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Geschichte d^^Äblässes
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im Mittelalter
vom Ursprünge bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts
Von
Dr. Nikolaus Paulus
Erster Band
1922
Druck und Verlag von Ferdinand Schöningh in Paderborn
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Vorwort.
Luthers wdtgeschiclitlicher Kampf gegen die katholische Kirche
hegann mit der Bekämpfung des Ablasses. Da aber die Ablaßfrage
den Anlaß zu der vom Wittenberger Neuerer hervorgerufenen Kirchen-
spaltung geböten hat, so ist von jeher diese Frage im Mittelpunkte
der, polemischen Erörterungen gestanden. „Das große Interesse an
der richtigen Auffassung des AbiaJBwesens, wie es Luther vorfand,"
schreibt ein protestantischer Theolpg, „erklärt sich aus der Wichtig- ■
keit, welche dasselbe für die Beurteilung Luthers als Reformator,
wie des Wesens uiid'der Berechtigung der Reformation überhaupt hat"
(E. Bratke, Luthers 95 Thesen. Göttingen 1884, 7). „Kein Moment
der Reformationsgeschichte", meint ein anderer protestantischer Autor,
„ist in dieser; Hinsicht von größerer Bedeutung als der Ablaßstreit"
(A. W. Dieckhbff , Der Ablaßstreit. Gotha 1886, S. V). Ebendeshalb
ist seit 1517 schon so vieles und so vielerlei über den Ablaß geschrieben
worden. Auch in neuerer Zeit sind darüber mehrere bemerkenswerte
Studien erschienen, katholische und protestantische. Trotzdem wurde
im Jahre 1906 in der Tübinger Theologischen Quartalschrift (Bd. 88,.
463) betont: „Es fehlt uns. immer noch an einer wirklich soliden^
wissenschaftlichen Monographie über diesen vielgenannten Punkt."
Hier wird nun eine ausführUohe Monographie über das mittel-
alterliche Ablaß wesen vorgelegt. Ob sie als wirklich solid und wissen-
schaftlich zu gelten habe, wird der Leser entscheiden. Jedenfalls war
der Verfasser ernstlich bemüht, eine gründUche Arbeit zu liefern. Jahre
hindiÄch hat er sich eingehend mit dem schwierigen Gegenstands^
beschäftigt, wie die vielen Abhandlungen beweisen, die er in den
letzten Jahrzehnten in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht hat.
Soweit diese Aufsätze in das vorliegende Werk aufgenommen werden
konnten, sind sie sorgfältig durchgesehen und verbessert oder auch
völlig umgearbeitet worden. Wer ein besonderes Thema längere, Zeit
hindurch gründlich studiert, sieht sich nicht, selten genötigt, in diesem
oder jenem Punkte umzulernen. Diese Erfahrung hat auch der Ver-
fasser der hier gebotenen Schrift gemacht. Infolgedessen sah er sich
veranlaßt, verschiedenes jetzt anders darzustellen, als er es in seinen,
früheren Abhandlungen getan hat.
Das neue Ablaß werk zerfällt in zwei Bände, wovon der zweite",
der auch ein Namen- und Sachregister für das ganze Werk bringen
wird, möglichst bald erscheinen soll. In den beiden Bänden, welche
die Zeit der Grundlegung des Ablaßwesens umfassen, wird gezeigt,
wie Lehre und Praxis vom Ursprünge bis zur Mitte des 14. Jahr-
IV
Vorwort.
hunderts sich gestaltet haben. Um 1350 war die Entwicklung des
Ablaßwesens im wesentlichen abgeschlossen. Daher konnte die Dar-
stellung an diesem Zeitpunkte füglich haltmachen.
Wie die volle Entfaltung sowohl in der Theorie als in der
Praxis von 1350 bis zum Auftreten Luthers sich vollzogen hat, wäre
in einer weiteren Schrift darzütun./ Diese ergänzende Schrift oder die
Geschichte des Ablasses am Ausgange des Mittelalters liegt
bereits druckfertig vor. , Falls die .-nötigen finanziellen Mittel dafür
aufgebracht werden können, soll sie sobald als möglich dem Druck
übergeben werden. ■ ■ ' ,,
Für die Herstellung des ersten Bandes hat die Notgemeinschaft
der deutschen Wissenschaft einen namhaften Beitrag gespendet.
Hierfür sei namentlich dem Präsidenten , Herrn Ptaatsminister
Dr. F. Schmidt-Ott, sowie den beiden MitgHedern, des Fachaus-
sciuisses für Theologie, Herrn Geheimrat Professor Dr. A. Ehrhard
und Herrn Professor Dr. A. Deißmann, herzlichst gedankt.
München, den 2. Juni 1922.
N. Paulus.
Inhalt.
,",■■"' I ' " ' Seite
Vorwort , •. • -i .?••••.: HI
Titel der mehrmals angeführten Werke . . , ,■ . ... . - VII
I. Die Anfänge des Ablasses',, ■ .1
1, • . ■ ^
II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe ...... 39
A. Die Absolution der Verstorbenen im früheren Mittelalter . 39
B. Absolutionen lebender Personen' 67
1. Von Päpsten erteilte Absolutionen 57
2. Von Bischöfen und andern Geistliehen erteilte Absolu- '
tionen 91
a) Absolutionen bei Ordensleuten 91
b) Bischöfliche Absolutionen für einzelne Personen ... 97
c) Allgemeine Absolutionen bei kirchlichen Anlässen . . 99
d) Allgemeine Absolutionen für verdienstliehe Leistungen 113
III. Die Formel: In remissionem peccatorum iniungimus 120
IV. Die ältesten Ablässe für Almösen und Kirchenbesuoh .... 132
V. Die ältesten Kreuzzugsablässe '195
VE. Die Ablaßlehre der Frühscholastik 212
VII. Die Bedeutung der älteren Ablässe 253
VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts 268
IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahr-
hunderts 317
X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahr-
hunderts ' 336
XI. Die Ablaßlehre der Kanonisten der ersten Hälfte des 14. Jahr-
hunderts, 382
Der zweite Band wird folgende Abschnitte enthalten:
XII. Päpstliche Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch von 1216 bis 1350.
XIII. Die Kreuzzugsablässe von 1216 bis 1350..
XIV. Bischof üche Ablässe von 1216 bis 1350.
XV. Ziroa Verständnis eigentümlicher Ablaßiorkunden.
XVI. Der Jubiläumsablaß.
Xyil. Vollkommene Ablässe auf Grimd des sogenannten Beichtbrief es.
XVIII. Die Anfänge des sogenannten Ablasses von Schuld imd Strafe.
XIX. Die Anfänge des .Sterbeablasses.
XX. Der Ablaß für Verstorbene.
VI
Inhalt.
XXI.
XXII.
xxni.
XXIV.
XXV.
XXVI.
XXVII.
XXVIII.
Die Lehre vom Kirohensehatz.
Wesen und Wirksamkeit des Ablasses.
Hauptbedingungen zur gültigen Erteilung xmd zai Gewinnting der
Ablässe.
1. Der Spender des Ablasses. 2. Der Empfänger des Ablasses. 3. Die
zur Spendung des Ablasses erforderliche Ursache.
Besondere Ablaßwerke. Der Ablaß als Kidturfakfcor.
1. Ablässe für Werke der Frömmigkeit; 2. für kirchliche und wohl-
tätige Zwecke; 3. für gemeinnützige weltliche Zwecke.
Die Quästoren oder Almosensammler als Verkündiger von Ablässen.
Berühmte, doch unechte Ablässe.
Gregner des Ablasses. Wertschätzung des Ablasses:
Religiös-sittliche Folgen des Ablasses. ;,■
Titel der mehrmals angeführten Werke.
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Paris 1913. ...
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•(' I « Hmgäföibum-TomänoJ ^ Tom.-lP'(mm^mm)ß BMsipöätiili J 18Ö9:' "
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M'ör'i'ü'ü'S^'Ef iCöiKihten'täriuä'MätoWcüS^'äe^discipIina in administratione sacramenti
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T.it:^l'>afo niitebynfölsif fandet üh^tieh '^Wef k^.T i-X^
iLegiättk
R^gifeUW; ... . ^
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L Die Anfänge des Ablasses.
Seinem Wesen nach ist der Ablaß eine von. der Kirche außerhalb
les Bußsakraments erteilte , und vor Gott gültige Nachlassung der
zeitlichen Sündenstrafen. Gleich verschiedenen anderen kirchlicheii
Institutionen ist der Ablaß nicht plötzhch und unvorbereitet in** die
Welt getreten; er hat sich vielmehr allmählich aus der! kirchlichen
Bußpraxis entwickelt. ^ Was aber seine Herkunft betrifft, .so kann
man im allgemeinen sagen, der Ablaß, sei „ein Ausfluß der' alten Idee,
daß die Kirche die kanonischen Bußstrafen riiildern odfer auch ganz
nachlassen, ;kann".^ > ■ ■ ...
Von Christus hat die Kirche die Gewalt; erhalten, zu binden und
zu lösen (Matth. 18, 18). Wie nun diese; Gewalt die Vollmacht in sich'
schließt, Bußstrafen aufzulegen, so schließt sie auch die Vollmacht in
sich, die auferlegten Bußstrafen zu mildern oder nachzulassen. Letztere
Vollmacht hat die Kirche von den ältesten Zeiten - her^ ausgeübt.*
Gebraucht - man , daher -deii . Ausdruck „Ablaß" ganz > allgemein , im
Sinne irgendeiner Naohlassung . der von der, Kirche auferlegten oder
aufzulegenden Bußstrafe, so kann man; unbedenklich sagen; daß es
in der Kirche von Anfang an Ablässe gegeben hat." Doch muß .man
sich hüten, schon in den Bußerlassen der ersten christlichen Jahr-
hunderte den heutigen Ablaß mit allen seinen i, konstitutiven Ele-
menten'.' finden zu wollen. Richtiger ist es,. diesen Ablaß zu betrachten
ials „eine Weiterbildung von Tendenzen,' die vom Anfang an; im; Christen-
tum vorhanden- waren".* " - .... \ , ■ ' ^
Den Eorschern, die den . Anfängen des Ablasses nachzugehen
wünschen, ist in jüngster Zeit folgender Weg v.orgezeichnet worden:
„Ein Ablaßforscher, mag er Katholik oder AkathoÜk, gläubig oder
ungläubig, Theologe oder Geschichtsforscher sein, der etwa nach den
^ Seeberg 104, Vgl. Morinus 38: Die Bisehöfe konnten nach Umständen
■die Buße mildern. ,,Hinc fons, origo et causa indulgentiärum omnium ebulUit
■et erupit." Ähnlich Pitra, Iuris ecclesiastici Graecorum Kistbria et monumenta I, -
Romae 1864, 449: ,,lsrota pehes episcopos 'plane "fuisse aut ' protrahere poeni-
■tentiatti aüt".- . . decurtare; quae-quidem' 'facultas . '..• catholieae hodierriarum
•quae dicuntur indulgentiärum disciplinae locum dedit absque uUa exception©
.legitimüm." '' ■ x' .-.'■. .,•■..'
2 Loofs 492: „Nachsichtiger Erlaß eines Teils der Bußpf licht gegenüber
'besonders reuigen Sündern ist freilich fast ' ebenso alt als die Auflegung von
iBußwerken seitens der Kirche." ■■ ■ "' ' ■•
.''3 So der BoUandist Papebroch, Responsio ad exhibitionem errorum'per
^Sebastianum ä S. Paulo evulgatam II, 'Antverpiae 1697,' 92. • '
' * So W. Köhler in Zeitschrift der Savigny- Stiftung für Rechtsgeschichte.
Kauonistische Abteilung V, Weimar 1915, '515. ' ' " - '" •
Paulus, Geschichte des Ahlassea. 1
'2 I. Die Anfänge des Ablasses.
■Anfängen des Ablasses forscht, hat nichts anderes zu tun, als aus-
findig zu machen, wann und wo sich in der Geschichte jene Ein-
richtung, die heute im allgemeinen, ständigen Gebrauch ist, zeigt,,
besonders wann und wo sie sich zuerst zeigt; er muß nachweisen,,
daß das, was er als Ablaß in vergangener Zeit ausfindig macht, die-
selben konstitutiven Elemente hat wie der Ablaß unserer Zeiten, daß-
der katholische, dogmatische 'Äblaßbegriff genau darauf paßt/'^ Sucht
man indessen mit dieser Forderung Ernst zu machen, so wird man sich»
bald überzeugen können, daß vieles, was manche Autoren als Ablaß,
hinstellen, nicht dieselben konstitutiven Eleinente hat, wie der Ablaß,
unserer Zeiten^ ' ' .
Einen „förmlichen Ablaß'', wie öfters behauptet wird, soll schon
der hl. Paulus erteilt haben. ; ;,Im Namen unseres Herrn Jesu Christi"'
hatte der. Apostel, ',, abwesend zwar dem Leibe nach, anwesend aber
dem Geiste nach", den Blutschänder vonKorinth aus der kirchlichem
Gemeinschaft ausgeschlossen oder •,, dem Satan übergeben zuni Ver-
derben des Fleisches, damit der Geist gerettet werde" (1. Kor. 5, 3 ff.)..
Bald• nachher erhielt der Apostel Kunde von dem großen^' Reue-
schmerz des gedemütigten Sünders.' Infolgedessen forderte ■ er dio
Korinthef . auf , letzteren wiedfer in ihre Gemeinschaft aufzunehmen'
(2; Koi . 2, 6 f f .) .^ Indem der Apostel die Aufhebung des Kirchenbannes,,
der ja noch länger hätte dauern- können, anordnete; hat er wohl die-
Bußzeit abgekürzt., Daß -er aber 'zugleich > dem reuigen Sünder die
etwa noch 'geschuldeten zeitlichen Sündenstrafen nachlassen' oder ihm
einen Ablaßt -im heutigen Sinne erteilen wollte, läßt- sich"a;üs seineib
Worten nicht dartun.^' Man-.sagt freilich: Hätte Paulus den Korinther-
bloß wieder' in die kirchliche Gemeinschaft aufgenommen, ohne ihmi
zugleich die' zeitliche Strafe .vor Gott zu erlassen,' so hätte er 'ihm
mehr geschadet als genützt, da ja' dann der Sünder die rückständig^.
Strafe im Eegfeuer hätte abtragen müssen. Allein war es 'denn für-
den Sünder nicht viel vorteilhafter, eine Zeitlang im Fegfeuer' genug-
zutün,'' als j infolge' von Verzweiflung ewig verloren zu gehen?*' Nun'
erklärt aber ■ der :;Apostel ausdrücklich, die Korinther sollen den reu-
mütigeirrSüMeciowieder in ihre' Gemeinschaft aufnehmen, damit er
nichtiin der Betrübnis verzweifelnd untergehe und damit „wir nicht,
vom Satan übervorteilt werden", d. h. damit der Satan uns nicht
:■;.,'* Die Ansicht etJi^^ Autoren, es handle sich hier iim einen perspnlichen
Beleidiger ^dßs Apostels,,. nicht um den von der kirchlichen Gemcinschaftffau^-
ge^chlpssenen Bluteicliänder, wird von den meisten Schrifterkläi;ern mit. Recht
abgelehnt, --x-.^r ■-.,.^v:.4;; ; , ' > .,i ■ .--(,;• .
^ Dies hat schon Suarez (Com. in III. part. divi Thomae, tom. IV, disp.-,49,
seot. ;2, n. 9) hervorgehoben. '■ . . • ,
;. * Man vergleiche ihierzu den Rat, den, Raimund von Penaf orte (Summa
de poenitentia. Romae 1603, 480) den Beichtvätern gibt. - Zeigt sich, daß ein.
reimiütiger SündeK die seinen Vergehen entsprechende schwere Buße nicht über-
nehnien will, so begniige man sich mit einer leichten Buße : „Si non potest gaudere-
saqerdps.de iOmnirnoda iOius piirgatione, gaudeat saltem,, quia/ipsum liberatum.
a gehenna ad purgatorium possit transmittere." - . ' ^ •\'
I. Die 'Anfänge des .Ablasses. 6
einß^eele; abgewinne. . Man macht auch geltend, Paulus habe dem
Kprinther,;die,.vor -Gott schuldige Strafe erlassen,, da ^ er- ja in der
,3erson., Christi",, oder ;;,an Christi Statt" verziehen : habe. Manche
Exegeten verstehen die betreffende Stelle etwas anders: Paulus .erklärt,
zu, verzeihen ; „im Angesichte - Christi"/ d. .h. Christus i zum Zeugen
nehmend. Aber wie dem auch sei, selbst wenn der Apostel erklärt,
im Namen Christi, als dessen. Stell Vertreter Izu handeln, so folgt daraus
nicht,, daß' er dem Sünder die .Strafe im Jenseits erlassen habe.- Indem
er kraft der von Christus erhaltenen^' Vollmacht eine kirchliche- Strafe
erlielB, handelte er ja schon im Namen Christi kraft göttlicher VoU-
macht.?^ ' > ' . ' ' s
Wie die Wiederaufnahme des Korinthers in die kirchliche Gemein^
Schaft nicht als eigentlicher Ablaß zu betrachten ist,' so kann auch die
kirchliche Rekohziliation, die im 2. und 3. Jahrhundert öfters
mit Rücksicht auf die Fürsprache der Märtyrer den Gefallenen
vor Beendigung der Buße gespendet wurde, nicht als "Ablaß ina heutigen
Sinne gelten, j Diese 'Rekonzihation oder der erteilte „Friede"- bedeutete
keineswegs' einen außerhalb des Bußsakraments gespendeten autoritär
tiven Erlaß der zeitlichen Sündehstrafen durch' die' kirchliche Obrigkeit",
wie sich unzweideutig aus den -Briefen des hli- Cypr iah- ergibt.-' Der
Bischoif von Karthago hat wohl der Fürbitte der IVIärtyre'r einen Wert
vor Gott zugeschrieben.^ Daraus darf- man aber nicht schUeßeri; daiß
er der Ansicht war,- die mit Rücksichtaufdie Fürbitte* der -Märt5rrer
erteilte .'Rekonziliation bewirke > den Erlaß- der Süridenstrafem' -Meint
er doch, daß' die -Fürspräche der Märtyrer erst am jüngsten' Tage in
Kraft ^treten werde;^ ' ■•::'■'■' ■ ' - =
Wenngleich Cypriah mit der irrigen Ansicht von einem Aufschub
des Urteilsspruches -bis zum' jüngkten' Gerichte nicht' älleiii stand,*
so kann man 'doch nicht sageii, daß sie allgemein verbreitet war. Es
gab sicher zu jener Zeit Bischof e;' die mit Recht annälimen, 'daß, die
Fürsprache der Märtyrer nicht erst am letzten Gerichtstage, sondern
sofort in Wirksanikeit trete.' Gesetzt nun den Fall, einer dieser Bischöfe
' ^ Auch dies ist schon von Suarez a.' a. 0. hervorgehoben -worden.'
■ ^. Ep.'XVIII," 1: „Qui libellos a martyribus acceperunt et praerogätiva
eorum apud DeuiTL adiuvari possunt." Ep. XIX,- 2: /, Qui libellum a martyribus
acceperunt et auxilio eorum adiuvari apud Dominum in delictis suis, possunt."
S. /Gypriäni Opera, rec! G. Hartel. - Vindobonae 1868— 71, 524 ,525.
* De lapsis, capl 17.' Opp.' 249: ,,'Credimus qüidem' posse apud iudicem
plurimum 'martjrrüm merita et. opera-iustörumy>sed cuiri'iuäicii dies venerit;
cum ,post occasvim isaeculi huius et mündi ante tribimal Christi, populus. eins,
adstiterit." Cyprian hielt das Ende der Welt für nahe bevorstehend. VgL
L. Atzberger, Geschichte der christlichen Eschatologie innerhalb -der vor-
nicänischen Zeit. .Freiburg 1896,', 542 f. - ■ - '
* „Es ist nicht zu leugnen," schreibt Gutberiet (Heinrichs Dogmatische
Theologie. X 391), „daß manche ältere Väter einen Aufschub des Urteilsspruches-
bis zum jüngsten .Gerichte lehren." Im christlichen Altertum sind, so meint
ein anderer Dogmatiker (J. Pohle, Lehrbuch der Dogmatik III, Paderborn.
1905, 657), ,, die,; Vorstellungen über das Los der Abgeschiedenen überhaupt
noch ziemlich verworren imd ungeklärt" gewesen. ■ "
1*
4. I. Die Anfänge des Ablasses.
habe einem Sünder vor der Beendigung der Buße auf die Fürsprache
der. Märtyrer hin die Rekonziliation erteilt, wurde damit dem Sünder
von derkirchhchen Autorität nicht ein Ablaß im heutigen Sinne
gespendet? Um diese Frage zu beantworten; 'müssen- wir die. Für-
sprache der Märtyrer in ihrer Beziehung zur kirchlichen RekonziUatiöii
etwas näher betrachten. •
;Aus den Briefen des hl. Cyprian erfahren wür, welche Befugnisse
den Märtyrern und Bekennern in bezug auf die kirchliche -Rekon-
zihation ; zustanden: Sie konnten den ^ Gefallenen, den sogenannten
läpsi, Friedeiisbriefe (Ubelh pacis) ausstellen, an die der Bischof zwar
nicht gebunden war, die er aber doch in der Regel berücksichtigte^,
sa daß die; Sünder dank diesen Briefen leichter den Frieden oder die
Rekonzihation erlangten. Cyprian hebt. auch. wiederholt hervor, daß
die Gref allenen durch die Interzession der Märtyrer bei Gott unterstützt
werden können. Inwiefern konnten aber die Märtyrer den Gefallenen
bei Gott Hilfe leisten ? Sie konnten durch ihre Gebete und Verdienste
dazu beitragen, daß Gott gegen die Sünder gnädig gestimmt wurde,
daß er ihnen leichter und rascher verzieh. Der Interzession der Mär-
tyrer kam in dieser Hinsicht dieselbe Wirksamkeit zu wie den eigenen
Bußwerken ■ der Pönitenten. ISTach der Auffassung des ■ christlichen
Altertums hatten die kanonischen, Bußwerke nicht; bloß den Zweck,
4ie zeitlichen Sündenstrafen abzutragen; es wurde ihnen auch ein
großer [Einfluß auf die Rechtfertigung, auf die- Tilgung der Sünden-
schuld und der ewigen Höllenstrafe zugeschrieben.^ Ebendeshalb war
es von altersher kirchliche Praxis, daß der Bischof jenen,' die :sich
durch besondereil Eifer in der Bußübung hervortaten, die, Bußzeit
abkürzen konnte. War man doch der Überzeugung, daß solche eifrige
Biißer auch bei Gott schneller Verzeihung erlangen. Aus demselben
Gründe hielt man es für angebracht, jenen Sündern, deiien Märtyrer
ihre Fürsprache zuteil werden ließen, vor Beendigung der Buße. die
Rekonziliation zu erteilen. , ,
Durch die kirchliche Rekonzihation wurden aber nicht bloß, .die
Sühdehschuld und die ewige Höllenstrafe getilgt, es wurden auch
zeithche Sündenstrafen erlassen, und zwar nach Maßgabe der voraus-
gegangenen Bußbetätigung des Pönitenten. Gesellte sich ■ nun zu
dieser Bußbetätigung die vor Gott gültige Fürsprache der Märtyrer;
so WTifde selbstverständlich dem Büßer desto mehr von deii zeitUchen
Sündenstrafen nachgelassen. Man beachte aber wohl, daß die Nach-
lassung der zeitlichen Sündenstrafen nicht" außerhalb des Bußsakrar
mentes erfolgte. Gleich der Nachlassung der Sündenschuld und der
^ Morinus 42: „Credebant, atquehoo erat potissimuih' totius disciplinae
poenitentialis fundamentum, operam canonice pro' peccatis iniunctorum sedula
praestafcione internam cordis compunctionem augeri et accendi, iram Dei miti-
gari, Deum poenitentibus plaoari, poenas aeternas peccatis debit'as' non modo
.frustrari, sed etiam extingui, ita ut qui iniunctum a sacerdote opus humiliteir
perfecisset, peccatorum veniam a Deo promereretur, ac proinde ab ' Ecclesia
eamdem merito consequeretur, eo quod rata haberet Deus in coelo quaecumque
Ecclesia in terra de peccatis iudicia faceret." Vgl. 159 ff. ' ■
I. Die Anfänge des Ablasses. 5
ewigen Sündenstrafe, wurde sie .durch die kirchliche,^ Rekonziliation,
die, als sakranientale .Lossprechung; zu gelten hat, bewirkt. Eben-
deswegen kann in diesem Falle die Minderung der zeitlichen SündeuT,
strafen. nicht als Ablaß. im heutigen, Sinne, betrachtet werden, da der
Ablaß jjSeinem Begjdffe nach"' eine. Nachlassung .von zeitlichen Sünden-
strafen ist, „die nicht. durch das Sakrament der Buße gespendet wird". ^
Treffend hat man .daher geschrieben:' „Wenn auf einen libellus pacis
hin, gestützt- auf die: Verdienste des Märtyrers, die schließliche Los-r
sprechung beschleunigt - wurde, so . war . damit auch eine . Abkürzung
und Minderung ; der vor , .Gott : fälligen , Sünderistrafeh: gegeben, aber
nicht ,außersäkramentar,, was zum heutigen Begriff des .Ablasses
gehört."^ Beschränkt man sich indessen darauf, in der Praxis, auf
die Interzession der Märtyrer hin den Sündern etwas yon ihrer Last
abzunehmen, eine gewisse Verwandtschaft mit der späteren Ablaß-
praxis zu finden, so ist gegen eine solche Auffassung .nichts einzu-
wenden.^ , .
Nebst der Rekonziliation, die auf die Fürbitte und die Verdienste
der Märtyrer Bezug nahm, wird in Cyprians Schriften noch eine andere
Absolution erwähnt, die den gefallenen Christen auch ohne „Friedens-
briefe" gespendet werden konnte. So hatte im Jahre 251 eine afri-
kanische Synode verordnet, daß jenen, die sich bloß einen Opferschein
verschafft hatten, sofort die Rekonziliation gewährt werden solle; jeiie^
die wirklich geopfert hätten, sollten einer langwierigen Buße unter-
worfen, doch in Lebensgefahr rekonziliiert werderi.* "Mit dieser. Rekon-
ziKation verbindet aber Cyprian keineswegs den Nebenbegriff eines
vöUkommeiien Straf erlasses ; vielmehr fordert er für die, volle Aus-
söhnung mit Gott eine vollständige, der Schweire der Vergehen ent-
sprechend.e Genugtuung,* die, falls sie hienieden nicht geleistet wird,
im Jenseits erfolgen muß. Deshalb unterscheidet er auch scharf
zwischen den standhaften Gläubigen, die durch den Märtyrertod
sofort zur himmlischen Herrlichkeit gelangen und den in Lebensgefahr
rekonziliierten Büßern, die ihre rückständige Schuld im Reinigungsort
bis auf den letzten Heller bezahlen müssen,* Daraus geht klar hervor,
daß 0yprian die den Sterbenden ; erteilte Absolution nicht als einen
1 Hilgers XXIX.:.
2 J. B. Umberg in Stimmen der Zeit I (1914— lö) 168..
; ^ Eapebroch' (Responsio,II 92) bemerkt dazu: „Erat haec siue dubio
aliqua indulgentiae speoies.. . . sed diversissima ab ea, de qua nunc agimus,
quamque autononiastiee vooamus indulgentiam."
' * Ep. LV, 1;7. Opp..636: Tgl. A. d'AIes, L'edit de Calliste. Etüde sur les
origines de la penitence chretienne. , Paris 1914, 330 ff.
• 5 Ep. LV, 18. Opp. 636: „Paenitentiam plenam et iustam,"
? Ep. LV, 20. Opp. 638 : „Nee putes .- . .• hinc . . . martyria deficere, quod
lapsis laxata sit paenitentia . . ., Aliud est ad veniam stare, aliud ad gloriam
pervenire, aliud missum in carcerem non exire inde donec solvat novissimum
quadrantem,' aliud statim.fidei et virtutis accipere mercedem,, aliud pro peccatis
longo dolore eruciatum emundari.et.puxgari diu igne, aliud peccata omnia passione
purgasse,. aliud, denique penderein diejudicii ad sententiam Domini, aliud statin:
a Domino coronari." Vgl. zu dieser Stelle. Atzberger 537.
6 I. Die Anfänge des Ablasses.
vollkommenen Ablaß aufgefaßt hat. ■ Es- handelte sich vor allem darum,
den reumütigen Sünder in Frieden mit der Kirche und mit Gott aus
diesen! Leben scheiden zu lassen. Man hatte dabei nicht die Absicht',
dem sterbenden Büßer auch die Strafen irh Jenseits zu erlassend
Passelbe gilt von dem im Jahre- 252 auf der Synode von Karthago
gefaßten Beschlüsse, wegen der bevorstehenden Verfolgung allen buß-
fertigen Gefallenen sofort die Rekonziliation zu gewähren.^ Durch
diese Abkürzung der Bußzeit wollte man den Büßern' nicht 'auch die
Strafe vor Gott erlassen; man hatte vielmehr die Absicht, sie' durch
Zuwendung der kirchhchen Gnadenmittel für die Zeit der Verfolgung
zu stärken und ihnen für die Todesstunde, die sie vielleicht auf ein-
samer Elucht überfallen konnte, den Trost des Friedens mit der Kirche
und Gott zu geben.^
Daß Büßern mit Rücksicht auf die Fürsprache der Märtyrer die
Bußzeit abgekürzt wurde, kam namentlich zur Zeit des hl. Cyprian
häufig vor. Später verlautet nichts mehr von dieser Sitte.* Dagegen
blieb es kirchliche Ordnung, daß kranken Büßern, auch wenn sie
ihre Buße nooh nicht vollendet hatten, auf dem Sterbebette die Ab-
solution, zu erteilen sei. Man hat in dieser KJrankenabsolution den
heutigen Sterbeablaß finden wollen. Gegen eine solche Auffassung''
für welche ein stichhaltiger Grund nicht vorgebracht werden kann,
spricht schon der Umstand, daß vom 4. Jahrhundert an jene, die in
Todesgefahr die Absolution erhalten hatten, im Falle der Genesung
die, noch nicht vollendete Buße wiederaufnehmen mußten.® .Diese
erneute Verpflichtung zur Buße zeigt, daß die Absolution, die den
kranken; Büßern erteilt wurde, nicht als Ablaß oder Straferlaß auf-
zufassen ist, da ein Ablaß, der einmal einer Person zugesprochen
^Hierauf hat schon Suarez, loc. cit. n. 8 aufmerfeam. gemacht.
2 Ep_ j^Yii opp. 650 ff.
^ „Nunc non inürmis, sed forfcibus pax necessaria est, neo morientibusi
sed yiventibus communioatio a nobis danda est, ut quos excitamus et hortamur
ad praelium, non inermes et nudos relinquentes, sed protectione sanguinis et
corporis Christi muniamur."
* Auf die Entwicklung des späteren Ablasses hat denn auch diese Sitte keinen
Einfluß ausgeübt.
' ^ Diese Auffassung wird auch abgelehnt von A. d'Ales, La doctrine des
indulgenoes, in ißtudes des Peres de la Oompagnie de Jesus CXLV (1915) 45 f.
Daß die Krankenab3olution als vollkommener Ablaß zu gelten habe, wollte
man aus einem Schreiben des Papstes Innozenz I. aus dem Jahre 41J6' dartun.
„Si quis in aegritudinem inciderit, atque xisque ad desperationem venerit, ei "ante-,
tempus Paschae relaxandum, ne de saectilo absque communione discedat."
Migne LVI 517. Dazu bemerkt d'Ales: Der Papst will, daß man in solchem Falle
von' den Forderungen der strengen Bußdisziplin nachlasse und dem Kranken die
Kommunion erteile, um ihn nicht der Gefahr auszusetzen, ewig verloren zu-
gehen; an einen Ablaß habe jedoch der Papst nicht gedacht: „Mais l'idöe de
la telaxatio (poenae), au sens technique oü l'entendront les auteurs scolastiques
traitant des indulgenees, me parait tout ä fait en dehors de son horizon."
« Morinus 153 750 ff. Frank 907 ff.
I. Die Anfänge des Ablasses. 7
worden; nicht mehr zurückgenommen werden kann.^ Etliche Autoren
.sehen freilich iii jener Absolution einen bediiigungsv^eise erteilten Afelaß;
d. h. einen Ablaß j der-nur im Falle des Ablebens gewöhnen werden
koniite.^ - Vöri anderen' wird' jedoch diese- Auffassung ■ entschieden
.abgelehnt : „Bi^ Annahme, daß der Krankenur eine bedingte, Rekon-
■ziliätion erhalten 'habe,'iät unhaltbar. Die- nachträgliche Bußübung,
-welche er im Fälle der Genösung nach can. 13 des Nicänums zu leisten
hatte, war nichts weiter als eine freiwillige Betätigung,der Bußgesinhuhg,
<iie er auf dem Krankenbett bekundet hatte.""^ Die -Rekoiiziliation sei
eine absolute, nicht bedingte gewesen, uiid zwar habe sie den' Charakter
eines vollkommenen Ablasses gehabt: „Die Wirkung der auf dem
Krankenbett gesj)endeten' Rekonziliation war dieselbe wiei die jeder
«,nderen Rekonziliation, nämlich die 'Befreiung von zeitlichen Sünden-
istrafen, gültig vor Gott. Es fand sonach eine formelle Erteilung eines
Ablafeses in der Form der Rekonziliation an den Sterbenden statt."*
Die'' Annahme, daß die Absolution den Kranken nur bedingungsweise
für den* Fall des Ablebens erteilt wurde, ist sicher unzutreffend;^
.aber ebenso unzutreffend ist die Behauptung, daß die Rekonziliation
,,den Büßer auch im Falle der Wiedergenesung von der Verpflichtung
zur kanonischen Buße befreite, dagegen eine nachträgliche Betätigung
•der Bußgesinnung durch private Bußübungehvon ihm erwarten ließ".*
Aus verschiedenen Zeugnissen ergibt sich, daß der wiedergeneserie
Büßer zur nachträglichen Leistung der' Buße verpflichtet war.'
^ Vgl. Perr one , Praelectiones theologicae VIII, Ratisbonae 1855, 387 : „Eius-
juodi aegrotantibus non fuit praecise data indulgentia, 'eo sensu quo eam vocem
liic accipimus, seu 'remissio plena ulterioris satisfactionis, quam persolvere de-
buissent, sed tantum absolutio sacramentalis cum onere satisf aciendi, si ■ con«
valuissent. Näm indulgentia semeldata irrevocabilis est."
^ Frank 952. Ähnlich Hilgers 52 mit besonderer Rücksichtnahme auf
■die, Synode von Epaon (517), die zugunsten der in Todesgefahr schwebenden
Büßer bestimmte: ,,Damnationis constituta tempora relaxen tur." Diese etwas
dunkeln >Worte sind folgenderweise zu erklären : Die festgesetzte Zeit der Buße,
au welcher der Sünder verurteilt worden, soll abgekürzt werden, das Bußband,
womit der Kranke gebunden ist, soll aufgelöst werden, damit er ungehindert
•die Absolution empfangen könne, die ihm sonst erst nach Ablauf der fest-
.gesetzten Büßzeit hätte zuteil werden sollen (vgl. oben Innozenz I.: ,,Ei ante
tempus Paschae relaxandum. "), Wird' er aber wieder ' gesund, so gebührt es
•sich, daß er die ihm bestimmte Bußzeit einhalte (statuti temporis spatia ob-
.servare conveniet). Mon. Germ. hist. Concilia I (1893) 27 f. 'Wie der hier ge-
brauchte -Ausdruck ,, conveniet" zu verstehen sei, ergibt sich aus den Ver-
■ordnungen anderer" Synoden, die. von einer Verpflichtung sprechen. Hefele
i^Konzilieiigeschiehte IP'686) übersetzt denn auch richtig: der Wiedergen^^ene
,,muß"\die Buße nachholen.
3 Schmitz II 93. . ' '
■• * Schmitz, Kanonische Buße und Ablaßerteilung, im Katholik 1885 I 495.
^^ Die den Kranken erteilte Rekonziliation war die sakramentale Absolution.
Zu jeneir Zeit wußte' man aber noch nichts von einer bedingungsweise erteilten
Absolution, Vgl. MLorinus 746 f.
« Schmitz, 'Katholik 498. ' '
^ Morinus 750 ff. An anderer Stelle (Bußbücher II 38), spricht auch
Schmitz von Kranken, ,, welche in der Todesgefahr rekonziliiert worden waren.
.■b I. Die Anfänge des Ablasses.
Ebendeshalb geht es nicht an, der Absolution, die den Kj-anken erteilt
wurde, „die Wirkung des vollgültigen Nachlasses der zeitlichen Sünden-r
strafen" zuzuschreiben und sie als eine „formelle Erteilung eines.
Abiasses" zu beibrachten. Es war vielnaehr eine sakramentale. Lost
sprechung ,von den Sünden. Im Falle des Ablebens mußte der Kranke^
der noch Siindenstrafen abzutragen hatte, sie im Jenseits abbüßen.^
Auch die Rekonziliatipn, die in der alten . Kirche gesunden
Büßern, die durch besonderen Eifer sich auszeichneten, vor Be-
endigung der kanonischen Buße erteilt wurde,^ ist nicht als Ablaß,
aufzufassen. Von altersher war es kirchliche Praxis, daß der Bischof
denjenigen, die sich durch besonderen Eifer in der Bußübung hervor-
taten, einen Teil der Buße erlassen konnte. So stellen es z. B.:die
Synoden von Ankyra (314) und Nicäa (325) dem Bischof anheim„
je nach dem Bußeifer der Sünder eine Milderung der kanonischen^
Buße eintreten zu. lassen.^ Mit dem kirchlichen Ablaß darf diese Ab-
kürzung der Bußzeit nicht verwechselt werden. Treffend hat man
betont, daß der Ablaß eine Nachlassung von. zeitlichen Sündenstrafen
sei, „die nicht durch das Sakrament . der Buße gespendet und nicht,
durch eigene Bußwerke verdient wird".* Nun wird aber allgemein
anerkannt, daß ein Sünder, der seine Buße mit großem Eifer und
intensiver Reue verrichtet, die ihm, gebührende Sündenstrafe in viel
kürzerer Zeit abträgt als ein anderer, der sich in der Bußübung lau
und nachlässig zeigt. Es bemerkt denn auch der hl. Basilius in dem
74.. Kanon seines Bußbriefes an Amphilochius : Wenn derjenige, dem
Gott die Löse- und Bindegewalt anvertraut hat, einem Sünder, der
großen Bußeifer kundgibt, die Bußzeit abkürzt, so darf man das nicht
verurteilen, da die Hl. Schrift uns lehrt, daß die, welche mit größerer
Anstrengung Buße tun, schneller von Gott Verzeihung erlangen.^ In.
demselben Siane schreibt Leo I., daß die Buße nicht so sehr nach,
der Länge der Zeit als nach der Zerknirschung des Herzens abzu-'
schätzen sei.^ Wenn daher der Bischof eifrigen und zerknirschtert
Sündern die Bußzeit abkürzte, so gewährte er ihnen nur eine Verr
günstigungi, auf welche sie ohnehin wegen persönlicher Betätigung
des Bußeifers ein Anrecht hatten. Ein eigentlicher Gnadenerweis^
ein wirklicher Erlaß der Buße, wie das bei den Ablässen der Fall ist,,
wurde dabei nicht gewährt, ebensowenig wie ein derartiger Bußerlaß
aber die TodesgefaHr überlebten und alsdann zur Leistung der Buße verpflichtet
wurden". ', '
^ „C'est dans l'autre monde'qu'il expiait ses ,p6ohes", schreibt treffend
J. Tixeront, Comment se oonfessaient las Chretiens des premiers siecles ? ia
L'Universitö catholique LXXII (1913) 243. ^ ; •■•>.'
''Häufig kam es vor, daß bekehrte Häretiker ohne vorherige öffentliche-
Buße zur Rekonziliation zugelassen wurden. Morinus 630 f. JSin Ablaß wurde-
hiermit diesen Konvertiten nicht erteilt. Es war bloß eine ' Maßregel pastoraler
Klugheit. .
3 Mansi II 515 674. Hef ele I 226 415. Vgl. Morinus'37 ff . Frank 930 ff.
f Hiigers.XXIX. « Migne, Patr. graeoa XXXII 803.
8 Ep. 169, 5. Migne LIV 1138.
1. Die Anfänge des Ablasses. 9
bei der kirchlichen Rekonziliation, die nach vollständiger Leistung
der kanonischen Biiße erteilt, wurde, stattfand.^
In neuester Zeit hat man freilich behauptet, daß die Rekonziliation
,, wenigstens für viele Fälle die Speiidungeines vollkommenen Ablasses
in sich einschloß". Man will nicht bestreiten, „daß die Büßer nicht
schon manchmal' vor dem 'Akt der feierlichen Rekonziliation durch
ihren eigenen Bußeifer bei der Leistung der kanonischen Bußen für
diiB noch zu sühnenden Sündenstrafen vor Gott vollständig genug-
' getan hatten, so, daß eine förmliche Lossprechung nicht mehr not-
weindigi war". Allein weder die kirchhche Obrigkeit noch Äie Büßer
konnten eine ,, volle Gewißheit" haben, daß die Genugtuung eine voll-
ständige sei. ,, Diese Gewißheit schaffte allen die Rekonziliation^
indem sie als. vor Gott gültige Absolution nun auch in den Fällen>
welche noch, zu tilgende, abzubüßende Sündenstrafen übrig ließen,,
eben für diesen Rest der Sündenstrafen aus den Verdiensten Christi
und der Heiligen Genugtuung anbietend die Büßer selber autoritativ
als von allen Sündenstrafen frei und ledig und mit Gott vollkommen
ausgesöhnt erklärte. Wenn es auch Sinn und Zweck der kanonischen
Bußen war, die Sündenstrafen bestimmter Sünden vollständig abzu-
tragen, so konnte es dennoch in der praktischen Übung der Buße nie
unfehlbar gewiß, sein, daß das festgesetzte kanonische Bußmaß seinen
Zweck voll und ganz erreicht hatte. Nur die mit der Jurisdiktions-
gewalt gespendete, vor Gott gültige Rekonziliation gab die Gewißheit^
indem sie das etwa noch Mangelnde durch die Verdienste Christi und
der Heiligen ersetzte."^ Das heißt aber der altkirchlichen Rekon-
ziliation eine Bjedeutung beilegen, die aus den Quellen jener Zeit
nicht erwiesen werden kann. Selbst wenn die Rekonziliation nach
vollständiger und eifriger Leistung der ordnungsmäßig auferlegten
kanonischen Buße erteilt wurde, ' konnte man nicht mit Sicherheit
sagen, daß nun auch alle vor Gott geschuldeten Sündenstrafen getUgt
seien; noch Aveniger konnte hierüber volle Gewißheit verschafft werden,
wemi in der Auflegung oder Leistung der Buße verschiedene Mängel
vorgekommen waren. Die Kirche hat niemals erklärt, daß durch
• ^ Mit Riecht schreibt dentinach B. Poschmann (Theol. Revue 1914, 292):
„Wenn im kirchlichen Altertum., die Bußzeit wegen besonderen Eifers, in der'
Bußleistung abgekürzt werden darf, so wird dabei an der Buße als solcher nichts,
gemildert; die größere Intensität ist ein Ersatz für die längere Dauer. Von
einem Ablaß ist dabei keine, Rede.",- Schmitz (Kathohk 1885 I 374) betont
ebenfalls, daß die "mildere Behandlung "eifriger Büßer keine Ablaßerteilting ein-
schloß; es sei nicljts anders gewesen als die sorgfältige Ausübung des Richter^
amtes.in Verwaltung des Bußwesens. „Auch wird als Motiv der eventuellen.
Milderung nicht etwa eine Zuwendung aus dem Verdienstschatze der Kirche . . .
hervorgehoben, sondern- stets nur die persönliche Betätigung des Bußeifers und
der Sinnesänderung auf seiten des Büßers. Von einer Ablaßerteilung kann 'also
nichtVdie Rede sein." Vgl. auch Morinus 758: „Eiusmodi indulgentia yerae
pqenitentiae canonice actae fructus est."
■ , . . VHilgers 45. Derselbe Gedanke, aber weniger scharf ausgedrückt, findet
sich auch ;bei P almieri 515. Von der „vollen Gewißheit", welche die Rekon-;
ziliation verschaffen sollte, sagt jedoch Palmieri nichts. , , . -
10 I. Die Anfänge des Ablasses.
die kanonische Buße verbunden mit der Rekonziliation der Pönitent
auch vor dem Bichterstuhle Gottes von allen Sünderistrafen befreit
-yverde.i Wohl wurden bisweilen in der alten Kirche kanonische Buße
und Rekonziliation der Taufe gleichgestellt.- So wird in den aposto-
lischen Didaskalia, die in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts in
Syrien entstanden sind, dem Bischöfe folgende Belehrung gegeben:
j, Gleichwie du den Heiden taufest und nachher in die Kirche auf-
nimmst, so lege auch dem Büßer die Hände auf, während alle für
ihn beten, und führe ihn dann in. die Kirche ein; und die Handaüf-
legung wird bei ihm die Stelle der Taufe vertreten; denn entweder
-durch die Handauflegung oder durch die Taufe empfangen sie . die
Mitteilung des Hl. Geistes." Dieselbe Belehrung findet sich wieder
in den um 400 in Syrien verfaßten apostolischen Konstitutionen.-^
Wenn auch hier Handauflegung oder Rekonziliation und Taufe als
bewirkende Ursachen der Sündenvergebung erscheinen, so wird doch
nicht gesagt, daß beiden Institutionen auch hinsichtlich der Tilgung
•der Sündenstrafen dieselbe Wirksamkeit zukomme. Ebensowenig wird
dies in anderen Schriften gesagt, die Taufe und Buße nebeneinander
anführen. Wohl aber lehren etliche Väter, z. B. Gregor von Nazianz .^
•daß durch die Taufe nicht bloß alle Sünden, sondern auch die Überreste
■der Sünden, nämlich die Sündenstrafen getilgt werden, während die
Buße nicht mit Sicherheit alle Überreste der Sünden hinwegnimint.
Die kanonische Buße sollte freilich die Strafen im Jenseits auf-
heben; auch sollte sie der Größe der Schuld angemessen sein. Der
Bußpriester konnte aber nicht wissen, ob die von ihm auferlegte Buße
den Forderungen der göttlichen Gerechtigkeit entspreche. Wie leicht
konnte da ein Irrtum mitunterlaufen und eine zu geringe Buße auf-
erlegt werden! Zudem konnte ja der Büßer manche Sünden begangen
liaben, für die eine kanonische Buße nicht auferlegt wurde. Daß die
iirchhche Rekonziliation, welche die Bußleistung beschloß, auf die
Tilgung der für jene Sünden geschuldeten zeitlichen Strafen irgend-
einen Einfluß hatte, wird man nicht dartun können.* Aus allem dem
•ergibt sich, daß selbst im Fall einer vollständigen und genauen Leistung
der kanonischen Buße durch die Rekonziliation nicht mit Sicherheit
«,lle zeitlichen Sündenstrafen getilgt wurden. Daß aber die kirchliche
Rekonziliation die etwaigen Mängel der Bußleistung aus dem Ver-
^ Dies wird gebührend hervorgehoben von A. d' Ales (:6tudes CXLV 40 ff.),
■der gut auseinandersetzt, warum die altkirchliche Rekonziliation nicht- als voll-
kommener Ablaß gelten kann. ...
2 Fr. X. Funk, Didascalia et Constitutiones Apo^tolorum I, Paderbornae
1905, 130 f. .,) ■
3 Migne, Patr. gr. XXXVI 387 ff. Vgl. J. Stuf 1er, Die verschiedenen
Wirkungen der Taufe und Buße nach TertuUian, in Zeitschrift f. kath. Theol.
1907, 372 ff. ^ - .
* Auch dies hat schon d'Ales 43 hervorgehoben: „Les absolutions gene^
rales, qui mettaient f in ä la pönitence canonique, aVaient-elles quelque influence
directe sur la dette des pöchös auxqixels l'impositiori de la p6nitetice kait^tran-
gere ? Je ne vois aucune raison de le supposer:'' : :■;!
I. Die Anfänge des Ablasses. 11
•^ienstschatze Christi .und der Heiligen ersetzen sollte, ist eine durchaus
unberechtigte Behauptung: Noch viel weniger geht es an, zu behaupten,
die kirchliche Kekonziliätion habe den Büßern „volle Gewißheit" über
• den vollständigen Erlaß' der Sündenstrafen verschaffen sollen. Eine
-derartige Gewißheit hat die Kirche weder geben wollen noch geben
können. ' ' - ■ . ■ ■ ,
In der ' alten Kirche wie auch im • früheren Mittelalter kam es
wiederholt vor, daß Synoden ältere Bußgesetze^ abänderten, um sie
■durch andere, weniger strenge zu ersetzen. So hat im, Jahre 314
■die Synode von Ankyra im 21. Kanon folgende Anordnung getroffen:
Trauen, die sich fleischlich versündigen und darin die Leibesfrucht
-abtreiben, sind durch „älteres Gesetz"^ bis an ihr Lebensende aus-
geschlossen worden. Wir aber haben. ,, Milderes" bestimint und ver-
ordnet, daß sie eine zehnjährige Bußzeit in den festgesetzten Strafen*
-auszufüllen haben.^ Dieselbe Synode erklärt im 23. Kanon: ,,In betreff
des unabsichtlichen Totschlags bestimmt die frühere Verordnung, daß
•der Täter nach sieben Jahren der Vollendung (des Abendmahls) teil-
haft werde, unter Einhalt der bestimmten Stufen; die zweite Ver-
ordnung, aber will, daß er fünf Jahre erfülle. "^ Demnach- hatte schon
vor 314 eine Milderung stattgefunden.
Eine ähnliche Milderung .beschlpß im Jahre 517 eine von
24 Bischöfen abgehaltene Synode zu Epaoii in Burgund.* Im
29. Kanon heißt es: Den von der katholischen Kirche zu einer Häresie
Abgefallenen hat das Altertum die Rückkehr sehr erschwert. Wir aber
.legen ihnen, indem wir die Zahl der Jahre vermindern, eine zweijährige
Buße in folgender Gestalt auf :^ In den zwei Jahren sollen sie an jedem
•dritten Tage ohne Milderung (sine relaxatione) fasten, sie sollen fleißig
-die Kirche besuchen, in demütigem Gebet am Orte der Büßer stehen
und mit den Katechumenen' den Gottesdienst verlassen. Wollen sie
'dies einhalten, so sollen sie nach, Ablauf der festgesetzten Zeit der
Bußfessel entledigt werden und ihre Opfergabe zum Altare bringen
können. Finden sie aber vielleicht diese Buße zu beschwerlich, so
müssen sie sich an' die Bestimmung der alten Kanones halten.*
^ Gemeint ist vielleicht Kanon 63 der um- 306 abgehaltenen Synode von
Elvira, die verbot, solchen Weibern selbst auf dem Totenbett die Kommunion
•ZU geben. " Hef ele I 184. ' "
2 Hefele I 240. • -
'^ Hefele I 241. Die zwei früheren Verordnungen sind nicht näher bekannt.
*. Mon. Germ. Concilia I 25 f . . - .
^ „Qaibus nps annoram multitudine breviata poenitentiam biennii con-
ditione infra scriptae observationis imponimus,"
* „Hoc si observare voiuerint, oonstituto tempore admittendis ad altarium
obaervatio relaxetur; quam si arduam vel duram forte putaverint, statuta prae-
"teritorum canonum complere debebunt." Die Worte „observatio relaxetur"
können hier nicht einenBußerlaß bedeuten, da ja unter dieser „observatio"
•eben die zweijährige Buße zu verstehen ist, die geleistet werden soll, wie der
unmittelbar darauf folgende Satz (quam si arduam) beweist. Das Wort „re-
laxare" ist hier in seinem ursprünglichen- Sinne zu nehmen und bedeutet „auf-
lösen". Nach Ablauf der zwei Jahre soll die Bußvorschrift aufgelöst werden.
12 I. Die Anfänge des, Ablasses.
Was die hier erwähnten alten Kanones betrifft, so hatte um 306
die Synode von Elvira im 22. Kanon für die Abgefallenen eine nicht
näher bestimmte Buße von 10 Jähren verordnet.^ Auf dem Konzil
von Nicäa im Jahre 325 war für dasselbe Vergehen eine Buße von
12 Jahren festgesetzt worden, und zwar sollten die Abgefallenen
3 Jahre in der zweiten, 7 in der dritten, 2 in der vierten Klasse der
Büßer zubringen.2 Diese Bestimmung ist von einer Lateransynoda
im Jahre 487 oder 488 erneuert worden.*
Man hat in der Verordnung des Konzils von Epaon einen wirk-
lichen, generell erteilten Ablaß finden wollen: „Die Synode von Epaon
gewährt in klarster Form eine ,relaxatio' oder einen ^Nachlaß ypii
8 Jahren ,de iniunctis poenitentiis', von den durch die alten
Bußkanones auferlegten Bußen."* Allein wenn, irgendein Konzil ältere
Bußbestimmungen abänderte, um sie durch neue, wenn auch mildere,
zu ersetzen, so hat es damit keinen Ablaß erteilt.^ Die Aufstellung
eines neuen Bußgesetzes, mag damit auch eine Milderung früherer
Bußsatzungen verbunden sein, ist wesentlich verschieden von der
Ablaßverleihung, die ein jurisdiktioneller Erlaß der Buße ist.^ Die
Konzilsväter von Epaon hatten nicht die A.bsicht, einen Bußerlaß zu
erteilen; vielmehr haben sie an Stelle der früheren Buße eine neue-
auferlegt (imponimus). Dabei ist freilich die lange Zeitdauer der Buße
abgekürzt worden. Aber der neuen kürzeren Buße wurde derselbe Wert.
Avie der alten längeren Bußleistung beigemessen.' Deshalb hat auch
sie soll dann aufhören, so daß die freigewordenen Büßer ihre Opfergabe zunt
Altare bringen und die hl. Kommunion empfangen können. In demselben Sinne-
hat der hl. Ambrosius den Ausdruck „relaxare" gebraucht. Er spricht von dem
Karfreitag, als von dem Tag, „quo in Ecclesia poenitentia relaxatur"..
Migne XVI 1002. In Mailand fand die Rekonziliation der Büßer am Karfreitag:
statt. An diesem Tage- hörte die - Bußzeit auf, die Bußf es'sel -wurde aufgelöst..
1 Hefele I 164. ^ Hefele I 414.
3 Hefele II 615. * Hilgers öl.
^ Vgl. Poschmann (Theol. Eevue 1914, 292): „Gewiß sollte die kanonische-
Buße die Strafe im Jenseits aufheben und sollte ihrer Idee nach so bemessen,
sein, daß sie der Größe der Schuld entspräche — paenitentia plena et iusta.
Aber die Äquivalenz konnte naturgemäß immer nur annähernd, vermutungs-
-weise festgestellt werden' so daß bei der Auflegung der Buße dem Ermessen.
der Bischöfe ein weiter Spielraum blieb. Wenn ein Konzil daher eine; mildere-
Meinung vertrat und eine kürzere Buße für ausreichend' erachtete, dann be-
deutete das noch keinen Ablaß. . Die rigoristische Forderung hat an sich nicht,
mehr Anspruch auf ,Kanonizität' als die mildere." ' ,
' Vgl. d'Ales 50: „II me serable que l'usage reserve le nom technique-
d'indulgentia ou de relaxatio aux adoucissements de la diseipline qtd se produisent,.
non par voie de mesure legislative, mais par.voie de sentence judieiaire, appli-
cable soit a l'ensemble des fideles, soit a des categories plus ou moins restreintes^
soit mdme ä des individus."
' Abgesehen von der Zeitdauer, war die neue Buße wegen der vielen.
Fasttage offenbar beschwerlicher als die alte, sonst hätte die Synode nicht
sagen können: „Quam si arduam forte putaverint." H. Koch bemerkt deim
auch dazu, daß -die Länge der Zeit durch Verschärfung der Bußübungen-ersetzfe
werden soll". Theolog. QuärtalschriftLXXXII (1900) 519. ;■ ö '
I. Die Anfänge des Ablasses. 13
die Synode .den Sündern anheimgegeben, entweder die eine oder die
aiidere Bußezu übernehmen.
Etwas Ähnliches geschah bei den sogenannten Redemptionen,
über deren Verhältnis zum -Ablaß nun/ näher zu handeln ist.
Die Redemptionen (Ablösungen) sind im 7. Jahrhundert zuerst
in Irland und England aufgekommen und haben sich dann allmählich
«buch nach dem Pestlande verbreitet- Sie bestanden darin, daß emp-
findliche und langdauernde Bußwerke, namentlich längeres und strenges
jFasten,. durch andere gute Werke, hauptsächlich durch Gebet und
Almosen, ersetzt werden konnten. Obschon das Ersatzwerk in der
Regel geringere Anforderungen an den Büßer stellte als die kanonische
Bußleistung, so 'wurde ihm dobh derselbe Wert wie dieser zuge-
schrieben.i; Die Redemptionen oder Bußumwandlungen, wie man sie
in den für die Beichtväter bestimmten Büß büchern verzeichnet findet,
galten -vorwiegend für die Privatbuße.. Doch wurden sie von einigen
Synoden in beschränktem Maße auch für die öffentliche Buße ge-
stattet. Wie manche meinen, sind die Redemptionen eine „Nach-
bildung der, germanischen Kompositionen", nach welchen man durch
Zahlung einer Geldsumme (Wergeid) von der Strafe für. schwere Ver-
gehen sich loskaufen könnte. Diese Theorie kann zwar nicht auf die
iledemptionen durch Gebet und andere fromme Übungen angewendet
werden. Was. aber die Geldredemptionen betrifft, so dürften sie durch
'das altgermanisohe Kompositionssystem /wesentlich gefördert Iworden
«ein.^ 'Wohl läßt- sich die Praxis,- die Bußstrafen, insbesondere das
Pasten, durch Almosen zu ersetzen, genügend erklären aus dem schon
in der alten Kirche. herrschenden Glauben an die, sündentilgende Kraft
des Almosens. Daß man mit Geld die Sünden ablösen könne, lehren
bereits die Väter ,^ und i zwar im Anschluß . an . die . Hl. Schrift.^ Die
•Gewohnheit aber,'.die, Höhe des zu spendenden Almosens tarifmäßig
nach den abzutragenden Büß straf en zu bestimmen, ist ohne .Zweifel
unter starker; Einwirkung deS: germanischen Kompositionssystems auf-
gekommen. Die für die Ablösung des Fastens gespendeten Almosen
■konnten zu verschiedenen guten Zwecken verwendet werden; sie
«ollten , insbesondere, wie in den Büßbücherh öfters hervorgehoben
vi^ird, den Armen und Gefangehen sowie, den Gotteshäusern zugute
kommen.
Nicht wenige Autoren sind der Ansicht, daß die Redemptionen
als wirkliche Ablasse zu gelten haben; von anderen dagegen
^ird ihnen der Ablaßcharakter, abgestritten, vdrnehmhch deshalb,
weil dabei die für den Ablaß geforderte Vollmacht . des Spenders
■> ^ Vgl. Schmitz-, (Katholik. 1885 I 629): „Das Charakteristische dieser
Hedemptionen ist die ihnen zugrunde liegende. Vorstellung von einem objektiven
■Gleichwerte des Ersatzwerkes mit der kanonischen Bußleistung. "<
? Vgl. z. B. Ambrosius, De Elia et ieiunio c, 20, n. 76 :, „Habemus plura
«ubsidia, quibus peccata nostra redimamus. Pecuniam habes, redime.pecoatum
tuum." M;igne XIV 724. ■ ,■ , ,
ä Dan. 4, 24: „Peccata tua eleemosynis redime."
