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König Karl von Rumänien
Paul Lindenberg
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König Karl von Rumänien.
Von
Paul Lindenberg.
Mit einer Heliogravüre und 180 Illustrationen.
Zweite vernujhpte und verbesserte Auflage.
BERLIN 1908.
Ferd. Dümmlers Verlagsbuchhandlung.
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PRESE*V*T!ON
COPY ÄüDED
ORIGINAL TOBE
RETAiNED
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Inhaltsverzeichnis.
Seite
I. Jugend- und Jünglingsjahre 1
Die Hohenzollern. — Hohenzollern-Sigmaringen. —
Prinz Karl von Hohenzollern. — Die Großeltern
und Bitern. — Die Jugendjahre des Prinzen. — Das
Jahr 1848. — Fürst Karl Anton von Hohenzollern,
sein deutsches Wesen und Wirken. — Die Abdan-
kung. — Prinz Karl in Dresden. — Das Offiziers-
examen. — Bei der Garde -Artillerie. — Der junge
Prinz. — Trennung von der Schwester Stephanie. —
Fürst Karl Anton als Minister-Präsident. — Militär-
dienst und Reisen des Prinzen. — Besuch von Algier
und Paris. — Im II. Garde -Dragoner -Regiment. —
Der Feldzug 1864. — Als Ordonnanzoffizier beim
preußischen Kronprinzen. — Innige Freundschaft. —
Wieder in Berlin. — Das Jahr 1866 bricht an.
IL Rumäniens Entwicklung 40
Rückblicke. — Die Entstehung Rumäniens. — Das
rumänische Volkstum. — Moldau und Wallachei. —
Das Verhältnis zur Pforte. — Die Herrschaft der
Phanarioten. — Politischer Verfall und wirtschaft-
licher Niedergang. — Der neue Staat Rumänien. —
Fürst Alexander Kusa. — Allgemeine Unzufrieden-
heit. — Der Sturz Kusas. — Proklamation der pro-
visorischen Regentschaft. — Das Verlangen nach
einem fremden Fürsten. — Nationales Hoffen und
Sehnen. — Die Wahl des Grafen von Flandern. —
Napoleons Widerstand. — Dem Prinzen Karl von
Hohenzollern wird die Krone angetragen. — Un-
sicherheit der Iyage. — Der Aufruf des Bürgermeisters
von Bukarest. — Volksabstimmung. — Ihr glänzen-
des Ergebnis. — Eine frohe Botschaft. — Es
lebe Karl I. !
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IV
Seite
III. Prinz Karl von Hohenzollern zum Fürsten von
Rumänien erwählt 62
Prinz Karl in Düsseldorf. — Der Besuch Joan Bra-
tianus. — Dem Prinzen wird die Krone Rumäniens
angeboten. — Bedenken und Bedenkzeit. — Die
Denkschrift des Fürsten Karl Anton. — Prinz Karl
wieder in Berlin. — Die ersten Nachrichten der
Wahl. — König Wilhelms Stellung zur Fürstenfrage.
— Prinz Karl beim Minister -Präsidenten von Bis-
marck. — Bismarcks zustimmende Haltung. — Prinz
Karl beim König Wilhelm. — „Gott behüte Dich!"
— Abschied des Prinzen von Berlin und Aufenthalt
in Düsseldorf. — Die Entscheidung ! — Prinz Karl
von Hohenzollern.
IV. Die Fahrt nach Rumänien und Eintreffen in
Bukarest 78
Abschied. — Prinz Karl verläßt das Elternhaus. —
Die Fahrt nach Rumänien. — In Salzburg und Wien.
— Unfreiwilliger Aufenthalt. — Auf der Donau. —
Ankunft in Turnu -Severin. — Der erste Empfang. —
Der Einzug in Bukarest. — In der Metropolie und
der Kammer. — Ansprache des Fürsten Karl. —
Vereidigung der Truppen. — Kriegerische Gerüchte.
— Der Zustand des Randes. — Berichte der Minister.
— L,and undl^eute in zeitgenössischen Schilderungen.
— Die Hauptstadt im Jahre 1866. — Gegensätze. —
Die Nachricht vom Tode des Prinzen Anton. —
Fürst Karl von Rumänien.
V. „Helfen wir uns selbst, Rumänen!" 108
Die erste Proklamation des Fürsten Karl. — Helfen
wir uns selbst, Rumänen!" — Innere und äußere
Schwierigkeiten. — Das persönliche Auftreten des
Fürsten. — Arbeit und Tageseinteilung. — Die Reise
zum Sultan. — Aufenthalt in Konstantinopel. —
Gute Ergebnisse. — Schwierigkeiten der Regierung.
— Sorgenvolle Tage und Jahre. — Der Fürst und
die Bevölkerung. — Fortschritte in Bukarest. — Die
Reorganisation der Armee. — Eisenbahnbauten. —
Neue innere Hemmnisse und ausländische Verleum-
dungen. — Es geht langsam vorwärts. — Ein Um-
schwung zum Besseren. — Fürst Karl besucht Kaiser
Alexander II. — Die Reise nach Deutschland.
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V
Seite
VI. Brautfahrt und Vermählung
142
In der Heimat. — Auf der Weinburg~und in Baden-
Baden. — Der Aufenthalt in Paris. — Begegnungen
mit Kaiser Napoleon. — In Cöln. — Verlobung mit
der Prinzessin Elisabeth von Wied. — Die Prin-
zessin, ihre Erziehung und ihr Charakter. — Ver-
mählung. — Das junge Paar. — Fahrt nach Ru-
mänien. — Eintreffen in Bukarest.
Das fürstliche Paar. — Häusliches Glück. — Die
Eisenbahnsorgen. — Innere Opposition und äußere
Intriguen. — Trübe Stunden. — Die Aufrollüng der
spanischen Thronfrage. — Rumänien und Frankreich.
— Der Ausbruch des deutsch -französischen Krieges.
— Rumänische Hetzereien. — Die Geburt der Prin-
zessin Marie. — Rücktrittsgedanken des Fürsten Karl.
— Der 22. März 1 871 in Bukarest. — Fürst Karl will
abdanken. — Pflichttreue und Vaterlandsliebe des
Der Umschwung zum Besseren. — Reise des Fürsten-
paares nach der Moldau. — Guter Ausfall der Wahlen.
— Sommeraufenthalt in Sinaia. — Idyllische Wochen.
— Das Eisenbahn-Gesetz. — Die nächsten Jahre. —
Ruhige Entwicklung. — Wieder in Sinaia. — Be-
stimmung des Schloßbaues. — Hinscheiden der Prin-
zessin Marie. — Fortschritte in Bukarest und im
L,ande. — Grundsteinlegung des Castel Pelesch. —
Fürstin Elisabeth und ihr dichterisches Schaffen. —
Wie Carmen Sylva zu ihrem Namen kam.
IX. Der Ausbruch des russisch-türkischen Krieges und
die Unabhängigkeitserklärung Rumäniens ... 230
Das Jahr 1876. — Drohende Wolken. — Die Gärung
am Balkan. — Serbien und Montenegro gegen die
Türkei. — Die Haltung Rumäniens. — Der zehn-
jährige Jahrestag der Thronbesteigung des Fürsten
Karl. — Rußlands Kriegsvorbereitungen. — Die Kon-
ferenz der Großmächte in Konstantinopel. — 1877
bricht an. — Der russisch -rumänische Durchzugs-
vertrag. — Rußland erklärt der Pforte den Krieg. —
VII. Die Jahre der Prüfung
170
Fürsten. — Das neue Ministerium.
VIII. Rumäniens innere Entwicklung
198
VI
Seite
Die russischen Truppen überschreiten die rumänische
Grenze. — Fürst Karls selbständige Politik. — Ru-
mäniens Kriegserklärung. — Die Feier der Un-
abhängigkeit. — Begeisterte Stimmung. — Mobil-
machung. — Fürst Karl in Calafat. — Die Feuertaufe.
— Im russischen Hauptquartier. — Kaiser Alexander II.
überträgt dem Fürsten Karl das Oberkommando vor
Plewna.
X. Fürst Karl Oberbefehlshaber vor Plewna ... 264
Die Kriegslage vor Plewna. — Bedenken des Fürsten
Karl. — Der Fürst im Rumänischen Hauptquartier.
— Proklamation des Fürsten an die Rumänische
Armee. — Die Rumänischen Truppen gehen über die
Donau. — Fürst Karl in seinem Hauptquartier zu
Poradim. — Kriegsrat. — Der Angriff auf Plewna.
— Sturm der Rumänen auf die Griwitza-Redouten.
— Schwere Verluste. — Bange Stunden. — Der Ru-
mänische Waffenerfolg. — Die Anerkennung Kaiser
Alexanders. — Die Wochen vor Plewna. — Der Ring
schließt sich. — Fürst Karls Oberkommando. — Der
Sieg der Rumänen bei Rahowa. — Der 10. Dezember.
— Ausbruch Osman Paschas. — Die Rumänen im
Feuer. — Osman Pascha ergibt sich. — Begegnung
des Fürsten Karl mit Osman Pascha. — Auf dem
Schlachtfeld. — In Plewna. — Die russisch-rumä-
nischen Erfolge. — Fürst Karl legt das Oberkom-
mando nieder. — Sein Dank an seine Truppen. —
Der Ritt über das Leichenfeld. — In Nikopolis. -
Auf der Donau. — Die Rückkehr nach Bukarest. —
Beginn des Jahres 1878. — Die Ereignisse am Bal-
kan. — Russisch -türkische Friedensverhandlungen.
— Rußland und Rumänien. — Einzug der siegreichen
Rumänischen Truppen in Bukarest.
XL Erhebung Rumäniens zum Königreich 325
Russisch-rumänische Auseinandersetzungen. — Die
Beschlüsse der Berliner Konferenz. — Bessarabien
und die Dobrudscha. — Regelung der Judenfrage
und Rückkauf der Eisenbahnen. — Anerkennung
Rumäniens seitens der Großmächte. — Innerer Auf-
schwung. — Der 22. Mai 1881. — Besuch der deutschen
Heimat seitens des Fürstenpaares. — Aufnahme in
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VII
Seite
Berlin. — Beim Kaiser Wilhelm und beim Pürsten
Bismarck. — Die Regelung der Erbfolge. — D.
Sturdzas Denkschrift. — Beschluß der Kammern,
Rumänien zum Königreich zu erheben. — Der 25. März
1881. — Huldigung des Fürstenpaares durch die De-
putierten. — König Karls Rede. — „Es lebe der
König! Es lebe die Königin!" — Die Krönungs-
feier am 22. Mai 1881. — Der Krönungszug. — In
und vor der Metropolis — Die Ansprache König
Karls. — ,,Das durch sein eigenes Verdienst gekrönte
Rumänien."
XII. Rumänien unter dem Königscepter 353
Die Wiedergeburt der Nation. — König Karls
Friedensarbeit. — Des Königs Interesse für Kunst
und Wissenschaften. — Im Bukarester Palais. —
Schloß Pelesch. — Reisen des Königspaares. — Frohe
und trübe Stunden. — In der Heimat und Fremde.
— Rumäniens Fortschritte. — Besuch Kaiser Franz
Josefs in Bukarest und Sinaia. — Die Erkrankung
des Prinzen Ferdinand. — König Karl auf bulgari-
schem Boden. — Donaufahrt des Königspaares. —
Die Ereignisse der letzten Jahre. — Bukarests Ent-
wicklung. — Das 40jährige Regierungs - Jubiläum des
Königs. — Die Jubiläums-Ausstellung. — 50 Jahre
Soldat. — Die jüngsten Ereignisse. — König Karl,
sein Lebenswerk und Rumänien.
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Burg Hohenzollern.
i.
Jugend- und Jünglingsjahre.
Die Hohenzollern. — Hohenzollern-Slgmaringen. — Prinz Kari von Hohenzollern. — Die
Großeltern und Eltern. — Die Jugendjahre des Prinzen. — Das Jahr 1848. — Fürst Karl
Anton von Hohenzollern, sein deutsches Wesen und Wirken. — Die Abdankung. — Prinz
Karl in Dresden. — Das Offliiersexamen. — Bei der Garde-Artillerie. — Der junge Prinz.
— Trennung von der Schwester Stephanie. — Fürst Karl Anton als Minister-Präsident —
Militärdienst und Reisen des Prinzen. — Besuch von Algier und Paris. — Im II. Garde-
Dragoner-Regiment. — Der Feldzug 1864. — Als Ordonnanz-Offizier beim preußischen
Kronprinzen. — Innige Freundschaft. — Wieder in Berlin. — Das Jahr 1866 bricht an.
Es ist ein kerndeutsches,
ritterliches Geschlecht,
jenes der Hohenzollern, deren
Stammburg fest und erhaben
von waldumgebenen, hoch-
ragenden Bergesgipfeln der
Rauhen Alb auf fruchtbare
Auen herabschaut, ein treues
Abbild jener unerschrockenen
und zielbewußten Helden,
die jahrhundertelang hier
herrschten und für Kaiser
und Reich oft die blinkenden
Schwerter zogen, denn ihr
Wappenspruch: „All weg gut
Zolre", er bedeutete zugleich:
„All weg gut Deutsch".
Lindenberg, König Karl.
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Wo die ersten Herren von Zollern gesessen, ist nicht
nachzuweisen; wir wissen nur, daß es ein altes, ange-
sehenes, wahrscheinlich dem Schwäbischen Herzogshause
der Burchardinger entstammendes Geschlecht ist, dessen
Mitglieder, soweit man überhaupt die Spuren verfolgen
kann, sich stets in Krieg und Frieden hervorgetan und
von denen so manche den Heldentod erlitten für des
alten Deutschen Reiches Herrlichkeit. Geschichtlich be-
kundet treten im Jahre 1061 zwei Grafen von Zollern
auf, Burkardus und Wezilo. Der Stamm des letzteren
erlosch bald; der des ersteren trieb viele Reiser, die wie-
derum mehrere Linien bildeten. Ein hochstrebender,
pflichtbewußter Herr, Friedrich III., ward Burggraf von
Nürnberg und Stammvater der fränkischen (späteren
preußischen) und schwäbischen Linie. Die Sprossen der
letzteren saßen auf dem „hohen Zolre", den bereits zu
Anfang des 11. Jahrhunderts eine stattliche Burg krönte,
von der freilich nur wenig in den von König Friedrich
Wilhelm IV. angeregten und eifrig geförderten Neubau
übernommen ward. Am 3. Oktober 1867 fand in Gegen-
wart König Wilhelm I., des Kronprinzen und des Fürsten
Anton von Hohenzollern, sowie vieler Mitglieder des
Hohenzollernhauses die feierliche Einweihung der Burg
statt. Einen kühnen Flug hatte der Zollernaar genommen,
an der Ost- wie Nordsee horstete er, und selbst in fernem
Lande, in Rumänien, hatte ein stolzer Sproß, Fürst Karl
von Hohenzollern, sich bereits ernste Geltung verschafft.
Erfüllt war der Spruch, der über dem Adlertor der Burg
eingemeißelt :
„Vom Fels zum Meere weht der Zollern Fahne,
Und auch die blaue Salzflut grüßen ihre Farben." —
Jene schwäbische Linie, von der eben gesprochen
wurde, zergliederte sich wiederum in zwei fürstliche Zweige,
Hohenzollern-Hechingen und Hohenzollern-Sigmaringen,,
von denen die erstere erloschen, die zweite sich aber desto
3
größerer Blüte erfreut. Der Stammsitz derselben wurde
das traulich-anheimelnde Sigmaringen mit dem statt-
lichen Fürstenschlosse, von dem jederzeit ein reicher Quell
deutschen Lebens und Strebens entflossen. Auf mäch-
tigen Felsen türmt sich oberhalb der Donau das Schloß
auf, ein gewaltiger, trutziger Bau, dem man ansieht, daß
er nicht einheitlichem Plan entsprungen, und daß oft auf
lange Zwischenräume, in denen die Besitzer zum Schutze
des deutschen Bodens das Schwert gezogen, schaffens-
frohe Perioden folgten; aber alles trägt den Stempel des
Echten und Rechten, des Braven und Mannhaften. Und
nicht nur von einem tapferen Geschlecht künden diese
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Zinnen und Räume, auch von einem kunstfreudigen; sind
doch die Kunst-, Waffen- und Altertumssammlungen er-
lesenster Art mit tiefer Liebe und fördersamem Verständ-
nis, hauptsächlich vom 1885 verstorbenen Fürsten Karl
Fürst Karl Anton von Hohenzollern.
Anton von Hohenzollern und dessen Sohne Leopold, zu-
sammengebracht.
„Was ist denn das dort für ein altes Nest?" soll der
erste Napoleon gefragt haben, als er das altersgraue Sig-
maringer Schloß erblickte, und als Antwort soll ihm er-
klungen sein: „Sire, es ist der Horst des Schwarzen
Adlers". Seltsamer Zickzack der Weltgeschichte, denn
enge Familienbande verknüpften später diese Hohen-
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zollernlinie mit der Familie Napoleons, und der dieser
Verbindung entstammende Erbprinz Leopold ward 1870
die unschuldige Ursache zum Ausbruche des deutsch-
französischen Krieges und zur Zertrümmerung des zweiten
Fürstin Josefine von Hohenzollern.
Kaiserreichs. Die Adoptivtochter des ersten französischen
Kaisers, Stephanie von Beauharnais, wurde die Gemahlin
des Kurprinzen, späteren Großherzogs Karl Ludwig Fried-
rich von Baden, und ihre Tochter Josefine vermählte
sich mit dem Fürsten Karl Anton von Hohenzollern-
Sigmaringen, mit ihm die glücklichste Ehe führend. Letzterer
entsprossen vier Söhne, die Prinzen Leopold, Karl, Anton
und Friedrich, sowie zwei Töchter, Stephanie und Marie.
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Der zweite dieser Söhne, Prinz Karl, wurde am 20. April
1839 in Sigmaringen geboren. Sein Großvater, der re-
gierende Fürst Karl, hob ihn aus der Taufe und gab ihm
seinen Namen, der eng verbunden ist mit jenen der glän-
zendsten Vertreter dieses Fürstenhauses. Es war damals
noch ein partriarchalisches Regiment; Fürst Karl war
ein strenger Herr und sah auf sorgsam geregelte und
engumschriebene Familiendisziplin, nicht minder auf das
Einhalten höfischer Etikette. Ganz anders geartet war
sein Sohn, der Erbprinz Karl Anton, der den Geist der
neuen Zeit verstand und ihm damals wie fernerhin in jeder
Beziehung Rechnung trug. Er war ein Fürst im besten
Sinne des Wortes, ein ganzer, ein treuer deutscher Mann,
dessen Denken und Fühlen, Trachten und Handeln immer-
dar dem großen Vaterlande gegolten, dem er die wichtigsten
Dienste geleistet. In seiner Gemahlin Josefine hatte er
die aufopferungsvollste, gleich ihm echt deutsch empfin-
dende Lebensgefährtin gefunden. ,Mild und weich', so
wird sie uns von unterrichteter Seite geschildert, ,immer
voller Sorge um jeden einzelnen ihrer Lieblinge, immer
bangend, sowie sie ferne von ihnen war, immer Gnade
für Recht ergehen lassend, sobald eines ihrer Kinder sich
in etwas verfehlt hatte; von tiefster Frömmigkeit und doch
nie frömmelnd, wirkte sie durch ihre Selbstlosigkeit und
erwarb sich überall Liebe und Verehrung. Freudig ordnete
sie sich ihrem Gatten unter und schaute in frauenhafter
Hingebung zu ihm auf, während er sie fast väterlich zu
schützen und zu behüten suchte.' Etwas mädchenhaft
Zartes, etwas graziös Schüchternes haftete ihr stets an,
und bis zu ihren späten Jahren ging ein eigentümlicher
Zauber von ihr aus, der ihr aller Herzen gewann.
So war die Familie beschaffen, in welcher Prinz Karl
aufwuchs und welche ihm für das ganze weitere Leben
leuchtende Vorbilder bot. Der ernste, gemessene, haus-
hälterische und ordnungsliebende Großvater, der ziel- und
7
pflichtbewußte, stets groß denkende und handelnde, für
Künste und Wissenschaften lebhaft interessierte Vater,
der an Preußens aufstrebender Politik tätigsten Anteil
nahm, die sorgsame, immerdar um die Ihren bemühte,
tief innerlich empfindende gütige Mutter, deren ganzes
Sein dem Wohlergehen des Gemahls und der Kinder ge-
Schloß Weinburg.
widmet war. Es ging still und gemessen im fürstlichen
Haushalt zu, und an lärmenden Zerstreuungen, wie es
an anderen Fürstenhöfen vielfach der Brauch, fehlte es
gänzlich. Prinz Karl war ein zartes Kind; die jugendliche
Lebhaftigkeit wurde oft gemildert durch eine gewisse
Ruhe, die sich schon früh in seinem Wesen zeigte. Von
zierlicher Gestalt und fast mädchenhaftem Aussehen,
mit leicht gewelltem dunklem Haar, erfreute er sich doch
stets einer kräftigen Gesundheit und tummelte sich mit
seinen Geschwistern in lustigen Jugendspielen umher
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bald in Sigmaringen verweilend, bald in den Sommer-
schlössern Inzighofen und Krauchenwies, gelegentlich zu
Besuch bei seinen Großmüttern, jener schon erwähnten
Stephanie, in Umkirch bei Freiburg im Breisgau, wo sie
die liebenswürdigste Gastfreundschaft ausübte, oder auch
bei der Großmutter väterlicherseits, Antonia Maria, die,
Blick von Schloß Weinburg auf Rheineck und W atzenhausen.
eine geborene Prinzessin Murat und Bruderstochter des
glänzenden Marschalls und Königs von Neapel, der mit
der jüngsten Schwester des ersten Napoleon vermählt
gewesen, gleichfalls französischer Abstammung war, auf
der Weinburg, der lieblich am Einfluß des Rheins in den
Bodensee gelegenen großväterlichen Besitzung in der
Schweiz. Hier, an den blauen Fluten des Schwäbischen
Meeres, mag sich die empfindsame Seele des Knaben mit
voller Freude der Natur erschlossen haben, die sich ihm
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in der friedsamen Landschaft auf das schönheitsvollste
zeigte, an geschichtlicher Stätte mit dem weiten Blick
auf fruchtbare Ebenen und die ferne Kette der schnee-
gekrönten Alpen. Früh schon äußerte sich bei dem Kna-
ben ein reger Sinn für die Schönheiten der Natur, die er
in stiller Träumerei in sich aufnahm und die ihm bereits
in jugendlichem Alter viel reichere und stärkere Eindrücke
gewährten, als es sonst bei Kindern der Fall. Seine, wie
die erste Erziehung seiner beiden ältesten Geschwister,
des Prinzen Leopold und der Prinzessin Stephanie, sowie
seines zwei Jahre jüngeren Bruders, Prinzen Anton, leitete
eine französische Bonne, Mademoiselle Picard, die sich
in hohem Grade das Zutrauen der Kinder erwarb, gleich
dem geistlichen Rat Emele, welcher die Prinzen in den
Anfangsgründen der Wissenschaften unterrichtete.
Die stürmischen Ereignisse von 1848 schlugen auch
im Hohenzollernsqhen Fürstentum ihre Wellen, und Fürst
Karl Anton, tief verstimmt über den jähen politischen
Umschwung, übertrug am 28. August 1848 die Regierung
seinem Sohne Karl Anton, der bereits im Frühling des
Jahres, als Vertreter des Landesherrn, den Bewohnern des
Fürstentums wichtige materielle Erleichterungen gewährt
und viele politische Forderungen der neuen Zeit aus eigen-
stem Antriebe erfüllt hatte. Trotzdem ergriff die von
Frankreich eindringende revolutionäre Bewegung auch die
Hohenzollernschen Lande, es war eine ernste und ereignis-
volle Zeit, in der der junge Prinz Karl seinem Vater schrieb,
„daß es so schwer wäre, Fürst zu sein". Aus Rücksicht
auf die Sicherheit der Seinen verließ Fürst Karl Anton
mit seiner Familie Ende September Sigmaringen, doch
nur zwei Wochen währte die Abwesenheit, bereits im
Oktober war die Ruhe wiederhergestellt. Aber wenige
Monde später, im Frühling 1849, wiederholten sich die
erregten Begebnisse, da die Badische Bewegung sich auch
auf Hohenzollern ausdehnte, das von Truppen entblößt
10
war, sodaß es der Fürst für das Beste hielt, seine Kinder
nach der Weinburg auf Schweizer Gebiet zu senden. Fürst
Karl Anton, dessen weiter staatsmännischer Blick die
Unzulänglichkeit bestimmter souveräner Bevorzugungen
und Überlieferungen in Deutschlands Zwergstaaterei, die
in starkem Gegensatz standen zu dem allgemeinen Um-
schwung der gärenden neuen Zeit, erkannt hatte und welcher
der unbedingten Überzeugung war, daß die Wiederher-
stellung Deutschlands nur von Preußen ausgehen könne,
brachte am 7. Dezember 1849 einen schon seit langem
gehegten und reiflich erwogenen Plan zur Ausführung,
indem er durch Staatsvertrag die Souveränität über sein
Fürstentum an die Krone Preußens übertrug und seine
Truppen des ihm geleisteten Fahneneides entband; der
junge Prinz Karl, in der Hohenzollernschen Kadetten-
uniform, wohnte mit seinem älteren Bruder diesem be-
deutsamen Ereignis bei.
Die feierliche Übergabe des Fürstentums fand am
12. März des nächsten Jahres statt, der am 20. April die
Abdankung folgte, und die hierbei gesprochenen innigen
Worte der Abdankungsurkunde des Fürsten Karl Anton
erweckten weit über Preußen hinaus ein starkes Echo,
da zum ersten Male mit männlichem Freimut und mit
freiwilliger Aufgebung aller ererbten wichtigen Rechte
ein hochherziger deutscher Fürst für den Einheitsgedanken
Deutschlands eintrat; heißt es doch darin: „Vor allem
aber liegt Mir ob darzutun, daß Ich nicht etwa deswegen
der Regierung entsage, weil Mir die Erfüllung der
Forderungen der Neuzeit schwer falle, oder weil die
auch in Meinem Lande vorgekommenen anarchischen
Bestrebungen die Last des Regierens unerträglich machen,
sondern bloß deswegen, weil Ich einen Schritt vor-
wärts tun wollte zur Beförderung dessen, was
dem großen deutschen Vaterlande not tut und
Meinem Volke frommt, einen Schritt vorwärts
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Hand mußte die Zügel meiner Regierang ergreifen,
wenn Volksglück hier heimisch werden sollte. Diese
Ansicht hatte ich längst als Wahrheit erkannt, auch
habe ich sie nicht gefaßt unter dem vorübergehenden
Eindruck stürmischer Tage; ich bin ihr treu ge-
blieben auch bei vielen rührenden Beweisen fester An-
hänglichkeit, klarer Erkenntnis der Sachlage und auf-
richtiger Liebe, die mir bis in die letzte Zeit meiner Re-
gierung von vielen — und ich darf es mit Stolz sagen —
von den Besten meines Volkes geworden sind. Auch nicht
der leiseste Anflug eines bitteren Gefühles ist es, der mich
beim Scheiden von meinem Volke befallen könnte; ich
bin stolz, meine Pflicht erfüllt zu haben, solange ich die
Regierung meines Staates führte, und sie zu erfüllen, in-
dem ich die Regierung niederlege. Soll der heißeste Wunsch
meines Herzens, soll das Verlangen aller wahren Vater-
landsfreunde erfüllt werden, soll die Einheit Deutschlands
aus dem Reich der Träume in Wirklichkeit treten, so darf
kein Opfer zu groß sein ; ich lege hiermit das größte, welches
ich bringen kann, auf dem Altar des Vaterlandes nieder!
Möge mein Volk glücklich sein unter dem neuen mächtigen
Herrscher, möge es Wohlstand und ungetrübtes Glück
finden in dem engeren Verbände mit jenem großen deut-
schen Lande, dessen ruhmgekröntes Regentengeschlecht
mit dem schwäbischen Hohenzoller zugleich den Ursitz
seiner glorreichen Wiege wiederfindet, und welches schützend
und schirmend in die ihm freiwillig dargebotene Erbschaft
großmütig eintritt. Keinen andern Wunsch kennt mein
Herz in der Stunde des Scheidens; es ist erfüllt von dem
Andenken an die, welche mich geliebt haben, und deren
Liebe auch in der Zukunft mein bleiben wird, vor allem
von dem Gefühle der Dankbarkeit gegen diejenigen, die,
mit wahrer Liebe meinem Volke zugetan, auch mir treu
geblieben in schweren Stunden drohender Gefahr. Für
einen Gedanken an die, die mich verfolgt und geschmäht,
13
die den Wunsch meines und der Meinigen Untergangs in
verbrecherischem Gemüte getragen, ist in dieser feierlichen
Stunde in meinem Geist kein Raum. Ihnen sei verziehen
und vergessen. Dies mein letztes fürstliches Wort!
Möge der Himmel den hohen Herrscher, meinen könig-
Prinz Karl im sechsten Lebensalter (1845).
liehen Herrn, erleuchten, in dessen Hand ich die Ge-
schicke meines Volkes lege; möge das Volk, das
ich einst mit warmer Liebe „mein" genannt, glück-
lich sein."
Der Vertreter König Friedrich Wilhelm IV., Ober-
ceremonienmeister Freiherr von Stillfried-Kattowitz, be-
tonte bei dieser Gelegenheit, daß nur der ausdrückliche
Wille des Fürsten von Hohenzollern den König allein zum
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Abschluß des Staatsvertrages hätte bewegen können!
„Dieser Vertrag sei eine deutsche Tat, und die deutsche
Geschichte werde dieselbe verewigen !" Des weiteren hob
der Abgesandte hervor, daß im Augenblicke der Besitz-
ergreifung von Seiten Preußens, der Vereinigung dieser
Lande mit dem größten norddeutschen Staate, der König
nicht minder der Welt zeigen wolle, wie wert ihm seine
Stammverwandten seien, und es nicht nur den Fürsten
von Hohenzollern Schutz und Schirm in Haus und Gütern,
sondern auch die ehrenvollste Stellung im
preußischen Staate für nun und immer
gewähren wolle. In einem Handschreiben des
Königs erteilte letzterer dem Fürsten von Hohenzollern
das Prädikat Hoheit, garantierte ihm den Rang eines
souveränen deutschen Bundesfürsten, verlieh ihm die
Vorrechte der nachgeborenen Prinzen des Königlich Preußi-
schen Hauses und das Recht, den Hohenzollernschen
Hausorden auch ferner zu verleihen.
Das Jahr 1850 war für den Prinzen Karl insofern
noch ein wichtiges, als er im Sommer in Ostende die erste
Begegnung mit dem Prinzen Friedrich Wilhelm, dem
späteren Kaiser Friedrich, hatte, mit welchem ihn der-
einst die treueste Freundschaft verbinden sollte. Wenn
sich zunächst der Altersunterschied auch noch geltend
machte, so soll der um acht Jahre ältere Friedrich Wilhelm
schon damals dem stammverwandten jugendlichen Vetter
die freundlichsten Sympathien entgegengebracht haben»
Bald danach begannen die eigentlichen Lernjahre für
den Prinzen Karl und seinen jüngeren Bruder Anton, die
mit ihrem Erzieher nach Dresden übersiedelten, welche
Stadt der fürstliche Vater ausgesucht, weil sie, gesund
und schön gelegen, vielfältige Anregung und infolge tüch-
tiger Lehrkräfte die erwünschten Hilfsmittel für Er-
ziehung und Unterricht bot. Die beiden jungen Prinzen
weilten, damit sie den höfischen Zerstreuungen entzogen
15
würden, als Barone von Straßberg in der sächsischen
Hauptstadt, aber später ergaben sich doch nähere Be-
ziehungen zu dem verwandten königlichen Hofe und auch
herzliche Freundschaftsbande verknüpften sie mit Alters-
genossen. Der Erzieher hatte seine Aufgabe streng erfaßt
und stellte große Anforderungen an seine Zöglinge. Von
dem demokratischen Zuge der Zeit war auch er durch-
drungen, denn er prägte den Prinzen ein, daß sie sich viel
Mühe geben müßten, damit die Menschheit ihnen vergäbe >
daß sie als Prinzen geboren seien; eine Lehre, die gerade
vom Prinzen Karl in ihrem Kern sehr ernst aufgenommen
ward und für welche er nachdenkliches Verständnis zeigte.
Der Aufenthalt in Dresden währte bis zum Jahre 1856.
Er wurde unterbrochen durch die Ferienreisen zu den
Eltern, die 1852 nach Düsseldorf übergesiedelt waren, wo
Fürst Karl Anton das Kommando der 14. Division über-
nommen hatte, sowie durch sommerliche Erholungsaus-
flüge und Besuche der Großeltern, die Schloß Bistritz
in Böhmen bewohnten. Mit den fernweilenden Geschwistern
stand Prinz Karl in regstem brieflichem Verkehr und
war stets bemüht, ihnen wie den Eltern Überraschungen
zu den Festen zu bereiten. Wie eng und treu die Familie
zusammenhielt, ging daraus hervor, daß Prinzessin Ste-
phanie einst den Geschwistern vorgeschlagen, sich unter-
einander keine Weihnachtsgeschenke zu machen, um für
das so erübrigte Geld der geliebten Mutter, die öfter lei-
dend war, eine besonders schöne Gabe zu spenden.
Nach Abschluß der Dresdener Studien hegte Prinz.
Karl den Wunsch, in Münster die Portepee-Fähnrichs-
prüfung abzulegen, wozu er als Mitglied des Hohenzollern-
hauses nicht verpflichtet gewesen, und Fürst Karl Anton,,
erfreut über diesen gewissenhaften Charakterzug seines
Sohnes, ersuchte die Prüfungskommission, keinerlei Rück-
sicht walten zu lassen, sondern den Prinzen genau so zu
behandeln und zu prüfen, wie jeden andern. Vier Tage
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währte das Examen, dem der Prinz nicht ohne Besorgnis
-entgegengesehen und das ihm manch bange Stunde be-
reitet, da er ja noch nie zuvor geprüft worden war, das
-er aber mit „Gut" bestand.
Hier zeigte sich bereits die Selbständigkeit seines
Wesens und das mit einem gewissen Ehrgeiz verbundene
Streben, alles sich selbst zu verdanken und nicht bestimm-
ten Vorzügen der Geburt. Daß er den Hohenzollern an-
gehörte, hat ihn stets mit durchaus gerechtfertigtem Stolz
erfüllt, aber gerade deshalb wollte er aus eigener Kraft
sich seine Stellung und infolge seines Wissens und seiner
Fähigkeiten den Platz erringen, den andere Fürsten als
ihnen selbstverständlich zustehend betrachten. Die er-
klärt uns vieles in der Sinnesart des jungen Prinzen, wie
in der späteren Entwicklung des Fürsten und Königs, der
an sich stets die höchsten Anforderungen stellte und in
seiner soldatischen Einfachheit wiederholt betonte: „Was
der Mensch selbst tun kann, soll er nicht von einem andern
tun lassen."
Zur Belohnung für das bestandene Examen und die
vorangegangene angestrengte Arbeitszeit sandte Fürst
Karl Anton seinen Sohn nach der Schweiz und nach Ober-
Italien, wobei der Prinz in Begleitung seines Gouverneurs
große Gebirgstouren unternahm und die Erhabenheit der
Alpenwelt, die Lieblichkeit der italienischen Seen und
die schönheitsfreudigen, an denkwürdigen Überlieferungen
reichen Stätten italienischer Kunst und vergangenen
Prunkes, Venedig, Mailand und Genua, mit jugendlicher
Begeisterung kennen lernte.
Am i. Januar 1857 wurde Prinz Karl zum Seconde-
Leutnant ä la Suite des Gar de- Artillerie- Regiments, welche
Waffe er sich als die interessanteste ausgesucht, ernannt,
trat aber zunächst nicht in die Front ein, da er sich erst
in der Festung Jülich mit dem praktischen Dienst ver-
traut machte, die Handhabung der Geschütze erlernend
17
und eifrig hantierend mit Wischer und Hebebaum, so daß
er bei einem Vorexerzieren am Geschütz vor seinem Vater
trefflich abschnitt. Auch als gewandter Turner und
sicherer Reiter bewährte er sich und konnte sich bereits
in Jülich in der schweren Kunst üben, als Prinz den Mittel-
Prinz Karl als Seconde-Leutnant im Garde- Artillerie- Regiment (1857).
punkt einer größeren Geselligkeit zu bilden und gut aus-
zufüllen. Seit seinem Eintritt [in die Armee war ihm
Hauptmann von Hagens als Militärgouverneur beigegeben
worden, ein pflichttreuer, begabter Offizier, der, dem
Prinzen herzlich zugetan, sich überzeugt hatte von der
Wahrheit jener eindringlichen Worte über Prinzenerziehung,
die einst Goethe an Frau von Stein gerichtet nach seinen
Erfahrungen am Meininger Hofe: „Die Hofmeister junger
Lindenberg, König Karl. 2
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Fürsten, die ich kenne, vergleiche ich Leuten, denen der
Lauf eines Bachs in einem Tal anvertraut wäre, es ist
ihnen nur drum zu tun, daß in dem Raum, den sie zu
verantworten haben, alles fein stille zugehe, sie ziehefi
Dämme quer vor und stemmen das Wasser zurück, zu
einem feinen Teiche; wird der Knabe majorenn erklärt,
so gibt's einen Durchbruch und das Wasser schießt mit
Gewalt und Schaden seinen Weg weiter und führt Steine
und Schlamm mit fort. Man sollte wunder denken, was
es für ein Strom wäre, bis zuletzt der Vorrat ausfließt
und ein jeder zum Bache wird, groß oder klein, hell oder
trüb, wie ihn die Natur hat werden lassen, und er seines
gemeinen Weges fortfließt/' Hauptmann von Hagens
suchte in keiner Weise die Eigenart des Prinzen zu beein-
trächtigen, aber er war bestrebt, ihn zu eigener Selbstän-
digkeit zu entwickeln und ihm das Verständnis zu er-
schließen für die realen Dinge des Lebens. Den Prinzen
zu warnen vor Überschreitungen der gezogenen Grenzen
und vor den Gefahren des großstädtischen Lebens, war
nicht vonnöten; mit warmem, mitfühlendem Herzen und
einem reichbewegten Innenleben war er nacli außen hin
bescheiden-zurückhaltenden Wesens und hatte volles Ver-
ständnis für einen andern Ausspruch Goethes, der in einer
Kontroverse mit Herder über das Ziel der Fürstenerziehung
bemerkt hatte, daß auch das Ubermaß des Guten zum
Fehler werden könne, und hinzusetzte: „Ist es denn
nicht mit jeder Leidenschaft dasselbe, in der die Mächtigen
und Reichen einen höheren und stärkeren Genuß des
Lebens suchen! Hunde, Pferde, Jagd, Spiel, Feste, Klei-
der und Diamanten, was für Kapitale von Barschaft
stecken darin und was für Interessen von Zeit und Geld
zehren sie nicht auf, ohne die Seele zu erheben, das doch
die Gaben der Musen um billigeren Preis gewähren." —
Wie Fürst Karl Anton über die fernere Erziehung
seines Sohnes, die er noch nicht als abgeschlossen be-
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trachtete, dachte, geht aus den Wünschen hervor, welche
er für Hauptmann von Hagens, der den Prinzen im Früh-
ling 1857 nach Berlin begleitete, schriftlich niedergelegt:
„Erhaltung und Erhärtung des religiösen Gefühls, jedoch
ohne Ostentation und Äußerlichkeit. Die kirchlichen
Pflichten sind streng zu erfüllen, aber stets so, daß die
tote Form niemals die innere Wesenheit überwuchert. —
Auf die richtige Auffassung des Ehrenpunktes und der
militärischen Standesbegriffe ist mit Abstreifung aller
hohlen Vorurteile unausgesetzt hinzuwirken; seine Geburt
und ererbte fürstliche Würde sind meinem Sohne so dar-
zustellen, daß er seinen einzigen Halt in seiner Eigenschaft
als Offizier und Kavalier finde. Daraus resultiert eine
stets gemessene und bescheidene Haltung und die Be-
tätigung echter Kameradschaftlichkeit. Ein notwendiges
Gegengewicht zu diesen Eigenschaften bildet männliche
Selbständigkeit, Uberzeugungstreue und Bewahrung der
eigenen Individualität/' Der Fürst wünschte sodann des
ferneren, daß sein Sohn, da er noch zu jung und uner-
fahren sei zur Ausprägung eigener politischer Anschau-
ungen, vor einseitigen und parteiischen Eindrücken be-
wahrt bleibe: „Das Gefühl von Recht und Billigkeit
nach allen Richtungen muß ihm stets klar erhalten bleiben ;
daher dürfen Standesvorurteile in ihm niemals aufkom-
men. Preußens Beruf in Deutschland, seine Größe und
Machtentfaltung auf nationaler Basis — dieses zugleich
die traditionelle dynastische Politik — sollen Überzeu-
gungen seines strebenden Geistes werden. Der Name
„Hohenzollern" ist ein Ehrenname, dessen er sich stets
in bescheidener Zurückhaltung bewußt bleiben muß!"
In der Tat goldene Worte; sie zeigen uns, welcher
Geist in der fürstlichen Familie lebte und in welcher Art
die Einwirkungen waren, die der junge Prinz vom elter-
lichen Hause her empfangen. Aber was helfen alle Er-
mahnungen und alle noch so gut gemeinten Vorschriften,
20
wenn der Kern nicht ein echter und rechter, ein kraft-
voller ist, wie es hier der Fall war. Reinheit des Gemüts
verband sich bei dem Prinzen Karl mit Reinheit des
Glaubens, welch letzterer sich nie an den Buchstaben
heftete, sondern einer inneren, religiösen Überzeugung
entsprungen war. Lauterkeit der Gesinnung verknüpfte
sich mit einem harmonischen Gleichmaß in der Auffassung
und Betätigung der Aufgaben, die das Leben an jeden,
an den Höchsten wie an den Niedrigsten, stellt. Hierzu
gesellten sich Vorurteilslosigkeit in jeder Beziehung und
das Verständnis für menschliche Irrungen und Wirrungen.
Von festen Grundsätzen, von denen er nie abwich, war
der Prinz treu gegen sich und treu gegen andere, nie sich
leidenschaftlichen Wallungen hingebend, aber seinen star-
ken Willen durchsetzend, wenn er ihn als richtig erkannt.
Die beiden Zeiger seiner Lebensuhr waren von früh an:
„Pflicht und Vaterland". Sie ordneten seinen Weg und
waren die vornehmste Richtschnur seines Handelns.
Prinz Karl besuchte zunächst in Berlin die Vereinigte
Artillerie- und Ingenieurschule und erhielt von tüchtigen
Lehrkräften noch Unterricht in Mathematik, Militär-
wissenschaften, Fortifikationslehre, Chemie und Physik,
in französischer Sprache, im Plan- und Konstruktions-
zeichnen, während ihn Hauptmann von Hagens in die
Taktik einführte. Obwohl Fürst Karl Anton gewünscht
hatte, daß die militärische Ausbildung seines Sohnes nicht
gehindert werde durch die Zerstreuungen der großen Stadt,
ließ sich selbstverständlich der engere verwandtschaft-
liche Verkehr am preußischen Königshofe nicht umgehen.
Jeden Sonntag nahm der Prinz an dem Familiendiner des
Königspaares teil und erfreute sich namentlich der herz-
lichen Zuneigung seitens des Prinzen und der Prinzessin
von Preußen, die den jungen Neffen auf das liebevollste
in ihren Kreis aufnahmen. Im August beteiligte sich der
Prinz an der Seite seines Vaters an den Manövern der
_2\_
14. Division und an den Schießversuchen in Schweidnitz,
wobei er Bekanntschaft mit dem General von Moltke
schloß, der, ein scharfer Menschenkenner, das innere Wesen
Prinzessin Stephanie von Hohenzollern.
(Königin von Portugal.)
des Prinzen richtig beurteilte, indem er geäußert: „Der
junge Prinz von Hohenzollern wird noch im Leben eine
Rolle spielen und von sich reden machen!" —
Der Frühling 1858 brachte die bittere Trennung von
der geliebten Schwester Stephanie, mit der sich der König
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Dom Pedro V. von Portugal verlobt hatte; wie es oft
in alten Zeiten der Fall gewesen, fand die Vermählung
per Prokura statt — und zwar am 29. April des genannten
Jahres, — wobei der König durch den ältesten Bruder
der Prinzessin, den Erbprinzen Leopold, vertreten wurde,
der seine Schwester auch dem Gemahl zuführte, welcher
die Erwählte bisher nur aus dem Bilde gekannt; trotzdem
wurde die Ehe eine außerordentlich glückliche. In tiefster
brüderlicher Liebe war Prinz Karl der um zwei Jahre
älteren Schwester zugetan, die ebenso schön wie sanft
und hingebend, dabei sehr begabt und von leidenschaft-
licher Liebe erfüllt war für ihre Heimat und für das deutsche
Vaterland, die politischen Strömungen dfer Zeit aufmerk-
sam verfolgend und den Ihrigen daheim' ihre Gedanken
darüber in lebhafter Weise mitteilend. -Die Prinzessin
hatte sich nicht entschließen können, trotz mancher ver-
wandtschaftlichen Einflüsse, ihre Hand Napoleon III. zu
reichen, und mit reifem Verständnis die politische Welt-
lage überschauend und beurteilend, schrieb sie 1859 an
ihren Bruder Karl: ,, Preußen, als Großmacht, muß jetzt
endlich mit Entschiedenheit auftreten, um der Willkür
des französischen Kaisers ein Ende zu machen. Es ist
empörend, daß das Wort eines Mannes ganz Europa
Krieg oder Frieden diktieren soll/' Sie betonte d-aran
anschließend, wie stolz ihre Brüder sein müßten, einem
so edlen Volke wie dem deutschen anzugehören. — Nur
wenig über ein Jahr war die glückbringende und glück-
empfangende Prinzessin Gemahlin des Königs Dom Pedro
gewesen, als sie am 17. Juli 1859 an Diphtheritis starb,
noch in den letzten Minuten mit ihren Gedanken bei den
Eltern und Geschwistern Verweilend, an die sie ihrem
Sekretär die zärtlichsten Grüße aufgetragen. Ihr Hin-
scheiden bedeutete für die fürstliche Familie den herbsten
und unersetzlichsten Verlust, aber auch für ihren Ge-
mahl, der, wenig über ein Jahr später vom Typhus be-
23
fallen, ihm erlag, den Tod herbeisehnend, der ihm die
Wiedervereinigung mit der geliebten Gattin versprach.
Im November 1858 siedelte zur innigen Freude des
Sohnes Fürst Karl Anton nach Berlin über. Prinzregent
Wilhelm, der seinen erkrankten königlichen Bruder vertrat,
hatte den Fürsten als Ministerpräsidenten berufen, da es sich
um einen einschneidenden Wechsel des Systems mit Berück-
sichtigung der Bedürfnisse einer neuen Zeit handelte und
er anderen, vorurteilslosen Männern die verantwortliche
Führung der Regierungsgeschäfte übertragen wollte. Diese
Männer von strenger Rechtlichkeit und erprobter Redlich-
keit, von verfassungstreuer Gesinnung und gemäßigten
politischen Anschauungen, wußte Fürst Karl Anton zu
finden, wie von Auerswald, von Patow, von Bethmann-
Hollweg, von Bonin, Flottwell, später Graf Schwerin und
andere, Männer, „die einen scharfen Gegensatz gegen das
bisherige System bezeichneten ". Ihre Berufung fand die
bereitwillige Zustimmung der weitesten Massen der Nation.
„Es wäre unmöglich gewesen," verzeichnet der Herzog
Ernst von Sachsen- Koburg-Gotha in seinen Erinnerungen,
„für das neue Ministerium einen andern Namen zu finden,
als den des ehrenhaften, patriotischen, wahrhaft gebildeten
Fürsten von Hohenzollern, welcher bessere Hoffnungen
und größere Garantien einer gedeihlichen Entwicklung
der preußischen sowie der allgemein deutschen Verhält-
nisse zu geben vermocht hätte." Und ein einflußreiches
Blatt, die „Magdeburgische Allgemeine Zeitung", begrüßte
die Ernennung des Fürsten mit freudigen Worten: „In
engeren Kreisen wird der Fürst nicht bloß um dessentwillen
geschätzt, daß er ein unzureichendes Staatswesen der
großen Monarchie mit klarem Verständnisse der Weltlage
und mit vollem Bewußtsein dessen, was er tat, einverleibt,
sondern wegen seiner hohen Einsicht in politische Dinge
überhaupt, wegen seiner umfassenden Kenntnis der Staats-
verhältnisse, wegen seines gesunden Urteils über die Be-
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dürfnisse der Regierungen und Völker, wegen seines Frei-
sinns und lebhaften Patriotismus, endlich wegen der
Stellung, welche Seine Hoheit als Katholik zu den kon-
fessionellen Fragen einnimmt und die sowohl seiner Reli-
giosität, als auch seinem Verständnisse des Jahrhunderts
alle Ehre machen. Auf diesen Mann richteten sich sogleich
die Blicke aller derer, welche ihn hothschätzen und von
seiner Beteiligung an den Geschicken Preußens, das seinem
Herzen wahrhaft teuer ist, Heil erwarten/'
Der Fürst erfaßte seine verantwortliche Aufgabe mit
hingebendem Ernst, seine Gewissenhaftigkeit und Grad-
heit erwarben ihm allgemeines Zutrauen, mit seiner warm-
überzeugten deutsch-nationalen Gesinnung verband sich
eine begeisterte Hingabe an Preußen, in dem Streben
gipfelnd, das gesunkene preußische Ansehen in Europa
zu heben und derh Staate Festigkeit im Innern wie im
Äußern zu verleihen.
Das führte er auch mannhaft durch, getreu seinem
Ziele, das er in einem Briefe an den ihm befreundeten
Herzog Ernst von Sachsen-Koburg-Gotha dargelegt: „Ver-
fassungstreue und Gesetzesachtung zur Wahrheit zu
machen, daneben die preußischen Traditionen festhalten,
welche eine starke und mächtige Hand wollen. In diesen
wenigen Worten liegt die Aufgabe, deren glückliche Lösung
in ganz Deutschland einen ermutigenden Widerhall finden
muß; ermutigend namentlich deshalb, weil in ihnen die
Gegensätze zu denjenigen absolutistischen Strömungen
enthalten sind, welche gegenwärtig in vielen Regierungs-
kreisen sich geltend machen und leider außerhalb Deutsch-
lands Begründung und Anlehnung suchen und finden/' —
An ernsten Hindernissen und vielfachen Widerwärtigkeiten
fehlte es nicht, wie dies auch aus einem andern Schreiben
an den oben genannten Herzog hervorgeht: „Das spezi-
fische Preußentum ist schwer zu behandeln, es ist eine un-
geschlachte Macht. Ich stehe viel aus und leide tief im
25
Herzen; doch stehen wir fest und sicher und alles wird
erst werden, nur langsam, schwerfällig und scheinbar
schwankend, bis das richtige Gleichgewicht hergestellt
ist." — In ruhig-entschiedener Weise trat der Fürst stets .
für die Großmachtstellung Preußens ein und setzte durch,
daß dies in kritischen Zeitpunkten energisch betont wurde,
wie im Frühling 1859, als sich auf seine Warnungen
hin Preußen in Kriegsrüstung zeigte. Die Bestrebungen,
das preußische Heer schlagkräftig zu machen, fanden in
ihm einen zielbewußten Vertreter, und auch im Abgeord-
netenhause trat er — Ende Mai 1861 — mit vollster Energie
für die Heeresforderungen ein. Ein schwerer Krankheits-
anfall nötigte den Fürsten im Frühling 1862 zu einem
längeren Urlaub, den er im Süden zubrachte, aber auch
nach seiner Rückkehr erwies sich seine Gesundheit doch
zu geschwächt, als daß er die vielfachen Pflichten seines
verantwortungsvollen Postens so, wie er es wollte, er-
füllen konnte, und er reichte im September des gleichen
Jahres sein Abschiedsgesuch ein. Nur ungern entschloß
sich König Wilhelm, dasselbe zu bewilligen, in warmen
Worten die Verdienste des Fürsten anerkennend: ,,Als
Ich Eure Königliche Hoheit im Jahre 1858 berief, den
Vorsitz meines Staatsministeriums zu übernehmen, sind
Sie diesem Ruf aus Anhänglichkeit und Freundschaft
für mich mit Bereitwilligkeit gefolgt und haben sich der
großen Aufgabe dieser Stellung mit seltener Umsicht und
Hingebung für den Thron und das Vaterland gewidmet,
wofür Ihnen ebenso die Anerkennung des Landes, wie
meine tiefste Dankbarkeit zuteil geworden ist." Und es
heißt dann am Schluß des aus Baden vom 29. September
1862 datierten Schreibens, nachdem der König lebhaft
bedauert, wie schwer es ihm wird, die aus Gesundheits-
rücksichten mehrfach nachgesuchte Entlassung zu er-
teilen: „Ich tue dies mit den schmerzlichsten Gefühlen;
denn nicht nur stehen Sie als Verwandter und Freund
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meinem Herzen gleich nahe, sondern Ich werde auch die
Entbehrung Ihres Beistandes in den Staatsgeschäften
schwerer empfinden, als Ich es auszudrücken vermag. —
• Empfangen Ew. Königliche Hoheit nochmals den Aus-
druck der Ihnen so oft kundgegebenen innigsten Dank-
barkeit, die Ich Ihnen schulde für die Aufopferung und
erfolgreiche Tätigkeit, die Ihre Leitung der Staatsgeschäfte
auszeichnete, welche Dankbarkeit auch, so langeich lebe,
nicht erlöschen wird/'
Als sich der Fürst genötigt sah, aus den genannten
Gründen sein Amt niederzulegen, brachte er als seinen
Nachfolger Herrn von Bismarck, der als Gesandter in
St. Petersburg weilte, beim König in Vorschlag, hervor-
hebend, daß dieser bei seinem Talent, Mut und Kennt-
nissen imstande sein werde, die auswärtige Politik in
energischer und großzügiger Weise zu lenken. — Fürst
Karl Anton war der erste, der das Genie Bismarcks, welcher
schon früher seine ernste Aufmerksamkeit erregt hatte,
erkannte. Wenige Monate später wurde der Rat des
Fürsten befolgt: am 23. September wurde Bismarck zum
interimistischen, bald danach zum Präsidenten des Staats-
ministeriums und zum Minister der auswärtigen Ange-
legenheiten ernannt I
Prinz Karl war in Berlin täglich mit seinem Vater
zusammen und es ergab sich von selbst für ihn eine an-
regende politische Lehrzeit, die dereinst ihre reifen Früchte
tragen sollte. Gleich seinem Vater war der Prinz durch-
aus kein Anhänger der in bestimmten höheren Kreisen
herrschenden reaktionären Stimmung, wie er ebenso-
wenig jemals etwas übrig gehabt für den sogenannten
„Leutnantston" und für Standesüberhebung. Er neigte
mehr der liberalen Richtung zu und verkehrte auch in
Häusern, die, als freisinnig, in Hofkreisen für bedenklich
galten. Das ward ihm natürlich an manchen Stellen ver-
dacht, wie ihm Prinz Karl von Preußen gelegentlich miß-
27
mutig seine Verwunderung ausdrückte, daß er in Garde-
uniform im Hause des Ministers von Patow getanzt habe,
worauf aber der Prinz schlagfertig erwiderte, er wäre nicht
als Gardeoffizier, sondern als Prinz von Hohenzollern
dort gewesen.
Die sehr ernsthaft betriebenen militärischen Studien
des Prinzen fanden durch die im Mai 1859, beim Aus-
bruch des Französisch-Österreichischen Krieges in Italien,
erfolgende Mobilmachung der preußischen Armee eine
wichtige Unterbrechung, wobei der Prinz nahe Einblicke
gewann in die Bedeutung der sorgfältigen Vorbereitungen
für den Ernstfall, wie er auch eine auf Kriegsfuß gebrachte
Batterie führte. Die kriegerischen Wolken verzogen sich,
und der Garnisondienst wurde von neuem aufgenommen.
Im Jahre 1861 lernte der Prinz auf zwei längeren Reisen
Land und Leute jenseits der deutschen Grenzen kennen.
Im Sommer 1861 begleitete er seinen Bruder, den Erb-
prinzen Leopold, zu dessen Vermählung mit der Infantin
Antoinette nach Lissabon, und als er in den Tajo einfuhr
und die portugiesische * Hauptstadt erblickte, mit der so
eng die Erinnerung an die teure Schwester verknüpft war,
überwältigte ihn der Schmerz derart, daß er in heftige
Tränen ausbrach. An die trüben Stunden am Sarge der
Schwester in der königlichen Familiengruft im Kloster
St. Vincente reihten sich die im Königspalaste Necessidades
mit großem Glanz begangenen Feste der fröhlichen Ver-
mählung des Bruders mit der holden Prinzessin, die dem
Prinzen wie eine „schöne und liebliche Erscheinung' '
erschien. Im November des gleichen Jahres begab sich
der Prinz in Begleitung des Premierleutnants von Schrötter
nach Südfrankreich, wobei er den französischen Militär-
einrichtungen besondere Aufmerksamkeit widmete. Er
verlebte dann das Weihnachtsfest bei den Eltern und
Geschwistern in Hyeres, das sich der leidende Fürst
Karl Anton zum Winteraufenthalt erkoren, und trat
28
Anfang Januar 1862 von Marseille aus die Fahrt nach
Algier an.
Es war eine neue Welt, die sich dem Prinzen Karl
hierbei öffnete und die vor ihm eine Reihe der buntfar-
bigsten, fesselndsten Bilder entrollte. An einen längeren
Aufenthalt in Algier selbst schloß sich eine größere Reise
in das Innere des Landes, und zwar von Philippeville aus,
bis wohin das Dampfschiff benutzt worden war. Das
Wetter hatte gerade diese Fahrt sehr begünstigt, an
die sonnig-schönen Tage reihten sich . die feierlich-stillen
Nächte mit dem glänzenden Schimmer der Sterne, die
hier eine weit größere Leuchtkraft entwickeln wie in der
Heimat, gleich dem Himmel mit seiner tiefblauen Färbung.
In Philippeville sowohl wie auch in den andern Militär-
stationen, die besucht wurden, lernte der Prinz des näheren
die Truppenorganisationen kennen und machte sich ver-
traut mit dem Dienst und dem entsagungsvollen Leihen
der französischen Kolonialarmee. Die französische Re-
gierung hatte alles getan, um dem fürstlichen Gast den
Aufenthalt auf afrikanischem Boden möglichst angenehm
und nutzbringend zu gestalten; freilich gab es genug der
Strapazen, aber sie wurden willig ertragen, im Gegenteil,
dem Prinzen Karl war es grad recht, einmal losgelöst zu
sein von den sogenannten Bedürfnissen der großen Welt
und der höfischen Etikette, von der er nie ein Freund ge-
wesen und nie geworden, und es bereitete ihm die tiefste
Genugtuung, sich mit voller Hingebung und freudigem
Genuß in die geheimnisvollen Schönheiten der Natur,
die ihn hier fremdartig auf Schritt und Tritt umgaben,
zu vertiefen.
Mit der Diligence wurde Constantine erreicht, das
alte Ciret, die einstige Hauptstadt Numidiens, auf hohem
schroffem Felsplateau in malerischer Lage sich ausdeh-
nend, reich an Erinnerungen ihrer römischen Vergangen-
heit. Unter der Führung des Divisions-Generals Desvaux
t
29
besuchte der Prinz das Terrain, auf dem sich die erbitterten
und blutigen Kämpfe zwischen den andrängenden Fran-
zosen und den die Stadt verteidigenden Arabern abge-
spielt. An den letzten Bey gemahnte der von dem jedes-
maligen französischen Kommandeur bewohnte Palast >
dessen innere Gärten mit ihren farbigen Blumenbeeten,
Orangenbäumen und Palmen, unter denen sich zierliche
Gazellen tummelten, und mit ihren plätschernden, will-
kommene Kühlung verbreitenden Springbrunnen breite
Säulengalerien umgaben. Aus blinkendem weißem Marmor
waren diese über zweihundert Säulen gefertigt, und wenn
sie abends von flimmernden Mondstrahlen getroffen wurden
und letztere mit silbernem Schein Hallen und Höfe um-
spielten, war der Eindruck ein völlig phantastischer.
Nach dreitägigem Aufenthalt ging es nach Batna
und zwar zu früher Morgenstunde, die eine unvermutete
Überraschung brachte, denn in der Nacht war dichter
Schnee gefallen, und große Flocken umwirbelten noch
die Diligence, auf deren Vordersitzen der Prinz und sein
deutscher militärischer Begleiter Platz genommen. Die
Gegend war monoton und die Kälte so streng, daß man
bei der Rast, die man gelegentlich in einer einsamen Kara-
wanserei machte, sehr wohltätig das lodernde Kaminfeuer
empfand. Erst mit Einbruch der Dämmerung erreichte
man Batna, an dessen Häusern lange Eiszapfen hingen
und wo ein reges militärisches Iyeben herrschte, da gerade
die Ablösung der Garnison erfolgte. Ein eintägiger, zu
Pferde unternommener Ausflug galt der alten Römerstadt
Lambessa, deren einstiges Gebiet noch bedeckt ist mit
unzähligen Trümmern, die Zeugnis ablegen von dem be-
deutenden Umfang, den die römische Kolonisation hier
gehabt.
Unter Begleitung einer Eskorte von Spahis ging's dann
nach Biscara, und rasch kam man aus dem Winter wieder
in den Sommer, denn meist wurde der Ritt im Galopp
30
zurückgelegt, falls ihn nicht jähe, scharfkantig zerrissene
Einbuchtungen hinderten, welche jedoch die in den ge-
wagtesten Kletterkünsten erfahrenen Pferde geschickt
überwanden. Von menschlichen Wohnungen war nichts
zu entdecken, wohl aber zeigten vielfache Reste von
Bauten, daß sich im Altertum hier zahlreiche Ortschaften
mit blühendem Leben befunden. Mit inniger Freude
wurde der herrliche Palmenwald von El-Kantara begrüßt,
der sich plötzlich nach einer Biegung um einen Felsvor-
sprung wie ein Wunder vor den erstaunten Blicken der
Reiter ausbreitete, deren Augen nach dem langen Tages-
ritte durch die eintönige, gelbbraune, sonnverbrannte Gegend
geblendet und ermüdet waren. Das ganze Bild mit den
unzähligen Palmen, die ihre grünen Kronen hoch in die
Xüfte reckten, mit den lustig rieselnden und sprudelnden
Quellen, mit der mit Schießscharten und viereckigen
Türmen versehenen lehmfarbenen, die Oase umgebenden
Mauer, mit den aus dem dichten Grün hell hervorleuchten-
den weißen Häuschen, alles eingehüllt in den purpurnen
Strahlenmantel der scheidenden Sonne, wirkte wie ein
liebliches Märchen. Und dieser Eindruck wurde noch
erhöht durch vielfache Gruppen in weiße Burnusse ge-
hüllter Araber, aus denen sich die würdevollen Gestalten
der drei Scheiks loslösten, mit dem Zeichen der Unter-
würfigkeit dem Prinzen entgegentretend und ihn bittend,
ihre Gastfreundschaft anzunehmen.
Der Aufenthalt war leider nur ein kurzer, denn schon
am nächsten Morgen wurde der Ritt fortgesetzt; wieder
durchquerte man gebirgiges, verlassenes Terrain, das an
vielen Stellen einen blendend silbernen Glanz aufwies, da das
Erdreich untermischt ist mit großen Massen von Salz. In
einer Karawanserei traf man auf eine Kamel-Karawane,
die hier Rast gemacht, und auf eine Eskorte afrikanischer
Chasseurs, beides von lebhaft fesselnder Szenerie, und
dann, ehe das Gebirge erreicht war, tauchte plötzlich
•31
eine Fata-Morgana auf, mit breitem Wasserfall und schäu-
menden Sturzwellen, die ebenso schnell verschwand,
wie sie erschienen. In Biscara, wo man den Nordrand
der großen Wüste erreicht hatte, fand der Pjinz wiederum
die gastfreundlichste Aufnahme. Ein wundervoller Palmen-
wald, in welchem verstreut die weißen Häuschen und einige
zierliche Minarets lagen, breitete sich auch hier aus;
von großer Ursprünglichkeit war das ganze lieben und
Treiben der Bewohner der sieben Dörfer, die diese Oase
umschloß. In Biscara wurden schnell alle Vorbereitungen
getroffen zu einem mehrtägigen Wüstenritt durch die
Sahara. Zehn Maulesel trugen die Zelte und Iyebensmittel,
und eine Eskorte von Spahis sorgte für die Sicherheit.
Ohne Weg und Steg ritt man durch das unendliche Sand-
meer, meist im Schritt, da die Pferde geschont werden
mußten. Die erste Rast wurde unter den hochstrebenden
Palmen der Oase Mdonkal gehalten, in welcher der Scheik
mit seinen Söhnen und anderen vornehmen Arabern dem
Prinzen den Willkommen darbot. Die Nacht verbrachte
man in den mitgeführten Zelten, die von einem heftigen
Sturm fast fortgeweht wurden; mit dem Gebell der Scha-
kale vermischte sich das dumpfe Heulen der Hyänen und
das Gekläff der Hunde. Noch ehe das Tagesgestirn er-
schien, ging es weiter, denn ein achtzehnstündiger
Ritt stand bevor. Von neuem durchmaß man weite
salzbedeckte Flächen, die den täuschenden Eindruck
frischer Schneefelder erweckten. Die Hitze war sehr
stark und die heiße Iyuft hatte eigentümliche optische Er-
scheinungen zur Folge, denn die den Boden spärlich be-
deckenden niedrigen Stauden wuchsen in einiger Ent-
fernung zu mächtigen Bäumen empor, welche sich zu
dichten Waldungen vereinten, und die in der Ferne
weilenden Kamele glichen riesenhaften Ungeheuern. In
der Oase Bousaada wurden die Nacht und der nächste
Tag verbracht, dann aber die Reise fortgesetzt, nachdem
32
noch die Scheiks und Kaids dem Prinzen ihre Freude und
ihren Dank ausgedrückt hatten für seinen Besuch, den
sie als glückbringend betrachteten, da ihnen gewiß nun
viel Regen und eine gute Ernte beschieden sein würde.
Die folgende Nacht kampierte man in der Wüste; der
Scheik der nächsten Ortschaft hatte sich mit seinem ganzen
Hausstand aufgemacht, um den Prinzen zu begrüßen >
und hatte ihm ein prächtiges arabisches Zelt errichtet,
in dessen Nähe sechs weitere Zelte sich erhoben, in denen
sich die Mitglieder der Eskorte häuslich einrichteten.
Die Frauen der Scheiks sorgten für die Küche, die natür-
lich völlig einheimisch war, und am Abend wurde das
kleine Lager mit einem Verhau aus dünnen, vielzweigigen,.
trockenen Stauden umgeben, um einen näheren Besuch
der Schakale und Hyänen zu verhindern. An den flammen-
den Feuern sah man die Gruppen der Spahis und
weiß verhüllten Araber, dies wiederum eine packende
malerische Szene. Der letzte Tag brachte noch eine un-
erwartete Überraschung, denn ein Samum überfiel die
Reisenden und zwang sie, die Pferde zu verlassen, um
sich durch Decken und sonstige Hüllen gegen den mit
voller Wucht herankommenden Sandsturm zu schützen,
und erst nach einigen Stunden konnte der Ritt fortgesetzt
werden, der noch eine zweite unvermutete Überraschung
brachte, denn aus dem wirbelnden Staube des noch immer
heftig wehenden Windes tauchte eine Schar Araberreiter
in flatternden Mänteln und mit blinkenden Waffen auf,
sich in wildem Ritt nähernd, dem Prinzen durch eine
Fantasia huldigend, wobei es, wie üblich, nicht an gellen-
dem Geschrei und krachenden Flintenschüssen fehlte.
Nachdem noch in Algier ein mehrtägiger Aufenthalt
genommen, wurde Oran besucht und von hier die Heim-
reise angetreten, die über Gibraltar und Spanien, wo der
Hof zu Madrid den Prinzen sehr auszeichnete, nach Paris
ging. Auch hier erfreute sich der Prinz der denkbar
33
liebenswürdigsten Aufnahme und trat in nähere persön-
liche Beziehungen zu seinen dortigen Verwandten. Die
kaiserliche Familie widmete ihm zahlreiche Aufmerksam-
Prinz Karl als Premier- Leutnant im 2. Garde- Dragoner-Regiment (1863).
keiten, und Prinz Karl gewann in seiner offenen Art,
sich zu geben, und in seinem ruhig bescheidenen Auf-
treten das besondere Zutrauen des Kaisers, das übrigens
aufrichtig erwidert ward. Der glänzende Hof und die
prunkende Weltstadt an der Seine übten auf den
Prinzen eine große Wirkung aus, aber er war doch innig
Lindenberg, König Karl. 3
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34
erfreut, als er nach langer Abwesenheit wieder den
deutschen Boden betrat und im trauten Düsseldorfer
Heim die teuren Eltern und Geschwister begrüßen
konnte.
Den Sommer verlebte Prinz Karl in Bonn, die dortigen
Universitätsvorlesungen besuchend und daneben private
Vorträge hörend über französische Literatur und Kultur-
geschichte von Professor Springer, mit welchem er wieder-
holt die Rheinlande durchstreifte, sein besonderes Interesse
den Baudenkmälern zuwendend, wie er überhaupt von
früh an rege Teilnahme gezeigt für Architektur und Kunst,
was er in späteren Jahren in tiefer und fördersamster
Weise betätigen konnte. Im Herbst kehrte der Prinz
nach Berlin zurück und trat als Premier-Leutnant bei den
2. Garde-Dragonern ein, welcher Dienst ihm sehr zusagte.
Das alte Leben begann von neuem; wieder wurde ein reger
Verkehr unterhalten mit der königlichen Familie, und
zumal der Kronprinz sah gern in seinem Hause den jungen
Vetter, der sich so vorteilhaft von andern Fürstensöhnen,
die das Leben nur als eine Reihe von Unterhaltungen
betrachteten, unterschied.
Im Dezember 1863 weilte Prinz Karl abermals am
französischen Hofe und gehörte zu dem kleinen Cercle in
Compiegne, woselbst das Kaiserpaar nur die Intimsten der
Intime'h um sich sah und sich ganz anders gab, wie in
den goldschimmernden Sälen der Tuilerien. In dem eng
begrenzten Kreise war neben dem höchsten Adel, der sich
bei näherem Zuschauen freilich meist neueren Datums
erwies, auch Literatur, Wissenschaft, Kunst und Presse
vertreten, und der Prinz lernte hier schaffensfrohe und
geistreiche Männer kennen, welche die geselligen Unter-
haltungen zu wahrhaft genußvollen machten. Am Tage
tönte oft das Hifthorn, zur Jagd ritt man hinaus, die Herren
in den vorgeschriebenen prächtigen Kostümen aus dem
18. Jahrhundert, die Kaiserin mit ihren Begleiterinnen in
35
geschmackvollen Amazonenanzügen, mit federgeschmück-
ten, dreieckigen Hüten auf dem Kopfe.
Wieder in Berlin, wieder in der Front und dem ge-
wohnten Geleise, fiel die Eintönigkeit des Dienstes dem
Prinzen, dessen reger Geist andern Aufgaben zustrebte,
die wohl schon damals hinauswanderten über die Grenzen
der preußischen Hauptstadt und sich mit Zielen beschäf-
tigten, welche erheblich von der Gleichmäßigkeit des
militärischen Reglements abwichen, sehr schwer, und auch
sein Herz war von einem lieblichen Bilde erfüllt, das
mit teuren Erinnerungen verbunden war an eine schöne
Verwandte, mit welcher der Prinz häufig in Compiegne
zusammen gewesen. Aber er mußte den holden Hoff-
nungen entsagen, da sich einer Verbindung viele vom
französischen Hofe ausgehende Hindernisse entgegen-
stellten.
Da brachten die Kriegsereignisse des Jahres 1864
eine wichtige Ablenkung. Die Garde-Dragoner waren nicht
in die Mobilmachung eingezogen worden, aber den Prinzen
hielt es nicht länger in Berlin, nachdem preußische Truppen
Schleswig-Holstein besetzt hatten und jeden Augenblick
ins feindliche Feuer kommen konnten; er bestürmte
seinen Vater mit Bitten, den König zu veranlassen, ihn
auf den Kriegsschauplatz zu schicken, und König Wilhelm,
dem die inneren Kämpfe des Prinzen nicht fremd ge-
blieben, erfüllte den Wunsch und gab den Prinzen dem
Kronprinzen als Ordonnanzoffizier bei. Ein größeres
Glück hätte dem jungen Hohenzollern nicht begegnen
können; seit langem war er von einer wahren, herz-
lichen Verehrung zu dem älteren Verwandten erfüllt, die
ebenso warm erwidert wurde, aus welcher ge'genseitigen
Zuneigung sich während des Feldzuges jene starke und
treue Freundschaft entspann, die sich fernerhin in Freud
und Leid fest bewähren sollte, erst ihren Abschluß findend
mit dem Hinscheiden des Kaisers Friedrich.
36
Hatte der Kronprinz, der zu dem Stabe des Feld-
marschalls Grafen Wrangel zählte, auch kein militärisches
Kommando erhalten, aus bestimmten Gründen der Rück-
Prinz Karl als Ordonnanzoffizier in Schleswig-Holstein (1864).
sichtnahme auf die gespannten politischen Verhältnisse, so
war ihm doch eine schwierige und verantwortungsvolle
Tätigkeit zuerteilt, welche gleich hohe Ansprüche an den
Soldaten, der scharfen Auges die Operationen überwachen
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37
mußte, wie an den Diplomaten, der durch seine liebens-
würdige Persönlichkeit manchen Gegensatz ausgleichen
und manche Kluft überbrücken sollte, stellte. Mit
dem Kronprinzen ertug Prinz Karl alle Anstrengungen
des Feldzuges, die bei dem grimmen Frost und dem
vielfachen Hin und Her der Märsche sehr große waren,
und gleich seinem älteren Begleiter marschierte der Prinz
durch Schnee und Eis und Schmutz mit den Truppen,
oft sein Nachtlager in einer jämmerl^hen Scheune oder
verlassenen Bauernhütte aufschlagend. Bei einem Nacht-
marsch kamen einzrfÄe . Abteilungen T)is zu den Hüften
in den Schnee, 'die Kälte war kaum zu ertragen und alle
paar Minuten mußte man stehen bleiben, den Rücken
gegen den schneidenden Wind gekehrt, um nur Atem
zu schöpfen. Da verzagten viele und glaubten nicht
mehr, die Heimat je wiederzusehen, bloß der Kronprinz
und sein schlanker Vetter { Karl schritten tapfer vorwärts
und ermunterten die übrigen zum Ausharren. Endlich
leuchtete ein rettendes Xicfit, in ^eiö€m niedrigen Bauern-
hause bezogen die beiden 1 Prinzen zwei kleine Zimmer,
in denen ein Strohlager die Betten £ ersetzte.
An der Einschließung und den Kämpfen von Friedericia
der stärksten dänischen Festung, nahm neben dem Kron-
prinzen auch Prinz Karl teil und setzte sich wiederholt
heftigem Feuer aus, so daß ihm Feldmarschall Wrangel
verbot, sich fernerhin derartig vorzuwagen. Mit der
preußischen Garde-Infanterie ging es dann nach Düppel,
und auch hier beteiligte sich Prinz Karl an dem Sturm
auf die Düppeler Schanzen, die preußischen Fahnen zum
Siege begleitend, dem ersten wieder nach langen fried-
lichen und nicht erquicklichen Zeiten. Jeder Fußbreit
Erde mußte mit strömendem Blut erkauft werden, mit
bewundernswerter Tapferkeit wurden stets neue und
unüberwindlich scheinende Hindernisse genommen, bis
endlich von der Höhe der letzten Schanzen die schwarz-
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weißen Farben siegverheißend herniederflatterten. Auch
dem Ende Juni erfolgenden kühnen Ubergang über den
Alsensund wohnte der Prinz bei, sowie dem Einmarsch
in Jütland, an den sich im Dezember die Rückkehr nach
Berlin und der Einzug daselbst schloß. Zur Erinnerung
an die gemeinsam verlebten großen Ereignisse widmete
der Kronprinz seinem Vetter einen Ehrensäbel, zu dessen
kunstfertigem Griff die
Kronprinzessin die
Zeichnung gemacht
hatte, und den er dem
Freunde überreichte ge-
legentlich der Taufe des
Prinzen Sigismund,
seines jüngsten Sohnes,
bei welchem der Prinz
Patenstelle über-
nommen. Während des
Feldzuges hatte sich
Prinz Karl ein Ohren-
leiden zugezogen, das
ihn zwang, ein Schweizer
Bad aufzusuchen; dann
ging es wieder zurück
nach Berlin, zurück zum
Dienst bei den 2. Garde-
Dragonern.
Daß nach dieser buntbewegten und ereignisvollen
kriegerischen Zeit, die für den Prinzen von höchster
Wichtigkeit gewesen für sein militärisches Wissen und
Können, ihm der Garnisondienst erst recht nicht behagte,
läßt sich leicht denken. Dazu gesellten sich wohl aller-
hand Verstimmungen, erzählte man sich doch, daß sein
Avancement infolge seiner freisinnigen Anschauungen und
seines geselligen Verkehrs in angesehenen liberalen Fa-
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39
milien ein langsameres wäre, wie es sonst bei Mitgliedern
souveräner Häuser der Fall. Aber ganz abgesehen da-
von und von der Einförmigkeit des Dienstes bot Berlin
dem jungen Hohenzollern nichts für den vollen Tatendrang,
der sich immer stärker in ihm regte, und für sein ernstes
Streben, ein hochgestelltes Ziel zu erreichen.
So verlief ereignislos das Jahr 1865, dann brach 1866
an, das dem Prinzen Karl die bedeutsamste Entschei-
dung seines Lebens, den Antrag, die Krone Rumäniens
auf sein junges Haupt zu setzen, brachte.
Ehe wir uns diesem folgenreichen Ereignisse zu-
wenden, werfen wir einige nähere Blicke auf jenes Land,
das bald die zweite Heimat des Prinzen Karl werden sollte.
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II.
Rumäniens Entwicklung.
Rückblicke. — Die Entstehung Rumäniens. — Das rumänische Volkstum. — Moldau und
Walachei. — Das Verhältnis cur Pforte. — Die Herrschaft der Phanarioten. — Politischer
Verfall und wirtschaftlicher Niedergang. — Der neue Staat Rumänien. — Fürst Alexander
Kusa. — Allgemeine Unzufriedenheit — Der Sturz Kusa's. — Proklamation der proviso-
rischen Regentschaft. — Das Verlangen nach einem fremden Fürsten. — Nationales Hoffen
und Sehnen. — Die Wahl des Grafen von Flandern. — Napoleons Widerstand. — Dem
Prinzen Karl von Hohenzollern wird die Krone angetragen. — Unsicherheit der Lage. —
Der Aufruf des Bürgermeisters von Bukarest. — Volksabstimmung. — Ihr glänzendes Er-
gebnis. — Eine frohe Botschaft. — Es lebe Karl I.!
Die frühe Geschichte des heutigen Rumänien und die
Entwicklung des rumänischen Volksstammes ist teil-
weise noch in Dunkel gehüllt. Man nimmt an, daß zur Bil-
dung der seßhaften rumänischen Völkerschaft in den Donau-
gebieten die durch Kaiser Trajan im zweiten Jahrhundert
nach Chr. eingeleitete und später mit vielen Mitteln durch-
geführte Romanisierung der Dacier den Anstoß gab und
daß sich die Urbevölkerung vielfach mit Kolonisten ver-
mischte, welche von verschiedenen Seiten in das Land
drangen. Die einen Geschichtsforscher glauben, daß die
romanisierten Dacier im Lande verblieben wären; die an-
deren dagegen, daß sie, als die Einfälle der Goten zum Aus-
gang des dritten Jahrhunderts begannen und Kaiser
Aurelian zwangen, die Provinz Dacien wieder aufzugeben,
nach Mösien, dem heutigen Bulgarien, gezogen seien.
Auch im letzteren Falle darf man wohl voraussetzen, daß
sich nur die Militärkolonien auflösten und bloß die be-
güterten oder mit der römischen Verwaltung verknüpften
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Einwohner die heimische Scholle verließen, daß jedoch die
Zurückgebliebenen trotz des Eindringens der Barbaren
und der fortgesetzten kriegerischen Wirren die römischen
Überlieferungen und die römische Sprache pflegten, wenn-
schon die Vermischung der letzteren mit vielen fremden
und zumal slawischen Einflüssen nicht zu vermeiden war.
Auch die Annahme dürfte nicht ausgeschlossen sein, daß
sich vor dem Völkersturm viele Kolonisten in die unzu-
länglichen Gebirgsgebiete der Karpaten geflüchtet und
dort engere Gemeinschaften gebildet hatten, die ge-
raume Zeiten hindurch das römische Volkstum vertraten.
Über die folgenden Epochen sind uns keinerlei geschichtlich
zuverlässige Überlieferungen erhalten geblieben.
Erst als die fremden Völkerfluten des hunnisch-
germanischen und släwisch-avarischen Vordringens sowie
die Vernichtungszüge der Mongolen zurückebbten, stoßen
wir auf die ersten Anfänge zur Bildung der späteren ru-
mänischen Donaufürstentümer, und zwar der Walachei
zu Ende des 13. und der Moldau zur Mitte des 14. Jahr-
hunderts. Damals regte sich in geschlossener Weise ein
national-rumänisches Staatsgefühl. Zu Fürsten wurden
die Domi — der uralte Nationalname für die Herrscher —
gewählt; Männer, die sich durch ihre nationale Stellung
und ihren Einfluß hervorgetan und welche Sorge trugen,
daß ihre Söhne ihnen auf dem Fürstensitz folgten. Fehlten
die direkten Nachkommen und fand sich kein geeigneter
Bewerber unter den verwandten und versippten Familien,
so wurde einer der Bojaren erkoren, welch letztere infolge
ihres Grundbesitzes und ihrer kriegerischen Vorzüge —
denn das Wort Bojare bedeutet Krieger — den ersten
Platz in der Bevölkerung einnahmen. Da die Fürsten-
tümer bei weitem nicht so gefestigt waren, um feindlichen
Angriffen widerstehen zu können, mußten die Regenten
fremde Anlehnung suchen, die ihnen Schutz versprach, so
Mirzea I., Fürst der Walachei, welcher 1291 mit Sultan
42
Bajazet, dem dritten Sultan der Osmanen, einen Vertrag
abschloß, der ihm die Selbständigkeit seines Fürstentums
Gewähr leistete und in dem betont war, daß der Fürst
nach seinen eigenen Gesetzen regieren könne und das
Recht habe, mit seinen Nachbarn Krieg zu führen, Frie-
dens- und Freundschaftsbündnisse zu schließen und
über Leben und Tod seiner Untertanen zu bestimmen
Wörtlich heißt es dann weiter: „Die christlichen Fürsten
sollen von den Metropoliten und den Bojaren gewählt
werden und für diese hohe Gnade und weil wir dieses
Land in die Liste der andern unserm Schutze unterworfenen
Länder eingeschrieben haben, soll es unserm kaiserlichen
Schatz einen jährlichen Tribut von 3000 roten Piastern
zahlen/ 4 — Der Vertrag wurde übrigens von beiden Seiten
nicht gehalten; die Türken kümmerten sich wenig um
den verheißenen Schutz und ebensowenig Mirzea um den
Sultan, den er 1297 mit König Sigismund von Ungarn
zu bekämpfen suchte, was freilich nicht gelang. 1460 wurde
zwischen der Walachei und der Türkei ein neuer Vertrag
geschlossen, der den Sultan und seine Nachfolger ver-
pflichtete, gegen einen jährlichen Tribut von 10 000 Du-
katen das Land zu schützen und es gegen alle Feinde
zu verteidigen. Schon hier ist auffallend, daß die Türkei
nicht einfach die Walachei besetzte und sie als ihr Gebiet
erklärte, was auch bei der Moldau nicht der Fall war, deren
Fürsten zu Beginn des 16. Jahrhunderts mit den Sultanen
mehrere Ubereinkommen schlössen, in denen anerkannt
wurde, daß die Moldau ein freies und nicht erobertes Land
sei, daß es aber dafür, im Falle eines Krieges, Truppen
stellen und jährlich 4000 Dukaten entrichten müßte.
Beiden Fürstentümern fehlte es nicht an hervor-
ragenden Männern, die in Krieg und Frieden Außerordent-
liches leisteten und deren Ruhm glänzend durch spätere
Zeiten hallte, wie bei Stephan dem Großen, der von 1458
bis 1504, und bei Michael dem Tapferen, der von 1593
bis 1601 regierte, ferner bei anderen einheimischen Regen-
ten, die bestrebt waren, Bildung, Gesittung und Sprache
zu pflegen, so Fürst Vasille Lupu, der um die Mitte des
17. Jahrhunderts die Einführung der rumänischen Sprache
als Kirchensprache durchsetzte, eine wichtige Tat in be-
zug auf die späteren Anstrengungen, die Donaufürsten-
tümer in den Machtbereich des Slawentums zu ziehen.
Jenen hervorragenden Fürsten stand leider eine große
Reihe anderer Regenten gegenüber, die sich wenig um
ihre Aufgaben kümmerten und durch Thronstreitigkeiten
Zwietracht und Eifersucht in die Reihen der Bojaren trugen,
welch letztere wiederum bestrebt waren, sich der Regierung
zu bemächtigen. Daß bei diesen Parteikämpfen keine
dauernde Blüte der Länder zu erzielen war, ist natürlich.
Zudem mischte sich fortgesetzt die Pforte in die inneren
Angelegenheiten ein und setzte die Regenten nach Be-
lieben ab, ebenso wie es das benachbarte Rußland nie
unterließ, begehrliche Blicke auf die Moldau und Walachei
zu werfen, die für sie ja den direkten Weg zur Türkei
bedeuteten.
So wurden die infolge jahrhundertelanger Kriege ge-
schwächten Fürstentümer zum Spielball der Russen und
Türken, bis die letzteren die Regierungsgewalt völlig an
sich zu reißen trachteten, indem sie mit dem Jahre 1716
für beide Länder die Regenten ernannten, und zwar aus
jenen phanariotischen Familien, die, vornehmer griechi-
scher Abstammung, ihren Namen nach dem von ihnen
bewohnten Quartier in Konstantinopel am Goldenen Horn
und dem dort früher befindlichen Leuchtturm — Phanarion
— führten und, da sie über abendländische Bildung wie
fremde Sprachkenntnisse verfügten, gern von den türki-
schen Machthabern als Vermittler zwischen der Pforte
und dem Auslande benutzt wurden. Diese Phanarioten
oder Hospodare, wie sie sich nannten, kümmerten sich
weder um Volk noch Land. Sie hatten nur ein Bestreben.
44
möglichst schnell Reichtümer zu erwerben, und um diese
zu erlangen, bedienten sie sich der verwerflichsten Mittel.
Es begann ein Raub- und Aussaugesystem der schlimmsten
Art und damit eine planmäßige Unterdrückung jeglichen
nationalen Selbstbewußtseins. Obwohl diese Statthalter
von der Pforte auf Lebenszeit ernannt waren, bekleideten
sie ihre sogenannte Würde meist nur wenige Jahre, um
darauf andern Nachfolgern, die sich das einträgliche Amt
für beträchtliche Summen von den Sultanen und deren
Ratgebern erkauft hatten, Platz zu machen. So kam es,
daß von 1716 — 1821 in der Walachei 37 und in der Moldau
33 Phanarioten herrschten ! Und in diese Zeit fallen noch
drei Besitznahmen durch die Russen, die in diesen Ge-
bieten nach Belieben schalteten und walteten.
In treffenden Worten geißelt ein rumänischer Staats-
mann die Regentschaft jener Hospodare: „Rumänien war
der unerschöpfliche Schatz, durch den sie zu Einfluß und
Macht gelangten. Ihre Politik fußte auf Lug und Trug,
auf List gegen Feind und Freund, und sie hat in RuihuJen
tiefe, noch nicht ausgefüllte Furchen hinterlassen. Die
Phanarioten haben den Grund gelegt zur Gefühllosigkeit
gegen das Volk, zur Gleichgültigkeit gegen die Bedürfnisse
des Landes, zur Nichtbeachtung der Gesetze, zur Ver-
abscheuung der ehrlichen Arbeit zum Wohl des Volkes,
zum Mangel an Vertrauen gegen alles Volkstümliche,
zur Bewunderung und affenartigen Nachahmung alles
Fremden. " Ähnlich lautet die Schilderung des Historikers
Ulcini: „Das verderblichste und unglückseligste aller
politischen Ereignisse, dasjenige, welches die Nation ver-
darb bis ins innerste Mark, ihre Sitten erschütterte, ihren
nationalen Charakter, ihre Gebräuche und Gewohnheiten
fast vernichtete, ihren Mut brach, das ist die Einführung
der Herrschaft durch die Phanarioten, deren geheime
Schleichwege und Hinterlist, deren treulose, verbrecherische
Politik von mehr als einem Geschichtsschreiber enthüllt
45
wurde. Unter ihr verrät der Sohn den Vater, der Vater
verdrängt den Sohn, der Thron ist zum Preis geworden,
den die größte Schändlichkeit erlangt. Diesen Sklaven,
der Pforte unterworfen, waren beide Fürstentümer für
die türkischen Herrscher nichts weiter mehr als Pacht-
güter, die dem Höchstbietenden zugeschlagen wurden.
Der Fürstenthron ward der Gegenstand der Versteigerung.
Sobald ein Phanariot in sein Fürstentum kam, war er von
dem einzigen Gedanken beherrscht, Vermögen zu machen,
Reichtum für sich zu sammeln und für seine Gehilfen,
die ihm wie ein Schwärm gieriger Raubvögel folgen und sich
auf das unglückliche Land niederlassen. In der Angst,
bald wieder entthront zu werden, erschöpfen sie sich in
neuen Plänen, in nur möglichst kurzer Zeit soviel aus dem
Lande herauszupressen, um die großen Schulden bezahlen
zu können, welche sei gemacht haben, um den Thron
überhaupt zu bekommen/' — Und ein anderer Geschichts-
schreiber, E. Hourmuzaki, zeichnet in beredter Weise
die tiefen sozialen und moralischen Schäden, welche diese
Phanariotenmißwirtschaft zur Folge hatte: „Die Ru-
mänen wurden beschmutzt von der moralischen Fäulnis
des Orients. Welcher Art waren denn die Persönlichkeiten
von Einfluß? Thronräuber, die alle natürlichen Bande
des Blutes und der Familie verachtend ihre eigenen An-
gehörigen, ihre eigenen Brüder stürzten, ihnen die Augen
ausrissen und sie in die Klöster einschlössen, um an ihrer
Stelle herrschen zu können, Regenten, die mit knabenhaftem
Eigensinn sich stritten, statt weise zu regieren, statt an
ihre eigene Schwäche zu denken und an die Gefahren,
welche dem Lande drohten, Streber nach der Krone,
welche den geschworenen Eid mit Füßen traten, mit
kaltem Blute die heiligsten Verträge mißachteten, Unge-
rechtigkeiten jedweder Art begingen, einzig und allein,
um zum Ziele zu gelangen. Männer, welche an der höchsten
Stelle des Landes stehend, den bedeutendsten Einfluß
46
ausübend, Beispiele der unwürdigsten Niedertracht gegen
Arme, Schwache und Geringe gaben, welche ihre Stellung
nur dazu ausnutzten, ihren persönlichen Vorteil zu mehren.
Die Ehe, zur politischen Unzucht geworden, hatte keinen
andern Zweck, als die Befriedigung ehrgeiziger Gelüste.
Die materiellen Vorteile, die politische Errungenschaft,
welche sie im Gefolge hatten, wurden gewogen, berechnet,
abgeschätzt und darnach einzig und allein ihre Dauer be-
stimmt. Die Vaterlandsliebe, das gegenseitige gute Ein-
vernehmen der Bürger unter sich mußte krasser Selbst-
sucht und zügelloser Gier nach Gewinn Raum geben. Lüge
und Treulosigkeit hatten den Vorsitz in allen öffentlichen
Beziehungen sowohl nach innen, wie nach außen; Heuchelei
und Unehrenhaftigkeit, Untreue drangen selbst in das
bürgerliche Leben ein. Diese Sittenlosigkeit stieg von den
höchsten Stellen auf der gesellschaftlichen Leiter hinab
in alle Klassen der Bevölkerung und widerstand den Be-
mühungen und Anstrengungen, welche niemals innerhalb
einer Nation, die auf ihre Zukunft ehrlich bedacht ist,
aufhören, gemacht zu werden, um zu bessern, das öffentliche
Gewissen zu reinigen, es wieder zu gewöhnen an Beob-
achtung der Pflichten, an die Achtung der ewigen Grund-
sätze der Tugend. Die Folgen dieser sittenverderblichen
Bestrebungen, welche dem Guten die Fähigkeit entzogen,
Gutes zu tun, machen sich noch heute bemerkbar und
zeigen sich im öffentlichen wie im privaten Leben des
neuen rumänischen Staates, aber sie stehen doch jetzt
im Widerspruch mit der einsichtsvollen und edlen Natur
des rumänischen Volkes und lassen in den Herzen aller,
welche für dasselbe Teilnahme und Liebe hegen, den
brennenden Wunsch erstehen, die Nation wieder einen
besseren, heilsameren Weg einschlagen und einhalten zu
sehen/'
Nach einer Zeit des tiefsten politischen Verfalls und
wirtschaftlichen Niederganges fand 1821 die Herrschaft der
Phanarioten ihr Ende, denn gewissermaßen zur Belohnung
für die Zurückhaltung der Bewohner der beiden Fürsten-
tümer während des türkisch-griechischen Krieges gestattete
die Pforte, daß von nun an wieder die Fürsten aus den
Familien des Landes gewählt werden durften, aber nur
auf sieben Jahre, nach deren Ablauf eine Wiederwahl
stattfinden konnte durch die Landstände der beiden
Fürstentümer, falls Rußland und die Türkei nichts da-
gegen einzuwenden fanden. Es liegt auf der Hand, daß
die bisherige Bevormundung hier nur einen neuen Mantel
erhalten hatte. Auch von außen her fehlte es nicht an
furchtbaren Drangsalen, die der im Frühling 1828 aus-
gebrochene russisch-türkische Krieg über das unglückliche
Land brachte. „Die Felder sind ausgeraubt und ver-
wüstet, die Städte erdulden dasselbe Schicksal, die
Bevölkerung ist gelichtet durch Hunger, Kälte und Krank-
heiten, der halbe Viehstand vernichtet durch Seuchen
und Beschlagnahme/' so die Schilderung des damaligen
Zustandes. Und ein rumänischer Vaterlandsfreund rief
klagend aus: „Die Fürstentümer der Walachei und der
Moldau gleichen zwei Schiffen, die von den Wogen eines
wildbewegten Meeres hin- und hergeschleudert werden,
und für die nur selten ein Lichtblick durch drohendes,
schwarzes Gewölke dringt/' *
In dem Frieden von Adrianopel, 2. September 1829,
erreichten die Fürstentümer wohl eine gewisse Unab-
hängigkeit von der Pforte und die Berechtigung, die Re-
genten auf länger als sieben Jahre zu wählen, aber die
Länder blieben als Pfand zunächst in russischem Besitz
bis zur Abzahlung der Kriegsentschädigung seitens der
Türkei, und zwar während voller fünf Jahre. Nach Ablauf
dieser Frist nötigten die Russen und Türken die Bevölke-
rung, die von den beiden Mächten bestimmten Regenten
einzusetzen, und zwar für die Moldau Michael Sturdza und
für die Walachei Alexander Ghika. Diese gewaltsame
48
Einmischung führte zu abermaligen nationalen Zwistig-
keiten, denn die einzelnen Parteien strebten für ihre her-
vorragendsten Vertreter den Fürstensitz an. So kam es,
daß die Fürsten, die fast sämtlich unter russischem Ein-
fluß standen, wiederholt wechselten, daß abermals Unfriede
entstand, unter welchem die gesamte öffentliche Verwaltung
aufs schwerste litt, hatten doch von 1822 bis 1849 nicht
weniger als sieben Regenten den Thron inne. Auch an
neuen militärischen Besitzergreifungen durch die Russen,
die Österreicher und die Türken fehlte es nicht und damit
nicht an ungeheuren Lasten für das Land, aus dem die
Vaterlandsfreunde verbannt wurden, um in der Fremde
für ihre unglückliche Heimat zu wirken, soweit es in ihren
Kräften stand.
Blutig wurde 1848 seitens russischer und türkischer
Truppen der durch die ewigen Unruhen genährte Aufstand
in den Fürstentümern niedergeschlagen und ihre Bewohner
noch mehr gedemütigt durch den am 1. Mai 1849 ge-
schlossenen Vertrag von Balta Liman, demzufolge den
Hospodaren je ein russischer und türkischer Kommissar
zur Seite gestellt wurde, die alle Verfügungen dieser so-
genannten Regenten prüften und ohne deren Zustimmung
keinerlei Beschluß gefaßt und ausgeführt werden konnte.
Soweit noch nationales Empfinden vorhanden war, ward
• es durch diese Vergewaltigung aufs tiefste empört, und schon
damals ersehnten die Patrioten die Vereinigung der Fürsten-
tümer unter einem fremden Prinzen, mußten sie doch
mit Recht befürchten, daß der mächtige russische Nach-
bar nur auf den Augenblick wartete, um das Land unter
dem Namen eines „Protektorats" in dauernden Besitz
zu nehmen.
Von jeher hatte ja Rußland begehrliche Blicke auf die
Donaufürstentümer geworfen und sie wiederholt als bereits
zu seinem Reiche gehörend betrachtet, wie 1842, als Fürst
Bibesco zum Hospodaren der Walachei ernannt wurde, der
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russische Kanzler Graf Nesselrode an den Generalkonsul
Daschkow in Bukarest geschrieben: „Sie werden dem
Fürsten unsere Instruktionen mitteilen und zugleich allen
Hoffnungen Ausdruck geben, die wir auf seine Verwaltung
setzen/' Ein Protektorat' der beiden Fürstentümer, das
war das Ziel der russischen Politik, wie sich auch Kaiser
Nikolaus im Jahre 1853 dem englischen Botschafter
Seymour gegenüber offen geäußert, als er auf den bald
bevorstehenden Zerfall des türkischen Reiches zu sprechen
kam, eine Neuordnung der Länder an der Donau vorschla-
gend : „Die Fürstentümer sind tatsächlich ein unabhängiger
Staat unter meinem Schutze; das könnte so bleiben.
Serbien könnte dieselbe Regierungsform erhalten. Ebenso
Bulgarien; es scheint, daß kein Grund vorliegt, weswegen
diese letztere Provinz nicht ebenfalls einen unabhängigen
Staat bilden könnte. Was Ägypten anbetrifft, so verstehe
ich vollkommen die Bedeutung dieses Gebiets für England.
Ich kann darüber nur so viel sagen, daß, wenn im Falle
der Teilung des ottomanischen Reichs, die seinem Unter-
gang folgen würde, Sie Ägypten in Besitz nehmen würden,
ich nichts gegen eine solche Eventualität einzuwenden hätte.
Ich sage dasselbe auch für Kreta; wenn Ihnen die Insel
zusagt, sehe ich nicht ein, warum dieselbe nicht eine eng-
lische Besitzung werden könnte."
Der bald nach diesen Äußerungen beginnende Krim-
krieg erfüllte freilich nicht die Hoffnungen des russischen
Herrschers, von neuen, schwersten Drangsalen wurden
dagegen durch den Feldzug die beiden Fürstentümer be-
troffen, die russischen und türkischen Heere brandschatzten
ihre Gefilde, 17 y 2 Millionen Piaster verschlang der kaum
einjährige Aufenthalt der russischen Truppen, 6 Millionen
die türkische Besetzung, während der letzteren belief sich
die Bukarest allein auferlegte Kontribution in Geld und
Naturalien auf 4600 'Dukaten täglich. Den Zustand im
Lande schildert uns Graf Wimpffen, der an der aus ma-
Lindenberg, König Karl. 4
50
teriellen und politischen Gründen erfolgten österreichischen
Besetzung der Walachei teilgenommen, folgendermaßen:
„Raub, Brandlegung, Verwüstung und Zerstörung waren
an der Tagesordnung. Banden entlaufener russischer und
türkischer Ausreißer, entlassener Dorobanzen und Gra-
nicaren streiften in den Gehölzen umher und bedrohten
die Sicherheit des Eigentums. Die zu ihrer Bekämpfung
aus Widdin und Calafat aufgebotenen Baschi-Bozuks
und Arnauten erhöhten die Drangsale, und das Heilmittel
erwies sich gefährlicher als das Übel selbst. Attentate
auf das Eigentum flüchtiger Grundbesitzer wurden von den
Behörden offen unterstützt, ja, ein förmlicher Guerillakrieg
entbrannte zwischen einzelnen Mordbrenner rotten, die
— wenngleich alle auf Plünderung ausgehend — unter
dem Deckmantel politischer Tendenzen, angeblich bald
vom russischen, bald vom türkischen Parteistandpunkte
aus ihr verbrecherisches Spiel trieben und sich gegenseitig
bekämpften, dann wieder gemeinsam verbanden. Unter
verschiedenen Führerschaften brandschatzten dieselben
größere und kleinere Ortschaften und wagten sogar einen
Uberfall auf Turnu Severin, welcher Ort nur durch die
mannhafte Haltung des österreichischen Starosten und
die rasche Herbeiziehung türkischer Truppen aus Neu-
Orsova vor größerem Unheil bewahrt wurde/' — Wie in
der Walachei, so auch in der Moldau, wo in den Finanzen
eine trostlose Ebbe eingetreten war, daß die Beamten
des Staatssekretariats am Osterfeste 1855 die teilweise
Auszahlung ihrer rückständigen Gehälter nur noch durch
eine in den Amtslokalen vorgenommene Demonstration,
die beinahe einem räuberischen Uberfalle glich, erzielen
konnten. „Alle Zweige der Verwaltung waren desorgani-
siert/' schreibt der obige Beobachter, „französische Aben-
teurer plünderten das Land auf das unverschämteste aus.
