Skip to main content

Full text of "Religionsbegründung [microform] : Max Scheler, J. H. Neuman"

See other formats


. J ■) o - 

.1 O '■- ^' 

j t. J . .« 



'3 10 ■' i J 



;- ir-B Z¥^^^Ei4 5 saf;. -.:■.:. 



/ 



RELIGIONSBEGRÜNDÜNG 



,/ 



MAX SCHELER — J.H.NEWMAN 



FREIBURG IM BREISGAU 1923 
HERDER & CO. G.M.B.H. YERLAGSBÜCHHANDLUNG 



8 , *, . 



* » » 



, * »- 4 < 



* t t ' 



I r « » . 






* 'k 



* \ ' 



i B «I 



•. (■ C W 
.1 * ( 



B LSI 

Imprimi potest. 



Monachii, die 11 Aprilis 1923 



Imprimatur 
Friburgi Brisgoviae, die 30 Augusti 1923 



Augustinus Bea S. J., 

Praep. Prov. Genn. Sup. 



4i Carolus, Archiep. 



Alle Rechte vorbehalten. 



Buchdi'iickerei von Herder & Co. G.m.b.H. in Freiburg i. Br. 



fr 



756390 



VOEWOET. 

Die Frage der Religionsbegründung ist durch die deutsche 
Newmanbewegung und nun auch durch die Phänomeno- 
logie in den Vordergrund des philosophischen Interesses ge- 
treten. Während bisher ältchristliche und moderne Weise ihrer 
Darlegung weit auseinanderklafften, scheint nun vorab durch 
Max Schelers Schriften ein Umschwung sich anzubahnen. So 
sehr auch das Urteil über ihn und die Schule, die sich all- 
mählich um ihn zu bilden scheint, auseinandergeht, es bleibt 
immerhin eine bedeutsame Tatsache, daß im deutschen Greistes- 
leben so energisch wie nie zuvor eine Abkehr von Kant 
verkündet wird und eine bewußte Rückkehr zum Objekt- 
standpunkt der griechischen Antike, des christlichen Mittel- 
alters und der Philosophie der großen Vorkantianer, wie eines 
Leibniz. Dazu kommt freilich ein zweites. Von derselben 
neuen phüosopliischen Schule geht auch der Ruf aus nach 
einer Neuorientierung innerhalb der christlichen sog. ,natür- 
lichen Theologie' selber, und diese Neuorientierung soll ein 
bewußtes Zurückgreifen auf Augustin sein. Diese Gesamt- 
sachlage dürfte Zweck und Sinn dieser Schrift genügend be- 
gründen, die in eingehender Auseinandersetzung mit all diesen 
Ausstrahlungen der neuen Bewegung den Versuch einer Klärung 
zu unternehmen wagt. 

Von den bisherigen ähnlichen Auseinandersetzungen mit 
Scheler, soweit sie größern Umfangs sind, bedeutet die Schrift 
Dietr. Kerlers^ eine Kritik Schelers vom Standpunkt 

-?— — _ . iq^l-'U , 

^ Max Scheler und die impersonalistische Lebensanschauung (Ulm 1917). 



VI « ^ X Vorwort. 

radikaler Autonomie des »sittlichen Ideales' (gegenüber einer 
theistischen Verankerung des Sittlichen in Gott) ; der persona- 
listische Standpunkt Schelers wird hier wohl an seiner Wurzel 
angegrijffen. Die Auseinandersetzung Jonas Cohns^ geht 
mehr auf Schelers Ablehnung einer formalistischen Ethik, be- 
rührt aber doch Schelers Grunddeutung des Apriori, und zeigt 
sich so ebenfalls als eine Kritik kantianischer Denkart an 
ihrem energischen Kritiker. Hr. Straubinger^ bietet ehie 
vorzügliche Analyse des ,Kongruenzsystems' Schelers. Karl 
Eschweiler^ und Peter Wust* in ihren Arbeiten zielen 
auf eine Klärung der zwischen Schelers ,Kongruenzsystem' 
und der bisherigen katholischen Theodizee und Apologetik 
entstandenen Kontroverse; sie gehen von Schelers ,Ewigem 
im Menschen' aus, nicht so sehr von seiner Gesamtphilosophie. 
Die Auseinandersetzungen Siegfr.Kracauers, E.W. Mayers, 
Herm. Schwarz', H. Pleßners und Elis. Busse-Wilsons^ 
betonen den C^jarakter einer »philosophischen Rechtfertigung 
des Katholizismus' in Schelers Schriften und sprechen von einer 
, Wiederentdeckung des mittelalterlichen katholischen Geistes' 
bei Scheler (Busse-Wilson); ihre Kritik beschränkt sich teils 
auf die Ablehnung einer solchen teils auf deren Anerkennung. 
Ernst Troeltsch^ in seiner sehr ausführlichen Analyse des 
Gesamtschrifttums Schelers, das er eine ,groß gedachte Apo- 
logetik des Katholizismus' nennt, deckt die Synthese auf, die 
Scheler zwischen dem geschichthchen Werdefluß des Lebens 
und dem geschichtslosen Beharren der ewigen Gültigkeiten 

1 Recht und Grenzen des Formalen in der Ethik (Logos VII [1917/18] 88 ff.). 

^ Max Scheler und die religiöse Erkenntnis (Histor.-polit. Blätter 168 
[1921] 65 if.). 

8 Religion und Metaphysik (Hochland XIX [1921/22 I] 303 ff. 470 ff. 

* Phänomenologie und Religion (Köln. Volkszeitung 1922, Nr. 818). 

5 Frankf. Zeitung 1921, Nr. 850. Theol, Lit.-Zeitung 1922, Nr. 9. Deutsche 
Lit.-Zeitung 1922, Nr. 25. Deutsche AUg. Zeitung 1922, Nr. 311. Tat (1922) 
180 ff. 

® Der Historismus und seine; Probleme (Ges. Schriften III), Tübingen 
1922, 603 ff. 



Vorwort. vn 

und Wesenheiten versuche. Joh, Hessen^ versucht das 
Schelersche System als wahren ,N'eu-Augustmismus' zu er- * 
weisen, freilich im Sinn seiner Augustinusdeutung. W. Swi- 
talski^ unternimmt eine eingehende Scheidung des Annehm- 
baren und Unannehmbaren in Schelers ,Ewiges im Menschen' 
auf der Grundlage seines eigenen platonischen Aristotelismus. 
Karl Adam^ in seiner jüngsten Schrift zielt auf eine sehr 
ausführliche Klärung des Schelerschen ,Kongruenzsystems' mit 
Hilfe seiner eigenen Glaubenstheorie und ihres philosophischen 
Unterbaues. 

Helmuth Pleßner in seinem Versuch einer ,KritUc der 
Sinne'* grenzt sehr scharf die Phänomenologie gegen jden 
Intuitionismus wie gegen den Apriorismus ab und leistet so ' 
wertvolle Dienste zu einer geistigen Klärung ; vor allem aber 
weist er den tiefgehenden Unterschied zwischen Husserl und 
Scheler auf, aus dem heraus Husserl Phänomenologie und 
transzendentalen Idealismus miteinander zu vereinigen ver- 
mag, während für Scheler das phänomenologische , Geöffnet- 
sein für das Gegebene' konsequent zum Realismus führt. So •" 
gibt er die letzte, klärende Antwort auf die Fragen, die 
Robert Winkler ^ scharfsinnig aufwarf, da er die Vereinbar- 
keit von Phänomenologie und transzendentalem Idealismus als 
Problem formulierte. Freilich schwenkt Pleßner, ebenso wie 
Wiukler, von aller phänomenologischen Methode schließlich 
doch wieder zu Kant ab^. Noch tiefer als Pleßner weist 



V Bonif.-Korr. 1922, Nr. 2 und ,Die pliilos. Strömungen der Gegenwart' 
(Kempten 1923) 18 82 u. a. Ebenso Köln. Volkszeitung 1923, Nr. 567. 

2 Probleme der Erkeimtüis II (Münster 1923) 132 ff. 

^ Glaube und Glaubenswissenschaft im Katholizismus (Eottenburg 1923) 
58 ff. 

* Die Einheit der Siime. Grundliniön einer Ästhesiologie des Geistes 
(Bonn 1923). Vgl. vorab x f. 79 ff. 

^ Phänomenologie und Religion (Tübingen 1921) 45/46 71 ff. 

* Die Einheit der Sinne X,38 ff. 56 304 ff. KrisiS der transzendentalen 
Wahrheit im Anfang (Heidelberg 1918) 28 74 u. a. 



vni Vorwort. 

Sieg fr. Kracauers während des Druckes meiner Schrift 

' erschienene ,Soziologie als Wissenschaft' ^ die letzte Kant- 
hedingtheit der Husserlschen Phänomenologie nach, die auch 
noch das Subjekt zum ,Bewußtsein überhaupt' entselbste und 
so die der Periode des ,religiösen Sinnes' entgegengesetzte 
Periode der Auflösung in Bündel abstrakter Gesetze zum 
Höhepunkt führe (ebd. 63 ff.). So wird überaus klar, in weit 
tieferer Weise als etwa bei Winkler, warum Husserl in Kraft 

« seiner Phänomenologie transzendentaler Idealist sozusagen 
sein muß. Kracauer selber vollzieht den fast allen Husserl- 
schülern eigentümlichen Schritt in die Realität von Welt und 
Ich hinein (ebd. 7 u. a.). Dieses Drängen der Husserlschen 

. Phänomenologie über sich hinaus wird noch deutlicher an zwei 
weiteren Schriften, die uns ebenfalls erst während des Druckes 
unsres Buches zukamen: Beruh. Rosenmöllers ,Gott und die 

' Welt der Ideen', und Paul Ludw. Landsbergs ,Die Welt des 
Mittelalters und wir'. Rosenmöllers Schrift^ bedeutet eine 
wohltuende Klärung der Schelerschen Werttheorie zu einer 
organischen Eingliederung in die Scholastik und berührt sich 
an manchen wesentlichen Punkten mit unsrer frühern Ab- 
handlung ,Metaphysik und Religion' ^ und ihrer Weiterführung 
in vorliegender Schrift; die Unterschiede, die noch bestehen, 
haben wir an ihrem Ort wenigstens noch kurz angemerkt. 
Überraschen muß Landsbergs* unverhohlene Huldigung an 
Thomas von Aquin, die sich ihm ungezwungen aus der innersten 
Objekt- und Realgerichtetheit der Schelerschen Phänomeno- 
logie heraus ergibt : ,Zwischen langer Sehnsuchtszeit und langer 
Zersetzung liegt ein Augenblick — man wäge diese letzten 
zwei Worte — der Erfüllung. Auf diesem schmalen Gipfel- 



* Soziologie als Wissenschaft. Eine erkenntnistheoretische Untersuchung. 
(Dresden 1923.) 

2 Gott und die Welt der Ideen (Münster 1923). 

3 Stimmen der Zeit CIV (1922/23 I) 133 ff. 

* Die Welt des Mittelalters und wir ^ (Bonn 1923). 



Vorwort. IX 

grat steht die monumentale Gestalt des Thomas' (ebd. 61/62). 
In glücklichen Zügen zeichnet er das Bedingtsein der mo- 
dernen Philosophie im Nominalismus und sieht eine Neugeburt 
der Hochscholastik in den Grundtendenzen der Phänomeno- 
logie, wenngleich er gegenüber den Gottesbeweisen noch in 
den Schelerschen Ideen befangen bleibt. Seine Schrift ist auch 
noch insofern besonders bedeutungsvoll, als Landsberg ebenso 
aus der Gedankenwelt Stefan Georges wie aus der Schelers 
diese Neugeburt der Hochscholastik vorzeichnet. Der Wandel 
der Zeiten ist hier blitzhell schaubar: vor Jahrzehnten der 
schroffe Gegensatz der katholischen Erneuerung der Scholastik 
und der außerkatholischen Kanterneuerung, — gegenwärtig 
die, vorab an den Auseinandersetzungen Troeltschs und Kra- 
cauers^ aber auch an Arthur Lieberts krampfhaftem Versuch 
einer Kantrettung ^, spürbare Kantkrisis und das eigenartige 
Zusammentreffen der Thomasenzyklika Papst Pius' XI. mit der 
jüngsten Huldigung der ganz aus modemer und kantischer 
Fragestellung heraus geborenen Phänomenologie an denselben 
Thomas von Aquin. Dieser Sachlage gegenüber freuen wir 
uns auch besonders der Übereinstimmung mit der Thomas- 
gedächtnisrede des Leiters des Innsbrucker Instituts für scho- 
lastische Philosophie, Albert Inauens, der auch seinerseits 
sich unsrer frühern Schelerkritik anschloßt. 

Gegenüber den verschiedenen Schelerbeurteilungen, die wir 
des nähern im Laufe unsrer Arbeit besprechen wollen, will 
nun unsre Untersuchung vorab auf das Wertsystem Schelers 
und den mit diesem verknüpften Liebesprimat zurückgreifen, 
um von hier aus eine Kritik der Religionsbegründung Schelers 



* Troeltscli in ,Der Historismus und seine Probleme (Tübingen 1922) 
675—710. Kracauer in ,Die Wissenschaftskrise' (Hochscbulblatt der Frankf. 
Zeitung 1923, Nr. 17.9 und 217) sowie ,Soziologie und Wissenschaft' 6 f. u. a. 

* Die geistige Krisis der Gegenwart (Berlin 1923). 

^ifflaubep und Wissen bei Thoraas von Aquin (Das neue Eeicb V [1923] 
604 ff. 625 ff.). 



X Vorwort. 

zu unternehinen, eine Kritik aber, die gleiciizeitig eine eigene 
Lösung der von Scheler aufgeworfenen Probleme versucht. 
Diese Lösung ist, wie' sich zeigen wird, nur eine Weiterführung 
des vom Verfasser in seinen frühem Werken bereits ein- 

• geschlagenen Weges, sowohl seiner Rekonstruktion patristisclier 
und vorab augustinischer Grundlegung des sittlich-religiösen 
Lebens in seinem ,Himmelreich der Seele' (Freiburg 1922/23) 
wie derjenigen der Eehgionsbegründung J. H. Newmans in 

' seinem mit Otto Karrer herausgegebenen Newmanwerk 
,J. H. Newman, Christentum' (Freiburg 1923). 

Damit grenzt sich auch unsre Arbeit, wie wir hoffen, ge- 
nügend klar ab gegen zwei Werke, von denen der Verfasser 
eine willkommene Ergänzung seiner eigenen Arbeit erhoffte: 
die angekündigte Schrift Jos. Geysers über , Augustin und die 
phänomenologische Religionsbegründung der Gregenwart', und 
die Schrift Mich. Wittmanns ,Max Scheler als Ethiker', die 
gegen Ende des Druckes unsres Buches erschien. Wittmann ^ 
ist vor allem zu danken für die wertvolle Herausarbeitung 

' der Kantbedingtheit Schelers: sowohl seine Ablehnung einer 
Zielethik wie einer Pflichtethik beruhe darauf, daß er Ziel 
und Pflicht nur im kantischen Sinne kenne und darum ablehne, 
während ihm die scholastische Formung teleologischer und 
Pflichtethik unbekannt sei (ebd. 13 ff. 54 ff.). In andern Punkten 
freilich vermögen wir Wittmann leider nicht zuzustimmen. Er 
scheint uns da Fragestellung und Methode Schelers in etwa 
mißzuverstehen. 

So wäre betreffs der Kritik "Wittmanns an Schelers Ablehnung einer 
Ziel- bzw. Pflichtethik darauf hinzuweisen, daß Scheler die Frage nach der 
letzten Formalität des Sittlichen stelle. Auf diese Frage aber antwortet 
auch die Scholastik weder mit dem Zielbegriff schlechthin noch mit dem 
Pflichtbegriff. Nicht mit dem Zielbegriff, weil es sich um ein der Natur 
des Menschen immanentes Ziel handelt, um Gott als spezifisches Ziel des 
Menschen, also letztlich, wie Thomas sagt, um die .bonitas' als ^convenientia 



^ Max Scheler als Ethiker. Ein Beitrag zur Geschichte der modernen 
Ethik (Düsseldorf 1923). 



Vorwort. XI 

cum natura rationali', in welcher Begriffsbestimmung erst das Zielraoment 
eingeschlossen ist^ Noch weniger kann der Pflichtbegriff, auch nicht in 
der Form des göttlichen Gebotes, das letzte Formale des Sittlichen sein, 
weil sonst die kantische, der Wirklichkeit widersprechende Leugnung der 
Zweiheit von Pflicht und Eat die Folge Aväre. Der scholastische Pflicht- 
begriff fällt vielmehr in seinem eigentlichen metaphysischen "Wesen mit 
dem Geschöpfcharakter zusammen : jedes Seinswesen hat sein Seinsgesetz, 
das jWerde, der du bist' (das im TJntermenschlichen notwendig, im Menschen 
frei vollzogen wird), das, insofern es seine innere Notwendigkeit im vor- 
liegenden Sosein des SeinsAvesens hat, als »kategorischer Imperativ' be- 
zeichnet werden mag, das aber, insofern das SeuiSAvesen sein Dasein durch 
und in Gott hat und seinem Sosein nach ein Abbild Gottes ist, »göttliches 
Gebot' ist. "Wittmann hat mithin Recht, wenn er Scheler gegenüber be- 
tont, daß dieser Pflicht- Gebotcharakter durch keinen freien ,Einsichts- 
charakter' überwunden werden könne (ebd. 54 ff.). Aber (wie auch Witt- 
mann schließlich zugesteht) es ist etwas ganz anderes, ob ein Mensch, wie 
Augustin sagt, in der Seelenhaltung des ,Gesetzgehor&ams' bleibt und da- 
mit sklavisch .unter dem Gesetz', oder ob er in der Seelenhaltung der 
jLiebe' wandelt und damit ,im Gesetz' (In Ps. 1, 2). Die »sittliche Ein- 
sicht' in der Liebe ist wirklich eine höhere Stufe und, tiefer gesehen, jene 
Erkenntnisform des Sittlichen, die erst eigentlich dem objektiven Forraal- 
charakter des Sittlichen entspricht, der nicht das ,Sollen' ist, sondern das 
inhaltliche ,Idealverhalten' der Vemunf tnatur. 

Wittmanns Erörterungen endlich über die Intentionalmethode Schelers 
und seinen Personalismus beruhen wohl auf Mißverständnissen, die sich 
freilich erst klären, wenn man in immanenter Kritik das Person-Liebe- 
System Schelers bloßlegt. Das aber lag nicht im Thema der Schrift 
Wittmanns. 

Im Unterschied von Geyser (dessen Schrift uns bei Ab- 
schluß des Druckes noch nicht vorlag) und Wittmann war es 
uns in unsrer Schrift, dem Titel gemäß, vorab um die Unter- 
suchung des konkreten religiösen Phänomens zu tun, um die 
Probleme, die der konkret-lebendige Weg des Menschen zu 
Gott und zur Offenbarungsreligion aufgibt. Der Verfasser hielt 
es für seine Pflicht, vor jeder kritischen Stellungnahme erst 
das religionsphilosophische System Schelers in seinen eigenen 
Innern Zusammenhängen darzulegen und hier streng immanente 
Geschichtsmethode zur Geltung kommen zu lassen. Es war 
ihm um eine Deutung Schelers aus dessen eigenen phänomeno- 

^ Vgl. in unsrer Schrift S. 83—92. 



XII Vorwort. 

logischen und wertphüosophisclien Voraussetzungen zu tun, 

«• ebenso (im 4. Kapitel) aus der stark patristischen und vorab 
augustiniscben Orientierung seiner theologischen Ideen heraus. 
So wurde von selbst ein Übergreifen in die Fragen sowohl 
der neueren Religionsphüosophie wie der Augustinusforschung 
nötig. Noch mehr aber zwang die nahe Verwandtschaft der 

» Probleme Schelers mit denen J. H. Newmans zu eingehendem 
Rekurs auf dessen Lösungen. Daher trägt auch diese Schrift 
gleichzeitig den Namen des großen Kardinals, und wir er- 
griffen gern die Grelegenheit, unsre eigenen frühern Forschungen 
über ihn hier zu ergänzen und weiterzuführen. 

Der Verfasser war sich der großen Verantwortung bewußt, 
die ein Eingreifen in so wichtige Fragen, wie es die von Max 
Scheler aufgerollten sind, mit sich bringt, einer Verantwortung, 
die um so größer ist, als weite Kreise nicht nur unsrer aka- 
demischen Jugend sondern auch des deutschen innerkatho- 
lischen und außerkatholischen Geisteslebens in Scheler den 

► Führer über Kant hinaus in die Freiheit einer neuen Philo- 
sophie des Objekts sehen, — und nicht wenige ihm eine neue 
Einschätzungsweise katholischen Geistes verdanken, ja den 
Weg in die katholische Wahrheit selbst. Auf der andern Seite 
aber war die große Verwirrung zu beachten, die eine irrige 
Deutung Schelers gerade auch in innerkatholischen Kreisen 
verursacht hat. So war uns der Weg eines sorgfältigen Ab- 
wägens nach allen Seiten vorgezeichnet, um nicht durch un- 
zeitgemäße Polemik oder gefäh;j'liche Empfehlung ,dem Bruder 
Anstoß zu geben,' wie der hl. Paulus sagt. Bei allem Kampf 
für die Reinheit der Wahrheit mußte uns das ernste Wort 

' Augustins vor Augen stehen : ,Der Sieg der Wahrheit ist die 
Liebe.' Der Verfasser glaubt die von ihm hierin angestrebte 
Methode nicht besser wiedergeben zu können als mit den Worten 
des Gründers des Ordens, dem er selber angehört: ,Es muß 
jeder gute Christ bereiter sein, die Auffassung des andern zum 
guten zu verstehen, als sie zu verurteilen. Kann er sie nicht 



Vorwort. XIII 

zum guten verstehen, so forsche er nach, wie der andere es 
denn verstehe, und wenn dieser wirklich etwas Irriges in ihr 
meint, so suche er ihn in Liebe aufzuklären' (Vorbemerkung 
der ,Exercitia spiritualia'). 

Bei beendeter Drucklegung kamen uns noch zwei Arbeiten 
zu, die in enger Beziehung zu dieser Schrift stehen: 
W.Schmidt S. V. D. , Menschheitswege zum Gotterkennen 
(Kempten 1923), und J. Geiselmann, Das Irrationale Ottos 
im Lichte des katholischen Glaubensbegriffes (Tübinger Theol. 
Quartalschr. 1923, 51 — 75). Bei P. Schmidts Buch freuen wir 
uns der wichtigen ethnologischen Ergänzungen zu unsrer 
Theorie des konkreten Weges zu Gott (52 ff. seines Buches) 
sowie der Übereinstimmung in Bezug auf die konkrete Gottes- 
erkenntnis als , Gesamtakt' des Menschen (ebd. 155 ff. 164 ff.)., 
Geiselmanns Abhandlung, die uns dieselbe Freude der Über- 
einstimmung bot, ergänzt in verschiedenen Punkten unsre 
eigenen Ausführungen über Otto. 

Zum Scliluß obliegt uns die angenehme Pflicht des Dankes, 
vorab an Father Francis Bacchus, den zweiten Nachfolger 
Newmans als Superior des Birmingham-Oratory. Es war für 
den Verfasser der schönste Erfolg seines Newmanwerkes, eine 
Freundschaft ständigen Zusammenarbeitens mit ihm, dem aus- 
gezeichneten Kenner der Werke und Zeitgeschichte Newmans, 
gewonnen zu haben. Seiner Güte verdankt der Verfasser auch 
wichtige einschlägige Literatur, die ihm unter den heutigen 
Umständen sonst unzugänglich geblieben wäre. Endlich ge- 
bührt der Dank des Verfassers dem liebenswürdigen Entgegen- 
kommen der Leitung der Münchener Universitätsbibliothek und 
Staatsbibliothek. 

München, Juni 1923. 

Erich Przywara. 



Abkürzungen der hauptsächlich angeführten Schriften Schelers. 

Sy = ,Zur Phänomenologie und Theorie der Synipathiegefühle' usw. (Halle 
1913). Zweite vermehrte Auflage unter dem Titel ,Wesen und 
Formen der Sympathie' (,Die Sinngesetze des emotionalen Lebens' I, 
Bonn 1923.) Diese letzte Auflage wird durchgängig angeführt. 

Sy^ = Stellen, die in der ersten Auflage des Buches nicht enthalten sind, 
sondern erst in der zweiten. 

M = ,Der Formalismus in der Ethik und die matei'iale Wertethik' (Halle 
1913—1916). 

UW = jAbhandlungen und Aufsätze'. Zwei Bände. (Leipzig 1915.) 

Zweite, durchgesehene Auflage unter dem Titel ,Vom Umsturz 
der Werte' (Leipzig 1919). Diese letzte Auflage wird durch- 
gehends angeführt. 

E = ,Vom Ewigen im Menschen.' Erster Band : ,ReligiöS6 Erneuerung' 
(Leipzig 1921). 

SW I == Schriften zur Soziologie und Weltanschauungslehre. Erster Band: 
Moralia. (Leipzig 1923.) Nr. 3, 5 und 6 erweiterter Neudruck 
von ,Krieg und Aufbau' Nr. 2, 8 und 9. 



INHALT. 

Vorwort 

Abkürzungen der hauptsächlich angeführten Schiiften Schelers 

Einleitung, 

Zwischen Scholastik und Moderne 

Erstes Kapitel. 
Methodischer Ausgangspunkt und Durchblick durch das 

Ganze 

Zweites Kapitel. 

Phänomenologie und Wirklichkeit. 

§ 1. Wesenheit und Wesensschau . 

§ 2. Vorgang und Realität .... 

§ 3. Eeligiöser Vorgang und religiöse Eealität 

1. Unmittelbare Gotteserkenntnis . 

2. Personalität Gottes 



Seite 

V 

XIY 



10 

10 
15 
20 
20 
26 



Drittes Kapitel. 
Wertftihlen und Selbständigkeit der Religion 

1. Objektivität der Werte . 

2. Unableitbarkeit der Werte 

1. Wert als Apriori von Ethik und Religion . 

2. Unableitbarkeit des objektiven Wertes 

a) Darlegung 

b) Würdigung des Ganzen : Doppelintentionalität des 
Wertes 

3. Unableitbarkeit des subjektiven Weiierfassens . 

a) Darlegung ....... 

a) Liebescharakter 

ß) Sicherheitscharakter .... 
t) Vitalcharakter . . , 



36 

37 
66 
66 
75 
75 

83 
95 
95 
95 
120 
122 



XVI. 



Inhalt. 



Seite 

b) Würdigung des Ganzen : Natürliches und reflexives Werterfassen 127 

a) Typik von Wert und Sein 127 

ß) Lehenscharakter des Ethischen und Eeligiösen. . 137 

f) Erkennen ,des' Tuns und Erkennens ,im' Tun . . , 149 

Viertes Kapitel. 

Natürliche Religion und Offenbarungsreligion . 169 

§ 1. DieWelt des Religiösen als Ahleituug aus dem Wert des Heiligen 171 

1. Teilnahme am Göttlichen 171 

2. Gottesgemeinschaft und Kirche 174 

3.. Gnade und Seligkeit 187 

4. Erbsünde und Erlösung . . . . . . 198 

§ 2. Natur und Übematur innerhalb des Wertes des Heiligen . 204 

Anhang. 

Die neue katholische Intuitionsschule und ihre 

historischen Unterlagen . . 225 

§ 1. Das System der ,unmittelbaren Intuition' 

1. Darlegung . 

2. Würdigung . 
§ 2. Die historischen Unterlagen der ,unraittelbaren Intuition' 

1. Augustinus . 

2. Pascal . 

3. Newman 
Nachtrag .... 

Personenregister 
Sachregister 



EINLEITUNG. 
ZWISCHEN SCHOLASTIK UND MODEENE. 

Unter geistesgescMclitliclier Betraclitung wird man wohl 
sagen müssen, daß Max Schelers Grundlegung der Reli- 
gion einen ähnliclien Wendepunkt in der deutschen Eeligions- 
philosophie und Religionspsychologie bedeute wie Husserls 
Schriften in der Erkenntnistheorie und Logik ^. Für die ganz 
in Kant eingefangene und befangene heutige Philosophie mußte 
es in beiden Fällen eine in einem gewissen wahren Sinne 
,kopernikanische Wendung' bedeuten, wenn Husserl und Scheler f 
statt der üblichen Orientierung vom Subjekt her nun durch- 
gehend die Orientierung vom Objekt her vollzogen^. Denn 
das bedeutete in Erkenntnistheorie und Logik das Aufgeben 
einer Verankerung der Grültigkeiten, sei es in einem tran- 
szendentalen Bewußtsein (Apriorismus), sei es in einem empiri- • 
sehen Bewußtsein (Psychologismus), und machte dieses Bewußt- 
sein wieder prinzipiell zum ,Empfänger', nicht zum , Schöpf er '.• 
In Ethik und Religion aber bricht damit die letzte Grund- 
legung beider in den ethischen bzw. religiösen Betätigungen 
des Subjekts, sei es, daß die transzendental ,sein sollende' 
(Kant), sei es, daß die empirische individuale (Simmel) oder 
soziale (Spencer, Wundt usw.) Betätigung des Menschen ge- 
nommen wird. Es ersteht ein objektives Reich sowohl der 
, Wahrheiten' und , Wesenheiten' wie .des Sittlichen und Religiösen. ' 

^ Logische Untersuchungen'^ (Halle 1913 -1921). Ideen zu einer reinen 
Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie (Halle 1913). 

^ Vgl. Otto Gründler, Die Bedeutung der Phänomenologie für das Geistes- • 
leben (Hochland XIX [1921 I] 72 77); Peter Wust, Die Rückkelir der 
Philosophie zum Objekt (Hochland XIX [1922 II] 679 ff.); Ernst Troeltsch, 
Der Historismus und seine Probleme (Ges. Sclir. III [Tübingen 1922] 596 ff.). 

Przywara, Eeligionsbegründung. 1 



2 Einleitung. Zwischen Scholastik und Moderne. 

Greistesgeschichtlicli gesehen scheint sich also eine TJmkeh- 

rung der Kantischen Umkehrung zu vollziehen, und damit — 

eine Rückkehr zur Scholastik, wenigstens zu ihrer wesentlichen 

Einstellung. 

Diese Stellung der Phänomenologie ist aber nicht ohne historische Ver- 
knüpfung, als ob Husserl und Scheler wie zwei erratische Blöcke in der 
heutigen Philosophie stünden. Husserl selbst ist Schüler Franz Brentanos, 
m dem scholastische Und aristotelische Traditionen weiterlebten. Bei Scheler 
spielen die Einflüsse Euckens, Brentanos und Husserls selbst gerade für 
seine Hauptpositionen eine wichtige Eolle. Bücken ist in seiner ersten 
Periode stark von Trendelenburg beeinflußt, also von Aristotelismus, und 
man wird vielleicht auch seinen späteren Begriff des ,Geisteslebens' (in der 
Hauptsache) als platonischen ,Teilnahme'-Gedanlcen auffassen dürfen; dieser 
Teilnahme-Gedanke aber ist, wie wir immer mehr sehen werden, ein Grund- 
element Schelerschen Denkens, und man wird in der Fassung von Mensch, 
Menschheit imd Welt als letztlich ,eins' und »einheitlich' ,in' Gott wohl 
den Einfluß des Euckenschen , Geisteslebens' als eines irgendwie trans- 
zendenten und doch Formalelementes der Menschennatur nicht verkennen 
können. Mit Brentano aber verbindet Scheler sowohl die Ablehnung einer 
Ableitung des ,Wertes' vom ,Sein' wie die Lehre von Liebe und Haß. 
So geht in der Tat die Erscheinimg der Phänomenologie nicht undeutlich 
auf scholastisch-aristotelische Quellen zurück, und merkwürdigerweise auf 
dieselben, die für einen der bedeutendsten Vertreter des neueren deutschen 
Aristotelismus entscheidend waren : Georg v. Hertlin'g, der Trendelenburg 
und Brentano als Führer seiner philosophischen Frühzeit nennt — was ein 
Fingerzeig der Geschichte sein könnte, auf welche Weise Phänomenologie 
und überlieferte christliche Philosophie sich auseinanderzusetzen hätten*. 

Jedenfalls stellen Husserl und Scheler sich bewußt Kant 
entgegen, und vorab Scheler erklärt in der Vorrede zu Otto 
Gründlers ,Elementen zu einer Religionsphilosophie' (Kempten 
1922): „Diese [die phänom. Richtung] hat . . . mit den Grund- 
sätzen der überlieferten christlichen Philosophie eine tiefere 
Verwandtschaft als irgend eine moderne philosophische Schule 
seit Cartesius." Auf der andern Seite aber steht bei Husserl 
der prinzipielle erkenntnistheoretische Idealismus und bei Scheler 
die Ablehnung dessen, was er ,Thomismus' nennt. Wie wir 

* Vgl. Oskar Kraus, Franz Brentano (München 1919), wo Husserl selbst 
über seine Beziehungen zu Brentano spricht. Franz Brentano, Vom Ur- 
sprung sittlicher Erkenntnis (München 1921, ed. Kraus). Georg v. Hertling, 
Erinnerungen aus meinem Leben I (Kempten 1919). 



Abkehr von Kant. 3 

also bei Husserl eine Art Mittelstellung zwischen Scholastik 
und moderner Philosophie haben ^, so scheint auch Schelers 
Standpunkt (soweit von einem , einheitlichen' die Rede sein 
mag) zwischen Scholastik und Moderne zu liegen, wie er selbst 
es in der Einleitung zum ,Bwigen im Menschen', nach einer 
Seite wenigstens, darstellt : ,. . . weder auf dem Boden der 
Philosophie des Thomas Aquinas noch auf dem Boden der durch 
Kant eingeleiteten philosophischen Periode.' 

So nimmt Scheler auf der einen Seite dieselbe ablehnende 
Haltung gegenüber den landläufigen Systemen ein me auch die 
Scholastik. Er verwirft in der Ethik allen Kantianismus wie 
auch allen ethischen Nominalismus wie auch alle Evolutions- 
ethik eines Spencer und Darwin: ,gut' und ,böse' sind ob- 
jektiv gültige Einsichtigkeiten (M 214 ff. 169 ff. 283 ff.). Seine 
Religionsauffassung grenzt er scharf ab gegen die Kantische 



^ Paul Natorp spricht (vom Standpunkt der Marhurger) von einer Art 
inkonsequenten Piatonismus bzw. Kantianismus bei Husserl (Logos VII 
[1917/18] 224 ff.) : ^ Vorerst . . . scheint es, daß er zwar bis zum Eidos Piatos 
vorgedrungen, aber auf der ersten Stufe des Piatonismus, der der starren, 
unbeweglich ,im Sein dastehenden' Eide stehen geblieben ist, den letzten 
Schritt Piatos, der erst der größte und eigenste war : die Eide in Bewegung 
zu bringen, sie in die letzte Kontinuität des Denkprozesses zu verflüssigen, 
nicht mitgemacht hat." ,Reine Subjektivität' und ,reine Objektivität' als 
,zwei Seiten' des einen Bewußtseins: das scheint Natorp die für Husserl 
und seinen eigenen (transzendental-idealistischen) Standpunkt gemeinsame 
Lösung zu sein. Aus ähnlichen Gedanken subsumiert Ernst Troeltsch 
(Historismus 596) die Husserl-Schule unter den Neukantianismus schlecht- 
hin: Husserls Standpunkt sei ein Rückgang auf die Cartesianische Be- 
wußtseinsanalyse und Verharren bei der Kantischen Apriorität; nur daß 
dieses Apriori Pormales imd Inhaltliches umschließe. Ein verwandtes Bild 
von Husserl als letztlich Kantianer (nur daß bei ihm nicht das transzenden- 
tale Subjekt, sondern das transzendentale Objekt Träger des Apriori ist) 
gewinnt man aus Edith Landmann, Die Transzendenz des Erkennens (Berlin 
1923), die natürlich (vom Standpunkt der George-Schule aus) Gegnerin ist. 
Jos. Geyser (Neue und alte Wege der Philosophie, Münster 1916) endlich 
kennzeichnet Husserls System (vom Standpunkt des kritischen Realismus 
aus) als ,originelle Verknüpfung von platonisierendem Aristotelismus und 
Cartesianismus'. Robert Winkler dagegen (Phänomenologie und Religion 
[Tübingen 1921] 73 ff.) spricht von inkonsequenter Phänomenologie. 



4 Einleitung. Zwischen Scholastik und Moderne. 

■ ,f ■ 

Bekämpfung der Gottesbeweise, wobei er ausdrücklich gegen \ 

• Kant das Kausalprinzip als ,allgültiges, einsichtiges, seinsgültiges 
Prinzip' bezeichnet (E 579), und lehnt seine ,sittliche Religion' 
ab (E 628 ff.). Ebenso scharf ist die Abgrenzung gegenüber i 

f aller Gefühlstheologie, Subjektivismus und BedürfnistKeologie ; 
,jede Wunsch- und Bedürfnistheologie' ist ihm ,so ganz wider- 
sinnig' (E 524), und energisch bekämpft er Schleiermacher 
(E 596)^. Endlich wendet er sich gegen alle modernen 

• religionspsychologischen Theorien über »Entstehung' der Reli- 
gion (E 76 364 ff. 590 ff. usw.). Mit einem Wort — Scheler 
hält mit der Scholastik unbedingt fest sowohl an der objek- 

' tiven Gültigkeit wie an der XJnableitbarkeit der ethischen und 
religiösen Grundprinzipien. Sittlichkeit und Religion sind weder 
vom einzelnen Ich noch von allgemeinmenschlichen Trieben und 
Instinkten wesensabhängig ; sie sind weder Höchstausdruck sub- 
jektiven Lebens und Erlebens (Simmel) noch Funktionen bio- 
logischer oder kultureller Gesamtbeziehungen (Spencer, Wundt). 
Auf der andern Seite aber will er in der Ethik nichts wissen 
von einer Gründung der sittlichen Ordnung auf den Zweck- und 
Zielgedanken (M 3 ff.) oder auf vernunftgültige »Bedeutungen' 

. (M 165 ff.) und lehnt in der Religionsbegründung einen meta- 
physischen Unterbau der Religion ab, wenngleich die Tatsachen 
des Verhältnisses zu Gott auch metaphysisch beweisbar seien 



* Die moderne Religionsphilosophie vollzieht überhaupt eine volle Ab- 
kehr sowohl von aller Religion als ,Bedürfnis' oder .Postulat', als auch 
von Schleiermachers ,Abhängigkeitsgeführ. Hier bilden Rud. Otto (Das 
Heilige^ »Breslau 1920, 9 ff. 22 ff.), Heinrich Scholz (Religionsphilosophie 
[Berlin 1921] 132 ff. 148 ff 157 ff.), Karl Barth (Der Römerbrief » [München 
1923] 11 ö. 23 34 96 112 usw.). Fr. Gegarten (Die religiöse Entscheidung, 
Jena 1921, 55 ff. ; ders., Von Glauben und Offenbarung [Jena 1923] 45 ff. 69 ff.), 
Ed. Thurneysen (Dostojewski [München 1921] 15 ff. 23 ff. 28 ff. 46 ff.) in 
Wahrheit eine Front. Auch Ernst Troeltschs Ringen nach einem ,religiösen 
Apriori' geht im Grunde auf das Gleiche (Ges. Schriften H [Tübingen 1913] 
754 ff. u. a.). Vgl. des Verfassers Abhandlung ,Gott in uns oder Gott über 
uns?' in den Stimmen der Zeit CV (1923 II), ebenso S. Kracauer, Die 
Wissenschaftsicrise (Hochschulblatt der ,Prankf. Zeitung' 1923, Nr. 179 u. 217). 



|. Unterschied zur Scholastik. 5 

(E 349 ff. usw.). Diese Stellungnahme hat dann eme Art Formel 
darin, daß beide Werke (M und E) sowohl wie auch vor allem 
der Schlußaufsatz von ,Krieg und Aufbau' (Leipzig 1916 ; jetzt 
SW 1110 ff.) eine Wiederbelebung Augustins gegenüber Ari- - 
stoteles und Thomas als eine Art Programm aufstellen. 

Von diesem Tatbestand aus werden wir unsre Fragen zu 
stellen haben, die im Grunde genommen in eine sich knüpfen : 
Wie kommt es, daß Scheler gleichzeitig dieselben Systeme ab- 
lehnt wie die Scholastik und danach ihr wesensverwandt sein 
müßte, — und doch gleichzeitig derselben Scholastik seinen 
eigenen Standpunkt entgegenzustellen scheint — wenn auch 
manche Ausdrücke des ,Ewigen im Menschen' mehr der Schöpfer- 
freude des Neufinders entstammen als kämpferischer Ein- 
stellung ? 

Aus dieser Fragestellung schon ergibt sich uns die Not- 
wendigkeit, das gesamte Schrifttum Schelers in unsre Unter- 
suchung einzubeziehen und vorab sein letztes Werk ,Das Ewige .- 
im Menschen' aus seinem bisher einzigen systematischen Haupt- 
werk, der ,Materialen Wertethik', heraus zu verstehen und zu 
deuten, wenngleich immer wieder zu prüfen sein wird, inwie- * 
weit ,Das Ewige im Menschen' nicht in manchen Punkten eine 
Weiterentwicklung dieses Hauptwerkes ist. Da aber ,Das 
Ewige im Menschen' noch nicht die eigentliche Religions- 
phänomenologie Schelers ist (vgl. ebd. 3 f.), so haftet unsren 
nun folgenden Ausführungen notwendig eine gewisse Bedingt- 
heit an : wir können Schelers Religionsphänomenologie nur dar- ,. 
stellen und beurteilen, insoweit sie aus dem gegenseitigen Ver- 
hältnis von ,Materiale Wertethik' und ,Ewiges im Menschen' er- 
sichtlich sein mag. Die Ergebnisse werden darum in manchen 
Punkten mehr eine Frage sein müssen als eine Behauptung. Es 
wird schon darum unser Bestreben sein, vor allem Grundfrage 
und Grundrichtung des Schelerschen Systems herauszustellen, 
ohne uns auf einzelne Teile desselben näher einzulassen. 



ERSTES KAPITEL. 

METHODISCHER AUSGANGSPUNKT UND 
DURCHBLICK DURCH DAS GANZE. 

Max Schelers Erstlingsscliriften ,Beiträge zur Feststellung 
der Beziehungen zwischen logischen und ethischen Prin- 
zipien' ^ und ,Die transzendentale und die psychologische Me- 
thode' ^ geben, wenngleich noch ganz eingehüllt in die Euckensche 
Auffassungsweise, bereits die zwei Komponenten seiner beiden 
Hauptwerke. 

Die erste Schrift ist ganz auf den Nachweis gestellt, daß 
die ethischen Grundprinzipien sich logisch-mathematisch weder 
ableiten noch anwenden ließen: das ,verum' und ,bonum' ist 
voneinander unableitbar (95 100 ff. usw.). Da das ,bonum' 
schon hier auch das ,Heilsgut' umfaßt (vgl. 16 — 22), so ist 
sowohl die These der ,Materialen Wertethik' von der ethischen 
Einsicht als ,Werterfassung im Fühlen' wie die des ,Ewigen 
im Menschen' vom Eeligiösen als ursprünglich , Wertfühlen des 
Heiligen in der vorausgehenden (jottesliebe' eingeleitet. Gleich- 
zeitig betont aber schon die Dissertation, daß die ,Werte' un- 
bedingt etwas Objektives seien, nicht einfach Ausdruck sub- 
jektiven Lust=Unlustzustandes, sondern objektiv wie das Gesetz 
der Schwere, das als objektiv bestehend erkannt, nicht durch 
das Erkennen konstituiert wird: , Objektiv heißt nur, unab- 
hängig von allem individuellen Meinen und Wünschen, und in- 
sofern wird Wert nicht minder objektiv gedacht als Sein' (84). 
Endlich ist diese Schrift auch insofern ,Vorläufer', als schon 

^ Jena 1899 (Doktordissertation). 
2 Leipzig 1900 (Neuauflage 1922). 



Die Erstlingsschriften Schelers. 7 

hier für die Begründung der Ethik auf »Werterfassung im 
Fühlen' derselbe Gedanke angeführt ist, den ,Das Ewige im 
Menschen' für ein , Glauben' als religiöse Grundhaltung anführt, 
daß nämlich die praktische Sicherheit des sittlichen Handelns, 
wie im ,Ewigen im Menschen' die absolute Sicherheit der reli- 
giösen Haltung, sich nicht als logische Folge von Erkennt- 
nissen ableiten lasse, da auf diesem Wege entweder nur Wahr- 
scheinlichkeiten sich erreichen ließen oder doch eine wahre 
Sicherheit so langsam und spät, daß das praktische Handeln 
gehemmt werde (Dissert. 95 ff., in E 358). 

Die zweite Schrift sodann, ,Die transzendentale und psycho- 
logische Methode', ist sozusagen das erste Auftauchen der 
,phänomenologischen' Methode, da Scheler in ihr sowohl der 
transzendentalen Methode Kants als auch der psychologischen 
Methode empirischer Richtungen absagt und als siebte These 
seiner ,noologischen' Methode aufstellt: ,Ein „Gelten", das nicht 
das „Gelten" irgend eines Wirklichen wäre, ist undenkbar' (180). 
Im übrigen werden auch in dieser Schrift die Aufstellungen 
der Dissertation wiederholt. 

In den beiden Aufsätzen ,Über Selbsttäuschungen' und ,Uber 
Ressentiment und moralisches Werturteil' ^ sowie den in den 
zwei Bänden der ,Abhandlungen und Aufsätze'^ gesammelten 
Arbeiten, endlich in dem Buch über ,Sympathiegefühle usw.' ^ 
tritt dann klar die phänomenologische Methode in den Vorder- 
grund, und die These von der Unableitbarkeit des ,bonum' aus 
dem ,verum* findet durch sie ihren konsequenten Ausbau. Da 
Scheler das Axiom der Scholastik ,nihil est in iatellectu quod 



1 Zeitschrift f. Pathopsychol. 1912, 87—163 268—358. Der erste Auf- 
satz ist eine erste Fassung der Darstellungen von Sy sowie teilweise von 
M, 429 ff., der zweite eine erste Fassung von UW I, Nr. 2, 

^ Leipzig 1915 ; jetzt ,Vom Umsturz der Werte' (Leipzig 1919). 

^ Zur Phänomenologie und Theorie der Sympathiegefühle und von Liehe 
und Haß (Halle 1913); jetzt vermehrte zweite Auflage unter dem Titel 
, Wesen und Formen der Sympathie' (Bonn 1923), als I.Band der ,Sinn- 
gesetze des emotionalen Lehens'. 



8 I. Methodischer Ausgangspunkt und Durchblick durch das Ganze. 

non fuerit in sensu' und das andere ,omne ens est bonum' im 1 
Sinne einer inneren Abhängigkeit voneinander faßt, so ergibt 
sich seine Leugnung beider in diesem Sinne (E 540 289 638). 
Statt des ersten tritt die unmittelbare ,Wesensschau' derWesens- 
verhalte und Wesenszusammenhänge, statt des zweiten der 
Satz von der Realidentität von Sein und Wert bei gleichzeitiger 
Unabhängigkeit in der ,Intention', welcher Satz in Gott seinen 
letzten Grund hat, indem derselbe Gott in der ,Intention' 
der Metaphysik das ,ens a se' ist und in der ,Intention' der 
Religion tias ,summum bonum': zwei ,entia üitentionalia', die 
ein ,ens reale' sind (E 335 ff. usw.), so daß erst die ,Zusammen- 
schau' des ,intentionalen' Gottes der Metaphysik und des ,in- 
tentionalen' Gottes der ,Religion' den , adäquatesten Gottes- 
besitz, die maximalste Teilnahme unsres Seins an seinem Sein' 
(E 341) ergibt. Das ganze so sich aufbauende System findet 
dann seinen dritten Pfeiler in der Lehre vom Primat des Wert- 
erfassens vor dem Seinserfassen, der dann seinerseits, da die 
höchsten Werte nur in der ,Liebe' aufblitzen, im Primat der 
Liebe vor der Erkenntnis wurzelt (vgl. den letzten Aufsatz in 
,Aufbau und Krieg') ^. 

Aus diesen Grundlagen ergeben sich fast alle Hauptlehren 
Schelers, die hier für uns in Betracht kommen, vorab jedoch 
die Lehre vom ursprünglichen Wertcharakter des Ethischen 
und Religiösen. Aller rationalen Ethik und aller Religions- 
philosophie geht ,unmittelbare Werterfassung' (des ,bonum' 
als ,sittlich gut' und als ,heilig' oder ,Heir) voraus ; diese erst 
bildet die Grundlage für alle Erkenntnissätze über die Gegen- 
stände beider Gebiete : die ,ünmittelbarkeit' der sittlichen und 
religiösen Einsicht ist die Unmittelbarkeit der ,Liebe', und nur 
unter Voraussetzung der in ihr aufblitzenden ,Werterfassung' 
vermag Ethik und Metaphysik das , Sein' zu erkennen. Es 
folgt also die Abhängigkeit der Ethik von der Liebeserfassung 



1 Leipzig 1915; jetzt SW 1 110 ff. 



Inner-kantische Fragestellung. 9 

des ,Guten' und die Abhängigkeit der Metaphysik von der 
Religion als der Liebeserfassung des »Heiligen'. Da nun nach 
Schelers Axiomen Personwerte höher sind als Sachwerte, so 
müssen die sittlichen und religiösen Werte als die höchsten 
Werte auch wesentlich Personwerte sein. Daraus ergibt sich 
Schelers Lehre, daß alle Liebeserfassung des Sittlich-Guten 
wesentlich Liebeserfassung von ,Wertpersontypen' sei, Liebes- 
erfassung eines sittlichen Personideals, so daß alles ursprüng- 
liche sittliche Verhalten ,]S[achfolge' ist, und entsprechend im 
Religiösen, daß Religion Liebeserfassung des Heiligen als der 
,heiligen Person' sei, gläubige Gegenliebe zur sich-schenkenden 
Liebe der in dieser Liebe ,sich offenbarenden' Person, woraus 
sich (auf Grund des oben Gesagten) ergibt, daß Metaphysik die 
Person Gottes nur auf Grund dieser religiösen Liebeserfassung 
erfassen könne ^. 

Schon aus dieser flüchtigen, schematischen Durchschau er- 
hellt in etwa die innere geistige Richtung des Schelerschen 
Systems. Es geht aus von der eigensten Fragestellung der 
modernen Philosophie, die seit Kant das Ethische und Religiöse 
der emotionalen Sphäre (im weitesten Sinne) zuweist, weil sie 
das Denken auf das rein mathematisch-analytische und rein 
reflexive einschränkt. Aber während die sonstigen Vertreter 
dieser Philosophie damit alles Ethische und Religiöse in der 
Immanenz des Subjektiven einschließen und abschließen, dringt 
Scheler ins Objektive vor und wird so in gewissem Ausmaß 
der Vollender des Befreiungswerkes Husserls (wozu neuestens 
noch Nikolai Hartmann und Edith Landmann kommen). Scheler 
bedeutet also mit seiner Lehre vom Erfassen objektiver Werte 
die höchste Annäherung der modernen Philosophie an den grund- 
sätzlichen Objektivismus der überlieferten christlichen Philo- 
sophie, und aus dieser ganz eigenen Richtung wird es auch 

* Das dürfte wohl der letzte Sinn der Lehre Schelers von der ,Un- 
erkennbarkeit' der Person sein. Vgl. des näheren 1. Kap., § 2, Nr. 2 sowie 
2. Kap., § 2, Nr. 2. 



f 

IQ IL Phänomenologie und Wirklichkeit. 

verständlich, wie sie in erstaunlichem Ausmaß eine ,Führerin 
zur Kirche* werden konnte. 

Damit aber ist uns in verschärftem Maße die Frage nach 
dem wirklichen Geltungswert des Schelerschen Werkes gestellt: 
Sind die beiden Komponenten, die Wertlehre und die Phäno- 
menologie, eigentlich miteinander vereinbar? Ist ein Objek- 
tivismus des Ethischen und Religiösen innerhalb der Wertlehre 
möglich, ohne daß eines der beiden konsequent aufgelöst wird ? 
Und wie verhält sich der Schelersche Objektivismus zum Ob- 
jektivismus der überlieferten christlichen Auffassungsweise ? 

In der Beantwortung dieser Fragen wollen wir uns mit Ab- 
sicht nur an die positiven Aufstellungen des Systems Schelers 
selbst halten, ohne auf seine Auseinandersetzungen mit der 
Scholastik einzugehen. Es ist ja auch sonst dem schöpferischen 
Denker schwer gegeben, andern Denkrichtungen in echt histo- 
rischer Einstellung gerecht zu werden. Daß dieses Gesetz bei 
Scheler eine besondere Anwendung findet, dürfte wohl an dem 
heißen Atem seines Denkens liegen, das mitunter fast in Pro- 
phetenhaltung sich gibt und dieser Eigenart nicht zuletzt seine 
starke Werbekraft danken mag. Wir denken in drei Stufen 
die Schelersche Religionsbegründung zu entwickeln, indem wir 
1. die phänomenologische Grundlage und die transsubjektive 
Wirklichkeit der religiösen Gegenstände behandeln, 2. die Wert- 
erfassung und die Grundlegung des Religiösen, 3. die Frage nach 
dem Verhältnis von Yernuhftwahrheit und Offenbarung, Natur 
und Übernatur. 

ZWEITES KAPITEL. 

PHÄNOMENOLOGIE UND WIRKLICHKEIT. 

§ 1. Wesenheit und Wesensscliau. 

Wenn man die verschiedenen Kennzeichnungen, die Scheler 
in seinen Werken von der Phänomenologie, wie er sie auffaßt, 
gibt, zusammennimmt, so zeigt sich: Die Phänomenologie steht 



Materialgültiges und individualgültiges Wesen. H 

sozusagen in der Mitte zwischen der Methode der Scholastik 
und einer im Subjekt verhafteten Philosophie. 

Gemeinsam mit der Scholastik ist ihr die Betonung des Wesen- 
haften und Objektivgültigen. Dieses Objektivgültige fällt 
aber nicht mit dem Allgemeingültigen zusammen und ebenso 
nicht mit dem rein Formalen ; es ist vielmehr ein Apriori, das 
sowohl individualgültig wie allgemeingültig (M 43 70 279 
331 usw.), formal wie material (M 48 usw.) sein kann. In der 
ersten Bestimmung bedeutet Scheler eigentlich eine Weiter- 
führung Suarezianischer Gedanken, da Suarez das Individuum 
metaphysisch nicht konstituiert werden läßt durch die Be- 
grenzung der thomistisch-universalen Form durch die Materie, 
sondern ihm positiven Selbstwert zuschreibt, so daß es folge- 
richtig ,possibilia individuaüa' gibt, mithin ,Individualgültiges' 
(vgl. Sy 88/89, 143 — 146). Die zweite Bestimmung richtet sich 
mit der Scholastik gegen Kant, indem sie auch inhaltliche, 
objektive Gültigkeiten aufstellt, die nach Kants System un- 
möglich sind, da jeder ,Inhalt' der sinnlichen Erfahrung ent- 
stammt, die in sich nicht , Gültigkeit' hat, sondern nur ,Zu- 
fälligkeit'^ 

Aber in beiden Aufstellungen unterscheidet sich Schelers 
Phänomenologie doch wieder von der Scholastik und von Kant. 
Das ,Objektivgültige' ist ihm ein geistiger Anschauungsinhalt ^; 
es ist nicht ein Abstrahiertes aus Sinnesinhalten (M 398), 
sondern ein ursprüngliches, das aufblitzt im Absehen von allem 
Empirischen, also nicht geschaut wird im Empirischen, sondern 
in sich im Absehen vom Empirischen. Das Objektivgültige 

^ Vgl. hierzu Jonas Cohn, Recht und Grenzen des Formalen in der Ethik 
(Logos VII [1917/18] 91 ff.). 

^ Hier dürfte Scheler sich in etwa mit der Friesschen Deutung der Anti- 
nomien treffen, wenigstens in der Form, wie Rud. Otto (Kantisch-Friessche 
Religionsphilosophie [Tübingen 1909] 33 ff. 50 ff. usw.) sie faßt ; der Unter- 
schied freilich bleibt sehr scharf der, daß Otto das Negative aller ratio- 
nalen Gotteserkenntnis stark betont (Kantisch-Friessche Rel.-Phil, 82 ff. 140 ; 
Das Heilige 49 ff. usw.). 



12 IL Phänomenologie und Wirklichkeit. 

ist ferner nicht ursprünglich das ,Notwendige', d. h. etwas, 
,das bei allem Leugnen nicht weggeleugnet werden kann', also 
etwas negativ Erkanntes, sondern ursprünglich ein positiv als 
Tatsache Erschautes, das erst sekundär, weil es so und so 
objektiv ist, auch nicht sein Gegenteil sein kann (M 71 81 usw.). 
Alle Negationen bei seinem Auffinden haben nur den Sinn, 
das wegzuräumen, was nicht zu seinem Wesen gehört, damit 
das ,Wesen' in sich aufleuchte ; alle Negierung hat nur Zeige- 
funktion auf das Positive (vgl. u. a. M 45). 

Zusammenfassend ist also zu sagen, daß Schelers Phänomeno- 
logie durchaus auf das , Wesen' und das , Objektive' im Sinne 
der ,philosophia perennis' geht. Der Unterschied besteht, wie 
es scheint, vielmehr darin, daß sie die Methode, die nach der 
Neuscholastik (vgl. z. B. Geyser) nur für die letzten Prinzipien 
der Logik in gewissem Sinne angängig ist, z. B. für den Satz 
vom Widerspruch, auf alles ausdehnt, was ,wesenhaft' genannt 
werden kann. 

Scheler und vorab Grundier^ stellen den Gegensatz zur Scholastik so 
dar, als ob die Scholastik von den Sinnesdata einen ,Schluß' auf die 
Wesenheiten vollziehe, während die Phänomenologie vor alles Schlußverfahren 
(das nur das nähere , Sosein' der .erschauten' Wesenheit auseinanderlegen 
könne) eine .unmittelbare' Anschauung der Wesenheit setze. Gründler be- 
gründet dann den Standpunkt der Phänomenologie u. a. auch damit, daß ,,alles 
begriffliche Erkennen . . . unbewiesene Sätze' voraussetze ; »jeder Beweis 
hat seine Prämissen, jede deduktive Wissenschaft ihre Axiome, welche 
selbst nicht beweisbar, sondern nur anschaulich faßbar sind' (S. 5 u. a.). 
Hier zeigt sich ein großes Mißverständnis. Die Scholastik lehrt weder, 
daß die Wesenheiten durch ,Schluß verfahren' gefunden würden, noch leugnet 
sie, daß alles begriffliche Erkennen usw, letzte logische Voraussetzungen 
habe, die einfach hingenommen werden müssen, ohne direkt bewiesen 
werden zu können. Diese beiden Fragen haben aber gar nichts miteinander 
zu tun. Denn das Verhältnis der konkreten Gegebenheiten zu ihren Wesen- 
heiten ist ein Verhältnis des , Ausgestaltetseins', während das Verhältnis 
wissenschaftlicher Sätze zum Satz vom Widerspruch oder zum Identitäts- 
satz ein Verhältnis des ,Vorausgesetztseins' ist. In diesem letzten Fall 



^ Elemente zu einer Eeligionsphilosophie usw. (Kempten 1922). Vgl. meine 
eingehende Besprechung des Werkes in den Stimmen der Zeit CIV (1922 I) 
447-449. 



i . Anschauung oder Abstraktion, 13 

mag man gewiß insofern von ,Anschauung' reden, als diese ,ultima prin- 
cipia', wie die Scholastik sie nennt, eben etwas schlechthin ,Gegebenes' 
sind. Doch erst die Frage nach der Art dieses Gegebenseins, das als ,Ge- 
gebensein' sein Gegenstück im ,direkt bewiesen werden' hat, führt an den 
eigentlichen Fragepunkt zwischen Scholastik und Phänomenologie und an 
den Fragepunkt, der auch im ersten Fall der ,Wesenheiten' überhaupt vor- 
liegt, nämlich: Ist das ,Prinzip' des Widerspruchs im Unterschied vom kon- 
kreten Dasein z. B. dieses Steines (der durch dieses konkrete Dasein und 
Nichtnichtdasein das Prinzip des Widerspruchs in ,konkreter Darstellung' 
ist), die ,Wesenheit' des Baumes im Unterschied von dieser konkreten Buche 
oder die ,Wesenheit' der Buche im Unterschied von dieser konkreten Buche 
etwas inhaltlich Anschauliches oder Abstraktes? 

Anschauung oder Abstraktion als Formen des Gegebenseins der in 
sich inhaltlichen Wesenheiten, — das ist allein die Frage, die zwischen 
Phänomenologie und Scholastik Sinn hat, und auf die alle Theorien von ,Un- 
mittelbarkeit' und ,Mittelbarkeit' bei den Phänomenologen auch letztlich 
sich zurückführen ^ Es handelt sich also .nicht um eine positive Inhalt- 
lichkeit der , Wesenheiten in sich', sondern um ein positives anschauliches 
Erkanntwerden dieser in sich positiv inhaltlichen Wesenheiten. Eine posi- 
tive Inhaltlichkeit der ,Wesenh6iten in sich' lehrt auch die Scholastik durch- 
aus ; denn ihr ,conceptus negativus' alles Übersinnlichen und Geistigen be- 
sagt nicht ein Negativsein der Erkenntnisinhalte, sondern ein Negativsein 
der Erkenntnisform, insofern die Begriffe vom Geistigen auf dem Wege 
der via negationis oder remotionis am Sinnlich- Anschaulichen Zustande- 
kommen. Ein eigener Standpunkt der Phänomenologie diesem Standpunkt 
gegenüber hat also nm' dann Sinn, wenn sie statt dieser aristotelischen 
Abstraktion (als Erkenntnis-weise) die platonische Ideenschau setzt, die 
dann freilich bei ihr, im Gegensatz zu Plato, sich nicht auf Realobjekte, 
sondern nur (wie wir in § 2 sehen werden) auf Intentionalobjekte richtet 
und so sich umformt in das (zweite) Grundprinzip der Phänomenologie : das 
Prinzip vom Vorzeichnungs-Erfüllungs- Verhältnis zwischen Akthaltung und 
Intentionalobjekt. 

Schelers Methode bedeutet wohl den stärksten Gegensatz 
sowohl zu einem scholastischen Abstraktionstypus wie zur In- 
duktionsmethode der Neuzeit, die beide ein Finden des ,Wesens' 
nur durch positive Arbeit am Empirischen kennen; ent- 
sprechend ist dann auch der Gegensatz in der Lehre vom Ver- 
hältnis von Geist und Sinnesfähigkeit, wo Scheler ebenso einen 

^ Es ist eigenartig, wie z. B. Gründler im Bestreben, die Wesensschau 
verständlich zu machen, doch wieder zum alten Ausdruck des ,Abstrahierens' 
greift und von Einern ,g]eichsam durch die sinnliche Anschauung . . . hin- 
durch . , . anschaulich erfassen' redet (S, 6). 



- - ■ - : ■ ;.y 

14 n. Phänomenologie und Wirklichkeit. 

durcliaus platonisch-augustinischen Standpunkt einnimmt, indem 
nach ihm alle Sinnesfunktion nur ein Aufteilen und Seligieren 
des ursprünglich geistig Erschauten bedeutet (vgl. Zeitschrift 
f. Pathopsych. 1912, 105 138 143; M 429 ff. usw.). Es ist in 
dieser Beziehung reizvoll, seine zuversichtliche Sprache von 
,Wesen' und ,Wesensschau' mit den vorsichtigen, fast skep- 
tischen Sätzen v. Hertlings in seiner ,Metaphysik' zu ver- 
gleichen ^ Schelers Philosophie bedeutet hier gegenüber der 
beruhigten Altershaltung unsrer heutigen Induktionsmethoden 
die jugendfrische Prometheusgeste platonischer Zuversicht. Und 
diese Zuversicht zum Objektiven und Wesenhaften ist wohl 
auch wieder der innere Grund sowohl ihrer starken Werbekraft 
bei unsrer Jugend wie auch ihres Pühreramtes zur Bit'che, die 
ja gerade als die Institution des Objektiven im modernen Geistes- 
leben gilt, einst deswegen abgelehnt und heute ebendeswegen 
gerade, wie es scheint, gesucht. 

Es wäre also — und das ist ein wichtiges erstes Ergebnis — 
ganz verfehlt, Scheler irgendwie als Subjektivisten zu fassen 
und unter diesem Behuf ihn mit Kant in Verbindung bringen 
zu wollen. Das hieße ihn vollständig mißverstehen. Denn 
gerade im Gegensatz zu Kant liegt eine Grundkraft seiner 
ganzen Philosophie; sowohl die ,Materiale Wertethik' wie das 
,Ewige im Menschen' sind eine durchgehende Ablehnung und 
schneidende Widerlegung der Kantischen Reduzierung alles 
Apriori auf das transzendentale Subjekt. Es ist der Punda- 
mentalsatz aller Phänomenologie nach Scheler, daß ,Sein' und 
,Erkenntnis' wesenhaft auf einander gerichtet sind: Sein ist 
nicht Erkennen (der idealistische Standpunkt : ,esse = percipi'), 
noch gibt es ein Sein, das prinzipiell unerkennbar wäre, sondern 
alles Erkennen ist wesenhaft auf Erkennen gegenständlichen 
Seins gerichtet, und alles gegenständliche Sein weist auf einen 

^ Kempten 1922, 37 f. Aber auch Edith Landmann scheidet sich hier 
grundsätzlich von den Phänomenölogen und will ein Erkennen des ,"Wesens' 
im konkreten Dasein (Die Transzendenz des Erkennens 254). 



Passives Gegel)ensem, 15 

entsprechenden Erkennenden (vgl. E, ,Vom Wesen der Philo- 
sophie' und 416 ff.). Am stärksten aber prägt sich dieser 
Gegensatz aus in der innern Richtung Kantischen und Sche- 
lerschen Denkens, welchen Gegensatz Scheler selber zu betonen 
nicht müde wird: Für Kant muß die sinnliche Anschauung 
erst durch die Denkformen ,bearbeitet' werden, damit durch 
diese subjektive Arbeit die Inhalte der Wissenschaften (die 
synthetischen Urteile a priori) sich ergeben; für Scheler um- 
gekehrt ist alles ,gegebene Anschauung', die sich dem liebend 
Hingegebenen ,offenbart'; für Kant ist das Objekt letztlich 
das Geschöpf des Subjekts, für Scheler das Subjekt der auf- 
nehmende Empfänger des Objekts^. 

In dieses kontemplative ,Hinnehmen des Gegebenen' dürfte 
sich schließlich überhaupt der Sinn der Schelerschen ,Wesens- 
schau' fassen lassen, da, wie wir sahen, ihre Unterscheidung 
von der scholastischen ,Abstraktion' mehr auf Mißverständnis 
dieser als auf eigener unterscheidender Eigenart beruht. 

Daraus aber folgt als erstes wichtiges Ergebnis für unsre 
Untersuchung der Schelerschen Eeligionsbegründung : Alle 
ihre Data gehen auf wirklich objektive und wesens- 
gültige Gegebenheiten. Wie immer auch Gott und Gött- 
liches gefunden sein mag: Gott und Göttliches sind 
nicht ich-abhängige Objektivation, sondern ich- 
unabhängiges Objekt. 

§ 2. Vorgang und Realität. 

Doch gerade im Objektivitätsstandpunkt selber zeigt sich 
die eigenartige Mittelstellung Schelers zwischen Scholastik und 
neuerer Philosophie und sein Gemeinsames gerade mit dieser. 
Für die alte scholastische Einstellung ist der Erkenntnisakt 



^ Diese Eichtung ,einpf Engender Erfahrung' heben Hr. Kerler (Max Scheler 
und die impersonalistische Lebensanschauung [Ulm 1917] 12 ff.) und Jonas Cohn 
(Recht und Grenzen des Formalen in der Ethik 91 ff.) sehr glücklich hervor. 



10 II. Phänomenologie und Wirkliclikeit. 

sozusagen das unmittelbare Ergreifen des außersubjektiven 
Gegenstandes ; für die neuere Philosophie wurzelt alle Problem- 
stellung im erkannten Gegenstand als erkanntem, und nur 
innerhalb der unentrinnbaren Geschlossenheit und Ab- 
geschlossenheit des Erkenntnis vor gang es und seiner Ge- 
gebenheiten ist die Frage nach dem transsubjektiven Gegen- 
stand stellbar und lösbar. So gut denn eingestandenermaßen 
die Aufstellung eines , Objektiven' und eines ,Seins' auch für 
die Schelersche Position zunächst nur (nicht ausschließlich!) 
für den innersubjektiven Erkenntnisgegenstand : Das Erkenntnis- 
objekt (nicht das erkannte Objekt als ,Ding an sich') ist ob- 
jektiv und unabhängig vom Erkenntnissubjekt, d. h. es ist ein 
mir im Erkenntnisvorgang unmittelbar gegebenerWesensverhalt, 
daß das , Objekt' mir, dem ,Subjekt', als ,unabhängig von mir' 
gegenübersteht; ich ,schaue' diesen Verhalt als Wesens verhalt, 
d. h. nicht als empirische Zufälligkeit, ich ,schaue' die ,Un- 
abhängigkeit' des Objekts vom Subjekt. 

Scheler scheidet hier mit der Scholastik ,Wesenheit' von 
,Realität* (reale Existenz). Es bedeuten also alle Aussagen 
Schelers über ,Objektivität' von Ich, Außenwelt und Gott zu- 
nächst nur Aussagen über die Objektivität ihrer Washeiten, 
und insofern ist es verständlich, warum Scheler ohne weiteres 
,Sein' und ,Wert' auch in der objektiven Sphäre scheiden kannr 
für ihn besteht eben zunächst nur die objektive Sphäre der 
Washeiten, und noch nicht die Sphäre der objektiven Exi- 
stenzen, und somit hat er sich zunächst nicht die schwierige 
Frage zu stellen, wie eine objektive Trennung von ,Sein' und 
,Wert' unter dem Gesichtspunkt realer Existenz zu denken sei. 

Nun aber beharrt der Hauptbegründer der Phänomenologie, 
Husserl, prinzipiell bei diesem eingeschränkten Standpunkt 
einer objektiven Sphäre nur der Washeiten, während die 
Existenzsphäre für ihn ,eingeklammert' bleibt ^ Darum ergibt 

^ Vgl. die Auseinandersetzung Edith Landmanns (Die Transzendenz des 
Erkennens 47 ff.) mit diesem erkenntnistheoretischen Idealismus Husserls. 



Intentionaler Kealismus. 17 

sich notwendig die Frage für Sclieler: Ist sein phänomeno- 
logischer Standpunkt nur methodische Beschränkung oder prin- 
zipieller transzendentaler Idealismus ? Wie steht er zur Realität 
von Welt und Gott? 

Aus seinen Schriften ergibt sich zunächst das Fehlen jeg- 
licher Äußerungen im Sinne eines erkenntnistheoretischen Idea- 
lismus; nachweisbar ist nur der Standpunkt einer methodischen 
Beschränkung, nicht der Standpunkt philosophischen Prinzips. 
Was positive Äußerungen betrifft, so spricht Scheler wohl an 
manchen Stellen von der Existenzialrealität, im Gegensatz zur 
Objektivität der Washeiten, und zwar ist ihm diese Realität 
als , Widerstand' des ,Wollens' gegeben (M 135 und E 476 ff.)» 
und das so ausschMeßlich, daß nach ihm einem , Geistwesen, 
das nur Logos oder auch nur Logos und Liebe wäre', d. h. das 
kein Wollen hätte, kein ,Wesensunterschied zwischen idealem 
und realem Gegenstand' gegeben wäre (E 476/477). Aber, 
wie schon diese letzte Bestimmung zeigt, ist diese ,Realität' 
auch wieder nur eine Bestimmung des immanenten WoUens- 
objekts, die Washeit des WoUensobjekts als Wollensobjekts, 
mithin wiederum keine direkte Aussage über den außersub- 
jektiv realen Gegenstand (vgl. aber dagegen SM I 14). 

Eine positive Aussage liegt indes, wie uns scheint, außer 
der durchgehend realexistenzialen Innern Tendenz des ,Ewigen 
im Menschen' dort vor, wo Scheler z. B. die ,Sinnwidrigkeit' 
alles Solipsismus darlegt (M 393) oder eine Zweiheit von ,Er- 
kenntnisobjekt' und ,Ding an sich' in der Erkenntnis der Wesen- 
heiten ablehnt (M 70). Vorab an der ersten Stelle begründet 
er die ünmöglicheit eines idealistischen Standpunkts gerade 
mit Hilfe der phänomenologischen Methode: ,da der Solipsis- 
mus aber durch ein evidentes Transzendenzbewußtsein, d.h. durch 
das in jedem Akte des „Wissens von" mitgegebene unmittelbare 
Wissen der wesenhaften Unabhängigkeit des Seienden schon 

Ebenso Jos. Geyser, Neue und alte Wege der Philosophie 189 ff. ; Natorp, 
Husserls Ideen zu einer reinen Phänomenologie 230 ff. 

Przywara, Keligionsbegründung. 2 



18 II. Phänomenologie und Wirklichkeit. 

als Seienden vom Vollzug eines Wissensaktes . . . evident wider- 
sinnig ist. . . .' Weiterhin spricht deutlich Schelers Unter- 
scheidung heim Gotteshegriff zwischen Gott als dem Einen 
,ens reale', das sich aher für Metaphysik und Religion in die 
zwei ,entia intentionalia': des ,ens a se' und des ,sumHium bonum' 
auseinanderlege; die ,entia intentionalia' sind unsre früheren 
denkunahhängigen Washeiten, das ,ens reale' mithin der trans- 
subjektiv und transzendent existierende Gott in sich (E 334 if., 
355 ff.) ; ebenso die an Anselm gemahnende Darlegung (E 638), 
daß ein ,summum bonum' notwendig real sein müsse, weil es 
sonst nicht ,Höchstwert' (nicht Höchstvollkommenheit !) sei. 

Von solchen Stellen her gesehen, und nicht zuletzt von der 
ganzen Problemstellung des ,Ewigen im Menschen' her, ergäbe 
sich der erkenntnistheoretische Standpunkt Schelers als eine 
Art ,intentionaler Realismus', insofern als die transsubjektive 
Wirklichkeit dem Erkennenden nicht durch irgend eine Schluß- 
folgerung gegeben ist, sondern dadurch, daß mit der Einsicht 
der ich-unabhängigen Washeit gleichzeitig sich die Wesensein- 
sicht von der Sinnwidrigkeit des idealistischen Standpunkts 
verbindet (vgl. auch Sy^ 261) ^. — Soviel jedenfalls scheint also 
sicher, daß irgend welche Beweise für einen erkenntnis- 
theoretischen Idealismus Schelers nicht vorhanden sind, viel- 
mehr gewichtige Gründe dagegen. Das relative Schweigen 
Schelers über diese Frage findet seine genügende Erklärung 
in der sachnotwendigen Beschränkung der phänomenologischen 
Methode auf den innersubjektiven Vorgang. 

^ Scheler berülirt sich hier mit der phänomenologischen Erkenntnis- 
theorie Hedwig Conrad-Martius' (Jahrbuch f. Phil, und phän. Forschg. III 
[1916] 345—542), der die ,Wirklichkeit' unmittelbar im Wirklichkeits- 
eindruck gegeben ist. ,Mein geistiger Blick vermag bis zur . . .Wirklichkeits- 
stelle direkt und unmittelbar hindurchzudringen' (376). Ebenso besteht Ver- 
wandtschaft mit den zwei gegenwärtig bedeutendsten Erneuerern eines 
erkenntnistheoretischen Realismus, Nikolai Hartmaim (Grundzüge einer 
Metaphysik des Erkennens, Berlin 1921) und Edith Landmann (Die Tran- 
szendenz des Erkennens, Berlin 1923), die unstreitig einen Fortschritt über 
Hai'tmann hinaus bedeutet durch die geistvolle Theorie von der Transzen- 



Yorgangsstandpunkt xmd Dmg-an-sicli-Stanäpunkt. 19 

Aber daraus gewinnen wir, ein wiclitiges Ergebnis für die 
Beurteilung der Schelerschen Eeligionsbegründung: Kraft der 
phänomenologiscben Methode kann Scheler nur eine Wesens- 
analyse des Vorgangs des Religiösen geben; mithin wird 
seine Religionsbegründung nicht Gründe für das Dasein und 
Sosein der' religiösen Gegenstände in sich bringen können 
und auch gar keine Einstellung dafür haben können, sondern 
nur die Wesensbestandteile des Weges aufweisen können, auf 
dem der konkrete Mensch zu Gott kommt, freilich mit dem Hin- 
weis darauf, daß diese religiösen Gegenstände real sein müssen, 
weil die innere Intention des religiösen Vorgangs wesensgemäß 
auf dieses transsubjektive und transzendente Realsein weist. 

Da nun aber die ganze sog. natürliche Theologie der Scho- 
lastik ausschließlich in der ersten Richtung geht, d. h. in Dar- 
legung der Gründe für das Dasein und Sosein der religiösen 
Gegenstände in sich, Scheler jedoch kraft seiner Methode 
ausschheßlich in der zweiten Richtung verbleibt, d. h. in der 
Wesensanalyse des subjektiven Vorgangs des Suchens und 
Findens Gottes, so ist von vorüber eui schon jede Polemik 
eines ,Entweder-Oder' zwischen beiden einfach ,sinnwidrig', 
da sie eben ein gemeinsames Forschungsobjekt nicht haben. 
Die Auseinandersetzung Schelers mit der Scholastik kann also 
füglich überschlagen werden. Eine Auseinandersetzung (eines 
,Entweder-Oder') umgekehrt der Scholastik mit Scheler würde 
aber ebenso falsch sein und gänzlich unangebracht, sofern 

clenz als dem ,Apriori der Erkenntnis'. ,Niclit in uns hinein, sondern aus 
uns hinaus sind wir gebannt im Erkennen. Nicht die Auisenwelt ist „m 
Wahrheit" nur Innenwelt, sondern die Innenwelt enthält als ihre Wahrheit 
die Außenwelt' (60). ,Daß das Erkannte im Erkennenden ist „secundum 
modum cognoscentis" und dem Erkennenden dennoch als ein Fremdes und 
Transzendentes, von ihm nur Gespiegeltes gegenübersteht, das ist der dem 
Bewußtsein eigentümliche Ausdruck des Weltzusammenhangs, durch den 
die verschiedensten, die getrenntesten und fernsten Dinge und Wesen auf- 
einander bezogen, voneinander abhängig und durcheinander modifiziert 
sind' (81). Vgl. aber dagegen H. Pleßner, Die Einheit der Sinne (Bonn 1923) 
X 38 ff. 301 ff. 

2* 



20 II-^ Phänomenologie und Wirkliciikeit, 

nicht der scliolastisclie Denker von sich aus die Schelersche 
Problemstellung übernimmt und die Schelerschen Aufstellungen 
von ihrer eigenen Einstellung heraus prüft, d. h. sich nicht 
die Frage stellt .nach den Glründen für das Dasein der reli- 
giösen Gegenstände in sich, sondern wie Scheler nach den 
Wesensbestaudteilen und Wesensintentionen des religiösen Vor- 
gangs selbst. Nur auf diesem Wege, so möchte uns scheinen, 
dürfte eine wirklich sachliche Auseinandersetzung mit der 
Schelerschen Religionsbegründung möglich sein. 

§ 3. Religiöser Vorgang und religiöse Realität. 

Aus den eben abgeschlossenen Erwägungen heraus gibt sich 
uns schon hier die richtige Einstellung für die viel umstrittenen 
Aufstellungen Schelers über eine sog. ,Unmittelbarkeit' 
der Grotteserkenntnis und über Erkenntnis oder 
ünerkennbarkeit der Personalität Gottes. 

Vom gewohnten Standpunkt scholastischen Denkens aus 
gesehen, wird man natürlich leicht geneigt sein, darin eine 
Leugnung Jener Form der ,natürlichen Gotteserkenntnis' zu 
sehen, wie sie in den Hauptpunkten das Vaticanum lehrt, und 
in der Tat kann Schelers Darlegung einen solchen Gedanken 
recht nahelegen, da er mangels einer unbefangenen historischen 
Einstellung sich in diesen Fragen vermeintlichen scholastischen 
Lehren entgegenstellt und mit Systemen verwandt erklärt, 
die tatsächlich aus ganz andern Fragestellungen geboren sind. 

1. Unmittelbare Gotteserkenntnis im Prinzips. 

,Unmittelbarkeit' im Sinne der phänomenologischen 
Methode bedeutet im Prinzip das unmittelbare Verhältnis 
zwischen Erkenntnishaltung und Erkenntnisgegenstand, sowie 

^ ,Im Prinzip', d. h. nicht ansschließlicli. Aus Kap. 3, § 2 wird sich uns 
der weitere Sinn dieses ,unmittelbar' ergeben, der eben schließlich für 
Scheler spezifisch in der Wertlelire liegt, wenngleich seine entscheidende 
Grimdlage die phänomenologische Methode als solche ist. 



Unmittelbarkeit als Intentionalbegriff. 21 

die innere Unableitbarkeit des in Frage stehenden Erkenntnis- 
gegenstandes von andern Erkenntnisgegenständen ^. Der alles 
Seiende transzendierenden Erkenntnishaltung ist Grott als der 
jüber allem und in allem Seiende' eben »unmittelbar', d. h. ihr 
,umnittelbar entsprechendes Objekt'^, und Gottes Sosein ist, 
eben weil es Grottes Sosein ist, nicht innerhch ableitbar aus 
dem Sosein des Geschaffenen, sondern im Geschaffenen ent- 
hüllt sich Gottes Sosein als wesentlich Ungeschaffenes. 

Das ist ja auch in patristisch-scholastischer Auffassung das 
Einzigartige der Gotteserkenntnis, daß in ihr ein neues Wesen 
aus und in den gegebenen Wesen aufleuchtet ; es ist nicht ein- 
seitig ein , Schluß auf ein neues Wesen, weil dieses neue Wesen 
eben kraft seines Wesens als letzter Seins- und Wirkgrund in 
den gegebenen Wesen ist; aber es ist auch ein , Schluß auf, 
weil eben dieses Wesen ebenso über denselben gegebenen 
Wesen ist ; darum wird man den Vorgang der Gotteserkenntnis 
eben am besten nicht mit andern Schlüssen vergleichen, weil 
ihr Formalgrund die unvergleichliche ,analogia entis' ist. Was 
die Scholastik aber unter dem Begriff der ,Mittelbarkeit' 

^ Vgl. Edith Landmann (Die Transzendenz des Brkennens 25): , Jeder 
eigentümlichen Erkenntnisfunktion entspricht ein ihr eigentümlicher Gegen- 
stand, der unabhängig von ihr variabel und der identisch ist auch ver- 
schiedenen Formen und Akten der gleichen Erkenntnisfunktion gegenüber. 
Jeder Erkenntnisakt zielt auf einen eigenen, nur ihm entsprechenden Gegen- 
stand, und jedem eigentümlichen Erkenntnisgegenstand entspricht ein eigener 
Erkenntnisakt.' 

^ Vgl. vorab E 529, wo in den Wesenseigenschaften des ,religiösen Aktes' 
faktisch der Sache nach die gewohnte metaphysische Ableitung des Da- 
seins Gottes, wie die Scholastik sie vornimmt, enthalten ist. Der religiöse 
Akt umgreift (als erste Eigenschaft) die ganze Welt und ,transzendiert' sie 
und trägt (als zweite Eigenschaft) eine ,wesensmäßige IJnerfüllbarkeit durch 
irgend einen der Welt angehörigen oder die Welt selbst ausmachenden end- 
lichen Gegenstand' in sich usw. Es ist also in dieser Passung der meta- 
physische Beweispunkt des Daseins Gottes, das Wesensverhältnis vom ,ab 
alio' zum ,a se', vom Endlichen zum Unendlichen, das Wesensverhältnis 
der ,analogia entis', dem Akt, dessen ,unmittelbares' Objekt Gott ist als 
Gott, direkt eingeprägt. Ein Ähnliches zeigt die nähere Untersuchung des 
religiösen Aktes als ,Glaubensaktes' (E 561). 



22 51' Phänomenologie und Wirklichkeit, 

verstellt, ist nur, daß Gott natürlicherweise allein im Gleich- 
nis des Geschöpflichen erkannt werden könne, und die sog. 
, Gottesbeweise' sind nur die reflex-wissenschaftliche Ausformung 
dieses Brkenntnisgrundes der ,analogia entis'. 

Gewiß spricht nun Scheler in seiner scharfen, überspannenden 
Akzentuierung von einer Erkenntnis Gottes, die nicht durch 
den Kontingenzchar akter, sondern nur sozusagen ,an' den 
Dingen gewonnen sei ; oder an anderer Stelle, daß Gott erst ,in 
sich' erkannt werde, nachher die Welt ,in sich' und erst dann 
Gottes Beziehungen zur Welt (E 401). Ebenso kann er sich 
fast nicht genugtun im Betonen, daß Gott nicht durch , Schluß- 
verfahren' erkannt werde. Aber man darf sich durch den 
Augenschein nicht täuschen lassen. Wo Scheler von der sog. 
Selbstevidenz des Daseins Gottes redet, da spricht er deutlich 
von einem jGott in und über den Geschöpfen', so z.B.E112ff., 
wo er ausdrücklich die Abfolge der evidenten Einsichten aus- 
führt; hier wird als erste Evidenz genannt, ,daß überhaupt 
etwas sei', als zweite dann, ,daß ein absolut Seiendes ist oder 
ein Seiendes, durch das alles andere, nichtabsolute. Sein sein 
ihm zukommendes Sein besitzt'. E 116 wird behauptet, daß 
selbst der Gottesleugner ,durch das Gewebe jedes relativen 
Seins, also auch jedes relativen Mchtsseins auf es [das ab- 
solute Sein] hindurch und in seine Richtung' schaue. E 440 
heißt es gegenüber der Theorie von einer ,idea innata Dei': 
,Sogar die Idee des „ens a se" setzt die Erkenntnis irgend 
eines kontingent Seienden voraus und wird nur an solchem 
Beispiel als evidente Bedingung jeglichen kontingenten Seins 
erschaubar.' Wo er weiterhin das Gottfinden der religiösen 
Einstellung einem , Schluß verfahren' entgegenstellt, betont er 
ebenso im religiösen Vorgang ein Erfassen Gottes ,in' den 
Geschöpfen, z. B. ,Die natürliche Offenbarung Gottes in seinem 
Werk, wie es der Apostel im Auge hat, beruht auf einem 
symbolischen Ausdrucksverhältnis Gottes in der Natur und 
Seele, im Spiegeln seiner- in der Natur, üi einem Hinweisen, 



Unmittelbarkeit, als implizite Mittelbarkeit. 23 

Hindeuten der Dinge selbst und ihres objektiven Sinnes auf 
Gott als den Grundsinn der Welt' (E 341). ,Denn die Be- 
hauptung, daß z. B. die gesamte Natur Spuren ihres gött- 
lichen Schöpfers an sich trage, Fingerzeige auf Gott, daß 
sie überall den Werkcharakter eines vernünftigen Geistes in 
ihren Gebilden aufweise, daß in ihren Vorgängen sich überall 
eine geistige Macht ausdrücke und kundgebe, daß Dasein und 
Sosein jedes Naturgebildes und Naturvorgangs überhaupt — 
im Unterschied von seinem bloßen Jetzthiersein und seinem 
bloßen Anderssein — nie und nimmer durch anderes kontin- 
gentes Sein erklärbar sei; daß es vielmehr an sich trage den 
Stempel der Herkunft aus einem Seienden, das durch sich und 
auf Grund seines Wesens ist, das alles ist eine zweifellose 
Behauptung der natürlichen Religion selbst' (E 567/568). 

Solche und ähnliche Stellen zeigen, wie Schelers ,Unmittel- 
barkeit' gemeint ist: Sie ist entgegengesetzt dem ,formalen' 
Schlußverfahren und einem Ursachebegriff, wie er in natur- 
wissenschaftlicher Kausalität gegeben wäre (E 342 405 Anm.). 
Der Wesenspunkt der ,analogia entis' jedoch, nämlich die Er- 
kenntnis des Geschöpflichen als erstes und die Erkenntnis 
Gottes im Gleichnis des Geschöpflichen als zweites, dürfte bei 
ihm gewahrt sein. Damit ist aber (gemäß dem früher Gesagten) 
auch der Wesenspunkt der , Gottesbeweise' gewahrt, und Schelers 
Kampf gegen sie ein Mißverständnis. 

Es ist eben, wie wir im Folgenden sehen werden, das Ver- 
hängnis Schelers, daß er dem Werdegang natürlichen Denkens, 
wie ihn die neuere Denkpsychologie und erst jüngst Girgen- 
sohn gerade für das Phänomen eines ,religiösen Gefühlserken- 
nens' experimentell herausgearbeitet hat^ keine Beachtung 
schenken will und nur die kantische Alternative von konstruk- 
tivem, reflexiven Denken und Emotionalität (im weitesten Sinne) 
kennt, und dann so abfällige Sätze über die tiefen Fragen dieses 



^ Der seelisclie Aufbau des religiösen Erlebens (Leipzig 1921) 309 ff. 



24 II. Phänomenologie und Wirklichkeit. 

Denkens schreibt wie im ,Ewigen im Menschen', wo er von einem 
formlosen Schlußverfahren nichts wissen will (z. B. E 565 f.), 
ganz im Gregensatz zu Newman, den er doch sonst (E 53, 
575 589 502) für sich anführt (freilich mit Unrecht). So 
konstruiert er einen Gegensatz seiner natürlichen Gottes- 
erkenntnis zu den scholastischen Gottesbeweisen, ohne zu sehen, 
daß diese nur die reflexive Formung jener Gleichniserkenntnis 
sind, die selber der letzte und formale Kern seines ,Wert- 
fühlens' Gottes ist. 

Dazu kommt dann noch die platonische Einstellung, von der 
wir bereits sprachen, die ihn alles Geistige nicht durch das 
Sinnliche gewinnen läßt (im Prozeß der Abstraktion oder In- 
duktion), sondern es nur ,am' Sinnesmaterial aufblitzen läßt. 
Es resultiert so die gerade bei Augustinus stark ausgebildete 
Haltung, daß Gott im Entschwinden des Geschöpf liehen als 
der Allein -Wirkliche aufleuchtet. Die Abfolge für eine solche 
seelische Einstellungseigenart ist dann in der Tat so, wie 
Scheler sie mehrfach beschreibt: Gott leuchtet als das über- 
wältigend Absolute im Entschwinden des machtlos Geschöpf- 
lichen auf, und dann erst enthüllt sich die (betonte) Erkennt- 
nis von der Abhängigkeit alles Geschöpf liehen von ihm (E 380). 
Diese Vorgangsabfolge aber besagt nichts über den Inhalt 
der Gotteserkenntnis, als ob etwa bei einem aristotelischen 
Typus Gott erkannt würde als eingehüllt in das Geschöpf liehe 
und bei einem platonischen Typus in seinem reinen Wesen. 
Man vergleiche bei Augustinus selbst den Schluß des neunten 
Buches der Konfessionen (vorab Kap. 10), wo in der Glut des 
Vorgangs alles haargenau wie ein Schauen Gottes in sich 
erscheint, und die sorgfältigen Analysen des zehnten Buches, 
wo Gott ebenso genau als der ,Gott in den Geschöpfen' er- 
scheint, ganz eingehüllt in den geschöpf liehen Gleichnischarakter. 
Ein Ähnliches liegt bei Scheler vor, wie die oben angeführten 
Stellen, die sich vermehren ließen, erweisen. Dadurch aber, 
daß er die explizite Erkenntnis des Verhältnisses der ,analogia 



Implizite und explizite Mittelbarkeit. 25 

entis' zwischen Grott und Geschöpf (Schelers Erkenntnis der 
,Kreatürlichkeit') nicht als ,explizite' fassen will, d.h. als ,Ent- 
faltung' des bereits im Vorgang der Gotteserkenntnis ,Ent- 
halterien' und statt dessen seine Werttheorie setzt, — durch 
diesen seinen letzten Rest von Kantianismus schafft er erst 
eigentlich seinen wahren Gegensatz zur Scholastik. Es ist 
die Werttheorie erst, die das phänomenologische Yorgangshild 
zur unannehmbaren Theorie verdeutet. 

Zusammenfassend kann über den Punkt der ,ünmittelbarkeit' 
gesägt werden, daß im Prinzip Schelers Begriff einer ,XJn- 
mittelbarkeit' nur dem Unterschied der phänomenologischen 
Pragestellung von der der Scholastik entstammt. Gott ist im 
rehgiösen Vorgang , unmittelbar', insofern alle religiöse Intention 
auf ihn als solchen in sich geht und von allem Geschöpf liehen 
absieht, ein ,weg von' von den Geschöpfen ist und ein ,hiri 
zu' zum Schöpfer. Mit dieser Kennzeichnung des Vorgangs 
begnügt sich der Phänomenologe und spricht deswegen von 
,Unmittelbarkeit'. Der Scholastiker stellt vorab aber die Frage 
nach den Existenzialgründen Gottes in sich als Daseinstatsache 
und muß darum die in obigem Vorgang faktisch enthaltene, 
aber nicht reflex beachtete, ,Mittelbarkeit' Gottes klar heraus- 
stellen, weil die Existenz Gottes nur als desjenigen nachweisbar 
ist, der aller geschaffenen Dinge letzter Seins- und Wirkgrund 
ist^. Der Phänomenolog überträgt das ,Vorgangsbild' Gottes 
einfach auf die Wirklichkeit: das ist seine ganze ,Realsetzung' 
Gottes. Der Scholastiker fragt kritisch nach den objektiven 
Gründen dieser Realsetzung. Darum bleibt der Phänomenolog 
bei einer psychologischen , Unmittelbarkeit' (die aber implizite 
Mittelbarkeit ist), weil erst in der Frage der kritischen 



^ Das gilt auch füi* die Art, wie Otto (Das Heilige 10 ff. u. a.) und auch 
Scholz (ReligionsphilosopHe 150 ff. u. a.) ein direktes Erfahren der .Wirklich- 
keit' Grottes als das religiöse ürphänonien hinstellen. Vgl. des Verfassers 
,Gotteserfahrung und Gottesbeweis' (Stimmen der Zeit CIV [1922 1] 12—19) 
und ,Gott in ims oder Gott über uns?' (ebd. CV [1923 II]). 



26 n. Phänomenologie und Wirklichkeit. 

Realsetzung die explizite ,Mittelbarkeit' auftaucht. Die »Un- 
mittelbarkeit' aber, die den eigentlichen (unannehmbaren) Kern 
des Systems Schelers bildet, liegt nicht im echten phänomeno- 
logischen Vorgangsbüd der Gotteserkenntnis, wie es Scheler 
entwirft, sondern in dessen Deutung durch seine Werttheorie. 
Dadurch aber sehen wir schon hier : Nicht die Alternative Un- 
mittelbarkeit-Mittelbarkeit, sondern die Alternative Wertfühlen- 
Seinserkennen ist der Punkt der Scheler-Kontroverse ^. 

2. Personalität Gottes. 

Schwieriger dürfte die Frage nach dem Sinne der vielfachen 
Behauptungen Schelers von einer ,Unerkennbarkeit' der Per- 
sonalität Gottes durch die Metaphysik sein, da sein ,Person- 
sein* ^ sich nur im religiösen Akt , offenbare'. "Wir müssen hier 
zunächst die Aussagen des ,Ewigen im Menschen' gegeneinander 
abwägen, um sie dann nachher an der Persontheorie der ,Ma- 
terialen Wertethik' zu klären. 

In der Tat behauptet das ,Ewige im Menschen' an mehr- 
fachen Stellen, die Personalität Gottes sei für die Metaphysik 
allein genommen (nicht für eine dem Religiösen nachfolgende 
Metaphysik) unerkennbar. Gemäß verschiedenen Stellen (E 326 
355/356 376 681 693 u. a.) gehört es zum Wesen der ,Person', 
daß sie durch spontane Erkenntnisakte nicht erkannt werden, 
sondern nur in freier Liebe sich ,offenbaren' könne; die Meta- 
physik vermöge nur die Existenz eines ,ens a se' zu beweisen, 

'■ Robert Winkler (Phänomenologie und Religion 45/46) betont sehr gut, 
wie die Theorie vom Wertprimat gerade Scheler von Husserl trenne. Wenn 
er (ebd. 71 ff.) scharfsinnig nachweist, wie Husserls transzendentaler Idealismus 
zu seinem phänomenologischen Dualismus von Subjekt und Objekt im Wider- 
spruch stehe, so ließe sich ein Gleiches für Schelers Wertprimat sagen. 
Denn die Analyse des Phänomenologen zeigt das implizit-explizit als inneres 
Verhältnis von Gotteserfahrung imd Gottesbeweis. Die Werttheorie aber 
widerspricht ihm. Müßte aber nicht die phänomenologische Analyse das 
Entscheidende sein? 

^ Im Sinne von ,Gott ist irgendwie personhaft', nicht im Offenbarüngs- 
sinn von ,Gott ist dreipersönlich'. 



Person als Aktsubstanz. 27 

das kraft seines Wesens Dasein habe, die iprima causa' alles 
kontingent Existierenden sei, Feistigkeit und Vernunftnatur 
besitze und ,summum bonum' und Endziel der Gesamtwelt sei ; 
,keinesfalls aber rechne ich dazu seine faktische Personalität' 
(E 347); E 682 stellt sogar den Satz auf ,von einer evidenten 
Einsicht in die Unbeweisbarkeit Gottes als daseiende Person — 
wenn man will einen Beweis der Unbeweisbarkeit Gottes als 
Person'. Aber gerade an dieser wohl stärksten Stelle steht 
eine Anmerkung, die deutlich zeigt, daß obige Aufstellungen 
einen ganz andern Sinn haben, als sie in der gewohnten Sprache 
der christlichen Philosophie besitzen; es heißt daselbst, daß 
,vernünftige Einsicht — ohne Offenbarungslicht — ... fest- 
zustellen vermag, es müsse Personalität zum Wesen eines 
höchsten Gutes gehören'. Und E 600 (ebenso 707) gar spricht 
deutlich von einem Nachweis, ,daß ein von der Welt ver- 
schiedenes „ens a se" als Geist auch Personalität, daß ferner 
ein „summum bonum" (als Wesenseinsicht aus der objektiven 
Wertlehre) gleichfalls kein Sachgut, sondern ein Personwert, 
ja eine Wertperson sein müss.e'. 

Wir haben also die Präge zu stellen: Auf welchen Person- 
begriff und Begriff vom Erfassen einer Person weist dieses 
Nebeneinanderstehen beider Aussagereihen? 

Die Antwort gibt uns die ,Materiale Wertethik' mit ihrer 
Personlehre (384 ff.). Danach ist Person ,die konkrete, selbst 
wesenhafte Seinseinheit von Akten verschiedenartigen Wesens' 
(M 397/398), d. h. von Vernunftakten und Willensakten; denn ein 
,reines Vernunftwesen', d. h, ein Wesen ohne Willen bzw. ein 
,reinesWollenswesen' wäre nicht Person (M397). Sie existiert 
wesenhaft nur im Vollzug ihrer Akte, in denen sie als wesen- 
haft dieselbe sich wandelt (M 405 u. a.), ist , etwas von einer 
Totalität, die sich selbst genügt', im Gegensatz zum ,Ich', das 
ein ,Du' und eine ,Außenwelt' mitkonnotiert, so daß Gott wohl 
,Person', aber nicht ,Ich' sein könne (M 405 f.). Es ,steckt in 
jedem voll konkreten Akt die ganze Person und variiert in und 



28 11. Phänomenologie und Wirklichkeit. 

durch jeden Akt auch die ganze Person — ohne daß ihr Sein 
doch in irgend einem ihrer Akte aufginge, oder sich wie ein 
Ding in der Zeit veränderte' (M 400). Person ist für Scheler, 
kurz gesagt, ,Aktsubstanz' (Sy^ 258). Darum ist ,die einzige 
Art ihrer Gegebenheit . . . allein ihr Aktvollzug selbst (auch noch 
der Aktvollzug ihrer Reflexion auf ihre Akte) — ihr Aktvoll- 
zug, in dem lebend sie gleichzeitig sich erlebt : Oder wo es sich 
um andere Personen handelt, Mit- oder Nachvollzug ihrer Akte 
(M 402). Dieser Aktmitvollzug besagt aber, wie Scheler in 
fast allen seinen Schriften deutlich betont, keine physische 
Einheit zweier Akte, sondern ein geistiges Mitvollziehen, dem 
die ßealverschiedenheit der Person noch , anschaulich mit- 
gegeben' ist (vgl. u. a. Sy2 36 73—78 151—153). 

In diesen Data haben wir bereits den genügenden Aufschluß, 
Zunächst ist die ,Person' Schelers nicht das aktuelle Bewußt- 
sein in irgend welcher Form, denn sie ist nicht der ,Aktvoll- 
zug' selbst noch irgendwie ,Selbstbewußtsein', sondern wird 
,als seiend' im Aktvollzug ,erlebt', als die seiende Einheit des 
vielfachen Aktvollzugs. Die ,Person' ist sodann als solche, 
d. h. losgelöst vom realen Leib-Seele-Träger ^ kein für sich 

^ Wir gehen hier mit Absicht nicht auf die weitere Theorie Schelers 
über diesen Naturträger ein, da die bisher vorliegenden Data ein genügend 
klares Bild noch nicht bieten. Er faßt irrtümlich die Seelensubstanz der 
Scholastik als ,Person' und polemisiert natürlich dagegen im Sinne des 
Personbegriffs. ,Leib' und , Seele' scheint er als eine Art Einheit zu fassen, 
da ihm phänomenologisch ,Seelenleib' und ,Leibseele' gegeben ist als, wie 
es scheint, verschiedene Aspekte des einen Naturträgers (M414ff. ; vgl. 
auch die Zeitschr. f. Pathops. 1912, 98 ff. u. a.). Von psychophysischer Wechsel- 
wirkung will er nichts wissen, spricht vielmehr von Einheit der Aktivität 
in der Einen Person (M 502 ff.; vgl. Sy^ 293), ,d. h. für jede einheitliche 
Handlung einer Person gibt es zwei Formen der Anschauung, die äußere 
und innere'. Wie sich das freilich mit seiner neuesten Theorie , eines dy- 
namisch-kausalen Einheitsbandes . . . zwischen Geist und Leben, Person und 
Lebenszentrum' (Sy^ 89), die er auf Grund der möglichen Hypothese einer 
»metaphysischen Einheit des Lebens', d. h. der Vitalität, nicht des , Geistes' 
oder gar der ,Personen', aufstellt, vereinigen soll, ist vorderhand nicht er- 
sichtlich. Im übrigen beziehen diese Data sich wieder nur auf den phäno- 
menologischen Aspekt der Handlung, nicht auf die Realitätssphäre. In 



Person positiv in sicli ittdividuiert. 29 

bestehendes beharrendes Sein, wenngleich sie ihr , Sosein', ihre 
,Individualität' nicht von diesem Leib-Seele-Träger, sondern 
aus sich hat und aus sich und durch sich diesen Leib-Seele- 
Träger zu ,diesem' Individuum macht (vgl. Sy^ 88/89 143 — 153). 

Scheler setzt der thomistisclien Lehre yon der Materie als ,principium 
individuationis' seine Lehre von der ,Person' als positivem ,Individuum' 
entgegen, nach der dieser Individualitätscharakter letztlich in Gottes ,Ideen- 
reich' wurzelt. ,Personen sind . . . durch das Sosein ihrer selbst als konkrete 
Aktzentren verschieden. Sie wären es also auch dann noch, wenn ihre 
Leiher und ihr gesamter Bewußtseinsinhalt zu vollständiger „Deckung" ge- 
bracht werden könnten. Ja, sie sind die einzigen Fälle „selbständigen Da- 
seins" (Substanzen), die ausschließlich in sich selbst individuiert siad. . . , 
Körper und auch noch Leiber können soseinsidentisch sein und doch realiter 
verschieden durch ihre verschiedene Lage im Raumzeitsystem. Personen 
sind real verschieden in letzter Instanz nur, weil sie soseinsverschieden, 
d. h. weil sie absolute Individuen sind' (Sy^ 76). ,Die menschliche Person 
ist nicht erst individuiert durch ihren Leib, der vielmehr in letzter Linie 
selbst nur als ihr, der Person „zugehörig", als ihr unmittelbarster Herrsch- 
bereich aus allen möglichen Leibern ausgesondert werden kann ; und sie ist 
nicht individuiert durch den Gehalt ihrer Akte und deren Inhalte imd Gegen- 
stände oder den Erinnerungs- oder sonstigen zeitlichen Zusammenhang ihrer 
Erlebnisse, sondern dieser gesamte Gehalt und Zusammenhang des Erlebnis- 
stromes ist ja auch schon dadurch ein inhaltlich verschiedener, daß die in 
sich individuierten Personen in ihrem Sosein verschieden sind, denen er 
zugehört' (Sy^ 88/89). ,Das allerletzte und echte Individuationsprinzip liegt 
schon beim Menschen ... in seiner Geistseele (d. h. dem realen Substrat 
seines Personzentrums) selber. . . . Die geistigen Personsubstanzen oder 
Aktsubstanzen sind also die einzigen Substanzen, die ein individuelles echtes 
Wesen besitzen und deren üaseinsverschiedenheit aus ihrem in sich indi- 
viduierten Sosein allererst erfolgt. Aus diesem Wesen heraus aber hat auch 
jede geistige Substanz ihre individuelle „Bestimmimg", gegenüber der der 
Mensch, dessen Zentrum sie hat, freilich in beliebigem Maße willentlich und 
tätig zurückbleiben kann — schon in seinem „Schicksal" zurückbleiben 
kann — d. h. in der Art, wie seine geistige Substanz der Konstellation 
der vitalen, historischen und mechanischen Welt eingeordnet ist, erst recht 
in seinem schicksalsmäßig bereits mitbestimmten, sog. wahlfreien Wollen 



Bezug auf diese ist also für das reale Sosein der Leib-Seele-Binheit nur das 
Eine gesagt, daß es etwas Reales ist und ein irgendwie Einheitlich-Reales. 
Ob dieses Einheitlich-Reale im Sinne des Person-Sache-Begriffs W. Sterns 
(Person und Sache I, Leipzig 1906) oder im Sinne der ,una substantia' des 
hl. Thomas oder im Sinne eines augustinischen Dualismus zu fassen sei, 
muß die zu erwartende Metaphysik Schelers zeigen. , 



30 II- Phänomenologie und Wirklichkeit. 

und Tun. Da wir aber jedem echten Wesen eine Stelle im Wesensreiche 
gehen müssen, dessen personales Subjekt der geistige personale Weltgrund 
selber ist, so stellt auch jede geistige Seele ihrem Was und Wesen nach 
eine ewige Idee Gottes dar. ... Sie ruht — nicht ihrem Dasein. nach, aber 
ihrem ewigen Wesen nach — ewig in Gott' (Sy^ 146/147). ,Mit unsrer 
unio mystica des Wesens der geistigen Person im Menschen und „desselben" 
Wesens in Gott als der Idee dieser Geistseele ist gleichwohl keinerlei 
Pantheismus gesetzt und gelehrt. Denn nicht eine unio mystica im Sinne 
einer Realverschmelzung oder einer nachträglichen Erkenntnis, die endliche 
Person sei realiter nur ein Modus, resp. eine Funktion des göttlichen Geistes, 
ist ja damit ausgesagt, sondern nur eine mögliche Identitätserfassung des 
So-seins der Geistesseele und ihrer Idee in Gott. Auch ist nicht ausgesagt 
eine Wesensidentität des Menschen mit Gott, sondern nur eine Wesens- 
identität der Geistseele mit dem Wesen Gottes, sofern und insoweit 
(unter unendlich vielen Ideen Gottes) das Wesen dieser geschaffenen Welt 
in seinem Ideenreich vorgebildet ist. Von diesem Wesen ist allerdings 
auch das Wesen jeder endlichen Geistesperson ein echter Teil. Aber das 
Reich aller möglichen Wesenheiten in Gott ist und bleibt unendlich reicher 
imd umfänglicher als die Wesen- und Wesensstruktiu"en, die wir an den 
Gegenständen der geschaffenen Welt (eingeschlossen aller unsrer Phantasie 
möglichen ficta) erkennen können. Ganz und gar unzugänglich aber bleibt 
uns hierbei das intime Wesen der göttlichen Person selbst, das auch in 
alle durch das göttliche Denken und Anschauen überhaupt hervorgebrachten 
Ideen nicht eingeht und mit dem eine „unio mystica" zu haben oder zu ge- 
winnen auch nur zu wünschen (gar noch durch bloß spontane Tätigkeit 
Geistestätigkeit des Menschen) absolute Vermessenheit wäre' (Sy^ 151/152). 

Aus diesem Ganzen folgt fürScheler: Weil die Person als 
die ,Totalität' und ,Individualität' des Naturträgers ,Leib-Seele' 
etwas sozusagen Formales ist, das nur in Sein und Tätigkeit 
von ,Leib-Seele' in Erscheinung tritt, so kann eine direkte 
Gegebenheit des Personseins nur im Aktvollzug bzw. Aktmit- 
vollzug stattfinden, d. h. Scheler spricht von einer ,Brfahrung' 
des Personseins in seiner faktischen Gegebenheit als formale 
Totalität und Individualität von ,Leib-Seele', im Gegensatz zu 
einem äußern ,Schluß' auf das notwendige Dasein einer solchen 
Personalität. 

,Bei der geistigen Personliebe. . .tritt das neue Wesensgesetz auf, daß 
sie — hinaus über die Gegebenheit der bloßen Existenz der fremden 
Person — ursprünglich nicht mehr nur von spontanen Akten des sie 
Liebenden oder Verstehenden allein abhängt, sondern auch von dem freien 
Ermessen der zu liebenden oder geistig zu verstehenden Person. Personen 



Feststellung und Erfahrung der Person. 31 

können nicht verstehend erkannt -werden (im NachYoUzug ihrer geistigen 
Akte), ohne sich selbst spontan zu erschließen' (Sy^ 119). 

Von diesem Standpunkt aus ist es in der Tat kein Wider- 
spruch, wenn er auf der einen Seite eine Unerkennbarkeit der 
Personalität Gottes aufstellt und auf der andern Seite doch 
wieder sagt, es gäbe eine Vernunfteüisicht darüber, daß Gott 
Person sein müsse. Das Erste bezieht sich eben auf eine innere 
Erfahrung, sozusagen der Person in ihrem Funktionieren als 
Seinseinheit der verschiedenen Akte, als innere formale Tota- 
lität: eine solche innere Erfahrung setzt in der Tat ein gegen- 
seitiges Sich-zueinander-neigen der fraghchen Personen voraus, 
also im Falle des überragenden Gottes und des armen Ge- 
schöpfes ein vorausgehendes Sich-neigen Gottes, sei es unvoll- 
kommen in der ,familiaritas cum Deo' des Gebetslebens als 
solchem, sei es vollkommen in einer positiven Offenbarung, und 
schließlich in ihrer höchsten Form, da ein Mensch selber durch 
die Menschwerdung Gottes Gott ,in Person' ist; diese letzten 
Persongegebenheiten nimmt Scheler in der ,Materialien Wert- 
ethik' als einzige an, während er im ,Ewigen im Menschen' noch 
die erstere hinzunimmt und deutlich natürliche von positiver 
Offenbarung scheidet. Die zweite Gruppe von Schelers Auf- 
stellungen bezieht sich auf eine äußere Feststellung, daß das 
Sosein eines bestimmten Wesens das ,Personsein' einschließe, 
und diese Feststellung ist auch reiner Metaphysik in Bezug 
auf Gott möglich; Gott als ,Person' wird aus , Geist' und 
,lsummum bonum' abgeleitet^ (E 600). 