14 I. Die Anfänge des Ablasses.
(auctoritas dantis) nicht vorhanden gewesen sei. Dieser Grund ist-
jedoch nicht stichhaltig. Daß zunächst die Redemptionen,-Ajdie
Bischöfe oder Synoden, z. B. die Synoden von Tribür (895), Reims
(923), Winchester (1070) bewilligt haben,' von einer 'zuständigen
Autorität ausgingen, liegt auf der Hand. - Aber, auch die Umwand-
lungen, die auf Grund der Bußbücher von einfachen Seelsorgern vor-
genommen wurden, darf man nicht von vornherein als reine ,, Privat-
sachen" hinstellen. Wohl hatten die von Privatpersonen verfaßten
Bußbücher keinen allgemeinen autoritativen Charakter. Wenn aber
ein Bischof seinem Klerus ein solches Buch zur Benutzung anempfahl,^
so bekundete er. damit, daß er die in dem Buche verzeichneten Re-
demptionsweisen' im allgemeinen billigte .und als Gewohnheitsrecht
anerkannte. So hat Regino vonPrüm seine Schrift de ecclesiasticis-
disciplinis, worin auch dieRedemptionen erwähnt werden, im Auf-
trag des Erzbischofs Ratbod für den Trierer Klerjus verfaßt. Der
Wormser Bischof Burchard hat sein' Bußbuch für die Priester seiner
Diözese geschrieben, dainit sie' >sich" dessen bei der Handhabung der
Bußdisziplin bedienen sollten. Indem er die Redemptionen in sein
Werk aufnahm, hat er ebenfalls gezeigt, daß er sie als Gewohnheits-
recht anerkannte. Eberiso hat Petrus Damiani den -Redemptionen
eine autoritative Bedeutung ' beigelegt. Als päpstlicher. Legat, hat er
selber dem Erzbischof und' dem Klerus von Mailand gegenüber -die
Geldredemptionen angewendet'.^ ^ DenBußumwandlungen aber, welche
die Priester im Beichtstuhle vornahmen,' hat der Heilige äusdrücklich.
eine überirdische, vor Gott geltende Wirksamkeit ^zuerkannt :. Durch,
die Almosen, bemerkt er, welche ^ die Büßer nach der Bestimmung 'des.
Beichtvaters ■ spenden, gleichen sie^ ihre Sünden aus, so daß ' sie frei
von Schuld ins -Jenseits hinübergehenf können. ■ Denselben Wert be-
anspruchte Damiani für die freiwillige Geißelung, .'womit die .Mönche
ihre Bußwerke abzulösen suchten.^ - Mail wird also; zugeben -müssen^
daß es Redemptionen gab, welche die kirchliche Zustimmung erhalten,
hatten. • • • ■ • ■'-''!...' * -. j
Daraus folgt freilich nicht, daß die Redemptionen mit deii, Ab-
lässen "auf gleiche Stufe zu stellen sind. Zwischen beiden Ein-
richtungen besteht ein wesentlicher Unterschied. Bei' der
' 1 ' . >'
^ Dem Erzbischpf von ]M[ailand legte er für Simonis tische Handlungen eine-
Buße von 100 Jahren auf unter Fixierung der Geldsumme, womit die einzelnen.
Jähre der Büße kompensiert Werden könnten. lÄaiisi XIX'893;' '' ' '
'- 2 Mighe OXLIV 351: „Cum sacerdotes Ecclesiae annosam indicüht quibus-
dam peccatoribus poenitentiani, minquid non aliquando certam' pecuriiae prae-
figunt pro annorum redemptione mensuram; ut nimirum facinora sua eleemosynis-
redimant, qui longa ieiunia perhorrescvmt ? Sed quia haeo pecuniae redemptio-
in antiqüis Patrüm bahonibus miriiirie reperitÜTj i absiirdurn esse e%'frivölum
iüdicabitür ?• Qüod si 'hoc laicis ihdulgetvtr, üt peeeata sua eleemösynisirediman%.
ne subripiente mortis artieulo, ex hac vita sine .reatüs %uif quöd'absit, äbsolutiöne-
recedant, quid naoüachö praecipienduni erit, qüiet lorigäm" forti9 poenitentiami,.
peccatis exigentibus; äccipiti et pecunias oliha funditusiqmbiis redim'atü^^^^^
Nunquid si pro hmnanae fragilitatis intuitu peccatuni redimr humniprum smhmäb
praecipitur, pro peccato carnis afflictio merito resptietur?'' - ;; .mK;
I. Die Anfänge des Ablasses. 15-
Redemptioii wird das auferlegte oder aufzulegende Bußwerk mit einem
anderen .vertauscht, das, an Stelle des.ersteren als neues Büß werk
auferlegt wird; beim Ablaß, dagegen wird das Bußwerk erlassen.
Nachlassung, und Vertauschung sind aber wesentlich voneinander ver-
schieden. Wohl lief die durch die Redemption vollzogene Vertauschung:
in. der Regel auf eine Erleichterung der Buße hinaus. Trotzdem dürfen
die beiden . Begriff e Yertauschung und .Nachlassung nicht mitr
einander verwechselt werden. Ebendeshalb geht es nicht ah, di&.
Redemptionen den Ablässen, die den Charakter einer formellen Nach-
lassung, haben, beizuzählen.^
Richtig ist aber, daß die Redemptionen des früheren Mittelalters,
den generell erteilten Ablässen für Almosen, Kirchenbesuch, Teilnahme^
am Kreuzzug, wie diese, nach den bisher bekannt gewordenen Quellisn,,
zuerst im 11. Jahrhundert vorkommen, die Wege bereitet haben.^
P,em Ablaß haben die Redemptionen die Wege, bereitet zunächst,
dadurch, daß durch ihre Anwendung die Anschauung verbreitet wurde,,
es könnten die für die Sünden auferlegten Bußstrafen durch andere,,
insbesondere durch Alniosen, ersetzt .werden. .Daß man Sünden und
Sündenstrafen durch Almosen tilgen könne, war ein urchristlicher Ge-
danke. Anders aber verhält es sich mit der Anschauung,- daß man die
von den kirchlichen Organen auferlegten Büß werke durch Almosen
ablösen könne. Es haben denn auch anfänglich, als die Redemptionen.
sich zu verbreiten begannen, Synoden gegen jene Anschauung sowi&
gegen die Redemptionen selber Einspruch erhoben.. So , bezeichnete
im Jahre 747 die, unter Erzbischof-Cuthbert von Canterbury zu-Clo-
vesho versammelte Proyinzialsynode die, Redemptionen als eine heue-
und gefährliche Erfindung. Di^, Almosen, erklärten die 'Konzilsväter,:
sollen nicht gespendet werden, um die(yon dem Beichtvater auferlegte
Genugtuung in Fasten und anderen Buß,werken zu vermindern .oder
. ( ^ Vgl. , Poschmann (Theol. Revue 1914, 292):. „Die (mittelalterlichen
Redenaptionen sind keine Ablässe, weil bei ihnen die ausgesprochene Absicht
der Kirche fehlt, die durch die Sünde erwirkte Strafe durch einen richterlichen
Akt zuna Teil zu erlassen." ' - '
* Dies wird auch von verschiedenen protestantischen Gelehrten anerkannt,:
wenngleich andere, wie, K. Mi ül 1er. .(Der Umschwung in der Lehre von der Buße-
während, des 12. Jahrhunderts in Theol. Abhandlungen, K. v. Weizsäcker ^ge^
widmet. Freiburg 1892, 308)', Brieger (Realenzyklopädie für prot., Theol; IX 77,)'
und See berg 104, in den 'Redemptionen 'nicht „Vorstufen" des Ablasses, sondern
nur ,, analoge Erleichterungen von' Biißen" sehen wollen. Denigegehüljer erklärt
L of s 496 : v,Daß , die Redemptionen . eine , , Voraussetzung' . der Ablässe ' sind,,
ohne die ihre Entstehung > nicht begreiflich wäre,>,,und nicht nur eine, analoge
Erscheinung, das halte ich trotz ' Briegers aWeichender Ansicht fest. Aber in
den Ablässen liegt den Redemptionen ge'genüber eiri'Novum vor, das als solches
Erklärung 'fordert." 'Ha]i?nack*327; n.' 2' seinerseits bemerkt: „Ich vermag nicht,
einzusehen, warum nach dem -Vorgang älterer protestantischer Theologen Brieger,^
Gottlob, K. Müller und andere darauf bestehen, die Ablässe ganz von den-Re-
demptionen, Kommutationen, Erleichterungen, usw., der .älteren Zeit ab^iurücken
nnd nun zu behaupten, die Ablässe seien schlechterdings erst im 11. Jahrhimdert-
entstanden . . . Somit darf man sagen: Die Entstehung der Ablässe wurzelt in.
der Praxis der Redemptionen." . . ;, .
16 I. Die Anfänge des Ablasses.
umzuändern, sondern vielmehr um die Besserung zu fördern und damit
Gottes Zorn rascher besänftigt werde. ^ Aber trotz derartigem Wider-
spruch gelangte die neue Einrichtung bald zu weiter Verbreitung und
fand, wie oben gezeigt worden, auch die Zustimmung der kirchlichen
Oberen.
Dazu kam noch, daß die Bußumwandlungen immer mehr er-
leichtert wurden, bis sie schließlich nicht mehr nötig waren, und es
dem Beichtvater überlassen blieb, welche Buße er auflegen wollte
{poenitentiae arbitrariae). Anfänglich sollten die< Redemptionen nur
geschehen unter Berücksichtigung der per'sönlichen Verhältnisse des
Büßers. So sollte z. B. dem Büßer die Ablösung des Fastens nur
gestattet werden im Falle, daß ihm diese Bußübung unmöglich wäre.
Später aber wurde es öfters dem Büßer anheimgegeben, sich durch
den Beichtvater die kanonischen Bußwerke in andere umtauschen zu
lassen. 2 Schon im Jahre 895 hat ein deutsches Nationalkonzil, das
zu Tribur bei Mainz stattfand, derartige Redemptionen, bei denen
die persönlichen Verhältnisse der Büßer nicht in Betracht kamen,
iür zulässig erklärt. In den Synodalstatuten wird für absichtlichen
Totschlag eine Buße von 40 Tagen und 7 Jahren festgesetzt. Es wird
genau angegeben, welchen Bußübungen der Mörder während dieser
Zeit sich zu unterziehen habe; dabei wird auch wiederholt der Re-
demptionen gedacht. Im ersten Jahre wird dem Büßer gestattet
{licitum sit ei), an drei Tagen der Woche das strenge Fasten durch
Almosen abzulösen, aber nur auf der Reise oder bei eintretender
Krankheit; dagegen wird ihm für die sechs folgenden Jahre das Recht
zuerkannt (ius habeat), auch zu Hause und bei guter Gesundheit an
einigen Wochentagen das Fasten durch Almosen vom Wart eines
Denars zu ersetzen.^ In den sechs letzten Jahren brauchten also bei
der Anwendung der Redemptionen die persönlichen Vorhältnisse der
Büßer nicht mehr berücksichtigt zu werden; ein jeder, auch wenn
ihm das Fasten möglich war, hatte ein Anrecht auf die von der Synod.e
für das ganze Reich generell bewilligte und genau geregelte Redemptiön.
Ein anderes Beispiel genereller Redemptionen liefert die im Jahre 923
zu Reims abgehaltene Provinzialsynode, die denjenigen, die an der
Schlacht von Soissons zwischen König Karl und dem Gegenkönig
Robert teilgenommen hatten,, eine öffentliche Buße auflegte. Drei
Ja,hre hindurch sollten sie an bestimmten Tagen bei Wasser und Brot
fasten; doch sollten sie dies Fasten ablösen können.*
Die beiden erwähnten Synoden haben die generelle Redemptiön
nur in beschränktem Maße, für besondere Fälle gestattet. Im Laufe
der Zeit kam es aber immer häufiger vor, daß es ganz 'in die Wahl
des Büßers gestellt wurde, die. kanonische Buße zu verrichten oder
sie durch den Beichtvater in ein anderes, gewöhnlich leichteres Werk
1 Mansi XII 403. Haddan III 372.
8 Wasserschieben 29. Schmitz 1145.
3 Mon. Germ. Leg. Seot. II. Capitularia II 242 ff.
* Mansi XVIII 345.
L. .DiejAtif äage de ä< Ablasses'. 17
umwandeln zu lassen.^; ; Von da an', war, unt zur. generellen' 'Büß-
Ermäßigung- durch Erteilung, von Ablässen 'zu gelangen,' nur noch ein
kleiner .Schritt zu. itun.^ : , , ■ . , ,
Bei den-, generell verliehenen Ablässen wurde Inicht > Rücksicht ge-
nommen auf. .die, persönlichen) Verhältnisse der Büßer j. Einem jeden;
der g^wisse^Bedingungen. erfüllen- wollte, wurde eine Ermäßigung der
Buße, zugesagt, .r Aber auch'i bei. den* RedemptioneiiS wurden öfters in
denii späteren Stadium die persönlichen. Verhältnisse der Büßer nicht
mehr berücksichtigt, da ein jeder sich die Bußumwandlung zunutze
machen konnte. , Es war eine, generelle Bewilligung, . in dem' Sinne
nämlich, daß die persönlichen Verhältnisse der Büßer nicht in .Betracht
kamen.^ I)abei bleibt freilich wahr, daß zwischen der Redemption und
4eni Ablaß, wie oben gezeigt „worden, ein' wesentlicher Unterschied
besteht., ,\\^ähr,end der, Ablaß, als Bußerlaß sich darstellte; fand in der
Redemption ein Umtausch der Buße statt. Wie' aber dieser Umtausch
der Buße in der Regel auf eine Bußermäßigung hinauslief, so war auch
im Ablaß, trotzdem er als Bußerlaß auftrat, einUmtausch der Buße
gewöhiilich — nicht immer — mit einbegriffen.* • Und eben-
.dies zeigt, wie nahe Ablaß .und Redemption miteinander verwandt sind.^
Ein klassisches Beispiel hierfür'bietet der'berühmte,.vonUrban'II.
erteilte Kreuzzugsablaß.* In. meinem. Schreiben an' den Klerus von
Bologna vom 19. September 1096 erklärt der Papst; daß er den Teil-
nehmern am Kreuzzuge die ganze ;Buße (poeniteritiam totam) für die
-Sünden, die sie recht gebeichtet, haben werden, erlasse (dimittimus).
Daß aber dieser Bußerlaß auch einen. Umtausch der -Buße- einschloß,
.beweist ;die Erklärung des, Konzüs vön.Clermont (1095), wonach den
Teilnehmern am Kreuzzuge die Heerfahrt für die ganze Buße an-
^ JtXqrinus 758: „Ita ut vulgo poenitenti optio daretur, aut poenitentiae
«.gendae* aut redempfcionis eiusmodi eligendae."
^^Vgl. Boudinhon 443: „Pöur'arriver. ä l'indulgence proprement dite,
al n© restkit plus qu'un pas ä fran'öliir." G.' Uhlhorn; Die' christliche Liebes-
tätigkeit II, Stuttgart 1884,: 50: „Die Ausbildung der Ablaßpraxis ist nur die
Fortsetzung der hier (bei, den Redemptionen) beginnenden j Entwicklung." ,
' Die Frage, ob in gewissen ' Fällen die Büßer die Redemptionen eigen-
anäohtig ohne die Dazwischenkunf t des Bußpriesters sich zvmutze machen konnten,
©der ob bei allen Redemptionen ohne Ausnahme die Vermittlung des Beicht-
vaters notwendig war, kann hier' übergangen werden. Die Hauptsache ist, -daß
«3 generell gestattete Redemptionen gab, solche nämlich, bei ,deren Anwendung
.auf die persönlichen Verhältnisse nicht Rücksicht genommen zu werden brauchte.
■ ' * Beim Ablaß allerdings galt das geforderte neue Werk als notwendige
Bedingung der Ablaßverleihung; bei der Redemption dagegen trat das neue Werk
an die- Stelle. der abzutragenden Buße, und es wurde ihm derselbe Wert beigelegt.
^ Die enge Verwandtschaft zwischen Redemption xmd Ablaß wird auch
.nachdrücklich betont von dem Juristen Faloo 134 ff. ■'
• Seeberg, 100 f. schreibt: >,Eiue Bestätigung ■ erhielt diese ganze Praxis
'(der^Redemptionen) durch die. Kreuzzüge. Der Zug zur Befreiung des heiligen
-Grabes wird als das Bußwerk angesehen. Aber nicht nur denen, die selbst aus-
Tsogen, wurde ihre Tat als Bußwerk angerechnet, spnderri auch solchen, welche
•die Ausrüstung eines Kreuzfahrers' bestritten."- Wie dies mit der sonstigen An-
schauung Seeberg5, daß' die Redemptionen nicht als „Vorstufen" des Ablasses
igelten können, in Einklang zu bringen ist, dürfte wohl niohfleicht zu erklären sein.
Paulas, Oeschlchte dea Ablasse». 2
18 1/ Die 'Anfänge des' Ablasses.
gerechnet werden sollte (iter illud pro omni poenitentia reputetur).^
Ähnliche Erklärungen; finden sich' in'den ' späteren' Kreuzzugsbulleh,,
z. B. von Paschalis II. (1101), Alexander III. '(1169), Innozenz IIlL
(1208); Demnach haben nicht erst die" Scholastiker' des 13.' Jahr-
hmiderts den Ablaß .mit derBußumwandlurig in Verbinduiig gebracht;.
Schon laiige vor ihnen hatten die Abläßspender selber^ die' doch am.
besten wissen -mußten, wie der Ablaß aufzufassen' sei, deutlich geriüg:
zu verstehen gegeben, daß der von ihnen erteilte 'Ablaß einen 'Büß-
ersatz einschließe. Bereits -im 12. Jahrhundert war diese Auffassung:
inr weiteren Kreisen verbreitet. In seiner um '1140 verfaßten Chronik
?on Montecassino berichtet Petrus Diaconus bei der Erwähnung;
des von Urban II. erteilten Kreuzzugsablasöes, die Kreuzfahrer 'seien,
der festen Überzeugung gewesen, Gott werde die von ihneii über-
nömnienen Strapazen als Ersatz der Buße gelten lassen (loco poeni-
tentiae a Domino recipiendum).'^ Einige Jahrzehnte später, urimittelbar
nach der Einnahme Jerusalems durch Saladin (1187), erklärte' Pe tru s-
vöntBlois, Gott' habe durch die kirchliche Autorität die Bötschaft
der Versöhnung (verbum reconciliationis) verkünden lassen, sb daß'dio
Teilnahme am Kreuzzuge eine vollendete Buße und eine hinreichende
Genugtuung für die begangenen; Sünden' sei.^
r r. Als gegen Ende des 12. Jahrhunderts die Theologen und Kano-
nisten anfingen, die Ablaßfrage zu erörtern, haben- sie öfters ' auf die-
Verwandtschaft zwischen Ablaß ^ und Bußumwandlung autmerksant
gemacht. Huguccio bemerkt in seiner kurz nach 1187 abgeschlossenen.
Summe zum Gratianischen Dekret; bei der Abläßerteilung verlange-,
die Kirche ein gutes Werk, gleichsam als Ersatz der nachgelassenen-
Buße (quasi in recompensationem illius quod relaxatur).* Die Ansicht,,
daß beim Almosenablaß die auferlegte Buße, nämlich das Pasten, in
eine Geldbuße umgewandelt werde, findet gegen Ende des 12. Jahr-
hunderts Erwähnung bei Stephan Langton und Alanusvon Lille-
Sie Vürde in der ersten, Hälfte des 13. Jahrhunderts besonders ver-
treten von Wilhelin von Auvergne. Dieser Theolog meint, 'der
Ablaß sei eher eine Büß Umwandlung als ein Bußerlaß, da ja das auf-
eriegte Büß werk durch Almosen ersetzt werde. Weil es aber dem
Reichen viel leichter sei, Almosen zu spenden, als ein mühevolles.
Bußwerk zu üben, so werde die Umwandlung der Buße in" eine Opfer-
gabe als Erlaß betrachtet. Dabei betont jedoch Wilhelm mit Nach-
druck, daß die Wirksamkeit des Ablasses nicht von dem gespendeten
Almosen, sondern von der kirchlichen Lösegewalt abzuleiten sei>
Daraus erkläre sich, warum eine kleine Leistung, für welche ein Ablaß.
. 4 Morinus 768 sagt vom Kreuzzugs^blaß : „Dici potuisset simpliciter-
poenitentiae permutatio .potius quam relaxatio . . . Nam recuperatio illä (terrae
sanctae) opus ingens fuit laborum et molestiarum planum, quod longissimis-
poenitentiis canonicis non immerito aequiparari potest."
a Mon. Germ. SS. VII 765. ^ Migne CCVII 1061.
* Die betreffende Stelle, wie auch die folgenden, werden mit näherer Quellen-
angabe mitgeteilt werden in dem Abschnitt über die Ablaßlehre der Frühscholastik..
1/ Die Anfähge des Ablasses. 19
gespendet worden,,'' zur' ^Tilgungi der Bußstrafen weit' mehr beitrage,
als eine andere, .bedeutendere Leistung j die^ in keiner "Beziehung zum
Ablaß ■ stehe, ,.:D.a's ist eBen das>'Neue, -das in dem-Ablasse der
Bedemption gegeriü^ber-vorliegt: Beim Ablaß wurde wohl in der
Regel ein gutes. Werk i gefordert; dazu kam abei" noch der mit Rück-
sicht auf dies Werk 'und als Belohnung dafür erteilte' kirchliche Buß-
erlaß. . . . - • ,'■• ',".■', • . - , •'.'.;> ' •
. Dies doppelte Moment im Ablaß : der kirchliche Erlaß und das
gute Werk, das. an die Stelle der nachgelasseneil Buße tritt, wird auch,
von anderen' Scholastikern, namentlich' von Albertus Magnus^ und
Bonaventura^, scharf hervorgehoben. Bemerkenswert ist sodann,
daß etliche ältere Autoren behaupteten, zur Gewinnung eines Almosen-
ablasses sei dieselbe Geldspende zu entrichten, die man bei der Re-
demptionnach der Bestimmung des Beichtvaters hätte leisten müssen.
Von- anderen,' z.B. von' Bonaventura, wurde jedoch diese Ansicht mit
Recht abgewiesen, da ja bei so siirengen iK.ompensatibnsf orderungen
nicht mehr von Ablässen, ■ sondern nur'von Bußumwandlungen die
Rede sein könnte. > Jene Autoren dachten nur an die' beim Ablaß
vorkommende Umwändlurig des Bußwerkes, ohne den' damit ver--
bundenen kirchlichen .Bußerlaß zu berücksichtigen.
Dies alles zeigt zur Genüge, daß man im 13. Jahrhundert deri
von der Vorzeit überlieferten Gedanken von einem Zusammenhang
zwischen Ablaß und. Redemption riocK nicht vergessen hatte. Die
Ablässe 'waren eben. durch die -Redemptionen vorbereitet worden; an
diese haben- je^ne: angeknüpft.^ Und hier ist wohl auch einer der
Hauptgrüride zu suchen, warum die Abilaßpraxis im Morgen-
lande nicht aufkam.* "Abgesehen davon, daß in der orientalischen
Kirche das ' Bußwesen überhaupt eine andere Entwicklung nahm als
im Abendlande, gab es dort keine Bußredemptionen.
Nebst den Redemptionen gab es im Abendlande noch., andere
„Vorläufer" der generell erteilten Ablässe, nämlich die individuellen
Bußerlasse, die im früheren MitteMter für Schenkungen an
Kirchen urid für Wallfahrten gewährt wurden. ,
Das häufige Vorkommen von Bußerlassen der ersteren Art bezeugt
im 11. Jahrhundert Petrus Damiani. Indem er einem Bischöfe, der
kirchliche Güter veräußerte, das Sträfhche seiner Handlungsweise vor-
hält, bemerkt er : Es ist dir nicht unbekannt j daß wir, wenn wir von
1 Sent. IV. d.,-20,.a. 16. a Sent. IV. d.' 20, p. 2, q. 2 ff.
' " Redeöiptionen gab es auch' noch nach der Einführung der Ablässe. Sie*
haben aber sehr wohl döh Ablaß vorbereiten tmd nach dessen Aufkonameri noch
eine' Zeitlang neben itim fortbestehen können. Noch um die Mjitte des 13. Jahr-
hunderts schreibt Innozenz' IV. (Apparatus super decretalium libris, Lugduni
1520.. In cap. Omnis utriusque sexus): „Satisfa'ctio fit per solutionena ■ poenäe
impositae pro peccato; etiam fit per redemptionem; et fit etiam tercio modO'
per indiilgentias.'"' ' ' -
*• Gewisse in. der orientalischen Kirche übliche Absolutionsformeln, die' vom
etlichen* Autoren als Ablässe bezeichnet t^erderi, siiid von'dem- aberidländischeii
Ablasse wesentlich verschieden. , > .■.,-■ ,,-;.,
2*
20 I. Die Anfänge des Ablasses.
Büßern Ländereien erhalten, ihnen nach Maßgabe- ihrer Schenkung
einen Teil ihrer .Buße erlassen. Wie nuui, aber der. Geber von dier
Buße losgesprochen wird, so gebührt sich,, daß der ■ Entwender" mit ^
einer Strafe belegt; ;werde.i. Man . beachte . wohl, daß Damiani liicht
etwa, von einer Bußumwandlung, . sondern ausdrücklich von deiner
Nachlassung der Buße spricht. Es (handelt- sich also hier, um wirk-
liche Ablässe, die sich von anderen mittelalterlichen Almosenablässen
nur dadurch. unterscheiden, daß .diese generell, jene aber von Fall zu
Fall erteilt wurden. Das bedeutet aber bloß einen zufälligen, keinen
wesentlichen Unterschied. 2.. In neuerer Zeit ist , freilich behauptet
worden, es gehöre zum Wesen des Ablasses, daß .er generell ver-
liehen werde. Diese Auffassung ist jedoch unzutreffend./ Das :ganze
Mittelalter hindurch bis auf den heutigen^ Tag hat es zähllose Ablässe
gegeben, die nicht generell, sondern von Fall zu Eall einzelnen Per-
sonen erteilt worden sind.^ ,, Der Bußerlaß, den zur Zeit Damianis
Bischöfe, den Wohltätern der Kirche spendeten, ist , also als wirklicher
Ablaß zu betrachten. . Und da Damiani seinen allgemein anerkannten
Grundsatz auszusprechen glaubt" (non ignoras),.so muß die Gewohnheit,
solche Ablässe zu erteilen, schon geraume Zeit bestanden haben. Der-
artige individuelle Bußerlasse für Schenkungen brauchten aber von
den Bischöfen nur verallgemeinert oder generell erteilt zu werden, und
der generelle Almosenablaß, «wie er zuerst im 11. Jahrhundert uns
entgegentritt, war da.* Auch die generellen Ablässe für' Wallfahrt
und Kirchenbesuch haben ihre individuellen „Vorläufer" gehabt. Dies
gilt vor allem von den Ablässen, die den Bompilgern gewährt.wurden.
Schon im 7. Jahrhundert kam esjnanchmal vor, daß Pilger nach
B-om zogen, um durch den frommen Besuch der Apostelgräber Nachlaß
ihrer Sünden zu erlangen.^ Später mehrten sich diese ■ Pilgerreisen,
; . J ;i JMCigne CXLIV 323: „N'on ignora? quia, cum' a poenitentibu^ terras
acpipimus-, iuxta mansuram, ihuneris eis de quäntitate' poenitentiJae re-
lAxaiQus, sicut scriptum est: Divitiae hominis, redemptio eins (Prov. 13,. 8).
Perpende igitur et congrua ratione considera quia, sicut is qui praedia praebet
ecolesiis poenitentiae suae pondere merito levigatur, sie ille qui sUb-
trähit, subeundae poenitentiae digna mole deprimitur. Nam si dator absolvitur,
cpnsequens est ut praereptor vinoulis innodetur."
* Schon Tournely (Praelectiones theologicae de sacramento Poenitentiae .11;
Parisiis 1728, 270) hat betont: ,,Indulgentias sive generales sint sive privatae,
eiusdem esse naturae ac'conditionis; nee aliud inter eas discriihen occurrere
quam mere accidentale."
^ Vgl. hierüber Hilgers XXVI f. 51 n. 7. Schon im römischen Rechte
gab es eine indulgentia specialis für einzelne Personen und eine indulgentia com-
munis oder generalis für eine Gruppe von Personen. Vgl.' Paulys Real -Enzy-
klopädie der kla'3.5i3chen Altertumswissenschaft. .Neue Bearbeitung IX (1916)
1380. Kardinal Kaje^an 105 spricht von dem Ablasse, der erteilt wird ,,alicui
uni, quod quotidie per confessionale fit". . - . ' , - .i
; * Vgl. Bri.eger, Realenzyklopädie IX 77.
^ Warum man gern nach Rom pilgerte, um Verzeihung der Sünden -zu
erlangen, wird in der Lebensbeschreibung des hl. Ulrich von Zell (f 1093) an-
gedeutet: „Adeunt limina sanctorum apostolorum Petri et Pauli, quibus.quohiam
Redemtoris nostri dementia ligandi atque solvendi .tradidit potestatem, ipsorum.
P/Die Anfänge- des' Ablafeses. 21
die^'zur Sühne für begangene Sünden, „pro redimpndis 'peccatis'",
unternommen wurden.^ Von einem Ablaß; d. h. von einer bestiirimteri
durch die kirchlichenBehörden erteilten Bußermäßigung,ist' anfänglich
noch' keine Rede.' Die Ausdrücke ■ s',pro p'eccatis' suis redimendis, pro
redemtione peccatorum meorum/ut ibi' peccatofuni' nostforüm veniam
impeträre mereamur" üsw. 'darf man nicht, wie es hier und da ge4
schiebt, •' auf ' den Ablaß beziehen. Ähnliche 'Formeln finden sich'- ün-
zähligemal in * den > mittelalterlichen ■ Schenkungsurkunden. ' Es ' wird
damit bloß der Glaube an die sündentilgende Kjaft der guteri Werkei-,
der »Wallfahrten und der Almosen^ zum Ausdruck gebracht.^
Manche Autoren' sprechen' von einem Ablaß, den Biscliof Salo-
mon III. von Konstanz (f 919 oder 920)' in Rom gesucht und gefunden
habev ^ Wie der Chronist Ekkehard von St. Gallen erzäÜt,' "waren
einige Gegner Salömöns, die ihn überfallen "und' gefangengenommen
hatten,' im Jahre 917 von Eönig Konrad zum' Tode verurteilt worden.
Der etwas ' ängstliche ' Oberhirt wurde dadurch ' in sieinem Gewissen
beunruhigt.' Ef-ging nach Rom', um vom Papste Verzeihung (indul-
gentiäm) zu' erbitten,' die er auch erhielt.^ Von einem eigentlichen
Ablässe',' d. h. von einer • Bußefinäßigung sagt\Ekkehard nichts. Die
Erzählung des äuch'sbiist unzuverlässigen Chronisten entbehrt übrigens
der geschichtlichen ' Wahrheit'.' Salönion.- ist' wohl in Rom gewesen,
aber" nicht 'erst '917,' sondern schon 904/' Aus welchem ' besonderen
Gründe er damals die Wallfahrt unternommen habe, ist' nicht bekaniit.
Das Schreiben des' Papstes Sergius III. vom 8. März' 904,' welches die
Pilgerfahrt erwähnt,' sagt nur^ganz allgemein, Salömoü sei ilach-Rom
gekommen des'Ge'betes halber und um für seiiie Sündeii die Fürbitte
der Apostel anzurufen.* ' Später, nach' 917, aber erst geraume Zeit
meritis etintercessione peccatorum subrüm a Domino sibi condon'ari flagitabant
absolutionem." Mon.' Germ. SS.' Xnf257.
^ Zahlreiche Belege finden sich bei J. Zet tinger, Die Berichte über Rom-
pilger aus dem Prankenreiche bis zum Jahre 800. Rom 1900, 37 f. 61 100.
[Römische ^ Quartalschrift. Supplementheft' XI.] Vgl.'-Palmieri 503.
" '>t 2 "Daß' man durch fromme Wallfahrt' die Verzeihung der Sünden erlangen
könne,' wird in den kirchlichen Pilgersegen öfters ausgesprochen. Vgl. A. Franz,
Die kirchlichen Benediktionen 'im Mittelalter '11,' Freiburg 1909^ 276 277' 282i
iji3 Ekkehardus, Casus S. 'Galli. Mon. Germ. SS. II 88. Neue Ausgal3e
von, G. Meyer von Knonäu. St; Gallen 1877, 84: „A Papa vero benigne sus-'
ceptus, cum'ibi supplicans' aliquandiu moraretur, in'dulgentiam sibi ab ed
plorans petiit, maxime autem quod sui'catisa tres illi quidem decäpitati sint;
poenitentiae quem vellet modum sibi/ rogavit, "' imponeret. Tandem autem ab
apostolicb'indulgentiam' adeptüs dbmum redire laetanter aggreditur, reliqvdisque
sanotorum donatus quam plurimis."' -Den gefangenen Gegnern hatte Salomon
selber vor deren Hinrichtung -„Ablaß", d. h. Verzeihimg gewährt': „Quibnä
tarnen episcopus multum eorum nece tristatus indulgentia, quantum in stf
erat, ^etiam vivis.data/sepultüram concessit ad ecclesiam." Die Gegner hatten-
ihn nämlich um Verzeihung gebeten; 'er hatte geantwortet: „Quantum in me
est, remitto." M.- G. SS. II 87; v. Knonau 74: .. '-'
* Hv Wartmann, Urkimdenbuch der Abtei St. Gallen II, St. Gallen 1866;
336 n. 733: j„Causa orationis Romam pervenit et pro delictis suis sanctorum
apostolorumsuffragi'a humiliter i'mploravit." - ' ■' ' ^
22 I. Die ;Anfäi>g§sdes, Ablgigges:
nach der Hinrichtung seiner Gegner,-, gedachte, er nochmals' nach nRiOI»
zu gehen; doch kam er nicht niehr:dazu.^'' ' i-Mn/ > so ' ','^<' :
Auch dem hl.,Uilri,ch,Yon Augsbjurg (f 973); .wie etüche behaupten,
hätte der,,P,apst .Ablässe, gespendet. .,Es wird aber von ihm bloß-*be7
richtet, er .-habe, in.iRom .„gra;fcissimorum emolumentorum et ändul-
gentiari^m.f dona" erhellten.^, \^as ' unter -.diesen,; Vergünstigungen
(indulgentiae) .zu .verstehen ,sei, ist sehr fraglich.« \ Yielleicht ^wollte der
Biograph von .gewissen. Privilegien, oder .Vorrechten (sprechen, 'die dem
Augsburger Bischof r verliehen wurden. ■• , ■ ' ' - .
Eine gewisse Bußermä,ßigung, die einem Rompilger vom Papst
erteilt wurde, findet sich bereits, erwähnt in einem jSchreiben Bene-
dikts III. (855—858) an Biscliof Salomon I. von Konstanz.^ ^
Wirkliche Bußermäßigungen wurden öfters von Nikolaus L
{858—867) gewährt. Ein Brudermörder, , dem bereits der zuständige
Bischof die Buße auferlegt, hatte, kam, nach Rom^und erschien vor
dem Papste, der einige , Bestimmungen der, Büß vprsclirift. milderte.*
Einem Priestermörder, der ebenfalls nach Rom, gepilgert war, „indul-
gentiam postulando", legte der Papst eine zwölfjährige, Buße auf.!,, In
dem Schreiben an Hinkmar, worin Nikplaus I. dies meldet, bemerkt ^er :
„Bis an sein Lebensende hätten wir die Bu]3e dieses Mannes ausdehnen
sollen. Allein in Erwägung seines frommen Glauben^, weil er zur
!Fürbitte der Apostel seine Zuflucht genomnien,,sind wir nachsichtiger
(humanius) mit ihm, verfahren."^ Hier wird also die, \\(allfahrt nacl^
Rom ausdrückhch als Grund des milderen Verfahrens gegen ,den Büßer
a,ngegeben.* Eine sehr schwere Buße legte Nikolaus L einemj gewissen
Wimar auf, der seine drei Söhne getötet hatte, ,I)a,bei,ließ^er ihm
jedoch Barmherzigkeit angedeihen, weil der Sünder die 'Für^prachß
des Apostelfürsten aufgesucht hatte.'
'^ Meyer y on Knonau, Casus S. öalli 84. U. Zeller, Bischof Salomon.III.
von Konstanz, Abt von Sfc. Gallen. Leipzig 1910, 78 [Beiträge zur Ktütur-
gaschichfce des Mittelalters X].
2 Mabillon, Acta Sanct. V 444. MG. SS. IV 407.
3 Pflugk-Harttung III 4. Der Papst meldet dem Bischof von Konstanz,
er habe einem Brudermörder eine fünfjährige Buße auferlegt. Daß er dabei
nicht nach dem strengen Recht verfuhr, sondern Milde obwalten \iQ&, zeigt, der
Schluß des Schreibens: „Huius namque penitentie modum illi prefato viro qui
ad sanctorum Apostolorura Petri ac Pauli limina properavit, misericorditer
imponere decrevimus." Es folgen dann noch einige Bußermäßigungeu bezüglich
der ehelichen , Beiwohnung, des Waffentragens und der Güterverwaltung. i
* Migne CXIX 1119. Jaffö 2834. , , ,
5 Migue CXIX 1122 f. Jaffe 2837.
• Vgl. L. G. Goetz in Zeitschrift für Kirchengeschiohte XVI (1896) 567:
„Möhr und mehr, wie die angeführten (Urkunden zeigen, erscheint das ,pro-
perare ad,limina apostolorum' als Grund zur Strafmilderung ... Es wird
49r Gedanke häufig ausgesprochen, ,daß man wegen der Wallfahrt nach Rom
gelbst und der dadurch bewiesenen Devotion Milderung erlange."
' Migne CXIX 1130 f. Jaffe 2852: „Quorum quaedam temperavimus,
eo quod suffragia apostolorum prinoipis,nutritoris nostri postulare devote festi-
jaavit." Erwähnenswert ist auch der Eingang dieses Schreibens 'an' Bischof
Rivoladrus: „Undique venientes admodum plurimi suorum facinorum proditores,"
Daraus ersieht -man, wie häufig damals die, Büßer nach Rom pilgerten.
I. 1)^9 'AnfänLgei<Jes„ Ablasses. 23
Ng-chsichtig-j, yerfulir,; auch. Papst Johann VIII. mit einem
vISünder, rder im Jahr^^/SJ^T eine Pilgerfahrt »nach, Rom .unternommen
liatte.'j Da ■.dipseB.jSünder; yon .seinem iBischof : mit deiner .etwas 'zu
strengen ^Buße; belegt worderi!war,,-,sa.ndte ihr derrPapst' an deii-Bischof
zurück, ,'mit;,der J^itt^e .^n, diesen,; ähm^an seiner, ides iPapstes, Statt,
die ,5ußef zu, ermäßigen, naraentlichil auch. deshalb,, weil erzu^deii
heiligen Aposteln, seine, Zuflucht genornnjen.?; • :, ^ ,> , 'i- ;- . ,
.j,.ßte,phan V,' (887— ,888), dagegen .wurde- von, dem «Bischof Lambert
yon Le/,Mans ersucht, einer, 'Kindesmörderin, die /nach-übernommener
und ,zum Teil ,schon .abgetragener JBuße ' ,eine Rdmf ahrt antrat, ' die
Buß.e' mildern 'ZU ', wollen, , was der Papst» auch tat.^ • -
Ähnlich handelte Johann X. im. Jahre- 916, gegen einen Bruder-
jnörder,'>den, der« Kölner. Erzbischof Hermann nach Rom gesandt hatte.
Der; Papst erließ ( dem .reumütigen Sünder mit Rücksicht' auf dessen
Wallf ahrt, zum,, Grabe des hl.;. l^etrus einen Teil ider Buße.?' ■; ■ :
Häufig hat besonders , Ale x^an der II. (1061— 1073) Rompilgem
Buß.nachl^s^e.gejWährt.^. Bald ließ erSgleicbbei Bestimmung'.deS' Straf-
maßes^ Milde. obFalten,.,indem,(erfdem''. Sünder -eine geringere iBuße
auflegte,' als diejenige, die, nach den,; kanonischen .Vorschriftenigef ordert
war; Sp; bestinimte er ,;einmal,^ einem. I^riester, - der. einen ' Priester, ge-
tötet hg,tte und deshalb 28, «lahre hätte .biißen, sollen, in Barmherzigkeit
nur eine,Buße,von 14 Jahren; zudem gestattete er, daß der j zuständige
Bischof oder, der, Abt. des Klosters, in welches der Pönitent sich zurück-
■ziehen, sollte, nach drei, Jahren die, Buße-mildern^fkönnten.* 5 iBald
-erteilte, er.,- Bischöfen oder Priestern ■ die yoUmacht, , die j Buße nach
Gutdünken abzukürzen,^ oder „er selber milderte die .von Bischöfen
auf erlegte, Buße.^, .B.eachtung, verdienen vor allem , zwei . Bußermäßi-
^gungen, bei denen;, bes:timmte Bußfristenl erlassen werden, i Einem
Büßer aus der, Diözese Coutances, .dem von seinem i Bischof eine fünf-
jährige Buße faiif erlegt' >wprden .war.,/ließ der.I^apßt zwei. Jahre nach.^
JEin anderer! Büßer, aus .der .Diözese, fPadua; hatte von der löiährigen
JBuße,;schpn 7,0[ahre abgetragen, ..g-ls, er nach (Rom. kam.' Der Papst
erließ ihm ein Jahr von den noch übrigen acht Jahren.^
1 Migne- CXXVI 743. ' ^
"2 Mi'gne. OXXIX 807. Jaffe 3445.
'}F,loss,, Leonis P.« VIII .-Privilegium de,inyestituris Ottoni I imperatori
«oncessum nee, non ^Ludovici Germanqrum regis.f summorum pontif icum, archi-
•epis'copörum Goloniens'ium, aliordm saeculi IX. X. XI. epistpiae, Friburgi 1858,
104 f. -Jaffe 3550.' *'' ■ ""' "'' '' '""' '' ' ' '
'' > *.Mign'eiOXLYI'1404 f. Jaffe 4572. Schreiben vom Jahre 1065 an
3ischof Amalgerus von Civita Castellana. Vgl. das Schreiben vom 2. Okt. 1061
an Bischof Wilhelm von Perigueux. Migne 1386. Jaffe 4470. Ebenso das
Schreiben vom Jahre 1065 an den Büßer Adam. Loewenfeld 53. Jaffe 4583.
' ' ^Migne .OXLVI 1405. Jaffe 4484. Einem Kindsmörder legt er eine
Buße von 7 Jahren auf, fügt aber bei: „Si-quis autem episcopus vel religiosus
Presbyter causa pietatis aliquid sibi relaxare voluerit, hoc ei apostolica auctoritate
«oncedirnus." > - - , t ■ i , - ' .,, ■■ ' . -
■•' So einigen Büßern aus der Diözese Coutance.s. Migne 1048. J äffe 4480.
' Loewenfeld 39.. Jaffe 4479, • ...
■» Loewenfeld 56. Jaffe 4616.
"24 I. Die 'Anfänge des Ablasses.
, ^ Es jwaren dies wirklicKe, von Fall zu Fall erteilte Ablässe; Die
Päpste ' brauchten nun diese individiiellen Bußerlässe bloß 'zu verall;
gemeinern; statt die Bußermäßigung von Fäll zu^FaU"einzelhen Pilgern
zu gewähren, .brauchteil sie bloß zu erklären*.' Allen 'Pilgernpdie'^iii
frommer Gesinnung die Apostelgräber besuchen', wird' ein 'Teil ihrer
Buße erlassen, und der. generelle ^Rompilgerabl^ß, '"wie er böfeits iiii
12. Jahrhundert nachgewiesen werden' kahn^t^lat' ins Dasein. • ' '■- ■
.Wie den Bdmpilgern manchmal ein^Teil der -Buße' erlassen wurde,,
so konnten öfters die Büßer auch beim* Besuche anderer 'Kirchen und
heiliger Orte eine- Büßermäßigung erlangen. Im früheren* Mittelalter
war es nichts Seltenes, daß für schwere Vergehen eine längere 'Pilger-
fahrt auferlegt wurde. Statt die Buße in der Heimat verrichten zu.
können, wurde der Sünder dazu verurteilt, eine 'bestimmte^ Zeit hin-
durch in der Fremde herumzupilgern und heilige Orte- zu b'esucHehl
Ein Begleitschreiben des zuständigen Bischofs diente dem \vallf ahr'ehden.
Büßer in der Fremde'als Ausweis und 'Empfehlung.^ 'In diesem Be;
gleitschreiben werden- nun bisweilen ändere' Bischöfe ermächtigt,' dem
Pilger etwas von der Buße nachzulassen'. ' SomeldeteiiimarEanfraric
(if 1089) dem Erzbischof'ThomasVoii' York, 'der' Bischof Robert vöit
Seez'habe an ihn einen Büßer gesandt' 'mit 'dem üblichen ' Schreiben';,
daß, wenn ein Bischof dem UnglücMicheriaus Barmherzigkeit etwas
von der Buße nachlassen wollte; er dies tun' könne. ''Lanfränc'seiniBr'^
seits verweist den Büßer an den 'Erzbischof von ' York; ^daiüit" dieser
ihm Gnade angedeihen- lasse, wenn er es für gutfindel^ Da''Lanfräna
von einer Gewohnheit' spricht ' (de 'more), so'> muß'die' Sitte^'wäir;^
fahrenden Büßern bisweilen etwas von der Buße 'zu' erlassen',' 'schon.
früher bestanden haben. ' Auch iri' diesem Falle brauchteü' die'indivi-
duelleil Bußerlasse nur verallgemeinert zu werden, und man hatte 'den!
generellen Ablaß für Besuch von Wallfahrtsorten undaiiderenKircheiiL
' Der Übergang von den individuellen Bußerlässen und 'den' Re-
demptionen zu den gerierelL erteilten' Ablässen vollzog sich ällmählicli.
im Laufe des 11. Jahrhunderts. ' Verschiedene 'Faktoren' h'äfcteii.
dabei mitgewirkt.' ' ' ' ■ ' > ■ > . . ' , ' ^
Bei der Erteilung von Ablässen wurden, die ^persönlichen Ver-
hältnisse der einzelnen Pönitenten nicht berücksichtigt ;> die Buß-
ermäßigung wurde allen insgemein unter gewissen Bedingungen
zugesagt. Die individuelle Behandlung der Pönitenten 'war' aber
schon längst durch die' frühmittelalterhchen Bußbücher -schwer , be,-
einträchtigt worden. Die Verfasser, dieser Bücher hatten für .die ein-
•■"' ' a
1 Schmitz I 152 f. Ein undatiertes Empfehlungsschreiben für! einen"'
Büßer, ausgestellt von einem Bischof Adalbero von Metz, findet man <'bei M«
billon, Vetera Analecta. Parisiis 1723, 434. ■■ ' ' .-.
f .2 Migne GL 517. Ein'- anderes Schreiben, . ausgestellt 1170 von- Bischof
Johann von IV^aguelone, in Acta Sanct, Aprilis II 676, und bei Martene, Da'
ritibus I 748.. Der Bischof meldet, daß der Pilger eine Buße von 7 Jahren ab-
zutragen habe; er bittet, daß man ihn gut aufnehme, „depoenitentia etiam sibi
iniuncta, secundum quod ratio exigit, benigne relaxetis".
I; 'Die J Anfangendem Ablasses. 25
zelnen^^ Sünden besondere Bußtarife" festgesetzt. Mit einem solchien
Buch' in dert-Hand, begnügten sich' inur* zu' 'leicht manche Beichtväter
die \ Tarife i 'schablonerimäßig ' anzuwenden ; ■ ohne genaue Rücksicht zu
nehmen-auf die' persönlichen Verhältnisse der Pönitenten. 'Dadurch
würde die -„Individualisierung' der »Buße' * zurückgedrängt;^ aber eben-
deshalbjkonnten-;iauch.dief generell erteilten -Ablässe leichter sich eiri-
bürgern.! ".. ^>^ 'i.f ■.!(-''!'(•'> , -imw • ■ ^<
■'/Nun hat' sich ■ freilich i das -Auf kommen dieser Ablässe nicht von
selbst .'Vollzogen.. -Es war hiefzü'ein positives- Eingreifen der 'kirchlichen
Oberen erfordert. Bie;kirchlichen Oberen ihrerseits- bedurften ' eines
äußeren' Anlasses; um. statt' der bisherigen; individuellen 'Bußermäßir
gungen generelle -Bußnachlässe' zu erteilen; Ein- solcher Anlaß war
vorhanden,, undc zwarj ein- zweifacher-: einerseits das Bedürfnis der
Büßer^,)die den strengen Anforderungen, die man an sie stellte; nicht
mehr gewachsen-' wareni^sd daß 'generelle Bußerlasse für' höchst ratsam
erachtet '.werden^ mußteii ; anderseits' das- -Interesse speziell kirchliclifer
oder gemeinnütziger Anstalten und Unternehmungen, die durch die
generelle Ver.l'eihurig von Ablässen' gefördert' werden 'konnten'.- -
Wie > eifrige iiOberhirteni mit' Rücksicht • auf das 'geistliche' -Wohl
der' Gläubigen bewogen -werden konnten; 'Ablässe zu spenden',- ersieht
man '*aus. einer ':beinerkenswerten' Ablaßurkuhde,- die im' -Jahre'- 115^
anläßlich der- Übertragung 'der- Reliquien' des hl. ' Guälterius in'Pontoisö
von. Erzbischof' Hugo von Roüeh- und anderen Bischöfen ausgestellt
worden ist; in deri -Einleitung 'wird als Grund' der AblaßVerleihung
vor allem die 'Pflicht' betont, mit' deri büßenden Sündern Mitleid zu
haben/; sodann erklären die^ Bischöfe, daß 'öie den rSünd'ern ^durch
reichlicheren Ablaß zu Hilfe kommen wollen, da es nur wenige gebe;
die' Lwürdigef Früchte fderi>Büßei^äten'.2' ' - '' .^.i^' > 'd • ,-
' ' ' i ' Aus idem' Gefühl ■ heraus; : daß ' die'alten Bußbestimmurigen' sich in
der Praxis nicht mehr durchführen ließen, haben die kirchlichen Oberen
der Not der Gläubigen! durch Erteilung -von Ablässen abzuhelfen ge-
sucht.- 'Dies "war 'ja' auch der Grund; warum'' die Redemptiorien eine
so große Verbreitung gefunden hätten. ,Man beäenlie doch, daß nach
d.en damaligen Bußy orschriften jede, einzelnes jSchwer.e Sünde mit .ihrer
eigenen 'Buße belegt 'werden sollte, öfters mit einer 'Buße von 3, 5, 7^
^ Vgl. hierüber P. Fournier, in. Revue d'histoire ecclesiastiqtie X (1909)
581 fs: .„L'intröduction, soTis^rinfluerice'des missionnaires 'vcnxis des lies bri-
tanniques, des tarifs de pönitence connus sous le noiu' de penitentiels, n'a pu
que- porter atteinte au caractere individuel de la penitence' . ' . . II est certain
que . . . le Systeme de l'individualisation de la penitence subit alcrs un veritable
recul." i ■ . . - ■ . . 1 - 1 • "
-\ ' *' Mabilhon, Annales VI 535 -f. Acta Sanct. Aprilis I 767 f.: ,,Quia sancta
et celebris- ac pemecessaria sanctorum patrum devotio poenitentium misereri
maxime consuevit, pro ineffabili gratia Redemtoris nostri qui peccata dimittit . . ;
Christi fidelibuSjdpsius. patrisiGualterii'be'neficia implorantibus,' poenitentialis
oneris indulgentiam statuimtisitribuendam . .?-. Decrevimus, ut quia abundante
iniquitate his novissimis temporibus pauci digncs ■ poenitentiae fructus faciunt;
uberioris indulgentiae gratia peccantibus subveniatur." - " ' ■ ' ' i
?6 J, -Die Anfänge des ^Ablasses.
JLO. oder noch mehr Jahren.^ , Abgesehen von. anderen '.Büß werken;
Tvurde am häufigsten mehr, oder mindeFstrengesjFasten.vorgeschriebeii,
^icht selten: monatelang ■ ibei Wasserj und^Bröt;^/! j;,Dies führte unter -
Umständen,, dazti, daß der einzelneleine die . Länge , des', menschlichen
Lebens übersteigende Reihe vonj Jähren zu.büßen. hattet Hiei? mußte
Abhilfe geschaffen -werden .,'. .,"Aus Bedürfnissen^" dieser; Axt ists die
seit dem Ende des 7. Jahrhunderts allmählich aufkommende Sitte
der sogenannten Vertauschungen- (commutationes) oder ■ Ablösungen
(redemtiones) erwachsen, .Diese, Bußumwandlüng lief ' tatsächlich
auf . eine Straf ermäßigung hinaus^ obwohl sie. zunächst nicht als solche
gedacht war. Allein\.es war eine, Erleichterung,? welche. bei der Menge
und Härte der auferlegten Pönitenzen nicht ausreichen konnte. ,■- Es
^ilt das besonders ) von , den .Strafen der öffentlichen Buße,, welche oft
auf das tiefste in das ganze ^häusHche* soziale und oft auch wirtschaft-
liche Lebeui einschnitten." Da, sei, eine* Erleichterung; dringend wün-
schenswert gewesen. Von hier werde -daher der, Anstoß/zur .'Erteilung
von Ablässen, ausgegangen sein.^ ,1 ;..' i- ..-.r '.'!'. \' ■;
Selbst, ein so strenger Bußprediger;} wie der hl-. Petrus Damiani"*
Jiat, die; Redemptionen,, insbesondere auch dieGeldredemptioneii,^ aus-
■drückhch verteidigt undi selber angewendet, wiC'jpben. gezeigt, worden.-
]Er machte dabei Rücksichten auf die menschlicheiSchwachheit geltend.^
Wenn aber ein, solcher. Eiferer wie Petrus Damiani die Redemptibnen
l)illigte, so darf, man, wohl daraus schheßen, daß es nicht imehr, möglich
war, die alte Bußstrenge aufrechtzuerhalten.* Bitter klagt denn auch
iier Heilige, daß man sich nicht mehr dem.Easten, der Abtötung unter-
ziehen "v^oUe,; und daß) daher die kanonische Bußdisziplin "in Verfall
gerate.' , , .' /' i ', >,'';,, • -' .- ' ' il , ;
Wohl suchten die Bischöfe durch, die Exkommunikation und "durch
Anrufung des weltlichen Arms die öffentlichen Sünder 'zur Übernahme
^ See borg 100: „Die Bußwerke wareii oft so reichlich bemessen, daß an
^ine wirkliche, Ableistung niqht, zu denken war." Vgl. Pour.niet 5ß2: „fJela
leur (den Pönitenten) cree parfois une Situation intolerable.'' - , ,
^ Man braucht nur die Bußtarife für die einzelnen Sünden in den." von
Wasserschleben und Schmitz veröffentlichten' Büß büehern, oder' auch nur
die kurzen Zusammenstellungen bei Regino von Prüm (Migne CXXXII'247'ff.)
Tind Burchard von Worms (Migne CXL 951 ff.) einzusehen, um zur Über-
zeugung zu gelangen, daß eine Ablösvmg der überaus strengen Bußstrafen höchst
notwendig war. . ' .
' Brieger, Realenzyklopädie IX 77. Derselbe, Das Wesen des Ab-
lasses 17. Vgl. Hinschius IV 827.
* Grottlob 48: „Kein anderer mittelalterlicher Gottesmann hat die. Buße
so eindringlieh gepredigt."
^ Migne CXLIV 352: „Pro humanae fragilitatis intuitu." . , . ! -
•:.,■!.:* Dies betont auch Muratori (AntiquitatesrV -765): ;,Eas (redemptiones)
inyehere necesse ;fuit, neque 'enimhomines tarn diüturnas. et,- gravesit corporis
jiffUotiones.sustinere:poteraiit.'':-i;'r'\ :';! ^^'-iii, \wüii\0',6 ■■•«^t :.i':.7owwuo->-fli>riÄ:Bin
; ? Migne .GXIjIV 2^1i,v An Papst; /AlexandejRjII. : ;„Dum.? afflictiö iQäitrm
a; punotis ; poenitentibus i pejae^ .respuitur,; rin rpraef igendis/v poenitudinüihfiiudioiis
vigor canonum funditus. enervatufc'- ■ • .. ; Quis . enim ; saecülarium : f eratj ; sirijy'el
triduo per hebiomadana ieiimare praecipia,S:?c ;; ,ii uvn; ;; if^v-rbfri ; i iji-s jIj;
I, Die ^Anf ^nge , (Jes - Ablasses , 27
der ;,Ifuße^,, zu, zwingen.! ;Allein/niit,> Gewaltmaßregeln ließ sich ■ die
Bußstrenge, , nicht jauf rechthalten klagte' denn auch, die «Synode
von, Chalöns,, im.. Jahre], 813, .daß,, die kanonische Bußübung. ;an.;den
paei^ten 3 Orten ^ -außer, ; t|bung gekommen sei.? • > Ähnlich , klagte , einige
Jahi'e7^pä;fce]^ deryBjsphgf. Jonas., voii/i(DrleanS', daß nur, „sehr .wenige"
.die (öffenthche. ]^uß,e fübernehmeix,;\yollten.^i -B.ezüglich der; -geheimen
Buße .-heißt es in dem Anhang 'zu einem'Bußbuch "aüSjd'em>'9.' Jahr-
hundert bei Erwähnung, der(,frjiheren str.engen Bußübungen^ man
könne, die Pönitenten,;nicht mehr, , dazu . bewegen.* , Da darf ,es uns
nicht, wundern, wenn schließlich -die kirchlichen, Oberen, die Unmög-
lichkeit des jF.esthaltens ,an-der alten Bußstrenge> einsehend, zu größerer
Nachsicht gestimmt wurden,^ und durch, Erteilung von. Ablässen die
so ^no|5wendig gewordene. Erleichterung eintreten ließen.^.,
,, . Die kirchiiphen Oberen konnten um so .mehr sich veranlaßt fühlen,
generelle, Bußerlasse zu, gewähren, als ihnen dadurch die Gelegenheit
geboten, wurde, die , Bußnachlässe für speziell kirchliche oder gemein-
nützige, Anstalten und Unternehmungen nutzbar zu machen., Man hat
■behauptet, der Gedanke ^,, der Nutzbßirpaachung seither stets umsonst
.ge\?^ährter .Bußnachlässe'' sei ,, eigentlich der treibende," gewesen. „Es
liegt,, man .darf .das,, ge.trost sagen,, dernächste äußere Anlaß zuir
1 f- f
•iis^oririus 445 ff'.. >Hinsohius IV 816 ff.' '
....^.^on. Germ.^Leguiu Sectio JII. Conoilia II 278: „Poenitentiam. agere
iuxta antiquam oanonum constitutionem in' plerisque Ipcis ab usu xecessit.''
Der' Kaiser" solle helfen, daß, „si quis .publice peccat, publica multetur poeni-
tentia":'"Vgr."29'2 5'52'595;'' ' ' ' ' ' ' ' ' ' ^ ' ',"■'
^ Migne ÖVI 138:' V.PsJTari, sunt hodie in Edolesia, qui'talem agant pdeni-
teu^iaiu, qualem antiquoruniipatrum poenitentium exemplai, et auqtoritas cano-
nica sancit".. ,.,,.-,,,' ,, -, , - S ■ ' '■;
* Wassersphleben 621: ..Legimus in poenitentiali, pro criminalibus culpis
annum laut II auib III aut V vel VI vel VII poenitentiam agere in pane et aqua,
vel pro aliis minutis oulpis diem I, aut ebdomadam, vel mensem I, sive dimidiüiri
-annum. Sed haeo causa; et ardua et difficilistest, et istis iam temporibus
id suaderoipoenitentibus non possumus." . ,.., < . ,,i, ^
^ In diesem, Sinne schrieb gegen Ende des 12. Jahrhunderts Alanus von
Lille bei ErörteruQg der Frage,' ob die alte' Bußstrenge' zu 'mildern sei: „Multi-
plicata Ecclesia 'Dei invalueruht'peccätorumL morbi,- et quia' numerus defehdit
eo3,- oportuit r,emittij,de poenae districtione,* ne 'poenae' distrietio
potius esset in offensam quamän raedicinam., .Remittendum /ergo.fuit
de.pdena, ut vöoarentur per indulgentiae pietatem, qui.revocari non poterant
per rigorem. Unde, cum quidam'modernorüm ieiunia et vigilias f erre non posseht,
iniunctVe sunt obl'ationVs,' orationesi pere'gririatio'nes." Migne CCX293.
