Skip to main content

Full text of "König Karl Von Rumänien"

See other formats


Google 



This is a digital copy of a book that was preserved for generations on library shelves before it was carefully scanned by Google as part of a project 
to make the world's books discoverable online. 

It has survived long enough for the Copyright to expire and the book to enter the public domain. A public domain book is one that was never subject 
to Copyright or whose legal Copyright term has expired. Whether a book is in the public domain may vary country to country. Public domain books 
are our gateways to the past, representing a wealth of history, culture and knowledge that's often difficult to discover. 

Marks, notations and other marginalia present in the original volume will appear in this file - a reminder of this book's long journey from the 
publisher to a library and finally to you. 

Usage guidelines 

Google is proud to partner with libraries to digitize public domain materials and make them widely accessible. Public domain books belong to the 
public and we are merely their custodians. Nevertheless, this work is expensive, so in order to keep providing this resource, we have taken Steps to 
prevent abuse by commercial parties, including placing technical restrictions on automated querying. 

We also ask that you: 

+ Make non- commercial use of the files We designed Google Book Search for use by individuals, and we request that you use these files for 
personal, non-commercial purposes. 

+ Refrain from automated querying Do not send automated queries of any sort to Google's System: If you are conducting research on machine 
translation, optical character recognition or other areas where access to a large amount of text is helpful, please contact us. We encourage the 
use of public domain materials for these purposes and may be able to help. 

+ Maintain attribution The Google "watermark" you see on each file is essential for informing people about this project and helping them find 
additional materials through Google Book Search. Please do not remove it. 

+ Keep it legal Whatever your use, remember that you are responsible for ensuring that what you are doing is legal. Do not assume that just 
because we believe a book is in the public domain for users in the United States, that the work is also in the public domain for users in other 
countries. Whether a book is still in Copyright varies from country to country, and we can't off er guidance on whether any specific use of 
any specific book is allowed. Please do not assume that a book's appearance in Google Book Search means it can be used in any manner 
anywhere in the world. Copyright infringement liability can be quite severe. 

About Google Book Search 



Google's mission is to organize the world's information and to make it universally accessible and useful. Google Book Search helps readers 
discover the world's books while helping authors and publishers reach new audiences. You can search through the füll text of this book on the web 

at http : / /books . qooqle . com/ 



Google 



Über dieses Buch 

Dies ist ein digitales Exemplar eines Buches, das seit Generationen in den Regalen der Bibliotheken aufbewahrt wurde, bevor es von Google im 
Rahmen eines Projekts, mit dem die Bücher dieser Welt online verfügbar gemacht werden sollen, sorgfältig gescannt wurde. 

Das Buch hat das Urheberrecht überdauert und kann nun öffentlich zugänglich gemacht werden. Ein öffentlich zugängliches Buch ist ein Buch, 
das niemals Urheberrechten unterlag oder bei dem die Schutzfrist des Urheberrechts abgelaufen ist. Ob ein Buch öffentlich zugänglich ist, kann 
von Land zu Land unterschiedlich sein. Öffentlich zugängliche Bücher sind unser Tor zur Vergangenheit und stellen ein geschichtliches, kulturelles 
und wissenschaftliches Vermögen dar, das häufig nur schwierig zu entdecken ist. 

Gebrauchsspuren, Anmerkungen und andere Randbemerkungen, die im Originalband enthalten sind, finden sich auch in dieser Datei - eine Erin- 
nerung an die lange Reise, die das Buch vom Verleger zu einer Bibliothek und weiter zu Ihnen hinter sich gebracht hat. 

Nutzungsrichtlinien 

Google ist stolz, mit Bibliotheken in partnerschaftlicher Zusammenarbeit öffentlich zugängliches Material zu digitalisieren und einer breiten Masse 
zugänglich zu machen. Öffentlich zugängliche Bücher gehören der Öffentlichkeit, und wir sind nur ihre Hüter. Nichtsdestotrotz ist diese 
Arbeit kostspielig. Um diese Ressource weiterhin zur Verfügung stellen zu können, haben wir Schritte unternommen, um den Missbrauch durch 
kommerzielle Parteien zu verhindern. Dazu gehören technische Einschränkungen für automatisierte Abfragen. 

Wir bitten Sie um Einhaltung folgender Richtlinien: 

+ Nutzung der Dateien zu nichtkommerziellen Zwecken Wir haben Google Buchsuche für Endanwender konzipiert und möchten, dass Sie diese 
Dateien nur für persönliche, nichtkommerzielle Zwecke verwenden. 

+ Keine automatisierten Abfragen Senden Sie keine automatisierten Abfragen irgendwelcher Art an das Google-System. Wenn Sie Recherchen 
über maschinelle Übersetzung, optische Zeichenerkennung oder andere Bereiche durchführen, in denen der Zugang zu Text in großen Mengen 
nützlich ist, wenden Sie sich bitte an uns. Wir fördern die Nutzung des öffentlich zugänglichen Materials für diese Zwecke und können Ihnen 
unter Umständen helfen. 

+ Beibehaltung von Google -Markenelementen Das "Wasserzeichen" von Google, das Sie in jeder Datei finden, ist wichtig zur Information über 
dieses Projekt und hilft den Anwendern weiteres Material über Google Buchsuche zu finden. Bitte entfernen Sie das Wasserzeichen nicht. 

+ Bewegen Sie sich innerhalb der Legalität Unabhängig von Ihrem Verwendungszweck müssen Sie sich Ihrer Verantwortung bewusst sein, 
sicherzustellen, dass Ihre Nutzung legal ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass ein Buch, das nach unserem Dafürhalten für Nutzer in den USA 
öffentlich zugänglich ist, auch für Nutzer in anderen Ländern öffentlich zugänglich ist. Ob ein Buch noch dem Urheberrecht unterliegt, ist 
von Land zu Land verschieden. Wir können keine Beratung leisten, ob eine bestimmte Nutzung eines bestimmten Buches gesetzlich zulässig 
ist. Gehen Sie nicht davon aus, dass das Erscheinen eines Buchs in Google Buchsuche bedeutet, dass es in jeder Form und überall auf der 
Welt verwendet werden kann. Eine Urheberrechtsverletzung kann schwerwiegende Folgen haben. 

Über Google Buchsuche 



Das Ziel von Google besteht darin, die weltweiten Informationen zu organisieren und allgemein nutzbar und zugänglich zu machen. Google 
Buchsuche hilft Lesern dabei, die Bücher dieser We lt zu entdecken, und unterstützt Au toren und Verleger dabei, neue Zielgruppen zu erreichen. 
Den gesamten Buchtext können Sie im Internet unter http : //books . google . com durchsuchen. 




König Karl von Rumänien 

Paul Lindenberg 



Digitized by 



Google 



König Karl von Rumänien. 



Von 



Paul Lindenberg. 



Mit einer Heliogravüre und 180 Illustrationen. 



Zweite vernujhpte und verbesserte Auflage. 




BERLIN 1908. 

Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung. 



Digitized by 



PRESE*V*T!ON 
COPY ÄüDED 
ORIGINAL TOBE 
RETAiNED 



Digitized by 



Inhaltsverzeichnis. 



Seite 

I. Jugend- und Jünglingsjahre 1 

Die Hohenzollern. — Hohenzollern-Sigmaringen. — 
Prinz Karl von Hohenzollern. — Die Großeltern 
und Bitern. — Die Jugendjahre des Prinzen. — Das 
Jahr 1848. — Fürst Karl Anton von Hohenzollern, 
sein deutsches Wesen und Wirken. — Die Abdan- 
kung. — Prinz Karl in Dresden. — Das Offiziers- 
examen. — Bei der Garde -Artillerie. — Der junge 
Prinz. — Trennung von der Schwester Stephanie. — 
Fürst Karl Anton als Minister-Präsident. — Militär- 
dienst und Reisen des Prinzen. — Besuch von Algier 
und Paris. — Im II. Garde -Dragoner -Regiment. — 
Der Feldzug 1864. — Als Ordonnanzoffizier beim 
preußischen Kronprinzen. — Innige Freundschaft. — 
Wieder in Berlin. — Das Jahr 1866 bricht an. 

IL Rumäniens Entwicklung 40 

Rückblicke. — Die Entstehung Rumäniens. — Das 
rumänische Volkstum. — Moldau und Wallachei. — 
Das Verhältnis zur Pforte. — Die Herrschaft der 
Phanarioten. — Politischer Verfall und wirtschaft- 
licher Niedergang. — Der neue Staat Rumänien. — 
Fürst Alexander Kusa. — Allgemeine Unzufrieden- 
heit. — Der Sturz Kusas. — Proklamation der pro- 
visorischen Regentschaft. — Das Verlangen nach 
einem fremden Fürsten. — Nationales Hoffen und 
Sehnen. — Die Wahl des Grafen von Flandern. — 
Napoleons Widerstand. — Dem Prinzen Karl von 
Hohenzollern wird die Krone angetragen. — Un- 
sicherheit der Iyage. — Der Aufruf des Bürgermeisters 
von Bukarest. — Volksabstimmung. — Ihr glänzen- 
des Ergebnis. — Eine frohe Botschaft. — Es 
lebe Karl I. ! 



Digitized by 



IV 



Seite 



III. Prinz Karl von Hohenzollern zum Fürsten von 
Rumänien erwählt 62 

Prinz Karl in Düsseldorf. — Der Besuch Joan Bra- 
tianus. — Dem Prinzen wird die Krone Rumäniens 
angeboten. — Bedenken und Bedenkzeit. — Die 
Denkschrift des Fürsten Karl Anton. — Prinz Karl 
wieder in Berlin. — Die ersten Nachrichten der 
Wahl. — König Wilhelms Stellung zur Fürstenfrage. 

— Prinz Karl beim Minister -Präsidenten von Bis- 
marck. — Bismarcks zustimmende Haltung. — Prinz 
Karl beim König Wilhelm. — „Gott behüte Dich!" 

— Abschied des Prinzen von Berlin und Aufenthalt 
in Düsseldorf. — Die Entscheidung ! — Prinz Karl 

von Hohenzollern. 

IV. Die Fahrt nach Rumänien und Eintreffen in 
Bukarest 78 

Abschied. — Prinz Karl verläßt das Elternhaus. — 
Die Fahrt nach Rumänien. — In Salzburg und Wien. 

— Unfreiwilliger Aufenthalt. — Auf der Donau. — 
Ankunft in Turnu -Severin. — Der erste Empfang. — 
Der Einzug in Bukarest. — In der Metropolie und 
der Kammer. — Ansprache des Fürsten Karl. — 
Vereidigung der Truppen. — Kriegerische Gerüchte. 

— Der Zustand des Randes. — Berichte der Minister. 

— L,and undl^eute in zeitgenössischen Schilderungen. 

— Die Hauptstadt im Jahre 1866. — Gegensätze. — 
Die Nachricht vom Tode des Prinzen Anton. — 

Fürst Karl von Rumänien. 

V. „Helfen wir uns selbst, Rumänen!" 108 

Die erste Proklamation des Fürsten Karl. — Helfen 
wir uns selbst, Rumänen!" — Innere und äußere 
Schwierigkeiten. — Das persönliche Auftreten des 
Fürsten. — Arbeit und Tageseinteilung. — Die Reise 
zum Sultan. — Aufenthalt in Konstantinopel. — 
Gute Ergebnisse. — Schwierigkeiten der Regierung. 

— Sorgenvolle Tage und Jahre. — Der Fürst und 
die Bevölkerung. — Fortschritte in Bukarest. — Die 
Reorganisation der Armee. — Eisenbahnbauten. — 
Neue innere Hemmnisse und ausländische Verleum- 
dungen. — Es geht langsam vorwärts. — Ein Um- 
schwung zum Besseren. — Fürst Karl besucht Kaiser 

Alexander II. — Die Reise nach Deutschland. 



Digitized by 



Google 



V 



Seite 



VI. Brautfahrt und Vermählung 



142 



In der Heimat. — Auf der Weinburg~und in Baden- 
Baden. — Der Aufenthalt in Paris. — Begegnungen 
mit Kaiser Napoleon. — In Cöln. — Verlobung mit 
der Prinzessin Elisabeth von Wied. — Die Prin- 
zessin, ihre Erziehung und ihr Charakter. — Ver- 
mählung. — Das junge Paar. — Fahrt nach Ru- 
mänien. — Eintreffen in Bukarest. 



Das fürstliche Paar. — Häusliches Glück. — Die 
Eisenbahnsorgen. — Innere Opposition und äußere 
Intriguen. — Trübe Stunden. — Die Aufrollüng der 
spanischen Thronfrage. — Rumänien und Frankreich. 

— Der Ausbruch des deutsch -französischen Krieges. 

— Rumänische Hetzereien. — Die Geburt der Prin- 
zessin Marie. — Rücktrittsgedanken des Fürsten Karl. 

— Der 22. März 1 871 in Bukarest. — Fürst Karl will 
abdanken. — Pflichttreue und Vaterlandsliebe des 



Der Umschwung zum Besseren. — Reise des Fürsten- 
paares nach der Moldau. — Guter Ausfall der Wahlen. 

— Sommeraufenthalt in Sinaia. — Idyllische Wochen. 

— Das Eisenbahn-Gesetz. — Die nächsten Jahre. — 
Ruhige Entwicklung. — Wieder in Sinaia. — Be- 
stimmung des Schloßbaues. — Hinscheiden der Prin- 
zessin Marie. — Fortschritte in Bukarest und im 
L,ande. — Grundsteinlegung des Castel Pelesch. — 
Fürstin Elisabeth und ihr dichterisches Schaffen. — 

Wie Carmen Sylva zu ihrem Namen kam. 

IX. Der Ausbruch des russisch-türkischen Krieges und 

die Unabhängigkeitserklärung Rumäniens ... 230 

Das Jahr 1876. — Drohende Wolken. — Die Gärung 
am Balkan. — Serbien und Montenegro gegen die 
Türkei. — Die Haltung Rumäniens. — Der zehn- 
jährige Jahrestag der Thronbesteigung des Fürsten 
Karl. — Rußlands Kriegsvorbereitungen. — Die Kon- 
ferenz der Großmächte in Konstantinopel. — 1877 
bricht an. — Der russisch -rumänische Durchzugs- 
vertrag. — Rußland erklärt der Pforte den Krieg. — 



VII. Die Jahre der Prüfung 



170 



Fürsten. — Das neue Ministerium. 



VIII. Rumäniens innere Entwicklung 



198 




VI 



Seite 

Die russischen Truppen überschreiten die rumänische 
Grenze. — Fürst Karls selbständige Politik. — Ru- 
mäniens Kriegserklärung. — Die Feier der Un- 
abhängigkeit. — Begeisterte Stimmung. — Mobil- 
machung. — Fürst Karl in Calafat. — Die Feuertaufe. 
— Im russischen Hauptquartier. — Kaiser Alexander II. 
überträgt dem Fürsten Karl das Oberkommando vor 
Plewna. 

X. Fürst Karl Oberbefehlshaber vor Plewna ... 264 

Die Kriegslage vor Plewna. — Bedenken des Fürsten 
Karl. — Der Fürst im Rumänischen Hauptquartier. 

— Proklamation des Fürsten an die Rumänische 
Armee. — Die Rumänischen Truppen gehen über die 
Donau. — Fürst Karl in seinem Hauptquartier zu 
Poradim. — Kriegsrat. — Der Angriff auf Plewna. 

— Sturm der Rumänen auf die Griwitza-Redouten. 

— Schwere Verluste. — Bange Stunden. — Der Ru- 
mänische Waffenerfolg. — Die Anerkennung Kaiser 
Alexanders. — Die Wochen vor Plewna. — Der Ring 
schließt sich. — Fürst Karls Oberkommando. — Der 
Sieg der Rumänen bei Rahowa. — Der 10. Dezember. 

— Ausbruch Osman Paschas. — Die Rumänen im 
Feuer. — Osman Pascha ergibt sich. — Begegnung 
des Fürsten Karl mit Osman Pascha. — Auf dem 
Schlachtfeld. — In Plewna. — Die russisch-rumä- 
nischen Erfolge. — Fürst Karl legt das Oberkom- 
mando nieder. — Sein Dank an seine Truppen. — 
Der Ritt über das Leichenfeld. — In Nikopolis. - 
Auf der Donau. — Die Rückkehr nach Bukarest. — 
Beginn des Jahres 1878. — Die Ereignisse am Bal- 
kan. — Russisch -türkische Friedensverhandlungen. 

— Rußland und Rumänien. — Einzug der siegreichen 

Rumänischen Truppen in Bukarest. 

XL Erhebung Rumäniens zum Königreich 325 

Russisch-rumänische Auseinandersetzungen. — Die 
Beschlüsse der Berliner Konferenz. — Bessarabien 
und die Dobrudscha. — Regelung der Judenfrage 
und Rückkauf der Eisenbahnen. — Anerkennung 
Rumäniens seitens der Großmächte. — Innerer Auf- 
schwung. — Der 22. Mai 1881. — Besuch der deutschen 
Heimat seitens des Fürstenpaares. — Aufnahme in 



Digitized by 



VII 



Seite 

Berlin. — Beim Kaiser Wilhelm und beim Pürsten 
Bismarck. — Die Regelung der Erbfolge. — D. 
Sturdzas Denkschrift. — Beschluß der Kammern, 
Rumänien zum Königreich zu erheben. — Der 25. März 
1881. — Huldigung des Fürstenpaares durch die De- 
putierten. — König Karls Rede. — „Es lebe der 
König! Es lebe die Königin!" — Die Krönungs- 
feier am 22. Mai 1881. — Der Krönungszug. — In 
und vor der Metropolis — Die Ansprache König 
Karls. — ,,Das durch sein eigenes Verdienst gekrönte 
Rumänien." 

XII. Rumänien unter dem Königscepter 353 

Die Wiedergeburt der Nation. — König Karls 
Friedensarbeit. — Des Königs Interesse für Kunst 
und Wissenschaften. — Im Bukarester Palais. — 
Schloß Pelesch. — Reisen des Königspaares. — Frohe 
und trübe Stunden. — In der Heimat und Fremde. 
— Rumäniens Fortschritte. — Besuch Kaiser Franz 
Josefs in Bukarest und Sinaia. — Die Erkrankung 
des Prinzen Ferdinand. — König Karl auf bulgari- 
schem Boden. — Donaufahrt des Königspaares. — 
Die Ereignisse der letzten Jahre. — Bukarests Ent- 
wicklung. — Das 40jährige Regierungs - Jubiläum des 
Königs. — Die Jubiläums-Ausstellung. — 50 Jahre 
Soldat. — Die jüngsten Ereignisse. — König Karl, 
sein Lebenswerk und Rumänien. 



Digitized by 



Digitized by 



Google 



Burg Hohenzollern. 



i. 

Jugend- und Jünglingsjahre. 

Die Hohenzollern. — Hohenzollern-Slgmaringen. — Prinz Kari von Hohenzollern. — Die 
Großeltern und Eltern. — Die Jugendjahre des Prinzen. — Das Jahr 1848. — Fürst Karl 
Anton von Hohenzollern, sein deutsches Wesen und Wirken. — Die Abdankung. — Prinz 
Karl in Dresden. — Das Offliiersexamen. — Bei der Garde-Artillerie. — Der junge Prinz. 
— Trennung von der Schwester Stephanie. — Fürst Karl Anton als Minister-Präsident — 
Militärdienst und Reisen des Prinzen. — Besuch von Algier und Paris. — Im II. Garde- 
Dragoner-Regiment. — Der Feldzug 1864. — Als Ordonnanz-Offizier beim preußischen 
Kronprinzen. — Innige Freundschaft. — Wieder in Berlin. — Das Jahr 1866 bricht an. 




Es ist ein kerndeutsches, 
ritterliches Geschlecht, 
jenes der Hohenzollern, deren 
Stammburg fest und erhaben 
von waldumgebenen, hoch- 
ragenden Bergesgipfeln der 
Rauhen Alb auf fruchtbare 
Auen herabschaut, ein treues 
Abbild jener unerschrockenen 
und zielbewußten Helden, 
die jahrhundertelang hier 
herrschten und für Kaiser 
und Reich oft die blinkenden 
Schwerter zogen, denn ihr 
Wappenspruch: „All weg gut 
Zolre", er bedeutete zugleich: 
„All weg gut Deutsch". 



Lindenberg, König Karl. 



Digitized by 



2 



Wo die ersten Herren von Zollern gesessen, ist nicht 
nachzuweisen; wir wissen nur, daß es ein altes, ange- 
sehenes, wahrscheinlich dem Schwäbischen Herzogshause 
der Burchardinger entstammendes Geschlecht ist, dessen 
Mitglieder, soweit man überhaupt die Spuren verfolgen 
kann, sich stets in Krieg und Frieden hervorgetan und 
von denen so manche den Heldentod erlitten für des 
alten Deutschen Reiches Herrlichkeit. Geschichtlich be- 
kundet treten im Jahre 1061 zwei Grafen von Zollern 
auf, Burkardus und Wezilo. Der Stamm des letzteren 
erlosch bald; der des ersteren trieb viele Reiser, die wie- 
derum mehrere Linien bildeten. Ein hochstrebender, 
pflichtbewußter Herr, Friedrich III., ward Burggraf von 
Nürnberg und Stammvater der fränkischen (späteren 
preußischen) und schwäbischen Linie. Die Sprossen der 
letzteren saßen auf dem „hohen Zolre", den bereits zu 
Anfang des 11. Jahrhunderts eine stattliche Burg krönte, 
von der freilich nur wenig in den von König Friedrich 
Wilhelm IV. angeregten und eifrig geförderten Neubau 
übernommen ward. Am 3. Oktober 1867 fand in Gegen- 
wart König Wilhelm I., des Kronprinzen und des Fürsten 
Anton von Hohenzollern, sowie vieler Mitglieder des 
Hohenzollernhauses die feierliche Einweihung der Burg 
statt. Einen kühnen Flug hatte der Zollernaar genommen, 
an der Ost- wie Nordsee horstete er, und selbst in fernem 
Lande, in Rumänien, hatte ein stolzer Sproß, Fürst Karl 
von Hohenzollern, sich bereits ernste Geltung verschafft. 
Erfüllt war der Spruch, der über dem Adlertor der Burg 
eingemeißelt : 

„Vom Fels zum Meere weht der Zollern Fahne, 
Und auch die blaue Salzflut grüßen ihre Farben." — 

Jene schwäbische Linie, von der eben gesprochen 
wurde, zergliederte sich wiederum in zwei fürstliche Zweige, 
Hohenzollern-Hechingen und Hohenzollern-Sigmaringen,, 
von denen die erstere erloschen, die zweite sich aber desto 




3 



größerer Blüte erfreut. Der Stammsitz derselben wurde 
das traulich-anheimelnde Sigmaringen mit dem statt- 
lichen Fürstenschlosse, von dem jederzeit ein reicher Quell 
deutschen Lebens und Strebens entflossen. Auf mäch- 




tigen Felsen türmt sich oberhalb der Donau das Schloß 
auf, ein gewaltiger, trutziger Bau, dem man ansieht, daß 
er nicht einheitlichem Plan entsprungen, und daß oft auf 
lange Zwischenräume, in denen die Besitzer zum Schutze 
des deutschen Bodens das Schwert gezogen, schaffens- 
frohe Perioden folgten; aber alles trägt den Stempel des 
Echten und Rechten, des Braven und Mannhaften. Und 
nicht nur von einem tapferen Geschlecht künden diese 



Digitized by 



Google 



Zinnen und Räume, auch von einem kunstfreudigen; sind 
doch die Kunst-, Waffen- und Altertumssammlungen er- 
lesenster Art mit tiefer Liebe und fördersamem Verständ- 
nis, hauptsächlich vom 1885 verstorbenen Fürsten Karl 




Fürst Karl Anton von Hohenzollern. 



Anton von Hohenzollern und dessen Sohne Leopold, zu- 
sammengebracht. 

„Was ist denn das dort für ein altes Nest?" soll der 
erste Napoleon gefragt haben, als er das altersgraue Sig- 
maringer Schloß erblickte, und als Antwort soll ihm er- 
klungen sein: „Sire, es ist der Horst des Schwarzen 
Adlers". Seltsamer Zickzack der Weltgeschichte, denn 
enge Familienbande verknüpften später diese Hohen- 



Digitized by 



zollernlinie mit der Familie Napoleons, und der dieser 
Verbindung entstammende Erbprinz Leopold ward 1870 
die unschuldige Ursache zum Ausbruche des deutsch- 
französischen Krieges und zur Zertrümmerung des zweiten 




Fürstin Josefine von Hohenzollern. 



Kaiserreichs. Die Adoptivtochter des ersten französischen 
Kaisers, Stephanie von Beauharnais, wurde die Gemahlin 
des Kurprinzen, späteren Großherzogs Karl Ludwig Fried- 
rich von Baden, und ihre Tochter Josefine vermählte 
sich mit dem Fürsten Karl Anton von Hohenzollern- 
Sigmaringen, mit ihm die glücklichste Ehe führend. Letzterer 
entsprossen vier Söhne, die Prinzen Leopold, Karl, Anton 
und Friedrich, sowie zwei Töchter, Stephanie und Marie. 



Digitized by 



6 



Der zweite dieser Söhne, Prinz Karl, wurde am 20. April 
1839 in Sigmaringen geboren. Sein Großvater, der re- 
gierende Fürst Karl, hob ihn aus der Taufe und gab ihm 
seinen Namen, der eng verbunden ist mit jenen der glän- 
zendsten Vertreter dieses Fürstenhauses. Es war damals 
noch ein partriarchalisches Regiment; Fürst Karl war 
ein strenger Herr und sah auf sorgsam geregelte und 
engumschriebene Familiendisziplin, nicht minder auf das 
Einhalten höfischer Etikette. Ganz anders geartet war 
sein Sohn, der Erbprinz Karl Anton, der den Geist der 
neuen Zeit verstand und ihm damals wie fernerhin in jeder 
Beziehung Rechnung trug. Er war ein Fürst im besten 
Sinne des Wortes, ein ganzer, ein treuer deutscher Mann, 
dessen Denken und Fühlen, Trachten und Handeln immer- 
dar dem großen Vaterlande gegolten, dem er die wichtigsten 
Dienste geleistet. In seiner Gemahlin Josefine hatte er 
die aufopferungsvollste, gleich ihm echt deutsch empfin- 
dende Lebensgefährtin gefunden. ,Mild und weich', so 
wird sie uns von unterrichteter Seite geschildert, ,immer 
voller Sorge um jeden einzelnen ihrer Lieblinge, immer 
bangend, sowie sie ferne von ihnen war, immer Gnade 
für Recht ergehen lassend, sobald eines ihrer Kinder sich 
in etwas verfehlt hatte; von tiefster Frömmigkeit und doch 
nie frömmelnd, wirkte sie durch ihre Selbstlosigkeit und 
erwarb sich überall Liebe und Verehrung. Freudig ordnete 
sie sich ihrem Gatten unter und schaute in frauenhafter 
Hingebung zu ihm auf, während er sie fast väterlich zu 
schützen und zu behüten suchte.' Etwas mädchenhaft 
Zartes, etwas graziös Schüchternes haftete ihr stets an, 
und bis zu ihren späten Jahren ging ein eigentümlicher 
Zauber von ihr aus, der ihr aller Herzen gewann. 

So war die Familie beschaffen, in welcher Prinz Karl 
aufwuchs und welche ihm für das ganze weitere Leben 
leuchtende Vorbilder bot. Der ernste, gemessene, haus- 
hälterische und ordnungsliebende Großvater, der ziel- und 




7 



pflichtbewußte, stets groß denkende und handelnde, für 
Künste und Wissenschaften lebhaft interessierte Vater, 
der an Preußens aufstrebender Politik tätigsten Anteil 
nahm, die sorgsame, immerdar um die Ihren bemühte, 
tief innerlich empfindende gütige Mutter, deren ganzes 
Sein dem Wohlergehen des Gemahls und der Kinder ge- 




Schloß Weinburg. 



widmet war. Es ging still und gemessen im fürstlichen 
Haushalt zu, und an lärmenden Zerstreuungen, wie es 
an anderen Fürstenhöfen vielfach der Brauch, fehlte es 
gänzlich. Prinz Karl war ein zartes Kind; die jugendliche 
Lebhaftigkeit wurde oft gemildert durch eine gewisse 
Ruhe, die sich schon früh in seinem Wesen zeigte. Von 
zierlicher Gestalt und fast mädchenhaftem Aussehen, 
mit leicht gewelltem dunklem Haar, erfreute er sich doch 
stets einer kräftigen Gesundheit und tummelte sich mit 
seinen Geschwistern in lustigen Jugendspielen umher 



Digitized by 



8 



bald in Sigmaringen verweilend, bald in den Sommer- 
schlössern Inzighofen und Krauchenwies, gelegentlich zu 
Besuch bei seinen Großmüttern, jener schon erwähnten 
Stephanie, in Umkirch bei Freiburg im Breisgau, wo sie 
die liebenswürdigste Gastfreundschaft ausübte, oder auch 
bei der Großmutter väterlicherseits, Antonia Maria, die, 




Blick von Schloß Weinburg auf Rheineck und W atzenhausen. 

eine geborene Prinzessin Murat und Bruderstochter des 
glänzenden Marschalls und Königs von Neapel, der mit 
der jüngsten Schwester des ersten Napoleon vermählt 
gewesen, gleichfalls französischer Abstammung war, auf 
der Weinburg, der lieblich am Einfluß des Rheins in den 
Bodensee gelegenen großväterlichen Besitzung in der 
Schweiz. Hier, an den blauen Fluten des Schwäbischen 
Meeres, mag sich die empfindsame Seele des Knaben mit 
voller Freude der Natur erschlossen haben, die sich ihm 



Digitized by 



9 



in der friedsamen Landschaft auf das schönheitsvollste 
zeigte, an geschichtlicher Stätte mit dem weiten Blick 
auf fruchtbare Ebenen und die ferne Kette der schnee- 
gekrönten Alpen. Früh schon äußerte sich bei dem Kna- 
ben ein reger Sinn für die Schönheiten der Natur, die er 
in stiller Träumerei in sich aufnahm und die ihm bereits 
in jugendlichem Alter viel reichere und stärkere Eindrücke 
gewährten, als es sonst bei Kindern der Fall. Seine, wie 
die erste Erziehung seiner beiden ältesten Geschwister, 
des Prinzen Leopold und der Prinzessin Stephanie, sowie 
seines zwei Jahre jüngeren Bruders, Prinzen Anton, leitete 
eine französische Bonne, Mademoiselle Picard, die sich 
in hohem Grade das Zutrauen der Kinder erwarb, gleich 
dem geistlichen Rat Emele, welcher die Prinzen in den 
Anfangsgründen der Wissenschaften unterrichtete. 

Die stürmischen Ereignisse von 1848 schlugen auch 
im Hohenzollernsqhen Fürstentum ihre Wellen, und Fürst 
Karl Anton, tief verstimmt über den jähen politischen 
Umschwung, übertrug am 28. August 1848 die Regierung 
seinem Sohne Karl Anton, der bereits im Frühling des 
Jahres, als Vertreter des Landesherrn, den Bewohnern des 
Fürstentums wichtige materielle Erleichterungen gewährt 
und viele politische Forderungen der neuen Zeit aus eigen- 
stem Antriebe erfüllt hatte. Trotzdem ergriff die von 
Frankreich eindringende revolutionäre Bewegung auch die 
Hohenzollernschen Lande, es war eine ernste und ereignis- 
volle Zeit, in der der junge Prinz Karl seinem Vater schrieb, 
„daß es so schwer wäre, Fürst zu sein". Aus Rücksicht 
auf die Sicherheit der Seinen verließ Fürst Karl Anton 
mit seiner Familie Ende September Sigmaringen, doch 
nur zwei Wochen währte die Abwesenheit, bereits im 
Oktober war die Ruhe wiederhergestellt. Aber wenige 
Monde später, im Frühling 1849, wiederholten sich die 
erregten Begebnisse, da die Badische Bewegung sich auch 
auf Hohenzollern ausdehnte, das von Truppen entblößt 




10 



war, sodaß es der Fürst für das Beste hielt, seine Kinder 
nach der Weinburg auf Schweizer Gebiet zu senden. Fürst 
Karl Anton, dessen weiter staatsmännischer Blick die 
Unzulänglichkeit bestimmter souveräner Bevorzugungen 
und Überlieferungen in Deutschlands Zwergstaaterei, die 
in starkem Gegensatz standen zu dem allgemeinen Um- 
schwung der gärenden neuen Zeit, erkannt hatte und welcher 
der unbedingten Überzeugung war, daß die Wiederher- 
stellung Deutschlands nur von Preußen ausgehen könne, 
brachte am 7. Dezember 1849 einen schon seit langem 
gehegten und reiflich erwogenen Plan zur Ausführung, 
indem er durch Staatsvertrag die Souveränität über sein 
Fürstentum an die Krone Preußens übertrug und seine 
Truppen des ihm geleisteten Fahneneides entband; der 
junge Prinz Karl, in der Hohenzollernschen Kadetten- 
uniform, wohnte mit seinem älteren Bruder diesem be- 
deutsamen Ereignis bei. 

Die feierliche Übergabe des Fürstentums fand am 
12. März des nächsten Jahres statt, der am 20. April die 
Abdankung folgte, und die hierbei gesprochenen innigen 
Worte der Abdankungsurkunde des Fürsten Karl Anton 
erweckten weit über Preußen hinaus ein starkes Echo, 
da zum ersten Male mit männlichem Freimut und mit 
freiwilliger Aufgebung aller ererbten wichtigen Rechte 
ein hochherziger deutscher Fürst für den Einheitsgedanken 
Deutschlands eintrat; heißt es doch darin: „Vor allem 
aber liegt Mir ob darzutun, daß Ich nicht etwa deswegen 
der Regierung entsage, weil Mir die Erfüllung der 
Forderungen der Neuzeit schwer falle, oder weil die 
auch in Meinem Lande vorgekommenen anarchischen 
Bestrebungen die Last des Regierens unerträglich machen, 
sondern bloß deswegen, weil Ich einen Schritt vor- 
wärts tun wollte zur Beförderung dessen, was 
dem großen deutschen Vaterlande not tut und 
Meinem Volke frommt, einen Schritt vorwärts 




11 




Digitized by 



12 



Hand mußte die Zügel meiner Regierang ergreifen, 
wenn Volksglück hier heimisch werden sollte. Diese 
Ansicht hatte ich längst als Wahrheit erkannt, auch 
habe ich sie nicht gefaßt unter dem vorübergehenden 
Eindruck stürmischer Tage; ich bin ihr treu ge- 
blieben auch bei vielen rührenden Beweisen fester An- 
hänglichkeit, klarer Erkenntnis der Sachlage und auf- 
richtiger Liebe, die mir bis in die letzte Zeit meiner Re- 
gierung von vielen — und ich darf es mit Stolz sagen — 
von den Besten meines Volkes geworden sind. Auch nicht 
der leiseste Anflug eines bitteren Gefühles ist es, der mich 
beim Scheiden von meinem Volke befallen könnte; ich 
bin stolz, meine Pflicht erfüllt zu haben, solange ich die 
Regierung meines Staates führte, und sie zu erfüllen, in- 
dem ich die Regierung niederlege. Soll der heißeste Wunsch 
meines Herzens, soll das Verlangen aller wahren Vater- 
landsfreunde erfüllt werden, soll die Einheit Deutschlands 
aus dem Reich der Träume in Wirklichkeit treten, so darf 
kein Opfer zu groß sein ; ich lege hiermit das größte, welches 
ich bringen kann, auf dem Altar des Vaterlandes nieder! 
Möge mein Volk glücklich sein unter dem neuen mächtigen 
Herrscher, möge es Wohlstand und ungetrübtes Glück 
finden in dem engeren Verbände mit jenem großen deut- 
schen Lande, dessen ruhmgekröntes Regentengeschlecht 
mit dem schwäbischen Hohenzoller zugleich den Ursitz 
seiner glorreichen Wiege wiederfindet, und welches schützend 
und schirmend in die ihm freiwillig dargebotene Erbschaft 
großmütig eintritt. Keinen andern Wunsch kennt mein 
Herz in der Stunde des Scheidens; es ist erfüllt von dem 
Andenken an die, welche mich geliebt haben, und deren 
Liebe auch in der Zukunft mein bleiben wird, vor allem 
von dem Gefühle der Dankbarkeit gegen diejenigen, die, 
mit wahrer Liebe meinem Volke zugetan, auch mir treu 
geblieben in schweren Stunden drohender Gefahr. Für 
einen Gedanken an die, die mich verfolgt und geschmäht, 




13 



die den Wunsch meines und der Meinigen Untergangs in 
verbrecherischem Gemüte getragen, ist in dieser feierlichen 
Stunde in meinem Geist kein Raum. Ihnen sei verziehen 
und vergessen. Dies mein letztes fürstliches Wort! 
Möge der Himmel den hohen Herrscher, meinen könig- 




Prinz Karl im sechsten Lebensalter (1845). 



liehen Herrn, erleuchten, in dessen Hand ich die Ge- 
schicke meines Volkes lege; möge das Volk, das 
ich einst mit warmer Liebe „mein" genannt, glück- 
lich sein." 

Der Vertreter König Friedrich Wilhelm IV., Ober- 
ceremonienmeister Freiherr von Stillfried-Kattowitz, be- 
tonte bei dieser Gelegenheit, daß nur der ausdrückliche 
Wille des Fürsten von Hohenzollern den König allein zum 



Digitized by 



14 



Abschluß des Staatsvertrages hätte bewegen können! 
„Dieser Vertrag sei eine deutsche Tat, und die deutsche 
Geschichte werde dieselbe verewigen !" Des weiteren hob 
der Abgesandte hervor, daß im Augenblicke der Besitz- 
ergreifung von Seiten Preußens, der Vereinigung dieser 
Lande mit dem größten norddeutschen Staate, der König 
nicht minder der Welt zeigen wolle, wie wert ihm seine 
Stammverwandten seien, und es nicht nur den Fürsten 
von Hohenzollern Schutz und Schirm in Haus und Gütern, 
sondern auch die ehrenvollste Stellung im 
preußischen Staate für nun und immer 
gewähren wolle. In einem Handschreiben des 
Königs erteilte letzterer dem Fürsten von Hohenzollern 
das Prädikat Hoheit, garantierte ihm den Rang eines 
souveränen deutschen Bundesfürsten, verlieh ihm die 
Vorrechte der nachgeborenen Prinzen des Königlich Preußi- 
schen Hauses und das Recht, den Hohenzollernschen 
Hausorden auch ferner zu verleihen. 

Das Jahr 1850 war für den Prinzen Karl insofern 
noch ein wichtiges, als er im Sommer in Ostende die erste 
Begegnung mit dem Prinzen Friedrich Wilhelm, dem 
späteren Kaiser Friedrich, hatte, mit welchem ihn der- 
einst die treueste Freundschaft verbinden sollte. Wenn 
sich zunächst der Altersunterschied auch noch geltend 
machte, so soll der um acht Jahre ältere Friedrich Wilhelm 
schon damals dem stammverwandten jugendlichen Vetter 
die freundlichsten Sympathien entgegengebracht haben» 

Bald danach begannen die eigentlichen Lernjahre für 
den Prinzen Karl und seinen jüngeren Bruder Anton, die 
mit ihrem Erzieher nach Dresden übersiedelten, welche 
Stadt der fürstliche Vater ausgesucht, weil sie, gesund 
und schön gelegen, vielfältige Anregung und infolge tüch- 
tiger Lehrkräfte die erwünschten Hilfsmittel für Er- 
ziehung und Unterricht bot. Die beiden jungen Prinzen 
weilten, damit sie den höfischen Zerstreuungen entzogen 




15 



würden, als Barone von Straßberg in der sächsischen 
Hauptstadt, aber später ergaben sich doch nähere Be- 
ziehungen zu dem verwandten königlichen Hofe und auch 
herzliche Freundschaftsbande verknüpften sie mit Alters- 
genossen. Der Erzieher hatte seine Aufgabe streng erfaßt 
und stellte große Anforderungen an seine Zöglinge. Von 
dem demokratischen Zuge der Zeit war auch er durch- 
drungen, denn er prägte den Prinzen ein, daß sie sich viel 
Mühe geben müßten, damit die Menschheit ihnen vergäbe > 
daß sie als Prinzen geboren seien; eine Lehre, die gerade 
vom Prinzen Karl in ihrem Kern sehr ernst aufgenommen 
ward und für welche er nachdenkliches Verständnis zeigte. 

Der Aufenthalt in Dresden währte bis zum Jahre 1856. 
Er wurde unterbrochen durch die Ferienreisen zu den 
Eltern, die 1852 nach Düsseldorf übergesiedelt waren, wo 
Fürst Karl Anton das Kommando der 14. Division über- 
nommen hatte, sowie durch sommerliche Erholungsaus- 
flüge und Besuche der Großeltern, die Schloß Bistritz 
in Böhmen bewohnten. Mit den fernweilenden Geschwistern 
stand Prinz Karl in regstem brieflichem Verkehr und 
war stets bemüht, ihnen wie den Eltern Überraschungen 
zu den Festen zu bereiten. Wie eng und treu die Familie 
zusammenhielt, ging daraus hervor, daß Prinzessin Ste- 
phanie einst den Geschwistern vorgeschlagen, sich unter- 
einander keine Weihnachtsgeschenke zu machen, um für 
das so erübrigte Geld der geliebten Mutter, die öfter lei- 
dend war, eine besonders schöne Gabe zu spenden. 

Nach Abschluß der Dresdener Studien hegte Prinz. 
Karl den Wunsch, in Münster die Portepee-Fähnrichs- 
prüfung abzulegen, wozu er als Mitglied des Hohenzollern- 
hauses nicht verpflichtet gewesen, und Fürst Karl Anton,, 
erfreut über diesen gewissenhaften Charakterzug seines 
Sohnes, ersuchte die Prüfungskommission, keinerlei Rück- 
sicht walten zu lassen, sondern den Prinzen genau so zu 
behandeln und zu prüfen, wie jeden andern. Vier Tage 




16 



währte das Examen, dem der Prinz nicht ohne Besorgnis 
-entgegengesehen und das ihm manch bange Stunde be- 
reitet, da er ja noch nie zuvor geprüft worden war, das 
-er aber mit „Gut" bestand. 

Hier zeigte sich bereits die Selbständigkeit seines 
Wesens und das mit einem gewissen Ehrgeiz verbundene 
Streben, alles sich selbst zu verdanken und nicht bestimm- 
ten Vorzügen der Geburt. Daß er den Hohenzollern an- 
gehörte, hat ihn stets mit durchaus gerechtfertigtem Stolz 
erfüllt, aber gerade deshalb wollte er aus eigener Kraft 
sich seine Stellung und infolge seines Wissens und seiner 
Fähigkeiten den Platz erringen, den andere Fürsten als 
ihnen selbstverständlich zustehend betrachten. Die er- 
klärt uns vieles in der Sinnesart des jungen Prinzen, wie 
in der späteren Entwicklung des Fürsten und Königs, der 
an sich stets die höchsten Anforderungen stellte und in 
seiner soldatischen Einfachheit wiederholt betonte: „Was 
der Mensch selbst tun kann, soll er nicht von einem andern 
tun lassen." 

Zur Belohnung für das bestandene Examen und die 
vorangegangene angestrengte Arbeitszeit sandte Fürst 
Karl Anton seinen Sohn nach der Schweiz und nach Ober- 
Italien, wobei der Prinz in Begleitung seines Gouverneurs 
große Gebirgstouren unternahm und die Erhabenheit der 
Alpenwelt, die Lieblichkeit der italienischen Seen und 
die schönheitsfreudigen, an denkwürdigen Überlieferungen 
reichen Stätten italienischer Kunst und vergangenen 
Prunkes, Venedig, Mailand und Genua, mit jugendlicher 
Begeisterung kennen lernte. 

Am i. Januar 1857 wurde Prinz Karl zum Seconde- 
Leutnant ä la Suite des Gar de- Artillerie- Regiments, welche 
Waffe er sich als die interessanteste ausgesucht, ernannt, 
trat aber zunächst nicht in die Front ein, da er sich erst 
in der Festung Jülich mit dem praktischen Dienst ver- 
traut machte, die Handhabung der Geschütze erlernend 




17 



und eifrig hantierend mit Wischer und Hebebaum, so daß 
er bei einem Vorexerzieren am Geschütz vor seinem Vater 
trefflich abschnitt. Auch als gewandter Turner und 
sicherer Reiter bewährte er sich und konnte sich bereits 
in Jülich in der schweren Kunst üben, als Prinz den Mittel- 



Prinz Karl als Seconde-Leutnant im Garde- Artillerie- Regiment (1857). 

punkt einer größeren Geselligkeit zu bilden und gut aus- 
zufüllen. Seit seinem Eintritt [in die Armee war ihm 
Hauptmann von Hagens als Militärgouverneur beigegeben 
worden, ein pflichttreuer, begabter Offizier, der, dem 
Prinzen herzlich zugetan, sich überzeugt hatte von der 
Wahrheit jener eindringlichen Worte über Prinzenerziehung, 
die einst Goethe an Frau von Stein gerichtet nach seinen 
Erfahrungen am Meininger Hofe: „Die Hofmeister junger 

Lindenberg, König Karl. 2 




Digitized by 



18 



Fürsten, die ich kenne, vergleiche ich Leuten, denen der 
Lauf eines Bachs in einem Tal anvertraut wäre, es ist 
ihnen nur drum zu tun, daß in dem Raum, den sie zu 
verantworten haben, alles fein stille zugehe, sie ziehefi 
Dämme quer vor und stemmen das Wasser zurück, zu 
einem feinen Teiche; wird der Knabe majorenn erklärt, 
so gibt's einen Durchbruch und das Wasser schießt mit 
Gewalt und Schaden seinen Weg weiter und führt Steine 
und Schlamm mit fort. Man sollte wunder denken, was 
es für ein Strom wäre, bis zuletzt der Vorrat ausfließt 
und ein jeder zum Bache wird, groß oder klein, hell oder 
trüb, wie ihn die Natur hat werden lassen, und er seines 
gemeinen Weges fortfließt/' Hauptmann von Hagens 
suchte in keiner Weise die Eigenart des Prinzen zu beein- 
trächtigen, aber er war bestrebt, ihn zu eigener Selbstän- 
digkeit zu entwickeln und ihm das Verständnis zu er- 
schließen für die realen Dinge des Lebens. Den Prinzen 
zu warnen vor Überschreitungen der gezogenen Grenzen 
und vor den Gefahren des großstädtischen Lebens, war 
nicht vonnöten; mit warmem, mitfühlendem Herzen und 
einem reichbewegten Innenleben war er nacli außen hin 
bescheiden-zurückhaltenden Wesens und hatte volles Ver- 
ständnis für einen andern Ausspruch Goethes, der in einer 
Kontroverse mit Herder über das Ziel der Fürstenerziehung 
bemerkt hatte, daß auch das Ubermaß des Guten zum 
Fehler werden könne, und hinzusetzte: „Ist es denn 
nicht mit jeder Leidenschaft dasselbe, in der die Mächtigen 
und Reichen einen höheren und stärkeren Genuß des 
Lebens suchen! Hunde, Pferde, Jagd, Spiel, Feste, Klei- 
der und Diamanten, was für Kapitale von Barschaft 
stecken darin und was für Interessen von Zeit und Geld 
zehren sie nicht auf, ohne die Seele zu erheben, das doch 
die Gaben der Musen um billigeren Preis gewähren." — 
Wie Fürst Karl Anton über die fernere Erziehung 
seines Sohnes, die er noch nicht als abgeschlossen be- 




19 



trachtete, dachte, geht aus den Wünschen hervor, welche 
er für Hauptmann von Hagens, der den Prinzen im Früh- 
ling 1857 nach Berlin begleitete, schriftlich niedergelegt: 
„Erhaltung und Erhärtung des religiösen Gefühls, jedoch 
ohne Ostentation und Äußerlichkeit. Die kirchlichen 
Pflichten sind streng zu erfüllen, aber stets so, daß die 
tote Form niemals die innere Wesenheit überwuchert. — 
Auf die richtige Auffassung des Ehrenpunktes und der 
militärischen Standesbegriffe ist mit Abstreifung aller 
hohlen Vorurteile unausgesetzt hinzuwirken; seine Geburt 
und ererbte fürstliche Würde sind meinem Sohne so dar- 
zustellen, daß er seinen einzigen Halt in seiner Eigenschaft 
als Offizier und Kavalier finde. Daraus resultiert eine 
stets gemessene und bescheidene Haltung und die Be- 
tätigung echter Kameradschaftlichkeit. Ein notwendiges 
Gegengewicht zu diesen Eigenschaften bildet männliche 
Selbständigkeit, Uberzeugungstreue und Bewahrung der 
eigenen Individualität/' Der Fürst wünschte sodann des 
ferneren, daß sein Sohn, da er noch zu jung und uner- 
fahren sei zur Ausprägung eigener politischer Anschau- 
ungen, vor einseitigen und parteiischen Eindrücken be- 
wahrt bleibe: „Das Gefühl von Recht und Billigkeit 
nach allen Richtungen muß ihm stets klar erhalten bleiben ; 
daher dürfen Standesvorurteile in ihm niemals aufkom- 
men. Preußens Beruf in Deutschland, seine Größe und 
Machtentfaltung auf nationaler Basis — dieses zugleich 
die traditionelle dynastische Politik — sollen Überzeu- 
gungen seines strebenden Geistes werden. Der Name 
„Hohenzollern" ist ein Ehrenname, dessen er sich stets 
in bescheidener Zurückhaltung bewußt bleiben muß!" 

In der Tat goldene Worte; sie zeigen uns, welcher 
Geist in der fürstlichen Familie lebte und in welcher Art 
die Einwirkungen waren, die der junge Prinz vom elter- 
lichen Hause her empfangen. Aber was helfen alle Er- 
mahnungen und alle noch so gut gemeinten Vorschriften, 




20 



wenn der Kern nicht ein echter und rechter, ein kraft- 
voller ist, wie es hier der Fall war. Reinheit des Gemüts 
verband sich bei dem Prinzen Karl mit Reinheit des 
Glaubens, welch letzterer sich nie an den Buchstaben 
heftete, sondern einer inneren, religiösen Überzeugung 
entsprungen war. Lauterkeit der Gesinnung verknüpfte 
sich mit einem harmonischen Gleichmaß in der Auffassung 
und Betätigung der Aufgaben, die das Leben an jeden, 
an den Höchsten wie an den Niedrigsten, stellt. Hierzu 
gesellten sich Vorurteilslosigkeit in jeder Beziehung und 
das Verständnis für menschliche Irrungen und Wirrungen. 
Von festen Grundsätzen, von denen er nie abwich, war 
der Prinz treu gegen sich und treu gegen andere, nie sich 
leidenschaftlichen Wallungen hingebend, aber seinen star- 
ken Willen durchsetzend, wenn er ihn als richtig erkannt. 
Die beiden Zeiger seiner Lebensuhr waren von früh an: 
„Pflicht und Vaterland". Sie ordneten seinen Weg und 
waren die vornehmste Richtschnur seines Handelns. 

Prinz Karl besuchte zunächst in Berlin die Vereinigte 
Artillerie- und Ingenieurschule und erhielt von tüchtigen 
Lehrkräften noch Unterricht in Mathematik, Militär- 
wissenschaften, Fortifikationslehre, Chemie und Physik, 
in französischer Sprache, im Plan- und Konstruktions- 
zeichnen, während ihn Hauptmann von Hagens in die 
Taktik einführte. Obwohl Fürst Karl Anton gewünscht 
hatte, daß die militärische Ausbildung seines Sohnes nicht 
gehindert werde durch die Zerstreuungen der großen Stadt, 
ließ sich selbstverständlich der engere verwandtschaft- 
liche Verkehr am preußischen Königshofe nicht umgehen. 
Jeden Sonntag nahm der Prinz an dem Familiendiner des 
Königspaares teil und erfreute sich namentlich der herz- 
lichen Zuneigung seitens des Prinzen und der Prinzessin 
von Preußen, die den jungen Neffen auf das liebevollste 
in ihren Kreis aufnahmen. Im August beteiligte sich der 
Prinz an der Seite seines Vaters an den Manövern der 




_2\_ 

14. Division und an den Schießversuchen in Schweidnitz, 
wobei er Bekanntschaft mit dem General von Moltke 
schloß, der, ein scharfer Menschenkenner, das innere Wesen 




Prinzessin Stephanie von Hohenzollern. 

(Königin von Portugal.) 



des Prinzen richtig beurteilte, indem er geäußert: „Der 
junge Prinz von Hohenzollern wird noch im Leben eine 
Rolle spielen und von sich reden machen!" — 

Der Frühling 1858 brachte die bittere Trennung von 
der geliebten Schwester Stephanie, mit der sich der König 



Digitized by 



22 



Dom Pedro V. von Portugal verlobt hatte; wie es oft 
in alten Zeiten der Fall gewesen, fand die Vermählung 
per Prokura statt — und zwar am 29. April des genannten 
Jahres, — wobei der König durch den ältesten Bruder 
der Prinzessin, den Erbprinzen Leopold, vertreten wurde, 
der seine Schwester auch dem Gemahl zuführte, welcher 
die Erwählte bisher nur aus dem Bilde gekannt; trotzdem 
wurde die Ehe eine außerordentlich glückliche. In tiefster 
brüderlicher Liebe war Prinz Karl der um zwei Jahre 
älteren Schwester zugetan, die ebenso schön wie sanft 
und hingebend, dabei sehr begabt und von leidenschaft- 
licher Liebe erfüllt war für ihre Heimat und für das deutsche 
Vaterland, die politischen Strömungen dfer Zeit aufmerk- 
sam verfolgend und den Ihrigen daheim' ihre Gedanken 
darüber in lebhafter Weise mitteilend. -Die Prinzessin 
hatte sich nicht entschließen können, trotz mancher ver- 
wandtschaftlichen Einflüsse, ihre Hand Napoleon III. zu 
reichen, und mit reifem Verständnis die politische Welt- 
lage überschauend und beurteilend, schrieb sie 1859 an 
ihren Bruder Karl: ,, Preußen, als Großmacht, muß jetzt 
endlich mit Entschiedenheit auftreten, um der Willkür 
des französischen Kaisers ein Ende zu machen. Es ist 
empörend, daß das Wort eines Mannes ganz Europa 
Krieg oder Frieden diktieren soll/' Sie betonte d-aran 
anschließend, wie stolz ihre Brüder sein müßten, einem 
so edlen Volke wie dem deutschen anzugehören. — Nur 
wenig über ein Jahr war die glückbringende und glück- 
empfangende Prinzessin Gemahlin des Königs Dom Pedro 
gewesen, als sie am 17. Juli 1859 an Diphtheritis starb, 
noch in den letzten Minuten mit ihren Gedanken bei den 
Eltern und Geschwistern Verweilend, an die sie ihrem 
Sekretär die zärtlichsten Grüße aufgetragen. Ihr Hin- 
scheiden bedeutete für die fürstliche Familie den herbsten 
und unersetzlichsten Verlust, aber auch für ihren Ge- 
mahl, der, wenig über ein Jahr später vom Typhus be- 




23 



fallen, ihm erlag, den Tod herbeisehnend, der ihm die 
Wiedervereinigung mit der geliebten Gattin versprach. 

Im November 1858 siedelte zur innigen Freude des 
Sohnes Fürst Karl Anton nach Berlin über. Prinzregent 
Wilhelm, der seinen erkrankten königlichen Bruder vertrat, 
hatte den Fürsten als Ministerpräsidenten berufen, da es sich 
um einen einschneidenden Wechsel des Systems mit Berück- 
sichtigung der Bedürfnisse einer neuen Zeit handelte und 
er anderen, vorurteilslosen Männern die verantwortliche 
Führung der Regierungsgeschäfte übertragen wollte. Diese 
Männer von strenger Rechtlichkeit und erprobter Redlich- 
keit, von verfassungstreuer Gesinnung und gemäßigten 
politischen Anschauungen, wußte Fürst Karl Anton zu 
finden, wie von Auerswald, von Patow, von Bethmann- 
Hollweg, von Bonin, Flottwell, später Graf Schwerin und 
andere, Männer, „die einen scharfen Gegensatz gegen das 
bisherige System bezeichneten ". Ihre Berufung fand die 
bereitwillige Zustimmung der weitesten Massen der Nation. 
„Es wäre unmöglich gewesen," verzeichnet der Herzog 
Ernst von Sachsen- Koburg-Gotha in seinen Erinnerungen, 
„für das neue Ministerium einen andern Namen zu finden, 
als den des ehrenhaften, patriotischen, wahrhaft gebildeten 
Fürsten von Hohenzollern, welcher bessere Hoffnungen 
und größere Garantien einer gedeihlichen Entwicklung 
der preußischen sowie der allgemein deutschen Verhält- 
nisse zu geben vermocht hätte." Und ein einflußreiches 
Blatt, die „Magdeburgische Allgemeine Zeitung", begrüßte 
die Ernennung des Fürsten mit freudigen Worten: „In 
engeren Kreisen wird der Fürst nicht bloß um dessentwillen 
geschätzt, daß er ein unzureichendes Staatswesen der 
großen Monarchie mit klarem Verständnisse der Weltlage 
und mit vollem Bewußtsein dessen, was er tat, einverleibt, 
sondern wegen seiner hohen Einsicht in politische Dinge 
überhaupt, wegen seiner umfassenden Kenntnis der Staats- 
verhältnisse, wegen seines gesunden Urteils über die Be- 



Digitized by 



24 



dürfnisse der Regierungen und Völker, wegen seines Frei- 
sinns und lebhaften Patriotismus, endlich wegen der 
Stellung, welche Seine Hoheit als Katholik zu den kon- 
fessionellen Fragen einnimmt und die sowohl seiner Reli- 
giosität, als auch seinem Verständnisse des Jahrhunderts 
alle Ehre machen. Auf diesen Mann richteten sich sogleich 
die Blicke aller derer, welche ihn hothschätzen und von 
seiner Beteiligung an den Geschicken Preußens, das seinem 
Herzen wahrhaft teuer ist, Heil erwarten/' 

Der Fürst erfaßte seine verantwortliche Aufgabe mit 
hingebendem Ernst, seine Gewissenhaftigkeit und Grad- 
heit erwarben ihm allgemeines Zutrauen, mit seiner warm- 
überzeugten deutsch-nationalen Gesinnung verband sich 
eine begeisterte Hingabe an Preußen, in dem Streben 
gipfelnd, das gesunkene preußische Ansehen in Europa 
zu heben und derh Staate Festigkeit im Innern wie im 
Äußern zu verleihen. 

Das führte er auch mannhaft durch, getreu seinem 
Ziele, das er in einem Briefe an den ihm befreundeten 
Herzog Ernst von Sachsen-Koburg-Gotha dargelegt: „Ver- 
fassungstreue und Gesetzesachtung zur Wahrheit zu 
machen, daneben die preußischen Traditionen festhalten, 
welche eine starke und mächtige Hand wollen. In diesen 
wenigen Worten liegt die Aufgabe, deren glückliche Lösung 
in ganz Deutschland einen ermutigenden Widerhall finden 
muß; ermutigend namentlich deshalb, weil in ihnen die 
Gegensätze zu denjenigen absolutistischen Strömungen 
enthalten sind, welche gegenwärtig in vielen Regierungs- 
kreisen sich geltend machen und leider außerhalb Deutsch- 
lands Begründung und Anlehnung suchen und finden/' — 
An ernsten Hindernissen und vielfachen Widerwärtigkeiten 
fehlte es nicht, wie dies auch aus einem andern Schreiben 
an den oben genannten Herzog hervorgeht: „Das spezi- 
fische Preußentum ist schwer zu behandeln, es ist eine un- 
geschlachte Macht. Ich stehe viel aus und leide tief im 




25 



Herzen; doch stehen wir fest und sicher und alles wird 
erst werden, nur langsam, schwerfällig und scheinbar 
schwankend, bis das richtige Gleichgewicht hergestellt 
ist." — In ruhig-entschiedener Weise trat der Fürst stets . 
für die Großmachtstellung Preußens ein und setzte durch, 
daß dies in kritischen Zeitpunkten energisch betont wurde, 
wie im Frühling 1859, als sich auf seine Warnungen 
hin Preußen in Kriegsrüstung zeigte. Die Bestrebungen, 
das preußische Heer schlagkräftig zu machen, fanden in 
ihm einen zielbewußten Vertreter, und auch im Abgeord- 
netenhause trat er — Ende Mai 1861 — mit vollster Energie 
für die Heeresforderungen ein. Ein schwerer Krankheits- 
anfall nötigte den Fürsten im Frühling 1862 zu einem 
längeren Urlaub, den er im Süden zubrachte, aber auch 
nach seiner Rückkehr erwies sich seine Gesundheit doch 
zu geschwächt, als daß er die vielfachen Pflichten seines 
verantwortungsvollen Postens so, wie er es wollte, er- 
füllen konnte, und er reichte im September des gleichen 
Jahres sein Abschiedsgesuch ein. Nur ungern entschloß 
sich König Wilhelm, dasselbe zu bewilligen, in warmen 
Worten die Verdienste des Fürsten anerkennend: ,,Als 
Ich Eure Königliche Hoheit im Jahre 1858 berief, den 
Vorsitz meines Staatsministeriums zu übernehmen, sind 
Sie diesem Ruf aus Anhänglichkeit und Freundschaft 
für mich mit Bereitwilligkeit gefolgt und haben sich der 
großen Aufgabe dieser Stellung mit seltener Umsicht und 
Hingebung für den Thron und das Vaterland gewidmet, 
wofür Ihnen ebenso die Anerkennung des Landes, wie 
meine tiefste Dankbarkeit zuteil geworden ist." Und es 
heißt dann am Schluß des aus Baden vom 29. September 
1862 datierten Schreibens, nachdem der König lebhaft 
bedauert, wie schwer es ihm wird, die aus Gesundheits- 
rücksichten mehrfach nachgesuchte Entlassung zu er- 
teilen: „Ich tue dies mit den schmerzlichsten Gefühlen; 
denn nicht nur stehen Sie als Verwandter und Freund 




26 



meinem Herzen gleich nahe, sondern Ich werde auch die 
Entbehrung Ihres Beistandes in den Staatsgeschäften 
schwerer empfinden, als Ich es auszudrücken vermag. — 
• Empfangen Ew. Königliche Hoheit nochmals den Aus- 
druck der Ihnen so oft kundgegebenen innigsten Dank- 
barkeit, die Ich Ihnen schulde für die Aufopferung und 
erfolgreiche Tätigkeit, die Ihre Leitung der Staatsgeschäfte 
auszeichnete, welche Dankbarkeit auch, so langeich lebe, 
nicht erlöschen wird/' 

Als sich der Fürst genötigt sah, aus den genannten 
Gründen sein Amt niederzulegen, brachte er als seinen 
Nachfolger Herrn von Bismarck, der als Gesandter in 
St. Petersburg weilte, beim König in Vorschlag, hervor- 
hebend, daß dieser bei seinem Talent, Mut und Kennt- 
nissen imstande sein werde, die auswärtige Politik in 
energischer und großzügiger Weise zu lenken. — Fürst 
Karl Anton war der erste, der das Genie Bismarcks, welcher 
schon früher seine ernste Aufmerksamkeit erregt hatte, 
erkannte. Wenige Monate später wurde der Rat des 
Fürsten befolgt: am 23. September wurde Bismarck zum 
interimistischen, bald danach zum Präsidenten des Staats- 
ministeriums und zum Minister der auswärtigen Ange- 
legenheiten ernannt I 

Prinz Karl war in Berlin täglich mit seinem Vater 
zusammen und es ergab sich von selbst für ihn eine an- 
regende politische Lehrzeit, die dereinst ihre reifen Früchte 
tragen sollte. Gleich seinem Vater war der Prinz durch- 
aus kein Anhänger der in bestimmten höheren Kreisen 
herrschenden reaktionären Stimmung, wie er ebenso- 
wenig jemals etwas übrig gehabt für den sogenannten 
„Leutnantston" und für Standesüberhebung. Er neigte 
mehr der liberalen Richtung zu und verkehrte auch in 
Häusern, die, als freisinnig, in Hofkreisen für bedenklich 
galten. Das ward ihm natürlich an manchen Stellen ver- 
dacht, wie ihm Prinz Karl von Preußen gelegentlich miß- 




27 



mutig seine Verwunderung ausdrückte, daß er in Garde- 
uniform im Hause des Ministers von Patow getanzt habe, 
worauf aber der Prinz schlagfertig erwiderte, er wäre nicht 
als Gardeoffizier, sondern als Prinz von Hohenzollern 
dort gewesen. 

Die sehr ernsthaft betriebenen militärischen Studien 
des Prinzen fanden durch die im Mai 1859, beim Aus- 
bruch des Französisch-Österreichischen Krieges in Italien, 
erfolgende Mobilmachung der preußischen Armee eine 
wichtige Unterbrechung, wobei der Prinz nahe Einblicke 
gewann in die Bedeutung der sorgfältigen Vorbereitungen 
für den Ernstfall, wie er auch eine auf Kriegsfuß gebrachte 
Batterie führte. Die kriegerischen Wolken verzogen sich, 
und der Garnisondienst wurde von neuem aufgenommen. 
Im Jahre 1861 lernte der Prinz auf zwei längeren Reisen 
Land und Leute jenseits der deutschen Grenzen kennen. 
Im Sommer 1861 begleitete er seinen Bruder, den Erb- 
prinzen Leopold, zu dessen Vermählung mit der Infantin 
Antoinette nach Lissabon, und als er in den Tajo einfuhr 
und die portugiesische * Hauptstadt erblickte, mit der so 
eng die Erinnerung an die teure Schwester verknüpft war, 
überwältigte ihn der Schmerz derart, daß er in heftige 
Tränen ausbrach. An die trüben Stunden am Sarge der 
Schwester in der königlichen Familiengruft im Kloster 
St. Vincente reihten sich die im Königspalaste Necessidades 
mit großem Glanz begangenen Feste der fröhlichen Ver- 
mählung des Bruders mit der holden Prinzessin, die dem 
Prinzen wie eine „schöne und liebliche Erscheinung' ' 
erschien. Im November des gleichen Jahres begab sich 
der Prinz in Begleitung des Premierleutnants von Schrötter 
nach Südfrankreich, wobei er den französischen Militär- 
einrichtungen besondere Aufmerksamkeit widmete. Er 
verlebte dann das Weihnachtsfest bei den Eltern und 
Geschwistern in Hyeres, das sich der leidende Fürst 
Karl Anton zum Winteraufenthalt erkoren, und trat 




28 



Anfang Januar 1862 von Marseille aus die Fahrt nach 
Algier an. 

Es war eine neue Welt, die sich dem Prinzen Karl 
hierbei öffnete und die vor ihm eine Reihe der buntfar- 
bigsten, fesselndsten Bilder entrollte. An einen längeren 
Aufenthalt in Algier selbst schloß sich eine größere Reise 
in das Innere des Landes, und zwar von Philippeville aus, 
bis wohin das Dampfschiff benutzt worden war. Das 
Wetter hatte gerade diese Fahrt sehr begünstigt, an 
die sonnig-schönen Tage reihten sich . die feierlich-stillen 
Nächte mit dem glänzenden Schimmer der Sterne, die 
hier eine weit größere Leuchtkraft entwickeln wie in der 
Heimat, gleich dem Himmel mit seiner tiefblauen Färbung. 
In Philippeville sowohl wie auch in den andern Militär- 
stationen, die besucht wurden, lernte der Prinz des näheren 
die Truppenorganisationen kennen und machte sich ver- 
traut mit dem Dienst und dem entsagungsvollen Leihen 
der französischen Kolonialarmee. Die französische Re- 
gierung hatte alles getan, um dem fürstlichen Gast den 
Aufenthalt auf afrikanischem Boden möglichst angenehm 
und nutzbringend zu gestalten; freilich gab es genug der 
Strapazen, aber sie wurden willig ertragen, im Gegenteil, 
dem Prinzen Karl war es grad recht, einmal losgelöst zu 
sein von den sogenannten Bedürfnissen der großen Welt 
und der höfischen Etikette, von der er nie ein Freund ge- 
wesen und nie geworden, und es bereitete ihm die tiefste 
Genugtuung, sich mit voller Hingebung und freudigem 
Genuß in die geheimnisvollen Schönheiten der Natur, 
die ihn hier fremdartig auf Schritt und Tritt umgaben, 
zu vertiefen. 

Mit der Diligence wurde Constantine erreicht, das 
alte Ciret, die einstige Hauptstadt Numidiens, auf hohem 
schroffem Felsplateau in malerischer Lage sich ausdeh- 
nend, reich an Erinnerungen ihrer römischen Vergangen- 
heit. Unter der Führung des Divisions-Generals Desvaux 



t 




29 



besuchte der Prinz das Terrain, auf dem sich die erbitterten 
und blutigen Kämpfe zwischen den andrängenden Fran- 
zosen und den die Stadt verteidigenden Arabern abge- 
spielt. An den letzten Bey gemahnte der von dem jedes- 
maligen französischen Kommandeur bewohnte Palast > 
dessen innere Gärten mit ihren farbigen Blumenbeeten, 
Orangenbäumen und Palmen, unter denen sich zierliche 
Gazellen tummelten, und mit ihren plätschernden, will- 
kommene Kühlung verbreitenden Springbrunnen breite 
Säulengalerien umgaben. Aus blinkendem weißem Marmor 
waren diese über zweihundert Säulen gefertigt, und wenn 
sie abends von flimmernden Mondstrahlen getroffen wurden 
und letztere mit silbernem Schein Hallen und Höfe um- 
spielten, war der Eindruck ein völlig phantastischer. 

Nach dreitägigem Aufenthalt ging es nach Batna 
und zwar zu früher Morgenstunde, die eine unvermutete 
Überraschung brachte, denn in der Nacht war dichter 
Schnee gefallen, und große Flocken umwirbelten noch 
die Diligence, auf deren Vordersitzen der Prinz und sein 
deutscher militärischer Begleiter Platz genommen. Die 
Gegend war monoton und die Kälte so streng, daß man 
bei der Rast, die man gelegentlich in einer einsamen Kara- 
wanserei machte, sehr wohltätig das lodernde Kaminfeuer 
empfand. Erst mit Einbruch der Dämmerung erreichte 
man Batna, an dessen Häusern lange Eiszapfen hingen 
und wo ein reges militärisches Iyeben herrschte, da gerade 
die Ablösung der Garnison erfolgte. Ein eintägiger, zu 
Pferde unternommener Ausflug galt der alten Römerstadt 
Lambessa, deren einstiges Gebiet noch bedeckt ist mit 
unzähligen Trümmern, die Zeugnis ablegen von dem be- 
deutenden Umfang, den die römische Kolonisation hier 
gehabt. 

Unter Begleitung einer Eskorte von Spahis ging's dann 
nach Biscara, und rasch kam man aus dem Winter wieder 
in den Sommer, denn meist wurde der Ritt im Galopp 




30 



zurückgelegt, falls ihn nicht jähe, scharfkantig zerrissene 
Einbuchtungen hinderten, welche jedoch die in den ge- 
wagtesten Kletterkünsten erfahrenen Pferde geschickt 
überwanden. Von menschlichen Wohnungen war nichts 
zu entdecken, wohl aber zeigten vielfache Reste von 
Bauten, daß sich im Altertum hier zahlreiche Ortschaften 
mit blühendem Leben befunden. Mit inniger Freude 
wurde der herrliche Palmenwald von El-Kantara begrüßt, 
der sich plötzlich nach einer Biegung um einen Felsvor- 
sprung wie ein Wunder vor den erstaunten Blicken der 
Reiter ausbreitete, deren Augen nach dem langen Tages- 
ritte durch die eintönige, gelbbraune, sonnverbrannte Gegend 
geblendet und ermüdet waren. Das ganze Bild mit den 
unzähligen Palmen, die ihre grünen Kronen hoch in die 
Xüfte reckten, mit den lustig rieselnden und sprudelnden 
Quellen, mit der mit Schießscharten und viereckigen 
Türmen versehenen lehmfarbenen, die Oase umgebenden 
Mauer, mit den aus dem dichten Grün hell hervorleuchten- 
den weißen Häuschen, alles eingehüllt in den purpurnen 
Strahlenmantel der scheidenden Sonne, wirkte wie ein 
liebliches Märchen. Und dieser Eindruck wurde noch 
erhöht durch vielfache Gruppen in weiße Burnusse ge- 
hüllter Araber, aus denen sich die würdevollen Gestalten 
der drei Scheiks loslösten, mit dem Zeichen der Unter- 
würfigkeit dem Prinzen entgegentretend und ihn bittend, 
ihre Gastfreundschaft anzunehmen. 

Der Aufenthalt war leider nur ein kurzer, denn schon 
am nächsten Morgen wurde der Ritt fortgesetzt; wieder 
durchquerte man gebirgiges, verlassenes Terrain, das an 
vielen Stellen einen blendend silbernen Glanz aufwies, da das 
Erdreich untermischt ist mit großen Massen von Salz. In 
einer Karawanserei traf man auf eine Kamel-Karawane, 
die hier Rast gemacht, und auf eine Eskorte afrikanischer 
Chasseurs, beides von lebhaft fesselnder Szenerie, und 
dann, ehe das Gebirge erreicht war, tauchte plötzlich 




•31 



eine Fata-Morgana auf, mit breitem Wasserfall und schäu- 
menden Sturzwellen, die ebenso schnell verschwand, 
wie sie erschienen. In Biscara, wo man den Nordrand 
der großen Wüste erreicht hatte, fand der Pjinz wiederum 
die gastfreundlichste Aufnahme. Ein wundervoller Palmen- 
wald, in welchem verstreut die weißen Häuschen und einige 
zierliche Minarets lagen, breitete sich auch hier aus; 
von großer Ursprünglichkeit war das ganze lieben und 
Treiben der Bewohner der sieben Dörfer, die diese Oase 
umschloß. In Biscara wurden schnell alle Vorbereitungen 
getroffen zu einem mehrtägigen Wüstenritt durch die 
Sahara. Zehn Maulesel trugen die Zelte und Iyebensmittel, 
und eine Eskorte von Spahis sorgte für die Sicherheit. 
Ohne Weg und Steg ritt man durch das unendliche Sand- 
meer, meist im Schritt, da die Pferde geschont werden 
mußten. Die erste Rast wurde unter den hochstrebenden 
Palmen der Oase Mdonkal gehalten, in welcher der Scheik 
mit seinen Söhnen und anderen vornehmen Arabern dem 
Prinzen den Willkommen darbot. Die Nacht verbrachte 
man in den mitgeführten Zelten, die von einem heftigen 
Sturm fast fortgeweht wurden; mit dem Gebell der Scha- 
kale vermischte sich das dumpfe Heulen der Hyänen und 
das Gekläff der Hunde. Noch ehe das Tagesgestirn er- 
schien, ging es weiter, denn ein achtzehnstündiger 
Ritt stand bevor. Von neuem durchmaß man weite 
salzbedeckte Flächen, die den täuschenden Eindruck 
frischer Schneefelder erweckten. Die Hitze war sehr 
stark und die heiße Iyuft hatte eigentümliche optische Er- 
scheinungen zur Folge, denn die den Boden spärlich be- 
deckenden niedrigen Stauden wuchsen in einiger Ent- 
fernung zu mächtigen Bäumen empor, welche sich zu 
dichten Waldungen vereinten, und die in der Ferne 
weilenden Kamele glichen riesenhaften Ungeheuern. In 
der Oase Bousaada wurden die Nacht und der nächste 
Tag verbracht, dann aber die Reise fortgesetzt, nachdem 




32 



noch die Scheiks und Kaids dem Prinzen ihre Freude und 
ihren Dank ausgedrückt hatten für seinen Besuch, den 
sie als glückbringend betrachteten, da ihnen gewiß nun 
viel Regen und eine gute Ernte beschieden sein würde. 
Die folgende Nacht kampierte man in der Wüste; der 
Scheik der nächsten Ortschaft hatte sich mit seinem ganzen 
Hausstand aufgemacht, um den Prinzen zu begrüßen > 
und hatte ihm ein prächtiges arabisches Zelt errichtet, 
in dessen Nähe sechs weitere Zelte sich erhoben, in denen 
sich die Mitglieder der Eskorte häuslich einrichteten. 
Die Frauen der Scheiks sorgten für die Küche, die natür- 
lich völlig einheimisch war, und am Abend wurde das 
kleine Lager mit einem Verhau aus dünnen, vielzweigigen,. 
trockenen Stauden umgeben, um einen näheren Besuch 
der Schakale und Hyänen zu verhindern. An den flammen- 
den Feuern sah man die Gruppen der Spahis und 
weiß verhüllten Araber, dies wiederum eine packende 
malerische Szene. Der letzte Tag brachte noch eine un- 
erwartete Überraschung, denn ein Samum überfiel die 
Reisenden und zwang sie, die Pferde zu verlassen, um 
sich durch Decken und sonstige Hüllen gegen den mit 
voller Wucht herankommenden Sandsturm zu schützen, 
und erst nach einigen Stunden konnte der Ritt fortgesetzt 
werden, der noch eine zweite unvermutete Überraschung 
brachte, denn aus dem wirbelnden Staube des noch immer 
heftig wehenden Windes tauchte eine Schar Araberreiter 
in flatternden Mänteln und mit blinkenden Waffen auf, 
sich in wildem Ritt nähernd, dem Prinzen durch eine 
Fantasia huldigend, wobei es, wie üblich, nicht an gellen- 
dem Geschrei und krachenden Flintenschüssen fehlte. 

Nachdem noch in Algier ein mehrtägiger Aufenthalt 
genommen, wurde Oran besucht und von hier die Heim- 
reise angetreten, die über Gibraltar und Spanien, wo der 
Hof zu Madrid den Prinzen sehr auszeichnete, nach Paris 
ging. Auch hier erfreute sich der Prinz der denkbar 




33 



liebenswürdigsten Aufnahme und trat in nähere persön- 
liche Beziehungen zu seinen dortigen Verwandten. Die 
kaiserliche Familie widmete ihm zahlreiche Aufmerksam- 




Prinz Karl als Premier- Leutnant im 2. Garde- Dragoner-Regiment (1863). 

keiten, und Prinz Karl gewann in seiner offenen Art, 
sich zu geben, und in seinem ruhig bescheidenen Auf- 
treten das besondere Zutrauen des Kaisers, das übrigens 
aufrichtig erwidert ward. Der glänzende Hof und die 
prunkende Weltstadt an der Seine übten auf den 
Prinzen eine große Wirkung aus, aber er war doch innig 

Lindenberg, König Karl. 3 



Digitized by 



34 



erfreut, als er nach langer Abwesenheit wieder den 
deutschen Boden betrat und im trauten Düsseldorfer 
Heim die teuren Eltern und Geschwister begrüßen 
konnte. 

Den Sommer verlebte Prinz Karl in Bonn, die dortigen 
Universitätsvorlesungen besuchend und daneben private 
Vorträge hörend über französische Literatur und Kultur- 
geschichte von Professor Springer, mit welchem er wieder- 
holt die Rheinlande durchstreifte, sein besonderes Interesse 
den Baudenkmälern zuwendend, wie er überhaupt von 
früh an rege Teilnahme gezeigt für Architektur und Kunst, 
was er in späteren Jahren in tiefer und fördersamster 
Weise betätigen konnte. Im Herbst kehrte der Prinz 
nach Berlin zurück und trat als Premier-Leutnant bei den 
2. Garde-Dragonern ein, welcher Dienst ihm sehr zusagte. 
Das alte Leben begann von neuem; wieder wurde ein reger 
Verkehr unterhalten mit der königlichen Familie, und 
zumal der Kronprinz sah gern in seinem Hause den jungen 
Vetter, der sich so vorteilhaft von andern Fürstensöhnen, 
die das Leben nur als eine Reihe von Unterhaltungen 
betrachteten, unterschied. 

Im Dezember 1863 weilte Prinz Karl abermals am 
französischen Hofe und gehörte zu dem kleinen Cercle in 
Compiegne, woselbst das Kaiserpaar nur die Intimsten der 
Intime'h um sich sah und sich ganz anders gab, wie in 
den goldschimmernden Sälen der Tuilerien. In dem eng 
begrenzten Kreise war neben dem höchsten Adel, der sich 
bei näherem Zuschauen freilich meist neueren Datums 
erwies, auch Literatur, Wissenschaft, Kunst und Presse 
vertreten, und der Prinz lernte hier schaffensfrohe und 
geistreiche Männer kennen, welche die geselligen Unter- 
haltungen zu wahrhaft genußvollen machten. Am Tage 
tönte oft das Hifthorn, zur Jagd ritt man hinaus, die Herren 
in den vorgeschriebenen prächtigen Kostümen aus dem 
18. Jahrhundert, die Kaiserin mit ihren Begleiterinnen in 




35 



geschmackvollen Amazonenanzügen, mit federgeschmück- 
ten, dreieckigen Hüten auf dem Kopfe. 

Wieder in Berlin, wieder in der Front und dem ge- 
wohnten Geleise, fiel die Eintönigkeit des Dienstes dem 
Prinzen, dessen reger Geist andern Aufgaben zustrebte, 
die wohl schon damals hinauswanderten über die Grenzen 
der preußischen Hauptstadt und sich mit Zielen beschäf- 
tigten, welche erheblich von der Gleichmäßigkeit des 
militärischen Reglements abwichen, sehr schwer, und auch 
sein Herz war von einem lieblichen Bilde erfüllt, das 
mit teuren Erinnerungen verbunden war an eine schöne 
Verwandte, mit welcher der Prinz häufig in Compiegne 
zusammen gewesen. Aber er mußte den holden Hoff- 
nungen entsagen, da sich einer Verbindung viele vom 
französischen Hofe ausgehende Hindernisse entgegen- 
stellten. 

Da brachten die Kriegsereignisse des Jahres 1864 
eine wichtige Ablenkung. Die Garde-Dragoner waren nicht 
in die Mobilmachung eingezogen worden, aber den Prinzen 
hielt es nicht länger in Berlin, nachdem preußische Truppen 
Schleswig-Holstein besetzt hatten und jeden Augenblick 
ins feindliche Feuer kommen konnten; er bestürmte 
seinen Vater mit Bitten, den König zu veranlassen, ihn 
auf den Kriegsschauplatz zu schicken, und König Wilhelm, 
dem die inneren Kämpfe des Prinzen nicht fremd ge- 
blieben, erfüllte den Wunsch und gab den Prinzen dem 
Kronprinzen als Ordonnanzoffizier bei. Ein größeres 
Glück hätte dem jungen Hohenzollern nicht begegnen 
können; seit langem war er von einer wahren, herz- 
lichen Verehrung zu dem älteren Verwandten erfüllt, die 
ebenso warm erwidert wurde, aus welcher ge'genseitigen 
Zuneigung sich während des Feldzuges jene starke und 
treue Freundschaft entspann, die sich fernerhin in Freud 
und Leid fest bewähren sollte, erst ihren Abschluß findend 
mit dem Hinscheiden des Kaisers Friedrich. 




36 



Hatte der Kronprinz, der zu dem Stabe des Feld- 
marschalls Grafen Wrangel zählte, auch kein militärisches 
Kommando erhalten, aus bestimmten Gründen der Rück- 




Prinz Karl als Ordonnanzoffizier in Schleswig-Holstein (1864). 

sichtnahme auf die gespannten politischen Verhältnisse, so 
war ihm doch eine schwierige und verantwortungsvolle 
Tätigkeit zuerteilt, welche gleich hohe Ansprüche an den 
Soldaten, der scharfen Auges die Operationen überwachen 



Digitized by 



37 



mußte, wie an den Diplomaten, der durch seine liebens- 
würdige Persönlichkeit manchen Gegensatz ausgleichen 
und manche Kluft überbrücken sollte, stellte. Mit 
dem Kronprinzen ertug Prinz Karl alle Anstrengungen 
des Feldzuges, die bei dem grimmen Frost und dem 
vielfachen Hin und Her der Märsche sehr große waren, 
und gleich seinem älteren Begleiter marschierte der Prinz 
durch Schnee und Eis und Schmutz mit den Truppen, 
oft sein Nachtlager in einer jämmerl^hen Scheune oder 
verlassenen Bauernhütte aufschlagend. Bei einem Nacht- 
marsch kamen einzrfÄe . Abteilungen T)is zu den Hüften 
in den Schnee, 'die Kälte war kaum zu ertragen und alle 
paar Minuten mußte man stehen bleiben, den Rücken 
gegen den schneidenden Wind gekehrt, um nur Atem 
zu schöpfen. Da verzagten viele und glaubten nicht 
mehr, die Heimat je wiederzusehen, bloß der Kronprinz 
und sein schlanker Vetter { Karl schritten tapfer vorwärts 
und ermunterten die übrigen zum Ausharren. Endlich 
leuchtete ein rettendes Xicfit, in ^eiö€m niedrigen Bauern- 
hause bezogen die beiden 1 Prinzen zwei kleine Zimmer, 
in denen ein Strohlager die Betten £ ersetzte. 

An der Einschließung und den Kämpfen von Friedericia 
der stärksten dänischen Festung, nahm neben dem Kron- 
prinzen auch Prinz Karl teil und setzte sich wiederholt 
heftigem Feuer aus, so daß ihm Feldmarschall Wrangel 
verbot, sich fernerhin derartig vorzuwagen. Mit der 
preußischen Garde-Infanterie ging es dann nach Düppel, 
und auch hier beteiligte sich Prinz Karl an dem Sturm 
auf die Düppeler Schanzen, die preußischen Fahnen zum 
Siege begleitend, dem ersten wieder nach langen fried- 
lichen und nicht erquicklichen Zeiten. Jeder Fußbreit 
Erde mußte mit strömendem Blut erkauft werden, mit 
bewundernswerter Tapferkeit wurden stets neue und 
unüberwindlich scheinende Hindernisse genommen, bis 
endlich von der Höhe der letzten Schanzen die schwarz- 



Digitized by 



38 



weißen Farben siegverheißend herniederflatterten. Auch 
dem Ende Juni erfolgenden kühnen Ubergang über den 
Alsensund wohnte der Prinz bei, sowie dem Einmarsch 
in Jütland, an den sich im Dezember die Rückkehr nach 
Berlin und der Einzug daselbst schloß. Zur Erinnerung 
an die gemeinsam verlebten großen Ereignisse widmete 
der Kronprinz seinem Vetter einen Ehrensäbel, zu dessen 

kunstfertigem Griff die 
Kronprinzessin die 
Zeichnung gemacht 
hatte, und den er dem 
Freunde überreichte ge- 
legentlich der Taufe des 

Prinzen Sigismund, 
seines jüngsten Sohnes, 
bei welchem der Prinz 

Patenstelle über- 
nommen. Während des 
Feldzuges hatte sich 
Prinz Karl ein Ohren- 
leiden zugezogen, das 
ihn zwang, ein Schweizer 
Bad aufzusuchen; dann 
ging es wieder zurück 
nach Berlin, zurück zum 
Dienst bei den 2. Garde- 
Dragonern. 

Daß nach dieser buntbewegten und ereignisvollen 
kriegerischen Zeit, die für den Prinzen von höchster 
Wichtigkeit gewesen für sein militärisches Wissen und 
Können, ihm der Garnisondienst erst recht nicht behagte, 
läßt sich leicht denken. Dazu gesellten sich wohl aller- 
hand Verstimmungen, erzählte man sich doch, daß sein 
Avancement infolge seiner freisinnigen Anschauungen und 
seines geselligen Verkehrs in angesehenen liberalen Fa- 




Digitized by 



39 



milien ein langsameres wäre, wie es sonst bei Mitgliedern 
souveräner Häuser der Fall. Aber ganz abgesehen da- 
von und von der Einförmigkeit des Dienstes bot Berlin 
dem jungen Hohenzollern nichts für den vollen Tatendrang, 
der sich immer stärker in ihm regte, und für sein ernstes 
Streben, ein hochgestelltes Ziel zu erreichen. 

So verlief ereignislos das Jahr 1865, dann brach 1866 
an, das dem Prinzen Karl die bedeutsamste Entschei- 
dung seines Lebens, den Antrag, die Krone Rumäniens 
auf sein junges Haupt zu setzen, brachte. 

Ehe wir uns diesem folgenreichen Ereignisse zu- 
wenden, werfen wir einige nähere Blicke auf jenes Land, 
das bald die zweite Heimat des Prinzen Karl werden sollte. 




Digitized by 



II. 

Rumäniens Entwicklung. 

Rückblicke. — Die Entstehung Rumäniens. — Das rumänische Volkstum. — Moldau und 
Walachei. — Das Verhältnis cur Pforte. — Die Herrschaft der Phanarioten. — Politischer 
Verfall und wirtschaftlicher Niedergang. — Der neue Staat Rumänien. — Fürst Alexander 
Kusa. — Allgemeine Unzufriedenheit — Der Sturz Kusa's. — Proklamation der proviso- 
rischen Regentschaft. — Das Verlangen nach einem fremden Fürsten. — Nationales Hoffen 
und Sehnen. — Die Wahl des Grafen von Flandern. — Napoleons Widerstand. — Dem 
Prinzen Karl von Hohenzollern wird die Krone angetragen. — Unsicherheit der Lage. — 
Der Aufruf des Bürgermeisters von Bukarest. — Volksabstimmung. — Ihr glänzendes Er- 
gebnis. — Eine frohe Botschaft. — Es lebe Karl I.! 



Die frühe Geschichte des heutigen Rumänien und die 
Entwicklung des rumänischen Volksstammes ist teil- 
weise noch in Dunkel gehüllt. Man nimmt an, daß zur Bil- 
dung der seßhaften rumänischen Völkerschaft in den Donau- 
gebieten die durch Kaiser Trajan im zweiten Jahrhundert 
nach Chr. eingeleitete und später mit vielen Mitteln durch- 
geführte Romanisierung der Dacier den Anstoß gab und 
daß sich die Urbevölkerung vielfach mit Kolonisten ver- 
mischte, welche von verschiedenen Seiten in das Land 
drangen. Die einen Geschichtsforscher glauben, daß die 
romanisierten Dacier im Lande verblieben wären; die an- 
deren dagegen, daß sie, als die Einfälle der Goten zum Aus- 
gang des dritten Jahrhunderts begannen und Kaiser 
Aurelian zwangen, die Provinz Dacien wieder aufzugeben, 
nach Mösien, dem heutigen Bulgarien, gezogen seien. 
Auch im letzteren Falle darf man wohl voraussetzen, daß 
sich nur die Militärkolonien auflösten und bloß die be- 
güterten oder mit der römischen Verwaltung verknüpften 



Digitized by 



Einwohner die heimische Scholle verließen, daß jedoch die 
Zurückgebliebenen trotz des Eindringens der Barbaren 
und der fortgesetzten kriegerischen Wirren die römischen 
Überlieferungen und die römische Sprache pflegten, wenn- 
schon die Vermischung der letzteren mit vielen fremden 
und zumal slawischen Einflüssen nicht zu vermeiden war. 
Auch die Annahme dürfte nicht ausgeschlossen sein, daß 
sich vor dem Völkersturm viele Kolonisten in die unzu- 
länglichen Gebirgsgebiete der Karpaten geflüchtet und 
dort engere Gemeinschaften gebildet hatten, die ge- 
raume Zeiten hindurch das römische Volkstum vertraten. 
Über die folgenden Epochen sind uns keinerlei geschichtlich 
zuverlässige Überlieferungen erhalten geblieben. 

Erst als die fremden Völkerfluten des hunnisch- 
germanischen und släwisch-avarischen Vordringens sowie 
die Vernichtungszüge der Mongolen zurückebbten, stoßen 
wir auf die ersten Anfänge zur Bildung der späteren ru- 
mänischen Donaufürstentümer, und zwar der Walachei 
zu Ende des 13. und der Moldau zur Mitte des 14. Jahr- 
hunderts. Damals regte sich in geschlossener Weise ein 
national-rumänisches Staatsgefühl. Zu Fürsten wurden 
die Domi — der uralte Nationalname für die Herrscher — 
gewählt; Männer, die sich durch ihre nationale Stellung 
und ihren Einfluß hervorgetan und welche Sorge trugen, 
daß ihre Söhne ihnen auf dem Fürstensitz folgten. Fehlten 
die direkten Nachkommen und fand sich kein geeigneter 
Bewerber unter den verwandten und versippten Familien, 
so wurde einer der Bojaren erkoren, welch letztere infolge 
ihres Grundbesitzes und ihrer kriegerischen Vorzüge — 
denn das Wort Bojare bedeutet Krieger — den ersten 
Platz in der Bevölkerung einnahmen. Da die Fürsten- 
tümer bei weitem nicht so gefestigt waren, um feindlichen 
Angriffen widerstehen zu können, mußten die Regenten 
fremde Anlehnung suchen, die ihnen Schutz versprach, so 
Mirzea I., Fürst der Walachei, welcher 1291 mit Sultan 




42 



Bajazet, dem dritten Sultan der Osmanen, einen Vertrag 
abschloß, der ihm die Selbständigkeit seines Fürstentums 
Gewähr leistete und in dem betont war, daß der Fürst 
nach seinen eigenen Gesetzen regieren könne und das 
Recht habe, mit seinen Nachbarn Krieg zu führen, Frie- 
dens- und Freundschaftsbündnisse zu schließen und 
über Leben und Tod seiner Untertanen zu bestimmen 
Wörtlich heißt es dann weiter: „Die christlichen Fürsten 
sollen von den Metropoliten und den Bojaren gewählt 
werden und für diese hohe Gnade und weil wir dieses 
Land in die Liste der andern unserm Schutze unterworfenen 
Länder eingeschrieben haben, soll es unserm kaiserlichen 
Schatz einen jährlichen Tribut von 3000 roten Piastern 
zahlen/ 4 — Der Vertrag wurde übrigens von beiden Seiten 
nicht gehalten; die Türken kümmerten sich wenig um 
den verheißenen Schutz und ebensowenig Mirzea um den 
Sultan, den er 1297 mit König Sigismund von Ungarn 
zu bekämpfen suchte, was freilich nicht gelang. 1460 wurde 
zwischen der Walachei und der Türkei ein neuer Vertrag 
geschlossen, der den Sultan und seine Nachfolger ver- 
pflichtete, gegen einen jährlichen Tribut von 10 000 Du- 
katen das Land zu schützen und es gegen alle Feinde 
zu verteidigen. Schon hier ist auffallend, daß die Türkei 
nicht einfach die Walachei besetzte und sie als ihr Gebiet 
erklärte, was auch bei der Moldau nicht der Fall war, deren 
Fürsten zu Beginn des 16. Jahrhunderts mit den Sultanen 
mehrere Ubereinkommen schlössen, in denen anerkannt 
wurde, daß die Moldau ein freies und nicht erobertes Land 
sei, daß es aber dafür, im Falle eines Krieges, Truppen 
stellen und jährlich 4000 Dukaten entrichten müßte. 

Beiden Fürstentümern fehlte es nicht an hervor- 
ragenden Männern, die in Krieg und Frieden Außerordent- 
liches leisteten und deren Ruhm glänzend durch spätere 
Zeiten hallte, wie bei Stephan dem Großen, der von 1458 
bis 1504, und bei Michael dem Tapferen, der von 1593 




bis 1601 regierte, ferner bei anderen einheimischen Regen- 
ten, die bestrebt waren, Bildung, Gesittung und Sprache 
zu pflegen, so Fürst Vasille Lupu, der um die Mitte des 
17. Jahrhunderts die Einführung der rumänischen Sprache 
als Kirchensprache durchsetzte, eine wichtige Tat in be- 
zug auf die späteren Anstrengungen, die Donaufürsten- 
tümer in den Machtbereich des Slawentums zu ziehen. 
Jenen hervorragenden Fürsten stand leider eine große 
Reihe anderer Regenten gegenüber, die sich wenig um 
ihre Aufgaben kümmerten und durch Thronstreitigkeiten 
Zwietracht und Eifersucht in die Reihen der Bojaren trugen, 
welch letztere wiederum bestrebt waren, sich der Regierung 
zu bemächtigen. Daß bei diesen Parteikämpfen keine 
dauernde Blüte der Länder zu erzielen war, ist natürlich. 
Zudem mischte sich fortgesetzt die Pforte in die inneren 
Angelegenheiten ein und setzte die Regenten nach Be- 
lieben ab, ebenso wie es das benachbarte Rußland nie 
unterließ, begehrliche Blicke auf die Moldau und Walachei 
zu werfen, die für sie ja den direkten Weg zur Türkei 
bedeuteten. 

So wurden die infolge jahrhundertelanger Kriege ge- 
schwächten Fürstentümer zum Spielball der Russen und 
Türken, bis die letzteren die Regierungsgewalt völlig an 
sich zu reißen trachteten, indem sie mit dem Jahre 1716 
für beide Länder die Regenten ernannten, und zwar aus 
jenen phanariotischen Familien, die, vornehmer griechi- 
scher Abstammung, ihren Namen nach dem von ihnen 
bewohnten Quartier in Konstantinopel am Goldenen Horn 
und dem dort früher befindlichen Leuchtturm — Phanarion 
— führten und, da sie über abendländische Bildung wie 
fremde Sprachkenntnisse verfügten, gern von den türki- 
schen Machthabern als Vermittler zwischen der Pforte 
und dem Auslande benutzt wurden. Diese Phanarioten 
oder Hospodare, wie sie sich nannten, kümmerten sich 
weder um Volk noch Land. Sie hatten nur ein Bestreben. 




44 



möglichst schnell Reichtümer zu erwerben, und um diese 
zu erlangen, bedienten sie sich der verwerflichsten Mittel. 
Es begann ein Raub- und Aussaugesystem der schlimmsten 
Art und damit eine planmäßige Unterdrückung jeglichen 
nationalen Selbstbewußtseins. Obwohl diese Statthalter 
von der Pforte auf Lebenszeit ernannt waren, bekleideten 
sie ihre sogenannte Würde meist nur wenige Jahre, um 
darauf andern Nachfolgern, die sich das einträgliche Amt 
für beträchtliche Summen von den Sultanen und deren 
Ratgebern erkauft hatten, Platz zu machen. So kam es, 
daß von 1716 — 1821 in der Walachei 37 und in der Moldau 
33 Phanarioten herrschten ! Und in diese Zeit fallen noch 
drei Besitznahmen durch die Russen, die in diesen Ge- 
bieten nach Belieben schalteten und walteten. 

In treffenden Worten geißelt ein rumänischer Staats- 
mann die Regentschaft jener Hospodare: „Rumänien war 
der unerschöpfliche Schatz, durch den sie zu Einfluß und 
Macht gelangten. Ihre Politik fußte auf Lug und Trug, 
auf List gegen Feind und Freund, und sie hat in RuihuJen 
tiefe, noch nicht ausgefüllte Furchen hinterlassen. Die 
Phanarioten haben den Grund gelegt zur Gefühllosigkeit 
gegen das Volk, zur Gleichgültigkeit gegen die Bedürfnisse 
des Landes, zur Nichtbeachtung der Gesetze, zur Ver- 
abscheuung der ehrlichen Arbeit zum Wohl des Volkes, 
zum Mangel an Vertrauen gegen alles Volkstümliche, 
zur Bewunderung und affenartigen Nachahmung alles 
Fremden. " Ähnlich lautet die Schilderung des Historikers 
Ulcini: „Das verderblichste und unglückseligste aller 
politischen Ereignisse, dasjenige, welches die Nation ver- 
darb bis ins innerste Mark, ihre Sitten erschütterte, ihren 
nationalen Charakter, ihre Gebräuche und Gewohnheiten 
fast vernichtete, ihren Mut brach, das ist die Einführung 
der Herrschaft durch die Phanarioten, deren geheime 
Schleichwege und Hinterlist, deren treulose, verbrecherische 
Politik von mehr als einem Geschichtsschreiber enthüllt 




45 



wurde. Unter ihr verrät der Sohn den Vater, der Vater 
verdrängt den Sohn, der Thron ist zum Preis geworden, 
den die größte Schändlichkeit erlangt. Diesen Sklaven, 
der Pforte unterworfen, waren beide Fürstentümer für 
die türkischen Herrscher nichts weiter mehr als Pacht- 
güter, die dem Höchstbietenden zugeschlagen wurden. 
Der Fürstenthron ward der Gegenstand der Versteigerung. 
Sobald ein Phanariot in sein Fürstentum kam, war er von 
dem einzigen Gedanken beherrscht, Vermögen zu machen, 
Reichtum für sich zu sammeln und für seine Gehilfen, 
die ihm wie ein Schwärm gieriger Raubvögel folgen und sich 
auf das unglückliche Land niederlassen. In der Angst, 
bald wieder entthront zu werden, erschöpfen sie sich in 
neuen Plänen, in nur möglichst kurzer Zeit soviel aus dem 
Lande herauszupressen, um die großen Schulden bezahlen 
zu können, welche sei gemacht haben, um den Thron 
überhaupt zu bekommen/' — Und ein anderer Geschichts- 
schreiber, E. Hourmuzaki, zeichnet in beredter Weise 
die tiefen sozialen und moralischen Schäden, welche diese 
Phanariotenmißwirtschaft zur Folge hatte: „Die Ru- 
mänen wurden beschmutzt von der moralischen Fäulnis 
des Orients. Welcher Art waren denn die Persönlichkeiten 
von Einfluß? Thronräuber, die alle natürlichen Bande 
des Blutes und der Familie verachtend ihre eigenen An- 
gehörigen, ihre eigenen Brüder stürzten, ihnen die Augen 
ausrissen und sie in die Klöster einschlössen, um an ihrer 
Stelle herrschen zu können, Regenten, die mit knabenhaftem 
Eigensinn sich stritten, statt weise zu regieren, statt an 
ihre eigene Schwäche zu denken und an die Gefahren, 
welche dem Lande drohten, Streber nach der Krone, 
welche den geschworenen Eid mit Füßen traten, mit 
kaltem Blute die heiligsten Verträge mißachteten, Unge- 
rechtigkeiten jedweder Art begingen, einzig und allein, 
um zum Ziele zu gelangen. Männer, welche an der höchsten 
Stelle des Landes stehend, den bedeutendsten Einfluß 




46 



ausübend, Beispiele der unwürdigsten Niedertracht gegen 
Arme, Schwache und Geringe gaben, welche ihre Stellung 
nur dazu ausnutzten, ihren persönlichen Vorteil zu mehren. 
Die Ehe, zur politischen Unzucht geworden, hatte keinen 
andern Zweck, als die Befriedigung ehrgeiziger Gelüste. 
Die materiellen Vorteile, die politische Errungenschaft, 
welche sie im Gefolge hatten, wurden gewogen, berechnet, 
abgeschätzt und darnach einzig und allein ihre Dauer be- 
stimmt. Die Vaterlandsliebe, das gegenseitige gute Ein- 
vernehmen der Bürger unter sich mußte krasser Selbst- 
sucht und zügelloser Gier nach Gewinn Raum geben. Lüge 
und Treulosigkeit hatten den Vorsitz in allen öffentlichen 
Beziehungen sowohl nach innen, wie nach außen; Heuchelei 
und Unehrenhaftigkeit, Untreue drangen selbst in das 
bürgerliche Leben ein. Diese Sittenlosigkeit stieg von den 
höchsten Stellen auf der gesellschaftlichen Leiter hinab 
in alle Klassen der Bevölkerung und widerstand den Be- 
mühungen und Anstrengungen, welche niemals innerhalb 
einer Nation, die auf ihre Zukunft ehrlich bedacht ist, 
aufhören, gemacht zu werden, um zu bessern, das öffentliche 
Gewissen zu reinigen, es wieder zu gewöhnen an Beob- 
achtung der Pflichten, an die Achtung der ewigen Grund- 
sätze der Tugend. Die Folgen dieser sittenverderblichen 
Bestrebungen, welche dem Guten die Fähigkeit entzogen, 
Gutes zu tun, machen sich noch heute bemerkbar und 
zeigen sich im öffentlichen wie im privaten Leben des 
neuen rumänischen Staates, aber sie stehen doch jetzt 
im Widerspruch mit der einsichtsvollen und edlen Natur 
des rumänischen Volkes und lassen in den Herzen aller, 
welche für dasselbe Teilnahme und Liebe hegen, den 
brennenden Wunsch erstehen, die Nation wieder einen 
besseren, heilsameren Weg einschlagen und einhalten zu 
sehen/' 

Nach einer Zeit des tiefsten politischen Verfalls und 
wirtschaftlichen Niederganges fand 1821 die Herrschaft der 




Phanarioten ihr Ende, denn gewissermaßen zur Belohnung 
für die Zurückhaltung der Bewohner der beiden Fürsten- 
tümer während des türkisch-griechischen Krieges gestattete 
die Pforte, daß von nun an wieder die Fürsten aus den 
Familien des Landes gewählt werden durften, aber nur 
auf sieben Jahre, nach deren Ablauf eine Wiederwahl 
stattfinden konnte durch die Landstände der beiden 
Fürstentümer, falls Rußland und die Türkei nichts da- 
gegen einzuwenden fanden. Es liegt auf der Hand, daß 
die bisherige Bevormundung hier nur einen neuen Mantel 
erhalten hatte. Auch von außen her fehlte es nicht an 
furchtbaren Drangsalen, die der im Frühling 1828 aus- 
gebrochene russisch-türkische Krieg über das unglückliche 
Land brachte. „Die Felder sind ausgeraubt und ver- 
wüstet, die Städte erdulden dasselbe Schicksal, die 
Bevölkerung ist gelichtet durch Hunger, Kälte und Krank- 
heiten, der halbe Viehstand vernichtet durch Seuchen 
und Beschlagnahme/' so die Schilderung des damaligen 
Zustandes. Und ein rumänischer Vaterlandsfreund rief 
klagend aus: „Die Fürstentümer der Walachei und der 
Moldau gleichen zwei Schiffen, die von den Wogen eines 
wildbewegten Meeres hin- und hergeschleudert werden, 
und für die nur selten ein Lichtblick durch drohendes, 
schwarzes Gewölke dringt/' * 

In dem Frieden von Adrianopel, 2. September 1829, 
erreichten die Fürstentümer wohl eine gewisse Unab- 
hängigkeit von der Pforte und die Berechtigung, die Re- 
genten auf länger als sieben Jahre zu wählen, aber die 
Länder blieben als Pfand zunächst in russischem Besitz 
bis zur Abzahlung der Kriegsentschädigung seitens der 
Türkei, und zwar während voller fünf Jahre. Nach Ablauf 
dieser Frist nötigten die Russen und Türken die Bevölke- 
rung, die von den beiden Mächten bestimmten Regenten 
einzusetzen, und zwar für die Moldau Michael Sturdza und 
für die Walachei Alexander Ghika. Diese gewaltsame 




48 



Einmischung führte zu abermaligen nationalen Zwistig- 
keiten, denn die einzelnen Parteien strebten für ihre her- 
vorragendsten Vertreter den Fürstensitz an. So kam es, 
daß die Fürsten, die fast sämtlich unter russischem Ein- 
fluß standen, wiederholt wechselten, daß abermals Unfriede 
entstand, unter welchem die gesamte öffentliche Verwaltung 
aufs schwerste litt, hatten doch von 1822 bis 1849 nicht 
weniger als sieben Regenten den Thron inne. Auch an 
neuen militärischen Besitzergreifungen durch die Russen, 
die Österreicher und die Türken fehlte es nicht und damit 
nicht an ungeheuren Lasten für das Land, aus dem die 
Vaterlandsfreunde verbannt wurden, um in der Fremde 
für ihre unglückliche Heimat zu wirken, soweit es in ihren 
Kräften stand. 