Neue Gesetze überstürzten sich fortwährend in fieberhafter
Eile; Adelstitel und Privilegien wurden massenhaft ver-
51
schleudert und von den Regierungsmännern an den Meist-
bietenden verkauft. — Aller einheimischen Elemente bar,
die ein kraftvolles, gesundes Volksleben zu begründen ver-
mögen, ein Spielball der Eifersucht fremder Mächte und
ihrer Vertreter, zwischen drei mächtigen Nachbarn ein-
gekeilt und ratlos umhergetrieben, zu schwach, um dem
Anprall derselben zu widerstehen und daher stets in Ge-
fahr, bei deren Reibung zunächst zermalmt zu werden,
vermochte ein solcher Staatskörper den wahren Interessen
der Fürstentümer nicht zu entsprechen." — Graf Wimpffen,
der die Verhältnisse im Lande zu jener Zeit Jahre hindurch
aufmerksam verfolgt, betont mehrfach, daß die Fürsten-
tümer einer dauernden Blüte sich nur erfreuen würden,
einst unter einem und demselben Szepter vereint, durch
Anlehnung an die germanischen Mächte, durch ein Zufluten
deutscher Intelligenz, deutscher Kapitalien, deutscher
Arbeitskräfte, indem ferner die Bildung des Volkes, die
Erziehung der Jugend und der höheren Stände mit richtiger
Auswahl der Mittel gehoben würde, durch Befreiung der
Donauschiffahrt, Verbesserung des Staatswesens und
Schöpfung eines einfachen Netzes von Eisenbahnen, ferner
durch Regelung der bäuerlichen Verhältnisse, wobei eine
von parteiischer Begünstigung der eigensüchtigen Bojaren-
wirtschaft wie von Verfolgung utopistischer Theorien
gleich weit entfernte Mitte gehalten wird. „Dann werden
diese herrlichen Länder mit ihren unerschöpflichen Hilfs-
quellen, mit ihren noch ungeahnten Schätzen der Ur-
produktion, ihrer unvergleichlichen Lage und selten gün-
stigen Konfiguration, reich, blühend, mächtig, das An-
lagekapital mit hundertfachen Zinsen vergüten, welches
eine weise, vorsehende, weitblickende Politik der Zukunft
ihnen widmen mag!" —
Den Wert der rumänischen Gebiete, allerdings mehr
in politischer Beziehung als Wall gegen das Vordringen
des Panslawismus, hatte auch Napoleon III. wohl erkannt,
4*
52
was seine sympathische Haltung gegenüber den nationalen
Bestrebungen der Rumänen erklärt, und auch Cavour hatte
in einer Depesche vom 4. September 1856 an den Grafen
Forti in London die große Bedeutung des neuen Staats-
wesens an der Donau vom Standpunkte der allgemeinen
Interessen Europas gegenüber Rußland treffend hervor-
gehoben : „Die Rumänen bilden ein Hindernis für die Ver-
einigungsbestrebungen, welche den verschiedenen Zweigen
der großen slawischen Familie eigen sind. Die rumänische
Nationalität ist ein Gegengewicht, welches, nützlich der
Pforte, nützlich Europa, sich der gefährlichen Ausbreitung
des Panslawismus widersetzt. Man werfe einen Blick auf
die Karte und man wird sehen, daß sich die slawische
Rasse vom Ural und vom Eismeere bis zum adriatischen
Meere ausdehnt, ohne andere Unterbrechung als die Län-
der, welche von der rumänischen Rasse bewohnt sind.
Da aber der Panslawismus unzweifelhaft eine Gefahr ist
nicht nur für die Türkei, sondern für den ganzen Occident,.
ist es da nicht von höchstem Interesse, mitten in die slawi-
schen Länder hinein eine Nationalität zu befestigen, welche
ausschließlich mit dem Occident sympathisiert und eine
wirkliche Schranke gegen die Vereinigung von Völkern
bilden kann, die so mächtige Tendenzen zur Einheit haben,
daß sie vielleicht die übrige zivilisierte Welt unterjochen
werden ?"
Die günstige Folge des Krimkrieges war die Auf-
hebung des russischen Protektorats, und seitens des Pa-
riser Kongresses von 1856 wurde ferner beschlossen, daß
die Fürstentümer unter der Oberherrschaft des Sultans Un-
abhängigkeit genießen sollten ; über die Frage ihrer ferneren
Zusammengehörigkeit oder Trennung konnte man sich
nicht einigen, man wollte die Erledigung abhängig machen
von den in den nationalen Versammlungen der Moldau
und Walachei zur Annahme gelangenden Beschlüssen. In
diesen 1857 nach Bukarest und Jassy einberufenen Ver-
53
Sammlungen — den Divans ad hoc — suchte man über
das Schicksal der Fürstentümer endlich einig zu werden
und stellte folgende Hauptwünsche, als Ausfluß der seit
langem gärenden nationalen Bestrebungen, auf: Achtung
der durch die alten Verträge mit der Pforte verbrieften
Rechte der Fürstentümer und deren Neutralität, ferner
ihre Vereinigung zu einem konstitutionellen Staate unter
einem erblichen Fürsten aus einer europäischen Dynastie.
Da in der im Sommer 1858 stattgefundenen Pariser
Konvention die Großmächte u. a. die Wahl zweier Landes-
fürsten bestimmten, umgingen die beiden Fürstentümer
den Widerstand der Mächte, indem die nationalen Parteien
zu Beginn 1859 in Bukarest wie in Jassy denselben Kandi-
daten als Fürsten zur Wahl stellten, und zwar den Mol-
dauer Obersten Alexander Kusa, der als der Geeignetste er-
schien, da er keinerlei nähere Beziehungen zu den Bojaren-
wie den im Lande verbliebenen Phanariotenfamilien hatte
und die Verpflichtung eingegangen war, die 1857 erfolgten
nationalen Beschlüsse zu verwirklichen und durch eine ge-
meinsame Verfassung die Realunion durchzusetzen, wobei
erwähnt sein mag, daß der letzteren Preußen stets sym-
pathisches Verständnis entgegengebracht. Zwei Jahre
später stellte sich die Anerkennung der Mächte ein, und
1862 ward aus den „vereinigten Fürstentümern " der Mol-
dau und Walachei ein neuer Staat, Rumänien.
Aber die ersehnte Ruhe sollte trotzdem nicht ein-
treten. Wohl tat Fürst Kusa manches zum Wohle des
Landes, indem er die Verfassung freiheitlich ausgestaltete
und die Preßfreiheit einführte, ferner durch Aufhebung
des Bojarenadels, Verteilung des Grundeigentums an be-
sitzlose Bauern, Unabhängigkeit der rumänischen Staats-
kirche vom Patriarchat in Konstantinopel und anderes
mehr. Aber diesen Vorzügen standen zahllose Schwächen
und Nachteile gegenüber. Ganz abgesehen davon, daß
sich der Fürst völlig in das russische Fahrwasser begeben
54
hatte, suchte er Reformen einzuführen, kümmerte sich
dann aber wenig darum, ob sie auch ihre Verwirklichung
fanden. Eine schlimme, stets zunehmende Günstlings-
wirtschaft verschlang die Einnahmen des Landes, und die
Verfassung stand mehr auf dem Papier, als daß sie von
dem Fürsten und seiner Umgebung berücksichtigt wurde,
ja, der Fürst hob sie im Mai 1864 eigenmächtig auf und
führte nach Napoleonischem Beispiel eine fast absolu-
tistische Verfassung ein, zugleich mit einem Wahlrecht,
welches durch seine sonderbaren Bestimmungen den An-
hängern des Fürsten stets den entscheidenden Einfluß ver-
hieß. Dieser erstrebte Erfolg zeigte sich 1864 durch die
Zusammensetzung der Nationalversammlung, die der Re-
gierung und dem Fürsten in jeder Hinsicht ergeben war.
Immer übermütiger und selbstbewußter traten Fürst
Kusa, der in Bukarest residierte, und seine Vertrauten
auf, und immer schlimmer wurde die Mißwirtschaft, welche
die öffentlichen Kassen des Staates völlig leerte. Ein
Ministerium löste das andere ab, heute gegebene Gesetze
wurden nach wenigen Wochen wieder aufgehoben, alles
geriet in Schwanken und Wanken. Im Lande gärte es
fortgesetzt, und auch die Mitglieder der Nationalversamm-
lung konnten sich nicht verhehlen, daß der Ruin des
Fürstentums mit jedem Tage zunehme. Kleinere Auf-
stände zeigten die drohende Bewegung an; aber durch
militärisches Eingreifen wurde der Fürst stets ihrer Herr,
so auch im Februar 1866. Zu tief jedoch war der allge-
meine Unwille, zu tief die Empörung über die unhaltbaren
Zustände, als daß noch eine Unterdrückung selbst mit ge-
waltsamsten Mitteln möglich gewesen. Eine weit ver-
zweigte Verschwörung traf trotz ausgedehnter polizeilicher
Spionage die umfassendsten Vorbereitungen zur erzwun-
genen Absetzung des Fürsten, die um die vierte Morgen-
stunde des 28. Februar 1866 erfolgte. Ein Teil des Militärs,
zu welchem auch die Wache des fürstlichen Palais gehörte,
55
befand sich im Einverständnis, und vierzig Bewaffnete
drangen unter der Führung von drei Obersten in das
Bukarester Palais ein und zwangen den Fürsten zur Unter-
schrift seiner Abdankungsurkunde, worauf er als Ge-
fangener fortgeführt wurde, zunächst nach seiner einstigen
Sommerresidenz, dem Kloster Cotroceni, von wo er am
andern Tage auf seinen Wunsch unter militärischer Eskorte
an die österreichische Grenze gebracht wurde, sich über
Kronstadt nach Paris begebend.
Am Vormittag des 28. Februar wurde eine provi-
sorische Regierung aus Lascar Cartagiu, General Golesku
und Oberst Haralambi gebildet und zugleich ein neues
Ministerium berufen, welchem treue Vaterlandsfreunde
angehörten. Wie von einem schweren Banne befreit
atmete die Bevölkerung auf, mit schallender Musik und
flatternden Fahnen durch die Hauptstraßen der Stadt
ziehend und den Vertretern der neuen Regierung jubelnde
Huldigungen darbringend. Mit aufrichtiger Befriedigung
wurde in Bukarest wie im gesamten Lande die Prokla-
mation der provisorischen Regierung aufgenommen, deren
erste Sätze lauteten: „Rumänen 1 Vor sieben Jahren habt
Ihr Europa gezeigt, was Patriotismus und Bürgertugend
vermögen. Unglücklicherweise habt Ihr Euch in der
Wahl des Fürsten, den Ihr an die Spitze gestellt, getäuscht.
Anarchie, Korruption, Mißachtung der Gesetze, Herab-
würdigung des Landes im Innern und Äußern, und Ver-
schwendung der Habe der Nation waren die Prinzipien,
welche diese schuldbelastete Regierung leitete. — Heute
hat dieselbe aufgehört zu sein 1 — Rumänen 1 Ihr habt ge-
litten, um der Welt zu zeigen, bis wohin Eure Geduld geht.
Jetzt war jedoch das Maß voll. Die Zeit ist gekommen,
und Ihr habt Euch Eurer Vorfahren würdig gezeigt/'
Am nächsten Tage versammelten sich Senat und
Deputiertenkammer zu einer außerordentlichen Sitzung, in
welcher der Ministerpräsident, Joan Ghika, unter allge-
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56
meinem Beifall die Abdankungsurktmde Kusas vorlegte
und eine Erklärung der Regentschaft verlas. Gleich da-
nach nahm die Versammlung die Wahl eines neuen Fürsten
vor und erkor als diesen einstimmig den Grafen von Flan-
dern, den Bruder des Königs Leopold von Belgien, als
Philipp I.
Diese Berufung eines fremden Fürsten auf den ru-
mänischen Thron entsprang dem allgemeinen nationalen
Verlangen, das sich in den letzten Jahrzehnten immer
stärker geregt hatte. War man doch zur Überzeugung
gekommen, daß, wenn das Fürstentum abermals unter die
Regierung eines einheimischen Fürsten gestellt würde, dies
nur eine Wiederholung jener Zustände bedeutete, die man
zum Wohle des Landes endgültig zu beseitigen trachtete,
und von selbst ergab sich der Wunsch, die Regierung
einem fremden Fürsten zu übertragen, und zwar einem
Fürsten, der nicht den Nachbarmächten, also Rußland
und Österreich, angehörte.
Bereits 1857 hatte die Bevölkerung der Walachei eine
längere Erklärung an die Kammern gelangen lassen, in
der es hieß: „Damit der regierende Fürst all die Eifer-
süchteleien und all den Zwiespalt, welche notwendiger-
weise immer wieder entstehen, wenn ein Bürger des Landes
zur Regierung des neugeschaffenen Staates berufen wird,
vermeiden könne, damit er nicht in den Verdacht komme,
Verpflichtungen, die ihn binden, eingegangen zu sein, diese
oder jene Partei, diese oder jene Familie vorzuziehen,
damit er seinen Untertanen vollständiges Vertrauen ein-
flöße, indem er volle Sicherheit der Unparteilichkeit und
der Unabhängigkeit bietet, Ge währschaften, welche ein
einheimischer Regent unmöglich zu leisten imstande war,
damit der Regent, dank seiner Blutsverwandtschaft, in der
Lage ist, Rumänien leichter in den großen Familienkreis
der europäischen Staaten einzuführen und dem Lande da-
durch mehr Halt und Stütze zu geben, damit er sowohl
57
nach innen wie nach außen jene Achtung, jenes Gewicht,
jenes Ansehen seiner Persönlichkeit in die Wagschale
werfen kann, wie es für einen Souverän und erst recht für
den Begründer einer Dynastie unumgänglich notwendig
ist — aus allen diesen Gründen ergibt sich die zwingende,
unabweisbare Notwendigkeit, daß der Herrscher Rumäniens
aus einer der souveränen Familien Europas gewählt werden
müsse. Und diese Notwendigkeit ist so gebietend, so
unabweisbar wie nur irgend eine Forderung. Denn es ist
einzugestehen, daß das Regiment, das Regime der einge-
borenen Regenten derart in Rumänien bloßgestellt und
unmöglich gemacht wurde, daß, wenn ein Mann von den
höchsten Geistesgaben und mit den Eigenschaften eines
Heiligen gewählt würde, auch ein solcher sich nicht halten
könnte gegen das allgemeine, bestimmte Verlangen der
Rumänen, einen Herrscher aus einer der europäischen
souveränen Fürstenfamilien zu erhalten/ 1
Und in den Kammern des genannten Jahres hatte
Michael Kogalniceano ausgerufen: „Jedes Blatt aus der
Geschichte unsers Randes trieft von Blut und Tränen.
Das Unglück, woran wir leiden, bezeichnet das Volk mit
dem treffenden Sprichwort: ,Der Wechsel der Fürsten ist
eine Freude der Narren/ Das Herz eines Volkes täuscht
sich niemals. Hören wir, Brüder, auf die Seele des Volkes,
hören wir auf die Stimme und den heißen Wunsch der
Nation, welche ohne Aufhören fleht und ruft nach der
Vereinigung der Fürstentümer unter einem fremden
Fürsten 1" — Das hatte auch bei der gleichen Gelegenheit
Joan Bratianu in treuem vaterländischem Empfinden
betont, nachdem er in erschütternder Weise die Zustände
des Fürstentums geschildert: „Die Rumänen verlangen
mit Entschiedenheit an die Spitze der vereinten Fürsten-
tümer ein Mitglied aus den souveränen Familien Europas.
Indem sie diese Forderung stellen, geben sie Europa die
Sicherheit und Gewährschaft, daß sie entschlossen sind,
58
mit allem Eifer, mit aller Tatkraft, auf dem Wege des
Fortschrittes und der geistigen Entwicklung vorwärts zu
schreiten."
Die Durchführung des allgemeinen Wunsches, einen
fremden Fürsten an der Spitze der rumänischen Regierung
zu sehen, stieß auf vielerlei Schwierigkeiten, nicht inner-
halb, sondern außerhalb des Landes.
Der Graf von Flandern lehnte die Wahl zum rumä-
nischen Fürsten ab, hauptsächlich wohl wegen des Wider-
standes Napoleon III., der ihn in Paris, welches der Graf
auf der Durchreise nach Nizza berührt, mit den Worten
empfangen hatte: „Nicht wahr, Sie nehmen die Wahl der
Rumänen nicht an !" Diese Ablehnung wurde den Mächten
am 27. Februar durch ein Rundschreiben mitgeteilt. Trotz-
dem schickte die provisorische rumänische Regierung noch
Ende März eine Abordnung an König Leopold von Belgien,
der jedoch erklärte, daß sein Bruder ganz nach eigenem
Ermessen gehandelt, als er auf den Thron verzichtete.
Die Abordnung begab sich darauf nach Paris, um Napo-
leons Sympathien für einen andern fürstlichen Kandidaten
zu erwecken, und zwar für den Prinzen Karl von Hohen-
zollern, zu dessen Wahl der Kaiser bei seinen verwandt-
schaftlichen Beziehungen und seiner Zuneigung für den
Prinzen wohl selbst die Anregung gegeben.
Da sich in Rumänien Anzeichen von Zwietracht und
Unentschlossenheit zeigten und man ferner mit den Um-
trieben der Anhänger Kusa's rechnen mußte, machte man
der Ungewißheit und dem Zögern ein schnelles Ende, indem
die Regentschaft den Prinzen Karl von Hohenzollern als
Fürsten proklamierte, und der Bürgermeister von Bukarest
dies der Bevölkerung durch einen Aufruf mitteilte, in
welchem es u. a. hieß :
„Rumänen 1 Ganz Europa hegt ein unbegrenztes Ver-
trauen auf Eure Wiedergeburt. Wie 1 Ihr, Ihr allein, die
Schöpfer dieser Wiedergeburt, würdet dieses Vertrauen in
59
eben dem Augenblicke verlieren, wo Euch bereits das
letzte entscheidende Wort auf den Lippen schwebt? Fühlt
Ihr nicht, Brüder, wie die Gottheit Euer ganzes Wesen
durchdringt — seht Ihr nicht den Abgesandten des Herrn
kommen? Die Regenten und ihre von Euch selbst be-
rufenen Minister haben an Euch einen Aufruf zu diesem
großen Feste erlassen. Zweifelt Ihr an ihrer Stimme, so
legt das Ohr auf die eigene Brust. Horcht ! Hört Ihr nicht,
was aus der Tiefe klingt? — es ist die Stimme Gottes I
Der Herrscher der Rumänen konnte nicht der Gewählte
einer Handvoll Menschen sein; er mußte von Euch allen
gewählt werden, denn die Stimme des Volkes und nur die
Stimme des Volkes ist die wahrhaftige Volkesstimme. —
Mitbürger! Verliert Euch nicht einen Augenblick, erhebt
Euch wie ein Mann, und Ihr, das Volk, heute der große
Pontifex der lebendigen rumänischen Kirche, vollzieht
vor der ganzen Menschheit und vor Gott das heilige Ge-
heimnis des großen Tages. Verleiht die Taufe der Freiheit
Euren Herzen, salbet mit dem Chrisam Eures Glaubens
den Herrscher der Rumänen, und Euer Gesalbter wird der
Gesalbte Gottes, wird der Held des künftigen Rumänien
werden ! — Noch bevor Ihr diese Zeilen zu lesen aufgehört,
jauchzen gewiß Eure Herzen dem neuen Herrscher mit
Liebe entgegen. Und so rufe auch ich als wahrer Rumäne
aus der Tiefe des Herzens: Es lebe Karl I. von
Rumänien, es lebe der Beherrscher des
einigen und unteilbaren Rumänien.
Die sofort Mitte April veranstaltete Volksabstimmung
hatte ein glänzendes Ergebnis: von 686 193 wahlberech-
tigten Stimmen entfielen 685 969 auf den Prinzen Karl,
so daß nur 224 gegen die Wahl gerichtet waren. Das
Der Primär von Bukarest:
Dr. Bratianu."
60
in diesem großartigen Maße nicht erwartete Resultat fand
die freudigste Zustimmung aller Volkskreise, nur leider
nicht jene der in Paris zusammengetretenen europäischen
Konferenz zur Regelung der rumänischen Angelegenheiten
und der russischen Agenten, die das Land überschwemmten,
drohende Gerüchte aussprengend, eine österreichisch-russi-
sche Armee sowie türkische Truppen würden in die Fürsten-
tümer einrücken! Natürlich rief dies tiefgehende Beun-
ruhigung hervor, so daß die Regierung eine Erklärung er-
ließ, in welcher sie betonte, es sei keinerlei Anlaß vor-
handen zu Besorgnissen irgendwelcher Art. In Jassy,
der Hauptstadt der Moldau, kam es zu einem Aufstand,
an welchem sich hauptsächlich die fremden Elemente be-
teiligten, während sich die Bürgerschaft ruhig verhielt;
durch das energische Einschreiten des Militärs ward jedoch
die Ordnung bald wieder hergestellt. Die Befürchtung
lag nahe, daß sich derartige gewaltsam angezettelte Un-
ruhen noch an andern Punkten wiederholten, was auch
geschah, und daß ferner gewisse separatistische Bestre-
bungen den endlich gewonnenen einheitlichen Staatsbau
zerstören könnten, ferner, daß auch die Freunde Kusas
nicht ruhen würden, die unsichere Lage zu ihren Gunsten
auszubeuten, und daß sich schließlich energischer, wie bis-
her, die benachbarten Mächte in die innern Angelegenheiten
einmischen würden.
Neue gefährliche Wolken türmten sich über dem
schwergeprüften Lande auf, dessen Bevölkerung abermals
einer unsicheren Zukunft entgegensah. Fest und uner-
schütterlich zeigten sich die Mitglieder der auf Veran-
lassung der Regentschaft neugewählten Kammer, welche
in der Sitzung vom i. Mai den Volksbeschluß, dem Prinzen
Karl die Krone anzutragen, feierlich zu dem ihrigen machten
durch ihre einstimmige Erklärung: „Mit Berücksichtigung
der Ehrerbietigkeit, welche wir der hohen Pforte und den
Garantiemächten zollen, erklärt die Versammlung, als
61
treuer Dolmetscher des nationalen Willens, welcher mit
so vieler Wucht durch die Kammern zum Ausdruck ge-
kommen, und in der Folge von allen Versammlungen, wie
von dem Korps legislatif am n. Februar und endlich durch
den Volksbeschluß vom 8. April erneuert worden ist,
zum letzten Male im Angesichte Gottes und der Menschen,
daß es der unerschütterliche Wille der vereinigten Fürsten-
tümer ist, zu bleiben, was sie sind: Ein einiges, unteil-
bares Rumänien unter der erblichen Regierung eines
fremden Prinzen, der einer der souveränen Familien des
Abendlandes angehört, und daß der Fürst dieses einigen,
unteilbaren Rumäniens, Prinz Karl Ludwig von Hohen-
zollern ist, welchen die Versammlung unter dem Namen
Karl I. hiermit ausruft/'
Da, in kritischer und gefahrvoller Zeit, am 3. Mai,
drang die frohe Kunde nach Bukarest, daß Prinz Karl von
Hohenzollern dem an ihn ergangenen Rufe Folge leisten
und die rumänische Krone annehmen wolle. Sofort wurde
das im ganzen Land durch Maueranschläge bekannt
gemacht und überall jubelnd aufgenommen. In der
Kammer verkündeten die Regenten den Abgeordneten die
Wahl des Prinzen Karl von Hohenzollern zum erblichen
Fürsten Rumäniens und seine Annahme derselben. Be-
geistert erhoben sich alle Deputierten, schwenkten Hüte
und Tücher, und ihr Jubelruf: „Es lebe Karl I." pflanzte
sich auf die Straßen fort, wo er in den dichtgedrängten,
erwartungsvoll der ersehnten Kunde harrenden Volks-
kreisen das freudigste Echo fand: „Es lebe Karl I."
III.
Prinz Karl von Hohenzollern zum Fürsten von
Rumänien erwählt
Prinz Karl In Düsseldorf. — Der Besuch Joan Bratianu's. — Dem Printen wir* die Krone
Rumäniens Angeboten. — Bedenken und Bedenkzeit — Die Denkschrift des Fürsten Karl
Anton. — Prinz Karl wieder in Berlin. — Die ersten Nachrichten der Wahl. — König
Wilhelms Stellung zur Fürstenfrage. — Prinz Karl beim Minister-Präsidenten von Bismarek.
— Bismareks zustimmende Haltung. — Prinz Karl beim König Wilhelm. — „Gott behüte
Dich!" — Abschied des Prinzen von Berlin und Aufenthalt in Düsseldorf. — Die Ent-
rinz Karl hatte sich Ende März 1866 von Berlin nach
1 Düsseldorf begeben, wo sein Vater seit dem Frühling
1863 als Militär-Gouverneur der Rheinprovinz und Westfalen
residierte, um im Kreise seiner nächsten Angehörigen die
Osterfeiertage zu verbringen in dem der fürstlichen Familie
als Heim dienenden anmutigen Schlößchen „Der Jäger-
hof". Auf der Fahrt von Paris nach Berlin machte Joan
Bratianu, der, wie wir bereits berichtet, als Abgesandter
der rumänischen Regierung nach der französischen Haupt-
stadt gereist war, um die Stimmung der dortigen leitenden
Kreise über die Kandidatur des Prinzen Karl zu erfahren,
in Düsseldorf Halt, den Fürsten Karl Anton um eine
Audienz ersuchend, bei welcher Gelegenheit er zu seiner
großen Freude erfuhr, daß auch Prinz Karl anwesend
sei. Die Audienz fand am Vormittag des 31. März statt
und währte drei Stunden. Bratianu berichtete von seiner
Mission, und daß Napoleon selbst die Anregung gegeben,
dem Prinzen Karl die rumänische Krone anzubieten; er
seheidung! — Prinz Karl von Hohenzollern.
63
nahm dann an der Tafel teil, wobei viel über die orientali-
schen und zumal rumänischen Verhältnisse gesprochen
wurde. Nach Tisch drückte der rumänische Abgesandte
dem Prinzen seine aufrichtige Freude aus, daß er ihn hier
bereits kennen gelernt, da er ihn in Berlin vermutet,
und erwähnte auch ihm gegenüber der Sympathien, die
man am französischen Hofe für ihn hege, schließlich um
eine Privatunterredung bittend, die auf den Abend fest-
gesetzt wurde.
In dieser Unterredung nun trug Bratianu offiziell im
Namen des Landes und der Regentschaft dem Prinzen
Karl die Krone Rumäniens an, ihm im weiteren Verlauf
die Zustände des Fürstentums schildernd und in klarer
Weise darlegend, welch vielfache Gefahren demselben
drohten, wenn die Ungewißheit noch länger dauerte, den
Prinzen schließlich
auf das innigste
bittend um eine
günstige Entschei-
dung. Prinz Karl
entgegnete, daß er
zwar den Mut in
sich fühle, dem Ruf
zu folgen, aber
doch auch schwere
Bedenken hege, ob Der Jägerhof in Düsseldorf.
er einer Solch Ver- Residenz des Fürsten Karl Anton von Hohenzollern.
antwortlichen Mis-
sion gewachsen sei, er könne für jetzt noch keine be-
stimmte Antwort erteilen, denn es hänge schließlich alles
von dem Beschlüsse König Wilhelms ab, der das Ober-
haupt der Familie sei, und ohne dessen Erlaubnis er selbst-
verständlich einen so folgenschweren Schritt nicht unter-
nehmen könne. Die spätere Gemahlin des Prinzen, Königin
Elisabeth, erzählt noch von dieser ersten bedeutsamen
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Unterredung eine kennzeichnende Episode, und zwar wäre
Prinz Karl den Ausführungen Bratianus gefolgt, eine Welt-
karte vor sich, hätte schließlich den Bleistift zur Hand
genommen und auf die das rumänische Fürstentum durch-
schneidende direkte I^inie zwischen London und Bombay
gewiesen mit den Worten: „Das da ist ein Land der Zu-
kunft 1" Und wie hier wirtschaftlich der Prinz eine über-
raschende Voraussicht bewiesen, welche durch die 1906
eingerichtete direkte Schiffahrtslinie von Konstanza nach
Ägypten sich erfüllte, so auch politisch, denn als ihm in
der gleichen Unterredung Bratianu das staatsrechtliche
Verhältnis Rumäniens zur Türkei auseinandersetzte, be-
sorgt, der Prinz könnte sich an dieser Abhängigkeit von
der Pforte stoßen, bemerkte jener, er sehe darin kein
Hindernis für sich, zumal es kaum schwer fallen dürfte,
dieses Band zu lösen, das vorläufig eher eine Garantie,
denn eine Fessel sei, da Rumänien sich noch nicht stark
genug fühle, um schon auf eigenen Füßen zu stehen.
Ohne daß es zu einer bindenden Erklärung seitens
des Prinzen, der in diesen Tagen auch seine Ernennung
zum Rittmeister erhalten, gekommen, trat Bratianu, der
auf den Prinzen wie auf die Familie des Fürsten durch
sein Wesen wie durch seine Kenntnisse den vorteilhaf-
testen Eindruck gemacht, die Reise nach Paris an, um
dort des weiteren tätig zu sein. Fürst Karl Anton aber
richtete an König Wilhelm eine eingehende Denkschrift,
in welcher er zunächst Mitteilung machte von dem an seinen
zweiten Sohn ergangenen Antrag, die Regierung Rumäniens
zu übernehmen, und daß er die Entscheidung darüber
gänzlich dem Könige überlasse. Er betonte dann wörtlich:
„In der jüngsten Zeit ist die noch unter dem Fürsten
Kusa einberufene Kammer aufgelöst worden, weil der
nunmehr in den Vordergrund gerückten Wahlfrage eine
neue konstitutionelle Unterlage gegeben werden mußte.
Nun ist nach der Auffassung des Herrn Bratianu leicht
65
möglich, daß aus der ad hoc konstituierten neuen ru-
mänischen Kammer die Wahl eines meiner Söhne hervor-
gehe, und zwar nicht deshalb, weil nur einer von diesen
als der einzig geeignete Regent zu bezeichnen wäre, sondern
auch aus dem weiteren politischen Grunde, um den Kon-
ferenzmächten die Absicht Rumäniens zu zeigen, kein
Bojaren- Regententum über sich zu dulden, moralischen
Protest einzulegen gegen die von Rußland gewünschte
Trennung der Fürstentümer, die monarchische Gesinnung
dieser Länder zu konstatieren und einen fertigen Kandi-
daten zur Abkürzung des Konferenzverfahrens und zur
Beseitigung aller weiteren Herrschaftsintriguen aufzu-
stellen. Der Graf von Flandern sei nicht um seiner Person,
sondern um des Prinzips willen per Akklamation ge-
wählt worden, rumänischerseits sollte dadurch lediglich
mit größter Offenheit gezeigt werden, daß nur einem
fremden Fürsten die Gründung einer neuen Dynastie in
Rumänien anvertraut werden dürfe/' Nachdem dann der
Fürst noch die schwierigen inneren Verhältnisse und das
scheinbare Abhängigkeitsverhältnis zur Pforte berührt,
schloß er: „Nicht zu leugnen sind aber die großen, jetzt
noch unentwickelten inneren Hilfsquellen dieser Länder,
welche unzweifelhaft eine ebenso große Zukunft haben
werden, als sie ehemals Kulturdistrikte ersten Ranges ge-
wesen sind. Der dortige Herrscher würde demnach eine
ebenso große als dankbare Aufgabe zu erfüllen haben, deren
Früchte wohl schwerlich seiner Person, unzweifelhaft aber
den Deszendenten der neu begründeten Dynastie zu statten
kommen müßten/' Auch an den preußischen Minister-
präsidenten, Herrn von Bismarck, sandte Fürst Karl Anton
ein Schreiben über die rumänische Thronfrage, auf die
obige Denkschrift verweisend.
Am 9. April war Prinz Karl wiederum in Berlin und
meldete sich sofort beim König, der jedoch die rumänische
Angelegenheit mit keinem Wort streifte, danach besuchte
Lindenberg, König Karl. 5
66
er den Kronprinzen, der eingehend mit ihm Rücksprache
nahm und der ganzen Sache sympathisch gegenüber-
zustehen schien, bemerkend, wie ehrenvoll er es finde,
daß eine so schwierige Aufgabe einem Mitglied des Hauses
Hohenzollern angetragen worden sei ; nur war ihm störend,
daß die Kandidatur von Frankreich aus angeregt wurde,
da er vermute, dieses könnte später vielleicht für diese
Gefälligkeit eine Gebietsberichtigung von Preußen ver-
langen. Der Prinz erwiderte, man brauchte das nach
seiner Meinung nicht zu befürchten, da sich KaiserNapoleon
hier mehr von verwandtschaftlichen, als irgendwie eigen-
nützigen Rücksichten habe leiten lassen. Als Gegner
erwies sich Prinz Friedrich Karl, der die Ansicht äußerte,
der Prinz sei doch zu besserem da, als tributären Fürsten-
tümern vorzustehen, und der daher riet, den Antrag ab-
zulehnen.
Als wenige Tage später, am 14. April, Prinz Karl im
Kasino seines Regiments bei Tische saß, wurden ihm
Berliner Zeitungen übergeben, die folgende Depesche ent-
hielten: ,, Bukarest, den 13. April. Heute haben Stadt-
halterschaft und Ministerium mittelst Anschlags an den
Straßenecken den Prinzen Karl von Hohenzollern unter
dem Namen Karl I. zum Fürsten von Rumänien vorge-
schlagen. Es geht das Gerücht, der Prinz werde demnächst
hier eintreffen. Die Bevölkerung scheint hierüber voller
Freude zu sein/'
Diese so bestimmt auftretende Nachricht überraschte
den Prinzen ebenso wie seine Angehörigen; sie war von
Bratianu ausgegangen, welcher, von Paris nach Bukarest
geeilt, mit aller Energie die Wahlangelegenheit dort be-
trieb. Er hatte auch unter dem 16. April eine Depesche
an den Fürsten Karl Anton gerichtet, des Inhalts, daß
fünf Millionen Rumänen den Prinzen Karl als Herrscher
gewählt hätten und daß sich in allen Kirchen die innigen
Bitten der Geistlichen mit denen des Volkes vereinten,
67
um den Erwählten zu segnen, ihn würdig zu machen
seiner Vorfahren und des Vertrauens, weiches die Nation
in ihn setze. Diese Depesche wurde von dem Fürsten
sogleich telegraphisch König Wilhelm übersandt, der sie
dem Prinzen Karl mit folgendem eigenhändigen Brief
übermittelte: „Dein Vater wird Dir die Anlage auch wohl
mitgeteilt haben. Du hast Dich ganz passiv zu verhalten,
weil große Bedenken obwalten, da Rußland und die Pforte
bisher gegen prince etranger sind. Wilhelm." Fürst Karl
Anton hatte Bratianu geantwortet, daß er mit tiefer Be-
wegung die Nachricht von der endgültigen Wahl seines
Sohnes empfangen, daß aber die Entscheidung nunmehr
in den Händen des Königs liege. Prinz Karl schrieb an
diesem Tage seinem Vater, er sei fest entschlossen, auch
gegen den Wülen der in Paris tagenden Konferenz ohne
weiteres nach Bukarest zu reisen. Der Fürst antwortete
ihm: „Der Entschluß macht Dir alle Ehre und zeigt ein
richtiges Gefühl; aber Du hast den Willen des Königs
abzuwarten." —
Jetzt hieß es nur noch, die Zustimmung König Wil-
helms zu erlangen, der sich zunächst völlig ablehnend
verhielt und seine Gründe dem Fürsten Karl Anton in
einem langen, vom 14. April datierten Handschreiben dar-
legte, in welchem es heißt: „Was nun Deine Auffassung
des Anerbietens der rumänischen Herrschaft an Deinen
Sohn Karl betrifft, so war ich allerdings überrascht, das-
selbe von Dir so eingehend aufgenommen zu sehen. Natür-
lich ist es zunächst Pflichtsache des Vaters, über das
Schicksal seiner Kinder eine Ansicht aufzustellen. Dies
hast Du getan und dieselbe mir, als Familienhaupt, zur
Beurteilung vorgelegt. — Deine politische Auffassung der
Frage, die aus den Mitteilungen des etc. Bratianu folgte,
verstehe ich insofern vollkommen, als man Preußen, als
den bei dieser Frage nicht direkt beteiligten Staat, für den
geeignetsten hält, ein Mitglied seines Hauses, ohne Jalousie
5*
68
der direkter beteiligten Großmächte, zur rumänischen
Herrschaft berufen zu lassen. Aber mit einer solchen Be-
rufung würde für die Zukunft Preußens Stellung zu jeder
orientalischen Verwicklung nicht mehr die bisherige neu-
trale bleiben können. Denn wenn auch Dein Sohn aus
der nächsten Beziehung zu unsrem Hause treten würde,
so bliebe doch eine Art von moralischer Verpflichtung,
bei Gefahren für jenen Herrscher für ihn einzutreten.
Wohin aber ein solches moralisches Band Preußen führen
könnte, ist gar nicht abzusehen, und könnte nur dahin
führen, wenn diplomatische Mittel fruchtlos geblieben sein
sollten, die materiellen Unterstützungen versagen zu müssen,
bei unsrer geographischen Lage zu jenen Ländern." —
Der König ging dann des näheren auf die ungewisse Stellung
des Prinzen als Fürst eines Vasallenstaates ein, die er
eines Hohenzollern nicht für würdig halte, besorgte, daß,
selbst wenn er seine Zustimmung gäbe, keine Garantie
vorhanden sei, daß das Wahlrecht auch an dem jetzt Ge-
wählten festhielte, und betonte, daß man die Stellung der
auf der Pariser Konferenz repräsentierten Mächte zu dieser
Wahlfrage berücksichtigen müsse, denn Rußland und die
Pforte seien gegen die Union der Fürstentümer und gegen
die Wahl eines auswärtigen Prinzen zum Beherrscher der
Donaufürstentümer: „Das alles sind Ereignisse, die eine
einfache Lösung dieser Frage nicht in Aussicht stellen.
Daher muß ich Dir die nochmalige Überlegung derselben
recht ans Herz legen. Sollte selbst Rußland, natürlich nur
widerwillig, in die Wahl eines auswärtigen Fürsten willigen ,
so ist vorauszusehen, daß Intriguen über Intriguen in Ru-
mänien stattfinden werden, zwischen Rußland und Öster-
reich, und da letzteres williger für eine solche Wahl stimmen
würde, so wäre die Anlehnung Rumäniens an Österreich
gegen Rußland geboten und somit das neu geschaffene
Reich mit seiner Dynastie, von Haus aus, auf Seiten des
Hauptgegners Preußens, das ihm doch den Fürsten geben
69
soll!" — Fürst Karl Anton dankte dem König auf das
innigste für sein Interesse und suchte in einer ausführ-
lichen Denkschrift verschiedene der politischen Besorgnisse
des Königs zu entkräften.
In dieser Unentschiedenheit sollte dem Prinzen Karl
ein wichtiger Bundesgenosse erstehen in dem preußischen
Ministerpräsidenten von Bismarck, der am Vormittag des
19. April den L,egationsrat von Keudell an den Prinzen
sandte, ihn um seinen Besuch : bittend, da er ihn infolge
eines Fußleidens, das ihn an das Haus fessele, leider nicht
aufsuchen könne. Zur Mittagszeit fand die wichtige
anderthalbstündige Unterredung statt, die Bismarck mit
der Bemerkung eröffnete, daß er nicht als Staatsmann,
sondern als Freund und Ratgeber ganz frei und offen zu
dem Prinzen sprechen wolle und als solcher rate er ihm:
„Sie sind von einer ganzen Nation einstimmig zum Fürsten
erwählt; folgen Sie diesem Rufe, gehen Sie direkt in das
Land, zu dessen Regierung Sie berufen sind!" Und als
der Prinz erwiderte, daß dies ohne Genehmigung des
Königs unmöglich sei, obwohl er selbst den Mut zu diesem
Entschlüsse in sich fühle, rief Bismarck aus: „Um so mehr
also 1 Die Genehmigung des Königs brauchen Sie in diesem
Falle nicht direkt. Verlangen Sie Urlaub vom König,
Urlaub ins Ausland, — der König ist fein genug, — ich
kenne ihn ja genau — , um dies zu verstehen und die Ab-
sicht zu durchschauen. Sie nehmen ihm dadurch außer-
dem die Entscheidung aus der Hand, was ihm sehr will-
kommen sein muß, da ihm politisch die Hände gebunden
sind." — Vom Ausland her, bemerkte Bismarck, könne
der Prinz um seinen Abschied einkommen und sollte sich
dann im strengsten Incognito nach Paris begeben, um den
Kaiser Napoleon für seinen Plan zu gewinnen. Dieses sei
nach seiner Ansicht die einzige Art, die Sache durchzusetzen,
denn komme letztere erst vor die Pariser Konferenz, so
würde sie sich nicht monate-, sondern jahrelang hinziehen.
70
Im Verlauf der Unterhaltung kam Bismarck auch auf
die Stellung der Mächte der Thronkandidatur gegenüber
zu sprechen: „Rußland und die Pforte werden den ent-
schiedensten Protest gegen Ihre Wahl erheben, Frankreich,
England und Italien werden auf Ihrer Seite stehen, und
Österreich wird alles -aufbieten, um Ihre Kandidatur zum
Scheitern zu bringen. Doch ist gerade von dieser Seite
nicht viel zu fürchten, da ich Österreich für einige Zeit zu
beschäftigen gedenke . . .!"
Dann behandelte Bismarck die schwierige Situation,
in welche Preußen versetzt würde, da es sich stets von
der orientalischen Frage ferngehalten und nur seine Stimme
im Rate der Großmächte geltend mache: „In diesem
speziellen Falle aber müßte ich, als preußischer Minister-
präsident, gegen Sie stimmen, .so schwer mir das auch
fallen würde, denn ich dürfte im gegenwärtigen Augenblick
keinen Bruch mit Rußland herbeiführen und unser Staats-
interesse nicht zu Gunsten des Familieninteresses engagieren.
— Durch eigenmächtiges Handeln von seitens Euer Durch-
laucht würde der König aber aus der für ihn peinlichen
Situation herausgelangen, und ich bin überzeugt, daß er
dieser Idee nicht abgeneigt sein würde, obwohl er als Fa-
milienoberhaupt seine Zustimmung nicht geben dürfte. —
Sind Ew. Durchlaucht einmal in Rumänien, so wird die
Frage bald gelöst sein, denn wenn Europa sich einem fait
accompli gegenüber sieht, werden die zunächst beteiligten
Mächte zwar protestieren, aber ein Protest steht auf dem
Papier, und die Tatsache wird nicht mehr rückgängig zu
machen seinl" — Den Einwand des Prinzen, daß Rußland
und die Pforte direkt feindlich auftreten könnten, ent-
kräftete Bismarck : „Aus Gewaltmaßregeln würden, nament-
lich für Rußland, die schwersten Folgen entstehen können.
Ich würde aber Ew. Durchlaucht raten, vor Ihrer Abreise
dem Kaiser von Rußland einen eigenhändigen Brief zu
schreiben, in welchem Sie aussprächen, daß Sie in Rußland
71
Ihren mächtigsten Beschützer sähen und daß Sie mit Ruß-
land dereinst die orientalische Frage lösen zu können
hofften. — Auch ließe eine Familienverbindung, die bald
ins Werk gesetzt werden müßte, Sie in Rußland einen
großen Anhalt finden." Auf die Frage, wie sich Preußen
zu der vollendeten Tatsache stellen würde, erwiderte der
Ministerpräsident: „Wir werden nicht umhin können, das
Faktum anzuerkennen und der Sache unser volles Inter-
esse zuzuwenden. Ihr mutiger Entschluß wird also sicher
sein, von hier aus beifällig aufgenommen zu werden."
Am Nachmittag wurde der Prinz vom König empfan-
gen, der ihn herzlich begrüßte, aber nicht die Ansichten
Bismarcks, die ihm der Prinz mitteilte, billigte, sondern
ihm eingehend die Schwierigkeiten entwickelte, die dem
Unternehmen im Wege ständen, ihm ratend, die Entschei-
dung der Pariser Konferenz abzuwarten. Aber selbst,
wenn letztere günstig ausfallen sollte, wären noch viele
Bedenken zu überwinden, ob es eines Fürsten aus dem
Hause Hohenzollern würdig sei, sich unter die Oberhoheit
eines Sultans zu stellen. Prinz Karl erwiderte — wir
folgen hier wiederum den aus den Tagebüchern des Königs
geschöpften und mit zahllosen Briefen und offiziellen
Dokumenten versehenen Denkwürdigkeiten des Herrschers :
„Aus dem Leben König Karls von Rumänien" — daß er
für den Augenblick die türkische Suzeränität anzuerkennen
bereit sei, doch mit dem stillschweigenden Vorbehalt, sich
von derselben durch Waffengewalt zu befreien und dem
Lande, das ihn heute erwählt, die völlige Unabhängigkeit
auf dem Schlachtfelde zu erobern; er bitte den König,
überzeugt zu sein, daß er stets seinem Namen Ehre machen
werde, wo und in welcher Lage er sich auch befinden
möge I — Der König bewilligte dann den erbetenen Urlaub
nach Düsseldorf und schloß den Prinzen beim Abschied in
die Arme mit den Worten: „Gott behüte Dich!"
Vom König begab sich der Prinz nach Potsdam zur
72
kronprinzlichen Familie. Der Kronprinz hatte seine
früheren Bedenken fallen gelassen, jedenfalls war er nicht
mehr gegen das Unternehmen und äußerte, er sei fest
überzeugt, daß der Prinz seiner Aufgabe gewachsen sei;
gleich seiner Gemahlin verabschiedete er sich auf das
wärmste von dem Freunde, ihm seine treuesten Wünsche
und Hoffnungen für eine gute Zukunft aussprechend.
Am gleichen Abend noch begab sich Prinz Karl nach
Düsseldorf, wo er am nächsten Tage im Kreise der Eltern
und Geschwister seinen Geburtstag feierte, aus welchem
Anlaß zahlreiche Glückwünsche aus Rumänien eintrafen.
Drei Tage später entschied die Pariser Konferenz, daß
die in Bukarest zusammentretende Kammer die Wahl
eines einheimischen Fürsten vorzunehmen habe ; Depeschen
aus Bukarest jedoch meldeten, die Rumänen würden
dieser Anordnung nicht Folge leisten, sie beständen auf
dem Willen der Nation, einem fremden Fürsten die Re-
gierung zu übertragen, und hielten an der Wahl des Prinzen
Karl fest. Für diesen Ausweg trat auch Frankreich ener-
gisch ein, indem es erklärte, es würde etwaige Zwangs-
maßregeln, ob diese von Rußland oder der Pforte aus-
gingen, nicht dulden.
Auch Bismarck blieb, wie er dem Vermittler zwischen
dem Fürsten Karl Anton und dem König, Oberst von
Rauch, am 23. April mitteilte, seiner Ansicht treu: es
wäre das beste, wenn der Prinz sofort die Wahl annehmen,
sich nach Paris begeben und mit Kaiser Napoleon ins
Einvernehmen setzen würde und dann die Zustimmung
Rußlands zu gewinnen trachtete: „Was die Zustimmung
des Königs betrifft, so kann dieselbe jetzt natürlich nicht
erfolgen, aber einem fait accompli gegenüber wird sie
schließlich nicht versagt werden können. Nur ob : Prinz
Karl die Kraft und Entschlossenheit in sich fühlt, die Frage
auf diese: einzig Erfolg verheißende Weise zu lösen, das
muß er selbst entscheiden. Jeder andere Weg bietet keine
73
Aussicht, denn schließlich werden die Mächte sich auf
einen einheimischen Fürsten einigen und die Rumänen
sich fügen. — Gestern abend habe ich mich dem poli-
tischen Agenten Rumäniens in Paris, Herrn Balaceanu,
gegenüber in gleichem Sinne geäußert und betont, daß
der König jetzt nicht allein entscheiden und nicht für den
Prinzen Karl die Wahl annehmen dürfe, weil dadurch
politische Verwickelungen heraufbeschworen werden
könnten."
Wenige Tage später überbrachte Oberst von Rauch
dem Fürsten Karl Anton ein ausführliches Handschreiben
des Königs, in welchem dieser nochmals seinen Stand-
punkt und seine Bedenken eingehend in klarer Weise
darlegte. Gleichzeitig trafen aus Paris private Mitteilungen
ein, die besagten, daß die französische Regierung, wie
bisher, auch fernerhin der Angelegenheit sympathisch
gegenüberstände, daß sie freilich zur günstigen Lösung
nichts direkt tun könne.
Die Ereignisse drängten jetzt zur Entscheidung. Am
i. Mai traf Joan Bratianu in Düsseldorf ein, der mehrere
längere Unterredungen mit dem Fürsten Karl Anton und
dem Prinzen Karl hatte. Als der Fürst hervorhob, daß
sein Sohn ohne Ermächtigung des Königs nichts unter-
nehmen könne, rief Bratianu schmerzlich aus: „Dann ist
Rumänien verloren !" Da nahm ihn Prinz Karl beiseite
und teilte ihm im engsten Vertrauen mit, er sei fest zur
Reise entschlossen!
Zu der Befürchtung Bratianus lag begründete Ver-
anlassung vor, denn bei dem sich immer schärfer zu-
spitzenden Konflikt zwischen Österreich und Preußen und
den stets drohender aufsteigenden Kriegswolken war es
leicht möglich, daß eine der interessierten Großmächte, sei
es Österreich selbst oder Rußland oder die Türkei, die
günstige Gelegenheit benutzte, um sich des ohnmächtigen
rumänischen Landes zu bemächtigen, trotz des eventuellen
74
Einspruches Frankreichs, der ja doch nur diplomatischer
Natur geblieben wäre. Und auch im Lande selbst fehlte
es ja nicht an genügendem Zündstoff, um neue Unruhen
anzuzetteln und die ohnehin so schwierige Lage noch
fragwürdiger zu gestalten.
Am 5. Mai weilte Fürst Karl Anton in Berlin, zunächst
Bismarck aufsuchend, der wiederum bemerkte, daß er an
seiner bisherigen Ansicht festhalte. Dann nahm der Fürst
eine nähere Rücksprache mit dem König, der schließlich
erklärte, er wolle sich jeder direkten Einwirkung auf die
Entschlüsse des Prinzen Karl enthalten und eine vollzogene
Tatsache als geschehen gelten lassen, der Prinz möge von
der Grenzstation aus sein Abschiedsgesuch einreichen.
Zwei Tage später war Fürst Karl Anton wieder in
Düsseldorf, wo auch Joan Bratianu und Balaceanu, die
man aus Paris telegraphisch berufen, eintrafen, und denen
Prinz Karl am 7. Mai mitteilte, daß er unbedingt zur Fahrt
entschlossen sei, die, nach eingehender gemeinsamer Be-
ratung des Weges und der zu erwartenden Schwierigkeiten
und Hindernisse, auf den 11. Mai festgesetzt wurde.
Die Würfel waren gefallen!
Welche Gedanken, welche Erwägungen und Pläne
mögen in all dieser Zeit des Prinzen Seele bewegt
haben I Sein Entschluß, dem unerwarteten Rufe des fernen
Landes zu folgen und die Krone des fremden Volkes an-
zunehmen, war bei seinem Charakter und seiner Ver-
anlagung durchaus verständlich. Von früh an hatte Prinz
Karl regen Sinn gezeigt für die Natur und das Volksleben,
vielfache Reisen hatten ihm eine Fülle buntartiger, fesseln-
der Eindrücke gewährt und hatten wohl oft genug seine
Wünsche hinausgelenkt über die Grenzen der engeren
Heimat. Man sagt nicht mit Unrecht, daß viele Menschen,
deren Gemütsleben lebhafteren Schwingungen unterworfen
ist, als es beim Durchschnitt der Fall, sich nur schwer in
die altgewohnte Umgebung und Tätigkeit zurückfinden
75
können, wenn sie auf weiten Fahrten dem leisen Raunen
und wilden Rauschen des Meeres gelauscht, wenn sie fern
der Heimat den glühenden Sonnenball untergehen sahen
über schweigsamen Palmenwaldungen, wenn sie sich ver-
traut gemacht mit den geheimnisvollen Erscheinungen der
Wüste und Steppe, und daß sie immer wieder den Drang
empfinden, hinauszuziehen in die freie, schöne Gotteswelt,,
die ihnen ihre Wunder ganz anders erschließt, als den
meisten übrigen Erdbewohnern. Auch bei dem Prinzen
Karl dürfte dieser Zug hervorgetreten sein und eine Rolle
gespielt haben, als sein Lebensweg eine jähe Wendung
erfuhr.
Freilich nicht die entscheidende Rolle I Seinem ganzen
inneren Sein und Wesen nach war Prinz Karl nicht dazu
geschaffen, das bequeme, von äußeren Erschütterungen
nicht bedrohte Leben eines Fürstensohnes zu führen, einen
militärischen Rang nach dem anderen zu erreichen und
sein Dasein verfließen zu sehen zwischen Dienst und
höfischem Getriebe. Sein lebhafter Geist, seine ent-
schlossene Tatkraft, sein frischer Unternehmungssinn
strebten höheren Zielen zu. Durchaus nicht phantastisch
veranlagt, durchaus nicht zu Abenteuern geneigt oder aus
irgend welchen Gründen ehrgeizigen Plänen nachjagend,
sondern alles ruhig und ernst erwägend, sah er sich hier
vor eine hohe, eines ganzen Mannes harrende Aufgabe
gestellt: einem bisher bedrückten, ausgesogenen, zum Teil
verachteten oder spöttisch beurteilten Volke ein wahrer
Fürst und sorgender Retter zu werden, Ordnung einzu-
führen, wo die jammervollste Mißwirtschaft bisher gewesen,
das Land zu befreien von den politischen Schlacken und
Einflüssen, seinen Bewohnern, die im Kern gut geblieben,
ein leuchtendes Beispiel zu sein und sie jener Wohlfahrt
zuzuführen, deren sich die anderen Kulturstaaten erfreuten
— etwas Festes und Beständiges zu schaffen, nicht nur
für die Gegenwart, sondern für die Zukunft 1 Mit diesen
76
Erwägungen mochten sich andere verschmelzen. Auf
seinen vielfachen Reisen hatte der Prinz Land und Leute
der verschiedensten Nationen kennen gelernt, sein scharfer
Blick erkannte die Bedeutung, welche Rumänien unter ziel-
bewußter Herrschaft gewinnen konnte, gewinnen mußte,
„eine lebendige Schlagader in Europa ", wie er sich in
jenen Entscheidungstagen in Düsseldorf bereits ausgedrückt,
hier konnte eine gewaltige, historische Tat vollbracht
werden, wert der Sorgen, Entsagungen und Enttäuschungen,
die nicht ausbleiben würden, aber auch wert des blühen-
den Ruhmes, den das Gelingen verhieß.
Da mochte sich im Prinzen Karl die Entschlossenheit
und Tatenlust der Hohenzollern regen und im Geiste vor
ihm emporsteigen das Bild jener kühnen, klugen Burg-
grafen von Nürnberg und ihr in der Mark Brandenburg
geleistetes Werk von weltgeschichtlichem Einfluß I
Und durfte es der Prinz nicht als eine gute Vor-
bedeutung ansehen, daß zwischen den Hohenzollern und
dem jungen Staate, über dessen sagenumwobener Ver-
gangenheit einst siegreich die römischen Adler geglänzt,
gewisse Beziehungen bestanden? Schon durch den heimat-
lichen Fluß, die Donau, welche vorüberrauschte an dem
efeuumrankten Sigmaringer Schlosse und welche dem
Knaben in der trauten Jugend Lieder und Mären zuge-
raunt, derselbe Strom, der das ferne rumänische Gebiet
bespülte und für dieses der wichtigste Lebensnerv war?
Die gleiche Donau, die Friedrich VI., Graf von Zollern
und Burggraf von Nürnberg, mit seinen das Kreuz auf der
blinkenden Rüstung tragenden Streitern hinabgezogen, um
König Sigismund von Ungarn Heerbann zu leisten im
Kampfe gegen Sultan Bajazid I. ! Mit der abendländischen
Ritterschaft vereinte sich ein starkes rumänisches Heer
unter Fürst Mircea, die hohenzollernschen Fahnen wehten
zusammen mit den rumänischen vor Nicopolis oberhalb der
Donau, wo eS am 27. September 1396 zur folgenschweren
77
Schlacht kam, wobei, hauptsächlich durch Schuld der vor-
eilig angreifenden französischen Ritter, die christlichen
Heere fast völlig von den Türken vernichtet wurden, die
sich nun in den Besitz dieser Donaugebiete setzten und
sie bis 1878 inne hatten. Friedrich, der Hohenzoller,
schützte mit seinem eigenen Leibe König Sigismund,
mit dem er, verfolgt von einem Regen von Pfeilen, in
einem Nachen über die Donau entkam, und Sigismund
bewies seine Dankbarkeit, indem er den Burggrafen Fried-
rich mit der Mark Brandenburg belehnte.
Eigentümliche Wege der Weltgeschichte: ziemlich
500 Jahre später hielt Fürst Karl von Rumänien, der
Zoller, mit seinen siegerprobten Truppen seinen Einzug in
Nicopolis, von dessen Wällen die rumänischen Fahnen
flatterten I
Aber bis dahin — welch steiler, dorniger Pfad, den der
junge Hohenzoller mutig beschritt und den der in Stürmen
gereifte Fürst fest und entschlossen zurücklegte, den Er-
folg sich erzwingend, zum Wohle seines Landes und Volkes !
IV.
Die Fahrt nach Rumänien und Eintreffen in
Bukarest
Absehled. — Prinz Karl verläßt das Elternhaus. — Die Fahrt nach Rumänien. — In Salz-
burg und Wien. — Unfreiwilliger Aufenthalt. — Auf der Donau. — Ankunft In Turnu-
Severlc. — Der erste Empfang. — Der Einzug In Bukarest — In der Metropolle und der
Kammer. — Ansprache des Fürsten Karl. — Vereidigung der Truppen. — Kriegerische
Gerüchte. — Der Zustand des Landes. — Berichte der Minister. — Land und Leute in zeit-
genössischen Schilderungen. — Die Hauptstadt im Jahre 1866. — Gegensätze. — Die Nach-
richt vom Tode des Prinzen Anton. — Fürst Karl von Rumänien.
Der Ii. Mai, der Abschiedstag! Früh schon war Prinz
Karl aufgestanden, selbst noch an seinen Sachen
packend und einige Briefe vollendend, dann eine größere
Zahl von Glückwunschdepeschen lesend, die aus Rumänien
eingelaufen waren und seinen Entschluß jubelnd begrüßten.
Nach dem Abschied von jedem Mitglied des väterlichen.
Hofhaltes folgte um 10 Uhr die schwere Trennungsstunde
von seinen Eltern, die ihn immer wieder und wieder um-
schlossen und ihn mit ihren heißesten Segenswünschen
entließen. Der Fürst war tief ergriffen und die Fürstin,
deren Tränen heiß flössen, wollte den Sohn gar nicht aus
ihren Armen lassen. Nur mit Mühe konnte auch Prinz
Karl seiner tiefsten Bewegung Herr werden, aber gewalt-
sam drängte er sie zurück, als er sich jetzt auf sein Pferd
schwang und, immer nochmals den geliebten Eltern zu-
winkend, die dem Sohne tränenden Auges nachblickten,
davonritt, durfte doch niemand wissen, daß es ein Abschied
auf lange Zeiten war, da die Schritte des Prinzen über-
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wacht wurden und er den Anschein erwecken mußte, als
handelte es sich nur um einen Spazierritt. Nach Schloß
Benrat ging's, wo sein älterer Bruder, Erbprinz Leopold,
mit seiner Familie sowie seiner Schwester Marie lebten
Dort legte Prinz Karl die preußische Dragoneruniförm ab
— auch das ein nachdenklicher und schwerer Augenblick
— sie mit einem Zivilanzug vertauschend, und trat die
Reise an, bis nach Schloß Rammersdorf von der teuren
Schwester begleitet, von der er dort innigen Abschied nahm.
In einem Ruderboot durchquerte er dann den Rhein und
erreichte Bonn, zu Fuß nach dem Bahnhof eilend und dort
mit Kabinettsrat von Werner zusammentreffend, dem lang
erprobten Diener des fürstlichen Hauses, den der Fürst
seinem Sohne als Gefährten mitgegeben.
Am nächsten Morgen, nach schlaflos verbrachter Nacht,
erreichte man Freiburg und setzte die Fahrt nach Zürich
fort, nicht mehr durch den Gedanken beunruhigt, von
Spähern verfolgt zu sein, — die, wie man erfahren, sich
in Düsseldorf aufgehalten, — da der Prinz durch seine
Kahnfahrt über den Rhein seine Spuren verwischt hatte.
In Zürich erwartete die Reisenden der Kammerherr Baron
von Mayenfisch, der auf die Bitte des Fürsten den Sohn
von hier an begleiten sollte nebst zwei Dienern des väter-
lichen Hauses.
Die Reise des Prinzen und seiner Gefährten nach
Rumänien war vorher sorgsam beraten worden, alle Routen
dorthin hatte man eingehend in Betracht gezogen; jede
freilich erschien gewagt, jene durch Österreich, da im
nächsten Augenblick der Krieg ausbrechen konnte, die
österreichischen Behörden dann aber den Prinzen, falls
sie ihn erkannt, als preußischen Offizier festgenommen
hätten, der Seeweg über Marseille eventuell Genua nach
Konstantinopel gleichfalls, weil man auch dort höchst-
wahrscheinlich den Prinzen angehalten, nicht minder der
umständliche Weg durch Rußland. So hatte man sich
80
denn für die kürzeste Linie entschlossen, über Wien-
Basiasch, trotz aller Bedenken und Befürchtungen. In
der Schweiz galt es nun vor allem, sich andere Pässe zu
verschaffen, und gern bot hierzu die Hand der Landam-
mann Äpli von St. Gallen, der wiederholt der Gast der
fürstlichen Familie auf der Weinburg, jener von uns schon
erwähnten Besitzung nahe dem Bodensee, gewesen und an
den sich Fürst Karl Anton brieflich wegen der Paßfrage
gewandt. Auf eine telegraphische Anfrage erwiderte der
Landammann, daß er am nächsten Tage auf der Durch-
reise in Zürich sein werde; dort besuchten ihn die Herren
von Werner und von Mayenfisch und erfuhren seine Ge-
neigtheit, ihre Wünsche zu erfüllen, hörten aber auch,
daß er leider erst am folgenden Abend nach St. Gallen
zurückkehre. Die unfreiwillige Muße benützte der Prinz
zu eingehenden Schreiben an die Kaiser von Frankreich
und Rußland, sowie an den Sultan, in denen er ihnen seine
Beweggründe auseinandersetzte, weshalb er dem an ihn er-
gangenen Ruf Rumäniens Folge leiste, und die Hoffnung aus-
sprach auf ihr Wohlwollen, das ja für ihn wie für die Zukunft
des rumänischen Staates von größter Bedeutung sei. Herr
von Mayenfisch reiste sodann mit den beiden Dienern und
dem Hauptteil des Gepäcks nach München voraus, denn
jegliches Aufsehen mußte vermieden werden, und der Prinz
wie Herr von Werner beschäftigten sich am Nachmittag
damit, die Namenszüge aus der Wäsche zu trennen und
die Krone sowie das K. auf dem Necessaire des Prinzen
auszukratzen, damit jeglicher Verdacht bei der Zollrevision
vermieden werde; auch das Gepäck ward auf das äußerste
beschränkt, einen sehr bescheidenen Eindruck machend.
Am gleichen Abend langten die beiden Herren in St. Gallen
an, in einem kleinen Gasthofe Unterkunft suchend und sich
in einem gemeinsamen bescheidenen Zimmer einquartierend.
In den Zeitungen lasen sie die Nachricht, daß die Türkei
und Rußland Rumänien militärisch besetzen wollten.
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81
Am folgenden Morgen, den 15. Mai, stellten sich der
Prinz und sein Begleiter bei Herrn Äpli ein, der den Paß
für den Prinzen auf den Namen „Carl Hertingen" (nach
dem Schlosse Hettingen des Fürsten Karl Anton) aus-
stellte, in Geschäften nach Odessa reisend, und bei dem
Signalement ward als besonderes Kennzeichen eine Brille
hervorgehoben, durch die sich der Prinz möglichst un-
kenntlich zu machen hoffte. Über Rohrschach und Lindau,
das man nach einer sehr stürmischen Fahrt auf dem Boden-
see, vorüber an dem mit so vielen teuren Erinnerungen
für den Prinzen verknüpften Weinberg, erreichte, ging es
nach Augsburg und von dort am nächsten Tage nach
München, wo man mit Herrn von Mayenfisch zusammen-
traf, der von nun an als vornehmer Reisender in der ersten
Wagenklasse fuhr, während der Prinz und Herr von Werner
die zweite Klasse benutzten. In Salzburg war längerer
Aufenthalt wegen der Paß- und Zollrevision. An der Ein-
gangstür zu dem Wartesaal fragte der Beamte, der die
Pässe einzufordern hatte, in barschem Tone den Prinzen
nach seinem Namen, aber Herr von Werner trat rasch da-
zwischen mit einer Erkundigung nach der Verzollung und
gab die Pässe ab. In den überfüllten Wartesaal traten
verschiedene österreichische Offiziere ein, darunter Bekannte
des Prinzen, mit denen er in Schleswig 1864 zusammen
gewesen; mehrmals gingen sie um seinen Tisch, der Prinz
aber verbarg sich hinter einer Zeitung, die er scheinbar
eifrig las.
Hier in Salzburg, beim Verlassen des deutschen und
Betreten des östereichischen Bodens, gab der Prinz sein
an König Wilhelm gerichtetes Gesuch, ihn aus dem preußi-
schen Militärdienst zu entlassen, zur Post. „Beurteilen
Ew. Majestät," so hieß es in dem Schriftstück, „meine
jetzige Handlungsweise nicht nach der unbeugsamen
Strenge des militärischen Gesetzes und der militärischen
Ordnung, sondern geruhen Allerhöchstdieselben den Maß-
Lindenberg, König Karl. ß
82
stab der königlichen Milde und Nachsicht an ein Beginnen
zu legen, zu welchem ich die Kraft des Gelingens mit
Gottes Hilfe zu besitzen glaube." — Gleichzeitig richtete
der Prinz ein Schreiben an den König als an das Ober-
haupt der hohenzollernschen Familie, auf das Abschieds-
gesuch bezugnehmend und bemerkend, daß, wenn dasselbe
in die Hände des Königs gelangt sein werde, der Prinz in
kürzester Frist an die Spitze einer Regierung trete, zu
welcher ihn die einstimmige Wahl des rumänischen Volkes
berufen: „Mit Gottvertrauen und dem unerschütterlichen
Bewußtsein, daß ein ehrliches Herz und ein redlicher Wille
zahlreiche individuelle Mängel aufwiegen, übernehme ich
eine schwere, allseitig angefochtene Stellung, deren heute
noch tinklare und durch die Politik verworrene Aufgaben
ich einer festen und bleibenden Gestaltung zuzuführen
hoffe. — Um hierzu auf der Grundlage eines reinen und
freien Gewissens zu gelangen, bedarf ich der moralischen
Beruhigung, daß ich wenigstens der stillen Teilnahme und
fortdauernden Huld und Gnade Euer Majestät stets ver-
sichert sein kann. — Hierüber keine Gewißheit zu besitzen,
würde eine ungemeine Erschwerung meiner großen Auf-
gabe sein und mir den Mut zu freudiger Pflichterfüllung
rauben. — Gott segne Eure Majestät, das ganze königliche
Haus und das teure preußische Vaterland I — Sieg, Ruhm
und Ehre mögen stets und immerdar walten, wo preußische
Fahnen wehen V"
Endlich konnte der Zug wieder bestiegen werden, doch
ehe er sich in Bewegung setzte, trat an das Coupe, in
welchem der fürstliche Reisende in buntgescheckter Ge-
sellschaft saß, ein Beamter, den Prinzen scharf ins Auge
fassend und dann eine Bemerkung in sein Notizbuch
schreibend, so daß man fürchten mußte, der Prinz sei er-
kannt worden, und man würde dies nach Wien melden.
Auch in dieser Nacht war an keinen Schlaf zu denken ;
es war empfindlich kalt, und sorgenvollen Gedanken über
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die nächste und die fernere Zukunft gab sich der Prinz
hin, um den sich daheim, wie er wußte, die Eltern und
Geschwister, nach denen er tiefe Sehnsucht empfand,
schmerzlich sorgten. Bei der um sieben Uhr erfolgenden
Ankunft in Wien war der Bahnhof mit Militär überfüllt,
auch hier traf der Prinz auf mehrere österreichische Gene-
rale, die er genau kannte, die aber natürlich in dem in
einen großen Mantel gehüllten, bebrillten, einfachen Reisen-
den nicht den Hohenzollernsproß vermuteten. Schnell
* ward ein Wagen bestiegen, und erst unterwegs erhielt der
Kutscher die Weisung, nach dem Pester Bahnhof zu fahren,
wo man sich mit den übrigen Reisenden vereinte. Weiter
ging's nun über Preßburg und Pest durch Ungarn, überall
stieß man auf das regste militärische Leben, wiederum
verging schlaflos die Nacht in dem ungeheizten, hin- und
hergerüttelten Wagen zweiter Klasse.
Am Freitag morgen, den 18. Mai, erreichte man das
an der Donau gelegene Basiasch, die Endstation der öster-
reichischen Staatsbahn, von wo man das Eilschiff Donau —
abwärts benutzen wollte. Aber voll Schrecken vernahm
man die unerwartete Kunde, daß wegen der Truppen-
transporte die Dampfer nicht mehr regelmäßig gingen,
und das nächste Schiff wahrscheinlich erst am Sonntag
vormittag fahren würde. Zwei lange bange Tagel Jede
Minute konnte die Entdeckung bringen, jede Stunde konnte
für Rumänien verhängnisvoll werden I Ohne Nachrichten
zu erhalten, mußte man die kostbare Zeit in dem elenden
Nest und in dem jammervollen Gasthof, in welchem man
nur eine notdürftige Unterkunft gefunden, verbringen. Die
Reisenden konnten nicht einmal miteinander verkehren,
da sie jegliches Aufsehen vermeiden mußten; dazu gesellten
sich noch allerhand Unterhaltungen über Politik an der
Wirtstafel mit den freundlichen Bemerkungen: „Der neue
Fürst wird sich ebenso unmöglich machen wie der Kusa!"
oder: „Es wird nicht lange dauern, dann jagen ihn die
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Walachen davon !" und ähnliche liebenswürdige Äuße-
rungen mehr, dazwischen alarmierende Gerüchte, daß die
Türken in Rumänien eingerückt wären und es schon zu
Gefechten gekommen sei. Der Prinz hielt sich meist in
seinem Zimmer auf, Briefe schreibend und die Depeschen
aufsetzend, die er nach seiner Ankunft auf rumänischem
Boden abzusenden gedachte.
Endlich war der 20. Mai, der Pfingstsonntag, mit
fröhlichstem Frühlingsschein gekommen, und auch der
Dampfer langte zur Morgenstunde an, den sogleich der
Prinz bestieg, die zweite Klasse aufsuchend, getrennt von
seinen Mitreisenden und auch von Joan Bratianu, der
direkt von Paris gerad noch zur rechten Zeit eingetroffen
war, um auf das Schiff zu gelangen, jedoch nach sofortiger
Verständigung sich um den Prinzen gar nicht kümmerte.
Der letzte grelle Pfiff ertönte, pustend und schnaubend
setzte sich das Fahrzeug in Bewegung, den österreichischen
Hafen verlassend.
Prinz Karl hatte inmitten einer schmudligen, aus allen
möglichen Völkerschaften bunt zusammengesetzten Gesell-
schaft Platz genommen, zwischen Frachtsäcken und hoch-
getürmten Kisten und Kasten, und in dieser seltsamen,
ungewohnten Umgebung verfaßte er ein längeres Schreiben
an den! Kaiser Franz Josef, auch ihm seine Beweggründe
auseinandersetzend, warum er die rumänische Krone an-
genommen, und betonend, daß er keinerlei feindliche Ab-
sichten gegen Österreich hege, sondern die freundlichsten
Beziehungen zu dem mächtigen Nachbarstaate zu unter-
halten wünschte.
Hinunter gings den gewaltigen Strom, vorbei an ver-
witterten Ruinen, die von dem großen Völkerringen längs
der Donau berichten, vorbei an ungarischen Ortschaften
links und serbischen rechts, an efeuumrankten Trümmern
voln Schlössern wie an verwitterten Resten römischer
Kastelle und Befestigungen. Dann gelangte das Schiff in
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den Engpaß von Kazan, immer massiger drängten sich die
ernsten Gebirgszüge zusammen, gigantisch reckten sich
wildgezackte Felsen empor, überall gurgelte, rauschte und
schäumte es, auf das eiligste hastet der Strom dahin, mit
wildem Getöse sich über Klippen und Steingeröll er-
gießend, bis sich seine Fluten beruhigen, und der Dampfer
in Orsova anlegte, wo die Reisenden auf ein kleineres
Schiff umsteigen mußten. Auch die Gefahren des Eisernen
Tores, von altersher gefürchtet wegen seiner unter den
Wellen verborgenen Felsenketten, die schon manch bravem
Fahrzeug den Untergang bereitet, wurden glücklich über-
wunden, und alsbald
steuerte das Schiff nach
Turnu-Severin hinüber,
wo aus dichtem Gebüsch
die letzten grauen Reste
des von Kaiser Severus
erbauten Schlosses auf-
ragen und wo an hohen
Flaggenmasten . lustig
die blau-gelb-roten ru-
mänischen Fahnen flat-
terten.
Mit ernsten und
nachdenklichen Gefüh-
len mochte Prinz Karl
die Blicke auf diese ru-
mänische Ortschaft rich-
ten, erfüllt von der
großen Verantwortlichkeit seiner neuen Aufgabe und von
sorgenden Erwartungen für die Zukunft, die verschleiert
vor ihm lag. Aber Bedenken irgend welcher Art gab's
nicht mehr für ihn, jetzt hieß es vorwärts, jetzt hieß es
mit allen Kräften und mit dem ganzen Einsetzen seiner
Person das hohe Ziel erreichen, das er sich gestellt.
Römische Palastreste in Turnu-Severin.
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Als der Prinz das Schiff verlassen wollte, hielt ihn der
Kapitän mit der Frage zurück, weshalb er denn hier aus-
steigen wolle, da ja sein Billet bis Odessa laute und der
Aufenthalt nur ein sehr kurzer sei; der Prinz erwiderte, er
wünschte bloß für wenige Minuten an Land zu gehen. So-
wie er letzteres betreten, machte Bratianu, der ihm auf den
Fersen gefolgt, vor ihm Front, ihn bittend, in einem der
bereitstehenden Wagen Platz zu nehmen. Der Prinz aber
hörte hinter sich sagen: „Bei Gott, das muß der Prinz
Turnu - Severin.
von Hohenzollern sein!" — es war der Schiffskapitän, der
diese Worte ausgestoßen, und der glücklicherweise zu spät
seinen Passagier erkannt.
Nach kurzem Empfang in der Präfektur, deren Beamte
keine Ahnung von dem absichtlich geheim gehaltenen
Kommen ihres neuen Fürsten gehabt, bestieg um die achte
Abendstunde Fürst Karl mit Bratianu den mit acht kleinen
Pferden bespannten offenen Wagen, und hinaus ging's in
wildestem Galopp mit Hussa und Heißa in die Nacht.
Je vier Pferde wurden von einem buntgekleideten Postillon
gelenkt, Peitschengeknall und helles Geschrei feuerten die
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Tierchen zu rasendem Lauf an, den sie auch nicht bei An-
höhen und Einbuchtungen hemmten. Zweimal in der
Nacht wurde das Gespann gewechselt, dann um vier Uhr
morgens überquerte man bei eisigem Wind auf einer ge-
brechlichen Fähre den Jiu-Fluß, dessen starker Strömung
das mürbe Fahrzeug kaum zu widerstehen vermochte: Beim
Anbruch des Morgens erreichte man das von großen, in
lichtem Frühlingsprunk schimmernden Hügeln umrahmte
Krajowa, wo — da aus Bukarest Depeschen über das glück-
liche Eintreffen des Fürsten angelangt waren — eine dichte
Menschenmenge den Fürsten jubelnd empfing und ihn vor
einem schnell aus grünen Reisern hergestellten Zelte der
Bürgermeister auf das herzlichste bewillkommnete, während
ein ganzer Regen von Blumen und Kränzen sich über den
Fürsten ergoß. Nach einstündiger Rast ward die Reise
fortgesetzt, und zwar begleiteten jetzt den Wagen zwei
Züge Dorobanzen, der Husaren-Uniform tragenden Miliz-
kavallerie angehörend, denen sich zahllose Reiter und eine
ganze Reihe von Gefährten anschlössen.
Auf der Fahrt nach Bukarest (1866).
88
Ohne Weg und Steg hastete der lange Zug in voller
Karriere über die Felder, vorbei an kleinen Ortschaften,
deren Wohnungen noch vielfach an die Überlieferungen des
Orients gemahnten und deren Bevölkerung, in die bunt-
farbige Nationaltracht gekleidet, dem neuen Fürsten zu-
jubelte. Auch in Slatina, das man mittags berührte, war
des Jauchzens und der Freude kein Ende; über Nacht
noch hatte man verschiedene Triumphbogen errichtet,
überall flatterten Fahnen, überall wehten Tücher und wurde
der Fürst mit Blumen beworfen. Von Slatina aus richtete
Fürst Karl den ersten telegraphischen Gruß an seinen
Vater nach Düsseldorf: „Mit bewegtem, aber freudigem
Herzen sende ich meinen teuren Eltern und lieben Ge-
schwistern die ersten innigen Grüße aus meinem neuen
Vaterlande. Ich werde ihm mit ganzer Seele angehören,
aber stets die teuern Erinnerungen und die dankbarsten
Gefühle für die Heimat bewahren. Soeben war in Slatina
ein herzlicher Empfang, morgen Ankunft in Bukarest. 4 4
Unter dem gleich freudigen Jubel wie bisher wurde die
Reise fortgesetzt, durch Städte und Dörfer, durch Wälder
und über Felder, oft auf recht bösen Wegen, denn an
Eisenbahnen war damals nicht zu denken, aber dem Fürsten
ward hierdurch wertvolle Gelegenheit geboten, gleich in
engere Berührung zu Land und Volk zu treten.
Am 22. Mai (dem io. nach dem rumänischen Kalender)
erfolgte der feierliche Einzug in Bukarest. Schon weit
vor der Stadt nahe Baneassa harrten dichte Volksmassen
des Fürsten, dem hier der Bürgermeister von Bukarest
auf rotem Sammetkissen die Schlüssel der Stadt überreichte,
ihn mit begeisterten Worten begrüßend, für welche der
Fürst herzlichst dankte, die Hoffnung aussprechend, daß
er die Kraft haben werde, die schwere Mission, die er in
festem Vertrauen auf den Beistand des Himmels über-
nommen, zum Glücke Rumäniens zu Ende zu führen.
Während dieser Worte rauschte ein heftiger Platzregen
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nieder, der erste seit drei Monaten, der die ausgedörrten
Fluren erfrischte, was das Volk, das in immer erneute
Jubelrufe ausbrach, als ein glückverheißendes Zeichen be-
trachtete, da nach orientalischer Meinung der Regen Glück
bringt. Dann wurde die Fahrt fortgesetzt im offenen, mit
sechs Schimmeln bespannten Galawagen, dem Kavallerie
vorantrabte und den hohe berittene Offiziere umgaben.
Auf der Chaussee, dem schönen Korso der Bukarester
Gesellschaft, bildeten
Infanterie, Jäger und
Artillerie Spalier, denen
sich die Nationalgarden
anschlössen. Hinter den
Truppen standen in
vielen Gliedern Kopf
an Kopf enggedrängte
Menschenmengen, eben-
so in den Straßen, welche
man nur Schritt für
Schritt durchfahren
konnte inmitten des Ge-
tümmels und Jubels,
während aus denFenstern
Blumen und Gedichte das Gefährt und seine Insassen
überschütteten, und sich mit dem donnernden Salut der
Geschütze die hehren Klänge der Glocken sämtlicher
Kirchen vereinten. Alle Häuser hatten festlichen Schmuck
angelegt; wohin man sah, Guirlanden und Blumen, Fahnen
und Teppiche. Vor einem der Gebäude erblickte der Fürst
eine Ehrenwache mit Fahne und erkundigte sich bei
seinen Begleitern nach der Bedeutung des Hauses >
»worauf etwas verlegen der General Golesku erwiderte:
„Es ist das Palais/' Aber der Fürst glaubte nicht recht
verstanden zu haben und fragte: „Wo ist denn das
Palais? worauf der General in zunehmender Ver-
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legenheit auf das einstöckige, jeder Zier entbehrende
Haus zeigte.
Endlich, nach eineinhalbstündiger Fahrt, ward die auf
einer Anhöhe sich erhebende Metropolie, die Hauptkirche,
von deren Plattform man einen prächtigen Anblick auf
Bukarest genießt, erreicht. Mit den übrigen Geistlichen
in gold- und silberstarrenden Gewändern empfing der
Metropolit den Fürsten, ihm Kreuz und Evangelienbuch
zum Kusse darreichend, und geleitete ihn in das Gottes-
haus, in welchem ein feierliches Tedeum abgehalten wurde.
Danach ging es zu Fuß, der Fürst umgeben von der Geist-
lichkeit, von den Ministern und den Mitgliedern der pro-
visorischen Regierung, zu der der Metropolie gegenüber ge-
legenen Kammer, in deren Sitzungssaal die Deputierten
des Landes, die höchsten Beamten, Richter und Offiziere
versammelt waren, die den Fürsten mit stürmischen Rufen,
welche sich immer wieder und wieder erneuten, begrüßten,
und in den Jubel stimmten die Besucher und Besucherinnen
der überfüllten Tribünen ein. Auf den vor dem Throne
stehenden Tisch legte der Metropolit Kreuz und Evangelien-
buch hin und forderte den Fürsten auf, den Eid auf die
Gesetze des Landes zu leisten, Oberst Haralambi, Mit-
glied der provisorischen Regierung, las die rumänische
Eidesformel vor: „Ich schwöre, daß ich Rumäniens Gesetze
wahren, seine Rechte behaupten und sein Gebiet unan-
getastet erhalten werde !" und der Fürst, mit der rechten
Hand auf dem Evangelienbuch, sprach laut und klar:
„Juri" — „Ich schwöre I" — worauf freudigster Jubel aus-
brach, der sich gar nicht legen wollte.
Auf die begrüßenden Worte des Kammerpräsidenten
erwiderte der Fürst mit bewegten Worten in französischer
Sprache: „Durch den freien Willen der Nation zum Fürsten,
von Rumänien gewählt, habe ich ohne Zögern Vaterland
und Familie verlassen, um dem Rufe des rumänischen
Volkes, das mir seine Geschicke anvertraut, Folge zu
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*a&zz> yta^/.
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leisten. Indem ich den Fuß auf diesen geheiligten Boden
setze, bin ich Rumäne geworden. Die Annahme der auf
mich gefallenen Wahl legt mir, ich bin mir dessen wohl
bewußt, große Pflichten auf; aber ich hoffe, daß es mir
vergönnt sein wird, sie zu erfüllen. Ich bringe Ihnen ein
treues Herz, ehrenhafte, offene Gesinnung, festen Willen,
nur das Gute zu tun, eine grenzenlose Hingebung für
mein neues Vaterland und jene unbeugsame Achtung für
Gesetz und Recht, welche die Meinigen mich gelehrt
haben. — Heute friedlicher Bürger, morgen, wenn es sein
muß, Soldat mit der Waffe in der Hand, werde ich von
nun ab Ihre Geschicke teilen, seien es freundliche, seien,
es schmerzliche. Von diesem Augenblick an gehören wir
zusammen I Glauben Sie an mich, wie ich an Sie glaube.
Gott allein weiß, was die Zukunft für unser Vaterland in
ihrem Schöße birgt. Was es aber auch sei, wir wollen
unsere Pflicht tun. Suchen wir unsere Kraft in der Einig-
keit, vereinigen wir unsere Kräfte, um allem, was die
Zukunft bringt, gewachsen zu seinl — Die Vorsehung,
welche mich, Ihren Erwählten, bis hierher geführt und
welche alle Hindernisse aus meinem Wege räumte, sie wird
ihr Werk nicht unvollendet lassen! Es lebe Rumänien V
Und die Hurras fanden ein hallendes Echo in den be-
geisterten Hochrufen: „Es lebe Karl 1. 1"
Am folgenden Tage fand der erste Vortrag der
Minister statt, die eine große Reihe von Huldigungstele-
grammen überbrachten ; die meisten Städte und Ortschaften
hatten die Ankunft des Fürsten durch Festlichkeiten und
Illuminationen gefeiert. Dann schloß sich ein großer Emp^
fang der Stadtbehörden an, wobei der Präsident der
Kammern die huldigende Ansprache hielt. In roten Talaren
nahten die Mitglieder des obersten Gerichtshofes, ferner
jene des Staatsrates, des Rechnungs- und Appellhofes, der
Tribunale, ihre Präsidenten den Fürsten mit warmen Worten
begrüßend, worauf der Kriegsminister das Offizierkorps ein-
93
führte und dem Fürsten im Namen der Armee das tiefste
Vertrauen ausdrückte. Nach dem Empfang, der mehrere
Stunden gewährt, unternahm der Fürst einen Spaziergang
durch die Stadt, aber die jubelnde Menschenmenge, die ihn
umdrängte,
war bald so
groß, daß er
in das Palais
zurückkehren
mußte. Auf
den nächsten
Tag war die
Vereidigung
der Truppen
auf dem Gar-
nison-Exer-
zierplatz bei
Cotroceni an-
gesetzt, aus
welcher feier-
lichen Veran-
lassung Fürst
Karl zum
ersten Male
die goldge-
stickte rumä-
nische Gene-
ralsuniform
angelegt
hatte. Nach
dem Feld-
gottesdienst
undderEides-
leistung rich-
tete der Fürst Fürst 'Karl (1866).
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eine Ansprache an die Truppen, hervorhebend, daß es die
heiligste Soldatenpflicht sei, dem Vaterlande in Treue
und Hingebung zu dienen, und daß der Schwur, den sie
eben geleistet, sie antreiben müsse, wenn das Vaterland
in Gefahr sei, ihm freudig den letzten Blutstropfen zu
opfern. Bei der Rückkehr des Fürsten in die Stadt er-
schöpfte sich die Volksmenge von neuem in frühesten Zu-
rufen und Huldigungen.
Gerüchtweise verlautete, daß die Türken unter Omer
Pascha sich anschickten, von Rustschuk aus über die Donau
zu setzen und in Rumänien einzufallen. Fürst Karl in-
spizierte infolgedessen sogleich während der nächsten Tage
die militärischen Etablissements; sie befanden sich in
schlimmstem Zustand. Kaum war Pulver genug vor-
handen zur Lieferung auch nur einer mäßigen Anzahl
von Patronen, dazu gesellte sich die Kunde, daß die an
der Donau befindlichen Grenzerbataillone sich weigerten,
zu marschieren, unter der Behauptung, die Regierung
dürfe sie nur zur Bewachung ihrer Heimatsdistrikte und
deren Grenzen verwenden. Aus Bukarest wurden mehrere
Regimenter nach dem Sabar, 30 Kilometer entfernt, be-
ordert, die der Fürst vorher besichtigte, ebenso einige
Tage darauf die Stellungen der Truppen bei Giurgiu an
der Donau gegenüber Rustschuk, um einen Einfall der
Türken sogleich abzuwehren. Bei all diesen Gelegenheiten
bereitete die Bevölkerung dem Fürsten den freudigsten
Empfang und zeigte ihm oft rührende Beweise von Ver-
trauen und I^iebe. Sein schlichtes persönliches Auftreten
gewann ihm, wo er erschien, die schnellste Zuneigung,
und man rechnete es ihm hoch an, daß er sogleich auf
fast die Hälfte seiner Zivilliste verzichtet hatte, in Rück-
sicht auf die große Finanznot des Staates.
Über den ersten Eindruck, den Fürst Karl auf die
Rumänen gemacht, schrieb damals Herr von Mayenfisch
an den Fürsten Karl Anton: „Man könnte sagen, die Be-
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geisterung für den Prinzen steige mit jedem Tage höher,
falls das überhaupt noch möglich wäre. Er hat mit seiner
persönlichen Erscheinung aller Herzen gewonnen, alles
will ihn sehen und hören, man versichert uns gewiß hundert-
mal am Tage, wie sehr man ihn liebe und wie weit alle
Wünsche übertroffen seien. Viele tausende von Bildern
des Prinzen und seiner Familie sind verkauft worden.
Der Prinz hat eine schwierige Aufgabe übernommen; man
kann nicht genug schildern, in welcher Unordnung sich
alle Ministerien befinden. Die größte Schwierigkeit aber
wird es sein, für den Moment die erforderlichen Geldmittel
aufzutreiben. Alle Kassen sind erschöpft,) seit Jahren ist
systematisch veruntreut worden; die meisten Beamten
haben seit sechs Monaten kein Gehalt mehr bekommen,
ebenso das Militär. Doch wenn der Prinz das Glück hat,
zuverlässige Leute um sich zu haben, die es aufrichtig
mit ihm und dem I^ande meinen, so wird es gewiß gut
gehen. — Der Prinz ist rastlos beschäftigt, er erübrigt sich
kaum eine Ruhepause, um eine Zigarre zu rauchen, nachts
kommt er nie vor ein Uhr ins Bett/ 4
„Der Prinz ist rastlos beschäftigt" — allerdings war
zur Ruhe und Bequemlichkeit die Zeit wahrlich nicht ge-
schaffen, ganz abgesehen davon, daß beides nicht im Wesen
des jungen Fürsten lag. Es sah trostlos um Rumänien
aus. Keine einzige fremde Macht hatte die Regierung und
die Wahl anerkannt; Rußland und die Türkei zeigten sich
direkt feindlich, in der Moldau machten sich von russischer
Seite genährte separatistische Bewegungen bemerkbar, die
überstürzt eingeführte demokratische Verfassung war, wenn
man den allgemeinen Kulturzustand in Betracht zog, nicht
fördersam und begünstigte das von altersher so leiden-
schaftliche Parteigetriebe. Zudem war die letzte Ernte sehr
schlecht ausgefallen und die Cholera forderte zahlreiche
Opfer, dazu die kriegerischen Bewegungen seitens der
Türkei und die schlecht disziplinierte und nicht minder
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schlecht ausgerüstete Armee, welche insgesamt nur
8000 zählte. Offen setzte der Kriegsminister in seinem
den Kammern und von diesen dem Fürsten unterbreiteten
Generalbericht auseinander, daß die in den letzten Jahren
als neu angeschafften Waffen unbrauchbar befunden worden;
die Magazine für Rohmaterial wären leer und die Pulver-
fabrik befände sich in einem Zustand, als wäre sie un-
mittelbar nach der Erfindung des Schießpulvers errichtet;
die noch nicht bezahlten, mehrere Millionen kostenden
Maschinen in der Kanonengießerei von Tirgoviste seien
ohne vorherige Feststellung des Preises und der Zeich-
nungen daselbst eingetroffen und, selbst wenn sie sich be-
währen sollten, würde der Preis einer in Rumänien ge-
gossenen Kanone das Zehnfache einer fertig im Auslande
gekauften betragen. Die für militärische Zwecke unter
dem Fürsten Kusa errichteten Gebäude, die gleichfalls
Millionen erfordert, seien dem Ruin nahe, so daß die Truppen
die Benützung scheuten, und ähnlich verhalte es sich mit
den Kasernen in Jassy, Galatz und Braila, während man
in den anderen Städten die Soldaten in Privathäuser ein-
quartiert und die für die Bauten bestimmten Gelder für
irgendwelche Zwecke verschleudert habe; am schlimmsten
sei es um die Unterkunft der Grenzwachen bestellt, die in
weit auseinanderliegenden Hütten kampieren müßten, wo-
durch eine Überwachung ganz unmöglich wäre.
Nicht minder trostlos lauteten die Berichte der übrigen
Minister. So hieß es in jenem des Ministers des Innern
wörtlich: „Nach einem Verfahren, das uns während so
vieler Jahre unterdrückt hat und gegen welches sich die
gesamte Nation empörte, wäre es schwer, in so kurzer
Zeit ein Heilmittel gegen ein korrumpierendes und will-
kürliches System zu finden. Die Untersuchungskommission
hat ungeheure Unterschleife öffentlicher Gelder seitens der
Kassierer der Polizeipräfektur und besonders des Post- und
Telegraphendirektors entdeckt. Dieser Beamte, welchem
Lindenberg, König Karl. 7
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in der mißbräuchlichsten Weise die Summe von 7 253 682
Piaster für seinen Dienst überwiesen war, hat Mittel ge-
funden, sie auf 10 521 234 Piaster erhöhen zu lassen. .
Während dieser Dienst in anderen Staaten produktiv ist,
ist er in Rumänien gradezu nachteilig geworden, denn
das Erträgnis im letzten Jahre hat nicht mehr als 4 Millio-
nen betragen. In den Gefängnissen hat man eine Menge
von seit Monaten, ja seit Jahren verhafteten Gefangenen
gefunden, ohne daß man sie einem richterlichen Urteil
unterzogen hätte/' Gleich trostlos war der Bericht des
Kultusministers: die I^yceen und Schulen standen auf
niedrigster Stufe; die Räume, in denen sie sich befanden,
bedeuteten Ansteckung und Tod. Von über 3000 Dorf-
gemeinden besaßen kaum 1300 Schulen, und diese, ab-
gesehen von dem fragwürdigen Unterricht, waren in Ba-
racken untergebracht, meist ohne Iyicht und Luft; Schnee
und Regen drangen ungehindert ein. Ähnlich traurig sah
es um Handel und Wandel aus. Der Ackerbau lag
danieder, denn es fehlte an den nötigsten Summen, der not-
leidenden ländlichen Bevölkerung über die schlechten
Zeiten hinwegzuhelfen, war doch der Staatsschatz gänzlich
leer, wie es der Finanzminister offen eingestand: „Die
Anhäufung des Defizits durch Anleihen, deren Interessen
das Ausgabebudget in un verhältnismäßiger Weise erschwert,
und die Unterschiebung erkünstelter und ungerecht-
fertigter Ziffern in dem Einnahmebudget konnte nur eine
mit den Jahren immer mehr zunehmende Belastung der
finanziellen Lage zur Folge haben. So schwand der Staats-
kredit gänzlich. Alle öffentlichen Kassen sind leer und der
Schatz hat eine schwebende Schuld von 55 761 841 Piastern
zu bezahlen; nach genauer Berechnung wird das Jahr 1866
mit einem Defizit von 51 956 000 Piastern abschließen/'
Die gesamten Schulden Rumäniens beliefen sich auf
120 Millionen Mark.
Diese offiziellen Mitteilungen spiegeln sich auch in den
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Beschreibungen wider von Land und Leuten im Fürstentum,
dasjim Jahre 1866 verschiedene Schriftsteller bereisten. So
heißt es in einer dieser Schilderungen: „Der'erste Eindruck,
welchen die Moldau und Walachei auf den Fremden macht,
ist ein trauriger. Weite wüsteJEbenen ohneJLandstraßen,
ohne Dörfer,5hie und da ragt ein Erdaufwurf hervor, aus
dem ein brauner Zigeuner neugierig" hervorschaut, hie und
da erblickt"' man eine Hütte, vor deren Tür ein paar ent-
blößte Kinder stehen, die sich im Schmutz herumwälzen,
der ihnen nichts anhaben kann. Ein hölzerner Brunnen,
an dem man die Pferde tränken kann, bildet das Gast-
haus, eine Herde frei weidender Pferde die Poststation.
Man fühlt, daß man die Grenzscheide der Zivilisation be-
reits überschritten hat; und so ist es auch. Kunst und
Wissenschaft, Handel und Industrie, alle Segnungen der
durch das übrige Europa unaufhaltsam fortschreitenden
Kultur sind grade diesem Lande fremd geblieben. Der
Vornehme reist nach Paris, um sich dort gesellschaftlich
auszubilden, der Bauer ist jetzt erst so weit entwickelt, um
dunkel zu ahnen, daß ihm etwas fehle. Einen Mittelstand
gibt es nicht."
Ein anderer Beobachter schreibt: „Die Wohnungen
der meisten in der Walachei sind 'die ärmlichsten in Europa;
den ganzen Hausrat machen ein paar Kessel und Töpfe,
einige hölzerne Tische und Schemel aus; Betten findet
man bei den walachischen Bauern selten. In seinen Schaf-
pelz gehüllt, schläft der Bauer auf der Erde, in heißen
Nächten auch unter der, durch das von Holzpfeilern ge-
stützte vorspringende Dach gebildeten natürlichen Veranda.
Den Luxus eines hölzernen Fußbodens kennen die wenigsten
hier. Aber der walachische Bauer kontrastiert doch merk-
würdig mit anderen europäischen Bauern. Er ist außer-
ordentlich reinlich und selbst bei der größten Armut wird das
aus Flechtwerk und Erde zusammengebackene Haus äußerst
reinlich gehalten. Mäßigkeit und Nüchternheit, Arbeit-
jnigiti^ed- by
Google
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102
samkeit und Reinlichkeit sind Hauptzüge seines Charakters.
Er ist der Repräsentant der politischen Zukunft des rumä-
nischen Volkes/' — Ähnliche Beurteilungen des Volks-
charakters finden wir auch in anderen ' Aufzeichnungen.
Willig wird eingestanden, daß, wenn die Mehrzahl des
Volkes noch nicht die Segnungen der Zivilisation emp-
fangen, sie dafür auch verschont geblieben sei von ihren
Übeln. Bei aller Lustigkeit und Ausgelassenheit an den
großen Festtagen der Dorfbewohner kämen nur selten
störende Szenen vor und erblicke man noch seltener Be-
trunkene. Gutmütigkeit vereint sich mit Genügsamkeit,
Bescheidenheit mit der Einsicht, daß es besser werden
müsse, um das Land vor gänzlichem Ruin zu retten.
Auch die Vorstädte Bukarests, das damals 160 ooo
Einwohner zählte, darunter ungefähr 30 000 Deutsche,
machten noch einen völlig dörflichen Eindruck. Baracken
und Trümmerreste wechselten mit öden, unbebauten
Flächen ab; dann und wann bildeten die Gebäude eine
zusammenhängende Häuserreihe, bis sich wieder Gärten
und Höfe dazwischen schoben, in denen nur aus einem
Erdgeschoß bestehende, weißgestrichene Häuschen lagen,
die Tore, Fenstersimse und Querbalken oft grell gestrichen,
die Türen geöifnet, so daß man die Handwerker bei der
Ausübung ihres Berufes beobachten konnte. Die eigent-
lichen Straßen der Stadt waren eng, und wenn überhaupt
ein Pflaster vorhanden war, so befand sich dieses in furcht-
barem Zustand; auch hier traf man vielfach auf niedrige
Häuschen und Hütten, zwischen ihnen aber in lebhaftem
Gegensatz moderne europäische, zwei- und dreistöckige
Gebäude mit Baikonen, mit Schnitzwerk und goldver-
zierten Toren. Die Hauptstraße, die damals Podu mo-
goscheu hieß (die heutige Calea victoriei), war von völlig
europäischem Aussehen mit vielen Läden, Cafes und Kon-
ditoreien, mit Magazinen und Bankgeschäften, deren Be-
sitzer meist Deutsche waren, wovon auch die vielen
103
deutschen Schilder und Inschriften kündeten, ebenso in der
Strada Lipscani, dem eigentlichen Sitz deutschen Kauf-
mann- und Gewerbefleißes, in der sich zur Zeit der großen
Messe die aus Deutschland gekommenen Händler und
Unternehmer einfanden, worauf auch die Bezeichnung der
Straße — an Leipzig und die Leipziger Messe gemahnend
— hindeutet.
In hellen Farben werden in jenen erwähnten Berichten
bereits die Chaussee mit ihren glänzenden Korsofahrten
an den Nachmittagen und ihrem reichen wechselnden ge-
sellschaftlichen Getriebe sowie der schöne, von einem
Deutschen angelegte Cismegiu-Park innerhalb der Stadt
geschildert. Bei dem schlechten Pflaster und der Grund-
losigkeit der Wege war die große Zahl der eleganten Privat-
und Mietsgefährte eine sehr angebrachte. Die Damen
der vornehmen Kreise wetteiferten gegenseitig in einem
übertriebenen, sich den neuesten Pariser Moden an-
passenden Toilettenluxus. Auch die innere Einrichtung
der Wohnungen in den Bojarenpalästen war oft eine ver-
schwenderische und der Luxus ein sehr großer. Aber auch
hier berührten sich auf das herbste die Kontraste; trat
man aus einem der Paläste, deren Besitzer über eine Rente
von mehreren hunderttausend Francs verfügte, und bog
man in eine der engen Seitenstraßen ein, deren aus Holz
und Weidenruten gefertigte Hütten beim nächsten Wind-
stoß zusammenzufallen drohten, mußte man der armen Be-
wohner gedenken, die auf dem nackten Boden schliefen
und deren einziges Nahrungsmittel die Mamaliga war.