? Auf diese'iWeise hat'mah'schon. im.- 13. -Jahrhundert, wie Bonaventura
(Sent. IV. d. 20, p. 2, q. 2. Opp. IV 5^3) berichtet, das Aufkommen der Ablässe
zu erklären und zu rechtfertigen gesucht; es wurde nämlich folgende Erklärung
vorgebracht :.„Säcri>canone3 (pro mortalibus peccatis graves et diuturnas poeni-
tentias taxant, ut pro uno.raortali septennium vel amplius,' secundum quod
gravius,est; quae poena adeo gravis est, quod vix aut nunquam posset
quis facere", et pauci invenirentur, qui vellent. Ideo constituerunt
rectores Ecelesiae, poenitentias secundum arbitrimn imponi, et de residuo
relaxationesrconstituerunt. fieri; quod et facere potuerunt,'quoniam,con-
stitutio humana erat, - et j in humana constitutione potest homo dispensare et
temporäre." ' i
28 I. Die Anfänge des Ablassest
Entstehung der Ablässe in' der Nutzbarmachung 'der "Büßer-
leistungen' für > das zeitliche Interesse ' der ' Kirche .' ' ' Demgegeiiuber
stand das Interesse der > Büßer, insofern es der' Schwere 'ihrer 'Buß^
strafen wegen .einen äußeren Anlaß zur Entstehuii^' der' Iriduljgenzeri
gab, erst an zweiter Stelle." „Man' darf dieses- Interesse (iiämlich^'das
finanzielle) nicht bloß als mitlaufendes Symptom ansehen," sdödern als
eigentliche Triebfeder, 'natürlich nicht im 'Sinne' späteren 'Ablaß*
handeis. "^ Warum hat man aber dann erst im 11.. Jahrhundert' an
die Nutzbarmachung der frühter umsonst gewährten Büßnachläs'se ge-
dacht? „Der Übergang zum' Ablaß '(d. h. die Nutzbarmachung " der
üblichen Generalabsolutionen) ' brauchte nur mehr durch äußere Um':
stände und Bedürfnisse veranlaßt werden; und' diese träten auch ein{"^
Sind aber vielleicht „äußere Bedürfnisse" erst im 11. Jahrhundert
eingetreten? Gab es vorher nicht auch unterstützungsbedürftige
Kirchen und Anstalten? Man verweist zwar auf das Aufkommen-
der Stolgebühren in jener Zeit. „Generelle Erlassender gesamten
öffentlichen Buße" — das* sollen die Generalabsolutionen gewesen
sein^ — habe es schon früher gegeben. ,',Nur fehlte noch, 'daß gleichsain.
als Gegengabe Leistungen im 'Interesse der Kirche gefordert würden!
Einer Zeit, in der -die Kirche daran- ging; für Dienstleisturig 'allüberall:
Entschädigungen zu fordern, konnte aber letzteres kein Bedenken mehr
erregen."* Dafür verweist man auf das Fordern von Stolgebühren..
Allein gerade in der Zeitperiode,^ in welcher der generelle > Almosen-
äblaß aufkam und weithin sich'verbreitete,''im,'ll. und bis" 'zürn Ende
des 12. " Jahrhunderts, wurde das' Fordern von Stolgebühren ;Von den
Synoden fort und fort verboten.^ Dagegen- sind die Almosenablässe,
während dieser Zeit niemals von irgendeiner' Synode verboten
worden; ein schlagender Beweis, daß das Aufkommen der Almosen-
ablasse und das Aufkommen der Stolgebühren nicht auf dieselbe
_, Oft y j\i ^
Linie zu stellen sind. > , , . - ,
«! . Ist es nun auch eine unerwiesene Behauptung, daß ,',in dei Nutz-
barmachung der Büßerleistungen für das zeitliche Interesse der Kirche'*^
[^der nächste äußere Anlaß", ja die „eigentliche Triebfeder" fiir^die Entt
s;tehung der generellen Ablasse gelegen habe,® so kann; doch nicht ge-
leugnet werden, daß der Gedanke an jene Nutzbarmachung < bei der
Erteilung von Ablässen' eine große Rolle gespielt hat.' Man. deiike
nur, um von den Kreuzzüesablässen /ganz zu schweigen, an* die. im.
Mittelalter so häufig vorkommenden Almosenablässe. , D,aß diese Ab-
lässe im Laufe der Zeit zu schweren Miß brauchen Anlaß gaben, ist
1 Koeniger 180 188. ^ Koeniger 188.
3 Daß diese Auffassung der im früheren Mittelalter üblichen allgemeinen-
Absolutionen unzutreffend ist, wird im folgenden Abschnitt dargetan werden-i
* Koeniger 187. ^ ' ' -
8 Hefele IV 691 731- V 116 223 257 263 323 f. 347 356 391 437 442 bl^
614 688 713.
* Auch Seeberg 103 n. 1 schreibt: „Koeniger scheint mir zu. -weit zu
gehen, wenn er die finanzielle .Nutzbarmachung der Büßerieistungen' als jeigehti^
liehe Triebfeder' des Ablasses ansehen will." '■ .yimoqiu'^i
I. JDie Anfänge des Ablasses,.' 29
:allbekannt>. ; Gegen, den .Gedanken ; aber, - yon dem die kirchlichen
Oberen bei der Einf ührunff : ,der .Almosenabläspe sich leiten ließen,
ist , grundsätzlich '; nichts, einzuwenden : ;es war die altchristliche An-,
schauung,, daß.^i^mosen. zur .Tilgung.der Sünden und .Sündenstrafen
beitragen können. .. Dieser. Anschauung», begegnet; man schon in der
Hl, Schrift; (Tob. 4, .11- ,12,;-9; Ekkl.;3, 33; Dan.- 4= 24; Lük-ll, 41),
in, den Werken der. Kirchenväter wird -sie oft ausgesprochen;^ und
-wie tief;, im früheren Mittelalter die Gläubigen davon durchdrungen
waren, ersieht nian,aus.d.©n so zahlreichen Schenkungsurkunden jener
Zeit. Fort und fort \vird in der Einleitung dieser Urkunden der Gedanke
wiederholt, dalB man durch Almosen,,; fromme, Stiftungen, durch Zu-
wendung von Gaben, an .Kirchen ,und Klöster leichter von Gott die
Tolle Verzeihung der Sünden erlangen könne. ^ - Wie die' Gläubigen
.selber durch, Almosen, und fromme Stiftungen die volle. Verzeihung
■der Siinden, zu erlangen hofften, so konnten ihnen auch die kirchlichen
■Oberen die , auferlegten oder aufzulegenden Bußstrafen in; Almosen
umwandeln (Redemptionen). oder mit Rücksicht auf die zu entrichten-
den Almosen und .als Belohnung dafür durch Verleihung von Ablässen
die Bußstrafen ermäßigen.* Durch das Almosen allein schon, wenn es
jem.and in rechter Gesinnung spendete, wurde dem ;f rominen Geber ein
Teil der^ schuldigen Strafe erlassen. Mit Rücksicht auf das Almosen
•erließ .die Kirche, hierin dem Beispiele Gottes folgend,' weitere Strafe,
die durch das Almosen allein nicht abgetragen worden wäre. Heute
werden für Kirchen und andere gute Werke Sammlungen veranstaltet;
es steht einem : jeden frei, etwas zu' geben oder den 'Almosensammler
abzuweisen. Nicht anders verhielt es sich im Mittelalter. ' Daß aber
dair^äls djej Päpste und Bischöfe geisthche Gnaden erteilten, um die
Gläubigen ^zu größerer Freigebigkeit anzureizen, wird man mit Recht
nicht tadeln können. Ist die Unterstützung, die man einem' gemein-
nützigen Werke, gewährt, eine gute, lobenswerte Handlung, so darf
■dieselbe Von der- kirchlichen Obrigkeit auch mit geistlichen . Gnaden
belohnt werden. Daraus folgt, daß. die Sitte, den Beförderern gemein-
nütziger . Werke Ablässe zu erteilen und' auf diese Weise den Ablaß
mit Geldspenden zu verbinden, nicht ohne weiteres zu visrurteilen sei.
-Diese im Mittelalter so weit verbreitete Sitte entsprach dem Charakter
jener Zeit. „Während man heute für die Zwecke der Wohltätigkeit,
zum Baue, von .Kirchen und zugunsten gemeinnütziger, Institute
1 Vgl. Falco 1 ff. , ..
2 Eä genüge auf die Formeln zu verweisen, die zu derartigen Schenkungen
Ijenutzt wurden.' Mon. Germ.. Le'gum. Sectio V.> Formulae. S. '71 75 76 78 135
344. E.-de Roziexe, Reoueil'general'des formules u^itees'dans l'empire'des
Prancs^du Ve.au Xe siecle. I, Paris -1859, '222 ff. Vgl. auchFal'co i95 ff.
H. Henrici, Über Schenkungen an die Kirche, Weimar 1916, 8 16. ' ^
( , ■ , *'Sehr gut schreibt der Zisterziensexmönch Günther Yon Pairis arai Anfang
■des 13. Jahrhunderts: „Ad hooplurimum valere potest eleemosynaruni largitiö,
?it quanto quis . in ea fuerit propensior, tanto ei levior poenitentia vel possit
imponi vel imposita ralaxari. Tenet enim fides Ecclesiae quod rerum temporalium
■collatione tam'peccata redimi' queant, quam poenitentiae peccatorum." Migne
OCXII 214.. - ' . •-
30 I. Die' >^ Anfängt des' 'Äblääses.
Lotterien ausspielt, bot man im Mittelalter kirchlich^ Ablasse 'an.
Die beiden- Geschichtsperioden 'sirid- damit treffend "chafakteirisiert/'lni
Mittelalter war die Sorge für das- Seelenheil' die mächtigste^ Triebfeder-
menschlichen Handelns; heute ist die Gewinnsucht und das 'HäscÜieii
nach leichtem -Gelderwerbe herrschend' geworden."^ ''■■''''
Daß „ideelle Gründe, wie der Gedanke von der Nützlichkeit de»
Almosengebens" beim Aufkommen der Ablässe „eine Rolle spielten'%
hat man jüngst bestritten,- um ,,ganz reale" Gründe, nämlich %^äife
Nutzbarmachung der Büßerleistungen für das zeitliche Interesse^' der
Kirche", geltend zu machen.^ Allein warum hätte denn bei der Nutz-
barmachung der Almosen für kirchliche Interessen der Gedanke von_
der Nützlichkeit des Almosengebens nicht mitwirken können? Das^
eine schheßt ja das- andere nicht aus. Daß aber der Gedanke von
der überirdischen Nützlichkeit des Almosengebens bei' der Verleihung;
von Ablässen eine Rolle gespielt hat, ergibt sich aus den Ablaßurkuriden,
in deren Einleitung öfters auf diese Nützlichkeit, insbesondere auf diö
sündentilgende Kraft der frommen Gaben' hingewiesen wird; so z. B^
in einem Ablaßbrief des Bischofs Gaufred von Barbaströ vom Jahre
1137,* und in einem Schreiben desselben. Bischofs vom Jahre 1140;^
so auch in Ablaßurkunden des Kardinallegaten Hildebrand" Grassi vonL
Jahre 1171 oder 1172,^ des Bischofs Adelardus von' Verona vom
Jahre 1197,' des Kardinal legaten Romanus vom Jahie 1215.^ des-
Bischof"? Heinrich von Havelberg vom Jahre 1252 usw.*
^ G. Eatzinger, Geschichte der kirchlichen, Armenpflege^. Freiburg:
1884, 398'. ' • ,„.;,,.;
2 Warum denn nur von dem „zeitlichen Interesse der Kirche" sprechen ?"
Trugen denn die vielen Kirchen, Klöster und Krankenhäuser, die mit' Ätalaß-
geldern erbaut und erhalten wurden, nicht auch zum geistlichen' Wohle der
Gläubigen, zum ewigen Heile der Seelen bei? , ,
^ Kooniger 180.
* Espana Sagrada XL VI 287 : „Divina pietas humanae fragilitati consulere-
öupiens . . . post baptismi ac poenitentiae lavacrum dohis eleemo^inarum
nöstrarum voluit solvi vincula culparum, ipso attestante qui ait': Date eleemo-
sinam, et ecce omnia mvmda sunt vobis (Luc, 11, 41). Unde, vos filii paternO'
affectu subveriiatis pro remedio animarum vestrarum et peccatorum remissione , < .
Mementote verbi Dei dicentis: Sicut aqua extinguit ignem, ita eleemosina ex-
tinguit peccatum (Eccl. 3, 33), ... et alio loco: Redeihptioanimae viri divitiae-
(Prov. 13, 8). Vos fratres date temporalia et recipiatis aetema." Dann folgt-
die Verkündigung des Ablasses für den Loskauf eines Gefangenen. ■ •
^ Ebd. 288: ,,Benignitatem vestram exhortamur in Domino, ut de facul-
tatibus vestris quas Dominus vobis contulit, partem illi (einer armen Kirche))
conferatis, quoniam eleemosina extinguit peccatum sicut aqua extinguit ignemi,.
et remedia peccatorum sunt eleemosinae. Quicumque ergo fecerit adiutoriuni
praenominato loco", erhält einen Ablaß von 40 Tagen.
\ G. Tiraboschi, Storia dell'augusta badia diS. Silvestro di Nonontola II,.
Modena 1785, 289.
' Ughelli V 811: Durch Almosen und- Schenkungen an Kirchen ,,Patrenk.
misericordiae nobis reddimus placatum", da er selber sage: „Date eleemosyiiam;.
et ecce omnia munda sunt vobis." Dann folgt die Verkündigung des Ablasses
für die Wohltäter einer Kirche in Verona.
^ Toussaints du Plessis, Histoire de l'eglise de Meaux II, Paris 1731, 1'06^
* Riedel, Codex diplomaticus Brandenburgensis I 9, Berlin 1849, 476. '
I. Die ; Anfänge des Ablasses. 31^
' In dem von «der vierten, allgemeinen Lateransynode ' (1215) füi?
Almpsensammlungen vorgeschriebenen- ^Musterf ormular, das ' < in • die
o^'fizielle , - Dekretalensammlung Aufnahme ; gefunden und zahllosen"
mittelalterlichen- Ablaßbriefen als Einleitung gedient hat, wird sowohl
auf , die Unterstützung i kirchlicher Anstalten, als auf die überirdische
Nützhchkeit der Almosen hingewiesen.^ Wie man. bei Ablässen sowohl
das Interesse irgendeines gemeinnützigen Unternehmens als das Seelen-
heil der' Almosenspender im Auge haben konnte, ersehen wir auch aufi'
der alten Formel, eines Ablaßbriefes, für Brückenbau. Beide Zwecke
werden in der Einleitung des Schreibens; ausdrücklich erwähnt. ^ Be-^
züglich des ■ Seelenheils der Almosenspender werden letztere daran ei--
innert, daß das Almosen zur Tilgung der Sünden. -beitrage; damit sie^
aber die Frucht ihrer * Spende , besser erkennen^ wird ihnen ein be^
stimmter Ablaß. zugesagt.^ •.
Es sollen nun noch ^die Ergebnisse der Untersuchung über die
Anfänge des Ablasses kurz zusammengefaßt werden. Yon Anfang an,
hat die Kirche, kraft der ihr von Christus verliehenen Vollmacht^,
reuigen Sündern die Bußzeit abgekürzt und Bußstrafen erlassen. Will
man die in den ersten christlichen Jahrhunderten ■ üblichen Bußerlasse
und Bußerniäßigungen als „Ablässe", bezeichnen, so mag man es tun,,
da' ja der Ausdruck ,',Abläß", gleich dem lateinischen Worte „indulr
geritiä", vieldeutig ist. ,Nur vergesse man nicht, daß zwischen den
Bußerlassen der alten Kirche und den heutigen Ablässen ein großer
Unterschied besteht.. Jene Bußerlasse wurden von Fail zu Fall, unter
Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse und der Bußgesinnung
der einzelnen Pöniteriten gewährt; zudem waren sie auf das, innigste
verknüpft mit der kirchlichen Rekönziliätioh oder der sakramentalen
Absolution. Generelle, außerhalb des Bußsäkramentes erteilte Ablässe
lassen sich erst im. 11. Jahrhundert iiachweisen. Merkwürdig ist es,
daß derartige Ablässe nur in d,er abendländischen Kiiche vorkommen.
Dies hängt mit der Entwicklung zusammen, welche äas Bußwesen in
' ^ 0. 14. X. de poenit. et remis. V.' 38 : „Formam vero, quam commimiter-
talibus (eleemosjmarum. quaestoribios) apostolica sedes indulget, duximus ex-
primendam,' ut secundum eam dioecesani episcopi suas litteras moderentur. 'Ea.
siquidem talis est: Quoniam, ut ait Apostolus, omnes stabimus ante tribunal
Christi, receptTiri prout' in' corpore gessimüs, sive bohuin fuerit, sive malum:
oportet rios diemi messionis extremae misericordiae öperibus prae venire, ac aeter-
norum intuitu seminare in terris, quod reddente domino cum multiplicato fructu
recoUigere debeamus in ooelis." Die Gläubigen werden dann ersucht, Almosen
zu spenden, „ut per subventionem vestram ipsorum inopiae consulatur, et vos
per haec bona et alia, quae domino inspirante feceritis, ad'aeterna possitis gaudia.
pervenire". ...
^ Rockinger 309: „Necessitati terre et eorum saluti qui peccata sua
elemosinis redimere simt parati, , paterna sollicitudine providentes, hortamur'. . .
ut ad reparacionem pontis de bonis sibi coUatis a Deo grata subsidia largiantur.
Et ut'fructum sile devocionis intelligant et cognoscant", folgt die Verkündigung
des Ablasses. Auf beide Zwecke macht auch Innozenz IV. in einem Ablaßbriefe
vom Jahre 1250 zugunsten des Domes von Eiacenza aufmerksam: „Ut igitiir-
remissio. et ipsi fabricae-temiporaliter et benefacientibus spiritualiter pro-
ficiat ad salutem." Campi II 400.
32' I. Die Anfänge des Ablasses.
dieser Kirche durchgemacht, hat. Namentlich' waren es die 'früh-
mittelalterhchen Bußbücher mit ihren für die' einzelnen Sünden^'be-
«timmten Bußtarifen, welche den generellen Bußerlassen' die' Wege
bereitet haben. Nicht nur hat di3 Verbreitung dieser Bußtarife - der
individuellen Behandlung der einzelnen Pöriitenten Eintrag getan;
da die einzelnen Sünden in der Regel mit hohen Strafen -belegt waten,
jso wurden häufig die Pönitenten mit Büßen beladen,' die' sie zu leisten
kaum noch imstande waren. Es mußte daher ihrer Not auf irgendeine
Weise abgehoMen werden. Dies geschah zunächst durch die Redemp-
tiönen, später auch .noch durch die generellen ^Ablässe. So hat sich
der Ablaß in der heutigen Form allmählich . aus der Bußpraxis; wie
diese sich in der abendländischen Kirche gestaltet hatte; entwickelt.
Die Erteilung derartiger Ablässe im 11. Jahrhundert 'war ' eine neue
Entfaltung der von Anfang an in der Kirche ausgeübten Vollmacht,
die Bußstrafen zu müdern oder ganz nachzulassen.^ Im' Laufe der
Jahrhunderte hat eben die Ausübung dieser Vollmacht verschiedene
Eormen angenommen.
Über die Anfänge des Ablasses hat Gottlob eine ganz neue
Theorie aufgestellt, die von der oben vorgetragenen Erklärung wesent-
lich verschieden ist.^ Den Ursprung des Ablasses glaubt dieser Gelehrte
iiächweisen zu können in gewissen Privilegien, wodurch öffentliche
Büßer, die vom Gottesdienst ausgeschlossen waren, die Erlaubnis
erhielten, in den mit dem Privilegium begabten Kirchen dem Gottes-
dienste beizuwohnen. Zur Kritik der neuen Theorie ist erforderlich,
daß bezüghch der erwähnten Privilegien zunächst die historischen
Tatsachen festgestellt werden; nachher wird zu zeigen sein, in welchem
Verhältnisse diese Privilegien zum Ablasse stehen.
Die ältesten Büßerprivilegien, die Gottlob kennt, sind jene, die
Sergius IV. im Jahre 1011 an drei Klöster verliehen hat. Gottlob
führt auch einige „Wahrscheinlichkeitsgrühde" an, um darzutun, daß
die Privilegien des Jahres 1011 tatsächlich die ersten waren,^ Dem
ist jedoch nicht so. Es gab deren schon im 10, Jahrhundert. Im
Jahre 979 erließ Papst Benedikt VII. für die Abtei Besalu in
Katalonien eine Bestätigungsbulle, worin denjenigen, die des Gebetes
halber die Abtei aufsuchen, gestattet wird, dem Gottesdienst in der
1 Vgl. Fournier (Revue d'hist. ecclös.: X 583): „Je ne oonnais auoune
raison qui interdise de voir, dans ces concessions collectives, un developpement
du- pouvoir inoontestable qui appartient aux eveques de remettre les penitences,
ou d'en attenuer la rigueur. Que l'on examine cette qüestion en se dögageant
des pr6jug63 que les controverses confessionnelles ont accumulös autour d'elle,
et je crois bien que l'on ne pourra öchapper ä cette conclusion." Auch B oudi n hon
439 sieht in der heutigen Ablaßpraxis „une institution dont le principe est toujours
demeure le meme, c. a. d. le pouvoir constamment exero6 ,par l'lÖglise, sous une
forme ou sous une autre, de remettre au p6cheur certaines oeuvres de penitence".'
* Gottlob, Kreuzablaß und Almosenablaß. Stuttgart 1906. Derselbe,
Ablaßentwicklung und Ablaßinhalt im II. Jahrhimdert, Stuttgart 1907.
* Ablaßentwicklimg 14. .
I. Di© -Anfänge des'Ablaäses. 33-
Klösterkirche. beizuwohnen, falls sie nicht exkommuniziert wäreü;^ In
dieser 'Verleihung, die mit' den- späteren Biißerprivilegien fast wörtlich
übesreinstimmt, ist zwar nicht «ausdrücklich die Rede von Büßern, die
vom Gottesdienst ausgeschlossen waren;- doch geht aus dem Um-
stände, daß nur den Exkommunizierten der Eintritt ; in die Kirche
verboten wird^ unzweifelhaft. hervor, daß, die- öffentlichen Büßer zu-
gelassen werden sollten. Nur. diese, nicht die .anderen: Gläubigen.'
brauchten hierzu, eine ^besondere Erlaubnis 'von'seiten der kirchlichen-
Obrigkeit.^, ' ' ' > '.!' - ' . > • ' '■' ■ ,■ ' ' • '/
In einer. Bulle voni'jJahre 992,- die Johann XV. zugunsten der
Abtei Aniane erlassen haben soll, - wird' den Büßern- gestattet, am
Kirchweihfeste die Abtei zu besuchen.^ ' 'Diese Bulle dürfte indessen
unecht sein. Die Gründe, die. man aus dem Inhalt des Schreibens
gegen: dessen' Echtheit: .geltend', gemacht hat, sind freilich nicht über-
zeugend genug.* Mehr .zu bedeuten hat das 'Fehlen der Bulle in der
alten Urkündensammlung! des Klosters Aniane, die wohl ein Schreiben
von Johann XIII. (965—72), aber keines von Johann XV. enthält.'^
Unter den Privilegien,' die Johann .'XIII. der Abtei gewährte, .fehlt
das Büßerprivile'gium, doch findiet es 'sich, und zwar in der Fassung,
in welcher die angebliche Bulle Johanns XV. ea bietet', in zwei späteren
Bullen von Nikolaus. ir.j (4. Mai 1061) und. Alexander II., (7. No-
vember 1066),^ gegen, deren Echtheit ebenfalls begründete Bedenken,
vorhanden sind.'' ■ .■ ^ .. • ' • x ..
. Unzweifelhaft - echt sind ^ die . Privilegien, die Papst < S e r g i u s ol V.
im Jahre 1011 drei Klöstern erteilt hat: der.Abtei/Cuxa in der Graf-
schaft .RoussiUbny, der'. Abtei ' RipolMn Katalonien, und .der- : Abtei
Notre-Dame d'Arles (Arulas) in Roussillori. Die zwei ersten, Privi-
legien; die der Abt Oliba, welcher den beiden Klöstern vorstand,
erwirkte,. 'stimmen wörtlich. miteinander überein.^. Etwas anders, aber
ohne daß.' dadurch der Sinn geändert würde, lautet das Privilegium
für Notre-Dame d'Arles.^ , .
1 Migne CXXXVII 335. Jaffe 3800;: „Ooncedimus ufc si quis causa
orationis ad praediobum moiiastermm Veherit,' habeat licentiam iutroeutidi et
omhe officium aüdiendi, liisi forte quis reatu'süo' proprio fuerit excommunicatus."
2 Vielleicht ist in dfe'r Bulle fürBesalu das Wort „poenitens"; das in den
andern Privilegien- .vorkommt, durch- ein yersehen des Abschreibers ausgefallen.
3 Migue CXXXVII 836. -Jaffö 3844: „Poenitentes, qui devote ad diem
iestum oonsecrationis praedicti loci confluxerint, ip3a tantummodo die ab-
solutione no3tra rele ventur, ut überius devotionis .suae vota propitiatori omniuni
■exsolvant.". ' ' ■,-<,....
' ' *Pückert42ff. will die Bulle nicht ganz ■ verwerf en ; er meint jedoch,
daß sie »'»inhaltlich verunechtet" sei und Interpolationen enthalte.' '
^ Cartulaire d' Aniane. Montpellier 1900, 78 f.
6 Cartulaire 81 84. » Vgl. Puckert 42 ff. 235.,
^■„Statuimu3 etiam, üt quisquis poenitens a liminibus exclusus ecclesiae,
quamdiu ibi steterit, habeat licenbiam- introeundi et omne divinurai officium,
audiendi:" Marca 982 986.' Migne CXXXIX 1509 1514. Gottlob, Kreuzablaß
iOS.'^DasPrivilegiumfürCuxawurde 1120 voninnozenzll. erneuert. Marca 1271.
» Marca 991. Migne CXXXIX 1520. ■ Gottlob 199. Da3 Privilegium
Wurde 1046 und 1157 von mehreren Bischöfen erneuert. MarcalOOl 1322.
Paulus, Geschichte des Ablasses. 3
34 I. Dib Anfänge des • Ablasses.
Wörtlich übeafemstimmend mit den von SergiusIV. den, Abteieis
Guka i und . Ripoll bewilligten Privilegien ist das Privilegium, da»
Benedikt VIII. im- Jahre 1017 auf Ansuchen des, Abtes Bonifatius.
deii beiden . in Katalonien gelegenen Klöstern Balneol und. Camv
pfedon verlieh,! ,« . ■■■ j.,
i^- Derartige Privilegien wurden nicht nur von den Päpsten, sondern
auch von .Bischöfen erteilt. Unter den. verschiedenen Privilegien, di^
mehrere im Jahre 1035 'za Cuxa versammelte Bischöfe dem von dieser
Abtei abhängigen Kloster Tremesaigues (Diözese Toulouse) her
willigten, befindet sich auch die Erlaubnis für die Büßer ,'in der Kloster-
kirche dem Gottesdienste beizuwohnen.^. Dasselbe Privilegium err
hielten zehn Jahre später (1045) von mehreren Bischöfen die Abtei-
kirche S.. Martin de Lez in der ehemaligen Diözese Alet, an der
Grenze Roussillons,^ und das Kloster Fluviano, eine in Katalonien,
gelegene Tochterkirche von Cuxa.* Im. Jahre 1054 wurde dieselbe^
Vergünstigung auch- der bischöflichen Kirche von Maguelone Vor-
lieben.^
Wese verschieden von diesen Vergünstigungen ist da»
Privilegium, das im Jahre 1040 Benedikt IX. im Vereine mit mehreren
Bischöfen der Abtei St. Viktor bei; Marseille bewilligt haben soll.; In
der betreffenden Bulle ist nicht bloß die Rede von einer Zulassung
der.: Büßer zum Gottesdienst, sondern von einem vollständigen Erlaß,
aller Bußstrafen für alle Büßer, welche die Kirche ,von St, Viktor
besuchen würden,' unter der Bedingung, daß sie ihre Sünden beichten,
üiidi sich bessern woUeii. Es handelt sich übrigens hier um ;eine
Fälschung, die allerdings schon, sehr frühe, wohl noch im 11. Jahr-
hundert entstanden ist.®
In den bisher erwähnten Fällen war das Büßerprivilegium . an
bestimmte Orte geknüpft. Daneben gab es aber ein ähnliches Privi-
legium, das auf' eine bestimmte Zeit beschränkt war. Im früheren
Mittelalter war es Sitte, und zwar, wie es scheint, in allen Kirchen^
daß den öffentlichen Büßern, die den Gottesdienst nicht besuchen
durften, und am Gfündontierstäg; an welchem gewöhnlich die Wieder-
aufnahme der Pönitenten, stattfand, noch nicht rekönzilüert werden!
konnten, aus Gnade gestattet wurde, während der österlichen Zeit
dem Gottesdienste beizuwohnen. Zahheiche Aufschlüsse hierüber
,.1 Maroa 1001 1004. - (Migne CXXXIX 1612 1613. Gottlob 198.- ,.
^ „Concedimus etiam . . . ut qualiscumque poenitens ibi advenerit, licentiam.
habeat introeundi et orandi et omne divinum officium audiendi.". Mabillon,.
Annales IV 731. Gallia Christiana XIII. Instrum. 230. Mansi XIX 575. ,
3 Gallia Christ. XIII. Instrum. 106. Deyic II. Preuves 212.
* Marca 1087. Gottlob ;230.
^ „Si quis poenitens a,d, ipsam eoclesiam venerit et abstinendi ab ecolesiae
introitu in poenitentiam praeeeptum habuerit, ipsam ecclesiani licenter introeat^
pacis osoulum libere accipiat, et si qua sint similia, praeterquam sanctam eucha-
ristiam, quam minime accipiat." A.,de Verdala, Catalogus episcoporum Maga^
-lonensium, ed. Germain. Montpellier 1881, 68. Gottlob 231.
,. ; " Näheres, darüber weiter unten in Abschnitt !¥►
1. Die. Anfänge deS' Ablasses, 35
finden. sich sowohl in den alteii Ritualbüchern als in den Schrifteit
der ; älteren. Kanonisten und Theologen. • , • .- : 's ;•'
.;x In , einem , Ritualbuch, das^Morin im, -Anhange seines großen.
Werkes, über, die , Geschichte ' der Bußdisziplin, abdruckt, -wird gö-^
schildert, wie die Büßer am Gründonnerstag vom, Bischof l wieder in
dierKirche auf genommen- ^werden.. Zunächst iWeirden jene zugelassen,
die ; der , vollen ; Rekoriziliation würdig befunden;' dannc heißt es be-
züglich , jener, , die . ihre Byiße ^ noch' nicht .vollendet hatten, ; daß siä
„nicht, durch die Rekonziliation, ' sondern, aus Gnade" 'bis, zuni
Schlüsse der Pfingstoktay. in diel Kirche aufgenonftnen werden.^ Das
Alter dieses Ritualbuches, kann nicht genau festgestellt werden; sicher
war aber der geschilderte Gebrauch, schon im 11. Jahrhundert in
Übung., In einem Schreiben vom Jahre 1065, worin Alexander ill;
die Buße. für einen, Mörder bestimmt, wird dem Schuldigen während
der drei ersten Jahre der Bußzeit der Eintritt in die Kirche verboten,;
doch mit, Ausnahme der österlichen. Zeit.^ Hier handelt, es sich zwar
um einen besonderen Fall. Daß aber damals die Büßer insgesamt
während der österlichen Zeit am Gottesdienste, teilnehmen durften,,
erfahren wir aus einer Predigt, die Geoffroi Babion, Scholastikus
in Angers, (1096— 1110) einmal , am Gründonnerstage hielt.^
,. Ursprünglich durften die noch nicht rekonziüierten Büßer bis
zum Schluß der Pfingstoktav dem Gottesdienste beiwohnen. Später
wurde aber das Privilegium auf die. Osteroktav beschräiikt, , wie, diesi
ein Ritualbuch aus Reims bezeugt.* Dasselbe: bezeugt der italienische
• ^ Morinus, -Appendix. 71.: „Quibus.intromissis, caeteros qui sunfmediae
vel minoris p9enitentiae , intromittat, dicens eis:-Vos non per Teconciliationem,
sed per divina,m pietatem. recipimus intra sinum sanctae Eeclesiae usque , ad
octavam dlem fentecostes. Reoonciliäti ergo ad dexteram eeclesiae partem, nou
reconciliati, sed ad tempusrecepti in Eoolesia, adsinistram pergant." In seinem
Werke (S. 694) teilt Morin atis einem andern Ritualbuch, das aus Ronen stammt,
eine Stelle mit, die mit der vorigen wörtlich übereinstimmt. .Dieselbe Formel
wird aus -einer, undatierten- Handschrift auch abgedruckt von H; A. Wilson,.
The Pontifical of Hagdalen College. London 1910, 286 [Henry Bradshaw. So-
ciety XXXIX]..
^ Migne CXLVI 1404. Jaffe 4ö72: „Extra ecclesiam, nisi ad extreme
mortis, absque commimione et mensae participatione et pace sit. Sed a coena
Domini sqlummodo reconciliettir tisque ad octavas Pentecostes." - >
. 3 ,, Qui reconciliantur, alii finita poenitentia parati sunt ad corptis Domin^
recipiendum, alii nondum digni sunt saoramentorum, .quia nondum poenitentiam
finierunt, sed ad gaudium tantae festivitatis cqmmunicandurri ex indulgen,tia
ad tempus in ecclesia recipiuntiir.'' Hauröau, Notices et extraits de quelques,
manuscrits latins de.la bibliotheque nationale V, Paris 1892, 249. Bei Migne-
CLXXI 509 verderbter Text und irrig Hildebert, Bischof von Le Mans, zuge-
schrieben. Vgl. auch den in der Diözese Gerona wohl schon im IL, Jahrhunderfc
üblichen Gebrauch: „Quia dies haec (Coenae,. Domini) dies est remissionis , et
gratiae, ipsis (poenitentibus) . . . poenitentiae pondus usque in octavas Pentecostes
raiserioorditer relaxet." Migne CXXXVIII 905. Espana Sagrada XLIII 492.
* Marlot 150: „Erunt poenitentes in ecclesia ab istadie Coenae Domini
usque ad octavas Paschae, audientes , di vina, communionem .tarnen seu Eucha-
ristiam non recipientes."" , ., ■ ' ;
3*
36 I. Die Anfänge -des Ablasses.
Kanonist Huguccio gegen Ende des 12. Jahrhunderts:^ Mit Huguccio»
stimmen überein verschiedene Kanonisten und Theologen' des -13.' 'Jahr-
hunderts , insbesondere ' W i Ih e Im v o n > B. e n n e s- in seiner Glosse zur
Summe Raimunds von Penaforte,^ Albertus Magnus,^ Thoma's
von Aquin,^ Wilhelm Durantis.^ '- ' ■' •' ' .' m--;
,i ■; In welchen! Verhältnisse steht nun die geschilderte -Vergünstigurig,*
diö an bestimmten Orten oder in ■ bestimmteriZeiten'den' öffentlichen
Büßern gewährt würde,' zum Ablaßweseh'?^- Gottlob,- 'ders die- Zu-
lassung der Büßer zum^ Gottesdienst in der österlichen Zeit' mit
Stillschweigen übergeht, . hat bloß den Büßerprivilegien, die an ''be-
stimmte Orte geknüpft waren, seine Auf merksainkeit" zugewendete
Diese Privilegien • gelten ihm nicht nur als die ältesten Ablässe, er
WiU auch in ihnen die Quelle aller anderen Ablässe finden. • Dies hbißt
jedoch den alten Privilegien eine Bedeutung beilegen, die ihnen nicht
zukommt. ' , ■, . , ■ '
Zunächst geht es kaum an, sie den Ablässen beizuzählen. -Nimmt
man den Ausdruck i,,Ablaß" im weiteren Sinne, so kann maii freilich
jene Büßerprivilegien sehr wohl zu den Ablässen rechnen; wie ja jede
Milderung der 'Buße als „Indulgenz" oder als- „Erlaß" bezeichnet
werden kann. Und eine Milderung der auferlegten Buße wurde': durch
das Büßerprivilegium tatsächhch gewährt. Nur war diese >Buß-
erinäßigung ganz anderer Art als jene, die beim eigentlichen Ablasse
stattfindet.^ Um den Unterschied besser zu verstehen, muß man
sich daran erinnern, daß im Mittelalter den öffenthcheh • Sündern
öfters eine zweifache Buße auferlegt wurde : zunächst kasteiende Buß-
übungen, vor allem das Fasten, dann solche Bußstrafen, die in einer
Entziehung geisthcher Güter (privatio bonorum spiritualium) be-
standen. Die öffentlichen Sünder wurden manchmal vom Gottes-
dienste, von der Anhörung der hl. Messe und dem Erapfang der
Kommunion ausgeschlossen. Es war dies eine Bußstrafe, die- man
' ' . '^.In seinem noch ungedruckten Kommentar zum Dekret Gratians (o. 64
D. -SO. Auf der Müuchener Staatsbibliothek. Cod." lat. 16247, Bl. 57) bemerkt
Huguccio, daß die vom Gottesdienst ' ausgeschlossenen - Büßer, welche ihre
Buße noch nicht vollendet haben, am Gründonnerstag von ihren Pfarrern in
die' Barche eingeführt werden sollen: „Et stent in ecclesia, sed non communicenfc
aliis in eucharistia vel in osculo, et sie sint usque in octavam pasche; postea
exeant de ecclesia et sint extra usque ad talem diem sequentis anni. Et'heo
(representacio) facienda est omni anno penitentie, quousque interdictüs est eis
generalis introitus in ecclesiam; nam secundum modum penitentie sibi'iniunctum
et profeotum penitentie quidam sunt foris usque ad annum, quidam usque ad
finem vite ... Et heo intromissio in ecclesiam fita propriis sacerdotibus, non
quando solemniter debent reconciliari in fine penitentie, illa enim' recohciliatio
soli episoopo oompetit." Huguccio nennt die Zulassung zum Gottesdienst
eine „reconciliatio ad introitum ecclesie", während er die volle- Rekonziliation
eine ,, reconciliatio ad communibnem sacramentorum" nennt. ' '
^ Summa 'Eaymimdi. Romae 1603, 441. - • '
3 Sent. IV. d. 14, a. 28. ■
* Sent. IV. d. 14, q. 1, a. 5, quaestiuncula 3 (Sum. Theol. Suppleni. q. 28, a. 3).
^ Breviarium aureum. Parisiis 1513, 184'. ' '
* Auf diesen Unterschied macht auch Falco 142 axifmerksam.
I. Die Anfänge des f Ablasses. 37
lißute. i als, , kleiner Bahn. , (excommunicatio minor) ■ bezeichnen würde.
Nun i^t aber, der; eigentlichiß,! Ablaß seinem Wesen nacb' ein Erlaiß
der- kasteienden . Büß- . oder - ^ Sündenstrafen. ' In ' den lErörterungenj
welche die, älteren^ Theologen' und Kanonisteh über den Ablaß ■ an-
stellen, werden, denn auch jene 'Büßerprivilegien nicht erwähnt.. Wo
dieralten Scholastiker vom; Ablaß handelnV^da sprechensie von einem
Erlaß, der kasteienden^ Bußstrafen,;, nicht vori einer Aufhebung der
privatio. bonorum spiritualiura. ' • , ■ '
;,! Damit soll freilich nicht gesagt ■ werden, daß, beides nicht öfters
miteinander: verbunden war, wie ja nicht seilten die 'Ablaßspende auch
noch andere. Vergüiistigungen im Gefolge /hatte. -Wurde z. B. einem
Kreuzfahrer, , der vom; Gottesdienst^ ausgeschlossen war, der voll-
kommene Ablaß zuteil, sor würde durch; die; Ablaßerteilung auch der
Ausschluß vom. ' Gottesdienst .aufgehoben. ,' ,
Ist es nicht (richtige die Privilegien, welche öffentlichen Büßern
gestatteten, in. -einer- bestimmten; Kirche -dem Gottesdienste beizu-
wohnen, , den eigentlichen /Ablässen beizuzählen, so geht es noch viel
weniger an, sie als die Quelle aller Ablässe zu bezeichnen. Man darf
vielmehr ruhig behaupten, / daß die; besonderen, an bestimmte Orte
geknüpften ' Büßerprivilegien' auf; das Aufkommen der Ablässe gar
keinen ;Einfluß=ausgeübtihaben^ ebensowenig wie das allgemeine, auf
die österliche Zeit beschränkte Büßerprivilegium irgendeinen Einfluß
auf das > Ablaß weseii gehabt hat. - Jene örtlichen Büßerprivilegien
hatten bloß, eine lokale Bedeutung, da, sie auf einen engen Raum
beschränkt. blieb*en;- im- früheren Mittelalter lassen sie sich nur- in
Septimanien und, in der spanischen Mark. nachweisen.^ - Abgesehen
von der Magueloner Domkirche, wurden auch im 10. und 11. Jahr-
hundert jene> älteren Privilegien nur einigen 'Benediktinerklöstern ver-
liehen,, die von Aniane aus reformiert worden'. und unter sich i eng
verbünden wären'.^ Aus dieser Verbrüderurig erklärt '''sich leichti
Avarum, das Büßerprivilegium,.; nachdem es einmal einem Kloster ver-
liehen ' worden war, auch vönf den: ariderien befreundeten Klöstern
nachgesü cht i wurde " ■
. jZum Schlüsse ist noch ein Mißverständnis aufzuklären, zu' dem
die »erwähnten 'Büßerprivilegien Anlaß-gegeben haben. Gottlob, hatte
zuerst angenommen, daß in diesen Privilegien- eine Beteiligung an der
Arbeit bei den Kirchenbauten gefordert war. „Die Erlaubnis des
Eintritles in die Kirche ist an die Voraussetzung der Beteiligung bei
der Arbeit geknüpft."^. Demgemäß erklärteer: „Es hat' sich zunächst
' i Im 13i Jahriiundert erhielten die Kathedrale von Hildesheim von dem
Diözesanbischof Hartbert' (1198^-^1216) und* die , beorgskirche in Heltelinge
(Diözese Halberstadt) von Hönöfius III. (1221) das Privileginm,^ daß' ah .feinem
bestimmten' Festtage die öffentlichen Büßer in "der betreffenden Kirche , dem.
Gottesdienste beiwohnen konnten. Näheres über diese zwei eigentümlichen
Privilegien wird weiter unten mitgeteilt werden.
* Über diese Verbrüderung der Klöster in Septimanien und in der spanischen
Mark vgl. Puckert 208 ff.
3 Gottlob, Kreuzablaß 204. .
88 I. Die Anfänge.des ' Ablasses.
ßiii Arbeitsablaß,, ein Abtäß für. persönliche' Hilfe an Kirclien--und
Elbsterbauten > herausgebildet. Die /Indulgenzen für AlmoseW, oder
sagen, wir für -finanzielle ■ Leistungen -zu denselben Zwecken, » sin'd
hinterher gefolgt,"^ Nachher hat 'er aber' diese Ansicht aüfgegel)en'.
Ih/dem Vorwort zu seiher zweiten Ablaßschrifl schreibt 'er: -„Hat zu
den? Bedingungen für den Genuß »dieses Privilegiums auch*die körper-
liche; Arbeit gehört? Bei näherem Zusehen ergibt sich^; daß wir-küf
diese Bedingung kein sonderliches Gewicht zu legen brauchen. ' Die
«rsprühgKche Ablaßbedingung - ist offenbar der Besuch 'der privi-
legierten Kirche gewesen. "^ Eigentlich braucht man auf jene Be-
dingung gar kein Gewicht zu legen, da in den hier in Betracht kommen-
den^ Privilegien niemals eine Beteiligung an Bauarbeiten * gefordert
wird. Es ist dann auch nicht' zutreffend, daß es zuerst Arbeitsablässe
gegeben hat und daß die Ablässe für Almosen hinterher gefolgt sind.
Richtig ist vielmehr, daß es zuerst Ablässe für Almosen und Kirchen-
besuch gegeben hat. Der Ablaß für persönUche Arbeit kam erst na.chher
auf und hat sich neben den Ablässen für Almösen bis zum Ende des
Mttelalters behauptet. ■ , -i .
Unter Berufung auf Gottlob haben verschiedene protestantische
■Gelehrte den von Gottlob selbst aufgegebenen- Irrtum .wiederholt.- So
!3chreibt A. Hauck: j^Andie Stelle der vom Büßer statt des^Bußwerks
persönhch vollzogenen Leistung trat im Verlauf die Geldzahlung.
Damit. war der Almosenablaß geschaffen."^ Auch H. Boehmer hat
die Ansicht vertreten, es sei zuerst in den alteniwestgotischen Gebieten
iSüdfrankreichs den Büßerii „Erlaß eines Teils der auf erlegten Buß-
werke" gewährt worden „unter der Bedingung, daß sie eine Reihe
von Tagen als Arbeiter an dem Bau einer Kirche oder eines Klosters
sich beteihgten. Dieser Erlaß oder Ablaß war sonach ein Erlaß- per-
sönlicher Leistungen* gegen eine andere persönhche Leistung, gegen
^ine persönliche Handarbeit, also ein Arbeitsablaß, Aber auch bei
diesem Arbeitsablaß machte . sich . alsbald die charakteristische ger-
manische Neigung geltend, die persönlichen Leistungen in • dingliche
umzuwandeln." An die Stelle des Axbeitsablasses sei der Almosen-
ablaß getreten.^ Beide Autoren haben übersehen, daß. der Gewährs-
mann, dessen erste Schrift sie anführen, schon im Jahre 1907 an .einer
zweiten Schrift seinen Irrtum widerrufen hat. ..
1 Gottlob, Kreuzablaß 197.
^ Gottlob, Ablaßentwioklung V.
3 Kirchengeschicüte Deutschlands IV* (Leipzig 1913) 945.
* Boehmer hat übersehen, daß in den Büßerprivilegien,, die er im Auge
hat, nicht von einem „Erlaß persönlicher Leistungen", sondern Von einer Er-
laubnis, dem Gottesdienste beizuwohnen, ,die Rede ist.
^ Boehmer, Das germanische Christentum, in Theol.' Studien und Kritiken
1913, 272 f. ^
la'^v^;:;! A.-.orio4Js;/i.sitM':>.v,.;LjV{ .M\ : ^'Ä*-
IL Mittelalterliche Absolutionen
als angebliche. Ablässe.
i ■*
In zahlreichen Quellen des früheren Mitti lalters kommen .Stellen
^^Ox, in denen Päpste, Bischöfe, Ordensoberen, ja auch einfache Geist-
liche Lebenden wie Verstorbenen ohne irgendeine Rücksichtnahme auf
•das Bußiristitut die Lossprechung von allen Sünden erteilen. Über die
IBedeutung dieser Absolutionen sirid^ schon öfters die verschieden-
artigsten Ansichten ausgesprochen worden; namentlich hat man in
den alten Generalabsolutionen die ältesten vollkommenen Ablässe, sei
es für .Lebende, sei es für Verstorbene, finden wollen. In einer Ge-
.schichte des Ablasses dürfen daher diese Absolutionen nicht unberück-
sichtigt bleiben! Um aber die frühmittelalterlichen Absolutionsformelpi
richtig zu erÖären, darf man ihnen nicht ohne weiteres , den späteren
•Sinn gleichlautender Formeln unterlegen; sie müssen vielmehr^ aus
sich selbst und aus ihrer Zeit heraus gedeutet werden. Wenden wir
zunächst unsere Aufmerksamkeit der Absolution der Verstorbenen zu,
weil diese weniger Schwierigkeiten bietet als dicLossprechungen der
liebenden und überdies das Verständnis der letzteren, erleichtern wird.
A. Die Absolution der Verstorbenen im früheren Mittelalter.
Beginnen ' wir die Untersuchung mit Gregor dem Großen, der
•uuf das katholische Mittelalter einen so tiefgehenden Einfluß ausgeübt
hat und auf den in mittelalterlichen Quellen bisweilen verwiesen wird,
wenn von einer' Absolution der Verstorbenen die Rede ist.^
Der hl, Kirchenlehrer spricht von der Absolution der Verstorbenen
•an zwei Stellen seiner Dialoge. Im 55. Kapitel des 4'. Buches^ erörtert
>er die Frage, was den Verstorbenen zu ihrer Absolution verhelfen könne
■{quid sit quod post mortem valeat ad absolutionem animas ädiuvare).
Als vorzüglichstes Mittel gilt- ihm das.hL Meßopfer,;;, dadurch würden
•die im Fegfeuer Leidenden '„absolviert".' Als Beispiel führt er den
Mönch Justus ah,' den -er wegen Verletzung der klösterlichen Armut
kurz vor dessen Tode £|.us der Gemeinschaft der Mönche ausgeschlossen
«ud dann ehrlos hatte begraben lassen, >der aber aus dem Fegfeuer
' ^ Vor Gregor I. war es in der römischen Kirche nicht Sitte, Verstorbene
2U absolvieren oder zu -verurteilen. Die Päpste Leo I. (t'461), Gelasius (f 491),
^Vigiliuä (t 555) erklärten, daß die Kirche hierzu kein Recht habe. Vgl. F. Kober,
Per Kirchenbann. Tübingen 1857, 525 ff. Decretum Gratiäni.' C. XXIV. q. 2.
'«. 1 ff. . • " ' , >
* Migne LXXVIL 416 ff.
-40 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe.
befreit wurde, nachdem für dessen Absolution (pro absolutione illius)
30 Tage hintereinander das hl. Meßopfer dargebracht worden war.
Am 30. Tage sei der Mönch seinem leiblichen Bruder erschienen, lim
ihm anzukündigen, daß es ihm nun gut gehe, da er soeben zur Ge-
meinschaft zugelassen worden sei. Daraus ward offenbar, so schließt
Gregor se'ine Erzählung, daß.jier Verstorbeng ;durch das heilbringend©
Opfer aus dem Pegfeuer erlöst 'wurde.^ Ausdrücklich wird also von
Gregor selber die Erlösung aus dem Eegfeuer der Kraft des hl. Meß-
opfers zugeschrieben. An die Spendung eines vollkommenen Ablasses,
ist nicht zu denken.^
Man beachte woy, daß hier unter „Absolution*' nichts anderem
als die Befreiung aus dem Eegfeuer zu verstehen ist. Da aber dies&
Befreiung, wie durch das hl. Meßopfer, so auch durch frommes Gebet
erwirkt wird,^ erklärt sich leicht, wie man im Mittelalter das BeteÄ
für die Verstorbenen als ein Absolvieren bezeichnen konnte.*' Daß-
dieselbe Bezeichnung auch heute noch üblich ist, braucht nicht eigen»
hervorgehoben zu werden. 'Man äenke nur an die Absolution (fran-
zösis^' absoute) ,' die am Schlüsse der Exeqüienmesse stattfindet.
Die^^bsolution, wie treffend bemerkt wurde,^ „hat weder salcramen-
talen noch kanonischen Charakter, sondern ist ein Flehgebet um
Sünden- und Straferlaß für den Verstorbenen, also um At)solutiork
von selten Gottes".
Gregor der Große spricht noch an einer anderen Stelle seiner
Dialoge von der Absolution der Verstorbenen. Im 23. Kapitel' des.
2. Buches erzählt er ein seltsames Ereignis, das dartun soll/ wie kräftig
schon bloße Drohungen des hl. Benedikt gewesen seien.* Zwei leicht-
fertigen Nonnen, die ihre Zunge nicht zu beherrschen wußten, hatte
derJHeiligeisagen lassen,^ ero;werdölsie;iexkommünizier
nicht besserten. Die beiden Klosterfrauen, die sich diese Drohung;
nicht zu Herzen nahmen, starben bald nachher und wurden in der
Kirche begraben. Wenn nun in dieser Kirche das hl. Meßopfer ge-
feiert wurde und, wie damals üblich, der Diakon ausrief : Wer an der
Kommunion (Gemeinschaft) nicht Anteil hat (si quis non communicat)^
der entferne sich,' da sah die frühere Amme der zwei Nonnen, welche.
1 Vgl. Franz 244 ff.
' Hilgers 63 ff. meint, Gregor habe dem Mönch Justus einen vollkommeneii.
'Ablaß gespendet. 'Vgl. Beringer-Hilgers I 664.
' Sicardus, Mitrale 1. 9, c. 50:' „Pro his qiii in purgatorio detinentxir,.
oramus, eis modo mitiorem poenam, modo plenam absolutionem orationibus
impetrantes." Migne CCXIII 424.
* Ducange I 33 f.: „Absolvere deftinctos est dicere coUectam mortuonims
Absolve, Domine, animas fideliumdefunctorum . . . Absolutio = colleeta.
seu oratio pro mortvds, illa praesertim quae incipit: Absolve. Item quaevis.
»liae orationes pro deftmctis."
^ V. Thalhofer im Kirchenlexikon I 129. ,Vgl. Cabrol,, Absoute des^
morts, in Dictionnaire d'archöologie chrötienne et de liturgie I, Paris, 1907, 200 ££►
• Migne LXVI 178 ff. ' _ • ■ ;,.' ' '.
' Vgl. hierzu Responsa canonica Timothei episcopi Alexandrini (f 385)t
„In divina oblatione' diaconus ante salutationem edieit :( Qui/non oommunicatis^
A. Die AJbsolution der Verstorbenen im früheren' Mittelalter. ;4t.'
für sie die Opfergabe , (oblationem) dem Herrn darzubringen pflegte,
wie.die ..Verstorbenen aus ihren Gräbern hervorkamen und fortgingen.
Der hl. Benedikt, dem dies, berichtet wurde, übergab sofort Personen
seiner. Unigebung ein Opferund sagte dhnen: Gehet und lasset dies.
Opfer (hanc oblationem, also nicht das hl. Meßopfer) für. die Ver>
storbenen' Gott, darbringen, und .sie werden nicht länger exkommuni-
ziert sein., Als dies Opfer (quae oblatio) für sie dargebracht war und
der Diakon ausrief, daß diejenigen, die nicht zur Gemeinschaft .gehören,,
die Kirche verlassen sollen', sah man jene nicht mehr, aus der Kirche
hinausgehen. ',, Hieraus", bemerkt Gregor, „zeigte sich ganz klar, daß
sie, "weil sie 'nicht, niehr mit denen, die von der 'Gemeinschaft, aus-
geschlossen waren, sich entfernten, die Gemeinschaft (communionem)
vom' Herrii durch, den Diener Gottes erhalten hatten." Durch die
Darbringüng. der Opfergabe hatte eben der hl. Benedikt kundgeben
wollen, daß die Exkommunikation der beiden Nonnen aufgehoben sein
solle; ; Wer nämlich in der alten Kirche das ^Recht erhielt, eine Opfer-
gabe darzubringen, wurde hiermit in die kirchliche Gemeinschaft aüf-
genommen.i , . • , '^ '
Es darf nicht übersehen, werden, daß hier von' eineri Erlösung aus
dem Eegf euer keine; Rede ist. In dem Falle des ; Mönches Justus,
für den 30 Tage- hintereinander das hl, Meßopfer dargebracht wurde^
bringt' allerdings' Gregor die Erlangung der „Gemeinschaft" mit der
Befreiung ' aus dem, Eegfeuer in Verbindung; Hieri aber tut er das
nicht. Auf Grund seiner Erzählung kami man bloß von. einer Auf-
hebung der Exkommunikation sprechen.. Der hl. Benedikt hätte
freilich die Exkommunikation nur^ angedroht. Aber Gregor erzählt
ja gerade den Fall der zwei Nonnen,. um damit zu beweisen, daß schön
die bloße Drohung des Heiligen dasselbe bewirkte, wie ein ausdrück-
licher Urteilsspruch. 2 Inf olgedessen- waren die, zwei Nonnen, nach der
Erzählung Gregors, wenn auch nicht vor den Menschen, so doch vor
Gott exkommuniziert. Deshalb mußten sie vor. Beginn der Messe der
Gläubigen mit den Exkommunizierten; die Kirche, verlassen; die für
sie dargebrachten Suf fragien , hatten; . keine Geltung • in den Augen
Gottes. Er st. nachdem der hl. Benedikt durch Darbringüng einer
Opfergabe den Willen' kundgetan hatte,-. daß die. Nonnen wieder zur
Gemeinschaft der Gläubigen igehören sollten, hielt sie ,auch Gott nicht
ambulate." Dazu die Bemerkiuig Balsamons: „Quando ad sacram mensam.
ßancta^ off erenda sunt, ■ dicitür .prof anis : Qui non communicatis, ambulate, sive»
Catechunieni, exite,'.'. Migne, Patr; '.gra'ec. XXXIII 1302. -Noch im 12. Jahr-
hundert ■ schreibt Gilbert, Bisehof .'Von'Limerick(1106' — 39): „Diaconorum est
dicere: Exeant qui non communicant." Migne CLIX 999.
^ Deshalb heißt es in einer erläuternden' Anmerkung zur. obigen Stelle der
Dialoge Gregors : „Oblationes olim fuisse instar, modi seu facultatis cuiusdam»
qua ius communionis comparabatur." Diese Erläuterung ist entnommen atis
G. de TAubespine, De veteribus-Ecelesiaeritibus observationes I 10:- „Qua
ratione mortuis ius' communionis redderetur.". Opera. Neapoli 1770^ 25,.
-*' Migne LXVI 178: „Si qiud vero .unqug,m non iam decernendo, sed
■minando diceret, tantas vires sermo illius habebat, ac si hoc non dubie atque
suspense, sed iam per sententiam protulisset."
*42 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe.
:melii für exkommuniziert: ,,Commanionem;a Domino per servum Dei
jeceperunt." Es liegt demnach, kein Grund ; vor, hier die Spendung
;eines vollkommenen Ablasses anzunehmen.. . .• • ■■■{■
Gregor hat seiner : Erzählung eine nicht unwichtige Bemerkung
beigefügt. Da der Teilnehraer am Gespräche ' sein Erstaunen' darüber
-aussprach, daß der hl. Benedikt während seines irdischen Lebens die
Seelen im Jenseits von ihren Banden lösen konnte, so erwiderte. Gregor ;
,War denn der Apostel Petrus nicht auch noch mit der sterblichen
Hülle umgeben, als der Herr za ihm sprach : Was du binden wirst usw.' ?
j, An seiner Stelle üben nun die Binde- und Lösegewalt aus, die das
heilige Vorsteheramt mit Glauben- und tugendhaftem .WarideL ver-
walten. "^
Diese Worte sind in zweifacher Weise gedeutet worden. Nach
Bellarmin würde es sich bei dem von Gregoi erzählten Vorfall um
ein Wunder handeln, wodurch Gott zeigen wollte, wie sehr die War-
nungen der Heiligen zu beachten seien. Wenn. aber Gregor sich 'auf
•die Binde- und Lösegewalt beruft, die Petrus und dessen Nachfolger
von Christus empfangen haben, so habe er bloß einen Ahnlichkeits-
beweis führen wollen. Wie die kirchlichen Oberen; obschon sie nur
:ster bliche Menschen sind, kraft göttlicher Vollmacht über geistliche
Dinge urteilen können, so konnte auch der hl. Benedikt in- seinem
irdischen Leben durch ein besonderes Privilegium, das ihm Gott ver-
Jiehen, abgeschiedene Seelen von der Exkommunikation lösen.^ Andere
-meinen, Papst Gregor habe die von Benedikt ausgeübte Vollmächt
„als eine mit der Jurisdiktionsgewalt der Vorsteher in der Kirche ver-
bundene, nicht außerordentliche, auf den hl. Benedikt beschränkte"
darstellen wollen.^ Aber selbst wenn diese Deutung die richtige sein
sollte, so wäre man nicht berechtigt, anzunehmen, der hl. Gregor
habe lehren wollen, daß die kirchlichen Vorsteher, nicht_nür die Päpste
und die Bischöfe, sondern auch die Ordensoberen,* von Christus die
Vollmacht erhalten '-haben, den Verstorbenen Ablässe- zu erteilen.