Ein Wort bliebe noch zu sagen über den Schelerschen Begriff einer letzten 
Gemeinschaft aller Personen in der ,Person der Personen', Gott, als dem 
,geistigen Zentrum aller endlichen Personwesen' (M 540 ff. ; Sy^ 151 ff.). 
Diese Gemeinschaft hat ihre metaphysische Begründung in der oben ge- 
zeichneten Verwurzelung der ,Personideen' in der göttlichen Ideenwelt und 
ist dann selber wieder die Wurzel aller sonstigen Gemeinschaften zwischen 
Person und Person, so daß (wie später genauer zu sehen ist) alle Liebe 

^ Vgl. des Verfassers Abhandlung ,Metaphysik und Eeligion' (Stimmen 
der Zeit CIV [1922 IJ 132 ff.). 



32 n. Phänomenologie und Wirklichkeit. 

von Person zu Person ein ,Liehen in Gott' ist. Wenngleich ein endgültiges 
Urteil hierüber vorderhand nicht möglich scheint, so ist doch aus den 
bisherigen Schriften Schelers so viel zu ersehen, daß es sich bei diesem 
sozusagen ,personalistischen Monismus' weder handelt um eine Bergsonsche 
(pantheistische) ,Alleinheit' noch um den Sternschen (panentheistischen) Be- 
griff einer ,göttlichen Gesamtperson'. Gegenüber Bergson spricht unmiß- 
verständlich Schelers neuestes Buch (, Wesen mid Formen der Sympathie'), 
das schon für die ,metaphysische Einheit des Lebens' (im Sinne' unter- 
geistigen Lebens) als letzten Einheitsgrund .einen und denselben Schöpfer' 
fordert (Sy^ 73 — 78), für alle .Einheit geistigen Lebens' aber eine ,Real- 
distanz' der geistigen Personen voneinander als wesentlich aufstellt, auch 
für die ,unio mystica'. Gegen Stern aber grenzt sich Schelers Auffassung 
schon durch ihren Gottesbegriff ab : ,Die Gottheit kann . . . schon ilu^er 
Idee nach weder als Einzelperson (was Henotheismus, nicht Monotheismus 
wäre) noch als höchste Gesamtperson (Pantheismus) gedacht werden, sondern 
nur als die („einzige", nicht zahlemnäßig „eine") unendliche Person schlecht- 
hin' (M 546). So konstituiert sich eine .Einheit der Personen' geradezu 
durch ihre Distanz, und Scheler bezeichnet darum auch das Distanzbewußt- 
sein als Wesensstück der ,Personliebe' : Es ,ist das absolute Individuum 
wie die absolut intime Person im Menschen im Sinne des Verstehens 
wesensmäßig transintelligibel (nicht also nur „ arational " und „ineffabile"). 
Nur das evidente Wissen um den Bestand des absoluten Individuums X 
mid der Sphäre der absolut intimen Person Y besteht noch im Erlebnis 
selbst — ohne daß dieses X und T je mit letztem Verständnisgehalt aus- 
gefüllt werden kann' (Sy^ 78). .Zur Liebe gehört gerade jenes verstehende 
„Eingehen" auf die andere, von dem eingehenden „Ich" soseinsverschiedene 
Individualität als auf eine andere und verschiedene, und eine trotzdem 
emotional restlos warme Bejahung „ihrer" Realität und „ihres" Soseins. . . . 
Dieses Freiheitgeben, Selbständigkeitgeben, Individualitätgeben und -nehmen 
ist der Liebe wesentlich; in ihr konstituiert sich im Phänomen klar und 
scharf das , . . Bewußtsein von zwei verschiedenen Personen ; und dieses Be- 
wußtsein ist nicht eine bloße Voraussetzung der Liebe, sondern auch ein im 
Laufe ihrer Bewegung allererst Vollherauswachsendes' (Sy^ 84; vgl. SM 1 133). 
Aus diesem Gesichtspunkt heraus, der jeder, auch panentheistischen. Gesamt- 
person gegenüber grundfeindlich ist, ergibt sich dann auch Schelers Stellung 
zur Mystik, das Distanzbewußtsein zu Gott als Wesensbestandteil auch 
des höchsten religiösen Verhältnisses zum persönlichen Gott: ,Die echte 
Mystik des Geistes behält zum mindesten stets die „intentionale Daseins- 
distanz " zu Gott als Minimum der Distanz und führt höchstens zu einer 
inadäquaten Soseinseinigung' (Sy^ 37). 

So steht in der ,Erkenntnis der Personalität Gottes' wohl über der 
Stufe ihrer rein tatsachenmäßigen Feststellung die Stufe eines Erfahrens 
ihres Soseins in Gebetsnähe und positiver Offenbarung; aber das ,intime 
persönliche Leben' Gottes bleibt auch der höchsten Nähe verschlossen, 
,Ganz und gar unzugänglich . . . bleibt . . . uns . . . das intime Wesen der 



Gesamtperson. 33 

göttlichen Person selbst . . . mit dem eine unio mystica zu haben oder zu 
gewinnen auch nur zu wünschen (gar noch durch spontane Geistestätigkeit 
des Menschen) absolute Vermessenheit wäre' (Sy^ 152). 

So glauben wir — abschließend — nicht, daß man den Auf- 
stellungen Schelers im ,Ewigen im Menschen' über Erkenntnis 
bzw. Nichterkenntnis der Personalität Grottes vom theologischen 
Standpunkt einen Vorwurf machen kann. Die hier erhobenen 
Ausstellungen beruhen meist auf Mißverständnissen^, deren 
letzter Grund freilich auch hier die Werttheorie Schelers ist, 
die vor alles feststellende Person-erkennen einen wertenden 
,Kontakt' des Fühlens setzt. Der Satz von der ünerkenn- 
barkeit oder TJnbeweisbarkeit der Person ist eben nur ein 
Sonderfall des Wertprimats und besagt : Allem Erkennen des 
,Seins' der Person (metaphysische Person-erkenntnis) geht ein 
Fühlen ihres , Wertes' voraus (religiöse Person-erkenntnis). 

Sehen wir aber von diesem letzten (später zu behandelnden) 
Sinn ab, so liegt eine erste Klärung der entstandenen Yer- 

^ Diese Mißverständnisse zeigen sich bei Otto Gründler, Karl Adam und 
W. Switalski. Gründler behauptet, Scheler leugne einen »Beweis der Person' 
schlechthin, führt dann aber selber denselben Beweis, den auch Scheler 
bringt (Elemente zu einer Eeligionsphilosophie usw. 30/31). Karl Adam über- 
nimmt die vermeintliche Theorie Schelers und sucht sie scholastisch zu 
rechtfertigen mit einer Art scotistisch-occamistischer Wendung : Es ,ist . . . 
richtiger zu sagen : Gott offenbart sich durch die Welt, als zu sagen : die 
Welt offenbart Gott. Denn es liegt nicht in der Wesenheit des esse con- 
tingens, den persönlichen Gott zu offenbaren. Es liegt darin erst, weil 
und insofern Gott darin erkannt sein wollte. Erst der freie Ratschluß der 
göttlichen Güte machte, daß das esse contingens auch ein Spiegelbild 
des persönlichen Gottes wurde' (Glaube und Glaubenswissenschaft usw. 
[Rottenburg 1923] 62). W. Switalski urteilt wie Otto Gründler ; so ist, 
was er gegen Scheler sclu-eibt, vielmehr Scheler-Standpunkt: ,Die Scholastik 
geht von der metaphysischen Definition der Persönlichkeit als dem Für- 
sich-sein eines in sich abgeschlossenen geistigen Wesens aus. Von hier aus 
ist die ,Personität', also der Persönlichkeitscharakter mit der ,Aseität' ohne 
weiteres gegeben, mag es uns auch ohne Selbstoffenbarung Gottes verwehrt 
sein, einen Einblick in dieses Persönlichkeitsleben zu gewinnen' (Probleme 
der Erkenntnis II [Münster 1923] 143). Unbewußt widerlegt Switalski hier 
Adam und gibt zugleich die Unterscheidung, durch die Schelers Standpunkt 
sich klärt: Erkenntnis der Tatsache des Personseins — Erfahren des per- 
sönlichen Lebens der Person. 

Przyvrara, Religionsbegrlmdung. 3 



34 II- Phänomenologie und -Wirklichkeit. 

■wirrungen wohl in einer genauen Abgrenzung der Methode 
phänomenologischer Forschung von derjenigen der Scholastik. 
Die Phänomenologie bleibt auf den Vorgang beschränkt und 
stellt innerhalb der Vorgangsgegebenheiten ihre Sätze auf; 
die transsubjektiven Realitäten in sich (als sozusagen ,Dinge 
in sich', ohne Beziehung zum lebendigen Vorgang) sind nicht 
ihr Gebiet. Darum gehen (in unsern obigen Fragen) die ob- 
jektiven Bedingungen des Realsetzens Gottes und das reale 
Personsein als ,Ding in sich' in ihren Forschungsbereich nicht 
ein. Sie kennt nur das Gegebensein Gottes als unmittelbaren 
Objekts des religiösen Aktes, wobei freilich nach ihr wegen 
einer Wesensintention des Aktes dieser Gott real sein muß; 
aber sie behandelt die Rechtfertigung des ,Wie' dieses Real- 
seins nicht. Ebenso behandelt sie in Bezug auf die Person 
nicht die Person als ,Ding an sich' sondern nur ihre formale 
Gegebenheit im eigenen Aktvollzug oder fremdem Aktmit- 
vollzug. Darum bedarf sie kraft ihres Wesens der Ergänzung 
durch eine Philosophie der Realsetzung, und eine solche 
Philosophie ist kraft ihres Wesens eine erkenntniskritisch 
unterbaute Scholastik. Das Verhältnis von Phänomenologie' 
und Scholastik ist also im Grunde das gleiche wie zwischen 
Newman und Scholastik, wenngleich Newman in keinem 
Sinne Phänomenologe ist, sondern schlichter Sammler von 
Beobachtungen über den wirklichen Vollzug religiösen Lebens, 
der nicht von notwendigem Wesen redet, weil er diesem gegen- 
über die ruhige Vorsicht und Kühle wahrt wie Hertling. Es 
ist ein Verhältnis guter Ergänzung, indem die eine auf die 
realen Gegenstände der Vorgänge geht, die andere auf den 
Vorgang selbst, die eine in Bezug auf Gott eine Lehre von 
den Beweisen für das Dasein Gottes in sieh und von seinen 
objektiven Eigenschaften aufstellt, die andere aber nach ihrer 
Art Wesensanalysen des ganzen Gefüges der Vorgänge gibt, 
in denen Dasein und Sosein Gottes dem Menschen in seiner 
konkreten Erfahrung sich enthüllt. 



Philosophie der objektiven und der subjektiven Keligion. 35 

So sprach auch ein bedeutsames religionswissenschaftliches 
Programm der ,Dublin Review', der Zeitschrift W.G. Wardst 
des seinerzeit führenden Keuscholastikers Englands, der in 
philosophischen (nicht taktischen) Fragen unentwegt zu Newman 
stand, von der Notwendigkeit eines Ausbaus der Scholastik, 
die eine ,Philosophie der objektiven Religion' sei, durch eine 
jPhilosophie der subjektiven Religion'. Religionsphilosophie, 
Religionspsychologie und Religionsgeschichte sollten sich gegen- 
seitig ergänzen, sowohl zu einer empirischen Darstellung des 
konkreten religiösen Lebens der verschiedenen Religions- 
formen, wie zu einer systemphilosophischen Analyse der all- 
gemeingültigen Gesetze des religiösen Vorgangs ,an sich': 
also zu jener Vermählung von ,Wesensanalyse', ,Empirie' und 
,Geschichte' des religiösen Vorgangs, wie sie, entgegen einer 
einseitigen Phänomenologie, A. Dempf, S. Kracauer und 
G. Wunderle neuerdings fordern ^, und wohin auch im Grunde die 
religionsphilosophischen Programme Ottos und Ernst Troeltschs 
zielen, freilich ohne es zu verwirklichen (vgl. weiter unten 
3. Kap. §2 Nr. 3 a). 

Auf diesem methodischen Wege wird sich immer mehr 
zeigen (was nun Gegenstand unsres dritten Kapitels ist), wie 
aller religiöse Vorgang einschlußweise jene ,Rechtsgründe' in 
sich trägt, die ein wissenschaftlicher Aufweis der ihm ent- 
sprechenden Realität reflex entfaltet : der Schelersche system- 
haft starre Gegensatz von ,Wertfühlen' und ,Seinserkennen' 
löst sich in die Newmansche eine Lebensbewegtheit des Sich- 
entfaltens des naturhaften ,implicit reasoning' zum reflexen 
,explicit reasoning'. 



^ The Philosophy of subjective Religion (Dublin Review, New Series 18 
[1872] 249 &.). Vgl. auch W. G.Ward, Essays on the Philosophy of Theism I 
(London 1884) 216 ff. 

2 Bayr, Kurier 1923, Lit. Beilage Nr. 2. Frankf. Zeitung 1923, Lit. 
Beilage Nr. 2. G. Wunderle, Einführung in die moderne Religionspsycbo- 
logie (Kempten 1923) 84 ff. 



36 III. Wertfohlen und Selbständigkeit der Eeligion. 

DRITTES KAPITEL. 

WERTFÜHLEN UND SELBSTÄNDIGKEIT 

DEE RELIGION. 

Die Ausführungen des ,Ewigen im Menschen' führen sich 
in der Hauptsache auf die These zurück: Metaphysik und Reli- 
gion haben einen verschiedenen Ursprung im menschlichen 
Geiste, so daß beide in der Intentionsart, mit der sie auf die 
Gegenstände zielen, voneinander unabhängig sind, aber ,kon- 
gruent' durch die Identität eben dieser realen Gegenstände, 
auf die ihre wesensverschiedenen Intentionen gehen. Wenn 
man diese Ausführungen für sich allein nimmt, so ergibt sich 
kaum ein befriedigender Ausweg aus folgenden Fragen: Wenn 
in der Religion ursprunghaft kein eigentlich verstandesgemäßes 
Erkennen Gottes obwaltet, d. h. ein Erkennen, das prinzipiell 
(wenn auch nicht ausgebildet) von derselben Natur ist wie das 
philosophische Erkennen, — wie kann dann eine Erfassung 
Gottes Zustandekommen und dazu eines so komplizierten Gottes- 
bildes, wie Scheler es zeichnet? — Wenn aber das in der Reli- 
gion obwaltende Erkennen dasselbe ist wie das philosopliische, 
nur mit dem Unterschied, daß es in emotionale Einstellung 
eingebettet ist, — wie unterschiede sich dann noch Religion 
von Metaphysik, die nach Scheler das jenseitige Absolute doch 
auch nur im Rahmen bestimmter ,moralischer Einstellungen' 
fassen kann, im ,Aufschwung* nämlich als ,Personakt' des ganzen 
Menschen? (B 96ff.) 

Diese Fragen beantwortet das ,Ewige im Menschen' nicht, 
weist vielmehr wesenhaft auf die ,Materiale Wertethik' zurück. 
Es ist eben das ,Ewige im Menschen' nur eine breitere Aus- 
führung der letzten Staffel der ,Materialen Wertethik' und 
daher nur zu verstehen aus der ganzen Struktur, deren Ab- 
schlußteil als ,Werterfassung des Heiligen' sie ist. Wir müssen 
daher, um Schelers Religionsbegründung in ihrem wichtigsten 



Moderne Wertlelire und Objektivismus. 37 

Punkte zu verstehen, auf Grundfrage und Grrundbestiinmungen 
seiner allgemeinen Wertlehre des näheren eingehen. Diese 
beruht in der Hauptsache auf drei Sätzen; 1. auf dem von 
der Objektivität der Werte, 2. auf dem von der Unableitbar- 
keit der Werte sowohl vom Wahrheits- und Seinsbegriff als 
auch untereinander und 3. auf dem von der Priorität des Wert- 
erfassens vor dem Seinserfassen. Der erste Satz fußt im Prinzip 
auf der Verbindung moderner Wertlehre mit der objektiven 
Wesenslehre der Phänomenologie. Der zweite Satz ist eine 
eigentümliche Verbindung der kantischen Zuweisung des ethi- 
schen und religiösen Erkennens an die emotionale Seite (Scheler 
prägt in Sy 53 das bezeichnende Wort ,emotionaler Erkenntnis- 
akt') mit der scholastischen Durchführung von wesentlichen 
Unterschieden zwischen Vitalität, Moralität und Eeligion. Der 
dritte Satz endlich bedeutet eine teilweise Aufnahme der Ideen 
voluntaristischer Metaphysik, soweit in dieser der platonische 
Eros und die clementinisch - augustinische Liebesfunktion ^ 
lebendig ist. Wir haben also, wie dieser kurze Überblick 
schon zeigt, in Schelers Ethik und Religionssystem gleich- 
sam eine Quintessenz der wichtigsten philosophischen Tendenzen 
der Neuzeit und (wenn man darauf achtet, daß bei Scheler 
ein objektiver Wesensstandpunkt mit einer Bewältigung ur- 
sprünglich subjektivistischer und voluntaristischer Systeme 
ringt) einen ersten Versuch einer Synthese zwischen alter und 
neuer Philosophie. Aus diesem innern Charakter des Scheler- 
schen Systems heraus muß darum unsre Beurteilung ergehen, 
um allen seinen Komponenten gerecht werden zu können. 

§ 1. Objektivität der Werte. 

Der Grundpunkt der Wertlehre ist die Lehre von der Objek- 
tivität der Werte, mit der unlösbar die weitere Lehre ge- 



^ Über diese vgl. des Verfassers ,Eiiifübrung in Newmans Wesen usw. 
(Freiburg 1922) 59 f., sowie in dieser Schrift 4. Kap., § 2 und Anhang §2, Nr.l. 



38 in. Wertftihlen und Selbständigkeit der Eeligion. 

geben ist, dai die letzte Quelle eines objektiven Wertverhaltens 
nur die unmittelbare Einsicht in das Wesen dieser Werte sei, 
in der ,Liebe'. 

Der Begriff ,Wert' umspannt hier die ganze Skala alles mög- 
lichen ,Werthaften' als objektiven Korrelates subjektiven ,Füh- 
lens', also die Werte Angenehm-IJnangenehm als objektives 
Korrelat sinnlichen Fühlens, Edel-Gemein als Korrelat vitalen 
Fühlens, die geistigen Werte (Schön-Häßlich, Gut-Böse, Wahr- 
heitswerte) als Korrelat geistigen Fühlens, endlich Heilig-Ün- 
heilig als Korrelat des Fühlens der ,Absolutsphäre' der Gegen- 
stände (= dem Religiösen). 

,Sie [die Werte des Heiligen-Unheiligen] erscheinen nur an Gegenständen, 
die in der Intention als „absolute Gegenstände" gegeben sind. Unter diesem 
Ausdi'uck verstehe ich nicht eine besondere definierbare Klasse von Gegen- 
ständen, sondern (prinzipiell) jeden Gegenstand in der ^absoluten Sphäre" 

Als Zustände entsprechen dieser Wertreihe die Gefühle der Seligkeit und 
Verzweiflung, die vom Glück und Unglück ganz unabhängig sind und auch 
unabhängig von ihm bleiben und wechseln und welche „Nähe" und „Ferne" 
vom Heiligen im Erleben gleichsam abmessen. Spezifische Antwortreak- 
tionen auf diese Wertmodalität sind Glaube und Unglaube, Ehrfurcht, An- 
betung und analoge Haltungen. Dagegen ist der Akt, in dem wir die Werte 
des Heiligen ursprünglich erfassen, der Akt einer bestimmten Art von 
Liebe (deren Wertrichtung allen Bildvorstellungen und allen Begriffen von 
den heiligen Gegenständen vorhergeht und sie bestimmt), zu dessen Wesen 
es aber gehört, auf Personen, d. h. auf etwas von personaler Seinsform 
zu gehen, gleichgiltig, was das für ein Inhalt ist und welcher Begriff von 
Personen dabei vorhanden ist. Der Selbstwert in der Sphäre der Werte 
, heilig" ist daher wesensgesetzmäßig ein „Personwert"' (M 104 — 108). 

Diese gesamte Wertreihe, die also ungefähr den Inhalt des 
jbonum' erschöpft, ist nicht, wie Scheler nicht müde werden 
kann zu betonen, eine leere Objektivation subjektiver Gefühls- 
zustände; ,subjektive Gefühle' sind nur , Antwortreaktionen' 
auf die objektiven Werte, und es ist eine psychische Erkrankung, 
wenn diese Antwortreaktion mit dem objektiven Werte ver- 
wechselt wird und dadurch das, ,was in sich gut ist', ver- 
wechselt wird mit dem ,was mir gut ist'; gerade aus diesen 
Subjektivationen leitet er in den Ressentimentuntersuchungen 
der , Abhandlungen und Aufsätze' (jetzt vom ,Umsturz der Werte') 



Wertfühlen in der Liebe. 39 

alle Verkehr ungen von Ethos und Ethik ab. Aus demselben 
Gesichtspunkt des Objektivismus verwirft er endlich den Eudä- 
monismus, der doch scheinbar dem obigen Fühlenssystem so 
ähnlich scheint. Aber gerade hier macht er seinen scharfen 
(ob berechtigten, ist später zu sehen) Schnitt zwischen ,Fühlen' 
und , Gefühle': die Erreichung bestimmter Gefühlszustände 
(Seligkeit usw.) kann nicht Maßstab des Sittlichen sein, sondern 
nur die ,objektiven Werte', die im ,Fühlen' einsichtig werden 
(M 248 ff.). Endlich kann auch weder ,Ziel', ,Zweck', ,Gesetz', 
,Gewissen' oder irgend ein ideales ,Sollen' der letzte Grund 
von Gut-Böse sein, da alle diese Gegebenheitsarten die Existenz 
eines objektiven ,bonum' voraussetzen. Also ist das Letzte die 
Einsicht in dieses objektive ,bonum' selbst, im ,Fühlen' dieser 
objektiven Werte : das ,Fühlen' als Einsichtsorgan des objek- 
tiven ,bonum' (M passim). 

Dieses ,Fühlen' aber ist nun verwurzelt in den elementaren 
Akten von Liebe und Haß, die in sich keine Werterkenntnis 
bedeuten (vgl. Sy 170 ff. u. a,), die aber auch kein Streben ,nach 
erkannten Werten' (bzw. Wegstreben von) sind, sondern jene 
,Bewegung des Geistes', in der Werte zur Erscheinung kommen, 
so daß sie hu .Fühlen' erkannt werden können (Sy 176 ff.). 
Die ,Liebe', wie Scheler sie hier faßt, ist nach ihm ein ,gei- 
stiger' Akt, der wohl zu scheiden ist von Liebe im sinnlichen 
Sinne: ,Wohl darf man sagen, echte Liebe öffne die geistigen 
Augen für immer höhere^ Werte des geliebten Gegenstandes; 
macht sie sehen und macht nicht etwa blind (wie ein sehr 
unsinniges Sprichwort, das offenbar bei Liebe nur an sinnliche 
Leidenschaft denkt, sagt). Was blind macht, ist nie die Liebe, 
sondern die sie begleitenden sinnlichen Triebe, die sie faktisch 
hemmen und einschränken' (Sy 182). 

Weiter ist diese ,Liebe' nicht ein ,Begehren nach . . .', sondern 
in ihrem innersten Wesen ein ,Schenken von . . .', wie es die 
bekannte Stelle im ,Eessentiment im Aufbau der Moralen' 
(UW I Nr. 2) ausführt. 



40 III. Wertfühlen und Selbständigkeit der Eeligion. 

,Alle antiken Denker, Dichter, Moralisten sind darin einig: Liebe ist 
ein Streben, eine Tendenz des Niedern zum Hohem, des unvollkommeneren 
zum Vollkommeneren, des Ungeformten zum Geformten, des nr\ öv zum öv, 
des Scheins zum Wesen, des Nichtwissens zum Wissen, ein Mittleres zwischen 
Haben und Nichthaben, wie Piaton im Symposion sagt, , . . Eine große 
Kette dynamisch geistiger Einheiten ist das Weltall, die Dinge vom Sein 
der prima materia angefangen bis zum Menschen, in dem das Niedrigere 
auf zum Höheren strebt und von ihm, das sich nicht zurückwendet, sondern 
wieder nach seinem Hohem strebt, angezogen wird — und dies hinauf bis 
zur Gottheit, die selbst nicht mehr liebt, sondern nur das ewig ruhende, 

einheitgebende Ziel all jener mannigfaltigen Regsamkeiten darstellt Dieser 

Konzeption stelle man nun die christliche gegenüber. . . . Hier schlägt man 
dem griechischen Axiom der Liebe, daß Liebe ein Streben des Niedern zum 
Höhern sei, keck ins Gesicht. Umgekehrt soll sich die Liebe nun gerade 
darin erweisen, daß das Edle sich zum Unedlen herabneigt und hinabläßt, 
der Gesunde zum Kranken, der Reiche zum Armen, der Schöne zum Häß- 
lichen, der Gute und Heilige zum Schlechten und Gemeinen, der Messias 
zu den Zöllnern und Sündern ... in der eigentümlich frommen Überzeugung, 
im Aktvollzug dieses Beugens, in diesem Sichherabgleitenlassen, in diesem 
Sichverlieren das Höchste zu gewinnen — Gott gleich zu werden, , , , Jetzt 
ist Gott für die Liebe der Dinge kein ewiges ruhendes Ziel . . ., sondern sein 
Wesen selbst wird Lieben und Dienen und daraus folgend erst Schaffen, 
Wollen, Wirken' (UW I 108-111). 

Aber dieses innerste ,Schenken von , . .' ist wiederum nicht 

ursprünglich zu verstehen als , Schaffen höherer Werte' oder 

irgend welches ,Hineinlegen höherer Werte' in den geliebten 

Gregenstand, sondern ,in' der Bewegung der Liebe kommt das 

,ideale Wertwesen der geliebten Dinge' zur Erscheinung. 

,Das Wesen einer fremden Individualität, das unbeschreiblich ist und in 
Begriffen nie aufgeht (individuum ineffabile) tritt nur in der Liebe oder im 
Sehen durch sie hindurch ganz und rein hervor. ... In diesem Falle ist es 
eben der Liebende, der mehr Vorhandenes sieht als die andern, und er ist 
es und nicht die andern, die dann das Objektive und Wirkliche sehen. . , . 
Aber allerdings : in vielen Fällen besteht wirklich eine Neigung zur Ideali- 
sierung. Aber sie kommt wahrlich nicht auf Rechnung der Liebe zum 
andern, sondern auf Rechnung der Hemmung, die die Liebe in der Be- 
fangenheit in die eigenen Neigungen, Interessen, Ideen, Werte findet, in der 
Befangenheit, weil sie die eigenen sind. . . . Man darf aber nicht den reinen, 
echten Fall der Liebe nach den möglichen hier vorliegenden Täuschungen 
beurteilen. . . . Liebe ist die Bewegung, in der jeder konkret individuelle 
Gegenstand, der Werte trägt, zu den für ihn und nach seiner idealen Be- 
stimmung möglichen höchsten Werten gelangt, oder in der er sein ideales 
Wertwesen, das ihm eigentümlich ist, erreicht' (Sy 185 — 187). 



Gott-Liebe. 41 

Der letzte, eigentlich metaphysische Grund aber für die 
,Liebe' als letzte Erkenntnisquelle des ,bonum' und, wie wir 
später auf Grund des dritten Grundsatzes Schelers vom Primat 
des Wertfühlens sehen werden, auch des , Seins' ist die früher 
bereits angedeutete Lehre Schelers, daß Gott wesentlich ,Liebe' 
sei und erst als Liebe das ,summum bonum'. 

Diese Lehre ist an einigen Stellen fast so gefaßt, als ob alle 
,Liebe zu Gott' widersinnig wäre, weil eben das ,summum 
bonum' kein Sachwert, sondern ein Aktwert sei, nämlich der 
Aktwert der Liebe, so daß nur ein ,amare in Deo' Sinn habe 
und erst ein derartiger (geistiger nicht physischer) Mtvollzug 
des Liebesaktes, der Gott ist, ein ,guter Akt' sei; mithin 
,guter Akt' = ,Liebesakt'. 

,Es gibt . . . keine Idee eines höchsten Gutes melir, das einen Inhalt 
böte jenseits und unabhängig vom Akte der Liebe und ihrer Bewegung! 
Von allen guten Dingen ist das beste die Liebe selbst! Nicht ein Sach- 
wert, sondern ein Aktwert, der Wert der Liebe selbst als Liebe — nicht 
als das, was sie wirkt und leistet, sondern so, daß alle Leistungen nur als 
Symbole und Erkenntnisgründe ihres Seins in der Person gelten — ist 
nun das summum bonum. Und so wird Gott von selbst zur Person, die 
keine Idee des Guten, keine form volle Ordnung, keinen X^^oc, mehr über 
sich, sondern nur mehr unter sich hat — als Folge seiner Liebestat' (UW 1 111 ; 
vgl. SW 1 132). ,Die höchste Form der Gottesliebe ist nicht die Liebe z u 
Gott als dem Allgütigen, d. h. einer Sache, sondern der Mitvollzug 
seiner Liebe zur Welt (amare mundum in Deo) und zu Sich, selbst (amare 
Deum in Deo) d. h. das, was die Scholastiker und vorher schon Augustin 
amare in Deo nannten. Wollen wir Gott die höchste sittliche Qualität in 
unendlicher Seinsweise zubilligen, so könnten wir dies nur, indem wir das 
Lieben (mit Johannes und Augustin) zu seinem innersten Wesen machen 
und sagen: Er sei unendliches Lieben. An diesem Kerne des göttlichen 
Aktzentrums haftet erst seine Allgüte und seine absolute sittliche Voll- 
kommenheit' (Sy 189). 

Denn ,sehen wir uns die analogische Fundierung der geistigen Aktarten, 
wie wir sie vom Studium des Menschengeistes auch auf Gott zu übertragen 
haben, etwas genauer an, so ist die ursprünglichste Wurzel alles Geistes, 
sowohl des erkemienden und wollenden Geistes in Gott wie im Menschen 
vielmehr die Liebe. Sie allein ist das, was die Einheit von Willen und 
Verstand stiftet, die ohne sie dualistisch auseinanderfielen. Das Erste, 
was bereits von der Liebe Gottes abgeleitet ist, ist seine Seinsgüte, die 
wir von seiner Willensgüte, welche Folge seiner Seinsgüte ist, zu trennen 



42 ni. Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

haben. Gott ist summum bonum, das als Person zugleich Seinsgutheit 
ist. Inhaltlich aber ist diese Seinsgüte nach den ethischen Wertaxiomen, 
nach denen der Liebe der höchste Aktwert zukommt, nichts als Liebe. Die 
spezifische Willensgüte ist bereits Folge davon, dafa Gottes Wille ewig 
eins ist und übereinstimmt mit dem, was er liebt. Gott liebt nicht, was er 
will, sondern er will ewig, was er liebt und liebend als Wert bejaht' (E 484). 

Das klärt sich aber durch die tiefere Begründung, nach der 
in Gott ,summum bonum' und ,Liebe' in eins fallen. 

,Wie Akt und Gegenstand im Sein Gottes zusammenfällt, so fällt auch 
die Bestimmung Gottes als summum bonum (unendliches, positives, heiliges, 
absolutes Wertgut) und Gott als unendlicher Liebes aktus in Eins zu- 
sammen. Nur aus diesem Grunde muß die kontemplative mystische Gottes- 
liebe zu Gott als dem höchsten Gute wesensnotwendig zum Mit- und Nach- 
vollzug des unendlichen Liebesaktus Gottes zu sich selbst und zu seinen 
Geschöpfen fühi-en — so daß wir Menschen uns zur. Kreatur neben uns 
analog verhalten wie Gott zu uns Menschen — wie anderseits die Liebe 
in Gott, d.h. die aktive Neueinstellung des geistigen Personzentrums in 
den Kern der göttlichen Allperson und das Mit-lieben aller Dinge mit der 
Liebe Gottes von selbst wieder zu Gott als höchstem Gegenstand der Liebe 
zurückkehren und sich so mystisch-kontemplativ im amare Deum in Deo 
vollenden muß' (E 485/486) ^ 

In diesen Sätzen Schelers, die sozusagen ins Herz seines 
Systems führen, haben wir den letzten Grund und die letzte 
Erklärung dafür, daß gerade die ,Liebe' erst die letzte 
Wurzel aller objektiven Werterfassung sei: 

Es ist eben die Liebe das Wesen Gottes selbst, 
der das Höchste Gut selber ist und als solches die 
Quelle allerWerte, und darum sind in der Liebe 
als der Teilnahme an Gott auch alle Werte in ihrem 
objektiven Wesen faßbar. 

Wir haben in dieser Verankerung objektiver Werterkenntnis 
nur ein Analogen zu der Art, wie der Piatonismus ursprüng- 
lich alle Seinserkenntnis verwurzelt, da er die ,ideae universales' 
des Menschengeistes als Teilnahme an den objektiven ,ideae 
universales' faßt, die in Gott irgendwie zusammenlaufen, was 



^ Vgl. auch ,Liebe und Erkenntnis' in , Krieg und Aufbau' (Leipzig 191B) ; 
jetzt SW 1 130 ff. 



Personalismus der Liebe. 43 

ja noch die Hochscholastik in ihrer Art beibehalten hat, näm- 
lich in ihrer Gleichung von ,ideae rerum in mente', ,formae 
rerum in rebus' und ,ideae rerum fundatae in essentia divina'. 
Wenn Piatonismus und Thomismus als den Wesenskern 
des Universums die ,universalia', die ,Allgemeinideen' fassen, 
die erst durch die Verbindung mit der ,Materie' individuiert 
werden, so sind bei Scheler, entsprechend seiner Theorie vom 
Individualgültigen , die ,ewigen Ideen' ,Individualideen', im 
höchsten Smn ,Personideen' (Sy^ 143— -146 151—153 u. a.), 
die zum persönlichen Gott in einer Art ,unio mystica' stehen, 
d. h. in ihm als persönlichen Gott, als ,Person der Per- 
sonen' letztlich fundieren, während sie die untergeistige Welt 
nur zu ihrem ,Herrschbereich' haben ^ so daß der Wesenssinn 

^ In diesem Verliältnis der ,Person' zum ,Leben', der ,Idee' zur ,Wirk- 
lichkeit' liegt vielleiclit gegenwärtig das Hauptproblem des Schelerschen 
Systems nach der Seite seiner Auseinandersetzung mit Relativismus und 
Evolutionismus sowohl wie mit der überlieferten christlichen Philosophie. 
Siegfr. Kracauer erhob in seiner tiefgehenden Kritik (Frankf. Zeitung 1921, 
Nr. 850) gegen Scheler fast nur den einen VorAvm'f, daß bei ihm eine Ab- 
solutheit der Ideen unausgeglichen neben einem weitgehenden Relativismus 
stünde. Ernst Troeltsch untersucht fast nur dieses Verhältnis von ,Idee' 
und jWirklichkeit' (Der Historismus und seine Probleme [Tübingen 1922] 
603 ff.), über das er mit Recht bemerkt : ,Auf den letzten Kern des Pro- 
blems, das Verhältnis der ontischen Werte zum historischen Denken, geht 
keine Kritik ein.' Er selber faßt Schelers System unter diesem Behuf 
wie folgt : ,Die Geschichte ist . . , die beständige Wandelung der in ihren 
Akten aus jenem geistigen Wertreich gespeisten Iche, die doch zugleich als 
endliche Wesen auf dem Erlebnisstrom des vitalen Daseins treibeli, welcher 
letztere durch die Mittel der äußern und Innern Sinnlichkeit, je nach den 
vitalen Anlässen zu dem erstem als zu einer transzendenten Welt des Zeitlos- 
Gültigen und Ontiscli- Wesenhaften die Wege öffnet,' Was hier mehr zwischen 
den Zeilen steht, die Unsicherheit über das tatsächliche Verhältnis der gott- 
entsprossenen ,Person' zum ,Leben', in dem sie sich betätigt, das wird der 
scholastisch orientierte Kritiker noch schärfer herausstellen müssen: es 
fehlt bis jetzt bei Scheler, wie wir bereits hervorgehoben haben, eine klare 
Theorie über das Verhältnis der ,Person' zu ihrem Naturträger Leib-Seele. 
In seinem neuesten Werk, der Umarbeitung der ,Sympathiegefühle usw.' 
(Wesen und Formen der Sympathie'), steuert Scheler deutlich auf die augu- 
stinische Fassung eines Dualismus von Leib und Seele zu und scheint mehr 
oder minder die ,Person' nach ihrem realen Träger mit der geistigen Seele 



44 III- Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

des Universums ,personalistisch' ist (Sy^ 89/90 u. a.). Da nun 
Gott wesenhaft die Liebe ist, so ist auch das Innerste 
jeder ,Person' ihre wurzelhafte Liebeshaltung: wie Gott der 
,ungeschaffene Liebesaktus' ist, so sind sie ein ,geschaffener 
Liebesaktus'. Mithin werden Gott und alle Personen und folge- 
richtig alle untergeistige und unterpersönliche Welt innerlich 
nur in der ,Liebe' erfaßt, nämlich Gott, die ,Person der Per- 
sonen', und in ilim die gesamte personale und unterpersonale 
Welt im geistigen ,Mitvollziehen' des Liebesaktus, der Er 
wesenhaft ist; jede einzelne geschöpfliche Person aber und 
die ihr zugeordnete unterpersonale Welt, ,ihre' Welt, im gei- 
stigen ,Mitvollziehen' ilires kernhaften Liebesaktus (M. 396/397 
408—413). 

Im Piatonismus und im Thomismus sind ,Wahrheit' und 
, Gutheit' ein , Allgemeines', das erkannt wird im Abstreifen 
alles Individuellen und Persönlichen, und für das alles Indivi- 
duelle und Persönliche nur eine Art ,Anwendungsgebiet' ist. 
Nach Scheler ist ,Wahrheit' und , Gutheit' ein wesenhaft 
,Personenhaftes', letztlich Gott als ,Person der Personen' — ; 

gleichsetzen zu wollen (Sy^ 89 f.). Indes wird man hei der Unsicherheit 
der Grundlage dieser Auffassung, als welche Scheler die Möglichkeit einer 
Einheit des (vitalen) Lehens hinstellt, auch jetzt nicht zu einem klareren 
Urteil kommen können. 

Das große brennende Problem einer Einheit des Wahi'heitskems ge- 
schichtlicher Relativität und Entwicklung mit der unumgänglichen Idee 
einer Welt absoluter Wahrheit und Werte wird sich nach unsrer Auffassung 
nur lösen lassen, wenn der Schelersche Gedanke der ,Personidee', in der 
Sprache Suarez' des ,possibile individuale', sich mit dem Gedanken der 
,una substantia' des hl. Thomas verbindet. So ist einerseits das Moment 
des (Individuum ineffabile' in die absolute Ideenwelt selbst hineinversetzt, 
anderseits entfaltet es als ,Wesensform' des physischen und psychophysischen 
Lebens sich durch und am wirklichen Leben selber. So fallen ,Idee' und 
»Wirklichkeit' sozusagen in eins. Wir haben dann das, was als schönstes Ziel 
dem Ringen Ernst Troeltschs vorschwebte: den ,evolutionistischen Theis- 
mus' (Zur religiösen Lage usw, [Tübingen 1913] 32 764 771 ff,) und die* 
jCOincidentia oppositorum' (Luther und der Protestantismus, Neue Rund- 
schau XXVIII [1917] 1325 ff,). Vgl, auch des Verfassers Nachruf .Ernst 
Troeltsch' in den Stimmen der Zeit CV (1922/23 11) 75, 



Personalismus von Wahrheit und Gutheit. 45 

es ,kann . . . absolute Wahrheit nur persönlich sein' (M 410), 
und jdiö Bestimmung Gottes als „summ um bonum" und Gott 
als unendlicher Liebesaktus [fallen] in Eins zusammen' (E 485; 
vgl. SW I 11 f.). Die Verbindung aber der geschaffenen Per- 
sonen mit dieser absoluten , Wahrheit' und , Gutheit' geht 
dann allein über den Wurzelursprung der ,Personideen' im per- 
sönlichen Gott: das ,absolute Wahre' und das , absolute Gute' 
differenzieren sich in das für jede Einzelperson ,persönlich 
Wahre' und »persönlich Gute', indem der persönliche Gott 
sich schöpfungshaft (nicht emanatistisch) in die "Vielfalt der ge- 
schaffenen Personen nach außen kundtut. Die Unterordnung 
aller Geschöpfe unter eine objektive ,Wahrheit' und ,Gutheit' 
vollzieht sich also letztlich nicht in einer ,Allgemeinwahrheit' 
und einem ,Allgemeüiguten', denen als , Gesetz' alle unterstehen, 
sondern Gott, die personhafte Wahrheit und personhafte Gut- 
heit, offenbart sich in den geschaffenen Einzelpersonen als 
deren ,persönliche Wahrheit' und »persönliche Gutheit', weil 
und insofern deren ,Personwesen' als ,Personidee' in Ihm, 
dem , geistigen Zentrum aller endlichen Personwesen' (Sy^ 153), 
wurzelt. 

So wird die , absolute Wahrheit' und die , absolute Gutheit' 
letztlich zu einem Begriff der ,Zusammenschau aller persönlichen 
Wahrheiten und persönlichen Gutheiten', wie das Erfassen Gottes 
letztlich ein Begriff eines ,Gotterkennens mit allem Gotterkennen 
aller gotterkennenden Menschen' ist. Weil Gott, die Wahrheit 
und die Gutheit, eben sozusagen , auseinandergelegt' erscheint 
in die Fülle des Nach- und Nebeneinander der ,persönlichen 
Wahrheiten' und ,persönlichen Gutheiten', wie auch sein Gottes- 
bild im allgemeinen gleichsam in die Fülle ,persönlicher Gottes- 
bilder' sich entfaltete, so braucht es zur Vollerkenntnis der Wahr- 
heit wie der Gutheit ,an sich' wie auch zur VoUerkenntnis Gottes 
einer ,Kooperation' des Erkennens, eines Erkennens mit dem 
Auge der ,Menschheit* . Zur Vo 1 1 erkenntnis aber ! Denn Scheler 
läßt keinen Zweifel darüber, daß die Wesenszüge des Wahren 



46 ni. Wertfühlen und Sellbständigkeit der Religion. 

als Wahren wie des Guten als Gruten wie letztlich Gottes als 
Gottes in jeder ,persönlichen' Wahrheit wie ,persönlichen' Gut- 
heit wie ,persönlichen' Gottesauffassung gewahrt sein müssen, 
damit es persönliche Wahrheit und persönliche Gutheit 
und persönliche Gottes auffassung sei. Aber nicht alle Teile 
der absoluten Wahrheit und der absoluten Gutheit wie auch des 
vollen Gottesbildes, sind zu allen Zeiten und von allen Menschen 
gesehen. Darum gibt es ein Sichwandeln und Sichentfalten, 
freilich nicht so, daß auf diese Weise irgend etwas, das früher 
objektiv galt, nun nicht mehr gelte, sondern so, daß ein Wachs- 
tum in der Erfassung des Noch-nicht-erfaßten mit Wahrung des 
bereits Erfaßten stattfände, freilich ein Wachstum, das sich 
praktisch in einer Art Kampf zwischen , Altem' und ,Neuem' 
vollziehe, nicht einem Kampf zwischen , Wahrheiten' und .Gut- 
heiten' und , Gottesbildern', die objektiv einander kontradiktorisch 
entgegengesetzt sind, sondern zwischen extremen Gegenpolen 
des Einen Kosmos der , Wahrheit' und , Gutheit' wie des Gottes- 
bildes, das anders sich z. B, gibt im einseitigen Aspekt der Ge- 
rechtigkeit und anders im einseitigen Aspekt der Liebe (UW 
I 240 ff. ; M 274 ff. 312 ff. ; E 440 ff.) \ 



^ Diese Gesamtfassung der Lehre Schelers über das Verhältnis von ,Idee', 
iWahrheit', Jdeal' zur ,Person' dürfte gleichzeitig die Antwort geben auf 
Dietr. Hr. Kerlers einschneidende Kritik vom Standpunkt des JmperSonalismus' 
aus (Max Scheler und die impersonalistische Lebensanschauung [Ulm 1917]). 
Der .unversöhnliche Widerstreit', den er behauptet zwischen .Impersonalis- 
mus, d, h. Orientierung an der idealen Forderung und Personalismus, 
d. h. Unterordnung der idealen Forderung unter die angebetete höchste Per- 
son' (ebd. 25), löst sich eben durch den ganz unvergleichlichen Persönlichkeits- 
charakter Gottes, in dem die geschöpfliche Zweiheit von ,Person' und .Ideal' 
in Eins fällt, so daß in diesem ,Personalismus' weder die Person dem Ideal 
noch das Ideal der Person untergeordnet ist: Gott ist als Gott ebenso 
wesensnotwendig das ,Idear wie die ,Person'. In dieser Fassung ist so- 
wohl ein ,Impersonalismus' vermieden, der konsequent (wie Kerler es tut, 
ebd. 36 if.) auf eine letzte Synthese von ,Idee' und ,Wirklichkeit' verzichten 
muß und darum entweder zu einer radikalen Leugnung transzendenter 
Eealität kommt (wozu Kerler neigt), oder zum Hartmann-Hornefferschen 
Standpunkt einer unauflösbaren ,Tragik' des Weltgrundes, — aber ebenso 



Personalismus der Gemeinscliaft. 47 

,Da jede geistige Seele eine einzigartige Idee Gottes ist und nie bloß 
Exemplar einer Seele, so hat sie auch eine einzigartige Erkenntnis in der 
Fülle des Göttlichen zu ihrer Bestimmung' (E 558). ,Sowohl für den 
historischen Menschen als für das Individuum ist die Entwicklungsfähigkeit 
des Wertfühlens eine unbegrenzte ; . . . Indem sich sein Fühlen entwickelt, 
schreitet es erst in die Wertfülle der vorhandenen Werte hinein' (M 274 f.). 
Es ist ,. . . die erste wichtige Eigenschaft aller Wesenserkenntnis . . ,, daß 
sie, einmal in der Geschichte gewonnen, durch alle folgende Erfahrung nicht 
wieder in Frage gestellt und modifiziert werden kann, . . . Nur Bereicherung 
und Wachstum der Wesenserkenntnisse (d. h. immer neiies Hinzutreten von 
Wesenserkenntnissen zu alten) und immer neue Verknüpfung der Wesens- 
erkenntnisse untereinander sind möglich. Ferner ist möglich, daß eine ge- 
wonnene Wesenserkenntnis in der Geschichte wieder verloren gehe und so 
wieder neu zu entdecken ist' (E 445 ; vgl. SW 1 15 ff.). ,Es kann daher sehr 
wohl sein (d. h. die allgemeine Geisteslehre läßt es zu), daß ein Zeitalter der 
Menschheit oder eines ihrer Teile Erkenntnisblicke in das Wesensreich warf, 
die kein anderes Zeitalter selbst zu werfen je berufen sein kann, und daß 
daher die folgenden Zeitalter aus dem Wesen der menschlichen Erkenntnis und 
ihres Gegenstandes selbst heraus (nicht also aus Gesichtspunkten wie Be- 
gabung, Anlage, Arbeitsteilung usw. heraus) verpflichtet sind, dasjenige als 
ewig gültigen Erkenntnisschatz zu bewahren, was selbst zu erkennen ihnen 
die Kräfte des Geistes fehlen. . . Die Kooperation der zeitlich sich suk- 
zedierenden Menschheit durch das Medium der Tradition dessen, was keine 
Vernunft der jeweiligen Folgezeit finden kann (auch bei ideal vollkommener 
Anwendung nicht), gehört daher selbst zur Natur dieser Art (apriorischer) 
Erkenntnis. . . . Sie haben alle miteinander (nicht gegeneinander oder nur 
sich auf Resultate stützend wie in den positiven Wissenschaften) zu bauen 
am Gebäude der einen philosophia perennis. ... Je vollkommener der 
Wesensgehalt einer Wesenheit ist, je entfernter er ist von adäquater Er- 
faßbarkeit durch den menschlichen Geist überhaupt (als menschlichen), in 
desto höherem Grade wird die zwiefache Kooperation des Erkennens . . . für 



bleibt ein relativistischer ,Personalismus' ausgeschaltet, der kein an sich 
gültiges Ideal kennt, sondern ,Wahrheit' und ,Gutheit' als nur ,Objektiva- 
tionen' empirisch zufälligen Lebens und so entweder mit Georg Simmel 
(Lebensanschauung [München 1918]) zur Verzweiflungshypothese eines All- 
lebens greift, das sich selbst ,transzendiert', um wieder in sich selbst zurück- 
zusinken, scheinbar-lebenüberdauemde Inlialte formt, um entweder an ihrer 
Erstarrtheit zu leiden oder sie wieder ins eigene Weiterfluten aufzulösen, — 
oder mit Max Weber (Ges. Aufsätze [Tübingen 1920]) und mehr noch Ernst 
Troeltsch (Der Historismus usw. [Tübingen 1922]) resolut die ,Krisis' ein- 
gesteht und nach dem ,Sprung ins Absolute' Ausschau hält. Dies letzte 
ist die heutige Geisteslage, und Phänomenologie und Barth-Gogarten-Thur- 
i neysen-Gruppe sind — als tastende Lösungsversuche — nur ihr lebendigster 

Ausdruck. Vgl. auch Ernst Troeltsch, Zur religiösen Lage usw. 771 ff. 



48 in. Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

seine adäquateste Erfassung nötig. Darum ist dieser Grund am höchsten 
hei dem Wesen aller Wesen, bei Gott. ... Es können daher die ver- 
schiedenen Geistesideen vom Geiste Gottes auch alle wahr sein — und nur 
im je verschiedenen Siime inadäquat. Es braucht nicht in der Beschränktheit 
der Menschen — es kann auch .an der unaussprechlichen Fülle und der 
unendlichen, auch qualitativen Vollkommenheit des göttlichen Geistes liegen, 
daß dies so ist. . . . Gotteserkenntnis ist als Erkenntnis und Erfassung des 
göttlichen Geistes diejenige Erkenntnis, die schon als natürliche notwendig 
unvollständig (auch in den Grenzen des überhaupt dem Menschen hier Zu- 
gänglichen) bleiben muß, bevor nicht jede der überhaupt unterscheidbaren 
menschlichen Gruppen — ja bevor nicht jedes Individuum seinen Beitrag, 
d. h. seinen nur ihm möglichen Beitrag auch dazu geleistet hat und solange 
nicht eben dieser Beitrag auch von allen andern Gruppen und Individuen 
mitergriffen und in das eigene Verhältnis zu Gott einbezogen und für es 
fruchtbar gemacht ist. . . . Und es ist gerade — so paradox es klingt — 
der Wesensindividualismus der Gotteserkenntnis, d. h. die dauernde ün- 
ersetzlichkeit aller Kollektivindividuen und Einzelindividuen als Erkenntnis- 
subjekte verbunden mit der allgemeinen Verpflichtung zu dieser Erkenntnis, 
was hier die Gemeinschaftsform des Erkennens in einem Sinne notwendig 
macht, wie sie bei keiner sonstigen Erkenntnis notwendig ist. . . . Wir 
müssen also, um die Fülle des Geistes Gottes — auch nmv analogienhaft — 
erkenntnis- und erlebnismäßig mit steigender Adäquation auszuschöpfen, 
nicht nur der Vemunftstruktur unseres Zeitalters folgen (dürfen keine Zeit- 
philosophie gestalten wollen), sondern müssen in unsre Idee vom göttlichen 
Geiste auch all dasjenige mit aufnehmen, was andere Zeitalter auf Grund 
ihrer Geistesstruktur vom Geiste Gottes erfaßten und aussagten. So wenig 
Gott — wie Hegels Pantheismus lehrte, der Weltgeist ist — so erkennt 
ihn (natürlich) doch nur vollständig der ganze vollständige Menschengeist 
als der Inbegriff aller Vernunftstrukturen. . . . Falsch und grundfalsch ist 
dieser Satz von der notwendigen Geschichtlichkeit der Gotteserkenntnis erst 
dann, wenn er besagen wollte, daß Gottes Geist sich an den verschiedenen 
Stadien der Weltgeschichte gleich einer sich auslebenden Potenz rein ob- 
jektiv verschiedenartig auswirke, jedes Zeitalter also auch eine besondere 
Idee vom Geiste Gottes haben müßte. Das wäre pantheistisch und hegelisch 
gedacht. Nicht nur die Philosophie, sondern auch die natürliche Theologie 
wäre dann nur der Zeitgeist auf Gedanken und Begriffe gebracht — eine 
grundirrige, relativistische Behauptung. Gott ist nicht Potenz, die sich in 
der Geschichte erst zeitlich auszuwirken oder sich in ihr zu explizieren hat, 
sondern absolut aktuales Sein. Nur die erkenntnismäßige Ausschöpfung 
seiner Geistesfülle ist an den historischen Prozeß geknüpft' (E 456 — 463). 

Dieses ,Emheitserfassen' nun ist, wie auch das ,Eiazelerfassen' 
der ,persönKchen' Wahrheit und Gutheit, wie des Gotteshildes, 
in der ,Liebe' gegeben. Indem die einzelnen Personen ihre 



Synthese von Eelativismus und Absolutismus. 49 

kemhaften ,Liebesaktus' miteinander ,mitvollziehen', verstehen 
sie einer des andern ,Persontiefe' und in dieser einer des andern 
,persönliche' Wahrheit und Gutheit und das sie begründende 
,persönliche' Gottesbild. So vollzieht sich ein ,Einheitsliehen' 
und in dieser Liebe ,aller zu allen in Gott' das Aufleuchten 
der Vollwahrheit und der VoUgutheit, die Gott ist, in ihrer 
für den Menschengeist überhaupt geltenden Höchsterfaßlich- 
keit, — und das so sehr, daß nach Scheler einer, dem das 
,amare proximum in Deo' abgeht, auch erkenntnismäßig irren 
muß (E. 461 Anm.; vgl. SW I 134/135). 

So enthüllt sich nun das Gesamtbild der Schelerschen Liebes- 
lehre als der nur ,ändern' Seite seines Personalismus: das Ganze 
als eine Synthese des Walirheitskerns von Individualismus und 
Relativismus mit vollständiger Wahrung strenger Objektivität, 
und zwar so sehr, daß Individualismus und Relativismus gerade- 
zu abgeleitet werden aus dem Wesen des Objektiven und Ab- 
soluten, nämlich Gottes, der als Gott nur , stückweise' sich 
in Geschaffenem kundtun kann. Dem Absolutismus des objek- 
tiven Gegenstandes in sich, nämlich Gottes als der Wahrheit 
und der Gutheit, entspricht auf der Aktseite die kooperative 
»Einheit in der Mannigfaltigkeit' der erfassenden Akte und 
Aktvollzieher. In dem durch die Kooperationsidee des ,Liebens 
aller mit allen in Gott' gebändigten Individualismus und Rela- 
tivismus leuchtet erst die ganze TJnausschöpflichkeit des Ab- 
soluten auf ^. Die ,Liebe' ist nicht nur darum sozusagen der 

^ Hieraus erhellt der Unterschied Schelers von Edith Landmanns und 
Peter Wusts Personalismus. Landmanns Personalismus (Transzendenz des 
Erkennens 277 ff.) ist, im Gegensatz zu Schelers ontologischem Personalis- 
mus, bei dem Person und Wahrheit letztlich (in Gott) in Eins fallen, ein 
rein no6tischer Personalismus, der das höhere ,Sein' der höheren Persönlich- 
keit als Erkenntnisbedingung der in sich allgültigen Wahrheit aufstellt 
(ebd. 277 281 ff.) : ,Das Finden einer substantialen Wahrheit ist an die Sub- 
stanz des Menschen geknüpft, der sie sucht . . ., so sehr . . ., daß auch ein 
allgemeines Bewußtsein, das ideale Subjekt der Erkenntnis als Person ge- 
dacht werden müßte' (ebd. 280) ; freilich taucht am Horizont dieses no6- 
tischen Personalismus, der den Dualismus von Subjekt und Objekt nicht 

Przywara, Eeligionsbegründung. 4 



50 III. Wertfiihlen und Selbständigkeit der Religion. 

, Weltgrund', weil Grott die Liebe ist und darum alles, was aus 
und durch Gott ist, Liebe ist in seinem letzten Wesen, — sondern 
auch darum, weil erst der gemeinsame Liebesaktus der Mensch- 
heit (im Nebeneinander und Nacheinander der Geschlechter) der 
Liebesaktus ist, der ein einigermaßen geistiges ,Mitvollzieheli' 
des göttlichen Liebesaktus zu leisten und darin und dadurch 
Gott und in ihm die Walirheit und die Gutheit zu erfassen 
vermag. Aber dieses Letzte ist nur die Auswirkung des Ersten: 
Weil Gott Liebe ist, darum ist in geheimnisvoller Weise zu- 
gleich alles, was er schafft, ein Stück geschaffener Liebe und 
zugleich alles Lieben sowohl der Weg zum tiefsten Erfassen 
jedes dieser , Stücke geschaffener Liebe* als auch darin zum 
tiefsten Erfassen Gottes, der ungeschaffenen Liebe. Weil Gott 
Liebe ist, darum ist Liebe im letzten Grund nicht ,auf etwas 
richtbar, weder auf das Selbst, noch auf Gemeinschaft, noch 
auf Gott (Sy 181 ff.), sondern im Lieben werden wir unsres per- 
löst, sondern verabsolutiert, doch scliließlicli so etwas wie ein ontologisclier 
Personalismus auf, wenn vom Idealmenschen gesprochen wird, , dessen Er- 
kenntnis Ausdruck . . , seines Wesens' sei (ebd. 292). Peter Wust (Vom Wesen 
der historischen Entwicklung [Hochland XX (1922/23 II) 19 ff. 1.79 ff.]) teilt 
zwar Schelers Ansicht vom Personkem als der letzten ontologischen Wurzel 
ihres Erkennens und Wollens: ,Die besondere Geistesanlage einer jeden 
Person, das eigentliche innere Gesetz, die spezifische „imago Dei" in jedem 
einzelnen Menschen' (ebd. 187). Aber erstens besteht bei ihm keine Un- 
mittelbarkeit zwischen Gott und Einzelperson, vielmehr ist (gemäß seiner 
Lösungsform einer schwebenden Mitte des Menschlichen zwischen der ab- 
soluten Natur und dem absoluten Geist) das Persongesetz und die Person- 
wahrheit nur die ,konkrete Besonderung des großen und allgemeinen Humani- 
tätsgesetzes' (ebd. 191), womit im Prinzip das alt-thomistische Individuations- 
prinzip von der ,natura humana universalis individuata per materiam' wieder 
aufgenommen ist. Zweitens aber scheint (folgerichtig zum ersten) auch der 
Personkern als ,imago Dei' nicht auf einem Seinsverhältnis, sondern auf 
einem besondem Erkenntnisverhältnis zu Gott zu beruhen, da Wust schreibt: 
,Gott offenbart sich einer jeden Person auf eine ganz besondere Weise. Er 
gewährt die Schau des Absolutpunktes nur von einem ganz bestimmten 
endlichen Standpunkt aus' (ebd. 187). Damit aber bleibt, wie wir meinen 
möchten, Wust im unaufgelösten Dualismus, einer Verbindung von^^Thomis- 
mus und Dilthey-Standpunkt, einem Dualismus, den Landmanns Dualismus 
noch relativ überwindet. 



Person-Liebe-Korrelation als Kern. 51 

sönlichen Selbst wie des fremden Selbst wie Gottes iiuie. Weil 
Grott Liebe ist, Er, die Einheit von Objekt und Subjekt, darum 
ist Liebe das Erkenntnismedium und der Erkenntnisvorgang 
und der Erkenntnisgrund. 

Im sog. ,Symbolismus' (Nostitz^) des Thomismus entsprechen 
sieh , Allgemeinideen ,und »begriffliches Erkennen', indem die 
Begriffe dieses Erkennens letztlich die Abbilder der in Gott 
ewig fundierten ,Allgemeinideen' und zugleich deren Verwirk- 
lichung in der Realwelt sind, so daß das »begriffliche Erkennen' 
durch die Beziehung zu den ,Ideen in Gott' Allgültigkeit, 
durch die Beziehung zu den ßealdingen aber Wirklichkeits- 
gültigkeit gewinnt und infolge der Gleichung zwischen 
,Ideen in Gott' und ,Ideen in den Dingen' eine Allgültig- 
keit, die Wirklichkeitsgültigkeit ist, und eine Wirklichkeits- 
gültigkeit, die Allgültigkeit ist, ein realgültiges Apriori und 
ein idealgültiges Aposteriori ^. Ähnlich entsprechen sich in 
Sehelers System ,Person' und ,Liebe'. Es besteht, fast mathe- 
matisch, eine Gleichung zwischen der ,Person' als der kon- 
kreten Seinseinheit der Vernunft- und Willensakte (M 397/398) 
und der ,Liebe' als der Wurzel von Erkennen und Wollen (E 484) : 

Erkennen \ t« u n /Erkennen 

Wollen i/ ^'^^^ ^^^^«^ (wollen 

Darum ist die ,Liebe' als solche das Medium, in dem Personen 
als Personen sich sozusagen berühren, und darin schließlich 



^ Rob. V. Nostitz S. J., Die Natur als Offenbarung im Symbolismus (Natur 
und Offenbarung [1885 31]) 130 ff. 

^ Der Unterschied dieser Verbindung von Apriori und Aposteriori gegen- 
über W. Switalskis ,platonischem Aristotelismus' (Probleme der Erkenntnis 
I [Münster 1923] 59) liegt darin, daß Switalski die Allgültigkeit der Ideen 
direkt in Gott verankert, während sie für den Thomismus direkt im Sein 
verankert ist und indirekt in Gott, weil und insofern er Schöpfer ist. 
Die Einheit von Idealgültigkeit und Realgültigkeit liegt für den Thomismus 
formal im Wesen der Dinge, für Switalski formal in Gott als der Einheit 
von Idee und Realität. Es ist das Gesetz der ,causae secundae', das hier 
den Unterschied begründet. 

4* 



52 ni. Wertfühlen und Selbständigkeit der Keligion. 

die Wurzel des Erkennens und WoUens, weil alle ,Walirlieit' 
(entsprechend dem ,Erkennen') und alle ,Grutheit' (entsprechend 
dem ,Wollen') letztlich ,Personwahrheit' und ,Persongutheit' ist : 
der persönliche Grott als Wahrheit und Gutheit und in ihm 
die geschaffenen ,Personen' als Ausstrahlungen dieser Person- 
wahrheit und Persongutheit. In Gott fallen ,Person' und 
,Liehe' in eins^, wie Objekt und Subjekt, Sein und Erkennen. 

^ Diese Theorie Schelers braucht noch nicht notwendig formal der katho- 
lischen Dreifaltigkeitslehre zu widersprechen, wenngleich nicht geringe 
Schwierigkeiten bleiben. Denn wenn diese auch die dritte Person, den 
Heiligen Geist, als ,Liebe' bezeichnet, so meint sie damit die Liebe als ,Ur- 
sprungsbeziehung', nicht als jWesenseigenschaft', als ,actus notionalis', nicht 
als , actus essentialis', wie der theologische Terminus lautet. Die Liebe als 
Wesenseigenschaft haben die drei Personen in gleicher Weise, weil die Liebe 
Wesensattribut der göttlichen Natur ist, die Eine tmd Dieselbe ist. Der 
Heilige Geist wird ,Liebe' genannt inBezug auf seinen Personcharakter, d.h. — 
weil die ,Personen' in Gott d i e ,ürsprungsbeziehungen' sind — in bezug 
auf seine ,IJrsprungsbeziehung' : Sein »Hervorgehen' aus Vater und Sohn 
ist im Unterschied vom ,Hervorgehen' des Sohnes aus dem Vater ein solches, 
das mit ,Liebe' wiedergegeben wird, — und auch das nur vorwiegend bei 
den jüngeren lateinischen Kirchenvätern, während die griechischen Kirchen- 
väter es mit jHeiligkeit' oder ,heiligem Wollen' bezeichnen. Die Theologie 
unterscheidet darum Liebe als ,actus essentialis' (Gott als Liebe) und als 
,actus notionalis' (Heiliger Geist als von Vater und Sohn real unterschiedene 
Person), wie sie ebenso das göttliche Erkennen unterscheidet als .actus 
essentialis' (Gott als Erkennender, als ,intellectio subsistens') und als ,actus 
notionalis' (der Sohn als von Vater und Geist unterschiedene Person). 
Schelers Theorie, sowohl in bezug auf die ,Liebe' wie auf ,Erkennen und 
Wollen als liebeentsprungen' betrifft nur die .actus essentiales', wie auch 
seiQ Satz von Gott als , Person' nur den Sinn von .persönlicher Gott' hat 
im Unterschied von ,unpersönlicher Gott', nicht aber ,einpersönlich' im 
Gegensatz zu , dreipersönlich' (M 546). Aber immerhin scheint die Ord- 
nung der .actus notionales' (Erkennen vor Liebe) auch eine parallele Ord- 
nung der , actus essentiales' zu fordern, — Und insoweit ist Schelers Liebes- 
primat auch theologisch bedenklich. 

In klarem Gegensatz aber steht Schelers Person-Liebe-System zu der 
Dreifaltigkeitsauffassung, die nach Eud. Ottos Untersuchung .Die Anschauung 
vom Heiligen Geist bei Luther' (Göttingen 1898) teils ausgesprochen, teils 
unausgesprochen bei Luther vorliege, da er von der Unterscheidung zwischen 
.actus essentiales' und , actus notionales' nichts wissen wolle und auf eine 
Ümdeutimg der Personen des Sohnes und des Heiligen Geistes in inner- 
göttliche Potenzen hinstrebe. 



Liebe als letzter Erkenntnisgrund. 53 

Im Greschöpf treten sie auseinander, sind aber zueinander ge- 
riclitet, streben ineinander und sind eins ,in Gott', der als 
Person (,persönliclier Grott') Liebe ist und Liebe als Person. 
Im Lieben wird die Person erfaßt, Eigenperson, Fremdperson 
und alle in Gott, der ,Person der Personen' und Er in allen. 
Geistesgescliichtlich gesehen, dürfte darum diese personalistische 
Liebesmetaphysik als eine Überwindung des ,blinden Willens' 
Schopenhauers und des ,Willens zur Macht' Nietzsches sich 
fassen lassen : eine iimere Überwindung durch Läuterung des 
,blinden' zum »einsichtigen' und des ,Machtwillens' zur Liebe, 
— eine äußere Überwindung durch Einigung der Schopenhauer- 
Nietzsche- (nach Troeltsch auch Bergson) Linie mit der platoni- 
sierenden Linie Brentano-Eucken-Husserl. 

Weil Gott als ,Person der Personen' die Liebe ist, so ist 
seine Schöpfung in ihrem Gesamtsinn ,personalistisch' und ,er- 
starrte Liebesgeste' (UW 1 142), und alles aktuelle Lieben der 
Vorgang, in dem der Personsinn der Schöpfung und in ihm 
der Personcharakter des Schöpfers , aufleuchtet' und innerlich 
erfaßt wird. ,Liebe' ist weder ein wollendes ,Streben nach' oder 
,Umfangen von' (Sy 177 ff.) noch ein ,Erkennen' (Sy 170 ff. u. a.), 
sondern das geistige Einswerden mit ihrem Gegenstand als 
Voraussetzung und gleichsam ,Medium' seines Erkannt- und 
Erstrebtwerdens, weil eben Gott, das geheimnisvolle, über- 
geschöpfüche ,Eins' aller Dinge, aus dem alles und in dem 
alles ist, die Liebe ist. 

Dieser sozusagen ,Wurzelsatz' Schelers gibt mit einem Schlage 
die Erklärung, warum Scheler (wie wir später sehen werden) 
alle Erkenntnis überhaupt in der ,Liebe' fundiert wissen will, 
so daß die ,Liebe' nicht bloß eine rein neben der Erkenntnis 
herlaufende ,moralische Einstellung' ist (wie es der Begriff der 
Newmanschen ,dispositions' ist), sondern selber schon eine Art 
Wurzel der Erkenntnis in sich, weil eben die ,Liebe' als geistiger 
Mitvollzug des Liebesaktus, der Gott ist, die Dinge noch gleich- 
sam ,in' Gott selbst erfaßt. 



54 ni. Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

,Das eben ist . . , das Wunderbare des weder auf Erkennen noch Wollen 
zurückführbaren Liebesaktes, daß er seinen Gegenstand auf einer Stufe des 
Seins ergreift, auf der sein Sosein sowohl seinem existenzialen Sein als 
sesinem Wertsein nach noch iftibestimmt ist — so daß ebensowohl das ein- 
deutige Ergebnis des adäquaten Erkenntnisaktes als der mögliche Erfolg 
seiner Umgestaltung durch Wollen und Handeln durch diese Aktklasse 
noch bestimmbar ist. Diese Stufe des Seins ist eben die nach dem Gegen- 
satz „Wertsein— existenziales Sein" noch indifferente Schicht des Seins — auf 
der allein der endliche Gegenstand noch unmittelbar mit dem ens a se in 
der Form schlechthinniger Abhängigkeit verbunden ist. Darum ist zu allem 
bloßen fertigen Dasein, das wir in der reinen Theorie der Seinswissen- 
schaften betrachten (mit prinzipieller und ausdrücklicher Abstraktion von 
den stets und notwendig dem Daseienden zukommenden Werten) notwendig 
ein Faktor von Liebe dazu zu denken, der das Dasein dieses Soseienden 
oder das Sosein dieses Daseienden mitbestimmt hat und ohne den es nicht 
wäre, was es ist, respektive nicht dasjenige wäre, was es ist : auf der ob- 
jektiven Seite ist dieser Faktor die universelle Liebesbejahung des Wesens 
und Daseins des endlichen Gegenstandes durch Gott; durch sie allein ist 
der Gegenstand (gleichsam gerettet aus dem unendlichen Meer des Nicht- 
seienden und der Nichtigkeit), auf der subjektiven Seite die Liebes- und 
Haßregungen des erkennenden Subjekts, die das Stattfinden und den Sonder- 
inhalt anschauender Erkenntnis mitentscheiden' (E 640). 

Denn nach Scheler ist ,Gott nicht nur der Schöpfer (an Stelle eines 
bloßen Ideals eines vollkommenen Seins der Welthinanbewegung), sondern 
„Schöpfer aus Liebe", dessen Schöpfung, die „Welt" selbst, nur die momen- 
tane Erstarrtheit einer unendlich weiterquellenden Liebesgeste ist. ... An 
Stelle des Sichselbstdenkers (vöv^ok; voriöeux;) und -betrachters, den der 
Gang der Weltdinge nicht kümmert, und der auch nicht wahrhaft verant- 
wortlich ist für die Welt, jenes logischen Egoisten, in dem sich für die 
griechische Metaphysik das Lebensideal des „Weisen" verabsolutiert hat, . . . 
tritt . . . der persönliche Gott . . ., der aus Liebe die „Welt" schuf - 
nicht um einem Vorhandenen zu helfen, denn „nichts" war vor ihm — 
sondern nur als Äußerung seines Überflusses an Liebe' (ÜW 1 142). 

So ist also — um alles zusammenzufassen — die Objek- 
tivität unsres Erkennens in seinem ganzen Umfang (Seins- 
erkennen und Werterkennen) gegeben durch Teilnahme an der 
Quelle, aus der die objektiven Dinge geflossen sind, nämlich 
der ,Liebe', die Gott ist, und darum leuchten in der Liebe als 
dem Mitvollzug dieser Liebe, die Gott ist, erst alle Dinge in 
ihrem eigentlichen Wesen auf. 

,In letzter Linie ist . . . der Apriorismus des Liebens und Haasens . . . 
das letzte Fundament alles andern Apriorismus und damit das gemeinsame 



Gottesliebe als Liebeskeni. 55 

Fundament sowolil des apriorischen Seinserkennens als des apriorischen 
Wollens von Inhalten. In ihm, nicht aber in einem , Primat", sei es der 
„theoretischen", sei es der „praktischen Vernunft" finden die Sphären der 
Theorie und Praxis ihre letzte phänomenologische Verknüpfung und Ein- 
heit' (M 60). 

Hier stehen wir an der entscheidenden Erklärung, warum 
Scheler alle religiöse G-otteserkenntnis in einer objektiv auf 
Grott gerichteten, subjektiv dieser Richtung sich noch nicht 
bewußten Liebe wurzeln läßt. 

,Nicht die Idee Gottes ... ist es, . . . es ist vielmehr nur die Qualität des 
Göttlichen oder die Qualität des Heiligen . . ., die letzte (und zwar die 
oberste Wertgualität in der Rangordnung der Werte), die ursprünglich leitend 
ist auch für die Ausbildung aller positiven Vorstellungen, Ideen und Be- 
griffe von Gott" (M302). ,Darum geht die Gottesliebe —* nicht verstanden 
hier als Liebe zu einem schon als daseiend vorausgesetzten Gott, sondern 
als qualitativer Charakter des Liebesaktes und seiner Wesensrichtung nach, 
auf Etwas von der Wertmodalität des Heiligen — ebenso die Gottesfurcht — 
analog im Werden jedes bestimmten religiösen Bewußtseins selbst dem 
Glaubensakt voraus, in dem das Dasein dieses bestimmten Göttlichen ge- 
setzt wird' (E 390). 

Hier haben wir darum endlich auch den Grund, warum nach 
Scheler auch alle übrige Welterkenntnis auf diese in der Liebe 
wurzelnde religiöse Erkenntnisrichtung fundiert ist, wenn er 
im Gegensatz zu einer Fundierung des Religiösen auf Außer- 
religiöses das Religiöse als ,Urtatsache' hinstellt. 

,Soll das Fundamentalste auf ein weniger Fundamentales gestellt werden? 
Nicht dieser Versuch ... ist es, der uns nötig ist, sondern der (nur der walu'en 
Stellung der Eeligion im Geiste des Menschen auch subjektiv entsprechende) 
psychologische und historische Nachweis, daß alle primären Veränderungen 
menschlicher Weltanschauungen, Philosophierichtungen, Lebens-, Arbeits- 
systeme, auch die Veränderungen aller ethischen, politischen, ökonomischen 
Daseinssysteme in vorangehenden Änderungen religiöser und religiös eigen- 
gesetzmäßiger Änderungen gegründet sind (sei es in der Richtung auf das 
Wahre oder auf das Falsche). Eben da die religiösen Akte die wurzel- 
tiefsten, einfachsten, persönlichsten, undifferenziertesten Grundakte des 
menschlichen Geistes sind — ihr je intendiertes Gottsein aber Fundament 
alles übrigen Seins, so müssen auch Variationen in diesem Zentrum des 
Menschen für alle andern menschlichen Erkenntnis-, Kultur- und Arbeits- 
formen zum wenigsten einen Spielraum abstecken auf alles je in dieser 
religiösen Anschauungsart Mögliche der genannten außerreligiösen Dinge' 
(E 582/583). 



56 in. Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

Mit dieser Zentralstellung der Liebe hängt es dann auch zu- 
sammen, daß Scheler nichts von einer ,Liebespflicht' oder ,Liebes- 
gesetz' oder ,Liebesgebot' im eigentlichen Sinne wissen will 
(M 224 ff.), wie er auch korrelat eine ,Glaubenspflicht' oder 
, Glaubensgebot' im eigentlichen Sinne verwirft; denn in seiner 
Terminologie ist , Glauben' nicht beschränkt auf die Annahme 
einer positiven Offenbarung Gottes, sondern ist die Haltung der 
Seele überhaupt, in der sie das in der Liebe aufleuchtende 
jHeilige' aufnimmt, also eine allgemeine Hingabehaltung des ge- 
samten Menschen (E 560 ff.) ^. Die näheren Ausführungen über 
diese Punkte zeigen, daß Scheler unter einer »Verpflichtung' ^ ein- 
seitig eine solche versteht, bei der der Liebesakt bzw. Glaubens- 
akt etwas direkt Erzwingbares wäre; denn er gibt klar eine 
Verpflichtung zu, all die Vorbereitungsakte zu setzen, aus 
denen tatsächlich der Liebesakt bzw. Glaubensakt erfolgt. 
Darüber aber geht auch der Sinn der diesbezüglichen theo- 
logischen Aufstellungen nicht hinaus ; denn eine Verpflichtung 
zum Liebesakt oder Glaubensakt als innere Akte (darum 
allein handelt es sich bei Scheler) hat einen ganz andern Sinn 
als eine Verpflichtung zu äußern Akten, weil es sich in Innern 
Akten um Zentralrichtungen der innersten Gesiimung handelt, 
die, um echt zu sein, organisch aus ihren Innern Bedingungen 
herauswachsen müssen; darum sind ja auch die Liebes- bzw. 
Glaubensgebote (soweit es sich um die Innern Akte handelt) 
nach theologischer Lehre erst der Ausdruck einer innern Not- 
wendigkeit, indem ihre ,necessitas praecepti' sich auf eine vor- 
hergehende ,necessitas medii' gründet. Und auch diese ,ne- 
cessitas medii' besagt nur, daß die betreffenden Akte faktisch 
heilsnotwendig sind, so daß das aus dieser ,necessitas medii' 
erfolgende Gebot im eigentlichen Grunde einen negativen 
Aussagesinn hat , d. h. die Aussage enthält : einer , der die 

1 Vgl. 3. Kap., § 3, Nr. 3 c. 

^ Über Schelers einseitigen Pflichtbegriff im allgemeinen vgl. M. Witt- 
mann, M. Scheler als Ethiker (Düsseldorf 1928) 48—84. 



Liebe als neutestamentliches Eigensttick. 57 

betreffenden Akte nicht erweckt, kann das Heil nicht er- 
reichen. Es ist aber nicht der Sinn der betreffenden Gebote, 
daß nun schlechthin diese Akte gesetzt werden müssen, son- 
dern nur dann, wenn, wie z. B. beim Glaubensakt, der Mensch 
die ehrliche Überzeugung hat, daß er sie mit gutem Gewissen 
setzen könne und müsse (,iudicium credibilitatis et credentitatis' 
beim Glaubensakt!). Mithin kommt auch die theologische Lehre, 
was den positiven Sinn der betreffenden Gebote angeht, auf 
die Schelersche Formulierung einer Verpflichtung zur Setzung 
der die betreffenden (innern) Akte organisch erzeugenden Vor- 
bereitungsakte hinaus. Denn nach kirchlicher Lehre sind eben 
auch Glaube (hier natürhch im strengen Sinn) und Liebe die 
Zentralhaltung religiösen Lebens, was im Terminus der ,fides 
caritate formata' zum Ausdruck kommt, bei Blemens-Augu- 
stinus aber in dem Wechselspiel von ,credere' und ,diligere', das 
ihr System der innern religiösen Entwicklung kennzeichnet^. 
Die betreffende Polemik Schelers verfehlt also ihren Zweck 
und dient nur schweren Mißverständnissen. 

Was aber ist nun zu dieser ganzen Liebeslehre Schelers zu 
sagen? — Zunächst dürfte sie kaum ein genügendes Funda- 
ment in der von ihm mehrfach berührten (UW I Nr. 2 ; S W I 
Nr. 5 u. 6) Johannes-Augustinuslehre vom Wesen Gottes als 
der Liebe haben. Scheler stellt das Verhältnis dieser Lehre 
zu der bisherigen Gottesauffassung (der jüdischen wie der an- 
tiken) so hin, als ob durch das ,Gott ist Liebe' eine funda- 
mentale Wandlung im Gottesbegriff überhaupt vorgenommen 
sei, als ob von nun an alle weiteren Bestimmungen des Wesens 
Gottes aus dieser Grundbestimmung abzuleiten seien. Bei 
näherem Zusehen aber dürfte sich denn doch ergeben, daß 
jener Satz des ersten Johannesbriefes nur eine sozusagen kurze 
Formel für die positive neutestamentliche Erlösungstat Gottes 
ist. Denn eine Betrachtung der Stellung dieses Textes im 



^ Vgl. des Verfassers ,Einführung in Newmans "Wesen usw.' 59 f. 



58 IH- Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion, 

ersten Johannesbrief selbst und weiter seiner innern Beziehungen 
zum Johannesevangelium zeigt, daß Gott darum Liebe ge- 
nannt wird, weil ,er seinen eingeborenen Sohn dahingab'. Die 
innere Beziehung der Nächstenliebe zu diesem Datum von Gott 
als Liebe ist aber zunächst durch die neutestamentliche innere 
Beziehung zu Christus gegeben, da wir ,einander lieben' sollen, 
,wie er uns geliebt hat', da wir ,in ihm eins' sind und da wir, 
wie die Paulusbriefe es ergänzend ausführen, , Glieder seines 
Leibes' sind; dieser letzte Gedanke des ,Haupt und Leib Ein 
Christus' ist dann überhaupt in der Patristik der fast durch- 
gehende theologische Unterbau der Nächstenliebe. Die Texte 
Joh. 1, 18 und 1 Joh. 4, 12, die beide mit dem gleichen ,Gott 
hat niemand jemals gesehen' beginnen, um dann in Joh. 1, 18 
mit der Person Christi, in 1 Joh. 4, 12 mit der Liebeseinheit 
in Christo fortzufahren, zeigen mit dem Mittelbegriff des ,Leibes 
Christi', wie uns scheinen möchte, recht deutlich den begrenzt 
neutestamentlichen Charakter des Wortes ,Gott ist Liebe'. Das- 
selbe ist nach unsrem Bedünken bei Augustinus der Fall, bei 
dem die Tractatus in loh. und Enarr. in Ps. zeigen dürften, daß 
nur darum ein Erkennen, ja sozusagen Sichtbarwerden Gottes in 
der Liebe gelehrt wird, weil das Korrelatstück dieser Lehre die 
so auffallend stark betonte Einheit aller in Christus ist, das ,Haupt 
und Leib Ein Christus', so daß das Sichtbarwerden Gottes in 
der Liebe eben das Sichtbarwerden Gottes in Christo ist^. 

Li dieselbe Richtung einer neutestamentlichen Beschränkung 
des , Gott-Liebe' dürfte auch der Umstand weisen, daß die Lehre 

^ Die näheren Texte usw. vgl. in des Verfassers ,Himmelreich der Seele' 
IV, Kap. 4, und V (Freiburg 1923). Dazu kommt noch (vgl. Anhang § 2, Nr. 1), 
daß Augustinus ebenso wie Klemens (und damit praktisch die Patristik) 
platonisch eingeschränkt bleiben und nicht, wie Scheler es darstellt, 
einen Gott, der wesenhaft Liebe ist, dem platonischen Gott der Wahrheit 
entgegenstellen. Der Unterschied ist, geistesgeschichtlich gesprochen, inner- 
halb ,Gott-Walu"heit', indem Klemens und Augustin in steigendem Maße 
die Liebe innerlich mit der Wahrheit verknüpfen bis zur Höhe der Lehre 
der Tract. in loh., daß die ,Wahrheit' in der ,Liebe' aufleuchte, weil eben 
Gott Caritas-Lux ist, Wahrheit als Liebe und Liebe als Wahrheit. 



Liebe nicht Scliöpfungsgrund. 59 

von der Liebe als Funktion in der persönlichen religiösen Er- 
kenntnisbildung und Entfaltung bei Klemens und Augustinus 
sich ausschließlich auf die Bildung und Entfaltung des 
Heilsglaubens im strengen. Sinn bezieht, nicht aber, wie Scheler 
es möchte, auf religiöse Erkenntnis überhaupt. Es liegt also 
auch hier der Liebesfaktor wieder nur innerhalb positiver neu- 
testamentlicher Bedingtheiten, und es ist nicht zu sehen, wie 
aus diesen einmaligen positiven Gregebenheiten ein Schluß mög- 
lich wäre auf absolute, notwendige Wesensverhältnisse in Gott 
und göttlichen Dingen überhaupt. 

Aber auch prinzipiell philosophisch steht vor allem Augustinus 
Scheler gegenüber. Denn Augustinus lehrt so wenig eine dem 
Erkennen vorausgehende Liebe (wie Scheler von ihm behauptet), 
daß er seine Trinitätsspekulation vielmehr geradezu auf das 
der Liebe vorausgehende Erkennen aufbaut, darum fast durch- 
gehend den Heiligen Greist als ,die Liebe' hinstellt (z. B. De 
Trin. 15, 17, 31 ; Serm. 34, c. 2, 2) und schließlich scharf for- 
muliert : ,Nicht liebt man, was man in keiner Weise kennt. 
Aber wenn man liebt, was man nur ganz wenig kennt, so be- 
wirkt die Liebe, daß man es besser und vollständiger erkennt' 
(In loh. tract. 96, 4). 

Was die christliche Lehre ,Gott hat die Welt aus Liebe er- 
schaffen' betrifft, auf die Scheler sich beruft als Konsequenz aus 
dem ,Grott-Liebe', so dürfte zu sagen sein, daß dieser Ausdruck, 
wie er zuletzt im Vaticanum seine Prägung fand, zunächst nur 
etwas Negatives bedeutet, nämlich die Aussage, daß Gott der 
Welt in keiner Weise bedurfte, was gegenüber allen Formen 
des Pantheismus (die gerade in diesem Abschnitt vonVat. sess. 8, 
cap. 1 behandelt werden) festzustellen war. Positiv aber besagt 
der Ausdruck , mitteilende Güte' nur das faktische ,Schenken 
des Seins'; über die vorwaltende innere Intention vermögen 
wir darin nichts zu sehen. Denn die Scholastik, der ja ge- 
rade dieser Begriff von der ,Schöpfung aus Liebe' entstammt, 
hat es nie unternommen, von hier aus eine innere Verknüpfung 



60 IIL Wertfühleft und Selbständigkeit der Religion. 

von Schöpfer und Schöpfung gerade in der Liebe aufzustellen; 
die Verknüpfung, die sie lehrt, ist vielmehr rein die platonisch- 
aristotelische (nach Sein und Erkennen der ,ideae universales'), 
die gerade nach Scheler derjenigen entgegengesetzt ist, die aus 
dem Satze von der ,Schöpfung aus Liebe* folgerichtig sich er- 
gibt (SW 1 135 ff.). Ebenso lehrt die Scholastik gewiß eine 
theologische Liebe, die Gottes- und Nächstenliebe sei, und das 
aus dem Wesen Gottes heraus. Aber 1. ist diese Liebe wesent- 
lich Liebe ,zu' Gott (also gerade das, was Scheler nicht will 
oder wenigstens aufgelöst wissen will in das Lieben ,in' Gott, 
weil eben Gott der Liebesaktus ist, an dem wir geistig teil- 
nehmen, indem wir lieben), 2. ist diese Liebe für die Scho- 
lastik durchaus nicht erkenntniserzeugend, sondern erkenntnis- 
gezeugt (im Sinne des ,nil volitum, nisi praecognitum'), 3. end- 
lich ist die eingeschlossene Nächstenliebe nicht eine Liebe zum 
Nächsten, insofern er Eigenwert hat, sondern eine Liebe zu 
Gott, insofern er sich im Nächsten manifestiert; nicht (wie 
Scheler will) ein ,amare proximum in Deo', sondern ein ,amare 
Deum in proximo'; das Erste ist nach Thomas (quaest. disp. 
de car. a. 3 5 7) ,dilectio humana imperata per caritatem' und 
nur das Zweite ,dilectio caritatis'. Das patristische ,diligere 
proximum in Christo' ist natürlich unter diese, aus dem Gottes- 
begriff erfolgenden Wesensnotwendigkeiten nicht einreihbar, 
da es auf der einmaligen positiven Tatsächlichkeit des 
,caput et corpus unus Christus' beruht, das nicht Übernatur 
und Mysterium wäre, wenn es sachnotwendig sich begründen 
ließe. Handelt es sich nur um eine faktische Einreihung 
unter die beiden obigen Arten eines ,amare proximum in Deo' 
und ,amare Deum in proximo', so könnte man vielleicht sagen, 
daß das spezifisch christliche ,diligere proximum in Christo' 
in der Mitte beider liege, wie auch der Gottmensch selbst die 
Mitte ist, in der Gott und Mensch sich begegnen. Auf der 
andern Seite ist es aber auch nicht richtig (wie Scheler will), 
daß Thomas die Liebe einfachhin als ,Streben nach' fasse. 



Erkennen vor Liebe. 61 

Thomas faßt vielmehr die eigentliche Liebe als ,Einssein' oder 
,Vereintsein' (Quaest. disp. de car. a. 1 ad 2 3; a. 9 ad 3 7; 
2, 2, q. 25, a. 12 ad 5 usw.). Es ist mithin auch, und gerade 
von Thomas aus, ein Erkennen aufstellbar, das erst in und aus 
diesem Einssein der Liebe sich entfaltet. Daß aber dieses Eins- 
sein der Liebe selber ,irgend ein' Erkennen voraussetze, darin 
stimmt, wie wir sehen, Thomas gerade mit Augustinus überein. 
So entbehrt also die Person-Liebe-Lehre Schelers, soweit sie 
dem Seinsstandpunkt von Patristik-Scholastik sich entgegen 
stellt, jenes historischen und theologischen Fundaments, das sie 
für sich in Anspruch nimmt. Yom rein philosophischen Stand- 
punkt aus aber gelten die Gründe, die wir im Folgenden gegen 
Schelers Dualismus von Wert und Sein, der das philosophische 
Fundament des Person-Liebe-Systems bildet, vorzulegen haben 
werden. Dabei bleibt jedoch ein wahrer Kern dieses Systems, 
wie er in Augustins ,Erkenntnisentfaltung in der Liebe', 
in Thomas' Liebe als ruhendes ,Einssein', in Suarez' Indivi- 
duationsauffassung des ,possibile individuale' angelegt und vor- 
ab in Newmans Lehre von den moralischen ,Einstellungen' 
(,dispositions') und persönlichen , Grundrichtungen' (,first prin- 
ciples') entfaltet ist. Dadurch, daß hier prinzipiell ein ,irgend- 
welches' (,ex quantulacunque parte') Erkennen der Liebe vorauf- 
geht, ist zunächst der Grundgegensatz der Schelerschen Person- 
Liebe-Korrelation zur thomistischen Ideen-Erkennen-Korrelation 
beseitigt, nämlich der Gegensatz von ,Liebe vor Erkennen' und 
»Erkennen vor Liebe'. In der Konsequenz des Suarezschen In- 
dividuationsprinzips aber bleibt das Individuum bzw. die Person 
das letzte und entscheidende Erkenntnisobjekt, dem auch die 
Allgemeinbegriffe letztlich dienen, da alle Wirklichkeit Indi- 
viduum und nicht Genus ^ und der Wirkliche schlechthin 
(Gott) »Persönlichkeit' ist. Diesem letzten Personcharakter von 
Schöpfung und Schöpfer gegenüber ist dann im konkreten 



^ Das ,Allgeineine' (,universale') ,grimdet im' Wirklichen nur. 



52 III. Wertfühlen und Selbständigkeit der Eeligion. 

Vorgang die Einstellung der Liebe freilich die notwendig 
entsprechende Einstellung, wie die Erfahrung lehrt, — aber 
(wie die gleiche Erfahrung lehrt) die Einstellung einer Liebe, 
die erstens innerlich polarisiert ist durch den Abstand der 
Ehrfurcht, und die zweitens die ,Erkenntnis' nicht irgendwie er- 
zeugt, sondern nur die Gesamthaltung des konkreten Menschen 
ist, in der er befähigt ist, gesund und richtig zu erkennen. 
So ist das Person-Liebe-System in dieser prinzipiellen Um- 
formung sozusagen das Korrelationssystem des konkreten 
Vorgangs, während das alt-thomistische Ideen-Erkennen- 
System in seiner suarezischen Weiterbildung zum Person- 
Erkennen- System (wie wir es früher kurz skizziert haben) 
das Korrelationssystem des theoretischen ,an sich' bildet; 
Grott-Persönlichkeit und die letztlich personalistische Schöpfung 
sind theoretisch , an sich' dem reinen Vernunfterkennen durch- 
auszugänglich, aber im konkreten Vorgang bedarf es zu einem 
störungslosen Funktionieren dieses Vernunfterkennens der Liebe- 
Ehrfurcht-Einstellung des erkennenden Gresamtmenschen. Liebe- 
Ehrfurcht ist nicht Wurzel des ,Erkennens an sich', aber Gre- 
samteinstellung, in der das Erkennen störungsfrei abläuft: 
,die Liebe bewirkt, daß man besser und vollständiger erkennt' 
(Augustin), weil eben ,Individuum' und ,Person' der letzte 
und zentrale Erkenntnisgegenstand sind^. 

Von hier aus gewinnen wir nun zuletzt auch die ersten 
Grundlagen einer Theorie über den konkreten Vorgang der 
Gotteserkenntnis. Weil im Blickpunkt des Gottsuchers tat- 
sächlich derjenige steht, der, wenn Er ist und als solcher er- 
kannt wird, die volle Hingabe fürchtender Liebe und liebender 

^ Dieser Standpunkt berührt sich in manchem mit Edith Landmanns 
, Gesamterkenntnis' (Transzendenz des Erkennens 238 ff.), untex'scheidet sich 
aber wesentlich durch die Trennung von reinem Vernunfterkennen als ,Er- 
kenntnisorgan' und Liebe-Ehrfurcht als , Gesamteinstellung des erkennenden 
Menschen', während für Landmann in fast Keyserlingscher Formulierung 
das höhere menschliche Sein selber zu einer Art letzten Erkenntnisorgans 
zu werden droht (ebd. 291 f.). 



Person-Liebe und Person-Erkennen, 63 

Furcht (in Augustinischer Formel) verlangt, darum wird im 
Gottsucher, damit er vorurteilsfrei den Verstandesgründen für 
das Dasein Gottes lauschen könne, Liebe und Furcht schon 
keimhaft angelegt sein als die dem vorliegenden Forschungs- 
objekt angemessene Haltung. Es ist mithin ,Liebe und Furcht' 
nicht eine innere Bedingung oder gar Ursache des theore- 
tischen Gotterkennens ,an sich', sondern nur dadurch bedingt, 
daß mit diesem theoretischen Gotterkennen unlöslich das prak- 
tische Gottanerkennen verknüpft ist. Von diesem praktischen 
(daher willensmäMgen) Gottanerkennen sind ,Liebe und Furcht' 
sozusagen der vorausgeworfene Schatten. In eine ähnliche 
Richtung führt auch eine Erwägung über den Sinn des neu- 
testamentlichen Satzes ,Gott ist Liebe' selbst. Denn daraus, 
daß dieser Satz ein spezifisch neutestamentlichör ist, folgt, daß 
er auf dem Hintergrund des Alten Testamentes zu verstehen 
ist, daß für ihn ebenfalls, das Ergänzungsverhältnis der beiden 
Testamente gilt, und daß mithin die religiöse Gesamthaltung (wie 
gerade Augustin, der Kirchenvater der Liebe, sie faßt), ,Furcht 
in Liebe und Liebe in Furcht' sei. Diese religiöse Haltung ist 
dann auch rein metaphysisch ableitbar, da sie nur der willens- 
mäßige Ausdruck des erkenntnismäßigen Datums von Gott als 
dem ,über allem und in allem Seienden' ist, wie wiederum gerade 
Augustin. ihn faßt und mit ihm die sonstige Patristik (vgl. z. B. 
die weitgehenden Paraphrasen Gregors des Großen darüber in 
seinen Moralia usw.). Zwischen ,Gott in allem und über allem' und 
,fürchtender Liebe und liebender Furcht' besteht also, theologisch 
wie rein ihetaphysisch gesehen, eine Art innerer Korrelation ^. 
Vielleicht daß Schelers ,Liebe' im Grunde in die Richtung 
derselben Lösung weist. Denn er verknüpft mit der Liebes- 



^ Vgl. des Verfassers ,Einfülirimg in Newmans Wesen usw.' 91 f. ; Meta- 
physik und Religion' (Stimmen der Zeit CIV [1922/23 II] 132-140); .Himmel- 
reich der Seele' IV, 1. Kap. ; ,Gott in uns und Gott über uns' (Stimmen 
der Zeit CV [1922/23 II], August); ,Worte von der Liebe' l'und 3 (Seele V 
[1923] April und Juli). 



54 ni. Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

haltung die Demutshaltung imd vorab die Bhrfurchtshaltung 
(ÜW I Nr. 1), wenn er auch ein Ineinanderfließen von Liehe 
und Furcht zur ,Bhrfurcht' ablehnt; ,das Wort Ehrfurcht ver- 
führe uns nicht, sie für eine Mischung von Furcht und scheuer, 
liebender Verehrung zu halten' (ebd. 36). Er scheint jedenfalls 
selber zu fühlen, wie die Liebeshaltung (vorab wenn sie rein als 
,schenkende Liebe' gefaßt wird) zu ihrer Ergänzung einer Seelen- 
haltung bedarf, in der sowohl die Relation ,kindlichen Emp- 
fangens vom allesschenkenden Gott' wie die der steigenden Un- 
begreiflichkeit des Allein -Sich -Begreiflichen zum Ausdruck 
kommt. 

,Die Demut ist die Tugend, die, indem sie den Demütigen tiefer und 
tiefer sich nieder- und herabsinken läßt — vor sich selbst — und durch 
sein Selbst hindurch vor allen Dingen, geradewegs in den Himmel hinein- 
führt. Denn Demut ist nichts anderes als der resolute Blick auf die Linien 
unsres Selbst, die es zum Idealischen seines individuellen Wesens hinzu- 
steuern scheinen, und deren Schnittpunkt im Unsichtbaren liegt — in Gott. 
Sie ist ein fortwährendes Sichsehen in Gott und durch das Auge Gottes, 
ein wahrhaftes Wandeln unter dem Auge des Herrn. . . . (Es) ist für den 
wahrhaft Demütigen dauernd das Bild gegenwärtig, welches er die auf ihn 
abzielende Bewegung der Liebe Gottes von seiner eigenen Individualität in 
jedem Moment neu vorzeichnen und gleichsam vor sich hertragen fühlt. 
Wie könnte er anders als in jedem seiner empirischen Lebensmomente sich 
als ganz dunkel und klein wissen vor dem Glänze und der Größe dieses 
Bildes? Indem er in der Sphäre seines Bewußtseins tiefer und tiefer, im 
Eindringen in dies göttliche Bild, — hinabsinkt und sich erniedrigt sieht, 
reißt ihn faktisch das schöne Bild zu Gott empor und steigt er leise in 
der Substanz seines Wertes empor in den Himmel. . . . Eben als die duf- 
tigste Blüte der christlichen Liebe ist die Demut die christliche Tugend 
katexochen und in ihrer reinsten Prägung ist sie nur der zarte Schattenriß, 
den die Bewegung der heiligen, gottbezogenen Liebe auf die Seele zurück- 
wirft. Und das ist allein diese Liebe zur Welt und Gott und den Dingen 
aus Gott heraus, und die „Liebe in Gott" (das «amareDeum etmundumin 
Deo" der Scholastiker), diese schöne Selbsterniedrigung, die den angeborenen 
Star unsres Geistes sticht und das volle Licht aller nur möglichen Werte 
in uns hereinfluten macht' (UW 123/24; vgl. ebd. 18 und E 58). 

,Der Gott, den die Christen anbeten, ist „Dens absconditus". Er ist ver- 
borgen, und eben diese seine Verborgenheit, dieses sein ewiges Hinausfließen 
über das Blickfeld der Anbetung auch des Heiligsten und Frömmsten, diese 
gefühlte unendliche Ferne der Erstreckung Gottes über den Horizont unsrer 
Anbetung und unsres Gebets hinaus, ist selbst noch ein Phänomen, das 



Sein und Liebe. 65 

sein uns zugewandtes Antlitz geheimnisvoll umrauscht. Dies vergessen 
ebenso oft die Bationalisten wie die Mystiker. Beide haben eine allzu 
rasche Art, sich Gott anzubiedern ; diese mit den Begriffen, in die sie ihn 
anatomisieren, jene mit dem Gefühl, in dem ihnen Gott den Busen zu dehnen 
scheint Auch die Scham ... ist das plötzliche Innewerden und Sich- 
aufdrängen der endlichen Seite unsres Wesens inmitten geistiger Aktvollzüge, 
in denen wir ewige, göttliche Gesetze zu verwirklichen meinen, Gesetze, 
die mit der Endlichkeit und Bedürftigkeit des Ausgangsputiktes eben dieses 

Aktes, — auf den wir nun plötzlich zurücksehen, — nichts zu tun haben 

So haben Scham und Ehrfurcht ein und dieselbe Wurzel : beide sind ein 
unmittelbares Innewerden der Bruchstellen, an denen ein Strahl des un- 
endlichen Geistes sich an einer engen bedürftigen Artorganisation des Lebens 
bricht imd uns nur das für diese Organisation Wichtige aufleuchten läßt" 
(UW 1 32-38). 

Damit aber ist gegenüber dem Liebesprimat Sohelers eine 
ganz neue Position gewonnen, die ihn innerlich überwindet. 
Denn nicht die Liebe ist nun das metaphysische Zentrum, sondern 
das Sein. Die ,analogia entis' als Ausdruck des Verhältnisses 
zwischen Schöpfer und Geschöpf, ist der objektive Konnex und 
Kontakt zwischen ihnen, und die ,Liebe' in der Umformung zu 
,Liebe in Furcht und Furcht in Liebe' ist nur die entsprechende 
Seelenhaltung für den konkreten, lebendigen Menschen, 
der dieses Verhältnis von Geschöpf und Schöpfer erkennen will. 
Aber nicht die Liebe erkennt, sondern die Vernunft; und nicht 
die Liebe ist die Wurzel des Erkennens als Erkennens, sondern 
nur die Seelenhaltung, die dieses Erkennen vor störenden Ein- 
flüssen schützt, wie Newman es ausführt. So ist, in dieser Um- 
formung, nicht bloß das Bedenkliche emer sozusagen ,sub- 
stantialen Liebe' beseitigt, sondern auch jene Lehre vom Ur- 
sprung des Erkennens und WoUens aus der Liebe, die, ganz 
abgesehen von ihrer philosophischen Unmöglichkeit, doch auch, 
trotz aller Unterscheidungen, mit der Dreipersönlichkeitslehre 
in Schwierigkeiten gerät. Beibehalten aber ist die eigentliche 
lebenswirkliche Beobachtung, die in Schelers System als ver- 
absolviert erscheint, die Lehre von der ,Liebe', wenigstens in 
ihrer Umformung in ,Ehrfurcht-Liebe', als der Innern Seelen- 
haltung des konkreten, lebendigen Menschen, der erkennt, 

Przywara, Eeligionsbegründung. 5 



QQ III. Wertfühlen und Selbständigkeit der Eeligion. 

— im Unterschied von einer nicht haltbaren innern Bedingt- 
heit des jErkennens' in seiner abstrakten Isoliertheit und so- 
zusagen ,an sich'. Damit aber haben wir bereits die Grund- 
gedanken des folgenden Abschnittes vorweggenommen. Erst 
dieser kann die an die Wurzel gehende Widerlegung und Um- 
formung der Schelerschen Liebeslehre bringen. 

§ 2. UnaWeitbarkeit der Werte. 

1. Wert als Apriori von Ethik und Religion. 

So sind wir bereits mitten in der Behandlung des zweiten 
Grundsatzes der Schelerschen Wertlehre: von der Un ableit- 
barkeit der Werte sowohl vom Wahrheits- und Seinsbegriff 
als auch voneinander. Wie wir im ersten Kapitel sahen, ist 
dieser Grundsatz schon das Hauptthema der Doktordissertation 
Schelers. In Bezug auf die Ethik ist er dann in der ,Materialen 
Wertethik' durchgeführt, in Bezug auf die Religion im ,Ewigen 
im Menschen', wo die Scheidung von Metaphysik und Religion 
letztlich nur der Ausdruck für die Unableitbarkeit des religiösen 
Wertes, des ,Heiligen', ist. Mit Hilfe des ersten Teiles dieses 
Grundsatzes (Unableitbarkeit vom Wahrheits- und Seinsbegriff) 
wird die vermeintlich platonisch -aristotelisch -augustinisch- 
scholastische ^ Grundlegung von Ethik und Religion abgelehnt, 



^ A u c h die augustinische ! So deutlich für die Ethik in M 166 ; in 
Bezug auf die Eeligion lehnt E 623/624 gerade den nach Joh. Hessen spe- 
zifisch-augustinischen Gottesweg der ,veritates aetemae' scharf ab, wenn 
er schreibt : ,Man kann die Wahrheit nicht mit Gott so identifizieren, wie 
es Augustin versuchte, ohne den persönlichen Gottesgedanken. zu Gunsten 
eines bloßen Piatonismus preiszugeben. Und man kann ebensowenig be- 
haupten, es sei im Aktvollzuge der Wesenserkenntnis der Dinge selber 
schon ein begleitendes Bewußtsein oder evidentes Erlebnis davon gegeben, 
daß dieser Akt selber durch die ewige Vernunft so kausiert. werde, wie es 
im Sinne des Augustinischen „Omnia cognoscere in lumine Dei" gelegen 
wäre. Vielmehr handelt es sich nicht um ein Erlebnis, sondern um eine 
nachträgliche Deutung des Erkenntnisaktes und nicht um eine Deutung, 
die uns zu einer Erkenntnis Gottes erst hinführte, die wir noch nicht 



Zwischen alter und neuer Wertlehre. 67 

mit Hilfe des zweiten Teiles (Unableitbarkeit usw. der Werte 
voneiaander) die üblichen Theorien der neueren Philosophie, 
von Kant angefangen, die teils den religiösen Wert auf ethische, 
teils auf kulturelle, teils auf vitale Werte zurückführen, und 
ähnlich in Bezug auf die ethischen Werte. Diese ,Unableitbar- 
keit' hat aber ihre Ergänzung im Gesetze des ,Fundierens': 
das Seinserfassen ist auf das Werterfassen ,fundiert' und inner- 
halb der Werte fundiert der jeweils höhere Wert den jeweils 
niederen. 



besitzen, sondern um eine Deutung, deren inneres Recht der religiöse An- 
schauungs- und Glaubensakt aus seiner selbständigen Evidenz heraus trägt 
und zu verantworten hat — die also eine anderweitige Gegebenheit der 
Überzeugung vom Dasein und Wesen Gottes bereits voraussetzt.' 

Wie Scheler den sog. spezifischen Augustinusweg aus der Wahrheit 
abweist, so auch den sog, spezifischen Newmanweg durch das Gewissen. 
,Die Sanktionierung eines nicht religiösen Gutes (z. B. der sittlichen Güter 
als heilig, einer Pflicht als heilig, eines Bösen oder moralischen Norm- 
widrigen als Sünde) ist freilich möglich und religiös notwendig; es setzt 
aber die Gegebenheit der spezifisch religiösen Werte immer schon voraus. 
Ein Sittengesetz wii'd heilig erst, sofern es durch die Würde seines heiligen 
Gesetzgebers als einer vollkommenen Person diese Qualität erhält — eine 
Voraussetzung, die nicht — wie Kant meint — aus der Gegebenheit eines 
kategorischen Imperativs durch Postulate zu gewinnen ist. Das Postulat 
eines Gesetzgebers X diesiss Gesetzes und eines den Anspruch auf Vergel- 
tung erfüllenden sittlichen Weltordners X greift in die leere Luft, wenn an 
Stelle dieses X nicht schon eine positive und inhaltsvolle — und zwar 
religiös inhaltsvolle — Idee von Gott und femer die Realität eines dieser 
Idee entsprechenden Gegenstandes vorgegeben ist' (E 629/630). 

Es hat also, wofern man Augustins Gottesweg so versteht wie Joh. 
Hessen und Newmans Gottesweg als ausschließlichen Gewissensweg faßt, 
was aber nicht den Tatsachen entspricht, konsequent keinen Sinn, Schelers 
Gottesweg mit Augustinus und Newman in Verbindung zu setzen. Eine 
,Art' Verwandtschaft besteht mit Augustinus in der ,erkennenden Liebe' 
(wie wir oben sahen) und mit Newman in den ,moralischen Einstellungen'. 
Aber auch hier sind in Wirklichkeit mehr Unterschiede als Gemeinsam- 
keiten, da, wie schon erwähnt, die ,erkennende Liebe' Augustins ein rein 
neutestamentliches (nicht wesensmenschliches) und innerhalb der Entfaltung 
vorher gegebenen Offenbarungsglaubens liegendes Datum ist, die .mora- 
lischen Einstellungen' Newmans aber nicht erkenntniszeugend, sondern er- 
kenntnisrichtend sind. Vgl. Anhang § 2 und des Verfassers ,Einführung in 
Newmans Wesen usw.' 43—57. 

5* 



68 in. Wertfühlen und Selbständigkeit der Eeligion. 

Yersuchen wir zuerst eine negative Abgrenzung der Lehre 
Schelers. Er vertritt zunächst keinen kantischen Formalismus, 
weil nach ihm, genau so wie nach der Scholastik, das Inhalt- 
liche von Grut und Böse objektiv gültig ist; das ist ja die 
ganze Tendenz der ,Materialen Wertethik' gegenüber dem 
formalen Gesolltsein Kants. 

Ebensowenig lehrt er eine kantische Autonomie des Ethischen ; 
denn kraft des Fundierungsgesetzes (M 93) sind die Werte 
Gut-Böse im ,Heiligen', d. h. in Gott fundiert. 

jAlle mögliclien Werte aber sind fundiert auf den Wert eines unend- 
lichen persönlichen Geistes und der vor ihm stehenden Welt der Werte. 
Die Werte erfassenden Akte sind selbst nur die absolut objektiven Werte 
erfassend, sofern sie in ihm vollzogen werden, und die Werte nur absolute 
Werte, sofern sie in diesem Keiche erscheinen' (M 94). 

Ebensowenig verfällt Scheler der kantischen Moralisierung 
der Eeligion, nach der Religion = Moralität wäre; denn kraft 
des Gesetzes von der TJnableitbarkeit der Werte voneinander 
ist der religiöse Wertbereich nicht aus dem ethischen ableit- 
bar, sondern fundiert ihn nur. Durch die gegenseitige Er- 
gänzung beider Sätze (vom Fundieren und von der TJnableit- 
barkeit) wird also sowohl eine religionslose Moral wie eine 
Religion als Moral abgelehnt. 