So schreibt Gustav Rasch, der unermüdliche Wandersmann :
„Eben noch schritt man über ein in Wien oder Breslau
gefertigtes Parkett, jetzt stolpert man in holprigen,
krummen Gassen mit Löchern und Pfützen, welche Ab-
gründen gleichen, dann stößt man mit dem Kopf an nicht
fortgeräumte Trümmer oder fällt über halbverfaulte ge-
brochene Pfäle, denn es ist stockdunkel, nur hie und da
104
wirft eine erbärmliche, durch eine ölflamme erleuchtete
Laterne einige schwache Lichtreflexe über den holprigen
Weg. Man biegt um eine Ecke. Plötzlich flackert der
Schein einiger Feuer zwischen den Trümmern eines halb
herabgestürzten Gebäudes und sonderbare Gestalten in
Lumpen schlummern, in zerrissene Decken gehüllt, neben
den halbverlöschenden Bränden auf feuchtem Boden. Es
sind Zigeuner, welche beim Abbruch des Gebäudes beschäf-
tigt sind und kein Nachtquartier haben, und es sind doch
nur wenige Schritte von ihrem Lagerplatz, über den der
kalte Nachtwind streift, bis zu jenem prächtigen Palast,
wo man Champagner trinkt, wo man lacht und scherzt,
wo man am heutigen Tage Tausende von Dukaten verspielt
und unter seidenen Decken schläft. Ich habe alle großen
Städte Europas besucht; ich habe London, Paris und
Neapel gesehen, aber nirgends habe ich solche Kontraste
in der Armut und dem verschwenderischen Luxus so ganz
dicht nebeneinander gesehen wie in Bukarest/'
Man kann sich denken, wie fremdartig das alles den
an so gänzlich andere Verhältnisse gewöhnten jungen
Fürsten berührte und wie sehr sich seine Gedanken damit
beschäftigten, hier ersprießlichen Wandel zu schaffen. Zu
all den Sorgen, die in großer Fülle Tag für Tag auf ihn
einstürmten, gesellten sich noch andere. Die Kriegs-
erklärung zwischen Preußen und Österreich war erfolgt,
Preußen war in den schwersten Entscheidungskampf ver-
wickelt, alles, was dem Fürsten in der bisherigen Heimat
wert und teuer gewesen, war vielleicht in Frage gestellt,
seine nächsten Freunde und Angehörigen weilten auf dem
Kriegsschauplatz, und dann, am 27. Juni, traf die erschüt-
ternde Nachricht ein, daß der geliebte jüngere Bruder,
Prinz Anton, der im ersten Garderegiment zu Fuß als
Sekondeleutnant stand, bei der Schlacht von Königgrätz
eine tödliche Verwundung erlitten hatte. Mit geschwunge-
nem Degen war er an der Spitze seiner Truppen, allen voran,
105
106
gegen das Dorf Roßberitz vorgestürmt, seine Mannschaft
mit dem Ruf: „Hinüber, Leute, hinüber I" zum Angriff
auf einen von den Österreichern besetzten und zäh ver-
teidigten Graben und Verhau anfeuernd. Hier empfing
er den ersten Schuß, aber mit „Vorwärts!" stürmte er
weiter, bis ihm eine zweite Kugel die Kniescheibe zer-
schmetterte. Ein paar Soldaten trugen ihn fort, als der
Prinz noch zwei weitere Schüsse erhielt. In seinem Tage-
buch bemerkte der spätere Kaiser Friedrich: „In Roß-
beritz, wo der Kampf furchtbar erbittert gewesen sein
mußte, nach der Unmasse der Leichen und Verwundeten
zu schließen, und wo noch Gehöfte brannten, fand ich
Anton von Hohenzollern, der von drei Kugeln in die Beine
getroffen war. Er war eigentlich strahlend und zugleich
rührend naiv in der Geringschätzung seitfer Wunden. Er
wünschte mir Glück, sagte, er sei im tollsten Feuer mit
seinem Zuge gewesen, habe Schnellfeuer geben lassen, sei
dann verwundet und als solcher bereits gefangen, durch
unser Vordringen aber wieder befreit worden. Er lag in
einem Bauernhäuschen neben sterbenden Österreichern."
Und in einem Schreiben an seine Gemahlin berichtete
König Wilhelm: „Anton von Hohenzollern hat vier Ge-
wehrkugeln in den Beinen, ich weiß nicht, wie es ihm geht,
er soll enorm brav gewesen sein." — An den Fürsten Karl
Anton telegraphierte der König, welcher dem Tapferen
durch seinen älteren Bruder, den Erbprinzen Leopold,
den Orden pour le merite hatte überbringen lassen : „Tau-
send Dank für Deine Teünahme; das war ein herrlicher,
ein unvergleichlicher Sieg; möge Dein Sohn ihn nicht zu
teuer bezahlen. Wie oft muß ich an Euch denken, in allen
Gefechten hat er seinem Namen Ehre gemacht, war Lieb-
ling der Soldaten!" Nach mannhaft erlittenen schwersten
Leiden verschied der Prinz, nachdem er noch in der Sterbe-
stunde geäußert: „Ich preise die Vorsehung, welche
wiederum den Sieg mit dem Blute eines Hohenzollern be-
107
siegelt, und mein Geschick, dem die Ehre vergönnt ist,
für die Sache des Vaterlandes zu fallen." —
Wie dieser junge Held nur an Pflicht und Vaterland
gedacht, so auch Fürst Karl, dessen ganze Hingebung von
nun an einzig der neuen Heimat gewidmet war. Von
jenen Maitagen an hat er nur das eine Ziel vor Augen
gehabt, Rumänien groß und das Volk glücklich zu machen.
In ernster Schule des Lebens war der Jüngling zum Manne
gereift, hatte sich sein Charakter gestählt und hatten sich
jene Eigenschaften seines Wesens vertieft, die ihm im
Verlauf der nächsten Jahre und Jahrzehnte so großes leisten
ließen: Adel der Gesinnung, eine ernste Beurteilung aller
Dinge und ihre schnelle Erfassung für das praktische
Leben, ruhiges, aber festes Urteil, treueste Pflichterfüllung,
eine unbefangene, wohlwollende Erwägung der Personen
und Verhältnisse, furchtlos und beständig, nie nachtragend,
dafür gern seinen Feinden vergebend, von arbeitsamem
Geist und unermüdlicher Tätigkeit, für die Gegenwart
sorgend und stets die Zukunft bedenkend, unerschütterlich
an denen festhaltend, die er als Freunde erkannt.
So mußte aber auch der Mann beschaffen sein, der
das Steuer des schwankenden rumänischen Staatsschiffes
in seine feste Hand genommen, der Mann, von dem De-
meter Sturdza, welcher vom ersten Tage an die Bedeutung
des Fürsten und seine, möchte man sagen, historische
Notwendigkeit für Rumänien erkannt, und der ihm immer-
dar seine wertvollen Dienste geweiht, später im Senat
schlicht und wahr sagte: „Durch die Übernahme der Re-
gierung rettete Karl I. Rumänien vom Bürgerkriege und
von dem Rande des Abgrundes, an dem es fast hoffnungs-
los schwebte !"
94
V.
„Helfen wir uns selbst, Rumänen!"
Die erste Proklamation des Fürsten Karl. — „Helfen wir uns selbst, Rumänen!" — Innere
and äußere Schwierigkeiten. — Das persönliche Auftreten des Fürsten. — Arbeit und Tages-
einteilung. — Die Reise zum Sultan. — Aufenthalt in Konstantinopel. — Gute Ergebnisse.
— Schwierigkeiten der Regierung. — Sorgenvolle Tage und Jahre. — Der Fürst und die
Bevölkerung. — Fortsehritte in Bukarest. — Die Reorganisation der Armee. — Eisenbahn-
bauten. — Neue innere Hemmnisse und ausländische Verleumdungen. — Es geht langsam
vorwärts. — Ein Umsehwung zum Besseren. — Fürst Karl besucht Kaiser Alexander II. —
Die Reise nach Deutsehland.
Wenige Tage nach Übernahme der Regierung erließ
Fürst Karl eine Proklamation an das rumänische
Volk nachstehenden Wortlauts:
„Rumänen I
Seit meiner Ankunft unter Euch sind mir aus allen
Teilen meines neuen Vaterlandes Beglückwünschungs- und
Willkommens-Adressen zugegangen, welche mich in dem
Glauben befestigen, daß der Wille, dem ich mich gefügt
habe, der wahre Wille der ganzen Nation war. Eine
große Anzahl derselben wurde mir zugeschickt, als ich mich
noch am häuslichen Herd befand; und Ihr habt sogar
meines Geburtstages gedacht und mir Eure Wünsche zu-
gehen lassen. Ich hätte gewünscht, einem Jeden von Euch
im Besonderen antworten zu können, und dann würde
Euch mein Dank gezeigt haben, daß ich Euch ein Herz
zum Herzen bringe; da dies jedoch nicht möglich ist,
s o bitte ich Euch, diese wenigen Worte als den Ausdruck
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meiner Gefühle f ü r a 1 1 e entgegenzunehmen. — Rumänen I
Auf Eure Aufforderung habe ich mein Vaterland und
meine Familie verlassen; und ich tat dies, weil ich Eure
Geschichte, Eure Wünsche und Eure Leiden kenne. Ich
bin gekommen, weil mir die Stimme einer Nation heilig
ist. Und wenn diese Nation eine glorreiche Vergangenheit
besitzt, wie es die Eurige ist, eine Vergangenheit, welche
ihr die Kraft verlieh, so zu kämpfen, wie Ihr gekämpft
habt, um Euch eine dieser Vergangenheit würdige Zu-
kunft zu erringen, dann ist die Stimme dieser Nation für
mich eine wahre Gottesstimme. Das ist's, warum ich Alles
verließ, was ich liebte. Erwidert meine Liebe und Zu-
neigung, denn ich verließ mein Vaterland nur, um Euch
ein großes und freies zu sichern. Habe ich es denn nicht
auch zur Wiege meiner Nachfolger gemacht? — Rumänen!
Die Wärme, mit welcher Ihr mich unter Euch empfinget,
ist mir ein Beweis, daß ich Euch in der Tat der „ Will-
kommene" bin. Ich werde unaufhörlich bemüht sein,
mir diesen Titel bei Euch zu erhalten. Stehet mir bei
durch Eure Liebe und Euer Vertrauen! Nichts ohne
Gott! ist die Devise meiner Familie. Gott hat gesagt:
„Hilf Dir selbst, und ich werde Dir helfen." Helfen wir
uns also nur selbst, Rumänen, und Gott wird uns
gewiß auch beistehen!
„Helfen wir uns also nur selbst, Rumänen !" —
freilich, diese Worte des Fürsten enthielten die bittere
Wahrheit. Rumänien war völlig auf sich allein angewiesen,
auf sich und seinen jungen Fürsten, der zunächst bestrebt
war, durch sein persönliches Auftreten Vertrauen zu er-
wecken, um dann allmählich Ordnung in die gänzlich ver-
worrenen politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse zu
bringen. Zunächst aber lenkten drohende äußere Verwick-
lungen immer wieder die Aufmerksamkeit davon ab. Die
Karl I.
110
Türken hatten ihre militärischen Kräfte an der Donau ver-
stärkt, und an schlimmen Gerüchten, die fortwährend
Unruhe im Lande verbreiteten, war kein Mangel. Fürst
Karl besichtigte wiederholt, ohne daß vorher eine An-
kündigung ergangen war, die zwischen Bukarest und der
Donau verteilten Truppen und trachtete so schnell wie
möglich, allerhand Schäden zu verbessern, die sich bei
diesen Inspizierungen ergaben. Von Giurgiu aus unter-
nahm er auf einem kleinen Dampfschiff eine Donaufahrt
und beobachtete aus der Nähe das türkische Lager bei
Rustschuk, in welchem über 20 000 Mann versammelt
waren und wo man aus mancherlei Vorbereitungen auf
eine Überbrückung des Stromes von türkischer Seite aus
schließen konnte. Aber die schnellen Siege Preußens auf
böhmischem Boden mochten der Pforte jegliche Lust zu
einem kriegerischen Vorgehen gegen das Fürstentum be-
nehmen, da auf die erwartete Hilfe Österreichs und ein
eventuelles militärisches Eingreifen nicht zu hoffen war.
Schwand langsam diese Sorge, so stiegen im Innern
des Landes allerhand dunkle Wolken auf, die mit der Be-
ratung über die Konstitution und der Regelung der Juden-
frage in engem Zusammenhang standen. Ja, es kam
wegen der letzteren zu öffentlichen Ausschreitungen, die
allerdings schnell gedämpft werden konnten, freilich nicht
durch die Polizei, die völlig versagte, sondern durch die
Nationalgarde. Letztere wollte bald darauf der Fürst auf
dem Exerzierplatz von Cotroceni mustern, stieß aber
auf einen hartnäckigen Widerstand, da man verbreitet hatte,
daß die Soldaten entwaffnet werden sollten, die infolge-
dessen beschlossen, vor die Kammer zu ziehen und um
Schutz gegen diese Vergewaltigung zu bitten. Der Mi-
nisterpräsident Catargiu teilte dies dem Fürsten mit und
bat ihn, seine Verfügung zu ändern, der Fürst ging jedoch
darauf nicht ein, er ritt nach dem Exerzierplatz, auf dem
er tatsächlich nur wenige hundert Mann vorfand. Sofort
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•sandte er" Offiziere ab mit dem Befehl, daß die Säumigen
unverzüglich ausrücken sollten, setzte sich unterdessen an
die Spitze der erschienenen Soldaten, unter schmetternden
Musikklängen in die Stadt ziehend. Von allen Seiten
marschierten unterdessen die Nationalgarden heran, sich
auf dem Theaterplatz vereinend und den Fürsten mit
brausenden Hurrarufen begrüßend.
Wie hier Fürst Karl durch sein persönliches Auftreten
unerwarteten Erfolg erzielte, geschah es auch in andern
Fällen, in denen die Minister verzagten und ihm rieten,
einzulenken oder seine bereits gefaßten Entschlüsse auf-
zugeben. Das lag jedoch nicht im Wesen des Fürsten,
der kein Schwanken und Zögern kannte, wenn es sich
um Durchführung von Plänen handelte, deren Verwirk-
lichung er für gut hielt zum Wohle des Staates und Volkes.
Wegen der drückenden Hitze, die sich in Bukarest
besonders schwer fühlbar machte, hatte der Fürst seinen
Aufenthalt in dem eine halbe Stunde entfernten, etwas
hochgelegenen Kloster Cotroceni genommen, das, im
letzten Drittel des 17. Jahrhunderts gegründet, aus ver-
schiedenen zusammenhängenden B aulichkei ten bestand,
welche die efeuumrankte Kirche umgaben und an welche
sich ein prächtiger, wenn auch vernachlässigter, so doch
baumreicher, schattiger Park schloß mit einer Fülle alter
Bäume. Wundervoll ist der Ausblick von der erhöhten
I,age des Klosters und dessen Fenstern auf Bukarest mit
•seinen zahllosen Kirchen und Kuppeln, und die tiefe Ruhe
tat doppelt wohl nach dem Lärm und der Unrast der
Hauptstadt. Wenige Zimmer nur hatte der fürstliche Be-
sucher für sich einrichten lassen, aber sie genügten ihm
bei seiner Anspruchslosigkeit, fand er doch bei seiner
tiefen Liebe zur Natur eine reiche Entschädigung in der
engen Nachbarschaft des waldähnlichen Parkes. Jeder
Tag brachte reichliche Arbeit, sie wurde jedoch bei der
streng durchgeführten Einteilung pünktlich bewältigt. Auf
113
einen zu früher Morgenstunde unternommenen Spazierritt
folgte die Erledigung der Korrespondenzen, worauf die
Minister zum Vortrag erschienen, an den sich meist nach
dem zweiten Frühstück Audienzen schlössen und die Be-
sichtigung verschiedener staatlicher Gebäude, so der
Ministerien, der Gerichtshöfe, Hospitäler, Schulen, Unter-
richtsanstalten und Gefängnisse. An Mängeln aller Art
fehlte es hier nicht, und der Fürst war bestrebt, vielerlei
Verbesserungen einzuführen, die bei der Finanznot des
Landes nur langsam erfolgen konnten, die aber trotzdem
einen sichtbaren Umschwung gegen früher bedeuteten.
Zu dem auf sechs Uhr angesetzten Diner ergingen stets
Einladungen an die Minister, Offiziere, Deputierten, wo-
bei der politische Parteistand ausgeschlossen war, und bei
welcher Gelegenheit sich der Fürst durch eingehende Unter-
Lindenberg, König Karl. S
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114
haltungen über vieles zu orientieren wußte, was ihm bisher
fremd geblieben. Der Abend war meist einer Fahrt nach
und auf der Chaussee gewidmet, jener sich vor der Stadt
erstreckenden prächtigen Promenade, dem Treffpunkt der
Mönche von Bistritza.
ersten Bukarester Gesellschaftskreise. Wiederholt wurde
auch das Theater besucht, das, durch Öllampen nur trübe
beleuchtet, einen wenig großstädtischen Eindruck machte;
der Inhalt der aufgeführten Stücke war meist der rumäni-
schen Geschichte entlehnt mit den vaterländischen Siegen
über die Türken. Häufige zu Pferde unternommene Aus-
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flüge in die nähere und weitere Umgebung brachten den
Fürsten mit allen Volksschichten zusammen. Ordonnanz-
offiziere und eine Kavallerie-Eskorte begleiteten ihn stets,
überliefertem Gebrauch gemäß, den allerdings der Fürst
bei seiner Vorliebe für ein schlichtes Auftreten bald aus
der Welt schaffte. Gern besuchte er die oft sehr malerisch
gelegenen alten Klöster, dann wieder einzelne Städte und
Zigeuner.
Ortschaften, und der Empfang, der ihm überall bereitet
ward, bewies, daß man sich in den Erwartungen, die man
mit seinem Erscheinen im Lande und seiner Regierung
verknüpft, nicht getäuscht zeigte.
Das war auch bei der Mitte August trotz schwüler
Sonnenhitze unternommenen Reise durch die Moldau
der Fall. In zahllosen Ortschaften und Städten wurde
kürzere oder längere Rast gemacht, selbst dort, w r o die
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Cholera herrschte, viele Stunden lang ging's oft auf grund-
losen Wegen, dann wieder durch zerrissene Flußbetten
oder über weite Steppen, deren Flugsand die Wagen mit
dichten Staubwolken umhüllte. Auf den Herrensitzen
nahm man mit freudiger Ehrerbietung den jungen Landes-
fürsten auf, dem auch die dörfliche und städtische Be-
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völkerung überall einen frohen Empfang bereitete. Schulen,
Hospitäler, Kirchen, Bergwerke, Kasernen, Gefängnisse
wurden eingehenden Besichtigungen unterworfen, traurig
war die Lage der Bauern, die unter der Mißernte auf das
schlimmste zu leiden hatten, aber auch in den Städten
fehlte es nicht an tiefer Armut und an Mißständen aller
Art. Hunderte von Bittschriften drückten die Hoffnung
aus, daß die Regierung des Fürsten eine Wandlung zum
Bessern schaffen würde, das ging ferner aus zahllosen Be-
weisen des Vertrauens hervor, in aller Eile hatte man
Triumphpforten errichtet, hell klang begrüßend der
Schall der Glocken, und abends leuchteten auf den
Bergen Freudenfeuer auf und wurden Illuminationen
veranstaltet.
Alt und Jung und Arm und Reich beteiligten sich in
herzlicher Einmütigkeit an den Empfängen, vor den Kirchen
standen die Geistlichen in prunkenden Ornaten, vor den
Klöstern die Mönche in langen Talaren und hohen schwarzen
Mützen, mit Reisig und Blumen, mit Heiligenbildern und
selbstgewebten Teppichen waren die Dorfhäuser zum
Willkommen geschmückt; so anstrengend die Fahrt war,
so vielgestaltig und malerisch waren auch die Eindrücke,
die sie darbot. Vor allem aber machte sie den Fürsten
auf das genaueste mit den Sitten und Gebräuchen der Be-
völkerung vertraut, gab ihm wertvolle Aufschlüsse über
Fühlen und Denken der verschiedensten Klassen und zeigte
ihm, wie und wo der Hebel angesetzt werden mußte, um
Abänderungen zu schaffen. Schon lange bevor im grünen
Rahmen die Türme und Kuppeln Jassy's, der Hauptstadt
der Moldau, auftauchten, kamen dem Fürsten hunderte
von Reitern und Wagen entgegen, brausender Jubel be-
grüßte ihn und nahm zu, je mehr sich der von Dorobanzen
eskortierte Zug dem alten Fürstensitze näherte, an dessen
Weichbild unter einem Triumphbogen der Bürgermeister den
Fürsten mit feiernden Worten bewillkommnete und Tausende
119
von Menschen in Freudenrufe ausbrachen. Glockengeläut
und Kanonendonner begleiteten den Einzug, allgemein und
aufrichtig war die Begeisterung, unter zahllosen Ehrenpforten
Empfang in der Moldau (1866).
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gings dahin, jedes Haus war geschmückt, wie von einem
Rausch schien die gesamte Einwohnerschaft umfangen zu
sein, und diese freudige Stimmung ließ auch nicht während
der sieben Tage, die der Fürst in Jassy verlebte, nach.
Der persönliche Eindruck, den der Fürst gemacht, sein
ritterliches Wesen, sein Ernst, mit dem er alle Angelegen-
heiten behandelte, übten eine nachhaltige Wirkung aus und
waren auch von großer politischer Bedeutung, da es gerade
in Jassy nie an Versuchen einer Lostrennung von der Wa-
lachei gefehlt, jetzt aber auch die noch widerstrebenden
Elemente gefühlt, daß ein ganzer Mann an der Spitze der Re-
gierung stand und die Zügel derselben in festen Händen hielt.
Nach Bukarest zurückgekehrt, war es in erster Linie
das Bestreben des Fürsten, die Stellung Rumäniens zur
Türkei zu regeln. Letztere hatte Bedingungen an die
Anerkennung des Fürsten geknüpft, die das Land als
Vasallentum hinstellten und auf welche der Fürst als
solcher wie als Hohenzoller nicht eingehen konnte; ohne
diese Anerkennung aber war es nicht möglich, eine fremde
Anleihe aufzunehmen, die dringend nötig zur Hebung der
Finanzkalamität war, konnten doch nicht einmal mehr die
nötigsten Zahlungen gemacht werden. In jenen von
Spannung erfüllten Tagen schrieb der Fürst an den preußi-
schen Kronprinzen, nachdem er ihn zu den gewaltigen
Siegen auf böhmischem Boden beglückwünscht und stolz
hervorgehoben, daß Preußen zu einer wahren Großmacht
geworden: „Wenn ich aus diesem neuen Aufschwünge
unsres Vaterlandes neue Hoffnungen auch für mich und
meine Aufgabe hier schöpfe, so darf ich das Dir gegenüber
wohl ohne Hehl aussprechen: Preußen hat im Orient eine
große Mission zu erfüllen. Rußland, Frankreich und
England dürfen nicht mehr, wie bisher, allein über die
Geschicke dieses Erdteils entscheiden. — Die formelle
Anerkennung meiner Regierung durch die Pforte erwarte
ich in den nächsten Tagen; ich werde dann nach Konstan-
121
tinopel reisen, um dem Sultan einen Höflichkeitsbesuch
abzustatten. Die Verhandlungen mit der Pforte bildeten
bis zu ihrem Abschlüsse eine Reihe harter Kämpfe, da ich
alle pretentiösen Bedingungen, die sie mir zuerst gestellt
hat, streng und beharrlich abgewiesen habe. Jetzt habe
ich nur die durch jahrhundertealte Verträge bestehende,
von den Großmächten garantierte Suzeränität der Pforte
anerkannt, mir aber im übrigen die vollste Autonomie be-
wahrt, und die Suzeränität bleibt so eine leere Form ohne
Inhalt. — Sind die auswärtigen Angelegenheiten geordnet,
dann kann ich mich dem inneren Ausbau des Staates hin-
geben, und mit meinem besten Streben will ich mich be-
mühen, das herrliche Land, das ich jetzt das meinige nenne,
und die fünf Millionen Menschen, die mir ihr Wohl anver-
traut haben, einer glücklichen Zukunft entgegenzuführen.
— Sind wir doch alle, jeder nach seinem Teile, Arbeiter
an dem pausenden Webstuhl der Zeit', und meine Lebens-
aufgabe ist es jetzt, auf dem Vorposten abendländischer
Kultur, auf den das Schicksal mich hier gestellt hat, mit
meiner ganzen Kraft mitzuwirken an der ,Gottheit leben-
digem Kleid'!" —
Hin und her gingen die Verhandlungen, bis endlich
die Pforte einwilligte, das Verlangen des Fürsten zu er-
füllen, indem in den Bedingungen, welche die Stellung
Rumäniens zur Türkei regelten, von den Fürstentümern
als „partie integrante" des Osmanenreiches gesprochen
wurde mit dem wichtigen Zusätze „dans les limites fixees et
par les capitulations et le traite de Paris." Hierdurch
waren die Schwierigkeiten eines Besuches des Fürsten in
Konstantinopel gehoben, und wurden die Einzelheiten der
Reise vereinbart; von dem günstigen Abschluß des Ver-
trages machte der Fürst dem Volke durch eine Prokla-
mation Mitteilung, betonend, daß endlich die Wünsche
der Rumänen nach einer erblichen Dynastie und kon-
stitutionellen Verfassung seitens der Pforte erfüllt worden
122
seien und daß er sich der frohen Hoffnung hingebe, seine
Bestrebungen für den Fortschritt und das Gedeihen des
Vaterlandes würden auch fernerhin vom Himmel ge-
segnet werden.
Am 21. Oktober trat der Fürst in Begleitung zahl-
reicher Offiziere und hervorragender Politiker die Reise
nach Konstantinopel an, zunächst nach Giurgiu, von dort
über die Donau nach Rustschuk fahrend, wo ein feierlicher
Empfang seitens des Paschas und der türkischen Würden-
träger stattfand. Die ganze Garnison war ausgerückt, die
Stadt hatte reichen Flaggenschmuck angelegt und von den
Befestigungen erscholl der Salut der Geschütze. Mit der
Bahn wurde dann Varna erreicht und dort die vom Sultan
gesandte kaiserliche Yacht „Issedin" bestiegen, auf welcher
der erste Generaladjutant des Sultans im Namen des
letzteren den Fürsten begrüßte, und auf der kaiserliche
Seesoldaten den Ehrendienst versahen — beides eine be-
sondere Aufmerksamkeit gegenüber dem Hohenzollern,
denn wenn sonst die Hospodare mit den türkischen Be-
hörden zusammenkamen, ließen diese sie oft ihre Ab-
hängigkeit fühlen. Am nächsten Morgen erfolgte die Ein-
fahrt in den Bosporus; bewundernd ließ Fürst Karl seine
Blicke über die herrlichen Bilder schweifen, die sich vor
ihm entrollten, eines lieblicher und berauschender als das
andere, den Augen stets neue Schönheiten darbietend mit
sanften Einschnitten, grauen Kästellen, anmutigen Tälern,
friedlichen Dörfchen, mit zierlichen Minarets, hübschen
Ruheorten und stolzen Palästen. Das Tiefblau des Himmels
wetteiferte mit jenem der Wellen; zahllose Schiffe aller
Art und Nationalitäten kreuzten den Weg des Dampfers;
Delphine, deren dunkle Leiber blitzschnell aufschnellten,
tummelten sich in den W T ogen, und hoch in den klaren
Lüften zogen Falken und Seeadler ihre weiten Kreise. An
den idyllischen Buchten sah man im lauschigsten Grün
reizende Badeorte mit den Sommersitzen der fremden Bot-
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schafter und Gesandten , die schmucken Villen und nied-
lichen Holzhäuschen umsäumt von Lorbeer- und Myrten-
hecken, beschattet von Platanen und Feigenbäumen, aus
dichten Gebüschen Granatblüten leuchtend in sattem Pur-
pur und duftende Rosen in wechselndem Farbenspiel,
dann wieder kleine Fischerdörfer mit gebrechlichen Ba-
racken, die sich gegenseitig stützten, mit engen, steil an-
steigenden Gassen und buntem, volkstümlichem Getriebe,
dahinter Weinberge und Parkanlagen. Und nun tauchte
die gewaltige Stadt auf mit den glänzenden Kuppeln der
Moscheen und den schlanken, weißen Minarets, jene Stadt,
welche umflochten ist von den bedeutsamsten geschicht-
lichen Erinnerungen und welche, in vergeblichem Ringen
um die dauernde, Macht, so viele Generationen kommen
und schwinden sahl
Das auf asiatischer Seite gelegene Palais der Süßen
Wasser, seine aus glitzernd weißem Marmor bestehende
Front dem Bosporus zukehrend, war vom Sultan dem
Fürsten zur Verfügung gestellt worden, als Ehrenwache
diente eine Kompagnie Jäger der kaiserlichen Garde, die
den Fürsten mit rauschenden Musikklängen empfing. Am
Nachmittag stattete der Fürst dem Sultan seinen ersten
Besuch ab, zur Fahrt nach dem auf dem gegenüberliegen-
den Ufer gelegenen herrlichen Palaste Dolma-Baghtsche
die Sultans- Yacht benützend, von der ihn ein mit rotem
Sammet ausgeschlagener und mit zwölf Ruderern bemannter
Kaik ans Land brachte, wo auf dem wundervollen mar-
mornen Vorplatze feierlicher Empfang stattfand. Sultan
Abdul- Asis empfing den Fürsten, der die große rumänische
Generalsuniform angelegt hatte, in einem kleinen Salon,
ihm bis an die Tür entgegengehend und die Hand reichend.
Nahe dem Divan, auf welchem sich der Padischah nieder-
ließ, war ein Sessel für den fürstlichen Gast bereitgestellt,
den dieser jedoch kurzerhand beiseite schob, neben dem
Sultan Platz nehmend. Damit deutete er an, daß er als
124
Sproß eines souveränen Fürstengeschlechts auf eine andere
Behandlung Anspruch erhob, wie sie ehemals den Regenten
der Donaufürstentümer zuteil geworden. Der Fürst lenkte
nach den ersten Begrüßungsworten das Gespräch auf die
Politik, hervorhebend, daß er in der Aufrechterhaltung
der bestehenden Verträge eine Garantie für Rumänien
erblicke und dieselben stets respektiert habe, daß er aber
andererseits hoffe, der Sultan möchte eine Gewähr darin
sehen, daß er, Fürst Karl, an der Spitze des rumänischen
Volkes stehe, was den Sultan zu beistimmenden Worten
veranlaßte. An diesen Empfang schloß sich jener seitens
der höchsten türkischen Staatsbeamten in der Hohen Pforte
und am nächsten Tage ein weiterer der Mitglieder des
diplomatischen Korps in dem vom Fürsten bewohnten
Palais, woselbst sich auch die türkischen Großwürdenträger
einstellten und kostbare Geschenke des Sultans überreichten.
Viele Stunden der folgenden Tage waren dem Besuche
Konstantinopels gewidmet. Im Zivilanzug, nur von einem
Adjutanten und Dragoman begleitet, durchstreifte der
Fürst die Straßen der einzigen Stadt, die auf Schritt und
Tritt eine Fülle der malerischsten und fesselndsten Szenen
darbietet und deren einzelne Gebäude so viel zu erzählen
wissen von vergangener Pracht und dem Glanz des einstigen
Byzanz, Eindrücke, die das empfängliche Gemüt des
Fürsten auf das nachhaltigste berührten.
Ein zweiter Besuch beim Sultan verlief in herzlicher
Weise; schon vorher hatte der Padischah dem Fürsten
seine Freude ausdrücken lassen, daß er ihn als hohen
und willkommenen Gast ehren könne und großen Wert
auf freundschaftliche Beziehungen zu ihm lege. Das ging
auch aus der auf Befehl des Sultans zu Ehren des Fürsten
veranstalteten Truppenrevue hervor, die ein glänzendes
militärisches Schauspiel gewährte. Nach sehr warmer
Verabschiedung vom Sultan trat Fürst Karl nach sechs-
tägigem Aufenthalt die Rückfahrt an, am 20. Oktober
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wieder in Giurgiu eintreffend und dort die Herren seiner
Begleitung zum Abschied um sich versammelnd, ihnen
mitteilend, von welch günstigen Ergebnissen die Reise be-
gleitet gewesen, sie eindringlich bittend, nun, nachdem die
äußeren Schwierigkeiten Beseitigung gefunden, alle Ge-
danken auf das innere Gedeihen Rumäniens zu richten.
Diese Ermahnung war sehr vonnöten, denn die po-
litische Ausgestaltung des Landes begegnete immer er-
neuten Schwierigkeiten, standen sich doch zwei Parteien
scharf gegenüber und kämpften um die Vorherrschaft in
der Regierung; die Partei der Bojaren, der Konservativen,
welcher, gemäß der ganzen Vergangenheit, nichts daran
liegen konnte, wenn sich die konstitutionellen Verhält-
nisse befestigten und eine fremde Dynastie starke Wurzeln
faßte, und jene der Liberalen, die gerade in dieser Dynastie
die Gewähr erblickten für eine erfolgversprechende Ent-
wicklung des Landes. Gehörten zu ersteren die einfluß-
reichen Mitglieder der alten Adelsfamilien, aus denen die
Fürsten der Moldau und Walachei entnommen worden,
so zur letzteren die jungen, strebsamen Vertreter der In-
telligenz, kluge und einsichtsvolle Männer, die meist
ihre Bildung im Auslande, nicht zuletzt auf deutschen
Universitäten, genossen hatten und welche man als die zu-
künftigen politischen Führer des Staates betrachtete. Es
war erklärlich, daß die Mitglieder der Bojaren-Partei nicht
auf die ererbten, oft angemaßten Vorteile ihrer Familien
zu verzichten gedachten und immer noch in ihren Wünschen
daran festhielten, daß Rumänien eigentlich ein Wahl-
fürstentum sei, dessen Regenten zu bestimmen ihnen
überlassen bliebe. Die Liberalen dagegen sahen das einzige
Heil ihres Vaterlandes in einer erblichen Monarchie und
in dem fremden Fürsten, dessen Regierung schon im An-
fangsjahre gute Früchte getragen und das Beste für die
Zukunft verhieß, freilich kam es auch ihnen nicht darauf
an, scharfe Opposition zu machen.
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Diesen sich schroff gegenüberstehenden Parteizwist
spiegelte auch das Ergebnis der im November stattge-
fundenen Wahlen zu den Kammern wider, deren Aus-
fall, — der Fürst hatte angeordnet, daß auch nicht der
„Schatten einer Beeinflussung der Macht ausgeübt werden
solle' ' — begleitet von allerlei Ausschreitungen und Be-
einflussungen, eine herbe Enttäuschung der Regierung
bereitete, die sich auf keine ausschlaggebende Majorität
stützen konnte. Aber trotzdem entmutigte der Fürst nicht
und versuchte, mit dieser buntgescheckten Deputierten-
Versammlung zu regieren, in seiner sehr beifällig auf-
genommenen Eröffnungsrede die Volksvertreter beschwö-
rend, daß sie die Eifersüchteleien und Kämpfe für per-
sönliche Interessen, welche für das Land eine so große Ge-
fahr bedeuteten, vergessen und gemeinsam mit ihm die
Mißbräuche ausrotten möchten, die einer gedeihlichen
Entwicklung im Wege ständen. Man müsse, wie er sich
wörtlich ausdrückte, die heilsamen Grundsätze der Red-
lichkeit, Arbeitsamkeit und Sparsamkeit annehmen, die
allein die Nation zur Bildung, Reichtum und Kraft führen
können.
Die traurige innere Lage gelangte durch den für das
Land sehr ungünstigen Abschluß einer Anleihe in Frank-
reich zum Ausdruck, mußte man sich doch verpflichten,
für die erhaltenen i8y 2 Millionen Francs innerhalb 23 Jahren
32 Millionen zurückzuzahlen; aber es blieb nichts anderes
übrig, als diese schweren Bedingungen anzunehmen, um
die notwendigsten Ausgaben zu decken. Ferner kam hin-
zu, daß seit den gewaltigen preußischen Siegen das Miß-
trauen der leitenden französischen Kreise, die bisher dem
Fürsten und dem Lande ihre Sympathien bewiesen, rege
geworden war, aus Furcht, der preußische Einfluß könnte
im Donaufürstentum überwiegen.
Ebenso wie die parlamentarischen Arbeiten nur sehr
langsam und unzureichend vorwärts schritten, stand es mit
127
vielen Verwaltungszweigen; bei seinen Besuchen der Mi-
nisterien und Gerichtshöfe fand der Fürst häufig die Be-
amten nicht vor, alsbald Einrichtungen treffend, daß diese
Unpünktlichkeit gehoben würde. Vor allem aber galt die
ganze Sorge des Fürsten der Umgestaltung der Armee,
zunächst des Offizierkorps, dessen Mitglieder er mit seinem
Pflichteifer und Tätigkeitsdrang zu erfüllen trachtete, vor-
sichtig Reorganisationen einführend, wobei allerdings die
schlimme Finanznot ein erhebliches Hindernis bildete. Auch
manches, was der Fürst unternahm, wurde falsch aus-
gelegt, u. a., um ein Beispiel zu erwähnen, die Veranstaltung
des ersten großen Balles in seinem Palais; die * einen
meinten, er hätte nicht stattfinden dürfen wegen der
traurigen wirtschaftlichen Lage des Landes, die andern
aber drückten ihre Freude aus, weil gerade durch derartige
Feste Geld unter die Menge komme und der Handel ge-
hoben würde.
Der Fürst verlor trotz aller Hemmnisse nicht den Mut,
sein fester Wille war es, wie er dies auch zum Schluß
seiner Eröffnungsrede der Kammer ausgedrückt, daß er
Fürst Karl auf der Jagd (1866).
128
unerschütterlich seine Pflicht tun und die Mission erfüllen
werde, die er mit Stolz übernommen. Wenn auch nicht
so schlimm wie die Verhältnisse im Innern jene nach
außen hin waren, so waren doch auch sie durchaus nicht
erfreuliche, denn die Siege Preußens hatten die Eifersucht
der Mächte erweckt, daß der deutsche Einfluß in Rumänien
der vorherrschende werden könnte, und besonders Rußland
wachte aufmerksam darüber, daß es aus seiner einstigen
Vormachtstellung einen möglichst großen Nutzen zöge.
Zum ersten Male fern von der Heimat und den Seinen,
verlebte der Fürst den Weihnachtsabend still in seinem
Palais. Innige, ermutigende Worte drangen zu ihm aus
dem Elternhause, warm klang die Zuversicht auf den
Sohn und die Freude des Vaters, des Fürsten Karl Anton,
der immerdar, bis zur letzten Minute, dem Sohne der treu-
este Freund und uneigennützigste Berater geblieben, aus
den Worten des Weihnachtsbriefes: „Mir scheint auf
Grund meiner politischen Erfahrungen, daß Du Dein
Wagnis vollkommen gewonnen hast. Die Konstantinopler
Reise ist mit vielem Geschick eingeleitet und durch-
geführt worden ; namentlich durch sie wurde den Mächten
jeder Vorwand zu weiterer Einmischung entzogen. Ich
selber bin erstaunt, daß Deine Anwesenheit solche
Wirkungen hervorgebracht hat: Mit Deiner Rede zur
Kammereröffnung bin ich ebenfalls einverstanden. Poli-
tische Fehler und moralische Gebrechen muß man immer
bei ihrem Namen nennen. — Du scheinst ein ernstes Leben
zu führen und Dich geistig sehr anzustrengen. Das ist
doppelt notwendig für Dich, da Du über allen Parteien
stehen mußt. — Daß Du Deinen Bruder Fritz zu sehen
wünschest, beweist, daß Deine Sehnsucht so groß wie die
seine ist. Ich wollte ihn aber absichltich vor dem neuen
Jahr nicht reisen lassen, weil es für Deine geliebte Mutter
zu traurig gewesen wäre, plötzlich um drei Söhne ärmer
unterm Christbaum zu stehen. Am Weihnachtsabend
129
werden Deine Gedanken wohl in freudiger Erregung und
tiefer Trübsal bei uns weilen. Es wird wechselseitig sein.
Wie schmerzlich ist eine solche weite Trennung! — Doch
Mut und Gottvertrauen in jeder Lage des Lebens! Man
kann nicht alles haben. Deine Aufgabe ist groß, schwer
und lohnend; dies Bewußtsein möge Dir Ersatz geben für
viele Entbehrungen, die Herz und Gemüt berühren/'
Sehr wohltuend war es für den Fürsten, daß seine Be-
strebungen und bisherigen Erfolge die Anerkennung in der
deutschen Heimat gefunden, teilte doch Fürst Karl Anton
voller Befriedigung seinem Sohne mit, daß König Wilhelm
jetzt mit Vergnügen einräume, wie recht Fürst Karl ge-
habt habe, seinem Rate, die rumänische Fürstenwahl ab-
zulehnen, nicht zu folgen, und wie sehr er sich freue, daß
alles so vorzüglich bisher gegangen. Große Freude be-
reitete dann dem Fürsten, der wiederum längere Zeit in
Jassy, der Hauptstadt der Moldau, residiert, nachdem er
vorher in den Donaustädten Braila und Galatz sowie in
Bessarabien geweilt, der Besuch seines jüngeren Bruders,
des Prinzen Friedrich, der ihm auch einen Brief des Kron-
prinzen überbrachte, welcher aus wahrem Freundesherzen
heraus geschrieben war: „So wie ich Deiner Teilnahme zu
jeder Zeit mir bewußt bin, so, hoffe ich, bist auch Du da-
von überzeugt, daß kein Tag vergeht, ohne daß meine Ge-
danken Dich aufsuchen, und ich mich gleichzeitig der Er-
folge freue', die Du in Deiner schwierigen Stellung erringst !
— Ich habe von Anfang an geglaubt, daß Du ein wahrer
Hort für jene noch unfertigen Länder werden würdest,
die nur eines ehrlichen deutschen Charakters bedürfen, um
zu blühenden Provinzen umgestaltet zu werden. Und bis-
her rechtfertigen alle Nachrichten, die ich aus Rumänien
erhalte, diese meine Erwartungen. Möge Gottes Segen
Dich wie bisher auf Deiner steilen Bahn begleiten, vor
allem aber äußere Gefahren von Deinen Landen fern halten,
die Deinem Werke hemmend in den Weg treten könnten.
Lindenberg, König Karl. 9
130
Es sieht ein bißchen bunt aus um den Orient herum, und
der Himmel bewahre uns vor neuen Konflikten, denn nach
Krieg verlangt niemand in Deutschland/'
Prinz Friedrich konnte dem Bruder auch die frohe
mündliche Mitteilung machen von der Verlobung der
Schwester, Prinzessin Marie, mit dem Grafen von Flandern,
dem Bruder des Königs von Belgien, dem bekanntlich
zuerst die Krone von Rumänien angetragen worden war,
und vermochte sich bei seiner Anwesenheit in Bukarest
zu überzeugen, wie groß die persönliche Beliebtheit des
Fürsten war, der gerade zu jener Zeit eine Reihe anregender
Festlichkeiten veranstaltete, zwischendurch Inspizierungen
der Truppen und militärische Übungen vornehmend.
Die Feier des ersten Jahrestages des Einzuges des
Fürsten in Bukarest, am 22. Mai, wurde von der ganzen
Bevölkerung in großartiger Weise begangen, wobei es nicht
an zahllosen Zeichen der Liebe und Verehrung fehlte, eben-
so wie aus allen Teilen des Landes huldigende Depeschen
einliefen. Nach dem Tedeum in der Metropolie fand im
Thronsaal des Bukarester Palais großer Empfang statt, bei
welchem der Fürst seine erste öffentliche Rede in rumä-
nischer Sprache hielt. Durch all die bei dieser festlichen
Gelegenheit gehaltenen Ansprachen und Reden mit zahl-
losen Lobes- und Ruhmesworten ließ sich der Fürst jedoch
nicht täuschen. Er selbst wußte am besten, daß nur ein
schwacher Anfang gemacht worden war, gewissermaßen
daß man nur ein Versprechen gegeben habe für die Zu-
kunft. Aber dieses Versprechen zu halten, war er Tag für
Tag bemüht. Unausgesetzt war es sein Bestreben, eine
enge Verbindung herzustellen zwischen ihm, dem Fürsten
und Vertreter der Regierungsgewalt, und zwischen allen
Kreisen der Bevölkerung. Mit den Eigenarten des ru-
mänischen Landes und Volkes hatte er sich vertraut ge-
macht und trug ihnen jederzeit sorgsam Rechnung. Selbst
kein Freund der Etikette und starrer fürstlicher Abge-
131
schiedenheit, leutselig gegen jedermann, wußte er doch
die fürstliche Autorität zu wahren und sich Respekt zu
verschaffen, was für die Durchführung seiner Pläne unum-
gänglich notwendig war. Stets bemühte er sich, sich per-
sönlich von den Verhältnissen des Landes zu unterrichten,
prüfte genau die an ihn gelangenden Bitten und Klagen
und sorgte mit warmem Herzen für die Notleidenden und
Bedrückten, weit mehr für^sie spendend, als es seine eigene
Kasse gestattete. Gern mischte er sich in das bunte Volks-
getümmel, so beispielsweise bei dem Mitte Juni in der
Rumänischer Markt.
Nähe von Bukarest stattfindenden Jahrmarkte (Moschi),
einem freudigen Frühlingsfeste, zu welchem von nah und
fern die Bevölkerung herbeiströmt, um ihre Einkäufe für
das ganze Jahr zu machen und um sich den verschiedensten
Belustigungen hinzugeben mit Jubel und Trubel, mit
Tanz und Spiel, wofür schon die zahllosen Banden von
fiedelnden Zigeunern sorgen. Daß der Fürst in so kurzer
Zeit die Landessprache erlernt, kam ihm sehr zu statten,
und auf den Gesichtern der Bauern malte sich helle Freude,
wenn er sie ansprach und sich nach allem erkundigte,
was sie interessierte.
9*
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132
Auch auf die sehr notwendige Umänderung vieler
Zustände in Bukarest selbst war Fürst Karl sorgsam be-
dacht; neue Straßen und Boulevards wurden abgesteckt
und angelegt, die Dimbowitza, jenes die Hauptstadt durch-
fließende träge Flüßchen, das früher in jedem Jahr die
tief gelegenen Stadtteile überschwemmt hatte, allmählich
reguliert, man begann mit dem Bau von Markthallen und
verbesserte ferner die nach den nahen Ortschaften führenden
Wege, indem man hierzu Sträflinge unter militärischer
Aufsicht beorderte. Sein fortgesetztes Interesse widmete
sodann der Fürst der Hebung des Schulwesens, das bisher
sehr im argen gelegen, häufig wohnte er den Prüfungen
bei, gab Anregung zur Befolgung neuer Lehrmethoden und
ließ auf seine Kosten — im Betrage von 300 000 Francs —
in Paris einen Atlas herstellen, den ersten, der in rumä-
nischer Sprache und für Rumänien erschienen, und der
an sämtliche Schulen unentgeltlich verteilt wurde, ferner
trug er Sorge, daß dem Verfall geschichtlich denkwürdiger
Bauten Einhalt getan wurde und opferte erhebliche Mittel
aus seinem Privat vermögen. Mit Freuden begrüßte er
sodann die am 13. August 1867 stattgefundene Begründung
der Literarischen Gesellschaft — , aus der sich alsbald die
rumänische Akademie zu ersprießvollster Tätigkeit ent-
wickelte — deren hauptsächlichster Zweck es war, eine
einheitliche rumänische Grammatik und ein rumänisches
etymologisches Wörterbuch herauszugeben, um die ver-
schiedenen rumänischen Stämme, welche in Ungarn, Sieben-
bürgen, der Bukowina, Bessarabien und Macedonien ver-
teilt leben, auf geistigem Gebiete zu einen. Der Fürst ver-
sammelte die Mitglieder jener Gesellschaft, deren Ehren-
präsidium er übernommen, in Cotroceni um sich, wo er
ihnen ein Diner gab, bei welchem in eingehender Weise
die Aufgaben der neuen Akademie besprochen wurden.
Wenn es seine Zeit erlaubte, machte er kürzere und längere
Ausflüge zu den verschiedenen Klöstern und zu sonstigen
133
historischen Stätten, die mit der geschichtlichen Vergangen-
heit des Landes in naher Verbindung standen, so nach
Sinaia und Argesch, hierbei wildromantische Wälder und
Gebirgsgegenden durchquerend, die seit langen Zeiten kein
rumänischer Fürst besucht. Die Beteiligung Rumäniens
an der damaligen Pariser Weltausstellung gab bereits
weiteren Kreisen die Gewähr, wie ernstlich das junge
Fürstentum unter dem neuen Herrscher danach trachtete,
sich auch außerhalb seiner Grenzen an den Bestrebungen
der Kulturnationen zu beteiligen.
In immer stärkerem Maße widmete der Fürst seine
Aufmerksamkeit der Ausbildung und Vermehrung der
Armee. Mit der Bukarester Garnison veranstaltete er
mehrtägige Manöver, bei denen er inmitten seiner Truppen
biwakierte und nach deren Ablauf er die Offiziere zur
Kritik um sich versammelte, offen die Fehler darlegend,
die er beobachtet und die unbedingt ausgemerzt werden
müßten, wenn das Heer ein kriegstüchtiges sein sollte,
aber zugleich auch entschuldigend hervorhebend, daß ja
den Offizieren bisher noch nie Gelegenheit geboten worden
sei, größere Gefechtsbilder vorzunehmen und sich in deren
Führung zu üben. Bei Krupp waren zwei Batterien ge-
gossener Geschütze in Auftrag gegeben worden, für welche
der Fürst das Geld aus seiner Privatschatulle vorgestreckt
hatte, ferner hatte man in Preußen 20 000 Zündnadel-
gewehre bestellt, von denen bis zur Mitte des Jahres 1866
die erste Hälfte angelangt und als vortrefflich sofort an-
erkannt worden war. Auch die Unifortnierung der Truppen
wurde geändert und erheblich vereinfacht gegen den bis-
herigen theatermäßigen Aufputz; ferner wurde die Baston-
nade in der Armee abgeschafft und alles getan, um eine
bessere Disziplin herbeizuführen. Im Sommer 1868 ging
auch das Gesetz über die Heeresorganisation durch, nach
welchem die bewaffnete Macht des Landes aus fünf ver-
schiedenen Elementen bestand; erstens aus dem stehenden
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Heer mit seiner Reserve, zweitens der aktiven Miliz, drittens
der inaktiven Miliz, viertens der Bürgerwehr, fünftens
dem Landsturm. Ehe erste Kategorie diente drei Jahre
aktiv und vier Jahre in der Reserve, von der zweiten war
nur ein Drittel von der Dienstzeit unter den Waffen,
während zwei Drittel beurlaubt waren, die dritte sollte
bloß im Kriege einberufen werden, die vierte, ohne weitere
militärische Bedeutung, rekrutierte sich nach Censusklassen
und wählte sich ihre Offiziere selbst, die fünfte umfaßte
jene wehrfähige Bevölkerung vom 17. bis zum 50. Lebens-
jahre, soweit und solange sie nicht den vier ersten Klassen
angehörte. Durch diese Neuordnung gewann die rumä-
nische Heeresmacht eine erhebliche Verstärkung, ohne
daß die jährlichen Kosten, die sich auf 16 Millionen Francs
beliefen, in drückender Weise vermehrt wurden. Im Ver-
lauf dieser Reorganisation wurden neue aktive Regimenter
errichtet und weitere 33 Milizbataillone gebildet, sodann
auch neuen Kasernen ernste Sorgfalt gewidmet, ferner bei
den verschiedenen Truppenteilen gemeinsame Offiziers-
tische eingerichtet, wie man schließlich der Ausbildung
des Unteroffizierkorps große Aufmerksamkeit schenkte.
Vor allem war es nötig, die Armee von den politischen
Umtrieben zu befreien, um sie ihrem vornehmsten Zweck,
der Verteidigung des Vaterlandes, zuzuführen, und auch
hier brach der Fürst mit dem bestehenden System, indem
er im Sommer 1868 J. Bratianu, welcher keinerlei Offiziers-
rang bekleidete, zum Kriegsminister ernannte. Hierdurch
wollte man offen zeigen, daß das Heer allem Parteigetriebe
entrückt werden sollte, hatte doch stets die Möglichkeit
bestanden, daß in einem Lande mit parlamentarischer
Regierung die Verfügung über die müitärische Macht leicht
in die Hände des einer bestimmten politischen Partei an-
gehörenden Kriegsministers übergehen konnte, so daß der
letztere nicht nur Chef der Armeeverwaltung, sondern der
Armee selbst zu werden vermochte.
135
War es des Fürsten Karl Ziel, Rumänien militärisch
durch ein schlagfertiges, sorgsam ausgerüstetes und aus-
gebildetes Heer die ihm gebührende Rolle anzuweisen, so
wollte er es wirtschaftlich durch den Bau von Eisenbahnen
heben. Bereits im Frühling 1867 war seitens der Kammer
die Konzession erteilt worden für die Strecke Bukarest —
Giurgiu; im Herbst desselben Jahres verhandelte man mit
einem österreichischen Unternehmer wegen der Linie
Sucea va — J assy — Galatz — Bukarest, die abschnittsweise
gebaut werden sollte. Aber noch ehe der Vertrag vor die
Kammern kam, erfuhr man aus Berlin, daß sich dort ein
Konsortium gebildet, an dessen Spitze die Herzöge von
Ujest und Ratibor, Graf Lehndorff und Dr. Strousberg
standen, welches dem rumänischen Staate weit günstigere
Bedingungen stellen wollte, wie dies von österreichischer
Seite aus geschehen. Seltsamerweise stieß aber der Plan,
Rumänien von Eisenbahnen durchziehen zu lassen, auf
ernsten Widerspruch in den Vorberatungen der Kammer-
sektionen. Man fürchtete die zu schwere Belastung des
Staatsbudgets und erklärte, daß das Land, welches noch
nicht einmal genügend Chausseen besitze, gar nicht reif
sei für Eisenbahnen. Mit vollster Hingebung jedoch trat
für letztere der Fürst ein, immer wieder betonend, daß die
Zukunft Rumäniens auf das engste mit dem Eisenbahnbau
verbunden sei und daß in fünf Jahren das Land unbedingt
mit dem Auslande durch Schienenwege verknüpft sein
müsse, ganz gleich, wer jene ausführe. Die von einer
englischen Gesellschaft in Bau genommene einheimische
Linie von Bukarest nach Giurgiu konnte der Fürst bereits
Anfang August 1868 besichtigen und Mitte Oktober auf
der fertigen Teilstrecke eine kurze Probefahrt unternehmen,
die erste Eisenbahnfahrt auf rumänischem Boden, nach-
dem er kurz zuvor Dr. Strousberg empfangen, welcher ver-
sprach, die Strecke Roman — Galatz — Bukarest in zwei
Jahren fertigzustellen.
136
Leider wies die innere politische Lage immer wieder
schwere Zuckungen auf; neue Ministerien wurden gebildet,
oft erst nach heftigen Kämpfen, und es mußte zur Wahl
neuer Kammern geschritten werden, wobei sich doch nicht
die gewünschte Majorität ergab. Nebenbei fehlte es auch
bei diesen Veranlassungen nicht an allerhand geheimen Um-
trieben gegen die Regierung, die man, und zugleich mit
ihr den Fürsten, für viele Unzuträglichkeiten verantwortlich
machte, besonders hinsichtlich der Finanznot, da mehrfach
die Kredite für die dringendsten Aufgaben fehlten und
selbst die Gehälter an die Beamten und . Offiziere nicht
regelmäßig bezahlt werden konnten. Zudem bereitete die
rechtliche Stellung der jüdischen Bevölkerung ernste
Sorgen und gab im Auslande zu heftigen Angriffen auf
Rumänien Veranlassung. Dazu kamen noch sonstige
Schwierigkeiten durch die Aufstandsbewegung bulgarischer
Banden, wobei absichtlich falsche Gerüchte verbreitet
wurden des Inhalts, daß man von rumänischer Seite die
Empörungsgelüste der Bulgaren begünstige und letztere
indirekt sogar unterstütze^ was wiederum das Mißtrauen
verschiedener Großmächte gegen Rumänien zur Folge
hatte. An den schlimmsten Verdächtigungen und Ver-
leumdungen in der europäischen Presse war kein Mangel,
wurde doch sogar mitgeteilt, es seien tausende preußischer
Arbeiter nach Rumänien gezogen unter dem Vorgeben,
bei den Eisenbahnbauten beschäftigt zu werden, während
sie in die rumänische Armee eingereiht worden seien, die
auch bereits unter den Offizieren zahllose preußische
Militärs aufweise. Der Staat konnte es eben keinem recht
tun! Jede, auch die kleinste Aufmerksamkeit, die man
Rußland erwies, wurde von Frankreich aus mit schee-
len Augen betrachtet, und umgekehrt, beide Länder
wiederum argwöhnten stets deutsche Beeinflussungen, an
Kabalen aller Art fehlte es nie, das ganze politische
Geschick des Fürsten Karl gehörte dazu, all diese
137
Verstimmungen aufzuklären und möglichst schnell zu
beseitigen.
In Preußen dagegen brachte man den ernsten Bestre-
bungen des Fürsten volles Verständnis entgegen und
zögerte nicht, seitens der königlichen Familie sowohl wie
der Regierung, dem Fürsten und seinem Lande offene
Sympathien zu bezeugen. Das zeigte sich bei der warmen
Aufnahme, welche die von dem Fürsten zur Vermählung
seiner Schwester Marie mit dem Grafen von Flandern
— am 13. April 1867 — gesandte rumänische Deputation
in Berlin gefunden; König Wilhelm bemerkte, wie glück-
lich er sei, seinen Vetter, den Fürsten Karl, bei dieser
Feierlichkeit vertreten zu sehen und dankte herzlich für
die Gefühle, die seine Abgesandten ihm in seinem Namen
ausgesprochen. „Der Fürst hat eine schwere Aufgabe zu
erfüllen/' hob der König hervor, „aber ich bin sicher,
daß er seine große Mission mit der patriotischen Unter-
stützung der Rumänen durchführen wird." Und in einem
Briefe an seinen Sohn schrieb Fürst Karl Anton:
„Bismarck ist voller Interesse und seine Bemerkung ist
vollkommen richtig, daß Rumänien das süd-östliche Belgien
Europas sei. Wie Belgien dürfe Rumänien keine aus-
wärtige Politik treiben, sondern müsse mit den Nachbarn
auf möglichst gutem Fuße leben; dann werde es schon von
selbst an den Früchten partizipieren, die vom europäischen
Himmel seinerzeit herabfallen werden, nur dürfe es nicht
selber pflücken wollen, zumal noch unreife." — Und dem
Fürsten Karl Anton schilderte Konsul Bamberg die
gelegentlich eines Besuches des Fürsten Karl in Bukarest
im Frühling 1868 empfangenen Eindrücke: „Der Fürst
hat sich sein Archiv selbst angelegt. Er weiß bei jeder
Wendung des Gesprächs, wo ein Brief oder ein Aktenstück
sich befindet, das darauf Bezug hat. — Der Fürst gehört
zu jenen kerngesunden und tüchtigen Naturen, die in der
harten Schule des Lebens sich täglich selbst erziehen. —
138
Er hat ganz bestimmte Uber Zeugungen und Ideen; er
geht mit großer Geschwindigkeit auf die ein, die man ihm
entgegenstellt; aber er hat eine seltene Begabung, in
feinster Weise abzuwehren und wieder auf seinen Aus-
gangspunkt zurückzukommen. Ist diese Geistesbeschaffen-
heit nicht ohne Gefahr, so bildet sie doch die erste und
unerläßliche Bedingung zu einer selbständigen Regenten-
individualität. — Wenn ich mir hier Zustände und Menschen
ansehe, diese zerfahrenen Arbeitskräfte bei feurigen und
aus Trägheit doch wieder kalten Naturen, und diesen gegen-
über die große Ruhe und Geduld eines Fürsten, der in die
Zukunft des von der Natur gesegneten Landes die größte
Hoffnung setzt, so kann ich die innere Kraft, die hierzu
gehört, nur aufrichtig bewundern/' — Ja, Fürst Karl
hatte, wie es in dem Briefe mit Recht heißt, ,,eine harte
Schule des Lebens" durchzumachen, denn allein, ohne
fördersame Stütze, mußte er den schwierigen Weg durch-
messen, den er aus eigenstem Entschluß betreten. Von
seiner damaligen Gemütsstimmung klingt es gelegentlich
in den Briefen an den teuern Vater durch, dem er im
Februar 1868 schrieb: „Nach dem sorgenvollen Winter,
den ich verbracht habe, ist es mir ein wirkliches Bedürfnis,
zum Frühjahr einen der Meinigen oder einen guten alten
Freund bei mir zu haben, denn trotz der anhaltenden Ar-
beit und der fortwährenden geistigen Anstrengung wirkt
die Einsamkeit auf mein Gemüt. Ich habe niemanden,
mit dem ich mich aussprechen, der mich zerstreuen könnte.
— Der Winter ist Gott sei Dank zu Ende, ich möchte
keinen zweiten so erleben. Es gab Momente, in denen ich
furchtbar melancholisch gestimmt war, so daß ich mich
zu jeder ernstern Arbeit unfähig fühlte. Freilich gab es
noch öfter Augenblicke, wo mir die Zeit zu schnell verging
für die viele Beschäftigung, die ich hatte."
Im weiteren Verlaufe dieses sowie des folgenden Jahres
trat erfreulicherweise eine erhebliche Verbesserung der
139
inneren Lage ein, auch wohl dank den vorzüglichen letzten
Ernten, wodurch die Steuern leichter bezahlt und die
großen Rückstände beglichen werden konnten. Die Fi-
nanzkraft hob sich, so daß man die Ausgaben monatlich
regelmäßig zu bestreiten und größere Summen dem Re-
servefonds zuzuwenden vermochte. Auch in den einzelnen
Verwaltungszweigen spürte man den Hauch einer neuen
Zeit; es wurde regelmäßiger und rascher gearbeitet, und
wenn es auch nicht an gelegentlichen Unordnungen und
Unterschleifen fehlte, so kamen doch nicht mehr jene
grellen Mißstände vor, wie früher, die Ausfuhr war um das
dreifache gestiegen, und mit Rußland und Österreich wur-
den wichtige Postverträge vereinbart, ferner das einhei-
mische Postwesen besser geregelt.
Der Schluß des Jahres 1868 hatte ein neues Ministerium
unter dem Vorsitz des Fürsten D. Ghika gebracht, welchem
Fürst Karl sein volles Vertrauen äußerte, die Hoffnung
s
i
Rumänische Marktszene.
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140
anknüpfend, daß es ihm gelingen möge, alle Spaltungen
zu beseitigen und alle Söhne des Vaterlandes zu dessen
Heil um den Thron zu scharen. Durch diesen Minister-
wechsel verbesserten sich anfangs des Jahres 1869 Ru-
mäniens Beziehungen zum Auslande bedeutend. Man
vermied alle Konflikte, besonders mit der Pforte, und die
Mitte April stattgefundenen Wahlen ergaben für die Re-
gierung ein gutes Ergebnis, denn unter 150 Deputierten
wurden nur 10 Oppositionelle gewählt.
So konnte Fürst Karl daran denken, im Sommer 1869
einen längst gehegten Lieblingswunsch zur Ausführung zu
bringen und die teuren Eltern und Geschwister in Deutsch-
land zu besuchen, nach denen er sich auf das innigste sehnte,
wie es in manchem zur Heimat geflatterten Schreiben zu
lebhaftem Ausdruck gelangt war. Und auch der Wunsch nach
einer Lebensgefährtin, die mit ihm die guten und bösen
Tage teilen würde, kam öfter zum Durchbruch. Immer
wieder erging von der deutschen Heimat aus der drängendste
Ruf der Seinen, sich Ruhe zu gönnen und nach Deutsch-
land zu kommen; im gleichen Sinne schrieb auch der
preußische Kronprinz mehrfach an den Fürsten, bemerkend,
daß er, wenn er einige Wochen heimatliche Luft geatmet,
gestärkt und neu belebt nach Rumänien zurückkehren
und dann mit frischer Kraft sein Tagewerk übernehmen
könnte. Auch der Brautschau gedachte er, die der Fürst
persönlich halten müßte, weil ein dritter das doch i^ir
unvollkommenerweise auszuführen vermöchte.
Die Uberanstrengungen und der mehrfache Aufent-
halt in ungesunden Distrikten hatten dem Fürsten einen
schweren Anfall von Malaria zugezogen, so daß seine
sonst eiserne Gesundheit mehr geschwächt wurde, als er
sich selbst eingestehen wollte. Das ewige Schwanken der
inneren und äußeren Verhältnises aber verhinderte bisher
stets eine Auslandsreise; jetzt, wo ein sichtbarer Um-
schwung zum Bessern eingetreten, konnte er an diese lang
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141
ersehnte Fahrt nach der Heimat denken. Zuvor aber —
nachdem er sich nach dem Truppenlager von Furceni be-
geben und einige Ausflüge in die Gebirgsgegenden der
Moldau unternommen — stattete er im Verlauf der zweiten
Hälfte des August in Livadia einen Besuch dem russischen
Kaiser Alexander II. ab, der ihn auf das herzlichste empfing,
gleich der Kaiserin, mit der ihn, da sie eine Cousine seiner
Mutter war, verwandtschaftliche Bande verknüpften. Der
mehrtägige Besuch in der Krim verlief in sehr harmonischer
Weise, der Kaiser nahm wiederholt Veranlassung, mit dem
Fürsten über die politischen und wirtschaftlichen Ver-
hältnisse seines Landes zu sprechen, so daß Fürst Karl
die befriedigendsten politischen Ergebnisse dieser Reise
erhoffen durfte. Zurückgekehrt in sein Land, wohnte
der Fürst den Manövern bei und rüstete sich dann zur
Fahrt nach Deutschland, nachdem er zuvor eine Amnestie
für alle politischen und Preßvergehen erlassen hatte. Und
er konnte bei dieser Reise sein Wort erfüllen, daß er das
Land nicht eher verlassen würde, als bis es auf einer ru-
mänischen Eisenbahn geschehen könne, denn unter dem
Jubel der Bevölkerung bestieg er am 7. September in
Bukarest den Zug, der ihn in zweieinhalb Stunden nach
Giurgiu brachte, von wo die Weiterfahrt auf seiner Yacht
„Stephan der Große" erfolgte.
VI.
Brautfahrt und Vermählung.
In der Heimat — Auf der Weinburg und in Baden-Baden. — Der Aufenthalt in Paris. —
Begegnungen mit Kaiser Napoleon. — In Cöln. — Verlobung mit der Prinzessin Elisabeth
von Wied. — Die Prinzessin, ihre Erziehung und ihr Charakter. — Vermählung. — Das
Junge Paar. — Fahrt nach Rumänien. — Eintreffen in Bukarest.
ach mehr denn drei schweren Jahren war der Kurs
1 ^1 zur Heimat gerichtet, und mit freudigsten Erwar-
tungen hatte Fürst Karl die Reise angetreten, die ihn von
Giurgiu die Donau aufwärts nach Basiasch führte, wo ihm
trotz seines Inkognitos von den Vertretern der österreichi-
schen Regierung und der Bevölkerung der herzlichste Emp-
fang zuteil wurde. In dem Jubel und Trubel gedachte der
Fürst jener Maitage des Jahres 1866, in denen er hier unter
den unbestimmtesten und peinigendsten Verhältnissen uner-
kannt geweilt, der ungewissen Zukunft entgegensehend.
In Wien empfing ihn Kaiser Franz Josef auf das liebens-
würdigste und zeigte für seine auf das Wohl des rumäni-
schen Landes gerichteten Bestrebungen das aufrichtigste
Interesse, ebenso Graf Beust, den der Fürst über mancherlei
Bedenken aufklären konnte. Uber München ging's nach
Lindau und von dort nach Rheineck, wo ihn die geliebten
Eltern und Geschwister auf das innigste willkommen hießen
und nach der nahen Weinburg geleiteten, mit der ja für
den Fürsten so viele freundliche Erinnerungen aus seiner
Jugend verknüpft waren und wo er auch diesmal im engen
143
Familienkreise die glücklichsten und freudigsten Tage
verlebte.
Aber auch in dieses langersehnte Idyll drang die
Politik, denn es stellte sich am 17. September ein Ab-
Fürst Karl (1869).
gesandter der spanischen Kortes ein, der dem Erbprinzen
Leopold von Hohenzollern, dem älteren Bruder des Fürsten
Karl, die Krone Spaniens antrug, bei der ersten Unterredung
mit dem Fürsten Karl diesem jedoch andeutete, daß das
spanische Volk und die Regierung zunächst an ihn gedacht
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144
hätten, da er unter den schwierigsten Bedingungen mutig
und auf seine Kraft vertrauend, nach Rumänien gegangen
sei und dort in kurzer Zeit so Bedeutendes für den Staat
geleistet habe. Sogleich erwiderte Fürst Karl auf das ent-
schiedenste, daß er niemals daran denke, den bescheidenen
Fürstenhut mit der glänzenden Krone Spaniens zu ver-
tauschen, das verhindere schon sein Pflichtgefühl und die
Liebe zu der übernommenen Aufgabe. Erbprinz Leopold
erteilte dem spanischen Abgesandten noch keine zustim-
mende Antwort, wenn er auch nicht die Krone von vorn-
herein zurückwies, deren Annahme er davon abhängig
machte, daß seine Wahl einstimmig erfolge, er keine Gegen-
kandidaten zu bekämpfen habe und in keine politischen
Wirren verwickelt werde, die irgendwie Portugal, mit
dessen Königshause er ja eng verwandt sei, benachteiligen
könnten.
Für den Fürsten Karl vergingen in dem Kreise der
Seinen zwei erinnerungsvolle Wochen, die zu mannig-
fachen Ausflügen benutzt wurden und ihren Abschluß
fanden durch einen Besuch bei seiner Schwester Marie, der
Gräfin von Flandern, in Brüssel, wo sich der Bruder von
dem innigen Eheglück seiner Schwester überzeugen konnte.
Von Brüssel ging's nach Baden-Baden, um König Wilhelm
und seine Gemahlin wiederzusehen. Der König hatte
seinem Neffen die alte herzliche Freundschaft treu bewahrt,
er schloß ihn in die Arme, ihn wiederholt küssend, und sich
eingehend nach all den bedeutungsvollen Ereignissen der
letzten Jahre erkundigend, mit seinem weisen politischen
und erfahrenen militärischen Rat nicht zurückhaltend.
Auch die Königin und der anwesende Großherzog Friedrich
von Baden, das glänzende Vorbild eines echten und rechten
deutschen Fürsten, bewiesen dieselbe Teilnahme für alles,
was den Fürsten und sein Land betraf. Das war selbst-
verständlich auch beim Kronprinzen der Fall, der einen
Tag später anlangte und jede freie Stunde zur vertrau-
145
liehen Aussprache mit dem Vetter benutzte. Wie es schon
aus manchem seiner Briefe an den Fürsten nach Bukarest
hervorgegangen, äußerte er auch mündlich die Hoffnung,
daß sich der Freund bald die ihm würdige Lebensgefährtin
gewinnen möchte, und lenkte von neuem dessen Aufmerk-
samkeit auf die Prinzessin Elisabeth von Wied, die er
genau kenne, und deren Geist wie Herz, deren edles Streben
und umfassendes Wissen, verbunden mit seltenem Lieb-
reiz, er in hellen Farben rühmte. Er wolle, meinte er,
gern eine Begegnung vermitteln, ohne daß die Prinzessin
deren eigentlichen Zweck ahne, hinzusetzend, er werde
dann erst beruhigt über des Freundes Schicksal sein, wenn
dieser sich eine ihm völlig ebenbürtige Gattin erkoren,
die ihren Beruf ebenso edel und hoch auffasse, wie Fürst
Karl selbst. Letzterer, auf den die Schilderungen des
Kronprinzen nicht ihre Wirkung verfehlt, gab freudig seine
Zustimmung zu dem Vorschlage und hoffte auf ein Zusam-
mentreffen mit der Prinzessin nach seiner Rückkehr aus
Paris, wohin er sich nach herzlicher Verabschiedung seitens
der königlichen Familie und des Kronprinzen am 5. Ok-
tober begab, dort am folgenden Tage anlangend.
Am Nachmittag bereits fand in St. Cloud die erste
Begegnung mit dem Kaiser statt, der seinem Verwandten
auf das herzlichste entgegentrat und ihm wiederholt seines
unveränderten und warmen Interesses für seine Person
und für Rumänien versicherte. In den mehrfachen ver-
traulichen Besprechungen riet er dem Fürsten, sich stets
an die westlichen Mächte anzulehnen und Rußland, das
im Orient immer egoistische Zwecke verfolgt, zu miß-
trauen. Der Fürst bemerkte, daß in ganz Rumänien die
wärmsten Sympathieen für Frankreich beständen und man
nie vergessen würde, was man dem Kaiser und seiner
Regierung an vielfachen politischen Unterstützungen ver-
danke. Der Kaiser erschien dem Fürsten sehr gealtert und
leidend, die Kaiserin hatte bereits ihre Reise zur Eröffnung
Lindenberg, König Karl. 10
146
des Suez-Kanals angetreten, infolgedessen fanden größere
Hoffestlichkeiten nicht statt, wodurch dem Fürsten Ge-
legenheit geboten wurde, in kleinem Kreise mit dem Kaiser
wiederholt beisammen zu sein. Einen sehr guten Eindruck
gewann der Fürst von dem damaligen dreizehnjährigen
Sohne des Kaisers, den er als einen aufgeweckten, be-
scheidenen Knaben kennen lernte, der für alles Militärische
auffallendes Interesse zeigte. Auch von seinem Ver-
mählungsplan und von der in Betracht kommenden Prin-
zessin berichtete der Fürst dem Kaiser, der ihn zu der
vom Kronprinzen vorgeschlagenen Wahl ermunterte und
hinzusetzte, daß gerade die Erziehung der deutschen Prin-
zessinnen eine hervorragend gute und sorgfältige sei.
In Paris hatte Fürst Karl eine Depesche des Kron-
prinzen erhalten, in der dieser ihm mitteilte, daß die
Fürstin von Wied mit ihrer Tochter am 12. Oktober zu
einem Konzert nach Köln fahren würde und sich daher
dort leicht und unauffällig eine Begegnung ermöglichen
ließe. Froher Erwartungen voll reiste der Fürst die Nacht
durch nach Köln, hier Herrn von Werner vorfindend, seinen
treuen Begleiter auf der Ausfahrt nach Rumänien, den er
telegraphisch aus Düsseldorf nach der Rheinstadt berufen,
damit er auch an diesem bedeutsamen Tage und Ereignisse
als Freund bei ihm weile. Herr von Werner, der den
Fürsten auf dem Bahnhofe empfangen, teilte ihm mit, daß
er zufällig der Fürstin von Wied auf der Straße begegnet
sei, welche mit ihrer Tochter am Abend einem Konzert
der Frau Clara Schumann, die dem Wiedschen Fürsten-
hause nahestand, beiwohnen wollte.
Der Fürst stieg mit seiner Begleitung in demselben
Hotel ab, in welchem auch die Fürstin von Wied wohnte,
und gedachte ihr, die er noch nicht kannte, seine Auf-
wartung zu machen, da er schon vor Jahren mit der Prin-
zessin Elisabeth am preußischen Königshofe zusammen-
getroffen. Die Damen waren jedoch nach der Flora ge-
147
fahren, wohin sich nun auch der Fürst begab, dort durch
Herrn von Werner sich vorstellen lassend. Prinzessin
Elisabeth erinnerte sich sofort, daß sie mehrfach mit
ihm früher am Berliner Hofe zusammengetroffen, und
stellte in ihrer lebhaft zwanglosen Weise zahllose Fragen
an ihn über sein fernes Land und über das fremdartige
Volk. Der frische Liebreiz der Prinzessin, ihr ungekünstel-
tes und herzliches Sichgeben, ihre anregende Weise zu
plaudern, der ganze warme Charme, der bezwingend von
ihr ausging, nahmen den Fürsten sogleich gefangen, und
ehe die längere Promenade, die sie durch den Park ge-
macht, zu Ende ging, war er fest entschlossen, Prinzessin
Elisabeth für immer zu gewinnen und, falls sie einwilligte,
als seine teure und treue Lebensgefährtin in sein Land zu
führen. Das teilte er auf der Rückfahrt nach dem Hotel
seinen Begleitern mit, die ihm rieten, sich doch noch einige
Bedenkzeit zu gönnen, aber er wies das von der Hand — ,
der Eindruck war ein zu starker und sein Herz sprach
pochend mit. Langes Zögern war zudem nie seine Sache ge-
wesen, und am wenigsten in diesem Falle, wo er mit klarem
Empfinden das Glück vor sich sah. Auch auf die Prin-
zessin muß der Eindruck des Fürsten ein starker gewesen
sein, denn sie äußerte nach der Verabschiedung zu ihrer
Mutter: „Das ist aber ein reizender Mensch, der Fürst
von Rumänien! Mit dem läßt sich's sprechen!"
Im Hotel ließ der Fürst durch Herrn von Werner bei
der Fürstin anfragen, ob sie ihn allein empfangen wolle,
bei diesem alsbald stattfindenden Zusammentreffen unter
vier Augen um die Hand der Prinzessin anhaltend. Die
Fürstin zeigte sich von dieser Eile bestürzt, aber sie be-
merkte, daß sie mit ihrer Tochter sprechen wolle, ihr
überließe sie die Entscheidung. Von dieser Werbung er-
zählte später die Prinzessin, die mit ihrer Mutter in das
Konzert von Frau Clara Schumann fahren wollte, selbst:
„Während meiner Toilette ließ sich auf einmal der Fürst
10*
148
von Rumänien melden und blieb und blieb und blieb I
Und ich war so ungeduldig, hatte sogar die Handschuhe
schon zugeknöpft, da endlich war er fort. Ich stürmte
hinein: ,Aber Mama!' Aber Mama, wollte ich sagen,
Du bist ja noch garnicht angezogen! Ein sonderbarer
Ausdruck in meiner Mutter Gesicht ließ das Wort auf
meinen Lippen ersterben. Sie begann mit mir auf und ab
zu wandeln und sagte: „Der Fürst von Rumänien ist
eben hier gewesen und er hat um Deine Hand angehalten t"
Ich machte ein seltsames Gesicht, daß meine Mutter schon
auf das gewohnte „Nein", das ich jedem Freier entgegen-
setzte, gefaßt war, und ich sagte weiter nichts als: „Schon?"
Ich dachte: Mich kennt er ja garnicht, also will er
nur eine Frau, die ihm helfen kann, er hat von der guten
Erziehung gehört, er weiß nichts weiter von mir, lieb hat
er mich natürlich kein bißchen. Und was durchs Gehirn
jagt und tobt in solch einem Augenblick. Aber da er-
zählte mir meine Mutter, was er gesagt, und wie er eine
Gefährtin suche, die seine schwere Aufgabe mit ihm teilen
könne, die eben so gern arbeite als er, die die Hälfte der
Lasten auf ihre Schultern nehmen wolle etc. Sodaß ich
nach einer Viertelstunde sagte: „Laß ihn kommen, er
ist der Rechte!" Meine Mutter schrieb zwei Worte an
Frau Schumann, sie möge nicht mehr auf uns rechnen,
denn ich hätte mich soeben verlobt 1 Ja, da war er herein-
gekommen, und ich wurde gerufen, einen Augenblick hielt
ich mich am Türpfosten fest, um nicht hinzufallen, dann
ging ich auf ihn zu und reichte ihm die Hand, die er küßte.
Ich streifte seine Haarspitzen mit meinen Lippen und soll
gesagt haben: „Es macht mich sehr stolz und sehr de-
mütig zugleich." Davon weiß ich natürlich nichts mehr,
aber meine Mutter hatte es in ihrem Herzen bewahrt und
ließ es auf mein Bild gravieren für ihn."
Nur anderthalb Stunden, die ihm gar zu schnell ver-
flogen, konnte Fürst Karl mit seiner holden Braut zusammen
149
sein in herzlicher Aussprache, dann mußte er Abschied
nehmen, da er den Nachtzug nach Paris benutzen wollte,
wo noch dringende Angelegenheiten zu erledigen waren.
Während der Nacht schloß er kein Auge, sah er doch immer,
wie es in seinen Denkwürdigkeiten vermerkt ist, die lieb-
liche Prinzeß vor sich, wie sie in ihrer blauen Konzert-
toilette in das Zimmer trat, in welchem er ihrer harrte.
In ihr Tagebuch aber, das Prinzessin Elisabeth seit
ihrer frühen Jugend geführt und in welches sie auch die
verborgensten Empfindungen und Gedanken eingetragen,
die sie bewegten, schrieb sie ein Gedicht „Der Opal" auf
ein kleines Opalkreuz, das der Verlobte ihr zum Abschied
geschenkt:
„Wie meines Liebsten Herz so rein,
So rein bist Du,
Ich drück' Dich fest an's Herze mein,
Voll Fried und Ruh'.
Ich halt' Dich still in meiner Hand
Du klarer Stein,
In Deine Tiefen unverwandt,
Schau ich hinein.
Dich halt' ich dreist in's Sonnenlicht,
Ob's Dich verzehrt?
Dein Farbenspiel erbleichet nicht;
Du bist bewährt!"
Wie im realen Leben Fürst Karl stets mit treffendem
Blick das richtige erkannt hatte, so hier auch sein Herz,
denn es mochte nur wenige Menschenkinder geben, die
derart füreinander geschaffen waren, trotz mancher Ver-
schiedenheiten des Charakters, wie Prinzessin Elisabeth
und ihr Verlobter. Gleich ihm war sie abhold jeder Über-
hebung und jedem falschen Schein, gleich ihm war sie er-
füllt von dem Drang nach befriedigender Tätigkeit, nach
einem Ziel, das rastloser Arbeit würdig war, und auch sie
sah, wie er, das Leben nicht als eine Spielerei an, sondern
als das Feld für große, von der Vorsehung gestellte Auf-
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gaben. Beide begegneten sich in der tiefen Zuneigung
zur Natur und Kunst, in dem warmen Interesse für alle
wissenschaftlichen und schöngeistigen Bestrebungen.
Dies war schon von früh an im Wesen der
Prinzessin hervorgetreten, die, am 2g. Dezember 1843 als
das erste Kind des Fürsten Hermann und der Fürstin
Marie von Wied in Neuwied geboren, trotz ihres lebhaft
rheinischen Wesens zu sinnenden Träumereien neigte,
sich schon in ihrer Kindheit in Gedichten, Märchen, Er-
zählungen und selbst Dramen versuchend. Unter dem
hellen Glockengeläut hatte sie zur zwölften Mittagsstunde
das Licht der Welt erblickt:
hatte sie später von ihrem Geburtstag gesungen. Reiche
Gaben hatte ihr die Natur auf den Lebensweg mitgegeben,
und ihre Eltern, beides geistig hochstehende, abgeklärte,
echt deutsch empfindende Menschen, hatten alles getan,
um der Tochter eine von allen überflüssigen Schlacken
freie Erziehung zu geben. Den Winter verlebte die fürst-
liche Familie im Schlosse zu Neuwied, den Sommer in
dem waldumgebenen Schlößchen „Monrepos", und Wald
und Heide, Friede und Einsamkeit flüsterten der regen
Kindesseele des Prinzeßchens ihre trauten Geheimnisse
zu. Die Fürstin von liebenswürdiger Einfachheit des
Wesens und schlichter Vorurteilslosigkeit, von tiefster
Menschenfreundlichkeit und gründlicher Bildung, durchaus
gläubig, ohne im orthodoxen Sinne fromm zu sein, war
der Tochter eine verständnisvolle Mutter und Freundin.
Der Vater widmete sich mit Vorliebe den ernstesten philo-
sophischen Problemen und veröffentlichte auch mehrere
stark beachtete philosophische Werke, gleich seiner Ge-
„Die Glocken klangen und schwangen
Den Mittag ein, wo der Christbaum stand.
So habe ich einst angefangen
Zu atmen, zu wandeln im Erdenland,"
151
mahlin Gelehrte und Künstler gern um sich sehend und
auf weiten Reisen neue Gesichtsblicke und Erfahrungen
suchend.
Prinzessin Elisabeth war das älteste Kind; zwei Brüder
folgten ihr, Prinz Otto und Prinz Wilhelm, der jetzige
Fürst. Der erstere war von Geburt an leidend, sein Körper
war gelähmt, desto erstaunlicher entwickelte sich der
Geist des Knaben, der bemüht war, seine Krankheit
mit unbeschreiblicher Geduld zu ertragen, immer besorgt,
daß seine Eltern und Geschwister nicht darunter litten.
Des kranken Kindes wegen siedelte das fürstliche Paar
nach Bonn über, damit der Prinz sich unter ständiger
ärztlicher Aufsicht befände, dort die an Wald und Wasser
herrlich gelegene Villa ,Vinea Domini' bewohnend. Auch
die Fürstin war damals einem schweren Siechtum unter-
worfen, an einer Lähmung leidend, die fünf Jahre währte,
aber trotzdem wußte sie in ihrem künstlerisch ausge-
schmückten Heim eine Reihe der hervorragendsten Männer,
untec ihnen den greisen Ernst Moritz Arndt, Jacob Bernays,
Das Schloß in Neuwied.
152
Clemens Perthes, zu vereinen und durch ihre Persönlich-
keit den kleinen Zirkeln einen besonderen Reiz zu ver-
leihen, eine Meisterin feinsinniger und anregender Unter-
haltung. Obwohl sie meist an den Rollstuhl gefesselt
war, dessen Leitung ihr Gemahl mit zärtlicher Behutsam-
Fürst Hermann von Wied.
keit selbst übernahm, empfand sie lebhaft mit der Jugend
und entzückte jeden, welcher des Vorzugs ihrer Bekannt-
schaft teilhaft wurde; stets bestrebt, ihren Gästen den
Aufenthalt so angenehm wie möglich zu machen, veran-
staltete sie häufig Theatervorstellungen, an denen sich auch
Prinz Friedrich Wilhelm, der spätere preußische Kronprinz,
der damals in Bonn studierte, beteiligte, und der. hier
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schon Gelegenheit fand, die Prinzessin Elisabeth näher
kennen zu lernen.
Damals bereits stellten sich die ersten Beziehungen
zu Rumänien her, denn in dem Elternhause der Prinzessin
verkehrte, wie sie selbst späterhin erzählte, „ein ganz
Fürstin Marie von Wied.
junger Mensch aus fernem, unbekanntem Lande. Er sagte,
seine Heimat sei an der Moldau, und seine Muttersprache
sei Rumänisch. Es war ein kleiner, schwarzer Mann, mit
zwei noch dunkleren Brüdern, die Gymnasiasten waren.
Der älteste hieß Demeter Sturdza, und der sprach mit dem-
selben glühenden Patriotismus von seinem Lande, wie
Ernst Moritz Arndt von Deutschland, nur, daß sein Land
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viel, viel unglücklicher war, und vielmals mehr unter
allerlei Fremdherrschaft geschmachtet hatte, und zu gar
keinem selbständigen Leben kommen konnte, auch in zwei
Teile geteilt war, in die Moldau und Wallachei". — Und
des weiteren wird berichtet, daß Sturdza die heißeste
Vaterlandsliebe in seinem Herzen nährte, „und die Hoff-
nung, sein Land in die Höhe zu bringen, und etwas aus
demselben zu machen, von dem die damalige Welt noch
keine Ahnung hatte. Ich hörte zu und hörte zu und grü-
belte". — Als eine Reihe von Jahren später die junge
Fürstin Elisabeth als Gemahlin des Fürsten Karl bei ihrer
feierlichen Ankunft in Bukarest den Eisenbahnzug verließ,
da begrüßte sie als erster Demeter Sturdza, der frühere
Student von Bonn und später oftmalige Premier-Minister I
— Der junge fremde Student hatte bei der jungen Prin-
zessin das Interesse für sein fernes Heimatland erweckt,
in den Erinnerungen heißt es: „Ich wurde auf das ge-
naueste mit der englischen Geschichte vertraut gemacht,
weil der alte Baron Stockmar wohl im Hintergrunde den
Plan hatte, mich nach England zu bringen, so wie später
die Großfürstin Helene mich gern in Rußland verankert
hätte, aber der liebe Gott hatte anders über mich verfügt,
und hatte ganz andere Arbeit für mich aufgehoben. Ich
finde in meinen Notizen, als halbes Kind, die ersten Worte
über Rumänien, über die Erwählung des Fürsten Kusa
und die Revolution. Natürlich hörte ich nicht auf, mich
für Rumänien zu interessieren, weil ich ja Sturdza gekannt
hatte, und eine der französischen Lehrerinnen, die meine
Eltern stets für die französische Sprache kommen ließen,
früher in der Moldau Erzieherin gewesen; die erzählte
mir sehr viel davon."
Und auch der Bonner Zeit gedenkt liebevoll in ihrem
„Penaten winkel" die königliche Dichterin: „Ich denke
sehr gern an die Bonner Zeit zurück, sie war reich für
jung und alt, für Kranke und Gesunde, sie enthielt sehr
155
viel. Und ich habe so viele gekannt, die im späteren Leben
eine politische Rolle gespielt haben, und die damals noch
Studenten waren. Die , Vinea Domini* ist auch diesen jungen
Leuten im Gedächtnis geblieben, man war so jung und so
harmlos und heiter, und dabei so geistig angeregt und wiß-
begierig und voller großer Ideen für die Zukunft, voller
großer Pläne der Aufopferung für sein Land und für seine
Ideen I Man war jung!
Da wurde manche singende Rheinfahrt im Nachen
unternommen, und durch manch tiefsinniges Gespräch der
Liederreigen unterbrochen. Ich hörte andächtig zu und
sog viele Gedanken ein für später. — Meine Mutter hatte
ein Talent, Menschen sprechen zu machen, und ihre tiefsten
Gedanken hervorzulocken. Sie war schön und krank und
geistreich und heiter, und war dabei so furchtbar schwer
geprüft. Das wußte man, obgleich sie nie davon sprach.
Aber natürlich war ihre Reife sehr groß durch all das
schwere Leid. Einmal hatte sich unser alter Arzt auf
ihren Bettrand gesetzt und sie in die Arme genommen,
weil sie so verzweifelt schluchzte, und sagte nur : „Weinen
Sie, Weinen Sie! Sie haben Grund zu weinen !" — Von
dem allen sah man aber nichts, sondern nur ihr leuchtendes
Lächeln, und vernahm den tiefen Klang ihrer Stimme,
wie immer die Stimme Leidgeprüfter wird, tief und voll,
aber sie war diejenige, die immer den Ton der Heiterkeit
und der Lebensfreude anschlug. Es sollte niemand ihret-
halben traurig sein, wenn sie auch die ganze Nacht in
wahnsinnigen Schmerzen und den halben Tag in Krämpfen
gelegen hatte. Nichts sah man von dem allen/' — Und
an einer andern Stelle kommt die Königin auf ihre Er-
ziehung durch die Eltern zu sprechen: „Das Große, was
ich lernte, das war, daß der Körper nebensächlich ist und
keine Rolle zu spielen hat im Geistesleben. Ich sah meine
beiden Eltern ihre schwächlichen Körper mit eiserner
Willenskraft überwinden, und mit immer gleicher Energie
156
arbeiten, ob gesund oder krank, ganz einerlei. Die Arbeit
mußte getan werden, und wenn ich über irgend ein Unbe-
hagen klagte, so wurde es weiter nicht beachtet, meine
Mutter sagte dann : „Das hat jedermann I" Und so lernte
auch ich, auf den Körper nicht acht geben und ihn be-
zwingen. Ich denke, man kann Kindern keinen größeren
Dienst leisten ! Denn man weiß nicht, ob sie dazu bestimmt
sind, gesund oder leidend zu sein, ich war, als Frau, die
Hälfte meines Lebens leidend, aber, aus der Schule kom-
mend, blieb das Leiden unbeachtet, und ich tat meine
Pflicht, ohne jemals meine Gesundheit als ein Hindernis
in den Vordergrund zu schieben. Ich hatte immer ge-
sehen, daß der Körper nicht zählt, daß er eine Nebensache
ist und überwunden werden muß, bis zu dem seligen Augen-
blick, wo wir das elende Gehäuse, das die Seele eine
Zeitlang bewohnt, verlassen und abschütteln dürfen. Das
ist eine der schweren, irdischen Prüfungen, daß der Körper
so ungenügend ist und so oft ein schweres Hindernis, aber
man hat die größten Geister mit einem schwächlichen
Körper fertig werden sehen. Ich lernte früh, die Kraft
nicht in den Muskeln suchen, sondern im! eisernen Willen !
Nicht im Heben- und Laufenkönnen, sondern im Arbeiten
und Leisten trotz schwächlicher Instrumente 1"
Man kann sich denken, welch gewichtigen Einfluß
diese Eltern und der von ihnen sorgsam gepflegte Verkehr
geistig hochstehender Menschen auf die Prinzessin aus-
übte, die mit rührender Hingebung trotz ihrer zarten
Jugend die Mutter und den Bruder pflegte, dem sie später
ein unvergängliches Denkmal treuester Schwesternliebe
in ihren Aufzeichnungen: „Es ist vollbracht! Das Leben
meines Bruders, des Prinzen Nicolas Otto zu Wied" ge-
setzt; während sie damals selbst krank war und nicht mehr
hoffte, je die Ihren wiederzusehen, schrieb sie jene Ge-
denkblätter mit warmem Herzblut und tiefer dichterischer
Kraft. So hatte sie früh als Kind schon des Lebens dunkle
157
Seiten kennen gelernt und die düstere Tragik des Todes,
als der geliebte Bruder endlich die Augen schloß nach
elfjähriger, hundertfachem Tode gleichender Krankheit.
Neben trefflichen Lehrern widmete sich auch der Fürst
der Erziehung seiner Tochter, sie mit den Werken der
Klassiker vertraut machend, und großen Einfluß ge-
winnend auf ihren lebhaften, allem Phantastischen zu-
neigenden Geist. Der Ernst, der infolge der vielen Krank-
heiten, denen auch ihr Vater unterworfen war, imjHause
Prinzessin Elisabeth im Alter von 5 Jahren mit ihrem Bruder Wilhelm.
herrschte, konnte jedoch der Prinzessin frohe Lust am
Fabulieren nicht eindämmen, und aus ihrem' 15. und 16.
Jahre stammen Gedichte von großer Reife des Inhalts
und form vollem Ausdruck. Schwärmerisch der Musik er-
geben, spendete sie durch vollendete Ausübung derselben
den Angehörigen häufig tröstende Unterhaltung, aber am
liebsten streifte sie doch durch den Wald, viele Stunden
lang: „Waldröschen nannten mich meine Freundinnen,
und ich wollte nichts anderes sein! Ich wäre gern, ach
wie gern, ein Künstler gewesen, Musiker oder Maler, aber
ich dachte, mir fehlte das Talent, und ich ahnte nicht,
158
daß ich bereits ein Dichter sei. Denn ich schrieb heimlich
und dachte, das tue jedermann, das sei gar keine Kunst,
da es natürlich sei, ich hatte auch keine Ahnung von
Prosodie oder Regeln, oder so etwas. Kleinpauls Poetik
lernte ich erst mit dreißig Jahren in Bukarest durch eine
ganz besondere Veranlassung kennen. Damals sang
ich, wie der Vogel singt, im vollen Sinne des Wortes,
denn jedes meiner Gedichte sang ich mir vor, den
ganzen Tag sang ich, und konnte garnicht stille seinl
— Ich war nicht, was man ehrgeizig nennt, wenigstens
ging mein Ehrgeiz nicht nach äußerm Glanz oder was man
so nennt I Denn äußerer Glanz ist mir immer hohl er-
schienen, nach der Waldpracht und der Größe der herr-
lichen Natur 1 Eine Säule in einem Saal konnte doch nur
winzig sein, da ich an die Buchen gewöhnt war, ein Men-
schengewühl klein und lächerlich nach dem Windesrauschen
und dem Sturmeskrachen im Walde 1 Alles war klein und
nichtig in meinen Augen, was nicht gerade große, freie
Natur war/*
Um der Tochter einige Abwechslung zu gewähren,
sandten sie die Eltern im Frühling 1861 nach Berlin an den
preußischen Hof, wo sie mehrere Monate verweilte und
liebevolle Aufnahme in der königlichen Familie fand, dort,
wie schon erzählt, den späteren Gemahl kennen lernend, mit
dessen Schwester Marie, der jetzigen Gräfin von Flandern,
sie gemeinsamen Unterricht hatte und mit der sie enge
Freundschaft schloß. Aber ungeachtet der Zerstreuungen
und Vergnügungen empfand sie bald das tiefste Heimweh
nach dem flüsternden Rhein, dem rauschenden Wald,
nach der Zärtlichkeit der Mutter und der Aussprache
mit dem Vater, nach dem einsamen Krankenzimmer,
in dem sie so gern geweilt, und als sie zurückkehrte, da
hieß es nicht nur den Bruder treulich pflegen, sondern
auch den Vater, der von einem L,ungenleiden heimgesucht
worden war. Aber gerad der Vater wünschte dem ge-
159
liebten Kinde auch gesellige Freuden zu bereiten, sie 1863
nach Karlsruhe geleitend, wo sie am dortigen großherzog-
lichen Hof ihren ersten Ball mitmachte, mehr wohl dem
Vater zuliebe, der mit strahlenden Augen sein Töchterchen
verfolgte, das, in einer rosa mit Silber übersäten Toilette,
aller Blicke auf sich zog. Im Herbst des gleichen Jahres
begleitete die Prinzessin ihre Tante, die Großfürstin Helene
von Rußland, eine geistig hochstehende, gern fesselnde
Gesellschaft um sich versammelnde Frau, nach dem
Genfer See, und von dort nach St. Petersburg, wo die
Prinzessin von schwerem Typhus befallen wurde. Als
sie zum ersten Male das Bett wieder verließ, brachte man
ihr schonend die Nachricht vom Tode des teuren Vaters
bei. Nur noch inniger schloß sie sich, wenn dies überhaupt
möglich gewesen, an die Mutter an, und immer mehr wurde
ihr die Poesie eine vertraute Beraterin auf allen Lebens-
wegen. Allmählich brach auch ihre Jugendfrische wieder
freudig durch, und sie selbst verteidigte in klangvollen
Versen ihr lebhaftes Temperament:
Prinz Otto von Wied.
160
„Ich kann nicht kälter sein,
Ich bin vom Rhein —
Vulkanschem Boden wie Basalt entsprungen,
Nur wenn ich felsenkletternd Bergluft greife,
Durch Waldesdämmerung streich' auf starken Schuhen,
In hörbar großer Stille schauend schweife,
Dann kann in Moosesduft ich ruhen, ruhen."
Ihre Tante, die Großfürstin Helene, nahm Prinzessin
Elisabeth 1867 mit nach Paris, wo sie den kaiserlichen
Hof und die Ausstellung kennen lernte, und an diesen
Aufenthalt schloß sich eine mit der Mutter unternommene
Reise nach Schweden, die gleichfalls reich an fesselnden
Eindrücken war. Dann wieder kamen die ruhigen Zeiten
in Neuwied und Monrepos voll reicher Einkehr und innerer
Befriedigung: „Die Winterabende im Walde, wenn die
stille Lampe brannte, und unsere Finger eifrig schöne
Arbeiten machten I Dann sprachen und lasen wir ohne
Ende, es war köstlich und ein Stillewerden für mich nach
all den Stürmen und all den reichen Eindrücken, die ich
auf den vielen Reisen gesammelt. Es war eine Einkehr,
ein Ordnen der Gedanken, ein Klarwerden über sich selbst
und die Weltl Herrlich! Abends spann meine Mutter,
und ich machte, was man Occhi oder Frivolität nannte,
große Erfindungen immer, wie ich es heute noch fortsetze,
und zur Kirchenspitze entwickelt habe. Dann wurde ab-
wechselnd gelesen oder erzählt oder gesprochen, und die
Abende flogen nur so dahin. Der Wald stand in feierlicher
Stille da, uns störte kein Laut, wir konnten uns in hohe
und tiefe Gedanken versenken. Oft hatte ich mehrere
Stunden allein im Walde zugebracht, als einzige Begleiter
meine Bernhardinerhunde, meine treuen Beschützer, dann
war ich ohne Weg und Steg durch den Wald gerast, und
wenn ich zurückkam, schrieb ich manches Lied, das mir
die Stämme zugerauscht. Meine Freunde nannten mich
Wald — oder Wildröschen! Denn meine Backen waren
immer wie die Rosen, die sind nie blaß geworden, obgleich
161
ich im Krankenzimmer und an Sterbebetten groß geworden
bin. Ja, meine Jugend war sehr poetisch und reich
und schön, dazu half die wundervolle Natur, der Rhein,
der Wald, die gesangreichen Menschen unserer Gegend,
alles 1 Ich finde, das glücklichste Los auf dieser Erde ist
das der Mediatisierten. Sie sind wie kleine Könige, haben
keine Regierungssorgen, alle Freiheit wie Privatleute,
und doch wie ein richtiger Landesvater mit allem Freud
und Leid der ganzen Gegend vertraut. II n'a que la peine
de naitre, um geliebt zu sein, Vermögen genug, um leben
zu können, ohne zu große Sorgen und doch nicht reich,
um den Neid der andern !zu erwecken. Einen Landsitz,
der alt und ehrwürdig ist und ein Stück Geschichte enthält,
oft eine schöne Bibliothek oder Galerie, oder Ausgrabungen
in solch einem alten Schlosse. Viele geistige Interessen,
und Freiheit, wie kein anderer Mensch auf der Welt. Ich
kann vergleichen, denn ich kenne bürgerliche Verhältnisse
und den Thron I Die Mediatisierten haben es am besten
auf der Erde, als Kunstmäcene, als Hausherren mit aus-
gewählten Gästen, als Nachkommen geistiger Erbschaften
und Vorzüge, als Freunde von Künstlern und Gelehrten,
als wirkliche „Freiherren* ' auf schönen, waldreichen
Gütern."
Vorbei war's aber mit dem Sinnen und Träumen in
der Waldabgeschlossenheit, als der Herbst 1869 die Ent-
scheidung über die Zukunft der Prinzessin Elisabeth ge-
bracht. Nach dem ersten Schwanken — denn sie hatte
überhaupt nicht heiraten wollen und ein Thron hatte sie
nie gelockt — gab's für sie kein Zögern mehr, sah sie doch
in dem Fürsten Karl all ihre geheim genährten. Wünsche
erfüllt, wollte und konnte sie doch nur einem Manne an-
gehören, zu dem sie emporblickte und welcher den
selbst errungenen Platz arbeitsam, pflichttreu und ziel-
bewußt ausfüllte! Das ging auch aus dem ersten Briefe
hervor, den sie als Verlobte an den Fürsten Karl Anton
Lindenberg, König Karl. \\
162
von Hohenzollern richtete, ihn herzlich bittend, sie freund-
lich in den Kreis seiner Kinder aufzunehmen, damit sie
den langentbehrten teuren Vaternamen nun von neuem
liebend nennen dürfe: „Die Größe der Aufgabe, die ich
erfüllen soll, hat keine Schrecken für mich an der Seite
eines so starken und mutvollen Mannes. Ich verlange
ja nur von ihm geleitet zu werden, denn ich glaube fest,
so wie er sagt, so ist es gut! Die Schwierigkeit unserer
Lage und die Abgeschlossenheit, die sie mit sich führt,
wird uns nur um so fester aneinander ketten, und der
Friede unseres Hauses soll allen äußeren Stürmen einen
starken Damm entgegensetzen!"
