, wenn nicht noch mehr. Wenn ich dich aber von Seiten vie- 
ler wolhabender Christen versichere, daB sie iibermorgen das ic 
Geld zurn Tuche zusammenschiessen und damit die gegenwar- 
tige Kanzel nebst dem Altar neu bekleiden wollen, urn etwann 
durch dieses leichte und unschuldige Hausmittel (das doch des- 
wegen, sagt der gute Vesperprediger, nicht schlechter wirkt) 
dich ganz wieder zu beleben: so wunschte ich zu wissen, was du 
davon dachtest. Da ich aber gar zu deutlich sehe, daB du dich 
nicht lebendig machen wilst und meine ganze Rede verachtest, 
die doch ein Mensch gemacht: so schnapp' ich sie auch augen- 
blicklich ab.« 



VII. 

Beitrag zur Naturgeschkhte der Edelleute; aus einem Syrischen 
Schreiben 

Ich hatt' es schon ganz satt - es war iiberhaupt mein verdriiBlich- 
ster Tag wahrend meines ganzen Aufenthalts in Aleppo in Sy- 
rien - auf dem Dache mit meiner Windbiichse ohne alle verminf- 
tige Absicht herumzukreuzen: als gerade neben einer Wolke die 
Mitwochspost herflog. Ich wartete, bis sie gerade iiber meinen 
Kopf weg wollte und schoB sie dann unversehends herunter. 
»Ich kann es, sagt' ich nach dem Schusse, eigentlich gar keine 
Postberaubung nennen: denn ich retorquire bios und ich wiin- 
sche nur, daB das, was mir die deutschen Tauben, vom Felde 
stahlen, mir durch die Briefschaften, die diese etwan unter dem 
Schwanze hat, recht ersetzt wurde.« Allein als ich sie befiihlte, 



20 



TEUFELSPAPIERE - 3. ZUSAMMENKUNFT - VII 43 1 

war ihr bios Ein Brief am Schwanz gebunden. Ich biB ihn ab und 
ersah, da6 ihn ein Monch aus einem benachbarten Kloster an 
eine Nonne in einem andern abgelassen hatte, um ihr brief lich 
die Naturgeschichte beizubringen. Ich sah es nun nicht gern, daB 
ich dieTaube und den Brief herabgeschossen hatte: »denn es ist 
ietzt so viel, sagt' ich, als ware die Nonne ein reicher Student in 
Europa und hatte da ein Kollegium wirklich geschwanzt, wie 
man sich in diesem beriihmten Welttheil langst ausdriickte: denn 
ein dasiger Student sucht stets seinen nachgeschriebenen Heften 
durch hiatus die Form der Manuskripte der Alten und nicht bios 
den Geist sondern auch die Gestalt des Alterthums einzupra- 
gen. « Es wird mich wenig reuen, wenn ich dem Leser den Brief 
aus dem syrischen iibersetze: denn der Leser besitzt wenig achte 
Kenntnis des Syrischen und ich glaube, er kann ihn nicht einmal 
recht syrisch lesen. 

»Liebe Tochter! 
Der Prior kam gestern zwar von Jerusalem zuriick geritten, aber 
ich mochte ihn noch nicht darum fragen, weil er so mude war, 
daB er kaum sitzen konnte, wie sein Esel auch. Die neulichen 
Diebe fiengen wir gestern ein: es war ein gewisser Kagliostro 
dabei, der die Thiir Schlosser 3 in Brand stekte und nachher ein- 
brach. So giftig sind die Menschen, wolriechende Palme meines 
Lebens! - aber wir sitzen im Schatten der Ruhe und schauen das 
Angesicht der Erde an, aus dem ihr Schopfer wie eine Seele her- 
vorsieht; besonders sind viele Baume an meinem Zellenfenster 
schon. Wir mussen aber in unserer Naturgeschichte hurtig fort- 
fahren. 

Wir habens schon das vorigemal gehabt, daB Gott in die Vogel 
den Trieb der iahrlichen Wanderung gesenket, hernach in die 
vierfiissigen Thiere und auch in die Heeringe; wir kommen iezt 
gar auf die Edelleute. Der Trieb zur Wanderung offenbaret sich 
bei ihnen erst im 24. Jahre und halt sich an gar keine bestimmte 

a In Aleppo sind die Schlosser, nach Russel, von Holz und die Thiiren 
von Eisen. 



432 JUGENDWERKE " 4. ABTEILUNG 

Zeit: wie audi Schmetterlinge und Mause zu weilen zu Ziehen 
angefangen daB ein Mensch weis, warum gerade iezt. Ein alter 
Minister sagte mir, wenn man urn diese Zeit einen wahren Edel- 
mann einsperrte, z. B. in eine ritterschaftliche Bibliothek, wo es 
warm genug ware oder in einen Kafig, so wiird' er traurig wer- 
den und seine Zeit wissen und hinauswollen, und Hesse man ihn 
wirklich nicht nach Frankreich oder Italien: so wiird' er wie ieder 
Zugvogel ganz des Teufels werden. Es geschieht erstlich der 
Warme wegen, daB so viele Strich- und Zugmenschen aus Eng- 
land und Deutschland in siidlichere Lander rollen: denn der phy- 10 
siologische Haller halt es ausdriicklich fur heilsam, die Jugend in 
einem kaltern und das Alter in einem warmern Klima zu verle- 
ben; ich habe dir aber schon gesagt, daB gar viele Edelleute es 
noch zu dem hohen Alter von 24 Jahren bringen, wo zum Gliick 
gerade ihr Auswanderungstrieb aufwacht. Gottesfurchtige Na- 
turforscher sehens aber auch als eine besondere Wolthat fur 
ganze Lander an, daB - so wie die Heeringe vom aussersten Pole 
zu den Hamen der Hollander und Franzosen abreisen miissen, 
um von ihnen eingepokelt und von den erstern mit einem Ge- 
winnst von 1 Million Thaler abgesezt zu werden - gleicherweise 20 
die Edelleute durch einen besonderen Naturtrieb genothigt wer- 
den, nach Paris zu fahren, um dort von tausend Menschen ge- 
fangen und benuzt und verzehrt zu werden; ia wie die blizenden 
Schuppen des Heerings den Netzen des nachtlichen Fischers den 
Weg und den Fang anweisen: so sollen die goldnen und silber- 
nen Schuppen am Korper des Zugedelmanns das ihrige beitra- 
gen, um ihn eifriger aufzugreifen und seiner in Netzen von Kar- 
tenpapier habhaft zu werden. 

Du must noch wissen, daB ich dir zwar neulich geschrieben, 
daB die Vogel in den warmen Landern, die sie als ihre Winters tu- 30 
ben beziehen, aus zwei Griinden keine Jungen zeugen konnen, 
erstlich weil wir hier in Syrien nichts da von sehen, zweitens weil 
. sie in Europa allezeit ohne Jungen und allezeit ohne abgemizte 
oder abgemauste Federn anlanden, welches beides nach dem 
Briiten nicht statt hatte - allein bei den mit dem langen Queve 
fortgestossenen Menschen ists zehnmal anders; sie segeln stets 



TEUFELSPAPIERE • 3. 2USAMMENKUNFT ■ VIII 433 

mit zerrissener und abgebleichter verschossener Haut wieder 
heim und bringen nur aus einerlei Grund weder Geld noch Kin- 
der mit; deswegen schreibt ia auch ein gewisser halbblinder und 
alter Naturforscher so schon von den Zugedelleuten: >zwischen 
ihnen und den Zugvogeln seh' ich hierin naturlich einen Unter- 
schied.< 

Ich habe dir neulich zu berichten vergessen, daB die Wachteln 
in Neapel acht Tage lang nach ihrer Ankunf t aus Afrika giftig zu 
geniessen sind und ich las es selbst erst im Ferber, allein nachher 
kann sie iede Wochnerin essen, wenn sie mit Korn gefiittert 
worden. Es schadet nicht viel, daB die streichenden Edelleute aus 
Paris auch einen gewissen Gift als Riickfracht heim bringen, den 
man unter dem Namen der f ranzosischen atheistischen Philoso- 
phic recht allgemein scheuet: sie bleiben auch nicht lange giftig, 
besonders wenn man sie auslacht und nicht bekriegt. 

Da die Lerchen bei ihrem Wiederstriche fett befunden werden, 
so wollen deswegen einige Naturforscher gar ihren Strich be- 
zweif eln; ich kann mich am allerwenigsten in dieses Lerchenf ett 
fin den, da ich gerade an den Edelleuten, die ihren Strich und 
Wiederstrich wirklich machen, nachher so weng Fett ausfiihle, 
daB ihr ganzer Leib so mager ausfallt wie die verdorrte Hand, 
die am Arme des Mannes im vorigen Evangelio sas. Ich wollte, 
du wiistest es recht gut, warum bios Nordmanner und selten 
Nordweiber durch den Naturinstinkt nach Paris gehetzet wer- 
den, wie man etwann nach Europa bios Papagaienmanngen und 
keine Weibgen einliefert:. . . .« die Konklusion hatt' ich von 
einander geschossen. 



VIII. 

Wie das Verdienst zu seiner Bezahlung gelangte 

jo Das Verdienst hatte Schuldner genug: aber sie gaben ihm nichts 
sondern lobten es bios. Wenn es gegen Weihnachten ein Laus 
Deo, eine Nota, ein »der Herr gelieben«, eine Rechnung ein- 
reichte: so sagte ieder, es konne warten, man must' es auch. Da- 



434 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

bei hatt* es den groBen Fehler, den es nie ablegen wollte, daB es 
von schlechter Herkunft und nicht stiftsfahig war; wie es denn 
iiberhaupt eine recht gewohnliche Fahrlassigkeit der Menschen 
ist, daB sie ob sie gleich den Schaden davon wissen, doch durch 
arme und biirgerliche Mutter zur Welt sich bringen lassen: da- 
durch verriikt sich alles und das Gliick solcher Personen wird, 
mit dem Geburtshelfer zu reden, statt einer leichten Kopfgeburt 
eine FuBgeburt, eine Steisgeburt. Das Verdienst wollte seinem 
matten Arme den weltlichen anschienen und brachte seine 
Sache gerichtlich vor bei den Justizkollegien, bei Vicelandrich- 
tern, bei Gerichtshaltern, bei Registratoren: allein weil ein 
Rechthandelnder niemals auf so viele Kautelen und Brustwehren 
denkt als ein Betriiger, so giebt die Kautelariurisprudenz bios 
diesem gewonnen, und iiberdas waren alle Richter des Verdien- 
stes zugleich seine Schuldner. Gliicklicherweise besann es sich, 
daB oft geringere Personen ihre Schuldforderungen an Hohere 
abtraten, damit diese sie unter ihren machtigern Namen und mit 
ihren langern Handen eintrieben, und hernach die Schuldpost 
den wahren Glaubigern gegen eine Abzug wieder auslieferten - 
ich sage gliicklicherweise. 

Denn das Verdienst hatte einen reichen und vornehmen Wahl- 
oder Adoptivgrosvater, der weil er zu alt zum Kinderzeugen ge- 
worden , das Verdienst zum Wahlenkel erkieset hatte - es war das 
Unverdienst, das in Paris so sehr gemishandelt wird, daB es die 
wichtigsten Aemter erst theuer kaufen muB, die es anderswo 
umsonst erhielte. Das Verdienst suchte bei seinem Grosvater 
fruhmorgens beim Frisiren vorzukommen und meldete beim 
Eintritt mit wenigem, es ware dessen Enkel, es sei nun durch 
Adopzion oder durch Arrogazion. Hierauf hielt es eine der lang- 
sten Reden an den frisirten GroBvater und flocht mit ein: »ich 
werde mich nie sehr loben: aber ich muB auch der Welt und dem 
H. GroBvater nicht widersprechen, wenn beide sagen, daB die 
besten Bucher und Manuskripte in den Bibliotheken der Men- 
schen - die besten Kunstwerke in ihren Kabinetten und Gallerien 
- die besten Handlungen in -der in England herausgekommenen 
Universalhistorie - die besten okonomischen Erfindungen vom 



TEUFELSPAPIERE ' 3. ZUSAMMENKUNFT • VIII 435 

Korn an bis zum Puder ihres Haars sammtlich bekannte Gebur- 
ten meiner wenigen polyhistorischen Gaben und meiner Zunge, 
Hande , Fiisse und Knie sind; welches eben mein Jammer und der 
Zweck meiner Visite ist: denn fur .alle diese Expedizionen wollen 
mir sammtliche Menschen nichts geben als den oden Bescheid: 
wennichnur Weihrauchhatte, sollt* ich mich geniigen lassen und 
sie wiirden mir schon alles redlich und ehrlich bezahlen, wenn 
ich gar verstorben ware und als Gespenst ohnehin zum Wachter 
des Geldes, bestellet wiirde.« 

Durch diese Rede wurde das groBvaterliche Unverdienst der- 
gestalt geruhrt, da6 es fast zu weinen schien und unterlies; der 
Enkel riickte nun mit dem Antrage heraus, daB er eine Zession 
seiner Schuldforderungen in der Schreibstube niederschreiben 
wollte, wenn der GroBvater giitigerweise versprache, sie alle 
unter seinem eignen Namen einzufodern. Das Unverdienst ver- 
ities es und in ein paar Tagen wurd' es der treue Hebungsbe- 
diente und Generalkontrolleur der ganzen Schuldenmasse. Der 
Eifer ist eben so selten als lobenswerth, womit es unter seinem 
Namen und mit einem Geize als gieng' es seinen eignen Vortheil 
an, alles was dem Verdienste zugehorte, einkassirte, welches 
eben nicht die leichteste Arbeit war. Denn das Unverdienst hatte 
so viele dem Verdienste zustandige Erbschaften - Heirathspar- 
thien- wichtige Ziviel- und Militairstellen - Pensionen - Diplo- 
men an sich zu bringen, daB es vor dem iiingsten Tage gar nicht 
daran denken kann, damit fertig zu werden; und es ware kein 
Wunder wenn es unter einem solchen Geschafte und noch mehr 
unter dem Geschrei der unwissenden Verlaumdung, »nun trage 
das Unverdienst den Lohn des Verdienstes fort,« endlich er- 
lage. 

Da die Einfoderung alles dessen, was alle Menschen dem Ver- 
dienste zu zahlen haben, wie gesagt, bis an den iiingsten Tag die 
Hande des Unverdiensts beschaftigen diirfte: so kann sich die 
Wiederaushandigung an das Verdienst nur eben so lange verspa- 
ten, aber nicht langer. 

Ueberhaupt bemerk' ich ist die ganze Welt auf ihre formliche 
Bekehrung seit einigen Jahrtausenden besonders bedacht, und 



436 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

niemand wird den alten Adam, den Adam se]bst schon anhatte, 
lieber ausziehen als sie, sobaldnur der Komet, der diese Erde am 
iungsten Tage oder in der iiingsten Nacht an- und ausbrennen 
soil, wird gewiB^da sein: iiber eine so allgemeine und so wahre 
Bekehrung werd' ich selber einige Freude bezeugen und daher 
werden an so einem Tage wenig andere Dinge von mir vorge- 
bracht werden als narrische Bonmots, worunter folgendes von 
den auferstandnen Rezensenten sowol als von den verwandelten 
mit dem meisten Beifall angehort werden kann: »endlich langet 
die saubernde Fleckkugel der besudelten Menschheit und Erdku- 
gel einmal an: aber lieben Christen insgemein, nun miisset ihr 
euch in ein paar Minuten bekehren. « Der Komet ist natiirlicher- 
weise eben die genannte Fleckkugel. 



IX. 

Betrachtungen auf ieden Schalttag iiber die Kopfe auf den Miinzen 

Man thue seine Pflicht und sae der halben Welt Staub in die Au- 
gen - z. B. der Konig Goldstaub- der Rektor an der Domschule 
Schulstaub - die Rota Glasstaub, der die Augen gar anfriBt - der 
Poet Federstaub von semen Zweifaltersfliigeln - ich Bucherstaub 
und der Buchhandler: so wird alles nicht iibel ablaufen. Ich sehe 
nicht erst heute, daB es meine Pflicht ist, das Publikum in fol- 
gende Betrachtungen gucken zu lassen, die hoff * ich wenig oder 
gar keinen Zusammenhang und iiberhaupt recht viel Wiz haben: 
allein den Geburtsort derselben muB es doch fast noch fruher er- 
fahren. 

Ich stand nemlich einen ganzen Vormittag bei der offentlichen 
Versteigerung des Sarrischen Miinzkabinets, ohne, aus Mangel 
neuer Thaler, etwas auf die alten zu bieten. Dies hatte iedem an- 
dern Kopfe als den meinigen mit Langweile angestekt wenn ich 
nicht mein ganzbesonderes Arkanum gegen sie prapariret hatte. 
Es besteht im Grunde darin, daB ich sob aid ich in eine langwei- 
ligeNachbarschaft gerathen bin, sofort mit volliger Geistes Ab- 



TEUFELSPAPIERE • 3. 2USAMMENKUNFT 'DC 437 

wesenheit ganze satirische oder metaphysische Abhandlungen 
auszuarbeiten anfange, die ich nachher zu Haus aus meinem 
ganzen Gehirn wieder abschreibe: mit den Augen sez' ich meine 
Gegenwart dennoch fort und der Korper ist die reprasentirende 
Spielmarke des Geistes ohne Miihe. Ein solches Produkt der 
Langeweile sind nun die gegenwartigen Miinzbetrachtungen, die 
ich den historischen Munzbelustigungen des H. SpieB in 5 Banden 
kiihn entgegenseze und die nur 5 Seiten ausmachen. Wenn der 
Aukzionsproklamator nicht so iibermassig geschrien und ge- 
klopft hatte (wodurch er mich irre machte): so ware vielleicht 
eine und die andere von meinen Miinzbetrachtungen wiziger, 
logischer und tiefsinniger ausgef alien, hatte vielleicht mehr Ge- 
schichtskunde aus den mitlern Zeiten verbunden mit den selten- 
sten Sprachkenntnissen verrathen, ware der erlaubten Bewun- 
derung der ganzen gelehrten Republik wiirdiger geworden, und 
hatte den H. Nikolai mit grosserem Erfolg zu dem merkwiirdi- 
gen Spruche gezwungen: »diese Miinzbetrachtungen rrriissen' 
ihre Rezension haben und zwar eine unter den grossen ganz vorn 
in meiner allg. deutschen Bibliothek, an der so unglaublich viele 
Kopfe und iiber ein halbes tausend Finger schreiben, mich armen 
von Arbeit iiberdeckten und gekelterten Mann nicht einmal ein- 
gerechnet.« 

Da ich das Miinzkabinet nur im Allgemeinen (iberblickte: so 
macht' ich bios die allgemeine Betrachtung iiber alles zusammen 
und iiber die dem Gelde aufgepragten Kopfe insbesondere, dafi 
ich, wenn ich ein Fiirst ware, oder noch mehr ein akademischer 
Prorektor, der ihn - seinen Koadjutor - lateinisch lobte, als Fiirst 
den ausserordentlichen Vorzug haben, oder als Prorektor ihn er- 
heben wiirde, daB ich meinen fiirstlichen Kopf nicht gerade auf 
meinem eignen Halse sitzen zu haben brauchte. Der Kopf - an 
keine Einheitdes Ok gebunden- konnte recht gut auf dem Halse 
meines Ministers, meines ersten Generals thronen; er konnte be- 
sonders auf den steinernen Schultern meiner Statue seBhaft sein; 
mein Kopf konnte auch- weil er erst dann im eigentlichen Sinne 
regierte und iedes Individuum besonders lenkte - nirgends als 
auf dem Munzstempel, d. h. in meiner Chatoulle, in ieder frem- 



43 8 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

den Chatoulle, in meinem ganzen Lande, in iedem fremden 
Lande, in alien Kollegien sitzen und wirken - kurz er ware, bios 
meinen Hals ausgenommen, auf eine recht furstliche Art iiberall 
allgegenwartig. Dann wiirde man gegriindete Hofnung haben 
(die uns die iezigen Anstalten benehmen), ein Land so ausseror- 
dentlich gliicklich zu sehen, daB bios der (veriungte auf Gold- 
und Silberblattgen herumschiffende) Kopf des Regenten Aemter 
vergabe, Frieden und Definitivsentenzen machte, zu den Dekre- 
ten unter seinem Namen nicht bios den Namen sondern auch 
den Inhalt diktirte und iiberhaupt selbst regierte . . . Ein paar 
Griadenpfennige und Medaillen brachten mich auf die zweite 
Betrachtung. 

Wenn man die Welt ein wenig kennt: so schliesset man von 
selbst aus der Menge von Medaillen, die ein Mann durch Preis- 
schriften und Preishandlungen zusammengetrieben, auf die 
Menge seiner Verdienste, und bei einem Fiirsten sind eben des- 
wegeri weder seine Medaillen noch seine Verdienste zu zahlen. 
Wundern aber rnuB es manchen Denker, daB man fast nirgends 
auch das Geld zu den Gnadenpfennigen und Medaillen rechnet, 
unter die es doch sein fiirstliches Angesicht und der heraldische 
Wappenapparat und der lateinische Zauberkreis sollten stellen 
konnen. - Frankreich sieht das doch ein und vertheilt deswegen 
seine Aemter nicht an Leute, die statt der Verdienste verdienst- 
volle Ahnen auffiihren, sondern bios an solche, deren Amtsga- 
ben und Verdienste sicher genug erwiesen werden konnen, wel- 
ches eine groBe Menge Medaillen eben am ersten vermag. Diese 
Medaillen sind gewohnliche Gold und Silbermunzen, die der 
Amtslustige als einen Beweis durch Augenschein - als eine Ge- 
wissensvertretung mit Beweis - als eine hypothekarische Versi- 
cherung seiner todten und lebendigen Krafte in die konigliche 
Kammer niederlegt, welche die besagten Kandidatenmedaillen 
hernachzirkulirenlasset, damit ieder, besonders auswartige Ge- 
sandte es zur Rechtfertigung des Staates sehen, welchen Subiek- 
ten Frankreich seine wichtigern Stellen anzuvertrauen gewohnt 
sei. 

Was daher die Romer Talente (talenta) nannten und was wir 



TEXJFELSPAPIERE • 3. ZUSAMMENKUNFT • IX 439 

so nennen: war von ieher eines und dasselbe, obgleich freilich 
Talente bei uns, wegen der Entdeckung und Ermordung und 
Beerbung von Amerika, eine weit grossere Summe Geldes be- 
deuten miissen. Rechtschaffene Manner suchen nie um Aemter 
ohne Talente an; solche halten es vielmehr fur Pflicht, nach 
nichts in der Welt so sehr zu laufen au£ iede Art, auf zwei Fiissen 

- auf Handen und Fiissen - auf 32 Beinen - auf einem Stelzfus 

- auf zweien- auf podagristischen Kriicken, auf den Knien, nach 
nichts so sehr als nach einer unabsehlichen Menge von goldnen 
und silbernen Kopfen, die der Miinzstempel und sehr wenig 
Kupfer bilden - und die man durch einen fleischernen, den eine 
bloBe Privatperson gemacht, nur sehr schlecht ersetzen will. 
Denn einem Manne, der sich mit recht vielen abgebildeten Kopfen 
ausgelegt hat, setzet nachher die Hochachtung der Welt schon 
von selbst und auf eine gute Art einen wahren groBen scharfsin- 
nigen Kopf auf den er wenn er verniinf tig sein will, ganz fur sei- 
nen eignen halten kann und wird und dessen er sich bei alien 
merkwiirdigen Vorfallen am Tisch und im Bette - auf Reisen 
und in den Familienschmausen und hinter dem Sessionstisch und 
auf der Leichenbahre mit einer so ausserordentlichen Sicherheit 
bedienen kann und soil, als war' er wirklich sein eigner und auf 
seinem eignen Halse gewachsen und gemastet - etwan wie beim 
SchwenkschieBen in Leipzig: Menschen und Biichsen schieBen 
da nach gemalten Viktualien auf einer Leinwand, die von Zeit zu 
Zeit hin und her gezogen wird, damit sie ieder verfehle: bringt 
inzwischen ein Schutz ^tennoch seine Kugel durch eines dieser 
Kiichenstucke hihdurch z. B. durch ein abkonterfeite Gans, so 
hebt er eine in natura ein und erzielt also stets Bild und Sache zu- 
gleich. 

Der Aukzionsproklamator hofte, ich wiirde auf eine griine 
Huldigungsmiinze des Heinrich IV. von Frankreich etwas billi- 
ges bieten: aber ich machte statt des Kaufs lieber die dritte Be- 
trachtung, daB Heinrich IV. die Dienste des D'Aubigne mit 
nichts vergalt als mit seinem Portrait, das der Stallmeister mit 
der Unterschrift ausschmuckte: 



44° JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

Ce Prince est d'etrange nature 
Je ne sais qui diable l'a fait; 
Car il recompense en peinture 
Ceux qui le servent en effet. 

Es gereicht der Fiirstenbank und dem Furstenstuhl zum 
Ruhme, daB in der That nur wenige darauf seshafte Fursten den 
Fehler begehen, den verdienten Mann mit ihrem bloBen Bildnis 
abzufertigen (wie etwa die Normalschulen den Fleis der Schiiler 
mit Bildern der Heiligen belohnen), es mag nun dieses Portrait 
mit dem Pinsel oder mit dem Munzstempel gemacht sein, dessen 
KunstwerkebekanntlichGeldheiBen. Wenigstens muB man ge- 
gen Einen immer dreizehn oder vierzehn nennen, die reellere 
Dankbarkeit fur ihre Pflicht ansehen und die die Wunden des 
Kriegers, den aufgeopferten Kopf und oft Beutel des Ministers 
schon genug zu schatzen wissen, um solche Dienste mit nichts 
geringern zu belohnen und anzuregen als mit Ordensbandern, 
Titel und Adel - positive Belohnungen, die mit der Malerei gar 
nichts und mit der Pragekunst nur in so fern etwas zu schaffen 
haben, in wiefern sie durch die Vermehrung der Ehre die Ver- 
minderung des Ehrenpfennigs gebieten. »Diese nicht gemeine 
Nothmiinze, sagte der Aukzionsproklamator, bildet auf der 
Hauptseitedieschlesische Wassersnoth oder Ueberschwemmung 
von 1736 mit der Legende ab: O! wie viel! auf dem Revers steht 
die dadurch erregte Hungersnoth mit der Legende: o! wie wenigl« 
O! wie sonderbar! sagt' ich und that ein ansehnliches Gebot dar- 
auf, nemlich das einer mir zu Ehren geschlagnen Medaille. 

Ich erstand doch einige Blechmiinzen oder Holpfennige, bios 
um sie in die Hohe zu heben und zu sagen: das ist die wahre er T 
laubte Devalvazion, wenn in der Munze mehr Luft ist als Blech. 
Bischoffe, Aebte, Aebtissinnen sollten ihr Miinzrecht besser be- 
nutzen und gar nichts anders schlagen: eine so erbarmliche raa- 
gere Miinze wiirde mehr an das Christenthum und die Eitelkeit 
aller (metallischen) Dinge erinnern als die Biicher, die Kreutze 
und Kirchen, womit man die geistlichen Miinzen puzt. Ich 
drehte die Blechmunze um und ersah an der innern holen Seite 



TEUFELSPAPIERE ■ 3. ZUSAMMENKUNPT • IX 44 1 

kein Geprage: aber ich machte keine neue Betrachtung dariiber, 
sondern fuhr in der alten fort und brachte zulezt heraus, daB die 
Fiirsten Hexengeld machen konnen. Es giebt aber im Grunde 
nur zweierlei Hexenmiinzen; die eine Art ist die der Heckthaler, 
die das Geld arger vermehren als der Geiz, ohne daB man nur 
weis woher; und weiter hat audi ein Fiirst nichts vor, wenn er 
entweder durch ein Edikt oder durch das Geprage z. B. alle 
Dreibatzner des ganzen Landes in Vierbatzner verwandelt; es 
soil nemlich einer als ein armer Teufel zu Bette gegangen, als ein 
reicher, wenn er die Munzerhohung im Zeitungsanhang lieset, 
wieder auferstehen. Die zweite Art von Hexenmiinzen fressen 
wie ungerechtes Gut das andere Geld weg, und man wird bios 
dadurch arm daB man Geld hat: das ist die eigentliche bekannte 
Devalvazion, durch die ein Regent dem guten Vater gleich wird, 
der zwar dem Kinde einen einzigen Rechenpfennig 2, 3, 4 mal 
in die Hande driikt und iedesmal sagt »da hast du wieder einen 
Pfennig« der aber doch ihm zulezt devalvierend bekennt: »es ist 
nur Ein Rechenpfennig, die andern 3 sind verschwunden. « Ja 
dieses herabgesezte Hexengeld nimmt der Regent aus Liebe zu 
den verarmenden Unterthanen, gern in seiner Miinze an und 
schlagt die bessern Heckrminzen daraus, deren ich viele meinem 
Satler, meinem Reitknecht und meinem Hofmeister schuldig 
bin. Da die Venus die unbekannte Oberin und Koadjutorin von 
vielen Thronen ist: so will der Inhaber von beiden durchaus ha- 
ben, daB sie auch auf allem Gelde neben ihm in der Gestalt des 
Kupfers mit residire, das die Chymisten mit dem Namen Venus 
langst bezeichneten und es ist die starkende Eisenkur des Staats. 
Uebrigens kann es dem filzigen England keine sonderliche Ehr 
machen, daB fast alle europaischen Lander es im guten Schrot 
und Korneiiberholen, in denen es etwas gemeines ist, daB man 
die Silbermunzen gar mit Golde versezt und fast so mehr Gold 
als Silber daran thut; daher man solche Silbermunzen wirklich 
iiberall Goldmiinzen nennt. Die Kupfermunze hingegen wird 
mit so vielem Silber legirt, daB sie mit Fug und Recht Silber- 
miinze heiBet, und wir haben deswegen auch keine andere Sil- 
bermiinze. Oft sieht man auf Furstend'or den Durchgang der Ve- 



442 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

nus (Kupfer) durch die Sonne (Gold); oft macht auf i Goldstuck 
der Beitritt der Luna (Silber) diese Planetenkoniunkzion noch 
vollstandiger. Man wiinschet umsonst, es ware in England eben 
so. 

Bei tapfern Volkern z. B. bei den Spartern waren die Miinzen 
zugleich Waff en, so lang waren sie: bei uns die wir fast noch tap- 
ferer sind, dienen sie auch dazu, so kurz sind sie, die Miinzen; 
und mit solchen Waffen wird neuerer Zeit gar oft der starkste 
Feind - man schiesset ihm bios die Hand, den Beutel und die 
ganze Kleidung mit solchen Kugeln voll - zum Frieden geno- 
thigt. Von diesem kriegerischen Gebrauch des Geldes leitet eben 
nicht ieder Philosoph sondern nur, der gegenwartige es her, daB 
auf der Kehrseite des Geldes die Wappenthiere iiber einem Nest 
von Waffen briiten, allein warum nicht? Vielleicht deswegen 
weil selten verniinftige und angenehme Menschen in Miinzver- 
steigerungen stehen und auf keinen Heller bieten, und mithin in 
ihren Munzbetrachtungen dann auf die obige kommen konnen, 
wenn gerade Kriegs- Siegs- und Friedensmunzen loBgeschlagen 
werden. 

Der Proklamator rief einen achten kupfernen Otho aus, den 
fast die ganze lebendige Stufensammlung der gegenwartigen 
Nusmismatiker anbeten wollte, als war' er noch ihr fleischerner 
Konig. Ein verniinf tiger Magister aber fischte den Otho uns al- 
ien weg; er thats im Namen und mit dem Gelde eines niirnbergi- 
schen Patriziers, der alle Monate seine Prunkkiiche und sein 
Miinzkabinet aussott und an dessen Kupf ergeschirr und Kupfer- 
miinzen nicht soviel alter FirniB sas, daB damit eine Raze ware 
zu vergiften gewesen. Da wir indes alle urn den Otho traten: so 
dankte ein alter Antiquar hinter mir seinem Gott, daB er den 
Otho nicht erstanden hatte, »denn es ware, sagte er, nur ein alter 
Nero, an dessen Namen, Haaren und Angesicht der Verfalscher 
so lange gekrazt hatte, bis er wie ein Otho ausgesehen. « »Eine 
solche Umstempelung eines Nero in einen Otho, sagte der Anti- 
quar zu mir und wollte mich belehren, ist ein verfluchter aber 
gemeiner Betrug eigenniitziger Munzkenner.« - »Auch der 
Hofleute,« sagt* ich. InNiirnberg sagte man mir, den Nero, den 



TEUFELSPAPIERE - 3. ZUSAMMENKUNFT * DC 443 

der Falsarius verothonet hatte, habe der Patrizier gar iibergoldet 
und man wisse zur Zeit noch nicht wo dessen Avancement stille 
stehen werde. Noch mehr: der Patrizier hat - da er neulich einen 
stahlernen modischen Rockknopf mit einem franzosischen C. 
auf dem Wege nach Erlang aufstoberte und er ihn fur nichts an- 
ders als eine alte Miinze halten konnte - etwas Numismatisches 
und Philologisches iiber das romische C. unter der Feder und der 
ganze Knopf ist schon sauber abgestochen. 

Da so viele Denkmiinzen auf Fiirsten, auf ihre Geburt, auf ihre 
Vormundschaft, auf ihre Verehelichung, auf ihre Kronung, auf 
ihren Tod, auf ihre Siege vorkamen: so wollt' ich auf kameralis- 
tische Betrachtungen verfallen und fieng - es gieng aber nicht - 
so an: Ich weis so gut als irgend ein Rock, der in einem Vorzim- 
mer aufpasset, daB der Fiirst ein Landesvater ist, der seinen Kin- 
dern, den unapanagirten Unterthanen wie ein guter Vater wenig 
mehr Geld lassen soil, als bios zum SpaBe oder wenn sie einen 
neuen Rock und neue Taschen anbekommen, und das bios um 
sie zum Besitze und Sparen des Geldes abzurichten - ich miiste 
auch meine Pandekten gar zu schlecht gelesen haben wenn ich 
nicht wiiste,. daB mithin dieser Vater wie ieder romische seine 
Kinder - und das geht biB zum Urenkel - fiir eine mitzliche Art 
von Sklaven ansehen kann, deren Hofligkeit, etwas eignes zu 
besitzen, und deren Freiheit und Emanzipazion wahrhaf tig noch 
nicht da sein kann, nach dem sie nicht ofter nach Amerika, Asia, 
Afrika und Europa verkauf t worden als Einmal, da das romische 
Kind 3 mal verhandelt wurde: - Allein ein Fiirst, bis zum gefiir- 
steten Abt herunter kann nicht allemal (er wisse immerhin, es 
sei seine Pflicht) durch orientalische - sinesische - persische - 
siamische und afrikanische Mittel das Vermogen seiner Unter- 
thanen erheben und einkassiren: sondern es ist genug und er thut 
schon seiner Pflicht Geniige, wenn er bios Finanzkammerrathe 
und Hebungsbediente anstellet, die sich als gesunde einsaugende 
Gefasse am Staatskorper auffiihren und die von Zeit zu Zeit so 
viel von ihren Replezionen als sie mit der Hand fassen konnen, 
auf seinen Thron hinauf werfen. Freilich machen wir iezt wenig 
oder nichts aus dieser nuzlichen Amputazion unsers Vermogens, 



444 JUGENDWERKE * 4. ABTEILUNG 

die uns dadurch zuwachset: allein wir wiirden den Werth einer 
solchen Amputazion schon mehr zu schatzen wissen, wenn wir 
nuriemals so ungliicklich gewesen waren, aus eigner Erfahrung 
(nicht bios aus vagen gedruckten Schilderungen) zu wissen, wie 
es in solchen Landern hergeht, wo man den Unterthanen alles 
lasset und wo die Kammerrathe nichts nehmen. 

Bei so vielen furstlichen Kopfen fiel mir des Steuereinnehmers 
seiner ein, fur den ich vor vielen Jahren eine Defension gefuhrt 
hatte, weil weder er noch ich wollte, daB er ins Zuchthaus sollte: 
die Kammer wollt' es namlich, weil er die Landesherrliche Kasse 
so sehr wie seine eigne geliebt und geleert hatte. Allein ich sagte 
in der bekannten Defensionsschrift, ich hatte verschiedene kleine 
Reisebeschreibungen gelesen und wiiste also recht wol der Welt 
Lauf, besonders der Landesherrlichen Kassenbedienten ihren. 
Ich hatte beim Steuereinnehmer oft abends gegessen und wiiste 
mithin, wie wenig er aus dem Gelde mache und wie gern er es 
zum Fenster hinauswerfe, wenn er voraussehe, daB es in der Ge- 
stalt eines auslandischen Gerichts oder eines Korb Weins wieder 
zur Hausthur hineintrete. Ich folgerte also, daB er.seinen anzie- 
henden Pol (statt des zuriickstossenden) an die Steuergefder aus 
einer ganz andern Liebe gehalten hatte, als der zum Gelde, das 
er so wegwarfe - nemlich aus der zum Fiirsten selbst. Das sollte 
aber in den Akten bemerkt sein. Seine Liebe gieng wie bei iedem 
Liebhaber so weit, daB er Tag und Nacht auf ein Bild, auf eine 
Silhouette des geliebten Obiektes aus war und zwar auf eine 
recht dauerhafte Abbildung aus wiirdiger Materie, wofiir ich 
und er Gold und Silber halten: diese Abbildungen des Fiirsten 
hatte er nun in seiner Steuerkasse ganz an der Hand und er eig- 
nete sie sich naturlich zu und that sich auch nach frischen um, 
wenn ihm die alten ab Handen gekommen waren. Ich bezeugte 
in der Defensionsschrift, hatt' ich ein Ding auf meinen Haaren, 
das meine Kollegien keinen Furstenhut sondern eine Fiirsten- 
krone nennen diirften, so wiird' ich solche Evakuazionen meiner 
Kasse in die Rubrik des Diebstahls bringen, den der Stutzer am 
Schnupftuch einer Schonen veriibt und fur den er wie Sokrates 
sich die Strafe selbst diktirt, nemlich eine Belohnung. Endlich 



TEUFELSPAPIERE ■ 3. ZUSAMMENKUNFT ■ IX 445 

versichert' ich, ich hofte nicht, daB man iibrigens dem Steuer- 
einnehmer auch den Meineid, den er dabei hatte begehen miis- 
sen, aufmuzen wiirde, da ein Eid ia kein Ehrenwort ware, das 
man halten miiste und er iiberhaupt einen Mann so wenig binden 
konnte, daB die Fiirsten sich seiner, als eines zu briichigen Sie- 
gellacks in ihren Vertragen iezt gar nicht mehr bedienen moch- 
ten, und ihn den Gerichtshaltern und Amtleuten iiberliessen, 
die aber ihrer Seits wieder versicherten, auch sie konnten mit 
diesem kiinstlichen Beweis nichts rechts in wichtigern Dingen 
anfangen, und sie liessen daher am haufigsten bei den kleinsten 
Kleinigkeiten schworen und den Juden die Hand bis an den Knor- 
ren ans, Gesetzbuch legen, wie die Reichskammergerichtsord- 
nung Th. i, Tit. 98. ausdriicklich verlange.* 

Jezt gieng ich gar nach Hause, weil auf einmal in meinem hei- 
tern Kopf das Gedankenwolkgen (es dehnte sich zulezt iiber den 
ganzen Kraniumshorizont aus) aufstieg, daB ich hier die Miinzen 
bios darumphilosophischbetrachtete, weil ich selber keine hatte 
- und in diesem schlechten Humor wiird' ich zu Hause die 
Miinzbetrachtungen niedergezeichnet haben: war* er nicht wie- 
der unendlich durch einen magern Betler verbessert und belebet 
worden, der auf einem unbeschreiblichen Pferde sas und damit 
nach Allmosen vor den Thiiren herum ritt - die Knie waren seine 
Lenkziigel und eine Hausthiir war sein Burrrr! - Das Pferd wuste 
nichts von Hulfen, noch von Hulfe - es beherrschte seine Leiden- 
schaften ganz - und der Reiter es selbst - ich glaube nicht, daB 
das Pferd vor meiner Hausthiir sang oder einen Bettelbrief vor- 
wies oder einen Armeneid ablegte - aber iede milde Seele muste 

* Diejuristen nennen mit Recht den Eid eine Torturder Seele. Aber 
eben die stoische Gelassenheit und Apathie, mit der wir iezt diese Folter 
ausstehen und uns oft von freien Stiicken und zur Uebung in der Stand- 
haftigkeit, auf sie hinlegen, sollte diinkt mich fur uns alle ein willkom- 
mener Erfahrungsbeweis sein, daB die Starke unsers Geistes und Gewis- 
sens gerade im umgekehrten Verhaltnisse mit der Starke unsers Korpers 
gewachseri sei, nicht gesunken; das Gewissen des elendesten Lakaien hat 
in unsern Tagen eine Gesundheit und Abhartung gegen die besagte Fol- 
ter erlangt, die sonst dem geiibtesten Welt- und Staatsmann fehlte. 



44^ JUGENDWERKE * 4. ABTEILLTNG 

eher an das Trauer- und Steckenpferd denken, als an den Oben- 
sitzer - der Obensitzer war namlich an beiden Beinen meistens 
verdorben und hatte sich eben deswegen zu seiner Lebenswal- 
farth statt zweier Stelzfiisse auf die 4 RoBstelzfusse gebrachtund 
geladen - einen lustigern Anblick giebts in der Welt nicht, und 
so ists auch mit der Beschreibung, die man vom Anblicke macht 
- aber auch auf der andern Seite kenn' ich kein iammervolleres 
Geschopf , ich meine unter den Pferden. 

Diese Welt ist so sonderbar, daB einer der beiden ernsthafte- 
sten und traurigsten Sachen humoristisch und bei den niedrig- 
sten und lacherlichsten sinnend und feierlich ist, eben dadurch 
philosophirt und der Mittel und der schnellste Weg, den Demo- 
krit und den Heraklit recht weit zu iiberholen etc. ist, beide 
Manner in einem Athem zu machen. 



X. 

Der Maschinen-Mann nebst seinen Eigenschaften 

Wenn ich besonders darauf zu sehen habe, daB ich bei meinem 
Leben keinen Aufsatz unvollendet stehen lasse, wie etwann Les- 
sing seinen »Schlaftrunck«, weil ich das warnende Beispiel Les- 
sings vor mir habe, daB die Manheimer Buhne zwar einen Preis 
fiir den, der eine solche Antike erganzt, aber nicht den Erganzer 
selbst, der ihn verdient, bewilligen konne: so brauch' ich doch 
das bios bei diesem Aufsatze nicht - ich konnt ihn gar nicht ma- 
chen, ich konnt' ihn hochstens halb machen; denn eben nach 
dem Tod brauch' ich ihn erst auszuarbeiten . 

Der ganze Aufsatz lauft nemlich auf eine Erzahlung vom Ma- 
schinenmanne hinaus, die fiir niemand im Grunde horenswerth 
ist als fiirLeute auf dem Monde, auf dem Saturn, auf dessen Tra- 
banten, auf dessen Ringe. Denn bei uns auf der Erde muB dieser 
Mann so bekannt sein wie ein Pudelhund: aber auf dem Saturn 
gar nicht und es ist ein rechtes Gluck fiir diesen Planeten, daB 
ich - wenn er anders nach dem Tode mein neues Jerusalem wird, 
wie mir wegen der nahern Aussicht in andere Planetensysteme 



TEUFELSPAPIERE • 3. 2USAMMENKUNFT * X 447 

und wegen der grossern Entfernung von meiner Schwieger- 
mutter auf Erden von Herzen zu wunschen ist - die dasigen Sa- 
turnianer in einige Bekanntschaft mit dem Maschinenmanne 
bringen will. 

Ich biete dem Maschinenmann - so erzahT ichs den Saturnia- 
nern - einen guten Morgen und guten Abend, aber damit gut: 
derm ich kann ihn nicht aus stehen, wegen seiner verfluchten 
Narrheiten. Er thut alles durch Maschinen. Er hat kein Feder- 
messer im ganzen Hause, sondern ein gewisses Instrument, von 
dem er sich seine Federn durch einen Druck vorschneiden lasset 
- er schreibt aber doch kein Jot a damit. Denn in Wien, wo ihm 
alles gezeigt wurde, lies man ihn auch die Schreibmaschine des 
Kaisers besehen, durch die man, indem man mit eigner Hand et- 
was schreibt, das namliche dann doppelt und vielfach hinge- 
schrieben hat. Er machte sich eine nach und fuhrte nun mit seiner 
uneingetunkten Feder, die er in der Luft herumzog, der Ma- 
s chine die repetirende Hand und Feder. Er meldete einmal auf 
der Marterbank des Jammers sitzend, den Tod seiner Frau einem 
Freunde: aber der Brief war doch von der Maschine geschrieben, 
die er seinen Amanuensis und Sekretair nennt. Das bereuete er 
oft und vor iedermann: »denn ich hatte bios, sagte er, einen lee- 
ren Bogen Trauerpapier schicken sollen, das am Rande schwarz 
gewesen ware aber weiter nirgends.« Seit dem schikte er, um 
seine zweite Ehe zu melden, einen leeren Bogen mit einem gel- 
ben Rande - um seine zweite irdische Scheidung zu melden, sen- 
dete er einen mit einem griinen, und die Beerdigung seiner leib- 
lichen Mutter that er durch einen Rand von ventre de Biche 
kund. Daher vermutheten einige oder mehrere Deutsche, er 
ware ein Narr: aber verniinftige Pariser wusten recht gut, daB 
er ein Pariser sei und ihnen diese Diffusionsrautne ganzlich abge- 
borgt habe. 

Er verstand- werd* ich gegen die Saturnianer fortfahren, aber 
vorher die dioptrische Metapher verdeutschen - zwar nicht das 
Einmaleins, aber dafiir das Rechnen ungemein gut, das er nicht 
wie eine Maschine sondern durch eine Maschine betrieb; er 
drehte bios die Rechenmaschine des Herrn Pastor Hahn ein paar- 



448 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

malum: so hatte, er sein Fazit, und Vergniigen obendrein. Ich 
habe mich daher oft ein wenig gewundert, woher es kommen 
mag, daB man ihn oder auch die hanische Maschine noch nicht 
als Rechnungsre visor angestelt: es kann aber gar wol doch nach 
meinem Tode auf der Erde geschehen sein. 

Dies wird den Saturnianern genug gef alien: aber ich werde 
weiter erzahlen. 

Der Maschinenmann legte allemal Proben seiner Beredsam- 
keit ab, wenn er auf das 18. Jahrhundert deswegen loszog, weil 
es noch keine Maschine erf unden hatte, die einem ehrlichen haa- 
rigen Mann einen Zopf machen konnte - und er lies so gar einmal 
ins Intelligensblatt setzen: man sucht allhier einen saubern Fri- 
seur, der von lauter Holz ist und im Zeitungskomtoir giebt man 
nahere Nachricht. 

Er und sein Magen war niemals an andere Tische zu bringen 
als an sogenannte Maschinentafeln, die stumme Knechte heissen 
und er sagte, er hatte Griinde dazu, die sein und gut waren. Ich 
und noch einige gute Freunde wollten einmal bei ihm essen und 
zwar mit den Zahnen: aber dariiber erhob er die grosten Handel 
und ich werde daran denken. Er versicherte uns heftig, er konne 
unmoglich von uns glauben, daB wir samtlich lebendige Nus- 
knaker waren, sondern er wolle hoffen, daB wir niemals kaueten 
und mit unsern Zahnen ausser den Dentalbuchstaben niemals et- 
was grobers zerschnitten. Unter diesen Versicherungen lies er 
durch einen stummen Knecht ein Ding wie eine grosse Hanf- 
muhleheraufheben. »Gotthat mir, sagte er, so viel Verstand ge- 
geberi, daB ich eine Kaumaschine ausgesonnen habe, mit der ich 
fur mich und meine werthen Gaste kauen kann und will. Wenn 
ich meinen Braten oder mein Gemuse zwei oder dreimal wie 
Hanfkorner durch die Maschine durchgemalen habe: so - denn 
eine Art kleiner Hollander oder Lumpenhacker, den Sie iezt 
darin gehen horen, zerstosset iede Faser - darf ichs nur ver- 
schlucken und den Loffel dazu nehmen. Die Zahne ruhen dabei 
gar nicht, namlich nicht meine, sondern die der Maschine, in die 
ich 32 Zahne, Weisheits- Hunds- und andere Zahne eingepflokt, 
weil ich ia an Zahnarzten und katholischen Heiligenbildern die 



TEUFELSPAPIERE • 3. 2USAMMENKUNFT ■ X 449 

Zahne haben konnte wie ich sie wollte. Man zerschnizt zwar 
auch mit Maschinen Nudeln, Bratwiirstefleisch und Stroh fiirs 
Rindvieh: aber ich befrage Leute die ein Gewissen und Maschi- 
nen kunde haben, konnen sie meine Maschine fur eine auch nur 
entf ernte diebische Nachahmung von ienen ausgeben und ist es 
ihr Ernst? « Er mahlte immer fort. »Sie sehen, sagt' er wieder, 
es kann kein Bissen ganz bleiben zwischen solchen Prosektoren: 
in einem hypochondrischen Magen aber fangt ein einziger kom- 
pleter und zum Camnephez gehoriger Bissen allemal Teufels- 
lerm an.« Er spie etlichemal in sein Fressen und winkte uns mit 
zu speien. »Warum speien Sie nicht mit? Der Speichel ist zum 
Verdauen unentbehrlich und eine Art vorlaiifiger Magensaft: fiir 
Leute von Stand, die die Quecksilberinokulirungen ohnehin so 
sehr ausschopfen, sollte daher ein solcher Saft so gut wie Dige- 
stivpulver zu Kaufe oder wie Senf auf der Tafel stehen und ich 
denke, in Holland sezt man die Spuckkastgen auf die Tafel doch 
aus keiner andern Absicht.« 

Wenn ich den Saturnianern das Abentheuer gar zu Ende er- 
zahlet habe: so ruck' ich mit der Schilderung des Maschinen- 
mannes so fort: 

Im Winter gab er Konzerte: allein er thats bios, weil er alles 
so weit treiben konnte, daB weder der Komponist noch der No- 
tenkopirer noch der Taktschlager noch die Spieler lebendig wa- 
ren, manchen gieng sogar die Menschengestalt ab. Der Kompo- 
nist war ein paar Wurfel, wo mit der Maschinenmann nach den 
im Modejournal gegebenen Regeln des reinen Satzes und einer 
pariser Mode musikalische Fidibus zu sammenwurfelte - der 
Notenkopirer war nicht Rousseau sondern die Extemporisirma- 
schine oder das Setzinstrument, worauf er die erwiirfelten Pro- 
dukte abspielte, damit es sie aufschriebe - der Taktschlager war 
der von Renaudin in Paris erfundene Chronometre. - Die Spieler 
waren (sie thaten Wunder auf der Flote, auf dem Klavier und auf 
einer Orgel mit kartenpapiernen Pfeifen) teils von Vaukanson 
theils von Jaquet Drotz und Sohn gezimmert worden: »aber, 
sagt' er am Ende des Konzertes zu uns, soviel darf ich mir doch 
schmeicheln, daB man nirgends weiter eine Kapelle, einen Mu- 



45° JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

siksaal, ein Orchester auftreibt, worin in der Wahrheit nichts an- 
ders weiter gar nichts anders als Maschinen spielten.« - »Aber in 
solchen, sagt' ich, sas ich doch, wo wenigstens nichts als Ma- 
schinen zuhorten und wo ein ruhrender Trommelschall allge- 
mein die menschlichen dasigen Herzen bewegte und z war einmal 
einen Apollo von Stein dermassen, daB er umkugelte.« 

Oihr Saturnianer! wenn ich euch einmal das wirklich auf dem 
Saturn erzale - und es geschieht warlich: - was werdet ihr von 
den Leuten und Winterkonzerten auf der Erde denken und auch 
von denen, die sich von alien dreien beurlaubet haben um alles 
im Saturn auszuplaudern? Werdet ihr nicht zu mir sagen: der 
Mensch ist narrisch, dieser Spas besonders, die Tage im Saturn 
sind ausserordentlich kurz, die Jahre im Saturn sind ausseror- 
dentlich lang deine Erzalung auch: aber das ist eben ein er- 
schrecklicher Fehler und in 15 Minuten muB sie aus sein. Er 
plagte den russischen Residenten so lange bis er ihm - eben mei- 
nem Maschinenmanne- das Betradlein der Kalmuken* kommen 
lies. Leute, die sehen aber nicht errathen konnen, besonders der 
Klingelbeutelvater und der Organist wollten mich versichern, er 
habe niemals fur seinen reisenden Landesherrn und fur seine 
todkranke Frau ein StoB oder -SchuB oder anderes Gebeth ge- 
than, sondern vielmehr im Tempel lustig etwas geschwenkt: 
aber das war eben seine Betmaschine und sein Gebrauch davon 
und er that damit der Reise seiner Frau und seines Fursten die 
wichtigsten Dienste, wie man nachher erfahren. 

Er hatte das Gelubde der Karthauser gethan nicht zu reden, 
wie die Franziskaner das, kein Geld zu betasten: deswegen war 
ihm ein Sprecher, der seine Zunge vertrat, so sehr als ienen ein 

* Es sieht wie eine Kinder kl a pper aus, und wird Kurudu genannt: die 
Betformeln sind in einer Kapsel an einem beweglichen Stiele aufgerollt; 
und die Kapsel drehen heisset beten. Ich dachte oft, es wiirde uns auch 
keine Schand machen, wenn wir ob gleich von Wilden eine niitzliche 
Mas chine annahmen und das Betradlein wenigstens zum Tischgebet, das 
alle unsere Gesichter und Hande in solche Verlegenheit sezt, einfiihrten, 
der Bratenwender konnte in der Kiiche mit dem Braten zugleich das 
Betradlein und die Danksagung dafur drehen. 



TEUFELSPAPIERE ' 3. ZUSAMMENKUNFT "X 451 

Mann von nothen, der wie bei Blinden das Geld einstreicht - er 
hatte daher bekanntlich eine kempelische Sprachmaschineaut dem 
Bauche hangend. Ich sah ihn oft, wie er vor dem Beichtstuhl und 
vor dieser Maschine stand und seine Beicht abspielte - wie er als 
Bruder Redner in Freimaurerlogen Reden und Gefiihle orgelte, 
die nachher meines Wissens in den offentlichen Druck kamen - 
wie er einmal verflucht anlief, da er vor etlichen hundert Kir- 
chenpatronen nemlich Bauern eine Probepredigt ablegen wollte 
und die Patronen (er hatte kaum die Worte »Geliebte in Christo« 
und etwas vom Exordio gegriffen) ihn beinah wegen der Ver- 
muthung erschlugen, er verwahre und fuhre den Gotseibeiuns 
im Kasten und der predigte - und uberhaupt hab' ich ia das 
Wichtigste von seiner Biographie, die ich iezt mit wahrem^Ver- 
gniigen dem Saturn mittheile, nicht aus seinem Munde sondern 
aus seiner Hand, die mir alles aufrichtig vorspielte. 

Zuweilen hob er sich auf dem Springstab des Enthusiasmus 
iiber die halbe Welt hinweg und in eine viel idealischere hinein 
- und ich habe mir besonders folgenden Enthusiasmus treu auf- 
geschrieben: »Esistwahr, (sagteer,namlich seine Maschine) der 
Mensch thut in meinen Tagen einiges durch Maschinen - es will 
allerdings schon etwas sagen, daB ich keinen lebendigen D re- 
seller oder Saemann bezahle, sondern die dafur ordinirten Ma- 
schinen , - daB ich wenn ich mich duelliren will , statt meiner bios 
die in Italien gewohnliche kopfende Maschine schicken kann - 
es ist auch das gar nicht ganz ohne Werth, daB ich richtige Wet- 
terbeobachtungen nach Mannheim abliefern kann, die niemand 
gemacht als mein neuer Barometrograph - und es ist eben so viel 
als hatt' ich noch eine Magd, aber noch viel bequemer, daB ich 
am Morgen mich wecken, Licht und Feuer machen, die Bett- 
und die Fenstervorhange aufzerren lassen kann bios von einem 
toden Wecker von der neuen Art, wie der Franziskaner Morgues 
sie zu Tausenden verarbeitet - und ich muB inne werden, daB es 
eben so bequem und um die namliche Tageszeit, obwol nicht 
eben so angenehm ist, daB die grosten Grossen, die alles durch 
Reprasentanten thun und die daher so viele physische Ebenbilder 
von sich stets zu kreiren streben, im Kreiren aufhoren und im 



452 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

Reprasentiren fortfahren und mit einem Worte Gemahlinnen 
haben, die gut wissen was unser Jahrhundert ist und dessen un- 
zahlige Maschinen, und wo der Italiener oder Franzos zu haben 
ist bey dem seiner Seits wieder zu haben sind leblose Vikarien 
oder Charges d'affaires oder Agenten oder curatores absentis des 
lebendigen Ehemanns, welches alles (sagen die Gemahlinnen 
und die Italiener) lauter herrliche, den Eheherrn ohne Schaden 
reprasentirende Figuren waren und zwar nur rhetorische und zwar 
bios die Figur pars pro toto . . . Ichhab' es schon gesagt, man kann 
es nicht laugnen, daB das alles etwas ist. Aber ich will mir einmal 
das Vergniigen verstatten, mir einzubilden, der Mensch ware 
schon auf eine viel hohere Stufe der Maschinenhaftigkeit geriickt 
und ich will nur, da ichs einmal darf, mir gar vorstellen, er 
stundeauf derhochstenundhattestatt der 5 Sinnen 5 Maschinen 
- er gienge vermittelst des Gehwerks einer Maschine oder eines 
Laufwagens - er verfertigte, da er iezt bios seine Arme, Beine, 
Augen, Nase, Zahne von der Drechselbank abholet, auch alle 
iibrige Glieder und den ganzen Torso auf ihr und brachte eine 
Sakpfeife statt des Magens nicht auf wie bisher, sondern in dem 
Bauche in gesunde peristaltische Bewegung und schnitte von ei- 
ner Feuerspritze sich eine lederne Schlange zum Sack- oder 
Blinddarm los, - ich will mir vorstellen, er trieb' es noch weiter 
und er verrichtete durch ein hydraulisches Werk sogar seine 
Nothdurft, namlich die exzeptivische - er behielte nicht einmal 
sein Ich sondern liese sich eines von Materialisten schnitzen, 
welches aber besonders unmoglich ware - nicht einmal die 
Thiere waren mehr lebendig, sondern da wir ohnehin von Ar- 
chytas, Regiomontan, Vaukanson kiinstliche Tauben, Adler, 
Fliegen, Enten haben, auch der iibrige Inhalt der Zoologie 
wiirde petrifizirt und verknochert und ganze Menagerien ohne 
Leben und ohne Futter wiirden aufgesperrt und Kluge, die den 
Spener gelesenhatten, dachten deswegen, der iiingste Tag sei da 
oder schon voriiber - die Sache ware verflucht arg und die natura 
naturans verfloge endlich und nichts bliebe da als die natura na- 

turata und bios die Maschinen ohne Maschinenmeister: 

mit welchen Vollkommenheiten, frag' ich, wiirde dann die Erde 



TEUFELSPAPIERE • 3. ZUSAMMENKUNFT ' X 453 

aufgeschmiickt sein, die iezt so in Lumpen und Lochern dasteht? 
ich meine namlich, wenn ein guter Kopf die Erde iibersahe und 
ihre Vollkommenheiten uberzahlte und iiberhaupt schon wiiste, 
daB ein Wesen desto vollkommener ist, ie mehr es mit Maschi- 
nen wirkt und ie mehr es Arme, Beine, Kunst, Gedachtnis, Ver- 
stand ausser seinem Ich liegend sieht und alles das nicht mit sich 
zu schleppen braucht, und daB eben deswegen das Thier, das 
ohne Maschinen thatig ist, auf der untersten schmutzigsten 
Vollkommenheitsstufe liege, der Wilde, der einige bewegt, auf 
einer hohern, unser Bauer, der mehrere dreht, auf einer noch 
hohern, und der GroBe und Reiche, dem die meisten Maschinen 
ansitzen, auf der hochsten stehe, mit welchen Vollkommenhei- 
ten wiirde der iiberzahlende Kopf die Erde dann wol iibersaet 
finden? namentlich mit Fohismus, vollstandiger Apathie, Quie- 
tismus, Rentirer und Hofdamenleben, Nichts sein und Alles 
konnen, woran aber wirklich vor Deutschlands neunzehnten 
Jahrhundert gar nicht zu denken ist . . . « 

Ganz natiirlich fragen mich die Saturnianer: » welches war 
denn das wahre Lebens-Jahrhundert deines Maschinenmannes?« 

»Das i8te,« sag' ich. 

»Aber wie heisset er denn eigentlich?« sagen sie. 

»Eben so, namlich das achtzehnte Jahrhundert, oder der Ge- 
nius des 18 Jahrhunderts«, sag' ich. 

»Und dies, wolt' ich wol wetten, ist auch die einzige Ursache 
(sez ich noch hinzu) warum ich in meinen so zahlreichen und gu- 
ten Biichern und Ausziigen aus fremden Biichern diese Erzah- 
lungvomMaschinenmannblos euch seeligen Saturnianern, und 
niemals (ich muste denn mit dem Leben zugleich mein Gedacht- 
nis eingebtisset haben, wie Philosophen von Verstande langst 
erhartet) meinem geneigten Leser vorerzahlt habe: denn ihr Sa- 
turnianer allzumal merkt doch wol beim Henker, der Leser ist 
ia eben der - Maschinenmann selbst.« 



454 JUGENDWERKE * 4. ABTEILUNG 

XL 

Epilog oder was ich auf dem Stuhle des Santorius* etwann sagte . 

Die Griechen glaubten, der GenuB des Wildes errege Gahnen: 
allein Schriftsteller werden ein fur allemal zu den zahmen Thie- 
ren geschlagen; und konen es daher allezeit probiren und einen 
geschickten Epilog machen. 

Bei der Rollenaustheilung schnapt der Korper - auch auf dem 
Wiener Nazional theater - der Seele oft die wichtigsten Rollen 
weg und sie muB sich dann aus einem Loche, das wir den Kopf 
nennen, als bloBen Soufleur des gepuzten Leibes horen lassen. 
Man betrachte z. B. nur mich und den TeufeL Mich konnte der 
Leser zu den einfaltigsten Wendungen in diesem Epiloge zwin- 
gen, ia er konnte mich, statt desselben ein unglaublich dummes 
Ding, das in Klo stern bei Tische vorgelesen zu werden ver- 
diente, zu schreiben nothigen, wenn er bios meinen Korper und 
meinen Magen nahme und ihn mit der elenden festen Kost seines 
Knechts oder auch des Rezensenten oder mit den Magenpleonas- 
men eines Pralaten vollschlichtete: Denn das wiirde meinen Ner- 
vengeist (zumal wenn es einen gabe) so verkorpern und verkno- 
chern,, daB er ganz steif wiirde. Denn geistigen Einflus des Kor- 
pers beweiset ausser der ganzen Welt auch der TeufeL Denn es 
ware nichts schweres , den Katheder zu besteigen und da gegen die 
altesten Opponenten die Thesis durchzusetzen, daB derTeufel zu 
dem meisten Bosen bios durch den menschlichen Korper, den er 
bei seinen so unentbehrlichen Erscheinungen statt einer Karak- 
termaske um sich schlagen muB und den er besonders wilden 
Jagern abborgt, zu seinem grosten Schaden angehetzet werde. 

Besonders ist das durch die Aerzte und unsere Korper erwie- 
sen, daB beide desto weniger ausdiinsten ie grosser die geistige 
Anstrengung ihrer SeelenistundiCdMfrnuB sich durch seine Kri- 
tik der reinen Vernunft entsetzliche Husten, Schnupfen und 

* Auf diesem Mittelding zwischen Stuhl und Wage hielt sich be- 
kanntlich Sanktorius lebenslang auf, um alles was in oder aus seinem 
Korper gieng sogleich abzuwagen und einzuregistriren: ich besitze aber 
selber diesen Stuhl noch nicht uber ein Vierteliahr. 



TEUFELSPAPIERE ' 3. 2USAMMENKUNFT • XI 455 

Kopfschmerzen zugezogen haben: was Systematiker anlangt, so 
husteten sich in meiner Gegenwart verschiedene an dieser Kritik 
zu Tode. Und so diinstet man umgekehrt desto besser aus, ie 
weniger man denkt. 

Ich muste dieses vorausstellen um den Satz vollig einzuleiten, 
daB ich den mathematischen Stuhl des Sanktorius besitze und auf 
ihm meine Evakuazionen und Replezionen so verniinftig ab- 
warte und wage daB es mir und meiner Familie Ehre macht. Ich 
riihre daher nie eine Feder fur die Presse und fur die ganzc Welt 
(welches wol nicht zweierlei ist) an, ohn vorher auf dem ange- 
regten Stuhle seshaft zu sein, weil ich damit auf der Stelle es vor- 
gewogen sehe, ob meine unmerkliche Absonderung stark ist 
oder ob mein Ausdruck, ob ich viel ausdiinste oder viel nach- 
denke, ob meine Seele oder ob bios meine Haut schlaf ist. Dieser 
Stuhl ist meine Allgemeine deutsche Bibliothek und er rezensirt 
iede Seite meines Buchs eben so unpartheiisch als iene, aber viel 
schneller und nicht erst 4 Jahre nach der Verfertigung sondern 
4 Minuten. Ich weis, daB ich erhebliche Satiren fur dieses Buch 
hekte und laichte und warf , wo mir der Stuhl fur gewis ansagte, 
daB ich bei ihrer Abfassung um kein halbes Loth Ausdiinstung 
leichter wurde; es blieb alle Feuchtigkeit als Residuum (bloss, der 
Nervengeist zog sich ins Buch) in mir und in meinen erschlaften 
GefaBen sitzen, und ich wurde in einem oder in doppelten Sinne 
ein Autor von Gewicht und schrieb freilich darnach, namlich 
recht gut. Die Satire auf die Selbstrezensenten hieng mir einen 
Katarrh auf, den ich herumtrage und inokulire; und viele mes- 
sens vollig ohne Grund dem grimmigen Winter bei. Und wer 
die Geburten der Verlaumdung (namlich meiner satirischen An- 
mahnung dazu) kennen lernen will: komme nur morgends zu 
mir und besehe die Geburten meiner verlaumderischen Lunge. 
Freilich macht sich im Gegentheil der Mensch oft iiber satirische 
und iuristische Arbeiten in Stunden her, wo die unmerkliche 
Absonderung pfundweise von ihm geht, desgleichen die ausge- 
arbeiteten Bogen; wasserige Meteoren rinnen aus alien Poren 
und Federn, wie mein Stuhl allemal genau anzeigte: dann 
schreibt man entsetzlich schlecht. 



45 6 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

Herr Wekherlin verachtete meinen wagenden Stuhl niemals, 
sondern sazte sich oft darauf , und zeugte durch die Korpuskular- 
philosophie an seiner Drillingsgeburt der 3 Weisen aus - Frank- 
reich* eines und das andere Glied: aber er wollte nicht schwerer 
werden, sondern so leicht wie eine oder seine Feder. »Es ist ein 
Jammer, sagt' er, daB ich nicht scharfsinnig bin: aber meine un- 
merkliche Sekrezion geht hubsch von statten. « Auch die merkli- 
che, sagt* ich und sprach in einer Metapher. »Und noch darzu, 
fuhr ich fort, wenn ein Autor so schreiben kann, daB seine Aus- 
diinstung dabey wachst und ordentlich aus ihm regnet - wenn 
ferner diese eine Art verdiinter Urin ist, wie die Chemie durch- 
aus behauptet - wenn Kunkel aus dem Urin einen glanzenden 
Phosphor (in dem nun sein Name wie in einem Feuerwerk 
brennt) auszog - wenn das natiirlicherweise auch mit der Aus- 
dunstung angehen muB, aber freilich in geringerm MaBe, - 
wenn nun aber offenbar der Korper die Seele, wie das Franzosi- 
sche das Teutsche und also die Ausdiinstung die Dinte tingirt; 
so miiste warlich der Teufel sein Spiel dabei haben, wenn nicht 
Ihre schriftstellerische Produkte phosphoreszirend leuchten 
wollten und stinken. « Er raumte es auch ein und sagte mir iiber- 
haupt, daB die groBe Welt ihn hauptsachlich schatze und er 
konne nicht genug fur sie schreiben oder denken oder diinsten. 

Beilaufig! Halley berechnete, daB die tausend Millionen Men- 
schen, mit denen die Erdkugel bestekt ist, jahrlich 7393 Millio- 
nen Kubikschuh Wasser aus ihren Poren dampften. Allein da er 
mich unmoglich kennen konnte; so wurd' ich ohne Bedenken 
mit meiner iahrlichen Ausdampfung gar nicht in Rechnung ge- 
bracht; diesen kleinen Rechnungsverstos machen aber geschikte 
Naturforscher vdllig wieder gut, wenn sie iezt meine Ausdiin- 
dung mit zur gesammten addiren. 

Lautes Reden macht die unmerkliche Absonderung fast zur 
merklichen und verdoppelt sie so sehr, daB Haller in seiner Phy- 
siologic von einem Advokaten erzalt, von dessen Pfeil- und 
Kranznaht wahrend seines rechtlichen Vortrags eine Rauchsaule 

* Namlich die Chronologen, das Ungeheuer und die Hyperb. Briefe. 



TEUFELSPAPIERE ■ 3. ZUSAMMENKUNFT "XI 457 

von Ausdiinstung sich auf warts drehte: ich wiirde, war' ich sein 
gegnerischer Anwald gewesen, zwar eben so viel Rauch ge- 
macht haben; aber bios figurlichen. Da ich gern die Diinste, die 
lautes Reden aus dem Menschen iagt, mit meinem mathemati- 
schen Stuhle messen und iiberhaupt den meinigen, die bisher der 
Winter und mein Buch in mich eingesperrt, freien AusschuB 
erofnen will: so will ich iezt am Ende des Winters und des Buchs 
- es wird alles gut von einem geschikten iungen Menschen nach- 
geschrieben - auf meiner Wage sehr reden (und allerhand) , urn 
auffallend wegzudiinsten. Der ganze Epilog soil nichts als dieses 
Geredte enthalten. Ich sehe mich gliicklicherweise dabei fast an 
gar keine Ordnung und an keinen Sinn meiner Reden gebunden, 
weil bios die unmerklicheTranspirazion iezt mein und des guten 
Lesers Endzweck sein soil. 

Vor alien Dingen sind eine oder ein paar Zeilen bios darauf zu 
verwenden, daB ich dem Leser (in der Vorrede vergas ichs ganz- 
lich) auf mein Wort versichere, daB an dem hiesigen im Grunde 
mir nachtheiligen Geruchte, ich sei gar narrisch d. i. nicht bei 
mir und meinen Sinn en, eigentlich wenig oder nichts sei, und 
es in der That nur so scheine: ich war vielmehr gerade von ieher 
verniinftig genug und ich haufe nur die Bogenzahl dieses Werkes 
zu sehr an, wenn ichs ordentlich erweise. Bin ich nicht z. B. , da 
ich mich von Tag zu Tag immer magrer ausfallen sehe, schon 
auf die Gedanken gerathen, nach einem Amtsposten zu trachten 
und daselbst zur Wolfahrt des ganzen Staatskorpers und meines 
eignen so viel beizutragen als in der That recht ist? Und sagt* ich 
nicht, da sonst Leute in Aemtern und Leute ausser denselben ein- 
ander wechselseitig verachten, an wichtigen Orten gerade her- 
aus, ich dachte nicht so, sondern ich wollte ausserordentlich gern 
als Regierungsassessor mit meinen ein und vierzig Jahren unten 
an der scharfen Fuszahe solcher Regierungsrathe sitzen, die viele 
Ahnen hatten aber wenig Barthaare und Jahre? Wenn dies nicht 
Reden und Gedanken sind, welche erweislich machen, daB ich 
(ob wol ohne Amt) verniinftig bin: so konnens die folgenden 
noch viel weniger: Wenn nemlich ein Autor und ein Amtswer- 
ber seinen Magen mit seinem Kopfe, seine korperlichen Evakua- 



45 8 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

zionen mit seinen geistigen Replezionen bei miissigen Stunden 
zusammenhalt: so lernt er den alten und den neuen Bund schon 
genugsam unterscheiden und sieht schon so viel ein, daB im alten 
Testament die Raben den Propheten das Brod zutrugen, im neuen 
aber weg. 

Das betriibt mich wochenlang: aber ich iiberlege auf der an- 
dern Seite daB mittelmasige Menschen doch am Ende besser als 
die schlechtesten oder als die besten fortkommen und an ihren 
Maschinen die meisten Zahne einkerben, in die Fortunens Rad 
eingreifen kann damit es die Maschine und den Meister bewege 
- und daB iiberhaupt Verstand nicht halb so viel schade als Tu- 
gend und keines allein so viel als beide zusammen, und daB der 
Weise zwar nicht dem Dummen (dieser miiste denn zu keiner 
einzigen Niedertrachtigkeit zu brauchen sein) aber doch dem 
Narren (er miiste denn zu ieder Niedertrachtigkeit zu brauchen 
sein) den Rang gewiB abiage und daB endlich das Laster wie alles 
Gutes, nur masig gebraucht zutraglich sei, und fur uns am heil- 
samsten als helfender Allhrter unsers Nachsten wirke. 
Ueberhaupt giebt es doch noch gliickliche Menschen: wie aus- 
serordentlich gliicklich sind nicht die, die keine Kriegssteuern 
zahlen, ich meine nicht 50 Prozent dem Landesherrn,sondern 
100 dem Feinde - wie gliicklich sind nicht die magnetischen 
Schlaferinnen, die durch 2 Daumen und einige Finger wie durch 
Poussirgriffel zu solchen Lizenziaten und Doktoren in der Arz- 
neikunst und zu solchen Urinpropheten modellirt werden, daB 
der Teufel selbst nicht aus ihnen klug werden konnte, wenn sie 
nicht aufwachten und wieder einfaltig wiirden wie die Kinder - 
wie gliicklich ist nicht der geheime Rath und Privilegien- und 
Polizeikommissair Fontanesi in Frankenthal, der iezt alle Abend 
mit dem Bewustsein zu Bette gehen kann, daB er dem rauberi- 
schen Nachdruck der Werke Friedrichs II. kraf tiger als der 
Reichsfiskal dadurch wehret, daB er selber einen hiibschen be- 
sorgt - wie gliicklich ist nicht der halbe hiesige Biirgermeister 
und Rath, ebcn weil er halb und defeckt ist und weil also die 
Sporteln, die den noch ungewahlten Gliedern gehoren, die ge- 
wahlten wassern und diingen - wie gliicklich ist nicht der Teufel, 



TEUFELSPAPIERE • 3. ZUSAMMENKUNFT • XI 459 

der bei allem diesen hinten und vorn ist und sich nicht mehr ge- 
laugnet, sondern vervielfacht sieht- wie glucklich sind nicht die, 
die gesund sind, bios weil sie ihre Transpirazion dadurch unge- 
mein befliigeln, dafi sie aus diesem alien mit dem ungesunden 
Leser verstandig sprechen. 

Eben so wenig wird es mich oder meine Ausdampf ung unter- 
brechen, wenn ich hier ein paar Tropfen Dinte zum Lobe meines 
Rechtskonsulenten Sessessar verschreibe, weil ich es gern sahe 
und in Wahrheit gern dahin brachte, daB ihm einer und der an- 
dere meiner Leser seine Prozesse anvertrauete. Denn ich muB 
ihm nicht bios unter 4 Augen, sondern unter vielen Millionen, 
die alle auf mein Buch geheftet sind, nachsagen, daB er allein 
(hier schaue sich aber Mensch und Vieh nach Vermogen vor ei- 
nem Perioden vor, der gar nicht langer sein kann) durch drei 
Appellazionen und Eine Lauterazion und 60 Fristgesuche (weil 
er oder doch seine Deszendenten oder Aszendenten und voll- 
biirtige Geschwister und Halbgeschwister wahrend des Prozes- 
ses 60 mal erkrankten, so daB er bald £ur physischen bald fiir mo- 
ralischen Schmerzen nichts konzipiren konnte als hochstens das 
Fristgesuch) - durch philosophische Hinwegsetzung und Apa- 
thie iiber viele Fatalien - durch angenehme Variazionen mit den 
Akzionen - durch wahre Versohnlichkeit mit meinem Gegen- 
part, dem er gern in der Rechts-Noth aushalf , - durch eingesaete 
lachende Satiren auf den GroBvater des gegnerischen Anwalds* 
die unschuldig und doch beissend waren und die mich keinen 
Heller mehr als der gewohnliche Inhalt seiner Schriften kosteten 
- durch hinlangliche Beweise, wo mit mein Unrechtskonsulent 
sonnenklare Satze nur noch mehr bef estigte (denn wenn die gro- 

* Hommel und ande're (den Richter nicht zu erwahnen) lassen das 
Schimpfen der Advokaten auf Advokaten in Akten zu. Gerade so ist ie- 
dem Christen den Teufel ehrenruhrig anzuf alien unverwehrt und groBe 
Gelehrte schreiben ordentlich die Schitnpfworte dazu vor; der H. Assisi 
mahnet z. B. ein en Monch zu dieser Schmahung gegen den Teufel an: 
mach' dein Maul auf, so will ich gewissermassen »hinein . . . « Aber der 
Teufel, der uns zum Siindenfall und mi thin zum Zorn verlenkte, ver- 
dient gar wol, dessen Ausbriiche selber zu erfahren. 



460 JUGENDWERKE ■ 4. ABTEILUNG 

sten Philosophen die augenscheinlichsten Dinge z. B. Bewe- 
gung, Materie etc. sogar laugnen diirfen: so steht es eben so gro- 
Ben Advokaten zu, sie wenigstens zu beweisen, wo nicht gar sie 
ganzlich zu bezweifeln) - durch noch bessere Haupt- und Staats- 
akzionen, die in diesen Perioden gar nicht zu bringen sind, alles 
so weit fuhrte und durchtrieb, daB mein ProzeB wirklich recht 
bald entschieden und ich sowol in die halben Kosten als zum 
Verluste des ganzen Prozesses verfallet wurde - woriiber ich 
freilich so gut als einer ausserordentlich froh sein konnte, weil 
ich eben aus dem Verlust ersah, da/3 ich in einen ungerechten i 
ProzeB geflochten gewesen, dessen ich nun ohne Schaden des 
Gegners losgeworden: daher empfehl' ich eben meinen Rechts- 
freund Sessessar iedem Leser, der aus Gewissenhaftigkeit seinen 
ungerechten ProzeB nicht gewinnen will, so sehr und so oft. Als 
ich iibrigens abgeschoren und ohne einen platten Groschen zur 
RegreBklage vor dem Rechtsfreund stand und einen franzosi- 
schen Eid that, ich ware so weit herunter, daB ich das Publikum 
in Kurzem mit verschiedenen vortreflichen Schriften beschen- 
ken muste: so dankte er freilich auf der Stelle Gott und sagte zu 
mir: » lei der oft die schonsten Seelen f asset das blinde Gliick in 21 
lauter Gold und Reichthum ein, wie der eben so geschmacklose 
Nero eine herrliche kupferne Statue des Lysippus iibergolden 
hies und an ihr durch eine angebliche Verschonerung alles wahre 
verhiillte; inzwischen lies am Ende Nero doch der Statue die 
goldne Entstellung ausziehen- freilich liefs ohne Ritzen nicht ab: 
- was soil nun ieder an seinem Neben christen, wenigstens an 
seinem Nebenmenschen lieber thun als etwas ahnliches? Ich fur 
meine Person, getrau' ich mir zu sagen, legte mit einigem FleiB 
meine rechte Hand an Ihr wahres und schones Ich, und fegte und 
biirstete von solchem (denn ich kam nicht zu spat) vollig iene 3< 
goldne Umkleisterung herab, die fur Ihr Wesen sich vielleicht 
gar zu wenig schickte. Daher dienen gewissenhafte Advokaten 
solchen Klienten nicht gern, von den en keine Vergoldung oder 
Versilberung abzukratzen ist und die schon von Natur nichts ha- 
ben: denn was weis in solchen Fallen alle Kunst des Advokaten 
zur Natur noch anzufugen?« 



TEUFELSPAPIERE • 3. ZUSAMMENKUNFT 'XI 46 1 

Was sagen aber die Leser dazu? ich meine damit nicht die un- 
zahligen Menschen, die mich borgen und lesen, sondern iene 
zwei Menschen in Wezlar, die mich gar nicht lesen, sondern die 
beim Reichskammergericht die Akten iibergeben, aufheben und 
bewahren und die den Namen Leser fuhren, wic ieder weis, der 
nur in Wezlar hineingerochen oder auch ins deutsche Staats- 
recht. Die Leser sagen eben nichts dazu, weil eben uns Autoren 
das Ungliick trift, daB wir selten gelesen werden von - Lesern, 
Reichskammergerichts-Boten-Notarien-Pronotarien-Advoka- 
o ten-Prokuratoren-Beisitzern- und Prasidenten und die Visita- 
tion dieses Reichsgerichts denkt uberhaupt weit weniger an den 
Jammer der Autoren als der prozessirenden Partheien. 

Ich transpirire immer starker und ich will iezt erst recht zu re- 
den anfangen. Schon seit Adam und Eva's und der Schlange Zei- 
ten - wenigstens seit einem paar Jahren gabs Rezensenten: aber 
Rezensionen sind weit schwerer zu machen als Rezensenten und 
am Ende auch theuerer. Ich wollte einmal eine kleine Erbschaft 
zur Anlegung einer Buchdruckerei verwenden und miethete mir 
deshalb die dazu gehorigen Inventarienstucke, nemlich einige 
jo Duzend Rezensenten - hier sah ich, wie wolfeil sie sind; und ietzt 
da ich unter der Hand nach der Taxe der Standeserhohungen dieses 
Buches mich erkundigen lasse sen' ich, wie theuer Rezensionen 
sind. Eben so, aber nicht ganz so stehts mit der Taxordnung der 
Reichshofkanzlei von 1659 den 6 Jan. Denn fur eine Nobilitazion 
mit 1 Helme wird gegeben 

Tax fl. 130. 

dem Vicekanzler 36. 

dem Sekretario 18. 

Kanzlei-Jura 40. 
30 Hingegen fiir nobiles creandi facultatem bios Tax fl. 300 

Vicekanzlern 36 

dem Sekretario 18 

Kanzlei-Jura 70. 

Man braucht also bios 1 und 10t / 112 Edelmann zu machen: so 
gewinnt man bei der Plastik aller iibrigen Edelleute seine 100 
Prozent, die weder ein Christ des alten Testamentes noch ein 



4^2 JUGENDWERKE "■ 4. ABTEILUNG 

Jude des neuen verschmahen soil. Und wenn die Reichsstande 
eine Aenderung dieser Taxe begehren oder Kur-Mainz eine be- 
willigt: so ists nicht recht; denn mein Gleichnis wiirde zu sehr 
verhunzt. 

Ich denke, es soil etwas zu meiner Ausdunstung beitragen, 
wenn ich ieden, der nur ein Dach von Paris gesehen oder davon 
gehort, um Verzeihung bitte, daB ich zuweilen (und auch ietzt) 
den Namen Gottes nannte. Waren Unglaubige und Freigeister 
meine Lebenskonfratres und Zeit- und Weltgenossen und Ge- 
nossinnen: so wars gar nicht ndthig; aber so ausserordentlich. 
Denn es hat sich unter uns nach und nach eine Achtung fiir diesen 
groBen Namen eingedrungen und festgesezt, die so groB ist, daB 
ihn - wie die Juden den Namen Jehova - in Gesellschaften und 
iiberhaupt ausser dem Kirchenstuhl gar kein Mensch mehr nen- 
nen will: ieder sieht sich lieber dafiir nach den gleichgeltenden 
Namen Natur, Schicksal, Materie, Himmel, Gotter, Jupiter um, 
und Herr Wekherlin besonders, (der auch fiir sich selbst einen 
andern leichter zu schreibenden Namen wahlen sollte) wie die 
besagten Juden aus ahnlicher Achtung statt Jehova lieber Ado- 
nai, Elohim etc. sagten. Ich will es nur gerade zu heraussagen: 
das Uebel geht noch viel weiter; denn aller Aberglaube ist libel. 
So wie nemlich die Hebraer den Namen Jehova nur in der heili- 
gen Stadt, in Jerusalem, aber nicht in den Provinzen, und dort nur 
vor frommen Lenten iiber ihre bigotte Zunge liessen: so hat ietzt 
kein Mensch gerade umgekehrt das Herz, den Namen des hoch- 
sten Wesens in einer Residenzstadt - weil da der Teufel los und 
der heilige Geist in der Wiiste ist - sich entfahren zu lassen, son- 
dern nur in den entfernten Provinzialstadten und fiir Frommen 
probiert man's; vor dem Abdruck dieses Werks kann der Name 
gar auf die Dorfer hinausgelagert sein. Man kann allerdings das 
eine Gewissenhafftigkeit nennen, von der ohne innerlichen Ab- 
bruch der wahren Religion schon einiges nachgelassen werden 
konnte. Und sollen wir vollends einem ersten Sprachmeister (er 
frisirte michund d'Alembert), glauben, der sechs Schwiire kon- 
struirte, daB er 18 bis 19 Sous wetten wollte, es waren ietzt in 
und um Paris gemeine Burger ansassig, die nicht einmal so viele 



TEUFELSPAPIERE ■ 3. ZUSAMMENKUNFT * XI 463 

Sous hatten und die doch nun anfiengen, au diable statt a dieu 
zu sagen und vom Hofe woll' er gar nicht reden? 

Ich mags natiirlich noch viel weniger, es sei von welchem eu- 
ropaischen Hofe es wolle, ob es gleich meiner Ausdampfuhg gar 
nicht schadlich ware; allein von iedem orientalischen werd' ich 
mit Vergnugen geschickt reden und sogar mit wahrer Satire. 
Denn die europaischen Fiirsten machen selber dadurch eine gute 
auf die asiatischen, daB sie Rauber und Stohrer der alien Regie- 
rungsform (anders kann man einen Aufriihrer nicht definiren) mit 

10 einem gliihenden Throne, Szepter und einer warmen Krone von 
Eisen begaben und heimsuchen: denn sie geben damit nun wol 
deutlich genug zu verstehen, der ganze Unterschied sei bios, daB 
iene grossere und uneingeschrankte - Despoten und Helden in 
Asien diese drei Regierungsinsignien bios ganz abgekuhlt be- 
kommen; dieser Kalte des Throns schreib' ichs auch mit zu, daB 
sie lebenslang ohne Versengung ihres Sitzkissens darauf sitzen 
konnen. So driickt man gegenwartig in England den Theilha- 
bern des beneficium cleri wirklich kein anderes Eisen in die 
Hande als ein ziemlich kaltes. 

20 Indessen will ich den unwahrscheinlichen Fall sezen, ich 
riihrte meine Dinte um und wollte hier hundert kleine Fiirsten 
in Europa weniger aus Liebe zur Wahrheit als zur unmerklichen 
Transpirazion mit guter Art erheben und preisen: was must' und 
wiird' ich schreiben oder diktiren? - die Wahrheit zu sagen, einen 
abscheulichen Perioden (und zwar conditionalem) der eine ganze 
Oktavseite herunterliefe, wider den wirklichen Willen aller ver- 
niinftigen Kunstrichter in den 10 Kreisen, besonders im Ober- 
sachsischen. Denn wenn ichs nun versuche und in der That be- 
merke, daB es falsch ist mir die Metapher abzuborgen, und die 

30 Zeiten der Minderiahrigkeit und Vormundschaf t eines Regenten 
die Marterwochen des Staats zu nennen, da sie vielmehr allemal 
(z. B. in Frankreich) gerade die haufigsten Kriege und Erpres- 
sungen anbriiteten und groszogen, welche man nur sehr unphi- 
losophisch und unministerialisch Uebel heissen kann, weil ia das 
alles dem Weltganzen und mi thin auch seinem Theile, dem ge- 
gebenen Staate unbeschreiblich zu Passe kommt - wenn ich wei- 



464 JUGENDWERKE * 4. ABTEILUNG 

ter vorschreite und frage, ob die figiirliche Vormundschaft eines 
maiorennen Fiirsten wol in den Folgen sich von der unfigiirli- 
chen unterscheide - wenn ich, um diese Frage verneint zu horen, 
die figiirliche Vormundschaft glucklich definire und sage, daB 
gekronte Tutoren unter der Gestalt von Tanzern, Virtuosen, fe- 
tenreichen Hoflingen, iungen Minis tern, Franzosen, Italienern 
und sogar von culs de Paris gar oft auf dem Throne gesessen, 
auf dem sie iene von iedem Schriftsteller fur die beste Regie- 
rungsform erklarte Aristokratie vom Hintern formirten - wenn 
ich wie gesagt, darauf bleibe, daB es nicht nur einerlei sei wer 
herrsche, ob ein romischer Konig oder ein romischer Kaiser, 
sondern daB solche regierende Nebenhaupter, die durch Wahl- 
folge und Thron-Simultaneum so hoch sizen, sogar noch besser 
seien als die regierenden Haupt-haupter, die durch Erbfolge auf 
dem Fiirstenstuhle nisten - wenn ich es aber deswegen thue und 
es zweimal wiederhole, weil bei solchen Umstanden iener bald 
merkliche Mangel aller neuen Auflagen, des Aemter-Handels- 
flors, derKriege, der Gelderpressungen etc. unmoglich herein- 
brechen konne, iener Mangel der ein Uebel ist, das man gar noch 
nicht genug kennt und das sich den geringen Vorschub, den es 
etwan dem Vortheile des schlechtern und desto grossern Theiles 
der Nazion zu thun vermag, wahrhaftig theuer genug durch die 
empfindlichste Krankung des edlern und daher kleinern Theils, 
der Finanzminister, Hofdamen, Generale, Hofbeichtvater etc. 
bezahlen lasset, Personen, die gerade das Meiste und grosten 
Gagen, Pensionen, Besoldungen, Diaten etc. bediirfen und die 
es bei iener Krankung kein Vierteliahr ausdauerten - wenn ich 
endlich hoffen kann, daB die musterhafte spartische Regierungs- 
form, in der ieder Burger gros, frei, angesehen, reich und weit 
iiber die zahlreichen Heloten erhoben war, die seine Sklaven und 
Ernahrer waren, vielleicht doch wieder das Model manches 
europaischen Staates werde so wie sie das des vollkommensten 
war, nemlich des platonischen, wie ich denn selbst in Staaten 
iiber Nacht geblieben, worin alle eigentliche Glieder desselben 
(das sind die Grossen, so wie der Fiirst selbst) frei, reich, geehrt 
und vollig iiber die Heloten (das sind die sogenannten Untertha- 



TEUFELSPAPIERE ■ 3. 2USAMMENKUNFT • XI 465 

nen) emporgehoben waren, die ihre Sklaven sind und fur sie das 
Feld durchschneiden - wenn nun alles dieses mit gewohnlicher 
Aufrichtigkeit zusammen genommen wird: so muB hoffentlich 
Freund und Feind einsehen, daB ich eher mehr denn weniger 
vollgeschrieben als eine wahre gute Seite. 

Aber das sei die lezte! Ich bin des Schreibens und unmerkli- 
chen Absonderns so satt als wenige und will lieber die unbedeu- 
tende Zeit, die mir der Arzt noch zu leben vergonnen will, ledig- 
lich damit hinbringen, daB ich die wenigen Satiren und 
Gelegenheitsschriften, die ich der Welt und mir geschenket, 
fleissig und mit Vernunft durchlese. Denn es wird ohnehin die- 
sem Buche nur gar zu sehr anzumerken sein, daB ich es ohne ei- 
nen gewissen wichtigen Vortheil zusammenbauen mussen, den 
alle nach mir aufstehende Satiriker vor mir haben und der nam- 
lich der ist, daB ich es etwan selbst vor seiner Schreibung hatte 
lesen und zu meiner Bildung studieren konnen. Alle kiinftige 
Satirenmacher hab' ich durch mein Buch in den Besiz eines un- 
verzehrten Musters, eines Operazionsplans, einer in Kupfer ge- 
stochenen Vorschrift gesezt, wornach sie ihre Erzeignisse gar 
leicht formen und sie sitzen freilich warm: aber ich sas ohne ein 
solches Muster da und must' es statt nachzuahmen machen und 
schrieb deswegen auchhaufig solche erbarmliche Sachen, daB es 
einen wahren Spas geben muB, sie nur zu lesen oder gar zu ver- 
stehen. 

Die Bauern, die einen so entsezlichen Larm iiber die Einfiih- 
rung des neuen ^cbuchs erregten, brachten zur Rechtfertigung 
dieses Larms unter andern schriftlichen Exzepzionen gegen das 
Buch auch die mit vor: es standen zu garstige Worter darin, z. B. 
Pritsche. Ich bitte den H. Nikolai und ieden, wenn er einem von 
diesen Bauern mein Buch zum Rezensiren iiberschickt, ihm ge- 
radezu zu befehlen, daB er lieber iede andere Exzepzion gegen 
dasselbe mache als die besagte dumme. 

Die holzerne Frau in diesem Buch, bei deren Theogonie mir 
eine besondere Seelenstimmung die zweckloseste Bitterkeit ein- 
gab, sezte mir der Satan in den Kopf und aufs Papier. Aber da 
ich einmal an diese erbarmliche Erfindung, an dieses morsche 



466 JUGENDWERKE • 4. ABTEILUNG 

Marienbild so viel Anpuz verzette]t; da ich es umgiirtet habe mit 
Thalern und silbernen Gliedern und belastenden Stoffen und al- 
lem schonen Henker, den nur ein Mensch erdenken kann: so bitt' 
ich die Kunstrichter, rnir meine Puppe nicht zu nehmen. 

Der Werth und die S telle der ernsthaften Anhange spricht den 
Leser um Nachsicht an, und mich dazu: aber ich gewahrte sie ih- 
nen deswegen den Augenblick. Nichts erquikte mich in einem 
komischen Buche von ieher so sehr als eine ernsthafte Stelle; ein 
Buch denkt man sich als den papiernen Abdruck eines Men- 
schen; und keinen Menschen will man sich ohne Stunden des 
Ernstes und der seelenerhebenden Achtung fur irgend etwas, 
denken; der Englander gewinnt sich daher (so wie er iiberhaupt 
mehr Mensch ist als irgend ein Volk) durch seine Parung des 
Ernstes mit dem Humor unser Herz so sehr - darauf aber baut' 
ich. 

Und so ruttel' ich diese diinnen Blatter in den fliehenden brei- 
ten Strom der allgemeinen Verganglichkeit bey meinem Durch- 
flattern dieses umwolkten Lebens, bis ich selber ihnen nach- 
schwimme, hinter oder vor dem Leser und desgleichen dem 
guten Rezensenten. Es bluhet iezt der Fruhling auf, wo man 
nicht bei Sinnen, sondern ganz des Teufels sein miiste, wenn 
man nicht Hirtengedichte schreiben wollte, sondern lange und 
dornigte Satiren, die nur im Winter bei elendem Wetter abgefas- 
set werden mussen: so wie umgekehrt der Stachelschwein- 
mensch in London stets seine Stacheln im Winter abwarf, und 
deswegen auf seine Mausezeit ganz die Umarmung seiner armen 
Frau verschob. Der Sohn lebt noch und weiset an sich unzahlige 
Stacheln auf . . . Man glaube mir iibrigens, ich werde, wenn 
einmal mein diinner durchsichtiger Madensack von Toden auf- 
erstanden und von mir so gut ich kann, beseelet sein wird, sicher 
seine rechte dann verklarte Hand vor mich hinstrecken und an- 
schauen und iiber nichts so sehr vor dem ganzen iiingsten Ge- 
richte lachen als dariiber, daB ich mit ihr auf diesem Nebelstern 
anno 1789 ein spashaftes Buch wie hundert andere neben mir 
zum besondern Vortheil eines ieden zusammengeschrieben und 
vorzuglich ienes Lachen des iiingsten Tages schon zum voraus 



TEUFELSPAPIERE • 3. ZUSAMMENKUNFT ■ XI 467 

auf dem lezten Bogen des Buches geweissaget habe - welches 
vielleicht etwas ist. 

Der Mensch fiihlet die Eitelkeit aller menschlichen Dinge, von 
der die Geistlichen nur reden und ohne deren Gefiihl kein 
Mensch etwas Grosses wird und thut, nie tiefer als wenn er etwas 
endigt, es mag sein eignes Buch oder ein anziehender Roman 
oder ein Jahr oder das Leben selber sein. Ware nur bei unserem 
ewigen Hin- und Hergang vom Vergnugen zum Schmerz, vom 
Gefiihle der Gesundheit zu dem der Kraftlosigkeit, vom aufstra- 
lenden Feuer des Kopfes und Herzens zur finstersten Kalte von 
beiden, ware da nur die Tauschung des allmahligen 
Ueberganges und der Zeit nicht, die durch ihren Dazwischen- 
trittdieNachbarschaft dieser Extreme versteckt; so lage das Ge- 
fuhl der Unbestandigkeit schwerer auf uns, so wie es im Alter 
wirklich liegt, wo vielfachere Erfahrungen iedem Zustande den 
Schein seiner Ewigkeit genommen und wo der mude Mensch 
sich nur sonnet am Mondschein der zuriickscheinenden Vergan- 
genheit . \ . Nun mag meine komische Larve niederf alien, die 
ohnehin niemals lange das menschliche Gesicht selbst sein soil, 
damit ich wieder ein ofneres Auge hinaufhebe zum Anschauen 
des Grossen und Edlen im Menschen und in der Welt und ien- 
seits seiner aufsteigenden Bahn . . . Und du, lieber Schz. in H., 
wenn du dachtest, der V. d. G. P. oder R. konne dich und deine 
dichterische Schwermuth und das Abreisen im b. Garten in L. 
vergessen, irrtest besonders. 

Ich wollte hier noch einen anreden, der beim Anfange dieses 
Buchs noch in diesem traumenden und stummen und mit bun- 
ten Diinsten um uns her spielenden Leben war: aber die zitternde 
Brust hat keine Stimme und die Todten stehen hoch gegen zie- 
hende Schatten unter den Wolken und eine Ephemere zerrinnt 
doch nur ein wenig friiher als die andere . . . 



VORERINNERUNG FUR DIE LESER DER SAMMTLI- 
CHEN WERKE 



Wenn jemand ein Werk zu lesen bekommeii konnte, das bei ganz 
diistern, rauchichten, frostigen Tagen geschrieben ware und das 
gleichwol lauter Gemalde sonniger und heiterer Landschaften 
aufbreitete, so wird er es gewiB lieber auf- als zumachen. Der 
Verfasser dieses, der die Auswahl der Teufelspapiere schrieb, 
vollfuhrte sein Werk in den Jahren 1783 bis 89 und genoB zwar 
taglich wahrend der ganzen Zeit die schonsten Gegenstande des 
Lebens, den Herbst, den Sommer, den Frtihling, mit ihren 
Landschaften auf der Erde und am Himmel, aber er hatte nichts 
zu essen und anzuziehen, sondern blieb in Hof im Voigtland 
blutarm und wenig geachtet. So gleicht die Kunst einer Wolke, 
die iiber einen groBen Pomeranzengarten hergezogen kommt 
und welche die ganze leere Gegend so lange mit Wohlgeriichen 
fullt, bis sie sich in Regen auflost. Will ein Leser einen Menschen, 
begliickt von der Kunst und von Innen, kennen lernen, so wird 
er mir danken, wenn ich ihm die Auswahl so gebe, wie sie ist. 
Fiinf Bogen da von habe ich spater in die bei den Bandchen der 
Palingenesien eingebauet und mit vielen Veranderungen und 
Einpassungen vermauert; aber achte Kenner der Kunst zogen die 
alten Bausteine den neu zugehauenen vor und riethen mir, in der 
letzten Ausgabe alles zu lassen, wie es in der ersten war. Und 
dieB habe ich auch gethan und statt aller Quecksilberkuren zum 
Herausjagen des Bosen bios einiges Schminkquecksilber zum 
Verbessern der Farbe gebraucht. 

Uebrigens machen, obgleich das ganze Buch nichts als 
Scherze enthalt, doch darin drei ernsthafte Abtheilungen den 
Uebergang zu dem Ernst meiner nachfolgenden Werke, und die 
kleinen unerwachsenen Genien, welche neckend um groBe und 
kleine Gegenstande flatterten, erwuchsen spater zu ernsten ruhi- 
gen Jiinglingen, und einige sogar folgten zu oft dem Genius mit 



VORERINNERUNG 469 

der umgestiirzten Fackel, dessen hangende Fliigel auf der Ober- 
flache nachtlich schwarz sind, und nur aufgeschlagen auf der in- 
nern Seite schimmernde Gefiederaugen zeigen. Endlich hole 
man sich aus der Auswahl dieser Papiere wenigstens zwei Leh- 
ren. Erstlich, daB man auf den Bergen, in Waldern, auf den 
Auen, kurz, vor der harmlosen, niemals satirischen Natur so gut 
wie die Biene den Stachel der Satire in sich tragen konne, bei al- 
lem Honig der Liebe im Herzen - und zweitens, daB die Wolken 
des Lebens weit iiber uns stehen konnen, ohne sich als nasser 
Nebel um uns herum zu legen, sobald wir sie durch die Kunst 
wie durch eine Elektrizitat von uns abstoBen und in der Feme 
erhalten. 



FUNFTE ABTEILUNG 



Satirische und ernsthafte Schriften 1789-1792 



UNTERSUCHUNG OB NACH DEM NORMAL- 

IAHR 1624 

ein Glied des evangelischen Corpus noch gezwungen sei, das Geliibde 

der inneren Enthaltsamkeit oder des innern Zolibats* zu halten 



Wenn es dem katholischen Deutschland so ausserordentlich zu 
statten kam, daB geschikte Autoren, die iezt denk' ich haufig 
von den Turken erschossen werden und nicht von den Rezen- 
senten, ein paar Kannen zuviel - dem Reformator Luther 
schenkte der Reichstag zu Worms eine Kanne Einbekker Bier - 

10 zu sich nahmen und deswegen mit wahrem Feuer und Einer Fe- 
der die Schadlichkeit des aussern Zolibats in Schriften darstelten, 
die fast fur nichts zu haben waren: so war' es wahrlich auch fur 
das protestantische Deutschland kein Schade gewesen, wenn nur 
Ein oder ein Paar Autoren auf das Wol ganzer Lander Ruksicht 
genommen und mit dem grosten Scharfsin gegen das innere Z6- 
libat geschrieben hatten; wenigstens hatte sich dan der Protestant 
in seinem alten Vorsprunge vor dem Katholiken erhalten und 
den Priesterehen des leztern etwas eben so gutes entgegenzusezen 
bekommen, namlich die Jedermansehen - aber bekantlich wurde 

20 daran gar nirgends gedacht und es ist betriibt, daB man Federn 
und Gehirnfibern und Handflechsen fur viel schlechtere Mate- 
rienbewegte. Die Autoren musten doch offenbar sehen, daB der 
Irthum von der Verdienstlichkeit des innern Zolibats wie andere 
Krankheitsmaterien sich zwar von dem Herzen versezt habe aber 

* Die Untersuchung wirds im Verfolge darlegen, in wiefern ich die 
Keuschheit ein verstektes protestantisches Zolibat nennen darf , das noch 
^ viel bitterer und nachtheiliger als das katholische ist, da es sich auf die 
Seele und auf alle Menschen ohne Ausnahme ausdehnt und zwar nicht 
in die Klosterzelle, aber ins Ehebet einkerkert und einem seine Foderun- 
?o gen vorschreiet, gesezt auch man hatte 100 Weiber und landesherliche 
Dispensazionen fiir sich- welches alles beim verniinftigern katholischen 
Zolibat wegfalt, das fiir die wirkliche Welt besser passet. 



474 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

dafiir nun den Kopf und die Lippeneinnehme, daB es noch immer 
Leute gebe, die iiber den Besuch eines Freudenhauses eben so 
larmen als iiber den eines Schauspielhauses - unter soviel hun- 
dert Autoren musten doch einige sehen, daB man, so sehr man 
sich auch in der Praxis iiber das innere Zolibat wegsezt (wie ich 
denn nicht glauben kan, daB ein Mensch noch so dum ist und 
keusch ist) sich doch noch mit keinem ausdriiklichen Landesge- 
sez irgend eines Reichstandes dekken konne, das die Keuschheit 
formlich abordnete und ich bin deswegen ausdriiklich die mei- 
sten Landeskonstituzionen und Schmaussens corpus iuris publici 
S. R. imperii durchgelaufen: die Autoren musten aber schon 
sonst recht gut wissen, daB die Moral gleich der romischen Kir- 
che nie ihre Foderungen zuruknehme sondern nur auf bessere 
Zeiten verschiebe und sie konten deswegen gar nicht ausser alien 
Sorgen sein, daB die sogenante Keuschheit - und welcher Staat 
ist davor eine Woche geschiizt - nur eine reifere Zukunft ab- 
passe, um wieder unser allgemeine maitre des plaisirs so arg wie 
vormals zu werden und durch Eheringe eine algemeine Infibula- 
zion iibers Land zu bringen, so daB wahrhaftig nachher Leute 
Todes verfahren und von den 2 Geschlechtern der Menschen 
nicht mehr sich in der andern Welt erinnern als von den 2 Ge- 
schlechtern der Pflanzen. Aber wie gesagt, es scheint daB ich der 
einzige bin, der an der Keuschheit diesen narrischen Plan zu einer 
Universalmonarchie so deutlich bemerkt und der es iiberhaupt nur 
fur ein verdienstliches Werk ansieht, einige Hemschuhe und 
Hemtermherzutragen und unten an den Wagen der Psyche anzu- 
machen, um den algemeinen Schus derselben zur Keuschheit in 
etwas zu brechen und zu halten. 

Wahrhaftig es thut einem guten Herzen wehe, daB den Katho- 
liken der Vorwurf des Zolibats gerade von Leuten gemacht 
wird, auf die er doppelt und dreifach zuriikspringen mus, nam- 
lich von Protestanten; und man soke glauben, daB wir vielmehr 
ein paar Tage oder Jubeliahre f riiher mit der Abschaffung unsers 
Zolibats als mit der Abschaffung des katholischen anzufangen 
suchen wiirden: aber die christliche Kirche wird schon daraus 
sprechen. 



UNTERSUCHUNG OB NACH DEM NORMALJAHR 475 

Ein ausserordentliches Gliik fur mich wars, daB ich in Frank- 
reich (wegen einer lutherischen Probepredigt) soke aufgehangen 
und vorher vom Galgenpater hinlanglich bekehret werden: es 
wurde bekantlich aus dem Hangen und Bekehren nichts rechts; 
aber iiber das Zolibat brachte mich der Galgenpater auf andere 
und bessere Gedanken - so wenig ist das Disputiren ganz unnuz, 
das die Meinungen des Nachsten zwar selten ausrottet aber doch 
oft um vieles verbessert. Denn der Galgenpater that es so gliik- 
lich dar, da6 wir Protestanten in einem Zolibate lebten, beson- 

ro ders ich selbst, daB ich ihm Recht geben muste und aus meinem 
Zolibate hinauswolte. Er sezte sich neben meine Ketten und 
zeigte mir, dafi das protestantische Zolibat, d. i. die sogenante 
Keuschheit ausserordentlich driikkend sei, das katholische aber 
gar nicht. Denn die Keuschheit kniipfe dem ganzen Menschen 
und den unsichtbarsten Begierden Nesteln und infibulire auf 
eine ausserordentliche Art den innern Menschen: aber unser Zo- 
libat, sagt' er, binde nur um den aussern einige Flohketten und 
lasse der Seele ihre angeborne und erworbene Freiheit ganz und 
er selber habe in seiner Zelle bei weiblichen Heiligenbildern ie- 

20 derzeit das Seinige gedacht, obwol nicht gethan. - Das katholi- 
sche Zolibat treffe nur wenige: aber das protestantische ieden 
und der hochste Stand verleihe kein Privilegium gegen dasselbe. 
Und in der That hatte der Galgenpater Recht; ich sties selbst in 
Schwaben, in Franken auf Prediger, welche die Keuschheit sogar 
von Reichsstanden begehrten, sie mochten sizen wo sie wolten, 
auf der Kurfiirstenbank oder auf einem Queerbankgen und es ist 
vielleicht ein ausserordentlicher Fal. - Der Galgenpater fragte 
mich, ob wir Protestanten wol die Katholiken nachahmten, die 
in den meisten Landern iezt den Ring des Zolibats erst in fiinf 

30 und zwanzig iahrige Nasen legten, und in keine iiingern? und ob 
wir nicht die Keuschheit Leuten ansannen, in deren Kopf noch 
nicht einmal eine Definizion derselben, noch Barthaare fertig la- 
gen? Und konnen wir Protestanten es verhehlen, daB unser Ge- 
liibde der Keuschheit schon in den Jahren anfangt, wo wir nicht 
mehr mit der alten Gouvernante in i Bette schlafen diirfen? - 
Ich werde nachher gewis in der Vergleichung des Zolibats mit 



47<> JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

der Keuschheit fortfahren und die Griinde des Paters mit einigen 
wichtigern von mir selbst vermehren; aber iezt schieb* ich die 
Abschrift einer Valedikzionsrede ein, die ich auf der Galgenleiter 
dem Volke franzdsisch halten wolte, wenn ich ware aufgehenkt 
worden: ich wil darin gerade zu den Menschen zur Hurerei und 
zum Ehebruche antreiben, aber bios mit ausserordentlichem 
Wiz und Spas. 

Lieben Zuschauer und Zuhorer! 
Da ich gehenkt werde, weil ich gepredigt habe: so kan ich auch 
predigen, weil ich gehenkt werde. Die Tochter eines Hofiunkers i< 
und Second-Lieutenant wurde bei Ihro** Hofdame und hies 
Wendelina: diesen narrischen Namen wil ich hier borgen und ich 
zitire sie bios deswegen. Meine Pflicht ists, auf meiner Leiter 
nicht bios die Hurerei zu vertheidigen sondern auch den Ehe- 
bruch und dabei niemand ausdruklich zu nennen als wie gesagt , 
die Wendelina. Der Korper ist etwas unsaglich geringes und 
Philosophen, die selbst in einem war en , kniipften ihn haufig an 
die Schandsaule und sagten, er ware eine persona turpis und 
schritten fort zu Realinjurien: was kan nun eine Schone weniger 
thun als daB sie sich nicht viel aus ihm macht und zum Hofpagen 2c 
oder zum Pagenlakai sagt, er konne ihrem wahren Ich und ihrer 
darin seshaften Tugend in Ewigkeit nichts anhaben, denn was 
er mit der Einfassung und Emballage dieses Ichs vornehme, sei 
ihr gleichgiiltig und lieb und Epiktet verfechte das namliche in 
gricchischer Sprache? Wendelina bot den Marterkittel, den Lei- 
chenmantel ihrer Seele iedem Christen an, der ihn brauchte und 
sie ist eben deswegen seelig gestorben. - Der Korper ist ein 
schlechter Schmiederischer und Karlsruher Nachdruck der Seele 
und eine unvidimirte Kopie der geistigen Keuschheit: darauf kan 
gefusset werden, wenn man bei Wendelinen, die den Nachdruck 30 
und die Kopie weggegeben oder beschmuzet, doch das wahre 
achte Exemplar noch antrift. - Da die Physiokraten gliicklicher- 
weise noch nicht inne geworden, daB die Wendelinen in die pro- 
duzirende Klasse einzutragen sind: so sind sie wider mein Ver- 
muthen noch mit keinen Auflagen belastet; aber es wird nicht 



LTNTERSUCHUNG OB NACH DEM NORMALJAHR 477 

lange dauern und sie mussen es sehr niizen. - Es giebt moralische 
Abweichungen aus der geraden Bahn, die dem menschlichen 
Korper, der ganz aus Atomen besteht, und dem epikuraischen 
System, das ohne solche abweichende Atomen noch auseinan- 
derfiele, zu wahrer Ehre gereichen mussen: ein solches Klinamen 
sezetst&ts Welten, Fotusse und Systeme in die Welt und es ist kein 
Wunder. - Ich wil sezen, ich wiirde nicht gehenkt, sondern ver- 
liebt und ehelustig und suchte am Hofe mit meinen Augen und 
Fiissen eine Frau: nach welchen Kenzeichen wiird' ich, wenn ich 
verniinftig ware, zu wahlen suchen? beim Henker bios die, die 
schon mehrere auf eine Art gewahlet hatten, daB ich meine 
Merkmale hatte und fiir Schiffer ware das nichts neues: denn 
nach einem ahnlichen Schlusse wagen sie in einem unbewohnten 
Lande nur die Friichte anzubeissen, die schon Vogel angefres- 
sen. - 



[VERSCHIEDENE GESICHTSPUNKTE DER WELTBE- 
TRACHTUNG] 



War' ich in Frankreich und ein beriihmter Man: so wiirde der 
Konig (weil D'Alembert, Voltaire und andere grosse Manner 
nicht mehr zu haben waren) von selbst auf mich verf alien, wenn 
von einem neuen Edikt von Nantes, und von einem braven Manne 
die Rede ware, der den Prolog oder das Proemium dazu schrei- 
ben soke. Der Konig wiirde zu mir schikken und mich naturli- 
cher Weise fragen lassen, ob ich nicht Ein Paar Worte zu dem 
Widerrufe des Widerrufs des Edikts von Nantes praludiren 
wolte. Ich must' ihm zuriiksagen lassen, ich hatte sie schon 
langst in Deutschland dazu praludirt und er soke sie nur wortlich 
aus des H. von Archenholz »Litteratur- und V61kerkunde« ab- 
drukken lassen. 

Nun ist aber - damit ich nicht den guten Konig so beliige als 
stand' ich unter den Karyatiden seines Throns - der Hauptpunkt, 
worauf wir samtlich loszuarbeiten haben, der daB das Praludium 
wirklich in der besagten Monatsschrift und noch dazu in dem 
Monat abgedrukt werde, das ich dem Konige zitiren wil, damit 
ers sogleich habe. Es mus also folgendes sogleich gedrukt wer- 
den: 

Wenn ein geschikter Engel einen langen Stekbrief von dieser 
verdachtigen Welt auf sezen wolte und deswegen ieden Verstor- 
benen ausfragte, wie sie aussahe, was fur Haare, Sitten und an- 
dere differentias specificas sie hatte: so wiirde nichts rechts her- 
auskommen, am allerwenigsten ein Stekbrief. Jeder Seelige 
wiirde die Erde dem stekbriefstellerischen Seraph anders be- 
schreiben, weil ieder sie durch eine andere Augenlinse, durch ein 
anderes Augenglas und durch ein anderes Medium besehen hatte 
- und der Seraph selbst, wenn er herunterfloge, wiirde eine an- 
dere Beschreibung derselben ohne sonderlichen Vortheil seines 



VERSCHIEDENE GESICHTSPUNKTE 479 

Stekbriefes heim bringen. So wurde z. B. Blanchard (wenn er 
seelig wiirde) dem Seraph die Erdkugel als einen globe Mont- 
golfiere abzeichnen - ein Bergknappe aber gar nicht; dieser der 
das Gold nicht durch Steigen sondern durch Sinken entzaubert 
und hebt, hiesse sie bios einen globe de compression, der ihn 
entzweidriikke, und er konte sich nicht starker als so von Buff on 
unterscheiden, der schon seelig ist und sicher die ganze Erde 
bei dem Stekbriefschreiber fur eine Menagerie und Fasanerie 
ausgegeben hat, so daB der Engel kaum den fiirstlichen Besi- 
zer oder Naturforschex einer Menagerie von der Menagerie sel- 
ber trennen kan. Es ist zwar ein wahres Gliik fur die Erde, weil 
der Engel deswegen keinen Stekbrief zusammenbringt und kein 
Komet ihr nachlaufen kan, der ihr den Kapturbefehl vorweiset 
und sie fortschleifet: allein recht weit wird die Sache getrieben; 
denn halt nicht der Kaufman das Buck der Natur fur ein Waaren- 
buchy der Theolog fur eine Polyglottenbibel , der Edelman fur ein 
Wappenwerk, das iezt in Numberg herauskomt, der Hof- 
marschal fur einen Hofkalender , der schone Geist fiir ein Phrases- 
buc\x y der Henker fiir eine Hahgerichtsordnung Karls V. und Swift 
fiir die folgenden Theile des Mahrgens von der Tonne? Kein 
Mensch iibertreibt aber wahrhaftig die Sache so gewaltig als der 
Teufel, der Tod, der Maler, und der Konig und die gelehrte Welt 
wird sich dariiber ganz wundern. 

Der erste aus dieser Quadrupelallianz, der Teufel denkt sich 
die ganze Erde als einen Bloksberg im Grossen, und [die] besten 
Damen der Residenzstadte als Zauberinnen, die sich mit Hexen- 
salben iiberziehen und ihn anbeten, um angebetet zu werden, ihn 
kiissen, um gekust zu werden - die Gelehrten solten aber den 
Teufel widerlegen und fragen, wo er denn einer Dame in seiner 
Boks-Emballage noch aufsprange oder ob den Mannern; die ihn 
und seine Karaktermaske reprasentiren solten, nicht die ganze 
Gestalt dazu fehle z. B. der Bart und ob sie wol mehr als ein Paar 
Eigenschaften davon nachmachten? Mich selber wil er, ob ich 
gleichnur ein Autor bin, fiir einen geschickten Hexentneisterhal- 
ten: er wird aber wol nur meinen, in meinem Fache. Es ist ganz 
naturlich, da6 er oft schlechte Dichter, die unter den Schlosfen- 



4-80 JUGENDWRKE • '5. ABTEILUNG 

stern der Fiirsten der Welt, ein versifizirtes Vivat hinaufsingen, 
fur eben so viele Miltons halt, die epische Lobgedichte auf die 
Teufel schreiben: denn in einen solchen Irthum mus ieder fallen, 
der wie der Teufel ganz in dem noch grossern stekt, daB er [ab- 
gebrochen] 



HOFER VIERZEHNTAGS-BLAT 



I. Stuk 

Den 17 Mai [1789] 

Vorrede 

Der alte Peuzer, den nur ein Redner genugsam erheben kan den 
er selbst gebildet, sagt in seiner Oratorie: »ein Mensch kan sehr 
leicht etwas Geschicktes, besonders eine Vorrede zu einem 14- 
tagsblat schreiben, wenn er fragt quis quid ubi quibus auxiliis cur 
quomodo q[u]ando.« Und das sol auch geschehen. 

Erstlich quis wer schreibt das I4tagsblat? Ich selbst, wiewol 
sich dariiber, philosophisch zu reden, noch gar sehr disputiren 
lasset. 

Quid was schreib ich? ein narrisches I4tagsblat, das einige 
Pasquille gegen meinen Nachsten enthalten sol. Ich wil auf 
Wunderlichs Papier das abgerissene Drehhausgen wieder auf- 
pflanzen und ieden, der darin Siz und Stimme verdient, hinein- 
schieben, z. B. kiinftig einmal den halben Rath. Ich wil Grand- 
prof os von Hof werden und niemand schonen als mich. O ihr 
Gottinnen fur die Gymnasien, ihr Musen, wenn ich meine Hand 
hinausstrekken und mit unsichtbctren Buchstaben »Mene Mene 
Thekel Uphrasin« auf irgend einen Thoren schreiben wil: so stelt 
mir doch gleich den Stadtvogt hin: . . . aber ich bin ia erst in der 
Vorrede. 

Ubi wo wirds geschrieben? natiirlich in Hohbergers Haus und 
hinter der Stadtmauer, die uns alle belagert und blokirt und un- 
sern Lungen frischen Wind abschneidet. Denn die alten Stadt- 
mauern und Justizbeamten schirmen eben so gut wo nicht bes- 
ser, gegen Feinde, als die weibliche Brustwehr und der 
Robben-Verhau gegen Freunde. 

quibus auxiliis durch welche Hulfsmittel schreib' ich besagtes 



482 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

beliebtes Blat? Das weis der Himmel, sobald es die H. Otto nicht 
wissen; aber diese wissens eben und alles was sie mir erzahlen, 
werd' ich ihnen auf dem 14 Tfags] Blat wieder erzahlen. 

cur warumthu ichs? Spasses und Nuzens wegen. Da mich der 
Konrektor in gar nichts tnehr iibt - er mus doch denken, ich sei 
schon der Man der recht gut ohne seine Vorspan hiibsche Chrieh 
zu sezen vermag — : so mus ichs selber thun und meine Kammer, 
worin wenig Licht ist, fur eine Terzia halten. Ich sag' es gerade 
heraus, ich mache mir Hofnung, daB ich wenn ich diese Sprach- 
iibungen und das Studium der deutscrien Programmen, die ie- 
dem ofnen Kopfe bei (und iedem) ofnem Leibe gefallen miissen, 
einige Sommer forttreibe, am Ende mir etwan einen Styl eigen 
mache, der sich von des H. Rektors seinem wenig oder nicht 
unterscheidet. Das zweite warum ist das ganze Publikum, dem 
ich ein Vergnugen machen wil; ich meine nicht das unsichtbare 
grosse Publikum, das einem Autor nicht einmal soviel giebt wie 
der Verleger: sondern das sichtbare kleine, bei dem ein Buchma- 
cher doch zuweilen im Gartenhause essen kan, welches recht ist. 
Dieses in 1 Hause lebende Publikum iib' ich taglich im Verzei- 
hen und wenn es anderen Menschen narrische Reden, Launen, 
ungewixte Stiefel und Erb- und wirkliche Siinden gegen die Klei- 
derordnung ohne Miihe zu vergeben weis: so vergess' es doch 
nicht, daB es bios meinem Korper diese Leichtigkeit zu verdan- 
ken habe; denn ich gab mir ia die Miihe und hatte ierie Fehler und 
iibte daran besagtes Publikum so sehr. 

quomodo wie sol das Blat geschrieben werden? ohne sonder- 
lichen Verstand und ohne Anstrengung und (wie Passe) ohne 
Ausstreichen; damit es aber doch von einer hiesigen Predigt 
noch sehr verschieden bleibe, so sol es ausdrucklich nicht alle 8, 
sondern alle 14 Tage erscheinen; und dadurch wend' ich auch die 
Ahnlichkeit mit dem Intelligenzblat ab. 

quando wenn sols aber geschrieben werden? Das werdet ihr 
doch noch aus dem vorigen Paragraphen wissen. 

Ich habe nicht das Herz es zu untersuchen, ob etwan Neid 
mich (so wie den Autor, der mit einem ganzen Buch vol Druk- 
schwarze den vorigen Konig in Preussen besudeln wil) mit be- 



HOFER VIERZEHNTAGS-BLATT 483 

stimme, die Hofer auf eine Pillory zu erheben: aber ich glaube, 
eben grosse und vortrefliche Menschen kan man, weil sie weni- 
ger dabei verlieren, am schiklichsten meistern und tadeln, und 
eben weil die Hofer unter die Preis- und Accessitschriften der 
Natur gehoren und als Gegenstande der Nachahmung herum- 
gehen, mus ein geschikter Autor im Hohbergerschen Hause auf 
sie losfallen und ein rasonsirendes Verzeichnis der Schreib- und 
Drukfehler dieser Preisschriften mit Verstande aufsezen (weil 
sonst andere Gegenden am Muster zugleich die Fehler nachko- 
piren) und z. B. zum hiesigen geistlichen Oberhaupt sagen: Sie 
sind ein wahres Schaaf zur Rechten Christi - und zum weltlichen: 
»Sie sind ein Bok zu seiner Linken.« 

Obrigens hoff ich, ihr lieben Freunde, werdet ihr dieses Blat 
verzeihen - lesen - verbergen - aufheben und (nach langer Zeit) 
zuriickgeben. 



Hofer Vierzehntags-Blat 



Den 24 Mai 1789 
Zweites Stuk 

Ich wuste gar nicht was ich machen soke, da der Teufel an mich 
schrieb und sich erkundigte, ob das Piittnerische Haus gut sei 
und wieviel er ihm kreditiren konne. 

Hiatus flebiles & Schismata, weil der Zeitungsschreiber bis- 
hieher von seinem Amte suspendiret wurde. 



H6FER VlERZEHNTAGS-BLAT 



Den 20 Jul. 1789 
Drittes Stiik 

Wie der Zeitungsschreiber nach Bayreuth rit und nachher wieder heim 

Wenn mir, da ich abends mit Nachsinnen iiber die Bezahlung des 
Knols und seines Pferds durchs Thor heimspreizte (weil ich noch 
einen ordentlichen organisirten Sattel zwischen den Beinklei- 
dern trug), der iezt lebende Prukner oben von Oesterlein herun- 
tergeprophezeiet hatte: »Richter, deine ganze Reiterei niizt dir zu 
nichts als zu einer Beschreibung derselben«: so wurde ich und 
nachher mein Grosvater, da wir beide an einem Pfarrer model- 
lirten und webten, den Bileani gefraget haben: »was hatte denn 
das Examenunddas Pferd gehol£en?« Aber du, unsichtbar saen- 
des Schiksal, du wirfst ia in deinen beiden Handen den armen 
menschlichen Drekkegel so lange hiniiber und heriiber, bis er 
sich die Form aufpletschet und anfallet, die du ihm ertheilen 
wilst; aber es ist besser. 

Der harte Drekkegel, der Knol, versprach mir sein Musen- 
pferd, das ich noch nicht gesehen aber oft, urn mich einzuschies- 
sen, geritten hatte in meinen Traumen vor der Examinazions- 
kreuzfarth. Ich konte mir damals, troz meiner lilliputischen 
Baarschaft, gar nicht gedenken, daB ein oberer und Examens- 
turnierfahiger Primaner nach Bayreuth bios gienge; »sie reiten 
ia alle miteinander« sagt ich zu meinem Grosvater und er muste 
damals mit mir und dem Podagra fechten. 

Mein damaliger Anzug kan unmoglich hieher gehoren und 
das Publikum solt' es von selbst einsehen; denn in der ktinftigen 
Stufensamlung aller meiner Kleider, diekaum in Ein I4tagsblat 
wird hineinzubringen sein, mus ohnehin die Schiiler Garderobe 
nebst den Primanerinsignien mit vorkommen, so wie ich hiemit 
mir und dem Publikum Hofnung mache, daB nachstens eine 
Grossenlehre und Topographie aller der Zimmer und Fischhal- 



HOFER VIERZEHNTAGS-BLATT 4§5 

ter und Seitenholgen, die ich Zeit meines Lebens bewohnet und 
ausgefullet und erduldet habe, die Presse dieses i4t[ags]Blats, 
verlassen sol. Ich werde dadurch der Welt Gelegenheit verschaf- 
fen, Augenzeuge von einem prachtigen Weteifer zu sein, der in 
Stubenbeschreibungen zwischen mir und dem Franzosen ob- 
walten wird, der »les plus excellens batimens de France par Jac. 
And. du Cerceau Architecte a Paris E607 2 Vol. Fol. « in die Welt 
laufen lassen. 

Dennoch mus ich aus der kiinftigen Kleidergeschichte das 
durchaus weg- und hieherholen, daB der Stiefelabsaz mit den 
Sohlen in Einer Ebne lag; das Gehen hatte alle zusammen glat 
gehobelt und ich hatte eben so gut den Stiefel umdrehen und die 
Sohlen fiir den Absaz verkaufen kortnen - aber eben deswegen, 
meine Freunde, wolten die Sporen nicht sizen und ich und die 
Magd hatten Teufels Noth mit den Sporen, mehr wie's Pferd 
selbst. Da aber zulezt der eine durchaus nicht anzubringen war, 
urn so mehr da seine Riemen (es wars beste Leder gewesen, aber 
der Schimmel der Zeit hatt' es mit seinen Wurzeln wie einen Fel- 
sen fast zersprengt) wie Brodrinden zerfuhren: so entschlos ich 
mich, ihn in die Tasche beizustekken und ich dachte, so und an 
meiner Hiifte kam' er ia eben so gut nach Bayreuth als an der 
Ferse selbst und an der Hiifte des Pferdes. Ich hatte diese Sporen 
oft in meiner Kindheit sehnend in der Bibliothek meines Vaters 
hangen sehen; aber ich hatte mir niemals das Herz vorzustellen: 
» diese Sporen sezen sich einmal an dich und schlagen dich (in 
Geselschaft des Pferdeschwanzes) auf dem Hofer Wege zum 
Ritter, dessen Einkleidung wie du kiinftig wissen wirst, alzeit 
mit der Anspornung began. « 

Die Reitpeitsche strekte mir M. Zerzog vor. Sie war ganz gut 
und weich, denn die Rindshaare, die am Grif durch die lederne 
Haut hinauswachsen wolten, hatten sie urn ein namhaftes auf- 
getrent und durchstochen und ich konte, da ich kein sterbender 
Bramine war, folglich auch nicht denken, ich faste einen heiligen 
Kuhschwanz. 

Sonabends Nachmittags wars, wo ich in die Altenstadt gieng 
und unterwegs mir nichts dachte als die linke Seite des Pferds, 



486 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

urn nicht als ein Gelacher der ganzen Altenstadt an der rechten 
hinaufzuwollen: ich drehte deswegen das ganze Schulros im 
Kopfe in alle mogliche Stellungen, um auf alle wirkliche gefast 
zu sein und alzeit die linke Seite den Augenblik zu treffen. 

Der lebendige Reitstuhl wurde vorgezerret; die Zeit hatte ihn 
wie meine Sporen mit den silbernen Haaren des Alters gepol- 
stert:. denn das Pferd war aus der Apokalypsis in unsere Zeiten 
herubergebracht und gefristet und der Evangelist mus uns beide 
gesehen haben. Aber ich wuste iezt nichts mehr von mir selbst 
- mein Ich war zu gros fur mein Ich und dessen Kopf - ich sah 
die ganze Gasse nimmer - nicht die schlimme Aufmerksamkei- 
ten des Knols und seiner Hausgenossen - nicht den Akzessisten 
und Adspiranten des Trankgelds - ganz und gar nicht die Magd 
meines Grosvaters, die etwas nachbrachte: - sondern ich pichte 
nur mein nachlaufendes Auge an die wandelbare linke Seite des 
Pferds und verwirte mich und sie doch zulezt im Taumel mit 
meiner eignen linken und wuste dan nicht wie ich beide Seiten 
schiklich und mit unsern Kopfen vorn, aneinanderbringen soke, 
bis ich zulezt den Knoten durchschnit und an der rechten Ros- 
seite hinaufzuspringen probirte. 

Droben wars Elend noch grosser, wegen der vielen Dinge die 
da zu halten, zu legen, zu sezen (ich selbst), einzuschlichten 
(meine Fusse) und orientiren waren: inzwischen kamen wir 
doch, erst meine untere Halfte und dan das Pferd in Bewegung, 
der der Trankgeldseinnehmer schon eine richtige Richtung an- 
gewiesen hatte. 

Dauern that mich die vortrefliche niederlaufende Chaussee, 
die mein Folterpferd in nichts mizen wolte und auf der's mich 
wie ein Comma oben sizend oder wie's lezte Mondsviertel, mit 
tastenden Fiissen hinunterschafte. Es hatte meinen erlaubten 
Ehrgeiz wieder ein wenig erfrischen konnen, wenn das leben- 
dige Aas nur wenigstens vor dem furstlichen Lustschlosse mei- 
nes Grosvaters, wo mich verschiedene Taglohner schazten und 
iezt vorbeitragen sahen, hatte einige merkwurdige Tanze thun 
wollen; aber da das Luder merkte, daB der Weg immer nach- 
schob, wolt' es gar stehen bleiben und es hatte, weil deswegen 



HOFER VIERZEHNTAGS-BLATT 487 

die Diastole und Systole meiner Beine ausserordentlich zunahm, 
wenig gefehlet, so war' ich wieder neben den Fensterstok des 
Knols hingebracht worden und wir waren beide schon halb 
herum. 

Wir Nachkommen wollen aber christlicher denken und nicht 
neben unserm armen aufgeschmiedeten Galeerensklaven neu- 
gierig herlaufen, wie er sich und seine Maschine die Chaussee 
hinaufrudert: sondern wir wollen droben im Miinchberger 
Waldepassenbis er etwa anlandet. Droben wird er ohnehin ver- 
bleiben miissen. Und so ists auch. Das Pferd schlug mit seinen 
vier Fiissen Wurzel in die Erde, wie Stifte das niirnbergische an 
den seinigen aufs lakirte Bretgen heften. Er that das Seinige und 
noch weit mehr und wirkte auf alle Seiten des Thiers; er ver- 
suchte den Staupenschlag des Riikkens, und wieder Verlezungen 
des Kopfes, die die alten Deutschen wie er wuste so scharf heim- 
suchten; er machte vom Sporenrad den Gebrauch eines Kamra- 
des und wolte, indem er mit dessen Zahnen in die Rippen des 
Pferds eingrif , so das ganze Werk in Umlauf drehen - aber wie 
gcsagt der Teufel hatte dabei sein bestes Spiel und verstokte dem 
Ros die Seele sehr. Endlich blizte hinter solchen Wetterwolken 
die Sonne hervor, namlich der Burgvoigt oder Hausman meines 
Grosvaters; dessen Augen sahen den Jammer und dessen Hande 
hoben ihn, indem sie einen Ast abschnitten so lang wie ich, dem 
er den ganzen griinen Wipfel lies. Dieser verdrang die Peitsche 
- und bei einem solchen Bramsegel, das ich hielt, und bei einem 
solchen Windflugel, der fur Bewegung gemacht war, wird es 
kein Wunder sein, wenn man nach 8 Tagen im 4 ten i4tagsBlat 
mich und den Trager im Miinchberger Wirthshaus angesprengt 
finden wird, wo ich auch den Doppelmaier antraf. 

Wenn meine Freunde der extemporisirten Beschreibung 
einige berauschte und antikritische Spriinge zu gute halten: so 
sollen die nachsten Blatter das Pferd gar nach Bayreuth schaffen 
und wieder herein. 



VlERZEHNTAGS BLAT 



Viertes Stuk 
Hof den 26 Jul. 

Den Zeitungsschreiber miissen wir noch 8 Tage im Wirthshaus 
liegen las sen. Die wichtigsten Sachen winken uns zu sich; denn 
der blonde D. Joerdens sties dem Zeitungsschreiber gestern auf 
und schenkte ihm eine Kopie von einem langen Briefe den er ans 
collegium medicum in Anspach geschrieben. Die bekante Hof- 
lichkeit des Zeitungsschreibers wurde dadurch in Gang ge- 
bracht; er saete weil der Doktor an seiner dreizipflichten Nase 
hieng, 100 Entschuldigungen vor ihm herum warum er ihn nicht 
zum Hausarzt bei seiner Nase angenommen; er sagte, er schaze 
ihn auf fall end - er halte ihn fiir einen wahren ungedrukten Haus- 
arzt - er sehe den gedrukten fiir einen kurzen summarischen In- 
begrif alles moglichen medizinischen Wissens an, das der Dok- 
tor habe und fiir einen chrestomatischen Absud wich tiger 
Manuskripte - aber mit der Nase, sagte der Gacettenmacher, sei 
niemals zu spas sen und es sei zu vermuth en, daB keine Sanitats- 
anstalten dafiir im organisirten Hausarzt seien weil im unorgani- 
sirten keine waren: und iiberdies gereichten dem Zeitungs- 
schreiber seine 3 Tannenzapfen oder sein Dreizak oder diese 
Senkreiser und Nebenpartieri seiner Nase zu einiger Zierde und 
es ware nur zu wunschen, es schossen mehrere nach und heraus. 
Aber dem Rasiren schaden sie wie dem Mahen die Maulwurfhu- 
gel. So freuete ich mich in Topen allezeit auf Sontags um 
12 Uhr, weil da der alte Jager auftrat mit seinem Gesichte und 
seinem Balbirmesser, um damit unter dem Kettengebirg von 
Warzen und Haaren hin und lier zu hobeln. Ich hatte alsdann 
Blut weinen sollen iiber seines, das sein Gesicht wie einen stei- 
nernen regnenden Flusgot mit alien rothen Radien linirte, aber 
ich konte vor freudiger Erwartung nicht, daB er nun wie ge- 
wohnlich seinen Feuerschwam hervorbringen und ihn in kleine 
Kappen zausen werde, die er den blessirten Warzen aufsezte. Er 



HOFER VIERZEHNTAGS-BLATT 489 

muste oft an funfzehn skalpirte Warzen inkrustiren und brochi- 
ren. Und dieses skarifizirte und emballirte Gesicht, diesen mit 
zerstreuetem Moos bewachsenen Felsen trug er nachmittags 
freudig auf Tiefendorf an Lippen, mit denen er wie bekant nach- 
her kopulirt wurde eh sie ihn viel spater darauf in die weite Welt 
aus der engen hinausbissen. 

Der Doktor von dem ich auf den Jager verschlagen wurde 
hielt urn ein medizinisches Bedenken in folgendem Briefe an, 
worin auch sein eignes war. 

10 p. p. 

Es ist der Menge seiner Pazienten beizumessen, wenn ein Dok- 
tor manchen, besonders sich selbst (wenn er einer ist) nachlassig 
besorgt. Sucht vollends einsolcher Arzt noch durch die gemein- 
niizigsten Schriften dem auswartigen kranken Publiko eben das 
zu werden, was er dem ihn umringenden schon ist: so ists ein 
Wunder, daB er am Leben bleibt. Und in der That werden Ew. 
merken, daB beides mein Fal ist. Die Krankheit, die noch friiher 
in mir war als die (iibrige) Pathologie, kan ich nach den besten 
Semiotiken - ich bin so gluklich, selbst eine im Manuskripte zu 

20 verwahren - fur nichts anders erklaren als fur eine vollige Star- 
sucht. Ich hatte starsiichtige Pazienten unter den Handen, an de- 
nen zuweilen einige, zuweilen alle Glieder auf einmal star, steif 
und leblos wurden: nach einigen Stunden war es voriiber. Meine 
Starheit regiert hinten und vornen, aber besonders auf der Zunge 
und auf den Gehirnfibern - und zwar mit einer ausserordentli- 
chen Idiosynkrasie. Sie fallet namlich auf mich meistens los, 
wenn ich Visitten gebe oder Leute sehe die ich verachte und ein- 
mal must ich mit meiner Starsucht wie mit einer Mittanzerin vor 
dem ganzen Saale herumtanzen. Indessen find ich doch in mei- 

30 nen Heften, daB im 38 Bande der schwedischen Abhandlungen 
der Fal eines Starsiichtigen stehen sol, den sein Ubel allemal be- 
fiel wenn er stand oder wenn Leute seinem Essen und Trinken 
zuschaueten - und das ist wieder eine Idiosynkrasie. Ich habe ge- 
gen diese Obel meinen ganzen Hausarzt nachgeschlagen und 
konsulirt und ich hatte zu ihm das Zutrauen, das dem Arzt 



490 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

sovi[e]l vorarbeitet und das das beste Ingrediens seiner Spezies 
ist; aber darin stand gar nichts davon und ich scheine fast wie ein 
Moralist, iiber fremde Fehler und ihre Kur meine eigne ganz 
iibersehen zu haben. 

Obrigens warb ich schon iiber 90 streitbare Mittel gegen mein 
tjbel an und das lezte Rezept das ich mir machen lies, war ein 
alter Postwagen mit steifen Pferden, worauf ich nach Berlin und 
Paris gefahren wurde und nach den Chausseen, die auf beide zu- 
laufen. 

Es blieb aber wie's war und die Zungenstarsucht nahm gar zu. 
Dies wolten einige unmedizinische Pfuscher meinem Hochmu- 
the anschreiben und sagten, ich schwiege, weil ich so viel wiiste 
und es innen wiirde. 

Wie iiberhaupt viele Krankheitsmaterien recht treibende Blu- 
menerde fiir die Seele sind und Platner im Algemeinen die Un- 
gesunden fiir kliiger erklart: so kan ich mit der Starsucht meiner 
Gehirnfibern, die ich gar nimmer biegen kan, in sofern mich 
leicht aussohnen, daB sie mir als Arzte wie es scheint zu Passe 
komt. Denn im Gehirn des iungen Arztes mus (komt es mir vor) 
wie in einer Matrix das akademische daraufgelegte System or- 
dentlich versteinern und verknochern, sonst behalt er nichts fe- 
stes woran er sich ganz und gar halten kan; und man hatte auf 
anatomischen Tafeln dacht ich angeben sollen, ob nicht im 
Kopf e ordentlicher Stadt und Landphysikorum die Gehirnfibern 
immer ausgesehen wie Kontrabassaiten. 

Ew. werden mir also zu erofnen die Giite haben, ob es ausser 
den 90 Kuren gegen die Starsucht noch eine 9i te giebt, die ich 
nicht gelesen und die ich gar gebrauchen konte: denn auch an- 
dere Pazienten hab ich den therapeutischen cursus durch die 
90 Kurarten vergeblich machen lassen, wie es denn iiberhaupt 
als ein algemeiner Grundsaz von den grosten Aerzten angenom- 
men werden wil, daB alle Arzneiglaser - spashaft zu reden - bei 
Einem Kranken eine Reiheschank haben, und es mus eines urns 
andere eh er geneset verzapft werden. 

Ich gedachte einigemale meiner ersten litterarischen Frucht 
»Hausarzt« benamset. So unerheblich er mit Recht gelehrten 



HOFER VIERZEHNTAGS-BLATT 49 1 

Kollegien scheinen kan: so verhehl' ich gleichwol nicht, daB man 
ihn f iir einen muhsamen Extrakt und Dekokt meiner samtlichen 
medizinischen Ideen zu nehmen habe - aus samtlichen Manu- 
skripten, die ich im Beschlusse habe, driikt ich dazu den Saft aus 
und sie liegen iezt als Blatterskeleta da et multum siidavi dabei - 
und ich bin gar nicht unzufrieden wenn geschikte Kunstrichter 
dies Werklein fur ein schwaches specimen und fiir das Groste an- 
sehen wollen, was ich als Arzt zu leisten vermag und nach dem 
ich mich gern vollig schazen und beurtheilen lasse. Deswegen 

10 konnen wir, ich und mein Hausarzt, die Wahrheit zu sagen, 
kaum ie mit und nach einander bei Einem und demselben Pa- 
zienten gebrauchtwerden und ieder von uns beiden macht alzeit 
den andern entbehrlich. Auch wil ichs frei bekennen (und es kan 
auch nicht so verwerflich sein) daB ich das Werklein eben nicht 
bios zum Besten der gesamten erkrankenden Menschheit ausge- 
fertigt, sondern sehr mit zu meinem eignen und das pathologi- 
sche Europa ist in Wahrheit nur mein Nebenzwek. Denn die 
Schulregel eines gewissen Fortius beim Morhof, daB man den 
Schiiler sofort andere das lehren lassen solle, was er gelernt, da- 

20 mit ers selber besser fasse, wird mit unglaublichem Erfolg auch 
auf ganz erwachsene Manner ausgedehnt; und ich wurde dafiir, 
daB ich das was ich gelernt, sogleich andern gedrukt beibrachte, 
ausserordentlich dadurch belohnt, daB ich selbst das gedrukte 
Gelernte wirklich theils besser eindriikte theils erst begrif; und 
ich diirfte sonach wol, solt ich noch etwas neues lernen, noch mit 
einem Posthumus des Werkgens nachkommen. ppp. 

Ankundigungen und Anfragen 
i) Am 26 Jul. (am Sontag) sollen die bisherigen Feierlichkeiten 
des Ploth. Vogelschiessens mit einer beschlossen werden, die 
30 beides des Vogelschiessens und des H. v. P. ganz wiirdig ist. Es 
sol namlich die ganze Stadt - von einer Briikke bis zur andern, 
Haus fiir Haus, selbst Kazen und Razen eingerechnet - am be- 
sagten Tage auf Einladung desselben soviel zu essen und zu trin- 
ken bekommen als sie selber wil und es soke anf angs der Spazen- 
simei mit einem Papier umhausiren, worauf sich ieder 



49 2 JUGENDWERKE ■ J. ABTEILUNG 

unterschreiben solte, der am Sontage mit essen woke. Solche 6f- 
fentliche Vergniigungen mogen uns vielleicht noch (wiewol 
schwach) an die alten Zasars und Siillas erinnern, die eine ganze 
Stadt oder welches eben soviel ist ein ganzes Konigreich zu Gaste 
baten; relativ aber genommen diirfte doch in der That zwischen 
den vielen iooo Gasten des Zasars und denen des PL kein anderer 
wahrer Unterschied ausgefunden werden als etwan der, daB die 
Gaste des PL ihre Zeche selbst bezahlen, wiewol auf ieden wenig 
komt. Wer die ploth. Einladung ausschlagt: wird am Montage 
fiihlen, daB er am Sontage gefastet. 

2) Da der hiesige Weg zum Himmel so erbarmlich und so vol 
Locher und Drek ist (daher die hiesigen Geistlichen immerfort 
auslenken und ausfahren miissen): so wil samtliche Geistlichkeit 
den Landshauptman, damit der Weg doch einmal gemacht wird, 
bitschriftlich ersuchen, sich stat seiner verhandelten Garten- 
klause nirgends eine Wohnung anzukaufen als im Himmel. Die 
Geistlichkeit ist des namlichen_ guten Erfolgs gewartig, der 
langst den hiesigen Huren zugieng, da sie ihn in einer bekanten 
Bitschrift ersuchten, den alten Adam zu tragen den sie nahten 
und zuschnitten, damit diese Nazionaluniform hernach der 
ganze Adel anthate. Der Konig von England hingegen, den die 
frisirende Innung urn seine Tonsur zum bessern Absaze ihrer Pe- 
riiken ansprach, war ein steifer Nar und thats nicht; und Huren 
mogen selbst entscheiden, wer besser ist. 



WAS FUR SAZE NACH MEINEM TODE 

iahrlich sollen erwiesen werden und was ich dafiir testamentarisch legire 



Meine Verwandten werden fast nichts von mir erben, aber 
samtliche kultivirte Volker viel; und ich hatte langst mit die- 
sen Volkern aus der Sache gesprochen, wenn aus dem zeitigen 
Dekan der theologischen Fakultat ein ordentliches Bedenken 
ware herauszutreiben gewesen, in dem es stande daB die Sa- 
che christlich genug ware. Ich fiihrte dem Dekan allerdings 
ewige Vernunftgrunde vor und sagte, ein getaufter Mensch 

o miisse durchaus hienieden sein ganzes so ausserordentlich gros- 
ses Allodialvermogen weiter niemand vermachen konnen als 
bios Sazen und Wahrheiten, fals nur die leiblichen Erben die 
quartabekamen. Ich fiihrte dem zeitigen Dekan blosse Autorita- 
ten vor und sagte, sie waren aus England geholt. » Wenn Boyle, 
sagt' ich, in seinem Testament 8iahrliche Predigten zu Testa- 
mentserben von funfzig Pfund einsezen durfte, damit sie (die 
Predigten, nicht die Pfund) mundlich die Wahrheit des Chri- 
stenthums darthaten - wenn Warburton in seiner sterbenden 
Hand demienigen Prediger Geld hinhielt, der iahrlich einmal in 

20 die Kapelle Linkolnsinn laufen und da fur die namliche Wahrheit 
gelassen fechten wiirde, aber bios mit Weissagungen des alten 
Bundes - wenn gar ein dritter Englander (darauf kan hauptsach- 
lich gefusset werden) den Antichrist und die Opposizion seiner 
zwei testamentarischen Vorfahren machen und in dem Todten- 
bette eine iahrliche Widerlegung der namlichen Beweise bestel- 
len konte, die iene zwei Christen den iibrigen Christen und 
Londnern legiret hatten - wenn es mir gar nicht moglich ist, auf 
noch viel bessere Autoritaten mich gerade zu besirmen; was kan 
denn ein guter theologischer Denker oder doch Bedenker von 

30 mir noch haben wollen?« 

»Vor alien Dingen, sagte der Dekan, einen schmalen An- 
schlagszettel der narrischen Theses, die Sie nach Ihrem Ableben 



494 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

vollig wollen beweisen lassen und die Fakultat denkt nachher 
iiber den schmalen Zettel nach.« 

Und deswegen ists eben ein solches Gliik, daB man den Zettel 
in die beriihmte Litteratur und Volkerkunde hineinlassen wil; 
denn der Dekan halt sie mit und bezahlt sie voraus und hinten- 
nach, aber sehr unordentlich. Dennoch sollen und diirfen auch 
die iibrigen Dekanen auf dieser akademischen Erde, die vol Uni- 
versitaten und selber eine gute ist, iiber meine testamentarische 
Kammerzieler zur Wahrheitspflege, ganz ihre eigne Gedanken 
haben und fur sich behalten. 

Beilaufig! obgleich einige verniinftige deutsche Ortschaften 
den Nachtwachter zu schworen nothigen, daB er zu Nachts nicht 
einschlafen wolle: so war leider doch kein Mensch in der ganzen 
Autorenrepublik so verniinftig, um einzusehen und bekant zu 
machen daB es von der aussersten Nothwendigkeit sei, vor den 
matten Lesern eine elende Eidesverwarnung abzulesen und 
nachher von ihnen den Eid zu fodern, daB sie am Tage hinter un- 
sern Biichern wachen wollen. Daher und aus Mangel eines 
Amtseides schlafen sie alle fast wenn sie nur wollen ein und es 
ist wenig Gescheutes in ihren hermetisch zugespiindeten Kopf 
hineinzutreiben, ob wir Autoren gleich unsern ofnen und alles 
in Bogen heraus und hinuberschiessen lassen wollen. 

Die Halfte der Deservitengelder sol der Superintendent meiner 
Frau abnothigen und ihr sagen, dieses Legat hatt* ich, ihr guter 
oder todter Eheherr, ihm vermacht, damit er in der Investitur- 
rede* meines Nachfahrers dem Kirchspiele soviel bewiese: »daB 

* Die Investitur ist das gewis nicht unerhebliche Geschaft, daB der 
Superintendent in den Pfarhof des neuen Pfarrers hineinfahrt und am 
Sontage darauf zur Gemeinde in der Kirche sagt: »das ist euer Pfarrer« 
und zum Pfarrer: »das ist deine Gemeinde. « Damits nun beide um so 
eher glauben, investirt er oft, wenn der Pfarrer schon einige Jahre bei der 
Gemeinde gewesen und fast seine Einweihung und sein Amtsjubileum 
zugleich feiern konte. Hierauf mus der geistliche Archaus und Hierarch 
eine starke Malzeit und Bezahlung einnehmen. Irren iibrigens Pfarrer 
und Gemeinden, die diesen Aktus fur so iiberaus wichtig ausschreien, 
fiir den Archaus namlich meinen sie? 



WAS FUR SATZE NACH MEINEM TODE 495 

nicht der Man des Amtes wegen, sondern das Amt des Mannes 
wegen sei.« 

An diese Wahrheit werden die weltlichen H. Rathe (die her- 
komlichen Mitarbeiter an der Investitur und der en Malzeit) ei- 
nen blossen Kohlerglauben haben; aber eben deswegen geht der 
Superintendent in die Kirche, urn ihn in einen ordentlichen Ver- 
nunftglauben durch ein Exordium und einen Sekundawechsel 
von zwei Predigttheilen umzugiessen. Das Exordium macht er 
aus diesem Syllogismus und ich verordne es im lezten Willen: 

ro eine Witwe sizet ohne Arbeit und Kenntnisse recht gut ein De- 
serviten- und Gnadeniahr lang im Amte und lasset doch dasselbe 
vortreflich verwalten, entweder von andern Leuten oder von der 
Zeit, dieser Mutter der Wahrheit: »aber, fragt der Legat-Super- 
intendent, kont' es der verstorbne Man nicht noch mehr? kont' 
er nicht ohne alle Miihe seine Amtsiahre als Deserviteniahre ver- 
bringen und durchleben und sich eben deswegen einen alten Se- 
kretair anschaffen? und leitet uns das nicht auf das heutige 
Thema mit Gewalt?« Nun kan der erste Theil nicht geschwind 
genug hinterdrein reiten, weil er den definiren mus, der ein Amt 

20 besizt, ohne auf den zweiten Pars zu warten, der bios den be- 
schreibt, der ein Amt versieht. Der erste Theil mus den Amtsinha- 
ber vorfuhren, ihn mit den Amtsinsignien, mit dem Amtsappa- 
rat und den Amtsklienten umstellen, ihn durch die Amtsstube wie 
durch ein Puderstubgen iagen und auf dieser Treibiagd ihn hin- 
langlich mit Reveniien-Goldstaub einpudern, wie man den ma- 
gnetischen Stab mit Eisenfeile im blossen Durchfahren umpicht. 
Vom zweiten Theile wird der Amtsverweser dieses Amtsinhabers 
lebendig gemacht, er schenkt dem Verweser nichts als Papier 
und Federn in Menge und nagelt und schmiedet seine Brust und 

30 seine dienst- und wachhabende, expedirende, referirende, kon- 
referirende, rechnende und revidirende Arme an den Arbeits- 
tisch fest und lasset ihn da sizen, diesen Substituten sine spe suc- 
cedendi. Der Redner lehre noch, cfaB der Verweser allemal und 
ohne Schaden ein Biirgerlicher sein konne, wenn nur der Inhaber 
von gutem stiftsfahigen Adel sei und von seinem Posten lebe. 
Nun konten beide Redetheile gleich kopulirten Polypen mit 



49<5 JUGENDWERKE ■ 5 . ABTEILUNG 

Nuzen in dieses Gleichnis zusammenverwachsen, das gar eine 
Nuzanwendung sein sol: Gerade so hangt an Flotenuhren aussen 
ein Flotenspieler eingeschraubt, aus dessen Munde eine kurze 
porose Flote so herunterwachst und dessen Finger auf ihren L6- 
chern so auf und nieder treten, daB kluge Kinder sich iiber den 
pfeifenden Man und holzernen Quanz verwundern; allein Uhr- 
macher aller Art wissen langst wer flote und daB bios eine elende 
eingebaute Walze mit ihren Stiften die verstekten Floten anspiele. 
Aber der geistlichelnspektorbesinne sich vorher selbst, ob er eines 
Legats wegen an einem Altare so ausserordentlich spassen durfe. 
Wenn es wirklich minorenne Akademien der Wissenschaften 
giebt, denen gar nichts fehlt, weder Mitglieder, noch Katheder, 
noch ein President darauf , noch ein bestandiger Sekretair darun- 
ter - wenn deren Mitglieder ihre Hande, soviel ich mich aus 
meinen Schuliahren noch erinnere, zu etwas Besserem regen als 
zum Beklatschen ihrer andern Mitglieder und wenn es vielmehr 
darzuthun ist, daB diese Mitglieder mit ihnen sich einander ofter 
priigeln als leben - wenn also wir Europaer und selbst Mulatten 
und Mestizen und Kreolen sich von solchen Akademisten mit 
Recht der erheblichsten Beitrage zur Auflosung wissenschaftli- 
cher Rathsel versehen- wenn sie es aber dennoch bleiben lassen, 
das Beitragen: - iiber wen hat sich denn Europa dabei eigentlich 
zu argern? ganz sicher iiber den Rektor und Konrektor allein, der 
besagte Rathsel seinen Primanern und Sekundanern oder, wie 
ich vorhin mich ausdriikte, Akademisten zu Themen fur ihre 
Schulaktus-Reden machen konte und es doch nicht thut. Ich 
frag' aber diese Akademisten hier in meinem lezten Willen und 
Kodizil selbst, glauben sie wol dem deutschen (vom Einla- 
dungsprogram ins Auditorium gerufnen) Publikum durch ihre 
griechische ^ Prose und lateinische Poesie besser zu dienen und auf- 
zuhelfen als wenn sie nach meinem Winke die Lexika zuwiirfen 
und weg, und sich bios mit den Bearbeitungen schwiirigerer 
Aufgaben befiengen und steifgerittenen Wissenschaften neue 
Gelenkschmiere bescheerten? Und soke denn nicht wenigstens 
der Konrektor durch meine Lippen von seinem Irsteig zuriikzu- 
pfeifen sein, welcher sich einbildet, er habe seinen Akademisten 



WAS FUR SATZE NACH MEINEM TODE 497 

schon schwere Themen vorgeschrieben, wenn er ihnen bios sol- 
che aufgebe als die z. B. sind: Parallele der alten und neuern 
Kriegskunst und ihrer Mangel - Erganzungen zum Torso des 
esprit des loix - Kritik ieder andern Kritik der kantischen Kritik 
der Vernunft (bei dies em Thema purzelt fast eine Idee iiber die 
andere) - akkurater Schritzahler des Fortganges aller heutigen 
Philosophien, von der konigsbergischen an bis zur parisischen 
pp. Aber merkt denn der Konrektor nicht, daB ers zu viel 
schwierigern Redethemen treiben wiirde, wenn er auf meinen 

o lezten Willen hinhorte, der haben wil, daB er gerade die Preis- 
aufgaben, die die maiorennen Akademien iahrlich den graduir- 
ten Schreibefingern Europas vorgeben, auch seiner rninorennen 
Akademie vorgeben sol, damit man iiberhaupt nur sahe, was 
iiber einerlei Thema so verschiedene Gelehrte als Gymnasiasten 
und Exgymnasiasten sind wol schreiben? Zur Aufmunterung 
der rninorennen Preiswerber, sie mogen nun den Preis oder das 
Akzessit erzielen, legir' ich eben der Schule alle die Medaillen, 
die eben nicht viel sagen wollen und die ich mir Zeit meines Le- 
bens aus den Handen maiorenner Akademien mit meinem er- 

io wachsenen Korper erschrieb. 

Das ganze Land kan den grosten VortheiJ da von ziehen, daB 
mein Schweizervieh und meine englischen Zuchtschafe noch 
nicht krepiret sind und nach meinem Tode von der Kammer 
konnenfortgetrieben werden, weil ichs verstatte; aber mein lez- 
ter Wille wil auch, daB dieser grosse Tcstamcntscrbe, die Kam- 
mer, ianrlich in der lezten Session vor.den Kanikularferien dieses 
Projekt sich referiren lasse: »franzosische Zuchtmenschen miis- 
sen fur noch ersprieslicher fiir das Land gehalten werden als 
ererbte brittische Zuchtschafe. « Ich und der Referent werden 

30 den Augenblik deutlicher- werden. 

Wenn ich den Deutschen vor Deutschen oder Franzosen loben 
rmiste: so wurd' ich folgenden Vorzug den Franzosen sehr ent- 
gegenhalten und bei ihm lange verweilen, daB bios die zum 
Kaukasischen Volkerstam gehorige deutsche Nazion alien Na- 
zionalstolz des Ritter Zimmermans so sauber aus sieh wegge- 
fegt, daB es ihr leicht wird, schlechtere Nazionen zu niizen und 



498 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

ihnen ihre besten Geseze abzuborgen es sei woriiber es wolle; 
und wenn diese Nazion noch heute erfahrt, daB die franzosische 
in den Code noir der Mode ein neues Kleidungsgesez geschrie- 
ben und einregist[r]iret: so lauft oder schreibt sie morgen um 
dieses arret - ein Ruhm den selber die Romer nur Einmal ver- 
diepten, da sie Leute nach Griechenlandabschiktenund daraus die 
Geseze auf zwolf Tafeln nach Rom heimtragen liessen. Der 
Deutsche ist im guten Sinne ein Bedienter, der alle abgelegte 
Kleider nachtragt, die ihm andere Nazionen als seine Herren 
schenken. Wolte Got, ich hatte den Referenten in meiner Stube 
und kont' ihm lebendig eine Komodienprobe vormachen wie er 
das Projekt zu referiren habe. Er muste in meiner Stube auf das 
obige ganz bauen und noch dazusezen, er hab' in Schmidts Ge- 
schichte der Deutschen bios gelesen, daB sonst die Hof leute sich 
nach gemalten Manlein auf Papier wie nach Prototypen getragen 
und inkrustiret, vom Nabelf okus an durch alle Radien des ellypti- 
schen Leibes - der Referent muste mir und nachher dem Kam- 
merkollegio betheuern, er habe sogar gesehen, daB iezige Klein- 
stadter sich nach den Kartons der Manlein und Fraulein im 
Modejournale iibersponnen und austapezieret, dessen Leser den 
Geschmak mehr nach dem darin Gemalten als Gedrukten so gut 
bildeten - er muste zur Einschrankung des Sazes noch sagen, die 
Grosstadter thatens aber nicht sondern hatten sich stets nach der 
gerade regierenden pariser Holzpuppe (denn diese Puppen sind 
unsere weibliche Kreisdirektoren und die franzosischen Garanten 
der modischen deutschen Reichsverfassung) angeschossen und 
kry stallisiret - er muste sich endlich schwach verbeugen und die 
in seinem und meinem Kopfe sizenden Kammerrathe, die viel 
zu sehr plaudern, ersuchen, nicht einander zu referiren sondern 
aufzuhorchen was er etwan referire, vorziiglich im Folgenden. 
»Denkende Sessionen - wiird' er sagen und er ware im syllogi- 
stischen Schus und durch nichts mehr aufzuhalten - freuen sich 
sehr iiber die guten Folgen die es hat, daB die Natur diesen 
Nachahmungstrieb in den Deutschen aus keinen geringern Ab- 
sichten aufspante und einschraubte als in den Kindern und Wil- 
den. Denn wenn er (nach Herder) in den beiden leztern die Er- 



WAS FUR SATZE NACH MEINEM TODE 499 

ziehung und Bildung unendlich erleichtert: so hat die Natur bei 
den Deutschen mit ienem Triebe diese Absicht nicht nur gehabt 
sondern auch erreicht und wir sizen ia selbst gliiklicherweise in 
den genahten und gewebten Proben der volligen, den so feinen 
Franzosen abgesehenen Verfeinerung schon da und an der gan- 
zen Session (meiner nicht zu erwahnen) regt sich kein Taschen- 
knopf und keine Rokf ranze, die nicht schon durch oder iiber Pa- 
riser Gassen getragen worden. Aber die Sache kan noch viel 
weiter getrieben werden - und auf das ist eben der seelige Testi- 
rer, der milde Stifter des Viehs und des Projekts, so auffallend 
aus. Wenn er oft sah, wie viel ein einziger Franzos, der nichts 
um sich hatte als seine franzosische Kultur, von dieser den Kor- 
pern eines ganzen Hof es beibrachte und umhieng: so that er ver- 
gniigterweise ganz tol und verglich ihn mit einem wirksamen 
Betler, der oft ein Dorf urns andere mit Blattern besprengt und 
ganze B annate im Durchbetteln einimpft, furs blosse Almosen - 
das bracht' ihn aber auf sein Projekt zu reden: »»wenn nun, sagt' 
er, kleine Hofe es mit sich und andern redlich meinten und stat 
der neuesten Puppen und Kleider und Zeichnungen vortheilhaf- 
ter lieber die essenden und organisirten Figuristen und Eltern 
selbst, deren Hande iene herhekten, von Paris wegfahren liessen 
und auf Domainen fiitterten, damit das ganze Land seine Origi- 
nalfliigelmanner sahe, nach denen es sich triige und regte - wenn 
ich damit bios haben wil, daB der Hof (so wie die Korsen von 
Diderot und Rousseau Geseze flehten aber von niemand beka- 
men als von franzosischen Kanonen) hernach die gefutterten 
Franzosen nothigen muste, fiir den Anzug ihrer Futter- und 
Speisemeister Mode- Schwabenspiegel in die Welt zu sezen und 
wenn man denn sich nach Paris und dessen Vorstadten naturli- 
cherweise gar nicht mehr umsahe - wenn diese Paar gesezge- 
bende Machte besonders verminf tig waren und einsahen, daB sie 
die alten Geseztafeln des Anzugs-Dekalogus von einander schla- 
gen und neue formen musten nicht aliahrlich, sondern fiir den 
Thron ieden Tag, fiir die Residenzstadte iedes Quartal und fiir 
kleine Stadte iedes Schaltiahr: . . .«« Aber warum marter* ich 
mich so ab? Es ist mir nicht erinnerlich nur ein Wort von dem 



500 JUGENDWERKE • 5 . ABTEILUNG 

alien gesagt zu haben was der Referent hier mich predigen lasset 
und er mag, da ia ich das legirte Zuchtvieh nicht einhebe, selber 
das Kolon und den Nachsaz griindlich gar ausreferiren und sagen 
was ich sagte. 

Beilaufig! Es ist vielleicht eben so gut als gab* ich etliche Gro- 
schen her und schikt' es in das Intelligenzblat der Litteraturzei- 
tung, wenn ichs hier mit Wenigem anzeige, daB H. Schneider in 
Gdttingen, bei dem iezt alle Disputazionen in der Welt zu kaufen 
und anzubringen sind, bei mir eine ausserordentliche zu ieder 
Stunde haben kan und es ware mir lieb. Sie ist durchaus mit 
agyptischer Gelehrsamkeit und pariser Nachrichten so durch- 
schossen daB fast weiter nichts darin ist - als eben noch eine Ver- 
gleichung und ein unerwarteter Beweis, daB der agyptische 
Thierdienst hier und da in Europa die grosten schismatischen 
Schritte wage und in kurzem uns alle vergiften werde mit seiner 
mephitischenLuft. Aber der Himmel gebe uns nur Theologen, 
die mit einem grossen antimephitischen Respirator des Pilatre de 
Rozier anlangen und ihn uns auf unsere Nasen sezen. Dieses fal- 
let mir in der Disputazion am allerstarksten auf, daB der Dispu- 
tat or es sonnenklar darthut, daB vorlaufig die feinen und ele- 
ganten Herren in Paris, die ganz Europa und selbst ein Theil von 
Asien fur lebendig ansah, maustodt und blosse Mutnien smd und, 
eben so gut wie die agyptischen, in den Wohn- und den Speise- 
zimmern zur Erinnerung an die Vorfahren und an den Tod und 
zur Erheiterung verbraucht werden. Er schreibt, wer die agypti- 
schen und parisischen gegeneinander legte und hielte, der roche 
an beiden die namliche Einbalsamirung, stiesse auf die namli- 
chen Spezereien im Kopfe, auf den namlichen Mangel eines 
wahren Magens und rechten Gedarms, auf die namlichen zwei 
Portraits eines Weibes und des Todten selbst*, und konte auch 

* Aber nicht an Einem Orte. Denn an der agyptischen Mumie sizt das 
Portrait eines Weibes (der Gottin Isis) auf der Brust; an der parisischen 
in derselben - und an der erstern steht das Portrait von ihr selbst auf der 
Leinwand, die iiber dem Gesicht der Mumie liegt; an der franzosischen 
Mumie ist ihr eignes Bild und ihre Silhouette aus alien ihre Taschen her- 
vorzuziehen. 



WAS FUR SAT2E NACH MEINEM TODE 501 

entdekken warum die einen so gut als die andern zu Pfandstiikken 
versezt wiirden - aber dieser konte doch, schreibt der Disputa- 
tor, einen Punkt vollig iiberspringen, worauf seine ganze Dis- 
putazion sich steuere und den er selbst recht klar ersehe: namlich 
die agyptische Mumie sei auf ihrer Bandagen-Schniirbrust und 
Einwindelung eben so wol mit den agyptischen angebeteten 
Thieren iibermalt als die parisische auf ihrem Gillet ganze Ge- 
malde-Ausstellungen aller der hieroglyphischen Thiere, der 
Schafe, der Affen und so weiter umhabe, von deren Thierdienst 
und Dulie er vielleicht zum grosten Vortheile der Menschheit 
eben seine Disputazion anzustopfen vorhabe. Ich erzahle 
H. Schneider noch, daB H. Wezel dem Disputator ganz gewis 
versprochen, in die Aufschlusse, die er iiber die motus vitales 
und Reden der Miillerischen und Kempelischen Maschinen zu 
geben versuche, auch die motus vitales und Reden der parisi- 
schen Mumien mit hineinzuziehen und an alien miteinander red- 
lich die verdamtenBetriigereiend. i. dieMenschen aufzudekken, 
die darhinter stekken, stat des versprochenen Mechanismus. Ich 
drehe mich aber von H. Schneider wieder zum Leser urn. 

Ich fuhre aus Griinden der Naturlehre schon langst so wenig 
Geld bei mir, daB ich damit weder den Bliz noch die Schmeiche- 
lei auf mich lokken kan und aus den goldnen Kleidern, die die 
Professores phy sices vor Gewittern abzulegen rathen, mausete 
ich mich auch vor kurzem heraus, da die Gewitter einiger Glau- 
biger so lange iiber mir standen und nicht weiter wolten; inzwi- 
schen hab' ich doch iooo Rth* und verschenke sie ans jus publi- 

* Nicht in Handen, aber im Einnahmebuch und der Magister Masius 
ist sie mir noch schuldig. Er verhies es namlich gedrukt vor uns alien, 
er wolle dem der ihm die Gotheit Christi ausstreite, 1000 Rth schenken 
und noch obendrein an den Pabst glauben. Ich nahm deswegen Post- 
pferde und das griechische Testament und trat mit dem leztern in seiner 
Stube zu Leipzig ab, aus der ich nicht eher wegzutreiben war als bis ich 
ihm wirklich den besagten Saz - nicht weil dieser, sondern weil sein 
Kopf schwach ist - vollig ausgeredet hatte und er ganz umlag. Nun 
uberlass' ichs einem in diesem Falle unpartheiischern Publikum mit Ver- 
gniigen auszusprechen ob ich das Geld mit Recht zu fodern habe. Was 



502 JUGENDWERKE * 5 . ABTEILUNG 

cura. Ich weis nicht, welcher Juristenfakultat der Hof seine Wahl 
und meine 1000 Rth. fur eine gesunde Dedukzion, daB der Er- 
dengotter Gotlichkeit schon im Namen liege, vergonnen werde 
und ich kan mich vielleicht mit dem Verdienste der ganzen mil- 
den publizistischen Stif tung begniigen; aber ich mahne diese mir 
ganz unbekanten vortref lichen Publizisten an, bei ieder Zeile ih- 
rer Dedukzion zu bedenken, wie sehr es ihre Pflicht ware, darin 
das zu sagen was die Wahrheit und der Hof diktiret, sogar wenn 
die 3 Foltergrade dafiir die Belohnung waren, wievielmehr iezt 
fur legirtes Geld und fiirstliche Worte. 

Da ich es bisher fur einen wesentlichen Fehler ansah, daB die 
Richter der Schriften iiber akademische Preisfragen ihre eigne 
JVleinung von der Frage ganz verstekt gehalten, stat daB die 
Preislustigen, wenn sie offentlich ware angesagt gewesen, sich 
nach ihr hatten einzig richten und sie und den Preis zugleich be- 
haupten mogen: so wil ich nicht selbst in diesen Fehler fallen, 
sondern hier ein ganzes Sparwerk der begehrten Dedukzion zu- 
sammennageln: die Fakultat brauchts nachher nur gar auszu- 
bauen. Ich und der Tisch, worauf ich solche Juristen wie Hopf- 
ner, Bohmer und Schmidt durchlief und zusammenhielt, stehen 
noch im Reichsdorf, wo ich eben deswegen der Wahrheit und ie- 
nen Juristen ganzlich hatte widerstehen miissen, wenn ich noch 
hatte zweifeln wollen, daB der Negersklave, wenn er nach 
Deutschland gekommen, als ein wahrer Sklave im romischen 
Sinne zu betrachten sei. Noch obendrein sties zu uns vieren der 
vorige Konigin Preussen, der die ganze Wahrheit gar durch eine 
eigenhandige Resoluzion* auf immer bestatigte. Dieser Saz ist 

iibrigens den Pabst anlangt, so fass' ich den Magister bei seinem abge- 
drukten Worte und bestehe durchaus darauf , daB er ordentlich und red- 
lich an ihn glaube und sich mit Chrysam einseifen lasse; und f a]s er etwan 
sagen wil, es fall' ihm schwer und ich mo elite ihm eine andere leichtere 
Narheit vorschlagen und er wolF ihr Glauben beimessen, wenn ich 
wolte: so wil ichs durchaus nicht, zumal da ich den Pabst selber gesehen 
habe und die Pantoffelleder-Latrie der Wiener dazu. 

* Beitrage zur iuristischen Litteratur in den preussischen Staaten. 6 te 
Samlung. 



WAS FUR SATZE NACH MEINEM TODE 503 

aber so fruchtbar an Folgen, daft" ich sie, wenn ich den langsten 
Thron und die breiteste Armee besasse, unfehlbar alle daraus 
Ziehen wiirde. Denn diese Schwarze, die eben auf dem angebor- 
nen Freiheitsbriefe des Negers der ausstreichende lange Dinten- 
kleks und das schwarze Siegel seiner abgestorbnen Freiheit ist - 
denn nur auf diesen Farbunterschied vom Europaer weis ich ie- 
nes Leibeigenschaft zu griinden - kan und mus anatomiret wer- 
den. Nun schreibet Camper**, ders gethan, Mekel schiesse ein 
wenig fehl und die Negers chwarze entspringe und liege bios in 
der schleimigen Nezhaut, die die schwarze Kunst der kochenden 
Sonne umfarbe; und (nach ihm) tragen wir alle auf dieser Haut 
die Anlage und oft den Anfang zum Neger herum. Auf Camper 
hort das Staatsrecht hin und wil die Anlage ganz ausbilden; denn 
der Neger und der Landman wird so gut wie der Kronprinz 
schneeweis und folglich frei geboren und es wird erst der Beistand 
der Kultur erfodert, eh' der erste die ganze und der zweite die 
halbe Trauerah die Liverei des dritten umbekomt. Nun ists ein 
ausserordentliches Gliik, daB zufalligerweise fur den Hofstaat, 
fur das Staats- und Regiments wesen, fur die milden Sachen, fur 
das Bauwesen, fur die Interessen der Anlehen der Kammer nie- 
mals Geld genug da ist: ein solcher Mangel spornet mit der 
Pflicht zugleich vereinet, den Fiirsten und die Kammer an, auf 
die farbende Ausbildung des Landmannes mit Eifer loszuarbei- 
tenundihnin die Sonne (diese heraldische Koloristin) hinauszu- 
treiben, damit er unter ihrem malenden Strale so lange akkere 
und mahe und ernte bis er briinet oder gelb genug ist. Diese 
braunliche Punktirung, welche die Kammer aus recht guten 
Griinden unter den Namen und Vorwand von Frohnen und Ab- 
gaben verstekt, ist im Grunde eben erst die wahre physische 
Huldigung und anders (als durch diese Oelmalerei) wird der 
Bauer nicht zum treuen Landeskinde umgefarbt. Allein zum 
Neger ist er dennoch niemals einzuschwarzen; sonst arbeitete er 
in keiner Monarchic mehr sondern unter dem Despotismus und 
es sind, die braunen Hande und den ICop/ausgenommen, die ub- 
rigen Glieder wegen der Kleider (daher eif rige Royalisten sie ihm 
** Campers kleine Schriften, erster Theil . . 



504 JUGENDWERKE • 5 . ABTEILUNG 

oft ausziehen wollen) ungemein weis und frei. Dies ist genug, 
urn ihn vom Negersklaven abzutrennen und ihn in die Klasse der 
Christensklaven zu erheben, deren Schiksal im Orient, neuerer 
Zeiten so sehr gepriesen wird, wiewol ich aus recht guten Er- 
fahrungen behaupten wolte, daB auch unsern Landleuten kein 
schlechters Schiksal unter dem weichen kameralistischen Szep- 
ter zum Loose falle und ich wil nicht einmal verfechten, oft ein 
noch besseres. Obrigens legt es uns meine publizistische Far- 
bentheorie so gut wie die graue Erfahrung vor Augen, daB mit- 
hin die hdhern Stande immer f reier werden miissen , ie kalk weis- 
ser und ie weniger in der Sonne und Arbeit sie sind; und den 
hochsten erdenklichen Grad von Freiheit miissen die Albinos ge- 
niessen, die weder in den Vorzimmern noch in den westindi- 
schen Inse]n Zukker rnachen sondern bios essen: wahrhaftig in 
ihrer weislichten Nezhaut stekken sie darin wie der romische 
Freigelassene im weissen Freiheitskleide und die Academie des 
Inscriptions soke iiber diese Aehnlichkeit etwas schreiben las- 
sen. 

Veit Ludwig von Sekkendorf, der wegen seines Aufenthalts 
im Sarge mit alien neuern publizistischen Theorien (meine gar 
nicht eingerechnet) ganzlich unbekannt verbleiben mus, war 
mithin ordentlich gezwungen, in seinem »teutschen Fiirsten- 
staat« auf folgende so ungemein praktisch wicht-ige Maxime gar 
nicht zu verf alien: daB die Thatigkeit der Staatsbedienten in dem 
Verhaltnisse langer und heftiger werden miisse, in welchem sie 
vomFiirstenabliegen-derunterste, der Landman z. B. kan sich 
nicht schnel und heftig genug herumschleudern, der Kanzleidi- 
rektor walzet sich schon trager als der Kanzlist, der Gunstling 
kriecht und der Fiirst steht gar fest. So rollen in einer richtigen 
Uhr die vom Zeiger entlegensten Rader am schnelsten herum, 
die nahern drehen sich trager und der Zeiger selbst driickt sich 
gar unsichtbar weiter. Ich wil aber sezen, der rechtschaffene 
Sekkendorf (dessen menschenfreundliche Rathgebungen man 
seinen noch so finstern Zeiten zu gute halten soke) hatte dennoch 
diese zweite Maxime gewust: was wurd' er daraus gef olgert ha- 
ben? . . . 



WAS FUR SATZE NACH MEINEM^TODE 5O5 

Natiirlicherweise eine zweite, die eben so wichtig ist aber weit 
unnothiger wie man hoffen wil. Denn die gute Natur stelte es 
nicht dem blossen Zufal frei sondern ziehet schon selbst durch 
ein dunkles Gefiihl den fahigen Renteibedienten, die kleinen He- 
bungsbedienten und den Generalkontrolleur und den Domai- 
nenverwalter und den viel bewilligenden Landstand dazu hin: 
daB sie die brunetten Unterthanen verhaltnismassig mehr als die 
blonden mit ordinairen und Extrasteuern, Frohnen pp. zu be- 
frachten suchen- und vielleicht ists das namliche dunkle Gefiihl 
weswegen auch die Insekten ihren Stachel viel haufiger in 
schwarzes als in weisses Rindvieh schieben. Vielleicht wissen 
namlich die Insekten aus Instinkt was die Naturforscher aus Er- 
fahrung wissen, daB in alien schwarze[n] Thieren sich mehr 
Kraft und Leben und folglich Erduldungsvermogen aufhalte als 
in den weissen. Vom aussereuropaischen Neger erwies es Cam- 
per, daB die Natur aus ihm einen Kondensator von Muskelkraf ten 
geformt; aber was der braune Neger in Europa zu tragen ver- 
moge das kan ein und der andere Finanzbediente auf verschie- 
dene Arten wissen und Kollegien mit Augen konnen an der 
manlichen braunen Farbe die heraldische Tinktur nicht verken- 
nen, die eben die Subjekte andeutet, v^elche man als gebogne 
Stuhlbeine Fiirstenstuhlen oder als Wappenhalter Thronen unter- 
stellen kan. Und man soke nur erst recht darhinter zu kommen 
suchen, was ein gewisser Kammerdirektor haben wolte, dem ich 
sonst das Haar aufwikkelte und der sagte: ein Steuernachlas* 
schwache den Unterthan (und selbst die Kammer) zehnmal 
mehr als eine Steuererhohung und das Maas seiner Kraft konne 
nie kleiner oder grosser sein als das seiner Last. Und in der That 
sehen wir schon an den Ruben, daB sie starker und dikker wer- 
den, es sei daB man ihnen das Kraut bis auf einen halben Fus absi- 
chele oder daB man im Herbst eine driikkende Walze iiber sie 

* Daher trift man in alien guteingerichteten Staaten an, daB man eine 
Steuer noch fort zu fodern sucht, wenn auch ihr Anlas langst weggefal- 
len; und die Steuern, die die Errichtung ganz neuer Anstalten (Wege, La- 
ternenp.) bestritten haben, miissen auch zur blossen Unterhaltung dersel- 
ben fortdauern. 



506 JUGENDWERKE ■ 5.ABTEILUNG 

rolle. Der Unterthan trug als ein zweiter Milo das wachsende 
Kalb der Abgaben und Lasten; aber eben mit einem Kalbe nah- 
men seine Krafte zu und als das Thier zum Ochsen ausgestrekt 
in seinen zahen Armen herunterhieng, kont' ers doch noch hal- 
ten, so ausserordentlich hatte man ihn gestarkt; und es ist hin- 
langliche Hofnung da, daB auch nicht in Zukunft diese starkende 
Befrachtung nachlasse. 

Ich bin ganzlich der Meinung, wenn der Unterthan die Frei- 
heit des Aquilibriums oder die des systema optimi hatte (weiter 
haben die Metaphysiker selber keine): so must' er nothwendig 
im Stande sein, Vertrage mit dem Fiirsten zu machen und lezte- 
rer ware wirklich - so wenig es mit aller gesunden Vernunf t der 
grosten Publizisten und Hofleute zu bestehen scheint - zu deren 
Haltung verpflichtet; aber eben mit einem ordentlichen Staats- 
Determinismus , den man voraussezen mus, harmoniret sein Ver- 
trags-Unvermogen schon und das romische Recht fragt dan 
selbst, wie wil ein blosses Ding, das wol keine Person ist, mit 
der grosten, langsten und breitesten Person im Lande etwas pa- 
zisziren und wie ware das nur zu machen? - Obrigens must' es 
mich sehr befremden, wenn man sich einbildete, ich bauete bios 
darauf und auf nichts anderes dieses so erhebliche Majestatsrecht 
des Regenten, sich iiber seine Vertrage mit Unterthan en die 
niizlichsten und haufigsten Dispensazionen und Suspensionen 
zu bewilligen: man traue mir doch zu, daB ich die opera omnia 
des H. Herkommen, die noch nicht einmal alle gedrukt sind und 
welche die Sache ganz und gar zum Vortheil des Fiirsten ent- 
scheiden, meistens und mit dem grosten Scharfsin gelesen. Die- 
ser ungemeine Publizist behauptet aber in prastabilirter Harmo- 
nie mit andern kleinern ganz deutlich, daB, da ein Landesfolger 
das alte Recht hat, auf die Vertrage, Privilegien und Konzessio- 
nen seines Vorfahrers nur dan zuriikzusehen wenn sie mit sei- 
nem Willen harmoniren, sonst aber niemals, daB ihm noch weit 
mehr das Recht zustehen musse, seine eigne zu brechen, deren 
Nuzniesung - die ia eben in nichts anderm als im Halten oder 
Brechen bestehe - ihm als Eigenthumer offenbar anklebe. Da 
iiberhaupt der Konig nach einer richtigen Fikzion nicht stirbt 



WAS FUR SATZE NACH MEINEM TODE 5O7 

und mithin Vor- und Nachfahrer in Einen einschmelzen: so kan 
der Nachfahrer unmoglich seine eigne Vertrage mehr als die sei- 
nes Antezessors, mit dem er ia dieselbe Person ausmacht, zu hal- 
ten brauchen und ich frage hier alte Universitaten und ihre Pro- 
rektors. - Physiologisch gedacht kan uberhaupt gar keinem 
Menschen eine Verbindlichkeit sein Wort zu halten obliegen. 
Denn alle 3 Jahre schiesset (nach Bernoulli) an dem verwitternden 
Korper eines Fiirsten ein neuer an und Hume treibts bei der Seele 
eben so weit und weiter, wenn er sie fur einen ab- und zurinnen- 
den Flus von Erscheinungen erklart. So sehr also der Fiirst im 
Augenblicke des Versprechens an dessen Haltung gekniipfet ist: 
so unmoglich ists, daB ers im zweiten Augenblick darauf noch 
sein konne, wo er sein eigner Nachfahrer ist und wo in der That 
vom versprechenden Wesen nichts mehr da ist als dessen blosser 
Posthumus und Sukzessor. Daraus kan nun, da gliiklichrweise 
niemals in einen und denselben Augenblik zugleich Versprechen 
und Halten hineingehet, zulezt die angenehme Folge herausge- 
bracht werden, daB der wandelbare Mensch gar niemals etwas 
zu halten verbunden sein konne, er mag nun die Kuppel oder der 
Sages pahn eines Thrones sein. Und damit stimmet auch an H6- 
fen sogar der Ekkenbeschlage des Thrones, namlich der Hof- 
leute Betragen hinreichend iiberein. 

Diese magnetische In- und Deklinazion von den Nothwzhv- 
heiten feierlich ratifizirter Vertrage kan sich nicht bios auf 
Unterthanen einschranken, sondern sie mus auch, sobald obige 
Schlusse nicht ganzlich hinken, von Fiirsten gegen Fiirsten gel- 
ten durfen. Und in der That nichts anders sagt uns die Erfahrung 
selbst; und ich hatte deswegen einmal, da ich noch im Kabinette 
arbeitete (fruhmorgends mit dem Flederwisch, nicht mit der Fe- 
der) ein fliegendes Blat unter der leztern, worin ich das Trakta- 
ten-Exordium au nom de la sainte Trinite oder in nomine sanc- 
tissimae et individuae Trinitatis fur die vernichtende Chiffre der 
Gesandten ausgeben wolte; es wurde aber nichts daraus - als ein 
Manuskript. Ich wolte freilich der Welt darin erofnen, der ganze 
Nuzen einer Staatskanzlei und einer Zettelbank lauf e ia eben bios 
darauf hinaus, daB beide solche Papiere zu liefern vermogen, die 



508 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

das ganz reprasentiren und ersezen, was anders gar nicht zu ha- 
ben ware; ich wolte die grosse Welt in einen Winkel zu mir hin- 
pfeifen und ihr rathen, sie soil' es nicht leiden, daB zuweilen der 
machtigste Fiirst sich mit dem Wachs und Siegellak auf seinen 
Vertragen die Hande und Fliigel verklebte und an einander- 
pichte: aber die Welt wust' alles schon seit Jahr und Tag und 
lachte mich von weitem in meinem narrischen Winkel aus. 

Folglich sind nicht die Unterthanen, sondern die Fiirsten Got- 
ter wie zu erweisen war - aber hoffentlich nicht von mir selbst 
sondern eben erst vom sozinianischen Gelde des papistischen 
Magister Masius und von der iuristischen Fakultat und man 
schlage doch nur mein Testament nach. 

Notarius und Zeugen musten ein wenig erschrekken, da ich 
mich im Bette auf einmal halb aufrecht sezte und meinen Blik 
in die Luft hinnagelte als sah' ich Geister einer andern Welt; aber 
etwas anders sind ia auch iene Wahrheiten nicht, die bios in an- 
dern Welten, aber nicht in unserer hausen durfen und durch de- 
ren Anstarrung der Notarius so scheu gemacht wurde, der noch 
nebenher das hiesige Schulmeisterat versieht. Ich wolte aber 
diese sauern Geister (den public spirit sah' ich auch mit darunter) 
wie alte Zauberinnen den Mond auf diese Erde und gerade vor 
die Thronen hm, herniederbannen und befahl dem Notarius, er 
solle eintunken und schreiben, ich legirte iedem Menschen einen 
bessern Strik, einen aus Spinnenseide namlich, der eh' er damit 
gehenkt wurde, in der Valedikzionsrede, die er mit der grosten 
Zensurfreiheit vor dem zuschauenden Auditorio halten diirfe, 
Wahrheiten vorbrachte, deren Eigner gewohnlich nachher todt- 
geschlagen werden; ich wolte solche Galgen-Sprecher an ihrem 
Ehrgeiz gluklich lenken und durch die Rede befeuern, bios von 
ihnen und ihrem hohen Katheder versehe die tiefer stehende 
Welt sich des besten jus publicum; ia ich nante dem Notarius und 
den kiinftigen Galgen-Akzessisten und Strik-Enrolirten einige 
hubsche rousseauische Saze iiber die Freiheit eines Volkes vor 
und sah den Notarius dabei an - aber der hatte bisher bios mich 
angesehen und seine schone Niederschreibungszeit, den befie^ 
derten Arm unniiz in die Luft haltend, mit nichts verbracht als 



WAS FUR SATZE NACH MEINEM TODE 509 

mit Erschrekken, iiber Rousseaus gefahrliche Saze namlich. 
Einige Zeugen brachten mir hoflich bei, ich wurd' es etwan auf 
meinem harten Krankenbet vergessen haben, daB in neuern Zei- 
ten des Bekkaria oder Hommels wegen wenig oder gar nichts 
mehr an den Galgen gestrikt wurde. 