Man könnte dann bloß sagen, Gregor habe gelehrt, die kirchlichen
Vorsteher . hätten die Vollmacht, Verstorbene von der Exkommurii-
Tsation zu lösen.^
In diesem Sinne hat die im Jahre 1031 abgehaltene Synode von
Limoges die Worte Gregors verstanden. Ein Abt hatte, einen ex-
^ Ebd. 180: „Cuius (Petri) niinc vicem in ligando et.solvendo ,obtinent
-qui locum sanoti regiminis fide et moribus tenent. Sed ut tanta valeat homo
de terra, coeli et terra conditor in terramvenit a coelo, atque ut iudicare. caro
etiam de spiritibus possit, hoc ei largiri .dignatus est.'.'
* De indulgentiis, l. I, c. 14. ■ Disputationes de. controversiis christianae
■fidei III, Ingolstadii 1601, 1551 f.
3 So Hilgers 60. .
* Wahrscheinlich war der hl, Benedikt nicht Priester. Vgl. ^R. Mitter-
müller, Vita et Regula. S. Benedicti. Ratisbonae 1880, S. IX.
• ^ i^an beachte auch, daß Gregor an dieser Stelle nicht von allen kirchlichen
•Vorstehern spricht, sondern von solchen, „qui locum sancti regiminis fide et
nxcribus tenent".
A. Die, Absolution der iVerstorbenen , im früheren -Mittelalter. 43
lEommunizierten . Raubritter ohne Erlaubnis, des zuständigen Bischofs
beerdigt. Bei der Erörterung dieses ;PaUes erklärte die Synode:.' Es
ist aUb;ekannt, wie .die,, heiligen Konzilien verordnet haben, daß; wenn
einer, den sein Bischof exkommuniziert hat, ohne sRekonziliation- stirbt,
•ein solcher nicht christlich beerdigt werden darf, es sei dehn, daß der
Bischof die, Absolution, und' die, Erlaubnis,, dazu .gegeben hat, indem
JPreunde oder Verwandte. für ihn .Genugtuung leisten.^ Auch soll für
ihn nicht, gebetet und sein'Yermögen nicht als Almosen -angenommen
werden, bis er vom Bischof absolviertest. Erklärt doch der hl. Gregor:
'Christus hat, seiner; jKirche eine so große Gewalt gegeben, daß' auch
jene, die. noch hier , auf. Erden sind, Verstorbene ai)sol vieren können,
die sie, bei deren Lebzeiten gebunden hatten.. Denn der hl. Benedikfc
hat zwei. Noimen,- die, gebunden starben, nach deren Tode absolviert.
Und, Gregor selber hat einen Bruder (Justus) vor dessen Hinscheiden
gebunden und hat, nicht erlaubt, .daß.man für ihn bete oder ihn kirchlich
beerdige. Später aber, nachdem der Bruder schon längst gestorben
war, hat er ihn absolviert und- für ihn beten lassen.^ Hieraus ersieht
man,, welche Bedeutung die Konzils\!;äter, der Absolution,- der Ver-
.storbenen- beilegten:- Solange der in der Exkommunikation Verstorbene
nicht, absolviert is,t, darf. man ihn nicht kirchlich; beerdigen und- nicht
für ihn beten; erst wenn er, rechtmäßiger weis.e vom Banne .losgesprochen
ist, darf ihm kirchliches Gebet und Begräbnis zuteil .werden.^ < In dem-
selben Sinne verstehen die mittelalterlichen .Kanonisten und Theologen
■die :Lossprechung Verstorbener von der Exkommunikation*.. -Sie, gilt
ihnen als eine Erklärung, daß man dem. Absolvierten die kirchlichen
.Suffragien zuwenden kann. Es, genüge, hierfür, auf den, Kardinal
Hostiensis (Heinrich von Susa),^ den Dominikaner Wilhelm ;von
^ „Sitisfaoientibu? pro eo amicis vel pareatibui." Hier handelt es sich
aiichfc una. eine stellvarbretende G-enugbuung oder Bußleistung für die Seele des
Verstorbenen, wie Hilgers 61 meint, sondern um eine von Rechts wegen ge-
iforderte Ersatzleistung für begangenes Unrecht. Vgl. darüber Deoratales c. 28. X.
<de sent. excom. V. 39. Hinsohius IV 724; V 147. F. Kober, Dar Kirchenbann.
Täbingeh 1857; 533. '
a Mansi XIX 539. '
^ An einen Ablaß für Verstorbene hat die Synode sicher nicht gedacht.
iSahr mit Unrecht schreibt daher Gröne 79:',', Als diese Gewalt der Päpste (den
Verstorbenen Ablässe.^zu erteilen) mehrfach Be,denken und Angriffe erfuhr, wurde
sie auf dem zvreiten Konzil von Limoges um das Jahr 1031 von dem' Bischöfe
•Jordanu? daselbst, sich stützend auf Gregors des Großen Dialoge, sehr, ange-
legentlich Verteidigt." Auch Hilgers 60 findet in der Erklärung der Sjrnode
won 'Limoges eine Anerkennung des Ablasses für die Verstorbenen.
* Daß., diese Lossprechung bisweilen „indulgentia" genannt wurde, darf
aiicht wundernehmen. Das Wort „indulgentia", kann eben mancherlei bedeute^.
Von dem gebannten Herzog Ernst von Schwaben (f 1030) berichtet der gleich-
zeitige Geschichtschreiber Wipo, er, sei in Konstanz kirchlich beerdigt, worden,
nachdem ihm zuvor der Kbnstanzer Bischof „Indulgenz" für die Exkommuni-
kation , erteilt hatte,, ,,prius aooepta. indulgentia a potestate episcopali pro
«xcommunicatione". Mon. Germ. S,S. XI 269.
» Summa Hostiensis. Venetiis 1480. L. V, t. de remissionibus, c. 5.
44 .i II. ilVJittelalterliche' Absolutionen als- angebliche Ablässe. ■ -
Rehne^s,' den Glossator Raimunds von Pefiaforte,! und auf 'den Fran-
ziskaner Mäyron^ zu verweisen. - . < ; . - . , v >.
/Eine viel größere Wirksamkeit wird aber in einer weitverbreiteten
'Legende derf Absolution zugeschrieben, die Papst Gregor I. einem ex-
kommunizierten Mönch nach dessen Tode' erteilt haben soll." Die
betreffende Erzählung findet sich zunäclist in dem „Pratum" spirituale'^
des Johann Moschus, der' nach mancherlei Wanderungen um 6l&
zu Rom gestorben ist.^ Es ist allerdings fraglich, ob schon Moschus
selberrsie in sein Erbauungsbuch aufgenommen hat. ^ Gleich' anderen
Geschichten ist sie vielleicht erst nachträglich in die Schrift' eingefügt
worden. Jedenfalls war sie bereits in der zweiten Hälfte des 71' Jahr-
hiinderts unter dem Namen des Anastasius Sinaita 'in weiteren
Kreisen verbreitet.* Später hat sie Johann Diakonus unter- aus-
drücklicher Berufung auf das „Pratum spirituale" der Lebens-
beschreibung Gregors des Großen einverleibt, die er in den Jahren
873^75 im Auftrage des Papstes Johann VIII. Verfaßt hat:^
In dieser Erzählung handelt es sich um einen Mönch, der in dem
römischen Klöster, das von Gregor gestiftet worden^ gegen die Armut
sich vergangen hatte. ^ Als Papst Gregordavon Künde 'erhielt, ließ er
den* pfhchtvefgessenen Mönch' aus der' Gemeinschaft ausschließen^
Dieser starb Mbald nachher: Von Mitleid gerührt, schrieb' nun Gregor
jeinGebet auf eineni Zettel und übergab ihn seinemArchidiakonmitdem
Auftrage, hinzugehen und das Gebet über 'dem Grabe des Verstorbenen
zu; verlesen. 'Auf dem Zettel aber war geschrieben; daß der hingeschiedene
Brüder von der Exkommunikation losgesprochen sein soUe.* Der Arc'hi-
diakon tat; wie ihm befohle^i worden. In der darauf- folgenden Nacht
erschien der Verstorbene dem Abt und sagte ihm: Bis gestern war
ich im Gefängnis, gestern aber bin ich freigesprochen worden (abso-
lutus sum). 8p wurde allgemein bekannt, daß zur selben Stunde,
da der Archidiakon die Worte der Absolution über den Verstor-
benen verlesen hatte, dieser von der Exkommunikation absolviert und.
seines Seele von der über sie verhängten Strafe befreit wurde.'
Wie in deii Dialögen Gregors des Großen, in dem oben angeführten
Kapitel, das sich mit dem Mönch Justus beschäftigt, von zwei leiblichen
. ^ Summa Baymundi. Roniae 1603, 435. , ' ^ '
'' ' 2 Sent. IV, 'd. 21, q. o, a. 9. Venetiis 1519, 219. Vgl. auch Kober'625 ff-
' '3.P;^a;tuih spirituale, cap.,192. Migne, P.'gr. LXXXVII 3071, griechisch
und lateinisch. ^ Jtjigne, P. lat. LXXIV 220 f., nxir lateinisch.
' f Als „Anastasii narratio" mitgeteilt von^Pitra, Iuris ecclesiastici Grae-
. corxim historiia et: monumenta H, Romae 1868, 276 f., und von F. Nau, I^
texte grec des röcits utiles ä l'äme d'Anastase le Sinaite, in Oriens Christianus IH»^
Romae 1903, 84- f. Nau (S. 59) läßt es unentschieden, ob die Geschichte nach-
— fraglich deirSclirift von Moschus beigefügt worden, oder ob sie zuerst von Moschus
veröffentlicht und später dem Anastasius zugeschrieben worden sei.
• ' " Vita S. Gfegorii II 45. Migne LXXV 106. .
■ • „Peripsäs verolitterasabsolvebatabexcommunicationisnexibusmortuum.
' ' „Notttm vero factum est omnibus quia qua hora archidiaconus absolutionis-
verba super fratrem leger at, fuerat ab excommunicatione absolutuSj'liberataque'
est de iudicio et damnatione anima ipsius."
A. Die Absolution der Verstorbenen iiii früheren Mittelalter. 45
JJrjädern die ,R,ede ist, von denen der eine unter Verletzung der klöster-
lichen Armut, drei Goldstücke! sich , angeeignet hatte, so kommen- auch
in der späteren -Erzählung zwei|, Brüder und drei iGoldmünzen vor.
Nicht mit.Unrechttnimmt.jdaher, Pitra an, daß es sich in den^ beiden
Erzählungen , um ein. und- denselben Fall handelt, Der .spätere Erzähler
hat;bloßider in den Dialogen geschilderten Geschichte eine neue Aus-
schmückung gegeben. .Daraus^ kann, man ersehen, so fügt Pitra hei,
anif. welch schwachem Fundamente die bei den Orientalen so bekannten
Absolutionsbriefe für ^erstorbene beruhen.^ , . .' : ■
. Es^kann in der Tat kaum einem'Zweif el unterliegen, daß die zuerst von
Moschus oder iAnastasius' Sinaita^verzeichnete ; und bald in weitere Kreise
verbreitete Legende Anlaß gab zur Einführung der sohriftlichenAbso-
luti,onsge,bet,e iür Verstorbene, wie sie.heute noch in der griechisch-
orthodoxen Kirche, gebräuchlich sind. Heute. noch wird vor der Beerdi-
,gung folgend.es Absolutionsgebet vom Priester über die Leiche verrichtet :
;„Der .Herr. Jesus Christus, unser Gott, welcher seinen heiligen
Jüngern und Aposteln seine: göttlichen' Gebote gegeben, daß sie binden
-oder lösen dies Sünden der .Gefallenen; und, voh denen auch wir die
Macht, bekommen f, haben, dasselbe zu tun; wolle dir, mein geistliches
Kind,vv^asdu im, gegenwärtigen Leben absichtlich oder unabsichtlich
begangen hast,; vergeben."^ , > , '
Nebst diesem Absolutionsgebete, wird noch ein anderes gelesen, das
Süvd ein Blatt gedruckt, ist und in den Sarg in die Hand des Verstorbenen
gelegt ,^ird:;' , ' , ,^ ' - ^ . , ' ' . > . • ' >-
. „Unser , Herr Jesus Christus wolle, durch seine göttliche Gnade.
Gabe , und Macht, dieser seinen Jüngern > und Aposteln gegeben hat,-
zu binden, und, zu lösen,' die .Sünden der Menschen, mdern er sagte:
Nehmet, hin den Hl. Geist usw., und; Was ihr binden pder lösen
werdet us^^r., und die, von jenen auch auf uns durch Nachfolge, über-
kommisn. ist, durch mich Demütigen erteilen Vergebung auch diesem'
meinem, geisthohen Kinde alles» dessen, was es. ^ wider Gott ; gesüiidigt
hat im Worte oder im. Werke oder in ,Gedanken und mit allen seinen
Sirine^n,j absichtlich ;pder unabsichtlich, bewußt oder' unbewußt. Wenn
■es aber unter, Fluch, oder Exkommunikation eines Bischofs oder Priesters
war, oder wenn ;es dem Fluch .seines Vaters ,oder seiner Mutter unter-
worfen, war, pder in seinen eigenen B^luchv verfallen war, oder. einen
Eid übertreten hat, oder in- andere Sünden als Mensch verstrickt war,
•aber alles mit zerknirschtem Herzen bereut hat, möge es von Schuld
und Band, alles, diesen gelöst, sein. "^
^ „Quam lubrico nitantur fundamento (litterae de defunetorum abso-
lutiönibus), ex illo''disee exemplo, in' quo miram in modum pervertitur ingenua
'©t authenbioa dialogorutn pagina',"
' * A. Vi'.IVSaltzew,; Begräbnis-Ritus der' orthodox-katholischen Kirche des
Morgenlandes. Berlin 1898, 121. Vgl. Vorwort VIII. Goar, Euohologion siye
Jiituale Graecorura; Venetiis 1730, 543.,
* Maltzew 132 f. A. Bukowski, Die Genugtuung für die Sünde nach
■der Auffassung der r assichen-, Kirche. Paderborn' 1911, 134 f. [Forschungen zur
christlichen Literatur- und 'Dogmengeschichte XI 1].
46 IIw Mittelalterliche Absolutibhen als angebliche Ablässe. '
( y'Da& den Verstorbenen eine geschriebene Absobitiönsformel mit'
ins Grab gegeben wird, ist in der russischeii 'Kirche seit' dem 11. Jahr-
hundert in Gebrauch. So wurde ina' Jahre 1054 Großfürst Jaroslaiw* Ir^
der Sohn des hl. Wladimir, beerdigt mit einem Absolutionsgebet^ das
dessen Beichtvater niedergeschrieben hatte.^ Schon früher war es abfer
in: der griechischen Kirche üblich,' die Verstorbenen zu absolvieren';
Wird doch aus dem Ende des 9. Jährhunderts berichtet,' daß' 'der
byzantinische Kaiser .Alexander, der Bruder Leos VI., seinem Vater
Basilius I. (f 886) nach dessen Tode eine Absolution ' erteilen ließ.^
/ J. G. Pitzipios, ehemals orthodoxer Geistlicher,' später unierter
Gründer der christlich-orientalischen Gesellschaft, berichtete um die
Mitte des vorigen Jahrhunderts, daß noch zu seiner Zeit die orthodoxen
Patriarchen von Konstantinopel und Jerusalem ' Absolutionszeugnisse
für Verstorbene auszustellen pflegten. In der schriftlichen Absolution,
erklären die Patriarchen, daß sie kraft der von den Aposteln ver--
liehenen Gewalt, jede Sünde zu binden und zu lösen,' dem Ver-
storbehen, auf dessen Namen- die Urkunde ausgestellt wird und der
zuweilen schon vor 10 oder 20 Jahien verschieden ist, die Sünden
vergeben, welche er bei Lebzeiten zu beichten nicht die Zeit gehabt
oder unterlassen hat; und sie beten zu. Gott, daß er ' die- Fürbitten
der Kirche berücksichtigen und die Seele dös Verstorbenen trösten^
von den Qualen, welche sie erduldet, erlösen,- ihr Vergebung'ange-
deihen lassen und sie in das Paradies aufnehmen möge.^ Pitzipios.
sah in diesen Absolutionen wirkliche Ablässe, die den Verstorbehen
erteilt werden. Dagegen erhob jedoch der russische ■ Theolog Sere-
dinskij entschieden Einspruch; Nach ihm wäre die heute' nöcher-
teilte schriftliche Absolution, wie auch das Absolutionsgebet, das die-
orthodoxe Kirche seit dem 11. Jahrhundert arb. Grabe der Gläubigen
zu cverrichten und dem Verstorbenen in die Hand zu geben pflege,,
aufzufassen als ein Gebet zu Gott, 'daß ei dem aus dem "Leben
Scheidenden die Sünden verzeihe, oder als eine Bezeuguiig ' der
Sündenvergebung, die der Verstorbene noch bei Lebzeiten durch den
Emptfang des Bußsakrameiits erhalten hat.* „'Daß diese Formel";
so bemerkt hierzu der Jesiiit Buk'owski, ,',von der Erteüuhg eine»
eigentlichen Ablasses notwendig verstanden werden müßte, läßt sich
wohl kaum behaupten. Aber noch weniger wird die Erklärung Sere-
dinskijs dem Wortlaute gerecht." An die Erteilung eines Ablasses-
ist siöher nicht zu denken,' da ja die orthodoxen Theologen den- Ablaß
schroff verwerfen.** Auch die Spendung einer sakramentalen Los-
sprechung von den Sünden ist nicht anzunehmen. Wie der Wortlaut
der Absolutionsformeln zeigt, kann es sich auch nicht um eine bloße-
Lossprechung von kirchlichen Zensuren handeln. Es bleibt also nur
die Annahme, daß man es mit eigentümlichen Gebeten- für die Ver-
^ Diotionnaire de theologie catholique I, Paris 189Ö, 256.
: . 2 Goar 544.
ä Pitzipios, L'%lise Orientale I, Rome 1855, 79. "Vgl. Bukowski 134^
* Bei Bukowski 134. ^ Vgl. Bukowski 117 ff.
A. .Die .Absolution der Verstorbenen, im früheren Mittelalter. 4X
storbenen ZU tun hat. Dies , wird noch deutlicher hervortreten, 'wenn
man ganz ähnhche .Gebräuche der abendländischen Kirche in Betracht,
zieht. Denn auch im^ Abendlande war es im früheren Mittelalter
gebräuchlich, den Verstorbenen vor der Beerdigung eine Lossprechung
von den Sünden .zu erteilen und ihnen die geschriebene Absolutions-
formel mit ins . Grab zu geben.
In den von Lanfranc (f 1089) verfaßten Statuten für den Bene-
diktinerorden wird bestimmt, daß dem heimgegangeiien Mönche eine
schriftliche und von den Brüdern verlesene Absolution mit ins Grab'
gegeben und auf seine Brust gelegt werde .^ Den Text einer solchen
Absolution fand man im Grabe eines 1071 verstorbenen Mönchs der
AbteiSt.Fronto in Perigueux.^ Eine ähnliche Absolution hat Petrus.
der.Bhrwürdige , Abt von Cluni, für den 1142 verstorbenen Abälard
ausgestellt. Heloise hatte den- Abt ersucht, ihr die Absolution. Abälards
schriftlich mitzuteilen, damit sie dieselbe an seinem Grabe aufhängen
könne. , Abt Petrus, kam dieser Bitte nach. Er sandte der Äbtissin
von. Paraklet, eine .Urkunde, ;worin er den verstorbenen Gelehrten von
allen seinen Sünden lossprach.^ Wie Petrus der Ehrwürdige einmal
eine hingeschiedene Klosterfrau absolviert hat,; erzählt er in einem
seiner Briefe: Er'habe zuerst ihre Seele, wie es seines Amtes war (pro.
officio), absolviert; dann habe er das hl. Meßopfer für sie dargebracht;
schließlich habe er sich zu ihrem Grabe begeben, um über ihre Leiche
eine feierliche Absolution mit Gebet zu erteilen.* •
Derartige Absolutionen wurden auch in Italien über dem Grabe
der Verstorbenen gespendet, wie ein aus dem 11. Jahrhundert stammen-
des Ritualbuch beweist, das in einer Benediktinerabtei der. Diözese..
Santa Severina (Kalabrien) verwendet wurde. Die in diesem Buche
verzeichnete Lossprechung von allen Sünden wurde nicht in depreka-
tiver Form gespendet; sie geschah vielmehr in indikativer Form, wobei
man sich ausdrücklich auf die von Christus dem hl. Petrus mitgeteilte
Lösegewalt berief.^ /
^ Migne GL 514: „lUud (corpus) in sepulcro componant, et absolutionem
scriptam et a fratribus lectam super pectus eius ponant."
2 IV^igne LXXVIII 447: „Dominus Deus omnipotens, qüi potestatem dedit,
sanotis apostolis suis ligandi atque solvendi, ipse te dignetur absolvere, F. Elia,
a cunctis peccatis tuis; et quantum meae fragilitati pefmittitur, sis absolutus ante
faciem illius qui vivit et regnat in seculo secülorum."
3 Mjigne GLXXXIX 428: .„Ego Petrus ClTiniacensis, qui Petrum Abai-
lardum in möriachunx Oluniacensem suscepi, et corpus eius fiirtim delatum
Heloisae abbatissae et monialibus Paracleti concessi, auctoritate omnipotentis
Dei et omnium sanotorum absolvo euth pro officio ab omnibus peccatis suis."
* Ebd. 210: ,, Super venerandum corpus solemnem cum oratione absolu-
tionem dedi.",
^' Mittarelli, Annales Camaldulenses 11, Appendix, S. 346. „Absolutio-
supra sepulohrum: In eapotestate vel aüctori tater fidentes, quam D. N., lesug
Christus b. Petro apostolo tribuit, dicens: Quodcuiiique ligaveris etc., et caeteris
dixit discipulis: Quorum remiseritis peccata etc., quantum nobis permissum'est»
ab omni vinculo peccatorum absolvimus te, ut quidqiiid suadente diabolo voluntäte-
48 II. Miittelalterliche Absolutionen als- angebliche Ablässe.
Die Sitte, die Verstorbenen unter Berufung auf die kirdiliche Lo'sb-
geWalt von den Sündeii^ loszusprechen, . war namentlich in- England
weitverbreitet. Ein Zeremoniale der Benediktinerabtei Evesha;m,
das wahrscheinlich gegen Ende des 13. oder am Anfang des 14. Jahr-
hunderts geschrieben worden ist,^ verordnet bezüglich der Beerdigung
■der Mönche, daß alle anwesenden Brüder gemeinsam mit dem Abt
über die Leiche, nachdem sie ins Grab gelegt worden, eine Absolution
sprechen, und , daß diese Absolution auf, ein Blatt ' geschrieben und
■dem Verstorbenen auf die Brust gelegt werde. ^ Dieselbe Absolution
«oUte dann 30 Tage lang nach der Messe von dem zelebrierenden Priester
■am Grabe wiederholt werden.^
Nicht nur den Mönchen, auch den Laien wurden in einigen eng-
lischen Diözesen eine schriftliche Absolution mit ins Grab gegeben, so
z. B. in der Diözese Salisbury.* Das Rituale von York erwähnt
■diesen Gebrauch nicht; doch enthält es eine Absolution, die über die
Leiche, nachdem sie ins Grab gelegt worden, gesprochen werden sollte.^
Im Laufe der Zeit kamen in der abendländischen Kirche' abge-
-aüt oparabione commisisti, quantura Dao adiuvante possumus, tantum tibi in-
•dülgemus, ufc fraeta de collo tuo omnium delictoram catena liber et absolutus
venia? aate tribunal D. N. I. Chr. in vitaaeterna." Auch bei'üi^igne CLI 870.
1 Veröffentlicht von H. A. Wilson in der Sammlung der Bradshaw Society,
Bd. VI, London 1893. ■
2 jjLegantomnes absolutionem. super mortuum manibus exfcensis hoc modo:
Absolvimuä te, frafcer N., vice S. Petri apostoli cui Dominus dedit potestatem
ligandi atque solvondi, ut in quantum tua expetit accusatio et ad nos pertinet
xernissio, sit tibi omnipotens Daus creator tiius vita et salus et omhiiirh'pecca-
torum tuorum indultor propieius. — Alia absolutio: Dominus lesu:! Christus,
■qui b. Petro apostolo ceterisque" disoipulis licentiam dedit ligandi atque solvendi,
ip3e te abäolvat ab omni vinculo delictorum, o N.,,et quantum inee fragilitati
permittitur, sis absolutus ante tribunal D. N. I. Chr. habeasque vitam eternam
•et vivaä in sooula seculorum." S. 139 f.
^ S. 147 ff. In einer Anmerkung (S. 207) macht der Herausgeber darauf
•aufmerksam, daß dieser wiederholte Besuch des Grabes nur in etlichen Klöstern,
nicht allgemein üblich war.
* Manuale ad usum insignis Ecclesiae Sarum. Auszüge mitgeteilt von
W. G. Henderson in lM[i,nuale et Processionale ad U3um insignis Ecclesiae
liboracenäis. Durham 1875, 83*. [Publicatibns of the. Surtees Society LXIII]:
•i,Fi'nibis orationibu3 claudatur sepulohrunx, ponente prius sacerdote absolutionem
:super pectus def uncti, sie dicendo : Dominus lesus Christus qui b. Petro aposliolö
•ceberisque discipulis suis licentiam dedit ligandi atque solvendi, ,ipse te' absolvat
ab omni vinculo delictorum, et quantura meae fragilitati permittitur, sis absolutus
•ante tribunal D. N. I. Ch. habeasque vitam aeternam et vivas in saecula saecu^^
lorum." Vgl. The Sarum Missal, ed. J. Wickham Legg. Oxford 1916, US.
"W. Maskell, Monumenta ritualia Ecclesiae Anglicanae I, London 1846, 123.
Bei Henderson (Surbees Society LXIII, 194*) wird derselbe Brauch bestätigt
•dtiroh ein in Oxford verwahrtes Pontifikale aus dem 12. Jahrhundert. Vgl.
H. A. Wilson, The Pontifical of Magdalen College. London 1910, "'202 292
ifBradshaw Society XXXIX].
^ Henderson, Ma^nuale ad usum Ecclesiae Eboraeensis.' Surtees Society
LXIII, 99: „Absolutio super corpus in sepulcro. D. I. Ch. qui b. Petro etc.",
-wie oben in dem Rituale von Salisbury.
A. Die Absolution der Verstorbenen iih früheren- Mittelalter. 4^
sehen von einigen Klöstern;^, diesel eigentümlichen:, Absolutionen der
Verstorbenen ■ außer 'Gebrauch,' während , sie' sich <in. der : griechisch-
orthodoxen. Kirche, -die ja auch' sonst durch großen Konservatismus
sich auszeichnet;- bis aiif.deiiiheucigen. Tag erhalten haben. Wie 'aber
die Absolutionsformel, welche heute noch die russischen ■ Geistlichen
über '< die. . Verstorbenen, sprechen, i üur . als j ein Fürbittgebet • unds nicht
als- Ablaß gelten kann; so isiiid auch 'die tehemaligen^ abendländischen
Absolutionen der Verstorbenen,' trotz- ihrer iridikätiven Form und trotz
der; ausdrücklichen ' Berufung auf die f kirchhche = Lösegewalt,' nur ' lals
Gebete -für die Verstorbenen zu betrachten;'^ Biese alten. Absolutiöns-:
Formeln, Iwie sie so 5 häuf igi' von- einfachen Mönchen und gewöhnhcheh
Pfarrgeistlichen verwendet wurden, muß man* wohl im; Auge- behalten,
däiui wird. 'man. ganz > ähnlich ' lautende päpstliche oder 'l::|ischöf liehe
Absolutionen,, nicht so leicht, als ^vollkoinmene. Ablässe auffassen.? - >
Es. ist freilich . ;bemerkt wordenbi /^ Gewiß' hat es im. Mittelalter
zahlreiche; päpstliche' und bischöfliche AbsolutioheiL' gegeben, -die. .nur
einen frommen Segenswunsch und. eine Fürbitte^ enjßhielten '. .. . Allein
wennin einem echten' Aktenstückj.etwa einem Papstbriefe ausdrücklich
mit. Berufung auf 'die ^päpstliche Löse- und ■ Bindegewalt' die. „remissio
p3ccatorum"' verliehen-'wird, so muß man. darin 'die Verleihung der
Nachlassung der 'zeitlichen Sündenstrafen, einen Ablaß, sehen, woferii
nicht das Gegenteil nachgewiesen wird.".'^ ■ Demgegenüber hat 'man
jedoch, nicht /HÜt Unrecht betont: „Ein solches methodisches Prinzip
* Wie Martene (Da' ritibus' 11 105])'beriohtel>,' wurde 'in der Benediktiner-
abtei St; Oueni zu-Rouen noch am Anfänge des' 18j Jahrhunderts in der Exequien-
maesse beimOffertoriura. von allen an\«:esenderi iPriestem folgende Absolution über
den^yerstorbenen Mönoh.gesproqhen: „Dominus, lesus Christus, qui^dixitdisoipulis
suis, quaeounque ligayeritis .etc., de quorum münero quamyisindignos nps esse
vblüit,,ip3e te'absolvat N"." pei* miriisterium'hqstrüni -ab'oninibTxs^'peccatis tuis,
quaecunque cdgitdtion'e, looutione'äut' operatiörie negligenter-egisti, öt a-nexibus
pecGatorum absolutum perducere dignetur ad regna .coelorum."\iFrüherj warmes
in St. Ouen.auch Sitte, bei der, Beerdigung am, offenen Grabe folgende Absolution
zu spenden: ,, Dominus lesüs Christus, qui b. Petro .apostolo suo caeterisque
discipülis suis licentiam dedit' ligandi atque solvendi,' ipse te absolvät'ab' omni,
vinoulo delictorum tuoruih 'N. 'Et 'qiiantüm meae ffaJgilitati permittituf," ego
absolvo.te, sisque'absolutusantetribunal'eiusdem D.. vN. L Ch. abjpmmbus
peccatis tuis, habeasque vitam aeternara et.vivas in saeculo saeouloruni,. Amen."
Ebd. 1126. Auch im Kartäuserorden hat sieh die eigentümliche Absölutions-
formel ;bis gegen Ende des ' Mittelalters erhalten , (vgl: darüber ein .Gutachten
Gersons,' Opera omnia. Antverpiae. iI706.. II,, 412 f.); in den, revidierten Kon-
stitutionen vom Jahre 1509 wurde sie aber verboten. Statuta ordinis Cartusiensis,
Basileae 1510. Tertia compilätio. 1509, oap..2: „Absolutio defuncti post sepulturam
in claustro, de qua loquitur statutum, (In den.früheren Statuten. E.,!) c. 47 heißt
es ganz allgemein: „Prior absolvit. defimotum." Bl. G 5,) „uon debet fieri, pe r
modum absolutionis sacramentalis,-sed permodum orationis, sio'dicendo:
Absolve, Domine, animam.famuli tui ab omni-vinculo peccatorum". Bl. V 8.
'^ Wer in diesen päpstlichen und bischöflichen Absolutionen Ablässe sehen
will, müßte folgerichtig auch die gleichlautenden Absolutionen der abendländischen
IV^önche xmd. Pfarrgeistlichen sowie der russischen Popen als vollkommene Ablässe
betrachten. ,- -.? . .
3 Hilgers 58. . . ,
P a u 1 H 9 , Geschichte dds Ablasses . 4
-50 . II, ,Mittel£^lterliche Absolutionen als angebliche Ablässe.
muß der Dogmenh^stpriker mit aller Entgchiedenheit; zurückweisen;
der^ Sinn eines . geschichtlichen Dokumentes muß im Lichte der da-^'
maligen Zeitauffassung festgestellt werden, und diese Auffassung .gibfc
sich in' parallelen Dokumenten kund, nicht in der Dogmatik späterer,
Jahrhunderte."^ . -. 4 ' r ^ . .. . ,_< ' -).?,■
j Eine der bekanntesten päpstlichen Absolutionen Verstorbener
im früheren Mittelalter. ist eine Lossprechung, die Johann VIIB iuL-
Jahre: 878 erteilt hat.^ Die Bischöfe, des Frankenreichs hatten beim.
Papste angefragt, ob jene, die jüngst im Kampfe gegen 'die Ungläubigen,
für Kirche und Vaterland gefallen waren^oder in Zukunft faUen- würden^
Nachlassung ihrer Sünden erlangen könnten (utrum .ändulgentiam!
possint consequi dehctorum). Um diese Anfrage, zu verstehen^ muß.
man sich daran erinnern, 4aß damals nicht wenige fränkische Bischöfe-
die Kriegfüihrung überhaupt als etwas Unerlaubtes betrachteten und.
daher den aus dem Kriege Heimkehrenden eine öffenthche Buße auf-
erlegten.^, Der Papst antwortete: Diejenigen, die im KJriege gegeni
die Ungläubigen .uq^ikommenj vorausgesetzt, <- daß sie in frommer Ge-
sinnung sterben, . werden i der ewigen Seligkeit teilhaftig werden. Dann»
fügte er noch bei, daß er selber durch die Fürbitte des Apostels Petrus,,
der im Himmel und auf Erden Gewalt habe, zu binden und zu lösen^
die gefallenen Soldaten, soweit es gestattet sei, losspreche und sie im
Gebete dem Herrn empfehle.*
Verschiedene angesehene Autoren haben in dieser Absolution einen. '
der ältesten Ablässe für Verstorbene finden wollen. Allein es liegt kein.
Grund vor, die .Worte des Papstes anders aufzufassen, als die oben,
mitgeteilten Absolutionen, in denen einfache Mönche und Priester, noch,
bestimmter Verstorbene von den Sünden lossprechen und noch aus-
drücklicher auf' die kirchUche Binde- und Lösegewalt sich berufen:'
Wie jene Absolutionen hur als eigentümliche Fürbittgebete gelten,
können, so ist im vorüegenden Falle auch die päpstUche Absolution
bloß als Fürbitte aufzufassen. Die vielbesprochene Stelle im Schreiben,
an die fränkischen"- Bischöfe hat im Grunde genommen keine, ähderie-
Bedeutung als ein Brief, den Johann VIIL im' Jahre 879 an die KaiserirL
Engelberga richtete, um ihr, zu melden, daß er.i ür die , Seele ihres ver-
storbenen Vetters, des Grafen Suppo, bete, damit sie die Lossprechung
von ihren Sünden erlangen möge.^ ■ • .1
^ B.Poschmann, ZurGeschichtedesAblasses, inTheolbg.Ilevüe'lOH, 293..
» Mon. Germ, hifet. Epistolae VII (1912) 126 f. Migne CXXVI 816. -
3 Morinus 316 f. > ' •
• * „Respondemus, quoniamilli qui cum pietate christianae religiönis in belli
certamine cadunt, requies eos aetemae vitae suscipiet, contra päganos atqu&
infideles strenue dimicantes, eo quod Dominus per Prophetam dignatus est
dicere: Peccator quacimque ■ hora conversus' fuerit; omnium iniquit'atum illius.
non recordabor amplius . . . Nostra praef atos mediocritate, intercessione b. PetrL
apostoli, cuius potestas ligandi atque solvendi est in coelo et in terra, quantum
fas est, absolvitnus, precibusque illos Domino conrmcndamvis," ■ , '
6 Mon. Germ. Epist. VII 191. Migne CXXVI 852: „Pro anima Supponis,
fraterna moti compassione, omnipotentem D&ninum deprecamur, ut suorum.
absolutionem valeat percipere delictorum."
A. Die Absolution der Verstorbenen am früheren .Mittelalter. 51
, . In ganz ähnlicher Weise ist ein Schreiben zu erklären, das Erz-
"bischof Hatto von Mainz und dessen Suff raganbisehöfe. Ende 899 oder
zu Anfang, des,! .Jahres 900,'arin Johann- IX. gerichtet haben. Die
deutschen Bischöfe bitten den Papste er möge die' Seele des verstorbenen
Königs ..Arnulf (t 20: November 899) von den Banden der Sünden los-
sprechen,^ , Unter di'eser Lossprechung i ist wieder nichts anders zu
verstehen, als eine, vom, Oberhaupte der Kirche lausgehende und daher
besonders wirksame Fürbitte. , . . . ' ; , ;, ..
Auch einfache Gläubige wandten- sich gern an den -Papst,, um ihm
die, Seelenruhe ihrer Verstorbenen anzuempfehlen. Man^ war eben
überzeugt, daß der Statthalter Christi, ausgerüsjiet mit der Fülle der
kirchlichen. Obei:gewalt, als der mächtigste Fürbitter bei Gott eintreten
könne.' Ein merkwürdiges- BeispieLhierfür findet sich in einem Schreiben
desjPapstes Sergius III. (904-11) oder Sergius IV. (1009-12) an
den fränkischen Klerus. Indem der Papst die Seelen des Mannes und
der Söhne einer Witwe dem Gebete der Geisthchen empfiehlt, erklärt
er, daß er selber auf Anhalten-der Witwe ihre verstorbenen Angehörigen
im .Gebete nach Möglichkeit von den- Sünden losgesprochen habe.*
Spätere ,Päpste; haben: .ebenfalls bisweilen Verstorbene absolviert,
bald, in desprekativer, bald in indikativer Form. Von- Leo IX. i wird
erzählt, daß er unmittelbar vor seinem Hinscheiden (1064) .die Bitte
an Gott richtete, er möge, jene, die im Kampfe gegen die Normannen
gefallen .waren, von allen ihren Sünden lossprechen.* Handelt es sich
hier um eine bloße Fürbitte, so scheint die Absolution, die Gregor VIIj
im, Jahre 1076 dem kurz vorher .verstorbenen Bischof Wilhelm von
Utrecht bedingungsweise zuteil werden, ließ, eine andere Bedeutung. zu-
haben., In einem Schreiben an den Bischof von Lüttich bemerkt der
Papst: Hat der Utrechter Qberhirt den i gebannten König anerkannt
und ist er ohne Widerruf gestorben,, soj gilt die alte Regel: Jene, mit
denen wir im Leben keine Gemeinschaft hatten, sollen auch im Tode
^ Migne CXXXI 32: „Poscimus ut animam ipsius yestrae auctoritatis
potestate a vinculis peccatorum absolvatis, quia quaecxinque solveritis super
terram, errnit soluta in coelo."
2 Zuaächst meldet der Papst, er habe -die Witwe .nach Anhörung ihrer
Beichte (eius,veram confessionem audientes), soviel er konnte, .von ihreii Sünden
losgesprochen: ,,Ab eius,,'quantum nobis possibilia sunt (!), facinoribus ab-
solvimus"s dann fährt , er fort:, „Et deprecantes Dominum pro eius viro Bur-
chardo, sicut.ipsa nos humiliter postulavit, et ipsius filiis, ab eorum peccatis-
iuxta nostrum posse absolvimt^. Ideo sanctimoniam vestram exortamur, ut
pro his in.conspectu Dei pura effundatis conscientia preces^" Mitgeteilt von.
Wattenbach" im Ajizeiger für Kunde, der deutschen Vorzeit XXII (1875) 38^'
Auch bei L. Delisle, Memoire sur d'anciens, sacramentaires, in M^nioires de.
l'Academie des inscriptions et helles -lettres XXXII 1,(1886) 391 f. -Wattenbach,
meint, der. Brief rühre von Sergius III. her, während Delisle ihn Sergius 'IV..
zuschreibt. . - ■ '
» Acta Sanctorum. Aprilis II 666. Analecta BoUandiana XXV (1906) 29K
Der Papst wendet sich an Christus, der zu Petrus gesagt : Was du binden wirst usw.,.
und betet: „Deprecor clementiam tuam ut fidelibus tuis fratribus nostris,'qui adi
defendendam sanctam, catholicam. ,et ,apostolicam' ecclesiam sanguinem suumi
fuderunt, absolutionem tribuas omnium peccatorum."
4*
52 ■ II. 'Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe. • '
von der Gremeinschaft ausgeschlossen bleiben. Hat er -aber seine
Unterschrift wider Willen gegeben und den König, gemieden', so ab-
solvieren wir ihn kraft unserer apostolischen Autorität und- gestatten
nicht nur, sondern wünschen auch innig, daß Gebete, Messen und
Almosen für ihn Gott dargebracht werden.^" Da bedingungsweise
gestattet wird, für den Verstorbenen zu beten, so ist unter der' päpst-
lichen , Absolution wohl eine zur größeren Sicherheit erteilte Lös-
sprechung von kirchlichen Zensuren zu verstehen. Dagegen war es
sicher nur ein Fürbittgebet, wenn Gregor VII. die im Jahre 1077 zu
Rom verschiedene Kaiserin Agnes vor deren Beerdigung mehrmals von
den Sünden lossprach.^ - ,• . , , - .. ■ c*'
Ähnliche Absolutionen hat wiederholt ürban-II.' erteilt'. In
Sizilien hatte der Graf Roger in Catania zu Ehren der' hl,: Agatha
ein Kloster gegründet für sein eigenes Seelenheil sowie für die Seelen-
ruhe seiner verstorbenen Gattin und der - Soldaten, die' im^ Kämpfe
gegen die Sarazenen gefallen waren. Indem Urban in einem Schreiben
vom Jahre 1092 die neue Gründung bestätigte, absolvierte er' sowohl
den Grafen Roger als dessen verstorbene Gemahhn und die im Kampfe
gegen die Ungläubigen.'' gefallenen Soldaten.^' Mit Unrecht hat man in
diesem Schreiben einen Ablaß finden wollen; es handelt sich bloß um
die -Erteilung des päpstlichen' Segens. Dasselbe gilt von deii' Ab-
solutionen, die Urban II; 1096 zu Carcassonne gespendet hat. Wie
ein Augenzeuge berichtet,, „absolvierte er segnend die Lebendien und
die Verstorbenen".' Daß der mittelalterHche Autor' unter dieser
Absolution bloß den -päpstlichen Segen verstand, ergibt sichaus seiner
weiteren Angabe^ daß der Papst auch den Friedhof' „absolvierte";
Dasselbe ergibt sich aus der Schlußbemerkung, der Papst habe die
Stadt verlassen, nachdem er Lebende und Verstorbene „gesegnet"
hatte.* ■ Einen ähnUchen Segen spendete Urban IL einige Tage später
in Maguelone. Indem er die ganze Insel feierhch einweihte, erteilte
er allen, die darauf begraben worden oder noch darauf würden be-
graben werden, die Absolution von allen Sünden.^ " "
^ Jaffe, Monumenta Gregoriana. Berolini 1865, 250 f. ■
,... * Mon. Germ. SS. V 303: „Domnus apostolicus exequialibus officiis,
Tiüssarum solemniis, elemosinis, vigiliisiquoque per aliquot dies sollemniter prb
anima illius celebratis, in ecclesia S. Petronellae . . . sacrum Agnetis imperatricis
Apostolica sua indulgentia et absolutione tantotiehs a peocatis remissae corpus-
oulum in sarcophago consignatum . . . sepelivit." ' ' - ' ■'
3 Migne CLI 340: „Dei et apostolorum eius et gratiam et benedictionem
■et peccatoram abaolutionem ex apostolicae auctoritatis quam indigne gerimus
vice, benevolentiaraque donamus."' ■ • '
* Migne CLI 208: „Vivos et defimctos benedicens absolvit, etiam ecclesiae
Ib. Nazarii saxa benedixit, et sdhsequenti sexta feria . . . sermonemi nobis fe'citi
coemeterium propriis manibus salis aspersione absolvit; et sie diebus 'quinqüe
nobisoum commoratus, vivis ae defunctis consignatis . » •: discessit."
. , * Migne ,CLI 209: „Totam insulam Magalone solemniter conaecravit', et
'Omnibus in eo sepultis et sepeliendis absolutionem omnium delictorum con!cessit.''
.So erzählt um die Mitte des 14; Jahrhunderts der Bischof -von Magnelone Arnaüd
(de Verdale. .•■.'. •. . ,, • i .- . >:'--i
A. Die Absolution der Verstorbenen im früheren Mittelalter. 53
Daß bei der. Einweihung eines Friedhof ps die Gläubigen, die darin
die letzte Ruhestätte gefunden hatten oder finden sollten, von ihren
Sünden absolviert wurden, wird- in mittelalterlichen Quellen mehrfach
bezeugt. Um derartige Erzählungen* ;besser zu verstehen; muß man
sich der kirchlichen Gebete erinnern, die bei der Einweihung des
Friedhofs verrichtet wurden. In diesen Gebeten- wird nämlich die
Bitte an Gott gerichtet, er möge die Seelen der- Gläubigen, die auf
dem Friedhofe begraben werden, von allen Sünden- freisprechen.^
Angesichts solcher Gebete- ist leicht erklärhch, wie man von einer
Absolution der auf dem Friedhofe ,Ruhenden sprechen konnte. -
Als Gelasius II. im Jahre 1118 die Kathedrale von Genua ein-
weihte, soll er nach einer sehr alten Aufzeichnung allen jenen, die
nach guter Beichte auf dem Friedhofe der neueingeweihten Kirche
beerdigt worden oder bis ans Ende der' Welt darauf sollten beerdigt
werden, die Nachlassung aller Sünden erteilt haben.^ Da der Papst
zu gleicher Zeit den Besuchern des Domes am Kirchweihfest einen
Ablaß von 1 Jahre und 40 Tagen verhieß — eine für die damalige
Zeit ganz ungewöhnliche Bewilligung — , so dürfte es sich wohl um
eine spätere Fälschung handeln. Wahrscheinüch ist es allerdings, daß
der Papst bei der Einweihung der Kirche die auf dem- Friedhofe
ruhenden Gläubigen von ihren Sünden losgesprochen hat; Aber nach
dem damaligen Sprachgebrauch ist unter dieser Absolution, die Ver-
storbenen erteilt wurde, nichts anderes als ein Fürbittgebet zu ver-
stehen.
Wie die Päpste, so haben bisweilen auch die Bischöfe ver-
storbenen Gläubigen die Absolution gespendet. Der Chronist Thietmar
berichtet von einer „Nachlassung", die der: Kölner Erzbischof HeriJ3ert
detn anfangs 1002 zu Paterhö bei Rom verstorbenen Kaiser Otto III.
^ Pontificalis ordinis liber, Eomae 1497, 150: „Huic cimiterio, quesumus
Domine, angelum sanctum deputa custodem, et quorum quarumque corpora hio
sepeliuntur, animas eorum ab omnibus absolve vinculis peccatorum." In einem
alten jM[issale von Arles heißt es: „Prima die post octavam Epiphaniae cele-
bratnr missa conventualis pro memoria omnixim defunctorum. Et post miss'am
processionaliter absolvitur totum cimiteriuin sicut in crastino omnium Sancto-
nun." Wie aber diese „Absolution" stattfindet, -wird gleich nachher erklärt:
,iEt inrqualibet statione . , dicitnr oratio: ■ Fidelium t Dens omnium conditor."
Martene,De ritibus III 126. In Limoges fand am Allerseelentag eine Prozession
statt, „in qua viginti fieri-debent absolut iones", die erste im Chor für alle
in der Kirche Beerdigten, die andern über verschiedene Gräber, am Schlüsse eine
„absolutio generalis":' Ebd. '603 f.
; '^ TJghelli IV' 851. Cappelletti XIII 306: „In qua consecratione . . >.
fecit- remissionem cunctorum peccatorum ex -parte Dei ... et sua, in quant\un
potuit, Omnibus defunctis masculis et foeminis, qui mortui sunt in vera con-
fessione et suntsepultiin coemeterio eiusdem Ecclesiäe,.et sepelientur üsque in
finem-huius saeculi, omnibusque illis qui venerint adcelebrandumthuiuis dedi-
cationis-diem,. condonavit annum unum et 40 dies, in quibus ieiunare debent
pro poenitentia iniuncta eis." Über diese Aufzeichnung vgl.. Kehr, Hegesta
VI 2, 279. Der gleichzeitige, in Genua lebende Chronist Cafaril (1080—1166)
spricht wohl in- seinen „Annales.'Januenses" .yon der) 'Konsekration des Domes
durch Gelasius, doch sagt er nichts von .einem' Ablaß.. Mon. Germ.sSS. XVIII' 15^
54 . I. IVXittelalterlichö Absolutionen -als~"äingebliche Ablässe. .
erteilte, als dessen Leiche durch Köln kam, um in Aachen beigesetzt
zu werden.^ Der Biograph des hl. Godehard, des - Bischof s von
Hildesheim, erzählt, wie letzterer einen, Priester, der , plötzlich ge-
storben (1035), -noch nachträgüch -von seinen Sünden absolvierte .'^
Biese nachträglich erteilte Absolution war eine Fürbitte, ähnlich der-
jenigen, die der Biograph dem hingeschiedenen Geistlichen zu ver-
schaffen sucht, indem er die Leser auffordert, dem 'Verstorbenen 'die
Nachlassung seiner Sünden von Gott zu erbitten.*
Nebst den individuellen. Lossprechungen, die einzelrien Ver-
storbenen gespendet wurden, gab^ es auch generelle bischöfliche
Absolutionen. So hat im Jahre, 1079 Bischof Bernhard vonUrgel
bei der Konsekration der Kirche von Olivis alle verstorbenen und
lebenden Wohltäter des Gotteshauses von ihren Sünden losgesprochen.*
Aus dem Wortlaut der Urkunde ist leicht zu ersehen, daß es sich bloß
nin einen. Segenswunsch, um eine Fürbitte handelt. Dasselbe gilt von
der Absolution, die Bischof Bernhard im Jahre 1080 bei der Ein-
weihung der Klosterkirche von St. Cäcilia erteilte, indem er alle Wohl-
täter des Klosters von ihren Sünden lossprach und alle, die, dort
begraben waren, durch sein flehentliches Gebet, wie in der Stiftungs-
urkunde berichtet wird, aus ihrem schrecklichen Gefängnis befreite.?
Unter diesem ,, flehentlichen Gebet", dessen Wirksamkeit in so starken
Ausdrücken geschildert wird, ist sicher nichts anders zu verstehen als
das damals übliche Absolutionsgebet für die Verstorbenen. Etliche
Jahre später, im Jahre 1089, absolvierte auch Bischof Berengar von
Gerona, anläßlich der Konsekration der Abteikirche von St. Maria
de Llado, „soviel er konnte", alle, die auf dem dortigen Friedhof
begraben lagen.*
Von einer Absolution der Verstorbenen ist namentlich in den
inittelalterhchen „Mönchsgewohnheiten" öfters die Rede. In den
^ Mon. Grerm. SS. III 783 : „In cena Domini ad S. Petrum portatur, ubi . . ■.
anime presentis corporis ab archipresüle remissio datur."
2 Mon. Germ. SS. XI 211: „Remissionem ei peccatorum ex corde etsi sero-
indulsit." - ' -
3 Er habe das Ende jenes Priesters erzählt, „ut cum haeo legeritis, in-
dulgentiam ei et remissionem peccatorum . . . a Domino imploretis.'f
* Villanueva XI 181: „Non solum illos, qui in preteritis temporibus
obtulerunt Domino Deo et prefate ecolesie pro remedio animarum suarum dona,
verum insuper generaliter omnes homines, quicunque ibi aliquid obtulerint,
quod ad laudem et supplementumsanote ecolesie fieri possit, in futuris temporibus,
benedixit ao signavit, et auctoritate apostolorum Petri et Pauli a cunctis nexibus
peccatorum suorum absolvit, et Christo Domino sanctisque suis illos suis precibua
oommendavit,: quatinus ab- omnipotenti Deo benedictionem eternam aooipero
mereantur." > >. . , •-;
* Villanueva XII 225: „Omnes primos vel infimos qui parum vel magnum
aliquid obtulere Domino Deo in die vel loeo illo, fultus apostolorum Petri et Pauli
auctoritate et pontificali subnixus potestate a peccatorum omniumsolvit dis-
oiimine, et animas omnium fidelium in eodem loco quiescentium eruit ab hor-
*ida . -. . sede sua supplici prece." ■
- • Espana Sagrada XLV 297: „tlt possibile est, ab eo omnes ibi quiescentes
äbsolvuhtur, ut aeterna requie potiantur." •■••■■■>.■
A. Die Absolution der Verstorbenen im früheren Mittelalter. 55
Crewohnhfeiten. von Färfa, deren Redaktion aus, der ersten iHälfte des
11. Jahrhunderts stammt, , wird verordnet, daß, wenn ein Mönch nach
iseinem, Hinscheiden /im .Traume einem Bruder erscheint, der Abt oder
•dessen Stell Vertreter ihn. absolviere (debet eum.absolvere) undt allen
.Priestern befehle^ die Messe für. ihn zu. lesen. Trifft die -Nachricht ein,
daß ein Mönch aus/einem 'Verbrüderten Kloster .gestorben ist; so soll
ihn der Abt öder Prior im Kapitel von' allen . Sündenfesseln ;los-
.sprechen (absolvat eum ab omni 'vinculodelictorum).^ lEine ähnUche
Absolution sei den hingeschiedenen Verwandten der Ordehsmitglieder
.7;u .erteilen'.^ Die Gewohnheiten von St. Vit'on (Verdun) .aus dem
10. Jahrhundert schreiben vor, daß nach dem Hinscheiden eines
JMönchs die. Brüder sich in das Chor zu begeben haben, um die Seele
■des Verstorbenen durch Psalmengesang zu absolvieren.? In dem
Pariser Chorherrenstift St. Viktor wurde der Verstorbene im Kapitel
absolviert.* Die von dem Mönch UlriGh 1086 niedergeschriebenen
Gewohnheiten von Cluni bestimmen, daß der Prior dem hingeschie-
denen Mönch die Absolution erbitten soll (ei prior imprecatur abso-
lutionem)^. Ähnlich lauten die von r Wilhelm dem Sehgen (f 1091)
«entworfenen Gewohnheiten von Hirsau.* In den Statuten der
Zisterzienser aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts • werden
•die Gebete für die Verstorbenen ausdrückHch als Absolution, be-
zeichnet.' Da diese Bezeichnung allgemein üblich war, so versteht
man leicht, was es zu bedeuten hat, wenn in einem unter Abt Albert
< 11 99— 1217) angelegten Stiftungsbuch der Abtei Maria -Laaoh .be-
richtet wird, daß jedesmal, wenn die Nachricht vom Tode eines Wohl-'
täters eintrifft, der Abt den Verstorbenen von seinen Sünden los-
^pricht.8
Eine eigentümliche Wirkung wird der Absolution zugeschrieben,
■die einmal die Mönche der Benediktinerabtei Pleury in Frankreich
•einem Toten gespendet haben.. Einer der Chronisten dieser Abtei,
■der Mönch Andreas, der seine Aufzeichnungen um 1043 niederge-
schrieben hat, erzählt von einem Manne, welcher der Abtei -allerhand
^Schaden zufügte und Klostergüter sich aneignete.' Zur Strafe dafür
wurde er vom Teufel erwürgt. ' Als er nun auf .einem klösterlichen
Friedhofe beerdigt wurde, wollte ihn die geweihte Erde nicht behalten
und warf ihn aus dem Grabe heraus. Dies wiederholte sich zwei-
•pder dreimal. Darob entsetzt, gab die Frau des Verstorbenen die
entwendeten Klostergüter zurück und ließ die Leiche nach ! FleWy
^ Ygl. .das Gebet: „Abs'olve, quaesumus Domine, animam fämuli tui -ab
«omni ,vinculo delictorum."
2 Albers I 197 199 200. 3 Albers V 132.
* Martene, De ritibus III 303. , " j^igne CXLIX ,775.
* Herrgotj;, Vetus disciplina monastica. Parisiis 1726, 565 568*. Migne
€L,114'1 1144. .... • .
'' Mignie CLX 1479. , ..■.•.
* E. Richter, Die Schriftsteller der Benediktinerabtei Maria-Laach, inder
"Westdejitschen Zeitschrift für Geschichte mid Kunst .XV-II. (1898) 100 f.: „Faoit
ei absolutionem peccatorum sviorum et imprecatvir ei vi tarn aeternam.". f
•56 II.' ]M(ittelalterliohe Absolutionen als angebliche Ablässe,-'
bringen. Hier erteilten die Brüder dem Unglücklichen die-Absölutioia
(indulgentia absolutionis) und legten ihm die geschriebene' Absolutions-
formel auf die Brust. Jetzt konnte die Beerdigung ungehindert statt-,
finden; die Erde warf die Leiche nicht mehr; aus. ^ J ■ i
; Sonderbar ist die Vollmacht, die in einer Bulle vom 11. April 1139"
von Papst Innozenz II. dem Abtevon'Gastel in der Oberpfalz ver-
liehen wurde; Unter anderen Kechteh erhielt der. Abt die Befugnis^
die iBüßer aufzunehmen und zu absolvieren, die Toten zu begraben,
und Lebenden und Verstorbenen alle Sünden nachzulassen.^ Bezüglich!,
der Lossprechung der Lebendigen bietet die Bulle -keine Schwierigkeit..
Der Abt ■ erhielt . die nötige Jurisdiktion, ^um - jene, die ' sich' an ihn.
wenden würden, nach reumütiger Beichte . von ihren Sündeii lös-
zusprechen. Wie ist aber die Vollmacht j den Verstorbenen alle Sünden,
nachzulassen, zu erklären ? Entweder handelt es sich- um die Voll-
macht, Verstorbene von jeder kirchlichen Zensur loszusprechen, oder^
was wahrscheinlicher ist, der' Satz „tam vi vis quam defunctis universa.
delicta relaxandi" enthält nur eine Umschreibung der unmittelbar
vorhör erteilten Befugnisse, nämlich des Rechtes zum Beichthören,
und des Begräbnisrechtes. Mit der Vollmacht, den Verstorbenen,,
die Sünden nachzulassen, hätte demnach der Abt das Recht erhalten^
jene, die den Klosterfriedhof zu ihrer Ruhestätte wählen würden, einzu-
segnen und dabei die üblichen Absolutiohsgebete über sie zu sprechen..
Daß es üblich war, die kirchlichen Gebete. für die Verstorbenen
als Absolution zu bezeichnen, sieht man auch aus den Synodalstatuten^
die der Pariser Bischof Budes von Sully am- Anfang des 13. Jahr-
hunderts erlassen hat. Es wird darin den Pfarrern befohlen, ihre=
Pfarrkinder, wenn sie von deren Hinscheiden Kunde erhalten, sofort,
mit den Psalmen undderOration für die Verstorbenen zu absolvieren.*
1 E. de Certain, Les miracles de Saint Benoit Berits par Adreyald, Aimoia
Andrej Raoul Tortaire et Hugues de Sainte IV^arie, moines de Pleury. Paris.
1858, 222 f. .' .
' Monmnenta b'oica XXIV 315: „Abbas . . . licentiam habeat et pptestatem.
predicandi, penitentes quosque suscipiendi ac curandi, ligandi atque solyendi^
infirmos visitandi, mortuos undecunque in ipso loco sepeliendi, tam vivig quam,
defunctis universa delicta relaxandi."' Jaffe 7975. Der Herausgeber erklärt^
das Autograph mit dem päpstlichen Siegel vor sich gehabt zu haben (S. 310)..
Trotzdem scheint die Bulle etwas verdächtig zu sein. Auch Schreiber II 296^
der das Schreiben als echt annahm,. bekam nachträglich Zweifel, Im Jahre 1235
bestätigte Gregor IX. die von Innozenz II. erteilten Privilegien. In der neuen.
Bulle ist jedoch keine Rede von Absolutionsvollmachten; dafür enthält sie die-
öeit Urban IL •übliche-Formel für das Begräbilisprivilegium : „Sepulturam ipsius.
loci liberam esse decernimus, ut eorum devotioni et extreme volxmtati qui se-
iilic sepeliri deliberavörihti nisi« forte excommimjcati vel interdicti, aut publice^
usurarii sint, niillus obsistat:-' Mön. bbica XXIV 320 ff.
' / • ::'8 j^angf XXII 68i: ,,Siacerdotes, audito parochianorum suorum obitu,.
statim absolvant eos cum psalmis pro defunctis et coUecta." Unter dieser Kollekte
ist die heute noch übliche Oration zu verstehen: „Absolve, quaesumus 'Domine..
»nimam faihiüi tm ab önani vincülo delictorum." Cabrol bemerkt: „Cette
fomiiuleseretroüvedans' les plus äriciens manuserits gr^goriens." Dictionnaire»
d'arohöologie chr^tienne et de lituirgie I, Paris 1907, 205.