,In ihren vollkommenen Stufen sind Religiosität und Moralität nicht 
wesensunabhängig, sondern wesensabhängig von einander; dies heißt in 
keinem Sinne identisch — weder von der Seite der Religion her, wie Luther, 
noch von der Seite der Moralität her, wie Kant fälschlich annahm' (B 634 
bis 635)'. ,Ein (vollkommenes) sittliches Wollen ohne Hinblick auf Gott 
ist erstens eine innere Sachunmöglichkeit. . . . Denn vollkommenstes sitt- 
liches Wollen ist (der Idee nach) das Wollen der Person, die den evident 
höchsten der Werte — die Heiligkeit in Form des Personwertes (mehr oder 
minder adäquat) verkörpert. Die heilige Person ist aber zugleich die 
Person, die sich — sofern und soweit sie heilig ist — in ihrem konkreten 
Aktzentrum mit dem höchsten Gut, das als höchstes selbst heilig in un- 
endlicher und absoluter Form und Wertperson ist, als partiell geeinigt 
nicht , realiter", aber hinsichtlich des Wesens ihres Aktzentrums (also auch 
seiner Aktinhalte) evident erlebt und weiß. Ebenso aber gilt: Bin (voll- 
kommen) religiöses Verhalten ist — obzwar es nicht definierbai* ist durch 



Scheler gegen Kant in der Wertlehre. 69 

sittliches Verhalten oder auf es aufgebaute Beweise oder Postulate * — 
evident unmöglich, ohne daß es vollkommen sittliches Verhalten in sich 
schließt. Denn vollkommen ist religiöses Sein und Verhalten erst, wenn 
die menschliche Person im erkennenden Akte des Wertvorzugs und im 
Willensakte der Realisierung des evident vorzüglichen Wertes auch das 
^summum bonum", d. h. aber (nach den ontisch und axiologisch gültigen 
religiösen Wesenszusammenhängen) den absolut heiligen personhaften Gott 
als den Herrn des Seins (im Vorzugsakte) mit vor dem Blick des Geistes 
hat; im Akt der Realisierung das Vorgezogene aber aus dem Wollen Gottes 
heraus („velle in Deo") selber will und verwirklicht — nicht bloß diesem 
Wollen Gottes auf Grund eines Befehles oder Gesetzes Gehorsam leistet' 
(E 633/634). ,Da in jeden religiösen Akt der Akt sittlicher Werterkenntnis 
Gottes (Gottes als des Guten) eingeht und alles sittliche Erkennen im Maße 
als es unmittelbar und adäquat ist, notwendig zwar nicht das Dasein, 
aber das Sosein des Willensaktes bestimmt, ist mit jeder bestimmten kon- 
kreten Ausprägung dieses höchsten Guten ein konkretes sittliches höchstes 
Vorbild auch für das Wollen gesetzt, das sogar allem, was moralische 
Regel, Gesetz usw. heißt, vorhergeht und es bestimmt*. Aber nicht nur 
dies. Das moralisch gute Wollen und Handeln nach dem je vorschwebenden 
Bilde des Göttlichen disponiert notwendig und als „conditio sine qua non" 
'auch jedes Fortschreiten des Geistes im Eindringen in die Tiefe und Fülle 
der Gottheit — der Gotteserkenntnis nach. Die Gotteserkenntnis ist die- 
jenige Erkenntnis, die am meisten von aller möglichen Erkenntnis an mo- 
ralischen Fortschritt gebunden ist. Das moralische Wollen und Handeln 
ist also nicht eine bloße Folge des religiösen Glaubens — wie Luther 
meinte — sondern es ist in jedem religiösen Akte und in jedem moralischen 
Akte eine identische Komponente von Werterkennen eingeschlossen, so daß 
in jedem religiösen Akte auch ein moralischer Akt, in jedem moralischen 
Akt auch ein religiöser Akt partiell mitgeübt wird. Wie die echte 



* Scheler lehnt (E 629 f.) einen Beweis Gottes aus den sittlichen Tat- 
sachen ab und erklärt , Gottes Stimme im Gewissen' als nachträgliche reli- 
giöse Deutung, d. h. auf Grund der Fundierung des Sittlichen durch das 
Religiöse (E 50 f . ; M 210 ff. 333 ff. usw.). 

^ Hier haben wir den eigentlichen Kern und Sinn der Schelerschen Re- 
duzierung alles sittlichen Verhaltens auf ,Person-Nachfolge' und seiner Ab- 
weisung einer letzten Reduzierung desselben auf Gesetz und Gebot: Das 
Sittliche, weil letztlich im personhaften ,summum bonum' wurzelnd und 
gipfelnd, ist auch letztlich das ,Seid vollkommen wie euer Vater im Hinunel 
vollkommen ist', ein ,sequi Deum'. Freilich (wie Scheler M 628 f. anmerkt) 
nicht ein unmittelbares ,sequi', weil eben Gott in den Geschöpfen sich 
offenbart, sondern ein ,sequi Deum' in einer Nachfolge geschöpflicher Person- 
ideale, die positiv in ilirem tatsächlichen Wertgehalt, negativ in ihrer Viel- 
falt und Begrenztheit das unendliche Personideal des personhaften ,summum 
bonum' spiegeln. 



70 III. Wertfühlen und Selbständigkeit der Beligion. 

Gesinnung (gute und böse) sich erst in der Tatbereitschaft dokumentiert, ohne 
doch erst durch die Tat ihren Wert zu empfangen, so dokumentiert sich 
auch die Glaubensechtheit erst in der Bereitschaft, das in jede Eeligion 
eingeschlossene religiöse Ethos zu verwirklichen. Das gute Wollen und 
Handeln gibt nicht nur religiöses Bewußtsein wieder, es erweitert und ver- 
tieft auch die konkrete Gotteserkenntnis mit jedem Schritte. Es ist ein 
wahrhaftes Eindringen in die Willensseite des Göttlichen, ein gesteigertes 
Teilnehmen der Person an seiner innem Dynamik auch da, wo es ohne 
das reflexe Bewußtsein verläuft, daß es ein solches sei. Und da die Wert- 
erkenntnis die Seinserkenntnis fundiert, so ist diese Art Bindringen auch 
Voraussetzung der Seinserkenntnis' (E 554/555). 

Ferner kann man aber auch Scheler nicht kantischen Immanen- 
tismus vorwerfen. Denn wie alle unsre vorhergegangenen 
Erörterungen darlegen, ist der Grundpunkt seiner Wertlehre, 
daß die objektiven Werte im Wertfühlen gegeben seien, wie 
das objektive Sein im Seinserkennen. Weiter sind ins- 
besondere ,Gott als Höchstwert' (,summum bonum') und ,Gott 
als ens a se' nur als ,entia intentionalia' zwei Objekte, als 
,ens reale' aber ein und dasselbe Objekt, das, als real dasselbe, 
der metaphysischen Brkenntnishaltung sich intentional als 
,summum bonum' gibt, der religiösen Erkenntnishaltung als 
,ens a se'. 

,Der Weg der Religion geht immer aus von dem Gehalt eines absoluten 
Heiligen und Heilskräftigen, von dem sekundär gezeigt wird, es sei dieses 
Ens a se auch der absolute Wii-klichkeitsgrund der Dinge. Der Weg der 
Metaphysik geht immer aus von einer Wesensbestimmung des absolut Wirk- 
lichen, von dem sekundär gezeigt wird, die personale Einigkeit mit ihm 
führe auch den Menschen (oder die Konformität der Dinge mit ihm führe 
auch die Dinge) zu ihrem Heile Beide entia intentionalia können da- 
her — de facto — auch weitgehend auseinandergehen, trotz ihrer apriori 
gewissen realen Identität' (E 337/338), 

Es kann Scheler aber auch nicht — und damit kommen 
wir an die schärfste Abgrenzung unsres Fragepunktes — vor- 
geworfen werden, daß er alles sittliche und alles religiöse 
Verhalten in ein Gefühlsverhalten auflöse, weil er erstens die 
Objekte von Ethik und Religion als Werte gegeben sein lasse, 
und das zweitens in einem ,Fühlen'. Denn es ist durchaus nicht 
Schelers Lehre, ethisches und religiöses Verhalten mit Gefühls- 



Vom Objekt her orientierte Wertlehre. 71 

verhalten zu identifizieren. Erstens ist nach ihm das hier in 
Frage stehende jFühlen' scharf geschieden vom subjektiv ge- 
richteten und erkenntnismäßig blinden (irrationalen) , Gefühl' 
(M 263 ff., 273 ff. usw.), und zweitens ist das ,Wertfühlen' nur 
der Quellpunkt, nicht der Gesamtinbegriff des ethischen oder 
religiösen Verhaltens. 

Das gilt für das sittliche Verhalten, insofern dem ,Fühlen 
der sittlichen Werte' die verstandesmäßige Fassung folgt, dem 
,Ethos' als Gesamtinbegriff eines im Wertfühlen gegebenen 
allgemein- oder individualgültigen objektiven ,Wertkosmos' ^ 
die ,Ethik' als verstandesgemäß geformtes TJrteilssystem des 
Ethosinhalts (M 312 ff.). 

Das gilt ebenso für das religiöse Verhalten, insofern sich in 
der vorausgehenden, objektiv auf Gott gehenden, aber dieser 
Richtung subjektiv noch nicht sich bewußten Liebe nur das 
erste Aufleuchten der religiösen Welt vollzieht, die nun durch 
Erkennen und Wollen ihre reflexe Ausgestaltung erfährt; darum 
verwahrt sich Scheler energisch gegen irgend welche Identi- 
fizierung seiner Aufstellungen mit dem ,religiösen Gefühl' der 
Schleiermacherschule oder dem Pragmatismus James' und stellt 
das religiöse Verhalten als Gesamtverhalten des ganzen Men- 
schen dar, das ,religiös' sei nicht durch irgend eine subjektive 
Aktnatur, sondern durch seinen objektiven Gegenstandssinn. 

Es sind , grundfalsche Fragestellungen . . ., ob der religiöse Akt primär 
ein Gefülil sei (z. B. Schleiermachers Gefühl der schlechthinnigen Abhängig- 
keit) oder — wie nach A. Ritschi, ein der Willenssphäre angehöriges Ver- 
halten oder — wie die alte Schule und der religiöse Rationalismus be- 
hauptet, ein Denken; femer, ob die religiöse Erfahrung durch das Unter- 
bewußte unsres seelischen Lebens vermittelt werde oder nicht. Alle diese 
Unterschiede gehen . . . am Wesen des religiösen Aktes schon darum ganz und 
gar vorbei, weil seine begriffliche Einheit die Einheit einer gegenständlich 
gerichteten Operationseinheit des Geistes ist, — also überhaupt nichts, was 
mit psychologischen Begriffen irgendwie getroffen werden könnte. Was etwa 
psychologisch — also nach möglicher innerer Wahrnehmung und Beobach- 
tung hin betrachtet — in einem Betenden vorgeht und wie es vorgeht, das 

' Vgl. S. 45 ff. 



72 IIL Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

ist für das Wesen des Gebetsaktes so gleichgültig wie das Magendrücken 
oder die Phantasiebilder eines Mathematikers, der über ein Zahlenproblem 
nachdenkt, für die Noetik des Zahldenkens ist. Der Gebetsakt ist nur 
vom Gebetssinn her zu bestimmen, und wie die psychischen Materialien 
psychologisch zusammengesetzt sind, die in diesem Akte verwendet oder 
verbraucht werden — wie sie sich etwa zusammensetzen aus Empfindungen, 
Gefühlen, Vorstellungen, Bedeutungsakten, Worten, Ausdrucksäußerungen, 
Handlungen — das geht die religiöse Noetik überhaupt nichts an' (B 365/366). 
,Eine falsche Richtung in der Wesenslehre vom religiösen Akt nimmt also 
derjenige ein, der zuerst ein sog. Seelenverniögen sucht, unter das der reli- 
giöse Akt untergeordnet werden soll: Denken, Fühlen, Streben, Wollen usw. 
Denn die Religion ist so ursprünglich religiöses Erkennen und Denken, als 
sie auch eine besondere Art des (Wert)fühlens, des (geregelten) Ausdrucks 
(in religiöser Sprache, Gebet, Kult) und des religiösen Wollens und Wandeins 
ist (im Dienste Gottes und der religiösen Moral). . . . Der religiöse Akt 
plus seinem Sinnkorrelat, das zu ihm als erfüllend gehört, bildet eine Ein- 
heit in sich selbst: z. B. Beten und Personalität Gottes, Anbeten und „sum- 
mum bonum". Religiöser Akt als Wesensart von Akten und nicht-religiöser 
Akt schneiden also als Einteilung der Akte alle Einteilungen, die aus dem 
Hinblick auf die sog. Seelenvermögen oder die seelischen Elementar- 
erscheinungen genommen sind' (E 527/528). So ist es auch nicht auf- 
fallend, daß Scheler alle ,ErlebnisphiIosophie' ablehnt, ,die dem Grund- 
irrtum huldigt, es könne Philosophie je etwas anderes sein als Erkenntnis, 
und zwar streng objektive, allein durch den Gegenstand und nichts anderes 
bestimmte Erkeimtnis' (E 99). 

Diese Aufstellungen erhellen blitzgleich den Sinn der Scheler- 
schen Lehre: sie bestimmt mit der Scholastik das Reli- 
giös e, wie auch das Ethische durch Betonung des Materialen, 
im Gegensatz zum SoUensformahsmus Kants und der Moderne, 
aus dem Objekt. Der phänomenologische Grundsatz von 
dem innern Sichbedingen von Objekt und Akt, den die Scho- 
lastik in das Axiom: , actus specificatur ab obiecto' faßt, äußert 
sich hier konsequent darin, daß die im religiösen Verhalten 
vorliegende spezifische Aktkombination (E 529 ff.) eine solche 
ist, die in sich schon das religiöse Objekt sozusagen ,vor- 
zeichnet' und infolgedessen das religiöse Objekt als ,Erfüllung' 
dieser ,yorzeichnung' erfaßt, während umgekehrt das religiöse 
Objekt ein solches ist, das seiner Natur nach die vor- 
. liegende Aktkombination als seine spezifische Erfassungsweise 
fordert. 



Intentionalcharakter der Wertlehre. 73 

E 715 faßt Scheler diese Theorie sozusagen in eine Formel : ,Daß die 
Religion von Hause aus immer um einen Gegenstand sich bewege, der für 
die positive Wissenschaft konstitutiv verschlossen ist und der seiner je 
primär gegebenen Wertseite nach durch die unveränderliche Wertkategorie 
des Heiligen, seinem Dasein nach durch die Kategorien des absoluten und 
unendlichen Seins umgrenzt ist, — eines Gegenstandes, dem ganz bestimmte 
Haltungen des menschlichen Gemütes und des erkennenden Vermögens auf 
selten des Subjekts zu seiner möglichen Erfassung entsprechen, — Hal- 
tungen, die keinem endlichen Dinge angemessen sind, höchstens durch end- 
liche Dinge als Darstellungsmittel und Bindungsweisen des Göttlichen aus- 
gelöst werden können, — wurde völlig verkannt. Und damit wurde ver- 
kannt das auch für alle Auffassung der Religionsgeschichte grundlegende 
Prinzip von der Geschlossenheit und Autonomie der religiösen Erfahrung 
und ihres Gegenstandes.' An dieser und ähnlichen Stellen zeigt sich deut- 
lich die phänomenologische Fassimg des ,actus specificatur ab obiecto' als 
eigentlicher grundsätzlicher Sinn sowohl der Polemik gegen alle ,Beweise' 
wie auch der positiven Aufstellung eines ,unmittelbaren' und ,unableitbaren' 
Gegebenseins der religiösen Objekte. So auch deutlich E 529, wo Scheler 
als Akteigenart des religiösen Aktes aufzählt: Erstens ein ,Transzendieren' 
von allem ,von der Art einer Welt überhaupt' ; zweitens die ,unmittelbare 
Einsicht in seine [des religiösen Aktes] wesensmäßige UnerfüUbarkeit durch 
irgend einen der Welt angehörigen oder die Welt selbst ausmachenden 
Gegenstand, In diesem Sinne ist das Augustinische „Inquietum cor nostrum, 
donec requiescat in te" eine Grundformel für alle religiösen Akte' ; drittens 
endlich die Richtung auf ein ,Empfangen' seines Objektes im Gegensatz 
zu einem spontanen Konstruieren desselben. Nehmen wir das zusammen, 
so haben wir," in die Akthaltung eingebettet, im Transzendieren der Ge- 
samtwelt das Verhältnis des ,ab alio — a se', im ,TJnerfülltsein durch ein 
Endliches' das Verhältnis des Endlich-Unendlich, und schließlich im ,Emp- 
fangen' die Heilsbedeutung dieses ,a se infinitum'. Ein gleiches zeigt sich 
E 560, wo als Eigenschaften des (schon ,natürlichen') Glaubensaktes dar- 
gelegt werden : ,ein seinem Wesen nach der vollen Erfüllung durch An- 
schauung fähiger und bedürftiger Akt eines verhüllten Schauens' und 
zweitens ,die Unbedingtheit der Selbsteinsetzung . . ., die mit der Stellung 
und Lage des Glaubensgutes in der Absolutsphäre des Seins und der Güter 
in wesensmäßigem Zusammenhang steht'. Wieder haben wir in der ersten 
Eigenschaft eingebettet die Analogierelation zwischen Geschöpflichem und 
üngeschaffenem, im zweiten das Verhältnis von bedingtem Sein und ab- 
solutem Sein. 

Im Ausweis des innern Gegenseitigkeitsverhältnisses zwischen 
Akthaltung und Aktobjekt erschöpft sich die Phänomenologie 
und kann darum von diesem ihrem Problemstandpunkt aus die 
Frage eines ,Beweises' des religiösen Objekts (wie wir S. 18 f. 



74 III- Wertftthlen und Selbständigkeit der Keligion. 

25 sahen) gar niclit fassen, weil sie es eben mit dem Er- 
kenntnisobjekt als erkanntem zu tun hat, im Gegensatz 
zu der scholastischen Fragestellung nach dem Objekt als , Ding 
in sich'; anderseits aber muß sie auch die gesamte moderne 
Philosophie und Psychologie des Religiösen ablehnen, weil sie 
es mit einem wahren Objekt zu tun hat, das, als vom Akt- 
gefüge unableitbar, diesem erst seinen Sinn gibt, während nach 
der modernen Philosophie und Psychologie das Objekt nur eine 
Objektivation des subjektiven Aktgefüges ist, also umgekehrt 
seinen Sinn vom Aktgefüge erhält, dessen Ausdruck es nur 
ist. Es kann also keine Rede sein weder von einem Immanentis- 
mus der Schelerschen Lehre noch von einer Identifizierung 
seiner Religionsauffassung (und entsprechend Sittlichkeitsauf- 
fassung) mit ,irrationalem Gefühlsverhalten'. 

Was also ist das letztlich Spezifische der Schelerschen Wert- 
lehre? Denn bei allem eben Ausgeführten bleibt doch un- 
leugbar bestehen, daß er Ethik und Religion auf ,Werte' gründet, 
die im ,rühlen' erfaßt werden. 

Des Rätsels Lösung liegt wieder in Schelers Phänomenologie. 
Phänomenologie setzt ,Wesen' gleich ,Apriori', weil sie ,Apriori' 
nicht gleich ,formal' setzt, sondern ,material und formal' unter 
ihm begreift, wie sie unter ,Wesen' Allgemeingültiges und 
Individualgültiges versteht (s. S. 11), Wie nun Husserl das 
Apriori in der Logik herausgearbeitet hat als Apriori des Ver- 
haltens zum jverum' (,wahr' im Seinssinn), so will Scheler das 
Apriori der Ethik und Religion herausstellen als das Apriori 
des Verhaltens zum ,bonum' (,gut' im Wertsinn). Das ,verum' 
aber bedingt ein theoretisches Verhalten , also Verstandes- 
verhalten als färbe- und richtunggebende Hauptkomponente 
dieses Verhaltens, also Verstandeserkennen als den Vorgang, 
in dem das Apriori des ,verum' ,schaubar' wird. Das ,bonum' 
hingegen bedingt ein praktisches Verhalten, also emotionales 
Verhalten (im weitesten Sinne) als färbe- und richtunggebende 
Hauptkomponente, also ein ,emotionales Erfassen', die ,emo- 



Emotionales Wertapriori. 75 

tionale Werterkenntnis' als den Vorgang, in dem das Apriori 
des jbonum' ,schaubar' wird. Der Fragepunkt beschränkt sich 
also nun auf dieses eine: Warum lehnt Scheler für Ethik und 
Religion ein intellektuelles Apriori ab und besteht auf einem 
emotionalen ? 

Den Grund hierfür skizziert bereits (wie wir S. 7 sahen) 
seine Doktordissertation, die, von dem Streit über die , duplex 
veritas' im Mittelalter ausgehend, nachweisen will, daß alle 
Probleme der Ethik sich nur lösen lassen durch eine selb- 
ständige Fundierung der ethischen Grrundtatöachen im volun- 
tativen Verhalten selber. Nimmt man die später in der ,Ma- 
terialen Wertethik' und im ,Ewigen im Menschen' entwickelten 
Beweisgründe zusammen, so wird sich eine doppelte Begründung 
unterscheiden lassen, einmal vom objektiven ,bonum' 
selber aus und dann aus der Aktnatur des subjektiven 
ethischen und religiösen Verhaltens allein. 

2. Unableitbarkeit des objektiven Wertes (.bonum*). 

a) Darlegung. 

Die erste Gruppe der Gründe besagt zusammengefaßt: Eine 
Ableitung des ,Wertes' (,bonum') 'i» seinem ganzen Um- 
fang, insbesondere im Sinne von ,sittlich gut' und ,Heilsgut', 
aus dem ,Sein', das nach platonisch-aristotelisch-augustinisch- 
scholastischer Auffassung das Objekt des Erkennens ist, sei 
es als konkretes Sein das besondere Sinnesobjekt, sei es als 
abstraktes Sein das besondere Verstandesobjekt — eine Ab- 
leitung dieses ,Wertes' aus diesem ,Sein' ist nicht möglich. 
,Wert' ist ein von ,Sein' unabhängiges und selbständiges Er- 
kenntnisobjekt. 

jAuch gellt es durchaus nicht an, die Verschiedenheiten der sittlichen 
Wertqualitäten wie schon die Grundverschiedenheit gut und böse in bloße 
Annäherungsgrade an ein Ideal des Guten oder der Allgüte aufzulösen. 
Der sokratisch-platonische intellektualistische Idealismus hat von vorn- 
herein den Irrtum begangen, die Werte des Schlechten in ihren mannig- 
fachen Sonderqualitäten als positive Tatsachen zu leugnen und das Schlechte 



76 IH' WertfüUen und Selbständigkeit der Eeligion. 

mit dem bloßen weitesten Abstand vom höchsten Gut oder dem Guten 
gleichzusetzen, respektiv es dem Scheinhaften (|Lii*i öv im Gegensatz zum 
övTU)? öv) gleichzusetzen. Nun kommen aber auch die Werte — imd zwar 
die des Guten und des Schlechten — auf allen Seinsstufen vor, sofern 
solche zu unterscheiden sind. Niemals kann aber das Gute mit der letzten 
Seinsstufe (dem övtux; öv, wie Piaton sagt) identifiziert und das Schlechte 
nur als relativere Seinsstufe angesehen werden. Der moderne Rationalismus 
(z. B. Spinoza, Leibniz, Wolff) begeht denselben Irrtum, wenn er den un- 
klaren Begriff der Vollkommenheit zu diesem Zweck verwendet und das 
Vollkommenere einem höheren Grade des Seins, das absolut Vollkommene 
aber dem ,ens realissimum" gleichsetzt. Vollkommenheit setzt die Wert- 
tatsache voraus und gewinnt, auf eine Sache angewandt, erst einen Sinn, 
wenn eine bestimmte wertvolle Eigenschaft der Sache aufgefaßt ist, in Be- 
zug auf die sie vollkommen ist' (M 167). 

So verneint er den (vermeinten) Standpunkt ,der Thomisten, die das 
Gute in Grade des Seins durch den Mittelbegriff der Vollkommenheit auf- 
lösen. . . . Dem Satze „omne ens est bonum" erkenne ich Evidenz und 
Wahrheit zu, wenn „bonum" hier bedeutet Werthaft „überhaupt", eine 
Bedeutung, in der es aber mit dem ersten Glied des Gegensatzes des Guten 
und Schlechten noch nicht identisch ist — geschweige mit dem ersten Glied 
des Gegensatzes von (sittlich) gut und böse' (B 631/632, Anm. 2). 

Dieser Gregensatz ist aber erstens nicht ausschließlich, weil 
Schaler in Wahrheit eine Mitte zwischen (der vermeinten) 
Antike-Scholastik ^ und Moderne anstrebt. Dies zeigt deutlich 
M 269, wo er der ,alten' Philosophie, die (vermeintlich) den 
objektiven Wert als Seinsgrad fasse und korrelat das Wert- 
fühlen als , verworrenes Denken*, die neue entgegensetzt, die 
den objektiven Wert nur als Objektivation subjektiven Fühlens 
ansehe, und dieses subjektive Wertfühlen als etwas rein Zu- 
ständliches ohne ,Intention' auf ein außersubjektives Objekt. 
Von der ersten Auffassung übernimmt Scheler die ,Intentio- 
nalität' des Wertfühlens auf ein »Objektives', von der zweiten 
die ,TJnreduzierbarkeit' des Werthaften auf einen Seinsbestand 
(im Objekt) bzw. auf ein rationales Erkenntnisverhältnis (im 
subjektiven Akt). 

^ Wir werden später sehen, daß der von Scheler hier vermeinte Stand- 
punkt in Wahrheit nicht der Standpunkt der Scholastik ist, sondern 
allein der Standpunkt des Wolffschen Rationalismus, dem auch seiner- 
zeit Kants Kritik allein galt. Der wahi-e Unterschied zur Scholastik liegt 
an einem andern Ptmkt (vgl. § 2, Nr. 3ba dieses Kapitels). 



Pravalenzsystem der ,entia intentionalia'. 77 

,Die erste Auffassung enthält die richtige Einsicht, daß es ein intentio- 
nales ,,Fühlen von" überhaupt gibt, daß es neben dem zuständlichen Ge- 
flihl auch emotionale Funktionen xmd Akte gibt, in denen Etwas zur Ge- 
gebenheit kommt, und welche selbständigen Sinn- tmd Verständnisgesetzen 
unterliegen. Irrig aber . . . war die Auffassung der Keduzierbarkeit des 
Fühlens auf den Verstand, und die Annahme eines nur graduellen Unter- 
schiedes zwischen beiden. Richtig war in der zweiten Auffassung die An- 
nahme der ünreduzierbarkeit des emotionalen Seins und Lebens auf den 
Verstand, irrig aber die sofort damit implizierte Leugnung intentionaler 
Gefühle' (M 269). 

Zweitens bezieht sich der Gegensatz von ,Wert' und ,Sein' 
aber nur auf den ,intentionalen' Bereich, auf die Art, wie 
sie bei der Erkenntnis sich geben, nicht wie sie real ,an sich' 
siud. Im Reich der Dinge an sich ist ,Wert' etwas dem ,Sein' 
,Inhärierendes'. 

Obwohl Scheler B 88 das ,Werterkennen ... im Unterschied von den 
Alten sowenig als bloße Funktion des Seinserkennens ansehen kann wie 
den positiven Wert selbst als einen je höheren Seinsgrad', so schreibt er 
doch E 93/94 : ,'Wenn sich so . . . dieser Primat der Wertgegebenheit vor 
der Seinsgegebenheit erweisen läßt, so folgt hieraus indes eine an sich be- 
stehende Priorität der Werte gegenüber dem Sein mit nichten. Auch hier 
kann ja dasjenige, was an sich das Spätere ist, das für uns Frühere sein, 
wie es Aristoteles als allgemeine Eegel über das Verhältnis von Erkennen 
und Sein behauptete. Ja — da es ein einsichtiger Satz ist, daß zu allen 
Qualitäten — wie immer sie auch gesondert von ihren Trägem gegeben 
sein können und wie immer sie einer in ihrem Gehalt gegründeten, ihnen 
wesenhaft eigenen Ordnung unterliegen — ein subsistierendes Sein gehört, 
dem sie inhärieren, so kann das aristotelische Wort hier nicht nur zu- 
treffen — sondern es muß es auch. . . . Die einsichtige Wertgegebenheit 
ist . . . von subjektiver Aposteriorität gegenüber dem objektiv guten Wollen 
und Verhalten. Die einsichtige Wertgegebenheit ist femer von subjektiver 
Apriorität gegenüber aller Seinsgegebenheit. Der Wert selbst aber ist 
gegenüber dem subsistenten Sein von nur attributiver Bedeutung.' 

Ebenso ist nach ihm die Scheidung des ,ens a se' der Meta- 
physik und des ,sununum bonum' der Rehgion nicht so zu ver- 
stehen, als ob 

1. beide Bestimmungen etwas ,a parte rei' Distinktes wären, 
nicht einmal so, als ob 

2. der Seinsaspekt (== dem ,ens intentionale' ,ens a se') 
der Metaphysik und korrespondent der Heilsaspekt der Religion 



78 ni. Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

(= dem ,ens intentionale' ,summum bonum') der einzige 
Aspekt wären. 

Die ganze Scheidung und gegenseitige Unableitbarkeit be- 
sagt nur, daß 

(ad 1) die Wesens intentionender beiden voneinander ver- 
schieden sind : ,esse' und ,bonum' als ,entia intentionalia', nicht 
als ,ens reale', und daß 

(ad 2) die primäre Intention der Metaphysik auf das ,ens 
a se' gehe, die der Religion auf das ,summum bonum'. 

Dadurch aber ist eine s'ekundäre Intention auf das andere 
,ens intentionale' nicht ausgeschlossen, vielmehr geradezu not- 
wendig, aber nur so, daß 

1. die primäre Intention jeder der beiden (der Metaphysik 
und der Religion) unableitbar ist aus der andern, also ,Un- 
mittelbarkeit' der Religion = ,Unableitbarkeit* ihrer Primär- 
intention; und daß 

2. die sekundäre Intention nicht herübergenommen ist aus 
dem Bereich der andern (der Metaphysik bzw. der Religion), 
sondern abgeleitet ist aus der eigenen Primärintention. 

,Der Gott der Religion und der Weltgrund der Metaphysik mögen real- 
identisch sein ; als intentionale Gegenstände sind sie wesensverschieden 

Das Ziel der Religion ist nicht rationale Erkenntnis des Weltgrundes, sondern 
das Heil des Menschen durch Lebensgemeinschaft mit Gott — Vergottung. , . . 
Die Frage nach dem Wesen der an sich bestehenden Welt und des sie be- 
dingenden Urgrundes: das ist die metaphysische Frage katexochen. Im 
Gegensatz hierzu ist Religion gegründet in Gottesliebe und im Verlangen 
nach einem endgültigen Heil des Menschen selbst und aller Dinge. Religion 
ist also zuvörderst ein Heilsweg. Das ,summum bonum', nicht das absolut 
Wirkliche und sein Wesen, ist der erste Intentionsgegenstand des religiösen 
Aktes' (E 327/335). 

jDiese Wesensverschiedenheit der dauernden und essentiellen subjektiven 
Quelle der Metaphysik und Religion schließt nicht aus einen im Wesen 
der beiderseitigen Intentionsgegenstände selber gelegenen Zusammenhang, 
— einen Zusammenhang der beiderseitigen Intentionen im menschlichen 
Geiste und der beiden Intentionsgegenstände in ein und derselben — mög- 
lichen — Realität. Denn das ist apriori klar, daß die Wesenseigenart des 
absolut Wirklichen, d, h. des Wirklichen, das allem Wirklichen zu Grunde 
liegt, Heil oder Unheil aller Dinge — mit Einschluß des Menschen -r- ent- 



Köngruenzsystem der ,entia intentionalia'. 79 

scheiden muß, daß es für dieses Heil oder Unheil sozusagen eine letzte 
Instanz ist. Und auch das ist apriori klar, daß das absolut Heilige und 
Göttliche, das seinem Wesen nach das Verlangen der Dinge befriedigen kaim, 
realiter dies nur vermag, wenn es außerdem auch noch ist das absolut 
Wirkliche, von dem alles andere abhängt. Aber dieser innere Sachzusammen- 
hang des Intentionsgegenstandes der Metaphysik und Religion schließt die 
grundverschiedene Wesensintention und die auf dieser Verschiedenheit be- 
ruhende Verschiedenheit der Entwicklungsgesetze und Entwicklungsverläufe 
von Religion und Metaphysik nicht aus. Die Heilsfrage bleibt sekundär 
für den Metaphysiker ; die Erkenntnis des absolut Wirklichen sekundär für 
den Religiösen. Das Heil und die Liebe zum Heil aller Dinge bleiben 
selbständige Urkategorien der Religion; das Seiende, wie es an sich ist, 
bleibt die selbständige Urkategorie der Metaphysik. Niemals läßt sich die 
Idee des Heilsstiftenden als des absolut Heiligen-Göttlichen, die als letztes 
Ziel vor allem religiösen Suchen steht — ja ihm die Einheit des reli- 
giösen Suchens erst erteilt — analytisch herleiten aus der Idee des ab- 
solut Realen. Niemals auch umgekehrt die letztere Idee aus der erstem. 
Nur das steht fest, daß Metaphysik und Religion zu einem identisch Realen 
führen müssen — sollen sie ihr Ziel erreichen — zu einem Realen, das 
beiden wesensverschiedenen Intentionsgegenständen letzte reale Bedeutung 
gibt' (E 335/336). 

Diese Einheit beider ,entia intentionalia' in dem Einen ,ens reale' ist 
nur Konsequenz aus den ,formalen Axiomen, die das ontische Verhältnis 
von Dasein und Wert zu einander regeln' ; denn unter ihnen nennt Scheler 
als letztes, ,daß wenn es einen höchsten Wert gibt — dem evident zu 
fordernden (gedachten) realen Träger dieses Wertes auch Dasein zukommen 
müßte, da er sonst der höchste Wert nicht wäre. Und es folgt femer, 
daß — wenn es ein ens a se im Sinne eines aus seinem eigenen Wesen 
selbst folgenden Daseins eines Daseienden überhaupt gibt — dieses Da- 
seiende auch Träger eines absoluten Selbstwertes sein müsse' (B 638). 

Somit ergibt sich 3. als letztes Datum, das vielleicht am 
entscheidendsten in den Sinn der Schelerschen Scheidung von 
Wert und Sein führt, die Möglichkeit, ja Notwendigkeit einer 
Zusammenschau von Metaphysik und Religion. 

,Erst Metaphysik und Religion zusammen ergeben ein adäquates Bild, 
einen adäquaten Eindruck vom Ewigen. Wir müssen also einsehen, daß 
der adäquateste Gottesbesitz, die maximalste Teilnahme unsres Seins an 
seinem Sein, erst durch die widerstreitlose und widerspruchslose Zusammen- 
schau des religiösen Gottes und des metaphysischen Weltgrundes erzielt 
werden kann. Sie kann also weder erzielt werden dadurch, daß der meta- 
physische Gott noch dadurch, daß der religiöse Gott zum Maße des je 
andern Intentionsgegenstandes, sei es ganz oder zum Teile, gemacht wird' 
(E341). 



80 ni. Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

Von diesem Standpunkt aus fällt neues Licht auf die früher 
(S. 20 ff.) behandelten Fragen nach der ,unmittelbaren Gottes- 
erkenntnis' und ,Erkenntnis der Personalität Gottes' bei Scheler. 

Für die ,unmittelbare Gotteserkenntnis' hatten wir 
früher festgestellt, daß in ihr ,Unniittelbarkeit' relativ zum 
Erkenntnisobjekt sei, nicht zum erkannten Ding an sich. ,TJn- 
mittelbarkeit* besagt in phänomenologischer Terminologie das 
junmittelbare' Verhältnis des erkennenden Aktes zum Er- 
kenntnisobjekt, das darin besteht, daß einem so und so ge- 
arteten Akt nur dieses so und so geartete Objekt entspreche, 
so daß das Objekt sich gleichsam schon in der Aktbeschalfen- 
heit ,vorzeichne' und die ,Erfüllung' dieser Yorzeichnung sei 
(E 529 ff.). Aus dem eben erörterten Verhältnis von Eeligion 
und Metaphysik ergibt sich uns nun ein neuer mehr inhalt- 
licher, wenngleich noch negativer, Sinn der ,Unmittelbarkeit'. 
Sie besteht darin, daß die Intentionsform des religiösen Gott- 
erfassens eine von der Intentionsform des metaphysischen Gott- 
erfassens sowohl verschiedene wie unableitbare ist. Das ge- 
leugnete ,Mitter ist das ,ens intentionale' der Metaphysik, 
d. h. wir haben auch hier nicht eine ,IJnmittelbarkeit', die rela- 
tiv auf das ,Ding an sich' wäre, als ob der reale Gott ,ohne 
Mittel' erkannt würde, sondern ,Unmittelbarkeit' ist hier rela- 
tiv zur Erfassungsform des Objektes. Religiöses Erfassen bedarf 
zur Erfassung seines Intentionalobjektes nicht des metaphysi- 
schen Erfassens. Der letzte und positive Sinn der ,TJnmittelbar- 
keit' ist das aber noch nicht. Dieser wird sich uns erst aus der 
Diskussion des religiösen Aktes als Liebesaktes ergeben (vgl. 
3. Kap. § 2 n. 3 a, a). 

Zu einer Art Abschluß aber gelangt hier die Frage nach 
der ,Erkennbarkeit der Personalität Gottes'. Was wir 
früher nur als notwendigen Ausgleich zwischen zwei Reihen 
von Einzelstellen Schelers entwickelten, leitet sich nun syste- 
matisch ab: die doppelte Art des Erfassens der Personalität 
Gottes. Sie ist nur ein AnwendungsfaU der aus dem System 



Personalcharakter von Wert und Sein, 81 

der zwei ,entia intentionalia' erfolgenden Lehre Schelers, daß 
Metaphysik und Religion die gleichen realen Attribute Gottes 
entwickeln (E 388 ff.), aber unter verschiedener ,Intention'. 
Metaphysik als unpersönliche Konstatierungswissenschaft des 
,ens a se' stellt fest, dafa das ,ens a se' als ,Geist' und als 
,summum bonum' Personalität haben müsse (E 600 u. 682 
Anm. 1) ; Religion aber als persönliches Leben mit dem person- 
haften jSummum bonum' ist eine Art Erfahren dieser Personali- 
tät selbst in persönlichem Yerkehr. Die reale Eigenschaft 
ist dieselbe; als intentionale aber ist sie verschieden kraft 
der verschiedenen Wesensintention metaphysischer und religiöser 
Einstellung. Gott, der als , konkrete Seinseinheit' von Vernunft 
und Wollen objektiv ,Persönlichkeit' ist, wird metaphysisch 
als solche , erschlossen' aus seinen Attributen des ,reinen Geistes' 
und des ,höchsten Gutes' (E 600), religiös aber , erfaßt' in der 
jLiebe', in der Erkennen und Wollen ihre gemeinsame Wurzel 
haben (E 484). Es besteht eben ,wie wir früher sahen, eine drei- 
fache Beziehungsgleichung zwischen (1.) ,Wahrheit' (, verum') und 
, Gutheit' (jbonum') als letztlich ,personhaft', (2.) der ,Person' als 
der konkreten Seinseinheit der Vernunft- und Willensakte und 
(3.) der ,Liebe' als der Wurzel von Erkennen und Wollen : 

Erkennen \ j.. verum p /Erkennen 

Wollen ^ ^^^^^ bonum ^^^^^^ VWoUen 

als jPerson' 

Aus diesem Wurzelverhältnis des Schelerschen Systems er- 
geben sich die zwei wichtigen, später noch näher zu behandeln- 
den Polgerungen, von denen die erste die gesamte Wissenschafts- 
und Wertlehre Schelers als ein System des ,Personalismus' 
grundlegt, die zweite aber seine Religionsphilosophie als ein 
System der ,Teilhabe' — : 

1. Weil , Wahrheit' und , Gutheit' letztlich ,personhaft' sind, so 
ist auch alles Wahrheitserkennen und Werterfassen letztlich in 
einem ,Personerfassen' verwurzelt und damit im ,Mitvollzug' des 
,Liebesaktus', der ,Liebeshaltung', die ihr ,Kern' ist, d. h. Wahr- 

Przywara, Eeligionsbegründung. 6 



82 ni. Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

heitserkenntnis ist fundiert auf das philosophisclie Meister- 
Schüler -Yerhältnis, und Werterfassen (insbesondere sittliches 
Werterfassen) auf die ,Nachfolge': letztlich auf das Meister- 
Schüler -Verhältnis und das Nachfolge -Verhältnis zu Gott. 

2. Weil aber Gott letztlich die Wahrheit und der Wert 
ist, so ist alles Wahrheitserkennen und Werterfassen letztlich 
ein ,Teilhaben' an Gott: es folgt der ,letzte' Offenbarungs- 
charakter des Wahrheitsfindens und , Gnadencharakter' des sitt- 
lichen Handelns. 

Über die Gesamtfrage unsres Abschnittes — ünableitbar- 
keit des ,Wertes' vom ,Sein' nach der Seite des Objektes — 
gewinnen wir also folgendes Schlußbild: 

1. Es handelt sich nicht um ,Wert' und ,Sein' als Real- 
objekte (Dinge in sich), sondern als Intentionalobjekte (imma- 
nente Objekte). Als Realobjekt ist ,Wert' (,bonum') ein Attribut 
des ,Sein', das im Bereich des Geschöpflichen dem ,Sein' in- 
häriert, im ungeschaffenen Gott dem ,Sein' realidentisch ist 
(E 404). 

2. Es handelt sich nicht um eine Ausschließlichkeit der In- 
tention des Werterfassens in der Religion und des Seinserfassens 
in der Metaphysik, sondern um Prävalenz- und Primärcharakter 
sowie um Unableitbarkeit des jeweiligen Primärcharakters : 
Werterfassen ist gleichursprünglich wie Seinserfassen, nicht 
entspringend aus Seinserfassen, wenngleich (sekundär) Seins- 
erfassen einschließend, wie Seinserfassen (sekundär) Werterfassen 
einschließt: Werterfassen nicht = Seinserfassen, aber Wert- 
erfassen -|- Seinserfassen = Gesamterfassen des Realen, als ent- 
sprechendes Aktkorrelat der Realheit von Wert und Sein in sich. 

Diese Aufstellung ist richtig, wenn das ,Ewige im Menschen' 
nicht bloß durch die besondere Behandlung des Wertes des 
Heiligen eine Erweiterung der ,Materialen Wertethik' bedeutet, 
sondern auch eine Modifikation der Grundpositionen der ,Ma- 
terialen Wertethik' selbst, da in ihr die Position des ,Ewigen im 
Menschen' in Bezug auf unsre eben aufgestellten Sätze noch 



Wert als Naturverhalten. 83 

nicht klar nachweisbar ist. Aber es erscheint uns, obgleich 
die ,Materiale Wertethik' das Hauptwerk Schelers ist, doch 
richtiger, hier den Standpunkt des ,Ewigen im Menschen' in 
Betracht zu ziehen, da Scheler hier auch ausdrücklich mehr- 
fach Grundfragen der allgemeinen Wertlehre behandelt. 

1)) Würdigung des Ganzen : Doppelintentionalität des Wertes. 

Diesen Aufstellungen Schelers gegenüber, die teils noch im 
nachscholastischen Gegensatz von Wert und Sein stecken 
bleiben, teils einen ersten Durchbruch versuchen, bedeutet ge- 
rade die scholastische Lösung erst eine Klärung. 

Scheler läßt die Werte als jRealitäten' dem Sein inhärieren, 
ohne aber die eigentliche Natur dieses ,Inhärierens' auf- 
zuhellen. Von diesen Data des ,realen' Wertes geht die ,alte 
Philosophie' aus, bestimmt sie nach ihrer innern Natur und be- 
antwortet von da aus die Frage nach dem ,intentionalen' Wert. 
Indem beide Wege, der vom Intentionalobjekt zum Realobjekt 
und der vom Realobjekt zum Intentionalobjekt, sich ergänzen, 
ergibt sich die volle Klarheit. 

Die Scholastik leitet durchaus nicht, wie Scheler meint, das 
Wesen des Sittlichguten noch das des Heilsguten noch prin- 
zipiell das ,bonum' überhaupt analytisch aus dem Wesen des 
Seins ab. - 

Nach ihr ist das Sittlich-Gute gleich den Inhalten des nach 
den innern Gesetzen seines Wesens funktionierenden Verhaltens 
der ,Vernunftnatur an sich' (,natura rationalis qua talis'). Das 
Vernunftwesen hat genau so ein ,Naturgesetz' seines Wesens 
wie etwa Stein und Pflanze. Der Unterschied ist nur, daß 
Stein und Pflanze dieses Naturgesetz ohne Freiheit vollziehen, 
während es vom Menschen frei vollzogen wird. Dieses ,Natur- 
gesetz' ist aber ,Gesetz' als ,Natur', d. h. nicht primär Gesetz, 
sondern ,Natur', weil es eben nur die in Gesetzesform aus- 
gedrückte Natur ist. ,Sittlich gut' also ist, was gemäß der 
, Vernunftnatur' geschieht; ,sittlich gut' ist sozusagen die 

6* 



84 ni. Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

Yernunftnatur ,m motu', nicht freilich die empirische Vernunft- 
natur, d. h. das faktische Verhalten des Vernunftwesens, son- 
dern die ideale Vernunftnatur, d. h. das wesenhafte Verhalten 
des Vernunftwesens, wodurch es Vernunftwesen ist; das ist 
eben das Eigentümliche des Vernunftwesens (Vernunftwesen 
= Vernunft und freier Wille), daß es seiner Natur gemäß leben 
kann oder auch nicht, sein Wesen frei verwirklichen oder frei 
zerstören. Indem der Mensch so in sich das ,sittliche Ver- 
halten' als ,wesenhaftes Verhalten' eines Vernunftwesens über- 
haupt erkennt, kommt er dazu, Gott, den er vorher als Ver- 
nunftwesen im absoluten Sinn erkannt hat, auch als den 
(Sittlich-)Gruten schlechthin zu fassen, als das ,summum bonum' 
im sittlichen Sinne. 

Hieraus entspringt nun das ,Heils-Gute', indem es vom 
Sittlich-Guten aus als Ausdruck der im Vollendungszustand be- 
findlichen Vernunftnatur sichtbar wird. Sein Begriff ergibt sich 
sowohl aus dem Wesen des Sittlich-Guten, als des naturgemäßen 
Verhaltens der Vernunftnatur, wie aus dem Wesen Gottes als 
des voUkommenenVernunftwesens, als des Vernunftwesens ,a se'. 
Denn das Vernunftwesen ,ab alio' tritt durch diese seine Eigen- 
art, weil es ,Vernunftwesen' ist, sozusagen in ein Sehnsuchts- 
ErfüUungsverhältnis zum Vernunftwesen ,a se', das in diesem 
subjektiven Sinne nur statthaben kann, weil Gott formal 
Vernunftwesen ist und nicht bloß , eminenter' (wie gegenüber 
dem TJntermenschlichen). Dieses ,donec requiescat in te' im 
Sinne einer , Vollendungsruhe' setzt also das ,sittliche Verhalten' 
voraus, ohne mit ihm identisch zu sein, weil es die Wesens- 
relation zwischen dem Vernunftwesen ,ab alio' und dem Ver- 
nunftwesen ,a se' ist. Gott ist das ,Heir des Menschen (im 
Sinne der natürlichen Ordnung) auf Grund des Sittlich-Guten. 

Somit ist das Sittlich-Gute weder reduzierbar auf ein Ziel- 
verhalten, sodaß primär das sittlich-gut wäre, was auf Gott 
als Ziel des Menschen geht, sondern Gott ist Ziel des Menschen, 
weil das Sittlich-Gute primär Naturyerhalten des Menschen 



Sittlicher und religiöser Wert als Wertallheit. 85 

und formales Wesen Gottes ist: Sittlich-Gut ist primär das 
Naturverhalten des Vernunftwesens und erhält den Zielcharakter 
erst sekundär durch das ,ab alio a se'-Verhältnis. Darum ist 
auch nach scholastischer Auffassung das Sittlich-Gute nicht 
dasjenige Verhalten, das um des Heiles willen geschieht, son- 
dern das in sich eigenbestimmte Sittlich-Gute ist infolge des 
formalen Vernunftwesenscharakters Gottes auch ein Heils- 
verhalten ^ 

Der Mensch aber ist, wie Thomas von Aquin sich ausdrückt, 
,quodammodo omnia', ,sozusagen ein AU*, insofern in ihm alle 
Naturreiche sich in eins knüpfen : in der ,una substantia' des 
Leibes und der Seele als des einen Prinzips vegetativen, sensitiven 
und rationalen Lebens. Ist also das ,Sittlich-Gute' letztlich 
das ,wesenhafte Verhalten der idealen Vernunftnatur', so strömen 
gleichsam, kraft der scholastischen ,una substantia' von Leib 
und Seele, in dem Wert des , Sittlich-Guten' alle untermensch- 
lichen Werte zusammen, so daß der Mensch eine Art ihner- 
geschöpflicher ,Wertallheit' ist, wie er dem Sein nach als 
eine Art innergeschöpflicher ,Seinsallheit' sich darstellt: als 
das weltimmanente, innörgeschöpfliche ,Eins' der Kreaturen, 
das darum, gerade durch seine sie umfangend übersteigende 
Höherstellung, in viel tieferem Sinn die der indischen Philo- 
sophie eigentümliche ,Einsfühlung' alles ,Lebendigen' in sich 
zu vollziehen vermag. Wie Gott der Gesamtschöpfung dadurch 
,inne' ist, daß er ,über' ihr ist, so ist auch der Mensch der 
untermenschlichen Welt dadurch ,inne', daß er sie übersteigt. 
Das Gesetz der ,immanenten Transzendenz' und ,transzendenten 
Immanenz' ist sozusagen ein Weltgesetz, vom Schöpfer sich 

^ Das bereits früher angeführte neuscholastische religionsphilosophische 
Programm ,The Philosophy of subjective religion', das W, Gr. Ward, der 
mit Mill in Briefen und Artikeln über die Grundlegung der Ethik sich aus- 
einandersetzte (vgl. Philosophy o£ Theism [London 1884] I 77 ff., 11 83 ff. 
und Wilfrid Ward ,W. G.Ward and the Catholic Revival' [London 1893]), 
seinerzeit in seiner Zeitschrift brachte (der Verfasser ist unbekannt), schreibt: 
)The moral law may therefore be put on this form: Realize your essence; 



86 in. Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

mitteilend der Schöpfung. Der Mensch, die gesamte unter- 
menschliche Welt in sich einigend, vollzieht dann in seinem 
jHeilsverhalten' das Wiedereinströmen dervom,summum bonum' 
mitgeteilten ,Werte' ; da er als voller, unverkümmerter ;Mensch' 
das ,donec requiescat in te' verwirklicht bis zum vollendeten 
,Gott in allem und alles in Gott', vereinen sich unaussprech- 
lich Wertfülle der Schöpfung und Wertfülle des Schöpfers: 
jomnia bona' und ,summum bonum'. 

Unter dieser Betrachtungsweise löst sich auch die Schwierigkeit, die füi' 
Scheler in der Gegensätzlichkeit indischen ,kosmovitalen Einheitsgefühls' 
und cluistlicher ,akosmistischer personaler Liebesmj'^stik' besteht (Sy^ 103) 
und die für ihn nur bei Franz von Assisi in ,einen Lebensprozeß' auf- 
gelöst erscheint. Er sieht das christliche Ethos, unter einseitiger Beach- 
tung der platonisch orientierten Patristik, fast nur in einer ,ungeheuren 
Entlebendigung und Entseelung der gesamten Natur zu Gunsten einer mäch- 
tigen .Emporschnellung des Menschen als individuellen Geistwesens über 
die Natur' (Sy^ 99), wobei er freilich anmerkt, daß durch jWesen und Ge- 
schichte der christlichen Mysterien und Salo'amente', insbesondere des Altars- 
sakramentes (Sy^ 100), sowie durch die aristotelisch-scholastische Lehre von 
der einen Menschenseele als dem einen Prinzip vegetativ-sensitiv-rationalen 
Lebens und der Wesensform des Leibes (Sy^ 99/100) der Gedanke ,kosmo- 
vitaler' Einheit hinzutrete. Immerhin erscheint ihm, infolge seiner Ver- 
einseitigung christlichen Ethos', in das Höhenethos der ,Liebe zu Personen 
in Gott, der Person der Personen', die Verbindung christlicher Haltung und 
Sich-eins-fühlens mit der Natur bei Franz von Assisi, vom Standpunkt 
des vermeinten christlichen Ethos aus gesehen, als ,schwere Häresie des 
Herzens* — ; er bedenkt nicht, daß dasjenige, was er als unterscheidende 
Eigentümlichkeit bei Franz hervorhebt, das ,Mitkindschaftsverhältnis' der 
gesamten Schöpfung mit den ,Kindem Gottes' (Sy** 106/107), deutlich im 
Römerbrief grundgelegt ist, der (8, 19 — 23) von. dem Seufzen der gesamten 
Schöpfung spricht, die ,befreit werden soll zur Freiheit der Herrlichkeit 

becorae in actu what you are in potentia. This is the same as the second 
form of the categorical imperative of Kant; „Act in such a manner as 
never to employ humanity, be it in thine own person, be it in that of 
others, as a simple means, but respect it always as an end in itself^ 
which again is fundamental ly identical with the truth that „Bonitas mo- 
ralis est convenientia cum naitura rationali" (Vasquez in 1, 2, d. 95, 
c. 9 10 ; Suarez in 1, 2, ü-. 3, d. 2, s. 2, n. 12)' (Dublin Review. New Ser. XVIH 
[1871] 282). Den kategorischen Imperativ im Sinne eines ,letzten' Ver- 
pflichtungsgrundes lehnt Ward selbst natürlich ab (Philosophy of Theisni 
I 91 ff., II 93 ff.). 



Syntiiese von Kosmovitalität und Personalismus. g7 

der Kinder Gottes', wie ,auch wir seufzen in uns, die Annahme zur Kind- 
schaft Gottes erwartend, die Erlösung unsres Leibes', Hier rächt sich die 
Methode mancher Phänomenologen und vorab Schelers, die das Christentum 
allzugern als eine Art menschlich-unterschiedener Erkenntnishaltxmg und 
Ethos' fassen und damit mehr oder minder zwei Gefahren kaum entrinnen: 
einer Rationalisierung der Glaubensmysterien, wie sie sich zum Teil in 
Schelers neuem Buch bedenklich bemerkbar macht (Sy^ 100 102), oder einer 
einseitigen Gleichsetzung des übersubjektiv-absoluten Christentums mit einer 
verabsolutierten subjektiven Seelenhaltung einer Christengruppe. Nur wenn 
Christentum genau so als Absolutreligion gefaßt wird wie der natürliche 
Gottesglaube, ist ihm jene innere, alle einzelmenschlichen und einzelvölki- 
schen seelischen Besonderheiten in sich umfassende ,katholische' Weite 
eigen, aus der heraus Scheler selber beim Gottesglauben den Eelativismus 
der historischen Gottesauffassungen positiv überwindet. Intellektualhaltung 
und Ethos des Christentums sind eben, weil Christentum Absolutreligion 
imd nicht Zeitreligion ist, übernatürliche Absolutreligion imd nicht eine 
relative Form natürlichen Gottesglaubens, weder identifizierbar mit Patristik 
noch mit Scholastik noch mit irgend einer zeitgeschichtlichen Geistesstruktur. 
Sondern alle für Binzelmensch, Volk und Rasse nur immer 
möglichen Geistesstrukturen, soweit sie dem reinen Gottes- 
gedanken nicht wesensfeindlich sind, sind mögliche For- 
men, in denen der unveränderlicheWesensgehalt des Christen- 
tums sich kundtun kann. Christus als ,In-eins-fassung von 
Hiinmel und Erde' (Eph. 1, 10) und fortlebend im Christen- 
tum, sodaß Christentum wesenhaft nichts ist als ,Haupt und Leib, ein 
Christus' (Augustin), fordert aus dem Wesen dieser Idee heraus die 
Fülle einzelmenschlicher und menschheitlicher Ausdrucks- 
raöglichkei ten als das wechselnde Gewand seinesFort- 
lebens. 

Das aus obigen Erwägungen aber erfließende System einer 
Ethik und Eeligionslehre läßt sich in folgende Sätze 
fassen : 

1. Das Sittliche ist das Wesensverhalten der Vernunftnatur, 
d. h. jsittlich' ist nach seinem Wesensverhalt letztlich rück- 
führbar : 

a) weder auf das Verhalten der empirischen Natur, weil 
es sonst nicht etwas Wesenhaftes, sondern Zufälliges wäre; 

b) noch auf ein Sollen, sei es eines göttlichen Gesetzes, sei 
es einer Selbstautonomie, weil dießes ,Sollen' wieder einfer sitt- 
Hchen Rechtfertigung bedarf; 



88 in. Wertfühlen und Selbständigkeit der Keligion. 

c) iioch auf ein rein äußerliches Zielverhalten des Ver- 
nunftwesens zu Grott, weil dieses Zielverhalten auch in der 
vernunftlosen Natur statthat, ohne daß hier die Rede von 
einem ,Sittlichen' ist. Ferner wäre wohl auch hier (mit 
Scheler) zu sagen, daß eine Rückführung rein auf Gott als 
Ziel genau so wie eine Rückführung rein auf Gottes Wollen 
keine letzte Rückführung sei, weil der Begriff des Zieles 
wie der des Wollens und SoUens in sich erst noch einer sitt- 
lichen Rechtfertigung bedarf. 

2. Es liegt vielmehr im Wesen des Sittlichen als des Wesens- 
verhaltens der Yernunftnatur (,natura rationalis qua talis'), daß 
es seine letzte Fundierung in der Vernunftnatur ,a se', d. h. in 
Gott habe. ,In' diesem Tatbestand ist eingeschlossen ,Gott als 
persönliches, inneres Ziel des Menschen", im Gegensatz zu der 
Zielbeziehung des TTntermenschlichen, das eben, weil es nicht 
Vernunftnatur ist, Gott nicht subjektiv in Erkennen und 
Liebe fassen kann. ,Aus' diesem Tatbestand aber ergibt sich 
das , Gesetz Gottes' oder ,Wollen Gottes' als Gesetzesformu- 
lierung dessen, was in sich als Wesenhaftes wesensnot- 
wendig ist. Die von einander divergierenden Auffassungen 
Cathreins und Mausbachs (,norma formalis' als ,natura ratio- 
nalis qua taUs' oder ,finis ultimus') dürften sich in dieser 
Fassung gegenseitig ausgleichen. Denn es liegt im Wesen einer 
Fundierung auf die ,Vernunftnatur', daß sie letztlich in der 
Vernunftnatur ,a se' wurzelt, wodurch das Zielvefhältnis als 
dynamischer Ausdruck des Seinsverhältnisses des ,ab alio' zum 
,a se' mitgegeben ist; und eine Fundierung des Sittlichen auf 
das ,letzte Ziel' ist nur dann eine spezifische Fundierung des 
Sittlichen, wenn dieses Zielverhalten als das spezifische 
Zielverhalten der ,Vernunftnatur' gefaßt wird, das eben ein 
,inneres' ist und daher nicht bloß im allgemeinen Verhält- 
nis des ,ab alio' zum ,a se' fundiert ist, sondern spezifisch 
auch im innern Verwandtschaftsverhältnis der Vernunftnatur 
des geschaffenen Vemunftwesens zur formalen (nicht 



Trennung und Einheit von Sittlichkeit und Eeligion. 89 

bloß eminenten wie beim Untermenschlichen) Vernunftnatur 
Gottes. 

3. Die Fundierung aber des gesamten sittlichen Bereichs 
des Menschen auf die wesenhafte Vernunftnatur ist er- 
möglicht durch die scholastische Lehre von der ,unio sub- 
stantialis' zwischen Seele und Leib, wodurch die »vernünftige 
Seele' die unmittelbare Wesensform des Leibes und somit, nach 
Thomas von Aquin, mit ihm ,ein Wesen' (,una substantia') ist. 
Durch dieses Form- (nicht allein Kausal)verhältnis wird auch 
die untervernünftige Betätigung in die vernünftige einbezogen 
und mithin formal sittlich-wertig. 

4. Kraft derselben Vernunftnatur, deren Wesensausdruck das 
Sittlich-Grute ist, ist das Vernunftwesen nun auch eines Innern 
bewußten ,Besitzes' Gottes in Erkennen und Liebe fähig, d. h. des 
Heils im rein natürlichen Sinne. Dieses ,Heir also ergibt sich 
einmal durch das Verhältnis des ,ab alio' zum ,a se' rein in 
sich, aber dann spezifisch aus der im Wesen der Vernunft- 
natur liegenden Fähigkeit, Gott zu erkennen und zu lieben. 
Wie das Sittlich-Gute letztlich die angestrebte Ausprägung 
der Vernunftnatur ,ab alio', eine tatsächliche (wenn auch 
nicht vollbewußte) »Nachfolge Gottes' ist, so ist das ,Heir 
die ,Vollendungsruhe' der empirischen ,nachfolgenden' Vernunft- 
natur in ihrem letzten Vorbild und letzten Wii'kgrund. Damit 
sind alle weiteren Beziehungen von Sittlichkeit und Heil ge- 
geben. Das Heil ist nur möglich auf Grund des Sittlichen, 
weil seine ,Vollendungsruhe' die Ähnlichkeitsgestaltung der 
empirischen Vernunftnatur nach dem Vorbild der absoluten 
Vernunftnatur voraussetzt. Aber das Heil ist nicht das Sitt- 
liche, weil es nicht die Ähnlichkeitsgestaltung in sich ist, sondern 
seine Folge. Mithin wird das objektive Heü wohl faktisch im 
objektiven Sittlichen gewirkt, aber die subjektive ,Beziehung' 
zum Heil ist nicht die subjektive Beziehung zum Sittlichen. 
Auf diese Weise werden Sittlichkeit und Religion (als die prak- 
tische »Beziehung zum Heil') verknüpft, aber nicht identifiziert. 



90 III. Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion, 

Es ist damit rein begrifflich ein sittliches (subjektives) 
Verhalten ohne religiöses (subjektives) Verhalten und religiöses 
Verhalten ohne sittliches Verhalten möglich ^ Aber tatsäch- 
lich wird sittliches (subjektives) Verhalten nicht geübt ohne 
irgend einen Keim religiösen (subjektiven) Verhaltens, noch 
religiöses Verhalten ohne irgend welche Frucht sittlichen Ver- 
haltens; denn weil eben sittliches Verhalten seine letzte Fun- 
dierung in der absoluten Vernunftnatur Gottes hat, ^vird es in- 
folgedessen sowohl ,in' seiner Betätigung naturnotwendig dieses 
seines Formalcharakters sich irgendwie bewußt, als auch bedarf 
es ,zu' seiner Betätigung irgend einer bewußten Hinwendung 
zu diesem seinem letzten Formalcharakter, womit in innerer Not- 
wendigkeit ein gewisses ,Gebetsleben' gegeben ist. Das gleiche 
folgt von der Seite des religiösen Verhaltens her, weil eben 
religiöses Verhalten eine Ähnlichkeitsbeziehung des empirischen 
Heüsempfängers zu Gott, dem persönlichen Heil, voraussetzt 
und infolgedessen sich dieser Voraussetzung ,in' seiner Be- 
tätigung bewußt werden muß, so daß der Gebetsverkehr 
entweder infolge eines empirischen Mangels dieser Ähnlichkeits- 
beziehung, d. h. infolge andauernder sittlicher Verderbtheit, ab- 
nimmt und schließlich aufhört oder, weil eben die Ähnlichkeits- 
beziehung seine innere Voraussetzung ist, aus seinen eigenen 
Antrieben diese Ähnlichkeitsbeziehung emportreibt, d. h. schon 
aus innerer Notwendigkeit Kraft sittlichen Verhaltens wird. 

5. Hieraus ergibt sich schließlich der Begriff der ,sittlichen 
Verfehlung' als einer ,Sünde', d. h. eines privativen Datums 
des , Heilsbereichs', weil eben das Sittliche als (letztlich) , Ge- 
staltung nach (secundum) Gott' innere Voraussetzung des Heiles 
als ,Lebens mit Gott' ist. Eüi ,Widerspruch zu Gottes Wesen', 
wie es letztlich die ,sittliche Verfehlung' ist, ist dann formal 
ein Bruch im ,Leben mit Gott'. 

* Vgl. hierüber die Kontroverse zwischen Max Pribilla und August 
Messer in den Stimmen der Zeit CIV (1922/23 I) 96 ff. 430 ff. und CV 
(1922/23 II) 255 ff. 



Einheitliche Wertlehre. 91 

Die diesem System entsprechende allgemeine Wertlehre 
aber läßt sich dahin zusammenfassen: 

1. , Wert' ist auf der einen Seite in keiner Weise nur ein 
,Seinsgrad', auf der andern Seite aber auch nicht eine reine 
Bezogenheit sei es letztlich auf Gott oder auf den Menschen. 
Vielmehr ist ,Wert' eine in sich, relationslose Eigenbestimmt- 
heit des jeweiligen Seinswesens selbst: jedes Seinswesen hat 
in dem Maße ,Wert', als seine spezifische Natur sich auswirkt. 
Es gibt danach absoluten ,TJnwert' nur dort, wo die spezifische 
Natur des betreffenden Seinswesens, von dem der Unwert 
schlechthin ausgesagt wird, nicht ausgewirkt ist. 

2. Davon zu scheiden ist die ,ßangordnung der Werte', die 
mit der , Rangordnung der Naturen' parallel läuft. In dieser 
Rangordnung der Werte allein gilt das Prinzip des ,höheren 
Seins'; es konstituiert also nicht, wie Scheler der Scholastik 
vorwirft, das Wesen des Wertes-in-sich, sondern büdet unter 
Voraussetzung der Eigenbestimmtheit des Wertes-in-sich das 
Formprinzip der Rangordnung der Werte. Sodann aber ist 
es auch nicht ein Prinzip des »höheren Seins' in einem einfach 
quantitativen oder rein analytischen Sinne ; die »Hierarchie' der 
Seinswesen, wie sie Thomas von Aquin entwickelt (z. B. 1, 2, q. 1, 
a. 2 usw.), geht vielmehr voran nach den Graden des Sich-selbst- 
besitzen, Sich-selbst-bestimmen und Sich-selbst-Ziel-sein, was 
in der Vernunftnatur und innerhalb der Vernunftnatur in derVer- 
nunftnatur ,a se' am höchsten ausgebildet ist, weswegen Thomas 
an der eben zitierten Stelle und auch anderswo der Vernunft- 
natur Eigenschaften zuschreibt, die wie göttliche Eigenschaften 
an sich scheinen: die ,natura rationalis' als , quasi se agens', 
die ,natura irrationalis' als ,ab alio acta' u. a. Weiter ist 
diese Hierarchie der Seinswesen, der ganzen Methode der 
Scholastik gemäß, nicht so sehr eine erstmalige strikt not- 
wendige Ableitung, so daß Gott bei der Schöpfung wesens- 
notwendig an sie gebunden gewesen wäre, sondern es ist mehr, 
der Methode der »argumenta convenientiae' gemäß, eine gute 



92 ni. Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

Gruppierung der bestehenden empirisclien Schöpfung unter 
einen Gesichtspunkt. Die scholastische jRangordnung der 
Werte' als fundiert in der ,E.angordnung der Seinswesen' ist 
also viel weniger aprioristisch als Scheler es voraussetzt und, 
wie uns scheinen möchte, auch weniger aprioristisch als 
Schelers eigene, d. h. was die formale, nicht die inhaltliche 
Seite angeht, in der beide übereinstimmen. 

3. Aus dieser allgemeinen Wertlehre entspringt dann als 
Spezialfall die Begriffsbestimmung des Sittlich-G-uten, wie sie 
bereits gegeben wurde. Hier wandeln sich die allgemeinen Be- 
griffe Wert — Unwert infolge des Freiheitsbegriffes in die Be- 
griffe (Sittlich-jGrut— Böse. Gott ist dann der ,Höchste Wert', 
weil bei ihm das Prinzip der Eigenverwirklichung des Wertes 
am höchsten entfaltet ist, indem er als ,ens a se' der absolute 
Selbstgrund seines Wertes ist und darin der letzte Grund aller 
möglichen Werte außer sich. - 

Auf diese Weise (die wir nur kurz skizzieren konnten) voll- 
endet die Scholastik wahrhaft Schelers Andeutungen über die 
Bealidentität von Wert und Sein, ohne irgendwie Wert aus 
Sein analytisch abzuleiten; das ,inhärieren', von dem Scheler 
spricht, wird durch sie in seinem Innern Wesen heraus- 
gestellt. 

Von hier aus ist darum nun eine eigentliche Klärung der 
Schelerschen Gesamtaufstellungen möglich: 

1. Weil ,Wert' in seiner Real-Objektivität ein innerer Sach- 
verhalt der Seinswesen ist, so kann er durchaus genau so wie 
alle übrigen Sachverhalte der Seinswesen in metaphysischer 
Betrachtung erkannt werden. Mitliin fällt die Scheidung zweier 
,entia intentionalia', von der wir früher sprachen, nicht mit 
der Scheidung ,Wert-Seüi' zusammen. 

2. Weil aber ,Wert' in seiner Real-Objektivität ein Tätig- 
keitssachverhalt der Seinswesen ist, insofern er (nach unsern 
Darlegungen) im wesenhaften (nicht empirischen) Naturverhalten 
der Seinswesen sein ,ObJektives' hat, so ergeben sich zwei 



Doppeltes Werterfassen. 93 

,entia intentionalia' innerhalb seiner selbst. Denn icb kann 
Werte erfassen einmal in rein theoretiscli- konstatierender 
SteUungnahme , so wie ich physikalische Tatsachen erfasse 
(weil ,Wert' ein innerer Sachverhalt der Seinswesen ist wie 
die physikalischen auch), dann aber auch im praktisch-tätigen 
Vollziehen oder Mitvollziehen der Werte selbst. Im ersten 
Erfassen geben sich mir die Werte sozusagen ,begrifflich', im 
zweiten ,lebendig'. 

3. Da es aber nur zwei Erfassensweisen desselben Einen 
sind, so sind die Gründe, auf die hin das theoretische Ver- 
halten einen oj aktiven Wert ,feststellt' oder ,ableitet', die glei- 
chen, auf die hin das praktische Verhalten denselben objektiven 
Wert ,erfährt'; der Unterschied besteht nur darin, daß diese 
(gleichen) Grründe im praktischen Erfassen objektiv ,wirken', 
während sie im theoretischen Erfassen als wirkende reflexiv 
erkannt werden. Es reduziert sich also das ganze Problem 
auf den Unterschied praktischen und theoretischen Erkennens, 
auf ,rear und ,notionar Newmans, auf ,cognitio directa' und 
,reflexa' der Scholastik. 

4. Mithin sind Ethik und Religion nicht insofern wesens- 
verschieden von Metaphysik, als ihre Inhalte und Gesetze nicht 
metaphysisch ableitbar wären. Aber das praktische sittliche 
und religiöse Verhalten geht nicht reflexiv nach diesen Ab- 
leitungen vor, sondern vollzieht sie sozusagen ,intuitiv' und 
,direkt' in seinem tatsächlichen Vorangehen. Es sind die New- 
manschen Unterschiede von ,natural inference' und ,formal 
inference', ,implicit reasoning' und ,explicit reasoning', die hier 
ihren Platz haben. 

Diesen Sinn des ,iraplicit reasoning' legte bereits W. G. Ward ^ dar und 
wies in eingehender Untersuchung nach, wie Kleutgen (Philosophie der 
Vorzeit) und Newman (University Sermons) in dieser Lehre übereinstimmten : 
im jiwtplicit reasoning' als einer ,natürlichen Induktion', wie wir sie noch 
näher keimen lernen werden. Ward formuliert dann sehr klar das erkennthis- 



' The Philosophy of Theism (London 1884) H 132 ff. 216 ff. 256 ff. 



94 III. Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

theoretische Problem dieses »natürlichen Denkens': ,Philosophers who ad- 
mit (what seems to us undeniably sound) the general theory laid down by 
FF. Kleutgen and Newman, have to explain what eriterion is open to in- 
dividuals, that they may assure themselves on the legitim acy of theirim- 
plicit reasoning; how they are sure to distinguish between their well-grounded 
conclusions, on the one hand, and the dictates of prejudice, passion, caprice, 
on the other' (243). Für Newman fand dieses Problem eine vorläufige 
psychologische Lösung in seiner Lehre von der ,Liebe', d. i. im Sinn von 
jSimplicity of Intention' nachWards Deutung, d.h. jener Einfalt der Ge- 
wissenhaftigkeit, von der Newman immer wieder sagt, daß sie früher oder 
später, auch über noch so viel Umwege, den Menschen zur Wahrheit führe, 
so daß alle Konversion im Grunde ein Entfaltungsprozeß sei, kein Zer- 
storungsprozeß ; metaphysisch liegt seine Lösung in der Lehre von den 
,first principles', d. h. ,der intellektuell-moralischen Grundrichtung eines 
Menschen, seiner Grundeinstellung zu Gott und Welt, die sozusagen der 
dynamische Ausdruck seines statischen Wesens ist' ^. 

Diesen wahren Sinn des von den englischen und französischen Immanenz- 
theologen in eine ,immanence vitale' umgedeuteten ,implicit reasoning' hat 
jüngst erst Francis Bacchus, selbst noch direkter Newmanschüler und nun 
zweiter Nachfolger Newmans im Amte eines Superiors des Oratoriums von 
Birmingham, in eingehender Untersuchung^ auch aus den zeitgeschicht- 
lichen Fragestellungen der Evidential-School u. a. klar herausgestellt. Die 
in der herrschenden Newmanliteratur Frankreichs, Italiens und Deutschlands 
verbreiteten Ansichten haben ihren Ursprung in der Unkenntnis der Frage- 
stellungen der englischen Philosophie und (anglikanischen) Theologie zwischen 
1820 und 1880. Die Frage nach den Erkenntnisbedingungen, unter denen 
der gewöhnliche Mensch, im Unterschied vom Wege des wissenschaftlichen 
Beweises, zur Einsicht der moralischen und religiösen Wahrheiten kommt, 
hat seinerzeit Rud. Otto sehr zutreffend als die vielleicht eigentliche Frage 
der Philosophie der Aufklärung bezeichnet ^. Das ist aber nichts anderes als 
die Frage des ,implicit reasoning', womit sein philosophiegeschichtlicher Ort 
bezeichnet ist. Das Problem, das Locke mit der ,reasonableness of chri- 
stianity', Paley mit der juristischen ,evidence' und Robert Peel und Brougham 
mit ihrer ,secular knowledge', wie Newman sie nennt (,Tamworth Reading 
Room') zu lösen suchten, dieses selbe Problem beantwortet Newman mit 
seinem ,implicit reasoning'. Das objektive Gegenstück aber dieses ,implicit 
reasoning', Newmans Theorie vom Christentum als ,counterpart of nature', 
ist ganz von Butlers ,Analogy' her orientiert. Da nun in NeAvmans Sj-^stem 

1 Vgl. J. H. Newman, Christentum (Freiburg 1922) I 63 ff., IV 70 ff. 

2 ,Newman's Oxford University Sermons': Month CXL (1922) Iff. 

^ Kantisch - Friessche Religionsphilosophie (Tübingen 1909) 19 ff. Ob 
freilich das mittelalterliche ,Laienchristentum' und die Luthersche ,Kurze 
Summa' schon als Vorläufer dieser Fragestellung zu fassen seien, ist eine 
andere Frage. 



Newmansche Formulierung. 95 

das (implicit reasoning', das im Wesen mit ,natural inference' und ,illative 
sense' zusammenfällt, nur das religionspsychologische Gegenstück zur 
religionsphilosophischen ,counterpart of nature' Theorie ist, wie wir ander- 
weitig nachgewiesen haben, so zeigt sich Newmans System, in seiner zeit- 
geschichtlichen Bedingtheit durch die Problemstellung und Lösungsrichtung 
sowohl der zeitgenössischen Philosophie wie Theologie, in einer ähnlichen 
Synthese-Stellung wie Kant gegenüber seiner Zeit, nur daß für Newman 
neben diese Zeitbedingtheit noch sein Beeinflußtsein durch die Patristik 
trat, Avie wir ebenfalls anderweitig gezeigt haben ^. 

Im Lichte einer Klärung durch scholastische Wertlehre und 
Newmansches ,implicit reasoning' erweist sich also die Sche- 
lersche Einführung eines emotionalen Apriori für Ethik und 
Religion als Vereinseitigung eines wahren Tatbestandes ; alle 
Einzeldata des Problems führen vielmehr organisch zu der 
eben dargelegten Auffassung. An die Stelle von Schelers 
,emotionaler Werterkenntnis' tritt »natürliche Erfahrungsweise' 
als Gregenstück des ,reflexiven' Denkens. 

3. Unableitbarkeit des subjektiven Werterfassens. 

Dasselbe Ergebnis zeigt sich nun klarer bei der Prüfung der 
Gründe Schelers aus der Aktnatur des subjektiven ethi- 
schen und religiösen Verhaltens. Diese Gründe sind gewiß ver- 
schieden für das ethische und das religiöse Verhalten. Ihre 
Wurzel ist aber bei Scheler die Liebeslehre und in unsrer 
Lösung jener Unterschied eines ,Erkeimens des Tuns' und 
eines ,Brkennens im Tun', wie dies der Diognetbrief als ,Er- 
kenntnis mit dem Herzen' faßt {f|Tuj ö"oi Kapbia fvujcric, 12, 7) 
oder Augustinus als ,volIkommenere Erkenntnis im Tun' (,per- 
fectius cognoscuntur cum fiunt', in Ps. 118 s. 17, 7). 

a) Darlegung. 

a) Liebescharakter. 

Der Hauptgrund für Schelers Auffassung, um den alles 
andere s ich erst gruppiert, ist seine Liebeslehre, deren 

^ J. H. Newman, Christentum IV 66 If. 97 ff., sowie im inneren Aufbau 
von Bdch. I— III. 



96 ni. WertfüHen und Selbständigkeit der Religion. 

metaphysisclie Bedeutung wir bereits (S.Kap., § 1) behandelt 
haben. Die Grundbedeutung der Liebe gerade für sittliches und 
religiöses Verhalten sowohl nach der Seite des Erfassens der 
sittlichen und religiösen Inhalte wie nach der Seite sittlicher 
und religiöser Betätigung leitet sich bei Scheler aus der gegen- 
seitigen Verknüpfung folgender Aufstellungen ab, die in der 
Hauptsache bereits erörtert sind (vgl. S. 26 ff. 39 ff.) : 

1. Die , Liebe' ist überhaupt die subjektive Haltung, ,in' der 
,Werte aufblitzen', d. h. die ,Haltung, in der' Werte ,erfühlt' 
werden, nicht das erkennende ,Erfühlen' der Werte selbst 
(Syl81ff.); 

2. ,ethische Werte . . . sind . . . Werte . . . [die] wesenhaft auf 
der Person- (und Akt)seite liegen' (M 83); 

3. die ,Person' ist nie (auch in der Liebe nicht) als , Gegen- 
stand' gegeben, sondern nur im Eigenvollzug oder Mitvollzug 
ihrer Akte (Sy 191 ff. M 399 ff); 

4. die »sittliche Person' ist demnach nur gegeben im Eigen- 
vollzug oder Mitvollzug ihrer sittlichen Akte, d. h. in der , Ge- 
folgschaft' (Sy 193) oder dem ,Vorbüdverhältnis' (M 596 ff.). 

Also ist die Liebe, in der das Erfassen des Sittlichen sich 
vollzieht, ,die Liebe zum Personwert, d. h. zur Person als 
Wirklichkeit, durch den Personwert hindurch' (Sy 191), und 
entsprechend ist die ,sittliche Person' nur gegeben in ihrem 
zentralen Liebesaktus : ,wir müssen lieben, was das Vorbild 
liebt im „Mitlieben", um diesen sittlichen Wert zur Gegeben- 
heit zu bekommen' (Sy 193). 

Dieses Ergebnis wird noch deutlicher, wenn wir es im großen 
Rahmen der Person-Liebe-Lehre Schelers betrachten. Diese 
Untersuchung läßt sich in folgende Sätze fassen: 

1. ,Person' fällt nicht mit ,sittlicher Personhaltung' zu- 
sammen, d. h. mit »sittlicher Selbständigkeit und Reife'. Denn 
,Person' ist erstens keine Bewußtseinsrichtung, sondern ein 
objektives ,Sein' als ,konkrete, selbst wesenhafte Seinseinheit 
von Akten'. Zweitens ist ,Person' wesenhaft ,Seinseinheit von 



Liebe als sittlicher Grundakt. 9,7 

Akten verschiedenartigen Wesens', so daß weder ein rein wis- 
sendes noch ein rein wollendes Wesen ,Person' wäre. ,Diese 
Wesen wären immer noch (logische) Subjekte, die Vernunftakte 
A''ollzögen, aber Personen wären sie nicht. ... Sie wären (logische) 
Subjekte eines WoUens — aber keine Personen. . . . Daß die 
verschiedenen logischen Subjekte der wesensverschiedenen Akt- 
arten . . . nur in einer Formeinheit sein können — sofern auf 
ihr mögliches Sein und nicht bloß auf ihr Wesen reflektiert 
wird — dies erst macht es aus, wenn wir nun sagen : Es ge- 
hört selbst noch zum Wesen von Aktverschiedenheiten, in einer 
Person und nur in einer Person zu sein' (M 397/398). 

2. ,Person' hat aber im Bereich des Sittlichen eine ganz be- 
sondere Bedeutung, insofern das Sittliche wesenhaft ,personhaft' 
ist. Daraus folgt: 

a) Das sittliche ,Idear ist letztlich nicht zu fassen als eine 
Summe rein sachlicher Verhaltungsweisen, sondern als ,Person- 
ideal', aus dem erst sekundär sachliche Verhaltungsweisen sich 
ergeben. Ein solches Personideal liegt allen allgemeingültigen 
sittlichen Vorschriften zu Grunde, die sich damit auf eine ,Ilang- 
ordnung reiner Wertpersontypen' zurückführen, in deren Formen 
dann letztlich ,auch indirekt die göttliche Wesensgüte selbst 
möglicher Vorbildgehalt' wird (M 614). Aber neben diesen 
, allgemeingültigen' Wertpersontypen besteht die ,individual- 
gültige' Wertperson als das ,ideale Wertwesen' der eigenen 
einmaligen Individualität, so daß im Ausgleich des allgemein- 
gültigen jeweiligen ,Wertpersontypus' und des für dieses In- 
dividuum alleingültigen ,idealen Wertwesens' das jeweilige sitt- 
liche Ideal sich konstituiert. ,Alle allgemeingültigen Werte 
(allgemeingültig für Personen) stellen, bezogen auf den höchsten 
Wert, das Heiligsein der Person, und auf das höchste Gut, 
das Heil einer individuellen Person, nur das Minimum von 
Werten dar, unter deren Nichtanerkennung und Nichtreali- 
sierung sie ihr Heil jedenfalls nicht erreichen kann; nicht aber 
schließen sie alle möglichen, sittlichen Werte in sich, durch 

Przywara, Eeligionsbegründung. 7 



98 in. Wertftthlen und Selbständigkeit der Religion. 

deren Realisierung sie es erreicht. Jede Täuschung hinsicht- 
lich der allgemeingültigen Werte und jedes Zuwiderhandeln 
gegen die von ihnen hergeleiteten Normen ist daher böse 
resp. durch Böses bedingt. Aber ihre richtige Erkenntnis und 
Anerkennung und der Gehorsam gegen iiire Normen ist durch- 
aus nicht das positive Gute schlechthin, das vielmehr erst voll- 
gegeben ist, sofern es auch das individual-persönliche Heil ein- 
schHeßt' (M 512). 

b) Beide, ,Wertpersontypus' als Inbegriff sittlicher Allgemein- 
gültigkeit und ,ideales Wertwesen' als Inbegriff sittlicher In- 
dividualgültigkeit , sind , gegeben' nur in der Qualität einer 
bestimmten ,Liebesrichtung', sei es der Fremdliebe zu einem 
,empirischen' Exemplar des ,wesenhaften' Wertpersontypus, sei 
es in der Selbstliebe. Diese ,Liebesrichtung' wird zu einer 
Form des gesamten Innenlebens, die den Liebenden gestaltet, 
,wie das Yorbildexempel als Person ist, nicht was es ist'. Es 
ist weder ,Nachahmung noch Gehorsam, sondern ein von der 
Haltung der Hingebung an das Yorbildexemplar umspanntes 
Hineinwachsen des Personseins selbst und der Gesinnung in 
Struktur und Züge des Vorbildes. . . . Erst eine Folge dieser 
wachsenden Hineinbildung in das Vorbild ist die Neubildung 
resp. — je nachdem — die Umbildung der Gesinnung, der 
Gesinnungswandel und die Sinnesveränderung, d. h. wir lernen 
dabei so zu wollen und zu tun, wie das Vorbildwesen will 

und tut, nicht etwa, was es will und was es tut Solcher 

Gesinnungswandel (ein anderes als bloße Gesinnungsänderung) . . . 
vollzieht sich primär durch einen Wandel der Liebesrichtung 
im Mitlieben mit der Liebe des Exemplars des Vorbildes' (M 604), 
und ebenso vollzieht sich in der echten Selbstliebe ,und ge- 
staltet sich alles empirische Leben unter dem zielgebenden 
Einfluß [des] . . .Wertideales der individuellen Person, in dem 
die einzigartige Stelle fixiert ist, die jene individuelle Person 
im üeiclie des an sich bestehenden Guten einnimmt, und hierauf 
gegründet die Stelle, die das Seinsideal der betreffenden Person 



Liebe als religiöser Grundakt. 99 

im göttlichen Heilsplan besitzt' (M 511 Anm.). So entwickelt 
sich also die Personwertigkeit der empirischen Person 
im Mitvollziehen bzw. Eigenvollziehen der Liebesrichtung, die 
der Kern des jeweiligen ,Wertpersontypus' bzw. des eigenen 
jidealen Wertwesens' ist. 

3. Diese innige Beziehung von Person, Sittlichkeit und Liebe, 
die aber nicht ein begriffliches Gleichsetzen ist, hat dann eine 
besondere Bedeutung für das religiöse Gebiet, insofern der 
religiöse Wert, der ,Wert des Heiligen', d. h. der eine reale 
Gott unter dem Intentionsbezug des ,summum bonum', wie wir 
früher sahen (vgl. S. 77 ff.), der Höchstwert ist, der die Welt 
der sittlichen Werte ,fundiert' (vgl. S. 68 f.). Es folgt die zen- 
trale Bedeutung eines ,innern Erfassens' Gottes als , Personalität'. 
Gott als ,Wert des Heiligen', als ,summum bonum', und damit 
als Pundierung der wesenhaft personalistischen Welt der sitt- 
-lichen Werte ist in höchstem Sinn ,Person', und darum ist 
das ,innere Erfassen' seiner Personalität, wie es der Religion 
im Unterschied zum »metaphysischen' reinen »Feststellen der 
Daseinstatsache' dieser Personalität eigen ist (vgl. S. 26 ff. 80 f.), 
im eigentlichen Sinne die ,Fundierung' alles Erfassens sittUcher 
Werte. Die Liebesaktus, in denen die allgemeingültigen und 
individualgültigen ,Wertpersontypen' erfaßt werden, sind mit- 
hin, »fundiert' im ,amare Deum in Deo' d. h. im geistigen Mit- 
vollzug des ungeschaffenen Liebesaktus, der Gott ist. Weil 
eben die Beziehungsgleichung zwischen Person, Sittlichkeit und 
Liebe ihren metaphysischen Ursprung in Gott selber hat, der 
als ,summum bonum' sowohl ,Liebe' (vgl. S. 41 f.) wie ,Person' 
ist (vgl. S. 27 ff. 44 f. 80) und sozusagen Liebe als Person und 
Person als Liebe (S. 52 f.), darum ist auch genetisch-psycho- 
logisch das Erfassen des personhaften ,summum bonum' im 
geistigen Mitvollziehen des Liebesaktus, der Er ist, die fun- 
dierende Bedingung des Erfassens und konsequent Yerwirk- 
lichens, der sittlichen Werte sowohl als auch indirekt aller 
Werte überhaupt; »indirekt', d. h. durch die sittlichen und die 



100 III. Wertftihlen und Selbständigkeit der Eeligion. 

nächsttieferen Werte in der WerthierarcWe hindurch, die »direkt' 
ihre nächsttieferen Werte ,fundieren' (vgl. S. 66 f.). 

Aus all diesen Erwägungen aber ergeben sich folgende drei 
Sätze, auf denen Ethik und Religionslehre Schelers sich auf- 
bauen, besser aus denen als ihrem Keim sie sich entfalten : 

1. Einsicht und Verwirklichung des »persönlichen sittlichen 
Kosmos' als eines Kosmos, der letztlich der ,Wesenswert meiner 
Person' bzw. das , Wertbild ist . . ., das die Liebe Gottes, so- 
fern sie auf mich gerichtet ist, von mir gleichsam hat und 
vor mich hinzeichnet und vor mir herträgt' (M 510), d. h. meine 
jPersonidee* (vgl. S. 29 f.), — Einsicht und Verwirklichung dieses 
eigenen sittlichen ,Personkosmos' vollzieht sich wurzelhaft in 
der Selbstliebe. »Höchste Selbstliebe ist der Akt, durch den 
die Person zum vollen Verstehen ihrer selbst und damit zum 
Anschauen und Fühlen ihres Heiles gelangt' (M511), weil sie 
eben nur die Gegenliebe zur vorausgehenden Liebe Gottes ist, 
in der mein »individuelles Wertwesen' letztlich ursprunghaft 
gegeben ist. 

2. Alle sittliche Beziehung zu andern Personen, sowohl was 
Erkenntnis ihres sittlichen Wertes betrifft als auch das prak- 
tische Verhalten zu ihnen, wurzelt in der Nächstenliebe, die 
nicht, wie die Romantik es faßte, eine ,Elongatur' des Selbst 
intendiert, auch nicht ein Erlebnis ununterschiedenen, ,Eins- 
seins' vollzieht, sondern einen geistigen Mitvollzug des eigenen 
Liebesaktus der fremden Person als »anderer', als vom eigenen 
Selbst des Liebenden unterschiedener Person darstellt (Sy^ 81 ff. 
269 ff.) ; ja so sehr gehört die ,Distanz' zum Wesen der Nächsten- 
liebe, daß diese ,ursprünglich nicht mehr nur von spontanen 
Akten des . . . Liebenden oder Verstehenden allein abhängt, 
sondern auch von dem freien Ermessen der zu liebenden oder 
geistig zu verstehenden Person', die als ,geistige Person' ,sich 
selbst verschließen oder aufschließen kann' (Sy^ 119), freihch 
unter Menschen» im unterschied von Gottes absolut voraus- 
gehendem Entschluß einer Selbstoffenbarung, in der Form einer 



Liebe als Eines in Selbst-, Nächsten- und Gottesliebe. 101 

,Grleichzeitigkeitsbedmgung', indem wesensnotwendig ,Liebe 
Gegenliebe setzt' (Sy 190). Wir können niemals gegenständ- 
lich ,ij^r6ii [der fremden Person] sittlichen Wert erfassen, da 
dieser ja selbst ursprünglich nur getragen ist vom Akte ihrer 
Liebe : dieser allerletzte sittliche Personwert ist uns daher nur 
im Mitvollzug ihres eigenen Liebesaktus gegeben. Wir müssen 
lieben, was sie liebt im „Mitlieben", um diesen sittlichen Wert 
zur Gegebenheit zu bekommen' (Sy 193). 

3. Gott als das ,suimnum bonum' und damit als ,Person der 
Personen' leuchtet auf in der letzten Tiefe der Liebe, der 
Selbstliebe sowohl als der Fremdliebe, indem beide ,im letzten 
Grunde . . . auf Gottesliebe' fundiert sind, ,die immer zugleich 
ein Mitlieben aller endlichen Personen mit der Liebe Gottes 
als der Person der Personen ist' (M 518)^: Weil Gott die 
Liebe ist, darum ist alle Liebe, Selbstliebe und Fremdliebe, 
ein ,amare in Deo'; und weil alles Lieben als Lieben ein 
,amare in Deo' ist, darum ist die bewußte Gottesliebe nur die 
Entfaltung des Wesens der Liebe überhaupt : nicht im Grunde 
,Liebe zu Gott', weil eben Gott selber die Liebe ist, sondern 
,amare Deum in Deo': ,Die höchste Form der Gottesliebe ist 
nicht die „Liebe zu Gott" als dem aUgütigen, d. h. einer Sache, 
sondern der Mitvollzug seiner Liebe zur Welt (amare mundum 
in Deo) und zu Sich selbst (amare Deum in Deo)' (Sy 189). 
So liegt in der Liebe als Liebe, weil Gott die Liebe ist, ein 
letztes Transzendieren, so daß jede Liebe, so sie wahrhaft Liebe 
ist und nicht , sinnliche Liebe', welche nach Scheler die ,par- 
tielle Hemmung' der Liebe ist, in ihrer Tiefe sozusagen Gott 
trägt. 

* Vgl. auch SW 1 133/134 : ,Es ist . . . selbstverständlich, daß da, wo die 
Liebe zum Wesen Gottes gehört und aller religiöse Heilsprozeß nicht in 
menschlich-spontaner Tätigkeit, sondern in der göttlichen Liebe seinen Aus- 
gangspunkt hat, die Liebe „zu Gott" immer gleichzeitig ein Mitlieben der 
Menschen, ja aller Kreaturen mit Gott — ein „amare mundum in Deo" — 
in sich einschließen muß. „Amor Dei et invicem in Deo" ist Augustius 
feste Formel für die unteilbare Einheit dieses Aktes.' 



102 III- Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

Vermöge dessen aber ist die Liebe als Liebe, d. h. durch 
ihre reine Aktnatur, zugleich der sittliche und religiöse Grundakt. 

Liebe ist der sittliche Grundakt, da sie ein Mitvollziehen 
des göttlichen Liebesaktus ist und damit — weil Gott als un- 
geschaffener Liebesaktus das ,summum bonum' ist (vgl. S. 41 f.) — 
ein Teilnehmen an der göttlichen Wesensgüte, also der ,gute' 
Akt schlechthin. Es ,ist die Liebe der Träger des Wertes 
„gut" in ursprünglichstem Sinn' und ,das sittliche „Gutsein" 
einer Person (in seinem ursprünglichen Sinne)' bestimmt ,sich 
nach dem Maße der Liebe . . ., die sie hat; auch der sittliche 
Wert einer „Gemeinschaft" z. B. nach dem Maße der in ihr 
überhaupt investierten Liebe' (Sy 187/188). 

Liebe aber ist sodann der religiöse Grundakt , weil der 
Liebe als Liebe, d. h. abgesehen von aller ,Richtung' oder 
allem , Gegenstand', ein inneres letztes ,Transzendieren' eignet, 
ein ,Lieben über alles und in allem' als gleichsam innere Form, 
worin Er aufleuchtet, der allein kraft Seines Wesens ,über 
allem und in allem' ist. 

Der letzte Punkt, Schelers Lehre von der Liebe als dem 
religiösen Grundakt, ist nun des näheren zu untersuchen. 
Scheler wiU mit seiner Auffassung vom Aufleuchten Gottes 
als ,summum bonum' in der transzendierenden Liebe zwei 
Fragen lösen: 

1, Die Frage nach dem Ursprung einer ,materialgebenden 
Anschauung vom Göttlichen' (E 544), die doch die Voraus- 
setzung alles religiösen Suchens wie aller Beweise über Gott sei ; 

2. die Frage nach einer befriedigenden Erklärung der Unter- 
schiede der historischen Gottesvorstellungen. 

Die erste Frage — nach der ,materialgebenden An- 
schauung vom Göttlichen' — löst er dahin, daß diese er- 
forderte ,materialgebende Anschauung' eben der in der Liebe 
als wesenhaft transzendierendem Akt aufleuchtende , Gottes- 
wert', das ,ens intentionale' des ,suramum bonum' (vgl. S. 77 f.) 
oder des ,Heiligen', sei. Diese Theorie Schelers ist der letzte 



Liebe als Wertkontakt mit dem Göttlichen. 1Q3 

eigentliche Sinn seiner vielumstrittenen ,umnittelbaren Gottes- 
erkenntnis', die also ebenfalls, wie bereits die Theorie von der 
,Unerkennbarkeit der Person Gottes' (vgl. S. 80 ff.), als Aus- 
druck der einen und selben grundlegenden Person-Liebe-Theorie 
Schelers sich enthüllt. 

jNiclit die Idee Gottes, im Sinne einer existierenden positiv bestimmten 
Realität ... ist es, die . . . vorausgesetzt ist . . ., es ist vielmelir nur die Qualität 
des Göttlichen oder die Qualität des Heiligen. . . . Sie ist die letzte (und 
zwar die oberste) Wertqualität in der Rangordnung der Werte, die ur- 
sprünglich leitend ist auch für die Ausbildung aller positiven Vorstellungen, 
Ideen und Begriffe von Gott , . ., eine apriorische Wertidee des Göttlichen, 
welche keinerlei historische Erfahrung oder induktive Erfahrung voraus- 
setzt, ja auch Dasein einer Welt und eines Ich in keiner Weise zur Fun- 
dierung hat. Wir nehmen mit dem Gesagten den Wahrheitskern auf, der 
seit Augustin jener philosophischen Gedankenrichtung einAvohnt, die man 
Ontologismus genannt hat. Hier ist freilich nicht nur die Qualität des 
Göttlichen, sondern auch das Dasein Gottes selbst im Sinne einer be- 
stimmten Substanz als etwas angesehen worden, das unmittelbar und in- 
tuitiv gegeben sei, und zu dessen Erfassung es keinerlei Voraussetzung 
des Daseins einer Welt oder gar noch ihrer Beschaffenheit oder eines Kausal- 
schlusses von ihr auf ihre letzte Ursache resp. (im teleologischen Beweis) 
der Beschaffenheit dieser Ursache bedürfe. Daß es ein letztes Element 
unmittelbarer und anschaulicher Natur in allen religiösen Objektideen gäbe 
— das ist es, was an dieser Lehre der Wahrheit entspricht. Völlig zurück- 
zuweisen aber ist die mit allen bisherigen Formen des Ontologismus meist 
verbundene Ansicht, daß wir auch das Dasein im Sinne eines substantiell 

Wirklichen (Gottes) auf diese Weise erfassen können Was uns zweitens 

vom historisch gegebenen Ontologismus scheidet, besteht aber darin, daß 
er als dieses anschaulich gegebene letzte Element in allen positiven Eeligions- 
vorstellungen die Idee des unendlichen Seins ansah. . . . Dem gegenüber 
gilt, daß dieses anschauliche Element den Charakter einer letzten unauf- 
löslichen, aber in der Rangordnung der Werte evident höchsten Wertqualität 
hat, und eben in dem Werte des unendlich Heiligen besteht. Das Wert- 
moment bildet daher nicht ein Prädikat einer schon gegebenen Gottesidee, 
sondern ihren letzten Kern, um den sich alle begrifflichen Fassungen und 
Bildvorstellungen vom Wirklichen erst sekundär herum kristallisieren. Es 
sind die im Fühlen und in der Intention der Liebe gegebenen, eigentümlich 
nuancierten Wertqualitäten des Göttlichen, die für die Ausbildung derGöttes- 
ideen und Gottesbegriffe leitend Averden. Ein jeder Gott wird schließlich 
so gedacht und vorgestellt, wie es seinem primär gegebenen Wertwesen 
entspricht' (M 302—304). ,Für die Erforschung des Göttlichen ist es fast 
eine conmiunis opinio aller großen Theologen, daß ein emotionaler Kon- 
takt mit Gott in der Gottesliebe, ein Pülilen seiner Gegenwart als summum 



X04 Ij^I- Wertfühlen und Selbständigkeifc der Religion. 

bonum — eine Erregung des „Göttlichen Sinnes", wie die großen Orato- 
rianer Malebranche und Thomassinus anschließend an die Neuplatoniker 
und die griechischen Väter sagen, allen Beweisen seines Daseins als letzte 
Stoffquelle vorherginge und vorhergehen müsse' (E 93). , Gottes Dasein 
— fordert man — solle sich ohne jede materialgebende Anschauung über 
das Göttliche einfach aus Daseins- und Wesensgebieten ganz anderer Art, 
ohiie Heranziehung religiöser Sinngesetze, nur mit den Mitteln formaler 
Logik beweisen lassen, wogegen man doch bestimmt das Dasein eines Lebe- 
wesens nicht beweisen kann, wenn man nicht mindestens an einem Lebe- 
wesen das Wesen der lebendigen Form, Bewegung usw. erschaut hat. Ge- 
rade wo der Sprung von Wesensart zu Wesensart der größte ist, sollte ge- 
lingen, was nicht gelingt, wo er der kleinste ist?' (E 544/545.) ,Damit 
löst sich die tiefsinnige Paradoxie des Wortes Pascals : »Ich wüi-de Dich 
nicht suchen, wenn ich Dich nicht schon gefunden hätte" auf. Dieses „ge- 
funden" geht eben auf jenes Haben des Wertwesens Gottes in den geistigen 
Augen des Herzens und der Liebe, in dem Aufblitzen dieser Qualitäten im 
Vollzug dieser emotionalen Akte, und jenes „Suchen" geht auf die begriff- 
liche Bestimmimg imd Vorstellimgsweise, die jenem schon „gefundenen" 
Göttlichen gemäß stattfindet' (M 304). 

So ist es uns nun möglich, über die »unmittelbare 
Grotteserkenntnis' ein abschließendes Urteil zu gewinnen. 
Es hatte sich uns früher ergeben: 

1. Aus den Erwägungen über die methodische Beschränkung 
der Phänomenologie auf das erkenntnisimmanente Intentional- 
objekt (vgl. S. 20ff.): — »unmittelbare Grotteserkenntnis' besagt 
grundlegend die Unmittelbarkeit des erkennenden Aktes zum 
Erkenntnisobjekt als »erkanntem', d. h. als ,ens intentionale', 
nicht als ,ens reale', insofern nämlich die Eigenart des Ob- 
jektes in der Eigenart des Aktes sich , vorzeichnet', sodaß das 
Objekt die ' , direkte', ,unmittelbare' ,Erfüllung' dieser ,Vor- 
zeichnung' ist (vgl. S. 72 f. 86). 

2. Aus den Erwägungen über die zwei ,entia intentiönalia', 
in die sich das eine ,ens reale', Gott, für die zwei verschiedenen 
Intentionsrichtungen von Religion und Metaphysik zerlegt (vgl. 
S. 77ff.): — ,Unmittelbarkeit' der ,religiösen. Gotteserkenntnis' 
besagt die Art, wie Gott als spezifisches ,ens intentionale' der 
,ßeligion', nämlich als ,summum bonum', dem religiösen Akt 



jünmittelbare ^otteserkenntnis' als Liebe. 105 

,unmittelbar' ist, d. li. im Gegensatz zu einer ,yermittlung' 
durch das ,ens intentionale' der Metaphysik (vgl. S. 80). 

Nun gewinnen wir aus der Person -Liebe -Lehre Schelers 
den eigentlichen positiven Sinn jener ,Unmittelbarkeit', die 
dem religiösen Akt als Liebesakt zukommt. 

Als Liebesakt besitzt das ,religiöse Grotterfassen' eine , Un- 
mittelbarkeit' nicht blof3 in dem bereits erörterten Sinn einer 
Unabhängigkeit von reflexen Beweisen und von metaphysischer 
Geisteshaltung überhaupt, sondern auch in dem Sinn, daß das 
religiöse Gotterfassen als Liebesakt 

1. allem ,metaphysischen Erfassen' Gottes vorausgeht. Denn 
infolge des allgemeinen ,Liebesprimates' (vgl. S. 39—55) geht 
,Liebe' nicht nur allem reflexiv-verstandesgemäßen Erkennen 
und Wollen voraus, sondern ist auch noch die seelische Hal- 
tung, in der sich erst das, selber — infolge des allgemeinen 
Wertprimates — allem Verstandeserkennen und Wollen vorauf- 
gehende ,intentionale Fühlen' der ,Werte' vollzieht; 

2. daß das rehgiöse Gotterfassen als Liebesakt zum realen 
Gott ,unmittelbarer' steht als das metaphysische Gotterfassen. 
Denn Gott ist die Liebe, also die Liebe als Liebe gleichsam 
ein ,Stück Gottes'. Das ,ens intentionale', unter dem die 
.Religion' den realen Gott erfaßt, steht zu Gott ,unmittelbarer' 
als das ,ens intentionale', unter dem die ,Metaphysik' den- 
selben realen Gott erfaßt. Ja, im Smne der Person-Liebe- 
Theorie scheint in der ,Liebe', weil Gott die Liebe ist , sich 
eine Art direkten Kontaktes mit dem realen Gott zu vollziehen. 

Haben wir also doch theologischen Ontologismus ? Eine 
nähere Beachtung der Lehre Schelers zeigt, wie die schein- 
baren Beweise hiefür sich wieder auflösen. Es sind zwei 
Momente, die uns zu diesem Urteil zwingen : 

1. Wie wir eben aus Schelers Worten sahen, bezieht sich 
das »unmittelbare' Gotterfassen in der Liebe auf die ,Wert- 
qualität des Göttlichen (des Heiligen)' als ,materialgebende An- 
schauung über das Göttliche*, nicht auf ,das Dasein im Sinne 



106 in. Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

eines substantiell Wirklichen (Gottes)'. Gewiß lehrt das ,Ewige 
im Menschen', daß der religiöse Akt Gott auch als , Wirklich- 
keit' fasse, und zwar ,sekundär' ; aber auch dieses Werk Schelers 
behält die Lehre von der ,materialgebenden Anschauung', die 
,allen Beweisen seines [Gottes] Daseins als letzte Stoffquelle . . . 
vorhergehen müsse', ausdrücklich bei (E 93) und richtet von 
ihr aus die Kritik gegen die überlieferte Gottesbeweismethode 
(E 544/545), so daß wir wohl gezwungen sind, die Lehre von 
einem ,sekundären' Erfassen der Wirklichkeit Gottes im Rahmen 
der Lehre von der ,materialgebenden Anschauung' zu erklären, 
d. h. nicht im Sinne eines Ontologismus des Seins bzw. der 
Idee Gottes. Wir werden wohl anzunehmen haben, daß der 
sekundär gegebene Wirklichkeitscharakter Gottes für Scheler 
etwa in der Richtung des Anselmschen ,ontologischen Argu- 
mentes' liegen dürfte. Denn nach seinen ,Wertaxiomen' ist ,die 
Existenz eines positiven Wertes . . . selbst ein positiver Wert' 
(M 79), womit gegeben wäre, daß die Nichtexistenz eines ,sum- 
mum bonum' emen solch ungeheuren »negativen Wert' bedeutete, 
daß mit dem ,ens intentionale' des ,summum bonum' sekundär 
auch der Wirklichkeitscharakter Gottes gegeben sein müsse. 
Aber da dieser sekundäre Wirklichkeitscharakter Gottes wieder 
nur das primäre ,ens intentionale' der Metaphysik ist, 
nämlich das ,ens a se', so ist auch nach dieser Seite hin ein 
, unmittelbarer' Weg in die Realität Gottes prinzipiell ver- 
schlossen. Es bleibt bei dem, was wir früher ausführten 
(S. 19 20), daß alle Theorien Schelers innerhalb des Bewußt- 
seinsvorgangs bleiben und prinzipiell keine Realitätstheorie be- 
deuten. Eine solche ist erst zu erwarten. Alle ,IJnmittelbar- 
keit' bleibt bisher im Rahmen der ,entia intentionalia', und 
darum dürfte die Frage nach eigenthchem Ontologismus, der 
einen Realkontakt mit Gott einbeschließt, auch schon metho- 
disch nicht stellbar sein. 

2. Wir finden aber auch innerhalb der Grenzen des Stand- 
punktes der ,entia intentionalia' verschiedene Momente, die 



Liebe als intentionaler "Wertqualitätskontakt. 107 

eine ,unmittelbare Berührung' zwischen Gott und Mensch im 
religiösen Akt schwer zulassen. Es ist vorab Schelers bereits 
früher erwähnte Lehre (vgl. S, 311), daß mit der Liebe als 
solcher wesenhaft das ,Distanzbewußtsein' gegeben sei. Aus 
diesem Grunde verweist er alle ,Einsfühlung' in das Gebiet 
des rein Vitalen und fordert für die echte Liebe als wesenhaft 
die Anerkenntnis der Unterschiedenheit vom , andern', wes- 
wegen er auch eine Mystik des In-eins-Schwimmens, wie sie 
etwa Fr. Heiler als ,einzige' Mystik hinstellt \ ablehnt. 

,Es ist... nicht der „tiefste" Sinn der Liebe, den andern so zu nehmen 
und zu behandeln, als wenn er mit dem eigenen Ich identisch wäre. Liebe 

^ Fr. Heiler, Das Gebet* (München 1921) 249 ff. An dieser Identifizierung 
von Mystik und ,unterschiedslosem Einssein' hält er durchgehend fest 
(Luthers relig.-gesch. Bedeutung [München 1918] 16 ff. ; Geheimnis des Ge- 
bets [München 1919] 11 ff. ; Bedeutung der Mystik für die Weltreligionen 
[München 1919] 6 ff. ; Wesen des Katholizismus [München 1920] 57 ff. usw.) 
und zeigt darin seine völlige Abhängigkeit von Söderblom, dessen zwei 
Mystikarten, Unendlichkeits- und Persönlichkeitsmystik, er in ,Mystik* 
schlechthin und ,prophetische Eeligiosität' umgetauft hat. Aus diesem 
religionspsychologischen Schema heraus wächst dann sowohl seine Ab- 
lehnung aller dogmatischen Religion als ,erstarrter Mystik' wie sein (eben- 
falls Söderblom entnommenes) Programm einer ,evangelischen Katholizität', 
d.h. also nicht eine Synthese des historischen Katholizismus und des 
historischen Protestantismus, sondern eine Spannungseinheit zwischen 
den zwei Mystikarten Söderbloms, eine Spannungseinheit, die im Grunde 
nur ein nach aufsen projiziertes Jugenderlebnis ist (Geheimnis des Gebets 
20—22). So vermögen seine Werke weder religionswissenschaftliche noch 
geschichtswissenschaftliche Erkenntnisse zu vermitteln, auch ,das Gebet' 
nicht, das vielmehr bei näherer Prüfung sich als reiche Materialsammlüng 
auf Grund eines apriorischen Schemas, nämlich der typisch modernistischen 
Auflösung aller objektiven Religion in formenschöpferische Mystik und der 
Typenbildungen Söderbloms, enthüllt. Es sind religiöse Bekenntnisse und 
Werbeschriften für eine neue Form des in der wissenschaftlichen Religions- 
philosophie (Karl Barth, Hr. Scholz, Max Scheler !) bereits überwundenen 
immanentistischen Religionsbegriffes, eine Spätwelle der verebbten Moder- 
nismusflut. Vgl. u. a. Karl Barths scharfe Ablehnung Heilers (Zwischen den 
Zeiten I [1923] Heft 1, 13 24), Hr. Scholzs energische Kritik sowohl einer Be- 
dürfnisreligion wie aller pragmatistischenXJmdeutungen des religiösen Wahr- 
heitsanspruchs (Religionsphiiosophie [Berlinl921] 131 ff. 161 ff. 359 ff.) und 
des nähern unsern Aufsatz ,Gott in uns oder Gott über uns' (Stimmen der 
Zeit CV [1923 II, August]). 



J08 I^I- Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

ist eben nicht bloße quantitative Erweiterung der Selbstsuclit — ist nicht 
das Verhältnis irgendwelcher Teile eines Ganzen, das als Ganzes, nur seine 
(egoistische) Selbsterhaltung , seine Selbstförderung oder sein Wachstum 

anstrebte Zur Liebe gehört gerade jenes verstehende „Eingehen" auf 

die andere, von dem „eingehenden Ich" soseinsverschiedene Indivi- 
dualität als auf eine andere und verschiedene; und eine trotzdem emo- 
tionale restlos warme Bejahung ihrer „Realität" und ilires „Soseins"' (Sy' 
81/82). Darum ist die monistische Metaphysik Hegels und Hartmanns, 
die die Liebe als Streben zum „ Identitätsgefühl " auffaßt, widersinnig, weil 
gerade die Liebe erst an das absolut intime Selbst als ewige Grenze an- 
stößt und es gleichsam erst in ihrer Bewegung entdeckt' (Sy^ 36). 

Aber ebensowenig ist der echten Liebe eine mystische ,Eins- 
fühlung und Einswerdung' möglich (Sy^ 36). Schon in den 
, Abhandlungen und Aufsätzen' hatte Scheler über die Mystiker, 
denen ,Gott den Busen zu dehnen scheint', bemerkt:" ,sie er- 
mangeln . . . der Ehrfurcht, d. i. jener Haltung, in der die Ver- 
borgenheit Gottes selbst noch wahrnehmbar wird' (ÜW 1 32 f.). In 
,Wesen und Formen der Sympathie' überträgt er nun die Lehre 
von der ,intimen Personsphäre' der geschöpflichen Personen, 
kraft deren sie in keine Gemeinschaft restlos aufgehen, sondern 
in ihrem innersten Heiligtum nur Gott sich öffnen, ,der seiner 
Idee nach weder Einzel- noch Gesamtperson ist und in dem 
Einzel- und Gesamtperson selbst noch solidarisch sind' (M 586), 
auf Gott selbst, der ein ,intimes Leben' habe, ,mit dem eine 
„unio mystica" zu haben oder zu gewinnen auch nur zu 
wünschen (gar noch durch bloße spontane Geistestätigkeit des 
Menschen) absolute Vermessenheit wäre' (Sy^ 152). 