Blutig wurde 1848 seitens russischer und türkischer 
Truppen der durch die ewigen Unruhen genährte Aufstand 
in den Fürstentümern niedergeschlagen und ihre Bewohner 
noch mehr gedemütigt durch den am 1. Mai 1849 ge- 
schlossenen Vertrag von Balta Liman, demzufolge den 
Hospodaren je ein russischer und türkischer Kommissar 
zur Seite gestellt wurde, die alle Verfügungen dieser so- 
genannten Regenten prüften und ohne deren Zustimmung 
keinerlei Beschluß gefaßt und ausgeführt werden konnte. 
Soweit noch nationales Empfinden vorhanden war, ward 
• es durch diese Vergewaltigung aufs tiefste empört, und schon 
damals ersehnten die Patrioten die Vereinigung der Fürsten- 
tümer unter einem fremden Prinzen, mußten sie doch 
mit Recht befürchten, daß der mächtige russische Nach- 
bar nur auf den Augenblick wartete, um das Land unter 
dem Namen eines „Protektorats" in dauernden Besitz 
zu nehmen. 

Von jeher hatte ja Rußland begehrliche Blicke auf die 
Donaufürstentümer geworfen und sie wiederholt als bereits 
zu seinem Reiche gehörend betrachtet, wie 1842, als Fürst 
Bibesco zum Hospodaren der Walachei ernannt wurde, der 




49 



russische Kanzler Graf Nesselrode an den Generalkonsul 
Daschkow in Bukarest geschrieben: „Sie werden dem 
Fürsten unsere Instruktionen mitteilen und zugleich allen 
Hoffnungen Ausdruck geben, die wir auf seine Verwaltung 
setzen/' Ein Protektorat' der beiden Fürstentümer, das 
war das Ziel der russischen Politik, wie sich auch Kaiser 
Nikolaus im Jahre 1853 dem englischen Botschafter 
Seymour gegenüber offen geäußert, als er auf den bald 
bevorstehenden Zerfall des türkischen Reiches zu sprechen 
kam, eine Neuordnung der Länder an der Donau vorschla- 
gend : „Die Fürstentümer sind tatsächlich ein unabhängiger 
Staat unter meinem Schutze; das könnte so bleiben. 
Serbien könnte dieselbe Regierungsform erhalten. Ebenso 
Bulgarien; es scheint, daß kein Grund vorliegt, weswegen 
diese letztere Provinz nicht ebenfalls einen unabhängigen 
Staat bilden könnte. Was Ägypten anbetrifft, so verstehe 
ich vollkommen die Bedeutung dieses Gebiets für England. 
Ich kann darüber nur so viel sagen, daß, wenn im Falle 
der Teilung des ottomanischen Reichs, die seinem Unter- 
gang folgen würde, Sie Ägypten in Besitz nehmen würden, 
ich nichts gegen eine solche Eventualität einzuwenden hätte. 
Ich sage dasselbe auch für Kreta; wenn Ihnen die Insel 
zusagt, sehe ich nicht ein, warum dieselbe nicht eine eng- 
lische Besitzung werden könnte." 

Der bald nach diesen Äußerungen beginnende Krim- 
krieg erfüllte freilich nicht die Hoffnungen des russischen 
Herrschers, von neuen, schwersten Drangsalen wurden 
dagegen durch den Feldzug die beiden Fürstentümer be- 
troffen, die russischen und türkischen Heere brandschatzten 
ihre Gefilde, 17 y 2 Millionen Piaster verschlang der kaum 
einjährige Aufenthalt der russischen Truppen, 6 Millionen 
die türkische Besetzung, während der letzteren belief sich 
die Bukarest allein auferlegte Kontribution in Geld und 
Naturalien auf 4600 'Dukaten täglich. Den Zustand im 
Lande schildert uns Graf Wimpffen, der an der aus ma- 

Lindenberg, König Karl. 4 




50 



teriellen und politischen Gründen erfolgten österreichischen 
Besetzung der Walachei teilgenommen, folgendermaßen: 
„Raub, Brandlegung, Verwüstung und Zerstörung waren 
an der Tagesordnung. Banden entlaufener russischer und 
türkischer Ausreißer, entlassener Dorobanzen und Gra- 
nicaren streiften in den Gehölzen umher und bedrohten 
die Sicherheit des Eigentums. Die zu ihrer Bekämpfung 
aus Widdin und Calafat aufgebotenen Baschi-Bozuks 
und Arnauten erhöhten die Drangsale, und das Heilmittel 
erwies sich gefährlicher als das Übel selbst. Attentate 
auf das Eigentum flüchtiger Grundbesitzer wurden von den 
Behörden offen unterstützt, ja, ein förmlicher Guerillakrieg 
entbrannte zwischen einzelnen Mordbrenner rotten, die 
— wenngleich alle auf Plünderung ausgehend — unter 
dem Deckmantel politischer Tendenzen, angeblich bald 
vom russischen, bald vom türkischen Parteistandpunkte 
aus ihr verbrecherisches Spiel trieben und sich gegenseitig 
bekämpften, dann wieder gemeinsam verbanden. Unter 
verschiedenen Führerschaften brandschatzten dieselben 
größere und kleinere Ortschaften und wagten sogar einen 
Uberfall auf Turnu Severin, welcher Ort nur durch die 
mannhafte Haltung des österreichischen Starosten und 
die rasche Herbeiziehung türkischer Truppen aus Neu- 
Orsova vor größerem Unheil bewahrt wurde/' — Wie in 
der Walachei, so auch in der Moldau, wo in den Finanzen 
eine trostlose Ebbe eingetreten war, daß die Beamten 
des Staatssekretariats am Osterfeste 1855 die teilweise 
Auszahlung ihrer rückständigen Gehälter nur noch durch 
eine in den Amtslokalen vorgenommene Demonstration, 
die beinahe einem räuberischen Uberfalle glich, erzielen 
konnten. „Alle Zweige der Verwaltung waren desorgani- 
siert/' schreibt der obige Beobachter, „französische Aben- 
teurer plünderten das Land auf das unverschämteste aus. 
Neue Gesetze überstürzten sich fortwährend in fieberhafter 
Eile; Adelstitel und Privilegien wurden massenhaft ver- 




51 



schleudert und von den Regierungsmännern an den Meist- 
bietenden verkauft. — Aller einheimischen Elemente bar, 
die ein kraftvolles, gesundes Volksleben zu begründen ver- 
mögen, ein Spielball der Eifersucht fremder Mächte und 
ihrer Vertreter, zwischen drei mächtigen Nachbarn ein- 
gekeilt und ratlos umhergetrieben, zu schwach, um dem 
Anprall derselben zu widerstehen und daher stets in Ge- 
fahr, bei deren Reibung zunächst zermalmt zu werden, 
vermochte ein solcher Staatskörper den wahren Interessen 
der Fürstentümer nicht zu entsprechen." — Graf Wimpffen, 
der die Verhältnisse im Lande zu jener Zeit Jahre hindurch 
aufmerksam verfolgt, betont mehrfach, daß die Fürsten- 
tümer einer dauernden Blüte sich nur erfreuen würden, 
einst unter einem und demselben Szepter vereint, durch 
Anlehnung an die germanischen Mächte, durch ein Zufluten 
deutscher Intelligenz, deutscher Kapitalien, deutscher 
Arbeitskräfte, indem ferner die Bildung des Volkes, die 
Erziehung der Jugend und der höheren Stände mit richtiger 
Auswahl der Mittel gehoben würde, durch Befreiung der 
Donauschiffahrt, Verbesserung des Staatswesens und 
Schöpfung eines einfachen Netzes von Eisenbahnen, ferner 
durch Regelung der bäuerlichen Verhältnisse, wobei eine 
von parteiischer Begünstigung der eigensüchtigen Bojaren- 
wirtschaft wie von Verfolgung utopistischer Theorien 
gleich weit entfernte Mitte gehalten wird. „Dann werden 
diese herrlichen Länder mit ihren unerschöpflichen Hilfs- 
quellen, mit ihren noch ungeahnten Schätzen der Ur- 
produktion, ihrer unvergleichlichen Lage und selten gün- 
stigen Konfiguration, reich, blühend, mächtig, das An- 
lagekapital mit hundertfachen Zinsen vergüten, welches 
eine weise, vorsehende, weitblickende Politik der Zukunft 
ihnen widmen mag!" — 

Den Wert der rumänischen Gebiete, allerdings mehr 
in politischer Beziehung als Wall gegen das Vordringen 
des Panslawismus, hatte auch Napoleon III. wohl erkannt, 



4* 




52 



was seine sympathische Haltung gegenüber den nationalen 
Bestrebungen der Rumänen erklärt, und auch Cavour hatte 
in einer Depesche vom 4. September 1856 an den Grafen 
Forti in London die große Bedeutung des neuen Staats- 
wesens an der Donau vom Standpunkte der allgemeinen 
Interessen Europas gegenüber Rußland treffend hervor- 
gehoben : „Die Rumänen bilden ein Hindernis für die Ver- 
einigungsbestrebungen, welche den verschiedenen Zweigen 
der großen slawischen Familie eigen sind. Die rumänische 
Nationalität ist ein Gegengewicht, welches, nützlich der 
Pforte, nützlich Europa, sich der gefährlichen Ausbreitung 
des Panslawismus widersetzt. Man werfe einen Blick auf 
die Karte und man wird sehen, daß sich die slawische 
Rasse vom Ural und vom Eismeere bis zum adriatischen 
Meere ausdehnt, ohne andere Unterbrechung als die Län- 
der, welche von der rumänischen Rasse bewohnt sind. 
Da aber der Panslawismus unzweifelhaft eine Gefahr ist 
nicht nur für die Türkei, sondern für den ganzen Occident,. 
ist es da nicht von höchstem Interesse, mitten in die slawi- 
schen Länder hinein eine Nationalität zu befestigen, welche 
ausschließlich mit dem Occident sympathisiert und eine 
wirkliche Schranke gegen die Vereinigung von Völkern 
bilden kann, die so mächtige Tendenzen zur Einheit haben, 
daß sie vielleicht die übrige zivilisierte Welt unterjochen 
werden ?" 

Die günstige Folge des Krimkrieges war die Auf- 
hebung des russischen Protektorats, und seitens des Pa- 
riser Kongresses von 1856 wurde ferner beschlossen, daß 
die Fürstentümer unter der Oberherrschaft des Sultans Un- 
abhängigkeit genießen sollten ; über die Frage ihrer ferneren 
Zusammengehörigkeit oder Trennung konnte man sich 
nicht einigen, man wollte die Erledigung abhängig machen 
von den in den nationalen Versammlungen der Moldau 
und Walachei zur Annahme gelangenden Beschlüssen. In 
diesen 1857 nach Bukarest und Jassy einberufenen Ver- 




53 



Sammlungen — den Divans ad hoc — suchte man über 
das Schicksal der Fürstentümer endlich einig zu werden 
und stellte folgende Hauptwünsche, als Ausfluß der seit 
langem gärenden nationalen Bestrebungen, auf: Achtung 
der durch die alten Verträge mit der Pforte verbrieften 
Rechte der Fürstentümer und deren Neutralität, ferner 
ihre Vereinigung zu einem konstitutionellen Staate unter 
einem erblichen Fürsten aus einer europäischen Dynastie. 

Da in der im Sommer 1858 stattgefundenen Pariser 
Konvention die Großmächte u. a. die Wahl zweier Landes- 
fürsten bestimmten, umgingen die beiden Fürstentümer 
den Widerstand der Mächte, indem die nationalen Parteien 
zu Beginn 1859 in Bukarest wie in Jassy denselben Kandi- 
daten als Fürsten zur Wahl stellten, und zwar den Mol- 
dauer Obersten Alexander Kusa, der als der Geeignetste er- 
schien, da er keinerlei nähere Beziehungen zu den Bojaren- 
wie den im Lande verbliebenen Phanariotenfamilien hatte 
und die Verpflichtung eingegangen war, die 1857 erfolgten 
nationalen Beschlüsse zu verwirklichen und durch eine ge- 
meinsame Verfassung die Realunion durchzusetzen, wobei 
erwähnt sein mag, daß der letzteren Preußen stets sym- 
pathisches Verständnis entgegengebracht. Zwei Jahre 
später stellte sich die Anerkennung der Mächte ein, und 
1862 ward aus den „vereinigten Fürstentümern " der Mol- 
dau und Walachei ein neuer Staat, Rumänien. 

Aber die ersehnte Ruhe sollte trotzdem nicht ein- 
treten. Wohl tat Fürst Kusa manches zum Wohle des 
Landes, indem er die Verfassung freiheitlich ausgestaltete 
und die Preßfreiheit einführte, ferner durch Aufhebung 
des Bojarenadels, Verteilung des Grundeigentums an be- 
sitzlose Bauern, Unabhängigkeit der rumänischen Staats- 
kirche vom Patriarchat in Konstantinopel und anderes 
mehr. Aber diesen Vorzügen standen zahllose Schwächen 
und Nachteile gegenüber. Ganz abgesehen davon, daß 
sich der Fürst völlig in das russische Fahrwasser begeben 




54 



hatte, suchte er Reformen einzuführen, kümmerte sich 
dann aber wenig darum, ob sie auch ihre Verwirklichung 
fanden. Eine schlimme, stets zunehmende Günstlings- 
wirtschaft verschlang die Einnahmen des Landes, und die 
Verfassung stand mehr auf dem Papier, als daß sie von 
dem Fürsten und seiner Umgebung berücksichtigt wurde, 
ja, der Fürst hob sie im Mai 1864 eigenmächtig auf und 
führte nach Napoleonischem Beispiel eine fast absolu- 
tistische Verfassung ein, zugleich mit einem Wahlrecht, 
welches durch seine sonderbaren Bestimmungen den An- 
hängern des Fürsten stets den entscheidenden Einfluß ver- 
hieß. Dieser erstrebte Erfolg zeigte sich 1864 durch die 
Zusammensetzung der Nationalversammlung, die der Re- 
gierung und dem Fürsten in jeder Hinsicht ergeben war. 

Immer übermütiger und selbstbewußter traten Fürst 
Kusa, der in Bukarest residierte, und seine Vertrauten 
auf, und immer schlimmer wurde die Mißwirtschaft, welche 
die öffentlichen Kassen des Staates völlig leerte. Ein 
Ministerium löste das andere ab, heute gegebene Gesetze 
wurden nach wenigen Wochen wieder aufgehoben, alles 
geriet in Schwanken und Wanken. Im Lande gärte es 
fortgesetzt, und auch die Mitglieder der Nationalversamm- 
lung konnten sich nicht verhehlen, daß der Ruin des 
Fürstentums mit jedem Tage zunehme. Kleinere Auf- 
stände zeigten die drohende Bewegung an; aber durch 
militärisches Eingreifen wurde der Fürst stets ihrer Herr, 
so auch im Februar 1866. Zu tief jedoch war der allge- 
meine Unwille, zu tief die Empörung über die unhaltbaren 
Zustände, als daß noch eine Unterdrückung selbst mit ge- 
waltsamsten Mitteln möglich gewesen. Eine weit ver- 
zweigte Verschwörung traf trotz ausgedehnter polizeilicher 
Spionage die umfassendsten Vorbereitungen zur erzwun- 
genen Absetzung des Fürsten, die um die vierte Morgen- 
stunde des 28. Februar 1866 erfolgte. Ein Teil des Militärs, 
zu welchem auch die Wache des fürstlichen Palais gehörte, 




55 



befand sich im Einverständnis, und vierzig Bewaffnete 
drangen unter der Führung von drei Obersten in das 
Bukarester Palais ein und zwangen den Fürsten zur Unter- 
schrift seiner Abdankungsurkunde, worauf er als Ge- 
fangener fortgeführt wurde, zunächst nach seiner einstigen 
Sommerresidenz, dem Kloster Cotroceni, von wo er am 
andern Tage auf seinen Wunsch unter militärischer Eskorte 
an die österreichische Grenze gebracht wurde, sich über 
Kronstadt nach Paris begebend. 

Am Vormittag des 28. Februar wurde eine provi- 
sorische Regierung aus Lascar Cartagiu, General Golesku 
und Oberst Haralambi gebildet und zugleich ein neues 
Ministerium berufen, welchem treue Vaterlandsfreunde 
angehörten. Wie von einem schweren Banne befreit 
atmete die Bevölkerung auf, mit schallender Musik und 
flatternden Fahnen durch die Hauptstraßen der Stadt 
ziehend und den Vertretern der neuen Regierung jubelnde 
Huldigungen darbringend. Mit aufrichtiger Befriedigung 
wurde in Bukarest wie im gesamten Lande die Prokla- 
mation der provisorischen Regierung aufgenommen, deren 
erste Sätze lauteten: „Rumänen 1 Vor sieben Jahren habt 
Ihr Europa gezeigt, was Patriotismus und Bürgertugend 
vermögen. Unglücklicherweise habt Ihr Euch in der 
Wahl des Fürsten, den Ihr an die Spitze gestellt, getäuscht. 
Anarchie, Korruption, Mißachtung der Gesetze, Herab- 
würdigung des Landes im Innern und Äußern, und Ver- 
schwendung der Habe der Nation waren die Prinzipien, 
welche diese schuldbelastete Regierung leitete. — Heute 
hat dieselbe aufgehört zu sein 1 — Rumänen 1 Ihr habt ge- 
litten, um der Welt zu zeigen, bis wohin Eure Geduld geht. 
Jetzt war jedoch das Maß voll. Die Zeit ist gekommen, 
und Ihr habt Euch Eurer Vorfahren würdig gezeigt/' 

Am nächsten Tage versammelten sich Senat und 
Deputiertenkammer zu einer außerordentlichen Sitzung, in 
welcher der Ministerpräsident, Joan Ghika, unter allge- 



Digitized by 



56 



meinem Beifall die Abdankungsurktmde Kusas vorlegte 
und eine Erklärung der Regentschaft verlas. Gleich da- 
nach nahm die Versammlung die Wahl eines neuen Fürsten 
vor und erkor als diesen einstimmig den Grafen von Flan- 
dern, den Bruder des Königs Leopold von Belgien, als 
Philipp I. 

Diese Berufung eines fremden Fürsten auf den ru- 
mänischen Thron entsprang dem allgemeinen nationalen 
Verlangen, das sich in den letzten Jahrzehnten immer 
stärker geregt hatte. War man doch zur Überzeugung 
gekommen, daß, wenn das Fürstentum abermals unter die 
Regierung eines einheimischen Fürsten gestellt würde, dies 
nur eine Wiederholung jener Zustände bedeutete, die man 
zum Wohle des Landes endgültig zu beseitigen trachtete, 
und von selbst ergab sich der Wunsch, die Regierung 
einem fremden Fürsten zu übertragen, und zwar einem 
Fürsten, der nicht den Nachbarmächten, also Rußland 
und Österreich, angehörte. 

Bereits 1857 hatte die Bevölkerung der Walachei eine 
längere Erklärung an die Kammern gelangen lassen, in 
der es hieß: „Damit der regierende Fürst all die Eifer- 
süchteleien und all den Zwiespalt, welche notwendiger- 
weise immer wieder entstehen, wenn ein Bürger des Landes 
zur Regierung des neugeschaffenen Staates berufen wird, 
vermeiden könne, damit er nicht in den Verdacht komme, 
Verpflichtungen, die ihn binden, eingegangen zu sein, diese 
oder jene Partei, diese oder jene Familie vorzuziehen, 
damit er seinen Untertanen vollständiges Vertrauen ein- 
flöße, indem er volle Sicherheit der Unparteilichkeit und 
der Unabhängigkeit bietet, Ge währschaften, welche ein 
einheimischer Regent unmöglich zu leisten imstande war, 
damit der Regent, dank seiner Blutsverwandtschaft, in der 
Lage ist, Rumänien leichter in den großen Familienkreis 
der europäischen Staaten einzuführen und dem Lande da- 
durch mehr Halt und Stütze zu geben, damit er sowohl 




57 



nach innen wie nach außen jene Achtung, jenes Gewicht, 
jenes Ansehen seiner Persönlichkeit in die Wagschale 
werfen kann, wie es für einen Souverän und erst recht für 
den Begründer einer Dynastie unumgänglich notwendig 
ist — aus allen diesen Gründen ergibt sich die zwingende, 
unabweisbare Notwendigkeit, daß der Herrscher Rumäniens 
aus einer der souveränen Familien Europas gewählt werden 
müsse. Und diese Notwendigkeit ist so gebietend, so 
unabweisbar wie nur irgend eine Forderung. Denn es ist 
einzugestehen, daß das Regiment, das Regime der einge- 
borenen Regenten derart in Rumänien bloßgestellt und 
unmöglich gemacht wurde, daß, wenn ein Mann von den 
höchsten Geistesgaben und mit den Eigenschaften eines 
Heiligen gewählt würde, auch ein solcher sich nicht halten 
könnte gegen das allgemeine, bestimmte Verlangen der 
Rumänen, einen Herrscher aus einer der europäischen 
souveränen Fürstenfamilien zu erhalten/ 1 

Und in den Kammern des genannten Jahres hatte 
Michael Kogalniceano ausgerufen: „Jedes Blatt aus der 
Geschichte unsers Randes trieft von Blut und Tränen. 
Das Unglück, woran wir leiden, bezeichnet das Volk mit 
dem treffenden Sprichwort: ,Der Wechsel der Fürsten ist 
eine Freude der Narren/ Das Herz eines Volkes täuscht 
sich niemals. Hören wir, Brüder, auf die Seele des Volkes, 
hören wir auf die Stimme und den heißen Wunsch der 
Nation, welche ohne Aufhören fleht und ruft nach der 
Vereinigung der Fürstentümer unter einem fremden 
Fürsten 1" — Das hatte auch bei der gleichen Gelegenheit 
Joan Bratianu in treuem vaterländischem Empfinden 
betont, nachdem er in erschütternder Weise die Zustände 
des Fürstentums geschildert: „Die Rumänen verlangen 
mit Entschiedenheit an die Spitze der vereinten Fürsten- 
tümer ein Mitglied aus den souveränen Familien Europas. 
Indem sie diese Forderung stellen, geben sie Europa die 
Sicherheit und Gewährschaft, daß sie entschlossen sind, 




58 



mit allem Eifer, mit aller Tatkraft, auf dem Wege des 
Fortschrittes und der geistigen Entwicklung vorwärts zu 
schreiten." 

Die Durchführung des allgemeinen Wunsches, einen 
fremden Fürsten an der Spitze der rumänischen Regierung 
zu sehen, stieß auf vielerlei Schwierigkeiten, nicht inner- 
halb, sondern außerhalb des Landes. 

Der Graf von Flandern lehnte die Wahl zum rumä- 
nischen Fürsten ab, hauptsächlich wohl wegen des Wider- 
standes Napoleon III., der ihn in Paris, welches der Graf 
auf der Durchreise nach Nizza berührt, mit den Worten 
empfangen hatte: „Nicht wahr, Sie nehmen die Wahl der 
Rumänen nicht an !" Diese Ablehnung wurde den Mächten 
am 27. Februar durch ein Rundschreiben mitgeteilt. Trotz- 
dem schickte die provisorische rumänische Regierung noch 
Ende März eine Abordnung an König Leopold von Belgien, 
der jedoch erklärte, daß sein Bruder ganz nach eigenem 
Ermessen gehandelt, als er auf den Thron verzichtete. 
Die Abordnung begab sich darauf nach Paris, um Napo- 
leons Sympathien für einen andern fürstlichen Kandidaten 
zu erwecken, und zwar für den Prinzen Karl von Hohen- 
zollern, zu dessen Wahl der Kaiser bei seinen verwandt- 
schaftlichen Beziehungen und seiner Zuneigung für den 
Prinzen wohl selbst die Anregung gegeben. 

Da sich in Rumänien Anzeichen von Zwietracht und 
Unentschlossenheit zeigten und man ferner mit den Um- 
trieben der Anhänger Kusa's rechnen mußte, machte man 
der Ungewißheit und dem Zögern ein schnelles Ende, indem 
die Regentschaft den Prinzen Karl von Hohenzollern als 
Fürsten proklamierte, und der Bürgermeister von Bukarest 
dies der Bevölkerung durch einen Aufruf mitteilte, in 
welchem es u. a. hieß : 

„Rumänen 1 Ganz Europa hegt ein unbegrenztes Ver- 
trauen auf Eure Wiedergeburt. Wie 1 Ihr, Ihr allein, die 
Schöpfer dieser Wiedergeburt, würdet dieses Vertrauen in 




59 



eben dem Augenblicke verlieren, wo Euch bereits das 
letzte entscheidende Wort auf den Lippen schwebt? Fühlt 
Ihr nicht, Brüder, wie die Gottheit Euer ganzes Wesen 
durchdringt — seht Ihr nicht den Abgesandten des Herrn 
kommen? Die Regenten und ihre von Euch selbst be- 
rufenen Minister haben an Euch einen Aufruf zu diesem 
großen Feste erlassen. Zweifelt Ihr an ihrer Stimme, so 
legt das Ohr auf die eigene Brust. Horcht ! Hört Ihr nicht, 
was aus der Tiefe klingt? — es ist die Stimme Gottes I 
Der Herrscher der Rumänen konnte nicht der Gewählte 
einer Handvoll Menschen sein; er mußte von Euch allen 
gewählt werden, denn die Stimme des Volkes und nur die 
Stimme des Volkes ist die wahrhaftige Volkesstimme. — 
Mitbürger! Verliert Euch nicht einen Augenblick, erhebt 
Euch wie ein Mann, und Ihr, das Volk, heute der große 
Pontifex der lebendigen rumänischen Kirche, vollzieht 
vor der ganzen Menschheit und vor Gott das heilige Ge- 
heimnis des großen Tages. Verleiht die Taufe der Freiheit 
Euren Herzen, salbet mit dem Chrisam Eures Glaubens 
den Herrscher der Rumänen, und Euer Gesalbter wird der 
Gesalbte Gottes, wird der Held des künftigen Rumänien 
werden ! — Noch bevor Ihr diese Zeilen zu lesen aufgehört, 
jauchzen gewiß Eure Herzen dem neuen Herrscher mit 
Liebe entgegen. Und so rufe auch ich als wahrer Rumäne 
aus der Tiefe des Herzens: Es lebe Karl I. von 
Rumänien, es lebe der Beherrscher des 
einigen und unteilbaren Rumänien. 



Die sofort Mitte April veranstaltete Volksabstimmung 
hatte ein glänzendes Ergebnis: von 686 193 wahlberech- 
tigten Stimmen entfielen 685 969 auf den Prinzen Karl, 
so daß nur 224 gegen die Wahl gerichtet waren. Das 



Der Primär von Bukarest: 
Dr. Bratianu." 




60 



in diesem großartigen Maße nicht erwartete Resultat fand 
die freudigste Zustimmung aller Volkskreise, nur leider 
nicht jene der in Paris zusammengetretenen europäischen 
Konferenz zur Regelung der rumänischen Angelegenheiten 
und der russischen Agenten, die das Land überschwemmten, 
drohende Gerüchte aussprengend, eine österreichisch-russi- 
sche Armee sowie türkische Truppen würden in die Fürsten- 
tümer einrücken! Natürlich rief dies tiefgehende Beun- 
ruhigung hervor, so daß die Regierung eine Erklärung er- 
ließ, in welcher sie betonte, es sei keinerlei Anlaß vor- 
handen zu Besorgnissen irgendwelcher Art. In Jassy, 
der Hauptstadt der Moldau, kam es zu einem Aufstand, 
an welchem sich hauptsächlich die fremden Elemente be- 
teiligten, während sich die Bürgerschaft ruhig verhielt; 
durch das energische Einschreiten des Militärs ward jedoch 
die Ordnung bald wieder hergestellt. Die Befürchtung 
lag nahe, daß sich derartige gewaltsam angezettelte Un- 
ruhen noch an andern Punkten wiederholten, was auch 
geschah, und daß ferner gewisse separatistische Bestre- 
bungen den endlich gewonnenen einheitlichen Staatsbau 
zerstören könnten, ferner, daß auch die Freunde Kusas 
nicht ruhen würden, die unsichere Lage zu ihren Gunsten 
auszubeuten, und daß sich schließlich energischer, wie bis- 
her, die benachbarten Mächte in die innern Angelegenheiten 
einmischen würden. 

Neue gefährliche Wolken türmten sich über dem 
schwergeprüften Lande auf, dessen Bevölkerung abermals 
einer unsicheren Zukunft entgegensah. Fest und uner- 
schütterlich zeigten sich die Mitglieder der auf Veran- 
lassung der Regentschaft neugewählten Kammer, welche 
in der Sitzung vom i. Mai den Volksbeschluß, dem Prinzen 
Karl die Krone anzutragen, feierlich zu dem ihrigen machten 
durch ihre einstimmige Erklärung: „Mit Berücksichtigung 
der Ehrerbietigkeit, welche wir der hohen Pforte und den 
Garantiemächten zollen, erklärt die Versammlung, als 




61 



treuer Dolmetscher des nationalen Willens, welcher mit 
so vieler Wucht durch die Kammern zum Ausdruck ge- 
kommen, und in der Folge von allen Versammlungen, wie 
von dem Korps legislatif am n. Februar und endlich durch 
den Volksbeschluß vom 8. April erneuert worden ist, 
zum letzten Male im Angesichte Gottes und der Menschen, 
daß es der unerschütterliche Wille der vereinigten Fürsten- 
tümer ist, zu bleiben, was sie sind: Ein einiges, unteil- 
bares Rumänien unter der erblichen Regierung eines 
fremden Prinzen, der einer der souveränen Familien des 
Abendlandes angehört, und daß der Fürst dieses einigen, 
unteilbaren Rumäniens, Prinz Karl Ludwig von Hohen- 
zollern ist, welchen die Versammlung unter dem Namen 
Karl I. hiermit ausruft/' 

Da, in kritischer und gefahrvoller Zeit, am 3. Mai, 
drang die frohe Kunde nach Bukarest, daß Prinz Karl von 
Hohenzollern dem an ihn ergangenen Rufe Folge leisten 
und die rumänische Krone annehmen wolle. Sofort wurde 
das im ganzen Land durch Maueranschläge bekannt 
gemacht und überall jubelnd aufgenommen. In der 
Kammer verkündeten die Regenten den Abgeordneten die 
Wahl des Prinzen Karl von Hohenzollern zum erblichen 
Fürsten Rumäniens und seine Annahme derselben. Be- 
geistert erhoben sich alle Deputierten, schwenkten Hüte 
und Tücher, und ihr Jubelruf: „Es lebe Karl I." pflanzte 
sich auf die Straßen fort, wo er in den dichtgedrängten, 
erwartungsvoll der ersehnten Kunde harrenden Volks- 
kreisen das freudigste Echo fand: „Es lebe Karl I." 





III. 



Prinz Karl von Hohenzollern zum Fürsten von 
Rumänien erwählt 



Prinz Karl In Düsseldorf. — Der Besuch Joan Bratianu's. — Dem Printen wir* die Krone 
Rumäniens Angeboten. — Bedenken und Bedenkzeit — Die Denkschrift des Fürsten Karl 
Anton. — Prinz Karl wieder in Berlin. — Die ersten Nachrichten der Wahl. — König 
Wilhelms Stellung zur Fürstenfrage. — Prinz Karl beim Minister-Präsidenten von Bismarek. 
— Bismareks zustimmende Haltung. — Prinz Karl beim König Wilhelm. — „Gott behüte 
Dich!" — Abschied des Prinzen von Berlin und Aufenthalt in Düsseldorf. — Die Ent- 



rinz Karl hatte sich Ende März 1866 von Berlin nach 



1 Düsseldorf begeben, wo sein Vater seit dem Frühling 
1863 als Militär-Gouverneur der Rheinprovinz und Westfalen 
residierte, um im Kreise seiner nächsten Angehörigen die 
Osterfeiertage zu verbringen in dem der fürstlichen Familie 
als Heim dienenden anmutigen Schlößchen „Der Jäger- 
hof". Auf der Fahrt von Paris nach Berlin machte Joan 
Bratianu, der, wie wir bereits berichtet, als Abgesandter 
der rumänischen Regierung nach der französischen Haupt- 
stadt gereist war, um die Stimmung der dortigen leitenden 
Kreise über die Kandidatur des Prinzen Karl zu erfahren, 
in Düsseldorf Halt, den Fürsten Karl Anton um eine 
Audienz ersuchend, bei welcher Gelegenheit er zu seiner 
großen Freude erfuhr, daß auch Prinz Karl anwesend 
sei. Die Audienz fand am Vormittag des 31. März statt 
und währte drei Stunden. Bratianu berichtete von seiner 
Mission, und daß Napoleon selbst die Anregung gegeben, 
dem Prinzen Karl die rumänische Krone anzubieten; er 



seheidung! — Prinz Karl von Hohenzollern. 





63 



nahm dann an der Tafel teil, wobei viel über die orientali- 
schen und zumal rumänischen Verhältnisse gesprochen 
wurde. Nach Tisch drückte der rumänische Abgesandte 
dem Prinzen seine aufrichtige Freude aus, daß er ihn hier 
bereits kennen gelernt, da er ihn in Berlin vermutet, 
und erwähnte auch ihm gegenüber der Sympathien, die 
man am französischen Hofe für ihn hege, schließlich um 
eine Privatunterredung bittend, die auf den Abend fest- 
gesetzt wurde. 

In dieser Unterredung nun trug Bratianu offiziell im 
Namen des Landes und der Regentschaft dem Prinzen 
Karl die Krone Rumäniens an, ihm im weiteren Verlauf 
die Zustände des Fürstentums schildernd und in klarer 
Weise darlegend, welch vielfache Gefahren demselben 
drohten, wenn die Ungewißheit noch länger dauerte, den 
Prinzen schließlich 



auf das innigste 
bittend um eine 
günstige Entschei- 
dung. Prinz Karl 
entgegnete, daß er 
zwar den Mut in 
sich fühle, dem Ruf 
zu folgen, aber 
doch auch schwere 




Bedenken hege, ob Der Jägerhof in Düsseldorf. 

er einer Solch Ver- Residenz des Fürsten Karl Anton von Hohenzollern. 

antwortlichen Mis- 
sion gewachsen sei, er könne für jetzt noch keine be- 
stimmte Antwort erteilen, denn es hänge schließlich alles 
von dem Beschlüsse König Wilhelms ab, der das Ober- 
haupt der Familie sei, und ohne dessen Erlaubnis er selbst- 
verständlich einen so folgenschweren Schritt nicht unter- 
nehmen könne. Die spätere Gemahlin des Prinzen, Königin 
Elisabeth, erzählt noch von dieser ersten bedeutsamen 



Digitized by 



64 



Unterredung eine kennzeichnende Episode, und zwar wäre 
Prinz Karl den Ausführungen Bratianus gefolgt, eine Welt- 
karte vor sich, hätte schließlich den Bleistift zur Hand 
genommen und auf die das rumänische Fürstentum durch- 
schneidende direkte I^inie zwischen London und Bombay 
gewiesen mit den Worten: „Das da ist ein Land der Zu- 
kunft 1" Und wie hier wirtschaftlich der Prinz eine über- 
raschende Voraussicht bewiesen, welche durch die 1906 
eingerichtete direkte Schiffahrtslinie von Konstanza nach 
Ägypten sich erfüllte, so auch politisch, denn als ihm in 
der gleichen Unterredung Bratianu das staatsrechtliche 
Verhältnis Rumäniens zur Türkei auseinandersetzte, be- 
sorgt, der Prinz könnte sich an dieser Abhängigkeit von 
der Pforte stoßen, bemerkte jener, er sehe darin kein 
Hindernis für sich, zumal es kaum schwer fallen dürfte, 
dieses Band zu lösen, das vorläufig eher eine Garantie, 
denn eine Fessel sei, da Rumänien sich noch nicht stark 
genug fühle, um schon auf eigenen Füßen zu stehen. 

Ohne daß es zu einer bindenden Erklärung seitens 
des Prinzen, der in diesen Tagen auch seine Ernennung 
zum Rittmeister erhalten, gekommen, trat Bratianu, der 
auf den Prinzen wie auf die Familie des Fürsten durch 
sein Wesen wie durch seine Kenntnisse den vorteilhaf- 
testen Eindruck gemacht, die Reise nach Paris an, um 
dort des weiteren tätig zu sein. Fürst Karl Anton aber 
richtete an König Wilhelm eine eingehende Denkschrift, 
in welcher er zunächst Mitteilung machte von dem an seinen 
zweiten Sohn ergangenen Antrag, die Regierung Rumäniens 
zu übernehmen, und daß er die Entscheidung darüber 
gänzlich dem Könige überlasse. Er betonte dann wörtlich: 
„In der jüngsten Zeit ist die noch unter dem Fürsten 
Kusa einberufene Kammer aufgelöst worden, weil der 
nunmehr in den Vordergrund gerückten Wahlfrage eine 
neue konstitutionelle Unterlage gegeben werden mußte. 
Nun ist nach der Auffassung des Herrn Bratianu leicht 




65 



möglich, daß aus der ad hoc konstituierten neuen ru- 
mänischen Kammer die Wahl eines meiner Söhne hervor- 
gehe, und zwar nicht deshalb, weil nur einer von diesen 
als der einzig geeignete Regent zu bezeichnen wäre, sondern 
auch aus dem weiteren politischen Grunde, um den Kon- 
ferenzmächten die Absicht Rumäniens zu zeigen, kein 
Bojaren- Regententum über sich zu dulden, moralischen 
Protest einzulegen gegen die von Rußland gewünschte 
Trennung der Fürstentümer, die monarchische Gesinnung 
dieser Länder zu konstatieren und einen fertigen Kandi- 
daten zur Abkürzung des Konferenzverfahrens und zur 
Beseitigung aller weiteren Herrschaftsintriguen aufzu- 
stellen. Der Graf von Flandern sei nicht um seiner Person, 
sondern um des Prinzips willen per Akklamation ge- 
wählt worden, rumänischerseits sollte dadurch lediglich 
mit größter Offenheit gezeigt werden, daß nur einem 
fremden Fürsten die Gründung einer neuen Dynastie in 
Rumänien anvertraut werden dürfe/' Nachdem dann der 
Fürst noch die schwierigen inneren Verhältnisse und das 
scheinbare Abhängigkeitsverhältnis zur Pforte berührt, 
schloß er: „Nicht zu leugnen sind aber die großen, jetzt 
noch unentwickelten inneren Hilfsquellen dieser Länder, 
welche unzweifelhaft eine ebenso große Zukunft haben 
werden, als sie ehemals Kulturdistrikte ersten Ranges ge- 
wesen sind. Der dortige Herrscher würde demnach eine 
ebenso große als dankbare Aufgabe zu erfüllen haben, deren 
Früchte wohl schwerlich seiner Person, unzweifelhaft aber 
den Deszendenten der neu begründeten Dynastie zu statten 
kommen müßten/' Auch an den preußischen Minister- 
präsidenten, Herrn von Bismarck, sandte Fürst Karl Anton 
ein Schreiben über die rumänische Thronfrage, auf die 
obige Denkschrift verweisend. 

Am 9. April war Prinz Karl wiederum in Berlin und 
meldete sich sofort beim König, der jedoch die rumänische 
Angelegenheit mit keinem Wort streifte, danach besuchte 

Lindenberg, König Karl. 5 




66 



er den Kronprinzen, der eingehend mit ihm Rücksprache 
nahm und der ganzen Sache sympathisch gegenüber- 
zustehen schien, bemerkend, wie ehrenvoll er es finde, 
daß eine so schwierige Aufgabe einem Mitglied des Hauses 
Hohenzollern angetragen worden sei ; nur war ihm störend, 
daß die Kandidatur von Frankreich aus angeregt wurde, 
da er vermute, dieses könnte später vielleicht für diese 
Gefälligkeit eine Gebietsberichtigung von Preußen ver- 
langen. Der Prinz erwiderte, man brauchte das nach 
seiner Meinung nicht zu befürchten, da sich KaiserNapoleon 
hier mehr von verwandtschaftlichen, als irgendwie eigen- 
nützigen Rücksichten habe leiten lassen. Als Gegner 
erwies sich Prinz Friedrich Karl, der die Ansicht äußerte, 
der Prinz sei doch zu besserem da, als tributären Fürsten- 
tümern vorzustehen, und der daher riet, den Antrag ab- 
zulehnen. 

Als wenige Tage später, am 14. April, Prinz Karl im 
Kasino seines Regiments bei Tische saß, wurden ihm 
Berliner Zeitungen übergeben, die folgende Depesche ent- 
hielten: ,, Bukarest, den 13. April. Heute haben Stadt- 
halterschaft und Ministerium mittelst Anschlags an den 
Straßenecken den Prinzen Karl von Hohenzollern unter 
dem Namen Karl I. zum Fürsten von Rumänien vorge- 
schlagen. Es geht das Gerücht, der Prinz werde demnächst 
hier eintreffen. Die Bevölkerung scheint hierüber voller 
Freude zu sein/' 

Diese so bestimmt auftretende Nachricht überraschte 
den Prinzen ebenso wie seine Angehörigen; sie war von 
Bratianu ausgegangen, welcher, von Paris nach Bukarest 
geeilt, mit aller Energie die Wahlangelegenheit dort be- 
trieb. Er hatte auch unter dem 16. April eine Depesche 
an den Fürsten Karl Anton gerichtet, des Inhalts, daß 
fünf Millionen Rumänen den Prinzen Karl als Herrscher 
gewählt hätten und daß sich in allen Kirchen die innigen 
Bitten der Geistlichen mit denen des Volkes vereinten, 




67 



um den Erwählten zu segnen, ihn würdig zu machen 
seiner Vorfahren und des Vertrauens, weiches die Nation 
in ihn setze. Diese Depesche wurde von dem Fürsten 
sogleich telegraphisch König Wilhelm übersandt, der sie 
dem Prinzen Karl mit folgendem eigenhändigen Brief 
übermittelte: „Dein Vater wird Dir die Anlage auch wohl 
mitgeteilt haben. Du hast Dich ganz passiv zu verhalten, 
weil große Bedenken obwalten, da Rußland und die Pforte 
bisher gegen prince etranger sind. Wilhelm." Fürst Karl 
Anton hatte Bratianu geantwortet, daß er mit tiefer Be- 
wegung die Nachricht von der endgültigen Wahl seines 
Sohnes empfangen, daß aber die Entscheidung nunmehr 
in den Händen des Königs liege. Prinz Karl schrieb an 
diesem Tage seinem Vater, er sei fest entschlossen, auch 
gegen den Wülen der in Paris tagenden Konferenz ohne 
weiteres nach Bukarest zu reisen. Der Fürst antwortete 
ihm: „Der Entschluß macht Dir alle Ehre und zeigt ein 
richtiges Gefühl; aber Du hast den Willen des Königs 
abzuwarten." — 

Jetzt hieß es nur noch, die Zustimmung König Wil- 
helms zu erlangen, der sich zunächst völlig ablehnend 
verhielt und seine Gründe dem Fürsten Karl Anton in 
einem langen, vom 14. April datierten Handschreiben dar- 
legte, in welchem es heißt: „Was nun Deine Auffassung 
des Anerbietens der rumänischen Herrschaft an Deinen 
Sohn Karl betrifft, so war ich allerdings überrascht, das- 
selbe von Dir so eingehend aufgenommen zu sehen. Natür- 
lich ist es zunächst Pflichtsache des Vaters, über das 
Schicksal seiner Kinder eine Ansicht aufzustellen. Dies 
hast Du getan und dieselbe mir, als Familienhaupt, zur 
Beurteilung vorgelegt. — Deine politische Auffassung der 
Frage, die aus den Mitteilungen des etc. Bratianu folgte, 
verstehe ich insofern vollkommen, als man Preußen, als 
den bei dieser Frage nicht direkt beteiligten Staat, für den 
geeignetsten hält, ein Mitglied seines Hauses, ohne Jalousie 



5* 




68 



der direkter beteiligten Großmächte, zur rumänischen 
Herrschaft berufen zu lassen. Aber mit einer solchen Be- 
rufung würde für die Zukunft Preußens Stellung zu jeder 
orientalischen Verwicklung nicht mehr die bisherige neu- 
trale bleiben können. Denn wenn auch Dein Sohn aus 
der nächsten Beziehung zu unsrem Hause treten würde, 
so bliebe doch eine Art von moralischer Verpflichtung, 
bei Gefahren für jenen Herrscher für ihn einzutreten. 
Wohin aber ein solches moralisches Band Preußen führen 
könnte, ist gar nicht abzusehen, und könnte nur dahin 
führen, wenn diplomatische Mittel fruchtlos geblieben sein 
sollten, die materiellen Unterstützungen versagen zu müssen, 
bei unsrer geographischen Lage zu jenen Ländern." — 
Der König ging dann des näheren auf die ungewisse Stellung 
des Prinzen als Fürst eines Vasallenstaates ein, die er 
eines Hohenzollern nicht für würdig halte, besorgte, daß, 
selbst wenn er seine Zustimmung gäbe, keine Garantie 
vorhanden sei, daß das Wahlrecht auch an dem jetzt Ge- 
wählten festhielte, und betonte, daß man die Stellung der 
auf der Pariser Konferenz repräsentierten Mächte zu dieser 
Wahlfrage berücksichtigen müsse, denn Rußland und die 
Pforte seien gegen die Union der Fürstentümer und gegen 
die Wahl eines auswärtigen Prinzen zum Beherrscher der 
Donaufürstentümer: „Das alles sind Ereignisse, die eine 
einfache Lösung dieser Frage nicht in Aussicht stellen. 
Daher muß ich Dir die nochmalige Überlegung derselben 
recht ans Herz legen. Sollte selbst Rußland, natürlich nur 
widerwillig, in die Wahl eines auswärtigen Fürsten willigen , 
so ist vorauszusehen, daß Intriguen über Intriguen in Ru- 
mänien stattfinden werden, zwischen Rußland und Öster- 
reich, und da letzteres williger für eine solche Wahl stimmen 
würde, so wäre die Anlehnung Rumäniens an Österreich 
gegen Rußland geboten und somit das neu geschaffene 
Reich mit seiner Dynastie, von Haus aus, auf Seiten des 
Hauptgegners Preußens, das ihm doch den Fürsten geben 




69 



soll!" — Fürst Karl Anton dankte dem König auf das 
innigste für sein Interesse und suchte in einer ausführ- 
lichen Denkschrift verschiedene der politischen Besorgnisse 
des Königs zu entkräften. 

In dieser Unentschiedenheit sollte dem Prinzen Karl 
ein wichtiger Bundesgenosse erstehen in dem preußischen 
Ministerpräsidenten von Bismarck, der am Vormittag des 
19. April den L,egationsrat von Keudell an den Prinzen 
sandte, ihn um seinen Besuch : bittend, da er ihn infolge 
eines Fußleidens, das ihn an das Haus fessele, leider nicht 
aufsuchen könne. Zur Mittagszeit fand die wichtige 
anderthalbstündige Unterredung statt, die Bismarck mit 
der Bemerkung eröffnete, daß er nicht als Staatsmann, 
sondern als Freund und Ratgeber ganz frei und offen zu 
dem Prinzen sprechen wolle und als solcher rate er ihm: 
„Sie sind von einer ganzen Nation einstimmig zum Fürsten 
erwählt; folgen Sie diesem Rufe, gehen Sie direkt in das 
Land, zu dessen Regierung Sie berufen sind!" Und als 
der Prinz erwiderte, daß dies ohne Genehmigung des 
Königs unmöglich sei, obwohl er selbst den Mut zu diesem 
Entschlüsse in sich fühle, rief Bismarck aus: „Um so mehr 
also 1 Die Genehmigung des Königs brauchen Sie in diesem 
Falle nicht direkt. Verlangen Sie Urlaub vom König, 
Urlaub ins Ausland, — der König ist fein genug, — ich 
kenne ihn ja genau — , um dies zu verstehen und die Ab- 
sicht zu durchschauen. Sie nehmen ihm dadurch außer- 
dem die Entscheidung aus der Hand, was ihm sehr will- 
kommen sein muß, da ihm politisch die Hände gebunden 
sind." — Vom Ausland her, bemerkte Bismarck, könne 
der Prinz um seinen Abschied einkommen und sollte sich 
dann im strengsten Incognito nach Paris begeben, um den 
Kaiser Napoleon für seinen Plan zu gewinnen. Dieses sei 
nach seiner Ansicht die einzige Art, die Sache durchzusetzen, 
denn komme letztere erst vor die Pariser Konferenz, so 
würde sie sich nicht monate-, sondern jahrelang hinziehen. 




70 



Im Verlauf der Unterhaltung kam Bismarck auch auf 
die Stellung der Mächte der Thronkandidatur gegenüber 
zu sprechen: „Rußland und die Pforte werden den ent- 
schiedensten Protest gegen Ihre Wahl erheben, Frankreich, 
England und Italien werden auf Ihrer Seite stehen, und 
Österreich wird alles -aufbieten, um Ihre Kandidatur zum 
Scheitern zu bringen. Doch ist gerade von dieser Seite 
nicht viel zu fürchten, da ich Österreich für einige Zeit zu 
beschäftigen gedenke . . .!" 

Dann behandelte Bismarck die schwierige Situation, 
in welche Preußen versetzt würde, da es sich stets von 
der orientalischen Frage ferngehalten und nur seine Stimme 
im Rate der Großmächte geltend mache: „In diesem 
speziellen Falle aber müßte ich, als preußischer Minister- 
präsident, gegen Sie stimmen, .so schwer mir das auch 
fallen würde, denn ich dürfte im gegenwärtigen Augenblick 
keinen Bruch mit Rußland herbeiführen und unser Staats- 
interesse nicht zu Gunsten des Familieninteresses engagieren. 
— Durch eigenmächtiges Handeln von seitens Euer Durch- 
laucht würde der König aber aus der für ihn peinlichen 
Situation herausgelangen, und ich bin überzeugt, daß er 
dieser Idee nicht abgeneigt sein würde, obwohl er als Fa- 
milienoberhaupt seine Zustimmung nicht geben dürfte. — 
Sind Ew. Durchlaucht einmal in Rumänien, so wird die 
Frage bald gelöst sein, denn wenn Europa sich einem fait 
accompli gegenüber sieht, werden die zunächst beteiligten 
Mächte zwar protestieren, aber ein Protest steht auf dem 
Papier, und die Tatsache wird nicht mehr rückgängig zu 
machen seinl" — Den Einwand des Prinzen, daß Rußland 
und die Pforte direkt feindlich auftreten könnten, ent- 
kräftete Bismarck : „Aus Gewaltmaßregeln würden, nament- 
lich für Rußland, die schwersten Folgen entstehen können. 
Ich würde aber Ew. Durchlaucht raten, vor Ihrer Abreise 
dem Kaiser von Rußland einen eigenhändigen Brief zu 
schreiben, in welchem Sie aussprächen, daß Sie in Rußland 




71 



Ihren mächtigsten Beschützer sähen und daß Sie mit Ruß- 
land dereinst die orientalische Frage lösen zu können 
hofften. — Auch ließe eine Familienverbindung, die bald 
ins Werk gesetzt werden müßte, Sie in Rußland einen 
großen Anhalt finden." Auf die Frage, wie sich Preußen 
zu der vollendeten Tatsache stellen würde, erwiderte der 
Ministerpräsident: „Wir werden nicht umhin können, das 
Faktum anzuerkennen und der Sache unser volles Inter- 
esse zuzuwenden. Ihr mutiger Entschluß wird also sicher 
sein, von hier aus beifällig aufgenommen zu werden." 

Am Nachmittag wurde der Prinz vom König empfan- 
gen, der ihn herzlich begrüßte, aber nicht die Ansichten 
Bismarcks, die ihm der Prinz mitteilte, billigte, sondern 
ihm eingehend die Schwierigkeiten entwickelte, die dem 
Unternehmen im Wege ständen, ihm ratend, die Entschei- 
dung der Pariser Konferenz abzuwarten. Aber selbst, 
wenn letztere günstig ausfallen sollte, wären noch viele 
Bedenken zu überwinden, ob es eines Fürsten aus dem 
Hause Hohenzollern würdig sei, sich unter die Oberhoheit 
eines Sultans zu stellen. Prinz Karl erwiderte — wir 
folgen hier wiederum den aus den Tagebüchern des Königs 
geschöpften und mit zahllosen Briefen und offiziellen 
Dokumenten versehenen Denkwürdigkeiten des Herrschers : 
„Aus dem Leben König Karls von Rumänien" — daß er 
für den Augenblick die türkische Suzeränität anzuerkennen 
bereit sei, doch mit dem stillschweigenden Vorbehalt, sich 
von derselben durch Waffengewalt zu befreien und dem 
Lande, das ihn heute erwählt, die völlige Unabhängigkeit 
auf dem Schlachtfelde zu erobern; er bitte den König, 
überzeugt zu sein, daß er stets seinem Namen Ehre machen 
werde, wo und in welcher Lage er sich auch befinden 
möge I — Der König bewilligte dann den erbetenen Urlaub 
nach Düsseldorf und schloß den Prinzen beim Abschied in 
die Arme mit den Worten: „Gott behüte Dich!" 

Vom König begab sich der Prinz nach Potsdam zur 




72 



kronprinzlichen Familie. Der Kronprinz hatte seine 
früheren Bedenken fallen gelassen, jedenfalls war er nicht 
mehr gegen das Unternehmen und äußerte, er sei fest 
überzeugt, daß der Prinz seiner Aufgabe gewachsen sei; 
gleich seiner Gemahlin verabschiedete er sich auf das 
wärmste von dem Freunde, ihm seine treuesten Wünsche 
und Hoffnungen für eine gute Zukunft aussprechend. 

Am gleichen Abend noch begab sich Prinz Karl nach 
Düsseldorf, wo er am nächsten Tage im Kreise der Eltern 
und Geschwister seinen Geburtstag feierte, aus welchem 
Anlaß zahlreiche Glückwünsche aus Rumänien eintrafen. 
Drei Tage später entschied die Pariser Konferenz, daß 
die in Bukarest zusammentretende Kammer die Wahl 
eines einheimischen Fürsten vorzunehmen habe ; Depeschen 
aus Bukarest jedoch meldeten, die Rumänen würden 
dieser Anordnung nicht Folge leisten, sie beständen auf 
dem Willen der Nation, einem fremden Fürsten die Re- 
gierung zu übertragen, und hielten an der Wahl des Prinzen 
Karl fest. Für diesen Ausweg trat auch Frankreich ener- 
gisch ein, indem es erklärte, es würde etwaige Zwangs- 
maßregeln, ob diese von Rußland oder der Pforte aus- 
gingen, nicht dulden. 

Auch Bismarck blieb, wie er dem Vermittler zwischen 
dem Fürsten Karl Anton und dem König, Oberst von 
Rauch, am 23. April mitteilte, seiner Ansicht treu: es 
wäre das beste, wenn der Prinz sofort die Wahl annehmen, 
sich nach Paris begeben und mit Kaiser Napoleon ins 
Einvernehmen setzen würde und dann die Zustimmung 
Rußlands zu gewinnen trachtete: „Was die Zustimmung 
des Königs betrifft, so kann dieselbe jetzt natürlich nicht 
erfolgen, aber einem fait accompli gegenüber wird sie 
schließlich nicht versagt werden können. Nur ob : Prinz 
Karl die Kraft und Entschlossenheit in sich fühlt, die Frage 
auf diese: einzig Erfolg verheißende Weise zu lösen, das 
muß er selbst entscheiden. Jeder andere Weg bietet keine 




73 



Aussicht, denn schließlich werden die Mächte sich auf 
einen einheimischen Fürsten einigen und die Rumänen 
sich fügen. — Gestern abend habe ich mich dem poli- 
tischen Agenten Rumäniens in Paris, Herrn Balaceanu, 
gegenüber in gleichem Sinne geäußert und betont, daß 
der König jetzt nicht allein entscheiden und nicht für den 
Prinzen Karl die Wahl annehmen dürfe, weil dadurch 
politische Verwickelungen heraufbeschworen werden 
könnten." 

Wenige Tage später überbrachte Oberst von Rauch 
dem Fürsten Karl Anton ein ausführliches Handschreiben 
des Königs, in welchem dieser nochmals seinen Stand- 
punkt und seine Bedenken eingehend in klarer Weise 
darlegte. Gleichzeitig trafen aus Paris private Mitteilungen 
ein, die besagten, daß die französische Regierung, wie 
bisher, auch fernerhin der Angelegenheit sympathisch 
gegenüberstände, daß sie freilich zur günstigen Lösung 
nichts direkt tun könne. 

Die Ereignisse drängten jetzt zur Entscheidung. Am 
i. Mai traf Joan Bratianu in Düsseldorf ein, der mehrere 
längere Unterredungen mit dem Fürsten Karl Anton und 
dem Prinzen Karl hatte. Als der Fürst hervorhob, daß 
sein Sohn ohne Ermächtigung des Königs nichts unter- 
nehmen könne, rief Bratianu schmerzlich aus: „Dann ist 
Rumänien verloren !" Da nahm ihn Prinz Karl beiseite 
und teilte ihm im engsten Vertrauen mit, er sei fest zur 
Reise entschlossen! 

Zu der Befürchtung Bratianus lag begründete Ver- 
anlassung vor, denn bei dem sich immer schärfer zu- 
spitzenden Konflikt zwischen Österreich und Preußen und 
den stets drohender aufsteigenden Kriegswolken war es 
leicht möglich, daß eine der interessierten Großmächte, sei 
es Österreich selbst oder Rußland oder die Türkei, die 
günstige Gelegenheit benutzte, um sich des ohnmächtigen 
rumänischen Landes zu bemächtigen, trotz des eventuellen 




74 



Einspruches Frankreichs, der ja doch nur diplomatischer 
Natur geblieben wäre. Und auch im Lande selbst fehlte 
es ja nicht an genügendem Zündstoff, um neue Unruhen 
anzuzetteln und die ohnehin so schwierige Lage noch 
fragwürdiger zu gestalten. 

Am 5. Mai weilte Fürst Karl Anton in Berlin, zunächst 
Bismarck aufsuchend, der wiederum bemerkte, daß er an 
seiner bisherigen Ansicht festhalte. Dann nahm der Fürst 
eine nähere Rücksprache mit dem König, der schließlich 
erklärte, er wolle sich jeder direkten Einwirkung auf die 
Entschlüsse des Prinzen Karl enthalten und eine vollzogene 
Tatsache als geschehen gelten lassen, der Prinz möge von 
der Grenzstation aus sein Abschiedsgesuch einreichen. 

Zwei Tage später war Fürst Karl Anton wieder in 
Düsseldorf, wo auch Joan Bratianu und Balaceanu, die 
man aus Paris telegraphisch berufen, eintrafen, und denen 
Prinz Karl am 7. Mai mitteilte, daß er unbedingt zur Fahrt 
entschlossen sei, die, nach eingehender gemeinsamer Be- 
ratung des Weges und der zu erwartenden Schwierigkeiten 
und Hindernisse, auf den 11. Mai festgesetzt wurde. 

Die Würfel waren gefallen! 

Welche Gedanken, welche Erwägungen und Pläne 
mögen in all dieser Zeit des Prinzen Seele bewegt 
haben I Sein Entschluß, dem unerwarteten Rufe des fernen 
Landes zu folgen und die Krone des fremden Volkes an- 
zunehmen, war bei seinem Charakter und seiner Ver- 
anlagung durchaus verständlich. Von früh an hatte Prinz 
Karl regen Sinn gezeigt für die Natur und das Volksleben, 
vielfache Reisen hatten ihm eine Fülle buntartiger, fesseln- 
der Eindrücke gewährt und hatten wohl oft genug seine 
Wünsche hinausgelenkt über die Grenzen der engeren 
Heimat. Man sagt nicht mit Unrecht, daß viele Menschen, 
deren Gemütsleben lebhafteren Schwingungen unterworfen 
ist, als es beim Durchschnitt der Fall, sich nur schwer in 
die altgewohnte Umgebung und Tätigkeit zurückfinden 




75 



können, wenn sie auf weiten Fahrten dem leisen Raunen 
und wilden Rauschen des Meeres gelauscht, wenn sie fern 
der Heimat den glühenden Sonnenball untergehen sahen 
über schweigsamen Palmenwaldungen, wenn sie sich ver- 
traut gemacht mit den geheimnisvollen Erscheinungen der 
Wüste und Steppe, und daß sie immer wieder den Drang 
empfinden, hinauszuziehen in die freie, schöne Gotteswelt,, 
die ihnen ihre Wunder ganz anders erschließt, als den 
meisten übrigen Erdbewohnern. Auch bei dem Prinzen 
Karl dürfte dieser Zug hervorgetreten sein und eine Rolle 
gespielt haben, als sein Lebensweg eine jähe Wendung 
erfuhr. 

Freilich nicht die entscheidende Rolle I Seinem ganzen 
inneren Sein und Wesen nach war Prinz Karl nicht dazu 
geschaffen, das bequeme, von äußeren Erschütterungen 
nicht bedrohte Leben eines Fürstensohnes zu führen, einen 
militärischen Rang nach dem anderen zu erreichen und 
sein Dasein verfließen zu sehen zwischen Dienst und 
höfischem Getriebe. Sein lebhafter Geist, seine ent- 
schlossene Tatkraft, sein frischer Unternehmungssinn 
strebten höheren Zielen zu. Durchaus nicht phantastisch 
veranlagt, durchaus nicht zu Abenteuern geneigt oder aus 
irgend welchen Gründen ehrgeizigen Plänen nachjagend, 
sondern alles ruhig und ernst erwägend, sah er sich hier 
vor eine hohe, eines ganzen Mannes harrende Aufgabe 
gestellt: einem bisher bedrückten, ausgesogenen, zum Teil 
verachteten oder spöttisch beurteilten Volke ein wahrer 
Fürst und sorgender Retter zu werden, Ordnung einzu- 
führen, wo die jammervollste Mißwirtschaft bisher gewesen, 
das Land zu befreien von den politischen Schlacken und 
Einflüssen, seinen Bewohnern, die im Kern gut geblieben, 
ein leuchtendes Beispiel zu sein und sie jener Wohlfahrt 
zuzuführen, deren sich die anderen Kulturstaaten erfreuten 
— etwas Festes und Beständiges zu schaffen, nicht nur 
für die Gegenwart, sondern für die Zukunft 1 Mit diesen 




76 



Erwägungen mochten sich andere verschmelzen. Auf 
seinen vielfachen Reisen hatte der Prinz Land und Leute 
der verschiedensten Nationen kennen gelernt, sein scharfer 
Blick erkannte die Bedeutung, welche Rumänien unter ziel- 
bewußter Herrschaft gewinnen konnte, gewinnen mußte, 
„eine lebendige Schlagader in Europa ", wie er sich in 
jenen Entscheidungstagen in Düsseldorf bereits ausgedrückt, 
hier konnte eine gewaltige, historische Tat vollbracht 
werden, wert der Sorgen, Entsagungen und Enttäuschungen, 
die nicht ausbleiben würden, aber auch wert des blühen- 
den Ruhmes, den das Gelingen verhieß. 

Da mochte sich im Prinzen Karl die Entschlossenheit 
und Tatenlust der Hohenzollern regen und im Geiste vor 
ihm emporsteigen das Bild jener kühnen, klugen Burg- 
grafen von Nürnberg und ihr in der Mark Brandenburg 
geleistetes Werk von weltgeschichtlichem Einfluß I 

Und durfte es der Prinz nicht als eine gute Vor- 
bedeutung ansehen, daß zwischen den Hohenzollern und 
dem jungen Staate, über dessen sagenumwobener Ver- 
gangenheit einst siegreich die römischen Adler geglänzt, 
gewisse Beziehungen bestanden? Schon durch den heimat- 
lichen Fluß, die Donau, welche vorüberrauschte an dem 
efeuumrankten Sigmaringer Schlosse und welche dem 
Knaben in der trauten Jugend Lieder und Mären zuge- 
raunt, derselbe Strom, der das ferne rumänische Gebiet 
bespülte und für dieses der wichtigste Lebensnerv war? 
Die gleiche Donau, die Friedrich VI., Graf von Zollern 
und Burggraf von Nürnberg, mit seinen das Kreuz auf der 
blinkenden Rüstung tragenden Streitern hinabgezogen, um 
König Sigismund von Ungarn Heerbann zu leisten im 
Kampfe gegen Sultan Bajazid I. ! Mit der abendländischen 
Ritterschaft vereinte sich ein starkes rumänisches Heer 
unter Fürst Mircea, die hohenzollernschen Fahnen wehten 
zusammen mit den rumänischen vor Nicopolis oberhalb der 
Donau, wo eS am 27. September 1396 zur folgenschweren 




77 



Schlacht kam, wobei, hauptsächlich durch Schuld der vor- 
eilig angreifenden französischen Ritter, die christlichen 
Heere fast völlig von den Türken vernichtet wurden, die 
sich nun in den Besitz dieser Donaugebiete setzten und 
sie bis 1878 inne hatten. Friedrich, der Hohenzoller, 
schützte mit seinem eigenen Leibe König Sigismund, 
mit dem er, verfolgt von einem Regen von Pfeilen, in 
einem Nachen über die Donau entkam, und Sigismund 
bewies seine Dankbarkeit, indem er den Burggrafen Fried- 
rich mit der Mark Brandenburg belehnte. 

Eigentümliche Wege der Weltgeschichte: ziemlich 
500 Jahre später hielt Fürst Karl von Rumänien, der 
Zoller, mit seinen siegerprobten Truppen seinen Einzug in 
Nicopolis, von dessen Wällen die rumänischen Fahnen 
flatterten I 

Aber bis dahin — welch steiler, dorniger Pfad, den der 
junge Hohenzoller mutig beschritt und den der in Stürmen 
gereifte Fürst fest und entschlossen zurücklegte, den Er- 
folg sich erzwingend, zum Wohle seines Landes und Volkes ! 





IV. 

Die Fahrt nach Rumänien und Eintreffen in 
Bukarest 

Absehled. — Prinz Karl verläßt das Elternhaus. — Die Fahrt nach Rumänien. — In Salz- 
burg und Wien. — Unfreiwilliger Aufenthalt. — Auf der Donau. — Ankunft In Turnu- 
Severlc. — Der erste Empfang. — Der Einzug In Bukarest — In der Metropolle und der 
Kammer. — Ansprache des Fürsten Karl. — Vereidigung der Truppen. — Kriegerische 
Gerüchte. — Der Zustand des Landes. — Berichte der Minister. — Land und Leute in zeit- 
genössischen Schilderungen. — Die Hauptstadt im Jahre 1866. — Gegensätze. — Die Nach- 
richt vom Tode des Prinzen Anton. — Fürst Karl von Rumänien. 



Der Ii. Mai, der Abschiedstag! Früh schon war Prinz 
Karl aufgestanden, selbst noch an seinen Sachen 
packend und einige Briefe vollendend, dann eine größere 
Zahl von Glückwunschdepeschen lesend, die aus Rumänien 
eingelaufen waren und seinen Entschluß jubelnd begrüßten. 
Nach dem Abschied von jedem Mitglied des väterlichen. 
Hofhaltes folgte um 10 Uhr die schwere Trennungsstunde 
von seinen Eltern, die ihn immer wieder und wieder um- 
schlossen und ihn mit ihren heißesten Segenswünschen 
entließen. Der Fürst war tief ergriffen und die Fürstin, 
deren Tränen heiß flössen, wollte den Sohn gar nicht aus 
ihren Armen lassen. Nur mit Mühe konnte auch Prinz 
Karl seiner tiefsten Bewegung Herr werden, aber gewalt- 
sam drängte er sie zurück, als er sich jetzt auf sein Pferd 
schwang und, immer nochmals den geliebten Eltern zu- 
winkend, die dem Sohne tränenden Auges nachblickten, 
davonritt, durfte doch niemand wissen, daß es ein Abschied 
auf lange Zeiten war, da die Schritte des Prinzen über- 



Digitized by 



79 



wacht wurden und er den Anschein erwecken mußte, als 
handelte es sich nur um einen Spazierritt. Nach Schloß 
Benrat ging's, wo sein älterer Bruder, Erbprinz Leopold, 
mit seiner Familie sowie seiner Schwester Marie lebten 
Dort legte Prinz Karl die preußische Dragoneruniförm ab 

— auch das ein nachdenklicher und schwerer Augenblick 

— sie mit einem Zivilanzug vertauschend, und trat die 
Reise an, bis nach Schloß Rammersdorf von der teuren 
Schwester begleitet, von der er dort innigen Abschied nahm. 
In einem Ruderboot durchquerte er dann den Rhein und 
erreichte Bonn, zu Fuß nach dem Bahnhof eilend und dort 
mit Kabinettsrat von Werner zusammentreffend, dem lang 
erprobten Diener des fürstlichen Hauses, den der Fürst 
seinem Sohne als Gefährten mitgegeben. 

Am nächsten Morgen, nach schlaflos verbrachter Nacht, 
erreichte man Freiburg und setzte die Fahrt nach Zürich 
fort, nicht mehr durch den Gedanken beunruhigt, von 
Spähern verfolgt zu sein, — die, wie man erfahren, sich 
in Düsseldorf aufgehalten, — da der Prinz durch seine 
Kahnfahrt über den Rhein seine Spuren verwischt hatte. 
In Zürich erwartete die Reisenden der Kammerherr Baron 
von Mayenfisch, der auf die Bitte des Fürsten den Sohn 
von hier an begleiten sollte nebst zwei Dienern des väter- 
lichen Hauses. 

Die Reise des Prinzen und seiner Gefährten nach 
Rumänien war vorher sorgsam beraten worden, alle Routen 
dorthin hatte man eingehend in Betracht gezogen; jede 
freilich erschien gewagt, jene durch Österreich, da im 
nächsten Augenblick der Krieg ausbrechen konnte, die 
österreichischen Behörden dann aber den Prinzen, falls 
sie ihn erkannt, als preußischen Offizier festgenommen 
hätten, der Seeweg über Marseille eventuell Genua nach 
Konstantinopel gleichfalls, weil man auch dort höchst- 
wahrscheinlich den Prinzen angehalten, nicht minder der 
umständliche Weg durch Rußland. So hatte man sich 




80 



denn für die kürzeste Linie entschlossen, über Wien- 
Basiasch, trotz aller Bedenken und Befürchtungen. In 
der Schweiz galt es nun vor allem, sich andere Pässe zu 
verschaffen, und gern bot hierzu die Hand der Landam- 
mann Äpli von St. Gallen, der wiederholt der Gast der 
fürstlichen Familie auf der Weinburg, jener von uns schon 
erwähnten Besitzung nahe dem Bodensee, gewesen und an 
den sich Fürst Karl Anton brieflich wegen der Paßfrage 
gewandt. Auf eine telegraphische Anfrage erwiderte der 
Landammann, daß er am nächsten Tage auf der Durch- 
reise in Zürich sein werde; dort besuchten ihn die Herren 
von Werner und von Mayenfisch und erfuhren seine Ge- 
neigtheit, ihre Wünsche zu erfüllen, hörten aber auch, 
daß er leider erst am folgenden Abend nach St. Gallen 
zurückkehre. Die unfreiwillige Muße benützte der Prinz 
zu eingehenden Schreiben an die Kaiser von Frankreich 
und Rußland, sowie an den Sultan, in denen er ihnen seine 
Beweggründe auseinandersetzte, weshalb er dem an ihn er- 
gangenen Ruf Rumäniens Folge leiste, und die Hoffnung aus- 
sprach auf ihr Wohlwollen, das ja für ihn wie für die Zukunft 
des rumänischen Staates von größter Bedeutung sei. Herr 
von Mayenfisch reiste sodann mit den beiden Dienern und 
dem Hauptteil des Gepäcks nach München voraus, denn 
jegliches Aufsehen mußte vermieden werden, und der Prinz 
wie Herr von Werner beschäftigten sich am Nachmittag 
damit, die Namenszüge aus der Wäsche zu trennen und 
die Krone sowie das K. auf dem Necessaire des Prinzen 
auszukratzen, damit jeglicher Verdacht bei der Zollrevision 
vermieden werde; auch das Gepäck ward auf das äußerste 
beschränkt, einen sehr bescheidenen Eindruck machend. 
Am gleichen Abend langten die beiden Herren in St. Gallen 
an, in einem kleinen Gasthofe Unterkunft suchend und sich 
in einem gemeinsamen bescheidenen Zimmer einquartierend. 
In den Zeitungen lasen sie die Nachricht, daß die Türkei 
und Rußland Rumänien militärisch besetzen wollten. 



Digitized by 



81 



Am folgenden Morgen, den 15. Mai, stellten sich der 
Prinz und sein Begleiter bei Herrn Äpli ein, der den Paß 
für den Prinzen auf den Namen „Carl Hertingen" (nach 
dem Schlosse Hettingen des Fürsten Karl Anton) aus- 
stellte, in Geschäften nach Odessa reisend, und bei dem 
Signalement ward als besonderes Kennzeichen eine Brille 
hervorgehoben, durch die sich der Prinz möglichst un- 
kenntlich zu machen hoffte. Über Rohrschach und Lindau, 
das man nach einer sehr stürmischen Fahrt auf dem Boden- 
see, vorüber an dem mit so vielen teuren Erinnerungen 
für den Prinzen verknüpften Weinberg, erreichte, ging es 
nach Augsburg und von dort am nächsten Tage nach 
München, wo man mit Herrn von Mayenfisch zusammen- 
traf, der von nun an als vornehmer Reisender in der ersten 
Wagenklasse fuhr, während der Prinz und Herr von Werner 
die zweite Klasse benutzten. In Salzburg war längerer 
Aufenthalt wegen der Paß- und Zollrevision. An der Ein- 
gangstür zu dem Wartesaal fragte der Beamte, der die 
Pässe einzufordern hatte, in barschem Tone den Prinzen 
nach seinem Namen, aber Herr von Werner trat rasch da- 
zwischen mit einer Erkundigung nach der Verzollung und 
gab die Pässe ab. In den überfüllten Wartesaal traten 
verschiedene österreichische Offiziere ein, darunter Bekannte 
des Prinzen, mit denen er in Schleswig 1864 zusammen 
gewesen; mehrmals gingen sie um seinen Tisch, der Prinz 
aber verbarg sich hinter einer Zeitung, die er scheinbar 
eifrig las. 

Hier in Salzburg, beim Verlassen des deutschen und 
Betreten des östereichischen Bodens, gab der Prinz sein 
an König Wilhelm gerichtetes Gesuch, ihn aus dem preußi- 
schen Militärdienst zu entlassen, zur Post. „Beurteilen 
Ew. Majestät," so hieß es in dem Schriftstück, „meine 
jetzige Handlungsweise nicht nach der unbeugsamen 
Strenge des militärischen Gesetzes und der militärischen 
Ordnung, sondern geruhen Allerhöchstdieselben den Maß- 
Lindenberg, König Karl. ß 




82 



stab der königlichen Milde und Nachsicht an ein Beginnen 
zu legen, zu welchem ich die Kraft des Gelingens mit 
Gottes Hilfe zu besitzen glaube." — Gleichzeitig richtete 
der Prinz ein Schreiben an den König als an das Ober- 
haupt der hohenzollernschen Familie, auf das Abschieds- 
gesuch bezugnehmend und bemerkend, daß, wenn dasselbe 
in die Hände des Königs gelangt sein werde, der Prinz in 
kürzester Frist an die Spitze einer Regierung trete, zu 
welcher ihn die einstimmige Wahl des rumänischen Volkes 
berufen: „Mit Gottvertrauen und dem unerschütterlichen 
Bewußtsein, daß ein ehrliches Herz und ein redlicher Wille 
zahlreiche individuelle Mängel aufwiegen, übernehme ich 
eine schwere, allseitig angefochtene Stellung, deren heute 
noch tinklare und durch die Politik verworrene Aufgaben 
ich einer festen und bleibenden Gestaltung zuzuführen 
hoffe. — Um hierzu auf der Grundlage eines reinen und 
freien Gewissens zu gelangen, bedarf ich der moralischen 
Beruhigung, daß ich wenigstens der stillen Teilnahme und 
fortdauernden Huld und Gnade Euer Majestät stets ver- 
sichert sein kann. — Hierüber keine Gewißheit zu besitzen, 
würde eine ungemeine Erschwerung meiner großen Auf- 
gabe sein und mir den Mut zu freudiger Pflichterfüllung 
rauben. — Gott segne Eure Majestät, das ganze königliche 
Haus und das teure preußische Vaterland I — Sieg, Ruhm 
und Ehre mögen stets und immerdar walten, wo preußische 
Fahnen wehen V" 

Endlich konnte der Zug wieder bestiegen werden, doch 
ehe er sich in Bewegung setzte, trat an das Coupe, in 
welchem der fürstliche Reisende in buntgescheckter Ge- 
sellschaft saß, ein Beamter, den Prinzen scharf ins Auge 
fassend und dann eine Bemerkung in sein Notizbuch 
schreibend, so daß man fürchten mußte, der Prinz sei er- 
kannt worden, und man würde dies nach Wien melden. 

Auch in dieser Nacht war an keinen Schlaf zu denken ; 
es war empfindlich kalt, und sorgenvollen Gedanken über 




83 



die nächste und die fernere Zukunft gab sich der Prinz 
hin, um den sich daheim, wie er wußte, die Eltern und 
Geschwister, nach denen er tiefe Sehnsucht empfand, 
schmerzlich sorgten. Bei der um sieben Uhr erfolgenden 
Ankunft in Wien war der Bahnhof mit Militär überfüllt, 
auch hier traf der Prinz auf mehrere österreichische Gene- 
rale, die er genau kannte, die aber natürlich in dem in 
einen großen Mantel gehüllten, bebrillten, einfachen Reisen- 
den nicht den Hohenzollernsproß vermuteten. Schnell 
* ward ein Wagen bestiegen, und erst unterwegs erhielt der 
Kutscher die Weisung, nach dem Pester Bahnhof zu fahren, 
wo man sich mit den übrigen Reisenden vereinte. Weiter 
ging's nun über Preßburg und Pest durch Ungarn, überall 
stieß man auf das regste militärische Leben, wiederum 
verging schlaflos die Nacht in dem ungeheizten, hin- und 
hergerüttelten Wagen zweiter Klasse. 

Am Freitag morgen, den 18. Mai, erreichte man das 
an der Donau gelegene Basiasch, die Endstation der öster- 
reichischen Staatsbahn, von wo man das Eilschiff Donau — 
abwärts benutzen wollte. Aber voll Schrecken vernahm 
man die unerwartete Kunde, daß wegen der Truppen- 
transporte die Dampfer nicht mehr regelmäßig gingen, 
und das nächste Schiff wahrscheinlich erst am Sonntag 
vormittag fahren würde. Zwei lange bange Tagel Jede 
Minute konnte die Entdeckung bringen, jede Stunde konnte 
für Rumänien verhängnisvoll werden I Ohne Nachrichten 
zu erhalten, mußte man die kostbare Zeit in dem elenden 
Nest und in dem jammervollen Gasthof, in welchem man 
nur eine notdürftige Unterkunft gefunden, verbringen. Die 
Reisenden konnten nicht einmal miteinander verkehren, 
da sie jegliches Aufsehen vermeiden mußten; dazu gesellten 
sich noch allerhand Unterhaltungen über Politik an der 
Wirtstafel mit den freundlichen Bemerkungen: „Der neue 
Fürst wird sich ebenso unmöglich machen wie der Kusa!" 
oder: „Es wird nicht lange dauern, dann jagen ihn die 




84 



Walachen davon !" und ähnliche liebenswürdige Äuße- 
rungen mehr, dazwischen alarmierende Gerüchte, daß die 
Türken in Rumänien eingerückt wären und es schon zu 
Gefechten gekommen sei. Der Prinz hielt sich meist in 
seinem Zimmer auf, Briefe schreibend und die Depeschen 
aufsetzend, die er nach seiner Ankunft auf rumänischem 
Boden abzusenden gedachte. 

Endlich war der 20. Mai, der Pfingstsonntag, mit 
fröhlichstem Frühlingsschein gekommen, und auch der 
Dampfer langte zur Morgenstunde an, den sogleich der 
Prinz bestieg, die zweite Klasse aufsuchend, getrennt von 
seinen Mitreisenden und auch von Joan Bratianu, der 
direkt von Paris gerad noch zur rechten Zeit eingetroffen 
war, um auf das Schiff zu gelangen, jedoch nach sofortiger 
Verständigung sich um den Prinzen gar nicht kümmerte. 
Der letzte grelle Pfiff ertönte, pustend und schnaubend 
setzte sich das Fahrzeug in Bewegung, den österreichischen 
Hafen verlassend. 

Prinz Karl hatte inmitten einer schmudligen, aus allen 
möglichen Völkerschaften bunt zusammengesetzten Gesell- 
schaft Platz genommen, zwischen Frachtsäcken und hoch- 
getürmten Kisten und Kasten, und in dieser seltsamen, 
ungewohnten Umgebung verfaßte er ein längeres Schreiben 
an den! Kaiser Franz Josef, auch ihm seine Beweggründe 
auseinandersetzend, warum er die rumänische Krone an- 
genommen, und betonend, daß er keinerlei feindliche Ab- 
sichten gegen Österreich hege, sondern die freundlichsten 
Beziehungen zu dem mächtigen Nachbarstaate zu unter- 
halten wünschte. 

Hinunter gings den gewaltigen Strom, vorbei an ver- 
witterten Ruinen, die von dem großen Völkerringen längs 
der Donau berichten, vorbei an ungarischen Ortschaften 
links und serbischen rechts, an efeuumrankten Trümmern 
voln Schlössern wie an verwitterten Resten römischer 
Kastelle und Befestigungen. Dann gelangte das Schiff in 



Digitized by 



85 



den Engpaß von Kazan, immer massiger drängten sich die 
ernsten Gebirgszüge zusammen, gigantisch reckten sich 
wildgezackte Felsen empor, überall gurgelte, rauschte und 
schäumte es, auf das eiligste hastet der Strom dahin, mit 
wildem Getöse sich über Klippen und Steingeröll er- 
gießend, bis sich seine Fluten beruhigen, und der Dampfer 
in Orsova anlegte, wo die Reisenden auf ein kleineres 
Schiff umsteigen mußten. Auch die Gefahren des Eisernen 
Tores, von altersher gefürchtet wegen seiner unter den 
Wellen verborgenen Felsenketten, die schon manch bravem 
Fahrzeug den Untergang bereitet, wurden glücklich über- 
wunden, und alsbald 
steuerte das Schiff nach 
Turnu-Severin hinüber, 
wo aus dichtem Gebüsch 
die letzten grauen Reste 
des von Kaiser Severus 
erbauten Schlosses auf- 
ragen und wo an hohen 
Flaggenmasten . lustig 
die blau-gelb-roten ru- 
mänischen Fahnen flat- 
terten. 

Mit ernsten und 
nachdenklichen Gefüh- 
len mochte Prinz Karl 
die Blicke auf diese ru- 
mänische Ortschaft rich- 
ten, erfüllt von der 

großen Verantwortlichkeit seiner neuen Aufgabe und von 
sorgenden Erwartungen für die Zukunft, die verschleiert 
vor ihm lag. Aber Bedenken irgend welcher Art gab's 
nicht mehr für ihn, jetzt hieß es vorwärts, jetzt hieß es 
mit allen Kräften und mit dem ganzen Einsetzen seiner 
Person das hohe Ziel erreichen, das er sich gestellt. 




Römische Palastreste in Turnu-Severin. 



Digitized by 



86 



Als der Prinz das Schiff verlassen wollte, hielt ihn der 
Kapitän mit der Frage zurück, weshalb er denn hier aus- 
steigen wolle, da ja sein Billet bis Odessa laute und der 
Aufenthalt nur ein sehr kurzer sei; der Prinz erwiderte, er 
wünschte bloß für wenige Minuten an Land zu gehen. So- 
wie er letzteres betreten, machte Bratianu, der ihm auf den 
Fersen gefolgt, vor ihm Front, ihn bittend, in einem der 
bereitstehenden Wagen Platz zu nehmen. Der Prinz aber 
hörte hinter sich sagen: „Bei Gott, das muß der Prinz 




Turnu - Severin. 



von Hohenzollern sein!" — es war der Schiffskapitän, der 
diese Worte ausgestoßen, und der glücklicherweise zu spät 
seinen Passagier erkannt. 

Nach kurzem Empfang in der Präfektur, deren Beamte 
keine Ahnung von dem absichtlich geheim gehaltenen 
Kommen ihres neuen Fürsten gehabt, bestieg um die achte 
Abendstunde Fürst Karl mit Bratianu den mit acht kleinen 
Pferden bespannten offenen Wagen, und hinaus ging's in 
wildestem Galopp mit Hussa und Heißa in die Nacht. 
Je vier Pferde wurden von einem buntgekleideten Postillon 
gelenkt, Peitschengeknall und helles Geschrei feuerten die 



Digitized by 



87 



Tierchen zu rasendem Lauf an, den sie auch nicht bei An- 
höhen und Einbuchtungen hemmten. Zweimal in der 
Nacht wurde das Gespann gewechselt, dann um vier Uhr 
morgens überquerte man bei eisigem Wind auf einer ge- 
brechlichen Fähre den Jiu-Fluß, dessen starker Strömung 
das mürbe Fahrzeug kaum zu widerstehen vermochte: Beim 
Anbruch des Morgens erreichte man das von großen, in 
lichtem Frühlingsprunk schimmernden Hügeln umrahmte 



Krajowa, wo — da aus Bukarest Depeschen über das glück- 
liche Eintreffen des Fürsten angelangt waren — eine dichte 
Menschenmenge den Fürsten jubelnd empfing und ihn vor 
einem schnell aus grünen Reisern hergestellten Zelte der 
Bürgermeister auf das herzlichste bewillkommnete, während 
ein ganzer Regen von Blumen und Kränzen sich über den 
Fürsten ergoß. Nach einstündiger Rast ward die Reise 
fortgesetzt, und zwar begleiteten jetzt den Wagen zwei 
Züge Dorobanzen, der Husaren-Uniform tragenden Miliz- 
kavallerie angehörend, denen sich zahllose Reiter und eine 
ganze Reihe von Gefährten anschlössen. 




Auf der Fahrt nach Bukarest (1866). 




88 



Ohne Weg und Steg hastete der lange Zug in voller 
Karriere über die Felder, vorbei an kleinen Ortschaften, 
deren Wohnungen noch vielfach an die Überlieferungen des 
Orients gemahnten und deren Bevölkerung, in die bunt- 
farbige Nationaltracht gekleidet, dem neuen Fürsten zu- 
jubelte. Auch in Slatina, das man mittags berührte, war 
des Jauchzens und der Freude kein Ende; über Nacht 
noch hatte man verschiedene Triumphbogen errichtet, 
überall flatterten Fahnen, überall wehten Tücher und wurde 
der Fürst mit Blumen beworfen. Von Slatina aus richtete 
Fürst Karl den ersten telegraphischen Gruß an seinen 
Vater nach Düsseldorf: „Mit bewegtem, aber freudigem 
Herzen sende ich meinen teuren Eltern und lieben Ge- 
schwistern die ersten innigen Grüße aus meinem neuen 
Vaterlande. Ich werde ihm mit ganzer Seele angehören, 
aber stets die teuern Erinnerungen und die dankbarsten 
Gefühle für die Heimat bewahren. Soeben war in Slatina 
ein herzlicher Empfang, morgen Ankunft in Bukarest. 4 4 
Unter dem gleich freudigen Jubel wie bisher wurde die 
Reise fortgesetzt, durch Städte und Dörfer, durch Wälder 
und über Felder, oft auf recht bösen Wegen, denn an 
Eisenbahnen war damals nicht zu denken, aber dem Fürsten 
ward hierdurch wertvolle Gelegenheit geboten, gleich in 
engere Berührung zu Land und Volk zu treten. 

Am 22. Mai (dem io. nach dem rumänischen Kalender) 
erfolgte der feierliche Einzug in Bukarest. Schon weit 
vor der Stadt nahe Baneassa harrten dichte Volksmassen 
des Fürsten, dem hier der Bürgermeister von Bukarest 
auf rotem Sammetkissen die Schlüssel der Stadt überreichte, 
ihn mit begeisterten Worten begrüßend, für welche der 
Fürst herzlichst dankte, die Hoffnung aussprechend, daß 
er die Kraft haben werde, die schwere Mission, die er in 
festem Vertrauen auf den Beistand des Himmels über- 
nommen, zum Glücke Rumäniens zu Ende zu führen. 
Während dieser Worte rauschte ein heftiger Platzregen 




89 



nieder, der erste seit drei Monaten, der die ausgedörrten 
Fluren erfrischte, was das Volk, das in immer erneute 
Jubelrufe ausbrach, als ein glückverheißendes Zeichen be- 
trachtete, da nach orientalischer Meinung der Regen Glück 
bringt. Dann wurde die Fahrt fortgesetzt im offenen, mit 
sechs Schimmeln bespannten Galawagen, dem Kavallerie 
vorantrabte und den hohe berittene Offiziere umgaben. 
Auf der Chaussee, dem schönen Korso der Bukarester 
Gesellschaft, bildeten 
Infanterie, Jäger und 
Artillerie Spalier, denen 
sich die Nationalgarden 
anschlössen. Hinter den 
Truppen standen in 
vielen Gliedern Kopf 
an Kopf enggedrängte 
Menschenmengen, eben- 
so in den Straßen, welche 
man nur Schritt für 
Schritt durchfahren 
konnte inmitten des Ge- 
tümmels und Jubels, 
während aus denFenstern 
Blumen und Gedichte das Gefährt und seine Insassen 
überschütteten, und sich mit dem donnernden Salut der 
Geschütze die hehren Klänge der Glocken sämtlicher 
Kirchen vereinten. Alle Häuser hatten festlichen Schmuck 
angelegt; wohin man sah, Guirlanden und Blumen, Fahnen 
und Teppiche. Vor einem der Gebäude erblickte der Fürst 
eine Ehrenwache mit Fahne und erkundigte sich bei 
seinen Begleitern nach der Bedeutung des Hauses > 
»worauf etwas verlegen der General Golesku erwiderte: 
„Es ist das Palais/' Aber der Fürst glaubte nicht recht 
verstanden zu haben und fragte: „Wo ist denn das 
Palais? worauf der General in zunehmender Ver- 




Digitized by 



90 



legenheit auf das einstöckige, jeder Zier entbehrende 
Haus zeigte. 

Endlich, nach eineinhalbstündiger Fahrt, ward die auf 
einer Anhöhe sich erhebende Metropolie, die Hauptkirche, 
von deren Plattform man einen prächtigen Anblick auf 
Bukarest genießt, erreicht. Mit den übrigen Geistlichen 
in gold- und silberstarrenden Gewändern empfing der 
Metropolit den Fürsten, ihm Kreuz und Evangelienbuch 
zum Kusse darreichend, und geleitete ihn in das Gottes- 
haus, in welchem ein feierliches Tedeum abgehalten wurde. 
Danach ging es zu Fuß, der Fürst umgeben von der Geist- 
lichkeit, von den Ministern und den Mitgliedern der pro- 
visorischen Regierung, zu der der Metropolie gegenüber ge- 
legenen Kammer, in deren Sitzungssaal die Deputierten 
des Landes, die höchsten Beamten, Richter und Offiziere 
versammelt waren, die den Fürsten mit stürmischen Rufen, 
welche sich immer wieder und wieder erneuten, begrüßten, 
und in den Jubel stimmten die Besucher und Besucherinnen 
der überfüllten Tribünen ein. Auf den vor dem Throne 
stehenden Tisch legte der Metropolit Kreuz und Evangelien- 
buch hin und forderte den Fürsten auf, den Eid auf die 
Gesetze des Landes zu leisten, Oberst Haralambi, Mit- 
glied der provisorischen Regierung, las die rumänische 
Eidesformel vor: „Ich schwöre, daß ich Rumäniens Gesetze 
wahren, seine Rechte behaupten und sein Gebiet unan- 
getastet erhalten werde !" und der Fürst, mit der rechten 
Hand auf dem Evangelienbuch, sprach laut und klar: 
„Juri" — „Ich schwöre I" — worauf freudigster Jubel aus- 
brach, der sich gar nicht legen wollte. 

Auf die begrüßenden Worte des Kammerpräsidenten 
erwiderte der Fürst mit bewegten Worten in französischer 
Sprache: „Durch den freien Willen der Nation zum Fürsten, 
von Rumänien gewählt, habe ich ohne Zögern Vaterland 
und Familie verlassen, um dem Rufe des rumänischen 
Volkes, das mir seine Geschicke anvertraut, Folge zu 



Digitized by 



91 



*a&zz> yta^/. 





Digitized by 



92 



leisten. Indem ich den Fuß auf diesen geheiligten Boden 
setze, bin ich Rumäne geworden. Die Annahme der auf 
mich gefallenen Wahl legt mir, ich bin mir dessen wohl 
bewußt, große Pflichten auf; aber ich hoffe, daß es mir 
vergönnt sein wird, sie zu erfüllen. Ich bringe Ihnen ein 
treues Herz, ehrenhafte, offene Gesinnung, festen Willen, 
nur das Gute zu tun, eine grenzenlose Hingebung für 
mein neues Vaterland und jene unbeugsame Achtung für 
Gesetz und Recht, welche die Meinigen mich gelehrt 
haben. — Heute friedlicher Bürger, morgen, wenn es sein 
muß, Soldat mit der Waffe in der Hand, werde ich von 
nun ab Ihre Geschicke teilen, seien es freundliche, seien, 
es schmerzliche. Von diesem Augenblick an gehören wir 
zusammen I Glauben Sie an mich, wie ich an Sie glaube. 
Gott allein weiß, was die Zukunft für unser Vaterland in 
ihrem Schöße birgt. Was es aber auch sei, wir wollen 
unsere Pflicht tun. Suchen wir unsere Kraft in der Einig- 
keit, vereinigen wir unsere Kräfte, um allem, was die 
Zukunft bringt, gewachsen zu seinl — Die Vorsehung, 
welche mich, Ihren Erwählten, bis hierher geführt und 
welche alle Hindernisse aus meinem Wege räumte, sie wird 
ihr Werk nicht unvollendet lassen! Es lebe Rumänien V 
Und die Hurras fanden ein hallendes Echo in den be- 
geisterten Hochrufen: „Es lebe Karl 1. 1" 

Am folgenden Tage fand der erste Vortrag der 
Minister statt, die eine große Reihe von Huldigungstele- 
grammen überbrachten ; die meisten Städte und Ortschaften 
hatten die Ankunft des Fürsten durch Festlichkeiten und 
Illuminationen gefeiert. Dann schloß sich ein großer Emp^ 
fang der Stadtbehörden an, wobei der Präsident der 
Kammern die huldigende Ansprache hielt. In roten Talaren 
nahten die Mitglieder des obersten Gerichtshofes, ferner 
jene des Staatsrates, des Rechnungs- und Appellhofes, der 
Tribunale, ihre Präsidenten den Fürsten mit warmen Worten 
begrüßend, worauf der Kriegsminister das Offizierkorps ein- 




93 



führte und dem Fürsten im Namen der Armee das tiefste 
Vertrauen ausdrückte. Nach dem Empfang, der mehrere 
Stunden gewährt, unternahm der Fürst einen Spaziergang 
durch die Stadt, aber die jubelnde Menschenmenge, die ihn 

umdrängte, 
war bald so 
groß, daß er 
in das Palais 
zurückkehren 
mußte. Auf 
den nächsten 
Tag war die 
Vereidigung 
der Truppen 
auf dem Gar- 
nison-Exer- 
zierplatz bei 
Cotroceni an- 
gesetzt, aus 
welcher feier- 
lichen Veran- 
lassung Fürst 

Karl zum 
ersten Male 

die goldge- 
stickte rumä- 
nische Gene- 
ralsuniform 

angelegt 
hatte. Nach 
dem Feld- 
gottesdienst 
undderEides- 
leistung rich- 
tete der Fürst Fürst 'Karl (1866). 




Digitized by 



Google 



94 



eine Ansprache an die Truppen, hervorhebend, daß es die 
heiligste Soldatenpflicht sei, dem Vaterlande in Treue 
und Hingebung zu dienen, und daß der Schwur, den sie 
eben geleistet, sie antreiben müsse, wenn das Vaterland 
in Gefahr sei, ihm freudig den letzten Blutstropfen zu 
opfern. Bei der Rückkehr des Fürsten in die Stadt er- 
schöpfte sich die Volksmenge von neuem in frühesten Zu- 
rufen und Huldigungen. 

Gerüchtweise verlautete, daß die Türken unter Omer 
Pascha sich anschickten, von Rustschuk aus über die Donau 
zu setzen und in Rumänien einzufallen. Fürst Karl in- 
spizierte infolgedessen sogleich während der nächsten Tage 
die militärischen Etablissements; sie befanden sich in 
schlimmstem Zustand. Kaum war Pulver genug vor- 
handen zur Lieferung auch nur einer mäßigen Anzahl 
von Patronen, dazu gesellte sich die Kunde, daß die an 
der Donau befindlichen Grenzerbataillone sich weigerten, 
zu marschieren, unter der Behauptung, die Regierung 
dürfe sie nur zur Bewachung ihrer Heimatsdistrikte und 
deren Grenzen verwenden. Aus Bukarest wurden mehrere 
Regimenter nach dem Sabar, 30 Kilometer entfernt, be- 
ordert, die der Fürst vorher besichtigte, ebenso einige 
Tage darauf die Stellungen der Truppen bei Giurgiu an 
der Donau gegenüber Rustschuk, um einen Einfall der 
Türken sogleich abzuwehren. Bei all diesen Gelegenheiten 
bereitete die Bevölkerung dem Fürsten den freudigsten 
Empfang und zeigte ihm oft rührende Beweise von Ver- 
trauen und I^iebe. Sein schlichtes persönliches Auftreten 
gewann ihm, wo er erschien, die schnellste Zuneigung, 
und man rechnete es ihm hoch an, daß er sogleich auf 
fast die Hälfte seiner Zivilliste verzichtet hatte, in Rück- 
sicht auf die große Finanznot des Staates. 

Über den ersten Eindruck, den Fürst Karl auf die 
Rumänen gemacht, schrieb damals Herr von Mayenfisch 
an den Fürsten Karl Anton: „Man könnte sagen, die Be- 





Digitized by 



96 



geisterung für den Prinzen steige mit jedem Tage höher, 
falls das überhaupt noch möglich wäre. Er hat mit seiner 
persönlichen Erscheinung aller Herzen gewonnen, alles 
will ihn sehen und hören, man versichert uns gewiß hundert- 
mal am Tage, wie sehr man ihn liebe und wie weit alle 
Wünsche übertroffen seien. Viele tausende von Bildern 
des Prinzen und seiner Familie sind verkauft worden. 
Der Prinz hat eine schwierige Aufgabe übernommen; man 
kann nicht genug schildern, in welcher Unordnung sich 
alle Ministerien befinden. Die größte Schwierigkeit aber 
wird es sein, für den Moment die erforderlichen Geldmittel 
aufzutreiben. Alle Kassen sind erschöpft,) seit Jahren ist 
systematisch veruntreut worden; die meisten Beamten 
haben seit sechs Monaten kein Gehalt mehr bekommen, 
ebenso das Militär. Doch wenn der Prinz das Glück hat, 
zuverlässige Leute um sich zu haben, die es aufrichtig 
mit ihm und dem I^ande meinen, so wird es gewiß gut 
gehen. — Der Prinz ist rastlos beschäftigt, er erübrigt sich 
kaum eine Ruhepause, um eine Zigarre zu rauchen, nachts 
kommt er nie vor ein Uhr ins Bett/ 4 

„Der Prinz ist rastlos beschäftigt" — allerdings war 
zur Ruhe und Bequemlichkeit die Zeit wahrlich nicht ge- 
schaffen, ganz abgesehen davon, daß beides nicht im Wesen 
des jungen Fürsten lag. Es sah trostlos um Rumänien 
aus. Keine einzige fremde Macht hatte die Regierung und 
die Wahl anerkannt; Rußland und die Türkei zeigten sich 
direkt feindlich, in der Moldau machten sich von russischer 
Seite genährte separatistische Bewegungen bemerkbar, die 
überstürzt eingeführte demokratische Verfassung war, wenn 
man den allgemeinen Kulturzustand in Betracht zog, nicht 
fördersam und begünstigte das von altersher so leiden- 
schaftliche Parteigetriebe. Zudem war die letzte Ernte sehr 
schlecht ausgefallen und die Cholera forderte zahlreiche 
Opfer, dazu die kriegerischen Bewegungen seitens der 
Türkei und die schlecht disziplinierte und nicht minder 




97 



schlecht ausgerüstete Armee, welche insgesamt nur 
8000 zählte. Offen setzte der Kriegsminister in seinem 
den Kammern und von diesen dem Fürsten unterbreiteten 
Generalbericht auseinander, daß die in den letzten Jahren 
als neu angeschafften Waffen unbrauchbar befunden worden; 
die Magazine für Rohmaterial wären leer und die Pulver- 
fabrik befände sich in einem Zustand, als wäre sie un- 
mittelbar nach der Erfindung des Schießpulvers errichtet; 
die noch nicht bezahlten, mehrere Millionen kostenden 
Maschinen in der Kanonengießerei von Tirgoviste seien 
ohne vorherige Feststellung des Preises und der Zeich- 
nungen daselbst eingetroffen und, selbst wenn sie sich be- 
währen sollten, würde der Preis einer in Rumänien ge- 
gossenen Kanone das Zehnfache einer fertig im Auslande 
gekauften betragen. Die für militärische Zwecke unter 
dem Fürsten Kusa errichteten Gebäude, die gleichfalls 
Millionen erfordert, seien dem Ruin nahe, so daß die Truppen 
die Benützung scheuten, und ähnlich verhalte es sich mit 
den Kasernen in Jassy, Galatz und Braila, während man 
in den anderen Städten die Soldaten in Privathäuser ein- 
quartiert und die für die Bauten bestimmten Gelder für 
irgendwelche Zwecke verschleudert habe; am schlimmsten 
sei es um die Unterkunft der Grenzwachen bestellt, die in 
weit auseinanderliegenden Hütten kampieren müßten, wo- 
durch eine Überwachung ganz unmöglich wäre. 

Nicht minder trostlos lauteten die Berichte der übrigen 
Minister. So hieß es in jenem des Ministers des Innern 
wörtlich: „Nach einem Verfahren, das uns während so 
vieler Jahre unterdrückt hat und gegen welches sich die 
gesamte Nation empörte, wäre es schwer, in so kurzer 
Zeit ein Heilmittel gegen ein korrumpierendes und will- 
kürliches System zu finden. Die Untersuchungskommission 
hat ungeheure Unterschleife öffentlicher Gelder seitens der 
Kassierer der Polizeipräfektur und besonders des Post- und 
Telegraphendirektors entdeckt. Dieser Beamte, welchem 

Lindenberg, König Karl. 7 




98 

in der mißbräuchlichsten Weise die Summe von 7 253 682 
Piaster für seinen Dienst überwiesen war, hat Mittel ge- 
funden, sie auf 10 521 234 Piaster erhöhen zu lassen. . 
Während dieser Dienst in anderen Staaten produktiv ist, 
ist er in Rumänien gradezu nachteilig geworden, denn 
das Erträgnis im letzten Jahre hat nicht mehr als 4 Millio- 
nen betragen. In den Gefängnissen hat man eine Menge 
von seit Monaten, ja seit Jahren verhafteten Gefangenen 
gefunden, ohne daß man sie einem richterlichen Urteil 
unterzogen hätte/' Gleich trostlos war der Bericht des 
Kultusministers: die I^yceen und Schulen standen auf 
niedrigster Stufe; die Räume, in denen sie sich befanden, 
bedeuteten Ansteckung und Tod. Von über 3000 Dorf- 
gemeinden besaßen kaum 1300 Schulen, und diese, ab- 
gesehen von dem fragwürdigen Unterricht, waren in Ba- 
racken untergebracht, meist ohne Iyicht und Luft; Schnee 
und Regen drangen ungehindert ein. Ähnlich traurig sah 
es um Handel und Wandel aus. Der Ackerbau lag 
danieder, denn es fehlte an den nötigsten Summen, der not- 
leidenden ländlichen Bevölkerung über die schlechten 
Zeiten hinwegzuhelfen, war doch der Staatsschatz gänzlich 
leer, wie es der Finanzminister offen eingestand: „Die 
Anhäufung des Defizits durch Anleihen, deren Interessen 
das Ausgabebudget in un verhältnismäßiger Weise erschwert, 
und die Unterschiebung erkünstelter und ungerecht- 
fertigter Ziffern in dem Einnahmebudget konnte nur eine 
mit den Jahren immer mehr zunehmende Belastung der 
finanziellen Lage zur Folge haben. So schwand der Staats- 
kredit gänzlich. Alle öffentlichen Kassen sind leer und der 
Schatz hat eine schwebende Schuld von 55 761 841 Piastern 
zu bezahlen; nach genauer Berechnung wird das Jahr 1866 
mit einem Defizit von 51 956 000 Piastern abschließen/' 
Die gesamten Schulden Rumäniens beliefen sich auf 
120 Millionen Mark. 

Diese offiziellen Mitteilungen spiegeln sich auch in den 



Digitlzed by 



Google 




Digitized by 



100 



Beschreibungen wider von Land und Leuten im Fürstentum, 
dasjim Jahre 1866 verschiedene Schriftsteller bereisten. So 
heißt es in einer dieser Schilderungen: „Der'erste Eindruck, 
welchen die Moldau und Walachei auf den Fremden macht, 
ist ein trauriger. Weite wüsteJEbenen ohneJLandstraßen, 
ohne Dörfer,5hie und da ragt ein Erdaufwurf hervor, aus 
dem ein brauner Zigeuner neugierig" hervorschaut, hie und 
da erblickt"' man eine Hütte, vor deren Tür ein paar ent- 
blößte Kinder stehen, die sich im Schmutz herumwälzen, 
der ihnen nichts anhaben kann. Ein hölzerner Brunnen, 
an dem man die Pferde tränken kann, bildet das Gast- 
haus, eine Herde frei weidender Pferde die Poststation. 
Man fühlt, daß man die Grenzscheide der Zivilisation be- 
reits überschritten hat; und so ist es auch. Kunst und 
Wissenschaft, Handel und Industrie, alle Segnungen der 
durch das übrige Europa unaufhaltsam fortschreitenden 
Kultur sind grade diesem Lande fremd geblieben. Der 
Vornehme reist nach Paris, um sich dort gesellschaftlich 
auszubilden, der Bauer ist jetzt erst so weit entwickelt, um 
dunkel zu ahnen, daß ihm etwas fehle. Einen Mittelstand 
gibt es nicht." 

Ein anderer Beobachter schreibt: „Die Wohnungen 
der meisten in der Walachei sind 'die ärmlichsten in Europa; 
den ganzen Hausrat machen ein paar Kessel und Töpfe, 
einige hölzerne Tische und Schemel aus; Betten findet 
man bei den walachischen Bauern selten. In seinen Schaf- 
pelz gehüllt, schläft der Bauer auf der Erde, in heißen 
Nächten auch unter der, durch das von Holzpfeilern ge- 
stützte vorspringende Dach gebildeten natürlichen Veranda. 
Den Luxus eines hölzernen Fußbodens kennen die wenigsten 
hier. Aber der walachische Bauer kontrastiert doch merk- 
würdig mit anderen europäischen Bauern. Er ist außer- 
ordentlich reinlich und selbst bei der größten Armut wird das 
aus Flechtwerk und Erde zusammengebackene Haus äußerst 
reinlich gehalten. Mäßigkeit und Nüchternheit, Arbeit- 



jnigiti^ed- by 



Google 




Digitized by 



102 



samkeit und Reinlichkeit sind Hauptzüge seines Charakters. 
Er ist der Repräsentant der politischen Zukunft des rumä- 
nischen Volkes/' — Ähnliche Beurteilungen des Volks- 
charakters finden wir auch in anderen ' Aufzeichnungen. 
Willig wird eingestanden, daß, wenn die Mehrzahl des 
Volkes noch nicht die Segnungen der Zivilisation emp- 
fangen, sie dafür auch verschont geblieben sei von ihren 
Übeln. Bei aller Lustigkeit und Ausgelassenheit an den 
großen Festtagen der Dorfbewohner kämen nur selten 
störende Szenen vor und erblicke man noch seltener Be- 
trunkene. Gutmütigkeit vereint sich mit Genügsamkeit, 
Bescheidenheit mit der Einsicht, daß es besser werden 
müsse, um das Land vor gänzlichem Ruin zu retten. 