Von Paris aus hatte Fürst Karl in einer Proklamation
dem Ministerrat seine Verlobung mitgeteilt, als frohes
Echo derselben langten alsbald in wärmstem Tone ge-
haltene Glückwunschdepeschen an. Am 17. Oktober war
der Fürst in Monrepos bei seiner Verlobten eingetroffen,
dort am selben Tage, einem Sonntage, dem protestanti-
schen Gottesdienste beiwohnend, bei welchem seine Braut
die Orgel spielte. Aus der Kirche heimgekehrt, schrieb
er ihr in ihr Tagebuch : „Liebe wird durch Liebe vergolten.
Komme Deinem Volke mit derselben Liebe, demselben
Vertrauen entgegen, womit Du mir entgegenkamst: dann
wird nicht nur ein Herz in Treue für Dich schlagen,
sondern Millionen Herzen werden sich mit dem einen
vereinen ; ich aber werde mich glücklich preisen, denn
Du gehörst nicht mir allein, — ein ganzes Volk bekommt
ein Anrecht an Dich, ein ganzes Volk blickt mit Vertrauen
und Zuversicht auf Dich und wird Dir Liebe durch Liebe
vergelten I" —
In innigsten Worten waren die telegraphischen Glück-
wünsche König Wilhelms gehalten, der betonte, daß die
Prinzessin alle Eigenschaften besitze, das Glück des Fürsten
zu begründen und seine Zukunft mit Gottes Willen zu
befestigen. Der Kronprinz telegraphierte aus Athen : „Ich
163
umarme Dich im Geiste, bekomme soeben die Nachricht
Deiner Verlobung mit Elisabeth Wied; Gott möge Euch
beide segnen/' und Heß dann einen auf das herzlichste
gehaltenen Brief folgen, in welchem es hiejJ: „Du wirst
Dir denken können, wie mein Herz beim Empfang der
Nachricht gejubelt hat, denn eine lang gehegte stille Hoff-
nung hat sich erfüllt, und meine Erwartung, daß Elisabeths
Erscheinung ihren Eindruck auf Dich nicht verfehlen werde,
ist eingetroffen. Möge Gott nun Euch in Eurer Ehe das
Glück bescheiden, das Du in der meinigen oft genug zu
beurteilen Gelegenheit gefunden hast; möget Ihr also reich-
lich für all die Entsagungen entschädigt werden, die Eure
Stellung in der neuen Heimat unvermeidlich mit sich bringt !
Jetzt aber umarme in meinem Namen Elisabeth, an die
natürlich die obigen flüchtigen Zeilen gerade so wie an
Dich gerichtet sind, und laß mich sie als Cousine aufs
freundlichste in unserer Familie willkommen heißen. Sie
kennt meine alte Anhänglichkeit an sie, ihre Mutter und
ihren Bruder, so daß ich hier nicht erst viel Worte zu
machen brauche. Wie gesagt, ich hatte mir schon längst
gedacht, daß sie die richtige Frau für Dich und die rechte
Landesmutter für den Staat wäre, der durch ein edles,
hochherziges, aber auch tätig eingreifendes Fürstenpaar
aus einer traurigen Vergangenheit zu lebensfähiger Tat-
kraft emporgehoben werden soll — und sicherlich werden
Nach kurzem Aufenthalt des Brautpaares auf der Wein-
burg im Kreise der Hohenzollernschen Familie, und nach-
dem Fürst Karl noch Sigmaringen sowie die neuerbaute
Zollernburg und Düsseldorf besucht, fand am 15. November
in Neuwied die Vermählung statt, welcher neben der
Königin Augusta, — der König war leider durch dringende
Arbeiten in Berlin zurückgehalten, — zahllose fürstliche
Verwandte und Gäste, unter ihnen der Graf und die Gräfin
von Flandern, dann die offiziellen Vertreter des russischen
wird!"
11*
164
und französischen Kaisers wie der rumänischen Regierung,
beiwohnten. „Wo du hingehst, da gehe ich auch
hin, wo du bleibst, da bleibe ich auch, dein Volk ist mein
Volk und dein Gott ist mein Gott, wo du stirbst, da sterbe
ich auch, da will ich auch begraben sein" — diese erhebenden
Worte aus dem Buche Ruth hatte der den Trauungsakt
vollziehende Geistliche zum Kern seiner Predigt gewählt.
Die nächsten Tage verlebte das junge Paar im traulichen
Schlößchen Monrepos, danach die Königin Augusta in
Koblenz besuchend, wo der Geburtstag der Schwester des
Fürsten, der Gräfin Marie von Flandern, festlich gefeiert
wurde, und am 18. November folgte der Abschied von Neu-
wied und vom Rhein. Die liederreiche holde Rhein tochter
trat mit ihrem Gemahl die weite Reise in die neue Heimat an !
Wie einst, ging es wiederum über Wien und Pest nach
Basiasch, wo der Donaudampfer „Kaiser Franz Josef" be-
stiegen wurde, der auf das prächtigste mit Fahnen und
Guirlanden geschmückt war, und einen nicht minder
reichen Schmuck wies Turnu-Severin auf, die erste ru-
mänische Stadt, an welcher der Dampfer anlegte. Über-
all bunte Wimpel und Flaggen, ein großer Triumphbogen
erhob sich am Ufer, an dem die dichte Menge des Fürsten
und seiner jungen Gemahlin harrte, über die sich, als sie
nun den rumänischen Boden betraten, ein wahrer Blumen-
regen ergoß, in die stürmischen Hurrarufe sich die ehernen
Grüße der Geschütze mischend. Auch der Ministerpräsident
D. Ghika empfing hier das fürstliche Paar, es in die Kirche
geleitend, in der ein Tedeum stattfand. Nach zweistün-
digem Aufenthalt wurde die Fahrt fortgesetzt, alle rumä-
nischen Ortschaften längs des Ufers waren reich geschmückt,
und die Jubelrufe der Bevölkerung drangen zum Schiff
hinüber, das am 24. November in Giurgiu anlangte, wo
gleichfalls Alt und Jung, Arm und Reich in hellen Scharen
versammelt waren und sich in der Herzlichkeit des Emp-
fanges zu überbieten trachteten.
165
Fürstin Elisabeth war tief ergriffen von all dem Neuen
und Fremdartigen; wie sie es später geschildert, konnten
sich ihre Augen nicht satt sehen an dem Farbenreichtum
unter diesem orientalischen Himmel, der während des
Tages ein tiefes Türkisblau zeigte und sich abends beim
Untergang der glühenden Sonne in ein funkelndes Gelb
voll Goldschimmers hüllte : „In dem reinen Licht dieser
Novembertage hoben sich von den noch frisch grünenden
Feldern, dem unermüdlich Reichtum spendenden Erd-
boden, und von dem dicken weißen Staub der breiten,
von den Wagengeleisen gefurchten Straße die Kostüme
der zu meinem Empfange in Gruppen zusammenstehenden
Landleute in lebhaften Farbentönen ab: Hemden von
blendender Weiße, reich mit rot, schwarz oder Gold ge-
stickt, wehende Schleier aus weißem, elfenbeinfarbenem
oder schwefelgelbem Leinengewebe; hell- oder dunkelrote
Röcke. Man sah Männer auf ihren kleinen, mageren
Rennern im Galopp herbeieilen, ihre Mäntel aus Ziegen-
fell flatterten über den Rücken ihrer Tiere gleichsam wie
deren Mähne. Ein gestickter Latz bedeckte ihre Brust,
Rumänischer Brautumzug.
166
einer buntfarbigen Tätowierung gleich über dem drei Hand
breiten, ein ganzes Arsenal von Pistolen und Messern ent-
haltenden
Gürtel. Das
ebenfalls ge-
stickte
Hemd fiel
auf weiße
Filzhosen
herab. Und
ihr Haupt
warmiteiner
großen wie
weißes Pelz-
werk ausse-
henden
Mütze ge-
schmückt,
- • jEt,-.w*r'. unter wei-
cherschwar-
ze Haarlocken wie Rabengefider sich bis auf die Schul-
tern ringelten. Als ich mich diesen malersichen Gruppen
näherte, gewahrte ich prächtige Ge-
stalten mit Köpfen von eigenartiger
Schönheit, deren Ernst nur selten
einem feinen, perlengleiche Zähne ent-
hüllenden Lächeln wich. Und alle
diese ganz neuen Gesichter, all diese
Adlernasen mit den feinen vibrie-
renden Nasenflügeln, strahlenden, tief
in den Höhlen liegenden und von dich-
ten, geraden Brauen überschatteten
Augen, dieser goldfarbene Teint, diese
sonore, zuweilen rauhe und fast in
Kehllauten sich bewegende Sprache,
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167
die so weich und beredt aus dem Munde der Männer,
der Frauen und der klaräugigen Kinder erklang, erweckte
in uns Bewohnern des kalten nordischen Abendlandes
das unbekannte Gefühl des Ungestümen, Leidenschaft-
lichen. — Und dann bewunderte ich, wie das schöne Haupt
meines jungen Gemahls mit dem südlichen Gepräge in so
vollkommener Harmonie stand zu diesen Männern und
diesem Lande, das er ganz allein sich erobert hatte. —
Rumänische Weinlese.
Dies also war mein neues Vaterland, das nur die Uner-
meßlichkeit seiner melancholischen Ebenen und die Ufer
seines breiten Stromes mir zeigende Rumänien!'
Auf der wenige Wochen zuvor eröffneten Eisenbahn-
strecke wurde von Giurgiu aus nach eineinhalbstün-
diger Fahrt Bukarest erreicht, wo die dröhnende Sprache der
Kanonen der Bevölkerung der Hauptstadt die Ankunft des
fürstlichen Paares mitteilte. Unter dem Donner der Ge-
schütze und dem Geläut aller Kirchenglocken erfolgtcvon
dem hochgelegenen Filareter Bahnhof aus die Einfahrt in
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die sonnenüberflutete, reich geschmückte Stadt, die sich
der jungen Fürstin in ihrem malerischsten Bilde zeigte.
Langsam nur kam der Wagen vorwärts, die begeisterte
Menge durchbrach das Spalier der Soldaten und umdrängte
das Gefährt, es mit Blumen überschüttend. An das Tedeum
in der Metropolie schloß sich die Begrüßung seitens des
Bürgermeisters in einem neben der Kirche errichteten
prankvollen Zelt, in welchem das fürstliche Paar unter
einem Thronhimmel Platz genommen. In seiner Erwide-
rung betonte der Fürst, wie glücklich er sei, aus den Worten
des Bürgermeisters und aus dem überall bereiteten freudi-
gen Empfang zu ersehen, daß die L,iebe zur Dynastie
bereits Wurzeln geschlagen im rumänischen Volk, und wie
sehr er hoffe, daß die Gefühle, deren man ihn heute von
allen Seiten versicherte, sich auch auf seine hohe Gefährtin
übertragen möchten, die ihm mutig gefolgt sei, um sich
gleichfalls der großen Aufgabe zu weihen, mit der das ru-
mänische Volk ihn betraut habe.
Nachdem noch fünfzig Brautpaare, Bauernsöhne und
Töchter aus allen Teilen des Landes, die am gleichen
Tage zur Feier der fürstlichen Vermählung auf Kosten des
Staates getraut und beschenkt wurden, vor dem Fürsten
und seiner Gemahlin vorüber gezogen, begab sich der
von Dorobanzen geleitete fürstliche Zug nach dem Palais,
wo der Fürst seine holde Gemahlin in ihr neues Heim
führte. Die Fürstin berichtete später darüber: „Hier ist
das Schloß," sagte mir der Fürst — „Wo?" fragte ich. —
„Aber wir treten eben ein!" entgegnete er lächelnd, —
Nun begriff ich, daß es der Souverän ist, der den Palast
repräsentiert, wie ein Stein auf dem Felde zum Altar
werden kann. Dieses Bukarester Schloß war ein in
aller Eile hergerichtetes, altes Bojarenhaus. Der junge
Souverän hatte keine Zeit gehabt, an seine bequeme Aus-
stattung zu denken; denn er verbrachte seine Nächte da-
mit, die während der Tage sich häufende Arbeit zu sichten
169
und vorzubereiten — und ich fand auf seinem Schreibtisch
an diesem Tage der Ankunft den ersten Entwurf zum
Brückenbau über die Donau, welche man nach zwanzig-
jahrelangem, geduldigem Ausharren in Angriff nahm." —
In seiner Gemahlin hatte Fürst Karl die richtige
Lebensgefährtin gefunden; ihre Ansichten und Neigungen
begegneten und ergänzten sich, das tief empfindende, da-
bei leichtbewegte, phantasievolle Rheinlandskind brachte
Sonne und Farbe in das bis dahin stille, arbeitserfüllte
und an Freuden wenig reiche Dasein des Fürsten, dessen
ernstes, ruhiges, nachdenkliches Wesen sich nun der treuen
Gefährtin erschließen konnte, die vom ersten Augenblick
an Land und Leute lieb gewonnen und deren empfäng-
liches, poetisches Gemüt sogleich erfüllt ward von all
dem Neuen, das sie umgab, die aber dabei stets ihres
Gelöbnisses gedachte, welches sie dem Vater ihres Ge-.
mahls gegeben : „Der Friede unseres Hauses soll allen
äußeren Stürmen einen starken Damm entgegensetzen ! "
VII.
Die Jahre der Prüfung.
Das f firstliehe Paar. — Häusliches Glück. — Die Eisenbahnsorgen. — Innere Opposition
and äußere Intriguen. — Trübe Standen. — Die Aufrollung der spanischen Thronfrage.
— Rumänien und Frankreich. — Der Ausbruch des deutseh-framösisehen Krieges. —
Rumänische Hetzereien. — Die Geburt der Prinzessin Marie. — Rücktrittsgedanken des
Fürsten Karl. — Der 22. März 1871 in Bukarest — Fürst Karl will abdanken. —
Pflichttreue und Vaterlandsliebe des Fürsten. — Das neue Ministerium.
In dem schlichten Fürstenpalais zu Bukarest begann
mit dem Einzug der jungen Fürstin Elisabeth ein neues
Leben, das seinen sonnigen Schein auch in die ernste und
verantwortungsvolle Tätigkeit des Fürsten Karl warf. Nicht
mehr allein, nicht nur in seinen Gedanken und Plänen
auf sich angewiesen, fand er in seiner Lebensgefährtin
neben der liebenden Gattin auch die treue Freundin, die
mit reichem Verständnis und sorgender Hingebung auf
alles einging, was ihn, seine Regierung und das Land
betraf. Zunächst suchte sich die Fürstin mit den Sitten
und Gebräuchen ihrer neuen Heimat vertraut zu machen,
war ihr doch alles fremd; aber all dies Fremde erschien
ihrem empfänglichen Geist und» ihrer poetischen Ge-
staltungskraft interessant. Freilich mögen damals auch
bittere Erfahrungen nicht ausgeblieben sein, ehe sie sich
völlig einleben und manche Gegensätze verstehen konnte,
erzählte sie doch später selbst, daß viele stolze, ver-
schwiegene Tränen in jenen Tagen heimlich auf ihr Kopf-
kissen geflossen, zumal sie kurz nach ihrem Einzug in die
Hauptstadt von den Masern befallen wurde und sich nun
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doppelt vereinsamt vorkam, da ja die Zeit des teuren
Gatten durch die Erledigung der Regierungsgeschäfte voll-
auf in Anspruch genommen war. Ihr elastischer Körper
überwand jedoch schnell die Krankheit, und nun widmete
sie sich mit frohem Eifer den vielen Pflichten, die ihre
Stellung ihr auferlegte.
Immer wieder erfreute sie sich an dem bunten Volks-
leben und an den zahllosen malerischen Szenen, die sich
ihr Schritt für Schritt darboten. Sie selbst berichtet in
einer später erschienenen Schilderung Bukarests davon
fesselnd, daß ihre ersten Ausgänge eine fortgesetzte
Reihe von Überraschungen bedeuteten: „Die Stadt enthielt
pittoreske Straßen, wo alle Türen mit buntfarbigen Stoffen,
altem Eisenwerk, grüner und brauner Töpferware förmlich
verrammelt waren. Andere Stadtteile waren ein buntes
Gemisch von winzigen, unter Bäumen verborgenen Puppen-
häuschen, beschattet von den armen, alljährlich ihrer Zweige
beraubten Weiden oder den graziösen, im Frühling die
ganze Stadt mit Wohlgeruch erfüllenden Akazien. Auf
der Straße standen offene Bäckerbuden, Schuster- und
Schmiedewerkstätten; da gab es unzählige Schenken, in
denen man Pflaumenbranntwein, Tzuica geheißen, ver-
kaufte, dunkle Nischen, von deren sehr düsterem Hinter-
grund sich Gestalten von Straßenräubern mit sanftem
Blick und traurigem Lächeln abhoben. Je mehr man sich
dem Dimbowitza benannten Flusse näherte, desto dichter
standen die Häuschen beisammen : mit ihren vorspringenden
Balkons, ihren durchbrochenen, von ausgeschnittenen Klee-
blattkreuzen gekrönten Säulchen gewährten sie ein fast
maurisches Bild. Und dann bot die nun gefesselte,
kanalisierte, von Brücken überspannte Dimbowitza, deren
Ufer jetzt von Kais, Markthallen, Schlachthäusern, Schulen,
Hospitälern, Kasernen, schönen Kirchen umsäumt werden,
damals dem Auge so lebensvolle Szenen, daß sie Dichter
und Maler in helle Begeisterung versetzen mußten. Man
173
badete sich förmlich in dem herrlichen Straßenkot, die
Kinder patschten mit fröhlichem Geschrei darin herum,
die kleinen, nackten Zigeuner wälzten sich darin, die
Fürstin Elisabeth.
Wasserträger trieben ihre Tiere hinein, während sie selbst
bis über die Knie ins Wasser stiegen, um ihre Fässer zu
füllen. Und in der tiefsten Tiefe des Schlammes sah man
undeutliche Gestalten sich bewegen, graue, fast kahle
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Körper, wie ebenso viele Nilpferdrücken, zahlreiche Köpfe
mit dicken, zum Nacken hingedrehten Hörnern und
schwarze, in der Sonne leuchtende Mäuler: es waren
Büffel." — Auch von dem „Moschi", dem großen Jahr-
marktsfest, dessen wir schon gedacht, erzählt uns die
Fürstin, die mit ihrem Gemahl gern den frohen Trubel
aufsuchte: „Die Tram ways und Wagen sind zum Ersticken
voll; alle Fenster sind mit geschmückten, oft recht hübschen
Köpfen gefüllt; man bewegt sich in einem Labyrinth kleiner
Krambuden, wo Terrakottagefäße, Holzkrüge und Glas-
ketten verkauft werden. Man sieht Wagen voll schöner
Landmädchen und hübscher Kinder, reich mit Einkäufen
beladen, abfahren. Und mitten in dem Lärm, der Ver-
wirrung, dem Geschrei, der Farbenpracht, unter den Bären
und Riesen, in dem dichtesten in Wolken auffliegenden
Staub entwickelt sich plötzlich der Tanz „Calonchars".
Dies ist ein alter rumänischer Tanz, der noch von den
antiken Tänzen zu Ehren Saturns herstammt, „vor welchem
die Hirten den ihm geraubten Jupiter zu verbergen suchten,
um Saturn zu hindern, denselben wie seine anderen Kinder
zu verschlingen". Die weißgekleideten Tänzer, mit Glöck-
chen an den Beinen, mühen sich auf eine ganz barbarische
Weise ab. Sie trainieren sich wochenlang vorher, um die
Anstrengung solchen Tanzes von Ostern bis Pfingsten
ertragen zu könenn. Sie haben einen den Reigen anfüh-
renden Geiger, und einer von ihnen kommandiert, den
Finger an den Mund legend, schweigend die anderen und
bedroht sie mit dem Stocke, im Falle sie sprechen: Saturn
darf nicht von ihnen erfahren, wo sein Sohn wiederzu-
finden ist/' —
Nachdem die Fürstin allmählich sich eingelebt, be-
suchte sie häufig die Wohltätigkeitsanstalten der Stadt
und trug für Verbesserungen und Ergänzungen Sorge;
gern versammelte sie die Kinder um sich, sie bewirtend
und ihre Spiele leitend. Auch zu wichtigen Staatshand-
175
lungen begleitete sie ihren Gemahl, so wenige Wochen
nach ihrer Ankunft zu der Eröffnungssitzung der Kammer,
in welcher der Fürst in klarer Darstellung eingehende
Mitteilungen machte über die allgemeine Lage des Landes,
das Verhältnis Rumäniens zu den fremden Staaten, die
noch immer große Schwierigkeiten verursachende Finanz-
lage, die neue, bereits gute Früchte zeigende Heeresorga-
nisation, über das einer völligen Umwandlung unter-
worfene Verkehrswesen und den bedeutenden Fortschritt
aufweisenden Wegebau. Wie schon früher mitgeteilt,
widmete der Fürst seine besondere Sorgfalt der Hebung
des Unterrichtswesens, und es war ihm eine frohe Genug-
tuung, mit seiner Gemahlin an der Einweihung der durch
die vierte medizinische Fakultät vervollständigten Buka-
rester Universität, die bereits von über 400 Studenten
besucht ward, teilzunehmen. Nachdem der Rektor her-
vorgehoben, man werde dereinst mit Recht sagen dürfen,
daß unter Karl I. die rumänischen Schulen neu eröffnet
wurden, betonte der Fürst in seiner Erwiderung, wie
groß seine Genugtuung sei, daß seine Gemahlin gleich
beim Beginn ihres rumänischen Lebens der Weihe eines
der Wissenschaft geweihten Tempels beiwohnen könne;
sie beide hofften, daß aus diesem Tempel ein strahlendes
Licht ausgehen werde, um das ganze Land zu erleuchten;
nur das Licht der Wissenschaft lasse die Aufgaben der
Gegenwart erkennen und zeige, wie aus dieser die feste
Grundlage für eine hellere, glücklichere Zukunft zu ge-
winnen sei. Sei doch die Bedeutung eines Staates und
Volkes allein nach der Höhe seiner geistigen Kultur zu
ermessen und wachse die ganze Kraft eines Volkes mit
seiner geistigen Entwicklung. In dieser Beziehung müsse
noch viel in Rumänien getan werden, jetzt beginne eigent-
lich erst die Aufgabe des Lehrkörpers, und er hoffe, daß die
Lehrer an dieser Hochschule wirkliche Priester der Wissen-
schaft sein werden, um die Seelen der jungen Generation
176
mit Glaubensfeuer für das Ideale zu erfüllen; was er und
die Fürstin hierzu beitragen könnten, würde mit freudigem
Herzen geschehen; er wolle die durch den Volkswillen ihm
übertragene Macht zur Verbreitung der Bildung brauchen
und sie allein auf das Licht dieser Bildung stützen. —
Der Winter brachte diesmal mehr Festlichkeiten wie
sonst, und mit anmutiger Würde wußte die Fürstin Elisa-
beth zu repräsentieren, durch ihre offene Liebenswürdigkeit
sich schnell die Herzen gewinnend. Fürst Karl fand das
vollste Glück in seiner Häuslichkeit, seiner Gemahlin alles
Unangenehme fernhaltend und ihr so wenig wie möglich
von den Schwierigkeiten der inneren politischen Lage
mitteilend, an denen es nicht fehlte. Vor allem bereitete
dem Fürsten die Eisenbahnfrage schwere und stets
wachsende Sorgen. War seltsamerweise das Eisenbahn-
unternehmen an sich schon nicht volkstümlich im Lande
und wurde von der Opposition in schlimmster Weise aus-
gebeutet, um gegen den Fürsten zu schüren, so fehlte es
andererseits bei der Durchführung nicht an unangenehmen
Begleiterscheinungen. Die Beamten Strousbergs, dem man
bekanntlich den Bau der verschiedenen Linien übertragen,
benahmen sich oft ungeschickt und überhebend, und die
in Berlin befindliche Verwaltung erweckte in vielen Kreisen
Mißstimmung und Befremden. Man hatte Strousberg als
Regierungskommissar den Geheimrat Ambronn, der lange
Jahre in den Diensten des Fürsten von Hohenzollern ge-
standen, zur Seite gestellt und ihm die Kontrolle über die
Emission der Obligationen übertragen; auch das wurde
scharf kritisiert und gefordert, daß mit dieser Aufgabe
nicht ein preußischer Beamter, sondern ein rumänischer
betraut werden müßte. Nicht nur in der Kammer, selbst
im Ministerrat kam es zu vielfachen und lebhaften Er-
örterungen. Die Minister verlangten die Dienstenthebung
jenes Regierungskommissars, aber der Fürst widersprach
dem, betonend, daß durch diese Maßregel das ganze
177
Bahnunternehmen geschädigt würde, weil dann die Ge-
rüchte über den schlechten Stand desselben neue Nahrung
erhielten, und er erklärte hierbei, daß, da ihn nun einmal
das ganze Land für den Eisenbahnbau verantwortlich
mache, er diese Verantwortung auf sich nehme, sei er
doch überzeugt, man würde -ihn einst segnen, weil er
darauf bestanden, daß Rumänien ein ausgedehntes Eisen-
bahnnetz und zugleich den Anschluß an die ganze Welt
des Westens dadurch erhalten — eine Erklärung, die,
falsch ausgelegt, ihm der trüben Stunden viele bringen sollte.
So verliefen die ersten Monate des Jahres 1870 in
politisch recht drückender Weise; die Opposition ließ
nichts unversucht, das Eisenbahnunternehmen gegen den
Fürsten auszubeuten und systematisch alles, was deutsch
war, zu verdächtigen, auch herrschte Uneinigkeit im
Ministerium und trat mehrfacher Wechsel der verantwort-
lichen Staatsbeamten ein. Schroff standen sich die ein-
zelnen Parteien gegenüber, durch ihre unfruchtbaren
Streitigkeiten Unordnung in die verschiedensten Verwal-
tungszweige tragend: die persönlichen Interessen überwogen
das Interesse für den Staat. Von den verschiedensten
Seiten wurde jede Veranlassung herbeigezogen und aus-
genutzt, dem Fürsten Unannehmlichkeiten zu bereiten. Es
fehlte nicht an antidynastischen Strömungen, die sich
auch darin zeigten, daß man den verjagten Fürsten Kusa
zum Deputierten wählte. Die Sprache der oppositionellen
Blätter wurde stets gehässiger und leidenschaftlicher;
wiederholt bat die Regierung den Fürsten, ihr die Geneh-
migung zur gerichtlichen Verfolgung zu geben, aber der
Fürst verweigerte sie immer wieder, da er allen Preß-
prozessen abgeneigt war. Dazu gesellten sich noch pan-
slawistische Intriguen, die sich gleichfalls gegen den Fürsten
und damit gegen die Festigung normaler Verhältnisse
richteten. Wohl erklärlich war es da, daß es nicht an
Augenblicken fehlte, in denen Fürst Karl recht mutlos in
Lindenberg, König Karl. 12
179
die Zukunft sah und sich befragte, ob sein Verbleiben noch
länger möglich wäre, da alles, was er aus treuester Pflicht-
erfüllung tat, gehässigen Beurteilungen und schlimmsten
Verleumdungen seiner Person und seines Wirkens ausgesetzt
war. Von wohlmeinender Seite wurde ihm wiederholt nahe-
gelegt, eine Änderung der gar zu demokratischen Ver-
fassung herbeizuführen, aber stets wies er dies auf das
energischste zurück, er wollte seinem Schwur treu bleiben,
den er auf die Verfassung abgelegt. Auch die Schutz-
mächte taten nichts, die Stellung des Fürsten zu kräftigen,
der vergeblich von ihnen die Aufhebung der Konsular-
gerichtsbarkeit und die Errichtung offizieller Vertretungen
Rumäniens an den Höfen verlangt hatte, ebenso wie man
ihm das Recht verweigerte, Handelsverträge abzuschließen,
überhaupt sich einzumischen trachtete, wenn die Regierung
selbständig vorgehen wollte, beispielsweise in der Münz-
frage und selbst in dem rein formellen Zugeständnis des
Namens „Rumänien".
Zu all dem kam noch die Aufrollung der spanischen
Thronfrage. Die Vertreter der spanischen Regierung
hatten an ihrem Plan festgehalten, die Königskrone dem
Erbprinzen Leopold zu übertragen, und nach langen
Weigerungen hatte sich dieser zu ihrer Annahme bereit
erklärt. In Paris vermutete man, daß Fürst Karl hierbei
eine Rolle gespielt, und hielt deshalb nicht mit schweren
Vorwürfen zurück, drohend, daß er die Sympathien des
Kaisers, welcher der Wahl des Prinzen Leopold zum
spanischen König schroff gegenüberstand, und jene des
französischen Volkes verlieren würde, was selbstverständ-
lich bei den engen Beziehungen Frankreichs zum Orient
und zu Rumänien die Stellung des Fürsten auf das schlimmste
erschüttert, wenn nicht völlig unmöglich gemacht hätte.
Vergeblich suchte der Vertreter Rumäniens in Paris den
Herzog von Gramont, der das Ministerium des Äußeren
leitete, von der Unwahrheit dieses Gerüchts zu überzeugen,
12*
180
bis er endlich in der Lage war, dies durch offizielle, ihm
gern von preußischer Seite zur Verfügung gestellte Doku-
mente nachzuweisen.
Unterdessen nahmen die mit der Thronfrage zusammen-
hängenden Ereignisse in Deutschland ihren schnellen
Fortgang und führten zur Kriegserklärung. In Rumänien
tat man mit leidenschaftlicher Absichtlichkeit alles, um
Frankreich seine Freundschaft zu bezeigen, war doch
schon, noch ehe der Bruch erfolgte, in der Kammer eine
Interpellation eingebrächt worden, ob das Kabinett ent-
schlossen sei, im Falle eines Konfliktes zwischen Frank-
reich und Preußen seine Pflicht zu tun, und zwar die einzig
politisch zu befolgende, die auf Rassensympathie beruhe,
oder ob die Regierung sich von persönlichen und egoisti-
schen Rücksichten und Interessen leiten lassen werde.
Jetzt, wo der Krieg ausgebrochen'und man seine wuchtigen
Einwirkungen auf den Orient befürchtete, verloren die
hitzigen rumänischen Politiker völlig ihre Besinnung, mit
einem Weltbrand und seinem tiefen Einfluß auf die orienta-
lischen Verhältnisse sowie dem Siege Frankreichs rechnend,
während der Fürst von Anfang an die Überzeugung hegte
und sie seinen Ministern gegenüber äußerte, daß der Krieg
lokalisiert bleiben und Deutschland siegreich hervorgehen
werde, wörtlich bemerkend : „In zwei Monaten ist Napoleon
besiegt und seine Macht gebrochen !"
In der Kammer ging es stürmisch zu, man forderte
das Ministerium auf, zu den Begebnissen im Westen
Stellung zu nehmen, und einer der Minister rief in takt-
loser Weise aus: „Wo FrankreichsjFahnen wehn, da sind
unsre Interessen und Sympathien !" An öffentlichen
Kundgebungen für Frankreich fehlte es nicht. Die Op-
position verlangte die Mobilmachung des rumänischen
Heeres in der sinnlosen Voraussetzung, daß vielleicht
Rußland für Deutschland Partei ergreifen würde und
Rumänien dann die Verpflichtung hätte, dagegen mit den
181
Waffen in der Hand aufzutreten. Auch in Paris teilte man
diese Ansicht und verlangte die Unterzeichnung eines
Vertrages für den Fall einer orientalischen Verwicklung >
welche durch Rußlands Haltung herbeigeführt werden
konnte.
In dem Wirrwarr dieser erregten Meinungen, falschen
Auffassungen und absichtlichen Entstellungen blieb Fürst
Karl ruhig und gelassen, so sehr auch sein Inneres
bewegt wurde durch die kriegerischen Vorgänge in der
Heimat und durch die Sorge um seine und der Fürstin
Brüder, Verwandten und Freunde^ die ins Feld gezogen.
Sein Handeln war ihm vorgezeichnet, er hatte geschworen,
Rumäne zu sein, und wollte dieser Verpflichtung jederzeit
treu bleiben. Daß sein Herz leidenschaftlich bewegt für
Preußen und seinen König schlug, konnte ihm keiner
verwehren. Dies kam auch in seinem tiefgefühlten, an
König Wilhelm gerichteten Brief zum Ausdruck, in welchem
er hervorhob, wie sehr es ihn dränge, fern von der alten,
teuren Heimat auf einem schwierigen Posten, wo jede
Gefühlsäußerung untersagt sei, dem König zu versichern,
daß er sich mit Herz und Gemüt den Getreuen anschließe,
•denen es das Geschick vergönnte, ihrem teuren königlichen
Führer auf ruhmvollem Pfade zu folgen; wenn er auch
gezwungen sei, einem lateinischen Volke gegenüber, dessen
Sympathien leicht zu den Stammverwandten hinneigen,
sich strengste Zurückhaltung aufzuerlegen, so seien seine
Gefühle stets da, wo das schwarz- weiße Banner wehe:
„Gott stärke das tapfere Heer ! Gott stärke Eure Majestät,
die es schon oft zu Ruhm und Ehre geführt hat!"
Die einfältigsten Gerüchte über ungeheure französische
Erfolge, unter anderm, daß Kaiser Wilhelm bald mit 20 000,
bald mit 60 000 Mann seiner Truppen gefangen genommen,
fanden in Bukarest willig Glauben und wurden immer
wieder von den oppositionellen Blättern ausposaunt und
zu hetzerischen Angriffen gegen den Fürsten benutzt. In
182
Plojeschti kam es sogar zu einem törichten Putsch, indem
„Revolutionäre" eine Kaserne, in welcher sich nur wenige
Rekruten befanden, in Besitz nahmen, den Fürsten für ab-
gesetzt und General Golesku als Statthalter erklärten,
während ein Deputierter, der sich zugleich als neuer Präfekt
des Distriktes aufspielte, Befehle ergehen ließ zum Zu-
sammenziehen von Truppen. Letztere jedoch erwiesen
sich bei dieser Gelegenheit als treu und ebenso die
Beamten des Telegraphenamtes, die der bewußte
falsche Präfekt mit geladenem Revolver zwingen wollte,
Depeschen über die Absetzung des Fürsten nach allen
Weltteilen hin zu telegraphieren. Auch das Ministerium
traf sofort alle Anordnungen zur Verhaftung der Schul-
digen und zur Verhütung einer Wiederholung derartiger
Vorgänge.
In diese unruhvolle Zeit fiel für das fürstliche Paar
der sonnigste Glücksschimmer durch die in Cotroceni am
Morgen des 8. September erfolgte Geburt eines Töchter-
chens, das in der in feierlichster Weise am 13. Oktober 1870
stattgefundenen Taufe den Vornamen Marie erhielt. „Für
eine glückliche Vorbedeutung sehe ich es an", schrieb
der Fürst an König Wilhelm, „daß mein erstes Kind das
laicht der Welt in dem Moment erblickt hat, wo sich das
Hohenzollernbanner über einem einigen Deutschland ent-
faltete, und es ist mein einziger Wunsch, daß dieses Kind
sich seines Namens würdig zeige". Auch Fürstin Elisabeth
ging völlig auf in ihrem Glück, war doch ihr und ihres
Gemahls sehnlichster Wunsch erfüllt. Von ihrer gehobenen
Stimmung liefert ein inniges kleines Üed, mit welchem
sie ihren Gemahl am ersten Jahrestage der Hochzeit
überraschte, Beweis:
„In unseren stillen, heiligen Stunden
Da wächst mir meine Kraft,
Ein Glück, wie ich's noch nie empfunden,
Hast Du in mir geschafft.
183
Ein Jubellied aus frohem Munde
Schwingt sich zum Himmelszelt,
Und trägt wie Iyerchensäng die Kunde:
Wie schön ist doch die Welt!"
Daß Fürst Karl in seiner Häuslichkeit das reinste und
froheste Glück fand, war in diesen schweren Tagen und
Wochen der einzige helle Schein. Immer dunkler wurden
die Wolken, die sich über ihm und dem Lande auftürmten,
und aufs neue beschäftigte ihn der Gedanke eines Rück-
tritts, der noch ernsthafter genährt wurde dadurch, daß
das Schwurgericht die Anführer von Plojeschti frei sprach,
was seitens der oppositionellen Parteien und Blätter jubelnd
als eine „patriotische Tat" begrüßt wurde. Ehe er jedoch
seine Absicht auszuführen gedachte, wollte er zunächst die
Schutzmächte von den Schwierigkeiten in Kenntnis setzen,
die sich der Wiedergeburt Rumäniens in den Weg stellten,
mit dem Wunsche, seinem Nachfolger in dem verhängnis-
vollen Amt die Möglichkeit zu geben, dem Lande besser zu
helfen, als es ihm vergönnt gewesen, der, durch die Kon-
stitution überall behindert, nie recht persönlich einzugreifen
vermochte, um die unklaren, vielfach unreifen inneren
politischen Verhältnisse zu ändern. Das sah Fürst Karl
ein, daß unter diesen Umständen nie Rumänien das von
ihm erhoffte Ziel erreichen werde. Aber Land und Volk
waren ihm doch so teuer geworden, daß er alles tun wollte,
damit sein Rücktritt nicht von folgenschweren Verwick-
lungen für den Staat begleitet sein würde.
Voll ruhigen Gewissens durfte sich Fürst Karl das
Zeugnis selbst ausstellen, daß er mit redlichstem Willen
stets auf das redlichste gehandelt hatte, daß er nur an
Rumäniens Wohl gedacht und immerdar bestrebt ge-
wesen, dem Lande eine aussichtsvolle Zukunft zu bereiten.
Und wie tief mußte er verletzt, wie tief verbittert worden
sein, daß er, der Geduldige und Feste, nicht mehr auszu-
harren gedachte auf dem Platz, den er sich selbst ange-
184
wiesen. Bei seinem Vater, dem er all seine Sorgen und Be-
fürchtungen mitgeteilt, fand er das vollste Verständnis für
die Schwierigkeiten seiner Lage undjdie Billigung seines Ent-
schlusses: „Es ist Pflicht gegen dich selbst/' schrieb ihm
dieser, „und vor allem gegen einen Namen, der mit Deutsch-
lands Ruhm, Macht und Größe so eng verflöchten ist, daß
man entweder einer Stellung entsagt, die man zu bemeistern
und zu beherrschen nicht imstande ist, oder die Weiter-
führung der Aufgabe an Bedingungen knüpft, die in kür-
zester Zeit ihre Verwirklichung finden. In erster Ünie
Revision der Verfassung, ist diese nicht erreichbar, nun,
so ist der Entsagungs- und Rücktrittsentschluß ebenso
motiviert wie vor vier Jahren die Annahme! Die politische
Welt wird hierin keine Schwäche und keinen Kleinmut
finden können, im Gegenteil, sie wird ihre Achtung einem
Manne nicht vorenthalten können, der offen und rückhaltlos
erklärt, daß er die Bedingungen einer gesunden Regierang
in Rumänien nicht zu erreichen vermochte länger kann
und darf es nicht so bleiben, wie es jetzt in Rumänien
zugeht! Deine und Deines Namens Ehre verbietet Dir,
der Spielball zwischen den sich anfeindenden Parteien zu
Und an einer andern Stelle schrieb der treue Vater,
der zugleich der sorgendste Freund war: „Daß aber auch
das Ausland eine recht perfide Rolle spielt, ist mir durch
mitgeteilte Dokumente erwiesen. — Eine Stellung ferner
einzunehmen, welcher jede einzelne Macht feindlich ge-
sinnt ist, welche aber zerstören zu lassen jeder einzelnen
aus Mißgunst gegen die Mitmächte wiederum nicht oppor-
tun erscheint, — eine solche Stellung ist ganz unerträglich !
— Deinem persönlichen Ansehen kann es niemals schaden,
wenn Du einer unerfüllbaren Aufgabe entsagst. Du
hast der ganzen Welt Deinen guten Willen und Deine
Befähigung zur Regierung Rumäniens gezeigt, Du hast
Dich nicht aufgedrängt, sondern bist erwählt und berufen
sein.
185
worden; Du hast großartige Schöpfungen gegründet,
Armee und Verkehrswesen regeneriert, den Segen der
Eisenbahnen verbreitet, unzählige Wohltaten an Kirche
und Arme gespendet, Künste und Wissenschaften pro-
tegiert, durch häusliches Glück die Heiligkeit der Ehe ge-
zeigt, durch Freigebigkeit aller Arten Deine Mittel flüssig
gemacht — alles dieses sichert Dir, wenn auch nicht jetzt,
doch später ein gesegnetes Andenken und beweist, im
Falle der Entsagung, der Mitwelt, daß es nicht der ima-
ginäre Glanz einer wahren Dornenkrone gewesen sei,
welcher Dich geblendet und später enttäuscht habe, sondern
daß es der Schiffbruch Deiner redlichen Absicht und
Deines Dranges nach nutzbringendem Schaffen ist,
welcher Deinen Entschluß gereift hatte und zur Tat werden
ließ." —
In eingehenden Berichten an dieHerrscher der Garantie-
mächte schilderte Fürst Karl den Stand der Dinge in
Rumänien und seine Besorgnis, daß er den immer weiter
um sich greifenden Parteileidenschaften nicht mehr ge-
wachsen sei, den Vorschlag anknüpfend, die Zukunft
Rumäniens möge auf dem in Aussicht stehenden Kongreß
geregelt werden: nur ein starkes Regiment könne heilsam
auf die inneren und äußeren Schäden des Landes ein-
wirken, das sich jetzt trotz seiner reichen Hilfsmittel in
traurigster Verfassung befände. All seine Sorgen und
Bedenken legte der Fürst in einem Brief nieder, den er
seinem Vater zur Veröffentlichung in einer deutschen
Zeitung Ende Dezember 1870 übermittelte; er führte darin
aus, mit welch unendlichen Schwierigkeiten die Regierung
des rumänischen Landes verbunden sei, und erörterte die
Fragen, woran dies hegen könnte, zur Antwort kommend,
daß weder er noch das Volk eine Schuld treffe, wenn sich
nicht in den Jahren seiner Herrschaft ein besserer Um-
schwung vollzogen habe, sondern daß diejenigen dafür
verantwortlich zu machen seien, die sich im Lande selbst,
186
das sie geboren hat, zu seinen Leitern aufgeworfen haben:
„Diese Leute nämlich, welche sich meistens ihre ganze
soziale und politische Bildung im Auslande geholt, die
heimatlichen Zustände dabei allzusehr vergessen haben,
trachten bloß danach, die dort geltenden, von ihnen ein-
gesogenen Begriffe, in utopische Formen eingezwängt, ohne
Prüfung auf ihr Vaterland zu übertragen. So ist das un-
glückliche Land, das sich stets unter dem härtesten Druck
befunden hat, ohne Übergang aus seinem despotischen
Regiment auf einmal zu einer so liberalen Verfassung ge-
raten, wie sie kein anderes Volk in Europa besitzt." In
dem Brief wurde des ferneren noch gesagt, daß der gute
Wille des Fürsten stets verkannt und all sein Tun und Han-
deln mit Undank belohnt worden sei, dann der Kammer-
adresse gedacht, die als „ein Meisterstück phanariotischer
Perfidie" gekennzeichnet wurde, und zum Schluß betont:
wie im gewöhnlichen Leben die Mißbilligung einer Handlung
stets nur den Urheber derselben treffen könne, so fiele auch
in diesem Falle die ganze Verantwortung auf denjenigen
zurück, der nicht verstehe, seinen frei erwählten Fürsten
zu ehren, „man entehrt sich selber, wenn man nicht zu
respektieren weiß, was man selber geschaffen hat." —
Dieser durch alle Zeitungen gehende Brief machte natürlich
in Rumänien das größte Aufsehen, und die oppositionellen
Parteien benutzten ihn zu der Lüge, der Fürst gedenke
einen Verfassungsbruch herbeizuführen. Auch in der
Kammer fehlte es nicht an den gleichen Anschuldigungen,
und über all dem Gezänk untereinander und den An-
griffen gegen den Fürsten vergaß man die Erledigung der
dringlichsten Aufgaben.
Da traf den Fürsten noch der härteste Schlag, die
Nachricht, daß Strousberg den am i. Januar fälligen Kupon
der Eisenbahnobligationen weder bezahlen könne noch
wolle, behauptend, was selbstverständlich eine böswillige
Erfindung war, daß der rumänische Staat zur Zinszahlung
187
verpflichtet sei. Die unheilvollen Folgen dieser unver-
muteten Zahlungseinstellung sah der Fürst voraus: man
würde ihn in der deutschen Heimat, wo Tausende auf seinen
Namen hin ihre Ersparnisse in rumänischen Eisenbahn-
papieren angelegt — im Gesamtbetrage von 250 Millionen
Francs — verantwortlich für die Krisis machen, und in
Rumänien selbst würde man neue Angriffe daraus auf ihn
schmieden, ihm vorwerfen, daß er dem deutschen Unter-
nehmer zuviel Vertrauen geschenkt. Das war für den
Fürsten jetzt selbstverständlich, daß er nun auf seinem
Posten ausharren müsse, so lange, bis dieser neue schwere
Schlag überwunden, und bis die Eisenbahnfrage völlig ge-
regelt worden sei. Tief entmutigt, erfüllt von bangen Be-
fürchtungen, öffnete er seinem Vater sein bedrücktes Herz:
„Habe ich aber einmal diese ungeheure Schwierigkeit hinter
mir, darf ich erst sagen, daß ich die Feuerprobe bestanden
habe, dann ist es genug des grausamen Spiels, dann hoffe
ich, daß Du mir einPlätzchen finden wirst, wo ich mein
müdes Haupt niederlegen kann! Aber jedenfalls eine
stille abgelegene Ecke, wo man sich für eine Zeit ganz
vergessen machen kann."
Unter derartig trüben Aussichten brach das Jahr 1871
an, zugleich wiederum mit heftigsten Stürmen in der
Kammer, und im Senat, wo man die Gerüchte über die
Abdankung des Fürsten offen behandelte, seitens der
oppositionellen Parteien in der gehässigsten und ver-
letzendsten Art. Wohl versicherte man offiziell dem Fürsten
seine Anhänglichkeit, dieser jedoch wußte am besten, wie
es mit der Stimmung der leitenden Schichten beschaffen
war und mit welch unverhohlenem Neid man die deutschen
Siege über Frankreich verfolgte, hatte man in den ersten
Bukarester Kreisen doch ganz offen erklärt: „Wir können
zwar nicht nach Frankreich gehen und dort die Deutschen
bekämpfen, aber wir werden es hier tun!"
Immer drückender wurde auch die Finanzlage; in
188
den letzten 13 Jahren hatten, wie es Finanzminister
Sturdza der Kammer dargelegt, sich die Ausgaben des
Staates verdreifacht, nicht aber die Einnahmen: „Der
Staat befindet sich an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit;
von den 84 Millionen Frcs. des Einnahmebudgets werden
34 Millionen für die Verzinsung der Staatsgelder wegge-
nommen; es bleiben also nur 50 Millionen Frcs. für ad-
ministrative Zwecke." Natürlich wurde in den Kammern
eingehend stets aufs neue das unglückliche Strousbergsche
Eisenbahn-Unternehmen behandelt, wobei man gern den
Fürsten als Zielpunkt der Angriffe nahm, ihm alle Schuld
aufbürdend und ihm vorwerfend, daß der Regierüngsrat
Ambronn, der auf Strousbergs Bitte zum Kommissar der
rumänischen Regierung bei der Baugesellschaft ernannt
worden war, sich des Vertrauens des Fürsten von Hohen-
zollern erfreut hätte, ein Vertrauen, welches er allerdings
in der erwähnten Stellung nicht bewährt, da er es zuge-
lassen hatte, daß das Depot, über welches er wachen sollte,
angegriffen und mit wertlosen Hypotheken gefüllt worden
war. Stets leidenschaftlicher wurden diese Erörterungen;
plante man doch sogar, alle Minister, die mit Strousberg
verhandelt, in Anklagezustand zu setzen und sich an ihrem
Privatvermögen für den entstandenen Verlust schadlos zu
halten. Dazu kam, daß Preußen energisch auf Bezahlung
des fälligen Kupons seitens des rumänischen Staates be-
stand, was schon insofern unmöglich war bei der I^eere der
Staatskasse sowie bei der Aussichtslosigkeit einer neuen
ausländischen Anleihe, ferner bei der feindlichen Haltung
der Kammern, die den Antrag annahmen, die Strousbergsche
Angelegenheit einem Schiedsgericht zu überweisen.
Von außen war jedoch keine Hilfe zu erwarten, wie
dies Graf Bismarck in einem aus Versailles unter dem
10. Januar gerichteten Briefe ausdrücklich betonte; er
hob das Mißtrauen der Pforte hervor und daß das per-
sönliche Wohlwollen des Kaisers von Rußland gegen den
189
Fürsten durch die traditionelle Auffassung der russischen
Politik, welche der Vereinigung der beiden Fürstentümer
entgegen ist, überwogen wird.
„Es ist ja nur natürlich," fährt Bismarck fort, „wenn
Eure Hoheit zunächst auf den hohen Chef Ihres Hauses,
auf Preußen und Deutschland, blicken. Eure Hoheit
wissen, wie Seine Majestät der König für Höchstdieselben
gesinnt ist, aber Eure Hoheit wissen auch, daß die jetzige
Kriegslage es für Deutschland unmöglich macht, in die
Verhältnisse im Osten unter den oben angeführten Um-
ständen wirksam einzugreifen. — Wenn ich das Fazit aus
allen diesen Erwägungen ziehe, so kann ich nur zu dem
Schlüsse kommen, daß Eure Hoheit von außen, keine
Hülfe, sondern eher Übelwollen erwarten dürfen und daher
Ihre Entschlüsse nur durch Beurteilung der Ihnen im
eigenen Lande noch zu Gebote stehenden Hilfsmittel fassen
müssen. Wenn Sie eine Krise erwarten, zu deren Uber-
windung Sie die besseren Elemente im Lande nicht aus-
reichend erachten, so scheint es eine vor allem nur durch
die Rücksichten auf sich und Ihr Haus gebotene Aufgabe
zu sein, daß jeder Entschluß, den Sie fassen, auch wirk-
lich als ein selbständiger und freiwilliger, nicht durch
äußere Gewalt aufgezwungener erscheine, und daß die
reinen und edlen Motive, welche Eure Hoheit dabei leiten
würden, klar hervortreten. < — Es ist mir schmerzlich,
Eurer Hoheit keinen andern Rat und keine besseren Hoff-
nungen geben zu können. Ich weiß aber, daß die patrio-
tische Teilnahme und herzliche Freude an den Erfolgen
unsrer deutschen Armee und an dem Glänze, der das
verehrte Haupt unsres Königs umgibt, selbst durch
diese schmerzlichen persönlichen Erfahrungen bei
Eurer Hoheit nicht getrübt werden, und schließe mit
der Hoffnung, daß Ihre Wünsche für einen baldigen
ehrenvollen und gesicherten Frieden in Erfüllung gehen
mögen,"
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190
Auch Kaiser Wilhelm schrieb in Hebevollster Weise
an den Fürsten, mit vollem Verständnis für die Schwierig-
keiten, die sich einer ersprießlichen Regierung im fernen
I^ande entgegenstellten, aber auch er betonte, daß nach
seinen Erkundigungen keine der beteiligten Mächte bereit
sei, „ihr Gewicht für die Verbesserung oder auch nur die
Erhaltung der bestehenden Zustände Rumäniens ein-
zusetzen."
Gleichzeitig mit diesem Briefe traf die Nachricht von
der Proklamation des deutschen Kaiserreiches ein, und
aus tiefstem, an dem gewaltigen Ereignisse jubelnden An-
teil nehmenden Herzen heraus richtete Fürst Karl nach-
stehende Zeilen an Kaiser Wilhelm: „Mit unaussprechlich
tiefer Freude richte ich an Eure Majestät heute einige
Worte, die den aufrichtigsten Glückwunsch enthalten
sollen zur Vollendung des Riesenwerkes ! Der brennende
Wunsch eines großen Volkes, der jahrhundertelang
unerreichbar schien, und so überaus schön, daß man
ihn kaum mehr zu erhoffen wagte, — heute ist er
erfüllt, und jedes treue Herz darf Eure Majestät glück-
lich preisen, den der Himmel auserlesen hat zu solcher
Tat! — Deutschland ist geeint, das ist der Jubelruf, mit
dem wir das neue Jahr beginnen, trotz aller schmerzenden
Wunden, trotz beiden und Tod — oder vielmehr, aus
diesen geht hervor Deutschlands Auferstehungsmorgen
und beleuchtet das Reichsbanner, das Eurer Majestät
Starker Arm dem Vaterlande voranträgt: die Verheißung
eines ruhmvollen Feiertages nach heißem Kampfe ! Welch
herrliches Gut errungen ist, wird allen erst dann recht
zum Bewußtsein kommen, wenn der Frieden dem alten
jungen Deutschland gestatten wird, sich in nie gekannter
Kraft und Einheit zu entfalten, und wenn Künste und
Wissenschaften, Handel und Ackerbau einen neuen Auf-
schwung nehmen durch das weite Feld, das ihnen auf-
getan worden! — Gestatten mir Eure Majestät, an dieser
191
Stelle meinen gerührtesten Dank für das gnädige Ant-
wortschreiben auszusprechen, in dem ich von neuem das
väterliche Interesse erkannt habe, das Allerhöchstdieselben
mir stets zugewendet haben! Ich stehe hier allein, auf
weithinausgeschobenem Vorposten, als Grenzwacht gegen
den Orient, und muß geduldig harren, bis es dem Himmel
gefallen wird, mich abzulösen. Doch bin ich nicht so
fern und nicht so müde, daß ich nicht aus voller Brust
in den jauchzenden Ruf mit einstimmen könnte: Es lebe
der deutsche Kaiser!"
Und an den Grafen Bismarck schrieb der Fürst:
„In dieser ernsten, für Eure Exzellenz so bewegten
Zeit würde ich Sie nicht schon wieder mit einigen Zeilen
belästigen, wenn nicht der herzliche, teilnehmende Ton
Ihres Briefes, aus dem hervorgeht, daß Sie in der schwie-
rigen I^age hier nur meine Person im Auge haben, mich
zu Worten des Dankes drängte. Gleichzeitig möchte ich
Ihnen von ganzem Herfen Glück wünschen zu der glänzen-
den Krönung Ihres großen Werkes. — Wohl haben Sie
recht, anzunehmen, daß meine schmerzlichen persönlichen
Erfahrungen ganz verschwinden neben der Freude am
Emporblühen meines teuren Heimatlandes, neben dem
herzerfreuenden Anblick der Strahlenkrone, die das ehr-
würdige Haupt unsres vielgeliebten Königs umgibt! —
Wenn ich auch hier habe lernen müssen, schweigend Freud
und I^eid zu durchleben, so ist meine Stimme in den ver-
rosteten Zuständen hier noch nicht so klanglos geworden,
daß ich nicht dem deutschen Kaiser zujubeln könnte! —
Die Verhältnisse hier sind ernst; das wüste Parteigetriebe
kann ich fürs erste noch dazu benutzen, mich so lange zu
halten, wie es mir entsprechend und geraten scheint. Wie
der Kapitän auf stürmischer See Tag und Nacht auf seinem
Posten ausharren muß, so auch ich. — Die Grundwellen
jagen mein Schiff bald hoch, bald tief, aber so wahr mir
Gott helfe, ich werde es nicht scheitern lassen! — Heute
192
möchte die Mannschaft mich gern über Bord werfen, ein
Teil derselben hat aber noch Einsicht genug, um zu wissen,
daß nur ich sie in sicheren Hafen leiten kann. — Zwei
Punkte verliere ich nicht aus dem Auge: ich will meinen
Namen rein und makellos aus diesem Chaos herausziehen,
aber ich will auch nicht herz- und gewissenlos le deluge
apr&s moi lassen! Das bezieht sich vor allem auf die Fi-
nanzlage hier, deren Folgen für das In- und Ausland ver-
hängnisvoll werden könnten."
Da trat wenige Wochen später ein Ereignis ein, das
den Fürsten veranlaßte, seinem Entschlüsse, abzudanken,
rascher näher zu treten, wie er es sich vorgenommen.
Die deutsche Kolonie in Bukarest wollte, wie alljährlich,
den Geburtstag Kaiser Wilhelms am 22, März durch ein
Festbankett feiern; vorsichtigerweise hatte man sich -er-
kundigt, ob der Abhaltung bei der augenblicklichen deutsch-
feindlichen Strömung nichts entgegenstände, aber der
Polizeipräfekt und der Ministerpräsident hatten dies ver-
neint und sich für die Aufrechterhaltung der Ruhe ver-
bürgt. Als sich um die achte Abendstunde des genannten
Tages die deutschen Teilnehmer des Festes in einem nahe
dem Theaterplatz gelegenen Saal vereint hatten, zog vor
das betreffende Haus eine große Volksmenge, zertrümmerte
mit Steinwürfen die Fenster und suchte in den im ersten
Stock gelegenen Saal einzudringen. Über zwei Stunden
dauerten die Unruhen ; durch die Stein würfe wurden mehrere
Mitglieder der Kolonie verletzt, und nur der Besonnenheit
des Generalkonsuls von Radowitz war es zu danken, daß
es nicht zum Blutvergießen kam. Die Tumultanten, unter
denen sich auch Deputierte befanden, lärmten in der
tollsten Weise; Rufe wie: „Es lebe die Republik!" und
„Auf zum Palais !" wurden laut, die Straßenlaternen wurden
ausgelöscht und die Glocken der nahen Kirchen geläutet.
Der Fürst, dem sogleich Mitteilung gemacht worden,
schickte unverzüglich seinen Adjutanten zum Minister-
193
Präsidenten und zum Polizeipräfekten, aber beide Herren
waren nicht aufzufinden! Endlich ließ General Salomon,
der Divisionskommandant von Bukarest, Truppen aus-
rücken, und nun erschien auch der Ministerpräsident, der
den General verhindern wollte, das Militär einschreiten
zu lassen, aber von diesem eine energische und unzwei-
deutige Antwort erhielt. Überhaupt traf der General in
umsichtiger Weise alle Vorkehrungen, indem er sämtliche
zum Palais führende Straßen und ersteres selbst militärisch
besetzen Heß, und auch seine wiederholten Mahnungen an
die von Parteiführern aufgestachelte Menge, sich zu zer-
streuen, hatten schließlich Erfolg.
Fürst Karl war auf das tiefste empört über das Vor-
gefallene. Vergeblich sandte er mehrfach nach dem
Ministerpräsidenten Jon Ghika, dagegen stellten sich
einige andere Minister ein, denen der Fürst seine vollste
Entrüstung ausdrückte; dann Heß er den Fürsten D. Ghika
holen, ihn auffordernd, unverzüglich ein neues Ministerium
zu bilden. In der Nacht noch erschien der Generalkonsul
von Radowitz beim Fürsten, diesem mitteilend, wie sehr
er sich und in sich das Deutsche Reich, das er vertrete,
verletzt fühle, und wie er die Polizei und das Ministerium
für Mitschuldige halte; er dürfe wohl als Genugtuung die
Entlassung des Ministerpräsidenten erwarten. Der Fürst
drückte ihm sein aufrichtiges Bedauern aus und bemerkte,
daß er bereits das Erforderliche getan habe, um ein neues
Ministerium zu bilden. Kurz danach erschien auch Jon
Ghika im Palais; der Fürst empfing ihn kalt, entnahm
aber aus seiner Rechtfertigung, daß jener doch nicht zu
den Mitschuldigen gehöre, sondern sich den Vorgängen
gegenüber nicht gewachsen gezeigt habe, daß dagegen
volle Verantwortung den Polizeipräfekten treffe; der Fürst
teilte Ghika mit, daß er seine Entlassung erwarte und daß er
für den nächsten Morgen die MitgHeder der früheren Regent-
schaft berufen werde, um ihnen die Regierung zu übertragen.
Lindenberg, König Karl. 13
194
Das äußerte am nächsten Morgen Fürst Karl auch
D. Sturdza gegenüber, den er zu sich gebeten, der ihn
aber, ebenso wie die beiden Mitglieder der einstigen Regent-
schaft, L. Catargiu und N. Golesku, — das dritte Mitglied,
Oberst Haralambi, war nicht in Bukarest anwesend, —
beschwor, von seinem Beschlüsse abzusehen, welcher für
das Land das verhängnisvollste Unglück bedeuten würde,
denn der Staatsbankerott und die allgemeine Anarchie
würden die unmittelbaren Folgen sein. Der Fürst setzte
ihnen auseinander, wie er trotz seines unermüdlichen
Willens und Handelns kein Mittel mehr sehe, die Ordnung
aufrecht zu erhalten und die trüben Verhältnisse des Staates
zu bessern. Aber immer aufs neue bestürnyten ihn die
Herren, seinen Plan nicht auszuführen, und nach langem
Erwägen erklärte der Fürst, wenn auch sehr widerstrebend,
daß er noch einmal mit sich zu Rate gehen wolle und
vielleicht von seiner Absicht zurückstehen würde, falls
ein starkes Ministerium zustande komme, das in der
Kammer die Genehmigung des Budgets und der Finanz-
gesetze durchzusetzen imstande sei; gehe die Kammer
auf diese Forderung nicht ein, so werde er sogleich das
Land verlassen.
In der Stadt herrschte ungeheure Aufregung. Die
wildesten Gerüchte wurden verbreitet, die Opposition hetzte
weiter, die Möglichkeit eines ernsten Zusammenstoßes der
Parteien war zu befürchten, die Truppen waren in den
Kasernen zusammengezogen und die Umgebung des Palais
militärisch besetzt. In der Kammer, deren Mitglieder am
Mittag des 23. März zusammengetreten waren, teilte
Ministerpräsident Ghika die Einreichung seines Entlassungs-
gesuches mit, dann vereinten sich die Abgeordneten zu
einer geheimen Sitzung, in der L. Catargiu von den Ver-
handlungen mit dem Fürsten Mitteilung machte. Die
Diskussion darüber in der sich anschließenden öffentlichen
Sitzung gestaltete sich sehr erregt und war erfüllt mit
195
allen nur denkbaren Angriffen auf den Fürsten und die
Dynastie. Die vom Fürsten abgesandten Herren benach-
richtigten ihn alsbald, daß die Kammer von ihm die Ein-
berufung eines Ministeriums erwarte, und der Fürst be-
auftragte sogleich mit der Zusammensetzung L. Catargiu,
ihn auffordernd, nur energische Männer zu wählen, ohne
Rücksicht auf irgend welche Parteiverhältnisse. Der Poli-
zeipräfekt, der im Palais erschienen, gab auf die Vorwürfe
des Fürsten seine Entlassung; das Militär aber blieb unter
den Waffen, denn man hörte gerüchtweise, daß das Volk
aufgehetzt werden solle/ zum Palais zu ziehen. Am Abend
stellten sich dort die Vertreter der Garantiemächte ein, um
in dieser gefährlichen Lage in der Nähe des Fürsten zu
weilen, der ihnen eröffnete, er sei gesonnen, auf seinem
Posten auszuharren, was von allen Seiten mit freudiger
Genugtuung begrüßt wurde. Um Mitternacht meldete
L. Catargiu dem Fürsten, er habe ein Ministerium zustande
gebracht, dessen Präsidium er übernehmen wolle, und am
nächsten Vormittag konnte der Fürst diese neuen Ratgeber
bereits vereidigen, ihnen die Hoffnung ausdrückend, daß er
mit ihrer Hilfe der schwierigen Lage Herr zu werden ge-
denke. In der Kammer ging es in den nächsten Tagen
noch erregt zu, auch in der Hauptstadt zeigten sich aller-
hand Nachwirkungen der Hetzereien, aber bei einer Spazier-
fahrt durch die dicht mit Menschen gefüllten Straßen wurde
das fürstliche Paar überall ehrfurchtsvoll begrüßt, ebenso
der Fürst bei einem langen ausgedehnten Spazierritt durch
die belebtesten Gegenden.
Das entschiedene Auftreten des Fürsten Karl in dieser
kritischen Zeit hatte überall einen außerordentlich günstigen
Eindruck hervorgerufen, ebenso, daß das Ministerium die
feste Absicht zeigte, unter allen Umständen die Ruhe in
der Hauptstadt und im Lande, — wo übrigens die Buka-
rester Ereignisse keinerlei Echo gefunden hatten — aufrecht
zu erhalten. Wenn auf der einen Seite Fürst Bismarck
13*
196
den Generalkonsul von Radowitz aufforderte, von der rumä-
nischen Regierung die entsprechende Genugtuung zu ver-
langen, so ließ er andrerseits dem Fürsten mitteilen, er
sei durchaus befriedigt Von der neuen Lage der Dinge
und von der Zusammensetzung des kraftvollen Ministeriums,
zugleich ihm dringend ratend, auf seinem Posten auszu-
harren. Wie es zu erwarten war, hatte das Ministerium
sofort dem deutschen Konsul das tiefste Bedauern über
die beklagenswerten Vorgänge ausgedrückt und jede
Garantie für den Schutz der Deutschen übernommen. Auch
die übrigen Behörden, selbst die kirchlichen, wetteiferten
jetzt in dem Bestreben, die Deutschen jene Ereignisse ver-
gessen zu machen. An König Wilhelm richtete Fürst Karl
ein längeres Schreiben, in dem er betonte, wie sehr
er es beklage, daß gerad' jener 22. März, mit dem für ihn
so viele teure Erinnerungen verbunden seien, auf schmäh-
liche Weise getrübt worden sei: „Tiefer und schwerer
konnte man mich nicht treffen, als indem gerade diese Ge-
legenheit ergriffen wurde, um die lange waltenden Umtriebe
zum Ausbruch zu bringen! Angesichts der schwierigen
Lage, insbesondere der großen Finanzkalamität, mußte ich
es auf das äußerste ankommen lassen, um die besseren
Elemente aus ihrer Apathie aufzurütteln. Ich berief daher
die Statthalterschaft, aus deren Händen ich im Jahre 1866
die Zügel der Regierung übernommen habe, um sie ihr
wieder zurückzugeben. Durch diese drohende Gefahr er-
schreckt, vereinigten sich alle konservativen Fraktionen
und bildeten das neue Ministerium. Heute ist es Ehrensache
für mich, die Männer, die entschlossen sind, das I,and vor
ernsten Verwickelungen zu bewahren, mit allen Kräften
zu stützen und gemeinsam mit ihnen die notwendigen
Reformen durchzuführen. Sollten die letzteren auch mit
diesen Männern nicht zu erreichen sein, dann ist das L,and
unwiederbringlich verloren ! Man darf sich nicht verhehlen,
daß die Situation sehr ernst und die Herbeiführung besserer
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Zustände mit den allergrößten Schwierigkeiten verbunden
ist. Die Zukunft liegt undurchdringlich vor mir. Doch
je größer die Gefahr, desto weniger darf man den Mut
sinken lassen!"
Der Brief spiegelt so recht das innerlich gefestete
Wesen des Fürsten wider, der in jenen gefahrvollen
Stunden seine volle Kaltblütigkeit wie ruhige Überlegung
bewahrte und sich nicht zu einem schnellen Schritt hinreißen
ließ, der das gesamte Land in die unberechenbarsten
Wirren gebracht hätte. Nach dem kurzen. Augenblick des
Schwankens wollte er nun fest und beständig auf seinem
Posten ausharren, der wahrlich zunächst wenig Befriedigung
gewährte, um so weniger, da natürlich auch die Fürstin
auf das tiefste bewegt worden war durch jene Straßen-
demonstrationen. Aber was sich Fürst Karl entschlossen
vorgenommen, führte er auch mit Entschlossenheit aus;
treu und stetig, klug und beharrlich/ gerecht und vor-
urteilsfrei lenkte er des ferneren das Staatsschiff, nicht
jene es büßen lassend, die ihn so tief gekränkt.
vin.
Wie nach schalen Tagen ein Gewitter die Luft
reinigt, so hatten die geschilderten ernsten Vor-
kommnisse wesentlich zur Klärmig der iimerpoh tischen
Lage des Landes beigetragen, und im werteren Verlaufe
des Frühlings trat eine achtliche Verbesserang der bisher
so gespannt gewesenen Zustände ein. Die nationalen
Parteien hatten die ganze verantwortliche Bedeutung der
letzten Wochen erkannt. Das StaatsschifF war nahe am Zer-
schellen gewesen, und nur die energische Hand des Fürsten
Karl, der trotz all des Vorgefallenen nicht vom Steuer ge-
wichen, hatte es vor dem Schiffbruch bewahrt: wäre doch
wenn er in seinem Schmerz über die ihm zugefügten Be-
leidigungen das Land verlassen hätte, was ihm wahrlich
niemand hätte verdenken können, höchslrwahrscheinlich so-
gleich eine Besetzung von türkischer und vielleicht auch
von russischer Seite erfolgt, und die so lang ersehnte und
hart erkämpfte Selbständigkeit des jungen rumänischen
Staatengebildes wäre wiederum in Frage gestellt worden.
Das ganze Auftreten des Fürsten hatte seines nachhaltigen
Eindrucks nicht verfehlt. Mit neuem Vertrauen sah man
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auf ihn und mit der Zuversicht, daß er allein dem I,and und
Volk die erforderliche Beständigkeit verbürge, die unbedingt
nötig war, wollte man die erhofften Fortschritte machen und
nicht ein Einschreiten der Garantiemächte, deren Mißtrauen
gegen Rumänien und die Unsicherheit der dortigen Ver-
hältnisse nie aufgehört und durch die jüngsten Vorkomm-
nisse neue Nahrung erhalten, erzwingen.
Dieser Umschwung zum Besseren zeigte sich am deut-
lichsten bei der in der zweiten Aprilhälfte 1871 unter-
nommenen, seit langem geplant gewesenen Reise des Fürsten-
paares nach der Moldau, welche die Fürstin ja noch nicht
kannte. Der erste Teil der Fahrt wurde mit der Bahn
zurückgelegt, dann wieder weite Strecken in dem mit acht
mutigen Ros-
sen bespann-
ten offenen Ge-
fährt, in wel-
chem es wie
der Wind über
die endlosen
Felder ging,
von Dorf zu
Dorf, wo über-
all die Be-
völkerung in
den maleri-
schen Kostü- Bauern und Bäuerinnen Hora tanzend.
men der fürst-
lichen Reisenden harrte und sie jubelnd empfing, bei
längerer Rast Hora tanzend, während zahllose berittene
Bauern den Zug stets bis zur nächsten Ortschaft begleiteten.
Uber Braila und Galatz fuhr man nach Jassy, dessen Ein-
wohnerschaft dem Fürsten und seiner Gemahlin gleichfalls
den begeistertsten Empfang bereitete. Hier in der Haupt-
stadt der Moldau wurde ein zehntägiger Aufenthalt ge-
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nommen, reich an Festen aller Art, die mit Besichtigungen
der staatlichen und militärischen Einrichtungen seitens des
Fürsten, der Schulen und wohltätigen Anstalten seitens
der Fürstin wechselten. Was wohltuend berührte, war die
aufrichtige Herzlichkeit und innige Wärme, die man aller-
seits dem Fürstenpaare entgegenbrachte; das war um so
höher zu veranschlagen, als ja auf moldauischem Boden
die separatistischen Bewegungen nie aufgehört hatten.
Beim Abschied von Jassy hob denn auch der Fürst in seiner
Rede hervor, wie sehr ihn und die Fürstin diese innige
Aufnahme erfreut hätte; sie habe ihn überzeugt, daß die
Zusammensetzung der letzten Kammer nicht der richtige
Ausdruck der Volksstimmung gewesen und habe ihn mit
neuem Mut erfüllt, sich mit vollster Hingebung der Auf-
gabe zu widmen, die ihm die Nation anvertraut, die
Hoffnung hinzufügend, daß alle Rumänen, die ihr Vater-
land liebten, sich um den Thron scharen und gemeinsam
mit ihm für das Glück und die Wohlfahrt des L,andes
wirken möchten. Ähnlich drückte sich der Fürst auch
den Ministern gegenüber bei seiner Rückkehr nach Bukarest
aus, wo ihn gleichfalls freudiger Jubel begrüßte, und wo
die Eltern glücklich waren, ihr Kind wieder in die Arme
schließen zu können.
Der unerwartete Erfolg dieser Reise verfehlte im ganzen
L,ande nicht seine Wirkung und kräftigte erheblich die
Stellung des Fürsten und der Regierung, ebenso wie sich
das Ausland überzeugen konnte, daß die Gerüchte von
einer Zersprengung der Union der ehemaligen beiden
Fürstentümer und von dem neuen Aufflackern ehrgeiziger
Bestrebungen seitens der Moldauer Parteien falsch ge-
wesen.
Ergaben die Anfang Mai veranstalteten Wahlen für
die Bukarester Stadtvertretung schon ein vorzügliches
Resultat, indem kein einziger oppositioneller Kandidat ge-
wählt wurde, so auch jene für die Kammern, die ein sehr
201
zufriedenstellendes Ergebnis hatten und viel ruhiger ver-
liefen, als es sonst der Fall gewesen. Seiner Befriedigung dar-
über gab der Fürst bei der Eröffnung der außerordentlichen
Kammersession am 4. Juni in der mit lautem Beifall auf-
genommenen Thronrede Ausdruck. Er bat die Volksvertreter
dringend, die Regierung in der Erfüllung ihrer schweren
Pflichten zu unterstützen und gelobte, daß er auch fernerhin
unermüdlich darauf hinstreben wolle, um seiner hehren
Mission gerecht zu werden, die ernste Mahnung anknüpfend,
daß wahre Freiheit nichts mit Zügellosigkeit und Anarchie
zu schaffen habe, denn ohne Pflicht kein Recht und ohne
Ordnung keine Freiheit! Ähnlich drückte er sich auch
bei der Entgegennahme der Adresse der Kammer auf die
Thronrede aus, mit besonderer Wärme hervorhebend, daß
er sich im letzten .Winter nicht der Ansicht verschließen
gekonnt, wie sehr man seine Absichten mißverstanden, und
daß er, da er nie willens gewesen, sich dem I,ande auf-
zudrängen, einen Augenblick daran gedacht habe, seinen
Posten zu verlassen. Heute aber, wo ihm die Nation so
viele Beweise ihres festen Vertrauens gegeben, hege er
aufs neue die Hoffnung, es werde ihm gelingen, seine Auf-
gabe zu erfüllen, gestützt auf den Patriotismus aller Be-
völkerungsschichten .
Die Kammer beschäftigte sich alsbald mit den Ver-
handlungen über die Eisenbahnfrage und nahm ein Gesetz
an zur Regelung derselben, das aber erst nach langem
Zögern die Zustimmung des Fürsten fand, da er es als
unvollkommen und zunächst nur als Grundlage für eine
gerechte und würdige I^ösung der gründlich verfahrenen
Angelegenheit betrachtete. Von großer Bedeutung war
der vprzügliche Ausfall der Ernte des Sommers und nicht
minder wichtig, daß der Staat eine neue Anleihe von
75 Millionen Francs im eigenen I,ande unterzubringen ver-
mochte, was am besten für die reichen Hilfsquellen und
für die Zuversicht der wohlhabenden Kreise, die nicht
202
mehr eine Störung der öffentlichen Ordnung befürchteten,
sprach.
Die Unruhen und Sorgen der letzten Monate hatten
selbst die kräftige Gesundheit des Fürsten erschüttert; er
erkrankte an heftigem Fieber und mußte das Bett hüten.
Auch der Fürstin war der sommerliche Aufenthalt in den
dumpfen Räumen des Cotroceni-Klosters, dessen Inneres
Das Prachovatal (1872).
man wohnlicher gestaltet, dessen Umgebung aber sumpfig
war, nicht gut bekommen. So führte denn das fürstliche
Paar eine längst geplante Absicht aus, mit ihrem Töch-
terchen anfangs August nach Sinaia überzusiedeln. Bis
nach Plojeschti konnte man die fertige Bahnstrecke be-
nutzen, dann wieder im offenen Wagen fahrend. Die
Fürstin äußerte stets aufs neue ihre helle Freude über die
wechselnden Eindrücke, die sich ihr in so reicher Fülle
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darboten.
Überall ström-
te die Bevölke-
rung herbei,
Knaben und
Mädchen in den
bunten Trach-
ten brachten in
den Dörfern
Blumensträuße und Früchte
dar, zerlumpte Zigeunerkinder
eilten heran mit Jubel und Trubel, und zottige Bären-
treiber ließen den brummenden Meister Petz seine Kunst-
stücke ausüben. Immer mehr ging der Weg bergan; bald
rechts, bald links von ihm rauschte die Prachova in breitem
Felsenbett dahin, das im Frühling von tosenden Fluten
ausgefüllt ist. Romantische Täler öffneten sich mit lieb-
lichen Ausbücken, dann schoben sich die Felsen enger zu-
sammen, ungebärdig, mit keckem Trotz ob der Hindernisse,
drängte sich gurgelnd und sprudelnd der Fluß hindurch,
nicht achtend der entwurzelten Baumstämme und massigen
Steinblöcke,die
seinen Weg zu
hemmen such-
ten, den hier
und da kleine-
reTrupps groß-
gehörnter Büf-
fel kreuzten.
Nun reckten
sich die dunk-
len Massen des
herrlichsten
Hochwaldes
auf, überragt Bei der Ernte.
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in majestätischer Wucht von den blauschimmernden,
zackigen, mit gleißendem Schnee gekrönten Felsengründen
des Bucsecs, des unbestrittenen Herrschers der Tran-
sylvanischen Alpen, ernst und hoheitsvoll herabgrüßend
auch auf das auf breitem Vorsprung liegende Kloster
Sinai a, das mit seinen niedrigen Gebäuden, den weißen
Galerien, seinen dunklen Bedachungen und der Kirche
malerisch herniederschaut auf die schweigsamen Talbuchten
und die rauschende Prachova, in die grad' unterhalb der
Bergkuppe sich der Pelesch mit eifrigem Geplauder ergießt.
Aber nicht nur aus der Entfernung, auch aus un-
mittelbarer Nähe wirkt die Klosteranlage äußerst an-
ziehend. Sie zerfällt in zwei Teile. Der erste und älteste
umschließt in festungsartigem Viereck mit kleinen, efeu-
und weinlaubberankten Bauten einen Hof, in dessen Mitte
die winzige vergilbte Kapelle liegt, deren von Säulen mit
Ornamenten und Engeln flankierte Vorhalle das Jahr der
Erbauung, 1695, kündet. Aber schon lange vorher hatte
hier eine klosterähnliche Ansiedlung bestanden, bis Michael
Cantacuzeno, der bekannten, aus Byzanz nach der Walachei
eingewanderten Fürstenfamilie entstammend, den Mönchen
Geld und Güter zur Verfügung stellte zum Bau und Unter-
halt des Klosters und der Kapelle, wie er auch zur Er-
innerung an Berg und Kloster Sinai den Namen Sinaia
bestimmte. Oft war das scheinbar so weltentrückte
Kloster der Schauplatz blutiger Kämpfe, da um seinen
die Einfallsstraße von Ungarn nach Rumänien beherr-
schenden Besitz Türken und Russen, Österreicher und
Ungarn, aber auch Räuber und meuternde Soldaten
kämpften; die Chronik erzählt, daß mehrfach die Mönche
zu Wehr und Waffen griffen und mutig ihr Besitztum
verteidigten.
Desto friedlicher war's beim Eintreffen des Fürsten-
paares. Blumen blühten auf dem Klosterhofe in ver-
morschten Steingefäßen von antiker Form, Schwalben
205
nisteten unter den vorspringenden Dächern und Finken
spielten im dichten Blättergewirr, während sich in ein tiefes
Brunnenbecken plätscherndes Brunnenwasser ergoß. Die
Mönche in ihren langen, schwarzen Talaren und den hohen
schwarzen Sammetkappen, unter denen die Haare weit her-
abfielen, bereiteten dem Fürstenpaare einen feierlichen
Empfang und geleiteten dasselbe nach kurzem Gottesdienste
in der Klosterkirche in die für sie bestimmten Gemächer.
Schon kurz nach Antritt seiner Regierung hatte, wie
wir bereits früher erwähnt, Fürst Karl den Ort besucht
und sich derart wohl gefühlt, daß er sich mehrfach hier
n drückender Sommerhitze eine kurze Erholung gegönnt,
die Mönche bittend, ihm, da keine andre Unterkunft zu
finden, gastliches Quartier zu gewähren. Dieses lag in
einer der Seitenhallen, im Erdgeschoß ein paar Zimmer-
chen bergend, das größte von ihnen acht Meter im Ge-
viert, während die Schlafkammern durch eine schmale
Bettstelle, einen Waschtisch und einen Stuhl völlig aus-
gefüllt wurden. Hierher führte der Fürst nun das holde,
frohe und feinsinnige Fürstenkind vom Rhein, das an
der Seite des geüebten Mannes und des zarten Töch-
terchens in dieser zaubervollen Gegend alle Unbequem-
lichkeiten übersah, die mit einem solchen Aufenthalt ver-
bunden waren.
Etwas besser wurde es, als später rechts von der
größeren Kirche ein Neubau entstand mit etwa sechs immer
noch winzigen Zimmerchen ; sie waren j edoch behaglicher und
geräumiger, alle auf eine von schmalen Holzsäulen getragene
Galerie gehend, von der die Bücke voll tiefsten Entzückens
über dies landschaftliche Paradies schweifen; unten das
schmale Waldtal des Pelesch und das breitere der Prachova,
aus denen heraus das Raunen und Rauschen der Gewässer
dringt, gegenüber die forst- und waldreichen Höhenzüge
des Piscu Cainelui, über denen Adler und Falken ihre
Kreise ziehen, im Norden die Dorfhäuschen von Poiana,
206
Tatului und Busteni und südlich jene Sinaias, unter denen
man bereits ein hübsches Hotel im Schweizer Stil er-
blickte.
Die ungestörte Einsamkeit und f eierliche Ruhe war grad
dem nur von wenigen Getreuen begleiteten Fürstenpaare
recht, dessen sonnigstes Glück ihr Töchterchen bildete, von
welchem der Fürst seinem Vater damals schrieb : „Es ist
eine wahre Freude, zu sehen, wie sich unser Kind , ent-
wickelt", und später: „Wenn ich einen Augenblick frei
bin, spiele ich mit ihm; dies reizende Kind ist meine
ganze Freude!" — Eine frohe Überraschung wurde Fürstin
Elisabeth durch den Besuch ihrer Mutter bereitet, die sich
einige Wochen in Sinaia aufhielt und mit der bereits ein
Platz ausgesucht wurde für ein Landhaus, das sich das
fürstliche Paar hier zu errichten gedachte.
Der Winter brachte wieder vielerlei gesellschaftliche
Zerstreuungen, die aber nicht die Fürstin Eüsabeth hinder-
ten, ihren Wirkungskreis stets zu vergrößern, indem sie den
Unterricht in den Schulen besuchte und mancherlei An-
regungen zu Verbesserungen gab, im Verein mit ihren
jungen Hofdamen verschiedene deutsche Kinderbücher ins
Rumänische übersetzend und wöchentlich einmal dem
Armenverein präsidierend, der unter ihrer Leitung eine
segensreiche Wirkung entfaltete.
Die innere Beruhigung im Lande hielt an, so daß mit zu-
friedenen Worten der Fürst darüber seinem Vater berichten
konnte. Nur die Sorgen um die Eisenbahnangelegenheit
ließen sich nicht verbannen und gaben der Opposition
stets erwünschte Gelegenheit, gegen die Regierung zu
intriguieren, doch war diesen Bestrebungen der Nährboden
entzogen. Endlich, Anfang Januar 1872, ward das neue
Eisenbahngesetz von den Kammern angenommen, das,
wenn auch verschiedene Einzelheiten wohl auf Widerspruch
stießen, doch im ganzen als eine Lösung im Sinne von
Recht und Gerechtigkeit begrüßt werden konnte, bis im
207
L,aufe des Jahres eine weitere zufriedenstellende Regelung
erfolgte durch ein Ubereinkommen mit dem Bleichröder-
schen Bankhause und der Diskonto-Gesellschaft in Berlin,
wodurch der Weiterausbau der rumänischen Eisenbahnen
gesichert wurde. Mit Genugtuung durfte Fürst Karl im
Frühling 1872 an
Fürst Bismarck
berichten, daß
die Zustände des
jungen Fürsten-
tums allmählich
in ein gutes Ge-
leise gebracht
worden: „Es be-
durfte großer
Anstrengungen,
gegen so viele
subversive Ele-
mente anzukäm-
pfen; ich verlor
aber den Mut
nicht und setzte
alles ein, um der
außerordentlich
schweren Situa-
tion Herr zu
werden. Meine
Ausdauer ist we-
nigstens zum Teil belohnt worden, im vorigen Jahr ein
schwaches Ministerium und eine revolutionäre Kammer,
die Finanzen zerrüttet und die unangenehme Eisenbahn-
frage ungelöst; in diesem Jahr Ministerium stark und
einig, die Ordnung in den Finanzen angebahnt, die Anleihe
von 75 Millionen im Lande gedeckt, die Verwaltung
wiederbelebt, der Eisenbahnstreit beigelegt/'
Fürstin Elisabeth und Prinzeßchen Marie.
ogle
208
beider erfuhr gerade zu dieser Zeit das glückliche
Familienleben des fürstlichen Paares eine herbe Störung,
indem die Fürstin seit Monaten von einem argen Sumpf-
fieber befallen worden war, von dem sie sich nicht erholen
konnte. Die Ärzte hatten eine Luftveränderung vor-
geschlagen, und schweren Herzens machte sich der Fürst
mit dem Gedanken an eine Trennnung von der geliebten
Gemahlin vertraut. Am 12. März trat Fürstin Elisabeth
ihre sechswöchentliche Reise nach Italien an, von der sie
Mitte Mai wohlbehalten und neu gekräftigt heimkehrte,
von ihrem Gemahl bereits in Orsova empfangen und
jubelnd begrüßt von der Bevölkerung in Turnu-Severin
und in Bukarest.
Die drückenden Sommermonate wurden wiederum
in Sinaia verbracht und zwar in angeregtester Weise.
Die Fürstin hatte stets eine Reihe junger Damen um
sich versammelt, und frohe Ausgelassenheit herrschte oft
in dem kleinen Kreise, so daß selbst der sonst so ernste
und arbeitsüberbürdete Fürst daran teilnahm, gleich den
Ministern, die von Bukarest aus zum Vortrage erschienen
waren. „Dies ist doch einmal ein anderes Bild, als fort-
während bis über die Ohren in Geschäften zu stecken/'
schrieb der Fürst seinem Vater, „bis heute konnte man
mich noch nicht beschuldigen, mit meinen früheren und
jetzigen Ministern gespielt zu haben. Es gereicht mir aber
doch zu einer wirklichen Genugtuung, auch dies in
Sinaia erreicht zu haben ! Überhaupt ist der hiesige Aufent-
halt in mancher Beziehung von großem Nutzen; er bringt
uns die Leute viel näher, als dies in der Stadt, wo alles
offiziell ist, möglich wäre; auch haben wir erreicht, daß
trotz der Schwierigkeit der Verbindung jedermann mit
großem Vergnügen hierher kommt, selbst aus der Moldau
haben wir zahlreiche Besucher gehabt." Mit inniger Freude
kam der Fürst immer wieder auf sein Töchterchen zurück:
„Jetzt wäre der Augenblick, wo Ihr, teure Eltern, mein
209_
Töchterchen sehen solltet! Ihr würdet gewiß eine ebenso
große Freude an ihr haben, wie wir selber. Es spricht
schon in drei Sprachen, Rumänisch, Deutsch, besonders
aber Englisch, fühlt sich sehr selbständig, läuft allein
herum, ruft jedermann bei seinem Namen und geht jeden
Sonntag in die Klosterkirche, wo es sich während des
Gottesdienstes sehr ruhig verhält. Ihr Charakter ist liebe-
voll und sanft, sie ge-
horcht aufs Wort und
gibt alles freudig hin,
was sie hat/ 4 Häufig
wurden längere und wei-
tere Ausflüge unternom-
men, und während der
Fürst früh zur Jagd auf
Bären aufbrach, kam
die Fürstin zur Mittags-
stunde mit ihren Damen
zu dem verabredeten Zu-
sammenkunftsort, um
den ausgehungerten Jä-
gern Speise und Trank
zu bieten. Einmal mach-
te auch ein Bär einen
Abstecher bis in die im Pelesch-Tale.
Nähe des Klosters und
erschreckte ein junges Hoffräulein, das dort spazieren ging
und dann aufgeregt von ihrem Abenteuer berichtete.
An diesen Aufenthalt schloß sich die Abhaltung der
großen Herbstmanöver, an denen diesmal eine bedeutende
Zahl von Milizbataillonen und die neu organisierte National-
garde teilnahmen. Die ausgedehnten Übungen stellten
große Anforderungen an die Truppen, mit deren Haltung
und Leistung der Fürst, der wiederholt in ihrer Mitte
biwakiert hatte, sehr zufrieden war. Hier zeigten sich die
Lindenberg, König Karl. 14
210
Früchte der Sorgfalt, die er unausgesetzt, trotz aller inneren
Schwierigkeiten und Verdrießlichkeiten, seinem Heer ge-
widmet hatte; das Heeresgesetz war erweitert worden, per-
sönlich hatte Fürst Karl stets die wichtigsten Inspizierungen
vorgenommen, nicht nur in Bukarest, sondern auch in
anderen größeren Städten, die Bewaffnung machte wesent-
liche Fortschritte, Militärschulen waren errichtet und neue
Kasernen erbaut worden, mehrere rumänische Offiziere
konnten mit Genehmigung des deutschen Kaisers den
deutschen Manöverh beiwohnen, von diesen wichtige An-
regungen heimbringend.
Während des folgenden Jahres, 1873, hielt die ruhige
innere politische Entwicklung Rumäniens an und machte
das L,and große kulturelle Fortschritte. Der Unterricht
in den Schulen war erheblich vertieft worden, die richter-
lichen Urteilssprüche litten nicht mehr unter Ungerechtig-
keiten aller Art, der Ausbau der Eisenbahnen schritt fort,
sowohl nach der russischen wie nach der österreichischen
Grenze hin, die Einrichtungen der Gefängnisse waren
wesentlich verbessert, einige Gesetze waren durch die
Kammer votiert, die der Ordnung und Sicherheit einen
Halt gaben, eins der wichtigsten unter ihnen war das über
die Wahl der Metropoliten und Bischöfe und über die
Einsetzung der Synode nach kanonischen Regeln, wo-
durch der Anarchie im Klerus ein Damm gesetzt ward.
Auch die Städte selbst, voran Bukarest, entwickelten sich
mehr und mehr; so hatte die Residenz endlich Gasbeleuch-
tung erhalten, die Hauptstraßen gewannen ein anderes
Aussehen, der Handel hob sich in merklichster Weise.
Ebenso war eine erfreuliche Blüte der Hafenstädte an der
Donau zu bemerken, in Giurgiu, Galatz und Braila wurden
große Kai-Anlagen ausgeführt, so daß die Schiffe be-
quemer löschen und laden konnten.
Beruhigt vermochte daher das fürstliche Paar im
Sommer 1873 eine längere Auslandsreise anzutreten, die
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den Fürsten — die Fürstin war mit der kleinen Prinzessin
schon vorher nach Neuwied zu ihrer Mutter gefahren —
zunächst als Gast des österreichischen Kaisers nach Wien
zum Besuch der Weltausstellung, an der sich auch Ru-
mänien hervorragend beteiligt hatte, führte, und dann nach
Ems, woselbst er mit dem Kaker Alexander von Rußland
eine sehr herzliche Begegnung hatte, ebenso mit dem
14*
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deutschen Kaiser, der ihm hier seine innige Genugtuung
ausdrückte, mit welchem Takt und welcher Einsicht Fürst
Karl seine dornenvolle Regentenaufgabe durchführe, hinzu-
setzend, daß er daran nie gezweifelt. Nach einem Aufent-
halt bei den Eltern und einer Kur im idyllischen Imnau
Prinzessin Marie.
erfolgte die Rückkehr nach Rumänien und zwar direkt
über Kronstadt nach Sinaia, wo das Fürstenpaar auf das
freudigste von der ländlichen Bevölkerung, die von nah
und fern herbeigeströmt war, empfangen wurde unter
dem Klang der Glocken, unter Jubelrufen und Böller-
schüssen.
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Der Aufenthalt in dem waldumgebenen Kloster, in
dem es freilich nie an Besuchern fehlte, wurde diesmal
benutzt, um einen neuen Bauplatz — da sich der früher
Fürstin Elisabeth mit Prinzeßchen Marie.
bestimmte als nicht geeignet erwiesen — zu wählen und
zwar auf einer waldumschlossenen Anhöhe im wunder-
vollen Peleschtale, und man konnte sich schon näher mit
den von dem bekannten Wiener Baumeister Professor
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214
Doderer entworfenen Plänen des Schlosses beschäftigen,
wie fernerhin die Errichtung eines etwas talaufwärts
liegenden Jagdhauses beschlossen ward, welches der fürst-
lichen Familie während der mehrjährigen Bauzeit zum
Aufenthalt dienen sollte.
Mit Wehmut spricht heute noch oft die Königin von
jenen ungetrübt glücklichen Zeiten, in denen die fürstliche
Familie zuerst nicht einmal über ein Eßzimmer verfügte,
sondern im Gange essen mußte, bis die Mönche das Re-
fektorium abtraten, und jener Gang war so dunkel, daß
man die Tür ins Freie aufmachen mußte, um es hell zu
haben, da die Fenster fehlten. Das Mobiliar setzte sich
aus einem Tannentisch und Holzstühlen zusammen, die
Wände waren weißgetüncht, und abends bestand die Be-
leuchtung aus zwei Windüchtern, die in einer L,aterne
hingen. Auch auf einen Salon mußte die Fürstin ver-
zichten, das Schlafzimmer war durch einen weißen Vor-
hang abgeteilt, so daß in der vorderen Hälfte ein Pianino
stehen konnte, und oft schollen die frischen Stimmen der
jungen Hoffräulein hinaus in die sternklare Nacht, oder
alle sangen zusammen im Chor deutsche und rumänische
Volkslieder: „Die Wände erweiterten sich von selbst, die
Phantasie sah die herrlichsten Kunstgegenstände, wir
waren jung und begeistert für unsere Idee, für unser
opfervolles lieben und fanden keine Unbequemlichkeit zu
groß. Wenn man den Raum sehen würde, in welchem
ich „Hexe und Jehova" erdacht, man würde es nicht für
möglich halten ! Es war ein sogenanntes Toilettenzimmer,
ohne Iyicht und Luft, in dem die Stiefel schimmelten,
wenn sie auf der Erde stehen blieben, mit einem einzigen
lichte darin, drei Schritt lang und einen Schritt breit, da
ging ich auf und ab und baute meine Gedichte und wußte
gar nicht, daß der Raum eng war und die Klosterzelle
dumpf!" —
Ehe das Jahr sich seinem Ende neigte, konnte Fürst
215
Karl seinem Vater schreiben, in wie glücklicher Weise 1873
für Rumänien verlaufen sei, da das gute Einvernehmen
zwischen Regierung und Kammer fortdauere und auch
die Schwierigkeiten in der Eisenbahnangelegenheit behoben
worden wären, eine Kunde, die Fürst Karl Anton mit
froher Befriedigung aufnahm: „Nach allen Berichten voll-
zieht sich in Rumänien eine ganz wunderbare Rückkehr
zu gesunden Anschauungen, und wenn das so fortdauert
und die Sanktion der Kammer erhält, so kann man sagen,
daß Du über den Berg hinüber bist! Nur für die aus-
wärtige Politik empfehle ich Vorsicht. Günstige Tatsachen
sind klug zu benützen, aber jede Provokation wäre bei
unserem gegenwärtigen Friedensbedürfnis von Übel."
Fürst Karl dachte an nichts weniger als an eine Pro-
vokation. Ihm lag nur daran, daß sich die inneren Ver-
hältnisse des Staates befestigten, damit letzterer allen Stür-
men, die ihn von außen her bedrohen könnten, gewachsen
sei. Die Ruhe im Lande dauerte auch im neuen Jahr 1874
an. Die Kammern erledigten in fortgesetzter Arbeit die
ihnen gestellten Aufgaben, und das Minist eri um war be-
strebt, verschiedene wichtige Verbesserungen in den Ver-
waltungszweigen einzuführen. Der Winter verlief gesell-
schaftlich sehr lebhaft, da eine Reihe größerer Festlich-
keiten stattfand, denen das Fürstenpaar gern beiwohnte,
dessen innigste Freude die kleine Jtty war, wie Prinzeßchen
Marie zärtlich genannt wurde.
Aber als der Frühling kam, mit Blütenduft und L,er-
chensang, da wurde den fürstlichen Eltern ihr heller
Sonnenschein genommen und ihnen damit der furcht-
barste Schlag zugefügt, den ein hartes Geschick auszu-
üben vermochte. Grad am Ostersonntag erkrankte die
kleine Prinzessin, die wenige Tage vorher mit ihrer Er-
zieherin, wie häufig, das Helenenasyl bei Cotroceni be-
sucht hatte, ein großes Waisenhaus, in welchem das Prin-
zeßchen gern mit den Kindern spielte. Dort mußte sie
216
sich das Scharlachfieber geholt haben, das sie mit großer
Heftigkeit befiel. Als der Morgen des 9. April graute,
schlummerte das liebliche Kind, welches alle Qualen der
Krankheit still ergeben erduldet, zum ewigen Schlaf hin-
über. „Trost gibt es in solchen Augenblicken nicht/'
schrieb Fürst Karl Anton seinem Sohn, und für die von
so jähem L,eid betroffenen Eltern war es schwer, einen
Trost zu finden in der innigsten Teilnahme des gesamten
Landes, die sich in rührenden Zeichen der L,iebe und
Hingebung erwies. In der Mittagsstunde des 10. April
bettete man Prinzeßchen Marie im Garten des Helenen-
asyls nahe dem Cotroceni-Kloster zur letzten Ruhe unter
der innigsten Beteiligung aller Bevölkerungsschichten.
In tief empfundenen Worten dankte Fürst Karl
seinem Volk für die seinen Schmerz stillende allgemeine
Trauer: „Die süßeste Erinnerung, die unsere verewigte
Tochter uns als kostbaren Schatz hinterlassen hat, ist
ihre unbegrenzte Iyiebe zu dem Land, in welchem sie ge-
boren ward; eine L,iebe, die so lebendig war, daß die Ver-
klärte ungeachtet ihres zarten Alters bei ihrem ersten
Aufenthalt im Auslande von Heimweh ergriffen wurde.
Die Religion unseres Kindes, die Sprache, die sie sprach,
hat für uns eine neue Weihe erhalten, denn jedes rumä-
nische Wort wird uns von nun an einen Widerhall
jener Stimme bringen, die wir auf dieser Erde nimmer-
mehr hören werden. Im Kreise unserer engsten Familie
ist zwar das innigste Band gerissen, aber ein stärkeres
Band vereint uns jetzt mit unserer großen Familie, dem
rumänischen Volk, das mit uns gemeinsam unser Kind
und das seine beweint/' In heißen Worten strömte der
Fürst seinen Schmerz aus in Briefen an seinen treuen
Freund, den deutschen Kronprinzen, und an seine Eltern,
diesen schreibend: „Euch darf ich meinen tiefen Schmerz
klagen, denn niemand besser als Ihr könnt ihn in seinem
ganzen Umfasse fassen und verstehen. Ja, teuerste Eltern,
217
Ihr wißt es, daß es kein größeres Weh auf dieser Erde gibt,
als sein eigen Kind ins Grab zu legen. Nur der Glaube, das
Vertrauen auf Gott können in solchen Augenblicken Kraft
verleihen, um eine so herbe Prüfung mit christlicher Er-
gebung zu tragen. Tief ist die Wunde, die uns geschlagen
ward, und niemals wird sie ganz heilen, denn sein Leben
lang beweint man sein Kind, mit dem man die schönsten
Hoffnungen begraben hat. Wie ein Blitzstrahl aus hei-
terem Himmel kam dieser furchtbare Schlag, der unser
schönes Familienglück zerstört hat; da, wo uns Freude
und Sonnenschein entgegenleuchtete, ist Kummer und
Schmerz eingezogen; wir können es noch nicht fassen,
daß wir für immer Abschied genommen haben von unserm
lieblichen Kinde ! — Täglich besuchen wir das teure Grab,
das ein freundlicher Blumengarten ist, und benetzen es
mit unseren Tränen. Mit uns weinen Tausende, das ganze
Land teilt unsern Schmerz. — Wir sagen Euch, teuerste
Eltern, tausend innigen Dank für die Trostesworte, die
Ihr uns gesandt habt; wir wissen, daß Ihr mit uns wie
um Euer eigen Kind weint! Elisabeth ist bewunderungs-
würdig, sie erträgt den furchtbaren Schlag, der ihr Mutter-
herz ganz zerrissen hat, mit großer Fassung und sucht
Halt und Trost in der Religion und in dem Gedanken,
daß unser verklärtes Töchterchen heute glücklicher ist,
als es je auf Erden hätte werden können. — Wir küssen
Euch, teuerste Eltern, die Hände und sehnen uns nach
neuen Trostworten von Euch; der Trost der Eltern ist
ja der süßeste in solchen Stunden."
Und dem deutschen Kaiser dankte Fürst Karl tief-
bewegt für die liebevolle Teilnahme, die dieser ihm in
einem Briefe zum Ausdruck gebracht: „Daß es schwer
ist, im Unglück tapfer zu bleiben, das weiß jeder, der
einmal gelitten hat; daß es aber auch ein unerschütter-
liches Gottvertrauen gibt, welches hinausträgt über alle
Erdennot, das erfahren auch wir. — Wenn es einen Trost
218
gibt in solchen Schmerzen, so ist es der, daß ein ganzes
Volk heiße Tränen über dem geliebten Grabe weint: von
solcher Teilnahme, wie wir sie in dieser Zeit erfahren haben,
kann man sich nur schwer einen Begriff machen, es gab
weder Parteien noch Feindschaften mehr, alle Leiden-
schaften waren zum Schweigen gebracht; denn unser
Kind mit seinen sonnigen Augen und seiner Glocken-
stimme hatte alle bezaubert/' —
Fürstin Elisabeth klagte in schmerzdurchwehten Ge-
dichten um den ihr so jäh genommenen Liebling:
Mein kleines Kind,
Von mir zum Lichte gezogen,
Wo die Engel sind.
O laß mich, laß mich es schauen
Du Sonnenschein,
In deinen goldenen Auen
Den Engel mein!
Hier wohnt nur Grabesstille,
Hier ist's so kalt!
Der lieblichen Töne Fülle —
Sie ist verhallt!
Und einsam das Herze mein —
Ich rufe dich!