Darum .existiert' nach ihm ,das von vielen behauptete Verschmelzungs- 
erlebnis der geistigen Seele mit Gott' einfach ,nicht . . ., sofern wirklich nur 
das geistige Personzentrum in uns tätig ist und sofern Gott selber dabei 
als reines Geistwesen gedacht wird. Wo das Phänomen vorzuliegen scheint, 
ist weder Gott als reines Geistwesen vor dem Geistesauge des (formalen) 
Ich, noch ist es das reine geistige Personzentrum, das auf Gott gerichtet 
ist. Vielmehr ist es — wie ganz deutlich z. B, bei allen antiken Mysterien — 
stets eine Gottesidee, die „Gott" als Alleben der Welt oder den Gott docli 
mit dem Lebensphänomen behaftet „meint", und ist es ferner nie unser in 
sich selbst individuiertes geistiges Aktzentrum, sondern immer zugleich unser 
Vitalichzentrum, die zu einer wahrhaften Einsfühlung und Verschmelzung 
gelangen können. Die ausschließlich naturalistisch-pantheisierende Mystik, 



jAnalogia entis' in der Liebe. X09 

die echte adäquate Daseinsvergottung, . . . ist, bis ins Einzelne nachweisbar, 
stets charakterisiert durch eine doppelte falsche Vitalisierung (d. h. völlige 
oder partielle Entgeistigung) sowohl Gottes als des menschlichen Person- 
zentrums. Die echte Mystik des Geistes behält zum mindesten stets die 
jintentionale" Daseinsdistanz zu Gott als Minimum der Distanz und führt 
höchstens zu einer inadäquaten Soseinseinigung' (Sy^ 36/37). 

Zu dieser Ablehnung einer mystischen Einswerdung kommt 
dann noch endlich hinzu, daß Scheler, wie bereits mehrfach 
gezeigt, seinen ,Mitvollzug' des göttlichen Liebesaktus durch- 
aus nur als ,intentionalen' verstanden wissen will (vgl. u, a. 
S. 31 f.). Alles zusammengenommen dürfte also zu sagen 
sein, daß die phänomenologische Analyse, die Scheler sowohl 
von der Liebe als Liebe wie insbesondere als religiösem Akt 
gibt, einen ,unmittelbaren Kontakt' mit Gott-Liebe nicht zu- 
lasse. Es bleibt auch zwischen ,Liebe' und ,Gott-Liebe' die 
Wesensdistanz von Geschöpf-Schöpfer, das ,inadäquate' aller 
Einigung, die ,intentionale Daseinsdistanz', wie Scheler sich 
ausdrückt. Das ist aber nichts anderes als die ,analogia entis', 
die der Sinn der theologischen ,Mittelbarkeit' der Gottes- 
erkenntnis ist : das Geschöpf Gott ähnlich und doch ebenso 
unähnlich, Gott im Geschöpf und doch ebenso über dem Ge- 
schöpf. Der Sinn dieses Gedankens läßt sich am besten mit 
den Worten Peter Lipperts^ geben: ,Wir müssen ... fort- 
während hin und her wandern zwischen zwei Endpunkten 
des Gedankens, die wir nicht berühren dürfen, weil alle Wahr- 
heit nur zwischen ihnen liegt. Wenn wir uns die Ver- 
schiedenheit der Welt von Gott gegenwärtig machen, dann 
neigen wir dazu, Zwischenräume zwischen ihn und sein Werk 
zu legen. Wir nähern uns dem verbotenen, weil unmöglichen 
Endpunkt, wo Gott ganz außerhalb der Welt und von ihr ge- 
trennt erscheint. Darum müssen wir alsbald umkehren und 
uns bewußt machen, daß Gott in der Welt und die Welt in 
ihm ist Doch ist es wiederum Zeit für unsern Gedanken, 



P. Lippert S. J., Gott und die Welt «-* (Credo III, Preiburg 1919) 14-17. 



XIO m« Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

umzukehren, auf daß er nicht über die andere der beiden Un- 
möglichkeiten strauchle. Wie alldurchdringend und allbewirkend 
auch Gott in der Welt ist, sie ist doch immer etwas anderes 
als er selber. . . . Die Welt erscheint ... als der dämmernde 
Horizont Gottes, ihm unendlich nah und doch auch unendlich 
weit von ihm. . . . Vom Nichts aus gesehen, ist die Welt in 
einer erschreckenden Gottesnähe ; von Gottes ragendem Gipfel 
aus gesehen, ist sie in finstere Tiefen versenkt. Sie ist der 
Lichtnebel, zu dem der Widerstreit zwischen Gott und dem 
Nichts sich verdichtet hat, sie ist die Spannung zwischen zwei 
unendlichen Schwergewichten.' So ist auch in Schelerscher 
Konzeption die geschöpf liehe Liebe der , dämmernde Horizont' 
von Gott-Liebe und sein ,Lichtneber. Eine Realsetzung des 
phänomenologischen Aspektes der Verhältnisse zwischen ,Liebe' 
und ,Gott-Liebe', wie zwischen geschöpf lieber Person und Gott- 
Persönlichkeit würde also nichts anderes sein als eine Realsetzung 
der ,analogia entis'. Damit erledigt sich auch rein im Rahmen 
der phänomenologischen Analyse die Frage nach einem 
etwaigen theologischen Ontologismus, wie wir ebenfalls bereits 
früher von anderem Gesichtspunkt aus nachwiesen (oben S. 20 ff.). 
Wenn auch eine feinste innere Relation zwischen ,Liebe' und 
,Gott-Liebe' und darum (vgl. S. 51 ff.) zwischen ,Person' und 
,Liebe' überhaupt und Geschöpfperson und Schöpferperson be- 
steht, so ist es doch eine Relation, die wesenhaft den Cha- 
rakter des ,Andersseins' und ,Unterschiedenseins' in sich trägt, 
also jene Spannung zwischen ,Einheit' und ,Distanz', ,Gleich' 
und ,Ungleich', die der ,analogia entis', dem theologisch-philo- 
sophischen Grundverhältnis von Geschöpf und Schöpfer wesen- 
haft eignete 



^ Wir können also dem Standpunkt, von dem aus Job. Hessen ganz, 
Karl Adam und W. Switalski teilweise Scheler zustimmen, nicht beiti'eten, 
da alle drei ein ,unmittelbares' Erfassen nicht bloß der Qualität des Gött- 
lichen, sondern auch des Daseins Gottes bei Scheler irrtümlich voraus- 
setzen, eine ,Wesens8chau des Daseins Gottes' — was schon ein rein von 



Liebesqualität als Kern der Gottesideen. 111 

Nach Erledigung dieser ersten Frage über die ,raaterial- 
gebende Anschauung vom Göttlichen' bleibt also noch die 
zweite Frage, die Scheler mit seiner Lehre vom Liebesakt 
als religiösem Grundakt lösen will, die Frage nämlich nach der 
Divergenz der historischen Gottesvorstellungen. Sie 
ist ihm dadurch gelöst, daß Einheit dasei in der Wertqualität 
des Göttlichen, Divergenz nur in den begrifflichen Fassungen. 

,Darum kann auck in jener Substanz, in jenem Kerne der Gottesidee 
zwischen Individuen und Gruppen Einigkeit sein, die in ihren begrifflichen 
Fassungen weit auseinandergehen. Die letztern wechseln und fluktuieren 
nach dem Bildungsstande, und es ist selbstverständlich, daß der Gott eines 
Bauernweibes ein anderer ist als der eines gelehrten Theologen. Gleich- 
wolil kann der letzte religiöse Wahrheitsgehalt hier und dort derselbe sein. 



phänomenologischer Methodik her unvollziehbarer Begriff ist. Von dieser 
irrigen Voraussetzung aus identifiziert Hessen Scheler mit seinem eigenen 
Augustinismus (vgl. Anhang § 1). Karl Adam formt die vermeintliche 
,unmittelbare Erkenntnis des Daseins Gottes', die er in dieser Gestalt als 
jintuitionismus' ablehnt, in sein S3'^stem eines ,Vorfühlens' des Daseins Gottes 
um, bzw. eines Erfahrens der Personalität Gottes durch Gottes freien Ent- 
schluß, nicht kraft des Wesensgehaltes des ,ens" contingens' (Glaube und 
Glaubenswissenschaft usw. ^ [Rottenburg 1923] 60 ff.). W. Switalski läßt 
seinen ,religiösen Urtrieb' vor allen und unabhängig von allen Gottes- 
beweisen das Dasein Gottes erfassen, ,weil uns die Tendenz des zum Be- 
wußtsein erwachenden Geistes auf Gott hin nur als Reflex der objektiven 
Gebundenheit aller Kreatur an Gott als iliren Schöpfer und Erhalter er- 
scheint.' Da nach Switalski , diesen metaphj'sischen Unterbau . . . Scheler 
von seinem Standpunkt aus nicht zu begründen vermag', so beurteilt er 
,die von Scheler geschilderte Wesensschau ... als eine grandiose Konzeption, 
der aber deswegen die Fälligkeit abgeht, allgemeingültige Anerkennung zu 
beanspruchen' (Probleme der Erkenntnis II [Münster 1923) 140 ff.). Ebenso 
scheint Mich. Wittmann (Scheler als Etliiker usw. [Düsseldorf 1923] 18 ff.) 
bei Scheler Ontologismus feststellen zu wollen, obwohl er (im Unterschied 
von Adam, Hessen und Switalski) den Unterschied einer Wertcjualitäts- 
und Realitätserfassung sieht, womit doch eigentlich die Voraussetzung der 
Ontologismusfrage hinfällig wäre — ganz abgesehen von der wichtigen 
Distanz- und Gleichniserkenntnislehre Schelei-s. Der Grund für das Urteil 
Wittmanns dürfte wohl, wie einige Stellen zu zeigen scheinen (21 f.), in 
Mißverständnissen über Schelers Intentionalmethode und intentionalen Rea- 
lismus liegen. Aber sehr recht hat Wittmann, wenn er den notwendig 
intellektuellen Kern alles Wertfühlens und Liebesvorgangs betont. Hier 
ist sein Standpunkt völlig der unsrige. 

m 



112 in. Wertfühlen und Selbständigkeit der Eeligion. 

Es gibt mehr Menschen, die Gott auf gemeinsame Weise in der Liebe 
erfassen, als es Menschen gibt, die auf gemeinsame Art ihn begreifen' 
(M 305). 

Darum ist ihm auch dieses Erfassen Gottes in der Liebe 
etwas beinahe schlechthin Unausrottbares, so daß der Atheist 
im Grrunde genommen nur ein Mensch ist, der eine bestimmte 
begriffliche Fassung Gottes ablehnt, ohne positiv eine neue 
zu haben; ferner ist folgerichtig eine ,Bekehrung' nur als 
,Enttäuschung' möglich, d. h. als Einsicht, daß nur die Idee 
des persönlichen Gottes der Göttlichkeits q u a 1 i t ä t ent- 
spreche, die der Gottesleugner vorher den Geschöpfen als 
Trägem zugesprochen hat. 

,Es besteht das Wesensgesetz : Jeder endliche Geist glaubt entweder an 
Gott oder an einen Götzen. Und aus ihm folgt die religionspädagogische 
Regel : Nicht eine äußere Hinführung des Menschen zur Idee und Realität 
Gottes (sei es durch sog. Beweise oder durch Überredung) ist der Weg, auf 
dem der sog. Unglaube zu beseitigen ist, sondern der an dem besondern 
Leben jedes Menschen und jeder Klasse solcher Menschen sicher mögliche 
Nachweis, daß er an die Stelle Gottes, d. h. daß er in die Absolutsphäre 
seines Gegenstandsbereiches, die ihm als Sphäre auf alle Fälle gegeben 
ist, ein endliches Gut gesetzt habe,— daß er ein solches Gut, wie wir sagen 
wollen, „vergötzt" habe, daß er sich in es „vergafft" habe (wie die alten 
Mystiker sagten). Indem wir also einen Menschen zur Enttäuschung über 
seinen Götzen führen, nachdem wir ihm durch Analyse seines Lebens seinen 
Götzen aufgewiesen haben, fülu-en wir ihn von selbst zur Idee und Realität 
Gottes. . . . Derm nicht der Glaube an Gott, nicht das Hingerichtetsein des 
Kernes der geistigen Menschenpersönlichkeit auf das unendliche Sein und 
Gut im Glauben, Lieben, Hoffen usw. hat eine positive Ursache in der 
seelischen Geschichte des Menschen ; sondern der Unglaube an Gott, besser 
die dauernd gewordene Täuschung, ein endliches Gut (sei es Staat, Kunst, 
ein Weib, das Geld, das Wissen usw.) an die Stelle Gottes zu setzen, oder 
auch es zu behandeln, als wäre es Gott, hat stets eine besondere Ursache 
imi Leben des Menschen. Wird diese Ursache aufgedeckt, wird dem Menschen 
der seiner Seele die Gottesidee gleichsam verbergende Schleier hinweg- 
genommen, wird ihm der Götze zerschmettert, den er zAvischen Gott und 
sich gleichsam gestellt hat, wird die irgendwie umgestürzte Ordnung des 
Seienden vor der Vernunft und die Ordnung der Werte vor dem Herzen 
wiederhergestellt, so kehrt der abgelenkte religiöse Akt von selbst zu dem 
ihm gemäßen Gegenstand der Gottesidee zurück. ... In diesem Siime hat 
jeder Mensch notwendig ein Glaubensgut und jeder Vollzieht den Glaubens- 
akt. ... Es besteht keine Wahl, ein solches Gut zu haben oder nicht zu 



Liebeslenkung als Bekehrung. 113 

haben. Es besteht nur die Wahl, in seiner Absolutsphäre Gott, d. h. das 
dem religiösen Akt angemessene Gut zu haben oder einen Götzen' (E 559 
bis 562). 

Diese Darlegung der ßeligionstheorie Schelers in ihrem Kern- 
punkt zeigt nun auch, hei allen Verwandtschaften, die im Be- 
griff des ,Heiligen', eines ,Erfahr^ns des Göttlichen', einer all- 
gemein-menschlichen religiösen Anlage liegen, die entscheiden- 
den Unterschiede gegenüber Rud. Otto, Heinrich Scholz und 
Ernst Troeltsch, 

Mit Rud. Otto verbindet Scheler der Begriff des »Heiligen' als einer 
.anschaulichen Qualität des Göttlichen' und der Begriff einer allgemein- 
menschlichen religiösen Anlage. Aber wenn man ,das Heilige' Ottos aus 
seiner ,Kantisch-Friesschen Religionsphilosophie' (1909) heraus versteht, wie 
es methodisch erfordert ist und Otto selber verlangt ^, so ergeben sich fast 
mehr Unterschiede als Gemeinsamkeiten. Schon der Inhalt der Qualität 
des jHeiligen' ist bei Scheler und Otto verschieden. Bei Scheler ist es, 
wie wir sahen, die ,Liebe', die den beherrschenden Inhalt dieser Qualität 
bildet, gewiß geheimnisvoll umschattet vom .Verborgenen' und .Erhabenen'; 
aber das sind nur .Tiefen' der Liebe selbst. Für Otto dagegen ist das 
.Heilige' wesenhaft eine Gegensatzspannung, die Spannung von .tremendum' 
und .fascinosum', die als das .mysteriosum', als das .Ganz andere' sich dar- 
bietet, nicht eine einheitliche Qualität, sondern eine .Kontrastharmonie' *. Die 
Ursprünge dieses Unterschiedes sind denn auch deutlich genug. Das ,Heilige' 
Schelers als .Liebe' spiegelt sich immer wieder im Augustinischen Liebes- 
gedanken. Otto gesteht unumwunden, daß er seine Konzeption des ,Hei- 
ligen' der Lutherschen ,divina majestas' und deren ;metuenda voluntas' ver- 
danke ^. Wenn daher auch Scheler und Otto sich treffen in der Ablehnung 
des Schleiermacherschen .Abhängigkeitsgefühls' als des Ursprungs der Re- 
ligion und dasselbe (mit Hr. Scholz) erst als .Reaktion' auf ein ersterfaßtes 
,Göttliches' ansehen*, so ist die Farbe dieses .Göttlichen' doch bei Otto 
deutlich ein .mysteriosum'. das im Grunde .tremendum' ist und nur in der 
Weise der Lutherschen .getrosten Verzweiflung' in das .fascinosum' so- 
zusagen .umschlägt', während das .Göttliche' Schelers den lichten Ton des 
,Gott ist die Liebe' trägt ; damit aber zeigt sich Otto ganz in den Banden 
des Lutherschen ,alleinwirklichen und alleinwirkenden' Gottes, der nur in 
anderer Formulierung in Schleiermachers .Abhängigkeitsgefühl' weiterlebt, 
während in Scheler der katholische Weg vom Positiven der Schöpfung zu 
Gott als der Quelle dieses Positiven, vom ,actus creatus' zum ,actus in- 



' Das Heilige« (Breslau 1921) 173. ' Ebd. 15 ff. 39 ff. 

' Ebd. 120. 

* Ebd. 9 ff. 23. Vgl. Ewiges im Menschen 385 ff. 
Przywara, Eeligionsbegrlindung. 



114 1^1- Wertfülilen und Selbständigkeit der Religion. 

creatus', das bewußte oder unbewußte Formprinzip des religionsphilosophi- 
schen Denkens ist. Noch deutlicher wird der Unterschied Schelers gegen 
Otto, wenn wir die Stellung der ,Qualität des Göttlichen' im System beider 
betrachten. Für Otto ist durch die Friessche Ausdeutung der Kantschen 
Antinomien in die eine Antinomie des , Absoluten an sich' und des , Ab- 
soluten als eingeengt in Eaum und Zeit' grundlegend das ,rationale Gött- 
liche' gegeben : die Gottheit ,gedacht ... in Analogie zum Persönlich- Ver- 
nünftigen, wie es der Mensch in beschränkter und gehemmter Form selber 
in sich gewalir wird' \ Aber dieses »rationale Göttliche' ist nur gegeben 
,durch Negation der Schranken der Erkenntnis, die wir besitzen'^. Das 
Positive an ihm, die positive Qualität seines ,Geheimnisses', seines ,my- 
steriosum', seines ,numinosum' wird so nicht erfaßt. Diese Qualität, die 
nichts anderes als das ,Heilige' ist, ist das »Irrationale' des Göttlichen, das 
also das .Rationale' voraussetzt und mithin ein ,Überrationales' ist, das 
sich nur in .Ideogrammen' von Begriffen umschreiben läßt, aber unmittel- 
bar und unmißverständlich nur im Fühlen sich gibt, d. h. in der ,Kontrast- 
harmonie' des gefühlten ,tremendum' und ,fascinosum' ^. Aus all dem folgt 
für Otto ein dreifach gestaffeltes ,Apriori' des Göttlichen : erstens als Unter- 
lage das ,rationale Göttliche', zweitens darüber das .Irrationale' des ,Hei- 
ligen', drittens endlich das ,Apriori von der innem Wesenszusammengehörig- 
keit der rationalen Momente der Gottesidee mit ihren irrationalen', indem 
das irrationale Teilmoment des ,tremendum' dem rationalen Attribut von 
.Gerechtigkeit und sittlichem Willen' entspricht imd mit ihm das Moment 
des ,Zorne3 Gottes' konstituiert, während das irrationale Teilmoment des 
,fascinosum' mit seinem rationalen Korrelat der Attribute ,Güte, Erbarmen, 
Liebe' sich zum Moment der Gnade ,formt', das ,Absolute' aber als Wesens- 
form des ,rational Göttlichen' eins wird mit dem ,mysteriosum' oder ,numi- 
nosum' oder ,Heiligen' als Wesensform des .irrational Göttlichen' *, womit 
tatsächlich die Luthersche Geisteshaltimg zum .religiösen Apriori' ver- 
absolutiert ist. Infolgedessen ist auch für Otto alles ,Historische' in keiner 
Weise objektive Erscheinungsform des Göttlichen, sondern nur .Gelegenheits- 
ursache' der Entfaltung des .religiösen Apriori', insoweit diese oder jene 
historische Erscheinung eine .Analogie' zu diesem Apriori hat ^. Christentum 
ist nur insofern die höchste Religion, als in ihm die ,Kontrastharmonie' am 



^ Naturalistische und religiöse Weltansicht (Tübingen 1904) 53 ff. 288 ff. 
Kantisch-Friessche Religionsphilosophie (Tübingen 1909) 26 ff. u. a. Das 
Heilige 1. 

^ Kantisch-Friessche Religionsphilosophie 82. Das Heilige 167. 

^ Naturalistische nnd religiöse Weltansicht 57 ff. 182. Kantisch-Friessche 
Religionsphilosophie 75 ff. 105 ff. 198 ff. Das Heilige 2 ff. 13 33 f. 44 ff. 
73 167. Die Entwicklung bei Otto geht vom , Geheimnis'- und ,Ahnungs- 
begriif zum .numinosum' und der .Divination' seines Buches ,Das Heilige'. 

* Das Heilige 134 ff. 161 ff. 165 ff. 

^ Ebd. 170 ff. 207 ff. 



Eudolf Otto und Max Scheler. 115 

reifsten sich ausprägt *. Hier zeigen sich nun klar die Unterschiede gegen 
Scheler. Während für Otto , Wert' wesensmäßig der ,reinen Erkenntnis' 
nachfolgt als Verlehendigung der Erkenntnis in ,Herz' und ,Tatkraft' ^ geht 
für Scheler das Wertfühlen ebenso wesensmäßig der Verstandeserkenntnis 
voraus. Darum ist für Scheler, umgekehrt als wie bei Otto, das ,Heilige' eine 
Qualität, deren Erfassen allen Beweisen des -Daseins Gottes voraufgeht und 
allen Begriffen über Gott als letzte ,materialgebende Anschauung' zu Grunde 
liegt. Darum bedeutet auch ,Gott als Persönlichkeit' bei Otto fast das 
Gegenteil als wie bei Scheler. Bei Otto gehört ,Persönlichkeit' zu den ratio- 
nalen Gottesattributen, dem in der Kategorie des irrationalen .Heiligen', 
also des eigentlich Göttlichen, das ,Superpersonale' entspricht, — während 
bei Scheler, der hierin mit Lotze zusammengeht, ,Persönlichkeit' gerade 
innerst göttliches Attribut ist, das innerlich gerade erst in der ,Liebe' 
als Wesensform des Wertes des ,Heiligen' erfaßt wird. ,Gott, das ist 
vielmehr die einzige vollkommene und pure Person. Und das ist nur eine 
unvollkommene, eine gleichnisweise „Person", was unter Menschen so 
heißen darf' (UW. I 303)^. Bei Scheler gehört ,Person' zum Wesen des 
.Heiligen', bei Otto wird ,Person' im ,Heiligen' überwunden, weil eben bei 
Scheler das ,Heilige' dem Eationalbegriff Gottes vorausgeht, bei Otto aber 
ihm erst als seine Überhöhung nachfolgt. Noch durchgreifender ist der Unter- 
schied in der Beurteilung des objektiven Phänomens, in dem das ,Göttliche' 
erscheint. Hier gibt sich für Scheler das , Göttliche' objektiv in der Natur 
imd in der Geschichte, so daß Scheler an Stelle des subjektiv (wenn auch 
transzendental, nicht empirisch) orientierten ,Apriori' die objektive , Offen- 
barung' setzt, die damit für jeden Menschen prinzipiell erkennbar ist, während 
Otto das Erw-^achen seines ,religiösen Apriori' an der Analogie eines außer- 
subjektiven Phänomens konsequent im zufälligen Subjekt einschränken muß, 
so daß sich ihm trotz alles Apriori der Scholzsche Standpunkt des religiösen 
Vorgangs als eines ,Auslesevorgangs' ergibt, der nur in bestimmt ver- 
anlagten Menschen sich ursprünglich vollziehe, um dann sekundär auf die 
Masse der Menschen durch Erlebnisübertragung sich weiterzupflanzen \ Ge- 
wiß ist auch für Otto der letzte Grund seines Apriori der ,alleinwirkende' 
Gott, indem das Apriori als potentielle Anlage ,als letzten Grund alles 
Geistes in der Welt überhaupt den absoluten Geist als „actus purus" an- 
• zunehmen' zwingt, ,dessen „ellampatio", wie Leibniz sagt, jener ist.*^ — 
Aber das ist gemäß der Philosophie Ottos keine besondere Wirkung Gottes 
im religiösen Gebiet, sondern nur Anwendiingsfall des allgemeinen Gesetzes, 

^ Ebd. 70 167. 

^ Kantisch-Friessche Religionsphilosophie 88 ff. Vgl. auch Hr. Scholz, 
Religionsphilosophie (Berlin 1921) 132 u, a. 

^ Das Heilige 226 ff. Lotze. Mikrokosmos ^ HI (Leipzig 1880) 355/356 
615/616. 

* Vgl. Das Heilige 177; Scholz, Religionsphilosophie 173 179 u. a. 

' Das Heilige 137/138 Anm. 

1 '* 



Ä 



116 III. Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

nach dem das Wirken des Geschaffenen nur die in der Beschränkung von 
Raum und Zeit sich darbietende »Erscheinung' des Alleinwirkens des allein- 
wirklichen Schöpfers ist *. Damit aber steht Otto in unmißverständlichem 
Gegensatz zu einer Grundtendenz Schelerschen Denkens, nämlich der schon 
mehrfach besprochenen ,Distanz' zwischen den Personen überhaupt und 
dann in besonderer Weise zwischen Geschöpfperson und Schöpferperson. 

Heinrich Scholz und Scheler gemeinsam ist der Standpunkt eines ,^r- 
fahrens des Göttlichen'; aber auch hierin sind die Unterschiede größer. Denn 
für Scholz ist dieses ,Erfahren' kein allgemein-menschliches Phänomen, 
sondern ein Vorgang hochentwickelten Geisteslebens, weswegen er auch 
das empirische Material für seine Ableitungen prinzipiell fast nur der Mystik 
entnimmt, nicht dem gewöhnlichen religiösen Leben ^. Weiter ist aber 
auch für Scholz die Qualität des Göttlichen eine Qualität, die nur durch 
eine bestimmte , Gefühlsintensität' als ihr ,Symptom' erfahren wird^. Ein 
eigentlich rationaler Gottesbegriff ist nicht formbar, denn Gott ist das prin- 
zipiell ,Akosmistische' *. Das ,Absolute', von dem die Metaphysik spricht, 
ist ein Weltgesamtbegriff, aber kein Gottesbegriff ^. Nur in dem geheimnis- 
voll unformulierbaren ,Akosmistischen', auf das die unerklärlich einzig- 
artige jGefühlsintensifcät' der religiösen Erfahrung mit unwiderleglicher 
innerer Evidenz hindeute, ist Gott gegeben : die ,Bestimmtheit des Lebens- 
gefühls' durch dieses , Gottesbewußtsein' ist Religion®. Der Unterschied 
zu Scheler liegt also offen zu Tage, trotzdem Scholz mit Scheler im Begriff 
der jOffenbarung' einig zu sein glaubt ''. Denn für Scheler ist erstens der 
religiöse Vorgang ein allgemein-menschlicher Vorgang, und zweitens stellt 
er durchaus eine rationale Gotteslehre auf, ja seine , Qualität des Göttlichen', 
das ,Heilige' ist selber, wie wir früher sahen, der Ausdruck eines ratio- 
nalen Systems, des Person-Liebe-Systems. Aber auch der religiöse Vorgang 
ist bei beiden verschieden. Bei Scholz ist er zusammengesetzt aus einem 
anschaulichen Element, das aber streng innerweltlich sei, und jener ,Ge- 
fühlsintensität', in der allein das ,Akosmistische' direkt und unmittelbar 
erfahren wird ®. Es ist also das ,innerweltliche' anschauliche Element nicht 



^ Die Anschauung vom Heiligen Geist bei Luther (Göttingen 1898) 104 if. 
Naturalistische und religiöse Weltansicht 288 u. a. Vgl. zu Otto die wert- 
vollen Auseinandersetzungen Joh, Lindworskys (Zur Psychologie der Be- 
griffe [Philos. Jahrbuch 32 [1919] 15 ff.). G. Wiinderles (Über das Irrationale 
im religiösen Erleben, ebd. 129 ff.) und Jos. Geysers (Intellekt und Gemüt, 
Preiburg 1922), die freilich eine Orientierung des ,Heiligen' an dem früheren 
Schrifttum Ottos leider nicht vornehmen. 

2 Religionsphilosophie (Berlin 1921) 87 ff. 159 ff. 179 410. 

'• 158 168 ff. 420 ff. In der Erlebnisbeschreibung lehnt er sich bewußt 
an Otto an; vgl. 201 ff. 437 u. a. 

* Ebd. 429 ff. 470 f. ^ Ebd. 221 ff 396 429 ff 

6 Ebd. 158 168 176 f. 232 ff. 254 ff 392 ff 424 ff 

' Ebd, 419 468. » e^^, i'jq 420 ff_ 



Heinrich Scholz und Max Scheler. 117 

6in (Symbol', durch das das ,Unsichtbare sichtbar geschaut wird', wie 
Scheler es mit den Worten des Römerbriefes zeichnet, sondern allein in 
der , Gefühlsintensität' wird das ,akosmistisch Göttliche' direkt erfahren. 
Es ist ferner dieses direkte und unmittelbare Erfahren nicht ein Erfahren 
der .Qualität des Göttlichen' wie bei Scheler, sondern ein direktes und 
unmittelbares Erfahren des Daseins des Göttlichen, also strikte theo- 
logische Unmittelbarkeitslehre '. Wenn Ottos Gesamtlehre sich in etwa 
mit dem (in den Voraussetzungen natürlich wesensverschiedenen) clemen- 
tinisch-augustinischen Sich-Lebendigmachen gegebener religiöser Erkenntnis- 
inhalte oder dem spätem ,sentire et gustare res interne' der ignatianischen 
Exerzitien und dem ,realizing' Newmans vergleichen ließe ^, so Scholzs 
Standpunkt mit gewissen mystischen Systemen, die eine ,visio beatifica' in 
mystischen Höhenstufen schon hier auf Erden mehr oder minder annehmen. 
Der Unterschied gegen diese katholischen Systeme liegt bei Otto in seiner halb- 
spinozistischen Fassung der Schöpfung als einer Erscheinung des absoluten 
Gottes in der Eingrenzung von Raum und Zeit, bei Scholz aber in der Leugnung 
einer untermystischen Erkenntnis Gottes in don ,Hüllen der Geschöpfe'. 

Ernst Troeltsch und Scheler gemeinsam ist zunächst die Lehre 
von der Allgemeinmenschlichkeit des religiösen Vorgangs; gemeinsam 
ebenso der Standpunkt einer Differenzierung des Gottesbildes in den sich 
differenzierenden Einzelmenschen und Völkern, im Nebeneinander und Nach- 
einander der lebendigen Geschichte, weil eben beide das Individuum, die 
Person, als etwas Positives fassen, dem kraft seiner ,Einmaligkeit' auch 
ein bestimmtes Stück der Wahrheitswelt als seine ,persönliche WaMieit' 
zugeordnet ist: wie Scheler von den ewigen ,Personideen' spricht, so 
Troeltsch von einem »hinter dem Ablauf der Seelennatur und ihres Wir- 
kuugszusämmenhangs liegenden , . . Vernunftkern', von einer ,Metaphysik 
des nouraenalen Charakters' ^. Auch darin trifft sich Troeltsch mit Scheler, 
daß er prinzipiell einen philosophischen Wesensstandpunkt mit dem Stand- 
punkt geschichtlicher Entwicklungslehre zu vereinen sucht*. Ebenso ist 



' Ebd. 150 ff. 162 410 f. u. a. Zu Scholz im allgemeinen vgl. die wert- 
volle Kritik Karl Adams in ,61aube und Glaubenswissenschaft im Ka- 
tholizismus'^ (Rottenburg 1923) 94, wenngleich ich seine Auffassung von 
einem GotteserAveis aus der Tatsache "allgemeinen Gotterfahi'ens nicht ganz 
zu teilen vermag. 

^ Vgl. zu diesem eigentlich christlichen Typ des ,religiösen Erlebens' die 
gutorientierenden Schriften Georg Wunderies : Das religiöse Erleben (Pader- 
born 1922) und Einführung in die moderne Religionspsychologie (Kemptenl923), 

^ Zur religiösen Lage usw. (Ges. Sehr. II ; Tübingen 1913) 758 832 f. u. a. ; 
Der Historismus und seine Probleme (ebd. III; Tübingen 1922) 111 ff. 
209 ff. 220 675 ff. 709 ff. 

* Die Absolutheit des Christentums und die Religionsgeschichte ^ (Tü- 
bingen 1902) 54 ff. 71 ff. Zur religiösen Lage usw. 428 ff. 450 ff. 697 
709 ff. 771 ff. Der Historismus usw. 4 ff. 119 ff. 184 ff. 675 ff. usw. 



11g III. Wertfülilen und Selbständigkeit der Keligion, 

er sich mit Scheler einig in einem theistischen Standpunkt im Unterschied 
zum spinozistisch schillernden Otto und zu Scholz, der eine eigentümliche, 
schwer faßbare Mitte hält zwischen einer absoluten Gespaltenheit von 
Schöpfung und Schöpfer und einer Berührung mit ihm in der höchsten 
Spitze des Geisteslebens, Denn wenn auch Troeltsch sein religiöses Apriori 
wie Otto schließlich zurückführt ,auf eine handelnde Gegenwart des ab- 
soluten Geistes im endlichen', so ist ihm doch ein ,Zusammenfall des 
kreatüi'lichen und des göttlichen Lebensprozesses' ausgeschlossen. Seine 
Idee ,ist — ohne Zusammenfall des kreatürlichen und des göttlichen Lebens- 
prozesses und darum ohne Dialektik — die Idee Hegels oder — olme 
Determinismus und prästabilisierte Harmonie — die Idee Leibnizens. Der 
Hintergrund des Kantischen Denkens ist ein energischer Theismus, und 
ein solcher ist auch der Hintergrund der Eeligionsphilosophie' *. Der ünter- 
scliied aber gegen Scheler liegt im Begriff des ,Wesens'. Gewiß lehrt auch 
Scheler, daß erst gleichsam ein Miteinandererkennen der gesamten Mensch- 
heit eine Art adäquater Gotteserkenntnis gäbe, aber trotzdem ist in jeder 
Gotteserkenntnis der Einzelmenschen eine Erkenntnis der Wesenszüge Gottes 
möglich : es ist eine ,Entfaltung' der Erkenntnis Gottes, deren Wesenszüge 
bereits von Anfang an gegeben sind, eine Entfaltung von Keim zu Fülle 
(vgl. S. 45 ff.). Für Troeltsch dagegen ist , Wesen' ein fast asymptotischer 
Begriff, zu dessen Erfassung alle geschichtliche Entwicklung nur hinstrebt. 
In jedem Stück des geschichtlichen Lebens wird ein Stück dieses ,Wesen9' 
erfaßt, und darum ist Geschichte nicht Zerstören des Alten, sondern Weiter- 
bauen auf dem Alten ; aber erst eine Vereinigung des Menschen mit Gott 
zu Identität wäre imstande, das ,Wesen' Gottes zu fassen^. Darum be- 
deutet auch das ,religiöse Apriori' für Troeltsch nicht,' im Gegensatz zu 
Otto, eine ,Wesensidee' vom Göttlichen, sondern ,sichert nur gegen eine 
Auflösung des Eeligiösen in dem Fluß des psychologischen Geschiebes, 
aus dem es lediglich als Produkt und nicht als ein gesetzgebendes, eigene 
Notwendigkeiten entfaltendes Prinzip hervorginge'. Es bedeutet also nur 
die Gewißheit, erstens daß es überrelatives, absolutes ,Wesen des Gött- 
lichen' gebe, und zweitens, daß alle historischen Gottesauffassungen unter 
aller Relativität eine partielle Erkenntnis dieses überrelativen Wesens 
besäßen. Aber ein -svirkliches Erfassen des Wesens Gottes bedeutet 
es nichts 



^ Zur religiösen Lage usw. 764. Der Historismus usw. 677 ff. Troeltschs 
Weg geht über eine Übenvindung Kants zu Leibniz zurück. Peter Wüste 
anderslautender Darstellung im Hochland XX (1922/23 H) 19 f. vermag ich 
nicht beizustimmen. Sie scheint mir Historismus 675 — 710 zu übersehen. 

2 Zur religiösen Lage usw. 428 ff. 447 712 ; Der Historismus usav. 175 
185 209 ff. 677 ff. 

^ Zur religiösen Lage usw. 761 709 727. Vgl. des Verfassers Nachruf 
,Emst Troeltsch', in den Stimmen der Zeit CV (1922/23) 75 ff. 



Ernst Troeltsch und Max Scheler. 119 

So hebt sich Schelers Lehre vom religiösen Vorgang scharf 
ab aus der heute herrschenden Religionsphilosophie, trotzdem 
alle eigenartigen Tendenzen derselben in ihr lebendig sind. Sie 
teilt den Wertstandpunkt einer ,anschaulichen Qualität des Gött- 
lichen', aber ohne den theologischen Ontologismus eines unmittel- 
baren Erfahrens des realen Gottes. Sie teilt den historistischen 
Standpunkt einer Differenzierung der Gottesidee in der Viel- 
heit der Menschenindividuen und Völkerindividuen und Zeit- 
epochen und die damit verknüpfte Idee einer Integration 
dieser Partialideen zu einer eigentlichen Erkenntnis Gottes, 
aber ohne die relativistische asymptotische ,Entwicklung ins 
Unendliche', die diesem Standpunkt sonst eignet. Das Wesen 
Gottes als ,der Liebe' leuchtet in jeder individuellen Gottes- 
erkenntnis auf, weil eben jeder Mensch als ,Person' in innerer 
Beziehung zu Gott als ,Person der Personen' steht (vgl. S. 29 ff. 
45 ff.); und alle Differenzierung und nachfolgende Integration 
führt nur zu einer ,Vollerkenntnis' dieses überall wesenhaft Er- 
kannten. Christentum aber wurzelt in ,Gott als Mensch' und 
ist durch diese Position gleichzeitig aller Relativität enthoben, 
weil es nicht eine Ausdrucksform innerhalb des natürlichen 
Gottesglaubens ist; aber gleichzeitig ist es selber als mensch- 
gewordenes Absolutes eine eigene Quelle relativer Ausprägungen, 
wie sie Scheler etwa in seinen Typenbüdern westlichen und 
östlichen Christentums dargelegt hat (SW I). 

Zusammenfassend ist also über diesen ganzen Abschnitt zu 
sagen: Sittliche und religiöse Erkenntnis nach Scheler ist im 
letzten Element Werterfassen in der Liebe, insofern die Qua- 
lität, nicht die Realität des Erkannten in Frage steht. Alle 
begrifflichen Erkenntnisfassungen aber dieser Qualität sind 
etwas rein Sekundäres und Abgeleitetes, so daß sie keinen 
selbständigen Wahrheitswert besitzen, sondern nur soviel, als 
sie adäquate Fassungen der im Liebesvorgang aufblitzenden, 
d. h. nicht durch die Liebe, sondern in der Liebe durch das 
,intentionale Fühlen' erfaßten Wertqualitäten sind, schärfer 



120 IJJ- Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

gesagt, jener ,mdividualgültigen Wertqualität an sich', die 
im Reiche der ,an sich gültigen' Werte dieser betr. Einzel- 
oder Gesamtperson zugeordnet ist. 

Diese Theorie Schelers, deren entscheidender Kern natür- 
lich sein Person-Liebe-System ist, erhält nun ihren weiteren 
Ausbau durch Schelers Aufstellungen über die letztlich nicht 
rein rational auflösbare Natur des sittlichen und religiösen 
Vorgangs sowohl nach der Seite der Sicherheit (ß) als auch 
nach der Seite des formalen Gehabens (t). 

Es sind das im Grunde nur nähere Bestimmungen des eben 
behandelten Hauptpunktes. ,Liebe' ist eben ein geistiger 
,Lebensvorgang', so daß in ihr sowohl eine nicht völlig be- 
grifflich faßbare Sicherheit wohnt als auch (in Bezug auf das 
Ethische) die »Gegensatzspannung' des wahrhaft Lebendigen, 
bzw. (in Bezug auf das Religiöse) das Gegenseitigkeitsverhältnis 
von Schenken-Empfängen und endlich (für beide) die innere 
Korrelation von »Lebenserfahrung' und »Erkenntnis', so daß Er- 
kenntnis bewußt gewordenes Leben wird, bewußtwerdendes 
Eigenleben im Ethischen, bewußtwerdende Lebensbeziehung 
zum transzendenten göttlichen Leben im Religiösen. Liebe 
als Leben und Leben als Liebe, das könnte man^äls Inbegriff 
der hier in Frage stehenden zentralen Lehre Schelers fassen. 
Es ist nun das einzelne dieser näheren Attribute zu sehen. 

ß) Sicher heitscliar akter. 

Die erste Bestimmung, die der Sicherheit des ethischen 
und religiösen Vorgangs, ist bereits deutlich in Schelers Doktor- 
dissertation^ ausgeführt. Daselbst erörtert er das Dilemma, 
aus dem heraus die Moraltheologie das System des Probabilis- 
mus schuf, und erklärt diese Lösung (deren eigentlicher Sinn 
ihm entgeht) für ungenügend, weil ,Wahrscheinlichkeit' nicht 



* Beiträge zur Festsetzung der Beziehungen zwischen den logischen und 
ethischen Prinzipien (Jena 1899). 



überrationale Gewißheit im Sittlichen und Religiösen. 121 

genügender Grund für wichtige Entscheidungen sein köime^. 
In der ethischen Entscheidung liege etwas Absolutes, das eben 
dann auch, wenn es rational begründet werden müsse, einer 
absolut sichern rationalen Begründung bedürfe, wie sie eine 
,Wahrscheinlichkeit' nicht geben könne (95). Dazu kommt 
dann noch die prinzipielle Feststellung, daß alle Wissenschaft 
ewig schwankend sei und gerade die sichersten Wissenschafts- 
urteile zugleich die belanglosesten für das ethische Gebiet 
wären, während das ethische Gebiet in sich eine absolute 
Festigkeit und Sicherheit fordere (ebd. 55, 99 usw.). 

Diese Gedanken kehren dann im ,Ewigen im Menschen' 
wieder in ihrer besondern Anwendung auf das Religiöse. 

,Nur zwei Sätze der Metaphysik — die formalsten, die Seinsmetaphysik 
kennt — haben absolute Erkenntnisevidenz: der Satz, es gäbe ein vom 
Ganzen aller kontingenten Dinge, Ereignisse, Realitäten ~ also vom Ganzen 
der Welt — verschiedenes Ens a se resp. ein Daseiendes, dessen Dasein 
aus seinem Wesen folgt ; und der Satz, es sei dieses Ens a se die erste 
Ursache (prima causa) und der Urgrund dafür, daß aus den wesens- 
möglichen Welten diese eine kontingente Welt wirklich ist. . . . Alle 
übrigen Bestimmungen des Weltgrundes haben zwei Eigenschaften, die jm 
radikalen Widerspruch stehen zur Natur der religiösen, der Glaubensevidenz: 
die Urteile, die sie aussprechen, sind dauernde und niemals streng veri- 
fizierbare Hypothesen und sind . . . immer nur von Vermutungsevidenz, also 
MTahrscheinlich. ... Es gibt [aber] keinen Wahrscheinlichkeitsglauben ; es 
gibt keinen hypothetischen Glauben. Die sich auf die Glaubensevidenz 
aufbauende, felsenfeste Gewißheit ist von allem Vermutungswissen grund- 
verschieden. Nur die Freiheit des Glaubensaktes im Unterschiede vom 
rein sachgebenden Verstandesakte macht die Evidenz des Glaubens und die 
felsenfeste Gewißheit möglich. Glaube ist freie Einsetzung der Person 
und ihres Kernes für den Giaubensinhalt und das Glaubensgut. . . . Die 
klare Folge davon ist, daß kein metaphysischer Satz, der dem Weltgrund 
eine attributive Bestimmung erteilt, ein genügender Grund sein kann für 
die Annahme einer religiösen resp. einer Glaubenswahrheit. Denn Avie kami 
ein nur hypothetisch Wahres ein absolut Wahres, wie eine Vermutung ein 
evidentes Wissen (wie es das Glaubenswissen subjektiv ist), wie eine Wahr- 
scheinlichkeit eine Wahrheit begründen? Nur von einer Bestätigung (auf 



* In Wahrheit beruht das sittliche Schlußurteil auch nach dem Pro- 
babjlismus auf Sicherheit : ,Es ist sicher, daß' ich so und so handeln darf, 
■»veil ein zweifelhaftes Gesetz nicht verpflichtet.' 



122 ni- Wertfühlen und Selbständigkeit der Eeligion, 

anderem Wege), nicht von einer Begründung kann hier die Rede sein' 
(E 357— 359; ebenso 614 und 627)». . 

y) Vitalcharakter. 

Die zweite Bestimmung, die des vitalen Charakters des 
ethischen und religiösen Vorgangs, ergibt sich nun folgerichtig. 
Entsprechend der Verschiedenheit beider Vorgänge, ist auch 
ihr ,vitaler' Charakter verschieden. 

Beim ethischen Vorgang ist es die Eigenart der , Gegen- 
satzspannung', die sich nicht rational ableiten lasse, und end- 
lich die innere Reziprozität von sittlichem Leben und sittlichem 
Erkennen, so daß die sittliche Einsicht eher eine Funktion des 
sittlichen Lebens sei, als daß dieses aus der sittlichen Er- 
kenntnis als deren Befolgung entspränge. 

Das erste Moment ist der eigentliche Gegenstand der Doktor- 
dissertation Schelers. Hier geht er den sog. sittlichen ,Wider- 
streiten' nach, vorab dem Problem der Wahrhaftigkeit, und 
sucht zu zeigen, daß deren richtige Lösung nicht aus ratio- 
nalen Gesichtspunkten erfolge (96^ — 117), ja daß bestimmte 
Tugenden schon rein in sich nicht logisch rechtfertigbar seien 
(117 196 usw.): das Erkenntnisprinzip der "Wiedergabe des Tat- 
bestandes (der ,adaequatio intellectus ad rem') sei geradezu 
entgegengesetzt zu Tatbeständen wie der Scham oder Un- 
schuld, die gerade ein bestimmtes Erkennen ausschlössen, oder 



* Scheler übersieht hier im Banne seiner Werttheorie zweierlei ; erstens, 
daß die Gottesattribute nur die analysierte Aseität sind, mithin genau ^ 
so sicher wie diese; zweitens aber, daß , Absolutheit des Glaubens' zwei | 
Bedeutungen hat, einmal (im Sinne von , Gottesglauben') die Sicherheit 
natürlichen Wissens von Gott, und dann (im Sinne von ,Offenbarungsglauben') 
die übergeschöpfliche Sicherheit der Autorität Gottes als des formalen 
Glaubensmotivs. Im ersten Sinne geht die Sicherheit so weit, als die | 
Sicherheit über Dasein und Wesen eines ,en8 a se', ,prima causa', ,summum 1 
bonum' und »finis ultimus' geht, die auch und gerade nach Scheler wahre | 
Sicherheit ist. Im zweiten Sinne aber lehren gerade scholastische Schulen, 1 
daß die (logische) Glaubenssicherheit in keiner Weise Wirkung der voraus- 
gehenden natürlichen Erkenntnisse sei. 



Sittliche Einsicht als Funktion sittlichen Lebens. 123 

dem Tatbestand, daß rückhaltlose Walirhaftigkeit gegen sich 
selbst unter bestimmten Umständen sittlich schädlich seüi könne, 
oder daß in manchen Fällen Offenheit die beste ,Lüge' sei usw. 
Zu diesem ersten Moment kommt als, zweites der Lebens- 
erfahrungscharakter der sittlichen Erkenntnis. 

jVermöge der Tatsache, daß zu den für alle Erkenntnis bestehenden 
Täuschungsquellen hier noch alle diejenigen hinzutreten, die in den Interessen 
der Individuen und Gruppen wurzeln, setzt die subjektive Befähigung zur 
sittlichen Einsicht etwas voraus, was anderseits doch erst die Frucht der 
sittlichen Einsicht sein kann : Ein ganzes System von Mitteln , jene 
Täuschungsquellen zu verstopfen, um hierdurch sittliche Einsicht zu er- 
möglichen; d. h, wir stehen hier vor der Antinomie, die sich schon Ari- 
steteles so klar zum Bewußtsein brachte. Sittliche Einsicht ist notwendig, 
um ein gutes Leben zu führen (gut zu wollen und zu handeln). Ein gutes 
Leben ist notwendig, um die Täuschungsquellen sittlicher Einsicht aus- 
zurotten, um die ilir Zustandekommen hemmende Sophistik unsrer Inter- 
essen und die stets bereitliegende Tendenz, unsre Werturteile unsrem fak- 
tischen Wollen und Handeln anzupassen (desgleichen unsem Schwächen, 
Mängeln, Fehlern usw.), aufzuheben' (M 339). 

Eine Ergänzung bietet noch Schelers Analyse der Struktur 
der Strebensrichtungen im Gegensatz zu den bewußten Ziel- 
setzungen; hiernach ist die persönliche ,Sittlichkeit' eines 
Menschen schon vor allem bewußten ,Wollen von Etwas' in 
den faktisch existierenden innern Strebungen grundgelegt, 
so daß im bewußten "Wollen nur eine Seligierung innerhalb der 
in den innern Strebungen gegebenen Sittlichkeitssphäre statt- 
findet. 

,Es ist . . . durchaus nicht so, daß alles Streben Richtung erst erhielte 
durch eine sog. Ziel- Vorstellung ; das Streben selbst hat innere Richtungs- 
unterschiede phänomenaler Natur; es ist nicht immer dasselbe Streben 
(eine gleichartige Bewegung), die erst durch die Mannigfaltigkeit der Vor- 
stellungsinhalte sich zerlegte und differenzierte Eine Richtung solcher 

Art ist eben nicht an erster Stelle eine Richtung auf einen besondern Bild- 
oder Bedeutungsinhalt, sondern sie ist eme Wertrichtung, d. h. ein in seiner 
besondem unverwechselbaren Qualität erlebbares Gerichtetsein auf einen 
bestimmten Wert (der selbst darum nicht schon als eine fühlbare Wert- 
qualität gegeben zu sein braucht). . . . Wertkomponente [und] , . . Bildkompo- 
nente . . . befinden sich in dem eigentümlichen Verhältnis, daß es erstens zu 
der Bildkomponente entweder gar nicht oder in allen möglichen Graden der 



124 III- Wertfülilen und Selbständigkeit der Religion. 

Deutlichkeit und der Klarheit kommen kann, während die Wertkomponente 
bereits vollkommen klar und deutlich im Streben gegeben ist. Sodann in 
dem Seinsverhältnis, daß die Bildkomponente stets fundiert ist auf die 
Wertkomponente, d, h. der Bildinlialt nach Maßgabe seiner möglichen Ge- 
eignetheit die Wertkomponente zu realisieren gesondert ist. ... So etwa 
spüren wir mitten in einem wichtigen Geschäft einen Zug nach einer be- 
stimmten Richtung der Umwelt, der vielleicht von dem Gesicht eines 
Menschen ausgeht, folgen ihm aber nicht, so daß es zu einem Bildinhalt 
des Erstrebten nicht kommt; oder die bereits nach einem deutlich fühl- 
baren Wert gehende Richtung paßt nicht in den zeitweiligen Aufbau, das 
System unsrer Strebungen hinein; das Sti-eben fügt sich nicht in den je- 
weiligen Zusammenhang der Strebungen und wird durch ein vom Wert 
dieses Zusammenhangs ausgelöstes Widerstreben imterdrückt und damit 
unfähig gemacht, seinen Bildinhalt zu entfalten. Dasselbe geschieht häufig, 
wo uns ein auf „solche" Werte gerichtetes Streben schon an dieser Stelle 
seiner Entfaltung als unrecht oder schlecht gegeben ist. Anderseits kann 
das Streben auf Grund seiner Wertkomponente bereits die Zustimmung 
durch vaiser zentrales Ich erhalten haben, während der Bildinhalt noch be- 
deutend schwankt oder die Bildinhalte wechseln. Wir erleben hier die 
Bereitschaft, z. B. Opfer zu bringen oder gegen Menschen wohlwollend zu 
sein, ohne noch die Objekte im Auge zu haben, an denen wir dies tun 
wollen, und ohne noch die Inhalte der Opfer und der wohlwollenden Hand- 
lungen zu besitzen. Die Entschiedenheit hinsichtlich des Wertes des Er- 
strebten und die Unentschiedenheit hinsichtlich des Was und Woran (im 
bildhaften Sinne) heben sich hier deutlich ab. . . . Weit entfernt, daß der 
tiefste sittliche Wertunterschied zwischen den Menschen läge in dem, was 
sie sich wählend zum Zwecke setzen, liegt er vielmehr in den Wertmaterien 
und in den bereits triebhaft (und automatisch) gegebenen Aufbauverhält- 
nissen zwischen ihnen beschlossen, zwischen denen allein sie zu wählen 
und Zwecke zu setzen haben, die also den möglichen Spielraum für ihre 
Zwecksetzung abgeben. . . . Vielmehi* ist es . . . für die hochstehende sitt- 
liche Natur eines Menschen charakteristisch, daß bereits das unwillkürliche 
automatische Auftreten seiner Strebensrichtungen und der materiellenWerte, 
auf welche diese zielen, in einer Ordnung des Vorzugs erfolgt, daß sie ~ 
gemessen an der objektiven Rangordnung der materialen Werte — ein für 
das Wollen bereits weitgehend geformtes Material darstellen. Die Vorzugs- 
ordnung wird hier — mehr oder weniger weitgehend und für verschiedene 
materiale Wertgebiete in verschiedenem Maße — zur innern Regel des 
Automatismus des Strebens selbst und schon der Art und Weise, wie die 
Strebungen an die zentrale Willenssphäre gelangen. . . . Nicht erst Vor- 
stellungsinhalte differenzieren ein (gleichförmiges) Streben zu diesem und 
jenem Streben . . ., sondern die Strebungen selbst sind . . . bestimmt und 
differenziert. Und dies alles ohne das Eingreifen eines Aktes des Vor- 

stellens Wir erstreben fortgesetzt Dinge und widerstreben andern, die 

wir nie und nirgends gegenständlich erfahx-en haben. Fülle, Weite, Diffe- 



Religiöser Vorgang als Offenbarung — Glauben. 125 

renzierung unsres Strebenslebens ist nirgends eindeutig abhängig von der 
Fülle , Weite , Differenzierung unsres intellektuellen Vorstellens- und Ge- 
dankenlebens. Es hat seinen eigenen Ursprung und seine eigene Bedeutungs- 
höhe' (M 28-38). 

Aus diesem Gedankengang wird dann noch die letzte hier- 
hergeliörige Bemerkung Schelers verständlich, daß ,Wert' auch 
dort erfaßt werde, wo die Fähigkeit für rationales Erfassen 
noch gar nicht austihbar sei, z. B. beim kleinen Kinde. ,Ein 
Kind spürt der Mutter Güte und Sorge, ohne irgendwie die 
Idee des Guten erfaßt zu haben und mitzuerfassen, — sei es 
auch so vag wie immer' (M 166). 

Wie sich so beim ethischen Vorgang der ,vitale Charakter' 
innerhalb des spontanen Eigenlebens darstellt, so gibt er 
sich im religiösen Vorgang als ,gläubiges' Empfangens- 
verhältnis zum ,sich offenbarenden^ Göttlichen: Gott wird im 
religiösen Vorgang zugleich erfaßt als der diesen Vorgang 
verursachende, als der in diesem Vorgang sich schenkende, 
welcher Haltung Gottes dann der , Glauben' als Personhingabe 
an die Person entspricht. 

Scheler scheidet diese im Wesen des Religiösen liegende 
, Offenbarung' von ,positiver Offenbarung', während er inner- 
halb des , Glaubens' eine dementsprechende Unterscheidung 
nicht zwischen ,gläubiger Haltung innerhalb eines Vernunft- 
erkennens Gottes' und ,Glaube an bestimmte Sätze auf Grund 
der Autorität des sie offenbarenden Gottes' macht, sondern 
nur zwischen , Glaube an Gott unmittelbar' und , Glaube an 
Gott in der Person, die sein Offenbarungsträger ist'. 

,Der religiöse Akt fordert — im Unterschied zu allen sonstigen Er- 
kenntnisakten, auch denen der Metaphysik — eine Antwort, einen Wider- 
und Gegenakt seitens eben des Gegenstandes, auf den er seinem intentio- 

nalen Wesen nach abzielt Der religiöse Akt vermag nicht von sich aus 

oder mit Hilfe des Denkens dasjenige zu konstruieren, v,'as als Gegenstands- 
idee, -anschauung, -gedanke dem Menschen vorschwebt, der ihn vollzieht. 
Er muß die Wahrheit, die er intendiert, das Heil und das Glück, das er 
sucht, irgendwie empfangen — und er mufs es empfangen durch eben das 
Wesen, das er sucht. Er ist insofern schon in seiner ersten Intention auf 
ein mögliches Empfangen hingerichtet und angelegt — Avie vielseitige 



126 III- Wertftthlen und Selbständigkeit der Eeligion, 

innere und äußere Tätigkeit auch die Erreichung dieser Schwelle voraus- 
setze, auf der das Empfangen einsetzt. Wo die Seele nicht — wie vermittelt 
immer — Gott berührt und ihn dadurch berührt, daß sie sich durch Gott 
berührt weiß und fühlt, da besteht kein religiöses Verhalten — auch keine 
natürliche Religion. Die positive Religion und die natürliche Religion sind 
nicht dadiirch unterschieden, daß jene auf Offenbarung beruht, diese auf 
spontaner Vemimfterkenntnis des Menschen — ganz unabhängig vom reli- 
giösen Akt. . . . Der Wesensunterschied der natürlichen und der positiven 
Religion beruht vielmehr auf der Art und Weise der Offenbarung, d. h. dar- 
auf, ob die Offenbarung eine generelle , durch die konstanten Wesens- 
tatsachen der Innen- und Außenwelt, der Geschichte und der Natur sym- 
bolisch vermittelte, jedem im religiösen Akt überall und zu jeder Zeit zu- 
gängliche ist, oder ob sie erfolgt durch die besondere erhabene Gott- 
verkntipftheit bestimmter Personen, deren Sein, Leistung, Lehre, Aussage 
(und die Tradition dieses Ausgesagten), und dann vermittelt ist durch den 
Glauben an diese Person. So wenig also notwendige und allgemeingültige 
Erkenntnis mit spontaner Vernunft- und Sinneserkenntnis zusammenfällt, 
vielmehr schon solche Erkenntnis auch durch die natürliche, jedem überall 
und immer zugängliche Offenbarung gegeben sein kann — Avenn er nur 
in religiöser Akthaltung an die Welt herantritt, so wenig darf Offenbarung 
überhaupt der positiven und tradierten Offenbarung durch eine Person 
gleichgesetzt werden. Offenbarung als solche — im weitesten Wortsinn — 
ist nur die dem Wesen des religiösen Aktes streng korrekte Gegebenheits- 
art eines Realen vom Wesen des Göttlichen überhaupt. Sie reicht als 
solche Gegebenheitsart soweit, wie Religion überhaupt reicht, und sie um- 
faßt insofern auch den ganz andersartigen Gegensatz wahrer und falscher 
Religion' (E 535 — 537; in dieser Stelle sind alle sonstigen einschlägigen 
Stellen in ihrem Inhalt zusammengefaßt : vgl. noch besonders 350 ff.). 

Dementsprechend spiegelt sich in dem korrelaten ,Grlauben' 
Absolutheit und Verhülltheit des transzendenten Gottes (Gott 
in den Geschöpfen) ab, indem dieses , Glauben' zugleich ein 
»verhülltes Schauen* und ein absolutes ,Sich-einsetzen der Per- 
son' ist. 

»Glauben an etwas ... ist ein Akt sui generis und kann weder der 
Sphäre der Verstandesakte noch der Willensakte eingereiht werden. Soll 
ich ihn beschreiben, so muß unterschieden werden in ihm der inlialtgebende 
Akt und der auf diesen Inhalt gerichtete Akt des unbedingten Eesthaltens, 
Aufrechthaltens des Glaubensgutes. Der erste Akt ist ein seinem Wesen 
nach der vollen Erfüllung durch Anschauung fähiger und bedürftiger Akt 
eines verhüllten Schauens. Der zweite Akt wird am besten beschrieben, 
wenn wir an das denken, was wir „sich mit einer Sache identifizieren" 
nennen. Die Persönlichkeit fühlt und erlebt sich (den Kern ihrer Existenz 
und ihres Wertes) an ihr Giaubensgut also gekettet, daß sie sich für es 



Wert-Sein-System: Identitätstypen. 127 

einsetzt, sich mit ihm — wie man sagt — identifiziert. „Ich soll und "will 
nur da sein, sofern du, Glauhensgut, bist und wert bist, wir beide stehen 
und fallen zusammen." Das ist aufWoiie gebracht die erlebte Beziehung, 
in der die Person zu ihrem Glaubensgut steht. Wesentlich für den Glaubens- 
akt ist die Unbedingtheit der Selbsteinsetzung für dasselbe, die mit der 
Stellung und Lage des Glaubensgutes in der Absolutsphäre des Seins und 
der Güter in wesensmäßigem Zusammenhang steht' (E 561). 

1)) Würdigung des Ganzen : Natürliches und reflexes Werterfassen. 

a) Typik von Wert und Sein. 

Die eben entwickelte Theorie Schelers vom subjektiven 
Erfassen des Wertes ist das eigentliche entscheidende Haupt- 
stück seines Systems, wenngleich seine Grundlagen im meta- 
physischen Person-Liebe-System und in der Lehre von der 
intentionalen Greschiedenheit von Wert und Sein liegen. Es 
mag daher zunächst ein kurzer, zusammenfassender Rückblick 
gestattet sein. Wenn wir das zweite Grundprinzip der Phäno- 
menologie vom unmittelbaren Sichentsprechen von (inten- 
tionalem) Erkenntnisobjekt und Erkenntnishaltung zu Hilfe 
nehmen, so ließen sich folgende Grundtypen von Theorien über 
das Verhältnis von (objektivem) Wert und Sein und entsprechend 
(subjektivem) Werterfassen und Seinserfassen aufstellen^: 



^ Schelers ähnlich klingende Typik (Identitätssysteme, Dualitätssysteme, 
Kongruenzsysteme) beruht auf zwei Voraussetzungen, die teils historisch, 
teils systematisch nicht haltbar sind. Die erste Voraussetzung ist, daß 
die Scholastik metaphysische Gotteslehre und natürliche Eeligion gleich- 
setze, so daß nur mehr die Zweiheit von Gottesmetaphysik und Offen- 
barungsreligion bestehe. Die zweite Voraussetzung ist die, aus der Ein- 
stellung des nachscholastischen Denkens entsprungene. Gleichsetzung von 
,Glaube -— Offenbarung' mit , Wertverhalten'. Beide Voraussetzungen zu- 
sammen schaffen dann (negativ und positiv) das von Scheler dargebotene 
Schema (E), in dem die altchristliche Zweiheit von religiösem Erkennen 
aus eigener Einsicht und religiösem Erkennen aus Glaubenshinnahme von 
Gottes Einsicht Gfjuod videt Dens, crede tu!') sich auflöst und nur noch 
die Zweiheit von ,Religion' und ,Metaphysik' besteht. Die erste Voraus- 
setzung ist aber historisch unrichtig und die zweite systematisch un- 
annehmbar. Die Scholastik zunächst hat das religiöse Gebetsverhältnis nie 
begrifflich mit der metaphysischen Gotteslehre gleichgesetzt, wie ihre Lehre 



128 ni- Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

1. Typen einer letzten irniern Identität von Wert und 
Sein, so daß Wert und Sein nicht bloß in der Realitätssphäre 
eine Realität sind, sondern primär intentional (im Begriff) letzt- 
lich ineinsfallen, 

a) Erster Identitätstyp: Wert reduziert auf Sein. 
Nach diesem Typus ist Wert (bonum) nicht bloß in einem 
Funktionsverhältnis zu Sein, so daß einem gesteigerten Sein ein 
gesteigerter Wert , entspräche', sondern der gesteigerte Wert 
ist nichts anderes als das gesteigerte Sein. Die Konsequenz 
für das Gebiet des Sittlichen muß hier lauten: Das Gute ist 
formal das ontologische Sein der Tat oder des Zustandes, und 
das Böse ist formal das Nichtsein an sich. Das diesem ob- 
jektiven Werte zugeordnete subjektive Werterfassen ist dann 
das rein analytisch-mathematische Erkennen. Denn da alle 
Qualitäten auf eine einlinige Seinsgradation zurückgeführt 
sind, ist das entsprechende Erkenntnisverhalten das quantitative 
Errechnen. 

b) Zweiter Identitätstyp: Sein reduziert auf Wert. 
Nach diesem Typus ist das letzte Wesen des All ein Wille, 
der Wert ist, sei es daß dieser Wert als Objektivation des 
Willens gefaßt wird, sei es daß er als objektiver Wert dem 



von der ,virtus religionis' deutlich zeigt; wohl al^r betont sie, daß das 
religiöse Gebetsverhältnis in seinen Akten der Anbetung, Ehrfurcht und 
Liebe jenes Verhältnis von Gott und Geschöpf praktisch ausübe, das theo- 
retisch in der metaphysischen Gotteslehre dargelegt wird. Die zweite 
Voraussetzung endlich entstammt letztlich der Gedankenwelt unsres zweiten 
Identitätstyps und steht und fällt darum mit ihm. Aber auch rein ge- 
schichtsmethodisch bringt diese Voraussetzung eine Vergewaltigung anders 
orientierter Systeme, wie z. B. der gnostischen und traditionalistischen, mit 
sich, die nicht von der Schelerschen psychologischen Zweiheit spon- 
tanen und empfangenden Gotterkennens (Metaphysik imd Religion) her 
orientiert sind, sondern von der alten logischen Zweiheit eines Wissens 
aus eigener Evidenz und eines Wissens aus Autorität, Eine an die Wurzel 
gehende Klärung mußte darum die Zweiheit jMetaphj'sik-Religion' (Seins- 
erkennen -Wertfühlen) von der andern, übergeordneten ,Wissen-Glauben' 
(Evidenz als Motiv — Autorität als Motiv) trennen — , und so entstand 
unsre obige Typik, 



Kongruenztypen. 129 

Weltwillen gegenüber oder über ihm steht. Im subjektiven 
Erfassen bedeutet dann darum alles verstandesgemäße Seins- 
erkennen nur eine nachträgliche Erstarrung und Pormulierungs- 
weise der reinen Willenserlebnisse, in denen allein das Wesen 
der Welt erfaßt wird. Das Leben formal als Leben, das Wollen 
formal als Wollen ist die Berührung und Einheit mit dem 
letzten Wesen des All. Religion ist formal Sittlichkeit oder 
Handlung oder die strömende Bewegtheit des Lebens in sich. 
2. Typen einer Kongruenz von Wert und Sein, so daß 
Wert und Sein zwar intentional geschieden sind, aber auf ein und 
dieselbe Realität wesensgemäß weisen, die in real-objektivem 
,An sich' werterfüllt und seinserfüllt zugleich ist, ohne daß 
das nähere ,Wie' dieses realen Ineinander von Wert und Sein 
bestimmt wird. 

a) Erster Kongruenztyp : Prävalenz des We r t e s . Nach 
diesem Typus ist schon in der Intentionalsphäre das reine 
Sein ein Sekundäres, in der Realsphäre aber ist Gott und 
Geschöpf primär ,Liebe'. Wenn auch das Realobjektive ein 
Wert-Sem ist, so ist es doch mehr ein Wert-Sein als ein 
Wert- Sein. Infolgedessen ist im subjektiven Erfassen das 
emotionale Mitleben und Mitlieben der eigentliche Kontakt 
zwischen Subjekt und Objekt und das nachfolgende Sems- 
erkennen nur ein nachträgliches Formulieren. Insofern aber 
das emotionale Mitleben und Mitlieben gegenständlich gerichtet 
ist, unterscheidet es sich wesentlich von dem Erkenntnis- 
verhalten des zweiten Identitätstyps, bei dem nicht ein Er- 
kennen des gegenüberstehenden Objekts statthat, sondern nur 
ein rein formales Einssein mit ihm im Wollen usw. 

b) Zweiter Kongruenztyp: Prävalenz des Seins. Nach 
diesem Typus besteht zwar eine begriffliche Geschiedenheit 
von Wert und Sein, aber der Wert ist wie eine Hülle des 
Seins. Das ,intelligible Sein', nicht die ,erstarrte Liebesgeste' 
ist das Grundwort dieses Typus. Infolgedessen dient ihm auch 
innerhalb der Aktseite das subjektive Mitleben und Mitlieben, 

Przywara, Keligionsbegrüudung. 9 



130 HI. Wertftthlen und Selbständigkeit der Religion. 

die ,Stellungnahme', nur zum Zwecke einer mögliehst gegen- 
ständlichen jKenntnisnahme'. Der entscheidende Erkenntnis- 
kontakt ist nicht das Lieben als Lieben, sondern die mög- 
lichst nahe Berührung der ,Ideen im Menschengeist' mit den 
,Ideen in den Dingen', welcher allein alle emotionale ,Stellung- 
nahme' zu dienen hat. 

3. Typus einer innern Einheit von Wert und Sein, 
so daß intentionale Geschiedenheit und reale Einheit nicht ein- 
fach nebeneinander stehen, sondern auseinander abgeleitet 
werden. Die reale Einheit ergibt sich daraus, daß Wert auch 
intentional bereits ein Seins verhalt ist. Die intentionale 
Geschiedenheit aber folgt daraus, daß Wert real kein Seins- 
grad ist. Infolgedessen ist ein subjektives Werterfassen mög- 
lich, das auf der einen Seite von der wahren Natur eines 
Seinserkennens ist und doch auf der andern Seite mit einem 
analytisch-mathematischen Errechnen nicht zusammenfällt. 

Der erste Identitätstypus ist Schelers vermeintlicher Typus 
der antik-patristisch-scholastischen Wertlehre, in Wahrheit 
aber auf der einen Seite der Standpunkt spinozistischer Philo- 
sophie, die alle Qualität in Quantität auflöst, auf der andern 
Seite (soweit das Sittlichkeitsprinzip in Frage steht) ein Denk- 
typus, der seine letzte Quelle in der nominalistisch-lutherischen 
Erbsündenlehre hat, kraft deren schließlich die Sünde mit der 
kreatürlichen Seinsbeschränktheit zusammenfällt, so daß dami 
wesensnotwendig das Gute vom allein seinsvollkommenen Gott 
allein gesetzt sein muß. Es ist also im eigentlichen Kern 
jener Standpunkt, dem sowohl die Grundanschauungen der 
neueren protestantischen Theologiesysteme entstammen wie auch 
die pantheistischen Philosophiesysteme des 18. und 19. Jahr- 
hunderts. 

Der zweite Identitätstyp hat ebenfalls seine letzte Wurzel 
im occamistischen Nominalismus und seiner Weiterführung in 
Luther, insofern sowohl die nominalistische Entwertung aller 
Wesenserkenntnis in der lutherischen ,Hure Vernunft' sich 



Geschichte der Identitätstypen. 131 

fortsetzt als auch insofern der über ,Wesen' und ,Norm' schlecht- 
hin erhabene Willkürwillensgott im lutherischen Gericht-Gnade- 
Gott und Prädestinationsgott sich vollendet. Hier liegt dann 
die letzte geistesgeschichtliche Ansatzstelle für die spätere 
voluntaristische Metaphysik, sei es einer ,transzendentalen 
Norm' (Badener Schule) sei es eines »transzendenten Lebens- 
willens' (Schopenhauer-Bergson-Simmel), wie sie beide, als ver- 
schiedene Prävalenzformulierungen der voluntaristischen Meta- 
physik Kants entspringend Ist der erste Identitätstyp der 
Grundtypus des extrem mathematisch-naturwissenschaftlichen 
Denkens, so der zweite der seines ebenso extremen Gegen- 
pols, des vernunftfeindlichen WoUens oder Lebens oder Handelns 
,als' einzigen Weltkontaktes, wie es am ausgeprägtesten sich 



^ Vgl. hierzu u, a. F. X. Kiefl , Katholische Weltanschauung und mo- 
dernes Denken^ (Regensburg 1922). Von protestantischer Seite kommen 
zu wesentlich gleichen Ei'gehnissen : Ernst Troeltsch, Luther und der Pro- 
testantismus (Neue Rundschau XXVIII [1917] 1317 if.); Karl Heim, Das 
Gewißheitsproblem in der systematischen Theologie bis zu Schleiermacher 
(Leipzig 1911) ; ders., Glaubensgewißheit ^ (Leipzig 1920) 36 ff. Zu Kant 
vgl. die tiefgehende Studie Gl. Bäumkers Jmmanuel Kant' (Hochland I 
[1903 I] 576 ff.), die nachweist, wie Kants Kritik der Gottesbeweise als 
historischen Hintergrund nicht die scholastische Gotteslehre der ,analogia 
entis' habe, sondern das .unmittelbare' Konstruieren , Gottes an sich' durch 
die Wolff-Schule : ,Was Kant vor allem bekämpft, ist der Versuch der 
"Wolflfschen Metaphysik, auf dem Boden des ontologischen Gottesbeweises 
von Gott aii sich (nicht via causalitatis, wie die Scholastiker sagten) 
einen Begriff aufzustellen und aus diesem Begriff dann die Welt- 
einrichtung, insbesondei'e ihre Zweckmäßigkeit zu deduzieren' (ebd. 587). 
Mit andern Worten ; auch Kant bedeutet eine Etappe innerhalb der 
Dialektik des lutherischen ,alleinwirklichen und alleinwirksamen' Gottes, 
wie auch der kantische Durchbruch zu Gott im Volimtaristischen nur eine 
Variation des nominalistisch- lutherischen Willensgottes ist. Eine Aus- 
einandersetzung zwischen Kant und Scholastik kann also niemals direkt 
erfolgen, sondern einzig imRahmen der fundamentalen Auseinandersetzung 
zwischen dem patristisch-scholastischen ,Gott in uns und Gott über uns' 
(,analogia entis') und dem nominalistisch-reformatorischen ,Gott in uns oder 
Gott über uns', dessen innere Dialektik die Dialektik des nachreforma- 
torischen Geisteslebens bis auf unsre Tage ist. Vgl. vom Verfasser ,Gott 
in uns oder Gott über uns?' (Stimmen der Zeit CV [1923 II] 343—862). 

9* 



132 HI. Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

in Bergsons ,Intuitioii' gibt, deren letztes Wesen Einheit mit 
dem strömenden Einheitsleben (der ,dur6e') ist^. Zwischen 
beiden Typen variiert das nachscholastische Denken, seitdem 
der Nominalismus sowohl das antik-scholastische ,intelligible 
Sein' in die Kluft zwischen Wirklichkeit an sich und will- 
kürlicher »Benennung' der Wirklichkeit durch den ungebundenen 
Verstand, und den patristisch-scholastischen ,Gott in uns und 
über uns' in ein unerkennbar Jenseitiges und willenshaft Irra- 
tionales gewandelt hatte ^. Weim also Schelers System, wie 



^ Diesen formalen Charakter der ,Intuition' Bergsons als sozusagen 
mystischer Rückkehr in das All-leben heben übereinstimmend gegen die 
anderslautende Deutung Matth. Laros (Das Glaubensproblem bei Pascal 
[Düsseldorf 1918] 105 ff.) hervor : Cl. Bäumker (Über die Philosophie von 
Henri Bergson : Philos. Jahrbuch XXV [1912] 16 ff.), Walter Meckauer 
(Der Intuitionismus und seine Elemente bei Henri Bergson [Leipzig 1917] 
9 17 281 36 ff.), Alb. Iriauen S.J. (Bergsons Ich-Intuition; Gregorianum III 
[1922] 572 ff.) und Helm. Plessner (Die Einheit der Sinne [Bonn 1923] 91 
99 ff.). Bei einer Beachtung der Innern Zusammenhänge des Systems 
Bergson ist auch eine andere Deutung kaum verständlich. 

^ Die Tragik dieses Gegensatzes ist wohl selten sonst so spürbar wie 
in dem geistvollen Versuch einer Überbrückung, den Karl Heim in seiner 
, Glaubensgewißheit' ^ (Leipzig 1920) unternahm und der gerade wegen dieser 
Überbrückungstendenz auf den Widerstand der herrschenden protestantischen 
Religionsphilosophie stieß (vgl. die ungemein typische Kritik Kaftans an 
Heim in der Festschrift für Th. v, Haering, Studien zur syst. Theologie 
[Tübingen 1918] 36 ff.). Heim erkennt klar, daß die Grundlage des Gottes- 
glaubens eine wahre Erkenntnisgewißheit sein müsse, und daß die moderne 
Zweiteilung von naturwissenschaftlicher und geisteswissenschaftlicher Ge- 
wißheit nur eine Fortsetzung, keine Lösung des kantischen und nach- 
kantischen Dilemmas eines erkenntnismäßig ungewissen und willensmäßig 
gewissen Gottes sei (15 ff. 38 ff.). Gottesglauben wie Wissenschaft müssen 
auf ein und demselben Denkgesetz aufruhen (43). Aus dieser Erkenntnis 
heraus unternimmt Heim seine fast titanische Zu-Ende-Denkung des trans- 
zendentalen Idealismus, um im ,irrationalen' Jetzt, Hier und Ich, das im 
unendlichen Bewußtseinsgewoge letzte feste Punkte bilde, das unmittelbare 
Wirken eines über dem Werden stehenden Gottes als ebenso evident nach- 
zuweisen wie die Evidenz des momentanen Bewußtseinserlebnisses (166 
178 189). und doch ist ihm letztlich Gott nur gegeben . i m Wollen und 
Sollen: Identität mit Gott, dem ewigen Willen, im Erlebnis des ethischen 
Könnens ; Gegensatz zu Gott im Erlebnis des Widerstreites ,zwischen einem 
reinen allgegenwärtigen Willen und einem unreinen Medium, in dem dieser 



Schelers und Rosenmöllers Kongruenzsysteme, 133 

wir früher sahen (S. 75 ff.), aus emer Auseinandersetzung mit 
diesen beiden Identitätstypen entspringt, so ist es nicht Scho- 
lastik und Moderne, zwischen denen es faktisch vermittelt, 
sondern es ist selbst nur eine der Variationen zwischen den 
Gregenpolen des nachscholastischen Denkens, freilich eine solche 
Variation, die dem scholastischen Denken am allernächsten 
kommt, soweit das der Graben des nachscholastischen Ent- 
weder-Oder von analytisch - mathematischem Denken und 
Emotionalität zuläßt. 

Die zwei Kongruenztypen stellen dann das Schelersche 
System dar, wie es ursprünglich ist (erster Kongruenztyp) und 
wie es durch Bernhard Rosenmöller einigermaßen umgeformt 
erscheint (zweiter Kongruenztyp) ^. Im ersten Kongruenztyp 
(Scheler) ist die feine Linie sichtbar, die ihn vom zweiten 
Identitätstyp trennt, wie auch der scharfe Graben, der zwischen 
ihm und der Scholastik steht: die Liebesdynamik an Stelle 
des Seinsprinzips. Insofern bedeutet der zweite Kongruenztyp 
(Rosenmöller) einen wichtigen Schritt vorwärts. Aber auch 
er steht noch im Bannkreis des Entweder-Oder und gerät 
darum allzuweit in die andere Richtung, so daß sein eidetischer 
Gottesbeweis nicht mehr jene innere Verwandtschaft mit der 
praktischen Gotteserfahrung hat, die für das Verhältnis von 
Gotteserfahrung und Gottesbeweis, der Sache nach, erforder- 
lich ist: das Verhältnis von implicit-explicit. Was aber für 

reine Urwille nur in gebrochener Form verwirkliclit ist' (214). ,Völlige 
Identität zwischen mir und dem allgegenwärtigen Willen, dessen ich inne 
werde, und absolute Geschiedenheit zwischen mir und ihm (214/15). So 
blitzt die ,analogia entis' hindurch, und doch unheilbar verbogen durch die 
altlutherische Diskrepanz zwischen dem, allen religiösen Erkennens und 
Wollens beraubten, Erbsündemenschen und dem alleinwirklichen und allein- 
wirksamen Gott: Wolienskraft und Wollensohnmacht als ,Blick' in Gott 
hinein, als ,Blick, der so unmittelbar ist wie das Selbstbewußtsein' (214). 
So endet dieser in der heutigen Literatur einzig dastehende Versuch einer 
Überwindung der kantischen voluntaristischen Metaphysik auf dem Wege 
eines Zu-Ende-Denken Kants doch wieder im Extrem des Voluntarismus. 
^ Bernhard EosenmöUer, Gott und die Welt der Ideen (Münster 1923). 



X34 ni. Wertfühlen und Selbständigkeit der Eeligion. 

beide Kongruenztypen schließlich entscheidend wird, ist der 
reine Postulatcharakter ihrer realen Einheit von Wert und 
Sein. Insofern sie eine solche Einheit fordern, sind sie be- 
reits eine Überwindung des nachscholastischen Entweder-Oder 
von Wert und Sein (auf der Objektseite) bzw. Emotionalität 
und analytischem Erkennen (auf der Subjektseite). Aber in- 
sofern sie die innere Natur dieser Einheit nicht begründen 
können, sondern sie nur als Postulat vom Menschengeist 
(Scheler) oder von Gott her (Rosenmöller) aufstellen, bleiben 
sie auf halbem Wege. 

Die Lösung liegt daher im organischen Ausbau des Typus 
einer ionern Einheit von Wert und Sein, wie wir ihn früher 
für die Objektseite von Wert-Sein skizziert haben (S. 83 — 95). 
Dort stellten wir fest, wie der Wert in der Realitätssphäre 
sich als einen ,Tätigkeitssachverhalt' darstelle, wodurch das 
Schelersche ,Inhärieren im Sein' (E 93/94) seine nähere Be- 
stimmung erhält. Es ist das Sichausmrken der realen Natur 
zur Höhe ihres immanenten Ideals, was den Realverhalt des 
Wertes bildet. Auf diese Weise ist auf der einen Seite die 
innere Korrespondenz von ,Norm' und ,Streben' ins Gleich- 
gewicht gebracht: die ,Norm' ist die Individualidee des Seins- 
wesens, so daß es ,strebend' zur Höhe seiner selbst strebt. 
Auf der andern Seite aber fällt, wie wir ebenfalls dort sahen, 
dieser Realverhalt des Wertes nicht mit dem Seinsgrad zu- 
sammen, sondern ist ein Verhalt innerhalb des einzelnen Seins- 
wesens. Durch diese innere Verbindung von Wert und Sein 
ist dann aber auch das krönende Problem von Metaphysik und 
Religion innerlich gelöst. Gott ist der ,actus purus', Voll- 
wirklichkeit seiner Individualidee^, die aber als solche das 



^ Vgl. hierzu Jos. Heiler, Das Absolute (München 1921), der in tief- 
gehender Analyse das dynamisch-statische des Gottesbegriffs herausstellt. 
Auf diese Weise gelingt ihm eine recht glückliche Zeichnung der Einheit 
von ,ipsum esse' und .summum bonum' im Gotteswesen, sowie der Einheit 
von ,Idee-Norm' und ,Person' (Person im echt scholastischen Sinne des 



Typus innerer Einheit von Wert und Sein. 135 

schlechthinige ,Ist' ist, wie Augustin es faßt (InPs. 38, 8; 101, 
s. 2, 10). Aus diesem seinem Wesen heraus ist Gott dann 
innerlich in allem Geschaffenen in Sein und Wirken, so daß 
die Geschöpfe zu Gott streben, indem sie zur Höhe ihrer Indi- 
vidualidee streben. Wo darum, wie im Menschen, den Ge- 
schöpfen das geistige Bewußtsein verliehen ist, ist die bewußte 
Beziehung zu Gott die notwendig innere Seite ihres Strebens 
zur Höhe ihrer Individualidee. Aus diesen Gedanken heraus 
ist nun die Grundlage aller Religiosität prinzipiell ein Seins- 
erkennen, ein irgend welches Erkennen des Wurzelverhältnisses 
zwischen Gott und Geschöpf, der ,analogia entis'. Es ist (auf 
der Objektseite) nicht das Dilemma zwischen einem meta- 
physischen ,ens a se' und einem religiösen ,summum bonum' 
und (auf der Subjektseite) zwischen einem Seinserkennen dieses 
,ens a se' und einem Wertfühlen des ,summum bonum'. Sondern 
weil im Objekt das ,summum bonum' die Vollwirklichkeit des 
,ens a se' ist, so durchdringen sich auch auf der Subjektseite 
metaphysische und religiöse Erfassensweise. 

Aber diese innere Einheit von Wert und Sein bedingt doch 
(weil sie keine begriffliche, intentionale Einheit ist), die Auf- 
stellung zweier ,entia intentionalia', die sich als Umformung 
der Schelerschen zwei ,entia intentionalia' darstellen: der beiden 



höchsten ,Fürsichseins', 54). Die Schellsche , Selbst Verwirklichung' paraly- 
siert er durch die scholastische ,Selbstwirklichkeit' (48 ff.), freilich doch 
mit einem leisen bleibenden Primat der ,Selbstverwirklichung' ; ebenso 
,Persönlichkeit' und ,objektive Ordnung' (75 ff.). ,„ Werde, der du bist!" 
Das ist der ethische Imperativ, den als Imperativ des eigenen Grundwesens 
endliche Personen an sich gerichtet wissen. Einzig und allein das Ab- 
solute — oder, wie ich jetzt sagen darf : der Absolute — kann rechtmäßig 
von sich behaupten, daß in ihm die Forderung „Sei, der du bist!" restlos 
erfüllt ist. Einzig und allein der Absolute kann in diesem Sinne von sich 
urteilen: „Ich bin, der ich bin"' (75). Damit ist in rein phänomenologischer 
Analyse die innere Einheit von Wert und Sein aufgewiesen. Von ganz 
anderem Standpunkt aus kommt übrigens auch Fr. Gegarten zu diesem 
Wert-Seins-Sinn des ,Tch bin, der ich bin' (Von Glauben und Offenbarung 
[Jena 1923] 69 ff.). 



136 in. Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

Intentionsrichtungen nämlich eines ,sachlich feststellenden Er- 
kennens' und eines ,Erspürens im Tun'. Die Wert-Sein-Ein- 
heit ist eben eine dynamisch-statische Einheit, sei es die 
Werde-Einheit des zur Höhe seiner Individualidee (der ,forma' 
im Suarezischen Sinn) strebenden Geschöpfes, sei es das „Ewige 
Leben' des in seiner Individuahdee ewig vollwirklichen Gottes, 
der nach Augustins Wort die Idealpolarität von ,Wirken' und 
,Iluhe' ist: das ,ruhende W^irken und die wirkende Ruhe' 
(De civ. Dei 12, 17). So ist also, in Konsequenz des phänomeno- 
logischen Prinzips eines Sich-Entsprechens von Akthaltung und 
Objekt, eine Doppelhaltung möglich; ein erstes Erkennen nämlich, 
das mitlebend und mitliebend die innere Dynamik der realen 
Wert-rSein-Einheit gleichsam mitvollzieht, und ein zweites Er- 
kennen, das sich rein beobachtend und feststellend verhält. 
Beide haben inhaltlich denselben Komplex von Gründen 
und Beweggründen, in dem sich ihnen das Objekt erschließt. 
Sonst wäre es ja nicht dasselbe Objekt. Aber die Formung 
dieser Gründe und Beweggründe ist eine verschiedene. Auf 
diese Weise ist dann auch innerlich begründet, warum die beiden 
,entia intentionalia' auf ein und dasselbe ,ens reale' gehen, 
während bei Scheler diese ,Kongruenz' fast wie eine ,prästabi- 
lierte Harmonie' erscheinen muß. Endlich aber ist so der alte 
Graben zwischen Pascalschen ,raisons de l'esprit' und ,raisons 
du ccßur' und Kantischer theoretischer und praktischer Vernunft 
überbrückt, indem das Verhältnis der diesen Zuspitzungen zu 
Grunde liegenden Erkenntnisweisen nicht mehr das alte Ent- 
weder-Oder, sondern das vermittelnde ,implicit-explicit' ist. 

Es ist der Standpunkt, den unter den Phänomenologen 
Dietrich v. Hildebrand in gewissem Ausmaß einnimmt, wenn 
er den Werten gegenüber ein ,auf Sachverhalte gerichtetes 
Erkennen' von einem ,intuitiven Werterfassen' scheidet^; es 

^ ,Idee der sittlichen Handlung' im Jahrbuch f. Phil. u. phän. Forschg. III 
(Halle 1916) 143 ff. u. a. ; (Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis', ebd. V 
(Halle 1921) 467 ff. 



Das Sittliche als Einheit der Gegensätze. 137 

ist auch der Standpunkt, den innerhalb der Külpeschule Girgen- 
sohn vertritt, wenn er das ,Fühlen' des Religiösen als ,gefühls- 
mäßiges' oder ,intuitives' Denken aufhellte Es ist nichts 
anderes als, wie wir bereits früher andeuteten, der Standpunkt 
des Diognetbriefs, der von einem Erkennen spricht, das so- 
zusagen das jLeüchten des Lebens' selbst sei ^, der Standpunkt 
Augustins, wenn er von einem ,Erkennen im und aus dem 
Tun' redet ^, — der Standpunkt endlich des ,implicit reasoning' 
oder der ,natural inference' bzw. des ,illative sense', den nach 
W. Gt. Ward Newman mit Kleutgen gemeinsam vertritt*. 

Von diesen bereits gewonnenen Ergebnissen aus klärt sich 
uns die Lehre Schelers wie folgt: 

ß) Lebenscharakter des Ethischen und Religiösen. 

Es ist zunächst für das ethische Grebiet durchaus richtig, 
daß die sittliche Welt sich nicht derart ableiten lasse wie 



^ Der seelische Aufbau des religiösen Erlebens (Leipzig 1921) 309 ff. 
Vgl. die Besprechungen Sommerlaths (Theol. Lit. Bl. 1922, Nr. 17/18), 
Wunderies (Philos. Jahrbuch XXXV [1922] 265), sowie vom Verfasser 
(Stimmen der Zeit CIV [1922] 316 ff.). 

^ otjb^ fäp Ziuf\ äveu Yvujaeuji; ovbi -^vwaic, d.a(paKf\c, oiveu l^r\c, d\rieoOi; ' 
. . . fiTU) 001 Kapbia yvujök;, Zuurj b^ Xöyo? ciXriGri?, xwpov}xevoc, (12, 4—7). 

^ ,Quanto magis enim suavia sunt quae iubet qui iuvat, tanto magis 
ea scrutatur amans, ut cognita faciat et faciendo cognoscat ; ciuia perfectius 
cognoscuntur, cum fiunt' (In Ps. 118, s. 17, 7). 

< W. G. Ward, Philosophy of Theism 11 216 ff. Vgl. oben S. 93. Sehr 
scharf ist bei Newman zu scheiden zwischen ,implicit reasoning', ,natural 
uiference', ,illative sense', die dasselbe meinen, und ,realizing'. ,Implicit 
reasoning' mit seinen Analoga besagt ein dem reflexiv-verstandesgemäßen 
Denken vorausgehendes ,nattirliches Erfassen', ist also in diesem 
(Vorausgehen' etwa mit Schelers ,Wertfühlen' vergleichbar. ,Realizing' 
aber bezeichnet ein dem strikt rationalen Denken nachfolgendes ,Sich- 
lebendig-machen', ist also dem, Scheler entgegengesetzten, ,irrationaien 
Ahnraigsgefühl' Ottos parallel, — natürlich auch nicht in Bezug auf 
seine innere Natur, sondern nur was sein ,dem Denken nachfolgen' 
betrifft. Weil die bestehende Newmanliteratur, mit Ausnahme des hierin 
allein kompetenten W. G. Ward, beides nicht unterscheidet, entstand die 
Legende von Newmans Anti-Intellektualismus und Voluntarismus. Vgl. 
meine ,Einführung in Newmans Wesen usw.' 18 ff. 60 ff. 73 ff. 



X3g III. Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

etwa mathematisciie Sätze. Die sittliche Haltung ist tatsächlich 
eine »Spannung zwischen Gegensätzen', wie es schon Aristoteles 
in seinem ,Mitte*-Begriff gefaßt hat und neuerdings vorab 
Newman in seinem Begriff der ,opposite virtues'. Erst hier 
liegt die Lösung für ethische Widerstreite, wie sie z. B. zwischen 
Wahrhaftigkeit und Geheimniswahrung vorliegen oder zwischen 
Grundsatztreue und Nächstenliebe. Die hier obwaltende ,Ein- 
heit der Gegensätze' ist in der Tat nicht analytisch aus dem 
Begriff eines der beiden Gegensätze ableitbar. Aber ist sie 
deswegen (wie Scheler meint) überhaupt rational nicht ab- 
leitbar? An dieser Stelle zeigt sich die entscheidende Wichtig- 
keit der scholastischen Ableitung des Ethischen, wie wir sie 
früher gezeichnet haben. Die rationale Ableitung geschieht 
eben hier aus der Vernunftnatur des Menschen als einem un- 
teilbaren Ganzen, das selber statisch eine Einheit der Gegen- 
sätze ist und es darum auch dynamisch ist, d. h. im sittlichen 
Gehabend 

Das gleiche gilt für das religiöse Gebiet. Gewiß bedingt 
Religion im Gegensatz zu rein theoretischer Gotteserkenntnis ^ 
einen persönlichen "Verkehr zwischen Gott und Mensch und 
damit, infolge der transzendenten Erhabenheit Gottes, ein vor- 
ausgehendes ,Einladen' oder ,Rufen' Gottes und ein nachfolgen- 
des ,Kommen' und ,Antworten' des Menschen. Aber auch dies 
alles ist rational grundgelegt: erstens in der innigen Ver- 
wandtschaft, in der der Mensch als Vernunftnatur ,ab alio' zu 
Gott als formaler Vernunftnatur ,a se' steht, sodaß schon 
gleichsam Betätigung geistigen Lebens als solche ein keim- 
haftes ,Leben mit Gott' ist; zweitens in der einzigartigen 

^ Vgl. des nähern Mich. Wittmann, Die Ethik des Aristoteles (Regens- 
burg 1920) 55 ff., wo gezeigt wird, daß gerade der aristotelische Mitte- 
Begriff ein Abrücken von mathematisch-analytischer Ethik ist, sowie des 
Verfassers ,Einfülirung in Newmans Wesen usw.' 79 ff. 

2 Vgl. Hr. Straubinger in Hist.-pol. Bl. CLXXXVI (1921) 71 ff , der 
Scheler in Bezug auf den Unterschied zwischen , Glauben' und ,metaphysi- 
scher Gotteserkenntnis' weitgehend zustimmt. 



^.» 



Das Religiöse als Gott-gegenwärtig-haben. 139 

Weise, in der Grott allem Geschaffenen innerlich gegenwärtig 
und mitwirkend gegenwärtig ist, sodaß der ,Verkehr mit Grott' 
die sozusagen notwendig innere Seite alles Verkehrs mit den 
Dingen ist. Von Mensch zu Gott führt also kein mühsames 
wissenschaftliches Hypothesenverfahren, sondern Gott ist (in 
rein rationaler Ableitung) ,nicht ferne von uns; denn in ihm 
leben wir, bewegen wir uns und sind wir'. Es ist im Grunde 
genommen also nicht so, als ob wir zuerst mit indifferentem 
Erkennen auf eine indifferente Welt schauten, um dann die 
Welt gleichsam wie eine Leiter abzustoßen und bei Gott zu 
sein jenseits Ich und Welt, wie wir etwa im Schnee die Spur 
eines Freundes sehen, ihr nachgehen und dann den Freund 
finden getrennt von der Spur. Es ist vielmehr zunächst schon 
unser Erkennen sozusagen mit Gott ,geladen', da in ihm Gott 
nicht nur gegenwärtig ist, wie er jedem Geschaffenen innerlich 
gegenwärtig ist, sondern indem dieses ,geistige Suchen' (als 
Gesamtakt der Person) als geistiger Akt ein , gottverwandter' 
Akt ist und und dazu endlich ein Akt, dessen letzter unter- 
scheidender Sinn gegenüber allen untergeistigen Akten gerade 
das Verkehren mit Gott ist, da Gott als Geist nur dem Geist 
faßbar ist. Also ist im Gottsuchen selber schon, ganz abgesehen 
von seinem Objekt, gleichsam Gott ,gefunden'. Aber weiter ist 
auch die Welt, ,aus' der wir Gott erkennen, eigentlich keine 
,indifferente' Welt, auch nicht in dem abgeschwächten Sinne, 
wie eine gewöhnliche Wirkung einer geschöpflichen Ursache 
relativ zu dieser Ursache ,indifferent' ist, d.h. nur anzeigt, daß sie 
einmal von dieser Ursache gesetzt worden ist. Das ist viel- 
mehr das ganz einzigartige unvergleichliche Verhältnis zwischen. 
Schöpfung und Schöpfer, daß der sog. Schöpfungsakt nur ein 
erster Schöpfungsakt ist, nur der Anfang der Gegenwart 
und wirksamen Gegenwart Gottes in Geschöpfen. Es ist also 
im Grunde nicht richtig, daß wir Gott streng ,aus' der Welt 
erkennen; wir erkennen ihn vielmehr ,in' der Welt als den 
?in allem und über allem', wie die Kirchenväter den Gottes- 



M 



140 m« Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

begriff faßten. Das Ziel aller sog. Gottesbeweise ist also folge- 
richtig nicht Gott als derjenige, der in einem zeitlich ver- 
gangenen Akt diese Welt ins Dasein rief, sondern Gott als 
derjenige, der jetzt gegenwärtig ,schafft', da er als der in 
den Dingen Gegenwärtige Dasein und Wirksamkeit verleiht. 
Darum sorgten ja auch die Meister der Hochscholastik gar 
nicht darum, ob sie einen zeitlichen Anfang der Schöpfung 
beweisen könnten, weil eben auf alle FäUe die gegen- 
wärtige Schöpfung in ihrem Jetzt die Gegenwart des dasein- 
und wirkengebenden Schöpfers enthüllt. Und so ist es denn 
auch wahr, daß wir Gott nicht ,aus' der Welt als eine der 
Welt ,ferne' Ursache erschließen ; sondern kraft seiner Innern 
Gegenwart in den Dingen finden wir ihn als den Gegenwärtigen, 
als den vor uns Stehenden, als den mit uns Gehenden, als den mit 
uns Sprechenden, freilich unter den Hüllen der Dinge. Darum 
ist ja das ,Gott gegenwärtig haben' gar keine mystische Ver- 
stiegenheit, sondern einfach der Wirklichkeitssinn des gesunden 
Menschen. Und darum ist ,Religion' in diesem tiefsten Sinn 
nichts als Bewußtwerden des Metaphysischen. 

In diesem Gedanken liegt die Antwort auf jene Ablehnung eines ,Be- 
weises' für das Dasein eines Dinges und mithin auch Gottes, wie sie 
Schaler am stärksten aufstellt, aber auch Edith Landmann und Bernhard 
Rosenmöller teilen ^ Landmann setzt statt dessen das ,Sichtigwerden eines 
Gegebenen' und Rosenmöller den ,Aufweis'. Wie schon Straubinger gut be- 
merkte und wie wir selber früher andeuteten (S. 15 21 ff. 74 f.), bedeutet dieser 
Gegensatz im Grunde nur eine Verschiedenheit der seelischen Haltung, 
oder besser gesagt des terminologischen Ausdrucks dieser Haltung. Fasse 
ich die Gedankengänge, an deren Ende die Einsicht in Dasein und Wesen 
Gottes steht, als einen fortschreitenden Weg des Empfangens einsichtiger 
Gegebenheiten, so habe ich das sog. , Sehen' und den sog. ,Aufweis'. Fasse 
ich dieselben Gedankengänge als logische Unterlagen der logischen 
Berechtigung des Satzes ,Es ist ein Gott', so habe ich den ,Beweis' der 
Scholastik. Es ist also ebenso verfehlt, wenn Scheler-Landmann-Rosen- 
möller im ,Beweis' eine Art ,Todfeind' sehen, wie es verfehlt wäre, wenn 
scholastische Philosophen die phänomenologische Gegebenheitseinstellung 



^ Landmann, Transzendenz des Erkennens 269 ff. Rosemiiöller, Gott 
und die Welt der Ideen, passim. 



Gottesbeweis und Gotteseinsicht. 141 

als Intuitionismus fassen oder in ihr eine Leugnung des vatikanischen 
,certo cognosci' und antimodemistischen .adeoque demonstrari' sehen wollten. 
Sofern dem Phänomenologen seine Gegehenheitseinsicht eine gleiche Sicher- 
heit für das Dasein Gottes schenkt, wie er selber sie sonst in Leben und 
Wissenschaft hat und insofern er den Gleichnischarakter der Erkenntnis 
Gottes (analogia entis) wahrt, kann ihm kein Verstoß gegen die alt- 
christliche Gotteslehre nachgewiesen werden. Denn Vaticanum wie Anti- 
modemisteneid sind gegen Systeme gerichtet, die eine objektive wissen- 
schaftliche und allgültige Sicherheit des Daseins und Wesens Gottes 
leugnen : gegen die Leugnung eines natürlichen Wissens von Gott (Traditio- 
nalismus), des wahren Sicherheitscharakters dieses Wissens (Coli. Lac. VII 79) 
und seiner rationalen und ins Transzendente weisenden Natur (Immanentis- 
mus). Es bleibt also, wie schon oft gesagt, nur das sog. ,Wertfühlen', 
das wegen seines Gegensatzes zum ,Seinserkennen' gewiß dem durch den 
Antimodernisteneid gemeinten Voluntarismus verwandt erscheint, aber doch 
wieder auf der andern Seite durch seinen intentionalen Charakter sich 
wesentlich von jenem Immanentismus scheidet, der historisch und akten- 
mäßig der formale Gegenstand der betr. Partien des Antimodernisteneides ist. 
So erscheint es richtiger, die innerste Meinung, sowohl der scholastischen 
wie der phänomenologischen Religionsbegründung gegenüberzustellen, um 
so eine positive und lebenfördernde Klärung anzubahnen '. 



^ Vgl. u. a. P. L. Landsberg, Die Welt des Mittelalters und wir ^ (Bonn 
1923), diejenige Schrift der Scheler-Schule, die sich ausdrücklich mit der 
Scholastik beschäftigt und in überraschender Weise Thomas von Aquin 
huldigt (ebd. 61 f. u. a.). Auf der einen Seite meint Landsberg, es müsse die 
philosophia perennis ,im Wachstum und im Klärungsprozeß' über die tho- 
mistischen Gottesbeweise hinausgehen, ohne aber ,die Würde eines Heiligen 
und eines Werkes zu leugnen, die in sich eine ganze Welt verkörpern' (65). 
Auf der andern Seite bringt Landsberg selber den metaphysischen Grund- 
kern der thomistischen Gottesbeweise als ,wesenseinsichtige Axiome' des 
Theismus, die ,nebeneinander gelten' und ,nach deren erstem es ein Un- 
endliches geben muß, da jede Grenze des Endlichen eine ^ Grenze gegen" 
ist und wir hier also im vollen Wortsinn in einen „regressus in infinitum" 
geraten, nach deren zweitem es nur ein Unendliches geben kann, weil 
jedes Unendliche allumfassend ist, schon begrenzt sein müßte, um etwas 
nicht in sich zu begreifen. Es ist also entweder die Welt unendlich, dann 
kann es keinen überweltlichen oder gar außerhalb der Welt unendlichen 
Gott geben, die Ansicht des modernen Pantheismus; oder ein nur über- 
weltlicher Gott ist unendlich, dann kann es keine Welt geben, denn neben 
dem Unendlichen hat nichts Platz; oder schließlich, es gibt den Gott des 
echten Christentums, der auch in der Welt allgegenwärtig, doch die Welt 
umgreift, wie eben das Unendliche Endliches' (88). Hier ist mehr als deut- 
lich, wie die Polemik gegen ,Beweise' sich einzig gegen äußere Beweis- 
formen richtet, vielleicht vorab gegen gewisse ,naturwissenschaftliche' 



142 III- Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

So ergibt sich uns also ein Mittelstandpunkt zwischen dem, 
was Scheler ,Scholastik' nennt und seinem eigenen. Die sog. 
, Gottesbeweise' sind weder ein Schluß von einer gottfreien 
Welt auf einen weltüberlegenen Grott, wie Scheler irrtümlich 
die Position der Scholastik darstellt, noch sind sie nur eine 
nachträgliche wissenschaftliche Verknüpfung zwischen Welt 
und Gott, was Schelers eigene Position ist. Vielmehr sind 
die , Gottesbeweise* ^ die ,reflexe' Fassung des dem konkreten 
Vorgang des ,Gottfindens' objektiv einwohnenden, aber nicht 
als solchen subjektiv reflex erkannten logischen Rechtsgrunds 
der Annahme des Daseins Gottes, der ,analogia entis', die eben 
nichts weiter ist als die kurze Formel für den Tatbestand des 
,Gott in allem und über allem', den wir eben entwickelt haben. 
Gott wird im konkreten religiösen Vorgang ,gefunden' als der 
,in' der Welt als ,transzendenter Gott' Gegenwärtige und 
wirksam Gegenwärtige, und wird im reflexen wissenschaftlichen 
Beweis als solcher logisch herausgestellt. Diese Mittelstellung 
ergibt sich zugleich in innerer Folgerichtigkeit aus Schelers 
eigenen Aufstellungen, wie wir bereits früher an einzelnen 
Punkten zeigten (oben S. 20 ff. 73 f. 106 ff.). 

Denn Scheler behauptet von der Jntentionalität' seines, dem rationalen 
Gotterkennen vorausgehenden, Wertfühlen der Gottesqualität zweierlei: 
erstens, daß dieser religiöse Grundakt des vorausgehenden , emotionalen 
Kontakts' innerlich auf Gott gerichtet sei (E 529), und zweitens, daß dieses 
Gerichtetsein ,auf einem symbolischen Ausdrucksverhältnis Gottes in der 
Natur und Seele' beruhe (E 341). Was das erste betrifft, so hat bereits 
Alb. Inauen darauf hingewiesen, wie diese Theorie einer innerlichen Inten- 
tionalität der praktischen religiösen Akte (Hoffnung, Ehrfurcht, Liebe) so 
wenig (wie Scheler will) der Scholastik entgegengesetzt sei, daß sie viel- 
mehr in der Thomaslehre vom unmittelbaren .obiectum formale' der gött- 
lichen Tugenden wie der Tugend der Eeligion ihr klärendes Gegenstück 



Gottesbeweisf ormen , die aber auch der echten Scholastik fremd sind. 
Das Beweis wesentliche ist beibehalten, die Polemik mithin (soweit die 
eigentlichen Phänomenologen in Frage stehen) Mißverständnis. 

* Vgl. G. V. Hertling, Metaphysik (Kempten 1922), wohl die beste syste- 
matische Fassung der sog. Gottesbeweise. 



Vorbeweisliche Gotteserkenntnis. 143 

habe ^. Die zweite Behauptung Schelers aber bringt, wie wir bereits früher 
zeigten(S. 20 ff.) tatsächlich die ,analogia entis' in diese Intentionalität hinein. 
Diese geklärte Auffassung freilich ist dann mit dem eigentlichen Dualismus 
von Wort und Sein nicht mehr vereinbar, wie unsre ftüher entwickelte 
Typik zeigt. Sie erklärt sich nur auf unsrem Implicit-explicit-Standpunkt, 

Diese Mittelstellung ist aber endüch, in merkwürdigem Zu- 
sammentreffen, die Position, die seinerzeit Joseph Kleutgen, 
einer der Hauptbegründer der Neuscholastik, gegenüber Onto- 
logismus und Traditionalismus eingenommen hat, da er von 
der ,philosophischen Erkenntnis Gottes' eine zweite ,unwill- 
kürliche', fast , anschauhafte' unterschied, von der Schrift und 
Väter als der allen Menschen erreichbaren Gotteserkenntnis 
redeten ^. 

,Von drei Arten der Erkenntnis Gottes . . . redet der heilige Lehrer 
[Johannes Damascenus]. Die erste ist jene unwillkürliche, durch welche 
nicht nur die Idee Gottes, sondern auch die tFberzeugung von seinem 
Dasein in uns wie von selbst, d, h. ohne bewußtes Nachforschen vor- 
handen ist. Die andere hängt vom guten Gebrauche der Vernunft ab: 
denn sie entspringt aus der Betrachtung der Schöpfung, Erhaltung und 
Regierung des Weltalls. Durch sie wird jenes natürliche Gottesbewußtsein 
entwickelt: wir erkennen nun nicht mehr bloß das Dasein, sondern auch 
die Größe oder Majestät des göttlichen Wesens. ... Zu dieser doppelten 
Quelle der Gotteserkenntnis kommen dann drittens die Offenbarungen sowohl 
des Alten wie des Neuen Bimdes'. Man ,übersieht . . ., daß es nicht das- 
selbe ist, eine natürliche, d. h. von der Offenbarung unabhängige Erkenntnis 
Gottes behaupten, und dieselbe nur durch philosophische Beweisführung 
für möglich halten. Wir haben schon bei anderer Gelegenheit erinnert, 
daß die Theologen nicht anders wie die Väter . . . mit Übereinstimmung 
lehren, es gebe im Menschen, sobald er zum Gebrauch der Vernunft gelangt 
sei, eine gewisse Erkenntnis Gottes, . . . Alle sehen diese unwillkürliche Er- 
kenntnis Gottes als die allgemeine und ursprüngliche an und sind gewiß weit 
entfernt zu glauben, daß die Überzeugung vom Dasein Gottes durch die 
Philosophie in die Welt gebracht worden. Wozu also die philosophischen 
Beweisführungen? Jene erste Erkenntnis Gottes ist nicht nur sehr un- 
vollkommen, sondern sie kann auch durch Sinnlichkeit und Stolz so ge- 
schwächt werden, daß der Mensch, wenn er sich ihrer auch nicht ganz 
zu entschlagen vermag, doch wenigstens sich zu überreden sucht, sie sei 



^ Glauben und Wissen bei Thomas von Aquin (Neues Reich V [1923] 626). 
^ Vgl. die lichtvolle Art, mit der Alb. Inauen dasselbe für Thomas von 
Aquin nachweist (a, a. 0. 625). 



it 



144 III- Wertftihlen und Selbständigkeit der Eeligion. 

ihm nicht gewiß. Die aus der Vernunft geschöpften Beweise haben nun 
die Kraft, sowohl jene ursprüngliche Kenntnis von Gott zu erweitem, als 
auch die Überzeugung von ihrer Wahrheit zu erhöhen, und den Versuch, 
zu zweifeln, unmöglich zu machen. . . . Wenn also die Theologen solchen 
philosophischen Beweisen volle Kraft beilegen, so behaupten sie dadurch 
nur, daß die Lehre von der Offenbarung Gottes in seinen Werken, die 
man dem Volke vorträgt, auch in der Wissenschaft bestehen, und gegen 
alle Fragen oder Zweifel, die Gelehrte erheben mögen, verteidigt werden 
könne.' ^ ,Im Buche der Weisheit heißt es ausdrücklich : „Eitel aber sind 
alle Menschen, in denen keine Erkenntnis Gottes ist" (Weish. 13). Und es 
wird ebendort hinzugefügt, daß diese Erkenntnis Gottes, welche die Schrift, 
um ihre Klarheit und Gewißheit auszudrücken, ein Schauen nennt, ebenso 
leicht, ja noch leichter erworben werden könne, als jene Erkenntnis der 
Welt, die keinem Menschen, der einigen Denkens fähig ist, gebricht. . . . 
So muß es also eine andere Erkenntnis Gottes als die philosophische, und 
zwar eine so leicht faßliche und so gewisse geben, daß Unwissenheit und 
Zweifel nur in strafbarem Leichtsinn oder stolzer Verhärtung ihren Grund 
haben können.' ,Dies ist unsrer Ansicht nach die „notio Dei insita", das 
unwillkürliche, aber auch unentwickelte Gottesbewußtsein. . . . Die Er- 
kenntnis Gottes entwickelt sich aus der vernünftigen Natur des Menschen, 
so daß sie ihm nicht erst von außen kommen oder durch mühsame Forschung 
erworben werden muß.' ^ — ,Dem Menschen ist es eigen, aus der beschränkten 
Erfahrungserkenntnis durch jenes in Schlüssen fortschreitende Denken zur 
bewußten Erkenntnis anderer Wahrheiten zu gelangen. Weil er aber der 
Erkenntnis dieser Wahrheiten bedarf, ehe er sich durch jenes mehr oder 
weniger mühsame Denken in den Besitz derselben bringen kann, so hat 
Gott auch die vernünftige Natur so eingerichtet, daß sie gar manche 
höhere Wahrheit erkennt und mit Zuversicht behauptet, ohne sich der 
Gründe ihrer Urteile mit Klarheit bewußt zu sein. Es sind dies die „notiones 
insitae" und „anticipationes", von denen bei den Alten und auch bei den 
heiligen Vätern viel die Rede ist, und dieselben sind um so allgemeiner 
und mit um so tieferer Überzeugung verbunden, je notwendiger sie mit 
dem sittlichen und religiösen Leben zusammenhängen. . . . Um solche Wahr- 
heiten nicht mehr bloß mit unwillkürlicher, sondern mit bewußter Gewiß- 
heit zu erkennen, sind wir in Folge unsrer Natur an das diskursive Denken 
gewiesen.' ^ 

Beide Eigentümlichkeiten der Lehre Schelers also, sowohl 
sein dem ,metaphysischen Gotterkennen' voraufgehendes ,meta- 
physikfreies religiöses Gotterfassen' wie seine Lehre von 



» Theologie der Vorzeit IP (Münster 1872) 35 47/48. 