Auch die Vorstädte Bukarests, das damals 160 ooo 
Einwohner zählte, darunter ungefähr 30 000 Deutsche, 
machten noch einen völlig dörflichen Eindruck. Baracken 
und Trümmerreste wechselten mit öden, unbebauten 
Flächen ab; dann und wann bildeten die Gebäude eine 
zusammenhängende Häuserreihe, bis sich wieder Gärten 
und Höfe dazwischen schoben, in denen nur aus einem 
Erdgeschoß bestehende, weißgestrichene Häuschen lagen, 
die Tore, Fenstersimse und Querbalken oft grell gestrichen, 
die Türen geöifnet, so daß man die Handwerker bei der 
Ausübung ihres Berufes beobachten konnte. Die eigent- 
lichen Straßen der Stadt waren eng, und wenn überhaupt 
ein Pflaster vorhanden war, so befand sich dieses in furcht- 
barem Zustand; auch hier traf man vielfach auf niedrige 
Häuschen und Hütten, zwischen ihnen aber in lebhaftem 
Gegensatz moderne europäische, zwei- und dreistöckige 
Gebäude mit Baikonen, mit Schnitzwerk und goldver- 
zierten Toren. Die Hauptstraße, die damals Podu mo- 
goscheu hieß (die heutige Calea victoriei), war von völlig 
europäischem Aussehen mit vielen Läden, Cafes und Kon- 
ditoreien, mit Magazinen und Bankgeschäften, deren Be- 
sitzer meist Deutsche waren, wovon auch die vielen 




103 



deutschen Schilder und Inschriften kündeten, ebenso in der 
Strada Lipscani, dem eigentlichen Sitz deutschen Kauf- 
mann- und Gewerbefleißes, in der sich zur Zeit der großen 
Messe die aus Deutschland gekommenen Händler und 
Unternehmer einfanden, worauf auch die Bezeichnung der 
Straße — an Leipzig und die Leipziger Messe gemahnend 
— hindeutet. 

In hellen Farben werden in jenen erwähnten Berichten 
bereits die Chaussee mit ihren glänzenden Korsofahrten 
an den Nachmittagen und ihrem reichen wechselnden ge- 
sellschaftlichen Getriebe sowie der schöne, von einem 
Deutschen angelegte Cismegiu-Park innerhalb der Stadt 
geschildert. Bei dem schlechten Pflaster und der Grund- 
losigkeit der Wege war die große Zahl der eleganten Privat- 
und Mietsgefährte eine sehr angebrachte. Die Damen 
der vornehmen Kreise wetteiferten gegenseitig in einem 
übertriebenen, sich den neuesten Pariser Moden an- 
passenden Toilettenluxus. Auch die innere Einrichtung 
der Wohnungen in den Bojarenpalästen war oft eine ver- 
schwenderische und der Luxus ein sehr großer. Aber auch 
hier berührten sich auf das herbste die Kontraste; trat 
man aus einem der Paläste, deren Besitzer über eine Rente 
von mehreren hunderttausend Francs verfügte, und bog 
man in eine der engen Seitenstraßen ein, deren aus Holz 
und Weidenruten gefertigte Hütten beim nächsten Wind- 
stoß zusammenzufallen drohten, mußte man der armen Be- 
wohner gedenken, die auf dem nackten Boden schliefen 
und deren einziges Nahrungsmittel die Mamaliga war. 
So schreibt Gustav Rasch, der unermüdliche Wandersmann : 
„Eben noch schritt man über ein in Wien oder Breslau 
gefertigtes Parkett, jetzt stolpert man in holprigen, 
krummen Gassen mit Löchern und Pfützen, welche Ab- 
gründen gleichen, dann stößt man mit dem Kopf an nicht 
fortgeräumte Trümmer oder fällt über halbverfaulte ge- 
brochene Pfäle, denn es ist stockdunkel, nur hie und da 




104 



wirft eine erbärmliche, durch eine ölflamme erleuchtete 
Laterne einige schwache Lichtreflexe über den holprigen 
Weg. Man biegt um eine Ecke. Plötzlich flackert der 
Schein einiger Feuer zwischen den Trümmern eines halb 
herabgestürzten Gebäudes und sonderbare Gestalten in 
Lumpen schlummern, in zerrissene Decken gehüllt, neben 
den halbverlöschenden Bränden auf feuchtem Boden. Es 
sind Zigeuner, welche beim Abbruch des Gebäudes beschäf- 
tigt sind und kein Nachtquartier haben, und es sind doch 
nur wenige Schritte von ihrem Lagerplatz, über den der 
kalte Nachtwind streift, bis zu jenem prächtigen Palast, 
wo man Champagner trinkt, wo man lacht und scherzt, 
wo man am heutigen Tage Tausende von Dukaten verspielt 
und unter seidenen Decken schläft. Ich habe alle großen 
Städte Europas besucht; ich habe London, Paris und 
Neapel gesehen, aber nirgends habe ich solche Kontraste 
in der Armut und dem verschwenderischen Luxus so ganz 
dicht nebeneinander gesehen wie in Bukarest/' 

Man kann sich denken, wie fremdartig das alles den 
an so gänzlich andere Verhältnisse gewöhnten jungen 
Fürsten berührte und wie sehr sich seine Gedanken damit 
beschäftigten, hier ersprießlichen Wandel zu schaffen. Zu 
all den Sorgen, die in großer Fülle Tag für Tag auf ihn 
einstürmten, gesellten sich noch andere. Die Kriegs- 
erklärung zwischen Preußen und Österreich war erfolgt, 
Preußen war in den schwersten Entscheidungskampf ver- 
wickelt, alles, was dem Fürsten in der bisherigen Heimat 
wert und teuer gewesen, war vielleicht in Frage gestellt, 
seine nächsten Freunde und Angehörigen weilten auf dem 
Kriegsschauplatz, und dann, am 27. Juni, traf die erschüt- 
ternde Nachricht ein, daß der geliebte jüngere Bruder, 
Prinz Anton, der im ersten Garderegiment zu Fuß als 
Sekondeleutnant stand, bei der Schlacht von Königgrätz 
eine tödliche Verwundung erlitten hatte. Mit geschwunge- 
nem Degen war er an der Spitze seiner Truppen, allen voran, 




105 




106 



gegen das Dorf Roßberitz vorgestürmt, seine Mannschaft 
mit dem Ruf: „Hinüber, Leute, hinüber I" zum Angriff 
auf einen von den Österreichern besetzten und zäh ver- 
teidigten Graben und Verhau anfeuernd. Hier empfing 
er den ersten Schuß, aber mit „Vorwärts!" stürmte er 
weiter, bis ihm eine zweite Kugel die Kniescheibe zer- 
schmetterte. Ein paar Soldaten trugen ihn fort, als der 
Prinz noch zwei weitere Schüsse erhielt. In seinem Tage- 
buch bemerkte der spätere Kaiser Friedrich: „In Roß- 
beritz, wo der Kampf furchtbar erbittert gewesen sein 
mußte, nach der Unmasse der Leichen und Verwundeten 
zu schließen, und wo noch Gehöfte brannten, fand ich 
Anton von Hohenzollern, der von drei Kugeln in die Beine 
getroffen war. Er war eigentlich strahlend und zugleich 
rührend naiv in der Geringschätzung seitfer Wunden. Er 
wünschte mir Glück, sagte, er sei im tollsten Feuer mit 
seinem Zuge gewesen, habe Schnellfeuer geben lassen, sei 
dann verwundet und als solcher bereits gefangen, durch 
unser Vordringen aber wieder befreit worden. Er lag in 
einem Bauernhäuschen neben sterbenden Österreichern." 
Und in einem Schreiben an seine Gemahlin berichtete 
König Wilhelm: „Anton von Hohenzollern hat vier Ge- 
wehrkugeln in den Beinen, ich weiß nicht, wie es ihm geht, 
er soll enorm brav gewesen sein." — An den Fürsten Karl 
Anton telegraphierte der König, welcher dem Tapferen 
durch seinen älteren Bruder, den Erbprinzen Leopold, 
den Orden pour le merite hatte überbringen lassen : „Tau- 
send Dank für Deine Teünahme; das war ein herrlicher, 
ein unvergleichlicher Sieg; möge Dein Sohn ihn nicht zu 
teuer bezahlen. Wie oft muß ich an Euch denken, in allen 
Gefechten hat er seinem Namen Ehre gemacht, war Lieb- 
ling der Soldaten!" Nach mannhaft erlittenen schwersten 
Leiden verschied der Prinz, nachdem er noch in der Sterbe- 
stunde geäußert: „Ich preise die Vorsehung, welche 
wiederum den Sieg mit dem Blute eines Hohenzollern be- 




107 



siegelt, und mein Geschick, dem die Ehre vergönnt ist, 
für die Sache des Vaterlandes zu fallen." — 

Wie dieser junge Held nur an Pflicht und Vaterland 
gedacht, so auch Fürst Karl, dessen ganze Hingebung von 
nun an einzig der neuen Heimat gewidmet war. Von 
jenen Maitagen an hat er nur das eine Ziel vor Augen 
gehabt, Rumänien groß und das Volk glücklich zu machen. 
In ernster Schule des Lebens war der Jüngling zum Manne 
gereift, hatte sich sein Charakter gestählt und hatten sich 
jene Eigenschaften seines Wesens vertieft, die ihm im 
Verlauf der nächsten Jahre und Jahrzehnte so großes leisten 
ließen: Adel der Gesinnung, eine ernste Beurteilung aller 
Dinge und ihre schnelle Erfassung für das praktische 
Leben, ruhiges, aber festes Urteil, treueste Pflichterfüllung, 
eine unbefangene, wohlwollende Erwägung der Personen 
und Verhältnisse, furchtlos und beständig, nie nachtragend, 
dafür gern seinen Feinden vergebend, von arbeitsamem 
Geist und unermüdlicher Tätigkeit, für die Gegenwart 
sorgend und stets die Zukunft bedenkend, unerschütterlich 
an denen festhaltend, die er als Freunde erkannt. 

So mußte aber auch der Mann beschaffen sein, der 
das Steuer des schwankenden rumänischen Staatsschiffes 
in seine feste Hand genommen, der Mann, von dem De- 
meter Sturdza, welcher vom ersten Tage an die Bedeutung 
des Fürsten und seine, möchte man sagen, historische 
Notwendigkeit für Rumänien erkannt, und der ihm immer- 
dar seine wertvollen Dienste geweiht, später im Senat 
schlicht und wahr sagte: „Durch die Übernahme der Re- 
gierung rettete Karl I. Rumänien vom Bürgerkriege und 
von dem Rande des Abgrundes, an dem es fast hoffnungs- 
los schwebte !" 



94 




V. 

„Helfen wir uns selbst, Rumänen!" 

Die erste Proklamation des Fürsten Karl. — „Helfen wir uns selbst, Rumänen!" — Innere 
and äußere Schwierigkeiten. — Das persönliche Auftreten des Fürsten. — Arbeit und Tages- 
einteilung. — Die Reise zum Sultan. — Aufenthalt in Konstantinopel. — Gute Ergebnisse. 
— Schwierigkeiten der Regierung. — Sorgenvolle Tage und Jahre. — Der Fürst und die 
Bevölkerung. — Fortsehritte in Bukarest. — Die Reorganisation der Armee. — Eisenbahn- 
bauten. — Neue innere Hemmnisse und ausländische Verleumdungen. — Es geht langsam 
vorwärts. — Ein Umsehwung zum Besseren. — Fürst Karl besucht Kaiser Alexander II. — 
Die Reise nach Deutsehland. 



Wenige Tage nach Übernahme der Regierung erließ 
Fürst Karl eine Proklamation an das rumänische 
Volk nachstehenden Wortlauts: 

„Rumänen I 

Seit meiner Ankunft unter Euch sind mir aus allen 
Teilen meines neuen Vaterlandes Beglückwünschungs- und 
Willkommens-Adressen zugegangen, welche mich in dem 
Glauben befestigen, daß der Wille, dem ich mich gefügt 
habe, der wahre Wille der ganzen Nation war. Eine 
große Anzahl derselben wurde mir zugeschickt, als ich mich 
noch am häuslichen Herd befand; und Ihr habt sogar 
meines Geburtstages gedacht und mir Eure Wünsche zu- 
gehen lassen. Ich hätte gewünscht, einem Jeden von Euch 
im Besonderen antworten zu können, und dann würde 
Euch mein Dank gezeigt haben, daß ich Euch ein Herz 
zum Herzen bringe; da dies jedoch nicht möglich ist, 
s o bitte ich Euch, diese wenigen Worte als den Ausdruck 



Digitized by Google 



109 



meiner Gefühle f ü r a 1 1 e entgegenzunehmen. — Rumänen I 
Auf Eure Aufforderung habe ich mein Vaterland und 
meine Familie verlassen; und ich tat dies, weil ich Eure 
Geschichte, Eure Wünsche und Eure Leiden kenne. Ich 
bin gekommen, weil mir die Stimme einer Nation heilig 
ist. Und wenn diese Nation eine glorreiche Vergangenheit 
besitzt, wie es die Eurige ist, eine Vergangenheit, welche 
ihr die Kraft verlieh, so zu kämpfen, wie Ihr gekämpft 
habt, um Euch eine dieser Vergangenheit würdige Zu- 
kunft zu erringen, dann ist die Stimme dieser Nation für 
mich eine wahre Gottesstimme. Das ist's, warum ich Alles 
verließ, was ich liebte. Erwidert meine Liebe und Zu- 
neigung, denn ich verließ mein Vaterland nur, um Euch 
ein großes und freies zu sichern. Habe ich es denn nicht 
auch zur Wiege meiner Nachfolger gemacht? — Rumänen! 
Die Wärme, mit welcher Ihr mich unter Euch empfinget, 
ist mir ein Beweis, daß ich Euch in der Tat der „ Will- 
kommene" bin. Ich werde unaufhörlich bemüht sein, 
mir diesen Titel bei Euch zu erhalten. Stehet mir bei 
durch Eure Liebe und Euer Vertrauen! Nichts ohne 
Gott! ist die Devise meiner Familie. Gott hat gesagt: 
„Hilf Dir selbst, und ich werde Dir helfen." Helfen wir 
uns also nur selbst, Rumänen, und Gott wird uns 
gewiß auch beistehen! 



„Helfen wir uns also nur selbst, Rumänen !" — 
freilich, diese Worte des Fürsten enthielten die bittere 
Wahrheit. Rumänien war völlig auf sich allein angewiesen, 
auf sich und seinen jungen Fürsten, der zunächst bestrebt 
war, durch sein persönliches Auftreten Vertrauen zu er- 
wecken, um dann allmählich Ordnung in die gänzlich ver- 
worrenen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu 
bringen. Zunächst aber lenkten drohende äußere Verwick- 
lungen immer wieder die Aufmerksamkeit davon ab. Die 



Karl I. 




110 



Türken hatten ihre militärischen Kräfte an der Donau ver- 
stärkt, und an schlimmen Gerüchten, die fortwährend 
Unruhe im Lande verbreiteten, war kein Mangel. Fürst 
Karl besichtigte wiederholt, ohne daß vorher eine An- 
kündigung ergangen war, die zwischen Bukarest und der 
Donau verteilten Truppen und trachtete so schnell wie 
möglich, allerhand Schäden zu verbessern, die sich bei 
diesen Inspizierungen ergaben. Von Giurgiu aus unter- 
nahm er auf einem kleinen Dampfschiff eine Donaufahrt 
und beobachtete aus der Nähe das türkische Lager bei 
Rustschuk, in welchem über 20 000 Mann versammelt 
waren und wo man aus mancherlei Vorbereitungen auf 
eine Überbrückung des Stromes von türkischer Seite aus 
schließen konnte. Aber die schnellen Siege Preußens auf 
böhmischem Boden mochten der Pforte jegliche Lust zu 
einem kriegerischen Vorgehen gegen das Fürstentum be- 
nehmen, da auf die erwartete Hilfe Österreichs und ein 
eventuelles militärisches Eingreifen nicht zu hoffen war. 

Schwand langsam diese Sorge, so stiegen im Innern 
des Landes allerhand dunkle Wolken auf, die mit der Be- 
ratung über die Konstitution und der Regelung der Juden- 
frage in engem Zusammenhang standen. Ja, es kam 
wegen der letzteren zu öffentlichen Ausschreitungen, die 
allerdings schnell gedämpft werden konnten, freilich nicht 
durch die Polizei, die völlig versagte, sondern durch die 
Nationalgarde. Letztere wollte bald darauf der Fürst auf 
dem Exerzierplatz von Cotroceni mustern, stieß aber 
auf einen hartnäckigen Widerstand, da man verbreitet hatte, 
daß die Soldaten entwaffnet werden sollten, die infolge- 
dessen beschlossen, vor die Kammer zu ziehen und um 
Schutz gegen diese Vergewaltigung zu bitten. Der Mi- 
nisterpräsident Catargiu teilte dies dem Fürsten mit und 
bat ihn, seine Verfügung zu ändern, der Fürst ging jedoch 
darauf nicht ein, er ritt nach dem Exerzierplatz, auf dem 
er tatsächlich nur wenige hundert Mann vorfand. Sofort 



Digitized by 



111 




Digitized by 



112 



•sandte er" Offiziere ab mit dem Befehl, daß die Säumigen 
unverzüglich ausrücken sollten, setzte sich unterdessen an 
die Spitze der erschienenen Soldaten, unter schmetternden 
Musikklängen in die Stadt ziehend. Von allen Seiten 
marschierten unterdessen die Nationalgarden heran, sich 
auf dem Theaterplatz vereinend und den Fürsten mit 
brausenden Hurrarufen begrüßend. 

Wie hier Fürst Karl durch sein persönliches Auftreten 
unerwarteten Erfolg erzielte, geschah es auch in andern 
Fällen, in denen die Minister verzagten und ihm rieten, 
einzulenken oder seine bereits gefaßten Entschlüsse auf- 
zugeben. Das lag jedoch nicht im Wesen des Fürsten, 
der kein Schwanken und Zögern kannte, wenn es sich 
um Durchführung von Plänen handelte, deren Verwirk- 
lichung er für gut hielt zum Wohle des Staates und Volkes. 

Wegen der drückenden Hitze, die sich in Bukarest 
besonders schwer fühlbar machte, hatte der Fürst seinen 
Aufenthalt in dem eine halbe Stunde entfernten, etwas 
hochgelegenen Kloster Cotroceni genommen, das, im 
letzten Drittel des 17. Jahrhunderts gegründet, aus ver- 
schiedenen zusammenhängenden B aulichkei ten bestand, 
welche die efeuumrankte Kirche umgaben und an welche 
sich ein prächtiger, wenn auch vernachlässigter, so doch 
baumreicher, schattiger Park schloß mit einer Fülle alter 
Bäume. Wundervoll ist der Ausblick von der erhöhten 
I,age des Klosters und dessen Fenstern auf Bukarest mit 
•seinen zahllosen Kirchen und Kuppeln, und die tiefe Ruhe 
tat doppelt wohl nach dem Lärm und der Unrast der 
Hauptstadt. Wenige Zimmer nur hatte der fürstliche Be- 
sucher für sich einrichten lassen, aber sie genügten ihm 
bei seiner Anspruchslosigkeit, fand er doch bei seiner 
tiefen Liebe zur Natur eine reiche Entschädigung in der 
engen Nachbarschaft des waldähnlichen Parkes. Jeder 
Tag brachte reichliche Arbeit, sie wurde jedoch bei der 
streng durchgeführten Einteilung pünktlich bewältigt. Auf 




113 



einen zu früher Morgenstunde unternommenen Spazierritt 
folgte die Erledigung der Korrespondenzen, worauf die 
Minister zum Vortrag erschienen, an den sich meist nach 
dem zweiten Frühstück Audienzen schlössen und die Be- 
sichtigung verschiedener staatlicher Gebäude, so der 
Ministerien, der Gerichtshöfe, Hospitäler, Schulen, Unter- 




richtsanstalten und Gefängnisse. An Mängeln aller Art 
fehlte es hier nicht, und der Fürst war bestrebt, vielerlei 
Verbesserungen einzuführen, die bei der Finanznot des 
Landes nur langsam erfolgen konnten, die aber trotzdem 
einen sichtbaren Umschwung gegen früher bedeuteten. 
Zu dem auf sechs Uhr angesetzten Diner ergingen stets 
Einladungen an die Minister, Offiziere, Deputierten, wo- 
bei der politische Parteistand ausgeschlossen war, und bei 
welcher Gelegenheit sich der Fürst durch eingehende Unter- 

Lindenberg, König Karl. S 



Digitize 



OQle 



114 



haltungen über vieles zu orientieren wußte, was ihm bisher 
fremd geblieben. Der Abend war meist einer Fahrt nach 
und auf der Chaussee gewidmet, jener sich vor der Stadt 
erstreckenden prächtigen Promenade, dem Treffpunkt der 




Mönche von Bistritza. 



ersten Bukarester Gesellschaftskreise. Wiederholt wurde 
auch das Theater besucht, das, durch Öllampen nur trübe 
beleuchtet, einen wenig großstädtischen Eindruck machte; 
der Inhalt der aufgeführten Stücke war meist der rumäni- 
schen Geschichte entlehnt mit den vaterländischen Siegen 
über die Türken. Häufige zu Pferde unternommene Aus- 



Digitized by 




Digitized by 



116 



flüge in die nähere und weitere Umgebung brachten den 
Fürsten mit allen Volksschichten zusammen. Ordonnanz- 
offiziere und eine Kavallerie-Eskorte begleiteten ihn stets, 
überliefertem Gebrauch gemäß, den allerdings der Fürst 
bei seiner Vorliebe für ein schlichtes Auftreten bald aus 
der Welt schaffte. Gern besuchte er die oft sehr malerisch 
gelegenen alten Klöster, dann wieder einzelne Städte und 




Zigeuner. 



Ortschaften, und der Empfang, der ihm überall bereitet 
ward, bewies, daß man sich in den Erwartungen, die man 
mit seinem Erscheinen im Lande und seiner Regierung 
verknüpft, nicht getäuscht zeigte. 

Das war auch bei der Mitte August trotz schwüler 
Sonnenhitze unternommenen Reise durch die Moldau 
der Fall. In zahllosen Ortschaften und Städten wurde 
kürzere oder längere Rast gemacht, selbst dort, w r o die 



Digiti7Pd by 



117 



Cholera herrschte, viele Stunden lang ging's oft auf grund- 
losen Wegen, dann wieder durch zerrissene Flußbetten 
oder über weite Steppen, deren Flugsand die Wagen mit 
dichten Staubwolken umhüllte. Auf den Herrensitzen 
nahm man mit freudiger Ehrerbietung den jungen Landes- 
fürsten auf, dem auch die dörfliche und städtische Be- 




Digitized by 



118 



völkerung überall einen frohen Empfang bereitete. Schulen, 
Hospitäler, Kirchen, Bergwerke, Kasernen, Gefängnisse 
wurden eingehenden Besichtigungen unterworfen, traurig 
war die Lage der Bauern, die unter der Mißernte auf das 
schlimmste zu leiden hatten, aber auch in den Städten 
fehlte es nicht an tiefer Armut und an Mißständen aller 
Art. Hunderte von Bittschriften drückten die Hoffnung 
aus, daß die Regierung des Fürsten eine Wandlung zum 
Bessern schaffen würde, das ging ferner aus zahllosen Be- 
weisen des Vertrauens hervor, in aller Eile hatte man 
Triumphpforten errichtet, hell klang begrüßend der 
Schall der Glocken, und abends leuchteten auf den 
Bergen Freudenfeuer auf und wurden Illuminationen 
veranstaltet. 

Alt und Jung und Arm und Reich beteiligten sich in 
herzlicher Einmütigkeit an den Empfängen, vor den Kirchen 
standen die Geistlichen in prunkenden Ornaten, vor den 
Klöstern die Mönche in langen Talaren und hohen schwarzen 
Mützen, mit Reisig und Blumen, mit Heiligenbildern und 
selbstgewebten Teppichen waren die Dorfhäuser zum 
Willkommen geschmückt; so anstrengend die Fahrt war, 
so vielgestaltig und malerisch waren auch die Eindrücke, 
die sie darbot. Vor allem aber machte sie den Fürsten 
auf das genaueste mit den Sitten und Gebräuchen der Be- 
völkerung vertraut, gab ihm wertvolle Aufschlüsse über 
Fühlen und Denken der verschiedensten Klassen und zeigte 
ihm, wie und wo der Hebel angesetzt werden mußte, um 
Abänderungen zu schaffen. Schon lange bevor im grünen 
Rahmen die Türme und Kuppeln Jassy's, der Hauptstadt 
der Moldau, auftauchten, kamen dem Fürsten hunderte 
von Reitern und Wagen entgegen, brausender Jubel be- 
grüßte ihn und nahm zu, je mehr sich der von Dorobanzen 
eskortierte Zug dem alten Fürstensitze näherte, an dessen 
Weichbild unter einem Triumphbogen der Bürgermeister den 
Fürsten mit feiernden Worten bewillkommnete und Tausende 




119 



von Menschen in Freudenrufe ausbrachen. Glockengeläut 
und Kanonendonner begleiteten den Einzug, allgemein und 
aufrichtig war die Begeisterung, unter zahllosen Ehrenpforten 




Empfang in der Moldau (1866). 



Digitized by 



120 



gings dahin, jedes Haus war geschmückt, wie von einem 
Rausch schien die gesamte Einwohnerschaft umfangen zu 
sein, und diese freudige Stimmung ließ auch nicht während 
der sieben Tage, die der Fürst in Jassy verlebte, nach. 
Der persönliche Eindruck, den der Fürst gemacht, sein 
ritterliches Wesen, sein Ernst, mit dem er alle Angelegen- 
heiten behandelte, übten eine nachhaltige Wirkung aus und 
waren auch von großer politischer Bedeutung, da es gerade 
in Jassy nie an Versuchen einer Lostrennung von der Wa- 
lachei gefehlt, jetzt aber auch die noch widerstrebenden 
Elemente gefühlt, daß ein ganzer Mann an der Spitze der Re- 
gierung stand und die Zügel derselben in festen Händen hielt. 

Nach Bukarest zurückgekehrt, war es in erster Linie 
das Bestreben des Fürsten, die Stellung Rumäniens zur 
Türkei zu regeln. Letztere hatte Bedingungen an die 
Anerkennung des Fürsten geknüpft, die das Land als 
Vasallentum hinstellten und auf welche der Fürst als 
solcher wie als Hohenzoller nicht eingehen konnte; ohne 
diese Anerkennung aber war es nicht möglich, eine fremde 
Anleihe aufzunehmen, die dringend nötig zur Hebung der 
Finanzkalamität war, konnten doch nicht einmal mehr die 
nötigsten Zahlungen gemacht werden. In jenen von 
Spannung erfüllten Tagen schrieb der Fürst an den preußi- 
schen Kronprinzen, nachdem er ihn zu den gewaltigen 
Siegen auf böhmischem Boden beglückwünscht und stolz 
hervorgehoben, daß Preußen zu einer wahren Großmacht 
geworden: „Wenn ich aus diesem neuen Aufschwünge 
unsres Vaterlandes neue Hoffnungen auch für mich und 
meine Aufgabe hier schöpfe, so darf ich das Dir gegenüber 
wohl ohne Hehl aussprechen: Preußen hat im Orient eine 
große Mission zu erfüllen. Rußland, Frankreich und 
England dürfen nicht mehr, wie bisher, allein über die 
Geschicke dieses Erdteils entscheiden. — Die formelle 
Anerkennung meiner Regierung durch die Pforte erwarte 
ich in den nächsten Tagen; ich werde dann nach Konstan- 




121 



tinopel reisen, um dem Sultan einen Höflichkeitsbesuch 
abzustatten. Die Verhandlungen mit der Pforte bildeten 
bis zu ihrem Abschlüsse eine Reihe harter Kämpfe, da ich 
alle pretentiösen Bedingungen, die sie mir zuerst gestellt 
hat, streng und beharrlich abgewiesen habe. Jetzt habe 
ich nur die durch jahrhundertealte Verträge bestehende, 
von den Großmächten garantierte Suzeränität der Pforte 
anerkannt, mir aber im übrigen die vollste Autonomie be- 
wahrt, und die Suzeränität bleibt so eine leere Form ohne 
Inhalt. — Sind die auswärtigen Angelegenheiten geordnet, 
dann kann ich mich dem inneren Ausbau des Staates hin- 
geben, und mit meinem besten Streben will ich mich be- 
mühen, das herrliche Land, das ich jetzt das meinige nenne, 
und die fünf Millionen Menschen, die mir ihr Wohl anver- 
traut haben, einer glücklichen Zukunft entgegenzuführen. 
— Sind wir doch alle, jeder nach seinem Teile, Arbeiter 
an dem pausenden Webstuhl der Zeit', und meine Lebens- 
aufgabe ist es jetzt, auf dem Vorposten abendländischer 
Kultur, auf den das Schicksal mich hier gestellt hat, mit 
meiner ganzen Kraft mitzuwirken an der ,Gottheit leben- 
digem Kleid'!" — 

Hin und her gingen die Verhandlungen, bis endlich 
die Pforte einwilligte, das Verlangen des Fürsten zu er- 
füllen, indem in den Bedingungen, welche die Stellung 
Rumäniens zur Türkei regelten, von den Fürstentümern 
als „partie integrante" des Osmanenreiches gesprochen 
wurde mit dem wichtigen Zusätze „dans les limites fixees et 
par les capitulations et le traite de Paris." Hierdurch 
waren die Schwierigkeiten eines Besuches des Fürsten in 
Konstantinopel gehoben, und wurden die Einzelheiten der 
Reise vereinbart; von dem günstigen Abschluß des Ver- 
trages machte der Fürst dem Volke durch eine Prokla- 
mation Mitteilung, betonend, daß endlich die Wünsche 
der Rumänen nach einer erblichen Dynastie und kon- 
stitutionellen Verfassung seitens der Pforte erfüllt worden 




122 



seien und daß er sich der frohen Hoffnung hingebe, seine 
Bestrebungen für den Fortschritt und das Gedeihen des 
Vaterlandes würden auch fernerhin vom Himmel ge- 
segnet werden. 

Am 21. Oktober trat der Fürst in Begleitung zahl- 
reicher Offiziere und hervorragender Politiker die Reise 
nach Konstantinopel an, zunächst nach Giurgiu, von dort 
über die Donau nach Rustschuk fahrend, wo ein feierlicher 
Empfang seitens des Paschas und der türkischen Würden- 
träger stattfand. Die ganze Garnison war ausgerückt, die 
Stadt hatte reichen Flaggenschmuck angelegt und von den 
Befestigungen erscholl der Salut der Geschütze. Mit der 
Bahn wurde dann Varna erreicht und dort die vom Sultan 
gesandte kaiserliche Yacht „Issedin" bestiegen, auf welcher 
der erste Generaladjutant des Sultans im Namen des 
letzteren den Fürsten begrüßte, und auf der kaiserliche 
Seesoldaten den Ehrendienst versahen — beides eine be- 
sondere Aufmerksamkeit gegenüber dem Hohenzollern, 
denn wenn sonst die Hospodare mit den türkischen Be- 
hörden zusammenkamen, ließen diese sie oft ihre Ab- 
hängigkeit fühlen. Am nächsten Morgen erfolgte die Ein- 
fahrt in den Bosporus; bewundernd ließ Fürst Karl seine 
Blicke über die herrlichen Bilder schweifen, die sich vor 
ihm entrollten, eines lieblicher und berauschender als das 
andere, den Augen stets neue Schönheiten darbietend mit 
sanften Einschnitten, grauen Kästellen, anmutigen Tälern, 
friedlichen Dörfchen, mit zierlichen Minarets, hübschen 
Ruheorten und stolzen Palästen. Das Tiefblau des Himmels 
wetteiferte mit jenem der Wellen; zahllose Schiffe aller 
Art und Nationalitäten kreuzten den Weg des Dampfers; 
Delphine, deren dunkle Leiber blitzschnell aufschnellten, 
tummelten sich in den W T ogen, und hoch in den klaren 
Lüften zogen Falken und Seeadler ihre weiten Kreise. An 
den idyllischen Buchten sah man im lauschigsten Grün 
reizende Badeorte mit den Sommersitzen der fremden Bot- 




123 



schafter und Gesandten , die schmucken Villen und nied- 
lichen Holzhäuschen umsäumt von Lorbeer- und Myrten- 
hecken, beschattet von Platanen und Feigenbäumen, aus 
dichten Gebüschen Granatblüten leuchtend in sattem Pur- 
pur und duftende Rosen in wechselndem Farbenspiel, 
dann wieder kleine Fischerdörfer mit gebrechlichen Ba- 
racken, die sich gegenseitig stützten, mit engen, steil an- 
steigenden Gassen und buntem, volkstümlichem Getriebe, 
dahinter Weinberge und Parkanlagen. Und nun tauchte 
die gewaltige Stadt auf mit den glänzenden Kuppeln der 
Moscheen und den schlanken, weißen Minarets, jene Stadt, 
welche umflochten ist von den bedeutsamsten geschicht- 
lichen Erinnerungen und welche, in vergeblichem Ringen 
um die dauernde, Macht, so viele Generationen kommen 
und schwinden sahl 

Das auf asiatischer Seite gelegene Palais der Süßen 
Wasser, seine aus glitzernd weißem Marmor bestehende 
Front dem Bosporus zukehrend, war vom Sultan dem 
Fürsten zur Verfügung gestellt worden, als Ehrenwache 
diente eine Kompagnie Jäger der kaiserlichen Garde, die 
den Fürsten mit rauschenden Musikklängen empfing. Am 
Nachmittag stattete der Fürst dem Sultan seinen ersten 
Besuch ab, zur Fahrt nach dem auf dem gegenüberliegen- 
den Ufer gelegenen herrlichen Palaste Dolma-Baghtsche 
die Sultans- Yacht benützend, von der ihn ein mit rotem 
Sammet ausgeschlagener und mit zwölf Ruderern bemannter 
Kaik ans Land brachte, wo auf dem wundervollen mar- 
mornen Vorplatze feierlicher Empfang stattfand. Sultan 
Abdul- Asis empfing den Fürsten, der die große rumänische 
Generalsuniform angelegt hatte, in einem kleinen Salon, 
ihm bis an die Tür entgegengehend und die Hand reichend. 
Nahe dem Divan, auf welchem sich der Padischah nieder- 
ließ, war ein Sessel für den fürstlichen Gast bereitgestellt, 
den dieser jedoch kurzerhand beiseite schob, neben dem 
Sultan Platz nehmend. Damit deutete er an, daß er als 




124 



Sproß eines souveränen Fürstengeschlechts auf eine andere 
Behandlung Anspruch erhob, wie sie ehemals den Regenten 
der Donaufürstentümer zuteil geworden. Der Fürst lenkte 
nach den ersten Begrüßungsworten das Gespräch auf die 
Politik, hervorhebend, daß er in der Aufrechterhaltung 
der bestehenden Verträge eine Garantie für Rumänien 
erblicke und dieselben stets respektiert habe, daß er aber 
andererseits hoffe, der Sultan möchte eine Gewähr darin 
sehen, daß er, Fürst Karl, an der Spitze des rumänischen 
Volkes stehe, was den Sultan zu beistimmenden Worten 
veranlaßte. An diesen Empfang schloß sich jener seitens 
der höchsten türkischen Staatsbeamten in der Hohen Pforte 
und am nächsten Tage ein weiterer der Mitglieder des 
diplomatischen Korps in dem vom Fürsten bewohnten 
Palais, woselbst sich auch die türkischen Großwürdenträger 
einstellten und kostbare Geschenke des Sultans überreichten. 
Viele Stunden der folgenden Tage waren dem Besuche 
Konstantinopels gewidmet. Im Zivilanzug, nur von einem 
Adjutanten und Dragoman begleitet, durchstreifte der 
Fürst die Straßen der einzigen Stadt, die auf Schritt und 
Tritt eine Fülle der malerischsten und fesselndsten Szenen 
darbietet und deren einzelne Gebäude so viel zu erzählen 
wissen von vergangener Pracht und dem Glanz des einstigen 
Byzanz, Eindrücke, die das empfängliche Gemüt des 
Fürsten auf das nachhaltigste berührten. 

Ein zweiter Besuch beim Sultan verlief in herzlicher 
Weise; schon vorher hatte der Padischah dem Fürsten 
seine Freude ausdrücken lassen, daß er ihn als hohen 
und willkommenen Gast ehren könne und großen Wert 
auf freundschaftliche Beziehungen zu ihm lege. Das ging 
auch aus der auf Befehl des Sultans zu Ehren des Fürsten 
veranstalteten Truppenrevue hervor, die ein glänzendes 
militärisches Schauspiel gewährte. Nach sehr warmer 
Verabschiedung vom Sultan trat Fürst Karl nach sechs- 
tägigem Aufenthalt die Rückfahrt an, am 20. Oktober 




125 



wieder in Giurgiu eintreffend und dort die Herren seiner 
Begleitung zum Abschied um sich versammelnd, ihnen 
mitteilend, von welch günstigen Ergebnissen die Reise be- 
gleitet gewesen, sie eindringlich bittend, nun, nachdem die 
äußeren Schwierigkeiten Beseitigung gefunden, alle Ge- 
danken auf das innere Gedeihen Rumäniens zu richten. 

Diese Ermahnung war sehr vonnöten, denn die po- 
litische Ausgestaltung des Landes begegnete immer er- 
neuten Schwierigkeiten, standen sich doch zwei Parteien 
scharf gegenüber und kämpften um die Vorherrschaft in 
der Regierung; die Partei der Bojaren, der Konservativen, 
welcher, gemäß der ganzen Vergangenheit, nichts daran 
liegen konnte, wenn sich die konstitutionellen Verhält- 
nisse befestigten und eine fremde Dynastie starke Wurzeln 
faßte, und jene der Liberalen, die gerade in dieser Dynastie 
die Gewähr erblickten für eine erfolgversprechende Ent- 
wicklung des Landes. Gehörten zu ersteren die einfluß- 
reichen Mitglieder der alten Adelsfamilien, aus denen die 
Fürsten der Moldau und Walachei entnommen worden, 
so zur letzteren die jungen, strebsamen Vertreter der In- 
telligenz, kluge und einsichtsvolle Männer, die meist 
ihre Bildung im Auslande, nicht zuletzt auf deutschen 
Universitäten, genossen hatten und welche man als die zu- 
künftigen politischen Führer des Staates betrachtete. Es 
war erklärlich, daß die Mitglieder der Bojaren-Partei nicht 
auf die ererbten, oft angemaßten Vorteile ihrer Familien 
zu verzichten gedachten und immer noch in ihren Wünschen 
daran festhielten, daß Rumänien eigentlich ein Wahl- 
fürstentum sei, dessen Regenten zu bestimmen ihnen 
überlassen bliebe. Die Liberalen dagegen sahen das einzige 
Heil ihres Vaterlandes in einer erblichen Monarchie und 
in dem fremden Fürsten, dessen Regierung schon im An- 
fangsjahre gute Früchte getragen und das Beste für die 
Zukunft verhieß, freilich kam es auch ihnen nicht darauf 
an, scharfe Opposition zu machen. 



Digitized by 



126 



Diesen sich schroff gegenüberstehenden Parteizwist 
spiegelte auch das Ergebnis der im November stattge- 
fundenen Wahlen zu den Kammern wider, deren Aus- 
fall, — der Fürst hatte angeordnet, daß auch nicht der 
„Schatten einer Beeinflussung der Macht ausgeübt werden 
solle' ' — begleitet von allerlei Ausschreitungen und Be- 
einflussungen, eine herbe Enttäuschung der Regierung 
bereitete, die sich auf keine ausschlaggebende Majorität 
stützen konnte. Aber trotzdem entmutigte der Fürst nicht 
und versuchte, mit dieser buntgescheckten Deputierten- 
Versammlung zu regieren, in seiner sehr beifällig auf- 
genommenen Eröffnungsrede die Volksvertreter beschwö- 
rend, daß sie die Eifersüchteleien und Kämpfe für per- 
sönliche Interessen, welche für das Land eine so große Ge- 
fahr bedeuteten, vergessen und gemeinsam mit ihm die 
Mißbräuche ausrotten möchten, die einer gedeihlichen 
Entwicklung im Wege ständen. Man müsse, wie er sich 
wörtlich ausdrückte, die heilsamen Grundsätze der Red- 
lichkeit, Arbeitsamkeit und Sparsamkeit annehmen, die 
allein die Nation zur Bildung, Reichtum und Kraft führen 
können. 

Die traurige innere Lage gelangte durch den für das 
Land sehr ungünstigen Abschluß einer Anleihe in Frank- 
reich zum Ausdruck, mußte man sich doch verpflichten, 
für die erhaltenen i8y 2 Millionen Francs innerhalb 23 Jahren 
32 Millionen zurückzuzahlen; aber es blieb nichts anderes 
übrig, als diese schweren Bedingungen anzunehmen, um 
die notwendigsten Ausgaben zu decken. Ferner kam hin- 
zu, daß seit den gewaltigen preußischen Siegen das Miß- 
trauen der leitenden französischen Kreise, die bisher dem 
Fürsten und dem Lande ihre Sympathien bewiesen, rege 
geworden war, aus Furcht, der preußische Einfluß könnte 
im Donaufürstentum überwiegen. 

Ebenso wie die parlamentarischen Arbeiten nur sehr 
langsam und unzureichend vorwärts schritten, stand es mit 




127 



vielen Verwaltungszweigen; bei seinen Besuchen der Mi- 
nisterien und Gerichtshöfe fand der Fürst häufig die Be- 
amten nicht vor, alsbald Einrichtungen treffend, daß diese 
Unpünktlichkeit gehoben würde. Vor allem aber galt die 
ganze Sorge des Fürsten der Umgestaltung der Armee, 
zunächst des Offizierkorps, dessen Mitglieder er mit seinem 
Pflichteifer und Tätigkeitsdrang zu erfüllen trachtete, vor- 
sichtig Reorganisationen einführend, wobei allerdings die 
schlimme Finanznot ein erhebliches Hindernis bildete. Auch 



manches, was der Fürst unternahm, wurde falsch aus- 
gelegt, u. a., um ein Beispiel zu erwähnen, die Veranstaltung 
des ersten großen Balles in seinem Palais; die * einen 
meinten, er hätte nicht stattfinden dürfen wegen der 
traurigen wirtschaftlichen Lage des Landes, die andern 
aber drückten ihre Freude aus, weil gerade durch derartige 
Feste Geld unter die Menge komme und der Handel ge- 
hoben würde. 

Der Fürst verlor trotz aller Hemmnisse nicht den Mut, 
sein fester Wille war es, wie er dies auch zum Schluß 
seiner Eröffnungsrede der Kammer ausgedrückt, daß er 




Fürst Karl auf der Jagd (1866). 




128 



unerschütterlich seine Pflicht tun und die Mission erfüllen 
werde, die er mit Stolz übernommen. Wenn auch nicht 
so schlimm wie die Verhältnisse im Innern jene nach 
außen hin waren, so waren doch auch sie durchaus nicht 
erfreuliche, denn die Siege Preußens hatten die Eifersucht 
der Mächte erweckt, daß der deutsche Einfluß in Rumänien 
der vorherrschende werden könnte, und besonders Rußland 
wachte aufmerksam darüber, daß es aus seiner einstigen 
Vormachtstellung einen möglichst großen Nutzen zöge. 

Zum ersten Male fern von der Heimat und den Seinen, 
verlebte der Fürst den Weihnachtsabend still in seinem 
Palais. Innige, ermutigende Worte drangen zu ihm aus 
dem Elternhause, warm klang die Zuversicht auf den 
Sohn und die Freude des Vaters, des Fürsten Karl Anton, 
der immerdar, bis zur letzten Minute, dem Sohne der treu- 
este Freund und uneigennützigste Berater geblieben, aus 
den Worten des Weihnachtsbriefes: „Mir scheint auf 
Grund meiner politischen Erfahrungen, daß Du Dein 
Wagnis vollkommen gewonnen hast. Die Konstantinopler 
Reise ist mit vielem Geschick eingeleitet und durch- 
geführt worden ; namentlich durch sie wurde den Mächten 
jeder Vorwand zu weiterer Einmischung entzogen. Ich 
selber bin erstaunt, daß Deine Anwesenheit solche 
Wirkungen hervorgebracht hat: Mit Deiner Rede zur 
Kammereröffnung bin ich ebenfalls einverstanden. Poli- 
tische Fehler und moralische Gebrechen muß man immer 
bei ihrem Namen nennen. — Du scheinst ein ernstes Leben 
zu führen und Dich geistig sehr anzustrengen. Das ist 
doppelt notwendig für Dich, da Du über allen Parteien 
stehen mußt. — Daß Du Deinen Bruder Fritz zu sehen 
wünschest, beweist, daß Deine Sehnsucht so groß wie die 
seine ist. Ich wollte ihn aber absichltich vor dem neuen 
Jahr nicht reisen lassen, weil es für Deine geliebte Mutter 
zu traurig gewesen wäre, plötzlich um drei Söhne ärmer 
unterm Christbaum zu stehen. Am Weihnachtsabend 




129 



werden Deine Gedanken wohl in freudiger Erregung und 
tiefer Trübsal bei uns weilen. Es wird wechselseitig sein. 
Wie schmerzlich ist eine solche weite Trennung! — Doch 
Mut und Gottvertrauen in jeder Lage des Lebens! Man 
kann nicht alles haben. Deine Aufgabe ist groß, schwer 
und lohnend; dies Bewußtsein möge Dir Ersatz geben für 
viele Entbehrungen, die Herz und Gemüt berühren/' 

Sehr wohltuend war es für den Fürsten, daß seine Be- 
strebungen und bisherigen Erfolge die Anerkennung in der 
deutschen Heimat gefunden, teilte doch Fürst Karl Anton 
voller Befriedigung seinem Sohne mit, daß König Wilhelm 
jetzt mit Vergnügen einräume, wie recht Fürst Karl ge- 
habt habe, seinem Rate, die rumänische Fürstenwahl ab- 
zulehnen, nicht zu folgen, und wie sehr er sich freue, daß 
alles so vorzüglich bisher gegangen. Große Freude be- 
reitete dann dem Fürsten, der wiederum längere Zeit in 
Jassy, der Hauptstadt der Moldau, residiert, nachdem er 
vorher in den Donaustädten Braila und Galatz sowie in 
Bessarabien geweilt, der Besuch seines jüngeren Bruders, 
des Prinzen Friedrich, der ihm auch einen Brief des Kron- 
prinzen überbrachte, welcher aus wahrem Freundesherzen 
heraus geschrieben war: „So wie ich Deiner Teilnahme zu 
jeder Zeit mir bewußt bin, so, hoffe ich, bist auch Du da- 
von überzeugt, daß kein Tag vergeht, ohne daß meine Ge- 
danken Dich aufsuchen, und ich mich gleichzeitig der Er- 
folge freue', die Du in Deiner schwierigen Stellung erringst ! 
— Ich habe von Anfang an geglaubt, daß Du ein wahrer 
Hort für jene noch unfertigen Länder werden würdest, 
die nur eines ehrlichen deutschen Charakters bedürfen, um 
zu blühenden Provinzen umgestaltet zu werden. Und bis- 
her rechtfertigen alle Nachrichten, die ich aus Rumänien 
erhalte, diese meine Erwartungen. Möge Gottes Segen 
Dich wie bisher auf Deiner steilen Bahn begleiten, vor 
allem aber äußere Gefahren von Deinen Landen fern halten, 
die Deinem Werke hemmend in den Weg treten könnten. 

Lindenberg, König Karl. 9 




130 



Es sieht ein bißchen bunt aus um den Orient herum, und 
der Himmel bewahre uns vor neuen Konflikten, denn nach 
Krieg verlangt niemand in Deutschland/' 

Prinz Friedrich konnte dem Bruder auch die frohe 
mündliche Mitteilung machen von der Verlobung der 
Schwester, Prinzessin Marie, mit dem Grafen von Flandern, 
dem Bruder des Königs von Belgien, dem bekanntlich 
zuerst die Krone von Rumänien angetragen worden war, 
und vermochte sich bei seiner Anwesenheit in Bukarest 
zu überzeugen, wie groß die persönliche Beliebtheit des 
Fürsten war, der gerade zu jener Zeit eine Reihe anregender 
Festlichkeiten veranstaltete, zwischendurch Inspizierungen 
der Truppen und militärische Übungen vornehmend. 

Die Feier des ersten Jahrestages des Einzuges des 
Fürsten in Bukarest, am 22. Mai, wurde von der ganzen 
Bevölkerung in großartiger Weise begangen, wobei es nicht 
an zahllosen Zeichen der Liebe und Verehrung fehlte, eben- 
so wie aus allen Teilen des Landes huldigende Depeschen 
einliefen. Nach dem Tedeum in der Metropolie fand im 
Thronsaal des Bukarester Palais großer Empfang statt, bei 
welchem der Fürst seine erste öffentliche Rede in rumä- 
nischer Sprache hielt. Durch all die bei dieser festlichen 
Gelegenheit gehaltenen Ansprachen und Reden mit zahl- 
losen Lobes- und Ruhmesworten ließ sich der Fürst jedoch 
nicht täuschen. Er selbst wußte am besten, daß nur ein 
schwacher Anfang gemacht worden war, gewissermaßen 
daß man nur ein Versprechen gegeben habe für die Zu- 
kunft. Aber dieses Versprechen zu halten, war er Tag für 
Tag bemüht. Unausgesetzt war es sein Bestreben, eine 
enge Verbindung herzustellen zwischen ihm, dem Fürsten 
und Vertreter der Regierungsgewalt, und zwischen allen 
Kreisen der Bevölkerung. Mit den Eigenarten des ru- 
mänischen Landes und Volkes hatte er sich vertraut ge- 
macht und trug ihnen jederzeit sorgsam Rechnung. Selbst 
kein Freund der Etikette und starrer fürstlicher Abge- 




131 



schiedenheit, leutselig gegen jedermann, wußte er doch 
die fürstliche Autorität zu wahren und sich Respekt zu 
verschaffen, was für die Durchführung seiner Pläne unum- 
gänglich notwendig war. Stets bemühte er sich, sich per- 
sönlich von den Verhältnissen des Landes zu unterrichten, 
prüfte genau die an ihn gelangenden Bitten und Klagen 
und sorgte mit warmem Herzen für die Notleidenden und 
Bedrückten, weit mehr für^sie spendend, als es seine eigene 
Kasse gestattete. Gern mischte er sich in das bunte Volks- 
getümmel, so beispielsweise bei dem Mitte Juni in der 




Rumänischer Markt. 



Nähe von Bukarest stattfindenden Jahrmarkte (Moschi), 
einem freudigen Frühlingsfeste, zu welchem von nah und 
fern die Bevölkerung herbeiströmt, um ihre Einkäufe für 
das ganze Jahr zu machen und um sich den verschiedensten 
Belustigungen hinzugeben mit Jubel und Trubel, mit 
Tanz und Spiel, wofür schon die zahllosen Banden von 
fiedelnden Zigeunern sorgen. Daß der Fürst in so kurzer 
Zeit die Landessprache erlernt, kam ihm sehr zu statten, 
und auf den Gesichtern der Bauern malte sich helle Freude, 
wenn er sie ansprach und sich nach allem erkundigte, 
was sie interessierte. 

9* 



Digitized by 



132 



Auch auf die sehr notwendige Umänderung vieler 
Zustände in Bukarest selbst war Fürst Karl sorgsam be- 
dacht; neue Straßen und Boulevards wurden abgesteckt 
und angelegt, die Dimbowitza, jenes die Hauptstadt durch- 
fließende träge Flüßchen, das früher in jedem Jahr die 
tief gelegenen Stadtteile überschwemmt hatte, allmählich 
reguliert, man begann mit dem Bau von Markthallen und 
verbesserte ferner die nach den nahen Ortschaften führenden 
Wege, indem man hierzu Sträflinge unter militärischer 
Aufsicht beorderte. Sein fortgesetztes Interesse widmete 
sodann der Fürst der Hebung des Schulwesens, das bisher 
sehr im argen gelegen, häufig wohnte er den Prüfungen 
bei, gab Anregung zur Befolgung neuer Lehrmethoden und 
ließ auf seine Kosten — im Betrage von 300 000 Francs — 
in Paris einen Atlas herstellen, den ersten, der in rumä- 
nischer Sprache und für Rumänien erschienen, und der 
an sämtliche Schulen unentgeltlich verteilt wurde, ferner 
trug er Sorge, daß dem Verfall geschichtlich denkwürdiger 
Bauten Einhalt getan wurde und opferte erhebliche Mittel 
aus seinem Privat vermögen. Mit Freuden begrüßte er 
sodann die am 13. August 1867 stattgefundene Begründung 
der Literarischen Gesellschaft — , aus der sich alsbald die 
rumänische Akademie zu ersprießvollster Tätigkeit ent- 
wickelte — deren hauptsächlichster Zweck es war, eine 
einheitliche rumänische Grammatik und ein rumänisches 
etymologisches Wörterbuch herauszugeben, um die ver- 
schiedenen rumänischen Stämme, welche in Ungarn, Sieben- 
bürgen, der Bukowina, Bessarabien und Macedonien ver- 
teilt leben, auf geistigem Gebiete zu einen. Der Fürst ver- 
sammelte die Mitglieder jener Gesellschaft, deren Ehren- 
präsidium er übernommen, in Cotroceni um sich, wo er 
ihnen ein Diner gab, bei welchem in eingehender Weise 
die Aufgaben der neuen Akademie besprochen wurden. 
Wenn es seine Zeit erlaubte, machte er kürzere und längere 
Ausflüge zu den verschiedenen Klöstern und zu sonstigen 




133 



historischen Stätten, die mit der geschichtlichen Vergangen- 
heit des Landes in naher Verbindung standen, so nach 
Sinaia und Argesch, hierbei wildromantische Wälder und 
Gebirgsgegenden durchquerend, die seit langen Zeiten kein 
rumänischer Fürst besucht. Die Beteiligung Rumäniens 
an der damaligen Pariser Weltausstellung gab bereits 
weiteren Kreisen die Gewähr, wie ernstlich das junge 
Fürstentum unter dem neuen Herrscher danach trachtete, 
sich auch außerhalb seiner Grenzen an den Bestrebungen 
der Kulturnationen zu beteiligen. 

In immer stärkerem Maße widmete der Fürst seine 
Aufmerksamkeit der Ausbildung und Vermehrung der 
Armee. Mit der Bukarester Garnison veranstaltete er 
mehrtägige Manöver, bei denen er inmitten seiner Truppen 
biwakierte und nach deren Ablauf er die Offiziere zur 
Kritik um sich versammelte, offen die Fehler darlegend, 
die er beobachtet und die unbedingt ausgemerzt werden 
müßten, wenn das Heer ein kriegstüchtiges sein sollte, 
aber zugleich auch entschuldigend hervorhebend, daß ja 
den Offizieren bisher noch nie Gelegenheit geboten worden 
sei, größere Gefechtsbilder vorzunehmen und sich in deren 
Führung zu üben. Bei Krupp waren zwei Batterien ge- 
gossener Geschütze in Auftrag gegeben worden, für welche 
der Fürst das Geld aus seiner Privatschatulle vorgestreckt 
hatte, ferner hatte man in Preußen 20 000 Zündnadel- 
gewehre bestellt, von denen bis zur Mitte des Jahres 1866 
die erste Hälfte angelangt und als vortrefflich sofort an- 
erkannt worden war. Auch die Unifortnierung der Truppen 
wurde geändert und erheblich vereinfacht gegen den bis- 
herigen theatermäßigen Aufputz; ferner wurde die Baston- 
nade in der Armee abgeschafft und alles getan, um eine 
bessere Disziplin herbeizuführen. Im Sommer 1868 ging 
auch das Gesetz über die Heeresorganisation durch, nach 
welchem die bewaffnete Macht des Landes aus fünf ver- 
schiedenen Elementen bestand; erstens aus dem stehenden 



Digitized by 




Heer mit seiner Reserve, zweitens der aktiven Miliz, drittens 
der inaktiven Miliz, viertens der Bürgerwehr, fünftens 
dem Landsturm. Ehe erste Kategorie diente drei Jahre 
aktiv und vier Jahre in der Reserve, von der zweiten war 
nur ein Drittel von der Dienstzeit unter den Waffen, 
während zwei Drittel beurlaubt waren, die dritte sollte 
bloß im Kriege einberufen werden, die vierte, ohne weitere 
militärische Bedeutung, rekrutierte sich nach Censusklassen 
und wählte sich ihre Offiziere selbst, die fünfte umfaßte 
jene wehrfähige Bevölkerung vom 17. bis zum 50. Lebens- 
jahre, soweit und solange sie nicht den vier ersten Klassen 
angehörte. Durch diese Neuordnung gewann die rumä- 
nische Heeresmacht eine erhebliche Verstärkung, ohne 
daß die jährlichen Kosten, die sich auf 16 Millionen Francs 
beliefen, in drückender Weise vermehrt wurden. Im Ver- 
lauf dieser Reorganisation wurden neue aktive Regimenter 
errichtet und weitere 33 Milizbataillone gebildet, sodann 
auch neuen Kasernen ernste Sorgfalt gewidmet, ferner bei 
den verschiedenen Truppenteilen gemeinsame Offiziers- 
tische eingerichtet, wie man schließlich der Ausbildung 
des Unteroffizierkorps große Aufmerksamkeit schenkte. 
Vor allem war es nötig, die Armee von den politischen 
Umtrieben zu befreien, um sie ihrem vornehmsten Zweck, 
der Verteidigung des Vaterlandes, zuzuführen, und auch 
hier brach der Fürst mit dem bestehenden System, indem 
er im Sommer 1868 J. Bratianu, welcher keinerlei Offiziers- 
rang bekleidete, zum Kriegsminister ernannte. Hierdurch 
wollte man offen zeigen, daß das Heer allem Parteigetriebe 
entrückt werden sollte, hatte doch stets die Möglichkeit 
bestanden, daß in einem Lande mit parlamentarischer 
Regierung die Verfügung über die müitärische Macht leicht 
in die Hände des einer bestimmten politischen Partei an- 
gehörenden Kriegsministers übergehen konnte, so daß der 
letztere nicht nur Chef der Armeeverwaltung, sondern der 
Armee selbst zu werden vermochte. 




135 



War es des Fürsten Karl Ziel, Rumänien militärisch 
durch ein schlagfertiges, sorgsam ausgerüstetes und aus- 
gebildetes Heer die ihm gebührende Rolle anzuweisen, so 
wollte er es wirtschaftlich durch den Bau von Eisenbahnen 
heben. Bereits im Frühling 1867 war seitens der Kammer 
die Konzession erteilt worden für die Strecke Bukarest — 
Giurgiu; im Herbst desselben Jahres verhandelte man mit 
einem österreichischen Unternehmer wegen der Linie 
Sucea va — J assy — Galatz — Bukarest, die abschnittsweise 
gebaut werden sollte. Aber noch ehe der Vertrag vor die 
Kammern kam, erfuhr man aus Berlin, daß sich dort ein 
Konsortium gebildet, an dessen Spitze die Herzöge von 
Ujest und Ratibor, Graf Lehndorff und Dr. Strousberg 
standen, welches dem rumänischen Staate weit günstigere 
Bedingungen stellen wollte, wie dies von österreichischer 
Seite aus geschehen. Seltsamerweise stieß aber der Plan, 
Rumänien von Eisenbahnen durchziehen zu lassen, auf 
ernsten Widerspruch in den Vorberatungen der Kammer- 
sektionen. Man fürchtete die zu schwere Belastung des 
Staatsbudgets und erklärte, daß das Land, welches noch 
nicht einmal genügend Chausseen besitze, gar nicht reif 
sei für Eisenbahnen. Mit vollster Hingebung jedoch trat 
für letztere der Fürst ein, immer wieder betonend, daß die 
Zukunft Rumäniens auf das engste mit dem Eisenbahnbau 
verbunden sei und daß in fünf Jahren das Land unbedingt 
mit dem Auslande durch Schienenwege verknüpft sein 
müsse, ganz gleich, wer jene ausführe. Die von einer 
englischen Gesellschaft in Bau genommene einheimische 
Linie von Bukarest nach Giurgiu konnte der Fürst bereits 
Anfang August 1868 besichtigen und Mitte Oktober auf 
der fertigen Teilstrecke eine kurze Probefahrt unternehmen, 
die erste Eisenbahnfahrt auf rumänischem Boden, nach- 
dem er kurz zuvor Dr. Strousberg empfangen, welcher ver- 
sprach, die Strecke Roman — Galatz — Bukarest in zwei 
Jahren fertigzustellen. 




136 



Leider wies die innere politische Lage immer wieder 
schwere Zuckungen auf; neue Ministerien wurden gebildet, 
oft erst nach heftigen Kämpfen, und es mußte zur Wahl 
neuer Kammern geschritten werden, wobei sich doch nicht 
die gewünschte Majorität ergab. Nebenbei fehlte es auch 
bei diesen Veranlassungen nicht an allerhand geheimen Um- 
trieben gegen die Regierung, die man, und zugleich mit 
ihr den Fürsten, für viele Unzuträglichkeiten verantwortlich 
machte, besonders hinsichtlich der Finanznot, da mehrfach 
die Kredite für die dringendsten Aufgaben fehlten und 
selbst die Gehälter an die Beamten und . Offiziere nicht 
regelmäßig bezahlt werden konnten. Zudem bereitete die 
rechtliche Stellung der jüdischen Bevölkerung ernste 
Sorgen und gab im Auslande zu heftigen Angriffen auf 
Rumänien Veranlassung. Dazu kamen noch sonstige 
Schwierigkeiten durch die Aufstandsbewegung bulgarischer 
Banden, wobei absichtlich falsche Gerüchte verbreitet 
wurden des Inhalts, daß man von rumänischer Seite die 
Empörungsgelüste der Bulgaren begünstige und letztere 
indirekt sogar unterstütze^ was wiederum das Mißtrauen 
verschiedener Großmächte gegen Rumänien zur Folge 
hatte. An den schlimmsten Verdächtigungen und Ver- 
leumdungen in der europäischen Presse war kein Mangel, 
wurde doch sogar mitgeteilt, es seien tausende preußischer 
Arbeiter nach Rumänien gezogen unter dem Vorgeben, 
bei den Eisenbahnbauten beschäftigt zu werden, während 
sie in die rumänische Armee eingereiht worden seien, die 
auch bereits unter den Offizieren zahllose preußische 
Militärs aufweise. Der Staat konnte es eben keinem recht 
tun! Jede, auch die kleinste Aufmerksamkeit, die man 
Rußland erwies, wurde von Frankreich aus mit schee- 
len Augen betrachtet, und umgekehrt, beide Länder 
wiederum argwöhnten stets deutsche Beeinflussungen, an 
Kabalen aller Art fehlte es nie, das ganze politische 
Geschick des Fürsten Karl gehörte dazu, all diese 




137 



Verstimmungen aufzuklären und möglichst schnell zu 
beseitigen. 

In Preußen dagegen brachte man den ernsten Bestre- 
bungen des Fürsten volles Verständnis entgegen und 
zögerte nicht, seitens der königlichen Familie sowohl wie 
der Regierung, dem Fürsten und seinem Lande offene 
Sympathien zu bezeugen. Das zeigte sich bei der warmen 
Aufnahme, welche die von dem Fürsten zur Vermählung 
seiner Schwester Marie mit dem Grafen von Flandern 
— am 13. April 1867 — gesandte rumänische Deputation 
in Berlin gefunden; König Wilhelm bemerkte, wie glück- 
lich er sei, seinen Vetter, den Fürsten Karl, bei dieser 
Feierlichkeit vertreten zu sehen und dankte herzlich für 
die Gefühle, die seine Abgesandten ihm in seinem Namen 
ausgesprochen. „Der Fürst hat eine schwere Aufgabe zu 
erfüllen/' hob der König hervor, „aber ich bin sicher, 
daß er seine große Mission mit der patriotischen Unter- 
stützung der Rumänen durchführen wird." Und in einem 
Briefe an seinen Sohn schrieb Fürst Karl Anton: 
„Bismarck ist voller Interesse und seine Bemerkung ist 
vollkommen richtig, daß Rumänien das süd-östliche Belgien 
Europas sei. Wie Belgien dürfe Rumänien keine aus- 
wärtige Politik treiben, sondern müsse mit den Nachbarn 
auf möglichst gutem Fuße leben; dann werde es schon von 
selbst an den Früchten partizipieren, die vom europäischen 
Himmel seinerzeit herabfallen werden, nur dürfe es nicht 
selber pflücken wollen, zumal noch unreife." — Und dem 
Fürsten Karl Anton schilderte Konsul Bamberg die 
gelegentlich eines Besuches des Fürsten Karl in Bukarest 
im Frühling 1868 empfangenen Eindrücke: „Der Fürst 
hat sich sein Archiv selbst angelegt. Er weiß bei jeder 
Wendung des Gesprächs, wo ein Brief oder ein Aktenstück 
sich befindet, das darauf Bezug hat. — Der Fürst gehört 
zu jenen kerngesunden und tüchtigen Naturen, die in der 
harten Schule des Lebens sich täglich selbst erziehen. — 




138 



Er hat ganz bestimmte Uber Zeugungen und Ideen; er 
geht mit großer Geschwindigkeit auf die ein, die man ihm 
entgegenstellt; aber er hat eine seltene Begabung, in 
feinster Weise abzuwehren und wieder auf seinen Aus- 
gangspunkt zurückzukommen. Ist diese Geistesbeschaffen- 
heit nicht ohne Gefahr, so bildet sie doch die erste und 
unerläßliche Bedingung zu einer selbständigen Regenten- 
individualität. — Wenn ich mir hier Zustände und Menschen 
ansehe, diese zerfahrenen Arbeitskräfte bei feurigen und 
aus Trägheit doch wieder kalten Naturen, und diesen gegen- 
über die große Ruhe und Geduld eines Fürsten, der in die 
Zukunft des von der Natur gesegneten Landes die größte 
Hoffnung setzt, so kann ich die innere Kraft, die hierzu 
gehört, nur aufrichtig bewundern/' — Ja, Fürst Karl 
hatte, wie es in dem Briefe mit Recht heißt, ,,eine harte 
Schule des Lebens" durchzumachen, denn allein, ohne 
fördersame Stütze, mußte er den schwierigen Weg durch- 
messen, den er aus eigenstem Entschluß betreten. Von 
seiner damaligen Gemütsstimmung klingt es gelegentlich 
in den Briefen an den teuern Vater durch, dem er im 
Februar 1868 schrieb: „Nach dem sorgenvollen Winter, 
den ich verbracht habe, ist es mir ein wirkliches Bedürfnis, 
zum Frühjahr einen der Meinigen oder einen guten alten 
Freund bei mir zu haben, denn trotz der anhaltenden Ar- 
beit und der fortwährenden geistigen Anstrengung wirkt 
die Einsamkeit auf mein Gemüt. Ich habe niemanden, 
mit dem ich mich aussprechen, der mich zerstreuen könnte. 
— Der Winter ist Gott sei Dank zu Ende, ich möchte 
keinen zweiten so erleben. Es gab Momente, in denen ich 
furchtbar melancholisch gestimmt war, so daß ich mich 
zu jeder ernstern Arbeit unfähig fühlte. Freilich gab es 
noch öfter Augenblicke, wo mir die Zeit zu schnell verging 
für die viele Beschäftigung, die ich hatte." 

Im weiteren Verlaufe dieses sowie des folgenden Jahres 
trat erfreulicherweise eine erhebliche Verbesserung der 




139 



inneren Lage ein, auch wohl dank den vorzüglichen letzten 
Ernten, wodurch die Steuern leichter bezahlt und die 
großen Rückstände beglichen werden konnten. Die Fi- 
nanzkraft hob sich, so daß man die Ausgaben monatlich 
regelmäßig zu bestreiten und größere Summen dem Re- 
servefonds zuzuwenden vermochte. Auch in den einzelnen 
Verwaltungszweigen spürte man den Hauch einer neuen 
Zeit; es wurde regelmäßiger und rascher gearbeitet, und 



wenn es auch nicht an gelegentlichen Unordnungen und 
Unterschleifen fehlte, so kamen doch nicht mehr jene 
grellen Mißstände vor, wie früher, die Ausfuhr war um das 
dreifache gestiegen, und mit Rußland und Österreich wur- 
den wichtige Postverträge vereinbart, ferner das einhei- 
mische Postwesen besser geregelt. 

Der Schluß des Jahres 1868 hatte ein neues Ministerium 
unter dem Vorsitz des Fürsten D. Ghika gebracht, welchem 
Fürst Karl sein volles Vertrauen äußerte, die Hoffnung 



s 



i 




Rumänische Marktszene. 



Digitized by 



140 



anknüpfend, daß es ihm gelingen möge, alle Spaltungen 
zu beseitigen und alle Söhne des Vaterlandes zu dessen 
Heil um den Thron zu scharen. Durch diesen Minister- 
wechsel verbesserten sich anfangs des Jahres 1869 Ru- 
mäniens Beziehungen zum Auslande bedeutend. Man 
vermied alle Konflikte, besonders mit der Pforte, und die 
Mitte April stattgefundenen Wahlen ergaben für die Re- 
gierung ein gutes Ergebnis, denn unter 150 Deputierten 
wurden nur 10 Oppositionelle gewählt. 

So konnte Fürst Karl daran denken, im Sommer 1869 
einen längst gehegten Lieblingswunsch zur Ausführung zu 
bringen und die teuren Eltern und Geschwister in Deutsch- 
land zu besuchen, nach denen er sich auf das innigste sehnte, 
wie es in manchem zur Heimat geflatterten Schreiben zu 
lebhaftem Ausdruck gelangt war. Und auch der Wunsch nach 
einer Lebensgefährtin, die mit ihm die guten und bösen 
Tage teilen würde, kam öfter zum Durchbruch. Immer 
wieder erging von der deutschen Heimat aus der drängendste 
Ruf der Seinen, sich Ruhe zu gönnen und nach Deutsch- 
land zu kommen; im gleichen Sinne schrieb auch der 
preußische Kronprinz mehrfach an den Fürsten, bemerkend, 
daß er, wenn er einige Wochen heimatliche Luft geatmet, 
gestärkt und neu belebt nach Rumänien zurückkehren 
und dann mit frischer Kraft sein Tagewerk übernehmen 
könnte. Auch der Brautschau gedachte er, die der Fürst 
persönlich halten müßte, weil ein dritter das doch i^ir 
unvollkommenerweise auszuführen vermöchte. 

Die Uberanstrengungen und der mehrfache Aufent- 
halt in ungesunden Distrikten hatten dem Fürsten einen 
schweren Anfall von Malaria zugezogen, so daß seine 
sonst eiserne Gesundheit mehr geschwächt wurde, als er 
sich selbst eingestehen wollte. Das ewige Schwanken der 
inneren und äußeren Verhältnises aber verhinderte bisher 
stets eine Auslandsreise; jetzt, wo ein sichtbarer Um- 
schwung zum Bessern eingetreten, konnte er an diese lang 



Digitized by 



141 



ersehnte Fahrt nach der Heimat denken. Zuvor aber — 
nachdem er sich nach dem Truppenlager von Furceni be- 
geben und einige Ausflüge in die Gebirgsgegenden der 
Moldau unternommen — stattete er im Verlauf der zweiten 
Hälfte des August in Livadia einen Besuch dem russischen 
Kaiser Alexander II. ab, der ihn auf das herzlichste empfing, 
gleich der Kaiserin, mit der ihn, da sie eine Cousine seiner 
Mutter war, verwandtschaftliche Bande verknüpften. Der 
mehrtägige Besuch in der Krim verlief in sehr harmonischer 
Weise, der Kaiser nahm wiederholt Veranlassung, mit dem 
Fürsten über die politischen und wirtschaftlichen Ver- 
hältnisse seines Landes zu sprechen, so daß Fürst Karl 
die befriedigendsten politischen Ergebnisse dieser Reise 
erhoffen durfte. Zurückgekehrt in sein Land, wohnte 
der Fürst den Manövern bei und rüstete sich dann zur 
Fahrt nach Deutschland, nachdem er zuvor eine Amnestie 
für alle politischen und Preßvergehen erlassen hatte. Und 
er konnte bei dieser Reise sein Wort erfüllen, daß er das 
Land nicht eher verlassen würde, als bis es auf einer ru- 
mänischen Eisenbahn geschehen könne, denn unter dem 
Jubel der Bevölkerung bestieg er am 7. September in 
Bukarest den Zug, der ihn in zweieinhalb Stunden nach 
Giurgiu brachte, von wo die Weiterfahrt auf seiner Yacht 
„Stephan der Große" erfolgte. 





VI. 



Brautfahrt und Vermählung. 



In der Heimat — Auf der Weinburg und in Baden-Baden. — Der Aufenthalt in Paris. — 
Begegnungen mit Kaiser Napoleon. — In Cöln. — Verlobung mit der Prinzessin Elisabeth 
von Wied. — Die Prinzessin, ihre Erziehung und ihr Charakter. — Vermählung. — Das 
Junge Paar. — Fahrt nach Rumänien. — Eintreffen in Bukarest. 



ach mehr denn drei schweren Jahren war der Kurs 



1 ^1 zur Heimat gerichtet, und mit freudigsten Erwar- 
tungen hatte Fürst Karl die Reise angetreten, die ihn von 
Giurgiu die Donau aufwärts nach Basiasch führte, wo ihm 
trotz seines Inkognitos von den Vertretern der österreichi- 
schen Regierung und der Bevölkerung der herzlichste Emp- 
fang zuteil wurde. In dem Jubel und Trubel gedachte der 
Fürst jener Maitage des Jahres 1866, in denen er hier unter 
den unbestimmtesten und peinigendsten Verhältnissen uner- 
kannt geweilt, der ungewissen Zukunft entgegensehend. 
In Wien empfing ihn Kaiser Franz Josef auf das liebens- 
würdigste und zeigte für seine auf das Wohl des rumäni- 
schen Landes gerichteten Bestrebungen das aufrichtigste 
Interesse, ebenso Graf Beust, den der Fürst über mancherlei 
Bedenken aufklären konnte. Uber München ging's nach 
Lindau und von dort nach Rheineck, wo ihn die geliebten 
Eltern und Geschwister auf das innigste willkommen hießen 
und nach der nahen Weinburg geleiteten, mit der ja für 
den Fürsten so viele freundliche Erinnerungen aus seiner 
Jugend verknüpft waren und wo er auch diesmal im engen 





143 



Familienkreise die glücklichsten und freudigsten Tage 
verlebte. 

Aber auch in dieses langersehnte Idyll drang die 
Politik, denn es stellte sich am 17. September ein Ab- 




Fürst Karl (1869). 



gesandter der spanischen Kortes ein, der dem Erbprinzen 
Leopold von Hohenzollern, dem älteren Bruder des Fürsten 
Karl, die Krone Spaniens antrug, bei der ersten Unterredung 
mit dem Fürsten Karl diesem jedoch andeutete, daß das 
spanische Volk und die Regierung zunächst an ihn gedacht 



Digitized by 



144 



hätten, da er unter den schwierigsten Bedingungen mutig 
und auf seine Kraft vertrauend, nach Rumänien gegangen 
sei und dort in kurzer Zeit so Bedeutendes für den Staat 
geleistet habe. Sogleich erwiderte Fürst Karl auf das ent- 
schiedenste, daß er niemals daran denke, den bescheidenen 
Fürstenhut mit der glänzenden Krone Spaniens zu ver- 
tauschen, das verhindere schon sein Pflichtgefühl und die 
Liebe zu der übernommenen Aufgabe. Erbprinz Leopold 
erteilte dem spanischen Abgesandten noch keine zustim- 
mende Antwort, wenn er auch nicht die Krone von vorn- 
herein zurückwies, deren Annahme er davon abhängig 
machte, daß seine Wahl einstimmig erfolge, er keine Gegen- 
kandidaten zu bekämpfen habe und in keine politischen 
Wirren verwickelt werde, die irgendwie Portugal, mit 
dessen Königshause er ja eng verwandt sei, benachteiligen 
könnten. 

Für den Fürsten Karl vergingen in dem Kreise der 
Seinen zwei erinnerungsvolle Wochen, die zu mannig- 
fachen Ausflügen benutzt wurden und ihren Abschluß 
fanden durch einen Besuch bei seiner Schwester Marie, der 
Gräfin von Flandern, in Brüssel, wo sich der Bruder von 
dem innigen Eheglück seiner Schwester überzeugen konnte. 
Von Brüssel ging's nach Baden-Baden, um König Wilhelm 
und seine Gemahlin wiederzusehen. Der König hatte 
seinem Neffen die alte herzliche Freundschaft treu bewahrt, 
er schloß ihn in die Arme, ihn wiederholt küssend, und sich 
eingehend nach all den bedeutungsvollen Ereignissen der 
letzten Jahre erkundigend, mit seinem weisen politischen 
und erfahrenen militärischen Rat nicht zurückhaltend. 
Auch die Königin und der anwesende Großherzog Friedrich 
von Baden, das glänzende Vorbild eines echten und rechten 
deutschen Fürsten, bewiesen dieselbe Teilnahme für alles, 
was den Fürsten und sein Land betraf. Das war selbst- 
verständlich auch beim Kronprinzen der Fall, der einen 
Tag später anlangte und jede freie Stunde zur vertrau- 




145 



liehen Aussprache mit dem Vetter benutzte. Wie es schon 
aus manchem seiner Briefe an den Fürsten nach Bukarest 
hervorgegangen, äußerte er auch mündlich die Hoffnung, 
daß sich der Freund bald die ihm würdige Lebensgefährtin 
gewinnen möchte, und lenkte von neuem dessen Aufmerk- 
samkeit auf die Prinzessin Elisabeth von Wied, die er 
genau kenne, und deren Geist wie Herz, deren edles Streben 
und umfassendes Wissen, verbunden mit seltenem Lieb- 
reiz, er in hellen Farben rühmte. Er wolle, meinte er, 
gern eine Begegnung vermitteln, ohne daß die Prinzessin 
deren eigentlichen Zweck ahne, hinzusetzend, er werde 
dann erst beruhigt über des Freundes Schicksal sein, wenn 
dieser sich eine ihm völlig ebenbürtige Gattin erkoren, 
die ihren Beruf ebenso edel und hoch auffasse, wie Fürst 
Karl selbst. Letzterer, auf den die Schilderungen des 
Kronprinzen nicht ihre Wirkung verfehlt, gab freudig seine 
Zustimmung zu dem Vorschlage und hoffte auf ein Zusam- 
mentreffen mit der Prinzessin nach seiner Rückkehr aus 
Paris, wohin er sich nach herzlicher Verabschiedung seitens 
der königlichen Familie und des Kronprinzen am 5. Ok- 
tober begab, dort am folgenden Tage anlangend. 

Am Nachmittag bereits fand in St. Cloud die erste 
Begegnung mit dem Kaiser statt, der seinem Verwandten 
auf das herzlichste entgegentrat und ihm wiederholt seines 
unveränderten und warmen Interesses für seine Person 
und für Rumänien versicherte. In den mehrfachen ver- 
traulichen Besprechungen riet er dem Fürsten, sich stets 
an die westlichen Mächte anzulehnen und Rußland, das 
im Orient immer egoistische Zwecke verfolgt, zu miß- 
trauen. Der Fürst bemerkte, daß in ganz Rumänien die 
wärmsten Sympathieen für Frankreich beständen und man 
nie vergessen würde, was man dem Kaiser und seiner 
Regierung an vielfachen politischen Unterstützungen ver- 
danke. Der Kaiser erschien dem Fürsten sehr gealtert und 
leidend, die Kaiserin hatte bereits ihre Reise zur Eröffnung 

Lindenberg, König Karl. 10 




146 



des Suez-Kanals angetreten, infolgedessen fanden größere 
Hoffestlichkeiten nicht statt, wodurch dem Fürsten Ge- 
legenheit geboten wurde, in kleinem Kreise mit dem Kaiser 
wiederholt beisammen zu sein. Einen sehr guten Eindruck 
gewann der Fürst von dem damaligen dreizehnjährigen 
Sohne des Kaisers, den er als einen aufgeweckten, be- 
scheidenen Knaben kennen lernte, der für alles Militärische 
auffallendes Interesse zeigte. Auch von seinem Ver- 
mählungsplan und von der in Betracht kommenden Prin- 
zessin berichtete der Fürst dem Kaiser, der ihn zu der 
vom Kronprinzen vorgeschlagenen Wahl ermunterte und 
hinzusetzte, daß gerade die Erziehung der deutschen Prin- 
zessinnen eine hervorragend gute und sorgfältige sei. 

In Paris hatte Fürst Karl eine Depesche des Kron- 
prinzen erhalten, in der dieser ihm mitteilte, daß die 
Fürstin von Wied mit ihrer Tochter am 12. Oktober zu 
einem Konzert nach Köln fahren würde und sich daher 
dort leicht und unauffällig eine Begegnung ermöglichen 
ließe. Froher Erwartungen voll reiste der Fürst die Nacht 
durch nach Köln, hier Herrn von Werner vorfindend, seinen 
treuen Begleiter auf der Ausfahrt nach Rumänien, den er 
telegraphisch aus Düsseldorf nach der Rheinstadt berufen, 
damit er auch an diesem bedeutsamen Tage und Ereignisse 
als Freund bei ihm weile. Herr von Werner, der den 
Fürsten auf dem Bahnhofe empfangen, teilte ihm mit, daß 
er zufällig der Fürstin von Wied auf der Straße begegnet 
sei, welche mit ihrer Tochter am Abend einem Konzert 
der Frau Clara Schumann, die dem Wiedschen Fürsten- 
hause nahestand, beiwohnen wollte. 

Der Fürst stieg mit seiner Begleitung in demselben 
Hotel ab, in welchem auch die Fürstin von Wied wohnte, 
und gedachte ihr, die er noch nicht kannte, seine Auf- 
wartung zu machen, da er schon vor Jahren mit der Prin- 
zessin Elisabeth am preußischen Königshofe zusammen- 
getroffen. Die Damen waren jedoch nach der Flora ge- 




147 



fahren, wohin sich nun auch der Fürst begab, dort durch 
Herrn von Werner sich vorstellen lassend. Prinzessin 
Elisabeth erinnerte sich sofort, daß sie mehrfach mit 
ihm früher am Berliner Hofe zusammengetroffen, und 
stellte in ihrer lebhaft zwanglosen Weise zahllose Fragen 
an ihn über sein fernes Land und über das fremdartige 
Volk. Der frische Liebreiz der Prinzessin, ihr ungekünstel- 
tes und herzliches Sichgeben, ihre anregende Weise zu 
plaudern, der ganze warme Charme, der bezwingend von 
ihr ausging, nahmen den Fürsten sogleich gefangen, und 
ehe die längere Promenade, die sie durch den Park ge- 
macht, zu Ende ging, war er fest entschlossen, Prinzessin 
Elisabeth für immer zu gewinnen und, falls sie einwilligte, 
als seine teure und treue Lebensgefährtin in sein Land zu 
führen. Das teilte er auf der Rückfahrt nach dem Hotel 
seinen Begleitern mit, die ihm rieten, sich doch noch einige 
Bedenkzeit zu gönnen, aber er wies das von der Hand — , 
der Eindruck war ein zu starker und sein Herz sprach 
pochend mit. Langes Zögern war zudem nie seine Sache ge- 
wesen, und am wenigsten in diesem Falle, wo er mit klarem 
Empfinden das Glück vor sich sah. Auch auf die Prin- 
zessin muß der Eindruck des Fürsten ein starker gewesen 
sein, denn sie äußerte nach der Verabschiedung zu ihrer 
Mutter: „Das ist aber ein reizender Mensch, der Fürst 
von Rumänien! Mit dem läßt sich's sprechen!" 

Im Hotel ließ der Fürst durch Herrn von Werner bei 
der Fürstin anfragen, ob sie ihn allein empfangen wolle, 
bei diesem alsbald stattfindenden Zusammentreffen unter 
vier Augen um die Hand der Prinzessin anhaltend. Die 
Fürstin zeigte sich von dieser Eile bestürzt, aber sie be- 
merkte, daß sie mit ihrer Tochter sprechen wolle, ihr 
überließe sie die Entscheidung. Von dieser Werbung er- 
zählte später die Prinzessin, die mit ihrer Mutter in das 
Konzert von Frau Clara Schumann fahren wollte, selbst: 
„Während meiner Toilette ließ sich auf einmal der Fürst 



10* 




148 



von Rumänien melden und blieb und blieb und blieb I 
Und ich war so ungeduldig, hatte sogar die Handschuhe 
schon zugeknöpft, da endlich war er fort. Ich stürmte 
hinein: ,Aber Mama!' Aber Mama, wollte ich sagen, 
Du bist ja noch garnicht angezogen! Ein sonderbarer 
Ausdruck in meiner Mutter Gesicht ließ das Wort auf 
meinen Lippen ersterben. Sie begann mit mir auf und ab 
zu wandeln und sagte: „Der Fürst von Rumänien ist 
eben hier gewesen und er hat um Deine Hand angehalten t" 
Ich machte ein seltsames Gesicht, daß meine Mutter schon 
auf das gewohnte „Nein", das ich jedem Freier entgegen- 
setzte, gefaßt war, und ich sagte weiter nichts als: „Schon?" 

Ich dachte: Mich kennt er ja garnicht, also will er 
nur eine Frau, die ihm helfen kann, er hat von der guten 
Erziehung gehört, er weiß nichts weiter von mir, lieb hat 
er mich natürlich kein bißchen. Und was durchs Gehirn 
jagt und tobt in solch einem Augenblick. Aber da er- 
zählte mir meine Mutter, was er gesagt, und wie er eine 
Gefährtin suche, die seine schwere Aufgabe mit ihm teilen 
könne, die eben so gern arbeite als er, die die Hälfte der 
Lasten auf ihre Schultern nehmen wolle etc. Sodaß ich 
nach einer Viertelstunde sagte: „Laß ihn kommen, er 
ist der Rechte!" Meine Mutter schrieb zwei Worte an 
Frau Schumann, sie möge nicht mehr auf uns rechnen, 
denn ich hätte mich soeben verlobt 1 Ja, da war er herein- 
gekommen, und ich wurde gerufen, einen Augenblick hielt 
ich mich am Türpfosten fest, um nicht hinzufallen, dann 
ging ich auf ihn zu und reichte ihm die Hand, die er küßte. 
Ich streifte seine Haarspitzen mit meinen Lippen und soll 
gesagt haben: „Es macht mich sehr stolz und sehr de- 
mütig zugleich." Davon weiß ich natürlich nichts mehr, 
aber meine Mutter hatte es in ihrem Herzen bewahrt und 
ließ es auf mein Bild gravieren für ihn." 

Nur anderthalb Stunden, die ihm gar zu schnell ver- 
flogen, konnte Fürst Karl mit seiner holden Braut zusammen 




149 



sein in herzlicher Aussprache, dann mußte er Abschied 
nehmen, da er den Nachtzug nach Paris benutzen wollte, 
wo noch dringende Angelegenheiten zu erledigen waren. 
Während der Nacht schloß er kein Auge, sah er doch immer, 
wie es in seinen Denkwürdigkeiten vermerkt ist, die lieb- 
liche Prinzeß vor sich, wie sie in ihrer blauen Konzert- 
toilette in das Zimmer trat, in welchem er ihrer harrte. 

In ihr Tagebuch aber, das Prinzessin Elisabeth seit 
ihrer frühen Jugend geführt und in welches sie auch die 
verborgensten Empfindungen und Gedanken eingetragen, 
die sie bewegten, schrieb sie ein Gedicht „Der Opal" auf 
ein kleines Opalkreuz, das der Verlobte ihr zum Abschied 
geschenkt: 

„Wie meines Liebsten Herz so rein, 
So rein bist Du, 

Ich drück' Dich fest an's Herze mein, 

Voll Fried und Ruh'. 

Ich halt' Dich still in meiner Hand 

Du klarer Stein, 

In Deine Tiefen unverwandt, 

Schau ich hinein. 

Dich halt' ich dreist in's Sonnenlicht, 
Ob's Dich verzehrt? 
Dein Farbenspiel erbleichet nicht; 
Du bist bewährt!" 

Wie im realen Leben Fürst Karl stets mit treffendem 
Blick das richtige erkannt hatte, so hier auch sein Herz, 
denn es mochte nur wenige Menschenkinder geben, die 
derart füreinander geschaffen waren, trotz mancher Ver- 
schiedenheiten des Charakters, wie Prinzessin Elisabeth 
und ihr Verlobter. Gleich ihm war sie abhold jeder Über- 
hebung und jedem falschen Schein, gleich ihm war sie er- 
füllt von dem Drang nach befriedigender Tätigkeit, nach 
einem Ziel, das rastloser Arbeit würdig war, und auch sie 
sah, wie er, das Leben nicht als eine Spielerei an, sondern 
als das Feld für große, von der Vorsehung gestellte Auf- 



Digitized by 



150 



gaben. Beide begegneten sich in der tiefen Zuneigung 
zur Natur und Kunst, in dem warmen Interesse für alle 
wissenschaftlichen und schöngeistigen Bestrebungen. 

Dies war schon von früh an im Wesen der 
Prinzessin hervorgetreten, die, am 2g. Dezember 1843 als 
das erste Kind des Fürsten Hermann und der Fürstin 
Marie von Wied in Neuwied geboren, trotz ihres lebhaft 
rheinischen Wesens zu sinnenden Träumereien neigte, 
sich schon in ihrer Kindheit in Gedichten, Märchen, Er- 
zählungen und selbst Dramen versuchend. Unter dem 
hellen Glockengeläut hatte sie zur zwölften Mittagsstunde 
das Licht der Welt erblickt: 



hatte sie später von ihrem Geburtstag gesungen. Reiche 
Gaben hatte ihr die Natur auf den Lebensweg mitgegeben, 
und ihre Eltern, beides geistig hochstehende, abgeklärte, 
echt deutsch empfindende Menschen, hatten alles getan, 
um der Tochter eine von allen überflüssigen Schlacken 
freie Erziehung zu geben. Den Winter verlebte die fürst- 
liche Familie im Schlosse zu Neuwied, den Sommer in 
dem waldumgebenen Schlößchen „Monrepos", und Wald 
und Heide, Friede und Einsamkeit flüsterten der regen 
Kindesseele des Prinzeßchens ihre trauten Geheimnisse 
zu. Die Fürstin von liebenswürdiger Einfachheit des 
Wesens und schlichter Vorurteilslosigkeit, von tiefster 
Menschenfreundlichkeit und gründlicher Bildung, durchaus 
gläubig, ohne im orthodoxen Sinne fromm zu sein, war 
der Tochter eine verständnisvolle Mutter und Freundin. 
Der Vater widmete sich mit Vorliebe den ernstesten philo- 
sophischen Problemen und veröffentlichte auch mehrere 
stark beachtete philosophische Werke, gleich seiner Ge- 



„Die Glocken klangen und schwangen 
Den Mittag ein, wo der Christbaum stand. 
So habe ich einst angefangen 
Zu atmen, zu wandeln im Erdenland," 




151 



mahlin Gelehrte und Künstler gern um sich sehend und 
auf weiten Reisen neue Gesichtsblicke und Erfahrungen 
suchend. 

Prinzessin Elisabeth war das älteste Kind; zwei Brüder 
folgten ihr, Prinz Otto und Prinz Wilhelm, der jetzige 
Fürst. Der erstere war von Geburt an leidend, sein Körper 
war gelähmt, desto erstaunlicher entwickelte sich der 
Geist des Knaben, der bemüht war, seine Krankheit 
mit unbeschreiblicher Geduld zu ertragen, immer besorgt, 



daß seine Eltern und Geschwister nicht darunter litten. 
Des kranken Kindes wegen siedelte das fürstliche Paar 
nach Bonn über, damit der Prinz sich unter ständiger 
ärztlicher Aufsicht befände, dort die an Wald und Wasser 
herrlich gelegene Villa ,Vinea Domini' bewohnend. Auch 
die Fürstin war damals einem schweren Siechtum unter- 
worfen, an einer Lähmung leidend, die fünf Jahre währte, 
aber trotzdem wußte sie in ihrem künstlerisch ausge- 
schmückten Heim eine Reihe der hervorragendsten Männer, 
untec ihnen den greisen Ernst Moritz Arndt, Jacob Bernays, 




Das Schloß in Neuwied. 




152 

Clemens Perthes, zu vereinen und durch ihre Persönlich- 
keit den kleinen Zirkeln einen besonderen Reiz zu ver- 
leihen, eine Meisterin feinsinniger und anregender Unter- 
haltung. Obwohl sie meist an den Rollstuhl gefesselt 
war, dessen Leitung ihr Gemahl mit zärtlicher Behutsam- 




Fürst Hermann von Wied. 



keit selbst übernahm, empfand sie lebhaft mit der Jugend 
und entzückte jeden, welcher des Vorzugs ihrer Bekannt- 
schaft teilhaft wurde; stets bestrebt, ihren Gästen den 
Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, veran- 
staltete sie häufig Theatervorstellungen, an denen sich auch 
Prinz Friedrich Wilhelm, der spätere preußische Kronprinz, 
der damals in Bonn studierte, beteiligte, und der. hier 



Digitized by 



153 



schon Gelegenheit fand, die Prinzessin Elisabeth näher 
kennen zu lernen. 

Damals bereits stellten sich die ersten Beziehungen 
zu Rumänien her, denn in dem Elternhause der Prinzessin 
verkehrte, wie sie selbst späterhin erzählte, „ein ganz 




Fürstin Marie von Wied. 



junger Mensch aus fernem, unbekanntem Lande. Er sagte, 
seine Heimat sei an der Moldau, und seine Muttersprache 
sei Rumänisch. Es war ein kleiner, schwarzer Mann, mit 
zwei noch dunkleren Brüdern, die Gymnasiasten waren. 
Der älteste hieß Demeter Sturdza, und der sprach mit dem- 
selben glühenden Patriotismus von seinem Lande, wie 
Ernst Moritz Arndt von Deutschland, nur, daß sein Land 



Digitized by 



154 



viel, viel unglücklicher war, und vielmals mehr unter 
allerlei Fremdherrschaft geschmachtet hatte, und zu gar 
keinem selbständigen Leben kommen konnte, auch in zwei 
Teile geteilt war, in die Moldau und Wallachei". — Und 
des weiteren wird berichtet, daß Sturdza die heißeste 
Vaterlandsliebe in seinem Herzen nährte, „und die Hoff- 
nung, sein Land in die Höhe zu bringen, und etwas aus 
demselben zu machen, von dem die damalige Welt noch 
keine Ahnung hatte. Ich hörte zu und hörte zu und grü- 
belte". — Als eine Reihe von Jahren später die junge 
Fürstin Elisabeth als Gemahlin des Fürsten Karl bei ihrer 
feierlichen Ankunft in Bukarest den Eisenbahnzug verließ, 
da begrüßte sie als erster Demeter Sturdza, der frühere 
Student von Bonn und später oftmalige Premier-Minister I 
— Der junge fremde Student hatte bei der jungen Prin- 
zessin das Interesse für sein fernes Heimatland erweckt, 
in den Erinnerungen heißt es: „Ich wurde auf das ge- 
naueste mit der englischen Geschichte vertraut gemacht, 
weil der alte Baron Stockmar wohl im Hintergrunde den 
Plan hatte, mich nach England zu bringen, so wie später 
die Großfürstin Helene mich gern in Rußland verankert 
hätte, aber der liebe Gott hatte anders über mich verfügt, 
und hatte ganz andere Arbeit für mich aufgehoben. Ich 
finde in meinen Notizen, als halbes Kind, die ersten Worte 
über Rumänien, über die Erwählung des Fürsten Kusa 
und die Revolution. Natürlich hörte ich nicht auf, mich 
für Rumänien zu interessieren, weil ich ja Sturdza gekannt 
hatte, und eine der französischen Lehrerinnen, die meine 
Eltern stets für die französische Sprache kommen ließen, 
früher in der Moldau Erzieherin gewesen; die erzählte 
mir sehr viel davon." 

Und auch der Bonner Zeit gedenkt liebevoll in ihrem 
„Penaten winkel" die königliche Dichterin: „Ich denke 
sehr gern an die Bonner Zeit zurück, sie war reich für 
jung und alt, für Kranke und Gesunde, sie enthielt sehr 




155 



viel. Und ich habe so viele gekannt, die im späteren Leben 
eine politische Rolle gespielt haben, und die damals noch 
Studenten waren. Die , Vinea Domini* ist auch diesen jungen 
Leuten im Gedächtnis geblieben, man war so jung und so 
harmlos und heiter, und dabei so geistig angeregt und wiß- 
begierig und voller großer Ideen für die Zukunft, voller 
großer Pläne der Aufopferung für sein Land und für seine 
Ideen I Man war jung! 

Da wurde manche singende Rheinfahrt im Nachen 
unternommen, und durch manch tiefsinniges Gespräch der 
Liederreigen unterbrochen. Ich hörte andächtig zu und 
sog viele Gedanken ein für später. — Meine Mutter hatte 
ein Talent, Menschen sprechen zu machen, und ihre tiefsten 
Gedanken hervorzulocken. Sie war schön und krank und 
geistreich und heiter, und war dabei so furchtbar schwer 
geprüft. Das wußte man, obgleich sie nie davon sprach. 
Aber natürlich war ihre Reife sehr groß durch all das 
schwere Leid. Einmal hatte sich unser alter Arzt auf 
ihren Bettrand gesetzt und sie in die Arme genommen, 
weil sie so verzweifelt schluchzte, und sagte nur : „Weinen 
Sie, Weinen Sie! Sie haben Grund zu weinen !" — Von 
dem allen sah man aber nichts, sondern nur ihr leuchtendes 
Lächeln, und vernahm den tiefen Klang ihrer Stimme, 
wie immer die Stimme Leidgeprüfter wird, tief und voll, 
aber sie war diejenige, die immer den Ton der Heiterkeit 
und der Lebensfreude anschlug. Es sollte niemand ihret- 
halben traurig sein, wenn sie auch die ganze Nacht in 
wahnsinnigen Schmerzen und den halben Tag in Krämpfen 
gelegen hatte. Nichts sah man von dem allen/' — Und 
an einer andern Stelle kommt die Königin auf ihre Er- 
ziehung durch die Eltern zu sprechen: „Das Große, was 
ich lernte, das war, daß der Körper nebensächlich ist und 
keine Rolle zu spielen hat im Geistesleben. Ich sah meine 
beiden Eltern ihre schwächlichen Körper mit eiserner 
Willenskraft überwinden, und mit immer gleicher Energie 




156 



arbeiten, ob gesund oder krank, ganz einerlei. Die Arbeit 
mußte getan werden, und wenn ich über irgend ein Unbe- 
hagen klagte, so wurde es weiter nicht beachtet, meine 
Mutter sagte dann : „Das hat jedermann I" Und so lernte 
auch ich, auf den Körper nicht acht geben und ihn be- 
zwingen. Ich denke, man kann Kindern keinen größeren 
Dienst leisten ! Denn man weiß nicht, ob sie dazu bestimmt 
sind, gesund oder leidend zu sein, ich war, als Frau, die 
Hälfte meines Lebens leidend, aber, aus der Schule kom- 
mend, blieb das Leiden unbeachtet, und ich tat meine 
Pflicht, ohne jemals meine Gesundheit als ein Hindernis 
in den Vordergrund zu schieben. Ich hatte immer ge- 
sehen, daß der Körper nicht zählt, daß er eine Nebensache 
ist und überwunden werden muß, bis zu dem seligen Augen- 
blick, wo wir das elende Gehäuse, das die Seele eine 
Zeitlang bewohnt, verlassen und abschütteln dürfen. Das 
ist eine der schweren, irdischen Prüfungen, daß der Körper 
so ungenügend ist und so oft ein schweres Hindernis, aber 
man hat die größten Geister mit einem schwächlichen 
Körper fertig werden sehen. Ich lernte früh, die Kraft 
nicht in den Muskeln suchen, sondern im! eisernen Willen ! 
Nicht im Heben- und Laufenkönnen, sondern im Arbeiten 
und Leisten trotz schwächlicher Instrumente 1" 

Man kann sich denken, welch gewichtigen Einfluß 
diese Eltern und der von ihnen sorgsam gepflegte Verkehr 
geistig hochstehender Menschen auf die Prinzessin aus- 
übte, die mit rührender Hingebung trotz ihrer zarten 
Jugend die Mutter und den Bruder pflegte, dem sie später 
ein unvergängliches Denkmal treuester Schwesternliebe 
in ihren Aufzeichnungen: „Es ist vollbracht! Das Leben 
meines Bruders, des Prinzen Nicolas Otto zu Wied" ge- 
setzt; während sie damals selbst krank war und nicht mehr 
hoffte, je die Ihren wiederzusehen, schrieb sie jene Ge- 
denkblätter mit warmem Herzblut und tiefer dichterischer 
Kraft. So hatte sie früh als Kind schon des Lebens dunkle 




157 



Seiten kennen gelernt und die düstere Tragik des Todes, 
als der geliebte Bruder endlich die Augen schloß nach 
elfjähriger, hundertfachem Tode gleichender Krankheit. 
Neben trefflichen Lehrern widmete sich auch der Fürst 
der Erziehung seiner Tochter, sie mit den Werken der 
Klassiker vertraut machend, und großen Einfluß ge- 
winnend auf ihren lebhaften, allem Phantastischen zu- 
neigenden Geist. Der Ernst, der infolge der vielen Krank- 
heiten, denen auch ihr Vater unterworfen war, imjHause 



Prinzessin Elisabeth im Alter von 5 Jahren mit ihrem Bruder Wilhelm. 

herrschte, konnte jedoch der Prinzessin frohe Lust am 
Fabulieren nicht eindämmen, und aus ihrem' 15. und 16. 
Jahre stammen Gedichte von großer Reife des Inhalts 
und form vollem Ausdruck. Schwärmerisch der Musik er- 
geben, spendete sie durch vollendete Ausübung derselben 
den Angehörigen häufig tröstende Unterhaltung, aber am 
liebsten streifte sie doch durch den Wald, viele Stunden 
lang: „Waldröschen nannten mich meine Freundinnen, 
und ich wollte nichts anderes sein! Ich wäre gern, ach 
wie gern, ein Künstler gewesen, Musiker oder Maler, aber 
ich dachte, mir fehlte das Talent, und ich ahnte nicht, 





158 



daß ich bereits ein Dichter sei. Denn ich schrieb heimlich 
und dachte, das tue jedermann, das sei gar keine Kunst, 
da es natürlich sei, ich hatte auch keine Ahnung von 
Prosodie oder Regeln, oder so etwas. Kleinpauls Poetik 
lernte ich erst mit dreißig Jahren in Bukarest durch eine 
ganz besondere Veranlassung kennen. Damals sang 
ich, wie der Vogel singt, im vollen Sinne des Wortes, 
denn jedes meiner Gedichte sang ich mir vor, den 
ganzen Tag sang ich, und konnte garnicht stille seinl 
— Ich war nicht, was man ehrgeizig nennt, wenigstens 
ging mein Ehrgeiz nicht nach äußerm Glanz oder was man 
so nennt I Denn äußerer Glanz ist mir immer hohl er- 
schienen, nach der Waldpracht und der Größe der herr- 
lichen Natur 1 Eine Säule in einem Saal konnte doch nur 
winzig sein, da ich an die Buchen gewöhnt war, ein Men- 
schengewühl klein und lächerlich nach dem Windesrauschen 
und dem Sturmeskrachen im Walde 1 Alles war klein und 
nichtig in meinen Augen, was nicht gerade große, freie 
Natur war/* 

Um der Tochter einige Abwechslung zu gewähren, 
sandten sie die Eltern im Frühling 1861 nach Berlin an den 
preußischen Hof, wo sie mehrere Monate verweilte und 
liebevolle Aufnahme in der königlichen Familie fand, dort, 
wie schon erzählt, den späteren Gemahl kennen lernend, mit 
dessen Schwester Marie, der jetzigen Gräfin von Flandern, 
sie gemeinsamen Unterricht hatte und mit der sie enge 
Freundschaft schloß. Aber ungeachtet der Zerstreuungen 
und Vergnügungen empfand sie bald das tiefste Heimweh 
nach dem flüsternden Rhein, dem rauschenden Wald, 
nach der Zärtlichkeit der Mutter und der Aussprache 
mit dem Vater, nach dem einsamen Krankenzimmer, 
in dem sie so gern geweilt, und als sie zurückkehrte, da 
hieß es nicht nur den Bruder treulich pflegen, sondern 
auch den Vater, der von einem L,ungenleiden heimgesucht 
worden war. Aber gerad der Vater wünschte dem ge- 




159 



liebten Kinde auch gesellige Freuden zu bereiten, sie 1863 
nach Karlsruhe geleitend, wo sie am dortigen großherzog- 
lichen Hof ihren ersten Ball mitmachte, mehr wohl dem 
Vater zuliebe, der mit strahlenden Augen sein Töchterchen 
verfolgte, das, in einer rosa mit Silber übersäten Toilette, 
aller Blicke auf sich zog. Im Herbst des gleichen Jahres 
begleitete die Prinzessin ihre Tante, die Großfürstin Helene 
von Rußland, eine geistig hochstehende, gern fesselnde 
Gesellschaft um sich versammelnde Frau, nach dem 



Genfer See, und von dort nach St. Petersburg, wo die 
Prinzessin von schwerem Typhus befallen wurde. Als 
sie zum ersten Male das Bett wieder verließ, brachte man 
ihr schonend die Nachricht vom Tode des teuren Vaters 
bei. Nur noch inniger schloß sie sich, wenn dies überhaupt 
möglich gewesen, an die Mutter an, und immer mehr wurde 
ihr die Poesie eine vertraute Beraterin auf allen Lebens- 
wegen. Allmählich brach auch ihre Jugendfrische wieder 
freudig durch, und sie selbst verteidigte in klangvollen 
Versen ihr lebhaftes Temperament: 




Prinz Otto von Wied. 




160 



„Ich kann nicht kälter sein, 
Ich bin vom Rhein — 

Vulkanschem Boden wie Basalt entsprungen, 

Nur wenn ich felsenkletternd Bergluft greife, 

Durch Waldesdämmerung streich' auf starken Schuhen, 

In hörbar großer Stille schauend schweife, 

Dann kann in Moosesduft ich ruhen, ruhen." 

Ihre Tante, die Großfürstin Helene, nahm Prinzessin 
Elisabeth 1867 mit nach Paris, wo sie den kaiserlichen 
Hof und die Ausstellung kennen lernte, und an diesen 
Aufenthalt schloß sich eine mit der Mutter unternommene 
Reise nach Schweden, die gleichfalls reich an fesselnden 
Eindrücken war. Dann wieder kamen die ruhigen Zeiten 
in Neuwied und Monrepos voll reicher Einkehr und innerer 
Befriedigung: „Die Winterabende im Walde, wenn die 
stille Lampe brannte, und unsere Finger eifrig schöne 
Arbeiten machten I Dann sprachen und lasen wir ohne 
Ende, es war köstlich und ein Stillewerden für mich nach 
all den Stürmen und all den reichen Eindrücken, die ich 
auf den vielen Reisen gesammelt. Es war eine Einkehr, 
ein Ordnen der Gedanken, ein Klarwerden über sich selbst 
und die Weltl Herrlich! Abends spann meine Mutter, 
und ich machte, was man Occhi oder Frivolität nannte, 
große Erfindungen immer, wie ich es heute noch fortsetze, 
und zur Kirchenspitze entwickelt habe. Dann wurde ab- 
wechselnd gelesen oder erzählt oder gesprochen, und die 
Abende flogen nur so dahin. Der Wald stand in feierlicher 
Stille da, uns störte kein Laut, wir konnten uns in hohe 
und tiefe Gedanken versenken. Oft hatte ich mehrere 
Stunden allein im Walde zugebracht, als einzige Begleiter 
meine Bernhardinerhunde, meine treuen Beschützer, dann 
war ich ohne Weg und Steg durch den Wald gerast, und 
wenn ich zurückkam, schrieb ich manches Lied, das mir 
die Stämme zugerauscht. Meine Freunde nannten mich 
Wald — oder Wildröschen! Denn meine Backen waren 
immer wie die Rosen, die sind nie blaß geworden, obgleich 




161 



ich im Krankenzimmer und an Sterbebetten groß geworden 

bin. Ja, meine Jugend war sehr poetisch und reich 

und schön, dazu half die wundervolle Natur, der Rhein, 
der Wald, die gesangreichen Menschen unserer Gegend, 
alles 1 Ich finde, das glücklichste Los auf dieser Erde ist 
das der Mediatisierten. Sie sind wie kleine Könige, haben 
keine Regierungssorgen, alle Freiheit wie Privatleute, 
und doch wie ein richtiger Landesvater mit allem Freud 
und Leid der ganzen Gegend vertraut. II n'a que la peine 
de naitre, um geliebt zu sein, Vermögen genug, um leben 
zu können, ohne zu große Sorgen und doch nicht reich, 
um den Neid der andern !zu erwecken. Einen Landsitz, 
der alt und ehrwürdig ist und ein Stück Geschichte enthält, 
oft eine schöne Bibliothek oder Galerie, oder Ausgrabungen 
in solch einem alten Schlosse. Viele geistige Interessen, 
und Freiheit, wie kein anderer Mensch auf der Welt. Ich 
kann vergleichen, denn ich kenne bürgerliche Verhältnisse 
und den Thron I Die Mediatisierten haben es am besten 
auf der Erde, als Kunstmäcene, als Hausherren mit aus- 
gewählten Gästen, als Nachkommen geistiger Erbschaften 
und Vorzüge, als Freunde von Künstlern und Gelehrten, 
als wirkliche „Freiherren* ' auf schönen, waldreichen 
Gütern." 