Ein Sonnenstrahl schwebte herein
Und küßte mich. —
Sobald es nur die Witterung ermöglichte, siedelte das
fürstliche Paar nach Cotroceni über, wohin es sie un-
widerstehlich zog; war doch alles hier umweht von den
weihevollen Erinnerungen an das geliebte Kind, dessen
blumenbedeckte Grabstätte unter den rauschenden Bäumen
des Parkes lag. Tiefe Sorge bereitete dem Fürsten die
Stimmung seiner Gemahlin, wie es aus einem Briefe an
seinen Vater hervorging: „Elisabeths Nerven sind so an-
gegriffen, daß sie großer Schonung bedarf. Ich gestehe
Mein Sonnenkind.
Zur Sonne bist du geflogen,
219
Dir, daß ich mich oft ängstige und durch Schmerz, Kum-
mer und Sorge recht bedrückt bin. Infolgedessen schlafe
ich des Nachts nur wenig und habe meine arme Elisabeth
wiederholt im Traume rufen hören: tot, tot! Dieser
■
Grabmal der Prinzessin Marie in Cotroceni.
schmerzliche Ausruf ist mir jedesmal wie ein Stich in
mein wundes Herz/ 4 —
In dem furchtbaren Leid wurde der Fürstin Elisabeth
die Poesie eine keusche Trösterin. Ihr tiefes Weh klang
in manch traurigem Lied wieder, das sie in ihr Tagebuch
schrieb, dessen Inhalt zunächst nur für sie und den Ge-
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220
mahl bestimmt war. Da war es der rumänische Dichter
V. Alexandri, der sie anregte, eine Reihe rumänischer
Legenden und Märchen, die er in klangvolle Reime ge-
bracht, ins Deutsche zu übertragen. 1 Und mit jenem
Eifer, der die Fürstin bei der Verwirklichung all dessen,
was sie interessiert, beseelte, ging sie darauf ein, gleich-
zeitig planend, auch die schönsten Perlen deutscher Dicht-
kunst in das Rumänische zu übersetzen, ihrer Mutter
hiervon folgende Mitteilung machend: „Ist es nicht merk-
würdig, wenn der Himmel mir mit einer Hand meine
Lieben nimmt, schüttelt er mit der andern mir die reinsten,
edelsten Blüten in den Schoß; in welcher liebreichen und
anziehenderen Weise könnte ich wohl meinem Lande
dienen, als indem ich ihm jetzt auch die Geistesschätze
meines deutschen Vaterlandes in die rumänische Sprache
übersetze."
Nach einem kürzeren Sommeraufenthalt in Sinaia,
den mit ihnen Erbprinz Leopold teilte, welcher, da die
Eltern des Fürsten eine so weite Reise nicht unternehmen
konnten, ihnen in den trübsten Stunden ihres Lebens zur
Seite stehen wollte, reiste das Fürstenpaar nach Franzens-
bad zu einer vierwöchentlichen Kur, die verschönt ward
durch die Anwesenheit der Mutter des Fürsten und an die
sich dann eine gemeinsame Reise nach England schloß.
Nach einem mehrtägigen Aufenthalt in der heimatlichen
Weinburg bei den Eltern des Fürsten erfolgte die Rück-
kehr nach Rumänien, wo alsbald neue Pflichten jede
Stunde ausfüllten, ein kleines Heilmittel in der Fülle
trauriger Erinnerungen, die das Betreten jener Stätten
mit sich brachte, welche so eng verknüpft waren mit dem
dahingeschiedenen Prinzeßchen.
Den Herbstmanövern wohnte der Fürst mit vielen
auswärtigen hohen Offizieren, darunter deutschen, fran-
zösischen, englischen, russischen, österreichischen und
türkischen, bei. Die Haltung der Truppen gegen früher
221
hatte sich wesentlich gehoben und ebenso war die Dis-
ziplin eine weit straffere geworden. Unter großer Feier-
lichkeit fand in Gegenwart des fürstlichen Paares im
Thronsaale des Bukarester Palais am 26. Oktober die
Weihe von 32 Fahnen statt, die der Fürst, nachdem die
Heeresorganisation nun vollendet worden, den Regi-
mentern verliehen. An die um ihn versammelten Regi-
mentskommandeure richtete der Fürst mahnende Worte:
„Ich habe Euch diese Fahnen verliehen, in der stolzen
Zuversicht, daß Ihr sie als ein heiliges Pfand in jeder
Gefahr zu verteidigen und ihre Ehre fleckenlos zu er-
halten wissen werdet! Ich zweifle keinen Augenblick,
daß jeder von Euch, wenn die Stunde Euch ruft, seine
Pflicht mit Liebe und Hingabe erfüllen und der Devise
eingedenk sein wird, die auf Euren Fahnen steht: „Für
Ehre und Vaterland !" — Und diese Mahnung wiederholte
er bei der wenige Wochen später stattfindenden Ent-
hüllungsfeier des vor der Universität errichteten großen
Reiterdenkmals Michaels des Tapferen, der am Ausgang
des 16. Jahrhunderts ruhmvolle Siege über die Türken
davongetragen, des ersten rumänischen, einem National-
helden gewidmeten Monuments. Nachdem der Fürst
betont, daß Michael der Tapfere den soldatischen Geist
begründet, der heute das rumänische Heer beseelt, und
dessen Wehen im ganzen Volk zu spüren sei, fuhr er fort:
„Ich bin überzeugt, daß die Zeit der Mannhaftigkeit
nicht vorüber ist, sondern daß Rumänien im Augenblick
der Gefahr sich wie ein Mann erheben wird, um seine Pflicht
zu tun, und ich hoffe, daß Gott mir vergönnen wird, in
jenem Augenblick den Erwartungen des Landes zu ent-
sprechen, damit wir in die Seelen der künftigen Gene-
ration neue Dankbarkeit gegen die Verteidiger des ru-
mänischen Grund und Bodens eingraben können !"
Mehr und mehr wurde jenseits der rumänischen
Grenzen die wichtige, tief einschneidende Kulturarbeit
222
des Fürsten anerkannt, wie dies aus einem Briefe hervor-
geht, den Max Müller, der große Sprachforscher, an den
Fürsten, mit dem er wie mit der Fürstin auf englischem
Boden zusammengetroffen, aus Oxford gerichtet. Nach-
dem er zunächst seine Freude ausgedrückt, daß es ihm
vergönnt gewesen, zwei so wahre, so edle Menschen kennen
zu lernen, wie Fürst und Fürstin, und betont, wie sehr
er an dem Fürsten besonders die seltene — wegen unsrer
verfälschten, verkünstelten sozialen Zustände seltene —
Eigenschaft, daß er den Mut habe, ganz so zu sein, wie
er ist, schätze, fuhr er fort: „Die Größe des Werkes,
das Eure Hoheit unternommen haben, wird mir jetzt
erst klar. Es ist ein Werk, zu dem der höchste Herois-
mus, der Heroismus der Geduld, gehört! — Zu säen ohne
Hoffnung, die Ernte zu genießen, dazu gehört Glaube,
wie er jetzt selten ist. Wäre ich jünger, so könnte ich
mit Begeisterung meine Dienste dem Markgrafen
europäischer Kultur an der Donau anbieten
und würde ihm keine Ruhe lassen, bis die Schulen und
Universitäten der Stolz seines Volkes und das Vorbild
der ganzen Welt geworden wären ! — Kanonen sind nötig,
Eisenbahnen sind nötig, aber nötiger als alles sind Schulen,^
sie sind die heiligste Pflicht! Unsre Nächsten zu lieben
oder zu bessern, ist oft schwer, aber unsere nächstkommen-
den Geschlechter zu lieben und zu bessern, das können
wir alle. Wenn das Budget der Liebe (der Erziehung)
so hoch ist, als das Budget des Hasses (des Krieges),
dann wird die östliche Mark auch ohne Verträge unter
dem Schutze Europas stehen/'
Das Jahr 1875 stand gleichfalls für Rumänien unter dem
erfreulichen Zeichen einer ruhigen und gesunden Weiter-
entwicklung, die in jeder Beziehung eine völlig zufrieden-
stellende gewesen, wenn nicht immer von neuem die
Eisenbahnfrage aufgetaucht wäre, in welcher Angelegen-
heit Fürst Karl durchaus den rumänischen Standpunkt
223
vertrat. Aber trotz der von deutscher Seite gemachten
Schwierigkeiten fuhr man fort, das Schienennetz zu ver-
größern und einen schnellen Anschluß an die Nachbar-
staaten zu gewinnen, was durch die gute Finanzlage er-
möglicht wurde. Hatte doch in diesem Jahre das Budget
des Staates die Höhe von 100 Millionen erreicht, also
fast das Doppelte jenes von 1866. Und die wirtschaft-
liche Lage des Landes sollte eine fernere Verbesserung
erfahren durch eine Reihe von Handelsverträgen, die
man allmählich mit den wichtigsten Staaten, zunächst
mit Österreich-Ungarn, abschloß, ohne daß man sich,
wie in sonstigen bedeutsamen Fragen, um den Einspruch
und die Einwilligung der Pforte kümmerte — Entschlüsse
von großer Tragweite, die den Keim der Unabhängigkeit
Rumäniens in sich bargen. Auch in anderer Hinsicht
waren mancherlei Fortschritte zu bemerken, vor allem
in Bukarest selbst, in welchem viele der niedrigen Ge-
bäude stattlichen Häusern Platz gemacht, und wo man
auch fernerhin fortfuhr, die Hauptstadt würdig des Ranges
einer solchen mehr und mehr umzugestalten.
Auf seinen vielfachen Reisen durch das Land wid-
mete Fürst Karl den erhalten gebliebenen Baudenkmälern,
die meist stark unter der früheren Gleichgültigkeit und
Nachlässigkeit gelitten, besondere Sorgfalt, so die Wieder-
herstellung der mit vielen geschichtlichen Erinnerungen
verknüpften Kirche von Argesch anregend und sie einem
mit der Entwicklung der byzantinisch-orientalischen Bau-
kunst vertrauten tüchtigen französischen Architekten
übertragend. Bei der Rückkehr von einer dieser Reisen
entrann der Fürst durch eine glückliche Fügung einem -
schweren Eisenbahnunglück, von dem am 14. Juni, dem
Pfingstsonntag, nahe Bukarest sein Zug betroffen wurde,
sich eine Verletzung unterhalb der Kniescheibe zuziehend,
die jedoch nach wenigen Tagen heilte. Allgemein war die
Teilnahme des Landes, die sich auch hier wieder zeigte,
226
träumt, gedichtet, geschrieben, ward die innige und sinnige
Dichterin, die einen leuchtenden Kranz duftender
Poesien um die Krone ihres Gemahls und um ihr neues
Heimatland wob.
In dieser Zeit schwerer Prüfung entstand eine Reihe
tiefempfundener Dichtungen, die der Fürstin wechselnde
Stimmungen getreu widerspiegelten. Auch die ersten
Erzählungen in Prosa formten sich neben Plänen zu grö-
ßeren Werken, welche allmählich ausgeführt wurden,
später unter dem Pseudonym ,Carmen Sylva' der Dich-
terin hallenden Ruhm bringend. Uber diesen Namen
plaudert sie selbst in reizender Weise in den „Märchen
einer Königin", berichtend, daß der Name vom Rhein
stamme: „Den hat mir der Wiedbach zugerauscht, oder
wie man dort sagt: Die Bach! Sogar mein Name, Wied,
soll vom Altdeutschen herkommen und heißt Holz. Also
bin ich des Holzes, des Waldes Kind, wenn es je eines
gegeben hat!" Sie erzählt dann von ihrer Kindheit,
von der Talgkerzenbeleuchtung, den Reisen im Post-
wagen und von ihrer Liebe zum heimatlichen Walde:
„Manchmal habe ich meine Arme um die Bäume geworfen
und sie stürmisch umarmt und ihre Rinde geküßt, denn
die Menschen fanden mich immer zu wild und stürmisch,
der Wald nie. Der hat sich nie beschwert, wenn meine
jungen Arme ihn umfingen, der fand nie, daß ich zu laut
sei, wenn ich mit voller Kehle sang. — Als ich heiratete,
da hatte ich schon einen ganzen Band Gedichte geschrieben
und allerlei versucht, Drama und Novelle, die erste mit
elf Jahren und das erste Drama mit vierzehn. Ich wußte
aber wohl, daß das alles schlechtes Zeug sei. Erst als
ich fünfunddreißig Jahre alt war, habe ich das erste drucken
lassen, und zwar, weil die Leute sich ganz lange Sachen
von mir abschrieben, da wollte ich ihnen die Mühe sparen
und das vereinfachen. Da fing ich an, nach einem Namen
zu suchen, hinter dem ich mich so gut verbergen könnte,
227
daß man gar nie merken könnte, wer ich sei. Ich sagte
zum Doktor eines Morgens : „Ich möchte einen schönen
Dichternamen haben; da ich aber nun in Rumänien bin,
also einem lateinischen Volke angehöre, so muß ich einen
lateinischen Namen haben. Der soll aber daran erinnern,
wo ich herkomme. Wie heißt denn Wald auf lateinisch? "
„Wald heißt Sylvae! Einige schreiben es auch Silvae."
„Das ist wunderschön. Wie heißt denn Vogel? " „Avis"
. . . „Das gefällt mir nicht, das klingt nicht schön. Wie
heißt denn Lied oder Gesang auf Lateinisch?" „Lied
oder Gesang heißt Carmen." Ich klatschte in die Hände:
„Mein Name ist gefunden! Auf Deutsch heiße ich
Waldgesang und auf Lateinisch Carmen Sylvae, aber
Sylvae klingt nicht wie ein wirklicher Name, so muß
ein kleiner Fehler durchhelfen, und ich will Carmen Sylva
heißen!" —
Gern versammelte die Fürstin hervorragende Schrift-
steller und tüchtige Musiker um sich, da ihr neben der
Poesie die Musik den reinsten Trost gewährte. — Erst im
Spätherbst kehrte das fürstliche Paar nach Buka-
rest zurück, das Palais beziehend, das sehr er-
weitert und umgebaut war, in welchem sich Fürstin
Elisabeth eine Reihe von traulichen Räumen geschaffen
hatte, reich geschmückt mit erlesenen Werken der Kunst
und mit einer Fülle stets frischer Blumen und immer-
grüner Pflanzen.
Umfassender wie sonst fielen diesmal die Truppen-
übungen und Inspizierungen aus, mußte man doch mit
einer sehr ernsten Entwicklung der orientalischen Ver-
hältnisse rechnen und sich auf blutige Ereignisse gefaßt
machen. In Montenegro, in Bosnien und der Herze-
gowina, in Bulgarien und Serbien gärte es in
schlimmster Weise. In den von christlicher Bevölke-
rung bewohnten türkischen Gebieten am Balkan loder-
ten überall seit langem vorbereitete Aufstände auf.
228
die, hier von den türkischen Truppen in grau-
samer Weise niedergeschlagen, dort sogleich wieder
emporflammten. Auch die Haltung Rumäniens zur
Türkei war eine gespannte, da die Pforte nicht die
geringsten Zugeständnisse machen wollte. Der Fürst
rechnete sogar mit einer Mobilmachung seiner Armee,
Palais in Bukarest.
mit dem Kriegsminister alles Nähere besprechend und
sich vom Vorhandensein der nötigen Munitionsvorräte
überzeugend.
„Mein Weg ist jnir vorgezeichnet, und ich habe
auf ihm weiter zu wandern, ohne mich von Sturm
und Wetter davon abbringen zu lassen," so hatte der
Fürst am Ausgang dieses Jahres an seinen Vater
geschrieben.
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229
Sturm und Wetter sollten gar bald über das Land
hereinbrechen, sie fanden den Fürsten Karl auf seinem
Posten als treuen und zielbewußten Markgrafen euro-
päischer Kultur an der Donau, wie ihn Max Müller in
dem oben mitgeteilten Briefe genannt, als tapferen
Hüter der rumänischen Rechte und starken Schützer des
rumänischen Volkes.
IX.
Der Ausbruch des russisch -türkischen Krieges
und die Unabhängigkeitserklärung Rumäniens.
Das Jahr 1876. — Drohende Wolken. — Die Gärung am Balkan. — Serbien und Monte-
negro gegen die Türkei. — Die Haltung Rumäniens. — Der zehnjährige Jahrestag der
Thronbesteigung des Fürsten Karl. — Rußlands Kriegsvorbereitungen. — Die Konferenz
der Großmächte in Konstantinopel. — 1877 bricht an. — Der russisch-rumänische Durch-
zügsvertrag. — Rußland erklärt der Pforte den Krieg. — Die russischen Truppen über-
sehreiten die rumänische Grenze. — Fürst Karls selbständige Politik. — Rumäniens
Kriegserklärung. — Die Feier der Unabhängigkeit. — Begeisterte Stimmung. — Mobil-
machung. — Fürst Karl in Calafat. — Die Feuertaufe. — Im russischen Hauptquartier.
— Kaiser Alexander II. überträgt dem Fürsten Karl das Oberkommando vor Plewna.
rohende Wolken waren es, die im Jahre 1876 über dem
I J Orient aufzogen und die sich alsbald in heftigen Ge-
witterstürmen entluden. In verschiedenen Balkangebieten
gärte es ununterbrochen und drängte alles zu einem Ent-
scheidungskampfe gegen die türkische Herrschaft. In
Bosnien und der Herzegowina hatte sich die christliche Be-
völkerung erhoben und war zu den Waffen geeilt, von Ser-
bien und Montenegro zunächst im geheimen unterstützt.
Da in jenen Provinzen die Türken nur über geringe Truppen
verfügten, hatten die Aufständigen vielerlei Erfolge zu ver-
zeichnen, die kriegerische Stimmung in Montenegro und
Serbien noch mehr entfachend. Auch in den bulgarischen
Landesteilen loderte an den verschiedensten Stellen der
Aufstand empor, der freilich von türkischer Seite auf das
entschlossenste unterdrückt wurde, wobei es zu einer
Reihe der empörendsten Greuelszenen kam, da die Tscher-
231
kessen, die nach dem Krimkrieg aus dem Kaukasus aus-
gewandert und in Bulgarien angesiedelt worden waren, im
Verein mit den Baschi-Bozuks der christlichen Bevölkerung
gegenüber keine Schonung kannten, sondern einen völligen
Vernichtungskampf auszuführen trachteten. Im Laufe des
Sommers erklärten Serbien und Montenegro der Pforte
den Krieg, aber während die Montenegriner unter Führung
ihres Fürsten Nikola mehrere Siege über die türkischen
Truppen davontrugen, ward das serbische Heer, das unter
dem Befehl des russischen Generals Tschernajew stand
und in seinen Reihen zahllose russische „Kriegsfreiwillige"
hatte, auch sonst in jeder Hinsicht von Rußland aus unter-
stützt wurde, an verschiedenen Punkten von den Türken
zurückgeworfen.
Die Wirkung dieser Ereignisse auf Rumänien blieb
natürlich nicht aus, war man doch überzeugt, daß im ent-
scheidenden Moment Rußland in die orientalischen Wirren
eingreifen und ein Krieg zwischen dem Zarenreiche und
der Türkei entbrennen würde. Von russischer wie öster-
reichischer, auch von türkischer Seite fehlte es nicht an
Sondierungen, wie in diesem Falle sich Rumänien zu
verhalten gedächte. Aber Fürst Karl vermied zunächst
jeden bindenden Entscheid, sich auf die Beschlüsse der
Pariser Konferenz berufend und in weiser Vorausschauung
seine Vorbereitungen treffend. Immer wieder war seine
ganze Sorge darauf gerichtet, sein Heer schlagfertig zu
machen, indem er zahllose Inspizierungen der einzelnen
Truppenteile, der militärischen Vorräte, der Kasernen, der
Militärschulen vornahm und zu seiner Freude wesentliche
Fortschritte bemerken konnte, die er in einzelnen Tages-
befehlen lobend hervorhob. Die schwierige Stellung
Rumäniens zeigte sich schon darin, daß man russischer-
seits gegen Rumänien aufgebracht war, weil dieses in
treuer Befolgung seiner abwartenden Politik und der binden-
den Verträge den nach dem serbisch-türkischen Kriegs-
234
funden hatten und fortgesetzt fanden. Von der Abhängig-
keit der Türkei hatte man sich mehr und mehr befreit und
war nicht mehr weit von völliger Selbständigkeit entfernt.
So kümmerte man sich wenig, um die Einsprache der
Pforte, indem man ein Gesetz annahm, das die Prägung
von Münzen mit dem Bildnis des Fürsten sowie die Ver-
leihung rumänischer Ordenszeichen seitens des letzteren
anordnete, vielleicht an sich unbedeutende Einzelheiten,
aber doch von entsprechender Wirkung für das Ausland,
welches empfand, wie stark sich Rumänien fühlen mußte,
um in diesen und anderen Fragen die Beschlüsse der
Pforte nicht zu beachten.
In Konstantinopel war im Laufe des Frühlings und
Sommers ein doppelter Sultanswechsel vor sich gegangen;
Ende Mai war Sultan Abdul-Asis abgesetzt und sein
Neffe als Murad V. auf den Thron erhoben worden, den er
aber nur drei Monate einnahm, da man ihn dann als irr-
sinnig erklärte und seinen Bruder Abdul-Hamid II. zum
Sultan ausrief, all dies auf Betreiben des aus Alttürken
bestehenden Ministeriums. Auf dem serbischen Kriegs-
schauplatz waren die Türken überall Sieger geblieben, und
der Weg nach Belgrad stand ihnen frei; da aber trat
Kaiser Alexander II. von Rußland dazwischen und ließ der
Pforte am 30. Oktober erklären, daß, wenn nicht sogleich
ein Waffenstillstand bewilligt würde, er die diplomatischen
Beziehungen zur Türkei als abgebrochen betrachten
müßte, worauf die Türken den russischen Vorschlag an-
nahmen. Gleichzeitig wurde auf Anregung Englands eine
Konferenz, an der sich die Vertreter sämtlicher . Groß-
mächte beteiligen sollten, nach Konstantinopel berufen,
um die orientalischen Wirren auf friedliche Weise zu
lösen. Aber noch vor dem Zusammentritt derselben gab
Kaiser Alexander die Erklärung ab, daß, falls die Pforte
nicht die von ihr zu verlangenden Garantien erfüllte, er
sich völlige Selbständigkeit seines Handelns vorbehalte.
235
Schon daraus ging hervor, in welchem Grade sich Ruß-
land mit kriegerischen Absichten trug, und wie gespannt
die politische Lage war. Diesen Eindruck empfing auch
die Deputation, die Fürst Karl Anfang Oktober unter
Führung des Ministerpräsidenten Bratiänu nach Livadia ge-
schickt, um den dort eingetroffenen Zaren zu begrüßen;
Graf Ignatjew wie auch Fürst Gortschako w äußerten hier-
bei den Wunsch, daß Rußland mit Rumänien eine mili-
tärische Konvention nichtpolitischen Charakters abzu-
schließen gedenke, denn Rußland könne nur durch Ru-
mänien in die Türkei eindringen. Als Bratianu bemerkte,
daß eine Einigung zwischen den beiden Staaten sich leicht
erzielen ließe, sobald Rußland den Krieg im Einverständnis
mit den Garantiemächten führe, und Gortschakow scharf
«entgegnete, daß Rumänien den russischen Durchmarsch
bedingungslos zugestehen müsse, andernfalls man sich ge-
zwungen sähe, das Fürstentum als einen Teil des Osma-
nischen Reiches zu betrachten und sofort zu besetzen, er-
widerte Bratianu sehr geschickt, daß dies wohl ein schlechter
Anfang eines Feldzugs zur Befreiung der christlichen
Brüder aus dem Joch der Ungläubigen bedeuten und daß
übrigens das rumänische Heer sich auf das energischste
dem Eindringen feindlicher Armeen widersetzen würde.
Beruhigend sagte dann Fürst Gortschakow beim Ab-
schied: „Wenn es Krieg gibt, werden wir uns schon
verständigen; Rumänien kann dabei nur gewinnen/'
worauf Bratianu entgegnete, eine Verständigung sei
durchaus im Interesse beider Staaten.
Unter diesen Umständen mußte Fürst Karl alles für
den Ernstfall in Betracht ziehen. Er ließ im Oktober die
Reserven einziehen unter dem Vorgeben, größere Manöver
abhalten zu wollen, und fand auch die bereitwilligste Zu-
stimmung der Kammern, daß jene Reserven über die be-
. stimmte Zeit hinaus unter den Fahnen verblieben. Mehr-
tägige Gefechtsübungen wechselten mit Besichtigungen
236
der außerhalb der Hauptstadt liegenden Truppenteile, auch
an Alarmierungen einzelner Garnisonen fehlte es nicht,
ebensowenig an der vorsichtigen Vervollständigung des
Kriegsmaterials, zu welchem Zweck Ende November
die Kammern 4 Millionen Frcs. bewilligt hatten; gleich-
zeitig wurde eine Reihe neuer Regimenter gebildet und
alles für die Mobilmachung vorbereitet, wie man ferner die
wichtigeren strategischen Donaupunkte besser befestigte
und sie mit größeren Garnisonen belegte, um einem Ein-
fall der Türken sogleich energisch begegnen zu können.
In einem in der zweiten Dezemberhälfte stattgefunde-
nen Ministerrat gelangte die gefährliche Situation Rumä-
niens bei einem Kriegsausbruch zur Sprache. Die Mehr-
zahl der Minister trat lebhaft für die neutrale Haltung ein,
wenige nur für ein Einvernehmen mit Rußland, diesen aber
schloß sich mit voller Entschiedenheit Fürst Karl an. Auch
im Lande selbst wuchs die Unruhe. Die Geldnot vergrößerte
sich von Tag zu Tag, da viele Geschäfte stockten, und die
Gerüchte von einem in kürzester Frist bevorstehenden Feld-
zuge mit einem Angriff der Türken Handel und Wandel
lähmten. Traf man doch sogar in den Donauortschaften
alle Vorbereitungen zur Flucht, die viele Familien auch aus-
führten. Fürst Karl jedoch war festen Mutes; er hatte Zu-
trauen zu seiner jungen Armee und war entschlossen, daß
Rumänien nicht der Kriegsschauplatz würde, falls die
Würfel gefallen, klug abwägend, welche Vorteile seine vor-
sichtig durchgeführte Politik dem Lande bringen könne.
In Konstantinopel war mit dem Schluß des Jahres 1876
die erwähnte Konferenz zusammengetreten, und am selben
Tag, dem 23. Dezember, veröffentlichte die Pforte die neue
Konstitution, die eine Fülle guter Vorsätze und weitgehender
Versprechungen enthielt. Aber gerad durch diese Ver-
fassung, die unter anderem Freiheit der Religionsübungen
versprach, erfuhren die russischen Kriegsgelüste noch
weitere Anregung, denn es war anzunehmen, daß die im
237
Aufstand begriffenen Christen auf türkischem Boden nun
ihre Hoffnung auf den religiösen Frieden setzten, wodurch
die in vollem Zuge begriffene revolutionäre Bewegung
eingedämmt würde, was natürlich nicht den russischen
Absichten entsprach. Andrerseits wieder mußte die Pro-
klamierung einer Verfassung in der bisher so autokratisch
regierten Türkei eine Rückwirkung auf die russische Be-
völkerung ausüben, deren intelligente und liberale Teile ja
längst auf ein konstitutionelles Regierungssystem hin-
drängten. Auch auf Rumänien übte die Veröffentlichung
jener Konstitution ihren Einfluß aus, da in derselben von
der Abhängigkeit der „privilegierten Provinzen" gesprochen
wurde, die untrennbar mit dem Osmanischen Reiche ver-
bunden wären, und daß dem Sultan die Belehnung dieser
Provinzen mit ihren Staatshäuptern für alle Zeiten ob-
liege. Mit Recht sah das Rumänien als einen Angriff
seiner Autonomie an und erließ eine energische Protest-
note. Im Lande selbst machte jene türkische Heraus-
forderung viel böses Blut und trug das ihrige zu einer
immer wachsenden Ausbreitung der kriegerischen Stim-
mung bei.
Dunkel und unsicher begann das neue Jahr 1877. Man
fühlte, daß die bedeutsame Entscheidung nahte, aber man
sehnte sie rumänischerseits auch herbei, denn diese Un-
gewißheit, welche die wichtigsten wirtschaftlichen Be-
ziehungen beeinträchtigte, die Geldkrisis von Tag zu Tag
verschärfte und die Gemüter aller dumpf belastete, war viel
schwerer zu ertragen, als wenn man den ernstesten und ein-
schneidensten Vorgängen offen entgegensah. Mehr und
mehr mußte man mit der Unvermeidlichkeit des Krieges
rechnen. Die Konferenz in Konstantinopel war am 20. Ja-
nuar ergebnislos auseinander gegangen, da die Pforte die
beiden entscheidenden Forderungen der Großmächte —
Mitwirkung derselben bei Ernennung der Gouverneure in
den christlichen Provinzen und Einsetzung einer aus Be-
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238
vollmächtigten der Großmächte bestehenden Aufsichts-
kommission — abgelehnt hatte, was sie ihrer Selbsterhaltung
schuldig gewesen. Denn bei einer Zustimmung hätte der
Sultan mit einer Revolution in der türkischen Hauptstadt
rechnen müssen, hatten doch die Führer der mohamme-
danischen Geistlichkeit erklärt: „Wir haben die Christen
unterworfen und das Land mit dem Schwert erobert und
wir wollen mit ihnen weder die Verwaltung des Reiches
teilen, noch sie an der Leitung der Regierungsgeschäfte teil-
nehmen lassen."
Die Eröffnung der direkten Feindseligkeiten gegen die
Türkei suchte Rußland bis zum Frühling hinaus zu schieben
durch allerhand diplomatische Verhandlungen mit den
Westmächten, in seinen eigenen Grenzgebieten die nötigen
Vorbereitungen für den Feldzug treffend und mit Rumänien
die bereits Ende 1876 eingeleiteten Verhandlungen eines
Durchzugs der russischen Truppen durch das Fürsten-
tum fortsetzend. Unterdessen schlössen russische Offiziere
bereits auf rumänischem Boden verschiedene Kontrakte ab
zur Lieferung von Brückenbaumaterial, Holz und Vorräten,
und besichtigten mit Erlaubnis des Fürsten die Ver-
teidigungsarbeiten an den befestigten Donaupunkten.
Gleichzeitig unterbreiteten russische Generalstabsoffiziere
dem Fürsten die geplanten russischen Marschdispositionen
und überbrachten eine Erklärung, daß die russische Heeres-
verwaltung Rumänien schwere Positionsgeschütze für die
Verteidigung abgeben und Pferde für die Artillerie be-
schaffen wolle.
In einem vom Fürsten Karl auf den 14. April einbe-
rufenen Ministerrat, zu dem auch gewesene Minister
und hervorragende rumänische Staatsmänner hinzugezogen
wurden, sprach sich die Mehrzahl für die Neutralität Ru-
mäniens aus, der Fürst aber trat wiederum energisch für
ein Hand in Handgehen mit Rußland ein und setzte den
Beschluß durch, daß das gesamte Heer mobü gemacht
239
werden solle. Ferner wurden neue Truppentransporte nach
der Donau beordert, deren Abfahrt der Fürst beiwohnte,
die Offiziere um sich versammelnd und ihnen sein volles
Vertrauen ausdrückend, daß er überzeugt sei, jeder von
ihnen werde pflichtgetreu und eifrig dem Staat dienen
und sein ganzes Streben darauf richten, sich auszu-
zeichnen.
Auch die Türkei hatte alles für den Kriegsfall vorbe-
reitet, indem die Truppen in Bulgarien wesentlich ver-
mehrt und die Donaufestungen auf das eiligste verstärkt
und mit großen Geschützen versehen wurden. Man hörte,
daß die türkische Heeresmacht in und um Widin 40 000
Mann zähle, des Augenblicks gewärtig, um über die
Donau zu gehen und in Rumänien einzufallen, während
die rumänische Garnison von Calafat nur 900 Mann betrug,
dagegen 20 000 Man erforderlich waren, um den geplanten
türkischen Anprall zurückzuwerfen.
In der zweiten Aprilhälfte hatte Fürst Karl den ru-
mänisch-russischen Vertrag über den Durchzug der rus-
sischen Truppen durch Rumänien unterzeichnet. In dem-
selben war gleich in der Einleitung gesagt, daß die rus-
sische Regierung den Wunsch hege, die territoriale Un-
verletzlichkeit des rumänischen Staates zu achten. Die
weiteren Artikel lauteten sodann:
„Artikel I. Die Regierung Sr. Hoheit des Fürsten von
Rumänien Karl I. sichert dem russischen Heere, das in
die Türkei einzurücken bestimmt ist, freien Durchzug durch
das rumänische Gebiet und die Behandlung einer be-
freundeten Armee zu.
Alle Ausgaben, welche durch die Erfordernisse des
russischen Heeres, seine Beförderung, wie auch die Be-
friedigung seiner Bedürfnisse veranlaßt werden könnten,
fallen natürlich der Kaiserlichen Regierung zur Last.
Artikel II. Damit für Rumänien keinerlei Unannehm-
lichkeiten oder Gefahr aus dem Durchzug der russischen
240
Truppen erwachse, verpflichtet sich die Regierung Sr.
Majestät des Kaisers aller Reußen, die politischen Rechte
des Rumänischen Staates aufrecht zu erhalten und Sorge
dafür zu tragen, daß dieselben so geachtet werden, wie
es die L,andesgesetze und die bestehenden Verträge er-
fordern. Ferner verpflichtet sich die Regierung Sr. Majestät
des Kaisers von Rußland, die dermalige Integrität Ru-
mäniens aufrecht zu erhalten und zu beschützen.
Artikel III. Alle näheren. Bestimmungen über den
Durchzug der russischen Truppen, ihr Verhältnis zu den
Lokalbehörden, wie auch jedes Übereinkommen, das zu
diesem Zwecke getroffen werden muß, werden in einem
besonderen Vertrage festgestellt werden, und zwar von
Delegierten beider Regierungen, und dieser Vertrag wird
gleichzeitig mit dem vorliegenden ratifiziert werden und
sofort in Wirksamkeit treten.
Artikel IV. Die Regierung Sr. Hoheit des Fürsten
von Rumänien verpflichtet sich, für die vorliegende
Konvention die von den rumänischen Gesetzen vor-
geschriebene Ratifikation zu erlangen und sogleich zur
Ausführung der in derselben enthaltenen Stipulationen
zu schreiten."
Während die Fürstin Elisabeth sich auf das eifrigste
den bevorstehenden Aufgaben für die Pflege der Ver-
wundeten widmete, die Hospitäler besuchte und die Ein-
richtungen des Roten Kreuzes studierte, begab sich am
19. April Fürst Karl nach Giurgiu und inspizierte die ver-
schiedenen Donaupunkte, nach Bukarest zurückgekehrt
mit dem Kriegsminister die Truppenverteilung ausarbeitend.
In ernster Weise wurde am 20. April der Geburtstag des
Fürsten begangen, dem im Namen des Ministeriums
Ministerpräsident Bratianu die innigsten Glückwünsche
darbrachte, hervorhebend, daß an diesem Tage vor elf
Jahren in schwieriger Zeitlage der Fürst dem Rufe der
rumänischen Nation gefolgt sei und daß, wie damals, so
241
auch heute das. gesamte Volk mit festem Vertrauen zu ihm
emporblicke, überzeugt, der Herrscher werde auch diesmal
die drohenden schweren Gefahren abwenden.
Das war wahrlich eine verantwortliche Zeit für den
Fürsten Karl. Stand doch Rumänien zwischen zwei Feuern
und konnte leicht in die Lage kommen, daß bei dem bevor-
stehenden blutigen Streit der beiden großen Nachbarstaaten
diesen der kleine Staat zum Opfer fiele, indem sie ihn als
Kampfpreis erkürten, über ihn hinweg den Frieden schlie-
ßend. Dazu kam die drückende Finanznot, so daß schon
seit längerer Zeit die Zivilliste nicht ausgezahlt worden war,
der Fürst trotzdem aber 100 ooo Frcs. aus seiner Privat-
schatulle bewilligte, um den Offizieren die noch nicht von
den Kammern genehmigte Kriegszulage für einen Monat
zu gewähren.
Endlich war die langersehnte Entscheidung da: Ruß-
land erklärte der Pforte den Krieg! Fürst Gortschakow
teilte dies am 24. April den Mächten mit, die Kriegs-
erklärung damit begründend, daß alle zwischen den Kabi-
netten vereinbarten Vorschläge auf einen unüberwindlichen
Widerstand der türkischen Regierung gestoßen wären. Der
russische Herrscher habe daher das zu übernehmen be-
schlossen, wozu er die Großmächte aufgefordert, mit ihm
gemeinschaftlich zu handeln; der Kaiser erfülle somit eine
Pflicht, welche ihm die Interessen Rußlands auferlegten,
dessen friedliche Entwicklung durch die unaufhörlichen
Wirren im Orient fortdauernd gehemmt würde, und er
habe die Uberzeugung, daß sein Handeln den Anschau-
ungen Europas entspreche.
Die Ereignisse nahmen jetzt ihren schnellen Verlauf.
Auf die russische Kriegserklärung hin lief beim Fürsten
Karl ein Telegramm des Großveziers aus Konstantinopel
ein, in welchem dieser im Namen des Sultans, gestützt auf
die betreffenden Artikel des Pariser Vertrages und der
Ubereinkunft des Fürstentums mit der Pforte vom Jahre
Lindenberg, König Karl. 16
242
1858, den Fürsten aufforderte, sich mit .der türkischen
Regierung in Verbindung zu setzen behufs gemeinsamer
militärischer Maßregeln zur Verteidigung des rumänischen
Bodens. Fürst Karl beauftragte den Minister des Äußern,
zu antworten, daß die Erfüllung der Forderung der Hohen
Pforte zunächst den gesetzgebenden Körperschaften vor-
gelegt werden müsse, die zum 26. April einberufen seien.
Die Vorwärtsbewegung der russischen Truppen hatte be-
reits begonnen, gleichzeitig damit das Passieren der rumä-
nischen Grenze, was für das rumänische Ministerium in-
sofern unangenehm war, als die Kammern noch nicht den
russisch-rumänischen Vertrag genehmigt hatten
Dem Fürsten Karl kam es vor allen Dingen darauf
• an, sofort Rußland gegenüber die vollste Selbständigkeit
Rumäniens zu betonen, und ihn berührte deshalb um so
peinlicher eine vom Großfürsten Nikolaus, dem Ober-
kommandierenden der russischen Streitkräfte, an das ru-
mänische Volk gerichtete Proklamation, des Inhalts, daß
die russischen Truppen als Freunde den rumänischen
Boden betreten hätten und hofften, jene edlen Gesinnungen
bei den Rumänen zu finden, die ihre Vorfahren dem
russischen Heere in den früheren Kriegen Rußlands gegen
die Türkei entgegengebracht. Fürst Karl betonte in Ge-
genwart seines Ministerpräsidenten und des Ministers des
Äußeren dem russischen Generalkonsul gegenüber, wie
sehr ihn dieser Eingriff verletzt habe, da er allein be-
rechtigt sei, zu seinem Volk zu sprechen. Der General-
konsul entschuldigte seine Regierung damit, daß die mit
Rumänien abgeschlossene Konvention noch nicht bekannt
gemacht sei, und daß es daher schwer gewesen wäre, die
rumänische Bevölkerung in anderer Weise zu verständigen,
Großfürst Nikolaus würde dies übrigens gern schriftlich
dem Fürsten erklären.
In diesem Sinn war auch ein seitens des Kaisers
Alexander von Rußland aus Kischinew gerichteter Brief
243
an den Fürsten gehalten, in dem er hervorhob, daß
die russischen Streitkräfte als aufrichtige Freunde die
Grenze überschritten hätten, um ein Land zu verteidigen,
für das sie schon öfter ihr Blut verspritzt, und daß der
Kaiser auf die Unterstützung des Fürsten und seiner Re-
gierung rechne; er brauchte nicht erst zu versichern, daß
Rumänien auf das traditionelle Interesse Rußlands und
seine beständige Hilfe rechnen dürfe. Auch Großfürst
Nikolaus sandte seinen Adjutanten an den Fürsten mit
einem Schreiben, in welchem er die Gründe darlegte, wa-
rum es nicht möglich gewesen, das Uberschreiten der
Grenze vorher anzukündigen und weshalb er jene Prokla-
mation an die Rumänen gerichtet; er hoffe auf eine fort-
gesetzte freundschaftliche Verbindung mit dem Fürsten und
auf eine baldige Verständigung der Operationen beider
Armeen, er würde sehr dankbar sein, wenn der Fürst ihm
die entsprechenden militärischen Mitteilungen zugehen
ließe, wie auch er nicht verfehlen werde, stets das gleiche
zu tun. Der Adjutant erörterte sodann noch im Auftrag
des Großfürsten mündlich die Idee einer gemeinsamen
Tätigkeit der russischen und rumänischen Truppen, worauf
der Fürst jedoch nicht einging, da er durchaus seinen
Standpunkt gewahrt wissen wollte, daß das rumänische
Heer unter seinem Oberkommando bleiben und selbständig
handeln solle. Die Absicht einer Kooperation der beiden
Armeen gelangte in weiteren Briefen des Großfürsten zum
Ausdruck, aber auch hier verhielt sich Fürst Karl stets
abwartend, da er zunächst fest umschlossene Bedingungen
wünschte, unter denen ein gemeinsames Handeln möglich
wäre. Diesen Standpunkt wahrte er auch insofern sehr
energisch, als er erfuhr, daß der Großfürst von Plojetschti
aus, wo er mit seinem Stabe eingetroffen, dem Fürsten-
paare in Bukarest Mitte Mai seinen Besuch abstatten
wolle, hierbei von seinem militärischen Gefolge und einer
Eskorte begleitet. Fürst Karl erhob gegen die letztere Be-
16*
244
Stimmung des Programms Einspruch unter der Begründung,
daß in der zwischen Rußland und Rumänien abgeschlossenen
Konvention ganz besonders betont worden sei, daß russi-
sche Truppen die rumänische Hauptstadt nicht betreten
dürften; er selbst werde mit seiner eigenen Eskorte seinen
fürstlichen Gast vom Bahnhof in die Stadt geleiten, vorher
aber gedenke er dem Großfürsten seinen Besuch abzustatten.
Gelegentlich dieses Zusammentreffens am 14. Mai, bei
welchem der Großfürst den Fürsten Karl auf das herzlichste
begrüßte, drang ersterer nochmals persönlich auf eine Ver-
einigung der russischen und rumänischen Armeen, diesen
Wunsch noch begründend, daß die eigene ihm unterstellte
Heeresmacht nicht ausreichend sei, seine nächsten Ziele
zu verfolgen; er hoffe daher auf die Unterstützung seitens
der rumänischen Truppen zunächst insofern, als sie das
linke Donauufer besetzt hielten, damit der Aufmarsch der
russischen Truppen sich ungestört vollziehen könne. Fürst
Karl wiederholte auch hier, daß er unbedingt das Ober-
kommando über seine Truppen behalten werde; selbst-
verständlich würden dieselben in ihren Donaustellungen
verbleiben, er wie sein Heer wünschten nur eins, bald
militärisch eingreifen zu können, die Bedingungen würde
er vorher mit dem russischen Hauptquartier vereinbaren.
Der Generalstabschef des Großfürsten rühmte dem Fürsten
die bisher von der rumänischen Heeresverwaltung umsich-
tig getroffenen Maßregeln, die für den russischen Vormarsch
von allergrößtem Nutzen gewesen seien, den Wunsch aus-
drückend, daß er sich gern mit dem Chef des rumänischen
Generalstabes in Verbindung setzen möchte, um das
Weitere im Interesse eines ferneren Zusammenwirkens zu
beschließen. Unterdessen hatten türkische Kriegsschiffe
bereits einige offene Donaustädte, wie Braila und Reni,
bombardiert; von Oltenitza und Calafat aus war das Feuer
der auf dem jenseitigen Ufer befindlichen türkischen
Batterien von den rumänischen erwidert worden.
245
Noch ehe der April zu Ende gegangen, hatten die
Kammern den Durchzugsvertrag mit großer Mehrheit ge-
nehmigt; mit Begeisterung war bei Eröffnung der außer-
ordentlichen Sitzung der Fürst begrüßt worden. In seiner
Thronrede hob Fürst Karl hervor, daß, da die Hohe Pforte
und die Garantiemächte trotz aller Bemühungen seiner
Regierung die Neutralität des Landes nicht verbürgt
hätten, Rumänien nun auf seine eigene Kraft angewiesen
sei. Vor allem sei sein Bestreben darauf gerichtet, den
rumänischen Boden nicht zum Kriegsschauplatz werden
zu lassen; die russischen Truppen seien zwar eingerückt,
würden aber die Hauptstadt nicht berühren als Zeichen,
daß Rußland die politische Individualität Rumäniens
anerkenne; der Fürst hoffe, daß nun die Zwietracht der
Parteien schwinden werde vor dem einen Ziel: der Größe
Rumäniens !
In der Erwiderung der Kammer auf diese Thronrede
hieß es, daß die Volksvertreter, vertrauensvoll dem Rufe
des Fürsten folgend, in diesen gefahrvollen Stunden sich
um den Thron geschart hätten und daß sie dem Fürsten
die vollste Bereitwilligkeit des Volkes versicherten, ihm
hingebend zu folgen, sobald er es rufe. — Der gleiche
Patriotismus gelangte in einer Adresse des Senats vom
5. Mai zum Ausdruck, worin verkündet wurde, daß das
ganze Land nur von dem einen Gedanken der Befreiung
beherrscht werde und vor keinem Opfer, diese zu erlangen,
zurückscheuen werde. In der Antwort des Fürsten hierauf
lautete es: „Ohne daß ein einziger Flintenschuß von
unserem Ufer abgefeuert worden, werden unsere halb ver-
lassenen Städte und Dörfer an der Donau verwüstet. Unser
internationaler Handel an den Ufern der Donau ist ver-
nichtet; in Mißachtung des Völkerrechtes kommen die
türkischen Kanonenboote bis in unsere Häfen, um die
Schiffe ohne Unterschied der Flagge zu kapern und zu
verbrennen. Offene Städte, wie Braila und besonders Reni,
246
sind bombardiert worden. Oltenitza, wo sich nicht ein
einziger russischer Soldat befindet, hat dasselbe Schicksal
ereilt, Banden von Tscherkessen und Baschi-Bozuks sind
auf rumänischem Küstengebiet eingebrochen". Und der
Fürst schloß, daß, wenn die Türkei der bisherigen Mäßigung
der rumänischen Regierung keine Rechnimg trage, Ru-
mänien gezwungen sei, Gewalt mit Gewalt zurückzuweisen,
denn vor allem müsse die Grenze des Landes verteidigt
werden.
Nachdem die Pforte am 8. Mai dem rumänischen
diplomatischen Agenten in Konstantinopel seine Pässe zu-
geschickt hatte, erklärte Rumänien fünf Tage später der
Türkei den Krieg, und nach vorhergegangenen Verhand-
lungen im Ministerrat und den Kammern ward die Un-
abhängigkeit Rumäniens beschlossen, welch weittragender
Beschluß am 22. Mai, dem Nationalfeiertage, festlich und
freudig begangen wurde. An ein Tedeum in der Metropolie
schloß sich die Beglückwünschung seitens der Minister,
der hohen Offiziere und Zivilbeamten im Palais. In be-
geisterten Ansprachen wurde hier Fürst Karl als der erste
Fürst und der erste Soldat des freien Rumäniens gefeiert.
D. Bratianu ging noch weiter, indem er den Fürsten bereits
als den ersten König von Rumänien begrüßte, und der
Kammerpräsident Rosetti erinnerte den Fürsten an seine
vor elf Jahren bei seiner Ankunft in Bukarest gesprochenen
Worte, daß er Rumäne geworden sei und Vaterland und
Familie verlassen habe, um heute als Staatsbürger, morgen,
wenn nötig, als Soldat die guten wie die schlechten Ge-
schicke des Landes zu teilen, dem Fürsten seine Bewun-
derung ausdrückend, mit welcher Hingebung er sein Ver-
sprechen erfüllt habe. Voll tiefer Bewegung erwiderte der
Fürst, daß er an diesem großen Tage, wo auch jeder
Schatten einer Abhängigkeit von Rumänien genommen
worden sei, es um so weniger bedaure als je, seine einstige
Heimat verlassen zu haben, und daß er hoffe, das unab-
247
hängige Rumänien werde nun seine hohe Mission ungehin-
dert und frei erfüllen, sich selbst und Europa zum Segen ! —
Das erste große Ziel, das sich Fürst Karl gesetzt, als
er die Krone Rumäniens angenommen, war erreicht. Das
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248
Land war ein selbständiger Staat, er der Fürst eines un-
abhängigen Reiches geworden, ein ganzes Volk stand voll
festen Vertrauens hinter ihm. Das enggeschlossene Staats-
wesen hatte sich die Achtung der Nachbarn erworben, und
was er in elf langen und schwierigen Jahren für Rumänien
getan, trug jetzt seine Früchte. Zunächst hatte Rußland
eingesehen, daß es nicht mehr, wie früher so oft, das
Donaufürstentum in Besitz nehmen und behebig darin
schalten könnte, und ferner, daß die Türken es nicht ge-
wagt, ihren „Vasallenstaat" militärisch zu besetzen!
Nun hieß es aber, diese so schwer errungene Selb-
ständigkeit auch den Russen gegenüber zu wahren. Es
gehörte viel Takt und Energie, viel Klugheit und Be-
ständigkeit dazu, um diese Aufgabe zum Wohle des Landes
durchzuführen, und die Geduld des Fürsten, der natürlich
den Augenblick herbeisehnte, mit seinem Heere aktiv ein-
zugreifen in die kriegerischen Ereignisse, sollte auf eine
harte Probe gestellt werden. Rechnete einerseits Groß-
fürst Nikolaus auf den Waffenbeistand der rumänischen
Truppen, so hatte Ende Mai Kaiser Alexander durch den
diplomatischen Vertreter Rumäniens in St. Petersburg,
General Ghika, erklären lassen, daß, falls das rumänische
Heer die Donau überschreiten und auf eigene Kosten und
Gefahr den Krieg gegen die Türkei führen wolle, dies nur
geschehen dürfe, wenn die rumänischen Truppen sich unter
den Befehl des russischen Oberkommandos stellten. Auf
den schriftlichen Antrag der rumänischen Regierung, daß
das rumänische Heer sich tätig an den Kriegsereignissen zu
beteiligen gedenke, hatte Fürst Gortschako w in einer längeren
Note geantwortet, deren wörtlicher Kern war: „Rußland hat
die Hilfe der rumänischen Armee nicht nötig, die Streit-
kräfte, welche es in Bewegung gesetzt, um die Türkei zu
bekämpfen, sind mehr wie genügend, um dieses Ziel zu
erreichen, das sich der Kaiser mit diesem Kriege gesetzt",
und hatte des ferneren die eben erwähnte Erklärung Kaiser
249
Alexanders nochmals betont. Wie später Großfürst Niko-
laus dem Fürsten Karl mitteilte, war er durchaus nicht
der Ansicht des russischen Reichskanzlers, sich beklagend,
daß die Diplomatie viel zu sehr sich in Dinge mische,
die sie gar nichts angingen.
In ganz Rumänien herrschte die aufrichtigste Begeiste-
rung. Reichlichst flössen die Gaben für die Armee, eine
große Zahl Privater stellte der Heeresverwaltung Pferde
zur Verfügung, mit welchem Beispiel Fürst Karl voran-
gegangen, und in dichten Scharen meldeten sich die Frei-
willigen, die zum Teil den besten Familien augehörten.
Durch Befehl vom 8. Mai hatte der Fürst, nachdem die
Mobilmachung am Tage vorher vollendet worden, das
Oberkommando der Armee übernommen. Letztere zählte
50 000 Mann mit 180 Geschützen, während sich die ganze
Wehrkraft des Landes mit ihren noch nicht einberufenen
Jahrgängen, den verschiedenen Klassen der Miliz und der
Nationalgarde auf 70 000 Mann bezifferte. Täglich nahm
der Fürst eingehende militärische Besichtigungen vor,
wiederholt begleitet von der Fürstin, die sich mit uner-
müdlicher Sorgfalt um die Lazaretteinrichtungen, Kranken-
häuser und die Vorkehrungen für die Pflege der Verwun-
deten kümmerte. Die rumänischen Truppen waren voll
froher Kampfesstimmung, und die Bevölkerung bereitete
dem Fürsten, wo er sich zeigte, jubelnde Huldigungen,
so am 26. Mai in Crajowa und anderen Städten wie Ort-
schaften, in denen der Fürst die Regimenter besichtigte.
Am 27. Mai war er in Calafat eingetroffen, sofort die
Feldbefestigungen, das Lager und die Batterien besuchend,
dann, um die siebente Abendstunde, seine Stellung auf
dem höchsten Punkt der Verteidigungslinie, der Batterie
Carol, nehmend und von hier aus den Befehl zur Be-
schießung des gegenübergelegenen Widin erteilend. Die
Türken erwiderten sogleich das Feuer und wußten gut zu
zielen, denn in die Batterie Carol fielen fünf Bomben, von
250
denen drei in unmittelbarer Nähe des Fürsten platzten,
daß weithin die Sprengstoffe flogen. Aber der Fürst ver-
ließ nicht seinen Platz, sondern begrüßte die feindlichen
Geschosse durch Schwenken seiner Mütze, worauf die
Mannschaften in stürmische Hurras ausbrachen, die sich
bis in das Lager fortpflanzten, wo die Musikchöre zu
spielen begannen. Erst nach einer Stunde, nachdem der
Fürst genau den guten Erfolg des Feuers seiner Batterie
verfolgt, verließ er seine Stellung, in einer benachbarten
Ortschaft sein Quartier aufschlagend.
Zwischen dem Großfürsten Nikolaus, der mit seinem
Stabe, wie wir schon erwähnt, in Plojeschti weilte und bereits
am 15. Mai seinen ersten Besuch dem Fürstenpaare in
Bukarest abgestattet hatte, und dem Fürsten Karl entspann
sich ein durchaus freundschaftliches Verhältnis. Wieder-
holt wurde der Fürst zum russischen Kriegsrat hinzu-
gezogen, bei der ersten sich darbietenden Gelegenheit be-
tonend, wie strategisch wichtig der Straßenknotenpunkt
Plewna sei, den Russen ratend, nachdem sie die Donau
überschritten, diesen Ort sobald wie möglich mit den er-
forderlichen Streitkräften zu besetzen, ein Rat, der, wie
später Großfürst Nikolaus mehrfach erwähnte, zum größten
Schaden der russischen Operationen nicht befolgt worden war.
In Plojeschti konnte am 7. Juni Fürst Karl auch den
russischen Kaiser begrüßen, der ihn auf das liebenswürdigste
empfing und in einer Unterredung unter vier Augen er-
wähnte, daß Rumänien nur Gutes von ihm zu erwarten
habe, denn nun, wo wider Erhoffen der Krieg ausgebrochen,
wünsche er sehnlichst allen christlichen Völkern des Orients
bessere Zeiten zu bringen. Fürst Karl entgegnete, mit
welcher Zuversicht er erwarte, daß dieser Krieg Rumänien
die Unabhängigkeit sichern und dem rumänischen Heere
die ersehnte Gelegenheit bieten würde, an dem Feldzug
aktiv teilzunehmen und so die Ehre des jungen rumänischen
Staates hochzuhalten.
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252
Am nächsten Tage erwiderte Kaiser Alexander in Be-
gleitung dreier seiner Söhne, darunter des Thronfolgers,
des Großfürsten Nikolaus, sowie des Fürsten Gortschakow
und der gesamten militärischen Gefolgschaft den Besuch
in Bukarest, dort vom Fürstenpaare und der Bevölkerung
festlich empfangen, bei der Einfahrt in die reich ge-
schmückte Stadt im ersten Wagen neben der Fürstin Platz
nehmend, während den zweiten der Fürst mit dem Thron-
folger bestieg. Vor dem Palais, zwischen dem Fürsten und
dessen Gemahlin stehend, nahm er die Parade über die
Ehrenwache, eine Jägerkompagnie mit Fahne und Musik,
ab, woran sich ein Frühstück schloß. Die ganze Auf-
nahme wie auch die fürstliche Hofhaltung machten auf
die russischen Gäste den günstigsten Eindruck.
Dieser kaiserliche Besuch, den das fürstliche Paar bald
in Plojeschti erwiderte, hatte eine außerordentliche Wir-
kung auf die Bevölkerung gemacht, die ja von früheren
Zeiten her an eine ganz andere Behandlung ihrer Staats-
oberhäupter gewöhnt war und nun einsah, welch' grund-
legende Wandlung sich vollzogen und welche Stellung der
Fürst aus dem Hohenzollernhause selbst den mächtigsten
Herrschern gegenüber einnahm, ihnen gleichberechtigt
durch Abstammung und ihnen hohe Achtung abzwingend
durch sein persönliches Auftreten und durch seine staats-
männische Klugheit wie Tatkraft.
Nachdem Ausgangs April sich die russischen Streit-
kräfte der seltsamerweise durch die Türken nicht zerstörten
wichtigen Eisenbahnbrücke über den Sereth nahe Braila
bemächtigt und die Donau bei der letzteren Stadt wie bei
Galatz durch Torpedoboote gesperrt hatten, ferner im
Laufe des Mai mehrere türkische Panzerschiffe auf der
Donau durch kühne nächtliche Torpedoangriffe vernichtet
worden waren, erfolgte in der zweiten Junihälfte der Über-
gang der Russen über die Donau bei Galatz und bei Sim-
nitza, wodurch sich die russischen Streitkräfte ihre Ope-
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254
rationsbasis für die Besetzung der Dobrudscha sicherten.
Das kaiserliche Hauptquartier verblieb zunächst noch in
Plojeschti, von wo Kaiser Alexander dem Fürstenpaare am
24. Juni einen zweiten Besuch in Cotroceni abstattete, sich
außerordentüch wohl fühlend in der fürstlichen Famiüe
und in dem schönen Klosterpark, in welchem das Diner
eingenommen ward.
Wenige Tage vorher hatte Fürst Karl in Plojeschti
eine wichtige Unterredung mit dem Reichskanzler Fürsten
Gortschakow gehabt. Letzterer, der sich sehr anerkennend
über die rumänische Armee äußerte und den Fürsten
dringend bat, sich nicht, wie kürzlich beim Bombardement
in Calafat, persönlich zu exponieren, da er sich seinem
L,ande erhalten müsse, gab zu, daß Rumänien zu seine-
staatlichen und wirtschaftlichen Entwicklung durchaus der
Donaumündungen bedürfe, verlangte aber für Rußland
den Kilia-Arm. Der Fürst erwiderte, daß diese Dinge
vor das Forum Europas gehörten, sein Hauptbestreben
sei es, Rumäniens durch die Verträge gewährleistete
Integrität zu wahren, auch er erhoffe im Falle eines sieg-
reichen Feldzuges eine Erweiterung der Grenzen des
Landes, dies komme jedoch erst später in Betracht. Fürst
Gortschakow drückte sodann die Erwartung aus, daß der
Krieg kurz und glorreich sein werde, jedoch könne er sich
nicht der Meinung des Hauptquartiers anschließen, Ru-
mänien zu einer Kooperation zu veranlassen, worauf der
Fürst erwiderte, daß er schon deshalb eine aktive Be-
teiligung Rumäniens am Feldzuge wünsche, weil nur auf
dem Schlachtfelde die Unabhängigkeit Rumäniens be-
siegelt werden könne, und daß er unter allen Umständen
das Kommando über die rumänischen Truppen allein in
der Hand behalten werde. Als Fürst Karl kurz danach
das Wichtigste aus dieser Unterredung, die ihn in ver-
schiedener Hinsicht peinlich berührt, dem Großfürsten
Nikolaus berichtete, zeigte sich dieser über die Äußerungen
255
Gortschakows sehr unzufrieden, indem er hinzusetzte, daß
sich die Diplomatie zu sehr in Dinge mische, die sie nichts
angingen. Kaiser Alexander, der erfahren, daß sich Fürst
Karl in Plojeschti aufhalte, stellte sich bei seinem Bruder
ein und teilte die eben erhaltenen guten militärischen
Nachrichten aus Asien mit.
Fürst Karl besichtigte während der nächsten Tage die
Stellungen seiner Truppen an der Donau und in Giurgiu;
auch hier platzten dicht neben ihm mehrere Bomben, aber
trotz des dringendsten Abratens seiner Begleitung besuchte
er das Spital, das sich die türkischen Batterien in
Ruschuk als Ziel genommen, und tröstete die Verwundeten,
unter denen sich viele aus der Bevölkerung befanden, da
das Bombardement bereits zahlreiche Opfer gefordert. Tele-
graphisch bat Großfürst Nikolaus den Fürsten, das Feuer
auf der ganzen Donaulinie zu eröffnen und es bis zum Abend
fortdauern zu lassen, welchem Wunsche Folge geleistet
ward. Auch in Braila weilte der Fürst, dort von dem ru-
mänischen General Zimmermann erfahrend, welch große
Schwierigkeiten die Verpflegung der Truppenmassen in der
Dobrudscha mache, wie langsam durch die endlosen Sümpfe
die Bewegungen sich vollziehen ließen, und wie sehr die
Soldaten unter dem Sumpffieber litten. Von seinem Haupt-
quartier in Pojana aus begab sich der Fürst wiederholt
nach Calaf at und konnte dem Großfürsten Nikolaus wichtige
militärische Nachrichten über die türkischen Bewegungen
melden. Die Aufforderung des russischen Hauptquartiers,
durch bestimmte rumänische Streitkräfte die Festung Ni-
kopolis, welche die Russen nach eintägiger Beschießung
am 16. Juli in Besitz genommen, zu besetzen und die
türkischen Gefangenen zu bewachen und zu transportieren,
lehnte der Fürst, trotzdem ihn darum auch der russische
Kaiser durch den General Ghika telegraphisch hatte bitten
lassen, mit aller Bestimmtheit ab, zu solchen „Gendarmen-
diensten' ' hielt er seine Armee für zu gut. Dagegen er-
256
klärte er sich bereit, Nikopolis zu besetzen und im Ver-
ein mit Rußland an der Spitze seiner Truppen nach Plewna
vorzugehen, ein Anerbieten, das wiederum seitens des
russischen Hauptquartiers ausgeschlagen wurde. Aber
bald genug sollte man durch den fürchterlichen Ernst der
Kriegslage gezwungen werden, es mit Freuden anzu-
nehmen, denn es erfüllte sich durchaus mcht die sichere
Hoffnung des Fürsten Gortschakow, daß der Krieg bald
siegreich sein Ende finden würde.
Die zweite Julihälfte brachte die blutigen Kämpfe
am Schipkapaß und vor Plewna. An letzterem Punkt
wurden die Russen am 19. und 20. Juli von Osman Pascha
zurückgeschlagen; man versuchte den Fürsten Karl in-
sofern für die Niederlage verantwortlich zu machen, in-
dem man behauptete, ein wichtiger Teil der russischen
Streitkräfte sei durch die Besetzung von Nikopoüs zurück-
gehalten worden, nochmals die dringende Bitte ergehen
lassend, jetzt die Besetzung der Festung vorzunehmen.
Bei der ernsten Sachlage auf dem Kriegsschauplatze in
Bulgarien und bei der Gefahr, daß, wenn die Russen
noch fernerhin zurückgeworfen würden, der Krieg sich
leicht auf das rumänische Gebiet erstrecken könnte, gab
der Fürst seine Einwilligung, am 29. Juli die ersten ru-
mänischen Truppen, und zwar vier Regimenter, über
die Donau nach Nikopolis gehen lassend, wo der russische
Befehlshaber die rumänischen Bundesgenossen mit seinem
Stabe freudig empfing, den Befehl erteilend, die rumänische
Fahne auf der Festung zu hissen. Das russische Haupt-
quartier aber ließ der Fürst benachrichtigen, daß ein
Brückenschlag über die Donau für das Gros der rumä-
nischen Armee ohne Torpedos, die den bei Calafat befind-
lichen türkischen Monitor fernhielten, nicht mögüch sei,
und daß man zunächst um diese Torpedos ersuchen müßte,
daß sodann die rumänische Armee nicht auseinander
gerissen werden dürfte, man müsse ihr daher in Bulgarien
257
eine eigene Operationsbasis zusichern; natürlich verpflichte
sich die rumänische Heeresleitung, nur im Ubereinstimmen
mit dem russischen Oberkommando zu handeln.
Am 31. Juü erhielt Fürst Karl die telegraphische
Kunde, daß die Russen bei Plewna eine vollständige
Niederlage erlitten hätten, trotz der Bravour der Truppen,
die auf der ganzen L,inie zurückgehen mußten, nachdem
ihnen die schwersten Verluste zugefügt. Ein Teil der Armee
ward hierbei von voller Panik ergriffen, so daß das Haupt-
quartier des Großfürsten verlegt werden mußte, und
Kaiser Alexander sich schon angeschickt hatte, die nächste
Donaubrücke zu erreichen, bis ihn Nachrichten über
die Untätigkeit Osman Paschas wieder zurückriefen.
Am Abend des genannten Tages lief ein Telegramm des
Großfürsten Nikolaus an den Fürsten Karl ein, das um
3V2 Uhr nachmittags aus Trnowa abgegangen war: „Die
Türken haben bei Plewna die stärksten Streitkräfte zu-
sammengezogen, uns erdrückend. Ich bitte Dich um
Vereinigung, um Demonstration und wenn möglich um
Donauübergang, welchen Du wünschest. Zwischen Jiu
und Corabia ist diese Demonstration unerläßlich, um
meine Bewegungen zu erleichtern. Nikolaus."
Fürst Karl sah ein, in welch verhängnisvolle L,age die
russische Armee vor Plewna gekommen war. Drang
Osman Pascha mit seinen großen Streitkräften vor, so
wurden die Russen auf die Donau zurückgeworfen und
konnten leicht, da ihre Truppen viel zu ungenügend
waren, um den Türken energischen Widerstand zu leisten,
völlig vernichtet werden. Noch immer jedoch zögerte er,
sich mit seinem ganzen Heere, ohne einen bindenden Ver-
trag mit Rußland geschlossen zu haben, in den verhäng-
nisvollen Kampf hineinziehen zu lassen, dem Großfürsten
telegraphierend, daß er schon vor Empfang seiner Nach-
richt die Garnison von Nikopolis verstärkt und einer Di-
vision befohlen hätte, über den Jiu zu gehen, ferner,
Lindenberg, König Karl. 17
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daß er auch die gewünschten Demonstrationen unter-
nehmen würde, nur fehlten hierzu immer noch die un-
geduldig erwarteten Torpedos, um den Ubergang zu
schützen, dann, daß er seinen Truppen Befehl gegeben
habe, Nikopolis zu verteidigen. An seine Gemahlin schrieb
der Fürst am 2. August: „Die L,age der Russen in Bul-
garien ist augenblicklich ernst und schwierig; es sind
große strategische Fehler begangen worden, die nicht so
leicht zu korrigieren sein werden. Ich bin in dieser Be-
ziehung etwas besorgt. Jedenfalls wird sich der Krieg
in die Länge ziehen, was sehr zu bedauern ist. Kon-
stantinopel wird wohl nicht erreicht werden. Die verlorene
Schlacht von Plewna ist in militärischer und moralischer
Beziehung ein Ereignis, das nicht ohne Einfluß auf den
ganzen Krieg bleiben wird. Die russischen Verluste
sind enorm und Nikopolis ist in Gefahr, von den Türken
zurückerobert zu werden/'
Auch jenseits des Balkan am Schipka-Paß standen
die Dinge für die Russen recht schlecht, da General Gurko,
von Suleiman Pascha hart bedrängt, zurückgehen mußte,
sich auf den Balkan-Übergängen festsetzend, wodurch
Rumelien wiederum von den russischen Streitkräften ent-
blößt wurde. Die Türken befestigten unterdessen Plewna
fortgesetzt, und das russische Hauptquartier sah ein, daß,
ehe nicht die erheblichsten Verstärkungen aus Rußland
eingetroffen, nichts gegen die Festung zu unternehmen
sei, wodurch ein Stillstand in den russischen Bewegungen
entstand.
Fürst Karl, der sein Hauptquartier in Corabia auf-
geschlagen, hatte sein Heer in eine Observations- und
eine Operations- Armee geteilt; in einem Briefe wieder-
holte Großfürst Nikolaus seine Überzeugung, daß ein
Zusammenwirken des russischen und rumänischen Heeres
geboten und jetzt der Zeitpunkt dafür gekommen sei,
den Übergang der rumänischen Armee bei Nikopolis
17*
260
empfehlend. Fürst Karl ersah aus diesem Schreiben, daß
das russische Hauptquartier noch immer nicht dem ru-
mänischen Heere die eigene Operationszone zugestehen
wolle, und beschloß aus diesem Grund, vorläufig nicht
über die Donau zu gehen. Alsbald trafen neue Briefe
des Großfürsten ein, aus denen hervorging, von wie großer
Wichtigkeit die rumänische militärische Hilfe für die
Russen sein würde, die sich sehr beunruhigt fühlten durch
die energischen Vorstöße Suleiman Paschas am Schipka
und die in eine gefährliche Lage kommen müßten, wenn
der Pascha sich einen Ubergang des Balkan erzwingen
würde. Aber trotz dieser sich wiederholenden Bitten
und Darlegungen, in welch schwere Verlegenheit die
Russen kämen, wenn ihnen die rumänische Mitwirkung
versagt bliebe, und trotz des fortgesetzten Verlangens,
bald eine günstige Antwort des Fürsten zu erhalten, und
des Versprechens des Großfürsten, daß die rumänische
Armee durchaus ihre individuelle Stellung erhalten würde,
zögerte auch jetzt noch der Fürst, da man seine wiederholt
klar ausgesprochenen Wünsche bisher nicht erfüllt. Auch
eine am Morgen des 22. August eingelaufene dringende
Depesche des Großfürsten, den Donauübergang sobald
wie möglich zu bewerkstelligen, da ungünstige Nachrichten
vom Schipka eingelaufen, veränderten seinen Standpunkt
nicht, den er nochmals in einem Schreiben an den Groß-
fürsten darlegte, mit dem er "gern ein Zusammentreffen
herbeiführen würde, um alles Erforderliche zu besprechen.
Unterdessen hatte Fürst Karl durch einen seiner Minister
erfahren, daß auch Reichskanzler Fürst Gortschakow
seine Meinung völlig geändert und nicht mit seiner Freude
zurückgehalten hätte über den voraussichtlichen Donau-
übergang der Rumänen, zumal er die militärische Lage
der russischen Armee als sehr ernst betrachtete.
Am 25. August telegraphierte Großfürst Nikolaus dem
Fürsten Karl, daß der Kaiser wie er selbst so rasch wie
261
möglich den Fürsten sehen möchten, sie erwarteten ihn
mit Ungeduld. Der Fürst erwiderte, er werde gern an
einem der nächsten Tage der Aufforderung entsprechen.
Am Abend des 28. August traf Fürst Karl, nachdem er
drei Tage zuvor in Schimnik tiefbewegten Abschied von
seiner Gemahlin genommen, nach langer Fahrt auf bul-
garischem Boden im Kaiserlichen Hauptquartier zu Gornja-
Studena ein, wo ihn Kaiser Alexander und Großfürst
Nikolaus auf das herzlichste empfingen. Der Zar, dessen
müdem Gesicht man die schweren Sorgen der letzten
Wochen ansah, wiederholte ihm mehrfach, wie glücklich
er sei, ihn endlich jenseits der Donau zu wissen, er hoffe,
daß nun alle Schwierigkeiten beseitigt würden, sich des
Näheren über die Stellung und Stärke der rumänischen
Truppen erkundigend und wann dieselben über die Donau
gehen könnten. Fürst Karl erwiderte, er wäre früher ge-
kommen, aber die Vorbereitungen für den Donauüber-
gang hätten ihn zurückgehalten, in zwei Tagen hoffe er,
mit einem Armeekorps auf bulgarischem Boden zu stehen,
auf dem sich bereits der größte Teil einer Division be-
fände, die auch schon kleine Zusammenstöße mit dem
Feinde gehabt. Großfürst Nikolaus schloß hieran die
Frage, ob der Fürst beabsichtige, seine Armee persönlich
zu führen, worauf dieser entgegnete, daß das ganz
selbstverständlich sei. Auf die Einwendung des Groß-
fürsten, daß dieser Entschluß zu manchen Schwierigkeiten
Anlaß geben möchte, da Fürst Karl natürlich nicht unter
dem Kommando eines russischen Generals stehen könnte,
entgegnete Fürst Karl mit voller Bestimmtheit, daß dies
natürlich eine Unmöglichkeit sei, dagegen könnten leicht
zehn russische Generale seinem Befehl unterstellt werden.
Der Kaiser hatte dieser Aussprache schweigend zugehört,
sich jetzt dem Fürsten erbietend, ihn selbst in das für
ihn bestimmte Quartier zu geleiten, ihn in ein der Kaiser-
lichen Heimstätte — einem schlichten Bulgarenhause —
262
benachbartes, großes, bequem eingerichtetes Zelt führend,
den Fürsten bittend, dieses als ein bescheidenes Geschenk
von ihm anzunehmen.
Noch während der Fürst sich von dem Staub der
langen Fahrt befreite, suchte ihn Großfürst Nikolaus auf
und bot ihm im Auftrage des Kaisers das Oberkommando
über sämtliche russische Truppen vor Plewna an. Der
Fürst war sehr überrascht, da er ein derartiges Anerbieten
niemals erwartet hatte, sich Bedenkzeit erbittend, denn
er möchte, ehe er eine Entscheidung treffe, erst Gewißheit
haben über die Stärke der vor Plewna versammelten
Truppen, worauf Großfürst Nikolaus meinte, dies ließe
sich sogleich feststellen, den Generalstabschef herbeirufend,
der die Zahl der russischen Truppen vor Plewna auf etwa
30 000 Mann angab. Das machte den Fürsten doch be-
denklich, da auch er zunächst nur die gleiche Zahl Truppen
zur Verfügung hatte; aber nach kurzer Erwägung und auf
die dringenden Bitten des Großfürsten entschloß er sich,
das ebenso ehren- wie verantwortungsvolle Kommando zu
übernehmen. Als er sich am Abend zum Kaiser begab,
um ihm für das bewiesene Vertrauen zu danken, hinzu-
setzend, wie sehr er sich der ganzen Schwere der Verant-
wortung bewußt sei, erwiderte der Kaiser: „Gott wird uns
schützen !" Bei dem sich anschließenden Abendessen be-
glückwünschten sämtliche russische Generale den Fürsten,
den der Kaiser nach Tisch wiederum in sein Zelt geleitete,
sich wie ein väterlicher Freund auf das herzlichste von
ihm verabschiedend.
Schlummerlos verbrachte Fürst Karl diese erste Nacht
im kaiserlichen Hauptquartier, im Innersten bewegt von
ernstesten Gedanken und Erwägungen. Wohl durfte er
die ihm übertragene Aufgabe mit tiefer Genugtuung be-
grüßen, als ein Zeichen unbedingten Vertrauens in seine
militärischen Fähigkeiten und als ein Ausdruck der hohen
Achtung seiner fürstlichen Stellung, auf die hierdurch ein
263
heller Schein fiel, wie nicht minder auf seine Armee, die
man von russischer Seite bisher kaum beachtet, und auf
sein Land, das jetzt mit verdoppelter Freude auf seinen
Führer und Fürsten blicken durfte. Hatte er doch nicht
nur die erstrebte Gleichberechtigung seiner Truppen mit
den russischen erreicht, nein, noch mehr, er sollte auch
das russische Heer im Kampfe leiten. Aber neben dem
gerechtfertigten Stolz auf die ihm übertragene Aufgabe
legte er sich doch auch die schwerwiegende Frage vor,
ob er die Hoffnungen und Erwartungen erfüllen könne,
die man in ihn gesetzt, in ihn, auf dessen Tun und Handeln
jetzt gespannt die gesamte Welt sah? Denn das verhehlte
er sich nicht einen Augenblick, daß die militärische Lage
vor Plewna eine für die nun verbündeten russisch-rumä-
nischen Streitkräfte sehr ungünstige und gefahrdrohende
war. Die Türken verfügten in stark befestigter Stellung
über bedeutende Truppenmassen und befanden sich durch
ihre Erfolge in gehoben-siegreicher Stimmung, was auf die
russischeArmee und das Hauptquartier nicht zutraf, im Gegen-
teil, man fühlte in letzterem den schwer-lähmenden Ernst
der Lage. Gelang es jenseits des Balkan Suleiman Pascha,
nach den Mißerfolgen General Gurkos eine direkte Verbin-
dung mit Mohamed Aü und Osman Pascha herbeizuführen,
so war die Rückzugslinie der Russen bedroht und sie konn-
ten zwischen zwei Feuern der Vernichtung anheimfallen.
Aber auch in diesen drückend verantwortungsreichen
Stunden bewahrte Fürst Karl seine entschlossene Ruhe
und seinen festen Mut. Er hatte seine Einwilligung ge-
geben, nun wollte er auch sein ganzes Sein, seine vollste
Kraft und Fähigkeit daransetzen, zum erfolgreichen Ziele
zu gelangen, und kühl ^berechnend überlegte er in dieser
bedeutsamen Nacht, was zunächst erforderlich sei, um
der schwankenden militärischen Lage die sichere Basis
zu geben und auf ihr Sieg und Ruhm zu erreichen!
Fürst Karl Oberbefehlshaber vor Plewna.
Die Kriegslage vor Plewna. — Bedenken des Fttrtten Karl. — Der Fürst im Rumänischen
Hauptquartier. — Proklamation des Fürsten an die Romanische Armee. — Die Rumä-
nischen Truppen gehen über die Donau. — Fürst Karl in seinem Hauptquartier zu
Poradim. — Kriegsrat. — Der Angriff auf Plewna. — Sturm der Rumänen auf die
Griwltza-Redouten. — Schwere Verluste. — Bange Stunden. — Der Rumänische Waffen-
erfolg. — Die Anerkennung Kaiser Alexanders. — Die Wochen vor Plewna. — Der Ring
schließt sieh. — Fürst Karls Oberkommando. — Der Sieg der Rumänen bei Rahowa. —
Der 10. Desember. — Ausbruch Osman Paschas. — Die Rumänen im Feuer. — Osman
Pasoha ergibt sieh. — Begegnung des Fürsten Karl mit Osman Pascha. — Auf dem
Schlachtfeld. — In Plewna. — Die russisch-rumänischen Erfolge. — Fürst Karl legt das
Oberkommando nieder. — Sein Dank an seine Truppen. — Der Ritt über das Leichen-
feld. — In Nikopolis. — Auf der Donau. — Die Rückkehr nach Bukarest — Beginn des
Jahres 1878. — Die Ereignisse am Balkan. — Russisch-türkische Friedensverhandlungen.
— Rußland und Rumänien. — Einzug der siegreichen Rumänischen Truppen in Bukarest.
oll zielbewußter Hingebung und ernsten Eifers traf
V Fürst Karl am nächsten Morgen, 25. August, an
welchem ihn schon zu früher Stunde Kaiser Alexander,
für den die Nacht gleichfalls schlaflos gewesen zu sein
schien, in seinem Zelt aufgesucht, die nächsterforderlichen
Schritte, um die ihm übertragene große Aufgabe zu gutem
Gelingen durchzuführen. Mit dem russischen Kriegs-
minister Miljutin besprach er auf das eingehendste die
gesamte militärische Lage, die Organisation der Streit-
kräfte, die Zahl der vorhandenen Truppen und die Her-
anziehung von Verstärkungen. Auch Miljutin sah die
Lage als eine bedrohliche an und begrüßte mit besonderer
Freude das Eingreifen der rumänischen Armee in die
Kriegsereignisse. Das gleiche war der Fall bei den übrigen
russischen Generalen sowie den auswärtigen militärischen
265
Bevollmächtigten, die sich alsbald bei dem Fürsten~mel-
deten und nicht mit ihren ernsten Bedenken zurück-
hielten über die großen Schwierigkeiten, in denen sich die
russische Armee vor Plewna befand. Um die zehnte
Vormittagsstunde wurde unter freiem Himmel im Schatten
eines Baumes ein Kriegsrat abgehalten, in dessen Verlauf
Fürst Karl einsah, daß unter den augenblicklichen gefahr-
vollen Umständen er von einem selbständigen Vorgehen
seines Heeres absehen und letzteres so schnell wie möglich
mit dem russischen vereinen müsse. Erhebliche Bedenken
erweckten in ihm die Vorschläge der russischen Generale,
die Brücke bei Corabia nach dem Übergang des rumä-
nischen Heeres abbrechen und bei Nikopolis wieder auf-
bauen zu lassen, aber er gab auch hierzu seine Einwilligung,
gleichzeitig bestimmend, daß vorläufig jede Angriffs-
bewegung auf Plewna zu unterlassen sei, da Osman Pascha
weit größere Streitkräfte versammelt hatte, wie den Russen
gegenwärtig zur Verfügung standen. Bei dem Frühstück
fiel dem Fürsten abermals die gedrückte Stimmung Kaiser
Alexanders auf, die sich erklären ließ, da leider sehr schlechte
Nachrichten vom Schipkapaß sowie auch vom asiatischen
Kriegsschauplatze eingetroffen waren.
Nach dem Frühstück verabschiedete sich Fürst Karl
vom Kaiser und kehrte zur Donau zurück, im Vorwärts-
kommen oft gehindert durch die vielen Transporte Ver-
wundeter und durch die endlos langen Proviant- und
Munitionskolonnen. Nachdem der Fürst in Simnitza über-
nachtet und am Morgen die russischen Verwundeten be-
sucht hatte, traf er erst um die fünfte Nachmittagsstunde
in Corabia ein, wo sein Hauptquartier versammelt war
und wo eine Depesche des Großfürsten Nikolaus anlangte,
:n der dieser nochmals zufolge neuester Nachrichten
über feindliche Bewegungen bat, daß die rumänische
Armee so rasch wie möglich das rechte Donauufer erreiche;
ein Telegramm gleichen Inhalts, noch dringender die Bitte
266
wiederholend, folgte am nächsten Tage. In dem sofort
einberufenen Kriegsrat war die Mehrzahl der rumänischen
Offiziere für einen Aufschub des Donäuüberganges, der
Fürst widerlegte jedoch ihre Ansichten und befahl, daß
am folgenden Tage dieser Übergang stattfinden, dann
die Brücke abgebrochen und Nikopolis gegenüber wieder
aufgebaut werden solle, trotzdem er sich nicht verhehlte,
daß bei einem türkischen Sieg seine wie die russischen
Truppen in die verhängnisvollste Lage versetzt würden,
da ja mehrere Tage hindurch jede Verbindung mit Ru-
mänien unterbrochen bleiben mußte. Aber die Gefahr
war so groß, daß jedes Schwanken und Zögern vernichten-
des Unheil bringen konnte.
Am Morgen des nächsten Tages, i. September, erließ
Fürst Karl folgende Proklamation an seine Truppen:
Ein Jahr ist verstrichen, seitdem der Kampf jenseits
der Donau zwischen Türken und Christen unsere Grenzen
gefährdet. Um sie zu verteidigen, hat das Land an Euch
appelliert. Auf seinen Ruf habt Ihr Euren Herd verlassen,
mit der Begeisterung von Menschen, welche das Bewußt-
sein haben, daß von ihrer Ergebenheit der Bestand des
rumänischen Staates abhängt. So lange die Armeen in der
Ferne operiert haben und wir nur von dem Eindringen
einiger plündernder Banden bedroht waren, konnten wir
uns auf die Verteidigung der Ufer beschränken. Jetzt
aber nähert sich der Krieg unseren Grenzen, und wenn
die Türken Sieger sein sollten, ist es klar, daß sie alle
ins Land fallen, und mit sich Massacres, Plünderung und
Verwüstung bringen würden. In dieser Lage und um das
Land von den Barbareien der Eindringlinge zu befreien, ist
es unsere Pflicht, daß wir sie auf ihrem eigenen Boden
bekämpfen.
.Soldaten !
267
Rumänische Krieger! Ihr wißt, wie viel Euer Vater-
land während zweihundert Jahren gelitten, während welcher
Zeit Euch die Mittel entrissen wurden, männlich auf dem
Schlachtfelde seine Rechte zu verteidigen. Heute habt Ihr
Gelegenheit, neuerdings Eure Tapferkeit zu beweisen;
ganz Europa hat die Augen auf Euch gerichtet. Vorwärts
denn mit rumänischem Mut, die Welt soll uns nach unseren
Taten beurteilen ! Wir beginnen heute aufs neue die
glorreichen Kämpfe der Vorfahren neben den zahlreichen
und tapferen Truppen einer der ersten Mächte der Welt.
Die rumänische Armee, obschon klein, wird sich, ich bin
dessen gewiß, durch ihre Tapferkeit und Disziplin hervor-
tun. Sie wird dergestalt Rumänien den Rang, den es
einst besessen und der* ihm unter den europäischen Na-
tionen gebührt, wiedergeben. Dieses ist auch die Über-
zeugung Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen. Deshalb
werden die Rumänen nicht nur an der Seite der Russen
auf demselben Felde und für denselben Zweck kämpfen,
sondern auch das Oberkommando beider Armeen bei
Plewna ist mir anvertraut. Dies ist eine Ehre, die auch
auf das Land zurückstrahlt. Macht denn, daß die ru-
mänische Fahne ruhmreich auf demselben Schlachtfelde
flattert, wo Eure Vorfahren jahrhundertelang die Ver-
teidiger des Glaubens und der Freiheit gewesen. Vorwärts
denn, rumänische Krieger, vorwärts mit Mut, und bald
werdet Ihr zu Euren Familien, in Euer durch Euch freies
Land, mit dem Beifall der ganzen Nation bedeckt, zurück-
kehren.
Am Mittag dieses Tages, nach Abhaltung eines Feld-
gottesdienstes und Segnung der Truppen seitens der
Geistlichen, richtete Fürst Karl flammende Worte an seine
Soldaten, sich dann an deren Spitze setzend und im
Galopp bis an die Brücke von Corabia reitend, dort seinen
Karl I.
268
Standpunkt nehmend. Bratianu und Rosetti weilten beim
Fürsten in tiefer Ergriffenheit, ihm ausdrückend, daß sie
nie gehofft, diesen feierlichen^ [Tag zu erleben, an dem
Rumäniens waffenfähige Jugend hinauszieht, um den Erb-
feind auf seinem eigenen Boden zu bekriegen. Bei glühen-
dem Sonnenbrand hielt der Fürst stundenlang aus, während
mit rauschenden Musikklängen und brausenden Hurras
Regiment um Regiment vorüberzog.
Feldgottesdienst in Pojana.
Am nächsten Tage setzte der Fürst in einer Daiupf-
barkasse über die Donau, auf bulgarischem Boden emp-
fangen vom General Stolypin mit seinem Stabe, auch eine
Ehrenwache mit Fahne war aufgestellt, die Musik spielte
die rumänische Hymne. Der Fürst stieg alsbald zu Pferd
und ritt durch die spalierbildenderi, jubelnden Truppen
zur alten Feste Nikopolis, auf deren Plateau er mit freu-
digem Stolz die Parade abnahm über verschiedene rumä-
nische Truppen, Dorobanzen und Artillerie. Hierauf ritt
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er ins Omathal hinab und erreichte, nur von vier Offizieren
seines Hauptquartiers und seiner Eskorte begleitet, in
eiliger Fahrt Poradim, wo er zunächst sein Hauptquartier
aufschlug, in dem etwa 15 Kilometer von Plewna selbst und
7 Kilometer von den türkischen Schanzlinien entfernten
ärmlichen Dörfchen ein kleines Haus für sich belegend
und sofort persönliche Fühlung mit dem russischen General
nehmend. Das fürstüche Quartier war unwohnlichster
Hauptquartier des Fürsten Karl in Poradim.
Art, das einstöckige Häuschen halb zerfallen und ohne
Fenster und Türen, so daß es in das Schlafzimmer, in welchem
ein Feldbett aufgeschlagen war, hineinregnete. All-
mählich erst konnten die notdürftigsten Ausbesserungen
vorgenommen werden; der fehlende Fußboden wurde
durch Strohmatten ersetzt und die leeren Fensterrahmen
zunächst mit Zeitungspapier verklebt. Auf dem Hof
wurde in den nächsten Tagen ein Zelt errichtet, das zu den
Beratungen und den gemeinsamen Mahlzeiten diente.
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Der von den Schlachtfeldern von Plewna herüberdringende
Verwesungsgeruch war oft unerträglich, da die Türken
nicht die Beerdigung der Gefallenen gestattet hatten, und
die Fliegen stellten sich in so dichten Scharen ein, daß die
inneren Zeltwände völlig schwarz von ihnen waren.
Rollender Kanonendonner weckte nach dieser ersten
Nacht in Poradim schon zu früher Morgenstunde den
Fürsten, der alsbald zu Pferd stieg, die Biwaks der Truppen
— deren Zahl weit geringer war, wie er erwartet — besuchte,
dann die Vorposten inspizierte und die wichtigsten strate-
gischen Punkte besichtigte, dringend in einer Depesche den
Großfürsten Nikolaus bittend, von jedem Angriff auf Plewna
abzusehen, bis hierzu die Streitkräfte stark genug wären.
Am folgenden Tage erhielt der Fürst die Nachricht, daß
die rumänischen Truppen vor Plewna ihre Stellungen be-
zogen hätten, und zugleich nähere Mitteilungen über die
tags zuvor stattgefundene Besetzung Lowtscha's, die
insofern von besonderer Bedeutung war, als man nicht
mehr eine Verbindung Osman Paschas mit Suleiman Pascha
zu befürchten brauchte, dann Befehle erteüend für die
Einnahme der Offensivstellungen der Truppen, die, nachdem
die Rumänen eingetroffen, jetzt 75 000 Mann mit 442
Geschützen und 8000 Pferden zählten. Auch diese Kräfte
dünkten dem Fürsten noch nicht geeignet, einen energischen
Vorstoß auf Plewna auszuführen, was er am Nach-
mittag dem Großfürsten Nikolaus in Radenitza erklärte,
nochmals abratend, einen Angriff zu unternehmen, aber der
Großfürst erwiderte, es sei unbedingt nötig, anzugreifen,
Plewna müsse genommen werden, ehe Osman Pascha
Verstärkungen erhielte.
So wurde denn die Beschießung Plewnas befohlen, die
am Morgen des 7. September begann, an welchem der
Fürst zu den feuernden Batterien hinausritt, später Kaiser
Alexander begrüßend, der sein Hauptquartier verlassen,
um dem Bombardement am Jahrestage seiner Krönung
273
beizuwohnen. Erst am Abend kehrte der Fürst nach
Poradim zurück, an seine Gemahlin einen längeren Brief
richtend, in dem er hervorhob: „Der Angriff ist keine
leichte Sache, und ich bin nicht überzeugt, daß er gelingen
wird. Neulich sagte ich zu Oberst Gaillard : „Gebe Gott, daß
Plewna kein zweites Sedan werde !" Ich verstehe es in dem
Sinne, daß die geplante Schlacht in Gegenwart des Kaisers
Alexander nicht verloren gehen darf, da dies über den
Zelt des Fürsten Karl in seinem Hauptquartier zu Poradim.
Feldzug entscheiden könnte. Europa blickt auf Plewna,
ich bin sehr besorgt/'
An den beiden nächsten Tagen wurde das Artillerie-
feuer mit größter Heftigkeit fortgesetzt, wobei die rumä-
nischen Batterien mit 84 Geschützen mehr und mehr an
die türkischen Stellungen heranrückten und vielfache Ver-
luste erlitten. Bei dem Frühstück am 9. September trank
Kaiser Alexander auf die rumänische Armee, welche die
ersten Proben ihres Mutes so glänzend bestanden habe
Lindenberg, König Karl. lg
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und ließ als Anerkennung an die rumänischen Truppen,
die am Tage vorher unter großer Todesverachtung eine
türkische Befestigung erobert und alle Versuche der
Feinde, diese zurückzunehmen, abgeschlagen hatten, eine
Karte der Operationen um Plewna.
große Anzahl Georgskreuze verteilen. In dem sich an
das Frühstück schließenden Kriegsrat setzte es der Fürst
durch, daß der für den folgenden Tag geplante Angriff
nicht stattfände, um die Batterien noch weiter vorzu-
schieben, damit die Angriffskolonnen besser geschützt
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würden; aber er vermochte nur einen Aufschub von einem
Tag zu erreichen, sich den dringenden Wünschen des
Großfürsten Nikolaus hauptsächlich aus dem Grunde
Fürst Karl als Oberbefehlshaber vor Plewna.
fügend, damit man sein Zögern nicht als Besorgnis aus-
legte, seine Truppen zu schonen; nachdrücklich betonte
jedoch der Fürst, daß er keine Hoffnungen auf einen Sieg
habe. Bis in die Nacht hinein arbeitete er die Angriffs-
1S*
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dispositionell für den n. September aus, die Eröffnung
des Kampfes erst auf die dritte Mittagsstunde festsetzend,
da, falls die Türken einen Erfolg erzielten, sie an der
Ausnützung desselben durch die hereinbrechende Nacht
verhindert würden.
„Die Befestigungen der Türken vor Plewna," so
schildert der rumänische Oberstleutnant T. C. Vacarescu
in seinem Werke über den Krieg die feindlichen Ver-
teidigungen, „stellten jetzt einen Halbkreis dar, der vom
Norden der Stadt, vom rechten Widufer aus, gegen Osten
über Opanez, Bukowa und Griwitza, dann südöstlich über
Raditschewo, und westlich über Krschin und Oltschegas
verlief, um endlich wieder zum rechten Widufer zurück-
zukehren: ein riesiges Hufeisen, dessen Enden sich an das
rechte Widufer anlehnen, und dessen Krümmung gegen
Griwitza und Raditschewo gerichtet ist. Im Bogen des
Hufeisens, nahe am Wid und unterhalb seines Zusammen-
flusses mit der Bukowa, Griwitza und Tutscheniza, Hegt
in engem Tale die Stadt Plewna, gedeckt und verborgen
durch die Anhöhen des umgebenden Plateaus. Das rechte
Widufer ist hier höher und beherrscht das linke, sodaß die
türkischen Befestigungen nur von Norden, Osten und
Süden angegriffen werden konnten.
Diese Befestigungen bestanden aus drei Linien von
Tabias oder Redouten, mehr als zwanzig an der Zahl, und
waren an günstigen Punkten mit wunderbarer Einsicht
errichtet worden. Untereinander durch Gräben und be-
deckte Wege verbunden, waren sie stark armiert und in
der Front und der Flanke von Trancheen und Schützen-
gräben . umgeben; sie besaßen starke Profile und tiefe
Gräben.
Die Nordfront der türkischen Positionen zog sich
vom Dorfe Opanez am rechten Widufer den Kamm der
abfallenden Höhen entlang, welche das Bukowatal und
den Ubergang von da ins Griwitzatal beherrschen. Diese
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Front war schon von Natur, durch die Höhen oberhalb des
Bukowa- und Griwitzatales, in zwei Linien geteilt. Die
nordwestliche, von den Türken Bukowa-Tabia genannt,
hatte als Verteidigungszentrum die Redouten Opanez und
Bukowa; die nordöstliche, oberhalb des Dorfes Griwitza,
hieß bei den Türken Abdul-Kerim-Tabia, bei den Russen
und Rumänen aber Große Griwitza-Redoute. Dieselbe,
in der Front durch ein Redan gestützt, sah von den rus-
sischen und rumänischen Positionen wie eine einzige, mäch-
tige Redoute aus; sie galt für den Schlüssel der Positionen
auf dieser Seite. Hinter ihr und durch sie geschützt, be-
fand sich ein türkisches Lager. Die' rumänischen Truppen
standen vor dieser Nordfront der Befestigungen von
Plewna.
Die Ostfront lag auf dem Kamme der Griwitza-Höhen
und bestand aus einer Gruppe von Redouten und Be-
festigungen, welche nach demselben System wie die der
Nordfront konstruiert waren. Die hervorragendste der-
selben war von den Türken Hafiz-Pascha-, von den Russen
Raditschewo-Redoute benannt. Auch hinter dieser Be-
festigungslinie befand sich ein türkisches Lager, dem
gegenüber das IX. und IV. russische Korps stand.
Die Südfront begann links am Tutscheniza-Flusse,
auf dem Kamme der sich bis zum rechten Widufer hin-
ziehenden Hügel. Auch hier, auf dem Gipfel des Grünen
Berges, befanden sich wiederum mehrere Linien von soliden
Befestigungen, die Redouten von Krschin. Ihnen gegenüber
stand das Detachement des Fürsten Imeritinsky, das später
unter den Befehl General Skobelew's gestellt wurde.
Das waren die Befestigungen, welche Osman Pascha
mit anhaltender Tätigkeit bis zum 6. September errichtet
hatte, und an denen nicht nur die Soldaten, sondern
auch die Einwohner von Plewna hatten arbeiten müssen.
Der Effektivbestand der Truppen Osman Pascha's
sollte sich nach der Meinung des russischen Generalstabes
279
zu Beginn des September auf 45 — 50 000 Mann be-
laufen haben; bei dem Falle von Plewna aber streckten
ungefähr 50 000 Kombattanten, Mannschaften und Offi-
ziere, die Waffen, während in der Stadt noch etwa 7000
Kranke und Verwundete lagen, die nach der vollständigen
Einschließung von Plewna nicht hatten fortgeschafft
werden können. Bei dem Ausfall vom 28. November hatten
die Türken 6000 Tote und Verwundete; und wenn die
türkischen Streitkräfte nach fünf Monaten voller Kämpfe,
Entbehrungen und Leiden sich noch auf 50 000 Mann be-
liefen, dann ist die Annahme sicher nicht übertrieben, daß
Osman Pascha Ende August und Anfang September über
ungefähr 65 000 Mann verfügte. Die Türken waren also
an Zahl den rumänisch-russischen Streitkräften ziemlich
gleich."
Der 11. September war der Namenstag des Kaisers,
der sich mit seinem Stabe auf dem Observationspunkte
auf einer Anhöhe unweit der Straße Rutschuk-Plewna,
4 km vom Dorfe Griwitza entfernt, eingefunden, die Glück-
wünsche des^Fürsten auf das herzlichste entgegennehmend
und ihn tief bewegt in die Arme schließend. In das unter
freiem Himmel abgehaltene feierliche Tedeum, bei welchem
alle niederknieten, für den Sieg betend, drang der Donner
der Geschütze, die, insgesamt 256, schon früh das Bombarde-
ment eröffnet hatten. Das Wetter war sehr ungünstig, der
Nebel so dicht, daß man kaum hundert Schritt weit sehen
konnte, wodurch das Zielen erheblich erschwert wurde.
Nun mischte sich in die eherne Sprache der Kanonen um
die elfte Vormittagsstunde vom Unken Flügel her heftiges
Gewehrfeuer, zum großen Erstaunen des Fürsten. Ent-
weder war von russischer Seite aus der Angriff zu früh
erfolgt, oder die Türken hatten einen Vorstoß unternommen,
was bei der trüben Witterung nicht zu unterscheiden war.
Ordonnanzoffiziere brachten alsdann die Meldung, daß die
Truppen des Generals Skobelew sich in vollem Kampf
280
befänden und bereits sehr bedeutende Verluste erlitten
hätten. Fürst Karl hielt mit seinem Tadel über dies eigen-
mächtige Vorgehen nicht zurück, das den bevor-
stehenden allgemeinen Angriff noch mehr in Frage stellte.
Um zwei Uhr stieg der Fürst, der bis dahin beim
Kaiser verweilt und den dieser zum Abschied innigst um-
armte, zu Pferd und ritt mit seinem Stabe nach einem
Punkte oberhalb des Dorfes Griwitza, das mit seinen
starken Redouten als Schlüssel der türkischen Stellungen
gegen Norden galt und welches von elf rumänischen Ba-
taillonen angegriffen werden sollte, während drei russische
gleichzeitig von Nordosten her vorrücken sollten. Unter
dem gewaltigen Feuer der rumänischen Batterien setzten
sich die rumänischen Truppen kurz vor drei Uhr in Be-
wegung, den Abhang des Plateaus zur feindlichen Redoute
hin erklimmend und dort anlangend, ohne türkisches Feuer
zu erhalten. Erst auf der Anhöhe sahen sie, daß sich bis
zu den feindlichen Befestigungen noch ein 600 Meter
langes Tal erstreckte mit steilen Abhängen. Schnell ging
es hinunter und ebenso rasch sollten die Anhöhen er-
klommen werden, aber der Boden war grundlos, und die
Soldaten mußten sich am Gestrüpp festklammern oder
sich auf die Bajonette stützen. Da plötzlich begann mit
vollster Wucht das türkische Feuer, die Braven scharen-
weise niedermähend, aber sie drangen vorwärts, den Feind
aus den ersten Trancheen vertreibend, während andere
Truppen nachrückten. Oben jedoch wartete ihrer eine
furchtbare Überraschung: dort sah man erst, was der
russische Generalstab nicht gewußt, daß hier zwei Re-
douten lagen, durch einen etwa 300 Meter langen Graben
mit einander verbunden, zu deren Eroberung weit stärkere
Truppenmassen hätten herangezogen werden müssen!
Aber an einen Rückzug dachte niemand.
„Vorwärts Kinder/' rief Oberst Ipatesku und drang an
der Spitze der Bataillone voran, auf die sich jetzt das
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verheerende Feuer der Geschütze und der in drei Linien
übereinanderliegenden türkischen Infanterie ergoß. „Mir
nach, Jungens!" spornte Hauptmann Maracineanu seine
Soldaten an, als erster in den Graben springend, wo er
sofort von Kugeln und Bajonettstichen durchbohrt wurde,
aber seine Soldaten stürmten weiter, um die über ihnen
liegende Redoute zu erreichen, dezimiert jedoch von dem
vernichtenden Feuer. Ebenso erging es den anderen
Truppen, die ihren Kameraden zu Hilfe eilten. Erst als
der Divisionskommandant sah, daß die Hälfte der Streit-
kräfte aufgerieben war, und daß die drei noch nicht bis-
her in den Kampf gelangten Bataillone den Sturm nicht
erfolgreich ausführen könnten, gab er den Befehl zum
Rückzug.