2 Philosophie der Vorzeit I^ (Innsbruck 1878) 346/347 687. 

ä Ebd. II 714/715. 



Newman und Kleutgen. 145 

einer von allen ,Beweisen des Daseins Gottes' vorausgesetzten 
,niaterialgebenden Anschauung' empfangen in diesen Ausfüh- 
rungen eines Hauptbegründers der Neuscholastik ihre geklärte 
Neuformung, wobei beide noch außerdem sowohl von einer 
,eingeborenen Idee' Gottes als einem ontologistischen Schauen 
der Realität Gottes nichts wissen wollen. Gleichzeitig stimmt 
aber Kleutgens Lehre von der ,unausgewickelten Gottes- 
erkenntnis' überraschend mit der entsprechenden Lehre New- 
mans überein, so daß Ward bereits beide als Vertreter des 
jimplicit reasoning' zusammenstellen konntet So zeigt sich in 



1 Philosophy of Theism II 215 ff, (in der DuWin Review, Okt. 1869). 
Er faßt Kleutgens Ansicht in folgende ,Thesis' zusammen: ,A most real 
process of reasoning is constantly going on in the minds of men, quite 
distinct from any process of ^philosophical" reasoning or „arguing"; and 
of a kind by no nieans available in confutation of an Opponent' (220/221), 
Dann urteilt er: ,F. Newman's fundamental thought is identical with 
F. Kleutgens first thesis' (222). Er geht sogar soweit, in Bezug auf den 
, Gewissens weg' Newman und Kleutgen zusammenzustellen: ,It is to the 
moral voice that he [Kleutgen] again and again refers, as to the one im- 
movable foundation of Theism. In this respect many readers of F. New- 
man will he almost startled by the singular resemblance to be found be- 
tween these two great thinkers, whose philosophical history has been so 
entirely different' (222). Es ist freilich zu beachten, daß Ward Newmans 
, Gewissens w e g' infolge seiner scholastischen Einstellung als , Gewissens- 
beweis' auffaßte , entgegen NeAvmans Anschauung (vgl. meine ,Ein- 
führung in Newmans Wesen usw.' 43 ff., sowie den bezeichnenden Brief 
i . Newmans an Ward vom 26. November 1859 in Wilfrid Wards ,W. G.Ward 
[ and the Catholic Revival' 217), so daß praktisch Kleutgen und Newman 
j noch näher zusammenstehen, da Kleutgen und Newman das , Gewissen' als 
I die sittlich-religiöse Gesamteinstellung auffassen, in der die Gottesoffen- 
I barung der Schöpfung aufleuchtet. Die Alternative, aus der Newmans 
, Gewissensweg' zu verstehen ist, ist, wie ich früher schrieb, ,nicht : Erweis 
I Gottes . . . aus Natur allein oder Gewissen allein, — sondern: Erweis 
I eines letzten unpersönlichen Weltgrundes aus Natur ohne Gewissen . . . 
I oder Erweis eines persönlichen Schöpfers und letzten Zieles und sittlichen 
Gesetzgebers und Richters aus Natur unter dem Einfluß . . . des persönlichen 
GeAvissens und konkreter Erfalirung' (Einführung in NewmansWesen usw. 25). 
Auch dieser wichtige Punkt erschließt sich erst bei nüchtern geschichts- 
methodischem Beachten der zeitgeschichtlichen Problemstellungen (vgl. 
oben S, 93 ff.) und blieb daher der bislang herrschenden Newman-Literatur 
Przywara, KeligionsbegrOndung. 10 



146 III. Wertfülilen und Selbständigkeit der Eeligion. 

einer Art Symbol, daß echte Scholastik sowohl wie echte Phäno- 
menologie wie der religionspsychologische Standpunkt New- 
mans im Grunde auf dasselbe zielen und nur durch Mißverständ- 
nisse und Übertreibungen getrennt werden können. 

Damit ist auch klar, inwieweit unser Standpunkt mit dem Karl Adams ^ 
übereinstimmt oder von ihm abweicht. Adam spricht, wie auch wir bereits 
früher^, davon, daß erstens alle Gotteserkenntnis einen Ratschluß Gottes, 
sich zu offenbaren, voraussetze, einen Entschluß, der innerhalb der natür- 
lichen Gotteserkenntnis mit dem Ratschluß der Weltschöpfung zusammen- 
fällt. : ,Die Welt ... ist nicht bloß ein Werk Gottes, sondern verdinglichter 
Mitteilungswille, eine Form seiner gnadenvollen Selbstoffenbarung' (61 j. 
Zweitens stimmen wir mit ihm überein ^ in Bezug auf die ,implicite', ,un- 
ausgewickelte' Form ,in welcher der subjektiv-reflexe Rechtsgrund der Gottes- 
beweise der objektive Wirkgrund der Gotteserfahrung ist.' ,Die Bedeutung 
der Gottesbeweise liegt nicht ... in der Hervorbringung des subjektiven 
Glaubens, sondern in der Herausstellung jener sachlichen Beschaffenheiten 
der Weltwirklichkeit, welche das besonnene Denken auf das Walten einer 
metaphysischen Ursächlichkeit verweisen und deren Anerkennung die logisch 
notwendige Voraussetzung der Religiosität ist, auch wenn sie nicht formeil 
dem religiösen Bewußtsein gegenwärtig wird. Mag der Fromme alle seine 
Gotteserkenntnis aus seinem persönlichen „ Gotterleben " entnehmen, so 
ruht diese seine übernatürliche Gotteserkenntnis doch logisch auf dem 
Tatbestand auf, den die Gottesbeweise sichern. . . . Zwischen dem religiösen 
und dem philosophischen Gottesbegriff klafft deshalb kein schlechthinniger 
Unterschied, sondern nur ein Unterschied der Betrachtungsweise, insofern 
das rein philosophische Denken darauf ausgeht, die im Gotterlebnis vir- 
tuell mitgesetzte logische Funktion aus ihrer psychologischen Einbettung 
zu lösen und in ihrer rein sachlichen Begründetheit vorzustellen' (119). 
,Würdigt man die GottesbeAveise des hl. Thomas . . . nach ihrem inneren 
Zusammenhang . . ., so springt es in die Augen, daß sie die logische Vor- 
aussetzung schaffen, auf denen sich das religiöse Grunderlebnis aufbauen 
kann. Denn nur wenn und insofern die Gotteserfahrung des Frommen 
das Grundlegungsurteil; Gott, der unvergleichliche, ist, — gleichsam un- 
ausgewickelt (implicite) enthält, vermag sie sich zu behaupten und dauernd 
auszuwirken. Dieses im religiösen Erlebnis mehr oder weniger bewußt 
mitgesetzte Seinsurteil über Gott und seine ünvergleichlichkeit bringen 



eine ,terra incognita', weil sie aus ihren eigenen Fragestellungen heraus 
Ne^vman-Propaganda, nicht Newman-Forschung tiieb (vgl. imten Anhang 
§ 2, Nr. 3). 

^ Glaube und Glaubenswissenschaft usw. ^ (Rottenburg 1923). 

2 Metaphysik und Religion (Stimmen der Zeit CIV [1922] 134 ff.). 

* Gotteserfahrung und Gottesbeweis (ebd. 16 ff.). 



Karl Adam. 147 

die Gottesbeweise des hl. Thomas zu wissenschaftlicher Klärung und An- 
schauung' (120/1). Diesen beiden Punkten entspricht daim noch drittens, 
daß nach Adam wie nach unsren früheren Ausführungen^ für den kon- 
kreten Vorgang der Gotteserkenntnis, im Unterschied vom wissenschaft- 
lichen Beweis, die innere Seelenrichtung hauptsächlich der Ehrfurcht eine 
wichtige, ja praktisch entscheidende EoUe spiele. ,Mit dem Begriff Gottes 
als der absoluten, sich aus reiner Güte in der Schöpfung frei mitteilenden 
Persönlichkeit ist . . . die geistige Haltung der Ehrfurcht wesenmäßig ge- 
geben. Ehrfurcht ist tiefer und stärker als bloße Furcht. Denn die 
Furcht unterwirft sich dem Mächtigen, die Ehrfurcht dem Mächtigen und 
und Heiligen, dem Mächtigen und Gütigen. Sie greift auch weiter als 
die Demut. Denn die Demut blickt auf sich selbst, die Ehrfurcht von 
sich selbst auf den Höheren, auf den schlechthin Überlegenen. Die Demut 
verbirgt sich, die Ehrfurcht öffnet sich' (66). ,Erst diese Einstellung er- 
möglicht ein im besten Sinn voraussetzungsloses Denken über das Absolute, 
da sie alle die Fehlerquellen beseitigt, die aus der Verkennung unsrer 
Daseinsbedingtheit fließen und die unser Urteil dem Absoluten gegenüber 
mit Notwendigkeit trüben. Fehlt diese Einstellung, so verlieren die aus 
der natürlichen Offenbarung gewonnenen Argumente für das Dasein Gottes 
zwar nichts an ihrer logischen objektiven Beweiskraft, sie vermögen aber nicht 
mehr subjektiv zu überzeugen und auf das Leben einzuwirken' (72). Adam 
zitiert für diese emotionale Färbung des konkreten Vorgangs des Gott- 
erkennens sowohl die Dispositionslehre Newmans (67, 71) als auch den 
Wertprimat Schelers (69), beachtet aber leider nicht, daß der Wertprimat 
Schelers auf ganz anderen Grundlagen beruht, nämlich, wie wir früher 
sahen, auf dem Satz, daß Religion wie Ethik vom ,Sein' aus nicht zu 
begründen seien. Das ,Fühlen', das Adam weiterhin zeichnet (121 ff.), ist 
vielmehr weder eine das ,Erkennen' ,richtende' Disposition (Newman) noch 
ein ,intentionales Fühlen' seinsunabhängiger objektiver Werte (Scheler), 
sondern hängt wesentlich mit seinem ihm allein eigentümlichen Intuitions- 
standpunkt zusammen. Damit kommen wir zu den Unterschieden zwischen 
Adam und uns. 

Diese Unterschiede beruhen grundlegend darauf, daß Adam als Ansatz- 
punkt seiner Lehre von der ,Erfahrung' des übergeschöpflichen Gottes im 



' Metaphysik und Religion (ebd. 132 ff.). ,Gott ist . . . „die anbetungs- 
würdige Majestät", weil er die höchste Wirklichkeit ist, und darum ist die 
„analogia entis" der Metaphysik auch Grundelement der Religion, in der 
sie sich auswirkt ... in das religiöse Grundverhältnis von „fürchtender 
Liebe und liebender Fmxht". Und Gott wäre nicht „höchste Wirklichkeit", 
wenn er nicht für jedes mögliche Geschöpf die anbetungswürdige Majestät 
wäre, und darum ist die religiöse Grundeinstellung von Furcht und Liebe 
eine notwendige Grundeinstellung des metaphysischen Forschens selbst, 
wenn nicht die Wolken oft tief verborgener irdischer Richtungen das reine 
Auge der Erkenntnis überwölken sollen.' 

10* 



148 III- Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

Glaubensvorgang (vgl, unten, Anhang § 1, n, 2) die vermeintliche Lehre 
Schelers von der metaphysischen Unerkennbarkeit der Persönlichkeit Gottes 
übernimmt (vgl. bei uns S. 33). ,Es liegt nicht in der Wesenheit des ,esse 
contingens", den persönlichen Gott zu offenbaren. Es liegt darin erst, 
weil und insofern Gott darin erkannt sein wollte. Erst der freie Ratschluß 
•der göttlichen Güte machte, daß das „esse contingens" auch ein Spiegelbild 
des persönlichen Gottes wurde' (62). Dazu kommt seine eigene Hypothese, 
daß Gott auch rationale Menschen ohne Selbstbewußtsein hätte schaffen 
können. ,Der Weg zur Erkenntnis des absoluten Ich führt über das kleine 
Ich und dessen Erkenntnis. Hätte Gott nicht statt des geschichtlichen 
Menschen Wesen erschaffen können, die nicht zu dieser die rechte Gottes- 
erkenntnis bedingenden Selbsterkenntnis erwacht sind , deren geistige 
Spannkraft nicht bis in diese Tiefen der Innerlichkeit reicht, deren traum- 
haftes Bewußtsein nur die Dinge umschließt, nicht aber das eigne Ich ?' (61), 
So gewinnen denn die Einstellungen der Demut, Ehrfurcht usw. ein andres 
Gesicht. Es vollzieht sich die Erkenntnis Gottes als ,persönlichen' Gottes, 
spezifisch und unterscheidend, im eigenen Ich und hier in der Seelenrichtung 
von Demut, Ehrfurcht und Liebe als einer Art direkten Erkenntnismediums. 
,Spezifisch und unterscheidend' ; denn es bleibt der Untergrund der Gottes- 
erkenntnis (überhaupt' die virtuelle Mitsetzung des logischen Rechtsgrundes 
der Gottesbeweise, wie wir oben zeigten. ,Gott hätte den menschlichen 
Geist und dessen Stoffquell, die Weltwirklichkeit derart gestalten können, 
daß vor dem forschenden Geist noch ungleich dichtere Schleier lägen als 
vor unsrem Auge, daß ihm etwa nur das Dasein des „esse absolutum", nicht 
aber dessen Transzendenz und Persönlichkeit erkennbar würden. Die Er- 
kenntnis Gottes als der absoluten Persönlichkeit, des absoluten Sich-selbst- 
Innehabens und der absoluten Spontaneität setzt irgendwie ein Sich-herab- 
neigen, Sich-aufschließen Gottes voraus, der als solcher nicht sachgebunden 
sein kann und darum nicht ohne weiteres im bloßen Naturgeschehen auf- 
weisbar ist, der vielmehr nur in" den Tiefen des eigenen Geistes, in der 
Selbstheit und Spontaneität der eigenen Persönlichkeit, sein Analagon hat. 
Erst von da aus, von der lebendigen Erfassung des Reiches der Innerlich- 
keit aus bin ich imstande, die übrigen sichtbaren Spiu-en des die Welt 

durchwaltenden Logos als Wirkungen eines persönlichen Gottes zu deuten 

Die Möglichkeit der natürlichen Gotteserkenntnis gründet somit auf Gottes 
freiestem Liebesentschluß, die Welt derart zu gestalten, daß sie seine 
absolute Persönlichkeit den Menschen zu offenbaren vermag. Die Welt 
ist von da aus nicht bloß ein Werk Gottes, sondern verdinglichter Mit- 
teilungswille , eine Form seiner gnadenhaften Selbstoffenbarung' (60/61). 
,Auch diese durch die Wesenheiten der sichtbaren Welt vermittelte Offen- 
barung ist eine Offenbarung im eigentlichen Sinne, eine auf freiestem 
Liebesentschluß beruhende, ungeschuldete Enthüllung des göttlichen Wesens 
als der absoluten Persönlichkeit. Es ist also Gnade, daß ich Gott aus der 
sichtbaren Welt als persönlichen Gott zu erkennen vermag. Daß ich ihn 
erkennen kann, ist zugleich ein erkennen dürfen (64). ,Weil einem Akt 



Karl Adam. 149 

freiester Güte entstammend, weil verdinglichte Liebe, ist die natürliche 
Offenbarung derart eingerichtet, daß sie im Menschen nicht zunächst den 
unpersönlichen, sachgebundenen Verstand, sondern sein Aktzentrum, das 
lebendige, warme Herz packt und erfüllt. Was in ihr fragend und lockend 
an den Menschen herantritt, sind eben deshalb nicht primär Seins-, sondern 
Wertgegebenheiten.' ,Es sind Eindrücke, welche das menschliche Lebens- 
gefühl ... als lebenerhöhend und lebenvertiefend unmittelbar verspürt' 
(69/70). ,Aus der weltüberlegenen absoluten Persönlichkeit Gottes und der 
damit gegebenen TJngeschuldetheit der natürlichen Offenbarung folgt, daß 
nur Demut, Elu-furcht, Reinheit und Liebe die der Erhabenheit des gnädigen 
Offenbarungsgottes korrelate menschliche Geisteshaltung seien, die wesens- 
notwendige sachgemäße Disposition zur natürlichen Gotteserkenntnis' (71). 
Diese Auffassung, die eine scholastische Interpretation Schelers zum Ziel 

i hat, entbehrt nun freilich, wie wir früher sahen, ihrer Voraussetzung. 
Denn wie die Scholastik die Persönlichkeit Gottes direkt aus dem ,esse 
absolutum' ableitet, weil eben Persönlichkeit nichts ist als das ,Sich-selbst- 
Besitzen' des ,esse absolutum', so gewinnt Scheler die Tatsache der 

i Persönlichkeit Gottes metaphysisch aus den Attributen des , Geistes' und 
des ,summum bonum'. Aber schon in der Grundeinstellung klaffen zwischen 
Scheler und Adam entscheidende Unterschiede. Denn Scheler geht auf eine 
reduktive ,Wesensschau' der »Qualität' des Göttlichen ; Adams Intention bei 
seinem besondemWeg der Erkenntnis der Persönlichkeit Gottes geht aber 
auf die »Realität'. Wir werden später zu sehen haben, wie Adams Auffassung 
tatsächlich ganz wo anders her taktisch motiviert ist, nämlich von seiner 

^. schon vor Jahren konzipierten Glaubenstheorie, deren ,Intuitions'-Charakter 
einen entsprechenden Unterbau in der natürlichen Gotteserkenntnis er- 
heischte. So ist seine ganze Auseinandersetzung mit Scheler, wie auch 
mit Scholz, wurzelhaft getragen von Ergänzungsbedürfnissen der eigenen 
Theorie, ist ein Prozess eigener Entwicklung, deren Resultat später zu 
prüfen sein wird (unten : Anhang § 1, n. 2). 

.« ■ 

» y) Erkennen des Tuns und Erkennen im Tun. 

k» Mit unsrer Ableitung des Ethischen und Religiösen aus 
»Lebensverhältnissen', womit der Wahrheitskern der diesbezüg- 
liehen Aufstellungen Schelers herausgestellt wurde, haben wir 
- *■ nun die Unterlage für unsre bereits früher durchgeführte 
^ Scheidung eines zweifachen erkenntnismäßigen Verhaltens in 
beiden Gebieten, des feststellenden ,Brkennens des Tuns' und 
p^' des mitlebenden ,Erkennens im Tun'. Es ist eben in beiden 
^ Gebieten, weil sie in Lebensverhältnissen gründen, ein dop- 
peltes Verhältnis der Erkenntnisfunktion zur Willensfunktion 



150 m» Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

(im weiten Sinn) gegeben, einmal ein sozusagen abseits stehendes, 
beobachtendes, feststellendes, reflektierendes Erkennen, ,Zu- 
schauer-Erkennen' gleichsam, und dann ein direkt motivierendes, 
auf den Willen lebendig einwirkendes, in der Willensbetätigung 
Einfluß übendes und Einfluß erleidendes Erkennen, ,Mitspieler- 
Erkennen' gleichsam^. 

WieDietrich v. Hildebrand sehr klar darlegt, ist es dieses 
letzte ,Erkennen', was die Phänomenologie als jFühlen' oder 
als ,Anschauen' bezeichnet. 

,Ich kann auf Grund des Rauches zur Erkenntnis kommen, dais sich an 
einer bestimmten Stelle ein Feuer befindet, ohne das Feuer selbst wahr- 
genommen zu haben. So kann ich vielleicht auch . . . dm-ch bestimmte 
Schlüsse zur Erkenntnis kommen, daß Lügen Unrecht ist, daß ein be- 
stimmtes Verhalten Recht bzw. Unrecht sei, ohne jedoch den Wert bzw. Un- 
wert wirklich anschaulich zu erfassen oder gar ihn zu fühlen. Ein solcher 
Fall, in dem nur eine aus Schlüssen gewonnene Werterkenntnis vorliegt, 
ist offenbar von dem sehr verschieden, in dem die Werterkenntnis auf 
einem Fühlen des Wertes sich aufbaut, wenn auch nicht in Bezug auf die i* 
Gewißheit und Natur der Erkenntnis als solcher.' Er scheidet darum ein 
,intuitives Werterfassen' von einem ,Werterkennen im prägnanten Sinn' 
und iimerhalb des ,intuitiven Werterfassens' wieder ein ,Wertfühlen* von 
einem ,Wertsehen'. ,Verglichen wir das intuitive Werterfassen mit dem 
Farbensinn, so dachten wir dabei an eine Art der Wertgegebenheit, der 
eine bestimmte Ferne eigen ist. Es gibt aber auch ein Haben von Werten,, 
das vielmehr mit der Art der Gegebenheiten eines körperlichen Schmerzes 
verglichen werden könnte, mit der Art, wie etwa ein Brennen oder ein n 
Stechen mir gegenwärtig ist. Nur in dem letzteren Falle dürfte man, , 
genau genommen, von Wertfühlen sprechen. . . . Wir hören manchmal eine |' 
Melodie und erfassen deutlich ihre Schönheit, aber sie greift uns nicht ' ; 
ans Herz, sie „ergreift" uns nicht. Wir haben ihi'e Schönheit gegenwärtig, j 
ohne gleichsam persönlich mit ihr in Kontakt zu treten. Daß es sich . 
hierbei um ein intuitives Erfassen handelt — nicht um ein bloßes Wissen, | 
daß sie schön ist — , steht außer Frage. Die Schönheit derselben steht; 
deutlich vor einem, so daß sich die Erkenntnis, sie ist schön, klar darauf i 
aufbauen kann. Aber sie berührt mich nicht im eigentlichen Sinne, ichq 
fühle sie nicht. Man denke dagegen an den Fall, in dem mich die Schön- f 
heit „bis zu Tränen" rühi't. Sie spricht jetzt deutlich zu mir, sie tritt : 
mir nahe, oder ich dringe in sie wirklich ein. . . . Wir können uns jederzeit 



i 



^ Diese beiden Typen weist innerhalb des ästhetischen Vorgangs sehr 
gut Rieh. Müller-Freienfels auf (Psychologie der Kunst! [Leipzig 1912] 169 ff.). 



^? 



Wertfühlen, Wertsehen und Werterkeimen. 151 

gewisse Werte intuitiv vergegenwärtigen, etwa die Demut oder die Reinheit, 
so daß sie vor uns stehen in ihrer Wertigkeit. Wir denken dann nicht 
nur an sie, sondern wir haben sie intuitiv vor uns. Wir vergegenwärtigen 
uns etwa einen hl. Aloysius in seiner Reinheit. Damit fühlen wir aber die 
Reinheit noch nicht ohne weiteres. Während manchmal diese Vergegen- 
wärtigung auch ein Fühlen nach sich zieht, uns ans Herz greift und le- 
bendig zu uns spricht, kann sie uns manchmal kalt lassen und gleichsam 
schweigen. . . . Sowohl im Wertsehen wie im Wertfühlen sind uns die Werte 
intuitiv gegeben. Von einem bloßen Erkennen oder Wissen, daß etwas 
Avertvoll ist, ist das Sehen des Wertes ebenso verschieden wie das Fühlen 
desselben. . . . Am nächsten kommen wir der Eigenart des Fühlens vor dem 
Sehen des Wertes, wenn wir sagen, daß hier der eigentliche persönliche 
Kontakt anfängt, wobei der Wert gewissermaßen erst für mich lebendig 
wird.' An diese Unterscheidung schließt sich die weitere Lehi-e, daß alles 
rein theoretische ,Wert-Erkennen' ein ,intuitives Wert-Erfassen' voraus- 
setzte, freilich nicht notwendig im selben Subjekt; somit hat die Lehre, 
daß alles intuitive ,Wert-Erfassen' eine gewisse Stufe sittlichen Lebens 
voraussetze (was der Hauptinhalt der Schrift Hildebrands ist), ihre notwendige 
Ergänzung in der (von Scheler weiterausgeführten) Lehre vom sittlichen 
Vorbild und von der sittlichen Nachfolge als dem Wurzelakt des Sittlichen. 
,Die Abhängigkeit des Wert-Erfassens von der Stufe des sittlichen Seins 
zeigt uns die Grenze der ^Autonomie" der Vernunft auf sittlichem Gebiet 
und weist auf die Rolle hin, die dem sittlichen Vorbild sowie der sittlichen 
Autorität auf ethischem Gebiete zukommen.' ^ 

Die korrelate Ergänzung auf religiösem Gebiet gibt Scheler selbst, wenn 
er das ,intuitive Erfassen' bestimmter Glaubenswahrheiten auf das .intuitive 
Erfassen' Cliristi zurückführt, das durch das Verhältnis der »gläubigen 
Nachfolge' die Grundlage unsres Wissens davon wird. ,So ist aller christ- 
liche Glaube in allerletzter Linie fundamentiert auf das, was Christus 
über Gott und über sich selbst gegeben war, — nicht in Form des Glaubens, 
sondern des Schauens — bzw. auf das, was er seiner Kirche hiervon mit- 
zuteilen für gut fand' (E 606). Und Otto Gründler fügt dem als letzte 
Ergänzung hinzu: ,Sowohl die sprachKche Überlieferung als auch das 
deduktive Erkennen setzt ein intuitives Erfassen als die letzte Quelle 
seinem Wesen nach voraus, das übervernünftige Wissen sogar die denkbar 
vollkommenste Einsicht — die göttliche.'^ 

Sehen wir also von dem in obige Ausführungen sich ein- 
mischenden Begriff der Wesensschau ab, der für den Phäno- 
menologen rein systematisch bedingt ist, nicht spezifisch aus 

^ D. V. Hildebrand, Sittlichkeit und ethische Werterkenntnis 469 — 471 
602; vgl. noch hierzu ,Idee der sittlichen Handlimg' in Jahrbuch f. Phil, 
u. phän. Forschg. HI (1916) 143 ff. 180 205—212. 

^ Elemente zu einer Eeligionsphilosophie usw. 10, 



152 III' Wertfühlen und Selbständigkeit der Eeligion. 

dem gerade vorliegenden TJntersuchungsgegenstand , so be- 
zeichnet das sog. ,Wertfülilen' einen Erkenntniskomplex, der 
im Gegensatz zu reflexivem Denken erstens eine Art Ineinander- 
wirken einzelner Erkenntnisse ist, wobei das ,Ineinanderwirken' 
mehr objektiv tatsächlich resultiert, als daß es subjektiv er- 
strebt wird, und der zweitens als ein Erkenntniskomplex sich dar- 
stellt, der schon in sich gefühlsgerichtet und gefühlsgetragen 
ist im Hinblick auf das zu realisierende Objekt, so daß dieses 
,Hinstreben' gleichzeitig in gewissem Sinn erkenntniszeugend 
ist, und diese in Gefühlsmassen eingebettete Erkenntnis gleich- 
zeitig dieses Hinstreben verstärkt. 

Otto Gründler hat das einmal für die Gotteserkenntnis gut ausgeführt. 
,Wie könnte sich die Seele dem Göttlichen erkennend zuwenden, ohne daß 
sie eine schon vor der v/irklichen Eikenntnis vorhandene Neigung dazu 
triebe? Wer Gott nicht erkennen avüI, wer seinen Geist nicht angestrengt 
auf dies höchste Ziel alles Forschens richtet, der erkennt ihn niemals. 
Dieser Erkenntniswille, der schon getragen ist von einer keimhaften Gottes- 
liebe, setzt freilich eine gewisse vage Kenntnis von der Existenz Gottes 
voraus, keine wahrhafte Erkenntnis, sondern ein meist aus der Überlieferung 
stammendes Meinen und Vermuten. So erhaben und so mächtig ist nun 
die Gottesidee, daß sie schon in dieser unklaren Vergegenwärtigung den 
Menschen unwiderstehlich anzieht und Liebe in ihm erweckt, wodurch 
eine Seelenlialtung entsteht, welche die an Schleiermacher anknüpfende 
Friessche Schule nicht unzutreffend als „Ahnung" bezeichnet — nur darin 
irrend, daß sie meinte, in dieser Ahnung erschöpfe sich die religiöse Er- 
kenntnis oder gar die Religion überhaupt, während sie doch im Gegenteil 
mit ihr erst anhebt. Aus der ahnungsvollen Liebe erwächst der Drang 
zu klarer Gotteserkenntnis, welche nun ihrerseits, je mehr von der un- 
erineßlichen Tiefe und Fülle der Gottheit sich dem erkennenden Blick er- 
schließt, Avieder die Liebe von neuem entzündet und beflügelt, die Liebe, 
die in ihrem Streben, dem Geliebten immer näher zu kommen, es mit 
allen Kräften der Seele und' des Geistes zu umfassen, wiederum zu ge- 
steigerter und vertiefter Erkenntnis treibt.' ^ 



^ Lit. Beilage zur ,Augsburger Postzeitung' (17. Oktober 1922). Gründler 
Aveicht überhaupt wesentlich von Scheler ab, wemigleich er sonst die ty- 
pischen Schelerpositionen ,Anschauung', ,Emotionalapriori des Religiösen', 
,Offenbarung und Glaube als alleinige religiöse Funktionen' fast noch aus- 
schließlicher und prononcierter als Scheler selbst herausstellt und ,Ele- 
mente usw.' S, 34 (ebenso 103 u. a.) fast noch weiter als Scheler geht in 
einer Art Apriori-Yernunftbegründung der Wahrheit des Christenturas. Aber 



Natürliches Denken in persönlichem Liebeskontakt, 153 

Es ist klar, daß ein solches Erkenntnisverhalten etwas ganz 
andres ist als dasjenige Erkenntnisverhalten, das einer rein 
systematischen Wissenschaft vom Wesen des Ethischen und 
Göttlichen gemäß ist, wie sie etwa in der Scholastik vorliegt. 
Es ist der Unterschied eben zwischen ,natürlichem Denken', 
das immer zugleich ,motivgeladen' ist und oft mehr als er- 
kenntnisdurchleuchtete Liebe zum Objekt, denn als liebedurch- 
zogenes Denken über das Objekt sich darstellt, und zwischen 
,reflexivem Denken', das dann am ,reinsten' ist, wenn es am 
,kältesten' ist. Das ,natürliche Denken' geschieht immer in 
einer ,persönlichen' Richtung und Interessiertheit, das ,reflexive 
Denken' muß möglichst ,unpersönlich' und »sachlich' sein, um 
echt zu sein. Das »natürliche Denken' ist sozusagen der lebens- 
warme Kontakt der Liebe zwischen Sucher und Gesuchtem, 
der aktive Vorgang selbst, während das ,reflexive Denken' 



er stellt im Gegensatz zu Scheler ein dem religiösen Akt vorausgehendes 
vor-religiöses, also rein theoretisches ,Wissen um Gott' auf. ,Die Religions- 
philosophie [die nach ihm im Grunde nur eine reflexe Zusammenfassung 
der religiösen Vorgänge ist] kann . . .die Gotteserkenntnis weder abschließen 
noch auch letztlich begründen. Denn sie setzt ja den Glauben an Gott 
[, Glauben' im bekannten Schelersinn] als .religiöse Haltung' schlechthin 
voraus, und dieser wiederum ist nicht möglich, ohne ein gewisses glaubens- 
freies — wenn auch nur unvollkommenes und schattenhaftes — Wissen 

'^ um Gott. Ohne das BeAvußtsein der Existenz eines allgütigen und all 
mächtigen Gottes in irgend einer Form schon vor allem Glauben zu haben, 

i kann ich mich diesem Gott auch nicht liebend und demütig hingeben, 

[ kann ich den eigentlichen Glaubensakt nicht vollziehen' (,Elemente usw.' 
38/39). Damit aber ist Schelers eigentliche Position im Prinzip verlassen 

k und die Position der Scholastik eingenommen, die die .Anerkenntnis' Gottes 
als mehr willensmäßige Reaktion des Gesamtmenschen der rein theo- 

,'i) retischen .Erkenntnis' Gottes folgen läßt. Die Frage, ob im konkreten 
Vorgang zuerst nur theoretische , Erkenntnis' und erst dann, gleichsam 

♦> real getrennt, die praktische .Anerkenntnis' folge, oder ob beide sich durch- 
dringen, hat mit dem Prinzip als solchen nichts mehr zu tun. Denn 

^ Scheler besteht auf einem prinzipiellen Ursprung und Beginn des 
religiösen ,Erkennens Gottes' innerhalb des eigenen Gebietes. Gründler 

* aber gründet ein religiöses Gott- Anerkennen und Gott-tiefcr-Erkennen auf 
, ein vor-religiöses Wissen, also gerade der Standpunkt, den Scheler als den 

^^r ihm entgegengesetzten .scholastischen' ablehnt. 



154 HI- Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

die wissenschaftliche Analyse dieses Vorgangs darstellt, die 
Anatomie des Lebendigen. Damit haben wir aber die schon 
früher berührte innige Beziehung beider Erkenntnisarten als 
sozusagen ,zweier Seiten desselben Einen', insofern nämlich 
die sachlichen Eechtsgründe, auf die hin das »natürliche Denken' 
tatsächlich und objektiv den Kontakt mit dem Objekt ,voll- 
zieht', dieselben sind, die das ,reflexive Denken' nachfolgend 
als solche subjektiv ,herausstellt'. Das reflexive Denken ist 
also unter diesem Behuf nicht eine deskriptive Psychologie 
des natürlichen Denkens, sondern nur eine Analyse seiner ihm 
tatsächlich innewohnenden, aber nicht als solcher erkannten, 
logischen Rechtsgründe. 

So sind wir in der Klärung des Schelerschen ,emotionalen 
Apriori' nach seiner Aktseite bei nichts geringerem angelangt, 
als bei der ,implicit-reasoning'-Theorie Newmans, die in der 
Tat die klassische Formulierung des Wahrheitskernes der 
Schelerschen Aufstellungen bildet. Wenn Newman Gottes Da- 
sein oder die Offenbarungstatsache nn religiösen Bekehrungs- 
vorgang finden läßt durch das Ineinanderwirken erkenntnis- 
mäßiger ,natürlicher Induktion' (natural inference) und ehr- 
furchts- und sehnsuchtsgetragener Gemütseinstellungen (dis- 
positions), so ist das nichts andres als das eben Behandelte. 
In seiner scharf abgegrenzten Abwägung der einzelnen intel- 
lektuellen und moralischen Wirkfaktoren des Gottfindens stellt 
er auch klar heraus, was wir vorhin mit den Worten Otto 
Gründlers zeichneten, und bricht so der einseitigen Fassung 
Schelers, als, ob die Liebe absolut vor aller Erkenntnis 
stünde, die Spitze ab, wenn er z. B. schreibt: ,Ist nicht Gottes^ 
Dasein uns überbracht durch Zeugnis, in die Hand gelegt durch 
Geschichte, abgeleitet durch Sammelbeweis, einleuchtend ge- 
macht durch metaphysische Nötigung, aufgedrängt durch innere 
Mahnung des Gewissens?'^ Es kommt nach ilmi die per- 



^ Idea of University (1921) 21. ^ 

i 



Liebe als innere Formalrichtung. 155 

sönliche Gotteserkenntnis als religiöser Vorgang, im Unter- 
schied von einer Herausstellung der logischen Rechtsgründe 
der Gottestatsache, zustande durch eine ehrfürchtig-sehnsüch- 
tige Einstellung auf erste, noch schwache und keimhafte Ele- 
mente der Gottesidee, wie sie für die meisten Menschen in 
der Tradition vorliegen; und in der heiligen, der Größe des 
Objekts einfach angemessenen Atmosphäre stiller Gebets- 
richtung enthüllt die Welt (Innenwelt oder Außenwelt) der 
ahnenden Seele ihr Geheimnis; unter der ,Führung' des Ge- 
wissens als des Inbegriffs dieser Ehrfurcht-Sehnsuchtrichtung 
gelangt der Mensch zur Erkenntnis Gottes als desjenigen, 
der ,in allem und über allem' ist, der ,Allgegenwärtige' und 
, Allwirksame' und doch ,ünbegTeifliche' ^. 

Und was so für das religiöse Gebiet gilt, gilt ebenso in 
seiner Weise für das ethische, [wo ,Hinneigung zum Guten', 
,selbstlose Grundrichtung', ,sittliches Feingefühl' und wie alle 
diese ,natürlichen' Erkenntnisweisen des Sittlichen heißen 
mögen, tatsächlich zugleich durch ihre ,persönliche' und , emo- 
tionale' Färbung etwas ganz andres sind als ,reflexiv sach- 
liches Denken' und doch in den tatsächlichen logischen Reohts- 
gründen, auf die hin dieses und jenes Objekt bejaht oder ver- 
neint wird, mit den Rechtsgründen dieses ,reinen' Denkens 
sich decken. So faßt ja auch Augustin ,Liebe* als den Wurzel- 
boden sittlichen Lebens und sittlicher Einsicht ,ama et fac 
quod vis...: radix sit intus dilectionis, non potest de ista 
radice nisi bonum existere' (In ep. loh. 7 ; 4, 8), und das Buch 
der Weisheit spricht davon, daß die ,Weisheit', d. h. ,sittliche' 
Weisheit, nicht eingeht ,in eine boshafte Seele', noch Wohnung 
nimmt ,in einem Leib, der ein Sklave der Sünde ist' (Weisli. 1, 4). 



* Vgl. oben S. 93 f. 145, sowie in des Verfassers ,Einführimg in Newmans 
Wesen usw.' S. 23ff. 43 ff. Das Ineinanderwirken von .natural inference' und 
,dispositions' ist im 1. Bändchen sowie teilweise im 3. Bändchen des New- 
man-Werkes von Przywara-Karrer herausgestellt (J. H. Newman, Christen- 
tuna [Freiburg 1922]). 



156 m. Wertfühlen und Selbständigkeit der Eeligion. 

Und in der Tat ist ja, wie die Erfahrung zeigt, nicht bloß 
wahres sittliches Wachstum, sondern auch tiefe sittliche Ein- 
sicht selbst bedingt durch eine Grundrichtung selbstloser Liebe, 
durch die das geistige Auge, unverdunkelt und unabgelenkt 
durch geheime Leidenschaft und Selbstsucht, ,einfältig' ist für 
die ,einfältige' Wahrheit. Wenn wir so die praktische, per- 
sönliche, sittliche Einsicht im Unterschied von wissenschaft- 
licher Untersuchung des Ethischen in Betracht ziehen, so er- 
gibt sich ein guter Wahrheitskern eines , emotionalen Apriori' 
auch für das Ethische, insofern diese natürliche sittliche Ein- 
sicht zunächst in einem eigenthch inneren Verhältnis zum 
sittlichen Leben steht und zweitens in sich selber sozusagen 
den Charakter eines , geistigen Listinkts' hat, der nicht in 
mühsamer Schlußkette, sondern in fast anschauungshafter 
Direktheit seine Objekte faßt: es ist sozusagen die ,selbstlose 
Liebe' als innere Formalrichtung im Unterschied von 
,Liebe zu etwas', die ,reine Augen der Erkenntnis' hat. 

Von hier aus löst sich nun auch die Frage nach der einzig- 
artigen Sicherheit des Sittlichen und Rehgiösen im Unterschied 
von der Hypothesenhaftigkeit der Wissenschaft. Sehen wir 
einmal ab von der Überspannung, die Schelers Behauptungen 
vom Wahrscheinlichkeitscharakter der Metaphysik eignet und 
(im Ethischen) von seinem Mißverstehen des Probabilismus, 
der bekanntlich nicht auf der »Wahrscheinlichkeit' selber den 
sittlichen Entscheid gründet, sondern auf das sichere Urteil, 
daß im Falle der Wahrscheinlichkeit das hierdurch , zweifel- 
hafte' Gesetz nicht verpflichte, so erklärt sich dieser Unter- 
schied genügend durch die, der Scheidung natürlichen und 
reflexiven Denkens korrelate, Scheidung zwischen natürlicher 
und wissenschaftlicher Gewißheit. 

Die Einzigartigkeit der natürlichen Gewißheit mit ihrem 
Fehlen alles Wenn und Aber im Gegensatz zur wissenschaft- 
lichen Gewißheit, die immer sorgfältig abgewogen und ver- 
klausuliert erscheint, erklärt sich eben gerade aus der Eigen- 



Sittlich-religiöse Gewißheit aus unbewußtem Konvergieren. 157 

art des natürlichen Denkens als eines solchen, bei dem nur 
ein objektives Zusammenwachsen der Einzelglieder stattfindet 
und dieses gleichzeitig unter richtunggebenden und richtung- 
fördernden jEinstellungen'. Durch das erste Moment wird das 
peinliche Abwägen der wissenschaftlichen Beweisart vermieden, 
das den imposanten Eindruck eines zusammengewachsenen 
Ganzen sozusagen zerfasert ; durch das zweite Moment ist die 
,kühle' jUnpersönliche' Sachlichkeit mit ihrem ein ,inneres' 
»persönliches' Verhältnis zwischen Akt und Objekt hemmenden 
Distanzbewußtsein paralysiert. Da nun für ein ungehemmtes, 
gesundes Wachstum persönlicher Sittlichkeit und persönlicher 
Religiosität gerade ein gewisses Fernbleiben kritisch zer- 
grübelnder, zaudernd abwägender Haltung von nöten ist, und 
im Gegenteil eine Atmosphäre vertrauender Liebe und heiliger 
Ehrfurcht wesentlich, in der erst das Objekt sozusagen sein 
Antlitz entschleiert, so ist es klar, daß im ethischen und reli- 
giösen Gebiet gerade die »Natürlichkeit* eine Art Grund- 
bedingung der Festigkeit der Gewißheit ist : ein ewig kritischer, 
grübliger, ängstlich abwägender Geist wird im Sittlichen kaum 
zum Handeln kommen und im Religiösen immer in der Yor- 
halle bleiben. Darum meint auch u. a. Christian Pesch^: ,Es 
ist zur wahren Gewißheit keineswegs erfordert, daß der Grund 

des Fürwahrhaltens so vollkommen wie möglich erkannt werde 

Es gibt eine mehr direkte und reflexionslose Gewißheit, die 
auf durchaus festen logischen und psychologischen Grundlagen 
beruht, aber trotzdem weder sich selbst noch andern eine 

wissenschaftliche Selbstrechtfertigung zu geben vermag 

Ja, man darf ohne Bedenken sagen, daß die philosophische 
Reflexion nicht immer dazu dient, die wahre Gewißheit zu 

bekräftigen Von den vielen, die ihr Leben für den Glauben 

hingegeben haben, waren verhältnismäßig wenige, die ihren 

^ Theologische Zeitfragen, 5. Folge (Freiburg 1908) 69/70. Vgl. ebenso 
Alb. Inauen, Glauben und Wissen bei Thomas von Aquin, der eine ,vor- 
wissenschaftliche, freie Gewißheit' als Thomaslehre nachweist (S. 625). 



158 ni. Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

Glauben auch wissenschaftlich hätten beweisen können; aber 
unerschütterliche Grewißheit hatten sie alle, das zeigt ihr Ver- 
halten.' 

Ein weiterer wichtiger Punkt liegt darin, daß ethisches und 
religiöses Verhalten letztlich Verhältnisse des Persönlichen im 
Menschen zu einem Persönlichen sind. In einem Verhältnis 
aber von Person zu Person, und vorab (wie es letztlich im 
Sitthchen statt hat und wesentlich im Religiösen) von Gre- 
schöpf-Person zu Schöpfer-Person, ist die liebende Hingabe, 
bzw. die demütig-ehrfürchtige Hingabe eine wurzelhafte Vor- 
bedingung, wie wir es im Verhältnis von Mensch zu Mensch 
ja täglich erfahren. Gewiß ist die rein überlegende Klugheit 
von nöten, aber doch nur als mildernder Gegenpol der Liebe, 
als sozusagen ,E,echtfertigung' der Liebe, wobei immer ein 
mehr oder minder von ,Rest' bleiben wird, wo man dem ,per- 
sönlichen' Instinkt mehr traut als verstandesrechnerischen 
Bedenklichkeiten. So wurzelt eben hier die Sicherheit, im 
Unterschied von einem rein konstatierenden »sachlichen' Ver- 
halten zu , Sachen' oder einem rein konstatierenden , sachlichen' 
Verhalten zu Personen, in einem letzten Liebeskontakt von 
Person zu Person. Wenn wir eben Ernst damit machen, daß 
Gott eine reale konkrete Person ist, und aller Sinn der ,Re- 
ligion' Verkehr der Anbetung und Liebe mit ihm, dann gilt 
auch für Anbahnung und Wachstum des Verhältnisses zu ihm 
das gleiche Gesetz, das zwischen menschlichen Personen statthat. 

Die letzte und vielleicht entscheidende Ursache der besondern 
, Sicherheit' gerade des Religiösen liegt aber wohl in der 
Zentralität, die es in der Meuschenseele hat. Wenn Gott ob- 
jektiv gerade der geistigen Wesenheit des Vernunftwesens in 
einzigartiger Weise , verwandt' ist, weil eben Gott als for- 
male Vernunftnatur der geschaffenen Vernunftnatur sozusagen 
,blutsverwandt' ist^, so ist damit bedingt, daß die Beziehung 

■* Diese objektive ,Venvandtschaft' bedeutet aber keinen höheren Grad 
der objektiven , Gegenwärtigkeit' Gottes; denn Gott ist ,gegen\värtig' in 



Sittlich-religiöse Gewißheit als Person- und Zentralgewißheit. 159 

ZU ihm, so sie subjektiv vollzogen wird, auch der intimste 
und zentralste Punkt des gesamten Seelenlebens sei und darum 
die fundamentale Sicherheit und Festigkeit besitze, die dem 
Zentrum des Seelenlebens eignet. Diese Erwägungen gelten 
auch in ihrer Art für die sog. Grlaubensgewißheit im engeren 
Sinn, soweit man darunter die Gewißheit über die Offenbarungs- 
tatsache versteht, das ,iudicium credentitatis' in der sog. ,ana- 
lysis fidei', nicht die innere Gewißheit des Glaubensaktes, die 
in der objektiven Autorität Gottes beruht (vgl. unten Anhang 
§ 1, n. 2). ^ 

Mit all dem ist natürlich nicht irgendwie gesagt, daß eine 
, wissenschaftliche' Sicherheit in sich schwächer wäre als eine 
,natürliche'. Im Gegenteil, wenn die wissenschaftliche Sicher- 
heit auf einer reflexiven Zusammenschau aller einzelnen 
Elemente beruhte, die objektiv zusammenwirkend die natür- 
liche Sicherheit zeugen, so wäre sie mindestens gleichstark 
mit der natürlichen. Aber in Wirklichkeit vermag eben die 
durchschnittliche Vernunft des Menschen einen solchen bis ins 
Feinste gehenden Zusammenschau- Akt nicht zu leisten, sondern 
sieht in der reflexiven Haltung immer nur Bruchstücke des 
Ganzen, so daß die ,praktische' wissenschaftliche Sicherheit, im 
Unterschied von der wissenschaftlichen Sicherheit ,in sich', den 
Nachteil hat, daß sie sich nur auf einen Bruchteil der Gründe 
und Motive stützt, deren überwältigende Gesamtheit objektiv 
zusammenwirkend die natürliche Gewißheit und Sicherheit 
erzeugt. 

Zusammenfassend also wäre zu sagen, daß der Wahrheits- 
kern der Schelerschen Aufstellungen sich im Unterschied natür- 
lichen und reflexiven Denkens aufhellt. Die Systemposition 
Sehelers aber ergibt sich aus der einseitigen Alternative von 
reflexivem Denken und Emotionalität, die noch sein letzter, 
unabgestreifter Rest von Kantianismus ist, und wohl auch noch 

Kraft des ab alio a se- Verhältnisses, das für Schöpfer und Geschöpf ,in 
indivisibili' ist (vgl. Anhang § 1). 



160 III- Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

ein Rest einer atomisierenden Seelenvermögenslehre, wie sie im 
Unterschied zur Hochscliolastik, Spätscholastik und Rationalis- 
mus ausgebildet hatten. Denken ist eben, . wie die neuere 
Denkpsychologie der Külpeschen Schule immer mehr heraus- 
stellt, nicht etwas, was sich auf einen bestimmten, etwa 
formell syllogistischen , Typus festlegen läßt; ja, das kon- 
krete, natürliche Denken ist, wie zuerst Newman in seinem 
,real'-Begriff meisterlich herausgestellt hat, eher einer ob- 
jektiv sich vollziehenden Induktion vergleichbar, einem ob- 
jektiven Konvergieren verwandter Einzelgedanken unter dem 
richtunggebenden Einfluß der verschiedenen ,Einstellungen', 
die ihre letzte Wurzel in der persönlichen Grundrichtung des 
einzelnen Menschen haben. So ist das ,natural-inference, im- 
plicit reasoning, dispositions , first principles'-System New- 
mans die Erfüllung dessen, worauf Schelers Person-Liebe- 
system eigentlich zielt , ohne es infolge seiner systematischen 
Vereinseitigung und Verschalung in seinen klaren Linien zu 
fassen ^. 

Der Schelersche ,Liebesvorgang' formt sich nun in das von 
den ,dispositions' beseelte und gegen Abirrung beschützte ,im- 
plicit reasoning', das ,natürliche Denken' als Gesamtakt des 
von aufrichtiger ,Liebe' als innerer ,E,ichtung' getragenen 
Menschen. Die moralischen , dispositions' aber, samt den in- 
tellektuellen ,anticipations', d. i. die sittlich religiösen samt 
den intellektuellen Einstellungen, verankern sich gleichsam 
,metaphysisch' in den ,first principles', d. h. der persönlichen 
Grundrichtung des einzelnen Menschen, wie wir eben sagten, — 
und werden so zum geklärten Gegenbild von Schelers ,Person- 
idee', die ja, wie wir früher sahen, das letzte sozusagen ,selec- 
tivum' für das Reich des ,verum' und ,bonum' bildet, indem 



^ Vgl. des Verfassers .Einführung in Newmans Wesen usw.' 18 ff. 43 ff. 
71 ff. sowie ,Zum Newm ansehen Denktypus' (Jahrbuch des Verbandes kath. 
Akademiker 1922, 146 ff.), sowie in dieser Schrift oben S. 93 ff. 145 154 f. 
und Anhang § 2, Nr. 3. 



Philosophie der Individualität. 161 

sie die ,persönliche Wahrheit' und ,persöiiliche Gutheit' gleich- 
sam ,ist' (oben S. 44 fe. 81 f.). 
Wenn wir nun noch bedenken, daß der Gewissensbegriff 
> Newmans in seinem eigentlichen Sinn mit dem eben gezeich- 
neten dispositions-anticipations-Gewebe und seiner letzten Ver- 
ankerung in den jfirst principles' zusammenfällt, so daß die 
,dispositions-anticipations' gleichsam das Gewissen ,in actu', 
die ,first principles' das Gewissen ,in potentia' bilden \ so können 
wir abschließend sagen, daß in dem gegenseitigen Yerhältnis 
' des Schelerschen Person-Liebe-Systems und des Newmanschen 
«(, Gewissen-Systems das große Problem des natürlichen persön- 
lichen Denkens als ,Problem' am deutlichsten vor uns steht, 
bei Newman in seiner vorsichtigen Beschränkung auf Einzel- 
^ beobachtung des Wirklichen, bei Scheler in großen meta- 
^ physischen Umrissen, die aber darum ebenso wie sie fesselnde 
Perspektiven aufrollen, auch ebenso große Mißverständnisse 
" verursachen. Eine ,Philosophie der Individualität' ist der 
>^ Kernpunkt bei beiden, und in der Art, wie sie dieser zu- 
streben, vollzieht sich die wohl wichtigste gegenseitige An- 
näherung von Scholastik und Moderne. Auf der einen Seite 
ist es Suarez, der mit seiner Lehre von der ,forma' als Individual- 
^ prinzip und der Erkennbarkeit des Individuellen durch den 
Intellekt die entscheidende Weiterbildung des thomistischen 
^ Individuationsprinzips und ,inteUectus universalium' vollzog 
1^ und so die metaphysische Grundlage jener »Philosophie der 
|[ Individualität' schuft, die in Newman und Scheler zur Ent- 
faltung ringt. Auf der andern Seite bedeuten Newman und 
- * Scheler selbst eine Art Quintessenz der starken personalisti- 

',. ^. ^ Vgl. W. G. Wards Diskussion des ,conscience'-Begriffs (Philosophy of 
• ^ Theism I 78 ff). 

^ Über dieses suarezische Grundprinzip ,unaquaeque entitas est per 
|. seipsam suae individuationis principium' vgl. u. a. M. Lechner, Die Er- 
r kenntnislehre des Suarez (Philos. Jahrbuch XXV [1912] 125 ff.), vorab 
'^. ^ M. Grabmann, Die Disputationes metaphysicae des Franz Suarez (Suarez- 

Festschrift [Innsbruck 1917] 2S ff., insbesondere 62 ff.). • 
*..yi Przywara, Eeligionsbegründung. 11 



162 III- Wertfühlen und Selbständigkeit der Eeligion. 

sehen Strömungen, wie sie in Dütlieys Individualitätsmethode, 
Simmeis Individualität als überempirischem Typus, William 
Sterns Person - Sache - System, Ernst Tröltschs Ringen nach 
einer Einheit von Wesen und Leben, Rieh. Müller-Freien- 
fels ,Irrationalität' der Individualität und Edith Landmanns 
genialer Theorie einer aus ,sensus singularium' und ,intellectus 
universalium' sich aufbauenden ,Gesamterkenntnis' ^ des kon- 
kret Eimnaligen mit am abgereiftesten sich geben (um der 
modischen Individualitätsparoxysmen nicht zu gedenken). So 
bahnt sich hier für eine organisch weitergeführte Scholastik 
und eiue abgereifte und ernüchterte Moderne ein Ausweg aus 
einem nun schon fast sechs Jahrhunderte dauernden Entweder- 
Oder. Es zeigt sich ein gemeinsames Ziel, zu dem die Scho- 
lastik den metaphysischen Unterbau, die Moderne den real- 
wissenschaftlichen Oberbau aus eigener innerer Entwicklung 
aufzuführen imstande wäre. 

§ 3. Priorität des Werterfassens vor dem Seiiiserfassen. 

Mit dem obigen haben wir im Grunde bereits auch diesen 
letzten Satz der Schelerschen Wertlehre behandelt. Denn, 
wenn Wert-Erfassen, wie wir eben darlegten, letztlich nur eine 
bestimmte Art des Seinserfassens ist, so löst sich auch der 
scheinbare Primat des Werterfassens auf in einen solchen des 
natürlichen Denkens vor dem reflexiven Denken, der ,cognitio 
directa' vor der ,cognitio reflexa' (in scholastischer Sprache), 



^ Die innern Gegensätze innerhalb dieser Gruppe sind freilich groß genug , 
Diltheys empirischer Relativismus und Simmeis (freilich letztlich monistisch ^ 
verankerter) metaphysischer Pluralismus (Hauptprobleme der Philosophie 
[Leipzig 1913] Kap. 1) gegen Landmanns Absolutstandpunkt, Sterns Pan- 
personalismus und Panentheismus gegen Troeltschs Leibnizstandpunkt, 
Müller-Freienfels' rationalisierte Irrationalität des Individuums (Die Philo- 
sophie der Individualität [Leipzig 1913 *]) gegen Landmanns, Sinnesbild und 
Begriff einschließende, Gesamterkeimtnis. Wie Stern der ,unio substantialis' 
besonders nahe kommt, so Troeltsch der Einheit von ,forma' und ,indi- ^ 
viduatio' und vorab Landmaim dem Suarezischen ,intellectus singularium'. 



r" 



Weder Eros noch praktische Vernunft. 163 

des ,mpHcit' vor dem ,explicit' (in der Sprache Newmans). 
Inimerhin mag es zur Abrundung gut sein, noch eigens diesen 
Standpunkt zu berühren. 

Scheler entwickelt seine Lehre systematisch in der ,Materialen 
Wertethik'. 

,Alles primäre Verhalten zur Welt überhaupt, nicht nur zur Außenwelt, 
sondern auch zur Innenwelt, nicht nur zu andern, sondern auch zu unsrem 
eigenen Ich ist eben nicht ein vorstelliges, ein Verhalten des Wahmehmens, 
sondern immer gleichzeitig, ja . . , primär ein emotionales und wertnehmendes 
Verhalten (M 200). ,Insbesondere glaube ich zeigen zu können, daß 1. alles 
Dasein eines Objektes von seinem Wertsein fundiert ist, 2. alle Erkenntnis 
eines Objektes und alles Wollen eines Projekts gemeinsam von der Liebe 
zur gemeinsamen Materie dieses Objekts fundiert ist, 3. daß die geschicht- 
lich und national variierenden Strukturen der (vermeinten) Welten der 
Weltanschauungen den Strukturen der herrschenden Moralen und die 
Selektionsformen der Gegebenheiten nach sog, Kategorien, den jeweiligen 
Liebesrichtungen folgen, 4. daß alle mögliche Weltliebe durch Gottesliebe, 
und alle variierenden Richtungen der Weltliebe durch unabhängig variierende 
Richtung der Gottesliebe fundiert sei' (M 573/574 Anm. 3). S. 133—161 der 
,Materialen Wertethik' bringt dann seine Gesarattheorie von der ,Wertwelt- 
als Apriori der ,Seinswelt'. 

Im ,Ewigen im Menschen' unterscheidet Scheler ausdrücklich 
seine Lehre sowohl von dem kantischen Primat der praktischen 
Vernunft als auch vom platonischen Eros. 

,Das wahre Verhältnis beider Anschauungen besteht darin, daß die antike 
Lehre eine bestimmte moralische Geisteshaltung (jenen Aufschwung des 
ganzen Menschen zum Wesenhaften) zur bloßen Vorbedingung philosophischer 
Erkenntnis macht, d. h. zur Bedingung, in das Sachenreich einzudringen oder 
doch bis zu seiner Schwelle vorzudringen, mit dem es die Philosophie zu 
tun hat; und daß gerade die Überwindung aller nur praktischen Ein- 
stellungen auf das Dasein es sei, was — neben anderem — Aufgabe und 
Ziel dieser moralisehen Geisteshaltung ist. Umgekehrt meint Kant, daß 
die theoretische Philosophie überhaupt keine spezifische moralische Vor- 
bedingung im Philosophen besitze, daß aber auch im fingierten Fall einer 
äußersten Vollendung der Philosophie es erst das Erlebnis des Sollens und 
der Pflicht es sei, das uns Teilnahme an jener metaphysischen Ordnung 
gewähre, in die nach seiner Meinung theoretische Vernunft nur vergeblich 

und unter Trugschlüssen einzudringen suche Was also bei Piaton eine 

nur subjektive, obzwar als solche notwendige Voraussetzung für das Ziel 
der Philosophie, für die theoretische Seinserkenntnis ist, das ist für diese 
Denker ein Primat des Moralischen in den objektiven Ordnungen selbst — wo- 

11* 



164 III- Wertfülüen und Selbständigkeit der Religion. 

gegen nun wieder fast genau umgekehrt die Alten auch im Guten nur 
einen höchsten Seinsgrad (övtuj<; öv) zu finden meinten. . . . Die Thesis, 
die hier vertreten ist, fällt mit keiner dieser beiden Ideenkreise genau zu- 
sammen, wenn sie sich auch der antiken Meinung weit erheblicher nähert 
wie jener modernen. Zunächst ist es klar, daß es in allen besondem 
Fragen der Werteinsicht und des Werterkennens (die ich im Unterschied 
von den Alten so wenig als bloße Funktion des Seins-Erkennens ansehen 
kann wie den positiven Wert selbst als einen je höheren Seinsgrad) es das 
der Werteinsicht vorangehende Wollen und Handeln ist, welches die Haupt- 
motive aller Werttäuschungen bzw. Wertblindheiten ausmacht. Gerade 
darum muß den Menschen, wenn er überhaupt zu Werteinsicht (und in ihr 
fundiertes mögliches Wollen und Handeln) gelangen soll, zuerst Autorität 
und Erziehung so zu handeln und so zu wollen bestimmen, daß diese 
Täuschungsmotive aufgehoben werden. ... Es sind immer irgendwie vorher- 
gehende verkehrte praktische Lebensweisen, die unser Wert- und Wertrang- 
bewußtsein auf dasjenige Niveau herxmterziehen, auf dem diese Lebens- 
weisen selbst liegen und die uns eben damit primär in Wertblindheit oder 
Werttäuschung führen. Ist dies zugestanden, so liegt freilich hierin allein 
noch kein Grund, auch für die theoretische Seinserkenntnis — im Unter- 
schied zu aller Werterfassung in Form von emotionalen Akten (Fühlen von 
etwas. Vorziehen, Lieben) — eine analoge praktisch moralische Bedingung 
anzunelimen, wenn nicht zu dem Gesagten ein anderes hinzukäme. Dieses 
Andere betrifft das Wesensverhältnis, das zwischen Werterkennen und Seins- 
Erkennen überhaupt besteht. Und da scheint es mir ein strenges Gesetz 
des Wesensaufbaues, ebensowohl der höheren geistigen Akte, als der für 
sie stoffgebenden niedrigeren Funktionen unsres Geistes zu sein, daß in der 
Ordnung möglicher Gegebenheit der objektiven Sphäre überhaupt, die 
dieser Ordnung angehörigen Wertqualitäten und Werteinheiten allem vorher- 
gegeben sind, was der wertfreien Schicht des Seins angehört: so daß 
überhaupt nicht ganz und gar wertfrei Seiendes zum Gegenstand einer 
Wahrnehmung, Erinnerung, Erwartung, in zweiter Linie des Denkens und 
Urteils ursprünglich werden kann, dessen Wertqualität oder dessen Wert- 
relation zu einem Anderen (Gleichheit, Verschiedenheit usw.) uns nicht 
schon zuvor irgendwie gegeben gewesen wäre (wobei das „zuvor" nicht 
notwendig Zeitfolge und Dauer, sondern nur die Ordnung der Folge der 
Gegebenheit bzw. der Dauer in sich schließt). Alles wertfreie und wert- 
indifferente Sein ist solches Sein also immer erst auf Grund einer mehr 
oder minder künstlichen Abstraktion, durch die wir von seinem nicht nur 
immer mitgegebenen, sondern auch stets vorgegebenen Werte absehen, 
eine Abstraktionsweise, die freilich beim Gelehrten so gewohnheitsmäßig 
und zur zweiten Natur werden kann, daß er umgekehrt geneigt ist, das 
wertfreie Sein der Dinge (der Natur und der Seele) für ursprünglicher 
nicht nur seiend, sondern auch gegeben zu halten, als die Wertqualitäten 
der Sachen ; und daß er sich auf Grund dieser seiner falschen Voraus- 
setzung nach irgend welchen Maßstäben, Normen usw. umsieht, durch die 



Doppelter Wertprimat. 165 

sein wertfreies Sein wieder Wertunterscliiede zurückerhielte. ... Auch für 
ganze Weltanschauungen von Kulturkreisen und Völkern gilt, daß die 
Struktui-en ihres Wertbewußtseins, ihrer gesamten Weltanschauung das 
letzte Gestaltungsgesetz vorschrieben (soweit sie auf das Seiende Bezug 
hat). Und für allen historischen Fortschritt der Erkenntnis gilt, daß die 
Gegenstände, die dieser Fortschritt des Erkennens ergreift, zuerst geliebt 
oder gehaßt werden mußten, ehe sie intellektuell erkannt, analysiert und 
beurteilt werden. Überall geht der Liebhaber dem Kenner voraus, und es 
gibt kein Seinsgebiet (seien es Zahlen, Sterne, Pflanzen, geschichtliche 
Wirklichkeitszusammenhänge, göttliche Dinge), (dessen Erforschung nicht 
eine emphatische Phase durchlaufen hätte, bevor es in die Phase wert- 
freier Analyse trat — eine Phase, die meist mit einer Art Metaphysizierung 
des Gebiets (seiner fälschlichen Erhebung in absolute Bedeutung) zu- 
sammenfiel' (E 86—91). 

In Eraft dieses Prinzips stellt dann Scheler den Satz auf, 
daß alle metaphysischen Systeme, wenn auch Metaphysik als 
solche von Religion unabhängig sei (vgl. oben S. 77 ff,), doch 
zu ihrer Bildung eine vorhergehende ,religiöse' Haltung vor- 
aussetzen, die ihnen die Struktur sozusagen vorzeichnet — 
weil eben nach Scheler nur ,Religion' das ,Wertapriori' des 
Göttlichen, also des letzten Weltgrundes, erfaßt. 

,Der Mensch hat immer schon eine geglaubte Annahme über seinen und 
der Welt HeilsAveg, ehe er die metaphysische Geisteshaltung einnimmt — und 
hat sie notwendig — gleichgültig, ob er will oder nicht will, gleichgültig, 
ob er sich diese Annahme zu reflexivem Wissen bringe oder nicht. Denn 
der religiöse Akt ist in der Ursprungsordnung, die keine geschichtliche 
matter of fact-Erfahrung zu beweisen oder zu widerlegen vermag, ui-- 
sprünglicher als der Akt des philosophischen Erkennens. Die historisch 
bis ins Einzelnste erweisbare Tatsache, daß alle Metaphysiken, die je es 
gegeben, im Spielraum der religiösen Grundkategorien bleiben, imd nicht 
ihn zu sprengen vermögen, welche die Religion der Metaphysiker abgesteckt 
hat, ist nur eine Bewährung (nicht ein Beweis) dieser IJrsprungsordnung 
der Betätigimg des religiösen imd metaphysischen Erkennens xmd Ver- 
haltens. Die zahlreichen metaphysischen Systeme der Inder, der Griechen, 
der chi'istlichen Epochen — sie stellen Familien metaphysischer Systeme 
dar, die trotz der großen Verschiedenheit ihrer Teile imtereinander doch 
je einen charakteristischen Gesamtcharakter bewahren. Und es ist schließ- 
lich die Wesensverschiedenheit der Religionen, zu deren Herrschbereich sie 
gehören, die ihnen diese gemeinsamen Charaktere erteilt' (E 360/361), 

Die klare Herausteilung dieses ,Wertprimates' hat nicht 
geringe Schwierigkeiten. Denn es ist nicht klar, ob Ethik 



166 III. Wertfühlen und Selbständigkeit der Religion. 

und Eeligion einfachhin und durchgehend als ,Wertapriori' des 
Metaphysischen gefaßt werden. Denn Scheler stellt wieder 
innerhalb beider eine dem ,Wertfühlen' nachfolgende formu- 
lierende Erkenntnis auf; so scheidet er in der ,Materialen Wert- 
ethik' zwischen Ethos als Inbegriff der , erfühlten' Werte und 
Ethik als Inbegriff der im Begriffe formulierten Werte, und 
in der Religion ist, wie wir früher sahen, die ,Wertqualität' 
des Heiligen nur der Kern, um den sich die Gottesbegriffe 
kristallisieren. Wir hätten also demnach einen doppelten Wert- 
primat, einmal innerhalb der eigentlichen Wertgebiete selber, 
indem dort ,Wertfühlen' vor ,Wertformulieren' geht und dann 
zweitens im Verhältnis der Wertwissenschaften zu den Seins- 
wissenschaften und allgemein des Wertgebietes vor dem Seins- 
gebiet, indem die gesamte Welt zuerst ,werthaft' und im be- 
sondern , ethisch' und ,religiös' angeschaut und aufgefaßt wird, 
ehe das Auge der Wissenschaft sie rein ,sachlich' und ,wertfrei' 
sieht und behandelt. 

Die letzte metaphysische Fundamentierung dieser Auffassungs- 
weise im Person-Liebe-System haben wir bereits früher (oben 
S. 41^ — 55) behandelt: Die Auffassung des Wertprimats schließt, 
wie Scheler auch in den eben angeführten Stellen zu ver- 
stehen gibt, ein, daß das wahre Antlitz der Welt nur im 
,Wert' und darum in der ,Liebe' sich enthülle, so daß das 
rein konstatierende Seinserkennen nur ein ,Bearbeiten' des 
in der ,Liebe' allein wahrhaft erkennbaren Gottes- und 
Weltantlitzes ist. Die Grundlage dieses Satzes aber, Gottes 
Wesen als ,Liebe', ist, wie wir sahen, nicht haltbar ohne 
das zu Grunde liegende Seins Verhältnis von Gott und Ge- 
schöpf. 

Den ersten Sinn des ,Wertprimates' (innerhalb der Wert- 
gebiete selbst) haben wir im eben beendeten zweiten Abschnitt 
erörtert: er ist nichts als das , emotionale Apriori', von dem 
wir sahen, daß es eine systemhafte Verengung des viel- 
fältigen Problems des ,natürlichen' Denkens sei. 



Primat des persönlich-natürlichen Denkens. 167 

Es bleibt also nur der letzte Sinn des ,Wertprimates' (zwischen 
Wertgebieten und Seinsgebieten) noch übrig, der sich kon- 
sequent zum ersten Sinn auflöst in einen Primat der Geistes- 
gebiete, in denen das ,natürliche Denken' vorwiegt, vor denen, 
die vorab reflexives Denken erfordern. Da aber, wie wir im 
zweiten Abschnitt sahen, das natürliche Denken durch ,niora- 
lische Einstellungen {iin weiteren Sinn)' geleitet wird, so können 
wir wohl in gewissem Ausmaß von einer letzten direktiven 
Funktion der ,Liebe' reden, nicht von ihrem Primat als er- 
kenntnis zeugend er Kraft, aber wohl in vernünftigem Sinn 
als erkenntnisrichtender Kraft. 

Aber auch dieser beschränkte Primat ist noch weiter zu 
begrenzen infolge der Verhältnisbestimmungen, die wir zwischen 
natürlichem und reflexivem Denken aufgestellt haben. Dieser 
,Primat' ist nicht bedingt durch die Wesensnatur des 
Denkens in sich; denn das reflexive Denken vermag rein 
intellektual dieselben Objekte, die das natürliche Denken unter 
der Führung der ,Liebe' findet, kalt sachlich zu beweisen, 
wenigstens ,im Prinzip', wenn auch nicht immer gleich in der 
praktischen Ausführung, da die Wissenschaft eine Art prak- 
tischer UnvoUendbarkeit in sich schließt ^ Er ist nur gegeben 
durch die praktische menschliche Art des Verhältnisses 
der betr. Objekte zum konkreten Menschen. Der konkrete 
Mensch ist wesenhaft auf Sittlichkeit und Religion gerichtet, 
so daß alle andern ,sachlichen' (nicht personbezogenen) .Gebiete 
diesen eingeordnet sind ; da nun diese beiden Gebiete dem kon- 
kreten Menschen sich praktisch im natürlichen, nicht primär im 
reflexiven Denken, geben, so enthüllt sich das natürliche, sitt- 
liche und religiöse Denken, der sozusagen ,persönliche sittlich- 
religiöse Instinkt' als letzte Richtkraft des konkreten Menschen ^. 

^ Vgl, zu dieser »praktischen UnvoUendbarkeit' die geistvollen Aus- 
führungen W. Switalskis (Probleme der Erkenntnis [Münster 1923] I 50 ff. 
II 28 ff. 40 ff. 80 ff 125 ff. 

^ Vgl. des Verfassers ,Einführung in Newmans Wesen usw.' 71 ff. 



168 m- Wertfühlen und Selbständigkeit der Eeligion. 

Wir gewinnen so noch einmal und abschließend als wahre 
Lösung des Schelerproblems die für Newman grundlegende 
Lehre der ,first principles', der sittlich -religiösen Grund- 
gerichtetheit des konkreten individualen Menschen als der 
Kraft, unter deren Einflufs er ,richtig denkt'. Der Wert- 
primat' Schelers erscheint als eine systemhafte Einengung 
des nicht systemhaft faßbaren Erfahrungsdatums der ,first 
principles' Newmans^ 



^ A.US diesen Ausführungen erhellt unsre Steliungiiahme zu Eschweiler 
((Religion und Metaphysik') und "Wust (,Phänomenologie und Religion'). 
Eschweilers Unterscheidung einer objektiven und subjektiven Apologetik 
trifft sich mit unsrer zwischen ,realem Gegenstand der Religion' und (reli- 
giösem Vorgang' ; wenn er aber (Hochland XIX [1921/22 I] 482—486) dazu 
überzugehen scheint, auch innerhalb der objektiven Gegenstandssphäre eine 
selbständige rein rationale Grundlegung abzuweisen, so können wir ihm 
natürlich nicht beistimmen ; etwas anderes ist es, wenn er für den religiösen 
Vorgang dieses ,Bei- und Zueinandersein von menschlichem Vernunft- 
wissen und göttlicher Offenbarung' aufstellte, was beim Glaubensvorgang 
im strengen Sinne (den Eschweiler offenbar an dieser Stelle meint) seinen 
guten Sinn hat. Aber dann hat es keinen Grund, der objektiven Apo- 
logetik ein ,methodisclies' »Verbergen' des Offenbarungsglaubens vorzuwerfen 
sowie ein ,Verhelfenwollen' zum , Gläubigwerden', Avas darin läge ; denn 
objektive Apologetik muß (genau so wie metaphysische Gotteslehre) me- 
thodisch im rein natürlich Vernunftgemäßen bleiben, weil eben ihr Gegen- 
stand die vemunftmäßig zu erkennenden Tatsachen des Daseins Gottes 
und der Offenbarungserteilung sind ; dabei waltet gar keine seelsorgerliche 
,Bekehrungs'-Tendenz ob, da Apologetik ki'aft ihres Formalobjektes die Be- 
handlung des konkreten Glaubensvorgangs der Dogmatik (nach seiner 
gegenständlich- wesenhaften Seite: was gehört zum Glaubensakt, damit er 
gültig und rechtmäßig ein Glaubensakt sei?) bzw. einer richtig verstan- 
denen Eeligionspsychologie (nach seiner konkret-empirischen Vorgangsseite : 
welche psychologischen Faktoren wirken im konkreten Glaubensvorgang 
zusammen?) überläßt. 

Peter Wusts Satz : ,Es gibt keine Willensnöte, die nicht auch Heilsnöte 
wären, und es gibt keine Heilsnöte, mit denen sich auch nicht Wissensnöte 
verbänden', scheint mir an und für sich dem Schelerschen Konforraitäts- 
system nicht entgegenzustehen; denn Scheler lehrt (wie wir sahen) die 
Einheit eines Realobjektes, in dem die zwei Intentionalobjekte sich einen, 
so sehr, daß das Realobjekt erst in einer Zusammenschau beider Intentional- 
objekte einigermaßen adäquat erfaßt werde ; also hält auch Scheler dafür, 
,daß sie [Religion und Metaphysik] sich wechselseitig in der Auffassung des 



IV. Natürliche Religion und Oflfenbarungsreligion. 169 

VIERTES KAPITEL. 

NATÜKLICHE KELIGION 
UND OFFENBAEUNGSEELIGION. 

Die Phänomenologie der Religion soll nach Scheler nicht 
bloß Grrundlage einer Philosophie der natürlichen Religion sein, 
sondern auch der Dogmatik der Offenbarungsreligion. ,Sie 
darf beanspruchen, die philosophische Grunddisziplin zu sein, 
auf der sich nicht nur die anderweitige philosophische Be- 
schäftigung mit der Religion (Erkenntnis- und Werttheorie des 
religiösen Aktes, Metaphysik der Religion, Geschichtsphilosophie 
der Religion), sondern auch alle Religionswissenschaft (also Re- 
ligionspsychologie, Religionsgeschichte, schließlich die mannig- 
fachen Disziplinen der Theologie) als ihrem gemeinsamen Fun- 
dament aufzubauen haben' (E 320). Eine solche Aufgabe ist 
natürlich nur in der Weise lösbar, daß die Phänomenologie den 
dogmatischen Lehrgehalt der Offenbarungsreligion als einfache 
Gelegenheit hinnimmt, wie sie auch die Gegebenheit der natür- 
lichen Welt einfach hinzunehmen hat, um an diesem Vor- 
liegenden und Gegebenen ihre Wesensanalysen auszuführen. 
Die Phänomenologie hat also in keiner Weise Richterin des 
Offenbarungsinhaltes zu sein, vielmehr bleibt das Organ der 
Offenbarungsreligion, die lebendige unfehlbare Kirche, die 
Richterin der Phänomenologie in dieser ihrer analysierenden 
Arbeit am Offenbarungsinhalt. Eine Phänomenologie des 
Offenbarungsinhaltes ist also praktisch nur möglich, wenn der 



Göttlichen unterstützen, ja bis zur Unauflöslichkeit durchdringen' ("was Wust 
als seine Ansicht gegen Scheler hinstellt). Faßt aber Wust dieses ,Sich-durch- 
dringen' in unsrem Sinne von zwei Intentionsrichtungen innerhalb der Reli- 
i gion selbst, die den einen Rechtsgrund der ,analogia entis' gemeinsam haben, 
I so möchte uns sein Satz ,Es gibt keine Wissensnöte usw.' zu weitgehend 
j erscheinen, da dieses doppelte Intentionsverhältnis doch offenbar nur dort 
j gilt, wo wahre Heilsnöten vorhanden sind, so daß also nur die Umkehrung 
I gälte, ,es gibt keine Heilsnöte usw.' 



170 IV- Natürliche Religion und Offenbarungsreligion. 

Forscher zugleich Fachtheologe ist oder zum mindesten sich 
sorgfältig und gewissenhaft an der Fachtheologie orientiert. 
Sonst ist ja schon rein methodisch seine ganze Arbeit ge- 
fährdet, da sie eine intime Kenntnis der Gegebenheiten seines 
Forschungsgebietes voraussetzt. 

Wir haben also als letzte Aufgabe vor uns, vom Standpunkt 
der Fachtheologie die phänomenologischen Analysen der Offen- 
barungslehre bei Scheler nachzuprüfen, — und das ebensosehr 
aus rein methodisch phänomenologischen Gründen als aus fach- 
theologischen Gründen. Denn die methodische Sicherheit 
phänomenologischer Analyse fordert als ihre Grundlage ihre 
fachtheologische Korrektheit. Sonst ist es eben keine phäno- 
menologische Analyse der bestehenden Offenbarungslehre, 
sondern selber religionsschöpferische Konstruktion einer eigenen 
, Offenbarungslehre', religiöses Prophetentum, wie die Religions- 
philosophen der Romantik nach der Art Baaders u. a. es be- 
trieben, nicht strenge Wissenschaft. An diesem Punkte nun, 
wie wir von vornherein gestehen müssen, liegt eine ernste 
Schwierigkeit in Schelers System, da er nicht nur manches- 
mal theologisch mißverständlich wird, sondern sogar, z. B. in 
manchen Stellen seiner Neubearbeitung der , Sympathie- 
gefühle' usw., in Auffassungen gerät, die eigentlich in Heilers 
Katholizismuskonstruktionen zu Hause sind. Wir werden uns 
aber, bei allen Mißverständlichkeiten und Entgleisungen, die 
im einzelnen sich finden, die Frage zu stellen haben, ob bei 
ihm prinzipiell ein Standpunkt herrsche, der der Offen- 
barungslehre zuwider ist, mit andern Worten, ob seine Phäno- 
menologie der Offenbarungslehre eine Wesensanalyse der b e- 
steh enden Offenbarungsreligion sei oder, in der Art der 
romantischen Religionsphilosophie, eine Ableitung der Offen- 
barungslehre aus Vernunftnotwendigkeiten, also ein theologischer 
Rationalismus, der den wesenhaften Unterschied zwischen ,Natur' 
und jÜbernatur' auflöst und dessen Hauptpositionen in den kirch- 
lichen Entscheidungen im Jansenistenstreit verurteilt wurden. 



Methode einer Offenbarungspliänomenologie. 171 

Mithin wird die Hauptfrage sein: Walirt Scheler den für die 
Offenbarungsreligion wesenhaften Unterschied zwischen Vernunft 
und Offenbarung, Natur und Übernatur? 

§ 1. Die Welt des Religiösen als Ableitung aus dem Wert 

des Heiligen. 

Die Welt des Religiösen, wie sie Scheler zuerst schon in 
der jMaterialen Wertethik' und dann ausführlich im ,Ewigen' 
im Menschen aufbaut, bietet für den ersten Anblick allerdings 
den Eindruck, dem E. Mayer-Gießen^, Herrn. Schwarz-Grreifs- 
wald ^, sowie Siegfried Kracauer ^ dahin Ausdruck liehen, daß 
Scheler die Dogmen der Kirche mittels seiner Methode philo- 
sophisch ableiten wolle. Wenn man die Aufstellungen des 
,Ewigen im Menschen' tatsächlich auf dem Hintergrund der 
,Materialen Wertethik' anschauen und beurteilen muß, so 
scheint es, daß übernatürliche Erhöhung, Sündenfall, Kirche, 
ewige Seligkeit im Grrunde nichts weiter seien als Konsequenzen 
der Wertlehre, wie Scheler sie aufbaut. 

1. Teilnahme am Göttlichen. 

Der Wert des ,Heiligen' '^ ist nach der ,Materialen Wertethik' 
der höchste Wert und darum nach den Wertaxiomen zugleich 
derjenige, der von allen unableitbar ist, aber alle andern 
fundiert, und derjenige, der schlechthin unteilbar ist, aber 
unteilbar mitteilbar (M 84 ff.). 

Daraus, daß der Wert des ,Heüigen' der höchste und damit 
schlechthin unableitbare ist, folgt nun, daß ein irdischer Träger 
des Heiligen, also letztlich nur eine geistige Person, über alles 



^ Tlieol. Lit.-Zeitung 1922, Nr. 9. 
^ Deutsche Lit.-Zeitung 1922, Nr. 25. 
^ Frankfurter Zeitung 1921, Nr. 850. 

■* Das jHeilige' bei Scheler ist gleich dem ,summum bonum, dem ,ens 
intentionale' der Eehgion, also gleich ,Gott-Liel)e' (vgl. oben S. 38 41 ff. 77 ff.). 



172 IV- Natürliche Religion und Offenbarungsreligion. 

,Unterlieilige', also auch das gewöhnlich Menschlich -Vitale 
und Menschlich-Sittliche, schlechthin erhaben ist und zugleich 
in einem intunen Verhältnis der Teilnahme zum Göttlichen 
schlechthin steht, wie Scheler es in seinem Person-Liehe-System 
(oben S. 41^ — 53 81 f.) ausdrückt. 

Durch dieses religiöse Transzendenz- und Teil- 
nahme-Verhältnis aber ist der Mensch erst eigentlich 
,Mensch' und Menschengemein'schaft erst eigentlich ,Menschen- 
gemeinschaft', nicht durch ihre Vernunftnatur oder ein natür- 
liches Einheitsband. 

,Der Mensch ist sofern und nur sofern das höchste der Wesen, insofern 
er Träger von Akten ist, die von seiner biologischen Organisation un- 
abhängig sind, und sofern er Werte, die diesen Akten entsprechen, realisiert. 
Nur unter der Voraussetzung des von biologischen Werten unabhängigen 
und ihm übergeordneten Wertes des Heiligen und der geistigen Werte ist 
also der Mensch auch das werthöchste Wesen. Das Neue, das in ihm . . . 
hervorbricht . . . ist . . . eine allem Leben überlegene Ordnung . . . und zugleich 
eine neue Einheitsform dieser Ordnung. . . . Die Idee dieser Einheitsform 
als des letzten Trägers des Wertes „heilig" aber ist die Idee Gottes und 
das Reich der ihm zugehörigen Gliedpersonen und ihrer Ordnung, das 
Gottesreich. . . . Der Mensch ... ist richtig gesehen nur die Bewegung, die 
Tendenz, der Übergang zum Göttlichen. Er ist das leibliche Wesen, das 
Gott intendiert und der Durchbruchspunkt des Reiches Gottes ist, in dessen 
zugehörigen Akten sich erst das Sein und der Wert der Welt konstituiert. . . . 
So macht die Intention des Menschen über sich und über alles Leben 
hinaus eben sein Wesen aus. . . . Sein Wesenskern . . . ist . . . jener geistige 
Akt des Sichtranszendierens' (M 298/299). Noch deutlicher spricht sich 
dies in den ,Abhandlungen und Aufsätzen' aus (jetzt ,Vom Umsturz der 
Werte') : , Alles spricht dafür, daß dieser Wesensschnitt durch den Men- 
schen als Natureinheit hindurchi'eicht und es iimerhalb der Menschheit 
eine Scheidung gibt, die unendlich größer ist als die zwischen Mensch und 
Tier im naturalistischen Sinne. . . . Erst in der Rückschau vom Gott- 
menschen und Übermenschen, ein Wort, das schon Luther prägte, wird 
das, was so etwas werden kann, zum Menschen' (ÜW 1 302/303). ,Mensch . . . 
ist die Intention und Geste der Transzendenz selbst, ist das Wesen, das 
betet und Gott sucht. Nicht der Mensch betet — er ist das Gebet des 
Lebens über sich hinaus; er sucht nicht Gott — er ist das lebendige X, 
das Gott sucht' (üW I 295/296). ,Das Christentum . . . [macht] eine ins 
Innere und Ontologische der Person gehende Grenze innerhalb der Mensch- 
heit . . ., die , . . die Grenze der Vemünftigkeit und Vernunftlosigkeit, welche 
nach antiker Vorstellung zwischen Mensch und Tier besteht, ganz und gar 



Der Mensch ,in' Gott. 173 

hinter sich läßt und als relativ gleichgültig erscheinen läßt. Das ist der 
Unterschied des Natur- und Gnadenstandes, des fleischlichen und wieder- 
geborenen Menschen, des, der im ewigen Lehen steht, der ein Kind des Gottes- 
reiches ist, und der es nicht ist ; in der schärfsten Formulierung Augustins, 
. . . desVerworfenen und Auserwählten. Der fleischliche und natürliche Mensch 
unterscheidet sich nach altchristlicher Anschauung vom Tiere nur graduell, 
nicht wesenhaft : erst im Wiedergeborenen bricht eine neue Ordnung und 
eine neue absolute Seins- und Wesenschicht zutage. Erst hier erscheint 
eine neue Art des Seins und Lebens, ein übermenschliches, übertierisches ; 
wogegen Vernunft nur als eine Höherbildung natürlicher, auch im Tierreich 
vorhandener Anlagen gilt' (UWI171/172V. 

Zu dieser Auffassung paßt dann auch in etwa ^, daß Scheler die Einheit 
der ,Welt' erst durch ,Gott' gewinnen läßt, so daß ,Gott' fast ihre ,im- 
manente' Einheit wird. ,Die Welt ist Welt (und nicht Chaos) und die 
Welt ist eine Welt nur, wenn und weil sie Gottes Welt ist — wenn und 
weil derselbe unendliche Geist und Wille in allem Seienden tätig und 
kräftig ist. Genau wie die Einheit der Menschennatur in letzter Linie 
nicht ruht in aufweisbaren Naturmerkmalen des Menschen, sondern in 
seiner Gottesebenbildlichkeit imd die Menschheit als Ganzes nur eine 
Menschheit ist, wenn alle Personen und Gliedteile vermöge ihrer Ver- 
knüpfung mit Gott auch untereinander rechtlich imd moralisch verbunden 
sind, so ist auch die Welt nur um Gottes Einheit willen eine Welt. Der 
Pantheismus, der den Weltcharakter des Seienden und die Einzigkeit der 
Welt schon setzt unabhängig von Gott, begeht nur denselben Irrtum auf 
gröbere Weise, den auch diejenigen begehen, die von einer schon voraus- 
gesetzten Einheit und Einzigkeit eines Weltbestandes auf das Dasein Gottes 
schließen' (E 287/288). 

Wenn wir dieses Ganze in die gewohnten dogmatischen Aus- 
drücke kleiden, so wäre also zu sagen: Nach Scheler gehört 
die gnadenhafte »Teilnahme an göttlicher Natur', also die Grnade 
in ihrem besondern Übernatursinn, zum eigentlichen Wesen 
des Menschen, so sehr daß er erst durch sie ,Mensch' ist und 
infolgedessen die Gresamtwelt erst durch diese Gottesteilnahme 

^ Diese Darlegung ist natürlich schon rein historisch nicht haltbar. Die 
Patristik und insbesondere Augustin betonen das Vernunft- Willensleben des 
Menschen im Gegenteil so sehr, daß die ,Teilnahme an Gott' sich stellen- 
Aveise fast in ihm auszudrücken scheint (vgl. dieses Kapitel § 2 und 
Anhang § 2, Nr. 1). 

^ ,In etwa'; denn der Hauptgrund für diese Lehre liegt doch wohl in 
der phänomenologischen , Wesensschau', die das Wesen nicht .erschließt', 
sondern direkt ,schaut', also Gott schaut in der Einheit der Welt (vgl. 
S. 10 .ff. 20 ff.). 



174 IV- Natlirliclie Eeligioii und Offenbarungsreligion, 

des Menschen ,Welt' ist. Dazu kommt, daß diese Sclielersclie 
»Teilnahme an göttlicher Natur' in ,geistigen Akten' zu be- 
stehen scheint; freilich spricht er auch wieder von einem 
Schnitt ,im Ontologischen'. Wir stehen also durch diese 
Übernaturlehre Schelers vor der Frage : Bedeutet sie tatsächlich, 
wie die Worte liegen, eine Naturalisierung und Psychologisierung 
der objektiv-realen und strikt übernatürlichen Gnade, — im 
klaren Gegensatz zum kathoHschen Dogma? 

Das Problem kehrt schärfer wieder, wenn wir nun an die 
Schelersche Ableitung der übernatürlichen Gnadengemeinschaft, 
der Kirche, herantreten. 

2. Gottesgemeinschaft und Kirche. 

Aus dem zweiten Datum, daß der Wert des ,Heiligen' zu- 
gleich der unteilbare schlechthin ist und doch und darum der 
am reinsten mitteilbare, ergibt sich die Idee der , Gottes- 
gemeinschaft' als wesenhafter Folge der Gottesidee (M 91 f.). 

jWie aber die Einheit und Einzigkeit der "Welt ... im Wesen eines kon- 
kreten persönlichen Gottes [gründet], so ist auch alle Wesensgemeinschaft 
von individuellen Personen nicht in irgend einer Vemunftgesetzmäßigkeit 
oder einer abstrakten Vernunftidee gegründet, sondern allein in der mög- 
lichen Gemeinschaft dieser Personen zur Person der Personen, d. h. in der 
Gemeinschaft mit Gott' (M 412/413). 

,Die in der Rangordnung der Werte höchste Modalität, das Heilige als 
Personenwert, das Heil als Gesamtpersonwert, d. h. das (solidarische) Ge- 
samtheil ist gleichzeitig die unteilbarste und eben darum mitteilbarste der 
Wertmodalitäten. Darum kann auch die Gesamtperson, die auf das Ge- 
samtheil bezogen ist, ilirem Wesen nach nur eine sein. Die Einheit der 
Kii'che bei gleichzeitiger möglicher Vielheit schon der Gesamtkulturpersonen 
(erst recht der übrigen Gesamtpersonen) ist also ein apriorischer Satz. Der 
solidarische Einschluß aller möglichen endlichen Personen in mein Heil 
und meines Heiles in das Heil aller endlichen Personen ^ liegt im Wesen 
einer Gesamtintention, die auf den Wert aller Dinge in der absoluten Seins- 
und Wertsphäre gerichtet ist' (M 577). ,Dies . . , folgt mit Notwendigkeit : 
daß schon im Wesen der natürlichen Religion und Gotteserkenntnis wie 
Gottesanbetung und -Verehrung es gelegen ist, daß sie . . . eine gemein- 



^ Scheler schließt hier auch ausdrücklich die Engel ein (M 581 ; E 167 u. a.), 
Avas der theologischen Idee der Kirche natürlich widerspricht. 



Kirche als Gottesgemeinschaft. 175 

schaftlich-cooperative sein muß. Insofern ist die Idee der Kirche als einer 
irgendwie organisierten gemeinsamen Gotteserlcenntnis und -Verehrung, 
femer — unter monotheistischer Voraussetzung — die einer Aveltumfassenden 
Kirche nicht erst ein auf positiver Erfahrung beruhender Lehrgehalt, sondern 
schon ein aus der Natur eben der Gotteserkenntnis folgendes Postulat. . . .. 
Durch den Satz des Primates der Liebe vor der Erkenntnis wird dieser 
rein erkenntnistheoretisch-soziologische Grtmdsatz noch dahin spezifiziert, 
daß Liebe zu Gott als Bedingung seiner Erkenntnis Liebe zu den auf Gott 
einträchtig bezogenen Brüdern notwendig in sich einschließt — und zwar 
an erster Stelle solidarische Heilsliebe zu den Brüdern. Wer also nicht 
auf diesem Wege zu seiner Erkenntnis Gottes als Geist kommt, irrt not- 
wendig. Dies ist das Fundament für den Wesensbegriff der Häresie' 
(E 460/461). ,Der . . . Häretiker irrt nicht zuerst darum, weil er materiell 
Falsches über Gott behauptet; er muß vielmehr religiös Falsches wesens- 
notwendig behaupten, weil seine formale Grundeinstellung auf Gott dem 
Wesen des Göttlichen und darum erst auch seiner möglichen Erkenntnis 
überhaupt widerstreitet' (E 693). 

Diese ,Gottesgememschaft' hat ihre ,Infallibilität' und höchste 
Autorität überhaupt unmittelbar aus Wesensnotwendigkeiten, 
die vom Menschen aus gesehen im ,Liebesprimat' bestehen 
(wie wir bereits sahen), von Grott aus gesehen in seiner ,A11- 
güte' gründen. 

jDiese Veranstaltung, die kirchliche Autorität in Heilsdingen, ist darum 
so wenig in ihrem Wesen begriffen, weil man nicht sieht, daß sie ilire 
erste Voraussetzung schon in der Idee eines alliebenden Gottes hat und im 
Satze des Primates der Liebe vor der Erkenntnis, des göttlichen Erlösungs- 
willens vor der Lehrmitteilung . . . Nur das absolute Gut und die heils- 
notwendige Wahrheit ist so beschaffen, daß sie — bei Voraussetzung eines 
persönlichen Gottes — entweder allen oder gar keinem muß zugänglich 
sein. . . . Wer nicht an die Idee der allumfassenden' Heilsanstalt und ihren 
dauernden Wahrheitsbesitz glaubt, der glaubt auch nicht ernsthaft an die 
Allgüte Gottes' (E 699—701). 

Trotzdem hat die Kirche insofern einen ,positiven' Charakter 
als sie der ,fortlebende Christus' ist. 

,Diese Würde besitzt sie nicht durch die individuell-persönlichen Quali- 
täten ihrer Verwalter, sondern vermöge ihres Ursprungs als Stiftung, und 
damit all ihrer Ämter diu'ch den Heiligen Gottes. Denn nichts andres ist 
ja dies absolute Vertrauen . . . als die Fortsetzmig der geistigen Grund- 
haltxmg, welche die Erscheinung des m-sprünglichen Heiligen, des voll- 
kommenen „homo religiosus" von aller Umwelt schon durch sein Sein imd 
Wesen — und erst in zweiter Linie durch seine Werke — fordert; die 



176 IV, Natürliche Eeligion und Offenbarungsreligion. 

Bereitscliaft zu glauben, nur weil er es sagt, da er selbst in persona die 
fleiscbgewordene Wahrheit ist. Die "Übertragung dieser Grundhaltung auf 
seine sichtbare Stiftung, deren unsichtbares Oberhaupt er bleibt und in 
der er auf mystische Weise gegenwärtig ist, macht allein verständlich und 
rechtfertigt es, daß diese und nur diese unter allen möglichen Autoritäten 
auch das höchste und in strengstem Sinne vollkommenste und edelste 
Opfer fordern darf, das ein Mensch opfern kann: das freie Opfer seines 
individuellen Verstandes' (E 702/703). 

Christus zwar gehört der ,Idee' des Gottmenschen nach zu 
den rein philosophisch ableitbaren ,Wesensstufen' der ,homines 
religiosi' (E 377) und ist als ,Gottmensch' der ,natürliche' Ab- 
schluß des Sicherschließens Gottes als Person; denn es ,liegt 
im Wesen der personalen Gottesidee, daß ihre Wahrheit sich 
auch darstellen muß in der geistigen Seinsgestalt einer Person, 
die hier eben als Person die Wahrheit „ist"' (E 695) ^ Aber 
als ,dieser historische Jesus' und vorab als ^Erlöser' ist er 
,positiv theologisch'. ,Der Mensch kann nicht zu seinem Heile 
kommen, es sei denn durch Erlösung. Nur die Tatsache der 
Erlösung ist theologisch positiv in einem freien Willensakte 
Gottes "wurzelnd , nicht diese hypothetische Notwendigkeit' 
(E 502). Die Kirchenidee wäre also zu fassen als eine freie 
positive konkrete Gestaltung einer vorliegenden Wesensnot- 
wendigkeit; nur der ,Christus'-Charakter an ihr ist positiv, 
alles andere wesensnotwendig, d. h. aus dem Wert des Hei- 
ligen abgeleitet. 

Noch mehr Licht auf die Konzeption Schelers fällt, wenn 
wir die weitere Bestimmung des ,Heiligen' als des Höchst- 
wertes hinzunehmen, wodurch er alle andern fundiert, ins- 
besondere aber die sittlichen Werte und geistigen Werte über- 
haupt. Hieraus resultiert für Scheler, daß die , Gemeinschaft 
in Gott' bzw. ,in Christus' wesentlich ein aus Miteinander- 
lieben entspringendes intellektuelles Miteinanderdenken und sitt- 



^ S(^eler nimmt also hier in etwa die scotistische Position ein, nach 
der die Menschwerdung als ,Krönung der Schöpfimg' a priori wenigstens 
»angemessen' ist. 



Kirche als Christusgemeinschaft. 177 

liches Miteinanderleben und hierin Für-einander-verantwortlicli- 
sein ist. Die , Gemeinschaft' wird primär gebildet durch das 
,Seinsverhältnis zur Heilsperson' (= Christus), dessen Wesen 
,Nachfolge' ist; in dieser Nachfolge erst wurzelt die Gemein- 
schaft, die also demnach wesentlich ,Jüngergemeinschaft' ist. 

,Die Selbstgestaltung — ein Werdensprozeß des geistigen Lebens — nach 
dem Vorbild des Heiligen oder des Trägers jener unbedingten Glauben 
fordernden charismatischen Qualität, geht . . . aller positiv religiösen Er- 
kenntnis notwendig voraus. Die in lebendigem Glauben genährte kon- 
tinuierliche und lebendige Reproduktion der geistigen Gestalt des Heiligen 
am Material der nachfolgenden Seelen wird notwendig zur letzten und 
höchsten Quelle auch der Glaubenserkenntnis, d. h. der Erkenntnis und der 
rationalen Formulierung alles dessen, was im Bewußtsein des Heiligen 
von Gott und göttlichen Dingen anschaulich gegenwärtig war. Alle übrigen 
Quellen der Glaubenserkenntnis, als da sind lebendige Tradition, heilige 
Schriften, dogmatische Definitionen einer kirchlichen Autorität, die ihre 
Stiftung auf den ursprünglichen Heiligen zurückführt, sind also von dieser 
letzten Quelle irgendwie abhängig und müssen in dem Geiste, der sich in 
der Reproduktion der geistigen Seinsgestalt des Heiligen immer neu bildet, 
aufgefaßt, interpretiert, gebraucht werden' (E 696). Es handelt sich ,um 
echte Wesens- und Gestaltsidentifizierung (nicht Daseinsidentifizierung) der 
Person Christi mit der eigenen Person — nicht im Sinne bloßen Wissens 
und Bewußtseins, sondern eines Werdens, ümbildens, Einbildens der eigenen 
Personsubstanz in die Person Christi — kurz eines ontischen Prozesses. 
Dieses Werden aber erfolgt durch den Akt der restlosen Einsetzung und 
Einsetzung der eigenen Person . . . für und in Christus, die dann ohne 
weiteres auch Mit- und Nachvollzug seiner realen Akte mit sich führt. 
. . . [Es ist] . . . geistig praktische Selbsti dentifizierung mit einer Person — volles 
Sichselbsteinsetzen für sie und in sie. . . . Einsetzung der Personensubstanz 
hat Einsdenkung, EinswoUung, Einsfühlung dann allererst im Gefolge — und 
damit Um- und Einbildung des eigenen Selbst in Wesen und Gestalt des 
Meisters; eine dauernde dynamische Kette von immer neuen Gestalt- 
reproduktionen der geistigen Gestalt des Meisters im Material der eigenen 
psychischen Gegebenheiten — vergleichbar der transversalen Wellen- 
bewegung, bei der die Wellengestalt auf immer neue Wasserteilchen über- 
tragen wird. Dieser Einsetzung gegenüber, wie wir sie bei Paulus finden, 
ist selbst alle „imitatio Christi" späterer Zeiten schon ein abgeleitetes, 
indirektes Verhalten, obzwar auch hier keinerlei „Nachahmung" im wört- 
lichen Sinne besteht (die stets ein Prozeß von außen nach innen ist, also 
mit der Gebärde, bzw. der Handlung beginnt), sondern ein Mit- und Nach- 
vollziehen der geistigen Akte der Person selbst und ihrer Gesinnungs- 
haltungen. . . . Daß solcher „Glaube an" als Geschenk, als Gnade, als 
verliehen — nicht als spontane Leistung der Person — erlebt werden 
Przywara, Eeligionsbegründung. 12 



178 IV- Natürliche Religion und Offenbarungsreligion. 

muß, ist — wenn man sein Wesen einmal verstanden hat — ein geradezu 
analytischer Satz' (SyM01/102)i. 

Aus dieser wenngleich ontisch gedachten, aber doch stark 
ins Ethische spielenden Fassung des Grliedverhältnisses zum 
jLeibe Christi' ergibt sich dann mit innerer Notwendigkeit, dafs 
auch das Verhältnis der Einzelnen zu einander stark im ethisch- 
intellektuellen sich zu erschöpfen scheint. 

So resultiert nach der Seite des Intellektuellen das Ver- 
hältnis des gegenseitigen Sichergänzens zu einem , Gesamt- 
erfassen Gottes', wie wir es bereits früher darstellten (oben 
S. 47ff.). 

,In der Gotteserkenntnis — als »ideal adaequat" gedacht — ist kein 
Mensch und keine Gruppe von Menschen durch einen anderen Menschen 
oder eine andere Gruppe ersetzlich. Ehen weil der religiöse Akt der per- 
sönlichste und individuellste Akt des Menschen ist, ist er notwendig ein 
Akt, der erst in der Form des gemeinsamen Miteinander vollständig zu 
seinem Gegenstand führt. Die Form der Liebes- und Heilsgemeinschaft 
ist also für die religiöse Erkenntnis im Gegensatz zu jeder anderen Er- 
kenntnis konstitutiv. Da jede geistige Seele eine einzigartige Idee Gottes 
ist und nie bloß Exemplar einer Seele, so hat sie auch eine einzigartige 
Erkenntnis in der Fülle des Göttlichen zu ihrer Bestimmung' (E 558). 

Nach der Seite des Ethischen ergibt sich jenes Prinzip der 
sittlichen Solidarität, das Dostojewski seinen Staretz Sossima 
als Inbegriff seiner Lebens- und Weltanschauung aussprechen 
läßt, das als innerliche Überwindung des Weltbildes Iwan 
Karamasoffs sich gibt und dessen Verkörperung Aljoscha ist^. 



^ An dieser Stelle zeigt sich, wie Scheler immer noch zwischen einem 
ontischen ,in Christo' und einem psychologischen Einssein mit ihm (,Glaube 
an') schwankt. Vgl. dieses Kapitel § 1, Nr. 3. 

2 Vgl. Ausgabe Moeller van den Brück 1 318 II 610—730 (München 1919). 
Auch nach der Seite der Erkenntnisfunktion der Liebe hin zeigt sich diese 
Verwandtschaft mit Dostojewski, die' freilich zugleich eine Verwandtschaft 
mit Franz v. Baader ist, der ebenso die .erkennende Liebe' an die Wurzel 
seiner Erkenntnislehre setzt. Staretz Sossima sagt u. a. (I 101) : ,In dem 
Maße, wie Sie in der Liebe fortschreiten, werden Sie sich auch vom Sein 
Gottes und von der Unsterblichkeit Ihrer Seele überzeugen. Wenn Sie 
aber in Ihrer Liebe zum Nächsten bis zur vollen Selbstverleugnung ge- 
kommen sind, dann werden Sie auch den vollen Glauben errungen liaben, 



Kirche als Erkenntnisgemeinschaft und sittlicher Solidarismus, 179 

Staretz Sossima sagt : ,Denn wisset, meine Lieben, dais ein jeder von uns 
schuldig ist für alle und für alles auf der Welt, das ist unanfechtbar — und 
nicht nur durch die allgemeine Weltschuld, sondern ein jeder einzeln für 
alle Menschen und für jeden Menschen auf dieser Erde. Diese Erkenntnis 
ist die Krone des Lebens sowohl jedes Einsiedlers wie jedes Menschen in 
dieser Welt. . . . Dann erst, weim alle das verstanden haben, wird sich 
unser Herz in dieser unendlichen, allumfassenden Liebe weiden, die keine 
Sättigung, also auch keinen Tod kennt.' 

Scheler stellt als streng wesensnotwendigen Satz auf : ,Da9 Prinzip der 
Solidarität in Gutem und Bösem, Schuld und Verdienst, besagt, es gäbe 
neben und unabhängig von der verschuldeten Schuld eines jeden Individuums 
(bzw. der selbstverdienten Verdienste) noch eine Gesamtschuld und ein 
Gesamtver dienst, das nicht in die Summe jener erstgenannten aufzurechnen 
sei und an denen jedes Individuum (in bestimmter, wechselnder Weise) 
teilhabe; es sei eben daher jedes Individuum nicht für seine eigenen 
individuellen Akte, sondern auch für die aller andern ursprünglich mit- 
verantwortlich. . . . Ihre [von Gesamtschuld und Gesamtverdienst] Träger 
sind das Miteinanderwollen, Miteinanderlieben, Miteinanderhassen, die . . . 
nichts mit der Summe inhaltsgleicher individueller Wollungen zu tun- 
haben' (M 517). 

jDiese Einheit ... ist diejenige, von der wir behaupten, daß sie und 
sie allein den Kern und das ganz Neue des echten altchristlichen Ge- 
meinschaftsgedanken ausmache und hier gleichsam zuerst zur historischen 
Entdeckung kam, — eines Gemeinschaftsgedankens, der Sein und nnauf- 
hebbaren Selbstwert der individuellen (kreationistisch gefaßten) Seele und 
Person (gegenüber der antiken Korporationsidee und dem jüdischen Volks- 
gedanken) in ganz einzigartiger Weise mit dem auf die christliche Liebes- 
idee gegründeten Gedanken der Heilssolidarität Aller im „corpus christianum" 
(gegenüber allem bloß gesellschaftlichen, jede sittliche Solidarität leugnenden 
Ethos der Gesellschaft) vereinigt . . . Die Mitverantwortlichkeit ist . . . zwischen 
Einzel- und Gesamtperson eine gegenseitige und schließt gleichzeitig Selbst- 
verantwortlichkeit beider nicht aus. Was die Vorverantwortlichkeit aber 
betrifft, so besteht weder eine letzte Verantwortlichkeit der Einzelperson 
vor der Gesamtperson wie in der Lebensgemeinschaft noch eine letzte 
Verantwortlichkeit der Gesamtheit vor den Einzelnen (oder der Summe 



und kein Zweifel wird sich dami mehr in Ihre Seele einschleichen können.' 
Damit vergleiche man etwa Augustin (In lo. tract. 17, 8) : ,Da du Gott 
noch nicht siehst — in Liebe zum Nächsten mühst du dich hin, Ihn zu 
*^ schauen; in Liebe zum Nächsten reinigst du das Auge, daß es Gott er- 
schaue : liebe den Nächsten und schaue hinein in dich, woraus deine Liebe 
q.uillt: hier wirst du, soweit du kannst, Gott schauen.' Was bei Augustin 
(wie wir früher zeigten) aus dem Datum des ,Haupt und Leib ein Christus' 
als positivem Datum- folgt, ergibt sich für die obigen Religionsphilo- 
sophen aus psychologischen Erwägungen ! 

12* 



180 IV. Natürliche Religion und Offenbarungsreligion. 

bzw. Majorität dieser) wie auf der Stufe der Gesellschaft (Majoritätsprinzip). 
Wohl aber sind Gesamt- wie Einzelperson verantwortlich vor der Person 
der Personen, vor Gott, und zwar ebensowohl nach ihrer Selbstverant- 
wortlichkeit als nach ihrer Mitverantwortlichkeit. . . . Es wird von einem 
Prinzip vertretbarer Solidarität zum Prinzip der unvertretbaren Solidarität. 
Die Einzelperson ist für alle Einzelpersonen nicht nur „in" der Gesamt- 
person und als deren Glied mitverantwortlich als Vertreter eines Amtes, 
einer Würde oder sonst eines Stellenwertes in der Sozialstruktur, sondern 
sie ist es auch, ja an erster Stelle, als einzigartiges Personindividuum und 
Träger eines individuellen Gewissens. . . . Der Satz, daß es außer dem 
allgemeingültig An-sich-Guten auch noch ein individualgültig An-sich-Gutes 
gäbe, schließt also das Prinzip der Solidarität so wenig aus, daß es vielmehi' 
dieses Prinzip erst auf die höchste Form fühi-t, die es annehmen kann. . . . 
Erst durch seine Geltung wird die gesamte moralische Welt ... zu einem 
großen Ganzen, das bei jeglicher, auch der kleinsten Veränderung in ihm 
als Ganzes steigt und fällt, als Ganzes in jedem Moment seines Seins 
einen einzigartigen sittlichen Gesamtwert besitzt (ein Gesamtgutes und 
ein Gesamtböses, eine Gesamtschuld und ein Gesamtverdienst), die niemals 
als eine mögliche Summe des Bösen und Guten in den Einzelnen, niemals 
als Summe ihrer Schuld und ihres Verdienstes angesehen werden kann ; an 
dem aber jegliche Person — Einzel- wie Gesamtperson — nach der Maß- 
gabe ihrer einzigartigen Gliedschaft teil hat. Stellen wir uns etwas vor 
wie ein Weltgericht, so würde vor dem höchsten Richter keiner allein 
gehört werden: Alle zusammen müßten sie dem höchsten Richter in der 
Einheit eines Aktes Rede stehen und alle zusammen müßte das Ohr des 
höchsten Richters in einem Akte sie vernehmen. Keinen würde er richten, 
bevor er nicht alle mitvemommen hat, mitverstanden, mitgewürdigt; und 
in jedem würde er das Ganze ebensowohl wie das Ganze in Jedem mit- 
richten' (M 555-557). 