Ich versezte mit erlaubtem Hochmuth: Testirer die sich in ih- 
rem harten Bette halb in die Hohe sezen, urn mit einer Feder- 
zange den reifen Staar aus den Augen der Volker herauszuholen, 
vergessen wenig und desorganisiren alle Organe und ihre eigne; 
die Rede, Herr Notar, ist hier bios von der Rede oder von meh- 
rerern und das Hangen wird sich nachher schon einf inden; einem 
Manne der einmal den menschenfreundlichen Muth besizt, 
meineder halben Welt legirte Wahrheiten als Testamentsexeku- 
tor richtig einzuhandigen, wird es nachher gewis niemals an ei- 
nem eben so guten und seiner werthen Regenten gebrechen, der 
ihn gleich darauf an den Galgen bringen lasset, damit er daran 
als ein hangendes Siegel der Wahrheit lange auf und nieder- 
schwimme und ich wils wenigstens hoffen. Denn es wird doch 
Einen Thomas von Aquino dan noch geben, der eine solche Al- 
bertus Magnus Statue, weil sie spricht (und zwar aus muthrnasli- 
cher Eingebung des bosen und Gemeingeistes) in Trummer 
schlagt und umhakt; und ich werd' es doch nicht (ich wiinsche 
etwas bessers) als zu vortheilhaft von den Grossen gedacht zu- 
ruckzunehmen genothigt sein, wenn ich bisher vollig glaubte 
und liberal sagte, daB sie einen frci rcdenden Mann vielleicht al- 
lemal hoch genug schazen und achten wiirden, um einen solchen 
wenn er auftrate in wenig Tagen - damit er sein elektrisches Licht 
und Feuer besser beisammen behielte - in der Stille auf einen gu- 
ten Isolirschemel (Isolatorium) - ein Gefangnis oder Blutgeriist 
wird ein guter solcher Schemel sein - hinaufzusezen. Aber got- 
lob! Wahrheit, besonders statistische und publizistische ist re- 
gierenden Hauptern und regierenden Lungen und Magen und 
Handen noch nicht so verachtlich und gleichgiiltig geworden, 
daB sie nicht dieselbe wie ein guter Gartner Gewachse, mit 
Schnee und schlechter Erde belegen, versezen, in Schatten riikken 
und von heurigen Knospen saubern solten - welches bios die ein- 



510 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

zigen rechten Mittel sind, beider diesiahrige Fruchttragung zu 
verschieben und deren Friichte einem kiinftigen Fruhiahr (der 
Nachwelt) aufzusparen. Und wurd' ich denn nicht selbst im 
Karlsbade wie ein Hirsch, bei der Ankunft angeblasen (es soke 
bios bedeuten, ich und der Hirsch seien iagdbar) und hatt' ich 
nicht auf ausdriicklichen Befehl eines bohmischen Edelmannes, 
der einen rechtmassigen Stolz auf seinen Stolz hatte und neben 
und auf welchen ich im Brunnenrausche einige republikanische 
Scholien in Rucksicht seinen Sklaven fahren lassen, gleich darauf 
das bekante Gluk, bios deswegen von seinem ausserordentlich 
schonen Bedienten ausserordentlich ausgepriigelt zu werden? 
Und, betrachtet man daB er nichts war als ein boheimischer 
Edelman, that er bei der Sache nicht genug? - 

Allein der arme kaiserliche offentliche Notarius, der noch im- 
mer nichts niedergeschrieben, faste alle diese gefahrliche Erfah- 
rungen und fiskalische Saze so in seiner Seele zusammen und lies 
sie in einen solchen heissen Fokus konvergiren, daB ihn und sein 
Notariatspetschaft der blosse Schrekken zum Fenster hinausgos 
und warf : da die Zeugen nach- und hinaussahen, sas nichts mehr 
von ihm unten auf dem Jvliste da als seine Abdruks-Paste. Nun 
mus alles andere und selbst das Testiren ausgesezet werden, da- 
mit nur das Publikum sogleich abgespeiset und befriedigt wird, 
das (merk' ich) darauf beharren wil, ich sol ihm ein gewisses 
Zwischengericht und hors d'oeuvre dieses Aufsazes nicht neh- 
men, das ich betitle: »den Notar auf dem Mist nebst den erhebli- 
chen Folgen.« Das Zwischengericht kan freilich zu nichts die- 
nen; aber hier bring' ichs, weil man so sehr darnach fangt. Der 
Notarius wurde von seinem Schrekken ohne Miihe aufs Fenster 
hinaufgehezt, wo er hatte stehen bleiben konnen wenn er sich 
bios hatte umsehen wollen. Aber er that einen langen Schrit in 
die nakte Luft und schikte ihn mit der Oberfracht seines obern 
Korpers beladen vor seinen Schwerpunkt voraus; dadurch ge- 
wan er ohne Zeitverlust den Vortheil, daB er selbst als die Zunge 
der Wage iiber den Fensterstok hinausschlug und so dem niedri- 
gen Possirstuhle unter ihm (es wird damit der Dunghaufen ge- 
meint) leichtbegegnenkonte. Das erste was dieser geschikte fal- 



WAS FUR SATZE NACH MEINEM TODE 5 1 1 

lende Artist nach seiner Ankunft da thun konte und muste, war 
daB er sein Gesicht als einen Pragstok und als eine plastische 
Form ansah und damit sein Bild in vertiefter Arbeit mat in den 
Dunger formte; auf lezterm lagen seine Finger als arbeitende 
Poussirgriffel und kopierten sich selbst und mit seinem Notari- 
atspetschaft kontrasignirte er aus Zufal den ganzen Vorfal. Die- 
ser Notarius hatte wie ein Pfalzgraf sonach leicht einen zweiten 
kreiert; aber er lies von Konnotarius und das ganze Naturspiel 
liegen und daehte im Heimgehen an andere Sachen. Aber ich 
hingegen - indem dieser zweite ausserliche Mensch von ihm 
noch immer ausgestrekt auf dem anatomischen Theater lag und 
mit Massen roch - sah dabei oft zum Fenster hinaus und sagte 
zu den Leuten die vorbeigiengen herunter: »da der hiesige Notar 
nicht mit seinem Petschaf t meinen lezten ' aber freien Willen 
untersiegeln wollen: so hab' ich mit seinem eignen Leibe ge- 
siegelt und hier unten liegt der ganze Abdruk. « 

Ausser der Existenz des Teufels steht keine auf diinnern Fus- 
sen als eines Autors d. i. Buches seine und das Publikum halt 
seine Schriften fur eben soviele Beleidigungen, die es wie ein 
Christ ganzlich zu vergessen habe. Aber uns argert diese Amne- 
stie ganz besonders. Es ware Autoren lieb, wenn es konte an die 
Kirchthure angeschlagen, von der Kanzel, vom Chore abgele- 
sen, von dem Nachtwachter ausgerufen und vom Stummenin- 
stitute und von der Heroldskanzlei bekant gemacht werden, daB 
sie einige Druckbogen neuerlich geschrieben. Ich suche die 
Hauptursache darin, daB sie insgesamt kein solches seltsames 
Testament gemacht wie ich. Denn in diesem wil und verordne 
ich, daB samtliche 300 Buchhandler auf den Leipziger Messen 
gerade eh' sie den gewohnlichen Schmaus zu essen beginnen (es 
kan daftir das Tischgebet wegbleiben) in einer Rede, von der ei- 
ner nach dem andern einige Perioden halt*, Abwesenden und 
Gegenwartigen so viel mit wahrem Scharfsinne beweisen, daB 

* Ich kan nicht anders als vermuthen daB ich diese narrische Klausul 
aus dem Dresdner Konsistorium geborgt, vor dem allemal die ganze 
Kongregazion von Kandidaten an einer und derselben Probepredigt her- 



512 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

ein Buch von mir »Auswahl aus des Teufels Papieren 1789 « wirk- 
lich und offenbar existiere; sie sollen alle in dieser halb lacherli- 
chen Kasualrede, auf vollige Laugner dieser Existenz hinlanglich 
schimpfen und solche mir verhaste Nonkonformisten und Sepa- 
ratisten ohne Scheu fragen, ob sie denn gar vollig des Teufels 
und besessen waren, urn troz dem Zuruf ihrer fiinf Sinne, doch 
verstokterweise nicht an das Dasein eines Buches zu glauben, das 
man eben existierend unter der Gesellschaft herumbiete. Und 
deswegen sol noch heute ein Exemplar davon nach Leipzig ge- 
schaft werden. Fur eine so ausserordentliche Gefalligkeit ists 
nicht zuviel, wenn ich der beweisenden Korporazion in meinem 
lezten Willen das Rezept aller giftigen Spezies zu einem Mause- 
gift nachlasse, an dem ieder Raubfisch von Nachdrukker unfehl- 
bar verrekket. Ich weis so gut wie ein Buchhandler, wie mis- 
trauisch man gegen solche Spezies zu sein habe und ich hatt' es 
voraussagen wollen, daft* kein einziger Nachdrukker am Spies- 
glase der bisherigen Verbaliniurien und Bucherprivilegien ab- 
stehen und plazen wiirde, wie ia bekantermassen Spiesglas das 
Schwein vielmehr fetter macht; allein man schuttejhm ein einzi- 
ges Pfefferkorn vor, das keinem Menschen schadet, so wird es 
das Schwein hinrichten - und so weis ich alle Novitaten (wie 
sonst Briefe) auf eine solche Weise zu vergiften, da6 der Nach- 
drukker wenn er sie nur kollazionirt, schon in 3 Terzien ausfun- 
kelt und umsinkt und eingegraben werden mus. Dem Buch- 
handler aber ist eine solche Novitat vielmehr ganz gesund. 
Ausser den Nachdrukkern sterben auch die Mausse an diesem 
Gifte hin, die den Zahn der Zeit oder der Rezensenten in ihre 
Kinlade eingesezt haben, um damit Buchhandler und Autoren 
aufzufressen. 

Was die Rezensionen des Buches anlangt, so gereicht es zu 
meinem Vergniigen, wenn ich eine gewisse in meiner Familie 
albekante Anekdote hier ausbringen darf, daB ein paar Rezen- 

umpredigt - ein paar machen sich an den Eingang dieser Gesamtpredigt, 
ein dritter bringts zum ersten Theil, sein Nachfahrer zum zweiten und 
so fort bis endlich der lezte redende Mitbelehnte sich und die Nuzan- 
wendung hinten anschliesset. 



WAS FUR SAZE NACH MEINEM TODE 5 13 

senten (Hoppedizel schrieb sich einer) , die ich bei meinem Ge- 
burtsf este mit hatte und denen ich eine kleine Mandeltorte vor- 
sezte, auf der mein ganzer Name (J. P. F. Hasus) mit Typen von 
Mandeln in erhabner Schrift herumgesaet zu lesen und zu essen 
war, sich ein besonderes Verdienst daraus machten, mir und an- 
dern zu versichern, ich hatte mir allerdings schon einen Namen 
gemacht und einen beliebten dazu, von dem hochstens noch zu 
wiinschen ware, (hier hatten sie bis ins us fortgebissen) er ware 
noch viel langer. 

Unter dem Testiren hielt ich bei den Zeugen zu wiederholten 
malen an, mit mir (wie Zeugen pflegen) verschiedene Worte zu 
wechseln, damit sie selber sahen ob der Testirer noch seiner Sin- 
nen machtig ware oder nicht. Da sie nun nach allem Reden nichts 
bei mir verspiiren konten als reine Vernunft und praktische; und 
da auch der Leser wie man erwartet in diesem Aufsaze auf nichts 
anders stossen kan: so wird sich hoffentlich mein lezter Wille von 
einem furstlichen lezten (oder auch guten) Willen dadurch 
unterscheiden, daB man ihn befolgt, ob gleich meine ganze Fa- 
milie dabei aus Geiz den Teufel im Leibe haben wird. 

J. P. F. Hasus 

Ware der Notarius nicht davongelaufen: so hatt* er noch dazuse- 
zen konnen: »wenn dieses Testament nicht gelten kan als ein 
zierliches Testament: 'so sol es doch gelten als ein Kodizil, Fidei- 
kommiB, donatio mortis caussa, oder auf eine andere Art wie es 
nur immer gelten kan und wiL« 



[MEINE UBERZEUGUNG, DASS ICH TODT BIN] 

I. Kapitel 

Karakter und Krankheit des Defunktus 

Es war mir gar nicht moglich, bevor das Getose des Leichen- 
kondukts und der Lakaien-Kondolenzen ausgeklungen und eh' 
ich die unsaglich vielen Trauernotifikazionsbriefe von meinem 
Tode an meine Sipschaft herumgeschrieben, bequem etwas 
wichtigers zu schreiben und dem europaischen Publikum hin- 
langliche Nachrichten von meinem Tode und Begrabnis vorzu- 
sezen; iezt aber ist der ganze Monat September zu dieser Be- 
schreibung ausdriiklich bestimt und ich habe mir vorgenom- 
men, nicht eher vom Kriipelstuhle aufzustehen bis ein so 
ausserordentlicher Vorfal der Welt anmuthig erzahlet ist. In 
meinen Augen ist es etwas ganz unerhortes, daB ein Todter ein- 
tunkt und Bucher macht und mit Lebendigen, besonders mit be- 
ruhmten Buchhandlern noch soviel Verkehr treibet als war' er 
noch warm; und das 18 Jahrhundert, das an seiner Hand solche 
Kinder in die Ewigkeit mitbrachte wie den Friedrich II und die 
aus der babylonischen Gefangenschaft zuriikkehrende Pariser, 
scheinet mich zulezt gezeugt zu haben - ich sol die Finalkadenz 
und [der] Endtriller dieses Sakul sein. Ich sehe daher recht gut 
ein, wie viel alien gelehrten Generazionen daran liegt, daB der 
Historiograph mit einer fast ekelhaften Kurialpunktlichkeit die 
ganze Geschichte und alles, was noch daran angeflogen, Glied 
fur Glied vor dem Leser auspakke und hinlege, weil sonst viele 
Fakultisten samt Pedellen nicht wissen woran sie eigentlich 
sind. 

Ich wurde wie ganz wol bekant in Wonsiedel geboren, an alien 
Orten erzogen, desgleichen auf der Universitat Leipzig imma- 
trikulirt und zulezt Subkonquintus in Hof , wo ich gar verstarb, 



MEINE UBERZEUGUNG, DASS ICH TOT BIN 5 1 5 

wie im ledernen Kirchenbuch viel weitlauftiger zu lesen. Am al- 
lerweitlauftigsten ists aber zu lesen im curriculo vitae oder Le- 
benslauf von mir, den ich dem Bay(reuther) Konsistorium 
durchaus zuschikken muste, um predigen zu diirfen. Ich schnit 
ein graues Blat aus meines Vaters alter Bibel, worauf er (wie vor 
ioo Jahren die fromsten Fiirsten) die ganze Chronologie meiner 
Person und fromme [?] Wiinsche fur die lezte und die Verwun- 
derung hineingeschrieben hatte, daB ich bei der Geburt nicht 
verniinftiger ausgesehen als ich aussah. Das amputirte Blat legt 
ich zum curriculo und ich sprach schriftlich mit dem Konsisto- 
rium aus der ganzen Sache: »ich zog mit Fleis und aus recht 
gut(er) Absicht auf der Universitat bei iemand zu Miethe, damit 
ich, wenn ich einmal (durch eine ganze Generazion und Winter- 
saat von zwingenden Umstanden) Domher werden soke und 
mithin das Zeugnis eines Hauswirths aufbringen muste, daB ich 
drei Jahre vor Anker gelegen, doch vor alien Dingen nur den 
Hauswirth s(elber) aufzuzeigen hatte; fur das Zeugnis, sah ich, 
hatte bios erzusorgen. . . . Merkwurdig kan einem hochpreisli- 
chen Konsistorium vorkommen, daB ich ausserordentlich viel 
gelernt, aber nicht eher als bis ich vom Orte weg war, wo es ge- 
lehret wurde, welches mir iezt iederman nachthun wiL In se- 
cunda classe legt ich mich mit einigem Gliikke auf das was in der 
tertia zu lernen war und als Primaner that ich der Pflicht eines 
Sekundaners vielleicht einige Geniige. Ich darf vielleicht versi- 
chern, meine akademische Olympiade nicht unthatig verbracht 
sondern da alle die Kenntnisse eingeschopft zu haben, die ein 
Burger der obersten Schulklasse durchaus haben mus und so 
warf ich mich, da meine akademische Kapitulazion verstrichen 
war, iiber die Wissenschaften freudigher, die wahrend derselben 
zu treiben sind. Und so wil meine Eigenliebe mich bereden, daB 
ich vielleicht zu iedem Amte, das der Staat mir zu bekleiden 
gabe, tuchtig [zu] machen sein wiirde, sobald mir ein weit hohe- 
res, das mehr Tauglichkeit foderte, beschieden ware.« In der 
That sieht der menschliche Verstand so viel, daB mir zu den 
Kenntnissen eines Subkonquintus nichts fehlte als die S telle eines 
Gymnasiarchen oder Edukazionsraths oder Inspektors der 



516 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

Schule; aber wie gesagt ich brachte es von der Subkonquintur 
nicht einmal zur Quintur. - 

Ich hoffe hier Stadt und Land ganzlich zu befriedigen, die wis- 
sen wollen warum mich die wahre Hypochondrie befiel und ich 
furchte, die ganze medizinische Fakultat passet darauf, ob ich 
stolpere. Ich hatte einmal vor, am Gregorstag eine Schulkomo- 
die mit meinen Scholaren zu geben und s(elbst) einen Doktor zu 
machen und darin von der Hypochondrie das zu sagen was hier 
folget: die algemeine Nervenschwache, die uns vielleicht noch 
besser als die medizinische Polizei gegen die Pest bewacht und 
die den Blattern und der Luf tseuche einen Theil ihres ersten Gifts 
genommen und die uns dafur moralische Krankheiten, die 
Spriinge der Phantasie, Aberglaube inokulirte, macht sich na- 
turlicherweise auch an mich; aber ohne besondern Erfolg. Der 
Hypochondrist glaubt eine volstandige Pathologie zu sein, aber 
lacht diese Pathologie nicht aus: er hat halb Recht, denn die 
Symptomen aller Krankheiten fuhlt er; er hat halb Unrecht, 
denn die Hypochondrie hat eben alle Symptomen. Intermitti- 
render Puis wie einer mit einem Herzpolyp; Fieberfrost; Stam- 
meln; - Ein Kandidat der Medizin, der nichts verstande, wiirde 
in einem halben Jahre ein halber Tissot sein, wenn man ihm die 
Krankheiten, woruber dieser geschrieben, einzuimpfen ver- 
stande. Und so werden die Menschen zu den Wissenschaften er- 
zogen: der Kapitalist wird in dem Titel de actionibus fest, einer 
der viel Schulden hat wird [es] in dem gleich darauf folgenden de 
exceptionibus; die Theorie der Luftseuche ist den vornehrnsten 
Personen bekant; - 



VIERZIGTAGS-BLAT 1 



Den ii Nov. [1789] 

»Ich war anfangs nicht willens, das heutige Program (den 
Komodienzettel des iezigen Schuldrama) mit einem Vierzig- 
tags-Blat anzukiindigen; theils weil es meine eingeschrankte Zeit 
nicht wol gestatten, theils weil ich den Drillingslesern die Lang- 
weile vermindern wolte. Allein da sie selbst den Wunsch dar- 
nach ausserten so entschlos ich mich noch eine Viertelstunde vor 
(wenn nicht in) dem Aktus meinen (zuerst gefasten) Vorsaz zu 
andern und ihren (schmeichelhaften) Wunsch zu erfullen. Ich 
wahlte hiezu eine (Krankheits) Materie, die nicht neu abgehan- 
delt worden ist sondern schon oft. Keiner von den 3 billigen Le- 

1 [Be2ieht sich auf ein Hofer Schulprogramm, das im folgenden mit 
Auslassung dcr zum Verstandnis nicht notwendigen Absatze wiederge- 
geben wird. Jean Paul hat die Stellen, auf die er sich bezieht, auBer durch 
die Seitenzahlen noch durch an den Rand gesetzte lateinische Buchstaben 
gekennzeichnet.] 

Zu der bffentlichen Redeubung, welche der feierlichen Emeuerung des An- 
denkens der durch den sel. D. Martin Luther bewirkten Reformation gewidmet 
ist, ladet alle Beschutzer, Gonner und Liebhaber der Wissenschaften auf den 
11. November des ijSgsten Jahres in das Hochfurstliche Gymnasium ehrerbie- 
tig undgeziemend ein Johann Sophian Samuel Rennebaum, des Gymnasiums 
Konrektor. Hof, gedruckt mit Hetschelischen Schriften. 

[3] Ich war anfangs nicht Willens, die heutige Redeiibung mit einem 
Programm anzukiindigen: theils weil es meine eingeschrankte Zeit nicht 
wohl gestatten, theils weil ich den Peroranten die Kosten vermindern 
wollte. Allein da sie selbst den Wunsch darnach auiterten: so entschloB 
ich mich noch kurz vor dem Aktus, meinen zuerst gefaBten Vorsatz zu 
andern, und ihren Wunsch zu erfullen. Ich wahlte hiezu eine Materie, 
die nicht neu, sondern schon oft abgehandelt worden ist. Kein billiger 
Leser wird daher in Riicksicht theils auf die Bes chaff enheit derselben, 
theils auf die Kiirze der Zeit etwas vorziigliches, noch weniger etwas 



518 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

sern wird daher - inclus. bis zu den Worten »Vorurtheil zu be- 
nehmen.« Ich wil namlich von der Unwichtigkeit derer 
Schriften handeln, die in den Schulen unter dem Namen Schul- 
programmen und Schulreden gelesen werden.« 

Ich wil aber warlich nicht davon handeln, sondern mein 
Lese-Mikrokosmus sols in seinem eignen Kopfe; dieser sol den 
Zizero mit dem Sophian Samuel, des einen Konsulat mit des lez- 
tern Schularistokratie, des einen Stand p. mit des andern Stand 
zusammenhalten und selbst entscheiden, ob Zizero nicht viel- 
leicht besser geschrieben als Rennebaum. Ich wil bios weniger 
Noten als Text machen (im Gegensaz des Scholiasten der XXger 
Union) und ich hoffe, die Glosse sol wie beim romischen Recht 
mehr gelten als der Text. 

S. 4. A. Viele glauben namlich, Thuzydides, Zizero p. hatten 
irire Werke als Martinipro gramme kurz vor den Schulaktussen 
geschrieben; Rennebaum zeigt aber ganz gut, wie die Sache war 
- Zizeros Reden ausgenommen. 

S. 4. B. Auf diesem Finkenkloben, den der Konrektor zum 
Schulfenster hinaushalt, wird er sicher den Verfasser »der Aus- 
wahl aus Teuf. p.« bei den Fiissen fangen und ich wiinschte 
langst, Sophiam Samuel mochte dem besagten Verf. an meiner 
stat eine Haut- und Haarstrafe anthun. Die ganze Welt be- 
merke, wie der Programmatiker so leicht den Pelzstiefel mit 

neues erwarten. Meine Absicht ist, was andere davon weitlaufiger, 
griindlicher und nachdriicklicher gesagt haben,hier auf wenigen Seiten 
zusammenzudrangen, urn jungen Studierenden das, was sie ofters zer- 
streut entweder gehort oder gelesen haben, kiirzlich im Zusammenhang 
vorzulegen; und etwa auch manchem nicht wohl unterrichteten, wo 
moglich, ein und das andere Vorurtheil zu benehmen. 

Ich will nehmlich von der Wichtigkeit derer Schriften handeln, welche 
in den Schulen unter dem Namen der Schulautoren gelesen werden. 

[4] ... So groB der Werth der so genannten Schulautoren ist, und so 
grofie Achtung sie daher mit vollkommenem Rechte verdienen: so sehr 
werden sie doch von Unkundigen gering geschatzt. Eine der vornehm- 
sten Ursachen davon ist ohne Zweifel diese, dafl sich viele von den Ver- 
fassern derselben ganz unrichtige und zu niedrige Vorstellungen ma- 



VIER2IGTAGS-BLATT 5 *9 

dem komischen Sokkus vertauscht - so wahr ist Sulzers Rede, 
daB ernsthafte Leute am besten spassen. 

S. 4. C. Auf dieser Zeile uberzieht der Synchronolog den 
magern zu einer arabischen Wurzel eingedof ten Rektor mit dem 
Frosch und Mausekrieg und dem Rektor ist nicht zu hel- 
fen. 

S. 5. D. »Wenn man hort daB der Verfasser eines Buchs ein 
Schulman ist; so macht uns dies darauf aufmerksamer, man er- 
wartet etwas sehr Erbarmliches, etwas seinem niedrigen Stande 
angemessenes. Denn es ist nicht zu vermuthen, daB er nach sei- 
nen hohen Begriffen von sich etwas Gutes oder nur Mittelmas- 
sig[es] der Welt werde vorgelegt und seine Schande in Gefahr 
gesezt haben.« 

S. 7. E. »Daher glaubt auch der Komponist dieser Aktus-Ou- 

chen. Man glaubt nehmlich, daB sie, wie die meisten heutigen 
Schriftsteller, entweder aus Pflicht, weil es ihr Amt, und oft eine be- 
stimmte Zeit mit sich brachte, ihre Schrif ten verfertigt hatten; oder aus 
Noth, um sich bei einer meist unreifen Gelehrsamkeit mit Biicherschrei- B 
ben ihren Unterhalt zu erwerben; oder aus eitler Ruhmbegierde, um sich C 
nicht selten mit Verabsaurnung mancher groBerer Pflichten einen ge- 
lehrten Namen zu verschaffen, auch wohl vor der Zeit, oder der Minerva 
zum Trotz zu erzwingen. Ja man setzet sie oft nicht einmal mit den heu- 
tigen Schriftstellern in eine Klasse; sondern meinet, daB sie von geringe- 
rem Stande, als diese, gewesen waren. Zwar gebe ich gerne zu, daB Ver- 
stand und Gelehrsamkeit sich nicht nach dem Stande der Menschen 
richtet. Denn Gott hat, wie dieErfahrung lehret, mit wohlthatiger Hand 
die Gaben des Geistes unter alle, auch die niedrigsten Stande gleich aus- 
getheilt. Doch wenn [5] man hort, daB der Verfasser eines Buchs ein D 
vornehmer und weit iiber unsern Stand erhabener Mann ist; so macht 
uns dieB auf sein Buch aufmerksamer, man erwartet etwas vorzugliches, 
etwas seinem hohen Stande angemessenes. Denn es ist nicht zu vermu- 
then, daB er, nach seinen hohen Begriffen von sich, etwas schlechtes oder 
nur mittelmaBiges der Welt werde vorgeleget, und seiner Ehre in Gefahr 
gesezet haben ... 

[6] Der groBe Geist der Griechen und Romer, ihrer tiefen Einsichten 
in alle Theile der damaligen Gelehrsamkeit, die Meisterstiicke der 
Dichtkunst, Geschichte, Beredsamkeit, welche wir ihnen zu danken ha- 



520 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

vertiire bis auf den heutigen Martini Tag, dan erst etwas vor- 
trefliches im deutschen Styl geliefert zu haben, wenn es die grie- 
chischen und lateinischen Meisterstucke ich wil nicht sagen 
iibertraf oder erreichte, sondern so nahe einholte, daB man die 
ganze lateinische Konstrukzion, in der deutschen merken 
konte. « 

S. 7. F. » Werden Kluge glauben, daB die alten Autoren so gut 
sind? Und werden sie wol glauben, daB manche glauben, daB 
diese Autoren nicht so gut sind?« Periodus adversativa. Diesen 
Widerspruch kan der Spitalpfarrer bios mit den Rechtswohltha- 
ten der Ordinazion entschuldigen. 

Der Bogen B. ist besser wegen der Beredsamkeit und des 
Schreibpapiers, worauf sie steht. 

S. 9. Wie iene schlos, diese Stadt ist die groste in der Welt, 
meine Stube die groste in der Stadt, ich die schonste in meiner 
Stube, also pp. Wenn ich Voltaire ware: so wiird ich an den vori- 

ben, fodern uns nicht weniger auf, ihnen in dieser Riicksicht unsere 
ganze Hochachtung und Bewunderung zu widmen. Bis auf den heutigen 
Tag hat noch Niemand diesen beiden Volkern einen groBen Verstand 
und [7] eine weit ausgebreitete Gelehrsamkeit abgesprochen. Und wer 
konnte es audi thun, ohne eine groBe Unwissenheit zu verrathen? Denn 
sie, besonders die Griechen, waren bekanntlich die Nationen der alten 
Welt, welche die gelehrten und tiefsinnigen Kenntnisse, und vorziiglich 
die schonen Kiinste und Wissenschaften nicht nur groBtentheils erfan- 
den, sondern auch auf eine hohe Stufe der Vollkommenheit brachten. 
Daher glaubten auch die Gelehrten aller nachfolgenden Jahrhunderte bis - 
auf den heutigen Tag, dann erst etwas vortrefliches in diesen letzten 
geliefert zu haben, wen es die Meisterstucke der Alten, ich will nicht sa- 
gen, iibertraf oder erreichte, sondern ihnen nur nahekam. Wer kann also, 
wenn er Billigkeit im Urtheilen beobachtet, wenn er Verstand und Ge- 
lehrsamkeit nur einigermaBen schatzet, diesen beiden Volkern, und be- 
sonders denen unter ihnen seine innige Hochachtung versagen, welchen 
die Welt so viele Kiinste und Wissenschaften zu danken hat? Wer sollte 
sie nicht fiir groBe und bewundernswiirdige Manner haken? 

Allein wird es nun Personen, welche in diesen Sachen unerfahren und 
doch von guter Beurtheilungskraft sind, glaublich vorkommen, daB. 
diese groBe Gelehrsamkeit, diese schonen Kiinste und Wissenschaften, 



VIERZIGTAGS-BLATT 52 1 

gen Konig in Preussen schreiben und sagen: »Das Konsulat Ew. 
Maj. holet vielleicht das Zizeronianische dadurch ein, daB es lan- 
ger als i Jahr dauert, da8 Ew. Maj. 3 / 3 zu befehlen haben undZi- 
zero V 3 , und uber Ihre Prokonsuls, daB Sieeinen Staaterstkreirt 
diese Meisterstiicke des Verstandes und Witzes in denen Schriften zu fin- 
den sind, die man mit dem Namen der Schulautoren benennt? Wird es 
ihnen glaublich vorkommen, daB viele in der Meinung stehen, diese Bii- 
cher waren bloB fiir Knaben und Jiinglinge auf Schulen geschrieben, um 
daraus hochstens etwas Lateinisches und Griechisches zu lernen; und daB 
nicht nur Ungelehrte, sondern auch Gelehrte bei aller MuBe die Zeit fiir 
verloren haltcn, die sie auBer den Schuljahren, ja die sogar auch Jiing- 
linge auf Schulen und Universitaten darauf wenden? . . . 

[8] Es sei mir erlaubt, besonders am Cicero, dessen Schriften vorziig- 
lich auf alien Schulen gelesen werden, noch kiirzlich zu zeigen, was fiir 
Begriffe von ihm und seinen Schriften sich Jiinglinge zu machen haben. 
Er stammte von einem nicht vornehmen und nicht reichen Romischen 
Geschlechte ab, schwang sich aber durch seinen ungemein groBen Ver- 
stand, seine seltene Gerechtigkeits- und Volks-Liebe, seine tiefe Staats- 
klugheit, seine fast mehr als menschliche Beredsamkeit nach und nach 
durch die vornehmsten Ehrenstellen bis zur hochsten Wiirde, zur Wiir- 
[9]de eines jahrlichen Regenten des Romischen Reiches, einer Wiirde, 
mit der nur die Wiirde der groBesten Monarchen in Europa verglichen 
werden darf . Denn das Romische Reich beherrschte damals den reich- 
sten und fruchtbarsten Theil der bekannten Welt, aus dem in der Folge 
viel, zum Theil machtige Reiche entstanden, als Portugal, Spanien, das 
siidliche Frankreich, Italien, die europaische Tiirkei fast bis" an die Do- 
nau, Asien bis an den Euphrat, ein groBer Theil von Nordafrika, und 
alle Inseln des mittellandischen Meeres. Und ich werde mich nicht irren, 
wenn ich die GroBe dieses Reiches zu Ciceros Zeiten auf 50 bis 60000 
(in der Folge auf 90 bis 100 000) Quadrat-Meilen, und die Anzahl der 
Einwohner auf 100 Millionen schatze. Der Regent eines so groBen Rei- 
ches , dem an wahrer Macht und Starke kein heutiges Reich auf dem gan- 
zenErdbodengleichkommt, war Marcus Tullius Cicero. Er fuhrte diese 
seine jahrige Regierung (um von seinen anderen Staatsverrichtungen zu 
schweigen) mit solchem Muthe, mit solcher Standhaftigkeit und Weis- 
heit, besonders bei der furchterlichsten Verschworung, die seit Roms 
Erbauung zu dessen volligem Untergange angelegt worden war, daB er 
unter alien Wohlthatern Roms vorziiglich der Vater und Erretter des 
Vaterlandes genennet wurde, und ihm ganz unerhorte Ehrenbezeugun- 



522 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

und konservirt, den Zizero bios konservirte - und daB Sie den 
Zasar auslachen der den Zizero auslachte.« Ubrigens hat der 
Adoptivsohn des redenden Vater des Vaterlands und der officia 
vielleicht soviel wahren Muth wie sein Adoptivvater. 

gen wiederfuhren. Denn er wurde z. B . , als er hernach, nach einiger Ab- 
wesenheit von Italien, dahin zuruckkehrte, nicht nur von den Einwoh- 
nern der Hauptstadt, sondern auch von den Vornehmsten und einer 
unbeschreiblichen Menge Volks aus ganz Italien unter dem lautesten Ju- 
belgeschrei eingeholet, und nach Rom begleitet. 

So groB und ehrwiirdig auch Cicero als Regent und Staatsmann war: 
so zieht er dpch als Gelehrter noch weit mehr unsere Bewunderung auf 
sich. Denn ob ihn gleich selbst die Romer fur den kliigsten Staatsmann 
hielten, den Rom je gesehen hatte: so konnte man ihm [10] doch nach 
meiner Einsicht einige an die Seite setzen. Aber als Gelehrter hat er nicht 
nur unter den Romern, sondern auch unter den Griechen keinen seines 
Gleichen gehabt: wenn man die GroBe seines Verstandes, die Menge der 
Wissenschaften, die er nicht oberflachlich betrachtete, sondern tief er- 
forschte, die Starke seiner Beredsamkeit und Schonheit seiner Schreibart 
in alien Arten seines Vortrags in Betrachtung zieht; und zugleich die 
Menge und Wichtigkeit der Staatsgeschafte erwagt, die er als Quastor 
in Sicilien, als Aedilis, als Prator, als Consul, als Statthalter in Cilicien 
und Cypern, als bestandiges und gewichtvolles Mrtglied des Senats und 
als Beschutzer so vieler Clienten abzuwarten hatte. Es gab keine Wissen- 
schaft, die er nicht erlernet, und zwar so erlernet hatte, daB er iiber viele, 
musterhafte Bucher schreiben konnte; keine Geschichte, die er sich 
nicht bekannt gemacht; keine Schule der alten Philosophic, deren vor- 
zuglichsten Bucher er nicht studieret; keinen vortref lichen Dichter^ den 
er nicht gelesen; kurz nichts von dem, was Griechenland und Italien vor 
ihm Tiefsinniges, Griindliches und Schones geliefert, das er sich nicht 
eigen gemacht hatte. Insbesondere war seine Beredsamkeit so groB, daB 
ihm und dem Demosthenes bei zweitausend Jahren die ganze Welt ein- 
stimmig und ohne Widerspruch den PreiB der groBten Redner unter den 
Sterblichen zuerkannt hat. In seiner Schreibart vereinigte er auf eine be- 
wunderungswurdige Weise alle Vollkommenheiten, die alien Meistern 
der Schreibart vor ihm einzeln eigen waren. Er besaB die Starke, das 
Feuer und Erhabene des Demosthenes, den Reichthum und das Blii- 
hende des Plato, das Feine und Sanfte des Xenophon, die Kunst, den 
Wohlklang und die Annehmlichkeit des Isokrates. Seine Kunst, iiber 



VIERZIGTAGS-BLATT 523 

S. io. Der leibhafte Peuzer! Ich wiinschte nichts als mein Ge- 
dachtnis und dieses Kreditiv des Zizero, namlich das Pro- und 
Anagramma so lange zu behalten bis ich tod ware, bios urns im 
Himmel dem alten dekollirten Landsvater zu zeigen und da- 
durch zwischen ihm und seinem ihn vertirenden nun ordinirten 
Stipendiaten, dem Spitalpfarrer, eine ewige Feindschaft anzu- 
stiften. Die schwarze Kunst des Zizero, »in scherzhaften Fallen 
ungemein munter und wizig zu scherzen und von niedrigen Ge- 

dunkle Sachen Licht und Deutlichkeit, iiber spitzfindige und trockene 
Annehmlichkeit und Reichthum zu verbreiten, verdrieBliche und ver- 
haBte angenehm und wiinschenswerth, die bekanntesten neu, einerlei 
Sachen unzahligemal anders, gemeine wiirdig und edel vorzustellen, 
von hohen Gegenstanden erhaben, von niedrigen in einer ihnen [11] an- 
gemessenen simplen Schreibart zu reden; in scherzhaften Fallen unge- 
mein munter und witzig zu scherzen; seine Fertigkeit, eben so vortreflich 
in Briefen, in Erzahlungen und in dogmatischen Materien als in Reden 
zu schreiben; alles dieses macht, daft man des Cicero Schreibart als ein 
vollkommenes Muster der Schreibart aufstellen kann, und daB sie daher 
auch als ein solches seit i8ooJahren fast allgemein angepriesen und nach- 
geahmt worden ist, welcher Ehre sich nochkein Schrifts teller der ganzen 
Welt bis auf den heutigen Tag ruhmen konnte. — Wo ich nicht gestehen 
wollte, dan dieB alles etwas bewundernswiirdiges und auBerordentliches 
ist, und daB ich kaum begreife, wie es der Verstand eines Menschen fas- 
sen konnte: so wiirde ich mir Gewalt anthun mussen. Werd' ich mich 
daher wohl irren, wenn ich behaupte, daB diesem erhabenen Geiste nicht 
viele, auch unter den groBten Mannern, die jemals gelebt an die Seite ge- 
setzt werden konnen? Und wir wollten im Ernste vorgeben, daB die 
Schriften eines so auBerordentlichen Mannes; die Schriften, in denen er 
alle diese bewundernswiirdigen Eigenschaften ausgedriickt hat, nur von 
Schulern, undzwarbloB zur Erlernung lateinischer Worter und Redens- 
arten gelesen zu werden verdienen? 

Hatte der Konig von PreuBen, Friedrich der Zweite, seinen groBen 
und zu allem f ahigen Geist von Kindheit an auf alle schone und ernsthaf te 
Wissenschaften gerichtet, wie er es denn gethan, und in vielen sehr hoch 
gebracht hat; hatte er alles gelesen, was in alien Sprachen aller gesitteten 
Volker Schones, Erhabenes, und Tiefsinniges geschrieben ist; hatte er 
insbesondere auf die Beredsamkeit soviel FleiB gewendet, daB er ihr al- 
lein die ganze Zeit, wie Cicero, gewidmet zu haben geschienen hatte; 



524 JUGENDWERKE ■ 5/ABTEILUNG 

genstanden in einer ihnen angemessenen Schreibart zu reden« 
wiirden dan Seraphim und Patriarchen am gegenwartigen Mar- 
morblok geiibet genug sehen. 

S. 12. Wenn das nicht reiner lateinischer und fast zizeroniani- 
scher Styl ist, von alien Germanismen gesaubert; und wenn ein 
Rezensent solche rednerische Figuren nicht fur zierliches Tatto- 

hatte er dann mit diesen gelehrten Kenntnissen seine so groBe Erfahrung 
in den Staats-, Kriegs- und Regierungs-Geschaften ver-[i2]bunden und 
endlich dieB alles, so wie z. B. viele Gedichte und einige Theile seiner 
Geschichte, in schriftlichen Denckmalen aufgezeichnet der Welt hinter- 
lassen; und nun bezeugten alle Kenner, daB es vortrefliche, daB es un- 
nachahmliche Schriften waren: was wiirde man von dein denken, der 
doch vorgabe, daB sie nicht mehr werth waren, als sie Schiilern zur Er- 
lernung franzosischer Worter und Redensarten zu uberlassen; und daB 
sie nicht viel mehr von alien denen gelesen zu werden verdienten, die 
nicht nur Meister in der Regierungs-, Staats- und Kriegs- Wissenschaft, 
sondern auch in der Gelehrsamkeit und im feinen Geschmacke werden 
wollen? - Es sei feme von mir, den hohen Ruhm dieses Konigs verrin- 
gern zu wollen, wenn ich sage, daB die eben so uniiberlegt handeln, wel- 
che Ciceros Biicher bloB fur Schulbucher halten. Denn es kann vielleicht 
kein Mensch mehr Bewunderung der natiirlichen Geistesgaben dieses 
Koniges besitzen, als ich. Denn er hat an Einsicht, die er in die angeneh- 
men und tiefsinnigen Wissenschaften besaB; an Thaten, die er im Kriege 
verrichtete; an Weisheit, mit der er seine Lander beherrschte; an Schnel- 
ligkeit des Verstandes, womit er auf einen Blick alle Mittel zu ihrer Be- 
gliickung iibersah; und an rastloBer Thatigkeit, mit der er die meisten 
Theile des Wohlstandes seines Reichs beforderte, und alles selbst be- 
sorgte; er hat, sage ich, an gliicklicher Vereinigung aller dieser erhabenen 
Eigenschaften und Talente, wodurch er besonders seine im schrecklich- 
sten Kriege verheerten Lander in wenig Jahren auf eine nicht nur der 
Nachwelt, sondern auch dem jetzigen Zeitalter kaum glaubliche Weise 
noch weit bliihender als zuvor herstellete, unter alien Fiirsten der neuern, 
ja ich getraue mir zu behaupten, [13] auch der alten Zeit meines Wissens 
keinen seines Gleichen gehabt. Daher ist er mit Recht nicht allein die Be- 
wunderung, sondern auch das Muster der Nachahmung in den allermei- 
sten (»in allen« getraue ich mir nicht zu behaupten) Stucken der Staats-, 
Regierungs- und Kriegs-Kunst fiir Europa, und wird es in Zukunft fiir 
den ganzen Erdkr-eis werden. — Allein wer die Geschichte des Romi- 



VIERZIGTAGS-BLATT 525 

wiren und Punktiren halten wil: so weis ich nicht, was ich sagen 
sol, sondern gehe mit Lust zur folgenden. 

15 Seite: Dariiber ist aber auch nichts [zu] sagen, sondern das 
Beste ist, man handelt solche mit wahrer Gelehrsamkeit ausge- 
fertigte Redeubungen an sich und stehet sie an den Disputa- 
zionsmarketender Schneider in Gottingen ab, der solche Sachen 

schen Reiches, das zur Zeit des Cicero alle PreuBischen Staaten wohl 
I5mal an GroBe (ibertraf, und insbesondere die Geschichte des Cicero 
genau kennet, wird seine Staats- und Regierungskunst (von seiner 
Kriegskunst will ich schweigen weil sie sich nicht auszeichnete) fur nicht 
geringer, wenigstens fur nicht viel geringer, und seine Gelehrsamkeit fur 
grofier, als die des Koniges von PreuBen halten, wenn man einige neuew- 
lich erfundenen Wissenschaften ausnimmt. 

Ichbinzwar iijberzeugt, dan das, was ich gesagt habe, dem Lobe, wel- 
ches den Verfassern der alten Sch rifts teller gebiihret, bei weitem nicht 
gleich kommt. Allein ich glaube doch so viel angefuhret zu haben, daB 
aufmerksame und billige Leser nicht verachtlich von ihren Schriften 
denken, und sie nicht aus Geringschatzung mit dem Namen der Schul- 
autoren belegen; noch weniger niedrig von ihren Personen selbst urthei- 
len, und sie in die Klasse unserer meisten heutigen Schriftsteller setzen 
werden. Sie werden vielmehr zugeben, daB es Manner von groBem Ver- 
stande, von griindlicher und weit ausgebreiteter Gelehrsamkeit, von vie- 
ler Erfahrung und WeltkenntniB, von feinem Geschmack, und noch au- 
Berdem groBtentheils Manner von hoher Geburt, von groflen 
Regie-[ 14] rungs-, Staats- und Kriegs-Geschaften waren; und daB daher 
ihre Schriften verdienen nicht nur von jungen Studierenden auf Schulen 
und Universitaten, sondern auch von den gelehrtesten und groBesten 
Mannern gelesen und studiert zu werden. Es gereicht ihnen auch zur 
groBen Empfehlung, daB, wie es nun allgemein bekannt ist, Friedrich 
der zweite selbst dieselben, besonders auch den Cicero ungemein hoch- 
geschatzt, und mit diesem den von ihm fast vergotterten Voltare vergli- 
chen, und daB er sie, wenn auch nicht in den Grundsprachen, doch in 
franzosischen Uebersetzungen fleiBig gelesen hat. Werden aber junge 
Studierende, wenn ihnen zu Gemiithe gefiihret wird, daB die Verfasser 
der Schriften, die ihnen erklart werden, Manner von so groBem Ge- 
wichte waren, diese Schriften nicht mit doppelter Begierde und voll Ge- 
fiihl eines edeln Stolzes, mit so beruhmten und auBerordentlichen Man- 
nern des Alterthums in ihren Schriften umgehen zu konnen, in die 



526 JUGENDWERKE • 5. ABTEILXJNG 

durchaus haben raus, wenn in Zukunft darnach bei ihm von 
Leuten gefraget wird, die die zukiinftigen opera der heutigen 
veriiingten Bologneser-Zizero mit den vormittagigen Martini- 
reden zusammenhalten wollen, um nur zu sehen, wenn (ob 
kiinftig oder heute) sie 20 Jahre alt gewesen. 

Wir aber, ich und meine kleine Lese-Briidergemeine kommen 
leider bei so gestalten Sachen nicht weiter, lassen den Staub auf 
pabstlichen Schriftstellern, in die sich Hartung einarbeitet und 
einbohrt, immer hoher anschneien, lesen in diesen synchronologi- 

Hande nehmen? Und werden sie nicht dadurch in Stand gesetzt werden, 
den Nutzen, der aus ihnen geschopfet werden kann, in reicherm Mane 
zu schopfen? - Jedoch von diesem Nutzen werde ich, wenn es Gott ge- 
fallt, zu einer andern Zeit reden. 

Die Namen der jungen Redner, die heute zur Erneuerung des Anden- 
kens der durch den seligen Luther hergestellten Reformation aufzutreten 
die Ehre haben werde, sind folgende: 

Ephraim August Wirth, aus hieBiger Stadt, wird eine kurze Abbildung 
der Christenheit von der Reformation entwerfen. Und da unter die 
wichtigsten Begebenheiten dieser Zeit die Geschichte der zwei groBten 
Zeugen der Wahrheit, Johann Wicklefs und Johann HuBens gehoren: so 
werden 

[15] Johann Gottfried Lebrecht Martius, aus RoBbach bei Asch, nebst Jo- 
hann Wilhelm Hartenstein, aus Plauen, das Leben des ersten in deutscher; 

Johann Georg Schneider aber, und 

Christian Ernst Nicolaus Kaiser, beide aus hieBiger Stadt, das Leben des 
zweiten, und zwar jener in lateinischer, dieser in deutscher Sprache vor- , 
tragen. Obschon hieraus die Nothwendigkeit der Kirch en verbesserung 
hervorleuchten wird: so wird doch 

Heinrich Johann Christoph Friedrich Hartung, aus Schwarzenbach an der 
Saale, dieselbe noch genauer, und zwar aus pabstlichen Schriftstellern 
selbst vor Augen legen. Hierauf wird 

Georg Heinrich Strobel, aus Triebel im Voigtlande, die Veranlassung 
und den Anfang der Reformation lateinisch erzahlen. 

Alsdarm werden 

Johann Gottlob Wilhelm Klingsohr, aus Hof, und 

Ernst Friedrich Schmalfufi, aus Gera, die Wirkungen der Reformation, 
iener in franzosischer, dieser in deutscher Sprache ausfiihren. 



VIERZIGTAGS-BLATT ' 527 

schen Zeiten blosse elende Romane, und werden so wenig reif zur 
Plastik eines Martiniprograms, da8 wir in der That nichts zu 
machen vermogen als bios weniger Noten als Text. 

Endlieh wird 

Johann Erhardt Schodel , aus unserer Stadt, das [16] Lob Luthers in deut- 
schen Versen beschreiben ... 



ABRAKADABRA 

oder 

DIE BAIERISCHE KREUZERKOMODIE 

am langsten Tage im Jahr 



Prologus 



Ich woke, der Bankelsanger und seine Frau bekamens einmal zu 
lesen, daB ich hier mit der gelehrten Welt davon rede, daB ich 
beiden einmal in Krumhubel (in Niederschlesien) zugehorchet. 
Er und sie nahmen einen ordentlichen abscheulichen Mord, der 
drei und dreissig Versikel lang war und der hiibsche poetische 
und politische Freiheiten hatte. Von diesem skandirten Mord san- 
gen der Barde und die Bardin vor der ersten Hausthiire des Dorfs 
nicht mehr ab als die zwei ersten Verse und hieltens dan fur 
Pflicht, weiter zu gehen sowol auf der Gasse als im Gesange. 
Jedes neue Haus und iedes neue Stiik Kirmeskuchen war eine 
Zasur des morderischen Hymnus und der Sanger lies das ganze 
Dorf sein Gelegenheitskarmen kredenzen. Es wird aber von ge- 
lehrten und ungelehrten Anzeigen mit Recht getadelt, daB so- 
men viele Bauern, die mit ihrem Kuchen auf die lezten Strophen 
abonnirten, worin der Teufel den Helden zerreisset, die poe- 
tische Gerechtigkeit eben so schief beurtheilen musten als ein 
und der andere Abonnent auf die ersten Strophen, wo der Teufel 
den Helden begliikt; und dem Strassenbetler wird niemand kri- 
tische Gerechtigkeit, wegen anscheinenden Mangel der poeti- 
schen, wiederfahren lassen als ich. Denn ich werde (und mit 
Recht) fur gluklicher gepriesen als fast alle Krumhubler, sie mo- 
gen ganze oder Viertelshofe haben: ich zog namlich dem bet- 
telnden Volksdichter und der Volksdichterin unermiidet hinten- 
nach und blieb mit stehen wo der Gesang wieder angieng und 
horte so alle Verse der Mordgesehichte fur Ein Almosen aus. 
Daher sagt auch Schrokh in seiner Weltgeschichte ganz recht zu 
seinen Schulkindern, deneh er diese krumhublische vorerzahlet: 
»geschikte Kunstrichter, meine Kinder, schreiten stets dem 
Gassenbetler und seinem Gassenliede vom ersten bis zum lezten 
Reime redlich hintennach und dan erst sezen sie sich nieder und 
rezensiren wie gewohnlich. « 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • PROLOGUS 531 

Seitdem muss en aber die Schrockhischen Eleven langst haus- 
hohe Maschinen geworden sein, die mich und dieses Buch kurz 
in gelehrten Anzeigen anzeigen; deswegen hab' ich sie wieder an 
die obige Moral ihres alten Lehrers erinnern wollen. 

Denn der Jammer ist der, daB es mit den Biichern anders geht 
als mit den Frauenzimmern. Ein Man, der 33000 Weiber kent, 
springt dem 33 00i ten unbekanten mit Achtung zu und hoft, es 
interessanter zu finden. Was hingegen neue Biicher anlangt: so 
prasumiren ich und der Rezensent, wie der Menschenkenner 
von Menschen, so lange daB sie schlecht sind, bis erwiesen ist, 
daB sie gut sind - oft noch langer und wir konnen beide unmog- 
lich anders. 

Inzwischen wil ich doch das Buch anfangen und den Prologus 
fortsezen. 

Mit dem plombirten Titel wil ich nichts haben - als etwa Kau- 
fer; es ware aber vielleicht zu wiinschen, er ware viel unver- 
standlicher. 

Es ist schade, daB viele meiner Leser in die Bayerische Kreu- 
zerkomodie heute zum erstenmale kommen. Fur solche Men- 
schen mus die halbe Flache des Prologus volgeschrieben werden, 
urn ihnen nur so viel beizubringen, daB eine Bayerische Kreuzer- 
komodie oft langer wahret als ein Juniustag - daB sie aus einer 
ganzen Universalhistorie vol Akte besteht - daB diese so kurz 
ausf alien, daB sogar Zaupser* aus der Arbeitsglanzpresse, in die 
er zu seinem grosten Vortheil eingeschraubt ist, hervorkriechen 
konte, um Einen oder ein Paar solche Kreuzerakte auszuhoren 

* »Dem Hofrathsdirektorio wurde befohlen, Zaupsern durch Kanz- 
leiarbeit so weit zu beschaftigen, daB er zu theologischen und andern 
ausschweifenden Schreibereien keine Zeit hatte. « Mir wiird' es mehr ge- 
fallen, wenn man dieses DikasteriaUNestelkniipfen schon mit den Zaup- 
serischen Fingern vorgenommen hatte, eh' sie die gebarenden Legesta- 
chel und Zeugungsglieder so vieler Kezereien geworden waren. Ich kan 
sagen, daB ich so gliiklich bin, mehr als einen schreibenden Agnaten in 
Dikasterien zu haben, wo man vielleicht zeitiger solchen wahren Super- 
fbtazionen des Kopfes durch hinlangliche Kanzleiarbeiten begegnet: wie 
nach den Wilden die Affen nicht reden, um nicht zu arbeiten, so miissen 



53 2 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

- daB man fiir ieden solchen Akt nicht tnehr Entree- oder Rezep- 
zionsgelder oder Inseratgebiihren auszahlt als Einen Kreuzer - 
und daB dieser Kreuzer der Vater eines Spasses wird, der den 
Augenblick in dem f olgenden Perioden so erzahlet werden mus, 
daB wir als dabei weiter kommen, ich im Schreiben und die iib- 
rigen Menschen im Lesen meines Geschriebnen. Nach iedem 
Akte wird namlich die ganze zuschauende Union und Kreuzer- 
und fruchtbringende Gesellschaft von der Schauspielergesel- 
schaf t hinausgetrieben wie Vieh und ich wurde einmal an Einem 
Tage I7malhinausgefegt-weil die Truppc dachte, ich (und so ie- 
der andre) ware ein ausgemachter Schelm und konte etwan 
schworen, ich hatte wahrhaftig den neuen Kreuzer fiir den neuen 
Akt schon erlegt - und die Wahrheit zu sagen ich diirfte wol, 
ohne das Hinausfegen, diese zierliche Synkope und Apokope ei- 
nes Kreuzers versucht haben; so aber war nicht daran zu denken, 
sondern wenn das aufgezogene SchuBbret uns wieder herein- 
schiessen lies, muste das ganze Floz Scheit fiir Scheit, den Kreu- 
zer mitbringen, ohne alle Entree-Defraudazion, und man durfte 
nicht einmal aus Humor betriigen. So gehts in Baiern zu. 

Aber in meinem Buche sols eben so zugehen und ich machte 
daher ein langes Titelblat und schrieb darauf : Abrakadabra oder 
die Baierische Kreuzerkomodie am langsten Tage im Jahr. 

Soke rnir nun Jung und Alt, Freund und Feind dieses wirklich 
glauben (ich befiirchte aber nichts bessers) und nun auf meine 
Komodie aufsehen: so war* es ein neues trauriges Beispiel, wie 
wenig ein geschikter Autor etwas versichern kan, ohne daB sich 
sogleich ein Leser hinstelt und den Saz glaubt. AUein so solten 
lesende Christen ihren schreibenden Mitchristen nicht mitfah- 

solche Pazienten arbeiten, urn nicht zu reden und alles geht ganz gut. Bei 
solchen Vorkehrungen nimt michs wahrhaftig nicht Wunder, wenn 
nachher der Staat ganz und gar von denen Geschopfen gesaubert bleibt, 
die ihre Mittelmassigkeit in den Amtsarbeiten durch ihre Vorziiglichkeit 
in Nebensachen (z. B. Belletristerei, Philosophic) eher auffallend als 
verzeihlich machen. So hab' ich sclbst cine vortrefliche Konzertuhr, die 
troz ihrem Floten der besten Konzerte doch oft die Stunden nicht so 
richtig zeigt als die alte Thurmuhr. 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • PROLOGUS 533 

ren; sie solten vielmehr zu alien Zeiten prasumiren, daB ich so- 
gleich eine bittre Pille drehen konne, urn damit die Hofnung auf 
eine Komodie wieder abzufiihren, da6 ich aber auch um die Pille 
eine diinne Versilberung leimen konne, die bios in folgender 
Geschichte besteht: 

Im Scheer-Scheerischen in Schwaben hatt' ich sonst ein Haus, 
ich wil aber die zwei Dorfer nicht nennen, in deren einem von 
beiden es stand. Im Dorfe Veldenz (denn erdichtete Namen mus 
ich doch haben) trommelte mein Bedienter fast choralmassig, 
abends um 4 Uhr aus, drei Stunden spater hatte das ganze Dorf 
Queerbach einen attischen Spas vor und woke eigenhandig eine 
ellenlange Komodie in meiner Scheune durchspielen und alles, 
Veldenzische Hunde und Kazen konte in beide gehen - gleich- 
wol trug er darauf seine Trommel nach Queerbach und rief da 
herum, abends kamen die samtlichen Veldenzer wider sein und 
f remdes Vermuthen gezogen und woken in meiner Scheune eine 
solche Komodie agiren, daB Kindskinder noch dariiber lachen 
und weinen konten, wenn sie mit dabei sassen. Man traue mir 
zu, daB ich meines Orts die Scheune bios mit einem segeltuche- 
nen Vorhange durchschnit und noch zum Uberflus die beiden 
Pansen mit langen Leitern ausfiitterte und urbar machte, auf de- 
ren mitlern Sprossen ganz natiirlich bios die samtlichen Logen 
standen, weil auf den obern die Groschen- und Hellergallerie 
und auf den untern das Parterre hokte. Ich selbst und mein Kerl 
spazierten um die Scheune herum und wiesen die Veldenzer zum 
einen Thore, und die Queerbacher zum andern hinein. Die Lese- 
welt wird auf die Komodie so gierig aufpassen, daB ich es ihr 
kaum werde beschreiben sollen, daB beide Dorfer viel begieriger 
waren: denn das eine und das andere woke durch den das Licht 
filtrirenden Vorhang praexistirende Keime vom Lustspiele er- 
schielen und haufig gukte ein Veldenzisches Auge gerade in ein 
Queerbacher hinein; aber solche Geringfiigigkeiten miissen aus 
meinem Prologus wieder heraus. Es muste niemand wilkomner 
sein als mir, daB iedes Kirchspiel das Toben des andern ihm als 
Dekorazions-Mimik und als Bergstrasserische Steganographie 
des kommenden Auftrittes in Rechnung brachte. Beide Ort- 



534 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

schaften lies ich eine gute halbe Stunde in dieser Rechnungshal- 
terei sizen und schreien und hoffen damit sie zuviel erwarteten. 
Endlich wurde der ganze Vorhang ausgehenkt und hinausge- 
schleift, und iede bemante Panse konte der andern samt ihrer 
Hofnung in die Augen fallen. Ich bin zu partheiisch, wenn ich 
dem gelehrten Europa nicht berichte, daB Veldenzer und 
Queerbacher sich gelassen benahmen und ruhig abpasten, wenn 
die Veldenzer und Queerbacher losdriikten - das namliche darf 
ich ohne Eigenliebe auch von mir behaupten: denn ich stand wie 
ein runder Granzbaum zwischen beiden und sagte: »hebt nur in 
Gottes Namen an, meine Kinder! « und sahe f reundlich von einer 
Bauernpyramide oder einem Zuschauerspalier, ich meine von 
einem Dorf e zum andern, und hatte auf ieder Halite des Gesichts 
eine andre Hofnung und ermunterte ieden. 

»Wir warten bios auf euch« sagten die Queerbacher - »es sizt 
gotlob alles schon auf den Leitern und passet auf euch« sagten 
die Veldenzer. -Nach einem neuen wechselseitigenErwarten des 
ersten Akts sagten die einen: »es soke doch einmal angehen, ins 
Henkers Namen« und die andern antiphonirten: »das macht bios, 
ihr Queerbacher sattelt so hollisch lange« - daher konten diese 
versezen: »wer sattelt? ihr hattet langst agiren konnen und die 
Veldenzer sassen alle parat«- »ins Teufels Namen, ihr spielt ia 
und nicht wir« schrien die einen - »Kobes! (rief eine Stimme aus 
den Veldenzer Logen) schlag dem Queerbacher Schulthes recht 
hinter seine Ohren, damit er komodiantirt.« Jezt wolten beide 
Hellergallerien herunter und an einander und die Parterre's wa- 
ren schon beides und krazten sich in keinen andern Haaren als 
feindlichen: und sonach wolten beide zuschauende Konvokazio- 
nen gar zugleich agiren, weniger vor als gegen einander; aber ich 
sahe voraus, daB das geschahe und daB Filial und Mutterkirche 
einander auspriigeln wiirden, wenn ich mich zwischen beide 
kriegende Machte nicht mit meinem Leibe und folgender Frie- 
denspredigt dreinschluge: »o ihr Veldenzer und Queerbacher 
insgesamt! ich wundere mich des Todes, daB zwei breite Pansen 
vol verniinf tiger Bauern nicht im Geringsten merken, daB ich 
auf einen Spas ausbin und auf die Moral, die aus dem Spas ge- 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • PROLOGUS 535 

zapft werden kan. 1st denn euer Zank etwas geringeres als ein 
Bremischer Beitrag zum Vergniigen meines Verstandes und Wi- 
zes? Es wird zu seiner Zeit noch in prachtigem Druk heraus- 
kommen, daB ihr heute mit meinem grosten Beifal gegeneinan- 
der die alte griechische Komodie gespielt, in der ieder genant 
werden mus, der geschimpft wird - ich miiste ein unerheblicher 
Gelehrter sein, wenn ich nicht hatte merken wollen, daB beide 
Kirchspiele einander gute ironische Figuren aufgetischet und na- 
mentlich den Sarkasmus, Charientismus, Mykterismus, Dia- 
syrmus und selbst die Mimesis und der alte Peuzer soke diese 
Oratorie mit angehoret haben. Ich wolte aber, der Spas und der 
Zank ware noch grosser gewesen - und nicht wegen eueres 
schlechten Entreegeldes, das ich euch nachher fast dadurch wie- 
dergebe, daB ich einen halben Zentner abgestandner Karpfen 
unter euch verschenke - sondern deswegen: ihr Veldenzer und 
Queerbacher insgesamt bis auf das unschuldige Kind an und un- 
ter der Mutterbrust werdet von mir in eine schwarze und weisse 
Vorrede gethan, die ich bios einen Prologus betitle und in der 
ich mit so vielen Lesern nicht genug spassen und zanken kan. Es 
ist Pflicht fur den Schriftsteller, Ehre fur so viele Eingepf arte und 
ein Spas und keine Miihe fur mich, daB ich beide Pansen-Sessio- 
nen und B ruder- und Dorfgemeinden auf mehr als fiinf und 
zwanzig Leitern hefte und klebe und auf solchen vors Publikum 
y bringe und aus so vielen Leibern durch die Distillirkolbe der 
Vorrede folgende spirituose Moral - wie aus schillernden spani- 
schen Fliegen ein Vesikatorium - mit der grosten Gewalt extra- 
hire: ieder Mensch halte wechselseitig den andern fur den Akteur der 
Komodie und sich fur den kunstrichterlichen Zuschauer darin: denn ie- 
der irret so nur halb. Draussen sind aber die krepirten Karpfen. « 
Und dieser moralische Extrakt aus diesen Dorfsprengeln kan 
(und sol auch) mich und die ganze Welt in meinen Augen stets 
entschuldigen, wenn wir beide uns in der zu langen Baierischen 
Kreuzerkomodie meines Buchs fur nichts ansehen als fur rezen- 
sirende Zuschauer- wahrhaf tig mit den Akteurs giebt sichs her- 
nach leicht und fur die mogen andere und schlechtere Leute sor- 
gen als ich oder die ganze Welt. 



$$6 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

Oberhaupt thuts moralisch Weitsichtigen Schaden, daB sie zu 
oft glauben, kein Mensch in dem Zimmer sehe, was sie sehen 

- zehnmal milder denken physikalisch Weitsichtige, moralisch 
Kurzsichtige und physikalisch Kurzsichtige und sie halten alle 
ihren Neben christen ganz fur ihr Ebenbild. 

Wenn Sulzer Humor fur das seltenste Talent ausgiebt: so 
macht er sich dadurch mich und ieden zum Feinde, der vielmehr 
das Talent, den Humor zu goutiren, fur noch seltner ausschreiet 

- und selbst den Rezensenten, der sich iiber diese abgelaugnete 
Ungewohnlichkeit seines Talentes argern mus. Ich meines Ortes 
bring' es zu etwas Klugerem, indem ich gesunder denke und 
dem Rezensenten soviel Seltenheit und Brauchbarkeit zulege als 
meinem hektischen Schwiegervater. Denn der hat naturlicher- 
weise, wenn man das Adiektivin ein Substantiv umsezt, die vol- 
lige Hektik und daher folgenden arsenikalischen Nuzen: er ist 
namlich eben so offizinel und arsenikalisch als andere hektische 
Schwiegervater, die Haller in meiner Note unten* zu preisen 
und zu schildern hat. Dieser betagte und bejahrte Schwiegerva- 
ter wird im Sommer von mir und meinem Hause zu nichts ge- 
ringerem als zu einem giftigen Fliegenschwam und Fliegenstein 
verbraucht, den man noch dazu ganz las sen kan und ich habe 
seitdem stat Millionen Miicken-Kotterien nur einen einzigen 
Hektiker zu bekostigen, der mehr von Essen als von der Luft 
lebt. Denn es leidet niemand dabei (die Fliegen und ihren hekti- 
schen Freund Hain ausgenommen), daB ich den leztern, ich 
meine den fliegenepidemischen Todesengel nothige, den ganzen 
Tag stat einer Seuche in alien meinen Stuben herumzugrassiren 
und seinen mephitischen Athem und Sirockowind aus seiner 
Lunge in der Fliegen ihre einzublasen, die einen solchen ab- 
scheulichen Schwaden (es ist leicht zu denken) gar nicht auszu- 
halten im Stande sind, weil sie auf ihre Nase nicht den antime- 
phitischen Respirator von Pilatre de Rozier aufzusezen haben. 

* Haller erzahlt im 2 B. seiner grossen Physiologie, daB Schwind- 
suchtige mit ihrem Athem Fliegen hingerichtet und ein mit der engli- 
schen Krankheit Behafteter einen Vogel. 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE ■ PROLOGUS 537 

Hab' ich aber nicht zuweilen die Hand meines guten und gif tigen 
Schwiegervaters angefasset und ihn zum Grassiren angefeuert 
und gefragt: »ob er nicht sahe, daB er nicht zu verachten ware, 
sondern daB er, solange er mit seinen Lungenfliigeln ein so aus- 
serst feines Miasma unter die Fliegen wehte, im Sommerhalb- 
jahr ein eben so edles Glied in der physikalischen Welt aus- 
machte, als der Rezensent in der litterarischen, der auch in der 
ganzen Gelehrtenrepublik herumschliche und mit seinem azen- 
den Athem alle litterarische Miicken so anhauchte, daB sie nach 
einem halben Jahre arger krepirten wie die Fliegen - und ob er 
nicht wuste, fragt' ich, daB das alles im Prologus zur baierischen 
Kreuzerkomodie viel weitlauf tiger stande.« 

Es steht aber nicht weitlauftiger da, weil wahrhaftig Zeit und 
alles fehlt und ich einem und dem andern Prologus-Lesekunden 
es zu tol machte, wenn ich darin mehr loben wolte als dreierlei 
Dinge, mein Geschaft, meinen Geschlechtsnamen und mein 
Buch. 

Das Geschaft ist zuerst in diesem Prologus zu loben. Ich belege 
aber eben dadurch mehr als hundert Hypochondristen mit einem 
verstekten Tadel, die alle iedem Buche zumuthen, ein Predigt- 
buch zu sein oder doch Predigtentwiirfe aus Hamburg und ich 
(und so jeder andre Autor) sol einen Friih-, Mittags- und Ve- 
sperprediger abgeben und weiter nichts. Die hypochondrische 
Junto meint und wil, ich sol mich unter die Himmelsthure stellen 
und sie und ieden andern Europaer eif rig hineinschreien; aber ich 
stehe darunter bios als geschikter Dekroteur und wil mit meiner 
Feder nicht so wol das Herz der Menschen ausserst sauber ma- 
chen als ihre - Schuhe und ich bin nicht zu zwingen. Besteht 
denn der physische und moralische Mensch bios aus zwei zu- 
sammengebundenen Kugeln, dem Kopfe und Herzen? Und be- 
stehen also alle Wissenschaf ten bios aus denen, die verhuten, da- 
mit die erstere Kugel keine blosse Windkugel (einer 
Windbuchse) und daB die zweite keine hysterische (globulus hy- 
stericus) - oder kiirzer daB der Kopf nicht Dampf- und das Herz 
keine Sfmkkugel werde? Sizen nicht vielmehr dem innern Men- 
schen so gut wie dem aussern Beine, Zwergfel, Gaumen und 



538 JUGENDWERKE * J. ABTEILUNG 

eine lange Nase an? Warum sollen nicht auch bios fiir diese die 
weitlauftigsten Biicher zusammengeschrieben werden? Warum 
sol ein Autor sich nicht aus der Obung und Beschaftigung des 
blossen Wiz- und Lachvermogens des Lesers, das Got sogar ge- 
schaffen, nicht nur vor dem iiingsten Tag die groste Ehre ma- 
chen sondern auch nach demselben? - Es giebt eine gewisse ho- 
here Toleranz, die nicht die Frucht des westphalischen Friedens 
noch des Vergleichs von 1705, sondern eines durch viele Jahre 
und Besserungen gesichteten Lebens ist; namlich die, daB man an 
ieder Meinung das Wahre - an ieder Gattung des Schonen das 
Schdne - an ieder Art von Laune das Komische finde und da6 
man an Volkern, Menschen, Karakteren und Biichern die Ver- 
schiedenheit und Individualitat der Volkommenheiten nicht 
mit der Abwesenheit derselben vermenge. Wem das Beste ge- 
fallet, der hat noch Einen Schrit zur Volkommenheit zu thun - 
daB ihm namlich verhaltnismassig auch gar das Obrige ge- 
falle. 

Was zweitens in diesem praadamitischen Prologus gelobt 
werden mus, ist mein bekanter Geschlechtsname, Hasus. Ich 
hore auf dem Billard, daB ihn die gescheutesten Leute anfeinden, 
und zulezt den Eigner davon auch. Da es aber nicht bei mir 
stand, meinen Vater und folglich meinen Namen zu andern, 
sondern da ich beide wie meine Lutherische Konfession nehmen 
muste wie ich alle drei bekam: so solten die gescheutesten Leute 
ihren unerheblichen Fehler eingestehen und an ihre Brust schla- 
gen, also nicht an meine oder an irgend ein Gliedmaas von mir. 
Derm ich bereu' es nicht, daB ich mir gleich am ersten Tag nach 
meiner Geburt vorsezte, dem bellenden Scioppiusin zwei Dingen 
nicht gleich zu werden (sondern bios im dritten, im Vielwissen) 
- erstlich, nicht wie er dreissig Biichr gegen die guten Jesuiten 
zu schreiben, sondern hochstens gegen die Exjesuiten - zweitens 
nicht wie er mich mit eigner Hand, wo mit ich schreibe, sechzehn 
mal umzutaufen und unter 16 gestohlenen Pseudo-Namen im 
Meskatalogus vorzukommen. Allerdings ist es nicht abzulaug- 
nen, der vorige Konig in Preussen hatte dem Us meines Namens 
weder Ringkragen noch Scharpe umgethan und ich hatte das la- 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE ■ PROLOGUS 539 

teinische us vor dem Avancement abbarbieren miissen; aber be- 
kantlich lies ich mich daher auch niemals anwerben und ich 
kaufte mir stat einer Kompagnie eine blosse Bibliothek. Hieng 
es indes allein von mir ab, gleich den deutschen Monatsnamen 
und denjiidischen Konversis mich umzutaufen, und nicht auch 
von meinen vielen Verwandten: so that' ichs doch, damit nur der 
Larm aus wurde; aber so wiird' ich (wenn ichs thate) , fals ich (wie 
gar nicht zu hoffen) meinem neuen Namen einen Namen d. i. 
ihn unsterblich machte, das weitlauftige hasische Geschlecht, 
das mir wenig gethan, wider meine Absicht vielleicht urn den 
ganzen Antheil berupfen, den es an meiner (nicht zu prasumi- 
renden) Unsterblichkeit bis zu einem gewissen Grade heischen 
kan, und die unermesliche Nachwelt, am leichtesten die spate- 
ste, wiirde am Ende denken, ich ware nicht weniger als meines 
bekanten Vater[s] leiblicher Sohn. Meinen Kindskindern, mei- 
nen Schwerdt- und Spilmagen und meinen Kreditoren half es 
dan wenig, wenn ich in Meusels gelehrtes Deutschland kame 
oder in Nikolai's schreibendes. Indessen wil ich - da die 10 deut- 
schen Kreise, besonders das, was darin ist, die Kreisdirektoren, 
die Kreisstande und die Kreissoldaten, dem Anschein nach, et- 
was davon haben, wenn ich kiinftig mich bios den Redakteur der 
»Auswahl aus des Teufels Papieren« nenne, oder gar nur den 
Redakteur - lezteres thun und dan erwarten, was diese Revolu- 
zion meines Namens fur kleinere oder grossere Revoluzionen 
des ganzen Erdkreises nachlassen werde. 

Ich machte Hofnung, drittens mein Buch zu loben; aber ich 
bitte, mirs ganz zu schenken, da nachher ohnehin das Buch sel- 
ber sich mehr als die Bescheidenheit verstattet loben wird. 

Nun so gehe denn, liebes Biichelgen und Verlagsartikelgen, 
zum Henker und zum Publikum - oder vielmehr beide miissen 
zu dir und in deine Kreuzerkomodie gehen - und benehme dich 
so: 

Komt ein preussischer Steuerrath zu dir, der iahrlich 3000 Sa- 
chen von den Unterinstanzen, 2000 Verordnungen erhalt, 200 
ausstellet und 80 Excitatoria dazu und 1600 Relazionen dazu und 
dennoch nicht dabei sizen darf , sondern jahrlich in 12 Stadte rei- 



54-0 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

sen und 24 Kommissionen abthun mus: so thu' mir den Gefallen 
und thuedempreussischen Steuerrath einen, geb' ihm in seinem 
Arbeitshaus Ernteferien von einem Paar lustigen Minuten und 
seiner geistigen Vermogen- Steuer den Steuernachlas von einer 
unverarbeiteten Stunde. 

Springt ein Fiirst bei dir ab - und in der That schikt sich fur 
ihn ausser dem Mitspielen einer Komodie wol nichts besser als 
der Besuch derselben -: so lasse den Landesvater nicht dabei ein- 
schlafen, es miisten denn die Geseze sich als Arcuccio* so iiber 
die Landeskinder wolben, daB der Landesvater sie nicht erdriik- 
ken kan, wenn er im Schlafe sich von der rechten Seite auf die 
linke wirft, von dieser auf die rechte und auf den Bauch. 

Komt Cagliostro zu dir: so bell' ihn an und sage, in sei- 
ner, nicht in deiner Komodie sei der lebendige Teufel Regisseur 
und den alten Adam, den er ausgezogen zu haben vorgebe, hab' 
er bios zuruk geschlagen, wie man am biirgerlichen Schinken 
die schwarze Schwarte zwar unterholet und lossabelt, aber doch 
an ihm lasset und auftragt. 

Schreitet ein Esel zu dir, um seine langen Ohren bei dir volzu- 
sacken: so bedenke so gut [du] kanst, daB ich langst in der alge- 
meinen Weltgeschichte gelesen, dem h. Ammonius habe Ein 
leibhafter Esel einmal zugehorcht und daB ich mich dabei iiber 
weiter nichts verwundert als iiber die Zahl. 

Komt ein persiflirender Hofman: so wird er zwar zu unserem 
grosten Verdrusse sagen, die Kultur miisse den Menschen wie 
den Gewachsen die Stacheln vollig nehmen und er wolF es hoff ' 
er noch erleben, daB auf niemand etwas Anziigliches mehr ge- 
schrieben wiirde als hochstens auf den Teufel; aber sag' ihm, im 
Prologus hatt' ich das namliche gesagt, ware aber weiter fortge- 
fahren und hatt verfochten, daB unter den Menschen und Bors- 
dorf erapf ein und Kartoff ein keine schlechter waren als die glatte- 
sten ohne rauhe Warzen oder des etwas. 

* Das ist in Florenz ein Gehause, worein die Mutter bei Strafe das 
Kind beim Saugen legen mus, um es nicht im Schlafe zu erquetschen und 
es steht in Kriiniz okon. Enzyklop. 2 B. abgebildet. 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • PROLOGUS 541 

Landet der Rezensent der Litteraturzeitung bei dir an: so bind' 
ihm (ich und meine Bekanten erwarten das) eine grosse Trom- 
mel auf den Nabel und adspirire und artikulire oder verlangere 
seine Hande mit zwei Schlageln, damit er mit diesem Apparat in 
Deutschland herumziehe und herumtrommele und es aus- 
schreie, »ich wolte den andern Tag eine gedrukte Kreuzer- 
komodie geben und aller Teufel in Deutschland was nur Fiisse 
und Zwergfel anhatte, soke fast stromweise in besagtes Lustspiel 
Ziehen und fur wenige Schustaks waren ganze Akte zu haben« 
. . . Macht sich aber der Tromler zu spat auf den Weg, wenn ich 
schon spiele: so lass ihn recht hart an und frag' ihn, wo ihn das 
naturliche oder auch kiinstliche von einem Physiker in Taschen- 
und Stubenformat nachgedruckte Donnerwetter so lange 
hatte. 

Nimt dich daher sein Buchbinder unter den Arm und nachher 
in die Hande, um dich nebenher zu lesen, anstat dich zu beschnei- 
den und zu pressen - gute Kritiker thaten gerade das Gegentheil -: 
so mus der Rezensent auf den Buchbinder und das Publikum auf 
den Rezensenten und ich auf das Publikum passen und harren 
und dieser einzige Kerl darf uns alle gegeneinander aufbringen 
und in den Sumpf fiihren; aber das must du ihm eben verbie- 
ten. 

Legt dich der arme Korrektor vor sich hin: so thut ers halb im 
Manuskript und halb im Druk und hat sonach das erbarmlichste 
Lesen von der Welt (und das erbarmlichste Leben dazu); daher 
hab' ich bios dieses armen Schelms wegen das ganze Buch aus- 
serovdentlich gut geschrieben und die samtlichen Rezensenten sol- 
ten doch nur einen Bogen vom Manuskripte habhaft werden 
konnen. 

Stellen sich die grosten Stadte, die Behemots und Kunturs un- 
ter den Stadten, Wien, Paris London, Petersburg bei dir ein: so 
lobe sie sehr und verhehr es nicht, daB sie von beiden gedachten 
Raubthieren eigentlich nichts an sich haben als die Grosse - dan 
sie vielleicht nichts weniger sind als Arsenikhiitten der bosen 
Sitten, als Tennen Arafna's der Provinzen, als Raubschlosser, 
deren blosse Wirthschaftsgeb'iude die iibrigen Land-Stadte sind - 



542 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

und daB sie iiberhaupt sich ganzlich von den Reichsstadten un- 
terscheiden. 

Sprechen auch diese bei dir ein, besonders Regenspurg, Bop- 
fingen nebst der ganzen Kompilazion und Kavalkade von den 39 
Dorfern auf der Leutkircher Heide; so kommentire erst jenen 
Unterschied recht frei und sage entweder von Reichsortschaf- 
ten, sie gefielen dir und waren der Gottin Freiheit Mausethurme 
- Antikentempel - Absteigequartiere und Pyramiden - oder sage 
dem untenstehenden Autor*, er gefiele dir nicht; es ist aber eins. 

Wiirdigt Hof in Vogtland dich einer Visitte oder einer Visit- 
tenkarte: so sag* ihm gar nichts, ich kans ihm miindlich sagen. 

Lesen oder kollazioniren oder binden meine zu haufigen 
Blutsverwandten dich: so schwor' ihnen, ein volliger Verwand- 
ter von ihnen, der den grosten horror naturalis habe, sei auch der 
beliebte Verfasser von der Kreuzerkomodie und von allem und 
wo er zum Henker die vielen Freiexemplare erfischen soke, 
wenner jedem Aszendenten und Deszendenten eines schenken 
wolte und es gienge nicht. 

Und gerathe, liebes Biichelgen, endlich auch ich iiber deine 
Blatter und Akte: so unterscheide geschikt die Zeiten und Stun- 
den - thu' ichs in den Stunden der hypochondrischen Selbster- 
niedrigung und Philippica gegen mich selbst: so lasse dich gar 
nicht finden, falle entweder hinter das Repositorium oder ver- 
schiebe dich hinter die Kolonne der Al. deutsch. Bibliothek, 
oder meine leiblichen etwas unordentlichen Kinder miissen dich 
kleineres geistiges herumtragen und warten oder dich auf dei- 
nem eignen Papier ganzlich unleserlich nachdrucken oder der 
Satan sol sonst sein Spiel >mit dir und mir haben - thu' ichs aber 
etwas spater, wenn der kaltschimmernde Hesperus des Lebens 
schon iiber mir steht: so lasse vorher von einem Zensor im wiir- 
digen Sinne die Stellen ausschneiden, kauterisiren und amputi- 
ren, wo ich etwan iemand Unrecht thue, wo der Scherz an die 
5c/?£J/iVfreZweideutigkeit (es giebt unschadliche) anstreift, wo er 

*' Ober einige Reichsstadte Teutschlands, von einem Staatsmitbiir- 
ger. 1786. 4. 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE ' PROLOGUS 543 

den Ernst des Lebens stat zu starken und zu lohnen entkraftet 
und ehtmannet und wo man so oft ein Autor und Mensch zu- 
gleich ist. Da nun Selbstzensoren so gut erlaubt sind wie Selbst- 
rezensenten: so wil ich lieber dieser Zensor selber sein und zwar 
noch vor der Ostermesse, wenn nicht gar vor der Neujahrs- 
messe. 

Denn wenn ich einen Prologus endige oder ein ganzes Buch: 
so denk' ich daran, ich werde einmal noch viel wichtigere Dinge 
zu endigen haben - und dem Menschen ist es Heb, wenn die 
Nacht nach seinem miiden Alter, gestirnt ist und die Diinste vom 
Tage des Lebens niedergeschlagen sind und am erkalteten hei- 
tern Horizont sich die Abendrothe almahlig vom Norden herum- 
zieht und sie bei Nord-Osten zur neuen Morgenrothe wird. 

Den 6 Dezember 1789. 

Redakteur der »Auswahl aus des Teufels 
Papieren« oder bios der Redakteur. 



Erster Akt von 6 bis 7 Uhr 



/. Szene 



Wie Gemeinesich ausfahchen Wadenfalsche Rucken machen, um sich 

vom Unterstab fur Geld undgute Worte prugeln zu lassen - nebst dem 

Avertissement des Entrepreneurs des Prugel-Bureau 

Junge Offiziere solten dem Himmel danken, daB sie soviel Ge- 
duld und Feuer haben, wenn sie Gemeine auspriigeln. Es ist un- 
moglich, daB sie nicht fuhlen, wie sehr eine solche Friedenstap- 
ferkeit ihre Kriegstapferkeit anfache. Denn es kann kein falscher 
Grundsaz der Kriegskunst sein, daB ein Lieutenant, der einen 
landesherlichen Fiiselier bios mit dem Stocke halb zu erschlagen 
vermag, noch fahiger sei, einen feindlichen mit dem Degen ganz 
zu erstechen, wenn sonst alles gleich ist - der Grundsaz ist aber 
ganz aus der Jagerkunst geborgt, die eben so die Hezhunde an 
zahtnen Schweinen fur kiinftige wilde einhezt. 

Unter den vielen Subskribenten auf meinen Luftballon, die 
iezt bei mir aus und einlaufen und die es alle recht gut wissen, 
daB ich nicht den Beutel sondern wie gesagt bios den Ballon zu 
fullen vorhabe - ist auch der Oberfeldscheer, der mir vor drei 
Tagen eine solche Schilderung vom Muthe iunger Offiziere 
machte, daB ich sogleich sagte, diese mus und kan dem Leser 
wieder gemacht werden auf meinem elenden Privattheater. 
Diese Offiziere - denen die Generalitat hinlangliche Rekruten- 
und Veteranen-Korper zu Freiexemplaren und Zimmermanni- 
schen antihypochondrischen Moziansmaschinen zugezahlt, an 
denen sie sich ohne einen Heller Kosten sat bewegen und priigeln 
konnen - werden gleich wol nicht sat sondern oft so lustig und 
herzhaft, daB sie den Beutel auseinander Ziehen und sechs Gro- 
schen daraus fiir einen oder den andern Gemeinen vorsuchen, 
der diese Preismedaillen nebst so viel supernumerarischen Prii- 
geln annehmen wil als stand' er auf dem Exerzierplaz noch. Es 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • I. AKT. I. S2ENE 545 

lasset sich voraussagen, in wenig Perioden hab' ich dennoch den 
Offizier um das Interesse des ganzen Publikums wieder gebracht 
und es ganz dem Gemeinen zugelenkt - bios durch meinen 
Rapport der narrischen Art, wie lezterer das mit Schlagen legirte 
Honorar abverdient. Ein solcher Verpachter seines Riicken tragt 
und fuhrt namlich ausser seinen Naturwaden noch unorganisirte 
Monturwaden an sich, wie alle lesende Regimenter wissen und 
eher als ich. Mit diesen falschen Waden - den Vorlaufern der 
ganzen falschen holzernen Beine und den Substituten der wah- 
ren cum spe succedendi - macht er, nah dem Empfang der 
6 Groschen, einen tauglichen Spas, namlich einen falschen Buk- 
keL Es ware gut und that' uns alien wol, wenn wir samtlich da- 
beisizen und zusehen konten, wie der Kerl mit der aus Hasen- 
haaren gemachten Folie seiner Beine seinen Riikken iiberlegt 
und hebt, dessen Haut und Haare nie genug, aber durch den 
Adoptivriicken doch einigermassen verdoppelt werden konnen 

- bei der bekanten Menschenliebe von meinen Zuschauern und 
mir selbst ist zu vermuthen, dafi wir froh sind, wenn nachher 
solche Generalpachter des fiinften Sins und der Haute dariiber, 
im ehrlichen Soldaten wegen des kunstlichen Kallus seines Ruk- 
kens und der daraus kommenden temporellen Apathie desselben 
(wo von ich schon so lange spreche) keine andern Empfindungen 
erregen konnen als die allerangenehmsten, sie mogen zahlen und 
schlagen wie sie wollen. ■ \ 

Solche Berichte von Oberfeldscheerern konnen aber auch ei- 
nen Autor ganz entschuldigen, wenn er nachher iiber das Projekt 
eines Priigel-Bureau nicht lacht, sondern nachsint und weiter 
geht und das Avertissement davon gar fur sein Werbepatent zum 
Prugelinstitut ansieht- sie konnen den samtlichen Oberstab be- 
feuern, zum Besten der Offiziere auf falsche Waden der Gemei- 
nen nicht bios, sondern auch auf alles mogliche Falsche, auf fal-' 
sche Arme, falsche Buckel, falsche Nasen seit heute zu denken 

- sie konnen mich zwingen, eine halbe Stunde zu sizen und das 
Avertissement in extenso ohne meinen Nuzen abzuschreiben: 



54<5 JUGENDWERKE " 5. ABTEILUNG 

Abgeschriebnes Avertissement des Entreprenneurs des Prugel-Bureau . 

Wie der Englander Howard die grosse Tour durch alle europaische 
Gefangnisse machte, um daraus das Ideal eines Gefangnisses 
abzuziehen: so werden vielleicht die grosten nomadischen Pas- 
sagiers den Endesunterschriebnen liberal gesehen haben, weil er 
bekantlich durch alle 2300 Stadte Deutschlands gieng, bios um 
das zeitige deutsche Auspriigeln (besser als in seinem Fenster- 
stok) kennen zu lernen, das iibrigens auch von Howards Karzern 
so fern nicht ist. Wer mit mir in der Landkutsche gefahren oder 
in den Hotels gegessen: der kan sich noch ein wenig besinnen, 
wie haufig und laut ich iiber den algemeinen Verfal des Priigelns 
in manchen deutschen Kreisen, mich (vielleicht zur Unzeit) be- 
schwerte: ich sagte, da ich aus dem ober- und niedersachsischen 
hinauswar, es gerade zu, auf diese hatt' ich gezielt; und wenn ich 
nachsan, daB weder die stoische, die epikureische, die eklek- 
tische, noch die wolfianische und nicht einmal die kantische 
Schule die langsten und tiefsten Untersuchungen iiber das Prii- 
geln der Menschen angestellet: so must' ich haufig fragen: war' 
es ein Wunder, wenn bei solchen Aufmunterungen ein verniinf- 
tiger Endesunterschriebner durch zehn Gerichtshaltereien ritte 
und doch in keinem Protokol einen einzigen Christen antrafe, 
der seinen guten Nebenchristen hinlanglich ausgepriigelt hatte, 
wie viel weniger mehr? In einigen Jahren wirds aber noch viel 
arger werden. - 

Allerdings konnens gute Priigelbureaux zum Theil verhiiten 
und sollens auf mein Wort; allein ich mus dem Publikum sie 
doch erst wirklich geben und noch friiher nur einen Begrif da von 
- welches den Augenblik geschehen konte, wenn es nicht so 
nothwendig ware, daB ich mich vorher in einige der allerphilo- 
" sophischsten Prolegomenen iiber das Schlagen iiberhaupt ver- 
lore; es ist aber zu wiinschen, daB ich seltnen Tiefsins weder 
hierin noch irgendwo zuviel auskrame. 

Die Philosophiesagt den Menschen, deren Schlagereien sie oft 
zugeschauet, nachher die Nominaldefinizion davon ganz leicht; 
und sogar Realdefinizionen davon fieng ich haufig auf, aber 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE ■ I. AKT. I. S2ENE 547 

nicht von der Philosophic selbst sondern von blossen Philo- 
sophen. 

Der Mensch ist klar ein Thier, das wahre Sprache nicht nur 
hat sondern audi haben kan. Nothwendig ists dabei nicht, daB 
er die Zeichen seiner Ideen gerade durch die Ohren des andern 
spedire - es konte eben so gut (wenns nicht zu finster ist) durch 
die Augen geschehen, wie die vierzig Stummen im Haram, und 
unsere unzahligen unter dem Betteln, taglich thun. Ja die Philo- 
sophen haben ausgemacht, daB es bios ein Vorurtheil ist, wenn 
man zweifelt, ob man seine Gedanken den andern eben so gut 
riechen als horen lassen konne und sie wiirden mich auslachen, 
wenn ich sagen wolte, der sechste Sin tauge zu keinem Sprach- 
organ. Ich habe eher so etwas niemals gesagt, und kont' es der 
Konsequenz wegen nicht, da ich vom fiinften Sinne, dessen Epi- 
tomator und Seitenverwandte der sechste sein mag, gerade im 
iezigen Avertissement ausfuhren wil er sei folgendes: das Gefuhl 
ist der wichtige Diener und Dolmetscher der algemeinen Sprache, 
die die grosten Philosophen darum vergeblich zu erfinden ge- 
trachtet, weil die Natur sie schon langst selber erfunden hat. 
Wenn ein Harlemer nach Afrika abfahrt und einem dasigen Ne- 
ger heftig ins Gesicht oder vor den Bauch schlagt: so versteht ihn 
dieser recht gut, so verschieden sonst ihre Mundsprachen sind 
- eben wie gesagt weil das Gefuhl die algemeine, von einer Kiiste 
zur andern verbreitete verstandliche Sprache sein mus. Der Eu- 
ropaer kan einen Neuseelander, der deutsche franzosische 
Sprachmeister kan einen gebornen Pariser massig auspriigeln: so 
werden beide eine Sprache reden, die dem Neuseelander und Pa- 
riser ganz faslich ist, weil sie seine Mutter- und Grosmutterspra- 
che ist. Daher mus in akademischen Lehrbuchern eine Schlagerei 
bios ein Naturdialog genent werden und unter des alten Langens 
colloquia gehoren auch die ungedrukten mit, wenn er seine Ele- 
ven schlug, wie er hoffentlich haufig gethan. Daher soke der 
Stadtvogt froh sein, Linguisten dieser Art sogar in Kneipsch en- 
ken zu finden - und er ist auch froh, aber er fahrt ihrem Beutel, 
den sie doch auch vonnothen haben, zu entsezlich mit und seine 
Feder ist ein Markzieher. Leute, die einander auspriigeln, reden 



54§ JUGENDWERKE ■ 5 . ABTEILUNG 

mit einander uber dies und das - haben eine Entreviie und einiges 
wahre Pathos - sagen einander ihre Meinungen und ihre vielen 
Griinde dafur - brauchen wegen des Pathos die kuhnsten Rede- 
blumen, die man auf der Haut (wie der Wilde seine tattowirt und 
beblumt) noch den dritten Tag abends sieht - und solten diese re- 
dende Kiinste unterbleiben lassen, wenns nach des Polizeikom- 
missarius Kopf hienieden gienge; aber ich hoff e , es geht gar nicht 
nach des Polizeikommissarius Kopf hienieden. Wil man denn 
niemals so weit kommen, den metaphysischen Generalpachter, 
Helvetius zu fas sen, der ein guter Stylist war und schrieb, ohne 
Hande ware der Mensch ein wahres Vieh? Er wuste namlich so- 
viel von meiner Theorie recht gut voraus, daB die Hande die 
Sprachorgane sind, mit denen der Mensch zum Leibe eines andern 
Menschen so heftig redet; aber er hatte mein philosophisches 
System vom Prugeln der Menschen den Franzosen viel deutli- 
cher vortragen sollen: er hatte ihnen sagen sollen, aus welchen 
Griinden er defn Sinne des Gefiihls einen grossern Beitrag zur 
menschlichen Erkentnis beimesse als dem Gesichte und Gehor, 
weil die Franzosen sich noch bis auf diese Minute einbilden, er 
rede wol nicht von Schlagen, die das Gold der Erkentnis im 
Menschen so ausserordentlich auseinander breiten und entfalten; 
Helvetius hatte den Ausspruch Salorno's (er hatte aber gewis ihn 
nicht einmal im Kopfe) »die Worte des Weisen sind Spiesse und 
Nagel« ganz eigentlich nehrnen sollen und ganz nach meiner 
Theorie; er hatte nicht auf mich passen sondern selbst erinnern 
sollen, daB die Menschen vor und nach der Sundfluth Stocke aus 
keinen andern Griinden getragen haben konten als weil diese 
eine verlangerte Hand, eine Sprachwelle oder ein Sprachrohr der 
allgemeinen Natursprache sind - er hatte iiberhaupt einer der 
tiefsinnigsten Philosophen sein sollen. Viele der leztern werden 
viel zu uneingeschrankt verstanden, wenn sie in ihren schwarz 
und weissen Paragraphen sagen, bios durch Sprachmangel sei 
der Affe von Menschen abgeschieden; denn es sind Zeugnisse 
von Naturkiindigern und Reisebeschreibern da, daB der Urang- 
utang nicht so weit vom Menschen absize, daB er nicht haufig 
einen schlechten Stok anfasse und damit nach Gefallen zupriigle; 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • I. AKT. I. SZENE 549 

daher ist noch lange nicht untersucht, ob der Affe kein Mensch 
sei, da ihm so offenbar keine andere Sprache fehlet als die des 
Luf trohrenkopf s . 

Daher hat noch keine Nazion dieses Sprachorgan, den Stok, 
aus den Handen geworf en und ich selbst mache mich noch durch 
ein ruthenformiges Rohrgen lacherlich, dessen Dikzion im 
Nothfal viel zu elend ware. Daher behaupten auch die grosten 
Folianten und Wissens-Fasser - die erst auf die Bouteillen der Se- 
dezbiicher gezogen werden miissen, eh' man etwas daraus ver- 
kostet - daB es ganz natiirlich und uralt sei, wenn die Menschen 
kein wichtiges Amt ohne einen Stok verliehen, welches die Juri- 
sten nicht anders nennen wolten als die investitura per baculum 
und den Europaern sind der Krumstab - der Marschalstab - der 
Kommandostab und andereTheile des Gebalks des Staatsgebau- 
des vielleicht bekant: derm grosse Beredsamkeit, und nicht Ge- 
walt, regiert und lenkt unsere und alle gute Staaten, es sei nun, 
daB diese Beredsamkeit zu ihrem Werkzeug und ihrer Zeiger- 
stange die Zunge (wie in Athen und England) oder daB sie dazu 
den Stok erkiese (wie in Sina) p. Selbst der Zepter hat seinem ur- 
spriinglichen Gebrauch nach eine viel bessere Bestimmung als 
seine iezige stumme und Homer hats in seiner Ilias fleissig ange- 
zeichnet, wie oft Agamemnon damit seine Landskinder und 
Landstande ausgeprugelt. 

Ich wiirde mir aber mit langerem abstrakten Denken dariiber 
selber schaden und durch Anstrengungen dieser Art stahF ich 
leider alzeit meine bekanten Leber- und andre Verstopfungen auf 
Wochen lang - dieser fatalen Sperordnung meines Unterleibs hab' 
ichs auch ganzlich beizumessen, daB ich mir bisher nicht vor- 
nahm einen gewissen Kant in Konigsberg total zu widerlegen 
und iiber seine ganze philosophische Ernte einen Wetterschlag 
zu zaubern, so nothig es sonst sein mag - denn ich weis zu gewis, 
that ichs, so gieng' ich nach einem Monat vol Qualen mit Tod 
ab und mit aufgelaufenem Leibe und wiirde im Himmel friiher 
rezensirt als auf der Erde mein opusculum. Daher wil ich bios 
mein Prugelkomtoir und seine Gemacher mit Verstande be- 
schreiben. 



550 JUGENDWERKE • )". ABTEILUNG 

Im ersten Zimrner wird von einem Madgenschulmeister ein 
reines dogmaticum gelesen und der Mensch erhalt darin die or- 
thodoxesten und dogmatischsten Priigel, die es auf der Erde 
giebt. Die ganze Welt kan es noch nicht vergessen haben, daB 
die bohmischen Deisten vor einigen Jahren nicht durch Gewalt, 
Verbrennung oder etwas schlimmers bekehret wurden, sondern 
durch iiberredende Griinde und kunstliche und natiirliche Be- 
weise, die in dieienige fiinfte syllogistische Figur gebracht wa- 
ren, die bekantlich bios wie ein Stok aussieht: mit diesern logi- 
schen Stocke konte und muste ein deistischer Hintere so lange 
beriihrt und manipulirt werden, bis er sich zu einem katholi- 
schen exaltierte - und so miissen stets der lutherischen, kalvini- 
stischen Kirche verdorbne Glieder amputiret werden, um sie der 
katholischen anzuschrauben. Recht viele Deisten liessen unter 
diesem Stok- Pochwerkeihr kezerisches Erz verspringen und von 
Einem weis ichs seit Einem Jahr gewis, namlich von mir selbst. 
Ich war der allerboheimischste Deist, schrieb das Wort aber bios 
mit einem Th. Vergeblich wolte man meinen siechen Kopf 
durch elektrische Lichtfunken der Belehrung heilen und es ver- 
fieng wenig, an meinem Himmelsglobus , bis man sich mit mei- 
nem Erdglobus alliirte und meine alleinverdammende Irthiimer 
von unten auf raderte. Ich hatte mir vorgenommen, unter den 
Missionsanstalten auf meinem Hintern, manche Beitrage zur 
Erfahrungsseelenkunde aufzusammeln und acht zu geben, wie 
er und meine Seele den Akatholizismus fahren Hesse und ein 
Konversus wiirde. Ich kan es aber keinem Menschen - auf die- 
sem Avertissement, aber wol im ersten Zimmer des Bureau - 
beibringen, wie schnel der Stok als Staubfaden in mich die ka- 
tholischen Unterscheidungslehren einsaete; und sieben und 
zwanzig Empfindungen inkorporirten mir so viel vom ganzen 
tridentinischen Konzilium und vom ersten Bande des Bellar- 
mins, daB ich abends weder sizen noch ewig verdamt werden 
konte. »Den Henker, sagt' ich, ihr macht mich gar zu katholisch 
und der alleinseeligmachende Stok und ich gehen dariiber ent- 
zwei.« Da es vorbei war und mir meine Wiedergeburt noch 
wehe hat: gieng ich, um nicht darauf zu merken, sehr herum und 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • I. AKT. I. SZENE 55I 

philosophirte offentlich vor alien Leuten: »mit den schlagenden 
Handen wird die Rechtglaubigkeit in den Knaben gesaet und ge- 
pflanzt, weiterhin lauft sie wie Hopfen am aufstellenden Stabe 
hinauf-ich wil (bei meinen Hundsschmerzen) damit so viel sa- 
gen: der Mensch ist ein[e] wahre Harmonika vol reiner Lehren 
undMeinungen, die nur gespielet zu werden braucht (wie heute 
meine Kontrabas- Glokke): dies geschah an Knaben mit den blos- 
sen Handen; allein die Tastatur durch Stabe ist neuerer Zeiten 
einmal erfunden worden und wir bohmischen Ex-Dei sten miis- 
sen das zu unserm grosten Nuzen gefiihlt haben . . . Meine Be- 
kehrung schmerzt mich aber immer arger und ich wolt\ ich 
konte nach 4 Tagen schon sizen. « 

Danach Hallerdev Affe sich vom Menschen durch Mangel ei- 
nes Steisses unterscheidet* - welches weiter kein Vortheil fur 
den Aff en ist, der deswegen ewig in seinen Irthumern und Schis- 
men gelassen werden mus und weder in einen Proselyten des 
Thors noch der Gerechtigkeit umzuarbeiten ist -: so soke der 
Mensch sich freuen, da er einen anhat und soke mit ihm als sei- 
nem moralischen Gefuhle zu mir kommen und sich in meinem 
Bureau (es kostet ihm ein Weniges) von alien den Sazen iiber- 
fuhren lassen, die er zur Seeligkeit nothwendig braucht und doch 
noch bezweifelt. 

Denn ich salarire ia die Leute dazu, namlich den besagten 

* Das wissen aber tausend Menschen nicht, wie iiberhaupt die ganze 
Hallerische Physiologic, sondern bios den Damen ist es bekant. Daher 
wollen Damen aller Art, auch Puziungfern und andere weibliche Kron- 
beamten den Geschlechtskarakter, der Menschen von Thieren auseinan- 
der halt, ausserordentlich vergrossern, namlich den Steis, namlich bios 
durch einen pari[si]schen Ditosteis, welches auch angieng. So lange diese 
Mode wahrte, war es gewissermassen - bei einer so vergrosserten Penul- 
tima des natiirlichen, und Antepenultima der ganzen Dame, ich meine 
bei so erheblichem Indossement des natiirlichen - ein leichtes Spiel und 
ein Spas, eine Dame und eine Aff in nicht zu vermengen und ich wuste 
schon auf zwanzig Schritte, woran ich war; aber diese naturhistorische 
Mode ist weg und ich mus mich deswegen, ob ich gleich meinen Buff on 
auswendig kan, vielen Damen auf 7999 Schrit nahern. 



552 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

Madgenschulmeister, der nichts anders thut und that. Ich 
wiinschte, ganzBohmen ware mit Deisten besaamet; der Schul- 
meister wiird* es umzuschmieden wissen, weil er ist wie der 
Herzog Ernst zu Gotha. Wie dieser die christlichen Hauptlehren 
auf grobe Miinzsorten pragen hies: so halt der Schulmeister ei- 
nen langen Pragstok in Handen und wil verhenkert aufpragen, 
und miinzte seit seinem Amte mehr Papisten als irgend ein Jesuit 
seit seiner Prof esse. Hatte er denn iiberhaupt in seiner Normal- 
schule einen andern Mitregenten und Kollaborator als seinen ge- 
genwartigen Stok? War lezterer nicht die Deichsel, an der die 
ganze vorgespante Schule zog? Konte er nicht die Saftrohre und 
der Stechheber genant werden, die an den Kinderriikken auflief 
und sie mit wissenschaftlichem Nahrungssaft trankte und 
durchgos? Und kont' er das nicht genant werden: war er dan 
nicht mit einem, eben so guten, metaphorischen Namen zu be- 
legen, als z. B. mit dem einer fistula eucharistica und eines Lad- 
stoks alles Wissens? Und, urn vom Stok auf den Schulmeister 
zu kommen, was wird iezt die Welt vom einen auf den andern 
schliessen? und von beiden auf mich, den zeitigen Entreprenneur 
eines Prugelbureau, das Gemacher genug hat? 

Denn ich beschrieb iezt bios das dogmatische, aber es ist auch 
ein iuristisches da, wo Erb- und Gerichtshern ihren klagenden 
Unterthanen die nothigsten Urthelschlage geben lassen konnen, 
es sei nun Interlokutpriigel es sei Definitivprugel: denn ich habe 
einen alten Edelman, der nichts mehr hatte als zwei Papiere, ei- 
nen Bettelbrief und einen Adelsbrief und der ausser seinen Lehn- 
leuten niemand arm gemacht als den Lehnhern, namlich sich 
selbst, dadurch wieder ganz reich und gluklich gemacht, daB ich 
ihm ienes Gemach und einen mausefarbnen Stab und mithin die 
Exekuzion der Gerichtshalter-conclusa wirklich gegeben. Daher 
springt er iezt darin herum und wil alle Lehnleute in der alten 
Welt sonderlich auspriigeln, wenn alle Lehnhern darin es auch 
wollen. Das solten sie aber stundlich - nicht etwan meines weni- 
gen Nuzens, sondern ihrer Ehre und ihrer Gerichtsverwalter 
wegen. Leztere solten (das darf die Billigkeit von ihnen begeh- 
ren) durchaus mit den armen Partheien in ihren haufigen Dekre- 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE * I. AKT. I. SZENE 553 

ten nicht die unverstandliche lateinische Sprache (die hof f entlich 
immer mehr in unverstandliche deutsche Termen wird liberse- 
zet werden), sondern die algemeine Natursprache reden, welche 
die Partheien so oft selber mit einander iiben und in der gerichtli- 
che Beredsamkeit so leicht ist. Der hiesige Amtman Schodel 
denkt viel anders und besser; allein wenn es auf den ankame, so 
mocht' es seinetwegen die iuristische Welt in Ewigkeit nicht er- 
fahren, daB er fiir Leute, die einem Amtman Depositengelder 
abverlangen-Leuten, denen man vergeblich vorhalt, daB solche 
Deposita wie Reichspfandschaf ten ungern heimgegeben werden 

- periodos adversativas zu drechseln wuste, die doch eingriffen 

- er nahm namlich ein rechtliches Informat, das am Repositorio fiir 
Pferde und Menschen hieng, herunter und insinuirte es zur rech- 
ten Tageszeit dem Depositen-Sollizitanten. Solche Elaborazio- 
nen auf dem Riicken konnen iedem gef alien. Alsdan en dies er 
den Kerl mit derienigen wahren Gelassenheit, die ieder und auch 
Schodel alzeit hat, wenn er den Depositengelder-Supplikanten 
fiir eine glatte weisse Billardkugel ansieht und seinen rechten 
Arm als den langen Quee und den linken als den Bok so an den 
Sollizitanten sezt, daB dieser durch die Bewegung, die er vom 
fremden Korper auf f asset und durch seinen eignen fortsezt, sich 
am Ende iiber die Bande der Billardtafel d. i. des eine Treppe 
hohen Hausplazes leicht hinausbringt. Jezt kan mans vielleicht 
besser fassen, wenn nachher der Sollizitant bei Gelegenheit 
riihmt, Schodel hab' ihn einigermassen abgepriigelt und nachher 
die Treppe hinabgeworfen - welches in der That nicht weniger 
ist als, der Depositar habe den Deponenten hinabdeponirt. 

Soltennun ein guter Entreprenneur einer Priigelfaktorei, hin- 
ter dem vielleicht viel ist, und sein alter Edelman, der gar nichts 
mehr hat als einen Aktenstok zum allersummarischsten Verf ah- 
ren, werth sein, daB sie beide vergeblich darauf pasten, daB Erb- 
gerichte von Betracht - und lagen sie 7 Meilen von uns beiden 
ab - ihre Hintersassen, die iene besagten siebe'n Meilen fast gratis 
ablaufen mussen*, zu uns (als der Exekuzionsarmee) etwan 
* Unter die ungemessenen Dienste der Hintersassen gehort das /^ 
1% bezahlte Botengehen, von dem der Rittergutsbesizer despotischen 



554 JUGENDWERKE * 5.ABTEILUNG 

schicken wiirden, damit sie von uns nichts abholten als Priigel? 
Und wer gedenkts zu verantworten? 

Viele Prof essionisten, die den ganzen Tag nicht sowol fremde 
Welten als die Schuldenmassa der Edelleute und Offiziere auszu- 
messen suchen, kamen zu mir und sagten, sie hatten halb geho- 
ret, ich wolte fur beide in meinem Bureau bezahlen: das ist wahr, 
aber nicht nothig. Haben denn nicht ehrgeizige Offiziere den 
Degen von der Wand oder Seite herabgenommen und den Stie- 
felwixer (ob er gleich sein Geld mit zu vielem Troz einfoderte) 
mit dem Degen - wie denn schon bei den Spartern die Waffen 
zugleich Geld gewesen - dadurch abgezahlt, daB sie dem Wixer 
damit soviel aufzahlten bis es ihm selber nicht zu wenig war? 
Und soke jener Landsasse der einzige sein, in dessen Stube ich 
selber mit war und der an seine grosse Pflicht dachte und dem 
Mannsschneider, der fur seine blosse Arbeit und sein blosses 
Nota Geld begehrte, dennoch seine eiserne Elle aus den Handen 
zog, um den Mansschneider mit dem namlichen Maase abzu- 
messen,womit er ihn und seine Kleider gemessen hatte? Und 
sas ich nicht drei Ellen da von und mahnte den Schneider an, liber 
eine solche antike Bezahlung ausser sich zu kommen und iiber- 
haupt zu bedenken, daB das Geld der alten Britten auch in langen 
eisernen Stabenbestanden? Gleichwol wolten sie noch mehr Ar- 
beitslohn haben, ausser dem unmetallischen. 

Da aber unmoglich ein Edelman und Offizier Arme und darin 
Muskelkrafte genug haben kan, um auf diese Art ieden Profes- 
sions ten redlich zu befriedigen: so mus ja der Adel und der halbe 
Generals tab es mit Vergnugen horen, daB ich fur beide in mei- 
nem Bureau vermittelst achter spanischer Rohre und guter Reit- 
peitschen einen Tilgungsfond (sinking fond) wirklich angelegt - 
Schuster, Reitknechte, Satler, Mauerer und ieder wer nicht 

Misbrauch machen konte wenn er wolte; aber zum grosten Gliik (ich kan 
mirs nicht erklaren) wil ers niemals, sondern er lasset erstlich den Hin- 
tersassen selten (vielleicht wochentlich nicht iiber 7mal) und zweitens 
nur in so wichtigen Bediirfnissen Botenlaufen als die z. B. sind wenn er 
ihn 3 Stunden in die Stadt absendet, damit er ihm fur I Kreuzer Tabak 
hole. 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE ■ I. AKT. I. S2ENE 555 

Grossirer im Leihen ist, sollen nun in mein Lombard laufen und 
gegen eine Assignazion ihres adelichen Schuldners, von mir die 
Bezahlung in Empfang nehmen, die sie mit Recht von einem 
nicht insolventen Edelmanne erwarten. 

Wenn Katholiken gefirmelt - Lehriungen graduirt - iunge 
Edelleute aus dem Pagenstande erhoben - oder auch wenn Wie- 
ner Damen auf der Retoude beleidigt werden: so giebts dabei 
viele Zeremonien, aber die groste ist eine kleine Ohrfeige, die 
bisher von niemand ertheilet wurde als von Menschen. Denn 
mein Unstern lies mich nicht eher als vor sechs Wochen meine 
Ohrfeigenmaschineeriinden und aufstellen. Sie hat Hande fur alle 
Staturen des Menschen, folglich nicht so wenige wie Briareus 
oder ein indischer Goze. Mit solchen Maschinen (deren Schlag- 
werk der Ohrfinger eines Prinzen von 2 1 / 2 Jahren in Bewegung 
bringen kan) konnen freilich alien Wangen auf unserm Planeten 
in der kiirzesten Zeit und mit der kleinsten Kraft die wichtigsten 
Empfindungen zugefiihret werden und wenn das ganze manli- 
che Wien das ganze weibliche Wien beleidigt hatte: so wolt' ich 
mit meiner Maschine in 3 Stunden jenes strafen und diese repra- 
sentiren. Ich verhoffe also, man werde mir und meiner Maschine 
die Firmelungs- und andere Ohrfeigen zukommen lassen. 

Will erzahlt in seinen »Vorlesungen iiber die kantische Philo- 
sophie« eine Geschichte, die ihm niemand erzahlte als ich. Denn 
ich war gerade mit in Gottingen und im Streite. Der Moselaner 
sagte, Kant habe Recht - der Niedersachse schiittelte seinen 
Kopf ein wenig dazu, und nachher (aber mit andern Muskeln) den 
Kopf des Moselaners viel starker. Man mus noch vorher das 
philosophische Axiom wissen, daB die Metaphysik nirgends 
wohnet als im Kopfe der Menschen der ihr Mausethurm, Papa- 
gaienbauer, Gradierhaus und Mirakulatorium oder Zurchisches 
Wunderhausgen ist. Daher musten beide Litiganten vor alien 
Dingen, jeder nach dem metaphysischen Gehause des andern, 
nach dem Kopfe fangen, folglich - da keine andere Handhaben 
und Henkel an ihm sind - bios nach dessen Haaren. Man stelle 
sich iezt beide mit ihren Fingern als mit Schmuknadeln in den 
gegnerischen Haaren vor, die wie Speichen zur Drehung des 



5 5 6 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

Kopfes als eines Kamrades und Drehkreuzes dienen konten und 
musten. Das sind nun eben die peristaltischen Bewegungen des 
Hauptes, die der Denker am andern zur Verdauung seiner Unter- 
scheidungslehren veranstaltet. In der That wenn schnelle Bewe- 
gungen des Kopfes (wie beim Schwindel) in ihm das Blut auf- 
thurmen und mithin die Absonderung des zur Aufklarung 
nothigen Nervensafts verdoppeln: so that der Moselaner am 
Niedersachsen und dieser an ienem was er nur konte, mit der 
Hand (sobald sie nicht daniber schrieb), um die reine Vernunft 
des Moselaners und des Niedersachsen zu kritisieren und die 
Antinomic und Heteronomie der reinen Verminftler war fast so 
gros wie die der reinen Vernunft selbst. 

Das zwang mich, ein vortrefliches philosophisches Disputato- 
rium meinem Bureau einzubauen. Bisher wurde wahrhaftig 
noch wenig zur Widerlegung der Kantianer gethan und es war 
keine unverfalschte Logik da, die Zeno mit einer zugeschlossenen 
Faust verglich (wie die Beredsamkeit mit einer omen, weil sie 
vielleicht immer etwas hineinhaben wil); aber ich darf ganze 
philosophische Schulen, in die Kant lyrische Unordnung hinein 
gespielt, ein wenig ersuchen, in mein Disputatorium und zum 
Respondens darin zu kommen, der hoffentlich ganz des Teufels 
ist in der Hauptreparatur ganzer kommender Schulen - wahr- 
haftig die iezt lebenden Systematiker sol ten sich zu den Reisedia- 
ten erbieten und die Jenaische Rezensenten zum Respondens 
schicken, an dessen Arm richtige Zenonische Logik sizt und in 
Bewegung ist; der Respondens wiirde der Welt auffallen und 
dienen mit seiner petrizifirten Faust, weil er diesen K[n]auf als 
eine Leuchtkugel auf Kantianer wiirfe, und ihn der Wahrheit 
liehe als Thiirklopfer, mit dem sie an kantische Leiber heftig 
anhammert und weil er ieden Finger zu stechenden Zeige- 
fingern auf den Wahrheitssteig ausstrekte. Solchen Responden- 
ten ruhmet man nachher mit Vergniigen nach, daB sie nicht mit 
poetischen Figuren und nichts beweisenden Bildern zu iiberzeu- 
gen gewust, sondern mit etwas besserem - am allerwenigsten 
mit Griinden, sondern wie (nach Nosselt in Halle) den gemeinen 
Leuten die Grunde, die der Gelehrte vor ihnen zum Glauben an 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE ■ I. AKT. I. SZENE 557 

eine Offenbarung voraushat, durch einen iibernaturlichen Ein- 
druk vom Werthe dieser Offenbarung vergiitet wird: so theilt der 
sichtende Respondens nicht sowol Griinde als hef tige Eindriicke 
aus und widersteht der kantischen Metaphysik und Moral mit 
Frakturen, theils mit einfachen, theils mit doppelten, theils mit 
blossen Knochensplitterungen. 

Dan wird sich Kant grasgriin dariiber argern; aber es ist ia wi- 
der seine ganze Moral und ich treibe doch mein Handwerk in 
meinem Bureau nur immer arger, wie man sogleich sehen wird. 

Ich schlage namlich die Soldateska halb tod, urn ihr das liebe 
Leben zu erhalten so gut ich kan. Es ist vielleicht nicht die 
schlechteste Einrichtung bei vielen Heeren, daB die Offiziere den 
Gemeinen - da man iezt Blattern, Pest und Viehseuche einimpft 
- auch die iibrigen Krankheiten und die ganze Pathologie inoku- 
liren diirfen. Durch das Medium der Einimpfung erleiden gewis 
alle Krankheiten die wohlthatigste Brechung. Es ist daher ganz 
natiirlich, daB ich aus den Mortalitatstabellen der Armeen sehr 
leicht ersah, wie gut es ist, daB der gemeine Soldat durch Krum- 
schliessen Blutspeien und Schwindel, durch Stok und Degen 
Schwindsucht, Leistenbriache p. inokulirt erhalt und mithin 
ganzlich ausser Gefahr gesezet wird, diese Krankheiten auf dem 
gefahrlichern Wege der Anstekkung, Angeburt p. aufzufangen. 
Allerdings schos ich selber mit bei Leichen, die wegen und nach 
solchen Inokulazionen doch beerdigt wurden und nicht allein die 
Blattereinimpfung fodert Todesopfer als Leibzol ein; aber bei 
Einimpfungen vertauschet man doch die Dezimazion gegen die 
Zentesimazion und dan konnen Ober- und Unterfeldscheer 
nicht darein reden. 

Soke und woke nun nicht der Wehrstand einem armen Teuf el 
von Priigeloffizianten (er wok' er war' ein reicher Teufel), der 
in sein Bureau schon ein Inokulazionshospitalgen eingemauert, 
die ganze Kollatur und Spedizion dieser Dienstkrankheiten 
zuwenden? Es ware vom Regimentsmedikus in einem Paar Ta- 
gen auszurechnen, wie viel ein Gemeiner Prugel vonnothen 
hatte, bis er Schwindsucht, Briiche und alles hatte - man werfe 
mir 1 / 9 von den Urlaubsgeldern und selten eine alte Montur aus, 



558 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

so fass' ich meine iV 2 Ellen lange Lanzette an und impfe unsag- 
lich ein und mit schreiendem Erfolg, weil die Pazientenmiliz vor 
und in der Kur wie gewohnlich fasten miiste und nichts verzeh- 
ren diirfte als die ordentliche Lohnung und das Kommis- 
brod. 

Wenn zuweilen der Vater oder der Hofmeister das Kind ge- 
schlagen: so versaumt die Mutter oder der Vater seine Pflicht da- 
durch nicht, daB sie oder er Repetent im Priigeln wird; allein in 
welchen Arten von Schlagen sperr' ich der Welt mein Repetito- 
rium auf? eigentlich in alien. - Ich war niemals in Abrede, da/3 
ein Fliigel meines Bureau in eine Junker-Pensionsanstalt oder in 
ein adeliches Padagogium umzugiessen ist - denn man miiste gar 
nicht wissen, was ein »Bubenzuchtmeister« (so nente man sonst 
adeliche Hofmeister) zu alien Zeiten sein sol und daB ich ihm, 
war' ich sein adelicher Scholarcha, nichts bezahlen wiirde und 
konte als die von seiner sokratischen Hebammenmethode zer- 
springenden Stocke; man miiste ferner gar nicht wissen, daB die 
ritterlichen Turnierubungen, denen sonst sogenannte »Prugel- 
knechte« beiwohnten, durch die iezigen Hausinformazionen ganz 
erseztund kopirt werden miissen, denen mithin etwas ahnliches 
beizuwohnen hat, und daB man dieses Ahnliche einen adelichen 
Hofmeister nennen kan: wenn man mich und das baierische 
Schuldirektorium* anfahren wolte, weil wir beide uberredet 
sind, daB ein Schulbackel oder Stok vielleicht nichts geringers 
ist als ein wahrer diinner wiewol unorganisirter Mentor und 
Edukazionsrath und la Bonne. - Es kan ohne Eigenlob gestan- 
den werden, daB meine vier adeliche Eleven, die ich sonst infor- 
mirte und frisirte und die dieses schlechte Avertissement an ihren 
guten betagten Lehrer erinnern sol, doch selber den grosten 
Vortheil (in Vergleichung mit mir) davon hatten, daB ich mir aus 
ihren Kopfen und Haaren almahlig in den Lekzionsstunden drei 

* Sollen da padagogische Priigel ausgetheilt werden: so mus ein Me- 
morial dem kurfursd. Schuldirektorio iibergeben und dem Rektorat 
wieder von diesem kommunizirt werden, damit es Bericht erstatte. Erst 
alsdan kan Serenissimus die Zahl der Priigel, die erziehen sollen, resolvi- 
ren. Alg. deutsche Bibliothek. B. 70. S. 253. 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • I. AKT. I. SZENE 559 

weiche mausefarbne Stuzperiickenzusammenzupfte, wovon ich 
noch eine aufhabe, wiewol der Periickenstok die andere aufhat 
zuna Andenken dieses meines Seidenbaus- denn ich entlaubte den 
Kopf von aussen sehr, um die Friichte innen schneller zu reifen, 
wie man im August das namliche aus den namlichen Griinden 
mit dem Weinstok thut. Und was hab' ich oder ein anderer denn 
dabei eingebiisset, da8 ich wahrend meiner Ehe - die bios eine 
fortgesezte Hausinformazion der Frau sein sol - die Viertelstun- 
den meiner Erbossung alzeit, mir und andern zum Besten, damit 
hingebracht, da6 ich aus dem Haupte meiner Gattin mit den 
blossen Fingern (wie mit Federzangelgen) soviel Haare aushob 
als ich und Sykes in Paris*) durchaus brauchten? Und wenn ich 
besagte Haar-Exzerpte wirklich ohne Hinsicht auf die Rebellion 
an den besagten Pariser versandt hatte: wiirde mir der nicht ein 
recht schon daraus gestriktes Portrait meiner abgeblatterten Frau 
zuriikspediret haben? Ich wolte aber, diese Digression hatte sich 
in dieses Avertissement hereingeschikt. 

Sollen uberhaupt Bauern beim Treibiagen halb oder mehr er- 
schlagen werden - wil ein Man von Stande seinem Bedienten 
oder einem Satiriker, der nicht werth ist erstochen zu werden, 
oder die romische Kirche ganzen Kapiteln und Konfraternitaten 
Striemen, Inzisionen, furunkulose, zystische und andere Verle- 
zungen aufnothigen und aushandigen: so bin ich hoffentlich so 
gut da wie mein Avertissement und in der Zeitungsexpedizion 
ist von meiner Priigelexpedizion viel nahere Nachricht zu erfra- 
gen und es werden (hoft die Welt) die Landstande heuer keine 
Steuer auf die Priigel legen lassen. 

Georg Oehrman & Compagnie 



* der im palais royal Portraits verkauft, die aus Menschenhaaren ge- 
macht sind. 



$60 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

2. Szene 

Die Rede worin der Teufel auf unserer Maskerade hinlanglich darge- 
than, dafi er gar nicht existiere 

Die ganze Retoude kam natiirlicher Weise halb ausser sich und 
das Orchester aus dem drei achtel Takt, als der Teufel in einem 
rothlichen Mantel zur Thiire hineingukte und nachher hinein- 
schrit. Er hatte eine kurze Kanzel unter dem Arm, wie es vielen 
beim Auseinanderflattern des Mantels vorkam; allein ich war 
einmal bei Gelegenheit in Italien herumgewesen und sah den 
Augenblik, daB die tragbare h. Statte weiter nichts war als die i 
dem Benediktinerkloster vom Monte Cassino gestohlne sella 
stercoratoria und exploratoria. Meine zuschauenden Leser kon- 
nen vielleicht den Verfolg kaum abpassen; und so giengs uns 
Masken. alien auch, bis endlich der Satan seinen apostolischen 
Stuhl bestieg und darauf den gegenwartigen Kontroverssermon 
ablegte, den ich ganz und gar vergessen habe. Es giebt daher fur 
den Theil von Europa, der zu meinen Lesern gerechnet wird, 
vielleicht keinen gluklichern Zufal als den daB ich diesen Abend 
auf der Retoude gerade nichts bessers machen wolte als einen 
hohnischen Polizeikommissarius mit Schreibtafel und.Bleistift, 2 
um Kase und Ganse und den ganzen Markt ein wenig aufzu- 
schreiben: derin nun kont' ich den Bleistift spizen und damit stat 
der Ganse die Kasualrede nicht sowol zu Papier bringen als zu 
Pergament. Ein Harpfner neben mir wolte mich freilich iiberho- 
len und notirte die Hauptcontenta der Rede auf seinen Firigerna- 
geln auf und hofte, Nagel und contenta waren nicht zu kurz; aber 
die billigsten Biicherlustigen und Gelehrten diirften wol den 
Harpfner, wenn er mit seinem Nagel-Protokol gedrukt anlan- 
det, vor meinen Augen auslachen und mich vorziehen. 

Ich wiiste nicht, weswegen ich diese fremde Arbeit (da ich be- 3< 
kantlich so viel eigne liegen habe) hatte drucken lassen sollen, 
wennichs nicht darum thate, der Welt einmal durch Thatsachen 
zu beweisen, wie weit die Aufklarung schon ist - aller Teufel, 
und der Teufel selbst glaubt keinen Teufel mehr. Die Barometer 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • I. AKT. 2. SZENE $6l 

steigen in ganz Europa, obgleich noch breite Wolkenfliigel un- 
beweglich sich zwischen die Erde und die Sonne lagern; aber in 
kurzem wird der Himmel die Wolken einschlucken und uns mit 
einem grossen nakten Tage anstralen. Dan soke man aber auch 
wochenlang davon reden, daB diese Aufklarung ia bios das Kind 
gewisser ausserordentlicher Kopfe ist, die ihrentwegen an ihre 
Schreibpulte giengen und da alien Henker schrieben,theils eigne 
Reden, theils folgende des Teufels selbst: 

Auffallende Karaktermasken und Spizenmasken! 

to Vor alien Dingen mus ich Ihnen betheuern, daB ich keinen 
Menschen aus dem Saale zu holen komme und es sol sich nie- 
mand meinetwegen abangstigen: sondern ich wil bios eine auf- 
gewekte Katechismuspredigt von meiner Nichtexistenz herun- 
terhalten und nachher wie ieder andere mir die Maskenfreiheit 
nehmen, mit samtlichen Damen bescheiden vor- und nachzu- 
tanzen, es sei nun pohlnisch oder englisch oder nordamerika- 
nisch. 

Man mus sich vom Gastwirthe wo ich logire, keinen Augen- 
blik irre machen lassen: denn ich hab' ihn selber irre gemacht und 

20 er wird mich auf dem heutigen Nachtzettel getrost fur einen 
Amsterdamer Juden und zwar fur einen Beschneider ausgeben, 
weil ich ihm meine Krallen ins Gesicht hielt und fragte, ob er 
noch keine langen Beschneidungs-Nagel gesehen. Aber hof- 
fentlich sieht iede Maske, daB ich der Teufel bin und meine Hor- 
ner unterscheiden mich hinlanglich von den Herren, und mein 
Pferdefus von den Damen, meines Schwanzes nicht einmal zu 
gedenken, den ich die Kanzel hinunterschlage und mit dem ich 
meine Prediger^Akzion in etwas verstarken wil. 

Gleichwol reist' ich durch osterreichische Dorfer, wo ich den 

30 Leuten nicht so viel beizubringen vermochte, daB ich kein Lu- 
theraner oder Kezer ware. Wenn sie aber erfahren werden, wer 
ich wirklich gewesen; so werden sie es bereuen, daB sie mich 
nicht glimpflicher behandelt und ich lies ihnens aus Unwillen 
durch Fuhrleute zuriiksagen. 

Ich hatte allerdings (das ist schwer zu verhehlen) mit meinem 
aufgewekten Beweise, daB ich nicht existiere, wol besser in eine 



562 JUGENDWERKE * 5.ABTEILUNG 

Kirche als in diesen Saal hineingepasset: in iene wollen nur wie- 
derum Sie nicht pas sen und gehen; ich konte mir aber niemals 
auf meine matten Kanzelgaben so lacherlich viel einbilden, um 
zu erwarten, daB die grosse Welt meinetwegen eine Ausnahme 
machen und wirklich vor einer Kirche aussteigen werde, bios 
um den Teufel darin predigen zu horen. Auf solche Zuhorer kan 
in Paris sich kein Kirchenredner freuen, der nicht vollig gewis 
ist, daB er die Gabe im hochsten Grade besize, Got zu lastern: 
verschiedeneBesessene pflegen da iahrlich (nach Mercier) in der 
h. Kapelle an der Charfreitagsnacht, wo man zu ihrer Genesung 
Rudera vom h. Kreuze auslegt, Got zu lastern, aber mit so weni- 
ger Erbauung fur unbesessene Pariser als priesen sie Got; einmal 
hingegen blasphemirte einer so ausserordentlich und so ge- 
schikt, daB im andern Jahr die ganze grosse Welt vorgefahren 
kam und dem besessenen Sprecher als einem Bourdaloue in sei- 
ner Art zuhorchen wolte. Der besessene Satirikus war aber gar 
nicht mehr zu haben oder schon exorzisiert. 

Das Orchester sol unter meinem Predigen weiterspielen: wir 
beide bringen dadurch ein zufalliges Melodrama heraus, indem 
ich sehr rede und agire und indem das Orchester um dieses Re- 
den und Agiren musikalisches Laubwerk und Fruchtgehang 
herumsezt. Dabei kan noch obendrein der Chorion meiner Pre- 
digt hart und friedlich an dem Kammerton der Instrumente ne- 
benherspringen. 

Vor ungefahr lojahren waren in ieder Ekke Deutschlands 
Theologen Trupweise im Kopf- und Faustkampfe begriffen, ob 
ich existiere. Viele beiahten es; und ich thats selber. Ja ich triebs 
so weit, daB ich in das Dintenfas, womit Luther mich geworfen, 
neue Dinte schiittete und damit verschiedene Brochuren und 
Traktate fur meine Existenz zusammenschrieb; aber Buchhand- 
ler und Markthelfer glauben noch heute, es waren verschiedene 
Arbeiten von Stadtpfarrern und Subdiakonussen und selbst die 
Mietauer Rezensenten konten wegen den Verkezerungen und 
Schmahungen nicht anders, womit ich besagte Brochuren 
durchsalzen. Diese Bucherschreiberei schraubte erst den Irthum, 
daB ich existirte, recht tief in mich ein und ich wundere mich 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE ■ I. AKT. 2. SZENE 563 

iezt, daB mir wieder geholfen werden konnen. Aber Kant half 
mir, dieser Antichrist fur die Metaphysik, dieser Messias der 
Philosophic Denn ich hatte seine Kritik der reinen Vernunft 
noch nicht bis zum Bogen Aa durchgelaufen und wolte sie erst 
kollazioniren, weil bei meinem Buchhandler haufig kastrirte 
Ausgaben zu haben sind - als ich schon merkte, wie wenig ich 
existierte und mich reueten wie es scheint meine Subdiakonats- 
Broschiken und die Stinkkugeln, die ich daraus in heterodoxe 
Schlafrokke hineingeschossen. Man kan sich .vorstellen - da 
schon ein gottingischer Student, der doch wirklich (wie aus 
Gottingen versichert wird) war, durch Kant Zweifel seiner Exi- 
stenz einsog und auch an diesen Zweifeln umkam - wie das Buch 
mich angreiffen muste, der ich nicht einmal wie der Gottinger 
eine Existenz hatte, sondern nichts war. Ich schos vom Sessel auf 
und spazierte auf und nieder und hielt meine konvergirende 
Hande straf vor mir voraus und pichte den Blik auf sie: »ein 
Elend aber ists und bleibts, sagt' ich, daB ein ehrliches unschul- 
diges Wesen ganze Jubileen und a parte post-Ewigkeiten lang 
mit sich umgehen kan und doch erst darnach und nicht eher von 
blutfremden Leuten erfahren mus, daB an ihm selber hinten und 
vornen gar nichts ist. Der Henker hole sowol die freien Lands- 
kinder in Kaldaa als die dasige inhaftirte Judenschaft, die mir 
zuerst meine Existenz weisgemacht und aufgeheftet und weiter 
kein Mensch: nachher woltens Armenkatecheten und Waisen- 
hausprediger und Fruh- und Vesperprediger auch nachmachen 
und pfahlten mich in meinen Irthum nur immer fester ein. Aber 
am jiingstenTage sol weitlauftig aus der Sache gesprochen wer- 
den: ich werde ganze Domkapitel und Oberkonsistorien fragen, 
obs nicht ihre Pflicht war, mir und andern Interessenten nicht 
vor[zu]halten, daB ich ein kaldaisches Meteor ware - ein opti- 
scher Betrug - ein Vexirbild - ein Ehren- und kein wirkliches 
Mitglied - ein pium desiderium.« Wahrend dieses Selbstge- 
sprach sah' ich meine Gestalt im Spiegel, mit mir auf und ab- 
springen: »wer (fragt' ich entsezlich erbosset) gestikulirt mir da 
im Spiegel nach? wilst du mir, du Gestalt, auch mein Dasein 
vorspiegeln und machest mich deswegen nach? Oder mach' ich 



564 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

vielleicht dich nach? Und welchen Schwanz hor' ich auf der Stube 
herumbursten und schleifen, thuts deiner oder meiner?« Dieses 
philosophischen Salpeterfrasses wegen, der mich immer diinner 
baizte und zersezte, verfiigt' ich mich in die kaiserlichen Erb- 
lande und schauete da der Universalgeschichte zu wie auch der 
Reichshistorie und der Geschichte der Menschheit. 

Auf dem Postkissen kont' ich der Sache und dem Kant kalter 
nachdenken und wurde immer mehr iiberzeugt, daB ich auf ie- 
den Fal nicht existierte - welches fur ganze Korporazionen und 
»hollische Feuerklubs« ein fataler Streich sein mag. Es wurde 
heute abends kein Domino Einen Sprung thun konnen, wenn 
ich so lange auf meiner Sak-Kanzel bleiben und reden wolte bis 
ich alle dieEinwendungen, die man von einem Jahrhundert zum 
andern gegen meine Nichtexistenz ausgesonnen, vollig nieder- 
gerungen hatte; aber ich w^erd' es dadurth wieder einbringen, 
daB ich - weil es ohnehin schlechte Ehre ware, wenn der Teufel 
ganz der sudhollandischen Synode nachbliebe, die einen Preis 
von funf und dreissig Dukaten auf die beste Widerlegung des 
Pries tleiischen Buchs »von den Verfalschungen des Christen- 
thums« aussezte - daB ich sag' ich eine Quaterne im Landeslotto 
zum Preis fur die beste Schrift verheisse und ausstelle, welche 
gegen so viele und hundertiahrige Scheingrunde und noch altere 
Exegeten mit den besten Griinden darthut, daB ich nimmermehr 
existiere; und nachher wil ich mit der Hand des Waiseniungen 
zum grosten Schaden des Lottodirektors die Quaterne schon 
hervorziehen. 

Natxirlicherweise schlos ich auf dem Postkissen folgender- 
massen, aber viel weitlauf tiger: ein Kantianer, der den Teufel 
laugnen woke, miiste lateinisch reden und auf oder unter dem 
Katheder vielleicht so schliessen: »wenn der Satan mein Oppo- 
nens sein wolte wie ich nicht hoffe: so kont' er seinen Leib und 
sein Ich dabei zu nichts und zu keinem einzigen Einwurfe ge- 
brauchen. Denn ware sein Korper auch kein parastatischer: so 
wiirde der bose Feind doch allemal sich als einen so guten empi- 
rischen Realisten zeigen, daB er wiiste und sagte, ein Korper sei 
bios eine Modifikazion der Sinlichkeit oder eine Vorstellung, 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE ■ I. AKT. 2. SZENE 565 

von der ausserhalb und ienseits der Vorstellung nichts zu finden 
ist und vom unbekanten X, das dem Phanomen seines Leibes 
unterliegt, von diesem Je ne sais quoi, dieser unsichtbaren Son- 
nenfinsternis, diesem heimlichen Zeugungstheil des Scheins 
weis der Teufel nicht mehr wie vom Nichts selbst. Ich nahm an, 
er habe keinen parastatischen Leib; aber er hat noch dazu einen, 
wie er selbst am besten weis und alle Haare, Horner und Klauen 
an ihm sind also gar nur der Schein eines Scheins, woriiber ein 
ehrlicher fetter Reichsstadter sich todt wundern und todt denken 
mochte. Eben so wenig kan der Teufel wenn er klug ist (wie wol 
zu vermuthen) auf seine Seek fussen und sie solchen Disputato- 
ren pro gradu entgegenhalten wollen, die seine Existenz gera- 
dezu ablaugnen. Denn solte dem Satan aus der Kritik der reinen 
Vernunft ganz unbekant sein, da8 sein Ich - das dem Bewustsein 
wie ein zusammengelotheter Klumpe, dem Linsenglas des 
Scharfsins aber wie ein wimmelnder Wurmschleim vorkomt - 
recht gut eine Reihe Substanzen sein konne, unter denen das Be- 
wustsein und der Gedanke wie eine Reiheschank herumlauf t und 
daB folglich daraus eher alles andere als ein geschikter Schlus auf 
Personalitdt der Seele zu erwarten sei? Ob nun Ungewisheit der 
Personality und Ungewisheit der Existenz sehr verschieden sei 
und ob wenigstens eine solche Verschiedenheit einem Wesen, 
das recht sehr sein wil, viel fruchte: das kan ich und die Kantische 
Schule oder Universitat mit Vergniigen den Teufel selber beant- 
worten lassen, der gewis nicht lugen wird wenn er existiert; und 
wenn er nicht existiert: so hab' ich ohnehin und ohne ihn ge- 
wonnen.« Der Graduirte hat ganz Recht; ich wiirde mich aber 
uber unsere Glaubensgenossenschaft noch mehr freuen, wenn er 
hatte anmerken wollen, daB ich ja niemals sein Opponens ge we- 
sen, sondern hier nur ein Selbstgesprach gemacht, worin ich und 
er unmoglich anders denn als fingierte Wesen auf treten konnten 
und ich verf echte of f enbar hier im Redoutensaal gerade die Mei- 
nung des Kantianers selbst. 

Der Pater Merz und seine Maskopeibriider lachen die besten 
Kantianer und mich selber aus und beharren auf meiner Exi- 
stenz, weil, predigen sie, Ihr Dasein nur zu klar das meinige in 



566 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

sich schliesse. Es ist ungemein schlecht, daB diese Patres auf die 
Herren oder Chapeaux* so gut wie auf die Damen oder Koeffuren 
zielen; es sol mich aber wenig anfechten und ich wil hier mit den 
Herren zuerst und allein reden und von ihnen Griinde vorfiihren, 
iiber die der P. Merz die Hande verwundernd zusammenschla- 
gen mus und denen er eingestehen wird, daB von Ihrem Dasein 
noch gar kein Schlus auf meines zu folgern stehe. 

Und so mach' ichs mit den Damen audi, aber erst nachher. 

Es war eine Zeit wo die Theologen den Teufel zum Archaus 
und Kreisdirektor der Menschen, zur Aorte ihrcs Ideensystems , 
zum Kalkanten ihrer Lunge und deren Reden und zur Essigmutter 
ihrer Siinden machten: inzwischen schwieg ich dazu stil bis sie 
es auch thaten; alein ich wurde auf meiner Reise mit drei regulir- 
ten Chorhern in der Oberpfalz, mit ioo Mendikaten in Baiern 
und Einem englischen Fraulein, mit dem Prodatorius in Rom 
und einer ganzen Konvokazion Galgenpatres und Missionars 
bekant, die wieder samtlich sagten und sich darauf wolten kop- 
fen lassen, die Sache ware dennoch so und der Teufel regiere ie- 
den. Und wolte man den P. Merz, den M. Masius und den Predi- 
ger Sautermeister durch eine ordentliche Kommission dariiber 
befragen lassen: so wiirde man gewislich horen was sie glauben, 
namlich das namliche. Gieng* es nach diesen Leuten: so wiird' ich 
wirklich existieren, weil Sie, meine Herren, ohne meine Einwir- 
kung wenig vermochten, namlich weder Ihr heutiges Siegen, 

* Ich wiinschte nicht, daB die Damen die Gewohnheiten verliessen, 
uns Manspersonen Chapeaux oder Hiite zu nennen, da sie vielleicht 
nichts ist als ein Oberbleibsel einer andern in den Ritterzeiten, wo man 
Helm fur Ritter sagte; daher man auch bohmische Krone fur bohmischen 
Konig sagt/Obrigens konnen uns freilich die Damen fragen, warum sie 
uns diesen alten Namen nicht entziehen sollen, da wir ihnen langst einen 
andern, den sie von den altern Deutschen so haufig bekamen, namlich 
Spinrokken oder Kunkeln, nicht mehr geben wollen? Ich wolte, erstlich 
das ware freilich nicht wahr und zweitens die Damen triigen iezt selber 
keine Chapeaux: so konte - wie beim ganzen Zizero nichts zu Gevatter 
stand als seine Nasenwarze - noch immer der Hut der Taufpathe unsers 
ganzen Geschlechts fortbleiben. 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • I. AKT. 2. SZENE 567 

noch Ihr heutiges Reden; aber ich steh'e deswegen da, urn zu be- 
weisen, daB Sie das recht gut ohne den Teufel kon- 
nen. 

Das historische Gemalde, das ich iezt aus der Tasche bringe, 
hab' ich in Berlin gemacht und ich stiize mich auf diesen genial- 
ten Sorites iezt allein: denn es stellet das vor was wir alle vorstel- 
len, namlich eine Retoude. Sie sehen hier wie aller Henker - im 
Hintergrunde allein mehr als zwanzig Man- darauf siegt, sogar 
uber Henkerinnen. Ich habe bei dieser gemalten Retoude gar 
nichts vergessen, nicht einmal die Liebhaber, die erst Dublir- 
schritte zum Angrif thun; auf dem Sopha aber sehen Sie einen, 
der schon die erste Parallele urn die Dame zieht und ich wolte 
ich konte die gemalte Thur ins Seitenzimmer aufsperren, so 
wiirden Sie seinen Bruder auf den Knien in der dritten Parallele 
graben finden. Es war nimmermehr zu malen: sonst hatte ich 
von der siebenten Dame, die ich in meinem Nebenkabinete ver- 
berge, die Besazung d. i. ihre Tugend gezeichnet, wie diese ei- 
nen ganz riihmlichen Abzug aus dieser weiblichen Festung mit 
klingendem Spiel, fliegender Fahne, brennender Lunte und mit 
einer Kugel im Munde erstrit und halt; die halb demolirte Dame 
aber ware ganz wol zu malen gewesen. Was machte der Teufel 
indessen bei dieser gemalten Retoude? was er bei den ungemal- 
ten und auch der heutigen macht, bios den Maler, und warlich 
weiter gar nichts. Solten denn die hundert bayerischen Mendi- 
kanten und der romische Prodatarius und so entsezlich viel Gal- 
genpatres und der P. Merz nicht einzusehen vermogen, daB die 
gemalten Herren auf meiner gemalten Redoute weder den Vor- 
saz noch die Volfiihrung ihrer Belagerung mir aufzurechnen ha- 
ben, sondern ganz ihren guten Anlagen, der guten Kultur der- 
selben und hundert bessern Dingen? Ich wil sezen, Sie, meine 
wirklichen Herren, wolten den gemalten nachher nachschlagen: 
kont' es der Gewissensrath Frank meiner Einwirkung ohne be- 
soffen zu sein beimessen? und kont' er sogar dan vergessen, daB 
Sie ia viel gereiset und mit alien /wrt/Sinnen gereiset, daB Sie nicht 
alle franzosische Romane ohne Aufmerksamkeit gelesen, nicht 
einmal alle deutsche Poesien, und daB uberhaupt iunges Blut und 



568 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

alter Wein genug im Saale ist? Thats aber doch der Gewissens- 
rath: so wiird' ers leider machen wie der Pobel, der sonst die 
Siege und Eroberungen des Marschals von Luxemburg nicht 
seinem Kopfe anschrieb sondern meinem, und der aus seinem 
vorgeblichen Pakt mit mir die iibrigen Pakte mit andern FCirsten 
der Welt erwachsen lies. Ich wenigstens enthielt mich solcher 
Fehlschliisse von ieher und der Teufel beruft sich hier auf ieden 
der ihn kent, ob er nicht allezeit und bei ieder schiklichen Gele- 
genheit die Menschen lobte was recht war und geradezu gestand, 
daB ihre Anlagen und noch mehr ihr Anbau gut genug waren 
und schon fur sich allein alle die Thaten ganz wol hervorzutrei- 
ben vermochten, die so viele gern fur ein blosses Verdienst mei- 
ner Einblasung und Einwirkung ausgaben. Kan iemand in die- 
sem hellen Saale auftreten und sagen, daB ich jemals in den Fehler 
derer Generale gefallen, welche die Siege, die ihre Truppen allein 
erfochten, ihrem eignen vorgeblichen Einflusse zulegen? We- 
nigstens kan ich mich auf gar nichts besinnen. Was vollends den 
etwannigen Fang anlangt, den Sie nach der heutigen Parforce- 
iagd nach Herzen auf langen Purschwagen nach Hause fahren 
werden, so ist er ein solcher Beweis Ihrer Kunst, das Obergewehr 
des Amors zu handhaben, daB ein Weltgeistlicher, der alles viel- 
mehr mir zuschreibt, nicht bios dem Pobel gleicht, der das gliik- 
liche Erlegen von vielem Wilde aus dem Pakt des Jagers mit mir 
erklart, sondern auch von Ihnen insgesamt gerichtlich in der 
That belangt werden kan, soviel ich wenigstens von Verbaliniu- 
rien verstehe. 

Die Weltgeistlichen solten ohnehin nur froh sein, daB manche 
Herren zuweilen wirkliche Siege gewinnen: denn wahrhaftig es 
trit ohnehin die Wahrheitin Gestalt einer Dameoit genug auf, um 
alle die unzahligen Siege, denen ein Herr bios durch seine Zunge 
Dasein gab, ihm durch das namliche Glied wieder zu nehmen, 
als daB noch gar die Luge in Gestalt eines Weltgeistlichen aufzuzie- 
hen brauchte, um dem besagten Hern auch die Siege abzustrei- 
ten, die er offenbar nicht bios mit seiner Zunge und Lunge ge- 
wan; und es soke mich freuen, wenn ich horte daB es einem und 
dem andern nicht gleichgultig ware, daB man ihm nicht nur die 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE ■ I. AKT. 2. S2ENE 569 

Eroberungen, die er sich zuschreibt, sondern auch die, die er 
machte abzusprechen versucht. Jezt aber mag die gelehrte und 
schone Welt selbst beurtheilen, wie es mit meiner Existenz aus- 
sehen moge, da an einem so wichtigen vorgeblichen Beweise 
derselben, namlich meiner Einwirkung gar nichts ist. 

Ich wolte, Ihre S. T. Eltern standen mit urn mich herum: so 
kont' ich ihnens vielleicht ausstreiten, wenn sie es fur eine Ver- 
suchung des Teufels und nicht des Vergniigens halten wollen, 
daB heute recht viele von Ihnen sich die Schwindsucht nicht ohne 
Ruhm antrinken und antanzen; denn wahrhaf tig der einzige, den 
ich heute zur Schwindsucht zu verfuhren Zeit genug habe, bin 
ich bios selbst und ich bin nur noch nicht von der Reise-Kanzel 
herunter. 

Da es wol keinen edlern Zweig des Wizes giebt, besonders 
keinen fiir Retouden schiklichern als wahre Zweideutigkeiten, die 
man wol mit Recht die Steisgeburten des Wizes, die Koppelhut der 
Schamhaftigkeit und der erlaubten Schamlosigkeit und der 
Schnepfendrek fiir feinern Geschmak nennen darf : so wundert es 
mich niemals, daB man mich fiir den Soufleur derselben so oft 
ausgegeben und den wizigsten und schlimsten Masken fast we- 
nig mehr Verdienst dabei gelassen als der Publikazion; denn ein 
fleissiger Forscher der mitlern Geschichte (man wil mich zu sehr 
bereden, ich sei einer) ist es iiberhaupt schon gewohnt, grosse 
Gelehrsamkeit und grosses Genie (wie z. B. dem Kampanella*, 
Joh. Pikus von Mirandola und andern wiederfuhr) zu Fabrikaten 
und Inspirazionen des Teufels machen zu horen - und in unsern 
Tagen und Retouden hat mans hoffentlich gar nicht mehr zu wi- 
derlegen nothig. 

Ich woke, die Damen wiirden nicht ungeduldig: denn in fiinf 
Minuten kan ich ia mit ihnen reden und es ist nur noch ein aus- 
serst elender Einwurf abzufertigen. 

Dieser kam mir nach einer Magisterpromozion, ich meine 
beim Magisterschmaus zu Ohren und ich wolte, das ganze gra- 

* der wegen des Verdachts der Zauberei eine 35stiindige Folter aus- 
stand. 



570 JUGENDWERKE - $. ABTEILUNG 

duirte Tabakskollegium konte hier mich ihn widerlegen horen, 
weils damals im Trunke wirklich keiner konte. Die Magister- 
Chrestomathie f ragte: wienach Sie oder andere altere Leute dar- 
auf hatten fallen konnen, meinen Namen so oft zu zitiren, wenn 
ich gar nicht ware und ob wol ein vernunftiger Man dem Teufel 
angesonnen hatte, ihn zu holen, wenn ihm die zum Holen no- 
thige Exist enz abgienge. Ober solche Fragen aber hab* ich und 
das gelehrte Europa allezeit sehr gelacht. Denn so gut die Poeten 
ihre Anrufung der Musen, die nirgends sind, ungern aufgeben: 
eben so kan der redende Prosaist im gemeinen Leben die Anru- 
fung des Teufels niemals fahren lassen und solche rednerische 
Figuren konnen von keinem Kunstrichter ganz verworfen wer- 
den. Der Sprachgebrauch, mich zu nennen ohne an mich zu 
glauben, ist eine der richtigsten Akkommodazionen nach dem ge- 
meinen Pobel, der die Sache noch glaubt und ich wiirde selber 
wenn ich mit gemeinen Leuten sprache mir nicht merken lassen, 
daB ich nicht existirte - eine Akkomodazion, die Leute von 
Stand iiberhaupt bios den Aposteln abgeborgt, von denen es 
durch neuere Theologen hinlanglich erwiesen ist, daB sie mich 
hundertmal allegiret aber kein einzigesmal geglaubet haben und 
es ist nur leider kein neues Testament iezt im Maskensaale zu ha- 
ben. 

Es giebt aber noch eine weit wichtigere Ursache des Allegats 
meines Namens, uber die ich mit Verwunderung noch kein ein- 
ziges griindlich abgefastes physiologisches Blat in die Hande be- 
kommen: es ist namlich an dem kabalistischen Vorgeben, daB 
manche Namen (z. B. Schemhamphorasch) ausserordentliche 
Krafte verbergen und aussern, wirklich etwas Wahres und von 
meinem Namen wil man das algemein auch behaupten. Ich ge- 
steh' es, v^enn ich bedenke, daB ich vom Worte Abrakadabra die 
groste Gewisheit habe, es heile, diminuendo ausgesprochen, das 
Fieber: so hab' ich wenigstens etwas analoges, aus und nach dem 
ich mirs erklaren kann, wie nach es gar wol moglich sein konne, 
daB mein Name das heftigste Fieber, das die Welt kent, den 
Zorn, wenn man ienen oft in den Mund nimt, wirklich so gut 
zu heben vermoge als man liberal vorgiebt; und es konte ia ein 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • I. AiCT. 2. SZENE 571 

Alter sich durch blosses Hersagen des Abe's, das nicht einmal ein 
Name ist, vom Zorne erlosen. Ich bestarke mich noch dadurch, 
daB ie hef tiger und gef ahrlicher das Scharlach- und Flekfieber des 
Zornes ist - welches man den Augenblik aus dem Phantasiren des 
Pazienten vermerken kan - ordentlicher Weise auch mein Name 
in desto grosserer und wiederholter Dosis genommen wird, auf 
dienachher der Preshafte die Materia peccans durch hundert Se- 
krezionen von sich giebt. Z. B. bei einem kleinen Unwillen mus 
man bios »der Teufel!« hochstens »alle Teufel!« gebrauchen - 
diese Dosis aber wtirde viel zu wenig verfangen, wenn schon 
wahrer Zorn da ware und hier wiird' ich zu einem » Satan und 
einerhollischenGrosmutterund alien Schokken Millionen Teu- 
£el« sogar noch ein adjuvans von einigen Donnerwettern, Blizen 
und Hagel sezen, weil die Heilkrafte der elektrischen Materie so 
gros sind - aber vollige Hundswuth ist stets bedenklich und ich 
habe Pazienten davon gesehen, bei denen es sogar schlecht an- 
schlug, daB sie sich »von alien Teufeln fortfuhren und zerreissen 
und zerschlizen liessen«, ob diese gleich noch das einzige spezi- 
fische Mittel dagegen sind. ImGanzen aber bleibt der Teufel im- 
mer offizinel 

Aus allem aber werden Sie immer mehr gewahr werden, was 
Sie von meinem Dasein eigentlich zu denken haben und Sie wer- 
den sich merk' ich starker auf die Seite derer neigen, die mit mir 
der Meinung sind, daB ich schwerlich anderswo als in den Kop- 
fen der Furchtsamen und auf gegenwartiger Kanzel, die leider 
wie ein Queersattel aussieht und heute noch mein Statif vorstel- 
len sol, existieren konne. Darum bestreit' ich aber nicht, sondern 
ich bin selbst dafiir, daB demungeachtet von mir, wie von alien 
Tugenden und sogar von der Keuschheit der Name wirklich 
existiere und das Seinige wirke. 

Der Teufel hat iezt das Vermigen, sich zu Ihnen zu wenden, 
meine Damen und er verhof t, daB Sie so sehr Sie auch mit Ihrem 
Dasein guter Engel ihres beweisen mogen, doch damit nicht der 
bosen ihres werden erharten wollen: es hatte niemand grossern 
Schaden davon als gegenwartiger Kanzelredner selbst. 

Es ist kein Wunder, daB mir oft das Herz und die Augen bra- 



572 JUGENDWERKE - 5. ABTEILUNG 

chen, wenn ich hinter einem Obelisk von Hexen-Inquisizions- 
akten, und hinter einem Kongres von iuristischen und theologi- 
schen Damonologen sas und allem dem Unsin zuhorte, den sie 
mir und der Welt weismachen woken: ich gesteh' es freilich, ich 
lies oft gar nicht mit mir reden und ich bin haufig zu iahzornig; 
aber wenn solche Spizbuben eintunken und hinschreiben, meine 
Existenz erhelle aus der Existenz solcher Damen nur gar zu son- 
nenklar, welche zaubern und denen man die Existenz dadurch 
nehmen konne daB man sie abbrat und wenn sie von solchen 
todtlichen Schreibereien durch nichts abzubringen sind - was sol 
man, wenn man ein philanthropisches und kosmopolitisches 
Wesen, z. B. der Teufelist, bei solchen Umstanden machen? am 
allerschiklichsten freilich eine Rede auf einem Maskenballe, in 
der man mit mehr als menschlichen Scharfsin hervorbricht und 
sich vor dem Tanze an die Damen mit guten Beweisen wendet, 
daB ihre eigne Zauberei von niemand weniger herruhre als vom 
Beweisfuhrer oder Teufel selbst: Sie werden aber nachher selbst 
entscheiden, wenigstens noch sehr einer weitern Priifung es be- 
diirftig finden, ob Sie bei solchen Umstanden in der That aufzu- 
greifen und todtzubraten sind? 

Hatten die alten Theologen und Juristen nur Einmal selber auf 
einer Retoude getanzet: so hatten sie unmoglich die Maskenballe 
und die Blo[k]sbergischen Hexensynoden Kir zweierlei ansehen 
konnen wie sie handgreiflich gethan; sie hatten es unmoglich 
ganz iibersehen konnen, daB beide sich ja in nichts absondern als 
im Orte - daB auf bei den die Damen entsezlich tanzen und halb 
wie besessen, und mi thin halb wie verminftig - daB sie sich auf 
beiden mit Verlarvungen in fremde Gestalten und Thiere be- 
lustigen- daB sie fur beide vorher sich salben, mit Pomaden und 
Wassern und Saifen - daB sie auf beide nicht zu Fus sondern 
durch die Luft abreisen, wozu freilich nicht die zwei Teufelsros- 
fusse sondern bios die sechzehn eines Postzugs auslangen - daB 
der Teufel mit seiner allegorischen Noble Maske, um den sie auf 
beiden tanzen, weiter nichts ist als ein und der andere begiin- 
stigte Chapeau - daB sie auf beiden sich umtaufen lassen, aber 
freilich nicht mit prosaischem Wasser - daB die Anabaptistinnen 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • I. AKT. 2. SZENE 573 

nachher auf beiden den allergrosten Spas haben konnen und 
wollen und die allerkleinste Tugend - und daB der sogenante 
Gotseibeiuns noch auf keiner von beiden mit getanzet, wie Sie 
sich ia selber erinnern miissen und daB ich sogar in die heutige 
nur hereingelaufen, um auf diesen elenden Queersattel zu sprin- 
gen und da gegen solchen verfluchten Unsin ein oder ein Paar 
Larmkanonen abzubrennen. 

Es thut mir Schaden, daB die Konzipienten und Sezer dieses 
Unsins langst begraben sind: ich kan sie iezt nicht mit Ihnen zu 
ihrer Beschamung konfrontiren und sie nicht von Ihnen beleh- 
ren lassen, ob eine von Ihnen noch auf einer Maskerade mit dem 
Satan getanzet, es sei nun eine Menuet oder eine Angloise oder 
es sei einen wiithenden Schleifer und obs heute nicht zum ersten- 
male geschehe. Und eben so erbiet' ich mich auch, Zeugen auf- 
zubringen die kein Gericht abweisen kan (weils die Professioni- 
sten zum Gliikke selber sind, die die Sachen genaht und geleimt) , 
daB Sie die heutigen Verwandlungen in Thier- und Zauberge- 
stalten, die man alien Zauberinnen so sehr vorriikt, auf keine 
Weise durch einen Vertrag mit mir uberkommen haben, son- 
dern durch einen mit den zeugenden Professionisten selbst; und 
was die Lykanthropen-Maskc anlangt, in deren Wolfsklaue dort 
eine weibliche Hand gekommen und die iezt ihren Puntsch be- 
zahlt: so bitt* ich den ganzen Saal, sie zu befiihlen, es ist klar ein 
alter Wolfspelz vom Wolfstreiben vor acht Jahren und man kan 
mich warlich nicht dareinmengen, sondern bios den Kursch- 
ner. 

Ich verhehF es nicht, Sie sind wirkliche Zauberinnen und tren- 
nen in nichts sich von denen alterer Zeiten als darin daB Sie nicht 
eingeaschert werden; allein wir wollen mit einander einmuthig 
untersuchen, ob diese Zauberei wol mein Dasein und meinen 
Einflus beglaubige. 

Wenn ich in altern Zeiten Narren studiren wolte und in gros- 
sen Partien: so sah' ich mich ordentlicherweise nur nach einer 
grossen weiblichen Schonheitum, weil eine solche allemal einen 
ganzen Kometenschweif von solchen Geschopfen nach sich 
schleift - ich sezte die menschliche Bienenkonigin in die hole 



574 JUGENDWERKE * 5. ABTEILUNG 

Hand und der ganze Immenschwarm flog und brauste uns bei- 
den hinterdrein. So gieng ich oft in Lissabon dem Kerl durch alle 
Gassen nach, in dessen Handen ein Stanglein vol angeketteter 
Papagaien war und an dessen Fiissen nachhiipfende Affen gekup- 
pelt waren und der dieses narrische Personale feilbot; ich kauft' 
ihm aber nichts davon ab. So einem Kerl gleicht eine grosse 
Schonheit. EinElendistsnur, daB grosse Fakultisten aus solchen 
Zaubereien nicht klug werden konnen. Solche Manner stellen 
sich vors Lesepult und finden im Augustin 1.18 de civitate dei 
c. 17, daB in Italien viele Hexen den Passagiers die menschliche 
Gestalt nehmen und den menschlichen Verstand lassen, damit diese 
transsubstanziirte Passagiers vor dem Pfluge und vor dem Heu- 
wagen so lange Ziehen bis sie wieder in integrum restituiret sind 
- solche Fakultisten sehen ferner mit Augen, daB die Zauberin- 
nen neuerer Zeiten es noch iezt mit den feinen Herren so ma- 
chen, nur daB sie umgekehrt ihnen den menschlichen Verstand 
nehmen und die menschliche Gestalt lassen und so in dieser ge- 
lassenen Gestalt die Dienste von freres servants ihnen abfodern. 
Ich sage, diese Fakultisten und selbst der Dekan sehen beides und 
lassen nicht mit sich reden, sondern reden selbst und geben mich 
fur den verstekten Verfasser solcher Verwandlungen aus, die 
zulezt zu einer Verwandlung der Zauberinnen selbst ausschla- 
gen, wenn Verbrant werden eine ist. So wird, meine Damen, 
theils Ihnen theils dem Satan von Fakultisten mitgefahren. Soke 
denn keiner von diesen iuristischen Bratenkochen mit auf der heu- 
tigen Maskerade sein und es iezt mit seinen Ohren erfahren kon- 
nen, daB der Teufel, weit entfernt der Mitarbeiter einer solchen 
zauberischen Verwandlung zu sein, vielmehr seit einer Viertel- 
stunde selbst durch eine gegenwartige Zauberin auf seinem Pre- 
digt-Ges telle ist verwandelt worden? und ich werd' es nachher 
derienigen in die Hand schreiben, in die ich verliebt ge worden, 
samt meinen rechtlichen Entscheidungsgriinden. 

Es ist bekant genug, daB die Blikke einer Zauberin viel todtli- 
cher als Arsenik oder als die verurtheilenden Blikke eines Mon- 
archen sind und in Kaschau wurden anno 161 5 zwei Hexen zu 
Pulver gebrant, die 150 Kinder und 60 Erwachsene todgemacht 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE - I. AKT. 2. SZENE 575 

hatten. Aber sol denn ich wider mein Wissen und Willen zu die- 
ser morderischen Firma geschlagen werden? und schrieb denn 
eine ganze Damenloge iemals sich: der Teufel & compagnie? 
Diirfen Sie sagen, daB ich Ihre Augen mit den Blikken geladen, 
womit Sie aus Ihrem Stechhelme hervor wie man sieht diese 
Herren Gliederweise erlegen, wie ich denn selbst nicht auszu- 
nehmen bin? Konnen Sie mir oder andern ein Blat Papier vor- 
weisen, auf dem Sie sich mir mit Ihrem schminkenden Blute 
verschrieben, bios weil Ihre Worte bekantlich die magische 
Kraft besizen, den, der sie hort, wie einen Dieb auf seine Stelle 
anzukniipfen und zu kiitten? Und was das zaubernde Nestel- 
kniipfen anlangt: so habens hoffentlich die unzahligen Ge- 
lehrte[n] dahin gebracht, daB man heut zu Tags Spas versteht, 
von St. Jago de Compostell an bis nach Bielgorod - und Ernst 
versteht man fast auch schon in verschiedenen Residenzstadten. 

Ganze Sessionen machten sich mir verachtlich, wenn sie die 
Unempfindlichkeit, die Zauberinnen gegen Verwundungen bewie- 
sen, zu einem Beweise meiner Existenz und Einwirkung ver- 
kehrten. Denn die Sessionen legten dadurch ia gar zu deutlich 
an den Tag, wie wenig sie in Ihre Geselschaft kamen, weil sie 
sonst wusten, daB die Unempfindlichkeit, mit der Sie sich vom 
Amor die tiefsten Wunden stechen lassen, nichts weniger als ein 
Werk meines Einflusses, sondern bios Ihrer Masken ist. 

Sonst balbirte man den Zauberinnen die Haare herab, weil ich 
drinnen sasse und dadurch wirkte. Es ist aber so verflucht erlo- 
gen als irgend etwas: denn ich kan vie^mehr Kauzion und Biirg- 
schaft leisten, daB Sie wenn Sie sich auf einen Stuhl und in einem 
Pudermantel hersezten und Ihnen einer von uns mit einer kurzen 
Scheere das Pultdach oder die hLaaY-Manschette* herunterschore, 
die die Augenbrauen verdoppelt und bedekt- gerade erst dan am 

* Mir gefallet, die Wahrheit zu sagen, dieses modische Stirnblat aus 
Haaren, wenns anders weit genug herabgedachet ist, weit mehr als dem 
Teufel. Dieser scheint nicht zu bedenken, daB dieser Haar-Kordon und 
Ho/um die Sonne, wenn dazu noch die zwei Quasten und Scherpen der 
Seitenhaare gethan werden, dem Frauenzimmer den Vortheil gewahrt, 
daB man niemals gewis weis, sieht man dessen Kopf von vornen oder 



57<5 JUGENDWERKE ' 5. ABTEILUNG 

allerargsten bezaubern wiirden. Was wiirde aber nachher der 
arme Teufel dafiir konnen? Und sol kiinftighin nicht besser mit 
ihm umgesprungen werden? 

Es lasset sich disputiren, ob Sie darum zu verbrennen sind, 
weil Sie wie alle Zauberinnen, wenn man Sie ins Wasser wiirfe, 
nicht untersanken. 1st derm dieses Obenschwimmen bei der 
Wasserprobe mehr eine Wirkung des Teufels als Ihrer Flosfedern 
und Schwimblasen, ich meine Ihrer Robben und Bouffanten? 
Und hatten nicht ganze Schopfenstiihle sich sonst darnach bei 
Puziungfern und Hydraulikern erkundigen sollen? 

Uberhaupt ist aus den besten Abzeichen der Hexerei nichts f e- 
stes zu schliessen; denn sie verandern sich zu sehr. Sonst ver- 
mochten nur die altesten Damen in der Stadt als weibliche Ar- 
chaismen zu behexen - allein iezt bezaubern Sie schon ungemein, 
ungeachtet wir alle sehen, daB Sie wirklich noch in der Bliite Ih- 
rer Jahre, Ihrer Wangen und Ihrer Masken sind und es ist freilich 
in mancher Hinsicht ein recht erhebliches Problem. - Noch 
mehr: sonst merkten es die Gerichtsschreiber in alien Hexenpro- 
tokollen an, daB die Hexe durch den Teufel das Vermogen zu 
weinen eingebusset; iezt stehts anders. Iezt sizen in vielen Roma- 
nen und Stadten ganze Reichsstandschaften von Mannern, wel- 
che ein fatales Gesicht machen und sagen, daB ihrer Frauen ihres 
ihnen mit nichts so viel anhabe als mit den Augen, durch deren 
Wasserkunst sie die schwersten Maschinen, besonders den Man 
so ausserordentlich geschikt zu treiben vermogen. Von solchen 
wasserigen Meteoren ist hernach die groste Zauberei niemals sehr 
fern. Es ware aber schlecht vom Teufel gedacht, wenn er noch 
besorgen wolte, daB die drei christlichen Konfessionsverwand- 
ten diese Thranen-Brauerei ihrer Konfessionsverwandtinnen 



von hinten. Und uberhaupt fallet es mir auf, daB man vom H. Sykes im 
palais-royal so viel Ruhmens macht, weil er Portraits aus Menschenhaa- 
ren verkauft, da doch unsere Damen wirkliche lebendige Gesichterblos aus 
ihren Haaren offenbar formiren, wie ich mich denn ohne Ruhm zu mel- 
den auf das Gesicht meiner eignen Frau berufe, in das ich noch einen klei- 
nen Schnur- und Knebelbart gepicht und das ich so ganz haren gemacht. 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE ■ I. AKTV 2. S2ENE 577 

noch ihm anrechnen woken, und nicht der Thranendriise, ia so- 
gar den Driisen der conjunctiva, der Hornhaut, der Thranenka- 
runkel und den Meibomischen Driisen: denn Janin hat wol die 
Sache gut genug auseinandergelegt und Sie mussen alle ia seine 
von Se//everdeutschten »Betrachtungen iibers Auge« 1788 gele- 
sen haben. 

Die alten Damonologen bestanden darauf, daB eine Schone, 
die haufig in die Kirche gienge und mit grosser Andacht darin- 
nen verweilte, es nicht ihres Taufbundes, sondern wegen eines 
Bundes mit dem Teufel thate; daher man damals Betschwestern 
so gut wie Atheisten briet. H. Hermes selbst (welches zu ver- 
wundern) schikte neulich die Meinung in die Buchdrukkerei, 
daB das Beten schoner mache und da6 er das aus den katholi- 
schen Gesichtern ersehe, mihin mus er Beten fur ein neues Mittel 
der weiblichen Zauberei und der weissen Magie so vieler Gesich- 
ter anschauen. Der Teufel ist aber in seinem Gewissen rein, er 
ist sich bewust, daB er niemals ein Lokvogel zum Gebet gewe- 
sen; und wie wenig Haltung uberhaupt die ganze Prasumzion 
gehabt, sieht man in unsern Tagen,wo die Damen, die sich auf 
Bezauberung legen, viel weniger Gebete thun als - erhoren. 

Ich mus bei dieser Gelegenheit die Ehre eines iungen Grafen 
retten, den wir alle wol kennen und von dem man liberal die 
Verlaumdung herumbeut, er habe in Italien einmal eine ganze 
Viertelstunde gebetet. Diese Nachrede wird haufig geglaubt und 
da niemand die eigentlichen Umstande seines Gebetes weis: so 
ist ohnehin kein Mensch menschenfreundlich genug, zur gelin- 
dern Hermeneutik zu greifen und etwan von seinem graflichen 
Nebenmenschen anzunehmen, er habe es bios aus Spas gethan. 
In Genova* wars und zum Gliikke war ich Augenzeuge davon, 
aber zum Ungliik auch Gelegenheitsursache davon. Die Patres 

* S. KeyBlers Reisen: die Patres Oratorii erlauben in ihrem Garten 
Dame, Schach und Billard zu spielen, aber bios um Gebete, Paternoster 
p. Der verlirende Spieler mus dan vor einem Marienbilde niederknien 
und ihm die Gebete auszahlen, die er verspielte. Und auf diese geschikte 
Weise entwohnen die Patres die Menschen vom Spielen, wie durch Be- 
streichen mit Wermuth die Mutter den Saugling vom Saugen. 



578 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

des Oratoriums habennamlich aussen vor dem Thomasthor ei- 
nen hubschen Garten, wo ieder Sontags Nachmittags Schach 
und Billard spielen darf , aber bios (und das ist das fatalste) um 
Gebete, um Ave Maria und dergleichen. Ich habe noch keinen 
Menschen gesehen, der so ungliiklich spielte wie der Graf ienen 
Abend - oder so gliiklich wie ich: denn ich war sein Gegenspie- 
ler. Ich berufe mich auf den Frater Marqueur, ob der Graf mehr 
als fiinf Balle gemacht, ob er sich nicht eilfmal verlaufen und ob 
seine Locher zu zahlen; ich machte ihn deswegen ganz naturlich 
viermal matsch, brachte die Parthie einmal zum Innenstehen und 
gewan die iibrigen alle. Viele Patres schwuren daher und sagten, 
ich spielte nicht anders als wie der lebendige Teufel selbst, wie- 
wol ich ia auch nichts anders war. Nun muBte der fallite Graf 
an die Abtragung seiner andachtigen Spielschuld gehen und wir 
zogen ihm alle hinterdrein und horten zu was er betete: ungliik- 
licherweise mochte auch sein Bedienter mit hinterdrein gezogen 
sein und diesem ists schuldzugeben, daB man in Deutschland die 
Sache weis. Mich diinkt aber so wie ich die Sache erzahlet ist der 
Graf bei Gutdenkenden grossentheils entschuldigt, daB er ob er 
gleich auf Reisen war, doch gebetet und es war wol nicht anders 
zu machen. Zwar hatt' ihn zum Gebet, weils eine Spielschuld 
war, nach den Gesezen kein Henker, der eben sonst unter die 
Richter gehorte, nothigen konnen; allein seine Agnaten solten 
bedenken, daB seine Ehre ausserordentlich dabei im Spiele war 
und ein Edelman kan das langste Gebet nirgends ablehnen, so- 
bald es eine Ehren- und Spielschuld ist. Daher wars ihm nicht 
einmal anzusinnen, es dadurch wieder gutzumachen, daB er (und 
er thats doch) auf dem Postwagen entsezlich fluchte und der Pie- 
montesische Schwager konte ohnehin auf seinem Bokke keinen 
einzigen Fluch exponiren und vertiren. Ubrigens bin ich an die- 
sem Beten so wenig als an dem der Zauberinnen schuld, sondern 
bios mein gutes Gliik. 

Auf solche Griinde nun steuer' ich mich, wenn ich an meinem 
Dasein zweifle. Unmoglich kan hierin Monchen und Orthodo- 
xen mehr zu glauben sein als dem Teufel selbst, der es doch hof- 
fentlich am ersten wissen muste, daB er existierte. Ich muste als- 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • I. AKT. 3. SZENE 579 

dan doch das Selbstgefiihl des Daseins haben, das soviel ich und 
die Philosophie bemerken, schlechterdings keinem einzigen le- 
bendigen Wesen abgeht. 

Nun mag der exegetische Kampfplaz wieder der Tanzplaz 
werden und ich wil von meinem Kontroverspostament hinun- 
terspringen und die Nacht vertanzen. Den Damen wird doch 
noch versprochen, daB eine hubsche Widerlegung der verdam- 
ten theologischen Luge als ob der Teufel ganz halter Natur und 
nicht einmal warm anzufiihlen sei - beilaufig eingeschoben wer- 
den sol, aber unmoglich auf dieser Kanzel. 



3. Szene 

Worin Geifiler der jungere seine Beicht hersagt und in seinen Busen 
greift, well er den weiblichen zu deutlich beschrieben 

Ich seh' iezt erst, daB ich gar ein Buch zu machen angefangen; 
aber darauf kan ich mich wenig einlassen, da iezt bios an die 
baierische Kreuzerkomodie gedacht werden mus, um deren 
willen das ganze deutsche und slavische Publikum seit 6 Uhr zu 
meiner Verwunderung bei mir sizt und die es anschauen wil. 
War' ich aber so dum und schabte eine hohe Eismiize* aus und 
sezte sie dem Publikum auf, um es wiederherzustellen, weil es 
seit meinem Prologus wie iener Korinthier die traurige fixe Idee 
und Meinung hat, auf meinem Buche einer Komodie zuzusehen 
und z war einer baierisch en, ungeachtet offenbar nichts davon da 
ist: so wiirde mir der Rekonvaleszent (es ware das namliche, 
wenn ich stat der Eismiize auch hef tige Purganzen brauchte) wie 
iener Korinthier seine Genesung Teufels Dank wissen und ich 
hatte nichts davon. Rezensenten aber, die mir kritische Hand- 
und Beinschellen oder inf amirende Halseisen umzulegen vorha- 
ben, sollen es bleiben lassen und bedenken, daB der buchma- 

* Die Aerzte brauchen Miizen von Eis gegen Kopfschmerzen und 
Wahnsin. 



580 JUGENDWERKE ■ J.ABTEILUNG 

chende Mensch, dem sie hiemit beiwollen, auf sein Wort ein 
freier Man und nirgends ist als in einem noch freiern Reichsdorf 
in Schwaben, wo er keinen Hern iiber sich erkent als Kaiser und 
Reich und wer etwa sonst wil. Das schwabische Reichsdorf 
selbst - dieses Kompetenzstiik und Familiengut der Gottin Frei- 
heit - soke froh sein, daB es mich hat. Denn es kan ein zweiter 
Rosenbliith von ihm einmal singen, was der erste (nach Wagenseil) 
1447 von Niirnberg sang: 

O Niirnberg, du edle Flek, 
Deiner Ehren Bolz stekt am Zwek, 
Den hat die Weisheit daran geschossen, 
Die Wahrheit ist in dir entsprossen. 

Der zweite Rosenbliith mus aber sezen: »0 Reichsdorf p.« und 
der Ehrenbolz ist wie ich nierke niemand wie ich. Wenn nachher 
der poetische Historiograph mich und das Reichsdorf ganz gut 
wird gezeichnet haben, besonders unsere Lange und Breite, un- 
ser Alter und unsere Einkiinfte und Privilegien und unsere 
Reichsunmittelbarkeit: so wird mir der bose Feind alles wieder 
versalzen und einen guten Freund zu meiner Frau wehen, nam- 
lich Geifiler den jiingern; der eine Rothelzeichnung auch von der 
Frau wird liefern wollen, weil der Eheman nebst dem Reichsfi- 
lial so deutlich beschrieben wird. Ich wil ihn aber aus dem Par- 
terre, wo er steht und mich mit auspfeifen wil, gar auf mein 
Theater heraufziehen und ihn zu einem stummen Akteur ver- 
brauchen. Ausfilzungen und Vermahnungen und Purganzen 
wirkennicht am Abend, wo sie eingegeben werden, sondern oft 
erst am andern Tage Nachmittags. Du erbarmlicher Figurant 
GeiBler! durftest du hier reden: so zwang' ich dich, mich deinen 
Beichtiger zu nennen und folgende Ohrenbeicht meinem 
Beichtsiegel anzuvertrauen: »Ehrwiirdiger lieber Herr, ich be- 
kenne vor dem Publiko und Ihnen, daB ich ein armer polygra- 
phischer Sunder bin, aber nicht der Hof- und Portraitmaler des 
ganzen weiblichen Geschlechts, wozu ich gar nicht taugte. 
Wenn ich spazieren gieng: so dacht' ich, die Weiber insgesamt 
sol ten sich die Rechtswolthat ausbedingen, von keinem Finger 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • I. AKT. 3. SZENE 58 1 

geschildert zu werden als von meinem, wie Alexander sich nur 
von dem bekanten Artisten-Kleeblat abkopiren lies - ganz na- 
turlich trank ich bei keiner Schonen eine Tasse Koffee, von deren 
Gesicht und Karakter ich nicht zu Hause sogleich der Kopist 
wurde: denn auf die Kopialien war ich ersessen, wie denn iiber- 
haupt grosse Maler, Raphael, Le Brian und Rubens alte Miinzen 
nicht weniger studierten und suchten als ich die kursirenden. 
Auch den deutschen Kaiser bossirte ich in skizzirtes Drukpapier 
und der Reichsfiskal hatte mirs ein wenig wehren sollen. Ich ge- 
denke aber hinfuhro mein schrif tstellerisches Leben zu bessern. « 
Er thuts aber warlich nicht, denn bios ich habe wie ein Taufpathe 
in seinem Namen dem Teufel und seinen Werken fur den Druk, 
entsagt. Ich sehe iezt gerade, daB Fried. Adam GeiBler in seiner 
Beicht seine groste Todsiinde gar unterschlagen: er sagt kein 
Wort, daB er so schlim ist wie die vakante Mode, den weiblichen 
Busen entlaubt zu tragen.* Er hatt' es aber mit ein Paar Worten 
beichten sollen, daB er mit seinem Federmesser alle Mosis-Dek- 
ken iiber diesem grosten weiblichen Reiz, auftrennet und seinen 
Heldinnen die Halstucher mit Gewalt abreisset; denn er argerte 
damit mich und meine wenigen Bekanten von einer Messe zu 
andern. Es ist mir daher ordentlich lieb, daB man in Paris durch 
mir vollig unbekante Kanale allerlei von diesem Busen-Nach- 
drucker erf ahren und seinetwegen die abscheuliche Mode erfun- 
den hat, den Busen hinter Flor-Brustwehren und hinter 
8 Thurme zu inkarzeriren und um diesen schonen Inhaftaten ar- 
chitektonisches Laubwerk und Gebiisch herumzuhangen - weil 
man sonst keinen Tag sicher ist, daB der Busen-Denunziant 
GeiBler sich nicht hinsezt und alles der Lesewelt vorschildert. Da 
man nun in Paris, wo doch GeiBler nicht leibhaftig ist, schon in 
der Verzweiflung zu dieser sichtbaren Verfinsterung des Dop- 
pel-Mondes, (wo von wir auch nur alzeit die eine Halbkugel se- 
hen,) gegriffen: wie viel mehr stehet es Deutschland, wo ja 
GeiBler aus und eingehet, in diesem Jammer zu, den guten Ge- 
schmak ganzlich hintanzusezen und diese Stuckatur anzumauern 
* Er silhouettirt in seinen »Schattenrissen edler p.« auch die Busen 
seiner Heldinnen mit Worten. Alg. deutsch. Biblioth. B. 70. Seit. 317. 



582 JUGENDWERKE ■ 5.ABTEILUNG 

und den Busen, wegen solcher schreibenden Finger zu plombi- 
ren. Und meine Frau hat des wegen dieses abscheuliche Zeug 
schon an. Gleichwol verhalt' ich GeiBlern hier vor den Millionen 
Menschen, die meine Sachen lesen, gar nicht, daB ich ihn sofort 
zum Hause hinauswerfen werde, wenn er hineinwandelt und 
meine Frau besehen wil, um sie zu beschreiben - er schiize nicht 
vor, er wurde es in der vortreflichsten Dikzion thun und in sei- 
nen »Schattenrissen p.« stand* es schon einmal von andern Bu- 
sen, wenn er von meiner Ehekonsortin ihrem drukken Hesse, er 
sei »mutterlich wallend« - »gatlich wallend« - »eben nicht hoch 
aufgebauet aber durchaus richtig gewolbt« - »habe, nach der 
iibrigen Korperstruktur abgemessen, die gehorige Fiille und 
gute richtige Wolbung im ganzen Umfang« - das lezte ware, 
nicht einmal wahr; aber der Saalbader sol mir uberhaupt nicht 
ins Haus. Des wegen thu' ich ihn auch wieder vom Theater her- 
unter. Es steht ohnehin ein ausserordentlicher Professor schon 
in der Kulisse angekleidet, der herauswil, um seine zwanzigste 
Vorlesung iiber das Staatsrecht vor niemand zu halten als vor der 
ganzen Welt. Ich wehr' es ihm nicht, weil er sagt, er sei kein 
Kurfurstenerianer und noch weniger ein Fiirstenerianer. 



4, Szene 

Des ausserordentlichen Professors Vorlesung aus dem Staatsrecht 
uber die Kronungsfeierlichkeiten 

Meine Herren, 
Heute wolt' ich gar nicht lesen; aber der Famulus vergas es Ihnen 
zu sagen. Wir stehen im looosten Paragraph und in der Note X. 
Ich habe mich seit meiner Professur haufig gegen die herge- 
brachten Kronungsfeierlichkeiten erklart; aber die grosten euro- 
paischen Hofe nehmen den Schein an als ob sie um diese meine 
Inhibitoriales gar nichts wiisten und fahren immer fort. Daher 
fahr' ich meines Ortes auch fort, aber in solchen Vorlesungen 
bios. 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE - I. AKT. 4. S2ENE 583 

So oft ich las, daft die Volker am Oronoko keinen anders zum 
Kaziquen oder Anfiihrer investiren als durch die grosten Mar- 
tern - durch zerschneidendes Geiseln, woriiber ihm kein Seufzer 
freisteht- durch Brennen - durch Rauchern - durch sechzig tau- 
send giftige Ameisen, namlich durch 60,000 Bisse derselben: so 
las ich weiter und dachte auf alle Falle, den Unterthan werden 
und mussen sie hoffentlich noch zehnmal arger skarifiziren als 
den Kaziquen, weil diese peinigende Bildung zum Gehorchen 
noch nothiger als zum Befehlen ist. Es wurde aber wahrhaftig 
kein Nadelstich und keine Kontusion dazu verbraucht und aus- 
serordentliche Professoren solten dieses auf ihren Lehrgestellen 
den Volkern am Oronoko aufs empfindlichste vorwerfen - be- 
sonders den Volkern am Rhein. Diese machen es um kein Haar 
besser und ich sag' es frei iedem Menschen, er mag auf meine 
Sommervorlesungen pranumerirt haben oder nicht. Es kan lei- 
der nicht verhehlet werden, der Bedacht, den man auf die Bil- 
dung der Kronprinzen nimt, ist gros, aber auf die ihrer Unter- 
thanen - namlich auch auf eine, die in marternden Exerzizien 
besteht - sint kein Henker. Ich gesteh' es, es hat seinen Nuzen 
und wir Landskinder konnen uns gewissermassen dariiber 
freuen, daB die deutschen Hofe (so gut wie ein amerikanischer) 
ihre Kronprinzen so auffallend bilden und qualen, und dadurch, 
daB ordendich der ganze Kammerhern- und Hofmarschalsstab 
fast dazu eingerichtet ist, durch unaufhorliche Abhartungen und 
Versagungen aus einem kronerbenden Korper und Geist ienes 
katonische Petrefakt zu machen, das in unsern Zeiten so selten 
und nirgends (ausgenommen auf den Stufen des Throns) unent- 
behrlicher ist als auf der Spize desselben - eben dadurch sag* ich 
komt unsere Prinzenerziehung der altpersischen und agypti- 
schen vielleicht sehr nahe. Ja noch weiter (vielleicht zu weit) trei- 
ben wir die Mortifikazion, wenn wir den Kron-Akzessisten gar 
mit Vergnugungen iibergiessen und foltern und dadurch den 
Freudenbecher in den Brechbecher* verwandeln, der einen fast un- 
heilbaren Lebenseckel erregt. Ich wil nicht untersuchen, ob nicht 

* Gewisse mit Brechweinstein versezte Becher, aus denen iedes Ge- 
trank Brechen macht. 



584 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

die leztere Biissung durch Freuden, iiber die Granzen einer er- 
laubten Abhartung schreite; aber warum wird denn nicht auch 
das Volk durch solche Disziplin fur den Thron erzogen? Ich wil 
gar nicht fodern, daB man es auch der hartesten Mortifikazion, 
der durch Freudenuberfullung, unterwerfe, ob gleich Xerxes die 
Babylonier durch Kabinetsordre's und konigliche Resoluzionen 
zu Musik und Schwelgen anhielt, urn sich ihre Beherschung zu 
erleichtern; aber auf soviel kan ieder Professor und Publizist be- 
harren, daB wenigstens die kleinern Ponitenzen, die in keinem 
Ubermaas als dem der Schmerzen bestehen, besonders am Kro- 
nungstage dem Volke angeboten und zugewogen werden. Bis- 
her thats kein Mensch - es miiste denn in Frankfurth am Main 
bei der Kronung geschehen sein - welches ich leider nicht wissen 
kan - denn ich argerte mich zu sehr, da - als ich gerade am ersten 
Wahltage in Frankfurt hineinwolte- die Reichsstadt und der fiinf 
und zwanzigste und sechs und zwanzigste Paragraph des ersten 
Kapitels der goldnen Bulle ohne Bedenken zu mir sagten, ieh 
durfte iezt nicht hinein. War' ich weniger beleidigt worden, so- 
wol von der goldnen Bulle als von der Stadt: so war' ich sicher 
bis zur Kronung in der leztern dageblieben und hatte alles mit 
angesehen, so gut wie ein Gesandter und konte mich in meiner 
heutigen Vorlesung recht gut darauf beziehen. 

Von den Feierlichkeiten anderer Kronungen aber weis ich 
ganz gewis, daB sie nichts taugen - man betrachte nur, um nicht 
zu weit in die antediluvianische Kaiserhistorie zuriikzulaufen, 
die Kronungen eines Augusts, Nero p. neuerer Zeiten und selbst 
bis zu den konstantinopolitanischen Kaisern. Dies versaete 
Keime, die in die iezigen Rebellionen aufschiessen. Soke man 
nicht ordentlich glauben, der seltsame Gebrauch, den Huldi- 
gungstag gerade zu einem Kirmestag fiir das Volk umzupragen, 
ware den Griechinnen abgeborgt, die iiber den neuen Sklaven, 
wenn er zum erstenmale iiber die Schwelle trat, oben Blumen 
und Friichte niedergossen? Und ist das der beste Weg, den man 
kent, das Volk iiber sein wahres Verhaltnis mit dem Fiirsten 
symbolisch-richtig zu belehren? Ich kan hier wie ein Autor die 
Fragezeichen verdoppeln: wodurch lernt das Volk die kiinftige 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • I. AKT. 4. S2ENE 585 

Justiz besser kennen und gewohnen, dadurch daB man am Kro- 
nungstag Gefangne in die Stoa der Gefangnisse schikt oder da- 
durch daB man sie wie bisher daraus abdankt? Und welches ist 
besser und gewohnlicher, einen loszulassen oder einen anzuket- 
ten, ders nicht verdient? - Werden die Landskinder wol den 
richtigsten Begrif von der Vermogensteuer und den neuen Auf- 
lagenbekommen, wenn man Geld unter sie ausschleudert, da es 
an einem solchen Tage wichtiger ist, daB sie in die Kameralschule 
der Kammer kommen und welches einbussen? So soke ihnen 
auch ein Pensum des leidenden Gehorsams aufgegeben und ein 
ganzer Ochse nicht ausgetheilt sondern abgenommen werden. 
Man soke den samtlichen Lands tanden einigen Anlas zu wahren 
gravaminibus geben (man mocht' es machen wie man woke), 
damit sie die altern Klagsupliken vorsuchten und hiibsche Imita- 
ziones von ihnen lieferten, wie mit dem Kornelius Nepos auch 
geschieht. Viele haben (merk' ich) gar keinen Begrif da von, daB 
an einem solchen Kronungs- und Schulaktus iedes Glied des 
Staats ein Dokimastikum von Erduldung liefern soke und konte. 
Staatslehrer wissen recht gut was daran ist, daB man an einem 
solchen Tage mit Musik die Ohren von Leuten magnetisirt, de- 
nen die kliigern Juden sie bei einer ahnlichen Gelegenheit viel- 
mehr durchstachen und dem Pentateuch ist hierin ganz zu glau- 
ben. So kan es in den monarchischen Studienplan wenig passen, 
daB von burgerlichen Exemplaren verbesserte adeliche Auf lagen 
und aus Taufscheinen Adelsbriefe an einem Tage gemacht wer- 
den, wo es beides viel auffallender und gewalthaberischer und 
ruhmlicher ware, wenn einige Minister des Antezessors abgesezt 
und verschiednen vom hohern Adel ihre Orden aus wichtigen 
unbekanten Ursachen genommen wiirden. 

War* ich gar ein Minister und rezitirte die gewohnliche Rede 
bei der Erbhuldigung: so kont' ich darin (glaub' ich) gerade zu 
den D. Plainer anf alien und konte, mit geringerem Verdachte 
kollegialischen Neids, franzosisch oder deutsch von einer ge- 
wissen Behauptung desselben behaupten, sie ware saubers 
Zeug, einfaltiges. Denn dieser Doktor rolt sich mit Absicht so 
weit von mir und meinem heutigen Aphorismus ab und weg, 



586 JUGENDWERKE * 5. ABTEILUNG 

daB er aus seinem Katheder herausmeint, am Kronungs- und 
Huldigungstag soke vielmehr das Volk seine Menschenfreiheit 
und sein Verhaltnis zu seinem noch ungekronten Reprasentan- 
ten noch einmal fiihlen und offenbaren diirfen. Ich wurd' ihn 
aber als Minister vielleicht zurechtefuhren. Ich wiird' ihm sagen, 
er solle es nicht wiinschen, denn es geschahe leider schon zum 
Theil und der erste Tag jeder Regierung wiirde, wie ich mir und 
ihm nicht verhelen konte, gar zu off enbar in eine Te deum's- und 
schmeichelnde Spharen-Musik gesezt, die den iibrigen Tagen 
gar nicht anpaste, welche kakophonisches Trauergelaute be- 
gehrten - so wie die Komponisten bios dem Inhalte des ersten 
Verses die Melodie anmessen und iiber deren Leisten nachher 
alle folgende Verse schlagen, und waren ihrer auch so viele wie 
im langen Dankpsalm. Ich wurde sogar lange Stacheln in vielen 
Gemuthern dadurch dazulassen suchen, daB ich fragte, ob das 
etwas anders sei als einem Nero, Tiber und alien kakophoni- 
schen Kaisern nach dem Leben gleichen, die (ganz anders als Ti- 
tus und August) den Anfang ihrer Regierung mit derienigen 
Milde und Verzartelung machten, welche das Volk zur Ertra- 
gung ihres Fortsazes so ausserordentlich wenig abhartete. Mein 
Famulus erzahlet mir, ich hatte einmal den Tazitus und Sueton 
gelesen und weggelegt und dabei ohne mein Wissen gesagt: »zu 
meiner Verwunderung machten Anfanger auf dem Theater gern 
heftige und tyrarmische Rollen, Anfanger auf dem Throne hin- 
gegen entgegengesezte; mit der Zeit aber besserten sich beide 
sehr und tauschten oft ganz« - und es kan sein, namlich daB es 
mein Famulus vernommen. 