Vorbei war's aber mit dem Sinnen und Träumen in 
der Waldabgeschlossenheit, als der Herbst 1869 die Ent- 
scheidung über die Zukunft der Prinzessin Elisabeth ge- 
bracht. Nach dem ersten Schwanken — denn sie hatte 
überhaupt nicht heiraten wollen und ein Thron hatte sie 
nie gelockt — gab's für sie kein Zögern mehr, sah sie doch 
in dem Fürsten Karl all ihre geheim genährten. Wünsche 
erfüllt, wollte und konnte sie doch nur einem Manne an- 
gehören, zu dem sie emporblickte und welcher den 
selbst errungenen Platz arbeitsam, pflichttreu und ziel- 
bewußt ausfüllte! Das ging auch aus dem ersten Briefe 
hervor, den sie als Verlobte an den Fürsten Karl Anton 

Lindenberg, König Karl. \\ 




162 



von Hohenzollern richtete, ihn herzlich bittend, sie freund- 
lich in den Kreis seiner Kinder aufzunehmen, damit sie 
den langentbehrten teuren Vaternamen nun von neuem 
liebend nennen dürfe: „Die Größe der Aufgabe, die ich 
erfüllen soll, hat keine Schrecken für mich an der Seite 
eines so starken und mutvollen Mannes. Ich verlange 
ja nur von ihm geleitet zu werden, denn ich glaube fest, 
so wie er sagt, so ist es gut! Die Schwierigkeit unserer 
Lage und die Abgeschlossenheit, die sie mit sich führt, 
wird uns nur um so fester aneinander ketten, und der 
Friede unseres Hauses soll allen äußeren Stürmen einen 
starken Damm entgegensetzen!" 

Von Paris aus hatte Fürst Karl in einer Proklamation 
dem Ministerrat seine Verlobung mitgeteilt, als frohes 
Echo derselben langten alsbald in wärmstem Tone ge- 
haltene Glückwunschdepeschen an. Am 17. Oktober war 
der Fürst in Monrepos bei seiner Verlobten eingetroffen, 
dort am selben Tage, einem Sonntage, dem protestanti- 
schen Gottesdienste beiwohnend, bei welchem seine Braut 
die Orgel spielte. Aus der Kirche heimgekehrt, schrieb 
er ihr in ihr Tagebuch : „Liebe wird durch Liebe vergolten. 
Komme Deinem Volke mit derselben Liebe, demselben 
Vertrauen entgegen, womit Du mir entgegenkamst: dann 
wird nicht nur ein Herz in Treue für Dich schlagen, 
sondern Millionen Herzen werden sich mit dem einen 
vereinen ; ich aber werde mich glücklich preisen, denn 
Du gehörst nicht mir allein, — ein ganzes Volk bekommt 
ein Anrecht an Dich, ein ganzes Volk blickt mit Vertrauen 
und Zuversicht auf Dich und wird Dir Liebe durch Liebe 
vergelten I" — 

In innigsten Worten waren die telegraphischen Glück- 
wünsche König Wilhelms gehalten, der betonte, daß die 
Prinzessin alle Eigenschaften besitze, das Glück des Fürsten 
zu begründen und seine Zukunft mit Gottes Willen zu 
befestigen. Der Kronprinz telegraphierte aus Athen : „Ich 




163 



umarme Dich im Geiste, bekomme soeben die Nachricht 
Deiner Verlobung mit Elisabeth Wied; Gott möge Euch 
beide segnen/' und Heß dann einen auf das herzlichste 
gehaltenen Brief folgen, in welchem es hiejJ: „Du wirst 
Dir denken können, wie mein Herz beim Empfang der 
Nachricht gejubelt hat, denn eine lang gehegte stille Hoff- 
nung hat sich erfüllt, und meine Erwartung, daß Elisabeths 
Erscheinung ihren Eindruck auf Dich nicht verfehlen werde, 
ist eingetroffen. Möge Gott nun Euch in Eurer Ehe das 
Glück bescheiden, das Du in der meinigen oft genug zu 
beurteilen Gelegenheit gefunden hast; möget Ihr also reich- 
lich für all die Entsagungen entschädigt werden, die Eure 
Stellung in der neuen Heimat unvermeidlich mit sich bringt ! 
Jetzt aber umarme in meinem Namen Elisabeth, an die 
natürlich die obigen flüchtigen Zeilen gerade so wie an 
Dich gerichtet sind, und laß mich sie als Cousine aufs 
freundlichste in unserer Familie willkommen heißen. Sie 
kennt meine alte Anhänglichkeit an sie, ihre Mutter und 
ihren Bruder, so daß ich hier nicht erst viel Worte zu 
machen brauche. Wie gesagt, ich hatte mir schon längst 
gedacht, daß sie die richtige Frau für Dich und die rechte 
Landesmutter für den Staat wäre, der durch ein edles, 
hochherziges, aber auch tätig eingreifendes Fürstenpaar 
aus einer traurigen Vergangenheit zu lebensfähiger Tat- 
kraft emporgehoben werden soll — und sicherlich werden 



Nach kurzem Aufenthalt des Brautpaares auf der Wein- 
burg im Kreise der Hohenzollernschen Familie, und nach- 
dem Fürst Karl noch Sigmaringen sowie die neuerbaute 
Zollernburg und Düsseldorf besucht, fand am 15. November 
in Neuwied die Vermählung statt, welcher neben der 
Königin Augusta, — der König war leider durch dringende 
Arbeiten in Berlin zurückgehalten, — zahllose fürstliche 
Verwandte und Gäste, unter ihnen der Graf und die Gräfin 
von Flandern, dann die offiziellen Vertreter des russischen 



wird!" 



11* 




164 



und französischen Kaisers wie der rumänischen Regierung, 
beiwohnten. „Wo du hingehst, da gehe ich auch 
hin, wo du bleibst, da bleibe ich auch, dein Volk ist mein 
Volk und dein Gott ist mein Gott, wo du stirbst, da sterbe 
ich auch, da will ich auch begraben sein" — diese erhebenden 
Worte aus dem Buche Ruth hatte der den Trauungsakt 
vollziehende Geistliche zum Kern seiner Predigt gewählt. 
Die nächsten Tage verlebte das junge Paar im traulichen 
Schlößchen Monrepos, danach die Königin Augusta in 
Koblenz besuchend, wo der Geburtstag der Schwester des 
Fürsten, der Gräfin Marie von Flandern, festlich gefeiert 
wurde, und am 18. November folgte der Abschied von Neu- 
wied und vom Rhein. Die liederreiche holde Rhein tochter 
trat mit ihrem Gemahl die weite Reise in die neue Heimat an ! 

Wie einst, ging es wiederum über Wien und Pest nach 
Basiasch, wo der Donaudampfer „Kaiser Franz Josef" be- 
stiegen wurde, der auf das prächtigste mit Fahnen und 
Guirlanden geschmückt war, und einen nicht minder 
reichen Schmuck wies Turnu-Severin auf, die erste ru- 
mänische Stadt, an welcher der Dampfer anlegte. Über- 
all bunte Wimpel und Flaggen, ein großer Triumphbogen 
erhob sich am Ufer, an dem die dichte Menge des Fürsten 
und seiner jungen Gemahlin harrte, über die sich, als sie 
nun den rumänischen Boden betraten, ein wahrer Blumen- 
regen ergoß, in die stürmischen Hurrarufe sich die ehernen 
Grüße der Geschütze mischend. Auch der Ministerpräsident 
D. Ghika empfing hier das fürstliche Paar, es in die Kirche 
geleitend, in der ein Tedeum stattfand. Nach zweistün- 
digem Aufenthalt wurde die Fahrt fortgesetzt, alle rumä- 
nischen Ortschaften längs des Ufers waren reich geschmückt, 
und die Jubelrufe der Bevölkerung drangen zum Schiff 
hinüber, das am 24. November in Giurgiu anlangte, wo 
gleichfalls Alt und Jung, Arm und Reich in hellen Scharen 
versammelt waren und sich in der Herzlichkeit des Emp- 
fanges zu überbieten trachteten. 




165 



Fürstin Elisabeth war tief ergriffen von all dem Neuen 
und Fremdartigen; wie sie es später geschildert, konnten 
sich ihre Augen nicht satt sehen an dem Farbenreichtum 
unter diesem orientalischen Himmel, der während des 
Tages ein tiefes Türkisblau zeigte und sich abends beim 
Untergang der glühenden Sonne in ein funkelndes Gelb 
voll Goldschimmers hüllte : „In dem reinen Licht dieser 
Novembertage hoben sich von den noch frisch grünenden 
Feldern, dem unermüdlich Reichtum spendenden Erd- 
boden, und von dem dicken weißen Staub der breiten, 



von den Wagengeleisen gefurchten Straße die Kostüme 
der zu meinem Empfange in Gruppen zusammenstehenden 
Landleute in lebhaften Farbentönen ab: Hemden von 
blendender Weiße, reich mit rot, schwarz oder Gold ge- 
stickt, wehende Schleier aus weißem, elfenbeinfarbenem 
oder schwefelgelbem Leinengewebe; hell- oder dunkelrote 
Röcke. Man sah Männer auf ihren kleinen, mageren 
Rennern im Galopp herbeieilen, ihre Mäntel aus Ziegen- 
fell flatterten über den Rücken ihrer Tiere gleichsam wie 
deren Mähne. Ein gestickter Latz bedeckte ihre Brust, 




Rumänischer Brautumzug. 




166 



einer buntfarbigen Tätowierung gleich über dem drei Hand 
breiten, ein ganzes Arsenal von Pistolen und Messern ent- 
haltenden 
Gürtel. Das 
ebenfalls ge- 
stickte 
Hemd fiel 
auf weiße 

Filzhosen 
herab. Und 
ihr Haupt 
warmiteiner 
großen wie 
weißes Pelz- 
werk ausse- 
henden 
Mütze ge- 
schmückt, 
- • jEt,-.w*r'. unter wei- 

cherschwar- 
ze Haarlocken wie Rabengefider sich bis auf die Schul- 
tern ringelten. Als ich mich diesen malersichen Gruppen 
näherte, gewahrte ich prächtige Ge- 
stalten mit Köpfen von eigenartiger 
Schönheit, deren Ernst nur selten 
einem feinen, perlengleiche Zähne ent- 
hüllenden Lächeln wich. Und alle 
diese ganz neuen Gesichter, all diese 
Adlernasen mit den feinen vibrie- 
renden Nasenflügeln, strahlenden, tief 
in den Höhlen liegenden und von dich- 
ten, geraden Brauen überschatteten 
Augen, dieser goldfarbene Teint, diese 
sonore, zuweilen rauhe und fast in 
Kehllauten sich bewegende Sprache, 





Digitized by 



Google 



167 



die so weich und beredt aus dem Munde der Männer, 
der Frauen und der klaräugigen Kinder erklang, erweckte 
in uns Bewohnern des kalten nordischen Abendlandes 
das unbekannte Gefühl des Ungestümen, Leidenschaft- 
lichen. — Und dann bewunderte ich, wie das schöne Haupt 
meines jungen Gemahls mit dem südlichen Gepräge in so 
vollkommener Harmonie stand zu diesen Männern und 
diesem Lande, das er ganz allein sich erobert hatte. — 




Rumänische Weinlese. 



Dies also war mein neues Vaterland, das nur die Uner- 
meßlichkeit seiner melancholischen Ebenen und die Ufer 

seines breiten Stromes mir zeigende Rumänien!' 

Auf der wenige Wochen zuvor eröffneten Eisenbahn- 
strecke wurde von Giurgiu aus nach eineinhalbstün- 
diger Fahrt Bukarest erreicht, wo die dröhnende Sprache der 
Kanonen der Bevölkerung der Hauptstadt die Ankunft des 
fürstlichen Paares mitteilte. Unter dem Donner der Ge- 
schütze und dem Geläut aller Kirchenglocken erfolgtcvon 
dem hochgelegenen Filareter Bahnhof aus die Einfahrt in 



Digitized by 



168 



die sonnenüberflutete, reich geschmückte Stadt, die sich 
der jungen Fürstin in ihrem malerischsten Bilde zeigte. 
Langsam nur kam der Wagen vorwärts, die begeisterte 
Menge durchbrach das Spalier der Soldaten und umdrängte 
das Gefährt, es mit Blumen überschüttend. An das Tedeum 
in der Metropolie schloß sich die Begrüßung seitens des 
Bürgermeisters in einem neben der Kirche errichteten 
prankvollen Zelt, in welchem das fürstliche Paar unter 
einem Thronhimmel Platz genommen. In seiner Erwide- 
rung betonte der Fürst, wie glücklich er sei, aus den Worten 
des Bürgermeisters und aus dem überall bereiteten freudi- 
gen Empfang zu ersehen, daß die L,iebe zur Dynastie 
bereits Wurzeln geschlagen im rumänischen Volk, und wie 
sehr er hoffe, daß die Gefühle, deren man ihn heute von 
allen Seiten versicherte, sich auch auf seine hohe Gefährtin 
übertragen möchten, die ihm mutig gefolgt sei, um sich 
gleichfalls der großen Aufgabe zu weihen, mit der das ru- 
mänische Volk ihn betraut habe. 

Nachdem noch fünfzig Brautpaare, Bauernsöhne und 
Töchter aus allen Teilen des Landes, die am gleichen 
Tage zur Feier der fürstlichen Vermählung auf Kosten des 
Staates getraut und beschenkt wurden, vor dem Fürsten 
und seiner Gemahlin vorüber gezogen, begab sich der 
von Dorobanzen geleitete fürstliche Zug nach dem Palais, 
wo der Fürst seine holde Gemahlin in ihr neues Heim 
führte. Die Fürstin berichtete später darüber: „Hier ist 
das Schloß," sagte mir der Fürst — „Wo?" fragte ich. — 
„Aber wir treten eben ein!" entgegnete er lächelnd, — 
Nun begriff ich, daß es der Souverän ist, der den Palast 
repräsentiert, wie ein Stein auf dem Felde zum Altar 

werden kann. Dieses Bukarester Schloß war ein in 

aller Eile hergerichtetes, altes Bojarenhaus. Der junge 
Souverän hatte keine Zeit gehabt, an seine bequeme Aus- 
stattung zu denken; denn er verbrachte seine Nächte da- 
mit, die während der Tage sich häufende Arbeit zu sichten 




169 



und vorzubereiten — und ich fand auf seinem Schreibtisch 
an diesem Tage der Ankunft den ersten Entwurf zum 
Brückenbau über die Donau, welche man nach zwanzig- 
jahrelangem, geduldigem Ausharren in Angriff nahm." — 
In seiner Gemahlin hatte Fürst Karl die richtige 
Lebensgefährtin gefunden; ihre Ansichten und Neigungen 
begegneten und ergänzten sich, das tief empfindende, da- 
bei leichtbewegte, phantasievolle Rheinlandskind brachte 
Sonne und Farbe in das bis dahin stille, arbeitserfüllte 
und an Freuden wenig reiche Dasein des Fürsten, dessen 
ernstes, ruhiges, nachdenkliches Wesen sich nun der treuen 
Gefährtin erschließen konnte, die vom ersten Augenblick 
an Land und Leute lieb gewonnen und deren empfäng- 
liches, poetisches Gemüt sogleich erfüllt ward von all 
dem Neuen, das sie umgab, die aber dabei stets ihres 
Gelöbnisses gedachte, welches sie dem Vater ihres Ge-. 
mahls gegeben : „Der Friede unseres Hauses soll allen 
äußeren Stürmen einen starken Damm entgegensetzen ! " 





VII. 



Die Jahre der Prüfung. 



Das f firstliehe Paar. — Häusliches Glück. — Die Eisenbahnsorgen. — Innere Opposition 
and äußere Intriguen. — Trübe Standen. — Die Aufrollung der spanischen Thronfrage. 
— Rumänien und Frankreich. — Der Ausbruch des deutseh-framösisehen Krieges. — 
Rumänische Hetzereien. — Die Geburt der Prinzessin Marie. — Rücktrittsgedanken des 
Fürsten Karl. — Der 22. März 1871 in Bukarest — Fürst Karl will abdanken. — 
Pflichttreue und Vaterlandsliebe des Fürsten. — Das neue Ministerium. 



In dem schlichten Fürstenpalais zu Bukarest begann 
mit dem Einzug der jungen Fürstin Elisabeth ein neues 
Leben, das seinen sonnigen Schein auch in die ernste und 
verantwortungsvolle Tätigkeit des Fürsten Karl warf. Nicht 
mehr allein, nicht nur in seinen Gedanken und Plänen 
auf sich angewiesen, fand er in seiner Lebensgefährtin 
neben der liebenden Gattin auch die treue Freundin, die 
mit reichem Verständnis und sorgender Hingebung auf 
alles einging, was ihn, seine Regierung und das Land 
betraf. Zunächst suchte sich die Fürstin mit den Sitten 
und Gebräuchen ihrer neuen Heimat vertraut zu machen, 
war ihr doch alles fremd; aber all dies Fremde erschien 
ihrem empfänglichen Geist und» ihrer poetischen Ge- 
staltungskraft interessant. Freilich mögen damals auch 
bittere Erfahrungen nicht ausgeblieben sein, ehe sie sich 
völlig einleben und manche Gegensätze verstehen konnte, 
erzählte sie doch später selbst, daß viele stolze, ver- 
schwiegene Tränen in jenen Tagen heimlich auf ihr Kopf- 
kissen geflossen, zumal sie kurz nach ihrem Einzug in die 
Hauptstadt von den Masern befallen wurde und sich nun 





Digitized by 



172 



doppelt vereinsamt vorkam, da ja die Zeit des teuren 
Gatten durch die Erledigung der Regierungsgeschäfte voll- 
auf in Anspruch genommen war. Ihr elastischer Körper 
überwand jedoch schnell die Krankheit, und nun widmete 
sie sich mit frohem Eifer den vielen Pflichten, die ihre 
Stellung ihr auferlegte. 

Immer wieder erfreute sie sich an dem bunten Volks- 
leben und an den zahllosen malerischen Szenen, die sich 
ihr Schritt für Schritt darboten. Sie selbst berichtet in 
einer später erschienenen Schilderung Bukarests davon 
fesselnd, daß ihre ersten Ausgänge eine fortgesetzte 
Reihe von Überraschungen bedeuteten: „Die Stadt enthielt 
pittoreske Straßen, wo alle Türen mit buntfarbigen Stoffen, 
altem Eisenwerk, grüner und brauner Töpferware förmlich 
verrammelt waren. Andere Stadtteile waren ein buntes 
Gemisch von winzigen, unter Bäumen verborgenen Puppen- 
häuschen, beschattet von den armen, alljährlich ihrer Zweige 
beraubten Weiden oder den graziösen, im Frühling die 
ganze Stadt mit Wohlgeruch erfüllenden Akazien. Auf 
der Straße standen offene Bäckerbuden, Schuster- und 
Schmiedewerkstätten; da gab es unzählige Schenken, in 
denen man Pflaumenbranntwein, Tzuica geheißen, ver- 
kaufte, dunkle Nischen, von deren sehr düsterem Hinter- 
grund sich Gestalten von Straßenräubern mit sanftem 
Blick und traurigem Lächeln abhoben. Je mehr man sich 
dem Dimbowitza benannten Flusse näherte, desto dichter 
standen die Häuschen beisammen : mit ihren vorspringenden 
Balkons, ihren durchbrochenen, von ausgeschnittenen Klee- 
blattkreuzen gekrönten Säulchen gewährten sie ein fast 
maurisches Bild. Und dann bot die nun gefesselte, 
kanalisierte, von Brücken überspannte Dimbowitza, deren 
Ufer jetzt von Kais, Markthallen, Schlachthäusern, Schulen, 
Hospitälern, Kasernen, schönen Kirchen umsäumt werden, 
damals dem Auge so lebensvolle Szenen, daß sie Dichter 
und Maler in helle Begeisterung versetzen mußten. Man 




173 



badete sich förmlich in dem herrlichen Straßenkot, die 
Kinder patschten mit fröhlichem Geschrei darin herum, 
die kleinen, nackten Zigeuner wälzten sich darin, die 




Fürstin Elisabeth. 



Wasserträger trieben ihre Tiere hinein, während sie selbst 
bis über die Knie ins Wasser stiegen, um ihre Fässer zu 
füllen. Und in der tiefsten Tiefe des Schlammes sah man 
undeutliche Gestalten sich bewegen, graue, fast kahle 



Digitized by Google 



174 



Körper, wie ebenso viele Nilpferdrücken, zahlreiche Köpfe 
mit dicken, zum Nacken hingedrehten Hörnern und 
schwarze, in der Sonne leuchtende Mäuler: es waren 
Büffel." — Auch von dem „Moschi", dem großen Jahr- 
marktsfest, dessen wir schon gedacht, erzählt uns die 
Fürstin, die mit ihrem Gemahl gern den frohen Trubel 
aufsuchte: „Die Tram ways und Wagen sind zum Ersticken 
voll; alle Fenster sind mit geschmückten, oft recht hübschen 
Köpfen gefüllt; man bewegt sich in einem Labyrinth kleiner 
Krambuden, wo Terrakottagefäße, Holzkrüge und Glas- 
ketten verkauft werden. Man sieht Wagen voll schöner 
Landmädchen und hübscher Kinder, reich mit Einkäufen 
beladen, abfahren. Und mitten in dem Lärm, der Ver- 
wirrung, dem Geschrei, der Farbenpracht, unter den Bären 
und Riesen, in dem dichtesten in Wolken auffliegenden 
Staub entwickelt sich plötzlich der Tanz „Calonchars". 
Dies ist ein alter rumänischer Tanz, der noch von den 
antiken Tänzen zu Ehren Saturns herstammt, „vor welchem 
die Hirten den ihm geraubten Jupiter zu verbergen suchten, 
um Saturn zu hindern, denselben wie seine anderen Kinder 
zu verschlingen". Die weißgekleideten Tänzer, mit Glöck- 
chen an den Beinen, mühen sich auf eine ganz barbarische 
Weise ab. Sie trainieren sich wochenlang vorher, um die 
Anstrengung solchen Tanzes von Ostern bis Pfingsten 
ertragen zu könenn. Sie haben einen den Reigen anfüh- 
renden Geiger, und einer von ihnen kommandiert, den 
Finger an den Mund legend, schweigend die anderen und 
bedroht sie mit dem Stocke, im Falle sie sprechen: Saturn 
darf nicht von ihnen erfahren, wo sein Sohn wiederzu- 
finden ist/' — 

Nachdem die Fürstin allmählich sich eingelebt, be- 
suchte sie häufig die Wohltätigkeitsanstalten der Stadt 
und trug für Verbesserungen und Ergänzungen Sorge; 
gern versammelte sie die Kinder um sich, sie bewirtend 
und ihre Spiele leitend. Auch zu wichtigen Staatshand- 




175 



lungen begleitete sie ihren Gemahl, so wenige Wochen 
nach ihrer Ankunft zu der Eröffnungssitzung der Kammer, 
in welcher der Fürst in klarer Darstellung eingehende 
Mitteilungen machte über die allgemeine Lage des Landes, 
das Verhältnis Rumäniens zu den fremden Staaten, die 
noch immer große Schwierigkeiten verursachende Finanz- 
lage, die neue, bereits gute Früchte zeigende Heeresorga- 
nisation, über das einer völligen Umwandlung unter- 
worfene Verkehrswesen und den bedeutenden Fortschritt 
aufweisenden Wegebau. Wie schon früher mitgeteilt, 
widmete der Fürst seine besondere Sorgfalt der Hebung 
des Unterrichtswesens, und es war ihm eine frohe Genug- 
tuung, mit seiner Gemahlin an der Einweihung der durch 
die vierte medizinische Fakultät vervollständigten Buka- 
rester Universität, die bereits von über 400 Studenten 
besucht ward, teilzunehmen. Nachdem der Rektor her- 
vorgehoben, man werde dereinst mit Recht sagen dürfen, 
daß unter Karl I. die rumänischen Schulen neu eröffnet 
wurden, betonte der Fürst in seiner Erwiderung, wie 
groß seine Genugtuung sei, daß seine Gemahlin gleich 
beim Beginn ihres rumänischen Lebens der Weihe eines 
der Wissenschaft geweihten Tempels beiwohnen könne; 
sie beide hofften, daß aus diesem Tempel ein strahlendes 
Licht ausgehen werde, um das ganze Land zu erleuchten; 
nur das Licht der Wissenschaft lasse die Aufgaben der 
Gegenwart erkennen und zeige, wie aus dieser die feste 
Grundlage für eine hellere, glücklichere Zukunft zu ge- 
winnen sei. Sei doch die Bedeutung eines Staates und 
Volkes allein nach der Höhe seiner geistigen Kultur zu 
ermessen und wachse die ganze Kraft eines Volkes mit 
seiner geistigen Entwicklung. In dieser Beziehung müsse 
noch viel in Rumänien getan werden, jetzt beginne eigent- 
lich erst die Aufgabe des Lehrkörpers, und er hoffe, daß die 
Lehrer an dieser Hochschule wirkliche Priester der Wissen- 
schaft sein werden, um die Seelen der jungen Generation 




176 



mit Glaubensfeuer für das Ideale zu erfüllen; was er und 
die Fürstin hierzu beitragen könnten, würde mit freudigem 
Herzen geschehen; er wolle die durch den Volkswillen ihm 
übertragene Macht zur Verbreitung der Bildung brauchen 
und sie allein auf das Licht dieser Bildung stützen. — 

Der Winter brachte diesmal mehr Festlichkeiten wie 
sonst, und mit anmutiger Würde wußte die Fürstin Elisa- 
beth zu repräsentieren, durch ihre offene Liebenswürdigkeit 
sich schnell die Herzen gewinnend. Fürst Karl fand das 
vollste Glück in seiner Häuslichkeit, seiner Gemahlin alles 
Unangenehme fernhaltend und ihr so wenig wie möglich 
von den Schwierigkeiten der inneren politischen Lage 
mitteilend, an denen es nicht fehlte. Vor allem bereitete 
dem Fürsten die Eisenbahnfrage schwere und stets 
wachsende Sorgen. War seltsamerweise das Eisenbahn- 
unternehmen an sich schon nicht volkstümlich im Lande 
und wurde von der Opposition in schlimmster Weise aus- 
gebeutet, um gegen den Fürsten zu schüren, so fehlte es 
andererseits bei der Durchführung nicht an unangenehmen 
Begleiterscheinungen. Die Beamten Strousbergs, dem man 
bekanntlich den Bau der verschiedenen Linien übertragen, 
benahmen sich oft ungeschickt und überhebend, und die 
in Berlin befindliche Verwaltung erweckte in vielen Kreisen 
Mißstimmung und Befremden. Man hatte Strousberg als 
Regierungskommissar den Geheimrat Ambronn, der lange 
Jahre in den Diensten des Fürsten von Hohenzollern ge- 
standen, zur Seite gestellt und ihm die Kontrolle über die 
Emission der Obligationen übertragen; auch das wurde 
scharf kritisiert und gefordert, daß mit dieser Aufgabe 
nicht ein preußischer Beamter, sondern ein rumänischer 
betraut werden müßte. Nicht nur in der Kammer, selbst 
im Ministerrat kam es zu vielfachen und lebhaften Er- 
örterungen. Die Minister verlangten die Dienstenthebung 
jenes Regierungskommissars, aber der Fürst widersprach 
dem, betonend, daß durch diese Maßregel das ganze 




177 



Bahnunternehmen geschädigt würde, weil dann die Ge- 
rüchte über den schlechten Stand desselben neue Nahrung 
erhielten, und er erklärte hierbei, daß, da ihn nun einmal 
das ganze Land für den Eisenbahnbau verantwortlich 
mache, er diese Verantwortung auf sich nehme, sei er 
doch überzeugt, man würde -ihn einst segnen, weil er 
darauf bestanden, daß Rumänien ein ausgedehntes Eisen- 
bahnnetz und zugleich den Anschluß an die ganze Welt 
des Westens dadurch erhalten — eine Erklärung, die, 
falsch ausgelegt, ihm der trüben Stunden viele bringen sollte. 

So verliefen die ersten Monate des Jahres 1870 in 
politisch recht drückender Weise; die Opposition ließ 
nichts unversucht, das Eisenbahnunternehmen gegen den 
Fürsten auszubeuten und systematisch alles, was deutsch 
war, zu verdächtigen, auch herrschte Uneinigkeit im 
Ministerium und trat mehrfacher Wechsel der verantwort- 
lichen Staatsbeamten ein. Schroff standen sich die ein- 
zelnen Parteien gegenüber, durch ihre unfruchtbaren 
Streitigkeiten Unordnung in die verschiedensten Verwal- 
tungszweige tragend: die persönlichen Interessen überwogen 
das Interesse für den Staat. Von den verschiedensten 
Seiten wurde jede Veranlassung herbeigezogen und aus- 
genutzt, dem Fürsten Unannehmlichkeiten zu bereiten. Es 
fehlte nicht an antidynastischen Strömungen, die sich 
auch darin zeigten, daß man den verjagten Fürsten Kusa 
zum Deputierten wählte. Die Sprache der oppositionellen 
Blätter wurde stets gehässiger und leidenschaftlicher; 
wiederholt bat die Regierung den Fürsten, ihr die Geneh- 
migung zur gerichtlichen Verfolgung zu geben, aber der 
Fürst verweigerte sie immer wieder, da er allen Preß- 
prozessen abgeneigt war. Dazu gesellten sich noch pan- 
slawistische Intriguen, die sich gleichfalls gegen den Fürsten 
und damit gegen die Festigung normaler Verhältnisse 
richteten. Wohl erklärlich war es da, daß es nicht an 
Augenblicken fehlte, in denen Fürst Karl recht mutlos in 

Lindenberg, König Karl. 12 




179 



die Zukunft sah und sich befragte, ob sein Verbleiben noch 
länger möglich wäre, da alles, was er aus treuester Pflicht- 
erfüllung tat, gehässigen Beurteilungen und schlimmsten 
Verleumdungen seiner Person und seines Wirkens ausgesetzt 
war. Von wohlmeinender Seite wurde ihm wiederholt nahe- 
gelegt, eine Änderung der gar zu demokratischen Ver- 
fassung herbeizuführen, aber stets wies er dies auf das 
energischste zurück, er wollte seinem Schwur treu bleiben, 
den er auf die Verfassung abgelegt. Auch die Schutz- 
mächte taten nichts, die Stellung des Fürsten zu kräftigen, 
der vergeblich von ihnen die Aufhebung der Konsular- 
gerichtsbarkeit und die Errichtung offizieller Vertretungen 
Rumäniens an den Höfen verlangt hatte, ebenso wie man 
ihm das Recht verweigerte, Handelsverträge abzuschließen, 
überhaupt sich einzumischen trachtete, wenn die Regierung 
selbständig vorgehen wollte, beispielsweise in der Münz- 
frage und selbst in dem rein formellen Zugeständnis des 
Namens „Rumänien". 

Zu all dem kam noch die Aufrollung der spanischen 
Thronfrage. Die Vertreter der spanischen Regierung 
hatten an ihrem Plan festgehalten, die Königskrone dem 
Erbprinzen Leopold zu übertragen, und nach langen 
Weigerungen hatte sich dieser zu ihrer Annahme bereit 
erklärt. In Paris vermutete man, daß Fürst Karl hierbei 
eine Rolle gespielt, und hielt deshalb nicht mit schweren 
Vorwürfen zurück, drohend, daß er die Sympathien des 
Kaisers, welcher der Wahl des Prinzen Leopold zum 
spanischen König schroff gegenüberstand, und jene des 
französischen Volkes verlieren würde, was selbstverständ- 
lich bei den engen Beziehungen Frankreichs zum Orient 
und zu Rumänien die Stellung des Fürsten auf das schlimmste 
erschüttert, wenn nicht völlig unmöglich gemacht hätte. 
Vergeblich suchte der Vertreter Rumäniens in Paris den 
Herzog von Gramont, der das Ministerium des Äußeren 
leitete, von der Unwahrheit dieses Gerüchts zu überzeugen, 



12* 




180 



bis er endlich in der Lage war, dies durch offizielle, ihm 
gern von preußischer Seite zur Verfügung gestellte Doku- 
mente nachzuweisen. 

Unterdessen nahmen die mit der Thronfrage zusammen- 
hängenden Ereignisse in Deutschland ihren schnellen 
Fortgang und führten zur Kriegserklärung. In Rumänien 
tat man mit leidenschaftlicher Absichtlichkeit alles, um 
Frankreich seine Freundschaft zu bezeigen, war doch 
schon, noch ehe der Bruch erfolgte, in der Kammer eine 
Interpellation eingebrächt worden, ob das Kabinett ent- 
schlossen sei, im Falle eines Konfliktes zwischen Frank- 
reich und Preußen seine Pflicht zu tun, und zwar die einzig 
politisch zu befolgende, die auf Rassensympathie beruhe, 
oder ob die Regierung sich von persönlichen und egoisti- 
schen Rücksichten und Interessen leiten lassen werde. 
Jetzt, wo der Krieg ausgebrochen'und man seine wuchtigen 
Einwirkungen auf den Orient befürchtete, verloren die 
hitzigen rumänischen Politiker völlig ihre Besinnung, mit 
einem Weltbrand und seinem tiefen Einfluß auf die orienta- 
lischen Verhältnisse sowie dem Siege Frankreichs rechnend, 
während der Fürst von Anfang an die Überzeugung hegte 
und sie seinen Ministern gegenüber äußerte, daß der Krieg 
lokalisiert bleiben und Deutschland siegreich hervorgehen 
werde, wörtlich bemerkend : „In zwei Monaten ist Napoleon 
besiegt und seine Macht gebrochen !" 

In der Kammer ging es stürmisch zu, man forderte 
das Ministerium auf, zu den Begebnissen im Westen 
Stellung zu nehmen, und einer der Minister rief in takt- 
loser Weise aus: „Wo FrankreichsjFahnen wehn, da sind 
unsre Interessen und Sympathien !" An öffentlichen 
Kundgebungen für Frankreich fehlte es nicht. Die Op- 
position verlangte die Mobilmachung des rumänischen 
Heeres in der sinnlosen Voraussetzung, daß vielleicht 
Rußland für Deutschland Partei ergreifen würde und 
Rumänien dann die Verpflichtung hätte, dagegen mit den 




181 



Waffen in der Hand aufzutreten. Auch in Paris teilte man 
diese Ansicht und verlangte die Unterzeichnung eines 
Vertrages für den Fall einer orientalischen Verwicklung > 
welche durch Rußlands Haltung herbeigeführt werden 
konnte. 

In dem Wirrwarr dieser erregten Meinungen, falschen 
Auffassungen und absichtlichen Entstellungen blieb Fürst 
Karl ruhig und gelassen, so sehr auch sein Inneres 
bewegt wurde durch die kriegerischen Vorgänge in der 
Heimat und durch die Sorge um seine und der Fürstin 
Brüder, Verwandten und Freunde^ die ins Feld gezogen. 
Sein Handeln war ihm vorgezeichnet, er hatte geschworen, 
Rumäne zu sein, und wollte dieser Verpflichtung jederzeit 
treu bleiben. Daß sein Herz leidenschaftlich bewegt für 
Preußen und seinen König schlug, konnte ihm keiner 
verwehren. Dies kam auch in seinem tiefgefühlten, an 
König Wilhelm gerichteten Brief zum Ausdruck, in welchem 
er hervorhob, wie sehr es ihn dränge, fern von der alten, 
teuren Heimat auf einem schwierigen Posten, wo jede 
Gefühlsäußerung untersagt sei, dem König zu versichern, 
daß er sich mit Herz und Gemüt den Getreuen anschließe, 
•denen es das Geschick vergönnte, ihrem teuren königlichen 
Führer auf ruhmvollem Pfade zu folgen; wenn er auch 
gezwungen sei, einem lateinischen Volke gegenüber, dessen 
Sympathien leicht zu den Stammverwandten hinneigen, 
sich strengste Zurückhaltung aufzuerlegen, so seien seine 
Gefühle stets da, wo das schwarz- weiße Banner wehe: 
„Gott stärke das tapfere Heer ! Gott stärke Eure Majestät, 
die es schon oft zu Ruhm und Ehre geführt hat!" 

Die einfältigsten Gerüchte über ungeheure französische 
Erfolge, unter anderm, daß Kaiser Wilhelm bald mit 20 000, 
bald mit 60 000 Mann seiner Truppen gefangen genommen, 
fanden in Bukarest willig Glauben und wurden immer 
wieder von den oppositionellen Blättern ausposaunt und 
zu hetzerischen Angriffen gegen den Fürsten benutzt. In 




182 



Plojeschti kam es sogar zu einem törichten Putsch, indem 
„Revolutionäre" eine Kaserne, in welcher sich nur wenige 
Rekruten befanden, in Besitz nahmen, den Fürsten für ab- 
gesetzt und General Golesku als Statthalter erklärten, 
während ein Deputierter, der sich zugleich als neuer Präfekt 
des Distriktes aufspielte, Befehle ergehen ließ zum Zu- 
sammenziehen von Truppen. Letztere jedoch erwiesen 
sich bei dieser Gelegenheit als treu und ebenso die 
Beamten des Telegraphenamtes, die der bewußte 
falsche Präfekt mit geladenem Revolver zwingen wollte, 
Depeschen über die Absetzung des Fürsten nach allen 
Weltteilen hin zu telegraphieren. Auch das Ministerium 
traf sofort alle Anordnungen zur Verhaftung der Schul- 
digen und zur Verhütung einer Wiederholung derartiger 
Vorgänge. 

In diese unruhvolle Zeit fiel für das fürstliche Paar 
der sonnigste Glücksschimmer durch die in Cotroceni am 
Morgen des 8. September erfolgte Geburt eines Töchter- 
chens, das in der in feierlichster Weise am 13. Oktober 1870 
stattgefundenen Taufe den Vornamen Marie erhielt. „Für 
eine glückliche Vorbedeutung sehe ich es an", schrieb 
der Fürst an König Wilhelm, „daß mein erstes Kind das 
laicht der Welt in dem Moment erblickt hat, wo sich das 
Hohenzollernbanner über einem einigen Deutschland ent- 
faltete, und es ist mein einziger Wunsch, daß dieses Kind 
sich seines Namens würdig zeige". Auch Fürstin Elisabeth 
ging völlig auf in ihrem Glück, war doch ihr und ihres 
Gemahls sehnlichster Wunsch erfüllt. Von ihrer gehobenen 
Stimmung liefert ein inniges kleines Üed, mit welchem 
sie ihren Gemahl am ersten Jahrestage der Hochzeit 
überraschte, Beweis: 



„In unseren stillen, heiligen Stunden 
Da wächst mir meine Kraft, 
Ein Glück, wie ich's noch nie empfunden, 
Hast Du in mir geschafft. 




183 



Ein Jubellied aus frohem Munde 
Schwingt sich zum Himmelszelt, 
Und trägt wie Iyerchensäng die Kunde: 
Wie schön ist doch die Welt!" 



Daß Fürst Karl in seiner Häuslichkeit das reinste und 
froheste Glück fand, war in diesen schweren Tagen und 
Wochen der einzige helle Schein. Immer dunkler wurden 
die Wolken, die sich über ihm und dem Lande auftürmten, 
und aufs neue beschäftigte ihn der Gedanke eines Rück- 
tritts, der noch ernsthafter genährt wurde dadurch, daß 
das Schwurgericht die Anführer von Plojeschti frei sprach, 
was seitens der oppositionellen Parteien und Blätter jubelnd 
als eine „patriotische Tat" begrüßt wurde. Ehe er jedoch 
seine Absicht auszuführen gedachte, wollte er zunächst die 
Schutzmächte von den Schwierigkeiten in Kenntnis setzen, 
die sich der Wiedergeburt Rumäniens in den Weg stellten, 
mit dem Wunsche, seinem Nachfolger in dem verhängnis- 
vollen Amt die Möglichkeit zu geben, dem Lande besser zu 
helfen, als es ihm vergönnt gewesen, der, durch die Kon- 
stitution überall behindert, nie recht persönlich einzugreifen 
vermochte, um die unklaren, vielfach unreifen inneren 
politischen Verhältnisse zu ändern. Das sah Fürst Karl 
ein, daß unter diesen Umständen nie Rumänien das von 
ihm erhoffte Ziel erreichen werde. Aber Land und Volk 
waren ihm doch so teuer geworden, daß er alles tun wollte, 
damit sein Rücktritt nicht von folgenschweren Verwick- 
lungen für den Staat begleitet sein würde. 

Voll ruhigen Gewissens durfte sich Fürst Karl das 
Zeugnis selbst ausstellen, daß er mit redlichstem Willen 
stets auf das redlichste gehandelt hatte, daß er nur an 
Rumäniens Wohl gedacht und immerdar bestrebt ge- 
wesen, dem Lande eine aussichtsvolle Zukunft zu bereiten. 
Und wie tief mußte er verletzt, wie tief verbittert worden 
sein, daß er, der Geduldige und Feste, nicht mehr auszu- 
harren gedachte auf dem Platz, den er sich selbst ange- 




184 



wiesen. Bei seinem Vater, dem er all seine Sorgen und Be- 
fürchtungen mitgeteilt, fand er das vollste Verständnis für 
die Schwierigkeiten seiner Lage undjdie Billigung seines Ent- 
schlusses: „Es ist Pflicht gegen dich selbst/' schrieb ihm 
dieser, „und vor allem gegen einen Namen, der mit Deutsch- 
lands Ruhm, Macht und Größe so eng verflöchten ist, daß 
man entweder einer Stellung entsagt, die man zu bemeistern 
und zu beherrschen nicht imstande ist, oder die Weiter- 
führung der Aufgabe an Bedingungen knüpft, die in kür- 
zester Zeit ihre Verwirklichung finden. In erster Ünie 
Revision der Verfassung, ist diese nicht erreichbar, nun, 
so ist der Entsagungs- und Rücktrittsentschluß ebenso 
motiviert wie vor vier Jahren die Annahme! Die politische 
Welt wird hierin keine Schwäche und keinen Kleinmut 
finden können, im Gegenteil, sie wird ihre Achtung einem 
Manne nicht vorenthalten können, der offen und rückhaltlos 
erklärt, daß er die Bedingungen einer gesunden Regierang 

in Rumänien nicht zu erreichen vermochte länger kann 

und darf es nicht so bleiben, wie es jetzt in Rumänien 
zugeht! Deine und Deines Namens Ehre verbietet Dir, 
der Spielball zwischen den sich anfeindenden Parteien zu 



Und an einer andern Stelle schrieb der treue Vater, 
der zugleich der sorgendste Freund war: „Daß aber auch 
das Ausland eine recht perfide Rolle spielt, ist mir durch 
mitgeteilte Dokumente erwiesen. — Eine Stellung ferner 
einzunehmen, welcher jede einzelne Macht feindlich ge- 
sinnt ist, welche aber zerstören zu lassen jeder einzelnen 
aus Mißgunst gegen die Mitmächte wiederum nicht oppor- 
tun erscheint, — eine solche Stellung ist ganz unerträglich ! 
— Deinem persönlichen Ansehen kann es niemals schaden, 
wenn Du einer unerfüllbaren Aufgabe entsagst. Du 
hast der ganzen Welt Deinen guten Willen und Deine 
Befähigung zur Regierung Rumäniens gezeigt, Du hast 
Dich nicht aufgedrängt, sondern bist erwählt und berufen 



sein. 




185 



worden; Du hast großartige Schöpfungen gegründet, 
Armee und Verkehrswesen regeneriert, den Segen der 
Eisenbahnen verbreitet, unzählige Wohltaten an Kirche 
und Arme gespendet, Künste und Wissenschaften pro- 
tegiert, durch häusliches Glück die Heiligkeit der Ehe ge- 
zeigt, durch Freigebigkeit aller Arten Deine Mittel flüssig 
gemacht — alles dieses sichert Dir, wenn auch nicht jetzt, 
doch später ein gesegnetes Andenken und beweist, im 
Falle der Entsagung, der Mitwelt, daß es nicht der ima- 
ginäre Glanz einer wahren Dornenkrone gewesen sei, 
welcher Dich geblendet und später enttäuscht habe, sondern 
daß es der Schiffbruch Deiner redlichen Absicht und 
Deines Dranges nach nutzbringendem Schaffen ist, 
welcher Deinen Entschluß gereift hatte und zur Tat werden 
ließ." — 

In eingehenden Berichten an dieHerrscher der Garantie- 
mächte schilderte Fürst Karl den Stand der Dinge in 
Rumänien und seine Besorgnis, daß er den immer weiter 
um sich greifenden Parteileidenschaften nicht mehr ge- 
wachsen sei, den Vorschlag anknüpfend, die Zukunft 
Rumäniens möge auf dem in Aussicht stehenden Kongreß 
geregelt werden: nur ein starkes Regiment könne heilsam 
auf die inneren und äußeren Schäden des Landes ein- 
wirken, das sich jetzt trotz seiner reichen Hilfsmittel in 
traurigster Verfassung befände. All seine Sorgen und 
Bedenken legte der Fürst in einem Brief nieder, den er 
seinem Vater zur Veröffentlichung in einer deutschen 
Zeitung Ende Dezember 1870 übermittelte; er führte darin 
aus, mit welch unendlichen Schwierigkeiten die Regierung 
des rumänischen Landes verbunden sei, und erörterte die 
Fragen, woran dies hegen könnte, zur Antwort kommend, 
daß weder er noch das Volk eine Schuld treffe, wenn sich 
nicht in den Jahren seiner Herrschaft ein besserer Um- 
schwung vollzogen habe, sondern daß diejenigen dafür 
verantwortlich zu machen seien, die sich im Lande selbst, 




186 



das sie geboren hat, zu seinen Leitern aufgeworfen haben: 
„Diese Leute nämlich, welche sich meistens ihre ganze 
soziale und politische Bildung im Auslande geholt, die 
heimatlichen Zustände dabei allzusehr vergessen haben, 
trachten bloß danach, die dort geltenden, von ihnen ein- 
gesogenen Begriffe, in utopische Formen eingezwängt, ohne 
Prüfung auf ihr Vaterland zu übertragen. So ist das un- 
glückliche Land, das sich stets unter dem härtesten Druck 
befunden hat, ohne Übergang aus seinem despotischen 
Regiment auf einmal zu einer so liberalen Verfassung ge- 
raten, wie sie kein anderes Volk in Europa besitzt." In 
dem Brief wurde des ferneren noch gesagt, daß der gute 
Wille des Fürsten stets verkannt und all sein Tun und Han- 
deln mit Undank belohnt worden sei, dann der Kammer- 
adresse gedacht, die als „ein Meisterstück phanariotischer 
Perfidie" gekennzeichnet wurde, und zum Schluß betont: 
wie im gewöhnlichen Leben die Mißbilligung einer Handlung 
stets nur den Urheber derselben treffen könne, so fiele auch 
in diesem Falle die ganze Verantwortung auf denjenigen 
zurück, der nicht verstehe, seinen frei erwählten Fürsten 
zu ehren, „man entehrt sich selber, wenn man nicht zu 
respektieren weiß, was man selber geschaffen hat." — 
Dieser durch alle Zeitungen gehende Brief machte natürlich 
in Rumänien das größte Aufsehen, und die oppositionellen 
Parteien benutzten ihn zu der Lüge, der Fürst gedenke 
einen Verfassungsbruch herbeizuführen. Auch in der 
Kammer fehlte es nicht an den gleichen Anschuldigungen, 
und über all dem Gezänk untereinander und den An- 
griffen gegen den Fürsten vergaß man die Erledigung der 
dringlichsten Aufgaben. 

Da traf den Fürsten noch der härteste Schlag, die 
Nachricht, daß Strousberg den am i. Januar fälligen Kupon 
der Eisenbahnobligationen weder bezahlen könne noch 
wolle, behauptend, was selbstverständlich eine böswillige 
Erfindung war, daß der rumänische Staat zur Zinszahlung 




187 



verpflichtet sei. Die unheilvollen Folgen dieser unver- 
muteten Zahlungseinstellung sah der Fürst voraus: man 
würde ihn in der deutschen Heimat, wo Tausende auf seinen 
Namen hin ihre Ersparnisse in rumänischen Eisenbahn- 
papieren angelegt — im Gesamtbetrage von 250 Millionen 
Francs — verantwortlich für die Krisis machen, und in 
Rumänien selbst würde man neue Angriffe daraus auf ihn 
schmieden, ihm vorwerfen, daß er dem deutschen Unter- 
nehmer zuviel Vertrauen geschenkt. Das war für den 
Fürsten jetzt selbstverständlich, daß er nun auf seinem 
Posten ausharren müsse, so lange, bis dieser neue schwere 
Schlag überwunden, und bis die Eisenbahnfrage völlig ge- 
regelt worden sei. Tief entmutigt, erfüllt von bangen Be- 
fürchtungen, öffnete er seinem Vater sein bedrücktes Herz: 
„Habe ich aber einmal diese ungeheure Schwierigkeit hinter 
mir, darf ich erst sagen, daß ich die Feuerprobe bestanden 
habe, dann ist es genug des grausamen Spiels, dann hoffe 
ich, daß Du mir einPlätzchen finden wirst, wo ich mein 
müdes Haupt niederlegen kann! Aber jedenfalls eine 
stille abgelegene Ecke, wo man sich für eine Zeit ganz 
vergessen machen kann." 

Unter derartig trüben Aussichten brach das Jahr 1871 
an, zugleich wiederum mit heftigsten Stürmen in der 
Kammer, und im Senat, wo man die Gerüchte über die 
Abdankung des Fürsten offen behandelte, seitens der 
oppositionellen Parteien in der gehässigsten und ver- 
letzendsten Art. Wohl versicherte man offiziell dem Fürsten 
seine Anhänglichkeit, dieser jedoch wußte am besten, wie 
es mit der Stimmung der leitenden Schichten beschaffen 
war und mit welch unverhohlenem Neid man die deutschen 
Siege über Frankreich verfolgte, hatte man in den ersten 
Bukarester Kreisen doch ganz offen erklärt: „Wir können 
zwar nicht nach Frankreich gehen und dort die Deutschen 
bekämpfen, aber wir werden es hier tun!" 

Immer drückender wurde auch die Finanzlage; in 




188 



den letzten 13 Jahren hatten, wie es Finanzminister 
Sturdza der Kammer dargelegt, sich die Ausgaben des 
Staates verdreifacht, nicht aber die Einnahmen: „Der 
Staat befindet sich an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit; 
von den 84 Millionen Frcs. des Einnahmebudgets werden 
34 Millionen für die Verzinsung der Staatsgelder wegge- 
nommen; es bleiben also nur 50 Millionen Frcs. für ad- 
ministrative Zwecke." Natürlich wurde in den Kammern 
eingehend stets aufs neue das unglückliche Strousbergsche 
Eisenbahn-Unternehmen behandelt, wobei man gern den 
Fürsten als Zielpunkt der Angriffe nahm, ihm alle Schuld 
aufbürdend und ihm vorwerfend, daß der Regierüngsrat 
Ambronn, der auf Strousbergs Bitte zum Kommissar der 
rumänischen Regierung bei der Baugesellschaft ernannt 
worden war, sich des Vertrauens des Fürsten von Hohen- 
zollern erfreut hätte, ein Vertrauen, welches er allerdings 
in der erwähnten Stellung nicht bewährt, da er es zuge- 
lassen hatte, daß das Depot, über welches er wachen sollte, 
angegriffen und mit wertlosen Hypotheken gefüllt worden 
war. Stets leidenschaftlicher wurden diese Erörterungen; 
plante man doch sogar, alle Minister, die mit Strousberg 
verhandelt, in Anklagezustand zu setzen und sich an ihrem 
Privatvermögen für den entstandenen Verlust schadlos zu 
halten. Dazu kam, daß Preußen energisch auf Bezahlung 
des fälligen Kupons seitens des rumänischen Staates be- 
stand, was schon insofern unmöglich war bei der I^eere der 
Staatskasse sowie bei der Aussichtslosigkeit einer neuen 
ausländischen Anleihe, ferner bei der feindlichen Haltung 
der Kammern, die den Antrag annahmen, die Strousbergsche 
Angelegenheit einem Schiedsgericht zu überweisen. 

Von außen war jedoch keine Hilfe zu erwarten, wie 
dies Graf Bismarck in einem aus Versailles unter dem 
10. Januar gerichteten Briefe ausdrücklich betonte; er 
hob das Mißtrauen der Pforte hervor und daß das per- 
sönliche Wohlwollen des Kaisers von Rußland gegen den 




189 



Fürsten durch die traditionelle Auffassung der russischen 
Politik, welche der Vereinigung der beiden Fürstentümer 
entgegen ist, überwogen wird. 

„Es ist ja nur natürlich," fährt Bismarck fort, „wenn 
Eure Hoheit zunächst auf den hohen Chef Ihres Hauses, 
auf Preußen und Deutschland, blicken. Eure Hoheit 
wissen, wie Seine Majestät der König für Höchstdieselben 
gesinnt ist, aber Eure Hoheit wissen auch, daß die jetzige 
Kriegslage es für Deutschland unmöglich macht, in die 
Verhältnisse im Osten unter den oben angeführten Um- 
ständen wirksam einzugreifen. — Wenn ich das Fazit aus 
allen diesen Erwägungen ziehe, so kann ich nur zu dem 
Schlüsse kommen, daß Eure Hoheit von außen, keine 
Hülfe, sondern eher Übelwollen erwarten dürfen und daher 
Ihre Entschlüsse nur durch Beurteilung der Ihnen im 
eigenen Lande noch zu Gebote stehenden Hilfsmittel fassen 
müssen. Wenn Sie eine Krise erwarten, zu deren Uber- 
windung Sie die besseren Elemente im Lande nicht aus- 
reichend erachten, so scheint es eine vor allem nur durch 
die Rücksichten auf sich und Ihr Haus gebotene Aufgabe 
zu sein, daß jeder Entschluß, den Sie fassen, auch wirk- 
lich als ein selbständiger und freiwilliger, nicht durch 
äußere Gewalt aufgezwungener erscheine, und daß die 
reinen und edlen Motive, welche Eure Hoheit dabei leiten 
würden, klar hervortreten. < — Es ist mir schmerzlich, 
Eurer Hoheit keinen andern Rat und keine besseren Hoff- 
nungen geben zu können. Ich weiß aber, daß die patrio- 
tische Teilnahme und herzliche Freude an den Erfolgen 
unsrer deutschen Armee und an dem Glänze, der das 
verehrte Haupt unsres Königs umgibt, selbst durch 
diese schmerzlichen persönlichen Erfahrungen bei 
Eurer Hoheit nicht getrübt werden, und schließe mit 
der Hoffnung, daß Ihre Wünsche für einen baldigen 
ehrenvollen und gesicherten Frieden in Erfüllung gehen 
mögen," 



Digitized by 




190 



Auch Kaiser Wilhelm schrieb in Hebevollster Weise 
an den Fürsten, mit vollem Verständnis für die Schwierig- 
keiten, die sich einer ersprießlichen Regierung im fernen 
I^ande entgegenstellten, aber auch er betonte, daß nach 
seinen Erkundigungen keine der beteiligten Mächte bereit 
sei, „ihr Gewicht für die Verbesserung oder auch nur die 
Erhaltung der bestehenden Zustände Rumäniens ein- 
zusetzen." 

Gleichzeitig mit diesem Briefe traf die Nachricht von 
der Proklamation des deutschen Kaiserreiches ein, und 
aus tiefstem, an dem gewaltigen Ereignisse jubelnden An- 
teil nehmenden Herzen heraus richtete Fürst Karl nach- 
stehende Zeilen an Kaiser Wilhelm: „Mit unaussprechlich 
tiefer Freude richte ich an Eure Majestät heute einige 
Worte, die den aufrichtigsten Glückwunsch enthalten 
sollen zur Vollendung des Riesenwerkes ! Der brennende 
Wunsch eines großen Volkes, der jahrhundertelang 
unerreichbar schien, und so überaus schön, daß man 
ihn kaum mehr zu erhoffen wagte, — heute ist er 
erfüllt, und jedes treue Herz darf Eure Majestät glück- 
lich preisen, den der Himmel auserlesen hat zu solcher 
Tat! — Deutschland ist geeint, das ist der Jubelruf, mit 
dem wir das neue Jahr beginnen, trotz aller schmerzenden 
Wunden, trotz beiden und Tod — oder vielmehr, aus 
diesen geht hervor Deutschlands Auferstehungsmorgen 
und beleuchtet das Reichsbanner, das Eurer Majestät 
Starker Arm dem Vaterlande voranträgt: die Verheißung 
eines ruhmvollen Feiertages nach heißem Kampfe ! Welch 
herrliches Gut errungen ist, wird allen erst dann recht 
zum Bewußtsein kommen, wenn der Frieden dem alten 
jungen Deutschland gestatten wird, sich in nie gekannter 
Kraft und Einheit zu entfalten, und wenn Künste und 
Wissenschaften, Handel und Ackerbau einen neuen Auf- 
schwung nehmen durch das weite Feld, das ihnen auf- 
getan worden! — Gestatten mir Eure Majestät, an dieser 




191 



Stelle meinen gerührtesten Dank für das gnädige Ant- 
wortschreiben auszusprechen, in dem ich von neuem das 
väterliche Interesse erkannt habe, das Allerhöchstdieselben 
mir stets zugewendet haben! Ich stehe hier allein, auf 
weithinausgeschobenem Vorposten, als Grenzwacht gegen 
den Orient, und muß geduldig harren, bis es dem Himmel 
gefallen wird, mich abzulösen. Doch bin ich nicht so 
fern und nicht so müde, daß ich nicht aus voller Brust 
in den jauchzenden Ruf mit einstimmen könnte: Es lebe 
der deutsche Kaiser!" 

Und an den Grafen Bismarck schrieb der Fürst: 
„In dieser ernsten, für Eure Exzellenz so bewegten 
Zeit würde ich Sie nicht schon wieder mit einigen Zeilen 
belästigen, wenn nicht der herzliche, teilnehmende Ton 
Ihres Briefes, aus dem hervorgeht, daß Sie in der schwie- 
rigen I^age hier nur meine Person im Auge haben, mich 
zu Worten des Dankes drängte. Gleichzeitig möchte ich 
Ihnen von ganzem Herfen Glück wünschen zu der glänzen- 
den Krönung Ihres großen Werkes. — Wohl haben Sie 
recht, anzunehmen, daß meine schmerzlichen persönlichen 
Erfahrungen ganz verschwinden neben der Freude am 
Emporblühen meines teuren Heimatlandes, neben dem 
herzerfreuenden Anblick der Strahlenkrone, die das ehr- 
würdige Haupt unsres vielgeliebten Königs umgibt! — 
Wenn ich auch hier habe lernen müssen, schweigend Freud 
und I^eid zu durchleben, so ist meine Stimme in den ver- 
rosteten Zuständen hier noch nicht so klanglos geworden, 
daß ich nicht dem deutschen Kaiser zujubeln könnte! — 
Die Verhältnisse hier sind ernst; das wüste Parteigetriebe 
kann ich fürs erste noch dazu benutzen, mich so lange zu 
halten, wie es mir entsprechend und geraten scheint. Wie 
der Kapitän auf stürmischer See Tag und Nacht auf seinem 
Posten ausharren muß, so auch ich. — Die Grundwellen 
jagen mein Schiff bald hoch, bald tief, aber so wahr mir 
Gott helfe, ich werde es nicht scheitern lassen! — Heute 




192 



möchte die Mannschaft mich gern über Bord werfen, ein 
Teil derselben hat aber noch Einsicht genug, um zu wissen, 
daß nur ich sie in sicheren Hafen leiten kann. — Zwei 
Punkte verliere ich nicht aus dem Auge: ich will meinen 
Namen rein und makellos aus diesem Chaos herausziehen, 
aber ich will auch nicht herz- und gewissenlos le deluge 
apr&s moi lassen! Das bezieht sich vor allem auf die Fi- 
nanzlage hier, deren Folgen für das In- und Ausland ver- 
hängnisvoll werden könnten." 

Da trat wenige Wochen später ein Ereignis ein, das 
den Fürsten veranlaßte, seinem Entschlüsse, abzudanken, 
rascher näher zu treten, wie er es sich vorgenommen. 
Die deutsche Kolonie in Bukarest wollte, wie alljährlich, 
den Geburtstag Kaiser Wilhelms am 22, März durch ein 
Festbankett feiern; vorsichtigerweise hatte man sich -er- 
kundigt, ob der Abhaltung bei der augenblicklichen deutsch- 
feindlichen Strömung nichts entgegenstände, aber der 
Polizeipräfekt und der Ministerpräsident hatten dies ver- 
neint und sich für die Aufrechterhaltung der Ruhe ver- 
bürgt. Als sich um die achte Abendstunde des genannten 
Tages die deutschen Teilnehmer des Festes in einem nahe 
dem Theaterplatz gelegenen Saal vereint hatten, zog vor 
das betreffende Haus eine große Volksmenge, zertrümmerte 
mit Steinwürfen die Fenster und suchte in den im ersten 
Stock gelegenen Saal einzudringen. Über zwei Stunden 
dauerten die Unruhen ; durch die Stein würfe wurden mehrere 
Mitglieder der Kolonie verletzt, und nur der Besonnenheit 
des Generalkonsuls von Radowitz war es zu danken, daß 
es nicht zum Blutvergießen kam. Die Tumultanten, unter 
denen sich auch Deputierte befanden, lärmten in der 
tollsten Weise; Rufe wie: „Es lebe die Republik!" und 
„Auf zum Palais !" wurden laut, die Straßenlaternen wurden 
ausgelöscht und die Glocken der nahen Kirchen geläutet. 

Der Fürst, dem sogleich Mitteilung gemacht worden, 
schickte unverzüglich seinen Adjutanten zum Minister- 




193 



Präsidenten und zum Polizeipräfekten, aber beide Herren 
waren nicht aufzufinden! Endlich ließ General Salomon, 
der Divisionskommandant von Bukarest, Truppen aus- 
rücken, und nun erschien auch der Ministerpräsident, der 
den General verhindern wollte, das Militär einschreiten 
zu lassen, aber von diesem eine energische und unzwei- 
deutige Antwort erhielt. Überhaupt traf der General in 
umsichtiger Weise alle Vorkehrungen, indem er sämtliche 
zum Palais führende Straßen und ersteres selbst militärisch 
besetzen Heß, und auch seine wiederholten Mahnungen an 
die von Parteiführern aufgestachelte Menge, sich zu zer- 
streuen, hatten schließlich Erfolg. 

Fürst Karl war auf das tiefste empört über das Vor- 
gefallene. Vergeblich sandte er mehrfach nach dem 
Ministerpräsidenten Jon Ghika, dagegen stellten sich 
einige andere Minister ein, denen der Fürst seine vollste 
Entrüstung ausdrückte; dann Heß er den Fürsten D. Ghika 
holen, ihn auffordernd, unverzüglich ein neues Ministerium 
zu bilden. In der Nacht noch erschien der Generalkonsul 
von Radowitz beim Fürsten, diesem mitteilend, wie sehr 
er sich und in sich das Deutsche Reich, das er vertrete, 
verletzt fühle, und wie er die Polizei und das Ministerium 
für Mitschuldige halte; er dürfe wohl als Genugtuung die 
Entlassung des Ministerpräsidenten erwarten. Der Fürst 
drückte ihm sein aufrichtiges Bedauern aus und bemerkte, 
daß er bereits das Erforderliche getan habe, um ein neues 
Ministerium zu bilden. Kurz danach erschien auch Jon 
Ghika im Palais; der Fürst empfing ihn kalt, entnahm 
aber aus seiner Rechtfertigung, daß jener doch nicht zu 
den Mitschuldigen gehöre, sondern sich den Vorgängen 
gegenüber nicht gewachsen gezeigt habe, daß dagegen 
volle Verantwortung den Polizeipräfekten treffe; der Fürst 
teilte Ghika mit, daß er seine Entlassung erwarte und daß er 
für den nächsten Morgen die MitgHeder der früheren Regent- 
schaft berufen werde, um ihnen die Regierung zu übertragen. 

Lindenberg, König Karl. 13 




194 



Das äußerte am nächsten Morgen Fürst Karl auch 
D. Sturdza gegenüber, den er zu sich gebeten, der ihn 
aber, ebenso wie die beiden Mitglieder der einstigen Regent- 
schaft, L. Catargiu und N. Golesku, — das dritte Mitglied, 
Oberst Haralambi, war nicht in Bukarest anwesend, — 
beschwor, von seinem Beschlüsse abzusehen, welcher für 
das Land das verhängnisvollste Unglück bedeuten würde, 
denn der Staatsbankerott und die allgemeine Anarchie 
würden die unmittelbaren Folgen sein. Der Fürst setzte 
ihnen auseinander, wie er trotz seines unermüdlichen 
Willens und Handelns kein Mittel mehr sehe, die Ordnung 
aufrecht zu erhalten und die trüben Verhältnisse des Staates 
zu bessern. Aber immer aufs neue bestürnyten ihn die 
Herren, seinen Plan nicht auszuführen, und nach langem 
Erwägen erklärte der Fürst, wenn auch sehr widerstrebend, 
daß er noch einmal mit sich zu Rate gehen wolle und 
vielleicht von seiner Absicht zurückstehen würde, falls 
ein starkes Ministerium zustande komme, das in der 
Kammer die Genehmigung des Budgets und der Finanz- 
gesetze durchzusetzen imstande sei; gehe die Kammer 
auf diese Forderung nicht ein, so werde er sogleich das 
Land verlassen. 

In der Stadt herrschte ungeheure Aufregung. Die 
wildesten Gerüchte wurden verbreitet, die Opposition hetzte 
weiter, die Möglichkeit eines ernsten Zusammenstoßes der 
Parteien war zu befürchten, die Truppen waren in den 
Kasernen zusammengezogen und die Umgebung des Palais 
militärisch besetzt. In der Kammer, deren Mitglieder am 
Mittag des 23. März zusammengetreten waren, teilte 
Ministerpräsident Ghika die Einreichung seines Entlassungs- 
gesuches mit, dann vereinten sich die Abgeordneten zu 
einer geheimen Sitzung, in der L. Catargiu von den Ver- 
handlungen mit dem Fürsten Mitteilung machte. Die 
Diskussion darüber in der sich anschließenden öffentlichen 
Sitzung gestaltete sich sehr erregt und war erfüllt mit 




195 



allen nur denkbaren Angriffen auf den Fürsten und die 
Dynastie. Die vom Fürsten abgesandten Herren benach- 
richtigten ihn alsbald, daß die Kammer von ihm die Ein- 
berufung eines Ministeriums erwarte, und der Fürst be- 
auftragte sogleich mit der Zusammensetzung L. Catargiu, 
ihn auffordernd, nur energische Männer zu wählen, ohne 
Rücksicht auf irgend welche Parteiverhältnisse. Der Poli- 
zeipräfekt, der im Palais erschienen, gab auf die Vorwürfe 
des Fürsten seine Entlassung; das Militär aber blieb unter 
den Waffen, denn man hörte gerüchtweise, daß das Volk 
aufgehetzt werden solle/ zum Palais zu ziehen. Am Abend 
stellten sich dort die Vertreter der Garantiemächte ein, um 
in dieser gefährlichen Lage in der Nähe des Fürsten zu 
weilen, der ihnen eröffnete, er sei gesonnen, auf seinem 
Posten auszuharren, was von allen Seiten mit freudiger 
Genugtuung begrüßt wurde. Um Mitternacht meldete 
L. Catargiu dem Fürsten, er habe ein Ministerium zustande 
gebracht, dessen Präsidium er übernehmen wolle, und am 
nächsten Vormittag konnte der Fürst diese neuen Ratgeber 
bereits vereidigen, ihnen die Hoffnung ausdrückend, daß er 
mit ihrer Hilfe der schwierigen Lage Herr zu werden ge- 
denke. In der Kammer ging es in den nächsten Tagen 
noch erregt zu, auch in der Hauptstadt zeigten sich aller- 
hand Nachwirkungen der Hetzereien, aber bei einer Spazier- 
fahrt durch die dicht mit Menschen gefüllten Straßen wurde 
das fürstliche Paar überall ehrfurchtsvoll begrüßt, ebenso 
der Fürst bei einem langen ausgedehnten Spazierritt durch 
die belebtesten Gegenden. 

Das entschiedene Auftreten des Fürsten Karl in dieser 
kritischen Zeit hatte überall einen außerordentlich günstigen 
Eindruck hervorgerufen, ebenso, daß das Ministerium die 
feste Absicht zeigte, unter allen Umständen die Ruhe in 
der Hauptstadt und im Lande, — wo übrigens die Buka- 
rester Ereignisse keinerlei Echo gefunden hatten — aufrecht 
zu erhalten. Wenn auf der einen Seite Fürst Bismarck 



13* 




196 



den Generalkonsul von Radowitz aufforderte, von der rumä- 
nischen Regierung die entsprechende Genugtuung zu ver- 
langen, so ließ er andrerseits dem Fürsten mitteilen, er 
sei durchaus befriedigt Von der neuen Lage der Dinge 
und von der Zusammensetzung des kraftvollen Ministeriums, 
zugleich ihm dringend ratend, auf seinem Posten auszu- 
harren. Wie es zu erwarten war, hatte das Ministerium 
sofort dem deutschen Konsul das tiefste Bedauern über 
die beklagenswerten Vorgänge ausgedrückt und jede 
Garantie für den Schutz der Deutschen übernommen. Auch 
die übrigen Behörden, selbst die kirchlichen, wetteiferten 
jetzt in dem Bestreben, die Deutschen jene Ereignisse ver- 
gessen zu machen. An König Wilhelm richtete Fürst Karl 
ein längeres Schreiben, in dem er betonte, wie sehr 
er es beklage, daß gerad' jener 22. März, mit dem für ihn 
so viele teure Erinnerungen verbunden seien, auf schmäh- 
liche Weise getrübt worden sei: „Tiefer und schwerer 
konnte man mich nicht treffen, als indem gerade diese Ge- 
legenheit ergriffen wurde, um die lange waltenden Umtriebe 
zum Ausbruch zu bringen! Angesichts der schwierigen 
Lage, insbesondere der großen Finanzkalamität, mußte ich 
es auf das äußerste ankommen lassen, um die besseren 
Elemente aus ihrer Apathie aufzurütteln. Ich berief daher 
die Statthalterschaft, aus deren Händen ich im Jahre 1866 
die Zügel der Regierung übernommen habe, um sie ihr 
wieder zurückzugeben. Durch diese drohende Gefahr er- 
schreckt, vereinigten sich alle konservativen Fraktionen 
und bildeten das neue Ministerium. Heute ist es Ehrensache 
für mich, die Männer, die entschlossen sind, das I,and vor 
ernsten Verwickelungen zu bewahren, mit allen Kräften 
zu stützen und gemeinsam mit ihnen die notwendigen 
Reformen durchzuführen. Sollten die letzteren auch mit 
diesen Männern nicht zu erreichen sein, dann ist das L,and 
unwiederbringlich verloren ! Man darf sich nicht verhehlen, 
daß die Situation sehr ernst und die Herbeiführung besserer 



Digitized by 



197 



Zustände mit den allergrößten Schwierigkeiten verbunden 
ist. Die Zukunft liegt undurchdringlich vor mir. Doch 
je größer die Gefahr, desto weniger darf man den Mut 
sinken lassen!" 

Der Brief spiegelt so recht das innerlich gefestete 
Wesen des Fürsten wider, der in jenen gefahrvollen 
Stunden seine volle Kaltblütigkeit wie ruhige Überlegung 
bewahrte und sich nicht zu einem schnellen Schritt hinreißen 
ließ, der das gesamte Land in die unberechenbarsten 
Wirren gebracht hätte. Nach dem kurzen. Augenblick des 
Schwankens wollte er nun fest und beständig auf seinem 
Posten ausharren, der wahrlich zunächst wenig Befriedigung 
gewährte, um so weniger, da natürlich auch die Fürstin 
auf das tiefste bewegt worden war durch jene Straßen- 
demonstrationen. Aber was sich Fürst Karl entschlossen 
vorgenommen, führte er auch mit Entschlossenheit aus; 
treu und stetig, klug und beharrlich/ gerecht und vor- 
urteilsfrei lenkte er des ferneren das Staatsschiff, nicht 
jene es büßen lassend, die ihn so tief gekränkt. 





vin. 




Wie nach schalen Tagen ein Gewitter die Luft 
reinigt, so hatten die geschilderten ernsten Vor- 
kommnisse wesentlich zur Klärmig der iimerpoh tischen 
Lage des Landes beigetragen, und im werteren Verlaufe 
des Frühlings trat eine achtliche Verbesserang der bisher 
so gespannt gewesenen Zustände ein. Die nationalen 
Parteien hatten die ganze verantwortliche Bedeutung der 
letzten Wochen erkannt. Das StaatsschifF war nahe am Zer- 
schellen gewesen, und nur die energische Hand des Fürsten 
Karl, der trotz all des Vorgefallenen nicht vom Steuer ge- 
wichen, hatte es vor dem Schiffbruch bewahrt: wäre doch 
wenn er in seinem Schmerz über die ihm zugefügten Be- 
leidigungen das Land verlassen hätte, was ihm wahrlich 
niemand hätte verdenken können, höchslrwahrscheinlich so- 
gleich eine Besetzung von türkischer und vielleicht auch 
von russischer Seite erfolgt, und die so lang ersehnte und 
hart erkämpfte Selbständigkeit des jungen rumänischen 
Staatengebildes wäre wiederum in Frage gestellt worden. 
Das ganze Auftreten des Fürsten hatte seines nachhaltigen 
Eindrucks nicht verfehlt. Mit neuem Vertrauen sah man 



Digitized by 



199 



auf ihn und mit der Zuversicht, daß er allein dem I,and und 
Volk die erforderliche Beständigkeit verbürge, die unbedingt 
nötig war, wollte man die erhofften Fortschritte machen und 
nicht ein Einschreiten der Garantiemächte, deren Mißtrauen 
gegen Rumänien und die Unsicherheit der dortigen Ver- 
hältnisse nie aufgehört und durch die jüngsten Vorkomm- 
nisse neue Nahrung erhalten, erzwingen. 

Dieser Umschwung zum Besseren zeigte sich am deut- 
lichsten bei der in der zweiten Aprilhälfte 1871 unter- 
nommenen, seit langem geplant gewesenen Reise des Fürsten- 
paares nach der Moldau, welche die Fürstin ja noch nicht 
kannte. Der erste Teil der Fahrt wurde mit der Bahn 
zurückgelegt, dann wieder weite Strecken in dem mit acht 
mutigen Ros- 
sen bespann- 
ten offenen Ge- 
fährt, in wel- 
chem es wie 
der Wind über 
die endlosen 
Felder ging, 
von Dorf zu 
Dorf, wo über- 
all die Be- 
völkerung in 
den maleri- 
schen Kostü- Bauern und Bäuerinnen Hora tanzend. 

men der fürst- 
lichen Reisenden harrte und sie jubelnd empfing, bei 
längerer Rast Hora tanzend, während zahllose berittene 
Bauern den Zug stets bis zur nächsten Ortschaft begleiteten. 
Uber Braila und Galatz fuhr man nach Jassy, dessen Ein- 
wohnerschaft dem Fürsten und seiner Gemahlin gleichfalls 
den begeistertsten Empfang bereitete. Hier in der Haupt- 
stadt der Moldau wurde ein zehntägiger Aufenthalt ge- 




Digitized by 



200 



nommen, reich an Festen aller Art, die mit Besichtigungen 
der staatlichen und militärischen Einrichtungen seitens des 
Fürsten, der Schulen und wohltätigen Anstalten seitens 
der Fürstin wechselten. Was wohltuend berührte, war die 
aufrichtige Herzlichkeit und innige Wärme, die man aller- 
seits dem Fürstenpaare entgegenbrachte; das war um so 
höher zu veranschlagen, als ja auf moldauischem Boden 
die separatistischen Bewegungen nie aufgehört hatten. 
Beim Abschied von Jassy hob denn auch der Fürst in seiner 
Rede hervor, wie sehr ihn und die Fürstin diese innige 
Aufnahme erfreut hätte; sie habe ihn überzeugt, daß die 
Zusammensetzung der letzten Kammer nicht der richtige 
Ausdruck der Volksstimmung gewesen und habe ihn mit 
neuem Mut erfüllt, sich mit vollster Hingebung der Auf- 
gabe zu widmen, die ihm die Nation anvertraut, die 
Hoffnung hinzufügend, daß alle Rumänen, die ihr Vater- 
land liebten, sich um den Thron scharen und gemeinsam 
mit ihm für das Glück und die Wohlfahrt des L,andes 
wirken möchten. Ähnlich drückte sich der Fürst auch 
den Ministern gegenüber bei seiner Rückkehr nach Bukarest 
aus, wo ihn gleichfalls freudiger Jubel begrüßte, und wo 
die Eltern glücklich waren, ihr Kind wieder in die Arme 
schließen zu können. 

Der unerwartete Erfolg dieser Reise verfehlte im ganzen 
L,ande nicht seine Wirkung und kräftigte erheblich die 
Stellung des Fürsten und der Regierung, ebenso wie sich 
das Ausland überzeugen konnte, daß die Gerüchte von 
einer Zersprengung der Union der ehemaligen beiden 
Fürstentümer und von dem neuen Aufflackern ehrgeiziger 
Bestrebungen seitens der Moldauer Parteien falsch ge- 
wesen. 

Ergaben die Anfang Mai veranstalteten Wahlen für 
die Bukarester Stadtvertretung schon ein vorzügliches 
Resultat, indem kein einziger oppositioneller Kandidat ge- 
wählt wurde, so auch jene für die Kammern, die ein sehr 




201 



zufriedenstellendes Ergebnis hatten und viel ruhiger ver- 
liefen, als es sonst der Fall gewesen. Seiner Befriedigung dar- 
über gab der Fürst bei der Eröffnung der außerordentlichen 
Kammersession am 4. Juni in der mit lautem Beifall auf- 
genommenen Thronrede Ausdruck. Er bat die Volksvertreter 
dringend, die Regierung in der Erfüllung ihrer schweren 
Pflichten zu unterstützen und gelobte, daß er auch fernerhin 
unermüdlich darauf hinstreben wolle, um seiner hehren 
Mission gerecht zu werden, die ernste Mahnung anknüpfend, 
daß wahre Freiheit nichts mit Zügellosigkeit und Anarchie 
zu schaffen habe, denn ohne Pflicht kein Recht und ohne 
Ordnung keine Freiheit! Ähnlich drückte er sich auch 
bei der Entgegennahme der Adresse der Kammer auf die 
Thronrede aus, mit besonderer Wärme hervorhebend, daß 
er sich im letzten .Winter nicht der Ansicht verschließen 
gekonnt, wie sehr man seine Absichten mißverstanden, und 
daß er, da er nie willens gewesen, sich dem I,ande auf- 
zudrängen, einen Augenblick daran gedacht habe, seinen 
Posten zu verlassen. Heute aber, wo ihm die Nation so 
viele Beweise ihres festen Vertrauens gegeben, hege er 
aufs neue die Hoffnung, es werde ihm gelingen, seine Auf- 
gabe zu erfüllen, gestützt auf den Patriotismus aller Be- 
völkerungsschichten . 

Die Kammer beschäftigte sich alsbald mit den Ver- 
handlungen über die Eisenbahnfrage und nahm ein Gesetz 
an zur Regelung derselben, das aber erst nach langem 
Zögern die Zustimmung des Fürsten fand, da er es als 
unvollkommen und zunächst nur als Grundlage für eine 
gerechte und würdige I^ösung der gründlich verfahrenen 
Angelegenheit betrachtete. Von großer Bedeutung war 
der vprzügliche Ausfall der Ernte des Sommers und nicht 
minder wichtig, daß der Staat eine neue Anleihe von 
75 Millionen Francs im eigenen I,ande unterzubringen ver- 
mochte, was am besten für die reichen Hilfsquellen und 
für die Zuversicht der wohlhabenden Kreise, die nicht 




202 



mehr eine Störung der öffentlichen Ordnung befürchteten, 
sprach. 

Die Unruhen und Sorgen der letzten Monate hatten 
selbst die kräftige Gesundheit des Fürsten erschüttert; er 
erkrankte an heftigem Fieber und mußte das Bett hüten. 
Auch der Fürstin war der sommerliche Aufenthalt in den 
dumpfen Räumen des Cotroceni-Klosters, dessen Inneres 




Das Prachovatal (1872). 



man wohnlicher gestaltet, dessen Umgebung aber sumpfig 
war, nicht gut bekommen. So führte denn das fürstliche 
Paar eine längst geplante Absicht aus, mit ihrem Töch- 
terchen anfangs August nach Sinaia überzusiedeln. Bis 
nach Plojeschti konnte man die fertige Bahnstrecke be- 
nutzen, dann wieder im offenen Wagen fahrend. Die 
Fürstin äußerte stets aufs neue ihre helle Freude über die 
wechselnden Eindrücke, die sich ihr in so reicher Fülle 



Digitized by 



203 



darboten. 
Überall ström- 
te die Bevölke- 
rung herbei, 
Knaben und 
Mädchen in den 
bunten Trach- 
ten brachten in 
den Dörfern 
Blumensträuße und Früchte 
dar, zerlumpte Zigeunerkinder 
eilten heran mit Jubel und Trubel, und zottige Bären- 
treiber ließen den brummenden Meister Petz seine Kunst- 
stücke ausüben. Immer mehr ging der Weg bergan; bald 
rechts, bald links von ihm rauschte die Prachova in breitem 
Felsenbett dahin, das im Frühling von tosenden Fluten 
ausgefüllt ist. Romantische Täler öffneten sich mit lieb- 
lichen Ausbücken, dann schoben sich die Felsen enger zu- 
sammen, ungebärdig, mit keckem Trotz ob der Hindernisse, 
drängte sich gurgelnd und sprudelnd der Fluß hindurch, 
nicht achtend der entwurzelten Baumstämme und massigen 
Steinblöcke,die 
seinen Weg zu 
hemmen such- 
ten, den hier 
und da kleine- 
reTrupps groß- 
gehörnter Büf- 
fel kreuzten. 
Nun reckten 
sich die dunk- 
len Massen des 
herrlichsten 
Hochwaldes 
auf, überragt Bei der Ernte. 





Digitized by 



204 



in majestätischer Wucht von den blauschimmernden, 
zackigen, mit gleißendem Schnee gekrönten Felsengründen 
des Bucsecs, des unbestrittenen Herrschers der Tran- 
sylvanischen Alpen, ernst und hoheitsvoll herabgrüßend 
auch auf das auf breitem Vorsprung liegende Kloster 
Sinai a, das mit seinen niedrigen Gebäuden, den weißen 
Galerien, seinen dunklen Bedachungen und der Kirche 
malerisch herniederschaut auf die schweigsamen Talbuchten 
und die rauschende Prachova, in die grad' unterhalb der 
Bergkuppe sich der Pelesch mit eifrigem Geplauder ergießt. 

Aber nicht nur aus der Entfernung, auch aus un- 
mittelbarer Nähe wirkt die Klosteranlage äußerst an- 
ziehend. Sie zerfällt in zwei Teile. Der erste und älteste 
umschließt in festungsartigem Viereck mit kleinen, efeu- 
und weinlaubberankten Bauten einen Hof, in dessen Mitte 
die winzige vergilbte Kapelle liegt, deren von Säulen mit 
Ornamenten und Engeln flankierte Vorhalle das Jahr der 
Erbauung, 1695, kündet. Aber schon lange vorher hatte 
hier eine klosterähnliche Ansiedlung bestanden, bis Michael 
Cantacuzeno, der bekannten, aus Byzanz nach der Walachei 
eingewanderten Fürstenfamilie entstammend, den Mönchen 
Geld und Güter zur Verfügung stellte zum Bau und Unter- 
halt des Klosters und der Kapelle, wie er auch zur Er- 
innerung an Berg und Kloster Sinai den Namen Sinaia 
bestimmte. Oft war das scheinbar so weltentrückte 
Kloster der Schauplatz blutiger Kämpfe, da um seinen 
die Einfallsstraße von Ungarn nach Rumänien beherr- 
schenden Besitz Türken und Russen, Österreicher und 
Ungarn, aber auch Räuber und meuternde Soldaten 
kämpften; die Chronik erzählt, daß mehrfach die Mönche 
zu Wehr und Waffen griffen und mutig ihr Besitztum 
verteidigten. 

Desto friedlicher war's beim Eintreffen des Fürsten- 
paares. Blumen blühten auf dem Klosterhofe in ver- 
morschten Steingefäßen von antiker Form, Schwalben 




205 



nisteten unter den vorspringenden Dächern und Finken 
spielten im dichten Blättergewirr, während sich in ein tiefes 
Brunnenbecken plätscherndes Brunnenwasser ergoß. Die 
Mönche in ihren langen, schwarzen Talaren und den hohen 
schwarzen Sammetkappen, unter denen die Haare weit her- 
abfielen, bereiteten dem Fürstenpaare einen feierlichen 
Empfang und geleiteten dasselbe nach kurzem Gottesdienste 
in der Klosterkirche in die für sie bestimmten Gemächer. 

Schon kurz nach Antritt seiner Regierung hatte, wie 
wir bereits früher erwähnt, Fürst Karl den Ort besucht 
und sich derart wohl gefühlt, daß er sich mehrfach hier 
n drückender Sommerhitze eine kurze Erholung gegönnt, 
die Mönche bittend, ihm, da keine andre Unterkunft zu 
finden, gastliches Quartier zu gewähren. Dieses lag in 
einer der Seitenhallen, im Erdgeschoß ein paar Zimmer- 
chen bergend, das größte von ihnen acht Meter im Ge- 
viert, während die Schlafkammern durch eine schmale 
Bettstelle, einen Waschtisch und einen Stuhl völlig aus- 
gefüllt wurden. Hierher führte der Fürst nun das holde, 
frohe und feinsinnige Fürstenkind vom Rhein, das an 
der Seite des geüebten Mannes und des zarten Töch- 
terchens in dieser zaubervollen Gegend alle Unbequem- 
lichkeiten übersah, die mit einem solchen Aufenthalt ver- 
bunden waren. 

Etwas besser wurde es, als später rechts von der 
größeren Kirche ein Neubau entstand mit etwa sechs immer 
noch winzigen Zimmerchen ; sie waren j edoch behaglicher und 
geräumiger, alle auf eine von schmalen Holzsäulen getragene 
Galerie gehend, von der die Bücke voll tiefsten Entzückens 
über dies landschaftliche Paradies schweifen; unten das 
schmale Waldtal des Pelesch und das breitere der Prachova, 
aus denen heraus das Raunen und Rauschen der Gewässer 
dringt, gegenüber die forst- und waldreichen Höhenzüge 
des Piscu Cainelui, über denen Adler und Falken ihre 
Kreise ziehen, im Norden die Dorfhäuschen von Poiana, 




206 



Tatului und Busteni und südlich jene Sinaias, unter denen 
man bereits ein hübsches Hotel im Schweizer Stil er- 
blickte. 

Die ungestörte Einsamkeit und f eierliche Ruhe war grad 
dem nur von wenigen Getreuen begleiteten Fürstenpaare 
recht, dessen sonnigstes Glück ihr Töchterchen bildete, von 
welchem der Fürst seinem Vater damals schrieb : „Es ist 
eine wahre Freude, zu sehen, wie sich unser Kind , ent- 
wickelt", und später: „Wenn ich einen Augenblick frei 
bin, spiele ich mit ihm; dies reizende Kind ist meine 
ganze Freude!" — Eine frohe Überraschung wurde Fürstin 
Elisabeth durch den Besuch ihrer Mutter bereitet, die sich 
einige Wochen in Sinaia aufhielt und mit der bereits ein 
Platz ausgesucht wurde für ein Landhaus, das sich das 
fürstliche Paar hier zu errichten gedachte. 

Der Winter brachte wieder vielerlei gesellschaftliche 
Zerstreuungen, die aber nicht die Fürstin Eüsabeth hinder- 
ten, ihren Wirkungskreis stets zu vergrößern, indem sie den 
Unterricht in den Schulen besuchte und mancherlei An- 
regungen zu Verbesserungen gab, im Verein mit ihren 
jungen Hofdamen verschiedene deutsche Kinderbücher ins 
Rumänische übersetzend und wöchentlich einmal dem 
Armenverein präsidierend, der unter ihrer Leitung eine 
segensreiche Wirkung entfaltete. 

Die innere Beruhigung im Lande hielt an, so daß mit zu- 
friedenen Worten der Fürst darüber seinem Vater berichten 
konnte. Nur die Sorgen um die Eisenbahnangelegenheit 
ließen sich nicht verbannen und gaben der Opposition 
stets erwünschte Gelegenheit, gegen die Regierung zu 
intriguieren, doch war diesen Bestrebungen der Nährboden 
entzogen. Endlich, Anfang Januar 1872, ward das neue 
Eisenbahngesetz von den Kammern angenommen, das, 
wenn auch verschiedene Einzelheiten wohl auf Widerspruch 
stießen, doch im ganzen als eine Lösung im Sinne von 
Recht und Gerechtigkeit begrüßt werden konnte, bis im 




207 



L,aufe des Jahres eine weitere zufriedenstellende Regelung 
erfolgte durch ein Ubereinkommen mit dem Bleichröder- 
schen Bankhause und der Diskonto-Gesellschaft in Berlin, 
wodurch der Weiterausbau der rumänischen Eisenbahnen 
gesichert wurde. Mit Genugtuung durfte Fürst Karl im 
Frühling 1872 an 
Fürst Bismarck 
berichten, daß 
die Zustände des 
jungen Fürsten- 
tums allmählich 
in ein gutes Ge- 
leise gebracht 
worden: „Es be- 
durfte großer 
Anstrengungen, 
gegen so viele 
subversive Ele- 
mente anzukäm- 
pfen; ich verlor 
aber den Mut 
nicht und setzte 
alles ein, um der 
außerordentlich 
schweren Situa- 
tion Herr zu 
werden. Meine 
Ausdauer ist we- 
nigstens zum Teil belohnt worden, im vorigen Jahr ein 
schwaches Ministerium und eine revolutionäre Kammer, 
die Finanzen zerrüttet und die unangenehme Eisenbahn- 
frage ungelöst; in diesem Jahr Ministerium stark und 
einig, die Ordnung in den Finanzen angebahnt, die Anleihe 
von 75 Millionen im Lande gedeckt, die Verwaltung 
wiederbelebt, der Eisenbahnstreit beigelegt/' 




Fürstin Elisabeth und Prinzeßchen Marie. 



ogle 



208 



beider erfuhr gerade zu dieser Zeit das glückliche 
Familienleben des fürstlichen Paares eine herbe Störung, 
indem die Fürstin seit Monaten von einem argen Sumpf- 
fieber befallen worden war, von dem sie sich nicht erholen 
konnte. Die Ärzte hatten eine Luftveränderung vor- 
geschlagen, und schweren Herzens machte sich der Fürst 
mit dem Gedanken an eine Trennnung von der geliebten 
Gemahlin vertraut. Am 12. März trat Fürstin Elisabeth 
ihre sechswöchentliche Reise nach Italien an, von der sie 
Mitte Mai wohlbehalten und neu gekräftigt heimkehrte, 
von ihrem Gemahl bereits in Orsova empfangen und 
jubelnd begrüßt von der Bevölkerung in Turnu-Severin 
und in Bukarest. 

Die drückenden Sommermonate wurden wiederum 
in Sinaia verbracht und zwar in angeregtester Weise. 
Die Fürstin hatte stets eine Reihe junger Damen um 
sich versammelt, und frohe Ausgelassenheit herrschte oft 
in dem kleinen Kreise, so daß selbst der sonst so ernste 
und arbeitsüberbürdete Fürst daran teilnahm, gleich den 
Ministern, die von Bukarest aus zum Vortrage erschienen 
waren. „Dies ist doch einmal ein anderes Bild, als fort- 
während bis über die Ohren in Geschäften zu stecken/' 
schrieb der Fürst seinem Vater, „bis heute konnte man 
mich noch nicht beschuldigen, mit meinen früheren und 
jetzigen Ministern gespielt zu haben. Es gereicht mir aber 
doch zu einer wirklichen Genugtuung, auch dies in 
Sinaia erreicht zu haben ! Überhaupt ist der hiesige Aufent- 
halt in mancher Beziehung von großem Nutzen; er bringt 
uns die Leute viel näher, als dies in der Stadt, wo alles 
offiziell ist, möglich wäre; auch haben wir erreicht, daß 
trotz der Schwierigkeit der Verbindung jedermann mit 
großem Vergnügen hierher kommt, selbst aus der Moldau 
haben wir zahlreiche Besucher gehabt." Mit inniger Freude 
kam der Fürst immer wieder auf sein Töchterchen zurück: 
„Jetzt wäre der Augenblick, wo Ihr, teure Eltern, mein 




209_ 

Töchterchen sehen solltet! Ihr würdet gewiß eine ebenso 
große Freude an ihr haben, wie wir selber. Es spricht 
schon in drei Sprachen, Rumänisch, Deutsch, besonders 
aber Englisch, fühlt sich sehr selbständig, läuft allein 
herum, ruft jedermann bei seinem Namen und geht jeden 
Sonntag in die Klosterkirche, wo es sich während des 
Gottesdienstes sehr ruhig verhält. Ihr Charakter ist liebe- 
voll und sanft, sie ge- 
horcht aufs Wort und 
gibt alles freudig hin, 
was sie hat/ 4 Häufig 
wurden längere und wei- 
tere Ausflüge unternom- 
men, und während der 
Fürst früh zur Jagd auf 
Bären aufbrach, kam 
die Fürstin zur Mittags- 
stunde mit ihren Damen 
zu dem verabredeten Zu- 
sammenkunftsort, um 
den ausgehungerten Jä- 
gern Speise und Trank 
zu bieten. Einmal mach- 
te auch ein Bär einen 
Abstecher bis in die im Pelesch-Tale. 

Nähe des Klosters und 

erschreckte ein junges Hoffräulein, das dort spazieren ging 
und dann aufgeregt von ihrem Abenteuer berichtete. 

An diesen Aufenthalt schloß sich die Abhaltung der 
großen Herbstmanöver, an denen diesmal eine bedeutende 
Zahl von Milizbataillonen und die neu organisierte National- 
garde teilnahmen. Die ausgedehnten Übungen stellten 
große Anforderungen an die Truppen, mit deren Haltung 
und Leistung der Fürst, der wiederholt in ihrer Mitte 
biwakiert hatte, sehr zufrieden war. Hier zeigten sich die 

Lindenberg, König Karl. 14 




210 



Früchte der Sorgfalt, die er unausgesetzt, trotz aller inneren 
Schwierigkeiten und Verdrießlichkeiten, seinem Heer ge- 
widmet hatte; das Heeresgesetz war erweitert worden, per- 
sönlich hatte Fürst Karl stets die wichtigsten Inspizierungen 
vorgenommen, nicht nur in Bukarest, sondern auch in 
anderen größeren Städten, die Bewaffnung machte wesent- 
liche Fortschritte, Militärschulen waren errichtet und neue 
Kasernen erbaut worden, mehrere rumänische Offiziere 
konnten mit Genehmigung des deutschen Kaisers den 
deutschen Manöverh beiwohnen, von diesen wichtige An- 
regungen heimbringend. 

Während des folgenden Jahres, 1873, hielt die ruhige 
innere politische Entwicklung Rumäniens an und machte 
das L,and große kulturelle Fortschritte. Der Unterricht 
in den Schulen war erheblich vertieft worden, die richter- 
lichen Urteilssprüche litten nicht mehr unter Ungerechtig- 
keiten aller Art, der Ausbau der Eisenbahnen schritt fort, 
sowohl nach der russischen wie nach der österreichischen 
Grenze hin, die Einrichtungen der Gefängnisse waren 
wesentlich verbessert, einige Gesetze waren durch die 
Kammer votiert, die der Ordnung und Sicherheit einen 
Halt gaben, eins der wichtigsten unter ihnen war das über 
die Wahl der Metropoliten und Bischöfe und über die 
Einsetzung der Synode nach kanonischen Regeln, wo- 
durch der Anarchie im Klerus ein Damm gesetzt ward. 
Auch die Städte selbst, voran Bukarest, entwickelten sich 
mehr und mehr; so hatte die Residenz endlich Gasbeleuch- 
tung erhalten, die Hauptstraßen gewannen ein anderes 
Aussehen, der Handel hob sich in merklichster Weise. 
Ebenso war eine erfreuliche Blüte der Hafenstädte an der 
Donau zu bemerken, in Giurgiu, Galatz und Braila wurden 
große Kai-Anlagen ausgeführt, so daß die Schiffe be- 
quemer löschen und laden konnten. 

Beruhigt vermochte daher das fürstliche Paar im 
Sommer 1873 eine längere Auslandsreise anzutreten, die 



Digitized by 



211 



den Fürsten — die Fürstin war mit der kleinen Prinzessin 
schon vorher nach Neuwied zu ihrer Mutter gefahren — 
zunächst als Gast des österreichischen Kaisers nach Wien 




zum Besuch der Weltausstellung, an der sich auch Ru- 
mänien hervorragend beteiligt hatte, führte, und dann nach 
Ems, woselbst er mit dem Kaker Alexander von Rußland 
eine sehr herzliche Begegnung hatte, ebenso mit dem 

14* 



Digitized by 



212 



deutschen Kaiser, der ihm hier seine innige Genugtuung 
ausdrückte, mit welchem Takt und welcher Einsicht Fürst 
Karl seine dornenvolle Regentenaufgabe durchführe, hinzu- 
setzend, daß er daran nie gezweifelt. Nach einem Aufent- 
halt bei den Eltern und einer Kur im idyllischen Imnau 




Prinzessin Marie. 



erfolgte die Rückkehr nach Rumänien und zwar direkt 
über Kronstadt nach Sinaia, wo das Fürstenpaar auf das 
freudigste von der ländlichen Bevölkerung, die von nah 
und fern herbeigeströmt war, empfangen wurde unter 
dem Klang der Glocken, unter Jubelrufen und Böller- 
schüssen. 



Digitized by 



213 



Der Aufenthalt in dem waldumgebenen Kloster, in 
dem es freilich nie an Besuchern fehlte, wurde diesmal 
benutzt, um einen neuen Bauplatz — da sich der früher 




Fürstin Elisabeth mit Prinzeßchen Marie. 



bestimmte als nicht geeignet erwiesen — zu wählen und 
zwar auf einer waldumschlossenen Anhöhe im wunder- 
vollen Peleschtale, und man konnte sich schon näher mit 
den von dem bekannten Wiener Baumeister Professor 



Digitized by 



Google 



214 



Doderer entworfenen Plänen des Schlosses beschäftigen, 
wie fernerhin die Errichtung eines etwas talaufwärts 
liegenden Jagdhauses beschlossen ward, welches der fürst- 
lichen Familie während der mehrjährigen Bauzeit zum 
Aufenthalt dienen sollte. 

Mit Wehmut spricht heute noch oft die Königin von 
jenen ungetrübt glücklichen Zeiten, in denen die fürstliche 
Familie zuerst nicht einmal über ein Eßzimmer verfügte, 
sondern im Gange essen mußte, bis die Mönche das Re- 
fektorium abtraten, und jener Gang war so dunkel, daß 
man die Tür ins Freie aufmachen mußte, um es hell zu 
haben, da die Fenster fehlten. Das Mobiliar setzte sich 
aus einem Tannentisch und Holzstühlen zusammen, die 
Wände waren weißgetüncht, und abends bestand die Be- 
leuchtung aus zwei Windüchtern, die in einer L,aterne 
hingen. Auch auf einen Salon mußte die Fürstin ver- 
zichten, das Schlafzimmer war durch einen weißen Vor- 
hang abgeteilt, so daß in der vorderen Hälfte ein Pianino 
stehen konnte, und oft schollen die frischen Stimmen der 
jungen Hoffräulein hinaus in die sternklare Nacht, oder 
alle sangen zusammen im Chor deutsche und rumänische 
Volkslieder: „Die Wände erweiterten sich von selbst, die 
Phantasie sah die herrlichsten Kunstgegenstände, wir 
waren jung und begeistert für unsere Idee, für unser 
opfervolles lieben und fanden keine Unbequemlichkeit zu 
groß. Wenn man den Raum sehen würde, in welchem 
ich „Hexe und Jehova" erdacht, man würde es nicht für 
möglich halten ! Es war ein sogenanntes Toilettenzimmer, 
ohne Iyicht und Luft, in dem die Stiefel schimmelten, 
wenn sie auf der Erde stehen blieben, mit einem einzigen 
lichte darin, drei Schritt lang und einen Schritt breit, da 
ging ich auf und ab und baute meine Gedichte und wußte 
gar nicht, daß der Raum eng war und die Klosterzelle 
dumpf!" — 

Ehe das Jahr sich seinem Ende neigte, konnte Fürst 




215 



Karl seinem Vater schreiben, in wie glücklicher Weise 1873 
für Rumänien verlaufen sei, da das gute Einvernehmen 
zwischen Regierung und Kammer fortdauere und auch 
die Schwierigkeiten in der Eisenbahnangelegenheit behoben 
worden wären, eine Kunde, die Fürst Karl Anton mit 
froher Befriedigung aufnahm: „Nach allen Berichten voll- 
zieht sich in Rumänien eine ganz wunderbare Rückkehr 
zu gesunden Anschauungen, und wenn das so fortdauert 
und die Sanktion der Kammer erhält, so kann man sagen, 
daß Du über den Berg hinüber bist! Nur für die aus- 
wärtige Politik empfehle ich Vorsicht. Günstige Tatsachen 
sind klug zu benützen, aber jede Provokation wäre bei 
unserem gegenwärtigen Friedensbedürfnis von Übel." 

Fürst Karl dachte an nichts weniger als an eine Pro- 
vokation. Ihm lag nur daran, daß sich die inneren Ver- 
hältnisse des Staates befestigten, damit letzterer allen Stür- 
men, die ihn von außen her bedrohen könnten, gewachsen 
sei. Die Ruhe im Lande dauerte auch im neuen Jahr 1874 
an. Die Kammern erledigten in fortgesetzter Arbeit die 
ihnen gestellten Aufgaben, und das Minist eri um war be- 
strebt, verschiedene wichtige Verbesserungen in den Ver- 
waltungszweigen einzuführen. Der Winter verlief gesell- 
schaftlich sehr lebhaft, da eine Reihe größerer Festlich- 
keiten stattfand, denen das Fürstenpaar gern beiwohnte, 
dessen innigste Freude die kleine Jtty war, wie Prinzeßchen 
Marie zärtlich genannt wurde. 

Aber als der Frühling kam, mit Blütenduft und L,er- 
chensang, da wurde den fürstlichen Eltern ihr heller 
Sonnenschein genommen und ihnen damit der furcht- 
barste Schlag zugefügt, den ein hartes Geschick auszu- 
üben vermochte. Grad am Ostersonntag erkrankte die 
kleine Prinzessin, die wenige Tage vorher mit ihrer Er- 
zieherin, wie häufig, das Helenenasyl bei Cotroceni be- 
sucht hatte, ein großes Waisenhaus, in welchem das Prin- 
zeßchen gern mit den Kindern spielte. Dort mußte sie 




216 



sich das Scharlachfieber geholt haben, das sie mit großer 
Heftigkeit befiel. Als der Morgen des 9. April graute, 
schlummerte das liebliche Kind, welches alle Qualen der 
Krankheit still ergeben erduldet, zum ewigen Schlaf hin- 
über. „Trost gibt es in solchen Augenblicken nicht/' 
schrieb Fürst Karl Anton seinem Sohn, und für die von 
so jähem L,eid betroffenen Eltern war es schwer, einen 
Trost zu finden in der innigsten Teilnahme des gesamten 
Landes, die sich in rührenden Zeichen der L,iebe und 
Hingebung erwies. In der Mittagsstunde des 10. April 
bettete man Prinzeßchen Marie im Garten des Helenen- 
asyls nahe dem Cotroceni-Kloster zur letzten Ruhe unter 
der innigsten Beteiligung aller Bevölkerungsschichten. 

In tief empfundenen Worten dankte Fürst Karl 
seinem Volk für die seinen Schmerz stillende allgemeine 
Trauer: „Die süßeste Erinnerung, die unsere verewigte 
Tochter uns als kostbaren Schatz hinterlassen hat, ist 
ihre unbegrenzte Iyiebe zu dem Land, in welchem sie ge- 
boren ward; eine L,iebe, die so lebendig war, daß die Ver- 
klärte ungeachtet ihres zarten Alters bei ihrem ersten 
Aufenthalt im Auslande von Heimweh ergriffen wurde. 
Die Religion unseres Kindes, die Sprache, die sie sprach, 
hat für uns eine neue Weihe erhalten, denn jedes rumä- 
nische Wort wird uns von nun an einen Widerhall 
jener Stimme bringen, die wir auf dieser Erde nimmer- 
mehr hören werden. Im Kreise unserer engsten Familie 
ist zwar das innigste Band gerissen, aber ein stärkeres 
Band vereint uns jetzt mit unserer großen Familie, dem 
rumänischen Volk, das mit uns gemeinsam unser Kind 
und das seine beweint/' In heißen Worten strömte der 
Fürst seinen Schmerz aus in Briefen an seinen treuen 
Freund, den deutschen Kronprinzen, und an seine Eltern, 
diesen schreibend: „Euch darf ich meinen tiefen Schmerz 
klagen, denn niemand besser als Ihr könnt ihn in seinem 
ganzen Umfasse fassen und verstehen. Ja, teuerste Eltern, 




217 



Ihr wißt es, daß es kein größeres Weh auf dieser Erde gibt, 
als sein eigen Kind ins Grab zu legen. Nur der Glaube, das 
Vertrauen auf Gott können in solchen Augenblicken Kraft 
verleihen, um eine so herbe Prüfung mit christlicher Er- 
gebung zu tragen. Tief ist die Wunde, die uns geschlagen 
ward, und niemals wird sie ganz heilen, denn sein Leben 
lang beweint man sein Kind, mit dem man die schönsten 
Hoffnungen begraben hat. Wie ein Blitzstrahl aus hei- 
terem Himmel kam dieser furchtbare Schlag, der unser 
schönes Familienglück zerstört hat; da, wo uns Freude 
und Sonnenschein entgegenleuchtete, ist Kummer und 
Schmerz eingezogen; wir können es noch nicht fassen, 
daß wir für immer Abschied genommen haben von unserm 
lieblichen Kinde ! — Täglich besuchen wir das teure Grab, 
das ein freundlicher Blumengarten ist, und benetzen es 
mit unseren Tränen. Mit uns weinen Tausende, das ganze 
Land teilt unsern Schmerz. — Wir sagen Euch, teuerste 
Eltern, tausend innigen Dank für die Trostesworte, die 
Ihr uns gesandt habt; wir wissen, daß Ihr mit uns wie 
um Euer eigen Kind weint! Elisabeth ist bewunderungs- 
würdig, sie erträgt den furchtbaren Schlag, der ihr Mutter- 
herz ganz zerrissen hat, mit großer Fassung und sucht 
Halt und Trost in der Religion und in dem Gedanken, 
daß unser verklärtes Töchterchen heute glücklicher ist, 
als es je auf Erden hätte werden können. — Wir küssen 
Euch, teuerste Eltern, die Hände und sehnen uns nach 
neuen Trostworten von Euch; der Trost der Eltern ist 

ja der süßeste in solchen Stunden." 