Eine Art Vollendung erhält dann diese intellektuell-ethische 
Gemeinschaft in der Opfergemeinschaft, indem nach Scheler 
die einzig durchschlagende Lösung des Leidproblems letztlich 
das Sichopfern der Glieder zum Heil des ganzen Gemeinschafts- 
leibes ist. 

,Nur da, wo das Ganze als Ganzheit (totalitas) in seinen Teilen wirkt, 
ist und lebt, die Teile aber nicht nur im Ganzen, sondern auch „für" das 
Ganze wirken, kann zwischen Teil und Ganzem vom Opfer die Rede sein [ 
und besteht die Möglichkeit von Auftreten von Leiden (irgendwelcher Art). ' 
Nur in diesen Fällen heißen die Teile des Ganzen auch seine „Glieder" | 
(Organa) : und nur in diesem Falle besteht zwischen Ganzem und Teil das f, 
übersummenhafte Verhältnis der „solidarischen Verknüpfung", insofern im a 
Süme des Herrschens und Leidens und Lenkens das Ganze „für" die Teile | 
ist, aber auch im Sinn des je spezifizierten Dienens, Geleitet-, Gelenktseins | 



Kirche als Schmerzgemeinschaft, 181 

die Teile «für" das Ganze. In einer formal rein mechanisch suramenhaften 
Welt könnte es schon die Möglichkeit von Leid und Schmerz nicht geben — 
geschweige diese seihst. Aber auch in einer Welt, deren Teile keine selb- 
ständigen, mit Eigenschaften ausgerüsteten Substanzen wären, sondern nur 
ausschließlich im Dasein und Sosein vom Ganzen „abhängige" Teile („Modi" 
des Ganzen oder gar nur subjektiv herausgeschnittene Seitenansichten des 
Ganzen, „Gesichtspunkte" auf das Ganze) fehlte dem Leide und Schmerze 
die Minimumbedingung seiner möglichen Existenz. . . . Denn immer erst 
der Widerstreit selbständiger und eigengesetzmäßiger Teile zu ihrer Funk- 
tionsstellung in einem Ganzen, mit dem sie solidarisch sind und das es mit 
ihnen ist, ist der allgemeine ontologische Grund zur Möglichkeit von Leid 
und Schmerz in einer Welt überhaupt, wie immer auch die besonderen 
causae secundae aussehen mögen, die Leid und Schmerz im irdischen Lebe- 
wesen in dieser und jener Form hervorrufen. . . . Liebe als Urkraft aller 
Verbandsbildung (im Eaume) und aller Fortpflanzung (in der Zeit) schafft 
daher erst die Vorbedingungen des „Opfers", die sowohl Tod als Schmerz 
sind. . . . Alles Leiden ist „stellvertretend" und zuvorkommend, damit das 
Ganze weniger leide. . . . Alle Liebe ist Opferliebe — Opferecho eines 
Teiles für ein sich umformendes Ganzes im Bewußtsein. . . . Das Opfer 
enthält beides: die Freude der Liebe und den Schmerz der Abgabe von 
Leben für das, was man liebt. Das Opfer war und ist in gewissem Sinne 
vor der Freude und vor dem Schmerze und beide sind nun seine Aus- 
strahlungen und seine Kinder. . . . Ihre höchste Einung, Verdichtung, Syn- 
these erst im reinsten und höchsten Liebesopfer stellt den Höhepunkt des 
Lebens dar: Verlieren und Gewinnen werden in ihm identisch. ... Es ist 
die Lust der wachsenden Liebe, der extensiv und intensiv wachsenden 
Gemeinschaft und Geschichtlichkeit des Lebens, die den in diesem Wachsen 
notwendig mitwachsenden Schmerz schließlich überkompensieren muß' 
(SM I 52-70). 

So reduzieren sich diese drei Gemeinschaf tsformen, Er- 
kenntnisgemeinschaft, Lebensgemeinschaft und Opfergemein- 
schaft, auf jene früher entwickelte Grundgemeinschaft der 
Liebe, die Gott ist. Die Liebesbewegung des weltschaffenden 
und' welterlösenden Gottes quült weiter in der, gemeinsames 
Erkennen, Leben und Leiden emportreibenden, Liebe zu ein- 
ander, und darum ist Liebe für Scheler das Sein: analogia 
entis der ungeschaffenen und geschaffenen Liebe, wie wir 
I früher sahen (S. 109 f.). 

1 ,Das absolute Sein selbst ist . . . bis in seinen Kern schöpferische Liebe 
I und gleichzeitig allbarmherziger Drang der Selbstmitteilung, der Selbst- 
erschließung. Ist aber solches das Wesen des absoluten Seins . . ., so kann 



182 IV. Natürliche Religion und Offenbarungsreligion. 

es dem Menschen gar nicht anders zur Gegebenheit kommen als so, daß 
er seiner Seele Quell unmittelbar in diesen Urquell alles blofs statischen 
Seins hineingestellt und von ihm gespeist erlebt; daß er also die Liebes- 
bewegung, die ja eben Gott ist, nachvollzieht, mitvollzieht, Ist weiter ein Ziel 
dieser göttlichen Liebesbewegung Ei'barmen mit dem Menschen, Liebe zum 
Menschen, so kann es Gottesliebe, die nicht zugleich Nächstenliebe wäre, 
auch gar nicht mehr geben. Nicht zwei getrennte Akte sind es . . ., -in 
denen wir in der Gottesliebe Gott und in der Nächstenliebe den Nächsten 
umfassen — etwa nur, um ein „Gebot Gottes" zu erfüllen. Und noch 
weniger ist . . . die Nächstenliebe nur ein Glied im Gefüge der negativen 
asketischen Leistungen, durch die wir uns entleiblichen, entsinnlichen und 
hierdurch erkennend mit Gott in Berührung treten sollen. In der Kon- 
tinuität eines und desselben Aktus vielmehr, in welchem sich die Seele 
in der Gottesliebe zu Gott erhebt, neigt sie sich auch zum Menschen — 
und das wäre nicht der allbarmherzige Gott . . ., den sie erfaßt, bliebe das 
Ausschlagen der Gottesliebe in Nächstenliebe aus. ... In dieser Augusti- 
nischen Auffassung des Doppelgebotes der Gottes- und Nächstenliebe 
(Matth. 22) als eines dynamischen Aktes ist . . . die Seele der echten 
evangelischen Christlichkeit überhaupt formuliert' (SW I 168/169). 

Diese Gremeinschaftsformen der Liebe stehen nun freilich nach 
Scheler zur ,positiven' Kirche gewiß nicht in dem Verhältnis, 
daß diese ihre ,notwendige' Ausgestaltung wäre, wohl aber ist 
die Kirche ihre »tatsächliche' Ausgestaltung (vgl. B 159 u. a.). 
Aus den Ausführungen Schelers ergibt sich also, wie wir 
bereits sahen (oben S. 175 ff.), nicht die Notwendigkeit der Kirche 
als dieser ,Kirche Christi', wohl aber ihre Notwendigkeit als 
,religiöse Gemeinschaft' des Miteinander der Grotteserkenntnis 
und Gottesnachfolge, Das im Wesen der Gotteserkenntnis 
und des Sittlichen liegende ,Miteinander' ist in der bestehenden 
,Kirche Christi' als einer in sich positiven Einrichtung ,tat- 
sächlich' verwirklicht. Die Kirche als ,Erlösungsanstalt' ist 
theologisch positiv, die Kirche als Form des ,Miteinander' ist 
wesensnotwendig. 

Läßt sich so der Gemeiuschaftsidee Schelers in ihrer An- 
wendung auf die Kirche ein wahrer Sinn abgewinnen, so ist 
es aber nicht möglich seine Auffassung über die sakramentale 
Seite der Kirche, vorab wie sie neuerdings hervortritt, zu 
rechtfertigen. So erscheinen in seiner Analyse des Reue- 



Kirche als Liebesgemeinschaft. 133 

Vorgangs Sündenvergebung und Grnadeneingießung als fast nur 
Symbole der ethischen Wirkung der Reue (B 21 ff. 50 ff.) Die 
Eucharistie erscheint als fast nur ein ,voll Seligkeit inne 
werden dieser heiligen, höchsten Grliedschaft in Liebe, Leiden 
und Dienstschaft im Leibe Christi' (E 167), ja Scheler spricht 
gelegentlich seiner Einsfühlungstheorie von einer ,magischen 
Einfühlung in Blut und Leib des Herrn in den Formen von 
Wein und Brot' (Sy^ 100); ,wenn Paulus sagt (Gal. 2, 20): „Ich 
lebe, aber nicht ich, sondern Christus lebt in mir", so haben 
wir nur die geistige Form jener Grestalteinswerdung vor uns, 
die magisch im Sakrament des Abendmahls nach Paulus dog- 
matisch festgelegt zu werden beginnt' (Sy^ 102). Endlich 
erscheinen Kult und Liturgie als fast nur Wachstumsmittel 
der religiösen Erkenntnis (E 555). Lides ist es auffallend, 
daß Scheler gerade an jener Stelle, wo er in befremdlicher, 
das katholische Empfinden verletzender Weise sich in Heilersche 
Termini verirrt, doch wieder von Transubstantiation redet: 
,Die durch die Einsetzung des Abendmahles ewig nach heiliger 
Vorschrift in Blut und Leib des Herrn substantiell wandel- 
baren Naturkörper „Wein" und „Brot" . . .' (Sy^ 100). Ferner 
wahrt er im ,Ewigen im Menschen' doch prinzipiell den opus 
operatum Amtsbegriff: ,nicht durch die individuell-persönlichen 
Qualitäten ihrer Verwalter, sondern vermöge ihres Ursprungs 
als Stiftung . . .' (E 702). Endlich bedeutet seine Abhandlung 
,Von zwei deutschen Krankheiten'^ eine unmißverständliche 
ganz entschiedene Absage an jenen Geist protestantischer 
Innerlichkeit, der aus seiner tiefsten religiösen Einstellung 
heraus alles Sichtbar-Religiöse verwirft. So werden wir wohl 
gerechter urteilen, wenn wir in Schelers Stellung zur sakra- 
mentalen Seite der Kirche mehr das Zwiespältige und Un- 
geklärte, das ihr zu Grunde liegt, beachten, als die offenbar 
dogmatischen Irrtümer, die in einzelnen Stellen liegen. 

^ Darmstadt 1919 (in ,Der Leuchter'). Vgl. ähnlich ,Vora Umsturz der 
1 Werte' II 283 ff. 



184 IV- Natürliche Religion und Offenbarungsreligion. 

Wenn wir richtig sehen, so ist es eine falsche Auffassung 
von einem sozusagen rein dinglichen Charakter der Sakra- 
mente, die Scheler zu seinen Äußerungen verführt. Die Sakra- 
mente können eben nur verstanden werden im großen Zu- 
sammenhang des patristischen ,Haupt und Leib Ein Christus', 
Dann sind sie nichts als das Wirken des fortlebenden Christus, 
die Formen seines Fortlebens. Sie sind nur darum ,dinglich' 
und ,juridisch', um gerade das Leben und Wirken Christi 
unter allen Menschen aller Zeiten zu ermöglichen. Sie sind 
gerade in ihrer ,Dinglichkeit' und ihrem jRechtscharakter' die 
Gewähr für dieses Leben und Wirken Christi. Sie sind gerade 
— • so paradox es klingen mag — die Gewähr religiöser Frei- 
heit gegenüber menschlichem Eindringen und menschlicher 
Willkür. Denn die Amtshandlung des Priesters ist ,religiöse 
Handlung' nur als ,Christushandlung'. Sie ist wesenhaft ,un- 
persönHch', weil nur die ,Christushandlung' persönlich sein soU. 
Das ganz keusch-verborgene ,Christus und ich' ist Sinn der 
katholischen Sakramentenlehre, — im Gegensatz zum neu- 
protestantischen (Söderblom-Heiler) Persönlichkeitsstandpunkt, 
der das Heiligtum intimen religiösen Lebens gemeindlicher 
Menschenbeeinflussung ausliefert^. Das Gleiche gilt für den 
Anteil des Sakramentsempfängers. Auch hier ist das Moment 
des ,Dinglichen' und ,Juristischen', wie es am stärksten in der 
Taufe sich ausprägt, im Grunde nur die notwendige ,Distanz 
der Ehrfurcht' gegenüber Christus wie Christ. In der Söder- 
blom-Heilerschen Umdeutung der sakramentalen Objektwelt 
in eine ,sakramentale Mystik' wird sowohl Christus zu einer 
Objektivation subjektiver Zustände erniedrigt als auch der 
Christ im Realgrund seiner Verbindung mit Christus an den 
Wechsel seiner Gefühlszeiten ausgeliefert. Die echte prote- 
stantische sola -fides- Lehre hat insofern noch katholisches 
Distanzgefühl, als sie kraft ihrer ,Alleinwirksamkeit Gottes' 



Fr. Heiler, Katholischer und evangelischer Gottesdienst (München 1921). 



Kirche als olbjektiver ,Haupt und Leib Ein Christus'. Ig5 

in der Sakramentwirkung direktes Gnadenwirken Gottes sieht. 
Zwar beseitigt sie das ,opus operatum' der Sakramenthand- 
lungen, aber wieder nur, um es in das ,Wort' zu verlegen, 
so daß man die echte protestantische Sakramentlehre als ein 
,opus operatum' des ,Wortes' bezeichnen kann^ Söderblom- 
Heiler aber wollen das katholische Sakramentsleben herüber- 
nehmen ohne den protestantischen Wort-Standpunkt zu ver- 
letzen. Die Folge ist, daß sie auch das protestantische 
Opus-operatum aufgeben müssen und praktisch beim Simmel- 
schen Standpunkt der Objektivation subjektiver Zustände an- 
langen, so daß die Vereinigung des Christen mit Christus von 
vornherein jenes Wesenselement einer Selbständigkeit beider 
Personen zerstört, das gerade Scheler gegenüber aller (von 
Söderblom-Heiler vertretenen) Einswerdungsmystik so scharf 
betont. Der sakramentale Vorgang ohne das strenge katho- 
hsche ,opus operatum* ist nur eine ümlagerung, besser eine 
Umbenennung innerhalb des eigenen Selbst, indem nun ein 
Seligkeitserlebnis ,Christus' genannt wird. Es ist, wie auch 
sonst, nur eine Alternative: entweder das katholische ,opus 
operatum', das die personale Selbständigkeit Christi und des 
Christen gewährleistet — oder die Fichte-Schelling-Hegelsche 
,Christuswerdung' des Menschen als ein immanentes Ent- 
wicklungsstadium des Bewußtseins. Gewiß schließt auch der 
strenge katholische Opus-operatum-Standpunkt eine richtig 
verstandene ,Sakramentsmystik' nicht aus, im Sinne eines 
psychologischen Sich-Identifizierens mit Christi Lebensgesinnung, 
eines Lebens und Atmens mit seinem Leben und Atmen. Im 
Gegenteil, dieses bewußte Leben mit Christus setzt für seine 



^ Das hat Ernst Troeltsch vorab in seinen ,Soziallehren der christlichen 
Kirchen und Gruppen' (Tübingen 1912) klar herausgestellt. Aber auch 
Rud. Otto stimmt hier tiberein (Anschauung vom Heiligen Geist 52 ff.), 
wenngleich er den subjektivierenden Begriff der ,Motivation' einführt und 
damit Heiler vorbaut. Scharf und unverfälscht liegt das Wort-,opus 
operatum' bei Barth und Gegarten. 



186 IV. Natürliche Religion und OfFenbarungsreligion. 

Gesundheit und Geklärtlieit gerade das katholisclie Opus-opera- 
tum voraus, indem dieses bewußte Leben mit Christus eben 
nur das im Glauben vollzogene Sich-Bewußtwerden über das 
reale Leben mit Christus ist. Wie das eigene innersubjektive 
Selbstbewußtsein das reale Ich voraussetzt und nur das Sich- 
Bewußt-sein dieses realen Ich ist; wie die natürliche Gottes- 
religiosität das reale Verhältnis des ,aus- und in-Gott-seins' 
der metaphysischen ,analogia entis' voraussetzt, und wie wir 
früher sagten, darum im tiefsten Grunde nichts ist als das 
Sich-Bewußtwerden über die metaphysische Tatsache : — genau 
so setzt auch alles subjektiv bewußte ,Leben mit Christus' 
das reale Leben mit Christus voraus und ist das ,Sich-Bewußt- 
sein' über dieses, freilich ein ,Sich-Bewußt-sein' des Glaubens, 
weil eben dieses reale Leben mit Christus eine übernatürliche 
Realität ist. So ist es weder wahr, daß die Christusfrömmigkeit 
formal im Sakramentenempfang als solchem bestehe, noch, 
daß der Sakramentenempfang nur ein , anschauliches Symbol' 
objektfreier ,Sakramentsmystik' sei. Vielmehr setzt Christusr 
frömmigkeit den Sakramentenempfang voraus, wie Selbst- 
bewußtsein das reale Ich voraussetzt und Gottesreligiosität 
das metaphysische ,aus und in Gott sein'. Die subjektiv- 
religiösen Akte aber, die als sogenannte ,Vorbereitung' für den 
Sakramentenempfang erfordert sind, leiten sich einzig und allein 
aus der Natur des Vorgangs eines realen Einswerdens mit einer 
fremden Person her, insbesondere hier der Person des Gott- 
menschen mit einer geschöpflichen Person oder gar einer sün- 
digen Geschöpfperson (Taufe, Beichte)^. 

Schelers Gesamtableitung der Ejrche endlich fußt letztlich 
auf jenem ungeklärten ,Teilnahme'-Verhältnis' das wir oben 
sahen (S. 171 ff.). Das ontisch-intellektuell-ethische ,Miteinander' 
ist fundiert im ,Miteinander' der ,Teilnahme am Heiligen' : die 



^ Vgl. Peter Lippert, Die Sakramente Christi (Credo 6; Freiburg 1923) 
sowie vom Verfasser, Christus (Himmelreich der Seele 5 ; Freiburg 1923), 
ebenso J. H. Nevvman, Christentum III 75 ff. 



Sakramententum als ontologisches ,in Christus'. 187 

übernatürliche ,Gescliwisterschaft' ist nur die andere Seite der 
übernatürlielien ,Kindscliaft'. Die Frage von oben kehrt also 
dringlicher wieder: Wie wahrt Scheler sowohl die objektive 
Realität wie die strikte Übernatürlichkeit der Gnade als der 
jTeünahme an göttlicher Natur'? 

Die erste Frage nach der objektiven Realität der Gnade, 
im Unterschied zum rein subjektiven Gnadenbewußtsein, wollen 
wir im folgenden beantworten. Die zweite Frage aber kann, 
weil sie für das gesamte Reich der Offenbarungsreligion funda- 
mental ist, erst später behandelt werden, wenn alle Zusammen- 
hänge der Schelerschen Ableitungen aufgehellt sind. 

3. Gnade und Seligkeit. 

Da der Wert des Heiligen die ethischen Werte fundiert, 
so ergibt sich, daß die ethischen Werte ,aus' dem Wert des 
Heiligen heraus realisiert werden, mithin aus dem Gefühls- 
komplex heraus, der nach der Wertlehre dem Wert des Hei- 
ligen korrekt ist, d. h. den Gefühlen der zentralen ,Seligkeit' 
der Person (M 104 — 108). Mithin ist, vom Standpunkt des 
Wertes her gesehen, die ,Teilnahme an Gott' nicht ein ,Lohn 
für' das Sittliche, sondern ist die Wurzel, aus der es quillt; und 
ebenso ist, vom Standpunkt der dem ,Wert' korrelaten ,Ge- 
fühle' her gesehen, die ,Seligkeit' nicht ein ,Lohn für' das 
Sittliche, sondern ist das innere zentrale Persongefühl, aus 
dem allein die sittliche Tat hervorgehen kann. 

So ergibt es sich aus den Darlegungen der ,Materialen Wert- 
ethik', die der Wertstaffelung von Sinneswerten, Lebenswerten, 
geistigen Werten, Wert des Heiligen gegenüber die korrelate 
Staffelung von Zuständen aufstellt : sinnliche Gefühle, Lebens- 
gefühle, seelische Gefühle, geistige Gefühle. Durch das Prinzip 
der Rangordnung sind dann die geistigen Gefühle, Seligkeit, 
bzw. Verzweiflung, als korrelate ,Zustände' zum Wert des 
Heiligen, das Tiefste der Person und darum die Grundquelle 
ihres sittlichen Handelns. 



188 IV. Natürliche Religion und Offenbarungsreligion. 

,Es ist der sittliche Wert des Personseins selbst, dessen Korrelate sie 
zu bilden scheinen. Darum sind sie auch die metaphysischen und religiösen 
Selbstgefühle KCtr' ^Sox^^v, ... Es sind eben Sein und Selbstwert der Person 
selbst, welche das Fundament von Seligkeit und Verzweiflung bilden. . . . 
Diese Gefühle sind daher die einzigen, die als durch unser Verhalten weder 
hervorgebracht, noch je verdient auch nur vorgestellt werden können' 
(M 356/357). ,Nur die selige Person vermag einen guten Willen zu haben, 
und nur die verzweifelte Person muß auch im Wollen imd Handeln böse 
sein. . . . Alle gute Willensrichtung hat ihre Quelle in einem Überschuß 
der positiven Gefühle der tiefsten Schicht und alles bessere Verhalten 
seine Quelle in einem Überschuß der positiven Gefühle der vergleichsweise 
tieferen Schicht .... Von Strafe und Belohnung kann . . . hier . . . nicht 
die Eede sein. Einmal darum nicht, da Lohngüter und Strafgüter niemals 
jene Zentralität und Tiefenstufe der Glücksgefühle erreichen, welche die 
Freude im guten Wollen und das Leiden im bösen Wollen selbt darstellen ; 
und zweitens deshalb nicht, da jede Willensintention auf die Gefühle an 
sich schon genügt, sie unmöglich zu machen' (M 362/363) ^. ,Nm' der Gute 
ist der Glückselige, Aber das schließt nicht aus, daß es eben die Glück- 
seligkeit ist, welche die Wurzel und Quelle alles guten Wollens und 
Handelns ist — niemals aber sein Ziel oder gar sein Zweck sein kann. 
Nur der Glückliche handelt gut. Das Glück ist also keineswegs der Lohn 
der Tugend, sowenig die Tugend Mittel zur Glückseligkeit ist. Wohl aber 
ist es die Wurzel und die Quelle der Tugend, eine Quelle, die aber selbst 
schon nur eine Folge der inneren Wesensgüte der Person ist. . , . Das ur- 
sprünglichste Gutsein ist jenes der Person selbst, und das tiefste Glück- 
gefühl ist das es begleitende selige Bewußtsein. Was soll da noch eine 
sog. Sanktion ?' (M 373). ,Lohn- und Strafgerechtigkeit . . . entspricht auch 
dem Wesen und Sinne nach (von ihrer Existenz abgesehen) einer geläuterten 
Gottesidee in keiner Weise. . . . Die gute Person nimmt in ihrer Existenz 
und ihren Akten unmittelbar im Sinne des „velle in Deo", des „amare in 
Deo" am Wesen der Gottheit teil und ist eben darin selig. Jede Belohnung 
durch Gott könnte nur ein kleineres und niedrigeres Gut an Stelle des 
höheren und ein flacheres Gefühl an Stelle der tieferen Lust setzen. Der 
bösen Person kann Gott (aus der sein Wesen ausmachenden Liebe heraus) 
vergeben und damit (im Unterschied von blossem Verzeihen, das ein Böses 
nicht absolut aufzuheben, sondern nur für die verzeihende endliche Person 
aufzuheben vermag) ihr Böses auflieben. Aber er kann ihr vermöge seines 
über alle Vergeltung erhabenen Wesens nicht vergelten, sondern allein sie 
den Forderungen und Gesetzen der Vergeltung durch Nichtvergebung über- 
lassen' (M 382/383). 

Die ,Seligkeit' also als ,zentrales Persongefühl' ist nicht zu 

verwe chseln mit der objektiven ,Teilnahme an Grott' selbst, 

^ Zu dieser übertriebenen ,ün-intendierbarkeit' vgl. die guten Bemerkungen 
M. Wittmanns, Scheler als Ethiker usw. 93 ff. 



Seligkeit als wurzelhafte Personhaltung. 189 

sondern ist nur sozusagen deren subjektive Erscheinung. Die 
,Teilnahme an Gott', d. h. die Teilnahme am Wert des ,Heiligen', 
ist das objektive ,Heil'; die , Seligkeit' ist nur gleichsam das 
subjektive ,Heilsgeführ. ,Wohl mißt sich die verschiedene 
faktische Nähe und Ferne vom eigenen Heile ia den Person- 
gefühlen der Seligkeit und der Verzweiflung; aber darum 
besteht das Heil nicht in dieser Seligkeit' (M 511). Zweitens 
aber ist die ,Seligkeit', von der Scheler spricht, nicht zu ver- 
wechseln mit augenblicklichen Seligkeitsgefühlen, sondern stellt 
sich als ein dauernder Zustand dar, der als Grrundzustand der 
Person durch allen Wechsel ihrer Gemütsgezeiten durchdauert 
und so das scheinbar paradoxe Phänomen des ,selig leiden' 
ermöglicht. , Gerade die Unabhängigkeit . . . von solchem 
Wechsel von Glück und Unglück gehört ja zu ihrem Wesen' 
(M 362). ,Wie in der Verzweiflung ein emotionales „Nein" im 
Kerne unsrer Personalexistenz und unsrer Welt steckt . . . 
so in der Seligkeit . . . ein emotionales „Ja"' (M 356). 

,Die christliclie Leidenslehre . . . meint in ihrem letzten Kerne, daß nur 
ein seliger Mensch, das ist ein Gottgeborgener, auf richtige Weise Leid 
und Schmerz erleiden, das Leid lieben und, wo notwendig, es aufsuchen 
kann. In den Korintherbriefen läßt Paulus die Seele ansteigende Jubel- 
hymnen singen, mitten in der Schau des fortschreitenden Zerfalles ihres 
Leibes und ihrer irdischen Güter, Er läßt sie die Leiden des Erdkreises 
heranlocken, damit sich die Seele an ihnen der vollen Tiefe ihrer zentralsten 
Geborgenheit und Gerettetheit in Gott immer noch seliger bewußt werde, als 
sie es schon vorher gewesen. In den Martyrerakten aber ist als gelebt 
beschrieben, was hier erlebt und gepredigt ward. Nicht das Brennen bloßer 
Aussicht auf ein seliges Jenseits, sondern erlebte Seligkeit im Besitze 
eines gnädigen Gottes mitten in der Marter entband im Märtyrer diese 
wunderbaren Kräfte. . . . Für den antiken Menschen, der im Grunde Eudai- 
monist bleibt, war die äußere Welt heiter und lustig. Aber ihr Kern 
"war ihm tief traurig und dunkel. Hinter dieser fröhlichen Publizität und 
Oberfläche der Welt, die man die „heitere Antike" nannte, gähnt „Moira" 
und „Zufair. Für den Christen ist die äußere Welt dunkel, nächtlich 
und voll Leid. Aber ihr Kern ist nichts als lauter Seligkeit und Ent- 
zücken. Und das ist der eigentümliche Kreisprozeß in seinem Verhalten 
zum Leide: Indem er nach Verzicht, kraft eigener Vernunft und ich- 
zentrierten Wollens dem Leide hedonisch zu entfliehen, es in der Ein- 
stellung des Heros niederzukämpfen, oder es in stoischem Trotze zu tragen, 



190 I^- Natürliche Religion und Offenbarungsreligion. 

seine Seele durch Christus hindurch der Kraft Gottes auftut, und sich 
seiner Barmherzigkeit empfiehlt nnd dahingibt, kehrt die zentrale Seligkeit 
gnadenartig in ihm ein, die ihn selig jedes Leid als Kreuzessinnhild tragen 
läßt. Indem er aber das Leid wie einen Freund, im Bewußtsein, es sei 
ein Läuterungsmittel aus den Händen der barmherzigen Liebe, empfängt, 
"wird er eben jener Seligkeit, die es ihn tragen läßt, immer fester und klarer 
gewiß. Alle Kraft zum Erdulden des Leides quillt ihm so aus einem 
tieferen Glücke, Alles Leiden legt den „Ort" dieses Glückes noch tiefer 
in sein Selbst hinein als er lag. Dieselbe Liebe aber, die der Ohrist Gott 
und Christus nachvollzieht (im Sinne des „Omnia aniare in Deo"), und die 
ihn zu Leid und Opfer führt, ist auch die Quelle der Seligkeit, die es ihn 
froh ertragen läßt. Und diese Seligkeit des Liebens ist immer noch tiefer 
und größer, als das Leid ist, zu dem die Liebe führt' (SM I 100 — 103). 

Drittens endlich gilt für die ,Seligkeit' das gleiche wie für 
sein objektives Korrelat, die Teilnahme an Grott als dem ,Hei- 
ligen' : , Seligkeit' ist nicht erringbar oder verdienbar, sondern 
wird allein ,empfangen'. , Versteht man unter Seelenheil, Selbst- 
vervollkommnung usw. das Heil, die Vervollkommnung der 
Person selbst, so gehören eben diese Werte zu jener bisher 
viel zu wenig studierten Klasse von Werten, deren notwendige 
Realisierungsbedingungen geradezu ihre Mchtintention durch 
das Wollen ist' (M 528). Aber auch diese ,Unverdienbarkeit' 
reduziert sich auf ein Wesensgesetz, nach dem die jeweils 
höheren Werte und korrelaten ,Zustände' immer mehr aller 
spontanen Erringungshaltung sich entziehen und nur frei ge- 
schenkt erscheinen. ,Es ist ein Gesetz unsres Lebens, daß die 
Dinge, je höher sie in der Ordnung ihres Ranges stehen, un- 
mittelbarer Herstellung durch den rational bestimmten Willen 
um so weniger fähig sind' (Krieg und Aufbau 324/5), Das 
ist dann am höchsten ausgeprägt im Bereich des Wertes des 
,HeiUgen' ; denn Gott als das ,Heilige', als das ,summum bonum', 
schenkt sich in der ,Liebe' immer ,zuerst' und ,vorher', weil 
er eben die Liebe ist. Das ,Mitvollziehen' des göttlichen 
Liebesaktes, worin die Teilnahme an Gott als dem Wert des 
jHeiligen' besteht, setzt ein ,Vorherlieben' Gottes voraus, wie 
wir früher in den Zusammenhängen des Schelerschen Person- 
Liebe-Systems darlegten. 



Gnade als Sein der Liebe. 191 

Zwei Eigentümlichkeiten also zeigen sich — um zusammen- 
zufassen — in diesem Gresamtbegriff einer ,Teilnahme an Gott' 
nach ihrer real-objektiven Seite. Erstens ist diese ,Teilnahme' 
sozusagen die religiöse Innenseite des gesamten sittlichen Lebens 
sowohl nach seiner statischen wie nach seiner dynamischen 
Seite, indem der Wert des Heiligen sowohl den ursprünglichen 
sittlichen Seinswert der Person wie die abgeleiteten sittlichen 
Aktwerkte ihrer Handlungen fundiert. Die ,Teilnahme' ist 
statisch — mithin im Sinn der übernatürlichen habituellen 
Gnade — , insofern sie die ,Fundierung' des sittlichen Seinswertes 
der Person ist. Sie ist dynamisch — mithin im Sinn der über- 
natürlichen aktuellen Gnade — insofern sie die ,Fundierung' der 
sittlichen Aktwerte ist. Sie ist das allgemeine ,in Deo', das als ein 
letztes objektives ,Eormales' dem gesamtethischen Gebiete eignet, 
weil und insofern es vom ,Wert des Heiligen' ,fundiert' ist. Sie 
ist als solches etwas durchaus Objektives, das nicht zusammen- 
fällt mit einem ,Bewußtsein von', sondern selber das bewußt- 
seinsunabhängige Objekt dieses ,Bewußtseins von' ist; denn 
,Teilnahme am Wert des Heüigen' ist scharf geschieden vom 
korrelaten Zustandsgefühl der , Seligkeit'. Die Eealobjektivität 
der Gnade fällt eben — in Konsequenz des Person-Liebe- 
Systems — mit der Eealobjektivität der ,Liebe' zusammen, 
die Gott ist. Gott als Sein ist Liebe (SM 1 168) und darum 
ist ,Teilnahme an göttlicher Natur' Teilnahme der Liebe, Teil- 
geben der Gott-Liebe an sich, Teilnahme an ihr. Weil diese 
Liebe die Realobjektivität Gottes ist und die Teilnahme selber 
etwas Realobjektives, darum ist Gnade als ,Teilnahme an gött- 
I lieber Natur' realobjektiv: das Liebes-Sein, das in Erkennen 
j und Wollen sich auswirkt. 

Aber trotz der relativen Korrektheit dieser Hauptlinie des Gedankens 
finden sich doch Stellen, wo diese objektive ,Teilnahme' fast mit dem rein 
ethischen Tatbestand verschwimmt. So am Schluß der berühmten Ana- 
lyse des Reuevorgangs, ,Die vollkommene Reue erscheint in doppeltem 
Sinne getragen von der Liebe Gottes. Einmal dadurch, daß diese Liebe, 
stets an die menschliche Seele anpochend, gleichsam das Wertbild eines 



192 TV. Natürliche Religion und Offenbarungsreligion. 

idealen Seins vor dem Menschen herträgt und den Menschen erst im Ver- 
hältnis zu diesem Bilde die Niedrigkeit und Verstricktheit seines wirklichen 
Zustandes voll gewahren läßt. Sodann dadurch, daß der Mensch, nach 
dem spontanen Vollzug der Reue und im Rückblick von der allmählich 
gespürten Vergebung und Heiligung her, die Kraft zum Vollzug des Reue- 
aktes als ein Liebes- und Gnadengeschenk Gottes erlebt — und dies im 
gleichen Maße, wie die in dem Reuevorgang schon zu Beginn angelegte 
menschliche Liebesregung zu Gott allmählich die volle Liebesfähigkeit 
gegenüber Gott wieder herstellt und durch die Aufhebung der von der 
Schuld gesetzten Schranke und Gottesferne die Versöhnung und Wieder- 
vereinigung mit dem Zentrum der Dinge bewirkt. Zuerst erschien uns 
diese Liebesregung als unsre Liebe ; dann sahen Avir, daß sie auch schon 
Gegenliebe war' (E 58). Schlimmer sind die Stellen, wo Scheler seine eigene 
scharfe Scheidung zwischen objektiver ,Teilnahme' und koiTelater subjek- 
tiver (Seligkeit' verwischt, ja aufzuheben scheint und so in neuprotestan- 
tische Bahnen gleitet. So bezeichnet er befremdlicherweise an einer Stelle 
jGnade oder Verdammnis' als ,religiös-metaphysische Deutung' der Gefühle 
der Seligkeit bzw. Verzweiflung (M 357 Aum. 2). Und an einer andren 
Stelle will er ,Gnadenwahr als ,fragwürdige theologisch-metaphysische 
Rationalisierung' des ,Grunderlebnisses des lebendigen Glaubensursprungs' 
fassen (Sy^ 102). In eine ähnliche Richtung könnte an und für sich auch 
die Glaubensauffassung mancher Stellen von ,Wesen und Formen der 
Sympathie' weisen, indem daselbst das ,Ich lebe, aber nicht ich, sondern 
Christus lebt in mir' als ein »Glauben an' gefaßt wird, als ,Akt der rest- 
losen Einsetzung und Einssetzung der eigenen Person für und in Christus' 
(Sy^ 101 f.), so daß auch hier eine Psychologisierung objektiver Tatbestände 
vorläge. Jedenfalls zeigen sich an solchen Stellen, die, ganz abgesehen 
von ihrer dogmatischen Falschheit, aus der ruhigen Methode einer echten 
Phänomenologie herausfallen, wie sehr Scheler doch immer noch von ge- 
wissen neuprotestantischen Geistesströmungen beeinflußt wird, wenngleich 
seine Hauptlinie, die man bei obigen Einzelstellen nicht vergessen darf, 
in geradezu entgegengesetzter Richtung verläuft ^ 

Die zweite Eigentümlichkeit der ,Grnadenlehre' Schelers ist 
ihre Stellung zum Lohnbegriff. Nach Scheler ist objektive 
,Teilnahme' und subjektive ,Seligkeit' nicht Lohn, sondern 
Wurzel des Sittlichen. Und wir werden wohl die Schelersche 
Ablehnung einer strikten Lohn- und Strafgerechtigkeit dahin 
zu deuten haben, daß auch das . selige Leben des Jenseits, 
sowohl nach der Seite des ,Schauens Gottes' (visio beatifica) 

1 Vgl. u. a. ÜW II 284 ff. ; Krieg und Aufbau 196 ff. ; Von zwei deutschen 
Krankheiten (Darmstadt 1919), und überhaupt die energische Richtung auf 
bewußtseinsunabhängige Objektivität bei Scheler. 



Seligkeit als Wurzel des Sittlichen, 193 

wie nach der Seite der entsprechenden ,himmlischen Seligkeit' 
nicht als ,Lohn' irdischen Lebens zu fassen sei, sondern als 
Vollendung der irdischen objektiven ,Teilnahme' und subjek- 
tiven jSeligkeit' und selber als Wurzel des heiligen (natürlich 
nicht mehr verdienstlichen) Lebens des ,neuen Himmels und 
der neuen Erde'. Es geht so die Auffassung Schelers praktisch 
in die Richtung der Augustinischen Behandlung des Lohn- 
gedankens : ,Ihn allein liebt sie, nicht um Lohnes willen liebt 
sie; denn in Him hat sie alles, weil alles durch ihn geworden 
ist' (In Ps. 62; 33) ^ Es liegt eben in dieser Auffassung auch 

^ Es ist das ein durchgehender Gedanke Augustins, den er hald in die 
Formel des ,gratis amare', bald des ,voluntarie sacrificare' kleidet. Man 
wird vielleicht sagen können, daß die von ihm bekämpfte Auffassimg, wie 
mehrfach das, Zeitkolorit der .Enarrationes' zeigt, die noch vom Heidentum 
her ererbte Erniedrigung der Gottheit zum jMittel' sinnlich-geistiger Wohl- 
fahrt sei. In dieser Auffassung ist der ,Lohn' etwas von Gott Verschie- 
denes, was der katholischen Auffassung vom ,Schauen Gottes' und der 
jSeligkeit in Gott' als dem Wesen des ,Lohnes' natürlich widerspricht. 
Darimi betont Augustin so scharf : nicht Lohn von Gott, sondern Gott 
als Lohn: ,Praemium Dei ipse Deus est' (In Ps. 62, 32). Es ist also 
nicht eine jansenistisch gefärbte ,uninteressierte Liebe', die schon dem 
Geschöpfcharakter des Menschen widerspricht, der als Geschöpf erst ,in 
Gott ruht'; denn Augustin spricht deutlich genug vom ,frui Deo'. Es ist 
vielmehr die tiefe religiöse Einsicht, daß das persönliche Glück des Menschen 
erst aus dem ,mein Gott und mein Alles' quillt, und darum auch, wie 
Augustin in seiner tiefen Gebetslehre ausführt, das Bitten um zeitliche 
Güter schrittweise zum Bitten um das ,höchste Gut' führen müsse (vgl. z. B. 
ep. 130). Vgl. zum Ganzen: In Ps. 33, s. 2, 9; 37, 28; 39, 7—8; 52, 8; 
53, 10; 56, 17; 62, 32 -34; 76, 2; 77, 20-21; 79, 14; 85, 8; 102, 8; 
104, 40 ; 118, s. 11, 6 ; 127, 9 usw. Vorab die Enarrationes in Ps. bringen 
eben diese Lehre, die in dem eigenartig starken , Gottesprimat' Augustins 
wurzelt: ,Ille placet Deo cui placet Deus' (In Ps. 32, en. 2, s. 1, 1), ,opus 
suum Sit laus Dei' (In Ps. 44, 3). 

Es ist das ergreifende Aufgehen in Gott, was dieser Lohnlehre eignet: 
die Seligkeit selber ist dieses ,alles in allem Gott' ; ,Nihil in me^ relinquatur 
mihi, nee quo respiciam ad meipsum, sed totus in te aestuem, totus in te 
ardeam, totus diligam te, tamquam inflammatus abs te' (In Ps. 137, 2). Aber 
in diesem ,Gott alles' gewinnt der Mensch faktisch erst sein Glück. Indem 
er sich gleichsam aufgibt, gewinnt er sich, weil er eben als Geschöpf 
nur ,in Gott' sich vollendet. Zum Ganzen Mausbach, Ethik des hl. Au- 
gustinus I 174 ff. 241 ff. 

Przywara, Eeligionsbegründung. 13 



194 I^' Natürliche Religion und Offenbarungsreligion. 

das jSelige Schauen' (als Inbegriff der jenseitigen Vollendung) 
in der Richtung der übernatürlichen ,Teilnahme an Gott', des 
in der , Gnade' gegebenen ,Besitzen Gottes', aus dem heraus 
gerade nach katholischer Lehre der Mensch erst gut handelt, 
so daß das ,heilige', aber nicht mehr ,verdienstliche', Leben 
der Seligen im Himmel aus ihrem im ,Schauen Gottes' voll- 
endeten ,Besitzen Gottes' erfolgt. Es_ ist dann ,verdienstliches 
Leben auf Erden' und ,heiliges Leben im Himmel' eine Reihe 
für sich, und ebenso , Gnadenzustand mit Glauben' und , Gnaden- 
zustand mit Schauen'. Reihe 1 als Ganzes entspringt dann 
aus Reihe 2 als Ganzem, so daß der tridentinische Aus- 
druck von den Werken, die ,in Gott getan' sind (sess. 6 cap. 16) 
tatsächlich dem Schelerschen ,velle et agere in Deo* in etwa 
entspricht, wie auch sein ,amare in Deo' als Ausdruck der 
Teilnahme am Wert des »Heiligen bzw. des ,Mitvollziehens' 
des göttlichen Liebesaktes dem patristischen ,diligere' als Aus- 
druck der ,Teilnahme an göttlicher Natur' parallel geht, wie 
noch das Konzil von Orange kurz die Übernatürlichkeit der 
Gnade definiert: »Durchaus Gottes Geschenk ist „Gott lieben"' 
(can. 25), Aber bei aller Richtigkeit dieser synthetischen Be- 
trachtungsweise bleibt doch bestehen, daß bei einer Betrachtung 
der Einzelglieder der beiden obigen Reihen das zweite Glied 
der zweiten Reihe (, Gnadenzustand mit Schauen') in wahrem 
Sinn aus dem ersten Glied der ersten Reihe (, verdienstliches 
Leben auf Erden') erfolgt, da nach der tridentinischen Defini- 
nition »Wachstum der Gnade, Ewiges Leben und . . . höherer 
Grad ewigen Lebens' ,in wahrem Sinn' von einem, der die 
»Teilnahme an göttlicher Natur' bereits besitzt, ,verdient 
werden' (sess. 6 can. 32). Es wachsen eben nach katholischer 
Auffassung beide Reihen, die Reihe des in freier Liebe ,teil- 
gebenden' Gottes und die Reihe des aus dieser ,Teilnahme' 
lebenden Menschen so innig zusammen, daß das Leben des 
Jenseits ebenso als Vollendung des Geschenkes des teilgebenden 
Gottes wie als sozusagen innere Vollendung des aus der ,Teil- 



Leben in und aus Gott. 195 

nähme' lebenden Menschen erscheint, ebenso als ,donum' wie als 
,meritum'. Vom Standpunkt des ,natürlichen Menschen' aus ge- 
sehen, der keinerlei Anspruch auf die übernatürliche Ordnung 
der ,Teilnahme an göttlicher Natur' hat, wird dann das Ganze, 
in augustinischer Sprache, als ,merita non nisi munera', ,Ver- 
dienst als Gnade' erscheinen. Vom Standpunkt des durch 
Gottes freien Ratschluß mit der übernatürlichen ,Teilnahme' 
bereits begabten Menschen aus aber erweist es sich, in triden- 
tüiischer Sprache, als ,ita . . . dona Dei, ut . . . etiam merita', 
,so Gnade, daß auch Verdienst' (sess. 6 can. 32) ^. Die wahre 
katholische Verdienstlehre ist eben weder als einseitige Re- 
aktion gegen Pelagianismus noch als einseitige Reaktion gegen 
Protestantismus faßbar, sie ist die in sich selber schwebend 
ruhende spannungsmäßige ,Mitte zwischen Extremen', die, im 
Gegensatz zum Pelagianismus, das Göttliche nicht vermensch- 
licht, die aber ebensowenig, im Gegensatz zum Altprotestantis- 
mus, dem Göttlichen die Realität des Menschlichen opfert. 
Gott ist wahrhaft ,im' Menschen, und der Mensch lebt und 
wirkt ,in' Gott, aber Gott ist nicht vermenschlicht, und der 
Mensch ist trotz aller ,Teilnahme an göttlicher Natur' nicht 
jwesenhaft' Gott. 

Pelagianismus, der mit einer Vermenschlichung des Gött- 
lichen beginnt, da er die übernatürliche ,Teilnahme an gött- 

^ Augustin liebt unverkennbar, eben von seinem antipelagianischen Stand- 
punkt aus, die erste Formulierung : ,quisquis . . . tibi enumerat vera merita 
sua, quid tibi emimerat nisi munera tua* (Conf. 9, 13, 34); ,ea quae di- 
cuntur merita nostra, dona sunt eins' (De Trin. 13, 10, 14); ,qai in nobis 
coronaturus est non merita nostra, sed dona sua' (In Ps. 98, 9) ; ,cum ergo 
Deus coronat merita tua, nihil . coronat nisi dona sua' (Serm. 333, c. 5) u. a. 
Aber ebenso zeigen sich doch die Ansätze der späteren tridentinischen For- 
mulierung, die durch die nominalistische Verflüchtigung einer wirldich ,ein- 
wohnenden' und darum ,im' Menschen ,mit' seinem Wirken mitwirkenden 
Gnade in die protestantische ,Imputation' notwendig wurde: ,non negabit 
debitum, qui donavit indebitum. . . . Eeddet coronam debitam his meritis 
tuis. Sed ut reddatur tibi corona tua, Dei dona sunt merita tua' (Serm. 
297, c. 4); ,redditur quidem meritis tuis corona sua, sed Dei dona sunt 
merita tua' (De gestis Pelagii 35). 

13* 



196 I^- Natürliche Religion und Offenbarungsreligion. 

liclier Natur' in eine aszetisclie Sittlichkeitsliöhe naturalisiert 
und moralisiert, schlägt in seiner Konsequenz in eine Vergött- 
lichung des Menschen um, indem er, wie Augustins opera 
contra lulianum zeigen, das , liberum arbitrium' zum ,eman- 
cipari aDeo' steigert (op. imperf. contra lul. I, 175). Der Alt- 
protestantismus aber, der in seinem Ausgangspunkt, der , Allein- 
wirklichkeit' und , Alleinwirksamkeit' Gottes, das extreme Gegen- 
stück des Pelagianismus ist, schlägt, wie die Untersuchungen 
von Kiefl und Troeltsch übereinstimmend zeigen, in seiner 
Konsequenz in die spinozistisch-statische oder hegelisch-dyna- 
mische pantheistische oder panentheistische Verweltlichung des 
Göttlichen um. So legt die Geistesgeschichte überraschendes 
Zeugnis ab für den katholischen Standpunkt einer distanzhaften 
Einheit und einshaften Distanz von Gott und Mensch, wie er 
in der katholischen Verdienstlehre nur in innerer Folgerichtig- 
keit sich auswirkt^. 

Diesem Sachverhalt gegenüber zeigt sich Schelers Ausdrucks- 
weise zum mindesten sehr ungeklärt. Auf der einen Seite 
verwirft er energisch den protestantischen Standpunkt einer 
von der Gnade getrennten Sittlichkeit, auf der andern Seite 
verursacht ihm der katholische Lohngedanke ebenso Un- 
behagen, weil er sein System eines Lebens aus der , Teil- 
nahme an Gott' hierdurch bedroht glaubt. Hieraus erklären 
sich manche befremdliche Stellen, von denen wir oben einige 
anführten. Es fehlt, wie wir schon an andrer Stelle urteilen 
nlußten, an einem tieferen Einblick in die gar nicht so ein- 
fachen Zusammenhänge des katholischen Dogmas, und daraus 
quellen die dogmatischen Schiefheiten und Falschheiten. 

Zusammenfassend dürfen wir wohl sagen: im ,Teilnahme'- 
Begriff Schelers ist im Prinzip sowohl die Selbständigkeit wie 
die Objektivität der Gnade gewahrt, trotz verschiedener Ano- j| 

' Vgl. Peter Lippert, Die Gnaden Gottes (Credo 5 ; Freiburg 1921) uml 
vom Verfasser ,Heimat' (Vom Himmelreicli der Seele IV; Freiburg 1923). 



Polarität des , in Gott'. 197 

malien. Indem Schelers Teilnaliine-Bögriff mit seinem Begriff 
der jLiebe' zusammentrifft, ist er eine Erneuerung des patristisclien 
Sprachgebrauchs, nach dem , Gnade' und ,Liebe' eng zu einander 
gehören, ja im augustinischen Sprachgebrauch gleichgesetzt 
erscheinen, im Sinn des paulinischen ,Die Liebe Gottes ist aus- 
gegossen in unsere Herzen' ^. Wir haben hier eine erste An- 
deutung der durchgehenden allgemeinen theologischen Orientie- 
rung Schelers, die später zu behandeln sein wird und der 
eigentliche Schlüssel zu seinem Übernaturbegriff ist. Die Frage 
der ,Realität' der Gnade, im Unterschied von ,0b3ektivität', ist 
natürlich für die Phänomenologie unbeantwortbar, gemäß ihren 
früher dargelegten methodischen Grenzen. Entsprechend der 
Ableitung der , Gnade' als ,Teilnahme am Wert des Heiligen', 
also an Gott als ,summum bonum', fällt sie methodisch mit 
der Frage nach der Realität des teilgebenden Gottes wie des 
teilnehmenden Menschen zusammen. Da Scheler, wie wir früher 
sahen, seine ,Teilnahme' als eine Art Wesensstück des Menschen 
zeichnet, so ist jedenfalls die altprotestantische Leugnung einer 
,gratia inhaerens' ausgeschlossen. Ob die pelagianische Naturali- 
sierung der Übernatur, ist später zu sehen. Vorerst müssen 
wir die sozusagen negative Seite der eben entwickelten Einzel- 
data bei Scheler nachprüfen, nämlich seine Lehre über Sünden- 
fall und Erbsünde, um so aus der Gesamtheit aller seiner Ab- 
leitungen die Fundamentalfrage nach dem Wesensuntersclüed 



^ jProrsus donumDei estdiligereDeum' (Denzinger-Banmvart, Enchiridion ^^ 
[Freiburg 1922] n. 198). Vgl. bei Augustin u. a. De spir. et litt. 5, 7 ; 14, 26 ; 
21, 36; 25, 42; De gratia Christi 26, 27; Contra Julian. V 3, 9 u. a. Am 
stärksten in der kurzen Formel: , Caritas ergo inchoata inchöata iustitia 
est; Caritas proyecta provecta iustitia est; Caritas magna magna iustitia 
est; Caritas perfecta perfecta iustitia est' (De natura et gratia 70, 84). 
Hieraus entstanden dann die scholastischen Kontroversen über Identität 
oder Realdistinktion zwischen , Gnade' und ,Liebe', ferner die später im 
Molina-Banez-Streit so heiß umstrittene Frage: ,Kann der Mensch ohne 
übeniatürliche Gnade Gott über alles lieben?', die aber bereits die nomi- 
nalistische Spätscholastik eifrig beschäftigte, und ebenso den jungen Luther, 
wie H. Grisar nachweist (Luther I 112 ff. [Freiburg 1911]). 



198 IV- Natürliche Religion und Offenbai'ungsreligion. 

zwischen Natur und Übernatur und damit nach der Scheler 
überhaupt zu Grrunde liegenden theologischen Orientierung be- 
antworten zu können. 

4. Erbsünde und Erlösung. 

Die Data des , gefallenen Standes' ergeben sich im Grrunde: 
1 . aus der innigen Verknüpfung der sittlichen Werte mit dem 
Wert des Heiligen und 2. aus dem mit dem Verhältnis der 
,Teilnahme am Wert des Heiligen', durch aktives Teilgeben von 
Seite Gottes und passives Teilnehmen von Seite des Menschen, 
verknüpften absoluten Angewiesensein des Teilnehmenden auf 
den Teilgebenden. Damit ist der Teihiehmende im Gebiet des 
Sittlichen selbst immer unfähig aus sich selbst und immer 
fähig nur durch Gott, also kraft seines Wesens der Sünde 
ausgesetzt, wenn auch ,frei' sündigend, und kraft seines Wesens 
erlösungsbedürftig. So leitet Scheler ab: 1. einen ,Fair in 
jeder möglichen Welt, 2. einen ,Fair durch Veranlassung eines 
höheren Wesens, als es der Mensch ist, 3. die Möglichkeit 
einer ,Brlösung' nur durch Gott ^ 

,Da wii' nur eine vollkommen gute und sinnvolle Welt als Schöpfung 
eines mit den Attributen der Liehe und der unendlichen Vernunft aus- 
gestatteten Schöpfers ohne jeden Zweifel zu erwarten haben, in der uns 
bekannten Welt aber Unvollkommenheit, Böses, Übel in breitester Realität 
anzutreffen ist, so ist es für uns ein sicherer (von Offenbarung ganz un- 
abhängiger) Vernunftschluß, daß die Welt durch eine freie geistige Ursache 
nach ihrer Schöpfung in eine grundlegend andere Verfassung geraten sei 
als diejenige war, in der sie sich unmittelbar befand, als sie aus den 
Schöpferhänden hervorging. . . , Der sog. Fall ist mithin eine vom Theismus 
unablösbare Wahrheit der Vernunft (und nicht bloß ein Satz aus der Offen- 
barung)' (E 494/495). ,Auch wemi der Fall zugestanden ist, so gentigt es 
schon für die natürliche Theologie nicht, daß er nur füi" den Menschen 
zugestanden ist. Der Fall des Menschen ausschließlich aus seinem freien 
Wollen heraus — ohne Versuchung durch ein höheres und mächtigeres 
böses Element über ihm — ist für den gottgeschaffenen, gottebenbildlichen 



' Über den eigentlichen Sinn der Newmanschen Ableitung der Erbsünde, 
auf die Scheler mehrfach (E 53 502) sich beruft, vgl. des Verfassers ,Ein- 
fülirung in Newm ans Wesen usw.' 66 — 70. 



Fall als Weltgesetz. ] 99 

Menschen undenkbar, auch wenn ihm die echte Person- und Wahlfreiheit 
beigelegt wird. Das an sich positive Gut der Freiheit ist doch ceteris 
paribus mehr Freiheit zum Guten als zum Bösen. Die Aktualisierung der 
Freiheit zur wirklichen Wahl des Bösen bedarf also eines Anreizes außer- 
halb und oberhalb des Menschen. . . . Das Weltübel ist für die uns be- 
stimmte empirisch bekannte Welt ein notwendiges Konstituens, in durch- 
sichtiger naturgesetzlicher Kausalität notwendig auch mit dem Weltguten 
verknüpft. Ja der Grund aller einzelnen Übel ist gerade diese uns als 
mit dem Eindruck des unabwendbar Tragischen gegebene notAvendige Ver- 
knüpftheit von Gutem und Übeln, ja selbst von Gutem und Bösem in der 
menschlichen Natur. . . . Aits demselben Grunde ist auch die Erlösungs- 
bedürftigkeit der Welt und des Menschen an erster Stelle (d. h, des Miki-o- 
kosmos, in dem alle Elemente imd Kräfte der Welt solidarisch sind) eine 
metaphysische Walirheit. Der Mensch kann nicht zu seinem Heile kommen, 
es sei denn durch Erlösung. Nur die Tatsache der Erlösung ist theologisch 
positiv in einem freien Willensakt Gottes wurzelnd' (E 499—502). ,Der 
Fall ist eine Wahrheit metaphysischer Ordnung oder doch : Er ist auch 
eine solche Wahrheit. Darum ist er nicht nur ein historisches Ereignis, 
eine singulare positive Folge einer positiven Tat, sondern eine immer und 
überall vorhandene Tendenz im Weltsein und Weltgeschehen. Eine sich 
selbst überlassene Welt würde im Maße, als sie sich selbst überlassen ist, 
an positivem Gesamtwert stetig abnehmen. Die uns gegebene Welt q^ua 
Welt fällt immer. . . . Nur wenn wir Gottes Dasein und Wesen nicht aus 
der Welt erschließen, in der es Leid und Böses gibt, d. h. aus der ge- 
fallenen Welt, dürfen und sollen wir glauben und hoffen, daß Gottes Ziele 
dieser universalen Tendenz zu Fall und Wertabnahme zum Trotz sich 
durchsetzen werden \ Aber nur durch e i n Mittel ; dm'ch Erlösimg. Zu jeder 
Kraft, die in der großen Ordnimg der Kräfte abnimmt, muß eine über- 
legene Kraft gedacht werden, die von sich aus frei eingreifen kann, um 
den immanenten Fall aufzuhalten und deren höchster Ausgangspunkt Gottes 
Kraft selbst ist. Nicht Geschehenlassen, nur immer neue positive Er- 
lösungstaten Gottes --- nach einer bestimmten Erlösungsordniuig — können 
der Möglichkeit nach dem Weltdrama einen positiv sinnvollen und wert- 
vollen Abschluß geben. Darum haben ebensowenig jene recht, die immanente 
Teleologie ganz leugnen wie jene, die ihr eine Kraft immanenten positiven 
Wertwachstums zuschreiben, ... Es ist nicht möglich, die Erlösung auf 
eine in sich geschlossene vernunftgemäße Welt noch von außen her auf- 
zusetzen. Die Welt muß von Grund aus auf Erlösung, d. h. auf ein Ein- 
greifen einer nicht aus ihr, sondern aus einem ihr übergeordneten Dasein 
quellenden Kraft angelegt sein, soll der Erlösungsgedanke seine volle 
Wucht und seine volle Tiefe entfalten' (E 504—506). ,Eine unaufhaltsame 



^ Scheler vergißt hier, daß die scholastischen Gottesbeweise den Geschöpf- 
charakter der Welt zum Ausgangspunkt haben, der in sich ganz unabhängig 
ist vom ,Gut' und ,Böse' dieser Geschöpfe. 



200 ^^- Natürliche Religion tind Offenbarungsreligion. 

Bewegung vom Werthöheren zum Wertniederen beherrscht als Tendenz diese 
gefallene Welt — als Ursprung immer wachsender Übel und immer stär- 
kerer Versuchung zum Bösen für die geistigen Naturen' (E 512). , Die Welt 
ist nicht darauf angelegt, durch ihre eigenen Kräfte sich im Sinne steter 
Werterhöhung zu entwickeln. Wenn sie nicht durch Erlösung emporgehoben 
wird, wenn nicht je höhere Kräfte für sie frei heruntersteigen, die sie 
immer neu emporheben, so fällt sie ins Nichts. Stete Gefahr des Todes 
und mögliche Wiedergeburt nur durch Erlösung — stetes in-die-Knie- 
Sinken, und Gehen nur durch eine emporhebende Kraft, die sich erbarmend 
herabsenkt, uns immer wieder auf die Füße zu stellen: Das erscheint 
uns als ein zutreffenderes Bild des sich geschichtlich bewegenden Men- 
schen' (E 520). 

Dieser so abgeleitete ,Fall' wird dann zur ,Erbsünde' durch 
das früher behandelte Solidaritätsprinzip (obenS. 179 ff.), insofern 
es nach Scheler zugleich nicht wesensnotwendig ist, daß der 
Urheber der Schuld auch der einzige Träger der Schuld sei 
(M 516) und zugleich aber wohl wesensnotwendig, daß jedes 
Gemeinschaftsglied für die Schuld der Gemeinschaft mit- 
verantwortlich sei. Eine Erbsünde als ,schuldhafter Verlust 
der Gnade' aber ergibt sich aus dem früher behandelten Prinzip 
der »Teilnahme' (oben S. 172 f.). Inwiefern aber bleibt unter 
diesen Umständen noch die faktische ,Erbsünde aus Adam' 
als einzigartiges theologisches Faktum bestehen, da doch in 
Konsequenz des Solidaritätsprinzips und des Teilnahmeprinzips 
nun jede Sünde eine ,Erbsünde' sein müßte ? Hier ist zu be- 
achten, daß das Solidaritätsprinzip nur eine Art allgemeinen 
Gesetzes bedeutet, das in der faktischen ,Erbsünde aus Adam' 
eine ganz einzigartige Anwendung hat. Denn das Solidaritäts- 
prinzip setzt eine reale Gemeinschaft voraus, innerhalb deren 
die Einzelnen für das Ganze und das Ganze für die Einzelnen 
mitverantwortlich sind. Die Erbsündengemeinschaft ,in Adam' 
aber setzt eine reale Gemeinschaft nicht voraus, sondern bildet 
sich selber im "Weitergeben der Schuld und ist in ,Adam' nur 
Potential in seinem Stammvatercharakter angelegt. Wir 
haben also bei näherem Zusehen keine philosophische Ableitung 
des formalen Erbsündebestandes. 



Erlösungsbedürftigkeit als Weltgesetz. 2Ö1 

Das gleiche gilt nun auch für die korrekte , Erlösung.' Sie 
wird zunächst, entsprechend dem Gesetz, daß jede ,sich selbst 
überlassene' Welt wesensnotwendig ,fällt', insofern als wesens- 
notwendig bezeichnet, als die Welt ohne Erlösung nicht be- 
stehen kann, wenngleich sie die Erlösung sich selbst nicht 
geben kann. Scheler vertritt also liier praktisch den Stand- 
punkt der thomistischen Schule, nach der für jeden sittlichen 
Akt eine ungeschuldete , Gnade' vonnöten ist, die wesentlich 
,Erlösungsgnade' ist, nicht eine ,Hilfe', die Gott auch in einer 
andren Heilsordnung gewähren würde. Denn auch Scheler 
bezeichnet die ,Tatsache der Erlösung' im Gegensatz zur ,Er- 
lösungsbedürftigkeit' als ,theologisch positiv' (E 502), wenn er 
auch an mehreren Stellen die Erlösungsbedürftigkeit so stark 
ausmalt, daß sie der Notwendigkeit des scholastischen ,con- 
servare' und ,concurrere' {Erhaltung der Welt und Mitwirken 
mit ihr) nahekommt. Aber schließlich ist auch an die Auf- 
fassung der thomistischen Schule die Frage stellbar : wie denn 
mit einer so starken sittlichen Unfähigkeit des Menschen noch 
seine Selbständigkeit und In-sich-Geschlossenheit als von Gott 
distinkte Kreatur vereinbar sei? Auf diese Lehre Schelers 
haben nun ebenso wie eben beim ,Fall' Solidaritäts- und Teil- 
nahmeprinzip ihre Anwendung. Durch das erste begründet 
sich die ,Erlösungsgemeinschaft', durch das zweite die ,Er- 
lösungs- Gnaden -Gemeinschaft'. Wir erhalten damit die Er- 
gänzung der früher behandelten Lehren von der Kirche. Dort 
(oben S. 174 ff.) gewannen wir nur die Kirche als , Gottes- 
gemeinschaft', hier leitet sie sich uns ab in ihrem besonderen 
Sinn als ,Gott-Erlös er -Gemeinschaft'. Die Frage aber, wie 
mit dieser Ableitung das positiv theologische Faktum der »Er- 
lösung durch Christus' vereinbar sei, beantwortet sich wie 
oben die Frage nach dem positiv theologischen Faktum der 
,Erbsünde durch Adam'. Das Solidaritätsprinzip besagt nur 
ganz im allgemeinen, daß, wenn die Erlösung durch emen 
aus uns Menschen geschieht, dann irgendwie ein ,Miterlöst- 



202 I^' Natürliche Religion und Offenbai'ungsreligion. 

werden' aller eintrete, eine irgendwelche Gemeinschaftswirkung 
dieser Erlösungstat. Über das eigentliche Wie dieser Er- 
lösungstat und Erlösungsgemeinschaft läßt sich aus ihm nichts 
ableiten. Gewiß ist, wie wir früher darlegten, Christus als 
, Gottmensch' in etwa bei Scheler abgeleitet, aber nur insofern, 
als die Idee des , Gottmenschen' als höchster Personaloffen- 
barung Gottes der krönende Abschluß des Schelerschen Per- 
sonalismus ist, also in ähnlicher Weise wie die skotistische 
Schule eine Art ,a priori' der Menschwerdung aufstellt, weil 
diese der krönende Abschluß der SchölDfung sei. Damit ist 
ist aber für Christus als ,Erlöser' nichts ausgemacht, viel- 
mehr ist er als solcher, wie wir bereits sahen, nach Scheler 
,theologisch positiv'. Ebenso fällt auch die faktische ,Er- 
lösungsgemeinschaft in Christo, dem Erlöser' in keiner Weise 
mit der ,wesensnotwendigen' Erlösungsgemeinschaft zusammen. 
Denn die faktische Christus-Erlösungsgemeinschaft bildet sich 
nicht, indem die ,Brüder ' , kraft ihrer bestehenden rein 
menschlichen Mitbruderschaft mit Christus, die Erlösung emp- 
fangen, sondern diese bestehende reale menschliche Mitbruder- 
schaft ist nur die Voraussetzung, unter der die ,menschlichen 
Brüder' Christi , Glieder seines Leibes' werden, so daß auch 
auch hier, wie oben bei der ,Erbsündengemeinschaft in Adam', 
die faktische Erlösungsgemeinschaft potentiell nur in Christus 
angelegt ist und darum nur innerhalb Christi selbst zur 
realen Erlösungsgemeinschaft wird, indem Christus als ,Stamm- 
vater der Erlösten' die ,Brüder' zu Erlösten erst macht, indem 
Christus, seine ,menschlichen Brüder' zu seinen ,Gliedern' auf- 
nehmend, sich gleichsam , auswächst' in den fortlebenden 
Christus: ,Haupt und Leib Ein Christus.' Die ,Erlösungs- 
gemeinschaft' und ,Erlösungs- Gnaden- Gemeinschaft', die aus 
Schelers Solidaritäts- und Teilnahmeprinzip erfolgen, erscheinen 
also nur als ganz allgemeiner Untergrund, als ganz allgemeine 
Voraussetzung der faktischen, rein positiv-theologischen Er- 
lösungs-Gnaden-Gemeinschaft des ,f ortlebenden Christus'. 



Kirche als Erlösungsgemeinscliaft. 203 

Die aber aus diesen Abstreichungen übrig bleibende ,Wesens- 
notwendigkeit' von ,Fair und ,Erlösung' leitet sich als letzte 
Konsequenz aus der jTeilnahme am Wert des Heiligen' ab. 
Der Wert des ,Heiligen' ist auf der einen Seite die notwendige 
Fundierung der sittlichen Werte und indirekt aller übrigen 
Werte. Auf der andern Seite aber kann er kraft seiner ab- 
soluten jUnableitbarkeit' nur ,frei' sich zur ,Teilnahme' schenken. 
Ohne ihn als ,Fundierung' kein Realisieren der Unterwerte, 
also jFair ; nur durch seine freigeschenkte ,Teilnahme an ihm' . 
Wiederherstellung der gefallenen Welt, also ,wesensnotwendige 
und doch freie Erlösung durch Gott allein'. Damit aber ist uns 
nun klar und unzweideutig das bisher noch ungelöste Problem 
umzeichnet : Wie wahrt Scheler mit seiner Ableitung der über- 
natürlichen ,Teilnahme an Gott' aus der einen und selben 
jTeilnahme am Wert des Heiligen' die strikte Übernatürlichkeit 
dieser Heilsordnung ? Denn die Frage nach der Ableitung des 
Christentums als Christentum, d. h. sowohl als des ,fort- 
lebenden Christus' und damit als einer , Gottmenschreligion', 
wie auch als des ,fortlebenden Christus-Erlöser' und damit als 
einer ,Gottmensch-Brlösungsreligion' sind im vorhergegangenen 
erledigt. Es bleibt nur die Frage nach der Ableitung des 
Christentums als ,Übernaturreligion', als Religion der ,Teilnahme 
an göttlicher Natur'. Denn das hat sich als bisheriges Re- 
sultat gezeigt, daß alle Ableitungen Schelers sich streng formal 
auf die eine große Ableitung aus der ,Teilnahme am Wert 
des Heiligen' zurückführen. Mithin liegt hier das eigentliche 
Problem: Wie gestattet diese eine und selbe »Teilnahme am 
Wert des Heiligen (Gott)' die dem Christentum als ,Über- 
naturreligion' wesentliche Zweiheit eiaes natürlichen ,aus und 
in Gott-seins' als Wesen des Geschöpfes und einer strikt über- 
natürlichen ,Teilnahme an göttlicher Natur' als Wesen des 
Kindes Gottes'? 



204 I^' Natürliche Religion und Offenbarungsreligion. 



§ 2. Natur und ül)ernatur innerliall) des Wertes des Heiligen. 

Die Dogmengeschichte kennt zwei Formulierungsweisen des 
Verhältnisses von Natur und Übernatur, eine, die mit den 
griechischen Vätern anhebend in Augustinus ihren Höhepunkt 
erreicht, um dann auch noch in der Hochscholastik sozusagen 
statisch zu bleiben, und eine zweite, die ihre ersten Ausgangs- 
punkte bereits in der Scholastik selber hat, aber erst durch 
deii Jansenistenstreit zu einem gewissen Abschluß gelangt, 
wie er in Deutschland etwa in den Schriften Scheebens vorliegt. 

Die erste Formulierungsweise, die wir die ,h i s t o r i s c h e' nennen 
können, geht davon aus, daß die faktisch existierende Menschen- 
natur einzig und allein der übernatürlichen Ordnung der heilig- 
machenden Gnade zugehört, und nennt deswegen allen Besitz 
der übernatürlichen Gaben etwas ,natürliches' und ihren Ver- 
lust einen Verlust in der ,Natur'. Aus diesem Gedankengang 
heraus übertragen die griechischen Väter und Augustinus das 
platonische System des Seins und Wirkens der Geschöpfe durch 
jTeilnahme am wahren Sein' auf diese positive Weltordnung 
der übernatürlich erhobenen Natur und fassen daher Gott fast 
ausschließlich als den ,Teil an sich gebenden', als den ,Ver- 
göttlichenden'. Daraus aber ergibt sich, daß ein Abfall von 
dieser Teilnahme als ein Versagen in der ,Natur' selbst gefaßt 
wird, wie es Cyrill von Alexandrien für die Erbsünde in sich 
darstellt und Augustinus für ihre Auswirkung im Sittlichen. 
Es ist das große Verdienst Joh. Ernsts und Jos. Mausbachs, 
auf diese Zusammenhänge hingewiesen zu haben, durch die 
die dunkelsten Punkte in Augustinus' (und der Väter überhaupt) 
Lehre sich klären ^. Wenn Augustin sagt, daß auch die guten 
Akte der Heiden Sünde seien, so bezieht das sich eben darauf, 



^ Joli. Ernst, Die Werke und Tugenden der Ungläubigen nach St, Au- 
gustin (Freiburg 1871). Jos. Mausbach in Ethik des hl. Augustinus II (Frei- 
burg 1909) 97 ff. hat dann die Lösung Ernsts ihrer Einseitigkeiten ent- 
kleidet und tiefer ausgebaut. 



Historische Formulierungsweise von Natur-Übematur. 205 

daß durch den Stand der habituellen Erbsünde die (positiv 
angeordnete) Gutheit der natürlich-sittlich-guten Akte nicht 
möglich ist, die erst durch das ,übernatürliche' Gutsein erfolgt. 
Da nun in dieser Auffassung ,Natur' mit ,übernatürlich er- 
höhter Natur* gleichgesetzt wird, und mithin ,sittHch-gute 
Handlung' mit ,sittlich-gute Handlung im Stande der Über- 
natur', so ergibt sich die Lehre, daß ,natürliche Sittlichkeit' ein 
reines ,Teilhaben an Gott' ist, wie Augustin immer wieder 
sich ausdrückt, z. B. ,Ich gab den Menschen, gut zu handeln, 
aber aus Mir . . . nicht aus sich: aus sich sind sie böse' (in 
Ps.52, 6). 

Mit dieser Formulierungsweise war natürlich das Miß- 
verständnis verbunden, als ob die übernatürliche Erhöhung 
eine Wesenseigenschaft der Natur - an - sich sei, nicht bloß, 
wie die Kirchenväter es intendierten, eine tatsächhche Be- 
gabung , dieser historischen' Natur. Dieses Mißverständnis 
trat nun praktisch im Baianismus und Jansenismus ein. Die 
Einstellung für die historische Bedingtheit der obigen Formu- 
lierungsweise war durch die in der scholastischen Bildung 
liegende vorab systematische Einstellung stark zurückgedrängt. 
So kam es denn, daß scholastisch gebildete Gelehrte bei ihren 
Augustinusstudien (der ganze Streit ging ja von einer Augu- 
stinusuntersuchung aus) die ,historische' Formulierungsweise, 
die sie bei ihm fanden, in eine , systematische' faßten, so daß 
die Lehre sich ergab, daß Gott eine ,Natur' ohne übernatürliche 
Erhöhung nicht schaffen könne, und die hierzu korrelate, daß 
die , Gnade' eine Wesenseigenschaft der Natur sei, so daß ohne 
sie kein sittlicher Akt erfolgen könne, mithin die Gnade 
jzwingend' sei und der Mensch letztlich ,unfrei' ^. Eine tiefere 
Prüfung der Aufstellungen Luthers zeigt übrigens ja auch, 
daß schon an der Wurzel seiner Lehre, neben den Einflüssen 
der deutschen Mystik und des Nominalismus, dieses selbe 

^ Vgl. Satz 55 und 26 — 28 der verurteilten baianischen Sätze, Denzinger- 
Bannwart '^ n. 1055 1026 1028. 



206 IV- Natürliche Religion und Oifenbarungsreligion. 

Mißverständnis der Väterlehre sich findet : die ,sittliche Unfähig- 
keit' des erbsündigen Menschen, und die Sittlichkeit des Christen- 
menschen als rein gottgewirkt ^. 

Diesen Systemen nun gegenüber vollzog sich ein Front- 
wechsel der Theologie. Schon vorher hatte sich aus den Aus- 
einandersetzungen der Scholastiker mit der Väterlehre ein 
andres Lehrstück ausgebildet, das sozusagen in der Mitte steht 
zwischen der Lehre von einer rein aus Naturkräften sich er- 
gebenden Sittlichkeit, wie sie aus dem Aristotelischen System 
sich ergab und darum der Scholastik nahe lag, und zwischen 
der Väterlehre von der rein gnadenhaften Sittlichkeit : nämlich 
die Lehre von einer , Gnade', die eine positive Hilf e zum Vollzug 
des sittlichen Aktes an sich sei und die Gott denen gewährt, 
die ,beten' (die sog. gratia sanans) ; einzelne Theologenschulen 
wie die streng-thomistische dehnten diese Gnade so weit aus 
wie die Kirchenväter ihre ,heiligmachende Gnade', so daß jeder 
einzelne sittliche Akt (als sittlicher) einer solchen ,helfenden' 
Gnade nach ihnen bedarf; andre Theologen begnügen sich 
damit, sie an wichtigen Stellen des sittlichen Lebens eingreifen 
zu lassen. Nun ergab der Kampf mit dem gerade aus den- 
selben Positionen herauswachsenden Jansenismus, daß man in. 
dieser Weise nicht weitergehen könne, ohne die Selbständigkeit 
des rein Natürlichen aufs Spiel zu setzen; die Position des 
Jansenismus erschien ja in der Tat, historisch gesehen, wie 
ein naturgemäßer Abschluß der Position der strengeren Theo- 
logenschulen. So begann man denn ausdrücklich, Natur und 
Übernatur streng gegen einander zu verselbständigen. Die 
Klärung der Erbsündefrage, vorab durch die Auseinander- 
setzungen um die Lehre über die Unbefleckte Empfängnis, 



' Vgl. Hartmann Grisar, Luther I (Freiburg 1911/12) 72 ff.; P.X.Kiefl, 
Katholische Weltanschauung und modernes Denken^ (Regensburg 1922) 20 ff.; 
Ernst Troeltsch, Luther und der Protestantismus (Neue Rundschau XXVIII 
[1917] 1317—1319 1321—1323). Vom Verfasser ,Gott in uns oder Gott über 
uns?' (Stimmen der Zeit CV [1922/23 IT] 347 ff.). 



Systematische Formulierungsweise von Natur-Übernatur. 207 

f führte immer mehr dazu, zwischen einer intakt bleibenden 
Natur und dem verschuldeten Verlust außernatürlicher und 
übernatürlicher Gaben zu scheiden. Parallel dieser Scheidung 
in der Grnadenfrage ging bald die Scheidung in der Offen- 
barungsfrage, wiederum durch den Kampf gegen eine Irrlehre, 
nämlich den Traditionalismus. Auch hier verließ man die 
Pormulierungsweise der Kirchenväter, die zu den Mißverständ- 
nissen Anlaß gegeben hatte (das ,Gott durch Gott erkennen' des 
hl. Hilarius u. a.) und schied zuletzt in den gegen den Traditio- 
naKsmus gerichteten Definitionen des Vatikanums, zwischen 
der auch der erbsündigen Natur (weil sie ,Natur' bleibt) 
möglichen ,natürlichen Gotteserkenntnis' und der völlig freien 
,Offenbarung'. So hat sich das ausgebildet, was wir heute 
als Formulierungsweise der Theologie vor uns sehen : die, wie 
wir sie nennen wollen, ,systematische Pormulierungsweise', 
die davon absieht, daß ,Natur' und ,Übernatur' in der historisch 
gegebenen Natur zu einer positiven (nicht wesensnotwendigen) 
Einheit gebunden sind, und nur die abstrakten Wesenheiten 
in ihrem Gegensatz und gegenseitigen Unableitbarkeit be- 
trachtet. Wie im Blickpunkt der Patristik die konkrete Einheit 
des historischen Menschen, wie Gott ihn positiv gewollt hatte, 
stand, während die zwei abstrakten Wesenheiten der Natur 
und Ubernatur, die diese Einheit bilden, als Selbstverständlich- 
keiten im Hintergrund stehen, so finden wir im Blickpunkt 
der nachtridentinischen Theologie die abstrakten Wesenheiten 
der Natur und Übernatur, während die von der Patristik 
übernommene konkrete Einheit des historischen Menschen nun 
ihrerseits als Selbstverständlichkeit in den Hintergrund ge- 
treten ist. 

Im Lichte dieser dogmengeschichtlichen Zusammenhänge 
dürfte sich uns nun die Lösung unsrer Frage über den Sinn 

\ der Schelerschen Dogmenableitung ergeben. Für Augustinus 
ist es grundlegend, daß, wie der Leib durch ,Teilnahme' an 
der Seele lebt, so die Seele durch ,Teilnahme' an Gott, z. B. 



208 ly. Natürliche i Religion lind OffenbarimgsreKgion. 

Tract. in lo. 19, 12 ,Ein andres ist es in der Seele, dadurch 
sie dem Leibe Leben gibt; ein andres, dadurch sie selber 
lebt. . . , Ihr Leben ist Grott: wie sie selber, da sie im Leib 
ist, diesem Kraft, Schönheit, Beweglichkeit, Dienst der Glieder 
verleiht, so gibt Gott ihr, da Er ihr Leben in ihr ist, Weis- 
heit, Hingabe, Gerechtigkeit, Liebe.' Es ist also Wahrheit 
und Sittlichkeit gegeben durch , Teilnahme an Gott'; die , Teil- 
nahme an Gott' ist gleichsam das ,Formale', das sich in das 
Lahaltliche eines religiösen Erkennens durch ,Teilnahme' und 
eines sittlich-religiösen Lebens durch ,Teilnahme' spaltet. Gott 
ist die Wahrheit, an der teilhabend wir Wahrheit haben. 
Gott ist die Gutheit, an der teilhabend wir gut sind^. Dieses 
,Teilhaben' als solches aber, als dieses sozusagen ,formale' Teil- 
haben, nennt Augustin nicht bloß ,Gnade', sondern direkt ,Liebe', 
,diligere' oder, wie er es auch hie und da ausdrückt, ,adhaerere 
Deo', aber nicht im Sinne einer Liebes regung, sondern im 
Sinne - des paulinischen ,die Liebe Gottes ist ausgegossen in 
unsre Herzen', d. h. im Sinne der objektiven Realität der 
Gnade, sozusagen als ,substantiale Liebe'. Li diesem Sinne 
eines ,Teilhabens' an der ,Liebe, die Gott ist', ist dann die 
Liebe auch das aktuelle, dynamische Wirkprinzip des intel- 
lektuell-sittlichen Lebens ^. Aus ,Liebe zur Wahrheit' umfängt 
der Gottsucher die , Offenbarung der Wahrheit'; und die ,Liebe' 
ist es, die ihn weiterdrängt und weiterführt zum tieferen 
Verständnis der empfangenen Wahrheit bis zum Schauen 
dessen, der die Wahrheit selber ist: das ,diligere' als ,credere 
velle' und als Funktion im Ternar des ,credere-intelligere- 



^ Vgl. unten Anhang § 2, Nr. 1. 

^ Vgl. ohen S. 155 f. sowie Mausbach, Ethik des hl. Augustinus 11 (Frei- 
burg 1909) 49 ff. 120 128. In kurzer Formel in De gratia X' 26, 27 : ,üt . . . 
acciperemus dilectionem qua diligeremus, dilecti sumus, cum eam nondum 
haberemus. . . . Non enim haberemus unde illum diligeremus, nisi hoc ab 
illo, cum prior nos diligeret, sumeremus. Quid autem boni faceremus, nisi 
diligeremus? Aut quomodo bonum non facimus, si diligamus?' Vgl. auch 
Portaliö, Dict. de Th^ol. cath. I 2336 2386. 



Augustinisches Walirheit-Eiebe-System. 209 

videre' ^. ,Liebe' aber ist ebenso die Wurzel des sittKchen Lebens, 
so daß dieses wie eine einzige Entfaltung dieser Wurzel erscheint 
und darin der späteren Scholastik das viel erörterte Problem 
des ,formalen' oder ,virtualen', des »habituellen' oder , aktuellen' 
Einflusses der Liebe auf die Tugenden aufgibt ^. Grott ist darum 
weiterhin bei Augustin so sehr die Liebe, daß er schon auf 
Erden in der Liebe fast geschaut wird: ,Wer die Liebe hat, 
was sollen wir den noch weit ausschicken, Gott zu schauen! 
In sein Inneres kehre er ein: dort wird er Gott schauen. . . . 
Wolmt die Liebe darin, wohnt Gott darin' (In Ps. 149, 4)^. 
Endlich scheint aber auch Augustin sein System der ,Teil- 
nahme' so streng zu fassen, daß der Mensch sein eigentlich 
Menschliches, Vernunft und freien Willen, fast nur ,in Gott' 
gewinnt. Es sind die Probleme der Wahrheitserkenntnis und 
des freien Willens bei Augustin, die hier ihren system-metho- 
dischen Ort haben. Der Währheitserkenntnis — , weil das 
Apriori der Allgemeingültigkeit bei Augustin sozusagen ein 
,theologisches Apriori' (Hertling) ist, nämlich in letzter, ge- 
heimnisvoller Weise Gott der Unwandelbare selber^. Des 
freien Willens — , weil das ,liberum arbitrium' bei Augustin 
aufs engste mit dem ,liberator Dens' zusammengesetzt wird, 

^ Vgl. Mausbach a. a. 0. II 355 ff. und vom Verfasser .Einführung in 
Newmans Wesen usw.' 59. In kurzer Formel in Tract. in lo. 26, 2 — 5 : 
jCredere non potest nisi volens . . . trahitur animus amore. . . . Revelatio 
ipsa est attractio. ... Si ista, quae inter delicias et voluptates terrenas 
revelantur amantibus, trahimt . . . : non trahit revelatus X^ a patre ? Quid 
enim fortius desiderat anima quam veritatem ?' In Ps. 79, 2 : ,Sit in te 
Caritas, et necesse est plenitudo scientiae consequatur.' De moribus eccl. 
cath. 17, 31 : ,Amore [sapientia et veritas] petitur, amore quaeritur, amore 
pulsatur, amore revelatur, amore denique in eo quod revelatum fuerit per- 
manetur.' Tract. in lo. 96, 5 : ,Isto enim modo vos docebit Spiritus S. omnem 
veritatem, cum magis magisque diffundet in cordibus vestris caritatem' usw. 

' Vgl. Mausbach a. a. 0. I 174 ff. 

^ Vgl. vom Verfasser ,Heimat' (,Vom Himmelreich der Seele' 4 (Frei- 
hurg 1923) 57 ff. 

* Vgl. Hertling, Historische Beiträge zur Philosophie (Kempten 1914) 
120 ff. sowie unten Anhang § 2, Nr. 1. 

Przywara, Religionsbegründung. 14 



210 I^' Natürliche Religion und Offenbarungsreligion, 

SO daß hier wie in einem Vorzeichen die spätere Sentenz der 
banezianisehen Schule erscheint, die Gott den freien Willens- 
akt als freien eindeutig bewirken läßt^ Beachten wir aber, 
daß Vernunft und freier Wille das Zeichen (nicht ontologische 
Wesen) der Persönlichkeit als Persönlichkeit sind, so scheint 
Augustin den Menschen sein Personwesen gleichsam ,in Gott' 
gewinnen zu lassen, und es erscheint in tieferem Licht sein 
oben angeführtes Prinzip der Teilnahme: ,Ein andres ist es 
in der Seele, dadurch sie dem Leibe Lebeii gibt; ein andres, 
dadurch sie selber lebt. ... Ihr Leben ist Gott' (Tract. in 
lo. 19, 12). In tieferem Lichte auch seine vielumstrittene 
Prädestinationslehre, da sie nun als Abschluß dieses Teilnahme- 
systems sich darstellt: Gott als der, welcher , alles in allem 
ist' und , alles in allem wirkt'. So gewinnen wir bei Augustin 
— zusammenfassend — nicht bloß ein wahres System der 
,Teilnahme', kraft dessen des Menschen ,Leben' letztlich ,Gott* 
ist (In lo. 19, 12), sondern auch die ,Liebe, die Gott ist' als 
Zentrum dieser Teilnahme, indem ,in' der Liebe der Mensch in 
Gott ist und Gott ,im' Menschen, und darum der Mensch sowohl 
,aus' der Liebe intellektual und sittlich lebt als auch ,in* der Liebe 
Gott gleichsam schon , schaut'. — Aber dieses Bild des ,Systems' 
ist nur ein Bild der ,Prävalenzen', die in keinem Sinn Aus- 
schließlichkeit bedeuten, viehnehr im geschichtlichen Bild der 
Lehre Augustins der Ergänzungen, ja Durchkreuzungen be- 
dürfen, soll nicht das , System' Augustins mit Augustin, dem 
realistischen Kenner der systemlosen Wirklichkeit, und Augustin, 
dem gewissenhaften Theologen, in Widerspruch geraten. Denn 
wie die Augustinusforschung Ernsts, Hertlüigs, Mausbachs, 
Portalies u. a., gegenüber den Übersteigungen Harnacks und 
Troeltschs, die diese Prävalenzverhältnisse fast bis zu einem Pan- 
theismus bzw. Liebesdynamismus überspannen, zeigt, finden sich 



^ Vgl, Ernst, Die Werke und Tugenden der Ungläubigen usw. und 
Mausbach a. a. 0. II 240 ff. 



Augustinisclies Seinssystem. 211 

daneben alle nötigen Elemente der Untersclieidung ^ Aiigustins 
,tlieologisches Apriori' zeigt sich bei näherer Untersuchung 
mehr als ein Geistesflug, der Mittelstufen überfliegt, wie Hert- 
ling meint ^. Seine ,gottgewirkte Willensfreiheit' wird para- 
lysiert durch genug Stellen, wo natürliche Willensfreiheit und 
natürliche Sittlichkeit in ihrer Selbständigkeit erscheinen, wie 
Ernst und Mausbach nachweisen^. Der ,Gott, der die Liebe 
ist', zeigt sich geistesgeschichtlich als Etappe innerhalb des 
platonisch orientierten ,Gott-Wahrheit'*; beides aber letztlich 
(Wahrheit = wahres Sein) im Sinne des Seins-Gott, der allein 
in eigentlichem Sinne ,ist', in dem darum alles ist, was ist, und 
Er in allem und über allem : ,interior et exterior omnibus'. ,Sein', 
,Wahrheit' und ,Liebe' aber verankert er schließlich miteinander 
nicht in einem ,Liebesprimat', sondern seinshaft in der gött- 
Uchen Dreipersönlichkeit : ,aeterna ibi est veritas, aeterna Cari- 
tas; et Vera ibi est Caritas, vera aeternitas; et cara ibi est 
aeternitas, cara veritas' (De Trin., prooem.): ,0 aeterna veritas et 
vera Caritas et cara aeternitas ; Tu es Deus mens' (Conf. 7, 10). 
Und die Lehre von der ,Teilnahme' endlich ergänzt sich zu- 
nächst durch die Betonung ihrer übernatürlichen Ungeschuldet- 
heit nach der Art der griechischen Kirchenväter, d. h. als ,Ver- 
göttlichung' (Geiwaiq) ^, vorab aber durch die ganz besonders 
scharfe Betonung der Ungeschuldetheit der Erlösung. Diese 



^ Haxnack, Dogmengeschichte * III (Tübingen 1910) 111 ff. ; Troeltsch, 
Augustin (Münclien 1915) 78 ff., aber dagegen 123 Anm. ; Ernst, Mausbach 
und Hertling a. a. 0. Portalie in Dict. de Theol. cath. I 2335 ff. 2386 ff. 

2 a. a. 0. 132; Augustin (Mainz 1902) 43 ff. 

» Ernst a. a. 0. Mausbach a. a. 0. II 249 ff. 

* Mausbach a. a. 0. I 88 ff.; II 120 128. Bäumker, Witelo (Münster 
1908) 372—377. Ders., Die patristische Philosophie (in Hinneberg, Kultur 
der Gegenwart 15^ [Leipzig 1913] 292 ff.). Grabmann, Grundgedanken 
des hl. Augustinus über Gott und Seele (Köln 1916) 84—112. Vom Ver- 
fasser jHeimat' 8 ff. sowie unten Anhang § 2, Nr. 1. 

^ Vgl. Ernst a. a. 0., sowie neuerdings Ludw. Baur, Untersuchungen 
über die Vergöttlichungslehre (Tüb. Quart.-Schr. 98 [1916] 467 ff.; 99 
[1917/18] 225 ff.). 

14* 



212 IV. Natürliche 'Religion und Oifenbarimgsreligion. 

Form des Ausdrucks des ,Übematürliclien' ist Ja gerade, wie 
Mausbach sehr klar betont, die für Augustin speziflsclie Weise, 
so daß man sagen kann, daß in Augustins scharfer Betonung 
der absoluten Ungeschuldetheit der Erlösung gleichzeitig die 
Ungeschuldetheit der Gnade als der »Teilnahme an göttlicher 
Natur' enthalten sei^. Die Ungeschuldetheit der Erlösung, 
die darin besteht, daß die »gefallene Natur' keinen Rechts- 
anspruch auf R ü c k - erteilung der durch die Sünde Adams 
freiwillig verlorenen Gnade als der ,Teiinahme an göttlicher 
Natur' hat, schließt in dieser Auffassung gleichzeitig die Un- 
geschuldetheit der übernatürlichen Erhöhung als solcher ein, 
die darin besteht, daß die ,Natur als Wesenheit' keinen Seins- 
anspruch auf Erst-erteilung der Gnade als der »Teilnahme 
an göttlicher Natur' besitzt. So könnten sich die Schroff- 
heiten der Augustinischen Prädestinationslehre nach einer Seite 
hin erklären, nämlich durch die Wucht der doppelten Un- 
geschuldetheit, die in der augustinischen Fassung der ,Un- 
geschuldetheit' liegt. Wenn sich seine Prädestinationslehre 
schließlich dahin formuliert, daß alles in die ,unerforschliche 
Gerechtigkeit und unerforschliche Barmherzigkeit' verlegt wird, 
in die »Unerforschlichkeit Gottes' also als solche^, so er- 



^ Mausbach, Die außerordentlichen Heilswege für die gefallene Mensch- 
heit (Katholik, dritte Folge, XXXI [1900] 315 if.). Wie Augustin .Ver- 
göttlichung' und .Erlösung' eng zueinander stellt, dazu vgl. z. B. De Trin. 
IV, 2, 4; Tract. in lo. 23, 6; In Ps. 49, 2; 52, 6. Das ,fecit nos participes 
divinitatis suae' erscheint hier fast wie das Ersterteilen der ,Teilnahnie 
an göttlicher Natur', und man sieht die Punkte, an denen der Baianismus 
anknüpfen konnte. 

^ Vgl. das formelhafte "Wiederkehren des ,inscrutahile' und ,investiga- 
bile' vor allem in De dono persev., der Schrift, die mit am schärfsten ist: 
,misericordiam eius in his cpi liberantur, et veritatem in his qui puniuntur, 
sine dubitatione credamus: negue inscrutabilia scrutari aut investigabilia 
vestigare conemur' (ebd. 11, 25). So reduziert Augustin alles in Gott als 
Unbegreiflichen, der ihm ja sozusagen der Gott ist: ,si comprehendis, non 
est Dens' (Serm. 117, c. 3, 5) — , also in die innerste ,Tiefe' Gottes. Vgl. 
hierzu auch vom Verfasser ,Heimat' (Vom Himmelreich der Seele IV), Frei- 
burg 1923, 17 ff. 81 ff. Zu den verschiedenen Kontroversen und dem Sinn 



Augustinischer Gottprimat. 213 

scheint das im Licht dieser Zusammenhänge wie eine besondere 
Betonung der Ungeschuldetheit der Erlösungsgnade, gerade in- 
sofern sie die Ungeschuldetheit der Grnade als der , Teilnahme 
an göttlicher Natur' miteinschließt. Das absolute ,in Grott', 
das in Augustins Prädestinationslehre als tiefster Ton klingt, 
ist danach also wie das Klingen des ,in Gott', das der ,Teil- 
nahme an göttlicher Natur' als solcher eignet. 

Im Lichte dieser patristischen und vorab augustinischen Ideen 
aber zeigt sich nun doch das Schelersche System in anderer 
Beleuchtung, als wenn man es nur im Lichte der nachtriden- 
tinischen, ,systematischen' FormuHerung des Verhältnisses von 
Natur und Übernatur betrachtet. Wenn wir einmal absehen 
von dem unüberbrückbaren Unterschied zwischen Augustins 
zentralem Seinsstandpunkt ^ und Schelers Werttheorie (vgl, 
S. 57 — 66)^ so zeigt das Person-Liebe-System Schelers, wie wir 
es früher entwickelt haben, gewisse überraschende Ähnlich- 
keiten mit den Grundzügen des Denkens Augustins, wie wir 
es eben kurz skizzierten, zumal wenn wir uns erinnern, daß 
auch gerade Scheler die ,Ungeschuldetheit' in der Erlösung 
sieht (vgl. S. 201). Wir werden aber auch diese Betrachtungs- 
weise für ihn methodisch anwenden müssen, weil er aus- 
drücklich sich an Augustin orientiert (UW I 107 ff. 274 ff. ; 
SW 1 110 ff. 168 ö.). Wenn sich also das Schelersche System 
im selben Sinn wie das augustinische verstehen ließe, d. h. als 
eine Pormulierung der tatsächlichen, historischen Heils- 

von Augustins Prädestiuationslelire im allgemeinen vgl. Portaliö a. a. 0. 
2398 ff..; Mausbach a. a. 0. II 59 ff. 

* Wenn auch Augustin Gott immer wieder als .Wahrheit' faßt, so ist 
das eben im platonischen Sinne der ,Ideen' als des eigentlichen Seins zu 
verstehen: weil Gott das eigentliche ,Sein', das ,Ist' (gegenüber dem Werden, 
dem ,War' und ,Wird' der Geschöpfe) ist, darum ist er .Wahrheit'; nicht 
aber ; sein Sein ist rein das der Wahrheit oder der Idee an sich (im Sinne 
etwa des Kantischen freischwebenden Absolutgesetzes oder der Hegeischen 
Idee). Es ist der Seinsprimat, nicht der Wahrheitsprimat (etwa im Sinne 
neukantianischer transzendentaler Norm oder transzendentalen Ideals), der 
den Deus-Veritas schafft. Vgl. Bäumker, Die patristische Philosophie 292 f. 



214 IV, Natürliche Eeligion und Offenbarungsreligion. 

Ordnung, im Unterschied von einer philosophischen Ableitung 
des Übernatürlichen aus wesenhaften Naturnotwendigkeiten, 
so wäre die brennende Frage, mit der wir diesen Abschnitt 
eröffneten, in günstigem Sinne für Scheler gelöst. Der Vor- 
wurf eines dogmatischen Eationalismus ließe sich wenigstens 
gegen das Prinzip seiner Ableitung nicht erheben. Die Ant- 
wort hängt von der Erfüllung zweier Bedingungen ab. Erstens 
müßte Scheler genau so wie Augustin neben seiner, Prävalenz- 
verhältnisse heraushebenden, Systematik der Teilnahme deut- 
lich und unmißverständlich die strikte Ungeschuldetheit von 
Offenbarung und Gnade herausstellen. Zweitens müßte sich 
nachweisen lassen, daß sein Begriff der ,Wesensnotwendigkeit' 
methodisch nicht ,Notwendigkeit' im Sinne einer natürlichen 
Geschuldetheit von Offenbarung und Gnade bedeute. 

Was die erste Bedingung betrifft, so scheint sie uns, 
wenigstens im Prinzip, wohl erfüllt zu sein. Denn wo Scheler 
einen Systemaufriß seiner Staffelung der ,Teilnahme' gibt, be- 
tont er auch die Ungeschuldetheit der Kräfte der Ubernatur. 

,So ist diese Welt und die menschliche Natur allüberall eingerichtet, 
daß die je unteren, naturartigen und triebmäßigen Kräfte wohl höher ge- 
artete Tätigkeiten auslösen können, aber nicht sie schaffen ; suchen heißen 
aber nicht notwendig finden heißen. Das Schaffende, das Einende ist 
immer eine höhere geistige Kraft, die nach ihrem eigenen inneren Gesetz 
wirkt imd die nichts an Ziel, Gesetz, Gehalt, Idee von dem erborgt, was 
sie nur in Bewegung setzte. So ist der Verstand, der in den exakten 
Wissenschaften operiert und der die Erscheinungen der inneren und äußeren 
Welt zu abhängigen Funktionen eines Bewegungsmechanismus umdenkt 
oder möglichst weitgehend umzudenken sucht, durchaus noch von dem 
Grundwert eines LebeAvesens überhaupt, möglichst große Beherrschbarkeit 
und Lenkbarkeit der Dinge durch das Wollen und Handeln dieses Lebe- 
wesens zu erzielen, bestimmt, aber auch dadurch beschränkt imd begrenzt. 
Der Verstand steht noch im Dienste der großen Lebensnot. . . . Schon die 
Vernunft, die unser philosophisches Weltbild formt und die sich befreit 
von dieser Dienststellung an die große Lebensnot, die nicht mehr ein 
Weltbild zur Beherrschung der Dinge, sondern zu ihrer adäquaten Er- 
kenntnis geben möchte, die nicht mehr die Welt von unten her sondern 
auch von oben her anblickt, vermag uns zu zeigen, daß alle möglichen 
Mechanismen und damit auch der ganze Weltmechanismus im Dienste 
stehen von form-, ziel-, weltrealisierenden Tätigkeiten, durch die sich ein 



Schelers System als augustmische ,Teilnahme'. 215 

Ideenzusammenliang auswirkt. Noch höhere Kräfte aber als Vernunft — 
Offenbarung und Gnade — erst bringen uns Licht über das innere Wesen 
Gottes und Kraft aus ihm : ein Licht und eine Kraft, die keine Vernunft 
erspäht, und die wir nicht verdienen. Ihre Wesensnotwendigkeit, ihre Kri- 
terien vermag uns Vernunft noch aufzuweisen, wenn ein Allgütiges und 
Allmächtiges und Allweises im Grunde der Dinge schon erwiesen ist. 
Der Gehalt der Offenbarung aber liegt über der Spannweite der Vernunft. 
Wir haben ihn anzunehmen im freien Akte des Glaubens. So löst die 
große Lebensnot die Verstandestätigkeit aus und gibt ihr Ziel und Richtung 
ihrer Fragen. So löst das Werk des Verstandes die Tätigkeit der Vernunft 
aus und legt ihr zugleich die Frage vor, zu welchen Zielen dieser Mecha- 
nismus da ist, welche ewigen Ideen und Werte und welches System solcher 
sich in ihm verwirklichen. Und so löst die Vernunft selbst an ihrer 
Wesensgrenze — nicht etwa nur an der Grenze ihrer bisherigen Werke — an- 
gelangt den Blick aus auf mögliche Offenbarung und heißt unser Herz 
danach suchen' (E 301/302). 

Von dieser Stelle aus, die uns blitzartig die Grrundeigenart 
des Schelerschen Religionssystems wohl schauen läßt, wird 
auch die ursprüngliche Fassung dieses Systems schaubar, 
wie sie noch durch verschiedene Fassungen der ,Materialen 
Wertethik' und auch teilweise noch des ,Ewigen im Menschen' 
hindurchschimmert. Nach ihr ist , Offenbarung' nur durch 
,heiHge Personen' gegeben und Gott als Person, ja als Realität 
nur auf diese Weise faßbar. ,Diese Idee Grottes selbst aber 
auch wirklich zu setzen, gibt uns niemals die Philosophie, 
sondern könnte nur wieder eine konkrete Person Anlaß geben, 
die im unmittelbaren Verkehr mit einem der Idee Entsprechen- 
den steht, und der ihr konkretes Wesen selbst gegeben ist. 
Jede Wirklichkeit Grottes gründet daher nur und allein in einer 
möglichen positiven Offenbarung Gottes, in einer konkreten 
Person' (M 412). Demnach geschieht die Vermittlung der 
Gotteserkenntnis objektiv tatsächlich (wie das ,Ewige im 
Menschen' noch mehrfach andeutet) nur durch die ,heilige 
Person' und subjektiv tatsächlich nur durch den Glauben im 
strengen Sinn. Religion hat ,ihr TJrmaß und ihre XJrgestalt 
in Sein und Wesen einer heiligen Person, deren Aussagen als 
wahr von Gott gelten, weil sie es ist, die sie aussagt' (E 325 ; 



216 I^- Natürliche Religion und Offenbai'ungsreligion. 

ebenso 694 — 707). Auf diese Weise haben wir dann das G-egen- 
stück zum Schelerschen Grnadenbegriff, der in dieser Urform 
geblieben ist, wie wir früher sahen. Es ist somit ,Religion' 
nur jÜbernaturreligion'. 

Diese ursprüngliche Fassung des Systems ist aber durch- 
kreuzt durch den Begriff der ,natürlichen' Offenbarung, dem 
dann korrekt ist der des ,natürlichen' Grlaubens als, der mehr 
passiv gerichteten ,Hinnahme' der in ,konstanten Wesens- 
tatsachen der Innen- und Außenwelt, der Geschichte und 
der Natur symbolisch vermittelten' Selbstoffenbarung Gottes 
(E 536 u. a.). Mithin gewinnt der Satz ,Ein Theismus ohne 
Offenbarung ist ein Nonsens, genau so wie ein Theismus ohne 
Fair (E 707) den abgeschwächten Sinn einer ,natürlichen' 
Offenbarung (E 350), und der Satz von der ,TJnbeweisbarkeit 
Gottes als Person' (E 682) hat nur mehr als Gegenstück die 
Erfahrbarkeit Gottes als Person in der religiösen Haltung 
(Glaubenshaltung im abgeschwächten Sinn) zur ,natürlichen 
Offenbarung'. 

Wir haben somit neben einer rein zwischen ,Gott in der 
Natur' und dem Menschen sich vollziehenden Offenbarungs- 
Glaubens-beziehung eine solche, wo Gott durch ,Personen'sich 
andern positiv offenbart, und ,im' Glauben an die Aussagen 
dieser ,heiligen Person' die Offenbarung Gottes empfangen wird. 

,Älso muß . . . der ursprünglich Heilige . . . nicht kraft der Lehren, die 
er gibt, und die noch an einer Vernunftnorm außerhalb seiner zu messen 
wären und die über ihm stünde, nicht kraft etwaiger Prophetien usw., 
sondern an erster Stelle ausschließlich kraft seiner heiligen Person selbst, 
absolute Glaubens- und Heilsautorität sein. Handlungen und Wunder und 
Propheten begründen nicht rationell seine ursprüngliche Heiligkeit und den 
Glaubensakt an sie, sondern erweisen sie bloß und bewähren sie ; sie ver- 
anlassen und motivieren wohl die geistige Blickrichtung, aber in dieser 
Blickrichtung muß uns das Wesen seiner Heiligkeit dann von selber auf- 
gehen und zu reinster anschaulicher Gegebenheit kommen' (E 697/698) ^ 



^ Im Sinne der personalen Hingabe an die ,Autorität' um ihrer selbst 
willen, — im Unterschied von einer Zeugnisannahme aus Evidenz ihrer 
Begründetheit. 



Schelers ,"Wesensnot-wencligkeit' als Reduktivbegriff, 217 

Indes ist doch diese Scheidung, wie E 694 — 700 deutlich 
zeigt, etwas Scheler eigentlich Unorganisches, da die innere 
Verbundenheit von Gott-Person und Offenbarung-in-Personen 
ihn schließlich doch wieder dazu führt, in der ,Religion' über- 
haupt nur von , Offenbarung durch und in Personen' zu sprechen, 
freilich faktisch von der ,Religion', wie sie sich in der Ge- 
schichte kundtut, aber doch schließlich so, daß das alte ,Wesens- 
gesetz' der ,Materialen Wertethik' wieder recht hell durch- 
schimmert: ,Die Grundauffassung, daß alle Religion in ihrer 
Geschichte nur wächst und abnimmt, steigt und fällt, sich 
reinigt und verderbt nach der Regel von personhaftem Vorbild 
und Nachfolge, Führer und Gefolgschaft . . . diese Grund- 
auffassung ist jedem Theismus wesentlich' (E 694). Nehmen 
wir noch hinzu, daß Scheler im Begriff der , Gnade' die korrekte 
Scheidung zwischen einer ,natürlichen Hilfe zur sittlichen 
Handlung' und dem ,übernatürlichen Seinscharakter der in- 
sich-sittKchen Handlung' nicht zieht, so gewinnen wir als 
innern Gesamtaspekt des Schelerschen Systems ein Schwanken 
zwischen den beiden oben entwickelten Formulierungsweisen 
von Natur-Übernatur, von denen die erste (die patristische) 
die für Schelers Denken wurzelhafte ist, während er nach der 
zweiten sich nur orientiert, um möglichst Mißverständnisse zu 
vermeiden, ohne zu einem innern Ausgleich zu gelangen, wie 
er bei Newman vorliegt, der sonst ebenso wie Scheler in der 
patristischen Auffassungsweise lebt. Soviel jedenfalls zeigt 
uns dieser Durchblick durch das Schelersche System, daß er 
erstens ganz von der patristischen Formulierungsweise des 
Verhältnisses von Natur und Übernatur beherrscht ist, zweitens 
aber die geforderte Betonung der Ungeschuldetheit von Offen- 
barung und Gnade zum mindesten durchzuführen sucht. 

Es bleibt also noch die zweite Bedingung: Bedeutet 
,Wesensnotwendigkeit' bei Scheler dasselbe wie ,natürliche 
Geschuldetheit' ? Die Frage ist also eine methodische und 
muß demnach aus der Methode der Phänomenologie heraus 



218 ^^- Natürliche Religion und Offenbarungsreligion. 

beantwortet werden. ,Wesen' nun kann erstens die immanente 
und hypothetische Notwendigkeit bestimmter Eigenschaften 
und Fähigkeiten bedeuten. Der Satz ,Offenbarung und Gnade 
sind wesensnotwendig* würde also in diesem Falle besagen: 
,Wenn Offenbarung und Gnade Offenbarung und Gnade sein 
sollen, so müssen sie die und die Eigenschaften haben.' , Wesen' 
kann aber auch zweitens eine transzendierende Notwendigkeit 
bedeuten, eine Notwendigkeit ,für ein anderes'. Der Satz 
»Offenbarung und Gnade sind wesensnotwendig' würde also 
dann besagen: ,Offenbarung und Gnade sind notwendig für 
das Wesen der Menschennatur an sich'. Im ersten Sinn ist 
Wesen ein Peststellungs- und Reduktionsbegriff, im zweiten 
Sinn ein Konstruktions- und Postulierungsbegriff. Im ersten 
Verfahren findet eine Reduktion des Gegebenen auf sein ,Wesen' 
statt, ohne daß methodisch die Frage gestellt sein kann nach 
einer möglichen andern Gestaltung dieses ganzen Gegebenen, 
innerhalb dessen die Reduktion auf sein tatsächlich 
gegebenes Wesen vorgenommen wird. Im zweiten Verfahren 
liegt eine metaphysische Spekulation über andre »mögliche' 
Gestaltungsweisen des Gegebenen, auf Grund deren dann das 
allen möglichen Gestaltungsweisen gemeinsame , Wesen' bestimmt 
wird. In unsrer Frage also würde die Problemstellung inner- 
halb der Methode des ersten Verfahrens lauten : Was sind die 
Wesenszüge der nach all ihren historischen Quellen ,gegebenen' 
Menschennatur? Innerhalb der Methode des zweiten Ver- 
fahrens aber: Ist eine wahre Menschennatur denkbar auch 
ohne die höchsten Gaben ihrer historischen Gegebenheit, näm- 
lich ohne Offenbarung und Gnade ? Damit haben wir eigentlich 
die Frage dieses Abschnittes bereits beantwortet. Denn das 
erste Verfahren zeigt sich deutlich als die Methode der Phäno- 
menologie, die kraft ihres ßeduktionsverfahrens vom konkret 
und historisch Gegebenen ausgeht und das immanente ,Wesen' 
dieses Gegebenen herauszustellen sucht; ihre ,Wesensschau' 
ist nichts andres als diese Reduktionsmethode. Das zweite 



Kritik : Teilnahmestaffelung. 219 

Verfahren aber enthüllt sich als jenes Verfahren, aus dessen 
Einstellung heraus die baianisch-jansenistischen Irrlehren, und 
die nachtridentinischePormulierungsweise des Verhältnisses von 
Natur und Ubernatur als Antwort auf sie gedacht sind ^. Es 
bedeutet also Schelers System der Wesensnotwendigkeiten 
methodisch eine Herausstellung der Wesenszüge der gegebenen 
historisch-tatsächlichen Menschenordnung, d. h. der übernatür- 
lichen Heilsordnung, und E. W. Mayers, Herrn. Schwarz' und 
Siegfr, Kiracauers ICritiken ist ihr Kern zuzugeben, den 
H. Pleßner^ und Elis. Busse-Wilson^ positiv herausheben, da 
sie als den Sinn des Werkes Schelers ,die Wiedererweckung 
des mittelalterlichen katholischen Geistes' (Busse-Wilson) hin- 
stellen. Durch diese Einordnung Schelers aber, vom Stand- 
punkt seiner eigenen Methodik aus, haben wir nun auch die 
Möglichkeit einer Kritik, die von innen her ansetzen kann. 
Es ist nun also alles, was den zwei eben dargelegten Grund- 
bedingungen in Schelers System widerspricht, nicht bloß als 
Widerspruch zu Dogmatik und Fachtheologie zu betrachten, son- 
dern direkt als Widerspruch zum eigenen Standpunkt und zur 
eigenen Methode. Diese TJnvollständigkeiten, Einseitigkeiten 
und auch direkten Widersprüche führen sich aber auf zwei 
Gruppen zurück: 

1. Der Zentralbegriff der ,Teilnahme', dem methodisch Person- 
und Liebe-Begriff entspringen, muß von seinem gelegentlichen 
Verschwimmen mit einer ,naturnotwendigen Teilnahme' befreit 
werden. Die Fundamentalunterscheidung, die die Theologie 
vorab seit dem Jansenistenstreit im jZiel' des Menschen macht, 
nämlich zwischen einem ,möglichen' rein ,natürlichen' Ziel, 
wo ebenfalls Gott in ,Erkenntms und Liebe' besessen wird, 
und dem tatsächlichen einzigen übernatürlichen Ziel, wo dieses 



* Vgl. z. B. Satz 55 des Baius: ,Deus non potuisset ab initio talem 
creare hominem, qualis nunc nascitur' (Denzinger ^^ n. 1055). 
^ Deutsche Allg. Zeitung 1922, Nr. 311. 
3 Tat XIV (1922) 180 ff. 



i. 