Inzwischen stoss' ich vielleicht in Wien oder Dresden dem 
D. Platner auf und bespreche mich mit ihm unter vier Augen 
dariiber und ein wenig gelehrter als ein Minister konte oder 
wolte. Dies ware mein und sein Vortheil. Denn ich konte ihn 
ausfragen, was er von den so sonderbar beschwerlichen Land- 
trauern verschiedner Volker um ihre Regenten, dachte. Die 
Sparter schlugen sich die Stirne, bei einem solchen Todesfal, 
wund und entzwei und versagten sich Gerichte und Handel; aber 
sie blieben doch den Agyptern nach, die die Landtrauer zu einer 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE ■ I. AKT. 4. SZENE 587 

Landfasten machten, 72 Tage lang keinen Tropfen Wein zum 
Trinken und keinen Tropfen Wasser zum Baden und kein Bet 
zum Schlaf en und keinen Ort zum Ehebette, sondern wie gesagt 
bios zum Schlaf en brauchen durften. Freilich treibens die Japaner 
am weitesten, die ein Jahr lang keine Klaue Vieh abschlachten 
oder zu Markt fahren. Wenn mir nun Platner gesagt hatte, was 
er davon dachte: so wiird' ich ihm sagen, daB ich davon viel an- 
ders dachte und sprache, weil ich die Abmergelungen nicht so- 
wol fur Trauer- als fur Kronungszeremonien, fur Vorbereitun- 
gen zur neuen Huldigung, fur die neue Huldigung selbst ansahe. 
An einem solchen Vorschmak ist vielleicht etwas - einen solchen 
Vorschmak hat die russische Braut (und etwas anders als das 
Haupt und der Seelenbrautigam und Eheherr eines ganzen Staats 
sol der Fiirst selbst nicht sein) wenn der Brautigam am Kopula- 
zionstag die Peitsche unter seinen Reichsinsignien auf sucht - und 
hatte die romische Braut, die am namlichen Tage ein Ochsen- 
joch umnahm, anderer ominosen Hieroglyphen ihres kiinftigen 
Standes nicht zu erwahnen, da die alten Antiquitatenschreiber 
ihrer schon erwahnen. 

Gleichwol mus man bedenken was man thut, wenn man tiber 
gewisse Fiirsten urtheilt, die allerdings ihre Regierung nicht mit 
denienigen abfuhrenden und ausleerenden Mitteln beginnen, die 
man hatte erwarten diirfen und die den ganzen Staatsmagen so 
sehr ausscheuern und saubern, es sei von giftigen Mineralien oder 
von alten Speisen. Solche Fiirsten konnen dennoch klug sein und 
gute Absichten haben. Denn solche Regenten sind vielleicht nur 
gewissen Arzneien gleich, die ich oft einnahm und die die 
Krankheit anfanglich vermehren eh' sie sie (ibermannen und 
veriagen- ich meine, so sehr ihnen auch der Hof beim Antrit der 
Regierung vollige Vermehrung der sogenanten Gliikseeligkeit des 
Landes (die eben dessen groste Krankheit ist) Schuld zu geben 
befuget ist, so zeiget doch die Mitte und Endschaft derselben, wo 
sie mit mehr Erfolg fur die Verminderung und Hebung dieses 
Siech turns sorgen, daB der Hof seinen Tadel zuriiknehmen 
miisse. - Allerdings mus man mit diesem Lobe hauszuhalten 
wissen, und ich kenne selber Fiirsten, die alle die Hofnung, die 



588 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

sie anfangs durch ahnliche sogenante Begliickung des Landes 
machten, dadurch ganzlich tauschten, daB sie bei dieser Begliik- 
kung verharten bis in ihr fiinf und siebzigstes Jahr und langer - 
und ich wiinschte nur, der vorige Konig in Preussen ware mehr 
als irgend einer von diesem Tadel auszunehmen. 

Da es aber sieben Uhr schlagt und ich schon um 3 / 4 ankam: 
so ists Kollegium aus; und ich sol auch wegreiten. 

Vermoge des Vergleichs von 1789 den 6Dezemb. (d. i. des Pro- 
logus) kan mirs meine ganze Lesegemeinde nicht ubelnehmen, 
daB ich auch sie iezt mit dem ausserordentlichen Professor hin- 
austreibe - beim zweiten Akt dieser baierischen Kreuzerkomo- 
die wird alles wieder eingelassen. 

Der Zwischenraum zwischen beiden kan zu etwas besserem, 
zu etwas ernsthaftem verwandt werden, wie man aus den namli- 
chen Griinden die weinenden Akte der Tragodie oft mit zwi- 
schenspielender lustiger Musik durchschiesset. 

Denn ohne ein wenig Ernst was ware unser kleines Leben? 
nicht so wol ein Kinderspiel - denn das sols eben sein und der 
alte Mensch kriimt sich wie die Ewigkeits Schlange wieder zur 
Kindheit nieder wo er ausspros, wie ein Tonstiik nach seinen 
Wanderungen durch alle Tonarten, doch in der ausklingt, in der 
es began - als ein NarrenspieL Da es 7 Uhr ist: so hab' ich zu 
wenig Zeit, es genauer auszufuhren, daB die Erde eine dunkle 
Kinderstubesein sol, in der wir larmen und spielen. Der eine lasset 
auf sich reiten, der andere lernt in seinem Wagen gehen stat fah- 
ren. Das eine Kind sagt: »du bist der Muller und ich mus dein 
Esel sein und du must mich schlagen.« Ich size an einem Tisch- 
gen und wil eine hubsche Hand schreiben lernen und mus, ob 
ich gleich mit spielen mogte, mein Spezimen und Pensum (des 
Rektors wegen) machen, das die »baierische Kreuzerkomodie« 
heisset. Ein Nachbarskind sagt, wie ich hore, der hohe Kinder- 
stuhl sei sein Thron und es miisse der Kaiser und Marggraf sein 
und es wolle die iibrigen ins Hundeloch thun; daher ist es auch 
gut, daB es die Ruthe seines Vaters stat eines Szepters in Handen 
tragt. Die Madgen las sen ein wenig taufen (wenn anders den Ge- 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • I. ERNSTH. ZWISCHENAKT 5 89 

burtslisten zu trauen) und wiegen ihre Puppen in der Puppen- 
wiege viel zu sehr, ohne zu beherzigen, dafi die Puppen davon 
dum werden. Ihre B ruder spielen geschikt Soldatens und ver- 
fehlen im kleinen Dienst des Kenners Beifal nicht, es sind aber 
nicht Buben genug da, damit auch gar die Unterthanen repra- 
sentiret wiirden. Die kleinsten Kinder, schreien sehr, sie miisten 
denn schlafen. Ein Kind schabt Kreide zu Semmeln urn, weils ein 
Becker ist, und wil dafur entsezlich viel Geld und Geldeswerth 
- der Kaufer sol namlich mit den Fingern thun als zahlt' er damit 
etwas hin. Auch andre Zweige des Handels bliihen ziemlich und 
es ist alles zu haben; dieses Alles aber solten die Kinder nicht in 
mein Spezimen einwickeln und nicht mein Schreibbuch aus ein- 
ander reissen. - Dieses gehet abends eine Stunde vorher vor eh* 
der Vater oben mit dem Bescheeren des h. Christs fertig ist. Ich 
glaube aber, es ist am besten, wir spielen nicht lange mehr son- 
dern las sen uns waschen und kammen und anziehen: denn 
Freund Hain muB den Augenblik da sein, ura uns aus der Kin- 
derstube in die h. Christsstube abzuholen. 



I. Ernsthafter Zwischenakt 



w Des todten Shakespear's Klage unter todten Zuhorern in der Kirche, 
dap kein Got sei. 

Ich horte in meiner Jugend oft, daB die Todten zu Nachts um 
eilf Uhr, wo wir in tiefen Schlaf untergesunken, aus dem ihrigen 
auffahren und in der Kirche den Gottesdienst der Lebendigen 
nachaffen; ich sah daher damals spat nicht gern nach den langen 
Kirchenfenstern und dem Mondslichte, das darauf schillerte. - 
Jezt wil ich meinen Traum erzahlen; aber ich achte die Traume: 
es ist uns als sahen wir aus ihnen in feme bewolkte Gestade hin- 
iiber - als triigen sie uns aus dem untern Getose des Wasserfalles 
\o hinweg auf eine stille Hohe, wo wir in den durch die Ebene 



590 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

schweigenden Strom des Lebens schauen und in den Himmel, 
der iiber und in ihm steht. 

Mir traumte, ich erwachte auf dem Gottesacker. Ich horte die 
abrollenden Rader der Thurmuhr, da sie n Uhr schlug - und 
suchte am nachtlichen ausgeleerten Himmel die Sonne und 
glaubte, eine Sonnenfinsternis bios verdecke sie mir. Die Graber 
standen aufgeschlossen wie die eiserne Thure des Gebeinhauses; 
an den Mauern flogen Schatten, die niemand machte und andre 
Schatten giengen aufrecht in der blossen Luft. Zuweilen hupfte 
ein wogender Schimmer innen an den Kirchfenstern hinan und 
zwei bebende unaufhorliche Mistone kampften in der Kirche mit 
einander und wolten vergeblich in Einen Wollaut vergehen. Ich 
wurde, ohne mein Gefiihl, in die Kirche geriikt, in der hinten 
am Altar eine einzige hole Stimme tonte und lebte. Ich sah unbe- 
kante Ges taken, denen alte Jahrhunderte aufgepragt waren und 
welche bebten; die von mir fernern bebten hef tiger und wurden 
zu entfarbten Schatten zertrieben; und hinter dem Altar war ein 
zitterndes Dunkel, in das die Schatten zerfuhren - die Todten- 
versamlung wurde dem Dunkeln immer zugerukt und es fras 
da von ab . In auf gedekten Sargen lagen schlafende Todte mit ei- 
nem Angesichte vol lebender Traume und lachelten zuweilen; 
aber die erwachten lachelten nicht. Viele wachende drehten sich 
nach mir und schlugen ziehend die Augenlieder auf; aber innen 
lag kein Auge und in der linken Brust war stat des Herzens ein 
Loch - eben diese mit geraderter Mine fiengen nach etwas in der 
Luft und ihr Arm verlangerte sich und ris ab und ran aus einan- 
der. An der Kirchdecke war das Zifferblat der Ewigkeit, worauf 
keine Zahl und kein Zeiger war und das urn sich selber kreisete; 
dennoch zeigte ein schwarzer Finger darauf und die Todten wol- 
ten die Zeitdaraui sehen. Michzogs der entsezlichen Stimme am 
Altar naher, die aus einer edlen Gestalt wie fast Shakespears sei- 
ner tonte; aber man sah es nicht, daB sie sprach. Sie sprach 
so: 

»T6net nur fort, ihr zwei Mistone; kein Got und keine Zeit 
ist. Die Ewigkeit wiederkauet sich und zernagt das Chaos. Der 
bunte Wesen-Regenbogen wolbt sich, ohne eine Sonne, iiber 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • I. ERNSTH. ZWISCHENAKT 59 1 

den Abgrund und tropfet hinunter - das stumme nachtliche Be- 
grabnis der Selbstmorderin Natur sehen wir und wir werden 
selbst mit begraben. Wer schauet nach einem gotlichen Auge der 
Natur empor? Mit einer leeren schwarzen unermeslichen Au- 
genhole starret sie euch an. Ach! alle, alle Wesen stehen in diesem 
ewigen Sturm, den nichts regiert, als gekriimte Waisen da und 
so weit als das Sein seinen Schatten wirft, giebts keinen Va- 
ter . . . Wo ziehst du hin, Sonne mit deinen Erden? Auf deinem 
langen Wege findest du keinen Got und nur vielleicht auf Einer 
Erde einen eingebildeten . . . Wir ungliiklichen Todten! wenn 
wir den wunden Rucken, vom schweren Leben entladen, in die 
Sarge niederlegen und am LebensAbend in unsre Erde schlaf rig 
und gebiikt mit der Hofnung kriechen, am Morgen sehen wir 
Got und seinen Himmel - so reisset und prasselt uns ura Mitter- 
nacht aus dem Todesschlaf und aus der Todtenasche das Stiir- 
men und Kampfen und Lodern der ungebaueten Natur und es 
komt kein Morgen . . . Ungestorbner dort! driicke keinem 
Todten mehr die Augen zu, denn die Augenlieder f aulen ab und 
dan sieht er; und sieht keinen Got mehr . . . O ihr begliikten Le- 
bendigen! vielleicht fallet ihr heute im Abendpurpur und im 
Bliitenathem nieder und sehet in den aufgeschlossenen Himmel 
hinein und iiber die Fixsterne hiniiber und geht wie Kinder mit 
iedem Fund und ieder Wunde zum Vater und verstumt in ein 
Gebet- gebt uns eueren Got! So gluklich war ich auch in meinen 
verflatterten Tagen, da ich noch den schmerzenden Busen an 
dich legte, du unmoglicher Got!, da ich noch auf deinen Armen, 
unter deinem Auge, auf deiner Welt zu leben glaubte und hinter 
der Thrane der endlichen Dankbarkeit zusammensank, du abge- 
schiedner und friiher als die Thrane versiegter Vater! Daher la- 
cheln die schlaf enden Todten noch fort; ihre Traume spielen die 
Erde nach und ihr staubendes Herz betet noch einmal - ach betet 
ihn recht an, diesen geliebten Got, eh' er mit euerem Traume 
und Korper zerflattert! 

- Ich hor' nur mich und hinter mir wird vernichtet. In dieser 
weiten Leichengruf t der Natur ist alles allein wie das Nichts und 
von diesem Ur-Orkan, der auf dem Chaos krauselt und redet, 



59 2 JUGENDWERKE ■ J. ABTEILUNG 

wird iedes Wesen einsam getragen oder einsam verschart. Aber 
warum werden wir noch getragen? warum ist noch etwas? Wer 
halt den Zufal ab - als wieder der Zufal -, daB er nicht den Son- 
nenfunken austrit und durch das Sternen-Schneegestober 
schreitet und Sonne urn Sonne ausweftet, wie vor dem eilenden 
Wanderer Thautropfen urn Thautropfen ausblinken? Und du, 
armer gaukelnder Mensch, dessen Leben der Seufzer der Natur 
oder das Echo dieses Seufzers ist - dessen Todtenasche die sicht- 
Weabgekrazte Spiegelfolie ist, die einen Lebendigen vorlog und 
schuf - dessen Sein ein Holspiegel ist, der ein wackelndes einge- 
wolktes Ding in die Luf t hinstelte: schaue hinunter in den Ab- 
grund, iiber welchem die Todesaschenwolken des Unterge- 
gangnen Ziehen und denke noch in deinem Zerstieben: ich bin! 
Und traume noch von deinem entzweifallenden Herzen: es 
liebte! . ." . Seht ihr denn nicht, ihr Todten, das stillestehende 
Aschenhaufgen auf dem Altar, ich meine das vom verfaulten Je- 
sus Christus . . .« 

Mit einem schreklichen Schlage schien der Glockenhammer, 
der sich unendlich iiber uns ausbreitete, die zwolfte Stunde zu 
schlagen und er zerquetschte die Kirche und die Todten: und ich 
erwachte und war froh, daB ich Got anbeten konte. Seine Sonne 
aber schien rother durch die Bliithen und der Mond stieg iiber 
das ostliche Abendroth und die ganze Natur ertonte f riedlich wie 
eine feme Abendglocke. 



Zweiter Akt von 7 BIS 8 Uhr 

ite Szene 

Thiere nebst ihren Fabeln und Moralen 

Jede Minute erwart' ich einen Faszikel Akten fur meine Komo- 
die. Damit wir aber unterdessen nichts versaumen, hab' ich ei- 
nen Hamster, einen Esel, einen hochstseeligen Lowen und einen 
Hasen als einstweilige Akteurs mitgebracht; und Thiere sieht 
man auf Theatern gern. Denn ein Imperialfoliant oder Quartant 
soke uns alien beweisen, daB wir wie der Teufel wenig Zeit ha- 
ben. Der Genus verspricht so wenig- die Hofnung halt so wenig 
- der Sae- und Pflanztage der Freude stehen so wenige im Kalen- 
der - wenn man nun vollends ganze Stunden vol Vergmigen als 
Eingemachtes wegsezte und im Keller aufhobe, um der Henker 
weis wenn, dariiber zu gerathen; ich meine, wenn wir samtlich 
nicht iede Minute meiner kurzen baierischen Komodie beniizten 
und auskelterten mit dem Zitronendriicker; was wiirde daraus 
am Ende werden? - im Grunde bios die Moral zu meiner ersten 
Fabel 

pom verspateten Hamster 

Dieser bekam einmal den vollen Kropf einer Taube, von der ein 
Geier das Obrige verschlungen, aufzufressen. Wahrend der 
Malzeit legt' er sich die Preisfrage vor, ob er sich nicht Muhe 
sparte, wenn er lieber stat einzelner Korngen ganze Tauben mit 
ihren Kornmagazinen im Halse, einschlepte. Er inhaftirte also 
einen ganzen Tag lang einen halben Flug Tauben mit vollen 
Kropf en; und kam abends mit dem grosten Hunger und Erwar- 
ten nach Hause. Und das war mein Gliik. Denn war' er eher ge- 
kommen, und nicht erst abends, wo er einem Inhaftaten nach 
dem andern den Kropf darum vergeblich aufschlizte, weil die 
Tauben iedes Korngen - schon selbst verdauet hatten: so hatte 
der Hamster mich und andere um die ganze Fabel gebracht. 



594 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

Der Esel 

Ein Geiziger, der wahren moralischen Abscheu vor iedem noch 
Geizigern als er war hegte, sagte zu mir: »es ist ordentlich als 
schimpfte ein Esel den andern Langohr, da der Esel einmal, als 
er das klebende Fortschieben des Faulthiers schildern horte, so 
ausbrach: » »Es ist schwer zu begreiff en wie ein vernunftiges Ge- 
schopf wie das Faulthier so tief in den Tragheitssumpf sich ein- 
zupfahlen vermag, daB es wahrhaftig lieber hungert als geht und 
es kan unmoglich schon sein - ich meines Orts lobe mir dafur 
die (vielleicht in den entgegengesezten Fehler fallende) franzosi- 
sche Munterkeit und Fliichtigkeit von uns Eseln insgesamt.«« 

Leichenparentazion auf den Lowen 

Ich wunschte nur zu wissen wer sie gemacht. Sie lautet zwar so: 
»Der hochstseelige Lowe - dieser Konig der Menschen und Zaar 
der Thiere - war auch der Bader von beiden; es wird aber leider 
nicht algemein eingesehen. Es trete oder krieche doch ein Bluti- 
gel auf und ruhme sich, ein nuzliches Mitglied an menschlichen 
Gliedern gewesen zu sein und den Menschen, die ihn auf ihre 
Adernlegten, das boseBlut weggeschropfet zu haben: der Lowe 
wird denBlutigel roth machen (er ists aber schon) und belehren, 
daB er zehnmal mehr an den Menschen gethan. Derm er stelte 
die blutlassende Praservazionskur nicht ihrer Wilkuhr anheim, 
sondern nothigte ieden selbst dazu - zweitens zapfte er (weil er 
wuste, was eine wahre galenische Aderlas ware) das Blutin solcher 
Menge ab, daB der Pazient weiter keine zweite Aderlas zum ge- 
sundesten und langsten Leben vonnothen hatte, wiewol alle 
Vortheile dieser Entblutung allemal durch Zufalle, woran der 
Pazient verstarb, ganz verloren giengen. Das ist der Weg, auf 
dem der hochstseelige Lowe ieden Tag seines Lebens zu einem 
Aderlas tage und sich selbst zu einer Fakultat von Blutigeln zu 
machen strebte. Und kan der Krieg eine Aderlas der Menschheit ge- 
nant werden: so kan man im guten Sinne vom hochstseeligen 
Lowen und seinen vielen Kinbacken-Lanzetten sagen, daB er ei- 
nen steten Krieg mit der Menschheit gefiihret.« Aber der wiir- 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE * II. AKT. I. S2ENE 59J 

tembergische H. Konsistorialdirektor Fromman, bei dem ich 
einmal war und der sieben tausend Stiik fiirstliche Leichenpre- 
digten aufgeschiittet, konte mir nicht sag en, wer besagten Lei- 
chensermon, der auf das lezte leere Blat einer solchen Predigt ge- 
schrieben war, eigentlich verfertiget hatte. 

Der Hase 

Ein Hase fragte einen Hasen warum iener Reiter dort auf den 
Hirschen angelothet ware, von dem er nicht herabsteigen son- 
dern herabfaulen konne. »Er hat - versezte der Hase - iemand 

to von uns schiessen wollen; aber eine solche Unsicherheit des Le- 
bens kan von uns und den Menschen unmoglich geduldet wer- 
den und es hiesse Blutschulden iiber den ganzen Wald haufen. 
Daher Ziehen darin den ganzen Tag grune Engel herum und wa- 
chen mit Schiesgewehr iiber uns und die unsrigen; und da wir 
die Hunde so sehr fiirchten, so haben sie selber einige, um damit 
andere und gefahrlichere Hund von uns abzuscheuchen. Und 
dort zielt ia ein solcher griiner Kardinalprotektor und Defensor 
des ganzen Waldes auf irgend einen Feind von uns.« Unter die- 
sem Dialog schos der grime Engel dem Hasen durch die Ohren, 

20 womit er das Obige angehoret; allein die Def ensionsakten kom- 
men an und wir lassen nunmehr das fabuliren wo es war. 

Unter der Lesung des folgenden Defensionslibels wird man 
sich vielleicht eines kleinen Vergniigens driiber nicht erwehren 
konnen, daB die Menschen von niemand anderem diirfen todt- 
geschossen werden als bios von Soldaten und daB wenns ein an- 
derer thut iiber diesen andern ergeht was recht ist oder so oder 
mehr. 



596 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

2te Szene 

Nothdringliche Defension fur ] . Kraus Mezner, der im Klostergericht 

zu S. dutch den Strang von Leben zum Tod gebracht worden, wider 

die attentirte und volfuhrte Inquisizion puncto Strassenraubs 

Es erscheint vor diesem peinlichen Halsgericht J. Kraus Mezner, 
der Freitags gehangen worden*, mit seinerri Defensor und cura- 
tore litis und reservirt sich alle ihm zustandige Rechtswolthaten 
und Eide, wil mit keinem iiberflussigen Beweise beladen sein 
undopponirtuberhaupt dem H. Fiskal exceptionem non funda- 
tae inquisitionis ganz. 

Defensor bringet bei, daB der gehangene Inquisit seiner Le- 
bens- und anderer Art nach zuverlassig das gewesen sei, was an- 
dere sogenannte Strassenrauber auch allemal sind, namlich ein 
Heiliger und er musse/wYihn die Defension in der Gerichtsstube 
fiihren, die er so oft gegen ihn auf der Landstrasse gefuhret. Er 
wundert sich halbtodt, daB H. Fiskal alle Kardinaltugenden und 
Ponitenzen des da stehenden Heiligen so zu interpoliren und 
umzufarben gewust, daB ein ganzes hochlobliches Klosterge- 
richt und selbst der nachherige Henker eine zweideutige Mei- 
nung von diesem Mezner fassen konnen; aber mit gegenwarti- 
gem Leichnam w^il er als mit einem Menstruum in diesem 
chemischen und peinlichen Prozesse den Fiskal ganzlich nieder- 
schlagen oder prazipitiren. 

Heilige haben zu alien Zeiten einen Wald, oder eine Klause 

* Es wurde mir von Beisizern gesagt, der Defensor muste sich abqua- 
len, urn den gehangenen Mezner in der Gerichtsstube zum Feststehen zu 
bringen und das Gericht fragte, ob etwan Mezner nach seinem Tode sich 
besoffen hatte. In den Inquisizionsakten sol noch, wie ich hore, proto- 
kollirt sein, daB der Defensor seinen falsuchtigen Klienten ganz mit 
Klingeldraht durchflochten und durchbrochen und in ihn noch Hopfen 
und Inquisizionsmanualakten eingestossen und ihn damit ausgefiittert, 
weil Inquisit sonst und ohne diese Inserate gar nicht aufrecht gestanden 
ware. Und ich glaube selbst, so muste die Sache angefangen werden. 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE ■ II. AKT. 2. SZENE 597 

oder eine Sauk zu ihrem holirschemel erlesen, um darauf zu ste- 
hen und da sich, aus alien anelektrischen Korpern rund heraus- 
geschnitten, mithimlischem Ather anzuladen bis soviel in ihnen 
sas als zur Bosischen Beatifikazion und zu den Funken nothig ist, 
die auf Weltkinder abzuschiessen sind. Und sind denn die Ha- 
scher und die ganze Stadtmiliz gar nicht mehr am Leben, die vor 
19 Wochen aufsassen und die iezt bezeugen konten, daB sie auf 
ihrem Anachoreten-Treibiagen unsern seeligen Inkulpaten und 
Heiligen nirgends als in einer Klause unter der Erde im Walde 
gefangen? Ein ganzes Provinzialkonzilium von Klausnern 
privatisirte ia darin und henkt iezt beisammen als Galgen-Ber- 
lokken. O wie viele Heilige mogen sich noch in den Waldern 
unsers Bayerns einmauern, durch Demuth und Selbstverlaug- 
nung ganzlich von der Welt entfernt gehalten! 

Heilige gaben zu alien Zeiten ihren Leib den entsezlichsten 
Mortifikazionen bios; aber aus den Akten constiret recht, wie 
weit es hierin besonders Inquisit getrieben. 

Man erstaunt iiber die vorigen Krafte der Menschheit und 
glaubt nicht, daB sie noch iezt solche Menschen liefern konne, 
wie die Eremiten, Sty li ten und syrischen Bosci waren, die 
beinahe lebten wie das Vieh, in Einem fort unter dem nakten 
Himmel und dem elendesten Wetter wie Postknechte, und von 
einem Neuiahrswunsch zum andern ohne ein Federbet oder eine 
Matraze. Aber gegenwartiger durch den Galgen ein wenig sa- 
kularisirter Mezner stelt sich als ein unerwartetes Beispiel auf, 
was diese Menschheit doch noch konne; er und seine Ordens- 
briider hausten stets unter der namlichen Witterung und eben so 
lange, und gerade im giessenden und schnaufenden Aquinok- 
zien- Wetter* spazierten sie zu Nachts am liebsten und f reiwillig 
an Hausern auf und nieder, um Mortifikazion theils zu iiben 
theils zu lehren. Warum war das dem H. Fiskal ganzlich unbe- 
kant? 

* Bekantlich brechen beim elendesten Wetter die Diebe am haufig- 
sten ein; daher Ziehen sich auch dan die Nachtwachter auf ihre Schlaf- 
banke zuriik, weil sie sonst alle da ran zu hindern fiirchten miisten. 



598 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

Sein Gewissen mus ihm auch vorwerfen, daB er nicht ins Ge- 
fangnis gegangen und da den entsezlich langen Gordons-Bart 
unsers Malefikanten und Heiligen praeter propter ausgemessen, 
der an dessen Zahnkuste hinauf und herunterwuchs: H. Fiskal 
hatte sich dan gewislich auf soviel aus Mosheims Kirchenge- 
schichte besonnen, daB er die Heiligen hatte mit Namen angeben 
konnen, denen Mezner nachzuschlagen suchte; die Eremiten 
namlich, die ihre Haare ordentlieh urn sich schlugen wie einen 
Pudermantel, und einen Bart vorhatten wie eine Barbierser- 
viette. Warlich Tugenden und Haare waren und bleiben noch an 
alien Heiligen haufig und gros. Und diesen Wuchs des am Kinne 
hangenden Gartens treibet Mezner sogar gehangen noch fort und 
wil lange nach seinem Tode den Fiskal noch riihren; das ist aber 
fast gar zu ausserordentlich und ich passe begierig darauf, was 
der Kraus Mezner auf der Erde noch anheben und mit welchem 
Erfolge er an der ganzen Welt schutteln und riitteln 
werde. 

Defensor kan seines Bediinkens die vielen Mortifikazionen 
der Heiligen und des h. Mezners gar nicht zahlen und springt 
iiber manche hinweg. Sag' an, mit Aktenpapier durchschossener 
Mezner - sagt Defensor zu ihm - was nahmest du deines Ortes 
vor, urn die Aszeten einzuholen, von denen du in Kasaubons 
Anmerkungen iiber den lugenhaften Baronius (exercitat. L9.) 
gelesen, daB sie sich auf spannenbreite Tafeln schlafen gelegt, 
um einmal iiber das andere hinunterzupurzeln und zum Beten 
auf zuwachen? Du schliefest theils auf schmalen Of enbanken der 
Kneipschenken theils auf Laubbaumen und rutschtest oft hinun- 
ter wie ein Sak, um wach zu werden, welches dir recht lieb 
war. 

Sag' an, stark gehopfterKMent, was seztest du und deine Gesel- 
len ins Werk, um nur den Acoemetis im fiinften Jahrhundert 
nachzukommen, von denen dir aus » Simons christlichen Al- 
terthiimern« recht gut so viel im Gedachtnis sizen geblieben, daB 
sie sich. in drei Haufen zerspalten, um den nachtlichen Gottes- 
dienst durch ein alternirendes Antiphonien-Schlafen ununter- 
brochen fortzufiihren? Du sagst nichts an; aber der Fiskal selber 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE ■ II. AKT. 2. SZENE 599 

sagte an, daB du das nahmliche ins Werk gesezt: du und dein 
Heiligen-Personale im Walde hatte den Muth, weil zwei wa- 
chende Haufen schon da waren, namlich das gemeine Volk, das 
am Tage, und das vornehme, das vor Mitternacht lukubrirte und 
weil bios der dritte miihvolste abgieng, der nach Mitternacht 
nicht schliefe, du hattest, sagt' ich und der Fiskal, da den Muth, 
diesen dritten samt deiner Dienerschaf t zu machen und [zu] erse- 
zen und nachtlich aufzusizen. Wie oft gienget ihr dan stat der 
Monche, die ungemein trage nicht aus den warmen Betten in die 
kalte Kirche wolten, freudig hinein! Ja wenn ihr oft in die Tem- 
pel wie Exkommunizirte nicht hinein kontet: so wartetet ihr 
haufig die nachtlichen kanonischen Horen in Holen und Kneip- 
schenken ab und hattet deswegen mit dem grosten Vorbedacht 
aus der Kirche schon soviel Altar-Service mitgenommen, daB es 
in der Kneipschenke weiter an nichts fehlte als - an einer Litur- 
gie, von der D. Seiler in Erlang eine verbesserte rechtmassige 
Auflage fur die bayreuthischen Kanzelpulte zu schreiben ge- 
denkt. 

Wekke deine Sprachorgane von Todten auf und sage damit 
beilaufig an, von mir apostrophirter Mezner, hattest du sonder- 
liche Kenntnisse vom h. Makarius, der sich lebendig bis an den 
Hals beerdigte und den Kopf vorragen lies, um damit nach dem 
nachbarlichen Gras zu schnappen - oder vom h. Abt Arsenius, 
der seine Zelle mit dem Hollengestanke faulender Blatter aus- 
raucherte, um seine Nase zu kreuzigen? Aus den Akten ist nichts 
von einer sonderlichen Kentnis davon zu ersehen, aber wol das 
daB du diese Beerdigung und Kreuzigung in eine einzige Nach- 
ahmung zusammengeflochten, indem du mehr als zwanzigmal 
aus Selbstverlaugnung bios durch geheime Gemacher in die 
Hauser aufstiegest und eingiengst; ob du gleich die Thiir und den 
Thiirklopfer sahest. 

Der Inquisit Mezner tauschte diesen klystiermassigen Ein- 
gang zuweilen mit dem entgegengesezten um und sank oft von 
oben ein, durch die Luftrohre des Rauchfangs. Das weibliche 
Geschlecht zeigt eine h. Passidea auf, die sich als ein epikurei- 
sches Schwein oft in den Rauch aufhieng, um ihr gekreuzigtes 



600 JUGENDWERKE ■ 5.ABTEILUNG 

und gerauchertes Fleisch seelig zu machen. Aber das manliche 
Geschlecht mus nach meinem h. Mezner greifen, um iemand 
vorzuweisen, der stundenlange dem Rauche der Feuerraauer 
unter Leberwursten, die er verminderte, entgegenhieng bis er 
endlich ins schlafende Haus herniederfuhr, um da seine biirgerli- 
che Nahrung und Dinge zu treiben, die ich nahher mit wahrem 
Nuzen beriihren mus. 

Selbst in meinem Rauchfange fielen einmal zwischen mir und 
Meznern Aktus vor, die Schoppenstiihlen und dem Ordinario 
geschrieben werden mussen, weil sonst ganze Kloster- und an- 
dere Gerichte denken miissen, ich wisse Heilige am Ende mehr 
zu defendiren als zu mortifiziren. Denn ich mortifizirte am Mal- 
chus-Tag gegenwartigen Justifizirten hinlanglich und ausserst. 
Ich stelte abends, noch wegen des Marzes in meinen Pelzstiefeln 
wohnhaft, leise um ioV 2 Uhr unterm Dachstuhle Mausefallen 
auf - als ich nach einem immer mehr sich dechiffrirenden Gerau- 
sche einen Heiligen horte, der an einem Strik wie ein Senk- und 
Wurfblei meinen Rauchfang hinunterglit. Ich rupfte ein Bein 
urns aridre aus meinen fast uniibersteiglichen Pelzstiefeln heraus 
und rieselte, sie chapeaubas tragend, alle Stokwerke fliegend 
hinunter. Unten unter der Haupttreppe lehnte eine am Tage ge- 
brauchte Baumscheere, die sechshalb Hasfurther Ellen lang war. 
Mit dieser Stange - Mezner war indes schon in den schwarzen 
Hafen eingelaufen und stand auf zwei Raucherstekken herum- 
horchend vor Anker - sprang ich wie wuthend auf den Feuer- 
heerd, weil ich zuviel Larm machen muste und die Stange erst 
durch zwanzig diagonale Evoluzionen in den Rauchfang ein- 
brachte. Mezner und ich hatten uns mit keinem Licht versehen. 
Dieser sas folglich oben und suchte sich durch blosses Nachden- 
ken das annahernde Getose zu entwikkeln, kont' aber schlech- 
terdings nicht und verfiel nicht darauf , daB sein nachheriger und 
gegenwartiger Defensor mit einer, Hasfurthische Ellen langer 
Scheere unten stande und nach einem Introitus fochte. Der eine 
Handgrif der Baumscheere stekte fest an der Stange, der andere 
konte durch eine dicke Schnur, die ich mit den linken Fingern 
zog, heftig auf und zugeschnappet werden. Ich fieng iezt an, 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • II. AKT. 2. SZENE 601 

nach dem Gast meines Rauchfangs schnel und stil zu stochern 
und zu gabeln, um ihn, mortifizirend, an irgend einem Gliede 
aufzuspiessen und einen kurzen paullinischen Pfahl in sein 
Fleisch (von unten auf) zu treiben. Wahrhaftig es war so viel (und 
mehr) als war' ich auf dem Feuerheerd gestanden und hatte dem 
iiberirdischen Zuhorer auf der Emporkirche ein aszetisches Kol- 
legium hinaufgelesen, und ich langte ihm gewissermassen die 
ganze Ethik bios auf meiner Stangenspize hin. Kraus Mez- 
ner und ich sprachen noch immer kein Wort: er wuste also nicht, 

ro "wofiir er das Ding zu nehmen habe, das unsichtbar an der Feuer- 
mauer auf und niederhobelte und so verdachtig um ihn fachelte. 
Mit dem Stechen verknupfte ich noch zwekmassiges Auf- und 
Zureissen der Scheere, um etwan indem ich aufstachelte, ein und 
das andre Glied beilaufig loszuschnizen und durch perpendiku- 
lare Blessuren horizontale zu reissen: ich wolte (sieht man nun 
schon) die Beschneidung des Fleisches und der Lippen am Kon- 
klavisten des Rauchfangs unaussprechlich weit treiben und 
lenkte und raufte wie besessen am beweglichen Unterkinbakken der 
Scheere. Ich wolte liberhaupt ganzlich haben, die Meznerische 

20 Nase soke mir auf meine eigne fallen; wie denn in unsern Tagen 
diesen unfruchtbaren Holzast gute Selbstgartner haufig herab- 
haben und schneiden wollen. Da ich den Auffal verschiedner 
Fragmente verspiirte, die ich f iir abspringende Glieder des Dis- 
ziplinanten nehmen konte: so wust' ich recht gut, wo ich und 
Mezner mit dieser aszetischen Analyse desselben hinauswolten 
und bei solchen Auf munteriingen wolt' ich naturlicherweise fast 
den ganzen Meznerischen Oberrest in einen solchen Gliederre- 
gen auflosen- allein Kraus Mezner, dem ich die Kreuzschule viel 
zu lange hielt, war schon langst vor dem Fragmenten-Nieder- 

jo schlag, bios mit einer breiten Mortifikazion im Schenkel oben 
wieder hinausgeritten, indes ich doch allein fortagirte, und 
meine Frau, die mit dem Lichte kam, fand mich schweigend 
scheeren unter den herabtropfenden Segmenten meiner gerau- 
cherten Leberwiirste, die ich freudig f orthalbirte, in der besagten 
Meinung, den Ponitenten zu trenchiren . . . Das ist aber die 
ganze brauchbare Passionsgeschichte dieses Kanonisazions- 



602 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

Kandidaten, da er als Transito- und Stapelgut meinen schlechten 
Rauchfang passiren woke. 

Viele alte Heilige und der neuere Betler Labre hatten wenig 
am Leibe oder nur Stiik- und Flikwerk; ich halte aber zu Hause 
den zerlumpten und bescheidenen Anzug Mezners und seiner 
Ordensbriider (denn die Bande war so stark, daB nach ihrer Ka- 
nonisazion die Kirche kan zwei Monate an ihr zu feiern haben) 
aus ziemlich wichtigen Griinden vorrathig, um alzeit etwas zu 
haben was ich dem Teuf elsadvokaten und iedem entgegenhalte, 
der wirklich zweifelt ob Mezner ein wahrer Heiliger gewe- 
sen. 

Das ist aber nur das schwachste Pfand seiner Demuth. Denn 
so gut der h. Franziskus und der h. Makarius ihren Schiilern bei 
der Observanz befahlen, sie Diebe, Esel und so weiter zu 
schimpfen: so wartete keiner in der Meznerischen Ordensbrii- 
derschaft erst auf einen Befehl, sondern nur auf Bier, um durch 
die aszetischsten Obungen die Demuth des andern sehr zu star- 
ken. Der Fiskal kont' es selbst nicht aus den Protokollen auskra- 
zen, daB Mezner seinen Namen aus weitgetriebner Demuth ver- 
nal ten und einen fremden vogespiegelt; er hatte seine zu 
bescheidne Absicht ganz erreicht, wenn nachher der romische 
Stuhl den fremden Namen stat des seinigen mit rothen Buchsta- 
ben in den Kalender zur Feier eingeschrieben hatte. Es ist schwer 
zu glauben; aber gegenwartiger H. Gerichtsaktuarius wil es ver- 
sichern, daB in ganzen Banden keiner nach dem Namen des an- 
dern sich erkundingen darf* - und so handelte achte Demuth 
von ieher und lasset da von nicht ab. Untadeliche Gelehrte lach- 
ten den Severus Sulpizius aus und woken ihms nicht glauben, 
daB ein Eremit einmal (vita Martini dialog. I.), um demuthig zu 
bleiben, sich einige Monate vom Teufel besizen lassen und Got 
darum gebeten; steht aber hier nicht das lebendige mit Hopfen 
durchschossene Beispiel noch vor uns oder Kraus Mezner, von 
dem (nebst vielen seiner Kongregazion) wirklich zu erweisen ist, 

* Bekantlich (wenigstens ist Gerichten bekant) darf kein Spizbube 
den andern um seinen Geschlechtsnamen befragen. 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • II. AKT. 2. S2ENE 603 

daB der Teufel lebendig in ihn gef ahren war und daB er dadurch 
vom Stolze auf seine Tugend sich volkommen losgeholfen? Und 
wie gedenkt sich hier H. Fiskal mit guter Art herauszuzie- 
hen? 

Es soke das Stilschweigen ergreifen, von dem ich iezt reden 
wil und das grosse Heilige und Karthauser niemals so weit ge- 
trieben daB ihnen des gegenwartigen Mezner Anstrengung nicht 
hatte nachzukommen vermocht, der auch iezt nicht spricht. 
Denn weit entfernt, erst wie die Karthauser durch Ruthen zum 
Schweigen getrieben werden zu miissen, konten ihn Ruthen und 
Daumenschrauben nicht einmal davon weglokken und er blieb 
stets eingedenk, daB nicht diese Gerichtsstube sondern der Wald 
das Sprachzimmer ist, wo ein Heiliger ein wenig reden darf und 
wo auch die Horbruder* nebenihm stehen. Er gehorte bekantlich 
zur Karthaus des Cartouche, der seine Novizen so sehr im 
Schweigen auf der Folter ubte. 

Es komt mir sehr zu statten, daB H. Fiskal selber den Beweis 
auf sich genommen, daB mein Klient hinlanglich gestohlen und 
ich acceptir' es mit Nuzen und Lust; dennoch wil ich selbst von 
seinem Rauben soviel ausser Z weif el sezen als wie es scheint von- 
nothen ist, um iezt darzuthun daB er ein Heiliger war. Er muste 
den h. Franziskus fast tadeln, der den Franziskaner Bettelorden 
stiftete und durch blosse Statuen Menschen hinterlassen und er- 
ziehen wolte, die kein Eigenthum hatten und suchten. Kraus 
Mezner sah die Verdorbenheit der Franziskaner und anderer 
Bettelmonche und aller Menschen von hinten und vornen, die 
nicht wie Sparter durch Lykurgische Reden zu heilen standen: 
er schrit vielmehr ganz in den tiefern Weg der That hinein und 
that was er soke. Denn er postirte sich und seine gehenkte Die- 
nerschaft im Walde taglich so, daB dieses ganze Franziskaner- 
kapitel Leute, die vorbeiritten oder fuhren und wie unsinnig an 
ihrem zeitlichen Eigenthume pichten, von gedachtem Eigen- 
thum nicht durch lange Missionspredigten sondern durch tha- 

* so wie es Horschwestern (les Tourieres oder les Soeurs ecoutes) 
giebt, die eine Nonne ins Sprachzimmer begleiten und auf ihr Reden 
Achtung geben. 



604 JUGENDWERKE ' 5. ABTEILUNG 

tige Hande abbringen konte; das Vermogen solcher im Bettelor- 
den Professe ablegender Reisender erbte nachher Kraus Mezner 
und seine Heiligen wie ia Kloster alzeit thun. Solche Veranstal- 
tungen, die selber in den Inquisizionakten nicht in Abrede ge- 
stellet werden konten, waren es , wodurch Mezner viele Christen 
so weit brachte, daB sie wie Monche ihre Sachen nicht mehr die 
ihrigen nanten. So nach war er, die Wahrheit zu sagen, wirkli- 
cher Ordensgeneral der Laienb aider im Bettelorden und unter 
keinem schlechtern Pradikat hatt' er zu dem Galgen aufsteigen 
sollen. Bei seiner Heiligsprechung kan es weitlauf tiger beruhret 
werden, daB die Meznerische Gespanschaft gegen den Luxus die 
besten Prachtgeseze vorgekehret; sie rit zwar nicht wie der Kar- 
dinal Kapistran nach Niirnberg und predigte da nicht wie der, 
Geschmeide, Kleider und das Heergerathe des Luxus auf einen 
Scheiterhaufen zusammen, noch weniger brante sie wie der 
Kardinal diesen Haufen an: aber sie thaten weit mehr, die Ge- 
spanschaft holte stil und ohne Pharisaisches Plaudern nachtlicher 
Weise ganze Frachten von solchem Luxus aus den Hausern weg 
und am andern Morgen musten die Inwohner und Eigenthumer 
demuthig befunden werden sowol in Worten als Werken und 
Geberden. 

Der Fiskal soke sich nicht so weit vergessen haben, daB er mit 
den deutlichsten Worten hingeschrieben, Kraus Mezner sei zu 
dieser und noch andern Handlungen nicht befugt genug gewe- 
sen und er zweifle ganz. Denn dadurch legte er wider seinen 
Willen auf das deutlichste an den Tag, daB er es weder aus dem 
h. Augustin noch Irenaus* gelernt, daB die ganze Welt die Erb- 
schaftsmasse und Kronengiiter der Heiligen sei und von Gotlo- 
sen gar nicht besessen werden konne und solle; daher sind auch 
die Anspriiche des allerheiligsien Vaters auf die ganze Welt so sehr 
gegriindet. Dem hier mit Drath durchsponnenen Mezner, der 
seine Heiligsprechung noch fruher von seinen Werken als von 
besagtem Vater empfieng, kont' es durchaus nicht unbekant 

* Barbeyrac de la morale des peres de Feglise ch. 3. § 10. ch. XVI. 
§ 14- 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE ■ II. AKT. 2. S2ENE 60$ 

sein, daB sein Karakter ihn zum rechtmassigen Eigner der gan- 
zen Erde erhebe. Allein er schien sich einer so ausserordentlichen 
Besizung dadurch noch wiirdiger machen zu wollen, daB er sie 
fast wegschenkte. Denn anstat daB Fiirsten bios Landgiiter, und 
Pabste bios einen und den andern Welttheil verschenkten, be- 
gabte und belehnte Inquisit mit alien 5 Welttheilen samtliche 
Menschen, die sich nun nach Gefallen und Billigkeit darein thei- 
len konten, und die unentdekten Lander zahlte er den europa- 
ischen Fiirsten zu, die daher ihre Fahne den Augenblik, da sie 

[o darin anlanden, in denselben aufstekken konnen - so daB er von 
alien seinen liegenden Grunden, um die zuweilen Weltumsegler 
reiseten, die Wahrheit zu sagen nicht so viel behielt, daB er seinen 
Galgen hatte darauf oder daraus mauern konnen. Dennoch wol- 
ten seine fahrende Habe die Menschen auch haben: auch davon 
trat er soviel und alles, was er in den Siidseeinseln, in Afrika p. 
stehen hatte, willig an sie ab und woke nur einiges behalten, was 
um seinen Wald herumstand und herumhieng. Gleichwol betraf 
ihn, nachdem er wie andere Heilige fast sein ganzes Vermogen 
den Armen geopfert hatte, das herbe Schiksal, daB er das We- 

20 nige, was er durchaus begehrte und brauchte und von dem nie- 
mand eine Schenkung unter den Lebendigen erweisen konte, 
erst in Ausf alien aus dem Walde mit seinen und zwanzig andern 
Handen erfechten und erlauern muste. Ich laugn' es nicht, die 
Rechte sprachen ihm, wenn er auf diese seine Giiter fremden 
Passagiers und Fuhrleuten abnahm, freilich alle Seeligkeiten des 
Besizes (beatitudines possessionis) zu, d. h. er brauchte weder 
seinen Titel zu ediren (es war auch keine Zeit dazu da) noch den 
Arm der Obrigkeit dazu anzuschreien sondern er konte sich 
selbst und mit Gewalt in seinem Besize schirmen; allein ausserst 

30 unangenehm ist es einem Heiligen doch, bestandig in solchen 
weltlichen Nahrungssorgen seine Stunden zu verbringen und 
stets schwere Brecheisen und Knuttel und Leitern herumzutra- 
gen und immer aufzupassen. 

Unter meine unwilkiihrlichen Mortifikazionen in der Welt 
gehort das mit, daB ich oft von zehn Dingen das elfte vergesse, 
ich meine hier die eilfte Mortifikazion des Inquisiten: es entfiel 



606 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

mir, daB er nicht wie viele Heilige sich selbst auspriigelte, son- 
dern sich - er verstarkte dadurch die Ponitenz in etwas - von an- 
dern Menschen auspriigeln lies, namlich vom Biittel oder Scher- 
gen, der hier steht und diese Monchs-Disziplin wenige Wochen 
vor seinem Tode mit ihm vornahm. Von unpartheiischen Klo- 
stergerichten mus auch das ihm fur etwas angerechnet werden, 
daB unsere gehenkte Heiligen-Diozes und besonders ihr Inspek- 
tor Mezner - so wie in Klostern die Novizen stat der Geiselung 
das Herbeten von Psalmen p. zur Strafe wahlen - umgekehrt gar 
oft das Qeiseln an die Stelle der Andachtsubungen riikte - und sol- 
che Heilige priigeln einander stets, weil das eben gerade so viel 
ist als beteten sie lange und laut, diese Priigel-Paschisten oder 
Passianer. 

Und aus solchem edlen Thaten-Erze Mezners wuste der Fiskal 
den Arsenikkonig zu sublimiren, der seinem exemplarischen 
Lebenswandel einen schlechten Garaus machen und selber sei- 
nem guten Namen etwas anhaben wolte, wenn ich es gelitten 
hatte; aber deswegen bin ich ia da, urn fur diesen gehopften 
Heiligen, in den einige Akten inrotulirt sind, ausserordentlich zu 
fechten und damit so fortzufahren: 

Wessen Glaube an Mezners Heiligkeit noch schwankt, der ist 
nicht kaltblutig genug und bedenket nicht, daB er gehenkt 
wurde und seinen todtlichen Ringkragen noch umhabe und erst 
heute fruh von mir darin heruntergeknopft worden. Ein solches 
Leben wie das meznerische konte fast nirgends anders als im 
Martyrthum und in der Luf t sich endigen und in den Antwerper 
actis Sanctorum, die bis zum Dezember fortgeschrieben sein 
solten, sind die Beispiele solcher Martyrer viel haufiger. Ich bin 
froh, daB ich ihm nicht wie den ersten christlichen Marty rem 
vorwerfen kan, sich muthwillig und freiwillig zum Marty rer- 
tode hingedrangt zu haben; er gieng ihm vielmehr so sehr er nach 
Pflicht durfte aus dem Wege und zog daher, nachdem er vor drei 
Jahren dem Gefangnis und dem Fiskal und meiner Defension 
entsprungen war, seitdem als martyr designates* draussen 

* So nante die erste Kirche die Christen, die dem Martyrertode, zu 
dem sie bestimt gewesen, wieder entkommen wareru 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • II. AKT. 2. SZENE 60J 

herum. Aber freilich war es blosse Verstellung wenn er zu wiin- 
schen schien, nicht aufgehangen zu werden: derm sein ganzes 
Leben war ia fast nichts anders als eine stete Vorbereitung und 
Busiibung auf diese Feuertaufe, wie Origenes den Martyrertod 
benent, auf diese Bluttaufe, wie Zyprian ihn nent, besserer Me- 
taphern zu geschweigen. 

Sobald er tod war, so wurden wie beim h. Paris seine Wun- 
derkrafte lebendig und wer etwas davon weis, soke ohne Zeu- 
gendiaten nach Rom abreisen, um dem kanonisirenden romi- 

[o schen Stuhle alles zu erzahlen. Das ganze hochlobliche 
Klostergericht beschaue die Hand des Inquisiten, die ich iezt em- 
porziehe: es ist von ihrer Tastatur der fiinfte Finger ausgebro- 
chen, den ein Kerl heute Nachts mus vom Galgen abgeholet ha- 
ben, um bei seinem Stehlen eine wunderthatige Reliquie bei sich 
zu fiihren und seine fiinf Finger durch einen sechsten zu verlan- 
gern. So bekant ist selbst dem gemeinen Man Mezners Heilig- 
keit, eh' ich sie noch mit einem Worte bewiesen. Es kan dem H. 
Fiskal wehe thun, daB sein eigner Reitknecht heute vor dem Ge- 
betelautcn gar nicht aus meiner Stube wegzubringen war, son- 

jo dern immerfort mit Flehen auf dem Hemde des seel. Malefikan- 
ten bestand, oder nur auf einem Fezen davon, um damit sein 
Pferd zu streichen und zu kartatschen, das gar zu wenig Luder 
hatte und das er mit diesem Kartatschen fetter zu machen ver- 
hofte als mit sieben Scheffel Hafer. »Es ist richtig, sagt' ich, sol- 
che Hemden niizen in unserem Klima Pferden eben so viel als 
die iahrliche Weihe derselben am Antoniusfeste zu Rom; aber 
mein Kerl hat sich selber das mastende Hemd schon gestern 
abends vom Hochgerichte heruntergedreht und er bestreicht 
meinen >Schekken< damit. « Gleichwol zupfte ich aus dem Hals- 

10 Strang des Mezners etwas zu einer Peitschenschmize heraus und 
sagte dem Reitknecht, wenn der Gaul diese Schmize horte: so 
wiird' er alzeit besser laufen und das mtiste ihm so lieb sein als 
6o Pfund neues Luder. Ich hore aber, daB der fiskalische Reit- 
knecht und der defendirende Reitknecht nachher auf der Weide 
sich wegen des nahrhaften Hemdes fast halb erschlagen, so sehr 
wissen schon solche unbelehrte Leute die Wunderkrafte von 



608 JUGENDWERKE - 5. ABTEILUNG 

heiligen Kleider-Reliquien zu schazen. Wenn Frank in seiner 
medizinischen Polizei berichtet, daB in mailandischen Nonnen- 
klostern heilige Knochen zu Mehl zerhammert werden, urn dar- 
aus Morsellen gegen alle Krankheiten zu bakken: so lief schon 
vor der Hinrichtung auf der Wache die Rede herum, daB ein Paar 
Osterreichische Soldaten vorhatten, die Kopf knochen Mezners 
zu piilvern und in Brantewein einzunehmen, urn sich gegen die 
Tiirken festzumachen. Bei solchen Geriichten ist es eine wahre 
Freude, daB der Delinquent doch noch ganz ist und mithin kom- 
plet nach Wien abgef ahren werden kan, urn da wie andere heilige 
Leiber in einem Sarge, mit einer Glorie stat der Frisur/auf ge- 
stikten Kiissen und vor knisternden Kerzen, von bessern Perso- 
nen als Reitknechten theils verehrt theils geniizt zu werden und 
ein guter Freund wil mir nachher seine Wienerischen Wunder 
schon weitlauftig schreiben; ich hoffe aber, es sol die Kirche mit 
Mezner nicht so lange zaudern wie mit den romischen Malefi- 
kanten, die Jahrtausende ungebraucht in den Katakomben 
trokneten, ehe sie auf die Altare gelangten und da ihre Wun- 
- der nachholten: vielleicht waren an diesen Heiligen wie an 
Mezner gute Wunder schon reif , da sie noch architektonisches 
Fruchtgehang des Galgens waren und ich walfee darauf ster- 
ben. 

Die Vorstadter wollen zu Nachts am Haupte des hangenden 
Mezners einen breiten Heiligenschein haben glimmen sehen. 
Einige leiten diese Brilliantirung von seiner ungemeinen Heilig- 
keit her; viele von phosphoreszirender Ausdiinstung: allein ich 
leit' es von beiden zusammen her. 

Ich weis nicht, ob der Pabst in Rom sagen kan, daB er die 
Menschen zur Bemuhung, solche Heilige zu werden wie Mezner 
und Gespan, dadurch sehr ermuntere, daB er so selten einen ka- 
nonisirt. Viele hundert werden iahrlich im katholischen Europa 
gehangenund geradertund mit der Martyrerkrone infulirt, ohne 
daB der h. Vater nur darauf denkt, einen oder ein Paar von ihnen, 
zur Aufmunterung fur andere Christen, dadurch etwan zu be- 
lohnen, daB er sie heilig spache und ihrem Namen die Kalender- 
schminke, einen Altar und eine Kirche und Anbeter bewilligte. 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • II. AKT. 2. S2ENE 609 

Freilich sind der Heiligen fast erschreklich viele und wenn nach 
dem h. Augustin und Peter Lombardus nur soviel Menschen 
seelig werden sollen als Engel verdamt geworden, um die Gold- 
stuffensamlung von Seeligen wieder zu kompletiren: so kan man 
ganz gut annehmen, daB ganze Ballen guter und vom Pabste 
selbst gestempelter Heiligen als Supranumerarii nirgends hinge- 
schlichtet werden konten als in die Holle. Das einzige Benedikti- 
ner Kloster Kassin lieferte dieser und der andern Welt 5555 
Heilige; und ein Monch, der auf Befehl Karls des Grossen Kreide 
nehmen und die Heiligen uberrechnen muste, brachte heraus, 
daB auf ieden Tag, wenn man iedem Heiligen seinen Festtag fei- 
erte, 300 Stiik Heilige auf einmal kamen, von denen also nach 
meiner Division ieder einen Festtag erhielte, der 4 7 / 15 Minuten 
lang ware.* Da es mit nichts zu erharten steht, daB es so viel 
Teufel giebt als Heilige: so konnen sicherlich, da zumal im Him- 
mel keine neue Teufel mehr gemacht werden aber immerf ort auf 
der Erde neue Heilige, nicht vakante Stellen und Stuhlserledi- 
gungen genug iru Himmel vorhanden sein, um die nachstro- 
menden heiligen Steisse samtlich aufzunehmen; aber in der Holle 
ist fur alle Henker Plaz. Daher entfahrt Mannern, die man hier- 
iiber horen mus, oft der Wunsch, der pabstliche Nuntius mochte 
es seiner wurdig halten, nach Rom zu schreiben und der Kon- 
gregazion de sagri riti vorzuschlagen, daB man kiinftig oft Heili- 
gen Beatifikazion und Kanonisazion gewahren mochte, die 
theils bos waren theils verdamt, weil alles fast Ein Teufel ware. 
Aber das leztere ist gar nicht wahr; in neuern Zeiten kan man 
bose und verdamte Heilige am allerwenigsten entbehren, aus 
genommenimhiesigenKlostergerichte. Die wichtigsten Stande 
sind oft ohne Schuzpatron: z. B. die Diebe haben vielmehr zwei 
Heilige, den h. Protosius und Gervasius, die zu ihrer Entdek- 
kung helfen, wider sich, aber keinen fur sich: der Abt de Terrai 
oder ein pariser Polizei-Lie[u]tenant oder der Satan soke zu ih- 
rem Schuzheiligen und Vorbitter kanonisirt sein oder werden. 
Die Huren beten die h. Afra und Magdalena ausser ihren Kunden 

* Wolf, lection, memorab. Cent. XVI. p. 991. 



6lO JUGENDWERKE - 5. ABTEILUNG 

an und bauen auf deren Schuz; der Pabst wiirde aber weit besser 
fur sie sorgen, wenrt er in der Holle ihnen eine Requetenmeiste- 
rin und eine Vorsprecherin kreirte und deswegen irgend eine 
Dame vom hochsten Stande heilig sprache. Gegen schlimme 
Augen verehrt man die h. Ottilia; aber zu einem Schuzheiligen 
gegen gute fehlt noch ein kanonisirter Okulist. Wenn Gebaude, 
die doch aus nichts als Steinen und Kalch bestehen und Kirchen 
heissen, ihre eignen Schuzheiligen und Kardinalprotektores in 
der andern Welt sizen haben: sind denn nicht andere Gebaude aus 
eben so guten wenn nicht bessern Mauersteinen, Mortel und 
Sparwerk zusammengeschaffen und sind mithin Bordelle, Bor- 
sen, fiirstl. Lustschlosser, Staatsgefangnisse, Zdlhauser ihres be- 
sondern Heiligen und unsichtbaren Assistenzrathes unwiirdiger 
als Kirchen? Und sizen keine Leute in der ganzen weiten Holle, 
die der h. Vater zu solchen Assistenzrathen heilig sprechen 
konte? Es wiirde alien Negoziateurs und Plenipotenziarien ganz 
wol thun, wenn die Kongregazion de Sagri Riti und der Pabst 
klug sein und zum Schuzheiligen von ienen den Kardinal Riche- 
lieu ernennen woken, der schon bei seinen Lebzeiten einer Ka- 
nonisazion nachiagte und deswegen von seinem Beicht vater 
Brief und Siegel haben woke, da6 er niemals eine Todsiinde ge- 
than; da aber zum Gliik der Beichtvater dieses niemals attestirt 
hat: so steht seiner Heiligsprechung iezt fast gar nichts entgegen 
und sie konte schon aus sein. 

Soke Kraus Mezner, der ohne die Inqisizionsakten umkugeln 
wiirde, sich die Kanonisazion wirklich erringen: so wil Defen- 
sor, der gliiklicherweise noch nicht gefirmelt ist, ihn zu seinem 
Schuzpatrone annehmen und hoffentlich fuhrt sich dan Inquisit 
als ein ausserordentlicher Defensor seines Defensors auf; aber 
das gehoret vielleicht nicht hieher. 

Obrigens p rotes tirt Defensor gegen zwanzig Dinge, beson- 
ders gegen Inhasiv-Pro-Reprotestazionen, wil durch Stil- 
schweigen wenig oder gar nichts zugestanden haben und lasset 
an das hochlobl. Klostergericht sein hochst instandiges Flehen 
gelangen, in Rechten zu erkennen, daB Inquisit Mezner, der oh- 
nehin schon gehenkt worden und ohne die Hopfen- und Ak- 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • II. AKT. 3. S2ENE 6l I 

ten-Inf arktus nimmermehr wiirde stehen wollen, von der wider 
ihn vom Fiskal angestelten peinlichen Klage zu absolviren sei 
und daB er seiner Heiligkeit halber ein gerichtliches Zeugnis zu 
bekommen habe - woruber und was sonsten omni meliori modo 
hatte sollen oder kpnnen gebeten werden, Defensor und Inquisit 
iudicis officium nobilissimum imploriren, sich librigens auf un- 
verhoften Fal ihre weitere rechtliche Nothdurft gewissermassen 
Vorbehaltende. p. 



jte Szene 

Vorstellung der Entrepreneurs der hiesigen Bordelle an das Oberpoli- 
zeiamt, gegen die einreissenden Liebschaften und Ehebruche 

p.p. 
Wenn wir auf der einen Seite eingestehen, daB Aufklarung und 
Politur nicht so kleine Schritte unter uns gethan, daB nunmehr 
nicht ordentliche Bordelle ohne den geringsten Anstos besucht 
und gebauet werden konten: so wiirden wir uns doch auf der'an- 
dern zuviel schmeicheln, wenn wir uns von diesen Anstalten 
mehr wahre Vortheil[e] fur die Wollust versprachen als sie wirk- 
lich gewahren. In der That hierin scheint die leztere vor dem 
Christenthum wenig voraus zu haben und wir wunderten uns 
oft daruber besonders. Denn so lange das Christenthum in Ho- 
len, Kellern, Grabern und Privathausern fast hermetisch ver- 
siegelt stand: so rauchte sein Spiritus nicht weg und die Holen 
und Keller wurden immer voller; sobald aber Konstantin es in 
weite luftige Tempel verpflanzte: so blieb fast nichts mehr darin 
vom Spiritus unverflogen sizen als sein parastatischer Leib, nam- 
lich eben der Tempel oder auch die Leiber der Anhanger. Ein 
Ungliik ists, daB es der Wollust auch nicht besser ergeht. Denn 
so lange die Gnostiker und Bekenner derselben ihr unter dem 
grosten Druk in Holen, Kellern und Privatzimmern dienen 
durften und von Untergerichten und Konsistorien mehr als 10 
Verfolgungen ausstanden: so befand sie sich ganz wol und ihre 



6l2 JUGENDWERKE ■ 5.ABTEILUNG 

Diener hatten Feuer und es kam etwas dabei heraus. Wie viel 
Gutes und welchen algemeinen Eifer hatte nun nicht ieder der 
Wollust und sich versprechen sollen, da gar der Staat sich ihrer 
annahm und sie zur herschenden Religionsparthei erhob und ih- 
rer unsichtbaren Kirche eine sichtbare zutheilte? Und in der That 
konnen wir unsers Orts keinem Entreprenneur eines Bordels 
solche Hofnungen verdenken und wir hegten sie selber. Nun 
mehr aber ists Pflicht, es nicht langer zu verhehlen, wie viele von 
diesen Hofnungen bios fromme Wiinsche und leere Aussichten 
in eine irdische Ewigkeit geblieben; und uns thut es gewisser- 
massen wehe, daB der Inhalt der Suplik, womit wir Ew. be- 
schweren, meistens nichts anders ist als eben ein langer Beweis 
davon und die herbsten Klagen daruber. 

Unsere Hauser sind offentliche von der Regierung beschirmte 
Wohnungen, die die Nachwelt so gut wie unsere Zeit andere 
Schulen, zu den piis corporibus schlagen wird. In alien grossen 
Staaten, wenigstens in grossen Residenzstadten mus man sie so 
gut haben wie den Fiirsten selbst und den Kasernen sind sie viel- 
leicht unentbehrlicher als Kommisbrod, weil es gewis ist, daB 
die Generalitat gar noch nicht daran gedacht hat, an manliche 
Kasernen weibliche anzustossen, die doch von den Werbeoffi- 
zieren viel leichter als die manlichen zu fullen waren. Kauffar- 
thei- und Kriegsflotten konnen noch empfinden was die altern 
Zeiten ungefahr beim Mangel dieser Hauser leiden musten; aber 
in Zukunft diirfte die Admiralitat und die Hanse ihnen wol ein 
massiges schwimmendes Bordel nachschiessen lassen. In Lon- 
don ist an Bordelle ihr Name golden aufgemalt, damit man sie 
leichter finde; aber zu Nachts niizt das wenig und es solte da in 
einem Abendblatte vorgeschlagen werden, daB man - wie die 
ausgeschnittenen Ziffern am Luftthurm zu Florenz durch eine 
Laterne, die durch sie und den Stundenzeiger durchstralt, im 
Finstern leserlich bleiben- es eben so machen konte, indem man 
den Namen durchbrache und illuminirte. London kan sagen, 
daB es den Freudenmadgen wie Reichsstadte den Juden, ganze 
besondere Strassen eingebe und wiewol es dadurch nicht die 
Stadte der Ritterzeiten einholt, in denen ganze Viertel bios von 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • II. AKT. 3. S2ENE 613 

ihnen bewohnet wurden*: so diirfen doch mit ihm keine deut- 
schen Stadte einen Wetstreit wagen, unter denen manche kaum 
iiber zwei Hauser dieser Art aufzuzeigen haben und wir wollen 
hier, urn nicht zu beleidigen, keine mit Namen angeben. Die 
Zeiten sind (wil es uns vorkommen) vortiber, wo man vielleicht 
mehr Ehre hatte, in andere Tempel als in unsere zu gehen; und 
es wil sich kein Stand mehr vorwerfen lassen, daB er sich 
schame, aus unsern Fenstern herauszusehen oder auch deren 
Vorhange niederzulassen, Und wenn der Rapel der Gesandten 
eine Art Kriegserklarung ist: so mogen wir hoffen, daB das 
friedliche Vernehmen, in dem wir mit den drei Fakultaten ste- 
hen, nochimmer fortdauere und es residiren noch ihre Gesandte 
vom ersten Range bei uns. Solten einmal ernsthafte Angriffe auf 
unsere Mauern gewagt werden (welches wir aus Hochachtung 
fur unser Zeitalter fur unmoglich halten wollen): so wurden 
vielleicht - davon haben wir erhebliche Versicherungen - der 
Hof , die Armee und die Borse fiir Mauern einiges thun, hinter 
denen sie so oft die Sommer- und Sonnenseite des menschlichen 
Lebens und des schonen Geschlechtes gefunden. Niemand ist im 
Stande auf den Fuszahen iiber die Mauern der Zukunft hiniiber- 
zusehen und etwan wahrzunehmen, daB spatere Zeiten lieber 
furstliche Lustschlosser als unsere Lustschlosser der Menschheit 
wollen zusammenfallen lassen; allein es mus uns schon an dem 
volkomnen Siege geniigen, den wir endlich iiber alle Vorurtheile 
gegen sogenante Bordelle davongetragen und wir wunschten 
oft, irgend ein Gelehrter hatte Belesenheit und Fleis genug, den 
wahren Ursachen der so algemeinen Abneigung, die man noch 
im sechzehnten, siebzehnten Jahrhundert gegen unsere Liebes- 
Inokulazionshospitaler gegte, gliiklich nachzuspiiren und iiber- 
haupt von der Grosse dieser Abneigung durch historische Belege 
angemessenere Vorstellungen auszubreiten: gewislich wiirde 
durch diesen belesenen Gelehrten erst recht ans Licht kommen, 
iiber welche machtige Vorurtheile wir zu siegen hatten. Unsere 

* Das Ritterwesen des Mittelalters von de la Curne de Sainte-Palaye, 
mit Noten von D. Kluber. 



614 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

Feinde diirfen nicht zuviel darauf bauen, daB vor einigen Jahren 
noch in Wien bei der medizinischen Fakultat hohern Ortes ange- 
fraget wurde, ob Bordelle von wahrem Nuzen waren, wie einige 
Jahre vorher Linguet die Beine iibereinanderschlug und nachsan, 
ob er und die Nachwelt Brod essen konne, ohne daran sogleich 
umzukommen: derm in unserem appellirenden und revidirenden 
Jahrhundert miissen sich die ehrwiirdigsten Wahrheiten die 
Haussuchung gefallen lassen und iiberhaupt bedenke man doch, 
daB es noch nicht ein Jahrhundert her ist, wo man sogar noch 
angestandenhatte, nicht iene Frage zu verneinen sondern sie nur 
zu beiahen und zu erheben. Der Regierung scheint die Diener- 
schaft in unsern Hausern von einiger Wichtigkeit zu sein und es 
ware zu wiinschen, daB das Reichskammergericht oder die 
Schulen so oft visitirt wiirden als unser Freuden-Personale: selbst 
der Arzt halt die Todtenbeschau in Wien nur fur eine Nachah- 
mung der wichtigern Lebendigen-Beschau bei uns, die noch dazu 
viel lus tiger ist; denn der Physikus sagt allemal: »er wiinschte, 
er hatte mehrere solche Siinden ex officio zu begehen.« Wir sa- 
gen dieses alles, wahrhaftig nicht um damit (ganz am unrechten 
Ort) zu pralen sondern um nur [zu] zeigen, daB wir unsern Fein- 
den, die nicht zu uns kommen sondern mit ihren Ehebriichen an 
andern Orten einkehren und dadurch uns zu stiirzen suchen, 
vielleicht etwas entgegenzusezen haben, wenn anders die Hoch- 
achtung der Welt etwas ist. Es kan iezt ganzen Standen und dem 
Staate selbst nicht mehr gleichgultig sein, ob unsere Bordelle 
stehen oder fallen und ob man ihre Meliorazion mit wahrem Ei- 
fer betreibe oder ob man sie durch die schlechtesten Kunstgriffe 
. unterhole, wie die folgenden offenbar sind. 

Unsere Freudenhauser erlegen die ordentlichen Abgaben, 
sind nach dem feinsten Geschmakke meublirt und ausgesteuert 
und stehen den ganzen Tag fur ieden of fen, besonders fur den 
Laufer, den Koch, den Friseur, den Hofmeister, den Vorleser, 
den Freund, den Gonner, den Abbe und endlich den Gast irgend 
eines Hauses; aber es komt keiner, sondern dieses ganze Plane- 
tensystem kreiset sich um die Stralen einer Sonne, in der eben 
der Henker ist und die die Frau vom Hause heist. Und so kan 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • II. AKT. 3. S2ENE 6l$ 

man durch wenige Gassen gehen, worin nicht Hauser standen, 
in denen solche widerrechtliche Vereinigungen der drei Stande, 
des Adels, der Geistlichkeit und Tiersetats zu Stande kommen. 
Auf diese Art werden die edelsten und reichsten Lizitanten abge- 
halten, bei uns einzusprechen und eine Bouteille sussen Wein zu 
fodern. Wer soke glauben, daB in der grossen Handelstadt F-th 
gewisse Weiber mit manlichen Silhouetten hausiren gehen*, 
welche verschiedene reiche Kaufmansweiber durchblattern? 
Denn nachdem diese darin die Physiognomik zur Befoderung 
der Menschenkunde ein Paar Minuten getrieben: so sagen sie der 
hausirenden Frau Zeit und Stunde, wenn die Physiognomik an 
irgendeinem Schattenris auch zur Befoderung der Menschenliebe 
getrieben werden sol und kan. Ew. ** mogen selbst ermessen, 
ob bei solchem Unfuge die besten Freuden-Hauser in F. etwas 
anders als Fallit machen konnen oder schon gemacht haben. 
Soke in Paris eine Kommission unserer Sache wegen niederge- 
sezt werden: so wiirde arithmetisch zu beglaubigen sein, daB 
wenigstens drei Viertel der wichtigsten dasigen Ehebriiche und 
Liebschaften unscrn Treibhausern ohne Scham veruntreuet und 
entrissen und andern Hausern, die es weder bediirfen noch diir- 
fen, boshaft zugewendet werden und es ist recht fatal. Die 
Schauspielerinnen wollen wir nicht einmal erwahnen, ob sich 
gleich noch dariiber disputiren liesse, wenn sie sagen, sie gehor- 
ten ganz zu uns und waren minder unsere Feinde als unsere be- 
wafnete Neutralitat und bios aus unsern Hauser[n] hatten sich 
ia z. B. bei den Romern die Theater mit Seminaristen versehen: 
denn was unsere bewafnete Neutralitat anlangt, so sind dieses 
ausgemachter massen die Nonnen und Pensionairinnen. Was 
kan nun am Ende aus solchen Winkelschulen und Privatissimis, 
die alle die Mythologie der Liebe vortragen, Gutes fur unsere 
Auditorien entspringen, in denen offentliche Personen publice 
dariiber lesen, weil sie dazu ausdriiklich hohern Ortes angestellet 
sind? Die beste Folge daraus ist, daB am Ende aller Keuschheit 

* Konzipient dieses Libels lies selber einigemale seinen Schattenris 
mit pouliren, aber ohne alien Nuzen und ohne eine Konzipientin. 



6l6 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

und alien Bordellen hienieden der traurigste Garaus gespielet 
wird; das ists aber, was wir Ew, so gut wir konnen erweisen 
wollen. 

Es kan sein, daB diese Haus-Ehebriiche und Liebschaften sich 
schon gegen gewisse Vorurtheile, die zusammen Moral heissen, 
und gegen eine gewisse tolerirte Religionssekte, die man Mora- 
listen nent, viel zu sehr verstossen als daB einen deutschen Staat, 
wo besagte Separatisten doch einmal seit dem Normaliahr 6f- 
fentliche Duldung geniessen, die Sache gar nichts angienge; al- 
lein das ist in anderer Riiksicht ein Nachtheil von geringer Wich- 
tigkeit, der beinahe verschwindet, wenn man ihn mit dem 
zusammenhalt, daB bei solchen Pfuschereien, die von Jahr zu 
Jahr anwachsen, wir und unsere Bordelle nur schlecht bestehen 
konnen. Wird nicht der Man von Stande, sobald ers haben kan, 
lieber auf irgend ein Landhaus hinausfahren als zu uns schlei- 
chen? Wird wol der Weltgeistliche, der Domprobst, der De- 
chant, der Senior, der Subsenior und der Domher, wenn sie die 
Wahl haben, aus dem Tempel der Tugend entweder durch den 
Tempel der Ehre in den Tempel der Liebe oder (wie in spanische 
Gasthofe) durch einen Stal der eingebildeten Schande in unsere 
Garnisonkirchen einzutreten, werden diese wol immer zu unse- 
rem Vortheil wahlen? Wir halten zum Gluk schon beglaubigte 
Accep tazionsbucher bereit, worin richtig eingetragen ist, wie oft. 
Wir sind im Stande, mit alien unsern Hausgenossen eidlich vor 
Gericht zu erharten, daB der Ritterhauptman seit dem er bei S. 
sich eingemiethet, monatlich nicht iiber zweimal zu uns gekom- 
men, wo er noch dazu besoffen war und was den Stiiklieutenant 
angeht, so fragen wir ihn auf sein Gewissen, ob er sagen konne, 
daB er seit seinem magnetischen und desorganisirenden Lukubriren 
nur Einmal mit dem Stok an unser Fenster geklopft und gefragt, 
wo der Donner die und die hatte und abends nach der Fecht- 
stunde kam' er gewis - und wir merken auch recht gut, daB der 
Sekretair des englischen Gesandten bios aus brittischem Humor 
und weil er kein Deutsch kan, fur uns ein Wechselbiref a vista 
ist und nur, um sich auszuzeichnen, verschiedene deutsche Ehen 
nicht brechen mag: anders ists wahrhaftig nicht. Jene Sucht des 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • II. AKT. 3. SZENE 6lJ 

Menschen, nichtmit dem andern identifizirt zu werden sondern 
etwas geheimes undbesonderes zu geniessen, zu dem kein ande- 
rer gelangen kan, eben diese elende Sucht, die die Pietisten aus 
den Kirchen in ihre Konventikeln zusammentrieb und ineinander 
flocht, hat so viel Gewalt iiber die besten Gemiither, daB sie un- 
sere Tempel bios weil sie sie noch mit andern Kirchengangern 
theilen miissen, verachten und geheime Geselschaften, wo die 
Theilhaber solcher Hernhutischen Ehestunden sich nicht iiber 2 
Personen belaufen, dreimal lieber haben. Da ferner gewisse Da- 

io men von einem gewissen Alter gar durch Graziale den Liebhaber 
bestechen, sich nicht ihres Alters sondern ihres Geschlechtes zu 
erinnern und da sie wie Ritterdamen nach dem Turnier, Jung- 
ferndank, Trefdank, Zierdank auszutheilen sich erdreisten: so 
ists recht schlim; derm es giebt entsezlich niedertrachtige hab- 
siichtige Manspersonen und diese werden sich allemal nicht 
schamen, Freuden, fiir die sie bezahlet werden, mit Absicht sol- 
chen vorzuziehen, fiir die sie selbst bezahlen miisten: wahrhaftig 
dieser Brautschaz ist ia eine recht schandliche Verdoppelung der 
natiirlichen Belohnung durch eine positive und ein ehrliebender 

20 Man soke tausendmal lieber eine Rolle Louisd'or aufsiegeln und 
bei uns anklopf en und eine kleine Kollazion fiir zwei Man bestel- 
len. Wird es aber der Stadt und den umliegenden Rittersizen zur 
Ehre gereichen, wenn wir um eine gerichtliche Kommission an- 
halten miissen und vor dieser durch fremde Zeugen und eigne 
Hand- und Kommissionsbiicher nur gar zu gut bescheinigen 
werden, daB das oben gesagte ganz wahr ist und daB unsere 
Kundschaft von Bedeutung iiber einige Fremde, die noch keine 
Bekantschaften in der Stadt haben, iiber verschiedene Reisedie- 
ner, die ihre Geschafte bei den Kaufleuten und uns in der Eile 

30 machen, iiber einige Unterofficiers, fiinf Poeten, den Theater- 
dichter und die diingesaete Dienerschaft von der Regierung und 
Kammer zuverlassig nicht hinauslange? Denn den Schuthaufen 
von Gemeinen und Lakaien rechnet uns hoffentlkh kein Billiger 
fiir etwas an und sie waren fast, wenn die Herren kamen, blosse 
Freiexemplare. 

Wir wundern uns sehr, daB einige Leute von Welt - und dar- 



6l8 JUGENDWERKE * 5.ABTEILUNG 

unter war ein geborner Piemonteser, ob er gleich sagte er ware 
aus Voghera - so schlechte Kentnis von unsern Gynazeen verra- 
then, daB sie sagen konnen: »Entreprenneurs von deutschen 
Bordellen wiirden sich niemals uber Abonnenten-Mangel zu 
beschweren haben, wenn sie nur nachsinnen und sich auch sol- 
cher Raffinements beeifern wolten, die die Materie durch die 
Form so ausserordentlich erhohen - wir meinen, wenn sie, wie 
eine gewisse alte neben dem todten Meere durch einen elektri- 
schen Regen weggesengte Stadt langst gethan, den rohen De- 
mant der Wollust brillantiren wolten. « Denn wir brillantiren ia 
bekantlich ungemein und fechten hierin mit ieder franzosischen 
Stadt urn die Wette und es sol kiinftig doch noch weiter getrie- 
ben werden. Sieht man denn nicht, daB eben diese unsere Subli- 
mirung des Wollust- Merkurius, eben dieses Tattowiren und Laki- 
ren der Gesechster-Sinlichkeit noch das einzige war, das uns 
vielleicht noch hielt und uns einigen Vorrang vor ordentlichen 
Privathausern gewahrte? Ohne diese Anstalten zu gewissen 
Vergnugungen, die nicht sowol wider als uber die Natur gehen, 
mochten wir auch gern wissen was uns noch sonst (ibrig geblie- 
ben ware, gewisse vornehme Kunden fest zu ketten, die von na- 
tiirlichen Vergntigungen langst uberfullet waren und sie leider 
liberal gratis haben konten. Mit solchen ubernatiirlichen Freu- 
den wiirzen erkaltete und bis auf die Hefen abgelaufne Manner 
zuweilen ihre nas-kalten Stufeniahre; wie geschikte Koche in 
nassen Jahrgangen zum Vortheil der Verdauung die Wurze des 
Gemiisses verdoppeln. Und so selten es geschieht, so miissen 
wirs doch mit Dank anmerken, daB junge Herren von Stand 
nicht allemal mangeln, die wenn sie lange mit ihrem Saugriissel 
aus den vornehmsten lyonner und italienischen seidnen Blumen 
und Damen Honig geholet und sich darauf gewieget, endlich die 
Fliigel zusammenlegen und in unsere Wohnungen niederschies- 
sen: so kent der Naturforscher schone Schmetterlinge, die ihr 
halbes Leben sich um Blumen krauseln und schlingen, aber zu- 
lezt doch ihre Nachkommenschaft auf eine braune Kohlstaude 
laichen. Aber sind denn nicht selbst in unsern Tagen noch solche 
elende Betschwestern und Betbriider am Leben, denen unsere 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • II. AKT. 3. SZENE 619 

uhernaturlichen Freuden, die uns gerade die meiste Miihe machen, 
nicht unschuldig genug vorkommen, sondern fast thierisch, so 
gewis es auch ist, daB gerade durch solche Obernatiirlichkeiten 
der Mensch sich von den Thieren (die zwei kliigsten Thiergat- 
tungen etwan ausgenommen) am allerbesten unterscheide? Und 
sollen wir uns denn auf der andern Seite verbergen, daB wir ia 
weder Kauzion noch Assekuranzbriefe dariiber haben, daB am 
Ende nicht auch andere Hauser uns unsern widernatiirlichen 
Freuden- Attizismus und unsere Lust-Grazismen ablernen und 

10 nachthun und uns mithin alles nehmen werden, womit wir bis- 
her troz der algemeinen Leichtigkeit zu ehebrechen feine Leute 
etwan noch an uns zogen? Inzwischen bekennen wir ganz gern 
unsere festeHofnung, daB Ew. **, fals Sie auch unsere Bitte um 
die Abordnung unzunftmassiger Ehebriiche abschliigen, viel- 
leicht doch soviel zum algemeinen Besten verordnen durften, 
daB nirgends gomorrische Siinden begangen werden sollen als 
in unsern ganz dazu errichteten Hausern. 

Oberhaupt soke von Kanzeln und Altaren herab der abscheu- 
liche Irthum heftig bestritten werden, daB die ausserte Gefallig- 

20 keit der Damen in unsern Tagen, wo man fiber Mangel an un- 
sern Hausern sich nicht mehr zu beschweren hat, noch erlaubt 
oder gar schazbar sei. Denn wie die Gastfreiheit nur so lange von 
grossem Belange war als es keine ordentlichen Gasthbfe gegeben: 
so kan es in unsern Zeiten, wo wir unsere Novitaten- und Anti- 
kentempel liberal aufgebauet und an der Thiire stehen und ieden 
zu uns hineinpfeifen und hineinhusten, wahrhaftig kein so gar 
ausserordentliches Verdienst sein, wenn Damen oft ganz des 
Teufels sind und die besten guten Engel sind und von besagtem 
Teufel sich zum Abfal iiberreden lassen: denn davon haben un- 

30 sere Hauser nichts, die selbst bios deswegen da sind. Wahrhaftig 
gerade wie Passagiers nur die Paar Tage ihrer Ankunft dem Ab- 
steigehotel niizen, aber nachher in der ganzen Stadt herumspei- 
sen und vom Wirthe mit samt ihrem Pferde ausziehen, das ir- 
gend ein Freund in seinen Stal abholen lasset: so machen die 
namlichen Passagiers es unsern Garkiichen der Liebe eben so; sie 
vergessen sie und uns, sobald sie nach einigen Wochen in die Fa- 



620 JUGENDWERKE ■ 5.ABTEILUNG_ 

milien, Redouten, und liberal hin gekommen und wenn wir 
vollends Gastwirthe in figiirlichem und unfigiirlichen Sinne wa- 
ren, so verlieren wir auch in doppeltem Sinne. 

Das geht aber gar nicht, sondern schreiet gewis gen Himmel. 
Denn Juristen wissen was sie damit haben wollen, wenn sie fest- 
stellen, daB unsere Bordelle durch eine unvordenkliche Verjah- 
rung das recht eintragliche Bau- und Zwangsrecht auf immer 
gewonnen, daB nirgends als in ihnen ordentlich die Ehe gebro- 
chen oder nach geahmet werden darf . Uberhaupt wird es der 
Welt ein wenig auffallen, wenn sie im neuen Gesezbuch fur die ic 
** Staaten auf einen und den andern Paragraphen in den Hand- 
werksordnungen stossen wird, der fur unsere Zeiten recht passet 
und den wir hersezen konnen 

T. IV. c. 3. §. 48. und 49. 
»Da uberhaupt die Innungen wegen des ausserordentlichen 
Vortheils fur die Kanzlei und die Innungen selbst nicht genug 
vervielfaltigt werden konnen: so sol kiinftighin das Hurenhand- 
werk eine eigne Innung ausmachen, wie die Bidlhauer- und Mo- 
dellirer-Innung, deren Fabrikate weder so dauerhaft noch so 
nach dem Leben tauschend sind als des besagten Handwerks 20 
seine. In ieder Stadt sol eine bestimte Anzahl Meister oder Mei- 
sterinnen sein und die Handwerkslade ist in den bekanten Bor- 
dellen. Zum Meisterstiik mus geliefert werden ein netter und 
akkurat modellirter Z werg (oder Z wergin) , der todt oder leben- 
dig sein kan. Die Arbeiten der Innung werden meistens in Un- 
sere dazu errichtete Waaren- oder Kaufhauser abgeliefert, die 
gewohnlicher Findelhauser genant werden; hier werden sie in 
Strekteiche geworfen und ins Grossere verarbeitet und (damit 
diese Puppenwaare in und ausser Europa eben so gut ist wie die 
Nurnberger) mit der architektonischen Verzierung einer Flinte und 30 
' eines Zopfes und der Kamaschen versehen und vom Kompa- 
gnieschneider emballirt, um in grossen Partien als der beste 
Zweig Unsers Aktivhandels ins Ausland und selbst nach Ame- 
rika ausgefahren zu werden, wo ganze Schuzenkompagnien aus 
Mangel holzerner Vogel und Hirschen geschikt darnach schies- 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE ■ II. AKT. 3. S2ENE 62 1 

Da schon nach dem Reichsgutachten von 1771 kein Gesel vom 
Handwerk zur Strafe gezogen werden darf, der zugleich mit 
Weibspersonen gearbeitet: so sol beim neuen Hurenhandwerk 
um so weniger etwas daraus gemacht werden, weil die Sache 
auch wirklich anders gar nicht angienge und schon ein Reichs- 
gutachten der Natur es so haben wil. 

Ob gleich ieder wie bei alien Handwerken so auch bei diesem 
die Arbeiten oder Zwerge, die er bios fur sich und sein Haus 
braucht, selber machen darf: so darf doch niemand als wer im 
to dik besagten Handwerk zunftig ist, fur andere die gedachten 
Zwerge oder Zwerginnen verfertigen und bossiren, es sei nun 
auf den Kauf oder auf Bestellung und das ganze Handwerk sol 
solchen schlechten Pfuschern ins Haus fallen und ihnen Waare 
und Handwerkszeug und alles nehmen, das Geld gar nicht zu er- 
wahnen. « 

Es ist uns ungemein wilkommen, daB der eigne Ausspruch 
der gesezgebenden Macht selbst mit unsern personlichen Klagen 
so sehr zusammentrift und sie so zu sagen ankiindigen und pro- 
phezeien mus. Um desto herzhafter schreiten wir iezt auf die ge- 
20 horsamste Bitte an Ew. ** los, die der wichtigste Zwek des ge- 
genwartigen Memoriale ist. 

Es sei feme, daB wir die Absicht haben solten, alle Ehebruche 
und Liebschaften zu hintertreiben, die nicht gerade in unsern 
Gewachshausern getrieben werden, oder vollends Ehebruche 
und Liebschaften uberhaupt, und Entrepreneurs von Bordellen 
sind - sie schmeicheln sich das und ihr Gewissen widerspricht 
ihnen nicht ganz - wahrhaftig gewohnt, ganz andere Gesinnun- 
gen fur das Vergniigen der Menschheit zu aussern und zu ver- 
breiten: sondern wir wollen den Vortheil der ehebrecheriden und 
30 liebenden Menschheit nur in grossere Harmonie mit dem Vor- 
theil unserer Bordelle geriikket wissen und nur alien Ersaz unse- 
rer abtrunnigen Kunden nicht ganzlich entrathen; man wird aber 
erfahren, daB eben diese grossere Harmonie und dieser Ersaz die 
Ehebruche gewis mehr zu vervielfachen als zu verringern dienet. 
Wir supliziren also gehorsamst 

1) DaB uns alle Ehebruche und Liebschaften, die nicht uns zu- 



622 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

gewandt wurden, durch eine kleine Beisteuer ein wenig ersezt 
werden mogen, die nicht hoher sich zu belaufen braucht als so 
viel etwan die beiden Inkulpaten bei uns fur ein niedliches 
Abendessen ausgegeben hatten; wir konten freilich noch einmal 
so viel haben wollen. Da ohnehin ein solches anomalisches 
Brautpaar fur eine ganze obrigkeitliche Menagerie ein paar 
Pfund Fleisch ist, da auf besagtes Paar der weltliche Arm und der 
geistliche Arm und die vielen Finger an beiden losfallen und ein- 
hakken mit Lanzetten - Aderlasschneppern - troknen Schropf- 
kopfen - und nassen auch - desgleichen mit dunnen Blutigeln: 
so kan es hoffentlich nichts schaden, wenn auch Entreprenneurs 
von Bordellen sich mit ansaugen und einbeissen, da es ia leider 
bekant genug ist, daB die Bordelle wie die Waisen- und Kran- 
kenhauser in England keine festen Fonds besizen sondern bios 
auf iahrliche Mildthatigkeit sich steuern miissen. Es ware gewis 
von mehr als eingebildetem Nuzen, wenn deswegen die 
Keuschheitskommission oder das Stadtvogteiamt und die 
Entreprise der Bordelle nurEin Amt ausmachen musten; denn so 
lange der Stadtvogt ein anderer, und der Bordel-Entreprenneur 
ein anderer ist: so ist das Interesse viel zu sehr getheilt und wir 
besonders werden urn einen Groschen nach dem andern betro- 
gen. - Wir supliziren ferner gehorsamst 

2) DaB iunge Damen, die zum zweitenmale ins Bad reisen - 
Pensionairinnen (durch die wir iiberhaupt ungemein zu Schaden 
kommen) - alle Inhaberinnen falscher und paraphrasirter oder 
doch weis glasirter und tattowirter Busen - Ehefrauen, die iiber 
die Massen treu sind und zwar auf einmal dem Man, dem Patron 
desselben, dem zweiten Liebhaber, dem dritten, dem funfzehn- 
ten treu sind und die auf diese Weise aus Bigotterie die sukzessive 
Polygamie der Juristen ganzlich vermeiden - Spielerinnen von 
Profession - Philosophinnen von Profession sollen genothigt 
werden, zur iahrlichen Moden- und Kleider-Mausse unserer 
Freudenmadgen zusammenzuschiessen, weil iene schuld sind, 
daB diese kaum das Miethegeld ihres Anzugs auftreiben - worein 
eine christliche und nichtchristliche Obrigkeit hoffentlich ein- 
mal ein Einsehen und D'reinschlagen haben wird. Es ist iiber- 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • II. AKT. 3. SZENE 623 

haupt gar nicht zu sagen, wie sehr uns durch ein solches schlech- 
tes Betragen ausser der manlichen Mitbelehnschaft die weibliche 
Remonte abgefangen wird und es wird nicht eher geandert wer- 
den als bis unsere Klagen dariiber so laut werden und so weit 
vorriikken, daB sich hohere Landeskollegien darein schlagen 
und alien ob gedachten Damen bei scharfer Pon gebieten wer- 
den, daB sie anderen fur Tugend und Rechtschaffenheit besser 
besorgten Damen nachahmen, welche langst eine Maske ura- 
banden und sich zu uns tragen liessen und nachher - zu rechter 
friiher Tageszeit wieder in ihrem Hauswesen herumsprangen, 
wie guten Hausmuttern wol nicht anders geziemt: erst ein sol- 
ches Verf ahren bringt Ehre bei Gottern und Menschen und Kap- 
padoziern und Smyrnaern und gefallet sogut in Waghausel, das 
im Hochstift Speier liegt, als in St. Mazdorf, das bios am Pop- 
perflus in Ungarn zu sehen ist. - Vielleicht machen sich die 
Schauspielerinnen die Hofnung, es konne uns nichts verschla- 
gen, wenn wir ihnen wie den Juden einen Leibzol abf oderten und 
keine Ubernachtung in der Stadt bewilligten; allein es thut uns 
Ieid, daB wir sie nicht in dieser Hofnung lassen konnen sondern 
mit einer Suplik einmal hervorkommen miissen, die der Konzi- 
pient schon bis zu unserm Unterschreiben fertig hat und in der 
wir freilich unsere alte Gerechtsame hervorsuchen, daB das 
Theater bios aus unsern Nonnenzellen bemannet oder vielmehr 
beweibet werde, weil in der That beide ineinander gireifen und 
ihre Trennung etwas so unnatiirliches ist, daB ein alter Romer 
nicht wissen wiirde was er da von denken oder schreiben soke, 
wenn er zumal sahe, daB in unsern Nonnen-Fischhaltern alles 
vol Probekomodien- und in den Kulissen und auf der Szene alles 
vol Probe-Li ebschaf ten ist und bleibt. - Wir bitten 

3) DaB dieHerren Officiers, die in Paris aufs konigliche Thea- 
ter abonniren miissen sie mogens besuchen oder nicht, gleichfals 
zu einem bestandigen Abonnement auf unsere Hauser durch das 
Kriegsdepartement gezwungen werden. Wir biissen weniger 
ein, wenn sie nachher dennoch ausbleiben: denn es wird ihnen 
allemal von der Monatsgage abgezogen und uns richtig ge- 
schikt. - Wir supplizieren 



624 * JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG ' 

4) DaB der hohern katholischen Geistlichkeit auferleget 
werde, bios von ihrer weiblichen Dienerschaft- da doch in Eng- 
land und Holland eine Taxe auf alle Bediente gesezet ist - ferner 
von iedem konsumirten Korb Wein und Stein Fisch eine uner- 
klarlich kleine Konsumzionsakzise an uns abzugeben, es miiste 
denn sein daB - (wer es nun sei, ) der Pralat oder der infulirte 
Abt (oder sonst einer) einen achten Schein oder Zolzettel von uns 
aufwiese, daB er von einem dieser drei akzisbaren Dinge wirk- 
lich einen Theil bei uns konsumiret hatte - welches algemein zu 
wiinschen ist. Wir suppliziren 

5) DaB man den H. Officiers und hohen Herschaften etwan 
begreiflich machte, daB es der Pflicht, wenigstens dem Wol- 
stande gemas sei, iiber die Keuschheit ihrer Kompagnien sowol 
als ihrer Domestiken zu wachen und beide, gesezt sie selber un- 
terliessens - so wie sie ia die Gemeinen und die Bedienten in die 
Kirche fluchen, aus der sie selber bleiben - durch Befehle in un- 
sere Hauser ofter hineinzutreiben: wahrhaftig der Nuzen ist auf 
unserer Seite nicht grosser als auf des Staates seiner. Uberhaupt 
mus der Tag erst noch kommen, wo ein so einsichtiges Kriegs- 
departement es (wie so sehr zu wiinschen ware) der Miihe werth 
halt und sich an den Sessionstisch sezt und untersucht, ob man 
nicht in unsern Tagen, wo Walder und Menschen nicht so haufig 
wie sonst nachwachsen und wo man schon verniinftiger weise 
ausser den Waldern auch die Menschen nach Schlagen (im 
Kriege) abtreibt, noch verniinftiger sein und sie eben so gut als 
die Walder und auch nach Schlagen wieder ansaen soke, welches 
durch ganze Kompagnien wie es scheint am allerbesten gesche- 
hen konte. - Wir suppliziren endlich 

6) DaB wir iedem fur iede verborgne Treppe, fur iede an- 
onyme Thiire, fur ieden hieroglyphischen Obergang in ein an- 
deres Haus, den wir bei ihm auskundschaften, eine moderirte 
Liquidazion von den Weinen und Delikatessen iiberreichen diir- 
fen, die er bei uns hatte recht gut verzehren konnen. - Obrigens 
werfen wir es uns selber vor, daB wir in einem Jahrhundert, in 
dem die Drukkerpressen die Hebel und Windladen alles Guten 
sind, den grosten Schaden davon haben, daB wir noch keine Zo- 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE ' II. AKT. 3. SZENE 625 

ten-Buchhandlung angelegt: die Bibelanstalt Sellers in Erlang (fur 
welcheri verkanten Bibel- und Rechtglaubigkeits- und Goldwa- 
scher die biblischen Pressen zugleich erlaubte Pragstokke des 
Geldes sind) und die Schulbuchhandlungen hatten Bordelle 
langst zu einem Zotenbuchladen anfrischen sollen, der fur sie 
und ieden Christen vielleicht von grostem Nuzen gewesen ware; 
aber es wurde von uns vergessen und es war auch, urn uns nicht 
zuviel zu thun, kaum eher moglich, da wir erst vor 6 Wochen 
den Akkord mit den Verf assern des Wiener Musenalmanachs* und 
, einigen Berlinern vollig abgeschlossen, daB sie fur uns arbeiten 
sollen. Ein eben so grosses Gliik ists, daB wir beim Zensurkolle- 
gio die unzuchtige Zensur ausgewirkt und iiberkommen haben, 
vermoge deren wir den Driik solcher Schriften, die wider die 
unziichtigen Sitten und wider die tolerirten Bordelle im Staate 
laufen, nicht zulassen. Das ist sicher das beste Mittel, solchen 
Schriften zu steuern, die oft ganze Alphabete (z. B. Hermes seine) 
dik sind und in denen dennoch die Leserin, wenn sie alle Bogen 
durchgefalzet und vorher sich fiir das anscheinend siindige Buch 
eine verbergende Freistatte ausersehen hat, nichts rechts findet: 

> * Den Nikolaischen Vorwurf der Wiener Sinlichkeit verbiirgen ihre 
eigne Schriftsteller, unter denen die besten (wie Blumauer) sich durch 
eine besondere Zotenmanie vorthun. Auf die Blatter in den »Skizen von 
Wien« (vom Verfasser des Faustins, welcher leztere eben darum so gefiel 
weswegen ein skandaloser Chroniker in Geselschaften gefallet, der viel- 
leicht das Lob seiner Geschichte mit dem Lobe seines Wizes vermengt), 
worauf der V. seine Meinung iiber feinere Liebe und Freiheitsgeist aus- 
sprizet, hab' ich gespien und ich kan dem V. das Exemplar noch vorwei- 
sen. Ein Rezensent in der Alg. deutschen Bibliothek solte einmal gerade 
heraussagen, weil ichs nicht wage, »daG die Wiener Autoren vom 

> seelenerhebenden Enthusiasmus fur Freiheit, Seelenadel, Weltverach- 
tung, und alte Tugend wenig haben. « Daher ists auch recht, daB in be- 
sagtem Journal die Rezensionen der Wiener Autoren von denen anderer 
deutschen weit genug von einander gethan sind: So sah ich .auf meiner 
lezten Reise durch Baiern, daB an den Galgen ausser dem gewohnlichen 
Balken fiir die drei christlichen Religion sverwandten, noch ein besonde- 
rer schismatischer Queerpfosten angebracht war, an den bios Juden an- 
geimpfet werden. 



626 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

denn kiinftig haften wir dafiir und nur auf Werke, die einiger- 
massen schliipferig sind es sei nun in ganzen Szenen oder in ein- 
zelnen Anspielungen, werden wir, urn niemand zu betriigen, 
unser imprimatur und »mit Approbazion des Bordels« sezen. 

Wir hoffen, daB Ew. ** aus unsern Bitten ersehen, wie wenig 
wir (wie wir schon oben protestirten) nur im Geringsten Ver- 
minderung der Ehebruche und Liebschaften im Sinne haben; ia 
wir diirfen es sagen, daB wir gerade durch diese Bitten den Weg 
zur grosten Vermehrung derselben bahnen mussen, so wol der 
doppelten und einfachen Ehebruche als auch kahler Liebschaft 
iiberhaupt. Wir iiberlassen es also desto getroster Ew., ob bei 
solchen Vortheilen furs algemeine und konsistorial Beste unsere 
Bitte, die freilich auch unserm personlichen dienen sol, ganzlich 
abzuweisen sei. Denn mit den Ehebruchen haufen sich bekant- 
lich auch die Ehescheidungen, deren wol niemals zuviele werden 
konnen, es sei nun daB man auf die Sportuln des Konsistoriums 
sehe, oder es sei daB man nur auf das Beste der ganzen lutheri- 
schen Konfession Achthabe, die iezt die Unterscheidungslehren 
von der papistischen, worunter die Ehescheidung gehort, mit 
erhabner Arbeit auszupragen und wie mit Punzen darzustellen 
hat. 

Man soke sich nicht weigern,.einmal einzusehen, daB die Bor- 
delle nicht nur wie gesagt Ehebruche und Ehescheidungen so 
wahrhaft begiinstigen sondern auch Ehen selbst, welches allemal 
nicht ohne Nuzen ist und wir mochten wissen, was der Graf von 
Mirabeau von der Sache denkt. So wie es gewis eine Schande ist 
(und die Nachwelt wird schwer begreifen wie es moglich war), 
daB wir iezigen Europaer das alte barbarische Oberbleibsel der 
priesterlichen Einsegnung, an die vor Karl dem Grossen keine 
Seele dachte, noch als das Bindwort unserer Ehen beibehalten 
mogen, da die Ehe doch nichts ist wie ein biirgerlicher Kontrakt 
und da eine Einsegnung desselben so aussieht als wenn ein Pf ar- 
rer die Agende in die Hand nehmen und eine Maskopeibriider- 
schaft und einen Associe nach dem andern und die ganze Firma 
priesterlich zur Tragung aller Leiden und Freuden einsegnen 
wolte; so wie das die wahre Schande ist: so wollen wir auf der . 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • II. AKT. 3. SZENE 627 

andern Seite auch die bessere Seite unsers Zeitalters nicht ver- 
hehlen und ihm gern das Lob einraumen, daB es seine Ehen im- 
mer haufiger ohne iene priesterliche Manipulazion abschliesset. 
Man soke diese Ehen die sakularisirten und apokryphischen nen- 
nen, um ihrer Vermengung mit den kanonischen vorzubeugen, 
vor denen sie sich so ausserordentlich dadurch ausnehmen, daB 
sie so lange wahren als man wil, Monate, Tage lang, oder auch 
nur i 1 / 3 Sekunde oder gar eine Terzie lang, wiewol schwerlich 
dieses einer an eirier Terzienuhr abzumessen die Neugierde oder 
Geduld haben wird. Solche abbrevirte kursorische Ehen sind die 
eigentlichen niizlichen, die den Staat und die Populazionstabel- 
len voller machen; und ein Man, der einmal in eine perennirende 
Ehe eingeklemt ist, soke es (wie es scheint) dadurch gut zu ma- 
chen suchen, daB er sie mit mehr als hundert solchen Mobiliar- 
und Impromptu-Ehen beschlagt und garnirt und iiber den 
schleichenden Monatszeiger der langen fixen Ehe mus sich der 
fliegende Terzienweiser der Gelegenheitsehen unzahligemale 
umwirbeln: und das unterlassen auch Leute von Stande, die ein 
wenig mehr von Statistik und Staatsbediirfnissen verstehen als 
gemeiner Pobel, wol niemals oder selten. Eine andere, ausserst 
wichtige Frage aber ist es, ob einige Zeremonien, durch die man 
solche Stunden- und Terzienehen noch feierlicher machte und 
durch die man den Einsegnungsaktus verminftig erstattete, wol 
sehr schaden konnen, da der Mensch ia weder ohne Zeremonien 
noch ohne Korper leben kan. Soke an dieser unserer Bemerkung 
etwas sein: so diirften wir Entrepreneurs uns dem Ansehen nach 
schmeicheln, daB die ephemerischen Ehen in unsern Bordellen, 
deren in Einem Tage mehrere da gestiftet werden als fixe in Kir- 
chen in Einem Kircheniahre, vor andern ephemerischen Ehen 
einen ansehnlichen Vorzug hatten. Denn wir dulden da keine 
Ehe ohne lange Zeremonien, die nirgends als aus dem romischen 
Rechte her sind, weil Deutschland ohnehin alles und besonders 
den Titel von Kontrakten aus dem romischen Munde weggepikt 
und abgelesen hat. Bei den Romern war die bestatigende Hei- 
rathszeremonie entweder ein Opfer (conf arreatio) , das vor 
10 Zeugen in Salz und Diinkelkorn dargebracht wurde - oder 



628 JUGENDWERKE ' 5.ABTEILUNG 

ein Scheinkauf (coemtio) , da der Man zum Spas einen Kauf schil- 
ling fur die Frau hinzahlte - oder ein iahriger Umgang (usus) mit 
der Frau, ohne drei Nachte auszusezen. In unseren Freudenhau- 
sern darf nicht nur ohne diese Zeremonien keine kursorische Ehe 
gemacht werden, sondern iede mus auch mit alien dreien auf 
einmal eingefasset und geschmukt werden, welches die Sache 
noch viel weiter treibenheisset als der Romer selbst; und wir be- 
rufen uns auf ieden, der bei uns war und dessen bekante Wahr- 
heitsliebe unmoglich das Zeugnis der unsrigen bedarf , ob er wol 
in seine temporelle Ehe treten durfte und ob wir ihn fortliessen, 
bevor er nicht bios Salz und Brod sondern auch feine Weine und 
Spargel und was zu einer kleinen Abendkollazion gehort den pa- 
phischen Gottern und darauf, wie ieder Priester, sich und der 
Mitpriesterin dargebracht hatte, welches ia eben die romische 
Konfarreazion ist - ferner bevor er von uns seine eheliche oder 
aussereheliche Halfte ordentlich und kauflich an sich gebracht, 
welches noch weit reeller als der romische Scheinkauf sein mag 
- und endlich bevor er den romischen jahrigen Umgang durch 
einen stundenlangen geschikterweise nachkopiret, welches ia, 
da Zeit und Stunden etwas relatives sind, kein wahrer Unter- 
schied sein kan? Da nun das so bekant ist und da so offenbar das 
kleinste Bordel mehr Ehen in die Welt sezt als die groste Mutter- 
kirche: so weis der Himmel, wers ist der das Skandal und die 
Verblendung aussaet und unterhalt, daB die weisesten Obrig- 
keiten ordentlich fast desto lauer fur die Bordelle werden, ie lau- 
ter die statistischen Seufzer iiber die Entvolkerung und Ehelo- 
sigkeit ausbrechen - wer solt' es glauben, daB in Basel, wo 
erwiesenermassen seit 40 Jahren gerade die Halfte der Ehen aus- 
geblieben, dennoch weder ein Rathsmitglied noch ein Raths- 
schreiber dagegen neue Bordelle vorzukehren angerathen - und 
es scheint, daB in Polen die Einwohner noch defer als um ein 
Drittel (so weit ists nach Franks medizinischer Polizei schon) 
niederschmelzen mussen, eh' man das Bolwerk unserer Hauser 
dagegen aufzubauen und zu erhohen begint. Es ist nicht unsre 
schuld, daB wir nicht von Deutschland sondern bios von Frank- 
reich sagen konnen, daB es, da es iiber die Halfte weniger Ehen 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • II. AKT. 3. SZENE 629 

als vor funfzig Jahren zahlet, auch mit desto grosserem Eifer die 
beste Brandmauer dagegen, die Bordelle gebrauche und begun- 
stige; wiewol selbst Deutschland niemals so gleichgiiltig gegen 
seine Entvolkerung war, daB es ihr nicht in einiger, obgleich 
dem Ubel zu wenig angemessener Dosis unser Gegengift entge- 
gengesezt haben soke. 

Noch wollen wir einen kleinen Vortheil nicht verhalten, den 
wir reichen Jiinglingen, reisenden Edelleuten, Reisedienern der 
Kaufleutcund iedem seit Jahren bringen und den die wenigsten 
recht schazen wollen. Bei alien diesen ists namlich etwas Ge- 
wohnliches, sichvor andern Deutschen durch einen so ausseror- 
dentlichen Grad von Weiberkentnis auszuzeichnen, daB sie die 
beste und fromste Schone auf der Stelle und in Einer Stunde und 
ohne fremde Einblasung so zu durchschauen vermogen, daB sie 
sofort merken, sie sei weiter nichts als eine Hure wiewol noch 
im Puppenstande und Noviziate. Menschenkenner der Art sind 
vielleicht nicht haufig; aber bios in unsern Schulen bilden sie sich 
und aus unsern Freuden-Seminarien und Lyzeen holen sie soviel 
Humaniora ohne den geringsten Schaden ihrer eignen Tugend 
ab; daher der Grundsaz des H. Meiners, der dieienigen Volker fur 
die schlimsten ausschreiet, die das weibliche Geschlecht am mei- 
sten verachten und verschreien, in der Anwendung auf einzelne 
Personen vielleicht die allergrosten Einschrankungen begehrt. 
Unmoglich kan bios unsere Eigenliebe uns bereden, diese selt- 
nere Menschenkentnis so ausschliessend dem Besuche unsrer 
Hauser anzurechnen: denn warum f ehlet sie gerade denen Man- 
nern, die sonst Welt und Weiberumgang genug haben, die es 
aber, weil sie aus einem recht verachtlichen Pietismus alzeit hin- 
ter unsre Schule giengen, iezt mit Schmerzen erfahren, wie we- 
nig aller Beobachtung[sgeist] und Umgang den von Bordellen 
erseze? Solchen Mannern kan man vorwerfen, daB sie an die 
Weiber und an die Religion im funfzehnten Jahr aberglaubig, im 
funf und zwanzigsten unglaubig, im funfzig[sten] rechtglaubig 
sind. Wie viel anders denken die oben genannten Kollaboratores 
und Offizianten in unsern Hausern! Dabei ist uns ausser unsern 
Gebauden weiter keine andere academie militaire der Liebe be- 



63O JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

kant, wo die Einnahme weiblicher Festungen leichter beige- 
bracht wiirde, es mogen ebne oder Bergfestungen sein. Daher 
suchen iunge Leute und die obgedachten Weiberkenner stets 
durch das Belagern, Stiirmen und Einnehmen einer Hure das 
Belagern, Stiirmen und Einnehmen einer sogenanten ehrlichen 
Frau zu lernen und vorauszuiiben: denn sie glauben mit Recht, 
daB sie alles, was sie gegen die eine vorkehren, auch gegen die 
andre bios in langern Zwischenraumen vorzukehren brauchen. So 
versuchten sich schon im vorigen Jahrhundert die franzosischen 
Krieger zuweilen im veriiingten Belagern, indem sie [eine] hol- 
zerne kleine Oncle Toby's und Trims-Festung so mit Schneebal- 
len anfielen und beschirmten, daB Thuan im 2ten Buche seiner 
Geschichte die ganze Sache und den Ruhm da von auf die Nach- 
welt brachte. 

Daher erharren wir pp. 



4te Szene 
die bios da ist, damtt nachher die funfte darauf komme 

Der ganze Akt von 7-8 Uhr sol fast fur Juristen sein und er hat 
wie ein Requetenmeister oder ich lauter Suppliken unter dem 
Arm. Den Augenblik - d. h. in 60 Augenblicken - wird eine 
neue hergetragen werden; allein diesen 60 Augenblicken miissen 
wir den Stachel der Langeweile dadurch nehmen, daB wir sehr 
reden. 

Es kan sein iiber was es wil, iiber alles Mogliche, z. B. iiber 
das Reden selbst. Denn da im vorigen Jahr ein Naturforscher mir 
ins Gesicht sagte, daB die Baumblatter darum stets in einer flat- 
ternden Bewegung verharten, um der Luft die Dienste eines 
kleinen Windes* zu leisten und sie durch dieses stete Geiseln ge- 

* Denn der Wind niizt nicht so wohl durch die Veriagung boser Diin- 
ste (weil er mir fur die, die er meinem Successor zufiihrt, dafiir die mei- 
nes Antezessors mitbringt) als durch die Bewegung der Luft, die wie 
Wasser und Gelehrte durch Stillesizen ungesund wird. 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • II. AKT. 4. SZENE 63 I 

sunder zu erhalten: so fragt' ich ihn sogleich, ob es ihm nicht lieb 
ware, daB er damit mich auf einen andachtigen Gedanken 
brachte, den ich sogleich aufschreiben wiirde, wenn ich nach 
Hause kame. Der zu Hause aufgeschriebne andachtige Gedanke 
ist der: unmoglich kan die Natur, die durch die zwanzigiahrige 
Vibrazion der Blatter die Luft ausreinigt, die siebzigiahrige der 
weiblichen Zungen ohne alien Nuzen und so ohne alle Absichten 
angeordnet haben, daB ein alter theologischer und teleologischer 
Kandidat, der den Schlafrok umthate und sich hinsezen und die 
Endabsichten Gottes beim Reden der Weiber Freunden und 
Feinden erofnen wolte, leer wieder aufspringen miiste weil 
nichts zu machen ware. Der Kandidat kan vielmehr in seinem 
Schlafrok und Sessel bleiben und der Welt recht gut wahrschein- 
lich machen, daB die Natur die bestandige Bewegung der weib- 
lichen Zungen (so gut wie der Blatter) bios zur Erschutterung 
und Umruhrung der Atmosphare veranstaltet habe, die sonst 
anfaulen wiirde; und der weibliche Kopf hat so gut sein Luftmeer 
wie der Mond sein Wassermeer gesund zu riitteln. Daher soke 
das collegium medicum und der Stadt- und Landphysikus nicht 
bios in Zeiten, wo kein Wind pfeifet, sondern auch im Herbst 
und Friihling, wo der starkste nicht zulangt, darauf sehen und 
dringen, daB die Weiber mehr sprachen als z. B. im Jenner: denn 
pythagoreisches Schweigen kan hierin Epidemien und Nonnen- 
karthausen Pesthauser erschaffen. Auf der andern Seite bemerke 
man, wie lacherlich manche Gelehrte sich dadurch machen, daB 
sie oft mit weithergeholten Endabsichten ihre Religion und ih- 
ren Verstandbesiegeln wollen: so ist es z. B. etwas zu gemeines, 
daB sie dem Zungenoszilliren und Reden der Weiber, das bios 
die Luft verbessern sol, die Endabsicht unterschieben, damit ne- 
benher einen Sin oder Gedanken p. auszudriicken, ob sie gleich 
wissen, daB bei Vielen Denken und Reden gar nicht einerlei oder 
koexistierend ist, weil oft gerade das leztere ein Zeichen ist, daB 
nunmehr das erstere aufgehoret: wie in einer guten Miihle die 
Warnglocke zu tonen begint, wenn das Getraide weggema- 
len. 



632 JUGEND^ERKE • 5. ABTEILUNG 

$te Szene 

Supplik der Schikanedrischen Truppe an Serenissimum wider die vie- 
len Poeten, die sie todtmachen wollen 



Sub Littera D legen wir ein Zeugenrotul von mehr als drithalb- 
hundert Menschen bei, die theils sechs Groschen theils sechs 
Gulden ausgaben und es also selbst rnit ansahen, daB die tragi- 
schen Dichter - gleichsam der karolinischen Halsgerichtsord- 
nung und den Leipziger Kunstrichtern zum Troz - die besten 
Schauspieler, sie mogen den ganzen Tag gelebt und memorirt 
haben wie sie wollen, am Ende desselben boshaft erschiessen, 
erstechen, ersaufen, erdrosseln, ermorden. So gehts in Landern 
zu, die sonst das Gluk haben, an Ew. Szepter sich hinaufzuran- 
ken und zu hakeln; und auf eine solche Weise und nicht an der s 
wird mizlichen und friedsamen Insassen des Staats, die die ganze 
Woche keine Seele urn ein Haar oder gar urn das Leben verkiir- 
zen ausser an den Abenden wo es der Rolle wegen sein mus, un- 
ter den Augen und Ohren des ganzen Publikums mitgefahren 
und im Journal von und f Cir Deutschland soke der Jammer schon 
langst stehen. Ganze Schoppen- und Rechtsstiihle und Vehrnge- 
richte - die diesen morderischen Unfug mit der Karolina oder 
Theresiana bei miissigen Stunden zusammenhalten und gegen 
ihn mehr als hundert Meinungen angesehener Rechtslehrer 
nebst ein Paar rechtfichen Bedenken anziehen solten und die un- 
ser Tod in etwas riihren soke - wollen eben das ganze Jahr hin- 
durch davon fortgeruhrt werden und kommen deswegen alle 
Abende gefahren und schiessen gern ihre 6 Groschen erstlich als 
Kammerzieler und peinliche Kosten und zweitens als Schies- 
und Stamgeld her, damit wir stat ihrer, zugleich Justiz und Mord 
auf unsrer Biihne pf legen. Es ist aber nothig, daB wir Ew. ** 
unsre Klage umstandlicher vorzutragen anfangen. 

Vor 40 Jahren sahen wir nicht ein, was wir auf unserem hol- 
zernen Planiglobium damals hatten - ieder Akteur war da seines 
armen Lebens sicher, reimend kam er auf die Theaterwelt, rei- 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE ■ II. AKT. 5. SZENE 633 

mend fuhr er wieder hinaus und Racine machte sich ein Gewis- 
sen daraus, ohne Noth seinen Nebenchristeri, selbst einen Deut- 
schen todt zu schlagen, so gar der grosse Voltaire wolte ehrliche 
Schauspieler lieber lacherlich und verachtlich,als todtmachen. 
Aber dieses saturninische philanthropische Zeitalter verlief und 
seitdem muss en wir, von englischen und deutschen Landfrie- 
densbrechern, taglich sterben: die peinliche Gcrechtigkeit, deren 
dekollirendes Schwert Bekaria in blosse Hand- und Beinschellen 
umgeschmiedet, gab ihr Vikariat der poetischen, die nun Teufels- 
tol ist und alles niedermachen wil was ihr nur begegnet und das 
Elend seitdem ist nicht auszusprechen. Wir konnen nicht beim 
Weggehen vom Theater wie jener tiirkische Minister beim 
Weggehen vom Sultan, den Kopf anfiihlen, um zu erforschen ob 
er noch drauf size: denn er und die Finger und das Leben sind 
allemal schon weg. Abends von 6 bis 8 Uhr ziehen sich (beson- 
ders in London und Wien) die tragischen Dichter und Morder 
elend an und armiren sich mit Dolchen - Schiesgewehr - Gift 
- Stricken und Federn und passen uns disseits und ienseits der 
Kulissen auf, um uns auszumerzen wie nichts, nachdem sie vor- 
her sich gleich den Wilden und Tiirken Muth zu ihren bosen 
Werken angesoffen: wahrhaftig die ganze Christenheit soke ge- 
gen dergleichen singen und sengen. Es kan heute noch dargethan 
werden, daB oft hart nach der Ouvertiire der Akteur eh er kaum 
das Licht - der Welt nicht sowol als des Schauspielhauses er- 
blikte, mit Tode und vom Theater abgehen mus und wie ein re- 
venant nur aus der Kulisse gucken darf . Andre fristen ihr Leben 
ein Paar Akte langer, aber mit verfluchtem aqua Tof ana im Leibe 
und dorren gar zu iammerlich ab. Es kan das ganze Parterre und 
alle Logen um den schonsten Kerl in der ganzen Armee sich roth 
und todtweinen und in Erne Thrane zerlaufen: es hilft nichts, der 
tragische Dichter arquebusirt den ehrlichen schonen Schlag doch 
und wir andern Akteurs mussen gar mit helfen. Komt vollends 
das Ende der Tragodie heran: so gehts auf dem Theater wie im 
Bienenstok beim Ende des Herbstes zu; wie da der ganze Korb 
sich zu einer gemeinschaftlichen Ermordung der Drohnen ver- 
bindet: so halt der tragische Wiirgengel dort entsezlich Haus, 



634 JUGENDWERKE ' 5. ABTEILUNG 

macht Aegypter und Juden lustig nieder und fragt wenig oder 
nichts darnach, ob derMensch, den er einsargen wil, nicht viel- 
leicht durch die fiinf Deklinazionen der Akte seine Rechtschaf- 
fenheit unbescholten durchflektirt habe - ob er nicht vielleicht 
auf dem hochsten Throne in der Welt oder doch mit auf dem 
Reichstag size - ob er nicht mit einem Kinde schwanger sei oder 
mit einem Pod- und Gonagra, da sonst sogar das peinliche Ge- 
richt erst abpasset, wenn beide wieder weg sind - und nur ein 
einziges Wesen hat von diesem bethlehemitischen Herodesmor- 
den gar nichts zu befahren, der Soufleur in seinem Seitenholgen 
und in seiner Kasematte. Wir wollen nichts daraus machen, daB 
sogar am Ende dieser unterthanigen Bitschrif t Menschen sich ei- 
genhandig unterzeichnen werden, die mehr als einmal von sol- 
chen klassischen Henkern gekopf et und doch nachher auf gehan- 
gen worden und die es zum Gliik, da sie dato noch leben, iede 
Stunde endlich erharten konnen und wollen, daB sie unchristlich 
todtgebissen worden - wir wollen auch mit niemand lange dis- 
putiren, der etwan vorschiizt, aus dem einzigen Beispiel des Pe- 
ter Schwenz sei nicht viel zu schliessen, der unter unsrer Truppe 
ist und der neulich sich eine Pfeife stopfte und hernach folgende 
wahre Grabschrift auf sich machte: »hier liegt (sizt) Peter 
Schwenz, der - nachdem er naturlichen und unnaturlichen (nicht 
zu erwahnen des geistlichen) Todes verfahren, nachdem ihn 
zwei todtliche Apoplexien und im nachsten Abend eine Hemi- 
plegia getroffen, nachdem er zweimal von seinen Kameraden, 
und dreimal von sich selber erschossen worden, nachdem er an 
alien Krankheiten und Arzneien gestorben und im Grabe ganz 
verf aulet ist - endlich in lezteres beigesezt wurde und vorher le- 
bens- und sterbenssat entschlief . « - Aber so viel kan die ganze 
Truppe von der ganzen Truppe behaupten, daB der gesundeste 
Mensch bei solchen Grausamkeiten ausser dem Leben auch sei- 
nen gesunden Leib zuseze und andere brauchbare Sachen ein- 
biisse - viele von uns wurden ganz unpaslich nach todtlichen 
Vergiftungen - einem, den drei und zwanzig Dolchstosse wie 
beim Riemenstechen durchlocherten, blutete davon das eine Na- 
senloch eine ganze Viertelstunde lang und selten wird einer ohne 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE * II. AKT. 5. SZENE 635 

alle Lasion des Kopfes dekollirt, welches freilich das ganze Par- 
terre nicht sieht und nicht fiihlt. 

Das Betriibteste dabei ist vielleicht, daB ausser der weiblichen 
Tugend nichts auf der ganzen alten Welt so leicht stirbt und hin 
ist als ein Akteur oder seine Frau: und das ist eben zu unserem 
Ungliik unsern Theaterdichtern und dramaturgischen Stosvo- 
geln vollig bekant. Sie wissens, daB der gesiindeste und fetteste 
Akteur wie ein iunger Kanarienvogel vom blossen Donner eines 
Gewitters erschlagen werden kan; denn der Bliz ist bekantlich 
nur von Geigenharz und konte nichts verfangen - sie sind (die 
Welt urtheilt freilich wie) darhintergekommen, daB wir von ein 
Paar Worten des zischenden Soufleurs wie Annanias und seine 
Ehefrau von denen des Petrus maustodt umfallen und daB die 
Einbildungskraft liber uns soviel Almacht habe, daB wir wie oft 
Delinquenten, denen man die Todesangst anzuthun vorhatte, 
von blosser Beriihrung des Richtschwerts todt vom Sessel her- 
unterrollen, wie leider Front- und Seitenlogen es mehrmals 
durch Operngucker gesehen - und wenn man die gif tigen Spe- 
zies, woran mancher von uns sich vom Leben zum Tode 
brachte, hernach chemisch auseinanderthat: kams heraus, daB 
blosser Danziger Lachs oder Fusel oder gar nichts das Ungliik 
angerichtet, so leicht lassen sich die medizinischen Kasusbiicher 
vergrossern und bewahren, die Unzahliges von nakten Wassern, 
Semmelkrumen und dergleichen reden und schreiben, welche 
als gute Purganzen und Vomitive getrieben, bios weil der Pa- 
zient sie dafiir eingenommen. Wahrhaftig bei solchen Umstan- 
den und Phantasien ists ja ein Kinderspiel, seinem guten Neben- 
europaer etwas anzuhaben und es lasset sich noch viel sagen iiber 
die Tragiker von Siiden bis Norden. 

Nun erhellet und konstiert aber aus dem funften Gebot und 
aus der Karolina, daB du nicht todten solst und ieder; der namli- 
chen Meinung sind auch angesehene peinliche Rechtslehrer, ein 
Bohmer, Karpzov, Berger, Meister passim, und unter den Neu- 
ern Quistorp und sein Sch wager, wenn er einen hat. Den Fran- 
ziskanern lasset ihr Ordensreglement nicht einmal zu, eine Laus 
zu entleiben geschweige einen Akteur, den Territorialhern der- 



636 JUGENDWERKE ' 5.ABTEILUNG 

selben. Es konte uns niemals gefallen, daB H. Wekherlin, der 
hyperboreische Brief e iiber alles menschliche Elend aufsezt, un- 
seres so wenig zur Schau brachte, daB bisher die wenigsten wu- 
sten wie die Sache ist. Sie ist aber gar zu jammerlich, da der pein- 
liche Staat kein Landeskind mit der Todesangst heimsucht, 
wenn es nicht einige hiibsche Verbrechen begangen - da uns 
hingegen wahre Todesstrafe angethan wird, ohne darauf zu se- 
hen ob es den Regisseur trift oder den Lichtpuzer oder so un- 
schuldige Leute wie ein ungezeugtes Kind. Und wir wiinschten, 
das peinliche Recht kam' uns einmal zu Gesicht: wir wiirden es 
fragen, warum es - da es, sonst wenigstens, die Hinrichtung des 
Delinquenten nicht wiederholte, der nach dem Hiingen wieder 
wach wurde - uns hingegen, weil wir immer wieder lebendig 
werden, in eineni Schaltjahr nicht 365 mal todtmacht, sondern 
366 mal? 

Wir wis sen auch diinkt uns, wie weit in einem christlichen, 
in eineni noch christlichern und in einem allerchristlichsten Staat 
Mord und Todschlag erlaubt und verstattet ist; aber unmoglich 
kan diese Erlaubnis des Mords iedem elenden knochernen Poe- 
ten ohne alle Einschrankung zukommen, oder in einem solchen 
Grade, daB der Ausspruch des romischen Kaisers: »der Tod Ei- 
nes Menschen ist ein Verlust fur mich und den Staat« mehr da- 
von angefochten wiirde wie von Kriegen und der Kaiser wird 
Akteurs so gut gemeinet haben wie Soldaten. Selbst der Arzt, 
der so weit im Todten gehen darf , stosset zulezt auf seine wirkli- 
chen Schranken, uber die ihn die Geseze nicht lass en. Denn wie 
nach dem europaischen Volkerrecht kein Heer das andere mit 
glasernen, mit giftigen Kugeln erschiessen darf, sondern bios 
mit bleiernen, wie keines in feindliche Lebensmittel und Brun- 
nen Gift einwerfen darf, sondern bios Drek: so verstattet auch 
dem Arzte die medizinische Polizei, bios mit Pulver, Vomitiven, 
Purganzen, Magnetismus, und der iibrigen materia medica hin- 
zurichten und dan zu bedenken, daB er damit vollig gethan was 
seines Amtes ist; wolt' aber der groste Doktor weiter schreiten 
und andere, z. B. chirurgische oder kriegerische Werkzeuge des 
Todtens in die Hande nehmen: so wiirde sich Burgermeister und 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE ■ II. AKT. 5. SZENE 637 

Rath dareinschlagen und ihm den Handel ganzlich legen. So 
wurd' es z. B. ernsthaft von der Regierung angesehen werden, 
wenn der hiesige Stadt und Landphysikus den umliegenden 
Ortschaften Rattenpulver zu fressen gabe, stat heftiger Laxanzen 
und Brechmittel und selbst ein ganzes collegium medicum 
diirfte sich unerwartete Untersuchungen zuziehen, wenn es nur 
einen einzigen Kerl, den es mit Lanzetten ganz wol entseelen 
diirfte, mit seinem Seitengewehr boshaft niederstechen wolte. 
Es wiirde gar nicht gehen; aber warum darf es mit Schikanedri- 
schen Truppen und andern angehen? Und warum solten wir bei 
solchen Grunden unsre f olgenden Bitten noch langer verhalten? 

Die erste ist: daB die tragische Ligue nicht wie die insurgieren- 
den Burger in Paris, aus dem Arsenal der Bellona und Melpo- 
mene alle mogliche Waff en, alte und neue, wegschleifen und 
umlegen diirfe, uns damit aus dem Leben oder Theater wegzu- 
schaffen-und daB kein Unschuldiger ohne Defension und ohne 
andere gesetzliche Formalitaten peinlich vom Leben zum Tode 
gebracht werde, so wie auch kein erster und kein zweiter Lieb- 
haber sich ohne einen besondern Erlaubnisschein des litterari- 
schen Gerichtshof s , worunter er gehort, entleiben sol, so wie 
man schon in Marseille sonst (nach dem Valerius Maximus, aber 
leider iezt nicht) urn hohe Erlaubnis zum Selbstmord nachsu- 
chen muste, und nachher um den Gift dazu. 

Die zweite Bitte ist, daB dem Tragiker und selber dem tiirki- 
schen Kaiser das Recht genommen werde, taglich 14 Menschen 
aus Inspirazion zu todten*; wodurch es nachher mit einem an- 
dern alten Rechte von selber vorbei ist, das nicht bios die Scharf- 
richter hatten - sich durch Hinrichtung von no Personen oder 
durch Hinrichtung von 3 Personen aus Einer Familie in Einer 
Viertelstunde, zur Ehrlichkeit und zum Doktorhut hinaufzuju- 
stifiziren - sondern auch die tragischen Autores, die sich durch 
eine ahnliche Menge bisher aus Autoren zu Genies und ihre Bro- 

* Soviele kan der Grossultan ohne Tyrannei und auf Rechnung gotli- 
chen Antriebs taglich morden lassen. Kantemirs Geschichte des osman- 
nischen Reichs. 



6$ 8 JUGENDWERKE • 5 . ABTEILUNG 

chiiren, die Stempelgeld erlegten, zu Brochiirensamlungen, die 
keines zahlen, hinaufzumorden wusten. 

Das kan aber nicht anders geschehen, wir meinen die Erfiil- 
lung unserer zweiten Bitte, als wenn unsere dritte erhoret wird, 
daB an hoherm Ort eine Mordaccise fiir ieden Akteur abgereicht 
werden moge, den der Autor in und mit seiner gestempelten 
Piece fallet; und er muste Stempelgeld und Todtenfal mit einan- 
der bringen, nachdem ihm dennoch fiir die funf Akte etwan fiinf 
steuerfreie Morde bei seinem Helden- und Kalberstiche wirklich 
nachgelassen worden. 

Wird aus alien diesen Bitten nichts: so kan uns nimmermehr 
die vierte ganz verdacht werden, daB ieder seine eigne Gedanken 
iiber den Konig von Dannemark haben moge, der ao. 1707 ieder 
jungen Weibsperson auf der durch Krankheiten abgemahten In- 
sel Island sechs Bastarte mit Ehren nachzusaen erlaubte. Denn 
Akteurs, die auf dem Theater so ausserordentlich viel fiir die 
Vergrosserung der Sterbelisten arbeiten sollen, wollen auch etwas 
Erklekliches, namlich das Ihrige fiir die Geburtslisten thun, die 
der vorige Konig in Preussen so gern uberlas und die Autores 
solten es gut mit uns meinen. Wenn in Frankreich, wo der the- 
atralische Mord bios in die Kulissen verwiesen ist, ganz natiirlich 
auch die Reaktion gegen den Mord, die theatralische Kryptoga- 
mie, sich nicht iiber die Kulissen hinausverlaufen darf: so ists 
eben wie gesagt ganz natiirlich; aber ist es auf deutschen und 
englischen Theatern, die in Riiksicht des Todens wahre Kriegs- 
theater sind, auch billig und natiirlich genug, ihnen die zweite 
Ahnlichkeit mit Kriegstheatern, das miraculum restitutionis zu 
verwehren? In den Kulissen wird wenig gethan und es ist, die 
Wahrheit und ein solches Wort zu sagen, nichts als Fixfaxe- 
rei. 

Oberhaupt ware einigermassen zu wiinschen, wir Akteurs 
und Aktricen konten fliegen und waren Storche, aber in Holland 
- oder auch Krahen, aber in England: so diirfte bei groster Strafe 
kein Hollander und Englander auf und unter uns schiessen und 
wir konten diese unterthanige Bitschrift zwar nicht schreiben, 
brauchtens aber auch nicht. Inzwischen sind wir genau genom- 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE ■ II. AKT. 5. SZENE 639 

men auchnicht vie! weniger, da wir bisher die einzigen Deputir- 
ten und Reprasentanten waren, die die Tugend auf diese par- 
lamentarische Erde schikte. In Hamburg, wo einmal die 
Theologen sich uber unsern Werth oder Unwerth im Drukke 
rauften und balgten, wurd' es in den Tod vergessen, eine Haupt- 
schrift bei der Sache unter die Presse zu geben, welche ein 
theologischer Exkandidat und zeitiger Theaterdichter zusam- 
mengeschrieben und in der er von unserer Kuratel der abwesen- 
den Tugend so viele und so gute Beweise vortreibt, daB wahr- 
haftig einige oder mehrere mit Nuzen daraus weg und in 
gegenwartige Supplik herubergenommen werden konnen und 
sollen. 

Man braucht es nicht zu bestreiten, daB das Theater das Grab 
der Tugend ist: denn darauf griindet sichs eben, daB es zugleich 
der Temp el derselben ist, weil von ieher die Tempel heidnischer 
Gotter und christlicher Martyrer nichts waren als Baldachins 
und Regenschirme und Anfliige ihrer Graber. - Das Reichshof- 
rathspersonale soke in einem ekelhaften Style etwas gegen den 
altenRomer erlassen, der dachte, die Astraa ware zu den Sternen 
entwischt, denn sie ist gotlob schon noch auf der Erde, namlich 
auf dem Theater. Von dem Reichskammergericht auf dem 
Theater wird der schwierigste Prozes binnen Einem Abend ent- 
schieden und die Entregelder oder die Kammerzieler laufen auch 
richtig ein. - Das Konsistorium des Theaters hat noch niemals 
von einmal bezahlten Gebuhren fiir Ehescheidung, Dispensa- 
zionen und dergL, den Leuten, die die Quittung dariiber nicht 
zehn Jahre aufhoben, nach zehn Jahren das ancora abgefodert, 
erstlich weil besagtes Konsistorium wahre Rechtschaffenheit 
ubt und zweitens weil es selbst nicht so lange dauert wie eine 
Quittung, sondernblos von 5 Uhr bis 8. - Die Landstande, die 
stets so sehr larmen, als ob Fiirsten iede ausserordentliche Steuer 
zu einer ordentlichen verkehrten, konten in die Komodie gehen 
und da sehen, daB nichts daran ist und daB noch kein Regent auf 
dem Theater eine ausserordentliche Steuer mehr als einmal, oder 
etwan am andern Tag, morgends oder mittags noch einmal, ein- 
kassiret habe, und doch hatt' er oft nicht einmal die Landstande 



64O JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

gegen sich rnit Reversalien gedekt. - Die Keuschheit hat noch 
sowenig wie der ewige Jude die Erde geraumt, sondern das 
Theater ist noch ihr Witwensiz und kein Mensch, und war' es 
der starkste Bediente, bringt sie daraus fort; sie wil nicht einmal 
Ausfluge in die Kulissen oder Logen thun. So driikt sich das 
reine Erminthier auf sein Plazgen an, das man mit Koth umzo- 
gen und lasset sich todten, weil es sein weisses Fel nicht be- 
schmuzen wil. - Die Menschheit war noch nie so weit herunter, 
daB ihr und dem Theater die Stoiker ganz gemangelt hatten, die 
dem Ungliik und denxVergniigen, den Blizen aus den Kulissen 
und dem Sonnenschein des Theatermalers eine versteinerte feu- 
erfeste Brust entgegenhielten und fur deren senekaischen Muth 
vielleicht gar kein Leiden zu gros ist, das Auspfeifen der Zu- 
schauer ausgenommen, wie der Elephant, der ganzen Heeren 
entgegenschreibet, den Neid damit aussohnt, daB er vor dem 
Grunzen eines Schweines bebt und lauft. - Man sucht auf dem 
Theater die Regenten nicht vergeblich, bei denen das Regieren 
alle geringfugigere Belustigungen verschlingt und die wol nie 
ihre Stunden mit Komodienspielen verderben: die dasigen Re- 
genten wollen sich niemals vorwerfen lassen, aus wahren Re- 
genten zu theatralischen geworden zu sein, ihre wirklichen Un- 
terthanen zu scheinbaren oder gar zu Mitregenten und die Rolle 
eines guten Furs ten bios auf dem Theater, stat auf dem Throne 
gemachtzuhaben. Ists dan ein Wunder, wenn solche regierende 
Regenten (weil sie Geschafte stat der Langeweile und stat des 
Giinstlings haben, der beide vertreiben mus) wissen was sie sel- 
ber haben wollen, da sie sonst nur wissen was der Gunstling ha- 
ben wil und wenn sie ihre Ohren niemand (nicht einmal den 
Kollegien) leihen als hochstens dem - Soufleur? Und wiirde das 
die Gallerie merken, wenn an dem Menschen etwas Gutes ware 
und er nicht aus seinem Efloch so laut zum Konig hinaufsprache? 
- Deutsche und guter Geselschaftston (zwei Wesen, die sonst nie 
zusammentreffen als in einem kurzen Register, wo nach dem D 
sogleich das G komt) konvergiren und koexistieren in den Visit- 
tenzimmern des Theaters haufig und wahrhaftig die Leute spre- 
chen da sogut wie gedrukt und als hatten sie es auswendig ge- 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE ■ II. AKT. 5. SZENE 64 1 

lernt, welches noch darzu auch nicht anders ist. - Daher spukt 
da ganz naturlich niemand ausserst eindeutige Zweideutigkeiten 
und Zoten aus als bios Lakaien und wer da das Bedientenzimmer 
nicht mit dem Visittenzimmer verwechseln wil, halte sich nur 
ans Gesagte. - So viele tausend Aerzte, die sonst die Schuld der 
Natur in einem Wechselbrief a vista durch das Rezept verwandel- 
ten, auch auf dem Theater praktizierten und so heftig die Krisen 
der Pazienten oft waren: so fuhr doch alzeit nach 1 1 Uhr abends 
alles so gesund wieder herum wie Rheinhechte. - Und so ist auch 
um die namliche Stunde alles wieder friedlich, was sich vorher 
entsezlich gekeift und gerauft; und das gefalt uns und der Moral: 
denn nicht der sturmende Zank mit der Frau ist dem Eheman 
so verdriislich, sondern ihr langes schweigendes Nachziirnen: so 
ist auch imSommer nicht so wol das Gewitter 'irgerlich. (sondern 
vielmehr erfrischend) als das darauf kommende elende nasse 
Wetter. - Nie hat es Theatern an Rechtschaffenen gefehlet, die 
bios die Rolle eines Rechtschaffenen ohne alle Nebenabsichten 
der Ruhm- und Habsucht zu spielen strebten und bios ihr eignes 
Bewustsein ihrer Tugend und, beim Sinken des Vorhangs, den 
Beifal ihrer Nebenmenschen ganzlich zur Absicht hatten. - Die 
stehenden oder vielmehr gehenden Armeen auf und hinter dem 
Theater konnen recht gut ihre Nebenprofession dabei beschik- 
ken und nach der Exerzierstunde wieder den ganzen Tag auf Ur- 
laub gehen; und die Leute danken Got dafiir, daB sie um freien 
Einlas nur mit diirfen. - Und so thut und schreibt der Kandidat 
sein Moglichstes, um eine Ehrenpforte fur das Theater zusam- 
menzubringen, und man mus ihm wider Will en gut sein, dem 
Theater meinen wir und dem ungedrukten Kandidaten. 

Die Schikanedrische Truppe kan sich nicht vorstellen, daB 
Theaterdichter mit dem Leben solcher Glieder des Staats, gesezt 
sogar der Kandidat hatte sie zu vortheilhaft abgezeichnet, wie sie 
wollen spielen diirfen. Sondern es wird einmal menschlichen 
Muthmassungen nach eine Zeit kommen, ein Jahrhundert oder 
ein Jahrtausend, wo die Reichsstande geradezu sagen werden, 
»wenn man es in die kaiserliche Wahlkapitulazion oder auch in 
die der geistlichen Kurfiirsten mit sezte, daB des Tiirken und 



642 JUGENDWERKE ' 5. ABTEILUNG 

Pabstes und der Theaterdichter Tyrannei, Gewalt und Blutver- 
giessen gewehret werden soke: so ware das gewis der Ort dar- 
nach und es liesse.sich nothigenfals schon machen. « Allein in ie- 
nem Jahrtausend mussen vor alien Dingen die Reichsstande in 
der Hize, womit sie die Sache betreiben, und der Referent in der 
Eile, womit er diese Supplik iiberflattert, nur nicht sich so weit 
verschiessen, daB sieiiber folgende vier Umstande wirklich ganz 
und gar wegsehen. Der erste ist, daB meistens Jiinglinge solche 
pari[si]sche Bluthochzeiten des Theaters anrichten und daB (der 
Kriminalist sinnet daruber nach) eben so nach Voltairens Be- 
merkung in einem Brief an den Konig von Preussen, Jiinglinge 
fanatischeMorder, z. B. Heinrichs IVp., gewesen. -Der zweite 
ist, daB die an offentlichen Oertern veriibten Verbrechen, wie 
z. B. das Theater ist, bekantlich viel scharfer geriiget werden 
und daB der offentliche Ort manchem, z. B. der Fechtboden 
dem Fechtmeister so gut wie das beste Kains Zeichen diene. - Der 
dritte ist, daB die Bergleute des Harzes, die den Bergwerkstod 
fur den ruhmlichsten achten, urn die Stelle eines so Gestorbnen 
mit dem grosten Eifer werben und daB es die Schauspieler eben 
so machen, die keine Rollen lieber nehmen als solche, wo sie 
umzukommen hoffen. - Der vierte Umstand, der halb aus dem 
dritten folgt und iiber den Reichsstande und Referenten nicht 
hinwegzuf alien haben, ist endlich der daB offenbar nicht die 
Dobbelinische Truppe oder die Bondinische oder die Schroderi- 
sche p. diese Bitschrift machen lies, sondern wie naturlich die 
Schikanedrische: denn es konten Sakula kommen, die hieriiber 
in die groste Ungewisheit kamen ohne doch zu wissen wie; so 
aber kans nach Jahrtausenden dem deutschen Reiche nicht ent- 
f alien, wie die Sache war. pp. 

Als ein Kreuzerkomodiant hab' ich die Supplik grosser Gulden- 
und Maxd'orkomodianten in mein Theater lassen mussen und 
wollen. 

Jezt mus schon wieder alles hinaus, nicht des blossen Gro- 
schens wegen, den ich fiir ieden Bogen erhebe, sondern der Tu- 
gend wegen, die im nachsten Zwischenakt agiren und debutiren 



BAIERISCHE KREUZERKOMODIE • II. AKT. 5. SZENE 643 

wil und hinter der - wenn ich meinem und fremdem Urtheil 
trauen sol - doch wenig oder nichts ist. Ich wil auf keine Weise 
der Tugend etwas nehmen; aber ich kan doch meine Oberzeu- 
gung nicht so sehr verlaugnen, da6 ich sie fur etwas bessers aus- 
gabe als fur die Gesundheit der Seele. Nun weis ieder Chymiker, 
Glasmacher, Bergman und Professionist so gut wie sein Physi-- 
kus, daB seine Handthierung seiner korperlichen Gesundheit 
schade; allein er leget Arbeiten, die sein Leben erhalten, nicht 
deswegen unverniinftig nieder, weil sie es auch perkiirzen. Ge- 
rade so kan man hoffen, daB der Lehr-, Wehr- und Nahrstand 
sich nicht durch Kentnis des Schadens, den seine Lebensart sei- 
ner geistigen Gesundheit oder Tugend bringt, von dieser Le- 
bensart werde abreissen und abzerren lassen, und mich diinkt die 
Menschen haben uns niemals Anlas gegeben, ihnen etwas so un- 
bedachtes zuzutrauen: auch bringen grosse korperliche Vor- 
theile es wieder ein, wenn der Kaufman seine Seele von Eigen- 
nuz und Geiz infizieren lasset, der Weltman von Falschheit, der 
Wollustling von Wollust, der Gesandte von Ranken, der Mini- 
ster von Harte und der Konsistorialrath (dessen Tochter ich f rei- 
lich habe) von allem auf einmal. Inzwischen decken die Men- 
schen iiber diese nothwendigen Kontusionen und Schrammen 
der Seele solche breite Pilaster, daB es Kasuisten riihren soke: 
gerade wie der gedachte Professionist, der sich auf eine Art 
krank macht, sich auf iede andere krank zu machen scheuet, wie 
der Saufer seinen Leib nicht vor Wein, aber wol vor Zugwind 
und Erkaltung zu bewahren sucht: eben so machen sich viele ein 
Gewissen daraus andere Laster zu begehen als die nothigsten und 
gewohnten, und der Stolze befehdet die Luge, der Geizige die 
Unordnung, der Sinliche die Grausamkeit und der Autor, dem 
zur Obung der Tugend die Fliigel abgehen, strengt wenigstens 
zu ihrem Lob die Federn an. Kurz die ganze beste Welt ist gut 
genug und es komt keine bessere nach. 



II. Ernsthafter Zwischenakt 



Warum ich den Man, der aussah wie der Schauspieler Reineke, nicht 

vergesse 

Auch dich selber, guter Reineke, vergess' ich nicht, ob iezt gleich 
deine edle Bildung unter dem schweren Grabstein Hegt und aus- 
einanderbrockelt. Du hast es niemals erfahren, daB der Redak- 
teur (wie ich mich nennen sol) dein Freund gewesen: es war ihm 
an seiner Liebe genug ohne deine zu begehren und du starbst da- 
her seiner Phantasie auch nicht. [abgebrochen] 



365 TAGSBLAT 

Meine Periphase und der Wechselbrief sind das einzige Ge- 
schriebne bei der ganzen Sache und von gleichem Werthe. Ich 
wil unter diesem Tetrarchat den zuerst herausfangen, der - denn 
der Hund ist schon da, der sonst alzeit als Galgenmitbelehnter 
und Maskopeibruder des Juden mit diesem die hochste Leiter be- 
stieg - gehenkt zu werden verdient, wenn ich anders das mit 
Grunde bios daraus schliessen darf , weil er dem Klingsohr ahn- 
licht. Des beschnittenen Klingsohrs Gesicht weidet sich an dem 
Bewustsein seiner rechtlichen Obermacht und des zuvorkom- 
menden Siegs Ciber die desertio malitiosa des armen Siind- und 
Brandopfers. Es ist vielleicht einer von den Juden, die es fur eine 
Siinde halten eine andere zu begehen als eine grosse; und die nie- 
mand betriigen mogen als den hohen Adel und nie um weniger 
als um Tausende. Sein befeiltes und brillantiertes Gesicht giebt 
das Schabbesalmosen und einen Strik mit gleicher Mine. Die 
Mode gab ihm liberal die gehorigen Facetten von Hut-Zugwerk 
an bis zum Gesperre des plombierten Schuhes: denn auf den 
Schuhen seines Konfessionsverwandten sizt noch der Zirkel, 
den er quadrierte. Ich schmeichele dem Klingsohr nicht; aber 
man sieht doch offenbar, daB seinen Bart der Kam und die 
Scheere ebnet: der andre Jude hingegen schamt sich nicht, vor 
seinen Pranumeranten und gestochen in einem solchen bios auf- 
gekiitteten Barte zu erscheinen und mit einem solchen immer 
mehr urbar werdenden hangenden Garten aus dem Hause zu ge- 
hen. Er mus etwan ein guter Kopf sein, da er so unordentlich 
und chaotisch um ihn herum aussieht. 

Aber ich wil verniinf tig mit ihm reden und wir sind einander 
nicht ganz unbekant. Lieber Ben Israel! du handeltest nicht nur 
judisch sondern auch christlich, da du in Leipzig einen christli- 
chen Ben, den Konzipienten deines Lobs, um seine Uhr beriik- 
test: denn wie alle christliche Sprachen nach den altern Philolo- 
gen nur andere Dialekte der hebraischen Ursprache sind: so ist 



646 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

auch die christliche Sprache, die man in Handel und Wandel und 
von einer Borse zur andern redet, bios ein guter Dialekt der 
altiudischen. Ich hatte aber erwartet, daB du fur die Intraden aus 
meiner Uhr in einem bessern Rok Wechsel einfodertest. Dieser 
hangende Sund deiner Tasche trug viel und von Sakzehnten von 
manchem Markt und deine Schaluppenschuhe wurden viel ge- 
tragen. Ganz Hof wil dir in dein kunstliches und natiirliches 
Haar zugleich; aber ich wehr' es ab und kenne die fictiones juris 
und sage: cessat fictio ubi Veritas locum habere potest d. h. die 
Perucke hort da auf , wo das natiirliche Haar vorstreichen kan; 
und hier ist ia die Extravasazion des Haars zu deutlich, (mit dem 
D. Joerdens alhier zu reden) so wie die veranstaltete des reichen 
armen Teufels selbst. 

Wenn einem ein solcher weltlicher Arm beim rechten anfasset 
der in der Tasche weiter nichts zu suchen hat als Warme - wenn 
ein solcher Israelit mit dieser groben Erdscholle einer Lippe und 
mit solchen konvergierenden Takt- und Gedankenstrichen auf 
den Schlafen und mit solchem Vertrauen auf die Geseze einem 
Beflissenen der Rechte und Freuden ein Konsektarium aus dem 
Wechselprozes beibringt: so ist der Schlaf, den andere akade- 
mische Vorlesungen sonst selten verdrangen, wahrend einer 
solchen niemand moglich als bios dem Hund, dem Sequester der 
Bundeslade, die die Juden wollen; der Herr selbst aber, der mit 
keiner Hand etwas findet als mit der linken und nirgends als hin- 
ter dem Ohr, tauschet von 4 solchen Esaus Handen und vom 
Hefte des gesagten Professors doch stets fur seine wenige Ruhe 
der Seek lange wahre Ruhe des Korpers ein, vorausgesezt daB 
im fliehenden Kasten, in dem die Konkursmasse deponiert sein 
sol, nicht mehr ist als in der Tasche. - Ein Zeichen der Reisefer- 
tigkeit ist daB in der Stube die streitenden Machte«wie der Konig 
in Preussen Hute aufhaben. 

Der Himmel aber bewahre ieden zeitigen Christen davor, das 
Original stat der Kaufer, der Beschauer, der Verleger und der 
Zeichendeuter eines solchen Reinhardischen Kupferstichs zu 
sein; besonders bewahre er den Verleger und Zeichendeuter 
selbst davor, desgleichen ihre Hunde. 



365 TAGSBLATT 



647 




Der bedrangte Schuldner 
Radierung von Joh. Chr. Reinhart (1786) 



648 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

Obgleich die Zeitungsexpedizion des gegenwartigen belieb- 
ten 365 oder 366 Tagsblat nach Schwarzenbach verlegt wird: so 
meldet man doch den Gonnern dieser angenehmen periodischen 
Schrift, daB sieunverandert, sogar an den 3 hohen Festen, fort- 
gesezt werden sol: denn der Arm des Zeitungsschreibers wird 
und wil sich ewig auf diese oder eine andre Art fur die Lust der 
Welt bewegen, solange nur keine solche Esaushand wie die in 
Kupfer gestochne besagten Arm und seinen Merkurius fixiert 
und knebelt und den Perpendikel fangt. Hof den 27. Febr. 1790. 



OBER DIE VORHERBESTIMTE HARMONIE 



Der Gegner des Aquilibristen kan sie nicht widerlegen, sondern 
bios der Aquilibrist. 

Der Harmonist hebt nicht bios den Influxus zwischen Leib 
und Seele, sondern iiberhaupt alien zwischen Substanzen auf: 
denn es ist ihm gleich unbegreiflich, wie Eine einfache Substanz 
in eine andere oder wie eine in ein Aggregat von einfachen Sub- 
stanzen (d. i. Leib) einwirke, oder wie Aggregate in Aggregate. 
Ich meine, es ist bei alien die namliche Unbegreiflichkeit der 
Einwirkung einer einfachen Substanz in eine andre. 

Dem Harmonisten sezt man dafiir zwei Hauptschwierigkeiten 
entgegen: I. die, da6 der Leib seine Reihe Bewegungen ohne 
Seele* und daB die Seele ihre Reihe Vorstellungen ohne Leib ab- 
winden sol. 

Allein eben diese Schwierigkeit liegt auch im System des In- 
fluxus, nur unter einer andern Gestalt. Denn dadurch, daft der 
Influxist die Bewegungsreihe, um kein so kiinstliches Rader- 
werk von mehrerern zusammengestelten Monaden annehmen 
zu miissen, aus der Vorstellungsreihe Einer Monade erklart, 
wird nur der Ort der Schwierigkeit verandert. Denn was ord- 
net** wieder iene siebzig Jahre lange Vorstellungsreihe? Sie 
wird geordnet, (sagt der Influxist, der nach der obigen Voraus- 

* Ich wil, zur Dintenersparung, alzeit unter Bewegungsreihe die 80 
Jahre lange Prozession von korperlichen Handlungen, Reden, Schreiben 
p. verstehen, die der Harmonist aus der Zusammensezung des Korpers 
(mehrerer Monaden) erklart - und unter Vorstellungsreihe die ganze Folge 
von geistigen Thatigkeiten, Sehen, Erinnern p. , die er aus Einer Monade 
erklart. 

** Ich sage mit Fleis »ordnet«. Denn der Influxist und Harmonist 
sind darin eins, daB sie nicht zu erklaren wissen und suchen, wie irgend 
eine Ursache die Veranderungen der Substanzen bewirke - aber darin 
sind sie uneins, wer diese Ursache sei. 



65O . JJUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

sezung kein Aequilibrist ist) theils von der Seele theils von der 
einwirkenden Welt. Aber was erstlich die Seele anlangt: so kan 
die abrollende Vorstellungsreihe (sobald man das Aquilibrium 
oder den freien Willen laugnet) nur die Aufeinanderfolge von 
Ideen sein, wo von eine die andre nothwendig bestimt und er- 
zeugt und deren ganze Ordnung von etwas ausser. der Seele (wie 
die Zusammenpassung des Uhrgehwerks von einer Hand ausser 
der Uhr) iiberdacht und veranstaltet worden sein mus. Man ge- 
wint nichts, wenn man zweitens einen Theil dieser Ordnung zu 
einer Wirkung der einwirkenden Welt macht (z. B. wenn in k 
meine Ideenreihe von Alexander iezt auf einmal meine Stube mir 
die Vorstellung der Warme und also eine neue Ideenreihe ein- 
schiebt). Denn alle diese neue Ordnung in der aussern einwir- 
kenden Welt bedarf einen neuen Grund und wil wieder gerecht- 
fertigt sein: ob diese Zusammenpassung, diese Ordnung in der 
Aufeinanderfolge. der Veranderungen in mehreren Stubstanzen 
auf einmal (wie der Influxist sagt) , oder in einer Einzigen ist (wie 
der Harmonist wil) - ob die Vorstellungsreihe eine Wirkung und 
Ursache der Bewegungsreihe ist (wie der Influxist wil), oder ob 
iede von der andern unabhangig ist (wie der Harmonist sagt) - 2c 
das andert in der Schwierigkeit, die die Ursachen dieser Reihen 
anzugeben erschweret, ia nichts und sie liegt auf den Schultern 
beider Philosophen. Wenn ich bei einem Doppelklavier auf dem 
obern Klavier alle Tasten, die den Koral » Wer nur den lieben Got 
lasset« ausmachen, niedergehen sahe: so kont' ich ia diese kiinst- 
liche Auseinanderf olge nicht aus der koexistierenden Auseinan- 
derfolge auf dem untern Klavier zu erklaren glauben: weil, es 
mochte das obere oder das untere Klavier den Koral allein spie- 
len, immer noch die Frage bliebe, wer die Tasten (mittelbar oder 
unmittelbar) bewegt, . . . und das ist der Kantor. Bisher glaubte 3c 
man zu erklaren die Bewegungsreihe, wenn man sie aus der 
Vorstellungsreihe - und diese, wenn man sie aus iener erklarte 
- und beide, wenn man eine mit der andern durchflocht . . . Da 
der Atheist entweder ein Harmonist oder Influxist sein mus (das 
3te System der gelegentlichen Ursachen ist nichts als eine Art 
vorherbestimter Harmonie) und beide Systeme die namliche 



UBER DIE VORHERBESTIMMTE HARMONIE 65 I 

Schwierigkeit gemein haben: so kan wenigstens diese Schwie- 
rigkeit dem Atheisten nicht wehren, ein Harmonist zu 
sein. 

II. Die zweite Schwierigkeit ist, daB die namliche Bewe- 
gungs- und die namliche Vorstellungsreihe alzeit koexistieren, 
daB wenn ich z. B. denke, mit meinem Korper nach Schwarzen- 
bach zu gehen, der Kauz das leztere wirklich thut ohne daB beide 
von einander wissen und leiden. Allein beide Reihen existieren 
. doch nach beiden Systemen und sind unerklarlich, man mag sie 
als Ursache und Wirkung oder nur als koexistierend annehmen: 
das einzige Schwierige ist also nur, daB sie gerade zu Einer Zeit 
aufgezogen wurden und also iezt mit einander laufen; allein da 
sie doch einmal neben einander gehen musten, ware denn die 
Schwierigkeit viel kleiner, wenn z. B. meine Seele I Jahr spater 
hatte abzurollen begonnen als der Korper, so daB sie das ganze 
Jahr 1789 das dachte, was der Korper im J[ahre] 1788 schon that? 
z. B. wenn ich heute diesen Aufsaz ausarbeitete und im J[ahre] 
1789 hatte ihn der Korper schon niedergeschrieben und du hat- 
test meine Gedanken ein ganzes Kircheniahr friiher erfahren als 
ich selbst? . . . Diese zufallige gleichzeitige Aufziehung miiste 
freilich der Atheist ungern annehmen; aber wird ihm denn die 
zufallige Zusammenpassung der ganzen Welt nicht eben so 
schwer? 

Der Harmonist ist also gut zu retten. 

Dennoch bin ich keiner: 1) weil die Lehre der Freiheit diese 
Schwierigkeit hebt 2) weil, wenn Leibniz und Kartes nicht be- 
greifen konnen (und es deswegen laugnen) wie Eine Substanz 
eine Veranderung in der andern mache, ich es eben so wenig be- 
greife, wenn sie sagen und gestehen, daB iede Veranderung aus 
einer vorherigen in der Substanz selber keime und die Unbe- 
greiflichkeit ist [die] namliche, ob ich eine Veranderung als Wir- 
kung der veranderten Substanz selber oder als Wirkung einer 
fremden Substanz annehme. Inzwischen verbleibt geschickten 
PhilosophennochdiezerstorlicheEinrede, daB es gar keine Ver- 
anderunge[n] gebe; und dieses lasset sich auch glauben, da es 
mehr unsinnig und tol ist als unphilosophisch - 3) wegen meines 



652 JUGENDWERKE ■ 5.ABTEILUNG 

Gefuhls, daB ich mit meinem Willen wirke 4) weil es ausser die- 
sen vier Ursachen noch dreimalhunderttausend andere giebt, die 
ich nicht hernumeriere. 

Hieraus sieht man aber audi, daB Leibniz und Reinel der Sache 
vielleicht tiefer nachgedacht als die gelehrte Welt bisher nur 
glaubte. 

Noten. 
A. Die Unbegreiflichkeit ist die namliche, wenn man bios zu- 
sammengesezte Substanzen annahme - so ists auch riicht leichter 
die Einwirkung von Geist auf Geist als die von Geist auf Korper k 
zu fassen. 

B. Der Fatalist mus annehmen, daB die erste Idee des Em- 
bryons oder Tauflings die ganze Ideenreihe des Wesens bis es 
Pfarrer wird bestimme und anordne. Denn aus der Kraft der 
Seele kan er wol erklaren daB sie Ideen hat, wie aus der Trag- 
heitskraft der Uhr daB sie geht - aber nicht, daB sie die und die 
Ideen hat, wie nicht aus der Bewegungskraft der Uhr, daB sie 
so und so geht, sondern aus des Uhrmachers Kopf. 

C. Eigentlich ist nach Leibniz die Bewegungsreihe auch eine 
Vorstellungsreihe; aber im Selbstbewustsein eines andern We- 2c 
sens. Z. B. die dunkeln Ideen aller gelehrten Monaden in Hof 
kamen der Empfindung einer andern Monade etwan wie eine 
Flache, wie eine Bewegung vor p. 



NEUE HYPOTHESE AUS DER HYPOTHESE DER 
VORHERBESTIMTEN HARMONIE 



Es leidet gewis niemand mehr dabei als der Bauherr eines neuen 
Systems selbst, daB ieder Kerl lezteres hinten und vorn und oben 
und unten pruft. Und hat derm eine solche Oberexaminazions- 
kommission nicht selbst so viel Einsicht, da£ sie voraussieht, sie 
riittele durch dieses Priifen am Systeme ihres Nebenchristen sehr 
und werfe dadurch in einer Woche Lehrgebaude um, die Jahre 
lang in Wind und Wetter hatten stehen konnen? Wie man das 

ro Vergniigen nicht analy sieren darf , um es nicht durch das philoso- 
phische Trenmesser in Flocken zu verzupf en: so halten auch Sy- 
steme und Behauptungen guter Philosophen keine Untersu- 
chung aus und ein Man, der seine Meinungen und seine Freuden 
unzerstort behalten wil, wird sich stets vom Analysieren dersel- 
ben entaussern, untersucht beide wol niemals; er sieht ein, daB 
nur der Feind seines Vergnugens sein Vergniigen zerphilosophie- 
ren konne und daB eben so der schwerlich ein Freund seiner eig- 
nen Meinungen sein konne, der in der Stube herumlauft und sie 
scharf untersucht, weil ihm niemand dafiir haften kan, daB sie 

20 nicht ganzlich dabei leiden. Ich wil wiinschen daB man meine 
Hypo these zu glauben suche, und sie nicht prufe. 

Meine Hypo these ist eine blosse Meliorazion der Leibniziani- 
schen. Ein gewisser Beer in Baireuth hat Leib und Seele: nun 
[abgebrochen] 

Ich bin der erste, auf den diese neu aufgelegte Hypothese an- 
gewendet wird. Wenn Philosophen undihre Famuli annehmen, 
daB die Natur den Uhrschlussel genommen und meinen Korper 
funf Jahre fruher als meine Seele aufgezogen: so kenn ich die 
Konsektarien daraus gut genug; aber ich wundere mich uber des 
30 Korpers Thaten. Dieser Korper hat also schon 1784 sich hinge- 
sezt und meine Kreuzerkomodie herausgegeben, das ganze viel- 



654 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

augige Publikum hat sie durchgelesen; aber bios der Autor nicht 
und der erfuhr erst nach funf Jahren (vielleicht nach mehrern) 
was er fur Gedanken hat. 



MEIN PASQUIL* AUF DIE SCHONSTE 

FRAU IN DEUTSCHLAND 

Vom Verfasser der »Auswahl aus des Teufels Papieren« 



Preussen, Pohlen, Schlesien und die Lausiz wil ich hier mit zu 
Deutschland werfen, die zeitigen Geographen mogen dagegen 
schreiben was sie wollen: denn in meinem Pasquil wil ich eben 
selber schreiben was ich wil. Vergeblich hoffen ein oder ein Paar 
Millionen Leserinnen des Modejournals, ich werde auf sie das 
Pasquil machen: es thut mir leid, daB ich sie bios loben mus; aber 
ich kan nichts dafiir, daB sie so grosse Vorziige der Gehirn- und 
der Herzenskammern, des Anzugs u. s. w. haben. Siehingegen, 
Madame, die Sie ganz natiirlich die schonste in Deutschland, 
Preussen, Pohlen p. sind, red' ich an. 

Ich wiinschte, Sie waren stum und wolten doch bei mir or- 
dentlich beichten. Denn ich konte dan in meinem Beichtstuhl 
aufstehen und wie gewohnlich die Beicht in Ihrem Namen thun. 
»Ehrwiirdiger lieber Herr, (wiird' ich sagen) ich bekenne, daB 
ich das und das bin und mein Herz und seine Nachbarschaft mit 
einem Flor-Gebiisch und Dickigt verhange, wie es ia Mode ist. « 

* Da ich von meiner Krankheit aufk'am: so stark te mich ausser dem 
Reiten gewis nichts so sehr als der Vorsaz, gute Pasquille auf Individuen 
zu schreiben, ohne sie iibrigens zu nennen oder zu kennen. Z. B. in 
Deutschland mus doch Ein Brunnenarzt der elendeste sein: diesen kan 
ich nun ausserordentlich injuriieren und die Injurien ein Pasquil auf den 
elendeste'n Brunnenarzt in Deutschland nennen. Eben so ists mit infu- 
lierten Aebten, Weginspektoren Kammeragenten, weltlichen Rathen 
und auch geistlichen p. Aus einer solchen Satire zieht man noch den Vor- 
theil, daB sich niemand ihrentwegen henkt, wie etwan in Griechenland 
ein gewisser Lykambes eines satirischen Griffels wegen that: denn alien 
den Brunnenarzten z. B., die die Sache lesen, braucht ich hoffentlich 
nicht erst zu beweisen, daB man sie wol nicht meint; und so wieder den 
infulierten Aebten pp. 



656 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

Ich hatt' es ohnehin vor meinen Augen, wenn ichs beichtete, daB 
Sie Ihren Busen plombieren und einen so schonen Inhaftaten mit 
Brustwehren von Flor und Drath blokieren. Wahrhaftig ich wjl 
einmal einen ganzen Band Wochenpredigten, oder doch 
Predigtentwiirfe gegen diese totale Verfinsterung zweier Monde 
(Trabanten der Venus) schreiben, die uns ohnehin, wie der am 
Himmel, nur immer Eine Seite zukehren: indessen wil ich doch 
in dem Vorbericht anmerken, gegen die parziale hatt' ich wenig. 
Hierauf vergeb' ich Ihnen lustig diese Sunder denn die Ponitenz 
dafur ubernahmen an Ihrer Stelle langst die Augen der Mansper- 
sonen. 

Warum hat aber der gute Geschmak so wenige Herschaft iiber 
unsere Kleider, und so viele iiber unsere Meublen?- 

Jezt merk' ich erst, daB Sie mir das Herz gestohlen, ohne daB 
ich recht weis ob ich Sie gesehen, und in welcher Gasse von 
Dresden oder Linz oder Munchen oder von einem Dorfe dane- 
ben Sie nur wohnen. Gewisse Weiber entwenden die Herzen, 
wieiener Edelman andere Effekten, aus einem unbezwinglichen 
Hange bios zum Stehlen, nicht zum Gegenstande und am andern 
Tage friih schicken sie wie der Edelman, dem Eigner das Seinige 
redlich wieder zu . . . 

Es war recht gut, daB ich gestern abends nicht weiter schrieb 
und daB ein gewisser Stipendiat des Kagliostro nicht weiter rei- 
sete, sondern mit seinem Krystalspiegel bei mir blieb. Ich konte 
den ganzen Abend hineinsehen und mir die Diebin meiner be- 
sten Habseligkeit ausserordentlich ins Gedachtnis driicken: der 
Stipendiat sagte, auch Billionen Leute von Stand und selber Fur- 
sten hattens schon aus dem Spiegel (aus Kommissionen und 
Rechnungen selten) heraushaben wollen, wer sie so bestahle. Ich 
sah im Spiegel, nicht mein antediluvianisches Gesicht, sondern 
Ihres und wenn die grosten Kirchenvater und Gelehrten einan- 
der fragen wo das Paradies gelegen, ob im dritten Himmel - oder 
im Monde - oder in der Luft - oder bei Damask und Tripoli - 
oder an der Donau - oder gar in Schweden: so wissen Sie langst, 
daB sie alle irren und ich weis aus dem Spiegel, daB Sie nicht ir- 
ren. Aber warum wehen auf Ihrem Hute so viel Federn als Sie 



MEIN PAS QUILL 657 

vielleicht in Ihrem ganzen Leben geschlossen haben? 1st denn 
iede Gottin eine Juno, oder iede Juno eine Gottin? Allerdings 
miissen Damenkopfe und Klaviere bekielet und befiedert wer- 
den, wenns nicht anders zu machen ist: nicht anders zu machen 
wars aber nur in der vorigen Woche. Denn eine gewisse Dame 
(es hilft Ihnen nichts, wenn ich sie nenne) wolte gar nicht wieder 
aus ihrer hysterischen Ohnmacht heraus und ich und ihr Gemahl 
thaten doch bekantlich was wir konten; zum Gluk that er aber 
endlich mehr als er konte und borgte vom Galanterie-Marketen- 
der achte Strausfedern und hielt ihr sie, nicht unter sondern iiber 
die Nase und zwar (wie man wol nicht glauben wird) unange- 
ziindet - abends sprang die Ohnmachtige wieder auf einem bal 
pare mit ihren offizinellen Federn samt mir herum. 

Im Spiegel sahich einenneuen Spiegel und im neuen sahen Sie 
sich: ich wolt', er machte Sie zu stolz. Platner (ein angenehmer 
Professor in Leipzig) lies es vor etlichen Jahren bei Schwickert 
drucken, daB das Gef alien an fremder Schonheit bios eine Be- 
merkung eines volkomnern Zustandes unseres eignen Geistes 
und Leibes sei. Mithin gefallen einer Dame, die alien fiinf Welt- 
theilen zu gefallen glaubt, diese fiinf Welttheile wegen ihres vol- 
komnern Zustandes selber und die stolzeste trauet also gerade 
den meisten Menschen ienen volkomnern Zustand zu. Mir aber 
miissen Sie ihn besonders zutrauen. - Noch etwas: gegen die 
heutigen Manspersonen, die die Praliminarsiege und Pralimi- 
narrezessevonjahrzujahrkurzer machen, mus doch eine Dame 
ihr Bestes thun; und das Beste ist der Stolz. Es wird dem Sezer 
des Modejournals, der das umgestiirzte Fragzeichen des wegen 
suchen mus, nicht lieb sein, daB ich frage, ob nicht manche 
Schonen so gut wie Mayland waren 40 mal belagert und 20 mal 
eingenommen worden, waren sie nicht stolz genug gewesen? - 
Wahrhaftig einer volkomnen Frau giebt ihr groster Stolz den 
Begrif der unwilkuhrlichen Achtung nicht, die in ieder bessern 
manlichen Brust fur sie wohnet - eine Achtung, die kaum das 
Loben wagt und die das Goldblat der Schmeichelei dem Gegen- 
stande nur blode anhaucht. 

Die andern Manspersonen, die ihren Schmeieleien nicht ein- 



658 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

mal die Miene der Oberzugung geben, soke H. Loschenkohl in 
Wien auf seine satirischen Facher malen, damit sie den Wind, 
wenigstens auf eine leisere und angenehmere Weise fort mach- 
ten. Es ist aber mem leiblicher Bruder selber so und es ist allent- 
halben bekant, daB er alle Damen oft bossierte Mutter Gottes, 
und Sonne, Mond und Sterne die Kerzen nante, die Tag und 
Nacht vor ienen Heiligenbildern brenten - sein Bruder hingegen 
wuste was er davon zu denken hatte und bewies die ganze Sache 
noch starker, indem er anfuhrte, daB die Sonnenkerze den 
Teint der Damen so gut wie die Wachskerzen den der Maria zu 
Loretto anzuschwarzen vermoge under steifte sich halb auf den 
H. Busching. 

Zum Puz mus man weder zu schon noch zu haslich sein - die 
Damen aussern ihre magischen Krafte nicht in den Ges taken, in 
die der Anzug sie bricht, sondern in ihrer eignen, wie Proteus 
in keiner Form, er mochte sich zu Feuer oder zur Schlange rna- 
chen, prophezeien konte als in seiner menschlichen - ihre Klei- 
dung ist bios die Homerische Wolke, die sich um sie legt und 
sie vom Feinde durch Unsichtbarkeit rettet — alle diese zwi- 
schen diesen Gedankenstrichen liegende Gedanken mus mir 
hoffentlich iede Frau ohne alle Griinde zugeben. Denn ich pro- 
bier t' es hundertmal in weiblichen Konventen und lies von mei- 
nen Behauptungen die Griinde weg; ohne daB der Konvent ihre 
Wahrheit darum weniger einsah. Eine Frau kent die Wahrheit 
schon im Inkognito und ohne das breite Gefolge von Beweisen 
recht gut: sie glaubt ihr aufs Wort und aufs Gesicht; der Gelehrte 
aber passet erst auf hypothekarische Versicherungen und Kau- 
zionen und Reassekuranzen von ihr auf und handelt ungemein 
schlecht. Jeder Grund, Madame, beruft sich wie bekant auf einen 
neuen Grund, dieser schikt uns wieder zu einem andern und so 
gehts fort bis wir zu einem kommen, den wir ohne Grund an- 
nehmen; daher endlich selber der Gelehrte zu seiner Schande 
doch Saze ohne alle Griinde glauben mus, die er nothwendige 
Wahrheiten in der Angst benamt. Seine Frau aber thut das gleich 
anf angs und glaubt mit Nuzen wirklich nichts als nothwendige 
Wahrheiten. Denn sie zieht dabei den Vortheil, daB sie bios un- 



MEIN PASQUILL 659 

wichtige und klare Wahrheiten ~z. B. da6 diese oder iene 
Mansperson oder Frisur oder Ausgabe verniinftig genug ist - 
ohne den Pas der Griinde, in den Kopf einzulassen vonnothen 
hat; ihr Man aber mus sich das von den wichtigsten und schwie- 
rigsten Wahrheiten - z. B. von den obersten Prinzipien in der 
Metaphysik, in der Moral p. - gef alien lassen und er wird uns 
alle dauern. Der Gelehrte soke daher die Frau, die ich ihm gege- 
ben, nie mit Griinden widerlegen sondern womit er etwa sonst 
wil . . . Bekantlich beweis' ich in vielen Geselschaften meine 
Sentenzen oft dadurch zur Geniige, daft ich sie - beniese. 

Das schone Geschlecht ist in den Wendungen des Scharfsins, 
des Wizes, der Vernunft, des Ausdruks p. von Natur franzbsisch 
- welches Apophthegma meines Erachtens vollig kan benieset 
werden. 

So aber vergess* ich die Verbaliniurien ganz, die ich gegen Sie 
noch an meinen Pasquino anzuheften habe. Sie werden sie voll- 
ends vergessen: denn ich hore halb und halb, daB Sie im Mode- 
journal nichts lesen als was hinten steht und sich mehr nach dem 
Gemalten als Gedrukten formen; Sie solten aber den meisten 
Frauenzimmern nachahmen, denen darin, gerade umgekehrt, 
die Urtheile iiber und gegen Moden lieber sind als die Moden 
selbst. 

Aesse H. v. Kempele und seine Schachmaschine sich noch 
durch die europaischen Hotels hindurch: so kont* ich bei ihr 
hundert Responsa einholen, wo Sie waren und woriiber. Die 
muhamedanische Maschine wiirde mir doch wahrhaftig mit 
dem Stabgen langweilig vorbuchstabieren, was Sie iezt lesen, ob 
einen Ring- oder den H. Marezoll - oder einen Rokknopf , oder 
ein Strumpfband oder das vorige Monat dieses Journals? - und 
ob Sie zu Hause sind oder nicht? - Im ersten Falle wiird' ich wie- 
der nicht wissen, ob Eltern Sie wie ein unfixiertes Pastelgemalde 
hinter Fensterglas aus Einem oder aus hundert Griinden stellen, 
und was sie an Ihnen nicht verdorben sehen wollen, das Herz 
oder die Haut, d. h. ob sie Marzenluft oder nur Liebhaberwind 
von Ihnen abzuwenden suchen. Im zweiten Falle aber wiist' ichs: 
denn ich hab' es von einem verniinftigen Stadt- und Landphysi- 



660 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

kus, daB Sie und hundert andre Frauenzimmer nicht eher gesund 
sind als mitten in einem geselschaftlichen Orkan und Men- 
schen-Dickigt; Sie steigen, nimt er an, in lebendige Ameisen- und 
Schneckenbader mit viel geringerem Nuzen als in solche Men- 
schenbader. 

Beilaufig! eine Frau konte nach Geselschaften kaum zu Kistern 
sein, wenn sie auch wirklich nicht so oft als in der That ist aus 
solchen Personen bestanden, die Werth und Feinheit in dem 
Grade besizen, daB sie wie sehr feine weis glasurte Handschuhe, 
iiber 3 oder 4 mal gar nicht zu gebrauchen sind. So aber ist gerade 
[das] Gegentheil ganz erwiesen und in iede Minute presset man 
eine solche Fiille von Karten, Viktualien und Worten hinein, daB 
dem grosten Weisen die Minute wirklich noch viel grosser und 
langer vorkomt als sie in der That ist. Diese angenehme Para- 
phrase der Zeit geht so weit, daB ich oft meine Uhr herausziehe 
und nach nichts geringerm sehe als nach dem - Datum: denn 
meine weiset ihn bekantlich. 

Man sieht im Ganzen doch so viel, daB ich gar nichts von Ih- 
nen weis - ich konte Sie bios, wie Virgil oder ein Weib seinen 
Helden, sehr schon machen; aber das Pasquil fait desto kahler aus 
und klingt am Ende wahrhaftig einer Dedikazion ahnlicher als 
einer ordentlichen Schmahschrift. 

Inzwischen werden Sie doch hoffentlich auf alle Falle eine 
Puppe haben, sie mag kosten was sie'wil; das war' aber graulich 
und die 10 Gebote und die 10 Verbote und ein paar Autores sind 
ganz dar wider, besonders ich. Ich tadl' es gar nicht, daB eine 
(iberreife Frau in einer Residenzstadt sich selbst verpupt wie eine 
Wasseriungf er: denn sie meints redlich und ich sehe off enbar un- 
ter der Schminke wahres Wangenblut - unter den aufgemalten 
Adern die Originale - unter den parisischen gorges und culs die 
deutschen - unter dem Miethhaar eignes und alles, was sie an 
sich durch erhobne Arbeit sichtlich macht, ist (das hebt eben alles 
Betriigen auf) ganz schon an ihr in eingelegter seshaft. So haben 
die schonen Insekten, wenn ihnen die Hautung Schlund, Hirn- 
schale, Fusse, Zahne p. ausgehoben, alles das noch-einmal an sich 
und erscheinen in der Doublette. 



MEIN PASQUILL 66 1 

Ganz etwas anders aber sind Puppen *md Sie. 

Es kame dem ganzen Reiche zu statten, wenn ich Sie magneti- 
sieren diirfte und Sie dadurch in den Stand versezte, als 
So[m]nambule die besten Rezepte und Pharmaka uns vorzusa- 
gen, womit Sie und die ubrigen von der Influenza, die lebendi- 
gen und die holzernen Franzosinnen nachzuaffen, leichtlich los- 
zubringen sind. Uber diese despotischen Puppen - die die 
gesezgebende Gewalt ganz in Handen haben und die Exerzizien- 
meisterinnen und La Bonnen der besten Deutschen sind - arger' 
ich mich oft, Madame, und hernach uber meine Frau auch. Sol- 
ten denn (fragt' ich diese hundertmal) auf keine Weise ein oder 
ein Paar lebendige Franzosinnen selbst, mitten aus Paris heraus- 
zufangen sein, die man in die deutschen Reichskreise abfahren 
und da (wie in einem Prytaneum) bios dazu mit Diaten uber- 
schiitten konte, daB sie sogleich in der Nahe und nicht 
durch holzerne Agenten Envoyees - Zeit und Spesen wiirden 
gewis erspart - alle die wenigen Moden aussannen und vor- 
schrieben, die Stadt und Land so nothig brauchen? Wir wiirden 
ja dadurch (sagt' ich) ganz den Korsen nachahmen, die, vielleicht 
mit nicht geringerer Ehre, sich auch eine Gesezgebung von Di- 
derot und Rousseau ausbaten; wiewol sie von niemand einer 
habhaft wurden als vom donnernden und kanonierenden Sinai 
des franzosischen Throns. - Meine Frau warf meinen ganzen Saz 
wie gewohnlich dadurch gluklich urn, daB sie auf etwas - ganz 
anderes verfieL Es wiird' es kein Mensch bereuen, (hofte sie), 
wenn man das Kronamt der Puppen lieber den Marienbildem ein- 
handigte; sobald man die leztern, denen man bisher ohne alien 
Nuzen eine anachronologische Arabesken-Tracht an- und aus- 
zog, allemal in den neuesten Verzierungen der Mode ausstelte: 
so konte die Maria mit wahrem Eifer nachgeahmet und verehret 
werden und man wiiste doch einmal recht, weswegen man in die 
Kirche gienge und was Manche gerade in Paris anhatte . . . 

Ich kehre zum lezten mal zu Ihnen, aber mit veranderter Seele. 
Ich hatte daran denken sollen, daB die Schonste in Deutschland, 
Schlesien p. vielleicht auch die Beste sein konne; ich hatte meine 
und f remde Phantasie an dem herlichsten Gegenstande auf unse- 



662 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

rem ganzen Weltgen, aR weiblicher Tugend in weibliche Schon- 
heit verkorpert, laben sollen. O wer unter meinen Lesern ist der 
gliikliche, der stat der Phantasie gar das Auge laben kan an Dir, 
die ich nicht hatte Sie nennen sollen - die du gut bist und einfach 
und nachgebend und ohne zuviel Launen und weise und recht 
sanft- von einer Geduld vielleicht, die nicht die Schmerzen son- 
dern die Freuden des Lebens uberraschen und die bios die leztern 
eines nassen Auges werth halt - mit einer zarten Seele vielleicht, 
die sich auf dem harten Leben wundgelegen - von einer Ergebung 
ins Leben und in die Menschen vielleicht, welche weis, wie leicht 
der heitere Morgenwind zum Nordwind und dieser zu ienem 
umlauft - im Allerheiligsten der Einsamkeit vielleicht, wo du 
wie eine Sonne mutterlich warmende Stralen auf deine Kinder 
undKranken streuest und unbekant bist mit einem und dem an- 
dern Damenhut und selbst mit meinem Pasquil? .... 

Apropos! .Unter meine Leser, an die ich die leztere Frage that, 
gehort naturlicher Weise auch der Verfasser der »Auswahl aus 
des Teufels Papieren« mit; aber ich wolte wahrhaftig bis Ober- 
morgen von dieser Frau fortschreiben. 



ES GIEBT KEINE EIGENNOZIGE LIEBE, SONDERN 
NUR EIGENNUZIGE HANDLUNGEN 



Ich wil das erweisen, daB die Liebe, die ein Geiziger fur einen 
hat, der ihm etwas testiert, eben so uneigenniizig sei wie die, die 
ich fur den gotlichen Monch hege, der fur einen andern sich auf 
die Galeere Schmieden lies: das Wort » uneigenniizig « definiert 
sich nachher selbst. 

I. Geld ist bei unserem Geizigen kein Gegenstand der Liebe, 
sondern der Gier und des Gefallens - eine Erzgrube, eine Statue, 

o in der er Gold antrafe, ist wieder bios ein Gegenstand seiner Be- 
gierde und mehr nicht. Bekomt er aber dieses namliche Gold 
vom Testator: so hat er Liebe fur diesen. Was kan er nun an die- 
sem lieben? das Gold unmoglich, weil das bios gefallet p. Auch 
miiste dan, wenn diese unmogliche Liebe dem Golde zugehorte, 
sie schon vor dem Testieren dagewesen sein, weil das Gold vor- 
herdagewesen. 3 Also bios die Gesinnungdes Testierers d. h. des- 
sen Liebe fiir ihn d. h. dessen volkomnern Seelenzustand liebt 
der Geizige. Freilich war das Legat nothwendig, wenn iene Ge- 
sinnung dem Geizigen aufgedecket werden solte; aber doch das 

o Mittel des Zeigens liebt er nicht, sondern das Gezeigte. (Hatt' 
er, wie oft der Fal ist, gar keine Liebe: so hatt' er auch keine ei- 
genniizige) . Worin ist nun der Geizige, der den Testierer wegen 
seines Legates liebhat, von dem bessern Menschen verschieden, 
der den Testierer wegen Wolthaten gegen andre liebt? - darin 
sind sie eins, daB volkomnerer Zustand oder Liebe, Beider Liebe 
erregt; aber darin trennen sie sich, daB der Geizige ienen Zustand 
nur fiihlt, wenn er selbst der Gegenstand davon ist, der Bessere 
hingegen nur andere als Gegenstande davon zu sehen braucht. 
Warum macht nun die Liebe, die gegen mich thatig ist, einen tie- 

o 2 In diesem Fal must' ich ia einen, dem ich iooo Rth stehle, so sehr 
lieben wie einen, der sie mir schenkt. 



664 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

fern Eindruk auf mich«ls die, die gegen andre thatig ist? darum: 
von meiner Wiirdigkeit hab' ich einen iooo mal volstandigern 
und lebhaf tern Begrif als von fremder - und die Empfindung des 
gewirkten Wolseins (der Wirkung) ist bei mir selber starker, also 
mus auch die fremde Liebe (die Ursache) darnach desto hoher 
geschazt und dadurch meine eigne desto hoher getrieben wer- 
den. Ich berufe mich auf eines ieden Gefiihl, ob die Liebe, die 
die Wolthatigkeit gegen ihn selbst in ihm aufwekt, sich von der, 
die die Wolthatigkeit gegen Fremde in ihm erzeugt, in etwas an- 
ders (ob in der Art) unterscheide, als im Grade? Also ist iene Liebe 
nur dan eigenniizig, wenn diese es ist. Ob's diese ist, das ist die 
2 te Frage. 

II. Oder so: ist das Gefallen an fremder Volkommenheit 
(Liebe) Eigennuz? . . . Was wollen oder missen wir am Ende 
denn fur eine Uneigenniizigkeit? - die, daB ich den andern ganz 
wie mein Ich liebe, mit der namlichen Heftigkeit, ohne alle Be-^- 
ziehung auf dasselbe liebe? dan ware sein Ich ia gar meines und 
es bliebe kein Unterschied, die Liebe ware verpflanzt, nicht ver- 
edelt und ich hatte bios die Ichs getauscht. Das Uneigenniizige 
besteht vielmehr eben darin, daB meine Natur fahig ist, vom An- 
blik einer fremden so geriihrt zu werden und von ihrer Volkom- 
menheit solche Eindriicke oder Nachahmungen zu bekommen. 
Wie gesagt begehr' ich des andern Glukseligkeit ganz ohne An- 
theil der meinigen: so hab' ich ia seinen Trieb, und sein Eigennuz 
ist nur aus seinem Ich in meines gezogen. 

Genau genommen giebts gar keine - Selbstliebe, so wie ich 
mich weder eigenniizig b noch uneigenmizig liebe. Wir konnen 
unser Bild im Kopf - d. h. nicht unser Ich, sondern eine ihm 
ahnliche Person lieben; denn ware das Liebe gegen das Ich vom 
Ich: so ware es auch eine solche Selbstliebe, wenn ich einen Men- 
schen liebte, der mir (ienem Bilde) ganz ahnlich ware. Eine Wir- 
kung kan nie in sich selbst zuriikwirken, das Sehen kan das Sehen 
nicht sehen u. s. w. Nur Eigenschaften werden geliebt, aber 
Substanzen lieben. Meine Selbstliebe richtet sich aber schlech- 

b denn eigennuzige Selbstliebe bezoge sich auf ein 2 tes Ich. 



ES GIBT KEINE EIGENNUTZIGE LIEBE 665 

terdings nicht nach meinen Eigenschaften (ich rede nicht von 
Selbstschatzung) ; sie ist eben so gros, wenn ich mich aus der tief- 
sten lasterhaftesten Versunkenheit herausreisse als wenn ich die 
atherische Hohe der Tugend weiter hinanfliege. - 

Gewis ists, daB wir einen Begrif von Uneigenniizigkeit haben 

- gewis ists, daB fur uns keine andre denkbar ist als die gerade 
geschilderte- diese leztere aber haben wir nach iedes Gestandnis 

- folglich konnen wir uns selbst keine Uneigenniizigkeit abspre- 
chen. 

o Der Punkt iiber die Selbstliebe des Ichs ist ein triiber, unab- 
sehlicher Abgrund, in den viele kantische Sonnen fallen miisten, 
ihn licht zu machen. 

Eigenniizige Handlungen - Liebe gegen eine schone Person - 
Gefiihl bei Wolthaten - wenige Liebe des Eigenniizigen - 

N. S. Noch etwas: Liebe wird schlechterdings nur durch 
Liebe erregt; liebt' ich mich also selbst: so hiesse das, ich hatte 
Liebe fur meine Liebe. Alle andere Eigenschaften erschaffen bios 
Achtung, Bewunderung, Gefallen pp. 

[Entgegnung Volkels] 

x> Liebe ist nichts anders als Gier und Gefallen; im allgemeinen nehmlich N. a. 
genommen. Und nur durch ihre Gegenstande und die Grade ihrer Hef- 
tigkeit wird dieselbe immer eine Liebe anderer Art, und bekommt an- 
dere Namen. Heftige Gier zum Frauenzimmer heint Wollust; zu schonen 
Kleidern, Hoffarth; zum Geld, Geiz. 

Eine Erzgrube, in welcher der Geizige Gold antrift, ist auch nach mei- 
ner Theorie, nur ein Gegenstand seiner Begierde, d. h. er will, oder liebt 
nur das Gold, und nicht die Grube, so wie er auch nur das testirte Geld, b 
und nicht den Testirer liebt; oder welches einerlei sein wird: er hat gegen 
den Testirer und die Erzgrube nur eigenniizige Liebe. - 

]0 Das Gold sollte der Testamentserbe nicht lieben konnen, weil dieses c 
bios gefallt? Heftiges Gefallen ist ia Liebe. Wenn ich von der Tullia sage: 
sie gefallt mir sehr: so wird Niemand in der Welt Bedenken tragen, diese 
Worte amo Tulliam zu iiber sezzen. 

Die Liebe zum Geld des Testirers mag meinet wegen schon vor dem d 
Testiren da gewesen sein. Ists etwas seltenes, daB die Menschen Verlan- 



666 JUGENDWERKE * 5.ABTEILUNG 

gen nach der Habe ihrer Nebenmenschen haben? Es war also nur noch 
dunckle Liebe, mit Neid und mit dem Wunsch verbunden: ach daB es 
mein ware! Je naher mir ein gewiinschter Gegenstand komnit; ie mehr 
ich mit ihm in Verbindung komme; desto mehr lieb ich ihn, oder nach 
Ihrer Distinktion, desto mehr verwandelt sich meine Gier in Liebe. Der 

e Erbe liebte das Geld vor dem Testiren, als Geld, welches er zu besizzen 
wiinschte; und nach dem Testiren, als Geld, welches er besafi. 

f Es kann allerdings Falle geben, wo ich den, welchem ich 1000 £1. 
stehle, eben so sehr liebe, als den, der mir diese Summe schenkt; Oder 
mit andern Worten, wo ich den leztern, eben so wenig, als den erstern 
liebe. Haben beide gute Eigenschaften: so werd ich dieselben, anderer 
eigenniizzigen Rucksichten wegen, lieben. Haben sie aber bose: so werd 

g ich sie aus eben dem Grund verachten oder hassen; sie mdgen mir nun 
iibrigens schenken, oder sich bestehlen lassen. 