. - 1 B. ' Absolutionen lebender Personen. ■ . . 57
Oanz dieselbe Vorschrift wird, wiederholt in den Diözesanstatuten.von:
Meäux aus der; Mitte des 14. Jahrhunderts .^
., Aus den vorstehenden Mitteilungen- ergibt sich zur Genüge, daß.
die im Mittelalter üblichen Absolutionen der Verstorbeneuj abgesehen.
von der Absolution der Exkominunizierten, als Gebete' für die Ver-
storbenen, aufzufassen, sind.- Wie .wenig es angeht, in diesen Abso-
lutionen Ablässe zu sehen, zeigt schon die Entwicklungsgeschichte des.
Ablasses! 'Die Ablässe wären schon /längst in Übung-, als von einem.
Ablaß-für die Verstorbenen noch keine Rede war. Die älteren Theologen,
und ,Kanonisten, die gegen Ende des 12.; Jahrhunderts anf ingeri, > die-
Abläßffage'zu erörtern, sprechen immer nur von Ablässen für Lebende,,
nie von Ablässen für Verstorbene. Keinem, vgoi ihnen ist es eingefallen,,
die damals üblichen Absolutionen der Verstorbenen den Ablässen bei-
zuzählen. Erst um die Mitte des 13. Jahrhunderts, nachdem die-
Gläubigen begonnen hatten, den Kreuzzugsablaß eigenmächtig für di&
Verstorbenen aufzuopfern, fingen auch die Theologen und Kanönisten
an, dem Ablaß für Verstorbene ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden.
Während die einen derartige Ablässe rundweg ablehnten, haben andere-
sie als zulässig und nützlich anerkannt. ^ Aber auch die Vertreter der
letzteren Ansicht haben sich bei .der Begründung des Ablasses für die-
Verstorbenen nicht auf die seit Jahrhunderten gebräuchlichen Ab-
solutionen der Verstorbenen berufen. Man wird also gut tun, diese-
Absolutionen und die Ablässe genau auseinanderzuhalten.
Ähnliches ist zu sagen von zahllosen Absolutionen, die im früheren.
Mittelalter lebenden Personen angewünscht oder gespendet worden sind..
B. Absolutionen lebender Personen.
Wegen der großen Mannigfaltigkeit dieser Absolutionen dürfte es;
angebracht sein, zuerst jeiie zu behandeln, die von den Päpsten erteilt,
worden sind; nachher sollen dann die von Bischöfen und andern.
Geistlichen gespendeten Absolutionen zur Sprache kommen.
1. Von Päpsten erteilte, AbsoIutipneD.
Als Einleitung zur ganzen Studie über die Absolutionen möge der
Hinweis auf zwei Briefe Ale y ins (f; 804) dienen. Der eb.enso demütige^
als gelehrte Ereund Karls des Großen schrieb einmal an den hl. Paulirius,,
Patriarch von Aquitanien'("}" 802), -um sich als Sünder seinem. Gebete-
anzuempfehlen (ine ... pfecibüs süblevares).. Der Heiland, bemerkt.
Alcvin in dein Briefe an seinen Ereund, hat den heiligen Lehrern die.
Lösegewalt (potestatem solvendi) verliehen. So löse mir denn, o bester
Lehrer; mit göttlicher Vollmacht die tödlichen Sündenbande (solve
iubente Deö mo]?tifefas mihi peccatoriim catenas).^ Es liegt auf der
, ^ Toussaints Du Plessis, Histoire de l'eglise de Meaux II, Paris 1731,
484: De absolutionibus parpohianonim. ^ , - -
2 Mon. Germ. bist. Episiolae IV 130 f.
58 II. Mittelalterliche Absolutionen als' angebliche Ablässe.
Hand, daßi hier das Lösen als Fürbitte aufzufassen^ ist; denn uiü
-eine solche hat Alcvin selber unmittelbar vorher angehalten. Noch
■deutlicher ist ein Schreiben Alcvins vom Jahre 801' an Papst Leo III.
Inständig bittet der Briefschreiber- um 'das Gebet (orationibus) des
-aUgemeineh Oberhirten und um den päpstlichen Segen (vestrae auctori-
tatis humili/Voto flagitans benedictionem), damit er mit der Gnade
Gottes dm Guten ausharren könne. Warum verlangt er aber so innig
nach des Papstes . Segen und Fürbitte ? Weil er weiß, daß der> Nach-
folger des hl.- Petrus von Gott die Lösegewalt erhalten hat. Deshalb
beschwört er den Heiligen Vater, ihm seine Sündenbande mit aposto-
lischer Gewalt lösen zu wollen.^ Der päpstliche Segen, die Fürbitte
■des Heüigen Vaters galt demnach in den Augeü Alcvins als -ein Lösen,
-ein Lossprechen von den Sünden.
Wie Alcvin dachten viele andere im früheren Mittelalter. Daher
•die damals weitverbreitete Sitte, die Fürbitte um Begnadigung, urii
Verzeihung der Sünden als eine Lossprechung zu bezeichnen. Aus
Alcvins Schreiben ersehen wir aber auch, warum man damals auf den
päpstlichen Segen, auf die Fürbitte des Heihgen Vaters, so großen
Wert legte. Diese Wertschätzung beruhte auf dem Glauben an die
von Gott dem Papste verliehene Lösegewalt. Treffend ist dies schon
von anderer Seite hervorgehoben worden: „An den Papst wandte man
«ich deshalb gern um Verzeihung der Fehler, weil man überzeugt war,
•daß er als Statthalter Christi und mit der Fülle der kirchlichen Ober-
gewalt ausgerüstet als der ' mächtigste Für bitter bei Gott eintrete. "^
Aus demselben Grunde legte man auch großen Wert auf die Fürbitte
des hl. Petrus, wie dies schon im Jahre 1031 der englische König
Xnudder Große von Rom aus in einem Schreiben an seine Unter-
tanen hervorgehoben hat.^
Nach dieser einleitenden Bemerkung können wir die in authen-
tischen Quellen erwähnten päpstlichen Absolutionen näher ins Auge
iassen. Es wird wohl das Einfachste sein, wenn wir uns dabei an
•die chronologische Ordnung halten. Beginnen wir auch hier, wie bei
^ Ebd. 380: %,Ideo tarn obnixe intercessionis vestrae deposco suffragia,
«quoiüam optime novi cum beato Petro, principe apostolorum, te, sanctissime
pater, accepisse potestatem solvendi. Solve in filio pietate paterna, virtute
Apostolica, catenas peccatormn." Ygl. 139 298 zwei andere Schreiben an Leb III.
uad S. 68, ein Schreiben an Hadrian I. In dem letzteren Schreiben bittet' Alcvin
dsn Papst, er möge ihn in sein Gebet einschließen (me in gremium sanctissimae
infcercessionis vestrae colUgere dignemini) und ihm die Befreiung von den Sünden-
binderi verschaffen (rae iubeas salutifefae pietatis verbo a peccatorum vinculis
«ise solutum).
a Frank 357. • . •
, ,, ^ „N^otifico vobis me noviter isse Romam, oratum pro redemptione pecca-
minum meorum ... Et ideo maxime hoc patravi, quia a sapientibxxs didici
sihotum' Petrura apostolum "magnam potestatem accepisse a Domino lig'andi et
solvendi clavigerumque esse cpelestis regni; et ideo speeialiter eins patrocinium
a.pud Deum expeterövalde utile Uuxi.'' Wil'helmi "^ de- gestis
regum Anglorum libri quinque I, Ldndon 1^87r22ivff [Rerum'britähPm^
Scriptores XC]. . /■ ''.^\ -^ '.■'"'■ --^ ''-■':/■'■ .^■•■"' -•■'■?■»:' rr''i:u '
, ._ iB.L Absolutionen Jebender/Personen. .! . 59
■deri Absolution der, Verstorbenen j mit Gregor dem Großen (f 604),
in dessen- Briefen öfters von einer Absolution der Lebenden die
Rede ist.
; Bemerkenswert ist vor allem, daß der. Papst einmal einen Bischof
ersucht, für ihn zu beten, damit er durch dessen Fürsprache • von
•seinen Sünden absolviert' werde .^ Er selber Verklärt auch wiederholt
in seinen Briefen, für andere beteii zu wollen, daß -Gott sie von ihren
Sünden losspreche (Dominum : deprecamur , ut vos ab omni reatu
peccatbrum vestrorum absolvat).^ Ein anderes Mal spricht er von
^einer Absolution, die man von Petrus erwarte (per quem^ solvi ab
omnibüs peccatorum nexibus desideratis).^ Offenbar hat er dabei nur
^n eine Fürbitte des hl. Petrus gedacht. An eine Fürbitte des hl. Petrus
<iachte er auch;, wenn er, hier und da Partikeln der Petruskette ver-
wandte und dabei den Wunsch aussprach, die Reliquie möge den-
jenigen, der sie tragen werde, von allen seinen Sünden befreien (üt
-quödillius coUum ligavit ad martyrium, vestrum ab omnibus peccatis
.solvat).* . •
Im Mittelalter war es Sitte, daß die Gläubigen zahlreiche fromme
«Stiftungen machten. Sie waren dabei von dem bereits in der Heil.
^Schrift ausgesprochenen Gedanken geleitet, daß sie , durch Almosen
leichter von Gott die Nachlassung ihrer Sünden erlangen würden ; sie
iiatten auch die feste Überzeugung, daß die Heiligen, zu deren Ehre
«ie eine Kirche oder ein Kloster gründeten, sie durch ihre Fürsprache
bei Gott unterstützen würden. Daher kommen in den alten Stiftungs-
urkunden so oft Formeln vor wie die folgenden: pro absolutione pec-
oatorum meorum, pro remissione oder in remissionem peccatorum
meorum, pro redemptione oder pro satisfactione peccatorum meorum,
ut indulgentiam peccatorum meorum merear, ut per sanctoruin ora-
tionem' indulgentiam peccatorum meorum obtinere merear.^ Diesem
allgemein verbreiteten Glauben gaben die Päpste Ausdruck und be-
kräftigten ihn, wenn sie bei der Aufforderung zu guten Werken den
^ Gregorii I Registrum, 1. VIII, c. 29. Mon. Germ. Epistolae II 31: „Pete,
mt in sanotis orationibus veatris mei. memores esse dignemini, quatenus a pecca-
torum meorum nexibus, quia meis meritis non valeo, vestris intercessionibus
•absolvar."
, ».i-Reg. VI 26 46; Xi 18. Epp. I 405 421; II 280.
3 Reg. XIII 42. Epp. .11 405. : -
* Reg. III 33; VII'25; VIII 33; IX 228. Epp; I 192 470; II 36 225. Daß
•Gregor an eine Fürbitte des hl. Petrus dachte, zeigt Reg. XII 2. Epp. II 349:
-^iQuae coUo vestro suspensa, hoc -vobis e'o intercedente. gratia absolutionis
"iiat, qviodalli fuit causa martyrii." A.Lagarde (Revue d'histoire et de littöratuie
-Töligieuses 1912, 166) meint: „La clef estun instrument möcanique d'absolution."
Vgl.' dagegen J. Tixe'ront in Bulletin- d'anoienn'e litterature et d'aroheologie
«hr6tiennes.l912, 257 f. , . . . ,
*. 'Derartige Formeln finden-'Sich in Hülle tund Fülle in jeder Sammlung
lalter Stiftungsurkimden. • Man' vergleiche z. B. einen der' zahlreichen- Cartulaires
iin der CoUection- des documents inödits sur l'histoire de^Erance,-. insbesondere die
"Oaitulaires von St. Viktor imd von öluni. Vgl. auoh,Falco 195 ff.: jLa virtü
idelle buone opere nel formulario medioevale.
€0 II. Mittelalterliche Absolutionen- als angebliche Ablässe.
Gläubigen die Verzeihung der Sünden in Aussicht stellten.' Ali- eine
Erteilung von Ablässen hat man> bei solchen allgemein gehaltenen
Verheißungen nicht zu denken.
; Als Papst Gregor II. im Jahre 724 den hl. Bonifatius' J nack
Thüringen sandte, ermahnte er die dortigen Gläubigen, eine bischöf-
liche Wohnung und Kirchen zu bauen. Dabei unterheß er nichts
ihnen dafür die Verzeihung ihrer Sünden und eine ewige Belohnung
hl Aussicht zu stellen (ut Dens indulgeat peccata vestra et dohet
vobis vitam aeternam).^ Die Nachlassung der Sünden verhieß auch.
Stephan II. den Franken, als er sie im Jahre '753 um Hilfe gegen,
die Langobarden anrief. Wenn der Papst hierbei den Sündenerlaß,
als ein Gnadengeschenk des hl. Petrus hinstellt,^ so hat er offenbar
nur die Fürsprache des Apostelfürsten im Auge, wie er dies übrigens;
in einem andern Schreiben ausdrücklich hervorhebt.^ Man hat in
dieser Verheißung des Papstes eine Ablaßbewilligung sehen wollen.*
Sehr mit Unrecht ! Indem der Papst den Verteidigern der römischen
Kirche die Verzeihung der Sünden und den Himmel in Aussicht stellt,
spricht er bloß die Überzeugung aus, daß das Eintreten für die Kirche^
wie andere gute Werke, bei Gott Sündenvergebung erwerbe.^ Gleich
Stephan II.,* haben auch andere Päpste, wie Gregor III.,' Paul I.*
und Leo IV. ,^ öfters die Franken durch Verheißung eines himmlischen
Lohnes zur Verteidigung der Kirche anzuspornen gesucht. Wollte man
derartige Verheißungen als Vorstufen des Ablasses betrachten, so
müßte man folgerichtig auch in allen Schrift- und Vaterstellen,' in
denen für' gute Werke ein himmlischer Lohn verheißen wird, Vor-
bereitungsstufen des Ablasses finden.^"
. ^ Mon. Germ. hist. Epistolae III 275.
* „Pro certo tenentes, quod per certamen, quod in eius.sanctam ecclesiam^
vestram spiritalem matrem, feceritis, ab ipso principe apostolorum vestra diinit-
tantur peccata." Mon. Germ. Epp. III 488.
^ In einem Schreiben vom Jahre 756 an die Franken läßt er den hl. Petrus,
auftreten und legt ihm folgende Worte in den Mund : „Omnes, qui meam audientes.
impleverint predicacionem, profecto credant sua in hoc mimdo, Dei preceptione^
relaxari peccata . . . Si obedieritis velociter, erit vobis p'ertingens ad mkgnam.
mercedem, et meis suffragiis adiuvati . . . aetemam-procul' dubio fruemini
vitam." Epp. III 501 ff.
* Theologisches Literaturblatt 1906, 440. Hilgers 58.
^ Dies hat schon L. K. Goetz, Studien zxir Geschichte des Bußsakraments^
in Revue internationale de thöologie II (1894) 312, richtig hervorgehoben.
* Mon. Germ. Epp. III 487 488 490 493 497 498 502 503.
' Ebd. 477 478.. ' . ' ,
8 Ebd. 516 620 522 524 528 531 536 539 543.
* Mon. Germ. Epp. V 601: „Omnium vestrum nosse volumus karitatem,.
quoniam quisquis (quod non optantes dicimus) in hoc belli certamine fideliter
mortuus fuerit, regna illi caelestia minime negabuntur. Novit enim omnipotens^
si quilibet vestrum raorietur, quod .pro veritate.fidei et.salvatione.ahimeac defen-
BJone patrie christianorum mortuus est, ideoque ab eo pretitulatum 'premimn.
consequetur." Im Dekret Gratians c. 46. C. XXIII q. 6; c. 9. C. XXIH q; 8..
^' Vgl. hierüber die- Bemerkungen Falcos 139 ff. gegen'. Gottlob 22;''der-
in- der Heilsversicherung Leos IV. „die erste Vorbereitungsstufe des Kreuz-
ablasses" finden will. •
•'-. B. 'Absolutionen lebender Personen. 61'
.. -Nicht selten kommt- es. im ifrüheren. Mittelalter -cor,- daß Päpste-
«tm. :Schlusse. ihrer Schreiben^ den Wunsch, aussprechen oder die Bitte
^n Gott richten, es .möchten jenen, an welche sie schreiben:, ihre Sünden
erlassen .werden.^ ,Von einer derartigen Bitte um 'Nachlaß. der. Sünden
wardie.damals übhche sakramentale Absolutionsformel nicht wesenthoh'
verschieden.' > Wurde .doch damals .bei der sakrameiitalen> Absolution,
■die ' der.' Bischof, oder der bevollmächtigte Priester ; den Pönitenten
■erteilte /gewöhnlich die deprdkative oder, fürbittende Form gebraucht.
Daß i findessen diese Absolütiöhsformel,i möge sie .nun deprekativ odier,
'wiöies''später Sitte, wurde, indikativ- lauten, in »gewissen Fällen bloß
«,1s,, Fürbitte,' in andern dagegen- als = bewirkende- Ursache der Nach-
lassung, der- Sünden zu .gelten- hat, hängt van der. Intention !ab, in
welcher die Bischöfe oderdie Priester die Absolutionsworte gebrauchen.^
In welcher Intention aber die Bischöfe und Priester, die Absolutions-
worte gebra;uchen, läßt;Sich. in der Regel ziemlich, leicht -aus den.be-^
;gleitenden Umständen erkennen.' Wo.z. B. die Absolution im Anschluß
.an -Beichte und Genugtuung- erteilt wird, hat sie in der -Regel als
wirkliche Lossprechung zu gelten. Wenn' aber im früheren- Mittelalter
■die' Absolutionsworte,- sei es in deprekativer oder indikativer Form
gebraucht werden, ohne daß von irgendeiner Beichte und Genugtuung
die Rede ist, dann sind sie gewöhnlich bloß als Fürbitte oder Segens-
wunsch zu. .betrachten. .. Behält man dies ' im Auge, so werden ver-
schiedene; Absolutionsformeln in päpstlichen Schreiben leichter zu er-
-Mären sein. .-. - ; > - , , - , "
- ,: Sehr oft heißt es" am Schlüsse päpstlicher. Schreiben: Wer diese
•unsere apostolische Verordnung befolgt, möge' die Verzeihung seiner
•Sünden, .und das,;ewige Leben erlangen.,. So lautet z.,B. eine. Bestä-
tätigungsbulle Hadriahs I. vom Jahre 772 für Farfa^. Denselben
Sinn: haben die zählreichen Schlußformeln,- in denen! die Päpste, z..B»
;Nikola,us:L (858—67),^ beiider ,Erteilung von Privilegien an Kirchen
xmd Klösterni denjenigen, -welche diese Privilegien achten werden, die
göttliche Gnade und Barmherzigkeit anwünschen oder auch verheißen.
^ Den Sinn dieser Schlußsegensformeln hat L. K. Goetz (Revue intern
aiationale II ,431 ff.) richtig erfaßt. . - ■' ■. -
. . 2, Darauf; hat schon bei einem andern, Anlaß Morinus 701 f. aufmerksam
gemacht.. Indem er daran erinnert, wie im früheren Mittelalter bei der Auf-
legung der öffentlichen Buße am Aschermittwoch öfters dieselben Absolutions-
gebete gebraucht -wxirden wie am Gründonnerstag bei der Wiederaufnahme der
Pönitenten, bemerkt er, daß man die'; verschiedene Bedeutung derselben Worte
au beurteilen" habe '"„exTintentibne,-Ecclesiae quaoi primis precibus auxilium
yoerdtenti a Deo: impetrare, intendit; ' ut'"sancte .poenitentiam suscipiat, quo
ielicius et celeriusjveniam oonsequatur; . .> .-postremis, quia tuno iudieatuLT poeni-
■tens suffieienter purgatus et dispositus, eum reconciliare Deo et sibi intendit .. .,.
Verb.a sive. indicativa sint,- si've deprecativa,- non.iagimt nisi cmn instituto et
inten tione Ecolesiae per ministrum suum hio et nunc secundum ipsius canones
-applioata." . < , ^: .-. - . .\
? Giorgi II 85 :i „ Qui observator istius nostri apostolici constituti extiterit . . .
suorum yeniam .delicfcorum consequi .et, vitam mereatur, adipisoi aeternam."
* Migne CXIX 815 820 821 823. .und passim.
62 II. IKJittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe.
Eine besondere Beachtung verdienen die Schreiben, die Nikolaus I-
im Jahre 864 an etliche deutsche Bischöfe gerichtet- hat. . Auf einer
Synode, die 863 in Metz stattfand, hatten mehrere' Bischöfe sich für
König Lothar erklärt, obschon er vom Papste gebannt worden wäri.
Bald nachher suchten sie aber die Versöhnung mit dem Papste liachy.
indem sie reuige- Bekenntnisse nach Rom, sandten und sich voni jeder
Gemeinschaft mit dem gebannten König lossagten,- so vor allem:
Adventius von Metz und Franko von Tongern.^ Nikolaus J. zeigte»
sich sofort bereit, die Bischöfe, die ihren Fehler einsahen und bereuten^
zu begnadigen. In einem Schreiben vom 17. September 864!an Frank»'
von Tongern erklärt er diesem, daß er für seine Person ihm von Herzen,
verzeihe und ihm auch von Gott Verzeihung wünsche und erbitte (hoc
iam tibi divinitus non inputari optamus, quod-tibi, quomodocumquer-
excesseris, remitti a Domino postulamus et, quantum in nobis est, ex:
corde tibi ignoscimus). Wolle er fürderhin treu zum Apostolischen-
Stuhle halten, so möge ihn der allmächtige Gott durch die Fürbitte--^
der AposteKürsten Petrus und Paulus von allen Sünden lossprechen.^
Einen ähnlichen Brief erhielt der Bischof von Metz.^
Derartige deprekative Absolutionsformeln haben nicht mehr zu be-
deuten, als die Schlußformeln der Schutzbriefe, in denen Johann VIII.
(872-82),* Benedikt IV. (900-03),^ Sergius III. (904-11),^
Johann X. (914-28),7 Stephan VII. {929-^31),-8 Johann XI.
(931^36),» Leo VII. (936-^39)io den Segen und die Gnade oder Barm-
herzigkeit Gottes erbitten und anwünschen. ^
' Einen tieferen Sinn scheinen etliche Formeln^ zu haben, in denen.
Wohltäter klööterlicher Anstalten mit Verheißungen' bedacht-
werden. In einem Schreiben vom Jahre 938 erteilt LeoVII.^^^ deni.
Wohltätern der Abtei Gorze in Lothringen seinen Segen ünä wünscht-
ihnen, soviel es der göttlichen Barmherzigkeit gefalle, die Vergebung:
ihrer Sünden.^^ Noch ausdrücklicher ist einschreiben Stephans VIII.-
vöm Jahre 941 für das Nonnenkloster Bouxieres in, Lothringen: Der
^ E. Dümmler, Geschichte des Ostfränkischen Reiches 11^, Leipzig 1887^.
64 ff. 77 W , . '
2 Mon. Germ. Epistolae VI 298: „Dens omnipotens intercessione aposto-
lorum principiuh Petri et Pauli vinculo omnium peccatorum tuorum absolvat et-
quicquid huihanitus, quod in oculis maiestatis eins displicuit, egisti, tibi miseratus.
indulgeat."
3 Ebd. 299 f. ^ Migne CXXVI 687 688.
5 Migne GXXXI 46. « Ebd. 972 974. -
'Migne CXXXII 801. «» Migne CXXXII 1053.
»Ebd. 1058 1059 1062. ' " Ebd. 1067 1069 1079 1083.
• ^^'^ Jm Jahre 937 richtete Herzog Raimund von Aquitanien in der Stiftungs-
urkunde eines Klosters an Papst Leo VII. die Bitte, er möge die -Mönche der-
heuen Abtei und deren Wohltäter absolvieren: „Ut monachis et adiutoribus.
eorum faveas et eos absolvas." Devio II. Preuves 78.
^* „ Qui loco vel fratribus adiutores fuerint, in Domino gratificamus, et ut-
ipsi a sianctis apostolorum principibus adiuvari mereantur et- quantum divina.
pietas concesserit, absolutos esse optamus." A. d'Herbomez, Cartulaire ' det
J'abbaye de Gorze. Paris 1898, 181. Jaff6 3609.
, ' B. 'Absolutionen lebender Personen. 6i^
Papst; erklärt, daß die Wohltäter des Klosters absolviert sein sollen,
LQviel die apostolische. Gewalt -es gestatte.! • . ■ •
Man hat in dieser Erklärung, einen ,irichterlichen Akt", einen,
wirklichen „Erlaß", entweder .der Sündenstrafen öder der läßlichen
Sündehi 'finden, wollen,^ i Durch, den Wortlaut der i Formel wird aller-
dings, die Annahme eines richterlichen Aktes nahegelegt.. Aber gilt
dies • nicht i aucb > von* den^ . zahlreichen oben . erörterten Absolutiöns-
lormelri, in denen einfache ; Geistliche unter, ausdrücklicher Berufung;
auf ..die kirchliche Schlüsselgewalt, die Seelen im. Jenseits von, ihren
Sünden lossprechen ? Und doch können diese Absolutionen der Ver-
storbenen nur als eigentümliche Gebete, nicht als richterliche ' Akte
aufgefaßt^ werden.- Wie im früheren Mittelalter die deprekative oder
fürbittende Absolution' bei der Verwaltung des Bußsakraments die-^
selbe Bedeutung hatte, die heute der indikativen Absolution zukommt,
so. hatten damals die indikativen Absolutionen öfters keine andere
Bedeutung, als die heutigen Fürbittgebete. Daraus ergibt - sich, wie
sehr man irren würde, wollte man frühmittelalterlichen Äußerungen
ohne weiteres den späteren Sinn ähnlicher Äußerungen beilegen. Die=
alten Formeln müssen vielmehr, wie anfänglich, bemerkt worden', aus-
gleichiseitigen Parallelstellen gedeutet werden. Wie aber die Schluß-
{.teile der Bulle, Stephans Villi vom Jahre' 941 zu deuten ist^ zeigt
die parallele Stelle • in dem , drei Jahre früher erlassenen Schreiben.
Leos 'VII. Die Erklärung .Stephans- „quantum äpostolica potestas.
indulserit, absolutes esse decemimus" hat keinen andern Sinn als-
Leos Äußerung „quantum divina pietas concesserit, absolutes esse
optamus". In beiden Fällen handelt, es sich um einen von autoritativer
Seite ausgesprochenen Segenswunsch.
Bei der Bestätigung der Privilegien von lürchen und Klöstern
.sprechen spätere Päpste sehr häufig denselben Segenswunsch aus,
wenn auch nicht in Indikätiver, sondern in deprekati'ver Form. So
z. B.-Marinus II. (942'-^46);3 Agapet IL (946-55),* Johann XIII.
(965-72),5 Benedikt VL (972-74),« Benedikt VII. • (974-83)'.
Letzterer stellt auch einmal bei der Bestätigung der Privilegien der
Abtei St. Peter Yon Roda in Katalonien die Absol^tion der. Sünden,
von, Seiten des hl., I^etrus in sichere, Aussicht.^ Ein besonderes Privi-
legium wollte damit der Papst der betreffenden Abtei nicht erteilen;.
^ Migne CXXXII 1092., Der Pap?t ermahüt die Gläubigen, „ut etundem
looum pro Dei amore snstineant et suis donationibus augeant . . . Quicunqu&
adiu^toreä extiterint, hos, quantum , äpostolica potestas indulserit, absolu tos-
esse decernimus!'* Jaffe 3617. -
* P. Fournier, in Revue d'histoire ecclesiastique X (1909) 579.
' Migne CXXXIII 865 867, 869 871.
* Ebd. ' 90'2 892 8Ö5 905 906 90'8. , , , '
^ Migne CXXXV 969 992 995.' '
/ « Ebd. 1089, ' ' Migne CXXXVII 343.
* Migne CXXXVII 334: „Qui nostrae concessionis adiutor atque de-
fensor extiterit, apostolieam benedictionem et peccatorum absolutionem ab ipso>
elavigero summo se obtinere soiat."
^4 II. Mittelalterliche Absolutionen - als angebliehe Ablässe.
•er gab bloß der üblichen Schlußformel eine andere \^endung,-'Während
•einige Jahr später Johann. XV. (985— 96) in einer Bulle für dieselbe
Abtei wieder die gewöhnHche Formel gebraucht.^
: v; Wie i Johann XV. bei einer -S3henkurigi die; er selber 992 einer
Kirche machte, erklärte, er tue es; um- Verzeihung seiner-' Sünden^ zu
erlangen/, (pro. nostrorum omnium venia peccatorum),^ so .korinte er.
auch^ aridere durch Verheißung der göttlichen Huld und' des päpstlichen
-Segens 'ZU frommen Stiftungen auffordern, • ohne dabeil ari die^ B3-
wiUigung eines Ablasses zu denken.^ Aus demselben Grunde können
verschiedene Schreiben vonSergius IV." (1011) und ^Benedikt' VIII.
»(1017), insofern darin den Wohltätern der spanischen Klöster Ouxa,
RipoU, Ganigou, Notre-Damc d'Arles (Arulas), Balneol und Campedron
•ein; himmlischer Lohn verheißen wird, nicht als Ablaßprivilegien ' be-
trachtet ;werden.* Auch die BuUe, die Sergius IV. im' Jahre 1012
iür Jdie Abtei Beaüheu (Diözese Tours) ausgestellt haben soll, enthält
ieine Ablaß bewilhgung, wenngleich "darin erklärt wird, daß die Wohl-
täter der Abtei absolviert und gesegnet sein sollen.? Es handelt sich
-eben wieder nur um einen Segenswunsch. ' .
. Ebensowenig geht^ es an, den- j-jCrsten-übewußten Almosenablaß"®
in einer Bulle zu finden, die Johann XIX. (1024—32) für die Kirche
von . Maguelone ausgestellt hat. In dieser Bulle verheißt der Papst
, «die Verzeihung ihrer Sünden allen jenen, welche zur Wiederherstellung
■der -Kirche von , Maguelone mithelfen werden, indem sie von' ihren
•eigenen Gütern Beiträge spenden' oder Kirchengüter, zurückerstatten,^
^ ^ ^ Ebd. 842: ,,Omnium suörum peccatorum äbsolütioriem . . . a Donxiho'
<;onsequi mereatur. ' '
3:3; 2 Ebd. 844. ~ ■ - - ,
, ..^ In einem Schreiben vom Jahre 989 ermahnt der Papst die Gläubigen,
^e Hämisurger Kirche zu unterstützen, „quatenus pro gratia huius benefioii
pienum recipere mercedem a Domino mereantur . . . Observator autem huius
jiöätrae admonitionis et iussionis habeat beriedictionem omnipotentis' Dei et
beatorumVapostolorum Petri et Pauli et nostram, qui eorum fungimur vica-
liatione." Ebd. 838. , . . •
* Maroa 982 986 989 991 1001 1004. Migne OXXXIX 1509 1514 1517
1520 1612 1616. Wie diese Bullen zu beurteilen sind, insofern sie Büßern, die
^om Gottesdienste ausgeschlossen waren, den Zutritt zu den- genannten Kloster-
kirchen gastatbaten, ist oban S. 32 f£. dargelegt worden. , '
^ Migne OXXXIX 1527: „Locu3 vero ille et omnes huius loci servientes
jiecnon et adiutoras eius sive amici . . . sint- absoluti et benedicti." Jaff6-
lioeVenfeld 3987 halten die Bulle für echt. Auch G. Lair (lÖtudes critiques
.aürdivei^s 'textes des X^ et XF siecles I, Paris 1899, 63 ff.) hat nichts gegen deren
JEchtheit einzuwenden. L, Hälphen (Le comte d'Anjou au XF siecle. Paris
1908, 224 ff.) spricht sich ganz entschieden gegen die'Eehtheit aus. ' '
« So Gottlob 211. ' ' ' , .
' Migne OXLI 1156. Jaffe "4101: „Peccatorum suorum veniam et in-
•dulgentiam promereri a iusto iudice apostolica auctoritate sp6ndem.u3,
quicumque de propria haereditate vel de propriis bonis offerendo autde bene-
f ioiis ip3iu3 ecclesiae reddendo ecclesiam suprädictam relevare nisus fuerit. Nam
xinäm et similem mercedem aceipiet, qui propria offeret et qui beneficia ecclesiae
teddet in commune; et benedictione et absolutione apostolica fruetiir."
Mit dieser Schlußsegensformel stimmt überein die Einleitung der Bulle : „Omnibus
B. , Absolutionen lebender Personen. 65
Ganz, ähnliche .Yerheißungen hattien schon frühere . Päpste gemacht.
An eine . Ablaßbewilligung »ist- dabei nicht zu denken. > Es ist; weiter
nichts . als eine Aufforderun§ zur, Unl^rstützung ■' der Barche von
Maguelone; unter autoritativem Hinweis auf die.sündehtilgende Kraft
der, Almosen. Man ; kann auch keinen Ablaß darin sehen, wenn
Johann XIX.. dem Bischof von Auxerre, der sich vor Gott und dem
Papst, als Sünder bekannt .hatte,, die vollkommene Nachlassung seiner
Sünden verheißt.^ Noch eher ;könnte man geneigt seiuj einen Ablaß
anzunehmen, wenn Johann XIX. ain Schlüsse eines Schutzbriefes für
die Abtei St. Jean d'Angely ; denjenigen, welche ^ die Privilegien des
Klosters, achten werden^- die Absolution von allen Sünden erteilt.^
Allein diese Absolution, ist zu . deuten wie d^e Schlußformeln anderer
Bullen, 'in denen derselbe, Papst, aus ähnlichen Anlässen die Absolution
von, allen. Sünden in Aussicht stellt.^ Es ist weiter nichts als ein
formelhafter Segenswunsch, wie er am Schlüsse päpsthcher Schreiben
unzählige . Male wiederkehrt. Wie hätte auch zu einer Zeit, da die
B^ußdisziplin noch ziemlich istreng war, der Papst einen allgemeinen
Erlaß der kirchlichen Bußstrafen erteilen können bloß unter der Be-
dingung;' daß man die Privilegien eines .Klosters ächten wollte?" Und
warumwäredenn ein derartiges Privilegium bloß, der Abtei St. Jean
d'Angely zuteil geworden, während andere Kirchen und Klöster, deren
Rechte und Privilegien der. Papst in gleicher Weise . bestätigte, mit
einem. einfachen Segenswunsch sich begnügen müßten? ^
Eine tiefere Bedeutung hat allem Anscheine nach die Absolution,
die Benedikt VIII. im Jahre 1020 ani Gründonnerstag im Bamberger
Dom allen Aiiwesenden erteilt hat: Nach dem Berichte* eines Augen-
zeugen, des 'Diakons Bebo,"hat der iPapst zunächst 'die öffentlichen
Büßer, die. ihre Sünden bekannten, absolviert und in die Kirche ein-
geführt.* Dann hielt er eine Predigt/an deren Schluß' er allen Gläu-
bigen, die herbeigeströmt waren, einen „Erlaß" gewährte.^ Unter der
Absolution,, die der Papst den Pöriitenten spendete, ist die feierliche
bonum' f acieritibus in' ecclesia Ma<galonensi ... salutem carissimam cum bene-
dictione apostolica et' äbsolutione." Vgl. über die Bulle F.'Fabrege, Histoire
de. Maguelone I," Paris 1894, 106 ff. - >,
1 MigneCXLI 1151. Jaff 6 4102:-„!Fratri nostro Hugoni . . . Deo et nobis
sua peccata confitenti . . . plenariam a Deo pollicente promittimus oonsequi
indulgentiae veniam."
^ Migne, CXLI 1155., Jaff6 4097: i.Si'quis hanc nostram assertionem
custodire voluerit, habeat benedictionem a Filio .S. Mariae ... et absolutus
sit a b. Petro apostolo et a me eiusdem pastoris vicario ab omnibus pecca-
torum vinculis."
^ Vgl. Johanns XIX. Bulle für die Kirche von Aquileja: „Qui observa-
tor . . ..extiterit, absolutionem omniiun peccatorum suorum oonsequi mereatur."
Ebd. 1139. ...
* Jaff e, Bibliotheca rerum germanicarum V, Berolini 1869, 493: „Egressus
foras,' ante ianuam aecclesiae poenitentes sua delicta confitentes nexibus pecca-
torum miserando dissolvit, necnon in aecclesiam introduxit."
■ , ^ „Deinde leoto evangeüo,- debiti sermonis officium implevit cunctisque illuo
advenientibus remissionis dona necessaria tribuit."
Paulas, Oescbichte dea Ablasses. 5
■66 II. ]\tittelalterliehe' Absolutionen als- angebliche Ablässe.
Bekouziliati'on zu verstehen,- die' damals von den Bischöfen den
öffenthchen. Büßern nach voUlbrachter Btiße gewöhnlich am' (^ün-
rdonnerstag erteilt wurde. Wie ist aber der ',,,Erläß" zu erklären, den
■der Papst nach seiner Predigt allen Anwesenden verlieh ? Mari hat
ihn als einen „Bußerlaß", einen eigentlichen Ablaß auffassen woUön.^
Es liegt aber doch viel näher, an die Absolution zu denken, die damals
schon, wie wir weiter unten von Leo IX. hören werden, im Anschluß
an die sogenannte offene Schuld oder allgemeine Beichte gespendet
wurde. Später hat man diese allgemeine Absolution von der sakra-
mentalen Lossprechung, die der Beichtvater bei der Verwaltung des
Büßsakraments spendet, scharf unterschieden; man hat sie, den so-
genannten ,, Sakramentalen" beigezählt. -Anfänglich aber hat nian
wohl beiden Lossprechungen, der besonderen wie der allgemeinen,' in
bezug auf die Tilgung der Sünden eine gleichartige Wirksamkeit
zugeschrieben; nur wurde die letztere in Verbindung mit der all-
gemeinen Beichte auf die geringeren Sünden sowie auf jerie, deren
man sich nicht genau erinnern konnte, beschränkt, während für die
schweren Sünden besondere Beichte gefordert wurde.
Näheren Aufschluß hierüber findet man in dem ,, Spiegel der
Kirche", einem vielbenützten Handbuch für Prediger, das der rätsel-
hafte Honorius Augustodunensis in der ersten Hälfte des 12. Jahr-
hunderts in Deutschland verfaßt hat.^ Es wird darin gezeigt, wie die
Gläubigen an den hohen Festtagen beim Pfarrgottesdienst eine all-
gemeine Beichte ablegen sollen. Der Prediger soll dem Volke sagen:
Brüder, ich bin überzeugt, daß ihr häufig euren Priestern beichtet;
und dies sollt ihr auch tun. Weil es aber manches gibt, dessen^ ihr
euch vielleicht nicht erinnert (quae f orsitari vobis ,in memoriam non
veniunt),^ so sollt ihr jetzt die Beichte mir nachsagen, um die Ab-
solution empfangen zu können (ut de his possitis absolutionem accipere).*
Darauf betet der Prediger mit dem Volke die offene Schuld und spendet
dann die Lossprechung.^ Er unterlasse aber nicht, die Gläubigen über
die Bedeutung dieser allgemeinen Beichte aufzuklären; er solle ihnen
sagen: Briider, diese Beichte gilt nur für die Sünden, die ihr den
Priestern gebeichtet oder die ihr aus Unwissenheit begangen habet.
Jenen aber, die schwer gesündigt und noch nicht Buße getan haben,
kann diese Beichte nicht heUen. Deshalb mahne ich euch, für die
1 Hilgers 81.
* Vgl. über ihn J. A. Endres im Kirchlichen Handlexikon I 2016 und
im Histor. Jahrbuch 1908, 451 f.
3 ]3ie Sündeuj deren man sich nicht erinnert imd für welche die allgemeine
Beichte genügt, werden von Alanus von Lille „occulta peccata" genannt.
Migne CCX 299i Vgl. 172 f. Man folgte dabei dem Sprachgebrauche der Vulgata.
Ps. 18, 13: j,Ab oceultis meis munda me." Gemeint sind hier „die vergessenen
oder nicht erkannten Sünden". W. K. Reisohl, Das Buch der Psalmen I,
Eegensburg 1873, 87.
* Migne GLXXII 824 ff.
. ^ Die Absolutionsformel lautet: „Indulgentiam et absolutionem de omnibus
peccatis vestris per intercessionem omnium sanctorum suorum tribuat vobis
Pater et Filius et Spiritus sanotus."
B, Absolutionen lebender Personen. !37
Sünden, die ihr öffentlich, begangen .habet, eine öffentliche Buße zu
übernehmen; habt ihr, aber im: geheimen, gesündigt, -so beichtet im
geheimen euren: Priestern, bevor ihr die hl. Kommunion empfanget.
Demna,ch bezog sich die im Aj^schluß an die allgemeine Beichte
oder offene, Schuld erteilte allgemeine Absolution nicht auf die schweren
Sünden, die man noch ni(jht gebeichtet hatte. Diese Sünden mußte
man dem Beichtvater offenbaren und dafür eine entsprechende Buße,
eine, öffentliche oder eine geheime, übernehmen., So-.war es Brauch
nicht erst im 12. Jahrhundert, zur Zeit des Honorius Augustodunensis,
sondern aucK schon früher, zur Zeit, da die Übung der „offenen Schuld"
sich zu verbreiten begann. Und wie die mit der offenen Schuld ver-
bundene, Absolution sich nicht, -auf die schweren Sünden bezog, die
noch nicht gebeichtet worden waren, so bez(% sie. sich auch nicht, auf
die. kirchlichen Bußstrafen, die man durch schwere Sünden sich zu-
gezogen. Mit Unrecht hat man in der allgemeinen Absolution einen
„generellen Erlaß der gesamten öffentlichen B^uße" sehen wollen.^ Für
eine solche Deutung .findet sich in den frühmittelalterlichen Quellen
kein Anhaltspunkt.^ , Es widerspricht auch völlig dem Charakter des
früheren Mittelalters, daß man damals den öffentlichen- Büßern ins-
gemein die gesamte Buße ohne irgendeine Gegenleistung nachgelassen
habe.
Mit dem eigentlichen Ablaß, oder dem. Erlaß kirchlicher . Büß -
strafen haben die allgemeinen Absolutionen, wie sie im früheren Mittel-
alter in Übung waren, nichts zu tun. Wohl wird der Ablaß von den
.älteren Theologen häufig als ,, allgemeine Absolution" (absolutio gener
ralis) oder als ,, allgemeiner Erlaß" (remissio generalis) bezeichnet,. Man
darf indessen nicht übersehen, daß die „allgemeine Absolution", von
der die Theologen in ihren Erörterungen über den- Ablaß handeln,
etwas ganz anders ist, als die allgemeine Absolution, die, im Anschluß
^ Nach Koeniger 187 bedeuteten die Generalabsolutionen „gleich anfangs
nichts anderes als den Erlaß kirchlicher Bußstrafen derjenigen, für welche die
Bußzeit noch nicht abgelaufen war, dann, als die allgemeine Beichte dazu kam,
den in vorhinein gewährten Erlaß für solche Sünder, die nächstens ihrer Vergehen
wegen öffentliche Buße hätten aufbekonamen müssen . . . Liegt aber nicht
.gerade hier der Ursprung des Ablasses? Es sind generelle Erlasse der ge-
samten öffentlichen Buße, sei es nun, daß sie willkürlich auferlegt war
.oder aufzuerlegen gewesen wäre," ^
2 Koeniger 187 macht bloß folgenden Grund geltend: „Daran, daß hier-
dxirch läßliche Sünden nachgelassen würden, dachte man noch nicht, da diese
nach.der Lehre der damaligen Theologen durch Gebet sich ohne weiteres tilgen
.ließen; hierzu hätte man also des Bischofs nicht bedurft . . .- Nur vom Stand-
punkt der öffentlichen Büßen oder .Sünder begreift man den Zweck und die
.Nützlichkeit der bisehöflichen' Generalabsolutionen." Allein auch die Theologen
des 12. und 13. Jahrhunderts lehrten, daß man durch frommes Gebet die läß,-
lichen Sünden tilgen könne. Dies hinderte sie aber nicht, die Nützlichkeit der
. allgemeinen Beichte und Absolution hervorzuheben. Daß im früheren ^Mittelalter
die Gläubigen überhaupt, nicht etwa bloß die „öffentlichen Büßer", den Segen
imd die Absolution der Bischöfe hochschätzten, läßt sich leicht erklären, ohne
. daß man genötigt wäre, anzunehmen, sie hätten in den Geieralabsolutionen
„generelle Erlasse der gesamten öffentlichen Buße" gesehen,. ... ',
." 5*
68 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe.
an die offene Schuld, erteilt wurde. Es'ist' ein generell verliehener
Bußerlaß, der als „allgemein"' bezeichnet wird im Gegensatze zu dfen
Bußermäßigungen, die bloß einzelnen Personen erteilt werden: /'Man
würde also gründlich irren, wollte man die „absolutio" oder „remissio
generalis", von der' die älteren Theologen öfters reden, ohne weiteres
als einen Erlaß der gesamten Buße auffassen. Häufig ist darunter hur
ein partieller Ablaß verstanden.^ '• , ' ■ >.
Wenngleich mehrere ältere Theologen die Ablässe als „allgemeine
Absolutionen" bezeichnen, so hat doch keiner von itmen 'in der all-
gemeinen Absolution, die im Anschluß an die offene Schuld erteilt
wurde, irgendeine Verwandtschaft mit dem Ablasse gefunden. Wohl
berichtet Thomas von Aquin, daß der Papst bei den allgemeinen
Absolutionen (in generalibus absolutionibus) den anwesenden Gläu-
bigen einen partiellen Ablaß zu erteilen pflege. In Rom war es eben
damals Sitte, daß ■ bei • feierlichen Gottesdiensten an die vom Papst
erteilte aUgemeiiie Absolution 'die 'Spendung eines Ablasses sich' an-
schloß.^ Diese Sitte kam indessen erst später auf; im 11. Jahrhundert
läßt sie sich noch nicht nachweisen, obschon damals schon die all-
gemeine Absolution auch von Päpsten sehr häufig gespendet wurde.*
Wie wenig die Päpste um die Mitte' des 11. Jahrhunderts- daran,
dachten, mit der allgemeinen Absolution einen Ablaß zu verbinden,
ersieht man aus der Handlungsweise Leos IX. bei der Einweihung der
berühmten Abteikirche von St. Remigius zu Reims im Jahre 1049.
Wir besitzen hierüber den ausführUchen Bericht eines Augenzeugen,
des Mönches Anselm, der auf Befehl des Abtes Herimar von St. Re-
migius bald nachher den Verlauf der denkwürdigeiiFeier geschildert
hat.* Erwähnenswert ist zunächst, daß der Abt Herimar in dein
Schreiben, wodurch er die Gläubigen zur Feier einlud, auch auf den
apostolischen Segen hinwies, dessen sie sich teilhaftig machen können.^
Dem päpsthchen Segen wurde eben in jener glaubensstarken Zeit ein
sehr großer Wert beigelegt.® Worin bestand nun aber der päpstliche
Segen, der den Gläubigen in, Aussicht gestellt wurde ? Etwa in der
Erteilung eines Ablasses? Mitnichten! Von einem Ablaß ist gar
keine Rede, wohl, aber von einer Absolution, die im Anschluß an die
offene Schuld vom Papste erteilt wurde. Während des Hochamtes,
1 Vgl. z. B. Ughelli V 807. Rookinger 911. Bonaventura (Opera
IV 539) spricht von einer „indulgentia generalis unius diei".
* Näheres hierüber wird im 2. Band bei der Besprechung der Ablässe
(Abschnitt XXVI) der römischen Kirchen mitgeteilt werden.
^ Aus dem Umstände, daß Thomas von Aquin um die Mitte des 13. Jahr-
hunderts berichtet, in Rom werde bei den allgemeinen Absolutionen ein Ablaß
erteilt, darf man nicht schließen, daß dies auch schon 200 Jahre früher geschehen
sei. Vgl. Hilgers 81.
* Migne CXLII 1411 ff.
^ Ebd. 1422: „Invitans fideles ut ad tanti gaudii participationem con-
currant . . . ut benedictione mxmiri mererentur apostolica."
* Man lese nur, was Bischof Reinhard von Halberstadt im Jahre 1107 an
Paschalis II. schrieb; „Sanctitatis vestrae benedictionem pro maximo munere
accipiam." Migne CLXIII 459. ' '
B. Absolutionen lebender, Personeni ,,, 69
SO erzählt der Mönch Anselm, . nach , dem Evangelium ■ :besiieg der
Papst die Kanzel, um eine Anrede ran das Volk zu halten; am Schlüsse
der .Pre,digt forderte,, er, die Gläubigen auf, die offene Schuld zu beten,
und, erteilte ihnen dann die Absolution. Nach; Beendigung des Gottes-
dienstes entließ ^er das Volk mit dem üblichen ;Segen.i., Eine ähnliche
Absolution erteilte der. Papst> nachher auchden Mönchen von St. Re-
migius. Im Kapitelsaal hielt er ihnen zuerst eine Anrede; nachdem
sie dann die offene Schuld gebetet, absolvierte er, sie tind, gab ihnen
aen apostolischen Segen.^ Weder in dem Berichte Anselms noch in
den Bullen, die bei dieser Gelegenheit Leo IX, für St. Remigms -aus-
gestellt hat,^ ist die Rede von einem Ablaß.. Daraus darf man wohl
schließen, daß es damals noch nicht, gebräuchlich war, daß die Päpste
bei Kirchweihen Ablässe erteilten. Denn wenn, irgendein Gotteshaus,,
so würde doch vor allem das altehrw^ürdige Heiligtum von St. Remigius
verdient haben,: durch einen. Ablaß, ausgezeichnet zu werden.*
Wie die von, Leo IX. in Reims erteilte Absolution mit dem Ablaß
nichts geniein hat, so verhält es sich ^ohl auch mit der Absolution,
die er, den päpstlichen Soldaten vor ihrem Kampfe mit den Normannen
im Jahre 1053 erteilte und in welcher man einen der ersten Kreuzzugs-
ablässe hat finden, wollen.^ Schon .bei seiner . Werbung deutscher
Truppen gegen die, Normannen solider Papst „Freiheit, von den Buß-
strafen" versprochen haben, wie der gleichzeitige Chronist Hermann
der Lahme von Reichenau bezeuge.* Allein dieser, Chronist berichtet
bloß, es seien ,dem Papste ,, viele Übeltäter ob der Ungestraftheit
ihrer Verbrechen (ob impunitatem scelerum) oder schnöden Gewinnes
halber zugelaufen".' Man braucht nicht die hier erwähnte Straf-
losigkeit von einem in Aussicht gestellten Nachlaß, der kirchlichen
Bußstrafen zu yerstßhen. Viel näher liegt die Annahme, der. Chronist
wolle sagen, die Übeltäter seien dem Papste zugelaufen, weil sie auf
diese Weise den bürgerlichen Strafen zu entrinnen hofften. Deut-
^ Migne CXLII 1430: „Populum secundum institutionis eins verba publicam
de peccatis suis confessionem. agentem absolvit; explioitisque divinis officiis
apostolica benedictione sanctificans illuna dimisit." ,
, 2 Ebd. 1438: „Prostratos ad publicam confessionem absolvit et ex ordine
omnes deosculatos apostolica benedictione sanctificavit."
3 Migne CXLIII 616 ff. , . .
* Dies wird auch von Lea 142 hervorgehoben.
5, Gottlob 41 ff. Hilgers 57.' « Gottlob 4i
^' Mon. Germ. SS. V 132. Leo IX. kehrt von Deutschland nach Bona
zurück, „Secuti sunt autem eum plurimi Theutonicorum, partim iussu domi-
norum, partim spe quaestus adducti, multi etiam scelerati et protervi, diversasque
ob noxas patria pulsi. Quos ille omnes, tum consuetae misericordiae nimia com-
passione, tum etiam quia opera eorum ad imminens videbatur bellum, indigere,
clementer et .gratanter suscipiebat." Von irgendeinem Versprechen sagt also
der Chronist nichts. Er erzählt dann, wie die deutschen Truppen geschlagen
wurden, ,,ocpulto Dei iudicio, siv.e quia tantum sacerdotem spiritalis potius
quam pro caducis rebus, carnalis pugna decebat, sive quod nefarios homines
quam rnultos, ad se ob impunitatem scelerum vel quaestum avarum confiuentes,
contra itidem scelestos expugnandos secum ducebat; sive divina iusticia alias,
quas ipsa novit, ob causas nostros plectente."
70 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliehe Ablässe.
lieber scheint sich Amatus (fllOl), Mönch von Montecassino, in seiner
Geschichte der Normannen auszusprechen. Er berichtet zuerst,', daß
Leo IX. jenen, die seinem Rufe folgen würden; die Absolution ihrer'
Sünden verheißen habe;^ dann erzählt er, wie der Papst unmittelbar
vor dem Kampfe mit den Normannen die Soldaten von ihren Sünden
absolviert und ihnen die schuldigen Bußstrafen erlassen' habe.^
Da hätten wir also einen eigenthchen voUkomnienen Ablaß. ^ Leider
ist das Zeugnis nicht zuverlässig genug. Amatus hat seine Schrift
etwa 30 Jahre nach Leos Tod verfaßt, zwischen 1078—86, und zwar
in lateinischer Sprache.^ Am Anfang des 14. Jahrhunderts, unter
Papst Klemens V.,* wurde das Werk ins Französische übertragen,
wobei der Übersetzer „den lateinischen Text in sehr freier Weise be-
handelt, manches gekürzt und fortgelassen, anderseits aber auch, wie
er dies schon selbst in der Vorrede verspricht, viele Zutaten gegeben
hat".^ Es ist also sehr wohl möglich, daß bei dem Berichte über die
den Soldaten erteilte Absolution ' der Übersetzer die zu seiner Zeit
herrschenden Anschauungen über den Kreuzzugsablaß zum Ausdruck
bringt.® Daß Leo IX. vor dem Kampfe die Soldaten von ihren Sünden
absolviert hat, darf als sicher gelten. Ein anderer Berichterstattei?;
ein anonymer Mönch aus Benevent, der gegen Ende des IL oder' zu
Anfang des 12. Jahrhunderts eine Lebensbeschreibung des hl. Leo IX.
verfaßt hat, erzählt, daß der Papst vor der Schlacht die Soldaten
zum Kampfe angefeuert habe durch Verheißung der himmlischen
Sehgkeit, sie dann gesegnet und von allen Sünden losgesprochen habe.''
Diese Lossprechung braucht man nicht als Ablaß aufzufassen. Nichts
^ L'Ystoire de li Normant, ed. pär Champollion-Figeac." Paris 1835,
64; par O. Delarc. Ronen 1892, 123: „Et Leo pape . . . demanda l'aide' de' lo
empöreor Fedöric (!) et del roy de France et del duc de Mjarcelle, et de toutes
pars r6qu6rait aide. Et lor promet ä doner absolution de lor pöohiez.''
2 „Li pape avec li ^vesque sallirent sur lo mur de la Cito, et regarda a la
multitude de ses cavaliers pour las absolvere de lo p6chiez, et pardonna la
penance que pour lor peohie devoient faire. Et lor fait la oroiz et lo
cömmanda de boche qu'il alent combatre." S. 93; ed. Delarc 133.
3 Vgl. F. Hirsch, Amatus von Montecassino und seine Geschichte der
Normannen, in Forschungen zur deutschen Geschichte VIII (1868) 203 ff. Ebd.
XXIV (1884) 273 ff. G. Baist, Zur Kritik der 'Normahnengeschichte des Amatus
von Mpntecassino. * Vgl. Baist 338 n. 1.
5 Hirsch 214. Vgl. Champollion XXVI. Der Übersetzer „abregeait
le texte ou bien l'allongeait de ses commentaires au gre de ses propres
vues"
« Hier gilt, was Gottlob (S. 66) von den Autoren, die über den Kreuzzugs-
ablaß Urbans II. berichten, bemerkt: „Wir müssen streng darauf halten, daß
über die zugunsten des Kreuzzugs verkündeten Gnadengewähnmgen nur Zeit-
genossen im strengen Sinne zu Worte kommen; denn auch nur einen Schritt
voran in der Zeit, etwa zu Wilhelm von Tyrus, und sofort ist der Einfluß späterer
Kreuzzugs bullen auf den Ausdruck zu erkennen."
' St. Borgia, Memorie istoriehe della pontificia cittä di Benevento II,
Roma 1765, 320: „Si quis vestrum mortuus fuerit hodie, gaudeat, nam Abrahe
sinus eum recipiet. His et huiuscemodi omnibus viriliter animatis, cunctos
antea celestibus donis munivit, ac sie remissis omnibus peccatis in prelium
ire permisit."
B. Absolutionen lebender Personen. 71
verbietet, anzunehmen, daß es eine, sakramentale Absolution von den
Siinfiein gewesen ist.^ Auch in neuester Zeit'ist es häufig vorgekommen,
daß^r Feldgeistliche, den in den. Kampf ziehenden Soldaten ohne be-
sondere, Beichte eine -allgemeine. Absolution von allen ihren Sünden
erteilt. haben.^ Wenn aber der Papst den, Verteidigern der römischen
Kjrche. die ewige „Seligkeit in ^sichere Aussicht stellte, so tat er nur,
was schon lange vor. ihm viele andere Päpste, getan hatten.
Gleich seinen Vorgängern spricht auch Leo IX. öfters am Schlüsse
seiner Bullen, in denen er die , Privilegien von Kirchen und Klöstern
bestätigt, den Wunsch aus, daß denjenigen, welche die Rechte der
betreffenden Kirchen achten werden, diq Absolution aller Sünden und
die, himmlische Seligkeit zuteil werden.^. Ähnliche Segenswünsche hat
er auch für die Wohltäter kirchlicher Anstalten.*
, , Eine eigentümliche Absolution hat im Jahre 1051 Leo IX. dem
englischen, König Eduard demBekenner erteilt. Der König hatte
eine, Pilgerfahrt nach Kom gelobt. Da, er jedoch darauf aufmerksam
gemacht wurde, daß seine Abwesenheit dem Königreiche Nachteile
bringen könnte, entschloß er sich, die Angelegenheit dem Papste zu
unterbreiten, um nach seinem Ermessen das Gelübde abzulösen oder
zu erfüllen. Als die königlichen Abgesandten in Rom eintrafen, war
gerade eine Synode versammelt, der sie die Sache vorlegten. Mit
dem Papste waren alle Konzilsväter der Ansicht, daß der König kraft
^ Eine solche Absolution erteilte im .Jahre 1148 Erzbischof Albero von
Trier, wi© dessen gleichzeitiger Biogra{)h Balderioh berichtet. Gesta Alberonis.
Mori. Germ. SS. VIII 256. Vor einem Kainpfe mit den Truppen des Pfalz-
grafen hielt der Erzbischof an seine Soldaten folgende' Anrede: „Praeparate
corda vestra Domino, mimdate conscientias vestras, et-quia non vacat ut sin-
gillatim faciatis confessiones, generalem mihi pastori yestro facite peccatorum
cönfessionem; et ego, potestate a Deo nobis tradita, faciam vobis per officiuna
nostrum indul'gentiam et remissionem omnium delictorum vestrorum,
ut, si quis hodie ex hac temporali et incerta vita evocatur, transeat ad meliorem
vitam, scilicet aeternam. Tunc cum accepisset omnium communem cönfessionem,
indulgentia facta et absolutione, benedictionem super eos faciens, ita
onines animavit, quod neo in uno signum timiditatis apparuit." Ähnliches wird
von dem Lütticher Bischof Hugo von Pierrepont aus dem- Jahre 1213 be-
richtet: „Ut peccata sua confiterentur et culpas suas diceient, monuit, et sie
eos absolvit." Mon. Germ. SS. XVI 668. Vor der Schlacht bei Jaffa im Jahre
1101 hielt ein Geistlicher eine Rede an die Kreuzfahrer. Diese legten dann mit-
einander ein Bekenntnis ihrer Sünden ab, worauf der päpstliche Legat ihnen die
Absolution und den Segen erteilte : „Confessione peccatorum imanimi humiliatione
facta, ac post dictam indulgentiam ab apostolico legato qui tunc forte aderat,
benediotione accepta, Domini inclamantes adiutorium etc." IVton. Germ. SS.
VI 222.
, 2 Vgl. über diese allgemeine sakramentale Absolution, die ohne vorherige
Beichte den Soldaten erteilt werden kann, die Entscheidung der apostolischen
Pönitentiarie vom 6. Februar 1915. Acta apostolicae sedis VII (1915) 72.
^ Migne CXLIII 610 626 691 738. Bemerkenswert ist folgender Schluß:
„Qui custodierit, nostra benediotione sanctificetiu- et aeternae vitae particeps
efficiatur." Sp. 674. Ähnlich 668.
*cEbd. 683: „Qui de suis pro redemptione animae aliqua ei contuleri't,
benedictionis gratiam a Deo consequatur et per clavigerum principem coeli in
ianuas regni coelestis introduci mereatur."