Und dem deutschen Kaiser dankte Fürst Karl tief- 
bewegt für die liebevolle Teilnahme, die dieser ihm in 
einem Briefe zum Ausdruck gebracht: „Daß es schwer 
ist, im Unglück tapfer zu bleiben, das weiß jeder, der 
einmal gelitten hat; daß es aber auch ein unerschütter- 
liches Gottvertrauen gibt, welches hinausträgt über alle 
Erdennot, das erfahren auch wir. — Wenn es einen Trost 




218 



gibt in solchen Schmerzen, so ist es der, daß ein ganzes 
Volk heiße Tränen über dem geliebten Grabe weint: von 
solcher Teilnahme, wie wir sie in dieser Zeit erfahren haben, 
kann man sich nur schwer einen Begriff machen, es gab 
weder Parteien noch Feindschaften mehr, alle Leiden- 
schaften waren zum Schweigen gebracht; denn unser 
Kind mit seinen sonnigen Augen und seiner Glocken- 
stimme hatte alle bezaubert/' — 

Fürstin Elisabeth klagte in schmerzdurchwehten Ge- 
dichten um den ihr so jäh genommenen Liebling: 



Mein kleines Kind, 

Von mir zum Lichte gezogen, 

Wo die Engel sind. 

O laß mich, laß mich es schauen 
Du Sonnenschein, 
In deinen goldenen Auen 
Den Engel mein! 

Hier wohnt nur Grabesstille, 
Hier ist's so kalt! 
Der lieblichen Töne Fülle — 
Sie ist verhallt! 

Und einsam das Herze mein — 

Ich rufe dich! 

Ein Sonnenstrahl schwebte herein 
Und küßte mich. — 



Sobald es nur die Witterung ermöglichte, siedelte das 
fürstliche Paar nach Cotroceni über, wohin es sie un- 
widerstehlich zog; war doch alles hier umweht von den 
weihevollen Erinnerungen an das geliebte Kind, dessen 
blumenbedeckte Grabstätte unter den rauschenden Bäumen 
des Parkes lag. Tiefe Sorge bereitete dem Fürsten die 
Stimmung seiner Gemahlin, wie es aus einem Briefe an 
seinen Vater hervorging: „Elisabeths Nerven sind so an- 
gegriffen, daß sie großer Schonung bedarf. Ich gestehe 



Mein Sonnenkind. 
Zur Sonne bist du geflogen, 




219 



Dir, daß ich mich oft ängstige und durch Schmerz, Kum- 
mer und Sorge recht bedrückt bin. Infolgedessen schlafe 
ich des Nachts nur wenig und habe meine arme Elisabeth 
wiederholt im Traume rufen hören: tot, tot! Dieser 



■ 




Grabmal der Prinzessin Marie in Cotroceni. 



schmerzliche Ausruf ist mir jedesmal wie ein Stich in 
mein wundes Herz/ 4 — 

In dem furchtbaren Leid wurde der Fürstin Elisabeth 
die Poesie eine keusche Trösterin. Ihr tiefes Weh klang 
in manch traurigem Lied wieder, das sie in ihr Tagebuch 
schrieb, dessen Inhalt zunächst nur für sie und den Ge- 



Digitized by 



220 



mahl bestimmt war. Da war es der rumänische Dichter 
V. Alexandri, der sie anregte, eine Reihe rumänischer 
Legenden und Märchen, die er in klangvolle Reime ge- 
bracht, ins Deutsche zu übertragen. 1 Und mit jenem 
Eifer, der die Fürstin bei der Verwirklichung all dessen, 
was sie interessiert, beseelte, ging sie darauf ein, gleich- 
zeitig planend, auch die schönsten Perlen deutscher Dicht- 
kunst in das Rumänische zu übersetzen, ihrer Mutter 
hiervon folgende Mitteilung machend: „Ist es nicht merk- 
würdig, wenn der Himmel mir mit einer Hand meine 
Lieben nimmt, schüttelt er mit der andern mir die reinsten, 
edelsten Blüten in den Schoß; in welcher liebreichen und 
anziehenderen Weise könnte ich wohl meinem Lande 
dienen, als indem ich ihm jetzt auch die Geistesschätze 
meines deutschen Vaterlandes in die rumänische Sprache 
übersetze." 

Nach einem kürzeren Sommeraufenthalt in Sinaia, 
den mit ihnen Erbprinz Leopold teilte, welcher, da die 
Eltern des Fürsten eine so weite Reise nicht unternehmen 
konnten, ihnen in den trübsten Stunden ihres Lebens zur 
Seite stehen wollte, reiste das Fürstenpaar nach Franzens- 
bad zu einer vierwöchentlichen Kur, die verschönt ward 
durch die Anwesenheit der Mutter des Fürsten und an die 
sich dann eine gemeinsame Reise nach England schloß. 
Nach einem mehrtägigen Aufenthalt in der heimatlichen 
Weinburg bei den Eltern des Fürsten erfolgte die Rück- 
kehr nach Rumänien, wo alsbald neue Pflichten jede 
Stunde ausfüllten, ein kleines Heilmittel in der Fülle 
trauriger Erinnerungen, die das Betreten jener Stätten 
mit sich brachte, welche so eng verknüpft waren mit dem 
dahingeschiedenen Prinzeßchen. 

Den Herbstmanövern wohnte der Fürst mit vielen 
auswärtigen hohen Offizieren, darunter deutschen, fran- 
zösischen, englischen, russischen, österreichischen und 
türkischen, bei. Die Haltung der Truppen gegen früher 




221 



hatte sich wesentlich gehoben und ebenso war die Dis- 
ziplin eine weit straffere geworden. Unter großer Feier- 
lichkeit fand in Gegenwart des fürstlichen Paares im 
Thronsaale des Bukarester Palais am 26. Oktober die 
Weihe von 32 Fahnen statt, die der Fürst, nachdem die 
Heeresorganisation nun vollendet worden, den Regi- 
mentern verliehen. An die um ihn versammelten Regi- 
mentskommandeure richtete der Fürst mahnende Worte: 
„Ich habe Euch diese Fahnen verliehen, in der stolzen 
Zuversicht, daß Ihr sie als ein heiliges Pfand in jeder 
Gefahr zu verteidigen und ihre Ehre fleckenlos zu er- 
halten wissen werdet! Ich zweifle keinen Augenblick, 
daß jeder von Euch, wenn die Stunde Euch ruft, seine 
Pflicht mit Liebe und Hingabe erfüllen und der Devise 
eingedenk sein wird, die auf Euren Fahnen steht: „Für 
Ehre und Vaterland !" — Und diese Mahnung wiederholte 
er bei der wenige Wochen später stattfindenden Ent- 
hüllungsfeier des vor der Universität errichteten großen 
Reiterdenkmals Michaels des Tapferen, der am Ausgang 
des 16. Jahrhunderts ruhmvolle Siege über die Türken 
davongetragen, des ersten rumänischen, einem National- 
helden gewidmeten Monuments. Nachdem der Fürst 
betont, daß Michael der Tapfere den soldatischen Geist 
begründet, der heute das rumänische Heer beseelt, und 
dessen Wehen im ganzen Volk zu spüren sei, fuhr er fort: 
„Ich bin überzeugt, daß die Zeit der Mannhaftigkeit 
nicht vorüber ist, sondern daß Rumänien im Augenblick 
der Gefahr sich wie ein Mann erheben wird, um seine Pflicht 
zu tun, und ich hoffe, daß Gott mir vergönnen wird, in 
jenem Augenblick den Erwartungen des Landes zu ent- 
sprechen, damit wir in die Seelen der künftigen Gene- 
ration neue Dankbarkeit gegen die Verteidiger des ru- 
mänischen Grund und Bodens eingraben können !" 

Mehr und mehr wurde jenseits der rumänischen 
Grenzen die wichtige, tief einschneidende Kulturarbeit 




222 



des Fürsten anerkannt, wie dies aus einem Briefe hervor- 
geht, den Max Müller, der große Sprachforscher, an den 
Fürsten, mit dem er wie mit der Fürstin auf englischem 
Boden zusammengetroffen, aus Oxford gerichtet. Nach- 
dem er zunächst seine Freude ausgedrückt, daß es ihm 
vergönnt gewesen, zwei so wahre, so edle Menschen kennen 
zu lernen, wie Fürst und Fürstin, und betont, wie sehr 
er an dem Fürsten besonders die seltene — wegen unsrer 
verfälschten, verkünstelten sozialen Zustände seltene — 
Eigenschaft, daß er den Mut habe, ganz so zu sein, wie 
er ist, schätze, fuhr er fort: „Die Größe des Werkes, 
das Eure Hoheit unternommen haben, wird mir jetzt 
erst klar. Es ist ein Werk, zu dem der höchste Herois- 
mus, der Heroismus der Geduld, gehört! — Zu säen ohne 
Hoffnung, die Ernte zu genießen, dazu gehört Glaube, 
wie er jetzt selten ist. Wäre ich jünger, so könnte ich 
mit Begeisterung meine Dienste dem Markgrafen 
europäischer Kultur an der Donau anbieten 
und würde ihm keine Ruhe lassen, bis die Schulen und 
Universitäten der Stolz seines Volkes und das Vorbild 
der ganzen Welt geworden wären ! — Kanonen sind nötig, 
Eisenbahnen sind nötig, aber nötiger als alles sind Schulen,^ 
sie sind die heiligste Pflicht! Unsre Nächsten zu lieben 
oder zu bessern, ist oft schwer, aber unsere nächstkommen- 
den Geschlechter zu lieben und zu bessern, das können 
wir alle. Wenn das Budget der Liebe (der Erziehung) 
so hoch ist, als das Budget des Hasses (des Krieges), 
dann wird die östliche Mark auch ohne Verträge unter 
dem Schutze Europas stehen/' 

Das Jahr 1875 stand gleichfalls für Rumänien unter dem 
erfreulichen Zeichen einer ruhigen und gesunden Weiter- 
entwicklung, die in jeder Beziehung eine völlig zufrieden- 
stellende gewesen, wenn nicht immer von neuem die 
Eisenbahnfrage aufgetaucht wäre, in welcher Angelegen- 
heit Fürst Karl durchaus den rumänischen Standpunkt 




223 



vertrat. Aber trotz der von deutscher Seite gemachten 
Schwierigkeiten fuhr man fort, das Schienennetz zu ver- 
größern und einen schnellen Anschluß an die Nachbar- 
staaten zu gewinnen, was durch die gute Finanzlage er- 
möglicht wurde. Hatte doch in diesem Jahre das Budget 
des Staates die Höhe von 100 Millionen erreicht, also 
fast das Doppelte jenes von 1866. Und die wirtschaft- 
liche Lage des Landes sollte eine fernere Verbesserung 
erfahren durch eine Reihe von Handelsverträgen, die 
man allmählich mit den wichtigsten Staaten, zunächst 
mit Österreich-Ungarn, abschloß, ohne daß man sich, 
wie in sonstigen bedeutsamen Fragen, um den Einspruch 
und die Einwilligung der Pforte kümmerte — Entschlüsse 
von großer Tragweite, die den Keim der Unabhängigkeit 
Rumäniens in sich bargen. Auch in anderer Hinsicht 
waren mancherlei Fortschritte zu bemerken, vor allem 
in Bukarest selbst, in welchem viele der niedrigen Ge- 
bäude stattlichen Häusern Platz gemacht, und wo man 
auch fernerhin fortfuhr, die Hauptstadt würdig des Ranges 
einer solchen mehr und mehr umzugestalten. 

Auf seinen vielfachen Reisen durch das Land wid- 
mete Fürst Karl den erhalten gebliebenen Baudenkmälern, 
die meist stark unter der früheren Gleichgültigkeit und 
Nachlässigkeit gelitten, besondere Sorgfalt, so die Wieder- 
herstellung der mit vielen geschichtlichen Erinnerungen 
verknüpften Kirche von Argesch anregend und sie einem 
mit der Entwicklung der byzantinisch-orientalischen Bau- 
kunst vertrauten tüchtigen französischen Architekten 
übertragend. Bei der Rückkehr von einer dieser Reisen 
entrann der Fürst durch eine glückliche Fügung einem - 
schweren Eisenbahnunglück, von dem am 14. Juni, dem 
Pfingstsonntag, nahe Bukarest sein Zug betroffen wurde, 
sich eine Verletzung unterhalb der Kniescheibe zuziehend, 
die jedoch nach wenigen Tagen heilte. Allgemein war die 
Teilnahme des Landes, die sich auch hier wieder zeigte, 




226 



träumt, gedichtet, geschrieben, ward die innige und sinnige 
Dichterin, die einen leuchtenden Kranz duftender 
Poesien um die Krone ihres Gemahls und um ihr neues 
Heimatland wob. 

In dieser Zeit schwerer Prüfung entstand eine Reihe 
tiefempfundener Dichtungen, die der Fürstin wechselnde 
Stimmungen getreu widerspiegelten. Auch die ersten 
Erzählungen in Prosa formten sich neben Plänen zu grö- 
ßeren Werken, welche allmählich ausgeführt wurden, 
später unter dem Pseudonym ,Carmen Sylva' der Dich- 
terin hallenden Ruhm bringend. Uber diesen Namen 
plaudert sie selbst in reizender Weise in den „Märchen 
einer Königin", berichtend, daß der Name vom Rhein 
stamme: „Den hat mir der Wiedbach zugerauscht, oder 
wie man dort sagt: Die Bach! Sogar mein Name, Wied, 
soll vom Altdeutschen herkommen und heißt Holz. Also 
bin ich des Holzes, des Waldes Kind, wenn es je eines 
gegeben hat!" Sie erzählt dann von ihrer Kindheit, 
von der Talgkerzenbeleuchtung, den Reisen im Post- 
wagen und von ihrer Liebe zum heimatlichen Walde: 
„Manchmal habe ich meine Arme um die Bäume geworfen 
und sie stürmisch umarmt und ihre Rinde geküßt, denn 
die Menschen fanden mich immer zu wild und stürmisch, 
der Wald nie. Der hat sich nie beschwert, wenn meine 
jungen Arme ihn umfingen, der fand nie, daß ich zu laut 
sei, wenn ich mit voller Kehle sang. — Als ich heiratete, 
da hatte ich schon einen ganzen Band Gedichte geschrieben 
und allerlei versucht, Drama und Novelle, die erste mit 
elf Jahren und das erste Drama mit vierzehn. Ich wußte 
aber wohl, daß das alles schlechtes Zeug sei. Erst als 
ich fünfunddreißig Jahre alt war, habe ich das erste drucken 
lassen, und zwar, weil die Leute sich ganz lange Sachen 
von mir abschrieben, da wollte ich ihnen die Mühe sparen 
und das vereinfachen. Da fing ich an, nach einem Namen 
zu suchen, hinter dem ich mich so gut verbergen könnte, 




227 



daß man gar nie merken könnte, wer ich sei. Ich sagte 
zum Doktor eines Morgens : „Ich möchte einen schönen 
Dichternamen haben; da ich aber nun in Rumänien bin, 
also einem lateinischen Volke angehöre, so muß ich einen 
lateinischen Namen haben. Der soll aber daran erinnern, 
wo ich herkomme. Wie heißt denn Wald auf lateinisch? " 
„Wald heißt Sylvae! Einige schreiben es auch Silvae." 
„Das ist wunderschön. Wie heißt denn Vogel? " „Avis" 
. . . „Das gefällt mir nicht, das klingt nicht schön. Wie 
heißt denn Lied oder Gesang auf Lateinisch?" „Lied 
oder Gesang heißt Carmen." Ich klatschte in die Hände: 
„Mein Name ist gefunden! Auf Deutsch heiße ich 
Waldgesang und auf Lateinisch Carmen Sylvae, aber 
Sylvae klingt nicht wie ein wirklicher Name, so muß 
ein kleiner Fehler durchhelfen, und ich will Carmen Sylva 
heißen!" — 

Gern versammelte die Fürstin hervorragende Schrift- 
steller und tüchtige Musiker um sich, da ihr neben der 
Poesie die Musik den reinsten Trost gewährte. — Erst im 
Spätherbst kehrte das fürstliche Paar nach Buka- 
rest zurück, das Palais beziehend, das sehr er- 
weitert und umgebaut war, in welchem sich Fürstin 
Elisabeth eine Reihe von traulichen Räumen geschaffen 
hatte, reich geschmückt mit erlesenen Werken der Kunst 
und mit einer Fülle stets frischer Blumen und immer- 
grüner Pflanzen. 

Umfassender wie sonst fielen diesmal die Truppen- 
übungen und Inspizierungen aus, mußte man doch mit 
einer sehr ernsten Entwicklung der orientalischen Ver- 
hältnisse rechnen und sich auf blutige Ereignisse gefaßt 
machen. In Montenegro, in Bosnien und der Herze- 
gowina, in Bulgarien und Serbien gärte es in 
schlimmster Weise. In den von christlicher Bevölke- 
rung bewohnten türkischen Gebieten am Balkan loder- 
ten überall seit langem vorbereitete Aufstände auf. 




228 



die, hier von den türkischen Truppen in grau- 
samer Weise niedergeschlagen, dort sogleich wieder 
emporflammten. Auch die Haltung Rumäniens zur 
Türkei war eine gespannte, da die Pforte nicht die 
geringsten Zugeständnisse machen wollte. Der Fürst 
rechnete sogar mit einer Mobilmachung seiner Armee, 




Palais in Bukarest. 



mit dem Kriegsminister alles Nähere besprechend und 
sich vom Vorhandensein der nötigen Munitionsvorräte 
überzeugend. 

„Mein Weg ist jnir vorgezeichnet, und ich habe 
auf ihm weiter zu wandern, ohne mich von Sturm 
und Wetter davon abbringen zu lassen," so hatte der 
Fürst am Ausgang dieses Jahres an seinen Vater 
geschrieben. 



Digitized by 



229 



Sturm und Wetter sollten gar bald über das Land 
hereinbrechen, sie fanden den Fürsten Karl auf seinem 
Posten als treuen und zielbewußten Markgrafen euro- 
päischer Kultur an der Donau, wie ihn Max Müller in 
dem oben mitgeteilten Briefe genannt, als tapferen 
Hüter der rumänischen Rechte und starken Schützer des 
rumänischen Volkes. 





IX. 



Der Ausbruch des russisch -türkischen Krieges 
und die Unabhängigkeitserklärung Rumäniens. 



Das Jahr 1876. — Drohende Wolken. — Die Gärung am Balkan. — Serbien und Monte- 
negro gegen die Türkei. — Die Haltung Rumäniens. — Der zehnjährige Jahrestag der 
Thronbesteigung des Fürsten Karl. — Rußlands Kriegsvorbereitungen. — Die Konferenz 
der Großmächte in Konstantinopel. — 1877 bricht an. — Der russisch-rumänische Durch- 
zügsvertrag. — Rußland erklärt der Pforte den Krieg. — Die russischen Truppen über- 
sehreiten die rumänische Grenze. — Fürst Karls selbständige Politik. — Rumäniens 
Kriegserklärung. — Die Feier der Unabhängigkeit. — Begeisterte Stimmung. — Mobil- 
machung. — Fürst Karl in Calafat. — Die Feuertaufe. — Im russischen Hauptquartier. 
— Kaiser Alexander II. überträgt dem Fürsten Karl das Oberkommando vor Plewna. 



rohende Wolken waren es, die im Jahre 1876 über dem 



I J Orient aufzogen und die sich alsbald in heftigen Ge- 
witterstürmen entluden. In verschiedenen Balkangebieten 
gärte es ununterbrochen und drängte alles zu einem Ent- 
scheidungskampfe gegen die türkische Herrschaft. In 
Bosnien und der Herzegowina hatte sich die christliche Be- 
völkerung erhoben und war zu den Waffen geeilt, von Ser- 
bien und Montenegro zunächst im geheimen unterstützt. 
Da in jenen Provinzen die Türken nur über geringe Truppen 
verfügten, hatten die Aufständigen vielerlei Erfolge zu ver- 
zeichnen, die kriegerische Stimmung in Montenegro und 
Serbien noch mehr entfachend. Auch in den bulgarischen 
Landesteilen loderte an den verschiedensten Stellen der 
Aufstand empor, der freilich von türkischer Seite auf das 
entschlossenste unterdrückt wurde, wobei es zu einer 
Reihe der empörendsten Greuelszenen kam, da die Tscher- 





231 



kessen, die nach dem Krimkrieg aus dem Kaukasus aus- 
gewandert und in Bulgarien angesiedelt worden waren, im 
Verein mit den Baschi-Bozuks der christlichen Bevölkerung 
gegenüber keine Schonung kannten, sondern einen völligen 
Vernichtungskampf auszuführen trachteten. Im Laufe des 
Sommers erklärten Serbien und Montenegro der Pforte 
den Krieg, aber während die Montenegriner unter Führung 
ihres Fürsten Nikola mehrere Siege über die türkischen 
Truppen davontrugen, ward das serbische Heer, das unter 
dem Befehl des russischen Generals Tschernajew stand 
und in seinen Reihen zahllose russische „Kriegsfreiwillige" 
hatte, auch sonst in jeder Hinsicht von Rußland aus unter- 
stützt wurde, an verschiedenen Punkten von den Türken 
zurückgeworfen. 

Die Wirkung dieser Ereignisse auf Rumänien blieb 
natürlich nicht aus, war man doch überzeugt, daß im ent- 
scheidenden Moment Rußland in die orientalischen Wirren 
eingreifen und ein Krieg zwischen dem Zarenreiche und 
der Türkei entbrennen würde. Von russischer wie öster- 
reichischer, auch von türkischer Seite fehlte es nicht an 
Sondierungen, wie in diesem Falle sich Rumänien zu 
verhalten gedächte. Aber Fürst Karl vermied zunächst 
jeden bindenden Entscheid, sich auf die Beschlüsse der 
Pariser Konferenz berufend und in weiser Vorausschauung 
seine Vorbereitungen treffend. Immer wieder war seine 
ganze Sorge darauf gerichtet, sein Heer schlagfertig zu 
machen, indem er zahllose Inspizierungen der einzelnen 
Truppenteile, der militärischen Vorräte, der Kasernen, der 
Militärschulen vornahm und zu seiner Freude wesentliche 
Fortschritte bemerken konnte, die er in einzelnen Tages- 
befehlen lobend hervorhob. Die schwierige Stellung 
Rumäniens zeigte sich schon darin, daß man russischer- 
seits gegen Rumänien aufgebracht war, weil dieses in 
treuer Befolgung seiner abwartenden Politik und der binden- 
den Verträge den nach dem serbisch-türkischen Kriegs- 




234 



funden hatten und fortgesetzt fanden. Von der Abhängig- 
keit der Türkei hatte man sich mehr und mehr befreit und 
war nicht mehr weit von völliger Selbständigkeit entfernt. 
So kümmerte man sich wenig, um die Einsprache der 
Pforte, indem man ein Gesetz annahm, das die Prägung 
von Münzen mit dem Bildnis des Fürsten sowie die Ver- 
leihung rumänischer Ordenszeichen seitens des letzteren 
anordnete, vielleicht an sich unbedeutende Einzelheiten, 
aber doch von entsprechender Wirkung für das Ausland, 
welches empfand, wie stark sich Rumänien fühlen mußte, 
um in diesen und anderen Fragen die Beschlüsse der 
Pforte nicht zu beachten. 

In Konstantinopel war im Laufe des Frühlings und 
Sommers ein doppelter Sultanswechsel vor sich gegangen; 
Ende Mai war Sultan Abdul-Asis abgesetzt und sein 
Neffe als Murad V. auf den Thron erhoben worden, den er 
aber nur drei Monate einnahm, da man ihn dann als irr- 
sinnig erklärte und seinen Bruder Abdul-Hamid II. zum 
Sultan ausrief, all dies auf Betreiben des aus Alttürken 
bestehenden Ministeriums. Auf dem serbischen Kriegs- 
schauplatz waren die Türken überall Sieger geblieben, und 
der Weg nach Belgrad stand ihnen frei; da aber trat 
Kaiser Alexander II. von Rußland dazwischen und ließ der 
Pforte am 30. Oktober erklären, daß, wenn nicht sogleich 
ein Waffenstillstand bewilligt würde, er die diplomatischen 
Beziehungen zur Türkei als abgebrochen betrachten 
müßte, worauf die Türken den russischen Vorschlag an- 
nahmen. Gleichzeitig wurde auf Anregung Englands eine 
Konferenz, an der sich die Vertreter sämtlicher . Groß- 
mächte beteiligen sollten, nach Konstantinopel berufen, 
um die orientalischen Wirren auf friedliche Weise zu 
lösen. Aber noch vor dem Zusammentritt derselben gab 
Kaiser Alexander die Erklärung ab, daß, falls die Pforte 
nicht die von ihr zu verlangenden Garantien erfüllte, er 
sich völlige Selbständigkeit seines Handelns vorbehalte. 




235 



Schon daraus ging hervor, in welchem Grade sich Ruß- 
land mit kriegerischen Absichten trug, und wie gespannt 
die politische Lage war. Diesen Eindruck empfing auch 
die Deputation, die Fürst Karl Anfang Oktober unter 
Führung des Ministerpräsidenten Bratiänu nach Livadia ge- 
schickt, um den dort eingetroffenen Zaren zu begrüßen; 
Graf Ignatjew wie auch Fürst Gortschako w äußerten hier- 
bei den Wunsch, daß Rußland mit Rumänien eine mili- 
tärische Konvention nichtpolitischen Charakters abzu- 
schließen gedenke, denn Rußland könne nur durch Ru- 
mänien in die Türkei eindringen. Als Bratianu bemerkte, 
daß eine Einigung zwischen den beiden Staaten sich leicht 
erzielen ließe, sobald Rußland den Krieg im Einverständnis 
mit den Garantiemächten führe, und Gortschakow scharf 
«entgegnete, daß Rumänien den russischen Durchmarsch 
bedingungslos zugestehen müsse, andernfalls man sich ge- 
zwungen sähe, das Fürstentum als einen Teil des Osma- 
nischen Reiches zu betrachten und sofort zu besetzen, er- 
widerte Bratianu sehr geschickt, daß dies wohl ein schlechter 
Anfang eines Feldzugs zur Befreiung der christlichen 
Brüder aus dem Joch der Ungläubigen bedeuten und daß 
übrigens das rumänische Heer sich auf das energischste 
dem Eindringen feindlicher Armeen widersetzen würde. 
Beruhigend sagte dann Fürst Gortschakow beim Ab- 
schied: „Wenn es Krieg gibt, werden wir uns schon 
verständigen; Rumänien kann dabei nur gewinnen/' 
worauf Bratianu entgegnete, eine Verständigung sei 
durchaus im Interesse beider Staaten. 

Unter diesen Umständen mußte Fürst Karl alles für 
den Ernstfall in Betracht ziehen. Er ließ im Oktober die 
Reserven einziehen unter dem Vorgeben, größere Manöver 
abhalten zu wollen, und fand auch die bereitwilligste Zu- 
stimmung der Kammern, daß jene Reserven über die be- 
. stimmte Zeit hinaus unter den Fahnen verblieben. Mehr- 
tägige Gefechtsübungen wechselten mit Besichtigungen 




236 



der außerhalb der Hauptstadt liegenden Truppenteile, auch 
an Alarmierungen einzelner Garnisonen fehlte es nicht, 
ebensowenig an der vorsichtigen Vervollständigung des 
Kriegsmaterials, zu welchem Zweck Ende November 
die Kammern 4 Millionen Frcs. bewilligt hatten; gleich- 
zeitig wurde eine Reihe neuer Regimenter gebildet und 
alles für die Mobilmachung vorbereitet, wie man ferner die 
wichtigeren strategischen Donaupunkte besser befestigte 
und sie mit größeren Garnisonen belegte, um einem Ein- 
fall der Türken sogleich energisch begegnen zu können. 

In einem in der zweiten Dezemberhälfte stattgefunde- 
nen Ministerrat gelangte die gefährliche Situation Rumä- 
niens bei einem Kriegsausbruch zur Sprache. Die Mehr- 
zahl der Minister trat lebhaft für die neutrale Haltung ein, 
wenige nur für ein Einvernehmen mit Rußland, diesen aber 
schloß sich mit voller Entschiedenheit Fürst Karl an. Auch 
im Lande selbst wuchs die Unruhe. Die Geldnot vergrößerte 
sich von Tag zu Tag, da viele Geschäfte stockten, und die 
Gerüchte von einem in kürzester Frist bevorstehenden Feld- 
zuge mit einem Angriff der Türken Handel und Wandel 
lähmten. Traf man doch sogar in den Donauortschaften 
alle Vorbereitungen zur Flucht, die viele Familien auch aus- 
führten. Fürst Karl jedoch war festen Mutes; er hatte Zu- 
trauen zu seiner jungen Armee und war entschlossen, daß 
Rumänien nicht der Kriegsschauplatz würde, falls die 
Würfel gefallen, klug abwägend, welche Vorteile seine vor- 
sichtig durchgeführte Politik dem Lande bringen könne. 

In Konstantinopel war mit dem Schluß des Jahres 1876 
die erwähnte Konferenz zusammengetreten, und am selben 
Tag, dem 23. Dezember, veröffentlichte die Pforte die neue 
Konstitution, die eine Fülle guter Vorsätze und weitgehender 
Versprechungen enthielt. Aber gerad durch diese Ver- 
fassung, die unter anderem Freiheit der Religionsübungen 
versprach, erfuhren die russischen Kriegsgelüste noch 
weitere Anregung, denn es war anzunehmen, daß die im 




237 



Aufstand begriffenen Christen auf türkischem Boden nun 
ihre Hoffnung auf den religiösen Frieden setzten, wodurch 
die in vollem Zuge begriffene revolutionäre Bewegung 
eingedämmt würde, was natürlich nicht den russischen 
Absichten entsprach. Andrerseits wieder mußte die Pro- 
klamierung einer Verfassung in der bisher so autokratisch 
regierten Türkei eine Rückwirkung auf die russische Be- 
völkerung ausüben, deren intelligente und liberale Teile ja 
längst auf ein konstitutionelles Regierungssystem hin- 
drängten. Auch auf Rumänien übte die Veröffentlichung 
jener Konstitution ihren Einfluß aus, da in derselben von 
der Abhängigkeit der „privilegierten Provinzen" gesprochen 
wurde, die untrennbar mit dem Osmanischen Reiche ver- 
bunden wären, und daß dem Sultan die Belehnung dieser 
Provinzen mit ihren Staatshäuptern für alle Zeiten ob- 
liege. Mit Recht sah das Rumänien als einen Angriff 
seiner Autonomie an und erließ eine energische Protest- 
note. Im Lande selbst machte jene türkische Heraus- 
forderung viel böses Blut und trug das ihrige zu einer 
immer wachsenden Ausbreitung der kriegerischen Stim- 
mung bei. 

Dunkel und unsicher begann das neue Jahr 1877. Man 
fühlte, daß die bedeutsame Entscheidung nahte, aber man 
sehnte sie rumänischerseits auch herbei, denn diese Un- 
gewißheit, welche die wichtigsten wirtschaftlichen Be- 
ziehungen beeinträchtigte, die Geldkrisis von Tag zu Tag 
verschärfte und die Gemüter aller dumpf belastete, war viel 
schwerer zu ertragen, als wenn man den ernstesten und ein- 
schneidensten Vorgängen offen entgegensah. Mehr und 
mehr mußte man mit der Unvermeidlichkeit des Krieges 
rechnen. Die Konferenz in Konstantinopel war am 20. Ja- 
nuar ergebnislos auseinander gegangen, da die Pforte die 
beiden entscheidenden Forderungen der Großmächte — 
Mitwirkung derselben bei Ernennung der Gouverneure in 
den christlichen Provinzen und Einsetzung einer aus Be- 



Digitized by 




238 



vollmächtigten der Großmächte bestehenden Aufsichts- 
kommission — abgelehnt hatte, was sie ihrer Selbsterhaltung 
schuldig gewesen. Denn bei einer Zustimmung hätte der 
Sultan mit einer Revolution in der türkischen Hauptstadt 
rechnen müssen, hatten doch die Führer der mohamme- 
danischen Geistlichkeit erklärt: „Wir haben die Christen 
unterworfen und das Land mit dem Schwert erobert und 
wir wollen mit ihnen weder die Verwaltung des Reiches 
teilen, noch sie an der Leitung der Regierungsgeschäfte teil- 
nehmen lassen." 

Die Eröffnung der direkten Feindseligkeiten gegen die 
Türkei suchte Rußland bis zum Frühling hinaus zu schieben 
durch allerhand diplomatische Verhandlungen mit den 
Westmächten, in seinen eigenen Grenzgebieten die nötigen 
Vorbereitungen für den Feldzug treffend und mit Rumänien 
die bereits Ende 1876 eingeleiteten Verhandlungen eines 
Durchzugs der russischen Truppen durch das Fürsten- 
tum fortsetzend. Unterdessen schlössen russische Offiziere 
bereits auf rumänischem Boden verschiedene Kontrakte ab 
zur Lieferung von Brückenbaumaterial, Holz und Vorräten, 
und besichtigten mit Erlaubnis des Fürsten die Ver- 
teidigungsarbeiten an den befestigten Donaupunkten. 
Gleichzeitig unterbreiteten russische Generalstabsoffiziere 
dem Fürsten die geplanten russischen Marschdispositionen 
und überbrachten eine Erklärung, daß die russische Heeres- 
verwaltung Rumänien schwere Positionsgeschütze für die 
Verteidigung abgeben und Pferde für die Artillerie be- 
schaffen wolle. 

In einem vom Fürsten Karl auf den 14. April einbe- 
rufenen Ministerrat, zu dem auch gewesene Minister 
und hervorragende rumänische Staatsmänner hinzugezogen 
wurden, sprach sich die Mehrzahl für die Neutralität Ru- 
mäniens aus, der Fürst aber trat wiederum energisch für 
ein Hand in Handgehen mit Rußland ein und setzte den 
Beschluß durch, daß das gesamte Heer mobü gemacht 




239 



werden solle. Ferner wurden neue Truppentransporte nach 
der Donau beordert, deren Abfahrt der Fürst beiwohnte, 
die Offiziere um sich versammelnd und ihnen sein volles 
Vertrauen ausdrückend, daß er überzeugt sei, jeder von 
ihnen werde pflichtgetreu und eifrig dem Staat dienen 
und sein ganzes Streben darauf richten, sich auszu- 
zeichnen. 

Auch die Türkei hatte alles für den Kriegsfall vorbe- 
reitet, indem die Truppen in Bulgarien wesentlich ver- 
mehrt und die Donaufestungen auf das eiligste verstärkt 
und mit großen Geschützen versehen wurden. Man hörte, 
daß die türkische Heeresmacht in und um Widin 40 000 
Mann zähle, des Augenblicks gewärtig, um über die 
Donau zu gehen und in Rumänien einzufallen, während 
die rumänische Garnison von Calafat nur 900 Mann betrug, 
dagegen 20 000 Man erforderlich waren, um den geplanten 
türkischen Anprall zurückzuwerfen. 

In der zweiten Aprilhälfte hatte Fürst Karl den ru- 
mänisch-russischen Vertrag über den Durchzug der rus- 
sischen Truppen durch Rumänien unterzeichnet. In dem- 
selben war gleich in der Einleitung gesagt, daß die rus- 
sische Regierung den Wunsch hege, die territoriale Un- 
verletzlichkeit des rumänischen Staates zu achten. Die 
weiteren Artikel lauteten sodann: 

„Artikel I. Die Regierung Sr. Hoheit des Fürsten von 
Rumänien Karl I. sichert dem russischen Heere, das in 
die Türkei einzurücken bestimmt ist, freien Durchzug durch 
das rumänische Gebiet und die Behandlung einer be- 
freundeten Armee zu. 

Alle Ausgaben, welche durch die Erfordernisse des 
russischen Heeres, seine Beförderung, wie auch die Be- 
friedigung seiner Bedürfnisse veranlaßt werden könnten, 
fallen natürlich der Kaiserlichen Regierung zur Last. 

Artikel II. Damit für Rumänien keinerlei Unannehm- 
lichkeiten oder Gefahr aus dem Durchzug der russischen 




240 



Truppen erwachse, verpflichtet sich die Regierung Sr. 
Majestät des Kaisers aller Reußen, die politischen Rechte 
des Rumänischen Staates aufrecht zu erhalten und Sorge 
dafür zu tragen, daß dieselben so geachtet werden, wie 
es die L,andesgesetze und die bestehenden Verträge er- 
fordern. Ferner verpflichtet sich die Regierung Sr. Majestät 
des Kaisers von Rußland, die dermalige Integrität Ru- 
mäniens aufrecht zu erhalten und zu beschützen. 

Artikel III. Alle näheren. Bestimmungen über den 
Durchzug der russischen Truppen, ihr Verhältnis zu den 
Lokalbehörden, wie auch jedes Übereinkommen, das zu 
diesem Zwecke getroffen werden muß, werden in einem 
besonderen Vertrage festgestellt werden, und zwar von 
Delegierten beider Regierungen, und dieser Vertrag wird 
gleichzeitig mit dem vorliegenden ratifiziert werden und 
sofort in Wirksamkeit treten. 

Artikel IV. Die Regierung Sr. Hoheit des Fürsten 
von Rumänien verpflichtet sich, für die vorliegende 
Konvention die von den rumänischen Gesetzen vor- 
geschriebene Ratifikation zu erlangen und sogleich zur 
Ausführung der in derselben enthaltenen Stipulationen 
zu schreiten." 

Während die Fürstin Elisabeth sich auf das eifrigste 
den bevorstehenden Aufgaben für die Pflege der Ver- 
wundeten widmete, die Hospitäler besuchte und die Ein- 
richtungen des Roten Kreuzes studierte, begab sich am 
19. April Fürst Karl nach Giurgiu und inspizierte die ver- 
schiedenen Donaupunkte, nach Bukarest zurückgekehrt 
mit dem Kriegsminister die Truppenverteilung ausarbeitend. 
In ernster Weise wurde am 20. April der Geburtstag des 
Fürsten begangen, dem im Namen des Ministeriums 
Ministerpräsident Bratianu die innigsten Glückwünsche 
darbrachte, hervorhebend, daß an diesem Tage vor elf 
Jahren in schwieriger Zeitlage der Fürst dem Rufe der 
rumänischen Nation gefolgt sei und daß, wie damals, so 




241 



auch heute das. gesamte Volk mit festem Vertrauen zu ihm 
emporblicke, überzeugt, der Herrscher werde auch diesmal 
die drohenden schweren Gefahren abwenden. 

Das war wahrlich eine verantwortliche Zeit für den 
Fürsten Karl. Stand doch Rumänien zwischen zwei Feuern 
und konnte leicht in die Lage kommen, daß bei dem bevor- 
stehenden blutigen Streit der beiden großen Nachbarstaaten 
diesen der kleine Staat zum Opfer fiele, indem sie ihn als 
Kampfpreis erkürten, über ihn hinweg den Frieden schlie- 
ßend. Dazu kam die drückende Finanznot, so daß schon 
seit längerer Zeit die Zivilliste nicht ausgezahlt worden war, 
der Fürst trotzdem aber 100 ooo Frcs. aus seiner Privat- 
schatulle bewilligte, um den Offizieren die noch nicht von 
den Kammern genehmigte Kriegszulage für einen Monat 
zu gewähren. 

Endlich war die langersehnte Entscheidung da: Ruß- 
land erklärte der Pforte den Krieg! Fürst Gortschakow 
teilte dies am 24. April den Mächten mit, die Kriegs- 
erklärung damit begründend, daß alle zwischen den Kabi- 
netten vereinbarten Vorschläge auf einen unüberwindlichen 
Widerstand der türkischen Regierung gestoßen wären. Der 
russische Herrscher habe daher das zu übernehmen be- 
schlossen, wozu er die Großmächte aufgefordert, mit ihm 
gemeinschaftlich zu handeln; der Kaiser erfülle somit eine 
Pflicht, welche ihm die Interessen Rußlands auferlegten, 
dessen friedliche Entwicklung durch die unaufhörlichen 
Wirren im Orient fortdauernd gehemmt würde, und er 
habe die Uberzeugung, daß sein Handeln den Anschau- 
ungen Europas entspreche. 

Die Ereignisse nahmen jetzt ihren schnellen Verlauf. 
Auf die russische Kriegserklärung hin lief beim Fürsten 
Karl ein Telegramm des Großveziers aus Konstantinopel 
ein, in welchem dieser im Namen des Sultans, gestützt auf 
die betreffenden Artikel des Pariser Vertrages und der 
Ubereinkunft des Fürstentums mit der Pforte vom Jahre 

Lindenberg, König Karl. 16 




242 



1858, den Fürsten aufforderte, sich mit .der türkischen 
Regierung in Verbindung zu setzen behufs gemeinsamer 
militärischer Maßregeln zur Verteidigung des rumänischen 
Bodens. Fürst Karl beauftragte den Minister des Äußern, 
zu antworten, daß die Erfüllung der Forderung der Hohen 
Pforte zunächst den gesetzgebenden Körperschaften vor- 
gelegt werden müsse, die zum 26. April einberufen seien. 
Die Vorwärtsbewegung der russischen Truppen hatte be- 
reits begonnen, gleichzeitig damit das Passieren der rumä- 
nischen Grenze, was für das rumänische Ministerium in- 
sofern unangenehm war, als die Kammern noch nicht den 
russisch-rumänischen Vertrag genehmigt hatten 

Dem Fürsten Karl kam es vor allen Dingen darauf 
• an, sofort Rußland gegenüber die vollste Selbständigkeit 
Rumäniens zu betonen, und ihn berührte deshalb um so 
peinlicher eine vom Großfürsten Nikolaus, dem Ober- 
kommandierenden der russischen Streitkräfte, an das ru- 
mänische Volk gerichtete Proklamation, des Inhalts, daß 
die russischen Truppen als Freunde den rumänischen 
Boden betreten hätten und hofften, jene edlen Gesinnungen 
bei den Rumänen zu finden, die ihre Vorfahren dem 
russischen Heere in den früheren Kriegen Rußlands gegen 
die Türkei entgegengebracht. Fürst Karl betonte in Ge- 
genwart seines Ministerpräsidenten und des Ministers des 
Äußeren dem russischen Generalkonsul gegenüber, wie 
sehr ihn dieser Eingriff verletzt habe, da er allein be- 
rechtigt sei, zu seinem Volk zu sprechen. Der General- 
konsul entschuldigte seine Regierung damit, daß die mit 
Rumänien abgeschlossene Konvention noch nicht bekannt 
gemacht sei, und daß es daher schwer gewesen wäre, die 
rumänische Bevölkerung in anderer Weise zu verständigen, 
Großfürst Nikolaus würde dies übrigens gern schriftlich 
dem Fürsten erklären. 

In diesem Sinn war auch ein seitens des Kaisers 
Alexander von Rußland aus Kischinew gerichteter Brief 




243 



an den Fürsten gehalten, in dem er hervorhob, daß 
die russischen Streitkräfte als aufrichtige Freunde die 
Grenze überschritten hätten, um ein Land zu verteidigen, 
für das sie schon öfter ihr Blut verspritzt, und daß der 
Kaiser auf die Unterstützung des Fürsten und seiner Re- 
gierung rechne; er brauchte nicht erst zu versichern, daß 
Rumänien auf das traditionelle Interesse Rußlands und 
seine beständige Hilfe rechnen dürfe. Auch Großfürst 
Nikolaus sandte seinen Adjutanten an den Fürsten mit 
einem Schreiben, in welchem er die Gründe darlegte, wa- 
rum es nicht möglich gewesen, das Uberschreiten der 
Grenze vorher anzukündigen und weshalb er jene Prokla- 
mation an die Rumänen gerichtet; er hoffe auf eine fort- 
gesetzte freundschaftliche Verbindung mit dem Fürsten und 
auf eine baldige Verständigung der Operationen beider 
Armeen, er würde sehr dankbar sein, wenn der Fürst ihm 
die entsprechenden militärischen Mitteilungen zugehen 
ließe, wie auch er nicht verfehlen werde, stets das gleiche 
zu tun. Der Adjutant erörterte sodann noch im Auftrag 
des Großfürsten mündlich die Idee einer gemeinsamen 
Tätigkeit der russischen und rumänischen Truppen, worauf 
der Fürst jedoch nicht einging, da er durchaus seinen 
Standpunkt gewahrt wissen wollte, daß das rumänische 
Heer unter seinem Oberkommando bleiben und selbständig 
handeln solle. Die Absicht einer Kooperation der beiden 
Armeen gelangte in weiteren Briefen des Großfürsten zum 
Ausdruck, aber auch hier verhielt sich Fürst Karl stets 
abwartend, da er zunächst fest umschlossene Bedingungen 
wünschte, unter denen ein gemeinsames Handeln möglich 
wäre. Diesen Standpunkt wahrte er auch insofern sehr 
energisch, als er erfuhr, daß der Großfürst von Plojetschti 
aus, wo er mit seinem Stabe eingetroffen, dem Fürsten- 
paare in Bukarest Mitte Mai seinen Besuch abstatten 
wolle, hierbei von seinem militärischen Gefolge und einer 
Eskorte begleitet. Fürst Karl erhob gegen die letztere Be- 

16* 




244 



Stimmung des Programms Einspruch unter der Begründung, 
daß in der zwischen Rußland und Rumänien abgeschlossenen 
Konvention ganz besonders betont worden sei, daß russi- 
sche Truppen die rumänische Hauptstadt nicht betreten 
dürften; er selbst werde mit seiner eigenen Eskorte seinen 
fürstlichen Gast vom Bahnhof in die Stadt geleiten, vorher 
aber gedenke er dem Großfürsten seinen Besuch abzustatten. 

Gelegentlich dieses Zusammentreffens am 14. Mai, bei 
welchem der Großfürst den Fürsten Karl auf das herzlichste 
begrüßte, drang ersterer nochmals persönlich auf eine Ver- 
einigung der russischen und rumänischen Armeen, diesen 
Wunsch noch begründend, daß die eigene ihm unterstellte 
Heeresmacht nicht ausreichend sei, seine nächsten Ziele 
zu verfolgen; er hoffe daher auf die Unterstützung seitens 
der rumänischen Truppen zunächst insofern, als sie das 
linke Donauufer besetzt hielten, damit der Aufmarsch der 
russischen Truppen sich ungestört vollziehen könne. Fürst 
Karl wiederholte auch hier, daß er unbedingt das Ober- 
kommando über seine Truppen behalten werde; selbst- 
verständlich würden dieselben in ihren Donaustellungen 
verbleiben, er wie sein Heer wünschten nur eins, bald 
militärisch eingreifen zu können, die Bedingungen würde 
er vorher mit dem russischen Hauptquartier vereinbaren. 
Der Generalstabschef des Großfürsten rühmte dem Fürsten 
die bisher von der rumänischen Heeresverwaltung umsich- 
tig getroffenen Maßregeln, die für den russischen Vormarsch 
von allergrößtem Nutzen gewesen seien, den Wunsch aus- 
drückend, daß er sich gern mit dem Chef des rumänischen 
Generalstabes in Verbindung setzen möchte, um das 
Weitere im Interesse eines ferneren Zusammenwirkens zu 
beschließen. Unterdessen hatten türkische Kriegsschiffe 
bereits einige offene Donaustädte, wie Braila und Reni, 
bombardiert; von Oltenitza und Calafat aus war das Feuer 
der auf dem jenseitigen Ufer befindlichen türkischen 
Batterien von den rumänischen erwidert worden. 




245 



Noch ehe der April zu Ende gegangen, hatten die 
Kammern den Durchzugsvertrag mit großer Mehrheit ge- 
nehmigt; mit Begeisterung war bei Eröffnung der außer- 
ordentlichen Sitzung der Fürst begrüßt worden. In seiner 
Thronrede hob Fürst Karl hervor, daß, da die Hohe Pforte 
und die Garantiemächte trotz aller Bemühungen seiner 
Regierung die Neutralität des Landes nicht verbürgt 
hätten, Rumänien nun auf seine eigene Kraft angewiesen 
sei. Vor allem sei sein Bestreben darauf gerichtet, den 
rumänischen Boden nicht zum Kriegsschauplatz werden 
zu lassen; die russischen Truppen seien zwar eingerückt, 
würden aber die Hauptstadt nicht berühren als Zeichen, 
daß Rußland die politische Individualität Rumäniens 
anerkenne; der Fürst hoffe, daß nun die Zwietracht der 
Parteien schwinden werde vor dem einen Ziel: der Größe 
Rumäniens ! 

In der Erwiderung der Kammer auf diese Thronrede 
hieß es, daß die Volksvertreter, vertrauensvoll dem Rufe 
des Fürsten folgend, in diesen gefahrvollen Stunden sich 
um den Thron geschart hätten und daß sie dem Fürsten 
die vollste Bereitwilligkeit des Volkes versicherten, ihm 
hingebend zu folgen, sobald er es rufe. — Der gleiche 
Patriotismus gelangte in einer Adresse des Senats vom 
5. Mai zum Ausdruck, worin verkündet wurde, daß das 
ganze Land nur von dem einen Gedanken der Befreiung 
beherrscht werde und vor keinem Opfer, diese zu erlangen, 
zurückscheuen werde. In der Antwort des Fürsten hierauf 
lautete es: „Ohne daß ein einziger Flintenschuß von 
unserem Ufer abgefeuert worden, werden unsere halb ver- 
lassenen Städte und Dörfer an der Donau verwüstet. Unser 
internationaler Handel an den Ufern der Donau ist ver- 
nichtet; in Mißachtung des Völkerrechtes kommen die 
türkischen Kanonenboote bis in unsere Häfen, um die 
Schiffe ohne Unterschied der Flagge zu kapern und zu 
verbrennen. Offene Städte, wie Braila und besonders Reni, 




246 



sind bombardiert worden. Oltenitza, wo sich nicht ein 
einziger russischer Soldat befindet, hat dasselbe Schicksal 
ereilt, Banden von Tscherkessen und Baschi-Bozuks sind 
auf rumänischem Küstengebiet eingebrochen". Und der 
Fürst schloß, daß, wenn die Türkei der bisherigen Mäßigung 
der rumänischen Regierung keine Rechnimg trage, Ru- 
mänien gezwungen sei, Gewalt mit Gewalt zurückzuweisen, 
denn vor allem müsse die Grenze des Landes verteidigt 
werden. 

Nachdem die Pforte am 8. Mai dem rumänischen 
diplomatischen Agenten in Konstantinopel seine Pässe zu- 
geschickt hatte, erklärte Rumänien fünf Tage später der 
Türkei den Krieg, und nach vorhergegangenen Verhand- 
lungen im Ministerrat und den Kammern ward die Un- 
abhängigkeit Rumäniens beschlossen, welch weittragender 
Beschluß am 22. Mai, dem Nationalfeiertage, festlich und 
freudig begangen wurde. An ein Tedeum in der Metropolie 
schloß sich die Beglückwünschung seitens der Minister, 
der hohen Offiziere und Zivilbeamten im Palais. In be- 
geisterten Ansprachen wurde hier Fürst Karl als der erste 
Fürst und der erste Soldat des freien Rumäniens gefeiert. 
D. Bratianu ging noch weiter, indem er den Fürsten bereits 
als den ersten König von Rumänien begrüßte, und der 
Kammerpräsident Rosetti erinnerte den Fürsten an seine 
vor elf Jahren bei seiner Ankunft in Bukarest gesprochenen 
Worte, daß er Rumäne geworden sei und Vaterland und 
Familie verlassen habe, um heute als Staatsbürger, morgen, 
wenn nötig, als Soldat die guten wie die schlechten Ge- 
schicke des Landes zu teilen, dem Fürsten seine Bewun- 
derung ausdrückend, mit welcher Hingebung er sein Ver- 
sprechen erfüllt habe. Voll tiefer Bewegung erwiderte der 
Fürst, daß er an diesem großen Tage, wo auch jeder 
Schatten einer Abhängigkeit von Rumänien genommen 
worden sei, es um so weniger bedaure als je, seine einstige 
Heimat verlassen zu haben, und daß er hoffe, das unab- 




247 



hängige Rumänien werde nun seine hohe Mission ungehin- 
dert und frei erfüllen, sich selbst und Europa zum Segen ! — 




Das erste große Ziel, das sich Fürst Karl gesetzt, als 
er die Krone Rumäniens angenommen, war erreicht. Das 



Digitized by 



248 



Land war ein selbständiger Staat, er der Fürst eines un- 
abhängigen Reiches geworden, ein ganzes Volk stand voll 
festen Vertrauens hinter ihm. Das enggeschlossene Staats- 
wesen hatte sich die Achtung der Nachbarn erworben, und 
was er in elf langen und schwierigen Jahren für Rumänien 
getan, trug jetzt seine Früchte. Zunächst hatte Rußland 
eingesehen, daß es nicht mehr, wie früher so oft, das 
Donaufürstentum in Besitz nehmen und behebig darin 
schalten könnte, und ferner, daß die Türken es nicht ge- 
wagt, ihren „Vasallenstaat" militärisch zu besetzen! 

Nun hieß es aber, diese so schwer errungene Selb- 
ständigkeit auch den Russen gegenüber zu wahren. Es 
gehörte viel Takt und Energie, viel Klugheit und Be- 
ständigkeit dazu, um diese Aufgabe zum Wohle des Landes 
durchzuführen, und die Geduld des Fürsten, der natürlich 
den Augenblick herbeisehnte, mit seinem Heere aktiv ein- 
zugreifen in die kriegerischen Ereignisse, sollte auf eine 
harte Probe gestellt werden. Rechnete einerseits Groß- 
fürst Nikolaus auf den Waffenbeistand der rumänischen 
Truppen, so hatte Ende Mai Kaiser Alexander durch den 
diplomatischen Vertreter Rumäniens in St. Petersburg, 
General Ghika, erklären lassen, daß, falls das rumänische 
Heer die Donau überschreiten und auf eigene Kosten und 
Gefahr den Krieg gegen die Türkei führen wolle, dies nur 
geschehen dürfe, wenn die rumänischen Truppen sich unter 
den Befehl des russischen Oberkommandos stellten. Auf 
den schriftlichen Antrag der rumänischen Regierung, daß 
das rumänische Heer sich tätig an den Kriegsereignissen zu 
beteiligen gedenke, hatte Fürst Gortschako w in einer längeren 
Note geantwortet, deren wörtlicher Kern war: „Rußland hat 
die Hilfe der rumänischen Armee nicht nötig, die Streit- 
kräfte, welche es in Bewegung gesetzt, um die Türkei zu 
bekämpfen, sind mehr wie genügend, um dieses Ziel zu 
erreichen, das sich der Kaiser mit diesem Kriege gesetzt", 
und hatte des ferneren die eben erwähnte Erklärung Kaiser 




249 



Alexanders nochmals betont. Wie später Großfürst Niko- 
laus dem Fürsten Karl mitteilte, war er durchaus nicht 
der Ansicht des russischen Reichskanzlers, sich beklagend, 
daß die Diplomatie viel zu sehr sich in Dinge mische, 
die sie gar nichts angingen. 

In ganz Rumänien herrschte die aufrichtigste Begeiste- 
rung. Reichlichst flössen die Gaben für die Armee, eine 
große Zahl Privater stellte der Heeresverwaltung Pferde 
zur Verfügung, mit welchem Beispiel Fürst Karl voran- 
gegangen, und in dichten Scharen meldeten sich die Frei- 
willigen, die zum Teil den besten Familien augehörten. 
Durch Befehl vom 8. Mai hatte der Fürst, nachdem die 
Mobilmachung am Tage vorher vollendet worden, das 
Oberkommando der Armee übernommen. Letztere zählte 
50 000 Mann mit 180 Geschützen, während sich die ganze 
Wehrkraft des Landes mit ihren noch nicht einberufenen 
Jahrgängen, den verschiedenen Klassen der Miliz und der 
Nationalgarde auf 70 000 Mann bezifferte. Täglich nahm 
der Fürst eingehende militärische Besichtigungen vor, 
wiederholt begleitet von der Fürstin, die sich mit uner- 
müdlicher Sorgfalt um die Lazaretteinrichtungen, Kranken- 
häuser und die Vorkehrungen für die Pflege der Verwun- 
deten kümmerte. Die rumänischen Truppen waren voll 
froher Kampfesstimmung, und die Bevölkerung bereitete 
dem Fürsten, wo er sich zeigte, jubelnde Huldigungen, 
so am 26. Mai in Crajowa und anderen Städten wie Ort- 
schaften, in denen der Fürst die Regimenter besichtigte. 

Am 27. Mai war er in Calafat eingetroffen, sofort die 
Feldbefestigungen, das Lager und die Batterien besuchend, 
dann, um die siebente Abendstunde, seine Stellung auf 
dem höchsten Punkt der Verteidigungslinie, der Batterie 
Carol, nehmend und von hier aus den Befehl zur Be- 
schießung des gegenübergelegenen Widin erteilend. Die 
Türken erwiderten sogleich das Feuer und wußten gut zu 
zielen, denn in die Batterie Carol fielen fünf Bomben, von 




250 



denen drei in unmittelbarer Nähe des Fürsten platzten, 
daß weithin die Sprengstoffe flogen. Aber der Fürst ver- 
ließ nicht seinen Platz, sondern begrüßte die feindlichen 
Geschosse durch Schwenken seiner Mütze, worauf die 
Mannschaften in stürmische Hurras ausbrachen, die sich 
bis in das Lager fortpflanzten, wo die Musikchöre zu 
spielen begannen. Erst nach einer Stunde, nachdem der 
Fürst genau den guten Erfolg des Feuers seiner Batterie 
verfolgt, verließ er seine Stellung, in einer benachbarten 
Ortschaft sein Quartier aufschlagend. 

Zwischen dem Großfürsten Nikolaus, der mit seinem 
Stabe, wie wir schon erwähnt, in Plojeschti weilte und bereits 
am 15. Mai seinen ersten Besuch dem Fürstenpaare in 
Bukarest abgestattet hatte, und dem Fürsten Karl entspann 
sich ein durchaus freundschaftliches Verhältnis. Wieder- 
holt wurde der Fürst zum russischen Kriegsrat hinzu- 
gezogen, bei der ersten sich darbietenden Gelegenheit be- 
tonend, wie strategisch wichtig der Straßenknotenpunkt 
Plewna sei, den Russen ratend, nachdem sie die Donau 
überschritten, diesen Ort sobald wie möglich mit den er- 
forderlichen Streitkräften zu besetzen, ein Rat, der, wie 
später Großfürst Nikolaus mehrfach erwähnte, zum größten 
Schaden der russischen Operationen nicht befolgt worden war. 

In Plojeschti konnte am 7. Juni Fürst Karl auch den 
russischen Kaiser begrüßen, der ihn auf das liebenswürdigste 
empfing und in einer Unterredung unter vier Augen er- 
wähnte, daß Rumänien nur Gutes von ihm zu erwarten 
habe, denn nun, wo wider Erhoffen der Krieg ausgebrochen, 
wünsche er sehnlichst allen christlichen Völkern des Orients 
bessere Zeiten zu bringen. Fürst Karl entgegnete, mit 
welcher Zuversicht er erwarte, daß dieser Krieg Rumänien 
die Unabhängigkeit sichern und dem rumänischen Heere 
die ersehnte Gelegenheit bieten würde, an dem Feldzug 
aktiv teilzunehmen und so die Ehre des jungen rumänischen 
Staates hochzuhalten. 





Digitized by 



252 



Am nächsten Tage erwiderte Kaiser Alexander in Be- 
gleitung dreier seiner Söhne, darunter des Thronfolgers, 
des Großfürsten Nikolaus, sowie des Fürsten Gortschakow 
und der gesamten militärischen Gefolgschaft den Besuch 
in Bukarest, dort vom Fürstenpaare und der Bevölkerung 
festlich empfangen, bei der Einfahrt in die reich ge- 
schmückte Stadt im ersten Wagen neben der Fürstin Platz 
nehmend, während den zweiten der Fürst mit dem Thron- 
folger bestieg. Vor dem Palais, zwischen dem Fürsten und 
dessen Gemahlin stehend, nahm er die Parade über die 
Ehrenwache, eine Jägerkompagnie mit Fahne und Musik, 
ab, woran sich ein Frühstück schloß. Die ganze Auf- 
nahme wie auch die fürstliche Hofhaltung machten auf 
die russischen Gäste den günstigsten Eindruck. 

Dieser kaiserliche Besuch, den das fürstliche Paar bald 
in Plojeschti erwiderte, hatte eine außerordentliche Wir- 
kung auf die Bevölkerung gemacht, die ja von früheren 
Zeiten her an eine ganz andere Behandlung ihrer Staats- 
oberhäupter gewöhnt war und nun einsah, welch' grund- 
legende Wandlung sich vollzogen und welche Stellung der 
Fürst aus dem Hohenzollernhause selbst den mächtigsten 
Herrschern gegenüber einnahm, ihnen gleichberechtigt 
durch Abstammung und ihnen hohe Achtung abzwingend 
durch sein persönliches Auftreten und durch seine staats- 
männische Klugheit wie Tatkraft. 

Nachdem Ausgangs April sich die russischen Streit- 
kräfte der seltsamerweise durch die Türken nicht zerstörten 
wichtigen Eisenbahnbrücke über den Sereth nahe Braila 
bemächtigt und die Donau bei der letzteren Stadt wie bei 
Galatz durch Torpedoboote gesperrt hatten, ferner im 
Laufe des Mai mehrere türkische Panzerschiffe auf der 
Donau durch kühne nächtliche Torpedoangriffe vernichtet 
worden waren, erfolgte in der zweiten Junihälfte der Über- 
gang der Russen über die Donau bei Galatz und bei Sim- 
nitza, wodurch sich die russischen Streitkräfte ihre Ope- 





Digitized by 



254 



rationsbasis für die Besetzung der Dobrudscha sicherten. 
Das kaiserliche Hauptquartier verblieb zunächst noch in 
Plojeschti, von wo Kaiser Alexander dem Fürstenpaare am 
24. Juni einen zweiten Besuch in Cotroceni abstattete, sich 
außerordentüch wohl fühlend in der fürstlichen Famiüe 
und in dem schönen Klosterpark, in welchem das Diner 
eingenommen ward. 

Wenige Tage vorher hatte Fürst Karl in Plojeschti 
eine wichtige Unterredung mit dem Reichskanzler Fürsten 
Gortschakow gehabt. Letzterer, der sich sehr anerkennend 
über die rumänische Armee äußerte und den Fürsten 
dringend bat, sich nicht, wie kürzlich beim Bombardement 
in Calafat, persönlich zu exponieren, da er sich seinem 
L,ande erhalten müsse, gab zu, daß Rumänien zu seine- 
staatlichen und wirtschaftlichen Entwicklung durchaus der 
Donaumündungen bedürfe, verlangte aber für Rußland 
den Kilia-Arm. Der Fürst erwiderte, daß diese Dinge 
vor das Forum Europas gehörten, sein Hauptbestreben 
sei es, Rumäniens durch die Verträge gewährleistete 
Integrität zu wahren, auch er erhoffe im Falle eines sieg- 
reichen Feldzuges eine Erweiterung der Grenzen des 
Landes, dies komme jedoch erst später in Betracht. Fürst 
Gortschakow drückte sodann die Erwartung aus, daß der 
Krieg kurz und glorreich sein werde, jedoch könne er sich 
nicht der Meinung des Hauptquartiers anschließen, Ru- 
mänien zu einer Kooperation zu veranlassen, worauf der 
Fürst erwiderte, daß er schon deshalb eine aktive Be- 
teiligung Rumäniens am Feldzuge wünsche, weil nur auf 
dem Schlachtfelde die Unabhängigkeit Rumäniens be- 
siegelt werden könne, und daß er unter allen Umständen 
das Kommando über die rumänischen Truppen allein in 
der Hand behalten werde. Als Fürst Karl kurz danach 
das Wichtigste aus dieser Unterredung, die ihn in ver- 
schiedener Hinsicht peinlich berührt, dem Großfürsten 
Nikolaus berichtete, zeigte sich dieser über die Äußerungen 




255 



Gortschakows sehr unzufrieden, indem er hinzusetzte, daß 
sich die Diplomatie zu sehr in Dinge mische, die sie nichts 
angingen. Kaiser Alexander, der erfahren, daß sich Fürst 
Karl in Plojeschti aufhalte, stellte sich bei seinem Bruder 
ein und teilte die eben erhaltenen guten militärischen 
Nachrichten aus Asien mit. 

Fürst Karl besichtigte während der nächsten Tage die 
Stellungen seiner Truppen an der Donau und in Giurgiu; 
auch hier platzten dicht neben ihm mehrere Bomben, aber 
trotz des dringendsten Abratens seiner Begleitung besuchte 
er das Spital, das sich die türkischen Batterien in 
Ruschuk als Ziel genommen, und tröstete die Verwundeten, 
unter denen sich viele aus der Bevölkerung befanden, da 
das Bombardement bereits zahlreiche Opfer gefordert. Tele- 
graphisch bat Großfürst Nikolaus den Fürsten, das Feuer 
auf der ganzen Donaulinie zu eröffnen und es bis zum Abend 
fortdauern zu lassen, welchem Wunsche Folge geleistet 
ward. Auch in Braila weilte der Fürst, dort von dem ru- 
mänischen General Zimmermann erfahrend, welch große 
Schwierigkeiten die Verpflegung der Truppenmassen in der 
Dobrudscha mache, wie langsam durch die endlosen Sümpfe 
die Bewegungen sich vollziehen ließen, und wie sehr die 
Soldaten unter dem Sumpffieber litten. Von seinem Haupt- 
quartier in Pojana aus begab sich der Fürst wiederholt 
nach Calaf at und konnte dem Großfürsten Nikolaus wichtige 
militärische Nachrichten über die türkischen Bewegungen 
melden. Die Aufforderung des russischen Hauptquartiers, 
durch bestimmte rumänische Streitkräfte die Festung Ni- 
kopolis, welche die Russen nach eintägiger Beschießung 
am 16. Juli in Besitz genommen, zu besetzen und die 
türkischen Gefangenen zu bewachen und zu transportieren, 
lehnte der Fürst, trotzdem ihn darum auch der russische 
Kaiser durch den General Ghika telegraphisch hatte bitten 
lassen, mit aller Bestimmtheit ab, zu solchen „Gendarmen- 
diensten' ' hielt er seine Armee für zu gut. Dagegen er- 




256 



klärte er sich bereit, Nikopolis zu besetzen und im Ver- 
ein mit Rußland an der Spitze seiner Truppen nach Plewna 
vorzugehen, ein Anerbieten, das wiederum seitens des 
russischen Hauptquartiers ausgeschlagen wurde. Aber 
bald genug sollte man durch den fürchterlichen Ernst der 
Kriegslage gezwungen werden, es mit Freuden anzu- 
nehmen, denn es erfüllte sich durchaus mcht die sichere 
Hoffnung des Fürsten Gortschakow, daß der Krieg bald 
siegreich sein Ende finden würde. 

Die zweite Julihälfte brachte die blutigen Kämpfe 
am Schipkapaß und vor Plewna. An letzterem Punkt 
wurden die Russen am 19. und 20. Juli von Osman Pascha 
zurückgeschlagen; man versuchte den Fürsten Karl in- 
sofern für die Niederlage verantwortlich zu machen, in- 
dem man behauptete, ein wichtiger Teil der russischen 
Streitkräfte sei durch die Besetzung von Nikopoüs zurück- 
gehalten worden, nochmals die dringende Bitte ergehen 
lassend, jetzt die Besetzung der Festung vorzunehmen. 
Bei der ernsten Sachlage auf dem Kriegsschauplatze in 
Bulgarien und bei der Gefahr, daß, wenn die Russen 
noch fernerhin zurückgeworfen würden, der Krieg sich 
leicht auf das rumänische Gebiet erstrecken könnte, gab 
der Fürst seine Einwilligung, am 29. Juli die ersten ru- 
mänischen Truppen, und zwar vier Regimenter, über 
die Donau nach Nikopolis gehen lassend, wo der russische 
Befehlshaber die rumänischen Bundesgenossen mit seinem 
Stabe freudig empfing, den Befehl erteilend, die rumänische 
Fahne auf der Festung zu hissen. Das russische Haupt- 
quartier aber ließ der Fürst benachrichtigen, daß ein 
Brückenschlag über die Donau für das Gros der rumä- 
nischen Armee ohne Torpedos, die den bei Calafat befind- 
lichen türkischen Monitor fernhielten, nicht mögüch sei, 
und daß man zunächst um diese Torpedos ersuchen müßte, 
daß sodann die rumänische Armee nicht auseinander 
gerissen werden dürfte, man müsse ihr daher in Bulgarien 




257 



eine eigene Operationsbasis zusichern; natürlich verpflichte 
sich die rumänische Heeresleitung, nur im Ubereinstimmen 
mit dem russischen Oberkommando zu handeln. 

Am 31. Juü erhielt Fürst Karl die telegraphische 
Kunde, daß die Russen bei Plewna eine vollständige 
Niederlage erlitten hätten, trotz der Bravour der Truppen, 
die auf der ganzen L,inie zurückgehen mußten, nachdem 
ihnen die schwersten Verluste zugefügt. Ein Teil der Armee 
ward hierbei von voller Panik ergriffen, so daß das Haupt- 
quartier des Großfürsten verlegt werden mußte, und 
Kaiser Alexander sich schon angeschickt hatte, die nächste 
Donaubrücke zu erreichen, bis ihn Nachrichten über 
die Untätigkeit Osman Paschas wieder zurückriefen. 
Am Abend des genannten Tages lief ein Telegramm des 
Großfürsten Nikolaus an den Fürsten Karl ein, das um 
3V2 Uhr nachmittags aus Trnowa abgegangen war: „Die 
Türken haben bei Plewna die stärksten Streitkräfte zu- 
sammengezogen, uns erdrückend. Ich bitte Dich um 
Vereinigung, um Demonstration und wenn möglich um 
Donauübergang, welchen Du wünschest. Zwischen Jiu 
und Corabia ist diese Demonstration unerläßlich, um 
meine Bewegungen zu erleichtern. Nikolaus." 

Fürst Karl sah ein, in welch verhängnisvolle L,age die 
russische Armee vor Plewna gekommen war. Drang 
Osman Pascha mit seinen großen Streitkräften vor, so 
wurden die Russen auf die Donau zurückgeworfen und 
konnten leicht, da ihre Truppen viel zu ungenügend 
waren, um den Türken energischen Widerstand zu leisten, 
völlig vernichtet werden. Noch immer jedoch zögerte er, 
sich mit seinem ganzen Heere, ohne einen bindenden Ver- 
trag mit Rußland geschlossen zu haben, in den verhäng- 
nisvollen Kampf hineinziehen zu lassen, dem Großfürsten 
telegraphierend, daß er schon vor Empfang seiner Nach- 
richt die Garnison von Nikopolis verstärkt und einer Di- 
vision befohlen hätte, über den Jiu zu gehen, ferner, 

Lindenberg, König Karl. 17 




258 




Digitized by 



259 



daß er auch die gewünschten Demonstrationen unter- 
nehmen würde, nur fehlten hierzu immer noch die un- 
geduldig erwarteten Torpedos, um den Ubergang zu 
schützen, dann, daß er seinen Truppen Befehl gegeben 
habe, Nikopolis zu verteidigen. An seine Gemahlin schrieb 
der Fürst am 2. August: „Die L,age der Russen in Bul- 
garien ist augenblicklich ernst und schwierig; es sind 
große strategische Fehler begangen worden, die nicht so 
leicht zu korrigieren sein werden. Ich bin in dieser Be- 
ziehung etwas besorgt. Jedenfalls wird sich der Krieg 
in die Länge ziehen, was sehr zu bedauern ist. Kon- 
stantinopel wird wohl nicht erreicht werden. Die verlorene 
Schlacht von Plewna ist in militärischer und moralischer 
Beziehung ein Ereignis, das nicht ohne Einfluß auf den 
ganzen Krieg bleiben wird. Die russischen Verluste 
sind enorm und Nikopolis ist in Gefahr, von den Türken 
zurückerobert zu werden/' 

Auch jenseits des Balkan am Schipka-Paß standen 
die Dinge für die Russen recht schlecht, da General Gurko, 
von Suleiman Pascha hart bedrängt, zurückgehen mußte, 
sich auf den Balkan-Übergängen festsetzend, wodurch 
Rumelien wiederum von den russischen Streitkräften ent- 
blößt wurde. Die Türken befestigten unterdessen Plewna 
fortgesetzt, und das russische Hauptquartier sah ein, daß, 
ehe nicht die erheblichsten Verstärkungen aus Rußland 
eingetroffen, nichts gegen die Festung zu unternehmen 
sei, wodurch ein Stillstand in den russischen Bewegungen 
entstand. 

Fürst Karl, der sein Hauptquartier in Corabia auf- 
geschlagen, hatte sein Heer in eine Observations- und 
eine Operations- Armee geteilt; in einem Briefe wieder- 
holte Großfürst Nikolaus seine Überzeugung, daß ein 
Zusammenwirken des russischen und rumänischen Heeres 
geboten und jetzt der Zeitpunkt dafür gekommen sei, 
den Übergang der rumänischen Armee bei Nikopolis 



17* 




260 



empfehlend. Fürst Karl ersah aus diesem Schreiben, daß 
das russische Hauptquartier noch immer nicht dem ru- 
mänischen Heere die eigene Operationszone zugestehen 
wolle, und beschloß aus diesem Grund, vorläufig nicht 
über die Donau zu gehen. Alsbald trafen neue Briefe 
des Großfürsten ein, aus denen hervorging, von wie großer 
Wichtigkeit die rumänische militärische Hilfe für die 
Russen sein würde, die sich sehr beunruhigt fühlten durch 
die energischen Vorstöße Suleiman Paschas am Schipka 
und die in eine gefährliche Lage kommen müßten, wenn 
der Pascha sich einen Ubergang des Balkan erzwingen 
würde. Aber trotz dieser sich wiederholenden Bitten 
und Darlegungen, in welch schwere Verlegenheit die 
Russen kämen, wenn ihnen die rumänische Mitwirkung 
versagt bliebe, und trotz des fortgesetzten Verlangens, 
bald eine günstige Antwort des Fürsten zu erhalten, und 
des Versprechens des Großfürsten, daß die rumänische 
Armee durchaus ihre individuelle Stellung erhalten würde, 
zögerte auch jetzt noch der Fürst, da man seine wiederholt 
klar ausgesprochenen Wünsche bisher nicht erfüllt. Auch 
eine am Morgen des 22. August eingelaufene dringende 
Depesche des Großfürsten, den Donauübergang sobald 
wie möglich zu bewerkstelligen, da ungünstige Nachrichten 
vom Schipka eingelaufen, veränderten seinen Standpunkt 
nicht, den er nochmals in einem Schreiben an den Groß- 
fürsten darlegte, mit dem er "gern ein Zusammentreffen 
herbeiführen würde, um alles Erforderliche zu besprechen. 
Unterdessen hatte Fürst Karl durch einen seiner Minister 
erfahren, daß auch Reichskanzler Fürst Gortschakow 
seine Meinung völlig geändert und nicht mit seiner Freude 
zurückgehalten hätte über den voraussichtlichen Donau- 
übergang der Rumänen, zumal er die militärische Lage 
der russischen Armee als sehr ernst betrachtete. 

Am 25. August telegraphierte Großfürst Nikolaus dem 
Fürsten Karl, daß der Kaiser wie er selbst so rasch wie 




261 



möglich den Fürsten sehen möchten, sie erwarteten ihn 
mit Ungeduld. Der Fürst erwiderte, er werde gern an 
einem der nächsten Tage der Aufforderung entsprechen. 
Am Abend des 28. August traf Fürst Karl, nachdem er 
drei Tage zuvor in Schimnik tiefbewegten Abschied von 
seiner Gemahlin genommen, nach langer Fahrt auf bul- 
garischem Boden im Kaiserlichen Hauptquartier zu Gornja- 
Studena ein, wo ihn Kaiser Alexander und Großfürst 
Nikolaus auf das herzlichste empfingen. Der Zar, dessen 
müdem Gesicht man die schweren Sorgen der letzten 
Wochen ansah, wiederholte ihm mehrfach, wie glücklich 
er sei, ihn endlich jenseits der Donau zu wissen, er hoffe, 
daß nun alle Schwierigkeiten beseitigt würden, sich des 
Näheren über die Stellung und Stärke der rumänischen 
Truppen erkundigend und wann dieselben über die Donau 
gehen könnten. Fürst Karl erwiderte, er wäre früher ge- 
kommen, aber die Vorbereitungen für den Donauüber- 
gang hätten ihn zurückgehalten, in zwei Tagen hoffe er, 
mit einem Armeekorps auf bulgarischem Boden zu stehen, 
auf dem sich bereits der größte Teil einer Division be- 
fände, die auch schon kleine Zusammenstöße mit dem 
Feinde gehabt. Großfürst Nikolaus schloß hieran die 
Frage, ob der Fürst beabsichtige, seine Armee persönlich 
zu führen, worauf dieser entgegnete, daß das ganz 
selbstverständlich sei. Auf die Einwendung des Groß- 
fürsten, daß dieser Entschluß zu manchen Schwierigkeiten 
Anlaß geben möchte, da Fürst Karl natürlich nicht unter 
dem Kommando eines russischen Generals stehen könnte, 
entgegnete Fürst Karl mit voller Bestimmtheit, daß dies 
natürlich eine Unmöglichkeit sei, dagegen könnten leicht 
zehn russische Generale seinem Befehl unterstellt werden. 
Der Kaiser hatte dieser Aussprache schweigend zugehört, 
sich jetzt dem Fürsten erbietend, ihn selbst in das für 
ihn bestimmte Quartier zu geleiten, ihn in ein der Kaiser- 
lichen Heimstätte — einem schlichten Bulgarenhause — 




262 



benachbartes, großes, bequem eingerichtetes Zelt führend, 
den Fürsten bittend, dieses als ein bescheidenes Geschenk 
von ihm anzunehmen. 

Noch während der Fürst sich von dem Staub der 
langen Fahrt befreite, suchte ihn Großfürst Nikolaus auf 
und bot ihm im Auftrage des Kaisers das Oberkommando 
über sämtliche russische Truppen vor Plewna an. Der 
Fürst war sehr überrascht, da er ein derartiges Anerbieten 
niemals erwartet hatte, sich Bedenkzeit erbittend, denn 
er möchte, ehe er eine Entscheidung treffe, erst Gewißheit 
haben über die Stärke der vor Plewna versammelten 
Truppen, worauf Großfürst Nikolaus meinte, dies ließe 
sich sogleich feststellen, den Generalstabschef herbeirufend, 
der die Zahl der russischen Truppen vor Plewna auf etwa 
30 000 Mann angab. Das machte den Fürsten doch be- 
denklich, da auch er zunächst nur die gleiche Zahl Truppen 
zur Verfügung hatte; aber nach kurzer Erwägung und auf 
die dringenden Bitten des Großfürsten entschloß er sich, 
das ebenso ehren- wie verantwortungsvolle Kommando zu 
übernehmen. Als er sich am Abend zum Kaiser begab, 
um ihm für das bewiesene Vertrauen zu danken, hinzu- 
setzend, wie sehr er sich der ganzen Schwere der Verant- 
wortung bewußt sei, erwiderte der Kaiser: „Gott wird uns 
schützen !" Bei dem sich anschließenden Abendessen be- 
glückwünschten sämtliche russische Generale den Fürsten, 
den der Kaiser nach Tisch wiederum in sein Zelt geleitete, 
sich wie ein väterlicher Freund auf das herzlichste von 
ihm verabschiedend. 

Schlummerlos verbrachte Fürst Karl diese erste Nacht 
im kaiserlichen Hauptquartier, im Innersten bewegt von 
ernstesten Gedanken und Erwägungen. Wohl durfte er 
die ihm übertragene Aufgabe mit tiefer Genugtuung be- 
grüßen, als ein Zeichen unbedingten Vertrauens in seine 
militärischen Fähigkeiten und als ein Ausdruck der hohen 
Achtung seiner fürstlichen Stellung, auf die hierdurch ein 




263 



heller Schein fiel, wie nicht minder auf seine Armee, die 
man von russischer Seite bisher kaum beachtet, und auf 
sein Land, das jetzt mit verdoppelter Freude auf seinen 
Führer und Fürsten blicken durfte. Hatte er doch nicht 
nur die erstrebte Gleichberechtigung seiner Truppen mit 
den russischen erreicht, nein, noch mehr, er sollte auch 
das russische Heer im Kampfe leiten. Aber neben dem 
gerechtfertigten Stolz auf die ihm übertragene Aufgabe 
legte er sich doch auch die schwerwiegende Frage vor, 
ob er die Hoffnungen und Erwartungen erfüllen könne, 
die man in ihn gesetzt, in ihn, auf dessen Tun und Handeln 
jetzt gespannt die gesamte Welt sah? Denn das verhehlte 
er sich nicht einen Augenblick, daß die militärische Lage 
vor Plewna eine für die nun verbündeten russisch-rumä- 
nischen Streitkräfte sehr ungünstige und gefahrdrohende 
war. Die Türken verfügten in stark befestigter Stellung 
über bedeutende Truppenmassen und befanden sich durch 
ihre Erfolge in gehoben-siegreicher Stimmung, was auf die 
russischeArmee und das Hauptquartier nicht zutraf, im Gegen- 
teil, man fühlte in letzterem den schwer-lähmenden Ernst 
der Lage. Gelang es jenseits des Balkan Suleiman Pascha, 
nach den Mißerfolgen General Gurkos eine direkte Verbin- 
dung mit Mohamed Aü und Osman Pascha herbeizuführen, 
so war die Rückzugslinie der Russen bedroht und sie konn- 
ten zwischen zwei Feuern der Vernichtung anheimfallen. 

Aber auch in diesen drückend verantwortungsreichen 
Stunden bewahrte Fürst Karl seine entschlossene Ruhe 
und seinen festen Mut. Er hatte seine Einwilligung ge- 
geben, nun wollte er auch sein ganzes Sein, seine vollste 
Kraft und Fähigkeit daransetzen, zum erfolgreichen Ziele 
zu gelangen, und kühl ^berechnend überlegte er in dieser 
bedeutsamen Nacht, was zunächst erforderlich sei, um 
der schwankenden militärischen Lage die sichere Basis 
zu geben und auf ihr Sieg und Ruhm zu erreichen! 




Fürst Karl Oberbefehlshaber vor Plewna. 



Die Kriegslage vor Plewna. — Bedenken des Fttrtten Karl. — Der Fürst im Rumänischen 
Hauptquartier. — Proklamation des Fürsten an die Romanische Armee. — Die Rumä- 
nischen Truppen gehen über die Donau. — Fürst Karl in seinem Hauptquartier zu 
Poradim. — Kriegsrat. — Der Angriff auf Plewna. — Sturm der Rumänen auf die 
Griwltza-Redouten. — Schwere Verluste. — Bange Stunden. — Der Rumänische Waffen- 
erfolg. — Die Anerkennung Kaiser Alexanders. — Die Wochen vor Plewna. — Der Ring 
schließt sieh. — Fürst Karls Oberkommando. — Der Sieg der Rumänen bei Rahowa. — 
Der 10. Desember. — Ausbruch Osman Paschas. — Die Rumänen im Feuer. — Osman 
Pasoha ergibt sieh. — Begegnung des Fürsten Karl mit Osman Pascha. — Auf dem 
Schlachtfeld. — In Plewna. — Die russisch-rumänischen Erfolge. — Fürst Karl legt das 
Oberkommando nieder. — Sein Dank an seine Truppen. — Der Ritt über das Leichen- 
feld. — In Nikopolis. — Auf der Donau. — Die Rückkehr nach Bukarest — Beginn des 
Jahres 1878. — Die Ereignisse am Balkan. — Russisch-türkische Friedensverhandlungen. 
— Rußland und Rumänien. — Einzug der siegreichen Rumänischen Truppen in Bukarest. 



oll zielbewußter Hingebung und ernsten Eifers traf 



V Fürst Karl am nächsten Morgen, 25. August, an 
welchem ihn schon zu früher Stunde Kaiser Alexander, 
für den die Nacht gleichfalls schlaflos gewesen zu sein 
schien, in seinem Zelt aufgesucht, die nächsterforderlichen 
Schritte, um die ihm übertragene große Aufgabe zu gutem 
Gelingen durchzuführen. Mit dem russischen Kriegs- 
minister Miljutin besprach er auf das eingehendste die 
gesamte militärische Lage, die Organisation der Streit- 
kräfte, die Zahl der vorhandenen Truppen und die Her- 
anziehung von Verstärkungen. Auch Miljutin sah die 
Lage als eine bedrohliche an und begrüßte mit besonderer 
Freude das Eingreifen der rumänischen Armee in die 
Kriegsereignisse. Das gleiche war der Fall bei den übrigen 
russischen Generalen sowie den auswärtigen militärischen 





265 



Bevollmächtigten, die sich alsbald bei dem Fürsten~mel- 
deten und nicht mit ihren ernsten Bedenken zurück- 
hielten über die großen Schwierigkeiten, in denen sich die 
russische Armee vor Plewna befand. Um die zehnte 
Vormittagsstunde wurde unter freiem Himmel im Schatten 
eines Baumes ein Kriegsrat abgehalten, in dessen Verlauf 
Fürst Karl einsah, daß unter den augenblicklichen gefahr- 
vollen Umständen er von einem selbständigen Vorgehen 
seines Heeres absehen und letzteres so schnell wie möglich 
mit dem russischen vereinen müsse. Erhebliche Bedenken 
erweckten in ihm die Vorschläge der russischen Generale, 
die Brücke bei Corabia nach dem Übergang des rumä- 
nischen Heeres abbrechen und bei Nikopolis wieder auf- 
bauen zu lassen, aber er gab auch hierzu seine Einwilligung, 
gleichzeitig bestimmend, daß vorläufig jede Angriffs- 
bewegung auf Plewna zu unterlassen sei, da Osman Pascha 
weit größere Streitkräfte versammelt hatte, wie den Russen 
gegenwärtig zur Verfügung standen. Bei dem Frühstück 
fiel dem Fürsten abermals die gedrückte Stimmung Kaiser 
Alexanders auf, die sich erklären ließ, da leider sehr schlechte 
Nachrichten vom Schipkapaß sowie auch vom asiatischen 
Kriegsschauplatze eingetroffen waren. 

Nach dem Frühstück verabschiedete sich Fürst Karl 
vom Kaiser und kehrte zur Donau zurück, im Vorwärts- 
kommen oft gehindert durch die vielen Transporte Ver- 
wundeter und durch die endlos langen Proviant- und 
Munitionskolonnen. Nachdem der Fürst in Simnitza über- 
nachtet und am Morgen die russischen Verwundeten be- 
sucht hatte, traf er erst um die fünfte Nachmittagsstunde 
in Corabia ein, wo sein Hauptquartier versammelt war 
und wo eine Depesche des Großfürsten Nikolaus anlangte, 
:n der dieser nochmals zufolge neuester Nachrichten 
über feindliche Bewegungen bat, daß die rumänische 
Armee so rasch wie möglich das rechte Donauufer erreiche; 
ein Telegramm gleichen Inhalts, noch dringender die Bitte 




266 



wiederholend, folgte am nächsten Tage. In dem sofort 
einberufenen Kriegsrat war die Mehrzahl der rumänischen 
Offiziere für einen Aufschub des Donäuüberganges, der 
Fürst widerlegte jedoch ihre Ansichten und befahl, daß 
am folgenden Tage dieser Übergang stattfinden, dann 
die Brücke abgebrochen und Nikopolis gegenüber wieder 
aufgebaut werden solle, trotzdem er sich nicht verhehlte, 
daß bei einem türkischen Sieg seine wie die russischen 
Truppen in die verhängnisvollste Lage versetzt würden, 
da ja mehrere Tage hindurch jede Verbindung mit Ru- 
mänien unterbrochen bleiben mußte. Aber die Gefahr 
war so groß, daß jedes Schwanken und Zögern vernichten- 
des Unheil bringen konnte. 

Am Morgen des nächsten Tages, i. September, erließ 
Fürst Karl folgende Proklamation an seine Truppen: 



Ein Jahr ist verstrichen, seitdem der Kampf jenseits 
der Donau zwischen Türken und Christen unsere Grenzen 
gefährdet. Um sie zu verteidigen, hat das Land an Euch 
appelliert. Auf seinen Ruf habt Ihr Euren Herd verlassen, 
mit der Begeisterung von Menschen, welche das Bewußt- 
sein haben, daß von ihrer Ergebenheit der Bestand des 
rumänischen Staates abhängt. So lange die Armeen in der 
Ferne operiert haben und wir nur von dem Eindringen 
einiger plündernder Banden bedroht waren, konnten wir 
uns auf die Verteidigung der Ufer beschränken. Jetzt 
aber nähert sich der Krieg unseren Grenzen, und wenn 
die Türken Sieger sein sollten, ist es klar, daß sie alle 
ins Land fallen, und mit sich Massacres, Plünderung und 
Verwüstung bringen würden. In dieser Lage und um das 
Land von den Barbareien der Eindringlinge zu befreien, ist 
es unsere Pflicht, daß wir sie auf ihrem eigenen Boden 
bekämpfen. 



.Soldaten ! 




267 



Rumänische Krieger! Ihr wißt, wie viel Euer Vater- 
land während zweihundert Jahren gelitten, während welcher 
Zeit Euch die Mittel entrissen wurden, männlich auf dem 
Schlachtfelde seine Rechte zu verteidigen. Heute habt Ihr 
Gelegenheit, neuerdings Eure Tapferkeit zu beweisen; 
ganz Europa hat die Augen auf Euch gerichtet. Vorwärts 
denn mit rumänischem Mut, die Welt soll uns nach unseren 
Taten beurteilen ! Wir beginnen heute aufs neue die 
glorreichen Kämpfe der Vorfahren neben den zahlreichen 
und tapferen Truppen einer der ersten Mächte der Welt. 
Die rumänische Armee, obschon klein, wird sich, ich bin 
dessen gewiß, durch ihre Tapferkeit und Disziplin hervor- 
tun. Sie wird dergestalt Rumänien den Rang, den es 
einst besessen und der* ihm unter den europäischen Na- 
tionen gebührt, wiedergeben. Dieses ist auch die Über- 
zeugung Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen. Deshalb 
werden die Rumänen nicht nur an der Seite der Russen 
auf demselben Felde und für denselben Zweck kämpfen, 
sondern auch das Oberkommando beider Armeen bei 
Plewna ist mir anvertraut. Dies ist eine Ehre, die auch 
auf das Land zurückstrahlt. Macht denn, daß die ru- 
mänische Fahne ruhmreich auf demselben Schlachtfelde 
flattert, wo Eure Vorfahren jahrhundertelang die Ver- 
teidiger des Glaubens und der Freiheit gewesen. Vorwärts 
denn, rumänische Krieger, vorwärts mit Mut, und bald 
werdet Ihr zu Euren Familien, in Euer durch Euch freies 
Land, mit dem Beifall der ganzen Nation bedeckt, zurück- 
kehren. 



Am Mittag dieses Tages, nach Abhaltung eines Feld- 
gottesdienstes und Segnung der Truppen seitens der 
Geistlichen, richtete Fürst Karl flammende Worte an seine 
Soldaten, sich dann an deren Spitze setzend und im 
Galopp bis an die Brücke von Corabia reitend, dort seinen 



Karl I. 




268 



Standpunkt nehmend. Bratianu und Rosetti weilten beim 
Fürsten in tiefer Ergriffenheit, ihm ausdrückend, daß sie 
nie gehofft, diesen feierlichen^ [Tag zu erleben, an dem 
Rumäniens waffenfähige Jugend hinauszieht, um den Erb- 
feind auf seinem eigenen Boden zu bekriegen. Bei glühen- 
dem Sonnenbrand hielt der Fürst stundenlang aus, während 
mit rauschenden Musikklängen und brausenden Hurras 
Regiment um Regiment vorüberzog. 




Feldgottesdienst in Pojana. 



Am nächsten Tage setzte der Fürst in einer Daiupf- 
barkasse über die Donau, auf bulgarischem Boden emp- 
fangen vom General Stolypin mit seinem Stabe, auch eine 
Ehrenwache mit Fahne war aufgestellt, die Musik spielte 
die rumänische Hymne. Der Fürst stieg alsbald zu Pferd 
und ritt durch die spalierbildenderi, jubelnden Truppen 
zur alten Feste Nikopolis, auf deren Plateau er mit freu- 
digem Stolz die Parade abnahm über verschiedene rumä- 
nische Truppen, Dorobanzen und Artillerie. Hierauf ritt 



Digitized by 



269 




Digitized by 




Digitized by 



271 



er ins Omathal hinab und erreichte, nur von vier Offizieren 
seines Hauptquartiers und seiner Eskorte begleitet, in 
eiliger Fahrt Poradim, wo er zunächst sein Hauptquartier 
aufschlug, in dem etwa 15 Kilometer von Plewna selbst und 
7 Kilometer von den türkischen Schanzlinien entfernten 
ärmlichen Dörfchen ein kleines Haus für sich belegend 
und sofort persönliche Fühlung mit dem russischen General 
nehmend. Das fürstüche Quartier war unwohnlichster 




Hauptquartier des Fürsten Karl in Poradim. 



Art, das einstöckige Häuschen halb zerfallen und ohne 
Fenster und Türen, so daß es in das Schlafzimmer, in welchem 
ein Feldbett aufgeschlagen war, hineinregnete. All- 
mählich erst konnten die notdürftigsten Ausbesserungen 
vorgenommen werden; der fehlende Fußboden wurde 
durch Strohmatten ersetzt und die leeren Fensterrahmen 
zunächst mit Zeitungspapier verklebt. Auf dem Hof 
wurde in den nächsten Tagen ein Zelt errichtet, das zu den 
Beratungen und den gemeinsamen Mahlzeiten diente. 



Digitized by 



272 



Der von den Schlachtfeldern von Plewna herüberdringende 
Verwesungsgeruch war oft unerträglich, da die Türken 
nicht die Beerdigung der Gefallenen gestattet hatten, und 
die Fliegen stellten sich in so dichten Scharen ein, daß die 
inneren Zeltwände völlig schwarz von ihnen waren. 

Rollender Kanonendonner weckte nach dieser ersten 
Nacht in Poradim schon zu früher Morgenstunde den 
Fürsten, der alsbald zu Pferd stieg, die Biwaks der Truppen 
— deren Zahl weit geringer war, wie er erwartet — besuchte, 
dann die Vorposten inspizierte und die wichtigsten strate- 
gischen Punkte besichtigte, dringend in einer Depesche den 
Großfürsten Nikolaus bittend, von jedem Angriff auf Plewna 
abzusehen, bis hierzu die Streitkräfte stark genug wären. 
Am folgenden Tage erhielt der Fürst die Nachricht, daß 
die rumänischen Truppen vor Plewna ihre Stellungen be- 
zogen hätten, und zugleich nähere Mitteilungen über die 
tags zuvor stattgefundene Besetzung Lowtscha's, die 
insofern von besonderer Bedeutung war, als man nicht 
mehr eine Verbindung Osman Paschas mit Suleiman Pascha 
zu befürchten brauchte, dann Befehle erteüend für die 
Einnahme der Offensivstellungen der Truppen, die, nachdem 
die Rumänen eingetroffen, jetzt 75 000 Mann mit 442 
Geschützen und 8000 Pferden zählten. Auch diese Kräfte 
dünkten dem Fürsten noch nicht geeignet, einen energischen 
Vorstoß auf Plewna auszuführen, was er am Nach- 
mittag dem Großfürsten Nikolaus in Radenitza erklärte, 
nochmals abratend, einen Angriff zu unternehmen, aber der 
Großfürst erwiderte, es sei unbedingt nötig, anzugreifen, 
Plewna müsse genommen werden, ehe Osman Pascha 
Verstärkungen erhielte. 

So wurde denn die Beschießung Plewnas befohlen, die 
am Morgen des 7. September begann, an welchem der 
Fürst zu den feuernden Batterien hinausritt, später Kaiser 
Alexander begrüßend, der sein Hauptquartier verlassen, 
um dem Bombardement am Jahrestage seiner Krönung 




273 



beizuwohnen. Erst am Abend kehrte der Fürst nach 
Poradim zurück, an seine Gemahlin einen längeren Brief 
richtend, in dem er hervorhob: „Der Angriff ist keine 
leichte Sache, und ich bin nicht überzeugt, daß er gelingen 
wird. Neulich sagte ich zu Oberst Gaillard : „Gebe Gott, daß 
Plewna kein zweites Sedan werde !" Ich verstehe es in dem 
Sinne, daß die geplante Schlacht in Gegenwart des Kaisers 
Alexander nicht verloren gehen darf, da dies über den 




Zelt des Fürsten Karl in seinem Hauptquartier zu Poradim. 

Feldzug entscheiden könnte. Europa blickt auf Plewna, 
ich bin sehr besorgt/' 

An den beiden nächsten Tagen wurde das Artillerie- 
feuer mit größter Heftigkeit fortgesetzt, wobei die rumä- 
nischen Batterien mit 84 Geschützen mehr und mehr an 
die türkischen Stellungen heranrückten und vielfache Ver- 
luste erlitten. Bei dem Frühstück am 9. September trank 
Kaiser Alexander auf die rumänische Armee, welche die 
ersten Proben ihres Mutes so glänzend bestanden habe 

Lindenberg, König Karl. lg 



Digitized by 



274 



und ließ als Anerkennung an die rumänischen Truppen, 
die am Tage vorher unter großer Todesverachtung eine 
türkische Befestigung erobert und alle Versuche der 
Feinde, diese zurückzunehmen, abgeschlagen hatten, eine 




Karte der Operationen um Plewna. 



große Anzahl Georgskreuze verteilen. In dem sich an 
das Frühstück schließenden Kriegsrat setzte es der Fürst 
durch, daß der für den folgenden Tag geplante Angriff 
nicht stattfände, um die Batterien noch weiter vorzu- 
schieben, damit die Angriffskolonnen besser geschützt 



Digitized by 



275 



würden; aber er vermochte nur einen Aufschub von einem 
Tag zu erreichen, sich den dringenden Wünschen des 
Großfürsten Nikolaus hauptsächlich aus dem Grunde 




Fürst Karl als Oberbefehlshaber vor Plewna. 



fügend, damit man sein Zögern nicht als Besorgnis aus- 
legte, seine Truppen zu schonen; nachdrücklich betonte 
jedoch der Fürst, daß er keine Hoffnungen auf einen Sieg 
habe. Bis in die Nacht hinein arbeitete er die Angriffs- 

1S* 



Digitized by 



276 



dispositionell für den n. September aus, die Eröffnung 
des Kampfes erst auf die dritte Mittagsstunde festsetzend, 
da, falls die Türken einen Erfolg erzielten, sie an der 
Ausnützung desselben durch die hereinbrechende Nacht 
verhindert würden. 

„Die Befestigungen der Türken vor Plewna," so 
schildert der rumänische Oberstleutnant T. C. Vacarescu 
in seinem Werke über den Krieg die feindlichen Ver- 
teidigungen, „stellten jetzt einen Halbkreis dar, der vom 
Norden der Stadt, vom rechten Widufer aus, gegen Osten 
über Opanez, Bukowa und Griwitza, dann südöstlich über 
Raditschewo, und westlich über Krschin und Oltschegas 
verlief, um endlich wieder zum rechten Widufer zurück- 
zukehren: ein riesiges Hufeisen, dessen Enden sich an das 
rechte Widufer anlehnen, und dessen Krümmung gegen 
Griwitza und Raditschewo gerichtet ist. Im Bogen des 
Hufeisens, nahe am Wid und unterhalb seines Zusammen- 
flusses mit der Bukowa, Griwitza und Tutscheniza, Hegt 
in engem Tale die Stadt Plewna, gedeckt und verborgen 
durch die Anhöhen des umgebenden Plateaus. Das rechte 
Widufer ist hier höher und beherrscht das linke, sodaß die 
türkischen Befestigungen nur von Norden, Osten und 
Süden angegriffen werden konnten. 

Diese Befestigungen bestanden aus drei Linien von 
Tabias oder Redouten, mehr als zwanzig an der Zahl, und 
waren an günstigen Punkten mit wunderbarer Einsicht 
errichtet worden. Untereinander durch Gräben und be- 
deckte Wege verbunden, waren sie stark armiert und in 
der Front und der Flanke von Trancheen und Schützen- 
gräben . umgeben; sie besaßen starke Profile und tiefe 
Gräben. 

Die Nordfront der türkischen Positionen zog sich 
vom Dorfe Opanez am rechten Widufer den Kamm der 
abfallenden Höhen entlang, welche das Bukowatal und 
den Ubergang von da ins Griwitzatal beherrschen. Diese 





Digitized by 



278 



Front war schon von Natur, durch die Höhen oberhalb des 
Bukowa- und Griwitzatales, in zwei Linien geteilt. Die 
nordwestliche, von den Türken Bukowa-Tabia genannt, 
hatte als Verteidigungszentrum die Redouten Opanez und 
Bukowa; die nordöstliche, oberhalb des Dorfes Griwitza, 
hieß bei den Türken Abdul-Kerim-Tabia, bei den Russen 
und Rumänen aber Große Griwitza-Redoute. Dieselbe, 
in der Front durch ein Redan gestützt, sah von den rus- 
sischen und rumänischen Positionen wie eine einzige, mäch- 
tige Redoute aus; sie galt für den Schlüssel der Positionen 
auf dieser Seite. Hinter ihr und durch sie geschützt, be- 
fand sich ein türkisches Lager. Die' rumänischen Truppen 
standen vor dieser Nordfront der Befestigungen von 
Plewna. 

Die Ostfront lag auf dem Kamme der Griwitza-Höhen 
und bestand aus einer Gruppe von Redouten und Be- 
festigungen, welche nach demselben System wie die der 
Nordfront konstruiert waren. Die hervorragendste der- 
selben war von den Türken Hafiz-Pascha-, von den Russen 
Raditschewo-Redoute benannt. Auch hinter dieser Be- 
festigungslinie befand sich ein türkisches Lager, dem 
gegenüber das IX. und IV. russische Korps stand. 

Die Südfront begann links am Tutscheniza-Flusse, 
auf dem Kamme der sich bis zum rechten Widufer hin- 
ziehenden Hügel. Auch hier, auf dem Gipfel des Grünen 
Berges, befanden sich wiederum mehrere Linien von soliden 
Befestigungen, die Redouten von Krschin. Ihnen gegenüber 
stand das Detachement des Fürsten Imeritinsky, das später 
unter den Befehl General Skobelew's gestellt wurde. 

Das waren die Befestigungen, welche Osman Pascha 
mit anhaltender Tätigkeit bis zum 6. September errichtet 
hatte, und an denen nicht nur die Soldaten, sondern 
auch die Einwohner von Plewna hatten arbeiten müssen. 

Der Effektivbestand der Truppen Osman Pascha's 
sollte sich nach der Meinung des russischen Generalstabes 




279 



zu Beginn des September auf 45 — 50 000 Mann be- 
laufen haben; bei dem Falle von Plewna aber streckten 
ungefähr 50 000 Kombattanten, Mannschaften und Offi- 
ziere, die Waffen, während in der Stadt noch etwa 7000 
Kranke und Verwundete lagen, die nach der vollständigen 
Einschließung von Plewna nicht hatten fortgeschafft 
werden können. Bei dem Ausfall vom 28. November hatten 
die Türken 6000 Tote und Verwundete; und wenn die 
türkischen Streitkräfte nach fünf Monaten voller Kämpfe, 
Entbehrungen und Leiden sich noch auf 50 000 Mann be- 
liefen, dann ist die Annahme sicher nicht übertrieben, daß 
Osman Pascha Ende August und Anfang September über 
ungefähr 65 000 Mann verfügte. Die Türken waren also 
an Zahl den rumänisch-russischen Streitkräften ziemlich 
gleich." 

Der 11. September war der Namenstag des Kaisers, 
der sich mit seinem Stabe auf dem Observationspunkte 
auf einer Anhöhe unweit der Straße Rutschuk-Plewna, 
4 km vom Dorfe Griwitza entfernt, eingefunden, die Glück- 
wünsche des^Fürsten auf das herzlichste entgegennehmend 
und ihn tief bewegt in die Arme schließend. In das unter 
freiem Himmel abgehaltene feierliche Tedeum, bei welchem 
alle niederknieten, für den Sieg betend, drang der Donner 
der Geschütze, die, insgesamt 256, schon früh das Bombarde- 
ment eröffnet hatten. Das Wetter war sehr ungünstig, der 
Nebel so dicht, daß man kaum hundert Schritt weit sehen 
konnte, wodurch das Zielen erheblich erschwert wurde. 
Nun mischte sich in die eherne Sprache der Kanonen um 
die elfte Vormittagsstunde vom Unken Flügel her heftiges 
Gewehrfeuer, zum großen Erstaunen des Fürsten. Ent- 
weder war von russischer Seite aus der Angriff zu früh 
erfolgt, oder die Türken hatten einen Vorstoß unternommen, 
was bei der trüben Witterung nicht zu unterscheiden war. 
Ordonnanzoffiziere brachten alsdann die Meldung, daß die 
Truppen des Generals Skobelew sich in vollem Kampf 




280 



befänden und bereits sehr bedeutende Verluste erlitten 
hätten. Fürst Karl hielt mit seinem Tadel über dies eigen- 
mächtige Vorgehen nicht zurück, das den bevor- 
stehenden allgemeinen Angriff noch mehr in Frage stellte. 

Um zwei Uhr stieg der Fürst, der bis dahin beim 
Kaiser verweilt und den dieser zum Abschied innigst um- 
armte, zu Pferd und ritt mit seinem Stabe nach einem 
Punkte oberhalb des Dorfes Griwitza, das mit seinen 
starken Redouten als Schlüssel der türkischen Stellungen 
gegen Norden galt und welches von elf rumänischen Ba- 
taillonen angegriffen werden sollte, während drei russische 
gleichzeitig von Nordosten her vorrücken sollten. Unter 
dem gewaltigen Feuer der rumänischen Batterien setzten 
sich die rumänischen Truppen kurz vor drei Uhr in Be- 
wegung, den Abhang des Plateaus zur feindlichen Redoute 
hin erklimmend und dort anlangend, ohne türkisches Feuer 
zu erhalten. Erst auf der Anhöhe sahen sie, daß sich bis 
zu den feindlichen Befestigungen noch ein 600 Meter 
langes Tal erstreckte mit steilen Abhängen. Schnell ging 
es hinunter und ebenso rasch sollten die Anhöhen er- 
klommen werden, aber der Boden war grundlos, und die 
Soldaten mußten sich am Gestrüpp festklammern oder 
sich auf die Bajonette stützen. Da plötzlich begann mit 
vollster Wucht das türkische Feuer, die Braven scharen- 
weise niedermähend, aber sie drangen vorwärts, den Feind 
aus den ersten Trancheen vertreibend, während andere 
Truppen nachrückten. Oben jedoch wartete ihrer eine 
furchtbare Überraschung: dort sah man erst, was der 
russische Generalstab nicht gewußt, daß hier zwei Re- 
douten lagen, durch einen etwa 300 Meter langen Graben 
mit einander verbunden, zu deren Eroberung weit stärkere 
Truppenmassen hätten herangezogen werden müssen! 
Aber an einen Rückzug dachte niemand. 