Sollte wirklich das Testament ein blosses Mittel sein, dem Geizigen 
den vollkommenern Selenzustand des Testirers aufzudekken: so miiflte 
doch - im Fall der Erblasser den Bruder oder Nachbarn unsers Geizigen 

h im Testament bedacht hatte - dieser leztere eben diese Liebe fiihlen, weil 
- wenn er auch nichts aus der Erbschaft erhalten hatte - ihm doch durch 
das Vermachtnis an seinen Bruder, der vollkommenere Selenzustand des 
Testirers auch aufgedekket worden ware. Aber in diesem Fall wiirde er 
ihn gewirj nicht lieben. Und warum? Weil das vermachte Geld, nicht 
Geld fur ihn war, weil sein Eigennuz nicht gesattiget wurde. 

Die Parenthese »Hatt er, wie oft der Fall p. « scheint hier nichts zu niiz- 
zen. Denn soil diese Behauptung so viel heissen: »Hatte der Geizige gar 

i keine Liebe zu irgend einen Gegenstandu: so konnte er freilich auch keine 
eigenniizzige haben. Es ware aber hierdurch nur idem per idem gesagt; 
es hiesse nur: wo kein genus ist, da ist auch keine species. Soil der Satz 
aber sagen: »wo keine uneigenniizzige Liebe moglich ist; da laftt sich 
auch keine eigenniizzige denken«: so sehe ich nicht, wie er bewiesen 
werden kann. Wenigstens ist das die Sache, um welche wir streiten. Und 
ein Mensch ohne alle Liebe war ein Klotz. 

In der Stelle » Worinn ist nun der Geizige, der den Testirer p. « gestehen 
Sie selbst zu, dafl iener nur einer eigenniizzigen Liebe fahig sei. Der Gei- 
zige fuhlt nur den vollkommenern Selenzustand des Testirers, wenn er 

k selbst der Gegenstand desselben ist. Selbst der Gegenstand. Egoism ist also 
der Gemiithszustand des Geizigen; sonst konnt ich, bei Gott, nicht be- 
greifen, warum er nicht die tugendhaften Gesinnungen desselben eben 

1 so gut fiihlen sollte, wenn sein Nachbar Testamentserbe geworden, und 



ES GIBT KEINE EIGENNUTZIGE LIEBE 667 

er es erfahren hatte. Seine Sele kann doch - psichologisch - nicht nach 
andern Gesezzen aufgezogen sein, als die des bessern Menschen. Wir 
diirfen nur eine moralische Verschiedenheit annehmen: und das ist die, 
daB der eine eigenniizzig und der andere uneigennuzzig denkt und han- 
delt. 

Aber die Liebe, welche gegen mich thatig ist, soil darum einen tiefern 
Eindruck auf mich machen, weil ich von meiner Wurdigkeit lebhaftere 
Begriffe, als von fremder Wurdigkeit habe. - DaB dieses oft so ist, laugne 
ich nicht: aber ob nicht eben dis Wirkung des Eigennuzzes ist; das ist eine 
andere Frage. Warum hab ich denn von meiner Wurdigkeit hohere Be- 
griffe, als von fremder, und also hohere, als ich haben sollte? Darum 
doch wohl, weil ich von mir zu sehr eingenommen bin, nur mich voll- 
kommen wissen, nur alles Gute an mich reissen will. - Sollte im Gegen- 
theil die Ursache darinn zu finden sein, daB ich mich - in dem ich mir 
am nahesten bin - genauer durchschauen, meine Tugendeh deutlicher, 
als die meines Nebenmenschen bemerken kann: so wiird' ich auch auf 
der andern Seite zugestehen miissen, daB mir auch meine Fehler deutli- 
cher in die Augen fallen werden, als die Fehler meiner B ruder. Was ich 
also dortgewonnen hatte, miiBt ich hier wieder verlohren geben. - Und 
iiberdis ist hier, durch eine Illusion, der Beg riff der eigenen Wurdigkeit 
eingeschoben worden. Wir sprachen bios davon, ob der Geizige das gute 
Herz des Testirers, oder sein Geld liebe. Die Rede war also von der Vor- 
stellung, welche ersterer von der Vollkommenheit des leztern und nicht 
von der, welche er von seiner eigenen hat. 

Wenn sich der H. Autor aber hier auf das Gefiihl eines ieden beruft: 
so macht das zwar seinem Herzen Ehre, beweiset aber in der Sache 
nichts. Ich traues ihm zu, daB seine, durch ihm selbst erwiesene Gefal- 
ligkeiten, erweckte Liebe, sich von der, welche die Wohlthatigkeit gegen 
Fremde erzeigt, - bei ihm nur im Grade unterscheide; und darum trau 
ichs ihm zu, weil er uneigenniizziger, als andere denkt, und vermoge 
dieser Denkungsart auch andere gut prasumirt. Nur das glaub ich nicht, 
daB seine Prasumtion die Menschen auch wirklich besser machen konne, 
als sie sind. Und ich will mich geradezu auch auf das Gefuhl aller Geizi- 
gen beruffen, ob nicht Wohlthatigkeit, welche Fremden erwiesen 
wurde, bei ihnen oft gar nichts, oft aber MiBmuth, oft Neid und wohl 
gar HaB wirkte. Die Folgerung »also ist iene Liebe nur dann« muB also 
weggestrichen werden. 

Uneigennuzzigkeit f odert nicht, daB ich den andern ganz wie mein Ich 
liebe, d. h. nicht in dem Grad; aber das f odert sie, daB ich ihn auf die 



668 JUGENDWERKE - 5. ABTEILUNG 

nehmliche Art Hebe. Und eben darum weil meine Selbstliebe immer na- 
tiirlicher und heftiger ist, als die Liebe gegen andere, eben darum lane 
sich diese nie isolirt von iener denken; eben darum klebt unserer Men- 
schenliebe immer Eigennuz an. Wollen Sie indessen fur dieses Ihnen so 
anstossige Wort, bei bessern Menschen, ein edlerers, und weniger auffal- 
lendes sezzen: so hab ich nichts dawider. Nur diesen Satz lass ich mir 
nichtnehmen: ieder liebt eigentlich um seinet willen. Dieses seinet willen 
ist aber in den tausend Millionen Menschen, die auf der Erde leben, 
durch tausend Millionen Gradationen verschieden. Der ist der uneigen- 
niizzigste, der bei seiner Liebe die wenigste Riicksicht auf sich selber i 
nimmt. 

Was Sie nunmehr weiter sagen, versteh ich nicht ganz; nur das will 
ich bemerken, daB Selbstschazzung allerdings ein Zweig der Selbstliebe 
ist; und vielleicht ist sie ganz eben dasselbe, was Selbstliebe ist. Kann ich 
nicht die Schonheit und Gesundheit meines Korpers oder mein Geld 
eben so hochschazzen, als ein anderer seine Tugend und seine geistigen 
Hofnungen hochhalt? 

GewiB ists, daB wir einen Begriff von Eigennutz haben; gewiB ists, 
daB fiir uns keine andere denkbar ist, als die von mir geschilderte - diese 
leztere aber haben wir nach eines ieden Gefiihl, wenn gleich nicht, nach 2 
eines ieden Gestandnis - folglich konnen wir uns selbst nicht alien Ei- 
gennutz absprechen. 

N. S. Liebe (gegen andere Menschen) wird freilich nur durch Liebe 
erregt; Aber wenn Sie diesen Satz ganz allgemein machen, ihn auch auf 
unsere Selbstliebe anwenden wollen: so sag ich: proba maiorem . Wenig- 
stens stehts mir eben so frei, zu behaupten: Selbstliebe wird nicht durch 
Selbstliebe erweckt, und bedarf keiner Erwekkung, weil sie angebohren 
ist. 

Noch etwas: iede Liebe ist eigennuzzig. Kaius hat 20 gute Eigenschaf- 
ten, er ist massig, zufrieden, diskret in alien Handlungen, gefallig gegen 31 
mich pp . Ich liebe ihn von Herzen. Aber Kaius beleidigt mich; und meine 
Liebe verwandelt sich [in] HaB. Wenn ich mir auch noch so viel Gerech- 
tigkeit wiederfahren lassen werde: so kann ich doch nur behaupten, daB 
er durch seine Beleidigung, eine oder zwei seiner guten Eigenschaften 
verleugnet habe. Hatt er mirs auch noch so arg gemacht; er bleibt doch 
der massige, ordentliche, wahrheitsliebende pp. Kaius der er war. Und 
warum lieb ich ihn denn nicht mehr? Weil - konnen sie antworten - fiir 
mich, an ihm keine Vollkommenheiten mehr iibrig sind. Nur muB ich 



ES GIBT KEINE EIGENNUTZIGE LIEBE 669 

noch einmal f ragen diirf en: warum seh ich denn seine 1 8 (ibriggebliebene 
gute Eigenschaften nicht? Diese sollten doch nach Hirer Theorie das 
Uebergewicht iiber die 2 Fehler behalten, durch die er mich beleidiget 
hat. Liebte ich ihn also nicht bios urn meinet willen? 

Der arme Ernst liebt den Julius, einen reichen Mann. Er ifit an seinem 
Tisch, er kleidet sich von seinem Geld pp. Sie glauben doch, daB Ernst 
den Julius ganz uneigenniizzig liebe? Aber Julius hat das nicht seltne 
Schicksal vieler Reichen; er verarmt. Ernst muB sich nun selber kleiden 
p. In seiner groBten Verlegenheit findet sich Ferdinand der ihn bisweilen 
unterstiizzet. Aber ob gleich dieser nicht die Halite so viel fur ihn thut, 
als iener that: so denkt er doch kaum des heruntergekommenen Julius 
mehr, und hangt sich ganz an Ferdinand. War wohl seine Liebe uneigen- 
niizzig? 

Friedrich lebt in A*, wo Karl, sein bester Freund, taglich mit ihm zu- 
sammenkommt. Sie unterstiizzen einander mit Rath und That; sie thei- 
len sich alle ihre Geheimnisse mit, und ieder scheinet nur fur seinen 
Freund geschaffen zu sein. Aber Friedrich bekommt ein Amt in B*. 
Zwei Monate lang schreiben sie einander in ieder Woche. Aber ihre 
Brief e werden bald seltner. Nach zwei Jahren hat die ganze Korrespon- 
denz ein Ende. Kaum denken sie noch gelegenheitlich an einander. Wo 
ist denn ihre Liebe hin? Sie war eigenniizzig, und sie liebten sich nur so 
lang, als sie von einander Vortheile zogen, so lange sie sich gegenseitig 
die Zeit abkiirzten, oder Rath geben konnten. So scheint die akade- 
mische Liebe die aller uneigenniizzigste zu sein, und ist es nicht. Man 
liebt den Hn. Bruder nur, so lange man durch ihn Freuden des Umgangs 
p. genieBt. 

Ich liebe ein schones Frauenzimmer, auch selbst, wenn sie mich mit 
Ungestumm von sich stiesse. Ist meine Liebe nicht uneigenniizzig? 
Schwerlich! Ich Hebe die Demoiselle darum, weil sie mir gefallt, das 
heiBt, weil mir ihr Anblick Freude macht; also aus Eigennutz. - 



Kontraapprochen 
Sie haben mehr Scharfsin als Recht, und horten mehr auf Ihre 
Philosophic als auf Ihr Gefuhl. Von alien Seiten bieten Sie mir 
Schach und graben Ihre Mine (wenn Sie mich in eine andre Me- 
tapher lassen) tief genug; ich werde also mit groster Noth mich 
und meine Mine unter die Ihrige hineinzuarbeiten vermo- 
gen. 



67O JUGENDWERKE * 5. ABTEILUNG 

Ich stehe noch ganz bei meinem Glauben und Sie bei Ihrem, 
weil wir uns an einander rait den Rucken lehnen und so in fal- 
scher Richtung fechten: auf diesem Blat erst kefir' ich mich ge- 
gen Sie um. 

ad a. Das Wort »Liebe« ist noch vollig misverstanden. Sie 
nehmens im Sinne des obersten genus »Begehren oder Wollen« 
und finden dan freilich in der »Liebe« gegen einen gefundnen 
Geldschaz und gegen den Schopfer, der mich auf ihn stossen lies, 
keinen Unterschied als den des Grades und Gegenstandes. So 
kont' ich aber- wie Sie das Wort »Liebe« durch Ausdehnung er- 
niedrigen - umgekehrt das Wort » Hunger « durch Ausdehnung 
(indem er auch ein Begehren ist) erhohen und alle unsre ver- 
schiednen Neigungen nur in Verschiedenheit der Grade und Ge- 
genstande des Hungers bestehen lassen: denn Hunger, obgleich 
vom Korper veranlasset, existiert dochnur in der Seele. Ich gebe 
nur ein Beispiel. Freilich ist der Gegenstand meiner Liebe (und 
das kan nur ein lebendiges Wesen sein) auch ein Gegenstand mei- 
nes Gefallens und zuweilen meiner Gier; aber umgekehrt ist 
schlechterdings der Gegenstand des Gefallens und Begehrens 
(welcher auch ein lebloses Ding sein kan) nicht stets einer der 
Liebe. Sie geben doch zu, daB die verschiedenen Gegenstande 
(Ehre, Schonheit, Essen) auf ganz verschiedene Neigungen wir- 
ken; der Gegenstand der Ehre wirkt nicht auf den Hunger; der 
des Geschlechtstriebs nicht auf die Ehrbegierde. Nun musder 
volkomnere Seelenzustand eines andern oder vielmehr seine 
Menschenliebe doch auch eine Neigung in uns finden, auf die sie 
wirkt; eine Neigung, auf die weder der Gegenstand der Hab- 
sucht (Gold) wirkt, noch die auf ihn wirkt. (Das Wegf alien alles 
moralischen Gefallens lass' ich hier noch weg.) - Gegen die Sta- 
tue, ad b. in der ich Geld antreffe, hab' ich gar keine Neigung, 
Empfindung, aber doch wahrhaftig gegen den Menschen, der 
mirs giebt. Gegen die Grube empfind' ich eben nichts, aber wol 
gegen den Testierer. Meine Empfindung ist die namliche gegen 
iene, ob ich etwas in ihr finde oder nicht, aber nicht gegen diesen; 
bei der Grube findet also nicht einmal Ihre »eigennuzige Liebe « 
stat. - Wenn die Neigung gegen das Geld (ad d.) ganz die gegen 



ES GIBT KEINE EIGENNUTZIGE LIEBE 6jl 

den Testier er ist: warum erhpfind' ich denn, wenn er mirs ab- 
schlagt, Has gegen ihn, da doch das vorige Objekt meiner Liebe 
(Geld) noch da ist und unverandert? [nachtr. Ich unterscheide ia 
in rnir zugleich Liebe gegen Geld und Has gegen den Besizer: 
warum sol ich denn Liebe gegen das Geld und Liebe gegen den 
Besizer nicht unterscheiden; auch must' ich ia dan einen immer 
mehr lieben, ie reicher er wiirde, wie mir sein Geldhaufe immer 
mehrgefalt, ie hoher er wird.] Die Ursache zum Lieben (Geld) 
dauerte ia fort und das Streben nach diesem mus grosser sein, 
da ichs noch nicht habe. Ich drange mich hier in unnothigen Be- 
weisen herum, stat daB ich die Sache iedem Menschengefuhl und 
am meisten dem Ihrigen nur so vorlegen durfte: (ad b.) »wenn 
Sie einer aus der aussersten Hungersnoth durch ein Stuk Brod, 
dessen Verschenkung ihn selber ihr Preisgabe, aufopfernd risse: 
ware denn Ihre lebenslange Empfindung, Neigung, Liebe ppp. 
gegen diesen Freund nur die gegen das Brod?« Warum erregt 
denn der blosse Wille des Schenkens bei eingesehenem volligen 
Unvermogen denselben Dank wie das ertheilte Geschenk? . . . 
Ist die Liebe gegen den Schopfer denn nur die gegen den Fras, 
den er uns auf und in die Erde hinlegt? - Noch mehr: die namliche 
Geldsumme erzeugt bei mir verschiedene Liebe gegen die Geber 
nach ihren verschiedenen Gesinnungen gegen mich; und dan gar 
keine Liebe, wenn der Geber mir es nicht aus Liebe giebt. — Bei 
a b d hatten Sie sicher Unrecht, wenn ich auch Unrecht hatte. 
Meine nicht gut gewahlten Worte » Liebe, Gier, Gefallen« zogen 
mir Ihren Widerspruch zu. 

ad c. Der Sprachgebrauch giebt Ihnen Recht. Aber Liebe pas- 
set nach meiner Definizion nicht fur Geld - sonst kont' ich, da 
Liebe auf Menschen angewandt Freundschaft ist, mich mit 
Freunden umringen, wenn ich in mein Zimmer goldne Statuen 
sezte; diese must ich dan als wahre Freunde lieben konnen - Das 
Wort »gef alien « nahm ich in der Eile; daher steht auch das Zei- 
chen »pp.« daneben. Uber Liebe gegen Weiber red' ich weiter 
unten. 

ad e. Hier hat wie gesagt das Wort » Liebe « ganz irre gefiihrt. 
Die ungeschenkte Sache gefallet einem oft besser als geschenkt; 



672 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

das Pferd das Sie mir schenken, werd' ich bald sat: also must ich 
Sie vor der Schenkung mehr als nach ihr geliebet haben pp. 

ad f. »Es kan« Nach Ihrem System darf es gar keine andern 
Falle geben. Mein Saz heisset: unmoglich lieb ich caeteris paribus 
den Bestohlenen nur halb so wie den Schenker: sonst must' ich 
auch den Bestohlnen nach der Grosse des Diebstahls (wie den 
Schenker nach der Grosse des Geschenks) liebhaben und der alte 
Oerthel wurde ein wahrer Kosmopolit und weit grosserer 
Menschenfreund sein als sein Sohn. ad g. z. B. Bekomm' ich 
vom namlichen alten Oerthel 100 Rth* als Geschenk: so werd' ich 
ihn doch mehr lieben als wenn ich ihm das namliche stahle. 

ad i. Ich wil beides sagen. Pop hat bei aller Gier nach der Wol- 
that keine Liebe gegen den Wolthater. 

ad k. Meine ganze Behauptung lautet kiirzer so: Liebe bezieht 
sich bios auf die gute Gesinnung des andern - nun kan er diese 
gute Gesinnung gegen mich oder gegen einen andern aussern - 
in beiden Fallen hab' ich die namliche Art aber nicht den namlichen 
Grad der Liebe fur ihn - ist also meine Liebe gegen seine mir un- 
mize Wolthatigkeit nicht eigenniizig: so kan sie es eben so wenig 
nach ihrer Verstarkung durch eine mir mizende Wolthatigkeit 
sein. 

ad h.h. ad 1. Die Ursache ist, weil er sich deren fur werther 
halt. - Diese Selbstverblendung darf uns nicht irre machen. 
Nehmen Sie den umgekehrten Fal: wir reden alle mit erhabner 
Stimme und Stellung und mit einer uns selber hebenden Ach- 
tung von der Seelengrosse, die sich kiihn der Macht des andern 
entgegenstellet und dariiber sezt. Wenn aber diese Seelengrosse 
sich uns selber entgegenbaumt: so schimpfen wirs Troz und La- 
ster, bios durch unsre Eigenliebe beriikt. 

ad m. ad n. Gesezt auch - ob gleich Eigennuz hier in einem 
besondern Sin genommen wird - so seh ich nicht, meine Eitel- 
keit mag herkommen woher sie wil, wie sie mein Gefiihl und 
meine Liebe, die durch sie gegen f remdes Wolthun grosser wird, 
von der Gesinnung des Schenkers aufs Geschenk ablenken 
konne. Auch kan Eigennuz eher die Tochter als Mutter der Ei- 
genliebe sein. 



ES GIBT KEINE EIGENNUTZIGE LIEBE 673 

ad o. Ich appelliere von der Logik und vom Scharfsin an iede 
Erfahrung, meine eigne nicht ausgenommen. Auch gab' es dan 
keine Eitelkeit, keine Eigenliebe pp. 

ad p. Diese Wurdigkeit erhohet ia das Verdienst des Testie- 
rers. Auch gab' ich eine zweite noch bessere Ursache an. 

adq. Was ich oder einer kan, kan ieder, in grosserem oder ge- 
ringerem Grade. Ich behaupte in meiner hier wiederholten Ap- 
pellazion ans Gefuhl nur das, daB wenn ich einmal Liebe fiihle, 
es - nur den Grad ausgenommen - einerlei ist, ob ich oder ein 
anderer der Gegenstand der Wolthatigkeit ist. 

ad r. Das ist wahr und leider auch bei mir zuweilen; aber hier 
fehlet die Liebe, weil sie von starkern Bewegungen unterdriikt 
wird. 

ad s. Vielleicht beantwortet nach den iezigen Kampfen eine 
zweite Lesung meiner II ten Abtheilung das Meiste. Auch ich lau- 
gne den Unterschied des Grads nicht. 

ad st &c ss. Das st widerspricht dem ss. »Die wenigste Riik- 
sicht« Jezt definieren Sie das Uebrige, den Nenner dieses Zahlers 
und sagen Sie, was dieses Uneigenniizige sei und wolle p. 

ad t. Ich meinte bios die moralische Selbstschazung, die 
schlechterdings auf kein Objekt abzielt als Tugend. In iedem 
Falle bleibt der Saz: daB die Selbstliebe nicht nur mit eigner Un- 
wiirdigkeit nicht sinke, sondern sogar steige, wenigstens unver- 
haltnismassig sei. 

ad v. Wahr; war' aber gegen mich, wenn ich alien Eigennuz 
aufhobe. Allein ich glaube vielmehr, daB Eigennuz Uneigennii- 
zigkeit (namlich die Begriffe beider) vorausseze und in sich 
schliesse und umgekehrt; ich meine, waren wir nie eigenniizig: 
so wiisten wir nicht was uneigenniizig sei und umgekehrt. 

ad w. Ich suche Oberleuterung wieder beim Gefuhl und 
glaube in meiner Liebe gegen mich und andre einen Unterschied 
der Art zu wittern. * 

ad x. Das ists eben, daB Ordnung, Massigkeit p. keine Gegen- 
stande der Liebe sind sondern der Achtung p. Die drei Beispiele 
thun nur die Hinfalligkeit der Uneigennuzigkeit, nicht die Ab- 
wesenheit derselben dar. Sie gaben mir oben eine wahre Unei- 



674 JUGENDWERKE * 5 . ABTEILUNG 

genniizigkeit zu - gleichwol wischt sie der kleinste Gegenstos p. 
aus u. s. w. ergo. Das lezte Beispiel von Karl erhartet noch, daB 
die eigennuzigen Gesinnungen die uneigenniizigen leicht besie- 
gen - ich glaub' es leider selbst; aber diese Besiegten existieren 
doch so gut wie die Sieger.* 

ad z. Ich komme zum Buchstaben, den die Schulmeister mit 
dem Zucker notieren; und er passet auf den Gegenstand. Gefal-. 
len liegt weit vom Lieben ab. Es kan rriir ein schones Gesicht p. 
gefallen, dessen Tragerin ich hasse. Die Wellenziige, die Sym- 
metrie, das Kolorit, die schonen Bewegungen kan an einer 
Schonen nicht meine Liebe erzeugen, weil ich sonst auch eine 
sich bewegende Statue, die iene Reize hatte (ein Gemalde p.) lie- 
ben muste - sondern die durch alle diese Reize hieroglyphisch 
ausgedriikte Liebe lieb' ich an ihr. Das ist aber so schwierig, 
schwarmerisch, weitlauftig, daB ich Sie bitte, mir auf heute den 
Beweis zu schenken. 

- Es ist unmoglich, eine Sache urn einer andern willen zu lie- 
ben: ich liebe an beiden entweder nur eine oder beide. - »Was 
ist am Ende Eigennuz?« Bios das, wenn am andern etwas anders 
als seine Liebe, Gesinnung der Gegenstand meines Wollens ist. 
- Nie lieb' ich am andern das nakte Ich; entkleid' ich den Freund 
von seinen Tugenden p.: so versinkt er. Von dieser Seite gefallet 
mir die ohnehin zerbrechliche menschliche Liebe wenig. - Aber 
der Beweis uneigennuziger Handlungen ist etwas ganz anders. 
IchfuhT es recht deutlich, wo ich eigenniizig oder uneigenniizig 
handle. Eine ganz uneigenniizige Handlung wird nicht bios von 
der Theorie sondern auch von unserm Gefuhl f iir unmoglich er- 
klart. Aber eben so unbegreiflich ist mirs, wie man sich vor der 
Einmischung dunkler eigenniiziger Gefiihle und Reize bei unei- 
genniizigen Handlungen lurchten konte, i) da ein ungefuhlter 
Trieb keiner ist fur die Moral, 2) da man ausser der Dunkelheit, 
die eben alle merkbaren Gefiihle begleitet, noch eine iiberdunkle 
annimt, die ungemerkte bezeichnet 3) da es unbegreiflich ist, 

* Sezen Sie, ein Geiziger zoge seine Liebe von einem schonen und rei- 
chen Weibe nach ihrer Verarmvmg ab: hatt' er darum an ihr bios das Geld 
und nicht auch die Schonheit geliebt? Jenes nur starker als diese. 



ES GIBT KEINE EIGENNUTZIGE LIEBE 675 

warum sie mir manchmal das Bewustsein der Uneigenniizigkeit 
lassen, manchmal nicht. Damit sag ich nicht, daB unsre Hand- 
lungen ganz uneigenniizig, sondern nur nicht eigenniiziger sind 
als es uns scheme - 

Lesen Sie noch, nicht die 9 te Seite dieser Blatter sondern die 
195 196 meines Buchs. 

[Entgegnung Volkels] 
Unser Streit wird nun ein Ende haben, wenn ich erklare, 

a) daB ich die Liebe gegen meinen Testirer dann fur eigenniizzig halte, 
wenn ich seines Testaments ungeachtet keine gute Eigenschaf ten an ihm a 
finde; (Der Fall kann existiren) wenn ich ihm bios aussere Ehre bezeige. 
Das nennt man aber im gemeinen Leben auch Heben, weil ein Dritter 
voraussezzen muB, daB ich seine Vollkommenheiten schazze. 

b) wenn Geld oder Testament p. das Mittel war meine Liebe zu ihm 

in mir rege, oder mir selbst erst bekannt zu machen. Seine guten Eigen- (3 
schaften haben doch den unmittelbaren Bezug auf mich; ich liebe ihn also 
um meinet willen; und das nenn ich eigenniizzig. Ganz uneigenniizzig 
lieb ich erst dann, wenn seine Vollkommenheiten keinen Bezug auf mich 
haben. Wenn ich gegen einen tugendhaften Mann, von dem ich nichts 
zu hoffen habe, den nehmlichen Grad der Liebe fuhle, welchen ich gegen 
meinen Testirer habe: so wird dieselbe im ersten Fall doch reiner, als die y 
im zweiten sein. Denn bei Beurtheilung unserer Handlungen miissen 
auch die Veranlassungen dazu in Anschlag gebracht werden. Hieher darf 
ich wohl noch sezzen, was Christus Math. V. 46 sagt: so ihr liebet, die 
euch lieben; was werdet ihr fur Lohn haben? Thun da[s]selbe nicht auch 
die Zollner? 

Ich gebe Ihnen also zu, daB ich meinen Testirer seiner Wohlthatigkeit 
(guten Eigenschaften) wegen herzlich gut sein kann. Aber meine Eigen- 6 
liebe hat dis in mir »rege gemacht«, und deswegen halt ich mich fur be- 
rechtiget, meine Liebe eigenniizzig zu nennen. 

Sind Sie nun mit der Erklarung des Eigennuzzes nicht zufrieden: so 
streiten wir iiber Worte; oder ich verstehe Ihren Satz noch nicht. 

ad a. Dan lieb' ich ihn auch schlechterdings nicht. Warum 
vermag denn mancher durch alle ausgesaete Wolthaten keine 
Liebe zu ernten? Keimte diese aus ienen und nicht aus eingesehe- 
nen guten Gesinnungen: so konte sie ia nicht fehlen. Aber ge- 



676 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

wohnlicher Weise wies meine Eigenliebe dem Wolthater schon 
Vorziige anzumalen, die meine Liebe fodern. 

ad (3. Schon auf der zweiten Seite des ersten Aufsazes gab' ich 
die Ursache des starkern Eindruks an, den Wolthatigkeit p. ge- 
gen mich zum Unterschied von der gegen andre macht. Der Be- 
zug auf mich ist in beiden Fallen der namliche (namlich zulezt 
unmittelbar) , nur im Grade verschieden. 

ad y. Reiner nicht, aber mein Gefiihl ist feiner fur den Seelen- 
werth des andern und wird geriihrt vom kleinern Eindruk, indes 
ein andres einen starkern begehrt. 

ad 6. Was heist rege machen? Erzeugen nicht - kein Trieb er- 
zeugt einen andern, sondern bios der ihm analoge Gegenstand 
- Vermehren oder vermindern also; allein dieser fremde Diinger 
besudelt den Blumenkelch nicht: wie der Mangel des Kastraten 
mit in einen Mangel hoherer Empfindsamkeit ausschlagt, ohne 
daB darum thierische Liebe und Gefiihl fur Natur und weibliche 
Schonheit p. eins wiirden (weil sonst iene dem Thiere auch die- 
ses gabe): so ist der Eigennuz, der meine Liebe und Uneigennu- 
zigkeit verstarkt und schwacht, darum doch nicht mit dieser 
verschwistert und verschwagert. 

[Von Wernlein] 
Hofische gelehrte Zeitung 
1 St. 
Schwarzenbach an der Saale 
Von da her haben wir ein wichtiges Werk erhalten, das den Titel fuhrt: 
Beweis, dafi es keine eigennutzige Liebe, sondern nur eigenniitzige Handlungen 
giebt von N. N. Richter, Hochgrafl. Schonborn[schem] Edukations-Ra- 
the und Direktor des Seminariums daselbst, der Schwa rzenbacher, H6- 
fer, Gattendorfer und Neuhofer Ges ells chaf ten Mitgliede pp. Auf Ko- 
sten des Vf. 1790. 4 S. in 4. nebst der Widerlegung dieses Beweises von]. S. 
Volkel, Pfarrer das. 1V2 B. in 4. Desgleichen die Kontraapprochen des Hn. 
Vf. 1 B. 4. wie auch Gegenerkldrung des Hn. Pf. Volkels samt angehang- 
tem Finale des Hn. Vf. 4 S. in 4. Wir freuten uns nicht wenig, als wir 
den Titel dieser Schrift (horten noch eher, als) lasen, daB der H. Vf . , des- 
sen Phantasie bekanntlich seit geraumer Zeit auf Paphos Gefilden um- 
herschwarmt, und der sich mit ahndender Wonne schon zum voraus des 



ES GIBT KEINE EIGENNUTZIGE LIEBE 677 

Tages erfreuet, wo der den Gegenstand finden wird, dem er die Gefiihle 
zu erkennen geben darf , die ihm die Gottin der Liebe am ihr geweiheten 
Altare im Myrtenhaine durch den feurigsten KuB einhauchte, daB dieser 
Vf. sich iiber einen Gegenstand machte, der zu seiner Bearbeitung 
durchaus einen Mann erfodert, der die groBe Kunst versteht, Wahrhei- 
ten, die er nicht bios dachte, sondern auch fiihlte, in einem solchen Lichte 
zu zeigen, daB andere sie nicht nur leicht einsehen, sondern auch leicht 
ihm nachfiihlen konnen, vorausgesetzt, daB ihnen - was freilich nur ein 
Erbtheil weniger Sterblichen zu seyn scheinet - das Vermogen, gewisse 
Wahrheiten fuhlen zu konnen, von Mutter Natur nicht versagt worden 
ist; iiber einen Gegenstand, der schon von so vielen bearbeitet worden 
und doch durch alle Bemiihungen noch so wenig Licht erhalten hat; der, 
wenn es auch endlich einem Gliicklichen gelungen seyn sollte, ihn fur 
einige wenige aufzuhellen, doch immer fur den groBten Theil philoso- 
phirender Kosmopoliten eine der schwersten Aufgaben bleiben miiste, 
weil wir das Feuer, woran wir unsere Lampe anzunden miissen, vor lau- 
ter Rauch nicht sehen konnen. So dachten wir, als wir eben das Thema 
gelesen hatten und nun zur Abhandlung selbst forteilten. Allein wie er- 
staunten wir, als wir des Vf. Erklarung des Hauptsatzes lasen! Einmal 
war es uns schon auffallend, daB der Vf . einer Person Liebe zuschreiben 
will, die keiner einzigen Neigung fahig ist, die der Menschheit wiirdig 
ware, geschweige derm der Liebe; zweitens von einer solchen Person be- 
haupten zu wollen, daB die Liebe derselben uneigenniitzig sey, deuchte 
uns noch sonderbarer und endlich war es uns unangenehm, zu sehen, 
daB, der gegebenen Erklarung gemaB, die Grenzen der Abhandlung so 
enge abgesteckt worden. Um nicht ungerecht zu scheinen, wollen wir 
uns iiber die zween ersten Punkte nur durch ein paar Worte genauer er- 
klaren; der dritte wird das nachher gar nicht nothig haben. Nach dem 
Begriff , den wir uns einmal von der Liebe gemacht haben und nach ih- N 
rem Wesen sowohl als nach unserm Gefiihle von ihr machen muBten, 
hat es uns allerdings sehr uberrascht, da wir lasen: »Ich will Schmie- 
den lies. « Denn Liebe im eigentlichen Verstande (d. h. die innigste zart- 
lichste Zuneigung, entsprungen aus der Wahrnehmung eines gleichen 3 
feineren Denk- und Empfindungssystems*) kann nur ein Eigenthum ie- 
ner besseren Menschen seyn, die wir an einem andern Orte schildeirten: 

* Alles andere, was nur einigermafien, nicht ganz mit dieser Definition 
ubereinkommt, ist also nicht Liebe. Es kann Anhanglichkeit, Achtung, 
Dankbarkeit oder sonst so etwas seyn; nur Liebe ists nicht. 



678 JUGENDWERKE ■ 5.ABTEILUNG - 

ein Satz, den uns der Vf . weniger, als jeder andere streitig machen wird, 
da er selbst, wie wir aus sicherer Hand wissen, bisher kein Subjekt finden 
konnte, bei dem er seine Liebe ganz geschickt hatte appliciren konnen. 
- Wenn also dieser gegriindeten Voraussetzung gemaB Liebe nicht ein- 

3 mal unter gewohnlichen Menschen, die weder vorzuglich gut noch 
schlecht sind, Statt finden kann; wie will man denn sagen, daB ein Geitzi- 
ger, der doch schon zu der schlechteren Menschen-Gattung gehort, der 
Liebe iahig sey? Aus diesem ergiebt sich zweitens schon von selbst, daB 
es keine eige[n]nutzige Liebe geben kann; wozu also der Beweis, daB die 
Liebe des Geitzigen nicht eigenniitzig ist? — Dies ware unserer Meinung 
nach der Gesichtspunkt, von wo aus diese Materie betrachtet werden 
miiBte. Da der H. Vf . diesen nicht wahke; so ists Pflicht, ihm auf seinen 
Standpunkt zu folgen, urn zu visiren, ob er den Gegenstand gehorig be- 
trachtet habe? d. h. wir mussen nun die Abhandlung selbst vor die Hand 
nehmen und sehen, wie der H. Vf. das, was er behandeln will, wirklich 
behandelt hat. 

Ohne erst eine Specialerklarung iiber das Wort Liebe voranzuschicken, 
fangt der Vf. sogleich an: »Geld ist bei unserm Geitzigen kein Gegen- 
stand der Liebe, sondern des Gefallens und der Gier« - Es ist also kein 
Wunder, wenn man an dem Vf. irre wird, um so mehr, da man deutlich 
sieht, daB er das Wort Liebe in einem edelen Sinne nimt. Liest man aber 
weiter, so kann man sich deutlich erklaren, was der Vf. darunter ver- 

H steht. Er nimt es namlich im weitlauftigern Verstande, wo es auch so 
viel als Achtung bedeuten kann und da hat er denn vollkommen recht; 
denn da es ausgemacht ist, daB auch der schlechteste Mensch wider sei- 
nen Willen die Tugend verehren muB, wenn er sie in ihrer gottlichen Ge- 
stalt erblickt, so folgt es von selbst, daB auch der Geitzige eine Achtung 
fur einen andern hegen muB, die um so reiner ist, je uneigenniitziger der 
andere an ihm gehandelt hat. Wenn also der Vf. iiberall da, wo Liebe 
steht, das Wort Achtung setzen will; so bin ich, wie gesagt, ganz mit ihm 
einverstanden und ich freue mich, daB der Vf . das so schon bewiesen hat, 
daB, obgleich das Legat erst nothwendig war, um eine Achtunghzrvoz- 
zubringen, diese hervorgebrachte Achtung aber dennoch so rein und lauter 
ist. Ich muB mich also, wie billig, iiber den Hn. Gegner wundern, daB 
er das Ding so gar nicht vor das Visir bringen konnte: er ficht und haut 
so in der Luft herum, daB sich der Zuschauer des Lachens nicht enthalten 
kann. Ein so geschickter Leser aber, wie wir, und zumal ein Recensent 
muB gleichbemerken, worah der Fehler eigentlich Hegt. Der H. Gegner 
legte namlich eine Definition der Liebe zum Grunde, unbekiimmert, ob 



ES GIBT KEINE EIGENNUTZIGE LIEBE 679 

sein Autor oder sonst iemand damit zufrieden seyn mochte, oder nicht 
und nun geht das Philosophiren in einem fort. Er hatte nur aber erst be- 
denken sollen, daB in einer solchen Abhandlung unmoglich das Wort 
Liebeso genommen werdenkann, wie man's auf den Gassen, Landstras- 
sen und an den Zaunen so oft nehmen hort und sieht. Doch das brauche 
ich nicht weiter zu demonstriren, da ihm's der H. Vf.* schon so ein- 
leuchtend gemacht hat, als es nur immer moglich war. Aber er muB es 
auch wohl gemerkt haben, da er sich in der Gegenerklamng in einen 
Schlupfwinkelfluchtet, urn von da aus, Riickenfrei, noch ein paar Strei- 
che zu thun, die aber auch nicht treffen. Derm von dem Fall, den er hier 
anfiihrt und der meinetwegen unter gewissen Umstanden eintreten 
mag, war hier die Rede gar nicht, und konnte es nicht seyn, weil dann 
gar keine Achtung Statt finden kann, wie der H. Vf. in dem Finale (sub 
a) ganz richtig bemerkt hat. - 

Wir sind nun in unserer Beleuchtung des eigentlichen Textes bis zu 
den Worten: Worin ist nun pp.** fortgeriickt. Wir wollen aber, ehe wir 
weiter gehen, noch eine kleine Bemerkung machen. Sie betrifft einen 
Punkt, woriiber schon miindlich ein Mehrers abgehandelt worden, 
namlich hier das Zeichen »-« S. 1 lin. 9. Ich sehe namlich nicht ein, wie 
nach das hieher kommt; denn der Satz steht so abgebrochen da, dan man 
durch dies Zeichen erinnert eine Einschiebsel oder so etwas erwartet und 
am Ende ist man getauscht. Man muB also noch einmal von vorne an- 
fangen, da man der sonstigen Deutlichkeit wegen, wenn ich namlich ein 
(:) oder auch (.) dafur setze, mit einemmale ganz gut davon kommen 
konnte. — 

Wir wollten noch Etwas iiber den Unterschied der Achtung sagen, die 
der Bessere fur den hegt, der einem dritten eine Wohlthat erzeigte, und 
die der Geto^e fur den hat, der ihm eine Summe testirte: allein wir wol- 
len lieber eine zwote Auflage ab war ten, die hoffentlich nicht lange aus- 
bleiben und wie sich der H. Vf. bereits zu einer andern Zeit nicht un- 
deutlich vormerken lies, ziemlich von der ersten unterschieden seyn 
wird. Ueber den Abschnitt II) hatte ich ohnehin nichts weiter sagen diir- 
fen: denn da trennt sich unser Weg! Der Vf . nimt namlich hier das Wort 
Liebe in einem hohern Sinne als im I Abschnitt, oder, wie wir oben*** sag- 
ten, im engern und eigentlichen Verstande. Jedoch scheint er ihren Ur- 

* in den Kontraapprochen S. 1 u. 2. 
** S. 1 lin. 5. von unten hinauf. 
*** S. 3. 



680 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

sprung anderswo, als wir**, herleiten zu wollen: denn, wenn wir recht 
bemerkten, so glaubt er, daB die achte eigentliche Liebe aus dem Gefal- 
lenfinden an fremden Vollkommenheiten herkomme. Nein! daraus ent- 
springt nur Achtung. Ich kenne Manner, die ich wegen ihrer Vollkom- 
menheiten iiber alles hochachte, aber ich kann sie deswegen noch nicht 
im eigentlichen Verstande lieben und ich liebe Menschen, an denen ich 
vielleicht nur halb so viel Vollkommenheiten bemerkt habe; aber sie sind 
mir, d. h. meinem Verstand und meinem Herzen naher verwandt. Doch 
genug, urn gezeigt zu haben, in wie fern wir mit dem Vf . einig oder un- 
einig sind. 



Antikritik 
(Der Einsender ersucht den H. Redakteur der hofischen gelehr- 
ten Zeitung, diese Antikritik gegen die gewohnlichen Inseratge- 
biihren einzuriicken.) 

Der H. Verfasser der Rezension scheint wol zu allem Mogli- 
chen und Wirklichen eher geschaff en zu sein als zu einem Rezen- 
senten. Ich erwartete nicht zuviel von einem Rezensenten, wenn 
ich glaubte, es wiird' ihm, da er doch einmal dieses Amt antrat, 
nicht ganz an Partheilichkeit, an schlimmen Absichten, Sachun- 
kunde und kritischem Kurialstyl mangeln. Aber Rezensent wird 
es mir verzeihen, wenn ich geradezu heraussage, dan ich alles 
dieses ganz vergeblich suchte; und es ist nicht meine Schuld, daB 
ich bei ihm vielmehr Dinge antraf , die bios ein gutes Herz und 
einen guten Kopf, aber keinen guten Rezensenten offenba- 
ren. 

Wenn einer zu mir sagt: »meines Bediinkens hat die Sache 
vielleicht noch eine andre Seite als Sie glauben; ich kan mich aber 
irren und uberlass' es Ihrer Erwagung« - und wenn ein andrer 
zu mir sagt: »Sie irren offenbar«: so haben beide eine verschie- 
dene Sprache, aber Einen Gedanken; im Herzen ist keiner hof- 
licher. Und doch sind wir Menschen so narrisch, eine solche fal- 
sche Miinze, deren Gehalt wir kennen, zu fodern, zu nehmen, 
und auszugeben. 

Ich sag' es also ohne Emballage, daB Sie, eben so wie mein er- 

** ebendas. 



ES GIBT KEINE EIGENNUTZIGE LIEBE 68 1 

ster Antagonist, dessen Antagonist Sie mit zu vieler Warme sind, 
den Streitpunkt verfehlen; ich kan mit Ihnen und mir selbst zu- 
gleich einig sein. 

Weder Kallygraphie der Hand noch des Kopfes ist bei solchen 
bios skizzierten Untersuchungen moglich und nothig. 

X Ich muste in meinem Beweis das Wort Liebe im weitesten 
Sinne brauchen, weil der Beweis ihrer Uneigenniizigkeit auch 
die Liebe des Geizigen, Dankbaren, Freundes, Geliebten zu ret- 
ten hatte. Allerdings kan ich unmoglich das, was Sie beim Worte 
»Liebe« sich denken, dem Kniker beimessen; aber doch das, was 
ich mir bei diesem Worte denke. An die hohere Liebe nach Ihrer 
Definizion dacht' ich im ganzen Beweise nicht (aber in diesem 
werd' ichs thun); auch ist der Unterschied aller Arten von Lieben 
(quod demonstrandum erit) kleiner als es scheint und besteht 
nicht im Gegenstand (denn alle Liebe bezieht sich bios auf Liebe) 
sondern in der Lebhaftigkeit und Dauer. Wenn nun die Frage war: 
ist die Liebe, die der Geizige fur seinen Wolthater, der Freund 
fur sein exoterisches Ich p. tragt, uneigennuzig: so must' ich 
doch Ja oder Nein schreiben konnen. Ja wenn gar die Frage ist: 
»ist iene bessere Liebe eigenniizig oder uneigennuzig « : so weis 
ich keine Schlusse ausser den rezensierten, um ihre Uneigennii- 
zigkeit festzugriinden. 

2 Beweiset oder verschiebt diese Definizion die Uneigennii- 
zigkeit der edlern Liebe? Wenn nun Rochefaucoult fragt: 
»warum mus sich euere Liebe erst durch Gleichheit des Denk- 
und Empfindungssy stems entflammen lassen?« und wenn er 
selbst antwortet: »darum: die Eigenliebe findet eben bei dieser 
Gleichheit ihre Rechnung«: so kan ich mir nur durch meine bis- 
herigen Schlusse helfen. Obrigens kan die Gleichheit die Quelle 
dieser Liebe nicht sein, i) weil dan diese edlere Liebe nicht nur 
ist sondern auch wachst, wenn das Herz und der Kopf des einen 
von beiden in und auf einem noch bessern Menschen wohnen* 

* Sonst war' ichz. B. nicht im Stande, Herder ppp. zu lieben; ia einen 
Menschen von einem bessern Herzen als unseres ist werden wir mehr 
lieben als ein gleiches. 



682 JUGENDWERKE ■ 5.ABTEILUNG 

2) weil Atheisten und Deisten sich lieben konnen 3) weil sonst 
diese edlere Liebe unter gleichen Dunsen und gleichen Raubern 
miiste nisten konnen. Also Gleichheit nicht, sondern Liebe be- 
lebt mit der aura seminalis der Liebe das andre Herz; und bessere 
Personen lieben bios einander starker und edler, nicht weil sie 
einander ahnlicher sondern liebender finden. 

1 Ich wolt' , ich kont' ein Gimel machen . - Wohin bringen wir 
denn die mutterliche, eheliche, dankbarliche Liebe? Und wie 
wollen wir Anhanglichkeit, Zuneigung, Dankbarkeit anders 
definieren als Liebe der Liebe? 

1 Ich konte nie Achtung mit Liebe vermengen. Siehe 
Kontraapprochen p. 7 ad x. - Auch achtet der Geizige einen Gei- 
zigen oft mehr als einen Wolthatigen; diesen aber liebt er 
bios. 

H Dieser Abschnit bleibt auch isoliert was er ist und es ist 
Schade, daB Ihre Feder, die Sie neben dem Dintenfas verdursten 
lassen, dariiber wegflattert, da es, Liebe werde von Ihnen oder 
mir definiert, keine Selbstliebe geben kan. 

1 Auf alien Seiten sag' ich: Liebe ist Gefiihl, Antwort, Liebe 
der Liebe. Beweisp. 4 unten- Kontraapprochen p. 2-p. 7 unten 
- p. 8 oben. 

Eine Abhandlung, die mit der io tcn Seite aus ist, und ein 
Punschkonvent, der um 10 Uhr beschliest - sind mir gleich ar- 
gerlich; und ich werde einmal meinen Kopf auf den Arm und 
diesen auf den ottoischen Tisch stuzen und uber dergL heidni- 
sche Amputazionen und cbg ev jtarjoScp 's Arbeiten den Rezen- 
senten anfahren, der gar nichts darnach fragen wird. 

Ich wolte, ich ware Selbstrezensent in der hofischen gelehrten 
Zeitung gewesen, ich hatte geschrieben: »gegenwartige Liebes 
Abhandlung ist kahl - kalt - weitschweifig - plan, aber wahr und 
wir wiinschen, daB der uns unbekante vortrefliche H. Verfasser 
seine Friichte nicht in Baum-Blatter sondern in Blumenblatter 
kleide. « Und das sol auch, aus Achtung fur den Selbstrezensen- 
ten und fiir meinen 2 ten Antagonisten, geschehen. 

Obrigens wil ich mir den Gefallen thun und iezt iiber die Liebe 
salbadern: der Schopfer meines ganz gut frisierten Kopfes und 



ES GIBT KEINE EIGENNUTZIGE LIEBE 683 

meines Schiksals wils einmal so, daB ich meine meisten Vergnii- 
gungen auf dem - Lumpenpapiere finden sol, das seit wenigen 
Jahrhunderten erst ersonnen worden. Daher siz' ich seit einiger 
Zeitiiber einem Roman oder Ries Konzeptpapier und iiberfarbe 
es mit Dinte und stelle verliebte Rollen darauf hin, um es zu ver- 
gessen - oder zu ersezen, daB ich selber keine spiele. 

Inzwischen ists mir von der andern Seite wieder lieb, mein lie- 
ber Wernlein, daB von allem dem, was ich hier sagte, kein Wort 
wahr ist. Denn es ware schlecht und schlim, wenn der gelehrte 

H. Verfasser des Beweises von der Uneigenniizigkeit der Liebe 
in nichts verliebt ware oder nur in 20, 30 Subiekte und nicht in 
alien Teufel auf einmal. 

Es mus namlich in unsern ehelustigen und ehelosen Zeiten 
eine besondre Einrichtung Gottes sein, daB man sich neuerer 
Zeiten in alles verschiessen kan was nur sieht und klingt wie eine 
Mademoiselle: ich passe daher mich dieser Einrichtung ganzlich 
an. Romane, Tanzen, Luxus, Musik und Verfeinerung bringen 
namlich eine gewisse Verliebtheit ins ganze Geschlecht, hervor, 
in die alles hineingeht; ich stelF mir sie wie einen ungegliederten 

.jo Fausthandschuh vor, in den, weil die 4 Finger ohne Scheide- 
wande neben einander liegen, alle mogliche Hande fuglich fah- 
ren konnen - in einen Fingerhandschuh aber schlupf t und drangt 
sich nur die und die Hand; und diesem gleicht die parzielle, edel- 
ste Liebe. Da ich zuerst die Sache wahrnahm: so kan ich ihr auch 
allein einen Namen geben, mit dem sie alle andre nennen und 
rufen mussen; ich wil diese Liebe die Universal-, Praludier-, Ge- 
samt und Klumpen-, Digesten-, Simultan- und Tutti-Liebe be- 
namsen. Meine Definizion davon ist die: wenn ein Jungling, der 
noch ohne den Gegenstand des con brio aller Empfindungen lebt 

30 und der noch auf seine Messiasin wartet, einige Abende, Spa- 
ziergange, Vorlesungen pp. mit weiblichen Personen genieset, 
die mit keinen auffallenden Hockern des Kopfes oder Herzens 
seine Fiihlfaden erschrecken: so wird besagter Jungling gewisse 
Spriinge machen und mit einer Art Zuneigung auf den Genus 
des Umgangs, des Anbliks, der romantischen Empfindungen 
und Lippen besagter 2, 3, 6, 300 Personen recht aussein. Und 



684 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

dies ist eben nichts als die Tutti-Liebe. Exempla sunt odiosa: 
sonst zdg' ich meines an. 

Der Endabsichten in der naturlichen Theologie wegen stel]' 
ich also dieses Axiom auf: ohne die Tutti- und General- und 
Maskopeiliebe wars, wegen dem Aussenbleiben der einspanni- 
gen Solo-Liebe, nirgends auszuhalten. 

Ich versparte die Abhandlung mit Fleis auf den Mond, der 
auch iezt mein Talglicht bescheint, weil zu hoff en war, er wiirde 
auf den Konzipienten dieses wirken und ihn riihren; da er aber 
wie ich sehe, mich gar nicht angreifen wil: so mus das Ernst- 
haftere der Morgensonne bleiben. 

Am Morgen sind alle Menschen ernsthafter als Abends. 

Den 22ten Okt. Allein ich wil die Oktapla meines Rezensen- 
ten nachmachen und bei der 8 ten Seite auch aufhoren. Ich wolte 
in meiner Stufensamlung der Liebe die Freundschaft iiber die, 
Platonische Liebe sezen - ich wolte sagen, daB zwischen den Ex- 
tremen der platonischen und thierischen Liebe unendlich viele 
Mitteltinten liegen und daB wir an einer schonen Person genau 
genommen bios die Liebe und die durch eine gewisse Physio- 
gnomic verkorperte Liebe lieben, daB freilich = = = aber das 
wil ich in die Note thun* - daB die bessern Menschen sich min- 
der durch die Art als Dauer der Liebe von schlechtern lostrennen, 
aus deren seltnern Sekunden die Jahre von ienen bestehen und 
daB iene in der heissen Zone eine stete Sonne, diese aber in der 
Polarzone oft keine, und bios eine stralenlose haben. Ich wils 
aber nimmer. 

* Die korperlichen Empfindungen sind der Lohkasten oder die 
Schwanz und Bauchflosfedern der geistigen. Aber erzeugen denn die vasa 
spermatica den Dichtergeist, weil sie ihn erhohen und ist Amme und 
Mutter einerlei? So gut nun innere korperliche Empfindungen (Blut, 
Galle, sperma), eben so gut konnen aussere korperliche (Sehen einer 
schonen Gestalt p.) geistige beleben und verdoppeln ohne mit ihnen die- 
selben zu sein. 



DAS LEBEN NACH DEM TODE 



Das Leben ist ein Traum, der Tod ist ein Traum - aus den Trau- 
men werden wir im Himmel wach. Vielleicht ist dan der heitre 
Mond (wie schon Herder und agyptische Priester dachten) die 
erste feste Kiiste nach den Orkanen des Lebens - da brechen wir 
vielleicht die ersten Fruhlingsblumgen des andern Lebens, bis 
wir seelig weiter ziehen, von Welt zu Welt, von Himmel zu 
Himmel. 

O wenn dan die zurukfliehende Erde hinter uns zu einem lich- 

I0 ten Piinktgen einschmilzt, wie werden uns wehe thun unsere 
hiesigen Narheiten- und unsere traurigen Freuden - und unsere 
zugellosen Kiimmernisse und unser unhimlisches Leben! 

Jeder gestorbne Freund ist fur uns ein ziehender Magnet in 
eine andre Welt und der Greis wohnt unter Todten, In der Mit- 
ternacht seines Lebens schaut er wie der Gronlander in der Mit- 
ternacht seines langsten Tages oder am Mittag seiner langsten 
Nacht nach hohern Gegenden auf und aus seiner Nacht sieht er 
die Unsterblichkeitssonne die Bergspizen rothen und vergiil- 
den . . . Verstumt aber die trostende Stimme des Predigers auf 

20 dem Gottesacker: so sehen die fressenden Graber graslich aus 
wie kauende Rachen, die Vater, Freunde, Waisen [?] vor euch 
zermalmen und ein gif tiger Damon, feind iedem Menschenpaar 
das sich umschlingt, aschert allemal die eine Halfte ein und an 
die heisse Brust legt er nichts als einen kalten Todten. 

Ich wil alles dieses noch einmal sagen, indem ich diese kleine 
Geschichte erzahle. 

Hylo liebte die Mehalla, beide war en gut, aber keines gluk- 
lich. Denn zwischen ihren Herzen wuchs ein Berg auf und spal- 
tete ihre Herzen, sie standen nun in zwei Wiisten und ode war 

30 die Erde ihren Armen und der Himmel ihrem Auge. Denn Gan- 
net [?] hatte die Mehalla in seine kalten Arme gerissen, ihr Auge 
an seine Augenbraunen, ihr Herz an seine blosse Brust; Hylo 



686 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

aber sank in die Erde, die ihm nichts mehr gab und lies, hinein 
und sanft legt' ihm der Tod die zerstorten Glieder und troknete 
und schlos sein Auge, auf dem eine ewige Thrane das zweite Au- 
genlied gewesen war. 

Der Tod fiihrt an seiner giftigen Eishand Kinder gern: an die- 
ser Hand, die wir alle einmal fassen mussen, erstarte auch eines 
[?] der Mehalla und der Schmetterling flatterte iiber von den 
Blumen der Erde zu den Blumen des Himmels. O flattert immer 
davon, gliikliche Kinder! am Morgen des Lebens wiegt unter 
Gesang, Morgenroth und Blumen der Tod euch ein, 2 Arme 
tragen euch und euern kleinen Sarg und ihr tauscht Paradiese 
bios, indes wir zusammfenbrechen und erblassen unter den Stiir- 
men des Lebens - und mit einer Seele an den Erdklos geklam- 
mert - und mit einem muden Angesicht, zerschnitten von irdi- 
schem Kummer und irdischer Miihe. 

In erhabner Sternennacht gieng oft vor Hylos einsinkendem 
Todes Hiigel sein Freund voriiber und fiihlte, daB er allein war 
wie der Todte und daB sie einsam waren neben einander - er 
schlug das schwere Auge auf gegen die Sternennacht und gegen 
die ziehenden Welten iiber ihm und er sehnte sich weg von der 
nied(rigen) stummen Erde, in der sein Freund lag. 

In erhabner Sternennacht gieng seine Mutter voriiber und 
[ihre] Thranen hulte das Grab zu und sie hatte keinen Trost. 

In erhabner Sternennacht gieng seine Mehalla zum Hiigel, um 
Blumen hinzulegen; aber sie legte keine Blumen darauf und 
stiirzte von Schmerz zu Schmerz: »du du! du hast deinen Namen 
verloren und deine Freunde und deine Bekanten und mich und 
es ist viel Erde zwischen mir und dir - ich sehe dich nimmer - 
ach wenn ich dich sahe - dein Auge zerbrockelt in Asche, deine 
Hand reisset ab, dein Herz kauet der Todtenwurm, dein Geist 
zergieng- o Schiksal, wie hast du uns beide verwiistet und unsre 
ganzen, ganzen Paradiese . . . 

In dieser erhabnen Stunde gieng iiber die Gefilde heriiber ein 
lichtschoner Jiingling mit einem Ernst, den diese Erde nicht 
giebt; es stand iiber ihm an den Sternen ein Schimmer und der 
Schimmer gieng mit ihm. Aber das Grab sah er nicht an wie die 



DAS LEBEN NACH DEM TODE 687 

andern; wie ein entwolkter Himmel trat er vor Mehalla hin, auf 
seinem Antliz war eine verlebte Ewigkeit, in seinen Augen ein 
Gebet und Got: »gehe weg v(om) Todten - hake das Grab fur 
deine Welt nicht - in den Sarg kriecht der menschliche Geist 
nicht, bios der Tod - sieh aber auf, uber der Nacht droben ist 
Got, der Mensch, das Dasein, die Tugend - da hinauf flimmert 
eurc tiefe Erde wie ein Eisberg zwischen den Wolken - tief unter 
dem unbeweglichen Meer der Ewigkeit gehet der reissende 
Strom der Zeit und zieht seine Todten und Lebenden an hellere 
Ufer - Sieh iezt Sterne niederstiirzen, es sind keine, sondern 
Kinder der modernden Erde: denn Sterne und Sonnen stehen 
ewig und stiirzen nicht: so schiessen die Sternschnuppen der 
Korper nieder ins Grab und der Geist stralet fort am ewigen 
HimmeL Du aber bist noch in lebende Erde eingesargt. « 

Mehalla war betaubt und ungetrostet; der Jungling fuhr sanf- 
ter fort: 

»Hylo strait auf Mehalla! In den Mond iiber dir zieht jeder 
Geist aus seinem einbrechenden Korper und ein durchsichtiger 
Traum schleiert da sein neues Leben ein. Die Todten rmissen 
traumen wie ihr, damit ihre hohen Lebenswogen aus einander 
wallen: da spielet vor ihnen der Traum ihrer Erden-Jugend und 
wiegt ihre besanftigte Seele, bis ein Kind den Traumflor weg- 
zieht und ihr Auge unbewolkt und gros aufgeht iiber die ather- 
reinen stillen Gefilde des ersten Himmels. O! da Hylos Todten- 
traum seinen ErdenTraum ihm nachtonte und da er wieder 
spielte im unter[ge]sunknen Paradiese seiner Jugend - da auch 
du vor ihn flogst und von seinem kampfenden Herzen den 
schwarzen Kummer weghobest, der es wie eine Otter umwik- 
kelte und aufschwol - da endlich dein Kind den genesenen Hylo 
aus dem lezten Traume lispelte - da ihn zuerst diese Abschieds- 
blume, dieses Vergismeinnicht, das ihm der Tod von dir nach- 
trug, seelig anlachelte und da am Hozizont das heitere Elysium 
der Erde silberhel und gros aufstieg* und Hylo hinauf nach ihr 

* Bekantlich erscheint dem Mond die Erde 64 mal grosser als er [ihr] 
und das Heraufwalzen eines solchen Monds mus entziicken. 



688 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

sah wie nach einem Gebiirge, iiber das der gehofte Freund her- 
komt . . . o beneide deinen Hylo nicht, dein Todestraum '[?], 
Mehalla, wird auch kommen, dein Erden-Gefangnis auch ver- 
wittern, dein Kind wird dich auch erwecken, und dein erster 
Himmelsblik wird dir sagen, daB ich dein Hylo bin.« 

Mit einem stromendenBlik unaussprechlicher Liebe sah er sie 
an als wurd' er wieder ein Sterblicher und er zergieng in einen 
Bliz, Mehalla aber sah nicht mehr aufs Geab und legte die Blu- 
men nicht darauf und gieng unter iiberirdischen Gedanken nach 
Hause, mit den reinen Augen geheftet an den dammernden 
Mond. 

Ich schaue hinab in den Strom der Erden Zeit; und unter der 
durchsichtigen Erde, auf der er hinzieht, spiegelt er die blauen 
Himmel mit seiner Sonne ab und ich lebe und hoffe zugleich. 



BESCHREIBUNG DER OFFENTLICHEN UND PRIVAT- 

BIBLIOTHEKEN DES DORFES UNWEIT DER SEE 

KUHPANZ 



Wir Gelehrte wissen Gelehrte, hoft man, zu schazen und schrei- 
ben iiber nichts lieber als uber Biicher Biicher; allein niemand 
thuts so gern und oft als H. Hirsching* und ich. In den meisten 
Bibliotheken, an denen er beschrieben, wird sein Buch gebun- 
den stehen, worin er sie beschrieben und worin er einen Bleiex- 
trakt aus ihnen hergab - nach der Messe komt meines auch hin- 

io ein und neben seines. Nun kan eine volstandige Bibliothekenhi- 
storie unmoglich geliefert werden, wennnicht, wahrend die eine 
Kolonne der Historiographen in die StadteYiuit und schreibt und 
gukt, wo besagte litterarische Pantheon's und Pandamoniums 
stehen, unterdessen die andre in die Marktflecken und Filiate ein- 
bricht und alles da in ihren Bucherkatalog immatrikuliert, was 
nur aussieht und riecht wie ein Buch. Ich weis nicht, was in den 
Kopfen der Europaer daraus entstehen wird, daB H. Hirsching 
einmal einen krepierten Titelbarsch** beim Schwanze hatte und 
ich dabei einsah wenn ich und er zwei solche metaphorische Ti- 

20 telbarsche wiirden: so war' es etwas. Kurz- so drtikt die Gelehr- 
tenrepublik sich aus, wenn sie vorher weitlauftig war, wie gute 
Rechenmeister wol nie mit ihren Eleven zur welschen Praktik 
und andern arithmetischen Abbreviaturen vorschreiten, als bis 
sie mit ihnen in den weitlauftigern und beschwerlichern Metho- 

* Er schrieb eine Beschreibung der vornehmsten Bibliotheken in 
Deutschland, die meiner obigen so ahnlich ausfiel, daft ich und ieder 
seine, ware sie nicht friiher dagewesen, fur eine Parodie und Satire auf 
meine halten muste. Da sein Lob im Munde seines Freundes (in meinem) 
partheiisch klange: so enthalt' ich mich dessen ganz und bemerke viel- 
30 mehr, daB seine Beschreibung nicht zu brauchen ist. 

** Dieser Fisch (perca diagramma) hat diesen Namen von seinen 
gelben inschriftartigen Strichen. 



690 JUGENDWERKE ' 5. ABTEILUNG 

den zu Rande gekommen - ich und Hirsching verabredeten ei- 
nen Meskatalog alles dessen, was ie von den Messen leben ge- 
blieben; und da an ihm mehr ist als [an] mir (ich miiste denn 
meiner Eigenliebe glauben wollen): so must' er die bibliotheka- 
rischen Stadte nehmen und ich rit bios auf die Dorfer hinaus und 
faste von diesen ein litterarisches Giiter- und Flurbuch ab und 
damit Got befohlen, den Rezensenten aber auch. Mich diinkt 
dies sind die Wege die der Mensch einzuschlagen hat, urn mit 
seineni Pf und - Dintenpulver zu wuchern und liber alte Biblio- 
theken neue hinzuschreiben. 

(Unter der Hand der Poeten wird alles schoner, gepuzter und 
gefalliger, sie selbst ausgenommen; so tragen die Farbekrauter, 
die unsern Anzug mit schonern Farben malen, selber Blumen 
mit schlechten, und so sind in Paris die B lumen verkauferinnen 
am schmuzigsten.) 

Weder auf der Erde noch weniger auf der Landkarte kan das 
Dorf weit von der See Kuhpanz abliegen, dessen offentliche und 
privatisierende Bibliotheken nebst den vielen Manuskripten hier 
den gescheutesten und gelehrtesten Gelehrten in der alten Welt 
so ausfuhrlich beschrieben werden miissen, daB es fast ge- 
schmakvol und ekelhaft zugleich ausfalt. 

Ich wiirde als Bibliograph ein wenig gefehlet haben, wenn ich 
nicht meinem Gaule einen Mezen Hafer hatte vorschiitten und 
mich nicht sogleich zum Kuhpanzer Schulmeister - ich wil 
manchmal gar das Dorf selber Kuhpanz nennen - und in die 
Schulbibliothek hatte fuhren lassen. Aber Schul-Bibliothek und 
-meister waren nicht zu Hause, sondern in den iibrigen Hausern: 
es war mir leicht beizubringen, daB die Kuhpanzer Schulbiblio- 
thek - sie ist von Betracht und betrachtliche Litteratoren wiin- 
schen aus ihr zu schopfen - wie von einem Quartiermeister ver- 
einzelt im Dorfe einquartieret lage. Wie namlich in vielen 
Lesegeselschaften iedes Mitglied ein Buch beisteuert: so kaufte 
von ieher iedes Mitglied der Kuhpanzischen Abe-, Buchstabier- 
und Lesegeselschaft ein kleines Werk, das in sofern zur Schule 
gehort als der kurze greinende Kauf er selber dazu gehort; wenn 
aber die Schule abends aus ist, so tragt ieder Schulgenos und In- 



OFFENTLICHE UND PRIVATBIBLI OTHEKEN 69 1 

teressent sein Exemplar wieder heim, nebst dem daran gekette- 
ten Griff el und sorgt vielleicht nicht fur den andern Morgen, was 
werden wir da essen und lesen. Die Hauptrubriken dieser Uni- 
versitatsbibliothek - denn man mag wol die Schule des Bauern 
eine hohe nennen, erstlich weil er sie zulezt bezieht und zweitens 
wegen der rohen Sitten auf ihr - diirften volstandig etwa diese 
sein: theologische Werke - seltne Bibelausgaben (im Dorfe 
seltrie), entweder der ganzen Bibel wie die Kansteinische oder 
der halben, z. B. die Evangelien, der Psalter - rare Erziehungs- 
schriften, namlich Fibeln, denen ich so wol in der ambrosischen 
Bibliothek in Mailand als in der gottingischen vergeblich nach- 
fragte, und Seilerische Sachen. Ein Gelehrter, der am besten weis 
was er zu seinem narrischen Studier^n bedarf und dem H. Hir- 
sching mit solchen angeblichen Geringfugigkeiten oft den unbe- 
schreiblichsten Gefallen erweiset, weis offenbar auch was hinter 
der gegenwartigen ist und hunzet mich des wegen nicht aus. 
Auch der Fond, womit die Kuhpanzer die Unterhaltung dieser 
offentlichen Buchersamlung bestreiten, ist ganz erheblich: denn 
man mus nur bedenken, Kuhpanzer sind keine Hofer. Eine ganze 
Stadt wie eben Hof im Vogtlande schiesset allerdings leicht und 
mit Lust einen iahrlichen Schulfond von drittehalben Gulden* 
zur Schulbibliothek aus, wie H. Hirsching mit zuvielem Preisen 
gedenkt: es ist auch das gar nichts als was man mit Recht einer 
solchen Stadt ansinnen kan und ihr Handel und ihre Volksmenge 
halt solche der blossen Gelehrsamkeit assignierten Summen un- 
streitig schon aus; allein diese ganze Stadt sei doch auch billig ge- 
gen anonyme Ortschaften in der Mittelmark und muthe einem 
hagern insolventen Dorfe, das wie ich schon oben beriihrte gar 
nicht weit von der See Kuhpanz absizt,.viel angemessenere 
Fonds fur seine Gymnasiumsbibliotheken zu und mache schon 
etwas aus dem Kuhpanzer, wenn er ihr bios mit kurzen Fiissen 
von weitem hinterdrein springt. 

Es fiel unter meinen Tadel, daB der Schulmeister oder Biblio- 

* Siehe Alg. deuts. Biblioth. 81 Band Seit. 649 -und in H. Hirschings 
Beschreibung 2 Band. 



692 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

thekar fast die ganze Schulbibliothek auswendig konte: bessere 
Bibliothekare thun das nicht. Denn so wenig es auch heut zu 
Tage grosse Staatsbediente giebt, die ihre Hande, durch die die 
Goldadern des Staates laufen, nicht fest zuriegeln, sondern die 
unberei chert und in frommer fur ihre Tugend zeugender Ar- 
muth sterben: so hat man doch noch Raths- und Schulbibliothe- 
kare haufiger, die ungeachtet alle litterarische Schaze und Ein- 
und Ausgaben durch ihre Hande mussen, gleichwol diese und 
ihren Kopf davon zu enttaussern wissen und ihre grosse Unwis- 
senheit soke uns die beste Zeugin ihrer Enthaltung sein. 

Ubrigens war der Schulmeister gut genug und ein halbierter 
Nar, wie alle Mitteltinten zweier Stande. Wie der Apotheker 
gegen den Doktor hinschill^rt, der Schreiber gegen den Juristen, 
der Kammerdiener gegen die Leute von hoherem Stande: so ist 
der Schulmeister und Kiister eine der Pastoral-Hyperbel ewig 
sich nahernde Asymptote und wil als ein Polype den Gelehrten- 
stand mit dem Schulmeisterstand, ohne sichtliche Naht, ver- 
kniipfen - seine Frau ist auch ein Polype und wil ihres Orts wie- 
der den Schulmeisterstand mit dem Bauernstand sanft 
verkniipfen und man sol davon reden. 

Ich besuchte und beschreibe die zweite offentliche Bibliothek, 
die Kirchenbibliothek. Denn der Schulmeister trat ein, mit einer 
langen Angelruthe als zeitiger Fisch- und Menschenfischer oder 
Fanger. Er war nicht ohne alle Hoflichkeit und ob er gleich wenn 
er iiber den Tod seines liebsten Sohnes weinen wil, eine Serviette 
umbinden und einkniipfen wird, damit das Weinen darauf falle: 
so iiberschraubt er doch nirgends und nichts. In der Litterarhi- 
storie wird das Faktum lange aufbehalten werden, da6 mir der 
Kuhpanzer Schulmeister gern die elende Kirche aufsties. Drin- 
nen sagt' ich ihm, krochen nicht die Sonnen- und Mondsstralen 
durch ein Paar Fugen oder Glasthiiren, die man Fenster nennen 
soke, in die Mutterkirche: so konten wir beide einander schwer- 
lich ersehen. Da ausser dem Licht auch ich mit hineingekommen 
war: so san ich der Moglichkeit nach und befragte mich selbst, 
obs wol anders als durch ein Luft- und Efloch thulich gewesen 
ware, man mochte es nun eine Kirchenthure benamen oder 



OFFENTLICHE UND PRIVATBIBLIOTHEKEN 693 

nicht: der Edukazionsrath bestatigte es ganz und sagte, es ware 
dergleichen da und auch schon der Name. Es gefiel mir ausser- 
ordentlich, daB eine Kanzel drinnen war: ich lies es den Dorf- 
priszian merken und machte vor ihm kein Geheimnis daraus, 
daB es ohne sie an einem Plaze zum Predigen vollig fehlen 
wiirde. Ich gallopierte die h. Statte hinauf und schauete mich 
droben in dem gesprenkelten Tempel ein wenig urn und larmte 
um der Examinierung des Echos willen ungemein. Es war dro- 
ben die lezte Sontagsepistel aufgeschlagen und die summarische 
10 Erklarung, die zugleich zum Lesen und zum Erbauen taugte. Ich 
drehte das Lademaas oder den Schritzahler des h. Redens, die 
Kanzeluhr ohne Noth um; sie ist aber wol iezt ausgelaufen. Es 
that mir so ausserordentlich wol, wenn ich oben ein Paar Kom- 
mata und Duo Punkta zum Priszian heruntersprach, daB ich zu- 
lezt gar eine ordentliche Probe- und Vakanzpredigt anhob, die 
kein Mensch anders wird gehoret haben als so: 

»Andachtiger Zuhorer! 
Er muste von Nieren- und Gallenstein, H. Schulmeister, sein, 
wenn Er mit Nichts zu ruhren ware und ich wil nur iezt probie- 

20 ren, womit eigentlich. Ich konte heute des Wizes wegen iiber das 
Predigen predigen und Er kont' es nicht andern - im Exordium 
beriihrt' ich die Exordien der lutherischen Konfessionsver- 
wandten - in der Proposizion stelt' ich, wie man glaubt, die 
landesublichen Proposizionen vor - im ersten Theile hatten Er 
und ich die ersten Theile der Kanzeln mit einander zu betrachten 
- im zweiten die zweiten - im dritten auch die dritten und in den 
Sub-Sub-Subdivisionen war' es bis zur Betrachtung der Sub- 
Sub-Subdivisionen zu treiben - in der Nuzanwendung konte, 
wenn Er nicht lachte, eine auf alle mogliche Nuzanwendungen 

30 gemacht werden, aber Er lacht wol . . . Wahrhaftig ich werde 
immer redelustiger: ich wil ihn gar bis iibermorgen anpredigen 
und deshalb eine ganz frische Materie vorholen. Ich wil ihm, an- 
dachtiger Zuhorer und Geliebter in Christo, nach Anleitung der 
heutigen oder vorgestrigen Textesworte die ganz ungemeine 
Bosheit der Schulmeistere vorstellig machen. Ich bin namlich - 



694 JUGENDWERKE ■ 5.ABTEILUNG 

ich berufe mich auf gute Kniestiicke von mir und meine Portraits 
in Lebensgrosse - fur hundert Kanzeln zu kurz; eben deswegen 
hatt' ich eben so oft mitten im Pathos - wegen meinem Statur- 
Bathos - nicht iiber meinen Kanzel-Krater hinauslangen und 
kein Auge hinausbringen konnen, hatte mir nicht allezeit von 
Schulmeistern ein kleiner Kanzel schemel,. eine Dito heilige 
Statte nachgetragen und aufgestellet werden miissen - 

Auf der kont' ich langer werden und riihren. 

Einmal aber brachte mir ein Schulmeister, der neulich Kantor 
und Zeitungsschreiber wurde, in einer wichtigen Gastpredigt 
stat meines Schemels nichts nach als einen vom Zimmerholz ab- 
gesagten Stumpf oder Blokgen. Dieser boshafte geistliche Satel- 
lit, dessen Zeitung ich mit halte, sah voraus, ich wurde auf dieses 
schmale Stokwerk niemals mehr betten konnen als Ein Bein. 
Das andre setz' ich in die blosse Luft, solange bis der zeitige Atlas 
steif wurde; dan stelt' ich mich auf den andern Atlas - so muste 
der ganze Korper iede Viertelstunde umgepacket und unter den 
zwei Fiissen hin- und hergeladen werden. Wie? merkte es denn 
nicht der ganze Kirchsprengel immer mehr, daB ich mich alzeit 
auf ein frisches dictum probans und auf einen frischen Fus zu- 
gleich steifte und daB ich, indem ich den Vordersaz iiber der 
Kanzel und den Nachsaz tief in ihr rezitierte, so erbarmlich mei- 
nen Sermon durchsezte, daB im ganzen lustigen Tempel nichts 
einschlief als ein Fus um den andern an mir? Und - da ich den- 
noch auf so schmalen Rostris heftigen Affekt mehr suchte als 
mied - betrank ich mich nicht nahher mit Seniors consistorii et 
capituli, die schlechterdings nicht fassen konten wienach und 
denen ich freilich gestand, daB alle die Empfindung, in die ihr 
Konfrater die Zuhorer versezen konte, seine eignen Fiisse verlo- 
ren? Ganz naturlich rutscht' ich leicht von meinem Sinai und 
Postament, besonders im usus epanorthoticus, herab und sod 
rnehrmals in der Kanzel ein; aber in wenig Sekunden kocht' und 
wogete ich wieder in die Hohe, immerfort erbauend, bei achte- 
stem Spas in Herz und Auge. Zulezt sagt' ich bios: andachtiger 
heilloser Herr Schulmeister . . . aber, andachtiger gegenwarti- 
ger H. Schulmeister, so wird sich ia aus einer Predigt in die andre 



OFFENTLICHE UND PRIVATBIBLIOTHEKEN 695 

versprungenundwirwollenlieber, ohne Digressionen, mit ein- 
ander ein Paar Minuten aufs Kor steigen. Amen!« 

Und wenn wir auch hinauf steigen: so ists vielmehr eine neue Di- 
gression; denn ich sol von der Kirche nichts beschreiben als die 
Bibliothek. Ich kan mir wol mit der Figur der Praterizion in et- 
was helfen und sagen, ich wolle nichts davon sagen, daB auf dem 
Kor nichts Bibliothekarisches war - einige erhebliche In- 
skripzionen mit Bleistift ausgenommen, die auf dem Schnar- 
werk der Orgel standen und die wol nicht eher eine herkulanei- 

■0 sche Entdeckung werden konnen als bis ganz Kuhpanz, wie 
schwerlich zu h of fen, durch ein Erdbeben untergescharret und 
durch Antiquarien wieder ausgescharret worden. Ich kan nichts 
dafiir, daB den Orgeltasten (wie der Glocke unter dem Glocken- 
hammer) tiefe Furchen eingeackert waren und daB das Pedal 
Jahre lang der Dekroteur und Stiefelpuzer der musikalischen 
Stiefel war, die es spielten. Auf dem Fusboden lagen welke Ro- 
senblatter und Blumenstrausser-Gerippe mit mehr Faden und 
Holz als Blumen - es war mir als sah' ich den abgedorten Som- 
mer liegen, an dem sie bluhten - und die kleinen Freuden, die 

10 der Sontag dem Dorfe giebt - und die iugendlichen Busen, 
woran sie (vielleicht mit andern Bluthen und Hofnungen drin- 
nen) einwelkten und abflatterten und ich gukte den armen 
Schulmeister an, der davon nichts hatte als die Aergernis, daB 
er bald einen Besen nehmen und sich an dem welken Drek fast 
krum wurde fegen mussen. 

Das Bibliothekzimmer, an dessen Beschreibung ich doch ein- 
mal gehen mus, ich mags so lang ich wil verschieben, war der 
Kirchhof oder Gottesacker - die Expektantenbank der Mensch- 
heit, die Kiiste der zweiten Welt und der unterste Schifraum der 

^o segelnden Erde - und diese offentliche Bibliothek steht alle Son- 
tage aufgespert und bei Leichen und so oft die Schulmeisterin 
graset. Sie weiset wirklich nichts Gedruktes und Papiernes auf 
und es ist alles, wie bei den altesten Volkern, in beinharte Dinge 
geschrieben. Es lasset sich leicht denken, daB diese grasigte Bi- 
bliothek die unerwartetsten und besten Biographien - auf iedem 



696 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

Grabe liegt eine und unter ihr wie im herbario vivo das be- 
schriebne Exemplar - samt wahren Beitragen zur alten Landes- 
und Dorfgeschichte werde auszutheilen haben; sogar dem Lieb- 
haber der belletristischen Kost sezet sie dasige Elegien und 
Reime vor, deren die meisten an Sargen verwittern, und der 
Freund der schonen Kunste stosset auf eiserne Sachen und stei- 
nerne Engel, denen nichts fehlt als das Leben . . . Du unbe- 
ruhmter bibliothekarischer Gottesacker unweit Kuhpanz! da ich 
tiber deinen vergessenen Todten stand neben den umliegenden 
schwarzen Kreuzen und da ich die metalnen knarrenden Thur- 
gen aufmachte, die der unbegrabnen Welt sagen solten »hier 
liegt NN« und »hier ruht in Got N. N.«: so wurde mir das Herz 
beklemt und ich fragte, kent wol einen dieser beschriebnen und 
vergehenden Menschen ein Londner oder die Madame in Frank- 
reich oder der Monsieur oder der iezige Konig in Preussen und 
der Etatsminister von Herzberg und wer watet wol vollends im 
Winter, wenn oft in 6 Wochen niemand begraben wird, durch 
den Schnee hieher? und solten mich die Kuhpanzer nicht erbar- 
men? - aber ich bedachte, daB dafiir auch der Kuhpanzer den 
Londner und die Madame und den Etatsminister nicht kent und 
dafi er sogut wie diese einen blauen Himmel um sich- eine griine 
Erde unter sich - eine Menschenseele in sich und ein beseeltes 
Auge iiber sich habe - es giebt keine Einsamkeit im volstimmi- 
gen Orchester der Schopfung und des Schopfers . . . Und ihr 
Kuhpanzer! wenn bei euch ein Fremdling begraben wird: so 
scharret nicht bios ein langes Kreuz auf seine lezte Erden-Biirde, 
auf sein Grab sondern stekt ein holzernes hinein oder das metalne 
Thiirgen, damit doch wenn er einen fernen Freund hat und der 
herreiset und sehen wil, wo die Menschenbrust liegt, die von der 
seinigen weggenommen worden, damit der doch seinen Todten 
finde in der Wiiste von Todten - ist der Reisende wieder fort mit 
dem verwaisten Herzen: so falle immer das Kreuzgen um, und 
die Metalschrift losche aus und das Grab werde plat - Aber auf 
Seines habt ihr gar nichts gestekt, ihr Gottinger! wie beim Be- 
grabnen im Ozean. 



OFFENTLICHE UND PRIVATBIBLIOTHEKEN 697 

Ich fahre wieder fort. Jezt kommen die Privatbibliotheken des 
Dorfs. Des Pfarrers seine - sein Grosvater hatte die seines Ur- 
grosvaters, sein Vater die seines Grosvaters und er selber die sei- 
nes Vaters - ist fur meinen Zwek und Aufsaz zu stark und selbst 
zu wichtig; aber sie schlagt ganz in H. Hirschings seinen ein: nur 
mus er bald kommen, weil sie wie die alexandrinische, seit der 
Ordinazion heizet (Bader nicht, sondern Kopfe von - Meer- 
schaum, welcher wie die wenigsten wissen konnen eine im Dorf 
Kiltschik in Natolien gegrabne Erde ist) und ich sagte freilich 
zum Pfarrer: »spart doch wenigstens nur die Titelblatter dem H. 
Hirsching auf und aus, der meines Wissens Mitglied des hoch- 
furstlichen Instituts, der Moral und schonen Wissenschaften in 
Erlang, ist und bleibt.« 

In der Bibliothek des Matthaus Fasman, eines Halbsponners 
hangt unter andern gedrukten Werken eine unvolstandige Sam- 
lung alter Kalender an der Wand und ein gelehrter oder doch 
grosser Herr mus sie vielleicht aus der Fasmannischen Bucher- 
samlung haben, wenn er durch Aufsammlung fiir alte Kalender 
thun wil, was fiir alte deutsche Bibeln und Katechismen langst 
gethan worden. . 

Wahrhaftig wenn deutsche Reichsfiirsten, der Hoch- und 
Deutschmeister und Reichsprobste ihr Bestes fiir die Gelehr- 
samkeit dadurch thaten, daB sie veranstalteten die volstandigsten 
Samlungen von allem Moglichen - von Korrekturbogen - von 
Koralbiichern - von Motto's - von unorthographischen Schrif- 
ten: so hatte die Sache, wenn sie auch das typographische Sina 
wegliessen, immer etwas zu bedeuten. 

In den Kenzischen, Strobelischen und Hahrbauerischen Bi- 
bliotheken geriethen mir interessante Manuskripte in die Hande 
und ich konte sie nicht lesen, weil die Schriftziige altpersisch und 
die Zahlzeichen arabisch waren: die Bauern dachten zwar, ich 
ware blind und gaben vor, es waren bios die Schreibbiicher ihrer 
Buben; aber die gelehrte Republik wird es schon selbst entschei- 
den, ob Kuhpanzische Bauern vermdgend sind, Handschriften 
mit altpersischen Schriftziigen*, die ich nicht einmal selber lesen 

* Soviel sah' ich wol, daB sie einige Aehnlichkeit mit den deutschen 



698 JUGENDWERKE ■ 5.ABTEILUNG 

konnen, vollig zu lesen oder gar zu beurtheilen. Ich wolte wun- 
schen, meine Nachricht frischte Diplomatiker und Philologen 
und Schuldiener in Kanikularf erien an, daB sie fast in Rudeln und 
bandenweise die Handschriften mit altpersischen Schriftzeichen 
bei den unwissenden Bauern zu besehen auszogen. 

Es frappierte mich, daB in ganz Kuhpanz - da ich mich nach 
Theophylakts Kommentar iiber die Evangelien umsah, den 
Erasmus bei seiner Uebersezung des N. T. so gut benuzte, und 
nach dem grossen Leipziger Universallexikon in 62 Folianten, 
und nach Bir Muhamed, Ben Bir Achmed Chali de moribus ho- 
minum et principum praecipue instituendis. Mstum persicum 
auf 130 Blattern in 4 - nichts davon da war: denn ich hatt' es sonst 
finden miissen in Stall en und Stuben. 

Allerdings stechen manche Bibliotheken - und H. Hirsching 
fiihrt sie vor - durch eigne Handschriften (autographa) Luthers, 
Melanchthons und anderer grosser Manner hervor; allein ich 
weis nicht, ob ihnen nicht selbst ein Michaelis in Gottingen und 
andre Gelehrte die schazbare Kollekzion von Autographis vor- 
zogen, die eigne Handschriften nicht sowol beruhmter als be- 
kanter Bauern und Edelleute (unter dem gemeinern Nam en von 
Konsensen, Schuldverschreibungenp.) befasset und die eben die 
Bibliothek des Schultheis Judas Gogel so sehr schmukt. Amt- 
leute wollen Zeugen sein, daB der Schultheis oft 1000 fl. und 
mehr fur eine einzige solche Hands chrift eines in seinen Augen 
grossen Mannes hingezahlet; und mit einem ganzen Viertelshof 
handelte er einem Hintersassen Einen Bogen ab: mir wirds ganz 
glaublich, wenn ich mir den Antonin Pikatel vorstelle, der ao 
1455 seinen Meierhof subhastierte, urn einen Livius einzukaufen 
und der Dorfprator ist nicht starker auf Papier ersessen. Dieser 
Hands chriften-Kollekteur wil sie von keinem Menschen (wie 
die Herkulaneischen Inschriften) abkopiren lassen; und er halt 

hatten; und ich fiihr' es hier an, um H. Fulda's, Morhofs und Boxhorns 
Meinung zu bestatigen, daB Deutsch und Persisch sich nache verwandt 
sind: z. B. beide haben den namlichen Komparativ, denselben Genitiv 
PP- 



OFFENTLICHE UND PRIvfrBIBLIOTHEKEN 699 

diese unzedierten Urkunden - nach H. Eichhorn sprangen alle 
alte Volker eben so mit ihren um - ordentlich fiir heilig. 

Daichsehe, daB alle Bibliothekare so ausserordentlich auf au- 
tographa erpicht sind: so trag' ich hiemit gern meine Handschrift 
alien fiirstlichen Kammern, Biirgern und Bauern bogenweise 
fiir halbes Geld an und wil sie nicht einmal zuriikhaben, wie doch 
viele thun. 

Dieses mogen ungef ahr die wichtigern Schaze der Kuhpanzi- 
schen Bibliotheken sein, weil die unwichtigen wol nicht be- 
10 schrieben zu werden verdienen; ia ich bin mir nicht ohne Ver- 
gniigen bewust, daB ich oft sogar mit erheblichen Werken 
zuriikhielt, sobald ich ungewis war, ob sie andern Gelehrten 
eben so erheblich scheinen wiirden als mir selbst. 

Leider fall' ich in die heftige Klage aller Bibliographen auch 
mit ein, daB erstlich die Leute selten einen Katalogus machen - 
im ganzen Dorf Kuhpanz trieb ich keinen Nominalkatalogus 
iiber sein geistiges Studentengut auf, geschweige einen Realka- 
talog von 84 Foliobanden wie der gottingische hat und nicht ein- 
mal die samtlichen Bibliotheken selber bestehen aus so vielen - 
20 und daB zweitens weder Kind noch Kegel, wenn ein niizlicher 
Bibliograph um alte Bucher zu seiner Arbeit anspricht, die noch 
nicht geflogen kommen, etwas hergeben wil. Die Paar Thranen, 
die das MitgHed des hochfurstlichen Instituts, H. Hirsching dar- 
iiber aus seinen Thranenkarunkeln und Meibomischen Driisen 
schiittete, sind sehr bekant und gedrukt, so wie die zwei Heil- 
pflaster dagegen,die zwei Billets vom Reichsgrafen von Schon- 
born, die der weinende Hirsching mit eindrucken lies, weil er 
darin gelobt wird. 

Ich wolte, unter so entsezlich vielen Grafen im deutschen 

30 Reiche, z. B. den Grafen von ReuB, lobpreise mich wenigstens 

einer oder ein Paar brief lich, weil ichs hernach edierte - und die 

Grafen von Stolberg hatten mich langst schriftlich ruhmen kon- 

nen. 

Durch nichts wurde mir aber vollends meine Bibliographie 
mehr versalzen als durch Priigel, dergleichen man freilich in al- 
ien Welttheilen und Inseln kriegen kan, also auch in Kuhpanz. 



700 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

Es macht dem Schultheis Gogel und seiner zahlreichen Familie 
keine Ehre, daB ich auf ihn hier ziele. Ich hielt bios verniinftiger 
und bibliographischer Weise um seine Autographa bei ihm an 
und betheuerte, ich hatte vor, sie der halben gelehrten Welt mit- 
zutheilen und alles darauf aufmerksam zu machen, was nur eine 
diplomatische Ader hatte. Allein worauf hab' ich iezt diploma- 
tische Adern aufmerksam zu machen als darauf und was hab' ich 
der halben gelehrten Welt mitzutheilen als soviel, daB der Dorf- 
scheik seine ganzen Hande rundete und sie gleichsam als zwei 
Boselkugeln mit den Armen auf mich anschob, um mich als K6- 
nig umzukegeln? Und was macht' ich daher mit meiner Hand? 

- viele Wochen darauf macht' ich sie bios langer und mit ihr und 
der Feder darin erstlich eine Beschreibung der offentlichen und 
Privatbibliotheken unweit der See Kuhpanz und zweitens eine 
darein inkorporierte Beschreibung des fatalen Schultheis selbst; 
ich haselier' aber halb. 

Ich bringe noch eine Klage. 

Wahrhaftig man hat es bei der ausgebreite[t]sten Belesenheit 
gelesen, wie und wo die alten Autoren erhalten oder vielmehr 
verloren wurden, oft in Kellern, Klostern, an Materialwaren 
u. s. w. und man weis die Wiederfindung des Livius, Aristo- 
phanes p. ganz: gleichwol wil das nichts verfangen; die wenig- 
sten - ich bin allein auszunehmen - suchen an Kuhpanzer zer- 
brochnen Fenstern, an Heeringen, die oft mehr wahre 
Aufklarung als Geistliche in Dorfer tragen wie ein Degenknopf , 
eine Miinze oft die Pest ganzen Landern gab, und an den Papie- 
ren, die um des Kuhpanzer Pfarrers neue Gesangbucher vom 
Buchbinder gewickelt werden, nach guten Schriften nach, ob- 
gleich H. Archivarius Beer in Bayreuth, Seilerische, Wie- 
nerische und andre Werkgen wirklich dadurch zu retten- waren 

- Nachher hat die Nach welt nichts. Es werdens Tausende mit 
mir in S^ie^Miinzbelustigungen und in Morhofs Polyhistorie ge- 
lesen haben, daB die Obrigkeit iedes Orts alle Hoker und Pfen- 
nigkramer anhalten soke, iedes Schnizgen Makulatur vorzuwei- 
sen eh' sie es verbrauchen; aber ich sehe noch nicht, daB man es 
im Reichskreise meiner Geburt befolgen wil und sich ruhmen 



OFFENTLICHE UND PRIVATBIBLIOTHEKEN 701 

kan, dadurch nur Eines neuesten Autors alteste Werke erganzet 
zu haben, geschweige von 20, von 10 000. - Am bejammerns- 
wurdigsten ists, da6 vollends die gelehrten Zeitungen, von de- 
nen Rezensenten und Autoren, im verschiedenen Sinne, leben, 
in der That mehr verbraucht als gebraucht werden; von diesen 
Ziehen wir Autores unsern Ruhm und dessen Unsterblichkeit - 
in und mit einer einzigen gelehrten Zeitung zerquetschet man ei- 
nen ganzen zappelnden Wurmstok von Autoren und wir sind 
ausgemarzet . Man soke des wegen ganze Journalen- und gelehrte 
Zeitungen-Bibliotheken aufstellen und konservieren, damits 
doch gewis zur Nachwelt kame, wer von uns Skribenten sich 
unsterblich geschrieben und wer nicht. - Nach diesem Gedan- 
kenstrich werd'ich noch einen Ziehen und dan abschnappen. Es 
herschet in unserm Zeitalter eine unglaubliche Gleichgultigkeit 
gegen die neu oder altgothischen Karaktere auf Hemden und 
Kartoffelsacken in Kuhpanz und noch kein Sprachforscher stach 
sie in Kupfer, wie man doch mit den Karakteren auf den Wickel- 
bandern der Mumien taglich thut, die nicht einmal gothisch sind 
sondern agyptisch. - Es fragt sich endlich, ob nicht eine ordent- 
liche Kommittee in einem einzigen Kuhpanzischen Zwirn- und 
Garnknauel die wichtigsten Manuskripte stecken fande, wenn 
sie sich zu diesen durch die Ariadne's Faden fuhren Hesse; und 
der Pfarrer wickelte nicht selten die Beichtgroschen und Ernte- 
predigt-Gefalle aus Papiergen heraus, die er noch in der Tasche 
hat und die mehr werth waren als das Geld darin, das er nicht 
mehr in der Tasche hat. 

Heute fruh um 4 Uhr rit H. Hirsching von mir fort, der meine 
Privatbibliothek eine Nacht besehen, um sie mit zu beschreiben. 
Ich hab' ihm abgerathen, es in seine Beschreibung mit zu sezen, 
daB seine 4 Bande bibliothekarischer Beschreibungen und meine 
eigne Werke darin waren; er lies aber nicht mit sich reden. 



MEINE MAGENSAFT-BRAUEREI 



Bios Erfinder, die ganze Winter und den langsten Tag und die 
langste Nachtiiber der Anbriitung der niizlichsten Hermaen ge- 
sessen und die nachher (weil sie vor Betrunkenheit kaum reden 
konten) dennoch von ihrer Erfindung vor einem oder einem 
Paar rauberischen Ohren geredet, solche Erfinder, die darauf in 
wenigen Wochen erfahren, daB ein solches Ohr das Wegge- 
schnapte fiir seinen Fund ausschreie - bios solche. vortrefliche 
Menschen konnen sich denken, wie mir war, da ich in ihren Fal 
gerieth. Carminati, der einmal einen Abend bei mir gewesen sein 
mus, hat mir mein Rezept zum kiinstlichen Magensaft wirklich 
gestohlen und seine That werde hiemit bekanter. 

Meine ganze Fabrik kan es beschworen, daB ich meinen 
kiinstlichen Magensaft aus zwei Quentgen Kalbfleisch ausziehe, 
das ich in I Unze Wasser digeriere und mit 5 Gran Kochsalz be- 
sae - nun macht, zu meiner grosten Verwunderung Carminati 
seinen Saft gerade auch so und es ist unerhort. Ich frage aber hier 
die iezt lebende Welt, ob nicht bei so gestalteten Sachen einer von 
uns beiden (ich lasse errathen, welcher) den andern boshaft mus 
bestohlen haben? 

Meine Absicht war dabei gut genug. Ich sah, daB uberhaupt 
das achtzehnte Jahrhundert keinen Hunger hatte: denn da ich 
einmal meine ganzen Kanikularferien dazu verwandte, daB ich 
in den zehn Reichskreisen herumzog und liberal nachfragte, wer 
Hunger hatte und alle Hungrige in die Hunger-Matrikul eintrug: 
so nahm ich, da ich vom Pferde herunter war, einen Schiefer und 
summierte den deutschen Reichs-Hunger und brachte zu mei- 
nem Verxlrus heraus, daB sonst eine Quadratviertelstunde viel- 
leicht mehr Hunger besessen als eine iezige Quadratmeile. Ich 
und meine Kinder werden es nicht erleben, daB einmal gar kein 
Mensch mehr hungrig ist; aber wenn einmal andre Magen dieses 
erleben: so sollen sie sagen, ich habe es wahrend meiner Magen- 



MEINE MAGENSAFT-BRAUEREI 703 

saft-Brauerei vorausgesagt und man hatte mich und sie besser 
unterstiizen sollen. 

Unter solchen Umstanden kenn' ich keinen grossern Man als 
einen, der eine unbedeutende Magensaft-Brauerei anlegt und 
dadurch den Hunger ziemlich rehabilitiert. An mir selber stelt' 
ich die ersten Proben dieser Magentropfen an und ich berufe 
mich auf ieden, an dessen Tisch ich sas, ob ich nicht hinlanglich 
gegessen. Inzwischen begehr' ich von der ganzen Sache nichts 
als Ruhm. Denn wenn Helvetius in seinem philosophischen Va- 
demekum alle Ehrbegierde fur vermumten rikoschettierenden 
Eigennuz ausschreiet: so mus er in seinem Leben sich keine Mi- 
nute an die Stelle jener grossen Manner (eines Kato, Zasars, Hel- 
vetius p.) gesezet haben, die dem Ruhm mehr opferten als ab- 
betteln, sie mochten nun den Hunger ihrer Mitbiirger stillen 
oder reizen. Ich sagte, bei der Erfindung meines Safts, wahrhaf- 
tig nicht: »iezt wil ich den kunstlichen Magensaft nach so vielen 
Jahrhunderten ersinnen, um meinen natiirlichen abzuspeisen 
und mir aus dem Ruhm dieser Erfindung Gold zu waschen« -r 
sondern ich sagte vielmehr: »ersinn' ich den Magensaft bei Gele- 
genheit: so bring* ich einen befruchtenden Landregen alien 
Menschen auf einmal und die Nachwelt wird mich mit Gelde, 
und die Mitwelt mit Ruhme lohnen wollen und es wird mir doch 
nebenher ieder einige Biichsen mit abkaufen: denn ich kan eine 
ordentliche Fabrik davon anlegen, wenn meine Frau auch wiL« 

Solche und andre Stellen bring' ich nur darum in die erste 
Auflage, damit ich sie aus der zweiten mit einer Selbstverleug- 
nung stosse, die mich manchmal argert und frappiert. 

Es werden noch wenige Menschen in meine Fabrik gegangen 
sein; aber wenn sie's auch nicht brauchen und in den besten Hau- 
sern Wiens gegessen haben: so wird ihnen mein Magensaft schon 
bei der Suppe mit serviert worden sein. Ich erbiete mich, meine 
Handlungsbiicher aufzuschlagen und daraus zu zeigen, daB ein 
grafliches Haus in Wien eine Kommission von 2 Feuillet solchen 
pankreatischen Safts gemacht- welches den wienerischen Hun- 
ger nach Hunger ein fur allemal ausser Zweifel sezen soke. 

Es entehret die Kirche und meine Fabrik sicher nicht, daB 



704 JUGENDWERKE ■ 5.ABTEILUNG 

ganze Domkapitel bis zum Subsenior, auch ausser den Tagen der 
Generalkapitel, soviel iederzeit mir von meinem Magenkordial 
abgekauft, daB sie wol an den Tag legten, fur was sie ihn giinstig 
hielten, namlich fur Chrysam und Weihwasser zum Besten or- 
dinierter Magen. Es ware zu wiinschen, ein iiberirdischer Sander 
unter den Engeln sahe uns Menschen fur Vieh an und schriebe 
uber den Nuzen dieses Viehs, wie der unterirdische karlsruher 
Sander uber das viehische geschrieben: der englische Sander 
konte doch wahrhaftig nicht (ibersehen, daB Domhern und ihre 
Athmosphare unter den Menschen die Kafer sind, die durch ihre 
Unersatlichkeit Faulnis von der Erde abwenden; beide Sander 
konten durch beide Kafer zu erbauen wissen. 

Die meisten Frauenzimmer von Stande trinken meinen Ma- 
genbalsam wie Wasser und werden so hungrig als ihre edle Her- 
kunft erlauben wiL 

Es wird ein Jahr werden, da!3 ich zum Fenster hinausschauete 
und einen hagern Poeten neben einem reisenden Violonzellisten 
auf mich kommen sah: sie sagten, sie besassen einen elenden blo- 
den Magen, dems an Magensaft fehlen muste. Ich gab ihnen aber 
keinen, sondern bot ihnen ein Abendessen an, wenn sie mir den 
ihrigen ohnehin miissigen iiberliessen. Noch am namlichen 
Abend entwarf ich eine elende Supplik an meinen gnadigsten 
Landshern, in der ich mir mit hinlanglichen Griinden ausbat, daB 
ich armen Leuten und Zuchthausgefangnen, die vom fiirstlichen 
Beutel so gut lebten wie der Furst selbst, den Magensaft mochte 
auszapfen diirfen, damit der Hunger in vornehmere Magen 
ubergefullet wiirde, fiir die er sich weit mehr schikte: in der That 
weis ich nicht ob es genugsam passet, daB Leute von geringsten 
Stande oft soviel Appetit besizen, als konten sie ihn mit 12 
Schiisseln rechtfertigen. 

Jezt hab' ich noch zwei Beweise zu fuhren, erstlich den, daB 
es gut ist, wenn ieder Mensch Hunger hat, er mag in oder ausser 
Europawohnen-undzweitens, daBes noch besser ist, wenn ich 
- andere diirfen beurtheilen, mit welchem Ruhme - diesen Hun- 
ger unversehends verdoppele. 

In Naturalienkabinetten stopfet man Vogel mit Kleien, Sand, 



MEINE MAGENSAFT-BRAUEREI 7O5 

Heu und Hopfen aus, weil sie sonst umfielen, - aber nicht diese 
bios, sondern auch Fische und die ganze Zoologie. Es wird Leu- 
ten, die schief sehen und besonders denen, die schief gesehen 
werden, nicht iibel zu sta'ttenkommen, daB ich einmal mein eig- 
nes Naturalienkabinet scharf beschauete und dadurch merkte, 
daB die Erde selbst nichts ware als ein grosseres vol Menschen 
- andere haben vielleicht eben so scharf beschauet und eben so- 
viel gemerkt. Wir Naturalien miissen daher immerfort mit Ve- 
getabilien, Kleien und Heu ausgestopft werden, wenn wir an- 
ders nicht zusammenf alien sollen; und ein wahres Gliik ists, daB 
iedes Naturalienstiik sich selber fullen kan, z. B. ich mich. Man 
kan das essen nennen; aber tausende wissen nunmehr schon, 
woran sie sind. 

Ein Reichsprobst in Baiern hat und erfiillet ungemein viele 
Pflichten; aber die wichtigste, ohne die er an alle iibrige mit kei- 
nem Worte denken kan, mus ihm die sein, daB er sich fur eine 
transzendente Naturalie ansieht, die so gut ausgestopfet werden 
mus wie der Sessel, auf dem sie liegt. - Wie man Thiere mit bit- 
tern Krautern ausfiilt, damit keine Wurmer sie zersezen: so kon- 
nen wahrhaftig ganze Korporazionen nicht genug essen, wenn 
sie mit Ernst haben wollen, daB Wurmer im Grabe oder im Ma- 
gen sie nicht zerbrockeln. Halten sie aber fleissige Es-Konvente, 
bei denen es nichts schadet, wenn ohne Abbruch der Hauptsache 
andere Dinge, Berathschlagungen p. mit abgethan werden: so 
stehen sie da und sind immerfort ganz. 

Inzwischen mus ich vols tan dig sein und auf folgendes kom- 
menundfuhren. Deutsche Gelehrte, Poeten, Schulleute werden 
auf eine Art ausgestopft und konserviert, die viel neuer und wol- 
feiler ist - bei den Thieren hat man eine ahnliche Erfindung und 
ich kan diese eher beschreiben. Man schnurt den After des Thie- 
res zusammen, das man gegen den Zahn nicht der Zeit sondern 
eines Dezenniums verwahren wil. Hierauf sprizt man es diirch 
den Mund mit Aether vol. Nach einigen Tagen verfliegt der 
Aether und dorret durch diese Verdunstung das Thier - wenn 
man die Injekzion noch einige male vornimt - so gut aus, daB 
es sich halt. Diese Aetherfiille kostet wenig und eine Maus trok- 



J06 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

net man mit Einer Unze aus. Ich stelle mir den Vortheil unbe- 
schreiblich vor, mit dem man diese Aether-Raucherung auf 
Menschen iibertrug. Denn da ein Mensch zu seiner iahrlichen 
Ausstopfung 10 Centner grobes Gefiilsel haben mus: so zahle 
man aus, was erspart werde, wenn man die unzahlichen Poeten, 
deutschen Gelehrte und Schulleute, die urn uns und unsere Ta- 
schen herum laufen, bios mit 5 oder 4 Zentnern konservieren 
kan und sich anders zu helfen weis. Man kan sie aber so vortref- 
lich konservieren und weis sich anders zu helfen bios durch Luft 
(aura popularis), die man in woltonenden Wellen, die das ehr- 
geizige Ohr kizeln , in dasselbe laufen lasset . Dieses Lob-Gef iilsel 
zischt aus der Naturalie bald wieder heraus und diese wird da- 
durch dermassen eingekocht, daB sie so trocken und abgefleischt 
ist wie die gebratne Kralle eines Kapauns: denn grobere Fulle 
wird der atmosp[h]arischen wenig beigemischt. Es haben es da- 
her kluge Kammerkollegien schon hundertmal versucht, furst- 
liche Pfeifer und Geiger und Tanzer und zweite Liebhaberinnen 
bios mit dergleichen feinen Inseraten zu durchschiessen und aus- 
zutroknen-dieFiirsten woken aber, aus leicht erklarlicher Vor- 
liebe fur Gelehrte, noch nicht dran und bios diese leben von der 
Luft. 

Bei ausgestopften Vogeln fangt die Faulnis zuerst an der 
Kehle, den Nasenlochern und dem Schnabelan: bei den belebtesten 
Menschen ists aber auch nicht anders und aus Amerika kroch der 
Wurm herauf, der sie und die Schiffe zerfrisset. 

»Sein Sie auf heute, auf morgen, auf immer mein Gast« darf 
nichts heissen als das: »In Einer Woche miisten Sie stinkend wer- 
den, wenn ich Sie nicht geschikt ausstopfte wie die Haut eines 
Anatomierten; so aber dauern Sie.« 

Es soke mir lieb sein, wenn ich durch alles dieses einigermas- 
sen erweislich gemacht hatte, daB die Menschen essen miissen. 

Ich woke noch zeigeh wie gut es ware, wenn sie noch einmal 
so viel assen bie bisher, 20 Zentner iahrlich namlich und ich ver- 
sprach es. 

Der verdoppelte Hunger gab' uns schon im ersten Jahre vier 
Buchhandlermessen in Leipzig und die Neujahrsmesse rechn' 



MEINE MAGENSAFT-BRAUEREI 707 

ich gar nicht: die oden Autoren - die bisher lieber ein Buch als 
einen Brief schrieben - machten ganz natiirlich einen Theil mehr 
nebst einem Realregister; manche ein Paar. Es komt mir erwar- 
tet, daB dan arme und hungernde Poeten wie unsre ganzlich 
wegfielen, sintemal sie offenbar schon in der ersten Woche des 
duplierten Hungers strandeten. - Mit dem Hunger wiirden sich 
ausser den Lastern auch alle unsre Tugenden verdoppeln, beson- 
ders die Uneigenniizigkeit. - Ich weis nicht, worein die gierigen 
Kavalleristen ihre Zahne sezen wiirden, bei der Unzulanglich- 
keit der Porzionen - ob in die Razionen oder in die Pferde selbst, 
denen diese gehoren. Kein Land konte das Selbststillen seiner 
Armee ausdauern, sondern es miiste ein feindliches zur Amme 
derselben erkiesen. - Wegen der ungeheuern und mir unbegreif- 
lichen Diaten, die der zweischneidige Hunger foderte, konte 
man keine Kommissionen mehr schicken, weil die Azungsko- 
sten den Werth der untersuchten Sache iiberstiegen, stat daB sie 
bisher ihn nur erreichten. - Die reichsten Geizigen, deren Magen 
schon iezt alles so gut verdauet wie ihr Gewissen, wiirden einige 
Wochen von ihrem neuen Hundshunger abwelkend und ein- 
schiessend durch die Gassen herumgehezet werden, bis sie ihr 
eigner erboster gestarkter Magen ganzlich erbisse; wiewol sich 
ein und der andere Kapitalist von meiner Bekantschaft dadurch 
retten wiirde, daB er urns Armenrecht anhielte. - Es soke mich 
Wunder nehmen, wenn dan iemand an seine Verdamnis dachte: 
unter den Bissen des azenden Magensafts waren die Bisse des 
Gewissens wenig mehr zu fiihlen. - In Italien war' es noch am 
ersten auszuhalten und iiberhaupt in warmen Landern; aber 
England wiirde Ostindien ins Pfandhaus tragen, um ein paar 
Pfund Rindfleisch zu kaufen. - 

Von der einen Seite ware dieser Hunds- und Wolfshunger ein 
verfluchter Streich fur halb Europa und ich habe nur nicht die 
Zeit, es weiter auseinanderzulegen, weil ich heute noch zwei 
langst bestellte Feuillets Magensaft forthaben wiL 



FRAZEN 

Da Fielding und ich in London waren - einer von uns beiden liegt 
schon in der Erde -: so thaten wir einem gewissen Klub, der wie 
der Mensch die kleine Welt hies, die Ehre an und gehorten or- 
dentlich zu ihm, wie man in London langst vergessen hat. Jedes 
Burgergen dieser kleinen Welt muste in 24 Stunden eine Fraze 
gebaren und weiter spedieren: Fielding kan auch manche Fra- 
zen komponieret haben; aber mich interessieret seit vielen Jahr'en 
vielleicht nichts so sehr als ich selbst und ich erweise mir einen 
dauerhaften Gef alien, wenn ich bios meine Frazen, die ich der 
kleinen Welt erzahlet, der gelehrten berichte: denn mein Ich be- 
steht aus zwei Theilen, erstlich aus meinem Ich, zweitens aus der 
Vorstellung meines Ichs, die von einem Ende desselben bis zum 
andern langt und es fiillet. 

Meine erste Fraze 
Im siebeniahrigen Krieg ritten preussische Husaren durch meine 
Wohnstadtunddachtennichtdaran, daB iemand darinsasse, der 
sie alle aufs Papier bringen wiirde, wenn sie folgendes thaten. Ich 
drucke mich nicht zu empfindsam aus, wenn ich schreibe, daB 
die Husaren alle Blumgen pfliikten, die am Lebenswege dufteten 
und die damals beim Durchrit, nichts waren als die Semmeln 
und Blutwiirste, denen die pfliickenden Husaren begegneten. 
Ich wil zu verstehen geben, daB diese vom Beckerladen und von 
der Fleischbank diese zwei aUiierte Viktualien als Geiseln mit- 
nahmen; es mus aber schlechterdihgs erzahlt werden, daB wer 
Semmeln stahl keine Wiirste nahm und umgekehrt. Im Essen 
wars ganz anders: neben iedem Husaren, der an einer Semmel 
as, rit einer parallel, der sich mit einer Wurst beschaftigte; so 
konte der Semmelinhaber sehr gut seine Semmel dem reitenden 
Nachbar zu iedem Bisse himiber leihen, den er in seine Wurst 
einschlug und sagen: »BeiB, Kamerad!« - Der Wursttrager hielt 
seinerseits ienem die Wurst wie einen Koder iiber 2 Pferde hin- 



FRATZEN 709 

iiber, urn ihm ein Zugemiisse zur Semmel zu leihen und sagte: 
»BeiB, Kamerad!« So ritten und assen sie, in diesem Gassen-Pi- 
kenik, mit gleichen Schritten und von einerlei; und Freunde und 
Feinde von mir, meine weitlauftigen Vettern, Schwiegersohne, 
Schwiegervater, Halbgeschwister, Viertelsgeschwister dachten 
iiber die Sache recht hin und her. 

Unter alien meinen Verwandten kam aber doch keiner auf den 
Gedanken als ich, daB oft zwei Fursten oder zwei Dikasterien, 
wenn sie neben einander reiten, einander Wurst und Semmel 
hiniiber reichen und sagen: »BeiB, Kamerad!« 

Die zweite Fraze 
Es kan recht gut in Mailand gewesen sein, daB ein Pater ordent- 
lich auf die Kanzel gieng und da von einem holzernen Heiligen, 
dessen Kour- und Festtag gerade war, herunterbewies , er lebe 
sicher noch und sei nur von Holz. Wir horten alle folgende Rede: 
»Wir katholischen Christen haben heute sein Fest und er hats 
auch; es wird mir daher nicht verdacht werden, wenn ich erofne, 
wie er zum Feste und zum Holze kam, woraus er bei seinen iezi- 
gen Lebszeiten wider seinen Willen bestehen mus. Viele 
Heilige -« 

Ich mus den Pater und den Leser unterbrechen, um bios den 
leztern zu warnen, sich umzuschauen: ich habe vielleicht etwas 
vor - 

»miissen von zwei Zeitaltern reden konnen, von einem flei- 
schernen und von einem holzernen: so lange sie im fleischernen 
leben, fehlts ihnen nicht an Fleisch, ich meine nicht in der Bra- 
tenschussel sondern auf ihrem Leibe - im holzernen aber ist bei 
ihnen an nichts zu denken als an wahres Holz und sie stehen in 
unsern kalten Kirchen. Dem heute gefeierten Heiligen wars 
sqnst argerlich, daB er nicht wie ein Ahornbaum aus Holz be- 
stand. Er merkte alle Morgen gar wol, daB er noch fiinf Sinne 
hatte, ob er sie gleich den ganzen Tag vorher todgetreten hatte. 
Seinen Schiilern verbarg ers nicht, daB er noch sahe und roche, 
wiewol er die ganze Woche mit Schusgebeten auf und um sich 
feuere.« - 



710 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

Der geneigte Leser schreie und sage nachher nicht, ich hatte 
gar nicht daran gedacht, ihn zum zweitenmale zu warnen und 
zu stossen, sondern ich hatte den Pater ungestohrt so fortreden 
lassen: 

»Mehr als einmal schlug der Heilige seine fleischernen Hande 
iiber den Kopf zusammen, wenn er sari, daB in seinem Magen, 
er mochte ihn kasteien wie er wolte und ihn immerhin 3 , 4 Tage 
vom Essen suspendieren, am Ende derselben doch der Hunger 
eher wuchs als schwand. Einmal fluchte er entsezlich daruber, 
daB er noch fluchte. In den Antwerper actis sanctorum sind die 1 
Thranen zu finden, die er oft daruber um sich begos, daB er, 
wenn er ein Weib sah, nicht denken konte, es ware ein Man; und 
ich stehe selber mit unter den Patribus, die es auch bis auf diese 
Stunde nicht zu denken vermogen, so wenig wie das Unendli- 
che. Er schauete quartaliter sein[en] Leib an und sagte durch die- 
sen Leib heraus, lezterer ware eine solche Nachgeburt seiner 
Seele - eine solche Parodie derselben - sein wahres Fleisch ware 
ein solches wildes Fleisch an seinem innern Menschen - der Kor- 
per ware gewis eine solche entstellende Hizblatter und Spekge- 
schwulst seines Ichs - und iiberhaupt so bos in hundert Dingen, 2 
besonders in diesem und ienem, daB er diesen ganzen Strunk ju- 
belierend an den Galgen eigenhandig kniipfen wolte, wenn er 
nicht dadurch zugleich auch die unschuldige Seele, die mitten 
darin sasse, mit daran brachte.« 

Ich bitte den Leser nur, sich an den heutigen Datum zu erin- 
nern. 

»Das Beste ware gewesen, wenn er nur einstweilen aus dem 
fleischernen Korper herausgezogen ware etwan in einen holzer- 
nen, der stets so gut ist wie ein todtgestochnes Lam. Nun merkt 
man wol so viel, daB ers that; aber nicht auf einmal und ich kan ; 
es hier so deutlich beschreiben als irgend ein Pater, wenns anders 
mein lebhafter Wiz zulasset, von dem ich weis wie er ist. 

Der Heilige, der seinen Korper hinwegfiltrieren wolte, zog 
deswegen in einen Krieg gegen die Unglaubigen und es wurden 
ihm die zwei Beine unter dem Leibe weggeschossen, mit denen 
er in den Krieg gegangen war. Jezt kont' er schon etwas vom 



FRATZEN 711 

neuen Adam anziehen, namlich holzerne Beine und die ganze 
Kirchgemeinde sieht sie iezt an. Ein Mensch, der so mit seinem 
kiirzern Leibe in den Spalt zweier solche[n] Stamme inokulieret 
ist, wird immer edler und kan zulezt, wenn die Versteinerung 
hoher geht, ein Heiliger d. h. ein perpetuum immobile ohne Ge- 
muthsbew egungen werden. - Den rechten Arm schos ihm nie- 
mand ab als er selbst und zwar mit dem rechten Arme selbst und 
mit einer Handgranade, die im namlichen Kriege zersprang. 
Eine holzerne Kotangente sezte sich auf die weggeschossene 
Tangente und es stand nun aus ihm ein neuer Holzast heraus, der 
allerlei zu tragen versprach. - Seinen linken Arm sprengt! er wie 
ein Hummer dadurch ab, daB er seinen uber die Geheimnisse 
nachdenkenden Kopf so lange mit ihm unterstiizte bis der Arm 
und er selbst einschlief : beim Auf wachen kont' er sich den Arm 
entweder vom kalten Brand oder vom Bader amputieren lassen; 
es thatens aber beide mit einander. In ein paar Tagen hieng wie- 
der ein Spatling von Holz an seiner Achsel von Fleisch. 

Gleichwol waren noch die wichtigsten Theile des Heiligen 
von Fleisch. Allein es war ihm nicht neu, daB der Leib der Sarg 
der Seele sei und daB Leute von Einsicht ihren Sarg sich oft le- 
bendig zimmern liessen - sondern er bestelte sich beim Schreiner 
einen Ditosarg, um darein den korperlichen Sarg zu sezen, d. h. 
ein holzernes Gehaus, das aussahe wie ein Mensch oder eine Sta- 
tue - aber wahrhaf tig das Gehaus steht ia vor euch alien und be- 
trachtet es nur. >Ordentliche Beine und Arme, sagt' er zum 
Schreiner, hatt' er schon.< Der Schreiner hobelte in 14 Tagen eine 
zwei Daumen dicke Statue mit einer abscheulichen Nase aus 
dem Nichts ins Sein: man konte diesen runden aussern Men- 
sch en, dessen zwei Half ten hinten am Riikgrade in Angeln lie- 
fen, auseinandersperren. Wenige Menschen haben noch in ihrer 
eignen Statue gewohnt und ihren elenden Leib auf diese Weise 
verdoppelt. Um den Heiligen wurde diese Kapsel geschnallet; 
der Schreiner must' ihn mit seinen holzernen Stati ven in die Erde 
pfahlen und so stand er unbewegt auf einem Berg und verwan- 
delte sich. Da der Wohnort des Schreiners durch Feuer verkohlt 
wurde: so vergas der Wohnort ihn in seinem Schaalengehause 



712 JUGENDWERKE ' 5. ABTEILUNG 

und Verwandeln zu seinem grosten Gliik und er konte sich, ohne 
ausserliche Stohrung ruhig verpuppen: nach 4 Wochen kam die 
Dorfgemeinde und fand ihn volendet.und verhartet. Er wurde 
daher (in meinem Beisein) in die Kirche gesezt. Ich habe neulich 
in den Kirchenrechnungen etwas weniges angesezt gefunden, 
daB ihm an seine spizen Beine ein paar breite Fusse angezimmert 
wurden.«* 

Ohne Nuzen gab ich dem Leser Fingerzeige. Es ist heute der 
erste April und er denkt, ich schicke ihn darein; mein Schicken 
lauft aber eben darauf hinaus, daB ichs unterlasse. 

Und so werden stets die Leser von Autoren beriikt. 

* Wahrhaftig bios der verfluchten Kunstrichter wegen hab ich seit 
einigen Jahren gar keinen rechten Muth mehr, ungemein wizig zu sein. 
Ich wil mir aber einmal vollig freien Ziigel lassen, da mir ein solcher Stof 
des Wizes in vielen Jahren nicht wieder begegnet; und es geschieht nur 
in einer elenden Note. Es wird den Kunstrichtern argerlich sein, dafl ich 
die holzerne Einfassung des gefeierten Heiligen seine Holzrinde nenne 
und semen Korper einen Unterziehkorper - ich lasse mirs aber sowenig 
wehren als das, eine Seele in solchem zweisizigen Zwillingsleib fur ein 
in zwei Orte eingepfartes Wesen anzusehen - es wird viel Larmen ge- 
macht werden, wenn ein rebellierender Notenmacher diesen Doppelleib 
eine gefiilte Blume nent und den spatern Leib ein parasitisches Gewachs. 
Jezt wil ich auch die Verholzung des Heiligen durch Metaphern zeichnen 
- erstlich ist eine solche Umwandlung selbst eine Metapher des Men- 
schen - sie [ist] eine Versteinerung, bei der wahre Apathie selten aus- 
bleibt - der Heilige wurde wie Kohlriiben und andre Wurzelgewachse 
holzicht. Es wird mir aber fur diese Belustigung des Verstandes und Wi- 
zes schlecht gedankt werden. 



MEINE LEBENDIGE BEGRABUNG 

Eine Fraze, die bios vergniigen und nicht niizen sol 



Ich glaub' es sehr gern, daB der korrespondierende Lesezirkel in 
Mainz meine Sachen lieset und wenig davon erfahrt, was ich und 
meine edlern Eingeweide dabei ausstehen. Die Gesundheit des 
Korpers lauft parallel mit der Gesundheit der Seele; aber sie di- 
vergieret mit der Gelehrsamkeit, Phantasie, dem Wize p. , die so 
wenig zur Seelengesundheit gehoren als Korpulenz, Laufer- 
fiisse, Fechterarme zur leiblichen. 

Wenn ich so liigen konte wie Muhammed: so wiird' ich gera- 
dezu erzahlen: »Der Engel Gabriel ware dabei gewesen, da die 
Seele von diesem oder ienem Konsistorialrath, Domprobst pp. 
auf die Erde versandt werden soke. Sie wurde wie Pyrmonter- 
wasser auf den Korper wie auf eine Bouteille gezogen; aber wie 
man mit der Einfullung des Pyrmonters erst auf die Verrau- 
chung seines besten Geistes wartet weil er sonst die Flaschen zer- 
triebe: so konten die Engel die Seele dieses oder ienes Konsisto- 
rialraths, Domprobstes p. eben weil sie so ausserordentlichen 
Geist hatte nicht eher auf den Korper fallen, als bis dieser Geist, 
der ihn sonst aufgesprenget hatte, ganz verflogen war. So aber 
wurden sie so dum auf die Erde spedicrt, daB der Korper 80 Jahre 
ganz gut hielt. « 

Wir Autoren strengen uns bis zum Ubermaasse an und schrei- 
ben Fibeln, Mordpredigten, periodische Blatter oder Reinigun- 
gen und andern aufklarenden Henker; aber unsern Madensak 
zerlochern und zerzausen wir dadurch entsezlich und doch 
meints niemand ehrlich mit uns. Wir Autoren stehen zwar alle 
aufrecht da und verschiessen lange Stralen iiber eine ganze Halb- 
kugel (denn mehr ist auf einmal von einer Kugel nicht zu erhellen 
und ganz Amerika mus unsre Federn entbehren); aber gleichen 
wir nicht vollig den ersten Christen, die das Licht, womit sie in 
Pech und Leinwand eingeschniirt, als lebendige Pechfackeln 



714 JUGENDWERKE - 5.ABTEILUNG 

Neros Garten beschienen, zugleich mit ihrem Fette und Leben 
von sich gaben? Ich schreibebekantlich das Abrakadabra, dessen 
Aussprache sonst Fieber nimt; aber ich habe mir dadurch ein 
schleichendes angeimpfet. Der Leser wird sich an Einf alien 
krank lachen, an denen ich mich todt lachte und ich werde es 
nachher mit vielen Umstanden berichten. Ich soke ihm niemals 
das Herz nebst den Herzohren bewegen ohne daB er sofort zu 
sich sagte (ich wolte, er thats laut): »durch diese Bewegung des 
meinigen hat der Redakteur ganz natiirlich das hysterische 
Klopfen des seinigen unsaglich vergrossert.« Zuweilen hat er 
Ursache die Frage zu thun: »solte der Redakteur so viele Kopfe 
erhellen konnen, ohne daB ihm sein eigner wehe thate?« Und 
selbst iezt trift ers, da er mich so unterbricht: » diese Satire, die mir 
einige Schmerzen macht, mus dem Redakteur der Auswahl noch 
viel grossere machen: derm meine sind zum Gluk bios geistig.« 
Eine wahre Wolthat wars fiir mich, daB ich noch lebendig 
war, da ich begraben wurde: sonst kont' ich iezt noch maustod 
sein so gut wie irgend einer. Ich greiffe alles mit Handen: es war 
im Marz - der Winter war sehr feucht und neblicht gewesen - 
schon im Herbst zog ich lek und wurmstichig herum - meine 
haufige Aergernis iiber mein Hauswesen und iiber alle Men- 
schen, sie mochten zum Kaukasischen oder zum Mongolischen 
Volkerstam gehoren, that auch das Ihrige - meine Bucherschrei- 
berei oder Biicherbrauerei und Spinnerei gieng iibermassig - ich 
sas fast ganze Sessel und ganze Nachte durch - Schwiegervater 
und Tochterman liefen bei mir aus und ein und riethen mir, mei- 
nem Ehrgeize keinen Zugel anzulegen sondern fortzuschreiben 
und fiir lobende Rezensionen wolten sie schon sorgen - ich konte 
meine Einfalle und Ohnmachten gar nicht mehr zahlen: ganz na- 
tiirlich kam endlich die allergroste und ich blieb darin drei Tage 
und am zweiten wurd' ich schon beerdigt. Einer meiner kiinfti- 
gen Rezensenten befuhlte meine Nasenspize und der wirds atte- 
stieren, daB sie kalt war; der Hausdoktor, der das Ubrige be- 
tastete, sagte, das Ubirge war' auch kalt und ich miiste mich in 
meinen Tod schicken. Was mir meinen Tod und meine Leichen- 
bestattung am allermeisten versalzte, war daB ich immerfort 



MEINE LEBENDIGE BEGRABUNG 715 

noch horen konte: meine Natur und meine Ohren richteten sich 
ganznach dem 112 Stiicke des Arztes, worin Unzer Griinde und 
Beispiele genug vorbringt, daB Ohnmachtige und Todte noch 
aufhorchen. Den Vesperprediger konte kein Teufel von meinem 
Krankensopha bringen, denn er woke eben den Teufel selber 
davon wegbringen; und er benuzte entsezlich meine Gehorkno- 
chelgen und beutelte durch das Trommelfel »Ermahnungen am 
Sterbebette« hindurch. Wer war aber schuld als der erste und 
zweite Akt der Kreuzerkomodie, in die der Vesperprediger auf 
der Schreibkommode hineingesehen hatte? Nahm er sie nicht in 
die Hand und trug das Manuskript vor mein Bette und sagte, 
»ich glaubte, sah' und las' er, wie alle Autores keinen Got und 
keinen Teufel, aber ich wiirde wie sie, zur Strafe in kurzem zu 
beiden fahren und er woll' es nicht wtinschen. Und Satiren und 
Komodien waren ihm stets bedenklich und weder die ersten El- 
tern noch die Erzvater und Apostel hatten dergleichen geschrie- 
ben.« - »Wer weis« sagte hier etwas. 

Das sagende Etwas war bios der Maz, mein Staar. So eine 
lustige Szenekam aber noch keinem Ohnmachtigen vor wie mir 
allein und ich wil mich bei ihrer Schilderung gern stundenlang 
verweilen. Ich lehrte namlich einen Staar nichts sprechen als die 
unbestimten Formeln: »das ware - es hat seine gute und seine 
bose Seite - es lasset sich dariiber viel sagen - wie mans nimt« -: 
meine Absicht war weit weniger, dadurch einen verstandigen 
Geselschafter aus dem Maz zu machen, dems allemal zu sehr am 
Aeusserlichen fehlen wiirde, als bios die, der Maz soke beim 
Frage- und Advokatenspiel, das die iungen Leute oft bei mir 
treiben und das solche unbestimte Antworten begehrt, so leid- 
lich mit zu agieren wissen wie mein Sohn, der ihn gefangen. 
Ueberhaupt lasset der Staar mit sich reden. Diesem menschli- 
chen Echo hatt' ich noch einen menschlichen Spiegel zugeselt - 
einen baufalligen Affen, den in einem Seetreffen der zufallige 
Schus eines feindlichen Affen um das eine Bein verkiirzet hatte. 
Ich schreib' es nicht ganz Grundsazen sondern der Einbeinigkeit 
zu, daB das Thier dem deutschen ernsten Karakter sich nahert 
und nicht springt: denn beim Ignazius Loyola giengs eben so. 



7l6 JUGENDWERKE ■ 5.ABTEILUNG 

Indes nun der Vesperprediger auf meinem Herzen pfliigte und 
untereggete: sas der ernste miirbe Affe hinter dem Ofen und re- 
kapitulierte auf dem Stelzfus alle seine Gestus und pakte den 
vorsizenden Maz an und dessen Herz. Mein Jammer in der To- 
desnoth war nur, daB ich den Pavian nicht sah; aber den Maz 
vernahm ich und genas heimlich davon in der Todeslarve unter 
meinem Dekbette. Der Repetent des Pfarrers blatterte mit Nu- 
zenin einem unbeschriebnen Manuskript und warf dem alten Mas 
durch falsche Gestus seine Fundamental-Irlehren und seine vie- 
len Satiren vor, denn er konte ganz aufs leere Papier sich steuern. 
Mein Mandatarius und Sprecher wolte nicht davonfliegen und 
wuste auf solche konsistorialische Invektiven nichts zu versezen 
a]s was er gelernt hatte: .geriihrt wird er schlecht gewesen sein. 
Nun war dem Pfarrer, der von seiner Koadjutorie durch den Af- 
fen, nichts wuste, eben so wenig von meiner Adjunktur durch 
den Staar, bekant und er dachte mithin, in der Stube sprache nur 
ich under. Wenner zu mirsagte, »ichhatt' ihn selber zu meinem 
Bette sehnlich holen lassen sollen und er ware hoffentlich ein 
wolbestalter hiesiger Diener gotlichen Worts und Tempels«: so 
spedierte der pantomimische Stelzfus die Gestus redlich weiter 
und der Staar versezte: »dariiber Hess' sich viel sagen. « Naturlich 
gieng dariiber der Vesperdiener in Feuer auf und sagte, der Teu- 
fel fienge schon sichtbar nach meiner Seele; daher pflanzte der 
Maskopei- und Laienbruder des Pfarrers den Grol und alles auf 
den bekampften Staarmaz fort und der war genothigt, zu repli- 
zieren: »das ware!« Als mich endlich der Krankenbesucher halb 
ausser sich an der Hand erfaste und sie schiitteln wolte und sagte: 
» Siindenkind! « : so f ieng sein Kollaborator nach dem Flugel mei- 
nes Agenten, der aufschos und mit dem Worte »Spizbube!« auf 
des Pfarrers Nase ankerte- allein so endigte er die schonste Dop- 
pelsonate. 

Gleichwol schien ich mehr als iemals maustodt und lachte 
wirklich nur im Gehirn. 

Man wird es schon wieder vergessen haben, daB mir das Ge- 
hor noch verblieben war; und vergeblich sucht' ich, da man iiber 
die Wahl der Kaufladen zankte, aus denen der Flor hersolte, nur 



MEINE LEBENDIGE BEGRABUNG 717 

so viel einzuwenden, dafi ich noch lebte. Sondern ich wurde wie 
ein Schifbriichiger aufs Leichenbret ausgesezt eh ich zu Boden 
fahren soke. 

Jezt werd' ich das halbe bewohnte Europa iiber meine Frau 
ausser sich sezen, weil ich etwas Narrisches von ihr vorzubrin- 
gen vermag. Ich wolte anfangs zu ihrer Apologie eine taugliche 
Rechtfertigung des einfachen Ehebruchs vorausschreiben; aber 
ich store mich in meinem ganzen Bericht und sie konnen in einen 
andern Akt hinein, die zwei Apologien. 

10 Da namlich an meinem Todestag das ganze Haus bis an den 
Stopsel vol Vettern und Basen und wahrer Freunde war: so hatte 
mein Hauptfreund, namlich ein regulierter Chorher, und seine 
Freundin - namlich die meinige, oder meine Frau - den Henker 
da von und gar nichts. Ich wolte nur, ich konte einen eignen 
Quartanten iiber diesen regulierten Chorhern zusammenschrei- 
ben und sagen, er ware mein Vor-, Neben- und Hinterman: kurz 
seinen nachtlichen kanonischen Horen - d. i. den apokryphi- 
schen - lag er munter unter meinem Dache ob und bios meine 
Frau merkt' es . . . Ich wil mich doch andern und eh' ich weiter 

20 fortfahre mehr angenehm als mizlich zu sein, nur so viel zum 
Behuf des Ehebrechens fallen lassen: wenn erstlich zu einem Ge- 
lehrten und Autodidaktus, der auf mein Wort ausser seinen Lei- 
denschaften nichts so eifrig kalt und eingefroren haben wil als 
seine eigne Frau, zweitens ein Kerl komt, der die ganze Sache 
auf sich nehmen wil und die Gattin fur ihren und ieden andern 
Gatten zu erkalten klare Maasregeln schon da hat: so steht ein 
solcher antarktischer Kerl, er mag nun das Queksilber durch 
stoische oder christliche Mittel in Eis umsezen, drittens schon 
deswegen kaum mit Gelde zu bezahlen, weil er viertens keines 

30 mag. Gerade so kiihlen die Spanier ihren Wein durch Schlangen 
ab, die sie mit ihren eiskalten Ringen die Bouteillen bewickeln 
und umarmen lassen . . . Nun wolte der regulierte Chorher an 
meinem Todestage am allerwenigsten diese dem Betrauern so 
nothige Erkaltung aussezen; allein das war wegen der Menge 
Leute und Zeugen durchaus nicht anders zu machen als durch 
mich. 



71 8 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

So: Ich elender Ehrenman oder vielmehr Unehrenman lag 
abends tod mit meinen lebendigen Ohren auf meinem Brette: 
meine Frau war in meinem Museum und lebte. Der regulierte 
Chorher hatte schon alles mit ihr abgeredet. Dieser mein Suk- 
zessor hielts fur einen Ruhm, zu seinem Antezessor, (zu mir) zu 
schleichen und ihn mit Miihe in seinen restierenden Schlafrok 
und dessen Hosen hineinzudrehen. Da ich in die Gelehrten- 
Amtskleidung eingefadelt war - den horenden Kopf senkt' er in 
eine meilenlange Muze - so sah' ich iammerlich aus und der irre- 
gulaire Chorher triebs doch noch weiter. Denn wie kont' ich 
mich als ein Scheintodter dagegen sezen und sperren, daB er 
mich mit Bindfaden dem Riicken seines Roks aufnahte? Hierauf 
zog er mich und den Rok an und wir hiengen mit einander fest 
seinen Riicken hinunter: er trug mich vor den Spiegel, urn mich 
anzusehen und anzulachen und meine schriftstellerischen Arme 
schlug er iiber seine Achseln heruber. Er sprang eltlichemal auf, 
um zu sehen, ob ich fest sasse . . . Wahrhaftig dergleichen Sa- 
chen schamt man sich auch nur zu berichten: dennoch mus mu- 
thig fortgefahren werden. Der Chorher iagte wie besessen mit 
dem angenahten Redakteur und dessen Ohren zur Leichenkam- 
mer heraus und in alle Stuben hinein und schrie: »der verstorbne 
Redakteur sei ihm erschienen und habe ihn bestiegen und Got 
wolle sich nur seiner erbarmen. « Auf diese Art, glaube man mir, 
hezte er das Leichenkondukt und meine Verwandten zum Hause 
hinaus: mich aber hieng er samt seinem Rok an die Hausthur, 
damit ich die Leute wie in Venedig ein Mensch mit der Montur 
eines auslandischen Ministers den inlandischen Adel abtriebe 
und wenn es wahr ist wie man nachher erfuhr, daB er eine Feld- 
maus in meinen rechten Aermel gespert, damit sie wie die 
Mauslein im Arm, leztern schwenkte und mich lebendiger dar- 
stelte als ich war: so mus ich ia wahrhaftig roth werden vor den 
ehrerbietigen Rezensenten der deutschen Reichslande, die von 
mir den alleredelsten Begrif haben und die nun ihn schwachen 
sollen. Aber die Rezensenten solten nur weniger den Autor vom 
Menschen spalten und auseinander Ziehen: sie solten sich wo- 
chenlang iaben, zu denken Lessings Hemdknopfe - Kants Ho- 



MEINE LEBENDIGE BEGRABUNG 719 

senbund - Shakespears Nabel - eines Rezensenten Lavement - 
Herders Rasiermesser - Klopstoks Zopfband und des Redak- 
teurs solches Zeug insgesamt. 

Meine verscheuchte Vetter- und Basenschaft fiirchtete sich 
vor mir als einer Ehrenwache und der regulierte Chorher und 
die Chorfrau (meine) sassen gemachlich in meinem Museo und 
studierten wie ich: nur zuweilen gukte der Regisseur dieser 
Spukhistorie zum'Fenster hinunter und flehte samtliche Emi- 
granten und Refugies urns Himmels willen an: »seiner zu den- 
ken; denn es ware der Redakteur der teuflichen Auswahl nicht 
nur im Schlafrok an der Thure, sondern er lag' auch im Hemde 
noch auf dem Leichenbrette - es ware unbekant, welche Dou- 
blette der Nachstich sei; aber befahren konn' er iede Minute, dafl 
die zwei Exemplare und Redakteurs zu einander stiessen und so 
anriikten gegen ihn zwei Man hoch. « Hierauf eilt* er, den dritten 
Redakteur gegen meine Frau zu machen. 

Ich wunschte, ich ware so gluklich, daB ich diese Historie bios 
ersanne: so kont' ich sie anders und lustiger wenden. Ich wurde 
mich an der Hausthiir plozlich beseelen und meine Kreuzesab- 
nehmung selbst verrichten, bios damit ich hinauf zum studie- 
renden Chorhern kame und ihn zwange, drei Stokwerke hinab- 
zuspringen vor Grausen. Auf diese Art und durch die Fikzion in 
der Hand war' ihm spielend eine oder mehr Kniescheiben auszu- 
renken; ich kont' an ihm lek machen was ich wolte und er nicht 
wolte ... So aber ist nichts zu machen und ich mus mich vom 
Chorhern und der Wahrheit unbelebt aufs Bret aufspreizen las- 
sen und kan gar nicht auf. 

Damit man nicht liberal herumsage, aus einem und dem an- 
dern Aufsaz von mir stehe vielleicht wenig achte strenge Moral 
zu holen: so schieb' ich eh' ich begraben werde einige ohne Noth 
hier ein: die grosten Iniurianten des ganzen weiblichen Ge- 
schlechts - d. h. die grosten Verfiihrer desselben - vergessen, 
daB sie ia nur die schonen und ertraglichen Weiber auf zu 
schwere Proben gesezt; um der haslichen Prosodie bekummer- 
ten sie sich ia niemals und skandierten dergleichen selten oder nie 
- ich aber habe diese sauern Rheinweine ofter mit dem liquor 



720 JUGENDWERKE ■ 5.ABTEILUNG 

probatorius oder der sympathetischen Dinte untersucht und sie 
ganz gut befunden, weil weder eignes noch fremdes Schmei- 
cheln sie interpolieret und versusset hatte. Und wuchs denn 
nicht in meinen Tagen die manliche Verfiihrungskunst noch im- 
mer schneller als die weibliche Verfiihrbarkeit?« Und ist nicht 
bios meine Frau auszunehmen? 

Inzwischen lies sie mich am Tage darauf ordentlich zur Erde 
bestatten. Es kam der Regierung nicht zu Ohren, daB sie sich 
uber diese Gelegenheit freuete, der neuen Trauerordnung sich zu 
unterwerfen: sie hatte nichts dabei geschwarzt als die Haare. Ich 
verweise aber die Litteratores, gelehrten Sozietaten und deren 
Ehrenmitglieder und alles was gelehrten Odem durch Lungen 
und durch Kiefern schopft und was insgesamt die genauesten 
Umstande meiner Beerdigung zu lesen begehrt - ganz auf meine 
zweite, die kunftig angestellet werden sol, sobald ich tod bin und 
bei der die erste rekapituliert werden mus - im Ganzen wurde 
naturlich dabei gegangen - getrunken - gesoffen - gefastet (von 
mir) - getrauert (audi von diesem) - gelautet - gepfiffen (vom 
Wind) — geheult (von meinem Spiz) - geweint (zum Spasse von 
den Jungen, die auf der Gasse die Leiche nachmachten) - getro- 
stet (vom Kondukt) - gedacht (von keinem) . . . Die Menschen 
fallen am meisten lacherlich aus wenn sie etwas in grosser Zahl 
verrichten; zum Gluk aber kont' ich kein Auge aufbringen; ich 
hatte vielleicht durch unzeitiges Lachen den Ernst der ganzen 
Beerdigung gestort. 

Da ich aufgedekt in der Spitalkirche meinen Lebenslauf verle- 
sen horte - er war und ist ia aber noch ungeschlossen -: so wars 
mir lieb, daB er meiner mit mehrern Ehren gedachte, als der la- 
teinische, den ich in meinem Kandidatenlustrum dem preisli- 
chen Konsistorium postfrei machen und schicken miissen - den- 
noch freuet es von der andern Seite wieder wenig, selbst ein 
neues Beispiel sein zu miissen, daB das Publikum grosse Autoren 
niemals eher lohnt und ehrt als bis sie f aulen . . . Wahrhaftig man 
puzt ia unsern Kopf mit, dem Lorbeerreis wie den des Ebers mit 
der Zitrone offenbar erst nach dem Tode und wie ist das und das 
Obrige zu nehmen? 



MEINE LEBENDIGE BEGRABUTMG 721 

Der Stadtpfarrer (mit einem verglaseten oder verkohlten Her- 
zen*) fragte den Henker nach meinem Ableben und merkte bios 
an, ich ware seelig und jubelierte hinter dem Lam; ich wuste aber 
von recht guter Hand in meinem Sarge ganz das Gegentheil und 
hatte meine Gedanken dariiber. Und am Ende hatt' ichs doch 
nicht hintertreiben konnen, seelig zu werden - denn wie hatt' 
ichs machen wollen? - ware nicht gliiklicherweise mein Friseur 
zu Nachts in die Kirche eingebrochen, um mich zum Theil zu 
schinden. Denn er behauptet, wenn Thatsachen des Modejour- 
nals zu trauen sei, so miisten Haare mit der Zeit so rar werden 
wie Brenholz, weil von beiden Vegetabilien der Vertrieb starker 
ware als der Nachwuchs und die Lebendigen solten den Todten 
stets die Haare und die Sarge nehmen. 

Das sind ganz meine eigne Prinzipien und ich habe hundert- 
mal mit dem Haarkrausler den Bettelvernunftig.und nach alien 
Kraften iiberlegt. Ich und er gestanden freiwillig, die iezige 
Mode, das weibliche Haupt mit Haaren wie einen Kanarien- 
bauer mit Mause- oder Hiinerdarm zu verhangen, sei vielleicht 
die schonste und es konne wenige Damen geben, die nicht darin 
aussahen wiedieLeichname, an denen die posthumischen Haare 
sich iiber das Gesicht heriiberfrisiert haben und wovon mir Gar- 
man de miraculis mortuorum erlesene Beispiele vorfiihrt - aber 
ich und der Krausler warfen ein, wo Haare genug zu haben wa- 
ren. Im Gouvernement von Paris hat man freilich langst darauf 
gesonnen und der Friseur war dort. Zu seinem Erstaunen, sagt' 
er, sei er in den dasigen Kirchen und Erbbegrabnissen herumge- 
gangen und habe zugesehen, wie wochentlich gewisse Haar- 
schnitter von Todtenkopf en die immer nachwachsenden Haare 
herunternahmen, so wie man in Sachsen die Weiden iahrlich 
kopfe. Eine Frau- ich erzahl' es ihm bios nach - die einen Man 

* Ihr Geistliche! da die wochentliche Handhabung des Todes bei vie- 
len euer Gefuhl dafur mit Schwielen iiber schmiedet; da uns Weltleute 
hingegen der seltnere Anblik desselben noch in ieder Faser rizt und azt: 
so greif t - um weniger zu argern - in eixern Leichsermonen und Leselei- 
chen nach einer aufrichtigen Verstellung. 



722 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

begrabenlasset, fahrt da ganz gut; sie kan entweder ihren todten 
Ehegemahl verpachten (wie die wenigsten thun) oder sie kan 
auch den Haar-Forst fur ihren eignen Kopf abtreiben lassen. Je 
mehrere Manner eine einbusset, desto mehrere Locken schiessen 
an ihr an und ihre Todten-Schur wird erheblich. Ohne solche 
Haar-Plantagen und Orangerien von menschlichen Scherben- 
gewachsen sehen ich und der Friseur warlich nicht ein wie der 
Deutsche dem Franzosen nachwolle oder wie vollends eine Frau 
ein solches Lockengedarm um sich zu sezen verhoffe, daB man 
ohne Schmeichelei von ihr sagen konte, sie sei schon genug . . . 
im gepuderten Eiweis des Haars runde sich ein Dotter von Ge- 
sicht . . . aus dem Wellen schlagenden Haar stech' ein Antliz 
heraus wie ein Platfisch aus der wogenden See . . . und sie sei 
nirgends weniger kahl als auf dem Kopfe — Aber so verbleib' 
ich ia ewig tod und der skalpierende Friseur steht doch in der 
kalten Kirche und wil mich anschneiden. 

Denn man mus es ihm lassen, daB er mich taglich aufwickelte 
und mein Haar kante, das weich genug zu einer linken Brustlocke 
meiner Gattin schien. Mehrere Grunde brauchen meine kunfti- 
gen Biographen denk' ich nicht zu exzerpieren, wenn sie das Pu- 
blikum iiber die Ursachen befriedigen wollen, warum der Fri- 
seur mich schinden und skalpieren woke, hides er nun meinem 
Tode ein antikes Wunder zugesellen und den hautigen Vorhang 
des Allerheiligsten von der Kranznaht bis zu meinem Luftroh- 
renkopfe zerreissen woke: that ich ein zweites und noch grosse- 
res und wurde nach seiner Inzision ex tempore lebendig. Ich 
mochte nicht am Plaze und auf den Fiissen des Skalpierers ge- 
standen haben, da meine Hande unerwartet nach ihm heraus- 
fiengen und ich ihn in den Sarg Ziehen woke . . . er wurde 
mit Schrecken gleichsam geladen und von ihm wie eine 
Bombe zum Tempel hinausgeschossen. Ich wehete munter hin- 
terdrein und da er sich auf dem Gottesacker umdrehte und mich 
im langen Todtentalar wie eine Pulverschlange nachwedeln sah: 
wurd' er zusehends beinharter und muste kasicht zu Boden ge- 
rinnen. Ich hatt' ihm meine Erstarrung inokuliert und hatt' ihn 
nun an vielen Gliedmassen plagen konnen; aber ich thats nicht, 



MEINE LEBENDIGE BEGRABUNG 723 

sondern as die mir in den Sarg mitgegebne Zitrone zusammen 
und segelte mit dem Ruck en wind nach Hause. Besagter Wind 
niesete mir zum grosten Schaden frostig hinten nach, weil ich'in 
meiner Todtentracht bekantlich hinten wie die Kafer mit halben 
Fliigeldecken (hemiptera) aussah und dem Riicken Nordwind 
nichts entgegenzusezen hatte als den - Siidwind. 

Bei alien Erzahlungen wie dieser ist das fur mich das allerun- 
angenehmste, daB sie auswerden; und es wird bei dieser auch so 
gehen. Es gefiel mir, daB unten an meiner Hausthur der Chorher 
stand und am Leichentrunk pissete - welches Wort mir verstattet 
sein mus, sobald ich es hier nicht als Humanist, sondern als Phy- 
siolog gebrauchen wiL Ich befahl dem Chorhern, der Trauer- 
Union oben zu melden, sie soke mit Weinen und Trinken Halt 
machen, der Todte ware wieder da und stande schon unten und 
er selber hatte neben ihm schon physiologisch gepisset. Aber er 
wurde tol genug und sagte, »ich ware ein brabantischer Stohrer 
der offentlichen Ruhe nicht sowol als der privatisierenden: die 
Zeit war' aber vorbei, wo ich tod gewesen und nachher doch 
wieder so lebendig geworden ware als hatte das ganze Parterre 
fur sein weniges Geld nichts gesehen als meine Sponsalien . . . 
er riethe mir zusammenzufaulen wie ein zeitiger Christ und mich 
nicht aus Bosheit zu stellen als sei ich aufgelebt ,und mein Grab 
wiird' eiskalt.« 

Da ich ihn nun fur nichts als einen das Ich seines Nebenmen- 
schen wegdisputierenden Egoisten und Idealisten nehmen 
konnte: so dacht' ich, ich wiird' ihm das Dasein meines Archaus 
- oder meiner anima Stahlii - oder meines Nervenathers nach 
geistigen und heutigen Systemen - oder meiner aura vitalis - 
oder meines actuosum Albini nicht iibel darthun, wenn ich mit 
der Hand auf sein Gesicht wie auf eine Laute schliige und ver- 
schiedne Zahne aus lothrechter Stellung in wagrechte plattete; 
welches auch angieng. Es stand iezt bei ihm, auf diese Extra va- 
sazion seines Gebisses ein Impromptu zu machen und ungemein 
gelassen zu sagen, die Beruhrung eines Todten, die sonst Zahn- 
weh verscheuche, konne dergleichen auch machen. Er wiirde 
dadurch meine eigne Gelassenheit kopieret haben, da ich nach- 



724 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

san und fand, iedem Menschen size die Hand als ein angeborner 
Dentist an und er brauch' sie nur zu ballen. Aber er war so ver- 
driislich, daB er seine apostrophierten Zahne in die Hand auf- 
summierte und damit hinauf zur Trauergenossenschaft stieg: er 
machte die Hand und das Maul auf und hielt alle Liicken und 
Zahne hin und sagte: »blos der verdamte Seelige habe sie ihm 
transloziert und der Teufel solle den Seeligen holen, den er noch 
nicht geholet und er pisse wie es scheine unten noch physiolo- 
gisch.« 

Das war aber erlogen: ich sas schon (mit dem ersten Gefuhl 
des Lacherlichen) in meinem Museo fest und knatete an dieser 
Beschreibung des ganzen Vorfals und stand auch nicht eher auf 
als iezt, da sie leider wie ich voraussagte aus ist. 



PERSONALIEN VOM PHILOSOPHISCHEN 

PROFESSOR ZEBEDAUS, DER SO 

AUSSERORDENTLICH GELASSEN WAR UND 

OBER ALLEN HENKER IN DER WELT SCHARF 

NACHSAN 



Vor alien Dingen bitt' ich mirs vom Korrektor dieser Persona- 
lien aus, daB er nirgends glaube, ich habe mich verschrieben 
sondern daB er alles was ihm tol und narrisch in diesem philoso- 
phischen Spezimen aussieht, unverbessert lasse wie ichs sezte. 

10 Denn das iibrige, welches anders aussieht und ist, wird phnehin 
unphilosophisch genug sein. 

Jeder Gegenstand einer Empfindung kan pin blosser Gegen- 
stand der Erkentnis werden: dielnjurien, bei denen der Man von 
Ehre flutet und kocht, geben dem Juristen einen hubschen Bei- 
trag zum Titel von den Injurien. So zieht iede Erkentnis eine 
Steinrinde iiber das Gefuhl; und nicht bios die philosophische al- 
lein. Der Arzt repetiert am Bette des Kranken, um und iiber den 
die Flammen der Krankheit zusammenschlagen, ganz ruhig die 
Abschnitte aus seiner Physiologie und Klinik, die hinpassen. Der 

20 Officier, der auf dem Schlachtfeld - dem Fleischhackerstok der 
Menschheit - umherschreitet, denkt nicht an die zerbrochnen 
Menschen um ihn, sondern an die Evolutionen und Viertels- 
schwenkungen, dienothig waren, ganze Generazionen in blosse 
physiognomische Fragmente auszuschneiden und er sieht, daB 
er in der Kadettenschule sich die Sache viel unvolkomner vorge- 
stellet. Wenn ein Bataillenmaler hinter ihm geht: so denkt und 
sieht der zwar auf die zerbrochnen Menschen und iede dalie- 
gende Wunde ist ihm interessant; aber er wil alles fur die Diissel- 
dorf er Gallerie nachkopieren und das reine Menschengefuhl die- 

30 ses Jammers erregt er durch sein Schlachtstuk erst bei andern und 
vielleicht auch- bei sich. Wenn der Satiriker Thorheiten an sich 
selber ertappet: so argert er sich nicht sonderlich dariiber und der 



726 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

angenehme Genus des Lacherlichen lindert die Empfindung sei- 
ner Unvolkommenheit; daher schreibt sich sein humoristisches 
Leben mit. 



AUSTISSOT 



Sie werdenverzeihen, dafl ein unbekantes Madgen vor Ihnen ih- 
ren Kummer ausschiittet, da ich das Herz nicht habe, es mund- 
lich vor iemand zu thun. 

Mir gliihen die Wangen, da ich iezt allein in meiner Stube und 
ohne in Ewigkeit meinen Namen Ihnen zu nennen, auf das Pa- 
pier die Abscheulichkeiten niederschreibe, dieichbegangen. Ich 
verfluche die Freundin, von der ich diese Siinde lernte, icfrver- 
fluche die Stunde, wo ich sie lernte. Denn iezt bin ich ungliiklich 

io und meinKorper ist zertriimmert. Ich bin ein und zwanzig Jahre 
alt; aber man kent mich nimmer. Anfangs trieb ich diese Siinde, 
ohne daB man es meiner Gesundheit ansah: aber bald brach es 
in die beweinenswiirdigste Zerstorung aus. Es zukte mich bald 
am Arm, im Hals, in Fiissen und es war mir oft, als lief en Amei- 
sen in meinem Blut; ich hatte fliegende Hizc, war den ganzen 
Tag verdriislich, hatte keinen Appetit zum Essen, war trage und 
suchte den Schlaf ; meine Gesichtsfarbe wurde immer blasser und 
mein scharfes Auge immer kurzsichtiger und mein Gedachtnis 
immer schwacher. Wenn iemand mit mir redte: wust' ich nicht 

20 was er gesagt. Ach iezt ist alles noch tausendmal iibler. Jezt kenn' 
ich keine Freude mehr, den ganzen Tag mdcht' ich weinen, und 
wein auch. Mir gefalt nichts mehr auf der Welt. Meine Auszeh- 
rung wachst taglich, ich habe keinen ruhigen Schlaf mehr; habe 
Schwindel, Kopfschmerzen, Blutspeien, Mattigkeit und seh 
voraus, da6 in etlichen Jahren das Grab sichofnen wird, das mei- 
nen zerstorten Korper aufnimt. O thue dich bald auf, geliebte 
Grabeshole, und verschlinge mich und mach ein Ende meinen 
Thranen und meinem Jammer. Ach ihr guten Eltern! wie betrog 
ich euch! wie gabet ihr euch Miihe, fur euere Tochter in Zukunft 

30 zu sorgen, wo sie nimmer auf der Erde sein wird! wie gabet ihr 
mir alles so gerne und hoftet, in euerem Alter mich gluklich zu 
sehen; aber in eurem Alter wird langst Gras iiber meinem Grabe 



728 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

wachsen und ihr werdet einstens abends mit einander weinen 
und sagen: ach wenn unsre Tochter noch lebte, so hatten wir ei- 
nen Trost.-Ha^te mires dochjemandgesagt, da ich diese Siinde 
kennen lernte, daB sie so giftig ware; hatt ich einen Freund, einen 
Rathgeber gefunden, der mich abgehalten hatte: wie wolt ich 
ihm mit ewigen [?] Thranen danken. Aber mir sagt es niemand 
und ich wuste nicht daB es schadlich war. Mein Arzt thut, als 
wenn er meine Siinde nicht merkte; aber ich weis gewis er weis, 
wovon ich krank bin und er sagte zu einer Freundin von mir, 
ich wurde am Ende sterben mussen. Solten Sie, bester H. Tissot, 
denn kein Mittel gegen meinen heranziehenden Tod wissen? Sol 
ich denn so in der Bliite meiner Jahre wie ein Blat verwelken und 
zerschmettertins Grab geworfen und von meinen Freundinnen, 
von meinen Eltern und von alien Freuden losgerissen werden, 
da ich noch so iung bin? o helfen Sie mir, helfen Sie mir. 

Brief eines Selbstmorders in der Schweiz 
Wenn ihr Menschen in diese Hole tretet: so findet ihr mich auf 
die Erde gestiirzt, mein Gehirn ausgesprizt und mein Gesicht mit 
Blut iiberzogen. Bringt ihr Einwohner eure Kinder und euere 
Jiinglinge mit und zeigt ihnen meinen durchschosnen Leichnam 
und sagt zu ihnen: Seht da, einen elenden Jungling, der sich er- 
mordete, weil er die heimliche Siinde trieb, der ein gequaltes Le- 
ben hatte und einen verfluchten Tod erwahlte - vergesset nicht 
in Ewigkeit diesen blutenden Leichnam und stelt ihn euch vor 
in der Stunde wo ihr siindigen wolt, damit es euch nicht auch 
so gehe. - Und wenn unter den Menschen, die von der Stadt hie- 
her in diese Hole aus Neugier kommen, auch du mit bist, du der 
du mich zu der heimlichen Siinde zuerst verleitetest: so schaue 
mich Elenden an, schau, wie ungluklich du mich gemacht, der 
ich dir nie etwas gethan - schau an mein zusammengewelktes 
blutendes Gesicht, meine[n] veralteten Korper vol Schmerzen 
und Qualen, schau an mein Auge das so oft vergeblich weinte 
weil ich nimmer gesund werden konte, schau an meine Eltern, 
die neben meinem Leichnam die Hande winden iiber ihren ver- 
lornen Sohn, der ihr Trost sein soke und ihr Ungliik sein [muste] 



AUS TISSOT 729 

und endlich hebe die Augen auf und schau gen Himmel wo mein 
Geist vor Gottes Gericht steht und zittert, weil ich so viel Boses 
gethan. Ach! du guter Schopfer du gabst mir einen gesunden 
schonen Leib und einen guten Verstand und Talente, ich soke 
damit meinen Eltern Nuz und Freude s chaff en und meinen Ge- 
schwistern und mir selber und ich habe alle zu Grunde gerichtet, 
ich selber [war] der Todtenwurm, der meinen eignen Korper 
zerfras, ich habe mich selber dum gemacht; darum hab ich mich 
ermordet - Ach kont ich doch nach meinem Tode euch Jiinglin- 
gen und Madgen, wenn ihr in der Finsternis der Nacht Boses 
thut, kont ich da euch allemal wie ein Gespenst erscheinen, in 
euer Zimmer blizen wie die Holle und vor euerm Bette stehen 
mit meiner blassen gelben Todesgestalt, mit meinem Todten- 
kopf, mit dem Gehirn das aus meiner Wunde tropfelt, und ab- 
schrecken von der Abscheulichkeit. - Jezt schart mich neben 
dieser Hole ein und betet fur mich und seid froh, daB ihr nicht 
so ungluklich seid wie ich Armer, der ich iezt, sobald der lezte 
Buchstabe geschriebenist, eine Kugel in mein Gehirn abdriicke. 



[SATIRISCHE UBUNGEN] 



Dedikazion an Ch. Otto 

Die Absicht dieser geschikten Dedikazion kan weiter keine sein 
als die, dich auf die Achseln zu klopfen und aufzumuntern, daB 
du fortfahrst zu lesen. Ich klopfe dich auf besagte Achseln iezt 
am 2 ten Oktob. - mit der nachmittagigen empfindsamen Reise 
nach Venzka im Kopfe - der Rauch des Koffees und der die 
Morgenrothe uberschleiernde Nebel sind meine Aussicht und, 
was mich schon allein beseeligen konte, ich verfiel auf die Dedi- 
kazion und aufs Uebrige . . . Warlich da das verhullete Schiksal 
im grossen Weltatlas auch das Stromgen meines Lebens auf der 
Karte, durch Wonsiedel, Hof und Leipzig hinpunktierte: so mus 
es gesagt oder gedacht haben: »Wir wollen ein ausserordentlich 
narrisches Wesen backen, das schon dadurch ein Trommetenfest 
- Luperkalien - Honigmonate und Flitterwochen und alles hat, 
wenn es nur neben einem Dintenfas, neben einem Bund Federn 
aus Hamburg und neben Wunderlich's Papier sizt.« Und so 
lange das fortdauert: so hat das Schiksal wahrhaftig nichts, was 
es meinem Gliicke geben oder nehmen konte, ausgenommen 
Liebe oder Freundschaft, mein lieber Christian! - 

Da mich die Morgensonnezuf dem Papier so blendet: so wil ich 
nur meinen Lichtschirm oder meine Fenster-Tandelschurze, die 
bekante Serviette vorkniipfen und dan dir f olgendes im Schatten 
schreiben: mein neuliches Elaborazionen-Projekt, das mich in 
meinem Bauer auf ein einziges Stangelgen festpicht, wil ich wie 
K[aiser] Joseph weniger aufheben als suspendieren, indem ich 
dir lieber die Bandgen satirischer Uebungen aufdringe, die ich 
ohnehin, aber ohne Riiksicht auf einen andern Leser als mich 
bisher zu obenhin, machte. 

Thue mir den Gef alien und argere dich nicht, wenn ich ein Nar 



SATIRISCHE UBUNGEN 'I 73 I 

bin und mit meinen Blatlause-Generazionen dir nachlaufe, da- 
mit du sie stundenlang besiehest: aus der menschlichen Natur 
geht der Flek nicht heraus (man miiste sie mit zerreiben) daB man 
das Nest, worin man sizt und quiekt und iiber das man mit 
Schnabel und H- hinaussticht, fur den Fokus des Universums, 
fur die Frontloge und fur eine Rotunda ansieht, die andern Ne- 
ster hingegen auf den iibrigen Baurrien fur die Wirthschaftsge- 
baude seines Fokal Nestes. 

Im Schwarzenbacher Nest den 2 OkL 1790. 

1. 
Die Better sind die neuen Barden 
6. Okt. 
So oft der Bettelvogt- der Hochmeister des Bettelordens - vor 
meinen fiinf Fenstern vorbeischleicht: so wil ich die Frage wieder 
beantworten, die schon neulich einer in der deutschen Monats- 
schrift beantwortete: warum man iezt die Poeten minder gou- 
tiere. Ich thue hier den Bettelvogt weg, weil ders.aus Brodstu- 
dium iibertreibt und den altesten Barden oft mit seinem Spiesse 
und Fluchen nachsezt; vom iibrigen Publikum aber kan man ge- 
wis versichern, daB bios der Eintrit ins manliche Alter, das auf 
Korporazionen so gut wie auf Individuen wirkt, das Gefiihl fur 
das Schone durch das Gefiihl fur das Niizliche, und die Empfin- 
dung durch Analysieren verdrange und entnerve: Es wird ja 
kiinftig publika geben, die dem gedrukten Homer und Milton 
so begegnen werden wie man dem organisierten Homer und 
Milton begegnete- sie werden auf keine Heldengedichte abon- 
nieren als auf komische und aus der Alg. deutsch. Bibliothek 
wird die Rubik »Dithyramben« ganz ausf alien. 

Es macht mich traurig, daB ich einmal werde eben so werden 
wie das Publikum. Wenn die 70 Schlage des Herzens in Einer 
Minute zu neun und fiinf zig erlahmen: so wird sie der Enthu- 
siasmus nimmer befliigeln konnen und ich werde mich nicht 
mehr so sehr auf den Friihling, auf den Volmond und auf den 
besten Dichter in der nachsten Messe freuen. Ich werde ein elen- 
digliches, zahes schusfestes Wesen sein und - was mich iezt am 



732 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

meisten vorausargert - es wird der Verf al mich gar nicht nachar- 
gern. 

Es wird den iezigen Barden, die man nicht einmal so nent son- 
dern Bettelleute, doch zu etwas fruchten, wenn ich mir die Miihe 
gebe zu beweisen, daB sie wenig oder nicht von den alten abge- 
artet sind. 

Die alten Barden zogen wie viele durch Verse und die Pompa- 
dour kreierte Generale, mit in Krieg, urn zu sehen was es da nicht 
so wol zu bekriegen als zu besingen gabe - auf der Harpfe trugen 
sie nachher die ganze Schlacht wieder vor. Die iezigen Barden 
stehen als Gemeine mit in den wichtigsten Treffen und konnen 
zahlen wie vielen Beine und Kopfe abgeschossen worden; darauf 
ists ihre Pflicht, nach dem Verlust der erstern und auf einem an- 
gestrikten Paar holzernen Kothurnen und Stuhlbeinen im 
Wirthshaus ein Paar Glaser Brantewein zu trinken und zu erzah- 
len wie's in der Bataille bei . . . hergieng - sie werden die Bezah- 
lung des Branteweins erschwingen, wenn sie vor den iibrigen 
Thuren sagen: »theilt einem armen abgedankten Soldaten auch 
was mit.« 

Die Skalden behielten ihre Beine, weil sie alzeit in der Schlacht 
ein Phalanx von Junglingen, Skaldaburg genant, schirmend 
umrang. 

Der Skalden-Ladenmeister, Homer, deklamierte blind vor 
den Thuren die achteste Ausgabe seiner Gedichte und war selbst 
der Kollekteur seines Honorariums. Neuere blinde Skalden- 
Juhgmeister singen vor den Fenstern des Publikums an einem 
wagerechten Stabe, wie die Rhapsodisten mit einem bleirechten 
bios fremde Karmina vor; auch GeiBler edierte Holtys Metra 
bios. Den andern Pol des horizontalen Stabes f asset die Frau und 
Generalkontrolleurin des Blinden. Ein Bettelvogt bezeugte mir, 
daB sich die Betelweiber unter einander urn nichts so zankten 
und schliigen als um einen Blinden und das ganze schone bet- 
telnde Geschlecht wolte sein Zizerone werden, erstlich weil ein 
solchern Panist seiner eignen Augen mehr erbettelte - zweitens 
weil eben darum seine Kasiererin ihn um sein Erbetteltes meist 
bestehlenkonte. »Bedenk' er, sagt' ich zum Bettelreiter, daB ich 



SATIRISCHE UBUNGEN 'I 733 

hingehen und denunziercn kan, daB er von seinem Fursten und 
dessen Zoldienerschaft bedenklich gesprochen.« 

Den besten neuern Barden, die unermiidet ihr Brod und ihren 
Ruhm vor den Thuren suchen, wedeln und schleichen Berliner 
Bibliothekare und Rezensenten nach, die ieder bisher Bettel- 
vogte nante: diese Vogte greifen wie die ganze kritische Mena- 
gerie nicht sowol das Gedicht als den Autor an. 

Ich finde in TroWs Reisebeschreibung, daB die alten Barden 
in Ireland ganze Strecken Landes geschenkt bekommen, und daB 
im 6 tcn Jahrhundert ein Drittel vom Irlandischen Volke zur Bar- 
den-Zenturie gehorte - in neuern Reiseberichten steht das nam- 
liche von neuern Barden; im namlichen Ireland, in Baiern, im 
Kirchenstaat fehlet es noch iezt nicht so sehr an poetischem 
Geiste, daB nicht ganze Gerichts- und Kirchensprengel bios mit 
solchen singenden Nomaden bevolkert wiirden. Ich darf mich 
auf meine Methode, diese Gelehrten zu zahlen wie Meusel und 
Schmidt, verlassen: denn ich gebe wenn ich durch Baiern fahre, 
iedem Man hur einen Pfennig und zahle vorher nach, fiir wie- 
viele Thaler ich Pfennige zur Volkszahlung mit nehme. Denn die 
Liebe zur Poesie ist fast in alien diesen Landern so stark, daB man 
dergleichen Kopfe 12 Monate im Jahre auf offentliche Kosten er- 
nahret und die Gasse ist das Prytaneum - die alten Barden hatten 
in Ireland, erzahlt Troil, iahrlich nur 6 Monate freien Tisch. 

Warum gelingt es gerade den katholischen Landern, die mei- 
sten Barden zu tragen und an sich zu Ziehen? Deswegen erstlich: 
es giebt da eben soviele Priester und Monche; diese bringen 
durch ihre Kirchen-Opermaschinerie und durch ihre Akzion 
iede Phantasie in Flug und Barden mit Frau und Kind in Gang. 
Zweitens schlug der Katholizismus, der irdische GKikseligkeit 
unter die Kenzeichen der wahren Kirche sezt, liberal nur auf fet- 
ter Garten- und Modererde seine Wurzeln, und Monche und 
Erdwiirmer sind zuverlassige Merkmale eines guten Bodens: auf 
dem frankischen lutherischen Boden ist ein Kloster oder eine 
Abtei ein Maulwurfhaufen, der fetteres Land ansagt. Nun ist die 
Poesie eine Tochter und Erbin des Ueberflusses und Luxus. 
Mithin wird man leicht er war ten konnen, daB nur die katholi- 



734 JUGENDWERKE * 5. ABTEILUNG 

schen Lander fruchtbar und reich genug sind, urn eine grossere 
Zahl Barden auszustossen und zu diingen, welche noch lange 
den Namen Strassenbetler fiihren werden. In der That nur ein 
Land, das reich genug ist zur Anschaffung der Betler, ist reich 
genug zur Ernahrung derselben; so ist Fruchtbarkeit eines Thiers 
in einem Erdstrich ein Zeichen, daB es da Kost genug antreffe 
und sogar die Hek- und Wurfzeiten iedes Viehes lasset die Natur 
alzeit in die Monate des haufigern Futters treffen. 

Jeder kymbrische Starost und ieder Honorazior muste damals 
Ehre wegen Barden so gut haben wie iezt die Gedichte derselben 
oder wie Livrebediente. Allein auch neuere Barden umstellen 
haufig Starosten und Reiche zur grosten Ehre der leztern. Sobald 
eine Suite den Reichthum ihres Inhabers, und Kometenkerns 
aufdecken sol: so taugt dazu wahrhaftig eine Suite reicher 
Lakaien, die bios vorzeigen, was sie dem Hern genommen, weit 
weniger als eine Suite von Lazarussen, die vorzeigen, was er ih- 
nen genommen. Ich sagt' es hundertmale zu den Umstehenden, 
wenn wir die Pracht furstlicher Festins, Feuerwerke und Oper- 
dekorazionen geniessend bewunderten: »diese Pracht wiirden 
wir noch weit mehr bewundern, wenn wir einen deutlichern 
Begrif von ihren Kosten hatten, und wenn deswegen in einem 
besondern Klumpen alle die Hausarmen, Glaubiger und Stras- 
senbetler beisammensassen, die dadurch gemacht wurden.« 

Es fait einem Denker auf, daB unter sovielen Gelehrten, die 
alle zu Panis- oder Bettelbriefen befugt sind, bios die neuern 
Barden das Vorrecht wirklich geniessen, vom ganzen Lesepu- 
blikum von Sekunde zu Sekunde, von Woche zu Woche pensio- 
niert und gespeiset zu werden und von ihm Pranumerazionsgel- 
der einzutreiben, sie mogen etwas edieren oder nicht. Das 
Faktum selbst ist ganz wahr; denn ich frage alzeit die Barden- 
vogte und die Betler selbst, wenn ich ihnen gegeben, urn deren 
Namen und Handwerk; es sind aber niemals beruhmte Tragiker, 
Komiker, Linguisten, Orientalisten, Feudalisten darunter und 
nur selten akademische Ladenhiiter. Es ist indes etwas so unge- 
mein edles, so zu sagen zu betteln und sein eigner Pfennigmeister 
zu sein und iedes Dorf als seine Legstadt zu finden, daB weder das 



SATIRISCHE UBUNGEN "2 735 

Publikum irgend cincm Schriftsteller, geschweige Lieblingsau- 
tor dieses Familienstipendium des Genies verweigern wiirde, noch 
solche Lieblingsautoren es ausschlagen konten, wenn sie nicht 
meistens in Deutschland so volauf hatten, daB sie, ohne beson- 
dere Habsucht, eine solche algemeine Erkentlichkeit des Publi- 
kums, einen solchen Zier-, Invenzions- und Trefdank, eine sol- 
che Sekunden-Gage vor ihrem Alter mit Ehren gar nicht 
annehmen konnen. Spater aber diirften und konten sie schon 
betteln. 

Ich wolte einmal einen Aufsaz vol verdaueter Belesenheit ab- 
fassen und darin beweisen, daB die Gelehrten und mithin unsre 
neuern Barden die europaischen Braminen* sind: denn ich hatte 
zeigen konnen, daB diese Barden wie die Braminen kein Fleisch 
und keinen Wein geniessen diirfen - daB beide immer unter 
freiem Himmel und in Mortifikazionen leben und nichts am 
Leibe haben - daB kein Mensch aus einer andern Kaste beide aus 
Ehrfurcht anzuriihren oder anzureden wagt - und daB man die 
Gnade des Himmels gewint, wenn [man] beiden was giebt. Ich 
sage, ich hatte das zeigen konnen, denn ich hab' es ia gezeigt. 

Jezt wil ich meinen Leichensermon beim Grabe eines Betlers 
in Forbau hersezen; ich mach' aber der Mannigfaltigkeit und der 
Lust des Lesers wegen eine neue Nummer. und Ueberschrift. 



2. 

Mein Leichensermon beim Grabe eines Betlers 
8 tcn Okt. 
Ich sties an den armen Teufel bei der lezten Schlehenstaude, eh' 
man nach Forbau komt; und er mus schon einige Tage tod dage- 
legen sein, weil sein braunes Pudelhundgen den ganzen Bettel- 
sak schon beerbet und ausgekernet hatte. Das Hiindgen lag wie 

* und am Ende die ostindischen: denn die bettelnden Zigauner sind 
aus Ostindien und aus der Pariaskaste; diese Kaste aber ist ein Potpourri 
aller aus andern Kasten, also auch der Braminenkaste gestosnen Inkul- 
paten. 



736 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

ein amerikanisches schweigend daneben und lies mich heran: du 
armer Todeszeuge eines Menschen, den erst der Tod vielleicht 
aus seiner Einsamkeit fuhrte, wenn man so gedriikt, so zerstos- 
sen wird wie du oder ein Edler in einem Roman: so bilt man nie- 
mand mehr an, wie der klaffende Schooshund, und man lasset 
ohne einen Laut, des Schmerzes und des Unmuths Stacheln in 
sich driicken. 

Nicht du riihrst mich am meisten, den der Schmerz mit sei- 
nem Schlangengeifer iiberzieht und der schreiend, unter seinen 
Stichen, leichenblas daliegt - oder du, der du mit philosophi- 
scher gehobner Brust das Schiksal auf dir Schmieden lassest und 
unter seinem schweren Ambos nichts f tiniest - sonderndu riihrst 
mich, der alles fiihlet und alles verhehlt, dem lange und schwere 
Jahre das stumme Auge und die unbewegliche Lippe gegeben, 
und der zu alien Menschen wie etwan der kranke Ehegatte zum 
andernmit einem schweren Lacheln sagt: es fehlt mir nichts . . . 

Eh* ich gar nach Forbau gieng, das Leichenbegangnis des alten 
Mannes zu besorgen: visitierte ich seine Taschen und seine hin- 
terlassenen Papiere darin. Der Nachlas fiel aber kleiner aus als 
zu erwarten war: er bestand bios in einem gelben zerbrochenen 
Brandbrief, auf den er wegen seiner Unleserlichkeit die lezten 
Jahre her unmoglich konte gebettelt haben. Der Brandbrief 

sagte, der Vorzeiger ware ein Bergman aus Viesel (ver- 

muthlichVieselbachbei Erfurt), seines NamensZaus oder Saus, 
und hatte 5 lebendige Kinder und eine alte Ehefrau. Aus des Erb- 
lassers Tasche zog ich noch, einen Morgensegen in Sedez mit 
Nomparel Fraktur gedrukt; die ubrigen Segen und den Einband 
hatte Zaus abgegriffen und weggelesen und er wird den Abend- 
segen entweder ganz ausgelassen oder den Morgensegen repe- 
tiert haben, der dem Teufel, gegen den er des Tags zweimal 
losgieng, wie ein Rikoschetschus mus vorgekommen 
sein. - 

Das Publikum wird iezt dariiber am meisten angstlich sein, 
wie idi den alten Saus unter die Erde bringe, worunter er freilich 
so oft war - und ich wars selber wegen der zahen Forbauer. Ich 
sah einen meiner Frohner ackern; diesen sandt' ich nach Forbau 



SATIRISCHE UBUNGEN • 2 737 

mit dem arret: »die Gemeinde soke heraus zur ersten Schlehen- 
staude kommen, es ware der Amtsverwalter und ein alter Berg- 
man da . « Ich hatt* es noch nicht ganz heraus was der Pudel konte: 
als aus Forbau (wizig zu reden) ganz Forbau gezogen kam. Ich 
berichtete den traurigen Todesfal und den Lebenslauf des Seeli- 
gen und sagte, an den Brandbrief konten wir uns schon halten. 
Aber kein einziger vom Synodus wolte sich daran halten. »Er 
kan ehrlich sein, sagten die Manner; aber wir riihren ihn nicht 
an.« Ich sagte: »seine Briefschaften sagen uns, daB er ein grund- 
ehrlicher abgebranter Berggeist aus Viesel ist und es wird Vie- 
selbach heissen sollen und er selber heisset entweder Saus oder 
Zaus.« 

Die Weiber sagten und sahen nach seinem Aequator, wo der 
Mensch und die Erde grossere Dicke und hohere Berge hat als 
an den Polen: »sie sahen kein Berg- und Hinterleder vorgucken 
und er ware aus weiter nichts als aus dem Schafergeschlecht.« 

Der Schuster sagte: » vor 4 Jahren hatte hier ein Schmierschafer 
mit gerade einem solchen Pudel gebettelt, der aber brauner ge- 
wesen sei.« 

»Ich wil nicht ehrlich sein, sagt' ich, wenns gegenwartiger 
Zaus nicht selber ist und wenn ich euch nicht fur seine Bestat- 
tung einen halben Leich-Eimer zu versaufen gebe; wolt ihr ihn 
aber nicht tragen: so lass' ich den Saus dem ersten besten, der sich 
weigert, vor die Thiire fahren und so lange da stehen bis er 
stinkt. Begriibet ihr ihn: so wolt' ich noch zum Ueberflus einen 
geschikten Leichensermon halten und, der Kanidat Riikner, der 
morgen prediget, thate mir den Gefallen und legte nach mir gar 
eine Leichenpredigt ab.~- Es mus aber die ganze Kirchenge- 
meinde die Leiche beriihren: sonst wirfts einer dem andern im 
Soffe .vor.« 

Deutschland wird sich gar nicht dariiber wundern, daB Auto- 
ren, die ihm gefallen, aufgeklart genug sind, um den alten Vie- 
selbacher zuerst anzugreif en: ich langte nach dem rechten Ermel 
und dem Puis darin; aber lezterer war samt dem rechten Arme 
langst heraus und bios der linke hieng noch da. Meine Frohner 
musten ohnehin: denn Amtsverwaltere springen mit ihnen nicht 



73 8 JUGENDWERKE • 5 . ABTEILUNG 

so linde um wie mit Lesern. Nun komt das ganze Gliik meiner 
Beschreibung bios darauf an, daB es in den Gehirnkammern des 
Lesers nicht an Plaz fehle, alle die Bauern aufzustellen, die man 
hohern Orts zur Betastung Zausens zwang. Der Schuster muste 
zuerst hinan und sah wie ein Schuler aus, der an eine Elektrisier- 
mas chine tippet. Der Hund sprang auf niemand los, gleichsam 
als woir er sagen und denken: »mein armer Herr hat alle Arten 
von Beriihrung schon gewohnt.« Der Schulz wolte seinen Stab 
als eine Tangente und seine Hand als eine Kotangente brauchen 
und zog ihn iiber das ehrliche corpus; aber es wurde nicht gelit- 
ten und er muste Zausens Brust ausfiihlen, ob nichts mehr drin- 
nen schluge. Als es im tastenden manipulierenden Cercle zu den 
Weibern kam: war keine hinanzubringen und der verstorbne 
Bergman hatte unmoglich bei Lebzeiten ein Weib mit soviel 
Misvefgniigen beriihrt als ihn hier iede beriihrte. Denn ich sezt' 
es dennoch durch, indem ich mir die Hand von der nachsten 
Dulderin reichen lies und sie gewaltsam auf des Alten Magen 
niedertauchte. Die andre wurde iiber ihn ganz hiniibergezogen, 
damit sie der Dritten nichts nachsagte, die genothigt wurde, weil 
sie bios iiber seine Seitenhaare fuhr, die seines Schnurbarts zu 
streichen. Von der Halfte der iibrigen lies ich jede einen Knopf 
seiner Veste aufknopfen, und von der andren Halfte iede einen 
wieder zu, weil zu wenige daran waren. Vielleicht fassete ich 
mich hier weitlauf tiger und lies es, ware nicht ein bald folgender 
Umstand, nicht bei den noch friiher folgenden Bemerkungen 
bewenden: der Betler war ein Ordensheiliger, den man anriihrt, 
um durch seine offizinellen Glieder zu genesen von dummen 
Gedanken - zweitens schreibt der schongebildete Helvetius die 
menschliche Vervolkomnung mit so vielem Recht dem feinern 
Gefiihle der Fingerspizen zu, daB ich ohne sie nicht einen Funken 
elektrisches Licht in die Bauern hatte leiten konnen. Es freuet 
mich aber- das ist der versprochne folgende Umstand - von der 
andern Seite nicht sonderlich, daB ich - indes iezt tausend andre 
auf der Parforceiagd der Freuden herumziehen, indes der eine 
sich halbtod in und nach einem Konzerte tanzen, der andre in ei- 
ner Schuzengesels chart nach einem Vogel oder Madgen zielen 



SATIRISCHE UBUNGEN • 2 739 

kan; indes Herschel einen Tubus und ein andrer Christ eine Lor- 
gnette vors Auge halten kan, urn entweder mit ienem neue Ma- 
krokosmen oder mit dieser neue Mikrokostnen zu entdecken; indes 
die elendesten Matrosen urn die ganze Welt und ich wenigstens 
nach Hof gehen konte - ich sagte, es freuete mich schlecht, daB 
ich indes hier allein an meinen Stuhl mich anpichen und nur dar- 
auf sinrien und dichten mus, wie ich die elende Begreifung eines 
elenden Kerls, der mir in seinem Leben nicht Habedank sagt, so 
aufgewekt und geschikt abzeichne, daB ich diesen Leuten, wenn 
sie von ihren Freuden heimkommen, sofort mit neuen auf mei- 
nem Papier entgegenspringen kan, nachdem ich unten an der 
Hausthiir schon damit gehalten, um niemand zu verpas- 
sen. 

Abends im Zwielichten, sagt' ich zur Fiihl-Unitat, wollen wir 
samtlich wieder kommen, ihr mit der Bahre und ich mit dem 
Kandidaten und den alten Zaus auf den Berg dahin bringen, wo 
er hingehoret: wenn wirs unter dem Gebetlauten thun, so siehts 
doch aus, als hatte der Man ein Trauergelaute, das freilich noch 
tausendmal kiirzer ist als das eines romischen Kaisers. 

Unter dem Leichenzuge redete ich mit dem theologischen 
Kadetten Riikner von gelehrten Sachen und von der communi- 
catio,idiomatum und ich sagte von Zeit zu Zeit magister mathe- 
seos,6 ttottiq tov TCdTEoa, Signora, rhou as an ass,oint et point, 
damit wir uns beide bei den Leuten in einige Achtung sezten - 
ich thats noch, um nicht zu traurig zu werden. 

Oben wurde der Verstorbne aufgedekt, der Mond sah ihm ins 
Gesicht, die Gebetglocke sumte aus, eine Lerche flog noch iiber 
uns - als ich zum Kandidaten sagte, ich wolte meinen Sermon 
vor seiner Predigt voraushalten. 

»Du armer Zaus und ihr lieben Zuhorer! 
und hochzuehrender H. Kandidat! 
Es wird dich in vielen Jahren kein Mensch Zaus oder Saus ge- 
heissen haben, sondern Landstreicher und so was - heute ausge- 
nommen. In vielen Jahren wirst du in kein freundliches oder 
mitleidiges Gesicht gesehen haben - heute ausgenommen, wo 



74° JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

deine Augen tod, aber of fen sind. In vielen Jahren wirst du nicht 
so lange und so f riedlich gelegen sein als an deinem heutigen und 
gestrigen Rasttage . . . Ihr seid entsezlich zahe, ihr Forbauer 
Bauern, und der H. Kandidat wird euch nachher riihren; aber 
thut mirs nur zu Liebe und gehet in Gedanken nur Einen ganzen 
Tag neben dem alten Saus her. Ich bin auch mit dabei. Sehet das 
matte Erwachen des armen Mannes; er mus erschrecken, daB die 
ruhige Nacht schon voriiber ist und muder wie der Gemeinbote 
komt er zum Hirtenhause heraus und draussen sieht er im ganzen 
langen Tage nichts, worauf er sich freuen konte. Die Gelehrten, 
H. Kandidat, haben uberhaupt angemerkt, daB beim Aufwa- 
chen nichts verdruslicher ist als die Aussicht in einen kahlen, 
ausgeleerten altaglichen Tag. 

Jezt mus der alte Bergman laufen, urn nur ein Dorf zu erlaufen: 
auf iedem Berge hoft er in eines hineinzuschauen; aber mit mii- 
den Beinen steigt [er] wieder herunter und hat keines gesehen. 
Er watet durch Kornfelder und Wiesen hindurch, in denen man 
ihn kaum sehen kan; aber es freuet ihn nicht: alles ist ia fremd. 
Zaus komt in [ein] adeliches Dorf, wo Kirchweih ist und faltet 
den Brandbrief auf, den er tausendmal zusammengebrochen hat; 
aber es freuet ihn nicht: iedes frohliche Gesicht macht er, wenn 
er ihm begegnet mit dem Brandbrief, zu einem verdriislichen. 
Seit er stat des Faustels den Bettelstab in die Hand genommen, 
fragt er nach der ganzen Welt nichts mehr, die ganze Welt fragt 
nach ihm nichts mehr, sein brauner Hund ausgenommen. Er sol 
uns alle ihm nachtraben sehen; wir freuen ihn doch nicht mehr 
und er wird hochstens den heraussuchen, der ihm einen Kreuzer 
geben kan und wird mich und den H. Riikner, seine 2 Leichen- 
prediger anbetteln. Ich wurd' ihm aber was geben, obsgleich 
verboten ist: ach du armer Todter! wer konte das eiserne Herz 
haben, daB er deinen Brief dir leer zuruckgabe und dich nach 
[der] lezten Freude, nach der du greifest, vergeblich fangen 
liesse? Stehest du denn nicht da in meiner Gestalt und mit einer 
Seele wie meiner, die aber mehr leidet? Ach du hast keinen 
Knappen, mit dem du einen Tropfen trinken und einen Bissen 
essen kdntest - kein Kind, das deine Finger anfassete und die an- 



SATIRISCHE UBUNGEN • 2 74 1 

dern Kinder werfen gar nach dir - keine Frau, der du sagen kon- 
test, ich werd' es nicht lange mehr treiben! Wenn ich iezt diesen 
geplagten Vieselbacher ansehe mit seinem Paar Haaren, mit de- 
nen nicht Abendwinde sondern Stiirme gespielt haben, mit sei- 
nem zusammengedriikten Gesicht, mit seinen grauen Augen- 
braunen und seinem leeren rechten Ermel, wiewol im linken 
auch nicht viel ist, und wenn ich denke, daB wir ihm iezt alle 
nichts mehr zu Gute thun konnen: so wiird' es mich zu traurig 
machen, wenn ich weiter hinter ihm dreingienge. Er wird aber 
auch zulezt gar nichts mehr gespiiret haben und seine rothen Au- 
gen kommen nur von Fliegenstichen: denn du grosser guter 
Schopfer! du bist so liebreich, daB uns armen Menschen der 
zweite traurige Tag nicht so wehe thut wie der erste traurige! 
Wie hatte es der hungrige Zaus ausgehalten, urn Mittagszeit lau- 
ter Tischgebete zu horen, an denen er nicht mitbeten durfte! - 
Wenn ihr Forbauer in euerem Leben nur i Betler gesehen hattet: 
ihr schliiget euch um ihn und ieder gabe her; aber so ists euch 
was gewohntes und ihr lasset ihn selber durch den Bettelvogt 
schlagen. 

Ich traf beim Zaus keinen Abendseegen an, er hatte aber auch 
keinen nothig, weil ihm nur der Tag etwas anhaben konte. Al- 
lein iezt da es langer Nacht wird, da sich der Tod uber die Augen 
und Ohren des alten Mannes gelegt hat, wil ich fur ihn einen 
Abendseegen sagen: schlafe und zerfalle recht sanft, du gutes al- 
tes hundsmassig gequaltes Menschengerippe; kein Kettenhund, 
kein Hunger, kein Bettelvogt erschrekken dich mehr und wenn 
du einmal aufwachst, wird ein[e] andre Sonne am Himmel ste- 
hen; deine freie Seele sei kein Betler droben im Himmel. Ihr aus- 
gestorbnen Augen iezt werdet ihr nimmer nas , sondern nur f aul 
und deine iibrigen Glieder nimt dir der stille Tod sanfter ab als 
den rechten Arm. - Jezt ihr Forbauer begrabt ihn ganz saft und 
stil und horcht nachher auf die Leichenpredigt des H. Kandida- 
ten. « 

Als dieser den Vorlauf seiner Predigt aus der Nasenkelter ins 
Schnupftuch gebracht hatte: began er denk' ich so: »Wenn der 



742 JUGENDWERKE ■ 5 . ABTEILUNG 

priifende Christ und Nichtchrist theils auf die Bestrebungen der 
menschlichen Thatigkeit kultivierte Blicke wirft, theils der 
menschlichen Bestimmung in dem Begrif eines volkommensten 
Wesens nachspiirt: . . . « Den Nachsaz mus der alte Zaus wissen, 
der ihn aushorte und dablieb: denn das ubrige Leichenkondukt 
konte, weils schon finster war, nicht so lange bleiben. 