72 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe.
der Autorität Gottes, des hl. Petrus und der versammelten Synode
von seinem Gelübde feierlich zu absolvieren sei f (regem auctoritate
Dei et beati Petri, praesentis etiam saoratissimae^synödi a voti hüiüs'
vinculo solemniter absolvendum) ; doch solle er das in! ' Bereitschaft
gehaltene Reisegeld unter die Armen verteilen' und als Ersatz' für
das Gelübde ein Kloster stiften.^ In diesem Siririe'^ schrieb dann auch
der Papst an den König. Kraft der Autorität Gottes, der Apostel-
fürsten und der Synode und unter ausdrücklicher Berufung auf die
ihm in der Person des hl. Petrus verliehene Lösegewalt absolvierte er
Eduard „von der Sünde des Gelübdes,* dessentwegen der
König fürchte, Gott zu beleidigen, sowie von seinen'Nach-
lässigkeiten und Fehlern". Sodann befahl er ihm „im Gehorsam
und zur Buße", das Geld, das er für die Romreise verwendet hätte,
den Armen zu geben und ein Kloster zu stiften, wodurch den Heiligen
größere Ehre und- ihm selber reichlichere Vergebung (indulgentia')
zuteil werde .^ Zehn Jahre später ließ Könige Eduard, der wegen* seines
Gelübdes noch nicht ganz beruhigt war, das erhaltene Privilegium
durch Nikolaus 11. bestätigen und erneuern.^ In einem Briefe, den
er an den Papst sandte, bemerkt er, Leo IX. habe ihm als Ersatz für
sein Gelübde im Gehorsam, zur Buße und „zur Vergebung aller seiner
Sünden" auferlegt, ein Kloster zu stiften.* In dem Schreiben' Leos
wird freilich nicht gesagt, daß die Stiftung des Klosters dem König
„zur Vergebung aller seiner Sünden" auferlegt werde; doch ist die
Rede von einer ,,indulgentia", die sich der König durch die Kloster.-,
gründung erwerben solle; und diese „indülgentia" hatte Eduard. beim
Niederschreiben jener W^orte ohne Zweifel. im. Auge. Nikolaus IL,
dem das Schreiben seines Vorgängers sicher vorlag,-, bestätigte und
erneuerte dem König das Privilegium, das dieser von Leo IX. erhalten'
hatte, nämlich daß er kraft apostolischer Autorität absolviert sein
^ Vita S. Edwardi auctore C. Aelredo. Migne. CXCV 750 f.
2 Migne CXLIII 674; CXCV 762. Jaff6 4257: „Ex auctoritate Dei et
sanctorum apostolorum et sanctae synodi absolvimus te a peccato illius
voti, pro quo Dei offensam times, et ab omnibus negligentiis et ini-
quitatibus tuis, ea nimirum potestate usi, quam Dominus in beato Petro
concessit nobis dicens: Quaecunque sblveritis . . . Deinde praeoipimus tibi sub
nomine sanctae obedientiae et poenitentiae, ut expensas qüas ad istüd
iter paraveras, pauperibus eroges et coenobiutn monachicum in' honorem S. Petri
apostolorum principis,aut novum construas, aut vetustum emendes et augeas,
et sufficientiam victualium fratribus de tuis reditibvis constituasi quatenus dum
illi assidue inibi Deum laudaverint, etsanctis augeatur gloriaet tibiindulgentia."
ä Der hl. Aelred (f 1166), der Biograph Eduards, schreibt: „Beatus
Edwardus . . . iam a voto apostolica auctoritate absolutus et adhuc tarnen de
ipso sollicitus, iterato ad apostolorum limina legatos parat dirigere." Migne
CXCV 757. . ,
* Ebd. 758: „Eas donationes et privilegia, quae obtinuimus apud praede-
cessorem vestnmi, renovetis et augeatis nobis, videlicet quod ille iniunxerat nobis
süb nomine obedientiae et poenitentiae propter votum quod voveram ire Romam,
et in remissionem omnium peccatorum meorum construere coenobium. . . .
ratum faciatis et privilegia . . . eiusdem loci confirmetis, renovetis, atque augeatis
et in perpetuum immutabilia stare decematis."
B, Absolutionen lebender Personen. - ' 73
solle . von , dem Gelübde, .dessentwegen er beunruKigt gewesen, sowie
von allen seinen andern Sünden und'Eehlerri.i
Wie ist nun diese Absolution „von allen andern Sünden und
Fehlern"' aufzufassen? Man 'Hat gemeint: „Etwas 'anders als eine
wahre .Lossprechung von den Sündenstrafen,, einen vollkommenen
Ablaß wird man hierin schwerlich finden könneh.'^^ M^rlswüridig ist
nur, daß weder der König selber noch sein Biograph, der über die
ganze Angelegenheit eingehend berichtet und auch die beiden päpst-
lichen .Schreiben wörtlich mitteilt; etwas von einem Ablasse sagen.
Und doch wäre zu jener Zeit die Bewilligung eines vollkommenen
Ablasses von 'Seiten des Papstes ein ganz außerordentliches Privilegium
gewesen, -das wohl einiges Aufsehen erregt hätte. Eduard bemerkt
wohl in seinem Schreiben an Nikolaus II., Papst Leo habe ihm „zur
Vergebung aUer seiner Sünden" auferlegt, ein Kloster zu gründen.
Damit bringt er aber bloß -den Gedanken zum Ausdruck, daß die im
Gehorsam ausgeführte lOostergründung ihm zur Vergebung der Sünden
gereichen solle;^ Mit der „Absolution von allen andern Sünden" hat
die vom König erwähnte „Vergebung aller Sünden" oder die „indul-
gentia", wovon Leo IX. redet, nichts zu tun. Zwischen beiden besteht
kein Zusammenhang, wie sich dies schon aus dem Schreiben Leos IX.
ergibt. Anderseits scheint in diesem Falle die vom Papst erteilte Ab-
solution von allen Sünden nicht leicht als bloßer Segenswunsch oder
als Fürbitte aufgefaßt werden zu können. „In dieser Absolution",
hat man bemerkt, „steht die Lbssprechung von den andern Fehlern
auf derselben Stufe rhit der Dispens vom Gelübde; es ist also nicht
eiiie bloße Benediktion oder Dejprekation, sondern die positive An-
wendung der Jurisdiktionsgewalt mit Beziehung auf die Fehler des
Königs, Gewiß, braucht man hier beim hl. König Eduard nicht an
schwere Sünden ... zu denken."^ Was hindert aber, in dieser Ab-
solution eine Lössprechung von den läßlichen Sünden zu sehen, ähnüch
derjenigen, die zu jeiier'Zeit im Anschluß an die offene Schuld;, erteilt
würde ? Wohl wurde die Absolution einem Abwesenden gespendet.
Aber im Mittelalter gab es , angesehene Theologen, die der Ansicht
waren, daß sogar die sakramentale Absolution von schweren Sünden
Abwesenden gespendet werden könne. ^
1 Migne CXLIII 1358; CXCV 759. Jaffe 4462: „Ut absolut! sitis ab
illo voto qüod timebatis, et ab omnibus aliis peccatis et iniquilatibus vestris,
auctoritate illius qüi me,' licet indignum, suae sanctae praeesse voluit Ecclesiae."
Im ersten Briefe fehlt das Wort „aliis"; vielleicht ist es beim Abschreiben über-
sehen worden.
« Hilgers 83. '
'3. Über den! Sinn der Formel: „In remissionem peccatorum iniungimus"
vgl. den; folgenden Abschnitt.
* Hilgers -84.
■ 6 Vgl. Suarez, Disp. XIX, sect. 3 (S. 297 ff.). Morinus 595 ff. Heute
kann diese Ansicht nicht mehr vertreten werden. Vgl. Palmieri 157 ff. Im
Jahre 1602'ist sie von Klemens VIII. als falsch verworfen worden. Denzinger,
Enchiridion symbolorum^^. Friburgi 1911, n, 1088.
74, II. Mittelalterliche Absolutionen als . angebliche Ablässe,
Verschiedene Absolutionen hat Leo IX.' noch auf seinem' Sterbe-
lager gespendet (1054). -Wie ein Augenzeuge ^e^zählt, ließ sich der
Papst, als er sein Ende nahe fühlte, in, die Peterskirche tragen, 'Dort
hielt er zuerst eine Ansprache an das Volk, dann rief er die anwesenden
Bischöfe und Kleriker näher zu sich heran und legte mit ihnen ein
Sündenbekenntnis, ab;, dar auf forderte er auch alle anwesenden Laien
auf, ihre Sünden vor .ihm zu bekennen. Nachdem jdies geschehen und
der Papst inständig zu Gott gebetet hatte, sprach er alle Anwesenden
Ton allen ihren Sünden los, falls sie seine Gebote gehalten hätten.^
Leo IX. absolvierte aber nicht bloß die anwesenden. Gläubigen;; er
flehte zum göttlichen Heilande, der dem hl. Petrus und. den andern
Aposteln die Binde- und Lösegewalt verliehen, auch, jene, die im
Kampfe gegen die Normannen gefallen waren, absolvieren zu wollen.^
Eine ähnhche Bitte richtete er zum Himmel für alle, die er exkom-
muniziert, sowie für alle, die er in seinem Leben gesegnet hatte .^
Auch da unterläßt er nicht, der Lösegewalt zu gedenken, die ihm
vom Herrn verliehen worden. Daraus ersieht man zur. Genüge, wie
wenig es angeht, derartigen Absolutionen, mögen sie nun in indikativer,
oder in deprekativer Form und unter Berufung .ayf die. kirchliche
Schlüsselgewalt erteilt werden, die Bedeutung eines vollkommenen
Ablasses, eines Nachlasses der gesamten kirchlichen Bußstrafen bei-
zulegen. Entweder waren es bloß fromme Segenswünsche und Eürbitt-
gebete, wie die Absolution, die Leo IX. auf seinem Sterbelager allen
jenen erteilte, die er in seinem Leben exkommuniziert oder gesegnet
hatte, oder bisweilen auch, wie dies wohl def Fall war bei der Ab-
solution, die Leo IX. vor seinem Hinscheiden den Anwesenden, in der,
Peterskirche spendete, wirkliche Lossprechungen von den Sünden,
aber mit der oben erwähnten Einschränkung, wie sie Honorius AugustoT
dunensis zum Ausdruck bringt.
Bei Leos IX. Nachfolger Viktor IL (1055—57) finden wir wieder
in den Bullen für Kirchen und Klöster die üblichen Schlußformeln
bezüglich der Absolution.* Ähnlich bei Stephan IX. (1057—58), der
^ Analecta BoUandiana ' XXV (1906) 290: „Vocavit omnes episcopos vel
cleros et fecit veram confessionem cum ipsis. Etiterum vocavit omnem populum,
qui ibidem erant, et iussit omnes petere veniam de peccatis suis, habere veram
confessionem coram ipso. Ille autem reversus in alia parte contra orientem
incumbens in lecto et respiciens in cruce et mägnas preces effudit Domino piro
omnibus et dimittens .omnia peccata eorum et absolutionem fecit de
omnibus peccatis quae commiserint, si precepta sua observassent, quae pre-
ceperat eis." Vgl. auch Acta Sanctorum. Aprilis 11 666.
2 Analecta 291. Acta Sanct. 666.
^ „Omnes quos ego anathematizavi et excommunicavi, absolve, Domine,
vincula eorum et converte illos ad viam yeritatis . . . Non meis meritis,'sed tua
pietate vicarium Petri apostoli me constituisti et ligandi: et solvendi ; pötestatem
dedisti; peto, Domine, dignare benedicere famxilis.et famulabjis tuis totius prpr
vinoiae, tmde ego ambulayi vel oculis meis vidi et corporäliter beriedixi . . .
Et quod corporäliter benedixi spiritaliterrepleatur et ab omnibus peccatis
absolvere digneris." Analecta 291; Acta Sanct. 667. ; ' ; ;
^ Migne OXLin 633 825: „Peccatorum suorum absolutionem aDeo
consequi mereatur." Die im Jahre 1066 auf Befehl Viktors 11. zu Tolexjoi ab-
B. Absolutionen lebender. Personen. ... 75
sich dabei noch ausdrücklich auf die; Autorität des Apostelfürsteil
beruft.^ Auf die Autorität des hl, Petrus/beruft sich auch Stephan IX.
in einer bemerkenswerten Absolution, diö er den Mönchen von Cluni
erteüte. Indem. ; er im, Jahre 1058. diesen Mönchen meldet, daß er.
den. Abt Hugo noch einige Zeit i zurückbehalten werde, schreibt er
ihnen; .„Euch aber segnen > wir, , wie wir euch früher ■ gesegnet haben,
und im Namen Gottes und des Apostelfürsten absolvieren wir euch.
Lebende wie Verstorbene.^ Wie leicht könnte da jemand, der mit
der. damaligen Ausdrucksweise nicht genügend vertraut ist, - geneigt
sein, die Erteilung eines vollkommenen Ablasses: anzunehmen. Und
doch ist es weiter nichts als ein: Segenswunsch und Fürbittgebet, wie
schon die den Verstorbenen erteilte Absolution zeigt. Wir werden
noch hören,, daß auch. Äbte von Cluni ihren Mönchen ganz ähnliche
Absolutionen in Schreiben erteilt haben..
Nikolaus II. (1058—61) fährt fort, in seinen Bestätigungsbullen
die übliche Formel zu gebrauchen.^ Eine Absolution in deprekativer
Form erteilt der Papst auch allen jenen, die.sein Papstwahldekret (1059)
halten , werden,* sowie jenen, die Klöster mit Almosen unterstützen
würden.^ , ,. '
Dieselbe deprekative Absolutionsformel hat Alexander II.
(1061—73) öfters gebraucht, sowohl in Bestätigungsbullen für Kirchen
und Klöster* al^ in Schreiben,,worin er zur Unterstützung klösterlicher
Anstalten auffordert.? Auch denjenigen, welche die Dekrete der
römischen Synode, vom Jahre 1063 halten werden, wird „Segen und
Absolution" verheißen.^
gehaltene Synode erklärt in einem Privilegitnn für Cluni: „Adiutores et bene-
factores consequantur benedictionem et absolutionem pontifioalem." Mansi
XIX 856.
^ Ebd. 879: „Principis apostolorum auctoritate ab omnibus delictorum
suorum absolvatur nexibus." • . "
^ Ebd. 879. Jaffö 4388: „Vobis autem, sicut imprimis benediximus,
benedicimus, et viventes ac defunctos ex parte Dei.et b. Petri principis
apostolorum absolvimus."
3 Migne CXLIII 1311 132Ö 1340. Pflugk-Harttung II 86.
* Mansi XIX 904: „Observatores huius deoreti . . . auctoritas beatoruiu
Principum apostolorum Petri et Pauli ab omnibus peccatorum vinculis absolvat."
^ Pflugk-Harttung I 29: „Si quis prediotum monasterium. suis bonis
augmentaverit, suorum, peccatorum veniam oonsequatur." Migne CXLIII 1338:
„ Qui ... de suo aliquid pfaefatae Ecclesiae dederit vel auxilium fecerit, precibus
apostolorum principum Petri et Pauli, peccatorum suorvun omnium ab omnipotenti
Deo veniam ... oonsequatur." Die Bemerkungen, die Gottlob 239 f. an dies
Privilegium Icnüpft, als wäre der Schlußsegenswunsch eine ablehnende Antwort
auf. eine Bitte um Ablaß, sind nicht zutreffend. Gr. hat übersehen, daß die Formel
in päpstlichen Bestätigungsschreiben häufig vorkommt.
6 Migne CXLVI 1302 1313 1373. Pflugk-Harttung I 37.
' Migne CXLVI 1311.
'. ^ Ebd. 1290: „Haec observate . . . si vultis sanctae ecclesiae romanae et
apqstohcae sedis pace et commimione atque benedictione et absolutione
gaudere." Vifer Jahre früher hatte Nikolaus II. bei ähnlichem Anlaß dieselbe
Formel gebraucht, aber ohne. den Ausdruck „absolutione": „Haec observate . . .
si vultis de sanctae romanae ecclesiae et apostolicae sedis pace et communione
76 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe.
Zweifelhaft ist es, wie die Absolution zu verstehen ist, die
Alexander II. im Jahre 1071 bei der Kohsekrationr der Kirche von
Montecassino nicht bloß jenen erteilte, die bei der Feier zugegen
waren, sondern auch allen, die in der nachfolgenden Oktave die Kirche
besuchen würden.^ Verschiedene Autoren haben in dieser Absolution
der „gebeichteten Sünden" einen vollkommenen Ablaß gefunden.^ Es
ist aber kaum anzunehmen, daß Alexander II., der, -wie aus seinen
Briefen hervorgeht, bezüglich der Bußdisziplin sehr streng war^ und
der im Jahre 1070 bei der Konsekration des Domes in Lucca, dessen
Vollendung er gefördert, für den Jahrestag der Kirchweihe nur einen
Ablaß von acht Tagen erteilt hatte, für einen einfachen Rirchenbesuch
den Nachlaß aller Bußstrafen gewährt habe.' Noch eher könnte man
geneigt sein, die von Alexander II. gespendete Absolution in ähnlicher
Weise aufzufassen, wie die allgemeine Absolution, die Leo IX.' 20 Jahre
früher bei gleichem Anlaß in Reims erteilt hat. Allerdings hat Leo IX.
bloß die bei der Kirchweihe anwesenden Gläubigen, nachdem' sie mit-
einander ein allgemeines Sündenbekenntnis abgelegt hatten, absolviert,
während Alexander IL die Absolution nicht nur den Anwesenden ge-
spendet, sondern sie auch auf jene ausgedehnt hat, die in den folgenden
acht Tagen nach Montecassino pilgern würden. Aber es ist ja -leicht
möglich; daß während der Oktave die Absolution im Namen des
Papstes täglich den zusammengeströmten Pilgern nach Abbeten der
offenen Schuld (confessorum peccatorum absolutio) gespendet wurde.
Vielleicht könnte man aber auch an die Bewilligung eines partiellen
Ablasses denken. Daß der Berichterstatter ganz allgemein von einer
atqüe benedictione gaudere." Migne CXLIII 1316 1318. Daß in dem Schreiben
Alexanders II. das Wort ,, absolutio" gleichbedeutend ist mit ,,benedictio", kann
keinem Zweifel ^unterliegen. , , ,
^ Der Mönch Leo, aus dem Hause der Marsikanergrafen, erzählt als Augen-
zeuge in seiner i,Narratio consecrationis Ecclesiae Casinensis",'bej Muratori,
Scriptores V 77:„Peractis itaque omnibus et missa a Romano Pontifice solem-
niter celebrata, multisque, a populo oblatis donariis, et non tantum iis qui tunc
aderant, sed et -universis, qui per eontinuos oeto dedicationis dies festivitatis
devotione conventiu'i essent, ab eodem beatissimo Pontifice absolutione data,
tmUsquisque gaudens et exultans reeessit ad propria. Huius autem absolutionis
gratia tantä devotione tantaque frequentia per eontinuos octo dies huc unde-
cunque concursum est, ut quasi non se fidelem pütaret, qui' particepstantae
solemnitatis non fieret. Haec omnia ita fuisse nemo' legentium ambigat, quae
utique non ab aliis tradita, sed revera propriis oculis visa descripsimus." Daß
Leo der Verfasser der zwischen 1094 — 1163 geschriebenen „narratio" ist, weist
Wattenbach nach in Moh. Germ-. SS. VII 555. Leo hat später den Bericht
fast wörtlich in seine ijChronicamonasterii Casinensis" aufgenommen. Die
Stelle bezüglich der Absolution lautet hier (Mon. Germ. SS. VII- 721): „con-
fessorum peccatorum absolutione concessa".
'^ So Baronius, Mabillon, Amort, Tosti, Hinschius. Lea 139 f. ist geneigt,
die Absolution als einen Ablaß von Schuld und Strafe zu betrachten. Brieger
(Das Wesen des Ablasses 19 n. 2; Realerizykl. IX 78) und Gottlob (S.'240 n. 1)
meinen, es handle sich um eine Fälschung. An der Echtheit der Stelle ist jedoch
nicht zu zweifeln. Zweifelhaft ist nur, wie sie auszulegen sei.
^ Vgl. über diese Strenge Morinus 463 ff.
B. Absolutionen lebender Personen. - 77
„Absolution" spricht/ beweist nicht, daß er einen, vollkommenen Ablaß
im Auge f hatte. ' Auch aridere - Chronisten ^ haben bisweilen in Pällen,
wo es sich' offenbar nur, um einen partiellen Ablaß handelte, ganz all-
gemein von der :Bewimgung. eines .Ablasses gesprochen, ohne' dessen
Umfang näher , zu- bestimmen.^ ■ . " ,' ■
' . Nun. kommen wir zu, Gregor, VII.- (1073-^85), der häufiger als
alle- andern. Päpste des > früheren Mittelalters die -Absolution aller
Sünden , erteilt hat.. , Da dieser Papst. durch große Strenge sieh aus-
zeichnete,' da- er besonders in bezug auf die BuJßdisziplin großen Ernst
an den Tag legte,^ so darf man von vornherein annehmen, daß seine
Absolutionen in der Regel als bloße Segenspendüngen zu' betrachten
sind. Dies wird noch klarer hervortreten, wenn wir die in seinen
Briefen erwähnten Absolutionen etwas näher betrachten.. Daß ver-
schiedene dieser Absolutionen in die Form einer Bitte, eines Wunsches
gekleidet sind, während aridere in indikativer Form erteilt werden, hat
für deren Beurteilung wenig zu . bedeuten, ■ da ja damals^ wie schon
oben bemerkt worden, auch die sakramentale Lossprechung gewöhnlich
in der Form eines Gebetes erteilt .wurde.
Zunächst sollen einige -Absolutionen besprochen werden, in denen
man ganz besonders versucht sein könnte, Ablässe zu erblicken. Gegen
Ende des Jahres 1073 erteilte. Gregor VII. dem Bischof Riemediüs von
Lincoln, der ihn darum ersucht .'hatte, die Lossprechung von den
Sündön, .unter der Bedingung, daß er seine. Vergehen bereue und sich
fleißig in guten Werken übe.^^ Mariche Autoren haben diese Absolution
als Ablaß' aufgefaßt.^ ' Urid.es scheint in der Tat, daß es. sich hier um
einen wirklichen Erlaß der Sündenstrafen handelt, da der Papst vom
englischen '.Bischöfe, Reue über die Sünden verlangt'. Bedenklich ist
nur, daß zehn Jahre. später Gregor unter. ganz' ähnlichen Bedingungen
die Engländer insgemeinvön ihren Sünden lossprach. In einem
Schreiberi vom 25. November 1079 kündigt er den englischen Gläubigen
die Ankunft, eines Legaten an, der eine Synode abhalten werde, auf
welcher unter anderm auch von der wahren Buße gehandelt werden
solle. Und nun setzt' der Papst auseinander, was unter wahrer Buße
zu verstehen sei. Eine falsche, heuchlerische Buße wäre es, wollte
1 Der eigentliche Ablaß wurde im 11. und 12. Jahrhtuidert häufig als
„Absolution" bezeichnet.
2 So heißt es in einer Handschrift, wie in Abschnitt IV gezeigt werden wird,
Alexander II. habe 1 170' in Lucca einen Erlaß der Bxiße verliehen (ooncessa
indulgentia poenitentiae), wo es sich doch' nur um einen Bußerlaß von 8 Tagen
handelte.. .■ ' '
. 3 Vgl. Morinus 466 697.-
I ' * Ph. Jaffe, Monumenta Gregoriana. Berolini 1865, 52: „Absolutionem
peccatorum tuorum, sicut . rogasti, auctoritate prinoipiun apostolorum Petri'et
- Pauli fulti, quorum vice quamvis indigni fungimur, tibi mittere dignum duximus,
si tarnen bonis operibus inhaerendo' et commissos excessus plangendo, quantum
. valueris corporis ,tui habitaculum Deo mundum templum exhibueris."
. ■ ^ So Baronius, Bellarmin, Toumely, Amort, Palmieri, Hilgers, Lea. Morinus
(S. 597) sieht- darin eine sakramentale Absolution, die einem Abwesenden ge-
spendet wird. ' .
78 II, IV^ittelalterliche Abäohitionen als angebliche Ablässe.
man im Sündenleben verharren; um würdige Früchte der Buße zu
.bringen, müsse man von der Sünde' ernstüch sich abkehren und die
Gebote Gottes treu beobachten. „Wer auf diese Weise Buße tut,"
SO schließt Gregor seine Ausführungen, ;,dem^r teilen' Wir mit
apostolischer Vollmacht den Erlaß seiner Sünden."^
Manche werden ohne Zweifel in diesem „Sündenerlaß-' einen Ablaß
sehen wollen. Aber ist es wohl glaublich, daß der sonst so strenge -Papst
den Engländern insgemein, ohne von ihnen' eine besondere Leistung zu
fordern, bloß unter der Bedingung, daß sie ihre Christenpflichten gut
erfüllen, einen vollkommenen Ablaß, d. h. einen vollständigen Erlaß
der Büß- und Sündenstrafen erteilt habe ? Widerspricht eine solche
Handlungsweise schon dem Geist und der Bußpraxis jener Zeit, so
läßt sie sich vor allem nicht vereinbaren mit dem Charakter Gregors VII. ^
Deshalb bleibt nichts anders übrige als den vom Papste mit aposto-
lischer Vollmacht erteilten „Sündenerlaß" als einfache Segenspendung
aufzufassen. Und dieselbe Bedeutung kommt wohl auch der Abso-
lution zu, die Gregor dem Bischof von' Lincoln gespendet hat.
In ähnlicher Weise sind ohne Zweifel zwei andere Absolutionen zu
erklären, die Gregor VIL, ebenfalls unter Voraussetzung wa-hrer Buße,
durch Bischöfe spenden ließ. Graf Roger,' der mit seinen Normannen
eine Expedition gegen die Sarazenen in Sizilien unterneh'fhen' wollte,
hatte den Papst um „Segen und Absolution" (apostolicae sedis bene-
dictionem et absolutionem) gebeten. In einem Schreiben vom 14. März
1076 beauftragt Gregor den Bischof Arnald von Acerenza, sich zu
Roger zu begeben und ihn sowie seine Soldaten von jeglichem Bande
ihrer Sünden loszusprechen, unter der Bedingung jedoch, daß sie,
wie es Christen gebührt,, Buße tun.^ Vier Jahre später forderte Gregor
in einem Schreiben vom 25. Juli 1080 die Bischöfe von Apulien und
Kalabrien auf, denjenigen, die mit Robert Guiscard den griechischen
Kaiser gegen die Sarazenen unterstützen wollten, zu würdiger Buße
^ Jaf f 6 391 f. Am Anfange des Schreibens spendet Gregor den Engländern
„apostolicana benedictionem, si obedierint". , Am Schluß heißt es: „Quicunque
ergo taliter poenituerit — quoniam aliter simulatio dici potest, non poenitentia —
illi peccatorum suorum remissionem apostolica freti potestate lar-
gimur, insuper aetemae beatitudinis gaudia de onmipotentis Dei misericordia
confisi, promittimus." . ", ' i -v ? i
^ Die Bemerkung Morins (S. 597) bezüglich der Absolutionen Gregors
. überhaupt gilt ganz besonders von dei: Absolution, die den Engländern gespendet
•vrarde: „ Quis credat severissiniimi Pontificeni criniiniimi indiilgentiäs absolute iet
sinevulia compensatiöne donasse ? Hoc plane contrarium est praxi pöenitentiali
illius saeculi ... Et si alicui Pontifici hoc convenire potest, öinniumT miniihe
Gregorio VII. Caeteri Pontifices, ciuii indiilgentiarum laxa erat,d.ispensätio,
poenitentiarum- septimam, qüintäm, tertiam partem icöndöhabänt. ' Atisterissiihus
Gregorius VII. integras prodegerit ? ■ Qui tot concilia celebravit et celebräri
, iussit, ut poenitentiae pristinum vigorem\restitueret, falsam ab; Ecclesia ex-
terminaret, primus laxissimam doouerit et canonieäm abrogantibus praeierit ?"
3 Jaf f 6 225 : „Si nöbis parere, siout pollicitus est^ volueritj etpoenitentiäm,
• ut oportet christianum, egerit, ab omni peccatorum: suorum! vinculötaihillüm
- quam etiam suos milites qui cum eö contra paganos, ita tarnen ut-agantipoeiu-
tentiam, pugnaturi sunt, peooatis maxime (?) absolvas." Of f enbär v^erderbterText !
, ;,;; B; Absolutionen lebender Personen. . . • 79
zu ermahnen und sie dann mit, päpstlicher Vollmacht von ihren Sünden
loszusprechen.!
; In diesen beiden Fällen handelte es sich um Krieger, die gegen
die Ungläubigen in den Kampf ziehen wollten. Man ist daher leicht
geneigt, an die Erteilung eines vollkommenen Ablasses zu denken.
Allein Gregor spricht von- der zu spendenden Absolution in denselben
Ausdrücken, mit. denen er den Engländern die Absolution gespendet
hat.' Wie nun aber diese letztere Absolution sicher nicht als Ablaßt
sondern nur als Segenspendung gelten kann,' so dürften auch die süd-
italienischen Bischöfe bloß beauftragt worden sein, den Soldaten den
päpstlichen Segen zu spenden. Daß dieser Segen für die Krieger im
Mittelalter einen großen Wert hatte, bezeugt uni die Mitte des 13. Jahr-
hunderts der französische Dominikaner Huiöibert von Romans. In
seiner . Schrift über, die Kreuzzugspredigt bemerkt- er, daß manche
williger in den Kampf ziehen, wenn sie vom Papste oder dessen Stell-
vertreter den Segen empfangen.^ Es ist daher leicht begreiflich, daß
die Normannenführer für ihre Truppen den päpstlichen Segen nach-
suchten. Daß bei. der Spendung dieses Segens das eine Mal von jeg-
lichem Bande der Sünden losgesprochen Werden' sollte, ist -nicht vori
B.elang. Von den Banden der Sünden absolvieren, bedeutet in der
kirchlichen Sprache dasselbe, wie von den Sünden lossprechen. Im
zweiten Falle heißt es denn auch einfacher, die Bischöfe sollen die
Soldaten von den Sünden lossprechen, nachdem sie ihnen ans Herz
gelegt hätten, würdige Buße zu tun. Unter dieser Buße sind übrigens
nicht die vom Beichtvater auferlegten Bußwerke zu verstehen,
so daß man schon aus dem Umstände, daß die Soldaten ihre Buße
verrichten, sollten, folgern könnte, es wäre ihnen kein Ablaß erteilt
worden.^ „Buße tun" heißt öfters die Sünden bereuen und sich vor-
nehmen, nicht mehr zu sündigen.* In seinem Schreiben an die Eng-
länder erklärt ja Gregor selber, daß die wahre oder würdige Buße
(quisquis digne vult poenitere etc.), die er von ihnen als Vorbedingung
der Absolution fordert, vor. allem in der ernsten Abkehr von der Sünde
bestehen müsse.
Weniger Schwierigkeiten bietet die Deutung der übrigen Abso-
lutionen, denen man in Gregors Briefen so häufig begegnet.
Ein frommer Wunsch ist es bloß, wenn Gregor VII. am Schluß
eines Schreibens vom 1. Juli 1073, worin vor einem widerrechtlich
eingedrungenen Bischof gewarnt wird, die Bitte an Gott richtet, es
lüögen die treuen Gläubigen durch, die Autorität des hl. Petrus von
^ Jaffe 43ö:„Mandamus, ut eos ..\ . moneatis condignam poenitentiam
agere ... Sicque illos, fulti no§tra auctoritate, immo beati Petri potestate^
a jpeccatis absolvite."
2 Tractatus de predicatione Sancte cruois. Ohne Ort und Jahr, cap. 2:
„Multi libentius exponunt se pugne, quando benedictmtur a papa vel ab alio
vices eins gerente."
^ Diese Folgerung zieht Gottlob ö3.
* Belege hierfür bei Morinus 27.
80 11. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe.
ihren Sünden absolviert werden.^ Absolutionen in der Form einer
Bitte oder, eines Wunsches werden im Jahre 1074 wiederholt er töilt,
so der Herzogin Beatrix und ihrer Tochter Mathilde,? dem Herzog
^ratislas von Böhmen,^ dem König Heinrich W.,*' den Gläubigen in
Deutschland.^ ^ . > , .
,;j: Besondere Erwähnung verdient ein nicht näher datiertes, an alle
Gläubigen gerichtetes Schreiben aus den Jahren 1074—75, das schon
öfters mit Unrecht Gregor, VI. zugeeignet* und ebenso irrig als Ablaß-
bewiihgung .aufgefaßt worden ist.' Gregor erwähnt iii diesem Schreiben,
wie viele Geistliche und Laien, auf Antrieb des Herzogs Wilhelm von
Aquitanien, sich entschlossen hätten, jedes Jahr Beiträge zur Restau-
ration der römischen BasiHken von St. Peter und St. Paul zu spenden,
um .durch die Verdienste der AposteKürsten und die Fürbitte der
röinischen Kirche den Segen Gottes auf sich herabzuziehen. Aus
Dankbarkeit verspricht der Papst, daß jährlich' in den römischen
Kirchen für die Wohltäter Messen .gelesen, und Gebete verrichtet
werden sollen, damit sie Gott durch die Autorität der AposteKürsten
und auf die Fürbitte aller Heiligen von allen Sünden absolviere
(a cunctis eos peccatis absolvat) und zur Seligkeit führe. Ein Ablaß
wird damit selbstverständhch nicht erteilt, ebensowenig wie der
Segenswunsch am Anfange des Schreibens (Salutem et absolutionem
omnium peccatorum per benedictionem etmerita beatorum
Petri et Pauü) als Ablaß betrachtet werden kann.
Im Jahre 1075 verheißt Gregor den Einwohnern von Turin, wenn
sie seinen Ermahnungen Folge leisten, die Nachlassung i ihrer Sünden.*
Dieselbe Gnade stellt er den Einwohnern von Piacenza, die im Kampfe
iür die Kirche sterben würden, in Aussicht.^ Sodann absolviert ei
schriftlich den Bischof Dietwin vonLütticy** und erteilt in deprekativer
Form die Absolution dem König von Ungarn und dessen treuen
Untertanen.^^
Wie diese deprekative Absolution, so ist auch die Begrüßungs-
formel, in der Gregor bisweilen am Anfange seiner Schreiben eine
1 Jaffö 27. 2 Ebd. 71.
ä Ebd. 121. * Ebd. 146. s Ebd. 532.
• So noch von Lea 142, der es anführt als „a signifioant illustration of
the doubt which as yet the popes feit as to their own powers, and the -chaotio
condition in which was still the whole subject of-the pardon of sin."
' Abgedruckt bei Migne GXLII 573 f. Nähere Literatur darüber bei Kehr,
Regesta I 140. Als Verleihung eines vollkommenen Ablasses aufgefaßt von
Amort I 126; P. Ch. Lupus, Opera V, Venetiis 1725, 282.
8 Jaff6 162. » Ebd. 173.
^" Ebd. 182. In seinem Schreiben klagt zuerst der Papst, d.aß er aus sicherer
■Quelle vernommen habe, . der Bischof • verkaufe kirchliche Wiirdeh. Er malmt
ihn, von der simonistischen Handltihgsweiseabztistehen, und schließt dann:
„Et quia in extreme videris ppsitus, fraterna compassione d^ucti, auctöritafe
"' beati Petri apostolorum principis absolviinus 'te a peccatis ' tüis, et Dominuna
pro te exoramus, ut interventu beatorum apostolorüni ihter elöc^^
merearis consortium." Von Hilgers imd andern als Sterbeiabiäß'jaufgefäßt.
Beringer-Hilgers I 667. . . ; :
ii Jaffö 193. • ■ : - ■ -- :
B. Absolutionen lebender Personen. 81
Absolution aller Sünden anwünscht, bloß als Segenswunsch auf zu-
fassen. . Eine solche. Begrüßun^sformel wurde bereits bei der Be-
sprechung-^ des Schreibens •'kri 'alle Gläubigen aus- den Jahren 1074—75
erwähnt; sie steht auch an der Spitze eines Schreibens vom Jahre 1076
an die Deutschen^ ^ und eines andern- vom Jahre 1079 an König Rudolf
und dessen Getreuen.^ ■
Auch die im Jahre 1076 in einem Schreiben an den Bischof voii
Metz erteilte deprekatives Absolution für alle Verteidiger der christ-
lichen Religion und des Apostolischen Stuhles ist weiter nichts als eine
Segenspendung.^ • .; - .. '
■ Absolutionen in deprekativer Form erteilte der Papst öfters iii
den Jahren 1077 und j1078,- so dem König ^voii: England und seiher
Familie,* den spanischen' Königen und Grafen,^ dem Abt Hugo von
Cluni und dessen Mönchen,® den Deutschen,' dem Erzbischof- Manasses
von Reims^, ■ dem König Olaf von Norwegen und seinen Unter -
tanenj® dem Herzog Weif' IV. und dessen Anhängern.^® Eine Abso-
lution in indikativer Form erteilte Gregor am. 25. November 1078 den
Einwohnern vonsRavenna, unter der Bedingung- jedoch, daß sie dem
Papste gehorchen und sich vom schismatischen Erzbischof Wibert
lossagen.^^ Auch im Jahre 1079 kommen mehrere Absolutionen in
indikativer Form vor. Am 2. Januar erteilte der Papst die Absolution
den Mönchen von St. Viktor in Marseille,^^ am 31. März Geisthcheh
und Laien der Provence; wenn sie die der Abtei Montmajour ent-
rissenen Güter zurückgeben würden,^^ am 25. November deii Eng-
^ Ebd. -24:5: ,, Omnibus . . . fidem christianam defendentibiis, in regno
Teutonico habitantibus, salutem et omnium peccatorura absolutionem.iper apo-
stolicam beriedictionem." Diese Formelhat dieselbe Bedeutung' wie eine andere
aus dem Jahre 1076 : • „Teutonicis . . . christianam fidem deferidentibus et ob- •
servantibus . . . salutem et beatorum apostolorum Petri et.Patdi beneclictionem
omniumque peccatorum absolutionem." Ebd. 643i. Hilgers 56 meint von der
ersten Forniel: „Gerade diese Formel entspricht der Spendung eines vollkommenen
Ablasses, so zwar, daß heute noch genau' so der Ablaß in päpstlichen Urkunden
gespendet werden kann und auch verliehen wird. Ja auch heute noch versteht
man unter dem apostolischen oder päpstlichen Segen einfachhin, wenn derselbe
in feierlicher Weise gespendet wird, den vollkommenen Ablaß." Die Frage ist
aber, ob auch schon Gregor VII. im 11, Jahrhimdert mit seinem. Segen xaxd dem
Anwünschen der Sündenvergebixng einen vollkommenen Ablaß gespendet hat.
Letzteres ist zu verneinen.
" 2 Ebd. 553.
3 Ebd. 245: „Dens te nostrosque omnes fratres . . . qui christianum de-
fendunt religionem et, apostolicae sedis dignitatem, a cunctis peccatis absolvat."
■ * Ebd. 266. fi Ebd. 287.
« Ebd. 318. ' Ebd. 322.
8 Ebd. 325. » Ebd. 345. " Ebd. 346.
, ^^ Ebd. 340: „Vobis autem Deum diligentibus et b. Petro obedientibus
ex auctoritate eiusdem apostolorum principis omnium peccatorum remis-
sioriem largimur."
' ^2 Ebd. 347 : „Auctoritate b. Petri . . . nobis valde indignis commissa, in-
dulgentiam. omniiwn peccatorum vestrorum promittimus et absolutionem cum
benedictione concedimus." Von Bellarmin imd Palmieri als Ablaß betrachtet.
" Ebd. 368: „Obedientibus apostolica auctoritate et b. Petri nobis,
licet indignis, concessa potestat'e, peccatorum suorumveniamindulgemus."
Paulus, Geschichte des Ablasses. , 6
82 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe.
l^nderiii Ayie sclioii oben berichtet worden. Unter 20. März 1079 wird
©in französischer Adeliger ermahnt,^ dem Jlrzbischöfi von Vienne zu
gehorchen, wenn er vom Papste den „Ablaß seiner Sünden" erlangen
wolle .?^: Einige Monate später sandte der Papst dem König AKons
yon.Kastilien eine Partikel der Kette des hl. Petrus mit dem Wunsche,
daß Gott ihn durch die Fürbitte des Apostels von den Banden aller
Sündjen; absolviere.?
Verheißungen des Sündenerlasse- wiederholen sich öfteis in den
folgenden Jahren. In einem Briefe vom 30. Januar 1080 an den Bischof
von Verdun erteilt Gregor jenen, die sich des voni Grafen , Arnulf
iiberf aUenen Bischofs Heinrich von Lüttich annehmen würdiBn; seinen
Segen und verheißt ihnen die Verzeihung ihrer Sünden.^ Den Wohl-
tätern einer Peterskirche in der Diözese Poitiers wird 1081 die Nach-
lassung djsr Sünden in sichere Aussicht gestellt,* ebenso 1082 den
Verteidigern des vertriebenen Erzbischofs von Tours.^ Im Jahre 1084
ermahnt der Papst, alle Gläubigen, ihn und die römische Kirche zu
unterstiitzen, wenn, sie durch deren Vermittlung die Absolution von
aJLlen Siinden sowie Segen und Gnade in diesem Leben- und im Jenseits
zu erlangen wünschen.* Derartige Versprechen sind einfach den
iiblichen Versicherungen beizurechnen, daß man durch das Eintreten
für die Kirche und durch deren Eürbitte, wie durch andere gute
Werke, Sündenvergebung und ewigen Lohn erwerben könne. Den-
selben Sinn hat das Schreiben vom 19. April 1080, worin der Papst
den Dänen die Verzeihung der Sünden verheißt, wenn sie seinen Er-
mahnungen Folge leisten,'
Ein einfacher Segenswunsch ist die Schlußformel eines andern
Schreibens vom Jahre 1080.^ Als bloße Spendung des päpsthchen
Segens hat auch die deprekative Absolution zu gelten, die einen Brief
vom; Jahre 1081 an eine Königin beschließt.^ Dasselbe gilt von der
Absolution, die Gregor 1081 in deprekativer Form' dem König Alfons
von Kastilien und dessen Getreuen gespendet hat.!**
Als Absolution in indikativer Form verdient besonders hervor-
gehoben zu werden diejenige, die von Gregor am 7. März 1080 auf
einer Synode im Namen der Apostelfürsten^^ dem König Rudolf und
1 Ebd. 364: „Quatenus gratiam Dei et peccatornm tuorum indul-
gentiam ab ipso ctii data est potestas ligandi atque solvendi percipias."
2 Ebd., 387.
^ Ebd. 397: ,,Apostplicani,benedictionein,tribmm de divinae pietatis
mvinere confisi, peccatorum suorum yeniam poilicemur." Lea 56 f. sieht in
dieser Verheißting einen „Ablaß von Sßhulid und Strafe", der ohne Reue xmd
Beichte gewonnen werden konnte.
* Ebd. 482: ,,Veniam peccator^ni supruin et; gratiam b. Petri, si in bonis
perseveraverit, se promeriturum non dubitet."
6 Ebd. 499. ^
* Ebd. 575: „Sipereos a^splutionem pnmium p^ßcatprumet benedicti^^
atque gratiam in hoc seculo et in futuro habere desideratis."
' Ebd. 414. 8,Ebd^ 4X9.' ■ ; ■
»Ebd. 468. 10 Ebdi 47?! . , ,;' ;
1^ Nicht im Namen, der Konzilsyäter, wie etliche irrig behaupten.
B. Absolutionen lebender Personen. 83
dessen Anhängern erteilt worden ist.^ Mit Unrecht hat man diese
Absolution schon öfters als Ablaß aufgefaßt;^ mit noch größerem
Unrecht, hat man ; darin eine eigentliche Sündenvergebung sehen
wollen.-^ Es handelt sich bloß, wie bei vielen andern Absolutionen,
die Gregor ebenfalls, in, indikativer oder deprekativer Form gespendet
hat, um den päpstlichen Segen, der hier nur in etwas feierlicherer
Weise erteilt wird,
Ganz ähnlich verhält es sich mit einem „vollkommenen Ablaß",
den der päpsthche Legat Anselm von Lucca im Jahre 1084 erteilt
haben soll. Zur Zeit, wo Gregor VII. unter dem Schütze der Nor-
mannen in Salerno. weilte,, kam es im Juli 1084 bei Sorbäria in Nord-
italien zu einem Kämpfe zwischen den Kaiserlichen und den Anhängern
des Papstes. Anselms Beichtvater und Biograph, der Priester Bardo,
der selber darüber berichtet, war vom' Legaten zu den Truppen der
Gräfin Mathilde gesandt worden, um ihnen im Namen des Papstes
und des Legaten den Segen zu spenden und sie anzufeuern, „zur Ver-
gebung aller ihrer Sünden" den Kampf zu wagen.* Der Segen, den
Bardo zu spenden hatte, war der päpsthche und bischöfUche Segen,^
^ Ebd. 404: ,,Ut autem Rodulfus regnum Teutonicorum regat et defendat . . .
ex parte vestra dono, largior et coneedo omnibus sibi fideliter adhaerentibus
absolutionem omnium peccatorum vestramque benedictionem in hao vita et in
futura, vestra fretus fiducia, largior."
^" So Gottlob 54 f. und verschiedene andere. Lea 67 findet auch in dieser
Absolution einen Ablaß von Schuld und Strafe, der ohne Reue und Beichte zu
gewinnen war. •
' 3 So W. Martens (Gregor VII. I, Leipzig 1894, 245), der auch andere
Absolutionen Gregors falsch auffaßt; schreibt er doch: „Es müssen die Wen-
dungen, mittels .deren einer großen Gesamtheit von Personen ohne genauere
Kenntnis' von deren Disposition durch päpstliche Schreiben die Vergebung von
Sünden, insbesondere auch von Todsünden, erteilt wird, als bedenklich und
inkorrekt Ijezeichnet werden." Vgl. Döllinger, Akademische Vorträge 1^
(1890) 194: „Gregor VII. hatte , angefangen, den Anhängern des Gegenkönigs
Rudolf ganz allgemeine Vergebung. aller Sünden zuzusagen." Ähnlich Hinschius
V 154 n. 6; K. Hase, Handbuch der protestantischen Polemik*. Leipzig 1878, 392.
Vgl. auch H. Pissard, La guerre sainte eh pays chretien. Paris 1912, 16.
Gregor VII. habe den Soldaten Rudolfs „l'absolution de leurs peches" erteilt.
„Jamals jusqu'ici le pape n'avait promis des r^compenses spirituelles aussi
nettement determinees aux Champions de sa cause."
* Vita Anselmi Lucensis. Mon. Germ. SS., XII 20: „Congregati sunt et
nostri siquidem pauci, quoniam uha vix die praescii facti simt; verimitamen
nimis oonfortati sunt, quia dominus noster sanctus Anseimus episcopus suam
eis benedictionem per nostram direxit parvitatem, hoc in mandatis praecipue
oommendans nobis, ut si qui cum excommunicatis communicassent, primitus
illos absolveremus, et tunc pariter omnes auctoritate apostolica et sua
benediceremus,4nstruentes eos, quo pacto quave intentione deberent pugnare,
sicque in remissionem omnium peocatorum eorum instantis belli com-
mitteremus periculum."
s Welchen großen Wert man damals diesem Segen beilegte, zeigt der Be-
richterstatter Bardo, der den Sieg der Päpstlichen geradezu dem Segen Anselms
zuschreibt:,,, Qua in re gloriam Dei et virtutem benedictionis reverendissimi
praesulis fideles onanes agnoscere potestis." M. G.^ SS. XII 20.
6*
84 il. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe.
der öfters als Absolution bezeiclinet wird, weil dabei vor allem
die Giiade der Sündenvergebuhg auf diejenigen, die ge-
segnet werden sollten, heralbgefleht wurde. Auch die Ver-
heißung der' Sündenvergebung darf nicht als^Ablaßbewilliguiig auf-
gefaßt werden. Es wurde damit bloß von autoritativer Seite, wie
schon wiederholt betont wurde, der altchristlichen Überzeugung Aus-
druck gegeben, daß man durch gute Werke — und als ein hervor-
ragend gutes Werk wurde damals der Kampf für den römischen Stuhl
angesehen — von Gott die Vergebung der Sünden erlangen . könne.
Dieselbe Törmel der Segenspendung hat übrigens Anselm von Lucca
auch bei anderer Gelegenheit gebraucht. Kurz vor seinem Tode, im
Jahre 1086, wie Bardo erzählt, segnete er noch einmal die ihn Um-
stehenden und ermahnte sie, „zur Vergebung ihrer Sünden" dem
Glauben und der Lehre des Papstes Gregor treu zu bleiben. Bardo
bemerkt auch, daß Papst Gregor vor seinem Hinscheiden ganz ähnlich
gehandelt habe.^
Wie aber Anselm nicht daraii dachte, auf dem Totenbett durch
seine Segenspendung einen Ablaß zu bewilligen, so hat auch Gregor VII.
vor seinem Tode im Jahre 1085 keinen Ablaß erteilt, wenngleich
berichtet wird, daß er auf dem Sterbelager alle päpstlich gesinnten
Gläubigen von ihren Sünden lossprach. Als man ihn kurz vor seinem
Tode wegen der von ihm Gebannten fragte, gab er zur Antwort:
„Außer Heinrich, den man König nennt, außer Wibert, der den päpst-
lichen Stuhl an sich gerissen, und außer allen jenen Hauptpersonen,
die durch Rat oder Hilfe deren Schlechtigkeit und Gottlosigkeit be-
günstigen, absolviere und segne ich alle Menschen, die fest glauben,
daß ich diese besondere Vollmacht an der Apostel Petri und Pauli
Statt habe. "^ Nach diesem Berichte Pauls von Bernried könnte es
fast scheinen, daß es sich bloß um die von Gregor Exkommunizierten
handle und daß daher die erwähnte Absolution als eine Aufhebung
des Bannes aufzufassen sei. Daß jedoch eine derartige Einschränkung
nicht angenommen werden dürfe, zeigt, nebst dem bereits angeführten
Bardo, noch ein anderer Berichterstatter, Hugo von Flavigny.
Dieser erzählt, Gregor habe vor seinem Hinscheiden verschiedene Er-
mahnungen an die Anwesenden gerichtet; dann habe er alle jene, die
^ Ebd. 24: „ Quod in vita sua magister ac discipultis docuerunt, hoc et in
morte, quasi testamento, confirmaverimt. lUe (Gregor VII.), quos obedientes
sibi vivens adhuc benedixit, moriens quoque Domino precibus commen-
davit; Heinricianos vero penitus penitusque, nisi post magnam demum con-
versionem et poenitentiam, reprobavit. Hie (Anselm) praesentibus nobis in
verbo • Domini praecepit, ut in fide ac doctrina beatissimi papae Gregorii per-
maneamios, quod et cum benedictione nobis indidit, et in remissionera
peccatorum nostrorunx commendavit. Affuit huic benediotioni etc."
2 Paulus Bernriedensis, S. Gregorii VII Vita, cap. 102, bei Migne
CXLVIII 94: „Pontifex beatus Gregorius super his quos excommtmicaverat,
requisitus, si quam dispensationemiacere vellet,respondit: Praeter Heriripüm . '. .
omnes absolvo et benedico quicünque meharic habere specialem potestatem
in vice apostolorum Petri et Pauli credüntindubitanter."
B. Absolutionen lebender Personen., 85
dem von ihm verkündeten Glauben treu. bleiben würden, von allen
ihren Sünden losgesprochen.^
So kommen wir. denn zu dem Ergebnis, daß von den vielen Ab-
solutionen, die Gregor VII. gespendet hat, keine, einzige mit Sicherheit
als Ablaß festgestellt werden kann. Man ist wohl berechtigt, sie samt
und sonders als Segenswünsche aufzufassen.
Urban II. (1088—99), Gregors unmittelbarer Nachfolgerj der
wiederholt Ablässe, verliehen hat,, erteilte >uch,. öfters Lebenden wie
Verstorbenen Absolutionen, die nicht als Ablässe zu betrachten sind.
Gleich seinen Vorgängern hat er manchmal die Absolution in Aussicht
gestellt oder in deprekativer Form erteilt. In letzterer Form erteilte
er 1090 die -Absolution den Wohltätern eines Spitals in Pistoia;^. im
Jahre 1094 dem Klerus und den Gläubigen von Halberstadt, falls sie
ihren neuen Bischof gut aufnehmen würden;^ im Jahre 1095 dem
Grafen Raimund von Toulouse und dessen Eltern, wegen Zurück-
erstattung kirchlicher Güter,* sowie den Wohltätern eines neugegrün-
deten Klosters bei Tarascon.^
Sehr zahlreich sind die allgemeinen Absolutionen, die Urban 11-
bei verschiedenen Gelegenheiten gespendet .hat. Anläßlich der An-
legung eines neuen Friedhofes bei dem Kloster Notre-Dame de la.
Daurade in Toulouse soll der Papst im Jahre 1088 dem Grafen Wilhelm
von Toulouse sowie allen jenen, die sich auf dem Friedhofe beerdigen
lassen würden, die Lossprechung von allen Sünden erteilt haben.*
Man hat in dieser BewilHgung einen vollkommenen Ablaß sehen wollen.^
Sollte aber das Schreiben in der vorliegenden Fassung echt sein, was
keineswegs feststeht,* so würde es sich bloß um die Erteilung des
^ Mon. Germ. SS. VIII 466: „Absolvit ,omnes, qui in fide ista, qua©
per illum innotuitj-usque ad finem perseveraverint, ab omnibus peccatis suis."
2 Migne CLI 318: „Dei apostolorumque eius benedictione et peccatorum.
absolutione ditentur."
3 Ebd. 378. * Ebd. 399.
^ Ebd. 425: ,,Quicunque locum illum eleemosynis suis . . . amplificare . . .
curaverit atque coemeterium . . . liberum illibatirniqüe servaverit, suorum
indulgentiam peccatorum a Domino oonsequatur ipsiusque Dei gratia
et apostolorum Petri et Pauli benedictione donetur." Näheres über dies Privi-
legium findet, sich bei Gu6rard, Cartulaire de l'abbaye de Saint-Victor de
Marseille I 242 ff. In einem gleichzeitigen urkundlichen Berichte erscheint der
Papst als „absolvens benefactores". Die Urkunde, welche die päpstliche Bulle,
den Gläubigen zvir Kenntnis bringt, erklärt vom Papste: „Indulgentiam
peccatorum et gratiam b. Petri et suam donavit." Sie selber verheißt den
Wohltätern der ueugegründeten Kirche: „Sciant se proeul dubio . . . per b. M-
cholai (Patron der Kirche) preces et merita Dei gratiam et peccatorum suorum
indulgentiam adepturos . ' '
, ® Migne CLI 393: ,,Te et omnes qui in eodem loco religionis gratia opta-
verint sepeliri, per beati Petri gratiam ab omnibus absei vimus vinculis
delictorum." Jaffe 5534, identisch mit n. 5733. Zum Datum vgl. Pflugk-
Harttung III 17.
^'.Devic II 280.
8 Urban II. hat vielen Klöstern das Begräbnisrecht zugestanden, nach
ßiner Formel, die oft von ihm gebraucht und von seinen Nachfolgern auf Jahr-
hunderte beibehalten worden ist. Vgl. Puckert 65. Von dieser üblichen Formel
86 il. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe,
päpstlichen Segens handeln. Dasselbe gilt von der Absolution,, die
Urban II. im Jahre 1092 dem Grafen Roger von Sizilien gespendet
hat.^ Auch die Lossprechung, die Urban im Frühjahr 1095 den Kano-
nikern von Maguelone anläßlich der Ahnahme der Regel der Augustiner-
Chorherrn erteilte, ist bloß als Segen zu betrac£ten.^
Eine allgemeine Absolution, die einige mit dem Kreuzzugsablaß
verwechseln, wurde gegen Ende des Jahres 1095 auf der Sjnttode von
Glermont vom Papste allen Anwesenden erteilt. Der Abt Robert aus
Reims, der in Clermont zugegen war, erzählt nämlich, daß nach der
Rede des Papstes der Kardinal Gregor im Namen der knienden Menge
das offene Schuldbekenntnis gebetet, und daß dann alle von ihren
Sünden losgesprochen wurden.^ Es war dies einfach die damals ül)liche
allgemeine Absolution, die im Anschluß an die offene Schuld erteilt
würde.
Ähnliche Absolutionen hat Urban. II. auf seiner Reise durch
Frankreich öfters erteilt; Als er im März 1096 die Abteikirche von
Marmoutiers bei Tours einweihte, hielt er vor dem zusammen-
geströmten Volke eine Predigt, an deren Schluß er alle' Förderer des
Klosters ,jsegnete und absolvierte";* Den Mönchen selber, den noch
lebenden wie den schon gestorbenen, erteilte er nachher die Absolution
im Kapitelsaal. Diese letztere Absolution bezog sich vornehmlich auf
die Sünden und Nachlässigkeiten, welche die Mönche bei Käufen, Ver-
käufen und andern welthchen Beschäftigungen aus menschlicher
Schwachheit sich 'hatten zuschulden kommen lassen.^ Daß die Mönche
sticht das Privilegium für das Kloster in Toulouse grell ab. In einer Bestätigungs;-
buÜe voni Jahre 1105 bemerkt wohl Pasohalis II., daß Urban II. dem Kloster
einen Friedhoi bewilligt habe; doch sagt er nichts von dem eigentümlichen
Privilegium, das IJrban verliehen haben, soll. Ben Wohltäterh des -KlösiSers — -
und dies waren vor allem jene, die sich auf dem Klbsterfriedhof begraben Heißen ^^
erteilt er selber bloß den üblichen Segen: »iQüicünque idem- monasterium . . .
suis rebus honorare curaverint, omnipotentis Dei et apostoloruni eius; grätiaiii
consequantur." Migne CLXIII 173 f.
^ Oben S.52. Als Ablaß aufgefaßt von B oll andiis, Acta Sanct. Februarii
I 655; Amort I 189; Lea 57. ' :' ^^^^;^^ .^^^ ,,^ ^^^^^-^ ^ , ^
" Migne OLI 408. Jäff6 5550: „Omnibus in veströooenobiö vitamcaüö-
nicam seeundum b. Augustini ireguläm profiteiitibus, et in eaiadiüvänte Domino
permanentibus, nos licet indigrii apostbloruin vibärii eorüm ac nfe^
dictionera peccatorumque absolütioriem pötestate illis a Domino ihdülta
conoedimus." " ,.i ^
' Mign© CLV 673: „His ita completis, unus ex cardinalibüs; noiriihö
Gregorius, pro omnibus terra prostratisdixit cbnfessiohemsüam, et sie omnes
pectora sua tundentes, inipetraveruht de his qüae male commiseränt
absolutionem, et facta absolutione, benedictionem." Vgl. ebd. 828 deii Bericht
Fulchers von Ojbiartres: „Absolutionis benedictione d.ata, tunc disceisserurit!."
• * A. Salmon, Recueil de Ohrohiques de Touraine. Tours 1854/ 316 340:
„Benedixerat . . . et absqlverat omnes qui hos et universa nostra cuJstodireht
fideliter et tuerentur," So berichtet ein Mönch, welcher der Feierlichkeit böii
wohnte.