„Vorwärts Kinder/' rief Oberst Ipatesku und drang an 
der Spitze der Bataillone voran, auf die sich jetzt das 





Digitized by 



282 



verheerende Feuer der Geschütze und der in drei Linien 
übereinanderliegenden türkischen Infanterie ergoß. „Mir 
nach, Jungens!" spornte Hauptmann Maracineanu seine 
Soldaten an, als erster in den Graben springend, wo er 
sofort von Kugeln und Bajonettstichen durchbohrt wurde, 
aber seine Soldaten stürmten weiter, um die über ihnen 
liegende Redoute zu erreichen, dezimiert jedoch von dem 
vernichtenden Feuer. Ebenso erging es den anderen 
Truppen, die ihren Kameraden zu Hilfe eilten. Erst als 
der Divisionskommandant sah, daß die Hälfte der Streit- 
kräfte aufgerieben war, und daß die drei noch nicht bis- 
her in den Kampf gelangten Bataillone den Sturm nicht 
erfolgreich ausführen könnten, gab er den Befehl zum 
Rückzug. 

Auch der gleichzeitig erfolgte Angriff der Kolonne 
der 4. Division auf die Ostfront der Redouten war trotz 
der außerordentlichen Tapferkeit der Infanteristen und 
Jäger erfolglos geblieben und hatte furchtbare Opfer er- 
fordert. Mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel 
wurde um die vierte Nachmittagsstunde ein zweiter An- 
sturm unternommen. Aber auch dieser ward unter harten 
Verlusten abgeschlagen. Fürst Karl, in dessen nächster 
Nähe die türkischen Granaten einschlugen, duldete es 
nicht länger auf seinem Standpunkt. Er sprengte hinab 
zu seinen Truppen, sie anfeuernd zu abermaligem Vorgehen, 
denn die schrecklichen Opfer durften nicht vergebens ge- 
bracht worden sein. 

Oberstleutnant Vacarescu erzählt uns in seinem be- 
reits erwähnten Werk: „Der Fürst ritt zur 4. Division 
und begegnete zuerst einem Schwärm Soldaten des 2. Jäger- 
bataillons. Müde von der Arbeit des Kampfes, dezimiert 
durch die Kugeln des Feindes, standen die Tapfern dicht 
um ihre Fahne geschart, der feindlichen Redoute gegen- 
über, aus welcher noch hin und wieder ein Flinten- oder 
Kanonenschuß fiel. ,,Was macht Ihr da, Kinder," rief der 




283 



Fürst ihnen zu. „Was sollen wir machen, Hoheit? " ent- 
gegnete ein Sergeant in seiner naiven Redeweise, das Ge- 
sicht gerötet von der Mühe und der Erregung des Tages; 
„die Heiden haben uns zu Grund gerichtet; schaut nur, 
wie wenige von uns übrig sind!" „Wie?" sagte der Fürst, 
„aber Ihr alle hier seid heil und kräftig, dort drüben sehe 
ich noch andere Eurer Gefährten, sammelt Euch und geht 
tapfer vorwärts, und der Sieg wird Euer sein, Ihr werdet 




In den Schanzen vor Plewna. 



die Ehre des heutigen Tages retten !" Mit kräftigem Hurra 
beantworteten die braven Jäger diesen Zuruf; bald schlössen 
sich ihre Reihen wieder, das Bataillon formierte sich und 
brannte vor Begier, wiederum ins Feuer z^u kommen. Der 
Fürst befahl darauf dem Kommandeur der 4. Division, sich 
um jeden Preis in der eroberten Position zu halten, sich 
in ihr zu befestigen und, falls der Feind in der Redoute 
über Nacht weniger wachsam wäre, sich dies für einen 
neuen Angriff zu Nutze zu machen. Nachdem er dann 



Digitized by 



284 



allen Korpskommandeuren mitgeteilt, daß er die Nacht im 
Biwak oberhalb von Griwitza, zwischen den russischen 
und rumänischen Linien, zubringen würde, ritt er nach 
den Feldlazaretten, wo unsere Verwundeten zu Hunderten 
anlangten. Bewundernswert war die leidende Geduld 
unserer Soldaten. Diejenigen, welche noch sprechen 
konnten, bejammerten nicht ihr Schicksal, sondern suchten 
nur zu beweisen, daß sie ihre Soldatenpflicht erfüllt hätten. 
„Hier ist mein Gewehr, Herr Doktor," sagten sie, als dieser 
sich anschickte, ihre Wunden zu untersuchen; „nehmen Sie 
es an sich, damit es nicht heißt, ich hätte es fortgeworfen 
oder in den Händen der Türken gelassen." " — 

Hinter einem Hügel hatten die rumänischen Bataillone 
eine kurze Ruhepause gehalten. Jetzt erst bemerkten sie 
um fünf Uhr das Nahen der russischen Kolonne, die 
gleichzeitig angreifen sollte, aber in dem Nebel den Weg 
verloren hatte. „Kinder vorwärts, sonst nehmen noch die 
Russen die Redoute, daß wir uns schämen müssen!" riefen 
die Offiziere, und zum drittenmal wurde der grimmige 
Vorstoß unternommen in westlicher Richtung, während 
die Russen in östlicher vordrangen. Aber auch er wurde 
abgeschlagen und forderte neue entsetzliche Opfer. Uber 
iooo rumänische Soldaten und mehr denn 20 Offiziere 
waren gefallen. Auch an anderen Punkten hatten die 
Russen unter den Generalen Krylow und Skobelew keine 
Erfolge erzielt und die schwersten Verluste erlitten. 

Um die sechste Abendstunde verließ Fürst Karl die 
Feuerlinie, wo er die Verwundeten getröstet hatte, und 
ritt zum Kaiser, der ihm mit der bangen Frage entgegen- 
trat: „Wie geht es?" und der Fürst, der ja stets vor 
diesem übereilten Angriff gewarnt, berichtete von dem 
traurigen Ereignisse des Tages, hinzusetzend, er hoffe, 
daß wenigstens die erste Griwitza- Redoute noch genommen 
werde, da er Befehl zu einem letzten Sturm erteilt, — so sei 
zu erwarten, daß der Namenstag des Kaisers, wenn auch 




285 




286 



nicht mit einem Siege, so doch mit einem Erfolge ab- 
schließen werde! Noch während dieses Gesprächs, das 
den Kaiser tief erschütterte, jagte auf schaumbedecktem 
Pferd ein Kosakenoffizier heran mit der Meldung, daß 
türkische Truppen aus Plewna ausgebrochen seien und 
auf der Straße von Griwitza herandrängten. Man bestürmte 
den Kaiser, sofort sein Hauptquartier aufzusuchen, wohin 
er sich auch unter dem Schutze der Eskorte begab. Kurz 
darauf erfuhr man, daß es blinder I^ärm gewesen. Fort- 
während grollte noch der Donner der Geschütze und 
rollte das Knattern der Gewehrsalven, während die Nacht 
hereinbrach, eine trübe, drückende Nacht voll banger 
Erwartungen und Zweifel. 

Nahe einem großen Feuer streckten sich Fürst Karl 
und Großfürst Nikolaus mit ihrer Begleitung aus. Kein 
Wort wurde gewechselt; jeder war mit seinen ernsten Ge- 
danken beschäftigt, jeder war sich der gefahrvollen Lage 
bewußt. Da, um die neunte Stunde, kam mit verhängtem 
Zügel ein Offizier angesprengt, die nicht mehr erhoffte, 
aber so heiß ersehnte Kunde bringend, daß die rumänischen 
Truppen, und zwar das 2. Jäger-Bataillon, das 14. und 16. 
Doboranzen- und das 5. Linienregiment, die erste Griwitza- 
Redoute genommen, in erbittertstem Handgemenge die 
Türken zurückwerfend, eine Fahne und fünf Geschütze 
erobernd. Aber auch dieser Sieg war wiederum teuer 
erkauft. 

Der Großfürst umarmte den Fürsten Karl, der sofort 
einen Boten an den Kaiser sandte, um ihm die frohe 
Nachricht zu melden. In den Kleidern bei leise herab- 
rieselndem kaltem Regen übernachteten Fürst Karl und 
Großfürst Nikolaus auf ihrem Observationsplatz, zu dem 
das Stöhnen der Verwundeten herüberdrang, ihre Herzen 
schwer bedrückend, während das Geschütz- und Gewehr- 
feuer nicht aussetzte, da die Türken während der Nacht den 
Versuch unternommen, die Griwitza-Redoute wiederzu- 




287 




288 



nehmen, von den Rumänen jedoch zurückgeschlagen worden 
waren. Ordonnanzoffiziere brachten um die vierte Morgen- 
stunde eingehendere Nachrichten über die verschiedenen 
Kämpfe, die über 16 ooo Mann, darunter 2600 Rumänen 
mit 59 Offizieren, kampfunfähig gemacht. Die Truppen 
waren völlig erschöpft, und mit großer Besorgnis erwog 
man, was geschehen solle, wenn Osman Pascha jetzt mit 
aller Energie einen Vorstoß unternehmen würde. 

Um elf Uhr traf der Kaiser ein, den Fürsten Karl in 
die Arme schließend und ihm seine vollste Anerkennung 
über die Bravour des jungen rumänischen Heeres aus- 
drückend. Die Nacht verbrachte der Fürst, der den ganzen 
Tag über auf seinem Standpunkt verblieben, um von hier 
aus die nötigen Befehle zu erteilen, in Poradim, am nächsten 
Tage das Schlachtfeld besuchend, wo sich ihm die erschüt- 
terndsten Szenen darboten, da die Ambulanzen zu schwach 
waren, allen Hilfe zu bringen, wodurch viele der Unglück- 
lichen mehr denn vierzig Stunden unter freiem Himmel 
liegen mußten, während zahlreiche andere sich noch in der 
Schußweite des Feindes befanden und nicht mehr gerettet 
werden konnten, weil Osman Pascha die wiederholten Vor- 
schläge einer kurzen Waffenruhe zur Bergung der Ver- 
wundeten und Toten abgewiesen. Dann inspizierte Fürst 
Karl seine Truppen, begeistert von ihnen begrüßt, später 
mit dem Kaiser zusammentreffend und in dem Kriegsrat 
mit aller Energie darauf dringend, daß man sich jetzt vor 
Plewna völlig defensiv verhalten müsse, bis die nötigen 
Verstärkungen herangekommen wären. Nun sah auch der 
russische Generalstab ein, wie richtig von Anfang an die 
Ansicht des Fürsten gewesen, daß man das von zwanzig 
starken Redouten umgebene Plewna nicht im Sturm neh- 
men könne, hatten doch die bisher erzielten geringen Er- 
folge, wenn man die ersten Kämpfe mit hinzuzog, über 
25 000 Mann gekostet. 

An seine Gemahlin schrieb Fürst Karl über den blutigen 




289 



Tag: „Um drei Uhr begann der Angriff von allen Seiten; 
mit Herzklopfen verfolgte ich jede Bewegung, ich konnte 
alles gut übersehen. Auf der ganzen Linie war das Feuer 
furchtbar, ein Kanonendonner und ein Gewehrgeknatter, 
die gradezu betäubend wirkten; drei Pulvermagazine flogen 
in die Luft. Von allen Seiten brachen unsere Kolonnen vor, 
wurden aber durch die feindlichen Kugeln niedergemäht; 
bald war das Schlachtfeld von Tausenden unsrer Tapferen 
bedeckt, wiederholt schlugen die Türken die Angriffe zurück, 
und erst wie die Nacht hereinbrach, gelang der letzte An- 
griff; die Verluste waren aber nicht im Verhältnis zu dem 
geringen Resultat, denn es gelang uns nur, die vordere 
Redoute zu nehmen, die leicht wieder verloren gehen kann, 
da eine stark befestigte Linie dieselbe dominiert. Der 
gestrige Tag, der kein Sieg ist, sondern nur un succes mili- 
taire, kostet uns mindestens 14 000 Mann, von denen über 
2000 Mann und 50 Offiziere auf die rumänische Armee 
kommen; die genaue Zahl konnte noch nicht festgestellt 
werden. Beide Armeen haben sich aber heldenmütig ge- 
schlagen. — Am Abend besuchte ich die rumänischen 
Verbandplätze, die ein herzzerreißendes Bild darboten. 
Nach sechs Uhr traf ich beim Kaiser ein, dem ich nur be- 
trübende Nachrichten überbringen konnte, er war tief 
bewegt. — Plötzlich wurde uns die Nachricht gebracht, 
die türkische Reiterei hätte unsere Linien durchbrochen! 
Man bat den Kaiser dringend, in sein Hauptquartier zurück- 
zukehren; dies geschah dann auch. Der Großfürst und 
ich blieben die ganze Nacht vor Plewna in den nassen 
Kleidern, bei fortgesetztem Regen. Es wurde ein großes 
Feuer angezündet, an dem wir uns so gut wie möglich 
trockneten; zu unserer persönlichen Deckung holte man 
ein Bataillon aus der Reserve herbei. — Die Nacht war 
stürmisch, und unfreundlich und unheimlich unser Stand- 
ort. Tausende von Leichen bedeckten das Schlachtfeld, 
und die ganze Nacht hindurch arbeiteten unermüdlich die 

Lindenberg, König Karl. 19 




290 



Ambulanzen. — Bis gegen Morgen dauerte das Feuer aus 
den feindlichen Batterien, nur schwächer und schwächer 
werdend; wiederholt versuchten die Türken die Redoute 
wiederzunehmen. Wir haben eine türkische Fahne erobert, 
die ich Dir schicke; auch die eroberten Kanonen sende ich 
nächstens nach Bukarest. " 

So schmerzlich Fürst Karl von den furchtbaren Ver- 
lusten, die sein Heer erlitten, berührt war, so stolz war er 
andrerseits auf die hier zum erstenmal gezeigte Tapfer- 
keit seiner Truppen, die dem kampferprobten russischen 
Militär nicht nachgestanden, sondern mit ungeschwächtem 
Mut stets voran gewesen waren, blühenden Ruhm um die 
rumänischen Fahnen flechtend. Kaiser Alexander erkannte 
dies willig an, indem er persönlich dem Fürsten das Georgs- 
kreuz um den Hals hing und in dem diese Verleihung be- 
stätigenden Handschreiben betonte, daß die rumänischen 
Soldaten in jenen Kämpfen des u. und 12. September 
den Beweis eines heroischen Mutes gegeben. 

Dieser Mut zeigte sich auch bei dem am 18. September 
unternommenen Angriff auf die zweite Griwitza-Redoute, 
da von dieser aus immer wieder versucht wurde, die erste 
zurückzuerobern. Drei Bataillone gingen zum Sturm vor; 
sie vertrieben die Türken nach kurzem Bajonettkampf aus 
ihren verschanzten Linien und gelangten dann bis an den 
Graben der Redoute, wo sich ein blutiges Handgemenge 
entspann und sie auch hier siegreich blieben. Aber alle 
Versuche, die hohe, steile Mauer zu erklimmen, scheiterten 
an dem vernichtenden Feuer der Türken, die in großer 
Übermacht waren und in sicherer Bedeckung ihre ver- 
nichtenden Salven abgaben. Immer wieder ward der Ver- 
such unternommen, aber zu furchtbar war die Todesernte, 
daß Fürst Karl, der dem Gefecht von einer nahen Anhöhe 
aus beiwohnte, den Befehl zum Rückzug gab. 5 Of- 
fiziere und 123 Mann waren gefallen, 15 Offiziere und 
420 Mann verwundet worden. 




291 



Auch die rumänische Kavallerie, welche westlich von 
Plewna operierte, um jene Gegend von feindlichen Streit- 
kräften zu säubern und den Heranzug von Mannschaften 
und Proviant zu hindern, hatte verschiedene Erfolge zu 
verzeichnen und konnte dem Fürsten eine eroberte Standarte, 
die sie Tscherkessen abgenommen, übersenden. Die folgen- 
den Tage benutzte Fürst Karl zu Inspizierungen, überall 
nach dem Rechten sehend und Befehle erteilend zur Be- 
schleunigung der von ihm angeordneten Befestigungen der 
russischen und rumänischen Stellungen, damit ein mög- 
lichst fester Ring um Plewna gebildet und ein Ausbruch 
Osman Paschas verhindert würde. Aber trotz aller Vor- 
kehrungen gelangten doch einige Verstärkungen und 
Proviantkolonnen in die Festung, da Fürst Karl bisher ver- 
geblich um eine weitere Heranziehung russischer Truppen 
gebeten. Erst Ausgangs September und Anfangs Oktober 
langten diese an und befreiten den Fürsten von der 
drückenden Sorge, daß er einem Ansturm Osman Paschas 
hätte unterliegen können, der um so kritischer geworden 
wäre, als infolge heftiger Stürme die Donaubrücke bei 
Nikopolis zerstört und der Truppennachschub wie die Pro- 
viantzufuhr hierdurch sehr behindert worden waren. Das 
Wetter war in diesen Wochen anhaltend schlecht, Regen 
und Schnee hatten alles in einen Sumpf verwandelt, die 
Truppen mußten bei zunehmender Kälte im Freien 
biwakieren und litten stark unter Krankheiten aller Art. 
Der Fürst schrieb darüber an seine Gemahlin: „Von 
dem Wetter, das wir seit drei Tagen haben, kann man 
sich keine Vorstellung machen: Regen und Schnee- 
gestöber, dabei ein eisiger Nordsturm und ein so boden- 
loser Schmutz, daß man nur schwer vom Platze kommen 
kann. Die armen Truppen leiden furchtbar, und wenn 
das Wetter sich nicht bald bessert, werden wir soviel 
Kranke haben, daß der neu eingetroffene Ersatz kaum die 
Rücken ausfüllen wird. Von den Schwierigkeiten einer 



10* 




292 



Kriegführung in Bulgarien kann man sich in Europa keinen 
Begriff machen; die Strapazen, Entbehrungen, Mühen und 
Sorgen sind so unbeschreiblich groß, daß eine Kampagne 
hier drei Kriegen im Occident gleichkommt!" 

Glücklicherweise wurde die Gesundheit des Fürsten 
trotz der enormen Strapazen nicht erschüttert. Er blieb 
oft den ganzen Tag zu Pferd, stets um das Wohl der 
Truppen besorgt, die er auch in den äußersten Vorposten- 
stellungen besuchte, dort wiederholt scharfem feindlichen 
Feuer ausgesetzt. Endlich, in der zweiten Hälfte des Ok- 
tober, besserte sich die Witterung, und da auch weitere Ver- 
stärkungen herangekommen, konnte der Kreis um Plewna 
immer enger gezogen werden, so daß Osman Pascha sämt- 
liche rückwärtige Verbindungen abgeschnitten wurden. Am 
26. Oktober verlegte Kaiser Alexander sein Hauptquartier 
nach Poradim, wo ihm Fürst Karl sein Haus sofort zur 
Verfügung stellte, er selbst am äußersten^Ende des Dorfes 
eine elende, strohbedeckte Hütte beziehend, [die nur aus 
zwei kleinen feuchten und niedrigen, ungedielten Gelassen 
bestand, während seine Begleitung Unterkunft in nahen 
Baracken suchen mußte. 

Sowie es nur die kriegerischen Vorgänge gestatteten, 
stand der Fürst in engem Briefwechsel mit seiner Ge- 
mahlin, die er immer wieder dringend bat, sich zu schonen, 
da die Fürstin völlig aufging in der Pflege der Verwundeten 
und Kranken in den Bukarester Lazaretten. So schrieb er 
ihr unter dem 14. Oktober: „. . . Das Wetter war während 
acht Tagen entsetzlich, und die Truppen haben sehr darunter 
gelitten: die Stiefel faulten ihnen in dem Schneewasser an 
den Füßen; sehr viele haben sich die Gliedmaßen erfroren, 
und die Spitalzelte reichen nicht aus, um alle Kranken 
unterzubringen — in der Westarmee über 2000 Mann! — 
Im tollsten Wetter besuchte ich sämtliche Lazarette und 
Ambulanzen und tröstete die Unglücklichen, von denen 
manche in nassem Stroh lagen. Einige sind auf dem 



Digitized by 



Google 



293__ 

Transport gestorben; gegen 300 Pferde sind zugrunde ge- 
gangen, und die Wege mit Kadavern besäet. Der Krieg 
tritt hier in seiner krassesten Form auf, und man muß 
starke Nerven haben, um all dies mit anzusehen. — Die 
rumänischen Truppen besuchte ich in den Trancheen, wo 
sie bis an die Kniee in Schmutz und Wasser standen! 
Dazu sind an vielen Stellen die Brustwehren eingestürzt, 
so daß sie dem Gewehrfeuer der Türken ausgesetzt sind, 




Fürst Karls zweites Quartier in Poradim. 



und wir in den letzten Tagen wieder mehr Verwundete 
hatten. Trotzdem wurde gearbeitet, und neue Batterien 
installiert. Aus einer derselben, in dem gedeckten Wege 
der Redoute, ließ ich die ersten Schüsse abgeben, auf 
600 Meter, und die Türken, die einige Verluste hatten, 
antworteten sofort mit Gewehrfeuer; als dasselbe zu toll 
wurde, verließ ich die Batterie, um mich nicht unnötig 
auszusetzen. Oberst Gaillard, der mit mir war, machte 
mir hernach Vorwürfe und erklärte mir, daß er mich fortan 



Digitized by 



294 



verhindern werde, in die Trancheen zu gehen. — Eine 
halbe Stunde später wurde ein Artillerieunteroffizier, mit 
dem ich noch gesprochen, und der die Tapferkeitsmedaille 
hatte, auf der Stelle erschossen, wo ich gestanden hatte. 
— Jedermann ist mehr oder weniger krank gewesen, nur 
ich bin, Gott sei Dank, ganz wohl. Ich bin an Strapazen 
gewöhnt und deshalb hier in meinem Element; oft sitze 
ich den ganzen Tag zu Pferd, worüber sich selbst die 
Russen wundern." 

Nachdem im Verlauf der nächsten Wochen die Höhen 
von Gornji-Dubnik und der Grünen Berge eingenommen 
waren, hatte man nicht mehr ein Entweichen Osman 
Paschas zu befürchten. Man mußte jetzt nur noch mit 
seinem Durchbruch rechnen, und diesen zu verhindern traf 
der Fürst die umsichtigsten Maßregeln, die bisher noch 
schwachen Linien verstärkend und ebenso die einzelnen 
Befestigungen. Während man vor Plewna sich abwartend 
verhielt, hatte Fürst Karl, um Osman Pascha die letzte 
Möglichkeit abzuschneiden, aus Nordwesten oder Süd- 
westen Hilfe zu erhalten, seinen Truppen befohlen, die an 
der Donau gelegene befestigte Stadt Rahowa einzunehmen, 
welche als Truppensammelpunkt für das westliche Bul- 
garien dienen konnte. Nachdem zunächst das Terrain 
rekognosziert worden war, wurde von verschiedenen Seiten 
der Angriff am 19. November unternommen. Das 10. Do- 
robanzen-Regiment erstürmte trotz heftigsten Feuers die 
erste Redoute und die Schanzgräben, die sofort besetzt 
wurden, worauf der Sturm fortgesetzt ward, bis die Munition 
ausging und die schwer gelichteten Truppen bei Einbruch 
der Nacht von einem weiteren Vordringen absehen mußten. 
Am nächsten Tage verhinderte ein dichter Nebel jegliche 
Operation. In der sich anschließenden Nacht suchte die 
Garnison auszubrechen, sich in einer Zahl von 2000 Mann 
auf ein rumänisches Bataillon stürzend, das drei Stunden 
dem überlegenen Feinde standhielt und dann den fort- 




295 



gesetzten Anprall zu brechen suchte, indem es mit er- 
staunlicher Kühnheit selbst zum Sturm vorging, die Türken 
in die Flucht schlagend, die, soweit sie nicht gefallen oder 
verwundet worden, in einer Furt des Skit-Flusses zu ent- 
kommen suchten, von rumänischer Kavallerie verfolgt, die 
viele Gefangene machte und den gesamten Train eroberte. 
Siegreich konnten die Rumänen in Rahowa einrücken, 
freudig bewillkommnet von den Bulgaren, die mit Jubel 
das Hissen der rumänischen Fahne auf den Befestigungs- 
werken begrüßten. 

Aus Anlaß dieses großen und wichtigen Erfolges hielt 
Fürst Karl vor Plewna am 24. November einen Dank- 
gottesdienst ab, nach dem Tedeum eine Ansprache an 
seine Truppen richtend, in der er hervorhob, daß der 
Heldenmut der rumänischen Soldaten sich bei der Ein- 
nahme von Rahowa von neuem bewährt habe; das Blut 
der Gefallenen sei für die heilige Sache der Unabhängig- 
keit vergossen, und er, der Fürst, sei der festen Über- 
zeugung, daß sein ganzes Heer von derselben Opfer- 
willigkeit sei, er habe beschlossen, eine Medaille zu stiften, 
mit der Inschrift: „Den Verteidigern der rumänischen 
Unabhängigkeit und Ehre", seine Truppen auffordernd, 
angesichts des Gegners unter dem Donner der Kanonen in 
den Ruf einzustimmen: „Es lebe das freie Rumänien!" 

Der Wunsch des Fürsten, daß die Garnisonen von 
Rahowa und Nikopolis von den Rumänen gestellt würden, 
fand Erfüllung, es war eine Anerkennung der bedeutsamen 
rumänischen Waffenerfolge, von großer Wichtigkeit nicht 
nur in militärischer, sondern auch in politischer Beziehung. 

Unermüdlich war Fürst Karl tätig, damit die Truppen 
nicht nachließen im Bewachungsdienst, immer wieder auch 
die äußersten Stellungen besichtigend und wiederholt sich 
großer Lebensgefahr aussetzend. Jede freie Stunde be- 
nutzte er, in schlicht-fesselnder Weise von seinen Erleb- 
nissen der Fürstin zu berichten, die sich auf das tiefste 




296 



um ihn bangte und sorgte: „Gestern kam Dein lieber 
Brief an — ich freute mich über ihn, wie der Wanderer 
in der Wüste nach dunkler Nacht über die Morgenröte. 
Jedes Deiner Worte lese ich viele Male und trage sie mit 
mir umher!" so hatte sie ihm geschrieben. Und der Fürst 
erzählte seiner Gemahlin über seine im Laufe des No- 
vember unternommenen Inspizierungen: „Mit meinem 
russisch-rumänischen Stabe setzte ich meine Exkursionen 
jenseits des Wid, die nicht ohne Gefahr waren, fort. Um 
acht Uhr morgens verließ ich Poradim bei Sturm und 
Regen, einem wahren Allerseelen wetter; um zehn Uhr war 
ich in Wrbitza, blieb dort einige Zeit im rumänischen 
Hauptquartier und fuhr dann weiter nach Eiben, wo ich 
gegen ein Uhr eintraf. Ich Heß hier sechs Artilleriepferde 
vor meinen Wagen spannen, reduzierte die Eskorte, um 
jedes Aufsehen zu vermeiden, passierte dann den Wid 
und fuhr eine Stunde an den Vedetten der Kalaraschi ent- 
lang, die etwa 600 Schritt von der türkischen Vorposten- 
linie hielten; die Fahrt war höchst interessant, da ich alle 
Bewegungen der Türken beobachten konnte. Um halb 
drei Uhr traf ich in Dolnji-Netropol ein. Ich besichtigte 
hier die von unseren Truppen (Brigade Cantili) angelegten 
Befestigungen und begab mich dann auf einen Obser- 
vationspunkt, von wo ich die steinerne Widbrücke auf der 
Straße nach Sofia sehen konnte, die von unserer Artillerie 
stark beschossen wurde. Jenseits der Brücke hatten die 
Türken einige Bataillone aufgestellt, und da man hieraus 
auf einen bevorstehenden Angriff schließen durfte, standen 
unsre Truppen alle unter Gewehr. — Der Blick auf Plewna 
von jenseits des Wid ist sehr schön; die Stadt liegt in 
einer Talweitung, umgeben von Höhen, die schroff zum 
Wid abfallen. Ich beobachtete an einem der Abhänge ein 
ausgedehntes Lager, das man vom andern Ufer aus nicht 
sieht, mit über tausend Zelten. Unsre jenseitigen Batterien, 
an 300 Geschütze, feuerten Salven ab, und wir sahen den 




297 



Regen von Bomben niederfallen, während erst nach einer 
halben Minute das lang anhaltende Donnern und Rollen 
der Geschütze hörbar ward — eine großartig schöne 
Kriegsszene ! Eine ganze Anzahl russischer Generale stand 
neben mir. — Ich ritt von Dolnji- nach Gornji-Netropol, 
wo ich die 2. Brigade der rumänischen 4. Division, so- 
wie die neu eingetroffene Grenadierdivision und eine Ko- 
sakenbrigade besichtigte. Alle Truppen empfingen mich 
mit nicht endenden Hurras; ich brauchte eine Stunde, 
bis ich das ganze Lager abgeritten hatte, in dem 16 000 
Mann versammelt waren. — Um 6 Uhr dinierte ich beim 
Stabe der 4. Division (General Rocowitza). Die Musik 
des 5. Regiments spielte ihr bekanntes Repertoire, auch 
jenes Stück, welches sie mit Gesang vor dem Palais zu 
spielen pflegte, und das Bukarester Jägerbataillon gab die 
Wache. Ich biwakierte mitten unter den Truppen, vier 
Kilometer vom Feinde, und hörte die ganze Nacht das 
Kleingewehr- und Geschützfeuer. Davila, der mit mir war, 
hatte mir auf einer Tragbahre ein Bett arrangiert, auf das 
ich mich unausgekleidet legte. Die Nacht war dunkel und 
es regnete stark, was einen Überfall erleichtert hätte; man 
hatte auch eigens eine starke Lagerwache aufgestellt. Ich 
schlief aber ganz gut unter dem Zelt." — Und der Be- 
richt über die Erlebnisse des nächsten Tages schloß: 
„Mit Mühe und Not, bei bodenlosen Wegen und starkem 
Regen, erreichte ich um acht Uhr abends Davilas große 
Ambulanz, wo ich die Nacht zubrachte. Davila sorgte so- 
fort für warmes Essen, was um so willkommener war, als 
wir ganz durchgefroren und naß waren. Ziemlich müde 
— wir hatten acht Stunden bei Regen im Sattel gesessen — 
begaben wir uns zur Ruhe, und ich schlief vortrefflich, natür- 
lich angezogen; 56 Stunden bin ich nicht aus den Kleidern 
gekommen." — Und am 21. November schrieb der Fürst 
seiner Gemahlin: „Vorgestern wurde vor Plewna ein groß- 
artig schöner Dankgottesdienst für die Einnahme von Kars 




298 



abgehalten. Wir waren auf einem Plateau, von wo man die 
Positionen von Plewna und die meisten Batterien gut über- 
sehen konnte. Die Truppen waren auf der ganzen Linie auf- 
gestellt, die Musiken spielten, sämtliche Batterien feuerten, 
und der Donner der Geschütze wurde von dem endlosen 
Hurra der Soldaten noch übertönt. Dabei der schöne 
Gesang des kaiserlichen Chores, und wir alle auf den 
Knien betend, es war ein erhebender und ergreifender 
Augenblick. Die Türken glaubten, wir planten einen An- 
griff, und standen auch bereit. Nach der Feier ritt ich in 
die verschiedenen Batterien; als ich auf dem vorspringen- 
den Plateau von Raditschewo anlangte, richteten die 
Türken ihre Geschosse auf mich, ein Schrapnell fiel in 
meine Eskorte, ohne jemand zu verwunden. Die russischen 
Batterien, 36 Geschütze, die in meinem Rücken standen, 
eröffneten nun auch ein Salvenfeuer, so daß ich in Pulver- 
dampf gehüllt war. Die Granaten flogen pfeifend und 
zischend über meinem Kopfe fort, ich konnte nicht mehr 
unterscheiden, aus welcher Richtung sie kamen. Ich ritt 
auf die feuernden russischen Batterien zu, die ihre Salven 
fortsetzten, und wurde dort vom Artilleriebrigadegeneral 
empfangen, der mir sagte, daß die Türken seit vierzehn 
Tagen nicht mehr in dieser Richtung geschossen hätten, 
mich bittend, die gefährliche Position zu verlassen." — 
Der Dezember hatte mit schweren Stürmen ein- 
gesetzt, die eine teilweise Zerstörung der Brücke bei 
Nikopolis herbeiführten und dadurch die rückwärtige Ver- 
bindung störten, so daß die Truppen sogar Mangel an Le- 
bensmitteln hatten und es an Heu wie an Holz fehlte, da die 
Transporte nicht pünktlich eintreffen konnten. In dem jam- 
mervollen Quartier des Fürsten Karl war es kaum zum Aus- 
halten. Die winzigen Räume waren, sobald man sie zu heizen 
versuchte, durch Rauch gefüllt, und Regen wie Schnee drangen 
an vielenStellen ein. Die Straßen waren grundlos, man brauchte 
die dreifache Zeit wie bisher, um vorwärts zu kommen. 




299 



Dem wiederholten Andrängen des Großfürsten Nikolaus, 
neue, energische Angriffe auf Plewna zu unternehmen, 
widerstand Fürst Karl fortgesetzt, da Osman" Pascha sich 
nur noch ganz kurze Zeit halten konnte, und man nicht 
vergeblich so viele Menschenleben zu opfern brauchte. 
Auch hier sollte sich die Voraussicht des Fürsten bewähren. 
Am frühen Morgen des 10. Dezember erhielt Fürst Karl 
Meldungen von starken Bewegungen der türkischen Truppen, 
die auf einen Ausfall schließen ließen. Sofort eilte er 
in seinem Gespann nach Griwitza, und als ihm dort mit- 
geteilt wurde, daß die Türken die zweite Redoute geräumt 
und diese bereits die Rumänen besetzt hätten, erteilte er 
umgehend den Befehl zum Vorgehen der zweiten Division 
auf der ganzen Linie. Alles deutete auf einen Entschei- 
dungskampf hin. Von verschiedenen Seiten dröhnte der 
Geschützdonner herüber und hörte man das Knattern 
der Gewehrsalven. Mit jeder Minute wuchs das Getöse, 
zu betäubendem Lärm anschwellend. Da der Fürst hörte, 
daß die Türken eine russische Redoute genommen hätten, 
ließ er auch seine 4. Division gegen den Feind vorgehen. 
Von einer Anhöhe hielt er einen orientierenden Überblick 
über das ganze Terrain und gab von hier aus die weiteren 
Befehle, Kaiser Alexander stets durch kurze Telegramme 
von dem jeweiligen Stand der Schlacht benachrichtigend. 

Die Rumänen griffen wiederum mit vollster Ent- 
schlossenheit und Tapferkeit in den Kampf ein; sie stürmten 
Opanetz und nahmen zwei Redouten, und auf diesen 
energischen Anprall hin ergab sich ihnen die Besatzung 
der dritten mit 7000 Mann und 6 Kanonen, welche Kunde 
den Fürsten mit tiefer Freude erfüllte. An verschiedenen 
Stellen hatten die Türken erhebliche Vorteile errungen, 
wurden dann aber von den vereinten Streitkräften wieder 
zurückgeworfen unter schweren Verlusten, zu denen die 
unaufhörlich feuernden Batterien das ihrige beitrugen. 

Vielleicht wäre der Vorstoß Osman Paschas gelungen, 




300 



wenn seine Dispositionen befolgt worden wären. Er hatte 
seine Armee in zwei Teile von je 20 000 Mann geteilt; die 
eine unter seiner Führung sollte die Linien jenseits des 
Wid zu durchbrechen suchen, die andere nach zwei 
Stunden vorgehen, bis dahin aber die Flanken und den 
Rücken des ersten Korps decken. Inmitten des tollsten 
Kugelregens hielt Osman Pascha stand. Ein Pferd wurde 
ihm unter dem Leib erschossen und er selbst am Fuß 
verwundet. Vergebens harrte er auf das Nahen des zweiten 
Korps, um mit diesem vereint vorwärts zu dringen, aber 
jenes war durch die Kämpfe mit den Rumänen zu; stark 
engagiert worden und sah bald nach schweren Verlusten 
die Nutzlosigkeit eines Widerstandes ein, denn die ru- 
mänischen Truppen drängten die Türken von Plewna ab 
in ein zwischen der Stadt und dem rechten Widufer ge- 
legenes Tal, das durch tau sende von Wagen und durch 
dichte Scharen der Bevölkerung der Stadt, die sich Osman 
Pascha anschließen wollten, völlig ausgefüllt war. In dieses 
Gewühl fielen die Granaten der rumänischen Batterien 
und verstärkten die schreckliche Verwirrung. Da ergaben 
sich ganze Teile der türkischen Armee; die Panik wurde 
immer größer, um so mehr, als sich infolge der Verwundung 
Osman Paschas die Schreckenskunde verbreitete, der Mar- 
schall sei gefallen. 

Fürst Karl hatte zur Mittagsstunde seinen Standort 
verlassen und sich auf den Kampfplatz zwischen Bukowa 
und Opanetz begeben, wo sich ihm das malerischste, 
packendste, seelisch tief ergreifende Gesamtbild des wilden 
Kampfgetümmels darbot. 

Jetzt jagte auf schäumendem Roß ein Offizier heran, 
dem Fürsten meldend, daß sich Osman Pascha mit seiner 
ganzen Armee ergeben wolle, und zwar hatte der tür- 
kische Feldherr diese Mitteilung dem rumänischen Oberst 
Cerchez gemacht, der mit dem dritten Linienregiment bis 
zu jener, auf dem rechten Widufer gelegenen Hütte, in 




301 




302 



die man den verwundeten Pascha getragen, vorge- 
drungen war und zahllose Türken gefangen genommen hatte. 

Zu jener Widbrücke ritt nun auch Fürst Karl mit 
seinem Stabe, überall von den siegreichen rumänischen 
Truppen auf das jubelndste begrüßt. Aber so stolz auch 
der Fürst auf diesen neuen Erfolg der rumänischen Waffen 
sein durfte, so tief ergriff [ihn das Elend, auf das er 
überall stieß, von innigem Mitleid mit dem heldenmütigen 
Feind ergriffen. An langen Zügen von Gefangenen vor- 
bei ritt er zwischen Toten und Verwundeten dahin, lang- 
sam nur ging's vorwärts. Nahe jener Widbrücke kam 
ihm ein offenes Gefährt entgegen, begleitet von einer 
Eskorte des 3. rumänischen Calaraschen Regiments: Os- 
man Pascha, der gefangene Feldherr, saß in dem Wagen. 
Als man ihm sagte, daß Fürst Karl nahe, erhob er sich 
trotz der Schmerzen. Der Fürst reichte ihm mit festem 
Druck die Hand, ihm mit bewegten Worten seine vollste 
Anerkennung über seine und seiner Truppen Tapferkeit 
ausdrückend und sich nach seiner Verwundung erkun- 
digend. In diesem Augenblick traf auch Großfürst Niko- 
laus ein, gerührt den Fürsten in die Arme schließend 
und sich dann zu Osman Pascha wendend, ihm gleich- 
falls seine Anerkennung über die tapfere Verteidigung 
Plewnas ausdrückend. Nachdem der verwundete Mar- 
schall weitergefahren, verabredeten Fürst Karl und der 
Großfürst die nächsten Dispositionen, dann ritt Fürst 
Karl nach Plewna, wiederum inmitten des dichten Ge- 
wühls der Gefangenen, der Fliehenden, der Sieger; Jam- 
mern, Rufen, Stöhnen, Schreien, Flehen überall, überall 
auch Tote und Verwundete, umgefallene Wagen, fort- 
geworfene Waffen, wehklagende Frauen und weinende 
Kinder, und dazwischen der Jubel der russischen und 
rumänischen Truppen beim Erscheinen des Fürsten und 
die schmetternde Musik froher Märsche der heranrücken- 
den Bataillone. 




303 



Plewna selbst machte einen völlig ausgestorbenen 
Eindruck. In den engen, winzigen Gassen fand man sich 
kaum zurecht, die Dunkelheit brach herein, und nur 
schwer entdeckte man den Ausweg, zudem fielen noch 
hier und da vereinzelte Schüsse und mußte man mit der 
Verzweiflung zurückgebliebener türkischer Soldaten rech- 
nen, so daß die Umgebung des Fürsten sich ernsten Be- 
sorgnissen hingab. Endlich gelangte man, von einem 
bulgarischen Knaben geführt, auf den richtigen Weg nach 
Griwitza, in dessen Nähe der Fürst den ersten besten 
Wagen bestieg, da sein eigenes Gefährt sowie seine Es- 
korte in der Finsternis und Verwirrung abhanden gekommen 
waren. In dunkler Nacht ging's nur langsam vorwärts 
über Hindernisse aller Art, vorbei an Toten und Verwun- 
deten, welch letztere flehentlich um Hilfe baten, durch 
das Gewirr umgestürzter Geschütze, Munitionswagen, 
Karren. 

Erst kurz vor zehn Uhr traf der Fürst in Poradim 
ein und begab sich sofort nach dem Hause des Kaisers, 
der bereits schlafen gegangen war, den aber der Fürst 
wecken ließ, um ihm nähere Mitteilungen über den lang- 
ersehnten Sieg zu machen. Der Herrscher umarmte den 
Fürsten tiefbewegt und rief froh auf Deutsch: „Mit Aus- 
dauer kommt man ans Ziel!" sich dann alles genau be- 
richten lassend. Völlig ausgefroren und hungrig — denn 
er hatte den ganzen Tag nichts zu sich genommen — , 
sowie übermüdet langte der Fürst in seinem Quartier an. 
Aber die tiefe Erregung war doch zu groß, als daß an 
Schlaf zu denken war: bildete ja der Fall Plewnas und die 
Übergabe Osman Paschas mit seiner Armee den bedeut- 
samsten Wendepunkt dieses Krieges, der nun voraus- 
sichtlich bald beendet war, da die vor Plewna versam- 
melten gewaltigen Heeresmassen jetzt nach anderen Punk- 
ten dirigiert werden konnten, vor allem die gefahrdrohende 
Lage am Schipka ändernd. 



Digitized by 



304 



In eindrucksvoller Weise schilderte Fürst Karl die 
Tragweite des großen Tages seiner Gemahlin in einem 
Briefe, in dem es u. a. lautete: „Um zwölf ein viertel Uhr 
war der Kampf so gut wie entschieden; die Türken hißten 
die weiße Fahne, Osman Pascha war verwundet! — Ich 
begab mich sofort zu meinen siegreichen Truppen, die 
mich mit unbeschreiblicher Begeisterung empfingen. 
Gleichzeitig defilierten 8000 Gefangene mit ihren Offi- 
zieren, darunter zwei Paschas, und sechs schön bespannte 
Geschütze an mir vorüber. Den türkischen Offizieren 
sagte ich, daß sie sich tapfer geschlagen hätten und über- 
zeugt sein könnten, daß sie zuvorkommend behandelt 
werden würden ; ich hätte dem Offizier, der sie zu begleiten 
hätte, befohlen, sich nach ihren Wünschen zu erkundigen. 
Hierauf gab ich einem Regiment Ordre, mir mit Musik 
zu folgen, und ritt mit meinem Stabe und meiner Eskorte 
direkt auf den Wid zu. Von allen Seiten waren russische 
und rumänische Truppen bereits in die Stadt eingerückt, 
und ich wurde von ihnen bei meinem Erschdnen mit 
endlosen Hurras empfangen, wobei sie ihre Mützen in 
die Luft warfen. Von dem Bilde, das sich mir unter- 
wegs entrollte, ist es kaum möglich, eine Beschreibung 
zu geben. Ein grauenhaft großartiges Kriegsbild! Tau- 
sende von Wagen mit fliehenden Einwohnern, heulende 
Frauen, jammernde Kinder erfüllten die Wege von der 
Stadt bis an die Widbrücke, außerdem zahllose Gefan- 
genen- und Verwundetentransporte, und dazwischen an 
den Straßenrändern Tote und Sterbende, stöhnende Ver- 
wundete, die zu Fuß waren, aber nicht mehr weiter konnten, 
umgeworfene Wagen, unter denen noch Lebende lagen, 
tote und krepierende Pferde, Ochsen, Büffel — überall 
Jammer und Elend ! Durch dies alles hindurch der Jubel 
der russischen und rumänischen Soldaten, mit Musik 
heranmarschierende Bataillone, Kosaken und Kalaraschen, 
welche vergeblich Ordnung zu schaffen versuchten ;Yzer- 




305 



brochene Kanonen, tausende von Gewehren, zerstreute 
Munition usw. Lange Zeit war ich in diesem heillosen 
Treiben, bis man mir mit größter Mühe einen Weg nach 
der Widbrücke bahnte. Hier begegnete ich Osman Pascha; 
er saß in einem Wagen, eskortiert von Oberst Poliso und 
dessen Kalaraschen. Ich ritt an ihn heran, gab ihm die 
Hand und sagte, daß ich seine tapfere Verteidigung be- 
wundert hätte, und daß sein Name in der Geschichte dieses 
Krieges glänzen würde. Trotz seiner Verwundung am 
Fuß stand er im Wagen auf und dankte mir. Dieser 
Mann hat mein Herz ganz gewonnen; sein Gesicht hat 
einen vornehmen und milden Ausdruck und ist sehr sym- 
pathisch. Inzwischen war auch Großfürst Nikolaus ein- 
getroffen; wir umarmten uns vor Osman, dem er herzlich 
die Hand drückte. Hierauf bahnten der Großfürst und 
ich uns einen Weg nach der Stadt, wo wir nur mit wenigen 
Herren und ohne unsere Eskorte eintrafen, da die übrigen 
in dem furchtbaren Gedränge abgeschnitten worden waren." 

Die ganze Tragweite des Erfolges ersah man am 
nächsten Tage: 40000 Gefangene, darunter 10 Paschas, 
128 höhere und 2000 subalterne Offiziere, 77 Geschütze, 
viele Waffen und Fahnen waren in die Hände der ver- 
bündeten Truppen gefallen. Am gleichen Vormittag fand 
ein feierliches Tedeum statt, nach welchem Fürst Karl, 
dem der Kaiser den Andreasorden, eine sehr seltene Aus- 
zeichnung, mit den Worten verliehen hatte: „Sie haben 
ihn wahrlich verdient und ich danke Ihnen für Ihre Hilfe/* 
den Zaren nach Plewna begleitete, woselbst ein Bürger- 
haus für den Kaiser hergerichtet war und dort von ihm 
und seiner Umgebung das Dejeuner eingenommen wurde, 
bei welchem der Kaiser einen herzlichen Trinkspruch 
auf den Fürsten Karl und seine rumänischen Truppen, 
die er als „unsere Verbündeten* ' bezeichnete, ausbrachte. 
Hier empfing auch der Kaiser in Gegenwart" des Groß- 
fürsten Nikolaus und des Fürsten Karl Osman Pascha, 

Linctenberg, König Karl. 20 




306 



ihm als Zeichen seiner Hochachtung den Degen zurück- 
gebend. Da das militärische Gefolge des Kaisers wegen 
der zahllosen Gefangenen nicht von Furcht frei war, 
stattete im Auftrag des Zaren Fürst Karl den siegreichen 
Truppen den Dank des Kaisers ab, überall begeistert 
empfangen, erst zu später Abendstunde nach Poradim 
zurückkehrend, wiederum inmitten tief erschütternder 
Szenen. 

In den nächsten Tagen liefen aus allen Weltgegenden 
zahllose an den Fürsten gerichtete Beglückwünschungen 
ein. Auch Kaiser Alexander richtete an ihn ein offizielles 
Schreiben, daß er wünsche, nachdem nach fünfmonatlichem 
Widerstand jetzt Plewna genommen und die Anstrengungen 
der alüierten Truppen gekrönt worden seien, dem Fürsten 
als Erinnerung an seine Führung sowie als Zeichen seiner 
aufrichtigen Freundschaft den Orden des Heiligen An- 
dreas mit Schwertern zu verleihen. Bald darauf langte 
eine Depesche des deutschen Kaisers an : „Mit dem größten 
Interesse habe ich Deine Operationen und die Tapferkeit 
Deiner Truppen verfolgt: ich kann Dir meine Freude 
über diese Leistung nicht herzlich genug aussprechen und 
als Anerkennung erlaube ich mir, Dir hiermit meinen 
Militär-Orden pour le merite zu verleihen. Da Du weißt, 
wie hoch dieser Orden in meiner Armee geschätzt wird, 
wird seine Verleihung Dir gewiß von Wert sein. Wie 
viele Gefahren, Mühen, Anstrengungen hast Du mit 
Deinen Truppen geteilt, bis Du endlich in dem Falle von 
Plewna einen schönen Triumph gefeiert hast. Gott helfe 
weiter. Wilhelm. " 

In innigen Worten nahm Fürst Karl durch einen 
Tagesbefehl von den russischen Truppen, die bisher seinem 
Kommando unterstanden, Abschied, an seine Soldaten 
unter dem 14. Dezember nachstehenden Tagesbefehl rich- 
tend: „Soldaten! Eure Ausdauer, die großen Leiden 
und Entbehrungen, die Ihr ertragen, die Opfer an Blut 




307 



und Leben, die Ihr so willig gebracht habt, alles das ist 
bezahlt und vergolten worden an dem Tage, wo das 
schreckliche Plewna durch Euren Heldenmut zu Falle 
kam, wo das stolze Heer des Sultans unter dem berühm- 
testen und tapfersten seiner Generale, Osman dem Sieg- 
reichen, vor Euch und Euren Kampfesgenossen, den Sol- 
daten Seiner Majestät des Kaisers von Rußland, die 
Waffen gestreckt hat. Ihr habt Taten vollbracht, würdig 
derjenigen Eurer Vorfahren, und die Bücher der Geschichte 
werden sie, gleich jenen, den fernsten Jahrhunderten auf- 
bewahren. — Bald werdet Ihr in die Heimat zurück- 
kehren, und jeder wird auf der Brust das Zeichen seines 
Soldatenmutes und seiner Hingabe für das Vaterland 
tragen, das Kreuz des Donauüberganges und die Medaille 
für die Verteidigung der rumänischen Unabhängigkeit. 
Dann könnt Ihr stolz Euren Anverwandten sagen, was 
Ihr für das Vaterland getan. Die Greise werden Euch 
lauschen und sich der großen Zeiten des rumänischen 
Volkes erinnern, deren Kunde sich von Geschlecht zu 
Geschlecht fortgepflanzt hat; die Jünglinge aber werden 
in Euch ein lebendes Vorbild ihrer künftigen Pflichten 
sehen; Rumänien darf stolz und ruhig in die Zukunft 
schauen, solange es solche Söhne mit warmem Herzen 
und kräftigem Arm besitzt. Im Namen Eures Vater- 
landes dankt Euch Euer Fürst und Heerführer. 



Ehe Kaiser Alexander den bulgarischen Boden ver- 
ließ, nahm er am 3. Dezember bei Plewna eine große 
Parade über die sämtlichen Truppen — zu denen auch 
16 000 Rumänen zählten — ab, in Gegenwart des Fürsten, 
dem der Kaiser seine Freude ausdrückte, daß er noch 
einmal die tapferen rumänischen Regimenter begrüßen 
könne. Nach dem am Abend in Poradim eingenommenen 
Diner hatte der Kaiser mit dem Fürsten eine längere 



Carol." 



20* 




308 



Unterredung in seinem Schreibzimmer, ihm versichernd, 
daß bei dem bevorstehenden Friedensschluß Rumänien 
nicht zu kurz kommen solle, und daß er sich der vom 
Lande gebrachten Opfer erinnern werde, deren Umfang 
und Schwere er vollkommen würdige, in herzlichen Worten 
hinzusetzend, wie lieb er den Fürsten in dieser gemein- 
sam verlebten großen Zeit gewonnen und mit welcher 
Freude er sich von seinen ausgezeichneten Eigenschaften 
überzeugt habe. Fürst Karl sprach bewegt seinen tiefen 
Dank aus und knüpfte die Hoffnung daran, daß 
Rumänien zu den Friedensverhandlungen zugezogen werde, 
worauf freilich der Kaiser nur erwiderte, er würde auf 
die Sicherung der staatsrechtlichen Stellung Rumäniens, 
die zweifellos ganz Europa anerkennen werde, bedacht 
sein, sich dann mit herzlicher Umarmung vom Fürsten 
verabschiedend, der es sich nicht nehmen ließ, am nächsten 
Morgen um die siebente Stunde den Kaiser noch eine 
ganze Strecke zu Pferd zu begleiten. 

Die Abreise des Fürsten wurde durch furchtbare 
Schneestürme verhindert, zudem war die Brücke bei Ni- 
kopolis unterbrochen, wodurch es wiederum an Proviant 
mangelte, so daß auch im fürstlichen Hauptquartier die 
Rationen vermindert werden mußten. Durch alle Fugen 
und Risse der Wände und des Daches drang der Schnee 
in das vom Fürsten bewohnte ärmliche Häuschen, das 
kaum dem Anprall des Sturmes zu widerstehen vermochte; 
in den verqualmten Räumen war es eiskalt und in der Nacht 
mußte ein Feldstuhl über die Bettdecke gestülpt werden, 
damit sie nicht fortgeweht wurde. Mit tiefer Trauer gedachte 
der Fürst der armen Truppen, die mit den Gefangenen- 
Transporten unterwegs waren, um sie zur Donau zu ge- 
leiten, schutzlos der entsetzlichen Witterung ausgesetzt. 
Nicht einmal in Poradim war ein Verkehr möglich, auf der 
Dorfstraße lagen im Schnee erfrorene Bauern und Kutscher, 
ebenso zahllose Zugtiere, der Kälte zum Opfer gefallen. 




309 




Digitized by 



310 



Endlich hörte das tagelange Schneetreiben auf, und 
am Morgen des 22. Dezember verließ der Fürst bei 18 Grad 
Kälte Poradini, um nach Nikopolis aufzubrechen. Mit 
acht Pferden war sein Wagen — da man keinen Schlitten 
auftreiben konnte — bespannt, vermochte aber in dem 
dichten Schnee nur schrittweise vorwärts zu gelangen. 
Die Straße war kaum noch zu entdecken, und oft ging's 
querfeldein. Überall erblickte man erfrorene Türken, 
mühselig schleppten sich die langen Züge der Gefangenen 
weiter, von denen viele jammernd und stöhnend vor 
Ermattung zusammenbrachen, ohne daß man ihnen Hilfe 
zu gewähren vermochte, da die Begleitmannschaften 
selbst um ihr Leben bangten und auch manch braver 
rumänischer Soldat hier sein Ende fand. Der Anblick 
war so herzzerreißend, daß der Fürst ihn kaum noch zu 
ertragen vermochte und zur zweiten Nachmittagsstunde 
in Muselimselo sein Pferd bestieg, um nicht die Zusammen- 
gebrochenen zu überfahren und um schneller dem ent- 
setzlichen Elend zu entrinnen. Aber je weiter er kam, 
desto zahlreicher wurden die Toten und die Sterbenden; 
an einzelnen Stellen sah man, wie sie in einer Mulde oder 
bei einem winzigen Feuer Rast gemacht und dort scharen- 
weise vom Tode ereilt worden waren. Selbst das Pferd 
des Fürsten bäumte sich und wollte nicht über die Leichen 
fort, die den Weg hemmten, ihn zu dem schauerlichsten 
machend, den selbst die grausamste Phantasie sich nicht 
auszumalen vermochte. Der Fürst hätte am liebsten die 
Augen geschlossen und doch mußte er scharf Obacht 
geben, um nicht zu stürzen, häufig absteigend und ein 
Stück zu Fuß gehend, da der eisige Wind das Blut 
erstarren machte. Diese Stunden dünkten ihm end- 
los und ließen selbst die Schrecknisse der blutigen Kämpfe 
verblassen. Je näher er nach Nikopolis vordrang, 
desto größer wurde die Schar der Hingemähten und 
Hingesunkenen — eine ganze Allee von Leichen, die 



Digitized by 




Digitized by 



312 



man passieren mußte, sein Herz mit tiefstem Weh er- 
füllend. 

Beim Untergang der Sonne ward endlich die Festung 
erreicht, wo dem Fürsten ein freudiger Empfang bereitet 
wurde, aber so gern er auch hier im Kreise seiner Offiziere 
weilte, die in herzlicher Weise ihren Stolz zeigten, den 
siegreichen Führer in ihrer Mitte zu sehen, konnte doch 
keine Freude in ihm aufkommen ' über all dem Jammer 
ringsum, denn aus den Festungsgräben, in denen man 
viele tausende türkischer Gefangenen untergebracht, scholl 
das Rufen und Wehklagen der Unglücklichen durch die 
Nacht, waren doch alle Quartiere belegt, und fehlte es 
an warmer Bekleidung, an Brennmaterial und an Brot, 
so daß sich zu der erstarrenden Kälte noch der nagendste 
Hunger gesellte. Bei 22 Grad Kälte mußten die Ärmsten 
im Freien verbleiben, und man konnte leicht mit einer 
Verzweiflungstat rechnen, da die hier befindlichen 11 000 
Gefangenen nur von 1800 Mann Rumänen bewacht wurden. 

Am folgenden Tage, dem 23. Dezember, setzte der 
Fürst, da die Brücke noch nicht wieder hergestellt war, 
in einer Dampfschaluppe über die Donau, inmitten des 
starken Eisganges, der die Schollen knirschend und 
krachend dahintrieb, so daß das winzige Boot mehrfach 
in größter Gefahr war, vom Eise zertrümmert zu werden, 
der Fürst sich jeden Augenblick bereit haltend, um, wenn 
dies eintreten sollte, über Bord auf eine der Schollen zu 
springen. Mehr denn eine Stunde währte diese gefahr- 
volle Fahrt, die am rumänischen Ufer von einer großen 
Volksmenge und vom Ministerpräsidenten Bratianu in 
banger Erwartung verfolgt wurde, aber desto stürmischer 
war nun der Jubel, als Fürst Karl den heimatlichen Boden 
nach langer Abwesenheit wieder betrat, wo ihn alles be- 
geistert umringte und ihm voll tiefer Freude huldigte. 

Uber Turnu-Magurele, wo der Fürst die Lazarette be- 
suchte, Costeschti und Piteschti, wo sich überall die jubeln- 




313 



den Begrüßungsszenen wiederholten, traf er in Titti ein, 
dort nach vier langen, bangen Monaten seine Gemahlin 
in die Arme schließend, und mit ihr vereint hielt er eine 
Stunde später am Mittag des 27. Dezember seinen feier- 
lichen Einzug in Bukarest, dessen Häuser glänzenden 
Schmuck angelegt hatten und dessen Bevölkerung die 
Straßen bis auf das letzte Plätzchen füllte, dem heim- 
kehrenden Sieger voll frohester Begeisterung zujubelnd. 
Von der Metropolie aus, in der ein feierliches Tedeum ab- 
gehalten worden, begab sich das fürstliche Paar in die 
Kammer, wo die Volksvertreter den Fürsten und seine 
Gemahlin in begeisterter Stimmung in ihrer Mitte will- 
kommen hießen. Unter dem Thronhimmel stehend, richtete 
der Fürst in tiefer Ergriffenheit eine Ansprache an die 
Deputierten, in der er einen kurzen Überblick auf die elf 
Jahre seiner Regierung warf, betonend, wie stolz er sei, 
daß jetzt die heißesten Wünsche des Jahres 1866 sich ver- 
wirklicht hätten — seine ersten Schritte habe er hierher 
gelenkt zu der Vertretung des Landes und Volkes, das 
mit ihm eins gewesen sei im Hoffen und Denken während 
der jüngst durchlebten schweren Zeit und das seine Freude 
teile über die Großtaten des rumänischen Heeres; er sei 
stolz, an der Spitze dieser Tapferen zu stehen, die ihr 
Blut verspritzt hätten für die Unabhängigkeit des Vater- 
landes. Möge Gott das freie Rumänien segnen und allzeit 
sein tapferes Heer stärken ! — Im Namen der Kammer 
dankte C. A. Rosetti dem Fürsten für all das, was er für 
das Land getan, das ihm einst seine Geschicke anvertraut, 
weil er aus Heldengeschlecht stamme; jetzt sei es allen 
offenbar geworden, daß Adler wieder Adler erzeugen und 
Eichbäume wieder Eichbäume, und daß der Fürst zu den 
Männern gehöre, die das Volk zu seiner Größe zu führen 
wüßten. Allein die Geschichte werde nicht nur den 
Kriegsruhm preisen, den Fürst Karl sich erobert, sondern 
vor allem werde sie ihn hinstellen als ein in den Annalen 




314 



der Völker unerhörtes Beispiel, daß der Herrscher eines 
kleinen Landes es verstanden habe, demselben all seine 
Freiheiten und Rechte unberührt zu bewahren, inmitten 
der Überschwemmung durch eine große fremde Armee 
und inmitten der Anforderungen eines großen Krieges, 
zum Schluß den Feldherrn bewillkommnend und der 
Fürstin dankend* die der „süße Trost der Verwundeten" 
gewesen war. 

Mit letzteren Worten hatte der Kammerpräsident 



Fürstin Elisabeth, die Verwundeten in den Lazaretten Bukarests pflegend. 

gleichfalls das Richtige getroffen, denn in all den schweren 
Wochen und Monden war die Fürstin unermüdlich tätig 
gewesen in der Sorge um die Verwundeten und in der Pflege 
der Kranken, nicht mehr Fürstin, sondern nur barmherzige 
Schwester, von früh bis spät Hilfe bringend und Trost 
spendend, keine Ermüdung kennend, und sie, die Schwache 
und Zarte, den Ärzten zur Seite stehend, wenn es sich 
um gefährliche Operationen handelte. In wärmster An- 
erkennung dieser aufopfernden Tätigkeit hatte Fürst Karl 
Anton seinem Sohne geschrieben: „Auch über Elisabeth 





315 



herrscht nur eine Stimme dankbarster Anerkennung und 
Bewunderung des Heldensinnes, mit dem sie sich ihren 
schweren Pflichten hingege- 
ben hat/' und ähnlich hob 
der deutsche Kronprinz in 
einem Briefe hervor: „Von 
der hingebenden Tätigkeit 
Elisabeths auf dem Ge- 
biet der Krankenpflege hö- 
ren wir stets zu unserer 
größten Freude, denn nichts 
kann einem mehr Anerken- 
nung erwerben, als mit sol- 
chem Beispiel voranzuge- 
hen/ 4 in einem anderen 
Schreiben der ruhmvollen 
Tätigkeit des Fürstengeden- Rumänisches ^ „ 
kend: „Unendlich glücklich rU ng an den Donau-Übergang, 
machte es mich, als . der 

Kaiser mir die Verleihung des pour le merite an Dich mit- 
teilte, denn Du hast ihn wahrlich 
verdient. Hier betone ich immer 
wieder, wie stolz ich bin, daß einer 
unseres Stammes berufen war, von 
den Russen dringend um Beistand 
gebeten zu werden, und daß man von 
einer russisch-rumänischen Armee 
sprechen mußte, als die Entschei- 
dung von Plewna fiel/' 

Die ersten Tage des neuen Jahres 

_ ....... 1878 brachten die Kunde von dem 

Rumänische Kriegs- 1 

Medaille (Vorderseite). Übergang der Russen über den Bal- 
kan mit den siegreichen Kämpfen 
am Schipka. Auch die auf bulgarischem Boden weilen- 
den rumänischen Truppen fanden noch Gelegenheit, sich 






Digitized by 



316 



im taufe des Januar ruhmreich auszuzeichnen, indem 
sie das stark befestigte und besetzte Widin eroberten, die 
einzelnen Redouten im Sturm nehmend und nach schweren 
Kämpfen am 24. und 25. Januar die Stadt völlig zer- 
nierend und das Bombardement auf sie eröffnend, bis 
am 23. Februar die Kapitulation erfolgte. 

Am 4. Februar war in Adrianopel zwischen Rußland 
und der Türkei ein Waffenstillstand abgeschlossen worden, 
zu welchem man trotz dringender Bemühungen den 
rumänischen Bevollmächtigten nicht hinzugezogen hatte. 
Das bestärkte die schon seit langem umlaufenden Gerüchte, 
daß Rußland die drei durch den Pariser Vertrag an Ru- 
mänien gekommenen bessarabischen Distrikte mit als 
einen Friedenspreis zurückverlangte, und gar bald wurde 
dies bestätigt durch Depeschen des rumänischen Vertreters 
in St. Petersburg, dem Fürst Gortschakow in"einer Aus- 
einandersetzung über die bessarabische Frage geantwortet: 
„Welche Argumente Sie auch immer anrufen, unsere Ent- 
schlüsse können Sie nicht modifizieren, denn sie sind 
unerschütterlich. Sie stehen vor einer politischen Not- 
wendigkeit !" Auch der Kaiser hatte ähnliche Äußerungen 
gemacht, ebenso Graf Ignatjew, der noch in Bukarest 
weilte. 

Die Kunde von diesem russischen Verlangen erregte 
alle Volkskreise in Rumänien auf das tiefste. In geheimen 
Sitzungen beschlossen die Kammern, daß Rumänien 
die Integrität seines Landes mit den Waffen in der Hand 
bis zum Äußersten verteidigen müßte. Das wurde auch 
nachdrucksvoll in der öffentlichen Sitzung am 11. Februar 
betont, in welcher man auf die mit Rußland geschlossene 
Konvention Bezug nahm, in der Rumäniens Unteilbarkeit 
von Rußland verbürgt worden war. Denn Artikel II 
lautete wörtlich: „Damit für Rumänien keine Art von 
Unannehmlichkeit oder Gefahr aus dem Durchzuge der 
russischen Truppen durch sein Gebiet erwachse, verpflichtet 




317 



sich die Regierung Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen, 
die politischen Rechte des rumänischen Staates aufrecht 
zu erhalten und Sorge dafür zu tragen, daß dieselben 
respektiert werden, so, wie es die Gesetze des Landes und 
die bestehenden Verträge erfordern; außerdem verpflichtet 
die Regierung Sr. Majestät des Kaisers von Rußland sich, 
diedermaligelntegritätRumäniensauf- 
recht zu erhalten und zu beschütze n." 
In jener Sitzung wurde eine einstimmige Erklärung an- 
genommen, daß die Versammlung entschlossen sei, die 
« Unverletzlichkeit des Territoriums Rumäniens aufrecht 
zu erhalten und die Entfremdung eines Teiles desselben 
unter keinerlei Bezeichnung und unter keinerlei territo- 
rialer Kompensation oder Entschädigung zuzulassen. Im 
Volk wuchs die feindliche Stimmung gegen Rußland von 
Tag zu Tag, und es gehörte die volle Mäßigung und er- 
fahrene politische Einsicht des Fürsten Karl dazu, daß 
sich die Lage nicht in gefahrdrohendster Weise zuspitzte, 
denn er war stets bestrebt, jede Herausforderung Rußlands 
zu vermeiden und von einer solchen auch seine Ratgeber 
zurückzuhalten. Dafür versuchte er, durch direkte Mit- 
teilungen und Klarlegungen an befreundete Staatsober- 
häupter und Regierungen diese zu einer günstigen Ein- 
wirkung auf das Nachbarreich zu bestimmen, freilich 
ohne den ersehnten Erfolg. Trotzdem setzte der Fürst 
seine Bestrebungen fort, eine Änderung der russischen 
Wünsche herbeizuführen, sich an Kaiser Alexander und 
die befreundeten Großfürsten wendend, aber die russische 
Regierung bestand auf ihrem Verlangen, und Reichs- 
kanzler Fürst Gortschakow versicherte wiederholt, daß 
es für Rumänien ganz überflüssig sei, sich zu beschweren, 
die Rückgewinnung der drei bessarabischen Distrikte 
sei der unerschütterliche Wille des Kaisers, der gern zu 
einer Kompensation bereit sei und Rumänien die Dobrud- 
scha überlassen wolle; Rußland würde hierüber direkt 




318 



mit Rumänien verhandeln, gebe letzteres aber nicht nach, 
so würde man ihm einfach das fragliche Gebiet entreißen 
und zwar ohne jede Entschädigung. Ja, Gortschako w 
hob bei einer anderen Gelegenheit hervor, daß, wenn 
Rumänien gegen den bestehenden Artikel des Friedens- 
vertrages zu St. Stefano protestieren oder sich gar seiner 
Ausführung widersetzen würde, die russischen Truppen 
Rumänien okkupieren und die rumänische Armee ent- 
waffnen würden. 

Als man hiervon dem Fürsten Mitteilung gemacht, 
befahl er, dem Vertreter Rumäniens in St. Petersburg, 
General Ghika, sofort zu telegraphieren, daß er dem Fürsten 
Gortschakow folgendes sage: „Der Fürst von Rumänien 
könne nicht annehmen, daß jene Drohungen vom Kaiser 
ausgehen; seine Antwort laute dahin, daß eine Armee, 
welche vor Plewna unter den Augen Kaiser Alexander II. 
gekämpft, sich wohl vernichten, aber nicht entwaffnen 
ließe." Dieses rasch bekannt gewordene mannhafte Wort 
^verstärkte noch die Sympathien, die man überall im Aus- 
land für Rumänien empfand, und die entschiedene Haltung 
des Fürsten fand allerseits Zustimmung. Bei der kritischen 
Lage und da die noch in Rumänien stehenden russischen 
Truppen verstärkt wurden, verfügte der Fürst, daß das 
rumänische Heer Defensivstellungen auf der Linie Slatina- 
Piteschti-Tirgowitsche einnähme. An seinen Vater schrieb 
der Fürst: „Wir leben in einer Aufregung und Sorge, die 
selbst den Stärksten aufreiben könnte; ich bin von Geschäf- 
ten erdrückt und habe fast weniger unter all den Strapazen 
und Entbehrungen des furchtbaren Krieges gelitten, als 
unter der jetzigen Zeit. Die bessarabische Frage hat hier 
eine ungeheure Aufregung hervorgerufen; wir müssen 
aber bei den Protesten alles vermeiden, was Rußland ver- 
letzen könnte. Doch durfte ich persönlich nicht unter- 
lassen, Ignatjew zu sagen, daß mich die Absicht Rußlands, 
seinem Alliierten ein Stück seines Landes zu nehmen, sehr 




319 



befremden müsse, und daß die in Aussicht gestellte Kom- 
pensation wenig Eindruck auf mich mache; die Unab- 
hängigkeit hätten wir uns mit unserm Blute erkauft und 
verdankten sie demnach uns allein'/' — In einem Briefe 
an den deutschen Kronprinzen schrieb der Fürst: „Es 
wäre ein großes Glück, wenn Rumänien durch ein Band 
der Dankbarkeit an Deutschland gekettet und dadurch 
veranlaßt würde, sich für die Zukunft vertrauensvoll an 
dasselbe anzuschließen — ich glaube, es wäre das auch für 
das deutsche Reich nicht ganz ohne Wert, da dieses doch 
eines Tages an der Umbildung der Orientalischen Dinge 
mitzuwirken haben wird. Ich wünschte deshalb, daß wir 
Deutschland die Erhaltung Bessarabiens zu verdanken 
hätten; die Sympathien würden dadurch eine solide Basis 
gewinnen und nicht mehr durch Intriguen gestört werden 
können. — Außerdem ist die Donau auch ein deutscher 
Strom, und wir, als die Wächter seiner Mündungen, dürfen 
Deutschlands Interesse an der bessarabischen Frage bean- 
spruchen/' — 

Freilich konnte Deutschland leider direkt nichts tun, 
Fürst Bismarck hatte im Reichstage erklärt, daß er nur 
der „ehrliche Makler" auf dem nach Berlin berufenen 
Kongresse, der Ende Juni zusammentrat, sein wolle. 
Auf ihm gelangten die russischen Vorschläge zur Annahme, 
obwohl auch dort noch die beiden rumänischen Minister 
Bratianu und Cogalniceanu auf das wärmste die Wünsche 
Rumäniens vertreten hatten. Bald darauf meldeten De- 
peschen aus Berlin, daß der Kongreß die Unabhängigkeit 
Rumäniens nur unter der Bedingung anerkenne, daß die 
Juden emanzipiert und daß Bessarabien an Rußland ab- 
getreten würde; Rumänien erhalte dafür die Donau- 
mündungen mit der Schlangen-Insel und die Dobrudscha 
bis zu der Linie Silistria-Mangalia. 

Fürst Karl, der nach einem Besuch der kleinen 
Walachei mit seiner Gemahlin nach Sinaia übergesiedelt 




320 



war, kehrte auf diese Nachrichten hin nach Bukarest zu- 
rück, mit seinen Ministern die Lage besprechend. So tief es 
der Fürst bedauerte, ein Stück des Landes abtreten zu müssen, 
so sah er doch ein, daß jeder Widerstand gefährlich für 
Rumänien sein würde. Dringend mahnte er seine Rat- 
geber zur Einsicht, die sich denn auch allmählich nicht den 
Vorteilen verschlossen zeigten, welche der Besitz eines 
Teiles der Meeresküste und der Landstrecken bis dorthin 
auf dem rechten Donauufer für Rumänien bedeuteten. 
In den Kammen\,kam es zu h^ftigstetf Erörterungen, bis 
schließlich die Bestimmungen des Berliner Kongresses 
angenommen wurden. 

Wie in allen ernsten Lagen schüttete der Fürst sein 
bedrücktes Herz seinem Vater aus, er schrieb ihm: „Die 
Kämpfe, die Rumänien in den letzten Monaten zu be- 
stehen hatte und noch zu bestehen haben wird, sind un- 
vergleichlich ernster als die vor Plewna und Widin, und 
aus ihnen siegreich hervorzugehen, wird für mein Land 
viel ehrenvoller sein, als die auf den Schlachtfeldern Bul- 
gariens errungenen Lorbeeren ! Es ist traurig, daß Europa 
einen jungen, aufstrebenden Staat, der seine Kraft und 
Lebensfähigkeit in einem blutigen Kriege bewiesen hat, 
zur Abtretung einer Provinz zwingt. Der Berliner Kongreß 
konnte Rußland zurückgeben, was diesem der Vertrag von 
Paris genommen; es ist aber tief verletzend, unsere auf 
dem Schlachtfelde erkämpfte Unabhängigkeit von der 
Abtretung Bessarabiens abhängig zu machen, und es 
gehört viel Geduld und Mäßigung dazu, ein solches Vor- 
gehenruhig übersieh ergehen zulassen ! Wir werden aber den 
Großmächten zeigen, daß wir uns auch aus der schlimmsten 
Lage mit Ehren ziehen können!" — Und an einer andern 
Stelle des eingehenden Schreibens heißt es: „Die Gebiete 
jenseits der Donau sind uns nicht als Ersatz für Bess- 
arabien gegeben; wir nehmen sie als Kriegsentschädigung 
an, und weil Europa sie uns aus freien Stücken gibt. So 




321 



haben wir moralisch und materiell sehr viel gewonnen, 
und Achtung kann uns niemand versagen. Die vom 
Kongreß uns zugesprochenen Distrikte haben eine große 
Zukunft; ich hoffe dieselben in einigen Jahren in blühenden 
Zustand zu bringen." — 

Ernst lautete auch der Erlaß des Fürsten an den Kriegs- 
minister am ersten Jahrestage des blutigen Kampfes bei 
Plewna: „Sinaia, n. September. Heute ist es ein Jahr, 
seitdem unsere Armee durch ihren Mut und ihre Tapferkeit 
die rumänische Fahne mit Ruhm bekränzte und den 
wahren Grundstein zur Größe des Vaterlandes legte. Ich 
grüße deshalb mit Ehrfurcht das Andenken aller der- 
jenigen, welche an diesem denkwürdigen Tage ihr Blut 
mit so großer Ergebenheit für das Land vergossen haben 
und sende die heißesten Gebete für die Ruhe ihrer Seelen 
zum Allmächtigsten. Das ganze Land schuldet ihnen 
Dankbarkeit, denn sie haben mit ihrem Leben den Sieg 
erkauft und die Unabhängigkeit besiegelt. Ich hege keinen 
Zweifel, daß die Armee bereit ist, bei jeder Gelegenheit 
ihrem Beispiele zu folgen, und ich ersuche Sie deshalb, 
daß Sie bei derselben an diesem meiner Seele so teuren 
Tage der Dolmetsch der innigsten Gefühle der Liebe und 
des Vertrauens, welche mich beseelen, sein mögen. 



Und bei dem auf dem Kasernenhofe der in Siuaia 
garnisonierenden 2. Kompagnie des i. Jägerbataillons — 
das sich so blutige Lorbeeren bei Plewna errungen — ver- 
anstalteten Frühstück hielt der Fürst folgenden Trink- 
spruch: „Ich erhebe mein Glas zu Ehren der Armee, 
welche durch ihre Kämpfe auf den Schlachtfeldern Bul- 
gariens sich ihren Ruhm gegründet hat. Die Schlacht von 
Griwitza eröffnete den Reigen schöner Waffentaten, welche 
in unserer Geschichte verzeichnet worden sind. Groß, 
schön und schmerzlich ist dieser Tag gewesen. Niemals 

Lindenberg, König Karl. 21 



Carol. 




322 



werde ich den Augenblick vergessen, als ich, mich auf dem 
Schlachtfelde nach den Jägern, Euren Brüdern, erkundigend 
die Antwort erhielt: „Keiner von den Unsrigen ist zurück- 
gekehrt/' — „Wie ist das möglich?" sagte ich. Es kamen 
drei, vier, fünf und dann mehrere. „Sammelt Euch, rettet 
die Ehre des Tages, geht vorwärts mit Tapferkeit und 
Ihr werdet siegreich sein." — Am Abend hatten die tapferen 
Jäger in der Redoute von Griwitza die türkische Fahne 
genommen und legten sie als Zeichen ihrer Mannhaftigkeit 
zu meinen Füßen nieder. Ich rief ihnen zu: „Ihr seid 
Helden, ich danke Euch von ganzer Seele, von heute an 
"ist es eine Ehre, ein Jäger gewesen zu sein!" Und Euch, 
Kinder, rufe ich zu: „Macht, daß es Euch in Zukunft 
gleichfalls eine Ehre sei, ein Jäger zu sein, nehmet Euch 
ein Beispiel an den Jägern von Griwitza! Es lebe die 
Armee!" 

Wenige Wochen später, am 20. Oktober, fand unter 
Führung des Fürsten Karl der feierliche Einzug des Heeres 
in Bukarest statt, unter dem brausenden Jubel der von 
nah und fern herbeigeströmten Bevölkerung. Am Beginn 
der Einzugsstraße, am zweiten Rondell der Chaussee, war 
ein prächtiger Triumphbogen errichtet worden, vor welchem 
der Bürgermeister im Namen der Stadt sowie der Minister 
des Innern im Namen aller Abordnungen des Landes den 
Fürsten als den heldenhaften Führer der tapferen Armee 
begrüßten, worauf Fürst Karl erwiderte: „Die Liebe und 
die Freude, mit der heute die Hauptstadt und das ganze 
Land durch seine Delegierten das Heer empfängt, ist der 
schönste Lohn für alles auf den Gefilden Bulgariens er- 
duldete Ungemach. Im Namen meiner tapferen Soldaten 
danke ich Euch von Herzen für den glänzenden Empfang, 
den Ihr ihnen bereitet, und für die patriotischen Worte, 
die Ihr an uns gerichtet habt! Ja, das Land kann stolz 
sein auf seine Söhne, mit Zuversicht sind sie in den Kampf 
gezogen, als Helden sind sie heimgekehrt. Von jetzt ab 




323 



kann unser teures Vaterland ruhig sein: ein Volk, das 
sein Blut für seine Unabhängigkeit vergossen hat, wird 
auch für sein ferneres Erstarken und Gedeihen helden- 
mütig zu streiten wissen !" 

Der begeisterte Jubel, den diese Worte erweckt, 
pflanzte sich bei den unzähligen Tausenden fort, als der 
Fürst an der Spitze seiner Truppen weiterritt, die Chaussee 
entlang und durch die Hauptstraße, deren bisheriger Name 
in Viktoria-Straße umgetauft worden war, nach dem 
Theaterplatz, auf dem der Vorbeimarsch erfolgte und 
auch die eroberten Geschütze vorübergeführt wurden. 

Die Mehrzahl der Staaten erkannte die Unabhängig- 
keit Rumäniens an, es wurde die Errichtung rumänischer 
Gesandtschaften bei den europäischen Mächten beschlossen 
und seitens des Ministeriums der Fürst gebeten, den Titel 
„Königliche Hoheit 4 ' anzunehmen, da dieser seiner Stellung 
und Würde entspreche. In der zweiten Novemberhälfte 
erfolgte die Besitzergreifung der Dobrudscha, auf die 
der Fürst in seiner die Kammer am 27. November er- 
öffnenden Thronrede Bezug nahm, betonend, daß jede 
Kriegsgefahr geschwunden und Rumänien in die euro- 
päische Staatenfamilie aufgenommen sei. Des weiteren 
ward in der Rede bemerkt, daß die Kammern auf kon- 
stitutionellem Wege die Möglichkeit geben können, den 
Erwartungen Europas zu entsprechen und aus dem Fun- 
damentalpakt des Landes die politische Ungleichheit aus 
Glaubenssätzen auszumerzen, welche diesem aufgeklärten 
Jahrhundert nicht mehr angemessen sei, ferner plane man 
eine neue Verteilung von Grund und Boden an die Bauern 
und auch sonstige wichtige Verbesserungen im inneren 
Staatsleben, nicht minder in der Organisation des Heeres. 

So schloß nach schweren äußeren und inneren Kämpfen 
das Jahr 1878 in zufriedenstellender Weise für Rumänien 
ab, ein ereignisvolles Jahr, das, wenn es auch nicht der 
bitteren Enttäuschungen entbehrt, doch ein siegreiches und 




324 



ruhmvolles für das Land gewesen wie für den Fürsten, 
der sich in den schwersten Tagen und Stunden des blu- 
tigen Kampfes und des verborgenen Zwistes als weiser 



Voll pflichttreuer Energie hatte Fürst Karl die Worte 
verwirklicht, die er mehrere Jahre zuvor in dunklen 
Stunden an den Fürsten Bismarck geschrieben: „Wie der 
Kapitän auf stürmischer See Tag und Nacht auf seinem 
Posten ausharren muß, so auch ich. Die Grundwellen 
jagen mein Schiff bald hoch, bald tief, aber so wahr mir 
Gott helfe, ich werde es n i 'cht scheitern lassen!" 



und entschlossener Führer in der Tat wie beim Rat gezeigt. 





XI. 

Erhebung Rumäniens zum Königreich. 

Russisch-rumänische Auseinandersetzungen. — Die Beschlüsse der Berliner Konferenz 

— Bessarabien und die Dobrudseha. — Regelung der Judenfrage und Rückkauf der 
Bisenbahnen. — Anerkennung Rumäniens seitens der Großmächte. — Innerer Auf- 
schwung. — Der 22. Mai 1881. — Besuch der deutschen Heimat seitens des Fürsten- 
paares. — Aufnahme in Berlin. — Beim Kaiser Wilhelm und beim Fürsten Bismarck. 

— Die Regelung der Erbfolge. — D. Sturdza's Denkschrift. — Beschluß der Kammern, 
Rumänien cum Königreich zu erheben. — Der 25. März 1881. — Huldigung des Fürsten- 
paares durch die Deputierten. — König Karls Rede. — „Es lebe der König! Es lebe 
die Königin!" — Die Krönungsfeier am 22. Mai 1881. — Der Krönungszug. — In und 
vor der Metropoiie. — Die Ansprache König Karls. — „Das durch sein eigenes Ver- 
dienst gekrönte Rumänien." 



So Großes auf blutigem Kampffelde erreicht war, so 
Vieles blieb nun noch in friedlicher Arbeit zu tun übrig, 
um das nach außen gefestete Haus im Innern auszubauen, 
damit es allen Stürmen gewachsen wäre. Das betonte 
auch Fürst Karl am Neujahrstage 1879 in seiner Erwide- 
rung auf die Glückwünsche des Ministeriums, hervor- 
hebend, daß auch im kommenden Jahre noch viele 
Schwierigkeiten zu überwinden seien; er hoffe aber, daß 
er im Verein mit der Regierung imstande sein würde, die 
friedliche Entwicklung Rumäniens zu sichern. 

Jene Schwierigkeiten sollten sich bald in reichster 
Fülle einstellen. Zunächst fehlte es nicht an den ver- 
schiedensten Mißhelligkeiten mit Rußland, hauptsächlich 
wegen der Grenzfrage zwischen Bulgarien und der Do- 
brudseha und wegen der beiden wichtigen Punkte Arab- 
Tabia und Silistria, die Rumänien für sich zu behalten 
wünschte, die ihm aber von Rußland streitig gemacht 



Digitized by 



326 



wurden. Es kam im Verlauf der nächsten Wochen und 
Monate zu lebhaften Auseinandersetzungen zwischen den 
beiden Regierungen, wobei Rumänien, das sich bereits 
auf die ernstesten Konflikte vorbereitet hatte, sehr ener- 
gisch seinen Standpunkt vertrat, sich aber endlich den 
Beschlüssen der europäischen Mächte, die zur Nachgiebig- 
keit rieten, fügte. Wenn auch Silistria zu dem neu- 
gebildeten Bulgarien geschlagen wurde, so erreichte Ru- 
mänien es wenigstens, daß es Arab-Tabia, das östliche 
Fort bei Silistria, behielt, und allmählich stellten sich 
auch wieder bessere Beziehungen zu dem russischen Nach- 
barreiche her. 

Noch immer hatte Rumänien viel mit dem Mißtrauen 
der übrigen Mächte zu kämpfen, man gönnte ihm nicht 
recht die Bewegungsfreiheit oder konnte sich zunächst 
nicht an dieselbe gewöhnen, die. der junge Staat im Ge- 
fühl seiner kraftvoll errungenen Selbständigkeit tun wollte 
und tun mußte. Allerhand Beschlüsse, die für das Fürsten- 
tum wichtig waren, wurden bekrittelt und falsch aus- 
gelegt, jeder weitere Schritt auf der vom Herrscher fest 
vorgezeichneten Bahn wurde mit Argwohn verfolgt. Die 
ganze politische Einsicht und weise Mäßigung des Fürsten 
Karl gehörte dazu, all diese verschiedenen Klippen zu 
überwinden, die leicht zu erheblichen Reibungen führen 
konnten. Nicht minder schwere Sorgen bereitete dem 
Fürsten wie seiner Regierung die endgültige Regelung 
der Judenfrage, die durch den Berliner Kongreß verlangt 
worden war, und von deren befriedigender Lösung die 
wichtigsten Mächte, vor allem Deutschland, Österreich^ 
Frankreich und England, die Anerkennung der Selbständig- 
keit Rumäniens abhängig machten. Jener Kongreß- 
beschluß hatte die aufrichtige Durchführung der Rechts- 
gleichheit aller Bewohner Rumäniens ohne Unterschied 
des religiösen| Bekenntnisses gefordert, aber die Kammern 
sowohl wie die überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung 




327 



widersetzten sich aus verschiedenen Gründen der Ver- 
wirklichung dieses Wunsches, und vor allem war in der 
Moldau, in der ein großes Judenproletariat wohnte, der 
Widerstand ein sehr starker. Um den Kongreßbeschluß 
auszuführen, mußte die rumänische Verfassung einer 
Änderung unterworfen werden, und da die gegenwärtigen 
Kammern kaum hierfür eine Majorität ergeben hätten, 
wurde ihre Auflösung verfügt, um möglichst schnell den 
Revisionskammern Platz zu machen, die vielleicht ge- 
neigter waren, den Anforderungen des Berliner Vertrages 
zu entsprechen. 

Fürst Karl begab sich Ende April nach der Moldau, 
um durch sein persönliches Erscheinen die erregten Ge- 
müter zu besänftigen und durch vielfache Rücksprachen 
zur Nachgiebigkeit zu raten. Sein Empfang, der ihm dort 
bereitet wurde, war freudigster Art. Er benutzte jene 
Tage zu zahlreichen Besichtigungen der Kirchen, Schulen, 
Kasernen, Hospitäler, Gefängnisse und eingehenden Trup- 
peninspizierungen, den Eindruck mit heimnehmend, daß 
er diese wichtige Fahrt nicht vergeblich unternommen. 

Der Fürst und seine Regierung befanden sich in einer 
außerordentlich schwierigen Lage. Im Lande selbst wur- 
den sie angegriffen, weil sie der jüdischen Bevölkerung 
Gleichberechtigung verschaffen wollten, das Ausland da- 
gegen beschuldigte sie, nicht liberal genug den Forde- 
rungen der Zivilisation Rechnung zu tragen. Die Wahl- 
vorbereitungen wurden überall auf das eifrigste betrieben; 
die Mitte Mai stattgefundenen Wahlen, welche übrigens 
in Ruhe verliefen, ergaben ein Drittel Oppositioneller, so 
daß man hoffen durfte, endlich zum Ziel zu gelangen. Das 
hob auch der Fürst in seiner Thronrede hervor, mit der er 
am 3. Juni die Revisionskammern eröffnete, auf die Ab- 
änderung des Artikels 7 der rumänischen Verfassung hin- 
weisend, der nach den Beschlüssen der Berliner Konferenz 
formiert werden sollte, betonend, daß, wenn bisher dieser 



Digitized by 



330 



mäniens, voran Deutschland, England und Frankreich,' 
denen die übrigen Staaten rasch folgten, falls sie es nicht 
schon vorher getan. 

Wiederum war ein wichtigster Schritt unternommen 
worden, Rumänien den erstrebten Rang unter den Kultur- 
staaten anzuweisen, und die feste Zuversicht auf die Ge- 
sundung der innern Verhältnisse drückte ein Schreiben 
des Fürsten an den Fürsten Bismarck aus, in dem es, nach- 
dem der blutigen Kämpfe auf den Schlachtfeldern und der 
sich anschließenden Schwierigkeiten gedacht, des weiteren 
hieß: „Heute nun, wo die Artikel des Berliner Vertrags 
ausgeführt und die verwickelte Angelegenheit des Rück- 
kaufs der rumänischen Bahnen, welche leider so oft einen 
Schatten auf die guten Beziehungen zu Deutschland warf, 
geregelt ist, sehen wir mit Vertrauen der Zukunft ent- 
gegen. Rumänien ist durch seine geographische Lage be- 
rufen, in der Entwicklung der Orientalischen Frage auch 
fernerhin eine wichtige Rolle zu spielen, und ist als Wächter 
der Mündungen der Donau, dieses größten deutschen Stroms, 
den deutschen Interessen nahegerückt. Denselben in 
jeder Weise Rechnung zu tragen, ist nicht nur unser auf- 
richtiger Wunsch, sondern steht auch vollkommen im 
Einklang mit unserer wirtschaftlichen Entwicklung. Es 
wird demnach das Bestreben meiner Regierung sein, die 
uns so wertvollen Beziehungen zu dem durch* E.D. zur 
ersten Macht erhobenen Deutschen Reiche auf das sorg- 
fältigste zu pflegen, und ich gebe mich der Hoffnung hin, 
daß mein Land in allen zukünftigen Konstellationen auf 
den wohlwollenden Schutz des Deutschen Reiches zählen 
kann." 

Von herzlicher Wärme durchweht war ein Brief Kaiser 
Wilhelms, den dieser unterm 5. März an den Fürsten ge- 
richtet: „Bester Vetter! Endlich sind wir am Ziele 
unserer so lang gehegten Wünsche angelangt! Schwere 
und unerfreuliche Kämpfe hat es gekostet, um dahin zu 




331 



kommen, Dich selbständig in der Welt dastehen zu sehen ! 
Möge das Sprichwort in Erfüllung gehen : , Was lange währt, 
wird gut!' — Die Sympathien, die ich stets für Dich als 
Hohenzollern und für Deine Person empfunden, habe ich 
nie verleugnet; aber wo viele zum selben Ziele gelangen 
wollen, und jeder seinen Weg geht, bis man endlich sie 
alle unter einen Hut bringt, das erfordert Zeit und manches 
Opfer! Daher mußte auch ich temporisieren, um Dich 
endlich vor der Welt anerkennen zu können! — Gott 
gebe seinen Segen zu Deiner nunmehr selbständigen Re- 
gierung und segne Dich, Deine Gemahlin und Dein Land! 
— Dein treuer Vetter und Freund Wilhelm/' 

Wenige Tage später verlieh Kaiser Wilhelm dem 
Fürsten den hohen Orden vom Schwarzen Adler, den in 
feierlicher Audienz der neu ernannte deutsche Gesandte 
Graf Wesdehlen überreichte. Das war eine froh begrüßte 
Anerkennung der so schwer errungenen Selbständigkeit 
des Fürsten, der auch nach dem Kriege noch manche 
Geduld- und Kraftprobe gegeben, um das rumänische 
Staatsschiff sicher zu leiten und vor gefährlichen Zu- 
sammenstößen zu bewahren. 

Nachdem sich die Verhältnisse nach außen hin ge- 
klärt, konnte Fürst Karl mit vermehrter Hingebung sich 
den Aufgaben widmen, welche die stets fortschreitende 
Entwicklung des Landes stellte. Mit aufrichtiger Be- 
friedigung verfolgte er den durch die Gründung ver- 
schiedener Fabriken sich zeigenden Beginn einer ru- 
mänischen Industrie, ferner die Errichtung einer Spar- 
bank, sowie der Nationalbank, deren Grundkapital 30 Mil- 
lionen Franks betrug und die rasch einen wachsenden 
Umsatz erhielt. Das Budget für 1880/81 belief sich auf 
über 117V2 Million Franks, von denen 25 Millionen für 
die Armee vorgesehen waren; letztere wurde beständig 
vermehrt und auch mit einer sorgsamen Neubewaffnung 
versehen. Unter all diesen günstigen Umständen durfte 




332 



man auf das freudigste den diesmaligen 22. Mai als National- 
feiertag begehen, zu welchem aus allen Städten und Di- 
strikten Abordnungen eintrafen und dem fürstlichen Paare 
ihre innigsten Huldigungen darbrachten. Auch sämtliche 
Teile der Armee hatten Deputationen gesandt, die sich 
auf einem von der Hauptstadt zu Ehren des Heeres ge- 
gebenen großen Bankett vereinten, bei dem der 
Fürst, der enthusiastisch begrüßt worden war, den ersten 
Trinkspruch auf das unabhängige Rumänien ausbrachte: 
„Drei Jahre sind vergangen, seitdem Rumänien in schwerer 
Zeitlage seine Unabhängigkeit erklärt; Heer und Volk 
haben mit Heldenmut alle Schwierigkeiten überwunden 
und sich im Kampfe gestärkt und gestählt — heute können 
wir ruhig in die Zukunft schauen und mit Vertrauen und 
Stolz aufblicken: Es lebe unser teures unabhängiges 
Vaterland!" 

Im Laufe des Sommers konnte das fürstliche Paar 
die ersehnte Reise nach der deutschen Heimat antreten, 
und zwar ging dieselbe über Wien nach Ischl, woselbst 
Kaiser Franz Joseph den Fürsten und die Fürstin auf dem 
Bahnhof empfing, ihnen seine herzliche Freude äußernd, 
sie in seinen Bergen begrüßen zu können. In manch ver- 
trautem Gespräch drückte der Monarch dem Fürsten, den 
er am gleichen Tage zum Oberst-Inhaber seines Infanterie- 
Regimentes No. 6 ernannt, sein warmes Interesse an Ru- 
mänien aus, desgleichen an dem jungen Heere, dessen 
Erfolge er mit freudigster Teilnahme begleitet, er hoffe, 
daß zwischen Rumänien und Österreich-Ungarn auch 
fernerhin die freundschaftlichsten Beziehungen bestehen 
werden. Am nächsten Tage setzte das fürstliche Paar 
die Weiterreise über München nach Ulm fort, wo der Fürst, 
dessen Gemahlin allein nach Neuwied weitergereist war, 
übernachtete. Aber der Schlummer floh ihn, so groß war 
seine Sehnsucht nach dem Wiedersehen mit den teuren 
Eltern. Am nächsten Mittag traf er in Mengen ein, wo 




333 



ihn die geliebte Mutter nach sechs langen und ereignis- 
vollen Jahren der Trennung wieder in die Arme schloß, 
und zu Wagen ging es dann nach Krauchenwies, dort em- 
pfing Fürst Karl Anton, der an den Rollstuhl gefesselt war, 
freudig bewegt den Sohn. Wenige Tage später fand der 
festliche Einzug in Sigmaringen statt, das den ruhm- 
gekrönten Sprossen der heimischen Erde mit freudigstem 
Jubel begrüßte. Von dem Vater ward der Sohn feierlich 
in das erinnerungsvolle Ahnenschloß geleitet. 




Das „Landhaus" in Krauchenwies. 



Hier in Sigmaringen traf auch Fürst Karl mit seinem 
Vater die näheren Verabredungen über die Successionsfrag^, 
die ja bereits durch die rumänische Verfassung geregelt 
war, derart, daß, falls Fürst Karl ohne direkte Leibes- 
erben bliebe, sein ältester Bruder respektive einer von 
dessen Söhnen die Thronfolge antreten sollte, eine Verein- 
barung, die von den Mitgliedern der fürstlich-hohenzollern- 
schen Familie bisher noch durch keinen Akt offiziell zur 
Kenntnis genommen und anerkannt worden war, die nun 
aber unter Zustimmung des deutschen Kaisers als Chef 
der Familie abgeschlossen werden sollte. Von Sigmaringen 



Digitized by 



334 



ging es zurück nach Krauchenwies, wo sich viele Besucher, 
unter ihnen auch, leider nur auf wenige Stunden, der deut- 
sche Kronprinz, einstellten, und wo die Tage für den Fürsten 
im traulichsten Beisammensein mit seinen teuren Ange- 
hörigen nur zu schnell verliefen. 

In Frankfurt a. M. traf der Fürst mit seiner Ge- 
mahlin wieder zusammen, und beide begaben sich nach 
Berlin, im dortigen Schlosse vom Kaiserpaare und der 
Kronprinzessin auf das herzlichste empfangen. Immer 
wieder schloß der Kaiser seinen Neffen in die Arme und 
drückte seine tiefe Freude aus, ihn nach so großer und 
für ihn wie Rumänien bedeutsamer Zeit wiederzusehen, 
wie auch der Fürst tief ergriffen war von diesem herz- 
lichen und gütigen Wesen des Kaisers, der ihm trotz 
seiner 83 Jahre noch so fest und kraftvoll erschien. Den 
nächsten Tag verlebte das fürstliche Paar bei den kaiser- 
lichen Herrschaften in Babelsberg, wobei der Kaiser mehr- 
fach betonte, wie sehr er sich freue, daß der Fürst seinem 
Namen solche Ehre gemacht, und wie sehr er hoffe, daß 
die rumänische Armee sich auf der eingeschlagenen Bahn 
weiter entwickeln und immerdar treu zu ihrem bewährten 
Führer stehen werde. Auch der älteste Enkel des Kaisers, 
Prinz Wilhelm, trat in diesen Tagen dem Fürstenpaare 
persönlich näher und erwarb sich dessen aufrichtige Sym- 
pathieen durch sein natürliches, frisches Wesen und durch 
seine Anhänglichkeit, die er offen an den Tag legte. Ferner 
war das Erbprinzlich-Meiningische Ehepaar zugegen und 
schloß mit dem Fürsten und seiner Gemahlin treue Freund- 
schaft. 

An einem der folgenden Tage stattete Fürst Karl dem 
Reichskanzler Fürsten Bismarck einen Besuch in dessen 
Palais ab, das er vor vierzehn Jahren in ernsten Zweifeln 
betreten. Wie anders hatte sich alles seitdem gestaltet, 
wie waren selbst die kühnsten Erwartungen übertroffen 
worden durch die großen geschichtlichen Ereignisse, denen 




335 



der Fürst sich in jeder Lage gewachsen gezeigt! Das be- 
tonte auch in der langen Unterhaltung Fürst Bismarck, 
die Schwierigkeiten durchaus würdigend, die der Fürst 
durch seine kluge Politik beseitigt, hinzufügend, wie sehr 
er es bedauere, daß Rumänien nicht die erhofften Vorteile 
aus dem russisch-türkischen Kriege davongetragen, aber 
dem europäischen Frieden zuliebe hätten nicht alle Wünsche 
des jungen Staates erfüllt werden können. Bei dem am 
gleichen Nachmittag in Babelsberg dem rumänischen 
Fürstenpaare zu Ehren gegebenen Diner bereitete Kaiser 
Wilhelm seinem Neffen eine freudige Überraschung, indem 
er ihn zum Chef des ersten Hannoverschen Dragoner- 
Regiments No. 9, das aus dem zweiten Garde-Dra- 
gonerregiment, dem einst der Fürst angehört, formiert 
worden, ernannte, in der Käbinettsorder hervorhebend, 
daß es sicherlich den Wünschen des Fürsten entspreche, 
wieder dem Verbände einer Armee anzugehören, die seinen 
Vater und zwei seiner Brüder zu ihren Mitgliedern zählen 
dürfe und die den Namen des dritten Bruders auf den 
Ehrentafeln derjenigen bewahre, die den Heldentod vorm 
Feind gefunden. 

Nach dem innigen, wenn auch ein wenig wehmütigen 
Abschied von der kaiserlichen Familie am 31. August be- 
gab sich das fürstliche Paar nach Dresden, von dort über 
Düsseldorf nach Neuwied und dann nach der Weinburg, 
wo man im trauten Kreise den Geburtstag des Fürsten 
Karl Anton beging; am 11. Oktober erfolgte die 
Rückreise über Wien nach Rumänien, wo überall den Heim- 
kehrenden ein jubelnder Empfang bereitet wurde. Der 
Fürst wohnte dort den umfassenden Manövern bei und 
stattete im Anschluß daran dem Fürsten Alexander von 
Bulgarien einen Besuch in Rustschuk ab, hier nicht nur 
von dem Freunde, sondern von der ganzen Bevölkerung 
froh begrüßt. 

Am 27. November vollzog der Fürst persönlich die 




336 



Eröffnung der Kammern, seine Freude äußernd, daß die 
Beziehungen Rumäniens zu allen Mächten durchaus vor- 
zügliche wären und daß mit verschiedenen Staaten der 
Abschluß wichtiger Konventionen und Verträge bevor- 
stände, gleichzeitig die Einführung von Verbesserungen in 
der öffentlichen Verwaltung ankündigend. Ferner werde 
man große Sorgfalt der Hebung des Volksschulwesens, der 
Wahrung der Unabhängigkeit des Richterstandes, dem 
weiteren Ausbau der Eisenbahnen und der Vermehrung 
des Heeres widmen, sodann die Thronfolge nach den 
Vorschriften der Verfassung regeln. 

Diese Regelung erfolgte bereits in den nächsten Tagen. 
Der frühere Minister D. Sturdza legte am i. Dezember 
dem Senat eine Denkschrift vor, in der er Rumäniens 
geschichtliche Entwicklung entrollte und eingehend die 
Gründung einer Dynastie behandelte: „Indem eine Dy- 
nastie gegründet ward, hat die Verfassung entschieden, 
daß der Thron für die Zukunft nie mehr ein Gegenstand 
der Begehrlichkeit sein könne, daß er vielmehr für alle 
Rumänen ein nationales Prinzip ist, um welches sich trotz 
aller Hinfälligkeit und allem Schwanken menschlicher 
Dinge, inmitten der heftigsten Stürme, der drohendsten 
Ungewitter alle Lebenskräfte des Volkes vereinen zur ge- 
meinsamen Arbeit am allgemeinen Wohl, daß er eine 
wohltätige Einrichtung ist, welche einzig und allein die 
sichere Bürgschaft gibt für eine geregelte Entwicklung 
eines liberalen und zivilisatorischen Regimes. Die Thron- 
folge hängt keineswegs von dem Willen irgend eines Ein- 
zelnen ab, nicht von dem des Regenten, nicht von dem 
des Parlaments. Sie ist nicht mehr eine eigenmächtige, 
private Angelegenheit, sie ist wesentlich politisch und be- 
ruht auf dem fundamentalen Gesetze des Landes/' — 
Seiner Denkschrift fügte D. Sturdza noch eindrucksvolle 
Darlegungen von großer politischer Bedeutung hinzu: 
„Die verfassungsgemäßen Anordnungen über diese An- 




337 



gelegenheit sind hiermit heute aus dem Gebiet der bloßen 
Theorie herausgetreten. Dank unserm Fürsten ist die 
rumänische Dynastie nunmehr eine wirkliche lebendige 
Tatsache. Auch nach dieser Richtung hin hat sich Karl I. 
wieder auf der Höhe der Lage der Verhältnisse gezeigt. 
Gleichwie der junge Prinz von Hohenzollern 1866 Ru- 
mänien vom Bürgerkrieg und dem sicheren Untergang 
rettete, indem er im Augenblick der höchsten Gefahr 
mutig auf dem Boden Rumäniens erschien, so machte 
Karl I. jetzt, 1880, allen Schwankungen und Ungewiß- 
heiten ein Ende und gab dem nach so vielen Anstrengungen 
und Opfern gegründeten Staate Sicherheit und Bestand." 

Und der Redner ging dann in lichtvoller Weise des 
näheren darauf ein, was Fürst Karl für Rumänien bedeute 
und wie er immerdar dem Land wie Volk ein nachahmens- 
wertes Beispiel gewesen sei: „Wenn es erfreulich ist zu 
sehen, wie ein einfacher Bürger ernst und gewissenhaft 
seinen Pflichten nachkommt, wie sie das gewöhnliche 
Leben für jeden hat, so ist diese Erscheinung noch viel 
wohltuender, viel bewunderungswerter, wenn es sich um 
denjenigen handelt, der an der Spitze einer Nation steht 
und dessen Beispiel, je nachdem es gut oder schlecht ist, 
auf jene einen segensreichen oder verderblichen Einfluß 
ausübt. Vierzehn Jahre sind nunmehr verflossen, seitdem 
Karl I. den Thron Rumäniens bestiegen, und in diesen 
Jahren hat das Land hochwichtige und rasche Fortschritte 
gemacht. Große und ernste Ereignisse von wuchtiger 
Tragweite sind zu verzeichnen, und jeder dieser Fort- 
schritte, jedes dieser Ereignisse hat den Beweis geliefert, 
daß die Nation 1866 keine glücklichere Wahl hätte treffen 
können. Das wissen und fühlen die Rumänen sehr wohl, 
und es erfüllt sie mit hoher Dankbarkeit gegen den Herr- 
scher. Die Achtung vor dem Gesetz ist die Grundlage 
des Daseins und der Zukunft eines Volkes. Alle verstän- 
digen und gewissenhaften Bürger, die fähig sind, sich über 

Lind enberg, König Karl. 22 



Digitized by 




338 



die kommenden und gehenden Strömungen der Parteien 
zu stellen, werden bestätigen, daß die Verfassung in Karl I. 
ihren tatkräftigsten, ihren tüchtigsten und unerschütter- 
lichsten Verteidiger gefunden hat. Von der Höhe des 
Thrones ist sein Beispiel der Wegzeiger für jeden, welche 
Wege er zu wandeln hat. Alle, denen Gelegenheit ge- 
geben worden, mit dem Herrscher von Rumänien zu 
arbeiten, oder seine Lebensweise kennen zu lernen, wissen, 
daß kein Tag seines Lebens vergeht, der nicht den Staats- 
geschäften gewidmet wäre. Immer ist er bemüht, Men- 
schen und Dinge, die Geschichte, die allgemeine wie die 
besondere Politik der Staaten zu studieren, um seine 
staatsmännischen Kenntnisse ohne Unterlaß zu vermehren. 
Beständige und äußerst gewissenhafte, eingehende Studien, 
Prüfungen, Forschungen aller Interessen und Bedürfnisse 
des Landes füllen die Zeit aus und bilden die Vergnügungen 
Karl I., von dem dasselbe Wort gilt, wie von seinem großen 
Stammverwandten Friedrich II.: daß er der erste Diener 
des Staates sei. Und so hat der Monarch durch seine Ver- 
dienste bei allen innerhalb und außerhalb Rumäniens sich 
eine Hochachtung seltener Art erworben. Wenn während 
des letzten Krieges Rumänien die ganz ungemeinen Schwie- 
rigkeiten, welche es umgaben und umtürmten, überwand, 
überstieg, besiegte und seine nationale Regierung wie 
seine öffentlichen Freiheiten bewahrte, so dankt es dies 
seinem Herrscher Karl I. Nur unter seiner Führung 
konnte es den Rumänen gelingen, zu erreichen, was sie 
erreicht haben, ihre Unabhängigkeit, und die Achtung wie 
das Vertrauen Europas/' Auch das Privatleben des 
Fürsten stellte Sturdza als ein Muster für alle hin: „Die 
Reinheit seiner Sitten, sein religiöser Geist, die Tätigkeit, 
die Achtung vor der Pflicht, sie sind es, welche in dem 
Königspalast herrschen und von segensreichem Einfluß 
auf Volk und Land begleitet werden. So können die Ru- 
mänen nicht genug Dankbarkeit ihrem Herrscher Karl I. 