3- 
Meine Bitschrift an den Klub, der den Hut nicht rukt 
&. 1. Novemb. 
Ich kenne das Mitglied recht gut (wenn ichs nicht selber war), 
das im Julius des Modejournals von 1788 eine angenehme Nach- 
richt von dem Klubbe mittheilte, der sich verschworen hatte, 
vor sich unter einander den Hut so wenig abzuziehen als bestand' 
er aus Frauenzimmern und deren Huten. Das ist eben eigentliche 
Aufklarung, die von kleinen Dingen, worin beinahe ein Nar 
klug sein kan, anhebt und stufenweise langsam zu den grossen 
aufsteigt, in denen so oft leider Menschen weise sind, die es in 
kleinen gar noch nicht sind. Ich denke, ich darf von mir sagen, 
daB ich an mir von dem Hute nach dem Gehirne zu, nicht vom 
Gehirne nach dem Hute ref ormieret habe. Die physiologischen 
Kompendien zahlen ohnehin den Hut unter die 4 te Gehirnhaut 
und sagen, er sei nicht empfindlicher wie die iibrigen. Vom Frei- 
tag bis zum Donnerstag war ich auch ein wirkliches Glied dieser 
Hutgenossenschaft; aber am Donnerstag sezte ich folgende Bit- 
schrift an sie auf: 

p.p. 
Ein Mensch, der sich ein Kastorhiitgen gekauft, das die Rechte 
eines Grands und Quakers hat, danket, meine Herren, alzeit Got 
und Ihnen. Es ist eine Thatsache, daB ich noch am Freitage 
Nachmittags Weib und Kinder stehen lies und den ganzen hal- 
ben Tag, an dem unsre Merkurius-Hute fixiert wurden, durch 
drei Hauptstrassen hindurch und in eine Sakgasse hineinspa- 
zierte, um zu sehen ob ich niemand von Ihnen mit meinem Im- 
mobiliarhut aufstiesse, vor dem ich ihn aufbehielte. Es war aber 
ein vitriols auerer Gang, da ich vergeblich herumstrich und nie- 



SATIRISCHE UBUNGEN * 3 743 

mand begegnete: ich muste den Hut von sich selbst, ohne Nuzen 
der Assoziazion, aufsizen lassen. Indes war doch der Trost mir 
nicht zu nehmen, daB ich am Sonabend hundert Gange hatte: 
)>und wenn die drei Furien, sagt' ich zu den Meinigen, morgen 
gassatim giengen: so konten sie nicht machen, dafi mir gar kein 
Mitglied von der infulierten Geselschaft vorkame und dafi ich 
gegen keines das Begriissen vermeiden konte.« Der ganze 
schwabische Bund wird am heutigen Donnerstag noch wissen, 
dafi am vorigen Sonabend der ganze Bund herumgieng und ich 
mitten drinnen - wir stiessen alle auf einander da und dort und 
die Ebene meiner Laufbahn durchschnit die Ebene der Laufbahn 
aller anderer Mitglieder - bald standen wir in Opposizion, bald 
im Gesechsterschein, bald in Konjunkzion, kurz es war die 
Wahrheit zu sagen prachtig fur mich, wie ich und ieder von uns 
aufgesteift vor dem andern mit seinem Hute voriiberriikte wie 
Bauern die vom Markte mit zweien auf einmal heimkommen. 
Aber die Pille zerflos almahlig im Munde: der Mensch errath nie 
seine Freuden noch Leiden. Denn da alle Erdbewohner einge- 
theilt werden in Hut abziehende und in Hut aufbehaltende: so 
must' ich mit der grosten Aufmerksamkeit mit den Augen vor- 
auslaufen, um ieden, der mir vor- oder nachkam, sogleich in 
seine rechte Kaste zu thun und mich in die seinige. Und wer 
wok' es andern, wenn ich gegen Leute, die sich nicht mit hatten 
unterschreiben wollen, den Grus nachholte, wenn sie schon in 
einer andern Gasse wandelten? Weniger verschlugs, da wir, ich 
und ein bekantes Mitglied der gehelmten Konfoderazion, die 
Fingerspizen schon an den Hutspizen hatten und einander 
freundlich salutieren wolten: denn ich darf sagen, wir besannen 
uns sogleich und presten den Hut defer iiber den denkenden 
Kopf herein. 

Am Sontage, wo ich sonst chapeaubas zu laufen pflege damit 
ich weis wes Glaubens ich bin, must' ichs zu meinem Verdrusse 
aussezen, weil mir sonst mein Hut- und Miizen-Verein zu wenig 
zu statten gekommen ware. 

Am Montage f ragt' ich nach dem Vereine gar nichts mehr und 
war den ganzen Tag nicht V 2 Minute unter freiem Himmel. 



744 JUGENDWERKE - 5.ABTEILUNG 

Am Dienstage sagt ich zu den Meinigen, ich wil lieber Stuhl- 
kappen aufsezen als mich so sehr abqualen, daB ich ia meinen ei- 
genen Hutstok und meinen eignen Infultrager abgebe. Ich zog 
deswegen durch alle Gassen und vor alle Fenster, urn Sie alle, die 
sich als associes unterschrieben, mit einem Hut abziehenden 
Grusse zu erschrecken. 

Am Mitwoch sagt' ich, woke Got, die associes stiessen mich, 
wegen dem Griissen am Dienstage, aus ihrer XIII Union. 

Am Donnerstag d. h. heute stoss' ich mich eigenhandig dar- 
aus und seze in blossem Kopfe diese Supplik auf , weil ichs nim- 
mer langer auszudauern vermag, da ich den ganzen Tag an mei- 
nen Hut und an unsre Genossenschaft denke und dariiber mein 
Hauswesen versaume. 

Inzwischen gedenk' ich einmal wieder in Ihren Bund zuriick- 
zukehren; aber erst wennich dessen wiirdiger bin d. h. wenn ich 
meinen verfluchten Leidenschaften, dem Neid, Geiz, Stolze p. 
den Kopf abgerissen - wenn ich meine 4 Gehirn- und 4 Herzens- 
kammern so rein und gleissend ausgescheuert wie einen Bienen- 
stok und wenn alles an mir gut ist, besonders der Hut. 

Warurri krazen und sagen doch die Menschen an ihren 2 oder 
3 Bestandtheilen mit den klaren Feilen friiher als mit den groben? 

Bis dahin aber ersuch' ich Sie, meiner unausgekrochnen fe- 
derlosen Seele noch die Hut-Eierschaale hinten angepicht zu las- 
sen und mich aus Ihrer Verquickung herauszuscheiden, indem 
Sie mich mit der alten vorigen Erlaubnis versehen, meinen Hut 
vor Ihnen abzumiizen und abzunehmen und indem Sie mir ein 
ganz entgegengeseztes Mittel wiedergeben, Ihnen anzudeuten, 
mit welcher Hochachtung, wenn ich Ihnen begegne, ich bin 

Ihr 

N. S. Ein vergessener Grund meines Austrits ist auch der: ich 
habe Mittel, selber einer neuen Geselschaft vorzustehen und so- 
gar ihr gleichgultiger Primas zu sein. Diese wil und sol unter sich 
ausrnachen, sich nie voreinander zu biicken, nie einander Gluk 
zu wiinschen, hochstens Ungliik und allezeit einander zur rechten 
Hand und f orawszulaufen, damit wir einmal die verdamten Ze- 



SATIRISCHE UBUNGEN * 4 745 

remonialsalbadereien veriagen. Der Himmel gebe, daB alles ge- 
lingt und daB wir alle fast noch kliiger werden und scheinen als 
wir sind. 

4- 

Konzert in Saturnopolis 
Soke in meiner Beschreibung etwas Teufelsdrek unter so vielem 
Weihrauch vorriechen: so ist zu iiberlegen, daB ich ihn nicht ein- 
gemischt hatte, wenn sie mich (wie ich wolte) Kapelmeister die- 
ses Konzerts hatten werden lassen. Fiir mich waren 15 Stimmen, 
gegen mich 1 5V 2 . - Ich wil hier von Saturnopolis nichts hermalen , 
als seine Konzerte. 

Da die Saturnopolitaner nach Musik weniger als nach mu- 
sikalischen Instrumenten etwas fragen: so ists kein Wunder daB 
sie noch bis heut Abend ein Konzert haben und ertragen. Denn 
da es da gar nicht so sehr an Lesegeselschaften fehlte, daB nicht 
ganze Gassen in elenden Romanen von den vielen Winterkon- 
zerten etwas gelesen hatten, auf die andre deutsche Stadte pran- 
umierieret: so dachten die meisten Mitglieder solcher Lesegesel- 
schaften, es soke sie der Henker holen, wenn sie nicht in die 
Tasche griff en und vorausbezahlten auf ein ganzes musikalisches 
Halbiahr. Hierauf brauchte bios gestimt zu werden, wer das 
Konzert horen diirfte; wer stimmen diirfte, dariiber brauchte 
nicht gestimt zu werden. Sofort kamen geschritten Manner, 
Weiber und Kinder iedes mit 10 Fingern und 10 Fuszahen zum 
Tanzen und Spielen - kein Mensch hatte aber das Herz, seine 
Ohren mitzubringen. Denn der Vertrag hatte 2 wichtige Sepa- 
ratartikel: 1) den, daB ieder Zuhorer das groste erdenklichste 
Vergnugen aus allem zu schopfen versprache, was nur herge- 
spielt wtirde - 2) den, daB ob gleich Tanzen der Zwek eines 
Konzertes ware, doch dem Tanz die ersten Verdauungsstunden 
abgebrochen und einige Symphonien und andern Noten ge- 
schenkt werden soken, da es ia in andern Konzertsaalen noch ar- 
ger hergienge, wo kein andrer Tanz vorkame als ein gespielter. 
Diesem Separatartikel muste noch eine unentbehrliche Separat- 
klausul aufgeflikt werden »daB die Kinder, die tanzen und musi- 
zierenlernen woken, auf dem Konzertsaale gleichsam als auf ih- 



74<5 JUGENDWERKE ■ 5.ABTEILUNG 

rem Tanz- und Fechtboden zusammenkommen solten, weil bios 
durch das Urtheil erwachsener Leute diese artistischen Katechu- 
menen viel gescheuter aus ihrer Tanz- und Klavierschule gehen 
wiirden als sie hineinkamen. « Auf diese Klausul griindet sich der 
Eid, den alle Auditores bios ihrer Ohren wegen thun miissen - 
ich sehe, daB er ganz wie der Eid der romischen Gladiatoren 
klingt und wil daher nur leztern hersezen: »uri, vinciri, verbe- 
rari, ferroque necari et quidquid Eumolpus (Quartus) jussisset 
tanquam legitimi gladiatores domino corpora animasque reli- 
giosissime addicimus.« 

Bei der ganzen Sache argerts mich nicht so wol daB das Kon- 
zert schlecht ausgefallen als die vorige Beschreibung desselben; 
denn das Wetterglas fiel wahrend der Beschreibung um 4 Grade 
(am 16 Nov.) und sie noch tiefer. Der SCidwind that leider auch 
das Seinige - wenn der vom Aequator herunter den deutschen 
Gelehrten ins Gesicht und Kleid greift und hustet: so fallen sie 
in die Husten ein und wollen umfallen, so viel ich aus Tissot und 
mir weis. Ich habe noch nicht das Herz gehabt, es gedrukt vor- 
zuschlagen, daB wenn ieder fur den Presbengel und Leser schrei- 
bende Gelehrte ein kurzes Barometer am Fenster hangen und 
draussen vor dem Fenster eine Windfahne stehen hatte und wenn 
er bei iedem Blatte den Stand des Queksilbers und der Fahne 
aufrichtig auf dem Rand beischriebe - daB man alsdan Rezensio- 
nen der dummen Blatter und die dummen Blatter selber sicher 
iiberschlagen konte, weil der meteorologische Rand Gros und 
Klein schon warnte. 

Der Verfasser des Siegfrieds riikt oft mit seinen Digressionen 
vor, wenn der Merkurius aus der Rohre herausgef alien - und ich 
breche mit meinen her vor, wenn der Merkurius oben hiriaus- 
hiipfen wil . . . Ich merke, daB ich metaphorisch werde. 

Ich konte alle meine Leser (wovon ich mir die Volksmenge 
und richtigere Tabellen wunschte) mit ins Konzert nehmen: 
denn sie sind Fremde. Wenn wir insgesamt (wie ich doch das er- 
stemal woke) die Treppe, fals die Musik schon droben ware, 
nach ihrem Takte hinaufzulaufen strebten: so wiisten wir gar 
nicht wohin wir dachten; denn droben ist viel zuviel Takt. Es 



SATIRISCHE UBUNGEN ■ 4 747 

gelingt namlich diesem Konzert, andern Konzerten, die zu we- 
nig Takt haben, dadurch vorzudringen, daB es fast zuviel Takt 
hat, welches fur meine Ohren gerade recht ist. Denn ieder dasige 
Musikoffiziant pfeift, hakt, streicht, stampft (mit Handen oder 
Fiissen) seinen eignen originellen Takt, den erstlich kein andrer 
neben ihm pfeift, hakt, streicht, stampft und den er selber zwei- 
tens von Minute zu Minute verbessert. Auf diese Weise konnen 
sich oft 1 8 verschiedne Selbstlauter von Solotakten bewegen und 
privatisieren wie isolierte Leibnizische Monaden. Ich denke an 
diese Takte-Einkindschaft, so oft ich beim Uhrmacher 18 ge- 
henden Uhren zuhorche, deren Perpendikel insgesamt wie ein 
arpeggio nach einander hammern; so denk' ich an beide zu- 
gleich, wenn ich wolgewachsene Stadtmiliz so nebeneinander 
marschieren sehe, daB iedes Bein des einen Mars das linke Bein 
des andern Mars zu sein scheint und daB das ganze corpus wie 
ein Raupencorpus sich auf unzahligen nicht harmonisch sondern 
melodisch fortschreitenden Fiissen weiter egget. Hier haben wir 
4 Dinge, wovon iedes des andern Gleichnis sein wil und kan. 

Der Himmel gebe nur, daB er uns das giebt, was wir im Kon- 
zerte wiinschen, namlich hiibsche Symphonien. Im Grunde sind 
zwar auch die iezigen schwer und hieroglyphisch und wenn das 
horende Parterre sich beklagt, daB es sie nicht fassen konne: so 
kan sich das ganze Orchester seinerseits beschweren, daB es sie 
nicht spielen konne; allein ich habe doch Symphonien vom 
Blatte gespielt, die so kiinstlich zusammengeschlungen waren, 
daB sie fast abscheulich klangen. 

In Italien gehorts zum hohen Ton, in der Oper auf alles mogli- 
che eher auf zuhorchen als auf die Musik; vollends auf die schon- 
sten Stellen mus ein Frauenzimmer die groste Unaufmerk- 
samkeit zu wenden scheinen und man verstekt da seine 
musikalischen Ohren so sehr wie sonst seine symbolischen. Die 
Saturnopolitaner hangen an der namlichen Sitte. Man nimt es an 
fur ein Zeichen eines guten Geschmaks, wenn der Saturnopoli- 
taner oder seine Frau auf die Musik gar nicht hinhoret - durch 
eine lange Uebung, sich bei den schonsten Stellen unempfindlich 
anzustellen, haben sie es soweit gebracht, daB sogar geiibtere 



748 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

Augen als meine den Schein mit der Wahrheit vermengen wiir- 
den. - Wenn freilich manchmal in, mit und unter der Musik das 
Reden der Zuhorer wie ein gedrukter Text herumspringt: so ist 
das ein prosaisches Melodrama, worin Ariadnen und Theseuse 
in die Musik reden. Daher sagen die Saturnopolitaner oft: »sind 
unsre Konzerte nicht die einzigen in Musik gesezten Stadtge- 
sprache?« 

Ich fiihrte an meinem Geburtstage meinen Buben von 6 Jahren 
an der Hand mit ins Konzert und man glaubte algemein, er ware 
nicht musikalisch; allein er muste sich mit dem sonst elenden 
Ding »als der Grosvater die Grosmutter nahm« horen lassen und 
sich selber horen, der Vater stand hinter dem Sohn und kehrte 
lezterem das Blat um; der Sohn kantschuete sein Fortepiano 
hubsch genug, aber ich sagte zu den Lobrednern desselben (nicht 
ohne Falschheit): »der kleine Schuft mus erst noch werden und 
man mus diesen pfiffigen Dieben gar nicht weismachen, was sie 
konnen.« — Tanzen kan aber leider von dem kurzen Personale 
meines Hauses (beim langen ists anders) niemand so, daB ers 6f- 
fentlich konte, als bios mein Hoppas, der Pudel; ich gesteh' es 
aber, ich befuhr alzeit, ich wiirde das ganze Konzert vor den 
Kopf stossen, wenn ich anfragte ob der Hoppas nicht mit mir 
in den Tanzsaal hineinspringen diirfte, ob er gleich so wenig 
heult bei der Musik wie andre Tanzer. 

(Ich hab' es, lieber Otto, schon sat, besonders wegen meinem 
Schwanken zwischen algemeiner und individueller Schilde- 
rung.) 

5- 

Schilderung eines Zerstreueten 
Es gefiel mir niemals, daB die meisten die Thorheit offenbar so 
weit treiben, daB sie von einem Gelehrten, dessen Gehirnkam- 
mern vielleicht bis an die Decke mit gelehrten Kaufmansgutern 
volgepacket sind und der alles gelesen ausser seinen Kontrakten, 
zu verlangen wagen, er solle wissen was er thut und wil. Wahr- 
haftig solche gelehrte Gelehrte, von deren Zahl ich leider auch 
mit bin, danken Got, wenn sie nur bei Sinnen bleiben. 



SATIRISCHE UBUNGEN • 5 749 

Ichhabein meinem Leben keine Sonnenfinsternis, keine Kro- 
nung und keine Hinrichtung gesehen; bios weils von diesen 
Dingen keine Palingenesie und kein ancora giebt - das erstemal 
hatt* ichs allemal versaumt. 

Hundertmal lies ich anspannen und - da ich vergessen, wohin 
ich wolte - wieder ausspannen. 

Ich gab neulich mit Vergniigen mein Wort 7 verschiedenen 
Hausern, am Martinitag wiird' ich, weil mich nichts hinderte, 
ihr Gast sein auf eine diirre MartinsGans - die 7 Hauser baten 
10 selber einander alseitig zu Gaste auf mich und 7 Ganse; allein 
nach 1 1 Uhr am Martinitag giengs nicht bios in den Hausern 
sondern auch in meinem Leibe d'runter und d'riiber, bios weil 
ich mich mit einem hiibschen Vomitiv ausfegte; bei iedem Er- 
brechen kam ein anderer Bediente und sagte draussen, »es wiirde 
alles kalt«. Ich wurd' es aber am meisten. (Denn ich hatte gar 
No. 7 um einen breiten Spiegelkarpfen angesprochen, weil ich, 
lies ich sagen, am lustigen Martinitag die Ehre von No. 6 hatte) . 

Meinen Geburtstag zu feiern war ich nie so gliiklich - er komt 

mir nie zur rechten Zeit in Kopf; kiinftighin aber wird dem 

20 Uebel hinlanglich gesteuert, weil ich im ganzen Hause Pramien 

fur den ausgeboten, der mich - nicht an den Tod, wie ienen K6- 

nig, sondern - an meine Geburt erinnert. 

Ich dachte einmal, es wiirde etwan gehen, wenn ich satteln 
Hesse und 3V2 Stunden weit aufs Land zu einem Zolkommissar 
hinritte und ihn bate, an Zachaus Tag nebst den 7 lieben Seinigen 
mit mir vorliebzunehmen, weil ich mein Geburtsfest begienge. 
Allein es war Ein Teufel; nicht etwan weil der Zolkommissar die 
iibers chwemmenden Geschafte und die Vakanz seiner Schrei- 
berstelle vorschiizte - denn ich sas nicht eher auf als bis er in mei- 
30 nem Beisein ein Fuhrwerk auf Zachaus bestellet hatte: sondern 
da am Zachaustermin der alte Zolkommissar mit seiner Duz- 
schwester und 6 lebendigen meinetwegen gepuzten Kindern 
nebst einem niichternen Fuhrman wirklich unten vor meinem 
Hause freudig aussteigen wolten: so wolt' es durchaus nicht an- 
gehen, weil davor einige Schutgebirge herumsassen und weil 
besonders (denn ich war am Zachaustag einmal im Ernst iiber 



750 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

einer Hauptreparatur und Wiedergeburt meines bruchigen Hau- 
ses her) die Beine des Geriistes alles verschrankten; ich selber zog 
oben auf lezterem mit einem kurzen gummierten Schlafrok nach 
reiner Luft herum und gukte staunend auf die Kutsche herunter, 
neugierig auf das, was aus ihr ausspringen wolte. Der Kommis- 
sar und seine Duzsch wester samt der gepuzten Familie und dem 
niichternen Phaeton assen nachher in einem wolfeilen Gasthofe, 
dem Geriiste gegen iiber und f uhren zeitig und etwas erbost wie- 
der ab. 

Deswegen mocht' ich ihn nachher gar nicht zu Gevatter bit- 10 
ten: sondern rit 5 Stunden weiter zu einem alten Universitats-Jo- 
nathan und Orest, der schon reisefertig furs Karlsbad in dem 
Stalle stand. Da sein erstes Wort war, ich mochte auf dem Pferde 
mit ihm reden und mitreiten: so verrit ich V 2 Tag und erst 15 
Stunden vom Taufling macht' ich ihn bei einem Teiche zu mei- 
nem Gevatter und ich wolt' ihn durchaus wieder herum haben 
zu seinem lieben Pathgen alhier. 

Priigelte mich nicht einmal ein PremierLieutenant mit dem 
Degen durch und wiird' ich ihn nicht damit ganzlich erstochen 
haben, wenn ich die ganze Sache gewust hatte? aber in der Zer- 20 
streuung entfiel mirs zum Theil bis abends, wo ich nachdachte 
warum mein Riicken auf lief . - Hundert dergleichen Fragen und 
Antworten kont* ich vorbringen. 

z. B. Versicherte ich nicht, da ich stat meines Pathgens dem 
Teufel und alien seinen Werken entsagen soke, die ganze Tauf- 
geselschaft geradezu, ich that' es nicht, es mochte daraus entste- 
hen was wolte? - Ich war aber mehr zerstreut als gotlos. 

Ich habe eine ausgewahlte Bibliothek durch Diebstahl ge- 
wonnen und eine verloren; denn ich vergesse, was ich abborge 
und verborge. - 30 

Ich beichtete einmal und vergas wirklich den andern Tag das 
Abendmah - Fatalien waren mir in iedem Prozesse Mispickel 
und Scherbenkobolt und meine Appellazionen wolten nie in 10 
Tagen zeitig werden - eine einzige ausgenommen. Es war aber 
mein ganzer Hochzeittag und Hochzeitabend schon vorbei, die 
finstre Hochzeitnacht brach schon herein, ich hatte meine Ta- 



SATIRISCHE UBUNGEN • 5 751 

schenuhr unter den Spiegel gehangen und vor 2 Minuten das 
lezte Licht ausgethan und drei Viertel auf 12 Uhr gezahlt und an 
meine liebe Braut und an ihre und meine Seele gedacht, die 
Wand- und Thurnachbarn wurden - als ich zum grosten Gliik 
an meine Appellazion dachte und an den 8 ten Tag, den der lezte 
Viertelhammer von 12 Uhr gar erschliige. Ein anderer hatte sich 
wie es scheint vor hochzeitlicher Zerstreuung gar nicht darauf 
besonnen; allein ich besan mich darauf und schlug noch dazu 
Licht und legte stehenden Fusses die Appellazion ein, die einzu- 
legen war und petschierte sie zusammen. »Ich habe nur - sagt' 
ich ausgefroren zu meiner Braut - vom Judex a quo zum judex 
ad quern appelliert, denn appellatischer Seits wird man es so we- 
nig erwarten wie deiner Seits (wie du), weil man glaubt, ich sei 
zerstreuet.« 

Ich lies einmal in der Hauptkirche 3 Sontage fur meine Gene- 
sung nach der Predigt bitten und sas den lezten selber mit darin. 
Inzwischen sah ich - wahrend der Pfarrer oben fur meine Re- 
konvaleszenzfocht- unten aus dem Gitterstuhl mit einem narri- 
schen Gesichte als Rekonvaleszent heraus, aber aus recht guten 
Grunden, zwei an der Zahl - die Gemeinde soke erstlich sehen, 
fur wen die Gemeinde bate und zweitens, mit welchem Er- 
folg. 

Wenn mir doch nur der Himmel solange Humor und Leben 
fristete, daB ich meine eigne Leichenpredigt und Bestattung er- 
lebte! - Soviel ist darzuthun: ich wiinschte oft, er soke mich eine 
Rathsmalzeit auf dem Lande erleben lassen - und heute vor ei- 
nem Jahre erlebte ich und der Rath eine. Und doch, hatte der 
Burgermeister und Lohgerber Ranz nicht mitgegessen, sondern 
die ungarischen Flecken oder nichts anzuziehen oder sonst kano- 
nische und apokryphische Hindernisse gehabt: so miiste man ein 
wunderlicher Heiliger sein, wenn man etwas von der Rathsmal- 
zeit hatte kosten oder beschreiben wollen - denn der Meister und 
Burgermeister Ranz ist das Salz dabei, das komische. 

Zuerst mus die Phantasie des Lesers die konsularische Tisch- 
genossenschaf t nehmen und ihr alle Glieder abbeissen und weg- 
streifen, Schlund und Magen ausgenommen, die wir bei der Sa- 



752 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

che keine Minute entrathen konnen: hierauf miissen wir, ich und 
der Leser, diese langen Schliinde und Magen urn den Tisch, auf 
dem eine Rathsmalzeit stehen mus, weil ein neuer Schlund und 
Magen zum Konsul ersehen worden, titularisch herumsezen und 
dan zugucken und aufschreiben, wie diese einsaugende Gefasse 
sich einbeissen, wie sie eintunken, wie sie austrinken und was 
sie forttragen im Magen und auf dem Teller. Wie konnen wir 
aber zuschauen und aufnotiren - iiber den Mst. Ranz vergessen 
wir alle und alles. Dieser hungrige Meister brachte, als Wider- 
spiel eines Wasserscheuen, nichts Festes in seinen Leib, nicht 
weil lezterer selber fest war - er zog mit dem Pumpenstiefel sei- 
ner Hand bios alles Fliissige auf, nicht weil er durstig war - er 
troknete mit seinem Brodschwam alle Briihen aus und iede Senf- 
und Meerrettig-Lache, nicht weil sein Magen diese Stahlkur be- 
durfte - er sezte und nahrte sich wie Schimmel, auf Brod, 
nicht weil er ein Franzos oder sein Pferd war - er machte seinen 
inkommensurablen Magen zum zweiten Einmachglas eines ie- 
den Eingemachten und zum Futterkasten und Treibscherben ei- 
nes ieden Sallats, nicht weil er Braten dazu as sondern weil er ihn 
ersparte - er mauerte seinen Magen, dieses Zorngefas, mit 
iedem Breie aus, nicht weil er mehr mit Magensaft als mit Zah- 
nen zersezte - Sondern er volendete diese schopferische Schei- 
dung der Wasser vom Festen und befestnete diese Kluft zwi- 
schen seinem Teller und Magen, um auf beiden in gleichem 
Verhaltnis aufzuschiitten und wegzubringen. Er soke noch sizen 
und mauern hinter seinem Viktualienverhak aus Beinen, Graten 
und Rinden; er soke noch schweben wie ein durres Jahr iiber der 
Tafel und iede nasse Stelle austroknen: so waren wir doch im 
Stande, mit ihm nach Hause zu gehen, wo er von allem das Ge- 
gentheil begint, sob aid der ersparte Viktualien-Chimborasso 
nur anlangt. Er und der Gesel und die Gerberin und die 
Gerberskinder und die Magd und der Dachshund bohren 
sich iezt in den gebrachten Berg bis an die Fersen hinein und wir 
konnen sie nagen horen. Fresset! der arme Ranz quake sich und 
andre genug ab, da er den Luftballon seines Magens mit so viel 
Luft auf f iilte und hob, noch ungerechnet die Wasserhose in der 



SATIRISCHE UBUNGEN "6 753 

Blase.. Solt' ich aber einmal ein ausserordentliches Gleichnis ha- 
ben miissen, um eine ausserordentliche Anarchie darzustellen, 
die eines Dorfsenats - die der Saturnopolitaner -: so bring' ich 
deinen aufgespanten Magenglobus mit seinen Briihen und Luft- 
arten getragen, Ranz! 

Aber wahrhaftig ich vergess' es in den Tod, das Bild eines 
Zerstreueten dem denkenden Leser zu geben uhd es ist sonst wi- 
der meine Art. 

6\ 
to Bader Kunz 

Dez. 2. und 3. 
Wenn Tod Geburt in ein kunftiges Ankoraleben ist: so mus ein 
Accoucheur, der mein Lob zu gewinnen gedenkt, eine Frau aus 
diesem Sklavenleben, in dem mich nichts halb so argert als 
trokne Menschen und trokne Hande, so herauszuschneiden wis- 
sen, da(3 er die Frau nachher aus dem Aminoshautgen des Kor- 
pers wirklich in die andre Welt hineinsezen kan. Anders, denk' 
ich, prastiert ers nicht. 

Es ware mir nicht unangenehm, wenn der Bader Kunz schon 
20 tod ware: ich kdnf ihn nehmen wie er ware und ihn in mein 
Buch werfen, als etwas Spashaftes . . . Wir wollen aber allein 
den Bader Kunz mit einander betrachten - 

im ersten Pars: sein Singen - 

im zweiten: seine Korrespondenz auf 10, 20 - Zolle weit 

im dritten: sein Leichenmarschalamt 

und im vierten wollen wir sehen, ob es noch etwas an ihm zu 
betrachten giebt. 

I. Pars . Entweder weil er den Hals so oft heilt und einseift von 
innen, oder weil er ihn noch ofter einseift und iiberschabt von 
30 aussen oder weil er einsieht, daB zum Singen nicht einmal eine 
Menschenkehle nothig ist und die erste beste Luft - kurz Kunz 
singt in iedes Ohr hinein. Man kan Sontags alle katholische, lu- 
therische und Simultankirchen durchreisen: man trift darin auf 
keinen Friseur und Bader - ausgenommen in der Kozauer im 
frankischen Kreise; in der steht der Bader Kunz und singt lustig 



754 JUGENDWERKE - 5. ABTEILUNG 

an der Kirchenmusik. Der Kantor, der die Seele, wenigstens die 
Hand derselben ist, wils durchaus nicht haben. Allein wie be- 
riikt der Bader den Kantor und wie labet er das Ohr? So bios: 
er rasiert am Sontage was zu rasieren ist und gleitet nachher in 
den Tempel, aber nicht ins Kor; sondern aussen vor lezterem 
wacht und lehnt er so lange bis der Kantor auf dem Wurstschlit- 
ten-Orgelsiz die Finger zum ersten Akkorde der Kirchenmusik 
aufhebt/Der Sonnenstral wird nicht viel schneller als der Bader 
ins Kor fahren; er mauset dem Sopranisten sein Pensum und 
singts dem Kirchensprengel her, aber (und so gehts dem Genie 
nur zu oft) unter Jammer und Puffen. Denn konte sich wol ie- 
mals der Klavierist enthalten, dem rasierenden Altisten mit ei- 
nem spizwinklichten Ellenbogen entgegenzustochern? Da aber 
der Altist seinen einen Arm zum festen Notenpult seines Textes 
und den andern zur Streitkolbe machte, wie die an Jerusalem 
bauenden Juden die eine Hand vol Bauzeug, die andre vol Waf- 
fen hatten: so konte der Bader Kunz, unter fortwahrendem 
Fechten und Singen, schon sein Moglichstes thun und einiges 
durchsezen*. Kaum aber daB die Musik ihren lezten Athem ge- 
zogen: so sezte der musikalische Strichvogel und Sturmlaufer 
behend iiber das Kor hinaus und san bios unterwegs vergnugt 
Einem Ellenbogen und tausend Ohren nach . . . Ich kenne an 
mir und andern keine reinern, feinern, wolfeilern und dauerhaf- 
tern Freuden als die der Eitelkeit - ein Mensch kan eine ganze 
Woche Vor- und Nachmittags sich in Einem fort aufrichtig lo- 
ben und dariiber vor Freude zappeln. Ich fur meine Person 
schiesse gar aus iedem Quartale besondre Tage aus, wo ich mich 
innerlich zu loben habe. 

Hausierte aber Kunz mit seinem chirurgischen Kocher durch 
ein Dorf, worin gerade Pfarrer und Schulmeister und Schul- 
Froschlaich eine taube Leiche umquakten und umkrahten und 
umkrachzeten, welches nichts anders genent werden kan als eine 
Leichenmusik: so konte der Bader Kunz, ohne Reakzion der El- 

*-Denn bios die Kirchenmusik war ihr Gottesfriede und wendete 
wahres Priigeln ab. 



SATIRISCHE UBUNGEN '6 755 

lenbogen, unbesorgt mit 2 Fussen mitten in die Musik hinein- 
springen, an der Mottette Athem holen und dem Leichenkon- 
dukt ins Gesicht singen und klingen und nachher doch das Dorf 
gar hinausbalbieren. 

Unser Bart-Dekroteur ist bei Leichen, hinter denen er nicht 
Sanger ist, Leichenmarschal oder Undertaker. Neulich beklei- 
dete er dieses Erz- und Erbamt bei der adelichen Leiche in Doh- 
lau. Es ware ein narrischer Zufal, wenn es die Welt nicht ge- 
merkt hatte, daB er dieses Amt als ein solcher Balkonig des 
Todentanzes, als ein solcher Groskreuz des memento mori Or- 
dens, als ein solcher Leichen-Thurniervogt zu verwalten weis, 
daB er Leichenmarschal bei der Beerdigung der Magna charta in 
London zu sein wiirdig gewesen, hatte man es nicht aus Spas ge- 
than. 

Da ich schon den 3 ten Pars gepflanzet: so ist es hohe Zeit, daB 
wir zum 2 ten kommen. 

Sein Sohn, (Rasier-Dauphin,) und er selbst hatten einander 
einmal so geargert, daB sie auf der Stelle taubstum gegen einan- 
der wurden; mit andern konten sie reden, z. B. mit den Bart- 
kunden. Pechlin zahlet mehrere Beispiele von Zornigen vor, die 
sogar gegen ieden stum verblieben und er sagt, es ware von He- 
miplegie. So musten also Kunz und Sohn die ganze Woche im 
Hause herumkreuzen und einander kon- und divergierend auf- 
stossen, ohne sich durch einen Laut ihrer Gefuhle auswechseln 
zu konnen. Sie beschossen zwar wie Verliebte einander durch 
Blicke; aber in einen blossen Blik wird nicht viel Empfindung 
zu laden und zu packen sein. Allein wie der alte Fischer es der 
Schrift- und Post-Erfindung Dank weis, daB der Doppelmaier 
vom Nordpol herauf zwischen seinen Eisschollen ihm schreiben 
kan, was er denkt und lugt: so f anden auch Kunz und Sohn wenn 
sie getrent am Estisch einander gegeniiber sassen, nach der Er- 
findung des Buchstaben- und Postwesens Mittel, ihre Entfer- 
nung durch Brief e einander siis zu machen, die sie gegenseitig 
einander iiber den Tisch schrieben und schoben. Derin bei dieser 
Penny-Post waren 2 Finger das Postschif und Feleisen; der Kou- 
rier- und Briefwechsel gieng auf so glattem Wege ungehindert 



J $6 JUGENDWERKE ■ 5.ABTEILUNG 

und bei so freier Kommunikazion war es beiden stummen 
Machten leicht, in wenig Sekunden die wichtigsten Berichte von 
einander hin und herzukriegen. Man hebt noch in Kozau die 2 
Tischecken auf , wovon iedes das Intelligenzkomtoir des andern 
war. 

Im 4 ten Theil ist nichts zu betrachten; und so auch in alien fol- 
genden moglichen Theilen. 

Nach der Predigt sagt man allerhand; und ich wil meiner zweisi- 
zigen Lesegeselschaft folgendes sagen: wenn zu vieles von Seite 
28 bis 42 fast zu dum ist: so bedenkt doch, es hat seine hinlangli- 
chen Ursachen -1. das ludermassige entmannende und bewei- 
bende Wetter - 2. die Schnelligkeit des Machens, die beinahe der 
eures Lesens nachkomt - 3 . die forzierten Marsche und Argo- 
nauten-Ziige nach Hof , die zwischen Zeit und Arbeit und Ver- 
gniigen fast lauter umgekehrte Verhaltnisse erzeugen - 4. das 
tagelange Anzunden des Nerven-Spiritus, so daB freilich zulezt 
nur ein wogendes Flamgen auf vielem Wasser schwimmen mus. 



AN MADAME W. 



Es giebt so viel niizlichere Dinge in dem davonflatternden Leben 
zu thun, daB man gar nicht Zeit hat, sich uber das 4i te und 42 tc 
Stiik des H[6fer] Intelligenzblattes zu argern oder zu ennuiren 
oder gar dariiber zu schreiben - gleichwol thaten ich und Sie das 
erste und das andre und ich iezt das dritte. Ich schreib' aber Ihnen 
diesen Brief nur unter der Bedingung, daB Sie ihn drucken las- 
sen. 

Ich wil mir gegen die oder den Verf asser der beiden Stiicke nur 
io halb soviel Freiheit erlauben als er sich gegen das ganze weibliche 
Geschlecht erlaubte. 

Ich glaubte bisher, vor dem Publikum miisse man anders 
scherzen als in einem Tabakskonvent und Bier-Verein; vor und 
mit dem weiblichen Geschlechte anders als mit einer Duzbru- 
derschaft - aber der H. Verfasser A-z glaubte es nicht, sondern 
schrieb die i77 te Seite, vielleicht indes fiir das Publikum nur, das 
urn ein Stokwerk tiefer wohnt. 

Ich glaubte bisher, in Europa triige man wie in Asien die lan- 
gen in Schonheitswellen nachfliessenden Kleider bios weil sie 
20 schon und erhaben zugleich aussahen - H. Az glaubt, die »gna- 
digen und verehrungswtirdigen Damen« thatens bios, um ihre 
»Boks oder Pferdefusse« damit zuzudecken. Der leztere Aus- 
druk ist iibrigens nicht ohne die Feinheit und den Anstand, die 
in beiden Aufsazen so sehr herschen. 

Ich glaubte bisher, die Verfasser wiirden den Frauen die Poufs 
und das iibrige Gefieder nicht ganz ausrupfen - sie rupfens aber 
auf der I77 ten Seite aus und H. Az sagt, er miisse vor seiner Hei- 
rath weibliche Busen und Fiisse schauen; der H. Verfass. des 42 
Blatt. sagt darauf, H. Az sei ein edler Man (S. 179). 
30 So sah ich vor einem Jahre im goldnen Lowen, daB die Affen, 
(gerade als waren sie ihre eigne menschliche Nachahmer) den 
Augenblik auf Frauenzimmer losspringen und ihre Poufs p. auf- 



758 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

reissen; ich bitte aber alle Frauenzimmer, von solchen Thieren 
wegzutreten, die vom Menschen nichts haben als die Unarten, 
die Gestalt und das Geschlecht. 

Warum liebt iiberhaupt das Intelligenzblat satirische Einklei- 
dung? Da sie so schwer zu machen und noch schwerer zu goutie- 
ren ist: so hatte H. Az nicht das leichtere Geschaft des Machens 
nehmen und dem Lesef das schwerere des Goutierens lassen sol- 
len. 

Sein Uniformen-Projekt gefalt mir ganz und ich wiinschte nur 
zu wissen, was H. Az damit hat haben wollen. So niizlich seines 
aber ist: so denk* ich meine Projekte sind von seinem auch nicht 
ganz verschieden und ich lasse deren ganze Nester vol in meinen 
Stubenpromenaden fallen. So wiirdenz. B. Geld, Plagen, Zank, 
Borgen und Schmeicheln erspart, wenn die Frauen nur ein Jahr 
urris andre aus dem Hause giengen - oder wenn sie Beinkleider 
anzogen wie die Turkinnen und Stiefel wie die Esquimaux - 
oder wenn sie keine andre Moden annahmen als die alttesta- 
mentlichen wie die Araberinnen - oder wenn sie bios die grob- 
sten Landesfabrikate triigen und haltbare Materien, dergleichen 
Leder ist - oder auch wenn sie aus heidnischen Gottinnen zu 
christlichen Engeln wurden - oder vollends wenn sie alle so vol- 
kommen wurden wie Sokrates und seine Frau - oder auch wenn 
nur wir Manspersonen unterdes verniinftig zu machen waren - 
und am meisten wenn aus der besten Welt eine gute.wiirde. 

So aber, weil meine Projekte weder bekant noch ausfuhrbar 
sind, bleibt alles wie es ist und noch schlechter. 

Nur noch 3 Minuten wil ich Sie vergessen, Madame, um die 
beiden H. Verfasser und folgende Behauptungen von mir nicht 
zu vergessen, daB wir weder viel Geld noch viel Luxus* noch 

* Es ist unbegreiflich wie man aus Roms Untergang Schliisse gegen 
irgend einen Luxus oder gar gegen den iezigen Ziehen konte. Es entsteht 
und vergeht nichts mehr wie Rom. Unser Luxus fiihrt uns sogar wieder 
zu einer kunstlichen Simplizitat einmal zuriik. Wenn am Ende alle 
Welt-Ecken entdekt, ausgeleert, vermengt und ihre Schaze Wochen- 
marktswaare geworden sind: so stirbt der parzielle Luxus am algemeinen 
Luxus. 



AN MADAME W. 759 

viel Geschmak haben - daB es durchaus wider die Bestimmung 
und Fahigkeit des weiblichen Geschlechts ist, sich philosophisch 
zu kleiden ohne Riicksicht auf Gefallen und Tadel - daB wir vom 
Luxus mehr Nahrung und Vortheile Ziehen als er uns nimt - und 
daB die »gnadigen p.« Damen mit eben so viel Recht etwas ins 
Intelligenzblat gegen den Luxus der Manner schicken konten, 
worunter nicht nur ihr Anzug und ihre Nahrung gehoret, son- 
dern selbst die Feinheit des Papiers und Wizes besagten Intelli- 
genzblattes . 

Hab' ich, Madame, nach meiner Heirath den Glauben des H. 
Az, wiewol nicht seine Sprache: so bestreiten Sie mich, wie ich 
ihn bestrit, damit ich immer die Achtung gegen das ganze ver- 
schonerte Geschlecht fortnahre, die gegen einzelne Personen 
daraus so leicht ist, da viele (wozu ich meine Ideale zahle) Ihnen 
gleichen. 

H. 



ZWISCHENSPIEL DES HARLEKINS 



Die vornehmen Stande sind. viel ernsthaf ter und langweiliger als 
die niedern - iene reden vier Monate davon, wenh einmal ein 
Cercle lustig ausfiel; bei diesen ist iede Zusammenkunft eine ver- 
migte. Ich woke, ich ware von schlechtem Herkommen; aber 
ich half mir damit, da6 ich mich oft zu Bettelleuten that und 
lachte. Daher vermaledeiten und veriagten mich einmal drei 
Jahre lang meine Religions- und Blutverwandte, bios weil ich 
aus Humor ein Vierteliahr im frankischen Kreise mit einem lan- 
gen Bettelstabe hin und her gebettelt und gesungen hatte. Allein 
meine Kollateralverwandte hatten bedenken sollen, daB ich 
wahrend meines Hausierens ein Buch unter der Feder (wenn 
nicht unter der Presse) hatte, das den Titel fuhrte: »statistische, 
artistische, belletrjstische, okonomische und empfindsame Rei- 
sen eines Betlers durch die Furstenthiimer Baireuth und An- 
spach.« Bernoulli wil mir leider meine Reisen nicht wieder ge- 
ben. 

Soke er oder ich sie einmal des Druckes wiirdigen: so wiirde 
Deutschlanddarausersehen, daB ichauf der Kirmes gewesen so- 
wol in Furth, das im Anspachischen, als in Arzberg, das im Bai- 
reuthischen Hegt. 

Eine Kirch weihe oder Kirmes ist namlich die einzige Messe, 
auf die Betler iedes Standes iahrlich gehen. Schon ein Paar Tage 
vorher drehen sich alle bettelnden Fussohlen einer ganzen Ge- 
gend als Radien nach dem Kirchweihzentrum hin und fliessen 
da wie Blattern zusammen. Am Morgen des Kirmestag hebt der 
Armen-Jahrgang und die Kriipel-Kolonne seinen Strassengot- 
tesdienst und seine Sing-Standgen an - die Blinden singen wie 
geblendete Finken recht gut, aber sich und andre fast todt - die 
Lahmen gehen - die Taubstummen machen den meisten Larm 
und lauten mit einem Glokgen die Messe ein - einer singet in des 
andern Arie hinein - vor ieder Hausthiir steht ein Vaterunser und 



ZWISCHENSPIEL DES HARLEKINS 76 1 

drinnen in der Stube kan niemand mehr seinen eignen Fluch ho- 
ren - ganze Heller-Kabinette werden einerseits verspendet an- 
derseits eingestekt - die einbeinige Soldateska flucht nach dem 
Gebet, weil sie zu wenig kriegt - das frohlig sein wollende Dorf 
ist mit Sturm eingenommen. So arg ists. 

Aber in Fiirth ists noch arger und keiner schrie weiter als ich. 
Ich wil probieren, ob ich, wenn ich wahre Beredsamkeit zu 
Hiilfe nehme, die Sache darzustellen vermag - namlich die Bet- 
telvolksme'nge alda. Hangt im frankischen Kreis um irgend ei- 

10 nen irdischen Pilgrim ein Rok, der sich von hundert andern 
Rocken ernahret und den almahliges Zu- und Ueberflicken ganz 
verdranget hat, wie der menschliche Korper selbst sich von Zeit 
zu Zeit verdiinstend in seinen eignen Sukzessor verwandelt: so 
hat besagten Rok iemand in Fiirth auf der Messe an und wil so- 
viel Almosen hineinhaben, daB er Abends sich so gut betrinken 
kan wie Alexander. Sticht iemand mit einem spizen holzernen 
Vice-Bein in die Erde: - in Fiirth riikt er damit ein und bettelt, 
damit ans Thor gepelzt, meine Leser und Rezensenten an. Fiihrt 
iemand keine Hande und Arme bei sich - in Fiirth strekt er sie 

20 aus nach einer schlechten Gabe. Hat Pathologie und Semiotik 
achteKrankheiten sparsam wie Talente unter Betler versaet, be- 
sonders die Betler- Vapeurs, die Gicht - nach Fiirth ziehen alle 
zu diesen Krankheiten gehorigen Korper und halten weniger um 
Diat als Diaten an. Ist iemand beredt - in Fiirth ist ers oder auch 
iiber Fiirth, wie ich selbst von beiden ein Beispiel gewesen. An 
einem Orte giebts soviele Menschen und so wenige Arme, 
Beine, Nasen als da - der Primas und Generalissimus aller dieser 
Kerle ware einer, der nur halb da ware und dessen andre Halite 
schon im Grabe ruhte: ein solcher Halbgot, dessen Seele kein 

30 Korperkleid, sondern nur ein Kollet, ein Warns umhatte, wurde 
einmal vor meinen Augen herumgefahren. Ich mache mich lu- 
stig iiber das Elend, weil das Elend sich selber lustig macht; ich 
argere mich aber nicht wie andre Autores, wenn dieses Elend 
einmal Zuviel trinkt und frisset, wenn es die Plagen der Erdkugel 
vergist, wenn die Freude sich von den Maskensaalen ab in die 
Tanzscheunen der Betler unmaskiert einschleicht und die Mit- 



7^2 JUGENDWERKE • 5 . ABTEILUNG 

tanzerin des Kriipels wird. Nicht urn zu leben, sondern ein paar- 
mal des Jahrs hoher zu leben, rennen und schwizen wir Men- 
schen. 

Ich bereue das Geschrei nicht, das ich auf dem Further Betler- 
Kongres mit verfiihrte. Aussen vor dem Further Introitus 
sezt' ich mich in einen Kreis von Kriipeln und sagte: )>heute ist 
unser Kraistag und ich soke Kraisdirektor sein und unsre Bettel- 
briefe sind Direktorialausschreiben und wir wollen mit grosse- 
rem Geschrei betteln als gewohnlich; aber ihr versteht mich 
nicht. « Daher bewies ich ihnen, bei den paar Krankheiten, mit 
denen iezt ein Betler behaf tet ware, konne keiner mehr bestehen; 
die reichste Dame hatte iezt mehrere, der todtlichsten Ohn- 
machten nicht zu erwahnen und in neuern Zeiten, wo alles aufs 
Hochste stiege, mustens auch die Maladien rechtschaffener Bet- 
telleute - man soke gar keinem den Bettelstab anvertrauen, bis 
er etwas Pathologie zu seinem Fortkommen innen hatte. Ich zog 
aber den D. Sellesais der Tasche und brachte den Tropfen einige 
der gefahrlichsten -Krankheiten kursorisch bei. Lief also iemand 
durch uns: so fiengen wir insgesamt an zu schreien: »Arme, 
elende Manner von einerlei Maladie! - unsre Vater sind hemia- 
poplektisch - unsre Vorf ahren tod - unsre Mutter leiden am pol- 
nischen Zopf - die Jungen an Gries, ihre Sch western an Poly pen 
- unsre weitlauftigen Vettern an Mitessern - wir haben alles auf 
einmal und noch dazu Ischurie und gleich darauf Stranguria « 

In Arzberg* as ich beim Pfarrer, aber nur in seinem Hof, wie 
andre Betler auch. Wer einen Bettelsak im Vermogen hatte, kam 
damit samt Magen und Darm, sogar aus der Nachbarschaft der 
Nachbarschaft; ungefahr 151 Konviktoristen hakten und sassen 
im Refektorium des Pfarhofes wie Raben, auf einem Kalbe, das 
in ebensoviele Kouverts zerfiel. Bei solchen petits soupees von 
Kalbern und Betlern erschein' ich fur mein Leben gern, zumal 

* Eine alte Sitte zwingt da den Pfarrer, iahrlich am Kirchweihfeste fur 
sovielc Betler als kommen Kouverts zu haben . . . Der iezige besizt so- 
viele Talente und Kenntnisse, daB er in Utopien eine reichere Pfarre ha- 
ben wurde und in [Metropolis] eine Ponitenzpfarre. 



ZWISCHENSPIEL DES HARLEKINS 763 

mit Akzion. Hatt' ich aber auch nicht den Erzvorschneider und 
Erztruchses dabei gemacht, und nicht gleich anfangs gesagt, 
fettere Bissen schnitt' ich zulezt weg und Wisbegierigen wiirde 
Hofnung zu einer Rede von mir gemacht und sie konten dabei 
essen, und war' ich iiberhaupt weniger klug eucharistischen Strei- 
tigkeiten entgegengegangen: so waren dergl. wirklich entstan- 
den. Es entstand aber nichts - als Spas, den ich selber machte. 
Gesandten-Rangstreit aus Ehrgeiz minder als aus Hunger hatte 
man unter ihnen dadurch zu verhiiten, daB ich sie nach der 

10 Menge der Roklocher und der Rokfarben paginierte und foli- 
ierte; die porose Kolonnade fieng sich ganz unten mit einem Kerl 
an, der 3 Locher hatte, 2 am Aermel und 1 im Kopf und nahm 
an Mitteltinten und Poren so lange zu bis sie sich oben in einen 
versofnen Studenten zuspizte, der in einem Rok wohnte, dessen 
Grund zu lauter Nebenparthien geworden und unter dessen 
Flecken insgesamt der Flek nicht herauszufinden war, der das 
Stam-Tuch gewesen. Den Generalstab konten Kriipel formie- 
ren, die ich mit Fleis so disponierte, daB immer einer, der das 
linke Bein verloren, mit einem Nebenman, der das rechte ver- 

20 spielet, zusammenflos, weil man so in grosser Entfernung wirk- 
lich beide Kerls fur Einen nehmen konte, der auf zwei ausseror- 
dentlich auseinander klaffenden Beinen stand. Nun war weiter 
nichts anzufangen - der ganze Nahrstand kauete an seinem 
Mustheil hinauf und hinab - als die versprochne Rede, die ich 
oben so iiber den Pfarhof und die Panisten hinuberhielt: »Ich 
wunsch' euch alien gesegnete Malzeit und hinterdrein etwas 
Kirmeskuchen. Ein hochlobliches Pfaramt hoft seine Pflicht 
gethan und ein Kalb, wie den Reichs-Ochsen in Frankfurt, ge- 
braten zu haben; brumt aber einer von euch iiber das Amt oder 

30 Kalb: so kan ihn allemal der Bettelvogt aus dem Hofe hinaus 
karbatschen- auch verhoft ein hochlobliches Pfaramt anderseits, 
es werd' ihm keiner von diesem Es-Synodus was - stehlen; denn 
ich stehl' auch wenig. Ihr werdet mich doch verstehen, wenn ich 
in meiner Tischrede fortgehe und euch berichte, daB ein gewis- 
ser Edelman in V-t-d oder sein Pachter dieienigen unter euch, 
die noch keine Kriipel sind, einfaltige Schlingel nent; es lasset 



764 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

sich horen: denn ihr kontet so gut miserable Kriipel sein als ir- 
gend iemand und kontet recht hubsch davon zehren, wenn ihr 
woltet. Ich sol euch deswegen - ich reise wie ein Reisediener 
darauf herum unter den Armen - seine Dienste offerieren und 
euch versichern, daB der Pachter (denn ich sol den Edelman ver- 
schweigen) an ein und dreissig Scheffel reines Mutterkorri* ver- 
backen kan, das, als Brod massig gegessen, Hande und Fiisse so 
leicht und ohne Schmerzen abschnalt und ausrupft als einem 
miirben Strumpfe die Socken abfahren. So waren also spielend 
Arm' und Beine auszuzupfen; und es steht iezt in iedes Willen, I0 
ob er ein Kriipel werden wil, da man ihms anbeut und ihm das 
Amputazions-Korn nicht hoher verhandeln wil als reines Korn. 
Es schreibe sich aber nachher ieder selber zu, wenn er im Alter 
Arm' und Beine hat und nichts hat und nicht Mitleiden genug 
erregt . . . Jezt pakt euch aber mit mir fort!« 

Eh* ich das thue, glaub' ich die Polizeibedienten nur mit Ei- 
nem Worte rechtfertigen zu mussen, weil sie aus recht guten 
Griinden freies Betteln an Kirchweihen gestatten. Auf diesen 
Messen der Dorfer versehen sich die Betler, wie andre Kaufer 
von minderer Wichtigkeit, mit den verschiedenen Bediirfnissen 20 
ihrer verschiednen Gliedmassen, mit Brod, Kuchen, Eierfn] und 
auch Geld, daher sie selber nicht damit bezahlen konnen; auch 
wird ein Handelsman durch sie so vieler Uhren, Geldbeutel, 
Schuhe p. los,, daB er schon zufrieden sein kan, da er zumal fur 
solche theure Sachen andre Kaufe schwerlich findet. Handels 
und Wandels-Flor wird mithin durch Betler zu siehtbar belebt 
undbegossenundder Handelskonsul des Dorfs, der Bettelvogt, 
solteeinen solchen Grosavanturhandel ganz anders unterstiizen. 
Zweitens mus man nicht glauben, daB ichs nicht hore, wie ent- 
sezlich das Kirmesdorf flucht, frist, hurt und wie sehr es gerade 30 

* Nach Tissot, Salerne, Ackermann pp. nimt der Genus des Mutter- 
korns durch Brand Arme, Fiisse, Schenkel pp. ohne Nothwendigkeit ei- 
nes Verbandes ab. - Ein vortreflicher Oekonom versicherte mich, daB 
bios die schwarze Hiilse, nicht der weisse Kern des Mutterkorns das Gift 
bei sich fuhre. 



ZWISCHENSPIEL DES HARLEKINS 765 

am Tage, wo es seine Kirche einzuweihen hat, solche entweihet; 
sind nun da nur 13 Minuten Betler und Kriipel zu entrathen, 
welche die Gassen wie besoffen auf und nieder schweifen und 
Haus- und Gassenandacht vor ieder Hausthiire verrichten und 
urn einen Heller herumsingen und die Strassen so mit Kirchen- 
liedernbesaen, daB der Teufel in den Betlern und in den (ibrigen 
leibhaf tig sizen muste, (und da sizt er) wenn nicht iene durch ihre 
Andacht, fremder und eigner Gotlosigkeit dieses Tags die Wage 
halten wolten und konten? - 



DAS UMREITEN DER VOGTLANDISCHEN 
RITTERSCHAFT 

Sie hatte sonst keine andre Uniform als das Saufen und hielt sich, 
als Separatist vom damaligen Temperanzorden, zu einem In- 
terhperanzorden zusammen. Ihr Weg von der Wiege zum Grabe 
wand sich durch lauter Bierfasser hindurch, die hinter ihren Fiis- 
sen leer und vor ihrem Kopfe vol waren: ich hore sie noch, diese 
lebendigen oder vielmehr todten Bierheber, indem sie aus einer 
Tonne in die andre schwimmen, von einem Jahrhundert heriiber 
in ihren vertrocknenden Fischhaltern schmazen und poltern und ic 
erzahle deswegen das »Umreiten« derselben genauer. 

Ich wil meiner Erzahlung dadurch lebendigen Athem und 
Reize einblasen, daB ich dem Abt Barthelemy nachiage und die 
Vergangenheit in eine Gegenwart und die Weltgeschichte in ein 
Reisejournal und mithin mich in einen adelichen Informator 
verwandele, der seinem Prinzipal nachreitet und ihn und alles so 
beschreibet: 

H. vonBeulwiz, mein H. Prinzipal kan vor der Beschreibung 
des Umreitens nicht beschrieben werden. Die ubrigen Herren 
von Adel, bei denen ich und mein Herr einsprechen werden, sol- 20 
len nach der Reihe ihre Namen in panis, piscis,crinis, penis etc. 
austauschen, eine exzeptivische Regel, deren Amazonen mei- 
nem Gedachtnis in meiner Jugend mehr Folter anlegten als mei- 
ner Empfindung bisher die wahren aus der sanften weiblichen 
Kaste ausgeiagten Amazonen anthaten. 

Der alte Topener Frohnvogt, H. von Beiilwiz, schrie im 
Marz, wo besser Marzbier saufen als Marzhasen iagen ist, durchs 
Schlos, sie solten die Annel satteln, - und den Dreieimer auf eine 
Kufe schroten - und wo der Teufel den Informator hatt', daB er 
noch nicht auf seiner Mahre sass'. 30 

In 7 Minuten sas ich droben und 3 andre Bedienten auf den ih- 
rigen. Der Kutscher sas auf dem Braunen, der ihn und den Drei- 
eimer transportierte. 



UMREITEN DER VOGTL. RITTERSCHAFT 767 

Denkontrebanden Schus auf einen exoterischen Hasen ausge- 
nommen, zogen wir samtlich ohne wunderbare Fata ira Schlos- 
hof des v. Panis ein: Was beinahe noch eher die Treppe hinauf- 
gedrehet wurde als wir, das war der Dreieimer: denn der muste 
(wenns ein wahres Umreiten sein soke) sogleich auf den Tisch 
gelagert werden, wo er sich besser ausnahm als zeitige Gurken- 
fasgen . . . Nun wurde ieder Schlund im Hause ein Bierhahn - 
sobald der Dreieimer aufhorte zu laufen, horten wir auf stilzulie- 
gen. 

[o Die fliissige Lauwine walzte sich weiter und bake den H. v. 
Panis 2 Kerls und i Informator urn sich herum. Zehn Man stark 
langten wir beim H. v. Piscis an - die Bundeslade fuhr hinten- 
nach, ein Eimergen Doppelbier. 

Die Bundeslade kam auf den Tisch, unter dem zur Zeit ihrer 
Ebbe ihre Verehrer ruhten. Unsre zwei Prinzipale woken dem 
v. Piscis den geizigen Kopf einschlagen, weil er sein Bier mit 
doppelter Kreide nicht so wol angeschrieben als gebleicht, leute- 
riert und versiisset hatte; allein sie woken auch nicht ganz ohne 
das sein was man feines Betragen nent und schlugen ihm daher 

20 nichts ein als die Stubenfenster. Die tragbare Bier-Arche wurde 
aus dem ganzen Bierlager mit Verstand und Behutsamkeit her- 
ausgeklaubt, wiewol in die meisten Fasser die Flekkugel von 
Kreide in einem Hangbetgen hinunterhieng. 

Ein und zwanzig Man stark ritten wir zum Schlosthor des v. 
Crinis, diesem Galgen der Geier und Raubvogel-Kabinet, hin- 
ein. Es scheint, daB wir da im Trinken nahe an die Granze streif- 
ten, die den Philosophen vom Sofling scheidet: denn da Eine 
Oefnung des Fasses ein blosser diirrer Strichregen fur 32 auffan- 
gende Oefnungen war (so viele von uns sassen darum): so bohr- 

30 ten wir geschikt eine Hinterthiire hinein und wir 4 Hofmeistere 
sassen als Hinterrader und Postpradikamente hinter dem Fasse 
und klystiertens auf unsre eigne Art. 

Durch diesen Kunstgrif konnen Ein und dieselbe Bierfas Biir- 
gerliche und Adeliche ohne Mesalliance im gleichen Nu ausladen 
(ausholen). 

Wir streiften an die obengedachte Granze in der Stube an, die 



768 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

v. Crinis bios mit Hasenfellen stat Hautelisse Tapeten iiberzogen 
hatte, und er betheuerte, er brauche noch 70 Hasen zu schiessen: 
so hatt' er auch die Erkerstube behaaret und brochiert und iibers 
Jahr solten wir sie besehen und beriechen. 

Zwei und dreissig Man stark iagten wir (Informatores waren 
iezt vier) zum v. Funis, und in der nachschleifenden Hand- 
werkslade mochten vier Eimer wogen: der Kollator derselben, 
v. Crinis, rit auf seiner Gabe, aber mehr zum Spas als im Ernste, 
daher wir samtlich lachten. Ich hatte unser Reise-Fas keine 
Handwerkslade nennen konnen, wenn— da die Professionisten 10 
vor ofnerLade nicht fluchen, nicht den Kopf bedecken, nicht si- 
zen diirfen - wir es anders gemacht hatten; aber sobald das Fas 
offen bis auf die Hefe war, fielen wir ehrerbietig aufs Angesicht 
nieder bis an helien Morgen, das Fluchen horte auf, sogar das 
Reden und der Hut lag wie der aus ihm gezogene Kopf auf der 
Erde. Ich allein stand aufrecht als aufmerksamer Evangelist des 
ganzen Hausgottesdienstes. 

Einfalt wars, zum v. Funis ein Kiihlfas nachzufahren und auf 
den Tisch aufzubahren: sein Zimmer war eine dem Bacchus ge- 
weihte Kapelle, in deren Fusboden eine Thiire und eine Treppe 20 
zu einem Keller gebrochen war. Der Stambaum schos seine 
Wurzeln in die Fasser hinein und zog wie andre Gewachse, durch 
Saftrohren Feuchtigkeiten aus dem Boden herauf . Das Zimmer 
hatte ausser der Parterrethiir noch zwei vertikale; durch die eine 
konte man hinaus und hinein, durch die andre beides nicht, son- 
dern bios in eine Seitenloge, worin iener moralische Lehrstuhl 
und Beichtstuhl war, auf dem man in wenig Minuten den Stolz 
und Weisheit und Schonheit versizt: es ist verstandlicher, wenn 
mans ein Sekret nent. 

Fiinf und dreissig Man stark sas die Trink-Verbriiderung auf 30 
und der Artillerietrain der in Bier und Hunden bestand, lief nach. 
Weils die Sezzeit der Hasen und das Jagdverbot nicht zulies: so 
konte unterwegs nichts mit Ernst gehezet werden als zu Zeiten 
ein Bauerlein, das rrnmer mit ganzer Haut davonkam und mit 
. zerrissenem Rok. - Es ware beinahe der von Vectis selber par- 
forcegeiagt worden, wenn er nicht entgegengeschrien hatte, wir 



UMREITEN DER VOGTL. RITTERSCHAFT 769 

wolten ihn besuchen und er ware von mehrerern Leuten fiir ei- 
nen Bauern gehalten worden. Beim v. Vectis frappierte mich 
wenig oder nichts als die kurze Rede, die ich da iiber das Saufen 
hielt, weniger um mich vor den Prinzipalen hervorzuthun als 
vor uns Informatoren insgesamt: » 



NEUJAHRS-WUNSCHHUTLEIN 

fur 

Seine Gonner 

von 

Fortunatus Carl Hofmann 



Ich miiste fur keinen Groschen Gemeingeist und algemeine 
Menschenliebehaben, wennichheuer nichts wiinschte: da alle- 
mal seit vielen Jahren alles eingetroffen, was ich oder mein seel. 
Vater bei unsern Lebzeiten wiinschten. Z. B. Wir beide und die 
Nachtwachter wiinschten der Stadt Hof zeitliches und geistli- ic 
ches Wolergehen und gesunde Honoraziores und mehr - es kam 
alles. Wir wiinschten, daB sie keinen Krieg erlebte als hochstens 
unter Eheleuten, und kein Blutvergiessen als unter guten Freun- 
den - es geschah. 

Bei so algemeiner Ausfullung der Kopfe und Holwege 
wiinscht' ich, die Herzen blieben eben so vol, die Freunde wiir- 
den fast seltener gewechselt als Hemden und wir liebten uns alle 
wie Halbbriider fort - es entstanden immer mehrere harmoni- 
sche Geselschaften, deren eine ich selbst die Ehre habe mehr zu 
bedienen als zu horen. 2c 

Mir selber wiinscht' ich iahrlich, daB Beutel mit zwei Sakgas- 
sen einen mit Einer auffiilten - sie fiilten ihn allemal auf; da man 
aber heut zu Tage gar nicht delikat genug sein kan (in den Ab- 
sichten ausgenomen) und da man bei einiger Feinheit des Betra- 
gens und der Wasche gar nicht ausdruklich ein Grazial begehren 
darf: so hab' ich mir vorgenommen, mich zu verstellen. 

Das Schiksal hort besser und vergisset minder als ich. Ich sol 
also, zum Besten eines ieden - und iiberhaupt als Leichenbitter 
des verstorbenen und als Gevatterbitter des gebornen Jahrs - alle 
meine eingetrofnen Wiinsche widerholen und alle geblasene - 3c 
gesungne- gereimte und gesagte und den, daB das Jahr 1791 mit 
seinen 365 Handen iedem so viel gebe als er mit zweien fassen 



NEUJAHRS-WUNSCHHUTLELN 771 

kan, besonders dem Kommun-Sancho Pansa, der sich so oft 
biegt wie ein Pharaoblat und der schon ein Sep tie va verdienet, 
er mag glanzende Einfalle oder glanzende Stiefel bringen. 



[DER VIERMAL TODTE STADTSYNDIKUS] 



Ich werd' es allerdings in meinen alchymistischen primis lineis 
beweisen, daB der Chemiker sauere Geister, der Salz-, der Urin- 
geist wahre lebend(e) Geister oder Monaden sind; aber leider ist 
noch kein Blat davon fertig. -Als einen kleinen Beweis erzahT 
ich nur V 2 Stunde lang vom Salmiakgeist, der vielleicht ein Filou k 
von Haus aus ist. - Die Provinzialstadt Schuhflik hatte corpora 
oder corps soviel als eine, und darunter wars Rathscorpus nicht 
schlecht; besonders der Stadtsyndikus, der alle aktive Beste- 
chung haste und unterlies und die passive liebte und annahm; der 
vor Aergernis starb, daB seine Frau (oder warens die Stadtprivi- 
legien) ieden Tag 3 mal ohnmachtig wurde, urn eben so [oft] 
wieder lebend(ig) zu werden. (Dem Salmiakgeist, der Wiz liebt 
und hat, gefiel der syndikalische Tod an einer Ohnmacht.) Sein 
Nachfahrer und die Feinde desselben hatten schon V 2 Bogen von 
den Suppliken urns Syndikat mundieret und der elendeste unter 2c 
den Schuhfliker Advokaten hatte schon, weil er zu dum zu kon- 
zipieren, endlich die Installierung zu dekretieren zu meinem 
grosten Schaden erschlichen - der Superintendent hatte die Pa- 
rentazion schon halb im Kopfe und ganz auf dem Papier und 
memoriertelauter als ein Schulknabe - es war auch weiter nichts 
nothig als den verschlakten Stadtsyndikus einzuwickeln und 
hinauszufahren in das Winterquartier d(er) M(enschen) und d(er) 
St(adtsyndikusse) darunter: als der Salmiakgeist, der auf Wiz aus 
ist, den alten Man noch fruher holte als die Leichenkutsche und 
spater als der Teufel und ihn wie er war in seinen eignen Keller 30 
hinuntertrug und in dessen hinterste Ecke zwischen zwei Fasser 
und Lagerbaume und vor d(as) Loch e(ines) Kellerscheins [?] 
hinein preste. Der Salmiakgeist hingegen verkorperte sich in 
d(ie) Gestalt des Syndikus und warf sich aufs Leichenbret als 
Zwillingsbruder und vers ah sich der lezten Ehre. Der Stadtsyn- 
dikus war wie wir alle die 3 oder 4 Tage nach seinem Leben wol- 



DER VIERMAL TOTE STADTSYNDIKUS 773 

seelig und der verdienteste Man. 9 Kutschen fuhren am dritten 
Morgen hinter der seinigen her, in der sein Leichnam lag. Es 
ware alles stilfreudig abgegangen das Leichenkondukt hatte auf 
seinen Sizkasten das Gebakne und die Projekte verdauet, die so 
ein trauriger Todesfal erzeugen mus, und man ware froh mit sei- 
nem restierenden Leben heimgefahren: hatte nicht der Salmiak- 
Geist unter dem Sargdeckel so zu klopfen angefangen wie ein 
Goldschlager (Hammer werk), dafi sich der Kutscher umse- 
hen muste. Er blieb doch sizen und der Leichenmarschal muste 
an dem unruhigen Sarg aufkapfend horchen, in dems schrie: 
»'rausmusichund wenn der Teufel ... p. wilich.« Man muste, 
obgleich das ganze Leichenbegangnis dabei zu Grunde gieng, 
den Syndikus seines Stubenarrestes wirklich entlassen und der 
ganze traurige Artillerie Train zog trauriger heim als aus. 

Der Salmiakgeist konte von der verwitt(ibten) Stadtsyndi- 
kussin als ein Wesen vol Apathie nicht geargert werden und ar- 
gerte sie daher so, zumal in ihrer Ohnmacht, da6 sie allemal aus 
einer erdichteten in eine wahre fiel. Zu Nachts pflegte er nicht 
sowol bei als mit der St(adtsyndikussin) zu schlafen und sang den 
Abe p. Psalm und ein Lied von Rist. In der Karwoche fuhrs ihm 
[in] die Zahne, weil gerade der Bader vorbeigieng; der Man mu- 
ste mit seinem Pelikan den Weisheitszahn erfassen und daran 
ziehen. Der boshafte Salmiakgeist, dem sein Vexierkorper 
nicht wehe that (dieses 1st das 4 te System von Influxus), 
lies den gefasten Zahn nicht aus dem Zahnfleisch und der 
ziehende ringende Bader tanzte und rang mit der Zahn-Winde 
an dem Pseudosyndikus als Mittanzer in der Stube herum und 
der Pazient hielt ihm das verzogenste Gesicht entgegen und er 
hatte den Zahn so gern als eine Terne herausgezogen, aber kurz 
der Syndikus hielt sein Gebis rest. Nachmittags versezte er die 
Krankheit in die Lungenbeutel, durch die ein Stadt (syndikus) 
den Geldbeutel anastom(osiert), oder in die Pleura. Er hatte so- 
viel Ruchlosigkeit, daB er alle Symptomen riickwarts machte, 
um den Stadtphysikus irre zu machen; was erst nach dem 7 tcn 
Tage kommen soke, entsezliche [?] Deliria, blaue Brustflecken, 
bedenkliche [?] Schmerzlosigkeit p.: sezte er vor dem 7 ten ; und 



774 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

nach der Krisis kam er dem Doktor entgegen mit vollem Puis, 
Fieberanf alien, Neigung zum Erbrechen und mit Stichen auf der 
Seite, wo er nicht liegen konte. Allein der Doktor war ein alter 
erfahrener Praktikus, der nichts nach solchen Geniestreichen 
fragte: sondern er kurierte redlich und standhaf t nach den besten 
altesten Pathologien fort und lies den Narren Salmiakgeist fa- 
seln: »es sind soviel iooo nach unsrer Semiotik gestorben; so 
wird doch i Pazient nicht umstossen was 100 praktische Aerzte 
festsezten.« Das einz(ige) verdros den Doktor, daB der Pazient 
sobald er ein Vomitiv genommen, mit Freude ihm berichtete, 
die Neigung zum Erbrechen lasse nach und daB er das Fieber mit 
dem Aderlassen mehrte. Am I7 ten Tage sezte er sein ganzes 
Uebel vor dem Pfarrer in einem Harnflus um und als der Doktor 
mitten im Freuen iiber die Krisis war, fiels ihm ein und stand er 
schleunig ab. 

Die Snydik(ats)lust(igen) schrieben ihre Requeten gar zur 
Unterschrift, der Superintendent memorierte die Standrede ein 
wenig, die Pferde zogen wieder stat der Fliegendecke die Flor- 
Drapperien an, von [den] Hiiten der Kutscher flossen hinten die 
Wolkenstreife des Flors hinunter wie Biberschwanze, und der 
Stadtsyndikus hatte beigesezt werden konnen. 36 Stadtjungen 
hielten sich hart an den Leichenwagen und woken etwas horen. 
Aber der Salmiakgeist lies bis zur Kirchthiire fahren: als man den 
Sarg herausheben wolte, hatt* er sich unterwegs aus ihm heraus- 
geschlichen und der blasse Stadtsyndikus sas aufrecht auf dem 
Kutschkissen, und sagte, er wolle eine Tasse Theebou und wel- 
cher Nar ihn am Sessionstag promenieren [liesse]. So sind und 
bleiben Salmi akgeister und Pseudo-Syndici oder Syndikusse. 

Ich wolte, der Syndikus hatte sich nicht an einem Tage, wo 
er sich hatte begraben lassen wollen, von Morgens bis Abends 
gezankt. - Da er am 5 ten Tage darauf auf den Landtag abreisen 
und da gleich andern Synd(ikussen) mit den fiirstlichen Kom- 
missarien einerlei Meinung sein soke: so traf er sich vor dem 
ganzen Rath am Sessionstisch mit der Apoplexie und tod war der 
Syndikus zum 3 ten male. Der Polizeikomm(issar) befahl der 
Witwe allerdings, den Ehegatten 7 Tage lang iiber der Erde zu 



DER VIERMAL TOTE STADTSYNDIKUS 775 

lassen; allein da der Salmiakgeist es horte, so war er her und stank 
mit seinem Leib dermassen, daB der Geruch sich in die Marder 
Pelze und [das] Eingemachte sezte, daB die hinterlassenen Nasen 
gezwungen waren, ihm und sich die Ruhe zu geben. So weit 
wird mir die Erzahlung leicht, daB er sich in die Kirche tragen 
und vor den Fiissen des Standredners aufdecken lies; alle Advo- 
katen waren darin, der kaiserliche Prinzipalkommissarius, G6- 
the der nach Rom gieng und ich, wir waren in verschiedenen 
Logen: der Superintendent hatte in dieser nicht das Herz, d(ie) 
Kasualerschei(nung) zu denken: wir sahen alle dem Geist ins Ge- 
sicht, der Prinzipalkommissarius besorgte schon, der Spas ware 
vorbei [abgebrochen] 



UBER DIE FORTDAUER DER SEELE 

UND IHRES BEWUSTSEINS 

Jul. 1 79 1 



Ich seze darum Fortdauer stat Unsterblichkeit, weil nicht alle die 
Griinde, die uns fur iene stehen, auch fur diese burgen und wir 
wollen lieber, stat einer Ewigkeit, Quadrillionen Jahre begeh- 
ren. 

Wir sizen alle, wie Missethater, auf den Tod: meine Frage ist 
also die, ob wir nur die Todesangst ausstehen oder ob die Hin- 
richtung des menschlichen - Geistes vor sich gehe - ob, wenn 
unsre Augen schon zu sind, unser Blut star, das Herz welk, und 
das aus Adern und Hauten gesponnene Korperkleid herab, und 
der Geist nakt - ob da ienseits des gesattigten Grabes eine 
Stimme noch ruft: Gnade! 

Ich wil aber meine Gefuhle bezahmen und den Beweisen den 
Vortrit lassen, erstlich denen gegen die Fortdauer, dan den ent- 
gegengesezten. 

I. Zweifel und falsche Beweise fiir sie 
I. Mendelssohn hat mit elende. »AUe Veranderungen, sagt er, 
geschehen durch Uebergange, der Weg vom Tag zur Nacht geht 
durch die Dammerung p.; in der Natur giebts keinen Sprung. 
Nun giebts keinen Mittelzustand zwischen Sein und Nichtsein, 
also ware der Tod der Seele ein Sprung. Dauert sie aber: so mus 
sie wirken und leiden; ist das: so mus sie denken p. « Mich diinkt 
Mendelssohn soke sich so etwas zu widerlegen, geschweige zu 
behaupten schamen. Am leichtesten ist die Antwort, zuzugeben 
daB die Seele nie das Nichts erreicht wie vor der Geburt, aber 
hinzuzusezen, daB sie dan auch eben so wenig denke. Zweitens 
sind iene vorgeblichen Obergange der Natur, wenn bios Erfah- 
rung sie beweisen sol, nicht nothwendig und nicht algemein, 



UBER DIE FORTDAUER DER SEELE 777 

weil die Indukzion beides verbeut - auch ist Erf ahrung zuweilen 
dawider: z. B. welcher Uebergang ist von der Ruhe des Schies- 
pulvers zu seinem Aufbrennen? »Eben so viele Uebergange wie 
beim Nachtwerden, nur aber schnellere;« allein dan seh' ich 
nicht mehr, wie starke und schwache Kraft sich unterscheiden 
- und was die langsamen Ubergange in den durch die schnellern 
vervielfaltigten Zeitmomenten thun. p. A priori sind diese 
Uebergange noch weniger darzuthun: wir wollen nur durch 
eingeschobne Ubergange, der Schwierigkeit des Begrifs entwi- 
schen, wie Veranderungen und Wirkungen iiberhaupt auf ein- 
ander folgen; da doch eine Veranderung mit Mitteltinten so un- 
denklich bleibt als eine ohne. 

2. Kastner und Jerusalem sagen: »ohne Unsterblichkeit macht 
ein Ruchloser sich unabhangig vom Schopfer durch einen Dolch 
und ein Loth Arsenik.« Der Fatalist sagt ohnehin, daB ihm der 
Schopfer diesen Dolch gereicht; aber der Freie kan auch sagen, 
daB dem Schopfer zur Beherschung dieses Ruchlosen die ganze 
Welt (die kiinftige ausgenommen) zu Gebote stehe, er kan ihm 
den Dolch nehmen pp. Und hat der denn Unabhangigkeit von 
mir, dem ich selbst die Erlaubnis zu ihr verliehen? 

3 . »Der stufenweise Aufflug zur Volkommenheit in diesem 
Leben, die Anstalten zu unsrer Vervollkommung beweisen die 
Fortsezung derselben. « Dieser Aufflug stosset hier schon eher an 
als am Sargdeckel und diese Anstalten lassen schon hier nach. 
Wenn der Mensch vom Kind zum Man immer mehr Knospen 
und Aeste treibt: so schliessen wir daraus auf Unmoglichkeit 
kunftigen Stilstands, da wir doch schon gegenwartigen sehen. 
Ich meine das Greisenalter. Welcher Philosoph fande von vor- 
nen, daB der 70. Geburtstag die Seelenkrafte, an denen 30 Jahre 
schufen und puzten, ausleeren und zertrummern wiirde, so daB 
der eingekrochne Korper nichts als der Sarg eines geistigen 
Leichnams wird? Wieviel Entwicklungen unterdriikt iiberhaupt 
die Natur, zu denen sie schon alle Anstalten und Anlagen vorge- 
schaffen! Wieviel tausend Eier von Wesen knikt sie entzwei, 
wieviel Knospen zerpflukt sie, wieviel Menschen auf alien Stu- 
fen des Lebens erquetschet ihr blinder Trit! Genau genommen 



778 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG ^ 

giebts mehr unentwickelte als entwickelte Wesen, von Bliiten 
bis zu Embryonen hin. 

Der Mensch briitet iiberhaupt seine Hofnung zur Fortdauer 
durch seine narrischen Begriffe von seiner Grosse aus. Wenn die 
Ephemere, die iiber dem Wasser flatten, von der almahligen 
Entwiklung, die ihr 6 Ephemeren- Alter gaben, auf kiinftige 
schlosse, weil soviel Seelenkrafte unmoglich der Raub eines 
ewigen Moders sein konten: so konten wir sie widerlegen. Al- 
lein die Ephemere versinktund schliesset nicht - wenn aber die 
Menschen versinken und schliessen; wenn grossere Wesen, ge- 
gen deren Sonnen wir flimmernde Insekten waren, diese 
Schlusse aus unsrer Geistes Grosse, aus unsrer so weit fortge- 
fuhrten Entwicklung beurtheilen; wenn diese hohern Wesen et- 
wan gar die eigentlichen Bewohner dieser Erde, auf der wir nur 
mit 5 Gefiihlspizen krabbeln (bei iooo moglichen) und wenn wir 
bios die ihren Zwecken dienende Thiere waren; wenn — : aber 
wir wollen sinken, ohne stolz zu sein. 

4. »Tugend und Laster mussen ihrem Lohn entgegensterben. « 
Fur unsre Minute Arbeit fodern wir eine Ewigkeit vol Lohn. 
Wie lange wollen wir denn nach dem Tode fortleben, um be- 
lohnt genug zu sein? Wenn einmal unsre periodische unzusam- 
menhangende Tugend Lohn einfodern darf: so ist die Frage, ob 
ihr Lohn nicht schon friiher da war als sie selbst - die Jahre des 
Vergniigens laufen ja vor den Jahren der Tugend voraus und wir 
haben stat der Zukunft eine Vergangenheit abzuverdienen. 
»Diesen namlichen pranumerierten Tugendlohn hob auch der 
Tugendlose ein und das Misverhaltnis bleibt.« Es bleibt nicht; 
wenn nur das sicher ist, daB der Gute nicht seines Lohns beraubt 
wird: so kan immer der Schlimme unverdienten abgewinnen; 
denn das erstere, nicht das leztere stritte gegen die Gerechtigkeit. 
Vielmehr beweiset die ganze Natur die Gewohnlichkeit des lez- 
tern: z. B. wodurch verdiente das Genie sein Genie - der 
Dumme seine Dummheit - das Thier seine niedre, und der 
Mensch seine hohere Natur? Welche Tugend trug den Furs ten 
auf den Thron und welches Verbrechen driickte den wiihlenden 
Sklaven unter den Thron zur mephitischen Silberader hinab? 



UBER DIE FORTDAUER DER SEELE 779 

Warum leben wir nicht in den finstern Zeiten und Landern? Man 
sage immer: »die Wesenkette foderte Thiere und Dumme und 
Neger« aber sie foderte auch Menschen und Genies und Englan- 
der: ieder kan fragen, warum gerade er den erstern Foderungen, 
und sein Nachbar den zweiten abhelfe? So aber, sagt Pope, kan 
der Trabant des Jupiters fragen, warum bin ich nicht der Jupiter 
selbst und es hatte kein Ende. « Das ist eben das Schwierige, daB 
er das kan; Pope glaubt die Schwierigkeit aufzulosen, indem er 
sie anmeldet und vergrossert. 

:o 5 - Waren unsre Wiinsche nicht unsre Meinungen: so konte uns 
das immerwahrende Unisono unseres Geists und Korpers un- 
moglich die Hofnung unsers zweiten, dritten p. Lebens lassen. 
Wenn wir sehen, daB die kleinste korperliche Einbiegung eine 
Narbe in der Seele grabt - daB beide mit einander wachsen und 
welken- daB beim Sterben, dem almahligen Zusammenbrechen 
des Korpers, ein ahnliches der Seele parallel laufe: warum heben 
wir denn beim lezten Ris und Bruch diesen Parallelismus auf und 
geben der Seele alles wieder, was wir an ihr vergehen sahen? So 
gut der Korper ohne die Seele zerfiele, weil seine Veranderungen 

20 die ihrigen begleiten: so gut umgekehrt und nur unsre Wiinsche 
konnen uns so weit verlocken, daB wir bei iedem Tode d. h. iede 
Sekunde ein Wunder zulassen oder er war ten. Denn ein Wunder 
ist der neue Korper, den wir der entlaubten Seele sofort umhan- 
gen - ein Wunder ist das zweite Seelenorgan, das der herausge- 
bornen Seele, wie das Amnioshautgen, ankleben sol, weil alles 
was vom Zusammenhang des Korpers und Geistes auf beider 
lezten Zusammenhang in der Zerriittung geschlossen wird, auch 
vom Zusammenhang des Korpers und Seelenorgans oder Bon- 
netischen Leibgens auf beider lezten Zusammenhang im Unter- 

30 gange mus geschlossen werden, da alle diese Platnerischen und 
Bonnetischeninkorporierten Unterziehkorpergen alle Schiksale 
des lebendigen Hauptkorpers theilen, und mithin des todten - ein 
Wunder ist die ganze Exportazion der Seele in einen andern Ort. 
Mendelssohn schliesset: »weil man keinen Zeitpunkt angeben 
kan, worin das Thier fur tod gehalten werden konte: also wirds 
die Seele auch- nicht. « Gerade das Gegentheil - auch kame nach 



780 JUGENDWERKE - 5.ABTEILUNG 

diesem Schlusse keine einzige Veranderung in der Welt zu 
Stande, weil wegen des almahligen Fortruks kein solcher Mo- 
ment anzugeben ist - konte man daraus schliessen: weil bei so 
vielen Stufen des Zerfallens des Korpers Beseelung wieder mog- 
lich war: so konnen wir bei der nachsten Stufe nach diesen ver- 
muthen, daB die Zukunft, und bei den iibrigen, daB hohere We- 
sen die Mittel dieser Beseelung entdecken: ich wiiste keinen 
Zustand des verstorbnen Korpers, - weder Faulnis, noch Ein- 
ascherung - der die Trennung der Seele mehr rechtfertigte als 
sein vorhergehender; der Schlus gegen ihr Bewustsein, nicht ge- 
gen ihr Dasein, bleibt also vestgestelt. 

Diese Abhangigkeit der Seele vom Korper sollen zwei Dinge 
schwachen, erstlich der Traum. »Im Traume, wo ihre Banden 
mit dem Korper schlaffer und langer werden, bewegte sie sich 
gerade freier und kraftiger.« So viele Selbsttauschungen ich mir 
noch abgewonnen: so bracht' ichs doch niemals dazu, meine 
geistige Unabhangigkeit vom Leibe au£ den Traum zu bauen. 
Erstlich ist die Seele alzeit gleich verbunden mit dem Korper - 
es ist eine sonderbare Tauschung, daB wir die Zeit einer gerin- 
gern Ankettung gerade in die sezen, wo wir Vergniigen, Enthu- 
siasmus, tiefsinnige Anstrengung p. finden, als wenn die auf 
diese Zustande folgende Ermattung des Korpers seinen Antheil 
daran nicht deutlich genug verburgte und als wenn ich nicht mit 
eben so vielem Rechte die Zeit iener Losfesselung in die Zeit des 
Leidens, der Seelenunthatigkeit und Ruhe konte fallen lassen; 
auch wars schlechterdings unbegreiflich, wer die Abkmipfung, 
wer wieder die Anbindung erzwange und wie; und worin sie be- 
stande, anderer Griinde zu geschweige[n]. Zweitens ist gerade, 
war' auch eine solche periodische kleinere Abhangigkeit der 
Seele moglich, im Traume die grossere da. Es ist vollig falsch, 
den Schlaf die Ruhe des ganzen Korpers zu nennen; die unwil- 
kuhrlichen Muskeln, der Magen, die Gedarme, das Blut treiben 
ihre Anstrengungen fort wenigstens nicht viel weniger als beim 
Liegen ohne Schlaf - bios die New en ruhen aus, worunter auch 
der groste Nerve, das Gehirn, gehort. Das Geschaft der Empfin- 
dungen und des Denkens stokt allein, im Schlaf e. Daher starkt 



UBER DIE FORTDAUER DER SEELE 78 I 

der Schlaf Menschen, die dabei gehen oder reiten und deren iib- 
rige Glieder also keine Ruhe geniessen. Nervenschwache, die 
iede Ruhe abmattet, erfrischet traumloser Schlaf und der Mangel 
desselben ist Zunder und Wirkung ihrer Krankheit. Gab' es also 
eine Losschliessung der Seele vom Korper: so konte sie nur der 
tiefe Schlaf gewahren; wie hoch aber der Flug derselben darin 
gehe, konrien wir, weil da sogar das Bewustsein fehlet, nicht 
recht messen. Der Traum hingegen ist gar kein Schlaf, so wenig 
wie das tiefe Denken, ob es uns gleich auch die Sinnen gegen die 

10 aussere Empfindung verspert. Daher entnerven auch Traume so 
sehr, weil das Gehirn und sogar die Sinnennerven (daher amal- 
gamieren aussere Eindriicke sich mit dem innern Traum) im 
thatigsten Schwunge sind - daher wachst mit der Starke der 
Nerven am Morgen, die Starke des Traums - daher gehet dem 
Schlafe der Thiere (ausgenommen den verzartelten zahmen 
Hunden) das ungesunde Traumen ab. Daher ist ungewohnliches 
Traumen schon nach Aristoteles ein Vorlaufer des Krankenla- 
gers. Jene fesselnlose Regsamkeit und Schwungkraft der Seele 
im Traume ist mithin nicht Wirkung der Absonderung sondern 

20 der verdoppelten Ankniipfung an den Korper d. h. an die Ner- 
ven, die allein der Korper der Seele sind: denn Adern, Knochen, 
Fleisch sind sowenig wie die aussere Luft ihr Korper, wie ich 
weiter unten zeige. Ueberhaupt ware dieses Traumen iiber das 
Traumen keines so langen Widerlegens werth, hatte nicht Her- 
der es mit soviel Laub-, Blumen- und Fruchtwerk und Schnuren 
behangen, dafi ich wenn ich ihn morgen wieder lese, glauben 
werde, ich hatte heute Unrecht. 

Ichsagteauf der 8 ten Seiteerstlich. Zweitens, fahr' ich fort, wil 
man des kiinftigen Bewustseins Unabhangigkeit vom Korper 

30 schon aus seiner periodischen iezigen und diese wieder daraus 
erzwingen, dafi der Verlust von V3 p. des Gehirns doch oft das 
Denken lies. Die simpelste Antwort ist die: 'wenn einer einmal 
Bewustsein bei ganzlichem Mangel des Gehirns behielt: so hat 
man Recht- und doch kaum; denn sobald noch irgend ein Glied, 
ein Punkt im Korper ubrig ist, an dessen Verlezung das Leben 
und also auch das Bewustsein hangt (und so etwas mus (ibrig 



782 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

sein, wenn einer nicht passauisch fest sein sol): so ist die Kette 
der Seele nur verwechselt, nicht zerrissen. Sonst gilt aber das 
Beispiel der unschadlichen Trepanazion mit aller seiner Starke 
gegen den elenden Materialismus oder auch Bonnetismus, der 
die Gehirnfibern zu Sizstangen und Obiektentragern der Ideen 
und den Nervensaft zu einer Gedanken-Goldsoluzion erhebt. 
Der Himmel bewahre ieden Kopf vor der Fibern-, Abdruks- 
und Saftpsychologie, die iibrigen nicht. 

6. Im andern Leben werden wir uns schamen, es im iezigen 
so erbarmlich dargethan zu haben. Z. B. Wenn Mendelssohn 
schreiet, wie sehr ihm iede Freude ohne diese Hofnung versalzen 
ware pp. : so schreiet erstlich fast ganz Amerika, Asia, Afrika und 
2 / 3 Europa nicht mit, weil Wilde und Bauern und Kinder die 
Vernichtung ohne einen Seufzer erwarten und verschmerzen - 
zweitens nimtunsre Furcht eines Uebels das Kommen desselben 
nicht weg - drittens beweiset diese Furcht nur, daB der Schopfer 
uns entweder die Gewisheit oder doch die Tauschung der Fort- 
dauer verleihen hatte sollen; denn diese Furcht existiert nunmehr 
doch, auch da Mendelssohns Unsterblichkeitsglaube wahr ist 
ppp. 

7. Auch die Tugend kan schlechterdings nicht sich auf diesen 
Glauben griinden. Die kiinftige Folge und Belohnung der Tu- 
gend ist entweder Vergniigen oder Fortdauer der Tugend. Im 
ersten Fal wiirde meine Tugend durch die Hinsicht auf einen 
Lohn infiziert, und es ist einerlei Eigennuz, ihn von der nachsten 
Messe oder von dem nachsten Jahrtausend p. zu erwarten. Im 
zweiten Falle liegt der Lohn der Tugend in ihrer Fortsezung; al- 
lein wenn die Tugend ohne ihre kiinftige Fortsezung werthlos 
ware: so ware sie es auch mit derselben, weil ein Gut nicht erst 
von seiner Vergrosserung seinen Werth bekommen kan, son- 
dern umgekehrt diese den ihrigen erst von ienem holen mus. 
Auch mindert der festeste Glaube der Vernichtung keinen Ge- 
wissensbis einer Niedertrachtigkeit. 



UBER DIE FORTDAUER DER SEELE 783 

17. Vermuthungen und Beweise fur die Fortdauer 
Ich halte fast alles Vorstehende fur wahr, nur den Schlus daraus 
nicht; und sehe, wie schwer, beim Durchkreuzen so vieler Stra- 
len, das Treffen des Punktes ist, in dem sie sich alle schneiden 
und wie sehr die Wahrheit gewissen Vexierbildern gleicht, deren 
Umkehrung den Kopfpuz in einen Bart verwandelt. Aber davon 
hernach. 

1. Wenn die Fortdauer der Seele, nicht ihres Bewustseins, me- 
taphysisch erwiesen werden sol: so mus ihre Immaterialitat dar- 

I0 gethan sein. 

Die Materie selbst ist immateriel. Eine Zusammensezung aus 
Nichts ist unmoglich; eine aus etwas Zusammengesezten ver- 
schiebtnurdie Antwort: denn entweder mus das leztere Zusam- 
mengesezte aus Nichts oder aus etwas Unzusammengesezten 
bestehen. Die Berufung auf unendliche Theilbarkeit hilft in kei- 
nem Fal zu etwas; denn sie beweiset bios, daB der unzusammen- 
gesezten Theile eine unendliche Anzahl ist, die keine Theilung 
(selbst die gedachte nicht*) erschopfen kan; und iene Berufung 
schadet dem Saze nichts, daB schon der Begrif Zusammense- 

20 zung den des Einfachen mit sich fiihre, weil ia doch offenbar et- 
was da sein mus, was zusammengesezt wird. 

Dieses Etwas, dieses Unzusammengesezte nenne man wie 
man wil: ich wil es Monade nennen. (Diese Monade trent sich 
von meiner geistigen vielleicht nur im Grad. Leibniz schrankte 
die Thatigkeiten aller Monaden nur auf Ideen ein und unsre Per- 
zepzion oder Anschauung der vereinten Thatigkeiten eines sol- 
chen Monadenkonvoluts ist unser Begrif von Bewegung. Aus- 
dehnung p. So richtig das leztere ist: so widersprechend und 
unnothig ist die Leibnizische Annahme der Ideen bei niedern 

30 Monaden; denn selbst bei uns hohern Monaden sind Ideen bios 

* Die Philosophic verwirte sich am meisten dadurch, daB man sich 
das vorstellen (d. h. ein sinliches Bild davon machen) wolte, was schlech- 
terdings nur gefiihlt werden kan d. h. alle Qualitaten (bios Quantitaten 
sind vorstellbar), 2. B. Kraft, Wirkung, Existenz, einfache Wesen, deren 
Nothwendigkeit wir so gut fiihlen als die Unmoglichkeit ihrer iemaligen 
Vorstellung. 



784 JUGENDWERKE ' 5. ABTEILUNG 

zuriickgespiegelte Wirkungen einer ganz andern Thatigkeit oder 
Kraft, namlich der, womit ich meinen Korper bewege, womit 
ich wil und wodurch ich der Leidenschaften, Freuden p. emp- 
fanglich bin. Vielleicht stellen diese unsre geistige Thatigkeiten 
hohern dazu organisierten Wesen den sinlichen Schein der Be- 
wegung, Ausdehnungu. s. w. dar.) Dies Eingeschlossene gehet 
die Hauptsache nichts an. 

Nach diesen Sazen sind alle mogliche Wesen entweder insge- 
samt zusammengesezt - weil icde Monade mit andern in ein- 
schrankender, helfender p. Verbindung stehen mus und weil der 
Unterschied nur der ist, daB die menschliche M[onade] mit 
unedlern, die unedlern aber mit ahnlichen zusammengestellet 
sind - oder insgesamt unzusammengesezt, weil wenn der 
menschlichen M[onade] Band mit niedern sie unzusammenge- 
sezt lasset, auch der Holzmonade Band mit andern Holzmona- 
den sie so lassen mus. 

Ich vergesse es nicht daB noch der Hauptpunkt unbewiesen 
ist. »Du bist eben, konte Wehkerlin sagen oder sagt so, keine 
Monade, sondern das Resultat der Wirkungen mehrerer Mona- 
den - das Denken ist eine durch Zusammenwirken mehrerer 
Krafte erschafne neue Kraft, also Folge der Organisazion.« 
Wenn mehrere Monaden auf einander wirken und zusammen- 
gestellet sind: so ists zwar erstlich klar, daB sie ihrer wechselsei- 
tigen Krafte Wirkungskreis, Wirkungsgrad und Direkzion an- 
dern miissen und konnen; aber zweitens ists unmoglich , daB eine 
Monade eine ganz neue Kraft, die sie selber nicht hat, einer an- 
dern Monade anerschaffe, der sie auf eine unbegreifliche Weise 
inokuliert wiirde; drittens ists noch unmoglicher, daB nach ei- 
nem dritten Fal eine Kraft unter dem Ganzen vertheilt schwebte, 
die kein einzelner Theil besasse, wie etwan die Vermengung aller 
Farben die weisse gebiert; derm ein Ganzes existiert nirgends als 
in der Vorstellung eines Geistes , der die Theile unter Einem Be- 
grif befasset und in der Natur ist ieder Theil nur sein eignes 
Ganze. Nur ein solcher philosophischer Hermaphrodit wie 
Wehkerlin konte sagen: »die Uhr bekomt erst durch die Zusam- 
mensezung die neue Kraft, die Zeit zu zeigen. « Denn ia bios die 



UBER DIE FORTDAUER DER SEELE 785 

Richtung der Bewegungskrafte der Theile der Uhr bestimt der 
Uhrmacher und ein Kind, das genante ausgenommen, sieht daB 
die gezeigte Zeit nicht in der Uhr sondern im Kopfe ihres Besi- 
zers wohne. Nur ein solcher philosophischer Kastrat wie Wek- 
herlin, dessen Name ich niemals schreiben lernen kan, konte sa- 
gen: »die Theile des Auges sehen nicht, aber doch das ganze 
Auge. « Denn auch dieses siehet nicht, wie das todte oder wie ein 
nichtssehender defer Denker beweiset, sondern die Seele hinter 
dem Auge: hier begeht er noch dazu petitio principii. 

ro Fiir die Einfachheit des denkenden Subjekts ist noch das wenn 
nicht Demonstrazion doch Wahrscheinlichkeitsgrund: die Ein- 
heitunsers Selbstbewustseins, das als ein Resultat mehrerer Mo- 
naden erstlich nicht so rein und zweitens da ihre Verbindung 
nicht unverriikt bleiben kan, nicht so unverandert bleiben konte 
- der Platherische Beweis aus der Reflexion - die Schnelle der 
Seelenwirkungen pp. 

Ist also unser Ich eine Monade: so ist nicht nur die Gewisheit 
seiner Fortdauer dargethan (weil aktive Vernichtung das groste 
und unbegreiflichste Wunder ware) sondern auch die Moglichkeit 

zo seines Bewustseins, weil die Monade so gut wie vor der Geburt 
(auch nach dem Atheismus) durch die ewigen Wogen und 
Sturme des Monadenozeans in einen neuen Menschenkorper 
und, wenn dieser Erdbal der Sonne zugestiirzt ist, auch wol in 
einen bessern Korper ausgesezet werden kan. 

2. Sie kans aber auch nicht, der Zufal kan sie ewig unter ihrem 
Schuthaufen lassen. Aber vor dem Weitergehen zu den morali- 
schen Beweisen mus ich von den zwei Fallen: »die Denkkraft ist 
entweder eine durch mehrere Monaden erschafne neue Kraft - 
oder eine Kraft, die eine Monade nur in Verbindung mit andern 

jo Monaden aussert« noch den lezten Fal betrachten; denn der ist 
der wahre, aber mit mehr Einschrankungen als man glaubt. Der 
Geist verdankt namlich der Organisazion viel weniger als es 
scheint. 

Das Gehirn und (besser: oder) die Nerven sind der wahre 
Korper der Seele; unsre ubrige Einfassung ist der Korper dieses 
Korpers und dient bios der Nahrung und Fortdauer des leztern. 



786 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

Denn nur das Gehirn ist das elektrisierende Kiissen unsrer geisti- 
gen Elektrisiermaschine, weil bios dieses mit dem Bewegen, 
Empfinden, und Vorstellen der Seele in Verhaltnis steht. Genau 
genomen ist dieser Mark- und Brei-Globus mit seinen Streifen 
der eigentliche Weltglobus der Seele; die iibrige Welt gehet sie 
nichts an: diese empfindet und kent sie nicht, nur die Verande- 
rungen, die die iibrige Welt in den Nerven macht, also nur die 
veranderten Nerven. Denn bios deswegen etwan, weil die Seele 
bei der Veranderung eines Nerven sich z. B. die sie bewirkende 
Veranderung des Mondes vorstelt, schon behaupten, der leztere 
werde empfunden und sei mit ihr in Verbindung - ist eben so 
viel als sagen, wir empfinden auch das dritte Glied, von dem 
wieder die Veranderung des Mondes komt, weil wir diese emp- 
finden und so gieng es von Ursache zu Ursache. 

Inwiefern tragen nun diese Nerven zum Empfinden bei? Als 
Korper konnen sie es nur durch Bewegung*, weil Korper nichts 
anders fahig sind. Also z. B.: das Zittern der Saite zeugt Zittern 
der Luft, das leztere zeugt Zittern des Trommelfels und der Ge- 
horknochelgen, das leztere Z[ittern] zeugt Zittern des Gehor- 
nerven; nun hort die Seele. Allein ich frage ieden, ob er der Saite 
einen grossen Antheil am Empfinden ihres Tons zuschriebe, 
wenn die Seele an die zitternde Saite selbst gebunden ware? Denn 
zur Empfindung dieses Zitterns triige ia das Zittern selbst nichts 
bei und das ganze Verdienst bliebe der Natur des geistigen We- 
sens. Nun unterscheidet sich das Zittern der Saite vom Zittern 
des Nervens nur in der Feinheit des Zitterns, aber nicht im Zit- 
tern; folglich ist die Miihe und das Verdienst und die Autokratie 
der Seele mocht ich sagen, eben so gros, sie mag an die vibrie- 



* Das widerspricht dem vorigen von den Monaden nicht. Hier be- 
tracht' ich sie als Monadenaggregate und nach dem sinlichen Schein; 
auchbegieng' ich sonst petitio principii. Soviel ist richtig, Bewegung ist 
nur der aussere Erfolg, die Aeusserung einer Kraft der Korper, von der 
wir nichts wissen und ich sehe nicht, warum diese Kraft, die doch bios 
in den einzelnen Theilen wohnen kan, der Seele abgesprochen werden 



UBER DIE FORTDAUER DER SEELE 787 

rende Saite oder an den vibrierenden Nerven angeschlungen 
sein, da sie in beiden Fallen ein der Bewegung so unahnliches 
Ding, die Empfindung schaffen mus. Die Nerven empfinden nicht 
den Gegenstand, sie verandern (und nahern) nur den Ort, wo er emp- 
funden wird. Der ganze Irthum von der empfindenden (stat emp- 
fundnen) Organisazion komt daher, daB man, zumal in Gesel- 
schaften, bios mit der Phantasie philosophiert, d. h. man denkt 
sich die Nerven so fein, so geistig, so - narrisch, daB man zulezt 
ein Mittelding zwischen Geist und Korper herauskocht und mit 

10 diesem Mitteldinge (unzahlige solche M[itteldinge] giebts in den 
menschlichen Kopfen) thut man seine Wunder. 

So komt z. B . das auf der Retina gezeichnete Bild nicht einmal 
ins Gehirn, weils Unsin ist, durch einen Nerven ein Bild forttra- 
gen und fortpflanzen zu lassen (wie man etwan in Italien Fresko- 
gemalde von der Wand abspaltete oder Wande selber transpor- 
tierte) - ich wil aber das Gegentheil sezen: so ist doch, wenn 
1000 Bilder im Gehirne dastehen, Bilder der 5 Sinne, der Phan- . 
tasie u. s. w. noch immer die Hauptsache, wozu sie schlechter- 
dings nichts beitragen, das Sehen oder Beschauen derselben un- 

20 verrichtet und unerklart, wie ia die Bilder im Spiegel nicht das 
Sehen derselben bewirken oder erleichtern, sondern das Auge 
thut alles: empfindet sich denn der Gegenstand (hier das veran- 
derte Gehirn) selbst und erklar' ich das Sehen, wenn ich sage, ein 
Bild, das gesehen wurde,war da? 

Ferner hat die sinliche Vorstellung eines Gegenstandes (das 
heist bei mir allemal der der Seele allein nahe Gegenstand, der 
Nerve) nicht die geringste Aehnlichkeit mit dem Gegenstande 
selber - die Vorstellung einer Veranderung oder kiirzer eine 
geistige Veranderung in mir und die fremde vorhergehende 

30 Veranderung im Korper sind durchaus verschieden - man ver- 
mengt nur alzeit den Gegenstand der Vorstellung mit der Natur 

" derselben - der Vorstellungsaktus ist stets der namliche, aber wie 
verschieden hingegen ist dessen Gegenstand, bald Farbe, bald 
Bewegung pp. - War' auf diesem Papier der Ort dazu: so liesse 
sichs noch mit 10 Seiten und 10 Beweisen darthun, z. B. daraus 
daB Empfindung die Wirkung mehrerer Seelenthatigkeiten auf 



788 JUGENDWERKE " J.ABTEILUNG 

einmal ist - daB die Seele, sie sei so leidend als man wil, eben des- 
wegen eine Kraft und Rezeptivitat haben mus, die den Sinnen 
den Ruhm wieder nimt pppp. 

Kurz die Veranderungen des Gehirns sind nur Gegenstande 
der Vorstellung, nicht Werkzeuge derselben oder gar Vorstel- 
lung selbst: denn sonst stelte die Bewegung sich die Bewegung 
vor und diese Veranderung enthielte 3erlei, die obiektive Veran- 
derung, die vorgestelte und die vorstellende. - 

Und so ists mit dem ganzen weitern Parallelismus des Geists 
und Leibs. Die Samensekrezion z. B., dieser Dunger der feinsten 
Blumen der Empfindung, ist diese Empfindung nicht selbst - 
der schnellere Blutumflug bei erhabnen tugendhaften Empfin- 
dungen ist, er mag vor-, gleich- oder nachgehend sein, diese 
Empfindung nicht. Allerdings wirkt die Seele nie allein; aber es 
ist auch keine Akzion ohne Reakzion* moglich und diese mus 
der Korper thun. 

Noch etwas. Der Koffee erleichtert das Denken - iiber die 
Unsterblichkeit und seinen eignen Einflus; vielleicht aber solten 
wir lieber die scheinbare Hiilfe, die der Korper der Seele leistet, 
nur Verminderung des Widerstandes nennen, den er ihr that; sie 
wird nicht von ihm befliigelt, sondern von ihm befreiet und 
seine Hiilfe ist negativ. 

Leute von Welt, d. h. die besten Beobachter und elendesten 
Philosophen, verkorpern sogleich ihre Seele mit ihren Schlus- 
sen, weil sie in der Laune, Empfindung, Tugend p. sie sooft als 
das Repetierwerk des Korpers befinden - das ist soviel als wenn 
ein Tanzmeister, der fande, daB er in bleiernen Schuhen plump, 
in holzernen besser, und in seidnen am flinkesten tanzte, fragen 
wolte, ob ihn nicht offenbar seine Schuhe, die besondre ihm un- 
bekante Springfedern haben miisten, emporschnelten und ob er 
wol ohne alle Schuhe es zu einem Pas bringen wurde, da er schon 
mit bleiernen es kaum vermochte. 

* Denn am Ende verhalten sich Seele und Korper wie Korper und 
Korper, weil am Ende die Korper doch nur mit ihren einfachen Theilen 
auf einander wirken, folglich p. Ich sehe hier einen Entwurf voraus. 



UBER DIE FORTDAUER DER SEELE 789 

Alles dies war* eine Episode, braucht* ichs nicht nachher, 
wenn vom Korper nach dem Tode die Rede ist. 

3 . Der metaphysische Beweis untersiegelt nur die Fortdauer 
unsrer Monade; die moralischen erst geben uns die unsers Be- 
wustseins. 

Die Wahrheit wird ofter vom Herzen als Kopfe gefunden; es 
giebt.Dinge, die nur gute Menschen finden und fassen, noch an- 
dre gehoren nur fiir edle Menschen. 

In unsern Tagen ist fast alles im moralischen Sinne, wie zu 
Wien im heraldischen, edel; ich mag aber dies Wort nicht ver- 
schwenden sondern verstehe darunter bios die Menschen, die in 
diese Welt - nicht passen. Blikte ein Engel aus seinem Aether 
herein durch unsre Dampfathmosphare und sahe unten tausend 
Augen und Hande niedergerissen gegen den Fras, den Gold- 
schimmer im Schmuze des Bodens, andre, die tiefer das edle 
Menschenangesicht durch den Koth durchziehen, andre, bes- 
sere, die horizontal den Inhalt der Luft, die Ehre, iagen: so has- 
sete er uns; - sah' er einige, die, aus Furcht, oder Phlegma oder 
Kentnis des Unwerths solcher Ziele, sie verschmahten und et- 
was uber sich suchten: so hatt' er Mitleiden mit uns; - sah' er 
endlich einige, die, gleichgtiltig gegen diese ekelhaften Koder, 
unbekummert um das algemeine Beispiel, das leben mehr ertrii- 
gen als genossen, mehr liebten als geliebt wiirden, und die vol 
vom Gefuhl der algemeinen Verganglichkeit und der Geringfu- 
gigkeit des irdischen Thuns, mit dem Blik und mit dem Wunsch 
uber den Wolken, gleichwol feind der schwarmerischen thaten- 
losen Beschaulichkeit und thatig aus Tugend waren: so fand' er 
vielleicht seine Briider und ich glaube, er liebte die Men- 
schen . . . Aber die Schilderung solcher vom hohen menschli- 
chen Adel bleibt einem geraumigern Ort und sie erspar' ich, 
wenn ich einige Originale derselben nenne, den Sokrates - den 
Plato - (den grossen Kato nicht) - den Antonin - (den Epiktet 
nicht) - den Pikus von Mirandula - 1. I. Rousseau - am meisten 
Shakespear und iiberhaupt viele Englander pp. Die empfindsa- 
men Romane haben hundertmal von Menschen, die fiir diese 
Erde nicht gut genug waren, vorgegeben, sie waren zu gut fiir 



79° JUGENDWERKE ■ 5 . ABTEILUNG 

sie - gleichwol ist der Ausdruk wahr. Zu was dienen denn die 
edelsten Krafte des Kopfes und Herzens in einem Leben, das sie 
selten braucht, weil dessen groster Theil sich mit den ewig wie- 
derkommenden Foderungen der Haut und des Magens abqua- 
let? Foderungen, die das Thier, ohne edle Krafte, befriedigt? 
Man braucht nicht zu ienen Sonnen unter den Menschen zu ge- 
horen, urn, wenn man vom Geschafte der geistigen Veredlung 
zu dem Geschafte der korperlichen Erhaltung iibergeht, das Wi- 
dernaturliche, den Widerspruch unsrer Anlagen und unsers 
Schiksals so sehr zu fiihlen, da£ nur der ganze Ruf der Pflicht und 10 
die Nothwendigkeit uns zu Beschaftigungen dingen kan, die 
bios beim thierischen Menschen mehr Zwek als Mittel, mehr 
Genus als Miihe sind. (Man sage immer, diese korperliche Be- 
diirfnisse sind und waren eben der Sporn zur geistigen Entwick- 
lung - so ist aber doch der Sporn nicht das Ziel; und nicht bios 
das war' er, ohne Unsterblichkeit, sondern der Zwek ware gar 
das Mittel zum Mittel, die geistige Entwickelung ware bios das 
Mittel und die Magd der korperlichen . . . Das gehort aber noch 
nicht hieher. -) Zu was sieht ein geistiges Auge, da nur ein leibli- 
ches vonnothen ist, sobald beide unter dem Sarge zerfallen? 20 
Warum gliihen und brennen unnenbare Empfindungen der 
Liebe und Freundschaft in uns, wenn der Tod und das Leben auf 
sie Erdewerfen? Empfindungen, die unser hungerndes undfrie- 
rendes Leben oft ohne Gegenstand und ohne Befriedigung las- 
set. - Wenn wir in unsern Geburts-Erdenklos zuriickfaulen sol- 
ten: warum klebte denn die Natur auf diese schmuzige Scholle 
ein so atherisches Geschopf mit Lichtflugeln? 

Jebesser man wird, desto mehr fuhlt man die Unformlichkeit 
der irdischen Verbindung und die Bestimmung fur eine ange- 
messenere. 30 

Denn Ein Mensch, der edel ist, ist Burge der Fortdauer von 
unzahligen, die es nicht sind. 

4. Vom gestaltlosen Erdwurm herauf bis zum strahlenden 
Menschenangesicht - vom unbearbeiteten Menschen des ersten 
Tags und dem Volke des ersten Jahrhunderts heran bis zum 
Volke und Menschen des lezten Jahrhunderts - von der ersten 



UBER DIE FORTDAUER DER SEELE 79 1 

Krummung des Herzens des zusammengebognen Fotus herauf 
bis zu dessen voile m edlen Schlag beim aufgebliihten Marine 
geht eirie wirkende pflegende Gotteshand, die von einer Vol- 
kommenheit zur andern erzieht und die zum Knospen einer ein- 
zigen Frucht tausend Anstalten, Winde Strahlen und Erde ver- 
eint. Und warum? damit diese bios gebende, nie raubende Hand 
am Ende den so muhsam und durch Vereinigung ganzer Jahr- 
tausende entwickelten Menschen wieder zerknirsche und aus 
einander zupfe? . . . Wenn das blosse Ungefahr auf dieser Erde, 
wuhlte und alles durch einander wiirfe: konten wir da etwas 
schlimmers oder angemesseners erwarten? Wenn der Weg vom 
Geburtstag zum Todestag - vom Schopfungstag zum iiingsten 
Tag - vom Thiere zum Menschen ein abschussiger ewiger Fal 
zur Verschlimmerung ware: konten wir dieser sinkenden Ver- 
schlimmerung eine tiefere Stufe geben als diese vollige Vernich- 
tung? Und unsre steigende Vervolkomnung stiirzen wir auf 
diese Stufe? T Die Tugenden, die Got und der Mensch ein halbes 
Jahrhundert muhsam aufgezogen, reisset der Tod mit Einem 
Nerven aus? Und dem Schopfer stirbt und fault der Freund, der 
Sohn, vor dem er seine Stralengestalt aufgedekt und seine Vater- 
gesinnung, und die Erde zieht unniiz um die Sonne mit Todten 
gefiilt, die Got liebte und verlor? - Die Vernichtung nimt nicht 
bios das, was wir sind sondern auch was wir werden konten: zu 
was entfaltete nicht ein kunftiger giinstigerer Korper und Wir- 
kungskreis oder nur Fortdauer des iezigen die Tugend eines So- 
krates und das Genie eines Leibnizens? Aber der Fus des Todes 
sucht und ertrit diese kiinftigen Engel . . . Da Got alles Mogliche 
kan: so nimt er das, was er versagt und es ist einerlei, ob ein reifer 
oder ein unreifer Seraph untergeht. Versiegen einmal wir hinun- 
ter in unsre Erde: so seh' ich keinen Grund, der die Vernichtung 
irgend eines andern Wesens und Planetenbewohners aufhobe. 
Der Unterschied des Werths (bei uns und ihnen) kan niemals so 
gros werden als der Unterschied zwischen Sein und Nichtsein ist, 
der nicht wie iener Unterschied durch Stufen zusammenhangt; 
und alle Zwecke des Schopfers, denen iene fortlebten, dehnten 
auch in geringerm Grad auf uns sich aus. So zergienge also um 



79 2 JUGENDWERKE - J.ABTEILUNG 

den stehenden Got das kampfende Sein und aus und unter den 
verloschenden Wesen brente ein einsames Urwesen heraus - so 
furchterlich, wie die Sonne durch die unermesliche Nacht lo- 
dert* - O wenn's auch Tauschung ware: gebt uns unsern blauen 
Himmel wieder stat dieses schreklich schwarzen! Was war denn 
dan der Zweck des Schopfers? War das zerriittete Bewustsein al- 
ler dieser Wesen bios Mittel zu irgend einem Zwek, der sie nicht 
angieng: so wars erklart; aber wir konnen uns keinen denken: 
auch kan in der Schopfung Gottes nichts, nicht das zerrinnende 
Insekt auf dem Blat, blosses Mittel sein, wie ich unten zeige. Es 
bleibt noch der dritte Fal, da!3 diese Geschopfe zwar selber 
Zwecke waren, aber nur auf kurze Zeit; ihre vernichtete Glukse- 
ligkeit soke einer andern anfangenden zuriicken. Allein bei Got 
ware ein Zweck, der nicht permanent ware, soviel wie keiner, 
weil jede Zeit keine fur ihn ist - denn bios unser Unvermogen 
und unsre Willens-Veranderlichkeit bringen uns zum Wechsel 
unsrer Zwecke; bei Got fehlt beides. 

Darwider macht' ich oben zwei Einwurfe, der erste steht 
Seite 3 . Allein solt' einmal ein Tod sein, so must' auch der Weg 
zuihm, d. h. das fallende Alter sein. Die kurze Unterbrechung un- 
seres Fortschrittes durch das Alter und die langere durch den Tod 
bestreiten diesen Fortschrit so wenig wie die noch kurzere durch 
den Schlaf. Sobald unsre Renbahn sich nicht auf eine Erde be- 
granzen soke: so muste die Kluft zwischen ihr und der zweiten 
wie ein Grab aussehen. Daraus daB es so viele unentwickelte 
Wesen giebt, soke man vielmehr - wenn man anders nicht mit 
dem Gedanken der Gotheit spielen wil - auf Erganzung ihrer 
Entwickelungen und auf Fortsezung der volstandigern, Schlusse 
Ziehen und Schwierigkeiten hebt und beweiset ihre Vergrosse- 
rung nicht. 

Der zweite Einwurf steht S. 4. Dieser Schlus gehort unter die 
relativen, die der Wahrheit soviel Abbruch und der Beredsam- 

* Da nur die Farbe der Luft das Himmelsblau giebt: so mus iiber uns- 
rer Athmosphare die Sonne aus einer dichten Nacht und einem ganz 
schwarzen Himmel stralen und schrecken. 



UBER DIE FORTDAUER DER SEELE 793 

keit so viel Vorschub thun. Auf die namliche Art thut man dar, 
daB einer nicht ungliicklich ist, weils - noch Ungliicklichere und 
Plantagenneger giebt; daB die Erde unbedeutend ist, weils noch 
grossere und haufigere Erden giebt pp. Wendet aber z. B. die 
Ephemere hier der Reihe iiber ihr den Riikken zu und kehrt sich 
gegen die tiefere unter ihr: so wird sie und ihre Entwickelung 
wieder gros - und nichts ist entschieden. Und so konte man alles 
durch wirkliche oder gedachte und mogliche Vergrosserung 
kleiner - oder durch eine wirkliche oder gedachte Verkleinerung 

io grosser machen - in den Augen der Phantasie, aber nicht der 
Vernunft: denn diese sieht, daB iene den Unterschied von Mehr 
und Weniger mit dem Unterschiede von Etwas und Nichts ver- 
wechselt und daB zweitens diesem wechselnden subiektiven 
Unterschiede etwas unveranderl(iches) positives obiektives zum 
Grunde liegen miisse. Im tauschungslosen Auge des Schopfers 
ist die Entwickelung der Ephemere und des Menschen eine 
wahre, troz alien grossern Entwickelungen. 

Dazu ist diese so lange Kette hoherer Wesen iiber uns noch 
nicht erwiesen; und die Kette niederer unter uns ist noch nicht 

20 von uns so gemessen , daB wir nicht vielleicht mit unter die obern 
Ringe von iener gehoren konten. Der Abstand zwischen Got 
und den endlichen Wesen wird ohnehin durch eine ganze Ge- 
birgkette geistiger Riesen nicht um Einen Atom verkurzt und 
gefiilt und der Schlus von dieser nothigen Abkiirzung auf eine 
unendliche Menge hoherer Wesen mus doch einmal falsch be- 
funden werden, er mag beim Menschen oder beim Seraph ge- 
macht werden. Und warum miissen denn diese andern Wesen 
schon so hohe Stufen erflogen haben, warum konnen sie nicht 
wie unser ganzer Erdbal bios im Hinaufsteigen* dazu begriffen 

30 sein? 

5. Der kantische Beweis, der die Unsterblichkeit (wie die 
Gotheit und Freiheit) als ein Postulat der praktischen Vernunft 
betrachtet, leuchtet und warmt nur bei seiner Darstellung der 
Grundsaze der paktischen reinen Vernunft mit ganzer Starke. - 
Kant schliest nicht so: weil Tugend und Laster nicht ihren gan- 
zen Lohn hienieden finden; also finden sie ihn anderswo - son- 



794 JUGENDWERKE ■ 5. ABTEILUNG 

dern so: weil vollige Angemessenheit des Willens zum morali- 
schen Geseze, die doch als praktisch nothwendig gefodert wird 
und die von der Gerechtigkeit des Schopfers nicht erlassen wer- 
den kan, in keinem verniinftigen Wesen iemals moglich ist: so 
kan nur in einem ins Unendliche gehenden Progressus iene An- 
gemessenheit gefunden werden d. h. in einer ewigen Fortdauer, 
indem Got in dieser unendlichen Reihe (weil Zeit fur ihn nichts 
ist) iene Angemessenheit antrift. 

6. Wahrscheinlichkeiten, aber nicht Beweise braucht man zu 
haufen, weil ein Saz mit 8 Beweisen nicht wahrer ist als einer 
mit 2. 

Was ieden so sehr mit der endlosen Fortdauer befeindet, ist 
unsre - Angewohnung an den Lauf der Natur. Diese Epidemie 
athmen wir iezt alle taglich mehr ein. Kein Mensch hat mehr den 
Muth, in einer Geselschaft, die noch nicht betrunken ist, Got 
oder die Dinge nach dem Tode zu nennen oder die Tugend an- 
ders als in der Gestalt der Ehre aufzufuhren - gerade als gienge 
das gar niemand etwas an und als walte und brauste nicht um 
diese Lebens-Insel auf beiden Seiten der Ozean der Zukunft und 
der der Vergangenheit. 

Mit der Angewohnung an den Naturlauf meint* ich unser 
Strauben vor einer Einmischung des Schopfers in unser Schik- 
saL Allein Einmal miissen wir doch in diese Einmischung in die 
Natur einwilligen, um unser und alles Dasein zu erklaren - 
Zweitens darf ich ia eben dem hoher gelenkten Laufe der Natur, 
der mir diesen Korper zufuhrte, auch zutrauen, daB er mir einen 
zweiten umgeben konne; auch diirfen wir nicht den Lauf der 
Natur dieser Erde fur den Lauf der Natur in Welten nehmen, die 
wir nicht kennen. Die gleichzeitige Abbliite des Korpers und 
Geistes, aus der man so bittere Schliisse prapariert, war noth- 
wendig, wenn irgend einmal diese Mesalliance da sein soke und 
ohne schwindendes Bewustsein ware kein Tod. 

Der Nothwendigkeit eines kiinftigen Korpers fehlt noch die 
vols tan digere des iezigen. Man hat so oft gesagt, daB es ohne 
Korper kein Empfinden gabe, daB mans iezt glaubt; ich wil 
wiinschen, es werde noch gar so oft gesagt, daB mans wieder 



UBER DIE FORTDAUER DER SEELE 795 

laugnen mus. Denn das Organ, das ia so gut ein Korper ist als 
irgend ein grobes Objekt desselben, wird ia doch von der Seele 
unmittelbar und ohne ein zweites Organ empfunden, und wenn 
sie durch eine Bewegung des Nerven zur Empfindung gezwun- 
gen wird, so ist das so wenig Verkorperung derselben als es eine 
ware, wenn sie, beim Abfaulen dieses Leibes, durch die Bewe- 
gungen groberer Gegenstande Empfindungen bekame. Also 
soke man vielleicht bios sagen: dieser Korper ist vielmehr ein 
Panzerhemd und ein Lichtschirm gegen die die Seele umstro- 

io menden Stralen der ganzen Natur, zu deren Auffassung ohne 
Blendung nur die sparsamere Einlassung derselben durch 
5 Oefnungen die Seele fahig machen konte. Je langer man dem 
Beitrage der Nerven zum Empfinden nachspiirt, desto kleiner 
und unbegreiflicher wird er: z. B. als Korper wirkt der Nerve 
nur durch Bewegung: wie kan diese aber sich so oft abandern 
und niianzieren, um alle tausendfachen Bilder des Auges nach- 
zukopieren? Wie also wenn der Nerve bios mit seinen einfachen 
Theilen wirkte, da bios Aggregate der Bewegung fahig sind? - 
Noch mehr; warum geben die funf Sinnennerven der Seele so 

20 verschiedne Empfindungen, da an ihnen selbst nicht nur keine 
verhaltnismassigen Unterschiede des Baues, Ursprungs p. ge- 
funden werden, sondern da sie auch noch dazu die algemeine 
Aehnlichkeithaben, daB ieder nochausserseinem Sin dem Sinne 
des Gefiihles dient? Die zitternde Luft wirkt nicht auf den Ge- 
fuhlnerven, sondern die wehende, beim Gehornerven umge- 
kehrt - ein schwacher Druck des Auges macht Schmerz, ein 
starker, Schmerz und Funken- ein starkes Licht auch Schmerz. 
- Es gehort eine schwache Seelenanstrengung dazu, in einem 
Nerven die (der Seele selbst unempfindbare) Veranderung zu er- 

30 . regen, durch die nachher ein Glied bewegt wird - hingegen die 
starkste gehort dazu, in den Gesichtsnerven z. B., so zuriikzu- 
wirken, daB er eine wirkliche Gesichtsempfindung darstelt 
(z. B. Kardan konte zu Nachts sehen vor sich was er wolte). - 
Die Seele kan also eine absichtliche Veranderung in den Nerven 
oder dem Gehirne erregen, von der sie vorher keine oder eine 
schwache Empfindung hat, - um eine starkere darnach zu haben 



796 JUGENDWERKE • J.ABTEILUNG 

und die Veranderung, die sie selbst gewirkt, in sich zuriickwir- 
ken zu lassen, wie eben Kardan. - Bei der Muskelbewegung 
find' ich die meisten Wunder. Warum mus die Anstrengung der 
Seele mit dem Gewicht der aussern Last zunehmen? Wie sind bei 
so einem plump en Muskelstrik die tausend und die schnellen 
Abanderungen des Klavierspielens z. B., durch den einfachen 
Nerven moglich, warum zieht sich der Muskel nicht eine Se- 
kunde langer zusammen als die Seele wil? Wienach kan Zuwachs 
der geistigen Anstrengung, die Abnahme der korperlichen erse- 
zen? Z. B. durch einen starkern Willen, durch den Schrecken ei- 10 
ner Feuersbrunst halt' ich den Zentner fort, der mir schon zu 
schwer geworden. - Wenn zuweilen das ganze Gehirn gleichsam 
paralytisch ist und iede Fiber gleichsam eingerostet und ver- 
quollen ist: so wird die Seele schwerfallig und ohne Lebhaftig- 
keit denken; allein es komt bios auf sie selber an, auf eine neue 
Anstrengung ihres Willens, die sie sich selbst geben oder die ihr 
eine neue Begebenheit, ein Brief ertheilen kan, so ist das Gehirn 
im Gange und sie im Fluge. - Wenn man auf sich bei den Erfin- 
dungen des Wizes, Scharfsins p., bei dem Erinnern Achtgiebt: 
so findet man eine Anstrengung der Seele nach einem dunkeln 20 
Bilde, d. h. sie erschaft die Veranderung im Gehirn, die sie an- 
schauen wil und man trenne hier 3 ganz verschiedne Dinge - 
1) diese Kraftdusserung - 2) die Gehimsverdnderung, die mehr ver- 
starkt als erzeugt wurde und ohne die kein einziger Gedanke sein 
kan, weil sonst auch alle iibrige und das Bewustsein ohne' Ge- 
hirn, entstehen konten - 3) und die Anschauung (oder das Be- 
wustsein) dieser Veranderung. Das Zentrum dieser divergieren- 
den Wahrheits-Radien kenn' ich noch nicht; so viel seh* ich, daB 
keine Akzion der Seele ohne Reakzion andrer Monaden moglich 
ist, daB aber diese Reakzion, der Seele niemals fehlen kan, sie 30 
mag mit Nerven verkettet sein oder nicht. 

. . . Aber Leser wollen so guthienieden leben wie Autores: al- 
lein ich schreibe sie tod (und dan brauchten sie meinen Erweis 
ohnehin nicht), wenn ich so fortschreite; ich kan schon froh sein, 
daB sie eine Reise von 37 - Seiten so gern und so bald und mit 
solcher Lust in meiner Geselschaft gemacht. 



UBER DIE FORTDAUER DER SEELE 797 

Aber nur noch zwei Worte oder Bogen! Denn wegen eigner 
Miidigkeit lass' ich noch Beweise und Einwiirfe hinweg. 

7. Schiesset wieder ein neuer Korper an uns an: so ists gewis 
nicht sogleich am Tage nach der Leichenpredigt. Vielleicht treibt 
die Seele nicht bios Jahrtausende auf dem Monadenmeere 
herum, sondern vielleicht hebt sich, nach dem Laufe der Natur, 
diese erneuerte Verkorperung erst an, wenn der zerbrockelte 
Erdbal der Sonne zugeschleudert worden oder sonst, am Loos 
der Endlichkeit, gescheitert ist . . . Denn fur Todte, fur Got und 

to fur Ewige giebts keine Zeit und keinfen] Zeitverlust. 

8. Nach starkern Griinden diirfen auch schwachere reden und 
selbst die Phantasie. 

Den Durst nach unsrer Fortdauer hatte uns der Schopfer, 
blieb' er ewig ungeloscht, gewis erspart und dieses Alexandri- 
sche Sehnen nach einer zweiten Welt zur Eroberung, das bei den 
Besten am hochsten steigt, konnen wir, sobald es eine Luge ist, 
so gut wie die Thiere zu unserm Fortkriechen ins Grab entbeh- 
ren. Keine einzige Neigung unsrer Natur steht verwaiset ohne 
ihren Gegenstand da. - Von der Liebe zum Leben ist dieses Seh- 
20 nen nach einem zweiten ganz verschieden weil die Wilden und 
Kinder iene ohne dieses haben. - 

Unser dahin wehendes Leben mus dem Ewigen eine Sekunde 
diinken; und er versagt uns die zweite Sekunde? Er, der unserm 
vorigen Nichts soviel gab, ohn' es versprochen zu haben, er soke 
iezt diesem neblichen Etwas alles nehmen, nichts geben, nach- 
dem er ihm soviel versprochen? Ewig lasset er mich eingegraben 
in meiner irdischen Unwissenheit und Tugendlosigkeit? In der 
ganzen Natur ist kein Schrit umsonst; aber dreissigiahrige Bes- 
serung und dreissigiahrige Verschlimmerung hatten in der aus 
jo ihrem Hause geworfnen Monade die namliche Folge, keine? - 

Waren alle Walder dieser Erde Lustwalder - alle ihre Thaler 
Tempische - ihre Felder Elysaische - ihre Garten Eden: so diirf- 
ten wir doch ein verlangendes Auge gen Himmel heben und ei- 
nen zweiten bitten und hoffen; - o iezt wo so viele Hauser Trau- 
erhauser, so viele Thaler Jammerthaler sind - wo wir vor so 
vielen geschlossenen - welken - zerrissenen und nassen Augen 



798 JUGENDWERKE • 5. ABTEILUNG 

vorbeigehen und vor Geschopfen, bei denen die Gegenwart eine 
Wunde, und die Vergangenheit eine Narbe ist: iezt soke das 
Grab nicht der rettende Hafen sondern der lezte schluckende 
Strudel sein, und der Tod zertrate die lezte Thrane zugleich mit 
ihrem Auge und aus der fliegenden Asche des besten und un- 
gliicklichsten Herzen wurde vom Schiksal etwan ein neues boses 
und glucklicheres Herz gebacken? - Ware der Tod keine lokale 
Sonnenfinsternis, unter welcher zwar vielleicht der Thau sinkt 
und der Horizont dammert und die Blume zufalt, die aber bald 
mit einem nachblizenden Tage beschliesset, ware er das nicht k 
sondern eine ewige Nacht: was hielt' uns denn, wenn die Ver- 
nichtung vor unsern Augen den Freund zerknirscht, noch ab, 
auch uns ihr in den- Rachen zu werfen? Nim die trostende 
Stimme des Predigers vom Gottesacker: so sehen die Graber 
graslich aus, wie kauende Rachen, die Vater, Freunde, Briider 
vor euch zermalmen und uber die Weltgeschichte herschet ein 
Damon, der feind alien Menschen, die sich umschlingen, allemal 
die eine Halfte einaschert und an die heisse Brust nichts legt als 
einen kalten Todten. Ach es ist ohnehin, bei aller Unsterblich- 
keit, so wenig, wenig Trost, wenn dir im Gewiihle fremder, 2< 
stossender, fortflatternder Menschen der einzige Bekante, mit 
dir Aufgewachsene aus dem Arm gezogen wird und du allein 
fortschleichst, nicht ewig, aber doch bis ins Grab! und du da ein- 
sinkst ohne eine Seele, die dich beseufzet, wenn sie dich da las- 
set! - 

Moge mir diese Hofnung immer so lebendig bleiben als iezt 
da ich endige; besonders dan wenn ich das ganze Spiel endige! 
Mog' ich und ieder am Tage des Lebens wie der Gronlander am 
langsten Tage, in der Todes Mitternacht noch die Unsterblich- 
keitssonne [die] hohern Gegenden rothen[?] und beleuchten se- 3< 
hen! 



[ZWEI GESCHICHTEN FUR KINDER] 



[Der] doppelte Tod 
Wenn Domizian starb: so war er so ungliicklich als stand er 
schon in der Holle, in die er kam. Tretet an das Sterbebet dieses 
Ungeheuers und schauet wie der Tod ihn zerknirschet. Wo hat 
er einen Freund, der ihn troste unter der Todesqual; wo hat er 
ein Weib, das ihm das Leben wiinsche in der Todesstunde; wo 
hat er Kinder, die sich an seine sterbende Hand hangen und sa- 
gen: Vater, stirb noch nicht! Er hat nichts von dem; aber stat des- 

o sen hat er seine Siinden, die mit Flammenblik sein Bet umringen; 
alles Blut stromt vor ihm, das er vergossen; alle Thranen ersau- 
fen ihn, die er gequalten Armen auspreste, alle Seufzer stiirzen 
sich auf ihn, die er den Armen ausgepresset - Sieht er auf diese 
Welt: so stehen Jammer und Siinden vor [ihm]; sieht er in die an- 
dere Welthinein, so sieht er einen Got, der ihn verstosset, gute 
Menschen, die ihn hassen, Engel, die ihn verabscheuen und in 
der ganzen grossen[?] Natur sieht er keinen Freund, keine Hulfe, 
kein Mitleid, und mitten indem er sich so kriimt: komt der Tod 
mit eis(ernem) Trit und mit blutender Sense, zieht auf, und haut 

20 sein Leben entzwei und sein Leben ist aus und seine Qual geht 
[an]. 

Lasset uns aber einen betrachten, dessen Leben so gut war als 
das Leben jenes schlecht. Seht ihn blutend am Kreuz; zwar 
durchlochern Nagel seine zarten Hande, eben die Hande, die so 
viel Wolthaten ausgetheilt, die so viel Thranen abgewischet; 
zwar durchbohren Dornen sein Haupt, das soviele belehrte, in- 
dem er Nacht und Tag neue Wahrheit aussan; zwar stehen auf 
seiner Brust die blutenden Schwielen, in der ein so gutes Herz 
schlagt, und an der sein Jiinger lag; zwar stecken Nagel in seinen 

\o Fiissen, die oft giengen und in Dornen traten um andern zu hel- 
fen. Aber schaut seine verwundete zerfleischte Hiille nicht an, 
sondern sehet in sein Herz hinein, was sind fur Gedanken da? O 



800 JUGENDWERKE • 5 . ABTEILUNG 

wo giebt es etwas sanf teres, der grosse blaue Himmel um ihn ist 
nicht so schon wie der kleine Himmel in seinem Herz - alle Tu- 
genden schlafen friedlich drinnen, in seinem Herz ist Got; wie 
ein wallendes Blumenfeld steht sein Leben vor [ihm]; lauter gute 
Thaten, die zu Engeln geworden (denn aus ieder guten That 
wird ein Engel der dich beschuzt) und wenn er endlich auf zur 
Sonne sieht, so winkt sie seiner Seele daB sie den gemarterten 
Leib verlasse und hinauf fliege ins hohere Leben, ins bessere Le- 
ben, wo Licht und Unschuld und Got und Fromme wohnen. 
Endlich senkt er sein TodtenHaupt und seine fromme Seele 
fliegt in Gottes Arme. 

[Die Freunde] 
Es waren 2 Knaben, die einander liebten; war der eine krank, 
wars der andere auch; wurde der eine geschlagen, so weinte der 
andere; der eine as nichts, wenn der andere nichts hatte. Aber 
einmal zankten sie sich und liesen von einander - sie sahen einan- 
der nimmer an - ieder suchte sich einen andern Knaben zum 
Freunde. Einmal waren beide Knaben auf dem Feld und §ahen 
sich und sehnten sich wieder zu einander; aber keiner hattt das 
Herz den Anfang zu machen. Endlich schwarzte sich der Him- 
mel mit Wolken; wie Armeen zogen die kanonierenden [?] Wol- 
ken am Himmel herauf - ein ganzer Ozean hieng vom Himmel 
herunter. Die Vogel krochen zitternd ins Gebiisch, die Sonne 
dekte sich mit einer dicken Wolke zu, der Strom rauschte, der 
Wind heulte und warf Staub gen Himmel - Endlich walzte der 
Tod das mit Feuer geschwangerte Gewitter iiber ihr Haupt; es 
sauste und brausete in den Wolken, die Wolke zerschlizte und 
der Ozean von Wasser stiirzte herab - die 2 Freunde liefen unter 
einen Baum; »wollen wir wieder gut sein« sagten sie und um- 
armten einander. Indem sie am Halse vol Liebe hiengen, zer- 
plazte die Wolke und eine feurige Holle stand am Himmel, der 
Donner knalte durch den Himmel, die Blize schossen wie feu- 
rige Schlangen auf die Erde - die 2 Freunde driickten einander 
immer fester ans Herz und auf einmal krachte ein Donnerschlag 
herab und zerschmetterte die 2 guten Knaben - sie blieben tod 



ZWEI GESCHICHTEN FUR KINDER 801 

an einander [?] gehangen und wurden in ihrer Umarmung be- 
graben. Ruht sanft, ihr guten Knaben, der Mond schimmere 
sanft auf eure Graber, Blumen miissen aus eurer Todesasche 
wachsen, und steht mit einander, wenn diese Erde zerstort wird, 
froh aus dem Grab auf und geht in den Himmel ein, indem ihr 
einander an der Hand haltet, und ieder der iiber euer griines Grab 
geht, sage: lasset uns einander lieben, wenn wir noch beisammen 
leben und uns einander nicht qualen, solange das Herz nicht 
Asche ist. 



UNGEREIMTES SCHOTZEN-KARMEN 

in freiem Metrum 

von 

Karl Hofman, zeitigem Polichinelle 

Die Zigaunerin die eben so gut stahl als prophezeiete, 

Sagte zu meinem Vater, 

Diirfte sie mit seiner Pritsche mir, 

Der ich noch Unterrok und Haube trug, 

Drei Hiebe iiber die Hand versezen: so 

Konte sie in der rothen Hand alle Hiebe lesen, die ich 

Je bekame 

Und alles andre auch. 

Die Bestie muB in ihrem Leben kein Vogelschiessen gesehen ha- 

ben, 
Sonst hatte sie den achten August nicht so geweissaget: 
»Einegrosse Garnison wird ins Feld riicken und Bouteillen vor- 

her 
- Und der schwarze Feind hat sich auf eine Stange postieret 
Mit dem linken Flugel am Strom, 
Mit dem rechten Flugel am Galgen - 
Die Landmacht wird aber aus der Kaserne heraus 
Den rechten Flugel schlagen und den linken 
Und's ganze corps 
Samt dem Schwanz - 
Und der Feind wird sich geschwacht wieder auf die Stange 

postieren 
Und wieder zum Teufel gehen und in den Kriegssekretair unter 

der Wage - 
Denn Zwillings- und Kettenkugeln werden fliegen 
Aus den Flinten des Berennungs-Korps - 
-Zwei neue Konige werden zwei alte vom Throne schiessen 
Und diese Dogen werden ihren Unterthanen zu essen und zu 

trinken geben, 



UNGEREIMTES SCHUTZEN- CARMEN 803 

Besonders dem Karl 

(Das bin ich) - N 

Denn der Karl wichset einigen Konigen die Stiefel 

Und aportiert, als Pedell der Armee, das gepurstete Wild oder 

den Feind stiikweise 

Indem er mit der Laufer-Zornruthe dem Kadettenkorps der Bu- 

ben 

Mehr Hiebe giebt als er heute bekam - 

Und es mag nun der feindliche Schwanz von oben herab, 
10 Oder ein Enrollierter urn die Kaserne herum kommen: 

So wird beiden Ankomlingen 

Entgegenmusiziert und 

Ueberhaupt gegessen, 

Getrunken, 

Gezahlt, , . 

Gezankt, 

Geliebt, 

Geplagt, 

Besonders der Generalissimus 
20 Hinter der Wage - 

Und schone Damen werden ihre zarten Ohren 

Unters Kanonieren, und ihren weissen Einband in den Pulver- 

rauch bringen; 

Und wenn diese Sonnen wieder weggegangen sind, 

Wird der Holz-Stern der h. zwei oder drei Konige aufgehen, 

Vor dem sie niederknien werden, urn ihn.anzubeten und zu stiir- 

zen 

Wie man Damen thut - 

Und die Konige werden Gold, Myrrhen und Weihrauch 
30 Meist dem Karl iiberreichen 

Weil Karl ein gescheutes Karmen iiberreicht - 

Mir aber audi 'was, H. Hofman!« ... 

Das ist das leibhafte Vogelschiessen; 

Wo bleibt aber das gescheute Karmen? 



DAS mAdgen, das keinen liebhaber 

LIEBTE 
UND KEINE FREUNDIN HASTE 



Die Geschichte dieses guten Kindes besteht in zwei Seltenheiten: 
die dritte ist ein ganz anders Ding und erklart die beiden. 

Anna Marquardin war eine Morlackin. Sie war schoner als ihr 
Name und ihre Nazion. Wenige Jiinglinge giengen vor ihr vor- 
bei ohne sich umzukehren. Tausend woken sie ansehen - fiinf 
hundert sie verfuhren - sechs und dreissig sie lieben - und ein 
Paar sie heirathen. Sie selber wolte weder angesehen noch ver- ic 
fuhrt noch geliebt noch geheirathet sein. Alle Welt, alle Stande 
sagten deswegen: ei eil - Der Verfasser dieser Erzahlung sagte 
nichts dazu; aber er lit genug dabei: denn von jenem Manner- 
Paar, das sie ehelichen wolte, war er eben selber der eine. 

Alle Leute sahens nachher ein, daB ich richtig zu Werke ge- 
gangen bin; aber es half mir nichts. Ich kan zu alien Zeiten einer 
Komittee den Operazionplan vorweisen, nach dem ich Annen 
anfiel - Ich habe bekantlich mehrere Glieder, worunter meine 
Seele das wichtigste und zarteste ist. Mit diesem zarten Gliede 
beschoB ich sie zuerst - ich erwartete Wunderdinge von diesem 20 
griechischen Feuer - Aber sie bewunderte mich nicht. - Ich habe 
mehr Glieder, sagt' ich, und brachte mein liebendes Herz hervor: 
dieser Z wolf plunder solte sie umwerfen — Sie blieb stehen. 

Die Augen sind Vogelschrot und die Herzen Kugeln: meine 
Augen flogen auf sie und wolten sie durch und durch schiessen. 

Aber sie trieb sie ab. 

Ich verb and darauf mit den Augen die Thranendrusen und 
wolte sie wie einen Maulwurf oder hollandischen Feind durch 
Giisse bezwingen- man hat auch meine Thranen in die Regenta- 
belle deutscher Augen von Empfindung gesezt. 30 

Aber das Wasser gieng ihr nicht bis an den Fus, geschweig' 
ans Herz. 



DAS MADGEN, DAS KEINEN LIEBHABER 805 

»Es wird arg, sagt' ich, aber die Zunge als Feldschlange ge- 
braucht und die Lunge als Windkugel; beides vereinigt; Verstand 
dazii gethan und Much ohnehin: dan wollen wir sehen, ob sich 
unsre Anna Marquardtin halten kan.« 
Ei! sie hielt sich. 

»So wolt ich, sagt ich, da6 der und der - aber Mauerbrecher 
und Sturmbocke, namlich Hande, hab' ich allemal noch: iezt ar- 
beitet ihr!« Meine Hande driikten ihre, banden ihre Haare und 
ihre Schleifen, brachten ihr den Prasentierteller, den Hut und 
den Sonnenschirm, nahmen alles das wieder ab und man sah jede 
Minute auf, sie gienge mit Sturm iiber. 

Aber ich war im Stadtgraben, stat auf der Stadtmauer. 

»Der helle, lebendige Teufel, sagt' ich, treibt hier sein Spiel 
neben meinem — aber nun hat Schonen ein Ende - nun wird 
alles an Einem Abend vereinigt - griechisches Feuer wird ge- 
nommen - das Herz wird vorgezeigt - Augenschrot geladen - 
Thranen sollen fliessen- die Feldschlange im Munde wedeln, die 
Hande wirken. « Da alles dieses an einem Sommerabend verei- 
nigt und genommen wurde und ich am Reverberier-Feuer war: 
so sagte Anna Marquardtin zu mir, dem Verfasser und Liebha- 
ber: »in wie viel Bitten beten wir um geistliche G(iter?« Kate- 
chismus pag. 103. 

In sechsen, sagt' ich zu Hause; und in Einer um andre Guter: 
aber so wird ein Mensch oft aus der Liebe in den Katechismus 
geworfen. 

Den ubrigen Junglingen, die kleinere Verdienste und kiirzere 
Operazionsplane hatten, wurde noch viel schlimmer mitgefah- 
ren. 

Nicht genug, daB sie keinen Liebhaber wolte: sie trieb das Er- 
staunen der Menschen noch weiter und hatte auch keine Feindin: 
zweitens hatte sie eine solche Freundin, wie es nach Christi Ge- 
burt nur eine noch gegeben: diese zweite war die Marquardtin 
selber. 

Die erstere war eine der weitlauftigsten Basen der Ritterin 
d'Eon; ich wil sie daher gar lieber Ritterin d'Eon nennen; sie sah 
auch wie ihre Verwandte ein wenig ins manliche Geschlecht 



806 JUGENDWERKE • 5.ABTEILUNG 

hinein,war aber eine Morlackin! Die meisten Schriftsteller, die 
die Freundschaft auf Aehnlichkeiten des Iiebenden Paars beruhen 
lassen, rechnen das Geschlecht nicht darunter; aber hier wars an- 
ders. Ein solches Beispiel wie der beiden Morlackinnen kan 
hundert Weiber andern, wenn ichs nur recht aufzustellen weiB. 
Das Wenigste war (ich wolt' es anfangs uberspringen) daB die 
Marquardtin und Ritterin ihre Ichs und Herzen tauschten, ein- 
ander liebten, driikten, herzten, fiihrten - Sondern jede 
wiinschte der andern die bessere Kleidung - wenn nur die 
Freundin Laubwerk von Bandern trug so fragte die andre nichts ic 
nach eigner Entblatterung- da der Korper auch unter die Kleider 
gehort: so gonte jede der anderen das schonste Unterkleid der 
schonen Seele. 

Ich wuste gar nicht was ich dazu sagen soke; denn ich wurde 
jede Woche dummer in der Sache - als endlich meine Dumheit 
den hochsten Grad erstiegen hatte: wurd' ich ganz klug in der 
namlichen Sache. 

Die Freundschaft des Paars wuchs taglich und das Erstaunen 
der Leute auch, (iaB es sich nicht kopulieren lieB. Die Morlacken 
hangen namlich der schonen Sitte an, daB Freunde oder Freun- 2c 
dinnen vor den Altar treten und da auf das Band ihrer Herzen 
das heilige Siegel driicken lassen.* - 

* S. Sitten der Morlacken. Aus dem Italien. Bern. 1775. 



VERMISCHTE SCHRIFTEN I 



Jean Pauls 
FREIHEITS-BUCHLEIN; 

oder 

dessen verbotene Zueignung an den regierenden 

Herzog August von Sachsen-Gotha; 

dessen Briefwechsel mit ihm; - 

und 

die Abhandlung uber die PreBfreiheit 



Nro. I 
Untertanigstes Zueignungs-Gesuch, eine Asthetik be- 

TREFFEND, AN IHRE DURCHLAUCHT DEN REGIERENDEN HERZOG 

August von Sachsen-Gotha 



Gnadigster Herzog, 
Schon da Konzipient dieses vor fiinf Jahren (und nachher mehr- 
mals) das Gluck genoB, Ihre Durchlaucht sowohl zu horen, ja zu 
lesen, als auch von Ihnen gesehen und gelesen zu werden, fafite 
er den EntschluB, Ihnen etwas Gefeilteres zuzueignen, als er sel- 
ber ist, namlich ein Buch, das er sehr schatzte und wo von ganze 
groBe Teile mit der schicklichsten und richtigsten Manier auf 
Ihre Durchlaucht anzuwenden waren. Gegenwartiges leistete dies 
wirklich; und Zweifler daran waren wohl leicht durch solche 
Programmen darin (anderer gar nicht zu gedenken) einzutrei- 
ben, welche die Phantasie, Poesie, den Witz, Humor und Ahnli- 
ches verhandeln. 

Dies aber machte nur gar zu leicht, daB Konzipient Ende vori- 
gen Jahres eine Dedikation verfertigte (sie ist sub Littera A ange- 
bogen) und mit ihr ungewohnlich genug den Druck des Werkes 
anheben lieB, ohne vorher im Geringsten (er will es nicht ver- 
hehlen) bei Ihrer Durchlaucht um die Erlaubnis anzuhalten, Ihnen 
die starksten Wahrheiten zu sagen, und zwar angenehme, - wel- 
che rechten Menschen oft schwerer zu horen wie zu sagen fallen 
als sehr bittere. 

Allerdings schutzt Dedikant nicht ohne Grund vor, daB Ihre 
Durchlaucht (wie gedacht) bei Anfang des D rucks noch Erbprinz 
waren, als er in der Zuschrift poetische Aurorens-Farben pries, 
welche nachher an der Sonne, wenn sie zu regieren anfangt, sich 
in warmes Licht verwandeln; - und so mochte die Zeit des 
Drucks diese und ahnliche Lobeserhebungen in etwas entschul- 
digen. 

Seit inzwischen Ihre Durchlaucht anfangs der zweiten Abtei- 



FREIHEITS-BUCHLEIN • NRO. I 8ll 

lung des Buchs vom Musenberg auf den nahen Thron hinaufge- 
gangen und zum Zauberspiegel der Poesie in die andere Hand 
noch den Zauberstab des Zepters bekommen haben: so macht 
freilich die Zueignung eines Buchs mit der Zueignung eines 
Landes den erbarmlichsten Abstich, so daB es ihr nicht besser als 
etwan einem Lorbeerkranze ergehen kann, den Apollo als Scha- 
fer aufbekommen hatte, und den er nachher mitten ins Sonnen- 
feuer hinauftruge, vor welches er sich, um es zu lenken, setzt. 
1st die Krone der letzte Helm Deutschlands; ist keine Art von 
Geist so wichtig als ein Schutzgeist; und muB sich die Bliite der 
Humanitat, gleich der Ananas, durch die Krone fortpflanzen: so 
kann wohl niemand mehr und weiter dabei leiden als Konzipient 
selber, weil er in der angebognen Zuschrift diese Vorziige nur 
in der Feme gewiesen, und die poetischen in der Nahe. 

Denn wird deswegen Dedikanten ihre Bekanntmachung ab- 
geschlagen: so hat er nicht nur die Kosten, - das halbe Buch, die 
Seitenzahlen, die Bogenwiirmer umdrucken zu lassen; sondern 
er muB auch zusehen, wie andere den Vorteil, der, wie es 
scheint, ihm gehort, von seiner Asthetik ziehen, namlich ihre 
angenehmsten Sachen ohne sonderlichen Aufwand von Witz - 
der nur in entfernten Ahnlichkeiten besteht - auf Ihre Durchlaucht 
zu applizieren. * 

Daher gelangt an Sie die untertanigste Bitte, 

dafi die angebogene Dedikation sub Litt. A ohne kostspie- 
ligen Umdruck bleiben durfe, wie sie ist. 

Das Schweigen wird Konzipient als einen Befehl annehmen, 
sie herauszuschneiden; und wird dann leider den Lesern nur 
durch den Abdruck dieser Supplik seinen guten Willen zeigen 
konnen - 

Ihrer Durchlaucht 

untertanigster 

Jean Paul Fr. Richter 



Nro. II 

Offizielle Berichts-Erstattung an den Leser von 

Deutschland, nebst den Briefen des Herzogs 



Wohledler, Ehrwiirdiger, Hochwohledler, Wohlehrwiirdiger, 
Hochedler, Hochedelgeborner, Hoch wohlehrwiirdiger, Wohl- 
geborner, Hochehrwiirdiger, Hochwohlgeborner, Hochehr- 
wiirdiger Reichsf reiherrl . Wohlgeborner , Hochwiirdigster , 
Hochgeborner etc. etc, etc. Leser! - Ihre iiber den ganzen 
AdreBkalender ausgebreiteten Titel, welche noch tiefer und 
noch hoher steigen, entschuldigen es, wenn ich sie alle in den 
einzigen einschmelze: Verehrtester! 

Es zu ruhmen, verehrtester Leser, was Sie seit der Erfindung 
der Schreibkunst weit mehr als alle Ludwige XIV tc fur die Wis- 
senschaften, sie mochten sich in Purpurpergament oder in Lum- 
penpapier kleiden, getan durch Lesegeld, ist iiber meine Krafte. 

Alle Bibliotheken, von Lese-Bibliotheken an bis zur blauen 
(wenige Rats-, Regiments- und Kloster-Bibliotheken ausge- 
nommen), schaffen Sie neu an, oder erstehen Sie in Versteige- 
rungen, und wer anders als Sie lauft alle Werke fliichtig durch, 
die man kennt, vom*ersten indischen Schauspiel an, das in Felsen 
unter dem Meer gehauen war, und von den Buchern im Serail, 
die Klafter lange sind, bis zu dem Opern- und Brockenbuch und 
dem Kinderlesebuch und den Buchern der aner und in ana, unge- 
achtet Sie noch zu gleicher Zeit alle Aktenstocke, Brieftaschen, 
Noten, Planeten, Visitenkarten, Viehpasse, Bank-, Kiichen- 
und Komodienzettel in Deutschland zu lesen haben! Wahrlich, 
ich w^iinschte zu wissen, was Sie nicht lasen. 

Und doch unterstiitzt Sie dabei niemand als zuweilen ein Lek- 
tor; denn die beiden Leser im Reichs-Kammergericht zu Wetz- 
lar, welche die Akten foliieren, iibergeben und aufheben, wird 
niemand fur sonderliche charges d'affaires und Mitarbeiter von 
Ihnen nehmen. 

Zehntausend Mann stark soil nach Meusel das sitzende Heer 
jetzt sein, das Sie auf den Beinen und sonst halten und besolden, 



FREIHEITS-BUCHLEIN ' NRO. II 813 

teils als Referenten, teils als Sekretare. Welche Ausgabe fiir so 
viele Land-, Stack-, Marktflecken- und Dorfschreiber, da der 
Papst selber nicht mehr als 72 Schreiber hat, die aber Abbrevia- 
toren heiBen! Fiinftausend Werke liefert das Heer jahrlich, wel- 
che Sie alle teils zu kaufen, teils zu lesen haben. Wie schlecht ist 
nun jeder Referendar und Sekretar, der iiberall, wo die Gerecht- 
samen des groBten Kurators und Nutritors des Schreib- und 
Buchhandels leiden, nicht aufspringt, beschirmt, ausfallt, auf- 
schreibt und dannberichtet off iziell! Gibt es solche laxe Autoren? 

Endes unterzeichneter Referent wenigstens ist der Mann 
nicht, der bei der Semester-Gage, die er von Ihnen zieht, dieses 
tate, sondern er berichtet mit Eifer, wie folgt: 

Zwanzig Jahre und wenige Monate mogen verflossen sein, 
seitdem er in Ihre Dienste trat, zuerst als Referent der grbnlandi- 
schen Prozesse und darauf der Teufels Papiere, - jenes in Berlin, 
dieses (6 Jahre spater) in Gera. Soleicht etwa damals das Gnaden-, 
ja Ungnaden-Gehalt dafiir ausfiel, oder so schwer das Raff- und 
Lese-Holz fiir damalige harte Winter: so reichlich haben Sie ihn 
nachher, da er eine leserlichere Hand schrieb, als Ihren Ehren- 
Soldner salariert mit MeB-Geschenken jahrlich. Wer denn sonst, 
verehrtester Leser, als Sie hat bisher fiir den Unterzeichneten 
und dessen Frau und Kinder mehr getan als alle Fursten und des- 
sen Vater- und Wohnstadte? Sie allein dekretierten ihm ein 
Fixum mit Zulage; von den Stadten und Thronen trieben erst Sie 
als Sportularius und Pfennigmeister die Beischiisse ein. Sie wah- 
rer Musenfreund aller schreibenden Prezisten! Wie wiirde es 
ohne Sie und ohne den Lesegroschen, den Sie wochentlich als 
Schreibpfennig und Almosengeld in alien deutschen Leihbiblio- 
theken austeilen, um Schreiber und Schreiben stehen! - 

Was noch heimlich und nebenher Ihre treffliche Halfte, die 
vergeBliche, aber unvergeBliche Leserin, getan, q verehrtester 
Leser, die er das Gliick gehabt in Berlin und sonst zu sehen, darf 
nur seine Dankbarkeit vermehren, nicht seine Freirmitigkeit und 
Redseligkeit. Beinahe in unserm ganzen Heere der 10000 Xeno- 
phons ist eine Stimme dariiber, sie Notre-Dame, ma-Donna, 
Hesperide, Titanide zu nennen, nicht eine bloBe Haus-Ehre, 



814 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

sondern eine Palast- und Land-Ehre - Franzosen nennen sie die 
Jungfer Europa - wahrlich der Enthusiasmus ist allgemein -r - 

Nie kann deshalb Unterzeichneter aufhoren, fiir die Rechte 
Ihres Hauses zu fechten, das voll Lesezimmer ist; er stattet ihm 
ewig die offiziellen Berichte ab, die auBerst notig sind. Heute hat 
er einen der neuesten zu machen, einen Index expurgandarum 
(dedicat.) betreffend, den Ihnen die philosophische Fakultat in 
Jena, ohne ein besonderes Konkordat, das bekannt ware, als Ge- 
setz an die Fliigel-Tore Ihres Lesezimmers affigieren und nageln 
wollte. 

Das Faktum ist dieses: 

Ihr Apanagist, Verehrtester, Verfasser dieses und der Vor- 
schule der Asthetik nebst einigen Vorlesungen in Leipzig tiber die Par- 
teien der Zeit. Hamburg, bei Friedrich Perthes 1804, setzte dem eben 
gedachten Buche eine Zueignung an den regierenden Herzog 
August von Sachsen-Gotha vor, welche dieselbe ist, die der 
Asthetik fehlt und diese Schrift verziert. Er schickte sie vorher 
an Ihn, den genialen und liberal en - ein Klang- und Sinn-Reim 
zugleich -, mit folgendem Briefe: 

Gnadigster Herzog, 
Ihrer Durchlaucht send' ich hier eine Dedikation an Sie, um Sie 
um die Erlaubnis des Lobes nicht sowohl - denn diese gab mir 
schon die Wahrheit- als um die Erlaubnis des ungewohnlichen, 
mehr englischen als deutschen Tones zu bitten, worin ich es 
sage. Mogen Siemir es verstatten, zweimal recht gliicklich dedi- 
ziert zu haben, das erste Mai der schonsten Konigin, das zweite 
dem witzigsten Fiirsten! 

Das Buch ist eine - aber nach meiner Weise geschriebene - 
Asthetik und mein Lieblings-Kind. Es erscheint im August 
schon. Daher mocht' ich wohl zur groBen Bitte noch die kleine 
fugen, wenn sie schicklich ist, mich bald entweder zu erfreuen 
oder zu erschrecken. 

Ihrer Durchlaucht 

Koburg, untertanigster 

den 16. Jul. 1804 Jean Paul Fr. Richter 



FREIHEITS-BUCHLEIN ■ NRO. II 815 

Darauf erhielt der Brief- und Schriftsteller vom Hcrzoge fol- 
gende Antwort . . . 

Doch, Verehrtester, eh' ich Ihnen die samtlichen Akten vor- 
lege, deren Einsicht Er Ihnen erlaubt, wiinsch' ich Ihnen GKick, 
daB der Zufall, der Sie um einige unbedeutende Blatter von mir 
bringen wollte, Ihnen dadurch eine Menge interessanter zuf iihrt . 
Auch diirfen sich zwei Schreiber selber Gluck wiinschen, wenn 
ihre Brief e ebenso gut in die Druckerei geschickt werden konnen 
als auf die Post; welches hier der Fall mit den meinigen ist in 
10 Riicksicht der Gesinnung, und mit den herzoglichen in Riicksicht 
des poetischen Gehalts. 

Das Polyneon, worauf sich der Anfang des folgenden Briefes 
bezieht, ist ein groBes episches Marchen iiber die Liebe, vom 
Briefsteller, welches alles, was groBe Kenntnisse und groBe 
Krafte von Frucht- und Blumen-Gewinden, Perlenschniiren 
und Venus-Giirteln ineinander flechten konnen, zu seinem Zau- 
ber-Kreis der Liebe riindet. Doch das, was schildert, kann nicht 
selber geschildert werden; der Kreis wird zuletzt ein Trauring - 
der Ring ein Juwel - der Juwel ein Lichtblick - der Blick ein 
20 Geist. Der Tadel, womit man das Polyneon so gut belegen kann 
als mit Lob, ist bloB schwerer zu verdienen als zu vermeiden. 
Eine geniale Phantasie ist, gleich dem Luftballon, leicht in die 
Hohe und in die Tiefe zu lenken; aber das waagrechte Richten 
wird bei beiden etwas schwer; indessen hielt man es bisher doch 
fur das groBere Wunder, sich in den Himmel zu erheben, als sich 
darin zu steuern. 

DaB man hier nicht schmeichle, sondern bloB dediziere, be- 
weiset die endliche Edition des ersten Dokuments: 

Angebogene Antwort, sub Littera zzz -f- x. 
30 Panadonia bat (Pleonasmus, da sie eigentlich nichts zu bitten 
hat), als sie dasPolyneon tausendfarbig und tausendformig aus 
ihre-m Fiillhorn schliipfenlieB; und dazumal ging es ihr wie Pan- 
doren: es blieb ihr eine Bitte - was einerlei ist - eine Hoffnung, 
und diese Bitte oder diese Hoffnung kleidete sie auch in eine 
Weihe ein: Richter sei Freund, und Freund sei Richter. Dieses Epi- 



8l6 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

gramm sollte griechisch und nicht deutsch, nicht gedruckt, son- 
dern in Kupfer gestochen werden, wenn mein Unvergleichli- 
cher (mein Vortrefflicher, wiirde ich sagen, verglich' er nicht 
zuviel) es mir erlaubte. Doch ich werde mit meinen ineinander 
geschachtelten Parenthesen wie unser guter W*** und ende, da- 
mi t mein Paulinischer Johann und mein Johannischer Paul nicht 
vor Langweile vor mir ende und vor meiner eignen Geduld, mit 
der letzten der Bitten: diese Bitte wie eine leichte Luftgondel Ih- 
rem Schatz- und Kauffahrtei-Schiffe anzuhangen, nicht, damit 
beim Schiffbrucheder teure Steuermann sich darin retten moge; ro 
aber - das ist eben das Ratsel. - 

Einst krummte Hesperus einen silbernen Nachen aus seinen 
Strahlen und fuhr hehr und genialisch liber die MilchstraBe der 
Ahnung und warf der verbliifften Welt Sternschnuppen in die 
zugestarten Augen, daB die Schuppen herabfielen und einige 
durch das Schliisselloch der Zukunft in den Himmel blickten; 
aber nachdem sahen wir durch einen Spiegel in einen dunkeln 
Ort. - Das jammerte den jiingern Phosphoros; er nahm eine 
Riesenperle, iiberzog sie mit Uranusglanz, tauchte sie in Minne- 
glut und bevolkerte sie - Doch Sie wissen alles schon, und nun 20 
haben Sie mein Ratsel errathen. Wenn Ihre Vorrede vorlaut ist, 
so ist meine Rede wohl Nachlaut; doch Sie sind gewohnt, den 
Weibern durch die Finger zu sehen, durch die Ihrigen und durch 
ihre. Phosphoros hat noch mehr Pratensions wie Sie, drum 
hangt er sich Ihrem Schatz- und Kauffahrteischiffe als Lustgon- 
del an. Ma addio, cara anima; guberniamo il cielo e 1'arcadia. 

Phosphoros-Metahesperos 

NB. Sie wollen wissen, ob ich eine Zueignung haben will? Dazu 
antworte ich mit Nein; aber ob ich das Uberschickte sub Litter a 
A mit meinem Admirations - A! beantworten werde, dazu sage 30 
ich Ja. Eschreckt Sie mein undemiitiges Nein, so bleibt die Lust- 
gondel im Hafen, und der Richter bleibt mein Freund, der 
Freund aber nie mein Richter. - Kommen Sie in Gottes Namen, 
in Gotha zu verpissen, was Sie in Liebenstein getrunken haben, 
nur verschonen Sie meiner Minister Perruquen, denn Sie wissen, 



FREIHEITS-BUCHLEIN ■ NRO. II 817 

daB die Netze der groBen Welt nicht so ausgepicht sind wie die 
Federmutzen der Gelehrten. Doch verzeihen Sie diese Reminis- 
zenz und diese Art von Plagiat Ihrem Freunde und Mitsiinder. 

Lucifer 

P. S. a propos! von Bier, Orten, Kommen und Gehn - Es ist 
nicht meine Schuld, daB ich geblieben bin. Sie verwechseln viel- 
leicht, guter Richter, mein Abendrot mit meinem Morgenrot, 
wie es einst Ihr Gottwalt mit dem seinigen tat. Ich habe keinen 
Zauberstab, und der Spiegel, den ich hake, ist nur der der Eitel- 

10 keit, und doch kann ich nicht vergessen, daB ich zahne-, nagel- 
undhaarelos bin. Wenn Sie recht schmeichelhaft sein wollen, so 
nennen Sie mich einen Kleister-Aal aus dem Kleister, wo Gott 
seine schonsten Sonnen knetet. Dieses irlandische Bonbon wird 
mich unendlich freuen und gewiB nicht weniger neu sein, als die 
britischen sind, die Sie mir auftischen wollen. Sie wollen mir ei- 
nen Lorbeerkranz aufsetzen, und - wissen Sie denn nicht, daB 
eine Graciosos-Kappe eine von den Helmzierden ist, welche ich 
das Recht zufuhren habe; wie eine Saule, eine Rose, eine Henne, 
ein iibersatter Lowe zwischen unverzehrten Herzen in dem feld- 

20 reichen Bilderlande sind, die meinen Schild zieren, und uber de- 
nen ein Rautenkranz. Diesen wiirde ich mir eher wie das Wiesel 
des Plinius wahlen, wenn die schone Otter der Mannlichkeit mit 
Augen, Herzen und Gallenzahn mich zu durchbohren sucht. 
Auch gegen den Zahn Ihrer Witzesschlange mochte ich mit die- 
ser Zauberraute die Taube meiner Falschlosigkeit umpanzern. 
Richter, Sie furchten, daB ich mich vor Ihrer Eignungsschrift 
furchten konnte, und wollen mich mit dem Wiegenliede der 
Schmeichelei einlullen! Sagen Sie Sich, daB ich als Jungfrau das 
Einhorn des Spottes entwaffnen kann, und das mit einem Kusse; 

30 einem Judaskusse , und Sie kreuzigen; mit einem Jonathanskusse , 
und Sie verlassen; aber auch mit einem CypariBkusse, und mit 
Ihnen sterben und ewig leben; aber nie mit einem Krahenkusse, 
die sich aus gleicher Schwarze die Augen nicht auskratzen. - 
MiBhandeln Sie mich, und lassen Sie drucken, was Sie wollen: 
Vorreden, Briefe, ja meinen Brief. Verspotten Sie mich; ich 



8l8 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

weiB es nur zu gut, daB die Freundschaft der Manner eine um- 
fangende Jungfrau ist, und ihre Schmeichelei eine giftige Ver- 
leumdung. - Doch, konnen Sie mit meinem warmen Kinder- 
blute, mit meinem weichen Madchenherz und mit meinen siiBen 
Witwen- und Waisenzahren alte Wunden aus- und alte Flecken 
abwaschen, sq tun Sie es; denn es ist keine Schande fur mich, auf 
dem Altare des machtigsten der Genien zu enden. Habe ich mir 
doch schon lange eine welke, rosenrote Hyazinthe mit dem Epi- 
graph gewahlt: nakov vkeq xov nakov frvrjaxeiv, Und gern 
mochte ich der Hyazinthus sein, nicht urn Sie zu bestechen, aber 
urn Sie zu entwaffnen. Kommen Sie auf mein Herz, machtiger 
Sonnengott, es ist keine Pythische Schlange. Ihre Pfeile sind jetzt 
umsonst. Wenn ich gleich Taubenschwingen und eine schir- 
mende Binde vor den geblendeten Augen trage und auf der bias- 
sen Stirne den lockigen Cyrrhus und schmucklos, ja kleiderlos 
Ihnen erscheine, so bin ich doch, stolzer, rachgieriger Sonnen- 
lenker, kein Gott, sondern Panadoniens schwacher Schatten. - 
Dieses diirf en Sie Ihren Vorreden und alien Ihren Briefen anhan- 
gen; und jedes zartgluhende, edle Weiberherz wird mich gegen 
Ihre Scharfe beschiitzen! 

Hierauf antwortete der Zueigner folgendes Aktenstiick: 

Gnadigster Herzog, 
Das Schreiben Ihrer Durchlaucht und dessen Bilderkabinett hat 
mir ebenso viel Freude als Muhe gemacht; zuletzt aber, da ichs 
ganz verstehe, nur Freude. Was den Streitpunkt des Witzes etc. 
anlangt, so behaupten Sie wahrend Ihres Solotanzes bloB, es gebe 
keine Bewegung und Zeno habe Recht. Indes glaubt jeder Welt- 
korper zu stehen, ob er gleich fliegt. 

Da Ihre Durchlaucht durch Ihre Mischung von Scherz und 
Ernst mir die Erlaubnis gaben, Ihr Nein auszulegen und zu 
rangieren: so hab' ich die Meinung erwahlt, welche mir die 
wohltuendste ist, und ich habe das Ganze fiir die schone Erho- 
rung meiner Bitte angesehen. Doch ist immer noch Postzeit, 
mich durch einen ausdriicklichen Befehl um meinen schoneu 
Traum zu bringen. Indes war' es Schade, da in Deutschland ein 



FREIHEITS-BUCHLEIN * NRO. II 819 

solcher Gegenstand und eine solche Sprache unter den Dedika- 
tionen eben nicht gewohnlich sind. 

Ihre Durchlaucht teilen - wie es fast scheint - einen fluchtigen 
Irrtum des mir ewig teuern Herzogs von Meiningen iiber mich, 
welcher auf Kosten meines Herzens und Geschmacks zugleich 
einen einfaltigen SpaB im hiesigen Wochenblatte mir zuschrei- 
ben konnte. Meine Seele blieb ihm so treu wie seine Gemahlin 

- und Koburgs'Rcizc . . . wenigstens vertausch' ich es in 14 Tagen 
mit Baireuth. - Verzeihen Ihre Durchlaucht diese Schreibseligkeit 

- empfangen Sie meinen Dank fur Ihre Blatter voll Blitze und 
Duft - erhoren Sie meine alte Bitte - und erlauben Sie mir die 
suBe Hoffnung, Ihnen nicht durch meine Denkungsart (die 
Schreibart rechn' ich nicht zu ihr) zu miBfallen - 

Ihrer Durchlaucht 
Kob. d. 29. Jul. untertanigster 

1804 Jean Paul Fr. Richter 

Teurer ]ean, 
Wenn Sie von Monochoren sprechen, so irren Sie Sich, wenn Sie 
nicht voraussetzen, daB nach der Haydnisch-Mozartischen Er- 
offnung aus Gewittern und Engelchoren, Nachtigalls- und 
Aolsharfen, Sylphenreigen und Hirtenliedern der mit unsern 
Genien Hesperus und Phosphoros gezierte Vorhang rauschend 
heraufrollend die schonste Zukunft enthiillt; daB der prophe- 
tische Prolog auf seiner Hippogryphen-Quadriga daherstiirzt, 
und daB er das gespannte Herz noch hoher spannt, namlich zum 
Bichordion Hoffen und Wissen; daB dann der Strom aus Ent- 
ziicken, Wehmut und Uberraschung; Wohlklang, Minnetrau- 
menundMoralitat; SylbenmaB, Takt und Grazie; Gesetz, Phan- 
tasie und asthetischer Vollkommenheit - sich in wilden 
kunstreichen Kaskaden iiber die drei Alpen: Entspinnen, Ver- 
flechten und Weben in den stillen Ozean der herrlichsten 
Unendlichkeit als wie der FluB der lyrischen Euphonie ergieBt 
und jedes befriedigte Herz mit Hoffnung erquickt und in Freu- 
denthranen eingelullt mit der leisen Frage: Ists Himmel? - davon 
schleicht und dem kleinen Prologus mit sanfter Demut durch die 



820 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Tranen zugelachelt hat, wie er auf seinem kleinen Perlenschiff 
auf Rosen wellen dahintanzte, und die Ratsel lieblich singend aus 
den Untiefen der Asthetik herausfischt und sie als phosphorie- 
rende Psychen der Abendfackel zuflattern laBt, um sie selbst dort 
zu Sternen zu vergluhen: - Wenn Sie alles das, sage ich, nicht 
voraus gefiihlt haben, so haben Sie auch nicht verstanden, da6 
ich Sie, teurer Paul Friedrich, bat, Panadoniens Erweckungs- 
und Meldungs-Symphonie zu sein; und dann hangt sich nicht 
meine Gondel an Ihr Kauffahrtei-Schiff , und ich lese nur eine 
Ouverture, einen Prolog, eine herrliche Oper in drei Akten, und 
es entziickt mich weder ein Ballett, noch ein Epilog. - Doch tun 
Sie, Richter, was Sie wollen; Sie konnen doch nie aufhoren, 
raein Liebling zu sein. 

Ihr Emit. 

Gnadigster Herzog, 
Mein erster Brief in Baireuth sei ein Dank fur den Ihrigen, der 
mich in Koburg unter dem Einpacken antraf und der durch seine 
schone Perspektive meinem Wagen gerade eine entgegenge- 
setzte Richtung hatte geben konnen, wenn ich der Freude und 
der Hoffnung mehr gehorchen diirfte als dem Bediirfnis. Es 
ware so schon, im schonen Gotha zu leben und von Ihnen und 
Sie selber zu horen! Aber die Zukunft hat ja noch viel Platz und 
viel Fruhlinge. 

In vier Wochen werd' ich Ihnen die Asthetik senden konnen. 

Man sieht oft in Gemalden eine Hand aus einer Wolke kom- 
mend. Ihr Brief ist ein solches, und die Wolke ist morgenrot. - 
Ihrer Durchlaucht 
Baireuth untertanigster 

d. 16. Aug. 1804 J. P. F. Richter 

Hierauf antwortete der Herzog: 

Gotha ist schon, aber das wenigste Schone im schonen Gotha ist 
Ihr armer EmiL Ich sage nicht das Beiwort arm aus Demut al- 
lein, sondern vielmehr aus Redlichkeit; auch furchte ich, daB, 
wenn alles vor Ihnen fallt, Ihnen nichts mehr gef alien wird, und 



FREIHEITS-BUCHLEIN ■ NRO. II 821 

daB so zuletzt der Gefallende tiefer fallen wird als die Fallenden. 
Was Sie von den Raumen in der Unzahl und von den Friihlingen 
in der Unzahl mir, bester Richter, sagen, beweist mir, was ich 
leider! schon langst kaum zu ahnen wagte, und was mich Ihnen, 
Unvergleichlicher, zum Menschen - nein gar zum Manne ver- 
stellt. Doch ich greife blind wie der Glaube und zartfiihlend wie 
die Minne und sicher wie die Rache der Konige und bestimmt 
wie der Wille des Todes - unter die ausgerissenen Schmetter- 
lingsfliigel, die abgestreiften Sirenenschuppen, die entblatterten 
Rosen, die ausgefallenen Drachenzahne, die Kometenfunken, 
die gefrornen Zahren, die losen Diamanten, die zerstreuten 
Traumbilder Ihres Polymorphaons und ziehe auch ein Gemalde 
hervor. Es ist auch eine Hand, und was mehr - eine schone an 
dem reizendsten Engelarme. Schwimmend liegt sie auf dem 
Lichtozean der Vollkommenheit. Zwischen den rubinenglii- 
henden Fingerspitzen halt sie priifend und warnend eine Seele 
iiber das Aoma des Nichts-Ungrunds. Gott allein kennt dieses 
noch zu richtende Ich. Ich bin keine Hand und kein Gott; - aber 
bald schwebt zwischen Flammen und Eis Ihre Asthetik iiber das 
Nichts-Aoma. Zittern Sieimmer, Richter, denn Ihr Richter will 
verges sen, daB er Ihr Freund ist, und Ihr Freund soil nicht erfah- 
ren, daB er Sie richtet. 
den 20. August 

1804 Julius Augustus 



Zwischen beiden letztern Brief en schlug nun, verehrtester Leser 
und Brotherr, jener Strahl auf mich, Ihren Schrift-Sassen und 
Sekretar, herab, der die Dedikation einascherte, falls sie nicht 
zweimal da war, einmal auBer, einmal in mir. Namlich Herr 
Dekan und Doktor Voigt verbot sie dem Setzer; und darauf tat 
30 es auch der iibrige Teil der philosophischen Fakultat, deren Na- 
men ich hier im Catalogus praelectionum publice privatimque 
in Academiajenensi per hiemem anni 1803 inde a die XVII. Oc~ 
tobris habendarum. Typis Goepferdtii vor mir habe. 

Ich wiirde wohl wenig davon haben - ausgenommen Zu- 



822 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

rechtweisungen -, wenn ich meine ersten heimlichen Ausbriiche 
zu offentlichen machen und die September-Fliiche iiber (nicht 
auf) Deutschland publizieren wollte. »Himmel!« flucht' ich und 
so weiter, aber mehr nicht, sondern ich nannte bloB die Deut- 
schen die Kleinstadter Europens - fragte, warum man irgendei- 
nen Geist bevogten wolle, z. B. meinen - hielt mir ferner, Ver- 
ehrtester, teils den Gehalt vor, den Ihre Seele hat, teils den, den 
sie gibt, mir und jedem von Ihren poetischen valets de fantaisie 
- larmte starker im Stillen und fragte mich laut, wer denn ei- 
gentlich der Zensit der Zensoren sei, und wuBte Antworten ge- 
nug. 

Indes kam Zensit und Zueigner zuletzt wieder so zu sich, daB 
er sich stillen - die Fakultat, indem er sich an ihre Stelle setzte 
und ein Graduierter wurde, rechtfertigen-und wirklich den fol- 
genden Bericht an den Herzog mit jener schonen Ruhe machen 
konnte, die ihn vielleicht auszeichnet: 

Gnadigster Herzog, 
In 14 Tagen kommt mein zweiter Brief an Ihre Durchlaucht mit 
der Asthetik, aber - ohne die Dedikation. Denn die philosophi- 
sche Fakultat in Jena erlaubt mir nicht, Sie zu loben - ausgenom- 
men ganz gemein, namlich das Ungemeine! Der Zensur-Dekan 
fuhr noch fort zu erstaunen und zu verneinen, als ich ihm die Be- 
weise zugeschickt, daB eine Person, die die Dedikation gewiB so 
nahe angeht als ihn selber, solche genehmigt habe, namlich Sie. 
Was ist daraus zu machen? Nichts als einige Bogen voll Ernst 
und Scherz, wenn Ihre Durchlaucht den Bogen, die den Ernst ent- 
halten, das Imprimatur gewahren, das der Dekan versagte; ich 
wiirde namlich die Dedikation - diese ist der Ernst -, samt der 
Geschichte ihres Isolierens - diese ist der Scherz -, nebst einigen 
allgemeinen Anmerkungen iiber meine und alle Zensoren, be- 
sonders drucken und brochieren lassen; ja ich konnte diese Zueig- 
nung Ihnen wieder zueignen. Ich bitte Si'esehr urn diese Erlaub- 
nis des Isolierens, da ja ohnehin Ihre Vorziige Sie daran gewohnt 
haben, isoliert und einzig zu sein. Doch wiird' ichs im schonen 
Falle des Ja? fur meine Pflicht halten, vor dem Drucke Sie zu 



FREIHEITS-BUCHLEIN ■ NRO. II- 823 

meinem ersten Leser zu machen, nicht aber was nur Sie und der 
Himmel verhiiten - zu meinem letzten. 

Der starkste Grund meiner Bitte ist dieser: Ihre Durchlaucht! 
geben Sie das Beispiel eines fiirstlichen GroBsinns, das Sie jetzt 
erst mir und dem philosophischen Dekan in Jena verborgen gege- 
ben, den kleinstadtischen Deutschen - offentlich, die nicht anders 
zuloben wissen als chapeau-bas und tete-bas ou basse und bas. 
Ihrer Durchlaucht 

untertanigster verbotener 

10 Baireuth d. 22. Septbr. Dedikator 

1804 ]. P. Fr. Richter 

Die Fakultat finde, bitt' ich, einen und den andern harten Leit- 
ton des Briefes, der anfangs nur fur giitige, nicht fur alle Augen 
geschrieben war, verzeihlich und halt' ihn vielmehr fur einen 
schonen Silberton und Silberblick. Die Antwort darauf, Ver- 
ehrtester, wird Sie erfreuen; denn ohne sie hatten Sie nichts, und 
ich alles. 

Dolce Giovanne, 
Nur Weniges, doch dieses fur alle; doch auf den zweiten Brief, 

20 mein Teurer, Vieles, aber das Viele nur fur den einzig teuern 
Richter. 

Die Fakultat halt vermutlich Ihr Lob fur Spott, und das ist sehr 
wenig schmeichelhaft fur mich, der eitel genug ist, auch aus Ih- 
rem Scherze, mein Freund, den Honig des Wohlwollens zu sau- 
gen. Doch verbieten Sie, lieber Richter, daB sich unsere Richter 
kiinftig um unser Lob bekummern, und versprechen Sie ihnen, 
daB wir (schweigen sie -) bei unserm Lachen nie an sie denken 
wollen. Aber vielleicht hat der gute Dekan nicht so Unrecht? 
Doch ich kann mich selbst gegen Ihren Spott vertheidigen; dies 

30 wird mein Polyneon genug beweisen und meine vorlaute Krito- 
manie in ihm. Mais a propos! von Spott und Scherz und Ernst; 
es war mein volliger Ernst, da ich Sie, panoramischer Freund, 
bat, mein bald erscheinendes Werk in einer lobenden Nachrede 
des Ihrigen dem lesenden DeutschJand anzukiindigen. Jetzt, da 
Sie mir allein auf chinesisch an einem Tische einen Leckerbissen 
vorsetzen, welcher nur fur die ubrige Welt Neid erregendes 



824 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Schauessen sein wird, so konnten Sie ja auch, wie es meine 
asthetischen JLieblinge 1 zu tun pflegen, der Schussel die Invita- 
tions-, Weigerungs-, Notigungs-, Einwilligungs- und Danks- 
Charten anhangen, die wir wechselten. Ich habe noch die Ab- 
schriften der Ihrigen und der meinigen. Diese vidimierten Brief e 
beweisen besser als alles andre dem Dekan,wie sehr er sich irrt, 
wenn er meine Ichheit in dem Schatten seines Doktorhuts zu si- 
chern meint. Sagen Sie ihm das, und, drucken Sie fur und von 
mir, was Ihnen Freundschaft und guter Geschmack und muntere 
Laune einfloBen. Nur sagen Sie sich, daB die gute dumme Welt 
manchmal bose sein will, und daB ihr das Ratsel-Erraten selten 
gelingt. Ich umarme Sie, um mit verschrankten Fingerspitzen, 
gleich klopfenden Herzen und gleich stark schwirrenden Fitti- 
chen dem Lichtziele des acht Schonen entgegenzustreben. Sto- 
Ben Sie mich nicht zuriick. Der Adler trug ja einst den leichten 
Troglodyt der Sonne zu. Tun Sie das auch Ihrem Freunde zu 
Liebe, 

Gotha d. 29. Septbr. 

1804 Sehastos Phosphoros 

Ich weiB aber nicht, verehrtester Brotherr, ob Sie nicht mich, 
Ihren Panisten, fur einen pflichtvergeBnen Schelm gegen Sie an- 
sehen, wenn Sie lesen, daB ich darauf so antwortete: 

Gnadigster Herzog, 
BloB mein Wunsch, Hirer Durchlaucht mit diesem Blatte zugleich 
die Asthetik zu schicken, verzogerte meinen Dank fur Ihren letz- 
ten, so viel in Gegen wart und fur Zukunft zugleich gebenden 
Brief so lange. Noch jetzt hat der Buchbinder die 3te Abteilung 
dem Publikum nachzuliefern, die der Setzer langst vollendet; 
und ich warte noch mehr auf ihn, um den dritten Teil einer 
Schuld bei Ihnen abzutragen, die Sie mir vielleicht lieber schenk- 
ten. 

Wenn Sie unter dem Polyneon Ihr reiches Marchen von der 
Liebe meinen - wie ich gewiB glaube, wenn mich nicht alles 

1 Die Sineser. D. H. 



1 FREIHEITS-BUCHLEIN ■ NRO. II 825 

ErinnernundErraten triigt -: so wissen Sie, mit welcher Freude 
ich dem Publikum meine f ruhere daruber und die seinige ankiin- 
dige; aber jetzt erst werden mir ganze Stellen Ihres ersten Briefs 
erhellt. 

An dem der Dedikation beischwimmenden Werkchen iiber 
die PreBfreiheit arbeit' ich jetzt. Ihr Imprimatur zu Ihren eignen 
Briefen ist fast einer mehr und ein schonstes Geschenk fiir mich. 
Aber aus Dankbarkeit fiir eine Giite, welche mir ebenso viel 
Glanz zuwiirfe als dem Leser Vergniigen, muB ich anmerken, 

10 daB, wenn nicht wegen des ganzen Publikums, doch dessert we- 
gen, das Sie regieren, manche Stellen - z. B. im ersten Briefe - 
nicht wie Himmelssterne der Welt, sondern wie Ordenssterne 
einem einzelnen zugehoren und bleiben miissen. Ich Hebe aber 
solche Stellen so sehr, daB ich eben nicht den Mut hatte, audi 
nur eine andern zu entziehen; daher bitt* ich Sie, wenn Sie Ihre 
seltenebedeutende Erlaubriis des Abdrucks Ihrer genialen Briefe 
fort geben, mir die Auslassungen selber zu bestimmen, ferner 
welche Briefe; und dabei mir die Kopien der meinigen (von de- 
nen ich nur Splitter habe) zu senden, welche indes, wie sie auch 

20 sein mogen, in die Welt treten sollen, weil Sie schon die Welt 
fiir sie gewesen, und weil zweitens ein Buch-Vater, wie ich, 
nichts zu regieren hat als sich und etwa 32 Bande. 