Auch der gleichzeitig erfolgte Angriff der Kolonne
der 4. Division auf die Ostfront der Redouten war trotz
der außerordentlichen Tapferkeit der Infanteristen und
Jäger erfolglos geblieben und hatte furchtbare Opfer er-
fordert. Mit fliegenden Fahnen und klingendem Spiel
wurde um die vierte Nachmittagsstunde ein zweiter An-
sturm unternommen. Aber auch dieser ward unter harten
Verlusten abgeschlagen. Fürst Karl, in dessen nächster
Nähe die türkischen Granaten einschlugen, duldete es
nicht länger auf seinem Standpunkt. Er sprengte hinab
zu seinen Truppen, sie anfeuernd zu abermaligem Vorgehen,
denn die schrecklichen Opfer durften nicht vergebens ge-
bracht worden sein.
Oberstleutnant Vacarescu erzählt uns in seinem be-
reits erwähnten Werk: „Der Fürst ritt zur 4. Division
und begegnete zuerst einem Schwärm Soldaten des 2. Jäger-
bataillons. Müde von der Arbeit des Kampfes, dezimiert
durch die Kugeln des Feindes, standen die Tapfern dicht
um ihre Fahne geschart, der feindlichen Redoute gegen-
über, aus welcher noch hin und wieder ein Flinten- oder
Kanonenschuß fiel. ,,Was macht Ihr da, Kinder," rief der
283
Fürst ihnen zu. „Was sollen wir machen, Hoheit? " ent-
gegnete ein Sergeant in seiner naiven Redeweise, das Ge-
sicht gerötet von der Mühe und der Erregung des Tages;
„die Heiden haben uns zu Grund gerichtet; schaut nur,
wie wenige von uns übrig sind!" „Wie?" sagte der Fürst,
„aber Ihr alle hier seid heil und kräftig, dort drüben sehe
ich noch andere Eurer Gefährten, sammelt Euch und geht
tapfer vorwärts, und der Sieg wird Euer sein, Ihr werdet
In den Schanzen vor Plewna.
die Ehre des heutigen Tages retten !" Mit kräftigem Hurra
beantworteten die braven Jäger diesen Zuruf; bald schlössen
sich ihre Reihen wieder, das Bataillon formierte sich und
brannte vor Begier, wiederum ins Feuer z^u kommen. Der
Fürst befahl darauf dem Kommandeur der 4. Division, sich
um jeden Preis in der eroberten Position zu halten, sich
in ihr zu befestigen und, falls der Feind in der Redoute
über Nacht weniger wachsam wäre, sich dies für einen
neuen Angriff zu Nutze zu machen. Nachdem er dann
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allen Korpskommandeuren mitgeteilt, daß er die Nacht im
Biwak oberhalb von Griwitza, zwischen den russischen
und rumänischen Linien, zubringen würde, ritt er nach
den Feldlazaretten, wo unsere Verwundeten zu Hunderten
anlangten. Bewundernswert war die leidende Geduld
unserer Soldaten. Diejenigen, welche noch sprechen
konnten, bejammerten nicht ihr Schicksal, sondern suchten
nur zu beweisen, daß sie ihre Soldatenpflicht erfüllt hätten.
„Hier ist mein Gewehr, Herr Doktor," sagten sie, als dieser
sich anschickte, ihre Wunden zu untersuchen; „nehmen Sie
es an sich, damit es nicht heißt, ich hätte es fortgeworfen
oder in den Händen der Türken gelassen." " —
Hinter einem Hügel hatten die rumänischen Bataillone
eine kurze Ruhepause gehalten. Jetzt erst bemerkten sie
um fünf Uhr das Nahen der russischen Kolonne, die
gleichzeitig angreifen sollte, aber in dem Nebel den Weg
verloren hatte. „Kinder vorwärts, sonst nehmen noch die
Russen die Redoute, daß wir uns schämen müssen!" riefen
die Offiziere, und zum drittenmal wurde der grimmige
Vorstoß unternommen in westlicher Richtung, während
die Russen in östlicher vordrangen. Aber auch er wurde
abgeschlagen und forderte neue entsetzliche Opfer. Uber
iooo rumänische Soldaten und mehr denn 20 Offiziere
waren gefallen. Auch an anderen Punkten hatten die
Russen unter den Generalen Krylow und Skobelew keine
Erfolge erzielt und die schwersten Verluste erlitten.
Um die sechste Abendstunde verließ Fürst Karl die
Feuerlinie, wo er die Verwundeten getröstet hatte, und
ritt zum Kaiser, der ihm mit der bangen Frage entgegen-
trat: „Wie geht es?" und der Fürst, der ja stets vor
diesem übereilten Angriff gewarnt, berichtete von dem
traurigen Ereignisse des Tages, hinzusetzend, er hoffe,
daß wenigstens die erste Griwitza- Redoute noch genommen
werde, da er Befehl zu einem letzten Sturm erteilt, — so sei
zu erwarten, daß der Namenstag des Kaisers, wenn auch
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nicht mit einem Siege, so doch mit einem Erfolge ab-
schließen werde! Noch während dieses Gesprächs, das
den Kaiser tief erschütterte, jagte auf schaumbedecktem
Pferd ein Kosakenoffizier heran mit der Meldung, daß
türkische Truppen aus Plewna ausgebrochen seien und
auf der Straße von Griwitza herandrängten. Man bestürmte
den Kaiser, sofort sein Hauptquartier aufzusuchen, wohin
er sich auch unter dem Schutze der Eskorte begab. Kurz
darauf erfuhr man, daß es blinder I^ärm gewesen. Fort-
während grollte noch der Donner der Geschütze und
rollte das Knattern der Gewehrsalven, während die Nacht
hereinbrach, eine trübe, drückende Nacht voll banger
Erwartungen und Zweifel.
Nahe einem großen Feuer streckten sich Fürst Karl
und Großfürst Nikolaus mit ihrer Begleitung aus. Kein
Wort wurde gewechselt; jeder war mit seinen ernsten Ge-
danken beschäftigt, jeder war sich der gefahrvollen Lage
bewußt. Da, um die neunte Stunde, kam mit verhängtem
Zügel ein Offizier angesprengt, die nicht mehr erhoffte,
aber so heiß ersehnte Kunde bringend, daß die rumänischen
Truppen, und zwar das 2. Jäger-Bataillon, das 14. und 16.
Doboranzen- und das 5. Linienregiment, die erste Griwitza-
Redoute genommen, in erbittertstem Handgemenge die
Türken zurückwerfend, eine Fahne und fünf Geschütze
erobernd. Aber auch dieser Sieg war wiederum teuer
erkauft.
Der Großfürst umarmte den Fürsten Karl, der sofort
einen Boten an den Kaiser sandte, um ihm die frohe
Nachricht zu melden. In den Kleidern bei leise herab-
rieselndem kaltem Regen übernachteten Fürst Karl und
Großfürst Nikolaus auf ihrem Observationsplatz, zu dem
das Stöhnen der Verwundeten herüberdrang, ihre Herzen
schwer bedrückend, während das Geschütz- und Gewehr-
feuer nicht aussetzte, da die Türken während der Nacht den
Versuch unternommen, die Griwitza-Redoute wiederzu-
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nehmen, von den Rumänen jedoch zurückgeschlagen worden
waren. Ordonnanzoffiziere brachten um die vierte Morgen-
stunde eingehendere Nachrichten über die verschiedenen
Kämpfe, die über 16 ooo Mann, darunter 2600 Rumänen
mit 59 Offizieren, kampfunfähig gemacht. Die Truppen
waren völlig erschöpft, und mit großer Besorgnis erwog
man, was geschehen solle, wenn Osman Pascha jetzt mit
aller Energie einen Vorstoß unternehmen würde.
Um elf Uhr traf der Kaiser ein, den Fürsten Karl in
die Arme schließend und ihm seine vollste Anerkennung
über die Bravour des jungen rumänischen Heeres aus-
drückend. Die Nacht verbrachte der Fürst, der den ganzen
Tag über auf seinem Standpunkt verblieben, um von hier
aus die nötigen Befehle zu erteilen, in Poradim, am nächsten
Tage das Schlachtfeld besuchend, wo sich ihm die erschüt-
terndsten Szenen darboten, da die Ambulanzen zu schwach
waren, allen Hilfe zu bringen, wodurch viele der Unglück-
lichen mehr denn vierzig Stunden unter freiem Himmel
liegen mußten, während zahlreiche andere sich noch in der
Schußweite des Feindes befanden und nicht mehr gerettet
werden konnten, weil Osman Pascha die wiederholten Vor-
schläge einer kurzen Waffenruhe zur Bergung der Ver-
wundeten und Toten abgewiesen. Dann inspizierte Fürst
Karl seine Truppen, begeistert von ihnen begrüßt, später
mit dem Kaiser zusammentreffend und in dem Kriegsrat
mit aller Energie darauf dringend, daß man sich jetzt vor
Plewna völlig defensiv verhalten müsse, bis die nötigen
Verstärkungen herangekommen wären. Nun sah auch der
russische Generalstab ein, wie richtig von Anfang an die
Ansicht des Fürsten gewesen, daß man das von zwanzig
starken Redouten umgebene Plewna nicht im Sturm neh-
men könne, hatten doch die bisher erzielten geringen Er-
folge, wenn man die ersten Kämpfe mit hinzuzog, über
25 000 Mann gekostet.
An seine Gemahlin schrieb Fürst Karl über den blutigen
289
Tag: „Um drei Uhr begann der Angriff von allen Seiten;
mit Herzklopfen verfolgte ich jede Bewegung, ich konnte
alles gut übersehen. Auf der ganzen Linie war das Feuer
furchtbar, ein Kanonendonner und ein Gewehrgeknatter,
die gradezu betäubend wirkten; drei Pulvermagazine flogen
in die Luft. Von allen Seiten brachen unsere Kolonnen vor,
wurden aber durch die feindlichen Kugeln niedergemäht;
bald war das Schlachtfeld von Tausenden unsrer Tapferen
bedeckt, wiederholt schlugen die Türken die Angriffe zurück,
und erst wie die Nacht hereinbrach, gelang der letzte An-
griff; die Verluste waren aber nicht im Verhältnis zu dem
geringen Resultat, denn es gelang uns nur, die vordere
Redoute zu nehmen, die leicht wieder verloren gehen kann,
da eine stark befestigte Linie dieselbe dominiert. Der
gestrige Tag, der kein Sieg ist, sondern nur un succes mili-
taire, kostet uns mindestens 14 000 Mann, von denen über
2000 Mann und 50 Offiziere auf die rumänische Armee
kommen; die genaue Zahl konnte noch nicht festgestellt
werden. Beide Armeen haben sich aber heldenmütig ge-
schlagen. — Am Abend besuchte ich die rumänischen
Verbandplätze, die ein herzzerreißendes Bild darboten.
Nach sechs Uhr traf ich beim Kaiser ein, dem ich nur be-
trübende Nachrichten überbringen konnte, er war tief
bewegt. — Plötzlich wurde uns die Nachricht gebracht,
die türkische Reiterei hätte unsere Linien durchbrochen!
Man bat den Kaiser dringend, in sein Hauptquartier zurück-
zukehren; dies geschah dann auch. Der Großfürst und
ich blieben die ganze Nacht vor Plewna in den nassen
Kleidern, bei fortgesetztem Regen. Es wurde ein großes
Feuer angezündet, an dem wir uns so gut wie möglich
trockneten; zu unserer persönlichen Deckung holte man
ein Bataillon aus der Reserve herbei. — Die Nacht war
stürmisch, und unfreundlich und unheimlich unser Stand-
ort. Tausende von Leichen bedeckten das Schlachtfeld,
und die ganze Nacht hindurch arbeiteten unermüdlich die
Lindenberg, König Karl. 19
290
Ambulanzen. — Bis gegen Morgen dauerte das Feuer aus
den feindlichen Batterien, nur schwächer und schwächer
werdend; wiederholt versuchten die Türken die Redoute
wiederzunehmen. Wir haben eine türkische Fahne erobert,
die ich Dir schicke; auch die eroberten Kanonen sende ich
nächstens nach Bukarest. "
So schmerzlich Fürst Karl von den furchtbaren Ver-
lusten, die sein Heer erlitten, berührt war, so stolz war er
andrerseits auf die hier zum erstenmal gezeigte Tapfer-
keit seiner Truppen, die dem kampferprobten russischen
Militär nicht nachgestanden, sondern mit ungeschwächtem
Mut stets voran gewesen waren, blühenden Ruhm um die
rumänischen Fahnen flechtend. Kaiser Alexander erkannte
dies willig an, indem er persönlich dem Fürsten das Georgs-
kreuz um den Hals hing und in dem diese Verleihung be-
stätigenden Handschreiben betonte, daß die rumänischen
Soldaten in jenen Kämpfen des u. und 12. September
den Beweis eines heroischen Mutes gegeben.
Dieser Mut zeigte sich auch bei dem am 18. September
unternommenen Angriff auf die zweite Griwitza-Redoute,
da von dieser aus immer wieder versucht wurde, die erste
zurückzuerobern. Drei Bataillone gingen zum Sturm vor;
sie vertrieben die Türken nach kurzem Bajonettkampf aus
ihren verschanzten Linien und gelangten dann bis an den
Graben der Redoute, wo sich ein blutiges Handgemenge
entspann und sie auch hier siegreich blieben. Aber alle
Versuche, die hohe, steile Mauer zu erklimmen, scheiterten
an dem vernichtenden Feuer der Türken, die in großer
Übermacht waren und in sicherer Bedeckung ihre ver-
nichtenden Salven abgaben. Immer wieder ward der Ver-
such unternommen, aber zu furchtbar war die Todesernte,
daß Fürst Karl, der dem Gefecht von einer nahen Anhöhe
aus beiwohnte, den Befehl zum Rückzug gab. 5 Of-
fiziere und 123 Mann waren gefallen, 15 Offiziere und
420 Mann verwundet worden.
291
Auch die rumänische Kavallerie, welche westlich von
Plewna operierte, um jene Gegend von feindlichen Streit-
kräften zu säubern und den Heranzug von Mannschaften
und Proviant zu hindern, hatte verschiedene Erfolge zu
verzeichnen und konnte dem Fürsten eine eroberte Standarte,
die sie Tscherkessen abgenommen, übersenden. Die folgen-
den Tage benutzte Fürst Karl zu Inspizierungen, überall
nach dem Rechten sehend und Befehle erteilend zur Be-
schleunigung der von ihm angeordneten Befestigungen der
russischen und rumänischen Stellungen, damit ein mög-
lichst fester Ring um Plewna gebildet und ein Ausbruch
Osman Paschas verhindert würde. Aber trotz aller Vor-
kehrungen gelangten doch einige Verstärkungen und
Proviantkolonnen in die Festung, da Fürst Karl bisher ver-
geblich um eine weitere Heranziehung russischer Truppen
gebeten. Erst Ausgangs September und Anfangs Oktober
langten diese an und befreiten den Fürsten von der
drückenden Sorge, daß er einem Ansturm Osman Paschas
hätte unterliegen können, der um so kritischer geworden
wäre, als infolge heftiger Stürme die Donaubrücke bei
Nikopolis zerstört und der Truppennachschub wie die Pro-
viantzufuhr hierdurch sehr behindert worden waren. Das
Wetter war in diesen Wochen anhaltend schlecht, Regen
und Schnee hatten alles in einen Sumpf verwandelt, die
Truppen mußten bei zunehmender Kälte im Freien
biwakieren und litten stark unter Krankheiten aller Art.
Der Fürst schrieb darüber an seine Gemahlin: „Von
dem Wetter, das wir seit drei Tagen haben, kann man
sich keine Vorstellung machen: Regen und Schnee-
gestöber, dabei ein eisiger Nordsturm und ein so boden-
loser Schmutz, daß man nur schwer vom Platze kommen
kann. Die armen Truppen leiden furchtbar, und wenn
das Wetter sich nicht bald bessert, werden wir soviel
Kranke haben, daß der neu eingetroffene Ersatz kaum die
Rücken ausfüllen wird. Von den Schwierigkeiten einer
10*
292
Kriegführung in Bulgarien kann man sich in Europa keinen
Begriff machen; die Strapazen, Entbehrungen, Mühen und
Sorgen sind so unbeschreiblich groß, daß eine Kampagne
hier drei Kriegen im Occident gleichkommt!"
Glücklicherweise wurde die Gesundheit des Fürsten
trotz der enormen Strapazen nicht erschüttert. Er blieb
oft den ganzen Tag zu Pferd, stets um das Wohl der
Truppen besorgt, die er auch in den äußersten Vorposten-
stellungen besuchte, dort wiederholt scharfem feindlichen
Feuer ausgesetzt. Endlich, in der zweiten Hälfte des Ok-
tober, besserte sich die Witterung, und da auch weitere Ver-
stärkungen herangekommen, konnte der Kreis um Plewna
immer enger gezogen werden, so daß Osman Pascha sämt-
liche rückwärtige Verbindungen abgeschnitten wurden. Am
26. Oktober verlegte Kaiser Alexander sein Hauptquartier
nach Poradim, wo ihm Fürst Karl sein Haus sofort zur
Verfügung stellte, er selbst am äußersten^Ende des Dorfes
eine elende, strohbedeckte Hütte beziehend, [die nur aus
zwei kleinen feuchten und niedrigen, ungedielten Gelassen
bestand, während seine Begleitung Unterkunft in nahen
Baracken suchen mußte.
Sowie es nur die kriegerischen Vorgänge gestatteten,
stand der Fürst in engem Briefwechsel mit seiner Ge-
mahlin, die er immer wieder dringend bat, sich zu schonen,
da die Fürstin völlig aufging in der Pflege der Verwundeten
und Kranken in den Bukarester Lazaretten. So schrieb er
ihr unter dem 14. Oktober: „. . . Das Wetter war während
acht Tagen entsetzlich, und die Truppen haben sehr darunter
gelitten: die Stiefel faulten ihnen in dem Schneewasser an
den Füßen; sehr viele haben sich die Gliedmaßen erfroren,
und die Spitalzelte reichen nicht aus, um alle Kranken
unterzubringen — in der Westarmee über 2000 Mann! —
Im tollsten Wetter besuchte ich sämtliche Lazarette und
Ambulanzen und tröstete die Unglücklichen, von denen
manche in nassem Stroh lagen. Einige sind auf dem
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Transport gestorben; gegen 300 Pferde sind zugrunde ge-
gangen, und die Wege mit Kadavern besäet. Der Krieg
tritt hier in seiner krassesten Form auf, und man muß
starke Nerven haben, um all dies mit anzusehen. — Die
rumänischen Truppen besuchte ich in den Trancheen, wo
sie bis an die Kniee in Schmutz und Wasser standen!
Dazu sind an vielen Stellen die Brustwehren eingestürzt,
so daß sie dem Gewehrfeuer der Türken ausgesetzt sind,
Fürst Karls zweites Quartier in Poradim.
und wir in den letzten Tagen wieder mehr Verwundete
hatten. Trotzdem wurde gearbeitet, und neue Batterien
installiert. Aus einer derselben, in dem gedeckten Wege
der Redoute, ließ ich die ersten Schüsse abgeben, auf
600 Meter, und die Türken, die einige Verluste hatten,
antworteten sofort mit Gewehrfeuer; als dasselbe zu toll
wurde, verließ ich die Batterie, um mich nicht unnötig
auszusetzen. Oberst Gaillard, der mit mir war, machte
mir hernach Vorwürfe und erklärte mir, daß er mich fortan
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294
verhindern werde, in die Trancheen zu gehen. — Eine
halbe Stunde später wurde ein Artillerieunteroffizier, mit
dem ich noch gesprochen, und der die Tapferkeitsmedaille
hatte, auf der Stelle erschossen, wo ich gestanden hatte.
— Jedermann ist mehr oder weniger krank gewesen, nur
ich bin, Gott sei Dank, ganz wohl. Ich bin an Strapazen
gewöhnt und deshalb hier in meinem Element; oft sitze
ich den ganzen Tag zu Pferd, worüber sich selbst die
Russen wundern."
Nachdem im Verlauf der nächsten Wochen die Höhen
von Gornji-Dubnik und der Grünen Berge eingenommen
waren, hatte man nicht mehr ein Entweichen Osman
Paschas zu befürchten. Man mußte jetzt nur noch mit
seinem Durchbruch rechnen, und diesen zu verhindern traf
der Fürst die umsichtigsten Maßregeln, die bisher noch
schwachen Linien verstärkend und ebenso die einzelnen
Befestigungen. Während man vor Plewna sich abwartend
verhielt, hatte Fürst Karl, um Osman Pascha die letzte
Möglichkeit abzuschneiden, aus Nordwesten oder Süd-
westen Hilfe zu erhalten, seinen Truppen befohlen, die an
der Donau gelegene befestigte Stadt Rahowa einzunehmen,
welche als Truppensammelpunkt für das westliche Bul-
garien dienen konnte. Nachdem zunächst das Terrain
rekognosziert worden war, wurde von verschiedenen Seiten
der Angriff am 19. November unternommen. Das 10. Do-
robanzen-Regiment erstürmte trotz heftigsten Feuers die
erste Redoute und die Schanzgräben, die sofort besetzt
wurden, worauf der Sturm fortgesetzt ward, bis die Munition
ausging und die schwer gelichteten Truppen bei Einbruch
der Nacht von einem weiteren Vordringen absehen mußten.
Am nächsten Tage verhinderte ein dichter Nebel jegliche
Operation. In der sich anschließenden Nacht suchte die
Garnison auszubrechen, sich in einer Zahl von 2000 Mann
auf ein rumänisches Bataillon stürzend, das drei Stunden
dem überlegenen Feinde standhielt und dann den fort-
295
gesetzten Anprall zu brechen suchte, indem es mit er-
staunlicher Kühnheit selbst zum Sturm vorging, die Türken
in die Flucht schlagend, die, soweit sie nicht gefallen oder
verwundet worden, in einer Furt des Skit-Flusses zu ent-
kommen suchten, von rumänischer Kavallerie verfolgt, die
viele Gefangene machte und den gesamten Train eroberte.
Siegreich konnten die Rumänen in Rahowa einrücken,
freudig bewillkommnet von den Bulgaren, die mit Jubel
das Hissen der rumänischen Fahne auf den Befestigungs-
werken begrüßten.
Aus Anlaß dieses großen und wichtigen Erfolges hielt
Fürst Karl vor Plewna am 24. November einen Dank-
gottesdienst ab, nach dem Tedeum eine Ansprache an
seine Truppen richtend, in der er hervorhob, daß der
Heldenmut der rumänischen Soldaten sich bei der Ein-
nahme von Rahowa von neuem bewährt habe; das Blut
der Gefallenen sei für die heilige Sache der Unabhängig-
keit vergossen, und er, der Fürst, sei der festen Über-
zeugung, daß sein ganzes Heer von derselben Opfer-
willigkeit sei, er habe beschlossen, eine Medaille zu stiften,
mit der Inschrift: „Den Verteidigern der rumänischen
Unabhängigkeit und Ehre", seine Truppen auffordernd,
angesichts des Gegners unter dem Donner der Kanonen in
den Ruf einzustimmen: „Es lebe das freie Rumänien!"
Der Wunsch des Fürsten, daß die Garnisonen von
Rahowa und Nikopolis von den Rumänen gestellt würden,
fand Erfüllung, es war eine Anerkennung der bedeutsamen
rumänischen Waffenerfolge, von großer Wichtigkeit nicht
nur in militärischer, sondern auch in politischer Beziehung.
Unermüdlich war Fürst Karl tätig, damit die Truppen
nicht nachließen im Bewachungsdienst, immer wieder auch
die äußersten Stellungen besichtigend und wiederholt sich
großer Lebensgefahr aussetzend. Jede freie Stunde be-
nutzte er, in schlicht-fesselnder Weise von seinen Erleb-
nissen der Fürstin zu berichten, die sich auf das tiefste
296
um ihn bangte und sorgte: „Gestern kam Dein lieber
Brief an — ich freute mich über ihn, wie der Wanderer
in der Wüste nach dunkler Nacht über die Morgenröte.
Jedes Deiner Worte lese ich viele Male und trage sie mit
mir umher!" so hatte sie ihm geschrieben. Und der Fürst
erzählte seiner Gemahlin über seine im Laufe des No-
vember unternommenen Inspizierungen: „Mit meinem
russisch-rumänischen Stabe setzte ich meine Exkursionen
jenseits des Wid, die nicht ohne Gefahr waren, fort. Um
acht Uhr morgens verließ ich Poradim bei Sturm und
Regen, einem wahren Allerseelen wetter; um zehn Uhr war
ich in Wrbitza, blieb dort einige Zeit im rumänischen
Hauptquartier und fuhr dann weiter nach Eiben, wo ich
gegen ein Uhr eintraf. Ich Heß hier sechs Artilleriepferde
vor meinen Wagen spannen, reduzierte die Eskorte, um
jedes Aufsehen zu vermeiden, passierte dann den Wid
und fuhr eine Stunde an den Vedetten der Kalaraschi ent-
lang, die etwa 600 Schritt von der türkischen Vorposten-
linie hielten; die Fahrt war höchst interessant, da ich alle
Bewegungen der Türken beobachten konnte. Um halb
drei Uhr traf ich in Dolnji-Netropol ein. Ich besichtigte
hier die von unseren Truppen (Brigade Cantili) angelegten
Befestigungen und begab mich dann auf einen Obser-
vationspunkt, von wo ich die steinerne Widbrücke auf der
Straße nach Sofia sehen konnte, die von unserer Artillerie
stark beschossen wurde. Jenseits der Brücke hatten die
Türken einige Bataillone aufgestellt, und da man hieraus
auf einen bevorstehenden Angriff schließen durfte, standen
unsre Truppen alle unter Gewehr. — Der Blick auf Plewna
von jenseits des Wid ist sehr schön; die Stadt liegt in
einer Talweitung, umgeben von Höhen, die schroff zum
Wid abfallen. Ich beobachtete an einem der Abhänge ein
ausgedehntes Lager, das man vom andern Ufer aus nicht
sieht, mit über tausend Zelten. Unsre jenseitigen Batterien,
an 300 Geschütze, feuerten Salven ab, und wir sahen den
297
Regen von Bomben niederfallen, während erst nach einer
halben Minute das lang anhaltende Donnern und Rollen
der Geschütze hörbar ward — eine großartig schöne
Kriegsszene ! Eine ganze Anzahl russischer Generale stand
neben mir. — Ich ritt von Dolnji- nach Gornji-Netropol,
wo ich die 2. Brigade der rumänischen 4. Division, so-
wie die neu eingetroffene Grenadierdivision und eine Ko-
sakenbrigade besichtigte. Alle Truppen empfingen mich
mit nicht endenden Hurras; ich brauchte eine Stunde,
bis ich das ganze Lager abgeritten hatte, in dem 16 000
Mann versammelt waren. — Um 6 Uhr dinierte ich beim
Stabe der 4. Division (General Rocowitza). Die Musik
des 5. Regiments spielte ihr bekanntes Repertoire, auch
jenes Stück, welches sie mit Gesang vor dem Palais zu
spielen pflegte, und das Bukarester Jägerbataillon gab die
Wache. Ich biwakierte mitten unter den Truppen, vier
Kilometer vom Feinde, und hörte die ganze Nacht das
Kleingewehr- und Geschützfeuer. Davila, der mit mir war,
hatte mir auf einer Tragbahre ein Bett arrangiert, auf das
ich mich unausgekleidet legte. Die Nacht war dunkel und
es regnete stark, was einen Überfall erleichtert hätte; man
hatte auch eigens eine starke Lagerwache aufgestellt. Ich
schlief aber ganz gut unter dem Zelt." — Und der Be-
richt über die Erlebnisse des nächsten Tages schloß:
„Mit Mühe und Not, bei bodenlosen Wegen und starkem
Regen, erreichte ich um acht Uhr abends Davilas große
Ambulanz, wo ich die Nacht zubrachte. Davila sorgte so-
fort für warmes Essen, was um so willkommener war, als
wir ganz durchgefroren und naß waren. Ziemlich müde
— wir hatten acht Stunden bei Regen im Sattel gesessen —
begaben wir uns zur Ruhe, und ich schlief vortrefflich, natür-
lich angezogen; 56 Stunden bin ich nicht aus den Kleidern
gekommen." — Und am 21. November schrieb der Fürst
seiner Gemahlin: „Vorgestern wurde vor Plewna ein groß-
artig schöner Dankgottesdienst für die Einnahme von Kars
298
abgehalten. Wir waren auf einem Plateau, von wo man die
Positionen von Plewna und die meisten Batterien gut über-
sehen konnte. Die Truppen waren auf der ganzen Linie auf-
gestellt, die Musiken spielten, sämtliche Batterien feuerten,
und der Donner der Geschütze wurde von dem endlosen
Hurra der Soldaten noch übertönt. Dabei der schöne
Gesang des kaiserlichen Chores, und wir alle auf den
Knien betend, es war ein erhebender und ergreifender
Augenblick. Die Türken glaubten, wir planten einen An-
griff, und standen auch bereit. Nach der Feier ritt ich in
die verschiedenen Batterien; als ich auf dem vorspringen-
den Plateau von Raditschewo anlangte, richteten die
Türken ihre Geschosse auf mich, ein Schrapnell fiel in
meine Eskorte, ohne jemand zu verwunden. Die russischen
Batterien, 36 Geschütze, die in meinem Rücken standen,
eröffneten nun auch ein Salvenfeuer, so daß ich in Pulver-
dampf gehüllt war. Die Granaten flogen pfeifend und
zischend über meinem Kopfe fort, ich konnte nicht mehr
unterscheiden, aus welcher Richtung sie kamen. Ich ritt
auf die feuernden russischen Batterien zu, die ihre Salven
fortsetzten, und wurde dort vom Artilleriebrigadegeneral
empfangen, der mir sagte, daß die Türken seit vierzehn
Tagen nicht mehr in dieser Richtung geschossen hätten,
mich bittend, die gefährliche Position zu verlassen." —
Der Dezember hatte mit schweren Stürmen ein-
gesetzt, die eine teilweise Zerstörung der Brücke bei
Nikopolis herbeiführten und dadurch die rückwärtige Ver-
bindung störten, so daß die Truppen sogar Mangel an Le-
bensmitteln hatten und es an Heu wie an Holz fehlte, da die
Transporte nicht pünktlich eintreffen konnten. In dem jam-
mervollen Quartier des Fürsten Karl war es kaum zum Aus-
halten. Die winzigen Räume waren, sobald man sie zu heizen
versuchte, durch Rauch gefüllt, und Regen wie Schnee drangen
an vielenStellen ein. Die Straßen waren grundlos, man brauchte
die dreifache Zeit wie bisher, um vorwärts zu kommen.
299
Dem wiederholten Andrängen des Großfürsten Nikolaus,
neue, energische Angriffe auf Plewna zu unternehmen,
widerstand Fürst Karl fortgesetzt, da Osman" Pascha sich
nur noch ganz kurze Zeit halten konnte, und man nicht
vergeblich so viele Menschenleben zu opfern brauchte.
Auch hier sollte sich die Voraussicht des Fürsten bewähren.
Am frühen Morgen des 10. Dezember erhielt Fürst Karl
Meldungen von starken Bewegungen der türkischen Truppen,
die auf einen Ausfall schließen ließen. Sofort eilte er
in seinem Gespann nach Griwitza, und als ihm dort mit-
geteilt wurde, daß die Türken die zweite Redoute geräumt
und diese bereits die Rumänen besetzt hätten, erteilte er
umgehend den Befehl zum Vorgehen der zweiten Division
auf der ganzen Linie. Alles deutete auf einen Entschei-
dungskampf hin. Von verschiedenen Seiten dröhnte der
Geschützdonner herüber und hörte man das Knattern
der Gewehrsalven. Mit jeder Minute wuchs das Getöse,
zu betäubendem Lärm anschwellend. Da der Fürst hörte,
daß die Türken eine russische Redoute genommen hätten,
ließ er auch seine 4. Division gegen den Feind vorgehen.
Von einer Anhöhe hielt er einen orientierenden Überblick
über das ganze Terrain und gab von hier aus die weiteren
Befehle, Kaiser Alexander stets durch kurze Telegramme
von dem jeweiligen Stand der Schlacht benachrichtigend.
Die Rumänen griffen wiederum mit vollster Ent-
schlossenheit und Tapferkeit in den Kampf ein; sie stürmten
Opanetz und nahmen zwei Redouten, und auf diesen
energischen Anprall hin ergab sich ihnen die Besatzung
der dritten mit 7000 Mann und 6 Kanonen, welche Kunde
den Fürsten mit tiefer Freude erfüllte. An verschiedenen
Stellen hatten die Türken erhebliche Vorteile errungen,
wurden dann aber von den vereinten Streitkräften wieder
zurückgeworfen unter schweren Verlusten, zu denen die
unaufhörlich feuernden Batterien das ihrige beitrugen.
Vielleicht wäre der Vorstoß Osman Paschas gelungen,
300
wenn seine Dispositionen befolgt worden wären. Er hatte
seine Armee in zwei Teile von je 20 000 Mann geteilt; die
eine unter seiner Führung sollte die Linien jenseits des
Wid zu durchbrechen suchen, die andere nach zwei
Stunden vorgehen, bis dahin aber die Flanken und den
Rücken des ersten Korps decken. Inmitten des tollsten
Kugelregens hielt Osman Pascha stand. Ein Pferd wurde
ihm unter dem Leib erschossen und er selbst am Fuß
verwundet. Vergebens harrte er auf das Nahen des zweiten
Korps, um mit diesem vereint vorwärts zu dringen, aber
jenes war durch die Kämpfe mit den Rumänen zu; stark
engagiert worden und sah bald nach schweren Verlusten
die Nutzlosigkeit eines Widerstandes ein, denn die ru-
mänischen Truppen drängten die Türken von Plewna ab
in ein zwischen der Stadt und dem rechten Widufer ge-
legenes Tal, das durch tau sende von Wagen und durch
dichte Scharen der Bevölkerung der Stadt, die sich Osman
Pascha anschließen wollten, völlig ausgefüllt war. In dieses
Gewühl fielen die Granaten der rumänischen Batterien
und verstärkten die schreckliche Verwirrung. Da ergaben
sich ganze Teile der türkischen Armee; die Panik wurde
immer größer, um so mehr, als sich infolge der Verwundung
Osman Paschas die Schreckenskunde verbreitete, der Mar-
schall sei gefallen.
Fürst Karl hatte zur Mittagsstunde seinen Standort
verlassen und sich auf den Kampfplatz zwischen Bukowa
und Opanetz begeben, wo sich ihm das malerischste,
packendste, seelisch tief ergreifende Gesamtbild des wilden
Kampfgetümmels darbot.
Jetzt jagte auf schäumendem Roß ein Offizier heran,
dem Fürsten meldend, daß sich Osman Pascha mit seiner
ganzen Armee ergeben wolle, und zwar hatte der tür-
kische Feldherr diese Mitteilung dem rumänischen Oberst
Cerchez gemacht, der mit dem dritten Linienregiment bis
zu jener, auf dem rechten Widufer gelegenen Hütte, in
301
302
die man den verwundeten Pascha getragen, vorge-
drungen war und zahllose Türken gefangen genommen hatte.
Zu jener Widbrücke ritt nun auch Fürst Karl mit
seinem Stabe, überall von den siegreichen rumänischen
Truppen auf das jubelndste begrüßt. Aber so stolz auch
der Fürst auf diesen neuen Erfolg der rumänischen Waffen
sein durfte, so tief ergriff [ihn das Elend, auf das er
überall stieß, von innigem Mitleid mit dem heldenmütigen
Feind ergriffen. An langen Zügen von Gefangenen vor-
bei ritt er zwischen Toten und Verwundeten dahin, lang-
sam nur ging's vorwärts. Nahe jener Widbrücke kam
ihm ein offenes Gefährt entgegen, begleitet von einer
Eskorte des 3. rumänischen Calaraschen Regiments: Os-
man Pascha, der gefangene Feldherr, saß in dem Wagen.
Als man ihm sagte, daß Fürst Karl nahe, erhob er sich
trotz der Schmerzen. Der Fürst reichte ihm mit festem
Druck die Hand, ihm mit bewegten Worten seine vollste
Anerkennung über seine und seiner Truppen Tapferkeit
ausdrückend und sich nach seiner Verwundung erkun-
digend. In diesem Augenblick traf auch Großfürst Niko-
laus ein, gerührt den Fürsten in die Arme schließend
und sich dann zu Osman Pascha wendend, ihm gleich-
falls seine Anerkennung über die tapfere Verteidigung
Plewnas ausdrückend. Nachdem der verwundete Mar-
schall weitergefahren, verabredeten Fürst Karl und der
Großfürst die nächsten Dispositionen, dann ritt Fürst
Karl nach Plewna, wiederum inmitten des dichten Ge-
wühls der Gefangenen, der Fliehenden, der Sieger; Jam-
mern, Rufen, Stöhnen, Schreien, Flehen überall, überall
auch Tote und Verwundete, umgefallene Wagen, fort-
geworfene Waffen, wehklagende Frauen und weinende
Kinder, und dazwischen der Jubel der russischen und
rumänischen Truppen beim Erscheinen des Fürsten und
die schmetternde Musik froher Märsche der heranrücken-
den Bataillone.
303
Plewna selbst machte einen völlig ausgestorbenen
Eindruck. In den engen, winzigen Gassen fand man sich
kaum zurecht, die Dunkelheit brach herein, und nur
schwer entdeckte man den Ausweg, zudem fielen noch
hier und da vereinzelte Schüsse und mußte man mit der
Verzweiflung zurückgebliebener türkischer Soldaten rech-
nen, so daß die Umgebung des Fürsten sich ernsten Be-
sorgnissen hingab. Endlich gelangte man, von einem
bulgarischen Knaben geführt, auf den richtigen Weg nach
Griwitza, in dessen Nähe der Fürst den ersten besten
Wagen bestieg, da sein eigenes Gefährt sowie seine Es-
korte in der Finsternis und Verwirrung abhanden gekommen
waren. In dunkler Nacht ging's nur langsam vorwärts
über Hindernisse aller Art, vorbei an Toten und Verwun-
deten, welch letztere flehentlich um Hilfe baten, durch
das Gewirr umgestürzter Geschütze, Munitionswagen,
Karren.
Erst kurz vor zehn Uhr traf der Fürst in Poradim
ein und begab sich sofort nach dem Hause des Kaisers,
der bereits schlafen gegangen war, den aber der Fürst
wecken ließ, um ihm nähere Mitteilungen über den lang-
ersehnten Sieg zu machen. Der Herrscher umarmte den
Fürsten tiefbewegt und rief froh auf Deutsch: „Mit Aus-
dauer kommt man ans Ziel!" sich dann alles genau be-
richten lassend. Völlig ausgefroren und hungrig — denn
er hatte den ganzen Tag nichts zu sich genommen — ,
sowie übermüdet langte der Fürst in seinem Quartier an.
Aber die tiefe Erregung war doch zu groß, als daß an
Schlaf zu denken war: bildete ja der Fall Plewnas und die
Übergabe Osman Paschas mit seiner Armee den bedeut-
samsten Wendepunkt dieses Krieges, der nun voraus-
sichtlich bald beendet war, da die vor Plewna versam-
melten gewaltigen Heeresmassen jetzt nach anderen Punk-
ten dirigiert werden konnten, vor allem die gefahrdrohende
Lage am Schipka ändernd.
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304
In eindrucksvoller Weise schilderte Fürst Karl die
Tragweite des großen Tages seiner Gemahlin in einem
Briefe, in dem es u. a. lautete: „Um zwölf ein viertel Uhr
war der Kampf so gut wie entschieden; die Türken hißten
die weiße Fahne, Osman Pascha war verwundet! — Ich
begab mich sofort zu meinen siegreichen Truppen, die
mich mit unbeschreiblicher Begeisterung empfingen.
Gleichzeitig defilierten 8000 Gefangene mit ihren Offi-
zieren, darunter zwei Paschas, und sechs schön bespannte
Geschütze an mir vorüber. Den türkischen Offizieren
sagte ich, daß sie sich tapfer geschlagen hätten und über-
zeugt sein könnten, daß sie zuvorkommend behandelt
werden würden ; ich hätte dem Offizier, der sie zu begleiten
hätte, befohlen, sich nach ihren Wünschen zu erkundigen.
Hierauf gab ich einem Regiment Ordre, mir mit Musik
zu folgen, und ritt mit meinem Stabe und meiner Eskorte
direkt auf den Wid zu. Von allen Seiten waren russische
und rumänische Truppen bereits in die Stadt eingerückt,
und ich wurde von ihnen bei meinem Erschdnen mit
endlosen Hurras empfangen, wobei sie ihre Mützen in
die Luft warfen. Von dem Bilde, das sich mir unter-
wegs entrollte, ist es kaum möglich, eine Beschreibung
zu geben. Ein grauenhaft großartiges Kriegsbild! Tau-
sende von Wagen mit fliehenden Einwohnern, heulende
Frauen, jammernde Kinder erfüllten die Wege von der
Stadt bis an die Widbrücke, außerdem zahllose Gefan-
genen- und Verwundetentransporte, und dazwischen an
den Straßenrändern Tote und Sterbende, stöhnende Ver-
wundete, die zu Fuß waren, aber nicht mehr weiter konnten,
umgeworfene Wagen, unter denen noch Lebende lagen,
tote und krepierende Pferde, Ochsen, Büffel — überall
Jammer und Elend ! Durch dies alles hindurch der Jubel
der russischen und rumänischen Soldaten, mit Musik
heranmarschierende Bataillone, Kosaken und Kalaraschen,
welche vergeblich Ordnung zu schaffen versuchten ;Yzer-
305
brochene Kanonen, tausende von Gewehren, zerstreute
Munition usw. Lange Zeit war ich in diesem heillosen
Treiben, bis man mir mit größter Mühe einen Weg nach
der Widbrücke bahnte. Hier begegnete ich Osman Pascha;
er saß in einem Wagen, eskortiert von Oberst Poliso und
dessen Kalaraschen. Ich ritt an ihn heran, gab ihm die
Hand und sagte, daß ich seine tapfere Verteidigung be-
wundert hätte, und daß sein Name in der Geschichte dieses
Krieges glänzen würde. Trotz seiner Verwundung am
Fuß stand er im Wagen auf und dankte mir. Dieser
Mann hat mein Herz ganz gewonnen; sein Gesicht hat
einen vornehmen und milden Ausdruck und ist sehr sym-
pathisch. Inzwischen war auch Großfürst Nikolaus ein-
getroffen; wir umarmten uns vor Osman, dem er herzlich
die Hand drückte. Hierauf bahnten der Großfürst und
ich uns einen Weg nach der Stadt, wo wir nur mit wenigen
Herren und ohne unsere Eskorte eintrafen, da die übrigen
in dem furchtbaren Gedränge abgeschnitten worden waren."
Die ganze Tragweite des Erfolges ersah man am
nächsten Tage: 40000 Gefangene, darunter 10 Paschas,
128 höhere und 2000 subalterne Offiziere, 77 Geschütze,
viele Waffen und Fahnen waren in die Hände der ver-
bündeten Truppen gefallen. Am gleichen Vormittag fand
ein feierliches Tedeum statt, nach welchem Fürst Karl,
dem der Kaiser den Andreasorden, eine sehr seltene Aus-
zeichnung, mit den Worten verliehen hatte: „Sie haben
ihn wahrlich verdient und ich danke Ihnen für Ihre Hilfe/*
den Zaren nach Plewna begleitete, woselbst ein Bürger-
haus für den Kaiser hergerichtet war und dort von ihm
und seiner Umgebung das Dejeuner eingenommen wurde,
bei welchem der Kaiser einen herzlichen Trinkspruch
auf den Fürsten Karl und seine rumänischen Truppen,
die er als „unsere Verbündeten* ' bezeichnete, ausbrachte.
Hier empfing auch der Kaiser in Gegenwart" des Groß-
fürsten Nikolaus und des Fürsten Karl Osman Pascha,
Linctenberg, König Karl. 20
306
ihm als Zeichen seiner Hochachtung den Degen zurück-
gebend. Da das militärische Gefolge des Kaisers wegen
der zahllosen Gefangenen nicht von Furcht frei war,
stattete im Auftrag des Zaren Fürst Karl den siegreichen
Truppen den Dank des Kaisers ab, überall begeistert
empfangen, erst zu später Abendstunde nach Poradim
zurückkehrend, wiederum inmitten tief erschütternder
Szenen.
In den nächsten Tagen liefen aus allen Weltgegenden
zahllose an den Fürsten gerichtete Beglückwünschungen
ein. Auch Kaiser Alexander richtete an ihn ein offizielles
Schreiben, daß er wünsche, nachdem nach fünfmonatlichem
Widerstand jetzt Plewna genommen und die Anstrengungen
der alüierten Truppen gekrönt worden seien, dem Fürsten
als Erinnerung an seine Führung sowie als Zeichen seiner
aufrichtigen Freundschaft den Orden des Heiligen An-
dreas mit Schwertern zu verleihen. Bald darauf langte
eine Depesche des deutschen Kaisers an : „Mit dem größten
Interesse habe ich Deine Operationen und die Tapferkeit
Deiner Truppen verfolgt: ich kann Dir meine Freude
über diese Leistung nicht herzlich genug aussprechen und
als Anerkennung erlaube ich mir, Dir hiermit meinen
Militär-Orden pour le merite zu verleihen. Da Du weißt,
wie hoch dieser Orden in meiner Armee geschätzt wird,
wird seine Verleihung Dir gewiß von Wert sein. Wie
viele Gefahren, Mühen, Anstrengungen hast Du mit
Deinen Truppen geteilt, bis Du endlich in dem Falle von
Plewna einen schönen Triumph gefeiert hast. Gott helfe
weiter. Wilhelm. "
In innigen Worten nahm Fürst Karl durch einen
Tagesbefehl von den russischen Truppen, die bisher seinem
Kommando unterstanden, Abschied, an seine Soldaten
unter dem 14. Dezember nachstehenden Tagesbefehl rich-
tend: „Soldaten! Eure Ausdauer, die großen Leiden
und Entbehrungen, die Ihr ertragen, die Opfer an Blut
307
und Leben, die Ihr so willig gebracht habt, alles das ist
bezahlt und vergolten worden an dem Tage, wo das
schreckliche Plewna durch Euren Heldenmut zu Falle
kam, wo das stolze Heer des Sultans unter dem berühm-
testen und tapfersten seiner Generale, Osman dem Sieg-
reichen, vor Euch und Euren Kampfesgenossen, den Sol-
daten Seiner Majestät des Kaisers von Rußland, die
Waffen gestreckt hat. Ihr habt Taten vollbracht, würdig
derjenigen Eurer Vorfahren, und die Bücher der Geschichte
werden sie, gleich jenen, den fernsten Jahrhunderten auf-
bewahren. — Bald werdet Ihr in die Heimat zurück-
kehren, und jeder wird auf der Brust das Zeichen seines
Soldatenmutes und seiner Hingabe für das Vaterland
tragen, das Kreuz des Donauüberganges und die Medaille
für die Verteidigung der rumänischen Unabhängigkeit.
Dann könnt Ihr stolz Euren Anverwandten sagen, was
Ihr für das Vaterland getan. Die Greise werden Euch
lauschen und sich der großen Zeiten des rumänischen
Volkes erinnern, deren Kunde sich von Geschlecht zu
Geschlecht fortgepflanzt hat; die Jünglinge aber werden
in Euch ein lebendes Vorbild ihrer künftigen Pflichten
sehen; Rumänien darf stolz und ruhig in die Zukunft
schauen, solange es solche Söhne mit warmem Herzen
und kräftigem Arm besitzt. Im Namen Eures Vater-
landes dankt Euch Euer Fürst und Heerführer.
Ehe Kaiser Alexander den bulgarischen Boden ver-
ließ, nahm er am 3. Dezember bei Plewna eine große
Parade über die sämtlichen Truppen — zu denen auch
16 000 Rumänen zählten — ab, in Gegenwart des Fürsten,
dem der Kaiser seine Freude ausdrückte, daß er noch
einmal die tapferen rumänischen Regimenter begrüßen
könne. Nach dem am Abend in Poradim eingenommenen
Diner hatte der Kaiser mit dem Fürsten eine längere
Carol."
20*
308
Unterredung in seinem Schreibzimmer, ihm versichernd,
daß bei dem bevorstehenden Friedensschluß Rumänien
nicht zu kurz kommen solle, und daß er sich der vom
Lande gebrachten Opfer erinnern werde, deren Umfang
und Schwere er vollkommen würdige, in herzlichen Worten
hinzusetzend, wie lieb er den Fürsten in dieser gemein-
sam verlebten großen Zeit gewonnen und mit welcher
Freude er sich von seinen ausgezeichneten Eigenschaften
überzeugt habe. Fürst Karl sprach bewegt seinen tiefen
Dank aus und knüpfte die Hoffnung daran, daß
Rumänien zu den Friedensverhandlungen zugezogen werde,
worauf freilich der Kaiser nur erwiderte, er würde auf
die Sicherung der staatsrechtlichen Stellung Rumäniens,
die zweifellos ganz Europa anerkennen werde, bedacht
sein, sich dann mit herzlicher Umarmung vom Fürsten
verabschiedend, der es sich nicht nehmen ließ, am nächsten
Morgen um die siebente Stunde den Kaiser noch eine
ganze Strecke zu Pferd zu begleiten.
Die Abreise des Fürsten wurde durch furchtbare
Schneestürme verhindert, zudem war die Brücke bei Ni-
kopolis unterbrochen, wodurch es wiederum an Proviant
mangelte, so daß auch im fürstlichen Hauptquartier die
Rationen vermindert werden mußten. Durch alle Fugen
und Risse der Wände und des Daches drang der Schnee
in das vom Fürsten bewohnte ärmliche Häuschen, das
kaum dem Anprall des Sturmes zu widerstehen vermochte;
in den verqualmten Räumen war es eiskalt und in der Nacht
mußte ein Feldstuhl über die Bettdecke gestülpt werden,
damit sie nicht fortgeweht wurde. Mit tiefer Trauer gedachte
der Fürst der armen Truppen, die mit den Gefangenen-
Transporten unterwegs waren, um sie zur Donau zu ge-
leiten, schutzlos der entsetzlichen Witterung ausgesetzt.
Nicht einmal in Poradim war ein Verkehr möglich, auf der
Dorfstraße lagen im Schnee erfrorene Bauern und Kutscher,
ebenso zahllose Zugtiere, der Kälte zum Opfer gefallen.
309
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310
Endlich hörte das tagelange Schneetreiben auf, und
am Morgen des 22. Dezember verließ der Fürst bei 18 Grad
Kälte Poradini, um nach Nikopolis aufzubrechen. Mit
acht Pferden war sein Wagen — da man keinen Schlitten
auftreiben konnte — bespannt, vermochte aber in dem
dichten Schnee nur schrittweise vorwärts zu gelangen.
Die Straße war kaum noch zu entdecken, und oft ging's
querfeldein. Überall erblickte man erfrorene Türken,
mühselig schleppten sich die langen Züge der Gefangenen
weiter, von denen viele jammernd und stöhnend vor
Ermattung zusammenbrachen, ohne daß man ihnen Hilfe
zu gewähren vermochte, da die Begleitmannschaften
selbst um ihr Leben bangten und auch manch braver
rumänischer Soldat hier sein Ende fand. Der Anblick
war so herzzerreißend, daß der Fürst ihn kaum noch zu
ertragen vermochte und zur zweiten Nachmittagsstunde
in Muselimselo sein Pferd bestieg, um nicht die Zusammen-
gebrochenen zu überfahren und um schneller dem ent-
setzlichen Elend zu entrinnen. Aber je weiter er kam,
desto zahlreicher wurden die Toten und die Sterbenden;
an einzelnen Stellen sah man, wie sie in einer Mulde oder
bei einem winzigen Feuer Rast gemacht und dort scharen-
weise vom Tode ereilt worden waren. Selbst das Pferd
des Fürsten bäumte sich und wollte nicht über die Leichen
fort, die den Weg hemmten, ihn zu dem schauerlichsten
machend, den selbst die grausamste Phantasie sich nicht
auszumalen vermochte. Der Fürst hätte am liebsten die
Augen geschlossen und doch mußte er scharf Obacht
geben, um nicht zu stürzen, häufig absteigend und ein
Stück zu Fuß gehend, da der eisige Wind das Blut
erstarren machte. Diese Stunden dünkten ihm end-
los und ließen selbst die Schrecknisse der blutigen Kämpfe
verblassen. Je näher er nach Nikopolis vordrang,
desto größer wurde die Schar der Hingemähten und
Hingesunkenen — eine ganze Allee von Leichen, die
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man passieren mußte, sein Herz mit tiefstem Weh er-
füllend.
Beim Untergang der Sonne ward endlich die Festung
erreicht, wo dem Fürsten ein freudiger Empfang bereitet
wurde, aber so gern er auch hier im Kreise seiner Offiziere
weilte, die in herzlicher Weise ihren Stolz zeigten, den
siegreichen Führer in ihrer Mitte zu sehen, konnte doch
keine Freude in ihm aufkommen ' über all dem Jammer
ringsum, denn aus den Festungsgräben, in denen man
viele tausende türkischer Gefangenen untergebracht, scholl
das Rufen und Wehklagen der Unglücklichen durch die
Nacht, waren doch alle Quartiere belegt, und fehlte es
an warmer Bekleidung, an Brennmaterial und an Brot,
so daß sich zu der erstarrenden Kälte noch der nagendste
Hunger gesellte. Bei 22 Grad Kälte mußten die Ärmsten
im Freien verbleiben, und man konnte leicht mit einer
Verzweiflungstat rechnen, da die hier befindlichen 11 000
Gefangenen nur von 1800 Mann Rumänen bewacht wurden.
Am folgenden Tage, dem 23. Dezember, setzte der
Fürst, da die Brücke noch nicht wieder hergestellt war,
in einer Dampfschaluppe über die Donau, inmitten des
starken Eisganges, der die Schollen knirschend und
krachend dahintrieb, so daß das winzige Boot mehrfach
in größter Gefahr war, vom Eise zertrümmert zu werden,
der Fürst sich jeden Augenblick bereit haltend, um, wenn
dies eintreten sollte, über Bord auf eine der Schollen zu
springen. Mehr denn eine Stunde währte diese gefahr-
volle Fahrt, die am rumänischen Ufer von einer großen
Volksmenge und vom Ministerpräsidenten Bratianu in
banger Erwartung verfolgt wurde, aber desto stürmischer
war nun der Jubel, als Fürst Karl den heimatlichen Boden
nach langer Abwesenheit wieder betrat, wo ihn alles be-
geistert umringte und ihm voll tiefer Freude huldigte.
Uber Turnu-Magurele, wo der Fürst die Lazarette be-
suchte, Costeschti und Piteschti, wo sich überall die jubeln-
313
den Begrüßungsszenen wiederholten, traf er in Titti ein,
dort nach vier langen, bangen Monaten seine Gemahlin
in die Arme schließend, und mit ihr vereint hielt er eine
Stunde später am Mittag des 27. Dezember seinen feier-
lichen Einzug in Bukarest, dessen Häuser glänzenden
Schmuck angelegt hatten und dessen Bevölkerung die
Straßen bis auf das letzte Plätzchen füllte, dem heim-
kehrenden Sieger voll frohester Begeisterung zujubelnd.
Von der Metropolie aus, in der ein feierliches Tedeum ab-
gehalten worden, begab sich das fürstliche Paar in die
Kammer, wo die Volksvertreter den Fürsten und seine
Gemahlin in begeisterter Stimmung in ihrer Mitte will-
kommen hießen. Unter dem Thronhimmel stehend, richtete
der Fürst in tiefer Ergriffenheit eine Ansprache an die
Deputierten, in der er einen kurzen Überblick auf die elf
Jahre seiner Regierung warf, betonend, wie stolz er sei,
daß jetzt die heißesten Wünsche des Jahres 1866 sich ver-
wirklicht hätten — seine ersten Schritte habe er hierher
gelenkt zu der Vertretung des Landes und Volkes, das
mit ihm eins gewesen sei im Hoffen und Denken während
der jüngst durchlebten schweren Zeit und das seine Freude
teile über die Großtaten des rumänischen Heeres; er sei
stolz, an der Spitze dieser Tapferen zu stehen, die ihr
Blut verspritzt hätten für die Unabhängigkeit des Vater-
landes. Möge Gott das freie Rumänien segnen und allzeit
sein tapferes Heer stärken ! — Im Namen der Kammer
dankte C. A. Rosetti dem Fürsten für all das, was er für
das Land getan, das ihm einst seine Geschicke anvertraut,
weil er aus Heldengeschlecht stamme; jetzt sei es allen
offenbar geworden, daß Adler wieder Adler erzeugen und
Eichbäume wieder Eichbäume, und daß der Fürst zu den
Männern gehöre, die das Volk zu seiner Größe zu führen
wüßten. Allein die Geschichte werde nicht nur den
Kriegsruhm preisen, den Fürst Karl sich erobert, sondern
vor allem werde sie ihn hinstellen als ein in den Annalen
314
der Völker unerhörtes Beispiel, daß der Herrscher eines
kleinen Landes es verstanden habe, demselben all seine
Freiheiten und Rechte unberührt zu bewahren, inmitten
der Überschwemmung durch eine große fremde Armee
und inmitten der Anforderungen eines großen Krieges,
zum Schluß den Feldherrn bewillkommnend und der
Fürstin dankend* die der „süße Trost der Verwundeten"
gewesen war.
Mit letzteren Worten hatte der Kammerpräsident
Fürstin Elisabeth, die Verwundeten in den Lazaretten Bukarests pflegend.
gleichfalls das Richtige getroffen, denn in all den schweren
Wochen und Monden war die Fürstin unermüdlich tätig
gewesen in der Sorge um die Verwundeten und in der Pflege
der Kranken, nicht mehr Fürstin, sondern nur barmherzige
Schwester, von früh bis spät Hilfe bringend und Trost
spendend, keine Ermüdung kennend, und sie, die Schwache
und Zarte, den Ärzten zur Seite stehend, wenn es sich
um gefährliche Operationen handelte. In wärmster An-
erkennung dieser aufopfernden Tätigkeit hatte Fürst Karl
Anton seinem Sohne geschrieben: „Auch über Elisabeth
315
herrscht nur eine Stimme dankbarster Anerkennung und
Bewunderung des Heldensinnes, mit dem sie sich ihren
schweren Pflichten hingege-
ben hat/' und ähnlich hob
der deutsche Kronprinz in
einem Briefe hervor: „Von
der hingebenden Tätigkeit
Elisabeths auf dem Ge-
biet der Krankenpflege hö-
ren wir stets zu unserer
größten Freude, denn nichts
kann einem mehr Anerken-
nung erwerben, als mit sol-
chem Beispiel voranzuge-
hen/ 4 in einem anderen
Schreiben der ruhmvollen
Tätigkeit des Fürstengeden- Rumänisches ^ „
kend: „Unendlich glücklich rU ng an den Donau-Übergang,
machte es mich, als . der
Kaiser mir die Verleihung des pour le merite an Dich mit-
teilte, denn Du hast ihn wahrlich
verdient. Hier betone ich immer
wieder, wie stolz ich bin, daß einer
unseres Stammes berufen war, von
den Russen dringend um Beistand
gebeten zu werden, und daß man von
einer russisch-rumänischen Armee
sprechen mußte, als die Entschei-
dung von Plewna fiel/'
Die ersten Tage des neuen Jahres
_ ....... 1878 brachten die Kunde von dem
Rumänische Kriegs- 1
Medaille (Vorderseite). Übergang der Russen über den Bal-
kan mit den siegreichen Kämpfen
am Schipka. Auch die auf bulgarischem Boden weilen-
den rumänischen Truppen fanden noch Gelegenheit, sich
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im taufe des Januar ruhmreich auszuzeichnen, indem
sie das stark befestigte und besetzte Widin eroberten, die
einzelnen Redouten im Sturm nehmend und nach schweren
Kämpfen am 24. und 25. Januar die Stadt völlig zer-
nierend und das Bombardement auf sie eröffnend, bis
am 23. Februar die Kapitulation erfolgte.
Am 4. Februar war in Adrianopel zwischen Rußland
und der Türkei ein Waffenstillstand abgeschlossen worden,
zu welchem man trotz dringender Bemühungen den
rumänischen Bevollmächtigten nicht hinzugezogen hatte.
Das bestärkte die schon seit langem umlaufenden Gerüchte,
daß Rußland die drei durch den Pariser Vertrag an Ru-
mänien gekommenen bessarabischen Distrikte mit als
einen Friedenspreis zurückverlangte, und gar bald wurde
dies bestätigt durch Depeschen des rumänischen Vertreters
in St. Petersburg, dem Fürst Gortschakow in"einer Aus-
einandersetzung über die bessarabische Frage geantwortet:
„Welche Argumente Sie auch immer anrufen, unsere Ent-
schlüsse können Sie nicht modifizieren, denn sie sind
unerschütterlich. Sie stehen vor einer politischen Not-
wendigkeit !" Auch der Kaiser hatte ähnliche Äußerungen
gemacht, ebenso Graf Ignatjew, der noch in Bukarest
weilte.
Die Kunde von diesem russischen Verlangen erregte
alle Volkskreise in Rumänien auf das tiefste. In geheimen
Sitzungen beschlossen die Kammern, daß Rumänien
die Integrität seines Landes mit den Waffen in der Hand
bis zum Äußersten verteidigen müßte. Das wurde auch
nachdrucksvoll in der öffentlichen Sitzung am 11. Februar
betont, in welcher man auf die mit Rußland geschlossene
Konvention Bezug nahm, in der Rumäniens Unteilbarkeit
von Rußland verbürgt worden war. Denn Artikel II
lautete wörtlich: „Damit für Rumänien keine Art von
Unannehmlichkeit oder Gefahr aus dem Durchzuge der
russischen Truppen durch sein Gebiet erwachse, verpflichtet
317
sich die Regierung Sr. Majestät des Kaisers aller Reußen,
die politischen Rechte des rumänischen Staates aufrecht
zu erhalten und Sorge dafür zu tragen, daß dieselben
respektiert werden, so, wie es die Gesetze des Landes und
die bestehenden Verträge erfordern; außerdem verpflichtet
die Regierung Sr. Majestät des Kaisers von Rußland sich,
diedermaligelntegritätRumäniensauf-
recht zu erhalten und zu beschütze n."
In jener Sitzung wurde eine einstimmige Erklärung an-
genommen, daß die Versammlung entschlossen sei, die
« Unverletzlichkeit des Territoriums Rumäniens aufrecht
zu erhalten und die Entfremdung eines Teiles desselben
unter keinerlei Bezeichnung und unter keinerlei territo-
rialer Kompensation oder Entschädigung zuzulassen. Im
Volk wuchs die feindliche Stimmung gegen Rußland von
Tag zu Tag, und es gehörte die volle Mäßigung und er-
fahrene politische Einsicht des Fürsten Karl dazu, daß
sich die Lage nicht in gefahrdrohendster Weise zuspitzte,
denn er war stets bestrebt, jede Herausforderung Rußlands
zu vermeiden und von einer solchen auch seine Ratgeber
zurückzuhalten. Dafür versuchte er, durch direkte Mit-
teilungen und Klarlegungen an befreundete Staatsober-
häupter und Regierungen diese zu einer günstigen Ein-
wirkung auf das Nachbarreich zu bestimmen, freilich
ohne den ersehnten Erfolg. Trotzdem setzte der Fürst
seine Bestrebungen fort, eine Änderung der russischen
Wünsche herbeizuführen, sich an Kaiser Alexander und
die befreundeten Großfürsten wendend, aber die russische
Regierung bestand auf ihrem Verlangen, und Reichs-
kanzler Fürst Gortschakow versicherte wiederholt, daß
es für Rumänien ganz überflüssig sei, sich zu beschweren,
die Rückgewinnung der drei bessarabischen Distrikte
sei der unerschütterliche Wille des Kaisers, der gern zu
einer Kompensation bereit sei und Rumänien die Dobrud-
scha überlassen wolle; Rußland würde hierüber direkt
318
mit Rumänien verhandeln, gebe letzteres aber nicht nach,
so würde man ihm einfach das fragliche Gebiet entreißen
und zwar ohne jede Entschädigung. Ja, Gortschako w
hob bei einer anderen Gelegenheit hervor, daß, wenn
Rumänien gegen den bestehenden Artikel des Friedens-
vertrages zu St. Stefano protestieren oder sich gar seiner
Ausführung widersetzen würde, die russischen Truppen
Rumänien okkupieren und die rumänische Armee ent-
waffnen würden.
Als man hiervon dem Fürsten Mitteilung gemacht,
befahl er, dem Vertreter Rumäniens in St. Petersburg,
General Ghika, sofort zu telegraphieren, daß er dem Fürsten
Gortschakow folgendes sage: „Der Fürst von Rumänien
könne nicht annehmen, daß jene Drohungen vom Kaiser
ausgehen; seine Antwort laute dahin, daß eine Armee,
welche vor Plewna unter den Augen Kaiser Alexander II.
gekämpft, sich wohl vernichten, aber nicht entwaffnen
ließe." Dieses rasch bekannt gewordene mannhafte Wort
^verstärkte noch die Sympathien, die man überall im Aus-
land für Rumänien empfand, und die entschiedene Haltung
des Fürsten fand allerseits Zustimmung. Bei der kritischen
Lage und da die noch in Rumänien stehenden russischen
Truppen verstärkt wurden, verfügte der Fürst, daß das
rumänische Heer Defensivstellungen auf der Linie Slatina-
Piteschti-Tirgowitsche einnähme. An seinen Vater schrieb
der Fürst: „Wir leben in einer Aufregung und Sorge, die
selbst den Stärksten aufreiben könnte; ich bin von Geschäf-
ten erdrückt und habe fast weniger unter all den Strapazen
und Entbehrungen des furchtbaren Krieges gelitten, als
unter der jetzigen Zeit. Die bessarabische Frage hat hier
eine ungeheure Aufregung hervorgerufen; wir müssen
aber bei den Protesten alles vermeiden, was Rußland ver-
letzen könnte. Doch durfte ich persönlich nicht unter-
lassen, Ignatjew zu sagen, daß mich die Absicht Rußlands,
seinem Alliierten ein Stück seines Landes zu nehmen, sehr
319
befremden müsse, und daß die in Aussicht gestellte Kom-
pensation wenig Eindruck auf mich mache; die Unab-
hängigkeit hätten wir uns mit unserm Blute erkauft und
verdankten sie demnach uns allein'/' — In einem Briefe
an den deutschen Kronprinzen schrieb der Fürst: „Es
wäre ein großes Glück, wenn Rumänien durch ein Band
der Dankbarkeit an Deutschland gekettet und dadurch
veranlaßt würde, sich für die Zukunft vertrauensvoll an
dasselbe anzuschließen — ich glaube, es wäre das auch für
das deutsche Reich nicht ganz ohne Wert, da dieses doch
eines Tages an der Umbildung der Orientalischen Dinge
mitzuwirken haben wird. Ich wünschte deshalb, daß wir
Deutschland die Erhaltung Bessarabiens zu verdanken
hätten; die Sympathien würden dadurch eine solide Basis
gewinnen und nicht mehr durch Intriguen gestört werden
können. — Außerdem ist die Donau auch ein deutscher
Strom, und wir, als die Wächter seiner Mündungen, dürfen
Deutschlands Interesse an der bessarabischen Frage bean-
spruchen/' —
Freilich konnte Deutschland leider direkt nichts tun,
Fürst Bismarck hatte im Reichstage erklärt, daß er nur
der „ehrliche Makler" auf dem nach Berlin berufenen
Kongresse, der Ende Juni zusammentrat, sein wolle.
Auf ihm gelangten die russischen Vorschläge zur Annahme,
obwohl auch dort noch die beiden rumänischen Minister
Bratianu und Cogalniceanu auf das wärmste die Wünsche
Rumäniens vertreten hatten. Bald darauf meldeten De-
peschen aus Berlin, daß der Kongreß die Unabhängigkeit
Rumäniens nur unter der Bedingung anerkenne, daß die
Juden emanzipiert und daß Bessarabien an Rußland ab-
getreten würde; Rumänien erhalte dafür die Donau-
mündungen mit der Schlangen-Insel und die Dobrudscha
bis zu der Linie Silistria-Mangalia.
Fürst Karl, der nach einem Besuch der kleinen
Walachei mit seiner Gemahlin nach Sinaia übergesiedelt
320
war, kehrte auf diese Nachrichten hin nach Bukarest zu-
rück, mit seinen Ministern die Lage besprechend. So tief es
der Fürst bedauerte, ein Stück des Landes abtreten zu müssen,
so sah er doch ein, daß jeder Widerstand gefährlich für
Rumänien sein würde. Dringend mahnte er seine Rat-
geber zur Einsicht, die sich denn auch allmählich nicht den
Vorteilen verschlossen zeigten, welche der Besitz eines
Teiles der Meeresküste und der Landstrecken bis dorthin
auf dem rechten Donauufer für Rumänien bedeuteten.
In den Kammen\,kam es zu h^ftigstetf Erörterungen, bis
schließlich die Bestimmungen des Berliner Kongresses
angenommen wurden.
Wie in allen ernsten Lagen schüttete der Fürst sein
bedrücktes Herz seinem Vater aus, er schrieb ihm: „Die
Kämpfe, die Rumänien in den letzten Monaten zu be-
stehen hatte und noch zu bestehen haben wird, sind un-
vergleichlich ernster als die vor Plewna und Widin, und
aus ihnen siegreich hervorzugehen, wird für mein Land
viel ehrenvoller sein, als die auf den Schlachtfeldern Bul-
gariens errungenen Lorbeeren ! Es ist traurig, daß Europa
einen jungen, aufstrebenden Staat, der seine Kraft und
Lebensfähigkeit in einem blutigen Kriege bewiesen hat,
zur Abtretung einer Provinz zwingt. Der Berliner Kongreß
konnte Rußland zurückgeben, was diesem der Vertrag von
Paris genommen; es ist aber tief verletzend, unsere auf
dem Schlachtfelde erkämpfte Unabhängigkeit von der
Abtretung Bessarabiens abhängig zu machen, und es
gehört viel Geduld und Mäßigung dazu, ein solches Vor-
gehenruhig übersieh ergehen zulassen ! Wir werden aber den
Großmächten zeigen, daß wir uns auch aus der schlimmsten
Lage mit Ehren ziehen können!" — Und an einer andern
Stelle des eingehenden Schreibens heißt es: „Die Gebiete
jenseits der Donau sind uns nicht als Ersatz für Bess-
arabien gegeben; wir nehmen sie als Kriegsentschädigung
an, und weil Europa sie uns aus freien Stücken gibt. So
321
haben wir moralisch und materiell sehr viel gewonnen,
und Achtung kann uns niemand versagen. Die vom
Kongreß uns zugesprochenen Distrikte haben eine große
Zukunft; ich hoffe dieselben in einigen Jahren in blühenden
Zustand zu bringen." —
Ernst lautete auch der Erlaß des Fürsten an den Kriegs-
minister am ersten Jahrestage des blutigen Kampfes bei
Plewna: „Sinaia, n. September. Heute ist es ein Jahr,
seitdem unsere Armee durch ihren Mut und ihre Tapferkeit
die rumänische Fahne mit Ruhm bekränzte und den
wahren Grundstein zur Größe des Vaterlandes legte. Ich
grüße deshalb mit Ehrfurcht das Andenken aller der-
jenigen, welche an diesem denkwürdigen Tage ihr Blut
mit so großer Ergebenheit für das Land vergossen haben
und sende die heißesten Gebete für die Ruhe ihrer Seelen
zum Allmächtigsten. Das ganze Land schuldet ihnen
Dankbarkeit, denn sie haben mit ihrem Leben den Sieg
erkauft und die Unabhängigkeit besiegelt. Ich hege keinen
Zweifel, daß die Armee bereit ist, bei jeder Gelegenheit
ihrem Beispiele zu folgen, und ich ersuche Sie deshalb,
daß Sie bei derselben an diesem meiner Seele so teuren
Tage der Dolmetsch der innigsten Gefühle der Liebe und
des Vertrauens, welche mich beseelen, sein mögen.
Und bei dem auf dem Kasernenhofe der in Siuaia
garnisonierenden 2. Kompagnie des i. Jägerbataillons —
das sich so blutige Lorbeeren bei Plewna errungen — ver-
anstalteten Frühstück hielt der Fürst folgenden Trink-
spruch: „Ich erhebe mein Glas zu Ehren der Armee,
welche durch ihre Kämpfe auf den Schlachtfeldern Bul-
gariens sich ihren Ruhm gegründet hat. Die Schlacht von
Griwitza eröffnete den Reigen schöner Waffentaten, welche
in unserer Geschichte verzeichnet worden sind. Groß,
schön und schmerzlich ist dieser Tag gewesen. Niemals
Lindenberg, König Karl. 21
Carol.
322
werde ich den Augenblick vergessen, als ich, mich auf dem
Schlachtfelde nach den Jägern, Euren Brüdern, erkundigend
die Antwort erhielt: „Keiner von den Unsrigen ist zurück-
gekehrt/' — „Wie ist das möglich?" sagte ich. Es kamen
drei, vier, fünf und dann mehrere. „Sammelt Euch, rettet
die Ehre des Tages, geht vorwärts mit Tapferkeit und
Ihr werdet siegreich sein." — Am Abend hatten die tapferen
Jäger in der Redoute von Griwitza die türkische Fahne
genommen und legten sie als Zeichen ihrer Mannhaftigkeit
zu meinen Füßen nieder. Ich rief ihnen zu: „Ihr seid
Helden, ich danke Euch von ganzer Seele, von heute an
"ist es eine Ehre, ein Jäger gewesen zu sein!" Und Euch,
Kinder, rufe ich zu: „Macht, daß es Euch in Zukunft
gleichfalls eine Ehre sei, ein Jäger zu sein, nehmet Euch
ein Beispiel an den Jägern von Griwitza! Es lebe die
Armee!"
Wenige Wochen später, am 20. Oktober, fand unter
Führung des Fürsten Karl der feierliche Einzug des Heeres
in Bukarest statt, unter dem brausenden Jubel der von
nah und fern herbeigeströmten Bevölkerung. Am Beginn
der Einzugsstraße, am zweiten Rondell der Chaussee, war
ein prächtiger Triumphbogen errichtet worden, vor welchem
der Bürgermeister im Namen der Stadt sowie der Minister
des Innern im Namen aller Abordnungen des Landes den
Fürsten als den heldenhaften Führer der tapferen Armee
begrüßten, worauf Fürst Karl erwiderte: „Die Liebe und
die Freude, mit der heute die Hauptstadt und das ganze
Land durch seine Delegierten das Heer empfängt, ist der
schönste Lohn für alles auf den Gefilden Bulgariens er-
duldete Ungemach. Im Namen meiner tapferen Soldaten
danke ich Euch von Herzen für den glänzenden Empfang,
den Ihr ihnen bereitet, und für die patriotischen Worte,
die Ihr an uns gerichtet habt! Ja, das Land kann stolz
sein auf seine Söhne, mit Zuversicht sind sie in den Kampf
gezogen, als Helden sind sie heimgekehrt. Von jetzt ab
323
kann unser teures Vaterland ruhig sein: ein Volk, das
sein Blut für seine Unabhängigkeit vergossen hat, wird
auch für sein ferneres Erstarken und Gedeihen helden-
mütig zu streiten wissen !"
Der begeisterte Jubel, den diese Worte erweckt,
pflanzte sich bei den unzähligen Tausenden fort, als der
Fürst an der Spitze seiner Truppen weiterritt, die Chaussee
entlang und durch die Hauptstraße, deren bisheriger Name
in Viktoria-Straße umgetauft worden war, nach dem
Theaterplatz, auf dem der Vorbeimarsch erfolgte und
auch die eroberten Geschütze vorübergeführt wurden.
Die Mehrzahl der Staaten erkannte die Unabhängig-
keit Rumäniens an, es wurde die Errichtung rumänischer
Gesandtschaften bei den europäischen Mächten beschlossen
und seitens des Ministeriums der Fürst gebeten, den Titel
„Königliche Hoheit 4 ' anzunehmen, da dieser seiner Stellung
und Würde entspreche. In der zweiten Novemberhälfte
erfolgte die Besitzergreifung der Dobrudscha, auf die
der Fürst in seiner die Kammer am 27. November er-
öffnenden Thronrede Bezug nahm, betonend, daß jede
Kriegsgefahr geschwunden und Rumänien in die euro-
päische Staatenfamilie aufgenommen sei. Des weiteren
ward in der Rede bemerkt, daß die Kammern auf kon-
stitutionellem Wege die Möglichkeit geben können, den
Erwartungen Europas zu entsprechen und aus dem Fun-
damentalpakt des Landes die politische Ungleichheit aus
Glaubenssätzen auszumerzen, welche diesem aufgeklärten
Jahrhundert nicht mehr angemessen sei, ferner plane man
eine neue Verteilung von Grund und Boden an die Bauern
und auch sonstige wichtige Verbesserungen im inneren
Staatsleben, nicht minder in der Organisation des Heeres.
So schloß nach schweren äußeren und inneren Kämpfen
das Jahr 1878 in zufriedenstellender Weise für Rumänien
ab, ein ereignisvolles Jahr, das, wenn es auch nicht der
bitteren Enttäuschungen entbehrt, doch ein siegreiches und
324
ruhmvolles für das Land gewesen wie für den Fürsten,
der sich in den schwersten Tagen und Stunden des blu-
tigen Kampfes und des verborgenen Zwistes als weiser
Voll pflichttreuer Energie hatte Fürst Karl die Worte
verwirklicht, die er mehrere Jahre zuvor in dunklen
Stunden an den Fürsten Bismarck geschrieben: „Wie der
Kapitän auf stürmischer See Tag und Nacht auf seinem
Posten ausharren muß, so auch ich. Die Grundwellen
jagen mein Schiff bald hoch, bald tief, aber so wahr mir
Gott helfe, ich werde es n i 'cht scheitern lassen!"
und entschlossener Führer in der Tat wie beim Rat gezeigt.
XI.
Erhebung Rumäniens zum Königreich.
Russisch-rumänische Auseinandersetzungen. — Die Beschlüsse der Berliner Konferenz
— Bessarabien und die Dobrudseha. — Regelung der Judenfrage und Rückkauf der
Bisenbahnen. — Anerkennung Rumäniens seitens der Großmächte. — Innerer Auf-
schwung. — Der 22. Mai 1881. — Besuch der deutschen Heimat seitens des Fürsten-
paares. — Aufnahme in Berlin. — Beim Kaiser Wilhelm und beim Fürsten Bismarck.
— Die Regelung der Erbfolge. — D. Sturdza's Denkschrift. — Beschluß der Kammern,
Rumänien cum Königreich zu erheben. — Der 25. März 1881. — Huldigung des Fürsten-
paares durch die Deputierten. — König Karls Rede. — „Es lebe der König! Es lebe
die Königin!" — Die Krönungsfeier am 22. Mai 1881. — Der Krönungszug. — In und
vor der Metropoiie. — Die Ansprache König Karls. — „Das durch sein eigenes Ver-
dienst gekrönte Rumänien."
So Großes auf blutigem Kampffelde erreicht war, so
Vieles blieb nun noch in friedlicher Arbeit zu tun übrig,
um das nach außen gefestete Haus im Innern auszubauen,
damit es allen Stürmen gewachsen wäre. Das betonte
auch Fürst Karl am Neujahrstage 1879 in seiner Erwide-
rung auf die Glückwünsche des Ministeriums, hervor-
hebend, daß auch im kommenden Jahre noch viele
Schwierigkeiten zu überwinden seien; er hoffe aber, daß
er im Verein mit der Regierung imstande sein würde, die
friedliche Entwicklung Rumäniens zu sichern.
Jene Schwierigkeiten sollten sich bald in reichster
Fülle einstellen. Zunächst fehlte es nicht an den ver-
schiedensten Mißhelligkeiten mit Rußland, hauptsächlich
wegen der Grenzfrage zwischen Bulgarien und der Do-
brudseha und wegen der beiden wichtigen Punkte Arab-
Tabia und Silistria, die Rumänien für sich zu behalten
wünschte, die ihm aber von Rußland streitig gemacht
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wurden. Es kam im Verlauf der nächsten Wochen und
Monate zu lebhaften Auseinandersetzungen zwischen den
beiden Regierungen, wobei Rumänien, das sich bereits
auf die ernstesten Konflikte vorbereitet hatte, sehr ener-
gisch seinen Standpunkt vertrat, sich aber endlich den
Beschlüssen der europäischen Mächte, die zur Nachgiebig-
keit rieten, fügte. Wenn auch Silistria zu dem neu-
gebildeten Bulgarien geschlagen wurde, so erreichte Ru-
mänien es wenigstens, daß es Arab-Tabia, das östliche
Fort bei Silistria, behielt, und allmählich stellten sich
auch wieder bessere Beziehungen zu dem russischen Nach-
barreiche her.
Noch immer hatte Rumänien viel mit dem Mißtrauen
der übrigen Mächte zu kämpfen, man gönnte ihm nicht
recht die Bewegungsfreiheit oder konnte sich zunächst
nicht an dieselbe gewöhnen, die. der junge Staat im Ge-
fühl seiner kraftvoll errungenen Selbständigkeit tun wollte
und tun mußte. Allerhand Beschlüsse, die für das Fürsten-
tum wichtig waren, wurden bekrittelt und falsch aus-
gelegt, jeder weitere Schritt auf der vom Herrscher fest
vorgezeichneten Bahn wurde mit Argwohn verfolgt. Die
ganze politische Einsicht und weise Mäßigung des Fürsten
Karl gehörte dazu, all diese verschiedenen Klippen zu
überwinden, die leicht zu erheblichen Reibungen führen
konnten. Nicht minder schwere Sorgen bereitete dem
Fürsten wie seiner Regierung die endgültige Regelung
der Judenfrage, die durch den Berliner Kongreß verlangt
worden war, und von deren befriedigender Lösung die
wichtigsten Mächte, vor allem Deutschland, Österreich^
Frankreich und England, die Anerkennung der Selbständig-
keit Rumäniens abhängig machten. Jener Kongreß-
beschluß hatte die aufrichtige Durchführung der Rechts-
gleichheit aller Bewohner Rumäniens ohne Unterschied
des religiösen| Bekenntnisses gefordert, aber die Kammern
sowohl wie die überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung
327
widersetzten sich aus verschiedenen Gründen der Ver-
wirklichung dieses Wunsches, und vor allem war in der
Moldau, in der ein großes Judenproletariat wohnte, der
Widerstand ein sehr starker. Um den Kongreßbeschluß
auszuführen, mußte die rumänische Verfassung einer
Änderung unterworfen werden, und da die gegenwärtigen
Kammern kaum hierfür eine Majorität ergeben hätten,
wurde ihre Auflösung verfügt, um möglichst schnell den
Revisionskammern Platz zu machen, die vielleicht ge-
neigter waren, den Anforderungen des Berliner Vertrages
zu entsprechen.
Fürst Karl begab sich Ende April nach der Moldau,
um durch sein persönliches Erscheinen die erregten Ge-
müter zu besänftigen und durch vielfache Rücksprachen
zur Nachgiebigkeit zu raten. Sein Empfang, der ihm dort
bereitet wurde, war freudigster Art. Er benutzte jene
Tage zu zahlreichen Besichtigungen der Kirchen, Schulen,
Kasernen, Hospitäler, Gefängnisse und eingehenden Trup-
peninspizierungen, den Eindruck mit heimnehmend, daß
er diese wichtige Fahrt nicht vergeblich unternommen.
Der Fürst und seine Regierung befanden sich in einer
außerordentlich schwierigen Lage. Im Lande selbst wur-
den sie angegriffen, weil sie der jüdischen Bevölkerung
Gleichberechtigung verschaffen wollten, das Ausland da-
gegen beschuldigte sie, nicht liberal genug den Forde-
rungen der Zivilisation Rechnung zu tragen. Die Wahl-
vorbereitungen wurden überall auf das eifrigste betrieben;
die Mitte Mai stattgefundenen Wahlen, welche übrigens
in Ruhe verliefen, ergaben ein Drittel Oppositioneller, so
daß man hoffen durfte, endlich zum Ziel zu gelangen. Das
hob auch der Fürst in seiner Thronrede hervor, mit der er
am 3. Juni die Revisionskammern eröffnete, auf die Ab-
änderung des Artikels 7 der rumänischen Verfassung hin-
weisend, der nach den Beschlüssen der Berliner Konferenz
formiert werden sollte, betonend, daß, wenn bisher dieser
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330
mäniens, voran Deutschland, England und Frankreich,'
denen die übrigen Staaten rasch folgten, falls sie es nicht
schon vorher getan.
Wiederum war ein wichtigster Schritt unternommen
worden, Rumänien den erstrebten Rang unter den Kultur-
staaten anzuweisen, und die feste Zuversicht auf die Ge-
sundung der innern Verhältnisse drückte ein Schreiben
des Fürsten an den Fürsten Bismarck aus, in dem es, nach-
dem der blutigen Kämpfe auf den Schlachtfeldern und der
sich anschließenden Schwierigkeiten gedacht, des weiteren
hieß: „Heute nun, wo die Artikel des Berliner Vertrags
ausgeführt und die verwickelte Angelegenheit des Rück-
kaufs der rumänischen Bahnen, welche leider so oft einen
Schatten auf die guten Beziehungen zu Deutschland warf,
geregelt ist, sehen wir mit Vertrauen der Zukunft ent-
gegen. Rumänien ist durch seine geographische Lage be-
rufen, in der Entwicklung der Orientalischen Frage auch
fernerhin eine wichtige Rolle zu spielen, und ist als Wächter
der Mündungen der Donau, dieses größten deutschen Stroms,
den deutschen Interessen nahegerückt. Denselben in
jeder Weise Rechnung zu tragen, ist nicht nur unser auf-
richtiger Wunsch, sondern steht auch vollkommen im
Einklang mit unserer wirtschaftlichen Entwicklung. Es
wird demnach das Bestreben meiner Regierung sein, die
uns so wertvollen Beziehungen zu dem durch* E.D. zur
ersten Macht erhobenen Deutschen Reiche auf das sorg-
fältigste zu pflegen, und ich gebe mich der Hoffnung hin,
daß mein Land in allen zukünftigen Konstellationen auf
den wohlwollenden Schutz des Deutschen Reiches zählen
kann."
Von herzlicher Wärme durchweht war ein Brief Kaiser
Wilhelms, den dieser unterm 5. März an den Fürsten ge-
richtet: „Bester Vetter! Endlich sind wir am Ziele
unserer so lang gehegten Wünsche angelangt! Schwere
und unerfreuliche Kämpfe hat es gekostet, um dahin zu
331
kommen, Dich selbständig in der Welt dastehen zu sehen !
Möge das Sprichwort in Erfüllung gehen : , Was lange währt,
wird gut!' — Die Sympathien, die ich stets für Dich als
Hohenzollern und für Deine Person empfunden, habe ich
nie verleugnet; aber wo viele zum selben Ziele gelangen
wollen, und jeder seinen Weg geht, bis man endlich sie
alle unter einen Hut bringt, das erfordert Zeit und manches
Opfer! Daher mußte auch ich temporisieren, um Dich
endlich vor der Welt anerkennen zu können! — Gott
gebe seinen Segen zu Deiner nunmehr selbständigen Re-
gierung und segne Dich, Deine Gemahlin und Dein Land!
— Dein treuer Vetter und Freund Wilhelm/'
Wenige Tage später verlieh Kaiser Wilhelm dem
Fürsten den hohen Orden vom Schwarzen Adler, den in
feierlicher Audienz der neu ernannte deutsche Gesandte
Graf Wesdehlen überreichte. Das war eine froh begrüßte
Anerkennung der so schwer errungenen Selbständigkeit
des Fürsten, der auch nach dem Kriege noch manche
Geduld- und Kraftprobe gegeben, um das rumänische
Staatsschiff sicher zu leiten und vor gefährlichen Zu-
sammenstößen zu bewahren.
Nachdem sich die Verhältnisse nach außen hin ge-
klärt, konnte Fürst Karl mit vermehrter Hingebung sich
den Aufgaben widmen, welche die stets fortschreitende
Entwicklung des Landes stellte. Mit aufrichtiger Be-
friedigung verfolgte er den durch die Gründung ver-
schiedener Fabriken sich zeigenden Beginn einer ru-
mänischen Industrie, ferner die Errichtung einer Spar-
bank, sowie der Nationalbank, deren Grundkapital 30 Mil-
lionen Franks betrug und die rasch einen wachsenden
Umsatz erhielt. Das Budget für 1880/81 belief sich auf
über 117V2 Million Franks, von denen 25 Millionen für
die Armee vorgesehen waren; letztere wurde beständig
vermehrt und auch mit einer sorgsamen Neubewaffnung
versehen. Unter all diesen günstigen Umständen durfte
332
man auf das freudigste den diesmaligen 22. Mai als National-
feiertag begehen, zu welchem aus allen Städten und Di-
strikten Abordnungen eintrafen und dem fürstlichen Paare
ihre innigsten Huldigungen darbrachten. Auch sämtliche
Teile der Armee hatten Deputationen gesandt, die sich
auf einem von der Hauptstadt zu Ehren des Heeres ge-
gebenen großen Bankett vereinten, bei dem der
Fürst, der enthusiastisch begrüßt worden war, den ersten
Trinkspruch auf das unabhängige Rumänien ausbrachte:
„Drei Jahre sind vergangen, seitdem Rumänien in schwerer
Zeitlage seine Unabhängigkeit erklärt; Heer und Volk
haben mit Heldenmut alle Schwierigkeiten überwunden
und sich im Kampfe gestärkt und gestählt — heute können
wir ruhig in die Zukunft schauen und mit Vertrauen und
Stolz aufblicken: Es lebe unser teures unabhängiges
Vaterland!"
Im Laufe des Sommers konnte das fürstliche Paar
die ersehnte Reise nach der deutschen Heimat antreten,
und zwar ging dieselbe über Wien nach Ischl, woselbst
Kaiser Franz Joseph den Fürsten und die Fürstin auf dem
Bahnhof empfing, ihnen seine herzliche Freude äußernd,
sie in seinen Bergen begrüßen zu können. In manch ver-
trautem Gespräch drückte der Monarch dem Fürsten, den
er am gleichen Tage zum Oberst-Inhaber seines Infanterie-
Regimentes No. 6 ernannt, sein warmes Interesse an Ru-
mänien aus, desgleichen an dem jungen Heere, dessen
Erfolge er mit freudigster Teilnahme begleitet, er hoffe,
daß zwischen Rumänien und Österreich-Ungarn auch
fernerhin die freundschaftlichsten Beziehungen bestehen
werden. Am nächsten Tage setzte das fürstliche Paar
die Weiterreise über München nach Ulm fort, wo der Fürst,
dessen Gemahlin allein nach Neuwied weitergereist war,
übernachtete. Aber der Schlummer floh ihn, so groß war
seine Sehnsucht nach dem Wiedersehen mit den teuren
Eltern. Am nächsten Mittag traf er in Mengen ein, wo
333
ihn die geliebte Mutter nach sechs langen und ereignis-
vollen Jahren der Trennung wieder in die Arme schloß,
und zu Wagen ging es dann nach Krauchenwies, dort em-
pfing Fürst Karl Anton, der an den Rollstuhl gefesselt war,
freudig bewegt den Sohn. Wenige Tage später fand der
festliche Einzug in Sigmaringen statt, das den ruhm-
gekrönten Sprossen der heimischen Erde mit freudigstem
Jubel begrüßte. Von dem Vater ward der Sohn feierlich
in das erinnerungsvolle Ahnenschloß geleitet.
Das „Landhaus" in Krauchenwies.
Hier in Sigmaringen traf auch Fürst Karl mit seinem
Vater die näheren Verabredungen über die Successionsfrag^,
die ja bereits durch die rumänische Verfassung geregelt
war, derart, daß, falls Fürst Karl ohne direkte Leibes-
erben bliebe, sein ältester Bruder respektive einer von
dessen Söhnen die Thronfolge antreten sollte, eine Verein-
barung, die von den Mitgliedern der fürstlich-hohenzollern-
schen Familie bisher noch durch keinen Akt offiziell zur
Kenntnis genommen und anerkannt worden war, die nun
aber unter Zustimmung des deutschen Kaisers als Chef
der Familie abgeschlossen werden sollte. Von Sigmaringen
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334
ging es zurück nach Krauchenwies, wo sich viele Besucher,
unter ihnen auch, leider nur auf wenige Stunden, der deut-
sche Kronprinz, einstellten, und wo die Tage für den Fürsten
im traulichsten Beisammensein mit seinen teuren Ange-
hörigen nur zu schnell verliefen.
In Frankfurt a. M. traf der Fürst mit seiner Ge-
mahlin wieder zusammen, und beide begaben sich nach
Berlin, im dortigen Schlosse vom Kaiserpaare und der
Kronprinzessin auf das herzlichste empfangen. Immer
wieder schloß der Kaiser seinen Neffen in die Arme und
drückte seine tiefe Freude aus, ihn nach so großer und
für ihn wie Rumänien bedeutsamer Zeit wiederzusehen,
wie auch der Fürst tief ergriffen war von diesem herz-
lichen und gütigen Wesen des Kaisers, der ihm trotz
seiner 83 Jahre noch so fest und kraftvoll erschien. Den
nächsten Tag verlebte das fürstliche Paar bei den kaiser-
lichen Herrschaften in Babelsberg, wobei der Kaiser mehr-
fach betonte, wie sehr er sich freue, daß der Fürst seinem
Namen solche Ehre gemacht, und wie sehr er hoffe, daß
die rumänische Armee sich auf der eingeschlagenen Bahn
weiter entwickeln und immerdar treu zu ihrem bewährten
Führer stehen werde. Auch der älteste Enkel des Kaisers,
Prinz Wilhelm, trat in diesen Tagen dem Fürstenpaare
persönlich näher und erwarb sich dessen aufrichtige Sym-
pathieen durch sein natürliches, frisches Wesen und durch
seine Anhänglichkeit, die er offen an den Tag legte. Ferner
war das Erbprinzlich-Meiningische Ehepaar zugegen und
schloß mit dem Fürsten und seiner Gemahlin treue Freund-
schaft.
An einem der folgenden Tage stattete Fürst Karl dem
Reichskanzler Fürsten Bismarck einen Besuch in dessen
Palais ab, das er vor vierzehn Jahren in ernsten Zweifeln
betreten. Wie anders hatte sich alles seitdem gestaltet,
wie waren selbst die kühnsten Erwartungen übertroffen
worden durch die großen geschichtlichen Ereignisse, denen
335
der Fürst sich in jeder Lage gewachsen gezeigt! Das be-
tonte auch in der langen Unterhaltung Fürst Bismarck,
die Schwierigkeiten durchaus würdigend, die der Fürst
durch seine kluge Politik beseitigt, hinzufügend, wie sehr
er es bedauere, daß Rumänien nicht die erhofften Vorteile
aus dem russisch-türkischen Kriege davongetragen, aber
dem europäischen Frieden zuliebe hätten nicht alle Wünsche
des jungen Staates erfüllt werden können. Bei dem am
gleichen Nachmittag in Babelsberg dem rumänischen
Fürstenpaare zu Ehren gegebenen Diner bereitete Kaiser
Wilhelm seinem Neffen eine freudige Überraschung, indem
er ihn zum Chef des ersten Hannoverschen Dragoner-
Regiments No. 9, das aus dem zweiten Garde-Dra-
gonerregiment, dem einst der Fürst angehört, formiert
worden, ernannte, in der Käbinettsorder hervorhebend,
daß es sicherlich den Wünschen des Fürsten entspreche,
wieder dem Verbände einer Armee anzugehören, die seinen
Vater und zwei seiner Brüder zu ihren Mitgliedern zählen
dürfe und die den Namen des dritten Bruders auf den
Ehrentafeln derjenigen bewahre, die den Heldentod vorm
Feind gefunden.
Nach dem innigen, wenn auch ein wenig wehmütigen
Abschied von der kaiserlichen Familie am 31. August be-
gab sich das fürstliche Paar nach Dresden, von dort über
Düsseldorf nach Neuwied und dann nach der Weinburg,
wo man im trauten Kreise den Geburtstag des Fürsten
Karl Anton beging; am 11. Oktober erfolgte die
Rückreise über Wien nach Rumänien, wo überall den Heim-
kehrenden ein jubelnder Empfang bereitet wurde. Der
Fürst wohnte dort den umfassenden Manövern bei und
stattete im Anschluß daran dem Fürsten Alexander von
Bulgarien einen Besuch in Rustschuk ab, hier nicht nur
von dem Freunde, sondern von der ganzen Bevölkerung
froh begrüßt.
Am 27. November vollzog der Fürst persönlich die
336
Eröffnung der Kammern, seine Freude äußernd, daß die
Beziehungen Rumäniens zu allen Mächten durchaus vor-
zügliche wären und daß mit verschiedenen Staaten der
Abschluß wichtiger Konventionen und Verträge bevor-
stände, gleichzeitig die Einführung von Verbesserungen in
der öffentlichen Verwaltung ankündigend. Ferner werde
man große Sorgfalt der Hebung des Volksschulwesens, der
Wahrung der Unabhängigkeit des Richterstandes, dem
weiteren Ausbau der Eisenbahnen und der Vermehrung
des Heeres widmen, sodann die Thronfolge nach den
Vorschriften der Verfassung regeln.
Diese Regelung erfolgte bereits in den nächsten Tagen.
Der frühere Minister D. Sturdza legte am i. Dezember
dem Senat eine Denkschrift vor, in der er Rumäniens
geschichtliche Entwicklung entrollte und eingehend die
Gründung einer Dynastie behandelte: „Indem eine Dy-
nastie gegründet ward, hat die Verfassung entschieden,
daß der Thron für die Zukunft nie mehr ein Gegenstand
der Begehrlichkeit sein könne, daß er vielmehr für alle
Rumänen ein nationales Prinzip ist, um welches sich trotz
aller Hinfälligkeit und allem Schwanken menschlicher
Dinge, inmitten der heftigsten Stürme, der drohendsten
Ungewitter alle Lebenskräfte des Volkes vereinen zur ge-
meinsamen Arbeit am allgemeinen Wohl, daß er eine
wohltätige Einrichtung ist, welche einzig und allein die
sichere Bürgschaft gibt für eine geregelte Entwicklung
eines liberalen und zivilisatorischen Regimes. Die Thron-
folge hängt keineswegs von dem Willen irgend eines Ein-
zelnen ab, nicht von dem des Regenten, nicht von dem
des Parlaments. Sie ist nicht mehr eine eigenmächtige,
private Angelegenheit, sie ist wesentlich politisch und be-
ruht auf dem fundamentalen Gesetze des Landes/' —
Seiner Denkschrift fügte D. Sturdza noch eindrucksvolle
Darlegungen von großer politischer Bedeutung hinzu:
„Die verfassungsgemäßen Anordnungen über diese An-
337
gelegenheit sind hiermit heute aus dem Gebiet der bloßen
Theorie herausgetreten. Dank unserm Fürsten ist die
rumänische Dynastie nunmehr eine wirkliche lebendige
Tatsache. Auch nach dieser Richtung hin hat sich Karl I.
wieder auf der Höhe der Lage der Verhältnisse gezeigt.
Gleichwie der junge Prinz von Hohenzollern 1866 Ru-
mänien vom Bürgerkrieg und dem sicheren Untergang
rettete, indem er im Augenblick der höchsten Gefahr
mutig auf dem Boden Rumäniens erschien, so machte
Karl I. jetzt, 1880, allen Schwankungen und Ungewiß-
heiten ein Ende und gab dem nach so vielen Anstrengungen
und Opfern gegründeten Staate Sicherheit und Bestand."
Und der Redner ging dann in lichtvoller Weise des
näheren darauf ein, was Fürst Karl für Rumänien bedeute
und wie er immerdar dem Land wie Volk ein nachahmens-
wertes Beispiel gewesen sei: „Wenn es erfreulich ist zu
sehen, wie ein einfacher Bürger ernst und gewissenhaft
seinen Pflichten nachkommt, wie sie das gewöhnliche
Leben für jeden hat, so ist diese Erscheinung noch viel
wohltuender, viel bewunderungswerter, wenn es sich um
denjenigen handelt, der an der Spitze einer Nation steht
und dessen Beispiel, je nachdem es gut oder schlecht ist,
auf jene einen segensreichen oder verderblichen Einfluß
ausübt. Vierzehn Jahre sind nunmehr verflossen, seitdem
Karl I. den Thron Rumäniens bestiegen, und in diesen
Jahren hat das Land hochwichtige und rasche Fortschritte
gemacht. Große und ernste Ereignisse von wuchtiger
Tragweite sind zu verzeichnen, und jeder dieser Fort-
schritte, jedes dieser Ereignisse hat den Beweis geliefert,
daß die Nation 1866 keine glücklichere Wahl hätte treffen
können. Das wissen und fühlen die Rumänen sehr wohl,
und es erfüllt sie mit hoher Dankbarkeit gegen den Herr-
scher. Die Achtung vor dem Gesetz ist die Grundlage
des Daseins und der Zukunft eines Volkes. Alle verstän-
digen und gewissenhaften Bürger, die fähig sind, sich über
Lind enberg, König Karl. 22
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338
die kommenden und gehenden Strömungen der Parteien
zu stellen, werden bestätigen, daß die Verfassung in Karl I.
ihren tatkräftigsten, ihren tüchtigsten und unerschütter-
lichsten Verteidiger gefunden hat. Von der Höhe des
Thrones ist sein Beispiel der Wegzeiger für jeden, welche
Wege er zu wandeln hat. Alle, denen Gelegenheit ge-
geben worden, mit dem Herrscher von Rumänien zu
arbeiten, oder seine Lebensweise kennen zu lernen, wissen,
daß kein Tag seines Lebens vergeht, der nicht den Staats-
geschäften gewidmet wäre. Immer ist er bemüht, Men-
schen und Dinge, die Geschichte, die allgemeine wie die
besondere Politik der Staaten zu studieren, um seine
staatsmännischen Kenntnisse ohne Unterlaß zu vermehren.