220 ^^- Natürliche Religion und Offenbarungsreligion. 

Besitzen in Erkennen und Liebe, in einer ,Teilnalime an gött- 
licher Natur' (und darum gegenwärtigen ,Glauben' und künf- 
tigen ,Scliauen Gottes') wurzelt, — diese Unterscheidung muß 
den Schelerschen Begriff der ,Teilnahme am Wert des Heiligen' 
durchdringen und umformen. Die Kritik, die wir früher an 
Schelers metaphysischem Liebessystem und Wertsystem übten, 
dürfte eine genügende Hindeutung sein, in welcher Richtung 
wir uns eine solche Umformung denken : der Fundamentalirrtum 
in Schelers Art der Scheidung von Wert und Sein ist nicht 
bloß die Quelle aller seiner rein philosophischen, sondern auch 
aller theologischen Irrgänge. Gewiß haben Natur und Über- 
natur eine letzte Einheit in Gott selbst S und insofern hat 
Schelers durchgehende Rückführung der Einzeldata von Natur 
und Übernatur auf den ,Wert des Heiligen' ihren guten und 
wahren Sinn ; aber es muß auch so wahr bleiben, daß die ,Teil- 
nahme an göttlicher Natur' über der »Teilnahme an Gott als 
Schöpfer und Erhalter' steht Das ist aber nur möglich, wenn 
der Begriff der platonischen ,Teilnahme' durch den aristote- 
lischen Begriff eines wahren innern Seins der Dinge ergänzt 
wird, statt des Wertprimats wieder der alte Seinsprimat ein- 
tritt, und nicht die ,Liebe', sondern das ,Sein' wieder der meta- 
physische Weltgrund ist. Wertfühlen und Liebe sind dann ihres 
Gegensatzes zum ,Sein' entkleidet. ,Wertfühlen' ist umgeformt 
in ein ,natürliches Erkennen' derselben Seinsverhältnisse, die 
das ,reflexe Erkennen' in wissenschaftlicher Methode formuliert 
(oben S. 134 ff.). ,Liebe' aber wandelt sich zunächst in die 
,Spannungseinheit' von »fürchtender Liebe und liebender Furcht' 
(Augustin) als des sozusagen ,emotionalen Ausdrucks' des von 
ihr vorausgesetzten Seinsverhältnisses der ,analogia entis* (oben 
S. 62 ff.) und wird so zu einer Grundeinstellung der Seele, in der 
das »natürliche Erkennen' sich zielsicher betätigen kann, da 
in dieser Grundeinstellung der Seele (Furcht und Liebe) eine 

^ Vgl. vom Verfasser ,Einlieit von Natur und Übernatur ?' in Stinunen 
der Zeit CV (1922/23 I) Sept. 



Kritik: Theologische Orientierung. 221 

Art Korrelation zum Erkenntnisziel vorliegt, nämlich zu ,Grott 
über allem' in der Furcht und ,Gott in allem' in der Liebe. 
Nicht die ,Liebe' also, auch in dieser Umformung zu Ehrfurcht- 
Liebe, ist ,Weltgrund', sondern das ,Sein'; nicht die ,Liebe' 
kann erkennen, sondern setzt Erkenntnis voraus. Aber sie 
ist die innere Grundhaltung des erkennenden Menschen, 
durch die er sozusagen ,reine Augen der Erkenntnis' hat, wie 
wir im Sinne vor allem Augustins sagen können: ,Man kann 
nicht lieben, was einem völlig unbekannt ist. Aber weim 
man liebt, was man nur zu emem ganz verschwindenden Teil 
kennt, so bewirkt die Liebe, daß wir es besser und voller 
erkennen' (Augustin, Tract. in lo. 96, 4). Auf diesem Seins- 
fundament ,natürlicher Religiosität' kann sich nun auch die 
Röligiosität der eigentlich ,übernatürlichen Teilnahme' auf- 
bauen: eine real-objektive ,Teilnahme an göttlicher Natur' 
über der gleichnisweisen ,Teilnahme', wie sie im Seinsverhältnis 
der ,analogia entis' liegt. Und was für den Unterbau galt, 
gilt nun auch für den Oberbau: das real-objektive ,Sein' der 
,Teilnahme an göttlicher Natur' ist erst die Voraussetzung 
jiener höchsten ,übernatürlichen' Liebe, die, aus dem Glauben 
an diese natürlich unerkennbare und unerspürbare ,Teilnahme 
an göttlicher Natur', mit Gottes Liebe sich und den ,Nächsten' 
liebt und ,Gott in Gott' liebt: ,Sich gegenseitig lieben, daß 
Gott sei alles in allem' (Aug., Tract. in lo. 83, 3); ,Gott lieben 
aus Gott' (Aug., Serm. 34, c. 2, 2). So ist Gott als ,Sein' die 
Einheit von ,Natur' und ,Ubernatur', die als gleiehnishafte 
Teilnahme in der Form der ,analogia entis' und als wahre 
Teilnahme in der Form der , Teilnahme an göttlicher Natur' 
in ihm letztlich verankert sind, und die ,Liebe' in ihrem eigenen 
Stufenwerk ist nur ihr, durch Erkenntnis bzw. Glauben ver- 
mittelter, Reflex. 

2. Es ist ein dringendes Erfordernis, rein aus der Methodik 
einer echten Phänomenologie heraus, daß die mancherlei psycho- 
logisierenden Rationalismen, die wir im Laufe dieses Kapitels 



222 I^' Natürliche Religion und Offenbarungsreligion. 

mehrfach feststellen mußten, beseitigt werden, ganz abgesehen 
von ihrer dogmatischen Falschheit. Denn nur dann kann von 
einer Phänomenologie der gegebenen religiösen Welt die 
Rede sein, wenn nicht religionssehöpferische Konstruktionen, 
sondern Wesensforschung innerhalb der gegebenen Tatsächlich- 
keiten geboten wird. Die dogmatische Korrektheit ist wesen- 
hafte methodische Voraussetzung einer Phänomenologie der 
übernatürlichen Gegebenheiten, die eben Gregebenheiten des 
Glaubens sind und darum nur gegeben sind in der autoritativen 
Lehre. Darum aber ist für den Eeligionsphänomenologen, wie 
wir schon früher sagten, große Vertrautheit mit der Fach- 
theologie einfach methodische Notwendigkeit und Voraussetzung. 
Wir glauben wohl sagen zu müssen, daß, solange diese metho- 
dische Forderung in Schelers Werken nicht zur Genüge er- 
füllt ist, man wohl kaum von einer wirklichen Phänomenologie 
der Offenbarungslehre schlechthin sprechen könne. 

Wie wir es schon früher am Ausgang der einzelnen Kapitel 
konnten, so dürfen wir auch hier auf J. H. Newman als vor- 
bildliche Erfüllung der obigen zwei Erfordernisse hinweisen. 
Wir haben an anderer Stelle, sowohl in unsrer ,Einführung' 
wie in den Einleitungen zu unsrer Rekonstruktion seines Systems 
einer Einheit von Natur und Übernatur in Gott als dem Un- 
begreiflichen, ausführlich gezeigt , wie er zwar ebenso wie 
Scheler die patristische Formulierung des Verhältnisses von 
Natur und Übernatur zur Grundlage habe, und wie aus dieser 
Formulierung heraus sein System des ,counterpart of nature', 
,Übernatur als (tatsächliche) Erfüllung der (gefallenen) Natur' 
zu verstehen sei, — wie aber trotzdem Newman fast mit einer 
Art Ängstlichkeit sich an der zeitgenössischen Fachtheologie 
orientiert habe ^ So ist seine Religionspsychologie entstanden 



1 J.H. Newman, Christentum (Freiburg 1923) I— III ; IV 66 ff. 88 ff. 97 ff. 
Wenn Söderblom (Natürliche Theologie und allgemeine Religionsgeschichte 
[Stockholm 1913] 63 f.) Newmans ,historische' vorchristliche Religion für 
seinen Standpunkt in Anspruch nimmt, so beruht das auf Nichtbeachtung 



Newmansche Lösung. 223 

als ein wirklich erster Wurf jener »Philosophie der subjektiven 
Religion', die das schon oft erwähnte Programm der ,Dublin 
Review' unter W. Gr. Wards Führung 1872 aufstellte als eine 
Art offizieller Interpretation des Lebenswerkes Newmans, dessen 
bis jetzt bester philosophischer Interpret W. Gr. Ward selbst 
trotz allem geblieben ist. 

Wenn wir bedenken, daß die Phänomenologie denselben 
methodischen Ausgangspunkt hat wie auch Newmans Reli- 
gionspsychologie, nämlich den lebendigen Vorgang, im Gregen- 
satz zum transsubjektiven Objekt des Vorgangs in sich, nur 
mit dem Unterschied, daß die Phänomenologie einen platonisch- 
aprioristischen, Newman aber einen induktiv-empirischen Weg 
einschlägt, so werden uns die Worte jenes Programms der 
Dublin Review als beste Schlußkritik über unsern Gregenstand 
erscheinen : 

,Jedes religiöse System zielt durch seine praktische Aus- 
wirkung dahin, eine entsprechende Form wahrer oder falscher 
Religiosität hervorzubringen, und jede denkbare Form von 
Religiosität fordert logisch ein objektives Gegenstück, so daß, 
wie diese zwei notwendig mit einander verknüpft sind, wir 
auch eine Philosophie beider haben müssen, um eine vollständige 
Philosophie der Religion zu besitzen. Die Philosophie der 
objektiven Religion ist in christlichem Sinn in der Hauptsache 
die scholastische, insofern sie von der historischen oder posi- 
tiven Theologie sich unterscheidet, mit denen sie freilich in 
den Schulbüchern sich vermischt; die Philosophie der subjektiven 
Religion ist eine gleiche Anwendung philosophischer Methode 
auf das religiöse Bewußtseinsleben' ^. 

Dieses Programm einer Synthese antik-patristisch-schola- 
stischer Greisteshaltung, die auf das Ding an sich geht, und 
neuzeitlicher Greisteshaltung, die auf den Vorgang der Er- 

des schwierigen counterpart-Begriffs. Zu Söderbloms Standpunkt vgl. vom 
Verfasser .Nathan Söderblom' in Stimmen der Zeit CV (1922/23 11) Sept. 
' Dublin Review, New Series XYIIT (1872) 249 ii. 



I 

m 



224 I^- Natürliche Religion und Offenbarungsreligion. 

kenntnis geht, das W. G. Ward erstmaKg in seiner ,Philosophy 
of Theism' durchzuführen suchte, war ihm, dem Jünger Kleutgens 
und führenden Neuscholastiker Englands und doch zugleich 
begeisterten Schüler der Philosophie Newmans, in der Synthese 
der beiden gegeben, die eine Zeit schwerer Greisteskämpfe 
auseinanderzureißen suchte, — in der Synthese der Hoch- 
scholastik und Newmans. So zeigt der Beginn jener Periode, 
die man als den Kampf um den Modernismus bezeichnen kann, 
dieselbe Lösungsperspektive, die nun ihr Ausgang deutlicher 
noch herausstellt, nachdem im ganzen Plut- und Ebbegang 
ilires Verlaufs, fast unlöslich mit ihrem Ausgang verknüpft, 
der Kampf um sie getobt — : die großen Probleme, die der 
Modernismus aus Newmans Philosophie entnommen, um sie 
in ,genialem Mißverstehen' Newmans (Sarolea) zur eigenen 
immanentistischen Lösung zu vereinseitigen und dadurch zur 
Häresie zu führen, diese großen Probleme lösen sich nur im 
Geiste der Lösung ihres Meisters — : im Geiste der aus ihren 
historischen Bedingungen heraus richtig verstandenen ,Philo- 
sophie der subjektiven Religion' Newmans. Dieser Geist allein 
kann der Schutzgeist der Phänomenologie sein. 



ANHANG. 

DIB NEUE KATHOLISCHE INTÜITIONS- 

SOHULE UND IHEE HISTOEISCHEN 

ÜNTEELAGEN. 

Im Brennpunkt des heutigen deutschen katholischen Geistes- 
lebens steht unverkennbar die Frage : Ist für die Begrün- 
dung des Daseins Gottes und für die Glaubensbegründung im 
besondem nicht der alte Weg unbrauchbar, wenigstens lücken- 
haft, und darum durch einen neuen Weg zu ersetzen? Diese 
Fragestellung hatte ein erstes Stadium in den Kämpfen um 
die Schriften C. Isenkrahes und betrat ihr zweites durch die 
Schriften Joh. Hessens ^ über die ,unmittelbare' Gotteserkenntnis 



^ Die Begründung der Erkenntnis nach dem hl. Augustin (Münster 1916) 
(=A). 

Antiker und moderner Idealismus (Phil. Jahrbuch XXX [1917]) (= B). 

Graf V. Hertling als Augustinusforscher (Düsseldorf 1919) (= C). 

Die unmittelbare Gotteserkenntnis nach dem hl. Augustinus (Paderborn 
1919) (= D). 

Die Religionsphilosophie des Neukantianismus (Freiburg 1919) (=E). 

Der augustinische Gottesbeweis (Münster 1920) (= F). 

Augustinismus und Aristotelismus im Mittelalter (Franzisk, Studien VII 
[1920]) 1-13 (= G). 

Malebranches Verhältnis zu Augustin (Phil. Jahrb. XXXHI [1920] 53—62) 
(=H). 

Bonaventuras Verhältnis zum Ontologismus (ebd. XXXIV [1921] 370—378) 
(- J). 

Augustinische und thomistische Erkenntnislchre (Paderborn 1921) (= K). 

Patristische und scholastische Philosophie (Breslau 1922) (= L). 

Die philosophischen Strömungen der Gegenwart (Kempten 1928) (= M). 

Augustinus, vom seligen Leben (Leipzig 1923) (= N). 
Przjrsvara, Religionsbegrflndung. 15 



226 Anhang: Die neue kath, Intuitionsschule u. ihre hist. Unterlagen. 

bei Augustin und die Matth. Laros' ^ über die Intuition als 
Grrundlehre Pasoals und Newmans. Dieser Bewegung, die aus 
eigentlich innerkatholischen Geistesbedingungen sieb heraus- 
bildete, kommt nun, aus den eigenen Bedingungen des außer- 
katholischen Greisteslebens entwickelt, die eigentliche Phäno- 
menologie entgegen, vorab mit ihrem Begriff der Wesensschau 
und des ,unmittelbaren' Yorzeichnung-ErfüUungs- Verhältnisses 
zwischen Akt und Objekt. Wesensschau und Yorzeichnung- 
ErfüUungs -Verhältnis, die beide von Haus aus, wie wir zeigten, 
apriorisch-logische Aufstellungen sind und auf die ,Qualität' 
gehen, verbinden sich durch ihren Charakter ,unmittelbarer 
Schau' mit der psychologisch-gesehenen .,unmittelbaren Intui- 
tion' der Auffassungen Hessens und Laros', die auf die ,Ilealität' 
gehen. Von diesen historischen Ursprüngen aus wird es ver- 
ständlich, wie sowohl die, an und für sich von Augustinus- 
Pascal-Newman (in ihrer Auffassung) her orientierten, Ver- 
treter des ,Unmittelbaren' und der ,Intuition' Max Scheler für 
sich in Anspruch nehmen, als auch Max Scheler sein, an und 
für sich rein phänomenologisch orientiertes, System als Aus- 
bildung Augustinischer und Newmanscher Keime darstellen 
kann. Aus diesem Ineinanderschwimmen hat sich ergeben, 
was wir nun als Tatsache vor uns sehen: die Proklamierung 
des Schelerschen Systems zur Theorie der ,unmittelbaren 
Intuition', die die alte katholische Theorie ,mittelbarer' oder 
, diskursiver' Gotteserkenntnis bzw. Glaubensbegründung zu er- 
setzen habe, und die Darstellung Max Schelers als sozusagen 
Höhepunktes der Entwicklung Augustinus-Pascal-Newman. 

Es ist offensichtlich, daß zu einer Klärung eines solchen 
,synkretistischen' Tatbestandes seine zwei Bestandteile von- 
einander geschieden und für sich untersucht werden mußten, 
zuerst das Schelersche System in seinen eigenen Zusammen- 

^ Pascals Pensdes (Kempten 1913) (= 0). 
Das GlaubensproWem bei Pascal (Düsseldorf 1918) (= P). 
Kardinal Newman (Mainz 1920) (= Q). 



Intuitionismus und Phänomenologie. 227 

hängen und seinen Beziehungen zur alten katholischen Lösung 
und zur neuen, wie sie aus den Schriften Hessens und Laros' 
mehr oder weniger deutlich heraustritt, dann aber die Hessen- 
Larossche Lösung in ihren eigenen Zusammenhängen und hi- 
storischen Unterlagen. Die erste Arbeit ist geschehen. 

Die zweite, eine eingehende Prüfung der Schriften Hessen- 
Laros' von ihren Bedingungen aus, soll im Folgenden versucht 
werden. Hessen und Laros legen ihre Lösung nicht so sehr 
systematisch als in historischen Untersuchungen vor; bei Laros 
ist diese Beschränkung auf das Historische so groß, daß er 
fast nur als Pascal-Newman-Porscher erscheint. Daher ist 
unsre Frage eine zweifache. Erstens : Wie stellt sich die 
systematische Lösung Hessen-Laros' dar? Zweitens: Wie steht 
es mit ihrer historischen Unterlage, d. h. mit ihrer Augustinus- 
Pascal-Newman-Darstellung ? 

§ L Das System der ,iiiimittell)areii' Intuition. 

1. Darlegung. 

Der Hintergrund der Auffassungen Hessens und Laros' ist 
unverkennbar das im katholischen Geistesleben der letzten 
Jahre immer mehr hervorgetretene Unbehagen an den über- 
lieferten Theorien von Gotteserkenntnis und Glaubensbegrün- 
dung, sowie das Bestreben, durch eine positivere Auseinander- 
setzung mit dem außerkatholischen, modernen Geistesleben zu 
neuen, besseren Lösungen zu gelangen. So kehrt in Hessens 
Schriften der Hinweis auf die Kritik Isenkrahes an den her- 
kömmlichen Gottesbeweisen inuner wieder (E 91 ; D 60 ; F 10). 
Die ,erkenntnistheoretischen Schwierigkeiten' der ,herkömm- 
lichen Gottesbeweise' legen eine ,Wiederaufnahme des augu- 
stinischen Gedankens nahe' (D 60). ,Als Hauptquelle dieser 
Unstimmigkeiten erschien diesem Forscher [Isenkrahe] das 
Kausalgesetz, das nach ihm zu den schwierigsten und um- 
strittensten Problemen der Philosophie gehört, und so glaubte 
i 15 * 



228 Anhang: Die neue kath. Intuitionsschule u. ihre hist. Unterlagen. 

er denn im Interesse einer bündigen Beweisführung jenes 
Axiom völlig ausschalten zu sollen* (F 10). Auf der andern 
Seite ist es die neukantianische Schule, vor allem die Badener, 
die ihm {er führt Sev, Aicher für sich an) eine Wiederbelebung 
des , Augustinismus' als empfehlenswert erscheinen läßt : was 
diese Schule anstrebt, sei gerade in Augustinus (so wie 
Hessen ihn faßt) erfüllt (A 114, B, E, F 80 ff.). Während 
Scheler im ,Ewigen im Menschen' zu Rickert und Windelband 
scharf ablehnend Stellung nimmt, findet Hessen in ihnen zum 
mindesten wahre Ansatzpunkte einer richtigen ßeligionstheorie, 
wenigstens für eine wissenschaftliche Grundlegung des Grottes- 
glaubens, wenngleich er für eine psychologische Grundlegung 
des religiösen Vorgangs sie doch schließlich wieder ablehnt, 
weil er hier eine ,Intuition' im ganzen Bereich des Seelen- 
lebens will (E 79 ff, G 12 f.). Ähnlich orientiert zeigt sich 
Laros, wenn er Pascals Meinung von den »traditionellen Gottes- 
beweisen aus der Natur' dahin auseinandersetzt, ,daß Gläubige 
in ilirer Überzeugung dadurch vielleicht gestärkt, Ungläubige 
aber nicht daraus die Überzeugung gewinnen können'. ,Dasein 
Gottes und Tatsache der Offenbarung müssen erst auf andere 
Weise sichergestellt sein' (P 172/173). Und an anderer Stelle: 
,Dazu kommt er [Newman] in philosophischer Beziehung einer 
breiten Strömung des gegenwärtigen Denkens, die unverkenn- 
bare Kräfte aufweist und im Intuitionismus Bergsons ihren 
extremen Vertreter hat, ziemlich weit entgegen. Diese findet 
in seiner JKritik der individuellen, diskursiven Vernunft und 
seiner Vorliebe für das konkrete Denken willkommene An- 
schlußpunkte, und das lebende Geschlecht, das ratlos an den 
Trümmern der rationalen Wirklichkeiten steht und zu den 
transzendenten Tiefen des Daseins vordringen will, wird auf 
seine Analyse des Irrationalen am liebsten hören. Was bei 
Alfred Mombert, Reinhard Johannes Sorge, Karl Caspar, Josef 
Eberz in Poesie und Kunst um Ausdruck und Form ringt, ist 
der Inhalt seines Suchens und Findens gewesen, und seine 



Intuitionismus und moderne Philosophie. 229 

Gredankengänge führen unmittelbar zu den Toren des Myste- 
riums , das Nietzsche und Strindberg als letztes Wort der 
neueren Geistesentwicklung geahnt haben, und zu dem den 
Weg zurückzufinden die Schicksalsfrage der modernen Zeit ist 
(Q 5/6). Die Intuitionstheorie, die er (in P) vorlegt, ist ihm 
am klarsten bei Bergson entwickelt^, wenngleich er sie mit 

^ Laros sucht freilich (P 105) Bergsons Jntuition' in seiner Weise zu 
interpretieren, aber die Innern Zusammenhänge des Systems Bergsons machen 
diese Interpretation unmöglich. Bergsons absolute Antithese von ,Intellekt' 
und Jntuition' ist korrelat der Antithese von ,Materie' und ,Leben'. Wie 
die jMaterie' erstarrtes Leben ist, so ist der ,Intellekt' das Erkenntnis- 
organ der Erstarrung. ,Intuition' aber ist Einswerden mit dem strömenden 
Leben selbst. Der letzte Hintergrund aber ist die physische Einheit von 
Intellekt-Materie bzw. Intuition-Leben, so daß das Weltall ein einziger Be- 
wußtseinsstrom ist, der immer wieder ,Formen' auskristallisiert, um sie 
immer wieder in das ewige Strömen aufzulösen — , d. h. jener innere 
Ehythmus des All-lebens, wie ihn in Deutschland die Philosophie Georg 
Simmeis als letzte Lösung bot. Dahin geht auch geradezu einstimmig die 
Meinung der Bergson-Literatur. Cl. Bäumker weist auf die Identität von 
Bewußtsein und Leben, dessen eine Seite der Rhythmus von Intellekt imd 
Intuition, dessen andere Seite der Rhytlmius von Matej-ie und Lebens- 
strömung ist; diese eine dynamische Wirklichkeit i s t Gott (Philos. Jahrb. 
XXV [1912] 18 ff.). Dasselbe betont mit scharfer Ablehnung Max Scheler 
(Abhandlungen und Aufsätze 11 [Leipzig 1915] 214 ff.; jetzt UWIINr.2), 
wenngleich er im ,Sichhingeben an den Anschauungsgehalt der Dinge' 
(ebd. 197) und der ,Evideriz im Haben des Seins' (205) gegenüber kantischem 
Kritizismus eine der eigenen Haltung verwandte Einstellung begrüßt. Walter 
Meckauer (Der Intuitionismus und seine Elemente bei Henri Bergson [Leipzig 
1917]) stellt klar den intellektfeindlichen Charakter der Intuition heraus 
(4 52 f. 61), ihre Gefühlseigenart (56), ihre Instinktnatur (26), ihr .meta- 
physisch-mystisches Einswerden mit dem Rhythmus der „duree"' (9 36 38); 
ja die Intuition ist als ,ungetrennte Einheit mit dem Strom der „duree"', 
,der Rhythmus, die Anspannung des Lebens selber' (17). Roman Ingarden 
(Intuition imd Intellekt bei Henri Bergson, im Jahrbuch für Philos. und 
phänom. Forschg. V [1922]) bezeichnet die Intuition als ,von jederlei intel- 
lektueller Erkenntnis radikal verschieden' (298), als ,Zusammenfallen mit 
dein Gegenstand' (378) und als ,das in allen seinen Tendenzen und Ge- 
staltungen sich selbst erfassende Leben' (392). Alb. Inauen (Bergsons 
Ich-Intuition, im Gregorianum III [1922] 572 ff.) zeigt im Ich-erfassen dieses 
In-eins-fallen von Subjekt und Objekt. Helmuth Pleßner betont den gegen- 
wissenschaftlichen Charakter der Intuition vielleicht am stärksten imd sehr 
klar ihr ,unmittelbares Darinnensein im absoluten Sein': ,in der Intuition 



230 Anhang: Die neue kath. Intuitionsschule u. ihre hist. Unterlagen. 

der Wesensschau Husserls ebenfalls gleichzusetzen sucht. In 
seinen ,Grermania'-Artikeln im April/Mai 1922 stellte er dann 
diese ,platomsch-augustinische' Auffassung, wie er sie nennt, 
als ,scharfen Gegensatz' dar ,zur aristotelisch-scholastischen 
Philosopliie ebenso wie zu den anti-intellektualistischen Theo- 
rien des Modernismus'. 

Die vom iramanentistischen ,elan vital' her gesehene ,In- 
tuition' Bergsons, die aus logischer Reduktionsmethode ent- 
springende ,Wesensschau' Husserls, der einer induktiv-appro- 
ximativen Wissenschaftsmethode verwandte ,Folgerungssinn' 
Newmans, das aus der Hypertranszendenz der platonischen 
,Teilnahme' (|Li€T0xr|) geborene ,theologische Apriori' Augustins 
werden also von Laros mit den, aus Reaktion gegen eine 
mathematisch-diskursive Erkenntnis geborenen und (was Laros 
nicht beachtet) von der jansenistischen Liebeslehre offenbar 
beseelten, ,raisons du coeur' Pascals, dem eigentlichen TJrtyp 
von Laros' ,Intuition', zu einer geistesgeschichtlichen Zwangs- 
Synthese verbunden. Ahnlich gestaltet sich dann auch Hessen 
letztlich eine subjektiv bedingte geistesgeschichtliche Einheit, 
indem er semen Augustinismus auf der einen Seite mit Scheler 
identifiziert (M 18), Scheler aber samt Husserl einfachhin mit 
Bergson, ja mit den Pragmatisten zur Gruppe der Lebens- 
philosophie zusammenfaßt (M 82 ff.) und zu Dilthey stellt 
(M 67 f. 109), auf der andern Seite aber in Augustin, Pascal 
und Newman eine einzige blutsverwandte Linie sieht (M 58 u. a.). 
Dieses Ganze ist dann für beide die Philosophie der ,unmittel- 



schwingt der Mensch ... in dem eigentümlichen, begrifflich-schematisch nicht 
faßbaren Rhythmus des Lebens der Dauer, er taucht in seinen Strom selbst 
ein (Einheit der Sinne [Bonn 1923] 77 99/100 289 304). Bergsons Intuition 
ist also nur annehmbar unter Annahme seiner Identität von Subjekt und 
Objekt und Gott und All. Die ausdrückliche Widerlegung der Larosschen 
Bergson-Darstellung bringt sehr klar P. Simon (Der Pragmatismus in der 
modernen französischen Philosophie [Paderborn 1920] 102 ff.), der scharf 
mit den obigen Kritikern sowohl den strikten Irrationalismus (ebd. 105 f.) 
wie die Identitätslehre Bergsons betont (129 if,). 



Prüfung der Vertreter des Intuitionismus. 231 

baren Intuition', der im Geisteskampf die Zukunft gehöre. 
Denn, wie Hessen ausführt, ,der Rationalismus, der nur eine 
rationale Erkenntnis gelten läßt und die Intuition als Er- 
kenntnismittel ablehnt, hat sich als unfähig erwiesen, die 
höchsten Aufgaben der Philosophie zu lösen. . . . Aber auch 
in seiner gemäßigten Form, die er im kritischen Realismus 
angenommen hat, versagt er und muß er versagen in Welt- 
anschauungsfragen' (M 112); eine , Synthese von Rationalismus 
und Intuitionismus' sei zu erhoffen (M 112). Wir haben im 
Hauptteil unsrer Arbeit bereits praktisch nachgewiesen, wie 
die Art Hessens und Laros', Scheler und die Phänomenologie 
überhaupt in ihre Fragestellung einzubeziehen , der Frage- 
stellung der Phänomenologie und Schelers im besondern schlank- 
weg widerspricht, und wie anderseits Husserl und Scheler nur 
in ganz beschränktem Maße mit der evolutionistisch gerichteten 
Fragestellung der Gruppe Bergson-Düthey-Troeltsch in Ver- 
bindung gebracht werden können. Husserl und Scheler gehen 
rein auf die reduktive Gewinnung des ,Wesens', nicht des ,Da- 
seins', Hessens-Laros' Fragestellung aber wesentlich auf einen 
neuen Weg der Gewiimung des ,Daseins' ; Husserl-Scheler be- 
trachten das ,Wesen' als ein im Werdeprozeß der Geschichte 
objektiv Verharrendes, Bergson-Dilthey-Troeltsch das ,Wesen' 
als ein durch den Werdeprozeß Geschaffenes^. So bleibt von 
all den geschichtlichen Synthesen Hessen-Laros' nur die Gruppe 
Augustin-Pascal-Newman, die im zweiten Teil zu untersuchen 
sein wird. 

Nun zu einer Prüfung des Systems der ,unmittelbaren In- 
tuition'. 

Hessen zunächst hält wohl mit der Scholastik dafür, daß 

Gottesbewei se möglich sind und geführt werden müssen, wie 

^ Sehr klar zieht Helm. PJeßner (Einheit der Sinne [Bonn 1923] 79 91) 
den scharfen Graben zwischen Intuitionismus und Phänomenologie. Über- 
haupt regt sich allmählich der gesunde wissenschaftliche Geist gegen die 
Verwirrungen des Intuitionismus. Ebenso scharf ist Meckauers Ablehnung 
des Intuitionismus (Der Intuitionismus usw. 39 ff.). 



232 Anhang: Die neue kath. Intuitionsschule u. ihre hist. Unterlagen. 

seine durch alle seine Schriften durchgehende Zweiheit von 
jGottesheweis' und ,intuitiver Gotteserkenntnis' zeigt. ,(jottes- 
beweis* und , Gotteserfahrung' ferner dürften nach ihm in einem 
ähnlichen Verhältnis stehen, wie es auch auf scholastischem 
Standpunkt entspricht: der logische Rechtsgrund des Gottes- 
beweises wird zum psychologischen Wirkgrund der Gottes- 
erfahrung ^ Der entscheidende Unterschied liegt vielmehr im 
Inhalt des von ihm geführten Gottesbeweises, dem dann natür- 
lich auch eine andere Art der Gotteserfahrung entspricht. 
Dieser Gottesbeweis geht von den letzten und höchsten In- 
halten des Denkens aus, wie sie in den Grundprinzipien der 
Logik, Moral und Ästhetik gegeben sind. Diese enthalten ein 
Element der unabänderlichen Notwendigkeit und Ewigkeit, in 
dem der Unwandelbare und Ewige selber ,unmittelbar' , ge- 
schaut' oder ,berührt' wird (D 8 ff., B, F, K 40 ff., J 374, 
H 59 usw.). Diese , Grundprinzipien' werden nicht gefaßt als 
eine , Wirkung', deren ,Ursache' Gott sei: ,Von einer kausalen 
Erklärung kann hier natürlich keine Rede sein, da jene Gegen- 
stände ja nicht der realen, sondern der idealen Ordnung an- 
gehören. Yielmehr kann hier nur eine logische Analyse und 
eine darauf fußende sinnvolle Erklärung unter Anwendung des 
logischen Satzes vom hinreichenden Grunde statthaben' (F 73 ; 
vgl. H, J, K)l 

Mit diesem Gottesbeweis ist aber noch nichts über die kon- 
krete Realität Gottes ausgemacht, da ja die obigen , Grund- 
prinzipien' keine realen Dinge sind ; darum vermag auch nach 
Hessen die neukantianische Schule, auch auf dem Wege 
Windelbands, nicht zur Wirklickeit Gottes vorzudringen (B 
196/197, E 82). Wie kommt Hessen zur Wirklichkeit Gottes ? 

' Stimmen der Zeit CIY (1922) 12—19. 

2 Sonderbarerweise spricht Hessen trotzdem von ,Kontingenz' als Grund- 
lage seines Beweises ; ,als Grundlage des Beweises dient . . . der Nachweis 
der Ergänzungsbedürftigkeit der einzelnen Wertgebiete, ihrer wesenhaften 
Kontingenz' (F 109). Also Ablehnung der Kausalität — und Behauptung 
ihrer Grundlage, 



Hessens Gottesbeweis. 233 

Ein erster Weg, der in den frühern Schriften Hessens heraus- 
tritt, ist die Fassung Grottes als Einheit von Denken und Sein. 
Er weist auf sie hin in seiner ersten Schrift, wenn er den 
,erkenntnistheoretischen' Kerngedanken Augustins als ,Keim- 
zelle' des ,noetischen Gottesbeweises' bezeichnet und von einer 
,kritischen Perspektive' spricht, nämlich ,auf einen, jene 
zwischen Denken und Sein bestehende Relation erklärenden 
Realgrund . . ., der dementsprechend als die vollkommenste 
Durchdringung von Idealität und Reaütät, d. h. als göttliche 
Vernunft zu bestimmen ist' (A 115/116). Anders drückt er 
diesen Gedanken aus, wenn er zunächst gegenüber dem 
,idealen' Reich der Wahrheiten ein Reich der Wirklichkeit 
fordert, um dann das ,dritte Reich' der Einheit beider zu 
entwickeln, ,Zu dem rationalen Moment der Wirklichkeit 
ist jetzt das irrationale oder reale hinzugetreten, eine ideale 
und eine reale Ordnung sind unterschieden. Beide Reiche 
zeigen nun aber ein eigentümliches Aufeinanderbezogensein. 
Das ist nur dadurch möglich, daß beide in einem dritten ge- 
meinsam gründen. Dieses , dritte Reich' ist mithin als die 
Einheit von Idealität und Realität , mit andern Worten als 
göttliche Yernunft zu bestimmen' (B 198). 

Hessen nimmt hier u. a. einen Lieblingsgedanken des jungen 
Hertling auf: ,Soll ... an der Objektivität und materialen 
Wahrheit unsrer Erkenntnis einer Außenwelt festgehalten 
werden, ... so tritt die Notwendigkeit, dem Erkenntnisvorgang 
nach der Seite seines subjektiven wie seines objektiven Fak- 
tors durch die Beziehung auf ein höchstes intelligentes Prinzip 
seine letzte Begründung zu geben, nur um so deutlicher her- 
vor.' ^ Indes tritt diese Form eines endgültigen Gottesbeweises 



^ Über die Grenzen der mcclianischien Naturerklärung (Bonn 1875) 153, Anm. 
Es ist aber sehr bezeichnend, daß Hertling in seiner ,Metapliysik* (Kempten 
1922), also seinem letzten, reifsten Werk, prinzipiell nur die Gottesbeweise 
aus der objektiven Welt kennt und die sog. ,Beweise aus dem Bewußtsein' 
dem teleologisclien Gottesbeweis einordnet. Damit vertritt er noch kon- 



234 Anhang: Die neue kath. Intuitionsschule u. ihre hist. Unterlagen. 

in Hessens spätem Schriften zurück. Hier versucht er direkt 
und unmittelbar die empirische Realität Grottes als ,substantiale 
Wahrheit' zu fassen. ,Das Normbewußtsein . . . weist in seiner 
dreifachen Richtung, als logisches, etliisches und aesthetisches 
Bewußtsein, einen Dualismus auf, nämlich den Gegensatz von 
Sollen und Sein, Norm und Wirklichkeit. Damit weist es 
aber über sich selbst hinaus auf eine letzte Einheit, die die 
Überwindung jener Dualität bedeutet. Es muß also ein Etwas 
geben, das die Identität von Norm und Sein, Idealität und 
Realität darstellt, das mithin in der dreifachen Richtung des 
Normbewußtseins als substantielle Wahrheit, Gutheit und Schön- 
heit erscheint. Diese transzendente Realität heißt in der 
Sprache der Religion „Gott". Die Gottesidee erscheint somit 



sequenter als durchgehend die scholastischen Lehrbücher die große Er- 
kenntnis der Scholastik, daß nur das objektive .Werden' als solches im 
Umfang seines Begriffs (Sich- verändern, Gewordensein, Streben zur Voll- 
endung) der empirische Ausgangspunkt des wissenschaftlichen Gottes- 
beweises, sei. Gott als das absolute Sein ist in allem , Werden' gleich fern 
und gleich nahe. Mithin ist eine sachgemäße Einteilung der Gottesbeweise 
konsequent nur in der Hertlingschen Weise möglich : Beweis aus der Be- 
wegung (entsprechend dem ,Sich-verändern'), kosmologischer Beweis (ent- 
sprechend dem ,Gewordensein'), teleologischer Beweis (entsprechend dem 
.Streben zur Vollendung'). Die übliche Einteilung in ,Beweise aus der 
Außenwelt' und ,Beweise aus der Innenwelt' sprengt eigentlich den Uahmen 
des strengen Gottesbeweises. Denn Jnnenwelt' (Beweis aus Wahrheits- 
erkennen, .Sittlichkeit, Glückseligkeit) ist nur eine ,persöhlichere' Ver- 
anschaulichung. Der Beweisgrund ist derselbe wie für die »Außenwelt', 
nämlich der ,Werdecharakter' des Menschen. Mithin sind die Innenwelt- 
beweise eine Art Herübemahme der psychologischen Wege der Gottes- 
erfahrung, also eine Art Einbruch von Religionspsychologie in die 
Religionsphilosophie. Es ist also erst eigentlich die Theodiceeform 
Hertlings eine durchschlagende Abweisung aller Immanenzideen, die mehr 
oder minder auch noch die ,Beweise aus der Innenwelt' färben, da sich 
hier unbewußt der Eindruck einschleichen kann, als sei Gott objektiv 
näher im Menscheninnem als in der Außenwelt. Gewiß , insofern die 
Menschenseele Gott ,ähnlicher' ist als das Untermenschliche, ist Gott 
in ihr ,näher'. Aber der Erweisgrund seiner Nähe überhaupt ist das 
, Werden' und nur das , Werden'. Hier aber ist keine größere ,Nähe' in 
der Menschenseele als in der Welt. Vgl. Stimmen der Zeit CIV (1922) 12—19, 



Hessens Realsefczung Gottes. 235 

als Abschluß und Krönung der drei Wertgebiete : der Wissen- 
schaft, der Sittliclikeit und der Kunst. In ihr finden diese 
ihre notwendige Ergänzung und YoUendung. Darin liegt das 
logische Recht der Grottesidee und damit die Bürgschaft für 
die Existenz Gottes' (E 93). Im ,Augustinischen Gottesbeweis' 
weist er auf eine zweifache andere Möglichkeit hin. Einmal 
(mit Switalski) darauf, daß unser Erkennen als ,realer und 
stetig zu realisierender Prozeß' (Switalski) einen Gott verlange, 
der ,nicht bloß ein von uns konstruiertes Ideal, sondern der 
aus sich seiende, Idealität und Realität ... in gleicher Weise 
schöpferisch begründende Gott ist' (Switalski). Dann aber 
(mit Oskar Ewald) auch auf die Beziehung unsrer Erkenntnis 
auf die realen Dinge, da unser Erkennen sowohl auf Dasein 
wie Sosein gerichtet ist. Aber, wenn wir richtig sehen, ist 
es Hessen um eine solche Verfestigung nicht viel zu tun. Man 
gewinnt den Eindruck, daß ihm unmittelbar in seinem Gottes- 
beweis nicht bloß das ,Wesen', die Idee Gottes, sondern auch 
die Realität Gottes gegeben ist , wie sich auch aus seiner 
Stellungnahme zum ontologischen Gottesbeweis ergibt: Gott, 
die unwandelbare ewige Wahrheit, an der wir teilhaben in 
den ewigen unwandelbaren Grundprinzipien der Wissenschaft, 
Ethik und Ästhetik, ist eben darum auch der reale Gott. 
Die erkenntnistheoretische Schwierigkeit des Übergangs vom 
Reich der Gedanken zum Reich des Seins schiebt er beiseite. 
Die Ergänzungen Switalskis und Ewalds, die gerade aus der 
Einsicht in dieses Problem erfolgen, sieht er nur als ver- 
schiedene Formen des einen Beweisgangs an: ,Der augusti- 
nische Gottesbeweis läßt sich somit in dreifacher Weise durch- 
führen. Man kann mit dem Kirchenvater von den obersten 
Wahrheiten und Normen direkt auf eine substantielle Wahr- 
heit schließen, indem man die Ewigkeit und Absolutheit der 
erstem auf ein Ewiges und Absolutes im metaphysischen Sinne 
zurückführt. Um diesen Schluß zu verfestigen, kann man aber 
auch ein reales Moment bei der Beweisführung zu Hilfe nehmen, 



236 Anhang: Die neue kath. Intuitionsschule u, ihre hast, Unterlagen. 

indem man entweder auf die Beziehung jener Wahrheiten zum 
erkennenden Subjekt oder auf ihr Bezogensein zu den wirk- 
lichen Dingen hinweist. Bei dieser Heranziehung eines realen 
Momentes tritt der ReaHtätscharakter des Urgrundes, auf den 
die obersten Wahrheiten zurückgeführt werden, stärker her- 
vor und wird der Schein einer Hypostatisierung, eines un- 
begründeten Übergangs aus der idealen in die reale Ordnung, 
besser gemieden' (F 103/104). 

Diesen Gottesbeweis bezeichnet Hessen noch als »mittelbare' 
Gotteserkenntnis. Aber schon in ihm ist die ,unmittelbare' Gottes- 
erfahrung grundgelegt. Denn: ist Gott die substantielle Wahr- 
heit, die wir ,schauen', »berühren', wenn wir die absoluten 
Wahrheiten erkennen, so ergibt sich in innerer Konsequenz die 
Lehre, daß Gott auch der unmittelbare Wirkgrund dieser 
höheren Erkenntnis ist: Gott unmittelbares Objekt und un- 
. mittelbare Ursache. Da nun nach Hessen Gott in den , Grund- 
prinzipien' nicht bloß als ,Wahrheit' gegeben ist, sondern als 
substantielle Wahrheit, d. h. als konkrete Realität, so folgt 
für den konkreten Vorgang der Gotteserkenntnis, daß in ihm 
Gott auch als konkrete Realität , geschaut', sozusagen ,berührt' 
wird. Der , Gottesbeweis' aus den »Grundprinzipien' ist damit 
nur insofern ,mittelbar', als hier, die Erkenntnis Gottes bewußt 
im ,Satz vom hinreichenden Grund' verfestigt wird, der aber 
nach Hessens Auffassung (F 110) nur »Postulat' ist. Der Satz 
vom hinreichenden Grund ist das ,Mitter, das zwischen Gott 
und Seele steht. " Dieses fällt in der konkreten Gotteserfahrung 
weg; damit ist sie schlechthin , unmittelbar'. Damit aber ist 
die konkrete Erfahrung in sich der eigentliche Rechtsgrund 
der Religion. »Das Recht der Religion gründet sich im letzten 
und tiefsten Grunde auf jene eigentümliche Gewißheit, die dem 
religiösen Bewußtsein eignet. Es ist eine unmittelbare Ge- 
wißheit intuitiver Art, mit welcher das religiöse Bewußtsein 
sein Zentralobjekt umfängt. . . . Die Inhalte des rehgiösen Er- 
lebens, die religiösen Werte, besitzen den eigentlichen Ausweis 



Hessens unmittelbare Gotteserfahrung. 237 

ihres Geltangsrechtes in jener unmittelbaren Gewißheit, wie 
sie den religiösen Erlebnissen eigentümlich ist. Läßt man 
jene Grewißheit nicht gelten, dann verlieren die religiösen Werte 
ihr Greltungsrecht und ihre Wahrheit. ... In der religiösen 
Erfahrung ist sich der Mensch bewußt, mit einer transzendenten 
Wirklichkeit in Beziehung und Wechselwirkung zu stehen, . . . 
Damit ist . . . die Religion gewissermaßen auf eigene Füße 
gestellt. Über ihr Hecht entscheidet letzten Endes nicht die 
Philosophie, sondern sie besitzt ihr Recht in sich, sie begründet 

sich selbst durch die ihr eigentümliche Gewißheit Religion . . . 

stellt der Bewegung von unten nach oben eine Bewegung von 
oben nach unten, der Aktivität und Produktivität eine gewisse 
Passivität und Rezeptivität entgegen' (E 79 — 88) \ Dieses 
Grunderlebnis hat eine intellektuelle Seite, und eine emotionale 
Seite, die er mit den Termini der Phänomenologen als Wert- 
erkennen und Wertfühlen bezeichnet, wie er auch das ganze 
Erlebnis in den spätem Schriften kurz ,Werterlebnis' nennt; 
,was ihm aber in jeder der beiden Richtungen eignet und sein 
Wesen ausmacht, ist die Unmittelbarkeit, mit der es sein 
Objekt erfaßt und die damit gegebene unbezweifelbare Ge- 
wißheit' (D 34). ,Weil . . . Gott in der Menschenseele un- 
mittelbar gegenwärtig ist, darum vermag sie ihn auch un- 
mittelbar zu schauen' (N XV). Diese ,unmittelbare Intuition' 
überträgt dann Hessen schließlich auch auf den Glaubens- 
akt, wenn er von der ,augustinisch-anselmischen Richtung' 
schreibt, daß nach ihr ,der religiöse Glaube nicht auf einer 
intellektuellen Grundlage ruht, sondern gewissermaßen auf 
eigenen Füßen steht und in der unmittelbaren Gewißheit des 
religiös-intuitiven Erkennens seine tiefste Geltungsgrundlage 



^ Vgl. Phil. Jahrb. XXXIII (1920) 382-385 die entschiedene Kritik 
Chr. Schreibers, der klar darauf hinweist, wie sehr diese Ausführungen 
die allgemeine katholische Lehre über die Objektivität der Eeligion ver- 
wirren. Vgl. ebenso Schelers, von Hessen entschieden abweichende, Lehre 
von der ,ünniittelbarkeit'. 



238 Anhang : Die neue kath, Intuitionsschule u. ihre hist. Unterlagen. 

besitzt' {L 92). Diesen Gesamtstandpunkt bezeichnet er als 
,platoniscli-augustimsch', sieht in ihm auf der einen Seite, in 
völliger Verkennung der grundverschiedenen Fragestellung, eine 
Art katholisierte Form der Phänomenologie, auf der andern 
Seite nicht direkt einen ,Gegensatz zu der neuscholastischen, 
an Aristoteles und Thomas orientierten Philosophie, sondern . . . 
nur ... ein stärkeres Hervortreten der auch im Thomismus 
vorhandenen platonisch-augustinischen Ideen' (M 3), aber meint 
doch, daß dieser ,Augustinismus', wie er seiner Zeit im Mittel- 
alter durch den Thomismus verdrängt worden sei, so heute 
seinerseits den Thomismus ablösen könne (Bonif.-Korr. 1922, 
Nr. 2). 

Da Hessen, im entscheidenden Unterschied zu Scheler \ eine 
»unmittelbare Intuition' des ,Daseins' Gottes aufstellt, so mußte 
er sich natürlich die Frage stellen: Ist das nicht theologischer 
Ontologismus, d. h, unmittelbares Schauen der realen Wesen- 
heit Gottes? Die Unterscheidungen, mit welchen er seinen 
Standpunkt gegen diesen schon rein philosophisch unmöglichen 
Standpunkt abzugrenzen sucht, sind folgende. Für den Onto- 
logismus sei erstens Gott als Sein, nicht als Wahrheit der 
Kerninhalt der ,unmittelbaren Intuition'. Zweitens fasse der 
Ontologismus Gott als erste und absolute Bedingung aller Er- 
kenntnis, nicht bloß als Apriori der höchsten reinen Vemunft- 
erkenntnis (A 103, D 46 ff., H 59, J 374—378, K 43). Drittens 
sei (im Gegensatz zum Ontologismus) die ,unmittelbare Intuition' 
Gottes liier auf Erden eine stückhafte und unvollkommene : ,eine 
unmittelbare Erleuchtung und damit auch eine gewisse Selbst- 
offenbarung Gottes . . ., die freilich keine volle Offenbarung 
des göttlichen Wesens bedeutet' (K 64), Diese ,Unvollkommen- 
heit' der diesseitigen Intuition (D 34 ff., K XVI) im Unterschied 
zum jenseitigen ,seligen Schauen' (visio beatifica) sei in der 
jUnendHchen Wesensfülle Gottes' begründet, kraft deren Gott 



1 Vgl. Zeitschr. f. kath. Theol. (Jan. 1923) und diese Sclirift S. 104 ff. 



Hessen und Ontologismus. 239 

sowohl jpartieir als , ganz' geschaut werden könne; die zweite 
,UnvoIlkommenheit' liege in der zeitlichen Unbegrenztheit der 
irdischen ,Intuition' ; ,es ist ein Erlebnis, das nicht lange an- 
dauert, sondern nur wenige Augenblicke währt'. Durch diese 
,Unvollkommenheit' sei gegeben, daß mit unsrer diesseitigen 
jintuition' nicht die , ewige Seligkeit' verbunden ist, wie mit 
der jenseitigen »seligen Schau' \ Einen letzten Unterschied dem 
Ontologismus gegenüber sieht Hessen endlich darin, daß dessen 
,Unmittelbarkeit' ein rein logisch und erkenntnistheoretisch 
abgeleitetes Datum sei, während sie nach Augustin (in Hessens 
Auffassung) wesentlich an »sittliche Vorbedingungen' sich knüpfe 
(D 40 ff.) ^. So glaubt Hessen, wie er auch in dem oben an- 
geführten Artikel der ,Akad. Bonif.-Korr.' ausführt, eine ,In- 
tuition' mit wahrer ,Unmittelbarkeit' aufzustellen, die nichts 
mit jdiskursiver Erkenntnis' zu tun habe und doch gleichwohl 
die dogmatisch unhaltbaren Konsequenzen des Ontologismus 
vermeide. 

Hieraus erhellt also, entgegen Hessens Behauptungen (M 16 ff. u. a.), der 
Unterschied Hessens von Switalski^ Switalski lehrt gewiß eine »In- 
tuition' als Ausgang alles Brkennens; aber diese Intuition ist mehr ein 
dunkles Ersterfassen, das nun der ,verstandesgemäßen Bearbeitung bedarf 
(II 85, 142, 144). Ebenso lehrt er den ,religiösen Trieb' als Urtrieb aller 
andern geistigen Erkenntnistriebe, aber nur weil er ,Reflex der objektiven 
Gebundenheit aller Kreatur an Gott als ihren Schöpfer und Erhalter' ist 
(II 140). Auf dieser formalen Grundlage erhebt sich nun sein »platonischer 
Aristotelismus* (I 59), der aber fast mehr leibnizsche Färbung trägt und in 
gewisser entfernter Verwandtschaft zur Troeltschen Idee einer Synthese von 
Wesen und Entwicklung steht (I 51 u. a.). Die Welt der Ideen und die Welt 
der Realitäten sind nur darum letztlich einander zugeordnet, weil sie in Gott 
eins sind. In der Erkenntnis der Ideen ist die Idee Gottes von selber ge- 
geben, aber erst im Erleben der Welt der Realitäten werden wir seines 
Daseins inne (II 57/58), und die nach einer Lösung strebende Spannung 

' Vgl. Stimmen der Zeit CIV (1922) 234-238. 

^ Vgl. vom Verfasser (Einführung in Newmans Wesen' usw. ^reiburg 
1922) 69, Anm. 2, wo das Schema der augustinischen ,Glaubensentfaltung' 
zeigt, daß diese »sittlichen Vorbedingungen' ein Paktor der subjektiven Ent- 
faltung des Oifenbarungsglaubens sind. 

^- Probleme der Erkenntnis (Münster 1923) I— II. 



240 Anhang : Die neue kath. Intuitionsschule u. ihre hist. Unterlagen. 

zwischen der durch unser Erkennen bereits bewältigten und der noch zu 
bewältigenden Wirklichkeit ist nur ein wachsendes tieferes Verwurzeltwerden 
in Gott als der Einheit von Idee und Realität, Erkenntnissubjekt und Er- 
kenntnisobjekt : Er als Zielpunkt und Kraftquelle dieses ,Willens zur 
Idee' (II 25, 66, 126). 

Während also Hessen in den , allgemeingültigen Wahrheiten' Idee und 
Dasein Gottes zu erfassen scheint, ist bei Switalski das Dasein Gottes 
erst durch die Erfassung der realen Welt erfaßbar. Und selbst im Erfassen 
der Idee Gottes als des ,theologischen Apriori' (Hertling) besteht der Unter- 
schied, daß Hessen Gott gleichsam in den »allgemeingültigen Wahrheiten' 
erfaßt, während Switalski sie nur ,auf die ideale Gesetzgebung der ab- 
soluten Intelligenz zurückführt' (II 59). Von der Scholastik hinwiederum 
unterscheidet sich Switalski dadurch, daß er an die Stelle ,abbildender 
Begriffe' die ins Unendliche weisende anzubahnende Synthese von ,Idee' 
und »Wirklichkeit' setzt, so daß die formale Verankerung und Einheit von 
Idealgültigkeit (Allgültigkeit) und Realgültigkeit auf der einen Seite nicht 
so sehr im geschöpflichen Wesensverhalten als direkt in Gott liegt, der 
mithin schon die Erkenntnisgrundlage bildet — auf der andern Seite aber 
das letzte praktische ICriterium der ,Wahrheit' eines Satzes nicht so 
sehr in einer statischen ,absoluten Richtigkeit' liegt, als in der in ihm 
zum Ausdruck kommenden Dynamik eines ,echten Strebens nach' der 
Wahrheit (H 112, 126 u. a.). 

Die Gedankengänge Matth. Laros', soweit sie sich nach- 
zeichnen lassen, haben hiermit eine gewisse Verwandtschaft. 
Er ist ursprünglich vom Glaubensprohlem her orientiert und 
stellt hier einen Bituitionsbegriff auf, der nach ihm die Mitte 
halten soll zwischen einem syllogistischen Intellektualismus 
und einem subjektivistischen Yoluntarismus. Gegenüber der 
scholastischen Lösung, die für die Tatsache der Offenbarung 
mit einer ,moralischen Gewißheit' sich begnügt, auf die hin 
der Wille die Glaubenszustimmung ,befiehlt', stellt er eine 
unmittelbare ,Intuition' auf, die zum direkten Ergebnis die 
Glaubenszustiramung selbst hat, so daß der Glaubensakt, wie er 
in den , Germania'- Artikeln (1922 Nr 147) sagt, ,von seiten 
Gottes Gnade, von seiten der Menschen Intuition' ist. ,Vom 
Standpunkt des logisch-diskursiven Denkens aus ist keine mathe- 
matisch sichere Erkenntnis der Offenbarungstatsache zu er- 
reichen, wohl aber eine gleichwertige vom Standpunkte des 
intuitiven Denkens. . . . Mathematisch kann er zu keinem 



Laros' Glaubensintuition. 241 

zwingenden Schluß kommen, und ein widerstrebender Wille 
findet in den Dunkelheiten stets Grund genug, seine Zustimmung 
zu verweigern. Die Intuition aber gestaltet, einen guten Willen 
vorausgesetzt, aus den wirren Fragmenten ein leljendiges Ganze; 
die Kurven vervollständigen sich ihr bis zum Treffpunkte, die 
Gründe für die Glaubensgrundlagen erscheinen ihr in solcher 
Geschlossenheit und Überzeugungskraft, daß sie der mathema- 
tischen Evidenz in nichts nachsteht' (P 152/153). ,Die Intuition 
ist der Transformationsprozeß, in dem die lebendige Erfassung 
der Eüizelgründe und ihrer Gesamtheit aus der moralischen 
Sicherheit eine absolute macht und auf jeden hin eine absolut 
sichere Zustimmung bewirkt' (ebd. 141). In den ,Germama'- 
Artikeln über Newman überträgt dann Laros diese Auffassungs- 
weise auch auf die Gotteserkenntnis und spricht von eiaer ,phäno- 
menologischen Betrachtungsweise, die, entsprechend dem patri- 
stischen crede ut intelligas den Spuren Gottes in der Welt 
um uns, über uns und besonders in uns mit religiösem Sinne 
nachgeht und, die richtige Disposition vorausgesetzt, in allem 
den Schöpfer, Lehrer und Eichter findet' (,Germania' 1922, 
Nr. 147), und zitiert dafür aus dem Fragment eines Newman- 
briefes den Ausdruck ,inward perception', ,innere Wahrnehmung' 
(ebd.). Den Ausdruck ,unmittelbare' Intuition' gebraucht 
Laros fast ebenso oft wie Hessen; doch bliebe offen, ob er 
bei ihm nicht vielleicht nur den Gegensatz zu diskursivem 
Denken besagt, wenngleich die , Transformation' im Ich und 
der Gegensatz zu den ,traditionellen Gottesbeweisen aus der 
Natur' (P 172/173) doch in eine ähnliche Richtung wie Hessens 
,Innenschau' deuten könnte^. 

Fassen wir das Gesamtbild der Aufstellungen Hessens und 
Laros' zusammen, so haben wir eine einzige, das gesamte reli- 
giöse Gebiet umspannende Theorie, und die Theorie, in der 



^ Vgl. P. Simon in Theo!. Revue XX (1921) 19 ff., der eigentliche sub- 
jektive Intuition bei Laros nachweist. 

Przy-wara, Eeligionsbegründung. 16 



242 Anhang: Die neue katli. Intuitionsschule u. ihre hist; Unterlagen. 

das System Schelers im katholischen Geistesleben sich darstellt. 
Denn beide, Hessen vor allem, aber auch Laros (in den ,Ger- 
mania'-Artikeln und den Anmerkungen des ersten Bandes 
seiner Newmanausgabe) weisen auf Seheier, dessen , Wesensschau' 
die geradlinige Erfüllung augustinischer, pascalscher und new- 
manscher ,unmittelbarer Intuition' sei. Dieser Gleichsetzung 
zweier ganz heterogener Methoden ist hauptsächlich die gegen- 
wärtige Verwirrung im Streit um Scheler zu danken und nicht 
zum mindesten die wachsende Diskreditierung der Phäno- 
menologie in katholischen und nichtkatholischen Kreisen, da 
sie durch diese Gleichsetzung einer logischen E-eduktions- 
erkenntnis des ,Wesens' mit einer psychologischen ,Intuition' 
der jßealität' nun als Verabsolutierung subjektiv bedingter 
Einsichten erscheint, bzw. als eine Herrschaftsanmaßung des 
subjektiven Erlebnisses gegenüber objektiven Wahrheiten, oder 
anders ausgedrückt als Theologentum von Gnaden unmittelbarer 
subjektiver Einsicht ^ 



^ Das spiegeln allzu deutlich die verschiedenen Rezensionen wider. 
Schon zu Schelers Werken hatten Kritiker verschiedenster Richtung bemerkt, 
daß mit einem ,unmittelbaren Schauen' alles bewiesen werden könne, weil 
eben jeder für seine subjektiven Ansichten sich auf das ,das schaue ich' 
berufen könne (so Hr. Straubinger in Hist.-polit, Bl. 168 [1921] 65 — 76 ; 
E. W. Mayer in Theol. Lit.-Zeitimg 47 [1922] 165—189 ; S. Kracauer in 
Frankf. Zeitung 1921 , Nr. 850). Aber fast temperamentvoll brach und 
bricht dieses Unbehagen los über Otto Gründlers Buch. Hr. Straubinger 
in Hist.-polit, Bl. 171 (1923) 16 — 24 spricht von einer ,totalen und gewalt- 
samen Mißdeutung des wirklichen Sachverhalts' durch die ,phänomeno- 
logische Religionsbegründung' und fragt erregt; ,Will G. vielleicht auch 
der Offenbarung Christi gegenüber das Recht des Sehenden geltend machen?' 
S. Kracauer (Frankf. Zeitung 1923 Nr. 49; Lit. Bl. Nr. 2) fragt: .Handelt 
es sich denn bei derlei Wesensschauungen wirklich um Einblicke in Gesetz- 
mäßigkeiten, denen unbedingte Notwendigkeit und Allgemeingültigkeit 
eignet?' und urteilt: , Gründler befindet sich, gleich den übrigen Vertretern 
dieses Abzweiges der Husserlschen Phänomenologie ganz im unklaren über 
das Wesen seiner eigenen Methode. Er sieht nicht, daß die Behauptung 
von der Objektivität und Allgemeingültigkeit seiner Wesensschauungen erst 
noch eines Kriteriums ihrer Richtigkeit bedürfte, eines Kriteriums, das 
begreiflicherweise gar nicht beigebracht werden kann, es sei denn, daß man 



Intuitionistisclie Phänomenologie. 243 

2. Würdigung. 

Die Frage nach der Berechtigung bzw. nach den Grenzen 
der, Hessen und Laros in gewissem Ausmaß gemeinsamen, 
Intuitionstheorie hat entsprechend zwei Teile: Besteht Hessens 
Theorie vor den unverrückbaren philosophischen und theo- 
logischen Data der Gotteserkenntnis? Wahrt Laros' Theorie 
den Grundpunkt des Glaubensaktes, daß die Zustimmung er- 
folge nicht auf meine Einsicht hin, sondern auf die Autorität 
Gottes in sich? 



es mit den Phänomenologen selber in der fragwürdigen Evidenz jener oft 
reclit subjektiv anmutenden Seliauungen zu entdecken wälmt.' Und auch 
A. Dempf (Lit. Beilage Nr. 2 zum Bayr. Kurier 1923) spricht von einem 
,latenten Protestantismus fast aller, auch katholischer moderner Eeligions- 
philosophie, nämlich dem autonomen Subjektivismus der Persönlichkeit 
in ihrem Verhältnis zu Gott', welche ,Enge' freilich Gründlers Buch (außer- 
ordentlich weitgehend über^vunden' habe. Immerhin meint er: ,Religion 
ist die unbedingte Selbsthingabe des ganzen Menschen an Gott, Die Yer- 
kennung dieser tieferen Seite der Eeligion scheint mir den Grundfehler 
der phänomenologischen Methode bloßzulegen, nämlich die Beschränkung 
auf die Anschauung in der eigenen Persönlichkeit, die doch die ganze 
historische Bedingtheit der Gegenwart, wenigstens in den höheren geistigen 
Akten, einschließt, in diesem Fall den autonom.en Subjektivismus, wenn 
auch nur des Denkens, und den freiwilligen Verzicht auf die Betrachtung 
der geschichtlichen Formen der clrristlichen Frömmigkeit, wie sie ist.' 

Hier zeigt sich die Folge der Verwischung der Phänomenologie in den 
,Intuitionismus', die Herrn. Schwarz seiner Zeit in der »Deutschen Lit.- 
Zeitung' 1922, Nr. 25 vorausgesagt hat. Aber nicht wenig Schuld daran 
trägt auch die Art, wie manche Phänomenologen (z. B. Otto Gründler) und 
selbst auch noch Edith Landmann (Transzendenz des Erkennens 269 ff.) 
im Offenbarungsglauben die ,Einsichtigkeit' betonen , wobei sie gewiß 
z. T. nur die Einsichtigkeit des überragenden Charakters der Personalautori- 
tät meinen, oder jene Einsichtigkeit der vernünftigen Zusammenhänge der 
Glaubenswahrheiten und Vemunftwahrheiten , die die Hochscholastik so 
sehr betonte. Aber wenn z. B. Edith Landmann (ebd. 274) so weit geht, 
den Glauben ,ex veridicitate testis' auch nach kirchlicher Auffassung als 
eine Stufe zum Glauben ,ex obiecto' zu bezeichnen, so kann hier das 
patristisch-scholastische ,credo ut intelligam' gemeint sein, aber es streift 
j so hart an ,eigene Einsicht' als Motiv eines ,höheren* Glaubens, daß hier 
i blitzartig die ernste Gefahr solcher intuitionistischen Phänomeno- 
I logie sichtbar wird. 

16* 



244 Anhang: Die neue kath. Intuitionsschuie u. ihre hist. Unterlagen. 

Sehen wir bei Hessen davon ab, daß ein Beweis für die 
transzendente Realität Gottes von seinem Standpunkt aus noch 
nicht vorliegt, da er in seinen letzten Schriften der Auffassung 
des sog. ontologischen Beweises Anselms zuneigt, so bleibt der 
eine wichtige Punkt: Wahrt er eine ,mittelbare' Gottes- 
erkenntnis in dem für jede Theorie absolut erforderlichen Sinn, 
daß nämlich das »Mittel' irgend ein , Geschöpfliches' sei, sei 
es das , Geschöpfliche' der Außenwelt, sei es das ,Geschöpfliche' 
der Innenwelt? Denn wenn Gott Gott sein soll, dann darf er 
nicht mit irgend etwas Geschöpflichem gleichgesetzt werden. 
Alles aber, was uns wie immer in »Erlebnissen', ,Intuitionen' usw. 
erscheint, ist und bleibt ein Geschöpf liches. Mithin, wenn Gott 
als Gott erkannt werden soll, ist alle seine Erkenntnis hier 
auf Erden in diesem Sinn »mittelbar', auch das Empfangen 
einer Offenbarung durch einen Propheten. Darum ist ja auch 
das jSelige Schauen' ein so undurchdringliches Geheimnis, weil 
wir gar nicht fassen können, wie wir Gott ,unmittelbar' schauen 
sollen, da doch all unser , Schauen' ein Geschöpfliches voraus- 
setzt. Es bleibt das Grundaxiom ,Gott kann nur durch Gott 
geschaut werden', und darum gerade ist die unabänderliche 
Voraussetzung des »seligen Schauens' die ,Teilnahme an gött- 
licher Natur'» wie sie in der heiligmachenden Gnade, also nicht 
in einer Wesenskonstitution unsrer Yernunft» sondern in 
etwas streng Übernatürlichem gegeben ist. Und auch das 
ist nicht genug. Denii unsere »Teilnahme an göttHcher Natur' 
macht uns nicht zu »Gott von Natur'» sondern nur» wie die 
griechischen Väter sagen, zu »Gott aus Gnade'. Infolgedessen 
bedarf es außerdem einer neuen Einigung mit Gott, wodurch 
wir gleichsam ,in Gott' Gott schauen und doch wieder so, daß 
die letzte, unüberschreitbare Grenze zwischen Gott und Geschöpf l 
gewahrt bleibt, weswegen die Theologen von der »geschöpflichen' j 
Gabe eines »lumen gloriae' sprechen. So liegt in der grad- j 
linigen Konsequenz des durchgedachten Gottesgedankens die | 
Unmöglichkeit eines umnittelbaren Gottschauens aus natür- / 

ü 



Unmöglichkeit unmittelbarer Schau. 245 

liehen Erkenntnisbedingungen und der undurchdringliche Ge- 
heimnischarakter eines durch übernatürliche Gnade möglichen 
,Gottschauens', dessen ,Möglichkeit' schon (in eben der Konse- 
quenz des obigen Gedankens) erst durch Offenbarung im eigent- 
lichen Sinn erkannt werden kann. So ist der ablehnende 
Standpunkt der Kirche jedem irdischen unmittelbaren Gott- 
schauen gegenüber, wie er neuerdings mehrfach auseinander- 
gesetzt wurde ^, eigentlich selbstverständlich. Hier vermag 
auch keine Unterscheidung zwischen partiellem-zeitweiligen 
und voUem-dauernden Schauen zu helfen, da eben das ,un- 
mittelbare Schauen' als solches in Frage steht ^. Wenn also 
Hessen ein wahres ,unmittelbares Schauen' intendiert, ist 
seine Theorie unannehmbar. 

Aber könnte seiner Theorie nicht ein richtiger Kern zu 
Grunde liegen, der nur durch die unglückliche Terminologie 
,unmittelbar-mittelbar' verhüllt ist? So scheint es uns in der 
Tat. Die Theorie Hessens setzt sich im Grunde aus zwei Miß- 
verständnissen zusammen. Das erste bezieht sich auf die 
Bedeutung der ,Kausalität' in den Gottesbeweisen, das zweite 
auf eine größere ,Nähe' Gottes in der Innenwelt als in der 
Außenwelt. Infolge des ersten Mißverständnisses sieht er in 
allen ,kausalen' Beweisen nur den Beweis eines Gottes, ,der 
von außen stieße'. Infolge des zweiten Mißverständnisses, das 
sich organisch aus dem ersten ergibt, findet er den Gott des 
,in ihm leben wir, bewegen uns und sind wir' nur in der 
Innenwelt. So kommt es dann, daß er die ,psychologische' 
Unmittelbarkeit der konkreten Gotteserfahrung, im Unterschied 

' Vgl. Stimmen der Zeit CIV (1922/23 I) 18/19 234—238. 
^ Karl Aäam erklärt in seiner Kritik der Theorie Hessens (Tab. 
Quartal-Schr. 101 [1920] 410) schon seine historische Unterlage für falsch : 
,Seine [Augustins] Theologie unterscheidet scharf zwischen der Gottes- 
erkenntnis im Diesseits und im Jenseits : Letztere ist nicht bloß dem Um- 
fang, sondern auch dem Inhalt nach eine andere.' Hessens Theorie beruhe 
auf ungenügender Beachtung der Hauptschrift Augustios über das Schauen 
siGottös (Lib. de videndo deo = ep. 112) imd seiner sonstigen Äußerungen. 






246 Anhang: Die neue kath. Intuitionsscliule u. ihre hist, Unterlagen. 

zur undurchbrechlichen ,objektiv-ontologisclien' Mittelbarkeit 
aller Gotteserfahrung, als objektiv-ontologische Unmittelbarkeit 
mißversteht. Vielleicht wird man sogar direkt sagen können, 
daß das, was er eigentlich meint, nur diese ,psychologische' 
Unmittelbarkeit ist, die wir früher beschrieben haben; jener 
psychologische ,Eindruck' eines ,unmittelbar', wie ihn die über- 
wältigende Transzendenz des Einen Ewigen Grottes auslöst, 
und wie ihn der Schluß des neunten Buches der ,Konfessionen' 
des hl. Augustin schildert: ,Er alles !'^ 

Das erste Mißverständnis über die ,Kausalität' teilt Hessen 
im Grunde mit Isenkrahe, während Scheler schließhch zugibt, 
daß der Wirkung-Ursache-Begriff für Gott und Welt analog zu 
fassen ist, womit im Grunde seine Einwendungen erledigt sind. 
Diese Einsicht Schelers ist in der Tat die Lösung. Wenn man 
die ,Kausalität* zwischen Gott und Welt ganz nach Art der 
Kausalität im Bereich des Leblosen faßt, dann folgen aller- 
dings bedenkliche Schwierigkeiten. Aber die ,Kausalität', die 
nach der Lehre der Kirche den Kernpunkt von Gottesbeweis 
und Gotteserkenntnis bildet, ist im Wesenspunkte, wie früher 
gezeigt ward, die sog. ,analogia entis' (Gott als letzter immer- 
währender Seins- und Wirkgrund im Geschöpflichen), mithin 
ein Verhältnis zwischen Ursache und Wirkung, das weder mit 
der strikt transeunten Kausalität des Leblosen noch mit der 
immanenten Kausalität des Lebens sich vergleichen läßt und 
nur mit ihnen in dem ganz blaß-abstrakten Begriff allgemeinster 
,Kausalität" zusammenkommt, die darum, wenn sie alle 
Kausalitätsverhältnisse unter sich begreifen soll, ein , analoger' 



1 Vgl. Stimmen der Zeit CIV (1922/23 I) 12—18. Selir gut arbeitet 
Engelb. Krebs diesen Punkt heraus in seiner Kritik des Hessenschen 
Augustinus-Scheler-Programms (Akad. Bonif.-Korr. 38 [1923] 47 ff.). Er 
betont in gleicher Weise wie wir, daß die berühmte Unmittelbarkeit ein 
uneingestandener Kausalschluß sei. ,Selbst eine „Berührung" mit Gott im 
mystischen Sinn führt das nachsinnende Denken nur zur kausalen Er- 
kenntnis dessen, der die Seele berührt hat' (ebd. 51). • 



Sinn der Kausalität im GottesbeAveis. 247 

Begriff ist^. Der Schöpfimgsakt Gottes ist eben im eigent- 
liclieii Sinn nicht ein ,Stoßen von außen', was ja schon der 
,Schöpfung aus Nichts' wiederspräche, sondern der Anfang der 
wirkenden Gegenwart Gottes im Geschöpflichen, uxid die fort- 
dauernde wirkende Gegenwart Gottes ist eigentlich ein fort- 
dauernder Schöpfungsakt. Dieses eigentliche unvergleich- 
bare Kausalverhältnis zwischen Schöpfer und Schöpfung ist 
darum auch letztlich logisch im Prinzip vom hinreichenden Grund 
verankert: ,der tatsächliche Werdecharakter von Außenwelt 
und Innenwelt kann nicht anders erklärt werden 'als durch 
das Kausalverhältnis der „analogia entis*"^. 

Hieraus ergibt sich die Klärung des zweiten Mißverständnisses 
über eine einzigartige Nähe Gottes im ,Innern'. Wemi der 
gemeinsame, entscheidende, objektive Rechtsgrund von Gottes- 
beweis und Gotteserfahrung die ,analogia entis' ist, so folgt, 
daß Gott objektiv gleich nahe ist in ,Innenwelt' wie ,Außen- 
welt'. Seine , wirkende Gegenwart' ist sowohl in Welt wie 
Seele. Der Satz Augustins, daß Gott uns näher ist als ,irgend 
ein Teilchen der Welt' hat zur Voraussetzung eine Vergleichung 
der Nähe Gottes zu uns mit der Nähe der Welt zu uns, nicht, 
wie Hessen ihn mißversteht, eine Vergleichung der Nähe Gottes 
in uns und zu uns mit der Nähe Gottes in der Welt und zu 
der Welt. Gerade die ansteigende Analyse des zehnten Buches 
der »Konfessionen' hat den Sinn, zu zeigen, daß Gott genau 



^ Vgl. Stimmen der Zeit CIV (1922/23 1) 14—16 und d i e s e Schrift S. 23 ff. 

^ Die Unstimmigkeiten über den Kausalbegriff, wie Isenkrabe sie dar- 
legt, aber ebenso seine eigene vielumstrittene Theorie (Über die Grund- 
legung eines bündigen kosmologischen Gottesbeweises [Kempten 1915] 99 254; 
Theologie und Glaube X [1918] 264—268, sowie Der Apologet als Pädagog 
[Bonn 1922]) werden sich auf die Nichtbeachtung des obigen wohl zurück- 
führen lassen: Hineintragung mathematisch-naturwissenschaftlicher Yor- 
stellungen in rein metaphysische Fragen. Dafür ist auch bezeichnend, daß 
der Hochscholastik auch für die Hypothese einer ,Welt von ewig' (von der 
sie großenteils zugab, daß sie mit der Vernunft nicht widerlegbar sei) der 
Gottesbeweis galt (wegen der analogia entis als Dauerzustand), während 
heutige Philosophen gerade an einem zeithaften Anfang der Welt haften. 



248 Anhang: Die neue kath. Intuitionsschule u. ihre hist. Unterlagen. 

SO wenig in der ,Seele' in seinem unenthüUbaren Wesen sich 
enthülle wie in der ,Welt': alles Geschöpfliche enthüllt ihn 
verhüllend und verhüllt ihn enthüllend : ,Das allein konnte ich 
sagen, was Er nicht ist.' Bleibt also kein Vorzug der ,Ein- 
kehr ins Innen', die doch Augustin so betont, freilich nur als 
Yorstufe zum Finden Gottes in der, die Enge des Innen 
sprengenden, Nächstenliebe?^ Ein solcher Vorzug liegt zunächst 
einmal in der objektiven größeren Ähnlichkeit zwischen Gott 
und Menschenseele; dieser Vorzug ist der erste und vielleicht 
für die Patristik entscheidende, wenn man die Lehre Augustins 
mit den geistesverwandten Lehren Athanasius' und Joh. 
Chrysostomus' etwa vergleicht. Es handelt sich nicht um ein 
Finden Gottes im subjektiven Bewußtsein, sondern in der ob- 
jektiven Eigenart der metaphysischen Seele, die als Geistwesen 
und in ihrer Geist-Tätigkeit das höchste geschöpfliche Abbild 
Gottes ist, der ,ein Geist ist'. Das aber ist ein Vorzug, der 
in einer ganz andern Linie liegt als das Begriffspaar ,mittel- 
bar-unmittelbar' ; denn diese ,Ähnlichkeit' bleibt innerhalb der 
unveränderbaren ,Mittelbarkeit', ist nur eine größere Nähe 
der ,Anschaulichkeit' Gottes, nicht eine größere Nähe der 
, Gegenwart' Gottes. Ein zweiter Vorzug aber liegt in der 
religiösen Natur des Gottfindens : Gott soll ,für mich' gefunden 
werden ; darum wird er inniger ,f ür mich' gefunden, wenn ich 
ihn gerade auch ,in mir' finde, im Werdecharakter der Innen- 
welt, nicht so sehr in dem der Außenwelt. Dieser Vorzug, 
der im Unterschied zum vorigen psychologisch orientiert ist, 

^ Das Motto der ,Unmittelbaren Gotteserkenntnis' Hessens (,ättenäe pau- 
lulum cor tuum') findet sich nicht in Ps. 54, 9. Hier lehrt Augustinus im 
Gegenteil (was er auch sonst gegen die Donatisten ausführt), daß mit dem 
Rückzug auf das Jnnen' kein christliches Lehen getan sei. ,Solus in con- 
scientia . . ., sed non solus in caritate' ist hier sein Wort (in Ps. 54, 10) ; 
, allein im Gewissen, aber nicht allein in der Liebe'. Das ist ja überhaupt 
die Bedeutung Augustins, daß er die Enge und Nutzlosigkeit aller pla- 
tonisch-mystischen Innenschau durchschaut und Gott in der Nächstenliebe 
suchen und finden heißt (vgl. vom Verfasser ,Himmelreich der Seele' IV 
[Freiburg 1923] 57—78). 



Nähe Gottes im Mensclienherzeii. 249 

berührt aber noch weniger das Begriffspaar des ,mittelbar- 
unmittelbar', da er sich nicht auf objektive Wesenseigenschaften, 
sondern auf subjektive Einstellungen gründet. Es ist ferner 
ein Vorzug, der nicht mehr der Mentalität der Patristik ent- 
springt, sondern derjenigen der Neuzeit, die Descartes und 
Kant erlebt hat. Aber beide Vorzüge zusammen erzeugen 
für die vom neuzeitlichen Denken geleitete Theorie Hessens 
jenes Moment der ,unmittelbaren Intuition'. 

Hessens , unmittelbare Intuition' läßt sich demnach dahin 
kennzeichnen, daß sie erstens eine größere Nähe der ,An- 
schaulichkeit' Gottes (im Abbild Gottes in der Menschenseele) 
als größere Nähe der seienden »Gegenwart' mißversteht und 
zweitens eine psychologische »Unmittelbarkeit' subjektiver Ein- 
stellung als Unmittelbarkeit des objektiven Wesensverhältnisses 
deutet. 

Was gilt nun für die Glaub ensbegrtindung? Denn 
auch diese scheint Hessen auf dasselbe ,unmittelbar' zu bauen, 
und Laros legt ihr wenigstens die ,Intuition' im Gegensatz 
zum ,diskursiven Denken' zugrunde. Wenn aber die rein aus 
dem Ich aufsteigende ,Intuition' — ganz abgesehen von einem 
,unmittelbar' — der absolute Rechtsgrund ist, auf den hin 
die Glaubenszustimmung erfolgt, so ist konsequent die eigene 
Einsicht, nicht Gottes Autorität in sich Glaubensgrund und 
Glaubensmotiv, was mit dem Vatikanum unvereinbar ist. Es 
genügt also nicht, wie Laros es tut, die Wunder- und Weis- 
sagungsbeweise als Material dieser schöpferischen Intuition 
hinzustellen, um so gegenüber einem Lnmanentismus den katho- 
lischen Standpunkt zu wahren oder das Verdienstmoment der 
»Intuition' als eines vom Willen dirigierten Aktes heraus- 
zuheben, um so dem Gnadenmoment gerecht zu werden 
(0 xxxvin f.). Denn die absolute resultierende Sicherheit ist 
eben die in dieser ,Intuition' liegende Sicherheit meiner Ein- 
sicht in die Wahrheit der Offenbarungstatsache. Die für den 
Glaubensakt erforderte Absolutheit ist aber, wie Karl Adam 



250 Anhang: Die neue kath. Intüitionsschule u. ihre hist. Unterlagen. 

klar herausstellt, die Absolutheit eines ,übergeschöpfliclien Ge- 
wißheitsgrundes' ^. Laros scheint wohl selbst diesen Punkt ein- 
gesehen zu haben, da er in ,Germania' 1922, Nr. 147 davon 
spricht, daß der Glaubensakt ,von selten Gottes Gnade, von selten 
der Menschen Intuition' sei. Aber bedeutet diese , Gnade' bei 
Laros dasselbe wie bei Adam, nämlich die theologische Erklärung 
des Glaubens ,wegen Gottes Autorität in sich' (im Unterschied 
zu ,wegen meiner absoluten Einsicht, daß sie da und da ge- 
sprochen hat'), oder bedeutet sie, wie im sonstigen Leben, nur 
eine ,Hilfe' Gottes ? Ln letzten Fall ist auch so der Glaubens- 
akt nicht gemäß der Kirche erklärt, weil eine solche , Gnaden- 
hilfe' als ,sittliche Hilfe' nur das , Glauben-wollen' unterstützt, 
aber keine Motivänderung bedeutet. Doch auch im ersten 
Fall bleiben Bedenken, wenigstens bei der Art, wie Adam 
seine Theorie vorlegt ^. Die absolute Sicherheit der Glaubens- 
zustimmung legt er klar in die Zustimmung ,wegen Gottes 
Autorität in sich'. Aber dieser ,übergeschöpf liehe Gewißheits- 
grund' wird nun mit dem Gnadencharakter des Glaubensaktes 
gleichgesetzt. 

Jcli brauche eine übergeschöpfliche absolute Gewissheit und grenzenlose 
Glaubenszuversicht, also etwas, was nicht von dieser Erde ist' (48). ,Der 
begnadete Mensch glaubt, weil er im Licht der Gnade des sich offen- 
barenden Gottes unmittelbar inne wird' (52), ,Die Gnade ist nicht objektives 
Erkenntnis-, sondern subjektives Wirkungsprinzip. Er glaubt an Gott um 
Gottes willen, dieses Absolute seiner Glaubensgewißheit verdankt er der 
Gnade' (52). ,Als intime Lebensbewegung Gottes erfaßt sie den ganzen 
Menschen und erhebt sein Denken, Wollen und Empfinden über sich selbst 
hinaus, so zwar, daß seine natürliche, auf seiner metaphysischen Bezogen- 
heit zum göttlichen Weltgrund wurzelhaft begründete, durch das rationale 
Denken bewußt erfaßte Gottzugewandtheit eine übernatürliche Potenzierung 
und damit eine innigere, spezifisch neue Aufgeschlossenheit für das Gött- 
liche erfährt. . . . Wie mit neuen Augen sieht er in einer überwältigenden, 
- alle Bedenken niederbrechenden Intuition die goldenen Fäden, welche Gottes 
Offenbarungswille in das raumzeitliche Geschehen hineingewoben hat, in 
der Unmittelbai'keit ihres göttlichen Ursprungs, in ihrer übernatürlichen 



^ Glaube und Glaubenswissenschaft usw. ^ (Rottenburg 1923). 
^ Ebd. Die obigen Seitenzahlen alle hieraus. 



I Karl Adams Gnadenintuition. 251 

I Besonderheit. Er scliaut deutlicli Gott selbst, freilich nicht, wie er in sich 
|| selbst ist, wohl aber, wie er sich offenbart. . . . Das Neue der Gnade . . . 
] liegt in der Intensität, mit der sie als Bewegung zur Selbstbewegung alle 
seelischen Kräfte des Menschen in ilirer metaphysischen Wurzel packt, sie 
mit übernatürlicher Energie durchsättigt, mit dem Drang zu Gott hin, 
mit der Fähigkeit, das Übernatüiiiche zu erkennen, zu fühlen, zu wittern, 
wo immer es spürbar wird. Ein neuer Sinn ist sie für das Übernatürliche. . . . 
Und so sind es hinwieder doch nicht Avir, die da glauben, sondern der 
Heilige Geist glaubt in uns' (49 — 51). 

Dieses erfahrungsmäßige Erfassen des ,übergeschöpflichen' 
Gottes unterbaut dann Adam bereits in der natürlichen Gottes- 
erkenntnis. Auch hier geschieht die Erkenntnis des ,persön- 
lichen' Gottes (d. h. insofern er nicht bloß ,Weltgrund', sondern 
,Persönlichkeit' ist) letztlich nicht aus der »Wesenheit -der ge- 
schaffenen Dinge, sondern weil Gott in dieser Wesenheit sich 
offenbaren ,wi]r. ,Die empirischen Dinge sind der Spiegel, 
durch den Gott erkannt und betrachtet sein will, sein wenn 
auch unvollkommenes Transparent, sozusagen die sichtbar ge- 
wordenen End- und Kulminationspunkte einer von Gott aus- 
gehenden besondern Liebesbewegung, Insofern ist es richtiger 
zu sagen: Gott offenbart sich durch die Welt, als zu sagen: die 
Welt offenbart Gott. Denn es liegt nicht in der Wesenheit des 
esse contingens, den persönlichen Gott zu offenbaren. Es liegt 
darin erst, weil und insofern Gott darin erkannt sein wollte. 
Erst der freie Eatschluß der göttlichen Güte machte, daß das 
esse contingens auch ein Spiegelbild des persönlichen Gottes 
wurde' (62) \ 

Auf dieser natürlichen Erfassung Gottes in seiner Selbst- 
offenbarung baut sich dann das vollkommene Erfassen des 
persönlichen Gottes in der Offenbarungstatsache auf, ,Erst 
durch das Mittel seiner Offenbarungstat ergreift mein von 
der Glaubensgnade geschärftes Auge den lebendigen Gott. Die 
Offenbarung ist für mich nichts anderes als der sich bezeugende 
lebendige Gott. Und erst durch sie tritt mir der spezifisch 



^ Vgl. in unsrer Schrift oben S. 146 ff. 



252 Anhang: Die neue kath. Intuitionsschule u. ihre hist. Unterlagen. 

christliche Gott entgegen, der Gott, der über die Mechanik 
des Naturgesetzes hinaus sich in wahrhaft persönlicher, über- 
gesetzlicher Weise den Menschen mitteilt. Der nicht aus seiner 
eigenen Selbstoffenbarung erkannte Gott wäre nicht der christ- 
liche Gott, sondern der Gott des Deismus' (53). 

Dadurch ist aber für Adam ein Doppeltes gegeben. Einmal 
das Zurücktreten der reflex rationalen Beweise gegenüber 
der Einstellung der Liebe, der , wertenden Haltung' (66 ff., 
121 ff. u. a.), aber doch einer solchen, in der der logische 
Rechtsgrund der Gottesbeweise faktisch eingebettet ist (119, 
121 u. a.). Dann aber zweitens die fast ausschließliche Gründung 
der ,Religion' auf Selbstoffenbarung Gottes und (übernatürliches) 
,unmittelbares Erfahren' des in der Offenbarungstatsache gleich- 
sam jUnmittelbaren' Gottes. ,Wo nur immer religiöses Leben 
geblüht hat und blüht, ist ihm die Überzeugung wesentlich, 
mit dem göttlichen Du in eine unmittelbare, reale Beziehung 
zu treten' (128), d. h. nicht im Sinne , einer Erfassung des 
göttlichen Wesens selbst, sondern der von Gottes besonderem 
Liebeswillen unmittelbar ausgehenden, nicht durch die Kreatur 
vermittelten Liebesbewegungen. Nicht von Gott, sondern vom 
Deus ut revelans wird der religiöse Mensch ergriffen' (ebd. Anm.). 

Lides ist wohl auch diese — von allen noch sympathischste — 
Intuitionstheorie nicht annehmbar. Schon ihre Grundlegung 
in der natürlichen Gotteserkenntnis dürfte nicht haltbar sein. 
Denn die Erkenntnis Gottes als ,persönlichen'' ^Gottes (im 
Unterschied zu einem unpersönlichen Weltgrund) ist nur 
die letzte, innere Entfaltung der Erkenntnis Gottes als 
letzten Weltgrundes überhaupt, wie wir früher mit Switalski 
und Scheler selbst dargelegt haben (oben S. 30 ff., 80 ff.). Doch 
das Wesentliche liegt in Adams Glaubensanalyse. Es hieße 
ihn wohl mißverstehen, wenn wir beim Zustandekommen der 
Glaubensgewißheit bei ihm die , Gnade' nur als eine Inten- 
sitätssteigerung einer rein natürlichen Intuition fassen wollten 
(wie es nach S. 50 seines Buches scheinen könnte) ; er spricht 



r 

I _ - ■ 

f; ■ Keine unmittelbare Intuition im Glauben. 253 

I 

l vielmehr deutlich genug immer wieder von dem ,übernatür- 

I liehen* oder ,übergeschöpflichen' der Gnade. Als ,Intensitäts- 
■ Steigerung' könnte ja auch die Gnade in ihrer Eigenschaft als 
,sittliche Hilfe' gefaßt werden ; diese ihre Tätigkeit aber bedeutet 
nur eine Stärkung des sittlichen Willens, der dann auf die Er- 
kenntnisbetätigung einen »richtenden' Einfluß ausübt, aber nicht 
diesem Erkennen einen höheren Standpunkt gibt. Adam 
braucht vielmehr die Gnade in ihrem schlechthin ,über- 
geschöpflichen Sein', um jene ,übergeschöpfliche, absolute Ge- 
wißheit und grenzenlose Glaubenszuversicht . . ., etwas, was 
nicht von dieser Erde ist' (48), zu erlangen. Diese Absolutheit 
beruht mithin folgerichtig auf nichts anderem als auf einer 
Erfahrung des , Übergeschöpf liehen' Charakters der Gnade, ihres 
Wesens als »Teilnahme an der göttlichen Natur'. Nach dieser 
strikt übernatürlichen Seite aber kann die Gnade kein ins 
Bewußtsein eingreifender Wirkfaktor sein, weil sie sonst auf 
der Stufe des ,Wunders' stünde, das für ein Bewußtsein fest- 
stellbar ist. ,Wunder* aber ist nur etwas ,Übergesetzliches', 
das innerhalb des Geschöpflichen bleibt, während , Gnade' etwas 
«^trilft jÜbergeschöpf liches' ist. , Wunder' ist eine übergesetzliche, 
von Gott direkt verursachte Kombination innergeschöpf lieber 
Gesetze; , Gnade' aber ist ,übergeschöpf liches Sein', also nur 
durch , Glauben' erkennbar, nicht durch ein ,Bewußtsein' spür- 
bar. Damit aber kann sie nicht jene Erklärung der absoluten 
Glaubensgewißheit selbst sein, wie Adam sie will. 

Wie natürliches Erkennen und geschaffenes Sein einander 
innerlich zugeordnet sind, so Glaube und Gnade (Gnade als 
,Teilnahme an göttlicher Natur', nicht im Sinn ,sittlicher Hufe'). 
Gewiß gibt Gott sich auch im geschaffenen Sein kund, aber 
nur als Schöpfer und folgerichtig nur in den Eigenschaften, 
die im Begriff des Schöpfers liegen. Eine positive Möglich- 
i keit einer ,Teilnahme an göttlicher Natur' ist also von hieraus 
nicht erkennbar, da ja diese Teilnahme über die reine Relation 
Geschöpf-Schöpfer hinausgeht, wenn sie auch das Geschöpf 



254 Anhang: Die neue kath. Intuitionsschule u. ihre hist. Unterlagen. 

nur zu ,Gott aus Gnade' macht und nicht zu ,Gott aus Natur', 
d. h. seine strenge Geschöpflichkeit doch wieder nicht aufhebt. 
Bir zugeordnetes Erkenntnisorgan kann also nur Gottes Er- 
kennen sein, und ein menschliches Erkennen, das mit Gottes 
Erkennen erkennt, d. h. Glaubenserkennen, wie es Augustinus 
faßt: ,Was Gott sieht, glaube du.' ^ Dasein und Wirken der 
Gnade als der ,Teilnalmie an göttlicher Natur' ist also nur 
durch den Glauben erkennbar. Eine durch die Gnade be- 
wirkte Glaubensgewißheit wäre also als Auswirkung der 
,Teilnahnie an göttlicher Natur' nur durch Glauben erkenn- 
bar, — was natürlich einen regressus in infmitum bedeutet: 
daß ich gewiß bin, weiß ich nur durch Glauben, welcher 
Glauben wieder nur auf gnadengewirkter Gewißheit ruht, von 
der ich wieder nur durch Glauben weiß usw. Es bleibt also 
wohl für die Glaubensbegründung nichts übrig als das, worin 
Mausbach, Pesch und Straub übereinstimmen - : das Umfangen | 



^ Vgl. J. H. Newman, Christentum III 14 ff. 

^ Jos. Maushach, Die außerordentlichen Heilswege usw. III (Katholik; 
3. Folge. Bd. XXXI [1900] 401 ff.). Katholische Moraltheologie Ip-'' 
(Münster 1921) 46 fi. Die Religion und das moderne Seelenlehen " (Eeligion- 
Christentum-Kirche ; Kempten 1923 ^) 119 ff. Christ. Pesch S. J., Zeitschr. 
f. kath. Theol. 1884, 50 ff. Theologische Zeitfragen. 5. Folge (Freiburg 1908) 
129 ff. PraelectionesDogmaticaeVIlI''-^ (Freiburg 1922) 133 ff. Compendium 
Theologiae Dogmaticae IIP (Freiburg 1921) 246 ff. Hr. Straub, De analysi 
fidei (Innsbruck 1922). Der Unterschied zwischen ihnen läßt sich in der 
Hauptsache dahin fassen, daß Mansbach ein eigenes Glauben an den in der 
Offenbarungstatsache sich offenbarenden Gott dem Glauben an die Offen- 
barungswalirheit voranstellt. Pesch und Straub fügen dieses Glauben an 
den offenbarenden Gott dem Glauben an die Offenbarungswahrheit ein, Pesch 
als sozusagen ,obiectum cui'; Straub als ,obiectum terminans', was im Grunde, 
auf dasselbe hinauskommt: ,indem ich Gott dem Offenbarer die Offen- 
barungswahrheit glaube, glaube ich an Gott den Offenbarer'. Auch das 
,prinzipienhafte' Glauben Mausbächs dürfte dann dasselbe sagen. Denn auch 
Pesch spricht vom ,obiectum formale' des , offenbarenden Gottes' als ,Prin- 
zip', in dessen Kraft das Glauben an die Offenbarungswahrheit erfolge. 
Mithin besteht die Kontroverse wohl mehr darin: ob das Bejahen dieses 
Prinzips in einem eigenen Glaubensakt erfolge oder im , Glauben an die 
Offenbarungswahrheit' miterfolge. 



Glauben als personale Hingabe an die Autorität -an -sich. 255 

der Autorität Gottes um ihrer selbst willen ist eine letzte un- 
reduzierbare Eigenart des Autoritätsglaubens rein als psycho- 
logischen Aktes ^. Die natürlichen, moralisch sicheren Ge- 
wißheitsgründe befähigen den Willen nur, die Zustimmung als 
sittlich guten Akt zu ,befehlen'. Die Gnade als ,sittliche 
Hilfe' wirkt mit, weil und insoweit hier Willensakte mit- 
spielen. Die Gnade als ,übernatürliche Erhöhung' aber, als 
,Teilnahme an göttlicher Natur', ist die objektive, durch kein 
,Bewußtsein von' spürbare oder feststellbare, sondern nur aus 
Offenbarung und im Glauben erkennbare Innenseite des Glaubens- 
aktes, die dem Glaubensakt deswegen eignet, weil er der Ein- 
gang zum übernatürlichen Heil ist. 

Die ,Unmittelbarkeit, mit der Gott, die absolute Wahrheit 
und Wahrhaftigkeit, als die offenbarende Autorität erfaßt wird' 
(Adam 136), kommt nicht aus einem intuitiven Erspüren des 
Übergeschöpf liehen Gottes durch und in der übergeschöpflichen 
Gnade, sondern ist der einfach logische Grund des Fürwahr- 
haltens auf fremde Autorität hin. Diese fremde Autorität ist 
hier ,Gott, der nicht irren noch in Irrtum führen kann' ; darum 
ist der logische Grund des Fürwahrhaltens im Offenbarungs- 
giauben eben schlechthin , absolut' und ,unerschütterlich', weil 
im göttlichen Glauben die Premdautorität der absolute Wahrheit- 
Gott ist. Von dieser logischen Glaubensgewißheit ist aber zu 
scheiden die psychologische Erkenntnisgewißheit über die 
Offenbarungstatsache. Diese, die mit der , Glaubensgewißheit' 
vielfach verwechselt wird, erfordert nur jenen Gewißheitsgrad, 
den auch sonst das sittlich-religiöse Leben erfordert. Es ist 
das eine Gewißheit, die praktisch mit dem religiösen Leben 
als Ganzem wächst oder abninunt, wes^vegen das Vatikanische 
Konzil für sie dasselbe Axiom gebraucht (sess. 3, cap. 3), das 
im Trienter Konzil (sess. 6, cap. 11) für das christliche Leben 

^ Vgl. J. H. Newman, Christentum III 3 ff . ; IV 30 ff., wo sich zeigt, 
wie Newmans religionspsychologisah orientierte Glaubenspsychologie mit 
dieser dogmatisch orientierten Glaubensanalyse sich trifft. 



256 Anhang: Die neue kath. Intuitionsschule u. ihre hist. Unterlagen. 

schlechthin ausgesprochen ward : ,non deserens nisi deseratur', 
,Gott verläßt keinen, der ihn nicht verläßt'. Die psychologische 
Gewißheit, die auf den moralisch sicheren, natürlichen Ge- 
wißheitsgründen für die Offenbarungstatsaehe aufruht, gibt dem 
Willen den vernünftigen Grund, den eigentlichen Glaubensakt 
zu jbefehlen', wie das theologische Fachwort lautet. 

Mit dieser Auffassung ist der richtige Kern der ,intuitiven 
Glaubensbegründung' so wenig entwertet wie oben das richtige 
Moment in der ,intuitiven Gotteserkenntnis'. Dieser Kern liegt 
aber in der psychologischen Erkenntnisgewißheit, nicht, wie 
Laros, Adam usw. meinten, in der logischen Glaubensgewißheit. 
Die Einsicht in die Wahrheit der Offenbarungstatsache beruht 
auf einer Summe von Einzelgründen, die sozusagen zusammen- 
geschaut werden. Diese ,Zusammenschau', die für jede histo- 
rische Erkenntnis von nöten ist, hat aber eine besondere Be- 
deutung für den ungeschulten, gewöhnlichen Menschen. Der 
Historiker kann noch reiiex diese ,Zusanmienschau' überprüfen 
oder kontrollieren. Für den einfachen, gewöhnlichen Menschen 
besteht nur das objektive, sozusagen automatische Konvergieren. 
Was am Abschluß in sein Bewußtsein tritt, ist nur das ob- 
jektive Resultat dieses ihm nicht reflex bewußten objektiven 
Konvergierens. Er vollzieht, wie Newman sagt, eine ,natural 
inference', eine ,natürliche Induktion' ; er folgert nicht reflex, 
sondern hat eine Art geistigen Instinktes, ,rolgerungssinn' 
(illative sense), wie wiederum Newman sagt. Für sein Be- 
wußtsein ist dann natürlich die objektiv resultierende ,Folge- 
rung' wie eine ,Erleuchtung' , eine ,Intuition'. Damit, daß 
diese ,Intuition', kraft der eben skizzierten »natürlichen In- 
duktion', sozusagen aus und mit seinem Leben gewachsen ist, ist 
sie auch mit seinem Leben verwachsen und hat die wichtige Farbe 
des ,Persönlichen' und die eigene Sicherheit des ,Persönlichen' ^, 

^ Sehr gut zeichnet auch Walter Meckauer diesen waliren Kern der 
Jntuition' (Der Intuitionismus und seine Elemente hei Henri Bergson 131 ff.). 
Ebenso berührt sich Edith Landmanns , Gesamterkenntnis' sehr eng mit 



Intuition = nattii-liche Induktion. 257 

Aber diese ,Intiiitionsgewißheit' ist und bleibt nur der feste Unter- 
grund, von dem aus der Mensch die freie Hingabe des Glaubens 
vollzieht: aus seiner ,Intuitionsgewißheit' heraus springt er in der 
Glaubenshingabe gleichsam ins Unbegrenzte, Unendliche. Aber 
dieses Unbegrenzte und Unendliche ist der Gott der Liebe: 
, Glaube nicht, das sei ein „Sturz"!... Denn er spricht: 
„Himmel und Erde fülle Ich"' (Augustinus, In Ps. 39, 27) ^ 

§ 2. Die historischen Unterlagen der ,umnittelbaren 

Intuition'. 

Hessen und Laros begründen ihre Intuitionstheorien durch- 
gehend historisch auf einen kontinuierlichen Zusammenhang 
der Linie Augustinus-Pascal-Newman, Laros im allgemeinen 
vorsichtiger als Hessen. Beide aber finden das ,unmittelbar' 
als gemeinsamen Grundzug der Lehre dieser drei Denker, im 
Gegensatz zum ,mittelbar' des aristotelisch-scholastischen Denk- 
typus. Hessen für sich selbst sucht nur die Kontinuität des 
augustinischen ,unmittelbar' durch Patristik (L), über Früh- 
scholastik (Bernhard, Anselm [D, F, L]), Hochscholastik (Bona- 
ventura [D, F, J]), Anfang der Neuzeit (Malebranche [D, H]), 
Neukantianismus (B, E) nachzuweisen. Für die Verknüpfung 
dieser strikt augustinischen Linie mit der Linie Pascal-Newman 
beruft er sich auf Laros (D 58), der in seinem , Glaubensproblem 
bei Pascal' die beiden Denker eng zueinanderstellt, nach dem 
Vorbild der französischen Newmanforschung (P 123 f., 135), 

unsrer obigen Darstellung, insofern sie ihre , Gesamterkenntnis' aiif der 
einen Seite aus dem erkenntnisrealistischen ,sensus singularium' und ,intel- 
lectus universalium' erwachsen läßt, auf der andern Seite aber die per- 
sönlichen Bedingtheiten herausstellt, in deren Zeichnung freilich das »höhere 
Sein* der biologischen George-Schule-Ideen etwas umfärbend einwirkt (Tran- 
szendenz des Erkennens 128 ff. 274 ff.). Auch die Typik Helmuth Pleßners 
jIntuition-Beobachtung' , der die Zweiheit ,Evidenz-Kriterium' entspricht, 
berührt sich sehr eng mit unserm an Kleutgen und Newman orientierten 
jimpMt-explizit' (Einheit der Sinne 75 ff.). 

» Vgl. hierzu J. H. Newman, Christentum III 32 f. 

Przyvrara, Eeligionsbegründang. 17 



258 Anhang: Die neue kath. Intuitionsschule u. ihre hist, Unterlagen. 

aber ihre ,uninittelbare Intuition' ebenfalls schon bei Augustin 
zu sehen meint (P 101, 174). Wir müssen also die historische 
Richtigkeit dieser Linie nachprüfen. Es wird sich uns zeigen, 
daß hier dasselbe gilt, was Francis Bacchus in einer Unter- 
suchung über Newmans ,University Sermons' schrieb: ,Diese 
Predigten sind weithin durch moderne Kritiker mißverstanden 
worden, die, ob sie nun günstig oder ungünstig von ihnen 
urteilen, allgemein in die Schlinge geraten, sie im Lichte der 
Kontroversen der Glegenwart zu lesen, ohne die Kontroversen 
der Zeit zu kennen, in denen sie gehalten wurden.'^ 

1. Augustinus. 

Die Hessen-These über Augustin hat zwei Teile, Sie besagt 
erstens, daß Augustins Gottesbeweis praktisch allein der aus 
der ,Wahrheit' sei: Gott als die Wahrheit, an der wir teil- 
haben im Wahrheitserkennen. Sie besagt zweitens, daß in 
diesem Verhältnis von Gott-Wahrheit und Wahrheitserkennen 
des Menschen die ,Wahrheit' nicht eine, von Gott selbst ver- 
schiedene, ,Wirkmig' Gottes sei, sondern Gott selber in sich 
werde , geschaut', ,berührt'. Die thomistische Deutung der ,Er- 
leuchtungstheorie' weist er ab : die augustinische »unmittelbare 
Intuition' erkläre sich nicht dadurch, daß unsre Vernunft objektiv 
ein Abglanz der göttlichen Vernunft sei, sondern an Stelle der 
geschöpflichen Vernunft leuchte die göttliche Vernunft selber 
in das Erkennen hinein, soweit das Erkennen der höheren, un- 
wandelbaren Wahrheiten in Frage steht (A 31 f., 38 ff., G 4 ff., 
J 373 ff., K). Er macht sich hier die scharfe Entgegensetzung 
Karl Heims zu eigen : ,Bei den Aristotelikern steht die Denk- 
arbeit des Menschengeistes der materiellen Welt gegenüber 
wie ein indirekt (auf dem Umweg über den Schöpfungsakt) 
hervorgebrachtes Nachbild dem Original. Bei den Augustinern 
dagegen berührt (attingere, contingere) der Menschengeist im 



Menth CXL (1922) 1. 



Augustinisches Teilnahmesystem. 259 

Denkprozeß den göttliclien Geist ; es gibt also — dies liegt 
im Bilde der Berührung — eine höchste Sphäre, wo beide 
sich nicht mehr wie Subjekt und Objekt, Tätigkeit und Gegen- 
stand gegenüberstehen, sondern unmittelbar eins sind' (G 9). 
So wird es klar, daß Hessen die eckhartsche Lehre vom 
,Seelenfünklein' als konsequenten Ausbau der augustinischen ,un- 
mittelbaren Intuition' hinstellt (D 57, L 119 ff.). Aber auch 
die moderne Wertlehre sucht er bei Augustin nachzuweisen 
(A 107, E 2) und sogar den Liebesprimat Schelers einzubauen 
(L 9), ohne freilich zu sehen, daß er damit den ganzen Unter- 
grund des Augustinismus, nämlich die ,unmittelbare Berührung' 
Gottes als Wahrheit, aufgeben muß, wie Scheler von seiner 
Seite konsequent nichts von einem ,unmittelbaren Berühren' 
Gottes als ,der Wahrheit' wissen will (oben S. 66 f.). 

Hessen will durchgehend seine Augustinusauffassung auf 
Hertling stützen und zitiert immer wieder dessen bekannte 
Äußerungen aus seinem , Augustin' sowie sein Schlußergebnis 
aus ,Augustinuszitate bei Thomas von Aquin' (München 1905) 
und ,Wissenschaftliche Richtungen und philosophische Probleme 
im 13. Jahrhundert' (München 1910) ^ Soweit er sich darauf 
beschränkt, wird man durchaus übereinstimmen können. Denn 
die Klarlegung eines einschneidenden Unterschieds zwischen 
Augustinus und Thomas ist das unbestreitbare Ergebnis der 
Forschungen Bäumkers, Grabmanns, Hertlings und Mausbachs. 
Dieser Unterschied ist aber nicht dem Gegensatz ,unmittelbar- 
mittelbar' gleichzusetzen^. Hessen selber in seiner ersten 
Schrift, die trotz mancher Mängel doch noch seine beste bleibt, 
führt, Mausbach folgend, die augustinische Ableitung der 

* Augustin (Mainz 1902) 43 ff. Historische Beiträge zur Philosophie 
(Kempten 1914) 120 ff. 152 ff. 

^ Vgl. Hertling, Augustin 43; Historische Beiträge usw. 132; Martin 
Grabmann, Die philos. und theol. Erkenntnislehre des Kardinals Matth. 
V. Aquasparta (Wien 1906) 48 ff. ; Jos. Mausbach, Ethik des hl. Augustinus 
n (Preiburg 1909) 369 ff. ; Cl. Bäumker, Die {)atristische Philosophie, in 
Hinneberg, Die Kultur der Gegenwart 15^ (Leipzig 1913) 264. 

17* 



260 Anhang: Die neue kath. Intuitionsscliule u. ihre bist. Unterlagen. 

Wahrheit auf ihre Zusammenhänge mit der augustinischen 
Ableitung des Guten und des Seins zurück: wie der Mensch 
Wahrheit erkennt durch ,Teilnahme' an Gott- Wahrheit, so ist 
er gut durch ,Teilnahme' an Gott-Gutheit und ,ist' nur durch 
,Teilnahme' an Gott-Sein (A 104 ff.). Was Hessen hier, freilich 
noch unklar, umschreibt, da er statt ,Teilnahme' ,Kausalität' sagt 
und mehr ein Mitwirken Gottes mit der eigenwirkenden Venmnft 
und dem eigenwirkenden Willen zeichnet, das scheint in der Tat, 
wenn wir Augustius Lehre in ihren tieferen Zusammenhängen 
betrachten, die Lösung. Patristik und Scholastik, Augustin 
und Thomas, sind voneinander wohl verschieden, und die 
Augustinusdeutung Thomas' bedeutet, historisch gesprochen, 
eine Umdeutung, wie Hertling zur Genüge gezeigt hat. Aber 
der Unterschied liegt nicht in ,umnittelbar-mittelbar', ,Intuition- 
Kausalität', sondern, wie eine Prüfung der Bedeutung des 
platonischen Teilnahme-gedankens für die Patristik hätte zeigen 
können, in einem Mttleren zwischen der Augustinus-deutung 
Thomas' und der Hessens: in der ungeklärten Form des 
Teilnahmegedankens, der Augustins Denken beherrscht, 
und den Harnack ins Pantheistische übertreibt ^. Hertling hat 
dies in seiner knappen, tiefen Art in seinem , Augustin' wenigstens 
in den Grundlinien skizziert : ,Die äußere körperliche Welt . . ,, 
die wir überall und bis ins kleinste hinein nach Maß und Zahl 
geordnet j&nden, weist uns zurück auf uns selbst. Denn Maß 
und Zahl sind nichts Körperliches, unsern Sinnen Zugängliches ; 
nur denkend stellen wir sie vor. Wir begreifen sie erst, in- 
dem wir sie mit den dem intelligibelen Bereiche angehörigen 
unveränderlichen Zahlenverhältnissen vergleichen. Richten wir 
aber unser Augenmerk auf diese letztern, so erheben wir uns 



^ Dogmengeschichte III* (Tübingen 1910) 111 ff. Sehr gut zeichnet 
Cl. Bäumker, wie hier Thomas von Aquins ,cansae secundae'-Prinzip eine 
Reifung der ungeklärten augustinischen ,Teilnahme' bedeute (Die christliche 
Philosophie des Mittelalters, in Hinneberg 15^ 386 ff.). Vgl. auch imsre 
Abhandlung .Tragische Seele?' in Stimmen der Zeit CVI (1923/24 I) Okt. 