^ Dies erfahren wir aiis einem Schreiben vom 24. September 1119, durch
welches Calixt IL die Absolution Urbans bestätigte. Robert/ Bülliaire de
Calixte II. I 92. In der Bulle wird zuörst berichtet, wie Urban IIl nach Märihoüi
tiers kam, „et f ratruin capituliun inträhs, piost aedif icätioiiis verba et moiiitä,
B. Absolutionen lebender Personen. 87
von.' Marmoutiers diese Absolution zwei Jahrzehnte später durch
Calixt II. bestätigen ließen, beweist, daß sie Wert darauf legten. Sie
sollte ihn:en ohne Zweifel' voi*' allem zur Beruhigung ihrer Gewissen
dienen.' ' In der Bestätigungsbulle unterläßt aber Calixt nicht, den
Brüdern zur Pflicht zu machen, in Zukunft vorsichtig zu handeln.^
Über die allgemeinen Absblutionen, die Urban II. im Jähre 1096 zu
Garcassorine und Maguelorie erteilte, ist schon an anderer Stelle be-
richtet worden.^
Von Paschalis II. (1099—1118) seien zunächst einige Schreiben
erwähnt, worin er am Schlüsse den Adressaten die Absolution der
Sünden anwünscht oder in der Form einer Bitte erteilt. „Gott möge
euch' von allen Sünden lossprechen", so schließt er einen Bri^f aii
König Alfohs von Spanien vom 29. Dezember 1099.^ Es ist dies weiter
nichts als der übliche Segenswunsch', mit dem die mittelalterlichesn
Päpste so oft ihre Schreiben beschließen. Dieselbe Bedeutung hat
die ganz ähnliche Schlußformel des Schreibens vom. 28. April 1100
an die Kreuzfahrer in Palästina.* Es liegt kein Grund vor, hier aii
den vollkommenen Ablaß zu denken, den damals die Kreuzfahrer
gewinnen konnten.^ Gäriz' dieselben Worte gebrauchten die. Kreuz-
fahrer selber in dem Schreiben, das sie im September 1099 an den
Papst und alle Gläubigen gerichtet habeii.^ Und doch wird dabei
niemand aii einen Ablaß denken. Ebensowenig handelt es sich um
einen Ablaß, wenn der Papst am Schluß eines Schreibens vom 23. Mai
1106 den Wohltätern des Stiftes St. Frigdianus in Lucca^' und in
einem andern, nicht näher datierten, das an etliche italienische Städte
gerichtet ist,^ den treuen Dienern Gottes üiid der Kirche die Los-
sprfechüng von den Sünden anwünscht. Auch die deprekative Ab-
dulcia, eiusdem loci monachos qui vel iam ex hac luce, Deo vocante, disoesseranfc
vel adhuc superstites existebant, a peccätorum vinculis et negligentiis
suis absolvit, ab illis praecipue qüäe eatenus in emtionibus, redemtionibüs;
venditionibua ecclesiartun seu deeimarum omniunive terrenarum rerum occü- •
pationibus ex humana fragilitate contraxerant, benedictiöneihqüe super eos
dedit."
^ jjQUvOd a praedictö domino nostro de absölutione illa raisericorditef
factum est, auctore Domino, confirmariius, ut eiusdem loci fratres sälubritei?
per Dei gratiam sibi debeant in posterum providere." Vgl. TJ. Robert, Histoire
du pape Calixte II. Paris 1891, 60: „Cette absolution, par une singuliere bizarreriej
porte sur les p^ches resultant d'aehats, raohats, ventes, possessions d'eglises,
de dimes etc., ce qui semble prouver que les religieux de IVtarmoutiers n'ötäient
pas plus persuadös qu'il ne convient de la purete de l'origine de leüxs biehs qui,
comme on le sait,' etaient immenses."
2 Oben S. 52.
3 jiiigne CLXIII 33.
* Ebd. 43. Hagenmeyer 179: „Ipse vos ab omnibus peccatis absolvat."
^ Hilgers 56 meint: „Der Ausdruck scheint in diesem Zusanunenhatige
nur vpn dem durch die Kreuzfahrer zu- gewinnenden vollkommenen Ablaß ver-
standen zu sein."
® Hagenmeyer 174: „Vobis Deus benefaciat et ab omnibxis vos peccatis
absolvat."
» Migne CLXIII 193. « Ebd. 366.
88 11. ]M[ittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe.
Solution, die PascliaKs II. einmal dem Bischof Lambert von Arras
erteilt hat, ist bloß als Segenspendang aufzufassen.^
Andere Schreiben, in denen ein Sündennachlaß erwähnt wird,
betonen nur im allgemeinen die sündentügende Kraft der Almosen,
so z. B. zwei Schreiben, worin der Papst die^^Sitte bestätigt, daß
Sterbende „zum Loskauf der Sünden" ihrer Pfarrkirche Almosen
geben.2 Nichts anders hat es zu bedeuten, wenn der Papst den
Wohltätern von Kirchen den ,, Ablaß ihrer Sünden" in Aussicht stellt.^
Eine eigentümliche Absolution, die ohne Zweifel als Ablaß zu
gelten hat, ließ, Paschaüs IL dem König Heinrich L„ von England
spenden. Als im Jahre 1103 der Primas von England Anselm von
Canterbury wegen seiner Stellungnahme gegen Heinrich im Investitur-:
streit außer Landes weilen mußte, ermahnte der Papst den König,
Aiiselm zurückzurufen und die Rechte der Kirche zu achten. , Wiirde
Heinrich dies tun, so versprach ihm der Papst, daß er ihm und seiner
Gemahlin „Ablaß und Absolution der Sünden" spenden werde.*. Nach-
dem es gelungen war, eine Verständigung anzubahnen, beeilte sich der
Papst, sein Versprechen zu erfüllen. Noch vor Abschluß des definitiven
Vergleichs (im Kloster Bec an Maria Himmelfahrt 1106) beauftragte er
am 23. März 1106 Anselm, den König und dessen Gemahlin samt den
Großen, die bei der Beilegung des Streites mitgewirkt hatten oder noch
initwirken werden, „von den Sünden und Bußen loszusprechen".^
Hier handelt es sich offenbar nicht um eine bloße Segenspendung,
sondern um eine förmhche Absolution von den „Bußen", also um
einen eigentlichen Ablaß.*
Mannigfaltige Absolutionen hat Calixt II. (1119—24) gespendet.
Wiederholt beschheßt er seine Schreiben mit deprekativen Absolutions-
formeln. So heißt es am Schluß eines Briefes vom 20. Juli 1119, der
1 Lpewenfeld 73.
,2 Migne CIiXIII 40. . Schreiben vom 14. .April 1100 an den Bischof von
Autun: „Statuimus ut pro sepulturae loeo nullum- penitus ab aliqtto pretinm
. exigatur; pro redemptione peccatoruni morientes in Ecclesia in qua fidei
sacramenta acceperint, eleemosynain dare secundum apostolica decreta statuimus
omnino et confirmamus. Si quis autem ad aliam vivens sive moriens se conferre
voluerit, de eo quod pro salute animaesuae dare disposuerit, secundum' apostolica
decreta matrici lücclesiae partem relinquati" r;Ebd. :41jgleichlautendes Schreiben
an das Domkapitel von JV^äeon. Hilgers 70 : „Das jscheineji in .der \^jat". . .
päpstliche Bußredemptionen fiir Sterbende xind Verstorbene zu sein und so. in
Wirklichkeit Ablaßspenden vom frühen JV^ittelalter; her.'' Die Formel „pro
redemptione peccatorum meorum" kommt in Schenkungs.urkunden des früheren
Mittelalters unzählige' Male vor.
' Ebd. 424. Schreiben vom 20. August 1117: „Dei... gratiam et pecca-
torum suorumindtdgentiamconsequatuT." Ähnlich 165. Vgl. auch2.82: „ Quatenus
vos indulgentiam vestrorum obtinere mereamini peccatorum.".
* Ebd. 120: ,,Pro te Donüniun . • . exorare curabimiis; et dei pecoatis tarn
tibi quam coniugi tuae, sanctorum^ apostolörum meritis, indulgentiam et ab-
solutionem faciemus." . ; :
^ Ebd. 187: „Regem et eius coniugem et proce'es illos quipro hoc,negptio
ciun rege ex praecepto nostro laboraverunt et laborare nitentur . . . iuxta spon-
sionem nostram a peccatis et po'enitentiis absolves." ;
^ So auch Hilgers 83. . ;,,,;;
, B. Absolutionen lebender, Personen.' 89
an Beschützer einer Kirche, gerichtet ist, Gott möge sie von allen
Sünden lossprechen,^ Die Bitte, daß Wohltäter von Klöstern und
Kirchen , die ]S[a,chlassung der Sünden erlangen, mögen (peccatorum
indulgentiam consequantur), wird öfters ausgesprochen.^ Bisweilen
wird die Sündenvergebung als. Lohn verheißen.^
In; einer Bulle vom .20. März ril9,iWodürch;er, ankündigt, daß er
die Antoniuskirche in.Vienne konsekriert habe, wünscht und verleiht
Palixt II. allen jenen, die das Gotteshaus mit. reumütigem Herzen
besuchen werden, Heil, Segen und Verzeihung der Sünden.* Damit
soU der Papst für ewige Zeiten allen, die am Kirchweihfeste das Gottes-
haus besuchen würden, einen vollkommenen Ablaß verliehen haben^.
Allein von dem jährlichen, Kirohweihfest ist in dem päpstlichen
Schreiben keine Rede. Der Papst spricht vielmehr von dem Kirchen-
besuch in so allgemeinen Ausdrücken, daß daraus folgen würde, der
vollkommene Ablaß könne das ganze Jahr hindurch bei jedem Be-
suche gewonnen werden. Es liegt auf der Hand, daß Calixt II. nicht
beabsichtigen konnte, ein derartiges Privilegium zu gewähren. Bei
andern Gelegenheiten hat er für das jährhche Kirchweihfest nur ganz
mäßige partielle Ablässe bewilligt. Wie hätte er also für jeden Besuch
der Antoniuskirche einen vollkommenen Ablaß erteilen können ? Der
von. ihm erteilte Sündenerlaß kann demnach nur als Segenspendung'
aufgefaßt werden.
Dieselbe Bedeutung hat der „Sündenerlaß" oder die Absolution^
die Calixt II. in einem Schreiben vom 8. April 1120 dem Bischof
Guido von Chur in indikativer Form gewährte® und im folgenden
Jahre (6. April 1121) in deprekativer Form wiederholte.'
Nach Cahxt II. begegnet man im Laufe des 12. Jahrhunderts
nur noch selten Absolutionen in päpstlichen Schreiben. . Wenn
Cölestin IL im Jahre 1144 einen an Stiftsherrn gerichteten Brief
mit den Worten schließt: „Gott, spreche euch.los von allen Siinden",*
so braueht nicht wiederholt zu werden, daß es sich bei 'dieser depreka-
tiven Absolution bloß um einen Segenswunsch handelt. Eine ganz
1 Robert I 60.
2 Robert! 85 171 178 329 und.passim.
?, Robert I 112: „Per hoc et pmnipotentis Dei benedictionem et grätigem,
-et remissionem vestroruna consequimini peccatorum," Vgl. I 90 117"; II 73.
* Robert I 3: „Omnibus ad eam spe impetrandae misericordiae con-
fugientibus salutem et apostolicam benedictionem remissionemque peccatorum,
si ex corde poenitent, auctoritate beatorum Petri et Pauli apostolorum exoptamus
et concedimus."
^ A. Palco, Antonianae historiae compendium. Lugduni 1534, 50: „Con-
oessa perpetids temporibus plenaria onmium commissorum indulgentia . . .
Omnibus ipsam ecolesiam eadem die visitantibus." So auch Acta Sanctorum.
lanuarii II 155,
• Robert I 237: „Benedictionem apostolicam et peccatorum indul-
gentiam quam postulasti, tanquam fratri karissimo tibi mandamus."
' Robert I 333: „Optimus Dominus , . . te , . . a peccator,um vinculis
absolutum ad vitam.perducat et gloriam sennpiternam."
8 Migne CLXXIX 794.
9ö II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe.
ähnliclie Absolution hat in demselben Jahre Lucius II. der' gesamten
Kongregation von Cluni gespendet..^ ' '
Eine verschiedenartige Deutung hat die Absolution gefunden, die
im Jahre 1164 Alexander III. dem Erzbischof von Canterbury
Thomas Becket erteilt hat. Letzterer hatte^'sich auf der Ileichs-
versarumlung von Clarendon König Heinrich gegenüber in der Ver-
teidigung der Freiheit der Kirche zu schwach gezeigt. Bald aber
«mpf and er bittere Reue über seine Nachgiebigkeit. Er enthielt sich
deshalb der Darbringung des- hl. Meßopfers und bat Alexander III.-
der damals in Lens sich aufhielt, um Lossprechuiig. Noch ehe der
Bote iii Lens ankam, schrieb der Papst, der bereits Kunde voii dem
Vorfall erhalten, an Thomas, sein Fehltritt sei nicht derart, daß er
deswegen die Darbringung des hl. Meßopfers unterlasse. Wenn in-
dessen sein Gewissen ihn einer Schuld anklage, so solle er sie einem
Priester beichten ; dann werde er be dem gütigen Gott Verzeihung
finden. Auch er, der Papst, absolviere ihn von dem • begangenen
Fehler.? ■ - ' ' - -
Etliche führen diesen Fall an zum Beweise, daß damals die
sakraihentale Absolution bisweilen Abwesenden gespendet wurde.^
Allein: es geht nicht an, die von Alexander III. gespendete Los-
sprechung als eine sakramentale zu betrachten, da ja die sakramentale
Beichte vor dem Priester angeraten wird. Thoma» Becket fürchtete
offenbar, wegen seiner Nachgiebigkeit einer kirchlichen Zensur ver-
fallen zu sein; und die vom Papste gespendete Lossprechung, die als
eine j,äbsolutio g^d ' cautelam" betrachtet werden kann, hatte den
Zweck, das ängstliche Gewissen' des Erzbischofs von Canterbury zu
beruhigen. • . '
Dagegen ist die Absolution, die im Jahre 1199 von Innozenz III.
Petrus Parenzo erteilt wurde, unzweifelhaft als Ablaß aufzufassen.
Als päpstlicher Statthalter iii Orvieto war Parenzo mit solcher Strenge
gegen die dortigen Katharer vorgegangen, daß diese ihn öffentlich mit
dem Tode bedrohten. Imlozenz III., dem er dies bei einer Uhtefreduiig
in Rom mitteilte, erklärte ihm: Mein Sohn, falls du von den Häretikern
getötet werden solltest, absolviere ich dich von allen Sündenbanden.*
Es darf nicht wundernehmen, daß Innozenz' III. dem • eifrigen Be-
kämpfer der Katharer für den Fall, daß er in der Ausübung seines
1 Ebd. 905. • v.; ■ ,
.2 Migne CO 290: „Si igitur aliquid te iecöliscommisisse, de quo pi^öpriä
te debeat conscientia remorderie, quidquid sit, saeerdoti qüi discretiis et providiis
habeatur, tibi consulimus per poenitentiam confiteri. Quo facto, et iniseiricorä
Dominus, qui multo amplius ad cor respicit quaim actus, tibi consüetg,e pietatis
suae miseratione (dimittet* Et nos de b. Petri et Pauli äpostolorum eius meritis
conf identes, te ab eo quod est commissum äbsolviinus, et idipsüm f raterhitäti
tuae auctoritate apostolica relaxamus."
^ Morinus 598. Ähnliche. Ohardoh/Histöire des sacreihehts III, Paris
1745, 42ff, . ■ ■ ■
^ Acta Sanct. Mail V. 88. Berichteines gleichzeitigen Biographen :„Fili,
nos auctoritate Dei et beatorum apostölorüm Petri et Paiili ab oinhibvis te ab-
aolvimus vinculis peccatorum, si per.manus haereticorum fueris inteirfeetüs."
B. Absolutionen lebender Personen: 91
Berufes das Leben verlieren sollte, einen vollkommenen Ablaß in
Aussicht stellte. Hatte doch schon 20 Jahre früher Alexander III.
a-uf der dritten Lateransynode (1179) denjenigen, die im Kampfe
gegen die Häretiker, fallen würden, ebenfalls einen vollkommenen
Ablaß verheißen.
Von eigentümlichen Absolutionen, die Innozenz IV. einzelnen
Personen gespendet hat und die als Ablässe zu gelten haben, wird
im Abschnitt XII die Rede sein.
2. Von Bischöfen und andern Geistlichen erteilte Absolutionen.
Zunächst soUen die Absolutionen, die bei Ordensleuten vor-
kamen, erörtert werden; dann werden verschiedene merkwürdige
Absolutionen, die von Bischöfen einzelnen Personen gespendet
wurden, zur Sprache kommen; das Hauptinteresse werden aber jene
Absolutionen beanspruchen, die generell erteilt wurden, entweder
bei besonderen kirchlichen Anlässen oder für besondere ver-
dienstliche Leistungen.
a)- Absolationen bei Ordensleuten.
Die alten Mönchsgewohnheiten, die so häufig eine Absolution
der Verstorbenen erwähnisn,^ sprechen öfters auch von Absolutionen,
die den Lebenden, erteilt werden sollen. Die Gewohnheiten von Farf a
aus dem 11. Jahrhundert schreiben vor, daß der kranke Mönch vor
dem Empfang der Sterbesakramente vor allen Brüdern sich öffentlich
als Sünder bekenne und dann vom Abt absolviert werde; der Abt
und die Brüder sollen ihrerseits den Kranken ebenfalls um Verzeihung
bitten und von ihm die Absolution empfangen.^ Es ist klar, daß es
sich hier nicht um eine sakramentale Absolution handeln kann ; denn
diese hatte der Kranke nach der geheimen Beichte, von welcher im
vorangehenden Kapitel die Rede ist,^ schon vorher empfangen. Die
neue Absolution ist denmach bloß als ein Sakramentale zu betrachten,
gleich der Lossprechung, die heute noch im Anschlüsse an die öffent-
liche Schuld öfters gespendet wird.
Bei dieser gegenseitigen Absolution handelte es sich vor allem um
eine Verzeihung von Fehlern, die sich die Ordensmitgheder gegenein-
ander hatten zuschulden kommen lassen. Nur von diesen persönlichen
Beleidigungen sprechen die Gewohnheiten von St. Viton (Verdun)
aus dem 10. Jahrhundert.* Doch werden in andern Ordensstatuten
1 Vgl oben S. 54 f. •
2 Albers I 192. Wenn der Kranke kann, ,,debet venire in capitulum et
prostratus coram abbate et omnibus fratribus petat veniam de omnibus negli-
gentiis et peccatis, quae comnaisit, et data absolutione prosternat se abbas et
omnes fratres coram illo fratrepetentesveniam, si quid dplicti contra illum
-commiserunt, ut iUe frater absolutionem similiter ad illos f ac
3 E^,(i_x90: ^,Confessionem agat cuni abbate vel priore.''
' V' ^^-'Aibers^v.Ä^'-' ■■■■ ^ ■ ;.::;:V.,: ;..,: ,■'",,;_;,, ■.■'■:^
92 .11. Mittelalterliche Absolutionen als ;angebliche Ablässe.
bei der zu y spendenden AJbsokiti
Sünden erwähnt, soin den Gewolmheiteii;.vcm;<31iiniv die Ä
Ulrich im Jahre 1086 medergeschrißben^ha^
der Kranke solle sich schuldig bekennen, der vielen Fehler^ die er gegen
Gott und seine Mitbrüder begangen habe; dann soUej- der Prior ihm
die Absolution erteilen i der ; Kranke aber solle: däsj^leiche gegenüber
den anwesenden iBrüderntun.^ Ähnlich lauten .die von^oWilhelm dem
Seligen (f 1091) entworfenen Gewolmhßitena"vx)nHHirsaü.?T 7?^
Nach den von Lanfranc (f 1089) verfaßten Ordensstatuten soll
der Kranke von' allen Brüdern absolviert werden, me auch er seiner-
seits alle Brüder zu absolvieren Häbe.^ Ein Zeremoniale der Bene-
diktinerabtei Evesh am, wahrscheiriHch- um 1300 geschrieben,*
schüdert unter anderm, wie der kranke Mönch; versehen werden soll;
Daraus erfährt man, daß die bei r dieser Gelegenheit stattfindende
öff enthebe Beichte nüt Absolution nichts ; anders war i als das Gebet
des Konfiteor mit den sich daran anschließenden Absolutionsgebeteti.:^
Schön in den „Gewohnheiten deutscher Klöster" axis dem lOii oder
aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts wurde übrigens ausdrücklich
vorgeschrieben, daß der Beranke mit den Brüdern das Konfiteor beten
solle, um von dem Abt und den ändern Brüdern in würdiger Weise
die Absolution empfaiigen zu können.^
Die Sitte, daß die Mönches vor ihrem Hinscheiden vpn ihren
Mitbrüdern die Absolution empfingen, wird, wie in deri; alten Gew^
heiten der Benediktiner und Cluniazeiiser, so auch in verschiedenen
andern Ordensstatuten erwähnt; so z.B.; in cbn Statuten d^; Kar-
täuser,' der Zisterzieinser,* der Kleriker von Ste. Maxia de E^
bei Ravenna,^ der Augustiner-Chorherren,^" der Karmeiite.n.^V
1 D'Achöry ,IV 21.6. Der Kranke „petit veniam.: reumque se de multis
negUgentiis contra Deum et contra iUos confitetur. Iniprecattir ; ei prior abso-
lutionem, cunctis respondentibus Amen, et ipse eis similiter.-' Auch bei Migne
cxLix 770. ^' ' '-■ ' .'^ r ' '■ "'"':^ ^? \;:V. ;': "C--^-- ': ' -^ ■!.■..";. 't;-' ■?:','■■■•
2 . jj e rr g o 1 1 , Vetus disciplina inonastica, Parisiis 1726; 557 f. Mign e OL 11 32 f.
^ Migne OL 508:.„Absolvatur ab omnibüs et ipse absolvat omnes.' ■; : ;
* Veröffentlicht in der Sammlimg der Bradshaw Society (Vol. VIj Lpiidon
1893) von H. A. Wilson: Officiiim ecclesiasticura Abbatum. secundt^n i^;^
Eveshamensis monasterii.
^ „Dicat inf irmus : Confiteor etc. Et ab omnibusrespondeatur: Mwereofwr
etc. Äbsolütionem^Qtc, nisi ; abbas presens f uerit. .^uisölus dica-t ;; Absolutionem
etc., si presens sit. Et sciendum quod si infirmus loqui non possit, prior seualius
sacerdos dicat: Cow/i^co?", pro eo, et absolyatur ut supra." S. 108. Vgl. Öffiqia
varia secundüna usum, Ecclesiae Westmonasterierisis. Bradshaw Society XII
(1897) 1268. Consuetudines monasterii S.AugüstiniGaritiiäriäe. Bradshaw Society
XXIII (1902) 333.
'Albers V 12: „Quatenus indulgenciam abbatis ceterorumque veraciter
mereatvir accipere." Vgl. 63. Der Kranke „omnibus fratribus et jpresbyteris
confiteatur ita dicente: Cow/»7epr Dom*nö".
'Statuta ordinis eartusiensis. Basileae 1510, A8. Martehe, De ritibus
IV 703 705. Miigne CLIII 657.
8 Martene IV 699. Migne CLXVI mi.
» Migne CLXIII 727. i» Märtene III 800 885. : '
^^ B. Zimmermann, Ordinäire de l'OrdW de Note-Daine du Möht-Carmel.
Paris 1910, 100 f. [Bibliotheque liturgique XIII].
B. Absolutionen lebender Personen. 93
Daß solche gegenseitige Absolutionen bei Krankenversehungen
auch außerhalb der' Klöster stattfand, ergibt sich aus dem Rituale,
das der' Breslauer Bischof Heinrich I. (1302—19) für seine Kathedrale
zusammenstellen ließ;^..
Iri etlichen Ordensritualen ist die Rede von einer besonderen
Absolution, die dem Kränken noch' gespendet wurde, nachdem er
bereits die Sterbesakramente . empfangein: hatte, so in einem alten
Sakramentär der Abtei Moissao,^' und in einer - andern klösterhchen
Handschrift, über deren Herkunft nichts - Näheres mitgeteilt wird.*
Dieser nachträglichen Absolution- begegnet man auch in liturgischen
Büchern, deren sich der Weltklerüs bediente, z. B. in Ritualen aus
Tours und Beauvais.* In etlichen- Kirchen wurde sie nicht bloß den
Kranken nach Empfang der Sterbesakramente, sondern auch den
gesunden Gläubigen nach der sakramentalen Lossprechung erteilt. Sie
ist als eigentümliche Segenspendung zu betrachten.^
Es wären nun auch noch die Absolutionen anzuführen, die öfters
ara Aschermittwoch oder am Gründonnerstag von Äbten den Mönchen
oder auch den Gläubigen, welche die Klosterkirche besuchten, erteilt
wurden. Doch dürfte es angezeigter "sein, diese Lossprechungen weiter
unten zu behandeln, in Verbindung mit den Absolutionen, die der
Weltklerus an jenen Tagen zu erteilen' pflegte. Dagegen soUen hier
noch die Absolutionen erwähnt werden, die inanche Äbte, namentlich
kurz vor ihrem Tode, ihren Untergebenen gespendet haben.
Als der hl. Wunibald, Abt von Heidenheim (f 761), sich dem
Tode nahe fühlte, hielt er noch eine kurze Ermahnung an die Mönche.
Am Schlüsse derselben absolvierte er die Brüder von allen Nach-
^ A.. Franz, Das Rituale des Bischofs Heinrich I. von Breslau. Freiburg
1912, 3.3 76. ,
^ Martene I 879: '„Absolutio infirmi.' Implorantes clementiam ineffabilis
pietatis Dei . . . deprecamur ut . . . dimittat tibi oinnia peccata tiia praeterita,
praesentia atque futura, nosque benignissima eiusdem auctoritate fidentes,
quantum nobis permittitiir, tibi indulgemus ut confraeta divinitus tuorum
onmium delictorum. catena, absolutus ab omni malo aeternae gratia libertatis
ad solium iustissimi examinis gaudenter venire inerearis, haereditatemque verae
percipere valeas perennilatis."
ä Ebd. 948. „Absolutio. Deus noster lesus Christus, qui dixit discipulis suis :
Quaecunque ligaveritis etc., de quorum numero indiguos nos esse voluit^ ipse te ab-
solvat per ministerium nostrum ab omnibus peceatis tuis, quaecunque cogitatione,
locutione, operatione negligenter egisti, atque. a nexibus peccatorum absolutum
perducere dignetur ad regna.coelorum." . Vgl. 953 eine gleichlautende Formel.
* Ebd. 855 925: „Vice S. Petri . . . absolvimus te, in quantum tua expetit
accusatio et ad nos pertinet remissio . ; . ab onmibus criminibus tuis." Diese
Formel kommt häufig vor. Sie wurde auch verwendet bei der sakramentalen
Lossprechung und bei der Absolution der Verstorbenen.
^ Vgl. darüber Morinus 543: „Per.eas (absolutiones) non intendebanfc
poenitentem Deo reconciliare, sed i^m Deo reconciliatum in reconciliatione con-
firmare atque a se velut laboribiis poenitentiae functum dimittere . . . Absolutio
post orationes reconciliatorias in quibusdam ecclesiis cöncedebatur, velut quaedam
post reconciliationem benedictio . . . Non modo poenitentiTun reconciliatiö,
sed etiam infirmorum unctio ista absolutione terminatiu:, et infirmi velut peceatis
liberi dimittuntur." ^
94 II. MittelalterUche' Absolutionen als angeblicMe Ablässe. ^
lässigkeiten, deren sie sicli im; Geliorsäin gegen. ilmv;seh.iildig gerdaclit
hätten,^ und bat si^ zugleich, sie. möchten auöli^ ihm vei^zeihen/w^
er sich etwas; gegen siie hätte ;zuichiildenrköm!menlassejni.?v;! Hier ist
nur die Hede von der Nachlassung oder Verzeihung der i -Fehler; tdie
sich (Brüder undj Abt igegeneinander- zuschulden Jiattfc lassen.
Ein.; (lerartiges ;T^rzeihen i>perßönHcher i^K^ wird /auch be-
richtet; von andern heihgen lOrdehsmännerny so ivoni hlv^ S tür mius^V
dem Gründer voüv (Fuldai^f • /779)vr vom MMEigili ebeMaUsuABt ivöii
Fulda (t 882)^*. vom hl' ^Ad;alhar d^ Abtr vom Görvey t(-j: i826);^C>voni
U. Ansgar, Brzbischcrf^vonvHanibm'g--BremenL(f!8 dessen
Nachfolger^ d^m hl. Bimbert- (i% 888)1^; I ■:,:-. ,:-:-^\--./:^^':n':ä'\
Eine aUgem:einere Bedeutüiigi hatte die Absolutiönv di^ jdei*
hl. Majolus, Abt von Gluni; (^ 994-), vor seinem OSinscheiden- den
Mönchen erteilte. I)ie Brüder ersuchten ihn, er möge sie^ytiach vätera
lichem Brauche" absolvieren und dem Herrn im -Gebete iempfehleii;?
Als im ; Jahre; 1001 in Regensburg der hl; (Ramnold, der (erste Abt
von St. Emmeram, dem Todenahe^ war, legte cer noch; ebenso wie
die um ihn; versapamelten Brüder, ein demütiges Sündenbekenntnis ab ;
darauf wurde von Gott die Nachlässung der Sünden erflehte? Hier
handelt es sich offenbar um; das i in den ,, Gewohnheiten deutscher
Klöster" vorgeschriebene Gebetydes Konfiteör mit /den? damit ver-
bundenen Absolutionsgebeten. Wenn Hugo von Elavigny in dem
Berichte über den Tod des; (Richard von Mavigny(f; 1046) erzählt^
dieser habe vor seinem Tode die Untergebenen gesegnet und sich von
ihnen segnen lassen,^** so ist unter diesem^ Segen die damals übliche
Absolution zu yerstehen, die gewöhnlich mit einer ^ Segenspenduiig ver-
bunden war. So wird von dem hl. Odilo, Abt von Cluni (f 1048),
berichtet, d.aß er vor seinem Hinscheiden die Mönche absolvierte und
segnete.^^. Ähnlich handelte der hl. Olbertus, Abt von Gembloux
(j* (1048), von dem erzählt wird, er habe vor seinem Hinscheiden kraft
1 Mabillon, Acta Sanct. III 2, 114. Mon. Germ. SS. XV 113: „Omnium
verborura et factorum, quae in mea oboedien tia aut - neglexistis aut oblivione
tradidistis, indulgentiam a me accipite."
" „Et quicquid vobis per me contrarium accidisset in verbo aut in facto
aut in aliqua causa, remissionem nobis omnium tribuite."
3 Mabillon III 2, 257. Mon. Germ. SS. II 377.
4 Mabillon IV 1, 229. M. G. SS. XV 233.
^Mabillon IV 1, 316: ,,Si quid est in quo excessi in vobis sciens aut
nesciens 'nolens volensve, indulgete, prout ego iuxta quod oportet, si quid est
quod meum Sit indulgere, vice Christi relaxo." Der Biograph nennt dies Erlassen
„indulgentiam dare".
•Mabillon IV 2,114. M. Germ. SS. n 723.
' Mabillon IV 2, -491. M. G. SS. II 775.
^ Mabillon V 786: „Nos . . . pate^no more absolve, sanctissimis tuis
orationibus tuere."
' Mabillon VI 1, 19: „Inter abbatem et fratres altema facta confessione,
necnon e coelis petita seu imprecata pernecessaria peccatoinim indulgentia."
1» M. G. SS. Vlir 404.
" Mabillon VI 1, 591.
B. Absolutionen lebender- Personen. 95
seines Vorstelieramtes die Mönche von allen Sünden absolviert und
gesegnet.^ ., . ;• .
Bald ist nur von , der Segenspendung die Rede , so bei dem.
hl.^Arnulf , Biscbof -von Sqissons (f 1087),^ und- bei dem Abte Michael
von Saurnur;;(f 1225);^ .bald, nur von. der Absolution, /wie bei dem
hl. Poppo, Abt von Stablo ,(t 1048), von dem berichtet wird, er
Jiabe mit der Stola angetan die Brüder mit priesterlicher Vollmacht-
von ihren Sünden absolviert.* Vom hl. Gualterius, Abt in Pontoise
(f, ,1094),, heißt. es, er habe v,or , seinem Hinscheiden eine zweifache
Absolution gespendet,. Zunächst absolvierte er alle und wurde von
allen absolviert.^ Wie der Text andeutet, handelte es sich bei dieser
ersten Absolution um die mit dem Konfiteor verbundene deprekative
Lossprechung.. Dann legte der, Abt dfe Stola an, nahm den Abtsstab
in die Hand, absolvierte alle Brüder und befahl sie Gott dem, Herrn.*
Sowohl von der Absolution als vom Segen ist wieder die Rede in
dem Berichte über das Hinscheiden des. Abtes Herluin von Bec
(t 1078)' und des Abtes Theodorich von St. Hubert (f 1087).*
Letzterer, mit der priesterlichen Stola angetan und dem Abtsstab in
der Hand, absolvierte zuerst kraft der ihm zustehenden Vollmacht alle
seine Untergebenen, die Anwesenden wie die Abwesenden; sodann
vergab er ihnen alles, was sie sich gegen ihn hätten zuschulden kommen
lassen; schließHch erteilte er noch den Segen.
Erwähnt sei hier auch im Vorübergehen die Absolution, die etliche
Bischöfe vor ihrem Hinscheiden den Umstehenden erteilt haben, so
Salomon III. von Konstanz (f 919),® der hl. Ulrich von Augsburg
(t973),io Wazo von Lüttich.(t 1048)," der hl. Anno vonKöln (t 1015)}^
\ Mabillon VI 1, 531: „Pastorum pastori eos oommendavit, ' ab omnibus
commissis pastorali potestate absolvit et spirituali sanotificatione benedixit."
2 Mabillon VI 2, 545. M. G. SS. XV 896.
3 Marchegay et Mabille, Chroniques des 6glises d'Anjou. Paris 1869, 314.
* Mabillon VI 1, 519. M. G. SS. XI 519: „Sacerdotali auctoritate et stola
criminum veniam fratribus impendit."
5 Mabillon VI 2, 808: „Eeum se de peccatis suis coram Deo et sanctis
eius in praesentia nostra confitetur, absolvit omnes et ab omnibus absolvitur."
' „Stolam sancto oollo suo imponi fecii, dexteraque sua baculum pastoralem
tenens, nos omnes absolvit et . . . Domino commendavit."
' Mabillon VI 2, 358 368. Aus dem Bericht ergibt sich, daß es sich um.
die Absolution handelte, die sich an das Konfiteor anschloß,
8 Mabillon VI 2, 580. M. G., SS. XII 55: „Lectulo se erigi iussit, stolaque
sacerdotali amictus et pastorali virga sustentatus, potestate sibi tradita omnes
sibi com^missos tarn praesentes quam et absentes absolvit. Onmibus etiam qui-
-cumque ineum vel criminosalocutione vel opere vel quolibetcumquemodoaliquanda
deliquerant, indulsit; dein exosculatis omnibus, postrema data beriedietione,
iterum in lectulo relocatur."
® Mon. Germ. SS. II 91: „Ab omnibus indulgentiam publice confessus.
petiit et dedit."
10 Mabillon V 461. M.~ G. SS. IV 413: „Nemini indulgentiam negavit,
gratia suae benedictionis omnes consignavit." Ein anderer Biograph berichtet
„Petens ab omnibus indulgentiam, et benedictionem tribuens." Migne
CXLII 1203. 11 Mon. Germ. SS. VII 233.
, 12 Mon. Germ.. SS. XI 5Q2: „Indulgentiam omnibus dedit, quam et ab
omnibus humillime quaesivit."
96 II. Mlittelalterliche- Absolutionen als angebliche Ablässe.
Welche Bedeutung ist nun aber dieser speziellen Absolution bei-
zumessen, welche die Äbte vor ihrem Hinscheiden den Mönchen^ mit
obrigkeitlicher Vollmacht zii erteilen pflegten ? Wenngleich ' diese'
Absolution wie auch das Verzeihehvip,ersörilicher Beleidigungen in den
angeführten Berichten öfters' als „indulgentia" bezeichnet wird,^ so
geht es doch nicht an, darunter einen Ablaß zu" verstehen. Noch
eher könnte man' geneigt sein, an eine sakramentale Lossprechung zu
denken, namentlich in den Fällen, wo die Absolution mit j,priester-
licher Vollmacht" erteilt wird.^ Der Umstand aber, daß der Abt
Theodorich auch' die Abwesenden absolvierte, zeigt, daß es sich nicht
um eine sakramentale Lossprechung handeln kann. Wohl gab es im
Mittelalter nicht wenige Theologen, die lehrtenv die priesterhche Lös-
sprechung könne; eiuch Abwesenden erteilt werden; doch; forderten' si6
hierzu irgendein vorausgehendes Sündehbekenntnis . In' dem erwähiiteh
Falle hatten aber die abwesenden Mönche kein Sündehbekenntnis
abgelegt, weder ein besonderes noch; ein allgemeines; Eäizü kommt
noch, daß zu jener Zeit der ABt häuf ig nicht Priester war^ und folglich
eine sakramentale Absolution nicht erteilen konnte. Deshalb muß
angenommen werden, daß die von Theodorich und andern Äbten
gespendete Absolution bloß eine heilige Handlung war, ein sogenanntes
Sakramentale, wodurch die Vorgesetzten die Verzeihung der Sünden
auf ihre Untergebenen herabflehten.
Auf dieselbe Weise ist das Schreiben zu erklären, in welchem
Petrus der Ehrwürdige alle Mönche von Cluni von allen ihren
Sünden losspricht.* Wenngleich in indikativer Form erteilt, so hat
doch diese Absolution keine andere Bedeutung als das Schreiben,
welches Petrus der Ehrwürdige um 1150 an die Mönche von Moissac
gerichtet hat, und worin er Gott bittet, diese Mönche zu segnen und
^ In dem Berieht über das Hinscheiden des hl. Wilhelm von Hirsau,(t 1091)
heißt es : „Ab omnibus indulgentiam petenset ipse indulgentiam omnibns f aciens.''
]!4abillonyi2;;734.. M. G. SS.XIim , : ;
2 Um eine sakramentale Absolution handelt es sich sicher beim hl. Berthold,
Abt von Garsten (t 1142): „Antequam obiret, vooata ad se omni congregatione,
singulorum audivit confessiones, datisque omnibus propriä manu flagellis,
«t eos absolvit, et sibi ab eis remitti, quae in eos deliquisset, hiuniliter rogavit."
Acta Sanct. lulii VI 486.
.3 Vgl. Schreiber I 144 f.
* Migne OLXXXIX 375: „Interim quod praesens non possum, absens
iacio, et pro officio ex parte oninipotentis Dei ... et omnium sanctorum, quantum
possumus, quantum novimus, corde et ore absolvimus universitatem vestram
isanctumque ooUegium vestrum- Cluniaci vel extra 'manentiiun' ab omnibus omnino
peccatis, confisi in abundantia gratiae illius, qui in discipulis suis etiam nobis
dixit: Quae ligaveritis etc." .Vgl. hierzu die Absolution, die Petrus der Ehr-
würdige dem verstorbenen Abälard schriftlich erteilt hat. Oben S. 47. Morin
'{S. 600) ist geneigt, anzimehmen, es handle sich um Aufhebung der Reservation,
so daß Petrus den Mönchen gestattet hätte, sich an einen beliebigen Beichtvater
^u wendehi Eine solche Deutimg ist aber entschieden abzulehnen.
B. Absolutionen lebender Personen. 97
sie von ihren Sünden zu absolvieren.^ Absolutionen in deprekativer
Form kommen auch oft in den Briefen Hugos von Cluni (f 1109) vor.^
b) Bischöfliche Abstflutlobeii für einzelne Personen.
Nun kommen wir zu einigen merkwürdigen Absolutionen, die
von Bischöfen einzelnen Personen erteilt wurden! Als im
Jahre 872 König Karl der Kahle die von den. Normannen besetzte
Stadt Angers belagerte, befanden , sich in seiner Begleitung mehrere
Bischöfe, die kurz vorher eine Synode in Dpuzy abgehalten hatten.
Während sie noch vor Angers sich aufhielten, erhielten sie von dem
todkranken Bischof Robert von Le Mans ein Schreiben, worin dieser
sich im allgemeinen als Sünder bekannte und die versammelten Bischöfe
ersuchte, ihn von seinen Sünden loszusjbrechen.^ Die Bischöfe kamen
sofort dem Wunsche ihres kranken Mitbruders nach. In ihrem Antwort-
schreiben bitten sie den Herrn unter Berufung auf ihr von Christus und
den Aposteln überkommenes Amt,, er möge dem Kranken alle seine
Sünden erlassen,' ihn von allem' Übel befreien, in allem Guten bewahren
und zum ewigen Leben führen.* Etliche haben in dieser schriftlichen
Lossprechung eine sakramentale Absolution, die einem Abwesenden
gespendet worden, gefunden;^ andere legen ihr einen bloß zeremoniellen
Charakter bei.^ Wer aber recht -hat', wird heute kaum mit Sicherheit
entschieden werden können.
Dasselbe gilt von einer andern Absolution, der ebenfalls sakra-
mentaler 'Charakter beigelegt worden ist. Der ini Jahre 884 ver-
storbene Bischof Hildebold von Söissons hatte beim Herannahen
seines Todes ein allgemeines Sündenbekenntnis an Hinkmar geschickt
mit der Bitte um schriftliche Absolution. Hinkmar sandte, ihm die
gewünschte Lossprechung mit ganz denselben Worten, womit die vor
Angers versammelten Bischöfe einige Jahre früher den Bischof von
Le Mans losgesprochen hatten. Zugleich aber ermahnte er ihn, sich
mit der allgemeinen Beichte nicht zu begnügen, sondern nebstdem
eine spezielle Beichte über sein ganzes vergangenes Leben vor einem
Priester abzulegen.' Dies scheint anzudeuten, daß Hinkmar selbst
1 A. Bruel, Recueil des Chartes de l'abbaye de Cluny V, Paris 1894, 515:
„Commendamus vos omnipotenti Deo, qui vos benedicat ... et ab omnibus
peocatis absolvat."
2 Migne CLIX 928 948 949. Vgl. auch 964 das Schreiben an alle Brüder
und Schwestern der Kongregation: „Absolvat vos et .nos omnipotens Deus ab
omnibus peocatis, praeteritis, praesentibus et füturis."
'3 Sirmondus, Ooncilia antiqua Galliae III, Parisiis 1629, 405: „Quatenus
potestate coelitus vobis conlata vincula raeormn piaculorum enodetis et precum
yestrarum studiis commissamea pietis, ut cum reprobis non ducar ad tartara,
quin potius vestro interventu coelestia merear sublimari ad gaudia."
* Sirmondus 406: „Tibi pecoata tua oonfitenti per ecclesiasticam aposto-
licae auetoritatis potestatem, quam Dominus noster lesus Christus tradidit dis-
cipixlis suis . . . gratia et potentia sua . . . dimittat tibi omnia peccata tua."
ä. So Morinus 596. -Sirmondus, Opera varia IV, Parisiis 1696, 506.
« So Frank 355.
' Migne CXXVI 172 f.; „Velut ex superfluo denique, quoniam haec te
egisse non dubito, bonam devotionem tuam commoneo, ut praeter istam gene-
Faulus, Geschichte des Ablasses. 7
98 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe.
der schriftlichen Absolution nur einen zeremoniellen, keinen sakra-
mentalen Charakter beigelegt hat; sonst hätte er ja eine spezielle
Beichte nicht für notwendig erachtet.^
Als bloße Segenspendung, verbunden mit der Bitte zij. Gott um
Verzeihung der Sünden, ist die Absolution zu betrachten, die der
Bischof Stephan von Tungern dem hX Get^rd, Abt von Brogne
(t 959), erteilte, als dieser vor seinem Eintritt in den Benediktiner -
orden den Rat und den Segen seines Oberhirten einzuholen feam.^
Von Mathilde, Äbtissin in Quedlinburg (f 999), wird berichtet,.
daß sie vor ihrem Hinscheiden den hl. Bernward, Bischpf von Hild,e^-
heim, zu sich rief, der ihr auf ihr Begehren „Ablaß" erteilte.^ Aiiich
hier darf man nicht an den eigentlichen Ablaß denken. Entweder
war es bloß die damals übliche allgemeine Absolution, oder es handelte
sich um eine sakramentale, nach abgelegter Beichte erteilte Los-
sprechung, wie sie die königliche GroßmuUer der Äbtissin, die in
Quedlinburg 968 verstorbene hl. Mathilde, vor ihrem Hinscheiden von
Erzbis.chof Wilhelm von Mainz erhalten hatte.*
Wie häufig im Mittelalter die kirchlichen Oberen außerhalb des
Bußsakraments Absolutionen zu erteilen pflegten, ersieht man aus
den Briefen der beiden aus dem Benediktinerorden hervorgegangenen
Erzbischöfe von Canterbury Lanfranc und Anselm. Der erstere
erteilt öfters am Schlüsse seiner Briefe die Absolution -in deprekativer
Form, indem er über den Adressaten den himmlischen Segen und die
Verzeihung aller Sünden herabfleht (Deus te benedicat et ab omnibus
pesccatis prprsus absolvat).^ Auch der hl. Anselm gebraucht oft die-
selbe Eormel in seinen Briefen,* Sehr häufig sendet er auch jenen,,
an die er schreibt, seine Absolution, sowohl solchen, die ihn um die
Absolutign , ersucht, als andern, die kein ausdrückliches Verlangen
ralem confessioriem quaeque ab ineunte aetate usque ad hanc in qua nunc degia,
te commisisse eognoscis, specialiter ac singillatim Deo et sacerdoti satage oon-
fiteri." : . :
1 Gousset I 446: „II est visible que ce n'etait qu'une benediction, et
non mie absolution sacramentelle, puisqu'il recommande au malade de faire ä un
pretre line confession g6n6rale de tous ses peches." Ähnlich Frank 355.
2 Mabillon V 257. H. G. SS. XV 659: "„Et absolyens eum criminibus
cünctis, signaculo consignat summae -Trinitatis." Da unmittelbar vorher die
JRede ist von Grerards „sanctimonia", die der Bischof ;,optime noverat", so darf
man den Ausdruck „orimina" nicht wörtlich auffassen. Zu beachten ist auch,
daß Grerard weder eine Beichte abgelegt noch eine Absolution begehrt hatte.
Es heißt bloß, er habe vor seinem Eintritt in den Orden den Bischof aufgesucht,
„ut ab eo acoiperet de hac re licentiam et consilium, Plurimum quippe credebat
profore sibi, si cum benedictione episcopali hostia viva Deo mereretur offefri,"^
Also den bischöflichen Segen wünschte er zu empfangen. Dies zeigt, wie die
„Äb&ölutiön", die er vom Bischof erhielt, aufzufassen sei.
3 Mon. Germ. SS. III 780: „Accepta ab eo quam postulavit indulgentia."^
* M. G. SS. IV 300. Auf ihrem Krankenbette bat die hl. Mathilde den
Maiixzer Erzbischof: „Audito nostram confessionem et date nobis remissionem."^
s Migne CL 541 542 543 550.
« Migne CLIX 92 140 141 168 178 236.
B. Absolutionen, lebender Personen. 99
danach kundgegeben hatten.^ Er hat offenbar darunter nichts anders
als eine Segenspendung: verstanden,, wie er denn auch gewöhnlich
„Segen" und „Absolution" miteinander verbindet- (mändo meam ab-
solutionem et bene,dic;tionem). Nur "ein gewöhnlicher Segen ist auch
die eigentümhche Absolution, die. er einmal schriftlich den Mönchen
von St. Edmund erteilte. . Indem er sie ermahnt, ihre. Sünden immer
aufrichtig und mit, gutem Vorsatzes, , dem Prior* oder dessen Stell-
vertreter, zu beichten, erklärt,, er, alle, jene j. die auf diese. Weise ge-
beichtet haben oder beichten werden, zu. absolvieren.^ Dieselbe Be-
deutung hat die Absolution, die der, hl. Anselm auf seinem Totenbett
(f 1109) den Anwesenden, dem.;König von England, . dessen Familie
und allen treuen, Untertanen, gespendet^ hat.^ Erwähnt sei noch der
den, Absolutionen Anselms öfters beigefügte Zusatz: „Quantum
possum", der auch sonst bei päpstlichen und. bischöflichen Absolutionen
häufig vorkommt.
c) Allgemeiac Absolutionen bei kirchUelien Anlässen.
Die Absolution, die- der hl. Anselm auf dem Sterbebett so zahl-
reichen Personen gespendet hat, führt uns zu den generell erteilten
Lossprechungen. Betrachten wir zunächst die Absolutionen, die^ den
Gläubigen bei besonderen kirchlichen Anlas seh',' erteilt wurden.
Es ist allgemein bekannt, daß' in früheren Jahrhunderten den öffent-
lichen Sündern am Aschermittwoch öffentlich eine kirchliche Buße
auferlegt' wurde. Weniger bekannt ist es, daß in vielen Kirchen der
Gebrauch herrschte, über die öffentlichen Büßer bereits am Ascher-
mittwoch bei Auflegung der Buße eine Absolution zu sprechen.*
Nicht als ob damit die Nachlassüng' der Sünden erteilt werden sollte.
Dies geschah erst bei der Rekonziliation am Gründonnerstag. Die
^ Ebd. 42. An die Mönche von Bec: ,,Illis' qui meam in litteris suis se
significaverunt velle absolutionem, et illis qui, quamvis eam per litteras non
petierunt, tarnen eam volunt, mando meam coram Deo absolutionem et bene-
dictionem, et oro ut Deus omnipotens illos ab omnibus peccatis absolvat et in
vitam aeternam benedicat." Vgl. 44 125 127 162 181 183 222 232 238 246 250.
2 Ebd. 155: „Eos.autem qui hoc modo et hac volunt'ate sua peccata- confessi
sunt vel confitebuntur, quantum possum, ea.auctoritate quam mihi'Deus concessit,
vice beati Petri apostolorum principis.'absolvo, et ut eis omnipotens Deus in-
dulgeat suppliciter oro." . , > ■
' ^ Migne OL VIII 115: „Rogatus a Radulpho Rofensi episcopo, ut nobis
qui aderamus et aliis f iliis suis, regi i quoque' et reginae cum liberis eorum, ac
populo terrae, qui in eius obedientia se sub Deo tenuerat, suam absolutionemi
ac benedictionem largiretur, dexteram quasi nihil mali pateretur, erexit, et signo
sanctae orucis edito, demisso capite sedit.'"' Vgl; einen' andern Bericht: ,,His qui
aderant, regi, reginae, liberis eorum et subditis onmibus benedixit et eos, quantum
ad se pertinebat, absolvit." Migne OXOIX 1035 f. Vgl. hierzu die allgemeine
Absolution,, die Leo IX. und Gregor VII. .auf dem Totenbett erteilt haben. Oben
S. 74 84. , .,
* Über diesen Gebrauch vgl. Martene, De ritibus III 141 ff., besonders
146 147 148 151 163. Marlot 11 149. U. Chevalier, Ordinaire et' coutumier
de l'eglise oathedrale de Bayeux. Paris 1902,, 102 f. 382 [Bibliotheque lituxgi-
que VIII]. . ■
7*
100 II. Mittelalterliche' Absolutionen als -angebliche Ablässe.
ani Aschermittwoch gebrauchte Absolutionsformel war demnach bloß
ein Gebet, wodurch die Gnade Gottes auf die Büßer herabgefleht wurde.^
,: ; In vielen Kirchen war es auch Sitte, am Anfange der Fastenzeit
allenGläubigen, die dem Gottesdienste beiwohnten, eine Absolution
zu erteilen; Bei Martene kann man die am Aschermittwoch zu Paris,
Auxerre^ Bayeux, Ronen üblichen Absolutionsförmeln nachlesen.^ Für
England genüge es auf die Ritüalbücher von Salisburjr,^ Westminster,*
Evesham^ und York^ hinzuweisen. In allen diesen Büchern finden sich
für den Aschermittwoch Absolutionsf ormeln' ' verzeichnet, die mit den
Formeln, die am Gründonnerstag ' oder bei der Rekonziliation der
Büßer üblich waren, ganz übereinstimmen. ' Auch in vielen Klöstern
war es Sitte, daß der Obere am Anfangender Fastenzeit den Kloster-
insassen -eine Absolution erteilte.' In Montecassino und andern
Klöstern würden in der Fastenzeit an drei Tagen der Woche nach
vorangehendem Sündenbekenntnis die Mönche von dem Abt, der Abt
aber vom Prior absolviert.^ Ebenso wurden in verschiedenen Diözesen
die ganze Fastenzeit hindurch an ' drei ' Wochentaigen in 'der Messe
beim Offertorium die anwesenden Gläubigen nach Abbeten der offenen
Schuld von ihren Siinden losgesprochen, so in Poitiers und Le Mans.'
Daß die allgemeine Absolution des Aschermittwoches umjdie Mitte
des 13. Jahrhunderts keinen sakramentalen Charakter hatte, sondern
bloß als ein Gebet galt, wodurch die läßlichen Sünden nachgelassen
werden konnten, bezeugt Thomas, von Aquin.^*' In früheren Zeiten
mag sie aber bisweilen, wie schon oben bemerkt worden ist,^^ nicht
bloß als Bitte um Verzeihung, sondern, gleich der besonderen sakra-
mentalen Lossprechung, als bewirkende Ursache der Sündennachlassung
gegolten haben. Dies war ohne Zweifel der Fall, wenn der allgemeinen
Absolution eine besondere Beichte voranging.
^ Morin (S. 215 f. 544 f.), der ebenfalls verschiedene am, Aschermittwoch
über die Büßer gesprochene Absolutionsformeln anführt, bemerkt dazu (S. 544):
„Notabit lector in illis libris ritualibus absolutionis nomen non id sigmficare
quod nunc signif icare solet, reconciliationem cum Deo et peccatorum remissionem."
Es handle sich dabei um Gebete, „quibusDeus rogatur ut abs'olutione dignos
poenitentes effieiat". Vgl. auch oben 8.-93 ri. 6.
* Martene III 141 ff.. Für Bayeux vgl. Chevalier, Ordinaire de Bayeux
102 f. Für Ronen Morinus. Appendix 68 f. Le Graduel de l'eglise cathedräle
de Rouen au XIIF si^cle II, Rouen 1907, 40 f.
3 The Sarum Missal ed. by J. Wickham Legg. Oxford 1916, 48 ff. '
* Bradshaw Society V, London 1893, 549.
5 Bradshaw Society VI (1893) 61 ff. ' '
^ Publieations of the Surtees Society LIX, Durham 1874, 45.
' Beispiele bei Martene III 155 ff.; IV 310 f.
« Bibliotheca Casinensis IV (1880) 119 126.
* Martene III 180 ff. In Poitiers lautete die Absolutionsformel: „Ab-
solvimus vos . . ab omnibus crimimbus vestrisi" Noch zur ZeitMartenes wurde
in einigen Diözesen, z. B. in Tours und Le Mans, während der Fastenzeit an
drei Wochentagen den Gläubigen bei der Messe eine Absolution gespendet.
^^ De forma absolutionis, cap. 2: „Huiusmodi absolutiones (in die cinerum
et coenae Domini) non sunt sacramentales, sed sunt quaedam orationes qüibus
diountur venialia peccata dimitti.". Opera XX 450.
" Oben S. Q6.
B. Absolutionen lebender Personen. ' 101
Ein interessantes Beispiel hierfür . bietet Bischof Johann von
Avranches, von 1069 bis 1079 Erzbischof von Ronen, in seinem
Buche „de officiis ecclesiasticis". Bei der Schilderung des Gottes-
dienstes am Aschermittwoch berichtet er, daß am Morgen nach der
Non der Bischof oder dessen. Stellvertreter dem Klerus und dem
Volke die Absolution, spendet, nachdem ein jeder im besondern
seine Beichte abgel,e^t:und Buße empfangen.^ Hier kann es sich
nicht um das bloße Abbeten des Konfiteor. handeln; es ist die Rede
von einer regelrechten Beichte mit Auflegung der Buße. ^ Auch wird
offenbar vorausgesetzt, daß die Geistlichen und Laien schon vorher
den hierfür ai^fgestellten Bußpriestern gebeichtet hatten, da die»
während des, Gottesdienstes- unmöglich, gewesen,, wäre. Allen An-
wesenden, die so ihre Sünden gebeichtöt und dafür Buße empfangen
hatten, erteilte nun ,der Bischof- eine, gemeinsame Absolution. Nichts-
verbietet, diese Absolution als eine sakramentale zu betrachten. Heute
muß freilich die Absolution von demjenigen Bischof oder Priester
erteilt werden, iier die Beichte des Sünders gehört hat. Im, früheren
Mittelalter, wich man jedoch vielfach von dieser Regel ab. So mußten
an vielen Orten die öffentlichen Büßer, bevor sie am GründonnerstagCi
von dem Bischof absolviert wurden, vorher bei Beginn der Fastenzeit
und dann wieder am Morgen, ,des Gründonnerstages den hierzu ver-
ordneten Priestern eine Beichte, ablegen.^ Wie, aber, die Absolution,
die am Gründonnerstage vom Bischöfe den öffentlichen Büßern erteilt
wurde, als eine sakramentale zu betrachten ,ist, so darf wohl die nach
Johann von Avranches dem Klerus, und, Volk am Aschermittwoch ge-
spendete Lossprechung als eine sakramentale gelten.
Ein weiterer Beleg hierfür findet sich in dem „Hber ,de statu
Ecclesiae", des Bischofs Gilbert von Limerick (1106—39). Indem
Gilbert bei Aufzählung der bischöflichen Vollmachten die Absolutions-
gewalt erwähnt, , bemerkt er: „Der Bischof absolviert das Volk .von
den geringeren Sünden am Aschermittwoch, von den schwereren am
Gründonnerstag.* Unter den „peccata criminalia" sind besonders
^ Migne'CXLVII 47: „In capite ieiunii nona dicta clerus et popviltis ante
altare,' aT? unoquoque confessione singulariter facta et poenitentia
acoepta, prosternantur, etjsic ab ,episcop,o' vel a maiore ecclesiae säcerdote
absolvantur."
. _ ? So versteht es auch H, Lqriquet, Le Graduel de l'eglise cathedrale
de Reuen I, Ronen 1907, 34, n. 5: „Il.s'agit bien ici d'ime confession reguliere
avec penitence et non point d'un simple r^cit du Confiteor pour chaque fidele
en particulier." . ,; . , > ; ,
3 -Martene 1,761: ,',Non omnes, qui aujüendis confessionibus designati ab
episcopo erant, poenitentes semper absolvebant, .verum auditis peccatis et
iiiaposita poenitentia reconciliationem, episcopo reservabant, prae-
^ sertim in quadragesimali, ut in'quibusdam ritualibus manuscriptis observavimuo;
in quibtis presbyteri confessiones poenitentiiun etiam in coena Domini excipere,
tum discussis et ",examinatis 4is, ,,qui. reconciliatione digni erant, absolvendos
episcopo sistere iubentur." .Vgl. 821.;823. Morinus. Appendix 45 53 f. Schmitz
I 77 f . . , , ■ ^ ' , . , . ■
*, Migne OLIX 1002: „Absolvit praesul populum de venialibus in capite
ieiunii, de criminalibus in .coena Domini."
102 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe.
schwere Sünden zu verstehen, für die der Sünder während der Fastenzeit
büßen mußte, bevor ihm die Lossprechung zuteil wurde. Die „venialia"
bedeuten hier, meint Martene, weniger schwere Sünden, für die eine
längere Buße nicht verlangt wurde^ und von denen man daher schon
bei Beginn der Fastenzeit losgesprochen werden konnte. Da aber
Gilbert in gleicher Weise von der Absolution der „läßlichen" wie der
schweren Sünden spricht, so hat er wohl der '"Absolution, die am
Aschermittwoch den Gläubigen gespendet wurde, eine ähnhche Wirk-
samkeit zugeschrieben wie der Lossprechüng, dies am Gründonnerstag
die öffenthchen Büßer erhielten.