In 14 Tagen hoff ich Ihnen die 3 te Abteilung, in 21 - das neue 
Manuskript zu senden. - Da ein Fiirst immer so gliicklich ist - 
was ein Privatmann selten wird -, jemand zu finden, der auf- 
schneidet und korrigiert, so bitt' ich Sie, es bei diesem Werke 
voll Druckfehler - in der Vorrede angezeigten - tun zu lassen, 
bevor Sie die groBern finden - 

Ihrer Durchlaucht 

30 Baireuth d. 18. Okt. untertanigster 

1804 J. P. Fr. Richter 

- Hierauf kam folgende Entscheidung: 

Lieber richtender Freund! 
Hier die Briefe, die Sie so giitig sind, auf dem Balkon der Publi- 
zitat bleichen zu wollen. Was mit dem Kleesalz der Kritik noch 



826 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

von Flecken auszuziehen ist, das Ziehen Sie aus. Schneiden Sie, 
stopfen Sie, flicken Sie, saumen Sie und platten Sie, was zu 
schneiden, zu stopfen, zu flicken, zu saumen und zu platten ist, 
und machen Sie es wie der hochselige und in Gott ruhende Hof- 
junker Arouet, Freiherr zu Ferney, ob Sie gleich kein Franzose, 
Ihre Tochter keine Mamselle ist und Ihr Schwiegersohn keine 
Ahnen ou anes hat und ich kein Spaniol schnupfender Hunde- 
freund bin. Laugen Sie meine schmutzige Wasche aus. Wessen 
Herzen im gleichenTakte die Lebensruder bewegt, es sei unser 
Mulmul feiner als neunmal gespaltene Spinnegewebe oder aus 10 
SegeltaugeflochtenerZwillich, darf sich tadelnundbessern. Bei 
dem Tadeln und Bessern fallt mir Ihre Kunst zu bestimmen ein. 
Ich sage nichts dariiber, da ich schon alles selbst langst gefiihlt, 
gedacht, aber noch nicht auswendig gelernt habe, und da ich 
mich nie selber lobe, als wenn man mir schmeicheln will. Hier also, 
was Sie mich schreiben machten. Sie andern so wenig, als Sie 
konnen. Nur verbitte ich mir alle Gedankenstriche, - denn die 
Welt denkt nur, urn zu verleumden; - und jede Lakune, - denn 
die Welt sieht sie fur einen ausgetrockneten Morast an, den sie 
gern wieder mit ihrer Ichheit fullt. Audi diesen Brief haben Sie 20 
die Gute unter die schwarze Wasche zu mischen, nur nicht mein 
Herz, meine Kiisse, meine Liebe und meine treue Anhanglich- 
keit an Ihnen, teurer Richter. Noch ein Gestandnis, ehe ich un- 
terschreibe. Ich suchte umsonst meinen Platz auf den Banken Ih- 
rer Vorschule. 
8. Okt. 1804 August 

Ihr Referendar, verehrtester Leser, hat hierauf nichts zu berich- 
ten als zweierlei, erstlich, daB die gedachte Wasche aus Asbest 
oder Steinflachs eben darum in kein Feuer zum WeiBgliihen zu 
werfen war, weil sie schon aus dem starksten eben herkam - und 30 
daB bloB zwei Stelleh weggebeten worden sind, durch deren 
Auslassung niemand etwas verlieren kann als Sie, verehrtester 
Leser! - 

- Somit ist nun, Leser, meiner Pflicht gegen Sie genug getan; 
nicht zum kleinsten Feldzuge mehr gegen die Fakultat bin ich 



FREIHEITS-BUCHLEIN ■ NRO. II 827 

verpflichtet, sondern hochstens zu einem artigen Friedensfest. 
Sie allein f echten und siegen; ich hingegen lege mich - wahrend 
Ihres Siegens - ruhig und neutral auf philosophische Materien, 
worunter ich diesesmal am liebsten eine Untersuchung iiber die 
Rechte und Grenzen der PreB-Freiheit erlese. Ich iiberfeile nam- 
lich in meiner glucklichen Neutralist eine Probeschrift iiber die 
Freiheit sowohl der Presse als der Zensur - welche ich im Frtih- 
ling nach -en abgeschickt -, ura sie dieser Beri enters tattung an- 
zuhangen. 

10 Ihr Verfasser - eben der gegenwartige - hatte, wie er glaubt, 
gute Griinde zu ihr, sowohl logische als okonomische. Er wollte 
besonders in dieser Selbst-Einladungsschrift dem ** Biicher- 
zensurkollegium seine Grundsatze iiber Bucherfreilassungen 
vorlegen, urn sich vielleicht damit (noch hofft ers) den Weg zu 
einem Amte - namlich eines Zensors - zu bahnen, da er leider 
(denn sein Legations- oder Ambassaden-Rat ist mehr Titel) 
nicht, wie so viele Tausende seiner glucklichern Mitbriider um 
ihn her, einen Posten hat. Herr v. - nahm die dissertatiuncula 
pro loco (so heifk sie) selber nach -en mit, iibergab und empfah] 

20 sie dem Bticherkommissarius sehr gutig; nun tut sie da ihre Wir- 
kungen, und ich lasse mich gern in dem sufien Wahn hingehen, 
da6 sie mir dort vielleicht nach zwanzig und mehr Jahren, gerade 
in der Not des Alters, wo man Biicher nicht mehr zeugen, son- 
dern nur verbieten und erlauben kann, in ein gutes Zensor-Amt- 
chen hineinhelfe und ich doch als Beamter abfahre. Hier ist sie 
mit sehr wenigen Abanderungen. 



Nro. Ill 

DlSSERTATIUNCULA PRO LOCO 



Erster Abschnitt 
Allgemeine geographische Einleitung in die philosophische Untersu- 

chung 

Nichts hat mich von jeher mehr erfreuet, als wenn ich im iibri- 
gen Deutschland die starksten und einfaltigsten Ausfalle auf die 
*** Staaten in Bezug ihrer Leseknechtschaft zu horen bekam, 
weil ich bloB den Mund aufzumachen brauchte, um zu erweisen, 
daB eine Zensur und folglich eine Lese-Freiheit da herrsche, wel- 10 
che durchaus nicht uneingeschrankter sein kann. Ich lieB daher 
gewohnlich- bevor ich den Hauptschlag tat - die SpaB vogel erst 
auskrahen und fiel selber boshaft genug mit seinsollenden Ein- 
f alien ein, als z. B. damit, daB man allda nicht die PreBfreiheit 
hatte, die PreBfreiheit zu loben, ja nur den catalogus prohibi- 
torum in dem in ein geistiges Gefangnis auf Wasser und Brot ge- 
setzten Lande zu nennen, so wie in der Fastenzeit die Islander 
(nach Olaffen und Povelsen) von Fleisch nicht einmal das Wort 
in den Mund nehmen - und daB alsdann die Literatur dem am 
Franziskanerkloster bei Montpellier liegenden See voll stummer 20 
Frosche gleich sei, welchen der heilige Antonius von Padua das 

Quaken verboten 1 Aber (so unterfuhr ich plotzlich selber 

•meine Zufuhr) setzt dieses Stummen-Institut nicht eine doppelte 
groBte Sprechfreiheit voraus, die der Frosche und die des Heili-' 
gen? - 

Denn so ist es in der Tat. Es ist ein schones und unerwartetes 
Schauspiel, namlich jene herrliche zensur-freie Lesefreiheit eben 
gedachter Staaten, wel che so weit geht, daB es durchaus kein 
Werk gibt - sei es noch so zynisch, weltweise, ja gottes-, staaten- 
und fursten-lasterlich -, welches sie nicht nur frei zu lesen er- 30 

1 Es ist noch dazu die Frage, ob das Faktum nur wahr ist, denn es steht 
in des verdachtigen Berkenmeyers Singular, geographiae. 



FREIHEITS-BUCHLEIN NRO. Ill • I 829 

laubten alien dortigen Zensoren (derm vom Pobel sprech' ich hier 
nicht), sondern sogar auch geboten. Diese Freiheit, alles zu le- 
sen, was geschrieben wird, - eine groBere ist iiberhaupt nicht 
denklich - genieBt nicht nur ein gliicklicher Zensor, sondern 
ganze Zensurkollegien; gleichsam als wolle der Fiirst die letztern 
- sehr verschieden von einem Sultan, der sein Gliick mit 40 ver- 
schnittenen Stummenumringt- als ebenso viele verschneidende 
Redende um sich stellen. (Denn Denken ist Reden - leises, nach 
Platner.) 

Kann der Staat besser zeigen, daB er die alten Besorgnisse von 
zufalligem Einflusse eines Buchs auf schwache Gemiiter u. s. w. 
verachte, als wenner diegroBteLesefreiheit alien Zensoren ohne 
Unterschied gewahrt, wozu unmoglich lauter Gotterhaupter zu 
vozieren sind, sondern auch Gassen- und StraBen-Kopfe, ja 
wohl Austern- und Milben-Kopfchen, denen gerade die heimli- 
che Lektiire der zugellosesten Manuskripte am ersten das, was 
sie ihr Gehirn nennen, versengen konnte? Rottete sich diese in 
so viele Stadte gelegte Schar zusammen: wie gefahrlich konnte 
sie werden, wenn das Lesen gefahrlich machte! Aber das Gegen- 
teil wird so gewiB vorausgesetzt, daB man solchen All-Lesern 
die allgemeine Sorge fiir die Orthodoxie, wie in Frankreich den 
Setzern die fiir die Orthographie, ruhig anvertraut. In der Tat 
sind sie die Menschen, die ein solches Vertrauen rechtfertigen 
und belohnen; denn unter ihnen ist jede Generation eine neue 
unveranderte Auflage der vorigen, indes sie selber durch Lektiire 
mit der Zeit so fortschreiten, da sie zuletzt geistesarme Werke 
so haufig verbieten als ihre Vorfahren geistreiche; - wodurch sie 
den Wunsch und die Ehre, verboten zu werden, leise schwachen; 
da sonst Verbieten und VerschlieBen den Biichern so viel scha- 
dete als der Landmann den Raupen, wenn er sie, um sie auszu- 
rotten, in die Erde grub, worin sie sich eben verwandeln. So 
horte in Griechenland der Ostrazismus auf, weil er zuletzt statt 
groBer Manner schlechte verjagte, z. B. den Aristobulus. 

Genau genommen ist jede Klage uber Lese-Knechtschaft 
falsch, da eine heilige Notwendigkeit der Natur uns, auf wel- 
chen Umwegen es auch sei, stets zur Freiheit fiihrt. Denn so wie 



83O VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

es keinen reinknechtischen Staat voll Knechte gibt, sondern im 
Sklavenschiff stets einenfreien Kapitan, einen Bey und Dey, der 
als der einzige Trager der Menschenrechte sie desto reicher ent- 
faltet: so ist auch ein Staat voll lauter Lesesklaven, eine ecclesia 
pressa ohne eine ecclesia premens, kurz ein Kerker nicht mog- 
lich, worin der SchlieBer selber mit eingeschlossen ware, son- 
dern freiere Sc/m/f-Sassen, die Zensoren, genieBen und behaup- 
ten eben das Gliick und Recht, das man vermissen will. 

Dieselben innern und auBern, vor MiBbrauch bewahrenden 
Gesetze, auf welchc sich z. B. der liberale preuBische Staat bei 10 
den Lesern der Druckschwarze verlaBt, setzet jeder als illiberal, 
verschriene bei den Lesern der Dinte voraus und nimmt, wie 
sonst Buchdrucker nichts Heterodoxes zu drucken schwuren 
ohne den Wiederdruck eine Widerlegung, letztere, aber nur in- 
nenbeigefugt, bei jedem Zensor an. Immerhin mogen dann sol- . 
che freie Staaten des Dinten-Lesens die iibrigen gemeinen, zu 
keinem Zensieren besoldeten Seelen scharfen Verordnungen 
unterwerfen; sie sollen immerhin Menschen, die nicht einmal 
von weitem zu dem Zensurkollegium gehoren (etwa als Bii- 
cher-Trager, Offizianten etc.), alles ganz strenge verbieten und 20 
ihnen Denk-Knebel und statt des FuBblockes den Kopfblock an- 
legen: mich diinkt, sie werden hier doch nichts tun, als was die 
Griechen langst getan, welche nicht litten, daB Gesange und 
Freiheit, iiberhaupt Gedichte von den Sklaven gesungen wur- 
den. 

Anstatt also in den ** Staaten Verringerung der Zensoren zu 
bestellen, hat der Freund der Freiheit nichts zu wiinschen und zu 
betreiben als die ungeheuerste Vermehrung derselben. In jeder 
Landstadt, in jedem Marktflecken sollte alle Welt, wenigstens 
wer Geschriebenes lesen kann, verbunden sein und sich selber 30 
anbieten, Sachen zu zensieren und vorher durchzulaufen, teils 
urn dem Staate zu zeigen, daB er so gesund ist wie jeder andere 
Zensor, teils um gemeinschaftlich fur die geistige Gesundheit 
der iibrigen, nicht lesenden Staatsbiirger sorgen und verbieten 
zu helfen. Nur mochte, wenn man so viele Zensoren anstellte, 
als es jetzt Leser gibt, von Sachverstandigen zu erwagen sein, ob 



FREIHEITS-BUCHLEIN • NRO. Ill "2 83 I 

der Umlauf eines Manuskripts, die Abnutzung, die Verspatung 
desselben, desgleichen die unleserliche Hand, iiberhaupt die 
Schreibzeichen nicht es ratlicher machten, wenn fiir die Zenso- 
ren, d. h. fiir die hier moglichen Leser - 300000 deutsche Leser 
soil es nach FeBlers Zahlung geben - der Schnelle wegen die 
Handschrift vervielfaltigt wiirde, so daB wenigstens 100 Leser 
ihre besondere und also 300000 ungefahr 3000 Exemplare hat- 
ten; was in unsern Zeiten ja so leicht zu machen ist, durch die 
Druckpresse, welcher keine Abschreibfeder nachkommt. Sol- 

10 che leserlich gedruckte Manuskripte fiir samtliche Zensoren - 
gleich Lavaters gedruckten Manuskripten fiir Freunde - konnten 
alsdann die Buchhandler, als Offizianten der Zensurkollegien, 
ausgeben, und der Staat hatte keinen Heller Ausgabe; ja anstatt 
des Zensurgroschens pro Bogen miiBte der Leser selber einen 
Lesegroschen pro Band erlegen. Langst wurde daher auch diese 
Einrichtung schon von Staaten und Stadten, die mehr geistig 
reich sind als leiblich, z. B. in Berlin und Weimar getroffen; nur 
daB sie eben darum das ganze Zensier-Geschaft - wie Athen die 
Kriegs-Zuriistungen-bloB Privat-Instituten iiberlieBen, welche 

20 unter dem Namen Rezensuren oder Rezensionen meines Wis- 
sens durch ganz Deutschland bekannt genug sind, und welche 
eben stets das lesen, was nicht zu lesen ist, sondern zu verbieten. 



Zweiter Abschnitt 
Unterschied der Denk-, Schreib-, Druck- und Lese-Freiheit 

Gegenwartige Lokal-Dissertatiunkel geht nun, ihrer Bestim- 
mungnach, tiefer in die Materie und verlasset die besondere Be- 
ziehung auf die** Staaten. Inzwischen wird doch auch der letz- 
tern Sache unter der Hand fort verfochten; denn die hochste 
Lese-Freiheit, welche die Abhandlung den Menschen iiberhaupt 
30 erstreitetundzusichert, kommt also auch z. B. den bohmischen, 
mahrischen, ungarischen Zensoren und den Staatsgriinden ihrer 
Einsetzung zu Gute. 

Wahrscheinlich muB ich - zumal da ich in der Universitat der 



832 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

groBten deutschen Stadt zwar nicht einen Grad, aber doch ein 
Amtchen suche - vorher scharfsinnig absondern und feststellen; 
ich zergliedere daher das Wort Freiheit in die in der Aufschrift 
angezeigten vier Weltgegenden und Weltteile. Die erste, die 
Denkfreiheit, hat meines Wissens bisher niemand verboten als der 
Schlaf, der Rausch und die Tollheit; das Bette, die Bier- oder 
Weinbank und die petites maisons sind die Ruderbanke und 
Sklavenschiffe des Denk-Ichs - Keine Zensur und keine Inquisi- 
tion setzen in einen solchen wahren Personal-Arrest als gedachte 
bose Drei. - Auch die Schreib-Freiheit wird - wenige Kerker aus- 10 
genommen - in ganz Europa jedem frei gelassen, schon weil 
sonst die Zensoren, sobald nicht alles geschrieben werden 
kdnnte, antizipiert waren und nichts zu verbieten hatten und 
mithin ihre Gehalte mit Sunden zogen; sie waren dann ebenso- 
gut Polizei-Lieutenants im Himmel. 

Hingegen Druckfreiheit und Lesefreiheit! - Aber wie verschie- 
den sind beide, so verwandt sie auch scheinen! Es laBt sich, we- 
nigstens im Allgemeinen, denken und retten, daB ein Staat sich 
von Ketten der Zeit und der Stelle zum Verbote, ein an sich 
schatzbares Werk zu lesen, gezogen glaube; aber kann er darum 20 
den Druck verbieten und so das Verbot des Lesens auf alle fremde 
Staaten und Zeiten ausdehnen? Ja gesetzt, alle lebende Staaten 
hatten dasselbe Bedurfnis des Verbots: woher bekommen sie das 
Recht, damit kiinftige Zeiten zu beherrschen? Diirfte ein sthe- 
nisch krankes Land darum alle Weinberge und Tierreiche aus- 
rotten - anstatt sie zu untersagen -, oder alle Hunde - wie Briten 
die Wolfe -, weil sie wiitig werden? 

Ein Buch gehort der Menschheit an und der ganzen Zeit, nicht 
seinem zufalligen Geburtsort und Geburtsjahr; es wird wie die 
moralische Handlung zwar in der Zeit, aber nicht fur sie, son- 30 
dern fur die Ewigkeit geboren. Das Meer und der voile Buch- 
druckerkessel sind Welteigentum, und nur die Kiisten haben 
Herren. Wie kommt nun ein unbekannter Zensor dazu, der 
Richter, Lehrer und geistige EB-K6nig einer ganzen Ewigkeit zu 
sein, der Regent eines unabsehlichen Geisterreichs? Derm darf er 
nicht das bloBe Lesen, sondern den Druck an sich verbieten: so 



FREIHEITS-BUCHLElft • NRO. Ill * 2 833 

darfs jeder andere Zensor und in jeder andern Zeit ja auch, und 
folglich war' es ganz leicht und ganz gesetzmaBig, das Werk sel- 
ber zu vernichten, z. B. eine Spinoza's - Ethik, eine Kants-Kri- 
tik, oder die Bibel selber, oder alle Bibliotheken in der Welt. 
Denn der Zensors- und Omars- Vertilgungskrieg gegen Bucher 
gilt bloB - alien. Aber Himmel! Warum verbot man dann iiber- 
haupt nicht gleich friiher lieber statt eines D rucks die Buch- 
druckerkunst iiberhaupt? und statt eines Lesebuchs Buchlesen 
insgesamt? - Denn jede Einschrankung ware eine viel zu gefalli- 

[0 ge Nachsichtfiir Menschen, welche gern zeigenmochten, was sie 
aus ihrem Abc-Buch geschopf t haben, namlich nicht nur die iib- 
rigen Buchstaben d e f f £ g h i etc., sondern auch flinkes Lesen. 
Jene Zensur-Maxime aber angenommen, so wird jeder Lite- 
rator, der nur ein gelehrtes Sachsen, Niedersachsen, England 
schreibt, geschweige ein gelehrtes Europa, Asien, Afrika, Ame- 
rika, wissen und fiihlen, was eingebiiBet werden kann, schon aus 
dem, wasschonverlorengegangen. »Wie,« (darf er sagen) »man 
sollte keine neuen Bucher zu Rate halten und zum Druck befor- 
dern, da schon so unzahlige alte umgekommen sind, nach Mor- 

20 hof (Polyhist. c. V. de ordine biblioth.) klassische gerade 
iooooo;-und sonst die vielen andern, z. B. die vom sinesischen 
Kaiser Xiu verbrannten; die von Cromwell eingeascherte Bi- 
bliothek in Oxford; die vom Kardinal Ximenes bei der Ein- 
nahme von Granada verbrannten 5000 Korans - wiewohl doch 
der Urtext restiert -; die aus den Zeiten der schwabischen Kaiser 
eingeascherten Dokumente und iiberhaupt die Makulatur von 
Jahr zu Jahr? O wie wiirden wir alle die Sterblichkeit und die 
Wiirde eines Buches mehr wahrnehmen, erschiene in beiden 
Messen nur eines und das andere! « 

30 » Aber« , konnte man sagen, »den zufalligen Geistermord z. B. 
an Kants Kritik konnte auch der Zufall veriiben am Manuskript, 
als es auf dem Postwagen nach Riga ging; ja Kants Kopf hing 
ja noch friiher von der Wehmutter ab, die, als er das Licht der 
Welt erblickte, am ersten machen konnte, daB er kein Licht der 
Welt wurde, indem sie mit einer nicht schreibenden, nur pres- 
senden Hand ihn fur alle Systeme so zuriindete, daB er Jahrze- 



834 VERMISCrfTE SCHRIFTEN I 

hende spater nichts geschrieben hatte als Ja, Ja!« - Ganz gewiB! 
Und dies ist eben die GroBe der Gottheit und ihrer Welt, daB sie 
das GroBte ans Kleinste, Welten an Lichtfaden, die Ewigkeit an 
Minuten hangt, - sich bewuBt ihrer Oberfiille von Kraft, Zeit 
und Raum; aber darf der kleine Mensch seinen Bruder lebendig 
begraben, weil es das Erdbeben tut? - »Folglich«, konnte man 
fortfahren, »wurde noch nie eine Wahrheit unterdriickt auf der 
unabsehlichen Erde voller Geister und Zeiten!« - Ich glaubte es 
selber, ware die Erde die Welt; aber eben der Reichtum des Seins, 
die Welt voll Welten verstattet so gut das Aussterben eines Ge- 
danken auf der Erde als das des Mammuttiers - ja sogar ein 
Mensch kann nur einmal auf der Erde erschienen sein, sogar im 
Monde, im Jupiter, im Saturn und dessen Ringen, und wo denn 
nicht? Im Universum selber. Wer fiihlt in sich eine Notwendig- 
keit der Wiederholung in der Zeitlichkeit? 

Folglich gehe der zjeitliche Mensch fromm zu jedem Licht- 
strahl, der hie und da aus der hohlen Wolkendecke auf seine Erde 
und Erdenstelle fahrt, und spanne unter dem Gewolke nicht 
vollends den Sonnenschirm der Zensur auf. 



Dritter Abschnitt 
Zensur des Philosophierens uber Wahrheiten uberhaupt 

Urn nichts vorauszusetzen, muB von neuem sehr glucklich ein- 
geteilt und auseinander geriickt werden. Es gibt nur drei Gegen- 
stande der Zensur: i) Wissenschaft (oder Philosophie), 2) Kunst, 
3) Geschichte im engsten und weitesten Sinn; und nur zwei Zen- 
sur-Beziehungenderselben, entwederauf ihre Objekte, oder auf 
deren Behandlung. 

Zuerst ist vom Philosophieren zu handeln und zu fragen, ob 
ihm die Zensur iiber die Objekte - Moral, Regierungsform und 
Landes- Religion - zu verbieten habe. 

Wer uberhaupt zu philosophieren anfangt, kann sich nicht, 
ohne auf der Schwelle umzukehren, irgendein Objekt als Grenze 
setzen, weil ein 'Grenz-Objekt schon ein Resultat ware, da er 



FREIHEITS-BUCHLEIN * NRO. Ill * 3 835 

doch eben philosophieret, um eines zu finden; ja in derselben 
Minute hatt' er schon iiber das Objekt hinausphilosophiert, sich 
aber nur gefiirchtet, scharfer und langer in den dunkeln Raum 
darhinter zu blicken. Und was berechtigte nun den Menschen 
zu irgendeiner Scheu vor Resultaten? Wer als wahr voraussetzt, 
daB irgendeine feindselige Wahrheit wie ein Basilisk in einem 
dunkeln Universums-Winkel lauere und niste, welche, ans Licht 
getrieben, jeden vergiftet, welcher sie ansieht: der hat selber 
schon den giftigsten Basilisken ins Leben gejagt, namlich die 

10 zweite Voraussetzung - die Mutter der ersten -, daB in der 
Ewigkeit ein urboses Prinzip, ein vermummter Wiirge-Gott, 
das Universum in seinen Tatzen hake und aussauge; welches un- 
ter alien Gedanken, die der Mensch haben kann, durchaus der 
graBlichste ist. Kame dieser Basilisk nicht an seinem eignen Wi- 
derschein um, so miiBte man sich vor nichts mehr hiiten, als die 
Augen darzutun, und miiBte so langezittern, als mandachte. Da 
aber doch alle Menschen die Wahrheit ohne Fiirchten suchen: so 
entdeckt man freudig das allgemeine kindliche Vertrauen, es 
konne uns Kindern im widerhallenden Weltgebaude kein Riese 

20 begegnen als der Vater. 

Was darf sich dem Auge der Wissenschaft entziehen, da sie 
nicht nur ihr Auge selber bis zum Skeptizismus wieder priift, 
sondern sogar das Heiligste, worauf die Geister ruhen, das Ge- 
wissen? - So groB sind diese Rechte der Wissenschaft, daB ihr 
gegeniiber die Moral (die Mutter der Rechte) ihre eigne Ver- 
nichtung, wenn sie zufallig aus dem Wissen hervor zu gehen 
schiene, recht heiBen miiBte, obwohl eben dadurch wieder auf- 
hobe. Allein dieselbe Moral, die dem Philosophen nicht verbote, 
ihr Gegenteil, wenn er eines ertraumt hatte, bekannt zu machen, 

30 befohle ihm gleichwohl> mit Moral gegen die Moral zu schrei- 
ben; sein schreibendes Handeln diirfte sich nicht an sein schrei- 
bendes Denken kehren. So tief und fest wurzelt das Geister-Herz 
in uns und gibt den feindlichen Kopf frei und doch nie sich ge- 
fangen; und so frei und unschadlich tragt wieder der Wahr- 
heits-Geist sein Haupt, eine ernste Stellung, die nur ihren Feind 
versteinert mit dem Medusen-Kopf des Schilds. 



836 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Da kein Zensor das Recht seiner Verbote auf den Besitz und 
Schirm von Wahrheiten griinden kann - weil sonst alles Schrei- 
ben und Priifen zu spat und unniitz kame und man statt aller 
Nachtwachen, Gaben und Bibliotheken nichts brauchte, als bloB 
beim Zensor einzusprechenund sich von ihm die notigen Wahr- 
heiten abzuholen; weil man ferner sonst alle Biicher besser in 
lettres toutes pretes 1 verwandeln wiirde; weil die Zensoren in 
verschiedenen Landern als Papste und Gegenpapste einander die 
Unfehlbarkeit bestreiten; weil der neue Zensor oft von dem al- 
tern verboten wird, in dem die Menschen und er sich auf den 
Zeiten heben; und endlich weil die ganze Sache eine allgemein 
anerkannte Narrheit ist, namlich die Voraussetzung, daB der 
Zensor bloB Irrtumer verbiete, die Wahrheiten folglich be- 
sitze -: so muB er sein Recht, die Untersuchung zu beherrschen, 
auf etwas anderes stiitzen als auf den Wert oder Unwert der Aus- 
beute. Dieses andere ist nun deren Einflufi - nicht auf die Philo- 
sophen selber; denn hier ist jeder der Zensor des andern, und je- 
des achte gewaltige System, z. B. das kritische, macht, wie die 
Vesuvs-Asche, nur die ersten Gewachse welk und siech, spater 
aber alles fruchtbar; sondern - auf das Volk. 

Das arme Volk! Uberall wird es in den SchloBhof geladen, wo 
die groBten Lasten des Friedens und des Kriegs wegzutragen 
sind; uberall wirds aus demselben gejagt, wo die groBten Giiter 
auszuteilen sind, z. B. Licht, Kunst, GenuB, ja bloBe dritte Fei- 
ertage. Wenn man nun fragt, wie viel Mann stark das Volk ist: 
so schwindet gegen seine Volks-Menge die regierende und ge- 
lehrte Mannschaft ganz weg. Was ist das noch fur eine Erde! 
Bricht man sie wie jenen neuesten Planeten, in ihre drei Stiicke 
auseinander, in die (herrschende) Juno, in die (gelehrte) Pallas. 
und in die (ackernde) Ceres: so kommen zwei Erdkornchen und 
einErdkorperheraus, welcher als Trabant und Nebenplanet um 
beide Korner lauft, um teils erleuchtet, teils bewegt zu werden. 

Mit welchem Rechte fodert irgendein Stand den ausschlie- 

1 Zu Paris verkauft man Trauer-, Freuden- etc. Briefe, in welche der 
Kaufer bloB seinen Namen setzt, ehe er sie abschickt. 



FREIHEITS-BUCHLEIN ■ NRO. Ill ■ 3 837 

Benden Besitz des Lichts - dieser geistigen Luft -, wenn er nicht 
etwa eines aus dem Unrecht machen will, desto besser aus dem 
Hellen hinab zu regieren ins Dunkel? 

Kann ein Staat - ohne sich heimlich zu einem Sklavenschiffe 
auszubauen oder auszurufen, welches Freiheitshiite wegnimmt, 
um Zuckerhute zu bekommen - die Entwicklung der Mensch- 
heit nur einzelnen erlauben, als schenk' er die Menschheit, wie 
Orden und Gnadengehalte, erst her und konne deren Entfal- 
tung, wie Erf indung, erst patentieren? - Vielmehr ist umgekehrt 
das Recht zur Entwicklung desto starker, je kleiner sie ist, das 
zur ersten dringender als das zur hochsten; so wie der Untertan 
mit mehr Recht den Proviantbacker als den Zuckerbacker fo- 
dert, mit mehr Recht groBes Tranen- und Gnadenbrot als die 
petits soupers. 

Aber hierauf existiert eine der altesten Einwendungen - die 
wahre graue Kronbeamte des ersten Despoten-Throns -, daB 
namlich das Volk, wie Pferde und Vogel, geblendet viel schoner 
in der RoBmuhle und auf dem Vogelherde diene, sowohl dem 
Selbstinteresse als dem Staatsinteresse; »braucht man denn 
mehr«, fahrt man mit besonderm auffallenden Feuer fort und 
fragt, »als die neueste Geschichte und jede vorher, um zu sehen 
und zu horen, wie das Volk vom Wuste unverarbeiteter Kennt- 
nisse sich nur blahe, statt nahre, und mit der Luft des Kleefutters, 
das ihm die Schreiber und Herren von Kleefeld geben, sich so 
lange quale, bis ihm der Staat mit dem Flinten- oder Windzap- 
fen-SpieB 1 zu Hiilfe lauft? Gott! Wie gefahrlich war Frankreich 
aufgeblaht, da kaum wenige Frosche davon wenige Lilien einge- 
schluckt hatten, und wie schwer wurde der groBen Nation die 
falsche GroBe geheilt! Das bedenke aber jeder, der eintunkt!« 

Diese bose Alte vom Berge, namlich die Objektion, setzt 
spitzbiibisch erstlich voraus, daB das Sonnenlicht nur auf den 
Bergen niitze, in den Talern aber schade, und daB Mangel an 
Kultur nicht die hohem, sondern die niedern Stande gegen Aus- 

1 WindzapfenspieB ist ein neu erfundner Trokar; Flintenspiefi nennt 
Campe das Bajonett. 



838 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

artung beschirme, wie nach den Orientalern Gott die Menschen 
darum von Sinnen kommen laBt, damit sie nicht siindigen kon- 
nen-daB das Licht alle, welche Steuerruder, Kompasse, Mast- 
korbeinnenhaben, nicht verblende und verbrenne, sondern nur 
solche, die Segelund Ruder zu bewegen haben - und daB endlich 
miBverstandene Wahrheit nur unten beim Volke zu einer miB- 
gebrauchten Wahrheit werde — 

Ob aber von den obersten Standen die Wahrheit nicht ebenso- 
gut miBverstanden werden konne, erwahnt die Alte vom Berge 
und Throne aus Absicht nicht; vielleicht aus Hoflichkeit, weil 
sonst, denkt sie, die Zensur zuweilen manches ebensogut einem 
Fiirsten als einem Volke zu verbieten hatte, z. B. den geistrei- 
chen Machiavell und den geistreichen Wein, und zwar umso 
mehr, da ein boses Buch leichter und gefahrlicher ein regierendes 
Haupt beherrscht als tausend Bucher tausend regierte 
Kopfe. — 

Aber der Punkt ohne weiteres Punktieren ist der: die Tiere, 
die Gott einmal als solche anstellen will in seiner zweiten Welt, 
hat er mit den deutlichsten Marken auf diese gesetzt, z. B. 
Maul-, Stink-, Pflanzen- und andere Tiere; was kliiger werden 
sollte, siehtganz wieeinMenschaus, z. B. der Bauer. - MiBver- 
standne Wahrheit ist freilich zu untersagen als solche, weil sie ja 
ein Irrtum ist, so wie ein verstandner Irrtum j a keiner. Aber dann 
liegt f olglich doch nur das MiBverstehen, nicht das Verstandigen 
der Wahrheiten dem Staate zu verhiiten ob; oder er muBte ein 
Recht, Wahrheiten zu verbieten, kennen, das f olglich ein zweites 
einschlosse, Irrtiimer zu gebieten, und zwar die mitzlichen jedes 
Jahrhunderts, z. B. im neunzehnten die des neunten. 

So gut irgendeine Menschen-Masse uber das MiBverstehen 
himiberkam, so muB es jede andere ebensowohl vermogen und 
auf dieselbe Weise; namlich dadurch, daB die Erleuchtung ihre 
Grade durchgeht, und daB man nicht die Sonne dem Monde, 
dem Morgensterne und der Aurora vorausschickt. Der Staat, 
wie eine Erziehung die Entwicklung bloB negativ besorgend, 
hat nur abzuwenden, daB das Volk nicht von hinten und in der 
Mitte anfange, nicht das Facit statt des Rechnens lerne. 



FREIHEITS-BUCHLEIN " NRO. Ill ' 3 839 

Da nun das Volk weniger lieset als hort und die Kanzeln seine 
Buchladen sind: so bezieht sich fur dasselbe das theologische 
Zensorat auf Prediger und auf keine andern Biicher als auf die 
symbolischen. Von dieser Untersuchung gehort nichts hieher 
als die kiirzeste Meinung: symbolische Biicher sind jeder positi- 
ven Religion unentbehrlich, nur aber sollen sie von Zeit zu Zeit 
eine verbesserte Auflageerleben durch den geistigen Staat, nicht 
durch ein Pfarramt. Daher kann der Schwur auf symbolische 
Biicher, wenn er nicht einen sinn- und ehrlosen Gehorsam 1 oder 
ein Versprecheneineskiinftigen, also ewigen Glaubens, d. h. ei- 
ner jetzigen Unfehlbarkeit ansinnt, nichts an sich schlieBen und 
bedeuten als, statt jenes Meineids gegen sich selber, das hohere 
Versprechen, den Unterricht des Volks an dessen lebendigen 
Qlauben zu kniipfen, nicht aber umgekehrt diesen Glauben, der 
den ganzen heiligen Lebens-Kern und den Schatz aller Zukunft 
und Hoffnung in der diirftigen, von enger Gegenwart erzogenen 
Seele in sich schlieBt, durch ein flaches Nein wie ein Herz aus 
der Brust zu Ziehen und nun die ausgeleerte Brusthohle ohne 
Schwerpunkt auf dem Weltmeer alles Meinens treiben und 
schwimmen zulassen. Gibt es etwas Grausameres als die Kandi- 
daten-Sitte, dem Volke den Glaubensboden zu veschieben oder 
zu versenken in ein kuhles Wort-Meer einer herabgetropften 
aufgefangenen System-Wolke - und nun auf das bodenlose 
Wasser doch Samenkorner auszustreuen? Kommt der leere Er- 
trag des Echo-Neins auf fiinf oder sechs orthodoxe Irrtiimer in 
Betrachtung gegen das kostliche Aufopfern und Auswurzeln ei- 
nes alten Glaubens, der lebte und belebte? Erstattet ein Meinen 
irgendein Fuhlen? Und wovon will man denn Impfreiser ernah- 
ren wenn man den wilden Stamm aushohlet? Wahrhaftig, wiirde 
nicht zum Gliick dem Nachsprecher auf der Kanzel nur wieder 
nachgesprochen in den Kirchenstiihlen, sondern verstande das 

1 Wie unwiirdig des groBen poetischen Namen Gottes-Gelehrten sind 
die, welche mit irgendeiner Selbst-Not das Recht eines Meineids und 
fortgesetzter Lehr-Liigen zu bekommen glauben, wie etwa der Talmud 
(Talm. XI. Biccurim K. 2. M. 1. Note 21. von Rabe) erlaubt, das Ge- 
setzbuch zu verkaufen, um eine Frau zu nehmen. 



84O VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Volk genugsam die ihm dargereichte Unverstandlichkeit: so 
miiBte der RiB unheimlicher Meinungen in die einheimischen 
das Innere so schmerzlich auseinander teilen, als bei uns ge- 
schahe, wenn in unser Erkennen und Erproben der gegenwarti- 
gen Welt plotzlich ein unheimlicher Geist einbrache mit seinen 
Satzen einer zweiten, dritten, vierten Welt. 

Eine andere Untersuchung ware es - die aber seitwarts bleiben 
muB, wenn nicht eine in die andere fahren soil-, ob folglich 
nicht der Schulmeister- und Lehrstuhl groBere Freiheit zu frem- 
der Eritwicklung besitze und begehre als der KanzelstuhL Denn 
dem Kinde ist jede Welt zu geben, indes im Vater bloB eine ge- 
gebene alte zu bewegen und zu befruch'ten ist; das Alter besteht 
aus lauter Gegenwart der Vergangenheit, die Jugend aus Gegen- 
wart der Zukunft. - Das Kind, ohne Zeit wie ohne Sprachege- 
boren, nimmt die fernste so leicht an als die nachste; ja der Schul- 
lehrer kann noch leichter in Zuhorern als der Autor in Lesern 
Jahrhunderte antizipieren. Nur gebietet diese zweite Untersu- 
chung, die nicht hieher gehort, vollends eine dritte, noch 
fremdere, wie namlich hier das Lehren gegen das feindliche Le- 
ben auszuriisten sei, die antizipierte Zukunft gegen die eindrin- 
gende Gegenwart; obgleich dies bei der Jugend, fur welche das 
Lernen eben ein Stuck Leben und die Schulstube ein Weltteil ist, 
leichter angeht als bei dem Alter, an welchem eine neueste 
Schule zugleich eine alteste und ein reifes Leben bekriegen muB. 

Doch erlaube man mir, auf einen Augenblick in die auseinan- 
der geriickte Schulstube, namlich in den akademischen Horsaal 
hineinzuhoren, um zu wissen, welche Lehrverbote an dessen 
Turen anzuschlagen sind. Man kann fragen: wenn der Staat ein 
Recht hat, die Bildung des Volks und folglich zwar nicht das 
Schreiben, das der Welt und alien Zeiten angehort, aber doch das 
Sprechen oder Lehren, das nur einer bestimmten Zeit und 
Menge dient, zu bewachen: wo kann er den Hebel, der die ho- 
rende Volksmasse bewegt, besser ansetzen als auf der Akademie, 
wo der kiinftige Lehrer des Yolks selber e.rst gelehrt wird und 
der Saemann gesaet, nicht der Same? Ein akademischer Lehrer 
wirkt bei gleichen Kraf ten defer in den Staat hinein und hinunter 



FREIHEITS-BUCHLEIN * NRO. Ill -3 84 1 

als tausend Autoren, die er noch dazu mit bilden half; auf seinem 
Lehrstuhle dreht er eine Spinnmaschine von tausend Spindeln 
um. Eine Akademie ist die eigentliche innere Staatsmission und 
Propaganda, besonders da sie eben die riistige, leicht empfan- 
gende und lange fortgebarende Jugend mit ganzen Generationen 
befruchtet. 

Auf der andern Seite ist zu sagen: eben darum, eben weil die 
Akademie noch der einzige hiipfende Punkt, wo noch der 
geistige Bildungstrieb gestaltet, in den neuern Staaten ist, die nur 

to durch Gewalt abformen und ausmunzen: so taste die Macht die 
letztern Staubfaden organischer Bildung nicht mit ihren Sche- 
ren, Poussiergriffeln und Lad- und Pragstocken an. Der Staat 
lasse doch einmal den innern Menschen sich die lebendigen 
Gliedmafien selber zubilden, eh' er ihm spater die notigen Holz- 
beine, fausses gorges, ventres postiches, barbes postiches und 
goldenen Hiiften anschienet. Warum verliehen unsere sinnvol- 
len Alten den Musensitzen ihre akademische magna charta? - 
weil sie Sonnenkhn des Musen- oder Sonnen-Gottes sind, weil 
der Erkenntnisbaum nur als Freiheitsbaum wachset, weil die 

20 Musen als Gottinnen in einer salpetriere oder Frohnveste und 
Wachstube sich nicht zum besten befinden. Man hat namlich 
unsern ewig-jungen Alten bei den MeB-Freiheiten, die sie seinen 
Musenbergen und Musentalern gaben, nur politische Riicksich- 
ten untergelegt, ohne die hohere anzurechnen, die jeden Jiang- 
ling noch begliickt, der auf einer Akademie nicht geboren 
wurde, sondern erst inskribiert. Die akademische Zeit ist die 
Zeit der ersten Liebe gegen die Wissenschaften; denn wie die an- 
dere erste Liebe sogar vor dem gewichtigen realen Geschafts- 
manne und Geschaftsweibe mit einem fremden Mai-Schein, mit 

30 einem Dichtungs-Friihrote auf der schwarzen Moor-Erde um- 
herflieBt, und dann plotzlich verfliegt und versiegt, weil der 
Fruhregen einfallt und den Lebenstag dumm-grau anstreicht: so 
ist die akademische Zeit eine poetisch-wissenschaftliche, welche 
(wenigstens bei den Schulern) nie mehr wiederkehrt - es ist der 
kurze Durchgang eines erdigen Wandelsterns durch die Sonne 
des Sonnengottes - und das nicht einmal bloB, sondern es ist das 



842 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

frische dammernde Leben vor dem Morgenstern, der, wie dem 
Herzen, so dem Denken die scheme Aurora verkundigt, die spa- 
ter nichts verkundigt als nur eine Tags-Sonne - Alle Fackeln des 
Wissens sind der Jugend nur Brautfackeln, die kiinftiges Leben 
bloB anziinden, nicht einaschern - Der Glanz verbirgt dem 
Jiingling die Handels-, Kriegs- und andere Stadt, die sich um 
seinen Musenberg mauert, und der Lehrstuhl reicht ihm iiber 
jede Hohe, sogar den Furstenstuhl hinauf- und die politischen 
Sorge- und Weber-Stuhle stehen und schnarren weit von ihm in 
der Heimat. 

Wenn nun der Staat die Jugend als das Lebens-Herz seiner Zu- 
kunft schonen muB, dem er nicht genug Nervengeist und Blut 
zufuhren kann, damit es unter der Quetschform hoher Akten- 
Kasten, welchedem Prasidenten, dem Departementsrat u. s. w. 
wie einem Griechen nichts mehr zu lesen erlaubt als Geschriebe- 
nes, noch ein wenig geistig-munter schlage, nicht in einem Win- 
terschlaf nachzucke: so diirfen die Sitze auf dem gottlichen Mu- 
senberge nicht in Bank e von Burgerschulen umgebauet werden; 
gegen die fluchtige Aurora des Idealscheins sind die Jalousie-La- 
den der holzernen Realitat nicht notig. In Riicksicht der Lehrer 
sollte iiber die Frage, wie die Gewalt den Geist zu rektifizieren 
habe, wenigstens der Geist fruher als die Gewalt entscheiden. 
Der gemeine Lehrer bedarf selten der Zensur, weil er meistens 
von selber das ist, was sie nicht verbeut; hochstens wiirde an ihm 
ein Johanniswurmchen zu konfiszieren sein, das den Mond- 
schein unterbricht. Der geniale Lehrer braucht, gesetzt die be- 
jahrte Menge wollte der Riesenkraft nicht erlauben, sich und an- 
dere zu emanzipieren, indes dieselbe Menge von derselben Kraft 
Freilassungen annahme, wenn sie jiinger ware, ein solcher Leh- 
rer braucht iiber seinen Geist keiner Aufsicht, zumal von Kor- 
pern; - kein genialer Geist als solcher kann siandigen und scha- 
den, nur das Talent; bloB Engel, nicht Gotter konnen abfallen 
und aufhoren. Man sollte deswegen vorher, ehe man iiber ein 
zufalliges Lehrgebaude erschrickt und gebeut, das ein Genius in 
junge Gemuter wirft, sich erinnern, da diese Gebaude, diese 
umgekehrten Stadte und Lander und Saulen als morganische 



FREIHEITS-BUCHLEIN • NRO. Ill • 4 843 

Feen von selber verrauchen, indes die gebarende Sonne bleibt 
und steigt, welche. den Jiinglings-Morgen mit den Ges taken 
ausfiillte; man sollte namlich erwagen, daB der Jiingling besser 
jedes durchgreifende Lehr-, ja Irrgebaude bewohnt als gar kei- 
nes, weil der systematische Korper verfliegt und der ideale Geist 
zurtickbleibt. Was ist denn an irgendeiner Meinung iiberhaupt 
von Bedeutung ohne den Geist, der sie mitteilt, und den, der sie 
auffangt? Ist nicht dieselbe heiligste Religion mit denselben Mei- 
nungen und Strahlen bald wie Fruhlingswarme, bald wie Mord- 
[o brand auf die Welt gefallen, je nach dem Wechsel der Geistes- 
Medien, durch welche die Strahlen fuhren? 



Vierter Abschnitt 
Zensur des Philosophierens uber Regierungsform 

Wenn die Vernunft Gotter und zweite Welten in ihr Zergliede- 
rungshaus fordern darf : so hat sie auch ein Recht, dasselbe feine 
Messer an den Staat und seine Form zu legen, gesetzt sogar sie 
zoge daraus lauter Mangel ans Licht. Denn die Vernunft kennt 
in ihren Forderungen nur eine Menschheit, nicht einen einzelnen 
oder eine Menge. Ja jede Staatsform wiirde sich fvir Un-Form 

20 erklaren, wenn sie fiirchtete, vor dem Lichte, wie Hornsilber, 
schwarz zu werden und zu verlieren. Aber dieses Recht, sogar zu 
schaden, wiirde wohl keiner Philosophic den Weg in Staaten 
bahnen, dices lieber allein ausuben, ware nicht zu erweisen, daB 
die achte ihnen nichts bringen kann als nur Nutzen. 

Nie hat Philosophic mit ihrem weiten Tageslicht, dessen All- 
gemeinheit nirgends auf die engen Punkte der Zeit verdichtet 
fallen kann, die Fruchte der Leidenschaft reifen konnen. Das 
Licht hat keine Schwere und sucht statt der dicken Erde den 
leichten Himmel. Eben die philosophische Weite gibt, wie die 

30 dichterische, die duldende Oberschauung der Menschheit und 
folglich jedes einzelnen Aktionisten daran. Die Philosophic 16- 
set, wie alle auflosenden Sauren, das schwere Metall - hier ists 
Krone und Zepter - so durchsichtig in sich auf, daB man nur das 
Menstruum, nicht irgendeinen Korper darin sieht. 



844 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Warum glaubt man iiberhaupt, daB verderbliche Biicher so 
groBes Unheil stiften konnen? Ich wiinschte, sie konnten dies 
stark und schnell; dann brachten gute desto leichter Heil; ja noch 
reicher; denn das Gute bliebe stets auf der Seite der Kraft, weil 
es nicht dumme Engel, nur dumme Teufel gibt. Aber Wissen- 
schaft und Kunst gleichen eben jeder Musik, welche im groBen 
Luftmeer nur liebliche sanfte Schwingungen macht, die nichts 
beugen und wegnehmen, indes die Faktion und Leidenschaft 
dem Winde ahnlich ist, der im Luftmeer stromt und niederreiBt 
und heult. k 

Ist nicht alles Starksteiiber alles schon tausendmal gesagt, und 
kann ein Buch verboten werden, das nicht em Nachdruck der 
Vorzeit ware? 

Wuchsen die Staats-Umwalzungen seit dem Nachtschatten 
des Mittelalters mit dem Verdiinnen desselben in Halbschatten, 
in Viertels-, Achtels-Schatten? Nahm Denken mit Emporen in 
gleichem Verhaltnis zu? In umgekehrtem hochstens. 

Wankten und fielen vor der Erfindung des Drucks Thronen 
nicht ofter? Stiegen nicht die groBten Wetterveranderungen in 
dem Dunstkreise des Geisterreichs.ohne Dinte und Drucker- 2c 
schwarze auf durch Sonnen wie Christus, Sokrates, Pythagoras, 
welche samtlich nicht schrieben? Nur erst unter seiner Auflo- 
sung fing der pythagoraische Bund zu schreiben an 1 . 

Und doch war nur damals ein Autor das, wozu Friedrich der 
Einzige den spatern Autor ausrief , namlich ein Regent des Pu- 
blikums; und die Feder damals ein Zepter. Jetzt hingegen ist der 
PreBbengel ein sehr niedriger Regenten-Thron. Biicher wirken 
jetzt wegen ihrer Menge weniger, eben weil sie dadurch einan- 
der entgegen und folglich aufhebend wirken. Indes bleibt stets 
ein Sieges-Obergewicht (warum litte man sonst einen Druk- 3c 
ker?), und zwar des schonern; derm eben die Menge der Biicher 
fiihrt, wie und ah die Menge der Zeiten und Menschen, ihr blii- 
hendes Gegengift gegen jede vergiftende Einzelheit bei sich. 
Ware die Zeit - der Exponent der Menschheit - nicht eine Arze- 

1 Jamblich. in vita Pythag. 



FREIHEITS-BUCHLEIN • NRO. Ill • 4 845 

nei der Erde, sondern ihr Gift: so miiBte dieses Gift, da es taglich 
zunimmt, uns mit jedem Jahrhundert fortschreitend mehr zer- 
setzt und aufgerieben haben, und die Geschichte wiirde bloB der 
Krankenzettel eines groBen Korpers sein, der immer mehr ab- 
stiirbe. 

Wenn die papstliche Kammer bloB auf solche Memoriale, die 
sie abschlagt, lectum (gelesen) setzt: so tun dies wohl die meisten 
Lesezimmer. Ja die Obern setzen es voraus; denn sonst gaben sie 
keinem Zensor und Drucker »die Erlaubnis der Obern«; sonst 
10 konnte ja iiberhaupt der Biicherverleiher heute in einer Stadt so 
viele Engel leihen, als er Leihgroschen bekame fur ein Engels- 
Werk; mo r gen ebenso viele gefallene durch ein gefallenes, und 
so die gute Stadt wechselsweise in den Himmel und in die Holle 
tauchen, hin und her sie lichtend und schwarzend. 

»Gesetzt nun aber, um zuruckzukommen,« - fragt hier Op- 
ponent - »ein Philosoph untergriibe das Prinzip einer Verf as- 
sung, den weiten schweren Thron, gleichsam mit seiner 
schwarzen feinen Rabenfeder: sollte in solchem Fall ein Staat 
nicht das Federmesser gegen die Feder ziehen durfen? das fragt 
20 Opponent. « 

Nein, wenn anders der Staat nicht den Arm des Stroms statt 
des Stroms selber abgraben oder wie Xerxes geiseln will. Der 
Geist, der Staatenumwarf, war der Geist der Zeit, nicht der Bii- 
cher; die er ja selber erst schuf und saugte. Wird denn der Autor 
nicht friiher als sein Buch gemacht? Werther erschoB sich, ohne 
noch von Werthers Leiden eine Zeile gelesen zu haben. Christus 
bekam von Johannes die Taufe, bevor er sie einsetzte. Hat je das 
beste Buch eine einzige Mode des Mode-Journals, namlich des 
ewigen, pariser, besiegt? - Nie durch sich, sondern nur durch 
30 die Zeit, die aber kein Buch ist, sondern hochstens ein Buchla- 
den. 

Gewohnlich wird die franzosische Umwalzung als ein Be- 
weis, wie leicht Schreibfedern zu Spring- und Schlagfedern 
werden, vorgefuhrt. Aber der noch starkere Beweis, daB alle 
Schreiber nicht die Gewittermaterie, sondern nur die Elektrizi- 
tats-Zeiger einer schon vorhandenen- obgleich folglich die Tra- 



846 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

ger einer kleinen - sind, sollte alien andern lesenden Staaten dies 
sein, daB sie sich selber gleich bleiben und den gallischen sich 
gleich machen wollten. Die franzosische Literatur war in ganz 
Europa, die Umwalzung nur in Frankreich. Und was wurde 
denn selber unter dem gallischen Sturmwinde - der aus der 
Sandwiiste endlich den hochsten Berg zusammen wehte - Neues 
gesagt, was nicht von den Griechen, Romern und besonders von 
den Parliamenten unter Karl I. schon mehrmals ware erneuert 
geworden? - Warum lieset man jetzt diese Biicher zensurfrei, 
sogar in Frankreich, und wird nicht umgewalzt? - Darum, weil 10 
die Meinung zwar die Konigin, aber auch die Tochter der Zeit 
ist - weil das Sonnenlicht der Untersuchung Volker wie den 
Diamant still durchflieBt, indes das elektrische der Faktionen 
zerschmetternd einfahrt. 

Wer emport sich denn gewohnlich? Gerade die beiden Klas- 
sen, welche am wenigsten lesen, weil die Biicher, in die Mitte 
des Staats angeschlagen, von denen, welche die Wurzel und wel- 
che den Wipfel bewohnen, schwer herab oder hinauf zu sehen 
sind, ich meine vom Volke und vom hohen Adel. Doch wird 
der Nebel und Dunst, der aus dem platten Meere des Volkes auf- 20 
dringt, nicht eher zu einem Wolkenbruche gesammelt als am 
nachsten Berge eines GroBen. - Hingegen wer lieset, die Gelehr- 
ten, die Mittelklasse - die Welt sage, ob alle Fakultisten je etwas 
anders gemacht haben als Manifeste bloB fur andere, als Deduk- 
tionen, zwar gegen den einen Fiirsten, aber doch fur den andern 
Fursten; oder ob andere logische Schliisse als Friedensschlusse. 
Stets unschuldig weiB, wieein Hahnenkamm im Winter, steigen 
die Gelehrten auf ihren Schreibtisch, der ein Kriegs-Schachbrett 
mit rhetorischen Figuren ist, nie selber mit ihrer eignen. Sie se- 
hen, wie Prediger, gern Kettenubtr alle Gassen gespannt, damit 30 
kein Larm unter ihr feuriges Predigen einfahre; und die Lah- 
mung, welche Setzer von den bleiernen Buchstaben erhalten, 
kommt ihnen fruher durch die geschriebenen an die Hand. 

Der einzige Fall, wo das Licht der Biicher gewalttatig wirkt, 
ist da, wo es gehindert und wo die matte Lichtspitze durch die 
Umkrummung mit dem Lotrohr zu Schmelzfeuer verdichtet 



FREIHEITS-BUCHLEIN ■ NRO. Ill ' 5 847 

wird. Das stumme Frankreich bekam plotzlich eine Zunge, wie 
der stumme Sohn des Krosus; nur anders, teils vox einem Morde 
des Vaterlands, teils zu einem eines Vaterlandsvaters. Aber desto 
schlimmer, wenn die ungestiime Notwendigkeit spricht, nicht 
die lange sanfte Freiheit; wenn nicht der fromme Kirchner, son- 
dern ein Erdbeben die Glocken lautet. 

Wie verwandt ist damit eine Erscheinung, an welcher schon 
mehrere groBe freilassende Staaten irre wurden! Osterreich un- 
ter Joseph II. ist der erste. Wenn namlich plotzlich ein Volk ins 

10 Sprachzimmer und vors Sprachgitter gelassen wird aus der Zen- 
sur-Zelle, so weiB es kaum vor Uberlust, was es sagen soil oder 
sagt; es gleicht Knaben, die nie mutwilliger toben als auf dem 
Wege aus dem Gehorsam der Schule heraus. Allerdings muB 
man Volker, wie Wochenkinder, nie schnell wecken, weil sie 
nach den Arzten jahzornig werden. Ferner ist dann die Presse 
eine wahre Kelter, die auf einmal die reifen und halbreifen Bee- 
reneinerTraubeausdriickt. Mogen aber nie Alexander und Ma- 
ximilian Joseph anders fortiahren, als sie anfingen, oder als 
Friedrich der Einzige noch fortiahrt, und mogen beide sich ge- 

20 gen den Zufall damit trosten und rtisten, daB nirgends mehr 
Wind weht als eben unter der Schwelle, und daB folglich das Licht 
am leichtesten erlischt, wenn man es iiber sie tragt! - Was kann 
ein edler Fiirst an seinem Thron-Himmel Schoneres sehen als 
eine Sonne, die er selber daran als Sonnengott voriiberfuhrt? 
Seine einzige Vorsicht bei plotzlichem Freigeben der Federn sei 
bloB eine nicht zu kurze Nachsicht! - 



Funfter Abschnitt 
Eintritt der Zensur 

Sie kommt mit dem Kriege. Der Krieg ist, wie man in Frank- 

30 reich sieht, der Kaiser- Schnitt der Menschheit: er entbindet ge- 

waltsam die Geister; folglich mag in ihm eine fliehende Diktatur 

- da er selber die schlimmste ist - gebieten, auch den Biichern. 



»4» VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Hier stehen fliegende Blatter selber unter dem Petalismus; 1 denn 
ein einziges steigt aus dem Loh-Boden der kriegerischen Zeit 
leicht als wilder Baum empor. Ein Blatt kann als Exponent der 
offentlichen Stimmung, gleich einem Stammbuchsblatt-pagina 
jungit amicos -, die Gleichgesinnten verkniipfen und decken 
und nahren. So sehr die Wahrheit, wie oben gedacht, nur eine 
tonende, nicht wehende und bewegende Luft ist, so kann doch 
ein bloBer Ton, wenn er ein GefaB von demselben Tone findet, 
es durch langes Verstarken auseinander schreien. 

Derselbe Krieg, der bei dem freien Englander den PreBgang 
oder das Pressen der Matrosen entschuldigt, mag also, da es lei- 
der kein Wort-Spiel ist, einen ganz andern PreBgang und ein an- 
deres Pressen dem Drucker untersagen. Im Sturm der Staaten 
wie der Schiffe wird alles angebunden. 

Allein es kann also nur in einer Zeit verboten werden, die sel- 
ber zu verbieten ware: und keinen Schriften ist das Leben zu neh- 
men notig als eben denen, die das kiirzeste haben. 



Sechster Abschnitt 
Philosophieren uber die Religion 

Religion ist etwas anders als Religionsmeinungen; es gibt nur 
eine Religion, aber unzahlige Religions-Meinungen. Allein der 
geistliche Stand lieB sonst gern beide vermengen, um die heilige 
Unveranderlichkeit, welche der Religion angehort, auf die Mei- 
nungen hinuber zu spielen. Die Kirchenglocke war eine Prasi- 
dentenglocke, welche nur lautet, damit man nicht rede. Wie 
sonst die Kuhe die heilige Bundeslade den rechten Weg zogen: 
so glaubte man in Klo stern, das Wunder andere sich nicht sehr 
mit dem Geschlecht. Jetzt, seitdem man nicht mehr das theologi- 
sche System fur einen Strumpfwirkerstuhl ansieht, der sogleich 
so vollkommen wurde, als er noch dasteht, lasset man den Bii- 

1 Petalismus war bei den Syrakusanern eine Landesverweisung nicht 
durch Scherben, sondern durch Olivenblatter. 



FREIHEITS-BUCHLEIN • NRO. Ill • 6 849 

chern ihren Lauf. Aber ich behaupte: nicht einmal Religions- 
Meinungen werden durch Biicher allein, ohne die Sonne der 
Zeit, welk oder reif . Luthers Werke veranderten das halbe Eu- 
ropa, bloB weil sie das Ganze schon verandert vorfanden, und 
weil er den theologischen Doktorhut mit dem sachsischen Kur- 
hut decken konnte. 

Der Staat werfe doch, urn nichts von Biichern fur seine Lan- 
des-Religion zu befiirchten, einen Blick in die Reichsstadte voll 
Paritat hinab . Die Menge lutherischer Streitbiicher hat bis diesen 

10 Tag darin die Katholiken, und die Menge der katholischen die 
Protestanten un verandert bestehen lassen, ja beide nur scharfer 
gesondert. - So waren die Juden, als der Nurnberger Rindfleisch 
noch gegen sie so predigte wie gegen die Schweizer Ochs, zu 
nichts zu bekehren; erwidern sie nicht aber jetzt die hofliche Ber- 
liner Paritat mit den groBten Anerbietungen, sich nicht mehr 
auszuzeichnen durch Religion? - Buchhandler haben, wie Hol- 
lander, alle mogliche Grundsatze und Religionen im Laden und 
in Handen, teils als Sortiment, teils als Eigen-Verlag; changieren 
sie aber je ihre Glaubensartikel mit ihren Handelsartikeln? Ver- 

20 legen sie nicht leicht entgegengesetzte Systeme und die Satiren 
darauf, ohne erschuttert zu werden, da sie in ihrem.Handelsbu- 
che schon den hohern synthetischen Standpunkt fur alle Systeme 
zu besitzen hoffen? - Nirgends wohnt so viel Glaube als in Eng- 
land, wo ebenso viel gegen ihn geschrieben wurde, gerade wie 
dort die PreBfreiheit gegen die Regierung mit der Achtung fur 
dieselbe und fur den Konig in gleichem Verhaltnis steht. 

Der Kern der Religion, ihr geistiges Herzblut und Gehirn- 
mark, welches fortpulsiert unter den zufalligen Herzbeuteln und 
Gehirnhauten aller Landes-Regionen, ist von alien Bestreitun- 

30 gen der letztern unabhangig und lebt bloB von der Sitte und vom 
Herzen. Nur aber an diesem moralischen Marke und Blute kann 
dem eigensuchtigsten Staate gelegen sein, weil er sehen kann, 
daB die Fiirsten aller drei Reichs-Religionsparteien in Deutsch- 
land gleich fest bestehen, und die Regenten auf der ganzen hete- 
rodoxen Erde gleichfalls. Religion als solche kann von Philoso- 
phic nicht erzeugt und erklart, folglich nicht vernichtet werden; 



85O VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

umgekehrt gibt erst Religion dem Denken Richtung und Stoff . 
Alles Denken kann nur das Gemeine, nie das Gottliche, nur das 
Tote, nicht das Lebendige auflosen und andern; so wie uns nur 
die runde Erde, nie der gewolbte Himmel eben und platt er- 
scheinen kann. 

Ich wiinschte, ein Staat ernennte eine Kommission, welche 
Haussuchung nach Religion tate: so wiirde befunden werden, 
daB die starkste gerade in der Mittelklasse vorratig sei, welche 
eben am meisten liest und lehrt. Die hohere Welt ist eine quai 
de Voltaire, nicht aber eben das BuchhandlergaBchen; denn sie 10 
hat wichtigere Dingezulesen- als Bucher -, z. B. Gesichter und 
die Zukunft. Wo waren im Mittelalter die rechten Atheisten zu 
suchen als neben und auf dem heiligen Stuhle, wo der Statth alter 
vom Sohne desGottes saB, den er leugnete? Ich glaube nicht, daB 
im Ganzen ein Kardinal so viel liest und glaubt als ein Gelehrter. 
Die Zensur sollte also weniger einen census capitum als morum 
ausschreiben, keine Kopf-, sondern Herzenssteuer. 

BloB zweimal kann eine Religionsmeinung dem Staate be- 
deutend werden, erstlich wenn sie schnell ein-, zweitens wenn 
sie schnell abfahrt, so wie das elektrische Licht oder der Blitz nur 20 
beim Ein- und nur beim Absprunge zerschmettert. Aber dies 
vermogen nur lebendige Bucher, Auflagen von einem Exemplar, 
kurz Sprecher, nicht Schreiber. Will demnach ein Staat verbieten 
- wiewohl jeder Magen schon schwach ist, dem man verbieten 
muB -, so fuhre er nicht Bucher-, sondern Menschen-Zensur ein 
und lasse statt der Schreibfinger die Zungen abnehmen. Alle 
groBen Revolutionen machte die Stimme, keine der Buchstabe, 
der nur nachschreibt, was jene vorsprach. In diesem Fall ist aber 
ein Religions-Krieg; - und das obige Kriegsrecht der Zensur 
entscheidet umso mehr, da durch die Geistlichen alles zugleich 30 
langer (denn ein ReligionshaB und -druck iiberlebt jede poli- 
tische Zensur), damit schneller und heftiger brauset und gart. 
Zuweilen scheint die sanfteheilige Taube liber ihren Kopfen nur 
ein Zeichen zu sein, daB sie eben aus ihnen ausgeflogen. So ver- 
teilt fast typisch auf den hollandischen Kriegsschiffen der 
Schiffsprediger unter der Seeschlacht das SchieBpulver. 



FREIHEITS-BUCHLEIN ' NRO. Ill ■ J 85I 

Siebenter Abschnitt 
Zensur der Manier 



In vielen Zensur-Edikten wird freies, stilles Untersuchen der 
Wahrheit und der Wahrheiten verstattet, nur aber fugen sie bei, 
in gemaBigtem Tone ohne Leidenschaft und Spott. Da nun kein 
Edikt eine Wahrheit voraussetzen kann - denn sonst braucht' es 
keines Priifens mehr -, so kann die Foderung des gemaBigten, 
spaB- und feuerlosen Tons unmoglich nur einer Partei befehlen, 
sondern jeder, auch der herrschenden, folglich einem Pastor 

to Goze so gut als seinen Gegnern. Mithin fallt der unschickliche 
Ton - gleichgultig woriiber - in Polizeistraf e , insof ern hier nicht 
eben die Rucksicht und Nachsicht eintritt, welche Sachwaltern 
Derbheiten gegen die feindliche Partei und Predigern auf der 
Kanzel einen Schimpf-Eifer gegen ganze Stande erlaubt. Aber 
zweitens kann das Verbot des Tons - der partiell gestraft werde 
-nicht ein Verbot der Sache einschlieBen . Ich wahle das starkste 
Beispiel: ein philosophisches Werk sei in Blasphemien einge- 
kleidet, Erlaubt es! sag' ich; denn eine gelesene ist keine ge- 
wollte. Ist denn eine gehorte, geschauete Sunde die meinige? 

20 Eher meine Erhebung kann sie werden. Gebt also dem lastern- 
den Autor seine Freiheit und seine - Strafe; und lasset dem Leser 
den Rest. 

In Paris kam einmal jeder, der einen Wagen hatte, in die Kir- 
che 1 , um die schrecklichen Blasphemien anzuhoren, die ein Be- 
sessener unter seinen geistlichen Kur-Krisen ausstieB. Vielleicht 
waren damals durch den Gegensatz mehr religiose und anbe- 
tende Gefiihle in der Kirche als unter dem kalten Lobpreisen der 
Prediger, welche den Unendlichen in ihrer Paradewiege wiegen 
wollen. Auch lasset sich streiten, ob man nicht in groBen Stadten 

30 gegen die Kalte der Kirchenandacht etwas tate, wenn man von 
Zeit zu Zeit an hohern Festen irgendeinen Besessenen als Ge- 

1 In die sogenannte heilige Kapelle, wo jahrlich am Karfreitage ein 
Stuck des heiligen Kreuzes und Besessene, die davor lastern, ausgestellt 
wurden. 



852 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

sandtschaftsprediger die Kanzel besteigen lieBe zum Lastern und 
dadurch das kalte Anhoren und laue Nachbeten abwendete. - 
Urn zurtickzukommen, ich spreche also gar nicht dagegen, daB 
man, wie sonst, dem, der Gott lastert, die Zunge ausschneide; 
aber sie, wie die Zensur tut, dem Menschen vorher ausreiBen, 
damit er nicht damit lastere, heiBt ihn durch unhofliche Voraus- 
setzungen nicht delikat genug behandeln. 



Achter Abschniti 
Zensur der Kunst 

1st von wahren Kunstwerken die Rede, nicht von Kunststiicken, 
so verlohnt ein Religions-Edikt dariiber nicht einmal der 
Druckkosten, weil ja in manchem deutschen Kreise und Jahrze- 
hend kein einziges erscheint. Wer wird ein Pilatus-Gericht Jahre 
lang niedersetzen und teuer besolden, damit es einmal einen 
gottlichen Sohn verhore? Ja, ists sogar, wenn er kommt, nicht 
besser, ihn nicht zu richten und hinzurichten? - Ein getotetes 
oder verstummeltes Kunstwerk ist Raub an der Ewigkeit; eine 
unterdriickte Wahrheit wahrscheinlicher nur einer an der Zeit; 
weil kein gemeines Individuum, geschweige ein ungemeines 
wiederkommt; weil der Zufall wohl eine Wahrheit, aber nie ein 
ganzes Kunstwerk verleiht; weil mehrere Baumeister leicht das- 
selbe ahnliche Lehrgebaude zimmern, aber nicht Vater densel- 
ben ahnlichen Sohn erschaffen. 

DaB ein Kunstwerk als solches nie unsittlich sein kann - so 
wenig als eine Blume oder die Schopf ung - und daB j ede partielle 
Unsittlichkeitsich, wie partielle Geschmacklosigkeit, durch den 
Geist des Ganzen in sein Widerspiel aufloset, brauchte z. B. ge- 
stern weniger bewiesen zu werden als vorgestern. Auch konnte 
f erner ein wahres Kunstwerk mit seinem Scheine nur dem Volke 
schaden; aber eben diesem kann es ja nicht einmal damit gef alien; 
ihm folglich einen Tacitus, Persius, Plato verbieten, heiBet dem 
Blindgebornen Tizians Venus untersagen. Die langste Schiirze 
fiir Thummels adamitische Grazie ist das Augenfell der Menge. 



FREIHEITS-BUCHLEIN ■ NRO. Ill ' 8 853 

Dasselbe gilt fur das Lachen der Kunst; und ich berufe mich 
hier (doch mit Einschrankungen auf Zeit und Ort) auf Schlegels 
Worte iiber das griechische Belachen der Gotter 1 . Goldoni bittet 
in der Vorrede zu seiner Komodie, alles, was darin etwa gegen 
die Religion vorkomme, bloB fiir SpaBe dagegen zu halten. - 
»Das verbieten wir eben«, wiirde der deutsche Zensor sagen. 
Doch sobald er von gespielten, nicht von gelesenen Lustspielen 
sprache, hatt' er mehr Recht; aber lei der auf Kosten unserer un- 
sittlichen Zeit. Denn wenn in Griechenland bei den olympischen 

10 Spielen jedes Kunstwerk zensurfrei gedruckt, namlich vorgele- 
sen werden konnte dem ganzen Volk; und wenn folglich in die- 
sem Falle entweder das Volk keiner Zensur bedurfte, oder das 
Werk keiner, oder eigentlich beide: so beweiset der deutsche 
Fall, wie schlecht die Zeit sowohl lese als schreibe. 

Hingegen jene Werke, die keine Kunstwerke, sondern nur 
Lyoner, Niirnberger, Augsburger Arbeit sind, weniger.zum 
Kunsthandel als zur Handelskunst gehorig, dem Volke aus den 
Augen gestohlen und sich eben daher ihm wieder ins Herz steh- 
len, diirfen schon der Menge ihrer Leser und ihrer eignen wegen 

20 nur an den kiirzesten Ziigeln und Ketten der Zensur ins Freie ge- 
lassen werden, sobald sie die Unsittlichkeit aushauchen, wozu 
ihnen das Gegengift fehlt. - Und doch gerade diese reiBenden 
Tiere gehen ohne Kaficht reiBend ab und auf, die strengen Zen- 
soren erlauben eher die Befleckung eines Lese-Volks als eines 
Fiirsten-Namen. Aber lieber werde selber Gott als die Unschuld 
beleidigt; denn eine gedachte (gelesene) Blasphemie stimmt die 
Phantasie zu nichts (hochstens zum Gegenteil), aber eine gele- 
sene Unzuchtigkeit iiberreizt die junge Seele im Treibhaus des 
Korpers zur Fortsetzung. - Wenigstens sollte es Verbote, wenn 

30 nicht mancher Biicher, doch mancher Leser geben, namlich fiir 
Leihbibliotheken . 

1 Athenaum III. S. 252. 



854 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

. Neunter Abschnitt 
Zensur der Geschkhte 



Jetzt kommen wir erst ins innere Reich und Afrika der Zensur; 
die armen Zeitungsschreiber halten sich darin auf und zuweilen 
ein Magnat von Geschichtschreiber, ein GroBkreuz unter Klein- 
kreuzen . 

Denn was Religion und Sittlichkeit anlangt, so ist es wohl 
nichts als Pflicht der Dankbarkeit, wenn man freudig behauptet, 
daB beide jetzt ohne alle Gefahr von jedem anzufallen sind, viel 
leichter als irgendein Kleinkonsul eines Reichsddrfchens. Gegen 10 
den Regenten der Regenten - nur ein atheistischer Franzose kann 
mich hier miBdeuten - ist zum Gliick alles zu sagen erlaubt, nur 
gegen dessen irdische Ebenbilder und Pro-Konsuls und Unter- 
Imperatoren weniger, so wie man etwa in einer turkischen Pro- 
vinz unschadlicher gegen den GroB-Herrn als gegen dessen 
Klein-Herren und Beys eintunkt. 

Bei dieser richtigen Entgegensetzung des Himmelsthrons und 
des Thronhimmels ist nichts so sehr zu meiden, als sie uber die 
Grenzen zu treiben und dadurch auf zwei Abwege auf einmal zu 
geraten. 20 

Der eine ist der kleinere und weniger bedeutende, da er sich 
bloB auf Religion, nicht auf Fiirsten bezieht. Da namlich jetzt 
den Betglocken nicht das Glockenseil, aber doch der Kloppel 
fehlt und man kein Lauten hort - da wir immer mehr aus letzten 
Christen wieder zu ersten werden, welche Taufe, Abendmahl 
und alle ihre Gebrauche auBerst geheim hielten vor Heiden - und 
da so vieler Anschein ist, daB die Seetaufe der Linie die Landtaufe 
uberlebe, und daB , wie sonst die Bibliotheken in Gottertempeln, 
am Ende die Tempel nur in Bibliotheken aufbewahrt werden: 
so kann es unmoglich zu jener Uberfurcht, die man den Berliner 30 
Monatsschriftstellern als diseurs de mauvaise aventure gegen Je- 
suiten und Katholiken schuldgab, gerechnet werden, wenn man 
sich denkt, es konnte dahin kommen - freilich nur kiinftig, nicht 
jetzt -, daB auf dem umgekehrten Wege die Bibel zum zweiten 
Male verboten wiirde, aber von Protestanten als zu religios und 



FREIHEITS-BUCHLEIN ■ NRO. Ill ■ 9 855 

schwarmerisch (was wohl schwer zu leugnen), und daB man sie, 
wie in England unter Heinrich HI., wenigstens Bedienten, 
Lehrjungen, Taglohnern, Weibern untersagte, indes man sie 
wohl aufgeklartern hohern Standen in der Hoffnung zulieBe, 
daB sie es, wie das Buch de tribus impostoribus, mehr als Selten- 
heit und literarisches curiosum und mehr der Form wegen stu- 
dieren wurden. 

Noch ist diese Furcht viel zu friih; in den osterreichischen, 
sachsischen und andern Staaten ist groBe PreBfreiheit/wrdie Re- 
ligion erlaubt und nichts weniger zu befahren als ein Ir-Reli- 
gions-Edikt, vom 9. Jul. 

Aber der andere Abweg ist abschussiger. Wenn wir die Bii- 
cher, die die Tiirken zu drucken verbieten, namlich die religio- 
sen, erlauben: so verbieten wir schon mehr die, welche bei den 
Agyptern allein (denn die Wissenschaften kamen auf Stein) auf 
Papier geschrieben wurden, namlich die geschichtlichen. Noch 
wird nicht jedes historische Geschriebene als verpestet durch den 
Essig der Zensur gezogen, z. B. eben Brief e. Wenn die venezia- 
nische Staats-Inquisition jedem untersagte, die Regierung so- 
wohl zu tadeln als zu loben, so haben wir noch immer bisher un- 
sere alte Freiheit, eine Regierung zu loben, als das groBere 
Uberbleibsel des achtdeutschen Geistes zu verfechten gewuBt 
und sie mit dem Verluste der kleinern Halfte wohlfeil genug er- 
kauft. 

Uebrigens ist Deutschland jetzt wie bei den Alten die Leana 
abzubilden, als eine Lowin ohne Zunge - ihr Verwandter, der 
englische Wappen-Lowe, hat auBer noch groBeren und schar- 
fern Dingen auch eine rauhe Zunge im Rachen -; doch bleibt uns 
noch die Geistersprache; derm Paracelsus sagt sehr schon: die 
Sprache der Geister ist Schweigen. 

Was uns dahin gebracht und uns die musa tacita der Romer 
als die zehnte gegeben zum Gleichgewichte gegen unsere neun: 
dieses darf nicht einmal vom gegenwartigen Verfasser, so 
deutschfrei er sonst hier spricht, genannt oder von weitem be- 
zeichnet werden. Wie unterscheidet sich dagegen von uns 
Frankreich, welches mit so groBer Freimuthigkeit sowohl uber 



856 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

deutsche Staaten spricht als iiber andere fremde! Moge dieser ur- 
bane Staat uns auch hierin Gesetz und Muster sein und uns so 
freimiitig machen, als er selber ist! 

Zehnter Abschnitt 
Zensur der Reisebeschreiber 

Man weiB, was sonst Zurich, Bern, Reichs- und andere Stadt- 
cheti von ihren Biirgern f oderten: es sollte, wie in Lesezimmern, 
nicht gesprochen werden, und wie in Gesellschaftszimmern, 
nicht gelesen. Kleine Staaten und Fiirsten hielten alles Erkennen 
fiir boses Rekognoszieren der Dokumente und Truppen (von 
Juristen und von Feinden) und das Verraten der Gesetze, der 
Einkiinfte, der Prozesse fiir ein Verraten der Parole; gleichsam 
als gab' es nichts Offentliches als den Krieg und die Gewalt. Jetzt 
hat PreuBens Muster - von welchem sich unsere Jahre der geisti- 
gen Freiheit und der habeas-corpus-Akte datieren - und spater 
Schlozers Brief wechsel - der uns einige Freiheiten der englischen 
Kirche zuwarf und dessen Verdienst um deutsche Freiheit blofi 
dadurch, daB er sich eine nahm, unschatzbar ist - die deutscheh 
Stadte doch so weit hingewohnt, daB sie einem Reisebeschrei- 
ber, der durch sie mit dem DintenfaB in der Linken und mit der 
Feder in der Rechten zieht, alles zu schreiben verstatten uberalle 
Stadte, was nicht gerade die betrifft, welche iiber die andern frei 
zu schreiben erlaubt; - so daB ein solcher Mann sein Tagebuch 
ganz unbeschadigt durch alle Stadte durchbringt, wenn er nur 
jeder das Blatt aufopfert, das iiber sie selber handelt. 

Eine Reichsstadt, worin sich die deutsche Reichs- und Klein- 
stadterei am langsten erhalt - ausgenommen die beiden Reichs- 
Pole des deutschen Anglizismus und Gallizismus, namlich 
Hamburg und Frankfurt -, lasset ungern etwas notifizieren, au- 
Ber in Regensburg Kaiser und Reich durch den Gesandten; sie 
hat noch solche Gesetzgeber wie Sparta, namlich Lykurge, die 
nicht bewilligen, daB ihre Gesetze geschrieben werden; regiert 
von gelassenen Personen mit der Feder im Mund, sehen sie den 
Mund in der Feder nicht gerne. - 



FREIHEITS-BUCHLEIN • NRO. Ill • II 857 

Landstadte sehen nichts mit mehr VerdruB durch ihr Tor rei- 
ten - wenn sie eines haben - als einen Reisebeschreiber, welcher 
der Welt, die der Sache schon unter dem Lesen vergiBt, indes das 
Stadtchen sie Jahrzehende lang repetiert, alles vorerzahlt, was 
man darin kaum leise zu denken wagte neben seinem Gevatter. 
Das Stadtchen glaubt, es sei den Fremden (d. h. der restierenden 
Erdkugel) so bedeutend als ein Fremder ihm. Da es nicht ver- 
mag, iiber ein gedrucktes Buch sich wegzusetzen, weil selten ein 
Buch in der Stadt, diese noch seltener in einem Buch vorkommt: 

10 so glaubt der gute freundliche Ort, das Schlimme sei, wenig- 
stens fur die Welt, schon erwiesen, weil es gedruckt sei. Ober- 
haupt ist der Deutsche so gern zu Hause und so banglich vor je- 
dem Ehrenfleck, daB er sich nicht ohne Grausen in die grofite 
Gesellschaft ziehen laBt, die es gibt, in die von 300000 Lesern; 
er kennt offne Tiiren nur bei Abbitten und Todesurteln. Kurz 
die Stadt will nirgends gedruckt erscheinen als auf der Land- 
karte; und etwa in der Reiseroute ihres Regenten. 

Dorfer sind stiller, ja still zu allem, was laut wird von ihnen. 
Residenzstadte - falls eine Reise-, ein Zeitungs-, ein sonstiger 

20 Schreiber sie abschattet und projektiert - sind liberaler und ver- 
tragen mehr Publizitat von Wahrheiten, zumal von angeneh- 
men. Ja, sogar an Verfasser von bittern sucht man, so wie man 
Klotzchen an Schliissel kniipft, um sie nicht zu verlieren, eben- 
falls (es sind lebendige Schliissel des Staats, sagt man) etwas ahn- 
liches entweder Schweres zukniipfen, z. B. FuBblocke, um sol- 
che immer zu behalten, oder etwas Lautes, wie an kostbare 
Falken FuB-Schellen, damit sie sich nicht versteigen. 



Eilfter Abschnitt 
Zensur der Hof-Zensuren 

30 Es gibt eine doppelte Publizitat, die iiber die geheiligte Staats- 
person des Fiirsten und die iiber dessen Finanz-, Kriegs- und Re- 
gierungs-Operationen. Die Zensier-Freunde sehen gern die 
zweite mit der ersten verwechselt, um iiberall das Ventilregister 
des Schweigens zu ziehen und jede Untersuchung zu einer Maje- 



8^8 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

stats-Injurie zu verkehren, als ob der Beweis des Irrens, er werde 
iiber einen Autor oder iiber einen Fiirsten gefiihrt, eine Beleidi- 
gung fur die Ehre ware. Kann'ein Regent mehrere Ehrenpforten 
fiir seine Talente begehren als ein Plato, Leibnitz, Montesquieu, 
Rousseau, welchen alien man verschiedene Irrtiimer ins Gesicht 
bewiesen? Mich diinkt, ein bescheidener Furst mufite sich eher 
jenen GroBen gleich setzen als ihnen iiberlegen. 

Da ein Regent alien alles befiehlt: so kann er leicht glauben 
oder fur notighal ten, auch alles zu wissen; allein niemand fodert 
diese Oberzeugung. Wenn Friedrich der Einzige die deutsche 10 
Literatur rezensiert; wenn. Bonaparte nach einem 2 Seiten star- 
ken Auszug aus Kants Kritik nichts sagt als sie sei pleine de bi- 
zarreries, sans suite, sans consequence et sans but: so ist klar, daB 
beiden GroBen - ungeachtet ihrer Falkenblicke durch die lange 
Zukunft und iiber die breite Gegenwart - dennoch, im Falle der 
eine asthetische Professuren, der andere philosophische organi- 
sieren wollte, einige MaBregeln von ungekronten Kopfen von 
wahrem Nutzen waren. Folglich erlaube der Regent iit>er jede 
seiner Operationen die freieste offentliche Untersuchung; denn 
entweder seine Untertanen werden gegen ihn iiberzeugt: so han- 20 
delt er wie im Falle des Kriegs, gegen welchen alle Moralisten 
seit Jahrtausenden schreiben und schreien, und in welchen doch 
alles vom GroBten bis zum Kleinsten mitzieht, und alien ist Kor- 
perzwang durch Geisterfreiheit versiiBt; oder sie werden fur ihn 
gewonnen: so gesellt sich das Licht zur Macht. Ob er nun iiber- 
haupt lieber der Mond sein will, der die Flut nach Kartesius 
durch Drucken erregt, oder der Mond, der nach Newton sie 
durch Ziehenhtbt, ist leicht entschieden. Will man nicht Stadte 
und Dorfer als bloBe Wirtschaftsgebaude des Thronschlosses 
stehen lassen: so setzt jedes Verbergen ein BewuBtsein voraus, 30 
das selber noch mehr zu verbergen ware; es ist eine Kriegslist 
mitten im - Frieden. 

Eine andere Publizitat ist die der Zeitungsschreiber. 

Wenn man hort, wie frei der Englander in Zeitungen und im 
Parliament alle andere Hofe behandelt, und wie frei seinen eig- 
nen Staat, worin eine stehende Opposition ohne ein stehendes 



FREIHEITS-BUCHLEIN • NRO. Ill "11 859 

Heer, wie bei uns dieses ohne jene ist; und wenn man doch ver- 
nimmt, daB die Minister und der Hof und der Konig alle Nebel 
niederglanzen, welchejedes Abend- und Morgenblattaufstei gen 
lasset: so begreift man nicht, warum irgendein Hof furchtsamer 
ist bei kleinern Folgen, die ihm jede freie Presse schicken kann, 
welche bei seinen Untertanen doch nur die Gesprache wiederholt. 
Oft verbieten grofie Hofe Nachrichten, die nirgends bekannt 
sind als in Europa, als ob das Gesprach nicht schlimmer ware, 
da es alle Starke der Heimlichkeit und alle Verworrenheit und 

10 Einseitigkeit der augenblicklichen Geburt und der gemeinen 
Vater behalt. 

Es werden mehr Liigen gesagt als gedruckt; und die mundli- 
chen sind kaum umzubringen, aber die schriftliche leicht. Da 
Fiirsten eigentlich nur nach Hofen und Thronhimmeln fragen 
und sehen, weniger nach dem tiefen Boden, wo das Volk wim- 
melt: so scheint es, muBten sie statt aller Zeitungen, die nur dieses 
belehren, lieber die Gesandten zensieren und fiirchten, die jenen 
vier Wochen friiher sowohl die groBten historischen Wahrheiten 
als Nachrichten zufertigen. Welche schwarze Schreckbilder 

20 konnen sie iiberhaupt im DintenfaB und Druckerkessel erblik- 
ken, wenn sie in ihrem eignen Lande den feindlichen Manifesten 

- die immer mit wahrer Freimiitigkeit geschrieben sind - umzu- 
laufen zugestehen, wahrend der Feind mit Korpern an der 
Grenze steht, dem sie eine Werbung der Seelen auf ihrem Terri- 
torium verstatten? - Und doch machts der Feind ebenso, und 
nichts schadet. Dies setze nur jeder Regent des Landes voraus; 
er vergleiche sich nur kiihn mit den Regenten des Publikums - 
wie Friedrich II., der auf jede Weise regierte, uns Autoren zu- 
sammen benennt -: Himmel, wie werden wir Karten- und 

30 Schiitzen-Konige der Welt von den vielen Zeitungen, welche 
jetzt von den Mitlesern gehalten werden, zerrissen und verstaubt 

- mit Impfnadeln zerstochen, mit Wundspritzen befleckt - in ef- 
figie an unsern Ordensketten aufgehangen - auf Federn, als 
Schandpfahlen, lebendig gepfahlt - nach Siberien geschickt, auf 
dem Kopf mit Sanbenitos voll Flammen - kurz viel arger zer- 
stiickt und beschmutzt als die niedlichste Kleiderpuppe, die ein 



860 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Kind Jahre lang herumgetragen und ausgezogen, oder als alte 
Ordensbander, die ein Jude zu Wickelbandern verkauft! - Und 
doch wachsen, wenn man einen solchen durchschossenen Re- 
genten der Welt selber besieht, ihm taglich lustige schwere 
Zweige, und seine Farbeist sehr munter und griin - er wiegt sei- 
nen Gipfel ruhig - er weiB kaum etwas vom Waffen-Tanz um 
seine Rinde und ist gar nicht zu verwiisten. 

Warum scheuet aber ein Fiirst politische Zeitungen mehr als 
ein Autor gelehrte und erlaubt nicht jene so frei als dieser diese? 
Derm wenn er vierzig Blatter zu Eselsohren eingebogen hat, und 
doch das 4ite, z. B. britische, nicht krummen kann, sondern es 
wie einen Eilboten aus London fliegen lass en muB: was hilft ihm 
die Quarantine einer Vierziger-Mannschaft, wo von der 4ite 
ansteckt?- Es hilft ihm nichts, aber nur darum, weil das Gegen- 
teil ihm nicht schaden wiirde: denn an der Zeit stirbt die Zeitung, 
Kronos yerschlingt sogleich sein Kind. Ja wie ein gekronter 
Schutzengel der Menschheit aus wohlwollenden Griinden, so 
wird ein Wiirgengel derselben, wie Tiberius, aus selbstsiichtigen 
der Sprech- und Schreibsucht alles erlauben, als den besten Ab- 
leitern der Handelssucht. - Aber wozu dieser diistere Beweis? 
Der Ruhm und Ruf eines Furs ten - wie jeder historische - ruht 
j a nicht auf einzelnen zufalligen Tatsachen, die so leicht zu er- 
schiittern, zu verdecken und zu erdichten sind, sondern auf dem 
unwandelbaren unverhehlbaren Geist, der durch ein ganzes Le- 
ben zieht. Der Geschichte konnen Fakta, aber nie Geister entwi- 
schen; und ein Geist, welcher fahig ware, zumal in der Hohe des 
Throns, gleich einer Sonne die ganze Wiiste seiner Natur mit 
lauter Lichtwolken zu iiberdecken durch ein ganzes Leben hin- 
durch, nun ein solcher ware denn ebenso groB, daB er nur eine 
Sonne, namlich ein leben des wohkatiges Gestirn sein konnte 
und kein f eindseliges . 

Soil endlich nie eine wahre'freie Geschichte geschrieben wer- 
den als lange nach dem Tode des Helden, wenn schon Zeugen 
und Erinnerungen vergangen und Proben unmoglich sind? Und 
ist zum Tadel des Helden eine so alte Vergangenheit erforderlich 
als zur Epopee desselben? - Und wie alt muB sie sein? - So viel 



FREIHEITS-BUCHLEIN ' NRO. Ill • II 86l 

ist leicht zu entscheiden, daB der Hofprediger noch sehr zu loben 
hat als Leichenprediger; aber schwerer laBt sich sagen, wenn, 
unter welchen Regenten eines Hauses die Independenzakte der 
Wahrheit iiber die vorigen eintrete in Giiltigkeit. In Paris z. B. 
getraute sich wohl jeder unter Ludwig XIV. iiber die Karolingi- 
schen Konige alles frei zu schreiben, was man eben da von weiB; 
bei welchem aber unter den Capetingischen Konigen die Frei- 
heit, einen da von zu messen, aufhort, ob bei Heinrich IV. oder 
erst bei Ludwig XIII., ist eine gefahrlichere Untersuchung. Was 

io wird aber aus der Geschichte, wenn sie ein regierendes Stamm- 
haus nicht eher beerben kann, als bis es ausgestorben ist? Soil, 
wie in Italien bei einem Leichenbegangnis, bloB der Tote aufge- 
deckt, und alle Begleiter desselben verlarvt Ziehen? - Ebenso 
viele Inkonsequenzen des Tons gibts im Raume. GroBe Staaten 
erlauben iiber kleine alle Freiheiten der Sprache; kleine aber nicht 
iiber jene; als ob das Recht nach der Areal-GroBe wechselte. - 
Ferner: iiber Reichsstadte und Republiken gaben die Monarchen 
gern den Autoren den Binde- und den Lose-Schliissel zugleich 
- iiber sich denletztern -; und fur wie frei die Deutschen die kai- 

20 serliche Republik ansehen, beweiset am besten der Ton, womit 
sie von Bonaparte als von einem ersten Casar sprechen, der an- 
dern Casarn seinen Namen leiht. 

Ober die 13 vereinigten Staaten wird von alien deutschen 
Thronen, weil jene unter ihnen sind, sogar topographisch, und 
noch dazu frei, ein freies Wort nachgesehen. - Fiihren zwei 
Monarchien Krieg, so konnen Gelehrte so lange manche feindli- 
che Gebrechen aufdecken, bis man den Frieden schlieBt und da- 
mit ihnen den Mund. Aber ganz mit Unrecht; denn so wie der 
romische Burger bestraft wurde, der, ohne Soldat zu sein, den 

30 Feind umbrachte, so kann - den vom Staate bevollmachtigten 
Gelehrten ausgenommen, der das Manifest aufsetzt - keine Pri- 
vatperson vom Kriege andere Rechte zur Freimutigkeit gegen 
die feihdliche Souveranitat erhalten, als er schon vom Frieden 
hatte. 

Allerdings ist der erste kalte Schauder, der auch einen besten 
Fiirsten vor einem aufgeschlagenen Buche iiberlauft, zu denken 



862 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

und zu retten. Er hat schon von seines Gleichen her keinen an- 
dern Ton gewohnt als den geselligsten, der nichts starker fiirch- 
tet, als sich oder andere zu verstimmen; wie viel mehr folglich 
von seines Ungleichen! Seine ganze Erziehung (durch Hofmei- 
ster und Hof) ist fast eine fur die feinere Geselligkeit; jede 
Stunde, die er alter wird, schafft er mehr Gesellschafter an und 
mehr Hofmeister ab, bis er zuletzt die Rolle der letztern allein 
iibernehmen muB, und (wie die Zoglinge beweisen) nicht ohne 
Gliick, insofern ein Hofmeister wenigstens nichts Hoheres von 
seinen Schiilern begehren kann als seine - Nachahmung. Dieser 10 
gesellige Ton der groBen Welt - welche die groBte wird am Hofe 
-ist nichts anders als die groBe starkste Liebe, wie namlich Leib- 
nitz letztere definiert: amare est, sagt er, felicitate alterius delec- 
tari; Lieben heiBt, sich sehr ergotzen an fremder Gliickseligkeit. 
Nie geht ein Hof abends seliger (er spricht bis Sonntags davon) 
auseinander, als wenn der »Herr« besonders aufgeraumt gewe- 
sen; nicht etwa bloB aus Eigennutz - der am Hofe weniger im 
Triiben als im Hellen fischt, weniger aus der MiBlaune als aus 
der Laune -, sondern wirklich, so sehr er auch fortfischt, aus ei- 
ner Anhanglichkeit an den »Herrn«, welche durch langes Fami- 20 
lien-Beisammensein etc. etc. etc. etc. weit mehr aus einer vorge- 
spiegelten zu einer innigen werden kann, als man voraussetzt. 
Und umgekehrt; Herr und Diener gewohnen sich in einander - 
das ewige Sehen versiiBt gegenseitige Eigenheiten - alles wird 
zu einer Krone geschoren, vom Monch an und vom Hofweibe, 
das als Blume schon eine Blumenkrone tragt, bis zum Hofmann, 
dessen Baum Le notre 1 zu einer Krone schneidelt - O man ist 
so gliicklich! - 

In der Tat reifen an dieser warmen Sonnenseite und Sommer- 
wende des Thronhimmels (wenn mir wie andern in der Aus- 30 
schweifung fortzufahren verstattet wird) gesiindere Friichte, als 
man vermutet. 

Gerade der allgemeine Hof-horror naturalis, dem »Herrn« 

1 Le notre war bekanntlich ein Deutscher; daher hieBen ihn die Fran- 
zosen den ihrigen. 



FREIHEITS-BUCHLEIN • NRO. Ill - 1 1 863 

nur zwei unangenehme Stunden zu machen - Tage werden sel- 
ten daraus -, lasset jeden, auch den kuhnsten rechtschaffensten 
Giinstling, langer am Thron-Rande feststehen, als sonst wohl 
selber manche fiirstliche Gewohnheit, mit Menschen und Sa- 
chen zu wechseln, gern line. Will denn nicht oft ein ganzer Hof 
mit tausend Freuden einen Giinstling fallen und alles Teuere, ja 
Teuerste dazu opfern, wenn nur nicht jeden das Grausen vor der 
verdruBlichen Stunde starr machte, die er dem Herrn durch die 
Entdeckung zubereiten muB, daB der SchoBmensch dessen Gift- 

ro mischer sei? Gewohnlich wird ihm daher selten ein welker 
Giinstling aus der Hand gezogen, wenn ihm nicht ein fertiger 
sofort auf der Stelle darein zu geben ist. Bezaubern ist gefahrlo- 
ser als Entzaubern; daher wird zu dem letztern oft ein Weib ge- 
nommen, damit doch einiges Gegengift bei der Hand sei. 
Die meisten Schreiber stellen sich das Verdienst, eine scharfe 
■ Wahrheit wie einen Hofdegen mitten im Lustball aus der Scheide 
zu Ziehen, zu leicht und noch bequemer vor als die Kiihnheit, ge- 
gen eine Gesellschaf t von ihres Gleichen eine schneidende Wahr- 
heit zuentbloBen; denn sie denken sich iiberhaupt den Hofmann 

20 zu kalt und hart, da er doch mehr dem Hagel gleicht, der nur 
auBen eine Eisrinde hat, innen aber zarten weichen Schnee. Was 
bleibt nun der Wahrheit und dem Throne iibrig? - Biicher. Da 
manche bittere Wahrheiten mundlich ohne jene VersiiBungen 
gar nicht zu sagen sind, die oft ihre Wirkung aufheben - so wie 
etwa der spanische Konig nach der alten Sage vom Papste am 
griinen Donnerstage exkommuniziert und sogleich absolviert 
wurde -; da nach einem altdeutschen Sprichworte 1 ein Stein 
' durch keinen Fuchsschwanz zu behauen ist: so iibernehme das 
tote Buch die freie Sprache und richte kuhn die Welt und mit ihr 

30 einen, der sie wieder richtet. Deswegen werde dem tiefern Chor- 
ion der Biicher sein Abfall vom Kammerton der Geselligkeit 
mehr zugute gehalten - und lieber werde der Sache der Ton ver- 
ziehen als dem Ton die Sache; wenigstens sollte die Zensur lieber 
zugleich erlauben und bestrafen, als beides unterlassen. 

1 In Lehmanns Florilegium politicum. 



864 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Biicher haben neben dem Vorteil der Starke der Stimmen noch 
den ihrer Mehrheit; beides gehoret dem tiefen breiten Boden an, 
aus dem sie aufsteigen zur Thronspitze. Physisch hort man zwar 
besser in der Hohe die Tiefe, aber moralisch besser in der Tiefe 
die Hohe; und die Hofgeheimnisse erfahrt das Volk wenigstens 
leichter als der Hof die Volksgeheimnisse. 



Zwolfter Abschnitt 
Tonmesser des deutschen Tons uber Fursten 

Noch ist der Ton schlecht; wenigstens schlechter als der gallische 
und britische; entweder schreitet er in siiBlichen, auch falschen 
Quinten fort, oder er gibt die harte Sekunde anmaBender Nahe 
und Riige an. Warum? fragt man - Warum, antwort' ich, kann 
der Deutsche nicht einmal seinem Vetter, Gevatter, Vater ein 
Werk in so gutem Tone dedizieren als irgendein Franzose, ohne 
in jenen alten akademischen zu geraten, womit er sonst nicht den 
Vater, sondern den Landesvater teils in Verse-Stichmen, teils in 
Hut-Stigmen ehren wollte? 

Freilich hat er den ehrlichsten und langweiligsten (Ton) von 
der Welt. Noch fehlt unter alien Werken der Erde das allerlang- 
weiligste, wiewohl es blattweise umlauf t; namlich ein mittelma- 
Biger Oktavband gesammelter deutscher Zueignungen. Wer 
sich ihn nur denkt, gerat in SchweiB; werd' er nie gesammelt, 
der Oktavband! Der Deutsche versteht es viel leichter, jedes Lob 
zu verdienen, als eines zu geben; dem Franzosen wird sogar das 
Umgekehrte leichter. Ganze Bande Lobreden, wie von d'Alem- 
bert und noch mehr von Fontenelle, sind noch jetzt unsere Lust 
und Lehre; aber man lege einmal die Bibliothekenleiter an eine 
ahnliche deutsche Bibliothek an! Warum nun ist der deutsche 
Lobredner fast so langweilig? 

Einige Ursachen lassen sich sagen; denn alle geben, hieBe fast 
die Wirkung geben. 

Der Deutsche ist redlicher als jede Nation; nur er darf die 
Phrase »deutsch handeln« fur »gerade handeln« nehmen - »italie- 



FREIHEITS-BUCHLEIN • NRO. Ill * 12 865 

nisch, franzosisch, englisch, irlandisch handeln« bedeutet bei 
den Volkern selber etwas anderes -; und zugleich ist er als Volk 
von Natur unpoetischer als jedes. 1 Kommt er nun in die Emp- 
findung des Bewunderns: so wird sie, wie jede, so iiber- 
schwenglich, daB er, wie die Romer vor ihren Kaisern, die Ak- 
klamationen 6omal wiederholen mochte - und daB er um die 
Oberfiille des Stoffs den Reiz irgendeiner Form, welche dem 
Gegenstande Langeweile und Erroten ersparte, ganz zu ziehen 
versaumt. Er wunschte nur, der Deutsche, daB es noch etwas 

10 Hoheres gabe als »hochste Bewunderung und Verehrung und 
die Nachwelt«, daB er noch defer in Ehrfurcht ersterben konnte 
als zu den FuBen u. s. w. Ja, weil das Gefuhl auf einmal kommt, 
wenn er sich vor das Zueignungs-Pult stellt: so wird ihm, so 
lange als er Papier und Dinte vor sich sieht, glaublich, er habe 
dieses Gefuhl zuerst, weil ers zum ersten Male hat; und verhofft, 
der Welt so viel Neuigkeiten zu sagen als ein Liebhaber, der von 
seiner Geliebten spricht. Jedes poetische Regieren Ciber eine 
Empfindung setzt deren langeres Alter voraus. 

Ferner ist wohl niemand gegen Hohere so hoflich als ein 

20 Deutschmann seit einigen Sakuln; wieder aus tausend langweili- 
gen Griinden, wovon hundert hier genug sein mogen. Da der 
deutsche Gelehrte (besonders sonst) defer als der auslandische 
von den hohern Standen abliegt; da er sie also halb im Nebel, 
halb im Glanze sieht: so kennt er weder deren Sitten noch deren 
Werth; er schmeichelt sich, mit seinem Lobe wacker zu uberra- 
schen; er setzt, um den Lorbeerkranz fur den Fiirsten nicht zu 
klein zu flechten, ihm lieber den ganzen Lorbeerbaum mit stei- 
fem Stamm und hangenden Wurzeln auf den Kopf; er sagt zu ei- 
nem furstlichen Windspiel und BarenbeiBer, so wie der Hollan- 

30 der alle Hunde ihrzet, Vous - er wiinscht dem Pferd, das er 
vorreitet, etwas von der Kunst jenes alten, den Trajan anzube- 
ten, um schlieBen zu lassen, was vollends geschieht, wenn der 

1 Allein eben darum ist der Einzelne darunter poetischer, weil das 
Gleichgewicht aller Krafte dem Individuum zur hohern dichtenschen 
Unterlage dient. 



866 VERMtSCHTE SCHRIFTEN I 

Reiter absteigt - kurz die Dedikation biickt ihn so, daB er sich 
nicht eher wieder aufrichtet als in der Vorrede, wo er (verhalt- 
nismaBig) sehr keck wird und groB. 

Wenn der Franzose der Kammerdiener Europens war - sonst; 
derm jetzt hat er genug zu tun, will er zu Hause nach dem Bru- 
derkuB den frere servant vorstellen -: so war und ist der 
Deutsche der Schuhknecht, Backerknecht, Reitknecht, Stiick- 
knecht, Hausknecht noch in den meisten Stadten der Erdkugel; 
bloB der deutsche Boden wurde nie von Auslandern besiegt, 
desto mehr dessen Autochthonen, die wenigen ausgenommen, 10 
die aus dem hoflichen Kur- oderAngelsachsen nach dem groben 
Angel-Land abgingen und daselbst verblieben. 

Wenn viele das Sonst und das Jetzt der Franzosen tadeln- z. B. 
die ekel-weiche Preis-Aufgabe der franzosischen Akademie, 
welche Tugend Ludwigs XIV. die groBte sei, oder die ruchlose 
Leichtigkeit, Bonaparte zur gottlichen Providenz oder gar voll- 
ends Robespierre zum Wiederschopfer des Schopfers auszuru- 
fen -: so bedenk' ich fur meine Person dagegen sehr, daB sie ihre 
eigene Weise haben und lieben, namlich schimmernde Gegen- 
satze nicht nur zwischen Sprechen und Glauben, sondern auch 20 
liberall, so daB sogar der bescheidenste Mann (wir haben das 
Beispiel) ganz leicht von ihrem Redner-Witz ein Lob annimmt, 
das er bloB fur den Bestandteil eines Einfalls und einer Einklei- 
dung ansehen darf , wenn er nur will - Und Himmel, wie sind 
sie - das vermag keine Delikatesse deutscher Kleinstadterei - so 
artig-pikant, so verbindlich-keck! Welcher Deutsche hatte wohl 
in der franzosischen Akademie so philosophisch-kuhn iiber Fur- 
sten-Pflichten gesprochen, da der bewunderte Kaiser Joseph II. 
darin war, als d'Alembert getan? Hatte man nicht lieber die 
SchweiBkur 1 des Belobens dem hohen Graf en von Falkenstein 30 
verordnet? Ja, hatte man ihn nicht gar, wie auf deutschen Aka- 
demien Prinzen geschieht, zum Rector Magnificus erhoben? 
Oder welche deutsche Fakultat hatte, wenn Heinrich IV. zu ihr 

1 Die Nordamerikaner setzen ihren Gast zuerst in ein Schwitzbad, 
dann an den Tisqh. 



FREIHEITS-BUCHLEIN * NRO. Ill ■ 12 867 

am vollen Hofe gesagt hatte: »Das ist der tapferste Mann des 
K6nigreichs«, so kiihn wie der franzosische General versetzt: 
» Vous avez menti, Sire, c'est Vous«? Welche Fakultat (die philo- 
sophische will ich ausnehmen als eine weltweise) hatte so 
scheinbare Tadelbriefe an alle GroBen des Reichs geschrieben, 
wie Voiture gethan? - Noch such* ich in den deutschen Kreisen, 
z. B. im kursachsischen, nur die, welche einem Swift durch das 
Imprimatur zulieBe, eine Scherz- und Zank-Folie einem wahren 
Glanz-Lobe des Lord Sommers unterzulegen. Wirklich foliierte 
Swift so vor dem Marchen von der Tonne; aber was wiirde ein 
Deutscher dazu sagen, nicht ein Fiirst, sondern ein Zensor? - 
Dieses gewiC: »Soviel namlich« (brachte er vor) »ho£f er doch 
zu wissen, daB der Respekt, den ein Privater Fiirsten und Lords 
Sommers schuldig sei, nie erlaube, von solchen anders zu spre- 
chenlobend,gedrucktbesonders, als etwa so: Ew. Ew. werf ich 
mich alleruntertanigst zu FuBen und ersterbe etc. etc.« 

Noch ein Grund des deutschen Lang-Tons in jedem Lobe ist 
schon in der Vorschule der Asthetik angegeben. Ich zitier' ihn da- 
her bloB; - denn endlich ists doch zu merken, daB sogar die bio- 
Ben hundert Griinde, worauf ich mich einschranken wollen, 

nicht ohne alle Langeweile aufzogen hintereinander und es 

ist der, um kurz zu sprechen: »daB eben der Deutsche, der wie 
ein Apostel in alle Welt geht, nie gern vor aller Welt erscheint, 
auBer herrlich gekront, gepudert, gelockt, geschminkt. Kants 
Biographien scheueten sich, die Herren namentlich zu nennen, 
die bei dem Seligen mittags gegessen, was doch meines Merkens 
ja nichts ist als eine wahre Ehre. « - Nur iiber seinen Bedienten 
Lampe wird auffallend freimutig gesprochen- als ob die sittliche 
Ehre eines Hausdieners anders zu behandeln ware als die eines 
Staatsdieners -; es ist aber noch nicht entschieden, was, wenn 
nicht Lampe, doch seine Verwandtschaft darauf tun werde. 

In die alte Dessauer Kinderzeitung wurden die Namen man- 
cher Kinder eingeriickt, welche die Rute oder spnst etwas ver- 
dient hatten: ich weiB aber nicht, ob sie jetzt als Erwachsene 
mehr die Offentlichkeit ertragen als andere Deutsche. Auch der 
Reichs- Anzeiger -: unser papiernes Regensburg - tut viel da- 



VERMISCHTE SCHRIFTEN I 



durch, daB er uns alle verkniipft, auskundschaftet, ausspricht 
und, wenn wir nicht ehrlich bezahlen wollen, frei zu nennen 
droht; doch wird diese furchterliche Strafe, vielleicht als eine 
verbotene Selbsthiilfe, selten vollstreckt. 



Dreizehnter Abschnitt 
Definition tines Zensors 

Alles bisher Gesagte sei falsch: so bleibt doch wahr, daB das Zen- 
sor-Gericht einzig in seiner Art ist. Man braucht nur zu fragen: 
Quis? quid? ubi? cur? quomodo? quando? quibus auxiliis? so 
hort man folgende Antworten: 

Quis, wer richtet? - In erster Instanz 1 ein Mensch, haufig von 
unbekanntem Namen, wenigstens literarisch; ein heimlicher 
Femrichter; die 70 Altesten sind nicht die Richter, sondern oft 
die Parteien eines Jiingsten. 

Quid, was zensiert er? - Alles, das Beste und Schlimmste, er ist 
der Richter nicht nur der Lebendigen, sondern auch der Unge- 
bornen, der Bucher und der Manuskripte - das Werk sei eine 
herrliche Wucherpflanze der Gelehrsamkeit, oder ein Frucht- 
und Blumengarten des Genius: der trockenste Zensor kann es 
abmahen - ja es sei ein Giftbaum, er kann es entlauben auf seine 
Gefahr - der Prosaiker richtet den Dichter, iibend an der poeti- 
schen Gerechtigkeit prosaische; der rohe Sinnen-Geist richtet 
den tiefen Weltweisen. 

Ubi, wo?- Km zufalligen Druckerort, auf seiner Studierstube; 
was er verbietet, erfahrt man selten; nur wenn die Tiire der Zen- 
sur jemand einlasset, klingelt sie. Derm da er die Gerichtsbarkeit 
iiber Hals und Hand und iiber Haut und Haar besitzt und f olglich 
ebensogut verstummeln kann als hinrichten: so kommt kein 
Mensch darhinter, was er abgehackt; und jede Form, worin er 

1 Die Appellation an das ganze Zensur-Kollegium fallt einem an 
Geld, Zeit und Gelegenheit armen Autor oder Verleger oft schwerer, als 
das Gesetz annimmt. 



FREIHEITS-BUCHLEIN • NRO. Ill • 1 3 869 

mit Hebammen-Hand den neugebornen Kopf gegriindet, ver- 
antwortet der Vater. 

Cur, warum? - Um teils das Leben, Besoldung, Zensurgro- 
schen davonzubringen, teils fiir Land und Lander zu sorgen als 
geistiger Landrichter; teils aus andern Griinden, - teils aus Furcht 
vor Re-Zensur. 

Quomodo, auf welche Weise? - Auf keine der schwersten. Er 
liest und siegt; er schreibt namlich das Imprimatur entweder teils 
darunter, teils nicht, oder er streicht bloB wie ein Regisseur ein 
Stuck zum Auffuhren. Fiir das Streichen denk' ich mir zwei gute 
widersprechende Grunde: ein Zensor kann erstlich, wie Fortius 
(nach Morhof) sich fiir seine langen Reisen die besten Blatter aus 
Buchern ausriB, gleichfalls so die bessern Stellen streichen, um 
sie etwa zu behalten, wie Rousseau nur das merkte, was er nicht 
aufschrieb. Er kann aber auch zweitens durchstreichen, weil am 
Buche mehr ist als an ihm; - weil er, der Streicher, der Himmel 
weiB aus welcher Despotie, Furcht, Rohheit und Einfalt, sich 
einbildet, seine Ungedanken-Striche seien Taktstriche der 
Spharenmusik des Alls, Demarkations- und Zirkumvallations- 
Linien der Staaten, und das Linienblatt der Zukunft werde ra- 
striert von seiner Hand. Ist dies: so jauchz' ein Autor iiber jede 
Zeile, die man ihm erlaubt; besonders da der Staat den Zensor 
immer nur iiber das Verstatten, nie iiber das Verbieten zur Rede 
stellt. Warum aber wird eben der Zensor nicht wieder zensiert? 
Warum wird sein liquor probatorius - seine sympathetische 
Dinte(eigentlich eine antipathetische) - nicht wieder probiert? 
Warum reicht er wenigstens nicht von Zeit zu Zeit zum Zen- 
sur-Kollegium ein kurzes Verzeichnis der Druckfehler ein, die er 
hat nicht machen lassen? Warum hat jedes Kollegium eine Regi- 
strator, und nur das zensierende keine? 

Wiirde nicht, kann man fragen, wenigstens ein schwacher 
Anf ang zu einer solchen Registratur von erratis oder corrigendis 
gemacht, wenn jeder Autor dazu das Wenige aus seiner Erfah- 
rung, was zensierend ihm ausgestrichen worden, publizieren 
wollte? GewiB ware auf diesem Steige manches zu sammeln, 
was sonst verloren ginge, und was doch kiinftigen Zensoren 



87O VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

diensam ware. Dies ist die Ursache, warum ich zuweilen meine 
eigenen Zensoren bekannter machen wollte als sie mich; nur 
steh' ich noch an, obwohl aus andern Griinden. Denn so hat 
z. B. - um nur einiges anzufuhren - der sonst liberale Zensor 
meines in Berlin gedruckten Titans- Herr v. L-tz - im ersten 
kornischen Anhang desselben eine Satire »Leichenpredigt auf ei- 
nen Fiirsten-Magen« so frevelhaft und taubblind durchstrichen, 
daB ich gezwungen war, den in der Gift-Dinte ertrunknen Auf- 
satz zuriickzufahren auf Wei mars Boden, wo ich damals lebte, 
ihn wieder durch Not- und Hiilfs-Tafeln ins alte Leben zu brin- 
gen und ihn dann mit alten Gliedern aus dieser Musenstadt mit- 
telst des » Weimarschen Taschenbuchs« in die Welt und nach Berlin 
zu schicken und vor den ersten Zensor und vor jeden kiinfti- 
gen. — 

Niemand nahm AnstoB am SpaB; folglich war nur Herr v. L. 
der einzige AnstoB, der zu meiden gewesen. 

Auch ist dies ein unverzeihlicher Fehler der Zensoren - hier 
ware Herr v. L. wieder zu nennen, ware man weniger sanft -, 
daB sie Striche (Streiche) machen durch das Privat-, Geistes- und 
Publikums-Eigentum eines Manuskripts, ohne nachher dem 
Autor oder Verleger davon ein Wort zu sagen. Himmel! ihr 
diirf t dies nicht! Wenn durch sein Ausstreichen ein Autor kliiger 
aufzutreten hofft: so lasset ihr Maschinengotter ihn durch eures 
als Widerspiel erscheinen! Ihr raubet Autoren den wenigen Zu- 
sammenhang, den sie noch unterhalten in ihren Werken! - Nach 
den Jtiden wird jeder verdammt, der nicht hoflich ist gegen Ge- 
lehrte; wie viele Zensoren werden nun selig? 

Quando, wann? - Im neunzehnten SakuL 

Quibus auxiliis, durch welche Hulfen? - Durch die besten Zen- 
sur-Gesetze, welche durchaus nichts erlauben » gegen Staat, Sit- 
ten, Religion und Einzelne«; - vier Worte, die das corpus juris 
der Zensur, namlich dessen Pandekten, Institutionen, Novellen 
und Kodex, schonbefassen. Eineahnliche moralische Heils-Lehre 
und Konkordien-Formel sollte gedruckt erscheinen, bloB mit 
den Worten: handle trefflich! - desgleichen eine so zusammen- 
fassende Asthetik- mit den Worten: schreibe trefflich! - Da die 



FREIHEITS-BUCHLEIN ' NRO. Ill • 1 3 87 1 

obigen Gesetze der Zensur durchaus so alt sind als alles Schrei- 
ben selber: so ist bloB das einzige Neue nachzubringen, was sich 
auf die Anwendung derselben, die nach Ortern, Zeiten, Men- 
schen wechselt, bezieht, weil jede Zeit uber die Verbote der vo- 
rigen lacht und weggeht. 

Aber wie schwer ists, der Luftreinigkeitsmesser des Luftkrei- 
ses eines Sakuls und Volks zu sein! Wie genau muB ein Mensch 
nicht nur seine Pflichten, sondern auch seine Leute kennen und 
besonders das Manuskript neben sich! - 

10 Damit beschlieBet gegenwartiger Verfasser die dissertatiun- 
cula pro loco und wiederholt die Bitte um ein Zensor-Amt. Er 
wollte aber im vorigen Absatz zu verstehen geben, daB er sich 
bloB um das kleinste bewerbe; namlich er will den Zensor-Po- 
sten nur bei seinen eignen Schriften bekleiden, da er zu viele ge- 
druckte zu lesen hat, um andere geschriebene durchzugehen als 
die seinigen. Diesen Posten versieht er, wenn er ihn ersteigt, 
spielend nebenher unter dem Schreiben der Werke selber, 
gleichsam mit einem GesaB zugleich auf dem Richterstuhl und 
auf dem Geburts- und Arbeitsstuhl das Seinige tuend - Sein mo- 

20 ralischer Charakter, der seine vielen Werke regiert, ist bekannter 
als der irgendeines Zensors, welcher noch nichts verboten hat - 
Man kann, lasset er etwas gegen die Zensur passieren, ihn, wie 
jeden andern Zensor, zur Rechenschaft und Strafe ziehen - Er 
steht (nach bloBen Vermutungen) seinem Amtchen besser vor 
als jede Fakultat, die auch zensiert; denn auBerdem, daB er nichts 
weiB von Parteilichkeit wider sich, hat er, da er vierteljahrlich 
nicht mehr zu zensieren braucht als hochstens anderthalb Alpha- 
bete (Fakultaten aber so viele ioo), stets die Vermutung fur sich, 
daB er das Manuskript gelesen habe, das er schreibt und erlaubt 

30 -Das Fach, worin der Autor arbeitet, ist gerade sein eignes, und 
er wird per pares gerichtet, ja per parem - Er kundschaftet, was 
ein fremder Zensor schwerer kann, die feinsten Absichten und 
Schliche des Verf assers aus von feme und hat ihn vielleicht ziem- 
lich weg - Er kann, was kein fremder Zensor vermag, darauf se- 
hen, daB nach dem Imprimatur nicht etwa noch Gift hinein kor- 
rigiert werde in die allgemeine Arzenei - Er haftet der Welt und 



872 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

der Obrigkeit fur seine Zensur mit einem Namen, der wenig- 
stens so bekannt ist als mancher fremder Zensors-Namen, der 
nie drei Zeilen geschrieben, obwohl viele ausgestrichen. 

Allerdings gelten diese Griinde auch fur die meisten andern 
Autoren; ein Werk, das sie schreiben, ist zugleich Vokation und 
examen rigorosum genug, um sie beim Zensurkollegium ihres 
Werks anzustellen mit der bloBen Besoldung des Zensiergro- 
schens. Da hoffentlich die Zeiten nicht mehr sind, die einem Ra- 
mus verboten, seine eignen Sachen zu lesen, damit er ihnen nicht 
etwa beifalle: so iiberkommt jeder Verfasser von unsern Obern 10 
jede Freiheit, sich selber zu lesen (wie man ihm denn sogar ein 
verbotenes Manuskript zuriickgibt); und mithin kann er durch 
ewiges Wiederlesen recht gut finden, wo er nichts taugt, und 
sich zensieren bis zum Verbieten. Vom deutschen Reiche ist 
keine Einwendung gegen das Selber-Zensieren - Selber-Rezen- 
sieren ist schlechte Nachaffung - zu besorgen, da es ahnliche 
Verkettungen schon in seiner Konstitution heiligte. Ists denn 
schwerer, daB ich zugleich meine Manuskripte schreibe und 
zensiere, als daB ich z. B. zugleich als deutscher Kaiser und folg- 
lich - denn ich regiere auch als boheimischer Konig - als dessen 20 
Reichs-Erbschenk (bei den Goten bekannter unter dem Namen 
comes Scanciarum, bei den Franzosen aber als Echanson) wah- 
rend meiner Kronung dastehe und handle? Denn muB ich nicht 
in derselben Minute, wo ich als Kaiser zur Tafel sitze, als Erb- 
schenk zum Springbrunnen sprengen und einen Silberbecher 
mit weiB- und rotem Weine daraus schopfen, um ihn zu Pferde 
dem essenden Reichs-Oberhaupt zu bringen, das ich doch eben 
reitend selber bin? - Wenn gleichwohl jeder sich getrauet, dieses 
Doppel-Amt des Essens und des Trinkens allein und zugleich zu 
ver waken - niemand bittet sich zwei Vikarien des Reichs dazu 30 
aus -: so ist nicht abzusehen, warum man nicht zugleich der Re- 
prasentant eines Richters und eines Gerichteten sein konne. 

Soil ich nun zusammenfassen, was die ganze Abhandlung 
meinte und suchte, so ists dieses: Ihr Fiirsten, setzet in diesem 
Jahrhundert fort, was ihr so schon im Nachsommer des vorigen 
angefangen, namlich die groBe Freilassung der freigebornen Ge- 



FREIHEITS-BUCHLEIN ■ NRO. Ill ■ 1 3 873 

danken! Ihr selber gewannt schon geistig durch Geister; denn 
noch nie schloB in Europa ein Jahrhundert einen Fiirstensaal so 
voll von guten Itegenten hinter sich zu als das vorige lichte. Ihr, 
die ihr doppelte Ebenbilder Gottes, als Menschen und als Fiir- 
sten, sein wollt und sollt, ahmet ihm in dem Geschenke der mo- 
ralischen Freiheit nach, das er sogar in der Holle austeilt! — Ihr 
durft weit mehrerers bestrafen als verbieten, so wie nichts ver- 
bieten, was ihr nicht bestraft. 

Es gibt zweierlei ganz verschiedene Giiter, deren Aufopf erun- 
gen ihr nur auf die Gef ahr einer Umwalzung verwechseln konnt. 
An Giiter, von welchen dem Staate irgendein Teil geopfert wer- 
den muB, z. B. Vermogen, Vergniigen, sogar korpejliche Frei- 
heit, konnt ihr, so wie euch Einsicht, Gewissen und Zeit recht- 
fertigen, die Forderung groBer und kleiner Opfer machen. Aber 
es gibt drei Giiter, gleichsam drei Himmel, welche nichts sind, 
wenn sie nicht ganz sind, und aus deren vollendeten Himmels- 
kugeln kein Dem ant-Splitter auszubrechen ist, namlich Wahr- 
heit, Sittlichkeit und Kunst. Jeder fiihlt sich verachtlich, wenn 
er etwas, was er zu dieser Dreieinigkeit zahlt, lieber aufopfert als 
sich. Verordnet also schwere Opfer, welche den Geber nicht 
schanden, ja ihn ehren - sogar Rekruten- und Matrosenpressen, 
Diktaturen, gezwungne Anleihen, Kriegssteuern, britische Ab- 
gaben, einkerkernde Pest-Kordons -: ihr werdet blofi fiir das 
personifizierte oder wiederholte Schicksal angesehen, welchem 
nie vorzuschreiben ist, wie viel es nehmen kann, da es doch et- 
was nehmen muB - die Unterwerf ung ist groBere Ehre als die 
Widersetzung - und daher werden alle diese Burden der Welt 
und Zeit lang und stumm von Volkem getragen. 

Nur aber komme keine zweite Last auf jene! Nur opfere man 
nicht wieder den Geist, der Korper opfert, und werfe auf den 
Opferaltar nicht den Opferpriester selber! Denn dann ersteht 
und ergrimmt der alte Gott im Menschen und fragt, wer ihn 
herabziehen wolle; ihn, der von keinem Engel und Neben-Gott 
Befehle annimmt, weil er sagt und weiB: wodurch ich bin, da- 
durch seid ihr und der Rest. 

Wie konntet ihr eine Freiheit verbieten, deren Dahingebung 



874 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

(im Gegensatz anderer Giiter) nur Schwache verriete, wie die 
Verteidigung nur Kraft? Denn Wahrheit, Sittlichkeit und Kunst 
werden sogar vor dem Schicksal behauptet und angebetet, und 
der Mensch sagt: »Was auch Obels daraus entspringe, ist nicht 
meine, sondern des Universums Schuld.« Konnt ihr denn 
machtiger fodern als ein Gott und die Welt? - 

Wenn ihr aber doch mehr fodert, so sind nur zweierlei Obel 
moglich: entweder ihr siegt, oder ihr werdet besiegt. Ist das letz- 
tere, so kennt ihr die Geschichte, die alte und die neueste, und 
den Satz, daB die Vulkane nie mehr Feuer auswerfen, als wenn 10 
langes Regen wetter sie hatte ersaufen wollen. 

Aber ihr siegt gewohnlich, wenigstens fiir Zeiten; - d. h. 
wenn aus Ha6 Julian den Christen und die griechischen Gesetz- 
geber den Sklaven die Freiheit der hohern Ausbildung vorent- 
hielten, so wird dasselbe aus eingebildeter Fursorge verordnet - 
Ein Volk liegt als Scheinleiche da und muB horen, wie ihm die 
Gewalt den geistigen engen Sarg anmisset, und kann kein Glied 
dawider regen, nicht einmal die Zunge, indes andre Volker vor 
ihm frisch ihr Leben entwickeln und in einem Vermogen nach 
dem andern seine Sieger werden - Ja sogar euer Lob gilt aus ei- 20 
nem Staate nichts, dem die Freiheit des Tadels gebricht - Und 
noch dazu tritt irgend einmal die Zeit, die immer mit schlafendem 
^4w^eimpft, plotzlich mit Bliiten und Friichten ihres Reisers vor 
euch oder vor die Welt, und dann ists schlimm, wenn man ihr 
bloB Dornenzweige zu entfalten gab. 

Die Folge ist: ihr diirft jenen drei innern Grazien des Geistes, 
der Wahrheit, Sittlichkeit und Kunst, nichts verbieten und ver- 
scheuchen als deren Feindinnen, die drei Furien, Irrtum, Un- 
kunst und Unsittlichkeit. Da sich aber die beiden ersten nur 
wechselnd und erst vor der Nachwelt entpuppen, entweder zu 30 
Grazien oder zu Furien: so muBt ihr ihnen die Freiheit geben, auf 
die Nachwelt zu gelangen. Hingegen die dritte allein, die sittli- 
che Grazie oder die unsittliche Furie, diirft ihr kiilin richten, bloB 
weil die Vorwelt sie schon gerichtet hat; nur uber Sittlichkeit und 
Unsittlichkeit tont die erste Stimme aus dem Paradiese einstim- 
mig mit der letzten vor dem Weltgericht. 



FREIHEITS-BUCHLEIN • NRO. Ill • 1 3 875 

Wollt ihr also nicht die Enge einer personlichen Bangigkeit 
oder einer personlichen Unfehlbarkeit oder einer asthetischen 
Vorliebe vor der Welt aufdecken: so gestattet alles, ausgenom- 
men, was den ersten und letzten Zensor der Erde, das Gewissen, 
verletzt. Begehrt ihr zum Mute der freiesten Freilassung Freige- 
borner statistisch-gluckliche Muster: so leset nur aus; - wollt ihr 
einen groBten Staat: so erscheint RuBland - einen kriegerischen 
und okonomischen: so erscheint der preuBische - einen merkan- 
tilischen: so kommt Holland und England - einen kleinen: so 
I0 Weimar und mehrere - einen vermischten: so Danemark und 
Baiern- wollt ihr einen unglucklichen, geistig- seufzenden, dem 
alle Sonnen der Wahrheiten nur als ein trauriges Regengestirn 
aufgehen: so ist es freilich etwas anders; denn es ist eben der 
Staat, wozu keiner werden soil. 

Der Himmel behute uns immer durch euch, nie aber vor 
euch! 

So schlieBt die Lokal-DissertatiunkeL Da dieses Werkchen auch 
geschlossen werden mtiB - so gut wie jedes -, so weiB ich es 
nicht besser zu endigen als so, wie ichs anfing, namlich mit der- 
20 selben Dedikation. Hebt denn nicht dieselbe Venus eine gute or- 
dentliche Sommernacht teils an, teils auf , namlich als Hesperos 
und als Phosphoros? Ich eigne demnach zuletzt so zu, falls nicht 
neue Zensuren untersagen: 

Gnadigster Herzog, 
Sobald der Verfasser die letzte Zeile geschrieben, namlich seinen 
Namen, so sendet er das Werkchen nach Gotha zu Ihrer Durch- 
laucht hinzui. Da dasselbenun gerade der Sache am meisten be- 
darf , die es behandelt, namlich der Freiheit: so wird es durch die, 
mit welcher es von Ihnen zuruckkommt, den Widerschein des 
30 Musters tragen, den es braucht; diese diinne, blasse, scharfe 
Mondsichel von Buchlein wird (astronomisch zu reden) durch die 
gerade breite Stellung, die sie gegen Sie und die Erde zugleich 
nimmt, sich zum vollen Lichte ausbreiten, das einer Zeit guttun 
kann, iiber deren Himmel man mehr als 1001 Nachte hangen 



876 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

will, und noch dazu kalte; und die stoBigen Mondhorner werden 
sich zu einer milden Scheibe runden. Nur ihre Fleck en werden 
dann der Phantasie scharfer den Mann in diesem Monde ab- 
schatten, namlich 

Ihrer Durchlaucht 
Baireuth, den 2. Dez. untertanigsten 

1804 Jean Paul Fr. Richter. 



MUSEUM 



VORREDE 



Die Vorrede hat als ein langeres Titelblatt hier nichts zu erklaren 
als das vorstehende kurze. 

Da ich aber immer jede Vorrede mit dem narrischen Gefiihle 
anhebe, daB ich sie ganz gut weglassen konnte, oder auch eben- 
sogut hinschreiben, wie denn mein altestes Werk, die gronlandi- 
schen Prozesse, ebenso schicklich eine hatten haben konnen als 
dieses neueste keine: so verspiirt man sich in einem so behagli- 
chen Elemente, daB man die goldnen Worte des Vorberichts 
gern ubermaBig wie in einem metallischen Walz- oder Streck- 10 
werke ausdehnen und kaum ablassen mochte, besonders weil 
ohnehin da, wo keine Notwendigkeit des ersten Worts war, 
schwerlich eine des letzten zu erweisen ist; daher sind denn Vor- 
reden so lang. Auch bei dieser will ich mich durch kein Verspre- 
chen binden, aufzuhoren. 

Es gibt sowohl geschriebene als gebauete Museen. Von den ge- 
baueten darf ein Werkchen ohne Kunstwerke schwerlich den 
Namen entlehnen, z. B. etwan von dem Museum in Frankfurt 
oder dem Beygangschen in Leipzig, noch weniger vom Mu- 
seum in London, am allerwenigsten vom Musee Napoleon. 20 
Auch die geschriebenen Museen - das deutsche - das vaterlandi- 
sche- das Schlegelsche - das britische - das skandinavische - die 
Baumgartnerschen des Wundervollen und des Luxus - diirften 
samtlich zu stolz sein, einen Gevatterbrief fur ein Selbstmuseum 
anzunehmen und ihm das Patengeschenk ihres Namens zu ma- 
chen. In der Tat ist an diesem Museum nur ein Redakteur ange- 
stellt, der wieder nur die Arbeiten eines einzigen Mitarbeiters 
durchzusehen hat; ja beide, Redakteur und Mitarbeiter, sind 
wieder nur einer, namlich ich selber. Jedoch schlieBt diese Einer- 
leiheit der Arbeiter Verschiedenheit der Arbeiten nicht aus, son- 30 
dern scherzhafte - poetische - philosophische - naturforschende 
- und sonstige wirklich ein. 



MUSEUM ' VORREDE 879 

Aber der Himmel bescherte doch dem Werke einen gelehrten 
Titel, und vorher dem Verfasser selber. Schon in meiner Kind- 
heit wiinscht' ich ein Mitglied irgendeiner gelehrten Gesell- 
schaft, z. B. der Berliner Akademie, zu sein, und ich stellte mir 
unter dem Titel nichts anders vor als ein Titelblatt, worauf ich 
als ein zweiter Dr. Johann Paul Harl stande und mich wie er un- 
terschriebe als Ehrenmitglied 

der konigl. sachsischen Leipziger okonomischen Sozietat - 

der konigl. sachsischen privilegierten thuringschen Land- 
wirtschafts-Gesellschaft - 

der herzogl. sachsen-gothaschen und meinungschen Sozietat 
der Forst- und Jagdkunde zu DreiBigacker - 

der naturforschenden Gesellschaft zu Halle im Konigreiche 
Westfalen - 

der Niirnbergschen Gesellschaft zur Beforderung der vater- 
landischen Industrie - 

des Pegnesischen Blumenordens zu Nurnberg - 

etc. - 

Ich versah aber Jahre lang vergeblich meine Werke mit gelehr- 
ten Titeln 1 aller Art, ohnefur mich selber audi nur den kleinsten 
zu erringen, als ich endlich vor vier Jahren zum mitarbeitenden 
Mitgliede des Museums in Frankfurt ernannt wurde. Mit diesem 
gelehrten Titel gedenk' ich, zumal wenn ich zu ihm noch mit 
dem politischen eines Legationsrates als Verstarkung stoBe, 
mich schon neben dem Kameralkorrespondeten Harl zu halten 
und zu passieren und so lange etwas vorzustellen, bis vielleicht 
gar eine Zeit kommt, wo ich selig werde und mich eine ganze 
Akademie wegen meines ruhmlich zuriickgelegten literarischen 
Lebens und Sterbens zu einem auswartigen korrespondierenden 
Mitgliede umso lieber ernennt, als die groBten Akademien von 
jener Welt noch zehnmal weniger wissen als selber von dieser. 

Die meisten Aufsatze dieses Werkchens sind nun - denn nur 

1 Zeugen sind die Palingenesien, Hesperus, Levana, Titian, Herbst- 
blumine und so viele kleinere in den Werken selber, z. B. Jobelperiode, 
Zykel oder Kykel etc. 



88o VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

diese Vorrede und die drei letzten Nummern IX, X, XI nehmen 
sich aus - Aufsatze, welche ich als gelehrtes Mitglied ins Frank- 
furter Museum zum Vorlesen abgeschickt; und die hier bloB sehr 
verbessert und vermehrt erscheinen. Daher denn der Titel: Mu- 
seum von Jean Paul. 

Das Ende mancher Aufsatze wird an die Geburttagfeier eines 
der edelsten Fiirsten Deutschlands erinnern, welcher allerdings 
dem Papste LeoX., dem Beschirmer des wissenschaftlichen 
Reichs, dieses geistigen Kirchenstaats, noch viel ahnlicher sein 
konnte, wenn er nicht auch zugleich ein Mehrer des Reichs des 
Geistes ware und nicht so Verdienste, die ein anderer Fiirst nur 
belohnt, selber erwiirbe. Dieser Umstand kann seinen Beloh- 
nungen und Belobungen wissenschaftlicher und poetischer Ver- 
dienste vielleicht in einigen Augen den eigenniitzigen Schein an- 
streichen, als belohn' und belob' er in Philosophen und Dichtern 
nur seine Nachahmer und also wahrhaft sich selber; ein An- 
schein, welchen der Kaiser Augustus, der seine Verse ganz an- 
ders machte als der jungfrauliche Virgil, geschickt genug ver- 
mieden. Dabei will man doch nicht ableugnen - sondern 
vielmehr behaupten -, daB er, wenn er nur auf dem bloBen Pin- 
dus saBe und nicht gliicklicherweise zugleich auf dem hinaufge- 
tragnen Throne dazu, ganz eines Fiirsten seines Gleichen wiirdig 
ware, der ihn so aufmunterte und unterstiitzte wie er selber uns. 

Hiemit mach' ich die Vorrede auf der Stelle aus, viel- 
leicht wider allgem eines Erwarten. Es soil mir genug sein, daB 
ich mir sogleich auf der vorredenden Schwelle einen giiltigen 
vollen PreBfreiheitbrief oder Selber-Konsens ausgefertigt, den 
Vorbericht so lang auseinander zu dehnen, als ich nur will. Ver- 
mittelst dieses Konsenses hab' ich schon wahrend der Zeit des 
Vorredens in der schonen menschlichen Phantasie das ideale 
Vergmigen voraus genossen und ausgekostet, die Vorrede ins 
Unbestimmte wachsen zu lassen, indem ich ihr bloB ganz 
fremde Gedanken-Fechser einimpfte. 

Ich impfte ihr in Gedanken - um nur einiges anzufuhren — 
z. B. ein: 

- Im Staate fressen zuweilen, entgegengesetzt dem pharaoni- 



MUSEUM * VORREDE 88 1 

schen Traume, die sieben fetten Kiihe die sieben magern auf - die 
Reichen die Armen - die Hohen die Niederen - der Adel die 
Lehnleute - und einer die Vorigen - 

Ferner den Satz: 

Werft Perlen vor die Schweine, aber nur falsche aus Wachs - 

Desgleichen, aber nur mehr politisch: 

- Wer leise geht, muB (physisch und politisch) langsam gehen; 
aber wer laut geht, muB es schnell tun - 

Ferner hab' ich mir vorgestellt, daB ich noch schreiben und 
io einpelzen konnte die Satze: 

Im auBeren Ungliick noch inneres erfahren, namlich eigne 
Feigheit, heiBt einem Menschen gleichen, welcher in einer bela- 
gerten Festung nicht als ein Krieger, sondern als ein Festung- 
oder Baugefangner liegt. - Ebenso wie kiinftigen Schmerz durch 
Furcht vergegenwartigen, ist vergangnen durch Erinnerung 
verewigen und heiBt, gleich den Agyptern Krokodile zugleich 
ernahren und einbalsamieren. - 

Ja ich konnte noch literarische Fechser, die ich ideal einimpfte, 
nennen, und unter diesen besonders folgende drei: 
20 Die groBten romantischen Algebraisten sind einige neuere 
Romanenschreiber - oder deren Verleger -, welche die Buchsta- 
benrechnung des Ehrensolds oder des Buchpreises zu einer Hohe 
treiben, daB sie ein leeres Gesprach in mehre kurze Kapitel mit 
mehren leeren Halbseiten und kurzen Zeilen zerblattern und 
zerflocken, da doch diese poetischen Leerdarme sich schamen 
sollten, einen so groBen, geschweige groBeren Raum zu beset- 
zen als ein voller Klopstock, Baader und Kant; und die kleine 
Perlschrift sollte den Mangel ihrer Perlenbank einschleiern; wie 
denn Vorredner dieses selber mit dem groBeren Drucke seiner 
30 Werke zugleich seine Fehler vergroBert spiiren wurde, oder in 
jeder Druckfraktur - es sei grobe, kleine, Doppel- oder Mittel- 
Fraktur - das Mikroskop seiner Sommer- und Sonnenflecken 
fande und auf Elephantenpapier sich selber zur Elephanten- 
ameise wiirde — Himmel, wiirden nicht manche Schreiber am 
schonsten so unendlich klein und eng abgedruckt, daB sie typo- 
graphisch so wenig zu lesen waren als asthetisch? 



882 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Der zweite literarische Gedanke in meiner Vorstellung ging 
sowohl die poetischen Former als die poetischen Un- oder MiB- 
former an. Denn jene Topfer halten sich gern fur Koche, weil 
sie, gleich diesen, Topfe in den Ofen schieben, wiewohl diese 
es mit harten vollen tun, jene mit leeren weichen. Den genialen 
feurigen Mannern geben daher dichtende Eisvogel das schone 
Beispiel, daB sie sogar das schwache Feuer, das sie haben, durch 
gute Kritik zu maBigen und zu dampfen suchen, so wie 
etwa blinde Pferde an den Augen Scheuleder tragen. Was die 
poetischen Un- oder Miflformer im guten Sinne betrifft, so 
wissen diese recht gut, daB ein Musenpferd durch einige Aus- 
wiichse und Bastardglieder ein geniales werde, und sorgen daher 
fur letzte zuerst, so wie groBe historische Pferde immer etwas 
Monstroses hatten, z. B. Alexanders Buzephalus einen Ochsen- 
kopf, Casars Pferd und Neptuns Arion den Vorderhuf einem 
MenschenfuBe gleich. Daher nennen sie sich, wie z. B. der dra- 
matische Kleist, mit noch mehr Recht Shakespearens Jiinger, als 
sich in London die Jungen Shakespeare's boys hieBen, welche 
damals, als noch der groBe Dichter vor dem Schauspielhause den 
vornehmen Zuschauern die Pferde hielt, als dessen Unterdiener 
im Pferdehalten von ihm angestellt und besoldet wurden. 

Drittens malt' ich mir meinen Wunsch recht lebhaft geschrie- 
ben aus, daB das gelehrte Deutschland besonders zwei Wiinsche 
eifrig auBern und unterstiitzen mochte, namlich erstens: daB uns 
die Exzerpten des herzlichsten und vielgelehrtesten Geschicht- 
forschers, Johannes v. Miiller, sein lieber B ruder gedruckt be- 
scherte, und ich wiirde gern unterschreiben (subskribieren) , urn 
auszuschreiben - und zweitens, daB uns der nachgelassene An- 
fang von Adelungs gleichsam neutestamentlichen Worterbuche, 
das an der Zeit sich verklarte, wie er nachher an der Ewigkeit, 
nicht vorenthalten wiirde, und ich wiirde mit Vergniigen einige 
vorausbezahlte Taler aufwenden, um nach dem Empfange des 
Exemplars iiber den fleiBigen Mann noch zehnmal sanfter zu ur- 
teilen, als ich schon getan. — 

Aber beim Himmel! fahr' ich so fort und schwarze so unter 
dem T)eckmantelgedachterGedankengeschriebeneem: so kann ich 



MUSEUM • VORREDE 6»3 

mir, da auf diese Weise ganze Biicherb alien guter Gedanken ein- 
zuflechten waren, gar nicht vorstellen, wie nur die Vorrede je 
ein Ende nehmen konne, oder ich miiBte mich gewaltig verzah- 
len. 

Baireuth, den 31. Oktober 181 3 

Jean Paul Fr. Richter 



VERMISCHTE SCHRIFTEN I 



I. 

mutmassungen uber einige wunder des organischen 
Magnetismus 



Es ist ein wohltatiges Wunder, daB derselbe Magnet, welcher 
uns mit seiner Nadel die zweite Halfte des Erdballs zeigte und 
gab, auch in der Geisterwelt eine neue Welt entdecken half. 
Schwerlich hat irgendein Jahrhundert unter den Entdeckungen, " 
welche auf die menschliche Doppelwelt von Leib und Geist zu- 10 
gleich Licht werfen, eine groBere gemacht als das vorige am or- 
ganischen Magnetismus; nur daB Jahrhunderte zur Erziehung 
und Pflege des Wunderkindes gehoren, bis dasselbe zum Wun- 
dertater der Welt aufwachst. Wenn schon die Kombinationen 
der Scheidekunst mit ihren greiflichen offenliegenden Korpern 
ietzo fast ins Ungeheure auseinanderlaufen, so daB jeder neuge- 
fundne eine neue Welt von Verbindungen mit den alten gebiert, 
weil jeder ein neuer Selbslauter ist, der mit den alten Selb- und 
Mitlautern ein neues Worterbuch zusammen setzt: wie muB 
nicht der organische Magnetismus mit der unbestimmten Man- 20 
nigfaltigkeit von geistigen und korperlichen GroBen der han- 
delnden und der behandelten Naturen der Artze, welche hier zu- 
gleich Arzneien sind, und der Kranken, welche zugleich 
Selb-Arzte sind - ferner mit der Mannigfaltigkeit der geistigen 
und korperlichen Einwirkungen der andernden Zeiten auf Ner- 
venkranklinge und Nervenarzte - endlich mit den anschwellen- 
den Gebrauch- Verbindungen des Magnets, der Elektrizitat und 
des Galvanismus samt so vielen noch unversuchten Reizstoffen, 
sogar ungleichartiger Kranken, wie muB nicht kiinftig der Ma- 
gnetismus ein weites Weltmeer aufbreiten, Woge an Woge, 30 
ohne Kiisten, und nur durch Himmel und Sterne meBbar! 
Man verzeihe dem Anfange eine zu warme Darstellung, wel- 



che man leichter bei dem Ende duldet und teilt; aber man be- 
denke, daB der Schriftsteller eben vom Ende herkommt. 

Die Lehre des organischen Magnetismus erfuhr das gewohn- 
liche dreifache Schicksal aller, besonders der medizinischen Er- 
findungen, namlich anfangs vergottert, dann verstoBen, und 
endlich verstanden zu werden. In Berlin, wo fruher sogenannte 
Aufklarer dieses New- und Vollicht zugleich. verfinsterten, leuch- 
tet es jetzo herausgetreten aus der alten Wolke 1 und der Greis 
Mesmer, welcher bisher in Einsamkeit an der Zeit den MiB- 
io brauch wie die Verdrehung eines neuen Weltschliissels verach- 
ten muBte, erlebt nun bessere Schuler und Racher. 

Wir wollen einige Wunder der Lehre, welche ihr den Eingang 
in die jetzigen Kopfe erschwerten, den sie ihr sonst in fruheren 
Jahrhunderten gebahnet hatten, mehr in Zusammenhang mit 
unserer angenommenen Natiirlichkeit bringen, ob es gleich nur 
ein Wunder gibt, die Welt selber, und Wunder natiirlich erklaren 
nichts heiBt, als sie zuriickleiten ins Urwunder. 2 

Das Sehen 

20 Das erste abstofiende Wunder ist, daB die Hellseherin (Clairvo- 
yante) mit geschloBnen Augen und hinter doppeltem Tuche und 
hinter dem Riicken versiegelte Briefe lesen kann. Fruher als das 

1 Nach der gewohnlichen Schicksals-Doublette wurde das Magneti- 
sieren in Paris durch die Revolution und in Berlin durch kriegerische 
Evolutionen unterbrochen. 

2 Der Gewicht-Schriften iiber Magnetismus sind wenige; aber dies 
zum Gliicke fur die erfahrende Ausiibung, welche noch keine hypotheti- 
schen Nebenblicke verfalschen. -Die, auf deren geschichtliche Wahrheit 
ich mich im Texte nur mit einem Worte, mit dem angefiihrten Autorna- 

30 men, beziehe, sind folgende: Gmelin iiber den tierischen Magnetismus 
1788; Wienholt, Heilkraft des tierischen Magnetismus, 3 Bande; An- 
sichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft von Schubert; Wolf- 
arts Darstellung einer lebensmagnetischen Kur 1812; Klugens Darstel- 
lung des animalischen Magnetismus. 



886 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

neue Wunder haben wir das alte aufzulosen, daB man durch noch 
dichtere Korper, durch Glas, sehen kann, oder gar durch den 
dichten Diamant. Man denkt sich mechanisch Lichtstrahlen 
gleichsam als abgeschoBne Nadeln, welche auf der Netzhaut des 
Auges ein Bild ausstechen, und die zugleich tausend Pinsel und 
ein Kleingemalde vorstellen und immer das Gemalde fortmalen. 
Man glaubt es sich z. B. zu erklaren, daB und wie der Geist ein 
Altarbild an der Wand erblickt, wenn man nachweiset, daB das- 
selbe als kleinstes Dosenstuck auf der Netzhaut aufgetragen ist; 
aber warum denkt man denn nicht daran, daB der Unterschied 
der Bildnahe und der BildgroBe kein Sehen desselben erklart, 
sondern daB hinter dem Netzhautbilde erst die scharfe Frage 
iiber die mogliche Oberfahrt des Bildes durch das Sehnerven- 
Paar und das Gehirn sich anfangt, weil sogar alle besten physio- 
logischen Fahrzeuge der Oberfahrt immer gleich weit von der 
Seh-Empfindung des Geistes sich halten miissen? - 

Das Licht selber ist uns unsichtbar; denn sonst miiBten wir 
Nachts den Strahlenstrom erblicken, welcher von der Sonne vor 
uns vorbei auf den Volimond zieht. Die scheinbaren Lichtstrah- 
len sind bekanntlich nur starker beleuchtete oder weiBere 
Korperstreife. Die Lichtmaterie, welche an einem triiben Tage 
durch die Luftschichten, durch die Wolkenschichten und zuletzt 
durch ein Stiickchen Glas hindurch uns alle Gegenstande zeigt, 
vermag dies nicht mechanisch durch Poren zu tun, weil z. B. in 
einem Linsen-groBen Glas oder in einem Luftkugelchen einer 
durchstochnen Karte, welches alle einzelne Punkte des weiten 
halben Gesichtskreises durchgehen oder schauen laBt, in jedem 
denklichen Punkte Poren, also gar nichts da sein muBte, - son- 
dern als eine Kraft, welche auf das Sehvermogen, wie die raa- 
gnetische auf das Eisen, durch Zwischenkorper hindurch wirkt! 
Wozu nannt' ich erst Glas, da ja stets die kleine Krystallinse des 
Auges alle unzahligen Farben und Umrisse einer halben meilen- 
weiten Gesichtswelt ohne IneinanderflieBen und scharf geschie- 
den und in jeder augenblicklichen Achse-Richtung durch sich 
Ziehen laBt? Aber ist das Sehvermogen auf die Augen einge- 
schrankt? - 



MUSEUM • I 887 

Es entsteht Licht ja schon galvanisch, wenn Silber und Zink 
sich im Munde beruhren, oder jenes in der Nase, dieses auf der 
Zunge. - Nach meiner besondern Theorie des Traums konnte 
ich auch die Blinden anfiihren, welche, wenn sie es durch einen 
SchlagfluB geworden, doch im Traume sehen. - So haben Ma- 
gnetisierte zumal anfangs states Licht vor sich, aber ohne Ge- 
genstande, und sehen sich und den Arzt leuchten. - Besser ein 
Licht oder Leuchtvermogen ware das Auge zu nennen, wie die 
Lichtentwicklungen nach Augendruck verrathen - nachtlich die 

10 Feueraugen der Raubtiere - die starke Erleuchtung, 1 in welcher 
nach groBem Erschrecken alle Gegenstande erscheinen. 

Wodurch sieht nun die Hellseherin das korperliche AuBen, 
wenn ihr das offne Auge mangelt? Wodurch lieset sie versiegelte 
Brief e, und wodurch erkennt sie Karten, bios auf die Herzgrube 
gelegt? Diese leichte Frage wird erst zugleich mit der schwieri- 
gern beantwortet: wodurch sieht sie das korperliche Innen? 
Nach alien Berichten liegen den innern Blicken der Magnetisier- 
ten ihre Korper gleichsam wie Uhrwerke in Krystallgehausen 
durchsichtig mit dem ganzen Lebens-Triebwerke aufgedeckt 

20 und aufgestellt da, mit den Blut-Stromen der Adern, dem Ge- 
zweige der Nerven, und sie sehen (nach Wolf art) von innen so- 
gar ihr Auge und von innen ihr Gehirn vor sich und zergliedern 
sich selber lebendig vor dem Zergliederer. Was erleuchtet das 
finstere bedeckte Reich der innern Glieder und das Gehwerk der 
lebendigen Uhr im Stundenschlagen, deren Raderwerk wir 
sonst nur im Stehen und abgelaufen zu sehen bekommen? 

§3 

Das Horen 

Wollen wir vor dem Antworten noch das zweite Wunder, das 

30 Hellhoren, betrachten; denn die magnetischen Kranken horen 

nur den Arzt, auch mit verstopften Ohren, und die Musik nur, 

wenn er sie macht, f remde aber, so wie die leisesten fernen Tone 

1 Gotting. Magazin fur das Neueste aus der Phys. II. 



888 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

anderer, durch Verbindung mit ihm, 1 aber keine unverbundne 
Person. Auch der Klang ist - so wie das Licht weder ein FluB 
ist, noch ein Atherzittern - gleicher Weise kein Luftzittern. In 
einem freien Fliissigen gibt es keine Fortpflanzung durch Linien, 
sondern durch Kreise; wie folglich im Ather keine geraden 
Strahlen- oder Feuerlinien, so konnen auch im Luftmeer keine 
sogenannten Schallstrahlen, d. h. Schallinien, sondern nur 
Schallkreise vorkommen. Nur der mechanische Wind ist ein 
Strom, von Ufern gelenkt, aber nicht der geistige Ton. Aber 
diese Schallkreise erklaren so wenig als Schallinien das Horen. 
Man male nur diesen lugenden Mechanismus - ein Materialis- 
mus in der Materie - folgerecht und deutlich aus: so muB man 
annehmen, daB in einem Konzertsaale in- und miteinander spie- 
lende Tone mehrer Instrumente und Singstimmen, welche alle 
ein Kunst-Ohr in einem Nu vernimmt und unterscheidet, ihre 
Luftkreise oder Wellen auf einmal so schlagen, daB diese nicht 
ineinander verwallen, aber doch alle zu gleicher Zeit ankommen 
— daB ferner alle diese Luft-Zitterungen durch eine Mauer, aus 
dieser durch einen langen Stock, den man als Resonanzboden an 
sie und an das Ohr anlegt, und endlich in die engen Schnecken- 
windungen des Ohrs und zuletzt in dessen Horwasser unver- 
worren Ziehen, um mit alien den jetzo ins Engste gezognen 
Kreisen auf einmal den Hornerven zu abteilenden Empfindun- 
gen zu erschuttern — Was waren gegen diese Wunder des Me- 
chanismus die Wunder des Magnetismus! - 

Chaldni's Staubgestalten auf dem tonenden Glase heben so- 
wohl die Kreise als die Linien durch die regelmaBige Verschie- 
denheit ihrer geometrischen Bildung auf; denn eine schwan- 
kende Luftwelle kann so wenig als eine gerade Fortzitterung ein 
Dreieck u. s. w. zusammenlegen und gleichsam krystallisieren. 
Diese Ges taken sind nur Wirkungen einer Kraft, da keine sich 

1 Wenn von mehren Personen, welche eine lange Handkette bildeten, 
die erste die Hand auf die Herzgrube der Hellseherin legte, und die letzte 
noch so fern und leise in die eigne Hand sprach: so vernahm es die 
Kranke. Klugens Darstellung etc. S. 151. 



MUSEUM • I 



ohne Bewegen zeigen kann; aber lieBe sich denrr aus bloB me- 
chanischer Gewalt das tonende Beben einer ganzen tausend- 
pfiindigen Glocke bei dem Beriihren eines Metallstabchens er- 
klaren, oder das Zerschreien eines festen Glases bloB bei 
verstarktem Antonen seines eigentiimlichen Klangs? - 

Man wende iibrigens nicht ein, daB die Kleinheit des horenden 
Mittelpunktes oder Fokus, so wie oben die des sehenden, auf fal- 
scher Wage zu hoch berechnet werde, da jede ja beziehlich und 
scheinbar sei, und da nach mir selber 1 jeder Gegenstand wenig- 

10 stens so groB, eigentlich aber groBer existiere, als er unter dem 
VergroBerglas erscheine. Denn ich versetze: dann wachset aber 
auch in demselben Verhaltnis der ohne das Glas groBe Gegen- 
stand, und wenn die Krystallinse eine Peters-Kuppel wird, so 
wird die in Rom eine Mondkugel. 

Es muB demnach eine andere Horlehre geben als die gemeine; 
und auf diese andere leitet eben der Magnetismus, welcher dem 
Ich auf andern Hebwerkzeugen als auf Luftwogen und Gehor- 
knochen das Ton-Geistige zubringt. Nicht bloB das Horen im 
Schlafe, der sonst alle Sinnenhafen sperrt, sondern, wie gedacht, 

20 das Horen (so wie Sehen) nur dessen, was der magnetische Arzt 
beruhrt, so daB z. B. Wolfarts Kranke kein Getose, aber die leise 
in sich selber vertonende Mundharmonika vernahm, wiewohl 
mehrals inneres, nicht auBeres Tonen. - Verwandt ist damit die 
Erscheinung in Moses Mendelssohn, vor welchem wahrend sei- 
ner Nervenkrankheit die am Tage gehdrten Laute in der Nacht 
gellend wiederklangen. 

Auch an den iibrigen Sinnen deckt der Magnetismus neue Sei- 
ten auf, indem der Geschmack und das Gefiihl beide erstlich 
mitten im Schlafe, zweitens anders als im Wachen empfanden; 

30 im Schlafe findet der Geschmack das magnetisierte Wasser an- 
genehm, und das Gefiihl der unmagnetisierten Menschen kalt, 
und beide beides im Wachen umgekehrt. Ober den Geruch und 
das Gefiihl hat man wenige Erf ahrungen und Versuche gemacht, 
vielleicht in der betaubenden Uberfiille der Wunder, und auch 

1 Katzenbergers Badreise B.I. Seite 241. 



89O VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

weil der Magnetismus (wovon unten weiter die Rede sein wird) 
gerade die hoheren Sinnen weit mehr als die tieferen verfeinert 
und steigert. 

§4 

Vber den hoheren Sinnenkorper oder Atherleib 

Bisher hab' ich mit den Beweisen, daB nicht einmal das unma- 
gnetische Sehen und Horen sich aus den mechanischen Theorien 
erklare, geschweige das magnetische, indem vielmehr das letzte 
zu einer anderen Theorie des ersten verweise, anzudeuten ge- 
sucht, daB unser Geist zuletzt durch eine ganz andere, hohere 10 
Korperhulle, als die auBerliche rohe ist, die sich mit ihren Glie- 
dern selber austastet, in den Bund mit Kraften kommt. Die rohe 
auBere ist nur eine Sammlung von immer feineren Hiillen oder 
Leibern, welche mit der auBersten unempfindlichen Haut (epi- 
dermis) und mit den nervenlosen Schmarotzer-Gliedern, den 
Haaren und Nageln, anfangt und vom Fibern- und Adernge- 
flecht bis zum Nervenschleier geht. Aber warum ware dieses 
noch fiinfsinnliche mechanische Gewand das letzte? Warum soil 
den Geist kein dynamisches umgeben, gleichsam ein allgemei- 
nes Sensorium, das (wie der Gefuhlsinn) Sinnen verkniipft und 20 
begleitet? Schon Bonnet setzte in den Erdleib einen zartern Auf- 
erstehleib fur die zweite Welt, und Platner nahm dasselbe unter 
dem Namen »zweites Seelenorgan«, aber schon fur die erste, ta- 
tig an. Wie, wenn wir nun schlossen - weil uns die magnetischen 
Erscheinungen dazu zwangen -, daB der eigentliche Atherleib 
der Seele aus den magnetischen, elektrischen und galvanischen 
Kraften gebildet sei? Und zwar dies so, daB, so wie von der Ge- 
walt des organischen Lebens alle unorganische Teile, Erde, 
Wasser, Salze, zu einem neuen, ihnen unahnlichen Gusse ver- 
schmolzen, entkraftet und gekraftigt werden, daB ebenso die 30 
gedachten drei Krafte sich unter der Gewalt des geistigen Lebens 
zu einer hoheren Misch-Einheit verarbeiteten? - Denn woher 
kamen sonst, bei so vieler Verwandtschaft des organischen Ma- 
gnetismus mit dem mineralischen und mit Elektrizitat und Gal- 



MUSEUM 'I »9I 

vanismus, wiederUngleichartigkeiten, alsz. B. solche sind, daB 
die elektrischen Leiter, Wasser und Eisen, nach Wienholt ma- 
gnetische Isolatoren sind, Holz und Leinwand aber Leiter, daher 
ein Baum (nach Mesmer und Kluge), ungeachtet seiner leitenden 
Verbindung mit der Erde, magnetisch zu laden ist; - daB ferner 
Nichtleiter, wie Schwefel und Siegellack, so unangenehm wir- 
ken wie zusammengesetzte Metalle; - daB der Nichtleiter (nach 
Fischer) dem magnetisierten Kranken so gut elektrische Schlage 
gibt als das leitende Metall, und daB er zwar das stromende Feuer 

r0 sieht, wo mit ihn die Finger des Arztes laden, daB er aber (nach 
Gmelin, Heineken und Nasse) dem Elektrizitat-Messer keinen 
Funken elektrischer Ladung verrat; - ferner daB der Kranke, zu- 
wider alien korperlichen Ahnlichkeiten mit Magnetismus, 
Elektrizitat und Galvanismus, sich selber durch Striche laden 
und durch Gegenstriche entladen kann - und daB, ungleich je- 
nen, der Mensch unmittelbar ohne Beriihren, von fernen, durch 
Deckbetten hindurch, durch Blicken und Hauchen zu laden ist 
- daB vollends jene drei Krafte weder einzeln noch vereint bei 
aller heilenden Erhebung des Korpers nichts zu jener Verklarung 

20 des Geistes vermogen, welche den organischen Magnetismus 
allein begleitet- und endlich, daB bisher die magnetischen Arzte, 
besonders Hufeland, die galvanische Saule mehr als eine aufhal- 
tende Sandbank fur den Magnetismus gefunden denn als eine 
Siegsaule desselben?-Doch wozu aus dem tausendfachen im All 
eingewurzelten Wunderreiche der Menschennatur die abwei- 
chenden Umbildungen jener Dreikraft holen, da wir an einem 
einzigen Tier so manche zeigen konnen! Der Zitterfisch fuhlt 
(nach Humboldt) den Magnet nicht; gleichwohl ist Eisen ein 
Leiter seines Schlags. Er fiihrt (nach Hunter) eine ihm eingebaute 

30 elektrische Batterie bei sich; gleichwohl werden (nach Hum- 
boldt) seine starksten Schlage nicht vom elektrischen GroBen- 
messer angezeichnet. Er treibt durch eine Reihe aufeinander lie- 
gender Zitterfische seinen Blitzschlag hindurch, aber ohne auf 
diesezu wirken, indes ein elektrischer Funke die Menschenkette 
schmerzlich durchfahrt. 

Nur noch eines! Wenn bekanntlich Unterbindung einem 



892 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Nerven die Empfindung unterhalb des .Verbandes abschneidet: 
so muB in ihm etwas anderes gehemmt und unterbrochen wer- 
den als ein elektrischer oder ein galvanischer FluB, da dem einen 
wie dem andern bei seiner Feinheit keine roh-mechanische Ver- 
engung sein Bett und s einen Zusammenhang mit dem Gehirn 
entziehen konnte; so wie hier audi der Schmerz des Unterbin- 
dens nichts erklart, weil er sonst eben so gut oberhalb des Ver- 
bandes die Empfindung binden miiBte. Noch konnte man sagen: 
der Nerve stirbt, ungleich andern Korperteilen, am Hunger ei- 
nes Augenblicks und ertragt keine, auch kiirzeste Entbehrung 
des nahrenden Gehirns; aber dann ist Nahrung, die dem Nerven 
mechanisch abzuschneiden ist, noch verschieden von dem Ner- 
vengeiste, welcher im Darben entweicht. 

Warum will man die Seele als die hochste Kraft nicht als das 
starkste Verbind- und Zersetz-Mittel (Menstruum) der feinern 
(dentiefernKraftenunauflosbaren) Stoffe, wie Elektrizitat, Ma- 
gnetismus, Licht und Warme sind, annehmen? Wenn die Seele 
in Krankheiten schon rohere Stoffe, wie Blut und alle Absonde- 
rungen, mit solcher Gewalt angreift, umarbeitet, umkocht-und 
zwar dies nur mittelbar auf dem Umwege durch Nerven -, soil 
sie, da doch die mittelbare Reihe zuletzt mit einer unmittelbaren 
schlieBen muB, auf welche sie ohne Zwischenkrafte zuerst ein- 
wirkt, nicht die unmittelbaren am starksten verandern, verwan- 
deln, sich aneignen konnen? Wo soil aber hier die Stark- und 
Trennkraft des Geistes aufhoren, der schon z. B. bei Heben der 
Lasten keinen Hebel zu vergroBern braucht als seinen EntschluB? 
.Obrigens kann uns das urspriingliche Wesen des nachsten oder 
konzentrischen Kraf t-Kreises , der den Mittelpunkt Seele um- 
zieht, nicht bekannt werden, weil er uns erst nach ihrer Einwir- 
kung und Veranderung bekannt wird. Kann es nicht ein Wasser 
geben, uns ewig unkenntlich, weil es nur als Eis, als Nebel, als 
Dampf, als Schnee, als Wolke erscheint, und nie als Wasser? 

Nur stelle man sich den erwahnten Atherleib nicht mit grober 
Vergleichung vor, gleichsam als das letzte engste Seelen-Futteral 
mit eingebohrten Sinnenlochern fur das eingesargte Ich. So wie 
Licht und jede Kraft, so muB eine organische Verschmelzung je- 



MUSEUM ' I 893 

ner unorganischen Krafte alle geometrischen Formen ausschlie- 
Ben. Sie wird unsern schweren Leib zugleich durchdringen und 
umschweben, eine weiche Flamme, welche den dunkeln Leib- 
Docht umflieBt und durchflieBt. Oder in einem andern Gleich- 
nis: der Erdleib ist nur die Topferde, worin der Atherleib, als 
Blume wurzelnd, auBer ihren tiefern Saften auch Licht und Luft 
einsaugt. 

Letztes weiset uns noch auf etwas Neues hin. Es wird namlich 
von Reil und Humboldt schon dem groben Leib eine sogenannte 

10 »sensible Atmosphare« zugeschrieben (so wie jeder Korper eine 
elektrische um sich hat) , und den warmblutigen Tieren eine von 
einer halben Linie, und den kaltbliitigen eine von einer funfvier- 
tel Linie Entfernung, in welcher Metalle auf unberiihrte Nerven 
und Muskeln galvanisch wirken. Der hoch- und scharfsinnige 
Reil hatte diese Fernwirkung fruher unter dem Namen »Ner- 
vensphare« verkiindigt. Mit dieser Nervensphare wollen die 
meisten Erklarer die magnetischen Wunder umschlieBen. Aber 
ist diese Sphare mit den Nerven, wie notwendig, gleicher Natur: 
so kann sie nur leisten und tun, was diese; aber keine magneti- 

20 schen Wunder. Hingegen muB der wahrscheinliche Atherleib, 
welcher diese verrichtet, dann auch seine Fuhl-Umweite haben, 
und niemand kann die fliissigen Granzen und AuBenlinien dieser 
organischen Krafte abmarken. Wird denn der eine Nervengeist 
am Ende des bewegten Muskels vernichtet, anstatt weiter zu ge- 
hen, oder der andere am Anfange des empfindenden Nerven ge- 
f angen bewahrt; Und ist dies unmoglich, und umgibt sich schon 
das Geruchkornchen mit einem kleinen Weltkreis von Luft: so 
lasse man nicht durch die rohen Korper, welche sich zu einer fe- 
sten Ruhe zusammenziehen, den Blick iiber die feineren irre 

30 werden, welche, wie Warme, Elektrizitat, Luft und Licht, ihre 
eigne Form nicht behaupten, sondern vielmehr bekriegen und 
keine Schranken ihrer Umbreitung und Verstreuung kennen als 
die Unendlichkeit! 

Nimmt man also fur den Atherleib auch eine Atheratmo- 
sphare an, wie fur den Erdleib eine » sensible «: so sind damit viele 
magnetische Wunder, wenn nicht erklart, doch einstimmig. 



894 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Rechnet man noch dazu, daB dieser Atherleib mit seiner Fuhl- 
weite doch eben so gut in seinem Elemente leben muB wie der 
Vogel und der Fisch in dem seinigen, und daB es am Ende ein 
feinstes Element, als das letzte, geben miisse, das alle (ibrigen 
Elemente umschlieBt und nicht bedarf: so ware wenigstens der 
Spielraum angewiesen, worin der magnetische Arzt und der 
Kranke mit ihren Atherkorpern (wie in der Ehe die Erdleiber so- 
gar zu neuen Schopfungen) so zu organischen Mitteilungen und 
Schwachungen ineinandergreifen. Denn nicht nur der Magnet- 
arzt und seine Kranken leben nun miteinander so sehr in einem 
gemeinschaftlichen Korper fort, daB diese seine eingenomme- 
nen Arzneien und seine Krankheiten 1 teilen - nicht nur kann der 
magnetische Arzt wieder den Gesunden, der ihn beruhrt, mit 
sich und den Kranken in einem Atherring auffassen, sondern 
mehre gemeinschaftlich magnetisierte Kranke leben (nach 
Wienholt) in ihrem Hellschlummer verbunden, sprechend und 
freudig neben- und ineinander, und jede befestigt mit ihrem 
Schlafe nahrend den Schlaf der andern; ja Mangel, wie VergeB- 
lichkeit, Harthoren, Trauer, gehen vom Arzte und von der Mit- 
hellseherin in die Hellseherin iiber, und endlich denkt diese die 
geheimen Gedanken des Arztes mit, obwohl er nicht ihre. 

Die Arten des Einwirkens auf die groBe organische Kraft- 
Dry as konnen uns weniger irren als leiten. So ist z. B. das Strei- 
chen dem metallischen Magnetisieren ahnlich, auch dem Elek- 
trisieren, das Schutteln und Spritzen der Fingerspitzen mehr 

1 Als der Arzt Wienholt ein Brechmittel bloB fur sich nahm, tat es auf 
ihn und die Kranke gleiche Wirkung. Als er einmal mehre Wochen krank 
war und wegblieb, und die Hellseherin sich drei Blutigel an die Schlafe 
setzen lieB: bekam er auch an den seinigen die Pusteln davon (z. B. 
3 .■ Abt.) . Die letzte Tatsache fuhr' ich nur mit groBem MiBtrauen an, da 
der Arzt sons t nirgend die Kraft e-Erhebungen und A us sich ten der Hell- 
seherin teilt. - Merkwiirdiger ist vielleicht die Angabe, daB der Irelander 
in der Stunde, wo er das doppelte Gesicht (second sight) der nachsten 
Zukunft hat, diese prophetische Kraft dem mitteilen konne, auf dessen 
FuB er im Schauen trete. (Monatliche Unterredungen vom Reiche der 
Geister nach J. Aubrey de Miscellaneis a. 1695.) 



MUSEUM -I 895 

dem letzteren; das Anhauchen dem Galvanisieren. 1 Wenn iibri- 
gens nach Schellings Bemerkung die gerade Linie das Schema 
des Magnets, der Winkel das der Elektrizitat und das Dreieck das 
des Galvanismus ist: so konnte der Kreis oder vielmehr das Ei- 
rund (da es uberhaupt die Urgestalt organisierter Korper ist, und 
schon das Wort K-Rund sagt es) das Schema des organischen 
Magnetismus sein; und die Handbewegungen des Arztes folgen 
ja meistens eirund oder elliptisch (langkreisig) den ahnlichen 
Nervengangen. 

10 Wenn der magnetische Arzt in den Kranken sowohl die ner- 
venmagnetischen als die geistigen Krafte hoher steigert, als seine 
eignen sind: so laBt sich das nicht bloB daraus erklaren, daB dieser 
fremde Atherleib durch Krankheit des Erdleibs mehr entbunden 
und also des Geistigen empfanglicher ist, so wie die zuriickkeh- 
rende Gesundheit des Erdleibs wieder den atherischen einkettet, 
sondern auch am mineralischen Magnete 2 erscheint etwas Ahn- 
liches , insof ern er mehren abgesonderten Eisenstiicken eine im 
Ganzen genommen groBere Ziehkraft anstreicht, als er selber al- 
lein besitzt. Oberhaupt entziehen Krafte nach dem MaBe ihrer 

20 geistigen Annaherung sich alien Rechnungen mechanischer 
Korper; Spallanzani befruchtete Eier mit Froschsamen, von ei- 
ner Wassermenge verdiinnt, die ihn an Gewicht 2880 mal uber- 
traf. Ebenso muB das winzige Saft-Tropfchen des mannlichen 
Blumenstaubs anfangs durch lange hohle, und endlich durch 
dichte verschloBne Gange auf die Samenkorner belebend durch- 
wirken. 3 

- Wie der magnetische Schlaf Heilung ohne Verhaltnis des 
Arznei-Aufwandes, so bringt schon der gemeine Wiederstar- 

1 Aldini bemerkte, daB ohne alles Metall Galvanismus blofl durch drei 
30 tierische Organisationen zu erzeugen sei, und dafi z. B. der Frosch- 

schenkel, an einen Enthaupteten mit der Hand gehalten, galvanisch 
zuckte. Im obigen Falle ware der Dunst des war men Hauchs der Me- 
tall-Ersatz. 

2 Autenriehts Physiolog. B. 1. 

3 Treviranus Biologie B. 3. S. 387. 



896 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

kungohne Verhaltnis des Zeit-Aufwandes (z. B. der nachmitta- 
gige von einigen Minuten), und der Totenschlaf der an Pest, 
SchlagfluB oder Nervenschwache Scheingestorbenen beschert 
voile Genesung von vorher unheilbarer Zerriittung bloB durch 
Aufwand von drei tauben, blinden, todkalten Tagen. 



§5 

Gegen die neuere Ratsellosung durch das Nervenknoten- System; sarnt 
Aufstellung mehrer Ratsel 

Bekanntlich sonderten Hufeland zuerst und Reil noch bestimm- 
ter das Nervensystem in zwei Systeme ab, in das der Nerven aus 
dem Gehirne (Cerebralsystem) und in das der Nervenknoten 
(Gangliensy stem) . Das letzte, nur ein Nachbar, nicht ein Kind 
des Gehirnes, schlieBt das Ruckgrat in einen Langkreis (Ellipse) 
von Knoten ein, deren Nerven ungeregelt sich zerstreuen und 
sich verkniipfen und verknoten, indes die Gehirnnerven paar- 
weise und gesellig-geregelt laufen. Die Nerven des Riicken- 
marks entziehen sich desto mehr dem Gehirne, also dem Emp- 
finden und dem Willen, durch je mehre Knoten, gleichsam 
kleinere Foderativ-Gehirne, sie Ziehen. Sie frohnen und liefern 
- wenn die Gehirnnerven dem geistigen Leben zum Empfinden 
und Bewegen gehorchen - nur dem Wachs- oder Pflanzenleben 
der Eingeweide und GefaBe. Am starksten beherrscht ein Ro- 
senkranz von Nervenknoten (unter dem Namen Sonnengeflecht 
oder plexus Solaris in der Gegend der Herzgrube) gleichsam als 
ein Sonnensystem das ganze Gedrange der ihm entsprieBenden 
Nerven des Halses, Schlundes,Herzens, Zwerchfells, Gekroses, 
der Gedarme. Zwischen diesem Untergehirn (cerebrum abdo- 
minale) und zwischen dem Hauptgehirn ist der sympathetische 
Nerve die Briicke, oder vielmehr die Ziehbrucke, indem er, als 
ein Halbleiter, zuweilen ein Nichtleiter, zuweilen ein Leiter ent- 
weder des ubermachtigen Pflanzenlebens (wie im Schlafe) wird, 
oder des ubermachtigen geistigen Lebens, wie in Krankheiten, 
die der Gedanke entweder gibt oder wegnimmt. 



MUSEUM ■ I 897 

Der organische Magnetismus soil nun in einer hergestellten 
Gutergemeinschaft zwischen dem Haupt- und dem Unterge- 
hirn, oder dem Gehirnnerven- und dem Nervenknoten-System 
bestehen. 

Gegen dies sind zwar nicht anatomische, aber doch physiolo- 
gische Einwiirfe zu machen. Die Zwickmuhle des Uberschla- 
gens bald des einen, bald des andern Systems gibt der Erklarung 
zuviel Spielraum der Willkur. Wie wir nicht willkiirlich Nase 
und Ohren bewegen konnen, aber nur aus Mangel an Ubung 

10 (denn manche vermogen es doch), so konnen wir auch aus der- 
selben Ursache nicht das Herz regieren, dessen Schlag doch 
einige in der Gewalt hatten. Wenn der Schlund und das Gedarme 
dem Gehirne keine Empfindungen der durchgehenden Speisen 
(ausgenommen an beiden Pforten) zubringen: so zeigt uns glei- 
cher Weise z. B. das zarte Auge den Hauch der Luft nicht an, so 
sehr denselben doch eine nackte Wunde spurt; aber kann dies 
von etwas anderm als von der Reiz-abstumpf enden Gewohnheit 
* herkommen, da der Schlund ja brennendes Getranke, das Ge- 
darme Gifte empfindet, und da in diesem eingebildete Abfiihr- 

20 mittel zuweilen wie wahre anregten? 

- Ich will als eine Vermutung fur engere Ineinandergreifung 
beider Systeme nur zweifelnd den Umstand anfuhren, daB das 
Gehirn, welches (schon im Kinde nach dem dritten Jahre so groB 
wie im Erwachsenen) als die Mutterzwiebel erst Stamm und 
SproBlinge des Riickenmarks treibt und zugleich Ernahrer und 
Kostganger desselben wird, schwerlich ohne dynamischen 
Bund damit gedenklich sei; mehr aber entscheidet die Beobach- 
tung der Gegner gegen sie selber, daB in den tiefern Tiergattun- 
gen das Nervenknoten-System das versagte Gehirn vertrete; 

30 denn da dem diirftigen Hausgeist und Schattengeiste des Ge- 
wiirms der Nervenknote so gut wie ein Gehirn Empfindungen 
zufuhrt: so sind beide schon ohne Magnetismus wirk-verwand- 
ter, als man annimmt. - 

Wer das starkende Vorheben des Untergehirns (der Herz- 
grube) iiber das Hauptgehirn oder das freiere EinflieBen der 
Nervenknoten auf die Gehirnnerven zum Kennzeichen des Ma- 



898 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

gnetismus macht, hat die Frage zu beantworten, warum dieser 
bloB die hohern Sinnen am meisten steigert. Die Magnetisierten 
umschwebt getraumtes Licht, aber keine getraumten Gestalten; 
Traumtone kommen nicht zu ihnen, aber die leisesten wirkli- 
chen; Geruch, Geschmack, Gefiihl hingegen erfahren keine ver- 
haltnismaBige Erweiterung, 1 so wie auch der Traum uns lebhaft 
unsere hohern Sinne und schwach die tiefern vorspielt. Noch 
seltsamer ist es, daB auf dem Gebiete der Geschlechtnerven, an 
welches doch das Nervenknotenreich nahe anstoBt - und bei 
dem weiblichen Geschlechte so sehr, daB man neben dem cere- 10 
brum abdominale noch ein cerebrum uterinum annehmen 
konnte -, 2 keine Veranderungen, wenigstens keine Verstarkun- 
gen vorf alien. Denn das wiegende Wonnegefuhl, in welchem 
Magnetisierte zu schwimmen glauben, stoBt so weit jede rohe 
engere Sinnenlust von sich weg, daB nicht nur die Liebe der 
Hellseherin ein hoheres allgemeines, gleichsam Engel und 
Sch western zugleich umfliegendes Lieben wird, sondern daB die 
Gegenwart eines Unkeuschen weit mehr als die jedes andern, 
sogar groBern Sunders peinlich stort und bis zu Krampfen zer- 
foltert; noch mehr vergiftet der Magnetarzt selber durch jeden 20 
unreinen, ja nur freien Gedanken die Kur; und Kluge erzahlt, daB 
ein Arzt durch den bloBen Versuch eines unschuldigen, sonst im 
Wachen unverbotenen Kusses die Kranke in Marterzuckungen 
und in eine endlich todliche Unheibarkeit zuriickgestiirzt. In 

1 In ahnlichem Verhaltnis kann auBerhalb des Magnetismus der Geist 
durch Anstrengung von innen heraus die hohern Sinnen spielen; 2. B. 
Cardanus konnte im Dunkeln eingebildete Gestalten nach Belieben vor 
sichsehen; aber vom beliebigen Ein- und Vorbilden abwesender Gerii- 
che und Geschmacke gibt es kein Beispiel. - Schon Tissot (iiber die N er- 
ven) bemerkte, daB das Auge unter alien Sinnen am starksten ins Gehirn 30 
eingreife, daB dessen Anstrengung Schwindel, Zuckungen, Brustbe- 
klemmung errege; und daB bloB die Mitleidenschaf t des Gehirns das an- 
dere Auge starblind mache, wenn das eine es geworden. In ahnlicher 
Nahe zum Gehirn stehtnach Tissot und Baglivi das Ohr, dessen Schmerz 

in 24 Stunden toten kann. 

2 Wirklich setzte Zechini die weibliche Seele in den Uterus. 



MUSEUM • I 899 

dieser Nahe wird der andere Seelen- und Korperschmerz desto 
moralisch-schoner, welch en die Hellseherinnen iiber das klein- 
ste Ziirnen und Weniger-Lieben des Arztes empfinden . . . Hier 
konnte man sich wohl besinnen, um der magnetischen Heilkraft 
eine hohere Sphare einzuraumen, als die irdische der gemeinen 
Erreg-Potenzen ist, welche, z. B. die Arzneien, Weine und der- 
gleichen, zugleich mit den geistigen Kraften zwar die korperli- 
chen herstellen und verdoppeln, aber nicht immer die sittlichen, 
sondern jene zuweilen auf Kosten der letzten. 

10 Wenn nach alien bisherigen Erfahrungen die Herzgrube (als 
Sonnengeflecht unf Mittelpunkt der Nervenknoten) gleichsam 
. die Fundgrube und delphische Hohle der meisten magnetischen 
Sinnenwunderist, so daB das bloBe Ausstrecken beider Daumen 
gegen die Herzgrube das ganze Nervensystem durchgreift und 
umwalzet; wenn sie bei den nur ihr nahe gebrachten Farben und 
Tonen etc. die Stelle des Auges und des Ohrs etc. vertritt: so will 
ihr Kluge 1 gleichwohl nur ein Gemeingefuhl zuschreiben, wel- 
ches von Tonen, Ges taken, Geriichen etc. nicht so wohl An- 
schauungen bekomme - zu welchen die bestimmten Sinnen- 

20 werkzeuge unentbehrlich seien - als bloBe »Notizen« oder 
Erinnerungen von den schon aus fruhern Anschauungen ge- 
kannten Gegenstanden; nur daB der Magnetisierte dieses »Notiz 
bekommen« durch das Gemeingefuhl, getauscht von der Erin- 
nerung, fiir Empfindungen bestimmter Sinnen ansehe und also 
das erinnernde Fiihlen fiir gegenwartiges Sehen, Horen u.s.w. 
nehme. Dagegen aber streitet die Tatsache, daB das sogenannte 
Gemeingefuhl im Magnetismus ja von jeder gegebenen Gegen- 
wart bestimmtuYi&'m&iVi&xxell umriBne Gestalten, Worte, Farben 
gewahrt und also nicht vorige aufweckt, sondern neue darbeut. 

30 - Und ist denn das helle Einschauen einer Hellseherin in das ver- 
wickelte korperliche Geflecht und Gebau kein jetziges An- 
schauen, sondern nur eine Notiz von fruhern Anschauungen, 
wenn gleichwohl - wie Kluge selber die Beispiele anfuhrt - der 
Hellseherin sowohl friihere anatomische Anschauungen als 

1 Klugens Darstellung etc. S. 340. 



900 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Kenntnisse von alien den Nervengewinden und Farben man- 
gelten, die sie doch in der Krise richtig zu bezeichnen 
weiB? - 

Nach allem diesen scheint es, daB man (wie ich oben) einen 
ganz andern, hohern Sinnenkorper als den gemeinen, mit dem 
mechanischen Nervenknoten- und Sinnen-Besteck versehenen 
vorauszusetzen habe. Obrigens ist die Erklarung, welche den 
Magnetismus fiir ein neues Verteilen und Oberleiten des Ner- 
vengeistes an das Nervenknoten- und das Gehirn-System an- 
sieht, von einer unrichtigen rohen Ahnlichkeit mit dem mecha- 
nischen Streichen der Elektrizitat und des Magnetes geblendet. 
Welche Ahnlichkeit hat mit dem scharf polarisch bestimmten 
Streichen des Magnets die Hand- und Fingerhabung des Ma- 
gnetismus (Manipulation), welcher durch Kleider, Bettdecke, 
Luf t und Feme hindurch Kraf te mitteilt? Wie kann eine nicht be- 
riihrende Bewegung einwirken, oder gar verfliegenden Ner- 
vengeist treffend von weitem bestimmten Zielen zutreiben? Die 
vorgebliche Einwirkung der den Lauf der Nerven verfolgenden 
Beriihrung fallt bei einem Magnetisieren aus der Feme von sel- 
ber weg, so wie bei dem Gebrauche der magnetischen Wasser, 
der magnetischen Platten u. s. w., am meisten aber dann, wenn 
schon Blicken und Wollen (mit welchem die Schule der Spiri- 
tualisten 1 allein ihre Wunder tat) bloB durch Augen und Seele 
Heilkrafte eingieBen. - Allein wozu denn uberhaupt korperli- 
ches AuBenwerk (Manipulieren) , wenn bloBes Denken und 
Wollen zur magnetischen Verklarung ausreicht? kann man fra- 
gen. Aber wie, wenn uberhaupt die korperliche Bewegung die 
geistige Heilkraft des Willens durch ihr Begleiten nur mehr auf 
eine Linie fester hinhalten und erhohen sollte? Denn die Bewe- 
gung allein, ohne Glauben und Vorsatz, oder gar mit Zweifel, 
wirkt (wie Kluge sich selber als Beispiel anfuhrt) durch den be- 
sten magnetischen Arzt nichts. Die halbe Ahnlichkeit des elek- 
trischen und magnetischen Ladens und Entladens, nach welcher 

1 Die Schule des Ritters Barbarin in Lyon, welche das Motto hatte: 
veuilles le bien, alles, et guerises! 



MUSEUM * I 901 

die obige Erklarung das magnetische Heilen in eine gesunde 
Gleichteilung des Oberflusses und des Mangels an Nervengeist 
bestehen laBt , hat ja die groBe Unahnlichkeit gegen sich, daB hier 
'nicht, wie in der Elektrizitat, ein Nichtleiter den Nichtleiter 
streicht, sondern zwei Leiter einander, und daB nicht, wie bei 
dem Magnet, ein Magnet das unmagnetische Eisen, sondern 
zwei Magnete einander. Will man lieber zwischen Arzt und 
Kranken Ahnlichkeit mit dem Verhaltnis zwischen positiver 
und negativer Elektrizitat oder nordlicher und siidlicher Polari- 
tat annehmen: so kame ja durch der en ausgleichende Mitteilung 
keine Verstarkung, sondern nur Indifferenz zustande. 

Da wir einmal im Gebiete der Fragen mehr als der Antworten 
sind: so wollen wir noch einige und auch solche aufwerfen, wel- 
che sich nicht auf die Widerlegung der obigen Erklarweise be- 
ziehen. Warum gibt dem magnetischen Arzte der aufhebende 
Gegenstrich nicht die Krafte zuruck, die er durch Striche weg- 
gab? - Wie vertragt sich das gegenseitige Mitteilen von Krank- 
heiten und Arzneiwirkungen zwischen Arzt und Kranken mit 
der Annahme einer Uber- und Ableitung des reichlichern Ner- 
vengeistes? - Wie kann der iibergeleitete Nervengeist im Kran- 
ken groBere geistige Wunder tun als vorher im Arzte? Und wie 
kann ein Gegenstrich sie vernichten? Oder wie kann wieder um- 
gekehrt die Schlaftrunkenheit des magnetischen Zaubertranks 
zuweilen mehre Tage anhalten 1 und sich nicht durch Erwachen, 
sondern nur durch gemeines Einschlafen unterbrechen? - Wie 
kann eine Hellseherin in ihrem Schlafe eine andere Hellseherin 
im ihrigen noch kraftiger magnetisieren 2 als der Arzt selber, von 
welchem sie doch nur die Kraft-Tragerin ist? - 

Gmelin glaubte sich magnetisch verstarkt, wenn er sich auf ei- 
nem Pechkuchen elektrisch isolierte; aber konnt' er hier nicht 
Mesmers Tauschung wiederholt haben, der eine Zeitlang den 
Eisenstaben die Wirkkrafte zuschrieb, welche bloB seinen Han- 
den angehorten? Denn wie konnte sonst Siegellack und Schwefel 

1 Wienholt erzahlt von mehren Hellseherinnen, welche schlafend ihre 
Taggeschafte verrichteten , iiber die StraBe gingen u. s. w. 

2 Nach Wienholt und Kluge. 



902 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

- also die Gleichkorper des Pechs - die Hellseherinnen storen 
und schmerzen? - 

Am meisten zerschnitten liegt der Ariadnens-Faden umher, 
wenn man durch die Dunkelheiten des Selbermagnetisierens' 
und des Selberweckens hindurchkommen will. Nur der Ge- 
danke kniipft den Faden wieder zusammen, daB der Wille, also 
der Geist, der wahre Archaus, die natura naturans des Magnetis- 
mus sei, und daB folglich, wenn dieser fremde Geist aus dem 
Arzte machtig in die Hellseherin einwirkt, ihr eigner ja auch in 
sie selber oder ihren Atherkorper unmittelbar eingreife. - Lange 10 
Zeit trostete sich der Verf . dies mit der Hoffnung, daB vielleicht 
irgendein Philosoph durch einen besonderen gliicklichen Zufall 
fiir die Wissenschaften nervenschwach und kranklich genug 
werden wiirde, daB ihm nicht anders zu helfen ware als durch 
einen magnetischen Arzt; eine solche Weltweise wiirde, dacht' 
ich, wenn zu seinem philosophischen Hellsehen noch das ma- 
gnetische kame, uns alle Fragen, sobald man sie ihm in seinen 
Krisen vorlegen wollte, leichtlich losen und eben den Zustand 
am besten erklaren und ableiten, worin er selber ware, da sogar 
schon Hellseherinnen ohne Philosophic und Anatomie beide 20 
letzte bereichern. 

Mit dem Vergniigen einer wissenschaftlichen Hoffnung las 
ich daher unlangst, daB ein vieldenkender Kopf in B. sich der 
magnetischen Heilung unterworfen. Aber spater hort' ich, daB 
er nicht nur im Wachen den Vorsatz gef aBt, keine andern Fragen 
als die uber seine Heilmittel im Schlafe zu beantworten, sondern 
ihn auch im letzten gehalten. - Indes fuhrt selber wieder dieses 
Beispiel auf die Gewalt des Willens zuruck, welchen wir oben 
fiir den eigentlichen Leben- und Nervengeist des Magnetismus 
anerkannten. 30 

Das Setzenin »Rapport« ist ein Ratsel, das vielleicht Ratsel 16- 
set. Die magnetische Einkindschaft erfolgt bekanntlich bloB 
durch mehre Striche von der Stirne bis zu den beiden Daumen, 
nicht etwan aber (wie man nach der vorigen Nervenknoten-Er- 
klarung vermuthen sollte) bis zum Sonnengeflecht herab. Selt- 
sam genug! Der Hellseherin ist sonst jeder Zwischenmensch 



MUSEUM ■ I 903 

zwischen ihr und Arzt widerwartig, erkaltend, entkraftend, auf- 
hebend. Alles dies wird durch einige Striche in bleibendes Ge- 
genteil umgewandelt. 1st es nicht, als wiirden die Menschen aus 
einem unmagnetischen Medium in ein neues luftweiches ma- 
gnetisches hineingezogen? Wie es einen landerbreiten Pest- 
dunstkreis gibt, welcher alles sich ahnlich, namlich zu Leichen 
macht: so steht hier ein Atherkreis entgegen, der alles beseelt und 
warmt und zu einem Leben verschmelzt, so daB hier, so wie dort 
ein beriihrter Mensch, ja Brief und Wollenzeug ansteckt, hier 
gemeine Sachen, welche der Arzt nur beriihrt hatte, magnetisch 
einschlafernd auf die Hellseherin wirken. 1 Ich erinnere nur 
fliichtig noch an die Kraft menschlicher Beriihrung, welche sich 
am Gelde zeigt, das der Hund seinem Herrn aus dem Wasser 
holt, ferner an dem Auswittern von dessen FuBspuren unter tau- 
send andern auf meilenlangen Wegen - ferner an Eiern und Vo- 
geljungen, welche nach einer menschlichen Beriihrung von den 
Alten verlassen werden - an vielem Lagerobst, welches verdirbt, 
von nackten Handen gepfliickt. 

Noch gehort der bestatigendeUmstand her, daB der magneti- 
sche Arzt, der durch Beriihren ladt, selber durch Anfassen mehr 
zum Laden geladen wird. Warum machte man aber nicht den 
Versuch, durch recht viele anfassende Verstarkmenschen den 
Arzt gleichsam zu einer magnetischen Leidner Batterie zu laden? 