339 



zollen. Denn er hat den Thron, den die rumänischen Re- 
genten erschüttert, befestigt; er hat das Land gerettet 
aus dem Wirrsal unablässiger Stürme, innerer Zerrissenheit, 
Unordnung, Zügellosigkeit und hat ihm das köstliche Gut 
einer echten Unabhängigkeit gegeben. — Möge die neue 
Generation sich immer mehr von dem Gedanken durch- 
dringen lassen, daß die Ehre und die Zukunft Rumäniens 
auch in ihren Händen ruht! Möge sie zu ihrem Führer 
haben nicht die Sucht nach Vergnügen und Gewinn, 
sondern ein unentwegtes Pflichtgefühl. Die Rumänen 
können nunmehr guten Mutes der Zukunft entgegenschauen. 
Wie auch immer die Stürme beschaffen sein mögen, welche 
ihnen drohen könnten, sie dürfen ihre Augen fest und 
vertrauensvoll auf das Banner gerichtet halten, welches 
eine mächtige Stütze hat in der kraftvollen Hand Karl I. 
und seiner Dynastie und dem sie allezeit mutig folgen 
werden mit dem Rufe: Karl und Rumänien!" — 
Am gleichen Tage, dem i. Dezember, überreichte der 
Ministerrat dem Fürstenpaare eine Adresse, in dieser 
seinen innigsten Dank ausdrückend, daß die Erbfolgefrage 
in allen den Wünschen des Landes entsprechender Weise 
geregelt worden sei. In seiner Antwort betonte der Fürst, 
wie er und seine Gemahlin glücklich seien, durch jene 
Regelung dem Lande einen neuen Beweis ihrer Liebe 
gegeben zu haben; er könne die Versicherung hinzufügen, 
daß die fürstliche Familie Hohenzollern aus vollstem 
Herzen am Wohl und Wehe Rumäniens teilnehme, was 
ja auch aus den Beschlüssen hervorgegangen, und ähnlich 
äußerte er sich mehrere Tage später bei der vom Senat 
überreichten Adresse, erklärend, daß das, was er und 
seine Familie für Rumänien tun, kein Opfer und keine 
Selbstverleugnung sei, sondern einfache Pflichterfüllung 
gegen ein Land, mit dem er sich untrennbar vereint fühle, 
dessen Geschicke die seinigen seien und dem sein ganzes 
Leben geweiht sei. 



22* 




340 



Klang das Jahr 1880 in stimmungsvoller Weise 
aus, so sollte das folgende Jahr 1881 die stolze Krönung 
des Baues bringen, den Fürst Karl in harter, selbstloser, 
unermüdlicher Tätigkeit Stein um Stein pflicht- und ziel- 
bewußt aufgeführt. Schon lange hatten sich im Lande 
Wünsche geregt, daß der Fürst die Königskrone annehmen 
möchte. Fürst Karl hatte jedoch den Zeitpunkt noch nicht 
für gekommen erachtet, in welchem dem Staat eine sichere 
Zukunft beschieden wäre. 

Das war jetzt der Fall. Aber noch schneller, als man 
geglaubt, trat das große Ereignis ein, infolge bestimmter 
Partei wirren, die am 25. März zu heftigen Debatten in 
der Kammer geführt, in deren Verlauf der liberalen Re- 
gierung und ihren Anhängern vorgeworfen wurde, daß 
sie noch immer republikanische Ideale hegten und deshalb 
nicht als Stütze der Dynastie betrachtet werden könnten. 
Infolge dieser Angriffe fanden sich schon am frühen Morgen 
des nächsten Tages sämtliche Minister beim Fürsten ein, 
ihm nahelegend, daß er jetzt, wo die Regierung und deren 
Parteigänger so schwer beschuldigt worden, die Erlaubnis 
geben möchte, noch heute durch die Kammern das König- 
tum ausrufen zu lassen, damit man im Lande erfahre, wie 
falsch jene Verdächtigungen seien. Der Fürst zögerte 
zwar noch, gewährte aber schließlich auf die dringenden 
Bitten hin seine Einwilligung. Gleich nach Eröffnung der 
Kammern nahm General Lecca das Wort, daß die Volks- 
vertretung noch heute das Königtum ausrufen möge, um 
die Gerüchte zu widerlegen, als ob die Dynastie in Ru- 
mänien nicht feste Wurzeln geschlagen, und unter stür- 
mischer Begeisterung ward folgender Beschluß einstimmig 
angenommen: „Um einem lang gehegten Wunsche der 
Nation zu entsprechen, um Beständigkeit und Ordnung im 
Lande zu stärken und eine Bürgschaft mehr dafür zu liefern, 
daß in Rumänien die Monarchie unter denselben Bedin- 
gungen lebt wie in den übrigen Staaten Europas und das- 




341 



selbe Vertrauen einflößen muß, ruft die Kammer der Ab- 
geordneten kraft des Souveränitätsrechts der Nation Seine 
Königliche Hoheit den Fürsten Carol I. zum König von 
Rumänien aus." — 

In kürzester Zeit ward das Gesetz formuliert, mit dem 
nur zwei Artikel enthaltenden Antrag: 

„Art. i. Rumänien wird zum Königreiche erhoben; 
Fürst Carol I. nimmt für sich und seine Erben den Titel 
eines Königs von Rumänien an. 

Art. 2. Der Thronerbe wird den Titel Kronprinz von 
Rumänien führen." 

In hinreißenden Worten hielten Rosetti, der Präsident 
der Kammer, Lahovari sowie Bratianu flammende An- 
sprachen, betonend, wie nun endlich die Sehnsucht aller 
Patrioten erfüllt sei, die sie so lange und so inbrünstig 
genährt, die Sehnsucht nach einem freien, großen, tapferen 
Rumänien, das, wenn einig, niemals zugrunde gehen 
könne. 

Die gleiche Begeisterung herrschte im Senat, dessen 
Mitglieder im Verein mit den Deputierten sich nach dem 
Palais begaben, um dem neuen König das Gesetz zur 
Unterschrift vorzulegen und ihm zu huldigen. Im Fluge 
war die hehre Kunde durch die Stadt geeilt, deren Straßen 
sich mit freudigerregten Menschenmassen füllten, während 
alle Häuser im Umsehen frohen Schmuck zeigten, und 
überall, wo nun der lange Zug der Deputierten und Sena- 
toren, die sich garnicht erst die Zeit genommen, festliche 
Kleidung anzulegen, erschien, an seiner Spitze die Metro- 
politen und Bischöfe, legte er seinen Weg unter brausendem 
Jubel zurück, um die sechste Abendstunde im Palais ein- 
treffend und im Thronsaal Aufstellung nehmend. Immer 
wieder brach die Begeisterung los, als das Fürstenpaar 
erschien, das seinen Platz vor dem Throne einnahm, wo- 
rauf der Senatspräsident D. Ghika vortrat und sich mit 
erhobener Stimme an den Fürsten wandte: 




342 



„Stolz und glücklich bin ich, daß mich das Schicksal 
auserlesen hat, im Namen von Senat und Kammer Eurer 
Königlichen Hoheit das Gesetz vorzulegen, welches heute 
in beiden Gesetzgebenden Körperschaften votiert worden 
ist und durch welches die Wünsche des ganzen Landes 
ihrer Erfüllung entgegengeführt werden!" — Hierauf ver- 
las er das kurze Gesetz, und alle Versammelten brachen 
in stürmisch- jubelnde Rufe aus: „Hoch lebe der König! 
Hoch lebe die Königin!" 

In tiefster Bewegung, ergriffen im Innersten von dem 
großen geschichtlichen Ereignis, entgegnete der Fürst: 
„Groß und feierlich ist dieser Augenblick, wo die Ver- 
treter der Nation mir nahen, um den einstimmigen Be- 
schluß der gesetzgebenden Körperschaften mir zu unter- 
breiten. Mit ihm beginnt ein neues Blatt im Lebensbuche 
unseres rumänischen Volkes, mit ihm endet eine Zeit, die 
reich war an Kampf und Schwierigkeit, aber auch an 
männlichem Streben und heldenhaftem Tun! Und in 
diesem Augenblick will ich wiederholen, was ich so oft 
ausgesprochen: Stets war es der Wunsch der Nation, der 
meinem Handeln Richtung und Ziel gegeben hat! Seit 
fünfzehn Jahren bin ich Fürst dieses Randes; seit fünfzehn 
Jahren umgibt mich die Liebe und das Vertrauen des 
Volkes: diese Liebe und dieses Vertrauen hat die guten 
Tage mir zu besseren gemacht, hat in bösen Tagen mich 
gestärkt und gekräftigt! Stolz war ich deshalb auf meine 
Fürstenwürde, teuer war mir dieser Name, um den sich 
schon in ferner Vergangenheit Ruhm und Größe gewoben ! 
— Das Land ist jedoch der Ansicht, es stünde ihm besser 
an, in seiner jetzt errungenen Stellung, in seiner durch 
Taten erwiesenen nationalen Kraft, daß es zum Königreich 
sich erhöbe : So nehme ich denn — nicht für mich, sondern 
für die Größe Rumäniens — den Königstitel an, sicher, 
daß er nichts an den Banden lösen wird, die mich so eng 
verschlungen haben mit meinem Volke durch alles, was 




343 



wir gemeinsam durchkämpft und durchlebt! Möge der 
erste König Rumäniens sich derselben Liebe erfreuen, die 
den letzten Fürsten über alles Ungemach hinweggetragen 
hat! Mir gilt die Hingabe dieses edlen, tapferen Volkes, 
dem ich mein ganzes Sein geweiht habe, mehr als alle 
Größe, aller Glanz einer Krone!" 

Von begeisterten Zurufen wurde die Rede des Fürsten 
mehrfach unterbrochen, viele ' der Deputierten schämten 
sich nicht der Tränen, immer wieder erbrauste der Ruf 
aufs neue: „Es lebe der König! Es lebe die Königin!" 
Das Königliche Paar wurde dicht umdrängt von den Glück- 
wünschenden, allen herzlich dankend und dann, da des 
Jubeins auf der Straße, die sich mit enggedrängten Men- 
schenmassen angefüllt hatte, kein Ende war, mit den 
Präsidenten des Senats und der Kammer auf den Balkon 
tretend und froh bewegt für die Huldigungen dankend. 
Am Abend erstrahlte Bukarest im flammenden Glanz 
einer allgemeinen Illumination; die Straßen wurden nicht 
leer von froh bewegten Gruppen, die immer wieder zum 
Palais zogen und in Hurrarufe ausbrachen, während 
Musikchöre nationale Weisen anstimmten. 

Die Verkündigung des Königtums hatte auch im 
gesamten Lande ein begeistertes Echo erweckt. Aus allen 
Städten und Ortschaften, aus den entlegensten und fernsten 
Dörfern langten Huldigungstelegramme an, ebenso wie sich 
in den nächsten Tagen Abordnungen des Volkes und des 
Heeres einstellten, um dem Königlichen Paare persönlich 
ihre freudige Genugtuung auszudrücken. Die fremden 
Mächte zögerten nicht mit ihrer Anerkennung des neuen 
Königreiches, voran Deutschland, Rußland, Österreich- 
Ungarn, England, Italien und die Türkei, welche auch 
durch* ihre Gesandten ihre Glückwünsche aussprechen 
ließen. Der deutsche Kaiser schickte telegraphisch den 
herzlichsten Glückwunsch, und Fürst Karl Anton schrieb 
seinem Sohne: „Dein langes Mühen, Kämpfen und Sorgen 




344 



hat Dir nun endlich die Königskrone aufs Haupt gesetzt! 
Empfange zu diesem großen Lebensabschnitt den Glück- 
wunsch Deiner Eltern, der schwerer wiegen wird als die 
vielen konventionellen, die Euch von allen Seiten zu- 
strömen! Die Einstimmigkeit, mit der Dir die Königs- 
krone entgegengetragen worden, ist das sicherste Funda- 
ment der neuen, mühsam errungenen Würde! Ich er- 
kenne die hohe Bedeutung dieses Ereignisses rückhaltlos 
an und war nur überrascht durch die Verfrühung der 
Proklamierung, die ich ja erst zum 22. Mai erwartete. In 
Deinem Geburtsstädtchen wirkte diese Nachricht zündend 
— man wollte Ovationen aller Art darbringen, allein ich 
verschob diese Äußerlichkeiten bis zum Eintreffen der 
offiziellen Mitteüung — die ist mir jetzt durch Deinen lieben 
Brief zugekommen. — Ein Sigmaringer Kind ein König! 
Das ist noch nicht verzeichnet, weder in der Geschichte 
des fürstlich hohenzollernschen Hauses, noch in der dieses 
bescheidenen schwäbischen Städtewesens! — " 

Die Krönungsfeier selbst wurde auf den 22. Mai, den 
Nationalfeiertag, angesetzt. Die Mitglieder der Regierung 
hatten vorgeschlagen, daß die Krone von prunkvoller Kost- 
barkeit sein sollte; das wies aber der König sogleich ent- 
schieden zurück, betonend, daß kostbare Kroninsignien nicht 
den Traditionen des Landes entsprächen und nur dort 
am Platze seien, wo sie als ererbte Kleinodien aus ver- 
gangenen Jahrhunderten geschichtlichen Wert hätten, und 
er setzte seinen Wunsch durch, daß für ihn aus einer der 
bei Plewna eroberten Kanonen eine Stahlkrone geschmiedet, 
für die Königin jedoch eine einfache goldene Krone von 
einem Bukarester Goldschmiede gefertigt werden möchte. 
Auch die Bitte des Metropolit-Primas, sich in der Metro- 
polie krönen und salben zu lassen, lehnte der König in 
seinem schlichten Sinne ab, wie er überhaupt gern gesehen, 
wenn die Feierlichkeit in engeren Grenzen begangen worden 
wäre, sich aber hier dem allgemeinen Volkswunsche fügte. 




345 



Zu der Feier traf der ältere Bruder des Königs, Erb- 
prinz Leopold von Hohenzollern, mit seinen beiden jüngeren 
Söhnen, Ferdinand und Karl, ein, ferner die Sonder- 
abordnungen verschiedener Regierungen. Auf das schmerz- 
lichste bedauerte es Fürst Karl Anton, der erhebenden 
Feier fernbleiben zu müssen, seinem Sohne schreibend: 
„Glück, Heil und Segen zum wichtigsten Abschnitt Deines 
reichen Lebens! Ich fühle doppelt die Entbehrung, mich 
denen nicht beigesellen zu können, welche Zeugen des 
großen Momentes sein werden, der Deine ganze Stellung 
heiligt und zu einer festen 
und dauernden umge- 
staltet. — Liebe und Ver- 
trauen sind das sicherste 
Fundament für die Spitze 
des Staates, und ein wei- 
hevolleres als alle ge- 
schriebenen Gesetze! — 
Ich werde mit Dir und 
Elisabeth an dem gro- 
ßen Tage geistig verei- 
nigt sein, und die Donau 
soll unsere wärmsten Die Krone König Karls. 

Wünsche hinabtragen !" 

Am Abend des 21. Mai waren in festlichem, von dem 
Ministerpräsidenten und den Ministern begleiteten und von 
Kavallerie eskortierten Zuge die beiden Königskronen in 
das Palais gebracht worden, ebenfalls dorthin unter klingen- 
dem Spiel sämtliche Fahnen der Armee. Ein Zapfenstreich 
und großer Fackelzug schlössen sich an. 

Hallender Kanonendonner leitete am folgenden Morgen 
den großen Tag ein. Von früher Stunde an füllten un- 
zählige Tausende die festlich geschmückten Straßen, durch 
welche der Krönungszug gehen sollte, der sich am Nord- 
bahnhof, wohin sich das Königspaar mit seinen Gästen 




Digitized by 



346 



von Cotroceni aus begeben hatte, in Bewegung setzte. 
Der Zug wurde durch Abteilungen berittener Gendarmen, 
durch eine Schwadron Roschiori, durch Hoffuriere und 
hohe Hofbeamte eröffnet. Hinter den von Musik be- 
gleiteten 62 Fahnen des Heeres ritt der König, dem sich 
der große Generalstab und das militärische Gefolge des 
Herrschers anschlössen. Dann kam der achtspännige, 
von einer goldenen Krone überragte Galawagen mit der 
Königin und dem Erbprinzen Leopold sowie dessen Söhnen, 
geleitet von der Dienerschaft des Hofes zu Fuß und von 
dem kommandierenden General der Territörial-Division 
und dem Generalinspektor der Bürgergarde. Ein aus 
Kavallerieoffizieren zusammengesetzter Zug und eine Schwa- 
dron Roschiori bildeten den Beschluß. 

Durch das von der Garnison gebildete Spalier ging 
es unter dem begeisterten Jubel der Bevölkerung, die das 
Königspaar mit Blumen überschüttete, zum Hügel der 
Metropolie, wo die höchsten Geistlichen des Landes, die 
Minister und die Präsidenten der Kammern das Königs- 
paar empfingen und es unter Glockengeläut und Chor- 
gesang vorbei an den Delegationen der Distrikte und Kom- 
munen des ganzen Landes den Weg hinauf zum Gottes- 
hause geleitete, in dem die Kronen aufgestellt waren. 
Nach Verrichtung stiller Gebete begab sich der feierliche 
Zug wieder in das Freie, das Königspaar auf eine reichver- 
zierte Tribüne, vor der unter freiem Himmel der Gottes- 
dienst stattfand, an dem sich unter dem Salut der 
Geschütze die feierliche Einsegnung der Kronen schloß, 
die von Generalen unter Begleitung von vier Fahnen ge- 
tragen wurden. 

Der König und die Königin, Erbprinz Leopold, die 
Metropoliten, Präsidenten und Minister unterzeichneten 
die ihnen vom Ministerpräsidenten unterbreitete Krönungs- 
urkunde, die folgenden Wortlaut hatte: 

„Wir, Carol I., König von Rumänien, geführt von der 




347 



Hand Gottes und der Bestimmung des tapferen und in- 
telligenten rumänischen Volkes, haben am 10. (22.) Mai 
1866 unsern Einzug in Bukarest gehalten. Die Stimme 
des Volkes hat uns zum Fürsten der vereinigten Länder 
Moldau und Walachei durch Plebiszit vom 8. (20.) April 
1866 (am Jahrestage unserer Geburt, den 8. (20.) April 
1839), sowie durch das Votum der Wahlversammlung vom 
1. (13.) Mai desselben Jahres gewählt. 

Nachdem wir der rumänischen Nation durch die Ver- 
fassung vom 30. Juli 1866 ihre Freiheit und ihre Rechte 
zugesichert, konnten wir an der Spitze dieses Volkes durch 
die Tage der Drangsale, alle Schwierigkeiten überwindend, 
gehen, so daß 1877 am 10. (22.) Mai die Unabhängigkeit 
des Randes proklamiert wurde. 

Nach dem Willen Gottes, welcher allein den Sieg 
verleiht, habe ich unsre Armee am 7. Juli 1877 über die 
Donau geführt und unsre Fahnen haben sich bei Kalafat, 
Nikopolis, Rachowa, Smidan, Grivitza, sowie am 28. No- 
vember desselben Jahres durch die Einnahme von Plewna 
Lorbeeren errungen, so daß die alte rumänische Tapferkeit 
auf den Schlachtfeldern Bulgariens das einstimmige Votum 
der Kammern sanktioniert hat. 

Das edle rumänische Blut, welches zur Verteidigung 
und für die Unabhängigkeit des Vaterlandes vergossen 
worden ist, erhielt am 14. (26.) März 1881 seinen Lohn. 
Die gesetzgebenden Kammern, beseelt von dem Wunsche, 
dem durch die Verschmelzung der Fürstentümer Moldau 
und Walachei geschaffenen rumänischen Staate eine voll- 
kommene Sicherheit und eine festere, glänzendere Indivi- 
dualität zu geben, proklamierten die Erhebung Rumäniens 
zu einem Königreiche Europas. 

Das ganze Land, repräsentiert durch den Senat und 
das Abgeordnetenhaus, begleitet von den Mitgliedern aller 
bestehenden Körperschaften des Landes, des Kassations- 
und Rechnungshofes, der rumänischen Akademie, der Re- 




348 



Präsentanten der Universitäten Bukarests und Jassys 
und ihrer Schüler aller Grade, der Delegationen der städti- 
schen und ländlichen Gemeinden, sowie aller Handwerkei- 
Korporationen und zahlreicher Gesellschaften der ver- 
schiedenen Zweige unserer nationalen Kultur, hat sich 
heute, den 10. (22.) Mai 1881 zu dem heiligen Altar der 
Metropolie von Bukarest begeben und hat mit uns, Carol I., 
König von Rumänien, mit der Königin Elisabeth, unserer 
geliebten Gemahlin, mit unserm geliebten Bruder Leopold, 
Erbprinzen von Hohenzollern, umgeben von unsern Neffen 
Ferdinand und Carol, den heiligenden Gebeten beigewohnt, 
unter welchen Sr. Heiligkeit der Metropolit und Primas 
Calinio Miclescu und Sr. Heiligkeit der Metropolit der 
Moldau und von Suczawa, Joseph, ebenso wie die Bischöfe 
der Eparchien und der hohe Metropolie -Klerus die Kronen 
geweiht haben, die uns das Land als ein für uns köst- 
liches Enblem der Stabilität und Unabhängigkeit des Vater- 
landes entgegenbringt. 

Die Königskrone, welche das Land heute auf unsre 
Stirne setzt, ist im Kriegsarsenal aus dem Stücke einer 
Kanone gefertigt, die, dem Feinde am 28. November 
1877 bei Plewna abgenommen, mit dem Blute der Helden 
bespritzt ist, die für die Unabhängigkeit gefallen sind. 
Die goldene Krone, welche das Land heute auf die Stirne 
seiner ersten Königin setzt, ist nicht mit kostbaren Steinen 
geschmückt, aber die Taten der Königinnen, welche die 
einfache Goldkrone der Königin Elisabeth tragen werden, 
werden sie strahlen lassen. 

Damit künftigen Jahrhunderten das Andenken des 
10. (22.) Mai unvergeßlich sei, unterzeichnen wir im fünf- 
zehnten Jahre unserer Herrschaft dieses Dokument auf der 
heiligen Metropolie unserer Hauptstadt in Bukarest in 
Gegenwart der Königin Elisabeth, unserer geliebten Ge- 
mahlin, unseres geliebten Bruders Leopold, im Angesichte 
des Landes, welches zu der großen nationalen Feier der 




349 



Heiligung der Proklamierung des Königreiches Rumänien 
herbeigeeilt ist, und befehlen, daß dieser Akt mit dem großen 
königlichen Siegel versehen und von unsern Ministern, 
den Staatssekreti ren, kontrasigniert werde, sowie derselbe 




Thron im Bukarester Palais. 



von den Herren Präsidenten der gesetzgebenden Körper- 
schaften, Ihren Heiligkeiten den Metropoliten und von 
dem Präsidenten des hohen Kassationshofes als Zeugen 
unterschrieben werden soll." 

Nach der Unterzeichnung begab sich der Zug in der 
gleichen Ordnung, in der er gekommen, den Metropolie- 



Digitized by 



350 



hügel hinab und dann zum Palais, umflutet wiederum von 
den Begeisterungsstürmen der unzahligen Menge. 

Im Palais empfing das Königspaar die Glückwünsche 
der Minister und deren Gemahlinnen, der Chefs der ru- 
mänischen Vertretungen im Auslande, der Mitglieder des 
diplomatischen Korps und ihrer Damen, sich dann, um- 
geben von sämtlichen Würdenträgern des Staates, von den 
fürstlichen Verwandten und dem Gefolge nach dem Thron- 
saal begebend und auf den Thronsesseln Platz nehmend, 
während die Kronen vor dem Throne, um den die Fahnen 
der Armee aufgestellt waren, ruhten. 

Die Präsidenten des Senats und der Kammer über- 
reichten dem Königspaare die Kronen unter bewegten 
Worten, und der König, die Krone ergreifend, antwortete 
in weihevoller Stimmung: „Durch die heutige Feier wird 
der an schweren Kämpfen und Großtaten so reiche Ab- 
schnitt von fünfzehn Jahren glanzvoll abgeschlossen! 
Unter dem Schutze seiner Verfassung und seiner Gesetze 
hat Rumänien sich herrlich entfaltet, die rastlose Arbeit 
seiner Staatsmänner, die Tapferkeit seines Heeres und 
mein festes Vertrauen zu der Kraft des Volkes haben den 
heißen Wunsch aller zur Erfüllung gebracht: das König- 
reich, ein sicheres Unterpfand für die Zukunft, ist heute 
aufgerichtet ! — Mit Stolz nehme ich darum diese Krone 
an — sie ist geschmiedet aus dem Metall eines Geschützes, 
das mit dem Blut unserer Helden benetzt und von der 
Kirche geweiht ist; ich nehme sie an als ein Symbol der 
Unabhängigkeit und Stärke Rumäniens! Wie ein kost- 
bares Kleinod wird sie Zeugnis ablegen von schweren und 
ruhmreichen Zeiten, die wir gemeinsam durchlebt, wird 
spätere Generationen an den Heldenmut ihrer Vorväter 
erinnern und an die Einigkeit, die zwischen Fürst und 
Volk geherrscht ! Die schönste Krone aber für die Königin, 
wie für mich wird sein und bleiben die Iyiebe und das Ver- 
trauen des Volkes, dem all unser Denken und Fühlen ge- 




351 



hört. Angesichts dieser Fahnen, die auf dem Schlacht- 
felde wehten, angesichts dieser Kronen, den Emblemen 




König Karl und Königin Elisabeth (1883). 



des Königstums, um welche das Volk sich scharen möge, 
wie sich die Krieger um jene Fahnen scharen, angesichts 
der großartigen Huldigungen, zu denen das ganze Volk 



Digitized by 



352 



in die Hauptstadt geeilt ist, um Zeuge dieses denkwürdigen 
Tages zu sein, vereinigen wir uns zu dem Rufe, der unserm 
Herzen teuer ist, und der auch heute in diesem durch die 
historischen Ereignisse meines Gebens bereits geweihten 
Räume einen mächtigen Wiederhall finden wird: Unser 
geliebtes, heute durch sein eigenes Verdienst gekröntes 
Rumänien ,es lebe hoch'!" — 

Nachdem der König, dessen Worten man seine tiefe 
Bewegung angemerkt, geendet, herrschte zunächst feierliche 
Stille, dann aber löste sich die Begeisterung in den jubelnd- 
sten Zurufen, die gar nicht enden wollten und sich immer 
und immer wieder erneuten, von der Volksmenge draußen 
stürmisch aufgenommen. In langer Reihe zogen die Ab- 
ordnungen des Landes an dem Königspaare vorüber, ihm 
huldigend und duftende Blumenkränze auf den Stufen 
des Thrones niederlegend. 

Drei Tage noch währten die Festlichkeiten, die einen 
durchaus volkstümlichen Charakter trugen und einen präch- 
tigen, farbenfrohen Festzug aller Gewerbe, sowie eine 
glänzende Truppenschau brachten, ohne jegliche Störung 
verlaufend, in reiner Harmonie die enge Vereinigung 
zwischen dem Volk und seinem königlichen Führer zeigend. 

Der moderne rumänische Staat war in fester Weise 
begründet worden, wie dies auch in einer von einem her- 
vorragenden rumänischen Gelehrten stammenden, aus 
Anlaß der Krönung veröffentlichten Denkschrift dargelegt 
wurde: „Die erste große Epoche des Landes bezeichnet 
die Ankunft Trajans und seiner Legionen in den Ländern 
der südlichen Donau; die zweite, die von Radu-Negru und 
Dragosch, gab den Fürstentümern der Moldau und Wala- 
chei ihr Leben, nachdem verheerende Wanderzüge bar- 
barischer Völker über unsern Boden hinweggeschritten 
waren; die dritte ist die des großen und tapfern Königs 
Karl I., des Begründers des modernen rumänischen Staates." 




XII. 



Rumänien unter dem Königscepter. 



Die Wiedergebart der Nation. — König Karls Friedensarbelt — Des Königs Interesse 
für Kunst und Wissenschaften. — Im Bukarester Palais. — Schloß Pelesch. — Reisen 
des Königspaares. — Frohe und trübe Stunden. — In der Heimat und Fremde. — 
Rumäniens Fortsehritte. — Besuch Kaiser Franz Josefs In Bukarest und Slnala. — Die 
Erkrankung des Prinzen Ferdinand. — König Karl auf bulgarischem Boden. — Donau- 
fahrt des Königspaares. — Die Ereignisse der letzten Jahre. — Bukarests Entwicklung. — 
Das 40 jährige Regierungs-Jubiläum des Königs. — Die Jubiläums- Ausstellung. — 50 Jahre 
Soldat. — Die jüngsten Ereignisse. — König Karl, sein Lebenswerk und Rumänien. 



as bisherige lange und mühevolle Lebenswerk König 



M*^ß Karls hatte seine Krönung erfahren. Das Ziel, das 
sich der 27 jährige Zollernprinz gesetzt, als er dem Rufe des 
rumänischen Volkes gefolgt, es war erreicht. Aber was 
der Fürst vielleicht als Erstrebenswertestes angesehen, das 
Land von dem Vasallentum zu befreien, ihm seine Selb- 
ständigkeit auf dem Schlachtfeld zu erringen, des jungen 
Staates Stellung und Bedeutung weithin sichtbar zu machen 
durch das Königtum — König Karl setzte sich stets weitere 
Ziele! Er am besten wußte, daß die Arbeit, die ihm das 
Geschick übertragen, erst halb getan war. Wohl war 
die feste Grundlage geschaffen für die ersprießliche Tätig- 
keit der gegenwärtigen und nachkommenden Geschlechter, 
nun aber galt es für ihn, den rastlosen Führer, die Wege 
weiterhin zu bestimmen und auszugestalten, die zum Wohl 
der Allgemeinheit leiteten. Auch diese Wege enthielten 
noch genug der Steine und Hindernisse für den pflicht- 
erfüllten königlichen Bahnbrecher, der aber auch fernerhin 

Lindenberg, König Karl. 23 





354 



keine Entmutigung und keine Müdigkeit kannte, stets 
beständig und stets sicher in seinem Tun, mit kluger 
Energie das eine Ziel verfolgend: die begonnene Wieder- 
geburt der Nation erfolgreich zu bewerkstelligen. 

Hatte es bisher nicht an mancherlei Stockungen in der 
inneren Entwicklung des Landes gefehlt, so ging nun letz- 
tere rascher und folgerichtiger vorwärts. Die politischen 
Leidenschaften, falls sie ^auch gelegentlich noch durch- 
brachen, zeigten sich nicht mehr so zügellos, und wenn 
es auch nie an einer oft lebhaften und zähen Opposition 
fehlte, so richtete dieselbe nicht mehr ihre Angriffe gegen 
die Dynastie, sondern nur gegen die einzelnen Vertreter 
der Regierung. Für die große Besserung der gesamten 
inneren politischen Zustände sprach schon der lange Be- 
stand des Ministeriums Bratianu, das bis zum Jahre 1888 
sich erhielt, insgesamt also zwölf Jahre, eine Erscheinung 
in der Geschichte des Landes, die nie dagewesen und 
die man nie für möglich gehalten. Die Beziehungen zu 
den ausländischen Mächten wurden stets engere und 
freundschaftlichere, und es ergab sich von selbst, daß der 
Staat, der so wenig Förderung und Berücksichtigung von 
russischer Seite gefunden, sich mehr und mehr an die 
Westmächte anlehnte, in politischer wie in wirtschaftlicher 
Hinsicht. Grade Deutschland gewann auch in geistiger 
und kultureller Beziehung einen besondern Einfluß, der 
Rumänien vielfach zugute kam. 

Fortgesetzt widmete der König seine hingebende Sorg- 
falt dem Heere, das nicht auf den blutig errungenen Lor- 
beeren ausruhen durfte. In entsprechender Weise fand 
in bestimmten Terminen eine Vermehrung statt und 
wurde auf eine stets bessere Bewaffnung Rücksicht ge- 
nommen. An allen Manövern nahm der König persönlich 
teil, unterließ nie Inspizierungen der entfernteren Garni- 
sonen und erfüllte durch sein Beispiel das Offizierkorps 
mit pflichttreuer Hingebung an den hohen Beruf, nicht 




355 



nur jederzeit bereit zu sein, den vaterländischen Boden 
zu verteidigen, sondern auch erzieherisch zu wirken auf 
die waffentragenden Kreise des Volkes. Um in einem 
eventuellen Entscheidungskampfe einen wuchtigen ge- 
sicherten Mittelpunkt zu haben, wurde Bukarest nach dem 
Plan des belgischen Generals Brialmont stark befestigt, 
indem es durch eine Reihe von Forts mit Panzertürmen um- 
schlossen ward, ebenso wie die Linien Focschani-Namaloasa- 
Galatz nach dem 

Entwurf des 
preußischen Ma- 
jors Schumann 

wichtige Be- 
festigungen er- 
hielten. 

Auch dem 
gesamten Unter- 
richtswesen wid- 
mete der König 
fortgesetzt sein 
fördersames In- Palais in Cotroceni. 

teresse, zu seiner 

steten Hebung und Vertiefung beitragend, wie er das 
Ehrenpräsidium der rumänischen Akademie nicht bloß als 
eine leere Würde betrachtete, sondern die Bestrebungen 
dieser gelehrten Vereinigung aufmerksam verfolgte und ihr 
durch private Zuschüsse die Herausgabe eines großen 
rumänischen Wörterbuches ermöglichte. Auch auf kirch- 
lichem Gebiet wurde ein großer Wandel geschaffen, indem 
die nationale Kirche, die noch immer in gewissem Sinne 
abhängig war von dem Patriarchat in Konstantinopel, von 
diesem unabhängig wurde. Weiter und weiter spann sich 
das Eisenbahnnetz aus, und ein Lieblingswunsch des 
Königs erfüllte sich damit, indem sich von Bukarest nach 
allen Richtungen hin die Schienenwege erstreckten, welche 

23* 




Digitized by 



356 



die* Hauptstadt mit den verschiedensten Donaupünkten 
und mit den entlegensten Grenzgegenden sowie mit allen 
Nachbarreichen verbanden. 

Den Sommer 1883 brachte das Königspaar wieder in 
der Heimat zu, der am 7. Juli in Potsdam stattfindenden 
Taufe des zweiten Sohnes des damaligen Prinzen Wilhelm, 
des Prinzen Eitel Friedrich, beiwohnend, bei welchem der 
König die Patenschaft übernommen. 




Vorraum im Bukarester Palais. 



Nun, nachdem der König in siebzehnjähriger, ange- 
strengter Arbeit den Staat auf eine feste Grundlage ge- 
stellt, konnte er auch, ohne daß darüber seine emsige 
Tätigkeit für das Land vernachlässigt wurde, die lang- 
gehegten Wünsche erfüllen und seine eigenen Heimstätten 
ausbauen und ausschmücken. Mit Friedrich dem Großen, 
der einst an d'Alembert geschrieben: „Ich Hebe es zu 
bauen und zu schmücken, aber nur von meinen Erspar- 
nissen, der Staat leidet nicht darunter/' teilte König Karl 
auch diese Vorliebe. Das Kloster Cotroceni war schon 
früher für den Frühlings- und Herbstaufenthalt der könig- 



Digitized by 



357 



liehen Familie in entsprechender Weise umgebaut worden 
und hatte allmählich ein gänzlich anderes Aussehen ge- 
wonnen. Auch das Bukarester Palais wurde den wesent- 
lichsten Umänderungen unterworfen, würdig in jeder Be- 
ziehung eines königlichen Hofhaltes, dabei wohnlich und 




Vorraum zum Arbeitszimmer des Königs im Bukarester Palais. 

behaglich in allen Räumen, so das Arbeits- und Bibliotheks- 
zimmer des Königs, mit besonderer Berücksichtigung des 
Geschmackes des Herrschers, der im Gesamtstil wie im ein- 
zelnen das Feste, Gediegene, Alte liebt, das an die großen 
Zeiten der deutschen Renaissance gemahnt, und in jenem 
der Königin, die das Frohe, Reichte, Farbige bevorzugt. 
Im ersten Stock war ein prächtiger Wintergarten angelegt 
worden, breit und geräumig ward der altdeutsche Speise- 



Digitized by 



358 



saal gestaltet, in gefälliger Anmut zeigten sich das Wohn- 
gemach und das Musikzimmer der Königin, mit Gemälden 
alter Meister, kostbaren Stoffen, erlesenen Bronzen reich- 
lich verziert. König und Königin überwachten alles auf 
das genaueste, überall selbst eingreifend und selbst be- 
stimmend, die besten Kräfte heranziehend, unter ihnen 




Arbeitszimmer des Königs im Bukarester Palais. 



den bewährten Meister Martin Stöhr, dessen hervorragende 
Arbeiten auf dem Gebiet der Holzskulptur schon früher 
die Aufmerksamkeit des kunstsinnigen Sigmaringer Hofes 
auf sich gezogen hatten, und den König Karl ein Jahr, 
nachdem er die Regierung übernommen, zu sich berufen, 
ihm ein immer weiteres Feld ersprießlicher kunstreicher 
Tätigkeit einräumend. 



Digitized by 



359 



Von früh an hatte der König ja ein besonderes Inter- 
esse für Holzarchitektur gehabt, bereits auf jenen in 
seinen Knabenjahren unternommenen Reisen durch die 
Rheinprovinz und Belgien alte Schnitzereien bewundernd 
und schon bei seiner Wohnungseinrichtung in Berlin als 
junger Dragoneroffizier das Hauptgewicht auf schön ge- 




Empfangsraum und Bibliothek des Königs im Bukarester Palais. 

schnitzte Möbel legend. Die Freude daran verlor sich auch 
nicht über all den unendlichen Schwierigkeiten und ver- 
antwortlichen Pflichten seines fürstlichen Berufes. In 
wachsendem Maße und stillgenügsamer Freude konnte er 
von Jahr zu Jahr mehr seiner Vorliebe gerecht werden 
und hatte in Martin Stöhr, der seinen einstigen viel- 
gerühmten Berufsgenossen in Nürnberg, Augsburg, Iyübeck 



Digitized by 



360 



glich in Kunstfertigkeit, Fleiß und Hingebung, den ge- 
eigneten Mann gefunden, der ihm auch persönlich , nahe 
trat und von ihm aufrichtig geschätzt wurde wegen seiner 
ausgezeichneten künstlerischen Fähigkeiten und ' seines 
kernigen, echt deutschen Charakters wie seiner unbe- 
dingten Zuverlässigkeit und Treue. Die von Stöhr her- 




Speisesaal im Bukarester Palais. 

rührenden Vertäfelungei* an Türen, Wänden, Decken im 
Bukarester Palais sowie seine sonstigen Schnitzwerke, so 
die wundervollen, wie für die Ewigkeit geschaffenen Möbel, 
halten in jeder Hinsicht den Vergleich mit den besten 
deutschen Holzarbeiten der Vergangenheit aus und er- 
wecken immer wieder die aufrichtige Bewunderung der 
Kenner. 



Digitized by 



361 



Durch den Ankauf der eine erhebliche Zahl erlesener 
Werke der größten Meister des XVl., XVII. und XVIII. 
Jahrhunderts enthaltenden Gemäldegalerie des Konsuls 
Bamberg war der König in den Besitz einer hervorragenden 
Kunstsammlung gekommen, die er stets zu vermehren 
trachtete in kunstfroher und kunstverständiger Weise, 
gern mit inniger Genugtuung sich an den Schätzen 




Festsaal im Bukarester Palais. 



dieses Besitzes erfreuend. Auch in der Vereinigung dieser 
Sammlung, die nach einem festen Plan erfolgte, zeigte 
sich der geläuterte künstlerische Sinn des Königs, sein 
inniges Verständnis für die Werke der Großen und Größten, 
seine Freude an dem Wahren, Echten, Tiefen der reinen 
Kunst. Die Schöpfungen erlauchter Meister wie Raphael, 
Botticelli, G. Vasari, Guido Rem, Carlo Dolci, Titian, 
Jacopo Palma, Salvator Rosa, Lucas Cranach, J. H. Tisch- 



Digitized by 



362 



bein, J. Breughel, David Teniers, van Dyck, Rembrandt, 
Ribera, Velasquez, Murillo, Lancret, Greuze, Reynolds 
sind neben vielen anderen hervorragend in der Galerie 
des Königs vertreten. Die Gemälde sind nicht vereint in 
langer Nebeneinanderfolge, sondern schmücken, sich der 
übrigen Einrichtung anpassend, die einzelnen Räume des 




Königin Elisabeth in ihrem Arbeitsgemach im Bukarester Palais. 



Bukarester Palais wie des Kastell Pelesch, zur steten 
Freude des königlichen Paares und zu jener der Gäste. 

Aber die größte Befriedigung bereitete doch dem König, 
weil er hier ganz aus Eigenem und Vollem zu schaffen 
vermochte, der Bau des Schlosses Pelesch oberhalb Sinaias, 
dessen feierliche Einweihung am 7. Oktober 1883 statt- 
finden konnte, nachdem sich erfüllt, was acht Jahre zuvor 
der König an seinen Vater geschrieben, daß es ein „Königs- 



Digitized by 



363 



schloß" werden könne. Auf die bedeutsamen geschicht- 
lichen Wandlungen während der langen Bauzeit — das 
Königspaar bewohnte unterdessen das etwas höher ge- 




Blick auf das Kloster in Sinaia. 



legene anmutige Jagdhaus — nimmt auch ein Vers des Dich- 
ters Alexandri Bezug, der an der Ehrentreppe zu lesen ist: 
„Ich, König Carol, hab' erbaut, 
Dem Volk, das sich mir anvertraut, 
Sein Königreich im Kriegsgebraus, 
In Friedenszeit mein eigen Haus. 




Das Jagdhaus bei Sinaia. 



Digitized by 



364 



Sinaia — — welch' Sang und Klang liegt für uns" 
Deutsche in dem Wort. Es ist uns vertraut geworden, 
als ob es dem Kern unserer Sprache entstammte, »und 
schon der Name allein erweckt ein freundliches Echo in 
unsern Herzen, läßt eine Fülle von Erinnerungen und 
Gestalten vor uns erstehen, beflügelt geschäftig unsere 
Phantasie: ein Schloß steigt auf mit kecken Türmen und 
Zinnen inmitten dunklen, verschwiegenen Waldesgrundes, 
gewaltige Bergrecken strecken ihre zackigen Häupter bis 
in die Wolken hinein, gischend stürzen brausende Wasser- 
fälle herab, durch Moos- und Farndickicht bahnt sich 
der Pelesch mutig und munter seinen silberglitzernden 
Weg, auf den blumenbesponnenen Almen liegt goldig die 
Sonne, und des Hirten schwermütige Weisen mischen sich 

in den Schall der Herdenglocken so malte uns Carmen 

Sylva Sinaia, und so tritt es uns auch in der Wirklichkeit 
entgegen, großartige Natur mit lieblicher Romantik ver- 
schmelzend. — 

Von überraschender, frohsinniger, eindrucksvoller Wir- 
kimg ist der erste Anblick des Schlosses, wenn man vom 
Kloster aus den Waldweg längs des unten dahinsprudeln- 
den Pelesch einschlägt. Tannen- und Buchendickicht zu 
beiden Seiten, bis man plötzlich durch eine Lichtung 
drüben jenseits des Quells wie eine reizende Märchen- 
schöpfung das Schloß sieht mit seinen Türmen und Zinnen, 
Erkern und Altanen, mit den von Efeu- und Weinlaub um- 
rankten Galerien und Veranden, eingebettet in dichtes 
Grün, vorn mit Blumenbeeten und Springbrunnen, als 
Hintergrund sanft aufsteigende Höhenzüge mit sich zu- 
sammendrängenden Rottannen von wunderbarer Größe 
und Schönheit; als letzten Abschluß dieses einzigen Ge- 
mäldes die schroffen Felswände und Kuppen des Buceci, 
die bei Sonnenuntergang in zauberhaftem Farbenspiel er- 
glühen. Und dazu die weihevolle Einsamkeit, nur unter- 
brochen vom Ruf des Kuckucks und dem L,ocken der 




365 



Amsel, vom raunenden Plätschern des Pelesch und vom 
leisen Rauschen der hoch oben sich schließenden Baum- 
wipfel, alles groß und erhaben und doch dabei von liebens- 
würdigster Anmut. 




Schloß Pelesch im Winter. 



Den Pfad weiter verfolgend, gelangt man über eine 
steinerne Brücke, unter welcher der Pelesch lustig dahin- 
tollt mit weißsprudelnden Wellen, in das eigentliche Schloß- 
gebiet, das linker Hand begrenzt wird von verschiedenen 
Baulichkeiten, von denen die von einer Abteilung des 



Digitized by 



366 



in Sinaia garnisonierenden Jägerbataillons bezogene, 
in Form einer Festungsruine erbaute Wache besonders 
auffällt. Vor ihr sind zwei von rumänischen Truppen er- 
beutete türkische Geschütze aufgefahren. Nirgends eine 
Absperrung, nirgends eine Tafel mit einem Verbot, un- 
gehindert erreicht man das Schloß, das man in all seinen 
Außenteilen eingehend besichtigen kann. Der Stil ist 
jener der deutschen Renaissance des XVI. Jahrhunderts 
mit reicher dekorativer Gestaltung. Das untere und erste 
Stockwerk sind in Steinbau, das zweite in Riegelbau auf- 
geführt, wodurch an sich schon eine große Mannigfaltig- 
keit erzielt wurde, zu der sich noch das vielgestaltete 
Dachgeschoß mit Türmchen und Dachreitern, Erkern und 
vergoldeten Eisenspitzen wie Eisenfähnchen gesellt, alles 
freundlich und gefällig, ohne schweren Pomp und Prunk. 
Von gewisser Wuchtigkeit ist nur der am westlichen Ende 
der Vorderfassade sich erhebende starke, vierseitige Haupt- 
turm mit offenem Dachstuhl. Auf seiner schlanken Spitze 
weht fröhlich die blau-gelb-rote Fahne, ein kleinerer 
Rundturm mit scharf ausgehendem Kegeldach schließt die 
östliche Ecke ab. Nischen, Balkone, Galerien, zum Teil 
mit dichten Schlingpflanzen bewachsen oder mit duftender 
Blumenzier versehen, allerlei Ein- und Ausbauten, ein 
steter Wechsel von Linien und Profilen sind von an- 
heimelnder Traulichkeit. 

Um alles kümmerte sich das Königspaar auf das ein- 
gehendste und überwachte alles mit liebevollster Sorgfalt. 
Kein Wunder, daß auch das Innere des Schlosses — genau 
wie jenes des Bukarester Palais — mit erlesenstem Schön- 
heitssinn und vornehmstem Kunstverständnis ausgestattet 
ist; bestimmten doch auch hier der König und seine Ge- 
mahlin jedes Stück der Einrichtung und sorgten bis ins 
kleinste für eine wohltuende, einheitliche Durchführung 
des dekorativen Elements, das in altdeutschem Stile — 
dies im besten Sinne des oft mißdeuteten Wortes — ge- 




367 



halten ist und bei welchem auch der schon früher erwähnte 
Martin Stöhr Hervorragendes leistete. Neben der Holz- 
architektur legte der König großes Gewicht auf schönheits- 
freudige Glasmalereien, die, von trefflichsten Künstlern ent- 




Erker im Arbeitszimmer des Königs in Schloß Pelesch. 

worfen, von den ersten Münchener Firmen hergestellt 
wurden. Gedämpft fällt durch sie das laicht auf Hallen 
und Treppen, in Zimmer und Säle, in denen wir auf die 
großen Schöpfungen der erlesensten Meister treffen, die 
sich in Stimmung und Farbe den einzelnen Räumen an- 
passen. 



Digitized by 



368 



In seiner Gemahlin fand der König eine verständnis- 
. frohe Helferin, die seine künstlerischen Neigungen teilt. 
. Die Königin wohnte stets seinen Beratungen mit den Bau- 
meistern und Künstlern bei, immer mit Rat und Tat zur 
Stelle; manche Malerei und dekorative Zier zeugen von der 




Erker im Boudoir der Königin in Schloß Pelesch. 

Kunstfertigkeit der hohen Frau. In ihren Gemächern 
waltet heitere Phantasie, licht und freundlich, wie ihr 
Gemüt, ist alles, und alles ist von intimem persönlichen 
Reiz erfüllt, von der Eigenart ihres poetischen, musikali- 
schen, künstlerischen Talentes. „Carmen Sylvas Zimmer 
habe ich auch gesehen/' so läßt die Königin in ihren Pe- 



Digitized by 



369 



lesch-Märchen den munteren Gebirgsbach plaudern, „da 
ist ein großes Fenster darin, daß man glaubt, es ist gar 
keines da und die Tannen und der Rasen von der Berg- 
wand würden direkt hineinspazieren/' Ja, das ist auch 
ein berückender Zauber des Schlosses, daß man von den 
meisten Gemächern hinausbückt auf den herrlichsten 
Rahmen, den die Natur geschaffen, auf die ihren würzigen 
Duft herübersendenden Waldungen, auf die Schluchten 
und Berge, und daß man fast überall das Rauschen und 
Plätschern von Fontänen und Quellen vernimmt, die uns 
so viel, so viel zu erzählen wissen von den Mären und Ge- 
schichten der verschwiegenen Forsten und der gewaltigen 
Gebirgsrecken, in deren Schluchten Bären und Wölfe hausen, 
die zur Winterszeit — Meister Petz gelegentlich auch im 
Sommer — ihre Streifzüge bis zum Schloßgebiet ausdehnen. 

Am vertrautesten uns, aber auch am geschwätzigsten 
ist der Pelesch, den man sogar zur täglichen Tafelmusik 
herangezogen hat, gewiß eine reizende Idee der Königin. 
Man leitete sein Wasser in Röhren zum Speisesaale, und 
dort springt er und plätschert mit zierlichem Strahl auf der 
blumengeschmückten Tafel, wo auch ein grünes Glas- 
bassin von den Kindern der heimischen Flora umkränzt 
ist, von Alpenrosen, von Enzian, von Heidekraut, von 
Mohn, stets nach der Jahreszeit. Eine edle Gastlichkeit übt 
das Fürstenpaar aus, und wer je die ernste, gehaltvolle 
Männlichkeit des Königs, dem jeder Schein zuwider ist 
und dessen Sichgeben eine ruhige Würde und warme 
Freundlichkeit ausatmet, auf sich wirken ließ, wer die 
herzliche, offene Liebenswürdigkeit und die innige Teil- 
nahme der Königin an allem Menschenleid und Menschen- 
freud wie hellen Frühlingssonnenschein empfunden hat, 
dem werden die im Schloß Pelesch verbrachten Stunden 
als Bereicherung seines Lebens gelten. 

Bald schon nach seiner Einweihung sah das Schloß 
werte Gäste, die entzückt waren von dem wahrhaft fürst- 

Lindenberg, König Karl. 24 



Digitized by 



370 



liehen Heim selbst wie von seiner großartigen Lage und 
der idyllischen Umgebung. So weilte die Kaiserin Elisa- 
beth von Österreich hier, ferner das österreichische Kron- 
prinzenpaar, der befreundete Fürst von Bulgarien, das 
schwedische Königspaar, wiederholt der Erbprinz von 




Maurischer Festsaal in Schloß Pelesch. 



Sachsen-Meiningen mit seiner Gemahlin und zahllose andere 
Fürstlichkeiten. 

Das Jahr 1884 ward insofern von Bedeutung für den 
König und das Land, als auf Vorschlag J. Bratianus ein 
Kronbesitz geschaffen wurde, bestehend aus zwölf in den 
verschiedensten Gebieten des Landes liegenden Gütern, 



Digitized by 



371 



die über 130 000 Hektar umfassen. Durch diesen Besitz 
sollen der Krone die Mittel gewährt werden, eine zweck- 
entsprechende Repräsentation auszuüben, und um eine 
enge Verbindung herzustellen zwischen ihr und dem Land, 




Musterhaus auf der Krondomäne Busteni. 



zumal der bäuerlichen Bevölkerung desselben. „Der 
König muß , der erste Besitzer rumänischen Bodens sein", 
meinte Bratianu, mit dem stillen Wunsche, daß diese 
Krongüter vorbildlich würden für den gesamten Staat, 
ein Beispiel gebend zur regen Nacheiferung. — Und diese 

24* 



Digitized by 



372 



Erwartung erfüllte sich glänzend im Laufe der Jahre, 
dank der steten Sorgfalt des Königs, der seine ersprießliche 
Aufmerksamkeit nicht nur der rumänischen Landwirtschaft, 
sondern auch allen mit ihr in nähere wie weitere Verbin- 
dung zu bringenden Betrieben widmete. Er fand zudem 
einen emsigen und verständnisvollen Verfechter wie Aus- 
führer seiner Pläne in dem Administrator der Domänen, 
Dr. Jean Kalindero, der, mit klarem Blick und vollster 
Tatkraft ausgestattet, unermüdlich hingebend und schaffens- 
froh die Ideen des von ihm treu verehrten Herrschers ver- 
wirklichte, diese Aufgabe als sein vollstes und würdigstes 
Lebenswerk betrachtend. So wurden Musteranstalten ge- 
schaffen, in erster Linie in landwirtschaftlicher Beziehung 
zur möglichst rationellen Ausnutzung des Bodens, dann 
aber in industrieller Hinsicht, indem Fabriken und sonstige 
Unternehmungen entstanden, um die besonderen Erzeug- 
nisse bestimmter Güter vorteilhaft für die Bevölkerung 
zu verwerten. Und Mühen wie Kosten wurden belohnt, 
werden doch gegenwärtig auf der einen Domäne treffliche 
Terrakotten hergestellt, auf einer andern Wollwaren, auf 
der dritten die verschiedensten Erzeugnisse aus Holz, wie 
Möbel, Wagen, Küchengeräte, Tonnen, Koffer, aber auch 
vorzügliche Resonanzböden für Klaviere, auf einer vierten 
Stickereien und gewirkte Stoffe, auf einer fünften Korb- 
geflechte und Seilereien und so fort, immer im Hinblick 
auf ihre Nutzbarkeit für die unbemittelten Bevölkerungs- 
schichten. Eifrige Förderung erfuhren Viehzucht und 
Forstkultur, Waldeisenbahnen wurden gebaut, der Floß- 
verkehr eingerichtet, überall Baumschulen begründet, 
Holzschneidemühlen entstanden und die Wasserwege zum 
Transport des Holzes wurden wesentlich verbessert, und 
über allem vergaß man auch nicht die aufmerksamste 
Pflege des Wildbestandes und der Fischerei. 

Um die ländlichen Bewohner anzuspornen, dem oft 
von ihr vernachlässigten Boden mehr Sorge zu widmen, 




373 



werden Sämereien verteilt für Gärten und Gemüsepflan- 
zungen, junge Obstbäume, Saatkartoffeln usw., wobei es 
nicht an zweckmäßiger Belehrung und Aufsicht fehlt. 
Wo früher elende Wege waren und man in den gebirgigen 
Gegenden nur zu Pferd vorwärts gelangen konnte, da gibt 




Schulhaus auf der Krondomäne Bustent. 

es heute glatte Chausseen, auf denen starker Verkehr 
stattfindet. Alle Gebäude auf den Domänen sind in ge- 
fälligsten Formen, vielfach aus Holz, errichtet, Ordnung 
und Sauberkeit werden auf das peinlichste durchgeführt, 
neben umsichtigen Wohlfahrts- und Gesundheitsmaßregeln. 
Mit besonderem Eifer nahm man sich des Unterrichts- 
wesens an, das früher in den ländlichen Bezirken viel 



Digitized by 



Google 



374 



zu wünschen übrig ließ. Mustergültige Schulen — bereits 
über 50 — bestehen heute in den Domänendörfern, ferner 
Bibliotheken mit mannigfaltigem Inhalt, der Sinn für gute, 
volkstümliche Literatur ward erweckt und in Vorträgen 
werden gemeinnützige Themata behandelt, ferner wurden 
landwirtschaftliche Spar-, Hilfs- und Unterstützungsver- 
eine, die schnell großen Zuspruch fanden, ins Leben ge* 
rufen. 

Eine freudige Veranlassung führte das Königspaar im 
Oktober 1884 nach der deutschen Heimat, wo in Sig- 
maringen die goldene Hochzeit des Fürsten Karl Anton 
und seiner Gemahlin gefeiert wurde in Anwesenheit des 
Kaisers, des Kronprinzen, des Großherzogs und der Groß- 
herzogin von Baden und vieler fürstlicher Gäste. Be- 
geistert schrieb die Königin über dieses Fest an eine Freun- 
din: „Der Empfang hatte etwas Imposantes; mein Schwie- 
gervater in goldgestickter Uniform im Rollstuhl, so ganz 
Herr des Hauses, graziös und vornehm, meine Schwieger- 
mutter so zart und lieblich und mädchenhaft schüchtern. 
Alle die Söhne, Töchter, Enkel, dann die jungen Hünen, 
die drei wunderschönen Söhne der noch so schönen Her- 
zogin von Anhalt, alle Höfe unter den Ahnenbildern im 
lichtdurchströmten Saal. Ich hielt mich immer etwas 
abseits, um sehen zu können. Etwas Rührenderes und 
Schöneres als diese Feier hat es gewiß noch selten gegeben. 
Vom frühesten Morgen, von der Kommunion bis zum 
letzten Augenblick, war es schattenlos und wunderschön. 
Der Kaiser sah so schön aus und brachte auch einen sehr 
schönen Toast aus, aber mein Schwiegervater, der sonst 
immer so glänzend sprach, war zu erschüttert und dankte 
nur mit wenig Worten. Der Großherzog von Baden war 
besonders lieb zu mir; er frug mich, ob ich mich noch er- 
innerte, mit welchen Idealen ich vor einundzwanzig Jahren 
ins Leben eingetreten. „Ja," sagte ich, „und das Leben 
hat mir noch viel mehr gehalten, als ich von ihm erwartet." 




375 



„Das freut mich/' sagte er mit Tränen in den Augen. 
Ich hatte schon zweimal neben ihm gesessen bei Tisch 
und hatten wir lange gesprochen. Er war eigentlich 
meine allererste Flamme, wie ich viersehn Jahre alt war. 
Ich wußte nur nicht, was das für ein Gefühl war, im Herz- 
grübchen, wenn ich ihn sah. Seine große Güte und Milde 




Enthüllung des Denkmals des Fürsten Karl Anton von Hohenzollern 
in Sigmaringen (21. Oktober 1890). 



zogen mich so an. Jetzt ist sein Bart schneeweiß, aber 
sein Ausdruck unverändert. — Der Kronprinz ist noch 
viel schöner geworden und hat noch immer dieselbe Treue 
und Güte und Herzlichkeit in seinem Wesen/' 

So freudig diesmal die Veranlassung gewesen, das 
Königspaar nach Sigmaringen zu führen, so schmerzlich 
war der Grund im Sommer des folgenden Jahres, wo die 



Digitized by Google 



376 



Kunde von der ernstlichen Erkrankung des Fürsten Karl 
Anton seine Kinder und Enkelkinder wieder im Sigmaringer 
Schloß vereinte, in welchem der Fürst am 2. Juni 1885 
verschied, eine unersetzliche Lücke hinterlassend bei den 
Seinen, in der Geschichte aber den Ruhm eines wahrhaft 
großen und edlen deutschen Fürsten, der auch in den 
schwersten Tagen mit begeisterter Hingebung für das 
Vaterland eingetreten und ihm jederzeit seine besten Kräfte 
gew r eiht hatte. König Karl hatte nicht nur den Vater, 
sondern auch den treuesten Freund verloren, und es 
währte sehr lange, bis er in rastloser Arbeit und Pflicht- 
erfüllung das seelische Gleichmaß wiedergewann. Kurz 
nach dem Hinscheiden des edlen Fürsten vereinte sich 
ein Kreis hervorragender deutscher Männer, um dem Ver- 
ewigten ein seiner würdiges Denkmal zu errichten, das 
im Oktober 1890 feierlich in Sigmaringen enthüllt ward. 

Das Jahr 1886 brachte die festliche Einweihimg der 
Kirche von Argesch, deren Wiederherstellung sich der 
König mit besonderer Liebe gewidmet und hierzu erheb- 
liche Summen aus seiner Privatschatulle gespendet hatte. 
Der Eindruck des Gotteshauses ist ein ganz wundervoller. 
In einer von alten Bäumen beschatteten Allee schreitet 
man entlang, da, bei einer kleinen Biegung, leuchtet und 
glüht und sprüht es gleich fremdartigstem Zauber in 
einiger Entfernung vor uns auf, goldschimmernde, schlanke 
Türme umgeben eine stolze Kuppel, die sich in zierlicher 
Wölbung erhebt über einem Unterbau, der in seiner feinen 
Gliederung und in seiner buntfarbigen Pracht einem jener 
orientalischen Schmuckkästchen gleicht, die uns die Dichter 
der „Tausend und eine Nacht" so oft lockend geschildert. 
In der gesamten zierlichen Gliederung, in der Verschieden- 
artigkeit der Ornamente, in dem Reiz der kunstreichen For- 
mung sämtlicher Einzelteile, in der berückenden Farben- 
sinfonie ähnelt die Kirche mehr einem bewunderns- 
werten Werke echt orientalischer Kunst. Inwendig tritt 




377 




Digitized by Google 



378 



uns reichster byzantinischer Geschmack entgegen, es gleißt 
in allen Farbentönen, zumal in Gold, Blau, Grün, goldene 
Ampeln in orientalischen Formen hängen von den hohen, 
luftig gespannten Deckenwölbungen herab, zu denen sich 
die Säulen so zierlich hinaufwinden, als ob sie bloß ein 
leichtes Blätterdach zu tragen brauchten. Sämtliche 
Gegenstände, auf die das Auge trifft, sind mit erlesener 
Kunst im einheitlichen Stil gearbeitet und fügen sich voll 
reiner Stimmung dem Ganzen ein. Ein großer, goldum- 
säumter Glasschrein birgt das wahrhaft einzigartige, kost- 
bare Geschenk der Königin, ein von ihr auf Pergament 
geschriebenes und mit künstlerischen Malereien versehenes 
Evangelium, jedes der fünfzig großen Blätter in breiter 
silberner, goldziselierter Einfassung. Rechts und links 
vom Eingang erblickt man in Mosaikmalerei, in würdiger 
Schlichtheit dargestellt, die Gestalten des Königs und der 
Königin; unter der letzteren zieht sich der Spruch dahin: 
„Weine nicht, sie ist nicht gestorben, sie schläft/' und die 
Erklärung der Worte gibt uns ein vom Himmel herab- 
schwebender Engel mit den lieblichen Zügen des teuren, 
so früh verschiedenen einzigen Kindes des Königspaares, 

des Prinzeßchen Marie. 

Der Frühling 1887 führte das Königspaar nach Berlin 
zur Teilnahme an den Festlichkeiten des 90. Geburtstages 
Kaiser Wilhelms. Die Königin berichtet darüber in einem 
am Morgen des 22. März geschriebenen Briefe: „Unser 
Empfang konnte nicht schöner und herzlicher gedacht 
werden. Ich fuhr mit der Kronprinzeß ins Palais, in meine 
alten Räume, wo mich Kaiser und Kaiserin empfingen, 
genau an derselben Stelle wie vor sechsundzwanzig Jahren! 
Es erschütterte mich tief. Der Kaiser wunderbar frisch 
und unverändert, nicht so die Kaiserin. Großherzog und 
Großherzogin von Baden, der Kronprinz, der Kaiser, alle 
erklärten mich als „unser Kind" und riefen einmal über 
das andere: „Ach, sie ist ja noch ganz die alte, noch ganz 




379 



unverändert !" Die Kaiserin sagte zum König: „Du bist 
ein echter Hohenzoller, treu wie Dein Vater/' Mein König 
ist doch noch immer der schönste von allen; das dachte ich 
beim Familiendiner von 90 Personen. Er sieht so anders 
und südländisch aus. — Grad als die Wache aufzog, fuhren 
wir aus dem Palais, der Kaiser am Fenster, tausende von 
Menschen riefen Hurra, dann wandten sie sich auch uns 
zu mit Hurra, und wie wir vorbei waren, wieder zum Fenster. 
Der Kronprinz und Großherzog fuhren mit uns und sagten : 
„So ist es alle Tage/' Wie schön !" Und am nächsten 
Tage schrieb sie: „Bei Tisch war ich wieder zwischen 
dem Kaiser und dem Prinzen von Wales. Ersterer ist 
von leuchtender Demut in seiner Heldengröße, sprach so 
mild und lieb." — 

War dieses Fest von freudigstem Schimmer Über- 
gossen, so war der nächste Berliner Aufenthalt des Königs- 
paares im folgenden Frühling von düsterer Trauer be- 
schattet : Kaiser Wilhelm der Erste war dahingeschieden ! 
Die Kunde davon, die ihren erschütterndsten Eindruck 
auf die gesamte Welt ausgeübt, erhielt das Königspaar 
durch ein Telegramm der Kronprinzessin von Schweden, 
der Tochter des Großherzoglich Badenschen Paares, das 
in seiner Schlichtheit um so bewegender lautete: „Teurer 
Großvater l / 2 g Uhr sanft entschlafen, schmerzlos ruhig, 
waren alle um ihn, wundervolles, friedvolles, erhebendes 
Ende. Wir wissen ihn bei Ludwig/' Hier sei erwähnt, 
daß mit Ludwig der Sohn des Großherzogs und der Groß- 
herzogin von Baden gemeint war, der in frischestem und 
vielversprechendstem Jünglingsalter wenige Wochen vorher 
durch eine Lungenentzündung dahingerafft worden war, 
zum unsagbaren Schmerz der Eltern und des Großvaters, 
Kaiser Wilhelms, der den jungen Prinzen auf das innigste 
in sein Herz geschlossen hatte. Das Königspaar wohnte 
den Beisetzungsfeierlichkeiten bei, die ein ganzes Volk 
in tiefstem und aufrichtigstem Schmerz zeigten, durch 




380 



diese erhebende Trauer allen einen Trost gewährend, deren 
Herzen durch den Verlust des greisen Herrschers tief be- 
kümmert waren. War der König schon durch den Tod 
des teuren Verwandten, der ihm stets eine so väterliche 
Liebe und Güte bewiesen, auf das schwerste erschüttert, 
so zerrissen sein Herz die Nachrichten über die unheil- 
bare Krankheit seines treuesten Freundes, des Kronprinzen, 
um dessen Leben er in jeder Minute bangte. Als man 
hörte, daß sich der Kronprinz einer entscheidenden Ope- 
ration unterziehen mußte, schrieb Königin Elisabeth: 
„Den König brauche ich Ihnen nicht zu beschreiben, Sie 
können sich seinen Zustand denken. Mit ganz einge- 
sunkenen Wangen und großen Augen, kaum imstande, 
an etwas anderes zu denken. Der König sagt immer: 
„Wer wird mir dreißig Jahre treuer Freundschaft ersetzen !" 
Große, sehr große Hoffnungen hat der König für uns 
auf den Kronprinzen gebaut. Natürlich sind die nun alle 
zerstört." 

Das nämliche Jahr 1888, welches für Deutschland 
ein so ereignisvolles gewesen, wurde auch für Rumänien 
insofern ein bedeutsames, als nach mehrfachen künstlich 
geschürten Bauernaufständen nahe Bukarest und Straßen- 
krawallen in der Hauptstadt, die das Einschreiten des 
Militärs erforderten, das Ministerium Bratianu im April 
seine Entlassung genommen hatte und die Zusammen- 
setzung der nächsten Regierungspartei unter der Führung 
Rosettis erfolgte. Aber auch dieses Ministerium wie die 
nächsten waren nur von kurzer Dauer. Das gleiche Jahr 
war von wichtigstem Einfluß auf das gesamte rumänische 
Wirtschaftsleben, da die Reform der rumänischen Valuta 
durch- und die Goldwährung eingeführt wurde, indem 
die Noten der Nationalbank die Golddeckung erhielten, 
die auch durch keinerlei spätere Krisen mehr in Frage 
gestellt wurde. 

Festliche Tage brachte das Frühjahr 1889, Prinz 




381 



Ferdinand, der präsumtive Thronfolger, betrat den ru- 
mänischen Boden, um sich in seiner neuen Heimat auf 
den seiner harrenden hohen Beruf vorzubereiten und um, 
in unmittelbarer Nähe seiner Verwandten, mehr und mehr 
zum Land und Volk in Verbindung zu treten, zu dessen 
Regierung er dereinst ausersehen. Prinz Ferdinand, am 
24. August 1867 in Sigmaringen geboren, hatte gleich 
seinen Brüdern die sorgfältigste Erziehung genossen. 
Nachdem er mehrere Jahre Privatunterricht erhalten, 
bezog er das Gymnasium zu Düsseldorf, dort 1885 sein 
Abiturientenexamen mit Auszeichnung ablegend. Später 
besuchte er die Kriegsschule in Kassel, machte in Berlin 
sein Offiziersexamen und tat während einiger Zeit Dienst 
als Sekondeleutnant im ersten Garderegiment zu Fuß, 
dann zwei Jahre hindurch an den Universitäten zu Leipzig 
und Tübingen mannigfachen Studien obliegend und sich 
hier bereits auf das eingehendste mit der Geschichte, Ver- 
fassung und Sprache Rumäniens beschäftigend, von Jugend 
an erfüllt mit Lust und Liebe zum militärischen Beruf. 

Am Vormittag des 19. April traf Prinz Ferdinand 
in Bukarest ein, froh bewillkommnet von der Bevölkerung. 
Wenige Tage später führte ihn der König dem 3. Infanterie- 
regiment zu, dessen Chef Fürst Leopold von Hohenzollern 
war, damit er in demselben aktiven Dienst tun sollte, und 
am 9. Mai erfolgte die Aufnahme des Prinzen in den Senat. 
Am Nationalfeiertage, 22. Mai, vereinte im Bukarester 
Palais ein Festmahl die Minister, hohen Beamten und 
Offiziere, bei welcher Gelegenheit der König folgenden 
Trinkspruch hielt: „Jedes Jahr begrüße ich mit lebhafter 
Genugtuung die Wiederkehr des 22. Mai, als einen Tag, 
der meinem Herzen teuer ist. Dreiundzwanzig Jahre sind 
heute verflossen, seitdem das rumänische Volk mich mit 
Freuden und Vertrauen empfangen hat, überzeugt, daß 
durch Einrichtung der erblichen Monarchie Rumänien 
geschützt gegen heftige Erschütterungen und seine Zukunft 




382 



gesichert sein werde. Indem ich mich auf die ausgezeich- 
netsten Männer stützte, habe ich das Glück gehabt, das 
Land den Weg des Fortschritts zu führen, so daß die Ver- 
gangenheit eine Fülle hochwichtiger Begebenheiten auf- 
zuweisen hat, welche unsere Geschichte bereichern. Die 
gegenwärtige Generation hat heute die Pflicht, zu bewahren 
und zu kräftigen das, was mit so vielen Anstrengungen, 
mit so großen Opfern errungen worden ist, und an die 
Zukunft zu denken, in der wohl die Menschen dahin- 
schwinden, das Vaterland jedoch und seine Einrichtungen 
sicher bleiben müssen gegen jede Erschütterung. — Mein 
Herz hat eine wahrhafte Freude empfunden, als ich bei 
der Ankunft meines vielgeliebten Neffen in dem feurigen 
Empfang, den es dem präsumtiven Thronerben bereitete, 
erkannte, wie sehr das Volk von dieser Notwendigkeit 
durchdrungen ist. — Das Land hat bewiesen, wie eng 
es mit der von ihm frei gewählten Dynastie verbunden 
ist. — Diese Kundgebungen der Liebe sind für mich eine 
starke Ermutigung, ohne Rast an der Entwicklung und der 
Größe Rumäniens zu arbeiten und meinen Neffen vor- 
zubereiten, damit er eines Tages in der Lage sei, das von 
mir begonnene Werk fortzuführen und kein anderes Ziel 
vor Augen zu haben als einzig und allein die nationalen 
Interessen. Indem ich die Vorsehung bitte, daß sie unser 
Vaterland in allen Lagen schützen möge, bringe ich diesen 
Trinkspruch auf das Glück und die Wohlfahrt unsers 
teuren Rumäniens. " — 

Und diesen frohen Tagen schlössen sich auch in der 
Heimat freudige an, das Königspaar wohnte Mitte Juni 
der in Sigmaringen stattfindenden Vermählung des Erb- 
prinzen Wilhelm von Hohenzollern mit der Prinzessin 
Marie von Bourbon bei, zu der auch das deutsche Kaiser- 
paar erschienen war. 

Am 22. Mai 1891 konnte König Karl unter der freu- 
digsten Teilnahme des gesamten Volkes und unter der 




383 



wärmsten Anerkennung des Auslandes sein 25 jähriges 
Regierungsjubiläum feiern. Was in diesem Vierteljahr- 
hundert Rumänien seinem König verdankte, was man in 
Deutschland für ihn fühlte, das faßte Kaiser Wilhelm II. 
in einem Schreiben zusammen, in welchem er König Karl 
seine innigsten Glückwünsche darbrachte: „Fünfund- 
zwanzig Jahre sind verflossen seit jener Zeit, als Eure 




König Karl mit Kaiser Wilhelm II. auf der Schloßterrasse 
in Sigmaringen (27. Juni 1889). 



Majestät zuerst berufen wurden, die Regierung des Ru- 
mänischen Staates zu übernehmen, und am 22. Mai d. J. 
wird ein Jahrzehnt vergangen sein seit jenem denkwür- 
digen Tage, an welchem es Eurer Majestät vergönnt war, 
nach segensreicher, im Kriege und im Frieden erprobter 
Herrschaft, von dem einstimmigen Wunsche der rumäni- 
schen Nation getragen, die Königskrone für Rumänien 
und für Dero erhabenes Haus vom Altar des Herrn zu er- 



Digitized by 



384 



halten. Eurer Majestät weiser und tatkräftiger Regierung 
über ein hochbegabtes und tüchtiges Volk ist es zu ver- 
danken, wenn Rumänien nach schweren Kämpfen zu 
hinein vollberechtigten, angesehenen Gliede im Rate der 
Völker geworden ist, und wenn unter Eurer Majestät 
Szepter jeder Rumäne sich des stolzen Bewußtseins er- 
freuen kann, einem Staatswesen anzugehören, welches als 
Träger einer uralten Kultur die wohlwollenden Sympathien 
aller zivilisierten Nationen besitzt! — Bei dem nahen 
Verwandtschaftsverhältnisse unserer Häuser ist es Mir ein 
Herzensbedürfnis, Eurer Majestät zu dieser freudigen Feier 
meinen warmen Glückwunsch und zugleich die Hoffnung 
auszusprechen, daß ebenso, wie die Bande Unserer persön- 
lichen Freundschaft, auch die sicheren politischen Be- 
ziehungen Rumäniens zu dem Deutschen Reiche, wie sie 
seit Jahren unter der erleuchteten Regierung Eurer Ma- 
jestät bestehen, auch für die kommende Zeit erhalten werden 
mögen. — Eure Majestät werden Mich zu Dank verbinden, 
wenn Dieselben auch Ihrer Majestät der Königin, welche 
neben Eurer Majestät sich um die Pflege idealer und 
künstlerischer Bestrebungen, sowie um Bildung des ru- 
mänischen Volkes unvergängliche Verdienste erworben 
hat, Meinen aufrichtigen Glückwunsch zu Füßen legen 
wollten/ 4 

Zur Erinnerung an das bedeutsame Jubiläum stiftete 
•der König, um den höheren Unterricht zu fördern und den 
geistigen Strömungen stets neue, anregende Nahrung zu 
geben, eine seinen Namen tragende Bibliothek, deren 
Zweck er in einem an den Ministerpräsidenten gerichteten 
Schreiben des Näheren auseinandersetzte: 

„Die Vorsehung hat es so gewollt, daß seit dem Tage, 
an welchem Wir unsere ersten Schritte in dies schöne 
Land gelenkt, sich reicher Segen über alle Unsere Taten 
^rgoß. Mit ihrer Hilfe war es Uns vergönnt, diesen so 
langen Zeitraum umgeben von der Liebe und dem Ver- 




385 



trauen Unseres Volkes zurückzulegen, die den schönsten 
Lohn Unserer Bemühungen um dessen Fortschritt und 
Glück darstellen. — Dem trefflichen Beispiele der ru- 
mänischen Fürsten der Vergangenheit folgend und zum 
Andenken an die in diesem verflossenen Vierteljahr hundert 
vollbrachten Taten, ist es Unser Wille, eine Stiftung ins 
Leben zu rufen, deren Wohltaten der gesamten studieren- 
den Jugend aller Fakultäten des Landes zugute kommen 
sollen. Der Zweck dieser Stiftung soll sein, den Studieren- 
den einen Versammlungsort zu bieten, verbunden mit 
einer stets geöffneten Bibliothek, die es ihnen ermögliche, 



Medaille auf das 25 jährige Regierungsjubiläum König Karls. 

ihren Wissensdrang zu befriedigen. Außerdem aber soll 
die Stiftung denjenigen behilflich sein, die unter Leitung 
der Professoren Spezialarbeiten unternehmen, ebenso wie 
sie zu den Druckkosten der Dissertationen Beihilfe leisten 
und fleißigen Studierenden, die infolge ihrer Mittellosigkeit 
zum Nachteile der allgemeinen Bildung des Landes ihr 
Studium unterbrechen müßten, Unterstützungen gewähren 
soll. Zur Erreichung dieses Zweckes überweisen Wir schon 
jetzt dem Kultus- und Unterrichtsministerium das Ge- 
bäude, das nach beiliegenden Plänen aus Unsern Mitteln 
auf einem Unserm Palaste gegenüber gelegenen Platze 
errichtet werden soll. — " Des ferneren wird dann in dem 

Lindenberg, König Karl. 25 





386 



Schreiben erwähnt, daß der König dem Ministerium 
200 ooo I^i zur Verfügung stellt und daß es sein Wunsch 
ist, der Stiftung die Rechte einer juristischen Person zu 
verleihen, unter dem Namen : „Fundatiunea Universitara 
Carol I." Das Schreiben schließt: „Unser Wunsch sowie 
der der Königin und des Thronfolgers ist es, daß diese Stif- 
tung dazu beitrage, die Brüderlichkeit der studierenden 

Jugend zu stärken 
und das Gefühl der 
Vaterlandsliebe, das 
ihre Seele veredelt, 
zu nähren. — Indem 
Wir selbst den Ort 
des künftigen Ge- 
bäudes gewählt, war 
es Unser Bestreben, 
daß dasselbe sich in 
der Nähe Unserer 
Residenz unter Un- 
sern Augen und Un- 
serm Schutze erhebe 
— sehen Wir doch 
in dem jungen Ge- 
schlecht die Hoff- 
nung des Vater- 
landes und eine 
der kräftigsten Stützen des Thrones und Unserer 
Dynastie/' 

Bereits im August 1891 ward mit dem Bau begonnen 
und derselbe in kurzem vollendet. Das stattliche 
Gebäude in seinen vornehm-schlichten Formen erhebt sich 
jenseits des dem königlichen Palais gegenüber gelegenen 
Platzes, es enthält in fünf geräumigen Sälen die bald 
20 000 Bände zählende Bücherei, ferner einen behaglich 
eingerichteten Lesesaal mit über 60 Zeitschriften, daneben 




Universitätsbibliothek König Karls in Bukarest. 



Digitized by 



387 



andere Räume, alles in gediegenster und ansprechendster 
Ausstattung. Außer festen Stipendien werden alljährlich 
würdigen und unbemittelten Studierenden größere und 
kleinere Unterstützungen gewährt, ferner Preise verteilt 
für wertvolle Ar- 
beiten, die von 
Mitgliedern des 
Seminars für alte 
rumänische Ge- 
schichte herrüh- 
ren, und auf Kos- 
ten der Stiftung 
hervorragende 
Dissertationen 
und sonstige wis- 
senschaftliche 
Arbeiten von 

Studierenden 
beider Landes- 
universitäten 
veröffentlicht. 
Sein lebhaftestes 
Interesse hat der 

König dieser 
Stiftung, die un- 
ter der Ober- 
leitung des je- 
weiligen Rektors 
der Bukarester 

Universität steht, auch fernerhin auf das fördersamste 
bewiesen, wie er sich stets genauen Bericht erstatten läßt 
über die Eingänge und Vermehrungen der Bibliothek, 
über den Besuch, der von Jahr zu Jahr steigt, und über 
alle sonstigen Einzelheiten. In lebhafter Weise erfüllten 
sich die Hoffnungen des königlichen Stifters, daß ein 

25* 




Lesesaal in der Universitätsbibliothek König 
Karls in Bukarest. 



Digitized by 



Google 



388 



Quell reichen geistigen Lebens von dieser „Fundatiunea 
Universitara Carol I." ausgeht und befruchtend wirkt. 

Das Jahr 1891 führte das Königspaar wiederum auf 
Reisen, unter anderm nach England, da sich Prinz Ferdi- 
nand mit der lieblichen Prinzessin Maria von Edinburgh, 
der Tochter des Herzogs von Sachsen- Koburg-Gotha, und 
Enkelin der Kaiserin Viktoria, verlobt hatte, ferner nach 
Brüssel zu der teuren einzigen Schwester des Königs, 
der Gräfin Marie von Flandern, dann nach Monza zum 
italienischen Königspaar und schließlich nach Berlin, wo 
Kaiser Wilhelm II. dem König Karl das erste Garde- 
Artillerieregiment verlieh, in dem bekanntlich König 
Karl als junger Prinz seine militärische Laufbahn begonnen. 
Der Kaiser wohnte auch dem Festessen bei, welches das 
Regiment bei dieser Veranlassung zu Ehren seines neuen 
königlichen . Chefs veranstaltete. 

Von 1891 — 94 schloß Rumänien wichtige Handels- 
verträge mit der Mehrzahl der großen europäischen Staaten 
ab, und wurden auch sonst vielfache Verbesserungen aller 
Zweige des öffentlichen Lebens eingeführt. Ein frohes 
Familienfest fand sodann am 10. Januar 1893 in Sig- 
maringen statt, wo die Vermählung des Prinzen Ferdinand 
mit der Prinzessin Maria gefeiert wurde. Mit innigstem 
Jubel ward im Herbst desselben Jahres, am 3. Oktober, 
in ganz Rumänien die Kunde aufgenommen, daß dem 
jungen Paare ein Sohn in Schloß Pelesch geboren, Prinz 
Carol, der erste Hohenzollernsproß, der auf rumänischem 
Boden das Licht der Welt erblickte. Der November 1894 
brachte unter großen Festlichkeiten die silberne Hochzeits- 
feier des Königspaares, bei der es wiederum über- 
schüttet wurde von unzähligen Zeichen der Liebe und 
Verehrung. Der König stiftete zur Erinnerung an das 
festliche Ereignis unter der Bezeichnung „Königin Elisa- 
beth-Stiftung" ein großes Kapital zur Errichtung einer 
Hilfsbank für die Bauernbevölkerung, um ihr in drücken- 




389 



den Zeiten zinsfrei Vorschüsse zu gewähren, denn gerade 
das in vieler Beziehung der Besserung dringend nötige Los 
der ländlichen Kreise lag ihm von jeher am Herzen. 

Hatte der König im Frühling desselben Jahres den 
Sulina-Kanal, an der Mündung der Donau, welcher der 
Schiffahrt bedeutende Erleichterungen gewährt, eröffnen 
können, so wohnte er im Herbst, am 26. September, im 
Verein mit seiner Gemahlin und vielen Würdenträgern, der 
Eröffnung der gewaltigen Eisenbahnbrücke über die Donau 
bei Cerna- 
vodabei,die, 
nach ihm be- 
nannt, in 
fünf Jahren 
mit einem 
Kosten- 
aufwand 
von 34 Mil- 
lionen 
Francs er- 
baut worden 

war, eine di- 

« _ y. Sulina an der Donaumündung, 

rekte Ver- 

. bindung 

vermittelnd zwischen der Dobrudscha und Bukarest 
und dadurch mit dem westlichen Europa und 
Konstanza, also dem Schwarzen Meere. Infolge 
des sumpfigen, häufig weithin überschwemmten Fluß- 
gebietes war der Bau der Hauptbrücke sowohl wie der 
Vorbrücke, dann der langen Viadukte und Steindämme, 
die sich insgesamt über 20 km erstrecken, mit den größten 
Schwierigkeiten verknüpft, die, von einer französischen 
Gesellschaft mit Hilfe rumänischer Ingenieure ausgeführt, 
siegreich bewältigt wurden. In einer Länge von 750 m 
überspannt die auf fünf aus dem breiten Strome ragenden, 




Digitized by 



390 



machtvollen Granitpfeilern ruhende eiserne Brücke hundert 
Fuß über dem Wasserspiegel die Donau und ermöglicht 
nun auch im strengsten Winter den früher dann fast ganz 





Medaille auf die Eröffnung der Carol-Brücke von Cernavoda. 

unterbrochen gewesenen Handels- und Personenverkehr, 
abgesehen von ihrer politischen und militärischen Be- 
deutung. Bis da- 




hin war die Bahn 
nur bis Cernavoda 

gegangen; man 
mußte sich dort 
über die Donau 
setzen lassen und 
eine lange Wagen- 
fahrt durch das 
sumpfige Flußge- 
biet bis Fetesti 
unternehmen, wo 
man erst wieder 



Blick auf die König Karl-Brücke den Schienenstrang 

von Cernavoda. erreichte. Mit fro- 

her Genugtuung be- 
grüßte der König grade die Einweihung dieses gigantischen 
Werkes, das er von den ersten Tagen seiner Regierung an 
erstrebt und das er mit zäher Energie gefördert. Als Erster 



Digitized by 



391 



überschritt er an der Seite der Königin die Brücke, auf 
ihrer Mitte den letzten silbernen Nagel mittels einer hy- 




Kopf der König Karl-Brücke von Cernavoda. 




König Karl- Brücke bei Cernavoda. 



Digitized by 



392 



draulischen Nietmaschine einfügend, dann rollten sechzehn 
Lokomotiven auf einmal, um die Tragkraft zu beweisen, 
hinüber, unter dem lauten Jubel der von fern und nah 
erschienenen Bevölkerung, unter den rauschenden Klängen 
der Nationalhymne und dem Salut der Kanonen von den 
im Strome ankernden Kriegsschiffen. Wieder sah der 
König eine der großen Aufgaben erfüllt, die er sich gestellt, 
als er die Regierung übernommen, und voll berechtigter 
Genugtuung durfte er in seiner Rede sagen: „Den Auf- 
schwung Unsers teuren Rumäniens auf dem Wege zur 
Größe und zum Fortschritt wird niemand mehr zu hemmen 
imstande sein!" 

Auch das Jahr 1896 stand in enger Verbindung mit 
dem besseren Anschluß Rumäniens an das Ausland durch 
Schaffung neuer Verkehrswege, indem im Herbst in feier- 
licher Weise der Grundstein zur Erbauung des Hafens 
von Konstanza gelegt wurde, um auch den größten See- 
schiffen das Anlegen und Löschen zu ermöglichen 
und um im Verein mit der großartigen Donauregu- 
lierung, für die Rumänien zahllose Millionen Francs 
geopfert, einen bedeutend ausgedehnteren Verkehr vom 
Meer nach der Donau und umgekehrt zu schaffen. Wenige 
Wochen zuvor, am 27. September, hatte der König der Er- 
öffnung des Kanals am sogenannten Eisernen Tore der 
Donau beigewohnt, in Gegenwart des Kaisers Franz Josef 
und des Königs Alexander von Serbien. Nach jahrelangen, 
mühevollen und kostspieligen Arbeiten, zu denen die be- 
teiligten Mächte die Mittel gewährt, waren die Hindernisse 
beseitigt, die hier durch gefährliche Felsenriffe der 
regelmäßigen Schiffahrt bereitet worden waren, indem man 
im Flußbette gewaltige Dämme aufgeführt und mittels 
Sprengung sowie Eindämmung einen Kanal von genügen- 
der Breite und Tiefe geschaffen, der nun auch bei geringem 
Wasserstand den großen Schiffen die Durchfahrt ermög- 
licht. Von diesen Einweihungsfesten aus begleitete Kaiser 





Digitized by 



394 



Franz Josef König Karl nach Bukarest, dort am Nach- 
mittag des 28. September eintreffend, am Bahnhof von der 
Königin Elisabeth und dem jungen Prinzlichen Paar auf 
das innigste begrüßt. 

Tiefste Freude durchhallte das ganze Land, daß der 
verehrungswürdige österreichische Herrscher als Gast der 
Königsfamilie den rumänischen Boden betreten. Stür- 
mische Hochrufe schollen überall ihm und König Karl 
entgegen; in allen Ortschaften, die der kaiserliche Zug 
berührte, strömte Alt und Jung von weither zusammen, 
mit Girlanden, Fahnen und Bildern schmückte man die 
Stationen und Häuser, die Frauen standen in ihren bunten 
Staatsgewändern und die Männer in ihren gestickten weißen 
Röcken da, und in dichten Scharen drängten sich die 
Kinder heran, Blumen in den Händen haltend, um sie dem 
Kaiser und ihrem Landesherrn darzubringen. Zum ersten- 
mal hatte ja ein Kaiser in friedlicher Absicht rumänischen 
Boden aufgesucht. 

Am 29. September fand eine glänzende Heerschau auf 
dem Manöverfeld bei Cotroceni statt, wo zwanzig. Regi- 
menter versammelt waren und eine nach Hunderttausen- 
den zählende Menge das weite Feld einsäumte. Zur Seite 
des Kaisers, der die Campagne-Uniform eines Generals der 
Kavallerie angelegt, ritt Prinzessin Maria, während die 
Königin der Parade in einem vierspännigen Landauer bei- 
wohnte. Trotzdem der vor auf gegangene Regen das Terrain 
arg durchweicht hatte, gelang das Defilieren der Truppen 
vorzüglich, so daß nach Schluß des Vorbeimarsches der 
Kaiser, dem König die Hand reichend, äußerte: „Ich 
gratuliere Ew. Majestät zu der Haltung und dem Aussehen 
der Truppen. Rumänien kann stolz sein auf seine Armee/' 
Freudig erwiderte der König : „Die Zufriedenheit Ew. Ma- 
jestät erfüllt mich. und meine Armee mit Stolz/' Bei dem 
Diner, das im Palais zu Bukarest stattfand, brachte der 
König in warmen Worten die Gesundheit des Kaisers aus: 





Digitized by 



396 



„Ich schätze mich glücklich, Ew. Majestät in der Haupt- 
stadt Rumäniens willkommen heißen zu können. Die 
Weisheit Ew. Majestät war stets ein Vorbild für viele 
Monarchen und besonders für mich und den noch jugend- 
lichen rumänischen Staat, der heute sich der Auszeichnung 
erfreut, Ew. Majestät zu begrüßen. Ew. Majestät lebe 
hoch!" — Und der Kaiser erwiderte: „Indem ich Ew. 
Majestät für den wahrhaft erhebenden Empfang in dieser 
Hauptstadt danke, halte ich es für nötig, zu betonen, daß 
ich mit vieler Freude diesen noch jungen Staat betreten 
habe. Es gibt wenige Beispiele in der Weltgeschichte, wo 
ein junger Staat in so kurzer Zeit derartige bedeutende 
Fortschritte zu machen vermochte, welche ihm einen ehren- 
vollen Platz in Europa sichern. All dies ist das Werk 
Ew. Majestät. Ich aber als friedlicher Nachbar und auf- 
richtiger Freund Ew. Majestät wünsche eine gedeihliche 
Fortentwicklung zum Wohle Rumäniens. Ew. Majestät 
lebe hoch!" 

An den offiziellen Bukarester Teil des Kaiserbesuches 
schloß sich der private in Sinaia, wo dem österreichischen 
Herrscher gleichfalls ein jubelnder Empfang bereitet wurde, 
der durch die starke Teilnahme der Landbevölkerung, die 
an einem farbenfrohen Triumphbogen mit den Erzeug- 
nissen des Bodens, mit Blumen, Mais und Früchten, und den 
zur Gewinnung derselben notwendigen Gerätschaften, Auf- 
stellung genommen, ein besonders charakteristisches Ge- 
präge erhalten hatte. Frei vom höfischen Zeremoniell 
konnte hier im wundervollen Pelesch-Schlosse der Kaiser 
sich ganz seinen liebenswürdigen Wirten widmen und un- 
gehindert von Empfängen und Festlichkeiten die herrlichen 
Natureindrücke genießen, für die grad er so warme Liebe 
empfindet. Dem familiär-vertraulichen Charakter dieses 
zweiten Teiles des Kaiserbesuches entsprach ein auf den 
Vormittag des 30. September angesetztes Frühstück auf 
der „Poiana Reginei", der „Alm der Königin", einer 





Digitized by 



398 



hoch über dem Schloß gelegenen Alpenwiese, auf der 
sich die Königin eine Meierei angelegt hat, gern hier mit 
den Ihren Rast haltend von weiten Gebirgswanderungen, 
ein ebenso liebliches wie zugleich großartiges Plätzchen 
mit den herrlichsten Ausblicken auf die gewaltigen Ge- 
birgshäupter und hinab in die waldreichen Täler. In einer 
mit Laub und Blumen umrankten, aus Baumstämmen er- 
richteten Hütte war die Frühstückstafel aufgeschlagen, 
während des Mahles spielte eine Militärkapelle und ließ 
ein Trupp Zigeuner feurige Weisen hören, die auch den 
kleinen Kreis auf dem Rückweg begleiteten, der Kaiser 
und der König in vertrautem Gespräch vorangehend. Ernst 
und schweigsam ragten die Felsen auf, aber ein eifrig ge- 
heimnisvolles Flüstern und Wispern ging durch die weiten 
Tannenwaldungen, als ob ein Baum dem andern berichtete 
von der frohen Kunde dieses denkwürdigen Kaiserbesuches 
auf rumänischem Boden. 

Wie innig und fest die Liebe zur Dynastie beim ru- 
mänischen Volke eingewurzelt, zeigten die düsteren Mai- 
tage des Jahres 1897, in denen der Erbe der Krone, Prinz 
Ferdinand, von schwerer Krankheit befallen worden war. 
Tiefe Traurigkeit umfing das ganze Land, jeder Tag brachte 
neue Beweise der Liebe und Verehrung für das bang 
harrende Königspaar, für den Erkrankten und seine Fa- 
milie. Die aufrichtige Hingebung und Dankbarkeit des 
gesamten Volkes zeigte sich in ungeahnter Weise, es gab 
damals nur ein Gesprächsthema und nur einen Wunsch, 
und wie von lastendem Druck atmeten die sich schweig- 
sam vor dem Palais zu vielen Hunderten Drängenden 
auf, als eines Abends der König auf den Balkon trat und 
mit ergriffener Stimme verkündete: „Baiatul merge mai 
bine!" („Dem Jungen geht es besser !") In innig rühren- 
den Worten dankte der König bald darauf seinem Volke: 
„Rumänen! In den Augenblicken schwerer Prüfungen, 
die wir während der gefährlichen Krankheit meines 




399 



geliebten Neffen durchzumachen hatten, sammelte sich 
mein treues Volk in einem einzigen Gedanken um mich 
und sandte heiße Gebete empor zum Allmächtigen für die 
Lebensrettung des Thronfolgers, der berufen ist, die große 
und schöne Last auf sich zu nehmen, welche die Nation 
mir anvertraut hat. — Imposant waren die Sympathie- 
kundgebungen, rührend die Beweise innigster Teilnahme, 
die in jenen Tagen des Bangens aus allen Schichten der 
Gesellschaft bis zur letzten Hütte hinab kamen. Das 
ganze Land war auf, von heftigem Schauer ergriffen und 
teilte unsere Sorgen; die Gedanken verdüsterten sich durch 
die drohende Gefahr, es könnte eine ununterbrochene 
Arbeit eines halben Jahrhunderts so schwer heimgesucht 
werden. Diese aus den warmen Herzen des Volkes her- 
vorgegangenen Gefühle, die übereinstimmende Hingebung 
in der für die Zukunft des Staates so gefährlichen Stunde, 
waren für uns der süßeste Trost, ein neuer Sporn für mich, 
unentwegt über den Geschicken Rumäniens zu wachen, 
für meine Nachfolger aber eine kraftvolle Veranlassung, 
sich stets würdiger zu zeigen so vieler Liebe und so vieler 
Ergebenheit. — Heute, wo die tiefe Wissenschaft und die 
Unermüdlichkeit der Ärzte unseres Landes die Krankheit 
besiegt und unsere Herzen wieder belebt haben, erfülle 
ich mit Freuden die heilige Pflicht, allen zu gestehen, 
daß nur die Treue, mit der mein geliebtes Volk sich 
um mich scharte, mein Bangen in jenen schmerzlichen 
Augenblicken zu erleichtern vermocht hat. — Tief und 
grenzenlos ist die Anerkennung, welche mein Herz, sowie 
das der Königin und der Prinzessin Maria um dieser zärt- 
lichen und zahllosen Beweise von Liebe willen erfüllt: 
dieselben haben zwischen Land und Thron neue und un- 
vergängliche Bande gewoben. Wir alle gehen gestärkt 
aus dieser Prüfung hervor; das Land vertrauensvoller 
auf die Zukunft, ich aber stolzer auf mein Volk, 
das mich in diesen Tagen grenzenloser Verzweif- 




400 



lung für die Arbeit meines ganzen Lebens reich ent- 
schädigt hat." 

In der Begleitung des Prinzen Ferdinand unternahm 
im Juli des nächsten Jahres, 1898, König Karl, einer 
Einladung des Kaisers Nikolaus II. folgend, eine Reise 
nach Rußland, und überall, wo auf den einzelnen Stationen 
sein Zug hielt, waren die alten Krieger, die unter seiner 
Führung vor Plewna gekämpft, zusammengeströmt, um 
dem König ihre freudigsten Huldigungen darzubringen. 
Auch mit den hohen Offizieren gab es manch erinnerungs- 
volles Wiedersehen, so in Warschau mit dem General- 
gouverneur Fürsten Imeritinsky, der vor Plewna General- 
stabschef des Königs gewesen und welcher bei dem zu 
Ehren des Herrschers veranstalteten Festmahle in innigen 
Worten das Wohl auf den König, als auf den Oberbefehls- 
haber der russisch-rumänischen Armee, „der uns zum 
Siege geführt", ausbrachte. 

Seitens des Kaisers und dessen Angehörigen wurde 
der König in Peterhof auf das herzlichste empfangen, und 
mit besonderer Genugtuung begrüßte es der König, daß 
ihm der Kaiser das russische Regiment Wologda, das vor 
Plewna im Verein mit den Rumänen mehrfach tapfer 
vorgedrungen, verlieh. Bei der großen Parade im Lager 
von Krassnoje-Sselo führte Kaiser Nikolaus dem König 
seine erlesensten Truppen vor, die Kaiserlichen Garden 
und das I. Armeekorps in Stärke von 35 000 Mann, welcher 
glänzend verlaufenen Heerschau neben sämtlichen in Peters- 
burg anwesenden Großfürsten die Kaiserin, die Königin 
von Griechenland und die Großfürstinnen beiwohnten. 
Bei dem auf dem Paradefelde veranstalteten Festmahl 
betonte König Karl in Erwiderung des auf ihn von Kaiser 
Nikolaus ausgebrachten Trinkspruches in wärmster Weise, 
wie es ihn stets mit Stolz erfüllt habe, daß er dieses schöne 
Gardekorps, welches er soeben wiederum bewundert, einst 
in schweren Tagen vor dem Feinde befehligt habe auf blut- 




401 



getränktem Boden, auf dem es seine kriegerischen Eigen- 
schaften in so hervorragender Weise bewiesen. 

Dieser glanzvollen militärischen Veranstaltung folgte 
ein prunkendes Fest auf den Inseln des Parkes von Peter- 
hof mit stets sich überbietenden Überraschungen, die an 
die Märchen von Tausend und eine Nacht ' gemahnten. 
Einen freudigen Empfang bereitete die Einwohnerschaft 




König Karl in St. Petersburg (Juli 1898). 



von St. Petersburg dem König, als er zu Schiff die Stadt 
an der Newa besuchte, zur Peter Pauls-Festung fahrend, 
um an den schlichten Sarkophagen Kaiser Alexander II. 
und III. sowie des Großfürsten Nikolaus, mit denen er 
schwere Lebenstage durchgemacht, in treuem Gedenken 
und stillem Gebet Blumenspenden niederzulegen. Dann 
ging es zu dem zur Erinnerung an den russisch-türkischen 
Krieg errichteten Denkmal, wo sich zahllose alte Krieger 
versammelt hatten, das ihnen vom Könige verliehene Donau- 

Lindenberg, König Karl. 26 



Digitized by 



402 



kreuz auf der Brust, in erhebender Weise dem Fürsten hul- 
digend, der sie, elf Jahre zuvor, zu Sieg und Ruhm geführt» 
Auch bei dieser Gelegenheit, wie bei manch folgender auf 
russischem Boden, so in Moskau, wo der König den Kreml be- 
wohnte, in Wilna, Kiew etc., bereitete es dem Herrscher eine 
frohe Genugtuung, mit den alten Waffengefährten zusammen 




König Karl und Kaiser Nikolaus auf dem Paradefeld von Kraßnoje Sselo 

(18. Juli 1898). 

zu sein, mit ihnen das Gedächtnis jener großen Zeit von neuem 
zu beleben, in der Russen und Rumänen Schulter an Schulter 
gekämpft, und große Erinnerungen auszutauschen. 

In dem gleichen Jahre ward Rumänien und seinem 
Herrscher auch deutscherseits warme Anerkennung gezollt 
von weithin sichtbarem Platze, hob doch Graf Bülow, der 
früher deutscher Gesandter in Bukarest gewesen, als Staats- 
sekretär des Auswärtigen Amtes in einer Reichstagsrede 
hervor, wie sehr der rumänische Staat König Karls I. einen 



Digitized by 



Google 




Digitized by 



bedeutsamen Faktor 
der Ordnung, des 
Fortschritts ui\d der 
Kultur auf der Bal- 
kanhalbinsel bilde. 

Was Rumänien 
auf den verschieden- 
sten Gebieten des 
öffentlichen Lebens 
in den letzten Jahr- 
zehnten geleistet, 
brachte es in ein- 
drucksvollster Weise 
auf der Pariser Welt- 
ausstellung vom J ah- 
re 1900 zur Anschau- 
ung, und zwar in 
einem großartig an- 
gelegten, sorgfältig 
ausgeführten Palast, 
der mit seiner Haupt- 
kuppel und seinen 

beiden seitlichen 
Glockentürmen, den 
bunten und gewähl- 
ten Außenverzierun- 
gen, dem umfassen- 
den und doch dem 
Ganzen würdig ange- 
paßten dekorativen 
Beiwerk den Stil der 
rumänischen Kir- 
chenbauten des 16. 
und 17. J ahrhunderts 
vortrefflich verkör- 



Digitized by 



405 



perte. In erschöpfender Zusammenfassung wurde hier den 
internationalen Besuchern die Leistungsfähigkeit der jungen 
rumänischen Industrie gezeigt, daneben die große Bedeu- 
tung der Landwirtschaft und der Krondomänen, aber auch 
das geistige und kulturelle Leben der Nation ward eingehend 
veranschaulicht, das Blühen des Kunstgewerbes und dieHaus- 
tätigkeit der Frauen, daneben kamen Schulwesen, Buch- 
handel, Wissenschaften und Wohlfahrtspflege ebenso zu 
Ehren wie der Ausbau der Eisenbahnen,Chausseen und Hafen- 
anlagen. Besonderes Gewicht war auf die Darstellung der 
Wehrkraft des Landes gelegt, dessen Bodenschätze, wie 
Metalle, Salz, Kohlen, Petroleum usw., man auf das ge- 
naueste in ihrer Gewinnung und Verwertung kennen lernte. 

Leider brachte das gleiche Jahr durch eine sieben- 
monatige ununterbrochene Dürre, die eine vollständige 
Mißernte zur Folge hatte, dem Staate eine sehr ernste wirt- 
schaftliche Krisis, die naturgemäß auch die Finanzlage und 
damit den Staatskredit erheblich erschütterte, denn binnen 
zwei Jahren belief sich das Budgetdefizit auf über 70 Mil- 
lionen Francs. Der so schweren augenblicklichen Notlage 
suchte man zu steuern, indem die Regierung, dank der zur 
silbernen Hochzeit des Königspaares begründeten Karl- 
Elisabeth-Stiftung, 120000 Hektoliter Kukuruz kaufte und 
sie zur Verteilung brachte, teils unentgeltlich, teils darlehns- 
weise, ebenso Saatgut, welches die Bauern erhielten. Auch 
durch Notstandsbauten im Straßenwesen suchte man die 
brachliegenden Arbeitskräfte zu beschäftigen und veranlaßte 
die umfassendsten Aufforstungen, um die klimatischen Ver- 
hältnisse zu bessern. Das im Februar 1901 zustande ge- 
kommene liberale Ministerium, welches das konservative ab- 
gelöst, war unter D. Sturdzas Führung bestrebt, ein sorgsam 
angelegtes Sparsystem durchzuführen, was auch in zu- 
friedenstellendster Weise gelang. Das Budget wurde erheb- 
lich ermäßigt und eine gewisse Grenze gezogen, um Uber- 
schreitungen zu vermeiden. So erzielte man bereits im ersten 




406 



Jahre einen Überschuß von 21, im zweiten von 31 Millionen 
Francs und konnte durch andere finanzielle Einrichtungen 
ohne neue Steuern und Anleihen, die erwähnte Schuld von 
71 1 ♦ Millionen Francs bezahlen, sogar noch Gelder flüssig 
behaltend für dringende Arbeiten und für die Armee. 

Dies für Rumänien so unheilvolle Jahr 1900 sollte auch 
König Karl den schwersten Verlust zufügen durch den 
am 19. Juni erfolgten Tod der heißgeliebten Mutter, der 
Fürstin Josephine, die ihn immerdar mit treuester Liebe 
und rührendster Sorgfalt umgeben. Zweimal hatte der 
Konig die innige Genugtuung gehabt, seine Mutter auf 
rumänischem Boden begrüßen zu können, in den Jahren 
1881 und 1887, in jeder Stunde bestrebt, ihr den Aufent- 
halt so sonnig wie möglich zu gestalten und ihr mit Stolz 
zeigend, was er für das Land zu leisten vermocht und 
welchen Aufschwung letzteres unter seiner Regierung 
genommen. In weichen, stimmungsvollen Zügen zeichnet 
uns Königin Elisabeth das rührende Bild der Fürstin 
Josephine in ihren weihevollen Erinnerungen, die ihre 
Schilderungen „Rheintochters Donanfahrt" eröffnen: An 
der jungen Donau stand ich in Sigmaringen und dachte 
daran, wie die Kinder aus diesem Schlosse ausgezogen in 
die weite Welt und wie das zärtliche Mutterherz geblutet 
hat. In Sigmaringen waren sie alle geboren, diese selten 
schönen Kinder, mit den offenen regelmäßigen Zügen und 
dem ernsten edlen Herzen, denn ernst waren sie alle, die 
Hohenzollernkinder, wie ihre Heimat, die auch nicht 
lachend ist, wie der Rhein, sondern etwas außerordentlich 
Ernstes hat," Die Königin berichtet dann des weiteren 
von den schweren Schicksalsschlägen, welche die Fürstin 
betroffen, die so früh ihre Tochter Stephanie und den dritten 
Sohn Anton verlieren mußte, während sie den zweiten Sohn 
an die Fremde, das ferne Rumänien, abgab: „Sie trug ihr 
Leid so still, so schweigsam, niemand erfuhr, wie es in ihrer 
Seele wühlte, während sie zwei Kinder an den Tod und das 



Digitized by 



407 



dritte^ans Leben abgab. — Ja, die arme, arme Mutter! 
Wie^still, wie sanft Jhat sie das unendliche Weh getragen! 