Beständige und äußerst gewissenhafte, eingehende Studien,
Prüfungen, Forschungen aller Interessen und Bedürfnisse
des Landes füllen die Zeit aus und bilden die Vergnügungen
Karl I., von dem dasselbe Wort gilt, wie von seinem großen
Stammverwandten Friedrich II.: daß er der erste Diener
des Staates sei. Und so hat der Monarch durch seine Ver-
dienste bei allen innerhalb und außerhalb Rumäniens sich
eine Hochachtung seltener Art erworben. Wenn während
des letzten Krieges Rumänien die ganz ungemeinen Schwie-
rigkeiten, welche es umgaben und umtürmten, überwand,
überstieg, besiegte und seine nationale Regierung wie
seine öffentlichen Freiheiten bewahrte, so dankt es dies
seinem Herrscher Karl I. Nur unter seiner Führung
konnte es den Rumänen gelingen, zu erreichen, was sie
erreicht haben, ihre Unabhängigkeit, und die Achtung wie
das Vertrauen Europas/' Auch das Privatleben des
Fürsten stellte Sturdza als ein Muster für alle hin: „Die
Reinheit seiner Sitten, sein religiöser Geist, die Tätigkeit,
die Achtung vor der Pflicht, sie sind es, welche in dem
Königspalast herrschen und von segensreichem Einfluß
auf Volk und Land begleitet werden. So können die Ru-
mänen nicht genug Dankbarkeit ihrem Herrscher Karl I.
339
zollen. Denn er hat den Thron, den die rumänischen Re-
genten erschüttert, befestigt; er hat das Land gerettet
aus dem Wirrsal unablässiger Stürme, innerer Zerrissenheit,
Unordnung, Zügellosigkeit und hat ihm das köstliche Gut
einer echten Unabhängigkeit gegeben. — Möge die neue
Generation sich immer mehr von dem Gedanken durch-
dringen lassen, daß die Ehre und die Zukunft Rumäniens
auch in ihren Händen ruht! Möge sie zu ihrem Führer
haben nicht die Sucht nach Vergnügen und Gewinn,
sondern ein unentwegtes Pflichtgefühl. Die Rumänen
können nunmehr guten Mutes der Zukunft entgegenschauen.
Wie auch immer die Stürme beschaffen sein mögen, welche
ihnen drohen könnten, sie dürfen ihre Augen fest und
vertrauensvoll auf das Banner gerichtet halten, welches
eine mächtige Stütze hat in der kraftvollen Hand Karl I.
und seiner Dynastie und dem sie allezeit mutig folgen
werden mit dem Rufe: Karl und Rumänien!" —
Am gleichen Tage, dem i. Dezember, überreichte der
Ministerrat dem Fürstenpaare eine Adresse, in dieser
seinen innigsten Dank ausdrückend, daß die Erbfolgefrage
in allen den Wünschen des Landes entsprechender Weise
geregelt worden sei. In seiner Antwort betonte der Fürst,
wie er und seine Gemahlin glücklich seien, durch jene
Regelung dem Lande einen neuen Beweis ihrer Liebe
gegeben zu haben; er könne die Versicherung hinzufügen,
daß die fürstliche Familie Hohenzollern aus vollstem
Herzen am Wohl und Wehe Rumäniens teilnehme, was
ja auch aus den Beschlüssen hervorgegangen, und ähnlich
äußerte er sich mehrere Tage später bei der vom Senat
überreichten Adresse, erklärend, daß das, was er und
seine Familie für Rumänien tun, kein Opfer und keine
Selbstverleugnung sei, sondern einfache Pflichterfüllung
gegen ein Land, mit dem er sich untrennbar vereint fühle,
dessen Geschicke die seinigen seien und dem sein ganzes
Leben geweiht sei.
22*
340
Klang das Jahr 1880 in stimmungsvoller Weise
aus, so sollte das folgende Jahr 1881 die stolze Krönung
des Baues bringen, den Fürst Karl in harter, selbstloser,
unermüdlicher Tätigkeit Stein um Stein pflicht- und ziel-
bewußt aufgeführt. Schon lange hatten sich im Lande
Wünsche geregt, daß der Fürst die Königskrone annehmen
möchte. Fürst Karl hatte jedoch den Zeitpunkt noch nicht
für gekommen erachtet, in welchem dem Staat eine sichere
Zukunft beschieden wäre.
Das war jetzt der Fall. Aber noch schneller, als man
geglaubt, trat das große Ereignis ein, infolge bestimmter
Partei wirren, die am 25. März zu heftigen Debatten in
der Kammer geführt, in deren Verlauf der liberalen Re-
gierung und ihren Anhängern vorgeworfen wurde, daß
sie noch immer republikanische Ideale hegten und deshalb
nicht als Stütze der Dynastie betrachtet werden könnten.
Infolge dieser Angriffe fanden sich schon am frühen Morgen
des nächsten Tages sämtliche Minister beim Fürsten ein,
ihm nahelegend, daß er jetzt, wo die Regierung und deren
Parteigänger so schwer beschuldigt worden, die Erlaubnis
geben möchte, noch heute durch die Kammern das König-
tum ausrufen zu lassen, damit man im Lande erfahre, wie
falsch jene Verdächtigungen seien. Der Fürst zögerte
zwar noch, gewährte aber schließlich auf die dringenden
Bitten hin seine Einwilligung. Gleich nach Eröffnung der
Kammern nahm General Lecca das Wort, daß die Volks-
vertretung noch heute das Königtum ausrufen möge, um
die Gerüchte zu widerlegen, als ob die Dynastie in Ru-
mänien nicht feste Wurzeln geschlagen, und unter stür-
mischer Begeisterung ward folgender Beschluß einstimmig
angenommen: „Um einem lang gehegten Wunsche der
Nation zu entsprechen, um Beständigkeit und Ordnung im
Lande zu stärken und eine Bürgschaft mehr dafür zu liefern,
daß in Rumänien die Monarchie unter denselben Bedin-
gungen lebt wie in den übrigen Staaten Europas und das-
341
selbe Vertrauen einflößen muß, ruft die Kammer der Ab-
geordneten kraft des Souveränitätsrechts der Nation Seine
Königliche Hoheit den Fürsten Carol I. zum König von
Rumänien aus." —
In kürzester Zeit ward das Gesetz formuliert, mit dem
nur zwei Artikel enthaltenden Antrag:
„Art. i. Rumänien wird zum Königreiche erhoben;
Fürst Carol I. nimmt für sich und seine Erben den Titel
eines Königs von Rumänien an.
Art. 2. Der Thronerbe wird den Titel Kronprinz von
Rumänien führen."
In hinreißenden Worten hielten Rosetti, der Präsident
der Kammer, Lahovari sowie Bratianu flammende An-
sprachen, betonend, wie nun endlich die Sehnsucht aller
Patrioten erfüllt sei, die sie so lange und so inbrünstig
genährt, die Sehnsucht nach einem freien, großen, tapferen
Rumänien, das, wenn einig, niemals zugrunde gehen
könne.
Die gleiche Begeisterung herrschte im Senat, dessen
Mitglieder im Verein mit den Deputierten sich nach dem
Palais begaben, um dem neuen König das Gesetz zur
Unterschrift vorzulegen und ihm zu huldigen. Im Fluge
war die hehre Kunde durch die Stadt geeilt, deren Straßen
sich mit freudigerregten Menschenmassen füllten, während
alle Häuser im Umsehen frohen Schmuck zeigten, und
überall, wo nun der lange Zug der Deputierten und Sena-
toren, die sich garnicht erst die Zeit genommen, festliche
Kleidung anzulegen, erschien, an seiner Spitze die Metro-
politen und Bischöfe, legte er seinen Weg unter brausendem
Jubel zurück, um die sechste Abendstunde im Palais ein-
treffend und im Thronsaal Aufstellung nehmend. Immer
wieder brach die Begeisterung los, als das Fürstenpaar
erschien, das seinen Platz vor dem Throne einnahm, wo-
rauf der Senatspräsident D. Ghika vortrat und sich mit
erhobener Stimme an den Fürsten wandte:
342
„Stolz und glücklich bin ich, daß mich das Schicksal
auserlesen hat, im Namen von Senat und Kammer Eurer
Königlichen Hoheit das Gesetz vorzulegen, welches heute
in beiden Gesetzgebenden Körperschaften votiert worden
ist und durch welches die Wünsche des ganzen Landes
ihrer Erfüllung entgegengeführt werden!" — Hierauf ver-
las er das kurze Gesetz, und alle Versammelten brachen
in stürmisch- jubelnde Rufe aus: „Hoch lebe der König!
Hoch lebe die Königin!"
In tiefster Bewegung, ergriffen im Innersten von dem
großen geschichtlichen Ereignis, entgegnete der Fürst:
„Groß und feierlich ist dieser Augenblick, wo die Ver-
treter der Nation mir nahen, um den einstimmigen Be-
schluß der gesetzgebenden Körperschaften mir zu unter-
breiten. Mit ihm beginnt ein neues Blatt im Lebensbuche
unseres rumänischen Volkes, mit ihm endet eine Zeit, die
reich war an Kampf und Schwierigkeit, aber auch an
männlichem Streben und heldenhaftem Tun! Und in
diesem Augenblick will ich wiederholen, was ich so oft
ausgesprochen: Stets war es der Wunsch der Nation, der
meinem Handeln Richtung und Ziel gegeben hat! Seit
fünfzehn Jahren bin ich Fürst dieses Randes; seit fünfzehn
Jahren umgibt mich die Liebe und das Vertrauen des
Volkes: diese Liebe und dieses Vertrauen hat die guten
Tage mir zu besseren gemacht, hat in bösen Tagen mich
gestärkt und gekräftigt! Stolz war ich deshalb auf meine
Fürstenwürde, teuer war mir dieser Name, um den sich
schon in ferner Vergangenheit Ruhm und Größe gewoben !
— Das Land ist jedoch der Ansicht, es stünde ihm besser
an, in seiner jetzt errungenen Stellung, in seiner durch
Taten erwiesenen nationalen Kraft, daß es zum Königreich
sich erhöbe : So nehme ich denn — nicht für mich, sondern
für die Größe Rumäniens — den Königstitel an, sicher,
daß er nichts an den Banden lösen wird, die mich so eng
verschlungen haben mit meinem Volke durch alles, was
343
wir gemeinsam durchkämpft und durchlebt! Möge der
erste König Rumäniens sich derselben Liebe erfreuen, die
den letzten Fürsten über alles Ungemach hinweggetragen
hat! Mir gilt die Hingabe dieses edlen, tapferen Volkes,
dem ich mein ganzes Sein geweiht habe, mehr als alle
Größe, aller Glanz einer Krone!"
Von begeisterten Zurufen wurde die Rede des Fürsten
mehrfach unterbrochen, viele ' der Deputierten schämten
sich nicht der Tränen, immer wieder erbrauste der Ruf
aufs neue: „Es lebe der König! Es lebe die Königin!"
Das Königliche Paar wurde dicht umdrängt von den Glück-
wünschenden, allen herzlich dankend und dann, da des
Jubeins auf der Straße, die sich mit enggedrängten Men-
schenmassen angefüllt hatte, kein Ende war, mit den
Präsidenten des Senats und der Kammer auf den Balkon
tretend und froh bewegt für die Huldigungen dankend.
Am Abend erstrahlte Bukarest im flammenden Glanz
einer allgemeinen Illumination; die Straßen wurden nicht
leer von froh bewegten Gruppen, die immer wieder zum
Palais zogen und in Hurrarufe ausbrachen, während
Musikchöre nationale Weisen anstimmten.
Die Verkündigung des Königtums hatte auch im
gesamten Lande ein begeistertes Echo erweckt. Aus allen
Städten und Ortschaften, aus den entlegensten und fernsten
Dörfern langten Huldigungstelegramme an, ebenso wie sich
in den nächsten Tagen Abordnungen des Volkes und des
Heeres einstellten, um dem Königlichen Paare persönlich
ihre freudige Genugtuung auszudrücken. Die fremden
Mächte zögerten nicht mit ihrer Anerkennung des neuen
Königreiches, voran Deutschland, Rußland, Österreich-
Ungarn, England, Italien und die Türkei, welche auch
durch* ihre Gesandten ihre Glückwünsche aussprechen
ließen. Der deutsche Kaiser schickte telegraphisch den
herzlichsten Glückwunsch, und Fürst Karl Anton schrieb
seinem Sohne: „Dein langes Mühen, Kämpfen und Sorgen
344
hat Dir nun endlich die Königskrone aufs Haupt gesetzt!
Empfange zu diesem großen Lebensabschnitt den Glück-
wunsch Deiner Eltern, der schwerer wiegen wird als die
vielen konventionellen, die Euch von allen Seiten zu-
strömen! Die Einstimmigkeit, mit der Dir die Königs-
krone entgegengetragen worden, ist das sicherste Funda-
ment der neuen, mühsam errungenen Würde! Ich er-
kenne die hohe Bedeutung dieses Ereignisses rückhaltlos
an und war nur überrascht durch die Verfrühung der
Proklamierung, die ich ja erst zum 22. Mai erwartete. In
Deinem Geburtsstädtchen wirkte diese Nachricht zündend
— man wollte Ovationen aller Art darbringen, allein ich
verschob diese Äußerlichkeiten bis zum Eintreffen der
offiziellen Mitteüung — die ist mir jetzt durch Deinen lieben
Brief zugekommen. — Ein Sigmaringer Kind ein König!
Das ist noch nicht verzeichnet, weder in der Geschichte
des fürstlich hohenzollernschen Hauses, noch in der dieses
bescheidenen schwäbischen Städtewesens! — "
Die Krönungsfeier selbst wurde auf den 22. Mai, den
Nationalfeiertag, angesetzt. Die Mitglieder der Regierung
hatten vorgeschlagen, daß die Krone von prunkvoller Kost-
barkeit sein sollte; das wies aber der König sogleich ent-
schieden zurück, betonend, daß kostbare Kroninsignien nicht
den Traditionen des Landes entsprächen und nur dort
am Platze seien, wo sie als ererbte Kleinodien aus ver-
gangenen Jahrhunderten geschichtlichen Wert hätten, und
er setzte seinen Wunsch durch, daß für ihn aus einer der
bei Plewna eroberten Kanonen eine Stahlkrone geschmiedet,
für die Königin jedoch eine einfache goldene Krone von
einem Bukarester Goldschmiede gefertigt werden möchte.
Auch die Bitte des Metropolit-Primas, sich in der Metro-
polie krönen und salben zu lassen, lehnte der König in
seinem schlichten Sinne ab, wie er überhaupt gern gesehen,
wenn die Feierlichkeit in engeren Grenzen begangen worden
wäre, sich aber hier dem allgemeinen Volkswunsche fügte.
345
Zu der Feier traf der ältere Bruder des Königs, Erb-
prinz Leopold von Hohenzollern, mit seinen beiden jüngeren
Söhnen, Ferdinand und Karl, ein, ferner die Sonder-
abordnungen verschiedener Regierungen. Auf das schmerz-
lichste bedauerte es Fürst Karl Anton, der erhebenden
Feier fernbleiben zu müssen, seinem Sohne schreibend:
„Glück, Heil und Segen zum wichtigsten Abschnitt Deines
reichen Lebens! Ich fühle doppelt die Entbehrung, mich
denen nicht beigesellen zu können, welche Zeugen des
großen Momentes sein werden, der Deine ganze Stellung
heiligt und zu einer festen
und dauernden umge-
staltet. — Liebe und Ver-
trauen sind das sicherste
Fundament für die Spitze
des Staates, und ein wei-
hevolleres als alle ge-
schriebenen Gesetze! —
Ich werde mit Dir und
Elisabeth an dem gro-
ßen Tage geistig verei-
nigt sein, und die Donau
soll unsere wärmsten Die Krone König Karls.
Wünsche hinabtragen !"
Am Abend des 21. Mai waren in festlichem, von dem
Ministerpräsidenten und den Ministern begleiteten und von
Kavallerie eskortierten Zuge die beiden Königskronen in
das Palais gebracht worden, ebenfalls dorthin unter klingen-
dem Spiel sämtliche Fahnen der Armee. Ein Zapfenstreich
und großer Fackelzug schlössen sich an.
Hallender Kanonendonner leitete am folgenden Morgen
den großen Tag ein. Von früher Stunde an füllten un-
zählige Tausende die festlich geschmückten Straßen, durch
welche der Krönungszug gehen sollte, der sich am Nord-
bahnhof, wohin sich das Königspaar mit seinen Gästen
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346
von Cotroceni aus begeben hatte, in Bewegung setzte.
Der Zug wurde durch Abteilungen berittener Gendarmen,
durch eine Schwadron Roschiori, durch Hoffuriere und
hohe Hofbeamte eröffnet. Hinter den von Musik be-
gleiteten 62 Fahnen des Heeres ritt der König, dem sich
der große Generalstab und das militärische Gefolge des
Herrschers anschlössen. Dann kam der achtspännige,
von einer goldenen Krone überragte Galawagen mit der
Königin und dem Erbprinzen Leopold sowie dessen Söhnen,
geleitet von der Dienerschaft des Hofes zu Fuß und von
dem kommandierenden General der Territörial-Division
und dem Generalinspektor der Bürgergarde. Ein aus
Kavallerieoffizieren zusammengesetzter Zug und eine Schwa-
dron Roschiori bildeten den Beschluß.
Durch das von der Garnison gebildete Spalier ging
es unter dem begeisterten Jubel der Bevölkerung, die das
Königspaar mit Blumen überschüttete, zum Hügel der
Metropolie, wo die höchsten Geistlichen des Landes, die
Minister und die Präsidenten der Kammern das Königs-
paar empfingen und es unter Glockengeläut und Chor-
gesang vorbei an den Delegationen der Distrikte und Kom-
munen des ganzen Landes den Weg hinauf zum Gottes-
hause geleitete, in dem die Kronen aufgestellt waren.
Nach Verrichtung stiller Gebete begab sich der feierliche
Zug wieder in das Freie, das Königspaar auf eine reichver-
zierte Tribüne, vor der unter freiem Himmel der Gottes-
dienst stattfand, an dem sich unter dem Salut der
Geschütze die feierliche Einsegnung der Kronen schloß,
die von Generalen unter Begleitung von vier Fahnen ge-
tragen wurden.
Der König und die Königin, Erbprinz Leopold, die
Metropoliten, Präsidenten und Minister unterzeichneten
die ihnen vom Ministerpräsidenten unterbreitete Krönungs-
urkunde, die folgenden Wortlaut hatte:
„Wir, Carol I., König von Rumänien, geführt von der
347
Hand Gottes und der Bestimmung des tapferen und in-
telligenten rumänischen Volkes, haben am 10. (22.) Mai
1866 unsern Einzug in Bukarest gehalten. Die Stimme
des Volkes hat uns zum Fürsten der vereinigten Länder
Moldau und Walachei durch Plebiszit vom 8. (20.) April
1866 (am Jahrestage unserer Geburt, den 8. (20.) April
1839), sowie durch das Votum der Wahlversammlung vom
1. (13.) Mai desselben Jahres gewählt.
Nachdem wir der rumänischen Nation durch die Ver-
fassung vom 30. Juli 1866 ihre Freiheit und ihre Rechte
zugesichert, konnten wir an der Spitze dieses Volkes durch
die Tage der Drangsale, alle Schwierigkeiten überwindend,
gehen, so daß 1877 am 10. (22.) Mai die Unabhängigkeit
des Randes proklamiert wurde.
Nach dem Willen Gottes, welcher allein den Sieg
verleiht, habe ich unsre Armee am 7. Juli 1877 über die
Donau geführt und unsre Fahnen haben sich bei Kalafat,
Nikopolis, Rachowa, Smidan, Grivitza, sowie am 28. No-
vember desselben Jahres durch die Einnahme von Plewna
Lorbeeren errungen, so daß die alte rumänische Tapferkeit
auf den Schlachtfeldern Bulgariens das einstimmige Votum
der Kammern sanktioniert hat.
Das edle rumänische Blut, welches zur Verteidigung
und für die Unabhängigkeit des Vaterlandes vergossen
worden ist, erhielt am 14. (26.) März 1881 seinen Lohn.
Die gesetzgebenden Kammern, beseelt von dem Wunsche,
dem durch die Verschmelzung der Fürstentümer Moldau
und Walachei geschaffenen rumänischen Staate eine voll-
kommene Sicherheit und eine festere, glänzendere Indivi-
dualität zu geben, proklamierten die Erhebung Rumäniens
zu einem Königreiche Europas.
Das ganze Land, repräsentiert durch den Senat und
das Abgeordnetenhaus, begleitet von den Mitgliedern aller
bestehenden Körperschaften des Landes, des Kassations-
und Rechnungshofes, der rumänischen Akademie, der Re-
348
Präsentanten der Universitäten Bukarests und Jassys
und ihrer Schüler aller Grade, der Delegationen der städti-
schen und ländlichen Gemeinden, sowie aller Handwerkei-
Korporationen und zahlreicher Gesellschaften der ver-
schiedenen Zweige unserer nationalen Kultur, hat sich
heute, den 10. (22.) Mai 1881 zu dem heiligen Altar der
Metropolie von Bukarest begeben und hat mit uns, Carol I.,
König von Rumänien, mit der Königin Elisabeth, unserer
geliebten Gemahlin, mit unserm geliebten Bruder Leopold,
Erbprinzen von Hohenzollern, umgeben von unsern Neffen
Ferdinand und Carol, den heiligenden Gebeten beigewohnt,
unter welchen Sr. Heiligkeit der Metropolit und Primas
Calinio Miclescu und Sr. Heiligkeit der Metropolit der
Moldau und von Suczawa, Joseph, ebenso wie die Bischöfe
der Eparchien und der hohe Metropolie -Klerus die Kronen
geweiht haben, die uns das Land als ein für uns köst-
liches Enblem der Stabilität und Unabhängigkeit des Vater-
landes entgegenbringt.
Die Königskrone, welche das Land heute auf unsre
Stirne setzt, ist im Kriegsarsenal aus dem Stücke einer
Kanone gefertigt, die, dem Feinde am 28. November
1877 bei Plewna abgenommen, mit dem Blute der Helden
bespritzt ist, die für die Unabhängigkeit gefallen sind.
Die goldene Krone, welche das Land heute auf die Stirne
seiner ersten Königin setzt, ist nicht mit kostbaren Steinen
geschmückt, aber die Taten der Königinnen, welche die
einfache Goldkrone der Königin Elisabeth tragen werden,
werden sie strahlen lassen.
Damit künftigen Jahrhunderten das Andenken des
10. (22.) Mai unvergeßlich sei, unterzeichnen wir im fünf-
zehnten Jahre unserer Herrschaft dieses Dokument auf der
heiligen Metropolie unserer Hauptstadt in Bukarest in
Gegenwart der Königin Elisabeth, unserer geliebten Ge-
mahlin, unseres geliebten Bruders Leopold, im Angesichte
des Landes, welches zu der großen nationalen Feier der
349
Heiligung der Proklamierung des Königreiches Rumänien
herbeigeeilt ist, und befehlen, daß dieser Akt mit dem großen
königlichen Siegel versehen und von unsern Ministern,
den Staatssekreti ren, kontrasigniert werde, sowie derselbe
Thron im Bukarester Palais.
von den Herren Präsidenten der gesetzgebenden Körper-
schaften, Ihren Heiligkeiten den Metropoliten und von
dem Präsidenten des hohen Kassationshofes als Zeugen
unterschrieben werden soll."
Nach der Unterzeichnung begab sich der Zug in der
gleichen Ordnung, in der er gekommen, den Metropolie-
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350
hügel hinab und dann zum Palais, umflutet wiederum von
den Begeisterungsstürmen der unzahligen Menge.
Im Palais empfing das Königspaar die Glückwünsche
der Minister und deren Gemahlinnen, der Chefs der ru-
mänischen Vertretungen im Auslande, der Mitglieder des
diplomatischen Korps und ihrer Damen, sich dann, um-
geben von sämtlichen Würdenträgern des Staates, von den
fürstlichen Verwandten und dem Gefolge nach dem Thron-
saal begebend und auf den Thronsesseln Platz nehmend,
während die Kronen vor dem Throne, um den die Fahnen
der Armee aufgestellt waren, ruhten.
Die Präsidenten des Senats und der Kammer über-
reichten dem Königspaare die Kronen unter bewegten
Worten, und der König, die Krone ergreifend, antwortete
in weihevoller Stimmung: „Durch die heutige Feier wird
der an schweren Kämpfen und Großtaten so reiche Ab-
schnitt von fünfzehn Jahren glanzvoll abgeschlossen!
Unter dem Schutze seiner Verfassung und seiner Gesetze
hat Rumänien sich herrlich entfaltet, die rastlose Arbeit
seiner Staatsmänner, die Tapferkeit seines Heeres und
mein festes Vertrauen zu der Kraft des Volkes haben den
heißen Wunsch aller zur Erfüllung gebracht: das König-
reich, ein sicheres Unterpfand für die Zukunft, ist heute
aufgerichtet ! — Mit Stolz nehme ich darum diese Krone
an — sie ist geschmiedet aus dem Metall eines Geschützes,
das mit dem Blut unserer Helden benetzt und von der
Kirche geweiht ist; ich nehme sie an als ein Symbol der
Unabhängigkeit und Stärke Rumäniens! Wie ein kost-
bares Kleinod wird sie Zeugnis ablegen von schweren und
ruhmreichen Zeiten, die wir gemeinsam durchlebt, wird
spätere Generationen an den Heldenmut ihrer Vorväter
erinnern und an die Einigkeit, die zwischen Fürst und
Volk geherrscht ! Die schönste Krone aber für die Königin,
wie für mich wird sein und bleiben die Iyiebe und das Ver-
trauen des Volkes, dem all unser Denken und Fühlen ge-
351
hört. Angesichts dieser Fahnen, die auf dem Schlacht-
felde wehten, angesichts dieser Kronen, den Emblemen
König Karl und Königin Elisabeth (1883).
des Königstums, um welche das Volk sich scharen möge,
wie sich die Krieger um jene Fahnen scharen, angesichts
der großartigen Huldigungen, zu denen das ganze Volk
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352
in die Hauptstadt geeilt ist, um Zeuge dieses denkwürdigen
Tages zu sein, vereinigen wir uns zu dem Rufe, der unserm
Herzen teuer ist, und der auch heute in diesem durch die
historischen Ereignisse meines Gebens bereits geweihten
Räume einen mächtigen Wiederhall finden wird: Unser
geliebtes, heute durch sein eigenes Verdienst gekröntes
Rumänien ,es lebe hoch'!" —
Nachdem der König, dessen Worten man seine tiefe
Bewegung angemerkt, geendet, herrschte zunächst feierliche
Stille, dann aber löste sich die Begeisterung in den jubelnd-
sten Zurufen, die gar nicht enden wollten und sich immer
und immer wieder erneuten, von der Volksmenge draußen
stürmisch aufgenommen. In langer Reihe zogen die Ab-
ordnungen des Landes an dem Königspaare vorüber, ihm
huldigend und duftende Blumenkränze auf den Stufen
des Thrones niederlegend.
Drei Tage noch währten die Festlichkeiten, die einen
durchaus volkstümlichen Charakter trugen und einen präch-
tigen, farbenfrohen Festzug aller Gewerbe, sowie eine
glänzende Truppenschau brachten, ohne jegliche Störung
verlaufend, in reiner Harmonie die enge Vereinigung
zwischen dem Volk und seinem königlichen Führer zeigend.
Der moderne rumänische Staat war in fester Weise
begründet worden, wie dies auch in einer von einem her-
vorragenden rumänischen Gelehrten stammenden, aus
Anlaß der Krönung veröffentlichten Denkschrift dargelegt
wurde: „Die erste große Epoche des Landes bezeichnet
die Ankunft Trajans und seiner Legionen in den Ländern
der südlichen Donau; die zweite, die von Radu-Negru und
Dragosch, gab den Fürstentümern der Moldau und Wala-
chei ihr Leben, nachdem verheerende Wanderzüge bar-
barischer Völker über unsern Boden hinweggeschritten
waren; die dritte ist die des großen und tapfern Königs
Karl I., des Begründers des modernen rumänischen Staates."
XII.
Rumänien unter dem Königscepter.
Die Wiedergebart der Nation. — König Karls Friedensarbelt — Des Königs Interesse
für Kunst und Wissenschaften. — Im Bukarester Palais. — Schloß Pelesch. — Reisen
des Königspaares. — Frohe und trübe Stunden. — In der Heimat und Fremde. —
Rumäniens Fortsehritte. — Besuch Kaiser Franz Josefs In Bukarest und Slnala. — Die
Erkrankung des Prinzen Ferdinand. — König Karl auf bulgarischem Boden. — Donau-
fahrt des Königspaares. — Die Ereignisse der letzten Jahre. — Bukarests Entwicklung. —
Das 40 jährige Regierungs-Jubiläum des Königs. — Die Jubiläums- Ausstellung. — 50 Jahre
Soldat. — Die jüngsten Ereignisse. — König Karl, sein Lebenswerk und Rumänien.
as bisherige lange und mühevolle Lebenswerk König
M*^ß Karls hatte seine Krönung erfahren. Das Ziel, das
sich der 27 jährige Zollernprinz gesetzt, als er dem Rufe des
rumänischen Volkes gefolgt, es war erreicht. Aber was
der Fürst vielleicht als Erstrebenswertestes angesehen, das
Land von dem Vasallentum zu befreien, ihm seine Selb-
ständigkeit auf dem Schlachtfeld zu erringen, des jungen
Staates Stellung und Bedeutung weithin sichtbar zu machen
durch das Königtum — König Karl setzte sich stets weitere
Ziele! Er am besten wußte, daß die Arbeit, die ihm das
Geschick übertragen, erst halb getan war. Wohl war
die feste Grundlage geschaffen für die ersprießliche Tätig-
keit der gegenwärtigen und nachkommenden Geschlechter,
nun aber galt es für ihn, den rastlosen Führer, die Wege
weiterhin zu bestimmen und auszugestalten, die zum Wohl
der Allgemeinheit leiteten. Auch diese Wege enthielten
noch genug der Steine und Hindernisse für den pflicht-
erfüllten königlichen Bahnbrecher, der aber auch fernerhin
Lindenberg, König Karl. 23
354
keine Entmutigung und keine Müdigkeit kannte, stets
beständig und stets sicher in seinem Tun, mit kluger
Energie das eine Ziel verfolgend: die begonnene Wieder-
geburt der Nation erfolgreich zu bewerkstelligen.
Hatte es bisher nicht an mancherlei Stockungen in der
inneren Entwicklung des Landes gefehlt, so ging nun letz-
tere rascher und folgerichtiger vorwärts. Die politischen
Leidenschaften, falls sie ^auch gelegentlich noch durch-
brachen, zeigten sich nicht mehr so zügellos, und wenn
es auch nie an einer oft lebhaften und zähen Opposition
fehlte, so richtete dieselbe nicht mehr ihre Angriffe gegen
die Dynastie, sondern nur gegen die einzelnen Vertreter
der Regierung. Für die große Besserung der gesamten
inneren politischen Zustände sprach schon der lange Be-
stand des Ministeriums Bratianu, das bis zum Jahre 1888
sich erhielt, insgesamt also zwölf Jahre, eine Erscheinung
in der Geschichte des Landes, die nie dagewesen und
die man nie für möglich gehalten. Die Beziehungen zu
den ausländischen Mächten wurden stets engere und
freundschaftlichere, und es ergab sich von selbst, daß der
Staat, der so wenig Förderung und Berücksichtigung von
russischer Seite gefunden, sich mehr und mehr an die
Westmächte anlehnte, in politischer wie in wirtschaftlicher
Hinsicht. Grade Deutschland gewann auch in geistiger
und kultureller Beziehung einen besondern Einfluß, der
Rumänien vielfach zugute kam.
Fortgesetzt widmete der König seine hingebende Sorg-
falt dem Heere, das nicht auf den blutig errungenen Lor-
beeren ausruhen durfte. In entsprechender Weise fand
in bestimmten Terminen eine Vermehrung statt und
wurde auf eine stets bessere Bewaffnung Rücksicht ge-
nommen. An allen Manövern nahm der König persönlich
teil, unterließ nie Inspizierungen der entfernteren Garni-
sonen und erfüllte durch sein Beispiel das Offizierkorps
mit pflichttreuer Hingebung an den hohen Beruf, nicht
355
nur jederzeit bereit zu sein, den vaterländischen Boden
zu verteidigen, sondern auch erzieherisch zu wirken auf
die waffentragenden Kreise des Volkes. Um in einem
eventuellen Entscheidungskampfe einen wuchtigen ge-
sicherten Mittelpunkt zu haben, wurde Bukarest nach dem
Plan des belgischen Generals Brialmont stark befestigt,
indem es durch eine Reihe von Forts mit Panzertürmen um-
schlossen ward, ebenso wie die Linien Focschani-Namaloasa-
Galatz nach dem
Entwurf des
preußischen Ma-
jors Schumann
wichtige Be-
festigungen er-
hielten.
Auch dem
gesamten Unter-
richtswesen wid-
mete der König
fortgesetzt sein
fördersames In- Palais in Cotroceni.
teresse, zu seiner
steten Hebung und Vertiefung beitragend, wie er das
Ehrenpräsidium der rumänischen Akademie nicht bloß als
eine leere Würde betrachtete, sondern die Bestrebungen
dieser gelehrten Vereinigung aufmerksam verfolgte und ihr
durch private Zuschüsse die Herausgabe eines großen
rumänischen Wörterbuches ermöglichte. Auch auf kirch-
lichem Gebiet wurde ein großer Wandel geschaffen, indem
die nationale Kirche, die noch immer in gewissem Sinne
abhängig war von dem Patriarchat in Konstantinopel, von
diesem unabhängig wurde. Weiter und weiter spann sich
das Eisenbahnnetz aus, und ein Lieblingswunsch des
Königs erfüllte sich damit, indem sich von Bukarest nach
allen Richtungen hin die Schienenwege erstreckten, welche
23*
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356
die* Hauptstadt mit den verschiedensten Donaupünkten
und mit den entlegensten Grenzgegenden sowie mit allen
Nachbarreichen verbanden.
Den Sommer 1883 brachte das Königspaar wieder in
der Heimat zu, der am 7. Juli in Potsdam stattfindenden
Taufe des zweiten Sohnes des damaligen Prinzen Wilhelm,
des Prinzen Eitel Friedrich, beiwohnend, bei welchem der
König die Patenschaft übernommen.
Vorraum im Bukarester Palais.
Nun, nachdem der König in siebzehnjähriger, ange-
strengter Arbeit den Staat auf eine feste Grundlage ge-
stellt, konnte er auch, ohne daß darüber seine emsige
Tätigkeit für das Land vernachlässigt wurde, die lang-
gehegten Wünsche erfüllen und seine eigenen Heimstätten
ausbauen und ausschmücken. Mit Friedrich dem Großen,
der einst an d'Alembert geschrieben: „Ich Hebe es zu
bauen und zu schmücken, aber nur von meinen Erspar-
nissen, der Staat leidet nicht darunter/' teilte König Karl
auch diese Vorliebe. Das Kloster Cotroceni war schon
früher für den Frühlings- und Herbstaufenthalt der könig-
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liehen Familie in entsprechender Weise umgebaut worden
und hatte allmählich ein gänzlich anderes Aussehen ge-
wonnen. Auch das Bukarester Palais wurde den wesent-
lichsten Umänderungen unterworfen, würdig in jeder Be-
ziehung eines königlichen Hofhaltes, dabei wohnlich und
Vorraum zum Arbeitszimmer des Königs im Bukarester Palais.
behaglich in allen Räumen, so das Arbeits- und Bibliotheks-
zimmer des Königs, mit besonderer Berücksichtigung des
Geschmackes des Herrschers, der im Gesamtstil wie im ein-
zelnen das Feste, Gediegene, Alte liebt, das an die großen
Zeiten der deutschen Renaissance gemahnt, und in jenem
der Königin, die das Frohe, Reichte, Farbige bevorzugt.
Im ersten Stock war ein prächtiger Wintergarten angelegt
worden, breit und geräumig ward der altdeutsche Speise-
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358
saal gestaltet, in gefälliger Anmut zeigten sich das Wohn-
gemach und das Musikzimmer der Königin, mit Gemälden
alter Meister, kostbaren Stoffen, erlesenen Bronzen reich-
lich verziert. König und Königin überwachten alles auf
das genaueste, überall selbst eingreifend und selbst be-
stimmend, die besten Kräfte heranziehend, unter ihnen
Arbeitszimmer des Königs im Bukarester Palais.
den bewährten Meister Martin Stöhr, dessen hervorragende
Arbeiten auf dem Gebiet der Holzskulptur schon früher
die Aufmerksamkeit des kunstsinnigen Sigmaringer Hofes
auf sich gezogen hatten, und den König Karl ein Jahr,
nachdem er die Regierung übernommen, zu sich berufen,
ihm ein immer weiteres Feld ersprießlicher kunstreicher
Tätigkeit einräumend.
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359
Von früh an hatte der König ja ein besonderes Inter-
esse für Holzarchitektur gehabt, bereits auf jenen in
seinen Knabenjahren unternommenen Reisen durch die
Rheinprovinz und Belgien alte Schnitzereien bewundernd
und schon bei seiner Wohnungseinrichtung in Berlin als
junger Dragoneroffizier das Hauptgewicht auf schön ge-
Empfangsraum und Bibliothek des Königs im Bukarester Palais.
schnitzte Möbel legend. Die Freude daran verlor sich auch
nicht über all den unendlichen Schwierigkeiten und ver-
antwortlichen Pflichten seines fürstlichen Berufes. In
wachsendem Maße und stillgenügsamer Freude konnte er
von Jahr zu Jahr mehr seiner Vorliebe gerecht werden
und hatte in Martin Stöhr, der seinen einstigen viel-
gerühmten Berufsgenossen in Nürnberg, Augsburg, Iyübeck
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360
glich in Kunstfertigkeit, Fleiß und Hingebung, den ge-
eigneten Mann gefunden, der ihm auch persönlich , nahe
trat und von ihm aufrichtig geschätzt wurde wegen seiner
ausgezeichneten künstlerischen Fähigkeiten und ' seines
kernigen, echt deutschen Charakters wie seiner unbe-
dingten Zuverlässigkeit und Treue. Die von Stöhr her-
Speisesaal im Bukarester Palais.
rührenden Vertäfelungei* an Türen, Wänden, Decken im
Bukarester Palais sowie seine sonstigen Schnitzwerke, so
die wundervollen, wie für die Ewigkeit geschaffenen Möbel,
halten in jeder Hinsicht den Vergleich mit den besten
deutschen Holzarbeiten der Vergangenheit aus und er-
wecken immer wieder die aufrichtige Bewunderung der
Kenner.
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361
Durch den Ankauf der eine erhebliche Zahl erlesener
Werke der größten Meister des XVl., XVII. und XVIII.
Jahrhunderts enthaltenden Gemäldegalerie des Konsuls
Bamberg war der König in den Besitz einer hervorragenden
Kunstsammlung gekommen, die er stets zu vermehren
trachtete in kunstfroher und kunstverständiger Weise,
gern mit inniger Genugtuung sich an den Schätzen
Festsaal im Bukarester Palais.
dieses Besitzes erfreuend. Auch in der Vereinigung dieser
Sammlung, die nach einem festen Plan erfolgte, zeigte
sich der geläuterte künstlerische Sinn des Königs, sein
inniges Verständnis für die Werke der Großen und Größten,
seine Freude an dem Wahren, Echten, Tiefen der reinen
Kunst. Die Schöpfungen erlauchter Meister wie Raphael,
Botticelli, G. Vasari, Guido Rem, Carlo Dolci, Titian,
Jacopo Palma, Salvator Rosa, Lucas Cranach, J. H. Tisch-
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362
bein, J. Breughel, David Teniers, van Dyck, Rembrandt,
Ribera, Velasquez, Murillo, Lancret, Greuze, Reynolds
sind neben vielen anderen hervorragend in der Galerie
des Königs vertreten. Die Gemälde sind nicht vereint in
langer Nebeneinanderfolge, sondern schmücken, sich der
übrigen Einrichtung anpassend, die einzelnen Räume des
Königin Elisabeth in ihrem Arbeitsgemach im Bukarester Palais.
Bukarester Palais wie des Kastell Pelesch, zur steten
Freude des königlichen Paares und zu jener der Gäste.
Aber die größte Befriedigung bereitete doch dem König,
weil er hier ganz aus Eigenem und Vollem zu schaffen
vermochte, der Bau des Schlosses Pelesch oberhalb Sinaias,
dessen feierliche Einweihung am 7. Oktober 1883 statt-
finden konnte, nachdem sich erfüllt, was acht Jahre zuvor
der König an seinen Vater geschrieben, daß es ein „Königs-
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schloß" werden könne. Auf die bedeutsamen geschicht-
lichen Wandlungen während der langen Bauzeit — das
Königspaar bewohnte unterdessen das etwas höher ge-
Blick auf das Kloster in Sinaia.
legene anmutige Jagdhaus — nimmt auch ein Vers des Dich-
ters Alexandri Bezug, der an der Ehrentreppe zu lesen ist:
„Ich, König Carol, hab' erbaut,
Dem Volk, das sich mir anvertraut,
Sein Königreich im Kriegsgebraus,
In Friedenszeit mein eigen Haus.
Das Jagdhaus bei Sinaia.
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Sinaia — — welch' Sang und Klang liegt für uns"
Deutsche in dem Wort. Es ist uns vertraut geworden,
als ob es dem Kern unserer Sprache entstammte, »und
schon der Name allein erweckt ein freundliches Echo in
unsern Herzen, läßt eine Fülle von Erinnerungen und
Gestalten vor uns erstehen, beflügelt geschäftig unsere
Phantasie: ein Schloß steigt auf mit kecken Türmen und
Zinnen inmitten dunklen, verschwiegenen Waldesgrundes,
gewaltige Bergrecken strecken ihre zackigen Häupter bis
in die Wolken hinein, gischend stürzen brausende Wasser-
fälle herab, durch Moos- und Farndickicht bahnt sich
der Pelesch mutig und munter seinen silberglitzernden
Weg, auf den blumenbesponnenen Almen liegt goldig die
Sonne, und des Hirten schwermütige Weisen mischen sich
in den Schall der Herdenglocken so malte uns Carmen
Sylva Sinaia, und so tritt es uns auch in der Wirklichkeit
entgegen, großartige Natur mit lieblicher Romantik ver-
schmelzend. —
Von überraschender, frohsinniger, eindrucksvoller Wir-
kimg ist der erste Anblick des Schlosses, wenn man vom
Kloster aus den Waldweg längs des unten dahinsprudeln-
den Pelesch einschlägt. Tannen- und Buchendickicht zu
beiden Seiten, bis man plötzlich durch eine Lichtung
drüben jenseits des Quells wie eine reizende Märchen-
schöpfung das Schloß sieht mit seinen Türmen und Zinnen,
Erkern und Altanen, mit den von Efeu- und Weinlaub um-
rankten Galerien und Veranden, eingebettet in dichtes
Grün, vorn mit Blumenbeeten und Springbrunnen, als
Hintergrund sanft aufsteigende Höhenzüge mit sich zu-
sammendrängenden Rottannen von wunderbarer Größe
und Schönheit; als letzten Abschluß dieses einzigen Ge-
mäldes die schroffen Felswände und Kuppen des Buceci,
die bei Sonnenuntergang in zauberhaftem Farbenspiel er-
glühen. Und dazu die weihevolle Einsamkeit, nur unter-
brochen vom Ruf des Kuckucks und dem L,ocken der
365
Amsel, vom raunenden Plätschern des Pelesch und vom
leisen Rauschen der hoch oben sich schließenden Baum-
wipfel, alles groß und erhaben und doch dabei von liebens-
würdigster Anmut.
Schloß Pelesch im Winter.
Den Pfad weiter verfolgend, gelangt man über eine
steinerne Brücke, unter welcher der Pelesch lustig dahin-
tollt mit weißsprudelnden Wellen, in das eigentliche Schloß-
gebiet, das linker Hand begrenzt wird von verschiedenen
Baulichkeiten, von denen die von einer Abteilung des
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in Sinaia garnisonierenden Jägerbataillons bezogene,
in Form einer Festungsruine erbaute Wache besonders
auffällt. Vor ihr sind zwei von rumänischen Truppen er-
beutete türkische Geschütze aufgefahren. Nirgends eine
Absperrung, nirgends eine Tafel mit einem Verbot, un-
gehindert erreicht man das Schloß, das man in all seinen
Außenteilen eingehend besichtigen kann. Der Stil ist
jener der deutschen Renaissance des XVI. Jahrhunderts
mit reicher dekorativer Gestaltung. Das untere und erste
Stockwerk sind in Steinbau, das zweite in Riegelbau auf-
geführt, wodurch an sich schon eine große Mannigfaltig-
keit erzielt wurde, zu der sich noch das vielgestaltete
Dachgeschoß mit Türmchen und Dachreitern, Erkern und
vergoldeten Eisenspitzen wie Eisenfähnchen gesellt, alles
freundlich und gefällig, ohne schweren Pomp und Prunk.
Von gewisser Wuchtigkeit ist nur der am westlichen Ende
der Vorderfassade sich erhebende starke, vierseitige Haupt-
turm mit offenem Dachstuhl. Auf seiner schlanken Spitze
weht fröhlich die blau-gelb-rote Fahne, ein kleinerer
Rundturm mit scharf ausgehendem Kegeldach schließt die
östliche Ecke ab. Nischen, Balkone, Galerien, zum Teil
mit dichten Schlingpflanzen bewachsen oder mit duftender
Blumenzier versehen, allerlei Ein- und Ausbauten, ein
steter Wechsel von Linien und Profilen sind von an-
heimelnder Traulichkeit.
Um alles kümmerte sich das Königspaar auf das ein-
gehendste und überwachte alles mit liebevollster Sorgfalt.
Kein Wunder, daß auch das Innere des Schlosses — genau
wie jenes des Bukarester Palais — mit erlesenstem Schön-
heitssinn und vornehmstem Kunstverständnis ausgestattet
ist; bestimmten doch auch hier der König und seine Ge-
mahlin jedes Stück der Einrichtung und sorgten bis ins
kleinste für eine wohltuende, einheitliche Durchführung
des dekorativen Elements, das in altdeutschem Stile —
dies im besten Sinne des oft mißdeuteten Wortes — ge-
367
halten ist und bei welchem auch der schon früher erwähnte
Martin Stöhr Hervorragendes leistete. Neben der Holz-
architektur legte der König großes Gewicht auf schönheits-
freudige Glasmalereien, die, von trefflichsten Künstlern ent-
Erker im Arbeitszimmer des Königs in Schloß Pelesch.
worfen, von den ersten Münchener Firmen hergestellt
wurden. Gedämpft fällt durch sie das laicht auf Hallen
und Treppen, in Zimmer und Säle, in denen wir auf die
großen Schöpfungen der erlesensten Meister treffen, die
sich in Stimmung und Farbe den einzelnen Räumen an-
passen.
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In seiner Gemahlin fand der König eine verständnis-
. frohe Helferin, die seine künstlerischen Neigungen teilt.
. Die Königin wohnte stets seinen Beratungen mit den Bau-
meistern und Künstlern bei, immer mit Rat und Tat zur
Stelle; manche Malerei und dekorative Zier zeugen von der
Erker im Boudoir der Königin in Schloß Pelesch.
Kunstfertigkeit der hohen Frau. In ihren Gemächern
waltet heitere Phantasie, licht und freundlich, wie ihr
Gemüt, ist alles, und alles ist von intimem persönlichen
Reiz erfüllt, von der Eigenart ihres poetischen, musikali-
schen, künstlerischen Talentes. „Carmen Sylvas Zimmer
habe ich auch gesehen/' so läßt die Königin in ihren Pe-
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lesch-Märchen den munteren Gebirgsbach plaudern, „da
ist ein großes Fenster darin, daß man glaubt, es ist gar
keines da und die Tannen und der Rasen von der Berg-
wand würden direkt hineinspazieren/' Ja, das ist auch
ein berückender Zauber des Schlosses, daß man von den
meisten Gemächern hinausbückt auf den herrlichsten
Rahmen, den die Natur geschaffen, auf die ihren würzigen
Duft herübersendenden Waldungen, auf die Schluchten
und Berge, und daß man fast überall das Rauschen und
Plätschern von Fontänen und Quellen vernimmt, die uns
so viel, so viel zu erzählen wissen von den Mären und Ge-
schichten der verschwiegenen Forsten und der gewaltigen
Gebirgsrecken, in deren Schluchten Bären und Wölfe hausen,
die zur Winterszeit — Meister Petz gelegentlich auch im
Sommer — ihre Streifzüge bis zum Schloßgebiet ausdehnen.
Am vertrautesten uns, aber auch am geschwätzigsten
ist der Pelesch, den man sogar zur täglichen Tafelmusik
herangezogen hat, gewiß eine reizende Idee der Königin.
Man leitete sein Wasser in Röhren zum Speisesaale, und
dort springt er und plätschert mit zierlichem Strahl auf der
blumengeschmückten Tafel, wo auch ein grünes Glas-
bassin von den Kindern der heimischen Flora umkränzt
ist, von Alpenrosen, von Enzian, von Heidekraut, von
Mohn, stets nach der Jahreszeit. Eine edle Gastlichkeit übt
das Fürstenpaar aus, und wer je die ernste, gehaltvolle
Männlichkeit des Königs, dem jeder Schein zuwider ist
und dessen Sichgeben eine ruhige Würde und warme
Freundlichkeit ausatmet, auf sich wirken ließ, wer die
herzliche, offene Liebenswürdigkeit und die innige Teil-
nahme der Königin an allem Menschenleid und Menschen-
freud wie hellen Frühlingssonnenschein empfunden hat,
dem werden die im Schloß Pelesch verbrachten Stunden
als Bereicherung seines Lebens gelten.
Bald schon nach seiner Einweihung sah das Schloß
werte Gäste, die entzückt waren von dem wahrhaft fürst-
Lindenberg, König Karl. 24
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370
liehen Heim selbst wie von seiner großartigen Lage und
der idyllischen Umgebung. So weilte die Kaiserin Elisa-
beth von Österreich hier, ferner das österreichische Kron-
prinzenpaar, der befreundete Fürst von Bulgarien, das
schwedische Königspaar, wiederholt der Erbprinz von
Maurischer Festsaal in Schloß Pelesch.
Sachsen-Meiningen mit seiner Gemahlin und zahllose andere
Fürstlichkeiten.
Das Jahr 1884 ward insofern von Bedeutung für den
König und das Land, als auf Vorschlag J. Bratianus ein
Kronbesitz geschaffen wurde, bestehend aus zwölf in den
verschiedensten Gebieten des Landes liegenden Gütern,
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die über 130 000 Hektar umfassen. Durch diesen Besitz
sollen der Krone die Mittel gewährt werden, eine zweck-
entsprechende Repräsentation auszuüben, und um eine
enge Verbindung herzustellen zwischen ihr und dem Land,
Musterhaus auf der Krondomäne Busteni.
zumal der bäuerlichen Bevölkerung desselben. „Der
König muß , der erste Besitzer rumänischen Bodens sein",
meinte Bratianu, mit dem stillen Wunsche, daß diese
Krongüter vorbildlich würden für den gesamten Staat,
ein Beispiel gebend zur regen Nacheiferung. — Und diese
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Erwartung erfüllte sich glänzend im Laufe der Jahre,
dank der steten Sorgfalt des Königs, der seine ersprießliche
Aufmerksamkeit nicht nur der rumänischen Landwirtschaft,
sondern auch allen mit ihr in nähere wie weitere Verbin-
dung zu bringenden Betrieben widmete. Er fand zudem
einen emsigen und verständnisvollen Verfechter wie Aus-
führer seiner Pläne in dem Administrator der Domänen,
Dr. Jean Kalindero, der, mit klarem Blick und vollster
Tatkraft ausgestattet, unermüdlich hingebend und schaffens-
froh die Ideen des von ihm treu verehrten Herrschers ver-
wirklichte, diese Aufgabe als sein vollstes und würdigstes
Lebenswerk betrachtend. So wurden Musteranstalten ge-
schaffen, in erster Linie in landwirtschaftlicher Beziehung
zur möglichst rationellen Ausnutzung des Bodens, dann
aber in industrieller Hinsicht, indem Fabriken und sonstige
Unternehmungen entstanden, um die besonderen Erzeug-
nisse bestimmter Güter vorteilhaft für die Bevölkerung
zu verwerten. Und Mühen wie Kosten wurden belohnt,
werden doch gegenwärtig auf der einen Domäne treffliche
Terrakotten hergestellt, auf einer andern Wollwaren, auf
der dritten die verschiedensten Erzeugnisse aus Holz, wie
Möbel, Wagen, Küchengeräte, Tonnen, Koffer, aber auch
vorzügliche Resonanzböden für Klaviere, auf einer vierten
Stickereien und gewirkte Stoffe, auf einer fünften Korb-
geflechte und Seilereien und so fort, immer im Hinblick
auf ihre Nutzbarkeit für die unbemittelten Bevölkerungs-
schichten. Eifrige Förderung erfuhren Viehzucht und
Forstkultur, Waldeisenbahnen wurden gebaut, der Floß-
verkehr eingerichtet, überall Baumschulen begründet,
Holzschneidemühlen entstanden und die Wasserwege zum
Transport des Holzes wurden wesentlich verbessert, und
über allem vergaß man auch nicht die aufmerksamste
Pflege des Wildbestandes und der Fischerei.
Um die ländlichen Bewohner anzuspornen, dem oft
von ihr vernachlässigten Boden mehr Sorge zu widmen,
373
werden Sämereien verteilt für Gärten und Gemüsepflan-
zungen, junge Obstbäume, Saatkartoffeln usw., wobei es
nicht an zweckmäßiger Belehrung und Aufsicht fehlt.
Wo früher elende Wege waren und man in den gebirgigen
Gegenden nur zu Pferd vorwärts gelangen konnte, da gibt
Schulhaus auf der Krondomäne Bustent.
es heute glatte Chausseen, auf denen starker Verkehr
stattfindet. Alle Gebäude auf den Domänen sind in ge-
fälligsten Formen, vielfach aus Holz, errichtet, Ordnung
und Sauberkeit werden auf das peinlichste durchgeführt,
neben umsichtigen Wohlfahrts- und Gesundheitsmaßregeln.
Mit besonderem Eifer nahm man sich des Unterrichts-
wesens an, das früher in den ländlichen Bezirken viel
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zu wünschen übrig ließ. Mustergültige Schulen — bereits
über 50 — bestehen heute in den Domänendörfern, ferner
Bibliotheken mit mannigfaltigem Inhalt, der Sinn für gute,
volkstümliche Literatur ward erweckt und in Vorträgen
werden gemeinnützige Themata behandelt, ferner wurden
landwirtschaftliche Spar-, Hilfs- und Unterstützungsver-
eine, die schnell großen Zuspruch fanden, ins Leben ge*
rufen.
Eine freudige Veranlassung führte das Königspaar im
Oktober 1884 nach der deutschen Heimat, wo in Sig-
maringen die goldene Hochzeit des Fürsten Karl Anton
und seiner Gemahlin gefeiert wurde in Anwesenheit des
Kaisers, des Kronprinzen, des Großherzogs und der Groß-
herzogin von Baden und vieler fürstlicher Gäste. Be-
geistert schrieb die Königin über dieses Fest an eine Freun-
din: „Der Empfang hatte etwas Imposantes; mein Schwie-
gervater in goldgestickter Uniform im Rollstuhl, so ganz
Herr des Hauses, graziös und vornehm, meine Schwieger-
mutter so zart und lieblich und mädchenhaft schüchtern.
Alle die Söhne, Töchter, Enkel, dann die jungen Hünen,
die drei wunderschönen Söhne der noch so schönen Her-
zogin von Anhalt, alle Höfe unter den Ahnenbildern im
lichtdurchströmten Saal. Ich hielt mich immer etwas
abseits, um sehen zu können. Etwas Rührenderes und
Schöneres als diese Feier hat es gewiß noch selten gegeben.
Vom frühesten Morgen, von der Kommunion bis zum
letzten Augenblick, war es schattenlos und wunderschön.
Der Kaiser sah so schön aus und brachte auch einen sehr
schönen Toast aus, aber mein Schwiegervater, der sonst
immer so glänzend sprach, war zu erschüttert und dankte
nur mit wenig Worten. Der Großherzog von Baden war
besonders lieb zu mir; er frug mich, ob ich mich noch er-
innerte, mit welchen Idealen ich vor einundzwanzig Jahren
ins Leben eingetreten. „Ja," sagte ich, „und das Leben
hat mir noch viel mehr gehalten, als ich von ihm erwartet."
375
„Das freut mich/' sagte er mit Tränen in den Augen.
Ich hatte schon zweimal neben ihm gesessen bei Tisch
und hatten wir lange gesprochen. Er war eigentlich
meine allererste Flamme, wie ich viersehn Jahre alt war.
Ich wußte nur nicht, was das für ein Gefühl war, im Herz-
grübchen, wenn ich ihn sah. Seine große Güte und Milde
Enthüllung des Denkmals des Fürsten Karl Anton von Hohenzollern
in Sigmaringen (21. Oktober 1890).
zogen mich so an. Jetzt ist sein Bart schneeweiß, aber
sein Ausdruck unverändert. — Der Kronprinz ist noch
viel schöner geworden und hat noch immer dieselbe Treue
und Güte und Herzlichkeit in seinem Wesen/'
So freudig diesmal die Veranlassung gewesen, das
Königspaar nach Sigmaringen zu führen, so schmerzlich
war der Grund im Sommer des folgenden Jahres, wo die
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376
Kunde von der ernstlichen Erkrankung des Fürsten Karl
Anton seine Kinder und Enkelkinder wieder im Sigmaringer
Schloß vereinte, in welchem der Fürst am 2. Juni 1885
verschied, eine unersetzliche Lücke hinterlassend bei den
Seinen, in der Geschichte aber den Ruhm eines wahrhaft
großen und edlen deutschen Fürsten, der auch in den
schwersten Tagen mit begeisterter Hingebung für das
Vaterland eingetreten und ihm jederzeit seine besten Kräfte
gew r eiht hatte. König Karl hatte nicht nur den Vater,
sondern auch den treuesten Freund verloren, und es
währte sehr lange, bis er in rastloser Arbeit und Pflicht-
erfüllung das seelische Gleichmaß wiedergewann. Kurz
nach dem Hinscheiden des edlen Fürsten vereinte sich
ein Kreis hervorragender deutscher Männer, um dem Ver-
ewigten ein seiner würdiges Denkmal zu errichten, das
im Oktober 1890 feierlich in Sigmaringen enthüllt ward.
Das Jahr 1886 brachte die festliche Einweihimg der
Kirche von Argesch, deren Wiederherstellung sich der
König mit besonderer Liebe gewidmet und hierzu erheb-
liche Summen aus seiner Privatschatulle gespendet hatte.
Der Eindruck des Gotteshauses ist ein ganz wundervoller.
In einer von alten Bäumen beschatteten Allee schreitet
man entlang, da, bei einer kleinen Biegung, leuchtet und
glüht und sprüht es gleich fremdartigstem Zauber in
einiger Entfernung vor uns auf, goldschimmernde, schlanke
Türme umgeben eine stolze Kuppel, die sich in zierlicher
Wölbung erhebt über einem Unterbau, der in seiner feinen
Gliederung und in seiner buntfarbigen Pracht einem jener
orientalischen Schmuckkästchen gleicht, die uns die Dichter
der „Tausend und eine Nacht" so oft lockend geschildert.
In der gesamten zierlichen Gliederung, in der Verschieden-
artigkeit der Ornamente, in dem Reiz der kunstreichen For-
mung sämtlicher Einzelteile, in der berückenden Farben-
sinfonie ähnelt die Kirche mehr einem bewunderns-
werten Werke echt orientalischer Kunst. Inwendig tritt
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378
uns reichster byzantinischer Geschmack entgegen, es gleißt
in allen Farbentönen, zumal in Gold, Blau, Grün, goldene
Ampeln in orientalischen Formen hängen von den hohen,
luftig gespannten Deckenwölbungen herab, zu denen sich
die Säulen so zierlich hinaufwinden, als ob sie bloß ein
leichtes Blätterdach zu tragen brauchten. Sämtliche
Gegenstände, auf die das Auge trifft, sind mit erlesener
Kunst im einheitlichen Stil gearbeitet und fügen sich voll
reiner Stimmung dem Ganzen ein. Ein großer, goldum-
säumter Glasschrein birgt das wahrhaft einzigartige, kost-
bare Geschenk der Königin, ein von ihr auf Pergament
geschriebenes und mit künstlerischen Malereien versehenes
Evangelium, jedes der fünfzig großen Blätter in breiter
silberner, goldziselierter Einfassung. Rechts und links
vom Eingang erblickt man in Mosaikmalerei, in würdiger
Schlichtheit dargestellt, die Gestalten des Königs und der
Königin; unter der letzteren zieht sich der Spruch dahin:
„Weine nicht, sie ist nicht gestorben, sie schläft/' und die
Erklärung der Worte gibt uns ein vom Himmel herab-
schwebender Engel mit den lieblichen Zügen des teuren,
so früh verschiedenen einzigen Kindes des Königspaares,
des Prinzeßchen Marie.
Der Frühling 1887 führte das Königspaar nach Berlin
zur Teilnahme an den Festlichkeiten des 90. Geburtstages
Kaiser Wilhelms. Die Königin berichtet darüber in einem
am Morgen des 22. März geschriebenen Briefe: „Unser
Empfang konnte nicht schöner und herzlicher gedacht
werden. Ich fuhr mit der Kronprinzeß ins Palais, in meine
alten Räume, wo mich Kaiser und Kaiserin empfingen,
genau an derselben Stelle wie vor sechsundzwanzig Jahren!
Es erschütterte mich tief. Der Kaiser wunderbar frisch
und unverändert, nicht so die Kaiserin. Großherzog und
Großherzogin von Baden, der Kronprinz, der Kaiser, alle
erklärten mich als „unser Kind" und riefen einmal über
das andere: „Ach, sie ist ja noch ganz die alte, noch ganz
379
unverändert !" Die Kaiserin sagte zum König: „Du bist
ein echter Hohenzoller, treu wie Dein Vater/' Mein König
ist doch noch immer der schönste von allen; das dachte ich
beim Familiendiner von 90 Personen. Er sieht so anders
und südländisch aus. — Grad als die Wache aufzog, fuhren
wir aus dem Palais, der Kaiser am Fenster, tausende von
Menschen riefen Hurra, dann wandten sie sich auch uns
zu mit Hurra, und wie wir vorbei waren, wieder zum Fenster.
Der Kronprinz und Großherzog fuhren mit uns und sagten :
„So ist es alle Tage/' Wie schön !" Und am nächsten
Tage schrieb sie: „Bei Tisch war ich wieder zwischen
dem Kaiser und dem Prinzen von Wales. Ersterer ist
von leuchtender Demut in seiner Heldengröße, sprach so
mild und lieb." —
War dieses Fest von freudigstem Schimmer Über-
gossen, so war der nächste Berliner Aufenthalt des Königs-
paares im folgenden Frühling von düsterer Trauer be-
schattet : Kaiser Wilhelm der Erste war dahingeschieden !
Die Kunde davon, die ihren erschütterndsten Eindruck
auf die gesamte Welt ausgeübt, erhielt das Königspaar
durch ein Telegramm der Kronprinzessin von Schweden,
der Tochter des Großherzoglich Badenschen Paares, das
in seiner Schlichtheit um so bewegender lautete: „Teurer
Großvater l / 2 g Uhr sanft entschlafen, schmerzlos ruhig,
waren alle um ihn, wundervolles, friedvolles, erhebendes
Ende. Wir wissen ihn bei Ludwig/' Hier sei erwähnt,
daß mit Ludwig der Sohn des Großherzogs und der Groß-
herzogin von Baden gemeint war, der in frischestem und
vielversprechendstem Jünglingsalter wenige Wochen vorher
durch eine Lungenentzündung dahingerafft worden war,
zum unsagbaren Schmerz der Eltern und des Großvaters,
Kaiser Wilhelms, der den jungen Prinzen auf das innigste
in sein Herz geschlossen hatte. Das Königspaar wohnte
den Beisetzungsfeierlichkeiten bei, die ein ganzes Volk
in tiefstem und aufrichtigstem Schmerz zeigten, durch
380
diese erhebende Trauer allen einen Trost gewährend, deren
Herzen durch den Verlust des greisen Herrschers tief be-
kümmert waren. War der König schon durch den Tod
des teuren Verwandten, der ihm stets eine so väterliche
Liebe und Güte bewiesen, auf das schwerste erschüttert,
so zerrissen sein Herz die Nachrichten über die unheil-
bare Krankheit seines treuesten Freundes, des Kronprinzen,
um dessen Leben er in jeder Minute bangte. Als man
hörte, daß sich der Kronprinz einer entscheidenden Ope-
ration unterziehen mußte, schrieb Königin Elisabeth:
„Den König brauche ich Ihnen nicht zu beschreiben, Sie
können sich seinen Zustand denken. Mit ganz einge-
sunkenen Wangen und großen Augen, kaum imstande,
an etwas anderes zu denken. Der König sagt immer:
„Wer wird mir dreißig Jahre treuer Freundschaft ersetzen !"
Große, sehr große Hoffnungen hat der König für uns
auf den Kronprinzen gebaut. Natürlich sind die nun alle
zerstört."
Das nämliche Jahr 1888, welches für Deutschland
ein so ereignisvolles gewesen, wurde auch für Rumänien
insofern ein bedeutsames, als nach mehrfachen künstlich
geschürten Bauernaufständen nahe Bukarest und Straßen-
krawallen in der Hauptstadt, die das Einschreiten des
Militärs erforderten, das Ministerium Bratianu im April
seine Entlassung genommen hatte und die Zusammen-
setzung der nächsten Regierungspartei unter der Führung
Rosettis erfolgte. Aber auch dieses Ministerium wie die
nächsten waren nur von kurzer Dauer. Das gleiche Jahr
war von wichtigstem Einfluß auf das gesamte rumänische
Wirtschaftsleben, da die Reform der rumänischen Valuta
durch- und die Goldwährung eingeführt wurde, indem
die Noten der Nationalbank die Golddeckung erhielten,
die auch durch keinerlei spätere Krisen mehr in Frage
gestellt wurde.
Festliche Tage brachte das Frühjahr 1889, Prinz
381
Ferdinand, der präsumtive Thronfolger, betrat den ru-
mänischen Boden, um sich in seiner neuen Heimat auf
den seiner harrenden hohen Beruf vorzubereiten und um,
in unmittelbarer Nähe seiner Verwandten, mehr und mehr
zum Land und Volk in Verbindung zu treten, zu dessen
Regierung er dereinst ausersehen. Prinz Ferdinand, am
24. August 1867 in Sigmaringen geboren, hatte gleich
seinen Brüdern die sorgfältigste Erziehung genossen.
Nachdem er mehrere Jahre Privatunterricht erhalten,
bezog er das Gymnasium zu Düsseldorf, dort 1885 sein
Abiturientenexamen mit Auszeichnung ablegend. Später
besuchte er die Kriegsschule in Kassel, machte in Berlin
sein Offiziersexamen und tat während einiger Zeit Dienst
als Sekondeleutnant im ersten Garderegiment zu Fuß,
dann zwei Jahre hindurch an den Universitäten zu Leipzig
und Tübingen mannigfachen Studien obliegend und sich
hier bereits auf das eingehendste mit der Geschichte, Ver-
fassung und Sprache Rumäniens beschäftigend, von Jugend
an erfüllt mit Lust und Liebe zum militärischen Beruf.
Am Vormittag des 19. April traf Prinz Ferdinand
in Bukarest ein, froh bewillkommnet von der Bevölkerung.
Wenige Tage später führte ihn der König dem 3. Infanterie-
regiment zu, dessen Chef Fürst Leopold von Hohenzollern
war, damit er in demselben aktiven Dienst tun sollte, und
am 9. Mai erfolgte die Aufnahme des Prinzen in den Senat.
Am Nationalfeiertage, 22. Mai, vereinte im Bukarester
Palais ein Festmahl die Minister, hohen Beamten und
Offiziere, bei welcher Gelegenheit der König folgenden
Trinkspruch hielt: „Jedes Jahr begrüße ich mit lebhafter
Genugtuung die Wiederkehr des 22. Mai, als einen Tag,
der meinem Herzen teuer ist. Dreiundzwanzig Jahre sind
heute verflossen, seitdem das rumänische Volk mich mit
Freuden und Vertrauen empfangen hat, überzeugt, daß
durch Einrichtung der erblichen Monarchie Rumänien
geschützt gegen heftige Erschütterungen und seine Zukunft
382
gesichert sein werde. Indem ich mich auf die ausgezeich-
netsten Männer stützte, habe ich das Glück gehabt, das
Land den Weg des Fortschritts zu führen, so daß die Ver-
gangenheit eine Fülle hochwichtiger Begebenheiten auf-
zuweisen hat, welche unsere Geschichte bereichern. Die
gegenwärtige Generation hat heute die Pflicht, zu bewahren
und zu kräftigen das, was mit so vielen Anstrengungen,
mit so großen Opfern errungen worden ist, und an die
Zukunft zu denken, in der wohl die Menschen dahin-
schwinden, das Vaterland jedoch und seine Einrichtungen
sicher bleiben müssen gegen jede Erschütterung. — Mein
Herz hat eine wahrhafte Freude empfunden, als ich bei
der Ankunft meines vielgeliebten Neffen in dem feurigen
Empfang, den es dem präsumtiven Thronerben bereitete,
erkannte, wie sehr das Volk von dieser Notwendigkeit
durchdrungen ist. — Das Land hat bewiesen, wie eng
es mit der von ihm frei gewählten Dynastie verbunden
ist. — Diese Kundgebungen der Liebe sind für mich eine
starke Ermutigung, ohne Rast an der Entwicklung und der
Größe Rumäniens zu arbeiten und meinen Neffen vor-
zubereiten, damit er eines Tages in der Lage sei, das von
mir begonnene Werk fortzuführen und kein anderes Ziel
vor Augen zu haben als einzig und allein die nationalen
Interessen. Indem ich die Vorsehung bitte, daß sie unser
Vaterland in allen Lagen schützen möge, bringe ich diesen
Trinkspruch auf das Glück und die Wohlfahrt unsers
teuren Rumäniens. " —
Und diesen frohen Tagen schlössen sich auch in der
Heimat freudige an, das Königspaar wohnte Mitte Juni
der in Sigmaringen stattfindenden Vermählung des Erb-
prinzen Wilhelm von Hohenzollern mit der Prinzessin
Marie von Bourbon bei, zu der auch das deutsche Kaiser-
paar erschienen war.
Am 22. Mai 1891 konnte König Karl unter der freu-
digsten Teilnahme des gesamten Volkes und unter der
383
wärmsten Anerkennung des Auslandes sein 25 jähriges
Regierungsjubiläum feiern. Was in diesem Vierteljahr-
hundert Rumänien seinem König verdankte, was man in
Deutschland für ihn fühlte, das faßte Kaiser Wilhelm II.
in einem Schreiben zusammen, in welchem er König Karl
seine innigsten Glückwünsche darbrachte: „Fünfund-
zwanzig Jahre sind verflossen seit jener Zeit, als Eure
König Karl mit Kaiser Wilhelm II. auf der Schloßterrasse
in Sigmaringen (27. Juni 1889).
Majestät zuerst berufen wurden, die Regierung des Ru-
mänischen Staates zu übernehmen, und am 22. Mai d. J.
wird ein Jahrzehnt vergangen sein seit jenem denkwür-
digen Tage, an welchem es Eurer Majestät vergönnt war,
nach segensreicher, im Kriege und im Frieden erprobter
Herrschaft, von dem einstimmigen Wunsche der rumäni-
schen Nation getragen, die Königskrone für Rumänien
und für Dero erhabenes Haus vom Altar des Herrn zu er-
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halten. Eurer Majestät weiser und tatkräftiger Regierung
über ein hochbegabtes und tüchtiges Volk ist es zu ver-
danken, wenn Rumänien nach schweren Kämpfen zu
hinein vollberechtigten, angesehenen Gliede im Rate der
Völker geworden ist, und wenn unter Eurer Majestät
Szepter jeder Rumäne sich des stolzen Bewußtseins er-
freuen kann, einem Staatswesen anzugehören, welches als
Träger einer uralten Kultur die wohlwollenden Sympathien
aller zivilisierten Nationen besitzt! — Bei dem nahen
Verwandtschaftsverhältnisse unserer Häuser ist es Mir ein
Herzensbedürfnis, Eurer Majestät zu dieser freudigen Feier
meinen warmen Glückwunsch und zugleich die Hoffnung
auszusprechen, daß ebenso, wie die Bande Unserer persön-
lichen Freundschaft, auch die sicheren politischen Be-
ziehungen Rumäniens zu dem Deutschen Reiche, wie sie
seit Jahren unter der erleuchteten Regierung Eurer Ma-
jestät bestehen, auch für die kommende Zeit erhalten werden
mögen. — Eure Majestät werden Mich zu Dank verbinden,
wenn Dieselben auch Ihrer Majestät der Königin, welche
neben Eurer Majestät sich um die Pflege idealer und
künstlerischer Bestrebungen, sowie um Bildung des ru-
mänischen Volkes unvergängliche Verdienste erworben
hat, Meinen aufrichtigen Glückwunsch zu Füßen legen
wollten/ 4
Zur Erinnerung an das bedeutsame Jubiläum stiftete
•der König, um den höheren Unterricht zu fördern und den
geistigen Strömungen stets neue, anregende Nahrung zu
geben, eine seinen Namen tragende Bibliothek, deren
Zweck er in einem an den Ministerpräsidenten gerichteten
Schreiben des Näheren auseinandersetzte:
„Die Vorsehung hat es so gewollt, daß seit dem Tage,
an welchem Wir unsere ersten Schritte in dies schöne
Land gelenkt, sich reicher Segen über alle Unsere Taten
^rgoß. Mit ihrer Hilfe war es Uns vergönnt, diesen so
langen Zeitraum umgeben von der Liebe und dem Ver-
385
trauen Unseres Volkes zurückzulegen, die den schönsten
Lohn Unserer Bemühungen um dessen Fortschritt und
Glück darstellen. — Dem trefflichen Beispiele der ru-
mänischen Fürsten der Vergangenheit folgend und zum
Andenken an die in diesem verflossenen Vierteljahr hundert
vollbrachten Taten, ist es Unser Wille, eine Stiftung ins
Leben zu rufen, deren Wohltaten der gesamten studieren-
den Jugend aller Fakultäten des Landes zugute kommen
sollen. Der Zweck dieser Stiftung soll sein, den Studieren-
den einen Versammlungsort zu bieten, verbunden mit
einer stets geöffneten Bibliothek, die es ihnen ermögliche,
Medaille auf das 25 jährige Regierungsjubiläum König Karls.
ihren Wissensdrang zu befriedigen. Außerdem aber soll
die Stiftung denjenigen behilflich sein, die unter Leitung
der Professoren Spezialarbeiten unternehmen, ebenso wie
sie zu den Druckkosten der Dissertationen Beihilfe leisten
und fleißigen Studierenden, die infolge ihrer Mittellosigkeit
zum Nachteile der allgemeinen Bildung des Landes ihr
Studium unterbrechen müßten, Unterstützungen gewähren
soll. Zur Erreichung dieses Zweckes überweisen Wir schon
jetzt dem Kultus- und Unterrichtsministerium das Ge-
bäude, das nach beiliegenden Plänen aus Unsern Mitteln
auf einem Unserm Palaste gegenüber gelegenen Platze
errichtet werden soll. — " Des ferneren wird dann in dem
Lindenberg, König Karl. 25
386
Schreiben erwähnt, daß der König dem Ministerium
200 ooo I^i zur Verfügung stellt und daß es sein Wunsch
ist, der Stiftung die Rechte einer juristischen Person zu
verleihen, unter dem Namen : „Fundatiunea Universitara
Carol I." Das Schreiben schließt: „Unser Wunsch sowie
der der Königin und des Thronfolgers ist es, daß diese Stif-
tung dazu beitrage, die Brüderlichkeit der studierenden
Jugend zu stärken
und das Gefühl der
Vaterlandsliebe, das
ihre Seele veredelt,
zu nähren. — Indem
Wir selbst den Ort
des künftigen Ge-
bäudes gewählt, war
es Unser Bestreben,
daß dasselbe sich in
der Nähe Unserer
Residenz unter Un-
sern Augen und Un-
serm Schutze erhebe
— sehen Wir doch
in dem jungen Ge-
schlecht die Hoff-
nung des Vater-
landes und eine
der kräftigsten Stützen des Thrones und Unserer
Dynastie/'
Bereits im August 1891 ward mit dem Bau begonnen
und derselbe in kurzem vollendet. Das stattliche
Gebäude in seinen vornehm-schlichten Formen erhebt sich
jenseits des dem königlichen Palais gegenüber gelegenen
Platzes, es enthält in fünf geräumigen Sälen die bald
20 000 Bände zählende Bücherei, ferner einen behaglich
eingerichteten Lesesaal mit über 60 Zeitschriften, daneben
Universitätsbibliothek König Karls in Bukarest.
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andere Räume, alles in gediegenster und ansprechendster
Ausstattung. Außer festen Stipendien werden alljährlich
würdigen und unbemittelten Studierenden größere und
kleinere Unterstützungen gewährt, ferner Preise verteilt
für wertvolle Ar-
beiten, die von
Mitgliedern des
Seminars für alte
rumänische Ge-
schichte herrüh-
ren, und auf Kos-
ten der Stiftung
hervorragende
Dissertationen
und sonstige wis-
senschaftliche
Arbeiten von
Studierenden
beider Landes-
universitäten
veröffentlicht.
Sein lebhaftestes
Interesse hat der
König dieser
Stiftung, die un-
ter der Ober-
leitung des je-
weiligen Rektors
der Bukarester
Universität steht, auch fernerhin auf das fördersamste
bewiesen, wie er sich stets genauen Bericht erstatten läßt
über die Eingänge und Vermehrungen der Bibliothek,
über den Besuch, der von Jahr zu Jahr steigt, und über
alle sonstigen Einzelheiten. In lebhafter Weise erfüllten
sich die Hoffnungen des königlichen Stifters, daß ein
25*
Lesesaal in der Universitätsbibliothek König
Karls in Bukarest.
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Quell reichen geistigen Lebens von dieser „Fundatiunea
Universitara Carol I." ausgeht und befruchtend wirkt.
Das Jahr 1891 führte das Königspaar wiederum auf
Reisen, unter anderm nach England, da sich Prinz Ferdi-
nand mit der lieblichen Prinzessin Maria von Edinburgh,
der Tochter des Herzogs von Sachsen- Koburg-Gotha, und
Enkelin der Kaiserin Viktoria, verlobt hatte, ferner nach
Brüssel zu der teuren einzigen Schwester des Königs,
der Gräfin Marie von Flandern, dann nach Monza zum
italienischen Königspaar und schließlich nach Berlin, wo
Kaiser Wilhelm II. dem König Karl das erste Garde-
Artillerieregiment verlieh, in dem bekanntlich König
Karl als junger Prinz seine militärische Laufbahn begonnen.
Der Kaiser wohnte auch dem Festessen bei, welches das
Regiment bei dieser Veranlassung zu Ehren seines neuen
königlichen . Chefs veranstaltete.
Von 1891 — 94 schloß Rumänien wichtige Handels-
verträge mit der Mehrzahl der großen europäischen Staaten
ab, und wurden auch sonst vielfache Verbesserungen aller
Zweige des öffentlichen Lebens eingeführt. Ein frohes
Familienfest fand sodann am 10. Januar 1893 in Sig-
maringen statt, wo die Vermählung des Prinzen Ferdinand
mit der Prinzessin Maria gefeiert wurde. Mit innigstem
Jubel ward im Herbst desselben Jahres, am 3. Oktober,
in ganz Rumänien die Kunde aufgenommen, daß dem
jungen Paare ein Sohn in Schloß Pelesch geboren, Prinz
Carol, der erste Hohenzollernsproß, der auf rumänischem
Boden das Licht der Welt erblickte. Der November 1894
brachte unter großen Festlichkeiten die silberne Hochzeits-
feier des Königspaares, bei der es wiederum über-
schüttet wurde von unzähligen Zeichen der Liebe und
Verehrung. Der König stiftete zur Erinnerung an das
festliche Ereignis unter der Bezeichnung „Königin Elisa-
beth-Stiftung" ein großes Kapital zur Errichtung einer
Hilfsbank für die Bauernbevölkerung, um ihr in drücken-
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den Zeiten zinsfrei Vorschüsse zu gewähren, denn gerade
das in vieler Beziehung der Besserung dringend nötige Los
der ländlichen Kreise lag ihm von jeher am Herzen.
Hatte der König im Frühling desselben Jahres den
Sulina-Kanal, an der Mündung der Donau, welcher der
Schiffahrt bedeutende Erleichterungen gewährt, eröffnen
können, so wohnte er im Herbst, am 26. September, im
Verein mit seiner Gemahlin und vielen Würdenträgern, der
Eröffnung der gewaltigen Eisenbahnbrücke über die Donau
bei Cerna-
vodabei,die,
nach ihm be-
nannt, in
fünf Jahren
mit einem
Kosten-
aufwand
von 34 Mil-
lionen
Francs er-
baut worden
war, eine di-
« _ y. Sulina an der Donaumündung,
rekte Ver-
. bindung
vermittelnd zwischen der Dobrudscha und Bukarest
und dadurch mit dem westlichen Europa und
Konstanza, also dem Schwarzen Meere. Infolge
des sumpfigen, häufig weithin überschwemmten Fluß-
gebietes war der Bau der Hauptbrücke sowohl wie der
Vorbrücke, dann der langen Viadukte und Steindämme,
die sich insgesamt über 20 km erstrecken, mit den größten
Schwierigkeiten verknüpft, die, von einer französischen
Gesellschaft mit Hilfe rumänischer Ingenieure ausgeführt,
siegreich bewältigt wurden. In einer Länge von 750 m
überspannt die auf fünf aus dem breiten Strome ragenden,
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machtvollen Granitpfeilern ruhende eiserne Brücke hundert
Fuß über dem Wasserspiegel die Donau und ermöglicht
nun auch im strengsten Winter den früher dann fast ganz
Medaille auf die Eröffnung der Carol-Brücke von Cernavoda.
unterbrochen gewesenen Handels- und Personenverkehr,
abgesehen von ihrer politischen und militärischen Be-
deutung. Bis da-
hin war die Bahn
nur bis Cernavoda
gegangen; man
mußte sich dort
über die Donau
setzen lassen und
eine lange Wagen-
fahrt durch das
sumpfige Flußge-
biet bis Fetesti
unternehmen, wo
man erst wieder
Blick auf die König Karl-Brücke den Schienenstrang
von Cernavoda. erreichte. Mit fro-
her Genugtuung be-
grüßte der König grade die Einweihung dieses gigantischen
Werkes, das er von den ersten Tagen seiner Regierung an
erstrebt und das er mit zäher Energie gefördert. Als Erster
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überschritt er an der Seite der Königin die Brücke, auf
ihrer Mitte den letzten silbernen Nagel mittels einer hy-
Kopf der König Karl-Brücke von Cernavoda.
König Karl- Brücke bei Cernavoda.
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draulischen Nietmaschine einfügend, dann rollten sechzehn
Lokomotiven auf einmal, um die Tragkraft zu beweisen,
hinüber, unter dem lauten Jubel der von fern und nah
erschienenen Bevölkerung, unter den rauschenden Klängen
der Nationalhymne und dem Salut der Kanonen von den
im Strome ankernden Kriegsschiffen. Wieder sah der
König eine der großen Aufgaben erfüllt, die er sich gestellt,
als er die Regierung übernommen, und voll berechtigter
Genugtuung durfte er in seiner Rede sagen: „Den Auf-
schwung Unsers teuren Rumäniens auf dem Wege zur
Größe und zum Fortschritt wird niemand mehr zu hemmen
imstande sein!"
Auch das Jahr 1896 stand in enger Verbindung mit
dem besseren Anschluß Rumäniens an das Ausland durch
Schaffung neuer Verkehrswege, indem im Herbst in feier-
licher Weise der Grundstein zur Erbauung des Hafens
von Konstanza gelegt wurde, um auch den größten See-
schiffen das Anlegen und Löschen zu ermöglichen
und um im Verein mit der großartigen Donauregu-
lierung, für die Rumänien zahllose Millionen Francs
geopfert, einen bedeutend ausgedehnteren Verkehr vom
Meer nach der Donau und umgekehrt zu schaffen. Wenige
Wochen zuvor, am 27. September, hatte der König der Er-
öffnung des Kanals am sogenannten Eisernen Tore der
Donau beigewohnt, in Gegenwart des Kaisers Franz Josef
und des Königs Alexander von Serbien. Nach jahrelangen,
mühevollen und kostspieligen Arbeiten, zu denen die be-
teiligten Mächte die Mittel gewährt, waren die Hindernisse
beseitigt, die hier durch gefährliche Felsenriffe der
regelmäßigen Schiffahrt bereitet worden waren, indem man
im Flußbette gewaltige Dämme aufgeführt und mittels
Sprengung sowie Eindämmung einen Kanal von genügen-
der Breite und Tiefe geschaffen, der nun auch bei geringem
Wasserstand den großen Schiffen die Durchfahrt ermög-
licht. Von diesen Einweihungsfesten aus begleitete Kaiser
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Franz Josef König Karl nach Bukarest, dort am Nach-
mittag des 28. September eintreffend, am Bahnhof von der
Königin Elisabeth und dem jungen Prinzlichen Paar auf
das innigste begrüßt.
Tiefste Freude durchhallte das ganze Land, daß der
verehrungswürdige österreichische Herrscher als Gast der
Königsfamilie den rumänischen Boden betreten. Stür-
mische Hochrufe schollen überall ihm und König Karl
entgegen; in allen Ortschaften, die der kaiserliche Zug
berührte, strömte Alt und Jung von weither zusammen,
mit Girlanden, Fahnen und Bildern schmückte man die
Stationen und Häuser, die Frauen standen in ihren bunten
Staatsgewändern und die Männer in ihren gestickten weißen
Röcken da, und in dichten Scharen drängten sich die
Kinder heran, Blumen in den Händen haltend, um sie dem
Kaiser und ihrem Landesherrn darzubringen. Zum ersten-
mal hatte ja ein Kaiser in friedlicher Absicht rumänischen
Boden aufgesucht.
Am 29. September fand eine glänzende Heerschau auf
dem Manöverfeld bei Cotroceni statt, wo zwanzig. Regi-
menter versammelt waren und eine nach Hunderttausen-
den zählende Menge das weite Feld einsäumte. Zur Seite
des Kaisers, der die Campagne-Uniform eines Generals der
Kavallerie angelegt, ritt Prinzessin Maria, während die
Königin der Parade in einem vierspännigen Landauer bei-
wohnte. Trotzdem der vor auf gegangene Regen das Terrain
arg durchweicht hatte, gelang das Defilieren der Truppen
vorzüglich, so daß nach Schluß des Vorbeimarsches der
Kaiser, dem König die Hand reichend, äußerte: „Ich
gratuliere Ew. Majestät zu der Haltung und dem Aussehen
der Truppen. Rumänien kann stolz sein auf seine Armee/'
Freudig erwiderte der König : „Die Zufriedenheit Ew. Ma-
jestät erfüllt mich. und meine Armee mit Stolz/' Bei dem
Diner, das im Palais zu Bukarest stattfand, brachte der
König in warmen Worten die Gesundheit des Kaisers aus:
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„Ich schätze mich glücklich, Ew. Majestät in der Haupt-
stadt Rumäniens willkommen heißen zu können. Die
Weisheit Ew. Majestät war stets ein Vorbild für viele
Monarchen und besonders für mich und den noch jugend-
lichen rumänischen Staat, der heute sich der Auszeichnung
erfreut, Ew. Majestät zu begrüßen. Ew. Majestät lebe
hoch!" — Und der Kaiser erwiderte: „Indem ich Ew.
Majestät für den wahrhaft erhebenden Empfang in dieser
Hauptstadt danke, halte ich es für nötig, zu betonen, daß
ich mit vieler Freude diesen noch jungen Staat betreten
habe. Es gibt wenige Beispiele in der Weltgeschichte, wo
ein junger Staat in so kurzer Zeit derartige bedeutende
Fortschritte zu machen vermochte, welche ihm einen ehren-
vollen Platz in Europa sichern. All dies ist das Werk
Ew. Majestät. Ich aber als friedlicher Nachbar und auf-
richtiger Freund Ew. Majestät wünsche eine gedeihliche
Fortentwicklung zum Wohle Rumäniens. Ew. Majestät
lebe hoch!"
An den offiziellen Bukarester Teil des Kaiserbesuches
schloß sich der private in Sinaia, wo dem österreichischen
Herrscher gleichfalls ein jubelnder Empfang bereitet wurde,
der durch die starke Teilnahme der Landbevölkerung, die
an einem farbenfrohen Triumphbogen mit den Erzeug-
nissen des Bodens, mit Blumen, Mais und Früchten, und den
zur Gewinnung derselben notwendigen Gerätschaften, Auf-
stellung genommen, ein besonders charakteristisches Ge-
präge erhalten hatte. Frei vom höfischen Zeremoniell
konnte hier im wundervollen Pelesch-Schlosse der Kaiser
sich ganz seinen liebenswürdigen Wirten widmen und un-
gehindert von Empfängen und Festlichkeiten die herrlichen
Natureindrücke genießen, für die grad er so warme Liebe
empfindet. Dem familiär-vertraulichen Charakter dieses
zweiten Teiles des Kaiserbesuches entsprach ein auf den
Vormittag des 30. September angesetztes Frühstück auf
der „Poiana Reginei", der „Alm der Königin", einer
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hoch über dem Schloß gelegenen Alpenwiese, auf der
sich die Königin eine Meierei angelegt hat, gern hier mit
den Ihren Rast haltend von weiten Gebirgswanderungen,
ein ebenso liebliches wie zugleich großartiges Plätzchen
mit den herrlichsten Ausblicken auf die gewaltigen Ge-
birgshäupter und hinab in die waldreichen Täler. In einer
mit Laub und Blumen umrankten, aus Baumstämmen er-
richteten Hütte war die Frühstückstafel aufgeschlagen,
während des Mahles spielte eine Militärkapelle und ließ
ein Trupp Zigeuner feurige Weisen hören, die auch den
kleinen Kreis auf dem Rückweg begleiteten, der Kaiser
und der König in vertrautem Gespräch vorangehend. Ernst
und schweigsam ragten die Felsen auf, aber ein eifrig ge-
heimnisvolles Flüstern und Wispern ging durch die weiten
Tannenwaldungen, als ob ein Baum dem andern berichtete
von der frohen Kunde dieses denkwürdigen Kaiserbesuches
auf rumänischem Boden.
Wie innig und fest die Liebe zur Dynastie beim ru-
mänischen Volke eingewurzelt, zeigten die düsteren Mai-
tage des Jahres 1897, in denen der Erbe der Krone, Prinz
Ferdinand, von schwerer Krankheit befallen worden war.
Tiefe Traurigkeit umfing das ganze Land, jeder Tag brachte
neue Beweise der Liebe und Verehrung für das bang
harrende Königspaar, für den Erkrankten und seine Fa-
milie. Die aufrichtige Hingebung und Dankbarkeit des
gesamten Volkes zeigte sich in ungeahnter Weise, es gab
damals nur ein Gesprächsthema und nur einen Wunsch,
und wie von lastendem Druck atmeten die sich schweig-
sam vor dem Palais zu vielen Hunderten Drängenden
auf, als eines Abends der König auf den Balkon trat und
mit ergriffener Stimme verkündete: „Baiatul merge mai
bine!" („Dem Jungen geht es besser !") In innig rühren-
den Worten dankte der König bald darauf seinem Volke:
„Rumänen! In den Augenblicken schwerer Prüfungen,
die wir während der gefährlichen Krankheit meines
399
geliebten Neffen durchzumachen hatten, sammelte sich
mein treues Volk in einem einzigen Gedanken um mich
und sandte heiße Gebete empor zum Allmächtigen für die
Lebensrettung des Thronfolgers, der berufen ist, die große
und schöne Last auf sich zu nehmen, welche die Nation
mir anvertraut hat. — Imposant waren die Sympathie-
kundgebungen, rührend die Beweise innigster Teilnahme,
die in jenen Tagen des Bangens aus allen Schichten der
Gesellschaft bis zur letzten Hütte hinab kamen. Das
ganze Land war auf, von heftigem Schauer ergriffen und
teilte unsere Sorgen; die Gedanken verdüsterten sich durch
die drohende Gefahr, es könnte eine ununterbrochene
Arbeit eines halben Jahrhunderts so schwer heimgesucht
werden. Diese aus den warmen Herzen des Volkes her-
vorgegangenen Gefühle, die übereinstimmende Hingebung
in der für die Zukunft des Staates so gefährlichen Stunde,
waren für uns der süßeste Trost, ein neuer Sporn für mich,
unentwegt über den Geschicken Rumäniens zu wachen,
für meine Nachfolger aber eine kraftvolle Veranlassung,
sich stets würdiger zu zeigen so vieler Liebe und so vieler
Ergebenheit. — Heute, wo die tiefe Wissenschaft und die
Unermüdlichkeit der Ärzte unseres Landes die Krankheit
besiegt und unsere Herzen wieder belebt haben, erfülle
ich mit Freuden die heilige Pflicht, allen zu gestehen,
daß nur die Treue, mit der mein geliebtes Volk sich
um mich scharte, mein Bangen in jenen schmerzlichen
Augenblicken zu erleichtern vermocht hat. — Tief und
grenzenlos ist die Anerkennung, welche mein Herz, sowie
das der Königin und der Prinzessin Maria um dieser zärt-
lichen und zahllosen Beweise von Liebe willen erfüllt:
dieselben haben zwischen Land und Thron neue und un-
vergängliche Bande gewoben. Wir alle gehen gestärkt
aus dieser Prüfung hervor; das Land vertrauensvoller
auf die Zukunft, ich aber stolzer auf mein Volk,
das mich in diesen Tagen grenzenloser Verzweif-
400
lung für die Arbeit meines ganzen Lebens reich ent-
schädigt hat."
In der Begleitung des Prinzen Ferdinand unternahm
im Juli des nächsten Jahres, 1898, König Karl, einer
Einladung des Kaisers Nikolaus II. folgend, eine Reise
nach Rußland, und überall, wo auf den einzelnen Stationen
sein Zug hielt, waren die alten Krieger, die unter seiner
Führung vor Plewna gekämpft, zusammengeströmt, um
dem König ihre freudigsten Huldigungen darzubringen.
Auch mit den hohen Offizieren gab es manch erinnerungs-
volles Wiedersehen, so in Warschau mit dem General-
gouverneur Fürsten Imeritinsky, der vor Plewna General-
stabschef des Königs gewesen und welcher bei dem zu
Ehren des Herrschers veranstalteten Festmahle in innigen
Worten das Wohl auf den König, als auf den Oberbefehls-
haber der russisch-rumänischen Armee, „der uns zum
Siege geführt", ausbrachte.
Seitens des Kaisers und dessen Angehörigen wurde
der König in Peterhof auf das herzlichste empfangen, und
mit besonderer Genugtuung begrüßte es der König, daß
ihm der Kaiser das russische Regiment Wologda, das vor
Plewna im Verein mit den Rumänen mehrfach tapfer
vorgedrungen, verlieh. Bei der großen Parade im Lager
von Krassnoje-Sselo führte Kaiser Nikolaus dem König
seine erlesensten Truppen vor, die Kaiserlichen Garden
und das I. Armeekorps in Stärke von 35 000 Mann, welcher
glänzend verlaufenen Heerschau neben sämtlichen in Peters-
burg anwesenden Großfürsten die Kaiserin, die Königin
von Griechenland und die Großfürstinnen beiwohnten.
Bei dem auf dem Paradefelde veranstalteten Festmahl
betonte König Karl in Erwiderung des auf ihn von Kaiser
Nikolaus ausgebrachten Trinkspruches in wärmster Weise,
wie es ihn stets mit Stolz erfüllt habe, daß er dieses schöne
Gardekorps, welches er soeben wiederum bewundert, einst
in schweren Tagen vor dem Feinde befehligt habe auf blut-
401
getränktem Boden, auf dem es seine kriegerischen Eigen-
schaften in so hervorragender Weise bewiesen.
Dieser glanzvollen militärischen Veranstaltung folgte
ein prunkendes Fest auf den Inseln des Parkes von Peter-
hof mit stets sich überbietenden Überraschungen, die an
die Märchen von Tausend und eine Nacht ' gemahnten.
Einen freudigen Empfang bereitete die Einwohnerschaft
König Karl in St. Petersburg (Juli 1898).
von St. Petersburg dem König, als er zu Schiff die Stadt
an der Newa besuchte, zur Peter Pauls-Festung fahrend,
um an den schlichten Sarkophagen Kaiser Alexander II.
und III. sowie des Großfürsten Nikolaus, mit denen er
schwere Lebenstage durchgemacht, in treuem Gedenken
und stillem Gebet Blumenspenden niederzulegen. Dann
ging es zu dem zur Erinnerung an den russisch-türkischen
Krieg errichteten Denkmal, wo sich zahllose alte Krieger
versammelt hatten, das ihnen vom Könige verliehene Donau-
Lindenberg, König Karl. 26
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kreuz auf der Brust, in erhebender Weise dem Fürsten hul-
digend, der sie, elf Jahre zuvor, zu Sieg und Ruhm geführt»
Auch bei dieser Gelegenheit, wie bei manch folgender auf
russischem Boden, so in Moskau, wo der König den Kreml be-
wohnte, in Wilna, Kiew etc., bereitete es dem Herrscher eine
frohe Genugtuung, mit den alten Waffengefährten zusammen
König Karl und Kaiser Nikolaus auf dem Paradefeld von Kraßnoje Sselo
(18. Juli 1898).
zu sein, mit ihnen das Gedächtnis jener großen Zeit von neuem
zu beleben, in der Russen und Rumänen Schulter an Schulter
gekämpft, und große Erinnerungen auszutauschen.
In dem gleichen Jahre ward Rumänien und seinem
Herrscher auch deutscherseits warme Anerkennung gezollt
von weithin sichtbarem Platze, hob doch Graf Bülow, der
früher deutscher Gesandter in Bukarest gewesen, als Staats-
sekretär des Auswärtigen Amtes in einer Reichstagsrede
hervor, wie sehr der rumänische Staat König Karls I. einen
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Google
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bedeutsamen Faktor
der Ordnung, des
Fortschritts ui\d der
Kultur auf der Bal-
kanhalbinsel bilde.
Was Rumänien
auf den verschieden-
sten Gebieten des
öffentlichen Lebens
in den letzten Jahr-
zehnten geleistet,
brachte es in ein-
drucksvollster Weise
auf der Pariser Welt-
ausstellung vom J ah-
re 1900 zur Anschau-
ung, und zwar in
einem großartig an-
gelegten, sorgfältig
ausgeführten Palast,
der mit seiner Haupt-
kuppel und seinen
beiden seitlichen
Glockentürmen, den
bunten und gewähl-
ten Außenverzierun-
gen, dem umfassen-
den und doch dem
Ganzen würdig ange-
paßten dekorativen
Beiwerk den Stil der
rumänischen Kir-
chenbauten des 16.
und 17. J ahrhunderts
vortrefflich verkör-
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405
perte. In erschöpfender Zusammenfassung wurde hier den
internationalen Besuchern die Leistungsfähigkeit der jungen
rumänischen Industrie gezeigt, daneben die große Bedeu-
tung der Landwirtschaft und der Krondomänen, aber auch
das geistige und kulturelle Leben der Nation ward eingehend
veranschaulicht, das Blühen des Kunstgewerbes und dieHaus-
tätigkeit der Frauen, daneben kamen Schulwesen, Buch-
handel, Wissenschaften und Wohlfahrtspflege ebenso zu
Ehren wie der Ausbau der Eisenbahnen,Chausseen und Hafen-
anlagen. Besonderes Gewicht war auf die Darstellung der
Wehrkraft des Landes gelegt, dessen Bodenschätze, wie
Metalle, Salz, Kohlen, Petroleum usw., man auf das ge-
naueste in ihrer Gewinnung und Verwertung kennen lernte.
Leider brachte das gleiche Jahr durch eine sieben-
monatige ununterbrochene Dürre, die eine vollständige
Mißernte zur Folge hatte, dem Staate eine sehr ernste wirt-
schaftliche Krisis, die naturgemäß auch die Finanzlage und
damit den Staatskredit erheblich erschütterte, denn binnen
zwei Jahren belief sich das Budgetdefizit auf über 70 Mil-
lionen Francs. Der so schweren augenblicklichen Notlage
suchte man zu steuern, indem die Regierung, dank der zur
silbernen Hochzeit des Königspaares begründeten Karl-
Elisabeth-Stiftung, 120000 Hektoliter Kukuruz kaufte und
sie zur Verteilung brachte, teils unentgeltlich, teils darlehns-
weise, ebenso Saatgut, welches die Bauern erhielten. Auch
durch Notstandsbauten im Straßenwesen suchte man die
brachliegenden Arbeitskräfte zu beschäftigen und veranlaßte
die umfassendsten Aufforstungen, um die klimatischen Ver-
hältnisse zu bessern. Das im Februar 1901 zustande ge-
kommene liberale Ministerium, welches das konservative ab-
gelöst, war unter D. Sturdzas Führung bestrebt, ein sorgsam
angelegtes Sparsystem durchzuführen, was auch in zu-
friedenstellendster Weise gelang. Das Budget wurde erheb-
lich ermäßigt und eine gewisse Grenze gezogen, um Uber-
schreitungen zu vermeiden. So erzielte man bereits im ersten
406
Jahre einen Überschuß von 21, im zweiten von 31 Millionen
Francs und konnte durch andere finanzielle Einrichtungen
ohne neue Steuern und Anleihen, die erwähnte Schuld von
71 1 ♦ Millionen Francs bezahlen, sogar noch Gelder flüssig
behaltend für dringende Arbeiten und für die Armee.