Noch einmal ziehe uns die groBe magnetische Erscheinung 
mit ihrem vollen Lichte voriiber, daB aus keinem gemeinen 
Korperlichen sich das Geistige erklare, welches im Magnetismus 
vorherrscht; nicht die sittliche Lauterung und Reinheit, die 
scharfere Reizbarkeit fur alles Moralische und die Liebe alles 
Edeln; und nicht das wunderbare Einschauen des Kranken in des 
Arztes Herz und Kopf. 2 Mehr auffallend als das bis zu lebensge- 

1 Heineken berichtet, daB erwachte Hells eherinnen oft wieder in 
Schlummer fallen, wenn sie etwas anriihren, das ihr Arzt vorher ange- 
riihrt; dahin gehort, daB WolfartsKrankeleblose Gegenstande nur sehen 
konnte, wenn er diese beriihrte. 

2 Gmelin He6 in Karlsruhe sich mit einer Hellseherin bloB in Verbin- 
dung (Rapport) setzen, welche seine Vorstellungen, die eine feme, von 



904 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

fahrlichen Krampfen gesteigerte Erfuhlen unsittlicher Menschen 
unci Neigungen ist das des Arztes Denken begleitende Mitden- 
ken; wodurch wirklich die Annahme zweier Seelen in einem ver- 
schmolzenen Atherleib fast erzwungen wird. Auch die Beob- 
achtung Wienholts, daB stumpfe, dumme Seelen des Magnetis- 
mus nicht empfanglich sind, hilft hier bestatigen. 

§6 

Uber das Eisen 

Ewige Nacht liegt nach der magnetischen Ansicht noch auf den 
Metallen, besonders auf dem Eisen. Gold und (im geringern 
Grade) Silber flieBen nach Gmelin erfreuend auf die Kranken ein, 
nach Kluge und Wolfart unerfreulich, und dieser muB sogar den 
Goldring abziehen; unedle Metalle hingegen peinigen; nur aber 
wieder uber das Eisen ist Widerspruch. Eisen, obwohl sonst 
elektrischer Leiter, ist doch magnetischer Nichtleiter, wie Glas: 
Wolfarts Hellseherin rief bei dessen Nahe: »Welche haBliche 
Empfindung!« Gleichwohl lieB die Mesmerische Schule be- 
kanntlich gerade auf Eisenstaben, durch ihr Richten und durch 
Beriihren, den Magnetismus in die Kranken Ziehen; ja Stahl und 
Eisen erfreuen nach Gmelin und Heineken wie Gold; und die 
Kranken Tardi's sahen das aus dem Arzte spriihende Magnet- 
feuer nicht durch Siegellack und Kupfer (Nichtleiter und Leiter), 
wenig durch Silber und glanzend durch Gold und Eisen gehen. 
Im Eisen durchschneiden sich, wie in einem Mittelpunkte, so 
viele Krafte und Erscheinungen, daB erst vielartige Versuche es 
in reiner Wirkung aufdecken konnen; halt doch Schelling alle 
Materien nur fur Umgestaltungen des Eisens. Es bildet im Gal- 
vanismus den entgegengesetzten Pol - am Zitterfisch ist es, wie 
gedacht, Leiter, am Magnetisierten Nichtleiter — die vom 
Veits-Tanze geschwollnen Muskeln erschlafft sogleich dessen 

ihm magnetisierte Kranke und den Verlauf ihrer Krankheit betrafen, 
nachempfand und sie ihm vorerzahlte. Gmelins neue Untersuchungen, 
Seite 274, 434. 



MUSEUM • I 905 

Beruhren 1 - den ganzen Aal entmannt ein Eisen, auf den Kopf 
gelegt. - Dazu kommt noch das Eisen im Menschenblute selber, 
dasnachMenghini2Unzen, yDrachmen, 1 Skrupel ausmacht, 2 
und welches, was noch wichtiger ist, von ihm nicht erst aufge- 
nommen, sondern selber erschaffen wird; denn bloB eingenom- 
menes Eisen geht unvermindert wieder ab, und sogar in den 
Nahrmitteln kommt es nur selten und zufallig in uns; auch 
warum sollt' es unserem Bau schwerer zu schaffen fallen als 
Soda, Schwefel und Ammonium? 3 - Aber warten wir nur den 
10 Reichtum der Zeit und des Zufalls ab! Wir werden schon den 
Kiesel finden, aus welchem das Eisen das Licht fur uns schlagt. 

§7 

Magnetisieren durch Anblicken 

Leichter erklart sichs, daB der Magnetiseur durch bloBes Blick- 
Heften (Fixieren) magnetisch einschlafert; denn das Auge, das 
schon den Gesunden mit Liebe, Kalte Zorn, Geist, Dumpfheit 
anspricht, ohne daB alle diese verschiedenen Blicke in mechani- 
sche Verschiebungen und Befeuchtungen der Augenhaute auf- 
zulosen sind, muB noch leichter ins Geistige eingreifen als die 
20 geistlosen Finger, welche doch mit fernen Bewegungen magne- 
tisch das Innere fullen. Zuerst: die Hellseherin sieht Feuer aus 
den Fingern stromen; aber aus den Augen stromt dieses schon 
ohne Magnetismus bei Menschen und Tieren. Das Auge ist ei- 
gentlich der Kleinleib der Seele, ihr atherischer Wohn-Mond ne- 
ben der erdigen Gehirnkugel; daher die meisten Gedanken Ge- 
sichte sind, nicht Geriiche und Geton. Gerade um das Auge 
wird, wie oben gedacht, vom Magnetismus der reichste Zau- 
berkreis gezogen. Umso mehr begreift sich die magnetische Ge- 

1 Autenrieths Physiol. I. §. 200. 
30 2 Reils Archiv der Physiol. I. 2. S. 135. Ja, der Cruor des Bluts geht 
durch gliihendes Feuer in eine Schlackenmasse iiber, die der Magnet 
zieht. 

3 Walthers Physiologie B. I. 



906 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

wait des Anblicks. Nach Esquirol 1 erfaBt den Wahnsinnigen 
nichts so machtig als scharfes langes Anblicken. BloBes starres 
Ansehen macht Kinder weinen, kleine Hunde furchtsam, groBe 
wutig. 2 Bringt nicht sogar der Tiger durchbloBes Anstarren alle 
scheue Tiere, besonders Hirsche und Pfauen, zum Stehen, und 
ziehen nicht die Stechaugen der Klapperschlange den geangstig- 
ten Raub in ihren Rachen, ja sinken nicht sogar die Affen vom 
Baum den unten liegenden anstarrenden Krokodilen zu? Woher 
der Glaube der Griechen und Romer an den giftigen EinfluB ge- 
wisser Augen? Sogar getotet sollen Menschenblicke haben. 3 

§8 

Magnetisieren durch Wollen 

Auch an der Erscheinung, daB der magnetische Arzt durch sein 
bloBes Wollen, ohne auBeres Korpermittel, den Kranken einzu- 
schlafern vermag, laBt sich der Wundernebel zerteilen oder we- 
nigstens dem andern Wunder nahebringen, welches Menschen 
und Tiere taglich verrichten. Hebt der bloBe Wille den Arm und 
die Last an ihm empor: so glaubt ihr das Wunder aufzulosen 
durch die Nerven, auf welche, als auf Korper, der Wille als Geist 
einwirkt und dadurch auf die Muskeln, als ob Geist oder Wille 
nicht iiberall gleich wunderbar weit von der Materie ablage oder 
abfloge. Hat man aber das Wunder des Willens, welcher Korper 
bewegen kann, iiberwunden: so ist es auch keines mehr, wenn 
der magnetische Arzt durch den Atherkreis, der ihn mit dem 
Kranken gleichsam in einen Leib einschlieBt, bloB wollend und 
denkend diesen korperlich bewegt und beherrscht. Gibt doch 
der Zitterfisch durch bloBes Wollen dem Feinde in der Feme 

1 Leipz. Lit. Zeitung 1809. S. 697. 

2 Autenrieth in Voigts Magazin B. 10. St. 1. 

3 Der Abbe Rousseau versichert, in Agypten vier Kroten durch An- 
blicken getotet zu haben. Als er es in Lyon aber an einer versuchte, 
blickte unverletzt diese ihn so stechend an, daB er in eine gefahrliche 
Ohnmacht fiel.- Unterhaltungen aus der Naturgeschichte. Amphibien 
S. 68. 



MUSEUM * I 907 

durch das Wasser den Schlag, ohne Zwischenkorper, die ohne- 
hin kein Fortpflanzen der Wirkung erklaren, weil sie selber ihr 
Empfangen einer Wirkung nicht erklaren. 

Schon in der ganz gemeinen Erf ahrung tut der Wille sein Ver- 
mogen, ohne Muskeln zu bewegen, kund, da6 wir ein auf den 
beiden ungeregten Zeigfingern hangendes Eisen, z. B. einen 
Schliissel, durch bloBes Wollen in Drehung oder in Ruhe brin- 
gen konnen. Der Wille ist die dunkelste, einfachste, zeitloseste 
Urkraft der Seele, der geistige Abgrund der Natur; alle Vorstel- 
10 lungen sind mit korperlicher Begleitung und Bedingung ver- 
kniipft; aber den Willen, der jene erst schafft, find' ich von keiner 
bestimmten Korperlichkeit bedungen, wenn ich ihn weder mit 
Begehren noch mit Handeln vermengen will. Der Wille bedarf , 
urn sich zu steigern, nichts AuBeres, sondern nur sich, eine 
wahre Schopfertat. Er kennt auch keinen auBern Widerstand; 
denn der Wille ist schon vollendet, noch eh' ein Widerstand ein- 
tritt, der ihm die korperliche Erscheinung im Handeln wehrt. 

§9 

Der magnetisierende Spiegel 

20 Die magnetische Wirkung des Spiegels schreibt Mesmer einem 
Zuriickbrechen oder Zuriickprallen der magnetischen Materie 
zu. Bei Wachseherinnen lieBe die Sache sich zum Scherz gern 
einraumen aus Wahrheitsliebe. Konnte man ihn aber nicht einer 
Glasflasche magnetisierten Wassers ahnlicher finden, insofern 
das Spiegel-Glas die magnetisierte Quecksilberfolie vor Ablei- 
tung bewahrte? Daher zeigt zwar ein Spiegel, den der Arzt vor- 
hangt, wohltatige Kraft, aber ein freihangender (nach einem 
Beispiel von Kluge) iibertatige. 

Wenn nach Kluge (S. 183) das Magnetisieren des Krankenbil- 

30 des im Spiegel wirklich den Kranken selber in Krise versetzt: so 
lieBe sich dies leicht aus der sinnlichen Kraft erklaren, womit das 
Bild sowohl den Willen des Arztes festhalt und belebt, als die 
Empfanglichkeit des Kranken verstarkt. 



908 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

§ io 
Das magnetische Wasser 

Die groBe Einwirkung desselben laBt sich erklaren, ja leicht 
kiinftig verstarken. Wasser ist das 01 aller Sinnenrader; erst 
Wasser liefert sogar dem Ohre die Tone ab und der Zunge den 
Geschmack. Es ist ferner so sehr gleichsam die elektrische Bele- 
bung des Geistes, daB nach Sommering das Gehirn talentreicher 
Menschen viel Wasser, und das Gehirn der Cretinen keines ent- 
halt, und daB nach ihm und Gall kopfwassersuchtige Kinder un- 
gewohnliche Krafte des Geistes verraten, welcher letzte als Wort 
in der Sprache nach Klopstock von Gieften abstammt. Auch ist 
die Frage, ob die Bader mehr durch ihre oft sogar entgegenge- 
setzte Temperatur heilen und starken als durch ihre Lebenluft, 
welche nach Humboldt dem Luftkreise gerade am meisten aus 
dem Wasser zustromt. - Wenn Wienholt dem unmagnetisierten 
Wasser nachsagt, daB es der trinkenden Hellseherin Gaumweh 
und Krampfe gebe: so hat er zuvor zu beantworten, ob nicht je- 
des Wasser durch das Handhaben der Zutrager unwissend schon 
auf eine gewisse Weise ein mangetisiertes geworden und ob 
nicht eben dadurch ein solches von fremden, widrigen, nicht in 
Annaherung (Rapport) gesetzten Menschen geladnes Wasser 
bosartig das einfache schone Schlummer-Dasein unterbreche. 

Das magnetische Ein-, Weit- und Vorausschauen 

Der wahre abstoBende Pol der Magnetmenschen oder Mensch- 
magneten ist bisher fur unser glaubloses Zeitalter, welches auf 
seinem Piinktchen Gegenwart nur die nachste Grenzvergangen- 
heit und die Grenzzukunft lieb hat, aber weder gern in eine feme 
Vergangenheit noch feme Zukunft sieht, immer das Weissagen 
geblieben. Man begniige sich bei der Ausdehnung, gleichsam 
der geistigen goldenen Streckbarkeit des Gegenstandes, mit 
einigen Worten. Man kann das magnetische Weissagen einteilen 
in Einschauen, in Weitschauen und in Zuriick- und Vorausschauen. 



MUSEUM • I 909 

Das Einschauen, namlich das der besten Heilmittel, verdankt die 
Hellseherin demselben Instinkte (Vorgefuhle) , der dem fieber- 
kranken Lowen die Fieberrinde anrat, und welcher Menschen 
und Tieren schon im Bediirfnis die Abhiilfe desselben zu ahnen 
gibt; ja der ganz ungleichartige, in Zeit und in Wesen sich feme 
Dinge, wie z. B. bei den Schwalben Hauserbauen und Eierle- 
gen, zu verketten zwingt, so wie sogar der elektrische Donner- 
funke von weitem unter einer kiirzern, aber unterbrochnen Lei- 
tung und unter einer langern, aber fortgehenden diese wahlt. 

Wie muB nicht erst dieses Vorgefiihl als Vorgesicht im Zu- 
stand der besonnenen Hellseherin durch das reine und erhellende 
Glas des doppelten Athermediums erschauen und erfinden! 

Das Weitschauen, namlich das Sehen der raum-, nicht zeitfemen 
Gegenstande, z. B. eines Todesfalls oder des Krankenzustandes 
abwesender Hells eherinnen, schrankt sich nach alien Erfahrun- 
gen auf lauter Menschen ein, welche entweder mit dem Arzte 
oder mit der Kranken verbunden sind. Das Atherband mit dem 
Arzte schlieBt sich von der einen Seite so enge an, daB die Kranke 
ohne ihn gegenwiirtige Menschen und Sachen gar nicht sieht 
(sogar Verwandte, z. B. die Kranke Wolfarts ihren Vater), oder 
die Menschen widerwartig empfindet; aber dasselbe Band rollt 
undflattert sich so lang aus, daB, wie schon gedacht, Arzte durch 
bloBes Denken auf Meilen weit die Kranke ergreifen; kurz an die 
dynamischen Verhaltnisse des Atherleibs sind keine geometri- 
schen Ellen zu legen; und das Wunder ist nicht viel groBer als 
das allnachtliche, daB Sternsonnen sich durch einen aus Sirius- 
weiten vor Millionen Jahren abgeschickten Strahl mit dem Auge 
lebendig verbinden, das erst heute geboren worden. - Dieses 
Weitschauen loset vielleicht manche friihere Unbegreiflichkeiten 
der Sch warmer in kleinere auf. Wenn z. B. die Bourignon versi- 
chert, daB sie jedesmal, wann ihre Schriften eine fremde Seele 
ergriffen bis zur Bekehrung, davon Geburtschmerzen empfun- 
den habe: * so konnte man bei der Wahl zwischen einer absichtli- 

1 Ihre geistlichen Schriften. Amsterdam 1717. S. 397. Obrigens leg' 
ich gar keinen Wert auf die Erklarung einer Tatsache, iiber deren GewiB- 
heit sich so viele gerechte Zweifel aufdrangen. 



910 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

chen Luge und einer magnetischen Wunderahnlichkeit besser die 
letzte zur Erklarung wahlen; denn wenn der Magnetismus ge- 
wohnlicher Geister gewohnliche zu einer Mitleidenschaft ver- 
kniipft, warum solltedie Kraft eines geistigen Uberwallens, wie 
der Bourignon, nicht magnetische Seelenverwandte zu Korper- 
verwandten machen? - Diese atherische Gesamtverkoperung 
hellet etwas am Wunder auf, daB die Hellseherinnen oft Gefiihle, 
ja Gedanken ihres Arztes zu erraten vermogen; denn da alien 
geistigen Tatigkeiten korperliche Saiten mitbebend zuklingen, 
die Saiten des Arztes aber in die der Hellseherin eingesponnen i 
sind, so konnen ihr seine korperlichen Schwingungen seine 
geistigen vielleicht so unvermittelt entdecken wie die Gesicht- 
ziige Bewegungen des Willens. - Einem hohern Wesen konnte 
leicht unser Gehirn alle unsere Gedanken gleichsam mit beweg- 
lichen Typen vordrucken und zu lesen geben, da jeder Vorstel- 
lung eine bestimmte Gehirn tatigkeit begleitend zusagen muf). 

Ungeachtet der magnetischen atherischen Ineinanderkorpe- 
rung des Arztes und seiner Kranken bleibt doch ein hochster 
merkwiirdiger Unterschied zwischen beiden zum Vorteil der 
letzten zuriick. Denn der Arzt ist bloB ganz Wille und Kraft, eine 20 
Kranke bloB ganz Gefiihl, Gedanke, Annahme und Selberge- 
schlossenheit; er schafftihre Zustande, erkennt sie aber nicht; sie 
erkennt ihre und seine und gibt ihm keine zuriick, und seine 
Starke wird zur ihrigen, aber nicht umgekehrt. 

Das Zuruck- und Vorausschauenbczieht sich auf das Messen der 
Zeit. Aus Nachschauen wird Vorschauen. Wenn die Hellseherin 
die Minute ihres Aufwachens und Einschlafens etc. voraussagt, 
mithin die dazu hinlaufenden und hingereiheten Minuten zu- 
sammenzahlt: so tut sie etwas - nur aber breiter-leuchtend auf 
hoherer Stufe -, was wir niedriger haufig erreichen, wenn wir 30 
z. B. durch den Vorsatz, zu irgendeiner Stunde zu erwachen, 
diese mitten in und aus dem Schlafdunkel treffen. Denn der Geist 
arbeitet auch im tiefen finstern Korper-Schachte fort und zahlt 
an unbewuBten Gefiihlen die Zeit sich ab. Auf dieselbe Weise 
wuBten Wahnsinnige ohne auBere Belehrung Kalender und Uh- 
ren auswendig. - So trafen Schwindsiichtige durch das Uber- 



MUSEUM 'I 911 

fuhlen ihrer abnehmenden Krafte die Stunde der aufhorenden. 
Jeder Zustand enthalt den nachsten, mithin auch das Vorgefuhl 
desselben, und der nachste wieder den nachnachsten mit Vorge- 
fiihl; und so kann sich dieses Vorfiihlen durch immer langere 
iiberfiihlbare Zustand-Reihen, durch immer hohere Steigerung 
der leiblich-geistigen Kraft ausdehnen; und wenn nach Wienholt 
vor Hellseherinnen eine medizinische Zukunft von halben Jah- 
ren sich hell beleuchtet aufdeckt und hinlagert: so wohnt den- 
noch diese Unwahrscheinlichkeit noch weit von der Unmog- 

10 lichkeit. 

Wie man sonst das Leben nachtraumt, so kann die Hellseherin 
dasselbe auch vortraumen, eben weil sie der Weberin der Zu- 
kunft, der Gegenwart, naher und heller in ihren Webstuhl und 
in ihre Faden hineinsieht. - Noch weniger konnen uns eben 
darum die Voraussagungen befremden, durch welche Hellse- 
herinnen ihren nachsten wachenden Zustand, Wunsch oder Ab- 
scheu verkiindigen, da sie schon aus ihrem vergangnen Wachen 
ihr kiinftiges entziffern konnten, geschweige aus den Ziigen der 
jetzo vor einer so benachbarten Zukunft; und man kann zwar 

20 nicht Gras, noch weniger Baume, aber vielleicht Pilze wachsen 
horen, die in einer Nacht auswachsen. 

Wenn freilich Hellseherinnen Heilmittel und Zukunft sogar 
anderer magnetischen Mitkranken, mit welchen sie durch den 
Gebrauch desselben Arztes in Rapport gebracht worden, anzu- 
geben wissen, so ist in die dunkle Erscheinung nur durch die 
Annahme einiges Licht zu werfen, daB das Athermedium bei der 
Verknupfung magnetischer Menschen jeden Raum so durch- 
breche und aufhebe wie z. B. der elektrische Blitz, welcher, 
Raume iiberspringend, seine metallische Verwandtschaft kennt 

30 und lieber auf das feme Metall als auf den nahern Menschen (ob- 
wohl beide Leiter sind) zufahrt. 

Nur eine andere Art von Weissagung, welche die Zukunft- 
kreise des eigenen Korpers (iberfliegt, bleibt unerklarlich und 
unglaublich, die namlich, wenn die Kranken zufallige und eigne 
und fremde freie Handlungen, z. B. die Kranke Wienholts eine 
FuBverrenkunge, eine andere einen erschreckenden Wagen, 



912 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

voraussagen und schauen, da der Mensch doch keine Zukunft 
umfaBt, die sich nicht in ihm schon als eine unentwickelte junge 
Gegenwart regt, zu welcher aber, da er nicht die Mutter des All 
ist, nicht die weite Welt der auBern freien Zufalligkeiten gehoren 
kann. Indes warum soil man dem organischen Magnetismus Irr- 
tumer, Zufalligkeiten, Ubertreibungen weniger nachsehen als 
andern bisherigen Systemen? Ihm, der die ganze Naturlehre und 
halbe Heillehre und halbe Geisterlehre und noch fremde, mitten 
in der Alltagwelt befestigt bleibende Wunder zugleich an- und 
umfaBt? 

Daher kann ein Laie diese Betrachtung uber ein Meer, das oh- 
nehin die nachsten Biicher und Jahre nicht erschopfen, nicht friih 
genug schlieBen; und ich fiige hier nur noch zwei Beweise bei, 
daB namlich der organische Magnetismus eine auffallende Ver- 
wandtschaft mit zwei sonst entlegenen Zustanden zugleich, mo- 
dem Wahnsinn und mit dem Sterben, verrate. 



§ 12 
Wahnsinn in Beziehung des Magnetismus 

Wenn Chiarugi bemerkt, daB Wahnsinn die hartnackigsten 
Krankheitenheile, sobald sieinihnubergehen, und daB er gegen 
ansteckende bewahre- wenn dieser nach Withering die Lungen- 
sucht hebt und nach Mead Glieder-Marasmus und Bauchwas- 
sersucht - wenn Chiarugi die groBten Wunden an Tollen ohne 
groBe Entziindung geheilt sah - wenn der Wahnsinn gegen die 
feindliche AuBenwelt, gegen Hunger, Kalte, Kraftlosigkeit, 
Schlafmangel bewaffnet: so scheint hier der Wahnsinnige, wie 
der Schlafwandler, durch seine fixe Idee sein Selbermagnetiseur 
votn Geiste nach dem Korperzu geworden zu sein, und zwar im 
eigentlichen Sinne. Die Wirklichkeit des Selbermagnetisierens 
vom Korper nach dem Geiste zu ist durch mehre von Kluge und 
Wienholt genannte Kranke dargetan, welche den Sehschlaf mit 
eignen Handen an sich erweckten, so wie vertrieben. Wie nam- 
lich eine feste Idee den fremden Erdleib, so muB sie noch mehr 



MUSEUM -I 913 

den eignen ergreifen, umbilden, verstarken; derm der magneti- 
sche Arzt wirkt erst durch die eigne und durch die fremde 
Atherhulle auf den Erd-Leib, das wahnsinnige Ich aber naher 
durch seine auf seinen. Daher die groBten Arzte, besonders die 
altern, den Wahnsinn mit der erschlaffenden Kurart bekampfen, 
und es ware wohl des Versuches wert, gegen Tolle die magneti- 
schen aufhebenden Gegenstriche oder auch Gmelins Margi- 
nalmanipulation aus der Feme zum Entkraften zu richten. 1 
Chiarugi's Bemerkung, daB die meisten Wahnsinnigen wider 

10 alle Erwartung auf den so ruhigen Gebirgen 2 erscheinen, konnte 
den vorigen Gedanken mehr bestatigen als widerlegen; da eben 
mit den Hohen der Geist sich hebt und mit der auBern Weite sich 
weitet und gerade von der Erde sich mehr losreiBt, je mehr er 
von ihr sieht, so wie im physischen Sinne die Erde nur auf der 
AuBenrinde die starkste Anziehung ausiibt, welche immer 
schlaffer ermattet, je tiefer man in sie dringt, bis sie im Kerne 
gar aufhort. Ich sagte: im physischen Sinne; ich sehe aber, daB 
dies auch im geistigen von der Erde gilt. - Noch die Seiten-Ahn- 
lichkeit fiihr' ich an, daB das Aufhoren des Wahnsinns, wie das 

20 des magnetischen Schlafes, alle Erinnerung beider Zustande 
vertilgt. Auch daB gewohnlich dem Wahnsinnigen sich die To- 
des-Nahe durch kurze Zuriickkehr des Verstandes ankiindigt, 
lieBe sich mit der magnetischen Verwandtschaft reimen. 

1 Fur die Verwandtschaft der Heilkrafte des Magnetismus und des 
Wahnsinns spricht auf der einen Seite Hippokrates' Bemerkung, daB 
Fallsuchtige (und wurden nicht die meisten Kranken Mesmers anfangs 
diese?) leicht Wahnsinnige werden, und umgekehrt, und auf der andern 
Seite Hallers Beobachtung (s. dessen Physiologie B. 5), daB Nacht- 
wandler (und die Nachtwandlung wird ja fur einen unentwickelten Ma- 

30 gnetismus erkannt) leicht zu Wahnwitzigen geworden. 

2 Doch werde nicht bei dieser Ruhe der Uberf lufi an Stickluft auf Ge- 
birgen vergessen. 



914 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Scheintod und Sterben in Beziehung des Magnetismus 

Wir gehen vom Wahnsinne auf eine erfreulichere Verwandt- 
schaft des Magnetismus, namlich auf die mit dem Sterben uber. 
Was eben hier zufallige Rede-Verkniipfung war, dies ist sogar 
Wahrheit. Denn nach den Bemerkungen der Arzte wandelt eben 
ein leichtes Irresein dem Sterben voraus. Die Ahnlichkeit zwi- 
schen dem Zustande des Hellsehens und des Sterbens hat schon 
der mit kindlich-reinem Herzen und reichem Geiste die Natur 
anschauende und fragende Schubert 1 wahrgenommen. 

Diese Ahnlichkeit ist unter alien Ansichten des Magnetismus 
die helleste. Betrachten wir zuerst bios das Scheinsterben: so er- 
freuen uns zwei entscheidende magnetische Erscheinungen. Die 
erste ist, daB Scheintote wahrend ihrer Sinnen-Sperre ganz wie 
Magnetische in einem lauen Wonnenmeere schwammen und 
ungern sich wieder in die scharfschneidende Luft des Gemeinle- 
bens aufrichteten. Ohnmachtigen erschienen hinter den gebro- 
chenen Augen bunt gebrochne Strahlen einer Freuden-Welt; - 
Scheinertrunkne vernahmen (nach Unzer) im Wasser das feme 
Glockengeton in einem selig-wogenden Sein, gleichsam liegend 
an der halb-offenen Todes- und Paradieses-Pforte und einsau- 
gend einen Rausch von Edenduft. - Sogar Schein-Erhangene 
schwammen, ihrer Versicherung zufolge, nach dem ersten 
Schmerze aus dem dicken Toten-Meer in lichte Paradiesesflusse 
hinein; daher der Arzt Wepfer den Strangtod fur den siiBesten 
erklarte, so wie daher mehre erschopfte abgejagte Lustjager in 
England mit einem Schein-Gehangenwerden sich reizten und 
letzten. 

Die zweite iiberraschende Ahnlichkeit des Scheintodes mit 
dem Magnetismus ist, daB die Kranken, welche die Pest, der 
SchlagfluB, die Verblutung in den Scheintod gestiirzt, aus die- 
sem so genesen und kraftig erwachet wie andere Kranke aus dem 
magnetischen Schlafe: so wie nach Gall schon tiefe Betaubungen 

1 In seinen Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. 



MUSEUM "I 915 

und Ohnmachten groBen Wendepunkten (Krisen) der Krank- 
heiten heilend dienen. Wie hatte auch der Magnetismus 1 Schein- 
tote, deren Sinnen ihm zugeschlossen waren, wecken konnen, 
war' ihm nicht ein empfanglich-reger in ihnen entgegengekom- 
men? Der gewohnliche Zeitraum des Scheintodes dauert drei 
Tage, janach Schuberts Beispielen oft 7-9 Tage. Aber eben diese 
Tiefe und diese Dauer des Schlafs ist der abkiirzende Ersatz der 
langern magnetischen Kurfrist. 

Indem wir von der Ahnlichkeit des Scheinsterbens mit dem 

io organischen Magnetismus in der Doppelgabe des Entziickens 
und des Genesens zu der namlichen Ahnlichkeit des Wahrster- 
bens in diesem Doppelgeben iibergehen, haben wir auf der 
Schwelle sogleich einer rechten Unahnlichkeit oder der Vor- 
frage zu begegnen, wie das wahre Sterben dem Magnetismus, 
welcher von ihm sonst errettet, doch ahnlich sein konne. Wir 
haben bisher den Erdleib und die Atherhiille voneinander ge- 
schieden, weil beide immer auf gegenseitige Unkosten leben. 
Beide Hiillen stehen, so wie auBerlich, wo die eine das Gruben- 
kleid und die andere der Isisschleier des Geistes ist, so sehr im 

20 Wechselstreit, daB nicht nur die voile Gesundheit des Wilden, 
d. h. die Festigkeit der Erdhulle, sondern sogar die wiederher- 
gestellte der Hellseherin die Leuchtkraft der atherischen ein- 
wolkt und erdriickt, und daB ebenso auf der andern Seite jede 
Vergeistigung die Verkorperung aufloset, sobald jene iiber den 
Mittelgrad, wo sie noch nicht die Atherhulle heilt, gestiegen ist. 
Daher werden - um die bekannten Giftbecher und Giftpfeile 
durch die Entziickungen des Denkens und der hohern Empfin- 

1 Doktor Sackenreuter - ein junger, aber sach- und geistreicher, leider 
den Kranken und den Arzten zu friih vcrstorbener Arzt in Baireuth -, 
30 welcher sehr selten (und also umso glaubwiirdiger) den Magnetismus 
zum Heilmittel erwahlte, brachte damit mehre scheintote Frauen zum 
Leben. Bei einer am Tetanus Scheintoten machte er, nachdem er magne- 
tisch belebend Mund und Augen aufgeschlossen, diese durch den Ge- 
genstrich entseelend wieder zu, um sich dadurch (aber zu wagend) noch 
gewisser vom Magnetismus zu iiberzeugen. S. Allg. medizin. Annal. 
1811, Marz, S. 241. 



gi6 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

dungen zu iibergehen - die Arzneikrafte, welche um die Ather- 
hiille und dadurch um die Seele weiten Raum zu froh-freien Be- 
wegungen erschaffen, der starren Erdkruste auftauende Gifte. 
Es ist ja bekannt, wie Gifte fur einen tiefeni Otganismus - z. B. 
Mohnsaft, dessen Bestandteile Fontana im Viperngifte wieder- 
findet, oder der giftige Fliegenschwamm, dessen eau de vie die 
Kamtschadalen zugleich aus der Destillier- und aus der Harn- 
blase trinken - und kurz, wie eigentlich alle Pflanzengifte 1 auf 
kurze Zeit unter dem Zernagen und Entwurzeln des auBern 
Korpers den atherischen und den Geist zur Wonne und zur Kraft 
uberspannen. So bliihen z. B. den Schwindsiichtigen in der 
Stunde des Erdenverwelkens (nach Richerz in Muratori iiber die 
Einbildungskraft B. I.) alle Seelenkrafte zu hohern Blumen auf. 
So ist denn der Tod nur zuviel Opium, d. h. fur den Erdleib 
zuviel Schlaf und Gift zugleich. - LaBt uns einige schone Ahn- 
lichkeiten beschauen, welche das Sterben mit dem Magnetismus 
hat: Zungen-gelahmte bekamen kurz vor dem Tode Sprache 
wieder, und Ann- und FuBlahme 2 Bewegung, und Wahnsin- 
nige Verstand. - Harthorige und Kurzsichtige sagten ihr Sterben 
durch Weithoren und Weitsehen an. - Schwangere Mutter ge- 
baren, nach Schubert und Garmann, nach dem Tode noch le- 
bendige Kinder. - Die Zuckungen des Sterbens, die fiir uns, wie 
alle epileptischen, nie die Bedeutung einer Empfindung haben 
sollten, gleichen nur den Krampf-Zuckungen, mit welchen nach 
Wolfart 3 die Kranke das Ende des gemeinen Schlafs und den 
Eintritt des hellsehenden ankiindigt; und so wird immer mehr 
das Sterben zu einem Genesen und das hohle harte Grab zu einem 
vollen wogenden Hafen des Abschiffens; und so wie dem Schif- 
f er die neue Welt bei dem ersten Erblick nur als ein dunkler Streif 

1 Das Gift der Metalle hingegen, die audi im Magnetismus martern 
und drucken, zerreiBt beide Hullen, Wurzel und Gipfel zugleich, ohne 
dazu einen Umweg iiber die Lust und hohere Belebung zu nehmen. 

2 Ein zu Butzow 28 Jahre lang sprachlos und lahm niedergelegener 
Greis konnte am letzten Tage sprechen und sich bewegen. 

3 Er merkt noch das Augentreiben an, mit welchem die Kranken aus 
gemeinem Schlaf in den hellsehenden ziehen. 



MUSEUM 'I 917 

am Horizonte erscheint: so ruht die neue Jenseit-Welt vor dem 
brechenden Auge nur als eine Wolke, bis sie durch Annahern 
sich zu Palmen und Blumen entwickelt. Das Wonne- und 
Glanzgefiihl der Hellsehenden ist haufig auf das sterbende Ant- 
litz gemalt: Jakob Bohmen umflossen hohere Spharentone - die 
Mystiker verklarten sich - Klopstock sah die vorangegangene 
Geliebte - Herder rief entziickt: »Wie wird mir!« Und so starben 
in der friihern christlichern Zeit gewohnlich die Greise heiter- 
zuriickbliihend und gingen hinter dem prophetischen Abend- 

10 rote eines schonen Morgens unter. - Nur selten erscheinen ster- 
bende Krampfgesichter, meistens Folge voriger Zerriittung 
oder bei Gewissenskranken, weniger das verklarende Sterben als 
das sich wehrende Leben zeigend. Wie man auf den Alpen oft 
auf einem warmen blumigen Rasen dicht neben einer griin- 
blauen Eisflache liegt: so wogen neben dem irdischen Todes- 
Eise die Auen des neuen Fruhlings hin. Daher fand Lavater die 
Ziige des Verstorbenen nach einigen Stunden ungewohnlich 
verschonert und veredelt, gleichsam als erhalte auch der tiefste 
Schlaf , gleich dem mythologischen, eine Grazie zur Gattin. Aber 

20 diese unsere letzte Verschonerung haben wir nicht bloB dem 
Gliicke, daB nach dem schweren Schlaf trunk des Lebens der ma- 
gnetisierte Zaubertrank des Todes den Menschen erquickte und 
durchfloB, sondern auch dem Umstande zu danken, daB der 
Mensch, wenn das Sterben das letzte Magnetisieren ist, zumal 
in der Winds tille des Lebens, von diesem auch die moralische 
Verschonerung erfuhr. Denn im Zustande des Hellsehens sind 
die Empfindungen reiner und das sittliche Gef uhl zarter - so daB 
unsittliche Menschen den Kranken zu Nervengiften werden und 
ihre Gedanken ihnen zu Krampfen. - Die Liebe ist inniger und 

30 zarter nicht bloB gegen den magnetischen Arzt, sondern auch 
gegenMagnetisierte, ja gegen Andere, 1 und durch das Sprechen 

1 2. B. eine Hellseherin liebte eine altere Frau aufierhalb des Ma- 
gnetismus nur heimlich und schiichtern, in diesem aber mit ganzer 
OberflieBung der Liebe; und sie schrieb ihr darin einen Brief des Her- 
zens, auf welehen sie eine Antwort fur das Erwachen an einen angezeig- 
ten Ort hinlegen muBte. Wienholt B. 3. S. 207. 



91 8 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

iiber erhabene Gegenstande, wie z, B. iiber den Wunderbau des 
Korpers, wolbt sich ihnen 1 ein Himniel mehr unter diesem 
HimmeL 

Konnte nicht der Magnetismus einiges Taglicht auf den 
nachtlichen Larventanz der sogenannten Geistererscheinungen 
fallen lassen? Diese erfolgen namlich immer in der Sterbestunde 
und immer vor Geliebten; so z. B. die wunderbare, von dem 
sonst bezweifelnden Wieland ohne Bezweifeln erzahlte in seiner 
Euthanasia. Wie nun, wenn der Atherleib, welcher im Sterben 
frei und unter dem Niederfallen des schweren Nachtkleides der 
Erdnacht aus einem Seelenflor zum Brautkleide des Himmels 
wird, wenn dieser, welcher schon vorher so selfsame, den ge- 
meinen Raum durchdringende Verkniipfungen mit geliebten 
Personen vollendete, ein Wunder der Erscheinung verrichtete, 
das am Ende doch nicht viel groBer ware als die fruhern umge- 
kehrten Wunder, daB der Hellseherin entfernte Personen sicht- 
bar sind, oder gegenwartige ohne Bertihrung des Arztes un- 
sichtbar, oder daB der abwesende Arzt mit bloBen Gedanken 
ihren fernen Korper einschlafert? - 



§ 14 
Aussichten ins zweite Leben 

Weniger kiihn kann eine andere Hoffnung sich auf der magneti- 
schen Erfahrung fester griinden. Bisher wurde in der gemeinen 
Denkart die Unsterblichkeit des Geistes durch die Sterblichkeit 
seiner Personlichkeit, namlich seiner Erinnerung, untergraben, 
wie durch ein Grab; und in der Tat hatte diese Rockenphiloso- 
phie im Schlusse Recht, da ein Ich ohne bewuBte Vergangenheit 
als keines erscheint, und ein anderes Ich ebenso gut statt Meiner 
sein konnte, oder Ich selber jeder feme Ich ware. Die magneti- 
schen Hellsehenden offenbaren aber an sich nicht bloB ein Erin- 
nern in eine dunkelste Kinderzeit hinab, sondern auch eines an 

1 Nach Wolfarts Beobachtung. 



MUSEUM • I 919 

alles, was nicht sowohl vergessen als gar unempfunden zu sein 
scheint, namlich an alles, was um sie friiher in tiefen Ohnmach- 
ten oder ganzlichem Irresein vorgefallen. Zweitens wenn die 
Hellsehenden sich in ihrem hohern poetischen Schlaf-Wachen 
wohl des Prose-Wachens erinnern, aber nicht in diesem des er- 
sten, 1 so geht eine Erinnerung, ob sie gleich unter dem dicken 
undurchsichtigen Lethestrom liegt, doch nicht darum der Zu- 
kunft verloren; daherimHell-undHellstensehenjener Welt, wo 
der ganze schwere Erdleib abgefallen, nach diesen Wahrschein- 

10 lichkeit-Regeln fremde Erinnerungen aufwachen konnen, wel- 
che ein ganzes Leben verschlummert haben. 

Wenn uns der irdische Magnetismus das erhebende Schauspiel 
von Seelen-Vereinen bios durch atherische Korper-Vereine gibt, 
wenn z. B. (nach Wienholt) zwei Hellseherinnen hohen Standes 
sich und eine dritte, ihnen sonst gleichgultige aus niedrigem in- 
nigst lieben und Schlummer und Rede teilen; wenn Arzt, Kranke 
und feme Mitkranke ein liebender Ather-Kreis einschliefk und 
sie alle nur mit einer gemeinschaftlichen Seelenhiille empfinden 
und lieben: so diirfen wir wohl furchtsam-kiihn ahnen, wenn 

20 auch nicht schlieBen, daB hinter unserem schroffen Leben, das 
uns so hart und weit auseinander halt und oft uns nur zur Wech- 
sel-Zerstiickung einander nahebringt, daB, sag' ich, kiinftig je- 
nes unbegreiflich atherische Medium, welches hier einige zu ei- 
nem hohern Lieben und freuen verkniipft und ebenso gut 
Tausende zugleich ebenso verschwistern konnte, vielleicht als 
eine Atherhulle, als ein Welt- Korper oder Welt-Leib eine aus tau- 
send Seelen zusammengefloBne Welt- Seek umschlieBen und 
1 Eine scheinbar wichtige Einwendung ware die: dafl im sogenannten 
Doppelschlaf (welcher die hochste Steigerung des Hellsehens oder Som- 

30 nambulismus ist) gerade alle Zustande des gewohnlichen Hellsehens er- 
benso unerinnerlich sind als dem Wachen die Zustande des Somnambu- 
lismus. Aber obgleich, den Berichten zufolge, alle Krafte starker 
erscheinen, so scheint der Doppelschlaf mehr ein ObermaS der Starkung 
als reine Starkung, mehr ein magnetischer Rausch als Abendmahlwein 
zu sein, indem der Kranke so ganz in seinen Arzt verfliefit, daB er nur 
fur ihn Zunge, Ohr und Sinn behalt und andere Menschen nur als 
Schmerzen fuhlt und taub fur alle ist. 



920 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

tragen konne. - Freilich fliegen solche Ahnungen der zweiten 
Welt kiihn und hoch; aber warum sollen sie es nicht, da schon 
in dieser der Magnetismus so viele kuhne iiberflog? 

Nur fragt nicht, wie der Obergang des Sterbenden aus dem 
Magnetismus geschehe in die zweite Welt. Denn es ist kein 
Obergang, sondern ein Sprung, so wie im hiesigen Leben auf 
Schlaf und Traum das Erwachen unvermittelt und in einem Nu, 
wiedurcheinelosgelasseneSpringfeder, eintritt. Man vergiBt es 
iiberhauptzu oft, daB die Natur im Korperlichen und im Geisti- 
gen alles zwar nach einem Gesetze der Statigkeit entwickle und 
fortsetze, aber vorher alles nach einem Gesetze der Unterbre- 
chung oder des Sprungs anfange, so bei dem Beleben, Erbluhen, 
Verscheiden. 

Wir kennen nur die lebende Welt, nicht die sterbende; diese 
hat keine Zeit, uns sich aufzudecken; mit welchen neuen frem- 
den, uns verhiillten Erfahrungen mag in der allerletzten stum- 
men Stunde eine sterbende Menschenwelt nach der andern 
sprachlos himibergezogen sein! 

Wir sehen nur die Abendrote ihres Verscheidens, aber sie, die 
in der Abendrote selber ist, kennet die Sonne, welche in sie 
scheint. - Das ganze Erdleben umringen wahrscheinlich zahllose 
hohe Wesen und Wirkungen - denn das Weltganze und Geister- 
all wirkt auf jedes Teilchen und Geisterchen -, von welchen wir 
Endliche nichts vernehmen, als bis der hiesige Leib mit seinen 
Adern- und Nerven-Stromen und s einem ganzen Sinnen-Brau- 
sen auf einmal still geworden und aufgehort. Denkt euch auf ein 
halbes Jahrhundert unten an die Felsen des Rheinfalles gekettet: 
ihr hort dann nicht unter dem Wassersturm die sprechende Seele 
neben euch, nicht die Gesange des fliegenden Fruhlings im Him- 
mel und keinen Westwind in -den Bluten; auf einmal verstumme 
der Sturm: wie wird euch sein? - Wie uns alien kiinftig. Denn 
wir sind jetzo gebundne Anwohner der irdischen Katarakte, die 
ohne UnterlaB iiber die Erde hin donnern, und unter welchen 
wir einander nicht verstehen; plotzlich aber steht und erstarrt der 
Wasserfall zu stillem Toteri-Eis: so horen wir auf einmal uns ein- 
ander ansprechen, und wir horen den leisen Zephyr und die Ge- 



MUSEUM -II 921 

sange in den Gipfeln und in dem Himmelblau, welche bisher ein 
ganzes Leben hindurch ungehort urn uns verklungen. 

So moge denn jedem von uns unter dem Verrauschen und Ge- 
frieren der Erdenwasser in der hohen Sterb-Stille der Himmel 
zu tonen anfangen mit den Gesangen und Lauten des ewigen 
Friihlings, und das Herz mog' uns nur an der letzten und schon- 
sten Freude brechen! 



II. 

Sed ez- Aufs atze 

Erste und zweite Lieferung 



Vorrede 
Alle Folianten sollten vor und fur Methusalem geschrieben sein. 
Man hat jetzo keine Zeit mehr, lange Werke zu lesen, seitdem 
es zu viele kurze gibt. Die Werkchen verdrangen und ersetzen 
die Werke. Die Geschichte allein hat das Recht, gar nicht aufzu- 
horen. 

Wird man vollends vorgelesen, wie abwesendes neues Eh- 
ren-Mitglied Ihres Museums, so benehme man sich kurz; der 
Leser vertragt mehr Weile und Langeweile als der Zuhorer; auch 
20 macht jener leichter das Buch zu als dieser das Ohr. 

Daher - und weil iiberhaupt, wie am Leibe, Ausdehnen der 
Glieder und Gahnen immer reimend beisammen sind - und weil 
abgerissene Gedanken einen kleinern Anspruch an Aufmerk- 
samkeit machen, da man, so yiele man davon will, uberhoren 
kann, ohne die iibrigen weniger zu verstehen - darum hat das 
neue Mitglied folgende Sedez-Aufsatze gewahlt: 

Offentliche Gebaude 
Lykurg (s. Plutarch im Lyk.) verlegte alle beratschlagende Ver- 
sammlungen aus den offentlichen Gebauden ins Freie hinaus, 
30 damit nicht diese jene mit ihren Bildern und Statuen storten und 



922 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

zerstreueten. In diesem Punkte haben mehre deutsche Stadte 
besser fur sich gesorgt, indem sie aus ihren Rat- und andern Ses- 
sionstuben so gliicklich alle Kunst bis sogar auf den Geschmack 
ausgeschlossen, daB man darin ohne die geringste Zerstreuung 
stimmt. Die vier Wande setzen ihren Areopag schon in die no- 
tige Finsternis, so wie Vogel so lange verhangen werden, bis sie 
ihre Melodie pfeifen gelernt. 

Die Kunst 
Die Kunst ist zwar nicht das Brot, aber der Wein des Lebens. Sie 
unter dem Vorwande der Nutzlichkeit verschmahen, indes sie 10 
doch die grobe durch die zartere erstattet, heiBt dem Domitian 
gleichen, welcher die Weinstocke auszurotten befahl, urn den 
Ackerbauzubefordern. Gesegnetseijeder Fiirst, der die Fresko- 
gemalde abloset von ihrer Mauer; denn er ist unahnlich jedem 
Fiirsten, der die Mauer vom Gemalde, den Nutzen von der 
Kunst abtrennt und selig die nackte Mauer allein nach Haus 
fahrt. 

Das Publikum 
Der Leser scherzt vielleicht so sehr mit dem Schriftsteller als die- 
ser mit ihm. Es wolle namlich einmal ein Autor sein Werk recht 20 
fur den Geschmack des Lesers zuschneiden, und er arbeite und 
nahe daran 10 Jahre ganz eifrig: so findet er, wenn ers endlich 
bringt, einen andern Mann oder Leser dastehen, als der gewesen, 
von dem er das MaB genorrimen. Ahnlich sprang Joseph Clark 
mit seinem Schneider urn. Er hatte die seltenste Gabe, an seinem 
Leibe jeder Verwachsung nachzuspielen und sich in jede einzu- 
schieBen; brachte nun der Schneidermeister den Rock, den er ir- 
gendeiner Verwachsung desselben angemessen und, wie er 
hoffte, recht gut angepaBt hatte, froh unter dem Arm.getragen: 
so fand er einen ganz neuen Verwachsenen zum Anprobieren 30 
vor sich, kein RockschoB und Armel wollte stehen, und der 
Meister wuBte nicht, was er machen sollte aus der Sache und aus 
dem Rock. 



MUSEUM ' II 923 

Deutschland 
Je alter die deutschen Ritterschlosser, desto weniger Fenster und 
desto mehr SchieBscharten haben sie. Deutschland hatt' es bisher 
umgekehrt und mehr Licht als Feuer gegeben. 

Erziehung 
Alles der kraftigen Jugend recht leicht machen, heiBt darauf sin- 
nen, recht leichte Anker zu Schmieden. Hingegen dem ermatte- 
ten Alter werde alles so leicht wie die Schwimmfeder einer An- 
gel gemacht. 

10 Rat an einen neuesten Sonettisten 

Der Verfasser dieses munterte den Sonettisten zu Werken auf, 
welche durchaus dem ganzen Publikum, auch dem verehrten 
Museum gefallen werden. »Bekanntlich« - sagte er zu ihm - 
»schrieb Brockes ein Gedicht von 70 Versen ohne ein R; - und 
doch warum fuhr' ich Ihrien dieses an, da ja der Neapolitaner 
Vincentius Cardone im I7ten Jahrhunde.rte, der selber kein R 
aussprechen konnte, unter dem Titel L'R sbandita gar ein Ge- 
dicht iiber die Liebe von etlichen tausend Versen geschrieben, 
worin kein einziges R vorkam? - Diese Parteilichkeit wider ei- 

20 nen Schnarr-.und Hundbuchstaben, der meinen Namen beginnt 
undbeschlieBt,istuberhaupteinfaltig. Aber, Sonettist, konnten 
Sie, der Sie in Ihren Sonetten die groBten Lasten des Versbaues 
leicht bewegen und besiegen, nicht jenes Cardonesche Verdienst 
um 23 mal iiber tref fen, wenn Sie (was Sie gewiB konnen) nur 
Gedichte lieferten, worin auBer dem R noch die iibrigen 23 
Buchstaben geschickt vermieden waren? Ein solches Verdienst 
um die deutsche Dichtkunst ware desto groBer, je unerkannter 
es bliebe.« - 

Die Bildungen von aufien und die von innen 

30 Unter den auf dem Bildungwege hintereinander schreitenden 

Volkern geht stets eines an der Spitze, dem sich die andern in 

Abstufungen nacharbeiten. Aber jedes nachkommende Volk, 

das sich die Selbstverbesserung des ersten einverleibt, bekommt 



924 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

diese gewaltsamer und schneller, weil sie ihm nicht, wie jenem, 
von innen, also aus einem langsamen Zubereiten erwachsen. So 
miissen einem Heere die letzten Abteilungen desselben am 
schnellsten nachziehen. 

Volkbildung 
Kinder und Volker miissen dem Ulysses nicht bloB im Talente, 
beredt und klug zu sein, sondern auch im Vermogen, Ulysses- 
Bogen zu spannen, nachgebildet werden. 

Preis der Kunst 
Gesetze, Zeiten, Volker iiberleben sich mit ihren Werken; nur 
die Sternbilder der Kunst schimmern in alter Unverganglichkeit 
iiber den Kirchhdfen der Zeit. 

Der langsame Wagen und die langsame Menschheit 
Es gibt, konnte man behaupten, einen Wagen, der noch langsa- 
mer fahrt als ein Postwagen oder ein Lastwagen oder ein Staat- 
wagen oder ein Leichenwagen, - namlich der gestirnte Wagen 
am Himmel; denn er steht seit Jahrtausenden gar fest, was wohl 
der geringste Grad von Schnelle ist. Ebenso langsam, konnte 
man fortfahren, riickt Gluck und Licht der Menschheit weiter; 
denn es riickt nie. Aber f liege nur hinauf, naher ans Wagenge- 
stirn, so siehst du dessen Sonnen fliegen, und die feme Erde wird 
ihm nur trager nachgezogen, und sie weiB von nichts. 

Die Tonkunst 
ChladnibauetmitTonen Gestalten aus Steinchen, Amphion aus 
Steinen, Orpheus aus Felsen, der Tongenius aus Menschenher- 
zen; und so bauet die Harmonie die Welt. 

Bewegliche Handelhauser 
Sonst zahlten Deutsche auch die Hauser unter die beweglichen 
Giiter, 1 aber durch das romische Recht wurden sie um diese 

1 Dreyers Miszellen. Seite 81. 



MUSEUM ■ II 925 

leichte Ansicht gebracht. Erst spater oder jetzt muB es durch die 
gliicklichsten Zufalle sich fugen, daB wir wieder zum altdeut- 
schen Gesetze zuriick diirfen und konnen, so daB jetzo nicht bloB 
die gemeinen leichten Hauser, sondern auch die gewichtigen 
Handelhauser bewegliche Giiter, ja fliegende geworden, und je- 
der Kredit zugleich mit jedem Heere mobil, und daB ein Banke- 
rutt im Kriege ein Erdbeben ist, das ein massives Haus mehr 
versetzt als verschlingt. 

Zweierlei Anker 
10 Es gibt einen Flut-Anker und einen Ebbe-Anker; jener hake die 
Jugend, dieser das Alter. 

Verschiedenheit des Zanks 
Die kalten Worte, welche in die Liebe oder Freundschaft fallen, 
sind Fruhlingschnee, welcher bald zu glanzendem Tau ein- 
schmilzt; die kalten Worte, die der HaB hagelt, sind herbstlicher 
Schnee, welcher den hohen winterlichen verkiindigt. 

Dreiklang 
Das Leben - das Sterben - die Unsterblichkeit: diese drei bilden 
den Dreiklang der menschlichen Endlichkeit. 

20 Zwei Traume 

Mir traumte: ich nahm einem Lande voll Reichtum, voll Men- 
schen und voll Sonnenschein den weisen Fiirsten, der zugleich 
ein guter war: da erlags. - Mir traumte wieder: ich gab einem 
erlegenen, welken Lande voll Wuste, Durftigkeit und Klage die- 
sen weisen und guten Fiirsten: da erstands. - Endlich erwacht' 
ich und sah umher, aber zum Gliicke war der weise und gute 
Fiirst keinem Lande entnommen; er herrschte iiber Gluckliche 
und Ungluckliche zugleich und verwandeke niemand als diese 
in jene. 

30 Herder und Schiller 

Zu Wundarzten wollten beide in der Jugend sich bilden. Aber 
das Schicksal sagte: »Nein! Es gibt tiefere Wunden als die Wun- 
den des Leibes - heilet die tiefern!« - und beide schrieben. 



926 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Schutzwehr der Jungfrau 
Zeigt ihr statt fremder Siinden bloB den eigenen Wert und er- 
warmet und befruchtet alles Reine und Himmlische in der jung- 
fraulichen Natur zur paradiesischenBliite: dann ist sie beschirmt 
genug vor der Entheiligung. Ihr vergiftet sie aber friiher als der 
Feind selber, wenn ihr die reine Unbefangenheit durch hellge- 
malte Warnungen und Bilder der Feinde verscheucht und die 
Unschuld hinter kokette Sicherheitregeln verschanzt. So wird 
der junge zarte Baum bedornet und gesichert gegen die Zahne 
hungriger Tiere im Winter; aber die Dornen zerstechen die wei- 
che Rinde und zerstoren das Baumchen. 

Die Regenten der Menschheit 
Jedes Zeitalter wird von zwei Zeiten regiert, von der Gegen wart 
und von der nachst verstorbenen Vergangenheit; so hatten die 
ersten Einwohner der Kanarieninseln stets zwei Konige, den 
eben gestorbenen und einen lebendigen. Aber freilich seufzet oft 
die Gegenwart: sie musse blutend untersinken und die Perlen fi- 
schen, womit die Zukunft sich schmucke; aber ist sie selber nicht 
auch damit geschmuckt von der Vergangenheit? 

An angebetete Madchen 
Die Junglinge fallen vor euch auf die Knie, aber nur wie das FuB- 
volk vor der Reiterei, urn zu besiegen und zu toten, oder wie die 
Jager nur mit gebognen Knieen (als hatten sie Amors GeschoB) 
ihre Opfer fallen. 

Die Geschichte 
Ein Volk straft das andere, siindigt aber wieder unter dem Stra- 
fen, und ein drittes ziichtigt das zweite und siindigt, urn zu zuch- 
tigen. So wurde (erzahlet la Loubere 1 ) in Siam einem Diebe des 
koniglichen Silbers geschmolzenes in den Hals gegossen; - der 
Mann, der es erhartet aus dem toten Schlunde zu holen hatte, 
stahl wieder etwas davon; ein dritter, der dem zweiten den glii- 

1 Allgemeine Historie der Reisen zu Wasser und zu Land. B. 10. 



MUSEUM • II 927 

henden EinguB gab, steckte auch wieder von dem kaltgeworde- 
nen heimlich zu sich; - der der begnadigte aber den dritten, um 
es nicht zu spat bei dem letzten seines Reichs zu tun. Die Romer 
straften die Griechen - die Deutschen die Romer - die Zeit die 
Deutschen - die Zeiten die Zeit - und die Ewigkeit zuletzt die 
Zeit. 

Aufklarung der vornehmen Jugend 
Sie will Licht, aber weniger, um da von innen erleuchtet, als 
auBen illuminiert zu werden. Die Augen der jungen Zeit sind 
10 mehr Schmuck als Glied; so'haben die Schmetterlinge auf ihren 
Fliigeln Augen, und der Pfau auf seinem Schweif. 

Schmiicken des Schmuckes 
Gibt es etwas Schoneres als Schonheit und Unschuld? Welche 
Reize kann eine schone unschuldige Jungfrau noch borgen, die 
nicht kleiner waren als ihre eignen? Aber sie borgt doch, sogar 
die kleinsten; denn sie gleicht dem Romer, 1 welcher die weiBe 
Lilie und das weiBe Lammchen bunt anstreichen lieB. 

Das Genie und der Furst, 
Das Volk bewundert beide zweimal am meisten: warm sie ihre 
20 Regierung antreten und wann sie sie niederlegen; Am Kronung- 
tage und am Sterbetage werden sie am feurigsten gelobt. So fun- 
kelt ein Stern zweimal am starksten, bei dem Aufgange, bei dem 
Untergange; aber kleiner erscheint die Sonne und jedes Gestirn 
in der Mitte, wo sie eben das reichste Licht auf die Erde gieBen. 

Kraft der Worte 
Nicht aus Gemeinem ist der Mensch gemacht (wie Schiller sagt) , 
sondern aus Worten. Vom Worte werden die Volker langer als 
vom Gedanken regiert; das Wort wohnt auf der leichten Zunge 
fester als dessen Sinn im Gehirn; denn es bleibt, mit demselben 
30 Tone Kopfe zusammenrufend und aneinanderheftend und Zei- 

1 Plin. VIII. 48. XXI. 5* 



928 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

ten durchziehend,-in lebendiger Wirkung zuriick, indes der ewig 
wechseJhafte Gedanke ohne Zeichen umfliegt und sich sein Wort 
erst sucht. So gleicht das Wort - diese Gedankenschale - den 
Schaltieren, deren Gehause ohne die weichen Einwohner das 
bilden, was kein Tier und Riese zu bilden vermag - Inseln und 
Gebirge. 1 

Die Begierden der Menschen 
Die Begierden beschneiden ihrem Prometheus-Geier statt des 
Schnabels die Fliigel - und so hackt er ewig ins Herz. 

Das Welt-Ratsel 10 

Der Mensch sieht nur das Spinmaddes Schicksals, aber nicht die 
Spindel; daher sagt er: seht ihr nicht den ewigen, leeren Kreislauf 
der Welt? 

Das Streben hinter dem Tode 
Die Menschen erschrecken ordentlich iiber die Erhabenheit, 
welche ihnen der Tod oder die Ewigkeit droht. Wohin, sagen 
sie, sollen wir vollendet droben streben, wohin soil sich eine 
Sonnenblume wenden, welche selber auf der Sonne steht? Ich 
antworte: nach der groBern Sonne, um welche unsere zieht. 



III. 

FRAGE UBER DAS ENTSTEHEN DER ERSTEN PFLAN2EN, TlERE UND 

Menschen 

§i 

Sonst hatte man nichts zur Ant wort auf diese Frage no tig, als 
dem Frager das erste Kapitel des ersten Buchs Mosis aufzuschla- 
gen, um damit den groBten Knoten aller Untersuchungen - falls 

1 Die Inseln aus Korallen und die Kalkgebirge. 



MUSEUM * III 929 

nicht die Frage iiber unsere Zukunft ein noch groBerer ist - auf 
einmal zu zerschneiden. 

In den neueren Zeiten wahlen fast einmutig die Naturfor- 
scher, sowohl Gottglaubige als Gottlaugner, einen andern und 
langern und gelehrteren Weg, um diesen Knoten zwar ebenfalls 
zu - zerschneiden, nur aber ohne Moses und Gott. Nach ihnen 
ist das ganze organische Reich nur das Gewirk des in der Jugend 
feurigern Kraftebundes von Elektrizitat, Warme, Galvanismus 
u. s. w., und die hohern Organisationen sind nur Bliiten und 
Fruchte aus dem Laube der fruhern niedrigen. 

Keine Bescheidenheit ist zu groB, wenn man, wie ich, so vie- 
len gelehrten und tiefen Naturforschern sich entgegenzustellen 
wagt, nicht etwan sie zurechtweisend - dazu gehoren andere 
Krafte und Bibliotheken und Zeiten -, sondern nur scheu be- 
kennend, daB man von ihnen selber nicht zurechtgewiesen wor- 
den, und daB ihre dicken Biicher nicht viel schwerer wiegen als 
das erste Blatt Mosis. 

Der Verf. will vorher in den folgenden Paragraphen die orga- 
nische Maschinenlehre - der Kiirze wegen gelte diese Benen- 
nung -, so gut er sie aus verschiedenen Werken 1 kennt, zusam- 
mendrangend darlegen und darin gegen seine Meinung so eifrig 
und aufrichtig sprechen lassen und selber sprechen helfen, als er 
es fur dieselbe spater tut. 

»In den ersten Gliihjahrhunderten der jungen Erde« - sagen die 
organischen Maschinenmeister - »wurden durch das Zusam- 
mentreten der groBern Warme und Garung, der dichteren Luft, 
der Elektrizitat und des Galvanismus wahrscheinlich die Was- 
sertiere als die unvollkommensten (nach Lamarck 2 ) zuerst gebil- 



1 Da fur den Kenner die Anfiihrungen nur solche aus Alltags-Biichern 
sind, so konnen sie kurz und selten sein. Wer sie bezweifelt, der mag jene 
fragen, oder mir glauben. 

2 Dessen Recherches sur les corps vivants. 



930 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

det; und zwar wurde mit den groBten darin (wie nach Herder 
auch auf dem Lande), mit den Ammonshornern, angefangen. 
Nach Kant 1 begann die lebendige Wasserwelt mit Infusiontier- 
chen, deren Stoffe spater zu Polypen, Mollusken und dann zu 
Fischen zusammengohren. Herder und Meiners 2 und die mei- 
sten lassen die Pflanzen vor den Tieren anschieBen. Priestley und 
IngenhouB erklaren die grune Materie auf dem Wasser fiir Pflan- 
zenkorner, welche zu lebendigen Tieren vermodern, deren 
neuer Moder wieder zu Flechten und anderen Pflanzen wird. 
Gegen den Vortritt der Pflanzen im Meere streitet iibrigens 
Schuberts 3 Bemerkung, daB erst aus untergegangenen AufguB- 
tierchen Pflanzen erkeimen; ferner die Tatsache, daB es imMeer 
eigentlich nur Tierpflanzen gebe; und endlich der Satz, 4 daB 
Warme ohne Licht wohl der tierischen Entstehung, aber nur eine 
mit Licht der vegetabilischen diene und helfe. - Alles Organische 
ist Geburt des Schleims, d. h. des Kohlenstoffs, mit Luft und 
Wasser geschwangert - der Meerschleim ist der Urschleim 5 . « 



»Das aus dem Meerwasser steigende Land wurde die Pflanzstadt 
der Flechten, Moose und Schwamme; und durch deren Verwe- 
sung das Lohbeet der ersten Graser, deren Asche wieder als Sa- 
■ menstaub der ersten Stauden flog, bis gleichsam wieder in der 
letzten Aschenkrugen endlich wie in Treibkasten die hohen 
Baume trieben und prangten. 6 Aber diese organischen Abstu- 
fungen wurden vielleicht durch Jahrhunderte voneinander ge- 
schieden.« 

1 Dessen physische Geographic 4. B. 

2 Meiners Untersuchungen iiber die Verschiedenheiten der Men- 
schennaturen in Asien und den Sudlandern. 181 1. B. 1. 

3 Dessen Ansichten von der Nachtseite der Naturwissenschaft. 

4 Treviranus Biologic 

5 Okens Lehrbuch der Naturphilosophic 

6 Meiners 1. c. S. 34. 



MUSEUM -III 931 

§4 

»Ebenso gebaren tiefe Tierklassen immer hohere. Der Wurm 
kroch dem Krokodile, dem Vogel und Pferde voran. Die pflan- 
zenfressenden waren die Ahnen der fleischfressenden, bis sich 
endlich das schaffende Brauen mit dem feinsten abgezogensten 
eau de vie, mit dem Menschen, schloB. Gleichsam als Nachspiel 
der ersten Aufstufung« - konnte der organische Machinist hin- 
zusetzen - »durchlauft noch der Fotus alle Tierklassen, anfangs 
Wurm, dann unverwandeltes Insekt, dann durch Absonderun- 
gen, Molluske, endlich durch ' Knochenbildung rotblutiges 
Tier. 1 Auch bei dem ersten TieraufguB (Infusorium) werden 
Jahrtausende sich zwischen der ersten Elephantenameise und 
dem ersten Elephanten gelagert haben, so daB dieser Erdball 
jahrhundertelang nur eine Wurm- und Insekten-Erde, dann ein 
friedliches brahmanisches Arkadien ohne Fleischfresser war, bis 
endlich die Menschen und die Menschenfresser die Erde 
schmiickten, aus welchen sich aber kein neues hoheres Tier wie- 
der auferbauen wollte.« 



§5 

»Vielleicht, sagt Linnee, sind alle tausendartigen Pflanzen auf 
wenige Stammpflanzenzuruckzufuhren. Ebenso, sagt Darwin, 2 
laufen vielleicht alle Tiere in wenige ein, ja die ganze Tierwelt 
spann sich vielleicht vor Billionen Jahren aus einem einzigen 
Fleischfadchen 3 an.« 



1 Walthers Physiologic B. 2. 

2 Dessen Zoonomie B. 2. S. 445 und 458. 

3 Namlich nach Darwin (S. 432) ist der Urkeim eines Embryons ein 
Faserchen oder Filament aus dem vaterlichen Blute, das sich im Mutter- 
leibe durch Reize in einen Ring umbeugt und endlich durch Nahrung 
zu einer Rohre hohlt. 



932 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

»Diese elternlose Leben-Krystallisationen fanden nur in der ga- 
renden Saftzeit des Weltfriihling statt; daher ware das jetzige In- 
nehalten damit kein Einwand , sogar wenn dasselbe nicht schein- 
bar ware. 

Vom vorigen Mark- und yerzschlag der Zeit geben uns schon 
die 24 Arten untergegangener Folio-Tiere Beweise, welche Cu- 
vier beschreibt, fast alle riesenhaft; der mosaischen Riesenalter 
und der Riesenmenschen gar nicht zu gedenken. So die ausge- 
storbenen Ammonshorner vonfunf FuB im Durchmesser, indes 
die lebendigen nur hinter dem VergroBerglase erscheinen; so die 
groBeren, jetzo verschwundenen Fische, so die Oberreste von 
Riesen-Vogeln im erstentdeckten Neusibirien. Mit welcher hei- 
Ben Oppigkeit muBte die junge Erde ihre Palmenwalder getrie- 
ben haben, um mit ihren Verkohlungen die unerschopf lichen 
Umber-Gruben der kolnischen Gegenden zu fiillen! 

Die Tatsachen eines friiheren, fast tropischen Warmegrades 
der Polarlander setzen - wenn man diesen nicht aus einer unge- 
heuern beispiellosen Vertiefung des Pols ableiten will - entweder 
eine ursprungliche Glut und Verdampfung der Erde, oder (ohne 
diese und unabhangig von der Polhdhe) nach Humboldt 1 die 
Entbindung eines unermeBlichen Warmestoffs voraus, als die 
Gebirgarten sich in den Wassern niederschlugen und die fliissige 
Erde zur festen verdampfte. Wie mussen nun in beiden letzten 
Fallen vollends die tropischen Meere des Aquators mit schaffen- 
den Kraf ten gekocht und das wilde Heer ihrer Zerrbilder ausge- 
goren haben! « 



»Wem solche organische Geburten ohne Eltern im Welt-Mai 
unbegreiflich vorkommen, weil das geistige Kunstgebaude des 

1 Dessen Ansichten der Natur B. I. S. 234; gegen welche Meinung 
Treviranus in seiner Biologie (z. B. S. 225) siegende Einwiirfe macht. 



museum • in , 933 

Lebens alle chemischen, elektrischen und andere mechanischen 
Bau-Krafte zu ubersteigen scheint: einem solchen braucht man 
nur zu zeigen, dafi jetzo im Welt-Oktober taglich dasselbe, nur 
im Kleinern, wiederkommt. Man nenne z. B. die Eingeweide- 
wiirmer, welche bloB durch krankliche Schwache eines fremden 
Korpers entstehen, und in einem solchen Reichtum, daB Goze 
3503 Fischdarmwurmer im Blinddarm eines Fisches, 28000 Fa- 
denwiirmer in den Lungenlappen einer Wasserkrote fand - und 
ferner, was alle Moglichkeit der Eltern ausschlieBt, sogar Einge- 

10 weidewiirmer im Ei einer Henne 1 - nach Brendel und Selle sogar 
im Abortus - nach Cuvier Wiirmer in Insektenlarven, die im 
entpuppten Tiere nicht vorkommen 2 - nach Fischer einen Wurm 
in der Schwimmblase einer Forelle 3 - die Tiere der Kratze und 
des Eiters - so die.Finnen nur in zahmen Schweinen - so jene 
Schmarotzer-Tiere des Menschen, welche Herodes und Sulla le- 
bendig auffraBen und welche nur die hochste Zersetzung aller 
Safte ausbriitet, desgleichen ihre Nebenverwandten, welche nur 
in lang getragnen wollenen, von der menschlichen Ausdiinstung 
durchdrungenen Kleidern und (was besonders ist), wie ihre 

20 Nachbarn auf dem Kopfe, gerade bei Kindern und Greisen am 
meisten entstehen.« 4 



§8 

»Das nachste Beispiel elternloser Ur-Waisen konnt ihr jeden Tag 
aus dem feuchten warmen Mehltopfe ziehen, worin ihr Mehl- 
wiirmer, die sich verpuppen und entpuppen, fur eure Nachti- 
gallen ins Leben backet und erschafft. Jetzo iiberschauet das 
nasse Weltgewimmel und Weltmeer der kaum sichtbaren Auf- 
guBtierchen (Infusorien) hindurch, welche ihr zu verschiedenen 

1 Voigts Magazin etc. IV. 1. 
30 2 Oken iiber die Erzeugung. 

3 Liter. Zeitung, Dez. 1799. 

4 Wolfart in d. allg. mediz. AnnaL July 1811. 



934 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Tiergeschlechtern aus (unsalzigen) Feuchtigkeiten und Pflanzen 
organisieren konnt. 

Euch wird sogar die Ausflucht abgeschnitten, daB vielleicht 
am Ende doch nur aus altetn Grganischen (z. B. aus Pflanzen) 
neues erwachse; denn Doktor Gruithuisen 1 erhielt aus Stink- 
stein, Granit, RuB, Marmor, sogar mit destilliertem kalten Was- 
ser begossen, ohne Faulnis noch denselben Tag lebende Tier- 
Weltchen. - Dieser Zwergfauna gesellt sich noch die Zwergflora 
der AufguBpflanzchen zu, der Schimmel, und zwar wieder die 
Ausflucht organischer Samen-Einmischung versperrend; die 
Schwamme, die unter dem Namen Schimmel auf der Dinte 
wachsen, sind von den Konferven-Faden des Schimmels auf Met 
und Bier verschieden. 2 Mithin ist bloB der erste Bierbrauer und 
der erste Dintenkoch der Pflanzer und Gartner dieser lebendigen 
Korper- Abbre viaturen . 

So ist also jetzo in der ermatteten verbrauchten Natur doch je- 
des Leben noch doppelt belebend, zugleich ein Vater und ein 
Schopfer, seine eigne Gestalt fortpflanzend und eine ihm fremde 
erschaffend - jeder Regentropfe ist ein voller Besatz- und 
Streckteich schwimmenden Gewimmels - und jedes Tierglied 
eine Bruttafel neuer Gestaltungen, und sogar der elende 
Schwamm und seine Bliite ein organisches Treibhaus und ein 
Wurmerstall. — Und du willst iiber friihere groBere Schopfun- 
gen, da die Erde noch ihre eigne Sonne war und vom Teige aller 
Keime und von Lebenmilch schwoll und mit Jahrtausenden an 
ihren brutheiBen Gewirken briiten und ausarbeiten konnte, du 
willst iiber friihere groBere Schopfungen derselben staunen, fra- 
gen, ja zv^eifeln?« 

§9 

Ich antworte: allerdings will ichs und tu' es, wie folgt: 

Nicht die Tatsachen selber, sondern die Schliisse und Erkla- 

1 Oberd. Lit. Z. 1808. Okt. 

2 Nach Dupont im Morgenblatt 1807. 



museum • in 935 

rungen, womit sie umgeben werden, sind anzugreifen. Der or- 
ganische Maschinenmeister setzt an die Stelle entweder der Eier 
oder der Eltern gemeinschaftlich zusammenwirkende Elemen- 
ten-Krafte. Hier tritt ihm zuerstdie schwer driickende Frage ent- 
gegen, ob sonst Krafte erschufen, welche jetzo untergegangen 
sind, oder ob nur die jetzigen vormals nur kraf tiger in gunstigern 
Kreisen bildeten. Indes jetzo unbekannte, nun verlorne Bild- 
Krafte nachzuweisen, wird wohl kein Naturforscher versuchen 
und vermogen, er miifite denn verborgne Ursachen (causae oc- 

io cultae) und doch ihm nicht verborgne zuruckzufuhren wissen. 
Mithin bleibt zum Beleb-Apparat der Urwelt nur die damalige 
groBere Starke jetziger matter Krafte iibrig, das warme neuge- 
borne und neugebarende Getummel, welches mit elektrischen, 
galvanischen und anderen Kraften auf der leblosen Welt eine le- 
bendige ausbriitete. 

Diese Starke miiBte man denn so weit als mdglich in die Friih- 
zeit der Erde hinaus verlegen. Aber gerade in den vorfriihen 
Ruinen der letzten, in den Urgebirgen, findet man keine ver- 
steinerten Tier- und Pflanzenreste. Erst in den spatern, aus Rui- 

20 nen und Absetzungen gestalteten Gebirgen der zweiten und der 
dritten Ordnung (montes secundarii und tertiarii) , besonders in 
denen der letzten, deckt sich uns die jetzige Lebenwelt begraben 
auf, vom Medusenhaupte der Vorzeit versteinert. Will man in 
diese Periode eingehen, wo der Meerkessel ein Braukessel des 
Fisch-Lebens und das Festland ein Brutofen der Pflanzen und 
Tiere war: so stoBt man auf eine noch zu wenig geniitzte Er- 
scheinung. 

Alle Naturforscher namlich bleiben darin einverstanden, daB, 
obgleich die Friihwelt sich in Versteinerungen sogar bis auf die 

30 zarten Blumen ausgedehnt und erhalten, welche letzte in der 
Jetzterde (nach Biiffon) die tiefsten Schichten einnehmen, daB 
dennoch von der Gipfelblume des Lebens, namlich vom Men- 
schen, nirgend versteinerte Reste gefunden worden, so sehr auch 
an sich die Menschenknochen (nach Berger) der Zeit langer wi- 
derstehen als die Fischgraten, die man neben den Blumen in den 
hohen Sargen der Vorwelt, den Gebirgen, findet. - Ja, nicht ein- 



93 6 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

mal versteinerte Reste von Affen, deren es doch 70 Arten gibt, 1 
hat jene Ur-Zeit zuriickgelassen. 

Woher das Ausbleiben oder Verschieben der edlern Gebilde, 
deren Erstehung man ja gerade von einer Zeit erwarten sollte, 
worin die urspriinglichen Lebens-Wecker mit groBerer Starke 
die Geburtstunden der Riesen-Tiere ausschlugen? - Ja man sollte 
dies noch mehr vermuten, da noch jetzto die Natur am einzelnen 
Tiere im Mutterleibe das Bilden und Gestalten immer bei den 
edlern Teilen, bei dem Kopfe und an diesem bei den hoheren 
Sinnen, anhebt. 10 

Die groBte Einwendung ist endlich die Frage: wie denn Elek- 
trizitat, Galvanismus u. s. w., welche jetzo in ihrem kleinern 
Grade kein Leben erschaffen konnen, es friiher bloB durch ihren 
hohern sollen gegeben haben, da ja das Leben selber nicht von 
dem Unbelebten in dem Grade, sondern in der Art verschieden 
ist; daher die Elektrizitat zwar das schwachere Leben, z. B. das 
Ei, wohl ausbriiten und erhohen, aber nicht erzeugen kann. Sie 
- oder was man ihr gleichstellet - ist nicht der Atem, der dem 
ErdkloBe Leben einblast, sondern selber ein Teil des Erdklo- 
Bes. 20 

Eine andere Frage hat man noch gar nicht getan: ob namlich 
die eine anregende Welthalfte, die aus elektrischen, galvani- 
schen, v^armenden Kraften oder Reizen besteht, nicht zu glei- 
cher Zeit die andere anregbare, die lebendige, voraussetze und 
der letzten so bediirfe wie diese ihrer; ob nicht tot-korperliche 
Welt mit organischer zugleich zu setzen, so wie Pflanzenwelt mit 
Tier welt? Griine Inseln ohne Tiere, elektrische Wiisten ohne Le- 
ben sind keine Einwendungen, da der Luftkreis alle Eilander und 
Wiisten mit dem Leben verkniipft und umringt. 

1 Biologie von Treviranus. Blofi Cuvier will unter seinen 24 vedor- 30 
nen Tieren aus den Zahnen eine untergegangene Affenart mutmafien, 
ohne indes zu entscheiden. 



museum • in 937 

§ io 

Dabei ist nun die alte Frage durchaus nicht wegzudrangen und 
abzuweisen, warum alle diese mechanischen Poussiergriffel 
jetzo auch gar nichts, nicht einen organischen Klumpen mehr 
schaffen. (Die Einwendung der Auf guB tier chen wollen wir spa- 
ter abtun.) Im feucht-warmen Aquator-Amerika, diesem 
Brennpunkte so vieler Reizkrafte, entstehen nur alte Tiere. Wer 
einwirft, dafi allda eigentlich nur die kleinern Tier gat tungen ge- 
deihen, dem stell' ich wieder nicht nur den brasilianischen Tiger 
und die Boasschlange, sondern vorziiglich die kolossale Pflan- 
zenwelt, die herrlichen Palmen und die Riesenblumen entgegen. 
- Und warum blieb denn gerade die neue halbe Erdrinde an so 
vielen Bildungen der alten unfruchtbar, so dafi auf ihr kein gan- 
zes Tiergeschlecht des alten heiBen Erdgiirtels gefunden wird? 1 
So wie besonders keine Schafe, Kamele, Esel, Pferde und Affen? 
Warum treiben Erdbeben und Naturglut neue warme Inseln aus 
dem Meere, aber keine neuen Tiere auf ihnen?- Warum fuhrt und 
treibt das groBte Infusorium, das es gibt, und von welchem das 
Festland nur V 3 der Erde ausmacht, das Meer, voll Leben, voll 
Mollusken-Faulnis, voll Gewachse und iiberquellend vom 
Leuchten der Auflosung, uns unter seinen Gestalten-Heeren 
kein neues zu? 



Man hat auf diese Fragen mehr Antworten als Beantwortung. 
Z. B. die: »Neue Organismen entstehen nicht mehr, weil schon 
zu viele alte da sind, welche den organischen Stoff verarbeiten. « 
- Aber wenn einmal die schaffende Mechanik so viel organi- 
schen Stoff teils erzeugte, teils gestaltete: wie sollten derm die 
Kombinationen der zahllosen Tierformen zu erschopfen oder 
30 jener Kraf te-Mechanik zu verwehren sein? Wenn 24 Buchstaben 

1 Zimmermanns geograph. Geschichte etc. I. B. 



938 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

tausend Quintillionen Male zu versetzen sind: wie oft nicht die 
Millionen Tiere selber wieder, so daB man sich wenig iiber die 
beiden geschnabelten Saugtiere (Ornithorhynchus paradoxus 
und aculeatus) zu verwundern hat! 

Die gemeinste Ausrede ist das Veraltern der Erde. Organische 
Wesen und also ganze Volker konnen altern und verfalben, leib- 
lich und geistig; und manches Volk wird ein kindischer Greis 
mehre Jahrhunderte vorher, eh' es als ein kindliches Kind wieder 
wird. Aber unorganische Krafte, die Elemente, Elektrizitat, 
Galvanismus etc., behalten als Herzen des Erdballs alten Schlag 10 
und alte Glut; man miiBte denn in ungeheuere Zeitf ernen, wohin 
keine Versteinerungen reichen, sie zuriickschieben wollen. 
Nicht die Erde, sondern einzelne Lander altern, bliihen oder 
wechseln. Als Siberien gluhte, war der Aquator entweder von 
jenem Urmeere bedeckt, wovon nach Delametherie 1 ein 24tel 
verflogen ist, oder seine Glut riistete ihn mehr zu einem Schei- 
terhaufen als Brutneste des Lebens zu. Stellen etwan die gliihen- 
den Gewiirze und Tiere so vieler Gleicher-Inseln graues Haar der 
Erde vor? - Hochstens hat sich die ausbriitende Erwarmung der 
Lander nur versetzt, nicht verloren. 20 

Oberhaupt entscheidet hier nicht allein Jugendwarme der 
Erde. Konnten denn die Tiere der Eislander, wie z. B. das Ren- 
tier etc., in Glutzonen geformet werden? Fallt nicht jetzo noch 
bei manchen Tieren und Pflanzen die warme Zeit der Liebe und 
der Bliite gerade in die Wintermonate, z. B. bei Wolfen, Kreuz- 
schnabeln, der schwarzen NieBwurzel, den Schneeglockchen 
und Moosen? 

Solange die Erde - obwohl ihre Berge Scherbenberge (monti 
testacc.) der Urwelt sind - noch so viele Krafte iibrig hat, um 
mit ihnen alien fortgesetzten Schopfungen zu dienen und beizu- 30 
stehen, damit der Lowe werde und der Mensch und der hohere 
Mensch, so lange wollen wir dieser Allmutter oder vielmehr 
All-Amme so gut die Jahre und zugleich die Krafte lassen als den 
Erzvatern, welche zwar immer im hohen Alter 1 zeugten, aber 

1 Dessen theorie de la terre. II. 103. 



museum -in 939 

doch Sonne, die wieder eines erlebten. Jetzo freilich diirfen wir 
in Untersuchungen schwerlich ohne Nachteil des Ernstes das 
europaische Alter anfuhren, welches zeugt, und welches erzeugt 
wird; doch erlebt noch manche Eintagfliege einen Minuten-En- 
kel an ihren Stundenfliegen. 

Ob die Erde vor der groBen Flut mit viel jugendlichern Kraf- 
ten gearbeitet als nach derselben, beantwortet die Erscheinung, 
daB die unterirdische versteinerte Tierwelt im Ganzen nur ein 
AbguBsaal der wieder gebornen jetzigen ist. Alle verlorne, uns 

io in den Obergang- und Urfloz-Gebirgen nur als Versteinerungen 
iibriggebliebnen Arten (die Belemniten, Lituiten, Enkriniten 
etc.) sind als matte, kleine Erstgeburten der Erde mehr den 
menschlichen gleich, die gewohnlich Madchen sind, etwa die 
Ammoniten der GroBe wegen ausgenommen. Aber diese, so 
wie die von Cuvier beschriebenen, nicht wiedergekommenen 
Tierklassen entscheiden wenigstens nicht durch bloBe Glieder- 
Auftiirmung £ur friihere groBe Bildkraft. 

Als ein auseinandergezognes Tiergebirge muB z. B. der Wal- 
fisch, im kalten formlosen Element geboren und gewiegt, an 

20 Feinheit und Feuer aller Krafte tie£ vor den kleineren Landtieren 
und Lufttieren und den instinktreichen Insekten untertauchen, 
welche ein heiBeres Schopfung-Feuer fodern; so wie die noch 
weniger lebengeistigen Baume an Riesehhaftigkeit wieder jene 
iiberragen; und wie wieder auch unter den Gewachsen die unge- 
heuern Giganten-Baume sich in innerlichem Werte nicht mit der 
Sensitive oder einer Giftblume messen konnen. Auch ware noch 
der punischen Elephanten-Kohorte von Cuvier die Frage entge- 
genzustellen, ob er denn gewiB wisse, daB diese Knochen-Mas- 
sen sich doch nichtin andern Landern jetzo noch mit Leben und 

30 Fleisch bekleiden, da wir alle ja von Asien nur drei Viertel ken- 
nen, von Amerika drei Fiinftel, von Afrika gar nur ein Fiinftel; 

1 Vor der Siindflut namlich, da zeugte Enos im 90ten Alter zuerst, 
Kenan im 7oten, Jared im i62ten, Henoch im 6$ ten, Methusalah im 
1 87ten etc. , nach der Siindflut meistens wie die alten Deutschen im 30ten 
und 29ten. 



940 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Land genug fur alle seine Riesentiere, urn darauf zu leben und 
zu rauben. 

Ubrigens sind seinen 24 Riesenklassen mehre Hunderte 
Zwergklassen von Muscheltieren verfliichtigt nachgeschwun- 
den, 1 die jetzo durch nichts anders an sich erinnern als - wie ver- 
jagte und ermordete Volker - durch leere Behausungen. 

Eine noch schwierigere Antwort liegt dem organischen Ma- 
chinisten auf die zweite Frage zu geben ob, in welcher Gestalt 
sich die ersten Tiere zusammengegossen, ob in Eier-Gestalt oder 
in ganz ausgebildeter. 

Es sei in der ersten: so fragen wir, durch welche denkliche 
BrutkrafteundentwickelndeundernahrendeGestaltenz. B. das 
Pferde-Ei, das Adler-Ei, das Tauben-Ei ohne Milch, Fleisch und 
Korn und ohne alle Eltern-Sorge nur auf eine Woche lang von 
blinden, tauben, harten Kraften aufzupflegen war. Will man 
vollends das zarte Menschen-Kindchen von der Spinnmaschine 
leb- und liebloser Krafte nur einen FuB lang ausspinnen lassen: 
so ist nirgends Aussicht und Rat. Die Erde ist kein Mutterleib, 
der Himmel keine Mutterbrust. 

Wohl! so greife man denn in dieser Not zur Annahme, da6 so- 
gleich ganze vollstandige Tiere vom metallnen Getriebe ausge- 
pragt worden. Aber noch hat jeder organische Machinist An- 
stand genommen, lebendige Tierherden samt dem reifen Adam, 
als dem Hirten hinter ihnen, ausgewachsen vom Schiffwerft or- 
ganisierenden Schlamms ins Lebenmeer einlaufen zu lassen. In- 
deB suchte man in der Verhiillung des Knotens die Auflosung 
desselben. Namlich durch ein geschicktes philosophisches Spie- 
len aus der Tasche- aber, wie ohnehin gewohnlicher, mehr aus 
unserer als aus der des Spielers - wird aus dem Pflanzenreiche 
beigebracht, daB dernacktaus dem Wasser aufsteigende Fels zu- 
erst sich mit Flechten, Moosen, Aftermoosen iiberkleide. »Die 
Verwesung 2 der ersten Flechten, Moose u. s. w. bereitete all- 

1 In Blumenbachs Naturgeschichte, 5te Auflage, findet man S. 708 
ein langes Verzeichnis. 

2 S. Meiners 1. c. S. 33 ff. Ich fuhre nur einen Autor an, der und den 



MUSEUM * III 941 

mahlig den ersten Grasern, die der Graser den ersten Stauden, 
diese den ersten Baumen Leben (?), Wohnstatten und Nahrung 
vor.« Vor beiden letzten schwarzt er das Leben ein. Der ver- 
kappte unausgesprochne Fehl-SchluB ist dieser: »Die verbesserte 
fettere Modererde ist die Amme immer hoherer Gewachse, folg- 
lich auch deren - Mutter, der Same der Gestrauche, Baume 
u. s. w. wird hier nicht in die Erde zufallig gesaet (z. B. vom 
Winde), sondern von Hit gemacht. Das Moos entfaltet sich durch 
den Niederschlag immer hoherer Verf aulungen endlich zur Lilie 

10 und Palme. « - Aber nur wenn man die Erdkugel fur eine Ge- 
hirn-Kugel ansieht, welche sich selber ohne Samen mit den selt- 
samsten Bastardgeburten und Fantaisie-Blumen iiberzieht und 
bevolkert, dann darf man durch eine solche Verwechslung der 
Wiege mit dem Ehebette die Erde befruchten und das Sprich- 
wort: »conservatio est altera creatio« so verandern: die Erhal- 
tung ist die erste Schopfung. Findet man nicht viele warme Lan- 
der, ungeachtet der treibenden Modererde, welche die 
Blumen-Musaik sein soil, oft Jahrhunderte von manchen Ge- 
wachsen entbloBt, wenn ihre Samenkorner fehlen? Regen, 

20 Winde, Wogen, Vogel, Insekten sind die Saemanner und Sa- 
menhandler neuer Garten und Walder; aber die fettesten Beete 
besaen sich nicht selber, so wie auf den Glut-Eilanden mitten im 
Meer kein anderes Leben erscheinen kann als hingewehtes oder 
hingeflognes, aber z. B. kein Landtier. 

§ i 2 

Indes durch diese erschleichende Verwechslung der toten Nah- 
rung mit lebendigem Samen wagt man sich von weitem an eine 
starkere Verwechslung der hohern Kost mit der hohern Tierer- 
zeugung. 1 Aus Meertieren destilliert man die bessern Amphi- 



wieder ein Heer gleichglaubiger Schriftsteller anfiihrt in dreifachem 
Sinne (citer, commander, tromper). 
1 Meiners 1. c. S. 34. 



942 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

bien und die Vogel, gleichsam aus wasserigen Meteoren die feu- 
rigen; fleischfressende Tiere entstehen, sobald etwas zu fressen 
da ist, namlich pflanzenfressende. Und sogar der Mensch ent- 
stand, folgerecht nach dieser Hypothese ausgedriickt, aus dem 
Brode fur ihn, eine Art Brodverwandlung, zwar nicht in einen 
Sohn Gottes, aber dochin einEbenbild Gottes. Ja Treviranus tut 
noch zwei unhaltbare Schritte weiter (dessen Biolog. z. B. 
S. 225-226). Erstlich laBt er die ausgestorbenen Zoophyten der 
Vorwelt als die Urf orrnen hoherer Bildungen nachher durch den 
Obergang in hohere Gattungen entweichen und erloschen. Aber 10 
er antworte, warum hinter dem vollkommensten Erdgeschopf, 
dem Menschen, nicht das ganze Tiergeriiste der tieferen Wesen- 
leiter nach dessen Aufbau abgebrochen worden, und warum die 
Austerbank noch neben seiner Fiirstenbank besteht. Noch kiih- 
ner ist seine zweite Behauptung, daB sogar der Mensch sich in 
ein noch hoheres Erdgeschopf hinaufbilden und verlieren 
konne. Zu wiinschen ware der Menschheit ein solcher Unter- 
gang zum XJbergange, und zumal jetzo waren ein Paar Hoch- 
menschen, gegen welche wir nur Untermenschen und Affen 
waren, eine Erlosung durch ein messianisches Paar. 20 

So wird denn wieder die Frage nur umschlichen oder ver- 
deckt, aber nicht beantwortet, wenn der Machinist, ungleich 
den jetzigen jungen Leuten von Stand, friiher zu ernahren als zu 
erzeugen sucht; denn damit der Lowe ein blumenfressendes 
Lamm selber als seine Blume abpfliicke und fresse, muB nicht 
bloB das Lamm vorher da sein, sondern auch der ganze Lowe. 
Eigentlich will man nur in einen, daB die niedrigern Tiere die 
Aufgusse (Infusorien) immer hohrer seien. Aber auBerdem, daB 
fur die tieferen das Ubergehen in die hoheren zugleich ein eignes 
Vergehen und Verschwinden sein wiirde: x so sollte doch erstlich 30 
nur die Moglichkeit der Ubergange der pflanzenfressenden 

1 Oken wollte wirklich das Verwandeln kkmcr Aufgufitierchen in 
groBere gesehen haben; aber Gruithuisen (Oberd. Lit. Z. 1. c.) hob den 
Schein durch die Bemerkung, daB die AufguBtierchen, wenn ihr Nah- 
rung-Schleim abnimmt, sich nur naher aneinander drangen und so den 
Schein groBerer geben. 



museum • in 943 

Tiere in Raubtiere, der Amphibien in Vogel, oder dieser in 
Landtiere, und dann irgendeine Wesenleiter und Schnecken- 
treppe, auf welcher Tiere Rang nach Rang sich auseinander ent- 
falten, gebauet nachzuweisen sein; und vollends bei dem Men- 
schen miiBte geantwortet werden, ob der Affe, der Elephant 
oder der Fuchs oder irgendein geripp-ahnliches Tier sein letzter 
Vorganger und Figurist und Heckmannchen zu nennen sei, 
nachdem der AufguB-Wurm sein enter Adam gewesen, so wie 
er jetzo dessen letztes SelbstgeschoB und Zergliederer wird. - 
Zwar Kohlreuter 1 verwandelte wirklich eine Gattung Tabak 
(nicotiana rustica) durch lange Bastard-Bestaubungen in eine 
andere (nicot. paniculata); aber hier bringe man, auBer mensch- 
lichen Scharf- und Vorsinn und Vorrichtung, noch den Haupt- 
punkt in Rechnung, daB Tabak nur in Tabak verwandelt wur- 
de 2 , so wie etwan der Schakal nach Biiffon nur sich in ahnliche 
Wolfe, Fiichse, Hunde zerteilte; und zwar alles durch Befruch- 
tungen, also vermittelst zweier schon ganz fertig dastehender 
Geschlechter. 



§ 13 

20 Diese aber fehlen ganz dem organischen Machinisten und miis- 
sen doch von ihm gepflanzt werden, damit die ersten Tiere sich 
fortpflanzen. 

Hier wirft sich ihm die dritte schwere Frage entgegen. Denn 
wenn er auch unter unzahligen Wiirfen und Nieten von bildend- 
versuchenden Jahrtausenden so gliicklich war, endlich die Qua- 
terne eines vollstandigen und aufrechten Tieres zu gewinnen: so 
hatt' er so viel als nichts erbeutet - weil das Tier einsam im Klo- 

1 Dessen dritte Fortsetzung der Nachricht von einigen das Geschlecht 
der Pflanzen betreffenden Versuchen. S. 51 ff. 
30 2 Mischlinge sind nur bei verwandten Pflanzen fruchtbar. Klugels 
Enzyklopadie. Auch bemerkte Kohlreuter selber, daB fruchtbare Ba- 
starde nach einigen Zeugungen wieder in der ganzen alten Natur ihrer 
Stammeltern erscheinen. 



944 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

ster der Natur abstarb -, wenn er nicht auch die Quinterne, 
gleichsam als Pramie, dazugewann, namlich ein zweites leben- 
diges Tier andern Geschlechts, und dieses zweite zwar durch alle 
Verhaltnisse hindurch dem ersten organisch so zugleich ent- 
fremdet und doch zugebildet, daB durch ihre Ausgleichung auf 
einmal sogar ein drittes Tier auf einem ganz andern Wege als auf 
dem des bisherigen Elementen-Getriebes sich bildet, und auch 
auf einem andern Wege, als es die im Lose gewonnenen Eltern 
vermochten, sich ernahrt, namlich von diesen selber, und end- 
lich, daB dieses dritte Tier, aus dem Geleise des elterlichen Ent- 
stehens herausgewichen, nun kiinftig regelmaBig in die Qua- 
terne und Quinterne zugleich zerspringt und weiter erschafft. 
Oder konnt ihr in der blinden Natur des organischen Machi- 
nisten eine Neigung der Krafte nachzeigen, sich zu paarweiser 
Schopfung zu entzweien, um sich selber auf diese Weise ent- 
behrlich zu machen, ihre Nachschopfer erschaffend? Wenn ein 
Gebilde sich harmonisch und nach abwiegenden Gesetzen aus- 
bauet: so ist dies nur Natur-Notwendigkeit, weil im andern Falle 
die unharmonische MiBgeburt, das MiBgebilde, bestandlos sich 
selber aufriebe; wenn aber in zwei Wesen, die ganz unabhangig 1 
voneinander sich formen, namlich in beiden Geschlechtern alle 
Ahnlichkeiten und Verschiedenheiten derselben mit schopferi- 
scher Berechnung bloB fur die Zukunft eines dritten unsichtba- 
ren sich gestalten: so nenne man doch die blinden Krafte, welche 
ein solches Zweierlei bilden, schauen und kniipfen. Nur nenne 
man nicht den Wiirfel der Aeonen-Unzahl, mit welchem der 
Gottleugner betriigt und gewinnt; denn in einer Jahr-Billion 
konnte wohl in einigen Tiergattungen diese unharmonische 
Harmonie des Geschlechtes anklingen; aber ein solches Doppel- 
gesetz unverletzt durch das ganze Reich des Lebens fortgefiihrt 
zu sehen- setzt einen Gesetzgeber voraus. Nach Linnee 2 fehlen 
oft einer Pflanzengattung die Blatter (z. B. der Flachsseide) - ei- 

1 Sogar zuweilen im Pflanzenreich, z. B. die Datteln, Gurken, Wei- 
den. 

2 Dessen Amoenit. Acad. V. orat. de terra habitabili. 



MUSEUM • III 945 

ner andern der Stamm (z. B. einigen Flechtengattungen) - einer 
andern der Blumenstil (z. B. der Blatterblume) - einer andern 
die Wurzel (z. B. dem Meergras) - aber keiner die Befruchtteile. 
Ja, nach Persoon 1 ist der ganze Schimmel nichts als ein nacktes 
Befruchtwerkzeug. Nach Linnee sind die Zeugteile so sehr der 
eigentliche Pflanzengeist, daB alle Pflanzen, die sich in diesen 
ahnlichen, auch mit gleichen Arzneikraften wirken. - Der orga- 
nischen Maschinerie miiBte, sollte man denken, die Absonde- 
rung und Wechsel-Zubildung zweier Geschlechter gerade in den 

io niedrigern unvollkommnern Gattungen, in welchen weniger 
auszugleichenundvorzubereitenist, am starksten gelingen; aber 
in diesen (z. B. den Schnecken) und in den Pflanzen herrscht das 
zweierlei Geschlecht des Hermaphrodismus; und erst in den hd- 
hern vielteiligen treten die Geschlechter reiner und ferner aus- 
einander. — 

Kurz, nach allem sagen uns die aufgestellten holzernen Sae- 
maschinen des Lebens nicht mehr als der Kanadier, 2 welcher 
ganz faBlich alles auf einmal durch die Annahme erklart, die Welt 
habe der groBe Hase geschaffen; wiewohl mancher solcher me- 

20 chanischer Weltschopfer sich vom kanadischen noch dazu durch 
die Kleinheit unterscheidet. Er erzeugt so mit Schreibfingern - 
nicht geistige Geburten, sondern korperliche - wie der Riese 
Ymer einen Sohn sich mit den Fiifien, indem er den einen an dem 
andern rieb. 3 - Walther 4 behauptet, jede organische Gestaltbe- 
ginne mit dem Bilden eines Kreises; schon nachahmend fangen 
die organischen Machinisten derselben mit einem, obwohl nur 
logischen Zirkel an und setzen gern das voraus, was sie zu be- 
weisen haben, so daB sie hier, wo eben von der Suchung des An- 
fangs oder Petition des Prinzips die Rede ist, gerade am rechten 

30 Orte die logische Petitio principii anwenden. 



1 Voigts Magazin 8. B. 4. St. 

2 Genie du christianisme de Chateaubriand. 

3 Bragur 1. Band. 

4 Dessen Physiologic 



94<5 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Aber die Paragraphen 7 und 8, welche uns Eingeweidewurmer, 
AufguBtierchen und AufguBpflanzchen als elternlose Geburten 
und als die Nachzeugen der friiheren Entstehungen entgegen- 
stellen, begehren mit Recht ihre besondere Erwagung. 

Diese Erscheinungen sind nicht erklarende, sondern selber zu 
erklarende. Warum aber will man nicht lieber annehmen, daB 
alle diese Organisationen schon als Eier und Korner vorher in 
den Elementen vielleicht Jahrtausende lang umgeschwommen, 
ehe sich die entwickelnde auBere Mutterhiille fur sie vorgefun- 
den? Raten uns nicht so viele Analogien dazu? Sogar vollendete 
Tiere halten den ganzen Scheintod im Eise des Winterschlaf s und 
andere, wie die Krokodile und Schlangen, 1 ihren im heiBen aus- 
getrockneten Schlamme des Sommerschlafs so viele Monate 
aus, daB ihr Schlaf durch Verlangerung der Kalte und Hitze noch 
bis zu unbestimmten Grenzen auszudehnen ware. - Blieben 
nicht Kroten in hundertjahrigen Eichen 2 und in noch alterem 
Marmor unbeschadigt eingeschlossen? Der Same der Sinnpflan- 
zen, Gurkenund Kassien bewahrt sich unter der Erde unvermo- 
dert 50 Jahre lang zu kunftigem Erkeimen auf. 3 Ja die Kleister- 
aale kann man nach Bonnet, 4 so oft man will, zu Scheinleichen 
eintrocknen lassen, und sie doch nach vielen Jahren mit einem 
Tropfen Wasser gleichsam wie mit Nervensaft wieder ins Leben 
zuriicktaufen. 

Warum soil die Auf guB welt mit ihren einf achen niedrigen un- 
entwickelten Keimen und Kernen nicht Jahrhunderte langer un- 
erstorben auf die verschiedenen Lebenwasser und Brutreize fur 

1 Humboldts Ansichten etc. 

2 Treviranus Biologie 2. B. 

3 Linn. Amoenit. acad. V. 2. orat. de terra habitabili. 

4 Kants phys. Geogr. 3. B. 2. Abth. - So bemerkt Haller im achten 
Bande seiner groBen Physiologie, daB Landseen, welche sieben Jahre 
lang ausgetrocknet gestanden, bei dem ersten Zuflusse des Wassers wie- 
der die vorigen Fische getragen, deren Samen folglich ebenso lange le- 
bendig geblieben. 



museum • in 947 

ihre verschiedenen Bewohner war ten konnen? - Was der ge- 
meine Wassertropfe belebend fur den Kleisteraal, kann dies nicht 
noch reicher f ur das alte Ei des Eingeweidewurms das gleichsam 
magnetisierte Wasser thierischer Safte sein? Und wenn der tieri- 
sche Magnetismus so machtig die hoheren Organisationen zum 
verklarten Wiederleben auf weckt: so kann ja alles Tierische noch 
leichter die tiefsten Organisationen zum Leben reizen. Vielleicht 
ist der Luftkreis und das Wasserreich das unendliche EiweiB 
zahlloser kleiner Eidotterpiinktchen, die nicht erst einen Vater 
brauchen, sondern nur eine warme Federbrust. 

Die Beobachtungen Joblots, 1 welcher im Heu-AufguB sechs 
Arten AufguBtierchen (wie Hill funf im Regentropfen), ebenso 
viele im Austernwasser, endlich im Eichenrinden-AufguB 
zwanzig fand, schon diese Beobachtungen lassen den namlichen 
Wassertropfen viel glaublicher fiir einen Besatz- und Streckteich 
als fiir einen Zeugteil verschiedener Tiergattungen auf einmal 
ansehen. Flogen hingegen vorher ihre tierischen Samenstaub- 
chen umher: so konnten leicht mehr Arten in demselben Trop- 
fen ihr Klima finden. 

Es ist kuhn, aber auch weiter nichts, zu vermuten, daB viel- 
leicht seit der Schopfung lebendige Keime kalt-unentwickelt 
umherfliegen, welche nur im jetzigen Jahrhundert eine eben 
jetzo recht gemischte Feuchtigkeit ins Leben briitet, so wie nach 
den Sternkundigen manche Sonne oben leuchtet, die erst nach 
Jahrhunderten ihr Licht zu uns herunterbringt. Was gilt Zeit 
denn der Natur? Der Ewige wird nicht mit Jahren kargen, der 
Unerschopfliche nicht mit Geschopfen. Die Ewigkeit hat zu al- 
lem Zeit und zu allem Kraft. 

Folglich beweiset das Erscheinen neuer Tiere auch in «ewer- 
fundnen Aufgiissen wie in Met, Bier, Dinte nichts gegen vor- 
heriges Eier-Dasein derselben. Nur ist die Frage sogar, ob es 
auch nur neue Tiere sind, und ob man mit ihnen nicht die neuen 
Klimate verwechselt; in den tiefen Talern des niedrigsten Tier- 
reichs wimmeln die Wesen ohne Scheidewande zahllos durch- 

1 Zimmermann 1. c. 3. B. 



948 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

einander; erst auf dem Gebirggipfel steht neben dem Menschen 
niemand, und fernab von ihm kriecht bloB der Affe, von der 
Meerkatze begleitet. Ebenso sind nicht die Wasserkiigelchen, 
aber wohl die Weltkugeln einander unahnlich. 

Wenn Fabritius und Miiller dreihundert und neunzig Gattun- 
gen AufguBtierchen zahlen und beschreiben: so muB man sie 
wohl fragen, ob die Kennzeichen dieser schwimmenden Piinkt- 
chen nicht vielleicht ebenso gut bloBe Unterschiede ihrer Se- 
kunden-Jahre - ihrer fingerbreiten Himmelstriche - ihres au- 
genblicklichen Wachsens und Welkens und Nahrens gewesen. 10 



§15 

Aber welche Rechnung wollen wir iiber alles dies Ziehen? - Al- 
lerdings keine zum Nachteil des Naturforschers, welche in der 
Natur, wie der Zergliederer im Korper, nach nichts zu forschen 
hat als nach neuen Gliedern und nach deren Bund, aber nach kei- 
nem Geiste darin, Wollte er uns bloB mit einer Anweisung auf 
das erste Blatt Mosis bezahlen: so ware er, so wie Jahrtausende 
und Buchtausende, zu ersparen gewesen. Gleichwohl halt' er 
nicht neue Erfahrungen fur neue Erklarungen; noch weniger 
glaub' er mit logischen Zirkelworten den Zauberkreis der 
Schopfung zu durchbrechen. Z. B. der Blumenbachische Bil- 
dung-Trieb kann, wie schon das Wort Trieb sagt, nur im Ein- 
zelwesen, also im schon Gebildeten wohnen, er kann Leben nur 
fortpflanzen, nicht pflanzen. Dabei setzt ja der Bildtrieb seinen 
eignen Bildner voraus und dann sein Gebildetwerden zu einem 
bestimmten Ziele und Bilde. - Der hohe Herder, zugleich Natur- 
und Gottgelehrter, will sich und uns mit organischen Kraften aus- 
helfen, welche nur mit dem Organ wirken, das sie sich vorher 
zugebildet und umgeschaffen. 1st das Organ organischeMaterie, 
also selber organisch, so werden wir auf die alte Frage zuriickge- 
worfen; ist es dieses nicht, so miissen, wie ich gezeigt, andere 
Bedingungen und Verhaltnisse der Elemente, als bisher gesche- 
hen, nachgewiesen werden, damit aus jenen der Unterschied des 



MUSEUM * in 949 

Ursprungs der ersten Organisation von dem Ursprunge der jet- 
zigen erhelle. - Uberhaupt ware, wenn man es mehr auf Philo- 
sophie als auf Wahrheitliebe anlegte, hier statt organischer 
Krafte besser zu setzen und zu sagen: Eine allgemeine organische 
Kraft, welche sich etwan, wie Averroes' Weltseele, nur in indi- 
viduelle Krafte, hohere und niedere, nach dem Werte der ver- 
schiedenen Materien, in s welche sie sich einbauet, auseinander 
begibt. Dasselbe gilt vom allgemeinen Leben der Naturphiloso- 
phen, welches als existierend doch irgendwo, wenn auch liber- 
ie* all, wohnen muB, aber sich nur lebendig erzeigt, wenn es gleich- 
falls irgendwo, aber nicht iiberall, sondern bestimmt im Blatte, 
Kafer etc. erscheintund sich von sich selber abreiBt, ohne Nach- 
richt, ob der Tropfe sich wieder ins Meer verloren. 

- Unglaublichen Vorschub leistet bei so schwierigen Fragen 
jedem und auch mir die bloBe Sprache; denn zu denken weiB ich 
dabei nichts, und ich folge hier willig den Philosophen, welche, 
bei so vielen Sachen ohne Wortein diesem Mysterien-Leben, gern 
haufig auch Worte ohne Sachen haben und verbrauchen. 



* §16 

Schon die bloBe Angst, die jeden bei Darwins obigem Satze 
(§. 5.) befallt und ihm das Herz einkerkert, daB aus einem Le- 
bensfadchen sich der ganze Weltknauel aufzwirnt zur Webe der 
Schopfung, treibt zu weitern, sogar kiihnen Forschungen und - 
Annahmen. Woher aber uberhaupt der angeborne, kaum der 
Theoriensucht weichende Abscheu vor einem geistigen Entste- 
hen aus Korper-Machten, vor jedem Uhr- und Raderwerk, das 
den Uhrmacher macht? 

Ich frage woher; aber ich antworte: daher, weil wir selber ein 
viel hoheres Bilden und Schaffen nicht nur kennen, sondern auch 
treiben, ja jedem niedrigern, um es nur einigermaBen zu begrei- 
fen, unseres unterlegen miissen. 

Der Mensch ist als Geist ein Doppel-Schopfer, der seiner Ge- 
danken, der seiner Entschlusse. Nur er vermag sich selber eine 



t 



950 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Richtung zu erteilen, indes alle Korper eine nur erhalten. 1 Er 
kann sag en und es durchsetzen: »Ich will iiber etwas nachden- 
ken.« Aber was heiBt dies anders, als Gedanken erschaffen wol- 
len, die man voraussieht, weil man sie sonst nicht wollen und 
regeln konnte, und welche man doch nicht hat, weil man sie 
sonst nicht zu erschaffen brauchte. Keine andere Kraft kann da- 
her eine Zukunf t suchen und sie zu einem Gebilde ordnen als eine 
geistige. Sogar der Instinkt, obwohl von korperlichen Ziigeln 
und Spornen gedrangt und beherrscht, kann, da er in eine noch 
nicht einwirkende Feme hinausgreift, z. B. die tierische Vor- 10 
sorge fur ungeborne Brut, nur in einer Seele leben. Nur im 
Geiste herrscht Ordnung und Zweck, d. h. Viel-Einheit, auBer- 
halb in Korpern nur lose Einzelheiten, welche erst ein Geist vor- 
auslenkend oder nachbetrachtend zum Bunde der Schonheit 
zwingt. 

Ober die zweite geistige Schopferkraft der Entschliisse, die 
Freiheit, ist hier der Ort zur langen Erwahnung zu enge. Die 
ganze Natur ist Notwendigkeit, aber zu jeder Notwendigkeit 
fodern wir etwas Fremdes, das notigt; die Freiheit hingegen setzt 
weder fremdes Notigen noch fremdes Freisein voraus, sondern 20 
nur sich. Selber der alles durch Ursachen begriindende Leugner 
der Freiheit nimmt wider Wissen im Schicksal oder in der ersten 
Urnotwendigkeit etwas von Griinden Unbedingtes als Freiheit 
an. 

Das Nebeneinanderziehen selbststandiger verschiedener Kor- 
perkrafte zu einem Ziele setzt eine geistige Kraft voraus, welche 
anspannte und lenkte. Oder wollt ihr das unzahlbare Zusam- 
menpassen auBerer Kunstgebilde mit den geistigen aus den 
Wurfeln des Zufalls erklaren? Oder wollt ihr noch kiihner und 
schlimmer die geistige Ordnung selber zur Tochter der korper- 30 
lichen, d. h. den Saitenspieler aus dem Nachklange eines Saiten- 
spiels erklaren? 

Zum Verfiihren der organischen Maschinenmeister wirkt 

1 Denn scharf genommen ist jede Korperwirkung die Summarie und 
das Geschdpf aller daseienden Korperwirkungen auf einmal; aber jeder 
Geist kann frei von neuem anfangen. 



» 



MUSEUM -III 951 

Folgendes mit. Eine sternlose Brautnacht liegt auf dem Entste- 
hen durch Paarung. Sie wird noch finsterer durch die Tiere, wel- 
che sich ohne Begattung durch freiwilliges Zerteilen vermehren, 
wie manche AufguB- und die Samentierchen; - ferner durch die 
Armpolypen, fur welche das verstummelnde Messer die Ge- 
burtzange ist - und durch die Seeanemone und den Seestern, von 
welchen beiden (zufolge Treviranus nach Dicquemare und Ba- 
ster) die Stiicken, die an Felsenstellen im Fortriicken kleben blei- 
ben, zu ihren Nachkommen werden : — und endlich durch die 

10 Wiedererzeugung abgeschnittener Schneckenkopfe, Krebssche- 
ren, Eidechsenschwanze u. s. w. Indes ist die Wiedererzeugung 
- um bei dieser anzufangen - kein anderes Wunder als das alltag- 
liche der Ernahrung, nur schneller verrichtet; denn da sogar der 
Mensch in drei Jahren (nach Boerhave) seinen alten Korper ab- 
wirft, so setzt er also, nur ohne Spriinge und Wunden, einen 
neuen an, und die Zeit loset mir so gut, nur leiser und langsamer, 
wie der Naturforscher einer Schnecke, den Kopf ab, und ein 
neuer wird von beiden Seiten nachgetrieben. Die Wiedererzeu- 
gung abgeschnittener Glieder kann man auch der Hautung der 

20 Insekten gleichstellen, in welcher dem Tiere neue Augen, Kinn- 
backen, Gedarme, Lungen geboren werden. - Ebenso sollte die 
Fortpflanzung der Pflanzentiere sowohl durch freiwillige als 
durch abgenotigte Teilung uns nicht verwirren; ein Armpolype 
istnicht einer, sondern ein System, ein Eierstock unentwickelter 
Poly pen, wie eine mit Zwillingen Schwangere eine verhullte le- 
bendigeDreieinigkeit ist. Wie vom Vogeleierstocke voll kleiner 
Eier sich das grofie abloset, so bei dem Pflanzentiere das reife 
Inntier; der Messerschnitt reizt und zeitigt nur das unreife. - 
Aber alle diese Erscheinungen geben dem organischen Machini- 

30 sten kein Recht zu seiner Lehre; denn in ihnen entsteht neues Le- 
ben ja nicht aus toter Adams-Erde, sondern aus altem Leben, 
welches einen Erklarer friiher fodert als fodert. Das Erklaren der 
Erzeugung selber gehort in eine ganz andere, aber schwerste 
Untersuchung, welche sich zuletzt iiber das Verhaltnis von Geist 
zu Materie, von Freiheit zu Notwendigkeit, ja vielleicht iiber das 
von Unendlichem zu Endlichem zu erklaren hat. 



95^ VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Begehen wir iiberhaupt nicht einen Fehler, daB wir die hohe- 
ren Krafte aus niedern entwickeln wollen und entstehen lassen, 
anstatt die Leiter umgekehrt an den Himmel anzusetzen, um auf 
ihr zur Erde herabzusteigen? Im niederen Wesen erscheint nur 
die Einschrankung und Hiilse des hohern. In der Entwicklung 
ist die Verwicklung leichter zu fassen und auseinander zu fasern 
als umgekehrt im Kleinen die unsichtbar und eng in ineinander 
gelegte Entfaltung des GroBen. Dem Baumblatte, dem Baum- 
kerne, der Raupe etc. wiirden wir die regelmaBige Bildung nicht 
ansehen, ware sie nicht vorher mit den groBen Ziigen eines n 
Baums, eines Schmetterlings etc. leserlicher gegeben. Unser 
BewuBtsein unserer selber ist der Schliissel der Welt, aber mehr 
der untermenschlichen als der ubermenschlichen. 



§ 17 

Wenn Stahl (der groBe Arzt des vorigen Jahrhunderts) die Seele 
fiir die Baumeisterin und Arztin des Korpers hielt,.so kann ihn 
wenigstens nicht der organische Machinist dadurch widerlegen, 
daB er ihm das UnbewuBtsein derselben entgegensetzt; denn er 
erkennt ja dasselbe auch in alien materiellen Kraften an, die er 
an die Stelle der geistigen schiebt. Noch mehr verkleinert sich 20 
der Einwurf , wenn man iiber die Kunst-Kraf te der Gewohnheit 
und Fertigkeit - die allein nur Geistern eigen ist, nach Skaliger 
- zu erstaunen hat, mit welchen der Mensch den nie etwas 
Geistiges erlernenden Leib unbewuBt zu Sprach-, Ton- und alien 
Kunstbewegungen notigt. So kann z. B. ein Klavierspieler, 
wahrend er lieset und unachtsam spielt, richtig nach dem Gene- 
ralbaB mit Fingern phantasieren, denen selber keiner beizubrin- 
gen ist. 

Am meisten starkt sich Stahls Hypothese einer korperbauen- 
den Seele durch Beobachtungen am menschlichen Magnetis- 30 
mus, 1 daB die Hellseherin (clairvoyante), unkundig der Anato- 

1 In der folgenden Abhandlung iiber den organischen oder tierischen 
Magnetismus wird man die Zeugen aller dieser Wunder genannt finden. 



museum * in 953 

mie, doch ihr Inneres und die Windungen der Nervengeflechte 
innerlich anschauet und anzugeben weiB; ferner die Zukunft ih- 
res Befindens, Aufwachens und die Mittel ihrer Heilung zu 
weissagen und die dunkelsten Hintergriinde tiefster Kindheit, 
eignes und fremdes Benehmen bei starresten sinnlosen Ohn- 
machten zuriick zu weissagen vermag, indes gleichwohl das Er- 
wachen ihr die ganze Kenntnis bis sogar auf die Erinnerung des- 
selben raubt. Wie, wenn nun Seelen solche schon erwachte 
Hellseherinnen waren, welche groBere Dinge vollenden, als sie 

io besonnen-wach deren erinnerlich oder fahig sind? - Eine noch 
groBere Allmacht der Seele iiber den Leib, so groB auch die iiber 
den eignen durch bloBen Willen ist, offenbart sich am fremden 
dadurch, da6 der Magnetiseur bios mit den scharf auf die ma- 
gnetisierte Seelenbraut gehef teten Gedanken abwesend und ent- 
fernt die Wirkungen der Nahe an deren Korper ausiibt und 
nachschafft. 

Der Naturforscher strebe und jage immer (er hat Recht) den 
hohern Kraften nach, die sich wie gebundnes Feuer in niedern 
einkerkern, so wie er den Magnet jetzo als Elektrizitat, weiter 

20 hinauf als Galvanismus, diesen als organischen Magnetismus 
entdeckt hat. Nur halt' er neue Erfahrungen nicht fur Erklarun- 
gen der Erfahrungen iiberhaupt; nur glaub' er nicht in immer 
hoher hinaufgelauterten Kraften an jene Kraft zu riicken, womit 
er selber alle lautert und ausforscht. Das rechte Erklaren ware ei- 
gentliches Verklaren; aber der Naturforscher als solcher gleicht 
dem Bergmann, welcher, in entgegengesetzter Richtung des 
Sternsehers Schatze holend, diesem nie begegnen, sondern nur 
weiter entkommen kann, wenn der letzte den Himmel auf ein- 
mal vor sich bekommt und den Glanz droben findet, den jener 

30 drunten grabt. Ware freilich dem Menschen das Vollenden der 
Naturforschung moglich, so wiird' er ein Bergmann, welcher, 
durch den Erdkern hindurch und hinaus grabend, sich mit dem 
Sternseher unter einem Taghimmel begegnet. 

Wenn wir namlich keine hohere, Korper ordnende, also bau- 
ende Kraft kennen als die geistige, d. h. unsere, welche sich atlch 
dem diirftigsten Auge wenigstens in auBerer Zusammenord- 



954 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

nung und Bezwingung ganzer Korper als Freiheitgottin zeigt, 
die nirgend wohnt als in der Menschenbrust: so ist es gewiB kein 
Knoten zerhauender Machtspruch, wenn wir von Leiber bauen- 
den Seelen zum hochsten Geister-Architekten aufsteigen, wel- 
cher sowohl ihre freien als alle widersprenstigen irren Krafte zu 
einer Ordnung schafft und bandigt; denn damit wird hier nicht 
Unbegreiflichkeit aus Unbegreiflichkeit, sondern nur eine au- 
Bere scheinbare durch die innere erklart, mit welcher wir auf jene 
fortwirken, und ohne welche wir das Wort »unbegreiflich« nicht 
einmal aussprechen konnten, weil dieses ein Begreifliches, aber 
nur in uns Liegendes voraussetzt. 



§18 

Nun so wollen wir derm, da die Ur-Seele viel bekannter unserer 
Nachseele ist als die Welt selber, die wir nur auBer uns entziffern, 
dem menschlichen Heimweh nach einem Gott nachziehen. 

Wir konnen allerdings keine besondere Wirkung Gottes fur 
den Verstand ausscheiden, aber eben weil bei ihm alles nur eine 
ist; und er scheintnur zu ruhen, eben weil er nie ruht, so wie wir 
auf einer ewigen nachtlosen Sonne kein Licht wahrnehmen 
wiirden. LaBt uns von dem Verhaltnis zwischen der allein re- 
gelnden Seele und dem blind dienenden Leibe zu dem hohern 
zwischen dem Urgeiste aufsteigen, welchem die geschaffne Gei- 
ster-Natur nachschafft, indem sie blind verrichtet, was sehend 
von ihm entworfen und befohlen ist. Nur der Gedanke an ihn 
ist der Ankerplatz im unabsehlichen Meere der Krafte; und nur 
ein Herzschlag erwarmt und bewegt das All. 

Gleichwohl wollen wir uns nicht verschweigen und ver- 
schleiern, daB die Urseele uns nur als eine immer hellere, aber 
ewige Aurora am All erscheint, und daB diese Sonne nie aufgeht, 
weil das Auge der Endlichkeit an der Sonne stiirbe. Nur das 
gottliche Morgenrot sieht und vertragt der Menschenblick. 



" museum -iv 955 

Nachschrift 

Dieser furchtsame Versuch, wiewohl er mehr die Liebe als die 
Kraft derUntersuchung offenbart, sei als Herzens-Nachfeier des 
achten Februars dem erhabnen Verfasser der »Betrachtungen uber 
das Universum« zugeeignet. Denn Er wird am liebreichsten dem 
Aufblick in das Oberirdische -und der dankenden Liebe - und 
den Wiinschen fiir Ihn und fiir Seinen Staat die kurze Zueignung 
eines kurzen Werkchens verzeihen und vergonnen. So bleibe 
denn dieses Kleine, wie GroBeres und GroBes, dem edlen Fiir- 
10 sten gewidmet! 



IV. 

Warum sind keine frohen Erinnerungen so schon als die 

aus der Kinderzeit? 



Schon die Frage erquickt mit Freudigkeit, und die Untersu- 
chung gewahrt das selber, was sie pruft. Die meisten von uns 
haben die schone Erfahrung gemacht, daB es noch ein Freuden- 
Gedachtnis auf der Erde gibt, und daB derselbe Mensch, wel- 
chem aus ganzen Jahren des Mannalters oft kaum Stunden zu- 
riickbleiben, und unter diesen wieder fester die triiben als die 

20 hellen, aus der kurzen Kinderzeit, ungeachtet seines noch ver- 
worrenen BewuBtseins, so viele Freuden festhalt, und daB er, 
obgleich als Kind leicht Leid und Lust vergessend, alter sich am 
meisten nur der Lust erinnert; so schon verwelken mehr die 
weichen Dornen als die Rosenknospen der Kindheit, indes spa- 
ter unter der abfallenden Rosenkrone sich die schwarzen Sta- 
cheln harter spitzen. 

Aber warum dies alles, wird hier gefragt. Wenigstens nicht die 
Freuden-Gegenstande der .Kindheit selber werfen so viel Zauber- 
Schein auf das Spat- Alter. Wie konnten wir jetzt Wunsch und 

30 Geschmack fiir die sinnlichen kleinen Kinder-Lustbarkeiten ha- 
ben! Wir sehen ja die namlichen den Kindern um uns her be- 



956 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

schert, ohne dabei zuriickzuwunschen, ja ohne an unsere zu den- 
ken, indes wir die Lustbarkeiten der Spat-Zeit zugleich im 
Erinnern f ortbegehren . Oberhaupt nimmt die SiiBigkeit jeder 
Erinnerung mit der Zeitferne derselben, folglich zugleich mit 
der Verschiedenheit unseres jetzigen Geschmacks von unserm 
vorigen zu; und die erinnerte Freude des Gestern glanzt nicht so 
magisch nach als die erinnerte von einem Jahre. 

Haydn setzte ein Kinderkonzert, worin die Kindertrommel, 
Kindertrompete, die Schnarre und die Wachtel zum ersten Male 
ihre Noten fanden und mitspielten, und welches Erwachsene er- j 
freuete. Die Erinnerung komponiert wie Haydn; welches sind 
aber denn die Instruments und Tonkunste, wodurch das gel- 
lende Trommetenfest der Kinder urn uns her zu einem wohllau- 
tenden wird? Erstlich das frische Erstlinggefuhl fur die neue und 
erste Welt, die sich dem Kinde auftut. Noch mehr, als ein Ein- 
tritt in einen neuen Planeten mit dessen Wunderblumen und 
seltsamen Gebilden die abgeniitzte Seele mit unvergeB lichen 
Gefuhlen uberstromen wurde, muB das Einstromen einer ersten 
Wunderwelt in ein frisches, weit offnes Kinderherz dieses fullen 
und begeistern. Alles erste Gute ist voll unvergeB licher SiiBig- 20 
keit, wie die erste Liebe, denn es ist selber eine erste Liebe; ja wer 
die erste Liebe erst als ein von einem langen Leben entfarbter 
Mensch empfande, genosse doch so spat noch ihr Zaubergliick. 
Sogar noch im Spatalter kann - so tief greift das frische Neue in 
uns - der wirklich dastehende Gegenstand einer vergangenen 
kindlichen Lust uns diese gerade so, als ob wir uns ihrer erinner- 
ten, wieder gewahren, sobald jener durch die Seltenheit seiner 
Erscheinung sich hat frisch erhalten, wiez. B. Geriiche. Gewisse 
nur auf dem Lande gewohnliche BlumenstrauBer geben dem 
Verfasser einen wehmiitigen Himmel entlegner Zeit zurtick, 30 
und ein Mensch, der unter den Orangebliiten des Sudens seine 
Kinderspiele getrieben hatte und dann lange und weit von ihnen 
weg in den kahlen Norden ware geworfen worden, dieser wiirde 
bei dem ersten Orangendufte in ein zu Tranen aufgelostes Se- 
ligsein versinken und wie in einem dunkeln lauen Ather sich 
verschwimmen. 



museum -iv 957 

Aber was findet der altere Mensch, wenn die Sonne seiner er- 
stenTage untergegangen, anzubeten als Nebensonnen und wie- 
der in unaufhorlicher Wiederholung Nebensonnen der Neben- 
sonnen! 

Deswegen spricht sich der altere Mensch oft aus Tauschung 
die vorige Kraft seiner Empfindsamkeit ab, indes dieser nichts 
fehlt als die Neuheit der Anwendung. Hatte z. B. Adam bis jetzo 
gelebt, so wiirde er allerdings, und war' er so weich erschaffen 
als Werther und Klopstock, mit unbeschreiblicher Ruhe, ja Kalte 

io einen seiner Urur-Enkel nach dem andern zu Grabe begleiten; 
aber der Kriegheld, der mit trocknem Auge iiber ein Schlacht- 
feld voll zerrissener Menschen reitet, weint gleichwohl am Sarge 
seines Kindes oder im Trauerspiel oder mit irgeneinem guten 
Weinenden. So schreibe sich nicht jeder, der an sich die leichten 
Riihrungen seines unerfahrenen Friihlebens jetzo vermiGt, des- 
halb abgestumpfte Gefiihle zu. Das Herz bleibt weich, aber die 
Welt wird harter. Der Mensch kann vier Jahre lang das weichste 
Herz herumtragen, ohne darum ofter zu weinen als Jesus Chri- 
stus, namlich nur einige Male. Abgestumpfte Gefiihle setzen 

20 friihere stumpfe voraus; nur dem Feuerlander ist der europaische 
Wasserpalast, das Schiff, kein aufregender Anblick. Keine 
schone Seek, welche sonst zu leicht zerfloB, glaube sich ver- 
trocknet, bloB darum weil sie von Bildung zu Bildung etwas 
Hoheres sucht, um bloB in ein solches sich zu ergieBen. Und 
doch bleibt der Kindheit ihr Nachschimmer. 

Denn zweitens: Die Oberschwenglichkeit der Kinderfreuden 
und folglich der Erinnerungen davon erklart sich noch hoher. So 
lange der Mensch sich noch aus der Knospe entwickelt, leihet er 
die Unendlichkeit, welche allein ihn befriedigt und ausfiillt, den 

30 fremden Gegenstanden seines Genusses, an deren nahe Grenzen 
ihn noch kein langeres Leben hingefiihrt; und gerade weil das 
Kind nicht in die Zukunft sieht, geht es iiber jede hinaus. Die 
ungemessene Entziickung des Kindes iiber das Chris tgeschenk 
kann kein Tisch voll Kronen und Lorbeeren dem Manne erstat- 
ten und wiedergeben; - so legt die Entziickung des Jiinglings 
iiber die ersten Wahrheiten und Gedichte, oder dessen Entziik- 



958 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

kung iiber den ersten Ruhm, oder dessen ganze trunke Ansicht 
der Zukunft, alle diese Freuden legen ihr Friihrot ab, wenn die 
Morgenwolken der Jugend die Strahlen nicht mehr farbig bre- 
chen, sondern wenn der scharfe heiBe Tag der Jahre sie gibt. So- 
bald der Mensch iiber die Paar Jahrzehende seiner Entwicklung 
hinaus ist, und sobald er also erkennt, daB er nur sich den Gegen- 
standen ein- und angedichtet, so wird er ein ruhiger Mann, der 
von jeder Minute weiB und erwartet, daB er am Heute nichts 
habe und genieBe als ein Gestern-Morgen. Das Leben malt 
sich dem Alter nur von oben oder (um mit dem Maler zu 
reden) in der Vogelperspektive; die Zauber der Hintergriinde 
mangeln. 

In dieser Zeit wechseln die Hintergriinde ihre Stellen; das 
Auge, das sonst in der Zukunft-Ferne die ins Unendliche ausge- 
dehnte Fiille vor sich sah, wendet sich um und sieht in der Ver- 
gangenheit-Ferne die verlangte und verlorne Fiille hinter sich 
wieder. Je mehr Alter, desto mehr Jahre treten aus der Entfar- 
bung in den Farbenglanz der Erinnerung; und einem Greise von 
130 Jahren wird das Mannalter schimmern, und vielleicht drangt 
sich jenseits unser ganzes irdisches Leben durch seine Feme in 
ein blumiges Spielgartchen unseres ersten Daseins zusammen. 

Wir Eltern konnten aus den angegebnen zwei Quellen der fro- 
hen Jugehd-Erinnerungen mehr als einen Labetrunk fur unsere 
Kinder schopfen. 

Z. B. wenn dem Kinde - so wie ihm sich alle sichtbaren Ge- 
genstande an seinem kleinern KorpermaB vergroBern - ebenso 
alle Freudenfeste ins Uniiberschwengliche auslaufen: so bedenke 
der Vater, daB folglich dessen Hollenfahrten ebenso viel Holle 
durchreisen als seine Himmelfahrten Himmel, und messe dar- 
nach das Fegfeuer der Strafe aus, damit nicht die Rute dem Kinde 
ein Richtschwert wird und das Zornwort ein Donner. Aber wie 
gliicklich sind die Mensch en, daB im Rosenol ihrer Jugenderin- 
nerungen nur wenige Dornen schwimmen, obgleich Eltern und 
Erzieher den Kindern weit ofter Fast- und BuBtage als blaue 
Montage verordnen! Es ist so wunderbar als heilsam, daB dem 
diirftigen Umschattigen, dem Menschen, nur die Morgenroten, 



museum • rv 959 

nicht die Gewitterwolken der Kindheit tief ins Alter hinein 
nachziehen. 

Einen zweiten, doch verwandten Erziehwink gibt die andere 
Bemerkung von der Allmacht der frischen Welt iiber ein Kind. 
So bedenke man doch bei jeder neuen Freuden-Gattung dessel- 
ben, daB sie ihm unvergeBlich bleiben kann, und verwassere 
oder ersaufe sie in keiner Trane. Befragt bei jeder Kindes-Qual 
und bei jeder Kinderstrafe, ob sie eine neue erste ist; denn mit 
einer solchen gebt ihr Hollenfeuer anstatt Fegfeuer. Ferner: kiir- 

io zet das schone hell-dunkle Kindersein nicht durch voreiliges 
Hineinleuchten ab, sondern gonnet den Freuden, deren Erinne- 
rungen das Leben so schon erleuchten, ein langes Entstehen und 
Bestehen; je langer der Morgentau in den Bliiten und Blumen 
hangen bleibt, desto schoner wird nach den Wetterregeln der 
Tag; - und so sauge kein vorzeitiger Strahl den Tauschimmer 
aus den Menschen-Blumen. 

So bereitet denn, Eltern, zum Danke fur die Spatrosen, welche 
eure Kindheit in euere Jahre wirft, auch euern Kindern das Him- 
melreich ahnlicher Erinnerungen vor. Kennst du denn die Kran- 

20 kenwochen, die Regenjahre, welche sie sich einmal vielleicht 
durch den Blick auf den blitzenden Morgentau sormiger Kind- 
heit erhellen mussen? - Kennst du die Traume, in welchen ge- 
wohnlichnur die Kindheit wieder spielt, und willst du die kiinf- 
tigen Greisentraume deines Kindes wie ein Trauerzimmer 
schwarz ausschlagen? - Und um wie leichter und wohlfeiler er- 
kaufest du deinen unmiindigen Kindern arkadische Schaferwel- 
ten als deinen erwachsenen nur ein Schaf daraus! - D einer schon- 
sten Erinnerungen daher erinnere dich, wenn dich deine Kinder 
umhupfen, und pflarize in diesen lieber jene als deine Kenntnisse 

30 fort! Denn die Sae- und Ernte-Zeit des Lebens ist um ein halbes 
Leben langer als die des Entziicktwerdens. 

Noch einige Blicke auf die Freuden der Kinder, aus welchen 
sich nun die SiiBigkeit ihrer Erinnerung erklart! Sie diirfen und 
konnen sich iiberall rein und bis zu jedem Mafie freuen, indes 
dem Erwachsenen sich in der ungetriibten hellen Entziickung, 
in der Spiegelglatte des Lebenmeers schon die von oben heran- 



960 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

fliegende Nemesis spiegelt. Denn er gleicht Pascal, der sich bei 
jeder Lust an seinen Stachelgiirtel schlug, urn sie durch Schmer- 
zen zu mildern.und zu strafen. Das Kind hat keine Nemesis zu 
fiirchten, noch ist keines vor Freude gestorben; sein Trauben- 
Wein gleicht dem Weine des Paradieses, welcher nicht be- 
rauscht, 1 Und warum ware uberhaupt das hochste MaB der Se- 
ligkeit zu verwehren, ausgenommen bloB dem unreinen 
gemischten Menschen, nicht aber dem schuldlosen, da wir ja 
dem Unendlichen selber granzenlose Seligkeit zuschreiben? 

Ferner: das Kind weiB sich, wie der Herrnhuter, leicht seinen 
Gottesacker in einen Garten einzukleiden. Der Erwachsene legt 
hingegen, wie sonst die Juden, in den Garten Graber an. 

Endlich kennt das Kind keinen Schein der Freude, obwohl 
Freude des Scheins; es ist immer so gliicklich, als es sich zeigt. 
Zieht den meisten Erwachsenen aus ihren Blumengarten die 
seidnen, papiernen, welschen Blumen des mit Gliick prahlenden 
Scheins heraus und zahlt dann in der Wiiste die nachbleibenden 
kbendigen Blumen und Zeitlosen voll Duft nach! 

Immer schnell, sogar naeh dem groBten Schmerze, fallen 
die Mannakorner der Freude dem Kinde vom Himmel in scho- 
ner Nacht - oder Erntetanze ohne Saetage ~; aber wie viele 
Frohn- und Riisttage hindurch stehen dessen Eltern in der Fur- 
che hinter dem Pfluge, bis endlich so viel ausgesaet ist, daB bei 
giinstiger Witterung wirklich so viel aufwachst, daB man einige 
mit Honigtau versuBte Kornhalmen auszuraufen vorbe- 
kommt. 

Das magere Jetzo des erwachsenen Lebens steht zwischen der 
tiberfiille der Vergangenheit und der Fiille der Zukunft; zwi- 
schen zwei Poesien, der epischen und der lyrischen; wir selber 
wohnen im Prose-Moment und rucken von einem zum andern 
zwischen den beiden ineinander spielenden Blend-Li chtern poe- 
tischer Zeiten. 

Zwar dem Kinde geht die langere Vergangenheit ab; aber da- 
fur ist ihm jede Bliite schon Frucht, und von jeder Minuten- 

1 Koran, Sure 37. 



MUSEUM -V 961 

S telle aus, wo es nur stehe, bauen sich ihm Himmel nach Him- 
mel in die Zukunft hinein. 

So werde denn den schuldlosen Wesen, welche, und nicht 
sich, der erhabenste Mensch der Erde uns zu Mustern und nicht 
zu Schulern, sondern zu Lehrern vorgestellt, das sanfte Lenz- 
griin der Kindheit gelassen und begossen, das als Wintergriin des 
Alters wiederkommt; indes unsere Freudenblumen so oft als die 
giftigen Zeitlosen des herbstlichen Alters nachbleiben. Wir wol- 
len unsere Freuden an ihren heiligen! Wir wollen als Vater, wenn 
10 nicht die Muster, wenigstens die Nachahmer derer Landesvater 
sein, welche nur regieren, urn Landeskinder und Landes-Enkel 
zu begliicken. 



V. 
Sedez-Aufsatze 
Dritte Lieferung 



Die Volker- Vergangenheit 
Wir wissen zu viel GroBes der langen Vergangenheit; dieses 
weite GroBe begehren wir daher in unserer nachsten engen Ge- 
genwart zusammengedrangt; unsere Zeit will aus alien schonen 

20 Zeiten und GroBen, der athenischen, spartischen, romischen 
und altdeutschen zugleich bestehen. Sonst, als die Universalhi- 
storie nur noch ein Universum so grofi wie Griechenland 
kannte, war freilich einem Rom der Wunsch natiirlich und aus- 
fuhrbar, die besten griechischen Bliitenzweige sich einzuimpf en; 
aber wir wollen jetzt auf unserem Stamme einen eingeimpften 
Garten aller Zeiten treiben. - So wachst der Volker-Durst zu- 
gleich mit dem Zeitenstrome. - Indes soil diese Bemerkung 
nicht sowohl tadeln als trosten, nicht sowohl zuriickhalten als 
nur beruhigen und vor Ermattung auf der Laufbahn zu dem 

30 groBten und fernsten Ziele warnen.' 



9^2 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

2. 

Die Doppel-Zukunft des Menschen 
Der Mensch sorgt banger fur die fernste Zukunft als fur die 
nachste und will lieber jene als diese genieBen; aber leider ver- 
wandelt sich die feme, wenn er sie zu genieBen gedenkt, leicht 
in einen Vexierbecher (diabetes Heronis), der sich, sobald man 
ihn ansetzt, in eine verborgene Rohre ausleert. Bei reichen Geiz- 
halsen heiBt man solche Rohren - Erben. 

3- 

Religion als politischer Hebel 10 

Die Religion werde bloB von und zu Religion gesucht, nicht von 
und zu Politik. Das Gegenteil tun, heiBt sagen: betet recht laut, 
um die Lungenfliigel zu starken - verordnet mehr Heiligenlich- 
ter und katholische Fasttage, damit die Bienenstocke und Fisch- 
teiche, welche durch die Reformation viel gelitten, wieder etwas 
bliihen - haltet wie Magister Bernd 1 jedesmal die Predigt eine 
halbe Stunde langer, wenn eure Brust abzuschleimen ist; oder ihr 
konnt auch wie jene Chorherrn zu dies em Zwecke die Morgen- 
horen 2 singen - und haltet auf strenge Feier des Aschermitt- 
wochs, als ein Verdaupulver fur den Fastnacht-Magen - und 20 
bauet in Italien mehre Kirchen wegen der furchterlichen Hitze. 
Alle fleischliche Vermischung des Geistigen mit dem Leiblichen 
erzeugt bloB eine ZwittermiBgeburt, welche weder dem Geisti- 
gen noch Leiblichen dient, weder der Kirche noch dem Staate. 

4- 
Unterirdischer Schatz von Genies 
Wenn man berechnet, wie viele talent voile Kinder man in Dorf- 
und Stadtschulen antrifft, und wenn man bedenkt, daB das Volk 
schon als Mehrzahl der Kopfe die Mehrzahl der guten schenken 
muB: so sieht man sich zwanzig Jahre spater im Staate erstaunt 30 
und vergeblich nach diesen genialen Dorfkopfen in Kollegien, 

1 Bernds Leben von ihm selbst. 1738. 

2 Briefe eines reisenden Franzosen. 



MUSEUM ■ V 963 

Regimentstaben und auf anderen hohen Stellen um; - fast bloB 
die Minderzahl der hohern Stande versorgt mit Talenten den 
Staat notdiirftig; und die Dorf-Genies verloren sich in die 
Scheunen, Kasernen und Handwerkstatten. So wird also kein 
Staat- und Schlag-Schatz als der, den der Himmel aus der Volks- 
tiefe aufschickt, und keine Gottes-Domane so verschwendet als 
die der Kopfe. Die Samenkorner ewiger Ernten wirft der Him- 
mel umsonst in die Beete; aber wir begieBen und impfen nichts. 
- Ein rohgelafines Dorf genie gleicht dem Pfunde Eisen, das in 
10 Frankreich 1 Sou kostet; verarbeitet aber zu 700000 Uhrfedern, 
ist es (nach Rumford) 16 Millionen und 800000 Sous wert. Zu 
wie vielen Uhr-, Schwung- und Triebfedern waren nicht die 
Krafte des Dorfs auszubilden! 

5- 
Ehre im Ungliick 
Ein Mann, der durchDeutschland reiset, sagt: seit viele deutsche 
Korper abgemahet worden vom Kriege, verspiirt' ich mehr 
deutsche Geister,und mir ist so, als wenn ich abends in Wiesen 
spaziere, welche in der Bliite nicht halb so kostlich voll Riech- 
20 geister duften als in der Mahte. 1 Insofern mochten die Pulver- 
korner des Kriegs so zu nennen sein wie sonst die ihrien ahnli- 
chen Pfefferkorner, namlich Paradieskorner. 

6. 
Die letzten Schlachten 
Das Volk glaubt, im August seien die Gewitter gefahrlicher, 
weil sie heimziehen; dies ware also besonders vom 1. August 
(Petri Kettenfeier) bis in die Mitte, den funfzehnten (Maria 
Himmelf ahrt) , zu verstehen; spater kiihlt sich ohnehin der Ern- 
temonat ab. Indes meteorologisch glaub' ichs weniger als poli- 
30 tisch; die Kriegsgewitter Ziehen wirklich unter den starksten 
Schlagen heim; und erst darauf wird auf alien Weinhiigeln ge- 
tanzt. 

1 In der Mahzeit, oder abgemaht. 



964 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

/ 7- 
Hof und Handel 
Indem der Hof oft reicher, der Kaufmann eingezogner scheinen 
will, als beide sind, unterscheiden sie sich wie ihre Hauser; diese 
spreizen sich in Residenzstadten mit der ganzen Fronte (Antlitz- 
seite) aus, in alten Handelstadten aber zeigen der Gasse die Hau- 
ser nur die schmale Giebelseite. 



Volkruhm durch Fursten 
Weniger machen die Burger den Fursten beriihmt als ein be- 10 
riihmter Fiirst jene; ein Genius-Glanz wie Friedrichs II. fallt auf 
das Land um seinen Thron, wie in Correggio's Nacht vom 
Christus-Kind der Licht-Glanz ausgeht, der auf den Umstehen- 
den liegt. Ein rechter Fiirst macht mit sich zugleich die unsterb- 
lich, die er beherrscht. 

9- 

Der Mensch 
»Ach, damals waren meine glucklichsten Zeiten«, sagt oft der 
Mensch, wenn er sie auf einmal uberblickt. Aber die einzelnen 
Tage, vollends Stunden, die er durchlebte und in welche ja jene 20 
zerfallen, weiB er nicht als die glucklichsten anzuzeichnen. So 
gleicht ein Lebenalter oder ein groBes Stuck Leben einem Alma- 
nach mit vergoldetem Schnitte: die ganze Flache prangt golden, 
aber am aufgeschlagnen Blattrande glanzt wenig. 

10. 
Der rechte Mensch 
Der rechte Mensch tut sich noch hof fend und glaubend dem 
Himmel auf, auch wenn er keinen mehr sieht und hat; so wie die 
Blumen, die sich der Sonne aufschlieBen,, auch der bewolkten 
offen bleiben. 30 



MUSEUM • VI 965 

II. 

Der alte Furst 
Ein schoner Anblick in der Geschichte ists, einen fiirstlichen 
oder kriegerischen Greis kurz vor Untergang noch in letzter 
strafender oder glanzender Kraft zu erblicken - es ist eine 
Abendrote, woraus es blitzt. 



VI. 
Die Frage im Traum, und die Antwort im Wachen 1 

Mir traumte: ich blatterte im verbesserten Kalender, urn bei der 
10 Seltenheit jetziger Heiligen beiderlei Geschlechts wenigstens 
Namen derselben zu haben und zu verehren; auch traf ich deren 
mehre auf einem Blatte an, als wir jetzo in einem Jahrzehend auf- 
weisen. Nur der Schalttag, der 24ste Februar, hatte nichts. - In 
unserer Zeit mochte umgekehrt statt der 365 Heiligen sich leich- 
ter ein Schalt-Heiliger finden lassen. Besonders wunderte ich 
mich, daB ich so wenige Fiirsten aus der alten Zeit in diesem 
nicht sehr genealogischen Verzeichnisse der die Kirche regieren- 
den Haupter antraf - als ich endlich im Kalender zu meiner 
Freude auf den Salomon stieB, dessen Predigen und Spriiche 
20 mich schon in der Jugend durch seine uber das Leben erhebende 
Lebenphilosophie getrostet und begeistert hatten. »0«, rief ich 
lautim Traum, »ist kein Salomon da? Voltaire schrieb zwar von 
einem nordischen Salomon; aber nach alien Richtungen der 
Windrose sollt' es Salomons geben, ostliche Salomons - nord- 
ostliche - nordnordostliche - westliche - siidwestliche; - wel- 
che, wie der morgenlandische, die Bedingung Platons for Lan- 
dergliick, daB die Regenten Philosophen sein sollten, erfiillten. 
Wo ist der zweite Salomon, welcher mit derselben Hand Feder 



1 Der achte Februar ist der Geburtstag des Groflherzog von Frankfurt. 
Jo (Geschrieben im J. 181 1.) 



966 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

und Zepter auf gleiche Weise Menschen begliickend ftihrt und 
der Welt nicht Ratsel aufgibt, sondern, wie der biblische, auflo- 
set? - Welcher mit dem Siegelring, womit der jiidische Salomon 
bose Geister einklemmte, die guten der Zeit an sich kettet? - Wo 
der zweite, welcher, wie der kanonische, bloB ein heiteres Reich 
des Friedens, des Wissens, der Kiinste, der Freude zu griinden 
und Ruinen eines hohern Palmyra, als der erste gebauet, 1 zu er- 
ganzen sucht?- Welcher, wenn alle Fahnen als Wetterfahnen des 
europaischen Sturms hin- und hergeschleudert werden, die 
weiBe Friedenfahne der Vereinigung aufpflanzend, mit reinen 10 
von Kriegblut unbefleckten Handen den achten Tempelbau der 
Volkveredlung beginnen darf? 2 — O wann kehret wieder der 
Geburtstag eines Salomons zuriick?« - 

Hier aber erweckte mich das Feuer des Traums. hides blatterte 
ich noch, von der langen Frage fortbewegt, ernstlich im verbes- 
serten Kalender nach, ob wirklich der Name Salomon darin 
stehe . . . Siehe, da fand ich in der Tat (wie jeder in seinem Ka- 
lender auch findet) ihn sogleich im Februar - ein Monat, der oft 
durch Einschalten die Fehler der Zeit verbessert — ; und zwar 
schon am achten Februar. 20 

»Achter Februar? « sagt' ich, und plotzlich entsann sich mein 
Herz bewegt der Gegenwart. »Ja, wohl hat der achte seit 67 Jah- 
ren die Frage beantwortet und den alten Zufall des Beinamens 
mit der Wirklichkeit vermablt und gerechtfertigt. « Aber alle, die 
dieses lesen, noch mehr, die dieses horen, werden an diesem 
Tage die schonste salomonische Ahnlichkeit, die aber nicht in ir- 
dischen Handen steht, zu jeder andern schonen hinzuwunschen: 
ein langes Regierung-Leben! 

1 Bekanntlich bauete Salomon Palmyra oder Tadmor. 

2 Der erste Tempelbau wurde dem Konige David seiner Kriege we- 30 
gen versagt, aber seinem friedliebenden Nachfolger verstattet. 



MUSEUM • VII 967 

VII. 

Bruchstucke aus der »Kunst> stets heiter zu sein« 1 



Oberschmerz ist Selbmord des Herzens, und wie man in Schle- 
sien den Selbmorder mit dem Gesicht gegen die Erde gewandt 
begrabt: so liegt der Ober-Traurige ebenso mit dem Gesichte, 
das er gegen den verlornen, gegenwartigen und kimftigen Him- 
mel erheben sollte, auf die Erde gekehrt, ohne doch inihr zu sein. 
Richte dich auf, blick' umher und schaue etwas Hoheres und 
Heiterers als Erde, Erdwurmer und Erdenschwarz. Nicht Ge- 
nieBen, sondern Heiterkeit ist unsere Pflicht und sei unser Ziel. 
In einer Seele voll Unmut und VerdruB erstickt die dumpfe 
schwere Luft alle geistigen Bliiten und den sittlichen Wuchs. Der 
siiBen Wehmut, dem Mitschmerze offne sich das Herz, aber 
nicht dem kalten MiBmut und dem Niedergeschlagensein, so 
wie die Blume zwar vor dem Tau offen bleibt, sich aber vor dem 
Regen zuschlieBt. Das Obelsein ist so wenig und das Wohlsein 
so sehr unserer Natur zugehorig, daB wir bei gleichem Grade der 
Tauschung nur die Tauschung, welche gepeinigt, nicht die, 
welche erfreuet hatte, bereuen. 



20 2. 

Erfrischender wirken groBe Beraubungen als groBe Freudenga- 
ben nach - so wie umgekehrt kleine Leiden mehr entkraften als 
kleine Freuden verstarken -; denn nach dem Sonnenstiche der 
Entziickung sind die Herzkammern alien unsern Feinden aufge- 
tan, indes der Oberschmerz sie leicht den Freunden offnet. Aber 
das Gluck des Lebens besteht wie der Tag nicht in einzelnen Blit- 
zen, sondern in einer staten milden Heiterkeit; das Herz lebt in 
diesem ruhigen gleichen Lichte, und war* es nur Mondlicht oder 

1 Dieses Buch konnen erst einige Jahre vollenden; es ist keine Nach- 
30 ahmung, sondern eine Fortsetzung und Erganzung des Alfonso de Sa- 
rasa ars semper gaudendi etc. 



968 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Dammern, seine schonere Zeit. Nur kann uns diese himmlische 
Heiterkeit und Unbetriibnis bloB der Geist bescheren, nicht das 
Gliick, das nur stoBweise gibt wie raubt; und wir spiiren immer 
den StoB des Schicksals, gleichviel ob er uns in den Himmel oder 
in die Holle werfe. 



3- 

Aber auf welche Weise vermag dies der Mensch? Nicht durch 
Anpflanzen der Freuden, sondern durch Entwurzeln und Ab- 
halten der Schmerzen, worauf der unkrautlose Boden von selber 
siiBe Friichte tragt; also nicht dadurch, daB er sich Freuden 
schafft, und daB er sich Himmel iiber Himmel bauet, welche oft 
eine einzige Wolke alle bedeckt, sondern daB er den Schmerzen 
die Furienmasken abzieht und ihr alltagliches Schauspielerge- 
sicht aufdeckt und anschauet. Hat er nur einmal diese entlarvt, 
d. h. besiegt, so hat er schon den Gartenschlussel zum Eden; 
denn es bleibt bei ihm, noch alle Segnungen des Schicksals und 
der Pflicht gar nicht eingerechnet, zuerst das stille milde Er- 
freuen iiber das Sein, 1 das in dieser Freiheit von Schmerzen und 
Freuden sogar sich starker offenbaren kann; ein Freuen, welches, 
obwohl auf tieferer Stufe, schon der Wilde in der Hutte, der 
Morgenlander unter dem Baumschatten und der Landmann auf 
der Haustiirbank dadurch genieBt, daB er, ohne etwas zu tun 
oderzu bekommen, ruhig hingelagert sich und die Welt schauet 
und fuhlt; welches milde Gefiihl, zu sein, nicht nur der Schmerz, 
auch die Entziickung unterbricht. Denn als ein fortwahrendes 
Gefiihl ist es eben darum ein schwacheres. Wir haben also ein 
fortbleibendes (perennierendes) VergiBmeinnicht der Freude, 
aber kein ahnliches der Pein. Und so ist der blaue Himmel gro- 
Ber als jedes Gewolk darin, und dauerhafter dazu. 

1 D'Alembert sprach das Atheisten-Wort aus: le malheur d'etre. So 
ware denn nichts gliicklich als das Nichts, und Gott als der Ur-Seiende 
der Ungliicklichste. Alle Wesen aber sagen: le bonheur d'etre, und be- 
weisen es, indem sie ungern sogar ihren Schmerzen absterben. 



MUSEUM • VII 969 



Und wie sind nun die Leiden zu besiegen? Alle sind geistige; so- 
gar das korperliche wird, da es nur in der Zeit, also nur in Au- 
genblicken stechen kann, zu einem geistigen, indem wir die Sti- 
che, wovon wir einzeln jeden tiefsten ertriigen, aus Vergangen- 
heit und Zukunft zusammen rechnend sammeln und so die 
Strahlen zum Brennpunkte verdichtet auf uns einaschernd rich- 
ten. Da nun das geistige Leiden nur von Vorstellungen entsteht, 
so muB es auch, wenn diese durch andere aufgehoben sind, von 

10 selber wegfallen. Nicht die Allmacht der Religion, noch die 
Macht eines groBen Ziels, unter dessen Verfolgen der Mensch 
so wenig wie der Krieger in der Schlacht die Wunden fiihlt, 
werde hier in Anspruch genommen, sondern etwas, das jeder 
den ganzen Tag auf sich herumtragt, der Kopf. Das nachste 
Heilmittel gegen verwundende Vorstellungen ist bloB diese: al- 
les, was dich trifft, hat dich getroffen und ist also schon vergan- 
gen, ehe du zu klagen nur anfingst. Nun ist aber die Trauer iiber 
eine Vergangenheit, d. h. iiber eine Unabanderlichkeit, welche 
dieselbebleibt, ob sie eine Stunde oder ein Menschenalter alt ist, 

20 weiter nichts als ein Wehklagen iiber das Dasein eines Winters, 
Todes oder Jahrhunderts. Halte dir es einmal recht wacker vor 
das Auge, daB der Schmerz iiber eine minuten-alte Vergangen- 
heit gerade so toricht ist wie einer iiber eine dreiBigjahrige. Die 
Unabanderlichkeit bleibt dieselbe, ob der Verlust eine Minute 
oder ein Jahrzehend hinter dir ist, wiewohl du, wie ein Monch 
dichgeiselnd, denkleinsten jiingsten Verlust schwerer zu tragen 
findest als den groBten altesten. Ebensogut konntest du dich ar- 
gern und beklagen, daB du nicht Gott selber geworden, als wel- 
cher du dann mehr Freuden genossen haben wiirdest, als du nur 

30 an deine samtlichen Endlichen hattest verteilen konnen. 



5- 

Seltsam genug halten wir oft die eine Unabanderlichkeit fur un- 
biegsam und bleiben vergniigt; und eine andere fur biegsam und 



970 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

werden wild; wir ertragen z. B. ohne Murren einen ganzen 
Winter, aber nicht einen Maifrost. Wir halten das Schalttagige 
in der Natur fur willkurlicher als das Alltagliche, als ob die Un- 
abanderlichkeit nicht dieselbe ware. So ist die physische Emp- 
findung dieselbe, wenn man im Regen eine Stunde lang spazieren 
geht, und wenn man im Regen vor einer versperrten Haustiire 
eine Stunde warten muB; - und die Unabanderlichkeit ist auch 
dieselbe -; aber man halte nun gegen diese Gleichheit des AuBern 
die Ungleichheit des Innern, das dort schweigt und schwelgt, 
und das hier tobt und brennt. Dies entsteht aus vier Tauschun- 10 
gen. Erstlich aus einem schlaffen Wohlbehagen am Gefiihle, ge- 
krankt zu sein, aus einer Mattigkeit, in welcher der Mensch un- 
gern mitten im Schmerze sich zur Kraft der Klarheit und Ansicht 
anspannt; er will am Ungliick doch etwas genieBen, das leidende 
Hirigegebensein. Er weiB, er konnte sich trosten und den Hagel 
des Schicksals in seinen Handen schmelzen, aber er will sich 
nicht erkalten, so wie er mitten im Zorne sich kiinftiges Verzei- 
hen weissagt, aber den Verlust des ziirnenden Kraft-Gefiihls und 
die Miihe der Selbbezwingung und Selb-Erhellung scheuet; er 
will trostfaul und denkmiiBig nicht sein eigner Arzt sein, son- 20 
dern auf einen fremden liegend warten; er will, nur das Gliick 
soil ihn aufrufen und aufreizen, nicht das Ungliick. Er hat aber 
sehr Unrecht, der Mensch. So treibt er, indem er nicht die Vor- 
stellungen gegen die Gefiihle, sondern umgekehrt fur diese und 
also das Denken fur das Leiden anwirbt, sich den Pfeil des Zufalls 
bis auf die Knochenhaut hinein. 

Die zweite Tauschung ist, daB wir fremde Freiheit nicht fur 
Notwendigkeit in Riicksicht unserer halten, weil wir fremde mit 
eigner verwechseln; als ob der f reie Wille des andern mehr in un- 
serer Gewalt stande als die gejagte Wolke iiber uns. Sogar der 30 
eigne Wille ist, insofern er geschehen, zur Unabanderlichkeit 
geworden, und an dem vergangnen ist nichts mehr zu bereuen, 
sondern nur am kunftigen zu bessern. Eigentlich haben wir un- 
bewuBt die Reue und Qual nur iiber den noch fortlebenden 
Wurmstock des Unmoralischen in uns, ob wir gleich auch die- 
sen mit einem Tritte tapfern Entschlusses zerknirschen konnten. 



MUSEUM • VII 971 

Was unsern Schmerz iiber fremde Unsittlichkeit anlangt, so gilt 
noch das Vorige: eine seit einer Minute verubte ist fur die Ewig- 
keit versteinert, und wir konnen an dieser Versteinerung so we- 
nig verriicken als an den vorsundflutigen (antediluvianischen) 
Siinden, oder wir miiBten uns, scharf genommen, ebensogut 
iiber die Adame, Even, Kaine und Nimrods riickwarts betriiben 
als iiber die neuesten noch vorwarts. 

Eine dritte Tauschung ist: der Mensch steckt voll lauter tau- 
schender Erwartungen und Hoffnungen, wie voll geistiger Ein- 

10 geweidewiirmer; jede davon zeugt in einigen Minuten eine gro- 
Bere; morgen erzeugen sich wieder andere, ubermorgen ganz 
andere. Jeden Tag sticht er sich eine neue Himmelkarte seines 
kiinftigen Himmels, und »darnach«, sagt er, »sollen sich Erd- 
und Himmelkorper richten, oder ich will kein ehrlicher Mann 
sein.« Und letztes halt er auch oft. Diese bewegliche Verander- 
lichkeit seiner freien Natur mutet er nun der starren Festigkeit 
des toten zu und erwartet, daB die eiserne sich der wachsernen 
nachbiege. Trifft freilich zufallig sein innerer Wechsel mit dem 
auBern zusammen, so sagt er: »Es gibt doch eine Vorsehung und 

20 Belohnung schon hienieden!« Der hiesige Mensch ist sehr nar- 
risch. Hoffen ist iiberhaupt in Rucksicht der Standhaftigkeit ge- 
fahrlicher, als man wohl denkt. Nicht nur nimmt sich die 
Hoffnung den weitesten Spiel raum heraus und will das Oze- 
ans-Becken der Zeit gern als Trinkschale der Stunde an die Lip- 
pen setzen; sondern auch durch ihre SuBlichkeit entkraftet sie zu 
scharfem Widerstande und erschwert das entscheidende Ver- 
zichtleisten. Denn so lange sie nicht vom Schicksale widerlegt 
worden, will man sie genieBen und bauet sich auf ihren weichen 
Wogen an. Wollet ihr doch Hoffnungen haben: gut! so haltet sie 

30 fur frohe Traume. Man erwacht, der Traum und seine Gabe ist 
verloren; aber man trauert nicht. Und so mag auch der Traum 
des Lebens voll solcher Traume bleiben, sobald man sie nicht 
betrauert. - War denn die Hoffnung weniger ein GenuB der er- 
sten Gegenwart gewesen, weil kein groBerer einer zweiten, 
keine Erfiillung darauf folgte? - Und hat sie denn keine blumige 
Vergangenheit hinter euch angebauet, und ist ihr hangender 



972 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Garten keiner mehr, blofl weil er euch jetzo zu hoch 
hangt? 

Aber darnach fragt ihr nichts; in euern Berechnungen iiber 
Licht und Nacht eueres Lebens fuhrt ihr zwar die verdunkelnde 
Furcht, aber nicht die erhellende Hoffnung auf, so wie man et- 
wan dem Pole ein Halbjahr Nacht so wie ein Halbjahr Tag zu- 
schreibt, ohne vonjenerdreiMonateDammerung abzurechnen. 



6. 

Eine vierte Tauschung ist unser (schon vorhin geriigtes) Zusam- 
menrechnen. Alles ist zu ertragen, was nur einen Augenblick 10 
dauert. Aber ist denn das Leben nicht bloB aus Augenblicken zu- 
sammengestellt? Sagst du dagegen: »Viele Augenblicke machen 
doch eine Stunde«, so antworte ich: kommt der zweite Augen- 
blick, so ist der erste voriiber; und so weiter; und so machen sie 
nie eine Stunde. Der Schmerz, welcher zugleich als ein Nachge- 
schmack der Vergangenheit und ein Vorgeschmack der Zukunft 
beliigt, gleicht dem furchterlichen sogenannten Lind- oder 
Heerwurm, welcher zwolf Ellen lang und spannenbreit daher- 
kriecht, -und der doch, in der naturgeschichtlichen Nahe bese- 
hen, nichts ist als ein zollhoher Zug von den Larven gewisser 20 
Schnaken. - So schlagt das Schicksal euch so oft nur mit der 
Scheide seines Schwertes, aber ihr zieht es heraus und stiirzt euch 
darein. Ja es gibt noch eine funfte Tauschung und Kraft des 
Schmerzes, welche durch die Schnelle des Angriffs siegt, so wie 
korperlich die Kugel ihre durchbohrende Kraft im Verhaltnis 
ihrer Geschwindigkeit vermehrt. Neuheit und Schnelle sind hier 
dasselbe. Eine kleine Obung dagegen war' es vielleicht, sich 
neue, schnell heranspringende Schmerzen, gleichsam haBliche 
Erdgeister des Lebens, ofters vorzutraumen, um mit ihnen be- 
kannt und gegen sie bewaffnet zu sein, wenn sie in der Wirklich- 30 
keit aus ihren Hollen fahren. Indes halte man nur den EntschluB, 
stets in jedem Ungliick sich heil und heiter zu machen, recht 
eisenfest: so wird der Geist seine kurze Bewolkung bald wieder 
licht durchbrechen, er wird der Sommer-Sonne im nordlichen 



museum • vii 973 

Meere gleichen, welche abendmatt in den Wogen untergeht auf 
einen Augenblick und sogleich wieder an derselben Stelle mor- 
genrot aufsteigt zu einem neuen Tag. 



7- 

Heiterkeit, die nur der Mensch haben kann - obwohl GenuB das 
Tier -, schlieBet wie ein Friihling alle Bliiten des Innern auf; ein 
verdriiBlicher Gott ware ein Widerspruch, und das Seeligsein ist 
um eine Ewigkeit alter als das Verdammtsein. Vesucht es doch 
nur einige Tagelange, euch unbeunruhigt und heiter zu erhalten 

10 -nicht durch Geniisse, diese nur abmattenden Starkungen, son- 
dern - durch kraftiges Anschauen und Zergliedern jeder ste- 
chenden Kleinigkeit. Seid nur einen Tag lang statt Feueranbeter 
der Leidenschaft und Holle Sonnenanbeter der Klarheit; und 
vergleicht euer Gutes und euren Wert in der schonen Tagreihe, 
wo ihr das gesaete VerdriiBlichkeit-Unkraut ausgerissen, mit 
der andern Tagreihe, wo ihr es gepflanzt und gepflegt: so werdet 
ihr in der schonen Tagreihe euer Herz of fen jedem schonen Ent- 
schlusse, euer Leben bekraftigt und keine Reue gefunden haben, 
und Doppel-Waffen gegen jedes Zufall-Spiel, und werdet euch 

20 wundern. Um Festungen herum reiBet man sonst bei Belage- 
rungen Luf t- und Gartenhauser nieder; aber wahrlich zu unsern 
geistigen Festungen sind wenigstens Vorwerke die geistigen 
Garten- und Edenhauser; denn es gibt keinen - heitern Teufel. 
Es ist der Miihe wert, den Unterschied zwischen dem GenuB 
- wodurch der jetzige Mensch, so wie der erste, die Herrschaft 
iiber seine innern Tiere verliert - und zwischen der Heiterkeit, 
welche den Besitzer und den Zuschauer zugleich erhebt, noch 
einmal scharf auszupragen. Denn fremde Heiterkeit, vom Gluck 
begiinstigt, geht in den Zuschauer iiber - nicht aber der GenuB -; 

30 Heiterkeit, vom Geschicke bekampft, hebt sogar den Zu- 
schauer; sie erquickt uns wie das sogenannte Gottes-Feuer (bei 
Florenz), wenn es vor dem beugenden Winde aufrecht brennt und 
im Unge witter hoher aufsteigt. 



974 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 



Mensch, schaue, aber fiihle nicht bloB! - Im unreifen Men- 
schen-Ei wird zuerst das Auge reif! - Eltern, zeitigt und scharft 
das geistige in Kindern fur jeden Schmerz fort, damit sie ihn an- 
blicken und zerblicken. Dann geht es bald mit unsern Schmerzen 
voriiber. Das Gefiihl bildet Knechte, das Auge Freie. Je ofter 
Empfindungen wiederkommen, desto mehr entkraften sie uns 
und sich; hingegen je ofter Vorstellungen sich wiederholen, 
desto mehr verstarken sie sich und uns, bis ihr verdoppeltes 
Licht endlich die Kraft der Warme gewinnt und also den Sieg 
iiber Gefuhle. So werden - ist ein mehr vielseitiges als entferntes 
Gleichnis erlaubt - die Gewitter in der Nacht immer seltener, je 
mehr das Licht des Mondes zunimmt, und unter dem Vollmond 
entsteht selten ein starkes. 



9- 

Der Bose, sogar schon der Unklare und Leidenschaftliche geht 
in Abendnebeln, und die Nacht verdickt sie und sich; aber die helle 
fromme Seele erlebt nur Morgennebel, und diese fallen, und die 
Sonne steigt. 



10. 

Wer nach Westen reiset, verliert einen Tag; wer nach Morgen, 
gewinnt einen- nun so reise dem Orient des Herzens, der aufge- 
henden Sonne entgegen, und du gewinnst statt des Tages das 
Jahr und statt des Jahrs einige Ewigkeit in der Zeitlichkeit. 



Ich sprach mit meinem Trosten nicht zu denen, welche der 
Glaube an das Ur-Ich iiber alle Disteln und Stachelgewachse des 
Lebens erhebt; diese sollen den nach dem Himmel gerichteten 
Blick nicht schwachen durch dessen Niedersenken auf die 



museum • viii 975 

Nachlese der Erde, oder sollen noch zur Erbschaft der Gottheit 
eine irdische Luft als Zugabe begehren. Diese bediirfen in der 
Liebe gegen den Unendlichen keines Trostes; tlenn was er tut 
und nimmt, ist Gabe, und es ist fur diese bloB von Morgenster- 
nen der alten Ewigkeit Umgebnen gar nichts vonnoten als das 
Fortgefuhl des hochsten Liebens; und jede Minute der engen 
Menschen-Zeit beginnt ihnen eine Ewigkeit; und Gott ist ihr 
Himmel. 



VIII. 
Bemerkungen uber den Menschen 



Die poetischen Tugend- Virtuosinnen 

Jeder hike sich vor poetischen Tugend- Virtuosinnen, namlich er 
heiratekeinedavon. Diese moralischen Statistinnen, welche sel- 
ten handeln, leben in der Tauschung, daB sie noch besser sind 
als alle benachbarte Schauspieler und Schauspielerinnen, bloB 
weil sie iiber diese mit feinem Gef iihle lobend oder tadelnd rich- 
ten. Es gibt nichts so Zartes, Schones, GroBes, zumal in der Ver- 
gangenheit, was sie nicht zu bewundern oder zu fodern wuBten 
von andern; dieses Bewundern und Fodern aber steuert sie mit 

20 dem schonen BewuBtsein aus, daB sie die Sache selber haben, et- 
wan wie in Italien (nach Archenholz) einem, der eine Kostbar- 
keit lobt, diese nach der Sitte zum Geschenk angeboten (obwohl 
nicht angenommen) wird, das sich aber die Virtuosin selber 
macht. Die Warme ist schon, womit die Tugend-Sprecherin 
jede Aufopferung, sie werde ihr oder andern gebracht, zu schat- 
zen weiB; desto tiefer daher muB sie den Selbstfluchtling verach- 
ten, der ihr selber eine zumutet. So liebt sie anstatt den Menschen 
desto inniger die Menschenliebe. Ja die Statistin behalt sogar auf 
ihrem Kanapee bei aller sitzender Tugend-Lebenart Unpartei- 

30 lichkeit genug, um die geschaftigste Hauslichkeit einer Martha 
und jede amsige Gatten- und Kinder- Verpflegung zu bewun- 



97<5 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

dern, ja vorzuschreiben; denn sie weiB so gewiB, was sie in die- 
sem Falle tun wiirde, falls sie etwas tate. So gleicht sie als Heldin 
in der Tugend ganz dem, was ein Held im Kriege ist; namlich 
wie dieser ordnet sie erfahren, scharf und kalt alles an, was jeder 
im Feuer zu tun und zu opfern hat, und schonet wie ein Feldherr 
sich aus Pflicht zum Vorteil des Kommandierens. Auch ihr sel- 
ber werden die Rollen der edelsten Menschen nicht schwer, 
wenn sie ein Stuckchen Papier - Druckpapier oder Brief papier 
-gleichsam als die Buhne erhalt, worauf sie solche spielen kann; 
das Papierblattchen wirft sich ihr so zu sagen zum Schauspiel an, 10 
womit allein die Lady Hamilton durch dessen Wenden und Fal- 
ten die schonsten alten Gottinnen machte. Allerdings miissen 
Personen von solcher moralischen Hohe und Foderung die sitt- 
liche Unter- und Schattenwelt unbeschreiblich tief unter sich 
finden und darum sie so schwarz abmalen, daB sie damit andern, 
die es nicht scharf er nehmen, ordentlich zu verleumden schei- 
nen; ja ganze Stadte sind sie oft schwarz zu farben genotigt, so 
daB es wenig ist, wenn sie, mit Anspielung auf Agypten, die eine 
Stadteine Krokodilstadt (in Crocodilopolis wurden bekanntlich 
Krokodile angebetet, wie in Cynopolis Hunde), die andere eine 20 
Hundestadt nennen. - 

Darum lasse ein Mann, wenn nicht seine Ehe, doch seine Ver- 
lobung mit einer solchen Virtuosin trennen, wenn er nicht das 
ehliche Band - anstatt zu einem Venusgiirtel - lieber zu einem 
Stachelgurtel (Cilicium) und Ehestrang geflochten tragen will. 
Der gedachte ehelustige Mann rechne doch vorher genau nach, 
ich bitt' ihn, zu wie vielen Stufen des weiblichen Gottersitzes er 
sich zu versteigen getraue, da ihn nicht nur schwarzgefarbte 
Stadte warnen, sondern auch der Lebenlauf und Lebenflug seiner 
Verlobten selber, welche Mannerherzen nur von weiten genie- 30 
Ben und verspeisen kann, etwan wie schwarze Maulbeeren, wel- 
che man an groBen Tafeln bloB mit langen Stecknadeln zum 
Munde bringt, um sich die Finger nicht zu schwarzen. In Eng- 
land sagt der Kiister gewohnlich hinter der Trauung: Amen! 
Stand' ich hinter der gedachten, so wiird' ich sagen: wurde die 
sechste Bitte nicht erhort, so tu' man die siebente. 



MUSEUM • VIII 977 

Gegenwartiges las ich einst einer solchen Virtuosin vor; da 
aber Weiber sich in jedem andern Spiegel leichter und schoner 
finden als im Schwaben- oder Sachsen-Spiegel oder anderem 
Seelen-Spiegel, so sagte sie freundlich: »herrliches Wort zu sei- 
ner Zeit! WuBten Sie, lieber Richter, wie viele Weiber dieser Art 
ich selber gekannt! Aber keiner davon konnt' ich beibringen, daB 
sie ja selber dazu gehore. « 



Menschen-Schwachen gegen Menschen 

io Es ist eine leben-verwirrende Gewohnheit, daB der Mensch sich 
das fremde Hassen viel lebhafter und ofter in das Herz hinein- 
malt als das fremde Lieben, daher er das eine starker erwidert als 
das andere; so werden auch die Engel meistens nur klein und halb 
als Kopfchen mit Fliigelchen vorgemalt; aber selten wird ein 
halber Teufel gezeichnet, der Satan tritt immer ganz auf, dazu 
noch ausgesteuert mit Glieder-AuBenwerken oder Randglossen 
von Horn, Huf und Schwanz. Kein Wunder, daB ein armer Teu- 
fel lebhafter gehaBt wird, als das beste Engelkind geliebt. 

b 
20 Hast du mit einem Freunde rein gebrochen: so gib - nicht nur 
aus Menschenliebe, auch aus heiliger Scheu vor der Freund- 
schaft-Leiche - ihm kein Zeichen, kein Blatt und, ists moglich, 
keinen Augenblick Gegenwart mehr von dir, weil die Zeichen 
voriger Warme als die Zeichen jetziger Kalte unmitz und hart 
den Schmerz des Bruchs wiedergebaren. Der Mann vertragt viel 
leichter die kalte Gegenwart einer jetzo feindlichen Geliebten als 
die eines jetzo feindlichen Freundes; denn eine Geliebte kann 
durch eine andere ersetzt werden, aber kein Freund durch einen 
andern. 

30 c 

Der erste Gedanke eines Menschen, der etwas nicht findet, ist 
der, man hab' es ihm gestohlen; und so haufig auch das bloBe 



978 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Verlieren und Verlegen gegen das seltene Bestehlen vorkommt, 
so glaubt er doch das nachstemal wieder an einen Dieb. 



3- 
Das Ich gegen das Du 

Wie viel das Ich von seinem Innersten dem Du schuldig ist, stel- 
]en vorziiglich zwei Erfahrungen dar. Der harte Eis-Schauder, 
womit uns in der Einsamkeit eine vermeintliche Geisteserschei- 
nung mit den kalten Ringen einer Riesenschlange umflicht und 
erstickt, loset sich zum Teil in warmes Leben auf , sobald nur ein 
einziger Mensch, welcher doch nichts konnte als hochstens dem 
Sterben zusehen, neben uns steht und uns durch bloBe Gegen- 
wart mit Leben warmt. Daher schon vor seinem sogar fernen 
Menschenlaute der Geister-Schauder so verschwindet wie nach 
der Sage vor dem eignen Worte ein gehobner Geisterschatz. - 
Eine zweite Erscheinung ist: schwerlich geht ein tadelloser 
Mann (er miiBte denn einen dreifachen Panzer anhaben) durch 
den Feuerregen einer ihn verachtenden, aushohnenden Menge 
oder Brandschmerzen der Ehre und Selberachtung hindurch, 
wenn ihn kein Freund begleitet, welcher gleichsam sein zweites 
SelbstbewuBtsein vorstellt. Aber an der Hand eines einzigen ihn 
ehrenden Menschen trotzt derselbe Mann dem Gelachter eines 
Volks. So wurde dem erhabnen Sokrates das Aufstehen unter 
Aristophanes Wolken, welche dadurch fur ihn nur als Staub- 
wolken seines Triumphwagens aufstiegen, vielleicht durch die 
Nahe seiner Verehrer mehr erleichtert, als seine Kraft bedurfte. 



4- 

Vber Weiber 



a 
Tochter, welche bloB von Vatern erzogen werden, saugen so 
viel mannlichen Geist ein, daB ich Liebhabern derselben die 30 



museum • vin 979 

strengste Priifung anrate, ob sie selber genug davon besitzen, um 
den fremden sowohl zu leiden als zu leiten. 

b 
Ich habe oft mit Argernis gelesen, wie man unmannlich vor 
Weibern kniete, wenn man ihnen rauben wollte, was nicht wie- 
der zu erstatten ist. Indes find' ich es mannlicher, wenn ich an 
den Schlachter denke, der ebenfalls vor den Lammern und an- 
dern Opfertierenknieet, wenn er sie toten will. - Michel Angelo 
verpanzerte, wie bekannt, den FuB seines beriihmten Christus 
io in der Minerven-Kirche mit Messing, damit das Kunstwerk sich 
nicht unter dem kiissenden Anbeten abniitzte; - Schonheiten (so 
wie den Gewaltigen), zu deren FiiBen so viele Verehrer liegen, 
ware wohl ein kleiner Panzer ihres Werts zu gonnen. 

c 
Die Weiber sollten schon aus Koketterie Marinern eigentliche 
Toiletten-Besuche verbieten. Unser Anschauen des weiblichen 
Putzens hat den ersten Nachteil, dan wir alles stiickweise musi- 
visch zusammenstecken sehen, was uns spater auswarts mit ei- 
nem vollendeten lebendigen Gemalde blenden wiirde; - und der 

20 zweite ist, daB der reizende Trug der Anspruchlosigkeit, wel- 
chem man sich so willig ergibt, durch das angeschauete Vorma- 
chen der weiblichen Jagerkiinste uns etwas schwer gemacht wird. 
Hingegen Weiber konnen ohne Schaden als Pries terinnen das 
anzuputzende Madonnenbild umringen. Ihnen ist Kleiden-Se- 
hen und Kleiden-Helfen fast so viel als selber eingekleidet wer- 
den. Sogar die Feindin springt hier der Feindin bei; was ein so 
schoner Zug wie der vom Englander Collins ist, welcher denen, 
die gegen ihn schreiben wollten, mit Rat undBiichern beistand. 
- Obrigens mocht' ich Kammerfrauen beschicken und befragen, 

30 wie es auf dem Charakter der siebenten einflieBe, wenn sie tag- 
lich ein halbes Dutzend Damen zu putzen hat. 

d 
Viele heutige Weiber von Stand oder Geld glauben so oft haus- 
lich zu sein, als sie zu Hause bleiben und da so viele gute Gesell- 



9»0 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

schaft annehmen, als hineingeht, so daB die Manner sie wieder 
noch hauslicher finden, wenn sie selber ausgehen, und war' es 
in die groBte Gesellschaft. 

e 
Eine Braut kann ihren Brautigam mitten im Wortgewitter gegen 
seinen Bedienten ohne Entkraftung ihrer Liebe antreffen; wenn 
er aber die Braut im Zankgefecht mit ihrer weiblichen Diener- 
schaft uberrascht: so kann er leicht vom Prachtvogel Juno's 
nichts bei ihm iibrig bleiben als dessen - Stimme; das Riige-, 
Frieden- oder Krieggericht einer Jungf rau iiber eine untergeord- 10 
nete wird ihr eignes. Diese Wichtigkeit eines weiblichen Auf- 
brausens bei der Unwichtigkeit eines mannlichen gibt viele 
Winke und SchlCisse. 

f 
Nach jedem Tee-, Eft- und Ball-Abend und iiberhaupt nach je- 
dem gesellschaftlichen Festtage bekommen die Weiber noch ei- 
nenblauen Montag nachzufeiern, namlich den nachsten Tag, an 
welchem sie das Fest-Gesternfremden Ohren malen, und dessen 
GenuB ihnen gewift bleibt, wenn sie auch nichts zu schildern 
hatten als einen der langweiligsten Abende. Daher suchen sie 20 
niemal so eifrig Gesellschaft, als wenn sie aus einer kommen, be- 
sonders aus einer schlechten. 

g 
Manner sprechen selten und ungern von abgefallenen und bund- 
briichigen Freunden. Weiber unterhalten sich mit ihren jetzigen 
Freundinnen so erquickt und weitlauftig von den Untreuen ihrer 
vorigen abtriinnigen, als waren ihnen die Freundinnen nur Be- 
kannte gewesen, und jetzo diese jene geworden. Diese Bemer- 
kung wiirde fast scherzhaft und satirisch klingen, ware sie nicht 
ernsthaft und wahr. 30 

h 
Ich fiirchte sehr, die Leichtigkeit der mannlichen Siege iiber wei- 
bliche Tugend ist (doch aber nur bei der kleinern Weiberzahl) 



MUSEUM • VIII 98l 

nicht der Obermacht des sinnlichen Augenblicks oder dem 
Obermannen der Neuheit beizumessen, sondern vielmehr der 
Gewalt alter gepflegter Liebe-Bilder und Gegen-Altarblatter, 
welche im freien ziigellosen Reiche der Phantasien verborgen 
hinter Wangen und Lippen spielten und schweiften und durch 
ein phantastisches Mehr leichter mit dem wirklichen Minder 
versohnten. 

i 

Je kostbarer die Kleidung, desto ofter der Wechsel darin; daher 
10 gibts einen groBern bei Weibern als bei Mannern. Die Frauen 
gleichen der Porzellan-Schnecke, welche ihre Schale, ob sie 
gleich die schonste im Meere ist, jahrlich abwirft und eine neue 
ansetzt; ja sie sind vielleicht noch besser und reicher, unsere wei- 
blichen Porzellan-Schnecken, da sie jede Messe eine neue herrli- 
che Korperschale ansetzen, sich aus der alten mausernd. 



5- 

Zeit-Allerlei 



Meistens werden die Amter mit mehr Ehrgefuhl verwaltet als 
20 erworben; vielleicht schon darum, weil die Verletzung desselben 
bei dem Erwerben kiirzer, verborgner, ja gefoderter ist als bei 
dem Verwalten. 

b 
Die feinsten und listigsten Zwecke politischer GroBen und 
GroBten werden wider Vermuten der letzten meistens vom Pu- 
blikum sogleich entziffert; nur das Erhabne und Reine seltner 
Fiirsten hat das Ungliick, selten geahnet, ja ofter mit dem Ge- 
genteil verwechselt zu werden; wenn anders dieses Ungliick fur 
den Urheber nicht gar ein Gliick fiir die Sache ist, welche durch 
30 ihre GotterUnsichtbarkeit dem feindlichen Widerstande leichter 
entweicht. 



9»2 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

C 

Statt elender sechs Wochentage genieBen viele Leser jetzo end- 
lich sieben frohe Ruhe- oder Sonntage, an welchen man nichts 
verkauft ;ein solcher jahrlicher Festtag von 365 Tagen gibt die al- 
ten Saturnalien zuriick, wo Sklaven und Freie sich gleich waren 
und (kaufmannisch zu reden) nichts gemacht wurde. 

d 
Nicht einmal die Autorwelt, welche mit Biichern heilen und he- 
ben will, verzage, wenn sie am Einzelwesen und am nachsten 
Jahre so wenige vortretende Verbesserungen wahrnimmt; aber 10 
noch weniger ermiide und verzweifle der Volker bauende Fust, 
wenn er von seinen Erzieh-, seinen Bild-Anstalten oder andern 
Aussaaten im Herzen keine nachsten Friichte vor seinen Augen 
griinen sieht. Er troste sich damit, daB an Einzelwesen und Jah- 
ren anfangs alles nur wenig erscheint; was sich spater erst an 
Volkern und Zeiten als Heilung und Hebung offenbart. Die Luft 
ist himmelblau, aber der kleine Ausschnitt von ihr im Zimmer 
ist farblos; nur die ganze groBe Luftkugel umwolbt uns mit ih- 
rem Ather-Blau. - Der Mensch, zumal der machtige, will alles 
schnell zeitigen 1 und ernten; um daher dem Baume (man denke 20 
sich darunter nun ein Volk oder ein Kind) auf einmal recht viel 
Bliitenhonig und FruchtsuBe zu geben, hohlet oder faulet er ihn 
geschickt aus, damit die Bienen in den hohlen Stamm ein ganzes 
Honigwarenlager niederlegen. Nur schade, daB alsdann der 
sterbende Baum keine eignen SiiBigkeiten mehr tragt, und daB 
ihn endlich die Bienen als seinen eignen Sarg bewohnen. 

e 
Verzage doch niemand an der Zeit oder gar an der Vorsehung. 
Habt ihr einmal irgendein kleines Obel der Welt mit der unend- 
lichen Giite und Fiirsorge zu reimen und zu versohnen gewuBt: 30 
so miiBt ihr es auch bei jedem groBern vermogen, da der Ein- 
wurf oder Zweifel gegen den Allheiligen und Unendlichen der- 

1 Zeitigen ist fast die Obersetzung von Temporisieren. 



MUSEUM • VIII 983 

selbe bleibt, ob er vom kleinsten oder vom groBten Leiden her- 
genommen wird. Aber der Mensch wird weniger vom Ubel 
selber als von dessen Zusammendrangung in Zeit oder Raum 
betaubt und getauscht; - daB jede Minute auf der ganzen Erde 
sechzig Leichen aus ihr wegtragt, fallt uns weniger auf, als die 
Pest einer Stadt uns erschiittert. Eine Gewitterwolke oder eine 
Sonnenfinsternis deckt dem vorschnellen Irrgefuhle dunkler und 
dichter die unendliche Ur-Sonne zu als eine langste Polar-Nacht. 
Aber warum denken denn die Menschen nicht daran, daB in du- 

10 stern Jahrhunderten - sie waren ja auch sonst da geblieben und 
hatten immer schwarzer nachgedunkelt - ein von Gott abge- 
schickter GottesSohn plotzlich aus dem Gewolke trat und son- 
nig die weinende Erde in warmen Glanz einfaBte? Warum erin- 
nert das seltsame Ding, der Mensch, sich sonst aus seiner, 
besonders aus seiner kindlichen Geschichte immer lebhaft der 
Freuden, und nur wenig der Entbehrungen und Strafen; aber 
warum entsinnt er sich nicht ebensowohl aus der Weltge- 
schichte, aus der langen Volker-Vergangenheit, mehr der Erhe- 
bungen derselben als der Niederstiirzungen, mehr des Trostes 

20 als des Grams, mehr Gottes als des Teufels? - Wie, wenn nun 
ein Mann an der Noahs-Arche und nahe an der Siindflut einen 
gottlasternden SchluB auf die nachfolgende Weltgeschichte ge- 
macht hatte? 

f 
Ein hochgesinnter Furst mit grauen Haare, zu dessen FiiBen 
seine Lander bliihen, gleicht den hohen Bergen, mit Schnee be- 
deckt, unter welchen die Auen und Taler, die von ihren Gipfeln 
gewassert werden, umher liegen voll Blumen und Ernten. 



984 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

IX. 

programm der feste oder aljfsatze, welche der verfasser 

in jedem monate des kunftigen morgenblattes 1 8 10 den 

Lesern geben will 1 



Obgleich der Verfasser seine zwolf Aufsatze ktinftig lang und 
breit vorlegen wird: so will er doch solchen verkiirzten Lesern 
des Blattes, welche vorher entweder von den Lebens-Buhne 
oder vom Morgenblatte selber abtreten, jetzo ein Vergniigen, 
das sie ohne seinen Willen einbiiBen, durch Vorschmacke eini- 
germaBen erstatten. Schickt man doch in Hamburg sonnabends 10 
den Sonntagpredigten gedruckte Entwiirfe derselben voraus - 
oder an Hdfen groBen Festen beschreibende Programmen der- 
selben; die versprochnen Aufsatze aber sind beides gleich sehr, 
ordentliche Fes,t-Predigten, ordentliche Predigt-Feste. Wahre 
Spitzbuben schilt aber der Verf . alle Autoren, welche seine Ent- 
wiirfe - z. B. sogleich den ersten oder die Zimmermanns- 
Spruch-Rede auf einem Tollhause - aus diesem Blatte rauben 
und sie friiher ausgefuhrt einschicken, als er selber kann. Einen 
solchen gelehrten Wildprets-Dieb wiinscht er nur zu treffen. - 

Hier folgen die Aufsatze nach ihren Monaten, samt ihren 20 
Vorschmacken. 

Der 3 1 . Januar des Morgenblattes bringt die obengenannte 
Baurede auf einem Doppel-Tollhause. 

Der Verf. setzt einen gelehrten Altgesellen aufs Dach, welcher 
einen Lorbeerkranz aufsteckt und unter andern zu einigen neu- 
ern hohen Dichtern und Philosophen seiner Bekanntschaft so 
herunter spricht: 

»Er freue sich, daB durch diesen neuen Bau wieder der Freiha- 
fen und die Noahs- Arche aufgetan werde, worein sie einlaufen 
konnten, wenn sie wollen, sobald die Mauerer fertig waren. Mit 30 
Lust erkenn' er darunter Manner, welche schon langst Tabatie- 

1 Von diesem Aufsatze wurde nur V3 im Morgenblatte, aber ohne 
Schuld der Herausgeber, abgedruckt. 



MUSEUM 'IX 985 

ren oder Tabaksdosen von Fiirsten bekommen, weil diese gele- 
sen, 1 dafi Tolle rtichts so lieben als Schnupf-Tabak. 

Das lobliche Handwerk verhoffe, daB es fur die verschiedenen 
Gattungen der Poesie und die Systeme der Philosophic die Kam- 
mern nach Wunsch des Bauherrn eingerichtet, demnach die ro- 
mantischen Kammern, die spanischen, griechischen, desglei- 
chen die absoluten, die kritischen u. s. w. - Prosit Bauherr! 