Fürstin Josephine von Hohenzollern mit dem Prinzen Carol 
und der Prinzessin Elisabeth. 



Nie hat man eine Klage von ihren Iyippen gehört! Sie 
hat ihre Kinder an die Ewigkeit abgegeben und hat ge- 
duldig des Wiedersehens geharrt, mir schien es oft, daß 



i 

Digitized by Google 



408 



ihr fast noch härter war, den Sohn zu entbehren, der im 
I,eben so schweren Stand hatte und so heiße Kämpfe 
durchmachen mußte! Wie war sie stolz auf ihn! Sie 
sagte mir: „Ach, ich könnte Dich darum beneiden, daß 
Du bei ihm sein kannst, ich würde mich ganz still in eine 
Ecke setzen, ihn gar nicht stören bei seiner Arbeit, aber 
ihn ansehen, so viel ich wollte !" — Sie meinte, daß ich 
eigentlich etwas versäumte, indem ich meinen eigenen Be- 
schäftigungen nachging, statt das Glück zu genießen, 
ganz still bei ihm zu sitzen und ihn ansehen zu dürfen, 
wofür sie viele Iyebenstage hingegeben hätte. „Nicht 
wahr, er ist immer noch sehr schön," sagte sie, ihm mit 
ihrer Iyorgnette nachsehend, wenn er dahin ging, „nicht 
wahr, er sieht doch noch sehr jung aus! Hast Du ihn 
lieb?" — Ach, wer sollte diese Mutter und diesen Sohn 
nicht lieb haben! Ich entgegnete ihr, ich hätte ihn ja nur 
geheiratet, weil er ihr Sohn war! Denn ich vergötterte 
sie schon längst, ehe ich ihn kannte!" — Mit immer er- 
neuter tiefster Freude hatte die Fürstin Josephine die Er- 
folge ihres teuren Sohnes verfolgt und mit zärtlicher I^iebe 
hatte sie bei ihrem Aufenthalt in Sinaia, Cotroceni und 
Bukarest die drei Kinder des prinzlichen Paares, Carol, 
Elisabeth und Maria, bemuttert, die an der auch im Alter 
noch so schönen und zarten fürstlichen Frau mit innigster 
Liebe hingen. — 

Das Jahr 1902 brachte die fünfundzwanzigjährige 
Wiederkehr der großen kriegerischen Ereignisse, an denen 
unter der Führung ihres Herrschers die rumänische Armee 
so ruhmvoll teilgenommen, und König Karl benutzte das 
Jubiläum, um die bulgarischen Stätten aufzusuchen, auf 
denen er seine und die russischen Truppen zum Siege 
und zum Ruhme geführt. Diese Reise des Königs war 
insofern auch von politischer Tragweite, als gerade in 
den letzten Jahren zwischen Rumänien und Bulgarien eine 
zu gewissen Zeiten recht ernste Spannung bestanden hatte 



Digitized by 



409 




Digitized by 



410 



wegen bestimmter bulgarischer Umtriebe, die engen Zu- 
sammenhang hatten mit den makedonischen Bestrebungen 
des Zentralkomitees in Sofia. In Rustschuk empfing am 
Ii. November Fürst Ferdinand von Bulgarien den König, 
ihn froh bewillkommnend unter dem brausenden Jubel 
einer von überall herbeigeströmten Bevölkerung, und 
brachte bei dem folgenden Festmahl einen Trinkspruch 
auf den König aus, hervorhebend, daß dessen Besuch in 



König Karl und Fürst Ferdinand von Bulgarien in Poradim 7 



diesem Augenblick um so wichtiger sei, als er mit dem 
25. Jubiläum der Befreiung zusammenfiele, an welcher 
der König und das rumänische Heer auf den Schlacht- 
feldern zwischen Donau und Balkan einen so glorreichen 
Anteil genommen: „Wir Bulgaren bewahren eine dank- 
bare Erinnerung daran/' 

In tiefer Erschütterung betrat der König, den Fürst 
Ferdinand begleitete, jene Ortschaften, in denen er vor 
einem Vierteljahrhundert in verantwortlichster Stellung 
geweilt und deren Namen immerdar verknüpft sind mit 




(November 1902). 




411 



den großen Ruhmesblättern seines I v ebensbuches. In 
Poradim besuchte er das Häuschen, das ihn wochenlang 




Denkmal zur Erinnerung an die Eroberung der Griwitza-Redouten 
seitens der rumänischen Truppen, 



beherbergt, vor demselben eine Eiche zur Erinnerung pflan- 
zend, und auf dem Schlachtfelde von Plewna wohnte er 
in der dort errichteten Kapelle dem Gottesdienst bei in- 



Digitized by 



412 



mitten einer großen Volksmenge und vieler jener Männer, 
die Zeugen des einstigen blutigen Ringens gewesen. Von 
Plewna aus sandte der König eine Depesche an Kaiser 
Nikolaus von Rußland, in der er mit innigen Worten der 
unvergeßlichen Zeit gedachte, in der er sich an der 
Seite des Kaisers Alexander befunden, Tag für Tag die 
Wechselfälle der denkwürdigen Kämpfe mit ihm teilend, 
die nach langen Anstrengungen durch den glänzenden 
Sieg am 28. November beendet wurden, hinzufügend, daß 
er als Zeichen seiner dankbaren Gefühle auf dem Grabe 
der tapfern russischen Soldaten, die unter seinem Kom- 
mando gestanden, einen Kranz niedergelegt. In herz- 
lichster Weise stattete Kaiser Nikolaus seinen Dank ab, 
betonend, daß er aus dem Grunde seines Herzens die 
Huldigung zu schätzen wisse, die der König den Opfern 
der heroischen Kämpfe dargebracht, welche die Epoche 
der Brüderschaft der russischen und der rumänischen 
Armee mit unauslöschlichem Ruhm gekrönt habe, dem 
König zum Schluß seine herzliche und unveränderliche 
Anhänglichkeit ausdrückend. In seiner schlichten, würdig 
eindrucksvollen Art gedachte der König später in einem 
in der rumänischen Akademie gehaltenen Vortrage über 
Nikopolis jenes Besuches der historischen Stätten: „Ein 
Vierteljahrhundert später, in dem Jahre, als das Land 
die fünfundzwanzigste Wiederkehr dieser Ereignisse feierte, 
habe ich die unschätzbare Freude gehabt, das Schlacht- 
feld von Plewna in der Begleitung Fürst Ferdinands von 
Bulgarien wiederzusehen. Mit tiefer Bewegung betrat ich 
den Boden, der mit dem Blute unserer Tapferen besprengt 
und dadurch geweiht ist. An der Schwelle der Kapelle, 
zu ihrem Andenken errichtet, empfing uns der Metropolit 
von Wratza mit einer ergreif enden Ansprache: „Erhebet 
euch aus euren Gräbern* so sagte er und wies auf das 
Schlachtfeld, wo die Gefallenen ruhten, „erhebt euch, ihr 
Tapferen, schaut her, euer König ist gekommen, um euch 




413 



für euren Opfertod zu danken !" Wie zu einer wahren 
Pilgerfahrt bin ich nach Griwitza ausgezogen, um mich 
in Liebe und Verehrung vor dem Grabmal jener würdigen 
Söhne des Landes zu verneigen, die ihr Leben für die Un- 




Königliche Jacht „Orient" auf der Donau. 



abhängigkeit Rumäniens dahingegeben haben. Gegen 
Abend kam ich nach Samowit, wo mich der Bürgermeister 
und die Einwohner- 
schaft von Nikopolis em- 
pfingen, die mir ihren 
Dank für die Befreiung 
der Stadt noch einmal 
wiederholen wollten . 
Fürst Ferdinand hatte 
die Liebenswürdigkeit, 
mich auf seiner Jacht, 
die von unsern Kriegs- 
schiffen eskortiert wurde, 
nach Turnu-Magurele zu 
geleiten. Es war eine 
sternklare Nacht; der 
Mond spiegelte sich 
auf den ruhigen Wassern der Donau; die Schiffe ließen 
Silberfurchen auf ihnen zurück; in der Ferne, am Ufer, 
erhob sich Nikopolis, das in einem Meere von Licht 
schwamm, wie ein stolzer Markstein aus vergangenen 




König Karl und Königin Elisabeth 
an Bord des „Orient". 



Digitized by 



414 



Zeiten. — Dieser zauberhafte Anblick weckte in mir 
Bilder der eigenen Vergangenheit: vor mir erstand meine 
Jugend, die ich an den Quellen des großen Stromes verlebt, 
auch die Geschichte meines Hauses; vor allem aber er- 
innerte ich mich an das Schicksalsbuch unseres teuern 
Rumäniens, in das unsere Kämpfer ein unvergängliches 
Blatt geschrieben haben." 

Auch auf einer zwei Jahre später seitens des Königs 
und seiner Gemahlin, wie des Prinzlichen Paares, letzteres 
von seinen beiden ältesten Kindern begleitet, unternom- 
menen Donaufahrt wurden vielfach die Erinnerungen neu 



verdanken wir der Königin in ihren liebenswürdigen Schil- 
derungen: „Rheintochters Donaufahrt", in der sie uns von 
diesen jubeldurchbrausten Tagen, die dem Königspaare 
so zahlreiche und aufrichtige Huldigungen gebracht, er- 
zählt. Die Fahrt ging zunächst von Turnu-Severin die 
Donau aufwärts bis zum Kasanpasse und dann strom- 
abwärts bis zur Donaumündung: „Am Ufer entlang die 
Bewohner all der Dörfer nah und fern, die Geistlichen 
segnen uns vom Ufer aus, es war ein wundervolles Bild; 
überall, wo ein Triumphbogen erschien und man Hurra 
rufen hörte, wurde langsamer gefahren und so nah am 
Ufer als irgend möglich, damit man die Menschen sehen 




belebt an jene 
große Zeit, 
welcheRumä- 
nien die Un- 
abhängigkeit 
und das Kö- 
nigtum ge- 
bracht. Eine 
lebhafte und 
farbenreiche 
Beschreibung 
jener Reise 




415 



konnte, die sich Mühe gegeben hatten, zu kommen, um 
durch Triumphbögen ihre Freude kundzutun. An vielen 
Orten hatten sie, da es an Häusern und somit an Fenstern 
gebrach, ihre schönsten Teppiche aufgehängt an Wasch- 
leinen, nur 
damit Tep- 
piche 
das Fest ver- 
schönern. 
In den Tri- 
umphbögen 
unser aller 
Bilder und 
Blumen, da- 
runter das 
Schwenken 
derHüte,der 
Fähnchen, 
das Singen 
der Kinder, 
hier und da 
ein Schiff als 
Schmuck 
aufgehängt, 
von vielen 
Stellen Böl- 
lerschüsse/' 

In Calafat *^* e Königliche Familie am Kriegerdenkmal in Calafat. 

mußte der 

König dem Prinzen Carol auf das genaueste berichten, 
wie in unmittelbarer Nähe des Königs damals türkische 
Granaten eingeschlagen: „Der König erlaubte Carol, bei 
derselben Batterie Feuer zu kommandieren, und da krach- 
ten die Schüsse los, an derselben Stelle, wo er einst die drei 
Buchstaben ausgesprochen: „Foc!" (Feuer), die Krieg be- 




Digitized by 



416 



deuten und für uns Sieg oder Untergang. Wie oft sagte ich 
den andern Frauen, die über die ausgestandene Angst 
jammerten, daß es für mich doch noch ganz anders schwer 
sei, da ich meinen Mann nur mit oder auf dem Schilde 
wiederkommen sehen durfte, denn eine Niederlage war 
in unserm Fall nicht zu überleben. — Carol glühte, sein 
Gesicht war wie im Feuer, vom Sonnenuntergang rosig 
beleuchtet, und sein Auge maß die Strecke zwischen 
Widin und Calafat und er wunderte sich, daß man so 



ten glühende patrio- 
tische Gedichte her." Ähnliche Erinnerungen erweckten 
die Ortschaften Iyom-Palanka, Rahova, Corabia, Niko- 
polis, und die Königin gedenkt in ihrem Buche jener 
schauerlichen Nacht, die ihr Gemahl damals in Nikopolis 
verbracht bei 22° Kälte und den herzzerschneidenden 
Rufen der türkischen Gefangenen nach Brot: „Der König 
zeigte uns, wo er auf schwindelndem Pfade auf Glatteis 
hinaufgeritten, so schmal, daß ein Ausrutschen des Pferdes 
der sichere Tod gewesen wäre." 

In ihrer Beschreibung dieser gedenkreichen Donau- 
fahrt zeichnet die Königin sehr anmutig das Wesen der 




Prinz Carol an Bord des „Orient 1 



sicher hatte auf den 
König zielen können. 
Ich hätte gern den 
König allein gesehen 
mit dem Knaben, der 
einst in seine Fuß 
stapfen treten soll 
und der hier geboren 
ist, also wie ein Eigen- 
tum des Volkes be- 
trachtet wird. Hier 
standen aber immer 
Menschen und freuten 
sich und Kinder sag- 




417 



beiden ältesten Kinder des Thronfolgerpaares: „Es war 
sehr interessant, die Kinder zu beobachten. Den kleinen 
ehrgeizigen Buben, der alles wissen wollte und sehr tri- 
umphierte, wenn ich mich geirrt und er etwas sicherer 
gewußt als ich, und das kleine, verschlossene Mädchen 
Iyisaveta, das in seiner unbewußten großen Schönheit 
Märchen erzählt haben wollte, während von Schiffen und 
am Strande zugleich Hurra geschrien wurde und mir der 
Kopf nicht gerade nach Märchen stand, sondern ich das 



Tuch abwechselnd in beide Hände nahm, um das viele 
Winken aushalten zu können/' — Weiter ging's dann den 
Strom hinunter; in Braila, Galatz und an der Mündung 
des gewaltigen Flusses, in Sulina, wurde Aufenthalt ge- 
nommen, und überall erneuerten sich die stürmischen 
Huldigungen, auch bei der Rückkehr nach Bukarest, wo 
eine ungeheure Volksmenge das Königspaar erwartete, 
ihm begeistert zujubelnd. 

Die Königin bemerkte in ihren Aufzeichnungen: „Es 
ist schwer, auf soviel Liebe von so vielen Tausenden mit 
einem einzigen Herzen zu antworten. Man fühlt, als 

Lindenberg, König Karl. 27 





418 



könnte es springen, in dem Wunsche, auf alles mit der- 
selben Kraft zu antworten, und man ist doch nur einer/' 
Und der König richtete an den Ministerpräsidenten Sturdza 
ein Schreiben, in welchem er der großen Eindrücke dieser 
Fahrt gedenkt und mit welcher Freude er sich überzeugte, 




König Karl mit dem Prinzen Carol und der Prinzessin Elisabeth (1903). 



Digitized by 



419 



wie sehr in Herz und Seele der jungen Generationen die . 
erhabenen Daten eingeprägt sind, die das Königreich 
erhoben haben, und mit welcher Genugtuung er den Auf- 
schwung der beiden Schw r esterstädte Braila und Galatz 
verfolgt: „Diese Fortschritte sind dem großen Eisenbahn- 
netze zu verdanken, das die Produkte der nationalen 
Arbeit mit Leichtigkeit zur Donau hinschafft und in dieser 
Weise die wirtschaftliche Bedeutung dieses mächtigen 
Stromes verzehnfacht 
und unsern Seehäfen 
ihre natürliche Be- 
stimmung für den 
Fortschritt des Lan- 
des gab." — Indem 
der König des ferne- 
ren den Ministerprä- 
sidenten bat, den 
wärmsten Dank des 
Königs öffentlich aus : 
zusprechen, schloß er: 
„Die Erinnerung an 
die Reise wird unaus- 
löschlich in den jun- 
gen Herzen meiner 

Nachfolger bleiben, Kirche Xrei Je rarchi in jassy. 

welche berufen sind, 

einstmals die Geschicke unseres teuren Rumäniens zu 
leiten. Ich aber kann stolz sein auf ein Volk, das mich 
mit soviel Liebe umgibt und mir Beweise von soviel Er- 
gebenheit gibt, die ich mit gleicher Herzenswärme, mit 
den heißesten Wünschen beantworte, daß Gott nicht 
aufhören möge, seinen Segen auf dieses Volk auszu- 
schütten." 

Im Herbst jenes Jahres 1904 weilte das Königspaar, 
begleitet von dem Thronfolger, dem jungen Prinzen Carol 

27* 




Digitized by 



420 



und dem Erbprinzen Wilhelm von Hohenzollern, in Jassy, 
der alten Hauptstadt der Moldau, die das königliche Paar 
seit sieben Jahren nicht aufgesucht, und auch hier wurde 
es mit der gleich tiefen Begeisterung empfangen, die sich 
wenige Monate zuvor so erhebend gelegentlich der Donau- 
fahrt gezeigt. Auch dort, in der alten Hauptstadt der 
Moldau, hatte der König sein regstes Interesse betätigt 
an der Wiederherstellung der denkwürdigen kirchlichen 
Bauten, so der Metropolie und des Gotteshauses Trei 

Jerarchi (Drei 
Heiligen), das 
auf seine Anre- 
gung und unter 
Gewährung der 

erforderlichen 
Mittel — allein 
in den letzten 

sechs Jahren 
spendete der Kö- 
nig für die Wie- 
innenwand der Kirche Trei Jerarchi in Jassy. derherstellung 

und den Bau 

von Kirchen i l / 2 Million Francs aus seiner Privatschatulle 
— von Grund auf renoviert und im Innern auf das wür- 
digste ausgeschmückt worden war 

Einen wichtigen politischen Erfolg errang im ge- 
nannten Jahre die rumänische Regierung insofern, als der 
Sultan den in seinem Reiche wohnenden rumänischen Un- 
tertanen das Recht gewährte, eigene Zivilgemeinden und 
Organisationen zu bilden, wodurch viel energischer, wie 
bisher, die auf türkischem, hauptsächlich makedonischem 
Boden lebenden Rumänen ihre Nationalität und Sprache 
wahren können, nachdem ihnen schon seit 1878 gestattet 
gewesen, eigene Schulen und Kirchen zu unterhalten. 
Diese neue größere Selbständigkeit der rumänischen Be- 




Digitized by 



421 



völkerung im Reiche des Halbmondes führte zu vielerlei 
Ausschreitungen seitens griechischer Elemente in Make- 
donien, welche die dortigen rumänischen Ansiedlungen 
als einen gewissen Bestandteil des Hellenentums betrachtet 
hatten, und in der Folge zu einer Entfremdung der ru- 
mänischen und griechischen Regierung, die nicht ohne 
Einfluß auf das Wirtschaftsleben der beiden Völker blieb, 
mehr zum Nachteile Griechenlands. 

Zu Beginn des Jahres 1905 trat ein Wechsel des Mini- 
steriums ein, indem das unter D. Sturdzas Führung ge- 
standene liberale durch ein konservatives unter der Mi- 
nisterpräsidentschaft G. Cantacuzinos abgelöst wurde. Bei 
dieser Gelegenheit erwies sich in erfreulicher Weise die 
Stetigkeit der rumänischen Politik in den äußeren und 
wichtigsten inneren Fragen. Früher bedeutete ein Re- 
gierungswechsel eine erhebliche Änderung in der Bestim- 
mung der äußeren wie inneren Politik, wodurch ein ge- 
sundes Fortschreiten des Staates oft erheblich gehemmt 
wurde, da die neue Partei in allem so ziemlich das Gegen- 
teil dessen tat, was ihre Vorgängerin getan hatte. Daß 
diese Verhältnisse der Vergangenheit angehören, bewies 
jener Ministerwechsel auf das deutlichste; nicht nur vollzog 
er sich in großer Ruhe, sondern die neue Regierung über- 
nahm auch die von der bisherigen eingegangenen Ver- 
pflichtungen in den bedeutsamen Fragen der äußeren wie 
inneren Politik; in der äußeren: Erhaltung des bisherigen 
Zustandes am Balkan, soweit Rumänien dazu beitragen 
kann, in der inneren: Festigung der Finanzen, Hebung 
des Bauernstandes, Förderung von Handel und Industrie 
und Besserung des Unterrichtswesens. 

Der günstige Einfluß zeigte sich auch beim Budget 
des Jahres 1905 — 1906, das mit einem Uberschuß von 
4 Millionen Francs abschloß, trotzdem infolge der Miß- 
ernten zahllose Millionen ausgegeben worden waren, um 
die notleidenden Bauern mit Mais zu unterstützen, und 




424 



ein neues und stolzes Schiff einzuweihen. Wir haben es 
„Romania" getauft, weil wir wünschen, daß dieser unserm 
Herzen so teure Name unausgesetzt im ganzen Orient 
erschalle, und daß er daran erinnere, daß das Königreich 
heute eine Macht ist, die nicht mehr bestritten werden 
kann. Unsere Standhaftigkeit, die Erfolge der Armee und 
die Opfer, welche das Land sich auferlegte, haben uns 
die unbegrenzten Wege des Meeres eröffnet. In einem 
kurzen Zeiträume haben wir unsern Seeschiffahrtsdienst 
begründet, dessen Schiffe die Ehre haben, die nationale 
Flagge fern über die stürmischen Wogen des Ozeans zu 
tragen. Die Eisenbahnen, die Donaubrücke und der Hafen 
von Konstanza haben den internationalen Handel heran- 
gezogen, und viele Staaten haben Sonderverträge mit dem 
Lande abgeschlossen, um ihren Transit zu erleichtern. 
Diesbezüglich müssen wir dem Deutschen Reiche dankbar 
sein, das seinen Telegraphen- und Postverkehr durch unser 
Land geleitet und uns in dieser Weise einen schmeichel- 
haften Beweis des Vertrauens in unsere Verwaltung ge- 
geben hat. Man behauptet, daß die Zukunft auf dem 
Meere liegt; es mag so sein! In allen Fällen haben wir 
durch die Dobrudscha, diese Perle in der Krone Rumäniens, 
die Unabhängigkeit Rumäniens, freie Verbindungen mit 
der ganzen Welt und die Handelsmarine erworben. Fest 
überzeugt, daß es zusammen mit der Kriegsmarine sich 
überall würdig und stolz darstellen wird, wünsche ich dem 
neuen Schiffe Reisen voller Nutzen für das Land und 
unausgesetzt werden wir es mit dem Rufe begleiten: „Es 
lebe Rumänien !" " — 

Der gleiche Frühling war insofern noch von großer 
Bedeutung für die wirtschaftspolitische Entwicklung Ru- 
mäniens, als die Kammern den neuen deutsch-rumänischen 
Handelsvertrag annahmen, der, dank den hingebenden 
Bemühungen des deutschen Gesandten in Bukarest, Herrn 
von Kiderlen-Wächter, und des rumänischen Gesandten 




425 




Königin Elisabeth. 



Digitized by 



426 



in Berlin, Herrn A. Beldiman, beiden Reichen zum dauern- 
den Vorteil dienen wird. 

War 1905 für Rumäniens innere Kräftigung von be- 




Fürst Leopold von Hohenzollern 
als Chef des 3. Rumänischen Infanterie-Regiments Dimbowitza No. 22. 

sonderem Wert, so fügte es leider dem König den tiefsten 
Schmerz zu, indem es ihm, nachdem im Dezember des vor- 
angegangenen Jahres sein Bruder Prinz Friedrich ver- 
schieden, am 8. Juni seinen letzten Bruder entriß, den 



Digitized by 



Google 




Digitized by Google 



428 



Fürsten Leopold von Hohenzollern. der ihm immerdar 
die treueste brüderliche Liebe und echteste Freundschaft 
erwiesen und der auch in dem engen, vertrauten Ver- 
hältnis zu dem König, in der innigsten Anteilnahme an 
seinen Geschicken und jenen seiner Familie wie des Landes, 
die Erbschaft des teuren Vaters angetreten und bis zum 




Blick auf Sinaia. 



letzten Augenblick als heiliges Vermächtnis angesehen hatte. 
Immerdar wird man des Dahingeschiedenen als eines 
echten und rechten deutschen Fürsten gedenken, der 
stets groß und edel gedacht und stets groß und edel ge- 
handelt und dessen Bild unvergänglich in den Seelen 
aller haften wird, die je zu ihm in Berührung getreten. 
Nur eine Schwester, die Gräfin Marie von Flandern, ist 
dem König erhalten geblieben, dessen Lebensweg ein- 
samer geworden, der aber an der Seite seiner teuren Ge- 



Digitized by 



429 



mahlin voll freudigen Empfindens die jungen Sprossen 
seiner Dynastie heranwachsen sieht, zwei Söhne und zwei 
Töchter des Thronfolgerpaares, die Prinzen Carol und 
Nikolaus, welch letzterer am 5. Januar 1903 geboren ward, 
und die Prinzessinnen Elisabeth und Maria, ein liebliches 
Kleeblatt, dem hoffentlich immerdar sonniges Glück be- 
schieden ist. 

In stiller Trauer verbrachte das Königspaar den 
Sommer im waldumfriedeten Schlosse Pelesch bei Sinaia, 



welche Ortschaft im Lauf der Jahre einen außer- 
ordentlichen Aufschwung genommen, sich zu einer ebenso 
anmutigen wie stattlichen Villenkolonie gestaltend. Auch 
der König trug das Seinige dazu bei, daß sich Sinaia immer 
prächtiger entwickelte. So war auf seine Veranlassung 
und Kosten die 1846 erbaute Kirche des Klosters gänzlich 
erneuert worden, jetzt mit der goldgestreiften Kuppel 
des Hauptturmes, der zwei kleinere Türme überragt, 
malerisch herabschauend auf die von der Prachowa durch- 
brausten Talbuchten, auf Villen und Häuschen. Ihr 




Inneres der Kirche von Sinaia. 



Digitized by 



430 



Inneres zeigt den reichen byzantinischen Stil mit vornehm 
abgestimmter Farbenpracht und mit gewählten einzelnen 
Ausschmückungen, die harmonisch zu einander passen. 
Die innern Wandfiächen seitlich des Haupteinganges zeigen, 
verziert mit Malereien auf Goldgrund, die Gestalten des 
Königspaares. Der König mit dem Plan der Kirche in 
der Hand, die Königin in heller Gewandung, mit der 




Schloß Pelischor. 



rechten Hand ihr Töchterchen berührend, das, in weißem 
Kleidchen und mit aufgelöstem blonden Haar, die Hände 
gefaltet auf der Brust hält 

Nahe Schloß Pelesch ist sodann als sommerlicher 
Wohnsitz des Thronfolgerpaares Schloß Pelischor ent- 
standen, das nach den Plänen und unter Aufsicht des 
Architekten Karl Liman im Stil der altdeutschen Re- 
naissance binnen zwei Jahren erbaut wurde und sich außer- 
ordentlich gefällig mit seiner mannigfachen Holz- und 



Digitized by 



431 



Fachwerkfassade in seiner grünen Umgebung ausnimmt. 
Das Innere zeigt die Einrichtung moderner englischer 
Aristokratensitze, alles hell mit mancher Anlehnung an 
die Sezession, jedoch ohne deren Übertreibungen. Viele 
der Räume wurden genau nach den Angaben der Prin- 
zessin Maria gestaltet und von ihr mit ihren eigenen deko- 
rativen Malereien, Schnitzereien und kunstfertigen Sticke- 
reien geschmückt, wobei sie einen erwählten Geschmack 
bewies. Auch von den Balkons und Galerien dieses in all 
seinen Räumen mit Blumen geschmückten Schlosses 
Pelischor schweifen die 
Blicke teils hinunter in 
die fernen, quelldurch- 
zogenen Täler mit ihren 
fruchtbringenden Auen, 
teils tauchen sie hinein 
in die Waldeinsamkeit 
mit hochragenden Tannen 
und breitkronigen Laub- 
bäumen, Über deren Gip- Das „Nest" der Prinzessin Maria, 
fei hinweg die zackigen 

Spitzen des Pelesch-Arsa ragen, von dem der Pelesch 
herunterbraust in schäumendem Gefäll. 

Verschiedene Wege ziehen sich durch den Hochwald, 
dem man völlig seine erhabene Ursprünglichkeit gelassen 
hat. Bergan geht's im feierlichen Waldesschweigen, und 
nun ein Ausruf des Erstaunens: hoch über dem Erdboden, 
dicht unter den Wipfeln riesiger Föhren, auf und zwischen 
den Stämmen ruhend, hängt eine von schmaler Veranda 
umgebene Baumhütte, zu der man nur Zugang erlangt von 
einem nebenan errichteten hölzernen Turm, von welchem 
eine Zugbrücke hinübergelassen werden kann. „Das Nest 
der Prinzessin Maria", heißt das in seiner Art einzige 
Tuskulum, in dem die Prinzessin ihren vertrauten Gästen 
und Verwandten den Tee bereitet und reicht. 




Digitized by 



432 

Schloß Pelesch wird übrigens seit kurzem einer lang- 
samen, aber vollständigen baulichen Umwandlung seiner 
Fassaden unterzogen, mit einer strengeren Stilgebung in 




Digitized by 



433 



enger Anlehnung an die schönste deutsche Renaissance- 
epoche und die hervorragendsten Schloßbauten derselben. 
Als das Schloß errichtet ward, konnte infolge der vielfachen 
Hemmungen der Bau kaum so einheitlich gestaltet werden, 
wie es von Anfang an der Wunsch des Königs gewesen, 
auch mochten diese und jene Erfahrungen den Bauleitern 
fehlen, und schließlich drängte die Zeit zu schneller Voll- 
endung. Was damals versäumt, es wird nun auf Grund 
umfassendsten Studiums in Ruhe und mit Hilfe einer treff- 
lich geschulten Arbeiterschar unter steter, alles 
sorgsam erwägender Leitung verbessert oder auch 
völlig neu ausgeführt, und über das bisher Geschaffene 
darf man freudige Genugtuung empfinden. Rüstig schreiten 
die Arbeiten vor, so hat bereits der Hauptturm 
einem anderen, mehr dem ernsten Schloßbau sich an- 
passenden Nachfolger Platz gemacht; Schwierigkeiten und 
durch die Arbeiten entstehende Unbequemlichkeiten kennt 
der König nicht, wie es die Schaffung umfangreicher 
Terrassen beweist, die binnen wenigen Monaten dem Berg- 
abhange entrissen wurden, wobei viele tausende Kubik- 
meter Erde entfernt werden mußten. 

Denn die oberste Leitung aller Anordnungen und 
Arbeiten hat doch der König in Händen. Mit manchem 
seiner großen Ahnen teilt er die Lust am Bauen, die Freude 
an vollendeten Schöpfungen, die von seinem Geist und 
Wesen durchdrungen sind, und denen er den Stempel seines 
Wissens, Könnens und Geschmackes aufzudrücken vermag. 
Nelken seinen Regierungsgeschäften findet er stets noch 
Zeit, einen bestimmten Teil des Tages seinen baulichen 
und künstlerischen Neigungen zu widmen, und zwar sind's 
die Neigungen eines gewissenhaften Forschers und streng 
durchgebildeten Kunstfreundes, der, so zahlreich und 
wichtig auch die Ablenkungen der Politik, des Herrscher- 
berufes und der fürstlichen Etikette mit ihren Empfängen 
und Besuchen sind, sich, wo es nur geht, mit tiefster 

Lindenberg, König Karl. 28 




434 



Freudigkeit und wärmster Liebe der Kunst widmet, 
der Vervollständigung seiner Sammlungen, dem 
Ausbau und der Ausschmückung seiner anheimelnden 
Wohnstätten in Sinaia und Bukarest. Auch um das schein- 
bar geringste kümmert sich da der König. Er sieht mit 
größter Gewissenhaftigkeit alle Pläne, Entwürfe, Zeich- 
nungen durch, bestimmt 
oft Formen und Material, 
berät sich mit den Archi- 
tekten, Baumeistern und 
Künstlern und überwacht 
das Fortschreiten der ein- 
zelnen Arbeiten — es ist 
das für den unermüdlich 
pflichttreuen Herrscher, der 
keinerlei sportlichen oder 
sogenannten aristokrati- 
schen Passionen huldigt, 
die einzige Erholung. 

Auch jubelnde Kinder- 
stimmen erklingen oft in 
den Räumen des Pelesch- 
Schlosses, wenn dort das 
jugendliche Viergestirn des 
Thronfolgerpaares weilt. 
Ein zukunftsfrohes Bild: 
auf der Schloßterrasse den 
in die dunkle Generals- 




Prinzessin Maria von Rumänien. 



uniform gekleideten König zu sehen, in dessen Arm sich 
Prinz Carol eingehenkelt hat, ein schöner schlanker Jüngling, 
dem die rumänische Uniform der Militärschüler vortreff- 
lich steht und der von echtem Soldatenblut zu sein scheint, 
denn gern nimmt er an den Übungen des in Sinaia garni- 
sonierenden Jäger-Bataillons teil und meist bestürmt er 
den Großoheim mit militärischen Fragen. Und an die 



Digitized by 



Google 



435 



Königin hat sich die holde, blondlockige Prinzessin Elisa- 
beth, ein stilles, in sich gekehrtes Kind, geschmiegt und 
blickt mit ihren blauen zärtlichen Augen zu der hohen 
Gestalt empor, deren frisches, rosiges Gesicht von vollem, 
weißem Haar umrahmt ist und deren schöne Augen so 
gütig und sinnig leuchten. Eilfertig kommen nun auch die 
Prinzessin Maria, kosend 
Mignon genannt, und der 
kleine Prinz Nikolaus her- 
angetrippelt, und Mignon 
läßt nicht eher mit Bitten 
nach, bis die Königin einen 
Platz unter den blühenden 
Gebüschen wählt, die Klei- 
nen auf den Schoß nimmt 
und ihnen ein Märchen 
erzählt, ein so schönes, 
spannendes, geheimnisvol- 
les von Nixen und Gno- 
men, wie es eben nur Car- 
men Sylva, die liebe Kin- 
derfreundin, erzählen kann, 
die so gern Mutterstelle 
an dem Kleeblatt vertritt, 
wenn die Eltern auf Rei- 
sen weilen. — 

Mit froher Genugtu- Prinz Ferdinand von Rumänien, 
ung verfolgt König Karl 

den Aufschwung Sinaias, das ja ein erbärmliches Dorf ge- 
wesen, als er zum ersten Male die Schritte hierher gelenkt, 
und das sich jetzt eines Weltrufes erfreut. Damals war das 
obere Tal der Prahova wild und unwirtüch, heute ist es 
bereits in den Dienst der Industrie genommen, haupt- 
sächlich in der Ortschaft Azuga, die man von Sinaia aus 
in kürzester Frist mit der Bahn oder nach einstündiger, 

28* 




Digitized by 



436 



schöner Wagenfahrt auf glatter Chaussee, die auch Buschteni, 
eine der zwölf Krondomänen, berührt, erreicht. Wie bei 
allen Krondomänen fallen uns auch in Busteni, dessen 
Kirche, Schulhaus, Beamten- und Kolonisten Wohnungen mit 
Geschmack und erheblichen Kosten errichtet wurden, selbst 
bei einem flüchtigen Besuch die Ordnung und Sauberkeit auf. 



— : —r— E — : 




Tal der Prahova bei Sinaia. 



Verkörpert Buschteni in landwirtschaftlicher Hinsicht 
ein gut Stück des neuen Rumänien, so zeigt das benach- 
barte Azuga, von hohen Waldbergen umrahmt, ein Stück 
des industriellen Lebens im Königreich. Hier surren 
Maschinen, stampfen die Hämmer, kreischen die Sägen, 
glüht und sprüht es in den Hochöfen, schrillen die Dampf- 
pfeifen; Bierbrauereien, Möbel-, Glas-, Tuch-, Zellulose- 
und sonstige Fabriken, Wein- und Champagnerkellereien 
beschäftigen viele hunderte fleißiger Hände und sorgen 



Digitized by 




Digitized by 



438 



für steigenden Wohlstand. Auch der heute 3000 Ein- 
wohner — darunter viele deutscher Abstammung — 




zählende Ort, vor wenigen Dezennien ein armseliges 
Dörfchen, verdankt ungemein viel dem König, der mit 
Rat und Tat die ersten, vorsichtig unternommenen in- 
dustriellen Ver- 
suche unter- 
stützte und 
sie fortgesetzt 

fördert, wo 
und wie es ihm 
nur möglich 
ist, ebenso 
wie er mit 
regster Anteil- 
nahme alles 

Universität in Bukarest. verfolgt, was 




Digitized by 



439 



zur Verschönerung und Hebung der Hauptstadt bei- 
trägt. 

Wie anders schaut jetzt Bukarest aus, als in jenem 
Jahre des Einzu- 
ges des jungen 
Fürsten, dessen 

Wagen damals 
kaum aus den tie- 
fen Straßenkuten 

herauskommen 
konnte! Heute ist 
die Residenz eine 

glänzende Perle 
unter den Städten 

der Donauländer, einen durchaus großstädtischen Eindruck 
machend mit den elektrisch beleuchteten Hauptstraßen 




Athenäum in Bukarest. 




Boulevard Elisabeth in Bukarest. 



Digitized by 



Google 



440 




Ministerium des Äußeren in Bukarest. 



und Boulevards, den wahrhaft imponierenden monumen- 
talen, staatlichen und städtischen Neubauten, den öffent- 
lichen Denkmälern und Brunnen, den großartigen Kirchen 

und Wohltätig- 
keitsanstalten, 
den hübschen 

Parkanlagen 
und Plätzen, 
den koketten 
Stadtvierteln 
mit einer Fülle 
der reizendsten 
Villen inmitten 

lauschigen 
Grüns,mitlock- 

enden Läden wie Schaufenstern in den hauptsächlichsten 
Verkehrsadern, in denen es von früh bis spät lebhaft zu- 
geht und in welchen die Figuren der herumziehenden Ver- 
käufer, wie des aus den nahen Ortschaften kommenden 

Landvolkes für 
zahlreiche ma- 
lerische Szenen 
sorgen mit süd- 
ländischem 
Farbenreich- 
tum in stets 
wechselndem 
Getriebe. 

Auch in 
wissenschaft- 
licher, künstle- 
rischer, literarischer Beziehung ward sehr viel in Bukarest 
und damit für das gesamte^Land getan. Reichbegabte 
Dichter, wie V. Alexandri ,,und Eminescu, gaben tief- 
wirkende Anregungen für^eine neue Blüte der rumänischen 




Sparkasse in Bukarest. 



Digitized by 



Google 



441 



Poesie, und Gelehrte wie Schriftsteller wirken auf das 
fördersamste für die Kenntnis und Entwicklung des jungen 
Reiches. Die Universität, deren machtvoller Bau die 
staatlichen Museen und zahlreiche fesselnde Erinnerungen 
an Rumäniens Vergangenheit birgt, erfreut sich weitesten 
Ansehens, namentlich ihrer medizinischen Fakultät wegen, 
und in ernster, fördersamer Weise erfaßt die unter dem 
Protektorat des Königs stehende rumänische Akademie 
der Wissenschaften ihre 
Aufgaben. Uber reichen 
Inhalt verfügen die Uni- 
versitäts- sowie die Zen- 
tralbibliothek, und gro- 
ßen Segen übt das vom 
König für die Bukarester 
Uni versitätsj ugend be- 
gründete Stiftungshaus 
,,Fundatiunea Universi- 
tär a Carol I." mit treff- 
lichen wissenschaftlichen 
Sammlungen und an- 
heimelnden Lese- wie 
Klubräumen aus. In den Hauptpost in Bukarest, 

schönen Räumen des 

monumentalen kuppelgekrönten Athenäums finden im 
Laufe des Winters vielbesuchte Künstlerkonzerte und 
wissenschaftliche Vorträge statt, und werden dort auch 
kleinere Kunstausstellungen veranstaltet mit reichem In- 
halt, das Nationaltheater aber sorgt für einen abwechseln- 
den Spielplan, in welchem auch die deutsche Literatur ge- 
bührend vertreten ist. 

In den schönen Sommermonaten bildet auch heute 
noch, wie seit langem, nachmittags und abends die 
„Chaussee", jene vor der Stadt sich erstreckende, herrliche, 
ausgedehnte Promenade, den Mittelpunkt frohsinnigen und 




Digitized by 



442 

unterhaltenden gesellschaftlichen Lebens und Treibens, 
hauptsächlich der begüterten Klassen. In ununterbrochener 
Reihe rollen die Mietsequipagen dahin, meist von den 
„Birjars" gelenkt, den einer Sekte angehörenden Russen, 
die, mit breiter Mütze, unter der das russisch ge- 
schnittene, strähnige Haar dicht hervorquillt, mit von 
Ledergurt oder breiter seidener Schärpe umschnürtem 
dunklem Sammetkaftan gar stattlich auf dem Bock sitzen 
und ihre prächtigen Rosse nur schwer zu ruhigerem Gange 

zügeln kön- 
nen, aber auch 
an schmucken 
Privat- 
gefährten 
fehlt's nicht 
und nicht an 
sechs- 
spännigen 
Mailcoachs, 
mit Offizieren 
in kleidsamen 
Nationaltheater in Bukarest. Uniformen 

gefüllt. Doch 

nicht nur für die Wohlhabenden ist gesorgt, sondern auch 
für die minder Begüterten durch die Schaffung des hinter 
dem Königlichen Palais liegenden großen Volksgartens Cis- 
migiu, mit prächtigem altem Baumbestand, mit duftenden 
Blumenbeeten und lauschigen Ruheplätzen, mit weiten 
Teichen, auf denen Schwäne ihre Kreise ziehen, und plät- 
schernden Springbrunnen zwischen dichtestem Laubgerank. 

Im Frühling des Jahres 1906 legte die Hauptstadt 
ihren festfrohesten Schmuck an, galt es doch, das vierzig- 
jährige Regierungsjubiläum des Königs, der kurz vorher, 
von ernstlicher Erkrankung genesen, mit seiner Gemahlin 
nach Bukarest zurückgekehrt war, auf das würdigste zu 




Digitized by 



443 



feiern. Jubelnder Sang und Klang durchhauten in jenen 
Maitagen die rumänischen Gaue von der Donau an, nahe 
den Stromschnellen des Eisernen Tores bis zum fernen 
Pruth "an Rußlands Grenzen, von der erhabenen Felsen- 
einsamkeit der Karpathen bis zum schaumbespritzten 
Gestade des Schwarzen Meeres; freudig tönten die Glocken 
in den volkreichen Städten und in den entlegensten Ort- 
schaften, und ihr feierlicher Hall fand ein inniges Echo 
in den Herzen der Bewohner des rumänischen Landes, 
die stolz zurückblickten auf das Erreichte und stolz auf- 
schauen konnten 

zu ihrem treuen 



stadt und spie- 
gelte sich funkelnd wieder in den goldenen Kuppeln der 
zahllosen Kirchen und Kapellen, mit weißen Blüten über- 
schüttet waren die süßen Duft verbreitenden Akazien in 
den Straßen und Gärten, überall flatterten die blau-gelb- 
roten Fahnen und Banner und überall rankten sich 
Laub-, Blumen- und Tannengirlanden dahin, überall 
Bilder und Büsten des Königspaares, Wappen und 
Namenszeichen, Blumenschmuck und Teppiche — — 
die an sich schon so lebenslustige Stadt war durch- 
weht wie von einer rauschenden Symphonie der Freude 
und des Frohsinns. Und sie hatte vollsten Anlaß 
dazu, denn jene Feier bewies, welch hoher Geltung sich das 
Königspaar und der Staat erfreuten, sie bewies, was aus 



Lenzessonne lag 
schimmernd aus- 
gebreitet über des 
Landes Haupt- 



Führer in Kriegs- 
und Friedenszei- 
ten, zu König 
Karl. 



Goldigste 




Park Cismigiu in Bukarest. 



Digitized by 



444 



dem einstigen Vasallenstaat geworden und welch weiten 
Klang sich der Name „Rumänien" errungen ! Aus allen 
Landesteilen waren auf die Einladung der Regierung hin 
an 3000 Primare — Dorf- und Ortsvorsteher — vielfach 
von ihren Familienangehörigen begleitet, herbeigeeilt und 
füllten in buntem Gedränge die Straßen und Plätze. 

Welch eine überreiche Fülle charakteristischer Gestal- 
ten und packender Bilder ! Gab's doch unter diesen Tau- 
senden keinen einzigen, der die „abendländische" Tracht 
trug! Die nationalen Gewandungen ganz Rumäniens 
konnte man hier genau studieren in erstaunlicher Mannig- 
faltigkeit, Eigenart und Farbengebung. Unter langen, 
weißen, rotgestickten Gewändern hingen hier kurze, graue 
Filzmäntel, dort war über dem hemdartigen Rock eine 
buntgestickte, weiße Lederjacke ohne Ärmel gezogen, da- 
neben erblickte man Jacken, vollständig mit silbernem 
Flitter bedeckt und darauf grelle Stickereien, andere weiß- 
wollene Jacken waren mit Schafpelz besetzt, die Nachbarn 
trugen helle Röcke und Hosen mit breitem, schwarzem 
Aufputz in verschlungenen Ornamenten, hier wieder war 
trotz der Hitze der solide, dichte, fast bis zur Erde reichende 
Schafpelz nicht abgelegt, dort erinnerte das Flittergewand 
mit gelbem Florüberhang ans Theater, schwarze, reichge- 
stickte Wollröcke wechselten mit weißen, grauen, braunen 
und blauen, breite lederne Gürtel mit roten Bündeln und 
blau-gelb-roten Schärpen, verschiedene Primare aus der 
Dobrudscha, wo es noch eine Reihe türkischer Ansiede- 
lungen gibt, trugen Fez oder den buntumwickelten Turban 
— es war gewissermaßen eine lebende Kostümausstellung, 
wie man sie sich nicht fesselnder vorstellen konnte. Und 
welch interessante Typen unter diesen an Wind und Wetter 
gewöhnten, gebräunten, stattlichen Männern: so manch 
scharfgeschnittenes Profil erinnerte an römische Vorbilder, 
Gestalten voll Mark und Kraft, Mut und Energie, dann 
wieder tatarischer Einschlag und orientalischer Gleichmut 



Digitized by 



445 



— das wundervollste Material hätte hier ein Maler ge- 
funden ! 

Überhaupt war das ganze festliche Treiben volks- 
tümlichster Art. Außer dem ältesten Neffen des Königs, 
dem Fürsten Wilhelm von Hohenzollern, und einem Neffen 
der Königin, dem Prinzen von Wied, waren keinerlei fürst- 
liche Persönlichkeiten eingetroffen; jede derartige Anfrage, 
auch jene, die sich auf Spezialmissionen bezog, hatte dahin 
ihre Beantwortung gefunden, daß das freudige Fest nur 
auf nationaler Grundlage begangen werden sollte. Ebenso 
war von allen höfischen Veranstaltungen und von Dar- 



bietung reicher Gaben auf Wunsch des Königs Abstand ge- 
nommen worden, er wollte in diesen erinnerungsvollen 
Maitagen nur in enger Gemeinschaft mit seinem Volke sein. 

Die Hauptfeier war jene des 23. Mai, der aiti Vor- 
abend ein Zapfenstreich der Garnison vorangegangen war, 
bei dem die den Platz vor dem Palais ausfüllende viel- 
tausendköpfige Menge dem Herrscher, als er, bestrahlt 
von dem glühenden Schein der Fackeln, auf dem Balkon 
erschien, die stürmischsten Huldigungen darbrachte. Und 
wie wiederholten sie sich am nächsten Tage, der vom herr- 
lichsten Frühlingssonnenschein übergoldet war und das 
fröhliche Bukarest im freudigsten Fest- und Frühlings- 
schmucke zeigte, die Hauptstraßen gefüllt von früh an 
mit dichtesten Menschenmassen. 

Umhallt von brausenden Jubelrufen und unter dem 




Jubiläums-Medaille. 



Revers für Zivil. 



Revers für Militär. 




446 



Donner der Geschütze hatte sich am Vormittag das Königs- 
paar nach der Metropolie begeben, dem ehrwürdigen Gottes- 
hause, auf einer Anhöhe außerhalb der eigentlichen Stadt- 
grenze gelegen, wo sich auch die Würdenträger und fremden 
Gesandten versammelt. Außen schlicht, weist das Innere 
der Kirche, in welche das Tageslicht durch die Malereien 
der Glasfenster und durch zwei hohe Kuppelöffnungen ge- 
dämpft hereinfällt, den ganzen blendenden Reichtum des 
orthodoxen Kultus auf. Goldene Heiligenbilder und Re- 
liquien, goldene Leuchter und Ampeln, goldene Schreine 
und Altargeräte, und auf der goldschimmernden Wand des 
AUerheiligsten die wie große Rubine glühenden Lichtchen 
der ewigen Lampen mit ihren blutroten Reflexen. In gold- 
starrenden Gewändern harrten die Geistlichen, an ihrer 
Spitze der weißbärtige, würdige Metropolit, des königlichen 
Paares, es unter den vom Chor gesungenen feierlichen 
Klängen der Nationalhymne: „Der König soll leben in 
Friede und Ehre, er hebt sein Land und verteidigt es", 
zu den Thronsesseln nahe dem Altar geleitend, worauf das 
Tedeum begann, das mit den eindringlichen Worten des mit 
erhobenem Kreuze vor dem Altar stehenden Metropoliten : 
„Viele Jahrelebe er !" endete, und all die Anwesenden wieder- 
holten den Segensspruch dreimal: „Multi ani traesca!"*) — 
Welche Gedanken, welche Erinnerungen mochten den 
König bewegen! Hierher, nach dieser heiligen Stätte, 
hatte er vor vierzig Jahren zuerst seine Schritte gelenkt, 
hierher hatte er am Tage des gemeinsamen Einzuges seine 
holde, junge Lebensgefährtin geführt, das feinsinnige 
Fürstenkind vom Rhein, hierher war sein erster Gang ge- 
wesen, nachdem er von den blutgetränkten Schlachtfeldern 
Bulgariens, auf denen er mit seinen tapferen Truppen Sieg 
und Ruhm erfochten, heimgekehrt, und hier waren vor 
einem Vierteljahrhundert die Königskronen geweiht wor- 



*) Phonetische Schreibweise: „multzi ani traiasca". 




447 



den, die sein Volk ihm und seiner Gemalin dargebracht 
als Dank für die Treue und Aufopferung, mit der beide 
sich immerdar dem Wohle des Landes gewidmet! 




Das Königspaar mit den Prinzen Carol und Nicolaus bei der Parade 
am Jubiläumstage (23. Mai 1906). 

Und dieser Dank, er kam im weiteren Verlaufe des 
Tages zu bewegendem Ausdruck! Mit besonderem Glanz 
fand diesmal die alljährliche Parade statt auf dem breiten 
Boulevard Universitatei, auf dem vor und nahe der Univer- 
sität eine Reihe überdachter, rotausgeschlagener Tribünen 



Digitized by 



448 



in gefälligstem Stil und mit sehr geschickter Verwendung 
von- Teppichen, Kelims, Vorhängen, Girlanden und Blumen 
errichtet worden war. Gegenüber jener für das diploma- 
tische Korps' befandfsich der zierliche königliche Pavillon 




Digitized by 



449 



mit großer Krone auf dem roten Dache, unten umrahmt 
von einer aus Gewehren gebildeten Brüstung mit Trommel- 
und Kugelpyramiden und mit prächtigen Palmen- und 
Lorbeerarrangements am Zugang, in enger Nachbarschaft 




Digitized by 



450 



ein großes, an allen Seiten offenes Zelt nebst zwei mit 
Waffen bedeckten Trophäenbogen — das alles in seiner 
Mannigfaltigkeit und Farbe mit zahllosen Fahnen und 
Wimpeln wundervoll sich abhebend von dem vollen Grün 
der dichten Baumgruppen dahinter. 

Um die Mittagsstunde dringt lautschallender Jubel 
näher und näher. Ein Zug Gendarmen in dunklen Uni- 
formen, Federbüsche auf den blitzenden Stahlhelmen, naht, 
dann Vorreiter, und nun erblickt man den offenen, von vier 
silbergeschirrten, wippende blau-gelb-rote Straußenfeder- 
büschel auf den Köpfen tragenden und von Jockeys in 
silbergestickten Livreen gerittenen Pferden gezogenen 
Galawagen, im Fonds die ganz weißgekleidete Königin, 
das rosige Gesicht von Freude verklärt, die großen blauen 
Augen strahlend, überallhin mit frohem Lächeln grüßend, 
erfüllt von innigster Bewegung. Links neben der Königin 
die schlanke Gemahlin des Thronfolgers, Prinzessin Maria, 
mit ihren Kindern, dem Prinzen Carol und den Prinzessinnen 
Elisabeth und Maria. 

Neuer brausender Jubel, donnernd anschwellend und 
die schmetternden Weisen der Nationalhymne überhallend 
— von glänzender Eskorte gefolgt, erscheint, einen 
prächtigen Braunen reitend, der König. Alles auf den Tri- 
bünen erhebt sich, Tücher und Hüte werden jubelnd ge- 
schwenkt, die Hurras nehmen kein Ende. Der König in 
Generalsuniform sieht frisch und wohl aus, fest hat er die 
Zügel in der Hand, und freudig gleiten seine Blicke über 
die Menge, seine sonst meist ernsten Gesichtszüge sind 
froh verklärt, grüßend senkt er immer und immer wieder 
den Degen, nahe dem königlichen Pavillon sich vom Pferde 
schwingend und die seiner harrenden Minister begrüßend, 
dann sich rüstigen Schrittes in den Pavillon begebend und 
dort lebhaft mit den Damen und Herren plaudernd. Zu 
Pferde halten nahe dem erwähnten Zelt der Fürst Wilhelm 
von Hohenzollern in rumänischer Oberstenuniform und der 




451 



Prinz Wilhelm von Wied in Garde du Korps-Uniform, im 
Halbkreise die Adjutanten und fremden Militär- Attaches, 
eine mannigfaltige Gruppe bildend, preußische, russische, 
französische, englische, italienische, türkische Offiziere 
durch- und nebeneinander. 

Der Präsentiermarsch erschallt, Prinz Ferdinand, 
der Thronfolger, sprengt heran und meldet seinem an die 
Brüstung getretenen königlichen Oheim den Beginn der 
Parade. Der König und seine Gemahlin verlassen mit den 
Prinzen Carol und Nikolaus den Pavillon und stellen sich 
draußen auf, vor den Ministern; ein rührendes Bild ist es, 
als die Königin ein wenig hinter ihren Gemahl tritt, um 
ihn, ohne daß er es merkt, mit ihrem weißen Spitzenschirm 
gegen die brennenden Sonnenstrahlen zu schützen. 

Rasche Marsch weisen ertönen, die waffenfrohe junge 
Generation hat diesmal den Vorrang, die „kleinen Doro- 
banzen" nahen, in einzelnen Kolonnen defilierend, stramm 
und flott, ohne Spur von Ermüdung, obwohl sie schon 
vom frühen Morgen an unterwegs sind. Mit Fahnen und 
Musik ziehen sie vorüber, die Köpfe rechts zum König ge- 
wandt, der sehr befriedigt zu sein scheint; denn er nickt 
oft wohlgefällig, zuweilen mit der rechten Hand das Tempo 
angebend. Wohl an 2000 Knaben sind es, aus den benach- 
barten ländlichen Distrikten stammend, eine Jugendwehr, 
von Unteroffizieren oder von Lehrern, die aktiv gedient, 
militärisch ausgebildet. Die Kerlchen, die jüngsten sieben 
und acht Jahre, sehen famos aus in ihren leichten, weißen, 
blau eingefaßten Uniformen, mit der weichen schwarzen 
Fellmütze, mit Tornister und richtigem Gewehr, sie nehmen 
es sichtlich sehr ernst, nirgends ein Wort oder nur ein 
Lächeln, sie sind ganz bei der Sache und führen jeden Be- 
fehl sicher und rasch aus. Ihnen schließen sich die Schüler 
der Bukarester mittleren und höheren Schulen an, die 
Zöglinge der Militärschule, ferner Vertreter einzelner Ge- 
werke. 



29* 




452 



Der König besteigt jetzt wieder sein Pferd und nimmt 
unter dem Zelt Aufstellung — von neuem brausende Hochs : 
in ihren dunklen, zerschlissenen Militärmänteln, auf denen 
die Feldzugsmünzen klirren, erscheint ein Trupp Vete- 
ranen mit den oben den goldenen römischen Legionsadler 
tragenden, völlig zerschossenen Fahnen, welche dereinst 
vorangeweht den todesmutigen Erstürmern Plewnas und 
Rahowas, und diesen ruhmvollen Feldzeichen folgen 3000 
der alten Krieger, die, ihre übrigen Kameraden vertretend, 
aus allen Teilen des Landes nach Bukarest geeilt waren, 
um ihrem König und Heerführer, der treu mit ihnen die 
furchtbaren Strapazen und Entbehrungen des Winterfeld- 
zuges von 1877 /y8 am Balkan geteilt, an diesem Erinnerungs 
tage zu huldigen. Unermüdlich grüßt der König, manchem 
der alten Krieger winkt er mit der Hand zu, in den Mienen 
vieler der Vorbeimarschierenden prägt sich tiefe Rührung 
aus, daß es ihnen noch einmal vergönnt ist, ihren König 
und Held zu schauen, der in ihrer Mitte geweüt, als die 
türkischen Granaten ihre Reihen gelichtet im zähen Ringen 
zwischen Kreuz und Halbmond. 

An die Veteranen schließen sich die Abordnungen 
sämtlicher außerhalb Bukarests garnisonierender Truppen- 
teile mit den Fahnen, der Thronfolger reitet an der Spitze, 
um die Feldzeichen, unter denen gleichfalls viele kugel- 
zerfetzte sind, an dem König vorüber zu führen. Die 
Reserveoffiziere der Hauptstadt defilieren danach, hinter 
ihnen Kommandos der Marine und dann die gesamten 
Truppenteile der Garnison, Jäger, Infanterie, Artillerie zu 
Fuß und mit Geschützen — letztere die neuesten Krupp- 
schen Rücklaufkanonen — , Geniekofps, Kavallerie, bis 
die Gendarmen den Schluß bilden, alles in allem etwa 
15 000 Mann aktiver Truppen. Der Vorbeimarsch fällt 
vortrefflich aus, es sind kernige, gut disziplinierte, aus- 
dauernde Soldaten, über welche Rumänien verfügt. 

Wiederum erklingt die Nationalhymne, die Veteranen 




453 



mit den Fahnen setzen sich an die Spitze, hinter ihnen der 
König hoch zu Roß mit dem Thronfolger, dem Fürsten von 
Hohenzollern, dem Prinzen von Wied, dem Gefolge und 
den fremden Offizieren, dann eine Kavallerie-Ehreneskorte, 
und nun der blumenüberfüllte Wagen mit der Königin 
und der Prinzessin Maria mit deren lieblichem Vierblatt — 
so zieht der Zug langsam durch die menschenüberfüllten 
Straßen inmitten orkanartigen Jubels dem Palais zu, be- 
strahlt von goldigster Frühlingssonne, die das unvergeß- 
lich-herrliche Bild mit schimmernder Aureole umhüllt! — 
An den nächsten Tagen fanden, neben allerhand volks- 
tümlich-festlichen Veranstaltungen, im Palais zahllose 
Empfänge statt, wollten doch hunderte und aberhunderte 
von Abordnungen dem Königspaare ihre Huldigungen dar- 
bringen. Hochbedeutsam war die Rede, welche der König 
an die Präsidenten der gesetzgebenden Körper hielt, einen 
Rückblick und Ausblick vereinend, mit tiefem Dank 
für die, die ihm bei seinem hehren Werk geholfen: „Mit 
lebhafter Bewegung und tiefer Dankbarkeit werfe ich heute 
einen Blick auf diese lange Reihe von Jahren, die ich mit 
meinem Volke im Gefühl und Willen eng verbunden durch- 
messen habe — und ich fühle mich glücklich und stolz, 
daß ich vor 40 Jahren seinem Rufe gefolgt bin und die 
edle, aber schwierige Aufgabe übernommen habe, meine 
ganze Kraft der Erfüllung seiner Hoffnungen zu widmen. 
Ich beklage mich nicht über die Schwierigkeiten, die ich 
auf meinem Wege angetroffen, und auch nicht über die 
traurigen durchlebten Stunden, da ich sie mit meinem 
ganzen Volke geteilt habe, das mich mit seiner Treue ge- 
rührt und mich durch unversiegbare Liebe doppelt be- 
lohnt hat. Alle diese Hindernisse und Leiden erhöhen viel- 
mehr den Wert unseres Erfolges. — Ja, gesegnet und 
fruchtbar war diese Epoche der Wiedergeburt Rumäniens, 
dem wir dank dem patriotischen Schwünge aller Herzen 
und dank der Weisheit und Besonnenheit unserer großen 




454 



Staatsmänner in die Geschichte ruhmreiche Seiten für das 
rumänische Volk eingeschrieben haben. Es ist eine heilige 
Pflicht für mich, heute diesen unvergessenen Männern 
den Tribut meiner unbegrenzten Dankbarkeit darzu- 
bringen. — Viele von ihnen sind bereits in ein besseres 
Jenseits hinübergegangen; unsere treue Erinnerung an 
sie aber wird niemals verlöschen, denn ihnen und unserer 
tapfern Armee verdanken wir die Gründung eines unab- 
hängigen rumänischen Königreiches an den Mündungen 
der Donau, das auf dauernder Grundlage aufgebaut ist 
und dessen 25 jährigen Bestand wir zusammen mit dem 
40 jährigen Jubeltage meiner Herrschaft feiern. — Diese 
glänzenden Erfolge sind der stolzeste Lohn für die uner- 
müdliche Arbeit einer ganzen Generation, welche schwere 
Kämpfe und schwere Heimsuchungen durchgemacht hat, 
um das Vaterland vor den Gefahren zu retten, die sogar 
seinen Bestand bedrohten. — Die warmen Worte, die Sie 
mir anläßlich dieses doppelten Gedenktages im Namen 
der nationalen Vertretung gesprochen, erfüllen unsere 
Seele mit unsagbarer Freude. Ich nehme sie mit Dank- 
barkeit als eine treue Kundgebung der Liebe unseres ge- 
liebten Volkes an. — Ich danke insbesonders den am 
Leben befindlichen Männern, die mich in der Erfüllung 
meiner schweren Aufgabe unterstützt und einen bedeuten- 
den Anteil an den vollbrachten Taten genommen haben. 
— Ich bitte zu Gott, daß er ihnen und mir noch lange 
Jahre Gesundheit schenke, damit wir sie der Vollendung 
des begonnenen Werkes und der immer weiteren Kräfti- 
gung unseres teuern Rumänien widmen können. — Welches 
immer der Wille Gottes sein mag, dem wir uns in Demut 
unterwerfen, so können wir doch nicht umhin, mit Ver- 
trauen in die Zukunft des Landes zu blicken, da diese 
Zukunft sich auf die Tugend des rumänischen Volkes be- 
gründet, das ungebrochen den Leiden von 18 Jahrhunderten 
widerstanden hat, auf eine Bauernschaft, die tapfer im 




455 



Kriege und arbeitsam in Zeit des Friedens ist, da sie sich 
auf die wechselseitige und unerschütterliche Treue zwischen 
Nation und Dynastie stützt, deren junge Sprossen, auf ru- 
mänischem Boden geboren und in der Religion der Alt- 
vordern erzogen, es verstehen werden, mit Hilfe Gottes 
dieses seelische Band immer enger zu knüpfen. — Ver- 
einigen wir uns also alle in dem unsern Herzen so teuren 
Wunsche, der auch unsere heiligsten Wünsche umfaßt: 
„Es lebe Rumänien, immer größer, immer glücklicher, 
immer gesegneter!" — 

Anläßlich des Jubiläums erließ der König eine Am- 
nestie und gedachte in mancherlei Weise der Be- 
drückten und Bedrängten, denen ja von jeher seine 
Unterstützung und sein sorgendes Interesse gewidmet 
gewesen. Die Kammer bewilligte eine aus parlamen- 
tarischer Anregung hervorgegangene Gesetzesvorlage, 
durch die zu den schon früher votierten 500 000 Francs 
noch der gleiche Betrag gefügt ward für die Errichtung 
eines Denkmals des Königs und des Unabhängigkeits- 
krieges. Aber auch die Einzelnen bemühten sich, dem 
Herrscher ihre Verehrung und ihren Dank zu beweisen, 
so teilte in jenen Freudentagen der Verwalter der 
Krondomänen und Präsident der Akademie, Dr. Jean 
Kalindero, mit, daß er in Bukarest aus eigenen Mitteln 
ein Museum der schönen Künste errichten werde, hier- 
durch zu seinen großen Verdiensten um das Land ein 
ruhmvolles neues fügend. 

Aus Anlaß des Jubiläums war in Bukarest eine Große 
Nationale Ausstellung veranstaltet worden, die in male- 
rischem Rahmen einen charakteristischen Einblick in die 
geschichtliche und wirtschaftliche Entwicklung des Landes 
von frühen Zeiten an bis zur Gegenwart gewährte, und 
da Rumänien zum ersten Male ein derartiges Werk unter- 
nahm, wurden erfolgreich alle Kräfte angespannt, um 
etwas ganz Besonderes zu schaffen, wobei in regem Wett- 




456 



bewerb alle großen staatlichen Verwaltungen und Institute, 
die Regierung wie Privatkreise, die Grundbesitzer, In- 
dustriellen und Gewerbetreibenden, die Gelehrten, Schrift- 
steller und Künstler des Landes wetteiferten. Die Aus- 
stellung breitete sich in einer Größe von über 40 Hektaren 
in unmittelbarer Nähe der Stadt auf dem Füareter Felde 
aus, dem „Freiheitsfelde", deshalb so genannt, weil dort 
einst begeisterte Volksversammlungen stattgefunden, 
welche die Freiheitsbewegung der beiden damaligen Do- 
naufürstentümer, des heutigen Rumäniens, eingeleitet. 
Das Bestreben, in der äußeren Gestaltung etwas völlig 
Nationales und damit zugleich Originelles zu schaffen, 
geläng in jeder Hinsicht, daneben glückte aber auch vor- 
trefflich die künstlerische Form, verbunden mit großer 
Übersichtlichkeit. 

Bei der am 19. Juni stattgefundenen feierlichen Er- 
öffnung, der das Königspaar, Prinz Ferdinand mit seiner 
Gemahlin und seinen Kindern, die Minister und Würden- 
träger, hohen Geistlichen, Senatoren, Offiziere usw. bei- 
wohnten, hielt der Domänenmimster die Eröffnungsrede, 
in der er ein Bild von den Verhältnissen des Landes zu 
Beginn des neunzehnten Jahrhunderts gab und Vergleiche 
mit der Gegenwart zog: „Das Werk der Regeneration 
hat erst an dem Tage einen mächtigen Aufschwung ge- 
nommen, wo die Begründung einer Erbmonarchie dem 
Lande die Stabilität der Institutionen, dem Volke Ord- 
nung und Sicherheit und den Bestrebungen des Herrschers 
Beharrlichkeit und Dauer gegeben hat. — Das rumänische 
Volk wurde weder in seinem Glauben, noch in seiner Hoff- 
nung getäuscht, und wenn wir heute nach 40 Jahren der 
Herrschaft Ew. Majestät die Blicke nach rückwärts wen- 
den und sehen, woher wir ausgegangen und wohin wir 
gelangt sind, können wir mit Vertrauen und Stolz in die 
Zukunft blicken/' 

Nach der sich anschließenden Rede des General- 





Nationale Jubiläums- Ausstellung in Bukarest (1906). 

1. Turm des Fürsten Vlad der Pfähler. 2. Königlicher Pavillon. 3. Pavillon der Kron- 
domänen. 4. Blick auf den Kunstpavillon. 5. Altes Bojarenhaus. 6. Römische Arena- 



Digitized by 



458 



kommissars der Ausstellung ergriff der König das Wort, 
indem er zunächst den Vorrednern für ihre Wünsche und für 
die anerkennenden Rückblicke dankte, dann fortfahrend: 
„Ich begrüße mit tiefempfundener Freude unsere erste Natio- 
nale Ausstellung, dieses wahre Fest der rumänischen Arbeit, 
das eine würdige Krönung vierzigjähriger Kämpfe und 
Anstrengungen bildet. Mit Recht haben Sie die Erinne- 
rung an die Legionäre Trajans und an die Einverleibung 
unseres Landes in das große römische Reich wachgerufen, 
denn dieses historische Ereignis beherrscht unser ganzes 
nationales Leben. Für Rumänien ist sein vornehmer 
Ursprung in 'Wahrheit ein Sporn und ein Schutz gewesen. 
Dieses Erwachen des Rassenbewußtseins, das sich in den 
kriegerischen Tugenden der Rumänen und in dem jahr- 
hundertelangen Streben nach einem Eigenleben kundge- 
geben hat, hat seine endgültige Weihe in dem unabhängigen 
rumänischen Königreich gefunden. Nach dem Siege auf 
dem Schlachtfelde war es natürlich, daß wir uns über 
die erzielten Errungenschaften auf dem Gebiete des fried- 
lichen Kampfes Rechnung legen, tun zu wissen, was wir 
erreicht haben, und insbesondere, was uns noch zu tun 
erübrigt, um auf sicheren und fruchtbringenden Wegen 
der wirtschaftlichen Unabhängigkeit entgegenzugehen. 
Diese schöne Ausstellung, in der sich alle Errungenschaften 
der Kultur und der nationalen Arbeit von der traditio- 
nellen Arbeit am Pfluge bis zu den jüngsten Schöpfungen 
des Kleingewerbes und der Großindustrie widerspiegeln, 
wird uns klar die Fortschritte zeigen, die in diesem kurzen 
Zeitraum seit der Epoche, in der wir unsere Anstrengungen 
auf eine verständnisvollere Verwertung unserer Hilfs- 
mittel richteten, erzielt wurden. Jene allein, die unsere 
wirtschaftlichen Verhältnisse seit vierzig Jahren kennen, 
werden ein gerechtes Urteil über die wunderbare Um- 
wandlung fällen können, die sich auf dem Gebiet der Land- 
wirtschaft und der Industrie und ganz besonders auf dem 




459 



Felde der Ver- 
kehrsmittel 
vollzogen hat. 
Die auf letzte- 
rem Gebiet, 
dank dem Bau 
der Eisenbah- 
nen, herbeige- 
führte Verbes- 
serung hat un- 
sere Getreide- 
ausfuhr ver- 
fünffacht und 

in gleichem 
Maße auch den 

nationalen 
Reichtum ver- 
mehrt. Obwohl 
unsere Indu- 
strie sich noch 
in wachsender 
Entwicklung 
befindet, hat sie 
bereits einen 
erfreulichen 
Aufschwung 
genommen, der 
erwarten läßt, 
daß wir einen 
großen Teil un- 
serer Bedürf- 
nisse decken 
werden kön- 
nen. Wir dür- 
fen demnach 




8 

& 

03 

.S 



B 
1 



cd 

§ 

•■3 
z 



3 

S 



Digitized by 



Google 



460 



stolz sein auf diesen großen Schritt nach vorwärts, der ein 
sympathisches Echo selbst außerhalb unserer Grenzen in 
jenen Ländern geweckt hat, die uns die Ehre erwiesen 
haben, an unserem Feste teilzunehmen. Vergessen wir je- 
doch nicht, den Tribut unserer Dankbarkeit auch den 
Staatsmännern zu zollen, die das Volk auf dieser frucht- 
bringenden Bahn geführt haben, indem sie auch auf dem 
wirtschaftlichen Gebiet die stolze Devise: „Alles durch 
uns selbst!" zur Geltung brachten. Insbesondere spreche 
ich meine aufrichtigsten Glückwünsche und meinen leb- 
haftesten Dank jenen aus, die, von unerschütterlicher 
Zuversicht und Arbeitsfreudigkeit beseelt, ihre Bemühungen 
dieser ersten Kundgebung des nationalen Fortschrittes ge- 
widmet haben. " 

Das Ziel, das man sich bei Veranstaltung der Aus- 
stellung gesetzt: zu zeigen, was Rumänien in den letzten 
vierzig Jahren auf allen Gebieten geleistet, ward in jeder 
Hinsicht erreicht. Der wirtschaftliche Erfolg war ein 
bedeutender und nicht minder der politische und moralische; 
von nah und fern, aus allen Weltgegenden, waren die 
Rumänen nach der Hauptstadt gekommen, mit Stolz 
erfüllt darüber, welche Umwandlungen binnen wenigen 
Jahrzehnten Land und Residenz durchgemacht und wie 
hell und stark der Klang des einst vielgeschmähten 
Wortes „Rumänien" geworden. Aber auch das Ausland 
hatte zahllose Besucher gesandt, die mit Überraschung 
wahrnahmen, wieviel in diesem Reiche an der Donau 
geleistet worden von ernster Kulturarbeit. 

In der Thronrede, mit der im Herbst die Deputierten- 
kammern eröffnet wurde, drückte der König seinen in- 
nigsten Dank aus für all die zahllosen Beweise der Liebe 
und Treue, die man ihm in so überreicher Fülle dar- 
gebracht, auch der Nationalen Ausstellung gedenkend, die 
einen so glänzenden Erfolg hatte und den Beweis erbrachte, 
daß die vierzigjährige Arbeit keine vergebliche ge- 




461 



wesen. Des Ferneren wurde des günstigen Standes der 
Finanzen gedacht, die beim Rechnungsjahre 1905/06 mit 
einem Überschuß von 45 Millionen abschlössen, und Ge- 
setze angekündigt, die das Los der ärmeren Klassen 
erleichtern sollen, ferner Verbesserungen der Universi- 
täten und Spitäler, die Unabsetzbarkeit der Richter erster 
Instanz sowie weitere Erstarkung des Heeres betreffen. 

Die Anstrengungen der Jubiläumsfeierlichkeiten hatten 
die sowieso noch nicht ganz gefestet gewesene Gesundheit 
des Königs doch erschüttert, und er, der Unermüdliche, 
mußte sich im Herbst und Winter große Schonung auf- 




Medaille auf die Nationale Jubiläums- Ausstellung (1906). 



erlegen, auf das hingebendste gepflegt von seiner Ge- 
mahlin, die, gelegentlich einer falschen Zeitungsnachricht, 
am Ausgang des Jahres in liebevollen Worten von der be- 
wundernswerten Geduld des teuren Gemahls und von der 
allmählichen Genesung berichtete: „Wie konnte man das 
nur einen Augenblick glauben, daß der Mann von Eisen 
nicht mit derselben Willensstärke das Ungemach langer 
Krankheit ertragen würde, die er allen Schwankungen 
seines wechselvollen Lebens entgegengesetzt hat! Wie 
oft habe ich auf ihn Bürgers Worte angewandt: „Dem 
Kaiser ward's sauer bei Hitz' und bei Kälte, oft schlief 
er gepanzert im Kriegeszelte, oft hatt' er kaum Wasser bei 



Digitized by 



462 



Schwarzbrot und Wurst, und öfter noch litt er gar Hunger 
und Durst." Wer bei der Ausstellung das kleine Haus be- 
sucht hat, das er [während des ganzen Krieges zusammen 
mit Ratten, Mäusen, Rauch, Schnee und Eis bewohnt hat, 
der wird finden, daß ich nicht übertreibe. Seine Geduld 
ist auch jetzt geradezu heroisch. Auch jetzt, wo der stark 
arbeitende Mann zum Liegen verurteilt ist, zum Nichts- 
tun, gerade vor der Kammereröffnung, wo sonst alle 
Fragen auf ihn einstürzen, und er den Mut haben muß, 
nicht einmal zu erfahren, wie es geht, ist seine Liebens- 
würdigkeit nicht einen Augenblick geringer geworden ! 

Geduld ist Mut im Schmelzzustande des Hochofens, und 
er gießt sich in viele Formen. Wie sollte der Mann der 
eisernen Geduld sich nicht in dieser Prüfung bewähren? 
Ich habe nie einen besseren Kranken gehabt als den König, 
und ich habe sehr viel gepflegt in meinem Leben !" 

Die Königin erzählt dann, daß dank der strengen Be- 
folgung der ärztlichen Vorschriften seitens des Königs die 
Schmerzen allmählich aufgehört haben und in den Nächten 
sich Ruhe einstellt : „Den ganzen Tag bringen wir mit Lesen 
zu. Alle Tische sind voll Bücher, es ist nur schwer, eines 
zu finden, das er noch nicht gelesen hat. Da ich die Gabe 
habe, stundenlang ohne Ermüdung vorlesen zu können, 
so haben wir ein sehr interessantes Leben. Besonders 
Memoiren aus allen Zeiten, von allen Färbungen und allen 
Federn bereichern die geschichtlichen Kenntnisse, auf 
die der König als Staatsmann den allergrößten Wert 
legt. Er sagt immer: „Politik ist gelebte Geschichte, 
und alles wiederholt sich in der Welt. Wenn man liest, 
so sieht man, daß die Völker immer dieselben bleiben und 
sich durch alle Zeiten gleich benehmen." Schade, daß 
niemand in den Frieden und die Harmonie dieses Kranken- 
zimmers hineinblicken kann! Unseres Sonnenlands No- 
vember ist ein wundervoller Monat, und sonndurchströmt 
ist unser großes Schlafzimmer mit seiner Nußbaumholz- 




463 



vertäfelung in reicher Schnitzerei. Die Innenfenster, auf 
denen das Märchen von den sieben Raben und der treuen 
Schwester nach Schwind angebracht ist, stehen offen und 
lassen die Sonne all das Holz vergolden. In den Neben- 
zimmern stehen alle Fenster offen, so daß die Luft rein 
und frisch bleibt und Heiterkeit alles erhellt. Die andern 
Frauen fragen mich oft lächelnd, ob es mir nicht neben 
all der Sorge doch ein bißchen Freude macht, auch einmal 
einen Gatten zu haben, ein Glück, das in dieser vielar- 
beitenden Zeit uns Frauen nur durch die Krankheit unserer 
Männer zuteil werden kann!" 

In allen Bevölkerungsschichten des Landes wie auch 
außerhalb der Grenzen Rumäniens verfolgte man mit 
banger Sorge die wechselnden Nachrichten über das Be- 
finden des Herrschers und atmete freudig auf, als sich all- 
mählich eine endgültige Besserung einstellte. 

Monate hindurch hatte Königin Elisabeth nur ihrem 
Gemahl gelebt, jetzt konnte sie sich auch wieder ihren 
Pflichten als Königin widmen, regen Anteil nehmend an 
der Pflege der Armen, Betrübten, Hilflosen und von neuem 
unermüdlich tätig für ihr jüngstes großes Liebeswerk, die 
Blindenstiftung „Vatra I/uminoasa" — „Der leuchtende 
Herd" — die sie im Sommer jenes Jahres ins Leben ge- 
rufen, damals in engem Kreise mit hinreißenden Worten ihr 
Ziel entwickelnd, nachdem sie erwähnt, daß es in Ru- 
mänien an 30 000 Blinde gibt. Voll innerer Begeisterung 
sprach sie bewegt von ihrem Hoffen und Sehnen, jenen 
Ärmsten unter den Armen helfend zu nahen, nicht mit 
Almosen sie unterstützend, sondern sie zur Arbeit erziehend 
und ihnen lohnende Beschäftigung gewährend, damit sie 
über die langen, bangen Stunden hinwegkommen und sich 
ihr Brot selbst verdienen sollen. Wie hell und freudig 
drangen da die Worte von den beredten Lippen und wie 
spiegelte sich auf dem gütigen, noch so jugendfrischen 
Gesicht der Königin die eigene frohe Bewegung: „Ja, 




464 



eine ganze Blindenstadt soll erstehen, langsam, allmählich. 
Und ich will die Armen so reich machen, daß die geistig 
Beanlagten Zeit zum Lernen gewinnen, die Musikalischen 
Künstler werden können, wir wollen Theateraufführungen 
und Konzerte veranstalten, unsere Blindenstadt soll sehr 
hell und heiter werden, und darum will ich sie „Vatra 




IyUminoasa" nennen, „Der leuchtende Herd!"" — Und es 
war, als ob sich die Begeisterung der Königin Vielen, 
Vielen mitgeteilt, denn auf das reichlichste flössen von allen 
Seiten und von allen Erdteilen die Gaben und ermöglichten 
es der Herrscherin, schon in kürzester Frist die blühenden 
Anfänge ihres Lieblingsplanes erfüllt zu sehen. 

Zur Jahreswende konnte der König abermals ein 
seltenes Jubiläum begehen, seine fünfzigjährige Zuge- 



Digitized by 



Google 



465 



Hörigkeit zur preußischen Armee, denn fünf Dezennien 
waren am i. Januar 1907 verstrichen seit dem Tage, an 
dem der junge Prinz Karl von Hohenzollern als Se- 
kondeleutnant ä la suite dem damaligen Garde-Artillerie- 
regiment in Berlin eingereiht worden. Kaiser Wilhelm 
drückte in einem sehr warm und herzlich gehaltenen 
Schreiben dem König seine innigsten Glückwünsche aus, 
ihm mitteilend, daß das 1. Hannoversche Dragonerregiment 
No. 9, dessen Chef der König seit 27 Jahren ist, fortan 
den Namen: „Dragonerregiment König Karl I. von Ru- 
mänien (1. Hannoversches No. 9)" führen würde. Ab- 
ordnungen dieses wie des 1. Garde-Feldartillerieregiments, 
in dessen Rangliste der Name des Königs unmittelbar auf 
den des Kaisers folgt, brachten persönlich dem Herrscher 
die Glückwünsche der beiden Regimenter wie des preußi- 
schen Heeres dar. Freudig bedankte sich hierfür der König 
bei dem zu Ehren dieser Deputationen im Bukarester 
Palais gegebenen Diner in dem Trinkspruch auf Kaiser 
Wilhelm, die Kameraden herzlich begrüßend: „Seien 
Sie willkommen in unserer Mitte! Mit Stolz und Be- 
friedigung kann ich den Blick auf dieses von großen Er- 
eignissen und ruhmreichen Kriegen erfüllt gewesene Halb- 
jahrhundert zurückwerfen, in die Zeit, als ich das Glück 
hatte, beim Anfang dieser großen Epoche, besonders in 
dem dänischen Kriege im Jahre 1864, meine ersten mili- 
tärischen Kenntnisse in der Artillerie und in der Kavallerie 
zu erwerben. Die Kenntnisse, die ich damals bei diesen 
beiden Waffen gewann, die sich in blutigen Kriegen un- 
sterblichen Ruf erwarben, haben nach Jahren dazu bei- 
getragen, meine junge Armee zum Siege zu führen. Mit 
besonderer Dankbarkeit erinnere ich mich dieser fernen 
Vergangenheit, als zwischen mir und der preußischen 
Armee diese engen Bande geknüpft wurden, die noch heute 
bestehen und unerschüttert auch in Zukunft bestehen 
werden. Die Verleihung meines Namens an das 9. Dra- 

Lindenberg, König Karl. 3Q 




466 



gonerregiment ist eine Auszeichnung, die mich mit 
Stolz erfüllt und in mir das Gefühl des wärmsten Dankes 
erweckt. Dieselben Gefühle bringe ich auch zum Aus- 
druck für die schöne Gabe des i. Garde-Feldartillerie- 
regiments, an der sich auch Ihr erhabener Herrscher 
so liebenswürdig be- 
teiligt hat. Mit war- 
men Wünschen für das 
erhabene Kaiserpaar 
erhebe ich mein Glas 
auf das Wohl Seiner 
Majestät, auf das Wohl 
seiner tapferen Armee 
und auf das Wohl 
meiner lieben Regi- 
menter, die auf meine 

freundschaftlichen 
Gefühle stets zählen 
können. Es lebe Seine 
Majestät, der Kaiser 
und König Wil- 
helm IL!" 

Schwere Tage 
brachen mit dem 
Frühling des Jahres Plakette auf das 50jährige Militär- Jubiläum 
1907 über Rumänien Köni * Karls < Revers >- 

herein. In der oberen 

Moldau begann Mitte März eine Bewegung in den Bauern- 
kreisen, die sich zunächst gegen die Juden in den Landstädten 
richtete, sehr bald aber einen völlig agrarischen Charakter 
annahm, so daß auch die Häuser und Getreidemagazine 
der Gutspächter geplündert wurden, bis die Truppen mit 
verhältnismäßig geringen Opfern die Ruhe wiederher- 
stellten. Alsbald aber griff die Bewegung auch nach der 
Walachei über und artete an verschiedenen Stellen zu 




Digitized by 



467 



einer völligen Revolte aus. Die Bauern rotteten sich zu- 
sammen, gestärkt und noch mehr aufgewiegelt durch un- 
zufriedene Elemente, die sich überall dort einfinden, wo 
es gärt und brodelt; viele Gutssitze und Getreidevorräte 
gingen in Flammen auf, eine Anzahl von Gutsbesitzern 



König Karls. (Von Tony Szirmai). urspr ün glichen Be- 



ungünstigen Lage des rumänischen Bauernstandes zu 
suchen. Zwar ist innerhalb der letzten Jahrzehnte der 
Nationalwohlstand Rumäniens außerordentlich gestiegen 
und hat auch die Landwirtschaft einen ungeahnten Auf- 
schwung genommen, aber letzterer kam nur zu geringem 
Teile den Bauern zugute, die unter den ungünstigen Pacht- 
verhältnissen und den von den Großgrundbesitzern ver- 
fügten harten Bedingungen zu leiden haben, zumal der 




und Pächtern wurde 
getötet, in einzelnen 
Distrikten, Ortschaf- 
ten und kleineren 
Städten herrschte völ- 
lige Anarchie. Mit 
großer Energie griff 
das sofort zahlreich 
aufgebotene Militär 
ein. Ende März war 
der Aufstand, der, 
wie später nachge- 
wiesen, von revolutio- 
nären Hetzern vor- 
bereitet und geschürt 
worden war, nieder- 
geschlagen, er hatte 
schwere Opfer an Blut 
und Gut gefordert. 



Plakette auf das 50 jährige Militär- Jubiläum 



Die Ursachen der 



wegung sind in der 



30* 



Digitized by 



468 



Großgrundbesitz eine ausschlaggebende Rolle spielt. Sehr 
gering ist den großen Gütern gegenüber die den Bauern ge- 
hörende Bodenfläche, ein mittlerer Besitz fehlt fast gänzlich, 
für die Kleinbauern reicht aber in den meisten Fällen der 
ihnen verfügbare Boden kaum zum Unterhalt aus, beson- 
ders da ihm zur rationellen Bewirtschaftung das anspor- 
nende Beispiel fehlt. Wo letzteres der Fall ist und wo 
man auch sonst für die ländliche Bevölkerung in morali- 
scher und sozialer Weise Sorge getragen, fand die Be- 
wegung keinen Nährstoff, so auf sämtlichen Krondoöiänen. 

Die traurigen Ereignisse veranlaßten, noch ehe der 
März zu Ende ging, das konservative Ministerium Canta- 
cuzino, seine Entlassung zu geben, es wurde durch ein 
liberales Kabinett ersetzt, an dessen Spitze als Minister- 
präsident Demeter Sturdza trat, der schon oft in gefahr- 
drohenden Stunden mit festen und geschickten Händen 
die Zügel der Regierung ergriffen, ein treuer Berater des 
Königs, dem er seit vierzig Jahren stets als ganzer Mann 
in Freud und Leid treu zur Seite gestanden. 

König Karl erwies sich in dieser gefahrdrohenden Zeit 
nicht nur als sicherer Hüter der Ordnung und Ruhe, er, 
der sonst streng die parlamentarische Regierungsform ge- 
achtet, griff auch direkt ein mit einem an das Volk ge- 
richteten Manifest, das den Entwurf einer großen Agrar- 
reform entwickelt und nicht zurückschreckt vor tief- 
eingreifenden Änderungen der bestehenden Rechtsver- 
hältnisse. Die unter dem 27. März in Bukarest erlassene, 
von den Ministern unterzeichnete Proklamation lautete: 
„Der König hat genehmigt, daß folgende Maßnahmen un- 
verzüglich getroffen werden: Abschaffung der im Gesetz, 
betreffend die Versicherung gegen Mißernten vorgesehenen 
Taxe per 5 Francs, Aufhebung der Taxe auf den Dekaliter 
Wein. Die Bemessung der Grundsteuer des kleinen bäuer- 
lichen Grundbesitzes soll auf derselben Grundlage erfolgen, 
wie diejenige des Großgrundbesitzes. Die staatlichen Iyän- 




469 



dereien und Unternehmungen sollen auf Staatskosten be- 
trieben, beziehungsweise den Landleuten in Pacht ge- 
geben werden. Es werden Maßnahmen getroffen werden 
zur Konsolidierung der Volksbanken, damit diese den 
Bauern zu Hilfe kommen und so ihre wirtschaftliche Lage 
festigen. Die genaue Abgrenzung der den Bauern über- 
lassenen Grundstücke soll überwacht und die Ver- 
letzung der Gesetze in strengster Weise geahndet 
werden. — Um die Pachtverträge weniger drückend 
zu gestalten, wird ein Gesetzentwurf ausgearbeitet 
werden. Die Pacht für Ackerland, welche gegen 
Bezahlung an Geld abgeschlossen wurde, wird in klingender 
Münze zu zahlen sein. Die Pachtverträge werden Be- 
stimmungen über das Ausmaß und die Art der von den 
Bauern zu leistenden Arbeit enthalten. Die Bezahlung 
der Arbeit wird nach den in der jeweiligen Arbeitsperiode 
üblichen Preisen erfolgen. Die Summe der Arbeit, zu der 
sich ein Familienhaupt verpflichtet, darf seine physischen 
Kräfte nicht übersteigen. Für den Bauern gewährte Vor- 
schüsse werden höchstens 10 Prozent jährlich an Interessen 
berechnet werden dürfen. Die Lasten müssen stets in 
einem bestimmten Verhältnis zur Zahl der jedem Bauern 
überlassenen Hektar Boden stehen. — Die Bauern werden 
auf verpachteten Grundstücken für Äcker, die ihnen in 
Afterpacht gegeben wurden, höchstens ein Drittel des ver- 
tragsmäßig festgestellten Preises zu zahlen haben. In 
einem weiteren Gesetze wird die Bestimmung enthalten 
sein, daß kein Pächter oder keine Vereinigung von Pächtern 
mehr als zwei Güter im Gesamtausmaß von 4000 
Hektar besitzen darf, gleichgültig, ob die Verpachtung 
direkt oder indirekt durch Verwandte oder Zwischen- 
personen erfolgte. Das Gesetz wird Sonderverwaltungen 
ins Leben rufen, denen die gewissenhafte Durchführung 
der Gesetze, betreffend die Regelung der Pachtverträge, 
obliegen wird. Weiters wird ein Gesetz zur Errichtung 




470 



einer landwirtschaftlichen Kasse vorbereitet, die den Bauern 
die Bezahlung des Pachtgeldes und den Ankauf von Boden 
erleichtern soll. — All diese Maßnahmen durchzuführen, 
ist der ernste Wille des Königs und seiner Regierung. — 
In diesen Tagen des allgemeinen Leidens wenden wir uns 
an alle Rumänen ohne Unterschied des Standes und ihrer 
sozialen Stellung mit der Bitte, uns jede mögliche Unter- 
stützung zu leihen und mitzuwirken an der Wiederher- 
stellung der Ruhe und der auf Gerechtigkeit gegründeten 
Ordnung. Wir müssen die beginnende landwirtschaft- 
liche Arbeit mit Vertrauen in die Zukunft ruhig und 
fruchtbringend antreten. Unruhen können nur Hunger 
und Verarmung im Gefolge haben. Die Regierung wird 
alles aufbieten, damit die Gesetze auf das peinlichste be- 
folgt werden und Ungerechtigkeit und Bedrückung aus 
der Welt geschafft werden. Aber sie ist gleichzeitig ent- 
schlossen, die Unruhen engergisch zu unterdrücken und 
diejenigen strenge zu bestrafen, die aus den Verheerungen 
Vorteil zu ziehen suchen." 

Der Herrscher zeigte sich auch hier wieder auf der 
Höhe der Lage, indem er — wie er es selbst zu einem Ver- 
trauten ausgedrückt — „mit gleicher Sorge über dem 
Schutze der Armen wie über der Sicherheit der Reichen 
wacht." Und aus dem Munde eines seiner getreuen Mit- 
arbeiter vernahm man, wie der König das Verhältnis 
zwischen den Bürgern des Staates auffaßt: „Es ist ge- 
recht, daß der Staat bei Transaktionen zwischen Bürgern 
interveniere, wenn diese Abmachungen den Schwachen 
zu unterdrücken drohen. Höher noch als die Freiheit 
der Abmachungen steht das heilige Recht der Gleichheit 
und der Existenz jedes einzelnen Menschen, ohne welche 
man sich nichts Dauerhaftes vorstellen kann." — Der 
Armee dankte der König durch einen Tagesbefehl dafür, 
daß sie unter schwierigen Verhältnissen die Ordnung 
wiederhergestellt und ohne Zögern ihre Pflicht erfüllte: 




471 



„In fünf Tagen ist die Armee auf die Zahl von 140000 
Mann gestiegen. Die schnelle Mobilisierung und die in 
voller Ordnung und ungesäumt erfolgte Dislozierung der 
Truppen sind eine mächtige Bürgschaft dafür, daß die 
Armee jederzeit imstande sein wird, jeder Gefahr, die 
den Staat bedroht, stand zu halten. Das Land verdankt 
der Armee und ihrer entschiedenen Haltung, daß ein großes 
Unglück beseitigt und die Ordnung in kurzer Zeit wieder- 
hergestellt wurde. Ihr hattet eine schwere Pflicht zu er- 
füllen; dort aber, wo Mord, Brandstiftung und Raub ist, 
muß das Vermögen der Bürger und die Ordnung um 
jeden Preis geschützt werden. Ich danke euch aus vollem 
Herzen und blicke mit Liebe und unbegrenztem Vertrauen 
auf meine teure Armee, die sich stets auf der Höhe ihrer 
Aufgabe gezeigt hat, wenn die Gefahr den Bestand unsers 
teuern Landes bedrohte/' 

Seinem gütigen Herzen folgte der König, indem er 
wenige Monate später eine Amnestie erließ, durch welche 
all die, die anläßlich der Bauernunruhen als Aufrührer 
und Aufwiegler sowie überhaupt wegen politischer Ver- 
gehen unter Anklage gestellt und in Untersuchungshaft 
gezogen wurden, die Freiheit erhielten. Die aus Anlaß dieser 
Vergehen bereits Verurteilten wurden begnadigt. Von der 
Amnestie ausgenommen wurden nur die als gemeine 
Mörder unter Anklage gestellten, im ganzen 180 von 
nahezu 8000 in Haft Befindlichen, ferner die Geistlichen, 
Lehrer, Garnisonchefs und Primare, die wegen Aufruhrs 
oder Aufwiegelung angeklagt worden waren. 

Durch die sich überstürzenden Erregungen war von 
neuem die Gesundheit des Königs erschüttert worden, 
er verlebte den Frühling und einen Teil des Sommers in 
Sinaia, dann die deutsche Heimat besuchend, sich einige 
Zeit in dem idyllischen Krauchenwies aufhaltend, wo er 
schon oft zuvor Einkehr gehalten und auch diesmal wieder 
die ersehnte Erholung fand. Neu gestärkt kehrte der 




472 



Herrscher im Herbst, nachdem er auf der Rückreise in 
Wien eine Zusammenkunft mit Kaiser Franz Josef und 
eingehende Besprechungen mit dessen wichtigsten Rat- 
gebern gehabt, nach Rumänien zurück, Anfang Oktober 
den großen Manövern beiwohnend, die zum ersten Male 
in der Dobrudscha stattfanden. 

Zeigte sich hier die Landmacht schwierigsten Auf- 
gaben gewachsen, so erfuhr in diesen ersten Oktobertagen 
das Bestreben des Königs, auch die rumänische Seemacht 
mehr und mehr zu stärken, eine wichtige Verwirklichung, 
indem in Galatz in Gegenwart des Königspaares, der Prin- 
zessin Maria mit dem Prinzen Carol und der Prinzessin 
Elisabeth sowie vieler Minister und Generale, zwölf neue 
Kriegsschiffe von vollkommenem Typus und großer Schnel- 
ligkeit, welche die Namen von vier großen Staatsmännern 
und acht tapferen, für das Vaterland gefallenen Offizieren 
tragen, vom Stapel liefen. Auf die Rede des Kriegsmi- 
nisters erwiderte der König, daß die rumänische Marine 
klein war, aber allmählich wuchs und zu dem wurde, was 
sie heute ist. Und so werde sie allmählich auf jene Höhe 
gelangen, die das Land wünscht, da die kommerzielle 
Entwicklung desselben sodann einer guten Stütze bedürfe. 
Der König drückte seine Befriedigung darüber aus, daß 
das Reich in fortschreitender Entwicklung begriffen sei und 
daß es, indem es diese Schiffe den rumänischen Matrosen 
anvertraue, sicher sei, daß sie es verstehen werden, im 
Ernstfalle die Hoffnungen zu erfüllen, die man auf sie setze. 

Auch bei dieser Gelegenheit durfte König Karl mit 
aufrichtiger Genugtuung der früheren Zeit gedenken und 
der heutigen, in der Rumänien seinen festgesicherten Platz 
unter den Staaten eingenommen. Welche Vergleiche 
lassen sich ziehen zwischen dem Einst und dem Jetzt! 
Alles ist seit jenem gedenkreichen 22. Mai 1866 einem 
Wechsel unterworfen gewesen, nur König Karl blieb in 
seinem Charakter und Wesen derselbe, blieb sich stets 




473 



getreu, ein edler und vornehmer Mensch, den man lieben 
und verehren muß, an sich die strengsten Anforderungen 
stellend, hochherzig in seinen Handlungen, gütig und 




Prinzessin Maria mit ihren Kindern. 



freundlich in seinem Sichgeben, von lebhaftem Interesse 
für künstlerische und wissenschaftliche Bestrebungen, den 
Genius verehrend, wo er ihm entgegentritt, alles Kleinliche 
verachtend, dankbaren und mitfühlenden Herzens, seinen 
Feinden vergebend und seine Freunde schätzend, eine in 



Digitized by 



474 



sich abgeklärte und gefestete Natur, immer und immer 
nur mit dem einen großen Ziel: das Vaterland! — 

Und was einst der große Deutsche in Weimar von seinem 
Fürsten, dem Großherzog Karl Alexander, gesagt, die Ru- 
mänen können es wörtlich auf ihren Herrscher anwenden: 
„Für sich persönlich, was hatte er denn von seinem Fürsten- 
stande als Last und Mühe ! Ist seine Wohnung, seine Klei- 
dung und seine Tafel etwa besser bestellt als die eines wohl- 
habenden Privatmannes? . . . Wir werden hoffentlich den 
Tag feiern, an welchem der Großherzog seit 50 Jahren re- 
giert und geherrscht hat. Allein, wenn ich es recht be- 
denke, dieses sein Herrschen, was war es weiter als ein be- 
ständiges Dienen ! Was war es als ein Dienen in Erreichung 
großer Zwecke, ein Dienen zum Wohle seines Volkes?" 

Dem rumänischen Volke galt immerdar das ganze 
Leben" und Streben des Königs. Trotz vieler Hemmnisse 
und Stockungen, die man ihm in den Weg gelegt, den er 
sich vorgeschrieben und den er mit eiserner Energie ge- 
schritten, hat König Karl nie an seinem Volke gezweiffit, 
treu und innig klangen die Worte in der Thronrede des 
Jubüäumsjahres: „Beim Rückblick auf den zurück- 
gelegten Weg liegt mir nochmals daran, zu konstatieren, 
daß das rumänische Volk bei der Arbeit, die ich ihm ge- 
widmet habe, in schweren wie in glücklichen Zeiten mir 
mit unerschütterlicher Treue und Liebe beigestanden ist, 
so daß in diesen vierzig Jahren, Stunde um Stunde, sich 
für ewige Zeiten die Bande zwischen meiner Dynastie und 
der rumänischen Nation geschlossen haben. " 

Offen liegt das Buch des Lebens König Karls vor uns. 
Es enthält manch Blatt mit trüben Erfahrungen und 
bitteren Erlebnissen, aber der König verweilt nicht dabei, 
wenn er zurückblättert: „Unser Leben ist doch sehr 
reich und sehr schön gewesen !" sagte er zur Königin, als 
beide die letzte Donaufahrt beendet. Dankbarkeit und 
Anhänglichkeit, Anerkennung und Treue gehören zu den 




475 



Grundzügen seines Wesens. „Das Schönste, was der 
liebe Gott in den Menschen hineingelegt hat, ist doch die 
Treue", hatte er dereinst, in jüngeren Jahren, an den 
deutschen Kronprinzen geschrieben aus dem vollen Emp- 
finden seines reichen Herzens heraus. 




12 3 4 

Besuch des Königspaares auf der Krondomäne Cocioc (Juni 1907). 

z. Prinz Carol. 2. Ministerpräsident D. Sturdza. 3. Prinzessin Elisabeta. 4. Administrator 
der Krondomänen J. Kalindero. 



So spricht nur ein Fürst, der beseelt ist von der reinsten 
Menschenliebe, erfüllt von edelstem Wohlwollen, der im 
Planen und Handeln stets nur das Beste will, den höchsten 
und reinsten Zielen nachstrebend. 

Klar und wahr, wie in seinem persönlichen Sichgeben, 
war der König auch stets in seinem politischen Wirken. 
Hier ergänzte sich das harmonische Gleichmaß seines 



Digitized by 



476 



Wesens, er überstürzte nichts, er überlegte alles reiflich, 
dann erst handelte er, aber was er sich vorgenommen und 
als gut erkannt, das führte er auch im rechten Streben auf 
das vorgesetzte Ziel aus, nie fremden Einflüssen unter- 
liegend, nie Zugeständnisse gegen seine Überzeugung 
machend. Stets wußte er klug Maß zu halten in poli- 
tischen Dingen, in geeigneter Stunde griff er fest zu, un- 
ermüdlich tätig im Frieden und stets voran im Kriege, 
den bewährten politischen Ratgebern freie Hand lässend 
in allen Fragen, die dem Lande frommen, stets sich auf 
den Boden der Verfassung stellend, falls nicht besondere 
Ereignisse ein tatkräftiges Hervortreten erforderten, auf 
alles, was Tag und Lage bringen, mit ernster Vorurteils- 
losigkeit eingehend, mit Zurücksetzung aller persönlichen 
Interessen, ohne Wanken und Schwanken nur einzig an 
das Gemeinwohl denkend, der erste Diener des Staates. 

Wie als erster Diener des Staates, so als erster Bürger 
dem Volke ein leuchtendes Vorbild: pflichttreu und arbeits- 
freudig, jeglichem Hochmut fern und jeglichem falschen 
Prunk, mit vollster Achtung vor der Tätigkeit der andern, 
das Leben auffassend als ein Feld segensvollen Wirkens 
für die Mitmenschen und darüber hinaus für die kommenden 
Geschlechter, über allen Bitternissen, die ja niemandem er- 
spart bleiben, seine Ideale nicht verlierend, den Glauben an 
das Gute und Edle. Von tiefer Religiosität und von Rein- 
heit der Sitten, ist er seiner Gemahlin der liebevollste Gatte 
und der treueste Freund, mit einem Herzen voll Güte und 
Liebe, das oft tiefes Weh empfinden mag ob des Leids 
und Unglücks, das sich nicht bannen läßt unter der Sonne, 
so goldig und strahlend diese auch scheint. 

So wird König Karls Bild fortleben in der Geschichte 
des rumänischen Volkes und im Rahmen der Weltgeschichte. 

„Es ist des Menschen Bestimmung, während 
seines kurzen Lebenslauf es für das Beste der Ge- 
sellschaft zu arbeiten, deren Teil er ausmacht. 





Digitized by 



478 



Seit meinem Regierungsantritt verwandte ich 
alle von der Natur mir verliehenen Kräfte und 
meine schwachen Einsichten dazu, um den 
Staat, den ich zu beherrschen die Ehre hatte, 
glücklich und blühend zu machen. Gesetze und 
Gerechtigkeit herrschten unter mir, ich brachte 
Ordnung und Bestimmtheit in die Finanzen und 
erhielt das Heer in trefflichster Kriegszucht/' 
Diese Worte Friedrichs des Großen aus seinem Wirken 
voll von Mühe und Arbeit, aber auch von Erfolg und Ruhm 
geschöpft, diese gleichen Worte darf mit stolzer Genug- 
tuung auch auf sein Leben anwenden König Karl, der 
Hohenzoller, der erste König der Rumänen! 




Quellennachweis. 



Aus dem lieben König Karls von Rumänien. 4 Bde. 1 894/1900. 
Nikopolis. 1 396 — 1 877 — 1902. Von Carol I., König von Rumänien. 
1005. 

Pelesch im Dienst. Von Carmen Sylva. 1888. 
Rheintochters Donaufahrt. Von Carmen Sylva. 1905. 
Bukarest. (,,Die Hauptstädte der Welt".) Von Carmen Sylva. 
1900. 

Aus dem Penatenwinkel. Von Carmen Sylva. 1907. 

Aus meinem Leben und aus meiner Zeit. Von Ernst II., 

Herzog von Sachsen - Coburg und Gotha. 
Geschichte der orientalischen Angelegenheiten im Zeiträume 

des Pariser und des Berliner Friedens. Von Felix 

Bamberg. 1892. 
Fürst Bismarck und Rußlands Orientpolitik. Von einem 

Dreibundfreundlichen Diplomaten. 1892. 
Carmen Sylva. Eine Biographie von Mite Kremnitz. 1905. 
Bukarest und Stambul. Skizzen aus Ungarn, Rumänien und 

der Türkei. Von Richard Kunisch. 1866. 
Die Völker der unteren Donau und die orientalische Frage. 

Von Gustav Rasch. 1867. 
Fürst Karl Anton von Hohenzollern und 'die Bedeutung seiner 

Familie für die Zeitgeschichte. Von Dr. M. Schmitz. 
Charles I er , Roi de Roumanie. Chroniques, Actes, Documents. 

Publies par Demetre A. Sturdza. 2 Bde. 1904. 
Rumäniens Anteil am Kriege. Das Jahr 1877 und 1878. Von 

J. F. Vacarescu. Aus dem Rumänischen von Mite Krem- 
nitz. 1888. 



Digitized by 




480 



Die Hohenzollern in Rumänien. Eine historisch -politische 
Abhandlung von Dr. K. H. Zingeler. 

Rumänien und der Vertrag von San Stefan^. Von einem ru- 
mänischen Senator. 1888. 

Erinnerungen aus der Walachei während der Besetzung durch 
die österreichischen Truppen in den Jahren 1854 — 1856* 
Von Alfons Grafen Wimprien. 1878. 

Bukarester Tageblatt. 

Rumänischer Lloyd. 



Druckfehler. 



Seite 41, Zeile 14 von unten, lies: Domni stfijfct JBiom|.*» ♦ 
,, 98, ,, 2 ,, ,, 400000000 Piaster statt 



4000000. 



102, 15 „ oben, ,, 3000 statt 30000. 

102, ,, 5 „ unten, ,, Podu Mogosoie statt Podu 



Mogoscheu. 



«1 




Druck von G. Bernstein in Berlin. 




LD9-20m-7,'5 l 



UNIVERSITY OF CALIFORNIA LIBRARY 
BERKELEY 

Return to desk from which borrowed. 
This book is DUE on the last date stamped below. 



4Feb54Pff 

■ .. . -i 






| IN STACKS 






MAR 4 i960 












i 8 i960 






^23Jtt»'62lt 
REC'D LO 






AUG 21 T962 







LD 21-100m-7/52(A2528sl6)476 



Digitized by 







W A 




- 


































; 1§|| 




















• 






-