Dies für Rumänien so unheilvolle Jahr 1900 sollte auch
König Karl den schwersten Verlust zufügen durch den
am 19. Juni erfolgten Tod der heißgeliebten Mutter, der
Fürstin Josephine, die ihn immerdar mit treuester Liebe
und rührendster Sorgfalt umgeben. Zweimal hatte der
Konig die innige Genugtuung gehabt, seine Mutter auf
rumänischem Boden begrüßen zu können, in den Jahren
1881 und 1887, in jeder Stunde bestrebt, ihr den Aufent-
halt so sonnig wie möglich zu gestalten und ihr mit Stolz
zeigend, was er für das Land zu leisten vermocht und
welchen Aufschwung letzteres unter seiner Regierung
genommen. In weichen, stimmungsvollen Zügen zeichnet
uns Königin Elisabeth das rührende Bild der Fürstin
Josephine in ihren weihevollen Erinnerungen, die ihre
Schilderungen „Rheintochters Donanfahrt" eröffnen: An
der jungen Donau stand ich in Sigmaringen und dachte
daran, wie die Kinder aus diesem Schlosse ausgezogen in
die weite Welt und wie das zärtliche Mutterherz geblutet
hat. In Sigmaringen waren sie alle geboren, diese selten
schönen Kinder, mit den offenen regelmäßigen Zügen und
dem ernsten edlen Herzen, denn ernst waren sie alle, die
Hohenzollernkinder, wie ihre Heimat, die auch nicht
lachend ist, wie der Rhein, sondern etwas außerordentlich
Ernstes hat," Die Königin berichtet dann des weiteren
von den schweren Schicksalsschlägen, welche die Fürstin
betroffen, die so früh ihre Tochter Stephanie und den dritten
Sohn Anton verlieren mußte, während sie den zweiten Sohn
an die Fremde, das ferne Rumänien, abgab: „Sie trug ihr
Leid so still, so schweigsam, niemand erfuhr, wie es in ihrer
Seele wühlte, während sie zwei Kinder an den Tod und das
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dritte^ans Leben abgab. — Ja, die arme, arme Mutter!
Wie^still, wie sanft Jhat sie das unendliche Weh getragen!
Fürstin Josephine von Hohenzollern mit dem Prinzen Carol
und der Prinzessin Elisabeth.
Nie hat man eine Klage von ihren Iyippen gehört! Sie
hat ihre Kinder an die Ewigkeit abgegeben und hat ge-
duldig des Wiedersehens geharrt, mir schien es oft, daß
i
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ihr fast noch härter war, den Sohn zu entbehren, der im
I,eben so schweren Stand hatte und so heiße Kämpfe
durchmachen mußte! Wie war sie stolz auf ihn! Sie
sagte mir: „Ach, ich könnte Dich darum beneiden, daß
Du bei ihm sein kannst, ich würde mich ganz still in eine
Ecke setzen, ihn gar nicht stören bei seiner Arbeit, aber
ihn ansehen, so viel ich wollte !" — Sie meinte, daß ich
eigentlich etwas versäumte, indem ich meinen eigenen Be-
schäftigungen nachging, statt das Glück zu genießen,
ganz still bei ihm zu sitzen und ihn ansehen zu dürfen,
wofür sie viele Iyebenstage hingegeben hätte. „Nicht
wahr, er ist immer noch sehr schön," sagte sie, ihm mit
ihrer Iyorgnette nachsehend, wenn er dahin ging, „nicht
wahr, er sieht doch noch sehr jung aus! Hast Du ihn
lieb?" — Ach, wer sollte diese Mutter und diesen Sohn
nicht lieb haben! Ich entgegnete ihr, ich hätte ihn ja nur
geheiratet, weil er ihr Sohn war! Denn ich vergötterte
sie schon längst, ehe ich ihn kannte!" — Mit immer er-
neuter tiefster Freude hatte die Fürstin Josephine die Er-
folge ihres teuren Sohnes verfolgt und mit zärtlicher I^iebe
hatte sie bei ihrem Aufenthalt in Sinaia, Cotroceni und
Bukarest die drei Kinder des prinzlichen Paares, Carol,
Elisabeth und Maria, bemuttert, die an der auch im Alter
noch so schönen und zarten fürstlichen Frau mit innigster
Liebe hingen. —
Das Jahr 1902 brachte die fünfundzwanzigjährige
Wiederkehr der großen kriegerischen Ereignisse, an denen
unter der Führung ihres Herrschers die rumänische Armee
so ruhmvoll teilgenommen, und König Karl benutzte das
Jubiläum, um die bulgarischen Stätten aufzusuchen, auf
denen er seine und die russischen Truppen zum Siege
und zum Ruhme geführt. Diese Reise des Königs war
insofern auch von politischer Tragweite, als gerade in
den letzten Jahren zwischen Rumänien und Bulgarien eine
zu gewissen Zeiten recht ernste Spannung bestanden hatte
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wegen bestimmter bulgarischer Umtriebe, die engen Zu-
sammenhang hatten mit den makedonischen Bestrebungen
des Zentralkomitees in Sofia. In Rustschuk empfing am
Ii. November Fürst Ferdinand von Bulgarien den König,
ihn froh bewillkommnend unter dem brausenden Jubel
einer von überall herbeigeströmten Bevölkerung, und
brachte bei dem folgenden Festmahl einen Trinkspruch
auf den König aus, hervorhebend, daß dessen Besuch in
König Karl und Fürst Ferdinand von Bulgarien in Poradim 7
diesem Augenblick um so wichtiger sei, als er mit dem
25. Jubiläum der Befreiung zusammenfiele, an welcher
der König und das rumänische Heer auf den Schlacht-
feldern zwischen Donau und Balkan einen so glorreichen
Anteil genommen: „Wir Bulgaren bewahren eine dank-
bare Erinnerung daran/'
In tiefer Erschütterung betrat der König, den Fürst
Ferdinand begleitete, jene Ortschaften, in denen er vor
einem Vierteljahrhundert in verantwortlichster Stellung
geweilt und deren Namen immerdar verknüpft sind mit
(November 1902).
411
den großen Ruhmesblättern seines I v ebensbuches. In
Poradim besuchte er das Häuschen, das ihn wochenlang
Denkmal zur Erinnerung an die Eroberung der Griwitza-Redouten
seitens der rumänischen Truppen,
beherbergt, vor demselben eine Eiche zur Erinnerung pflan-
zend, und auf dem Schlachtfelde von Plewna wohnte er
in der dort errichteten Kapelle dem Gottesdienst bei in-
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mitten einer großen Volksmenge und vieler jener Männer,
die Zeugen des einstigen blutigen Ringens gewesen. Von
Plewna aus sandte der König eine Depesche an Kaiser
Nikolaus von Rußland, in der er mit innigen Worten der
unvergeßlichen Zeit gedachte, in der er sich an der
Seite des Kaisers Alexander befunden, Tag für Tag die
Wechselfälle der denkwürdigen Kämpfe mit ihm teilend,
die nach langen Anstrengungen durch den glänzenden
Sieg am 28. November beendet wurden, hinzufügend, daß
er als Zeichen seiner dankbaren Gefühle auf dem Grabe
der tapfern russischen Soldaten, die unter seinem Kom-
mando gestanden, einen Kranz niedergelegt. In herz-
lichster Weise stattete Kaiser Nikolaus seinen Dank ab,
betonend, daß er aus dem Grunde seines Herzens die
Huldigung zu schätzen wisse, die der König den Opfern
der heroischen Kämpfe dargebracht, welche die Epoche
der Brüderschaft der russischen und der rumänischen
Armee mit unauslöschlichem Ruhm gekrönt habe, dem
König zum Schluß seine herzliche und unveränderliche
Anhänglichkeit ausdrückend. In seiner schlichten, würdig
eindrucksvollen Art gedachte der König später in einem
in der rumänischen Akademie gehaltenen Vortrage über
Nikopolis jenes Besuches der historischen Stätten: „Ein
Vierteljahrhundert später, in dem Jahre, als das Land
die fünfundzwanzigste Wiederkehr dieser Ereignisse feierte,
habe ich die unschätzbare Freude gehabt, das Schlacht-
feld von Plewna in der Begleitung Fürst Ferdinands von
Bulgarien wiederzusehen. Mit tiefer Bewegung betrat ich
den Boden, der mit dem Blute unserer Tapferen besprengt
und dadurch geweiht ist. An der Schwelle der Kapelle,
zu ihrem Andenken errichtet, empfing uns der Metropolit
von Wratza mit einer ergreif enden Ansprache: „Erhebet
euch aus euren Gräbern* so sagte er und wies auf das
Schlachtfeld, wo die Gefallenen ruhten, „erhebt euch, ihr
Tapferen, schaut her, euer König ist gekommen, um euch
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für euren Opfertod zu danken !" Wie zu einer wahren
Pilgerfahrt bin ich nach Griwitza ausgezogen, um mich
in Liebe und Verehrung vor dem Grabmal jener würdigen
Söhne des Landes zu verneigen, die ihr Leben für die Un-
Königliche Jacht „Orient" auf der Donau.
abhängigkeit Rumäniens dahingegeben haben. Gegen
Abend kam ich nach Samowit, wo mich der Bürgermeister
und die Einwohner-
schaft von Nikopolis em-
pfingen, die mir ihren
Dank für die Befreiung
der Stadt noch einmal
wiederholen wollten .
Fürst Ferdinand hatte
die Liebenswürdigkeit,
mich auf seiner Jacht,
die von unsern Kriegs-
schiffen eskortiert wurde,
nach Turnu-Magurele zu
geleiten. Es war eine
sternklare Nacht; der
Mond spiegelte sich
auf den ruhigen Wassern der Donau; die Schiffe ließen
Silberfurchen auf ihnen zurück; in der Ferne, am Ufer,
erhob sich Nikopolis, das in einem Meere von Licht
schwamm, wie ein stolzer Markstein aus vergangenen
König Karl und Königin Elisabeth
an Bord des „Orient".
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Zeiten. — Dieser zauberhafte Anblick weckte in mir
Bilder der eigenen Vergangenheit: vor mir erstand meine
Jugend, die ich an den Quellen des großen Stromes verlebt,
auch die Geschichte meines Hauses; vor allem aber er-
innerte ich mich an das Schicksalsbuch unseres teuern
Rumäniens, in das unsere Kämpfer ein unvergängliches
Blatt geschrieben haben."
Auch auf einer zwei Jahre später seitens des Königs
und seiner Gemahlin, wie des Prinzlichen Paares, letzteres
von seinen beiden ältesten Kindern begleitet, unternom-
menen Donaufahrt wurden vielfach die Erinnerungen neu
verdanken wir der Königin in ihren liebenswürdigen Schil-
derungen: „Rheintochters Donaufahrt", in der sie uns von
diesen jubeldurchbrausten Tagen, die dem Königspaare
so zahlreiche und aufrichtige Huldigungen gebracht, er-
zählt. Die Fahrt ging zunächst von Turnu-Severin die
Donau aufwärts bis zum Kasanpasse und dann strom-
abwärts bis zur Donaumündung: „Am Ufer entlang die
Bewohner all der Dörfer nah und fern, die Geistlichen
segnen uns vom Ufer aus, es war ein wundervolles Bild;
überall, wo ein Triumphbogen erschien und man Hurra
rufen hörte, wurde langsamer gefahren und so nah am
Ufer als irgend möglich, damit man die Menschen sehen
belebt an jene
große Zeit,
welcheRumä-
nien die Un-
abhängigkeit
und das Kö-
nigtum ge-
bracht. Eine
lebhafte und
farbenreiche
Beschreibung
jener Reise
415
konnte, die sich Mühe gegeben hatten, zu kommen, um
durch Triumphbögen ihre Freude kundzutun. An vielen
Orten hatten sie, da es an Häusern und somit an Fenstern
gebrach, ihre schönsten Teppiche aufgehängt an Wasch-
leinen, nur
damit Tep-
piche
das Fest ver-
schönern.
In den Tri-
umphbögen
unser aller
Bilder und
Blumen, da-
runter das
Schwenken
derHüte,der
Fähnchen,
das Singen
der Kinder,
hier und da
ein Schiff als
Schmuck
aufgehängt,
von vielen
Stellen Böl-
lerschüsse/'
In Calafat *^* e Königliche Familie am Kriegerdenkmal in Calafat.
mußte der
König dem Prinzen Carol auf das genaueste berichten,
wie in unmittelbarer Nähe des Königs damals türkische
Granaten eingeschlagen: „Der König erlaubte Carol, bei
derselben Batterie Feuer zu kommandieren, und da krach-
ten die Schüsse los, an derselben Stelle, wo er einst die drei
Buchstaben ausgesprochen: „Foc!" (Feuer), die Krieg be-
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deuten und für uns Sieg oder Untergang. Wie oft sagte ich
den andern Frauen, die über die ausgestandene Angst
jammerten, daß es für mich doch noch ganz anders schwer
sei, da ich meinen Mann nur mit oder auf dem Schilde
wiederkommen sehen durfte, denn eine Niederlage war
in unserm Fall nicht zu überleben. — Carol glühte, sein
Gesicht war wie im Feuer, vom Sonnenuntergang rosig
beleuchtet, und sein Auge maß die Strecke zwischen
Widin und Calafat und er wunderte sich, daß man so
ten glühende patrio-
tische Gedichte her." Ähnliche Erinnerungen erweckten
die Ortschaften Iyom-Palanka, Rahova, Corabia, Niko-
polis, und die Königin gedenkt in ihrem Buche jener
schauerlichen Nacht, die ihr Gemahl damals in Nikopolis
verbracht bei 22° Kälte und den herzzerschneidenden
Rufen der türkischen Gefangenen nach Brot: „Der König
zeigte uns, wo er auf schwindelndem Pfade auf Glatteis
hinaufgeritten, so schmal, daß ein Ausrutschen des Pferdes
der sichere Tod gewesen wäre."
In ihrer Beschreibung dieser gedenkreichen Donau-
fahrt zeichnet die Königin sehr anmutig das Wesen der
Prinz Carol an Bord des „Orient 1
sicher hatte auf den
König zielen können.
Ich hätte gern den
König allein gesehen
mit dem Knaben, der
einst in seine Fuß
stapfen treten soll
und der hier geboren
ist, also wie ein Eigen-
tum des Volkes be-
trachtet wird. Hier
standen aber immer
Menschen und freuten
sich und Kinder sag-
417
beiden ältesten Kinder des Thronfolgerpaares: „Es war
sehr interessant, die Kinder zu beobachten. Den kleinen
ehrgeizigen Buben, der alles wissen wollte und sehr tri-
umphierte, wenn ich mich geirrt und er etwas sicherer
gewußt als ich, und das kleine, verschlossene Mädchen
Iyisaveta, das in seiner unbewußten großen Schönheit
Märchen erzählt haben wollte, während von Schiffen und
am Strande zugleich Hurra geschrien wurde und mir der
Kopf nicht gerade nach Märchen stand, sondern ich das
Tuch abwechselnd in beide Hände nahm, um das viele
Winken aushalten zu können/' — Weiter ging's dann den
Strom hinunter; in Braila, Galatz und an der Mündung
des gewaltigen Flusses, in Sulina, wurde Aufenthalt ge-
nommen, und überall erneuerten sich die stürmischen
Huldigungen, auch bei der Rückkehr nach Bukarest, wo
eine ungeheure Volksmenge das Königspaar erwartete,
ihm begeistert zujubelnd.
Die Königin bemerkte in ihren Aufzeichnungen: „Es
ist schwer, auf soviel Liebe von so vielen Tausenden mit
einem einzigen Herzen zu antworten. Man fühlt, als
Lindenberg, König Karl. 27
418
könnte es springen, in dem Wunsche, auf alles mit der-
selben Kraft zu antworten, und man ist doch nur einer/'
Und der König richtete an den Ministerpräsidenten Sturdza
ein Schreiben, in welchem er der großen Eindrücke dieser
Fahrt gedenkt und mit welcher Freude er sich überzeugte,
König Karl mit dem Prinzen Carol und der Prinzessin Elisabeth (1903).
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wie sehr in Herz und Seele der jungen Generationen die .
erhabenen Daten eingeprägt sind, die das Königreich
erhoben haben, und mit welcher Genugtuung er den Auf-
schwung der beiden Schw r esterstädte Braila und Galatz
verfolgt: „Diese Fortschritte sind dem großen Eisenbahn-
netze zu verdanken, das die Produkte der nationalen
Arbeit mit Leichtigkeit zur Donau hinschafft und in dieser
Weise die wirtschaftliche Bedeutung dieses mächtigen
Stromes verzehnfacht
und unsern Seehäfen
ihre natürliche Be-
stimmung für den
Fortschritt des Lan-
des gab." — Indem
der König des ferne-
ren den Ministerprä-
sidenten bat, den
wärmsten Dank des
Königs öffentlich aus :
zusprechen, schloß er:
„Die Erinnerung an
die Reise wird unaus-
löschlich in den jun-
gen Herzen meiner
Nachfolger bleiben, Kirche Xrei Je rarchi in jassy.
welche berufen sind,
einstmals die Geschicke unseres teuren Rumäniens zu
leiten. Ich aber kann stolz sein auf ein Volk, das mich
mit soviel Liebe umgibt und mir Beweise von soviel Er-
gebenheit gibt, die ich mit gleicher Herzenswärme, mit
den heißesten Wünschen beantworte, daß Gott nicht
aufhören möge, seinen Segen auf dieses Volk auszu-
schütten."
Im Herbst jenes Jahres 1904 weilte das Königspaar,
begleitet von dem Thronfolger, dem jungen Prinzen Carol
27*
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und dem Erbprinzen Wilhelm von Hohenzollern, in Jassy,
der alten Hauptstadt der Moldau, die das königliche Paar
seit sieben Jahren nicht aufgesucht, und auch hier wurde
es mit der gleich tiefen Begeisterung empfangen, die sich
wenige Monate zuvor so erhebend gelegentlich der Donau-
fahrt gezeigt. Auch dort, in der alten Hauptstadt der
Moldau, hatte der König sein regstes Interesse betätigt
an der Wiederherstellung der denkwürdigen kirchlichen
Bauten, so der Metropolie und des Gotteshauses Trei
Jerarchi (Drei
Heiligen), das
auf seine Anre-
gung und unter
Gewährung der
erforderlichen
Mittel — allein
in den letzten
sechs Jahren
spendete der Kö-
nig für die Wie-
innenwand der Kirche Trei Jerarchi in Jassy. derherstellung
und den Bau
von Kirchen i l / 2 Million Francs aus seiner Privatschatulle
— von Grund auf renoviert und im Innern auf das wür-
digste ausgeschmückt worden war
Einen wichtigen politischen Erfolg errang im ge-
nannten Jahre die rumänische Regierung insofern, als der
Sultan den in seinem Reiche wohnenden rumänischen Un-
tertanen das Recht gewährte, eigene Zivilgemeinden und
Organisationen zu bilden, wodurch viel energischer, wie
bisher, die auf türkischem, hauptsächlich makedonischem
Boden lebenden Rumänen ihre Nationalität und Sprache
wahren können, nachdem ihnen schon seit 1878 gestattet
gewesen, eigene Schulen und Kirchen zu unterhalten.
Diese neue größere Selbständigkeit der rumänischen Be-
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völkerung im Reiche des Halbmondes führte zu vielerlei
Ausschreitungen seitens griechischer Elemente in Make-
donien, welche die dortigen rumänischen Ansiedlungen
als einen gewissen Bestandteil des Hellenentums betrachtet
hatten, und in der Folge zu einer Entfremdung der ru-
mänischen und griechischen Regierung, die nicht ohne
Einfluß auf das Wirtschaftsleben der beiden Völker blieb,
mehr zum Nachteile Griechenlands.
Zu Beginn des Jahres 1905 trat ein Wechsel des Mini-
steriums ein, indem das unter D. Sturdzas Führung ge-
standene liberale durch ein konservatives unter der Mi-
nisterpräsidentschaft G. Cantacuzinos abgelöst wurde. Bei
dieser Gelegenheit erwies sich in erfreulicher Weise die
Stetigkeit der rumänischen Politik in den äußeren und
wichtigsten inneren Fragen. Früher bedeutete ein Re-
gierungswechsel eine erhebliche Änderung in der Bestim-
mung der äußeren wie inneren Politik, wodurch ein ge-
sundes Fortschreiten des Staates oft erheblich gehemmt
wurde, da die neue Partei in allem so ziemlich das Gegen-
teil dessen tat, was ihre Vorgängerin getan hatte. Daß
diese Verhältnisse der Vergangenheit angehören, bewies
jener Ministerwechsel auf das deutlichste; nicht nur vollzog
er sich in großer Ruhe, sondern die neue Regierung über-
nahm auch die von der bisherigen eingegangenen Ver-
pflichtungen in den bedeutsamen Fragen der äußeren wie
inneren Politik; in der äußeren: Erhaltung des bisherigen
Zustandes am Balkan, soweit Rumänien dazu beitragen
kann, in der inneren: Festigung der Finanzen, Hebung
des Bauernstandes, Förderung von Handel und Industrie
und Besserung des Unterrichtswesens.
Der günstige Einfluß zeigte sich auch beim Budget
des Jahres 1905 — 1906, das mit einem Uberschuß von
4 Millionen Francs abschloß, trotzdem infolge der Miß-
ernten zahllose Millionen ausgegeben worden waren, um
die notleidenden Bauern mit Mais zu unterstützen, und
424
ein neues und stolzes Schiff einzuweihen. Wir haben es
„Romania" getauft, weil wir wünschen, daß dieser unserm
Herzen so teure Name unausgesetzt im ganzen Orient
erschalle, und daß er daran erinnere, daß das Königreich
heute eine Macht ist, die nicht mehr bestritten werden
kann. Unsere Standhaftigkeit, die Erfolge der Armee und
die Opfer, welche das Land sich auferlegte, haben uns
die unbegrenzten Wege des Meeres eröffnet. In einem
kurzen Zeiträume haben wir unsern Seeschiffahrtsdienst
begründet, dessen Schiffe die Ehre haben, die nationale
Flagge fern über die stürmischen Wogen des Ozeans zu
tragen. Die Eisenbahnen, die Donaubrücke und der Hafen
von Konstanza haben den internationalen Handel heran-
gezogen, und viele Staaten haben Sonderverträge mit dem
Lande abgeschlossen, um ihren Transit zu erleichtern.
Diesbezüglich müssen wir dem Deutschen Reiche dankbar
sein, das seinen Telegraphen- und Postverkehr durch unser
Land geleitet und uns in dieser Weise einen schmeichel-
haften Beweis des Vertrauens in unsere Verwaltung ge-
geben hat. Man behauptet, daß die Zukunft auf dem
Meere liegt; es mag so sein! In allen Fällen haben wir
durch die Dobrudscha, diese Perle in der Krone Rumäniens,
die Unabhängigkeit Rumäniens, freie Verbindungen mit
der ganzen Welt und die Handelsmarine erworben. Fest
überzeugt, daß es zusammen mit der Kriegsmarine sich
überall würdig und stolz darstellen wird, wünsche ich dem
neuen Schiffe Reisen voller Nutzen für das Land und
unausgesetzt werden wir es mit dem Rufe begleiten: „Es
lebe Rumänien !" " —
Der gleiche Frühling war insofern noch von großer
Bedeutung für die wirtschaftspolitische Entwicklung Ru-
mäniens, als die Kammern den neuen deutsch-rumänischen
Handelsvertrag annahmen, der, dank den hingebenden
Bemühungen des deutschen Gesandten in Bukarest, Herrn
von Kiderlen-Wächter, und des rumänischen Gesandten
425
Königin Elisabeth.
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in Berlin, Herrn A. Beldiman, beiden Reichen zum dauern-
den Vorteil dienen wird.
War 1905 für Rumäniens innere Kräftigung von be-
Fürst Leopold von Hohenzollern
als Chef des 3. Rumänischen Infanterie-Regiments Dimbowitza No. 22.
sonderem Wert, so fügte es leider dem König den tiefsten
Schmerz zu, indem es ihm, nachdem im Dezember des vor-
angegangenen Jahres sein Bruder Prinz Friedrich ver-
schieden, am 8. Juni seinen letzten Bruder entriß, den
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Fürsten Leopold von Hohenzollern. der ihm immerdar
die treueste brüderliche Liebe und echteste Freundschaft
erwiesen und der auch in dem engen, vertrauten Ver-
hältnis zu dem König, in der innigsten Anteilnahme an
seinen Geschicken und jenen seiner Familie wie des Landes,
die Erbschaft des teuren Vaters angetreten und bis zum
Blick auf Sinaia.
letzten Augenblick als heiliges Vermächtnis angesehen hatte.
Immerdar wird man des Dahingeschiedenen als eines
echten und rechten deutschen Fürsten gedenken, der
stets groß und edel gedacht und stets groß und edel ge-
handelt und dessen Bild unvergänglich in den Seelen
aller haften wird, die je zu ihm in Berührung getreten.
Nur eine Schwester, die Gräfin Marie von Flandern, ist
dem König erhalten geblieben, dessen Lebensweg ein-
samer geworden, der aber an der Seite seiner teuren Ge-
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mahlin voll freudigen Empfindens die jungen Sprossen
seiner Dynastie heranwachsen sieht, zwei Söhne und zwei
Töchter des Thronfolgerpaares, die Prinzen Carol und
Nikolaus, welch letzterer am 5. Januar 1903 geboren ward,
und die Prinzessinnen Elisabeth und Maria, ein liebliches
Kleeblatt, dem hoffentlich immerdar sonniges Glück be-
schieden ist.
In stiller Trauer verbrachte das Königspaar den
Sommer im waldumfriedeten Schlosse Pelesch bei Sinaia,
welche Ortschaft im Lauf der Jahre einen außer-
ordentlichen Aufschwung genommen, sich zu einer ebenso
anmutigen wie stattlichen Villenkolonie gestaltend. Auch
der König trug das Seinige dazu bei, daß sich Sinaia immer
prächtiger entwickelte. So war auf seine Veranlassung
und Kosten die 1846 erbaute Kirche des Klosters gänzlich
erneuert worden, jetzt mit der goldgestreiften Kuppel
des Hauptturmes, der zwei kleinere Türme überragt,
malerisch herabschauend auf die von der Prachowa durch-
brausten Talbuchten, auf Villen und Häuschen. Ihr
Inneres der Kirche von Sinaia.
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Inneres zeigt den reichen byzantinischen Stil mit vornehm
abgestimmter Farbenpracht und mit gewählten einzelnen
Ausschmückungen, die harmonisch zu einander passen.
Die innern Wandfiächen seitlich des Haupteinganges zeigen,
verziert mit Malereien auf Goldgrund, die Gestalten des
Königspaares. Der König mit dem Plan der Kirche in
der Hand, die Königin in heller Gewandung, mit der
Schloß Pelischor.
rechten Hand ihr Töchterchen berührend, das, in weißem
Kleidchen und mit aufgelöstem blonden Haar, die Hände
gefaltet auf der Brust hält
Nahe Schloß Pelesch ist sodann als sommerlicher
Wohnsitz des Thronfolgerpaares Schloß Pelischor ent-
standen, das nach den Plänen und unter Aufsicht des
Architekten Karl Liman im Stil der altdeutschen Re-
naissance binnen zwei Jahren erbaut wurde und sich außer-
ordentlich gefällig mit seiner mannigfachen Holz- und
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Fachwerkfassade in seiner grünen Umgebung ausnimmt.
Das Innere zeigt die Einrichtung moderner englischer
Aristokratensitze, alles hell mit mancher Anlehnung an
die Sezession, jedoch ohne deren Übertreibungen. Viele
der Räume wurden genau nach den Angaben der Prin-
zessin Maria gestaltet und von ihr mit ihren eigenen deko-
rativen Malereien, Schnitzereien und kunstfertigen Sticke-
reien geschmückt, wobei sie einen erwählten Geschmack
bewies. Auch von den Balkons und Galerien dieses in all
seinen Räumen mit Blumen geschmückten Schlosses
Pelischor schweifen die
Blicke teils hinunter in
die fernen, quelldurch-
zogenen Täler mit ihren
fruchtbringenden Auen,
teils tauchen sie hinein
in die Waldeinsamkeit
mit hochragenden Tannen
und breitkronigen Laub-
bäumen, Über deren Gip- Das „Nest" der Prinzessin Maria,
fei hinweg die zackigen
Spitzen des Pelesch-Arsa ragen, von dem der Pelesch
herunterbraust in schäumendem Gefäll.
Verschiedene Wege ziehen sich durch den Hochwald,
dem man völlig seine erhabene Ursprünglichkeit gelassen
hat. Bergan geht's im feierlichen Waldesschweigen, und
nun ein Ausruf des Erstaunens: hoch über dem Erdboden,
dicht unter den Wipfeln riesiger Föhren, auf und zwischen
den Stämmen ruhend, hängt eine von schmaler Veranda
umgebene Baumhütte, zu der man nur Zugang erlangt von
einem nebenan errichteten hölzernen Turm, von welchem
eine Zugbrücke hinübergelassen werden kann. „Das Nest
der Prinzessin Maria", heißt das in seiner Art einzige
Tuskulum, in dem die Prinzessin ihren vertrauten Gästen
und Verwandten den Tee bereitet und reicht.
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Schloß Pelesch wird übrigens seit kurzem einer lang-
samen, aber vollständigen baulichen Umwandlung seiner
Fassaden unterzogen, mit einer strengeren Stilgebung in
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enger Anlehnung an die schönste deutsche Renaissance-
epoche und die hervorragendsten Schloßbauten derselben.
Als das Schloß errichtet ward, konnte infolge der vielfachen
Hemmungen der Bau kaum so einheitlich gestaltet werden,
wie es von Anfang an der Wunsch des Königs gewesen,
auch mochten diese und jene Erfahrungen den Bauleitern
fehlen, und schließlich drängte die Zeit zu schneller Voll-
endung. Was damals versäumt, es wird nun auf Grund
umfassendsten Studiums in Ruhe und mit Hilfe einer treff-
lich geschulten Arbeiterschar unter steter, alles
sorgsam erwägender Leitung verbessert oder auch
völlig neu ausgeführt, und über das bisher Geschaffene
darf man freudige Genugtuung empfinden. Rüstig schreiten
die Arbeiten vor, so hat bereits der Hauptturm
einem anderen, mehr dem ernsten Schloßbau sich an-
passenden Nachfolger Platz gemacht; Schwierigkeiten und
durch die Arbeiten entstehende Unbequemlichkeiten kennt
der König nicht, wie es die Schaffung umfangreicher
Terrassen beweist, die binnen wenigen Monaten dem Berg-
abhange entrissen wurden, wobei viele tausende Kubik-
meter Erde entfernt werden mußten.
Denn die oberste Leitung aller Anordnungen und
Arbeiten hat doch der König in Händen. Mit manchem
seiner großen Ahnen teilt er die Lust am Bauen, die Freude
an vollendeten Schöpfungen, die von seinem Geist und
Wesen durchdrungen sind, und denen er den Stempel seines
Wissens, Könnens und Geschmackes aufzudrücken vermag.
Nelken seinen Regierungsgeschäften findet er stets noch
Zeit, einen bestimmten Teil des Tages seinen baulichen
und künstlerischen Neigungen zu widmen, und zwar sind's
die Neigungen eines gewissenhaften Forschers und streng
durchgebildeten Kunstfreundes, der, so zahlreich und
wichtig auch die Ablenkungen der Politik, des Herrscher-
berufes und der fürstlichen Etikette mit ihren Empfängen
und Besuchen sind, sich, wo es nur geht, mit tiefster
Lindenberg, König Karl. 28
434
Freudigkeit und wärmster Liebe der Kunst widmet,
der Vervollständigung seiner Sammlungen, dem
Ausbau und der Ausschmückung seiner anheimelnden
Wohnstätten in Sinaia und Bukarest. Auch um das schein-
bar geringste kümmert sich da der König. Er sieht mit
größter Gewissenhaftigkeit alle Pläne, Entwürfe, Zeich-
nungen durch, bestimmt
oft Formen und Material,
berät sich mit den Archi-
tekten, Baumeistern und
Künstlern und überwacht
das Fortschreiten der ein-
zelnen Arbeiten — es ist
das für den unermüdlich
pflichttreuen Herrscher, der
keinerlei sportlichen oder
sogenannten aristokrati-
schen Passionen huldigt,
die einzige Erholung.
Auch jubelnde Kinder-
stimmen erklingen oft in
den Räumen des Pelesch-
Schlosses, wenn dort das
jugendliche Viergestirn des
Thronfolgerpaares weilt.
Ein zukunftsfrohes Bild:
auf der Schloßterrasse den
in die dunkle Generals-
Prinzessin Maria von Rumänien.
uniform gekleideten König zu sehen, in dessen Arm sich
Prinz Carol eingehenkelt hat, ein schöner schlanker Jüngling,
dem die rumänische Uniform der Militärschüler vortreff-
lich steht und der von echtem Soldatenblut zu sein scheint,
denn gern nimmt er an den Übungen des in Sinaia garni-
sonierenden Jäger-Bataillons teil und meist bestürmt er
den Großoheim mit militärischen Fragen. Und an die
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Königin hat sich die holde, blondlockige Prinzessin Elisa-
beth, ein stilles, in sich gekehrtes Kind, geschmiegt und
blickt mit ihren blauen zärtlichen Augen zu der hohen
Gestalt empor, deren frisches, rosiges Gesicht von vollem,
weißem Haar umrahmt ist und deren schöne Augen so
gütig und sinnig leuchten. Eilfertig kommen nun auch die
Prinzessin Maria, kosend
Mignon genannt, und der
kleine Prinz Nikolaus her-
angetrippelt, und Mignon
läßt nicht eher mit Bitten
nach, bis die Königin einen
Platz unter den blühenden
Gebüschen wählt, die Klei-
nen auf den Schoß nimmt
und ihnen ein Märchen
erzählt, ein so schönes,
spannendes, geheimnisvol-
les von Nixen und Gno-
men, wie es eben nur Car-
men Sylva, die liebe Kin-
derfreundin, erzählen kann,
die so gern Mutterstelle
an dem Kleeblatt vertritt,
wenn die Eltern auf Rei-
sen weilen. —
Mit froher Genugtu- Prinz Ferdinand von Rumänien,
ung verfolgt König Karl
den Aufschwung Sinaias, das ja ein erbärmliches Dorf ge-
wesen, als er zum ersten Male die Schritte hierher gelenkt,
und das sich jetzt eines Weltrufes erfreut. Damals war das
obere Tal der Prahova wild und unwirtüch, heute ist es
bereits in den Dienst der Industrie genommen, haupt-
sächlich in der Ortschaft Azuga, die man von Sinaia aus
in kürzester Frist mit der Bahn oder nach einstündiger,
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schöner Wagenfahrt auf glatter Chaussee, die auch Buschteni,
eine der zwölf Krondomänen, berührt, erreicht. Wie bei
allen Krondomänen fallen uns auch in Busteni, dessen
Kirche, Schulhaus, Beamten- und Kolonisten Wohnungen mit
Geschmack und erheblichen Kosten errichtet wurden, selbst
bei einem flüchtigen Besuch die Ordnung und Sauberkeit auf.
— : —r— E — :
Tal der Prahova bei Sinaia.
Verkörpert Buschteni in landwirtschaftlicher Hinsicht
ein gut Stück des neuen Rumänien, so zeigt das benach-
barte Azuga, von hohen Waldbergen umrahmt, ein Stück
des industriellen Lebens im Königreich. Hier surren
Maschinen, stampfen die Hämmer, kreischen die Sägen,
glüht und sprüht es in den Hochöfen, schrillen die Dampf-
pfeifen; Bierbrauereien, Möbel-, Glas-, Tuch-, Zellulose-
und sonstige Fabriken, Wein- und Champagnerkellereien
beschäftigen viele hunderte fleißiger Hände und sorgen
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für steigenden Wohlstand. Auch der heute 3000 Ein-
wohner — darunter viele deutscher Abstammung —
zählende Ort, vor wenigen Dezennien ein armseliges
Dörfchen, verdankt ungemein viel dem König, der mit
Rat und Tat die ersten, vorsichtig unternommenen in-
dustriellen Ver-
suche unter-
stützte und
sie fortgesetzt
fördert, wo
und wie es ihm
nur möglich
ist, ebenso
wie er mit
regster Anteil-
nahme alles
Universität in Bukarest. verfolgt, was
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zur Verschönerung und Hebung der Hauptstadt bei-
trägt.
Wie anders schaut jetzt Bukarest aus, als in jenem
Jahre des Einzu-
ges des jungen
Fürsten, dessen
Wagen damals
kaum aus den tie-
fen Straßenkuten
herauskommen
konnte! Heute ist
die Residenz eine
glänzende Perle
unter den Städten
der Donauländer, einen durchaus großstädtischen Eindruck
machend mit den elektrisch beleuchteten Hauptstraßen
Athenäum in Bukarest.
Boulevard Elisabeth in Bukarest.
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440
Ministerium des Äußeren in Bukarest.
und Boulevards, den wahrhaft imponierenden monumen-
talen, staatlichen und städtischen Neubauten, den öffent-
lichen Denkmälern und Brunnen, den großartigen Kirchen
und Wohltätig-
keitsanstalten,
den hübschen
Parkanlagen
und Plätzen,
den koketten
Stadtvierteln
mit einer Fülle
der reizendsten
Villen inmitten
lauschigen
Grüns,mitlock-
enden Läden wie Schaufenstern in den hauptsächlichsten
Verkehrsadern, in denen es von früh bis spät lebhaft zu-
geht und in welchen die Figuren der herumziehenden Ver-
käufer, wie des aus den nahen Ortschaften kommenden
Landvolkes für
zahlreiche ma-
lerische Szenen
sorgen mit süd-
ländischem
Farbenreich-
tum in stets
wechselndem
Getriebe.
Auch in
wissenschaft-
licher, künstle-
rischer, literarischer Beziehung ward sehr viel in Bukarest
und damit für das gesamte^Land getan. Reichbegabte
Dichter, wie V. Alexandri ,,und Eminescu, gaben tief-
wirkende Anregungen für^eine neue Blüte der rumänischen
Sparkasse in Bukarest.
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Poesie, und Gelehrte wie Schriftsteller wirken auf das
fördersamste für die Kenntnis und Entwicklung des jungen
Reiches. Die Universität, deren machtvoller Bau die
staatlichen Museen und zahlreiche fesselnde Erinnerungen
an Rumäniens Vergangenheit birgt, erfreut sich weitesten
Ansehens, namentlich ihrer medizinischen Fakultät wegen,
und in ernster, fördersamer Weise erfaßt die unter dem
Protektorat des Königs stehende rumänische Akademie
der Wissenschaften ihre
Aufgaben. Uber reichen
Inhalt verfügen die Uni-
versitäts- sowie die Zen-
tralbibliothek, und gro-
ßen Segen übt das vom
König für die Bukarester
Uni versitätsj ugend be-
gründete Stiftungshaus
,,Fundatiunea Universi-
tär a Carol I." mit treff-
lichen wissenschaftlichen
Sammlungen und an-
heimelnden Lese- wie
Klubräumen aus. In den Hauptpost in Bukarest,
schönen Räumen des
monumentalen kuppelgekrönten Athenäums finden im
Laufe des Winters vielbesuchte Künstlerkonzerte und
wissenschaftliche Vorträge statt, und werden dort auch
kleinere Kunstausstellungen veranstaltet mit reichem In-
halt, das Nationaltheater aber sorgt für einen abwechseln-
den Spielplan, in welchem auch die deutsche Literatur ge-
bührend vertreten ist.
In den schönen Sommermonaten bildet auch heute
noch, wie seit langem, nachmittags und abends die
„Chaussee", jene vor der Stadt sich erstreckende, herrliche,
ausgedehnte Promenade, den Mittelpunkt frohsinnigen und
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unterhaltenden gesellschaftlichen Lebens und Treibens,
hauptsächlich der begüterten Klassen. In ununterbrochener
Reihe rollen die Mietsequipagen dahin, meist von den
„Birjars" gelenkt, den einer Sekte angehörenden Russen,
die, mit breiter Mütze, unter der das russisch ge-
schnittene, strähnige Haar dicht hervorquillt, mit von
Ledergurt oder breiter seidener Schärpe umschnürtem
dunklem Sammetkaftan gar stattlich auf dem Bock sitzen
und ihre prächtigen Rosse nur schwer zu ruhigerem Gange
zügeln kön-
nen, aber auch
an schmucken
Privat-
gefährten
fehlt's nicht
und nicht an
sechs-
spännigen
Mailcoachs,
mit Offizieren
in kleidsamen
Nationaltheater in Bukarest. Uniformen
gefüllt. Doch
nicht nur für die Wohlhabenden ist gesorgt, sondern auch
für die minder Begüterten durch die Schaffung des hinter
dem Königlichen Palais liegenden großen Volksgartens Cis-
migiu, mit prächtigem altem Baumbestand, mit duftenden
Blumenbeeten und lauschigen Ruheplätzen, mit weiten
Teichen, auf denen Schwäne ihre Kreise ziehen, und plät-
schernden Springbrunnen zwischen dichtestem Laubgerank.
Im Frühling des Jahres 1906 legte die Hauptstadt
ihren festfrohesten Schmuck an, galt es doch, das vierzig-
jährige Regierungsjubiläum des Königs, der kurz vorher,
von ernstlicher Erkrankung genesen, mit seiner Gemahlin
nach Bukarest zurückgekehrt war, auf das würdigste zu
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feiern. Jubelnder Sang und Klang durchhauten in jenen
Maitagen die rumänischen Gaue von der Donau an, nahe
den Stromschnellen des Eisernen Tores bis zum fernen
Pruth "an Rußlands Grenzen, von der erhabenen Felsen-
einsamkeit der Karpathen bis zum schaumbespritzten
Gestade des Schwarzen Meeres; freudig tönten die Glocken
in den volkreichen Städten und in den entlegensten Ort-
schaften, und ihr feierlicher Hall fand ein inniges Echo
in den Herzen der Bewohner des rumänischen Landes,
die stolz zurückblickten auf das Erreichte und stolz auf-
schauen konnten
zu ihrem treuen
stadt und spie-
gelte sich funkelnd wieder in den goldenen Kuppeln der
zahllosen Kirchen und Kapellen, mit weißen Blüten über-
schüttet waren die süßen Duft verbreitenden Akazien in
den Straßen und Gärten, überall flatterten die blau-gelb-
roten Fahnen und Banner und überall rankten sich
Laub-, Blumen- und Tannengirlanden dahin, überall
Bilder und Büsten des Königspaares, Wappen und
Namenszeichen, Blumenschmuck und Teppiche — —
die an sich schon so lebenslustige Stadt war durch-
weht wie von einer rauschenden Symphonie der Freude
und des Frohsinns. Und sie hatte vollsten Anlaß
dazu, denn jene Feier bewies, welch hoher Geltung sich das
Königspaar und der Staat erfreuten, sie bewies, was aus
Lenzessonne lag
schimmernd aus-
gebreitet über des
Landes Haupt-
Führer in Kriegs-
und Friedenszei-
ten, zu König
Karl.
Goldigste
Park Cismigiu in Bukarest.
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dem einstigen Vasallenstaat geworden und welch weiten
Klang sich der Name „Rumänien" errungen ! Aus allen
Landesteilen waren auf die Einladung der Regierung hin
an 3000 Primare — Dorf- und Ortsvorsteher — vielfach
von ihren Familienangehörigen begleitet, herbeigeeilt und
füllten in buntem Gedränge die Straßen und Plätze.
Welch eine überreiche Fülle charakteristischer Gestal-
ten und packender Bilder ! Gab's doch unter diesen Tau-
senden keinen einzigen, der die „abendländische" Tracht
trug! Die nationalen Gewandungen ganz Rumäniens
konnte man hier genau studieren in erstaunlicher Mannig-
faltigkeit, Eigenart und Farbengebung. Unter langen,
weißen, rotgestickten Gewändern hingen hier kurze, graue
Filzmäntel, dort war über dem hemdartigen Rock eine
buntgestickte, weiße Lederjacke ohne Ärmel gezogen, da-
neben erblickte man Jacken, vollständig mit silbernem
Flitter bedeckt und darauf grelle Stickereien, andere weiß-
wollene Jacken waren mit Schafpelz besetzt, die Nachbarn
trugen helle Röcke und Hosen mit breitem, schwarzem
Aufputz in verschlungenen Ornamenten, hier wieder war
trotz der Hitze der solide, dichte, fast bis zur Erde reichende
Schafpelz nicht abgelegt, dort erinnerte das Flittergewand
mit gelbem Florüberhang ans Theater, schwarze, reichge-
stickte Wollröcke wechselten mit weißen, grauen, braunen
und blauen, breite lederne Gürtel mit roten Bündeln und
blau-gelb-roten Schärpen, verschiedene Primare aus der
Dobrudscha, wo es noch eine Reihe türkischer Ansiede-
lungen gibt, trugen Fez oder den buntumwickelten Turban
— es war gewissermaßen eine lebende Kostümausstellung,
wie man sie sich nicht fesselnder vorstellen konnte. Und
welch interessante Typen unter diesen an Wind und Wetter
gewöhnten, gebräunten, stattlichen Männern: so manch
scharfgeschnittenes Profil erinnerte an römische Vorbilder,
Gestalten voll Mark und Kraft, Mut und Energie, dann
wieder tatarischer Einschlag und orientalischer Gleichmut
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— das wundervollste Material hätte hier ein Maler ge-
funden !
Überhaupt war das ganze festliche Treiben volks-
tümlichster Art. Außer dem ältesten Neffen des Königs,
dem Fürsten Wilhelm von Hohenzollern, und einem Neffen
der Königin, dem Prinzen von Wied, waren keinerlei fürst-
liche Persönlichkeiten eingetroffen; jede derartige Anfrage,
auch jene, die sich auf Spezialmissionen bezog, hatte dahin
ihre Beantwortung gefunden, daß das freudige Fest nur
auf nationaler Grundlage begangen werden sollte. Ebenso
war von allen höfischen Veranstaltungen und von Dar-
bietung reicher Gaben auf Wunsch des Königs Abstand ge-
nommen worden, er wollte in diesen erinnerungsvollen
Maitagen nur in enger Gemeinschaft mit seinem Volke sein.
Die Hauptfeier war jene des 23. Mai, der aiti Vor-
abend ein Zapfenstreich der Garnison vorangegangen war,
bei dem die den Platz vor dem Palais ausfüllende viel-
tausendköpfige Menge dem Herrscher, als er, bestrahlt
von dem glühenden Schein der Fackeln, auf dem Balkon
erschien, die stürmischsten Huldigungen darbrachte. Und
wie wiederholten sie sich am nächsten Tage, der vom herr-
lichsten Frühlingssonnenschein übergoldet war und das
fröhliche Bukarest im freudigsten Fest- und Frühlings-
schmucke zeigte, die Hauptstraßen gefüllt von früh an
mit dichtesten Menschenmassen.
Umhallt von brausenden Jubelrufen und unter dem
Jubiläums-Medaille.
Revers für Zivil.
Revers für Militär.
446
Donner der Geschütze hatte sich am Vormittag das Königs-
paar nach der Metropolie begeben, dem ehrwürdigen Gottes-
hause, auf einer Anhöhe außerhalb der eigentlichen Stadt-
grenze gelegen, wo sich auch die Würdenträger und fremden
Gesandten versammelt. Außen schlicht, weist das Innere
der Kirche, in welche das Tageslicht durch die Malereien
der Glasfenster und durch zwei hohe Kuppelöffnungen ge-
dämpft hereinfällt, den ganzen blendenden Reichtum des
orthodoxen Kultus auf. Goldene Heiligenbilder und Re-
liquien, goldene Leuchter und Ampeln, goldene Schreine
und Altargeräte, und auf der goldschimmernden Wand des
AUerheiligsten die wie große Rubine glühenden Lichtchen
der ewigen Lampen mit ihren blutroten Reflexen. In gold-
starrenden Gewändern harrten die Geistlichen, an ihrer
Spitze der weißbärtige, würdige Metropolit, des königlichen
Paares, es unter den vom Chor gesungenen feierlichen
Klängen der Nationalhymne: „Der König soll leben in
Friede und Ehre, er hebt sein Land und verteidigt es",
zu den Thronsesseln nahe dem Altar geleitend, worauf das
Tedeum begann, das mit den eindringlichen Worten des mit
erhobenem Kreuze vor dem Altar stehenden Metropoliten :
„Viele Jahrelebe er !" endete, und all die Anwesenden wieder-
holten den Segensspruch dreimal: „Multi ani traesca!"*) —
Welche Gedanken, welche Erinnerungen mochten den
König bewegen! Hierher, nach dieser heiligen Stätte,
hatte er vor vierzig Jahren zuerst seine Schritte gelenkt,
hierher hatte er am Tage des gemeinsamen Einzuges seine
holde, junge Lebensgefährtin geführt, das feinsinnige
Fürstenkind vom Rhein, hierher war sein erster Gang ge-
wesen, nachdem er von den blutgetränkten Schlachtfeldern
Bulgariens, auf denen er mit seinen tapferen Truppen Sieg
und Ruhm erfochten, heimgekehrt, und hier waren vor
einem Vierteljahrhundert die Königskronen geweiht wor-
*) Phonetische Schreibweise: „multzi ani traiasca".
447
den, die sein Volk ihm und seiner Gemalin dargebracht
als Dank für die Treue und Aufopferung, mit der beide
sich immerdar dem Wohle des Landes gewidmet!
Das Königspaar mit den Prinzen Carol und Nicolaus bei der Parade
am Jubiläumstage (23. Mai 1906).
Und dieser Dank, er kam im weiteren Verlaufe des
Tages zu bewegendem Ausdruck! Mit besonderem Glanz
fand diesmal die alljährliche Parade statt auf dem breiten
Boulevard Universitatei, auf dem vor und nahe der Univer-
sität eine Reihe überdachter, rotausgeschlagener Tribünen
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in gefälligstem Stil und mit sehr geschickter Verwendung
von- Teppichen, Kelims, Vorhängen, Girlanden und Blumen
errichtet worden war. Gegenüber jener für das diploma-
tische Korps' befandfsich der zierliche königliche Pavillon
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mit großer Krone auf dem roten Dache, unten umrahmt
von einer aus Gewehren gebildeten Brüstung mit Trommel-
und Kugelpyramiden und mit prächtigen Palmen- und
Lorbeerarrangements am Zugang, in enger Nachbarschaft
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ein großes, an allen Seiten offenes Zelt nebst zwei mit
Waffen bedeckten Trophäenbogen — das alles in seiner
Mannigfaltigkeit und Farbe mit zahllosen Fahnen und
Wimpeln wundervoll sich abhebend von dem vollen Grün
der dichten Baumgruppen dahinter.
Um die Mittagsstunde dringt lautschallender Jubel
näher und näher. Ein Zug Gendarmen in dunklen Uni-
formen, Federbüsche auf den blitzenden Stahlhelmen, naht,
dann Vorreiter, und nun erblickt man den offenen, von vier
silbergeschirrten, wippende blau-gelb-rote Straußenfeder-
büschel auf den Köpfen tragenden und von Jockeys in
silbergestickten Livreen gerittenen Pferden gezogenen
Galawagen, im Fonds die ganz weißgekleidete Königin,
das rosige Gesicht von Freude verklärt, die großen blauen
Augen strahlend, überallhin mit frohem Lächeln grüßend,
erfüllt von innigster Bewegung. Links neben der Königin
die schlanke Gemahlin des Thronfolgers, Prinzessin Maria,
mit ihren Kindern, dem Prinzen Carol und den Prinzessinnen
Elisabeth und Maria.
Neuer brausender Jubel, donnernd anschwellend und
die schmetternden Weisen der Nationalhymne überhallend
— von glänzender Eskorte gefolgt, erscheint, einen
prächtigen Braunen reitend, der König. Alles auf den Tri-
bünen erhebt sich, Tücher und Hüte werden jubelnd ge-
schwenkt, die Hurras nehmen kein Ende. Der König in
Generalsuniform sieht frisch und wohl aus, fest hat er die
Zügel in der Hand, und freudig gleiten seine Blicke über
die Menge, seine sonst meist ernsten Gesichtszüge sind
froh verklärt, grüßend senkt er immer und immer wieder
den Degen, nahe dem königlichen Pavillon sich vom Pferde
schwingend und die seiner harrenden Minister begrüßend,
dann sich rüstigen Schrittes in den Pavillon begebend und
dort lebhaft mit den Damen und Herren plaudernd. Zu
Pferde halten nahe dem erwähnten Zelt der Fürst Wilhelm
von Hohenzollern in rumänischer Oberstenuniform und der
451
Prinz Wilhelm von Wied in Garde du Korps-Uniform, im
Halbkreise die Adjutanten und fremden Militär- Attaches,
eine mannigfaltige Gruppe bildend, preußische, russische,
französische, englische, italienische, türkische Offiziere
durch- und nebeneinander.
Der Präsentiermarsch erschallt, Prinz Ferdinand,
der Thronfolger, sprengt heran und meldet seinem an die
Brüstung getretenen königlichen Oheim den Beginn der
Parade. Der König und seine Gemahlin verlassen mit den
Prinzen Carol und Nikolaus den Pavillon und stellen sich
draußen auf, vor den Ministern; ein rührendes Bild ist es,
als die Königin ein wenig hinter ihren Gemahl tritt, um
ihn, ohne daß er es merkt, mit ihrem weißen Spitzenschirm
gegen die brennenden Sonnenstrahlen zu schützen.
Rasche Marsch weisen ertönen, die waffenfrohe junge
Generation hat diesmal den Vorrang, die „kleinen Doro-
banzen" nahen, in einzelnen Kolonnen defilierend, stramm
und flott, ohne Spur von Ermüdung, obwohl sie schon
vom frühen Morgen an unterwegs sind. Mit Fahnen und
Musik ziehen sie vorüber, die Köpfe rechts zum König ge-
wandt, der sehr befriedigt zu sein scheint; denn er nickt
oft wohlgefällig, zuweilen mit der rechten Hand das Tempo
angebend. Wohl an 2000 Knaben sind es, aus den benach-
barten ländlichen Distrikten stammend, eine Jugendwehr,
von Unteroffizieren oder von Lehrern, die aktiv gedient,
militärisch ausgebildet. Die Kerlchen, die jüngsten sieben
und acht Jahre, sehen famos aus in ihren leichten, weißen,
blau eingefaßten Uniformen, mit der weichen schwarzen
Fellmütze, mit Tornister und richtigem Gewehr, sie nehmen
es sichtlich sehr ernst, nirgends ein Wort oder nur ein
Lächeln, sie sind ganz bei der Sache und führen jeden Be-
fehl sicher und rasch aus. Ihnen schließen sich die Schüler
der Bukarester mittleren und höheren Schulen an, die
Zöglinge der Militärschule, ferner Vertreter einzelner Ge-
werke.
29*
452
Der König besteigt jetzt wieder sein Pferd und nimmt
unter dem Zelt Aufstellung — von neuem brausende Hochs :
in ihren dunklen, zerschlissenen Militärmänteln, auf denen
die Feldzugsmünzen klirren, erscheint ein Trupp Vete-
ranen mit den oben den goldenen römischen Legionsadler
tragenden, völlig zerschossenen Fahnen, welche dereinst
vorangeweht den todesmutigen Erstürmern Plewnas und
Rahowas, und diesen ruhmvollen Feldzeichen folgen 3000
der alten Krieger, die, ihre übrigen Kameraden vertretend,
aus allen Teilen des Landes nach Bukarest geeilt waren,
um ihrem König und Heerführer, der treu mit ihnen die
furchtbaren Strapazen und Entbehrungen des Winterfeld-
zuges von 1877 /y8 am Balkan geteilt, an diesem Erinnerungs
tage zu huldigen. Unermüdlich grüßt der König, manchem
der alten Krieger winkt er mit der Hand zu, in den Mienen
vieler der Vorbeimarschierenden prägt sich tiefe Rührung
aus, daß es ihnen noch einmal vergönnt ist, ihren König
und Held zu schauen, der in ihrer Mitte geweüt, als die
türkischen Granaten ihre Reihen gelichtet im zähen Ringen
zwischen Kreuz und Halbmond.
An die Veteranen schließen sich die Abordnungen
sämtlicher außerhalb Bukarests garnisonierender Truppen-
teile mit den Fahnen, der Thronfolger reitet an der Spitze,
um die Feldzeichen, unter denen gleichfalls viele kugel-
zerfetzte sind, an dem König vorüber zu führen. Die
Reserveoffiziere der Hauptstadt defilieren danach, hinter
ihnen Kommandos der Marine und dann die gesamten
Truppenteile der Garnison, Jäger, Infanterie, Artillerie zu
Fuß und mit Geschützen — letztere die neuesten Krupp-
schen Rücklaufkanonen — , Geniekofps, Kavallerie, bis
die Gendarmen den Schluß bilden, alles in allem etwa
15 000 Mann aktiver Truppen. Der Vorbeimarsch fällt
vortrefflich aus, es sind kernige, gut disziplinierte, aus-
dauernde Soldaten, über welche Rumänien verfügt.
Wiederum erklingt die Nationalhymne, die Veteranen
453
mit den Fahnen setzen sich an die Spitze, hinter ihnen der
König hoch zu Roß mit dem Thronfolger, dem Fürsten von
Hohenzollern, dem Prinzen von Wied, dem Gefolge und
den fremden Offizieren, dann eine Kavallerie-Ehreneskorte,
und nun der blumenüberfüllte Wagen mit der Königin
und der Prinzessin Maria mit deren lieblichem Vierblatt —
so zieht der Zug langsam durch die menschenüberfüllten
Straßen inmitten orkanartigen Jubels dem Palais zu, be-
strahlt von goldigster Frühlingssonne, die das unvergeß-
lich-herrliche Bild mit schimmernder Aureole umhüllt! —
An den nächsten Tagen fanden, neben allerhand volks-
tümlich-festlichen Veranstaltungen, im Palais zahllose
Empfänge statt, wollten doch hunderte und aberhunderte
von Abordnungen dem Königspaare ihre Huldigungen dar-
bringen. Hochbedeutsam war die Rede, welche der König
an die Präsidenten der gesetzgebenden Körper hielt, einen
Rückblick und Ausblick vereinend, mit tiefem Dank
für die, die ihm bei seinem hehren Werk geholfen: „Mit
lebhafter Bewegung und tiefer Dankbarkeit werfe ich heute
einen Blick auf diese lange Reihe von Jahren, die ich mit
meinem Volke im Gefühl und Willen eng verbunden durch-
messen habe — und ich fühle mich glücklich und stolz,
daß ich vor 40 Jahren seinem Rufe gefolgt bin und die
edle, aber schwierige Aufgabe übernommen habe, meine
ganze Kraft der Erfüllung seiner Hoffnungen zu widmen.
Ich beklage mich nicht über die Schwierigkeiten, die ich
auf meinem Wege angetroffen, und auch nicht über die
traurigen durchlebten Stunden, da ich sie mit meinem
ganzen Volke geteilt habe, das mich mit seiner Treue ge-
rührt und mich durch unversiegbare Liebe doppelt be-
lohnt hat. Alle diese Hindernisse und Leiden erhöhen viel-
mehr den Wert unseres Erfolges. — Ja, gesegnet und
fruchtbar war diese Epoche der Wiedergeburt Rumäniens,
dem wir dank dem patriotischen Schwünge aller Herzen
und dank der Weisheit und Besonnenheit unserer großen
454
Staatsmänner in die Geschichte ruhmreiche Seiten für das
rumänische Volk eingeschrieben haben. Es ist eine heilige
Pflicht für mich, heute diesen unvergessenen Männern
den Tribut meiner unbegrenzten Dankbarkeit darzu-
bringen. — Viele von ihnen sind bereits in ein besseres
Jenseits hinübergegangen; unsere treue Erinnerung an
sie aber wird niemals verlöschen, denn ihnen und unserer
tapfern Armee verdanken wir die Gründung eines unab-
hängigen rumänischen Königreiches an den Mündungen
der Donau, das auf dauernder Grundlage aufgebaut ist
und dessen 25 jährigen Bestand wir zusammen mit dem
40 jährigen Jubeltage meiner Herrschaft feiern. — Diese
glänzenden Erfolge sind der stolzeste Lohn für die uner-
müdliche Arbeit einer ganzen Generation, welche schwere
Kämpfe und schwere Heimsuchungen durchgemacht hat,
um das Vaterland vor den Gefahren zu retten, die sogar
seinen Bestand bedrohten. — Die warmen Worte, die Sie
mir anläßlich dieses doppelten Gedenktages im Namen
der nationalen Vertretung gesprochen, erfüllen unsere
Seele mit unsagbarer Freude. Ich nehme sie mit Dank-
barkeit als eine treue Kundgebung der Liebe unseres ge-
liebten Volkes an. — Ich danke insbesonders den am
Leben befindlichen Männern, die mich in der Erfüllung
meiner schweren Aufgabe unterstützt und einen bedeuten-
den Anteil an den vollbrachten Taten genommen haben.
— Ich bitte zu Gott, daß er ihnen und mir noch lange
Jahre Gesundheit schenke, damit wir sie der Vollendung
des begonnenen Werkes und der immer weiteren Kräfti-
gung unseres teuern Rumänien widmen können. — Welches
immer der Wille Gottes sein mag, dem wir uns in Demut
unterwerfen, so können wir doch nicht umhin, mit Ver-
trauen in die Zukunft des Landes zu blicken, da diese
Zukunft sich auf die Tugend des rumänischen Volkes be-
gründet, das ungebrochen den Leiden von 18 Jahrhunderten
widerstanden hat, auf eine Bauernschaft, die tapfer im
455
Kriege und arbeitsam in Zeit des Friedens ist, da sie sich
auf die wechselseitige und unerschütterliche Treue zwischen
Nation und Dynastie stützt, deren junge Sprossen, auf ru-
mänischem Boden geboren und in der Religion der Alt-
vordern erzogen, es verstehen werden, mit Hilfe Gottes
dieses seelische Band immer enger zu knüpfen. — Ver-
einigen wir uns also alle in dem unsern Herzen so teuren
Wunsche, der auch unsere heiligsten Wünsche umfaßt:
„Es lebe Rumänien, immer größer, immer glücklicher,
immer gesegneter!" —
Anläßlich des Jubiläums erließ der König eine Am-
nestie und gedachte in mancherlei Weise der Be-
drückten und Bedrängten, denen ja von jeher seine
Unterstützung und sein sorgendes Interesse gewidmet
gewesen. Die Kammer bewilligte eine aus parlamen-
tarischer Anregung hervorgegangene Gesetzesvorlage,
durch die zu den schon früher votierten 500 000 Francs
noch der gleiche Betrag gefügt ward für die Errichtung
eines Denkmals des Königs und des Unabhängigkeits-
krieges. Aber auch die Einzelnen bemühten sich, dem
Herrscher ihre Verehrung und ihren Dank zu beweisen,
so teilte in jenen Freudentagen der Verwalter der
Krondomänen und Präsident der Akademie, Dr. Jean
Kalindero, mit, daß er in Bukarest aus eigenen Mitteln
ein Museum der schönen Künste errichten werde, hier-
durch zu seinen großen Verdiensten um das Land ein
ruhmvolles neues fügend.
Aus Anlaß des Jubiläums war in Bukarest eine Große
Nationale Ausstellung veranstaltet worden, die in male-
rischem Rahmen einen charakteristischen Einblick in die
geschichtliche und wirtschaftliche Entwicklung des Landes
von frühen Zeiten an bis zur Gegenwart gewährte, und
da Rumänien zum ersten Male ein derartiges Werk unter-
nahm, wurden erfolgreich alle Kräfte angespannt, um
etwas ganz Besonderes zu schaffen, wobei in regem Wett-
456
bewerb alle großen staatlichen Verwaltungen und Institute,
die Regierung wie Privatkreise, die Grundbesitzer, In-
dustriellen und Gewerbetreibenden, die Gelehrten, Schrift-
steller und Künstler des Landes wetteiferten. Die Aus-
stellung breitete sich in einer Größe von über 40 Hektaren
in unmittelbarer Nähe der Stadt auf dem Füareter Felde
aus, dem „Freiheitsfelde", deshalb so genannt, weil dort
einst begeisterte Volksversammlungen stattgefunden,
welche die Freiheitsbewegung der beiden damaligen Do-
naufürstentümer, des heutigen Rumäniens, eingeleitet.
Das Bestreben, in der äußeren Gestaltung etwas völlig
Nationales und damit zugleich Originelles zu schaffen,
geläng in jeder Hinsicht, daneben glückte aber auch vor-
trefflich die künstlerische Form, verbunden mit großer
Übersichtlichkeit.
Bei der am 19. Juni stattgefundenen feierlichen Er-
öffnung, der das Königspaar, Prinz Ferdinand mit seiner
Gemahlin und seinen Kindern, die Minister und Würden-
träger, hohen Geistlichen, Senatoren, Offiziere usw. bei-
wohnten, hielt der Domänenmimster die Eröffnungsrede,
in der er ein Bild von den Verhältnissen des Landes zu
Beginn des neunzehnten Jahrhunderts gab und Vergleiche
mit der Gegenwart zog: „Das Werk der Regeneration
hat erst an dem Tage einen mächtigen Aufschwung ge-
nommen, wo die Begründung einer Erbmonarchie dem
Lande die Stabilität der Institutionen, dem Volke Ord-
nung und Sicherheit und den Bestrebungen des Herrschers
Beharrlichkeit und Dauer gegeben hat. — Das rumänische
Volk wurde weder in seinem Glauben, noch in seiner Hoff-
nung getäuscht, und wenn wir heute nach 40 Jahren der
Herrschaft Ew. Majestät die Blicke nach rückwärts wen-
den und sehen, woher wir ausgegangen und wohin wir
gelangt sind, können wir mit Vertrauen und Stolz in die
Zukunft blicken/'
Nach der sich anschließenden Rede des General-
Nationale Jubiläums- Ausstellung in Bukarest (1906).
1. Turm des Fürsten Vlad der Pfähler. 2. Königlicher Pavillon. 3. Pavillon der Kron-
domänen. 4. Blick auf den Kunstpavillon. 5. Altes Bojarenhaus. 6. Römische Arena-
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kommissars der Ausstellung ergriff der König das Wort,
indem er zunächst den Vorrednern für ihre Wünsche und für
die anerkennenden Rückblicke dankte, dann fortfahrend:
„Ich begrüße mit tiefempfundener Freude unsere erste Natio-
nale Ausstellung, dieses wahre Fest der rumänischen Arbeit,
das eine würdige Krönung vierzigjähriger Kämpfe und
Anstrengungen bildet. Mit Recht haben Sie die Erinne-
rung an die Legionäre Trajans und an die Einverleibung
unseres Landes in das große römische Reich wachgerufen,
denn dieses historische Ereignis beherrscht unser ganzes
nationales Leben. Für Rumänien ist sein vornehmer
Ursprung in 'Wahrheit ein Sporn und ein Schutz gewesen.
Dieses Erwachen des Rassenbewußtseins, das sich in den
kriegerischen Tugenden der Rumänen und in dem jahr-
hundertelangen Streben nach einem Eigenleben kundge-
geben hat, hat seine endgültige Weihe in dem unabhängigen
rumänischen Königreich gefunden. Nach dem Siege auf
dem Schlachtfelde war es natürlich, daß wir uns über
die erzielten Errungenschaften auf dem Gebiete des fried-
lichen Kampfes Rechnung legen, tun zu wissen, was wir
erreicht haben, und insbesondere, was uns noch zu tun
erübrigt, um auf sicheren und fruchtbringenden Wegen
der wirtschaftlichen Unabhängigkeit entgegenzugehen.
Diese schöne Ausstellung, in der sich alle Errungenschaften
der Kultur und der nationalen Arbeit von der traditio-
nellen Arbeit am Pfluge bis zu den jüngsten Schöpfungen
des Kleingewerbes und der Großindustrie widerspiegeln,
wird uns klar die Fortschritte zeigen, die in diesem kurzen
Zeitraum seit der Epoche, in der wir unsere Anstrengungen
auf eine verständnisvollere Verwertung unserer Hilfs-
mittel richteten, erzielt wurden. Jene allein, die unsere
wirtschaftlichen Verhältnisse seit vierzig Jahren kennen,
werden ein gerechtes Urteil über die wunderbare Um-
wandlung fällen können, die sich auf dem Gebiet der Land-
wirtschaft und der Industrie und ganz besonders auf dem
459
Felde der Ver-
kehrsmittel
vollzogen hat.
Die auf letzte-
rem Gebiet,
dank dem Bau
der Eisenbah-
nen, herbeige-
führte Verbes-
serung hat un-
sere Getreide-
ausfuhr ver-
fünffacht und
in gleichem
Maße auch den
nationalen
Reichtum ver-
mehrt. Obwohl
unsere Indu-
strie sich noch
in wachsender
Entwicklung
befindet, hat sie
bereits einen
erfreulichen
Aufschwung
genommen, der
erwarten läßt,
daß wir einen
großen Teil un-
serer Bedürf-
nisse decken
werden kön-
nen. Wir dür-
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460
stolz sein auf diesen großen Schritt nach vorwärts, der ein
sympathisches Echo selbst außerhalb unserer Grenzen in
jenen Ländern geweckt hat, die uns die Ehre erwiesen
haben, an unserem Feste teilzunehmen. Vergessen wir je-
doch nicht, den Tribut unserer Dankbarkeit auch den
Staatsmännern zu zollen, die das Volk auf dieser frucht-
bringenden Bahn geführt haben, indem sie auch auf dem
wirtschaftlichen Gebiet die stolze Devise: „Alles durch
uns selbst!" zur Geltung brachten. Insbesondere spreche
ich meine aufrichtigsten Glückwünsche und meinen leb-
haftesten Dank jenen aus, die, von unerschütterlicher
Zuversicht und Arbeitsfreudigkeit beseelt, ihre Bemühungen
dieser ersten Kundgebung des nationalen Fortschrittes ge-
widmet haben. "
Das Ziel, das man sich bei Veranstaltung der Aus-
stellung gesetzt: zu zeigen, was Rumänien in den letzten
vierzig Jahren auf allen Gebieten geleistet, ward in jeder
Hinsicht erreicht. Der wirtschaftliche Erfolg war ein
bedeutender und nicht minder der politische und moralische;
von nah und fern, aus allen Weltgegenden, waren die
Rumänen nach der Hauptstadt gekommen, mit Stolz
erfüllt darüber, welche Umwandlungen binnen wenigen
Jahrzehnten Land und Residenz durchgemacht und wie
hell und stark der Klang des einst vielgeschmähten
Wortes „Rumänien" geworden. Aber auch das Ausland
hatte zahllose Besucher gesandt, die mit Überraschung
wahrnahmen, wieviel in diesem Reiche an der Donau
geleistet worden von ernster Kulturarbeit.
In der Thronrede, mit der im Herbst die Deputierten-
kammern eröffnet wurde, drückte der König seinen in-
nigsten Dank aus für all die zahllosen Beweise der Liebe
und Treue, die man ihm in so überreicher Fülle dar-
gebracht, auch der Nationalen Ausstellung gedenkend, die
einen so glänzenden Erfolg hatte und den Beweis erbrachte,
daß die vierzigjährige Arbeit keine vergebliche ge-
461
wesen. Des Ferneren wurde des günstigen Standes der
Finanzen gedacht, die beim Rechnungsjahre 1905/06 mit
einem Überschuß von 45 Millionen abschlössen, und Ge-
setze angekündigt, die das Los der ärmeren Klassen
erleichtern sollen, ferner Verbesserungen der Universi-
täten und Spitäler, die Unabsetzbarkeit der Richter erster
Instanz sowie weitere Erstarkung des Heeres betreffen.
Die Anstrengungen der Jubiläumsfeierlichkeiten hatten
die sowieso noch nicht ganz gefestet gewesene Gesundheit
des Königs doch erschüttert, und er, der Unermüdliche,
mußte sich im Herbst und Winter große Schonung auf-
Medaille auf die Nationale Jubiläums- Ausstellung (1906).
erlegen, auf das hingebendste gepflegt von seiner Ge-
mahlin, die, gelegentlich einer falschen Zeitungsnachricht,
am Ausgang des Jahres in liebevollen Worten von der be-
wundernswerten Geduld des teuren Gemahls und von der
allmählichen Genesung berichtete: „Wie konnte man das
nur einen Augenblick glauben, daß der Mann von Eisen
nicht mit derselben Willensstärke das Ungemach langer
Krankheit ertragen würde, die er allen Schwankungen
seines wechselvollen Lebens entgegengesetzt hat! Wie
oft habe ich auf ihn Bürgers Worte angewandt: „Dem
Kaiser ward's sauer bei Hitz' und bei Kälte, oft schlief
er gepanzert im Kriegeszelte, oft hatt' er kaum Wasser bei
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Schwarzbrot und Wurst, und öfter noch litt er gar Hunger
und Durst." Wer bei der Ausstellung das kleine Haus be-
sucht hat, das er [während des ganzen Krieges zusammen
mit Ratten, Mäusen, Rauch, Schnee und Eis bewohnt hat,
der wird finden, daß ich nicht übertreibe. Seine Geduld
ist auch jetzt geradezu heroisch. Auch jetzt, wo der stark
arbeitende Mann zum Liegen verurteilt ist, zum Nichts-
tun, gerade vor der Kammereröffnung, wo sonst alle
Fragen auf ihn einstürzen, und er den Mut haben muß,
nicht einmal zu erfahren, wie es geht, ist seine Liebens-
würdigkeit nicht einen Augenblick geringer geworden !
Geduld ist Mut im Schmelzzustande des Hochofens, und
er gießt sich in viele Formen. Wie sollte der Mann der
eisernen Geduld sich nicht in dieser Prüfung bewähren?
Ich habe nie einen besseren Kranken gehabt als den König,
und ich habe sehr viel gepflegt in meinem Leben !"
Die Königin erzählt dann, daß dank der strengen Be-
folgung der ärztlichen Vorschriften seitens des Königs die
Schmerzen allmählich aufgehört haben und in den Nächten
sich Ruhe einstellt : „Den ganzen Tag bringen wir mit Lesen
zu. Alle Tische sind voll Bücher, es ist nur schwer, eines
zu finden, das er noch nicht gelesen hat. Da ich die Gabe
habe, stundenlang ohne Ermüdung vorlesen zu können,
so haben wir ein sehr interessantes Leben. Besonders
Memoiren aus allen Zeiten, von allen Färbungen und allen
Federn bereichern die geschichtlichen Kenntnisse, auf
die der König als Staatsmann den allergrößten Wert
legt. Er sagt immer: „Politik ist gelebte Geschichte,
und alles wiederholt sich in der Welt. Wenn man liest,
so sieht man, daß die Völker immer dieselben bleiben und
sich durch alle Zeiten gleich benehmen." Schade, daß
niemand in den Frieden und die Harmonie dieses Kranken-
zimmers hineinblicken kann! Unseres Sonnenlands No-
vember ist ein wundervoller Monat, und sonndurchströmt
ist unser großes Schlafzimmer mit seiner Nußbaumholz-
463
vertäfelung in reicher Schnitzerei. Die Innenfenster, auf
denen das Märchen von den sieben Raben und der treuen
Schwester nach Schwind angebracht ist, stehen offen und
lassen die Sonne all das Holz vergolden. In den Neben-
zimmern stehen alle Fenster offen, so daß die Luft rein
und frisch bleibt und Heiterkeit alles erhellt. Die andern
Frauen fragen mich oft lächelnd, ob es mir nicht neben
all der Sorge doch ein bißchen Freude macht, auch einmal
einen Gatten zu haben, ein Glück, das in dieser vielar-
beitenden Zeit uns Frauen nur durch die Krankheit unserer
Männer zuteil werden kann!"
In allen Bevölkerungsschichten des Landes wie auch
außerhalb der Grenzen Rumäniens verfolgte man mit
banger Sorge die wechselnden Nachrichten über das Be-
finden des Herrschers und atmete freudig auf, als sich all-
mählich eine endgültige Besserung einstellte.
Monate hindurch hatte Königin Elisabeth nur ihrem
Gemahl gelebt, jetzt konnte sie sich auch wieder ihren
Pflichten als Königin widmen, regen Anteil nehmend an
der Pflege der Armen, Betrübten, Hilflosen und von neuem
unermüdlich tätig für ihr jüngstes großes Liebeswerk, die
Blindenstiftung „Vatra I/uminoasa" — „Der leuchtende
Herd" — die sie im Sommer jenes Jahres ins Leben ge-
rufen, damals in engem Kreise mit hinreißenden Worten ihr
Ziel entwickelnd, nachdem sie erwähnt, daß es in Ru-
mänien an 30 000 Blinde gibt. Voll innerer Begeisterung
sprach sie bewegt von ihrem Hoffen und Sehnen, jenen
Ärmsten unter den Armen helfend zu nahen, nicht mit
Almosen sie unterstützend, sondern sie zur Arbeit erziehend
und ihnen lohnende Beschäftigung gewährend, damit sie
über die langen, bangen Stunden hinwegkommen und sich
ihr Brot selbst verdienen sollen. Wie hell und freudig
drangen da die Worte von den beredten Lippen und wie
spiegelte sich auf dem gütigen, noch so jugendfrischen
Gesicht der Königin die eigene frohe Bewegung: „Ja,
464
eine ganze Blindenstadt soll erstehen, langsam, allmählich.
Und ich will die Armen so reich machen, daß die geistig
Beanlagten Zeit zum Lernen gewinnen, die Musikalischen
Künstler werden können, wir wollen Theateraufführungen
und Konzerte veranstalten, unsere Blindenstadt soll sehr
hell und heiter werden, und darum will ich sie „Vatra
IyUminoasa" nennen, „Der leuchtende Herd!"" — Und es
war, als ob sich die Begeisterung der Königin Vielen,
Vielen mitgeteilt, denn auf das reichlichste flössen von allen
Seiten und von allen Erdteilen die Gaben und ermöglichten
es der Herrscherin, schon in kürzester Frist die blühenden
Anfänge ihres Lieblingsplanes erfüllt zu sehen.
Zur Jahreswende konnte der König abermals ein
seltenes Jubiläum begehen, seine fünfzigjährige Zuge-
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Hörigkeit zur preußischen Armee, denn fünf Dezennien
waren am i. Januar 1907 verstrichen seit dem Tage, an
dem der junge Prinz Karl von Hohenzollern als Se-
kondeleutnant ä la suite dem damaligen Garde-Artillerie-
regiment in Berlin eingereiht worden. Kaiser Wilhelm
drückte in einem sehr warm und herzlich gehaltenen
Schreiben dem König seine innigsten Glückwünsche aus,
ihm mitteilend, daß das 1. Hannoversche Dragonerregiment
No. 9, dessen Chef der König seit 27 Jahren ist, fortan
den Namen: „Dragonerregiment König Karl I. von Ru-
mänien (1. Hannoversches No. 9)" führen würde. Ab-
ordnungen dieses wie des 1. Garde-Feldartillerieregiments,
in dessen Rangliste der Name des Königs unmittelbar auf
den des Kaisers folgt, brachten persönlich dem Herrscher
die Glückwünsche der beiden Regimenter wie des preußi-
schen Heeres dar. Freudig bedankte sich hierfür der König
bei dem zu Ehren dieser Deputationen im Bukarester
Palais gegebenen Diner in dem Trinkspruch auf Kaiser
Wilhelm, die Kameraden herzlich begrüßend: „Seien
Sie willkommen in unserer Mitte! Mit Stolz und Be-
friedigung kann ich den Blick auf dieses von großen Er-
eignissen und ruhmreichen Kriegen erfüllt gewesene Halb-
jahrhundert zurückwerfen, in die Zeit, als ich das Glück
hatte, beim Anfang dieser großen Epoche, besonders in
dem dänischen Kriege im Jahre 1864, meine ersten mili-
tärischen Kenntnisse in der Artillerie und in der Kavallerie
zu erwerben. Die Kenntnisse, die ich damals bei diesen
beiden Waffen gewann, die sich in blutigen Kriegen un-
sterblichen Ruf erwarben, haben nach Jahren dazu bei-
getragen, meine junge Armee zum Siege zu führen. Mit
besonderer Dankbarkeit erinnere ich mich dieser fernen
Vergangenheit, als zwischen mir und der preußischen
Armee diese engen Bande geknüpft wurden, die noch heute
bestehen und unerschüttert auch in Zukunft bestehen
werden. Die Verleihung meines Namens an das 9. Dra-
Lindenberg, König Karl. 3Q
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gonerregiment ist eine Auszeichnung, die mich mit
Stolz erfüllt und in mir das Gefühl des wärmsten Dankes
erweckt. Dieselben Gefühle bringe ich auch zum Aus-
druck für die schöne Gabe des i. Garde-Feldartillerie-
regiments, an der sich auch Ihr erhabener Herrscher
so liebenswürdig be-
teiligt hat. Mit war-
men Wünschen für das
erhabene Kaiserpaar
erhebe ich mein Glas
auf das Wohl Seiner
Majestät, auf das Wohl
seiner tapferen Armee
und auf das Wohl
meiner lieben Regi-
menter, die auf meine
freundschaftlichen
Gefühle stets zählen
können. Es lebe Seine
Majestät, der Kaiser
und König Wil-
helm IL!"
Schwere Tage
brachen mit dem
Frühling des Jahres Plakette auf das 50jährige Militär- Jubiläum
1907 über Rumänien Köni * Karls < Revers >-
herein. In der oberen
Moldau begann Mitte März eine Bewegung in den Bauern-
kreisen, die sich zunächst gegen die Juden in den Landstädten
richtete, sehr bald aber einen völlig agrarischen Charakter
annahm, so daß auch die Häuser und Getreidemagazine
der Gutspächter geplündert wurden, bis die Truppen mit
verhältnismäßig geringen Opfern die Ruhe wiederher-
stellten. Alsbald aber griff die Bewegung auch nach der
Walachei über und artete an verschiedenen Stellen zu
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einer völligen Revolte aus. Die Bauern rotteten sich zu-
sammen, gestärkt und noch mehr aufgewiegelt durch un-
zufriedene Elemente, die sich überall dort einfinden, wo
es gärt und brodelt; viele Gutssitze und Getreidevorräte
gingen in Flammen auf, eine Anzahl von Gutsbesitzern
König Karls. (Von Tony Szirmai). urspr ün glichen Be-
ungünstigen Lage des rumänischen Bauernstandes zu
suchen. Zwar ist innerhalb der letzten Jahrzehnte der
Nationalwohlstand Rumäniens außerordentlich gestiegen
und hat auch die Landwirtschaft einen ungeahnten Auf-
schwung genommen, aber letzterer kam nur zu geringem
Teile den Bauern zugute, die unter den ungünstigen Pacht-
verhältnissen und den von den Großgrundbesitzern ver-
fügten harten Bedingungen zu leiden haben, zumal der
und Pächtern wurde
getötet, in einzelnen
Distrikten, Ortschaf-
ten und kleineren
Städten herrschte völ-
lige Anarchie. Mit
großer Energie griff
das sofort zahlreich
aufgebotene Militär
ein. Ende März war
der Aufstand, der,
wie später nachge-
wiesen, von revolutio-
nären Hetzern vor-
bereitet und geschürt
worden war, nieder-
geschlagen, er hatte
schwere Opfer an Blut
und Gut gefordert.
Plakette auf das 50 jährige Militär- Jubiläum
Die Ursachen der
wegung sind in der
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Großgrundbesitz eine ausschlaggebende Rolle spielt. Sehr
gering ist den großen Gütern gegenüber die den Bauern ge-
hörende Bodenfläche, ein mittlerer Besitz fehlt fast gänzlich,
für die Kleinbauern reicht aber in den meisten Fällen der
ihnen verfügbare Boden kaum zum Unterhalt aus, beson-
ders da ihm zur rationellen Bewirtschaftung das anspor-
nende Beispiel fehlt. Wo letzteres der Fall ist und wo
man auch sonst für die ländliche Bevölkerung in morali-
scher und sozialer Weise Sorge getragen, fand die Be-
wegung keinen Nährstoff, so auf sämtlichen Krondoöiänen.
Die traurigen Ereignisse veranlaßten, noch ehe der
März zu Ende ging, das konservative Ministerium Canta-
cuzino, seine Entlassung zu geben, es wurde durch ein
liberales Kabinett ersetzt, an dessen Spitze als Minister-
präsident Demeter Sturdza trat, der schon oft in gefahr-
drohenden Stunden mit festen und geschickten Händen
die Zügel der Regierung ergriffen, ein treuer Berater des
Königs, dem er seit vierzig Jahren stets als ganzer Mann
in Freud und Leid treu zur Seite gestanden.
König Karl erwies sich in dieser gefahrdrohenden Zeit
nicht nur als sicherer Hüter der Ordnung und Ruhe, er,
der sonst streng die parlamentarische Regierungsform ge-
achtet, griff auch direkt ein mit einem an das Volk ge-
richteten Manifest, das den Entwurf einer großen Agrar-
reform entwickelt und nicht zurückschreckt vor tief-
eingreifenden Änderungen der bestehenden Rechtsver-
hältnisse. Die unter dem 27. März in Bukarest erlassene,
von den Ministern unterzeichnete Proklamation lautete:
„Der König hat genehmigt, daß folgende Maßnahmen un-
verzüglich getroffen werden: Abschaffung der im Gesetz,
betreffend die Versicherung gegen Mißernten vorgesehenen
Taxe per 5 Francs, Aufhebung der Taxe auf den Dekaliter
Wein. Die Bemessung der Grundsteuer des kleinen bäuer-
lichen Grundbesitzes soll auf derselben Grundlage erfolgen,
wie diejenige des Großgrundbesitzes. Die staatlichen Iyän-
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dereien und Unternehmungen sollen auf Staatskosten be-
trieben, beziehungsweise den Landleuten in Pacht ge-
geben werden. Es werden Maßnahmen getroffen werden
zur Konsolidierung der Volksbanken, damit diese den
Bauern zu Hilfe kommen und so ihre wirtschaftliche Lage
festigen. Die genaue Abgrenzung der den Bauern über-
lassenen Grundstücke soll überwacht und die Ver-
letzung der Gesetze in strengster Weise geahndet
werden. — Um die Pachtverträge weniger drückend
zu gestalten, wird ein Gesetzentwurf ausgearbeitet
werden. Die Pacht für Ackerland, welche gegen
Bezahlung an Geld abgeschlossen wurde, wird in klingender
Münze zu zahlen sein. Die Pachtverträge werden Be-
stimmungen über das Ausmaß und die Art der von den
Bauern zu leistenden Arbeit enthalten. Die Bezahlung
der Arbeit wird nach den in der jeweiligen Arbeitsperiode
üblichen Preisen erfolgen. Die Summe der Arbeit, zu der
sich ein Familienhaupt verpflichtet, darf seine physischen
Kräfte nicht übersteigen. Für den Bauern gewährte Vor-
schüsse werden höchstens 10 Prozent jährlich an Interessen
berechnet werden dürfen. Die Lasten müssen stets in
einem bestimmten Verhältnis zur Zahl der jedem Bauern
überlassenen Hektar Boden stehen. — Die Bauern werden
auf verpachteten Grundstücken für Äcker, die ihnen in
Afterpacht gegeben wurden, höchstens ein Drittel des ver-
tragsmäßig festgestellten Preises zu zahlen haben. In
einem weiteren Gesetze wird die Bestimmung enthalten
sein, daß kein Pächter oder keine Vereinigung von Pächtern
mehr als zwei Güter im Gesamtausmaß von 4000
Hektar besitzen darf, gleichgültig, ob die Verpachtung
direkt oder indirekt durch Verwandte oder Zwischen-
personen erfolgte. Das Gesetz wird Sonderverwaltungen
ins Leben rufen, denen die gewissenhafte Durchführung
der Gesetze, betreffend die Regelung der Pachtverträge,
obliegen wird. Weiters wird ein Gesetz zur Errichtung
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einer landwirtschaftlichen Kasse vorbereitet, die den Bauern
die Bezahlung des Pachtgeldes und den Ankauf von Boden
erleichtern soll. — All diese Maßnahmen durchzuführen,
ist der ernste Wille des Königs und seiner Regierung. —
In diesen Tagen des allgemeinen Leidens wenden wir uns
an alle Rumänen ohne Unterschied des Standes und ihrer
sozialen Stellung mit der Bitte, uns jede mögliche Unter-
stützung zu leihen und mitzuwirken an der Wiederher-
stellung der Ruhe und der auf Gerechtigkeit gegründeten
Ordnung. Wir müssen die beginnende landwirtschaft-
liche Arbeit mit Vertrauen in die Zukunft ruhig und
fruchtbringend antreten. Unruhen können nur Hunger
und Verarmung im Gefolge haben. Die Regierung wird
alles aufbieten, damit die Gesetze auf das peinlichste be-
folgt werden und Ungerechtigkeit und Bedrückung aus
der Welt geschafft werden. Aber sie ist gleichzeitig ent-
schlossen, die Unruhen engergisch zu unterdrücken und
diejenigen strenge zu bestrafen, die aus den Verheerungen
Vorteil zu ziehen suchen."
Der Herrscher zeigte sich auch hier wieder auf der
Höhe der Lage, indem er — wie er es selbst zu einem Ver-
trauten ausgedrückt — „mit gleicher Sorge über dem
Schutze der Armen wie über der Sicherheit der Reichen
wacht." Und aus dem Munde eines seiner getreuen Mit-
arbeiter vernahm man, wie der König das Verhältnis
zwischen den Bürgern des Staates auffaßt: „Es ist ge-
recht, daß der Staat bei Transaktionen zwischen Bürgern
interveniere, wenn diese Abmachungen den Schwachen
zu unterdrücken drohen. Höher noch als die Freiheit
der Abmachungen steht das heilige Recht der Gleichheit
und der Existenz jedes einzelnen Menschen, ohne welche
man sich nichts Dauerhaftes vorstellen kann." — Der
Armee dankte der König durch einen Tagesbefehl dafür,
daß sie unter schwierigen Verhältnissen die Ordnung
wiederhergestellt und ohne Zögern ihre Pflicht erfüllte:
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„In fünf Tagen ist die Armee auf die Zahl von 140000
Mann gestiegen. Die schnelle Mobilisierung und die in
voller Ordnung und ungesäumt erfolgte Dislozierung der
Truppen sind eine mächtige Bürgschaft dafür, daß die
Armee jederzeit imstande sein wird, jeder Gefahr, die
den Staat bedroht, stand zu halten. Das Land verdankt
der Armee und ihrer entschiedenen Haltung, daß ein großes
Unglück beseitigt und die Ordnung in kurzer Zeit wieder-
hergestellt wurde. Ihr hattet eine schwere Pflicht zu er-
füllen; dort aber, wo Mord, Brandstiftung und Raub ist,
muß das Vermögen der Bürger und die Ordnung um
jeden Preis geschützt werden. Ich danke euch aus vollem
Herzen und blicke mit Liebe und unbegrenztem Vertrauen
auf meine teure Armee, die sich stets auf der Höhe ihrer
Aufgabe gezeigt hat, wenn die Gefahr den Bestand unsers
teuern Landes bedrohte/'
Seinem gütigen Herzen folgte der König, indem er
wenige Monate später eine Amnestie erließ, durch welche
all die, die anläßlich der Bauernunruhen als Aufrührer
und Aufwiegler sowie überhaupt wegen politischer Ver-
gehen unter Anklage gestellt und in Untersuchungshaft
gezogen wurden, die Freiheit erhielten. Die aus Anlaß dieser
Vergehen bereits Verurteilten wurden begnadigt. Von der
Amnestie ausgenommen wurden nur die als gemeine
Mörder unter Anklage gestellten, im ganzen 180 von
nahezu 8000 in Haft Befindlichen, ferner die Geistlichen,
Lehrer, Garnisonchefs und Primare, die wegen Aufruhrs
oder Aufwiegelung angeklagt worden waren.
Durch die sich überstürzenden Erregungen war von
neuem die Gesundheit des Königs erschüttert worden,
er verlebte den Frühling und einen Teil des Sommers in
Sinaia, dann die deutsche Heimat besuchend, sich einige
Zeit in dem idyllischen Krauchenwies aufhaltend, wo er
schon oft zuvor Einkehr gehalten und auch diesmal wieder
die ersehnte Erholung fand. Neu gestärkt kehrte der
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Herrscher im Herbst, nachdem er auf der Rückreise in
Wien eine Zusammenkunft mit Kaiser Franz Josef und
eingehende Besprechungen mit dessen wichtigsten Rat-
gebern gehabt, nach Rumänien zurück, Anfang Oktober
den großen Manövern beiwohnend, die zum ersten Male
in der Dobrudscha stattfanden.
Zeigte sich hier die Landmacht schwierigsten Auf-
gaben gewachsen, so erfuhr in diesen ersten Oktobertagen
das Bestreben des Königs, auch die rumänische Seemacht
mehr und mehr zu stärken, eine wichtige Verwirklichung,
indem in Galatz in Gegenwart des Königspaares, der Prin-
zessin Maria mit dem Prinzen Carol und der Prinzessin
Elisabeth sowie vieler Minister und Generale, zwölf neue
Kriegsschiffe von vollkommenem Typus und großer Schnel-
ligkeit, welche die Namen von vier großen Staatsmännern
und acht tapferen, für das Vaterland gefallenen Offizieren
tragen, vom Stapel liefen. Auf die Rede des Kriegsmi-
nisters erwiderte der König, daß die rumänische Marine
klein war, aber allmählich wuchs und zu dem wurde, was
sie heute ist. Und so werde sie allmählich auf jene Höhe
gelangen, die das Land wünscht, da die kommerzielle
Entwicklung desselben sodann einer guten Stütze bedürfe.
Der König drückte seine Befriedigung darüber aus, daß
das Reich in fortschreitender Entwicklung begriffen sei und
daß es, indem es diese Schiffe den rumänischen Matrosen
anvertraue, sicher sei, daß sie es verstehen werden, im
Ernstfalle die Hoffnungen zu erfüllen, die man auf sie setze.
Auch bei dieser Gelegenheit durfte König Karl mit
aufrichtiger Genugtuung der früheren Zeit gedenken und
der heutigen, in der Rumänien seinen festgesicherten Platz
unter den Staaten eingenommen. Welche Vergleiche
lassen sich ziehen zwischen dem Einst und dem Jetzt!
Alles ist seit jenem gedenkreichen 22. Mai 1866 einem
Wechsel unterworfen gewesen, nur König Karl blieb in
seinem Charakter und Wesen derselbe, blieb sich stets
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getreu, ein edler und vornehmer Mensch, den man lieben
und verehren muß, an sich die strengsten Anforderungen
stellend, hochherzig in seinen Handlungen, gütig und
Prinzessin Maria mit ihren Kindern.
freundlich in seinem Sichgeben, von lebhaftem Interesse
für künstlerische und wissenschaftliche Bestrebungen, den
Genius verehrend, wo er ihm entgegentritt, alles Kleinliche
verachtend, dankbaren und mitfühlenden Herzens, seinen
Feinden vergebend und seine Freunde schätzend, eine in
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sich abgeklärte und gefestete Natur, immer und immer
nur mit dem einen großen Ziel: das Vaterland! —
Und was einst der große Deutsche in Weimar von seinem
Fürsten, dem Großherzog Karl Alexander, gesagt, die Ru-
mänen können es wörtlich auf ihren Herrscher anwenden:
„Für sich persönlich, was hatte er denn von seinem Fürsten-
stande als Last und Mühe ! Ist seine Wohnung, seine Klei-
dung und seine Tafel etwa besser bestellt als die eines wohl-
habenden Privatmannes? . . . Wir werden hoffentlich den
Tag feiern, an welchem der Großherzog seit 50 Jahren re-
giert und geherrscht hat. Allein, wenn ich es recht be-
denke, dieses sein Herrschen, was war es weiter als ein be-
ständiges Dienen ! Was war es als ein Dienen in Erreichung
großer Zwecke, ein Dienen zum Wohle seines Volkes?"
Dem rumänischen Volke galt immerdar das ganze
Leben" und Streben des Königs. Trotz vieler Hemmnisse
und Stockungen, die man ihm in den Weg gelegt, den er
sich vorgeschrieben und den er mit eiserner Energie ge-
schritten, hat König Karl nie an seinem Volke gezweiffit,
treu und innig klangen die Worte in der Thronrede des
Jubüäumsjahres: „Beim Rückblick auf den zurück-
gelegten Weg liegt mir nochmals daran, zu konstatieren,
daß das rumänische Volk bei der Arbeit, die ich ihm ge-
widmet habe, in schweren wie in glücklichen Zeiten mir
mit unerschütterlicher Treue und Liebe beigestanden ist,
so daß in diesen vierzig Jahren, Stunde um Stunde, sich
für ewige Zeiten die Bande zwischen meiner Dynastie und
der rumänischen Nation geschlossen haben. "
Offen liegt das Buch des Lebens König Karls vor uns.
Es enthält manch Blatt mit trüben Erfahrungen und
bitteren Erlebnissen, aber der König verweilt nicht dabei,
wenn er zurückblättert: „Unser Leben ist doch sehr
reich und sehr schön gewesen !" sagte er zur Königin, als
beide die letzte Donaufahrt beendet. Dankbarkeit und
Anhänglichkeit, Anerkennung und Treue gehören zu den
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Grundzügen seines Wesens. „Das Schönste, was der
liebe Gott in den Menschen hineingelegt hat, ist doch die
Treue", hatte er dereinst, in jüngeren Jahren, an den
deutschen Kronprinzen geschrieben aus dem vollen Emp-
finden seines reichen Herzens heraus.
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Besuch des Königspaares auf der Krondomäne Cocioc (Juni 1907).
z. Prinz Carol. 2. Ministerpräsident D. Sturdza. 3. Prinzessin Elisabeta. 4. Administrator
der Krondomänen J. Kalindero.
So spricht nur ein Fürst, der beseelt ist von der reinsten
Menschenliebe, erfüllt von edelstem Wohlwollen, der im
Planen und Handeln stets nur das Beste will, den höchsten
und reinsten Zielen nachstrebend.
Klar und wahr, wie in seinem persönlichen Sichgeben,
war der König auch stets in seinem politischen Wirken.
Hier ergänzte sich das harmonische Gleichmaß seines
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Wesens, er überstürzte nichts, er überlegte alles reiflich,
dann erst handelte er, aber was er sich vorgenommen und
als gut erkannt, das führte er auch im rechten Streben auf
das vorgesetzte Ziel aus, nie fremden Einflüssen unter-
liegend, nie Zugeständnisse gegen seine Überzeugung
machend. Stets wußte er klug Maß zu halten in poli-
tischen Dingen, in geeigneter Stunde griff er fest zu, un-
ermüdlich tätig im Frieden und stets voran im Kriege,
den bewährten politischen Ratgebern freie Hand lässend
in allen Fragen, die dem Lande frommen, stets sich auf
den Boden der Verfassung stellend, falls nicht besondere
Ereignisse ein tatkräftiges Hervortreten erforderten, auf
alles, was Tag und Lage bringen, mit ernster Vorurteils-
losigkeit eingehend, mit Zurücksetzung aller persönlichen
Interessen, ohne Wanken und Schwanken nur einzig an
das Gemeinwohl denkend, der erste Diener des Staates.
Wie als erster Diener des Staates, so als erster Bürger
dem Volke ein leuchtendes Vorbild: pflichttreu und arbeits-
freudig, jeglichem Hochmut fern und jeglichem falschen
Prunk, mit vollster Achtung vor der Tätigkeit der andern,
das Leben auffassend als ein Feld segensvollen Wirkens
für die Mitmenschen und darüber hinaus für die kommenden
Geschlechter, über allen Bitternissen, die ja niemandem er-
spart bleiben, seine Ideale nicht verlierend, den Glauben an
das Gute und Edle. Von tiefer Religiosität und von Rein-
heit der Sitten, ist er seiner Gemahlin der liebevollste Gatte
und der treueste Freund, mit einem Herzen voll Güte und
Liebe, das oft tiefes Weh empfinden mag ob des Leids
und Unglücks, das sich nicht bannen läßt unter der Sonne,
so goldig und strahlend diese auch scheint.
So wird König Karls Bild fortleben in der Geschichte
des rumänischen Volkes und im Rahmen der Weltgeschichte.
„Es ist des Menschen Bestimmung, während
seines kurzen Lebenslauf es für das Beste der Ge-
sellschaft zu arbeiten, deren Teil er ausmacht.
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Seit meinem Regierungsantritt verwandte ich
alle von der Natur mir verliehenen Kräfte und
meine schwachen Einsichten dazu, um den
Staat, den ich zu beherrschen die Ehre hatte,
glücklich und blühend zu machen. Gesetze und
Gerechtigkeit herrschten unter mir, ich brachte
Ordnung und Bestimmtheit in die Finanzen und
erhielt das Heer in trefflichster Kriegszucht/'
Diese Worte Friedrichs des Großen aus seinem Wirken
voll von Mühe und Arbeit, aber auch von Erfolg und Ruhm
geschöpft, diese gleichen Worte darf mit stolzer Genug-
tuung auch auf sein Leben anwenden König Karl, der
Hohenzoller, der erste König der Rumänen!
Quellennachweis.
Aus dem lieben König Karls von Rumänien. 4 Bde. 1 894/1900.
Nikopolis. 1 396 — 1 877 — 1902. Von Carol I., König von Rumänien.
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Pelesch im Dienst. Von Carmen Sylva. 1888.
Rheintochters Donaufahrt. Von Carmen Sylva. 1905.
Bukarest. (,,Die Hauptstädte der Welt".) Von Carmen Sylva.
1900.
Aus dem Penatenwinkel. Von Carmen Sylva. 1907.
Aus meinem Leben und aus meiner Zeit. Von Ernst II.,
Herzog von Sachsen - Coburg und Gotha.
Geschichte der orientalischen Angelegenheiten im Zeiträume
des Pariser und des Berliner Friedens. Von Felix
Bamberg. 1892.
Fürst Bismarck und Rußlands Orientpolitik. Von einem
Dreibundfreundlichen Diplomaten. 1892.
Carmen Sylva. Eine Biographie von Mite Kremnitz. 1905.
Bukarest und Stambul. Skizzen aus Ungarn, Rumänien und
der Türkei. Von Richard Kunisch. 1866.
Die Völker der unteren Donau und die orientalische Frage.
Von Gustav Rasch. 1867.
Fürst Karl Anton von Hohenzollern und 'die Bedeutung seiner
Familie für die Zeitgeschichte. Von Dr. M. Schmitz.
Charles I er , Roi de Roumanie. Chroniques, Actes, Documents.
Publies par Demetre A. Sturdza. 2 Bde. 1904.
Rumäniens Anteil am Kriege. Das Jahr 1877 und 1878. Von
J. F. Vacarescu. Aus dem Rumänischen von Mite Krem-
nitz. 1888.
Digitized by
480
Die Hohenzollern in Rumänien. Eine historisch -politische
Abhandlung von Dr. K. H. Zingeler.
Rumänien und der Vertrag von San Stefan^. Von einem ru-
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Erinnerungen aus der Walachei während der Besetzung durch
die österreichischen Truppen in den Jahren 1854 — 1856*
Von Alfons Grafen Wimprien. 1878.
Bukarester Tageblatt.
Rumänischer Lloyd.
Druckfehler.
Seite 41, Zeile 14 von unten, lies: Domni stfijfct JBiom|.*» ♦
,, 98, ,, 2 ,, ,, 400000000 Piaster statt
4000000.
102, 15 „ oben, ,, 3000 statt 30000.
102, ,, 5 „ unten, ,, Podu Mogosoie statt Podu
Mogoscheu.
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Druck von G. Bernstein in Berlin.
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