(Hier wird getrunken.) Auch das Bedlam fur Tiere, die so toll 
werden wie Menschen, z. B. fur die ihres gesunden Verstandes 

10 beraubten Hunde, sei glucklich ausgebauet. Nur eine Hutte oder 
ein GelaB fiir Flohe, welche nicht recht bei sich sind oder nicht 
richtig im Kopf - weil sie sich an tollen Hunden selber toll gebis- 
sen -, und vor welchen die Grafin d'Esclignac 2 so auBerordent- 
liche Scheu trug, dergleichen sei dem ganzen Handwerke un- 
moglich auszufuhren gewesen; dafiir aber habe dasselbe eine 
besondere Kammer fiir die Grafin selber oder ihresgleichen sehr 
kiinstlich eingerichtet, als einen guten dichten Stuben-Verhack 
und Schanzkorb gegen jedes Narrenschiff von Flohen, das von 
einem tollen Hunde ausspringe. - Prosit Bauherr! « 

20 Darauf zeigt der Altgeselle auf die Mansarden des Tollhauses 
hin und redet wieder an: »Hoch- und Wohlansehnlicher, auch 
nach Standes-Gebiihr Hoch- und Wohlgedachter Umstand! Es 
sollten wohl immer zwei Toll-Hauser gebauet werden, neben 
das thetische jedesmal das antithetische; denn es sind zweierlei 
Narren vorhanden, die ubernarrischen und die iiberweisen, un- 
ter welche letzte wohl ein Platon, Rousseau, Hamann und die 
groBten Dichter zuerst gehoren. Die Masse, Menge, Mitte muB 
im weitern Indifferenz-Punkt jeden ihr entweder in Toll- oder 
Weise-Sein entgegengesetzten Polar-Menschen auswerfen und 

30 bleibt der ausgleichende kalte Gleicher aller warmen Kopfe; sie 
wiederholt, so wie Konig Philippus zu seinem Sohne sagte: 
>Schamest du dich nicht, so schon zu singen?<, gleichfalls die 
Riige: >Schamet ihr euch nicht, so weise zu sein?< So hat denn 

1 In ReiL 

2 Der Freimiitige 1809. S. 763. 



986 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

unsere Stadt den Ruhm, die erste zu sein, welche fiir indeklinable 
Weise wohltatig etwas tat, namlich bauete, ein Hospizium fiir 
diese Alpler, ein Spinnhaus fiir ihre Ideen, eine Freistatte gegen 
allgemeinen Tadel, und es gereicht die lange Reihe von Mansar- 
den fiir Weise unserer Stadt umso mehr zur Ehre, da sie noch 
fast gar nicht notig ist, und da uberhaupt eine Irren-Anstalt fiir 
solche, welche weniger sich als andere irren, nicht viel groBer 
zu sein braucht als ein Schafstall oder eine Passagierstube oder 
ein Spritzenhaus. 

Auch mir kommt die Bauanstalt zugute, und ich passe auf das 
Zumauern meiner Mansarde, so wie auf seine der Herr Verf., 
der mir meinen Bauspruch ein wenig durchgesehen, und aufge- 
setzt. Riihmlichist die Stadt, gliicklich sind ein paar Stadter dar- 
aus, welche als einkasernierte Weisen von ihrer Loge zum hohen 
Lichte herab so nahe und leicht die Tollheit vor sich haben und 
als Klughausler mit den Tollhauslern sich wie Extreme beriihren 
- schone Koppelhut und Simultankirche in einem Narrenhause! « 
u. s. w. 

Darauf fiihrt der Altgeselle fort, bis er fertig ist. 

Der 15. Hornung des Morgenblattes gibt: Kustenpredigt an die 
Englander. 

Vorwort im Jahr 18 14; ist anders eine seitenlange Kleinigkeit 
eines wert! Die folgende Nutzanwendung aus einer den alten 
Strand- und Kosegartens Ufer-Predigten nachgespielten Kii- 
stenpredigt wurde vor vielen Jahren in einem solchen frischen 
Unmut iiber die britische Belagerung Kopenhagens geschrie- 
ben, daB ich mir in dieser Woche das Blatt aus der Druckerei mit 
Briefpostkosten zuriick erbat, um hier den Lesern vorher zu sa- 
gen, daB ich wenig von dem glaube, was ich in der Predigt be- 
haupten werde; und solche Vorworter sollten uberhaupt vor 
mehren Predigtsammlungen stehen. Wahrlich England, der un- 
ermudlichste Verfechter spanischer und deutscher Freiheit, 
glanzt als ein Negern-Protektor - ungleich jenem Deutsch- 
lands-Protektor in einem Frieden - durch seine gefoderte Sperre 
des Negerhandels ganz anders als die neuern Karthager, welche 
zum Erfiillen der Frieden-Bedingung, die Menschenopfer abzu- 



MUSEUM -IX 987 

schaffen, eine Quinquenell-Bedenkfrist verlangen. Aber hier 
steh' es endlich, wie ich vor Jahren die guten Briten auf meiner 
Kanzel angefahren: 

»Und jetzt, da ihr uns nicht mehr wie Pferde anglisieren konnt 
durch Abschneiden, ersetzt ihr durch Kopfen das Schwanzen 
und schwimmt gleich Fischen an die Kiisten, urn zu laichen, Lei- 
chen namlich und Kanonenrogen; und nehmt in den Hafen 
nichts ein als frisches Tranenwasser. War nicht euer Ruhm bis- 
her eine Seekrankheit, die sich leicht verlor, sobald ihr das feste 

ro Land - z. B. ost- oder westindisches - betratet? Wenn ihr durch 
euere geheimen Expeditionen aus dem Wasser wie aus Kiesel 
Kanonenfeuer schluget gegen schuldlose Stadte und Elbeufer, 
und wenn ihr ein umgekehrtes Strandrecht einfiihrtet, namlich 
das vom Wasser aus gegen irgendein scheiterndes Land: so be- 
schamt euch euere eigne innere GroBherzigkeit und Rechtliebe 
zu Hause. - Freilich unscheinbar mattfarbig stehen so manche 
Staaten wie elend gemalte Figuren vor euch, lassen lange Zettel 
aus dem Maule hangen, die ihren Gehalt aussprechen sollen, ge- 
nannt Geld- oder Staatpapiere u. s. w.« 

20 Jetzo kommt eine heftige Stelle, die ich zu meiner groBten 
Freude ganz unverandert behalten und behaupten kann, sobald 
ich nur statt der Englander die Franzosen setze und so anfahre 
und fortfahre: » Wir muBten euch Stolze mit Nahrung bedienen, 
wie den (englischen) Konig beim Essen die Hofbedienten; nam- 
lich auf den Knieen, anstattdaB sonst nur das Wesenkniet, z. B. 
das Fohlen, das Hirschkalb etc., welches Nahrung saugt, nicht 
erteilt. Ja steht der Uferprediger selber denn nicht am heutigen 
Aschermittwoche mit einer runden Glatze voll Asche da, welche 
ihm jedoch wie andern nur auf gesaet worden, nicht weil er Fast- 

30 nacht und mardi gras genossen, sondern weil ihrs? - Aber wir 
Deutsche sind iiberhaupt - ordentlich als waren wir euere nur 
grofiere Schweizerei - fur euch eine tragbare Patent-Soldateska, 
euer Patent-Kriegstheater u. s. w.« 

Der 21. Marz des Morgenblattes schenkt: Polymeter, iiber- 
haupt viel Weiches, weil da des Verf. Geburtstag einfallt. 
Indes wiirden die Mithalter des Blattes zu lachen anfangen, 



9o8 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

wollt' er ihnen das Weichste daraus schon hier zum ImbiB auf- 
tragen, da zu solchen Jubel-Tagen gewohnlich gehort, daB man 
sie erlebt, er aber den ganzen langen Winter noch so wenig bis 
zu Friihlings-Anfang durchgemacht, als irgendein jetzo lebender 
Geist im All. Doch mag ein Polymeter, der ja auf so viele 
iooo Menschen paBt, als es gibt, hier vorlaufen: 

Wie genieB' ich den Frieden, den die Lander miteinander ge- 
macht?- »Nur wenn du einen mit dir selber schlieBest.« - Ach 
nur unschuldige Kinder durften sonst die Fruchte des Olbaums 
pfliicken! 1 - »Alle Friedens-Kranze und Friedens-Zweige der i 
Erde haben ja nur Blatter. « 

Der erste April unternimmt (man will sonach auf den ersten 
Tag und auf den ganzen Monat zugleich anspielen) einen Beweis 
von der doppelten Bestandigkeit der Weiber. Er wird - um unpartei- 
ischer zu Werke zu gehen - zuerst von ihrer Festigkeit in schlim- 
men Angewohnungen ganz kurz gefuhrt, der Beweis aber von 
ihrer andern Festigkeit in guten aus Mangel an Raum verscho- 
ben; ordentlich als konnte der Verf . aus Vorliebe, um nur recht 
diese Edel-Steine zu heben und unter Licht zu setzen, nicht ge- 
nug Fehler-Folie unterlegen. Folgendes ist Vorschmack: 20 

»Auch in der Ehe bleibt der Name des geliebten Brautigams 
im weiblichen Herzen stehen, in welches ihn schone Stunden 
und Wunden eingeschnitten; freilich geht es dem Namen wie 
Namenszugen, die man in einen Kiirbis einritzt: die Frucht reift 
ungeheuer und unformlich fort: und dann sitzt der eingekerbte 
Name daran lacherlich und unleserlich auseinander gewachsen 
und gespreizt.« 

Der erste Mai bringt den Steckbrief des Herrn von Engelhorn hin- 
ter seiner entlaufnen Gemahlin. 

Der edle Mann schickt geriihrt ein kurzes Programm dem 30 
Steckbriefe hinter seiner liebens- und strafwiirdigen Hilda 
voran. Sie habe, sagt er darin, ihm etwas Besseres gestohlen als 
sein Herz - denn dieses wiedererzeug' er jeden Abend so leicht 
als eine Eidechse den Schwanz oder ein Krebs die Schere -, son- 

1 Von Minervens Olbaum auf der Burg zu Athen. 



MUSEUM • IX 989 

dern sie habe die feinste Haut, die je urn ein weibliches Herz ge- 
schlagen war, ihm entwandt, des kleinen Juwelen- und Klei- 
der-Besatzes daran kaum zu erwahnen. Die Raserei, welche vor 
Gericht die Ehen scheide, stifte solche oft auBergerichtlich, und 
seine gehore dahin; denn wie (nach Gall) das Gehirn eine zusam- 
mengestaltete Haut sei, so sei die glanzende seiner Hilda ein aus- 
gebreitetes Gehirn fur sie und ihn gewesen, durch welches das 
seinige ziemlich hin und her verriickt geworden; daher sie ihm 
Gatten- Aeneas aus ihr ein ziemliches Dido's-Reich vor- und zu- 

10 geschnitten. Was ihn jetzo am meisten auBer sich setze, sei, daB 
sie, da sie nach Paris entwichen, schwer daraus zuruckzufangen 
sei - sie konne in dieser Minute von einem Generale und dessen 
Adjutanten zugleich an den Armen gefiihret werden, um in 
keine andern zu fallen - und in welcher Gasse dieses Gassen- 
Ozeans, frag' er ohne Trost, hab' er das liebe Wesen aufzujagen 
und einzufangen, da sie ja in der rue des mauvais garc,ons hausen 
konne - oder in der rue des mauvaises paroles - oder in der rue 
de fosse aux chiens - oder in der Frau ohne Kopf - oder in der 
Teufelsfarzgasse (du pet-au-diable) - oder in der rue des filles an- 

20 glaises - oder der du contract social - oder der rue des deux an- 
ges. — Auch wiird' er ihr personlich nachspringen, wenn er 
nichtbesorgte, unterwegs, zumalin besagten Gassen, ihr untreu 
zu werden und in der rue des deux anges zwei Erigel mit einander 
zu verwechseln. »Das schone junge Kind, ich war sein altestes!« 
(sagt er und weiB sich kaum zu lassen) »0 warest du bei mir, 
ich wollte dir soviel nachsehen als mir selber! Und mogest du 
wenigstens nur keinem rechtschaffnen Manne in die Hande fal- 
len, der dir zulange treu bleibt!« 

Darauf wird Herr von Engelhorn, da er sich das Signalement 

30 denkt, ordentlich verdriiBlich: lieber zwanzig Spitzbuben setz' 
er steckbrieflich nach als einer einzigen Frau; alle eines gewissen 
Standes sahen einander so ahnlich wie die Riicken der Karten; 
denn der Anzug sei das einzige, worin sie verdammt harmonier- 
ten und einig blieben. Auch der gute Umstand, daB seine in gro- 
Ben Gesellschaften unter die Halbnackten und nur in kleinern 
unter die Viertelnackten gehore und unter vier Augen gar im 



990 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

dichten Neglige sitze, signalisiere nur schlecht; denn mit ihr ha- 
ben diesen Vorzug alle die bessern Weiber gemein, welche end- 
lich die Kriegnot zum Nachdenken und Entschlus.se gebracht, 
noch wirtschaftlicher und tugendhafter vermittelst einiger 
Nacktheit zu werden, indem sie bei der Teuerung der englischen 
Zeuge durch jede anderthalb Fu6 breite Stelle, die sie unbeklei- 
det lassen, dem Gatten ein Viertel Morgen Land ersparen oder 
eintragen, und indem sie mit ihrer Tugend unbekleidet vor hun- 
dert Zeugen sicherer seien als bekleidet vor einem. 

Am Ende fangt von Engelhorn den Steckbrief so an: »Eine ge- 10 
wisse Hilda, geborne von Templer, ist selbstdiebisch entwischt 
und hat dem Herrn von Engelhorn folgende Preziosa von Wert 
mitgenommen: No. i. eine superfeine Menschenhaut, die sie 
anhat- No. 2. eine seltene Niobe's-Nase - No. 3 . ein Paar kost- 
bare Saphyre oder Blau-Augen vom ersten Wasser - No. 4. ein 
Paar fein gearbeitete Handchen mit Armen, zarter als Hand- 
schuhe von Huhnerleder, samt andern Kleinigkeiten, deren 
Spezifikation vor hiesigen Gerichten niedergelegt worden. Es ist 
aber mehrgedachte Land- und Stadtstreicherin und Blondine 
besonders daran kenntlich, daB sie den Engel im Gesicht und den 20 
Teufel im Leibe hat und, obwohl eine Blondine, doch eine Sel- 
berziinderin ist; wie denn diese Person und Zauberin zwar nie 
den Blocksberg befahrt, aber die ganze Bergpartei desto ofter bei 
sich hat. Ein anderes Kennzeichen, das sie von alien Frauen un- 
terscheidet, ist, daB sie auf Herrn von Engelhorn sehr schmahet, 
welches keine von so vielen Hunderten tut, die mit ihm ebenso 
genau bekannt geworden. Als nun auBerordentlich daran gele- 
gen, auf gedachte Diebin und Schonheit zu invilgieren und sol- 
cher habhaft zu werden: also etc.« 

Der 30. Juni gibt: Liste der anstofligen Stellen, welche dem Verf. 30 
auf seiner langen literarischen Laufbahn von den Zensoren ausgestri- 
chen worden. 

Er reicht hier nur einige AnstoBe zum AnbiB: 

Der Staat werde dem Burger , was das Zimmer manchen 
zahrrigemachten Singvogeln ist, aus welchem diese bei gutem 
Wetter ins Freie gehen, und in welches sie doch wieder zuriick- 



MUSEUM -IX 991 

fliegen; aber er sei kein Kafig, der halb im Zimmer, halb im 
Freien hangt. 

Bei den Alten glich der Staat mehr einem englischen Garten, 
welcher nach Kant die freie, aber ins Enge gezogne Natur sein 
soil; bei den Neuern gleicht er ofter einem franzosischen, wel- 
cher nach le Notre 1 eine wachsende Baukunst ist. 

Napoleon endigt seine Vorlesungen fur Fiirsten (wie man 
seine Kriege nennen sollte), gleich andern Professoren, meistens 
in einem Semester (Halbjahr). 

Die Tiirken trauern blau; und tiber sie und die jetzigen Grie- 
chen trauert der Himmel auch blau. 

Der erste Juli gibt die aus Raum-M angel unterbrochene Fort- 
setzung der ausgestrichnen Zensor-Stellen. 

Hier nur einiges daraus: 

Zwar Biittel, aber nicht Schulmeister standen schon in 
AdreBkalendern, obgleich diese friiher und langer mit dem 
Stocke lehren und priigeln als jene. Wahrscheinlich aber will 
man das Schul-Amt einziehen oder doch zu einer Vakatur-S telle 
machen, welche der Biittel nicht mit versieht. 

Politische PreBfreiheit und groBe religiose PreBfreiheit sagen 
in der Geschichte fast einen entgegengesetzten Kurs ihrer Ge- 
genstande aus. In Zeiten der Vaterlands-Warme ist die politische 
Freiheit sehr groB; in Zeiten der Religions-Kalte ist die religiose 
PreBfreiheit noch groBer. 

Der erste August bringt: Stammbuch des Teufels. 

Da das Stammbuch kiinftig als ein dickes Buch erscheint und 
noch dazu in Klein-Queir-Folio: so kann das kiinftige Morgen- 
blatt daraus nur einige Proben aufnehmen, von denen ich im jet- 
zigen hier wenige Proben gebe. In dieses Album des Schwarzen 
haben sich neu- was erst in des Verf . Vorrede dazu begreiflicher 
wird - Menschen aus alien Standen und Zeiten - derm der Teufel 
geht seit Jahrhunderten damit herum und hausiert noch fort - ei- 
genhandig bei ihren Lebzeiten hineingeschrieben, und mit einem 

1 Le Notre war bekanntlich ein Deutscher; daher sein franzosischer 
Name: der Unsrige. (Sogar diese historische Note litt der Zensor nicht.) 



992 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

solchen Anstand fremder Sprachen und Handschriften, daB ich 
es mit keinem ahnlichen Buche, selber nicht mit. dem Vaterunser 
vergleichen mochte, aus und in welchem Adelung alle Sprachen 
in Proben dargestellt hat. Denn alles durcheinander steht darin, 
Teufels Gonner und Widersacher - z. B. dessen GroBmutter als 
Verwandte wie gewohnlich vornen - Thomasius - Dr. Luther 
- Grewiert - der Erzengel Michaelis (aber in sehr unleserlichen 
Charakteren) - Dr. Semler - Peter Breughel - David - David 
von Schottland - beide Carraggios - Shakespeare - Ivan Basilo- 
virz - Tibull - Paul I. - ich, Meusel, Goethe, nebst vielen noch 10 
lebenden Gelehrten - Leibgeber - Judas Ischariot und Robes- 
pierre (bei welchen beiden einer, wahrscheinlich der Franzose, 
das alte Sprichwort beigesetzt, da sie auf einer Seite stehen: jungit 
pagina amicos) u. s. w. 

Einige davon mogen am ersten August, wo nach alter Sage 
der Teufel vom Himmel geworfen worden unter uns auf die 
Erde herein, in meinen schwachen Ubersetzungen da stehen: 

Wie die Schnecke bei jedem AnstoBe ihre zwei schwarzen Such- 
und Fuhlpunkte zuriickzieht und verbirgt, sie aber im Freien 
weit vortragt: so ziehe jeder den Flecken oder ein ganzes schwar- 20 
zes Herz zuriick bei Ungliick; bei Gliick aber tast' er damit 
herum und zeige alles keck. 

Damit will sich seinem Protektor empfehlen 
London 1649 Oliv. Cromwell. 

Stehet ihr auf dem Glatteis des Hofes gefahrlich, so streuet nur 

Asche von Hausern und Pfalzern 1 darauf: dann steht ihr fest; so 

will es der Polizei-Lieutenant. 

Ewig der Ihrige 

Paris 1690 Louvois. 

Die Grenzgotter sind ohne Arme und Beine abgebildet, sie 30 
konnen also weder (nee) streiten noch (nee) fliehen; daher trage 

1 Bekanntlich entzundete der Minister Louvois den Krieg von 1688, 
worin er die Verwiistung der Pfalz anordnete, um sich dem ungiinstigen 
Louis XIV wieder notwendig zu machen. 



MUSEUM • IX 993 

diese Gotter selber iiber die Grenzen und iiber jeden Rubikon 
hinweg und setze sie dann nieder, wo du willst, etwan an den 
Herkules-Saulen. 

Dem bosen Genius zum Opfer 
Romae. Julius Casar. 

Die Thronen sind jetzt auf der ganzen Erde kriegerisch-schon, 
gleich.Vulkanen, verkniipft; so wie diese Vulkane immer in 
Verbindung Feuer speien, so geben sie Feuer meistens in alien 
vier Weltteilen auf einmal, und auf dem Ozean dazu; ein erhab- 
ner Anblick! 

Auch dafiir sei Ihnen Dank, 
hoher Fiirst der Finsternis! 
London 1802 Lord 

Sollte wohl der Mensch erst eine Paradieses-Schlange zu seiner 
Vergiftung brauchen? Kann er nicht so gut wie die Klapper- 
schlange, wenn sie sich beiBt, sich selber vergiften? 

Nie, mein Teufel, werd' 
ich die Stunde unserer er- 
sten Bekanntschaft ver- 
gessen! Schriebs zum An- 
denken 
20 Baireuth 1807 Jean Paul Fr. Richter. 

Der Michaelistag des Septembers bringt: Der wiedergefundne 
»allzeit fertige Banqueroutierer« von Rabener samt meiner Einlei- 
tung. 

Da der Verf. schon seit Jahren bei allem Verlust, den Dresden 
durch die Belagerung von Fried rich II. erfuhr, den groBern am 
meisten bedauerte, welchen Deutschland durch das bis jetzo 
vorausgesetzte Einaschern der genannten letzten und gewifi be- 
sten Rabenerischen Satire erlitt, besonders da bei diesem sich im 
dornigen Gradierhaus des Alters das satirische Salz immer reiner 
30 und scharfer anhing: so hatte der Verf . iiber die (wahrhaft wun- 
derbare) Errettung und Erkaufung dieser Rabenerischen Satire 
eine so groBe Freude, als hatt' er das kostliche Stuck selber ge- 



994 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

macht. Deutschland soil ihm danken, meint er. Nur so viel aus 
der Einleitung: 

»GewiB genieBen wir alle diese alte Satire iiber Bankerutte 
jetzo reiner, ohne bittere Beziehungen, kurz nur als unbefangene 
Liebhaber eines Kunstwerks, da wir seit Rabeners Zeiten Falli- 
ments so wie Selb-Falliments (Selbstmorde) und Unehelichkeit 
etc. im viel gerechtern und mildern Lichte erblicken. Wenn sonst 
der arme Banquerutier Steine und Hunde tragen muBte: so wird 
jetzo besser samtlichen Glaubigern diese Schulden-Last vertei- 
lend aufgelegt; und die leeren Beutel, womit sorist Jungen den 
ohnehin leeren Zahlunfahigen durch die Gassen ordentlich recht 
zu seiner Schande verfolgen muBten, halten zu Hause nur dessen 
Glaubiger in der Hand. 1 

Aber besonders gehort es unter die wenigen Wohltaten der 
Kriege, daB man leichter falliert und - ich wag' es zu sagen - 
nicht ohne Ehre, komme letzte auch nicht sogleich. Was dem 
Wort- und Bankbruchigen so unentbehrlich ist als dem Trauer- 
spielschreiber, namlich gute glaubliche Ungliicksfalle, um mit 
ihnen, wie dieser, eignen Schrecken und fremdes Mitleid zu rei- 
nigen, kurz, jedes zur Herstellung einer guten Konkursrechnung 
notige Ungliick liefert der Krieg nach Wunsch; leicht ist durch 
f remde Truppen das Alibi des Geldes zu bezeugen; leicht schlie- 
Ben mit den Hafen sich die Kaufladen, und Kriegs-Compagnien 
sprengen Handels-Compagnien, nicht aber Kriegsreiterei die 
Wechselreiterei. Im Oktober oder Weinmonat falle eine Schlacht 
vor, so ist aus ihr im nachsten oder Wind-Monat so viel (bisher 
latenter) Land- Wind zu entbinden, als notig ist, um fur den 
See-Wind zu entschadigen, der keine Schiffe mehr zublaset. 
Matthey zu Turin 2 erf and Windbuchsen, welche man auf einmal 
zu achtzehn Winds chiissen ladt durch Gas-Entwicklung, wenn 
man in ihrer Kammer bloB 2 Unzen SchieBpulver abbrennt. 
Wahrlich aus einigen verfliichtigten Pulver-Zentnern einer 
Schlacht getrau' ich mir so viel Wind fur dreiBig Bankerutierer 

1 Quistorps Beitrage i. B. 1780. 

2 Busch Handbuch der Erfindungen. B. 8. Artikel Windbiichse. 



MUSEUM 'IX # 995 

auszuziehen, daB ich noch genug davon fiir ebenso vide Zei- 
tungsschreiber iibrig behalte. 

1st der Krieg das Mausern (die MauBe) der Menschheit, worin 
ihr die alten Federn ausfallen oder sonst ausgehen (und war's 
durch Ausrupfen): so geht dem entfiederten berupften Kauf- 
mannso gut das Gedachtnis seiner Wechselbriefe, Versprechun- 
gen und so weiter aus als jedem Falken in der MauBe alles in 
schlaflosen Nachten Erlernte. Besonders tut hier der Buchhand- 
ler in der MauBe das Seinige und Notige - spielt zweimal jahrlich 
zur Messe eine Malefiz-Komodie gegen seine Mitspieler - hilft 
dem reinen Ertrag etwas durch unreinen nach - wird aus Mangel 
an Absatz schreibender Seelen der Seelenverkaufer seiner eignen 
armen Seele und verschreibt sie durch Verschreibungen und durch 
jeden doppelsinnigen Schuld- Schein - und verkauft mir kurz 
nach dem Fallissement das Manuskript von Rabeners Satire dar- 
uber; denn letztes hab' ich wirklich von einem falliten Buch- 
handler in Sachsen.« 

Der 14. Oktober bringt: ErziehanstaltfiirEtnbtyonen und Fotus 
von Stande. 

Die Vorrede sei hier Vorschmack: 

» Wie sehr den hohern Standen die starkere Leibes- und oft da- 
durch die Geistes-Bes chaff enheit taglich einschwinde und ein- 
schrumpfe, dies zu zeigen, hieBe am unschicklichen Orte einen 
Wagenzug von Kriipelfuhren auffiihren und am Ende doch 
mehr Lachen erwecken als Mitleid. Genug, daB bloB die Riisti- 
gern daraus noch abgemagerten verdruBlichen Lowen gleichen, 
welche in den Eismonaten des gefrornen Deutschlands hinter 
Gittern zur Schau herumgefahren werden - andere dagegen 
sind, zumal auf der Riickreise von einer Residenzstadt, wahre 
Bart- und Haarsterne, welche, von der Sonne zuriickkehrend, 
ihren Kern in Nebel und Schweif aufgelost mitbringen - einige 
werden zum zweiten Male Embryonen und erhalten sich, wie 
totgeborne, nur frisch in Glasern voll Spiritus - ja viele sind 
kaum. - So sehr will, anstatt daB bei altern Volkern der langste 
stattlichste Mann der vornehmste und regierend war, hoher Adel 
gegen niedern in Riicksicht der Statur und Zolle fast die Beina- 



996 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

men auswechseln und glaubt die Zahl der kiinftigen Ahnen 
durch die Menge der vergangnen zu ersetzen. Oberhaupt ist jetzt 
so gar Reichtum schon halbe Krankheit, und junge reiche Kauf- 
manns-Sohne schreiben auf Reisen das alte Sprichwort so: quod 
habet in crumena, luit in corpore; d. h. wer Geld hat, kann so 
gut als irgendein junger Englander halb tot und halb sichtbar 
nach Hause kommen. 

Welches Heilmittel gibt es denn dagegen? Keines, wenn bloB - 
von sichtbarem Adel die Rede ist. Stets werden Zeit und Geld 
und Sucht den Geist und Bauch so warm~und weich von Innen 
und AuBen, wattieren,-daB er, gesetzt in derbe, frische, freie 
Luft, dann krankelt und schauert und schimmelt und rostet. 
Aber ist denn kein unsichtbarer Adel, namlich ungeborner, 
mehr zu haben, gleich der unsichtbaren Kirche? Kann nicht au- 
BerordentHch viel fur vornehme Embryonen und Fotus getan 
werden? 

Aller dings; aber hiezu muB man die Mutter haben und auf sie 
wirken, und zwar auf eine neue Weise. Denn was einige. Mutter 
bisher nur versuchsweise getan, um der Nachwelt kraftigere 
Ritter, als die nachste Vorwelt nachgelassen, zu bescheren, in- 
dem sie die vom preuBischen und franzdsischen Gesetzbuch ver- 
botene Nachfrage und Forschung nach Vatern (la recherche de 
la paternite est interdite) bloB fiir sich zur rechten Zeit, namlich 
in der unschuldigen, in der Ehe anstellten, diese miitterliche 
Vorsorge wollte, so viel man sieht, so wenig fruchten und an- 
schlagen als eine ahnliche ihrer Eheherren fiir Ammen; denn ein 
Jupiter als Vater, eine Juno als Amme reichen der Welt noch kei- 
nen Herkules, sondern erst eine ehrliche gute Hausfrau Alkmene 
tuts. Die ersten neun Stufen-Monate bilden die kiinfti- 
gen Stufen-Jahre; und aus dem neunmonatlichen Anticham- 
brieren des Lebens fliegt oft dem kleinen Wesen ein Neuntoter 
durch alle Jahre nach, welcher beiBt und spieBt 1 und friBt. - Aber 
wie werden die armen Personen von Geburt behandelt vor der 
Geburt, d. h. von ihren Miittern, der Vater zu geschweigen? 

1 Der Vogel Neuntoter spieBt bekanntlich seinen Raub von neun In- 
sekten immer an Dornen. 



museum - ix 997 

Eben zehnmal schlimmer, als es dieselbe Dame nach der Geburt 
einer Amme zulieBe; denn welche Amme diirfe mit dem kleinen 
Cavalier oder Stammhalter an der Brust auf eine Weise, wie die 
Mutter mit demselben unter dem Herzen vorher getan, so wal- 
zen, so karten, so abendessen, so trinken, so wachen, so brennen 
(liebend oder zurnend), so nichts-tun; indes gleichwohl die 
Amme in weiterer, mehr gleichgiiltiger Feme von dem Edel- 
mannlein oder Fraulein steht; denn eine Ziege ist wohl leicht eine 
Gottin-Amme, aber keine Menschen-Mutter. Gerade im 

io schnellesten heftigsten Entwickeln und Wachsen des noch Un- 
gebornen, das schon im zweiten Monat abnimmt, fuhren die 
Mutter ein Leben, als hatten sie fiir kein zweites zu sorgen, und 
opfern ihren Stunden seine Jatire. Konntahr nicht, sagte jener 
groBte Lehrer zu seinen Jiingern, eine Stunde mit mir wachen? 
Konnt ihr nicht, sagen seine Lieblinge, die Kinder, zu ihren 
Miittern, neun Monate lang Mutter sein und unsern tiefsten 
Schlaf bewachen? 

Nach allem ist demnach eine Erziehanstalt fiir Embryonen 
nichts als eine fiir Mutter. Diese will ihnen ein giinstiges Schick- 

20 sal jetzo durch midvbescheren. 

Ich bin namlich so gliicklich, eine schone Wohnung, schone 
Gegend, die gehorige Dienerschaft und Geratschaft fiir Da- 
men-Erziehung zu besitzen, und dadurch instand gesetzt, fiir alle 
Embryonen und Fotus von Stande, denen an ihrer Bildung gele- 
gen ist, etwas zu wirken, indem ich bloB Damen guter Hoff- 
nung, so wohl des hohen als des niedern Adels, von den i6schil- 
digen an bis zu den 4schildigen, in meine Anstalt aufnehme und 
solche durch die zweckmaBigste Behandlung - ein Gemahl soil 
nicht mehr tun konnen - in den Stand setze, daB jeder Fotus von 

30 Geburt, bis zum baronisierten und hochgebornen Embryon 
hinauf , nachher, sobald er das Licht der Welt erblickt, schon sel- 
ber als ein halbes Licht der Welt erscheint und in spatern Jahren 
mich (unverdient genug) fiir ein ganzes ansieht und mir ewig fiir 
das Vor-Schnepfenthal seines Daseins dankt. Man frage nicht, 
nach welcher Methode er bei mir die erste Neuner-Vvobe des Le- 
bens so gliicklich aushalt. Genug der adelige Fotus wird - sei er 



998 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

ein reichsadeliger, graflicher oder nur leontischer - auBeror- 
dentlich, ohne daB er etwas davon weiB oder sich anstrengt, gei- 
stig geiibt und gestarkt durch seine Mutter, indem ich keine Ko- 
sten schone, damit in der ganzen adeligen Schulpforte kein 
Spieltisch zu finden ist, kein Tanzsaal, keine franzosische Kiiche, 
kein italienischer Keller und kein Liebhaber (denn ich selber er- 
hore auf Ehre keine und bleibe exemplarisch schon als Schutz- 
heiliger und heiliger Vater so vieler Embryonen; denn Bildung- 
vorsteher und Adels-Ephori mussen sich hierin viel versagen). 
Arbeiten mussen sie, die Damen, und fast iiber ihr Vermogen; 10 
denn jede muB wechselnd die andere bedienen und diese jene, 
sie muB deren dame d'atour oder du palais, deren erste Kam- 
merfrau und Wartfrau sein; eine herkulische Arbeit, welche ih- 
nen zugleich einen kleinen Vorschmack von der Hiobischen Ge- 
duld ihrer Kammerjungferschaft beibringen kann. In alien 
Zimmern sind - um auf ihre Phantasien durch schone einzuflie- 
Ben - die tugendhaftesten und tapfersten Handlungen aus der 
ganzen Geschichte aufgehangen in guten Kupferstichen, teils in 
punktierter Manier, teils in geschabter; auch sie selber mussen 
von Zeit zu Zeit edle Handlungen malen oder sticken, es sei mit 20 
Plattstich oder tambouriert; besonders werden die gemeinen 
hauslichen Tugenden zu Stickmustern vorgelegt, da der Fotus, 
den man zu bilden hat, ja ihres Geschlechtes und eine Fotussin 
sein kann. Alles dergleichen hort naturlich auf, sobald die Dame 
niedergekommenist; siekehrt dann aus der Anstalt an ihre vori- 
gen Nach-, Nacht- und Spieltische zuriick und uberliefert wie 
gewohnlich, aber mit dem frohen BewuBtsein, eine Mutter ge- 
wesen zu sein, ihr Kind den Handen einer ebenso treuen Diener- 
schaft von der Amme an bis zum Hofmeister . . . « 

Darauf geht der Plan noch tiefer ins Bestimmte und zeigt, daB 30 
es der Ernst des Verfassers ist, nicht einer von den Autor-Scher- 
zen, welche man ihm und er sich taglich abzugewohnen sucht 
mit so schlechtem Erfolg. 

Der erste November oder Allerheiligentag bringt: Was hat der 
Staat bei grofien Sonnenfinsternissen zu tun? 

Diese eigentlich fiir die Polizeifama geschriebne Aufsatz stellt 



MUSEUM • IX 999 

einige Dutzend Spitzbuben- und H-Streiche historisch voraus, 
welche unter einigen zentralen und ringformigen Finsternissen 
von den Menschen begangen worden. Die Nacht, nach den Al- 
ten sonst die Mutter der Gotter, gebiert jetzo im Alter mehr 
Teufelchen; wie Raubtiere heben in ihr die schwarzen Laster sich 
aus ihren Hohlen auf , und die giftigen Nachtschatten des Her- 
zens bliihen. Aber auch sogar eine allerkiirzeste Intermezzo- 
Nacht ex tempore kann im jetzigen Kaperjahrhundert der Ar- 
mut und des Reichtums dem Staate gefahrlich werden, wenn 

io eine ringformige Finsternis den Spitzbuben und H- in Residenz- 
stadten den Ring des Gyges leiht. BloB in Neapel traf man bisher 
einige Polizeianstalten gegen die Diebe aus; ein schoner Zug die- 
ses Landes. So dient ordentlich eine Sonnenfinsternis zum Ent- 
werfen von Landkarten sowohl in sittlichem als in geographi- 
schem Sinne. 

Der Verfasser schlagt daher vor, daB man ordentliche Nacht- 
wachter, so wie Patroullen, in solchen Durchgang-Nachten an- 
stelle, umso mehr, als darin aus Knauserei der Kammern keine 
Laternen brennen. Ferner verlangt er, daB man die Sonnenfin- 

20 sternis einige Stunden vorher ausrufen und ausklingen lasse, da- 
mit jeder sich vorsehe; und endlich, daB man gescharfte Strafen 
auf solche nachtliche Einbruche setze, "welche der Spitzbube we- 
gen der Einschieb-Nacht so gern fur tagliche ausgibt durch sei- 
nen Verteidiger. So mochte etwan Schandtaten so sehr gesteuert 
als Ehrentaten vorgearbeitet werden; denn die jetzigen Men- 
schen sind leicht edel und lieben leicht Staatwohl, sobald man 
sie mit Person-Weh bedroht, und sie gehen in sich, sobald am 
Horizonte nur ein Stuckchen Rabenstein oder ein halber Polizei- 
kopf sich erhebt; so daB der Rabenstein, wie mehre Ernahr-An- 

30 stalten, seinen Namen-Zweck erreicht, wenn er den Raben 
nichts zu speisen laBt, dadurch daB er die dazu gehorigen Men- 
schen gleichfalls verhindert, sich a_uch als Raubvogel zu bekosti- 
gen. 

Noch unbeantwortet von Juristen ist die Frage des kiinftigen 
Aufsatzes: was hat, da sonst Nachtboten doppelten Lohn erhal- 
ten, ein Kammerkollegium wohl den Boten OberschuB zu zah- 



1000 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

len, welche mitten am Tage in eine Sonnenfinsternis, also in eine 
Zwergnacht geraten? - Aber die Antworten der Kammerkolle- 
gien ist langst da: »Keinen Heller mehr!« - 

Zu Deutschlands wahrem Gliicke hat es gerade im Jahre 1810 
keine Monds- und keine Sonnenfinsternis zu befiirchten; und es 
bekommt dadurch zu seinen jetzigen Ahnlichkeiten mit dem 
Planeten Mars eine mehr, welcher in keinem Jahre dergleichen 
erlebt. 

Der 3 1 . Dezember des Jahres 1810 gibt: Mein Erwachen aufdem 
Sylvester-Ball im Casinosaale . 10 

»Obgleich« - so fangt der Beitrag selber an - »die Toten- und 
Wiegenfeste der Zeit, die jahrlichen Erinnerungen an das irdi- 
sche Hinunterfliehen, ernster und mit anderer Vorbereitung ge- 
feiert zu werden verdienen als durch einen Vor-Tanz in der letz- 
ten Jahres-Nacht und durch einen Nach-Tanz am ersten 
Neujahrs-Vor-Morgen und durch elende Abspannung am Neu- 
jahrstage: so mache ich es doch wie andere, ich gehe auch auf den 
Ball im hiesigen Casino-Saal, teils um das Fest mit einem Mit- 
gliede mehr zu schmiicken - teils um mich da niederzusetzen und 
in jenen kostlichen Schlaf zu fallen, welchen allein zweckmafiige 20 
Tanzmusiken bescheren - teils um nach 12 Uhr von Trompeter- 
stoBen aufzufahren und mich ins allgemeine Kiissen zu mischen 
und einer kurzen halbtrunkenen Lieberklarung der sonst immer 
Krieg erklarenden Menschen zuzuschauen und beizutreten. Dies 
tat ich denn auch in der Sylvesternacht (18 10); ich setzte meine 
Doppellorgnette auf und versank bald hinter ihr (Musik und al- 
les waren erwiinscht) in meinen gewohnlichen Schlaf; ich tue 
gern hinter Brillen, wie andere vor Nachtlichtern, die Augen zu. 

Ich muBte aber traumen, undzwar wie folgt: Ich sei - kam mir 
vor - niemand anders als der sizilische Prinz Januarius Karl Franz 30 
Joseph Johann Baptista Anton Ferdinand Kaspar Melchior Bal- 
thasar Franz de Paula Kajetan Agnello Raimund Pasqual Zeno 
Julius Johann von Nepomuk. 1 Um mir aber noch mehr Namen 
zu machen und uberhaupt einen langen, stellt' ich mich an die 

1 So hiefi wirklich der zweite Prinz von Sizilien. S. die altere Berliner 
Monatschrift B. 3. S. 286. 



MUSEUM - IX 1001 

Spitze meiner sizilischen Armee und kommandierte gegen die 
Franzosen. In der linken Hand einen Sturmbalken oder Spreng- 
block, in der rechten einen Parisien, in alien Taschen Taschen- 
puffer, an beiden Hiiften Hieber, focht ich wie verzweifelt und 
tat sieben Wunder auf einmal; denn ich stand auf einem Telegra- 
phen-Turm und kommandierte und focht (die Telegraphen wa- 
ren meine Adjutanten) so gliicklich, daB ich (nach wenigen Ge- 
neralstiirmen auf Generale) den Feind, in einer Entfernung von 
achtzig Meilen von mir, mit dem Handgemenge meiner Leute 

jo schlug und verfolgte; in der Tat ein ganz anderer Sieg, als wenn 
man den Feind, den man niedermacht, schon vor der Nase hat. 
Indes machte mich dieses Gluck so verwegen, daB ich, sobald 
ich auf dem funften Telegraphen erfuhr, mein Heer wende sich 
urn, und auch das feindliche, und jage meinem nach, daB ich 
mich, sag' ich, ganz vermessen, ohne mich an meine Prinzen- 
Wichtigkeit zu kehren, und wenig erwagend, wie sehr ein Feld- 
herr mit seiner Unersetzlichkeit zugleich ein ganzes Heer aus- 
setzt und bloBstellt, vom Turme herabbegab und mit 
furchterlichen Sommmerdegen in den Handen, Kolleradern vor 

20 der Stirne, Mauerbrechern an den Seiten, mich mitten ins 
Schlacht-Gewiihl hineinsteuerte und herauswiirgte . . . Freilich 
hatte am tollkuhnen Traum und Kommando auch der Tanzsaal 
Schuld, indem ich die forthopsenden Kolonnen im Schlafe fiir 
antrabende Kavallerie-Kolonnen ansehen muBte - das Hande- 
klatschen der Anglaisen fiir Kleingewehrfeuer, und den ganzen 
Tanz fiir Waff entanz . . . Plotzlich brachen Tanz und Musik ab, 
und aus der Stille fuhren Trommetentone wie schmetternde 
Lerchen auf: - es hatte 12 Uhr geschlagen, und das alte Jahr war 
voriiber. 

30 Und dadurch mein Schlaf; aber meinen narrischen Traum 
schleppt* ich ins neue hinein: ich sah mich noch am ersten Janu- 
arius als kommandierenden fechtenden Prinzen Januarius Karl 
Franz u. s. w. an, worin mich* das allgemeine Jahres-Getummel 
mit Recht bestatigte; denn ich hielt das allgemeine Umarmen fiir 
heftiges Kriegbalgen- das Hande-Fassen fiir Gefangen-Nehmen 
- das Prost-Neujahr fiir Feldgeschrei unter der Kriegmusik - die 



1002 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Herren fur schwarze Husaren und die Damen fur die Partei der 
weiBen Rose, die ich gegen die der roten anzufiihren hatte. Noch 
wachend so keck wieim Schlafe, werf ich mich mitten ins dick- 
ste Gewiihl der Schlacht und halte - da an mir nichts bewaffnet 
war als das Augenpaar - die nachste Weinflasche am Halse als 
Handgranate und will anfiihren, anfeuern und feuern . . . Wahr- 
lich es waltete ein giinstiges Schicksal iiber den Casino-Saal, daB 
mich in dieser Stimmung und mit meiner Handgranate in der 
Hand (auch im Kopfe hatt' ich Granaten) kein schwarzer.Husar 
zu herzen versuctite - ich mochte als Mars ihn ungewohnlich 10 
umhalset haben -, sondern daB eine weiBgekleidete schone 
Freundin, schon dem Tauf-Namen nach zur Rosenpartei und 
mir gehorig, mit ihren Handchen die meinigen zu umarmen 
suchte. Dies brachte mich auf einmal ins Wachen und ins neue 
Jahr zuriick, und ich holte, so unveirsehens aus dem Kriege mit- 
ten in den siiBen Frieden geschwungen, feurig und freudig jeden 
KuB und Handdruck der Liebe-Feier nach. Sogar einigen von 
gutem Adel, welche ich vier Jahre lange nicht wohl ausstehen 
konnte, driickt' ich im neuen Handchen und Faust. 

Die Zeit und die Musik erhoben jeden iiber den gemeinen Bo- 20 
den der Verhaltnisse. Die Worte loseten sich so leicht und frei 
aus der Brust wie die Tone sich von den schweren Instrumenten 
los. Derkurze Rausch der Liebefeier, der Anblick einer einigen 
und seligen Gesellschaft gab mir den Wunsch und das Gemalde 
eines jubelnden Volkes anderer Zeit; und ich dachte, wenn schon 
der HaB Menschenmassen zur Begeisterung auf einem Schlacht- 
felde verkmipft, wie erst Liebe und Gliick sie zu groBerer in ei- 
nem Lustlager und Lustwalde! Aber freilich bis hieher haben 
leichter die Volker gemeinschaftlich gefeuert als gefeiert. 

Ich machte mir daher alle fremden Entziickungen zunutze, 30 
d. h. zu merrier eignen, und gewann rhehr dabei als Schlachten; 
ohne Tranen legt' ich meinen sizilischen Zepter und Komman- 
dostab nieder gegen einen Facher, den ich so lange einstecken 
muBte, als das liebe Madchen tanzte. Damit mir aber nicht der 
gemeine, meistens in der Nachmitternacht verwildernde Tanz 
jetzo wieder den Kriegtanz vorspiegelte und die Quadrillen die 



MUSEUM • IX 1003 

Quarrees: so ging ich davon und begab mich drauBen - so weit 
die Augen gehen konnten - in den reinen f rischen Sternenhim- 
mel, in welchen ich in der Neujahrnacht am liebsten schaue, 
gleichsam in das weitoffne Prachttor des ewigen erleuchteten 
Weltgebaudes. Der schwiile West hatte sich seit 12 Uhr, wie die 
Winde in den beiden Wende-Zirkeln des Tages tun, in einen fri- 
schen Morgenwind verkehrt, der wie ein Atem der Aurora ver- 
jiingte und erfrischte. Von weitem hort* ich die. Tone wie Echos 
nach, und die weiBgekleideten Jungfrauen wurden glanzend und 
10 zu fernen Sternbildern, und ich war mit mir und den Menschen 
ein wenig zufrieden. Bekommt nur (wunscht' ich noch auf der 
Gasse) die langere Freude nicht bloB, wie heute, in einer langen 
Nacht, sondern auch an langen Tagen; geniefit als eure Selbst- 
Friedensfiirsten den Frieden des kiinftigen Jahres recht aus, in 
welches nicht einmal fur uns Mond- und Sonnenfinsternisse ein- 
f alien, ordentlich unser Gliick vorbildend; denn der groBte Erd- 
schatten, den unser Weltkiigelchen in den Himmel wirft, ist der 
Krieg. Dies wunsch' ich euch zum neuen Jahre 181 1.« — 

20 Dies sind die schwachen Weinproben von den Aufsatzen, 

welche der Verfasser im Jahre 18 10 liefern wird, nur den vorigen 
z wolf ten ausgenommen, da dieser schon vollstandig hier steht 
und man daran statt bloBer Vorschmacke schon Geschmack fin- 
det. Auchbrauchen wir, beim Himmel! vor der Hand erst Wiin- 
sche fur das nachste 18 10; wie denn der Aufsatz selber in seltsa- 
mer Verwechslung beider Jahre nur fur das nachste passend 
etwas anwiinscht. Und wer hat denn noch von uns den Sylve- 
sterball von 10 erlebt? Ja wer nur den von 09? Nicht einmal der 
Verfasser selber, weil er wie gewohnlich alles schon vor dem 
30 Abdruckeniederschreibt. Bis zum Ausgeben des Morgenblattes 
aber kann gegenwartiger Verfasser dahin sein- oder mehr als ein 
Aborinent - oder der Setzer - oder der Zensor - so daB wir samt- 
lich dort droben am Sylvesterabend schon bessere Sachen 
schreiben- oder kaufen - oder setzen - oder ausstreichen, als die 
vom Endes-Unterzeichneten je gewesen. 

Jean Paul Fr. Richter 



1004 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

X. 

Des Geburtshelfers Walther Vierneissel Nachtgedan- 
ken uber seine verlornen fotus-ldeale, indem er nichts 

GEWORDEN ALS EIN MENSCH 1 



Denn jetzo, da ich die Ideale zu betrauern anfange, werd' ich 
wohl nichts Neues mehr aus dem Alten, sondern bleibe - wie 
die anatomischen Voxschneider der Physiologie den Menschen 
gut genug definieren- das einzige Tier, das ein Paar Hinterwan- 
gen hat, woriiber noch dazu ohne Not die Vorderbacken erroten 
wollen. 2 to 

ihr edlen Jiinglinge! f ahren und wachen eure Traume einer 
idealen Zukunf t bloB zu einem prosaischen Gahnen der Gegen- 
wart auf : so weinet mit mir und nehmt mein Schnupftuch; auch 
mir sind herrliche Traume zu Wasser worden, die ich als Fotus 
gehegt, und das Ende des langsten Schlafes war das Ende des 
schonsten Traums gewesen. 

Ich hatte so viele Griinde - als ich nachher angeben werde -, 
zu traumen, was ich einst miiBte in der Welt werden, wenn ich 
in sie kame durch die Geburthelferinnen; namlich auf dem Lande 
ein Jupiter, auf dem Meere ein Neptun, im Eden-Garten ein 20 
Gartengott, kurz immer der Orts-Gott, der Gott loci . . . den 
Geburthelfer Vierneissel schreib' ich jetzo. 

Noch dazu waren meine Traume mehr Schlusse; und es muB, 

1 Diesen Auf satz - zu dessen Hollen-Breughelianismus ich durch Zu- 
stufung vermittelst des vorigen Aufsatzes den Leser mildernd gefiihrt - 
werP ich als Eris- und Eva's-Apfel her, urn still zuzuhoren, wie tausend 
Kunstrichter dariiber streiten und fechten, wer ihn wohl gemacht, ob 
Leibgeber, oder Katzenberger, oder Vierneissel, oder ich. - Die Tatsa- 
chen iibrigens, welche das schnelle Wachsen des Fotus und die erste Ge- 
stalt seiner Glieder betreffen, sind wortlich- und arithmetisch-genau und 30 
wahr, und jeder kann die Belege in Hallers groner Physiologie und in 
alien anatomischen Lesebuchern finden. 

2 Bekanntlich unterscheiden wir uns von den Affen nach den Natur- 
forschern auf diese Weise von hinten. 



MUSEUM • X IOO5 

wenn ich fortfahre, was nur Fotus gewesen, fast in Erstaunen 
setzen iiber das Wenige, was man wird, aus einem Fotus etwa 
hochstens ein Schriftgelehrter oder ein Schriftsassiger - ein 
Oberbeichtvater oder ein Beichtsohn dessen - ein Feld- - ein 
Bart-Scherer - ein Ritt- - ein Deutsch- - ein Wild-Meister - ein 
Fuhr- - ein Edel-Mann - ein MeB — ein Geburt-Helfer - kurz 
jedenfalls ein Mensch. 

Aber wie anders und groBer sind die Aussichten eines Punc- 
tum saliens, Embryons, Fotus! - Ich mochte kaum zwolf Stun- 

10 den alt sein vor meiner Geburt, als ich schon aus einem entschie- 
denen Nichts ein groBer Kopf geworden war, und noch dazu 
ohne alles dumme hors d'oeuvre von Rumpf. Ich war ganz 
Kopf; - und war, wie die Vollkommenheit und Ewigkeit sich 
abbildet, namlich zirkelrund; dies lieB auf Zukunft schlieBem 
Meine Mutter vergaB iiber mich (so sehr wuBte meine Erschei- 
nung sie einzunehmen) Essen und Mann, ja meine erste 
Gesellschaft machte ihr jede andere zum Ekel, und die erste Be- 
wegung, die ich wie groBe Feldherrn auf dem Kontinente er- 
regte, war die umgekehrt-peristaltische, die zum Obergeben 

20 zwingt. 

Nach einigen Tagen stieB zum Kopf schon ein gutes Herz - 
kein drittes Glied saB weiter an mir pium corpus -; ich konnte 
folglich, wenn beide sich so fort ausdehnten, als sie angefangen, 
ein Doppellauter von Enzyklopadisten und Madonna zugleich, 
ein Doppelchor von Argus und Engel werden, wenn nicht 
sechsmal mehr. 

Ich staunte mich ganz an, als ich mich nach zwei Wochen 
schon so groB fand als ein Hirsekorn; und nach fiinfen gar als eine 
Bohne; fahrt diese seltene Streckbarkeit, sagt' ich, nur ertraglich 

30 fort (wie sie derm auch neun Monate fortfuhr, indem ich 
von V 100000 Gran bis zu 500,000 Granen Gewicht auf- 
wuchs), so stichst du einst mit dem Kopf iiber den Dunstkreis 
hinaus und hast den Wolkengiirtel um den Magen als Pelzweste; 
der Riese Og miiBte dann den Riesen Goliath ziemlich in die 
Hohe halten, wenn er, da er ein Zwerg ist, dir die Hand kiissen 
wollte. 



1006 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Mein RekrutenmaB ist jetzo 4V2 FuB und, ein Strich. 

Wenn nun gar, dichtete ich weiter, ein korperlicher Mikro- 
megas deiner Art zugleich Titan an Kopf und Herz ist: so wollt' 
ich wetten, kann ein solches achtes Wunder der Welt Wunder- 
werke verrichten, alle Manner erleuchten, alle Weiber erwarmen 
und jeden, ders nicht haben will, tottreten. — O Blutentraume 
der einzigen kurzen Fotus-Zeit, welche Schiller in seinen Ge- 
danken iiber die verlornen Ideale so bliihend und blatternd be- 
singt! 

In der siebenten Woche stieB ich, nachdem ich lange darnach 
gegriffen und gefuBet, leicht zwei Arme und zwei FiiBe aus mir 
vor und konnte damit bequem nach fremden Dingen greifen und 
fuBen. 

In der neunten sah ich aus (die Vollkommenheit-Zirkel waren 
schon quadriert) wie ein Mensch im Kleinsten und wie ein Mann 
dazu; ich schloB sofort auf Geschlecht iiberhaupt und auf meines 
partiell und beharrte nachher bei demselben. Himmel, bedenk' 
ich, mit welchen langen Anstalten alles, was ich mir in der sie- 
benten und neunten Woche mit kurzen angeschaf ft, auf der Erde 
wieder restauriert (erganzt) wird: so hab' ich in der Tat meine 
Gedanken dariiber! 

In diese Zeit mocht' es fallen, daB sich mein Kopf umsah und 
vorfand, wie sich ein Rumpf , fast so groB als er selber, unter ihm 
anschieBe. Wahrlich eine solche windige Wirklichkeit, als jetzo 
wirklich um uns her in derselben existiert, daB der Rumpf sieben 
Kopflangen und der Kopf nicht mehr als seine eigene einzige 
miBt, dergleichen fallt keinem verstandigen Fotus auch nur ein, 
der vielmehr verniinftig so schlieBt: »Ist jetzo am runden groBen 
Menschenkopf der Leib nichts weiter als der diinne Stiel an ei- 
nem wahren Reichs- und Schonheitsapfel; verhalt sich vollends 
das Herz im ganzen wie 3 zu 2: so ist der Fotus ein Ausbund und 
kann GroBes aus sich machen.« 

Das GroBe sieht man, wenn man geboren wird und reift. 
Wagt nur das Herz eines erwachsenen Hundertpfiinders als ein 
vergrabenes Pfund Fleisch-Gewicht, oder zahlt dessen spatern 
Andanten-Schlag gegen das Fotus-Prestissimo - man nehme 



MUSEUM * X 1007 

z. B. meines -: so ist leicht begreiflich (da das korperliche Herz 
die Kapsel des geistigen ist), wie ich jetzo imstande bin, gegen 
ganze Menschen-Regimenter entschieden kuhl zu sein - gegen 
einzelne Individuen mich zu erhitzen mit Zornfeuer - viele bei 
den Ohren zu nehmen, ja manche hinter solche zu schlagen. Ist 
dies aber das Herz, das sich ein Fotus verspricht? 

Aber ordentlich, als sollte ein junger Mensch im Uterus iiber- 
all zum liigenden Vor-Nativitat-Steller seiner selber werden, 
nicht einmal als diseur de mauvaise aventure behalt er Recht, 
10 sondern weissagt, wie Jonas, Boses, ohne zu treffen. Ich halte 
mich hier nur an das bekannte tierische Schwanzchen, das ich, 
wie alle Menschen, in den ersten Monaten getragen 1 und das 
man noch findet an mehr toten Exemplaren in Wein-Geist. An- 
fangs will ein solcher Exponent eines Tiers - gleichsam ein pro-, 
phezeiender Schwanzstern-Schweif - einem gebildeten edeln 
Fotus mit Recht nicht in den Kopf ; dadurch, durch den Schweif 

- so mutmaBt der Fotus vor der Hand - hang' er ja ordentlich 
mit der geschwanzten Affen-Innung zusammen, und es sei so 
viel, als hang' er das Schweifchen als Handwerks- und Han- 

20 dels-Zeichen von Tier et Compagnie aus. Mich diinkt, der junge 
winzige Mensch kann, noch so unbelesen in der Naturgeschichte 

- von welcher er weniger ein Leser als Paragraphus ist - und bei 
ebenso kleiner Weltkenntnis als groBer Unschuld, aus dem 
Schwanzchen nie einen andern SchluB Ziehen, als daB der tieri- 
sche Umschwcif oder Pavians Namenzug nur gar zu klar seine 
Erdenzukunft gleichsam mit einer Titelblatt- oder SchluBvi- 
gnette ansagen wolle. Ich sehe - sagt der stumme Fotus -, daB 
ich diesen End-Reim (bout rime) hinter mir an mir habe, damit 
ich ihn ausfullen soil mit passenden Gedanken nach meiner Ge- 

30 burt; und der Teufel hoi* es! Freilich nimmt spater jeder sittliche 
Fotus - und wer von uns bleibt nicht einer nach der Geburt - das 
Riickgratschwanzchen als Unehren-Bogen zuriick (wie der rei- 
fende Frosch das seinige in HinterfiiBe verwandelt) und zieht 

• * Am Riickgrate des Fotus erscheint das SteiBbein (os coccygis) aus 
Mangel an Fleisch in der Gestalt eines kleinen Schweifs. 



I008 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

dieses verhaBte Bierzeichen des Tiers, wie ein Monch-Kloster, 
ein und kleidets in Fleisch. Wird also ein Mensch spater, wenn 
er geboren ist, ein wahrer geschwanzter Pavian im Leben: so 
setzter nur seine Unschuld fort, nicht die kindliche, sondern die 
embryonische. 

Wir kehren aber lieber wieder in Mutterleib zuriick. 

Bedenk' ich nun, wie damals und allda meine Wohnung mit 
mir selber wuchs, und wie schnell dazu - denn im ersten Monat 
bewohnt' ich nur ein Grasmiicken-Ei, woraus ich mich im zwei- 
ten in ein Gans-Ei erhob, bis. ich im dritten ein StrauBen-Ei be- 
zog -: so muB wohl ein Fotus, wenn er denken kann, sich in den 
Kopf setzen, er werde kunftig von Schlossern und endlich in 
Ather-Schlosser ziehen und von der Beckenhohle in Dido's 
Hohle, in Rosenmiillers Hohle bei Muggendorf und in die Hohle 
des Montesimos, wenn er nicht gar sich schmeichelt, als Welt- 
seele das Orpheus-Ei der Welt zu beseelen. Ein Irrtum, der eben 
so verzeihlichist, als wenn der Fotus voraussetzt, daB er einmal, 
weil er neun Monate lang Schwimm-Stunden nimmt, als der 
ausgelernteste Schwimmer kursieren werde, und zwar, zufolge 
des crescendo im Wachsen, als Walfisch. 

- Im vierten Monat zahnt' ich schon; - ob es mir gleich weder 
bei meiner fliissigen Kost, noch drauBen auf der Welt viel half, 
weil die Zahne ihr eignes Zahnfleisch zuerst kauen und zerreiBen 
muBten. - 

Auch mit Gehorknochen vers ah ich mich, wiewohl noch 
keine Kollegien zu horen waren, desgleichen mit einer groBen 
Gallenblase, als hatt' ich vorausgesehen, daB ich in eine Welt 
kommen wurde, wo die ErgieBung derselben noch zweckmaBi- 
ger ist als die des Herzens. 

Indessen wurde meine Sehnsucht nach der dummen Erde, 
worauf man nur ein Koter oder Kotsasse des Universums ist, 
immer heftiger, so daB ich 1 mich deshalb auf den Kopf stellte, 
teils urn meine alten Verhaltnisse mit dem H. anzusehen, teils 

1 Bekanntlich steht das Kind in den letzten Monaten vor der Geburt 
auf dem Kopfe. 



MUSEUM ■ X I009 

um zu beweisen, daB ich auf meinem Kopfe (Monate lang) be- 
stehen konnte, teils um der vornehmen Erdenwelt (wofiir ich sie 
noch hielt) mich bei dem Eintritte von der hoflichsten und wich- 
tigsten Seite zu empfehlen, indem ich den Gesellschaf tsalon mit 
dem Kopf eintrate. In der Tat wird Fotibus, die der Welt aus 
Mangel an Welt zuerst den H. oder die Fersen weisen, die 
schlechte Lebens-Art schon von Hebammen, diese Tursteherin- 
nen des Lebens (portieres), grob genug eingetrankt. 

Ich tat natiirlich, was ich konnte; die neue Welt, in die ich auf 

10 meiner Hollenfahrt wie Vespuzius Amerikus fahren wollte, 
schimmerte und spornte mich unglaublich an. - Ich durfte, wie 
gesagt, auf Progressen rechnen und zum wenigsten ahnehmen, 
ich wiirde dem Leibe nach so etwasvon Heidelberger FaB und 
Erfurter Glocke irri Kleinen, und dem Geiste nach das groBe, den 
Seelen-Tag regierende Licht, und nachts eine lebendige Milch- 
straBe. - Uberdies wird wohl jedem Fotus, der keinen andern 
Umgang hat als seinen eignen, am meisten die Zeit lang. Freilich 
Zwillinge, Drillinge, Vierlinge, die gleichsam schon als Resi- 
denzstadter in Klubs und Casinos leben, wissen davon nichts. 

20 Aber ein Kron- und Erbfotus, der drei Viertel des Jahres ohne 
Gesellschaf t-Cavaliere und Ehrendamen im Uterus ausharren 
muB, lechzet nach seinem Hofe; daher ein solcher auch gewohn- 
lich seiner ersten Langweile mit solchen f orcierten Eilmarschen 
entspringt, daB er oft halbtot und (wie jeder Fotus) atemlos und 
unbrauchbar anlangt. 

Wir brauchen uns nicht zu iibereilen im Beschreiben; - kein 
Lever, kein Eintritt bei Hofe ist so wichtig als der in eine Erde, 
wo ja samtliche Hofe und Vorhofe wohnen. - Ich tue demnach 
lieber wieder hundert Schritte zuriick, um mich und die Leser 

30 so lange im Uterus fest zu halten, bis wir die schafmaBigen Vor- 
'stellungen des Fotus von seiner Zukunft durchgegangen haben. 
Wie gesagt, ich hatte da andere Hoffnungen, namlich die al- 
lergroBten vom Erdleben. Und warum nicht? - Ein Fotus wie 
ich oder der Leser - im einzigen gesunden warmen Klima ohne 
Wechsel der Jahr- und der Tag-Zeit wohnend - ernahrt wie ein 
Dorfbettler von seinem Wohnorte - Teil an allem habend, was 



IOIO VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

seine Landesmutter genoB - im eigentlichen Sinne von Liebe 
umfaBt, mit seinem Herz und Gliick am fremden hangend und 
lebend wie dieses von seinem - dabei ohne alle Nahrungssorge, 
auBer etwan die, daB er zu dick wiirde, weil er ein solches indi- 
sches Vogelnest bewohnte und verzehrte als MuBteil, daB der 
nachherige Kindtaufschmaus nicht einmal als eine gute Henker- 

malzeit ausfiel , ein F6tus, der dergleichen bliihende Vor- 

lenze erfahrt, gerade im unbesonnensten und feurigsten Leben- 
alter (denn 1 5 Jahre spater regiert naturlich ruhiger kalter 
Verstand), der ist freilich nicht der Mann darnach, welcher von 10 
der kiinftigen Erden-Schererei sich etwas traumen laBt. Aber 
vollig schnappt er iiber und sieht umgekehrt die leere Erden- 
BaBgeige fiir einen Himmel an, wenn er gar iiber seinen geisti- 
gen Wachstum etwas vermuten will. Schon vor neun Monaten 
mit einigen Sinnen beschenkt, schlieBt er, was er vollends von 
kiinftigen 180 Monaten an Sinnen zu erben habe. Was hofft er 
nicht fiir Liebe von dem nahern Zusammenleben mit so viel tau- 
send Seelen, an sie durch ein geistigeres Band gekniipft, als die 
jetzige Nabelschnur ist! Was verspricht er sich nicht fiir Kennt- 
nisse von so unzahligen Predigten und Lehrstiihlen, Musensit- 20 
zen, Zeno's-Gangen und klassischen Boden, diese verglichen 
gegen seine jetzige dunkle delphische Hohle! - Ja ein solcher 
dummer Fotus (ich verhehle meine Jugendsiinden vor der Ge- 
burt nicht) folgert sogar, er miisse, wenn er schon als schwaches 
punctum saliens (Hiipfpunkt) seine billionenmal starkere Mutter 
in seiner Gewalt gehabt, drauBen noch groBstammiger als sie, 
in der Tat als Schwungbrett der Menschheit, als ein Mastbaum 

langer Staatschiffe dahinziehen. 

Nun, ob ich Mastbaum wurde, wird man messen, wenn ich 
erscheine! Denn endlich erschein' ich. Mit einem Worte, als ich 30 
fiihlte, von welchem Gewicht ich ware, namlich von sieben* 
Pfunden, betrieb ich viel ernstlicher die Sache - setzte vorher die 
notigsten Haare auf , um so halb und halb von Natur f risiert, we- 
nigstens nicht so scheitelkahl in die Welt zu laufen als kiinf tig aus 
ihr - ich machte mich mobil zum Welt-Feldzug - kurz ich 
driickte ab zum Konigs-Schusse meines Daseins . . . 



Himmel und Holle! Ich kam auf die Welt! und zwar auf die 
jetzige hiesige! 

Zum Teufel! Meinen Eltern wurde ein junger Vierneissel ge- 
schenkt! 

Etwa dreifiig oder vierzig Matrosen-Fliiche hintereinander 
(denn diese sollte mein entsetzliches Geschrei vorstellen, weil ich 
noch nichts von der Landes-Sprache der Erde innen hatte) stieB 
ich aus zum Exordium und Eintrittkompliment, sobald ich den 
hiibschen Erd-Siechkobel nur in die Augen bekam, vor wel- 

io chem ich so lange mit bliihenden Hoffnungen antichambriert 
hatte; - nachher gahnt' ich (wie jeder geborne Fotus) abscheulich 
lange uber das Erdboden-Leben; auchnoch setz* ich gelegentlich 
dieses Gahnen in groBern feinern Zirkeln fort, urn bei allem 
Schweigen doch offenherzig den Mund zu offnen und offen zu 
sein. 

»So, ihr Erwachsenen?« (dies wollten ungefahr meine Frag- 
Gedanken sagen) - und auf diese Fege-Feuer-Land seh' ich mich 
nach neun Honigmonaten ausgesetzt und wie ein junger Hund 
sofort mit einem den Fotibus ganz fremden Elemente ersauft, 

20 das ihr eure Luft benennt? - Die Mutter wird freilich entbunden, 
aber wie wird ein kleines Vierneisselchen eingebunden und in 
rauhe Kissen-Schollen eingesargt, und der Prophet Jonas wird 
ins Luftmeer geworfen, um das Schiff zu retten?« - Ohne weite- 
res driickte ich mir, aus Instinkt und ohne einen genossenen Bis- 
sen und tropfen der Tolpelerde, Maul und Augen zu, vielleicht 
zum Selbstmord, um das kunftige Paradies, oder zum Einschlaf , 
um durch Traum das verlorne zu erobern. Ich wurde verflucht 
wild; ich konnte mir gar nicht denken - zumal da ich ohnehin 
nicht dachte -, daB ich, als ein gleich anfanglicher Wunderfotus, 

30 nichts weniger werden sollte als das Liibecker Wunderkind, 
Christian Heineken getauft, das schon im ersten Jahre mehr von 
der Bibel auswendig konnte, als andere Leute im letzten iibertre- 
ten oder vergessen haben. Man riB mir spater das Maul auf, um 
mir den Kredenzbecher des Lebens (sowie es der Abschied- und 
Nachtmahl-Kelch ist) zu reichen - das Arzneiglas, oder unsern 
ersten wie letzten Loffel - den Medizin-Loffel. 



IOI2 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

In einem Laxier- oder Kindersaftchen bracht* ich den ersten 
Toast oder die Gesundheit aufs Leben aus. 

Einige Tage darauf hatt' ich eine neue Promotion und dispu- 
tierte mich mit vielem Geschrei in der kalten Kirche zum 
Titularchristen Walther. 

Ich ware aber von Sinnen, fiihr' ich so fort, namlich nicht 

anders fort, da ja jeder, der es lieset, selber am Leben ist und 
f olglich dasselbe kennt und stiindlich weiter erlebt. Genug, jeder 
weiB von selber, daB meine Treibhaus-Existenz im Uterus nur, 
wie schnelles Steigen des Wetterglases, Unbestand und Regen- 
wetter bedeutete. - Aus den ausgezognen Fotusschuhen fuhr 
man in die Kinderschuhe. - Statt der obern Glieder wuchsen auf 
dem Erdboden (nach alien Zergliederern und nach Martini) 
mehr die untern bis ins 2ite Jahr. - 

Auch von innen wollte der Kopf nicht erheblich schwellen; 
Jahrlangen hat man zum Erobern von Wissenschaften, z. B. der 
Geburthiilfe, notig, die man nachher in einer Stunde iiber- 
schauen und iiberlaufen kann, wenn man will. - Vom sittlichen 
Wachsen vollends schame ich mich ordentlich nur zu sprechen, 
da es an dem sich immer krumm werfenden Menschenholze 
mehr als eine Eva's-Schlangenlinie gibt, die ich ebenso gut durch 
Schmerz und Erheben gerade ziehen und rektifizieren will als 
den Schwanz eines Hundes, wenn ich ihn daran emporhebe und 
wieder niederwerfe. Welcher Neun-Monats-Heiliger ist nicht 
jeder Leser-Fotus gewesen, als er im Uterus-Kloster ProfeB ge- 
tan und den Schleier genommen hatte! Hat wohl einer meiner 
Leser in dieser Fnihkirche Eheb niche, Einb ruche, Wortbruche 
begangen, oder da verleumdet, totgeschlagen, veschwendet? 
Fiel nicht alles erst vor, als er aus der Klausur getreten war in die 
freie Luft, wo, wie in der Amsterdamer, das reine helle Silber 
sofort schwarz anlauft? - Die starksten peinlichen Gericht- 
schranken eiserner Altargelander, Galeerenketten und FuB- 
blocke halten uns jetzo kaum zuriick und fest, wenn wir ins Ren- 
nen und Toben geraten, und sind nur schwachliche 
Kiistenbewahrer einer Unschuld, welche ein einziger Uterus 
ganz leicht bewacht. Welche ungeheure Mauern muB man nicht 



MUSEUM ' X IOI3 

monatlich von Predigtbiicherballen, Cansteinischen und Seiler- 
schen Bibelanstalten und lateinischen actis sanctorum auffiihren, 
gleichsam als Licht- und Ofenschirme gegen die Hollenf lam- 
men, damit wir Teufels-Fliegen nicht so lange diese immerna- 
her umschwirren, bis wir mit abgebrannten Flugeln hineinf al- 
ien! - Rabelais liefi seinen jungen Pantagruel an cinquante-deux 
manieres de se torcher le cul erfinden und angeben; eine bedeu- 
tende Zahl; aber welche Menge von geistigen Manieren oder 
von besondern Methoden, zu bekehren, muBte erfunden wer- 

10 den, welche Menge von Hirtenbriefen - von AblaB brief en - 
Beichtzetteln - Schmutztiteln von Predigtbiichern, um einen 
tragbaren und wandelnden Augias-Stall im Kleinen, einen Er- 
wachsenen von 5 FuB, zu reinigen! 

Nur erst in neuern Zeiten wird uns das Doppel-Leben, das wir 
zugleich fur den Himmel (aus Angst vor der Holle) und fur die 
Holle (aus Vorliebe fur die Sinnen-Himmel) leider zu fuhren ha- 
ben, weniger sauer gemacht, indem wir durch Philosophic und 
Poesie das sogenannte Irdische und das Himmlische jetzo sanfter 
trennen und besser ineinander verfloBen und vorzuglich der ir- 

20 dischen Lust und Siinde mehr himmlischen Anstrich von Starke, 
Charakter, Lebensfulle, Poesie und dergleichen erteilen, so daB, 
da der Unterschied, folglich das Opfer und die Angst kleiner ge- 
worden, es fast einerlei ist, was man tut, weil man immer zwei- 
erlei zugleich tut. Jener Doppel-Hase, 1 in Geutschens Garten bei 
Ulm gefangen - er kam nachher ins damalige konigliche Kabi- 
nett zu Chantilly durch den Grafen Hanau -, diese MiBgeburt 
setzt meinen Satz bildlich ins Klare. Beide Hasen waren so mit 
ihren Rucken ineinander eingewachsen, daB der eine Haupt und 
Laufe gegen den Himmel strecken muBte, wenn der andere, auf 

30 dem er lag, mit allem diesem iiber die Felder setzte und abfraB; 
und so umgekehrt, weil sie sich wechselseitig umkehrten; denn 
war der eine Hase des Laufens und der Atzung satt, so stiilpte 
er sich mit alien Vieren gegen den Himmel, und nun konnte auch 
der Ferien-Hase auf der Erde laufen und asen. Ein solcher Dop- 

1 Unterhaltungen aus der Naturgeschichte. Die Saugetiere B. I. 1792. 



1014 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

pelhase (mehr wollt' ich oben nicht sagen ohne Bild) ist nun der 
gute Jetzo-Mensch von Bildung: immer kehrt er vier Lauf e und 
zwei Loffel nach oben, urn seinen Wandel im Himmel zu fiihren, 
indes er mit den entgegenstehenden auf der Erde umhersetzt und 
satt wird. 

Wir kehren wieder in Mutterleib zuriick; ungeachtet dieser 
schonen Ahnlichkeit mit der Ulmer MiBgeburt bleibt man doch 
hienieden von entschiedenen Nichtswiirdigkeiten nicht ganz 
frei, die kein rechtlicher Heiliger gern an sich hat und sieht. Un- 
ser unten auf der Erde lauf ende Hase sammelt, wie der Riese An- 10 
taus, gegen den andern, im Ather wackelnden Hasen und Her- 
kules verdammte Krafte ein und iibertreibt es dann als 
Teufels-Vorlauf in Siinden aller Art. Aber was ist denn allein 
schuld? BloB die so unbesonnene Verlegung der Fotus-Residenz 
aus dem Uterus auf die Erde; sie erzeugt auffallend die Folgen, 
welche eine armache Verlegung der Residenz aus Rom nach 
Konstantinopel gehabt, namlich Verfall Roms (des Sitzes des 
heiligen Vaters) und seiner Herrschaft. 

Ich s telle mir lebhaft jetzo das Erstaunen vor, in welches ich 
die Welt dadurch setze, daB ich mich desohngeachtet auf die Ge- 20 
burthiilfe gelegt und auf die notigen Hulfswissenschaften dazu, 
wodurch alle zusammen auch eine Selberhulfwissenschaft wur- 
den. Aber die Welt soil hier hinter alles kommen. Die ersten Ju- 
gend- und vollends Fotus-Eindriicke haften; ich wollte fur die 
guten Welt- und Uterus-Burger, die nachher zu Erd- und Stadt- 
biirgern heruntersinken, vorher mehr tun, als fur mich niemand 
getan. »Denn warum soll«, fragt' ich niemand als mich, »doch 
ein so unschuldiges Wesen, insofern das Universum eigentlich 
die Stadt Gottes (civitas dei, nach Augustin) ist, und nur unsere 
Erde darin die Pariser rue des mauvais garcons - des mauvaises 30 
paroles - du pet-au-diable - de la cochonnerie - oder das Wiener 
Hundsfott-GaBchen vorstellt, warum soil ein armer unbekann- 
ter unbenannter Teufel von Fotus erst durch eine solche Hund- 
Gasse den Umweg nehmen nach einer herrlichen rue de Rous- 
seau, rue des deux anges, rue de la loi, Friedrich-StraBe, 
Markusplatz? LaBt sich nicht helfen?« 



MUSEUM * X 1015 

Wenigstens helf ' ich bei Gelegenheit als Geburthelfer und be- 
rufe mich auf Tatsachen. 

Es ist hier namlich bloB die groBe Frage, ob irgendein Fotus 
von Verstand, der auch nur den schlechtesten Geburthelfer ken- 
nen lernen, je Unzufriedenheit dariiber gezeigt, daB er von ei- 
nem solchen durch gute Geburtzangen - durch die geraden und 
diekrummen von Smellie, von Beers, von Saxtorph - wie durch 
Hebel und Springstab aus der guten warmen Welt ohne Weiteres 
uber unsere naBkalte in einer Minute hiniiber in jene beste geho- 

10 ben worden, der wir als unserem Vaterland und Kanaan 80 Jahre 
lang mit unsern sittlichen Silber- und Korkflotten zusteuern. 

Allerdings ist das verdienstliche Werk dabei nicht groB; denn 
die besten Werkzeuge dazu, samt den notigen Theorien, hat ein 
Geburthelfer, der sich zum Wiedergeburt-Helfer bilden will, ja 
frei und in der Hand, indes nur letzte in Eng- und Deutschland 
den Wehmiittern als Muttern des langen Erdenwehs verstattet 
wird. Der gute, der rechte Accoucheur (kein Wehvater) halt 
seine Geburt-Zange (es sei die krumme oder die gerade) und legt 
sie fur den Fotus, wie der Pariser Savoyardenjunge sein armlan- 

20 ges Briickchen iiber eine Gosse, so hin, daB der FuB- oder 
Kopf-Ganger ohne Weiteres iiber die Pfiitze des Erdenlebens 
hiniiber gelangt in die Jean-Jaques-Gasse oder in Voltaire 's Vier- 
tel im neuen Jerusalem. Und so zieht eine bloBe Zange mehr 
Seelen und reine Jungfraulein in den Himmel als selbst ein Pap- 
stes-Schlussel. Langt gleichwohl zuweilen die Zange oder Gabel 
nicht aus: so hat der Wiedergeburthelfer ja sein Impf- und Vorle- 
gemesser des Himmels bei sich, wo mit er das hohere Erbvor- 
schneideramt verwaltet, durch hiesiges Verkleinern der Geburt, 
welches durch den Geist iiberirdisches VergroBern wird. - Hier 

30 eben, bei dieser Wetterscheide auf dem Kreuzwege zweier W el- 
ten, muB der Geburthelfer zeigen, ob sein Kunst-Eisen eine ab- 
leitende Wetterstange der hiesigen Gewitter ist, und ob er Syn- 
these und Indifferenzierung der Geburt- und der Sterbelisten in 
Gewalt hat; oder ob er, erbarmhch genug, nur immer darauf 
losangelt, daB etwas soil getauft und folglich benannt werden 
(wiewohl noch dazu mit einem abgeborgten Namen); als ob es 



1016 VEKMISCHTE SCHRIFTEN I 

nicht hinreichend ware, daB ein Wesen existiert hatte, und nicht 
schon ware, daB es wie ein Wohltater oder wie ein durchreisen- 
der Fiirst anonym geblieben. Mehr als ein Heidenbekehrer 
prahlt mit bekehrten Christenseelen, die ihm kunftig mit Frau- 
enzimmer- und SpieB- und Treff-Dank fiir gerettetes Heil ent- 
gegenkommen; — ich schwacher Walther Yierneissel sehe mit 
hundert franzosischen Accoucheurs, ja noch mit mehren Weh- 
muttern, ahnlichen Danken fiir Rettung unbefleckter Empfang- 
nisentgegen. Hier ist kein KonigPharao und Herodes, diebeide 
etwas spater mit Wiedergeburt zu Hulfe kamen; - hier ist kein 10 
jetziger Konig von England, der kein Todesurteil unterschreir- 
ben konnte, weil er toll war, so daB die groBten Missetater so 
lange am Leben und in Ketten blieben, bis er wieder zu sich kam, 
und bis erst darauf die strangfahige Expektanten-Bank an den 
Galgen kam; sondern hier ist von Geburthelfern die Rede, wel- 
chen ein Britenkonig nur alsdann ahnlich wird, wenn er wieder 
bei Verstande ist und dadurch das Recht zuriickbekommt, kleine 
Hinrichtungen, ja die groBern des Kriegs, als ein Mitkampfer 
um das voile heilige Grab der Menschheit, zu unterzeichnen. Mit 
einem Worte, gute Geburthelfer iiberheben den noch unbefleck- 20 
ten Fotus des hiesigen Priifstandes und des tentamen und ex- 
amen rigorosum des Lebens ganz und gar und stellen ihn so- 
gleich auf seinem rechten hochsten Posten an, welcher nicht 
wohl anders als in der zweiten Welt sein kann. Denn diese sehen 
die Accoucheurs fiir eine verbesserte vermehrte Auflage der er- 
sten an, so daB z. B. die hiesige kurze Bratwurst dort aufersteht 
als eine Konigsberger 596 Ellen lange, 1 434 Pfund schwere und 
Anno 1583 aus 33 Schinkengemachte Wurst. So geben sie schon 
unter der Geburt dem Fotus voll Uterus-Ideale die beste Welt, 
anstatt unserer desperaten, sogleich in die Hand, so wie sonst 30 
deutsche Personen Wielands goldenen Spiegel oder Lichten- 
bergs Taschenbuch sogleich in der freien franzosischen Oberset- 
zung oder Verklarung lasen, ohne das rohe deutsche Urbild nur 
vorher anzusehen . . . 

1 In Wagenseils Unterricht fur einen Prinzen, woraus wieder Lich- 
tenberg die Sache gezogen. 



MUSEUM ■ XI 1017 

Ich beschliefie den Aufsatz und, wie ich hoffe, kiinftig auch 
das Leben, ein wahres Todsiindenleben. MuB ich nicht, wenn 
ich als rechtschaffener Mann leben will, so manchem kiinftigen 
Gaudieb und seiner Gaudiebin meine Hand leihen, damit sie ge- 
boren werden und dann wieder fur den Himmel Froschquappen 
von verklarten Fotussen erzeugen? - Zum Gliick bricht mir ein 
Abend nach dem andern am Leben, wie Raucher im Klub an ei- 
ner hollandischen Pfeife, ein ansteckendes Stiickchen ab; fahrt 
dies (wie gewiB zu hoffen) so fort: so werd' ich aus dem Pfeifen- 
10 Stummel endlich ganz Pfeifen-Kopf (so wie ich als Embryo 
nichts als Kopf gewesen); und so will ich mich denn jetzo mit 
schnellern Schritten als sonst meiner eigenen Wiedergeburt na- 
hern, indem ich taglich mehr durch die Jahre zu jenem Zwecke 
im Kinde reise, von welchem zum zweiten Fotus und Uterus 
keine Sarglange mehr weit sein kann. Dann aber mufke der Teu- 
fel sein Spiel von neuem treiben, wenn ich dort doch wieder 
nichts wiirde als ein Mensch und Geburthelfer, Namens 

Walther Vierneissel, 
^ Accoucheur loci 



20 XL 

Blicke in die Traumwelt 

§1 

Irrige Erklarungen der Traume 

Wenn der Traum zuweilen das Wachen auslegt, ja weissagt, so 
sollte dieses noch leichter jenen zu erklaren und zu erhellen ver- 
mogen; aber leider ist die ganze Traum welt in eine Dammerung 
eingebauet, durch welche das vom Tage geblendete Auge nicht 
in sie hineinschauen kann. Seltsam genug ists, daB den Men- 
schen gerade die Halfte seines Lebens, wie die der Mondkugel, 
30 abgekehrt und zugedeckt begleitet. 

Aber wie sollten wir defer in die Natur der Traume blicken, 
da jeder nur seine eigenen prophetischen kennt und untersucht! 



I0l8 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Wiirde uns nicht ein anderes physiologisches und psychologi- 
sches Licht dariiber brennen, wenn wir mehre Arten von Trau- 
men, die der Kinder, der Jiinglinge, der Greise, der Geschlech- 
ter, der Menschenarten, zu vergleichen bekamen? Wahrlich 
mancher Kopf wiirde uns mehr mit seinen Traumen als mit sei- 
nem Denken belehren, mancher Dichter mehr mit seinen wirk- 
lichen Traumen als mit seinen gedichteten ergotzen, so wie der 
seichteste Kopf, sobald er in eine Irrenanstalt gebracht ist, eine 
Prophetenschule fur den Weltweisen sein kann. 

Was jedoch am meisten der rechten Erklarung des Traums im 10 
Wege stand, war eine schonalte. Namlichnach den Seelenlehren 
(nach Platner u. a.) ist der Traum eine Reihe von bloBen Vor- 
stellungen unter welchen die sinnlichen uns darum nicht als Ab- 
bilder, sondern als Urbilder der auBeren Gegenstande erscheinen 
konnen, weil sie, in dem von der Sinnensperre ausgeleerten 
Raume als die einzigen dastehend, keine wahren auBern Gegen- 
stande und kein auBeres Ort- und Zeitverhaltnis zum Verglei- 
chen antreffen und in dieser Sinnennacht, unverdunkelt, sich 
selber erleuchten. 

Schon vor Jahren 1 macht' ich gegen dieses Unerklaren Ein- 20 

1 S. Jean Pauls Briefe und bevorstehenden Lebenslauf S. 128; 
»Warum kann denn die mit der Sperre der Sinne eintretende Vergessen- 
heit der ortlichen und zeitlichen Verhaltnisse uns im Traume die Ver- 
nunft und das BewuBtsein rauben, welche beide uns dieselbe Vergessen- 
heit im tiefen Denken und Dichten lasset? Der Traum bringt uns noch 
dazu andere Zeiten und Orter, obwohl irrige, und also immer die Bedin- 
gungen des personlichen Bewufitseins mit. 

Auch die Suspension der Empfindungen ist keine psychologische Ur- 
sache des raubenden Traums. Man binde mir Augen, Ohren, Mund und 
Nase zu und lasse mir nicht mehr Empfindung, als die Fuftsohlen her- 30 
aufschicken, worauf ich stehe: buB' ich darum Gedachtnis und BewuBt- 
sein ein? Wird nicht vielmehr der Lichtmagnet des BewuBtseins in die- 
sem Dunkel desto heller funkeln? - Auch das Babel und die lebendige 
Polterkammer des Traums losen wenig auf, da ich, gesetzt ich wiirde 
von der ganzen Erde wie von einem durcheinander fliegenden Schutt- 
haufen eingebauet, zwar schaudern, aber doch nicht selbstvergessen 
traumen konnen. « - Obrigens verweis' ich auf jenen meinen fruhern 



MUSEUM -XI 1019 

wendungen; jetzo kann ich sie in eine einzige sieghafte durch den 
Beweis vereinigen, daB wir eine ganze Klasse unserer Vorstel- 
lungen, wenn nicht zu bemerken, doch scharf zu bezeichnen und 
abzusondern vergessen haben. Denn man erwage nur die ein- 
fache Tatsache: im Traume halt' ich mit einem vor mir da ste- 
henden Menschen, der nach der gewohnlichen Traum-Erkla- 
rung nichts ist als eine Vorstellung, ein Gesprach iiber einen 
abwesenden Menschen, welcher noch mehr gleichfalls nur eine 
Vorstellung ist; was bringt nun in beide Vorstellungen den Un- 

10 . terschied der Sichtbarkeit und der Abwesenheit, den Unter- 
schied der Einwirkung des gegenwartigen Mannes und der Un- 
wirksamkeit des abwesenden? Der Raum, in welchen man die 
gegenwartige Person hineintraumt, erklart nichts; denn die ab- 
wesende wird auch in einem, obwohl entfernten vorgestellt. - 
Oder: da der Traumer Vergangenheit und Zukunft scharf von 
Gegenwart, wie der Wache, auseinanderhalt: wodurch tut ers 
denn, wenn alles nur Vorstellen ist, da dieses, als solches, in der 
Abgeschiedenheit von auBern Merkmalen nur reine Gegenwart 
ist? Warum und woran unterscheiden wir im Traume getraumte 

20 Erinnerungen von getraumter Wirklichkeit? - So vernehm' ich 
ferner im Traume die fremden Worte, meine eigenen und doch 
auch meine Vorstellungen, welche meinen lauten Worten erzeu- 
gend vorangehen mussen, und welche ich von diesen doch durch 
etwas unterscheiden muB. Endlich mit welcher Lebhaftigkeit 
sucht und folglich denkt der Traumer zuweilen einen Gegen- 
stand, ohne ihn gleichwohl zu finden! - Nach der alten Erkla- 
rung hieBe dies: wie lebhaft stellt man sich oft einen Gegenstand 
vor, ohne ihn doch sich lebhaft vorstellen zu konnen! 

Aber es gibt eben nach den Empfindungen und den Vorstel- 

30 .lungen noch ein Drittes. 



Aufsatz iiber den Traum in Rucksicht aller Punkte, die ich in diesem spa- 
tern unberiihrt gelassen. 



1020 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

§2. 

Unterschied der Empfindbilder von den Vorstellbildern 

Unter einem Gegenstande und unter der Empfindung desselben 
ist fur uns kein Unterschied; denn was sonst als wieder eine neue 
Empfindung konnte eine alte von dem Gegenstande absondern? 
was aber nur hieBe, Empfindung nicht dem Gegenstande, son- 
dern nur der Empfindung entgegensetzen. - Von diesen Emp- 
findungen bleiben nun dem Geiste zwei sehr verschiedene Bilder 
(nicht Nachbilder), erstlich die Vorstellungen davon, die man 
auch Vorstellbilder nennen kann, und die. Traumbilder, die ich 10 
lieber Empfindbilder nenne. 

Die Vorstellungen sind aber mit ihrer Diirftigkeit der Farbe 
und des Umrisses in Vergleichung mit den Empfindbildern 
noch gar nicht tief genug herunter gestellt. Stelle dir irgendeinen 
alten Bekannten vor: wie flieBet das Bild ohne Innenhalten. auf 
und ab, ohne klare Farbe, ohne abgeschnittenen UmriB, kurz, 
wie ist es, gegen das Spiegelbild des Traums, nicht etwan ein fe- 
ster Kupferstich, sondern ein durchsich tiger SchattenriB, ein 
wallends Bild im bewegten Wasser! Ist dagegen nicht das Emp- 
findbild von demselben Freund im Traume ein wahres, in alien 20 
Teilen festes und reines Wachsbild? SchlieBe doch der Leser jetzo 
vor der eben ihm vorliegenden Blattseite das Auge, und be- 
tracht' er das matte Bild, das er von ihr nachsticht im Kopfe; oder 
er stelle sich hinter dem Augenlide die Landschaft um seinen 
Wohnort vor: welches Schattengewimmel zerrinnender, farblo- 
ser, durchsichtiger, schwankender Gestalten in Vergleich mit 
der festen lichten Wrklichkeit und der farbigen Traumwelt! 
Gleichwohl war bisher nur vom klarsten Sinne, dem Auge, die 
Rede. Je defer aber die Sinne einsteigen, desto dunkler werden 
sie nachgespiegelt. Mache dir die Vorstellung von nur einem 30 
Tone, nicht einmal einer Tonreihe, wenn du kein Tonkiinstler 
bist; und siehe dann zu oder hore zu, ob du dir nicht den Ton 
bloB im fernsten Pianissimo und am Ende bloB durch optische 
Umgebung, ja Verwechslung erneuerst. Diese stummen Vor- 



MUSEUM - XI 1 02 1 

stellbilder 1 der Tone vergleiche dann mit den leisen Empf indbil- 
dern derselben, welche dir aus einer langen Musiknacht bis.auf 
das Kopfkissen, ja bis in den miidenMorgen hinein, nachfliegen: 
welcher Unterschied! 

Endlich weiter hinab in der Tierklasse der Sinne, in den Gerii- 
chen, Geschmacken, Gefiihlen, stellen die Vorstellbilder davon 
so wenig Entschiedenes und so viel Verschwommenes dar, daB 
sogar zwischen Entgegensetzungen, zwischen Wohl- und 
Schlechtgeruchen, salzigen und lieblichen Geschmacken und 
10 heiBen und frostigen Gefiihlen kaum ein Unterschied kraftig 
vortritt, geschweige zwischen den Abstufungen der namlichen 
Reihe. 

Und dies ist eben recht gut. Denn wie wurden die Schwelger 
der Zunge und des Gefuhls, tief von den Weiden der Herden 
herabgesunken, in Siimpfen grasen, wenn sie ihre Geniisse mit 
starkerem Nachgeschmacke wiederkauen und die Pausen der 
auBern Wolliiste mit innern fiillen konnten; zum Gliicke war- 
men, auBer den Vorstellungen, sogar die Traum- und Empfind- 
bilder jene tief ere Sinnen kalter auf; ein getraumter Geruch, Ge- 
20 schmack, Schlag, Reiz, wie neblich und leer bleiben sie, wenn 
nicht ein korperlicher AuBenstrahl selber in den kalten Nebel 
ziickt und blitzt! 

Weniger groB erscheint der Unterschied, daB die Vorstellung 
ihren sinnlichen Gegenstand in einer unbestimmten dunkeln 
Feme ohne bestimmte Raum-Ausfiillung sieht, indes die Emp- 
findbilder des Traums in der Nahe r in scharf ausgedriickter 
Nachbarschaft und in vollendet-ausgefuhrtem Umkreise daste- 
hen. Vor dem Einschlafen hangt jedes Empfindbild dicht vor 
dir; jetzo im Wachen stelle dir die nachste Sache vor, sie wird 

30 1 Man wird es mir leicht vergeben, daB ich unter Vorstell- und unter 
Empiind-Bildern auch die Erneuerung der iibrigen Sinnen begreife, also 
unter Bildern auch Nach-oder Wiederklange, Wiedergeriiche, Wieder- 
geschmacke, Wiedergefiihle; denn aus dem weiten milden Reiche des 
Auges, worin die Gegenwart ohne Aussetzen spielt und gibt und sich 
aufdrangt, wurde ja bisher das Worterbuch des Geistes als ein Idiotikon 
der Menschheit abgeholt. 



1022 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

wie von einem Hohlspiegel weit ins Tiefe entriickt und einsam 
aus dem Finstern gespiegelt. Audi verkiirzt oder wenigstens 
durchlauft nur die Vorstellung sinnliche Gebirgketten, die der 
Traum in einem Halbzirkel umher bauet; welcher Unterschied 
zwischen einer gelesenen, vorgestellten oder erinnerten Land- 
schaft und zwischen einer getraumten! und zwar so sehr, da6 
wieder die Vorstellung von einer getraumten nicht viel farbloser 
ausfallt als die von einer durch wanderten. 

Nirgend erscheint aber so sehr, wie weit Vorstellbilder aus- 
einander gehen von Empfindbildern, als im Dichter . Wie farben, 
erhellen, gestalten sich ihm mitten im treibenden und anleuch- 
tenden Feuer aller Krafte nicht alle Vorstellbilder von Menschen 
und Lands chaft en, und zwar ihm gewiB noch farbiger und ge- 
riindeter als seinen Lesern! Aber wird ihm oder diesen je sein le- 
bendigstes Vorstellbild zu einem vor ihm schwebenden Emp- 
findbilde, sein Bilderkabinett der Phantasie zu einem Wachsfigu- 
renkabinett des Traums? Und haben seine in einem fernen 
Mondscheine liegenden Lands chaf ten das frische Saftgriin und 
die plastische Breite und Lange getraumter Landschaften? - 

Noch weniger erhalten wir Leser durch die allmahlich zusam- 
menlotende Wortermusaik des Dichters eine dichte Anschau- 
ung; wir glauben durch ihn die Gegenstande zu empfangen und 
zu schauen, indem er uns bios die Empfindungen zu genieBen 
gibt, welche ihnen folgen. Die Atherwelt des Dichters muB sich 
erst verdichten zur Wolkenwelt des Traums; in jener sind wir 
Schopfer, in dieser Bewohner; jene schwebt uns als feme Ver- 
gangenheit und Zukunft hoch oben, diese umflieBt uns mit Ge- 
genwart. 

Wenn Raff ael in einem bekannten Briefe eine Idee fur die Juno 
und Eva oder Gotter- und Menschenmutter seiner hohen Ge- 
stalten erklart: so kann er damit nicht eine flache zusammenge- 
bettelte oder auch dichterische Vorstellung gerrieint haben; denn 
aus bloBen Gliedern der Schonheit bauet man keine Ideale, weil 
man schon das vollendete Urbild gesehen haben muB, nach wel- 
chem man die entlehnten Glieder zusammenfugt zu einem 
Nachbilde. Aber diese urbildliche Schonheit hat eben der Got- 



MUSEUM * XI 1023 

terjiingling einmal - mehr braucht es nicht - wirklich gesehen, 
namlich als ein Empfindbild, es sein in einem Traume, oder vor 
dem Einschlafen, oder in irgendeiner andern Rauschminute, 
welche, wie wir im nachsten Paragraphen sehen werden, die 
verschiedenen Empfindbilder blitzend schafft und zeugt; von 
diesem Empfindbilde behielt Raff a el nun, wie wir aus unsern 
Traumen, die Vorstellung oder das Vorstellbild, und aus dem 
SchattenriB dieses Polyklet-Kanons suchte er das Gotterbild 
wieder herzustellen. Sogar der Verfasser dieses, dessen Anlagen 

10 und Triebe am weitesten von alien malerischen abliegen, wurde 
oft in Traumen von Gesichtern und besonders von Augen ange- 
schauet, deren Himmelreize er nie auf dem tiefen Erdboden der 
Wirklichkeit gesehen, und von welchen ihm nun das Vorstell- 
bild fest bleibt. 

Der Traum schafft, so wie im GraBlichen, so im Schonen, 
weit uber die Erfahrungen, ja uber die Zusammensetzungen 
derselben hinaus und gebiert uns Himmel, Holle und Erde zu- 
gleich. 

Der tiefe Stand auch der lebhaftesten Vorstellungen unter 

20 auch nur gewohnlichen Empfindbildern zeigt sich uns in den 
immer wachen Wahnsinnigen, vor welchen ihre f ortbrennenden 
Wahngedanken sich niemal zu Traum- oder zu AuBenbildern 
verdichten. Ja die qualende oder sehnsuchtige Vorstellung von 
einem Verstorbenen stellt doch dem Furchtsamen oder dem 
Weinenden kein Empfindbild von ihm in das AuBen. 

Der letzte Unterschied zwischen Vorstellung und Empfind- 
bild ist der, daB du zwar nach Willkur eine bestimmte Reihe 
Vorstellungen kannst voriiberziehen heiBen, daB du aber nicht 
vermagst, das Aufsteigen bestimmter Empfindbilder aus dem 

30 dunkeln Geister-Abgrunde zu befehlen oder zu verwehren, und 
daB du hochstens in gewissen korperlichen Begiinstigungen, bei 
langer Schlafentziehung oder bei Erhitzung durch Trunkenheit 
und Fieber, im Stande bist, Gestalten, aber unbekannte, vor dir 
emporfahren zu lassen, von welchen du nicht weiBt, ob sie dich 
erschrecken oder erfreuen werden. 

Noch sind wir nicht am Ende; denn wir haben vorher die Stu- 



1024 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 



fenfolge der'Empfindbilder zu verfolgen, urn dann die Erkla- 
rung ihrer und der Traume zu gewinnen. 



§3 

Stufenreihe der Empfindbilder 

Man kann drei Arten dieser Empfindbilder aufzahlen, wo von 
die beiden starkern in das Wachen fallen. Zuerst treten kraftig 
mitten in die helle Gegenwart mit festen Farben die Fieberbilder 
auf ; ferner die Gestalten, welche um Nikolai und andere gaukel- 
ten; endlich das Selbersehen und das Sehen abwesender 
Freunde. 1 Cardanus versicherte, er konne im Finstern sich Men- 10 
schen hinspiegeln, welche er wolle, so wie er immer einen Mond 
am Taghimmel zu sehen behauptete. 

Da bekanntlich alle diese Gestalten nicht von auBen durch die 
Sehnerven kommen, nicht einmal durch einen Augapfeldruck 
derselben - denn diese Mechanik konnte wohl Funken und Far- 
ben, aber nicht bestimmte Bilder malen und riinden -; und da 
hinterder Netzhautkein Licht steht und wirkt: so kann bloB das 
Gehirn, als Organon aller Organe (wovon spater), diese Emp- 
findbilder gestalten, und zwar mit einer solchen Gewalt, daB 
dasselbe mit seinen von innen kommenden Gesichten die Netz- 20 
haut der Sehnerven gegen die von auBen kommenden entkraftet 
und sperrt; denn der Wahnmensch, den wir vor uns sehen, muB 
doch, umzu erscheinen, den Raum einnehmen und iiberdecken, 
aus welchem sonst wahre Strahlen und Gestalten zu uns kom- 
men wiirden. Diese umkehrende oder aufhebende Ruck- 
wirkung des Gehirns auf die Sehnerven ist iibrigens von einer 

1 Z. B. ein verstorbener Jugendfreund von mir sah seine dreiBig Mei- 
len entfernte Mutter an seinem Klaviere sitzen, iibrigens ohne nachfol- 
gende Bedeutung. So sah ich oft bei schnellem Er wachen Wahn-Men- 
schen neben mir; einmal nach dem Aufstehen im Nachthimmel eine 30 
groBe Wahn-Morgen- oder Feuerrote. Bei der Riickkehr von einer FuB- 
reise sah ich einmal einen kindlichen Madchenkopf aus meinem Fenster 
herabschauen; aber im ganzen Hause war kein Kind gewesen. 



MUSEUM ■ XI 1025 

groBeren physiologischen Wichtigkeit und Dunkelheit, als man 
bisher gedacht, und die umgekehrte Bewegung des Magens zum 
Erbrechen ist leichter erklart. Das Auge wird nicht ubertaubt, 
geblendet, blind gemacht, sondern es sieht wirklich, aber das In- 
nen statt das AuBen, und jenes Innen mitten im AuBen, ja letztes 
selber mit, aber als Einfassung und Umgebung, nur eben ausge- 
nommen die einzelne daraus vernichtete und ausgeloschte Stelle. 
So sah jener Mann, nach Bonnet, 1 wachend um sich Gebaude 
und Vogel entstehen und immer hoher steigen und auf den 
10 wirklichen Tapeten scheinbare Gemalde hervortreten. 

Obrigens ist es am wenigsten ein Wunder, daB die Gehirn- 
oder Empfindbilder wie von einem Hohlspiegel in die AuBen- 
welt geworfen erscheinen; denn diese optische AuBenwelt, 
d. h. die Gesichtwelt selber, wird bloB von den Sehnerven 
in den Gehirnkammern aufgebauet und ausgewolbt. 

Die zweite Art Empfindbilder sind die, welche nicht in die Ta- 
ges-Wirklichkeit sich drangen und mit den Farben der Gegen- 
wart zu streiten haben, sondern welche dem zwar geschloBnen, 
aber wachen Auge kurz vor dem Einschlafen oder in Erhitzungen 
20 und Ermattungen und am starksten in schlaf trunknen und schlaf- 
durstigen Nachten vorgaukeln. Zu den letzten braucht man 
nichts als einen sachsischen Postwagen samt dem Wege dazu, 
um hinter den fruchtlos, schlaf los zufallenden Augen und bei 
den von Martern offengehaltenen Ohren und Gefiihlen feste, fur 
sich bestehende Ges taken, d. h. Schaubilder, wild und unbe- 
zwinglich heran und voriiber schweifen zu sehen. - Auch in den 
ruhigern gewohnlichen Schlaf geht man durch diese kurze Bil- 
dergalerie ein, so wie wieder aus ihm durch eine langere. 

- Und hier betreten wir das Gauklerreich des Traums, wo die 
30 Empfindbilder gewohnlich einsam auf ihrer Buhne, ohne ein 
durch die Kulissen einfallendes Taglicht auBerer Empfindungen, 
spielen. 

Eh' wir uns weiter den Quellen des Traums nahern, wollen 
wir uns noch erinnern, daB unter den Empfindbildern nicht bloB 

1 Essai analytique de Tame. 



1026 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

die des Auges, sondern auch des Ohres beschrieben und verstan- 
den worden. Nur einiger Unterschied macht die besondere Er- 
wahnung notig: Allerdings ist das Horbild (das Geschopf des 
Gehirns) schwieriger von der Horempfindung (der Tochter des 
Nerven) zu scheiden, da der Ton an keinem bestimmten Orte, 
sondern aus einer unsichtbaren unberechneten Feme erscheint, 
so daB, wenn von einer sich entfernenden Musik immer leisere 
Tone zu uns zittern, wir die leisesten, also die fernsten nicht 
mehr von unsern innern, also nachsten scheiden konnen. Das 
Ohr ist iiberhaupt die Tiefe der Seele, und das Gesicht nur ihre 10 
Flache; der Klang spricht die tief verborgne Ordnung unsers In- 
nern an und verdichtet den Geist; das Sehen zerstreut und zerlegt 
ihn auf Flachen. 

Ubrigens sind Empfindbilder des Ohres so wenig mit kurzen 
Nachklangen, mit Ohrenbrausen oder mit jenen plotzlichen 
Knallen im Halbschlafe, welche im vielhallenden Ohrgebaude 
ein einziger wilderer Pulsschlag an die Nerven erzeugt, zu ver- 
wechseln als mit Empfindbildern des Auges die Funken und 
Flocken, die ein kleiner Wasseraderndruck hervortreibt. 1 Denn 
Tone (wie Ges taken) konnen in regelmaBiger Form und Folge 20 
nicht vom rohen mechanischen Blutdruck auf die Nerven, der 
nur Unbestimmtes von Klang (wie von Farbe und Feuer) anregt 
und behalt, geliefert und geschaffen werden, sondern es kann da, 
wo wir z. B. in einer langen, durch die Fruhnacht und den Mor- 
gen nachtonenden Nachtmusik oder in dem seltsamen Glocken- 
spiele von Wahnmelodien, welche zuweilen nervenschwache 
Madchen im Wachen horen - oder sogar in den Wahngespra- 
chen, welche der Fieberkranke um sich her vernimmt - (kaum 
zu gedenken der Stubenvogel, welche nach Bechstein im 
Traume ihre langen Lieder absingen) - es kann also da, wo ein 30 
Nachhall der Regel die Reihe ordnet, derselbe nicht im leidenden 

1 Gleichwohl ware bei dem Vorflattern der Spinnweben, Funken 
u. s. w. wenigstens zu fragen, ob nicht hinter einem ganz gesunden 
Augapfel zuweilen bloG das Gehirn jene so gut in die Luft hinspiele, als 
dasselbe mit ganzen farbigen Gestalten bei Nikolai u. a. ungeachtet der 
besten Augen tat. 



MUSEUM ■ XI 1027 

und aufnehmenden, nie behaltenden Nerven zu suchen sein, 
sondernim Gehirne, das allein, z. B. als Gedachtnis, die schwie- 
rigern langern Befehle des Geistes bewahrt und vollzieht. 

AuBerhalb des Traums kommen uns Empfindbilder ofter von 
Tonen als von Reden und Schallen vor; nach einer Musiknacht 
kann die bewegte Seele sich willkiirlich die Melodien, aber nicht 
die Gesprache wiederklingen lassen; denn wie sehr der Musik- 
ton, die Poesie des Klanges, so tief mehr in uns als um uns zu 
spielen und unter alien Empfindungen von uns mehr geschaffen 

10 als empfangen zu werden scheint, beweiset die schon angefuhrte 
Erfahrung, daB wir an einem Singen und Floten, das in immer 
weitere Ferae verflieBt, gerade mit dem gespanntesten Ohre die 
letzten aussterbenden Tone von AuBen nicht von den nachster- 
benden von Innen sondern konnen. 

Selten treten ins Wachen Empfindbilder des Auges und des 

Ohres zugleich hinein; die meisten Gespenster-Erscheinungen 

sind ohne Stimme und die Gespenster-Klange ohne Gestalt. Nur 

. Swedenborg sah und horte zugleich die Empfindbilder in der lich- 

ten Gegenwart um sich, welche sonst im Dunkel des Traums 

20 ohne unser Verwundern so erscheinen und so sprechen, wie wir 
es veranstalten. Seine Erscheinungen enthalten zwei Eigenheiten 
mehr als die Nikolaischen und andere, namlich ihrebestimmten 
Reden und ihre ewige Wiederkehr bei volliger Ruhe der Ge- 
sundheit. Beides aber hat auch der Traum; und vor Ruhigen an 
Leib und Seele sind, wie schon bemerkt- wprden, ofter innere 
Gestalten auBen aufgesprungen als vor Furchtsamen. 

Die Empfindbilder des Fuhlsinnes sind, seltsam genug, Schein 
und Wahrheit zugleich. Wenn namlich, wie die medizinische 
Geschichte Beispiele liefert, auf den Hautstellen durch bloBe 

30 scharf dahin gerichtete Gedanken von Verletzungen diese wirk- 
lich entstanden: so konnten nicht die Gefuhlnerven einen Stoff 
zur Empfindung riickwarts aus dem Gehirne abholen, um die- 
sem eine wieder zuzufuhren, sondern das Empfindbild entstand 
und blieb im Gehirne, und alles Obrige ist allgemeine Nerven- 
folge, woran freilich endlich auch die Gefuhlnerven Anteil neh- 
men. 



1028 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

§4 

Vber den Schlaf als negative und positive Starkung 

Der Schlaf ist schwerer zu erklaren als der Traum. Ich hab' es 
frtiher bewiesen, a als ich es in Walthers Physiologie wieder fand, 
daB der Schlaf nicht sowohl das Starkbad des ganzen Korpers 
oder auch der Muskeln - denn die unwillkurlichen arbeiten fort, 
und die willkiirlichen erholen sich von der Ermiidung schon 
durch waches Ruhen -, sondern die Erfrischung des Gehirns ist, 
insofern es in geistigem Dienste steht. Ich sage nicht in korperli- 
chem; denn die Gehirnkugel im korperlichen, als nahrende Sup- 10 
penkugel des Riickenmarkes und aller forttatigen Nerven des- 
selben, muB ihnen ja wahrend ihrer Arbeit im Schlafe mit seinem 
beseelenden Hauche beistehen. 

Keinem Korperteile aber ist die Wiedergeburt der Krafte un- 
entbehrlicher als dem Gehirne selber, das nicht bloB als der 
geistige Koch und Arzt aller Nerven und also aller Glieder dient, 
zugleich als Einnehmer und Ausgeber, sondern auch der nachste 
und einzige Diener am Throne des Geistes ist; der unaufhorliche 
Mittler zwischen ihm und den Sinnennerven und der leibliche 
Mitarbeiter an den unausgesetzten willkiirlichen Arbeiten des 20 
Ich. Wovon soil nun das Gehirn leben? Etwa von dem soge- 
nannten Nervengeiste, den es, als den iiber den Wassern schwe- 
benden Geist, aus dem ausstromenden Blute abscheidet und auf- 
saugt, um mit ihm die Nerven zu tranken? - Aber so gehort 
wenigstens zu dieser Abscheidung und Verarbeitung der fein- 
sten Fliissigkeit, die wir nur (und kaum) kennen, eine noch ho- 
here Kraft, welche duch ihrer Erganzung bedarf. 

Beschauen wir daher zwei Vorzeichen und Mitzeichen des 
Schlafs, um in ihm die doppelte, die negative und die positive 
Starkung des Gehirns zu entdecken. 30 

Die negative Starkung quillt aus dem freiwilligen Innehalten 
der geistigen Anspannung und folglich der mitziehenden zere- 
bralen (hirnigen). Nur der Geist hat die Kraft, plotzlich seine 

1 Hesperus 4. Heft. Zweite Auflage. S. 21 etc. 



MUSEUM • XI I029 

Kraft aufzuhalten und aufzuschieben, so wie auch aufzurufen - 
Der Mensch, der einzuschlafen sich entschlieBt, sagt zu sich: ich 
will jetzo weder Gedanken mehr fortbilden, noch Empfindun- 
gen anschauen, sondern mich und meinen entwaffneten geisti- 
gen Arm ganz dem weltlichen des Korpers (iberlassen. Eigent- 
lich aber entscheidet mehr das freiwillige Abwenden vom 
Denken hier als vom Empfinden. Denn im Finstern und Stum- 
men und in dem Leerraum aller Sinne (auch des Gefuhls, das bei 
einer Fortdauer ohne Wechsel keines mehr bleibt) wurde sich der 

10 Geist, ohne den EntschluB zu eignen Denk-Pausen, doch noch 
wach erhalten, so wie er mitten im Sinnentreiben sich durch das 
wunderbare Innehalten seiner Gedankenjagd einzuschlafern 
vermochte. 

Es wird gar nicht genug betrachtet, daB unser EntschluB, die 
Vorstellungen nicht zu reihen und mithin zu schaffen - wahrend 
das EntschlieBen und also das Vorstellen fortdauert -, eine ganz 
andere Reihe von Vorstellungen einlaBt, an welcher wir mitwir- 
ken, aber mehr empfangend als bestimmend; jene erste und das 
mithelfende Gehirn beherrscht und richtet der Geist nach einem 

20 Punkte; diese zweite ist die von den Gehirnkammern unter kor- 
perlichen Zufalligkeiten und falschen Lichtern verworren ge- 
spiegelte erste geistigere. 

Wurde das tagliche Nachtstiick unseres Lebens, der Schlaf, 
eben nicht taglich erneuert: so wurde uns dieser fliichtige Dop- 
pelselbermord des Leibes und Geistes (mitten in allem Kraftblii- 
hen beider) bloB durch ein kurzes Wollen als Wunder erscheinen. 
Die Allmacht des Willens erscheint vielleicht nicht starker, wenn 
er dem schwachen Korper Riesenstarke gibt, als wenn er durch 
seine Selber-Abspannung den star ken zum Schlaf e entkraftet 

30 und betaubt. 

Ist es unbedeutend, daB ein bloBes Wollen oder ein Gehenlas- 
sen die Sinne allmahlich erstickt und ertrankt und die gesiinde- 
sten Augen und Ohren zu wahren blinden und tauben Scheinlei- 
chen macht? Denn beweiset dieses nicht, daB der Sinn iriiher 
vom Geiste Leben empfangen muB, eh' er ihm anderes bringen 
kann? - Die Sinne werden durch Einschlafen nicht von AuBen 



1030 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

geschlossen (Ohr, Nase, Zunge und Fiihlhaut haben keine Dek- 
kel wie das Augenlid) , sondern von Innen im Gehirne; - den ent- 
bloBten Augapfel des Nachtwandlers reizt kein Licht; den mag- 
netischen Schlafer reizt bei seinen bedeckten Sinnen keine andere 
Gegenwart als die vom Magnetiseur vermittelte. Das Aufschla- 
gen der Augenlider bedingt nicht an sich das empfindende Er- 
wachen - andere Sinnen haben ja gar keinen Sinnendeckel aufzu- 
machen -, sondern das Bewegen der Augenlider ist schon 
Kraftfolge des Erwachens. 

Auch dieses Unvermogen der Bewegungen der willkiirlichen 10 
Muskeln - wovon weiter unten noch mehr - gehort als Ausru- 
hen der Tatigkeit zur negativen Starkung im Schlaf . Aber eben 
dieseEntspannung bereitet einer positiven Starkung den freieren 
Weg. Auch hier stoBen wir auf eine Wundersamkeit, da6 nam- 
lich, wenn sonst in der Regel alle Entbehrungen, z. B. der Hun- 
ger, der Durst, die Ermiidung, der Frost, durch einen Schmerz 
ihre Befriedigung gebieten, gerade die Entbehrung und Sehn- 
sucht des Schlafes - mehr den Ausleerungen ahnlich, von wel- 
chen auch diekleinste, z. B. das Niesen, sich mit einiger Lust ab- 
tut - mit einem besondern, das Gehirn durchziehenden Reiz 20 
empfunden wird. Dieser wachsende Reiz, dieser wache Vorge- 
nuB des Schlaf s ist so suB lockend, daB man fiir ihn das Leben 
wagt, wie Reisende an den pontinischen Sumpfen und Reisende 
im todlichen Froste beweisen, 1 welche, weniger von Mattigkeit 
als vom Schlummerreize liberwaltigt, sich mit BewuBtsein dem 
Sterben auslieferten. Da nun eigentlich weniger das Schlafen als 
Einschlafen genossen wird: so muB im Gehirne durch die kor- 
perlichen Bedingungen des Schlafes schon die positive Starkung 
des Schlafes anheben, deren Erquicken eben einTrinken aus dem 
Lethebecher ist, das man dem Durstigen durch WegreiBen des 30 
Bechers unterbricht. Empfundene Schlafrigkeit ist von empfun- 
dener Schlaflosigkeit wie anfangendes GenieBen von verweiger- 
tem oder wie Kredenzen von Dursten verschieden. 

1 So wollte der grofie Arzt Boerhave sich in einer grimmigen Kalte 
unterwegs dem Schlafe iiberlassen, welchen ihm mit Gewalt zu verweh- 
ren er vorher seine Reisebegleiter verpflichtet hatte. 



MUSEUM * XI 103 I 

Aber dieses positive Starken und dessen siiBes Gefiihl ist in et- 
was anderem zu suchen als in dem Einsaugen des frischen Ner- 
vengeistes, welches j a den ganzen Tag ungefuhlt fortdauert. Die 
Wiederherstellung des ganzen heitern Kraftgefiihls, die manche 
durch einen Mittagschlaf von wenigen Minuten gewinnen, er- 
laubt iiberhaupt keine Annahme eines mechanischen tragen 
Wasserns durch Blut und durch Niederschlag daraus. 

Auch der Magnetiseur verrichtet seine Heilwunder nur durch 
den so kurzen Schlaf, in welchen er seine Kranken bringt und 

10 wiegt, aber nicht durch das gesprachige Traumwachen, welches 
nur das Kraftkind jenes Schlummers ist, und das sogar durch zu 
lange Pflege wieder feindselig sich gegen die Genesung umwen- 
det. So ist in der gemeinen Nacht ein frohes Traumen gesund 
und ein geistreiches ungesund oder zurucknehmend. 

Hier bring' ich meine alte Bemerkung mit neuer Anwendung 

wieder, daB der Schlaf gerade unter entgegengesetzten Vatern 

1 wechsle, indem ihn zugleich Blutverlust und Blutfiille erzeugen 

- erschopfende Tortur und ertrankender Wein - ausraubender 

Frost und uberfiillende Hitze - warmes FuBbad und Blut- 

20 schwindel (Plethora) , wovon jenes dem Gehirne Blut abnimmt, 
dieser es zuhauft - Grames- oder auch Alters-Entkraftung und 
Lebens-Oberfullung durch Tierheit und Kindheit. 1 Man konnte 
darnach auch zweierlei Traume annehmen, sthenische und 
asthenische; so daB sowohl Aristoteles Recht hat, der unge- 
wohnliches Traumen fiir ein Erkrankzeichen erklart, als daB die 
Griechen, welche den Aeskulap den Traumgeber nannten, und 
Haller nicht irrten, welcher gewisses Traumen, z. B. zu fliegen, 
fiir Wirkung groBter Gesundheit hielt. 

Wenn wir ubrigens annehmen, daB das starkende Einsaugen 

30 oder Einstromen im Schlafe sich auf die drei Dimensionen und 
Instanzen des Lebens, die magnetische, die elektrische und die 
galvanischeMaterie, beziehen; und wenn wir dieses bei dem ge- 
meinen Schlafe umso leichter in kleinererh Grade wiederfinden, 
1 Diese Verschiedcnhcit verhalt sich nicht wie Druck und wie Reiz des 
Gehirns; denn jener lahmt zwar und schlaf ert ein, aber dieser erregt Zuk- 
kungen. 



1032 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

da wir es schon bei dem magnetischen in hoherem gefunden: so 
kannuns die Entgegensetzung der Zustande, in welchen wir die 
Neigung zum Schlafe, also die Vermogenheit zum starkenden 
Einsaugen zeigen, auf die polarische Entgegensetzung der bei- 
den Elektrizitaten, Magnetismen und Galvanismen hinweisen. 

Nur als fliichtigsten Gedanken werf ich die Frage her, ob das 
seltsame Doppeltsein aller Gehirn-Teile, ein Doppel-Sinn in 
schonerem Sinn, nicht bei dem zweispannigen oder widerspan- 
nigen Doppelwesen der Schlafbedingungen und Schlafstarkun- 
gen zum Erklaren zu nutzen sei. Jedoch ware wenigstens die 10 
Antwort keine, daB diese Doppelheit durch alle Nervenpaare, 
Sinnen, Lungenfliigel, Herzkammern und Systeme regiere und 
sogar das Riickenmark zerhalfte, das (nach Gall) aus jeder Halfte 
acht Nerbenbiindel zum Hirnhautgewebe aufschickt; denn eben 
das Fliigelpaar, womit das Gehirn sich und das Leben hebt, muB 
im wichtigsten und ersten Organ des Lebens die groBte Bestim- 
mung und Bedeutung haben und erst durch die eigne die der an- 
deren Paare entscheiden. 

Wenn wir den Schlaf als das Kordial des Gehirns (oder das 
Schlafkissen als das ladende elektrische Kissen desselben) be- 20 
trachten, so dringt sich uns die seltsame labyrinthische Gestalt 
dieses einzigen Gliedes am Leibe - wenn nicht vielmehr der Leib 
nur dessen Glied ist - zur Erforschung seiner starkenden Nil- 
quellen auf. Die Gehirnkugel - das heilige Menschenglied, die 
Himmelkugel auf dem Rumpf-Atlas - ist in ihrem Zusammen- 
bau wirklich dem agyptischen Labyrinth ahnlich, das unter der 
Erde so viele Gemacher und Palastehatte als unter dem Himmel; 
denn nur im Gehirne findet ihr das uneinige Gestaltenlabyrinth, 
Kugeln-Hiigel, Hohlen, Netze, Bundel, Knoten, Kanale, Briik- 
ken, Trichter, Balken, Sicheln, Aste, Blatter, 1 dann auBer der 30 

1 Am Lebenbaum, der 800 Blatter hat, an einem Narren aber nach 
Malacarne nur 324. - Obrigens konnte noch niemand diese wild inein- 
ander gewundnen Hirngestaltungen (Konfigurationen) zu Naturspielen 
heruntersetzen, weil man betrachtete, daB gerade in den Gehirnen im- 
mer derselbe Bau gefunden wird - hochstens die Zirbeldruse abgerech- 
net, die wohl bald als Kugel, als Zirbel, als Herz erscheint -, und daB 



MUSEUM ■ XI IO33 

weiBen und grauen Substanz noch eine gelbe im hintern Lappen 
des groBen Gehirns und eine schwarze in den Markbundeln - 
und endlich den gelben Sand in der Zirbeldriise und die Wasser 
in den Hohlen. Diese Pantheon-Rotunda, worin alle Goftcr- und 
Heiligenbilder des Menschen stehen, kann doch, da schon jede 
kleinste GefaBbeugung einsaugend oder abscheidend dient, mit 
so vielfachen Zuriistungen nicht bios an den Adern, noch fur die 
Nerven 1 saugen wollen, sondern muB sich gegen eine Sonnen- 
und Morgenseite einer ganz andern starkenden Himmelluft at- 

10 mend eroffnen, als wir bisher in der Scheidekunst kennen, dieser 
Vorlauferin der Bindekunst. 

Immer bleibt uns das Gehirn eine Pyramide voller Gemacher 
und Gange, aber ohne Fenster und Turen, auch wenn es Gall vor 
unsern Augen in eine glatte Haut ausplattet; denn von den Ner- 
venscheiden an bis zu dem Faserngewebe vertrockneter Blutku- 
gelchen ist ja alles durchlochertes Haut-Netz fliissiger Perlen 
und fltichtiger Perlenessenzen. Wer wird an Blutkiigelchen 
messen, oder gar an Gehirnktigelchen? Gleichwohl wurde das 
zergliedernde Messer der Messer und weidete den Satz heraus, 

20 daB ein Gehirnktigelchen achtmal kleiner ist als ein Blutkiigel- 
chen. Das Geistige (ibrigens wird durch alle diese korperlichen 
Lichter nicht erhellt; der Kreis des Geistes wird von keiner Qua- 
dratur des Korpers beschrieben und berechnet. 

Unter den Erscheinungen des Schlafes steht eine gewohnli- 
che, aber doch nicht unerlaBliche, die Abschneidung des Geistes 
und Gehirns von den willkiirlichen Bewegungen. Der Nacht- 
wandler und der Magnetschlafer behalten die Gliederherrschaft. 
Doch das Regen, Wenden, Herumwerfen der Schlafer gehort 
vielleicht mehr jenen Zuckungen an, die auch an Tieren und 

30 Menschen nach dem Verluste des Gehirns erscheinen. Man 

man in alien Teilen nicht nur des menschlichen, sondern auch des tieri- 
schen herab bis zum Bienengehirn herunter die graue und die weiBe 
Substanz antrifft. 

1 Die wenigen Sinnennerven sind blofi mit den diinneren Enden ins 
Gehirn gelegt. Auch hat allemal das groBte Gehirn, nach Sdmmering, 
die kleinsten Nerven. 



1034 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

schaue in seine Traume zuriick, so wird man finden, daB in ih- 
nen, obgleich sie alle Sinnen nachspielen, sich oft starkes Zu- 
schlagen mit der Hand in matte markleere Versuche verwandelt, 
eiliges Entlaufen in gehemmtes Schreiten, und Schrei-Anstren- 
gung in leises Gestohn. Hat man vollends, wie der Verfasser die- 
ses, Wahl- oder Halbtraume (wovon nachher), worin man sich 
nicht nur des Traumens, sondern auch der Herrschaft iiber das- 
selbebewuBt ist, und versucht man darin die Selberaufweckung 
aus diesem zwar nicht heiligen, doch schuldlosen Grabe: so wird 
man bei dem Bestreben, die Glieder zu regen, Ohnmacht oder 10 
Ungehorsam finden, bis endlich der gesteigerte Wille die Schei- 
dewand zwischen sich und den Nerven umwirft. Seltsam genug! 
Denn hier am Ende des Schlafes und Morgentraums besteht ne- 
ben aller hergestellten Kraft des Gehirns noch die Gebundenheit 
ohnmachtiger Empfind- und Beweg-Nerven, welche gleich- 
wohl durch einen Zuck und Ruck des Erwachens ohne Spuren 
verschwindet. 

Noch starker treten als Gegenspieler der Nachtwandler, die 
nicht empfinden, aber sich bewegen konnen, die Scheinleichen 
auf, welche den Zuriistungen ihres Begrabnisses zuhoren, aber 20 
keine Glieder zu heben vermogen. Desto sonderbarer ists im 
kleinen wie im groBern Scheintod, daB die Steigerung des Wil- 
lens, die sonst Zentner hebt, nicht das fur ihn gewichtlose he- 
bende Glied selber regen kann. 



§5 

Wunderbarer Ubergang vom Schlafe ins Bewufitsein und von dem tr'du- 
merischen in das wache 

Ich erwahnte oben meiner Wahl- oder Halbtraume; ein Wort sei 
zu ihrer Beschreibung erlaubt. Wenn ich mich namlich gegen 
Morgen mit Gewalt durch meine psychologische Einschlafer- 30 
kiinste wieder ins Schlafen gezwungen, so bringt mich gewohn- 
lich ein vorausgehendes Traumen, worin ich eine Sache nach der 
andern unter dem Suchen verliere, auf den Gedanken und Trost, 



MUSEUM ■ XI IO35 

daB ich traume. Die GewiBheit, zu traumen, erweis' ich mir so- 
gleich, wennichzu fliegen versuche und es vermag. Dieses Flie- 
gen, bald waagrecht, bald (in noch hellern Traumen) steilrecht 
mit rudernden Armen, ist ein wahres wollustreiches starkendes 
Luft- und Atherbad des Gehirns; nur daB ich zuweilen bei einem 
zu geschwinden Schwingen der Traum-Arme einen Schwindel 
spiire und Oberfullung des Gehirns befiirchte. Wahrhaft selig, 
leiblich und geistig gehoben, flog ich einige Male steilrecht in 
den tiefblauen Sternhimmel empor und sang das Weltgebaude 

10 unter dem Steigen an. Bei der GewiBheit unter dem Traumen, 
alles zu vermogen und nichts zu wagen, klimm' ich an himmel- 
hohen Mauern befliigelt hinauf, um droben plotzlich in eine 
weite reichste Landschaft hineinzublicken, weil - sag' ich mir - 
nach den Vorstellgesetzen und den Traumwunschen die Phanta- 
sie durchaus den rundumher liegenden Raum mit Gebirgen und 
Auen fullen muB; - und sie tut es jedes Mai. Zu Hohen arbeit' 
ich mich hinauf, um mich von ihnen zum Vergniigen herabzu- 
werfen; und noch erinnere ich mich des ganz neuen Genusses, 
als ich mich von einem Leuchtturm ins Meer gestiirzt hatte und 

20 mit den unendlichen umspiilenden Wellen verschmolzen wogte. 
In solchen Halb- oder Wahltraumen denk' ich immer an diese 
Traum-Theorie 1 und koste Speisen, um zu priifen, ob im Traum 
wirklich der Geschmack so leer und luftartig ausfalle, als ich 
nachihr annehme. AuBer schonen Landschaften such' ich darin, 
aber immer im Fluge (das bleibende Zeichen eines Wahltraums) , 
noch schone Gestalten, um ihnen ohne Umstande in den Augen 
der groBten Gesellschaft um den Hals zu fallen, weil diese Ge- 
sellschaf t eben nur niein Traum ist; leider flieg* ich aber oft lange 
nach ihnen vergeblich herum, so daB ich mich einmal in einem 

30 Dorfe des Kunstgriffs bediente, zwei sehr schone, aber nie gese- 
hene Grafinnen zu mir rufen zu lassen, weil die Guten, sagt' ich,, 
von der nun zum Schonfarben durch das Traum-Erwarten ge- 

1 Mit welcher ich mir manche gute und bose Traume zugezogen ha- 
ben mag, wenn die alte Regel richtig ist, daB diejenigen die wenigsten 
haben, die am wenigsten von ihnen sprechen. 



IO36 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

zwungenen Phantasie durchaus reizend-gesponnen eintreten 
miissen; - wiewohl darauf weder Grazien noch Furien erschie- 
nen, sondern, wie ofters, der Traum unaufgeloset in einem an- 
dern verstarb. Oft vergleich' ich im Halbtraume diesen selber 
mit dem magnetischen Traume. Zu manchen Gestalten sag' ich, 
aber in einer erhabenen Qual; »Ich wecke mich, so seid ihr ja 
vertilgt«; so wie ich einmal mit diesem BewuBtsein des nichtigen 
Bestandes mich vor den Spiegel stellte und fiirchtend sagte: »Ich 
will sehen, wie ich im Spiegel mit geschloBnen Augen aussehe. « 
So greift tiefer Traum und durchsichtiges Schein-Traumen, Fe- 10 
stes und Fliichtiges unaufhaltbar und sinnlos durcheinander, und 
der arme Geist, welcher zu beherrschen und sich zu besinnen 
glaubt, wird von zwei Wellen zwischen den Ufern zweier Wel- 
ten geworfen. 

Da nun diese Wahltraume mir, so weit ich sie erschaffe und 
regiere, nur ein schones starkendes Sein gewahren: so wach' ich 
darin ganz besonders gegen das Wachwerden, wenn ich durch 
das halbwache Ohr mein starkeres Atmen oder fremde Gassen- 
tone hore, und angstige mich vor dem Versinken meines Para- 
dieses durch ein helleres BewuBtsein. 20 

In solchen Halbtraumen dacht' ich iiber das mir darin so gewiB 
beiwohnende BewuBtsein nach, das man dem Schlaf absprach, 
und hielt dasselbe gegen das kunftige BewuBtsein des Wachens; 
begriff aber durchaus nicht, wie ein helleres hinter dem eben ge- 
gen wartigen nur moglich sei. Ja einmal traumt* ich, zu erwachen 
und wirklich das hellere zu bekommen. Aber endlich sprang, 
wie durch eine Feder, plotzlich die Tiire zwischen AuBen und 
Innen auf , und die Welt lag unvermittelt im weiten Taglichte ei- 
nes neuen BewuBtseins. Nur langsam verdunkelt sich im Ein- 
schlafen das BewuBtsein, hingegen plotzlich strahlt es auf bei 30 
dem Erwachen. Ein wahres Wunder, obgleich ein AUtag- und 
Allnacht-Wunder. Etwas steht da, wie ein Buhnen-Vorhang, 
nicht bloB zwischen Geist und Nerve oder AuBenwelt, sondern 
zwischen Geist und Selber-BewuBtsein. Welche Kraft zerreiBt 
den Vorhang? - Der ubernachtende Geist selber ringt nach Off- 
nung der Welt und sucht durch willkurliches Bewegen der Kor- 



MUSEUM • XI 1037 

perglieder den Grabstein abzuheben von seiner Gruft und 

nach einer rechten willkiirlichen Bewegung gelingt es plotzlich, 
und das BewuBtsein erglanzt, und alle Sinnen stehen wieder of- 
fen. Wenn aber ein StoB des Geistes die Pforten nach AuBen 
sprengt: so ist doch das BewuBtsein nicht Wirkung, sondern nur 
Bedingung der hergestellten auBeren Empfindungen; denn ein 
Mensch, dem kiinstlich alle Sinnenzufuhr abgeschnitten ware, 
trate doch erwachend ins freie Reich des BewuBtseins. 

Daher ist die unbegreifliche himmlische Helle des BewuBt- 

10 seins im Wachen nicht die Geburt des regelmaBigen Fortbestandes 
der auBeren Dinge; auch an der gesetzmaBigen Reihe innerer 
Veranderungen, ja an der Regellosigkeit des Traumzuges 
konnte sich ebenso gut das feste Stehen des Ich abspiegeln. - 
Dieses kostliche, im Wachen sich sonnende BewuBtsein konnen 
wir in dem alles verklarenden Mondscheine des Magnetismus 
nicht einmal wiederholt, noch weniger uberstrahlet zu finden 
hoffen. Denn immerhin versichere der Magnetschlafer, sich des 
wachen BewuBtseins zu erinnern, so glaubt dasselbe ja der 
dunklere Schlafer im Traume auch von sich; und erwacht kann 

20 der erste das magnetische, da er es vergessen, nicht gegen das 
wache berechnen. Auch das tiefere Erinnern und Heraufholen 
untergesunkener Zustande hat mit dem Magnettraumer der All- 
tagtraumer, nur in kleinerem Grade, gemein; und dieses tiefere 
Erinnern, so wie Scharfsinn, Phantasie und Witz, sind (wie auch 
im gemeinen Traume) weder Kinder noch Vater des BewuBt- 
seins. Vielleicht wird eben durch die Verfalschung des BewuBt- 
seins auch der leiseste Rausch, wenn er auch alle andern Krafte 
steigert, uns zuwider. 

Das wahre BewuBtsein- dessen Triibung im Seelensarge des 

30 schlafenden Leibes mich immer triibe macht - ist das wahrhafte 
Gottahnliche am organisierten menschlichen ErdenkloB, und 
iiber dieses gleichsam absolute BewuBtsein hinaus konnen wir 
uns nicht erheben zu einem noch hoheren helleren, obgleich das 
BewuBtsein Stufen vom Kind zum Manne, vom Traume zum 
Wachen besteigt. MuB ja sogar das Tier seinen Traum von sei- 
nem Wachen durch etwas unterscheiden! ; 



IO38 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

An diesem Sonnenglanze des BewuBtseins muB es liegen, 
warum wir ein getraumtes Freuen oder Leiden nicht einmal nur 
vergleichen mit einem wach erlebten, bliebe auch von jenem, 
wie von diesem, keine weitere Spur zuriick als im Gedachtnis. 
Indes bleibt eine freudige Feerei der vier Gehirnkammern uns 
mit mehr Nachgenusse zuriick als ein frere terrible von Traum 
uns mit Nachschrecken . - Gespenstererscheinungen, Todesver- 
urteilungen, neue graBliche Tiere und vorspringende Gorgo- 
nenhaupter des Traums werden ohne geistige Erstarrung und 
ohne Nachwehen des Korpers erlebt und ertragen; und noch 10 
niemand ist vor Schrecken im Traume gestorben, obgleich letz- 
ter den Menschen noch dazu, ihn immer in die Jahre und Angsti- 
gungen der Kindheit zuriickdrangend, waffenlos und entkleidet, 
gleichsam im Hemde, alien StoBwinden und StoBzahnen entge- 
genfiihrt und unterwirft. - Meine Behauptung wird nicht um- 
gestoBen, nur gemildert, wenn man mit Recht dazusetzt, daB die 
Traumqualen uns weniger erschuttern, weil sie fluchtige Blitzc 
aus blauem Himmel sind, indes die Gewitter des Wachens uns 
durch ihr langsames Heraufziehen und Auseinanderfalten und 
Fortschlagen iiberwaltigen. 20 

Die vier Mitarbeiter am Traume 

Obgleich vor und unter dem Einschlafen, durch welches das 
Gehirn sich mild von der AuBenwelt abloset, einige Empfind- 
bilder, aber mit BewuBtsein, vorgaukeln, weil das Abbrechen 
der Empfindungen und Vorstellungen dasselbe mit einem kur- 
zen fluchtigen Reize entziindet, so faltet es sich doch endlich bald 
zum dicken Schlafe zusammen, den keine Traume aufblattern. 
Zwar glaubt Kant, jeder Schlaf beherberge Traume, weil sie als 
geistige Trager und Wecker des Lebens notwendig seien, und die 30 
Abwesenheit bewuBter Traume schlieBe bewuBtlose nicht aus; 
aber er behauptet hier von geistigen Anreizen, was Boerhave 
von korperlichen, namlich das von Traumen, was dieser von 
den im Schlafe stechenden Bedurfnissen der Ausleerung glaubt, 



MUSEUM ■ XI -* IO39 

ohne welche, d. h. ohne deren Fuhlen, nach seiner Meinung der 
Mensch niemals aus dem langsten Schlafe herauskame, sondern 
nur in den ewigen hinein. Man frage Boerhave: warum wecken 
spater Reize, welche doch friiher, wenn auch in ihrem kleinern 
Grade, einzuschlafen erlaubten? So frage man Kant, inwiefern 
dunkelste unbewuBte Traume und Vorstellungen gerade dem 
scheintoten Korper im tiefsten Schlafe das Leben fristen; denn 
ermuB jazuletzt von so dunkeln Vorstellungen sich beleben las- 
sen, daB wir von ihnen keine mehr uns machen konnen, wenn 

jo wirlebenerhaltende Traume dem Schlafe des Fotus, dem Schlafe 
der Tiere und deren Winterschlafe leihen wollen. Allerdings be- 
lebt eine geistige Kraft fort, und die Wechselwirkung zwischen 
Leiblichem und Geistigem kann keinen Augenblick abbrechen, 
oder sie ware unwiederherstellbar; aber wirkt denn das Geistige 
nur durch Denken, nicht auch durch Wollen und durch Wider- 
stand? 

Die Traume sind die ersten Blumen des vom Schlaftau* ge- 
starkten betauten Gehirns, so wie das Hellsehen die Frucht des 
durch den Kunstschlaf mit Lebenkraft geladenen Nervensy- 

20 stems. Daher die Traume gewohnlich am Morgen erscheinen, 
oder uberhaupt an jedem, auch von Innen gemachten Ende des 
Schlafs. Man darf folgerecht annehmen, daB jeder Schlaf, der 
nicht vorzeitig von AuBen abgebrochen wird, nur durch das In- 
terim oder Helldunkel des Traums, und sei es der kikzeste, in 
das Wachen sich webe, und nur aus UnbewuBtsein des Schlafes 
leihen wir dem Traum dessen Dauer. Wenn der langste Traum 
vielleicht in einer Viertelstunde zu erzahlen ist: so muB er ja mit 
seinen geistigen Gestalten in kiirzerer Zeit durch die Seele gezo- 
gen sein als die schleichenden Worte in das Ohr. Eine vertraumte 

3P Nacht erfoderte mehr als einen erzahlenden Tag. 

Man ist aber zu dem so offenbaren und doch so alten Irrtum 
tiber die Lange der Traume durch eine Verwechslung ihrer Ge- 
stalten mit den wirklichen gekommen. Denn die Traumgestal- 
ten halten als Empfindbilder so wenig vor dem Geiste eine Mi- 
nute lang still und standhaft als irgendeine Vorstellung, die sich 
unter dem Beschauen zugleich zerteilt, zergliedert und paart; da- 



1040 JVERMISCHTE SCHRIFTEN I 

her im Traume Gesichter in Gesichter uberflieBen, Zimmer und 
Stadte sich auf der innern Biihne ineinander schieben und jede 
Gestalt sich unter dem Auge neu gebiert. Der Verfasser dieses 
hielt oft in seinen Wahltraumen ein Titelblatt sich mit dem Be- 
wuBtsein vor das Auge, dafl die Buchstaben nicht bleiben konn- 
ten - und sie blieben auch nicht, und er konnte nicht dasselbe 
zweimal lesen. 

Nach der Bemerkung eines englischen Arztes gehort es unter 
die Zeichen eines Wahnsinnigen, wenn er dieselbe Geschichte, 
die er eben erzahlte, nicht ahnlich-treu wiederholen kann. Noch 10 
weniger als der Tolle, der nur Vorstellbilder und sogar fixe vor- 
zufiihrenhat, vermag der Traumer Empfindbilder zu befestigen 
zum zweiten Beschauen. Sogar die starkeren wachen Empfind- 
bilder, unter dem Namen Fieber-, Gespenster-Erscheinungen, 
halten dem Auge nicht Stand. 

Dieses Luftartige, diese wankenden Spiegelungen, wodurch 
der Traum sich dem bleibenden Gestein der Wirklichkeit entge- 
gensetzt, machen es, daB im Traume jede VergroBerung und 
jede Verringerung unaufhorlich wachset; wer z. B. Geld im 
Traume findet, wird immer mehr zu finden forttraumen; wem 20 
ein Uhrglas zerbricht, dem wird die Uhr immer schadhafter 
auseinanderf alien . 

Wir treten nun naher zu den Mitarbeitern am 'Traume. 

Das Gehirn - das Organ des Traums - ist, wie im verschlun- 
genen Bau, so in der Kraft eines Sensoriums aller Sinne weit uber 
die Nerven erhaben, wovon jeder nur zwei Empfindungen, die 
seines bestimmten und die des allgemeinen Gef uhl-Sinnes , auf- 
zunehmen vermag, so wie iiberhaupt diese geistige Unterord- 
nung sich schon im umgekehrten GrdBen-Verhaltnis des Ge- 
hirns und der Nerven erweist. Aber gar Empfindung 30 
aufzubewahren und also zu erneuern vermag nur das Gehirn und 
kein Nerve. Sogar von dem zuriickbleibenden Nachglanz und 
Nachklang eines zu starken Lichtes und Tons konnten Seh- und 
Hornerven vielleicht dem nachschaff enden Gehirn etwas schul- 
dig sein; wenigstens war, wenn Moses Mendelssohn in seiner 
Nervenkrankheit abends die Stimmen des Tags wie von einem 



MUSEUM -XI 1 04 1 

nahen Horrohr nachgeschrieen vernahm, das Schallgewolbe 
nicht in den Ohrgangen, sondern in den Gehirnkammern; denn 
der Nerve kann wohl selber fortsetzen und ausmachen, aber 
nicht wieder ansetzen, wenn er ausgesetzt. Doch dies beiseite! 
Die Gehirnkammern sind die Obstkammern nicht nur der von 
den Sinnen gepfliickten, auch der von dem Geiste getriebenen 
Friichte. - Wir sagen und schreiben dies so leicht hin, ohne uns 
zu verwundern und zu befragen, wie etwas Korperliches etwas 
Geistiges aufbehalte, da Aufbehalten, also Erneuern, ja an die 

10 Wiedererzeugung grenzt. - Genug, im Gehirne bleiben von den 
Empfindungen die Empfindbilder zuriick, welche unter gewis- 
sen Vergiinstigungen, wieim Schlafe, wo das neu erfrischte Ge- 
hirn, ungestort und unbeschadigt von AuBen, seine Schatze 
glanzen lassen kann, als Traumbilder auferstehen. 

Kein Atomist rechne hier nach, ob das Gehirn die unzahligen 
Empfind-Spuren oder Abdriicke des Lebens (welche leblose, 
geistlose Worte!) beherbergen konne; den H. Hooke 1 rechnet 
ihm vor, daB von einem vierpfundigen Gehirne, nach Abzug ti- 
nes Pfundes fur Blut und GefaBe und eines fur die Rinde, noch 

20 zwei Pfund iibrig bleiben, wovon 1 Gran Gehirn-Mark 
205452 Spuren faBt. Dabei kann noch der Zergliederer dem 
Atomisten vorrechnen, daB eine Menschennase ein Teilchen von 
V 22 6378300 e i nes Grans und eine Hundnase gar ein Teilchen von 
1 /259300500oooo zu riechen vermoge, zu welchem kleinen Gran als 
Gegenstand doch kein groBerer Gehirngran als Behalter notig 
sein kann. LaBt sich der Atomist noch nicht schlagen, so notige 
man ihn, die Gehirnkugel wenigstens so groB zu sehen, als et- 
wan die Peterskuppel sein mag, obgleich dies noch Verkleine- 
rung des Gehirns ist, da jeder Gegenstand nicht nur so groB, 
■ 30 sondern noch groBer im wahren Wesen ist, als er unter dem be- 
sten VergroBerglas erscheint; und dabei unterlasse man nicht, 
ihm zu bedenken zu geben, in wie viele Teile die ungeheuere Ge- 
hirnkuppel fur alle Empfindungen eines ganzen Lebens zu zerle- 
gen ist, wenn man jeden Teil auch nicht feiner annimmt, als ein 

1 Hallers Physiologic B. V. 



1042 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

Lichtstrahlist, welchen Muschenbroek 5000 Billionen mal diin- 
ner als ein Haar angibt. 

Will sich nach allem diesem der Atomist wider Erwarten noch 
nicht ergeben: so beschlieBe man damit, womit man gleich hatte 
beginnen konnen, daB man mit alien den bisherigen Erlauterun- 
gen und Beweisen ihn gar nicht iiberzeugen wollen, sondern nur 
parodieren. 

Denn in Tat und Wahrheit liegt die gemeine Sandwiiste des 
Mechanischen langst hinter uns. Denn wie im Ohre V ]6 Kubik- 
zoll Luft alle verschiedenen Tonungen und Bebungen eines voll- 10 
stimmigen Konzerts unverworren faBt und tragt, so kann auch 
das Athergehirn (wovon das sichtbare nur der rohe Trager ist, 
wie das Metall von Magnetismus, Elektrizitat und Galvanismus) 
so gut eine Welt tragen und behalten als mit ihm der Geist. 

Lasset uns nun die Bildungen des Traums weiter verfolgen. 
Wir finden vier Mitbildner oder Mitarbeiter am Traume. Der er- 
ste ist das Gehirn, insofern dasselbebei dem Einschlafen, das ihm 
die N erven als die Ableiter seiner elektrischen Tatigkeit unter- 
bindet, sich zum Sammler seiner Krafte (zum Elektrizitatstra- 
ger) isoliert und sich durch aufspringende Empfindbilder ent- 20 
ladt; welche es anfangs (eben im Einschlafen) nur vereinzelt im 
unerhellten innern Augenraum, dann spater aneinander gereiht 
im erhellten emportreibt fiir die Seele. 

Hier tritt noch alles korper-willkurlich und geist-unwillkiir- 
lich auf , und nur die korperlichen Folge-Gesetze der Gleichzei- 
tigkeit und Gleichraumigkeit der empfangenen Empfindungen 
konnen die Reihe der Empfindbilder notdiirftig ordnen. Wir 
halten iiberhaupt manches Unwillkiirliche betrogen fiir frei, 
z. B. unsere Erinnerung. Niemand kann versichern: »Morgen 
urn acht Uhr werde ihm diese oder jene Sache wieder einf alien. « 30. 
Er kann sich ihrer eher und spater oder gar nicht erinnern; aber 
damit es gerade um acht Uhr geschehe, muB er auBere Denkzet- 
tel, Schnupftuchknotenu. s. w. vorbereiten und sogar auch hier 
gewartig sein, daB er sie anzusehen vergiBt, wenn nicht ein zwei- 
ter Mensch ihn erirmert, der wieder von Denkzetteln abhangt. 

Sind nun einige Empfindbilder nebeneinander vom Gehirn 



MUSEUM ' XI IO43 

gegeben: so muB dieses bald auch Raum dazu nachschaffen, 
welcher eigentlich in nichts bestehen kann als in der bevolkern- 
den Ausfiillung des Gesichtkreises. Der Raum ist die Erstgeburt 
des Gesichts. Dieser Sinn gebiert seine Gegenstande im Traume 
am meisten wieder, weil er im Wachen der herrschend-festste- 
hende ist, indem ihn die Fortdauer der Eindriicke, welche alle 
iibrigen Sinne bis zur Unempfindlichkeit abmattet, eben durch 
die Milde derselben wach und lebendig lafk; daher man im 
Traum sehen muB, damit man hore, schmecke, fuhle, taste. - 

10 Auch im Traume driickt man zuweilen die Augen zu und sieht 
die schwarze Nacht; aber diese ist nur ein ariderer und mehr ein- 
formig-gefullter Raum und keine Seh-Verneinung, wie etwan 
in Blinden. 

DaB das Empfindbild des Gesichtes auch ein Empfindbild des 
Ohres wird und also spricht, dies hat manche unnotige Verwun- 
derung iiber den Traum erregt, als ob das Ohr nicht auch sein 
Echo dem Gehirne nachlasse. Die Auferstandenen oder Reve- 
nants der Empfindung miissen ihre Sprache aus dem Wachen in 
den Traum mitbringen und also mit dem Ich zu sprechen schei- 

20 nen, das sie sprechen laBt. Hier nun, besonders mehr bei den 

Worten als den Tonen, tritt der Geist auf, nicht als bloBer Zu- 

schauer und Zuhorer seines Gehirns, sondern als Bilderaufseher 

und Einblaser der Empfind-Bilder, kurz als der zweite Mit&rbei- 

. ter am Traume. 

Denn allmahlich fangen nach den korperlichen Gesetzen der 
Gleichzeitigkeit und Gleichraumlichkeit die mehr geistigen der 
Ahnlichkeit und der Verursachung zu regieren an. Von wem an- 
ders als vom Geiste konnen jene romantischen Geschichten der 
Nachtzeit gedichtet werden, worin oft das traumende Kind den 

30 schreibenden Vater iibertrifft? Indes daB die ersten Empfind- 
Bilder auBerhalb des Zauberkreises des Geistes stehen, rufen und 
reizen die spatern seine Herrschaft auf, und er stellt im Gehirne, 
das nur die losen rohen Gaben der Nerven und die Wirkspuren 
des Geistes unverbunden gemischt wiederbringen kann, darin 
stellt er als eine zweite hohere Natur die geistigen geordneten 
Seh- und Hor-Reihen durch Wollen und Erregen auf, und nach 



1044 



VERMtSCHTE SCHRIFTEN I 



dem gewohnlichen Wechsel-Ubergewicht des Geistes und des 
Korpers behauptet er seine Allmacht durch eine Ordnung fiir je- 
des Ich. Denn Himmel! wie miiBte sonst jeder Traum, insofern 
die Seele nur beseelend, nicht auch schaffend und reihend ein- 
griffe, die Millionen Gestalten zu greulichen Untier-Haufen in- 
einander verschieben und verstricken! 

Wenn im Traume ein Mensch mir eine Frage vorlegt, auf wel- 
che ich keine Antwort habe, sondern erst spater der Mensch, so 
fragt man mich, wie meine so groBe Unwissenheit in diesem 
Examen zu vereinigen sei mit meiner groBern Kenntnisfulle, 
welche ich dadurch zeige, daB ich den Examinator nichts spre- 
chen lasse, als.was ich ihm eingegeben. Die Losung ist leicht; 
denn ja auch im Wachen bin ich, insofern ich etwas ersinnen will, 
vorher der Frager nach einem Gedanken, dessen Finder ich spa- 
ter werde; im Traum aber wird das sinnende Ich in drei Ich zer- 
setzt, in das fragende, das suchende, das findende; nur daB das 
erste und das dritte sich hinter ein Empfindbild verstecken. Li- 
stig laBt der Traumer, wenn er einen Gedanken nicht finden 
kann, das antwortende Empfindbild zu leise werden oder 
schweigen oder abgehen. 

Der Jn'tteMitarbeiter am Traume, welcher die Empfindbilder 
nach einigen geistigen Gesichtspunkten zu reihen scheint, ist das 
korperliche Gedachtnis der Fertigkeit. Wenn die Hand des Ton- 
kiinstlers, der FuB des Tanzers zuletzt eine Kunstreihe von alten 
Bewegungen zu geben vermogen, ohne bewuBte Einmengung 
des Geistes, welcher nur die neuen schwereren bewuBt befiehlt 
und erzeugt: so muB im Reiche des Gehirns dieselbe Kunstreihe 
korperlich-geistiger Fertigkeiten durch den Traum erstehen 
konnen, ohne einen groBeren Aufwand geistiger Regierung, als 
im Wachen ist; ein leichter Seelenhauch im stillen Traume treibt 
das ganze korperliche Windmuhlenwerk wieder zum Gange, 
oder mit andern Worten: wie im Wachen der Geist mitten unter 
der bewuBten Anstrengung noch Kraft einer unbewuBten fiir die 
Korper-Fertigkeiten behalt, so muB er ebenso gut, wo nicht 
mehr, im Traume, bei Stillstand der bewuBten, Macht der un- 
bewuBten iibrig haben und zeigen. 



MUSEUM * XI IO45 

Der vierte Mit-Schopfer an der Traumwelt ist bekanntlich die 
AuBenwelt, welche, zumal in dem leisen Morgenschlummer 
und besonders durch unangenehme Gefiihle, den Geist notigt, 
sich eine Bilderwelt zu ihrer Erklarung zu schaffen. Ein lastiger 
Bettdruck z. B. erpreBt von der Seele, welche zu dem unbe- 
kannten Glockenhammer gleichsam ein Zifferblatt sucht, eine in 
lauter Gehirnbildern ausgefuhrte Geschichte von schwerem 
Steigen, engem Durchdrangen, von Liegen auf Kahnen, welche 
auf unterirdischen Wassern unter finstere, in das Gesicht hinein 

10 driickende Felsen riicken. Da das innere Nachtstuck zuweilen so 
wenig ein SchattenriB des AuBern ist, daB der Durstige (nach 
Bonnet) von Springbrunnen traumt, wie der Hungrige von Es- 
sen: so beweiset dieser Ubergang der auBeren Ursache in eine 
innere entgegengesetzte Geburt die iiberwiegende Hand des 
Geistes, der aus dem Blocke der Sinnenwelt nach eigenen Geset- 
zen sich Gestalten schlagt und holt. - So vermag er zu einer lang- 
sam wachsenden AuBengeschiche, z. B. zum Anrollen eines fer- 
nen Wagens, wie zu einem Melodrama eine musikalische innere 
Begleitung zu setzen, welche mit der Prose des Melodrama im 

20 rechten Schlage zusammentrifft. 

Obrigens lenkt unter alien einschleichenden Sinnen gerade der 
Sinn des Gefuhls, welchen der Traum am mattesten nachspielt 
und nachbildet, den letzten am haufigsten, und mehr als Schalle 
und Lichter; eben weil Gefuhl nicht wie jene stoBweise wirkt 
und mithin weckt, sondern allmahlich Druck, Kalte, Warme 
steigert und sich in den Traum nur verfloBt, ohne ihn zu ver- 
drangen. - Oberhaupt sobald der Geist sogar zu starkeren An- 
griffen von AuBen nur eine Traumgeschichte zu erfinden weiB, 
die jene motiviert und einwebt: so verlangert gerade der Traum 

30 den Schlaf. 

Die Gesamtregierung der vier Mitarbeiter am Traume klaret 
manche Eigentumlichkeit auf. Man scheide die Welt des 
Traums, wie die wache, in die Korper- und in die Geisterwelt, 
oder in die sinnliche und die geistige: so beherrschen und gestal- 
ten das Gehirn und das auBere Nerven-Einspielen die sinnliche 
mit ihren Raumen, Figuren und Bewegungen; hingegen der len- 



I04<5 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

kend-schaffende Geist verleihtihr das Geistige, den Gestalten die 
Worte und Gesinnungen und dem Zufalle Regel; und er kann der 
wahre Universalmonarch dieser Puppen- und Spiegel-Welt 
werden, darin allgemein seinen Code einfiihren und keine Mei- 
nung dulden und horen als seine eigne. 

Dem Geiste als Mitbildner am Traume gehort mehr an, daB 
wir darin zwar mit der nachsten Zukunft, z. B. einer Abreise, 
aber nicht mit der letzten Vergangenheit umgehen. Die weiter 
ruckwarts liegende Vergangenheit, in welche sich so viel nach- 
herige eingesponnen, besucht und reizt uns Trimmer mehr als 10 
die leere des vorigen Tags. - 

Dem Gehirne als Mitbildner gehort mehr an, da!3 wir uns 
wohl in die Kinderzeiten zuriick, aber nicht in die Greisenzeit 
hinaus traumen, ja daB wir sogar unsre eigne Kinder uns wohl 
junger, aber nicht erwachsen dichten. Der Trimmer schifft, wie 
die Alten, nur um alte Kiisten, und bloB der Wache fahrt ins un- 
bekannte weite Meer; denn die Empfindbilder konnen als Ge- 
hirnbilder nur wiederholen und versetzen, nicht erschaffen, und 
bloBe Vorstellungen von Horensagen ohne erlebte Anschauun- 
gen treten nie als Empfindbilder im Traume auf; und ich berufe 20 
mich hier auf die wenigen Manner, die sich keuscher Jahre und 
der Traume darin zu erinnern haben. 

Dem Gehirne gehort an die haufige Wiederkehr mancher 
Traume. Ein Geistlicher von mehr Scharfsinn als Phantasie 
traumte gewohnlich von weiBem Schnupftabak, bevor er er- 
krankte. Ubrigens sind die Inseln des Traum-Meers Freund- 
schaftinseln, welche im Dunkeln aneinanderriicken; ein Traum 
setzt nach Wochen den andern noch fort; man bereiset dieselben 
PoststraBen und Wirthauser; kurz, sogar der bewegliche selbst- 
schopferische Traum halt in diesem Alltagleben auf einige All- 30 
taglichkeit . 

Mehr dem Geiste gehort es 'an, daB wir (z. B. der Verfasser) 
Landschaften, Stadte, ja Zimmer, die wir selber bewohnt, gar 
nicht oder nur stiickweise den wahren ahnlich traumen. 

Mehr dem Gehirne gehort es an, daB geliebte Wesen, nach de- 
ren Anblicke das Herz jahrelang diirstet, uns nicht durch den 



MUSEUM • XI 1047 

Traum ihre Bilder schicken; so groB ist der oben durchgefiihrte 
Abstand zwischen Vorstellung und Empfindbild; und so fortbe- 
wahrt ist die Bemerkung, daB die Empfindbilder, z. B. erschei- 
nender Gespenster oder Swedenborgischer Gestalten, gar nicht 
durch das Feuer ihrer Vorstellbilder erhellt oder gerufen werden, 
sondern unerwartet erscheinen. 

Und wir waren auch zu gliicklich und wiirden besonders in 
den altern Tagen zu viel Schlaf begehren, wenn in den Traumen 
unsere Wiinsche zu teuern Gestalten werden und wir in diesen 
schimmernden Lenznachten des Lebens den auferstandnen Ge- 
liebten der Jugend mit der Brust voll alter und voll neuer Liebe 
begegnen konnten; wir erlebten dann das himmlische Wiederse- 
hen schon auf der Erde und bedurften kaum einer Erde und eines 
Himmels mehr. So wollen wir denn schmachten und hoffen. 



Beschluft 

Genug des Wachens oder Traumens iiber das Traumen! - Wir 
20 beschauen und bereden den Traum fast von zu stolzer Hohe 
herab, als waren wir mit unserem Wachen schon erwachsen iiber 
alle Weltseelen hinaus. 

Der Schein muB dem Menschen oft das Sein zeigen, der 
Traum den Tag. Das uns so gewichtige Erdenspiel gaukeln vor 
uns die luftigen Morganischen Feen des Traums nach, damit wir 
unsere Denkwelt und Korperwelt nicht uberschatzen. Ohne die 
nachtliche EinbuBe unseres BewuBtseins und unserer Erden- 
herrschaft wiirden wir uns fiir reifende, ja fur reife Gotter anse- 
hen. 
30 Die Minute vor dem Traum sagt dir, daB du nach einer Minute 
nicht die kleinste Gewalt iiber die auftretende Welt des Scheins 
mitbringen oder erwerben kannst - indes wir uns mit den Um- 
walzungen der wachen briisten -, und daB du, so nahe und kaum 
Minuten-weit an der Pforte deiner Zukunft ruhend und an dem 
Amcrika, das sich dir entdeckt, durchaus nicht weissagen 
kannst, welche Zeiten und Lander dich plotzlich in sich reiBen; 



IO48 VERMISCHTE SCHRIFTEN I 

und du wirst so durch die Fallsucht des Schlafs ein halbes Leben 
lang in fremde Macht geworfen ohne Selberhiilfe. 

Aber die Morgen kommen taglich und geben dir eine Kraft 
zuriick, womit du selber die zahe starke Sinnenwelt - leichter als 
die weiche schaumige Traumwelt - bewegen, besiegen und er- 
tragen kannst . Nun so burge dir denn die tagliche unbegreif liche 
Wiedergeburt deines BewuBtseins fur das Wunder von dessen 
Fortdauer nach dem tiefsten Schlafe, und der Obergang aus dem 
traumerischen in das wache erleuchtet dir von weitem die Stuf en 
von dem wachen ins verklarte hinauf ; und das einzige Unveran- 
derliche in uns, daB keine Tage und keine Nachte entkraften und 
verriicken, das Gewissen, dieser Trager der Ewigkeit, weissagt 
und stiitzt unsre eigne. So konnen wir denn das Leben vertrau- 
men, und den Traum verleben. 



NACHBEMERKUNG 



Gelegentlich laBt sich bei Nachbemerkungen so etwas wie das 
Aufatmen daniber vernehmen, daB es nun soweit sei; hier auch. 
Mit dem zweiten Band der zweiten Abteilung liegen die Jugend- 
werke Jean Pauls in der Vollstandigkeit vor, wie sie bislang nur 
die groBe kritische Ausgabe Eduard Berends bot. Fur die Be- 
schaftigung mit dem jungen Jean Paul, die in Gang zu kommen 
scheint, steht damit eine Lese- und Studienausgabe zur Verfii- 
gung, die auch wissenschaftlichen Anforderungen entspricht. 

io Denn fur diejenigen Jugendwerke, die zuerst in den ersten drei 
Banden der NachlaB abteilung der kritischen Ausgabe erschie- 
nen, ist der vorbildlich hergestellte Text (ibernommen worden. 
Die NachlaB-Texte hat Berend in Jean Pauls Heterographie und 
Zeichensetzung nach den Manuskripten mustergultig abge- 
druckt. Da, wie Norbert Miller bemerkt hat, »kein Jean-Paul- 
Kenner eine auch nur annahernd vergleichbare Kenntnis des 
Materials « und entsprechende »Sicherheit im editorischen Me- 
tier « hat, ware eine Uberprufung und Nachbesserung der post- 
hum veroffentlichten Texte wenig sinnvoll gewesen; diese 

20 Stucke, deren bedeutendstes Jean Pauls dritte Satirensammlung, 
die »Baierische Kreuzerkomodie« ist, verdanken auch ihr 
hiesiges offentlich-literarisches Dasein Berends EditorenfleiB 
und -geschick. 

Fiir den Komplex der zu Lebzeiten Jean Pauls gedruckten Ju- 
gendschriften ist die Editionslage etwas schwieriger. Wir haben 
stets den ersten Druck zugrunde gelegt, denn Leitprinzip dieser 
Werkedition ist nicht die Ausgabe letzter Hand wie bei Berend, 
sondern der Abdruck der Erstausgaben. Damit ergibt sich zu- 
gleich eine gewisse Komplementaritat zur Historisch-Kritischen 

30 Ausgabe von Jean Pauls Werken. 

Fiir die »Auswahl aus des Teufels Papieren« ist die Situation 
nun besonders verzwickt. Jean Paul, der sich damals noch Hasus 



IO5O NACHBEMERKUNG 

nannte, hat das Manuskript dieser Satirensammlung vergeblich 
immer neuen Verlegern angeboten und dabei zwischendurch 
verandert, erweitert, korrigiert. Einzelne Bearbeitungsstufen 
haben sich handschriftlich in den Bruchstiicken aus »Scherze in 
Quart« und )>Faustins NachlaB« erhalten, diese werden nach Be- 
rends NachlaBausgabe gedruckt. Ober die Kreuz- und Quer- 
ziige des Satirenbiindels, das spater »Auswahl aus des Teufels 
Papieren« hieB, wird im Kommentarband zu berichten sein. 
Eine Satire aus einer friihen Bearbeitungsstufe »Von der Verar- 
beitung der menschlichen Haut« konnte der auBergewohnlich 10 
erfolglose Schriftsteller Hasus in Joh. Wilh. v. Archenholz' 
Zeitschrift »Litteratur und V6lkerkunde« (9. Band, Dessau 
1786, S. 97-1 1 3) unterbringen; dieser Druck diente hier als Vor- 
]age. Die ganze Satirensammlung erschien mit dem Titel »Aus- 
wahl aus der Teufels Papier en « anonym und schamhaft ohne 
Angabe von Verlag und Ort 1789 »mit einer Salve von Druck- 
£ehlern« (Jean Paul) bei dem obskuren Verlag Beckmann in 
Gera. Diesen Druck hat Berend seiner kritischen Ausgabe zu- 
grunde gelegt, dabei den Text und die Zeichensetzung, die im 
Original recht uneinheitlich sind, gemaB dem Editionsideal der 20 
Ausgabe letzter Hand auf den Schreibstand von 1 820, den Ade- 
lungs, normalisiert. Das bedingte einige durchgehende Veran- 
derungen in Orthographie und Interpunktion, wie an Berends 
Druckvorlage, die in Marbach liegt, nachgepruft werden 
konnte. 

Bei einer Lese- und Studienausgabe laBt es sich wohl vertre- 
ten, eine gewisse Bandbreite orthographischer Varianten, auch 
Dialekteigentumlichkeiten wie »Hergen« (= Herrchen) stehen 
zu lassen. Denn die Orthographie von 1789 war nicht durchge- 
hend normalisiert, und die Varianz der Schreibungen ist wohl 30 
auch nicht ganz ohne Mitwirken von Jean Pauls Manuskript zu- 
stande gekommen. Die Spuren der verschiedenen Bearbei- 
tungsstufen lassen sich namlich an den Wandlungen von Jean 
Pauls heterodoxer Schreibung bis in den Erstdruck der Satiren- 
sammlung von 1789 verfolgen. 

Freilich bleibt die »Auswah3 aus des Teufels Papieren« damit 



NACHBEMERKUNG I0> I 

so schwierig, wie sie war, als sie erschien. Aber eine Moderni- 
sierung hatte den Charakter dieser Satiren essentiell verandert, 
und eine Rekonstruktion der Schreibmarotten, die Jean Paul 
1786/88 in seinen Satiren verwandte, ware selbst eine Satire 
wert. Die Wertschatzung fur die Jugendsatiren hat sich uberdies 
geandert, sie scheinen nicht mehr nur noch, sondern gerade 
historisch interessant. So blieb fur die Neuausgabe lediglich iib- 
rig, sich mit MaBen dem Originaldruck anzuvertrauen und nur 
offensichtlich Falsches zu berichtigen. 

Die Teufelspapiere, die Baierische Kreuzerkomodie und die 
Satiren des Umkreises sind auch im neuen Druck schwierige 
Texte geblieben. Aber der investierte politische, kritische und 
polyhistorische Witz, seine Bissigkeit, seine Freiheit und sein 
Raffinement lohnen wohl die Lektiire. 



Den SchluB des Bandes bilden zwei Einzelschriften Jean Pauls, 
das »Freiheits-Biichlein« (1805), in dem er die Geschichte von 
dem Verbot der Widmung seiner »Vorschule der Asthetik« an 

20 den Herzog August von Sachsen-Gotha erzahlte und seine Auf- 
fassung von Zensur und Pressefreiheit in einer grundsatzlichen 
Abhandlung entwickelte, sowie das »Museum« von 1814, eine 
Zusammenstellung seiner Beitrage fur die Frankfurter Mu- 
seums-Gesellschaft. Mehr als zehn Jahre liegen zwischen den Ju- 
gendsatiren und diesem Beginn der » Vermischten Schriften« . Es 
ist das Jahrzehnt von 1792 bis 1805, von der »Unsichtbaren 
Loge« bis zu dem provisorisch gedachten, aber unwiderrufli- 
chen Abbruch der »Flegeljahre« . Nur sehr wenige, zumeist nicht 
allzu gewichtige Beitrage fiir Zeitschriften und zu geselligen 

30 Anlassen sind in dieser Zeit entstanden. Eigentlich erst mit der 
Ubersiedelung aus Berlin nach Coburg und spater nach Bay- 
reuth und mit dem Zwang, als freier Autor fiir eine Familie sor- 
gen zu miissen, wird Jean Paul zu dem allgegenwartigen Bei- 
tragsteller fiir Jahrbiicher, Zeitungen und Almanache, tritt die 
unausgesetzte Produktion philosophischer und politischer Ab- 
handlungen, literarischer Vorworte und Rezensionen, allegori- 



I 052 NACHBEMERKUNG 

scher Burlesken und satirischer Skizzen an die Stelle der groBen 
Romanentwiirfe. »Ich sollt' es freilich nie tun und keinem von 
alien Taschenbiichern in der Welt - diesen Taschendieben der 
Zeit fur f reie Werke - etwas versprechen« , klagt Jean Paul in dem 
spaten Aufsatz: »Ausschweife fiir kiinftige Fortsetzungen von 
vier Werken« (1823) mit nur halb gespielter Verzweiflung. Die 
zweite, langere Half te seines offentlichen Wirkens laBt sich ohne 
Kenntnis seiner Aufsatze und Aufsatzsammlungen, die den L6- 
wenanteil seiner Schriftstellerei ausmachen, gar nicht erfassen. 
So hat er selbst immer wieder versucht, aus seinen Miszellen 
Biicher zusammenzustellen, hat seine »Werkchen« teils wie in 
»Dr. Katzenbergers Badereise« (1809) mit einer fortlaufenden 
Erzahlung zu wunderlichen Mustern kombiniert, teils sie in 
groBere thematische Zusammenhange eingepaBt - wie in einer 
Reihe der politischen Schriften- oder zu sich selbst germgenden 
Aufsatz-Anthologien miteinander verbunden. So die drei, in 
Abstanden von fiinf Jahren erschienenen Bande der »Herbstblu- 
mine« (1810-20), so auch die »Kleine Biicher schau« (1825). Er 
hat dafiir unter den verschiedensten Gesichtspunkten aus der 
Vielzahl seiner Beitrage ausgewahlt, am wenigsten unter dem 
der Rangfolge: wenn auch unverkennbar die Niveauschwan- 
kungen in der Fiille der Parerga, die doch zugleich das »Haupt- 
geschaft« dieserZeitbilden, sehrbetrachtlichsind, laBt sich doch 
gemeinhin aus der Ausklammerung eines Aufsatzes nicht auf 
eine Verwerfung des Beitrags schlieBen. Neben den von Jean 
Paul selbst edierten Sammlungen stehen zahlreiche verstreut ge- 
druckte Arbeiten - immerhin fast ein Drittel des gesamten Be- 
standes -, die zum Teil in engem Zusammenhang mit den von 
Jean Paul ausgewahlten Beispielen stehen. 

Fiir den Herausgeber bieten sich mehrere Moglichkeiten der 
Zusammenstellung an, die jedoch alle nicht voll befriedigend 
sind: der in den »Jugendschriften« mit vereinzelten, begriindeten 
Ausnahmen hefolgte Grundsatz einer chronologischen Anord- 
nung nach der Entstehungszeit, wobei die gedruckten Satiren- 
sammlungen (samt den dazugehorigen Vorstufen) mit dem Da- 
tum des Erscheinens in die Masse der gedruckten und 



NACHBEMERKUNG 1053 

ungedruckten Einzelaufsatze eingefiigt wurden, lieB sich ohne 
eine verwirrende Zerstiickelung jedes Zusammenhangs nicht 
durchfiihren. Jean Pauls eigene Sammlungen f ass en Aufsatze 
ganz unterschiedlicher Entstehungszeit zusammen, die im neuen 
Kontext eine andere Stellung und ein anderes Gewicht bekom- 
men haben. Die iibrigen Beitrage, von kleinsten Miszellen zu 
umfangreichen Abhandlungen wechselnd, konnen sich - chro- 
nologisch zwischen die Sammlungen geschaltet - nur schwer in 
ihrer Eigenstandigkeit behaupten. Wahrend die Jugendschriften 

10 ein geschlossenes Corpus von satirisch-philosophischen Welt- 
entwiirfen formiereh, in dem sich die Entstehung des Philoso- 
phen und des Romanciers Jean Paul ebenso spiegelt wie die Ver- 
wandlung einer europaischen Aufklarungsepoche in die von 
Jean Paul mitgepragte empfindsam-romantische Kunstperiode 
des Jahrhundertendes, haben die spateren Einzelbeitrage zu 
deutlich das Geprage vermischter Schriften, variieren zu offen- 
kundig nach AnlaB und Entstehungszeit ihre Zielrichtung und 
Konzeption, als dafi hier das gleiche Anordnungsprinzip auch zu 
einer vergleichbaren Plausibilitat hatte fiihren konnen. Von den 

20 verbleibenden Alternativen, die Einzelbeitrage als Anhange den 
Sammlungen der »Herbstblumine« (jeweils an das Ende der ein- 
zelnenBande) und der »Kleinen Bticherschau« anzuhangen oder 
sie geschlossen als letzte Abteilung an das Ende unserer Ausgabe 
zu stellen, entschieden wir uns nach dem Vorbild der histo- 
risch-kritischen Ausgabe fiir die zweite Moglichkeit , da sie allein 
die Nachlese der Aufsatze leidlich in ihrer Selbstandigkeit bela'Bt 
und auBerdem eine Zerstiickelung der »Herbstblumine« verhin- 
dert. Die von Jean Paul noch selbst herausgegebenen Werke 
werden also nach dem Datum des Erscheinens angeordnet, wo- 

30 bei fiir die »Herbstblumine«, dem Charakter der Sammlung 
entsprechend, das Erscheinungsdatum des letzten Bandes (1820) 
maBgebend ist. Dann wird als eigene Abteilung die »Nachlese 
der verstreut gedruckten Aufsatze i795-i825« nachgestellt. Die 
hier im zweiten Band der II. Abteilung unserer Ausgabe aufge- 
nommenen Schriften: »Freiheits-Biichlein« und »Museum« fin- 
den sich in der von Eduard Berend herausgegebenen Kritischen 



10 54 NACHBEMERKUNG 

Ausgabe in den Banden 12 und 16 (erschienen 1935, resp. 1942, 
beide im Manuskript fertiggestellt von Berend selbst). Anders 
als im Fall der »Jugendschriften«, die Jean Pauls eigenwilligen 
Sprachgebrauch und seine oft bizarre Orthographic, dem 
Zweck der Ausgabe entsprechend, genau beibehalten, folgen die 
»Vermischten Schriften in ihrer Textgestaltung den Grundsat- 
zen, die in Band 1 der I. Abteilung unserer Ausgabe dargelegt 
worden sind (vgL dort S. 1239L und S. I337ff.)- 

Juli 1976 Norbert Miller Wilhelm Schmidt-Biggemann 



INHALTSVERZEICHNIS 

Jugendwerke II 7 

Vierte Abteilung. Auswahl aus des Teufels Papieren (1789) 

und Vorstufen 9 

[Aus] Scherze in Quart 11 

Meine erste Zusammenkunft mit dem Leser 12 

II. Verschiedene Periikkenstokke 12 

IIII. Einige Gleichnisse 14 

VIII. Endc der ersten Zusammenkunft 16 

Ernsthafte Noten 19 

Meine zwote Zusammenkunft mit dem Leser . v 22 

I. Von meiner Krankheit und von meiner Bitschrift an das 

Konsistorium 22 

III. [AUegorien] 26 

Die Taufe des Lasters 26 

Testamente der Tugend, des Amors, der Thalia und 

Melpomene, und der Gerechtigkeit . 27 

VII. Ende der zwoten Zusammenkunft 30 

Meine dritte Zusammenkunft mit dem Leser 34 

I. Lobrede auf den Magen 34 

II. Vier kleine Ironien; und wie ich dem Leser meine Iro- 
nien verstandlich machen wollen 36 

1. Ein Satiriker kan mit seinem Schiksal zufrieden sein 38 

2. Lob auf eine Dame, die alzeit in Ohnmacht zu sin- - 
ken schien, wenn sie ihre Tugend unterliegen lies 39 

VI. Die verschiedenen Gesichtspunkte, woraus der Teu- 

fel, der Tod und der Maler die Welt ansehen 39 

VII. Wahnsinnige Sprunge, wodurch ich mich und den 
Leser einzuschlafern trachte 45 

VIII. Bibliothek von Schriften die Schauessen betreffend 52 

1. Kochbuchfiir die Augen 52 

2. Die Fabel vom Vogel Straus 67 

3. Einige neue Vortheile, die sich von den Schauge- 
richten vielleicht diirften Ziehen lassen 69 

4. Tischreden iiber die Schaugerichte 77 

X. Ende der dritten Zusammenkunft 79 



IO56 INHALT 

Von der Verarbeitung der menschlichen Haut 85 

[Aus] Faustins NachlaB 99 

I. Absaz . . . Von dem unglaublichen Schaden, den ich mir 
thate, wenn ich . . . heftig hinter den Culs de Paris . . . 

her sein wolte 100 

XI. Ernsthafter Anhang vonEugenius 108 

1 . Ein Brief iiber Gegenstande der Lebensphilosophie . . 108 

Auswahl aus des Teufels Papieren in 

Nothiges Aviso vom Juden Mendel 112 

Vorrede 116 

Erste Zusammenkunft mit dem angenehmen Leser .... 123 

I. Habermans groBe Tour und musikalischer und logi- 
scher^Cursus durch die Welt etc 123 

II. Der Edelmann nebst seinem kalten Fieber, und die 
Unterthanen nebst ihren kalten Hausern 148 

III. Von den fiinf Ungeheuern, und ihren Behaltnissen, 

wo von ich mich anfanglich nahren wollen 151 

IV. Himmelfahrt der Gerechtigkeit 165 

V. Unterthanigste Vorstellung unser, der sammtlichen 
Spicier und redendenDamen etc 167 

VI. UnvergeBliche Entlarvung des Teufels 186 

VII. Der in einem nahen schwabischen Reichsstadtchen 
wegen Haarverhexung auf den Scheiterhaufen ge- 
sezte Friseur 193 

VIII. Brief iiber die Unentbehrlichkeit unzahliger Tauf- 
zeugen 198 

IX. Ob nicht die Wissenschaften sowol als das peinliche 
Recht den besten Gebrauch von den Aerzten machen 
konnten 201 

X. Der ironische Anhang 219 

I. Ueber den Witz der Wiener Autoren, aus Lamberts 
Organon 219 

II. Abmahnung fur sehr gelehrte Theologen 222 

III. Von Philosophen und Alchymisten, denen es 
sauer gemacht wird, sich selber zu verstehen . . . . 224 

XI. Launigter Anhang 225 

I. Wie ich tausend gute Menschen vom Tode aufer- 

wecke 225 



INHALT 1057 

II. Meine vielen und erheblichen Rollen, die ich nicht 
sowol auf dem Theater des Lebens als eines Dorfes 

in Einem oder ein Paar Abenden machte 228 

III. Warum ich kein Jesuit geworden 237 

XII. Witziger Anhang 239 

XIII. Ernsthafter Anhang. Ueber die Tugend 242 

Zweite Zusammenkunft mit dem Leser 249 

I. Mein Auto-da-fee imKleinen 249 

II. Kleiderschrank der Tugenden und Laster 278 

III. Habermans Predigt in der Kirchenloge 281 

IV. Brief eines Naturforschers iiber die Wiedererzeu- 
gung der Glieder bei dem Menschen 297 

V. Physiognomisches Postskript iiber die Nasen der 
Menschen 304 

VI. Ein Avertissement und eine Preisaufgabe 309 

VII. Wiirde man nicht vielen Misbrauchen der belletri- 
stischen Rezensionen steuern, wenn kein anderer ein 
Buch rezensieren diirfte als der, der es selbst gemacht? 
Vorschlag 310 

VIII. Erzahlung dessen, was ich einige Schlafende reden 
horen 342 

IX. Der Mensch ist entweder ein lebendiger Bienenstock 
oder auch ein lebendiges Feldmausloch 347 

X. Ironischer Anhang 357 

I. Ueber das Zahlenlotto 357 

II. Griinde solcher Theologen, die das iibrige ohne 
Griinde glauben 359 

III. Ueber die Wahrheitsliebe der Hof- und Weltleute 361 

XL Witziger Anhang 365 

XIII. Launigter Anhang 367 

I. Der Schweinskopf als Buswecker 367 

II. Nutzen der Elektrizitat fiir das Christenthum . . . 367 

III. Wie sich Herr von Grossing erinnert, daB er ein 
Mensch ist und sterben mufl ■. . 369 

XIII. Ernsthafter Anhang, In den ich gegen das Ende 

einen poetischen gemischt habe 371 

Dritte Zusammenkunft mit dem eben so muden als belieb- 

ten Leser 378 



IO58 INHALT 

I. Ob die Schamhaftigkeit ohne Augenglaser vollig be- 
stehen konnte? 378 

II. Fabeln 384 

Der zu tapfere Esel 384 

Der Szepterfahige Bar 384 

Der schone Affe und der schone Aesop 385 

Das Schauessen 385 

III. Feilbietung eines menschlichen Naturalienkabinets . 386 

IV. Einfaltige aber gutgemeinte Biographie einer neuen 
angenehmen Frau von bloflem Holz ■ . . 393 

V. Wie der Fiirst seine Unterthanen nach der Par- 
forceiagd bewirten lassen 422 

VI. Rede, womit ich die Tugend zum Leben uberreden 
wollte, da sie gestorben war 426 

VII. Beitrag zur Naturgeschichte der Edelleute; aus 
einem Syrischen Schreiben 430 

VIII. Wie das Verdienst zu seiner Bezahlung gelangte . 433 

IX. Betrachtungen auf ieden Schalttag uber die Kopfe 

auf den Munzen 436 

X. Der Maschinen-Mann nebst seinen Eigenschaften . . 446 
XL Epilog oder was ich auf dem Stuhle des Sanktorius 

etwann sagte 454 

Vorerinnerung fur die Leser der sammtlichen Werke .... 468 

Fiinfte Abteilung. Satirische und ernsthafte Schriften 1789- 

1792 471 

Untersuchung ob nach dem Normal] ahr 1624 em Glied des 
evangelischen Corpus noch gezwungen sei, das Geliibde 

. . . des innern Zolibats zu haltcn 473 

[Verschiedene Gesichtspunkte der Weltbetrachtung] .... 478 

Hofer Vierzehntags-Blat 481 

Erstes Stuk. Vorrede 481 

Zweites Stuk 483 

Drittes Stuk. Wie der Zeitungsschreiber nach Bayreuth rit 484 

Viertes Stuk 488 

Was fur Saze nach meinem Tode iahrlich sollen erwiesen 

werden .■ 493 

[Meine Oberzeugung, daB ich todt bin] 515 

1. Kapitel. Karakter undKrankheitdesDefunktus 515 



INHALT 1059 

Vierzigtags-Blat 517 

Abrakadabra oder die Baierische Kreuzerkomodie 529 

Prologus 530 

Erster Akt von 6 bis 7 Uhr 544 

1. Szene. Wie Gemeine sich aus falschen Waden falsche 
Riicken machen 544 

2. Szene. Die Rede worin der Teufel .... dargethan, daB 

er gar nicht existiere 560 

3. Szene. Worin GeiBler der jungere seine Beicht hersagt 579 

4. Szene. Des ausserordentlichen Professors Vorle- 
sung . . . iiber die Kronungsfeierlichkeiten 582 

I. Ernsthafter Zwischenakt. Des todten Shakespear's Kla- 

ge . . ., daB kein Got sei 589 

Zweiter Akt von 7 bis 8 Uhr 593 

1. Szene. Thiere nebst ihren Fabeln und Moralen .... 593 

2. Szene. Nothdringliche Defension fur J. Kraus Mez- 

ner 596 

3. Szene. Vorstellung der Entreprenneurs der hiesigcn 
Bordelle an das Oberpolizeiamt 611 

4. Szene, die bios da ist, damit nachher die fiinfte darauf 
komme 630 

5. Szene. Supplik der Schikanedrischen Truppe an Sere- 
nissimum wider die vielen Poeten, die sie todtmachen 
wollen 632 

II. Ernsthafter Zwischenakt. Warum ichden Man, deraus- 
sah wie der Schauspieler Reineke, nicht vergesse . . . . 644 

365 Tags Blat 645 

Ober die vorherbestimte Harmonie 649 

Neue Hypothese aus der Hypothese der vorherbestimten 

Harmonie 653 

Mein Pasquil auf die schonste Frau in Deutschland 655 

Es giebt keine eigenniizige Liebe, sondern nur eigenniizige 

Handlungen 663 

[Entgegnung Volkels] 66$ 

Kontraapprochen 669 

[Entgegnung Volkels] 675 

[Von Wernlein] 676 

Antikritik 680 

Das Leben nach dem Tode 685 



1060 INHALT 

Beschreibung der offentlichen und Privatbibliotheken des 

Dorfes unweit der See Kuhpanz 689 

Meine Magensaft-Brauerei 703 

Frazen 708 

Meine erste Fraze 708 

Die zweite Fraze 709 

Meine lebendige Begrabuhg 713 

Personalien vom philosophischen Professor Zebedaus .... 725 

Aus Tissot 727 

Satirische Obungen 730 

Dedikazion an Ch. Otto 730 

1 . Die Betler sind die neuen Barden 73 1 

2. Mein Leichensermon beim Grabe eines Betlers 735 

3 . Meine Bitschrift an den Klub, der den Hut nicht riickt . . 742 

4. Konzert in Saturnopolis 745 

5. Schilderung eines Zerstreueten 748 

6. Bader Kunz 753 

An Madame W. 757 

Zwischenspiel des Harlekins 760 

Das Umreiten der vogtlandischen Ritterschaft 766 

Neujahrs-Wiinschhiitlein fur Seine Gonner von Fortunatus 

Carl Hofmann 770 

[Der viermal todte Stadtsyndikus] 772 

Ober die Fortdauer der Seeleundihres Bewustseins . .... 776 

I. Zweifel und falsche Beweise fur sie 776 

II. Vermuthungen und Beweise fur die Fortdauer 783 

[Zwei Geschichten fiir Kinder] 799 

[Der] doppelte Tod 799 

[Die Freunde] 800 

Ungereimtes Schuzen-Karmen in freiem Metrum von Karl 

Hofman, zeitigem Polichinelle 802 

Das Madgen, das keinen Liebhaber liebte und keine Freun- 

din haste 804 



Vermischte Schriften I 807 

Freiheits-Biichlein (1805) 809 

Nro. I. Untertanigstes Zueignungs-Gesuch, eine Asthetik 



INHALT 1 06 1 

betreffend, an Ihre Durchlaucht den regierenden Herzog 

August von Sachsen-Gotha 810 

Nro. II. Offizielle Berichts-Erstattung an den Leser von 

Deutschland, nebst den Briefendes Herzogs 812 

Nro. III. Dissertatiuncula pro loco 828 

Erster Abschnitt. 

Allgemeine geographische Einleitung in die philosophi- 

sche Untersuchung 828 

Zweiter Abschnitt. 

Unterschicd der Denk-, Schreib-, Druck-undLese-Frei- 

heit 831 

Drifter Abschnitt. 

Zensur des Philosophierens iiber Wahrheiten iiberhaupt . 834 
Vierter Abschnitt. 

Zensur des Philosophierens iiber Regierungsform .... 843 
Fiinfter Abschnitt. 

Eintritt der Zensur 847 

Sechster Abschnitt. 

Philosophieren iiber die Religion 848 

Siebenter Abschnitt. 

Zensur der Manier 851 

Achter Abschnitt. 

Zensur der Kunst 852 

Neunter Abschnitt. 

Zensur der Geschichte 854 

Zehnter Abschnitt. 

Zensur der Reisebeschreiber 856 

Eilfter Abschnitt. 

Zensur der Hof-Zensuren 857 

Zwolfter Abschnitt. 

Tonmesser des deutschen Tons iiber Fiirsten 864 

Dreizehnter Abschnitt. 

Definition eines Zensors , 868 

[Schlufi-Zueignung.] 876 

Museum (18 14) 877 

Vorrede 878 

I. Mutmarjungen iiber einige W under des organischen Ma- 
gnetismus 884 

II. Sedez-Aufsatze. Erste und zweite Lieferung 921 



IO62 1NHALT 

III. Frage iiber das Entstehen der ersten Pflanzen, Tiere und 
Menschen 928 

IV. Warum sind keine frohen Erinnerungen so schon als die 

aus der Kinderzeit? 955 

V. Sedez-Aufsatze. DritteLieferung . 961 

VI. Die Frage im Traum, und die Antwort im Wachen .... 9^5 

VII. Bruchstucke aus der »Kunst, stets heiter zu sein« .... 9^7 

VIII. Bemerkungen iiber den Menschen 975 

IX. Programm der Feste oder Aufsatze, welche der Verfasser 
in jedem Monate des kiinftigen Morgenblattes den Lesern 
geben will 984 

X. Des Geburtshelfers Walther Vierneissel Nachtgedanken 
iiber seine verlornen Fotus-Ideale, indem er nichts gewor- 
denals ein Mensch 1004 

XI. Blicke in die Traumwelt 1017 

Nachbemerkung 1049 



Dieses Buch, einschliei31ich Vorsatzpapier und 

Schutzumschlag, wurde auf Recyclingpapier gedruckt, 

das zu 100% aus Altpapier besteht. 

Das Einbandleinen, das Kapitalband und das Leseband sind 

aus 100% ungefarbter und ungebleichter Batimwolle.