Augustinischer Wahrheitsprimat als Seinsprimat. 261 

nicht mehr nur über die Körperwelt, sondern auch über unsre 
Seele. Höher als unsre wandelbare Vernunft steht die ewige 
Wahrheit, der unsre Vernunft sich unterwerfen muß. Das 
Unwandelbare aber und Ewige, das höher ist als Sein und 
Leben und Denken, und überhaupt das Höchste, wovon wir 
wissen, ist Gott. Wie die Wahrheit aller Wahrheiten, so ist 
er auch das oberste Gut, und alles, was wir sonst gut nennen, 
ist dies nur durch Teünahme an seiner Güte' (43/44). 

Augustinus faßt durchgehend Gott als das eigentliche Sein, 
dem gegenüber alles Geschöpfliche gar nicht ,ist' ; Gott ist das 
,ist', an dem wir ,teilnehmen' müssen, um in etwa zu sein^. 
Dieser ewige unwandelbare Seias-Gott ist die Wahrheit und 
die Gutheit; darum ist alles Erkennen unwandelbarer Wahr- 
heiten notwendig ein Teilhaben an Ihm ^ und alles Gutsein des 
Menschen ist nur wahres Gutsein, wenn es Teünahme an Gott 
ist^. Wenn wir dann weiter die spezifische Struktur des 
augustinischen Systems betrachten, ist freilich Gott- Wahrheit 
das eigentlich Erstgegebene, und insofern hat der Gottesbeweis 
aus der ,Wahrheit' tatsächlich die Primatstellung. Augustin 
steht eben hier auf demselben Standpunkt wie Klemens von 
Alexandrien: die Seligkeit besteht in Wahrheitsbesitz, die 
Wahrheit ist das Wirkliche. Der Unterschied beider, wie die 
Polemik der ,Civ. Dei' gegen die ,apathia' zeigt, liegt nur darin, 
daß Augustinus gegenüber Klemens die aktive ,Liebe' als Ver- 
einigungsweg zur Wahrheit setzt, während Klemens den pla- 
tonischen ,Eros' in eine passive, mehr negative ,apathia' dem 

» Z. B, Conf. 1, 2, 3; In Ps. 38, 8; 101, s. 2, 10; 121, 12 u. a. Vgl. 
vom Verfasser ,Heimat' (Himmelreich der Seele IV ; Freiburg 1923) 7 if. 

2 Vgl. die scharfen Fassungen in: In Ps.l09; 118, s.18,4 und s. 23, 1: 
,lucerna quippe creatura est . . ., quae participatione incommutabilis lucis 
accenditur'. Hertling, Historische Beiträge usw. 131 ff. Bäumker, Pa- 
tristische Philosophie 294. Portalie, Dict. de Thdol. cath. I 2334 ff. 

^ Ernst, Die Werke und Tugenden der Ungläubigen nach St. Augustin 
(Freiburg 1871). Mausbach a. a. 0. II 97 ff. 260 ff. Portalie a. a. 0. 2386 u. a. 
Vgl. fast formelhaft das Ganze (Teilnahme an Sein, Wahrheit, Gntheit) 
In Ps. 70, s. 2, 6. 



262 Anhang: Die neue kath. Intuitionsschule u. ihre hist. Unterlagen. 

Irdischen gegenüber mnscliuf. Die Folge ist^ daß bei Elemens 
die Seligkeit ein schleehthinniges ,Rulien' (anapausis) ist, " fast 
dem , Nirwana' vergleichbar, während Augustinus von einem 
,ruhenden Wirken und wirkenden Ruhen' spricht. Der Unter- 
schied geht auch in den Grottesbegriff ein, der bei Augustinus 
ein Sichdurchdringen von ,Wahrheit', ,Liebe' und ,Ewigkeit' 
wird, welchen Ternar er dann auch für seine Trinitätsspeku- 
lationen verwendet ^ ; schärfer gefaßt, da in platonischer Ein- 
stellung ,Ewig' bzw. jTJnwandelbar' und ,Wahr' fast ineinander- 
fallen: Wahrheit als Liebe und Liebe als Wahrheit, Caritas-Lux, 
Wahrheit-Liebe 2 (vgl. oben S. 208—213). Es ist also nicht 
richtig, was Scheler als Unterschied zwischen griechischer 
Philosophie und Augustinus aufstellt und ihm sonderbarerweise 
folgend auch Hessen, daß nämlich in jener ein Primat der Er- 
kenntnis herrsche, bei Augustin aber, den Scheler als den 
christlichen Philosophen faßt, der Primat der Liebe. Auch für 
Augustin, wie für Klemens, ist Grott wurzelhaft die Wahrheit; 
sie bleiben hier durchaus in den Grrenzen des Piatonismus, nur 
daß sie innerhalb desselben in steigendem Maß die Liebesidee 
verstärken. Die ,Liebe' ist nun nicht nur der einfache ,Zug' 
zur Wahrheit, sondern die Wahrheit selber ist von Liebe durch- 
lebt, so daß im Lieben als solchem Grott-Wahrheit schon auf- 
leuchtet ^. 

Dazu kommt nun noch der Gesichtspunkt der patristischen 
Fassung des Verhältnisses von Natur und Übernatur, den wir 



^ Vgl. z. B. Conf. 7, 10 ; De IVin. 4, prooem. usw. Zum .wirkenden 
Ruhen' usw. De Civ. Dei 4, 17, 2. Conf. 1, 4; 12, 37. De Gen. ad litt. 
4, 13. Vgl. vom Verfasser ,Heimat' (Himmelreich der Seele IV) 43 ff. 

2 Z. ß. Ep. 40, c. 22, 54. Vgl. Mausbach a. a. 0. 1 69 ff. ; ferner W. Thimme, 
Augustin (Göttingen 1910). Troeltsch dagegen (Augustin [München 1915] 
78 ff.) und mit ihm Scheler (SM 1 110 ff. 168 ff.) übertreiben diese Prä- 
valenzen in die Identität von Sein und Liebe und sehen entsprechend bei 
Klemens nicht die Vorstufe. 

^ Z. B. De div. quaest. q. 46, 2; De moribus eccl. cath. 17, 31; De agone 
Christ. 33, 35 ; In lo. tract. 26, 2- 5 ; 96, 4—5 ; In Ps. 79, 2 ; 99, 6 usw. 
Vgl. vom Verfasser, Heimat 57 ff. 



Augustins .Teilnahme' als Natur-Übernatur-Fassung. 263 

früher .behandelt haben (obenS. 204 ff.). Die Kirchenväter nehmen 
die Natur als die historisch gegebene, d. h. als die im Schöpfungs- 
beginn ,übernatürlich erhöhte' Natur; unter dieser Rücksicht 
hat die ,Natur' in der Tat ein striktes seinshaftes Teilnahme- 
verhältnis zu Gott, die ,Teilnahme an göttlicher Natur', und 
eng verknüpft mit diesem Seinsverhältnis auch ein striktes 
Teilnahmeverhältnis im Intellektuellen, das Teilnahmeverhältnis 
der strikten Offenbarung, und im Moralischen das Teünahme- 
verhältnis der ,übernatürlichen Gutheit' der sittlich guten 
Werke. Wie für die historische Menschennatur nur .eine 
Sittlichkeit gilt, die übernatürliche, so auch nur eine Gottes- 
erkenntnis, die des übernatürhchen Glaubens: der Gott des 
,historischen' Menschen ist nur der Offenbarungsgott ^. Daher 
spricht Augustin auch fast überwiegend nur von der ,fides 
praecedens intellectum', dem ,Erkennen aus Glauben'; eine 
,ratio praecedens fidem', ,Erkennen vor Glauben', faßt er fast 
nur im Sinne eines ,Yerstehens der Botschaft' : ,Verstehe, daß 
du glaubest, mein Wort!'^ Das Grundschema religiöser Er- 
kenntnis heißt darum bei ihm wie auch bei Klemens von 
Alexandrien , Glauben — Erkennen — Schauen' ^, woraus erhellt, 
wie für Augustin das platonische Empfangen der Wahrheit 
,in' Gott-Wahrheit mit dem im Glaubensvorgang herrschenden 
, Vereintsein dem Wissenden' ineinanderfließt*; aber auch gleich- 

^ Die Dogmatik lehrt daher, daß im Glauben, der die unerläßliche Vor- 
bedingung des Heiles ist, irgendwie dieser Charakter des Übernatürlichen 
bejaht werden müsse. Über das Wie bestehen Kontroversen zwischen 
Chr. Pesch, Jos. Mausbach und Jos. Straub. Chr. Pesch findet dieses Wie 
im »übernatürlichen Lohn', Jos. Mausbach in der jgratia sanans' ; Straub 
endlich konzediert als minimum ein ,Bereitsein' zur- Annahme einer Offen- 
barung, so eine solche bestehe. 

^ Sem. 43, c. 3, n. 4; c. 7, n. 9; ebenso Ep. 120, c. 1, n. 8. In Ps. 118, 
s. 18, n. 3 u. a. 

^ Vgl. vom Verfasser ,Einführung in Newmans Wesen usw.' 59. 

* ,Non parva pars scientiae est scienti coniungi. lUe habet oculos 
cognitionis, tu habeto credulitatis' (In Ps. 36, s. 2, 2. Vgl. ebenso De div. 
quaest. 48; De Trin. 4, 18, 24; 9, 1, 1 ; In lo. tract. 40. 9; De praedcst. 
sanct. 9, 5. 



264 Anhang : Die neue kath. Intuitionsschiile u. ihre hist. Unterlagen. 

zeitig, wie für ihn dieses ,Erkennen in Gott' wesenhaft von 
allem , unmittelbaren Schauen' getrennt istS was er nicht oft 
und scharf genug betonen kann. Im Lichte dieser Zusammen- 
hänge aber erscheint nun das augustinische System der »Teil- 
nahme' gegenüber dem thomistischen der Scheidung von Kausa- 
lität und Teilnahme als Stadium der nicht voll und klar 
systematisch vollzogenen Scheidung^. Im augustinischen Be- 



^ Vgl. Ep. 120; In Ps. 109, 8; Serm. 38, c. 2, 3; 126, c. 1—3; In lo. 
traci 40, 3; 75, 4—5: 112, 2—3 usw. Sehr scharf In Ps. 109, 8: ,Ad 
iustitiara pertinet ex fide vivere, et ex fide nemo vivit nisi non videndo 
quod credit.' 

^ Diesen Übergangscharakter der Formulierung Augustins betont Hert- 
ling sehr scharf, sowohl in seinem , Augustin' wie in den ,Historischen Bei- 
trägen zur Philosophie'. Auf der einen Seite lehnt er zwar mit klarer Ent- 
schiedenheit (mit Portalie, Dict. de The'ol. cath. I 2335 f.) die thomistische 
ümdeutimg Augustins ab (Augustin 42 ff. ; Historische Beiträge 131 ff.). Auf 
der andern Seite aber vermeidet er es, im Unterschied zu Portaliö (der Gott 
als ,intellectus agens' fassen will) und Grabmann-Mausbach (die eine Kau- 
salität der jCausa exemplaris' annehmen), Augustins Aussagen in ein festes 
System zu fassen. Er legt nur entschieden dar, daß bei allem klaren Unter- 
schied zu Thomas Augustin .nicht daran dachte, dem Menschen schon in 
diesem Leben eine zutreffende Erkenntnis des göttlichenWesens zuzuschreiben' 
(Augustin 43), oder ,behauptet . . ., daß wir von Gott eine vollkommene und 
unmittelbare Erkenntnis haben' (Historische Beiträge 132), was Mausbach 
ebenfalls überzeugend nachweist, da er zeigt, wie Augustin schließlich für 
keinen Menschen auf Erden ein ,unmittelbares Schauen' zugebe (Ethik des 
hl. Augustinus II 369) ; ebenso scharf unterstreicht das Karl Adam in seiner 
(ablehnenden) Kritik Hessens, da er ebenfalls zeigt, wie Augustin gegen alles 
diesseitige ,Schauen Gottes' sich ausspreche (Tüb. Quart.-Schr. 101 [1920] 
409/410). Im übrigen betont Hertling: ,[Augustins Aussprüche] sind . . . 
weit mehr begeisterte Kundgebungen seines alles Ii'dische überfliegenden 
Spiritualismus und seiner glühenden Sehnsucht nach dem Göttlichen als 
Bestandteile einer systematisch entwickelten Erkenntnistheorie' (Historische 
Beiträge 232). Diese Auffassung ist auch diejenige Bäumkers (Patristische 
Philosophie 294; Christliche Philosophie des Mittelalters 386 ff.). Ihr 
pflichtet auch schließlich Grabmann bei (Philos. und theol. Erkenntnislehre 
des Kardinals Matth. v. Aquasparta [Wien 1906] 58/59 und Grundgedanken 
des hl. Augustinus über Gott und Seele [Köln 1916] 93 ff.). Am meisten 
dürfte Portalies Darlegung (neben Hertling) in der Richtung der oben skiz- 
zierten Zusammenhänge liegen, da er schließlich seinen ,Gott -Wahrheit als 
jntellectus agens' mit der Gnade in Parallele setzt: beide zugleich als ,formes 



Thomas als wahre Klärung Augustins. 265 

griff der ,Teilnahine* sclilummert beides, die Teilnahme der 
,Natur' und die Teilnahme der ,Übernatur' . Der Scholastik, 
aber vorab der nachtridentinischen Theologie blieb es vor- 
behalten, im Seinsverhältnis die Teilnahme der ,Natur' als 
jKausalverhältnis' von der Teilnahme der ,Übernatur' als darauf 
aufbauender, aber die Natur übersteigender ,Teilnahme' im 
besondern Siim zu unterscheiden ^. Darum liegt die Scheidung 
kausal-spontaner Gotteserkenntnis von teilnehmend-empfangen- 



creees' in der Seele und beide doch zugleich transzendente »Teilnahme'. 
Vgl. unsre Abhandlungen ,Gott in uns oder Gott über uns ?' (Stimmen der 
Zeit CV [1922/23 II]) und »Tragische Seele?' (ebd. CVI [1923/24 I] Okt.). 
^ Mausbach schrieb seinerzeit über das Verhältnis der beiden Formu- 
lierungsweisen in seiner tiefgreifenden Artikelreihe über ,Die außerordent- 
lichen Heilswege für die gefallene Menschheit', die zusammen mit Kardinal 
Billots Aufsehen erregender ähnlichen Artikelreihe ,La Providence de Dieu 
et le nombre infini d'hommes en dehors de la voie normale du salut' (Etudes 
161 [1919] 129 ff. ; 163 [1920] 5 ff. ; 164 [1920] 385 ff.; 165 [1920] 513 ff. ; 167 
[1921] 258 ff.) ein zum guten Teil neues Fundament für die Lösung des Pro- 
blems vom allgemeinen Heil der ganzen Menschheit bauen : ,[In der] augusti- 
nischen Auffassung des Übernatürlichen . . . haben wir die Sprache nicht der 
schulmäßig distinguierenden Theorie, sondern des tatsächlichen Seelenlebens, 
der christlichen Frömmigkeit, die zugleich die Sprache des hl. Paulus ist. 
Ob es außer dem jetzigen Stande des Menschen einen „status naturae purae" 
gebe, ob in diesem Stande dem Menschen ein anderes Ziel gesetzt wäre, 
ob die Seligkeit, zu der uns Gott beruft, auch für einen vollkommenen 
Menschen, etwa für Adam im Paradiese oder gar für die Cherubim und 
Seraphim übernatürlich sei, das sind Fragen, die die theologische Wissen- 
schaft interessieren, die aber dem praktischen Heilsbedürfnisse ziemlich 
fem liegen. . . . Die Form, in der das „absolut" Überaatürliche dem ein- 
fachen Glauben erscheint, ist das „moralisch" oder „relativ" Übernatürliche; 
und was damit zusammenhängt: das Bedürfnis der Gnade, das dem Menschen 
gewöhnlich allein erkennbar wird, ist das der „gratia medicinalis", nicht 
das der „gratia elevans". Jene Form ist genügend, solange das absolut 
Übernatürliche nicht ausgeschlossen wird, wie es durch den falschen 
Augustinismus eines Bajus geschah ; sie ist aber auch insofern notwendig, 
als in irgend einer Form die Gratuität des Heiles und die Erlösungs- 
bedürftigkeit des gefallenen Menschen in der religiösen Erkenntnis und 
Heilswirkung zum Ausdruck kommen muß ; sie ist auch für einen Heiden 
leicht erreichbar, weil gerade auf ihm die Folgen der ürsünde besonders 
schwer lasten und ein „remedium animarum" gegen die „infirmitas ac 
pronitas naturae" erheischen' (317). Vgl. in dieser Schrift S. 211 ff. 



266 Anhang; Die neue kath. Intuitionsschule u. ihre hist. Unterlagen. 

der in derselben großen Linie der theologischen Entfaltung 
wie die Scheidung selbständiger sittlicher Gutheit von über- 
natürlicher Grnadengutheit. Es kann sich also im Lichte dieser 
geschichtlichen Zusammenhänge nicht handeln um ein selb- 
ständiges iSTebeneiriander von Augustin und Thomas, sondern 
Thomas bedeutet geistesgeschichtlich die Klärung des bei 
Augustin noch üngeschiedenen^. Der Teilnahmegedanke Piatos 
oder besser des Neuplatonismus war für die Patristik der ein- 
heitliche Ausdruck ihrer Systeme, weil sie von der ,historischen' 
Natur, in welcher Natur- Wesenheit und Übernatur-Wesenheit 
geeint sind, ausgehen. Die nachtridentinische Theologie be- 
schränkte konsequent den Teilnahmegedanken auf die über- 
natürliche jTeilnahme an göttlicher Natur', weil sie klar zwischen 
Natur und Übernatur schied, und zielte darum auf eine Syn- 
these von Piatonismus und Aristotelismus : Piatonismus in der 



^ Friedrich Heiler in seinem neuesten Werk ,Der Katholizismus, seine 
Idee und seine Erscheinung' (München 1923) hat dieses Verhältnis von 
Thomas zu Augustin in folgende Worte gefaßt, obgleich er in Augustin 
schlechthin den ,Idealkatholizismus' sieht: ,Was bei Augustin nur in der 
Einheit des Denkens und Lebens verbunden war, das wurde vom Aquinaten 
zur Einheit eines grandiosen Ideensystems zusammengeschweißt ; was bei 
jenem unausgeglichen und widerspruchsvoll war in der IiTationalität des 
Lebens, das wurde von diesem harmonisiert im dialektischen Kompromiß 
und in der rationalen Abstraktion. Wenn auch die Frische und Unmittel- 
barkeit katholischen Lebens dadm'ch gelitten hat, die auseinanderstrebenden 
* Kräfte der Wirklichkeit sind doch mit energischem Denken gebändigt und 
in der Einheit des Gedankens zusammengehalten. Die ganze Geschichte 
der Religion kennt kein großartigeres theologisches System als das aquina- 
tische, das keinen treffenderen Titel tragen könnte als den der Summa 
theologica. Sie ist ein Spiegelbild jener Summa, die der wirkliche Katholi- 
zismus darstellt' (113). ,Er hat den Katholizismus in seiner ganzen Weite 
erfaßt und dargestellt ; er ist aber in gleicher Weise in seine Tiefe ge- 
drungen ; das Herz der katholischen Frömmigkeit, die saltramentale Mystik, 
ist auch das Herz seiner innigen und zarten Frömmigkeit gewesen. Als 
Denker wie als Mensch, als Theologe wie als Frommer, als Systematiker 
wie als Hymnendichter — stets ist er eine wunderbare Verkörperung katho- 
lischen Wesens. Nach ihm ist kein Kirchenlehrer mehr aufgetreten, der 
sich mit seiner Geistesgröße vergleichen könnte. Neben Augustinus ge- 
reicht keiner der katholischen Kirche zu solchem Ruhme wie er' (125). 



Augustins reale und Pascals subjektive jWahrheit'; 267 

,Ül>ernatur' (,Teilna}ime an göttlicher Natur'), Aristotelismus 
in der jNatur' (Eigensein und Eigentätigkeit des Geschaffenen). 
Es ergibt sich demnach für ein geschichtlich eingestelltes 
Denken, daß (entgegen Hessen in D 60) eine Repristination 
der ersten Stufe nicht möglich ist, sondern nur ein organisches 
Weiterschreiten von der einmal erreichten zweiten Stufe aus. 

2. Pascal. 

Ist Pascals ,Intuition', jener ,esprit fin' oder jene ,raisons 
du coeur'j geschichtlich gesehen, eine Weiterführung der augusti- 
nischen' ,Intuition'? Ein Vergleich der Mentalität etwa der 
Soliloquien und des ,De libero arbitrio' oder der ,De beata vita' 
mit Pascals berühmter ,Wette' (n. 233)^ und dem ,Memoriar 
dürfte die Antwort geben. Zwischen Augustin und Pascal 
liegt die Bewußtseinseinstellung der Neuzeit. ,Wahrheit' ist 
für den Platoniker Augustinus etwas Reales, realer als die 
Dinge der Erfahrung, nur daß er diese reale Wahrheit nicht 
mit den platonischen Ideen identifiziert, sondern mit Gott. 
Gott ist, wie wir eben sahen, ,rear als die ,Wahrheit'. Darum 
besteht für die Einstellung Augustins nicht der Unterschied 
zwischen einem ,Erkenntnisbild' der Wahrheit und der ,Wahr- 
lieit an sich'. Die Wahrheit erkennen heißt darum an ihr, der 
,Wahrheit an sich', selber teilhaben. Diese ganz spezifisch antike 
Einstellung ist ja der eigentliche Wurzelgrund seines Gottes- 
beweises aus der , Wahrheit'. Pascal aber lebt in der Welt, 
der die Zweiheit von ,Wahrheit an sich' und ,Erkenntnis' 
lebendig geworden ist, die nicht mehr in unbefangenem Reahs- 
mus wie durch ein offenes Penster in die Wirklichkeit zu 
schauen glaubt, sondern die sich in die prinzipielle Yerschlossen- 
heit des Bewußtseins gebannt weiß. Wie die antik-scholastische 
Welt ihr Wahrheitskriterium sich aus der ,Übereinstimmung 



^ Pascal-Zitate nach Brunschvicg maior ((Euvres de Blaise Pascal, Paris 
1904); n = Fragmentnummei-. ' 



268 Anhang : Die neue kath. Intuitionsschule u. ihre hist. Unterlagen. 

mit den Dingen' holte, weil sie wie durch ein Fenster die 
,Dinge an sich' zu schauen und zu berühren glaubte, und 
wie sie in der Festigkeit dieser , Wirklichkeit an sich' ihre 
unerschütterliche Festigkeit hatte, • — so ist dieser, durch das 
Solipsismusfeuer der deutschen Mystik und die Erschütterungen 
der Reformation auf das Selbstbewußtsein eingeengten Welt 
nur das Kriterium der absoluten Denknotwendigkeit möglich: 
das mathematische Evidenzideal wird der Typus von Erkenntnis- 
kriterium und Erkenntnissicherheit überhaupt. Yon diesem 
Standpunkt aus ist es aber eine fast verzweifelte Frage, an 
die rein tatsächliche empirische Wirklichkeit zu kommen mit 
all ihrer ,Zufälligkeit', — an die Wirklichkeit eines realen 
und dazu übergeschöpflichen Gottes, an die Wirklichkeit ferner, 
historischer Begebnisse. Gewiß der Rationalismus einer Wolff- 
Schule versucht, aus den Begriffen allein das Dasein Gottes 
mathematisch zu konstruieren und alle christlichen Glaubens- 
wahrheiten als denknotwendige Yernunftwahrheiten zu de- 
duzieren. Aber ebenso leicht ist es, ihnen gegenüber, der 
schneidenden Kritik Kants, diese Denknotwendigkeiten teils 
aufzulösen, teils sie eben als innersubjektive Denlmotwendig- 
keiten zu enthüllen, d. h. als Kategorien rein transzendentaler 
Geltung, — und die Welt der Wirklichkeit bleibt weiter, nur 
noch prinzipieller, das unbekannte X. Von hier aus ist die 
ganz besondere Stellung Pascals erst sichtbar, und hier hat 
Laros recht, wenn er Pascals Unterscheidung der ,esprits 
geometriques' und ,esprits fins' (n. 1—4) sowie seine Lehre 
von den ,raisons du coeur' (n. 282 283 377 395 396) als Ansatz- 
punkt einer nicht-mathematischen Erkenntnis weise der Wirklich- 
keit auffaßt (P 117 ff.). 

Aber damit allein ist Pascal nicht erklärt. Auch für New- 
mans ,implicit reasoning' und ,natural inference' war das Pro- 
blem einer nicht-mathematischen Erkenntnisweise der Wirklich- 
keit das Ausgangsproblem, und doch kam er nicht zu jener 
radikalen Ablehnung aller natürlichen Gottesbeweise und ver- 



Pascals Bedürftiis-Postulat-Standpunkt. 269 

nunftmäßigen Gotteserkenntnis, wie sie Pascal, nicht bloß 
gelegentlich und etwa in Übertreibungen, sondern grundsätzlich 
vollzieht (n. 233 243 244 usw.) Laros hat sich den Weg der 
Lösung einmal dadurch versperrt, daß er die Wunder- und 
Weissagungsbeweise in eine gleiche Reihe mit den Gottes- 
beweisen stellt und aus Pascals Neigung zu den ersteren auch 
Pascals Stellung zu den letzteren zu deuten sucht, dann aber 
vor allem dadurch, daß er prinzipiell allen jansenistischen 
Geisteshintergrund der ,Pensees' zu übersehen sucht imd die 
merkwürdige These vertreten will, daß der Jansenismus für 
die eigentliche religiöse und religionsphilosophische Mentalität 
Pascals kaum etwas bedeutet habe^. So fehlt denn in seiner 
Pascaluntersuchung sowohl eine Diskussion der zentralen Be- 
deutung des ,Deus absconditus' und ,Deus iricomprehensibilis' 
und der aus ihm abgeleiteten Prädestinationsfunktion der 
,Dunkelheiten' in Natur und Offenbarung, wie auch eine 
Behandlung der Frage, warum Pascal Wunder- und Weis- 
sagungsbeweise annehme, Gottesbeweise aber nicht. Hier kann 
die rein philosophische Theorie der ,esprits fins' keine Antwort 
geben, weil hier die großen religionsgeschichtlichen Einflüsse 
der deutschen Mystik und der Entstehung der Reformation 
durch das Medium des Jansenismus hindurch hineinwirken. 
Vergleicht man Pascal etwa mit Thomas von Aquin, so springt 

^ Vgl. Laros' Studie ,Port-Royal und die Anfänge des Jansenismus' in 
der Festschrift für Sebastian Merkle (Düsseldorf 1922) 186 ff., und dem 
entgegen die entschiedene Sprache der neuem französischen Pascalforschung, 
wie sie vorab im Pascalheft der Kevue de M^taphysique et de Morale 
XXX (1923) offen sich äußert. Laporte bezeichnet Pascal als Jansenisten 
im Sinne von Amauld, Nicole und Saint- Cyran (247—306) und weist scharf 
die entgegengesetzte Bremond-These vom Nicht-Jansenismus des spätem 
Pascal zurück. F. Kann erweist den Voluntarismus Pascals (307 — 344). 
Nur Blondel will Pascal für seinen eigenen Immanenzstandpunkt in An- 
spruch nehmen (129 — 163), was aber, ebenso wie in Deutschland die Pascal- 
'. Huldigung der Barth-Gogarten-Thurneysen-Gruppe (Zwischen den Zeiten I 
I [1923], Heft 3, S. 27 — 51), nur entschiedener die Luther- und Immanenz- 
I Verwandtschaft Pascals aufdeckt. Vgl. auch neuerdings die Pascalstudie 
I Petitots, in Bevue des Jeunes XHI (1923) 290 ff. 



270 Anhang: Die neue kath. Intuitionsscliule u. ihre hist, Unterlagen. 

ein Grundunterschied in die Augen, Patristik und Scliolastik 
stimmen noch darin überein: Grott ist die absolute Wirklich- 
keit und der absolute Herr, und darum ist das , Gott an- 
hangen' mein Heil. Der Satz aber, der sozusagen die innere 
Eorm der ,Pensees' bildet, und die innere Form der Gotteslehre 
des neuzeitlichen Denkens überhaupt, lautet : Ich brauche ^n 
Heil, und darum muß es einen Gott geben. Für den alten 
Typus ist, in der Innern objektiven Intention des Vorgangs 
gesehen, der Mensch ,für Gott', für den neuen Typus Gott 
,für den Menschen'. Steht dort ,Dienst' im Vordergrund, so 
hier ,Heir. Die extreme Verschlossenheit im Ich kann eben 
keinen andern Weg finden als diesen Weg des voluntaristischen 
Postulats, • — und diesen Weg, der in innerer Konsequenz 
schheßlich bei der Lehre von Gott als dem Ausdruck einer 
Bewußtseinshöhe (Simmel) landet. Dieser Weg aber hat, wie 
die neuere Lutherforschung immer deutlicher herausgestellt 
hat, letztlich "in der deutschen Mystik und im Nominalismus 
seinen Ausgangspunkt. Der deutschen Mystik war es eigen, 
in fortschreitender Entwicklung alle religiösen Wirklichkeiten 
zu entwerten, die Seele von aller Wirklichkeit immer mehr 
abzulösen, damit sie im völligen ,Entwerden' und ,Entbildet- 
sein', ,ohne Mittel', des ,bildlosen' Gottes inne werde. Nicht 
die reale Wirklichkeit war mehr ein Weg zu Gott und eine 
Kunde von Gott, sondern nur noch ein gesteigerter Seelen- 
zustand: das unsagbare Seligkeitsgefühl der ,unio mystica' 
wird zu dem Zeichen Gottes. Es genügt dieser religiösen 
Einstellung nicht die Vergewisserung über Gottes Nähe, wie 
sie im realen Geschöpfcharakter der Welt oder in den realen 
Gnadenmitteln der Kirche gegeben ist; sie sucht nach einer 
seelischen Vergewisserung in der Seligkeit der Liebesnähe. 
So wird immer mehr objektiver Glaube, Dogma, Sakrament 
entwertet, bis schließlich aus dieser religiösen Strömung eine 
eigene Kirchenbildung wird : die Kirche der persönlichen Heils- 
gewißheit, der Protestantismus, 



' Pascals reformatoriscli-jansenistisches Gott-Mensch -Verhältnis, 271 

Mit dieser Grundform der neuzeitlichen religiösen Strömung 
verbinden sich aber zwei andere Momente, die ebenfalls, wie 
der persönliche Heilsgedanke, bestimmend Pascals ,Pensees' 
durchziehen : der Gedanke des ,Deüs absconditus' und der Ge- 
danke der völligen Ohnmacht des erbsündigen Menschen. Es 
ist viel zu wenig beachtet worden, daß Pascals ,Wette' mit 
dem Gedanken der prinzipiellen Verborgenheit und darum 
TJnerkennbarkeit Gottes beginnt, und daß er auch sonst gerade 
mit diesem Gedanken gegen alle natürliche Gotteserkemitnis 
zu Felde zieht (n. 194 242 556). Darum betont das ,Me- 
morial* den ,Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs' gegenüber 
dem jGott der Philosophen' ^, weil sich Gott in der jNatur' 
als Atheistengott oder Deistengott (n, 556) gebe, und nur in 
Christus als wahren Gott. Das entsprechende, erklärende 
Gegenstück ist eben die völlige Ohnmacht des erbsündigen 
Menschen, dieser ,chimere', chaos', ,sujet de contradiction' und 
,monstre incomprehensible' (n. 420 421), der ,ohne Jesus 
Christus' mit Recht absoluter Skeptiker ist (n. 432) und ein 
Spielball der herrschenden ,Begierlichkeit' (n. 451 ff. 458 ff. usw.)^ 
so daß seiae Größe nur darin besteht, sein Elend erkennen 
zu können (n. 416). Weil eben die Erbsünde derart die eigent- 
liche Natur des Menschen verwüstet hat, darum ist sie auch 
als die große Welt- und Menschenrätsellösung ohne jede Offen- 
barung erkennbar : ,der Mensch ist ohne dieses Geheimnis un- 
begreiflicher, als dieses Geheimnis dem Menschen unbegreiflich 
ist' (n. 434). So ist die Folge der Erbsünde, daß der Mensch 
Gott nicht erkennen kann, ohne daß Gott sich offenbart, und 
keiner Tugend fähig ist ohne die Liebe, die er ihm eingießt. 
Es können also als ,Beweise der Religion' nur jene Tatsachen 
in Frage kommen, die sich auf Gottes Erscheinen als Erlöser 
beziehen, d. h. die Wunder- und Weissagungsbeweise, vor allem 
die letzten. Aber auch sie nicht in der Form, daß ihre Eiu- 



^ Bninschvicg 13—7. 



272 Auliaiig: Die neue kath. Intuitionsschule u. ihre hist. Unterlagen. 

sieht der natürlichen Erkenntnis des Menschen schlechthin 
offen stünde. Vielmehr enthalten sie mit Absicht Dunkelheiten, 
die den ,Erwählten' zum Besten gereichen, den ,Verworfenen' 
aber zur Verwerfung : ,alles gereicht zum Besten für die Er- 
wählten bis zu den Dunkelheiten der Schrift . . . und alles 
gereicht zum Bösen für die Verworfenen bis zu den Hellig- 
keiten [der Schrift]' (n. 575, vgl. 578). Aus diesem Gedanken- 
gang heraus versteht sich dann auch das ceterum censeo der 
,Pensees': ,Die wahre und einzige Tugend ist Sich-hassen, 
denn man ist hassenswert durch die Begierlichkeit, und ein 
wahrhaft liebenswertes Wesen zu suchen, um es zu lieben' 
(n. 390). Weil die christliche Religion diesen radikalen Selbst- 
haß lehre, dessen andre Seite die ebenso radikale Grottesliebe 
ist, darum ist sie letztlich für das religiöse Empfinden Pascals 
die wahre Eeligion (n. 468). Bedenken wir noch, daß die 
,Liebe' für Pascal absolutes und freies Geschenk Gottes ist 
(n. 230 233), und alles nach ihm auf das ,incliHa cor meum' 
ankommt (n. 284 287) S so gewinnen wir als klaren Hinter- 
grund seiner Gedankenwelt die nominalistisch-reformatorische 
Erbsündelehre, die im Jansenismus sich nur fortsetzte, und die 
korrelate Lehre vom unberechenbaren willkürwillenshaften Ge- 
richt-Gnade-Gott, wie wir sie schon mehrfach gezeichnet haben, 
nur daß in ihrer jansenistischen Weiterbildung nicht mehr 
der ,Heilsglauben', sondern die ,Liebe' die Erscheinung von 
Gottes Alleinwirksamkeit im Menschen ist. 

Weil eben der erbsündige Mensch, wie Pascal sich aus- 
drückt, ein ,Wesen ist voll Irrtum, Irrtum naturhaft und un- 



^ Vgl. mit diesen ,inclina'-Stellen die beiden Fragmente, in denen Pascal 
den Menschenzustand schildert, den er für seine Apologetik voraussetzt: 
ein unentschiedenes Schwanken zwischen Unsicherheit, oh Gott sei, und 
Unsicherheit, oh er nicht sei (n. 194 229). Ebenso vgl. die vier Antinomien 
der Unbegreiflichkeit, wo diese Unsicherheit sozusagen prinzipiell fest- 
gelegt wird. Hieraus wird klar, daß dieses ,inclina' ein direktes Eingreifen 
Gottes meint, dadurch er sich als Daseienden kundtut, und zwar ,sensible 
au coeur* (n. 278). 



Pascal alä historische Stufe zwischen Luther und Bergson, 273 

ausrottbar ohne die Gnade' (n. 83; vgl. n. 139 142 401 413), 
so kann ihm keinerlei Gotteserkenntnis durch seine natürlichen 
Fähigkeiten kommen. Es bleibt nur der Weg des ,Schauens' 
Gottes in Jesus Christus, des ,Schauens' durch die ,Liebe', des 
jSchauens' mit dem durch Gott ,geneigten' Herzen. Damit 
gewinnen wir erst die entscheidende Ableitung der ,raisons 
du ccßur' Pascals und sehen, wie seine Intuitionstheorie 
wesentlich durch seinen Jansenismus bestimmt ist. Hieraus 
aber wird erst ihr eigentlich subjektivißtischer Charakter klar. 
Denn der letzte Erweisgrund, derjenige Grund, der in den 
Antithesen Pascals sowohl wie auch in seinen großen Beweis- 
schemata wiederkehrt , ist die Korrelation zwischen dem 
Elend des Menschen und Gott-Erlöser als seinem einzigen 
Glück (vgl. n. 60 327 430 u. a.). Gott-Erlöser erscheint mit- 
hin als die naturnotwendige Ergänzung des Menschen, als 
das innere Postulat seiner Ohnmacht, freilich ein Postulat, 
dessen Erfüllung an den unbegreiflichen Prädestinationswillen 
Gottes gebunden ist, d. h. mit andern Worten: Pascal weist 
rückwärts auf den alleinwirklichen und aUeinwirksamen Gott 
Luthers, der nach freiem Ermessen den Menschen seiner 
völligen Ohnmacht überläßt oder alles Wahrheitserkennen und 
alles gute Tun in ihm allein wirkt, tiefer gesehen (wie 
Troeltsch es darstellt), auf den Gott, der Irrtum wie Wahrheits- 
erkenntnis, Unseligkeit wie Seligkeit, Böses wie Gutes als der 
eine unbegreifliche ,Wille' allein wirkt, — und vorwärts auf 
die Immanenztheologie, der die Übernatur die natumotwendige 
Ergänzung der Natur ist, und die im innersubjektiven Rhythmus 
des Seelenlebens des alles allein bewegenden Rhythmus des 
Leben-Go ttes und Gott-Lebens unmittelbar inne wird^. 

^ Der Unterschied Pascals von Newman liegt wohl kaum sonst deutlicher 

als hier. Newnian stellte eine Theorie von ,iiMierem Lehen als Kriterium 

äußerer Wahrheit' ntir in den Sermons auf, in denen er noch eine letzte 

Eettung der anglikanischen Position versuchte (Serm. on subj. of the day, 

■ serm. 22 — 25): die. ,äußeren Kriterien' sprechen gegen die Wahrheit der 

^ anglikanischen Kirche, aber die ,inneren Kriterien' des ,iimeren Lebens' 

Przywara, Eeligionsbegründimg. 18 



274 Anhang: Die neue kath. Intuitionsschule u, ihre hist. Unterlagen. 

Gewiß birgt sich unter diesem Bedürfnis-Erfüllungs- System, dessen letzter 
konsequenter Ausläufer schließlich Bergsons Intuition ist, der Ansatzpunkt 
eines anderen Systems, das die Gegensätze des Menschen nicht in dieser 
radikalen Form löst, sondern sie im Menschen polarisiert und so dem 
Unheil der nominalistisch-reformatorisch-j ansenistischen Widerspruchseinheit 
des ohnmächtigen Erhsündemenschen mit dem alleinwirkenden Prädestina- 
tionsgott entgeht. Dieser Ansatzpunkt zu einem System der Polarität, 
wie es etwa in Newmans ,opposite virtues' vorliegt, zeigt sich einmal in 
jener Fragmentengruppe, die in hezug auf die ,Vemunft' sowohl ein Zuviel 
(,n'admettre que la raison') wie ein Zuwenig (,exclure la raison') ablehnen 
(n. 254 265 268 269 273), weiterhin in jenen Stücken, die die Tugend 
als Spannungsmitte zwischen Extremen definieren (n. 353 357 — 359 378): 
,c'est sortir de l'humanite qiie de sortir du milieu', endlich in einzelnen 
Ausführungen, die den Menschen überhaupt als ,Mitte' zeichnen ,ni ange 
ni bete' (n. 358 412 413 418 423) und infolgedessen das ,ständige Sich- 
Wandeln' als seinen Charakter (n. 874), und die die Wahrheit des Christen- 
tums daraus ableiten, daß es diese Polarität vollkommen zum Ausdruck 
bringe (n. 250 251 424) ^ Aber dieses Polaritätssystem gibt sich gegenüber 
dem oben gezeichneten Bedürfnis-Erfüllungs-System nur wie einen Ansatz, 
freilich einen Ansatz von höchster Bedeutung. Wenn man in der Lebens- 
geschichte Pascals den wachsenden jansenistischen Einfluß verfolgt, von 
der Einwirkung der beiden Brüder De la Bouteillerie und Des Landes (1646) 
bis zu Pascals Kampf gegen die vermittelnde Richtung in Port Eoyal (1661), 
so erscheint das Verhältnis der beiden in Pascals ,Pens^es' miteinander 
ringenden Systeme nur als Spiegelbild des Unterliegens der Eigenpersönlich- 
keit Pascals unter dem Zwang des jansenistischen Fanatismus. Wenn also 
die neuere Immanenzapologetik und Immanenztheologie auf das Bedürfnis- 
Erfüllungs-System, und nicht auf das Polaritätssystem zurückgreift, so 
zeigt sie sich nur als letztes Stadium jener Erkrankung der europäischen 
Mentalität, die mit der, deutschen Mystik begann, und die überall dort sich 
zeigt, wo man die Allwirksamkeit Gottes nicht durch den ebenso echten 
Thomasstandpimkt der wahren Eigenwirksamkeit der Geschöpfe polarisiert. 

Yon diesem Standpunkt aus wird es dann auch klar, wie 
eine an Pascal orientierte ,Intuition' von ,ünmittellbarkeit' 



(vitality, sanctity) seien doch dagegen beweiskräftig. Die ,religiöse Vitalität' 
ist also für ihn ein letztes Hindernis auf dem Wege zur Wahrheit, das er 
denn auch später wissenschaftlich in den Twelve lectures von 1850 u. a. 
entkräftete. Für Pascal dagegen ist die ,religiöse Vitalität' der Kernpunkt 
seines positiven Wahrheitsbeweises, eine Wurzel neuen Lebens, nicht wie 
bei Newman ein letztes Aufflackern ersterbenden Lebens. 

^ Vgl. den Neudruck der (1892 bereits erschienenen) Studie von F. Eauh, 
La Philosophie de Pascal, im Pascal-Jubiläumsheft der Eevue de Möta- 
physique et de Morale XXX (1923) 307—344. 



Ansatz eines Polaritätssystems bei Pascal. 275 

Sprechen kann, von Unmittelbarkeit nämlich der inner subjektiven 
Sehnsucht- und Bedürfhishaltung zu ihrer , Erfüllung' und ,Er- 
lösung'. Für den patristisch-scholastischen Typus war eine 
jtJnmittelbarkeit' nur möglich auf dem Wege einer Hypo- 
stasierung der »Wahrheit an sich', aber Augustin selbst, in 
der scharfen Analyse des zehnten Buches der Konfessionen 
und der scharfen Scheidung von credere-intelligere-videre, deckt 
die Täuschungen eines solchen ,unmittelbar' auf. Alle Träume 
von ,TJnmittelbarkeit' aber zerstört sein Grundsatz von der 
jünbegreiflichkeit Gottes', wo er den, im Kampf gegen die 
Eunomianer geborenen, Gedanken der Kappadozier aufnimmt, 
daß Gott dann am eigentlichsten erkannt ist, wenn er als der 
Unbegreifliche erkannt ist: , Wissen im Nicht- Wissen'. Die 
sogenannte Mystik des ,Unbegreiflichen Gottes' oder (in der 
Sprache des Pseudo-Areopagiten) der ,hellichten Einsternis' ist 
also gerade eine Leugnung aller ,unmittelbaren' Mystik oder 
besser eine Mystik, die gerade im Verzicht auf Mystik besteht ^ 
Im Unterschied von dieser patristisch-scholastischen Haltung 
aber vermag die neuzeitliche Haltung wohl von einem ,un- 
mittelbar' zu sprechen, in dem Sinn nämlich, wie Hessen es 
selber tut (E 79—88) ; Die Bewußtseinsidee von Gott ist dem 
Bewußtsein ,unmittelbar', wie auch sonst das Erkenntnisobjekt 
dem Erkenntnisakt. Aber dieses ,unmittelbar' bedeutet seiner 
Natur nach entweder eine methodische Beschränkung, — und 
dann ist das Wichtigste, die transzendente Realität Gottes, nicht 
begründet. Oder es bedeutet eine prinzipielle Beschränkung, und 
dann ist Simmel die Konsequenz, d. h. ,Gott' als reiner Aus- 
druck für einen bestimmten Bewußtseinszustand. 



^ Hessen hat auch hier Historie im Licht seiner Theorie gesehen, wenn 
er die kappadozische Mystik der ,IFnhegreiflichkeit' mit seiner augustinischen 
,unmittelbaren Intuition' gleichsetzt (L 34). Das Gemeinsame der ,ün- 
begreiflichkeitsinystik der Kappadozier, Augustins und des Pseudo-Areo- 
pagiten ist vielmehr: Mystik des .Erkennens' scheitert an sich selbst, 
Liebe zu Gott allein ist Nähe zu Gott. 

18* 



276 Anhang: Die neue kath. Intnitionsschule u. ihre hist. Unterlagen. 

3. Newman. 

Bedeutet Newmans Lehre, hauptsächlich vom Folgerungs- 
sinn (illative sense), eine Fortführung der Pascalschen ,un- 
mittelbaren Intuition'? Die französische Newinanforschung, 
an ihrer Spitze Bremond (,]Srewman', Paris 1906) hat es 
bejaht. Sie faßt , wie früher dargelegt wurde \ Newmans 
Lehre im Sinne der berühmten ,vitalen Lnmanenz': auf die 
innere Berührung von Gott und Seele kommt es an, das 
Weiterflammen dieses Erlebnisses ist dann die ,Kirchenbildung'. 
Die Grundlage für diese Newmanauffassung ist für Bremond 
einmal die entschiedene Beiseiteschiebung der ,Essays on mi- 
racles', dann aber die These von der entscheidenden Bedeutung 
der sog. ,ersten Bekehrung' bei Newman, wie er ausdrücklich 
im Epilog sagt : ,Newman, ausgehend von der Tatsache seiner 
Bekehrung mid immer wieder darauf zurückkommend, macht 
keinen Anspruch, sich irgend einem verständlich zu machen, 
der nicht in seinem eigenen Leben wenigstens eine Spur ähn- 
lichen religiösen Erlebens vorfindet. Und darum habe ich, 
selbst auf die Gefahr hin, aufdringlich zu werden, so auf dem 
innem Leben Newmans bestanden, weil ich, vor der Dar- 
legung seiner Lehre, sein Gebet beschreiben wollte, ja mußte' 
(421). Die rassenpsychologische Unterlage dieser Theorie ist 
die von Wilfrid Ward längst erledigte Legende von Newmans 
Abstammung: semitische Anschmiegungsfähigkeit (vom Vater 
her) und hugenottische Intransigenz (von der Mutter her) ver- 
dichten sich in jenes Gegensatzerlebnis, in das Bremond den 
Kern von Newmans Wesen legt : ,Ln Augenblick, wo die Furcht 
am stärksten scheint, wiederholt eine unfehlbare Stimme der 
christlichen Seele, daß das letzte Wort die Liebe hat' (257). 
Laros gibt in seinem ,Kardinal Newman' so gut wie alle 
Punkte, auf die Bremond seine Theorie von der Religions- 
philosophie Newmans aufbaut: S. 8 — 10 die Rassentheorie, 



1 Stimmen der Zeit CII (1921/22 I) 443 ff. 



Newmans Genealogie. 277 

S. 59 ff. die Theorie der »ersten Bekehrung', S. 66—69 die 
Theorie des Umschlagerlebnisses {S. 69 fast wörtlich die For- 
muKerung Bremonds), endlich macht er sich S. 97 das weg- 
werfende Urteil Bremonds über die ,Essays on miracles', 
Newmans Abhandlung über die "Wunderbeweise, zu eigen. In- 
des lehnt er mit erfreulicher Entschiedenheit Bremonds reli- 
gionsphilosophische Deutung und überhaupt jede irgendwie 
modernistische Auslegung Newmans ab und setzt an deren 
Stelle seine ,unmittelbare Intuition'. Im ,Grlaubensproblem bei 
Pascal' spricht er darum davon, daß ,in ähnlicher Weise [wie 
Pascal] . . . Newman die Notwendigkeit der Intuition zu be- 
gründen versucht' (123); Hessen, auf Laros gestützt, krönt 
darum die Eeihe der Vertreter der Intuition mit Pascal und 
Newman (D 58). Wir werden also — zusammenfassend — 
zu urteilen haben, daß nach Laros Newman die Intuition in 
dem Sinne lehre, wie er sie für Pascal selbst versteht. 

Die Frage ist demnach : Darf Newman gemäß seinen Schriften 
und gemäß der Problemstellung seiner Zeit im Sinne der 
Pascalschen Lituition verstanden werden? 

Was zunächst die persönlichen Grundlagen einer solchen 
Intuitionslehre betrifft, so ist die Abstannnungslegende ja bereits 
erledigt. Barry selbst, ihr Urheber, hat, wie Wilfrid Ward 
im ersten Band seines Newmanwerkes mitteilt, die Unbewiesen- 
heit seiner Behauptung zugegeben; die einschlägigen Stellen 
habe ich bereits mehrfach vorgelegt ^. Weder kann von einer 
jüdischen Abstammung väterlicherseits gesprochen werden, noch 
ist, von der Mutter her, irgend eine Spur kalvinistischen Ein- 
flusses nachweisbar, wie erst jüngst die Herausgeber der ,Cor- 
respondence withKeble etc.' (1917), auf die Autorität der Nichte 
Newmans hin, unwiderleglich feststellten. Mss. J. B. Mozley gibt, 
nach dem Wortlaut ihres Briefes, nur ,das Zeugnis meiner Mutter 



' Köln. Volkszeitung 1921, Nr. 284. Stimmen deriZeit CH (1921/22 I) 451 . 
J. H. Newman, Christentum I v. 



278 Ä^ang: Die neue kath. Intuitionsschule u, ihre hist. Unterlagen. 

[der Schwester Newmans], daß die Erziehung in der Familie 
weder kalvinistisch noch evangelikal war' (ebd. 394). Noch 
mehr: wie die Herausgeber der ,Correspondence-withKebleetc.' 
selber anmerken, zeigen Briefe und Tagebücher Newmans aus 
der Zeit der sog. ,ersten Bekehrung' ^ daß die Mutter seine 
neuen Auffassungen nicht teüte, sondern vielmehr ,ernüchternd' 
einzuwirken suchte (Mozley I 50 f. u. a.).. So kann man 
es nur als seltsamen Spätling veralteter Rassenforschungs- 
methode bezeichnen, wenn Barry-Bremond und Laros eine weit 
zurückliegende Abstammung der Mutter von französischen 
Protestanten allein in Rechnung stellten, ohne Religiosität 
und Erziehungsweise der Mutter selbst zu beachten. Die 
These aber von der , ersten Bekehrung' selbst fußt zunächst 
auf einer Verwechslung methodistischer mit evangelikaler Men- 
talität^. Walter Mayers, Newmans Lehrer, der den Anstoß 
zur ,Bekehrung' gab, war Evangelikaler. Thomas Scott weiter, 
von dem Kewman in der ,Apölogia' sagt, daß er ihm seine 
, Seele' verdanke, war ebenfalls Evangelikaler. Dazu kommt 
noch, daß Newman selbst feststellt, seine ,Bekehrung' sei 
(auch für evangelikalen Maßstab) nicht ,richtig' gewesen. 
,Die evangelikale Lehre, als System und in ihrer Eigenart, 
vermochte ebensowenig von Anfang in seiner [Newmans] reli- 
giösen Erfahrung Widerhall zu finden, wie später in seinen 
Predigten. ... Er bekam verschiedenfach Briefe . . ., die ihm 
versicherten, er wisse nicht einmal, was Bekehrung sei' — , 
schreibt Newman selbst in seiner Autobiographie (Mozley 1 108). 
Sowenig kommt also das Umschlagserlebnis eines metho- 
distischen ,revivar in Frage, daß selbst seine evangelikale 
Abschwächung in Newmans , erster Bekehrung' nicht statthat. 



^ Letters and Correspondence of J. H. Newman, edited by Anne Mozley, 
London 1920, New Impression. • 

2 Vgl. Overton, The Evangelical Revival in the Eighteenth Century 
(London 1921), u. a. S. 74 ff. Ebenso J. Scott, Letters and papers of the 
late Rev. Thomas Scott (London 1826). 



- - ■ Newmans , erste Bekehrung'. 279 

Aber, selbst wenn man sich, wie Laros, darauf beschränkt, 
die ,erste Bekehrung' als ,intuitive Erkenntnis der Gottesidee 
in ihrer ganzen Tragweite und erschütternden Tiefe' (Q 61) 
zu bezeichnen, bleibt die Frage : Erstens, was ist bei Nev/man 
das Primäre, der Sinn für die »unsichtbare Welt' oder diese 
,erste Bekehrung', — und zweitens, ist diese ,Bekehrung' der 
Wirkfaktor alles folgenden, oder verwandelt sie sich selbst in 
andre bessere Wirkfaktoren? Auf die erste Frage gibt sowohl 
Newman selbst wie seine zeitgenössische Umgebung die Ant- 
wort. Er zeichnet in der ,Apologia' als Primäres die plato- 
nische Neigung zum , Unsichtbaren', und die zeitgenössischen 
Charakterzeichnungen Newmans (Church, Mozley usw.) geben 
einstimmig das ,Realisieren des Unsichtbaren' als Grundzug 
Newmans. Erst Bremond, unter dem Einfluß der französischen 
Immanenzideen, blieb es vorbehalten, liier von den Quellen 
abzuweichen. Die zweite Frage aber beantwortet die ,Apologia' 
und die Brief Sammlung der anglikanischen Periode, wozu die 
,Correspondence with Keble etc.' (London 1917) sehr wichtige 
Ergänzungen bietet. Die Herausgeber dieser letzten Publiliation 
(das Oratory von Birmingham) bemerken zur sog. ,ersten Be- 
kehrung' : ,Scotts Schriften bewahrten Newman vor religiösem 
Subjektivismus, vor der Neigung, eigene Gefühle und Emotionen 
immer zu beschauen, als ob sie die eigentlich wichtigen Dinge 
wären, und nicht die objektiven Wahrheiten der Offenbarung' 
(112). Wenn wir dazunehmen, daß Newman in der ,Apologia' 
von einer ,zweiten Bekehrung' spricht, nämlich von , Liberalis- 
mus' zu ernstem Christentum; wenn wir weiter beachten, 
daß sein Weg zur katholischen Kirche über rein historisch 
orientierte Etappen geht, nämlich die wachsenden Einsichten 
von dem häretischen Charakter der englischen Kirche, so be- 
deutet die sog. ,erste Bekehrung' nichts weiter als einen ersten 
Schritt zu ernstem religiösem Leben , ,spiritual life' nach 
Newmans eigenem Wort (Mozley 1 108), eine »gewöhnliche Er- 
scheinung', nur daß der, dem sie zustieß, ein , außergewöhnlicher 



2Ö0 Anhang: Die neue kath. latuitionsschule u. ihre hist. Ünteriagön. 

Knabe war', wie ein englischer Newmanforscher es in einem 
Briefe an mich formulierte. Dieser erste Schritt ist natur- 
gemäß mit lebhaften Gefühlen begleitet, die aber bald ab- 
lassen. Infolgedessen wird die ,zweite Bekehrung' notwendig, 
d. h. die Bekehrung zu einem ernsten christlichen Willensleben, 
wie es Froude und Keble für Newman darstellten. Hier erst 
ist dann die Saat Scotts aufgegangen, sein Prinzip vom Wachs- 
tum in Heiligkeit. Noch deutlicher aber wird der eigentliche 
(von Bremond und Laros mißkannte) Sinn der ,ersten Be- 
kehrung', wenn wir sie auf dem Hintergrund des Tagebuch- 
materials sowohl der vorausgehenden wie der nachfolgenden 
Zeit untersuchen. Von der Zeit vor der ersten Bekehrung 
schreibt Newman (Mozley 119): ,Ich erinnere mich, 1815 wohl, 
daß ich schon tugendhaft, aber nicht religiös sein wollte. Es 
war etwas in der letzten Idee, was ich nicht liebte. Auch 
sah ich nicht den Sinn ein von „Gott heben".' Wenn wir nun 
bedenken, daß der Knabe als recht eigenwillig geschildert 
wird (Mozley I 14), als einer, der ,seinen eigenen Weg' gehen 
will; wenn wir weiter, im spätem Tagebuch der Sizilianischen 
Krankheit (Mozley I 356 ff.), wo das Grunderlebnis der ,ersten 
Bekehrung', ,Gott alles in allem', zum drittenmal (also eine 
,dritte Bekehrung') auflebt, sehen, daß es auflebt auf dem 
Hintergrund einer Einsicht sittlicher und religiöser Eigen- 
willigkeit ,Ich fühlte, Gott kämpft gegen mich, und fühlte — 
wenigstens ich weiß warum — meines Eigenwillens wegen'; 
wenn wir endlich als Grundidee des ,Lead kindly light', das 
aus den Erlebnissen der Sizilianischen Krankheit aufstieg, 
dasselbe finden: ,1 loved to choose and see my path — büt 
now lead Thou me on!' (,Ich wollte selber führen mich — 
doch nun, führ Du allein!'); wenn wir endlich in den Kämpfen 
um den übertritt zur katholischen Kirche, in den Kämpfen 
mit Manning immer wieder das eine Motiv hören ,Mcht nach 
meinem Willen, sondern allein, wie Gott wiU!'; wenn wir 
diese Lehre der ,Divine calls', der ,Rufe Gottes' — gewiß, 



Newinans Religiosität des Objekts. 281 

gemäß Newmans Wirklichkeitssinn, ,Eufe', die in Dunkel und 
Unbestimmtheit bleiben, so daß erst der rückschauende Blick 
die Führung Gottes erkennt — wenn wir diese Lehre als 
Grundzug seiner ganzen ,Aszetik' finden (nicht ,Bedürfms- 
erfüllung', sondern bedingungslose Übergabe — surrender — 
in den Willen des Unbegreiflichen) ^ : wenn wir das alles zu- 
sammennehmen und dabei das Prinzip festhalten wollen, daß 
die Einzelstücke einer historischen Linie aus ihrem Gesamt- 
charakter zu deuten sind, Einzelstücke eines Lebens aus der 
organischen Einheit des Gesamtlebens, — so dürfte als der 
klare Sinn der ,ersten Bekehrung' sich ergeben: nicht ein Er-- 
lebnis unmittelbarer Nähe zu Gott, sondern tiefe Einsicht des 
Führungsprinzipes, wie sie das ,Lead kindly light' formuliert: 
,Ich wollte selber führen mich, — doch nun, führ Du allein!' 
Zu diesen Erwägungen kommt endlich noch, daß Newman 
nicht einen absoluten Primat des , Gewissens' oder gar (in der 
Bremondschen Formulierung) des ,Erlebens' aufstellt, sondern 
in seiner Analogietheorie das ,Gewissen' geradezu ersetzen läßt 
durch die kirchliche Autorität. Das ist nur die Konsequenz 
des ,Transzendierens', das er ins Wesen des , Gewissens' legt. 
Denn es ist dann der Gott des Gewissens, der vollentfaltet in 
der kirchlichen Autorität spricht^. Und so ist es durchaus 
nicht verwunderlich, wenn Newman in seinen anglikanischen 
Predigten geradezu einen Feldzug gegen die Tyrannis ,reli- 
giösen Erlebens' führt und, dieser Überpflege subjektiver Reli- 
giosität gegenüber, die unreflektierte Hingabe an die bewußt- 
seinstranszendenten religiösen Realitäten betont, das ,Heilig, 



' Vgl. J. H. Newman, Christentum I 33 ff. 63 ff. ; IV 5 f. 80 ff. ; V 50-93 ; 
VII 77-89. . 

2 Essay of Development (1920) 85 ff. Historical Sketches IV (1909) 79. 
Vgl. J. H. Newman, Christentum (Freiburg 1922) II 48 ff.; IV 82 ff. Die 
bekannte Stelle aus dem Brief an Norfolk (,der erste Toast dem Geidssen') 
bezieht sich im Lichte dieser Gesamtlehre auf das Gewissen als ,Voraus- 
setzung', nicht als ,Richter' der AutoritHt. 



282 Anhang: Die neue kath. Intuitionsschule u. ihre hist. Unterlagen. 

"Heilig, Heilig' objektiven Gottesdienstes gegenüber subjektivem 
Gott-Erfahren ^ 

Dieses Bild des Menschen und Predigers Newrnan zeigt 
schon an und für sich, daß eine Intuitionstheorie bei ihm nicht 
zu Hause, sein dürfte, wenigstens wenn man für die Kewman- 
forschung daran festhält, daß sie die zeitgeschichtliche Problem- 
stellung zu beachten habe. Hier hat Francis Bacchus, der 
derzeitige Superior des Birmigham-Oratory, vor einiger Zeit 
erfrischende Klarheit gebracht durch seine Mitteilungen über 
die sog. ,Evidential School', gegen die Newman seine Uni- 
versity Sermons richtete. Schon die University Sermons selbst 
zeigen, daß Newrnan eine Partei bekämpft, die für die ,Be- 
weise des Christentums' (Evidences of Religion oder of Chri- 
stianity oder of Revelation, wie der übliche Fachausdruck 
lautete)^ von allen eine reflex wissenschaftliche Form ver- 
langte. Ihnen gegenüber entwickelt Newman seine Auffassung 
von dem Gang des natürlichen Denkens, des ,implicit reasoning', 
das er später ,natural inference' nannte, d. h. ein Beweis- 
verfahren, das sich organisch im Geiste bildet, unter dem 
Schutz moralischer Einstellungen. Francis Bacchus macht nun 
darauf aufmerksam, daß es zur Zeit Newmans zwei Schulen 
gab; die eine forderte von allen Menschen formale Beweise, 



1 Vgl. J. H. Newrnan, Christentum IV 33 fF. ; VIII 44 fF. 

^ Über ,eyidences' als Fachausdi-uck in obigem Sinn vgl. Univ. Serm. 
(1918) 195. 200 264; Essays on miracles (1918) 7iF.; Grammar of assent 
(1917) 384 ff. ,Tatsachenbeweise, die gemeinhin Evidences of Revelation 
heißen', sagt Newman kurz (Univ. Serm. 200). Ebenso vgl. Francis Bacchus 
im Month CXL (1922) 1 ff. Mark Pattison sagt in seinem Beitrag zu den 
berühmten ,Essays and Reviews' (London 1861 ^) von der für Newman zeit- 
geschichtlichen Kontroverse: ,Gemeinhin „Evidences" oder der historische 
Beweis der Echtheit und Glaubwürdigkeit der christlichen Zeugnisse' (260). 
Die gegenteilige Deutung Laros' (in Germania und Theol. Revue) ist also 
historisch irrig, eine Hineintragung heutiger Fragestellung in ganz anders- 
geartete Verhältnisse. Bezeichnend ist, daß er seine Deutung (.innere 
Binsichtigkeit') rein grammatikalisch zu stützen sucht, nicht geschichts- 
methodisch. 



Newmans implizites Denken. - 283 

nichts dürfe geglaubt werden, was nicht strikt und schul- 
gemäß bewiesen sei. ,In diesem System war kein Platz für 
den Grlauben des einfältigen Christen, der sich dem Einfluß 
von Gründen hingibt, die er nicht analysieren oder handlich 
darlegen kann' ^. Dieser ,Evidential School' stand als Extrem 
eine andere Schule gegenüber, die jede Bedeutung von Ver- 
nünftgründen abwies. Hier ging nun Newman die Mitte mit 
seiner Theorie des impliziten Denkens. Es handelt sich also 
bei ihm demgemäß in keiner Weise um eine ,unmittelbare In- 
tuition', sondern um den natürlichen Prozeß des gewöhnlichen 
Denkens, das nicht prüft, wie die Einzelgründe zur Gesamt- 
überzeugung konvergieren, sondern bei dem objektiv unbewußt 
die Einzelgründe zur Gesamtüberzeugung zusammenwachsen. 
Aus diesem Grunde stellt dann Newman (in Serm. 14) die 
Frage, Avelchen Schutz denn der gewöhnliche Mensch gegen 
etwaige Täuschungen dieses Wachstumsprozesses habe, und 
antwortet mit der ersten Skizzierung seiner ,first principles', 
d.h. der sittlich-religiösen Gesamteinstellung des denkenden 
Menschen. 

Das wird noch klarer durch ein anderes Moment der zeit- 
geschichtlichen Problemstellung. Die Formulierung, die ich 
von ihm gebe, verdanke ich ebenfalls Father Francis Bacchus. 
Es ist die Theorie (deren Quellpunkt wohl Newtons ,principia' 
sind), daß die eigentliche Beweisform mathematisch sein müsse. 
Der ,formelle' Beweis ist gleich dem mathematischen Beweis. 
In der Tat faßt auch Newman in der ,Grammar of assent' 
die jformal inference' den ,formellen Beweis' rein in diesem 
Sinn. Dieser These von der Alleinherrschaft der mathematischen 
Beweisform steht dann naturgemäß als Gegenantwort die These 
von der , Wahrscheinlichkeit als Lebensführer' gegenüber, wie 
sie Newman (gemäß der Apologia) übernahm, um sie dann 
auszugestalten zu dem , was wir heute in der Theorie der 



^ Month OXL (1922) 2. 



284 Anhang: Die neue kath. Intuitionsschule u. ihre hist. Unterlagen. 

Induktion haben: das Konvergieren von Einzelgründen zur 
(scholastiscti gesprochen) ,moralischen' Sicherheit. ,Probability' 
also ist, wie auch Newman deutlich in einem Brief an Dalgairns 
sagt, in seinem Grundwesen ein negativer Ausdruck: ,nicht- 
mathematischer Beweis'. Erst in allmählicher Entwicklung 
bekommt dieses Wort bei Newman auch einen positiven Sinn 
und spaltet sich dann in der ,Grammar of assent' in die wissen- 
schaftliche Induktion (informal inference) und die natürliche In- 
duktion (natural inference), die dann wieder mit dem ,Folgerungs- 
süin' (illative sense) identisch ist. Das , Gewissen' aber ist, 
wie die Artikel W. G. Wards und sein Briefwechsel mit New- 
man hierüber zeigen, nicht als immanenter Bewußtseinszustand 
zu fassen, in dem gleichsam Gott geschaut wird, sondern 
enthüllt sich als Inbegriff jener obengenannten ,first prin- 
ciples', als ,guide of life', als ,Führer' im natürlichen Denken 
der ,natural inference' . Newman ist eben durch und durch, 
wie schon oben die Skizze der Faktoren seines Innenlebens 
zeigte, auf das Objektive gerichtet, und die subjektiven Fak- 
toren sollen nur eine reine Erkenntnis des Objektiven er- 
möglichen. Ja selbst diese subjektiven Faktoren sind in sich 
selbst nicht ein Achten auf innere Zustände, sondern ein 
Lauschen auf Gottes Stimme, des absoluten Herrn. Das 
scheinbare Sehnsucht -Erfüllungs -Verhältnis zwischen Natur 
und Übernatur enthüllt sich bei genauer Prüfung als ,Eui- 
heit in Gott' ^ : der Gehorsam gegen den ,Gott des Gewissens' 
führt zur Unterwerfung unter den ,Gott der Offenbarung': 
Gottes Bild entfaltet sich voller für das Auge des Menschen, 
und Gottes Büd als des Unbegreiflichen. Newman ver- 
ankert Natur und Übernatur gerade im ,Mysterium', nicht in 
einer Seligkeitserfüllung ^. 



1 Ygl. J. H. Newman, Chi-istentum IV 44 ff. 88 ff. 97-100. Vgl. den 
innem Zusammenhang von Bdch. I— III. Femer in dieser Schrift oben 
S. 93 ff. 160 ff. 

3 Vgl. ebd. I 19 ff. ; III 64—69 95 ff 



Newmans reales Denken. 285 

Es läßt sich also — zusammenfassend — das ,natürliche 
Denken' Newmans (natural inference usw.) nicht mit der Pas- 
calschen ,unmittelbaren Intuition' gleichsetzen. Gewiß betont 
Newman, daß für die Erkenntnis des Konkreten nicht mathe- 
matische und syllogistische Schlüsse helfen. Aber die ,inward 
perception', die »einsehende Schau' oder ,innere Wahrnehmung', 
von der das vielgebrauchte Brieffragment redet (Mozley II 366), 
ist eben jenes Einzelerkennen konkreter Einzelheiten, die zu- 
sammenwachsen zu einer Gesamtschau, ist die wissenschaft- 
liche Induktion, wie sie im konkreten Menschendenken sich 
auswirkt, ist die ,natürliche Induktion'. Ein , unmittelbar' gilt 
also nur insoweit, als konkrete Gegenstände und Geschehnisse 
in ihrer Eigenart eben nur aus Beobachtung sich erkennen 
lassen; hier ist dann induktive Beobachtungsmethode gegen- 
über syllogistischer Konstruktionsmethode zu den Dingen ,un- 
mittelbar-er'. Aber das hört auf, wo es sich um wesentlich über- 
sinnliche Dinge handelt. Gerade in der Gotteserkenntnis ist es 
Newman, der den Analogiecharakter alles Geschöpflichen (aller 
geschöpflichen Worte, Bilder, Einrichtungen, Seelenzustände) zu 
Gott scharf herausstellt ^. Das ,reale' Denken über Gott im Unter- 
schied zum ,notionalen* (begrifflichen) Denken besagt hier nur den 
Unterschied konkreter geschöpflicher Bilder von Gott gegen 
abstrakte Begriffe von ihm. Aus diesem Gedanken heraus be- 
tont er in der ,Grammar of assent' in dem Kapitel über das ,reale' 
Denken des Dogmas der Dreifaltigkeit die Wichtigkeit, jede der 
drei Personen für sich zunehmen, weil ein Zusammendenken aller 
drei zu ganz blassen Abstraktionen führe. Und das Kapitel (ebd.) 
über den religiösen Gebrauch der ,natürlichen Induktion' (na- 
tural inference) besagt dasselbe, nur daß hier das Zusammen- 
wachsen solcher konkreter Abbüdlichkeiten Gottes in Frage 
steht: Gott, widergespiegelt im konkreten Menschenleben^. 

' Ebd. 1 19 ff. ; III 64 ff. 

* Vgl. in der Ausgabe Haeckers 101 ff. 329 ff. In Newman, Christen- 
tum I 19. 



236 Anhang: Die neue kath. Intuitionsschule u. ihre hist. Unterlagen. 

Newman ist also nicht identifizierbar mit augustinischem 
,unmittelbarem Wahrheitsscliauen', weil sein ,reales Denken' 
rein psychologisch, nicht metaphysisch orientiert ist. Er ist 
ebenso nicht identifizierbar mit einer pascalschen ,unmittel- 
baren Intuition', weil sein ,reales Denken' auf induktives Er- 
kennen bewußtseinstranszendenter Realitäten geht, nicht auf 
eine innersubjektive Bedürfniserfüllung als ,Zeichen' solcher 
bewußtseinstranszendenter Realität. Er ist aber auch nicht 
(und hier Pascal mit ihm) identifizierbar mit phänomeno- 
logischer ,Wesensschau', weil sein ,reales Denken' nicht auf 
logische Wesenheiten, sondern auf reale Wirklichkeiten ge- 
richtet ist. 

Weil er der schlichte Beobachter des wirklichen Lebens 
ist und der Theoretiker der konkreten Religiosität, so unter- 
scheidet er sich gleichweit von Scholastik, Piatonismus, In- 
tuitionismus und Phänomenologie; von der Scholastik, weil 
diese an sich nur, nach dem Wort der neuscholastischen 
jDublin Review', eine ,Philosophie der objektiven Religion' 
intendiert', d. h. des Systems der religiösen Wahrheiten an 
sich; — von jedem Piatonismus, weil dieser auf Ideen- 
wesenheiten geht, Newman aber gerade auf das vom Pla- 
tonismus verschmähte konkrete Leben; — vom Intuitionis- 
mus, weil ISFewman nichts von einer Befangenheit in subjek- 
tiven Zuständen wissen will und Gott gegenüber die ganze 
Konsequenz des analogen und mittelbaren (im ,Mittel' des 
Geschöpflichen) Erkennens zieht ; — von der Phänomenologie, 
weil er kein absolutes Schauen von Wesenheiten kennt, 
sondern eine langsame, beschränkte Annäherung auf dem 
Wege mühsamer Empirie. 

Fragen wir aber nach der Verwandtschaft des Geistes, 
so teilt Newman wohl mit Plato und Augustin die kon- 
templative Hingegebenheit an das ,Unsichtbare', aber mit 
Aristoteles und Thomas die Nüchternheit der mühsamen Er- 
kenntnis des ,Unsichtbaren' in den Verhüllungen des ,Sicht- 



NewmaDS Eigenstandpunkt. — Nachtrag : Geyser über Scheler, 287 

baren'. So kann man nur wünschen, daß der katholische 
Intuitionismus sich seinen Schriften hingebe, vorab den reifen 
Schriften der katholischen Periode. Die kühle Nüchternheit 
des Engländers wird heilsam sein für alle Sehnsucht zum 
,Unmittelbaren' ; aber die innige Religiosität, die sich keusch 
unter dieser kühlen Reserve birgt, wird sein Gutes schonend 
pflegend zur Reife bringen. 



NACHTRAG. 

Während des Druckes des Kegisters erschien noch Jos. Geysers Aus- 
einandersetzung mit Scheler, und Augustinismus , Augustin und die Eeligions- 
philosophie der Gegenwart' (Münster 1923). Ich möchte noch kurz meine 
Stellung zu diesem wichtigen Buch skizzieren. Seine Untersuchungen über 
die angebliche ,unmittelbare Gotteserkenntnis' bei Augustinus (39—71) so- 
wie der Abschnitt über die phänomenologische Wesensschau (105 — 110) 
sind wohl das Wertvollste. Was das erste betrifft, so bietet Geyser eine 
vorzügliche Ergänzung der Ausführungen des vorliegenden Buches über die 
.implizite Mittelbarkeit' bei Augustinus (S. 24 und 245 ff. dieses Buches); 
anderseits dürfte Geysers Andeutung über das Verschwimmen natürlichen 
Gotterkennens und übernatürlichen Glaubens bei Augustin hier zur eigent- 
lichen Ergänzung der Geyserschen Augustinusdeutung ausgebaut sein (S. 262 
dieses Buches)^; in der Ablehnung Hessens sind Geyser und ich fast bis 
auf die Formulation einig. Ein gleiches Ergänzungsverhältnis dürfte für 
das zweite , die Wesensschau bestehen (vgl. S. 10 ff. 24 u. a. dieses 
Buches). Nicht ganz kann ich Geyser in Bezug auf zwei andere Punkte 



* Auch Beruh. Kälin betont (im Unterschied zu Hessen) dieses wichtige 
Moment (Die Erkenntnislehre des hl. Augustinus, Samen 1921, 55). Daß 
ich seine vorzügliche Untersuchung in diesem Buch nicht näher berück- 
sichtigt habe, liegt allein an der verscliiedenen Fragestellung seiner Schrift 
und meiner Augustinusuntersuchungen. Der Neuplatonismus als Grundlage 
der augustinischen Erkenntnislehre ist für mich genau so selbstverständ- 
lich wie für ihn. Die Frage ist nur nach der Art seines theologischen 
Ausbaus durch Augustinus; hier liegt der Punkt meiner Untersuchung 
und der Punkt, wo ich Hessen (nicht Kälin, der vielmehr »direktes' Gott- 
erkennen ablehnt; S. 73) aus Gründen historischer Deutungsmethode ab- 
lehnen muß. 



288 Nachtrag : Geyser ül)er Sclielez'. 

beistimmen : seiner Art der Schelerdarstellung und seiner Stellungnahme 
zur konkret-natürlichen Gotteserkenntnis. Wenngleich dankbar die un- 
gemein glückliche Art zu begrüßen ist, wie er Schelers Verwandtschaft mit 
Gratry nachweist (75—105 u. a.), Schelers Kampf gegen Beweise (155—167), 
seine Glaubenstheorie (176 — 187) und seine vor-erkenntnishafte Liebe (152 ff.) 
kritisiert und trotzdem den Vorwurf auf eigentlichen theologischen Onto- 
logismus bei Scheler zurückweist (170 f.), so hat es doch den Anschein, 
als habe er das eigentliche Person-Liebe-System Schelers weniger beachtet. 
Vielleicht hängt das mit dem zweiten Punkt zusammen, bei dem wohl 
größere Ausführlichkeit zu wünschen gewesen wäre: Geyser streift zwar 
mehrfach das entscheidende Problem der konkret-natürlichen Gotteserkenntnis 
(6 f, 150 f. 167 194), aber würdigt es leider doch nicht in seiner Eigen- 
bedeutung, so daß der gemeinte Kern der Intuitions- und ähnlicher Theorien 
letztlich ungeklärt bleibt (vgl. u. a. 28 76). Von Herzen stimme ich aber 
Geysers Forderung nach Ergänzung der Phänomenologie durch eine Realitäts- 
philosophie bei (238; vgl. in dieser Schrift 34 f.), sowie seiner Betonung 
eines induktiven Wesenserkennens. (110 ff. ; vgl. in dieser Schrift 13 f. 
34 f. u. a.) und freue mich der wertvollen Übereinstimmung in Bezug auf 
die Glaubenstheorie, wo Geyser in gleicher Weise wie die vorliegende 
Schrift es tut, alles Erfahren der Übernaturseite des Glaubensaktes ab- 
lehnt (133 ff. 147 ff. 223 f.) und die Personalhingabe an die Autorität ver- 
tritt (145 u. a.), wenngleich er vielleicht (für mein Empfinden) das Willens- 
element zu stark betont, sodaß die Gewißheit fast als alleinige Willens- 
funktion erscheinen könnte (144 ff. 184). 



PERSONBNREGISTEß. 

Fette Zahl = ausführliche Stelle. 



Adam, Karl vii 33 110 f. 117 146 
bis 149 245 249-25ß 2G4. 

Aicher, Sev. 228. 

Anselm von Canterbury 237 244 257: 

Aristoteles und Aristotelismus 2 5 

66 138 206 220 257 ff. 
Amauld 269. 
Athanasius 248. 

Baader 170 178. 

Bacchus, Francis 94 258 282 f. 

Banez 197. 

Barry 277 f. 

Barth, Karl 4 47 107 185 269. 

Bäumker 131 132 211 213 229 259 

260 264. 
Baur 211. 

Bergson 32 53 131 132 229 f. 231. 
Bernhard von Clairvaux 257. 
Billot 265. 
Blondel 269. 
Bouteillerie, de la 274. 
Brömond 269 276—281. 
Brentano, Franz 2 53. 
Brougham 94. 
Brunschvicg 267. 
Busse-Wilson vi 219. 
Butler 94. 

Cathrein 88. 

Chrysostomus 248. 

Church 279. 

Clemens von Alexandrien s. Klemens. 

Cohn, Jonas vr 11 15. 

Conrad-Martius 18. 

Cyrill von Alexandrien 204. 

Darwin 3. 
Dempf 35 243. 

1 Przywara, Beligiousbegründung. 



Descartes 2. 

Dilthey 50 162 230 231. 
Diognetbrief 95 137. 
Dostojewski 178 f. 

Ernst, Joh. 204 210 211 261. 
Eschweüer vi 168. 
Eucken 1 53. 
Ewald, Oskar 235. 

Fichte 185. 

Franz von Assisi 86 f. 

Fries 114. 

Froude R. Hurrell 280. 

Oeiselmann xni. 
George, Stefan ix 257. 
Geyser x 3 12 17 116 287 f. 
Girgensohn 23 137. 
Gogarten 4 47 135 185 269. 
Grabmann 161 211 259 264. 
Gratry 288. 
Gregor d. Gr. 63. 
Grisar, Hartmann 197 206. 
Gründler 1 2 12 f. 33 151 152 f. 
243 244. 

Haecker, Theodor 285. 

Hamack, v. 210 211 260. 

Hartmann, Ed. v. 46. 

Hartmann, Nikolai 9 19. 

Hegel 185 196 213. 

Heiler, Fr. 107 170 184 266. 

Heiler, Joseph 134 f. 

Heim, Karl 131 132 f. 258 f. 

Hertling, v. 2 14 142 209 210 211 

233 f. 240 259 260 261 264. 
Hessen, Joh. vn 66 f. 110 f. 226—240 

241 f. 244—249 267—260 267 275 

287. 

19 



290 



Personenregister. 



Hilarius von Poitiers 207. 
Hildebrand v. 136 150 f. 
Homeffer, Ernst 46. 
Husserl 1 2 f. 9 16 26 53 230 231. 

Inauen ix 132 143 157 229. 

Ingarden 229. 

Isenkrahe 225 227 f. 246 247. 

Johannes, der Apostel 57 f. 

Kaftan 132. 

Kälin 287. 

Kant und Kantianismus ix x 1 ff. 7 
9 11 14 1 37 67 ff. 72 76 86 95 
114 118 131 133 136 163 213 268. 

Karrer, Otto x, 

Keble 280. 

Kerler y f. 15 46. 

Keyserling, v. 62. 

Kiefl 131 196. 

Klemens von Alexandrien 37 58 f. 
261 f. 

Kleutgen 93 f. 137 143 f. 224 257. 

Kracauer vi viii 4 43 171 219 242. 

Kraus, Oskar 1. 

Krebs, Engelbert 246. 

I^andes, des 274. 

Landmann, Edith 3 9 14 16 18 f. 

21 49 f. 62 140 162 243 256 f. 
Landsberg, Paul L. viii f. 141. 
Laporte 269. 
Laros 132 226—231 240 f. 249 f. 

257 f. 268 f. 276—279 282. 
Lechner, M. 161. 
Leibniz 118 239. 
Liebert, Arthur ix. 
Lindworsky 116. 
Lippert 109 f. 186 196. 

Luther 52 94 113 114 130 131 205 
269 ff. 273. 

Malebranche 257. 

Mausbach 88 193 204 208 209 210 

211 212 213 254 259 261 262 

263 264 265. 
Mayer, E. W. vi 171 219 242. 
Mayers, Walter 278. 
Meckauer 132 229 231 256 f. 
Messer, August 90. 



Molina 197. 

Mozley, Anne 278 ff. 285. 

— Elis. 279. 

j^ ß_ 277. 

Müller-Freienfels 150 162. 

Watorp 1 17. 
Newton 283. 
Nicole 269. 
Nietzsche 53. 
Nostitz, V, 51, 

Occam 130. 

Otto, Rudolf xiii 4 11 25 35 52 94 
113 ff. 117 118 137 185. 

Overton 278. 

Paley 94. 

Pascal 136 226 227 228 230 231 

267—275. 
Pattison, Mark 282. 
Paulus, der Apostel 58 86 f. 197. 
Peel, Robert 94. 
Posch, Christian 157 254 263. 
Petitot 269. 
Plus XL TX. 
Plato und Piatonismus 3 13 37 42 ff. 

66 163 204 f. 207—214 219 ff. 286 f. 
Pleßner, Helmuth vif. 19 132 219 

229 f. 231 257. 
Portalie' 208 210 211 213 261 264 f. 
Pribilla 90. 
Pseudo-Areopagites 275. 



Mauh 269 274. 
Rickert 228. 
Rosenmöller vin 133 



140. 



Saint Cyran 269. 

Sarolea 224. 

Scheeben 204. 

Schell 135. 

Schelling 185. 

Schleiermacher 4 113. 

Schmidt, Wilh., S. V. D. xm. 

Scholz, Heinrich 4 25 107 113 116 f. 

118. 
Schopenhauer 53 131. 
Schreiber, Christian 237. 
Schwarz, Herrn, vi 171 219 243. 
Scott, J. 278. 



Personenregister. 



291 



Scott, Thomas 278. 
Simmel 1 4 47 131 162 229 270. 
Simon, Paul 230 241. 
Söderblom 107 184 222 f. 
Sommerlath 137. 
Spencer 13 4. 
Spinoza 196. 

Stern, William 29 32 162. 
Straub, Hr. 254 263. 
Straubinger vi 138 140 242. 
Suarez 11 44 61 86 161 162. 
Switalski vii 33 51 110 f. 167 235 
239 f. 

Thimme 262. 

Thomas von Aqiiin und Tliomismus 

vni f. X f. 3 5 29 43 ff. 51 60 ff. 

75 f. 85 91 141 142 143 157 161 

206 259 f. 264 266 269 274 

286. 



Thurneysen 4 47 269. 

Trendelenburg 1. 

Troeltsch vi ix 1 3 4 43 f. 47 53 

117 f. 131 162 185 196 210 211 

231 239 262. 

Vasc[uez 86. 

Ward, W. G. 35 85 f. 93 f. 137 145 

161 223 f. 284. 
— Wilfrid 85 145 276. 
Weber, Max 47. 
Windelband 228 232. 
Winkler, Roberfc vn f. 3 19 26. 
Wittmann, Michael x f. 56 111 138 

188. 
Wolff 76 268. 
Wunderle 35 116 117 137. 
Wundt 1 4. 
Wust, Peter vi 1 49 f. 168. 



19* 



SACHEEGISTEE. 



Adam und das Stanimvatergelieimms 

198 ff. 
Analogia entis, — als Formalgrund 

der Gotteserkenntnis 23 ff. 109 f. 

133 138—149 246 ff. 
gegenüber natm-wissenschaft- 

liclier Kausalität 23 246 f. 
Antinomien bei Pascal 272. 

— bei' Kant und Fries 11. 
Apologetik 168. 

Apriori, — formales mid materiales 3 
11. 

— individual gültig und allgemein- 
gültig 11. 

— im Sinne Husserls imd Schelers 
3 74 f. 

— im Sinne Kants 1 3. 

— im Sinne Ottos 113 ff. 

— im Sinne Troeltschs 117 f. 
Atheismus 112. 

Augustinus, — Zeitbedingtheit im 
allgemeinen 195 260 ff. 

— Verhältnis zu Plato 58 211 230 
260 ff. 287. 

zur Patristik 58 f. 261 f. 

zur Scholastik 197 209 ff. 

257 ff. 264 ff. 

— — zu Thomas von Aquin 258 ff. 
264ff 

zum Baianismus und Jansenis- 
mus 212. 

zum Neukantianismus 213 228. 

zu Scheler 5 29 66 f. 213 ff. 226. 

zum Intuitionismus 66 f. 226 f. 

230 f. 237 f. 245 247 ff. 

— Wahrheitsbegriff 213 261 267 286. 

— Liebessystem 40 f. 57 ff. 63 155 
179 197 208 ff. 220 f. 261 f. 

- Seinsprimat oder Wahrheitsprimat 
oder Liebesprimat 57 ff. 210 f. 213 
220 f. 261 ff. 



Augustinus, Erkenntnissystem 208 ff. 
258 261 ff. 

— Natürlich konkretes Erkeimen 95 
137. 

— Ethiksystem 208 ff. 260 ff. 

— Gotteserkenntnis 24 245 247 262 ff. 
275 287. 

— Der augustinische Gottesbeweis 
232—236 258—267. 

— Gott in der Seele 247 f. 

— Verhältnis von Gott und Mensch 
193 209 f. 212 f. 261 ff. 

— Mystik und Nächstenliebe 248. 

— Teilnahmesystem 173 207—213 
260—267. 

— Gottesbegriff 135 136 193 211 
261 f. 

— Deus incomprehensibilis 212 f, 275. 

— Natur-Übematur 204 f. 211 f. 
262—267. 

— Glaubensvorgang 263 f. 

— Subjektive Glaubensentfaltung 
208 f. 263 f. 

— Gnadensystem 197 204 f. 209 ff. 

— Erlösungslehre 211 f. 

— Mystischer Leib Christi 57 ff. 87. 

— Verdienst und eAviger Lohn 193 
195. 

— Prädestination 211 f. 

Badener Schixle 131 228. 
Baianismus s. Jansenismus. 
Bekehrung 112. 

Christentum, — als Absolutreligion 
87 119. 

— und seine relativen Formen 87. 
Christus, — Christusgestalt 175 f. 

— als Erlöser 201 ff. 

— Sakramentaler Christus 184 ff. 

— Christusgemeinschaft 177 f. 



Sachregister. 



293 



l>enken, — natürliches und reflexives 
23fF. 61 63 65 92 ff. 136 f. 152 
bis 156 159 ff. 167 f. 256 f. 268 f. 

— persönliche Gerichtetheit 154 — 162 
167 f. 

— sittlich-religiöse Grundeinstelhing 
167 f. 

Erbsünde 198 ff. 204—207 271 ff. 

Erkenntnistheorie, — augustinisch- 

aprioristische 51 209 233 ff. 239 f. 

— scholastisch - universalienrealisti- 
sche 42 ff. 51 268 f. 

— kantisch-aprioristische 1 ff. 268 f. 

— Identitätstheorie 229 f. 

— phänomenologisch - intentionale 
. 18 ff. 

— personalistisch - werttheoretische 
42-55. 

— scholastisch-personalistische 61 f. 
Erlösung 174 201 ff. 211 f. 
Ethik, — Objektivität von gut und 

böse 3 38 f. 72 ff. 

— Allgemeinethik und Individual- 
ethik 97 f. 

— Sittliches als Gegensatzspannung 
137 f. 

— Sittliches als Wertallheit 85 ff. 

— Erkenntnisweise des Sittlichen 
93ff. 122— 125 155 ff. 

— Stufung sittlicher Motivierung xi. 

— sittliche Solidarität 178 ff. 200. 

— sittliche Nachfolge 9 69 89 f. 

— sittliches Handeln aus Seligkeit 
187 ff. 

— Sittlichkeit als freies Geschenk 
190. 

— sittliches Verhalten und Reli- 
giosität 68 f. 89 f. 99 ff. 

— analytische Begründung 4. 

— Begründung auf die ,Natur' 83 
bis 93 134 ff. 138. 

— Zweck- und Zielethik x f. 4 39 
84 f. 87 ff 123 f. 

— Pflichtethik x f. 87 f. 

— Wertethik 6 ff. 39 74 f. 

— Liebesethik 96—101. 

— personalistische 9 44 ff. 69 96 ff. 
134 f. 

— Binsichtsethik xi. . 



Ethik und religiöse Sanktionierung 

67 68 f. 84 f. 88 ff. . 
Evangelische Katholizität 107. 



Geistesleben bei Eucken 2. 
Gemeinschaft, — und Individuum 32. 

— letzte Begründung in Gott 31 f. 

— religiöse Gemeinschaft 174—187. 
Gewißheit, — natürliche und wissen- 
schaftliche 156—159. 

— sittliche 7 120 f. 155 ff. 

— religiöse 7 121 f. 156—159 255 f. 
270. 

Glauben, — und Wertverhalten 271 f. 

— als Einssetzung mit einer Person 
177 f. 

— als personale Hingabe an die 
Autorität 254 ff. 288. 

— und immittelbare Intuition 237 
240 f. 243 249 ff. 

— als Gebot 56 f. 

— als allgemeinreligiöser Akt 126 f. 

— Gottesglauben und Offenbarungs- 
glauben 122 125 ff. 

— Offenbarungsglauben 122 159 
168 f. 243 249—257. 

— als Erkenntnismedium der Über- 
natur 221 253 f. 263. 

— doppelte Gewißheitsart in ihm 
255 ff. 

— und Liebe in der Glaubensentfal- 
tung 57 208 f. 263 f. 

Gnade, — und Gnadenbewußtsein 
187 ff. 250-255. 

— als realobjektives Sein 191 197 f. 

— als Teilnahme an der göttlichen 
Natur 171—174 204—217, 

— und Sittlichkeit 82 192—196 206. 
Gnostizismus 128. 

Gott, — als Einheit von Idee und 
Realität 233 f. 239 f. 

— als Einheit von Wert und Sein 
134 f. 

— als Einheit von Objekt und Sub- 
jekt 233 ff. 

— als Einheit von Summum bonum 
und Liebesaktus 41 f. 99 ff. 

— als Einheit von Ideal undPerson 46f. 

— als Einheit von Person und Liebe 
51 ff. 99 ff. 



19 



** 



294 



Sachregister. 



Gott als Emheit von Sein, Wahrheit 
und Liebe 211 f. 261 f. 

— Sein als Wahrheit 213 232. 

— Sein als Liebe 191. 

— Doppelintentionalität Gottes 8. 

— Doppelerfassung seiner Person 9. 

— Personalität 26 ff. 115 f. 

— im Menschen 115—118 138 f. 
172 f. 234 247 f. 

— in der Welt 139 f. 173 174 247 f. 

— patristisch-scholastischer ,Gott 
in uns und Gott über uns' 20 f. 
131 f. 142. 

— reformatorischer ,Gott in uns oder 
Gott über uns' 113 ff. 131 133 
196 271 ff. 

— Dens inconiprehensibilis 212 f. 
248 271 ff. 275 284. 

Gottesbeweise 4 22 25 f. 72 ff. 106 
129 f. 131 132 f. 133 f. 140-149 
199 227 f. 231—236 246 ff. 

Gotteserkenntnis, — analogia entis, 
ihr Formalgrund 23 109 f. 138'ff. 

— Nicht Erkennen Gottes aus der 
Welt, sondern Gottes in der Welt 
138 ff. 173. 

— unmittelbare 21 80 102—110 
236—239 263 f. 275 f. 

— mittelbare 22 f. 244 f. 

— schlußweise 21. 

— implizites und explizitesVerfahren 
23 ff. 138-149 152—155 287/288. 

— Erkenntnis der Person Gottes 26 ff. 
33 80 ff. 148 f. 251 ff. 

— keimhafte in den Vernunftakten 
138 f. 

— als religiöse Hingabe 63 ff, 125 ff. 

— als Liebeskontakt 55 63 ff. 102 
bis 110 252. 

— kooperative 45—51 111 117 f. 
175 f. 178. 

— Gotteswert und Gottesbegriff lllff. 

Heilige, das, — als Suprarationales 
113 ff. 

— als identisch mit summum bo- 
num 8. 

— als Höchstwert und ,religiöser' 
Wert 6 8 f. 38. 

— als Wertperson 9. 



Heilige, das, Fundiermig des Sitt- 
lichen in ihm 187 ff. 

— Ableitung der Gnade daraus 171 ff. 

— Ableitung der religiösen Gemein- 
schaft daraus 174 ff. 

Idealismus, transzendentaler 2f. 16 ff. 

19. 
Identitätssystem, — von Objekt und 

Subjekt 132 f. 229 f. 

— von Wert und Sein 127 f. 130 ff. 
Immanentismus 273 274. 
Individuationsprinzip , — thomisti- 

sches 11 43 ff. 

— suarezisches und schelersches 
11 29 43 ff. 161 f. 

Induktion, — als allgemeine Methode 
13 f. 

— natürliche und wissenschaftliche 
159 ff. 256 ff. 282 ff. 

Intuition, — als natürliche Induktion 
256 f. 282 ff. 

— als dunkles Ersterfassen 239 f. 

— als konkretes Denken 285. 

— im Sinne unmittelbarer Schau 226 
236. 

— als Identität von Subjekt und 
Objekt 229 f. 

Jansenismus 170 205 f. 212 230 
269—274. 

Kausalprinzip 4 23 227 f. 232 246 f. 
Kirche , — als Einswerdung mit 
Christus 177 f. 

— als Erlösungsgemeinschaft 201 ff. 

— als Gotteserkenntnisgemeinschaft 
178. 

— als Liebesgemeinschaft 181 f. 

— als mystischer Leib Christi 58 60, 

— als Opfergemeinschaft 180 f. 

— als religiöse Gemeinschaft 175 f. 
— als Sakramentsgemeinschaft 184 ff . 

— als sittliche Solidaritätsgemein- 
schaft 178 ff. 

— als Stellvertretung Christi 175 f. 

— als übernatürliche Gnadengemein- 
schaft 204—224. 

— Infallibilität 175. 
Eongruenzsysteme (von Wert und 

Sein) 127 129 f. 133 f. 



Sachregister. 



295 



lisib und Seele 28 f. 

Leidensproblem 180 f. 189 f. 

Liebe, — als Faktor im religiösen Er- 
kennen 58 f. 99-112 119 f. 154 
bis 162. 

— als Gebot 56 f. 

— als letztes Apriori 2 39 49 — 55 
156 ff. 167 f. 

— als Mitvollzug des Liebens einer 
Person 28 42 ff. 100 f. 

— als objektloses Mitlieben (amare 
in . . ., amare cum . . .) 41 f. 50 f. 
101 ff. 156. 

— als Opfer 180 f. 

— als sittlicher Grundakt 96 — 101 
119 f. 155 f. 

— analogia entis in der Liebe 109 181. 

— Distanzbewußtsein in ihr 32 106 ff. 

— Erkenntnis der Person in ihr 27 f. 
31 f. 40 51 ff. 

— gemeinschaftbildende Kraft 181 f. 

— Gottesliebe und Menschenliebe als 
ein Akt 41 f. 100 f. 181 f. 

— Gott-Liebe 41 ff. 49 ff. 63 99 ff. 
181. 

— ihre innere Polarität 62 ff. 220 ff. 

— - neutestamentlicherBegriff 57ff. 63. 

— Natur und Übernatur in ihr 197 
220 f. 

— Sinn der ,virtus theologica' der 
Liebe 60. 

— und Erkenntnis 8 41 f. 50 ff. 59 
63 65 152-162 167 f. 174f. 178 f. 
220 f. 

— und Sein 57—66 220 f. 

— Wesensanalyse 39 ff. 53 60 f. 
Lohn und Verdienst 188 192—196. 

Marburger Schule 3. 
Metaphysik, — , Aufschwung' als 
metanhysisches Erkennen 36 163 ff. 

— und* Werterfassen 8 f. 55 77 ff. 
163 ff 

— System personhafter Metaphysik- 
typen 44 ff. 

— als philosophia perennis 46 ff. 
Modemismus 224. 

Mystik, — deutsche 206 269 f. 274. 

— Distanzbewußtsein in der 32 107 ff. 

— in der Nächstenliebe 248. 

— Personselbständigkeit in der 185 f. 



Mystik, Sakramentsmystik 184 ff» 

— Unbegreiflichkeitsmystik 275. 

— Unendlichkeits- und Persönlich- 
keitsmystik 107. 

— Unmittelbarkeit zu Gott in der 
244 246 275. 

— als Wirklichkeitsbewußtsein 185. 

Watur-Übematur, — als Eealitäten 
191. 

— Einheit beider in Gott 221. 

— historische Pormulierungsweise 
204 ff. 207 ff. 262—267, 

— synthetische Formulierungsweise 
219 ff. 

— systematische Formulierungsweise 
206 f. 265 ff. 

Neukantianismus 3 228 232. 
Newman, — Genealogie 277 ff. 

— innere religiöse Entwicklung 278 
bis 281. 

— ,Brste Bekehrung' 278 281. 

— religiöse Eigenart 279 281 f. 284. 

— Problemstellung 94 f. 268 f. 282 ff. 
~ Zeitbedingtheit 258 282 ff. 

— Verhältnis zum Piatonismus 286. 

— — zum Aristotelismus 286. 

— — zu Augustinus 286. 

zur Scholastik 93 f. 145 223 f. 

286 f. 

zu Pascal 230 268 f. 273 f. 

zum Modemismus 224. 

— — zur Phänomenologie 223 f. 
286 f. 

zu Scheler 24 61 65 66 f. 

93 ff. 145 160 f. 178 f. 222 f. 230. 

— — zur katholischen Intuitions- 
schule 147 226—231 241 286 f. 

zur Religionswissenschaft 117 

223 f. 286 f. 
zur Individualitätsphilosophie 

161 f. 

— Natürliche Induktion 34 94 154 f. 
160 256 f. 268 f. 282 ff. 

— probability 283 f. 

— implicit-explicit reasoning 24 35 
93 ff. 137. 

— realizing 117 137 285. 



296 



Sachregister. 



Newman, Verhältnis von realizing 
zu implicit reasoning 137. 

— evidences 282. 

— dispositions 53 61 65 67 160. 

— first pxinciples 61 160 f. 168 283. 

— Liebesbegriff 94. 

— Personalisraus 160 ff. 

— religiöse Vitalität und religiöse 
Wahrheit 273 f. 

— Gewissen 94 145 155 160 f. 281 f. 
284. 

— Gotteserkenntnis 154f. 268f. 285. 
~ opposite virtuos 274. 

— Natur-Übematur 94 f. 222. 

— Glaubensvorgang 255 256 f. 

— Erbsünde 198. 
Nominalismus 3 130 ff. 197 206 270 ff. 

Objekt, — inneres Verhältnis zum 
Akt 13 20 f. 72 f. 

— intentionales 8 13. 

— Philosophie des Objekts 1. 

— transzendentales 3. 
Offenbarung 82 1251 244 251—257. 
Ontologismus 105 ff. 140 f. 238 f. 
Opus-operatum, — im allgemeinen 

175 f. 

— des katholischen , Sakraments' 
184 ff. 

— des protestantischen ,Wortes' 185. 

Pantheismus 130 196. 
Patristik, — natürliche Erkenntnis- 
weise 137 155 f. 

— Gotteserkenntnislehre 275. 

— Verhältnis von Gott und Mensch 
270. 

-^ Verhältnis von Natur und Über- 
natur 204 ff. 
Pelagianismus 194 ff. 
Person, — als Aktsubstanz 27 ff. 96 ff. 

— Doppelte Erkenntnisweise der 
30 ff. 

— Erkenntnis des Individuums als 
Höchsterkenntnis 62 161 f. 

— Gemeinschaft aller Personen in 
Gott 31 f. 45 ff 

— ihre transintelligible Sphäre 32 
108. 



Person , Personideen in Gott 29 f. 
43 ff. 161 f. 

— Verhältnis zu Leib-Seele 28 f. 44. 
Personalismus, — noötischer und 

outologischer 49 f. 

— als Annäherungssystem an die 
Wahrheit 117 f. 

— als Ausgleich zwischen Relativis- 
mus und Absolutismus 44 ff. 49 f. 

— als Gesamtsystem 81 f. 160 ff. 

— und Ethik 99 ff. 

— und Geschichtsproblem 43 f. 

— und Gottmensch 174 f. 

— und Universalienproblem 43 ff. 
51 f. 61 f. 161. 

— und indische vitale Einfühlung 
861 

— und kantischer Idealstandpunkt 
461 

Pflicht und Gebot x 1 56. 
Phänomenologie, — als Vorgangsana- 
lyse 19 25 1 34 72 ff. 287. 

— als Philosophie des Objekts 2 ff. 

— Formal- imd Material-, Individual- 
und Universal-apriori 11. 

— Richtung auf Intentionalobjekte 
13 16 1 140 ff 

— und Erkenntnistheorie vn f. 15 ff. 

— und Evolutionismus 230 1 

— und Intuitionismus 226 229 230 1 
242 1 

— und Theologie 169 ff. 221 ff. 

— Vorzeichnung-Erfüllungs-Prinzip 
13 14 20 ff. 226. 

— Wesensnotwendigkeit 219 1 

— Wesensschau 11 ff. 

— Wertfühlen und Werterkennen 
150 ff. 

Polaritätsphilosophie 274. 
Protestantismus 196. 

Nationalismus 130 ff. 
Realismus, — naiver 15 f. 267 1 

— kritischer 3. 

— intentionaler 16 ff. 

Religion, - als Liebeserfassung der 
Person 9 38 41 1 101 ff. 

— natürliche und übernatürliche 
Religion 81 1 94 1 169 1 220 1 

— religiöse Intention auf ,Dienst 
Gottes' oder ,Heil' 270. 



Sachregister, 



297 



Religion, — religiöser Vorgang 92 ff. 
99-112 113--117 138-149 152. 

— religiöser Vorgang objektbedingt 
71 ff. 

Religionswissenschaft, — Bedürfois- 
Postulattheorien 4. 

— empiristisch - subjektivistische 
Theorien 1 4 107 184 ff. 

— homo-reUgiosus-Typik 176. 

— kantisch-aprioristische Theorie 4 
113 ff. 117 f. 

— Kongruenzsystem 8 77—79 129 f. 
133 f. 168 f. 

— metaphysische Theorie 4 f. 84 
89 f. 138—145. 

— Philosophie der objektiven Reli- 
gion und Philosophie der subjek- 
tiven Religion 35 223 f. 

— romantisch-konstruktive Theorien 
170. 

— Synthese empirischer, historischer 
und phänomenologischer Methode 
35 223 f. 

— Theorie unmittelbarer Erfahrung 
116 f. 148 f. 236 f. 

— Vorgangsanalyse und Realitäts- 
standpunkt 19. 

— Werttheorie 74—79. 

Scheler, — Verhältnis zu Plato 13 

37 66 75 ff. 
zur Patristik 57 ff. 66 75 ff". 

— — zu Augustinus 5 13 ff. 37 
57 1 63 f. 66 f. 95 213 ff 226 
262. 

zur Scholastik v ff. 4 f. 11 15 f. 

19 f. 25 34 f. 37 59 ff 66 75 ff 

83 92 93 140-143 145 f. 
zu Thomas von Aquin vm f. 60 f. 

91 f. 

zu Suarez 11 61 f. 161 f. 

zu Kant Iff. 9f. 11 14 f. 68 ff 

zu Newman 24 61 65 66 f. 93 ff. 

145 160 ff 222 ff. 226. 
zur neueren Philosophie v ff". 2 ff. 

9 f. 37 49 f. 53 67 76 f. 113—119 

161 f. 228 229. 

— — zur katholischen Intuitions- 
schuie 66 f. 147 226 f. 230 f. 238 
241 ff. 



Scheler, Verhältnis zur phänomeno- 
logischen Gruppe 26 152 f. 

— allgemeine Fragestellung 5 9 f. 
36 f. 127—134 203. 

— phänomenologische Methode 7 llff. 
72 ff 217 f. 226 230 f. 

— intentionaler Realismus vn f. 16 ff. 

— allgemeine Werttheorie 6 ff. 23 ff. 
38 f. 74 ff. 82 129 133 f. 162—166 
171 f. 174 176 187 ff 203. 

— Liebe als Grundbegriff 39 ff. 53 ff. 
56 f. 102 1811 191. 

— Liebe als Apriori von Erkennen 
und Wollen 41 1 53 ff. 288. 

— allgemeiner Personalismus 27 ff. 
42 ff. 96 ff 161 1 

— Person-Liebe-System 8 42—53 
81 1 86 1 99 ff. 

— Begriff und Methode der Meta- 
physik 36 47 1 231. 

— personalistische Metaphysik 28 
bis 32 43—53 81 1 

— religiöses Apriori der Metaphysik 
8 55 1 70 77 ff". 82 163 ff 

— objektive Theorie des Ethischen 
6 81 39 67 69 96 ff. 178— 181. 

— konkrete Erkenntnisweise des 
Ethischenxl 701 1001 1201 122ff. 

— personalistische Ethik 44 ff. 69 
96 ff 

— Ethik und Religion 68 ff. 99 ff. 

— objektive Theorie des Religiösen 
6 8 1 38 1 215 ff. 

— konkrete Erkenntnisweise des 
Religiösen 55 701 71 ff. 1011 
121 125 ff 

— Gottesbegriff 15 41 1 51 ff 

— Gotteserkenntnis 8 20 ff. 47 ff. 
80 102—113 1401 1421 178 199 
237 246 288. _ 

— Persönlichkeit Gottes und ihre 
Erkenntnis 26 ff. 33 80 1 99 ff. 

— Teilhabe-an-Gott-System 2 82 
190 1 203 219 ff. 

— Natur-Übematur 86 1 169 ff. 183 
203 214 222 

— Gnadenbegriff 82 171—174 187 
bis 192 196 1 217. 



298 



Sachregister. 



Scheler, Offenbarungsbegriff 82 125 f. 
215 ff. 

— Glaubenstheorie 56 f. 73 125 ff. 
175 f. 215 ff. 288. 

— Erbsünde 198 ff. 
-- Erlösung 201 f. 

— Christologie 176 f. 202. 

— Kirche 174—187 201 f. 

— Verdienstlehre 192 ff. 
Scholastik, — Abstraktionslehre 12 f. 

— als Philosophie des ,Ding an sich' 
19 25 f. 34 61 f. 

~ als Philosophie des Objekts 2 ff. 

— Pormal- und Materialgültigkeiten 
11. 

— Liebeslehre 60 f. 197 209. 

— Pflichtbegriff xi. 

— Eeligionsbegründung 84 f. 89 f. 
127 f. 138-145. 

— Theorie der Ethik 83—90. 

— und Wertobjektivismus Schelers 9. 

— "Verhältnis von Gott und Mensch 
270 275. . ^ 

— Verhältnis von Natur und Über- 
natur 206 f. 264 ff. 

— Wertlehre 85 f. 91 ff. 
Schöpfung aus Liebe 59 f. 

Sein und Erkennen, — auf einander 
gerichtet 14 f. 

— Seinserkennen und Werterkennen 
8. 

Seligkeit, 
188 f. 

— als Sittlichkeitslohn 190 192 ff. 

— als Sittl{chkeitsq[uelie 188 ff. 

— als unerringbar 190. 
Solidaritätsprinzip 178 ff. 200. 
Subjekt, — empirisches 1. 

— Philosophie des Subjekts 1. 

— transzendentales 1 3. 
Sünde 90. 

»Teilnahme', — platonische Idee der 
2 204. 

— augustinisches System der 207 
bis 213 260-267. 



als Personzentralhaltung 



Teilnahme in Euckens ,Geiste8- 
leben' 2. 

— als Zentralbegriff bei Scheler 81 f. 
171 ff. 186-191 196 ff. 203 213 
bis 222. 

— System einer Staffelung der 219 ff. 
265 ff. 

Traditionalismus 128 207. 
Transzendenz-Immanenz 85 ff. 

lijbernatur s. Natur-Übernatur. 
IJniversalienproblem 43 ff. 51 61 f. 
161 f. 

Verdienstlehre s. Lohn und Ver- 
dienst. 
Voluntarismus 130 ff. 269 ff. 

Wahrheit, — als Erkenutnisbegriff 
267 f. 

— als Suhjektausdruck 1 ff. 

— als gegenständlich Objektives 1 ff. 
11 ff 

— als Realität 213 261 f. 267. 
Wert, — Objektivität der Werte 2 f. 

6 9 37 ff. 42 70. 

— lind Sein 6 ff 75-80 82 f. 91 ff 
127—137 162—168. 

— Stufemverk der Werte^ 38 f. 
91 f. 

— Höchstwert und Wertallheit 85 ff. 

— Wertfühlen und Werterkennen 8 
38 f. 70 f. 150 ff 

— Liebe und Werterfassen 39 ff. 
Wesenserkenntnis, — negativ-posi- 
tive llff._ 

— asymptotische 118. 
Wesensnotwendigkeit 217 f. 
Wesensschau, — Analyse 8 11 ff. 

287. 

— als Hinnahme des Gegebenen 
15. 

— und Siimeserkenntnis 13 f. 24. 

— und Abstraktion 12 f. 24. 

— und Intuition 226 230 f. 
Wunder 253, 



Berichtigung. 
S. 65, Z. 3 von unten: ,verabsolutiert erscheint', 



3^5Ö-^1929B 



^^ ;; HeligionsbegrvindMng 

• P9 ii 



BINDERN 



756390 



UNIVERSITY OF CHICAGO 



7 964 



006 



7 £(^^"=1 ö 



S I