Nebst der sakramentalen Rekonzihation der öffentlichen Büßer
gab es am Gründonnerstag in manchen Kirchen auch noch eine
Absolution für alle anwesenden Gläubigen. Diese Absolution war
gebräuchlich in vielen französischen Kirchen, z. B. in Paris, Laon,
Le Mans, Reims, Ronen, Bayeux.^ In etlichen • Kirchen wurde das
Volk zweimal absolviert, so in Paris und Le Mans.^ Vielfach war es
auch Sitte, daß der Bischof am Gründonnerstage die verschiedenen
Klöster der bischöflichen Stadt besuchte, um den Insassen nach Ab-
beten der offenen Schuld die Absolution zu erteilen. . Dies geschah
z. B. in Reims, Ronen, Laon.* In manchen Diözesen erhielten die
Mitglieder des Domkapitels voin Bischof im Kapitelsaäl' eine eigene
Absolution, so in Clermont, Laon, Reims.^In Besan§on ' pflegte der
Erzbischof im Kapitelsaal die. Domherren zu absolvieren, die dann
ihrerseits auch den Erzbischof absolvierten.®
In England herrschte ebenfalls der Gebrauch, daß am Grün-
donnerstage beim Morgengottesdienst allen anwesenden Gläubigen
eine Absolution erteilt ^ wurde, so z. B. in Westminster. '^ Auch in
Canterbury fand die allgemeine Absolution am Gründonnerstag im
Dome statt. Am Karsamstage dagegen begab sich der Erzbisohof
nach der Abtei St. Augustin, um dort ^ den versammelten Mönchen
die Absolution zu erteilen.^
In Spanien fand, wie die feierliche Rekonziliation der öffenthchen
Büßer, so auch die allgemeine Absolution nicht am Gründonnerstage,
sondern am Karfreitage statt. Dabei wurde von allen Gläubigen
vielmal der laute Ruf wiederholt: ,;Indulgentia!''^
^ Martene I 756 bemerkt zu dieser Stelle: „Ubi venialium nomine
intelligit pecoata mortifera minus gravia, poenitentiae püblicae haiidquaquam
subiecta."
2 Martene III 233 ff. loannes Abrincensis bei Migne CXLVII 49.
Morinus. Appendix 70. Chevalier, Bibliotheque liturgique VI (1897) 109;
VII (1900) 122 280; VIII (1902) 125. « Martene III 233.
« Martene III 234 ff. Chevalier VI 108 f.; VII 122 279.
6 Baluzius, Miscellanea I 279. Martene III 234. Chevalier VI 108 f.;
VII 122 280.
6 Martene I 807. ^ Bradshaw Society V 571.
* Dugdale, Monasticon Anglioanum I, London 1682, 26.
* M. Ferotin, Le Über ordinum en .usage dans l'iÖglise wisigothique et
mozarabe d'Espagne du V^ sidcle. Paris 1904, 199 ff. [Monumenta Ecclesiae
liturgica V]. Liturgia mozarabica bei Migne LXXXV 417 ff. 610 ff i Vgl. dazu
B. Absolutionen lebender Personen. ■ . 103
Nicht bloß die Bischöfe, -auch die Ordehsoberen pflegten am Grün-
donnerstage den Untergebenen die Absolution "zu spenden.^ In den
Lebensbeschreibungen heiliger Äbte wird dieser Gebrauch wiederholt
erwähnt, so z. B. im Leben des hl: Hugo von Cluni (f 1109),^ des
hl. Stephan von .Obaziiie (f 1159)^3 des hl. Wilhelm (f 1202),
der einem Kloster in Dänemark als. Abt vorstand.* In verschiedenen
Klöstern, wie z. B; in St. Denis, Gompiegrie, Gorbie, pflegte der Abt
am Gründonnerstag. auch dem ^ Volke die Absolution zu erteilen.^
Was die Bedeutung anlangt, die der . gemeinsamen ■ Absolution,
welche am Gründonnerstage denGläubigejd gespendet wurde, beizu-
legen- ist, so kann nm\ wiederholt werden, was bezüglich der Absolution
des Aschermittwoches gesagt worden ist». Bereits im 13. Jahrhundert
wurde diese allgemeine Absolution» streng von der sakramentalen Los-
sprechung unterschieden und galt nur als Sakramentale. Anfänglich
aber ist wohl öfters zwischen, beiden Absolutionen hinsichtlich der
Wirksamkeit kein. Unterschied gemacht- worden. Nur ließ man die
allgemeine Absolution mit dem -vorangehenden aUgemeineh Sünden-
bekenntnis (Konfiteor).' oder der offenen Schuld nicht gelten für': die
schweren wissentlichen Sünden,' die, noch nicht im einzelnen gebeichtet
worden waren. • ; .s ; ]'j' > ' f
Aufschluß? 'hierüber bietet. eine Anrede; die -nach den Gewohn-
heiten der Cluniazenserabtei Ffüttuaria' in Piemont dei? Abt am
Gründonnerstage bei' derüSpehdungf-der allgemeinen Absolution im
Kapitelsaal zu halten pflegte.^ Er sagte den vor' ihm versammelten
Mönchen: Es ist-Brauchj an diesem Tage iii der Kirche Gottes die
Absolution zu spendien überall, wo es Hirten gibt, die über die Herde
Gottes .wachen. Was- daher unsere > Väter' angeordnet haben j sollen
auch wir - tun. Darauf sptendet der Abt den ^ knienden Mönchen die
M'orinus 349. L. Duchesne (Origmes du culte chretien. Paris 1889, 429) meini
mit' Unrecht, die Sündenvergelaung (indulgentia) sei von den anwesenden Gläu-
bigen bloß für die Büßer erfleht worden; i sie wurde vielmehr für alle erfleht.
Dies ergibt sich sowohl aus deni, liturgischen Text als ,aus der .Erklärung der
vierten Synode von Toledo (633). Mansi X 620.
^ Martene III 235;' IV' 358 f. Herrgott, Vetüs disciplmä mohastica.
Parisiis 1726, 584 f. Albers V '120 142. In einigen Klöstern' wurde die' allge-
meine Absolution auch an . hohen ' Festtagen gespendet, z. B.- an Ostern und
Pfingsten, Albers V 124 125 150.
. ^ Migne CLIX 889: „Commissum sibi gregem absolvit; addidit et solatium
berie'diötibhis." Vgl. 905: „Cum in ipso Coenae Domihicäe die fratfes suos, tarn
absentes quam' praesente's, paterria aüctoritäte absölvisset."
^ Baluzius, Miscellanali54: „In die Coenae dominicae, quae misericordia
plena est, generali supplicatione ab^universis venia petebatur, ut quiequid per
totius anni ciroulum deliquissent, hac saora et solemni indulgentia deleretur.
Tunc venerabilis senior totus lachrymis perfusus et^peccata sua ante oculos sibi
reducens, confisus de Dei misericordia, et sibi et aliis indulgentiam tribuebat et
peccatorura vincula in ,Dei verbo laxabat." ,
* Migne CCIX 615: „Absolutione super disoipulos solito more facta."
5 Martene 17.364 f. ' , ,
• Albers IV 132 ff. Die vom Herausgeber benutzte Handschrift stammt
aus dem 12. oder 13. Jahrhundert. Vgl. S.VIII.
.104 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe.
Absolution mit folgenden Worten: „Unser Herr' Jesus Christus ' möge
durch die Fürbitte der allerseligsten Jungfrau, des hl. Petrus und
aller andern Heiligen euch die Verzeihung eurer Sünden erteilen. Ich
pelbst aber, soviel ich kann und der Herr es- mir gestattet,- absolviere
und segne sowohl' die Ablesenden als die Anwesenden (absolvo et
benedico tarn absentes quam praesentes), die unter meiner ' Leitung
stehen." Nachdem die.Brüdsr aufg^standen^^Arnen gesprochen und
sich dann niedergesetzt habend erklärt ihnen d3r Abt: Diese Absolution
dürfet ihr nicht so verstehen, als würde sie\sich^ auf alle Sünden be-
ziehen ; sie gilt bloß für die Sünden, die ihr bereits gebeichtet habet,
sowie für die täglichen (d. h. läßlichen) . Sünden, ohne welche em
schwacher Mensch nicht leben kann. Ist. einer -unter euch sich einer
schweren Sünde (criminali peccato) bewußt, die er noch nicht ge-
beichtet hat, so wird ihm. durch diese Absolution keine Vergebung
zuteil.. Ein jeder erforsche deshalb sein Gewissen. Findet er, daß er
sich einer schweren, Sünde schuldig . gemacht hat, so 'beichte. er. sie
und tue Buße, bevor er. die hl. Kommunion empfange. Und nun
wollen wir uns in die. Kirche begeben zur' Vornahme des Süiiden-
bQkenntnisses und der Absolution.^; In der Kirche wurde dann laut
das Konfiteor gebetet, worauf der Abt den Brüdern noch einmal,
und zwar in deprekativer. Form, die Absolution ert'eiltiB. 2
Man kann, sehr wohl die vom, Abte, für den FaU, daß er Priester
war, am Gründonnerstage gespendete Absolution als eine sakramentale
betrachten. Die besondere Beichte, sofern eine solche nötig, war,
hatte früher stattgefunden. Denn an einer andern^ Stelle der Gewohn-
heiten heißt es: „Am Anfange -der Fastenzeit > beginnen die i Brüder
dem Abte zu beichten:"^ .Mari könnte freilich gegen den sakramentalen
Charakter der. Absolution den Umstand' geltend, machen, daß. sie auch
Abwesenden gespendet wurde. Allein, wie früher betont worden, gab
es im Mittelalter Theologen, die der Ansicht^ :waren,' die sakramentale
.Lossprechung könne Abwesenden, erteilt werden. ' Es war auch; nicht
notwendigerweise erfordert, daß alle 'Brüder* bei dem Abte die Beichte
ablegten. Wie Petrus Cantor berichtet, war es in verschiedenen
Klöstern erlaubt, daß die Mönche einem ihrei: Mitbrüder beichteten;
nur die Absolution, blieb dem Abte; vorbehalten.* . • . ,. ; ; .- •
Wegen der Absolution, die am Grürid.onnerstage den öffent-
lichen Büßern und häufig auch den übrigen Gläubigen gespendet
wurde, pflegte man diesen Tag als Absplutionstag (ab'solutionis.dies)?
oder als Ablaßtag, Antlaßtag (indulgentiae dies)^„zu bezeichnen.
^ Der Verfasser dieser Anrede hat wohl das Speculum' Ecclesiae des Honorivis
Augustodunensis (vgl. oben S. 6ß) vor sich gehabt, oder beide' haben eine, ge-
meinsame Quelle benutzt. • • . , > " .,,
2 Ebd. 52. Es- werden vier Absolutionsgebete 'angeführt. ' ' . '
3 Ebd. 149. ' • '' ■ ■; " ' ' , ,
* Martene III 761: „In quibusdarh etianä oliiri mönasteriis licitum erat
cuilibet monachorum audire fratrum suorum confessiones, abb'ati vero' absolutio
reservata erat, ut scribit Petrus Cantor in Summa de Sacrameiitis."
^ Ducange I 34. , ' " , ,
^ Schmeller, Bayerisches Wörterbuch I" 1507. Translatio S. Maurini,
B. Absolutionen lebender Personen. 105
Während diese Bezeichnung, was den Gründonnerstag anlangt,
leicht zu erklären ist, so' sieht man nicht recht ein, warum, auch der
Palmsonntag als Ablaßsonntag oder Ablaßtag bezeichnet wurde.
Schon in einem Verzeichnis, der Episteln, des Kirchenjahres, das auf
Geheiß des Bischofs Viktor von Capua (541—54) vor 546 geschrieben,
worden, ^erscheint der Palmsonntag mit der Benennung „de iiidul-
gentia".^ Die Benennung (dominica de indulgentia) findet sich auch,
in dem um 700 geschriebenen Evangelienbuch , des Klosters Lindis-
farhe, 2 sowie in einer Würzburger, Handschrift aus dem 8. Jahr-
hundert;^ hier heißt der Palmsonntag in dem Verzeichnis der Episteln
auch „dominica indulgentia.* Letztere Bezeichnung, findet sich eben-
falls in dem Coines Alcvins aus dem ^de des 8. Jahrhunderts? und
in einem IJektionar aus dem ,10. Jahrhundert.* , Nach dem, 8. Jahr:
hundert erscheint gewöhnlich der Name „dominica indulgentiae", so
in dem von Pamelius veröffentlichten Cpmes,' in verschiedenen' alten
Evangelienverzeichnissen,^ in, einem Sakramentar des früheren Mittel-
alters,^, in dem sogenannten „Ordo romanus vulgatus", den zuerst
Hittorp veröffentlicht hat^" und, der , wenigstens' aus dem 10. Jahr-
hundert, stammt,^! {j^ der Lebensbeschreibung des hl. Ukich von Augs-
burg {j 973) durch dessen Zeitgenossen (Gerhard,^? endlich, im St. Galler
Totent)ucli aus dem 10. Jahrhundert.^* , i . ■
cap. 8, um 980 verfaßt; M'abillon, Acta Sanct. V 336; Mon. Germ. SS. XV 68.
Vita Theogeri, <cap. ,26, Tim, 1140 verfaßt: M. G. SS. XII 477; "Berthold von
Regensburg, ed., Pfeiffer I, 163, (Antlaßtag).
^ G. Morin, Liber comicus sive Lectionarius missae quo Toletana Ecclesia
ante aniios mille ei; ducehtos iitebätur." Maredsöli 1893, 441. St. Beissel, Ent-
stehung der Perikopen des römischen Meßbuches.' Freiburg 1907, 59 [Ergänzungs-
heft zu den Stimmen aus -Maria-Laach XCVI].
,2 Morin 428 431. Beissel,^113. , s. Beissel 122. ,
* Morin, Le plus ancien eomes ou lectionnaire de l'figlise romaine, in Revue
b6n6'diotirie XXVII (1910) '53. ' , ' '" ' , '
* J.> M. Thomasius, Opera omhia V, Romae 1750, 302. E. Ranke, Das
kirchliche. Perikopensysliem avs den ältesten Urkunden der römischen Liturgie.
Berlin 1847; Appendix, S. X. .
* A. Staerk, Les manuserits latins du V^ au XIIP siecle conserves ä la
bibliotheque royale de Saint-P6tersbourg I, St. P^tersbourg 1910, 136 141.
'', I.'Pamelius, Liturgia Latinorum II, Coloniae 1571, 21. Ranke LXIII.
Pamelius hat, alte Handschriften verwertet, deren wohl keine über das 9. Jahr-
hundert hinausgeht.
. .8 Thomasius V 454, nach zwei römischen nicht näher datierten Hand-
schriften. ■ , . - ' , ,
8 M,. Gerbert, Monumenta veteris liturgiae alemanicae I, S. Blasii 1777, 64.
Morinus. Appendix 60,
10 Hittorpius 42. Verschiedene neuere Autoren, wie R. Mönchemeier,
Amalar.von Metz., Münster 1893," 214; Thalhof er -Eisenhof er, Handbuch der
katholischen Liturgik I, Freiburg 1912, 82 141; Kirchl. Handlexikon II 1233,
behaupten irrig, dieser Ordo sei schon von Cassander veröffentlicht worden.
Der von Cassander 1561 herausgegebene „Ordo romanus de officio missae" ist
etwas, ganz anderes. ^^ Mönchmeier 181 214.
12 Mabillon, Acta Sanct. V 425. Mon. Germ. SS. IV 391.
läE.'Dümmler und H. Wartmann, St. Galler Todtenbuch und
Verbrüderungen, in Mitteilungen zur vaterländischen Geschichve XI^ St. Gallen
1869, 17. Vezzosi, Der Herausgeber der Werke von Thomasixis (Thomasius
106 II, Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe.
Im früheren Mittelalter war es also gang uiid gäbe, den Palm-
sonntag als Ablaß- oder Begnadigungstag zu bezeichnen. Man ,hat
diese Bezeichnung in verschiedener Weise zu erklären gesucht. Etliche
meinen, der Palmsonntag sei so genannt worden ,, wegen dfer Ablasse
{propter indulgentias), die man 'an diesem Tage feierlich zu erteilen
pflegte".^ Allein im 6. Jahrhundert gab es nöph keine generell erteilten
Ablässe. Andere führen die Bezeichnung auf den Umstand zurück,
daß am Palmsonntag „die auf "den" grünen Donherstag festgesetzte
Absolutio poenitentium' verkündigt wui'de",^ odfer daß man ah dipsem
Tage anfing, Vorbereitungen zu treffen für die Rekoh'ziliation der
Büßer am Gründonnerstag .^ Von einer Verkündigung öder Vor-
bereitung der am Gründonnerstag zu erteilenden Absolution ist jedoch
in der Liturgie des Palmsonntags niemals die Rede. Nicht' minder
unannehmbar ist eine andere Erklärung, wonach der Palmsonntag
Nachlaß tag genannt wurde, weil er dem Leiden Christi geweiht, gewesen
wäre. „Indem ihn der Alcvinsche und der Pamelsche Cömes Bfe-
gnadigungstag nennen, bezeugen sie, daß man ihn izur Zeit ihrer
Abfassung unmittelbar als einen der Passion, dem Motiv aller Be-
gnadigung, gewidmeten Tag ansah."* Dem Leiden Christi war aber
vor allem der Karfreitag gewidmet, und doch ist dieser Tag niemals
,,dies indulgentiae" genannt worden! Wieder aridere meinten ^ äeh
Palmsonntag habe man deshalb „dominica indulgentiae'- genannt^
weil • er die Woche einleitet, in welcher den Ponitenten am Grün-
donnerstag, dem eigentlichen „dies indulgentiae", ^die Absolution "ge-
spendet wurde.^ Der wahre Grund der eigentüynlichen Bezeichnung
dürfte ' indessen itri römis,chen Rechte zu suchen seih.*
In der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts haben die christlichen
Kaiser für das Osterfest eine ganze Reihe von Begnadigungs- oder
Indulgenzschreiben erlassen. In dem von Theodosius II. angeregten
und 430 vollendeten Gesetzbuch sind nicht weniger als fünf dieser
österlichen Indulgenzerlasse verzeichnet.' Der älteste Gnadenerlaß ist
aus dem Jahre 367 und stammt von Valentinian L; der jüngste, der
V 454 n. 2), dem M. Gerbert (Vetus liturgia alemanica. S. Blasii 1776, 964)
folgt, behauptet, auch die Frankfurter Synode von 974 habe den Palmsonntag
als Ablaßsonntag bezeichnet. Er hat aber eine Bemerkung von J. Fronte
{Kalendarium romaiiluil. Parisiis 1662^' 62) falsch verstanden : , jHaeö äömimca
dicebatur dominica Palmarum, in eoncilio Francofurdiensi an, 794, dictä est
ßt dominica indulgentiae, apud Pamelium et in ordine romano."
^ So Martene, De ritibus III 196. J. Catalanus, Caeremoniale episoo-
porum II, Parisiis 1860, 303.
? So:Binterim, Denkwürdigkeiten V 1, 158. Ähnlich Vezzosi, Thomasii
Opera V 454 n. 2.
3;La Civiltä Cattolica. Anno 57 (1906), II 9.
* Ranke, Perikopensystem 333.
^ H.Grotefend," Zeitrechnimg des deutschen Mittelalters I, Hannover
1891, 42.
? Auf diese Lösung wurde ich von Dom G. Morin hingewiesen.
7 Cod; Theod. hb, IX,-tit. 38, de indulgentiis criminum, 1. 3 4 6 7 8 (Theo-
dosiani libri XVI, ed. Th. Mommsen I 2, Berolini 1905, 496 f. ■
B. Absolutionen- lebender Personen, ' ' 107
siuch in das Gesetzbuch Justinians Aufnahme fand,i ist im Jahre 385
von Valentinian II. und Theodosius I. erlassen worden; Kraft dieser
Indulgenzbrief e sollten die Gefangenen] mit Ausnahme von ver-
schiedenen Verbrechern, an den Ostertagen freigelassen werden.^ Die
Zeit, in welcher die „Indülgentia" oder die Begnadigung erteilt werden
sollte, umfaßte, sieben Tage vor und* sieben »nach Ostern.^ Sie begann
^Iso am Sonntage vor Ostern.. -So erklärt sich leicht/ warum dieser
Sonntag schon frühzeitig als „dominica de indulgeritia" odet „dominica
indulgentia" bezeichnet wurde.*' ■, . ' , s . -
Nebst dem 1 Gründonnerstage und'dem;Palmsonnt~a;ge gab es noch
•einen andern Tag, den man als ,jdies indulgentiae" zu bezeichnen
pflegte. In. den größeren Annalen von ' St. . Gallen ' wird bferichtet,
daß im Jahre 1043 König 'Heinrich III. nach Konstanz kahi, als
gerade dort eine SjTiode abgehalten' wurde (tempore synodi)." Der
König beteiligte sich eifrig an den Verhandlungen. - „Am vierten Tage
aber, der gemeiniglich der Ablaßtag genaimt wird" (in quartö autem
die, qui vulgo indulgentiae dicitur); hielt er eine Rede, um das Volk
zum. Frieden zu ermahnen.^ Aus der Bezeichnung „dies indulgentiae"
hat man, geschlossen, daß damit der Gründonnerstag gemeint sei. 'Die
Synode hätte,, am Montag in der. Karwoche begonnen, so daß der
vierte Tag mit. dem Gründonnerstage ^(31'. März) zusammengefallen
wäre.^ Von anderer Seite^wurde jedoch festgestellt, daß im Jahre 1043
Hfeinrich- III. das Osterfest. am 3. April in Lüttich gefeiert hat ^ und
erst.. im' Oktober nach Konstanz gekommen ist.'" Wie ist aber dann
die Bezeichnung des vierten Tages der Sjniode als „dies indulgentiae"
zu erklären? Man hat gemeint: „Obwöhlkein anderer Beleg dafür
vorhanden ist,, muß aber wohl angenommen werden, daß unser Annalist
mit dem Ausdruck ,dies indulgeiitiae'-einfachdeii' Donnerstag be-
zeichnet."* Dem ist jedoch nicht so. Der. Donnerstag überhaupt
ist niemals Ablaßtag genannt worden, wohl aber wurde der vierte
\ Cod. lustin. lib. I, tit. 4, de episcopali audientia, 1. 3 (ed.' P. Krueger.
Berolini 1880, 39). Vgl. auch Lex romana Visigothorum, lib. IX, tit. 28, 1. 8.
<ed. G. Haenel, Lipsiae 1849, 200).
^ Vgl. Codex Theodosianus cum perpetuis 'commentaris lacobi Gotho-
fredi III; Lipsiae 1738, 290 ff. Hier werden auch verschiedene Väterstellen,
die auf die österlichen Indulgenzerlasse. Bezug nehmen,- angeführt.-
^ Codi Theod. lib. II, tit. 8, de feriis,!. 19: ,jSacros paschae dies, qui septeno
■vel praecedunt numero vel sequuntur" (ed. Mommsen 88). -
* Daß der Ausdruck „indulgentia" in bezug auf die österliche Begnadigung
gern gebraucht wurde, zeigt eine Verordnung, die Cassiodor in den Jahren
533 — 37 während seiner prätorischen Präfektur unter der Überschrift „Indul-
gentia" veröffentlicht hat. Cassiodori Variae, ed. Mommsen. Mon. Germ.
Auetores antiqui XII (1894) 353 ff.-.
5 jvton. Germ. SS. I 85. C. Henking,'Die annalistischen Aufzeichnungen
des Klosters St. Gallen, in Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte XIX
•(1884)\320. ■
' So Hartz he im III II L, dem andere folgten.
. ''E. Steindorf f, Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich III. I,
Leipzig 1874,- 185 f.
« Henking 321 n. 275.
108 II. Mittelalterliche' Absolutionen als angebliche Ablässe.
oder letzte Tag der Diözesansynode so genianiit, wiedies in dem
aus dem 10. Jahrhundert stammenden Ordo romarius vulgatus aus-
drücklich hervorgehoben wird. Dieafer Ordo - schildert ausführlich,
wie die Diözesansynode, für welche vier Tage festgesetzt sind, ab-
gehalten werden soU.^ Am vierten Tage findet ein feierlicher Schluß-
gottesdienst statt, dem auch das Volk beiwohiit. Bei dieser Gelegen-
heit hält der Bischof eine Predigt, an deren^Schluß er die Absolution
spenden soll, weil dieser Tag als „zweiter Ablaßtag" betrachtet wird.^
Die Diözesansynode fand gewöhnlich, zweimal im Jahre statt, im
Erühjahr und Oktober.* In Konstanz wurde demnach bei der An-
kunft Heinrichs III. die Herbstsynode abgehalten. Und nun erklärt
sich, leicht, wie der Annalist den vierten Tag, an welchem der König
eine Rede hielt, als Ablaßtag . bezeichnen konnte.
Mit dem ,, Ablaßtag" der Diözesansynode hängt wohl auch die
Absolution zusammen, die der hl. Ulrich von Augsburg am Grün-
donnerstage, zu erteilen pflegte. , Sein ^ Biograph Gerhard berichtet
. nämlich, daß Ulrich die Gewohnheit hatte, die Früh] ahrssynode^ nicht
erst in der vierten Osterwoche, wie die Kanones vorschreiben, sondern
schon in den drei ersten Tagen der Karwoche abzuhalten, um durch
die Anwesenheit der vielen Geistlichen die Feier des Gründonnerstages
zuierhöhen. An diesem Tage aber, so erzählt weiter der Biograph,
pflegte der Bischof während des Amtes nach dem Evangelium eine
I^edigt zu halten. Nachdem- dann die Gläubigen die offene Schuld
gebetet hatten, erteilte er ihnen die Absolution, worauf alle Mitglieder
deriSynode Opfergaben darbrachten.* , Das Hochamt am Gründonners-
tage; fiel demnach mit dem Schlußgottesdienst der Synode zusammen.
Man ist daher wohl berechtigt, in der Absolution, die bei diesem Anlaß
der Augsburger Bischof spendete, die am Schlüsse der Diözesansynode
. übliche Absolution zu sehen.
Von. der Absolution, die am Schlüsse . der Diözesansynode der
Bischof dem Volke zu spenden pflegte, sind die Absolutionsgebete zu
unterscheiden, die am Schlüsse der Provinzial- und Diözesansynode
. _,^ Hittorpius 162 ff. Ordo qualiter agatiir conciliiiin provinciale. Die
Diözesansynode heißt hier „conoilium provinciale", während die Provirizial-
synode als „conoilium generale" bezeichnet wird. Über diese- Bezeichnungen
■vgl. G. Philipps, Die Diözesansynode. Freiburg 1849, 9, Daß die im Ordo
romanus vorgeschriebene Synodalordnung in Deutschland befolgt wurde, zeigt
der dem- Dekret Biirchards von Worms beigefügte „Ordo quomodo 'initianda
Sit synodus". Migne CLX 1061 ff. Es ist ein wörtlicher Auszug aus dem' so-
genannten Ordo romanus.
: ^ Hittorpius 157: „Moneat clerum et doceat populum, atque in fine
praedicationis remissionem peccataruni ■faciät,v;quia dies* illa; secunda
di es /indulgen tiae habietur. ' ' Unter > dem ersten VjAbläßtag" ist offenbar der
X^TÜndonnerstag ge]Meint.:fU ;:-.,: -i^'-r i;^;.-./;:::r/{i.r ,ii .y,--:'::,'-': .'H .^vyjW'l/l --o!?
3 Philipps, Diözesans3naode 49 f. Derselbe, Kirchenrecht VIIi'Begens-
burg 1869, 158. Hinschius JII 585. 588 n. 4u i >;".; nsj/u:i fr^
; :*:MabillonviActa.Sanct.;;V-.425. .;Mon. iX^erin; SS^ O^V^^ .;iPerlecto
evangelio et anunonitione facta ad populum, et confessiphe- popüli aecepta,
indulgentiam humillime eis fecit." \: :: 'tZ : > :■ ; i ■
> ;, ' . -B. Absolutionen 'lobender Personen. 109
Über die Teilnehmer an den Yerhandlungen von dem Metropolitan
oderj^dem Diözesanbischofö ■ verrichtet wurden.^ Diese deprekative
Absolution, mit. der vom > Anfang des. '14. Jahrhunderts an häufig ein
Ablaß' verbunden' wurde,- wird in den mittelalterlichen Quellen oft
erwähnt.^, Sie ist bloß als Bittgebet aufzufassen.
■ , Ähnlich, verhält es ; sich mit der „Absolution", die der Priester
am (Anfang ider,^ Messe nach derh. Konfiteor erteilt.^ Diese Ab-
solution, die in deprekativer. Forin mit' den Grebeten '„Misereatur"
"und ,:Indulgentiam'" gespendet. wird, bedeutet nicht eine richterliche
wirksame Lossprechung, sondern nur. eine Bitte, ein Wunsch,- Gott
möge die Sünden nachlassen.* Man findet sie schon mit einigen Ab-
weichungen, in dem lateinischen Meßformular, das um 1030 für den
Bischof _ Sigebert von Minden zusamniengestellt worden ist.^ Nach
■diesem. Formular, soll. der; Priester, wenn das Konfiteor gebetet worden
ist, den -Ministranten ,, Ablaß"; erteilen.* Die deprekativie Absolution
am Anfang der ! Messe. -erscheint auch in den von Wilhelm dein.
Seligen- (f 109^1) ' entworfenen Gebräuchen von Hirsau,'' in dem
„Micrologus", einer. Schrift, die gegen Ende des 11. Jahrhunderts
Bernold von. Konstanz verfaßt hat,^ sowie in -andern liturgischen
Erzeugnissen des früheren Mittelalters.^ 'MerkWürdig- ist die Sitte,
die:aus,;der Behediktinerabtei, St- Gregor zu Münster im Elsaß be-
richtet wird. Hier pflegte der Abt jedesmal vor der Messe nach dem
Konfiteor dem Yolke, die Absolution zu spenden.^"
,. , Wie bei der Messe, so fand auch beim kirchlichen Stunden-
gebet, in der Prim und Komplet, ein Sündenbekenntnis mit depre-
kativer, Absolution statt. Was die Prim anlangt, so wird das Abbeten
des Konfiteor zuerst erwähnt gegen. Ende des ^ 9. -Jahrhunderts in der
erweiterten Form der Regel des hl. ^Chrodegang.^^ Die Chorherren
^ Ordo romanus vulgatus, bei Hittorpius 151 157. Ordo de celebrando
concilio, bei Harduinus, iConcilia I, Parisiis 1715, '9.
2^ Vgl. z. B. das Pontifikale des 'Erzbischofs Egbert' von York, nach einer
Handschrift des 10. Jahrhunderts abgedruckt in Publioations öf the Surtees
Society XXVIIr (1853).98. , Ein anderes Pontifikale aus dem 10. Jahrhundert
in Bradshaw Society XXIV (1903) 54. '
^ „Eacit absolutionem',', heißt es im Ordo Missae. Missale Romanum.
Ratisbonae., 1912, .215. , .
* N. Gihr, Das heilige Meßopferi». ■ Freiburg 1907, 322 f.' Kirchenlexikon
III. 884. ■ ' , ., ■ . , ' -
, f Zuerst veröffentlicht im Jahre 1557 von Matthias Flacius Illyrikus,
daher, „Missa. lUyrica" genannt. vÜber Alter imd Herkunft dieser Messe, vgl.
, J. Braun inStimmen aus Maria-Laach LXIX (1905). 143 ff. Thalhofer-Eisen-
hofer,; Handbuch der kath. Liturgik I 143." '
?. Migne CXXX VIII- 1310: „Det indulgentiam ministris hanc: Indul-
gentiam et remissionem etc." .- . . ■
' Migne- GL 1016. ; 's Migne CLI 992.
• J.,Bona, Herum liturgioaruna libri duo. Parisiis 1672, 318 f. 559 f.
, ^^ Märten e, De ritibus I 655: ,;Absolvat abbas populum dicens: Auctoritate
qua fungor, absolvo .vos > a vinculo exconununicationis et a peccatis vestris."
. " S. Bäumer, Geschichte des Breviers. Freiburg 1895, 251. Über das
Alter des betreffenden Textes,.der Regel.des-hl. Chrodegang vgl. A. Werminghof f
im Neuen Archiv 1902, 648. ...
110 II. Mittelalterliche Absolutionen; als angebliche Ablässe.
spllten sich gegenseitig ein Sckuldbekennthis ablegen und sich die
Verzeihung der Sünden von Gott' erbitten.^ In betreff der Komplet
soll bereits der hl. Fruktuosus (f um 665) in seiner MMchsregel
angeordnet, haben, daß man sich beim Abendgebete gegenseitig äas
Schuldbekenntnis ablege. ^ Allein' mit dem späteren Gebrauch des
Konfiteor am Eingänge^ der Komplel^hat jene Anordnung nichts
gemein. Der hl. Fruktuosus wollte bloß, daß die Mönche -die Fehler^
die sie sich gegenseitig vielleicht hatten zuschulden kommen' lassen,
vor dem, Schlafengeh,en einander verzeihen sollten,^ gemäß der Mahnung
deS; Apostels (Eph. 4, 26): „Die > Sonne gehe nicht unter über eurem
Zorn."
Eine große Verbreitung fand im früheren Mittelalter der Ge-
brauch, im Anschluß an die Predigt den Zuhörern eine allgemeine
Absolution zu erteilen. Dieser Gebrauch ist bereits im 10. Jahr-
hundert nachweisbar. Wie der Absolution, die am vierten Tage der
Diözesansynode erteilt zu werden pflegte, eine -Predigt voranging,
und wie der hl. UMch von, Augsburg, bevor er am Schlüsse der Predigt
die Absolution spendete, das Volk eine allgemeine Beichte (die;offene
Schuld), ablegen ließ, ist bereits oben erwähnt worden. Von Bischof
Salomon III. von Konstanz, der zugleich Abt von St. Gallen war
(•j:i919 oder 920), erzählt der St. Galler. Chronist, wie er einmal in
St. Gallen an einem Palmsonntag im Freien eine Predigt hielt, an
deren Schluß er dem Volke „Ablaß" spendete- (indulgentiam dedit).*
Dieser ,, Ablaß" ist nichts anders als die allgemeine Absolution , die
uns schon so oft begegnet ist.^
,Der Chronist Ekkehard berichtet von einer andern Absolution,
die einmal den Mönchen von St. Gallen gespendet wurde. Jm Jahre 973
hatte Kaiser Otto I. mehrere Bischöfe und Äbte nach St. Gallen ge-
1 Migne LXXXIX 1067. " Bäumer 251.
V- ?i Migne LXXXVII 1099: „Valefacientes invicem et reconciliationi ac
satisfactioni alterutrum insistentes, laxant mutuo debita, et pietate prona, qui
segregatiacoetufraterno obnegligentiamsuamfuerant, merentur indulgentiam."
* Ekkehardus IV, Casus S. Galli. Mon. Germ. SS. II 90. Neue Ausgabe
von G, Meyer von Knonau. St. Gallen 1877, JOl. Meyer v. Knonau (ebd. n. 341)
meint sehr mit Unrecht, Salomon habe den Pönitenten die- bevorstehende Ab-
solution und RekonziHation in Aussicht gestellt.
^ Von der allgemeinen Absolution, tind nicht" von einem Ablaß, ist wohl
auch zu verstehen^ was Cäs arius von Heis te'rbachi (Dial. Vi Sv ed'.^S^
,347) von einer Kölner Marienkirche berichtet, Viubi episcopisdh die Pahiiäruiö
consuetudinis; est f a,cerejindulgentiä^i^'. ^iDasselbe;j§ilt«*vön' der M
Synode vom Jahre 1233, die verordnete:i,,Statutuin füit in'Cohcilio'M^
quoduimp innovandoiprecipimus,^üt episcöpi inCprecip^
faciant, vel se presentibus fieri procurent ad popiilümi'. . . et f aciäht in'dülVr^
gentiam populo." Zeitschriftifür; Geschibhte des Oberrhfeiris'IIB (1852) 137.
Das Mainzer 'Konzil, auf das sich die* Synodeyon 11233 'beruft, gehört' wahr-
•scheinlich der Zeit zwischen 1200 und 1215 aiK-; -Vgl;: !Ij.S teinbörger^iriMitt-
teiltmgen des Instituts für österreichische G«schichtsf orschimgjXXXI (1 9 10 )■ 6 1 6 f f .
Am Anfang des 13. Jahrhimderts war; es in ^Deutschland noch' nicht Sitte, daß
die Bischöfe bei den, Predigten Ablässe erteilten. Deshalb;ist^hierTinter;;indul-
gentia" die allgemeine Absolution zu verstehen. , ■ l i > ; 1 a ;
B. Absolutionen, lebender Personen. 111
sandt, um eine Visitation abzuhalten. Nachdem die Visitatoren, die
von deV strengen Zucht des Klosters sehr erbaut waren, ihren Auftrag
erledigt/ hatten, erteilten sie vor ihrem .Weggange den in der Kirche
versammelten Mönchen, nachdem diese die offene Schuld gebetet
hatten, den Segen und die Absolution.^,
Daß nach der Predigt, im Anschluß^ an, die offene Schuld, die
Ajbsolution nicht bloß, von Bischöfen, sondern auch von einfachen
Geistlichen gespendet wurde, ersieht, man aus einem Schreiben, das
ein gewisser A- ^lus Speier an, einen Erzbischof H. gerichtet hat.^
Bitter bpklagt sich, .der Briefs.chreiber darüber, daßiethche Geistliche,
und zwar redliche und, gelehrte Männer, nach der Predigt das Volk
ersuchen, ein Sündenbeskenntnis abzulegen, und. dann sofort alle An-
wesenden von ihren Sünden lossprechen. .Durch diese „neue Ab-
solution" \\^ürde bei der unerffihrenen Menge die Anschauung erzeugt,
als wäre eine besondere Beichte der Sünden, nicht mehr erfördert.
Der Erzbischof möge doch die neue Ketzerei in ihrem -Entstehen zu
unterdrücken suchen.
Die Befürchtung des Speierer Brief Schreibers war offenbar über-
trieben. Der neue iBrauch fand die, Billigung, der frömmsten und
gelehrtesten Bischöfe. Vom hl,,, Me.inwerk, Bischof von Paderborn,
wird erzählt, wie er im Jahre^ 1016. bei der Konsekration der Kloster-
kirche von Abdinghof dqm zusammengeströmten ■ Volke - nach einem
Sündenbekenntnis, Absolution erteilte.^ Von dem hl. Godehard,
Bischof von Hildesheim, hören wir, wie er im Jahre 1025 nach einer
Predigt zu Gandersheim das, Volk die offene Schuld beten ließ, um
es dann yon seinen Sünden loszusprechen.* Bei einer Predigt, die
der hl, Bardo, Erzbischof von Mainz, im. Jahre 1031 zu Goslar hielte
ermahnte qr die Zuhörer, ein Sündenbekenntnis abzulegen.^ Wenn
auch in diesem Falle von einer Absolution keine Rede ist, so darf
doch die Spendung einer solchen als sicher gelten. Sehr geschätzt
war der von dem hl. Anno, Erzbischof von Köln (f 1075), erteilte
,, Ablaß" und Segen.^
1 Mon. Germ. SS. II 132. Ausgabe von Meyer v. KJaonau 381: „Pergunt
tarid,em in ebclesiam. ad dandas abeunjbibus prosperae sviae, preces abbas cum
fratribus et reeipiendas a tot episcopis benedictiones, data prius confessione,
et a stolatis remissione," ,
, 2 Martene, CoUectio I 367; ff. IMfigne CLI 693 ff. Martene meinte, der
Brief sei an Erzbischof Heribert von Köln.(999-T-1021) gerichtet. K. Hampe
dagegen (Neues Archiv für ältere Geschichtskunde XXII [1897] 379) ist der
Ansicht, der Schreiber sei der SGholastiki:is Adelmann von Lüttich, der Empfänger
aber Erzbischof Hermann IL, von Köln (1036t— 56).
^ Mon. Germ. SS. XI 132: „Ipsa autem die dedicationis eins, per salutarem
confessionis penitentiam generalem absolutionis episcopus poptdo tribuit indtd-
gentiam, proponens eis in serrnone etc."
* Mon. Germ. SS. XI 188:, „Post lectrnn evangelium doctvirus populum
processit et sermone habito . . . accepta circumstantium confessione impertitaque
criminum remissione ad altare rediit."
5 Mon. Germ'.' SS. XI 335.
' Mon. Germ. SS., XI 470. In seinen Predigten ermahnte er „omnes in
commune ut se reos clamarent, ac pro totius, mundi necessitatibios communem
112 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe.
Die Sitte, daß nacli der Predigt eine allgemeine Beichtformel
oder die offene Schuld vom Volke gebetet wurde, worauf dann der
Prediger die Absolution erteilte, fand' seif dem 11.' Jahrhundert eine
immer größere Verbreitung.^ Die allgeineine Absolution,' gewöhnlich
„Ablaß" oder „Antlaß" genannt, wurde in der Regel mit den bekannten
Worten gespendet: ,.Misereatur etGi^, Iiidulgentiam etc.", wie dies aus
verschiedenen alten Beichtformeln hervorgeht.^ dasselbe bez'ejigt in
der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts Honorius Au-güstodunensis ,
der nicht unterläßt, darauf aufmerksam zu machen, daß man, falls
man Todsünden auf dem Gewissen habe, sich mit der allgemeinen
Beichte und der damit verbundenen Absolution nicht begnügen dürfe,
sondern nach wie vor verpflichtet sei, die schweren Sünden im ein-
zelnen zu beichten*.^ Ähnliche Erklärungen finden sich in einer
deutschen Beichtformel, deren Verfasser die Schrift des Honorius
benutzt hat,* und in" den um 1260 erlassenen Statuten des Passauer
Bischofs Otto von Lonsdorf.^ ' ^
Von der im Anschluß an die offene Schuld erteilten Absolution
muß wohl unterschieden werden der eigentliche Ablaß, der hier und
da nebst der allgemeinen Absolution erteilt wurde. So heißt es z. B.
in einer vatikanischen Handschrift nach Erwähnung der allgemeinen
\ Absolution: ,,Die das'Gotteswort^gehört haben' mit rechtem Glauben,
die empfangen zum Tröste ihrer Seele so manchen Tag ihrer gesetzten
Buße."^ Die Zahl der erlassenen Bußtage ist hier nicht näher be-
stimmt, weil diese Bestimmung von dem Wülen der kirchlichen Oberien
abhing, die für die Anhörung der Predigt 10, 20 oder noch mehr Tage
Ablaß erteilen konnten. In Rom, wo es ebenfalls Sitte war, daß am
Schlüsse der Predigt ein allgemeines Sündenbekenntnis abgelegt und
die Absolution gespendet wurde,' läßt sich die Erteilung eines eigent-
, dominum invocarent (Offene Schuld und allgemeines Gebet!) . . . Ab exteris
etiam et remotioribus provinciis ob solam indulgentiae et doctrinae eius famam
plurimi confluxerant, omnibus deliciis praeferentes Annonem audire, divitias in-
comparabiles aestimantes eius indizlgentia relaxari, eivts benedictione praemuniri."
^ Mehrere solcher allgemeiner Beiohtf ormeln mit der damit verbundenen
Absolution! siiid abgedruckt bei K. Müllenhof und W. Scherer, Denkmäler
deutscher Poesie :undJProsa aus dem 8'. bis 12. Jahrhundert. 3. Ausg.- Berlin
1892, I 287 ff.; II 430 ff. E. v. Steinmeyer, Die kleineren althochdeutschen
Sprachdenkmäler. Berlin 1916, 354 ff. Vgl. Fr. Hautkappe, Über die alt-
deutschen Beichten' und ihre Beziehungen zu Cäsarius von Arles. Münster 1917,
116 ff. [Forschungen und Funde IV, 6].
2 Müllenhof I 311 315 318; II 457. Steinmeyer 348 356 360.
3 Oben S; 66. ;
* Müllenhof I 315; II 454. Steinmeyer 361.
•^.U.Schmid, Walhalla V, München 1909, 150: „Sacerdotes bene debent
instruere populum,: quod oonfessio illa generalis, que interponitur symbolo,
quando plebi predieitur, non diluit nisi peceata venialia et non mortalia, nisi
fiat cum contricione specialis confessio et ciuii intehoione satisfaciendi."
«Müllenhof H 459.
' Thomas von Aquin bezeichnet diese Sitte geradezu als „römisch":
„In quibusdam absolutionibus quas Ecclesia facit in Prima et in Completorio,
et post praedicationem secundum morem Romanae Ecclesiae, et in
die cinerum et coenae Domini." De forma absolutionis, cap. 2. Opera' XX 450.
B. , Absolutionen lebjsnder Personen. • ^ ' 113
lich,en Ablasses,, in Yerbindimg.init.der allgemeinen Absolution bereits
im 12. Jahrhundert nachweisen.^ / ,, •. }i . ,
.> .Im Laufe; des 13. Jahrhunderts ;Wurde es üblich,., daß auch die
Bischöfe bei , den nfeierliehen, Hochämtern: am Schlüsse der Predigt
nebst. der, allgemeinen <Absolu;bion, einen partiellen Ablaß erteilten. ,In
wel9her :)^ei,se dies zu, geschehen .pflegte, schilde;rt ,W. Durantis in
seinem yielyerbreiteten Liber Pontäiealis;^, der ;z wischten 1292— 95,enbr
standen ist.' , Noch ausführhcher handelt darüber das römische Pontifi:
kale, das zuerst Augustinus Patritius Piccolomini und Johann Burchard
im. Jahre 1485 zu , Rom /herausgegeben haben.* Daß, .der. alte Brauch
heute noch fortbesteht, sei nur, im 'Vorübergehen bemerkt:^, ,
Nicht >nur in dem- Pontifikalainte, auch ,b,ei, andern Gelegenheiten
wurde bis\Yeilen mit der Ve:^kündigung von Ablässen die .offene .Schuld
und die. allgemeine Absolution verbunden. Durch reumjitiges Sündenr
bekenntnis sollten die Gläubigen, sich auf die Gewinnung des Ablasses
vorbereiten. Zu Volturno z.. B.,in Süditalien, ;wurde bpinisKirphweihr
feste . zuerst der , zu- gewinnende Ablaß • yerkündigt ; , 'dann ! .wurden , die
Gläubigen aufgefordert, die offene Sphuld zu beten, w,orauf /ihnen ,der
Priester die Absolution erteilte.^. ,, > > i ' .- > .
d) Allgemeine Absolutionen ffir verdienstlicbe Lefstannen. ,
f\, Den generell erteilten. Absolutionen ,bei verschiedenen kirchlichen
Anlässen reihen sich, die Absolutionen an, t die für j besondere verr
dienstliche Leistungen generell (gespendet wm-den. Zunächst sind
die. Verheißungen zu besprechen/ womit man die. Beobachtung des
Gpttesf;riedens,zu fördern suchte.^ Nach verschiedenen Versuchen
südfranzösischer. Bischöfe,,, dem Fehdew:esen s und, dem, Faustrechte
Den Brauen der römischen Kirsche bezeugt; die kurz, vor 1145, verfaßte, von
^L. FiscHer herausgegebene Schrift: Bemhardi 'Cardirialis et'Lateranensis Eo-
clesiae-prioris Ordo ' of f ioium ' Ecclesiae lateranerisis.'^ MüncKen 1916, 78"' 82
[Historische Forschxingen und, Quellen. , 2. ü. 3.<Heft]ii ■>
^ Vgl. in Abschnitt. 'XXVI die Ablässe der römischen Kirchen.
2 Die betreffende Stelle ist aus dem noch imeedruckten Pontifikale mit-
geteilt von Marten'e,'De ritibus I 381: ,,Praedicatiöne finita,'fit confessio gene-
ralis vel per diaconum ' vel' 'per sacerdo'tem * riiihistrum,' populo devote genua
flectente et eademtacite dicente. Confessidne facta, ooncedit indulgentiam,
set demum mitr^a sibi,per diaconum ,deposita, ,faoit absolutionem." In seinem
oft gedruckten Bationale di^inorum officiorum ^(Lugduni 1516, 52) spricht
Durantis nur von der allgemeinen 'Absolution, nicht vom Ablaß, weil er hier
.den , Gottesdienst .schildert, wie er ,von einfachen - Priestern,- die ;keinen Ablaß
erteilen konnten, gehalten wurde: „Post praedicationem fit confessio et indul-
gentia pro commissis et omissis conceditur, ut sie conscientiis emundatis', aceedant
.singuhi'ad communionis sacramentum, quod mox in missa vel saeramentaliter
-vel spiritualiterirecepturi simt."^
^ P.' B gitif f ol , Le Pontif icaLde G. Durand, in Bulletin d'ancienne litterature
et d'archeologie^chretiennea ,11 (1912) 290 ff; III (1913) 142.
, <? Liber Pontificalis. Romae 1497, 211 f. 217. Über dies Werk vgl. B atif f ol,
Bulletin II 134 ff. , , .
^ Caeremoniale episcoporum, lib. I, cap. 25. Ratisbonae 1902, Vgl. dazu
J. Oatalanus,' Caeremoniale, episcoporum I, Parisiis 1860, 486 ff.'
" Muratori, Scriptores I>2, 517. f.'
Paulus, Geschieht« des Ablasses. 8
114 II. Mittelalterliche Absolutionen 'als angebliche Ablässe.
durch; Friedensbündnisse Eiiihalt.zu'tun^' würde der -Gottesfriede 'kurz
vor der Mitte des 11. Jahrhunderts zuerst in Frankreich aufgerichtet
und -verbreitete sick 'bald nachher auch über die benachbarten Lander.
Gleicli am Anfange wurde denjenigen; welche die Friedehsbestrebuhgen
unterstützen würden, die Verzeihung der Sünden in Aussicht ges'tellt',
so in dem Schreiben, das um 990 Bischof Guy von Le'Puy mit einigeii
äiidern Bischöfen an die Gläubigen 'gerichtet 'hat.^ ' Hiermit 'wurde
äberkein Ablaß erteilt; es wurde bloß die Überzeugung' zum 'Ausdruck
gebrächt, daß' man durch die gewissenhafte Beobachtung des Friedens^,
als 'durch ein frommes, Gott wohlgefälliges Werk- -die Verzeihung der
Sünden erlangen könne. Andere' Synoden begnügten* sich, 'den Bedb-
ächitern der Friedensmaßregeln den Segen Gottes' 'anzuwüris'chen, so
iäie Synode von Anse bei Lyon im Jahre 994, und diejenige' vön'-Elna
im 'Jahre 1027 oder 1047.^ Deutlicher spricht sich die Syiiode voii
Limoges im Jahre 1031 aus. Im Namen" Gottes ^erteilt'sie jefien, die
den Frieden halten werden, die 'Absolution der Sünden", während den
Friedensstörern die Exkommunikation angedroht wird.^ ' Daß 'aber in
diesem Falle die Absolution', ' wie sonst- oft in frührtiitMalterlichen
Kundgebungen, nur als Segenspendurig' aufzufassen sei,* ergibt sich aus
der eigenen Erklärung der Konzilsväter. , Am Schlüsse der ersten
Sitzung' feteUte e'iner der Bischöfe den" 'Antrag,* daß alle Teilnehmer
miteiinander in die Kirche sich ' begeben ' sollten, um dort dem ^ Volke
-die gefaßten Beschlüsse zu 'verkünden und den Liebhabern des -Friedens
■den Segen (benedictionem) zu verheißen, die Friedensstörer' aber mit
demiiFluche zu bedrohen.^ Dieser Aufforderung wurde 'Folgen geleistet,
iln« der Kirche 'hielt dann der Bischof von'Liinoges während des Amtes
nach dem ' Evangelium eine Rede, worin er- den* Beobachtern' 'des
Friedens die erwähnte Absolution in Aussicht stellte, die^ Friedens-
brecher aber mit deni Fluche bedrohte. Einige, Jahre spater, z'wiscfien
1037— 41, erließen Erzbischof Raimbaud von Arles,i die j Bischöfe
Benedikt von Avignon und Nittard von Nizza, mit dem Abt Odilo
von Cluni, im Namen' des französischen Episkopats ein Schreiben an
"deii Klerus von Italien, um zur Haltung des .Gottesfriederis aufzu-
fordern. In dieser Zuschrift wird den Freunden des Friedens, die
.Absolution in Aussicht gestellt: Jene, die den > Gottesfrieden halten,
sollen von Gott, von aUen Heiligen und Gläubigen jetzt und immerdar
absolviert sein. Wir segnen und absolvieren sie alle.^
■; -■■■■ ■■-■: ° II'
. /^ Gallia Christiana II. Instrum. 226: „Ut remissionem pecoatoruin
-vestrorum consequi valeatis, procurante D. N.> lesu Christo." >
!; 2 Mansi XIX 102 484. '
: i i ^ Ebd. 530: „Haec qui observaverit, tanquam filio pacis,' immo' Dei, a D.
N. lesu Christo et sanctis apostolis eius, absolutionem oonferimus pecca-
torum et benedictionem aeternam; ut sicut Dominus beato Petro . . . caeterisque
apostolis virtutem atque potestatem ligandi atque solvendi tribuere dignatus
. est, ' ita a pecoatorum nexibus absolvere dignetur eos, qui de pace et iustitia
Deo et nobis, qui eius vice licet indigni fungimur, obedire festinaverint."
* Ebd. 629.
^ Ebd. Ö94 f.: „Quicumque hanc pacem et treuvam Dei observaverint
ac firmiter tenuerint, sint absolut! a Deo ... de S. Maria cum ohoris virgiuum
■-.' j/^ Bi 'Afesolutidrien' lebender 'Per'sbnen.'' ''< ■^•- ■- llS-
! ' "Wenn der Mäilände'/ Chronist Länäulf; der 'offenbar däS^Schreiben,
der frarizösischen 'BiscHöfe' gekannt ^hä't; 'berichtet,' den Förderern des-
.Friedens "sei' '.verheißen' worden,' • daß" sie durch'die Barmherzigkeit
Gottes;'-v:önfällen''Sün:den'befreit'werden'Sollen,'^'so wiederholt er^nür^
was ' er ■ in -'seiner Vorlage gelesen ' hattel ' Wie '< man ■ aber' in^ Italien ' die-
verheißene* ) Absolution auffaßte,'' 'zeigt - das'' 'Schreiben, '' welches ' deir"
lömbardische Klerus im Anschluß an die' aus .Frankreich gekömriiene
Auf f orderung 'erließ : es wird darin' den Beobachtern' des Friedens 'bloß
der- göttliche- Segen* in Aussicht gestellt.'^ Auch in' den' 'Aufforderungen
zur Haltung des Friedens; die im'- Jahre 1042 in der 'Normändie^ und
einige Jahre später in der'Biözese Therouanne^ erlassen wurden,* ist
nur .von Segen die' -Rede. Dasselbe 'gilt von dem- Dekrete der Synode
von Narbonne aus dem; Jahre 1054^ «und einem Hirtenschreiben Ivos
vonChartres aus dem- Jahre '1095'' oder 1096.® Dagegen stellt eine
spanische, in, der, zweiten, Hälfte, des 11. «lahrhunderts zu, Ausona.
gehaltene Synod^e iwie^der j im . aUgemeinen>^ die j ^Verzeihung der ; S^iinden.
in Aussicht.'? Erst , gegen . Ende des IL. Jahrhunderts wurden den
Förderern , der Friedensbestrebungen,' Ablässe, verliehen.-- '
, -Es ,sind.je|bzt np.ch die Absolutionen zu besprechen,, die, häufig
von Bischöfen den Wohltätern von Kir,chen , und Klöstern
verheißen oder erteilt wurden. In mittelalterhchen.Schenkungs-
Urkunden wird sehr, oft, dem Gedanken Ausdruck gegeben, daß man
durch Almosen und, fromme Stiftungen leichter yon Gott die Nach-
lässung der ^S.ünden, erlangen könne, . , Daher kommen- in diesen ,XJr-
künden so häufig Formeln, vor wie die, fplgenden: ,,,Pro,,remissione'',
oder „pro'absolutipne^'',, od,er „pro, resdemptione .peccatprumjmesorum";
„ut indulgentiam. peccatorum meorum.v obtinere merear." ■ Auch die
kirchlichen Oberen stellten öfters bei Aufforderung zur Unterstützung
religiöser Anstalten den Wohltätern ,die Verzeihung ihrer Sünden in
Aussicht.' Biiien Ablaß wollten sie darnit' nicht erteilen, sondern. bloß
auf die siindehtilgende Kraft der Almosen hinweisen. Auch wemi
sie dem Almosenspe'nder die Nächlassung der Sünden nicht bloß ver-
et de S. Miohaele cum choris angelorum et de S. Petro princip® apostolorpm
cum omnibvis sanctis etlfidelibus cunctisnuno et semper et per omnia saecula
saeculorum . . . Omnes, qui hano pacem et Dei treuvam amaverint, benedicimus
et absolvimüs, sicut 'superius dictum est." •
1 Mon. Germ. SS. VIII 68.
2 Mon.iGerm. Legum Sectio IVi Tom.'I'(1893) 598: „Benedict! sint a Deo."
3 Mansi XIX 599.
, * Mon. Germ. Leg. Sect.'lV."I' 601. ■ ' "^
; 5 Mansi i XIX 828: „Benedictionem sempiternäm ab ipso lesu Chrigto
Domino et salvatore nostro percipiant." Lea 55 sieht in dieser Verheißung eine
' Art Ablaß von Sehidd und Strafe : „This is a sort of precatory indulgence a culpa
et a poena, forno repentance aiid confession are prescfibed — the mere fact of
not violating the truee is represented as sufficient to counterbalance all sins."
« Migne CLXIIi57. >
' Villanueva VI 323: „Deus gratiam 'suae benediotionis illi praebebit;
et per hanc observationem remissionem ' omnium peccatorum suorum habere
poterit." ' - ■ ' . • , ■ '
8*
116 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe.
heißen oder anwünschen, sondern ihm, ausdrücklich , eine Absolution
erteilen, darf man .diese Absolution nicht; ohne weiteres als Ablaß
betrachten. Sehr oft ist es nichts anders als eine Fürbitte oder, ein
besonderer Segenswunsch, wie wir in den vorangehenden Ausführungen
öfters gesehen haben. rEs sei hier nur noch auf- eine bemerkenswerte
Formel in Schenkungsurkunden aufmerksam gemacht. ' Öfters heißt
es in diesen Urkunden, man mache diese oder 'jene Stiftung,, um Vom
hl.Petrus absolviert zu werden, „ad obtiriendam S.Petri absolutibnßm''.^
Es ist klar, daß unter dieser vom. hl. Petrus gespendeten Absolution
nur eine Fürbitte verstanden werden kann,-. wie ja auch in; manchen
Urkunden ausdrücklich von Fürbitte die Rede ist.^ Dieselbe Be-
deutung hatten öfters die Absolutionen, die von ;Bischöfen den Wohl-
tätern religiöser Anstalten gespendet wurden. Etliche dieser Ab-
solutionen sollen hier in chronologischer Ordnung ■ auf geführt werden.
In dem 977 von Bischof Miro von Gferona und ändern Bischöfen
unterzeichneten Stiftungsbrief der Benediktiner abtei 'St? Petrus' in
Besalu wird der Wunsch ausgesprbclien',' daß die. Wohltäter des
Klosters durch Vermittlung 'des hl. Petrus aller" Süiiäen Ißdig wef4en.^
-Derselbe Wunsch wurde im JaKre 1003 bei'dbr Einweihung der Abtei-
kirche von andern Bischöfen wörtHch wiederholt.* Die Bitte, daß
Gott den Wohltätern alle ihre Sünden erlasseh möge, findet sich
wieder in der Konsekratiohsufkünde eines andern spanischen Klosters
(monasterium Lavacense) vom Jahre 1017.^ Etwas anders' läutet die
Urkunde, welche die im Juni 1035 zu Cüxa in der Grafschaft Roussillon
versammelten Bischöfe zugunsten dieser Abtei ausgestellt habisni'mit
der Erteilung des Segens verbiii(ieh"die Bischöfe die 'Bitte" an' Gott,
er möge die Wohltäter des' Klosters von jeglichein Bande der Sünden
befreien.^ ■ ' ^
Daß es damals etwas ganz Gewöhnliches war, „Segen" und ,, Ab-
solution" miteinander zu verbinden, zeigt eine andere Urkunde vom
Jahre 1035, "v^orin der Erzbischof Leger von Vienhe den Insassen
^ A. Bruel, Recueil des Chartes de Cluny III, Paris 1884, 1: „Spem
in'divina miseratione constituens et intercessione S. Petri . . . dispono aliquod
elemosine facere, que ad obtinendam aetheri clavigeri absolutionem . . . mihi
valeat prodesse." Vgl. III 80: „XJt me S. Petrus- . , . absolvat ab omni vinculo
peccatorum meorum."
2 De vi II 215; ,,Ut nostrorum peccatorum vincula praefatorum sanctorum
intercessionibus absolvantur."
^ Marca 921: „A Domino lesu Christo, suffragante eodem apostolo
(Petro) . . . potestate sibi tradita ab omnibus solvantur suorum vinculis pec-
catoriun."
4 Villanueva XV 269.
^ Marca 1013: „Dimittat illis peccata illorum, praeterita, praesentia et
futura."
« Mabillon, De re diplomatica. Parisiis 1709, > 616. Mansi XIX 575:
„Qui hunc locum exaltaverit vel de suis benefioiis honoraverit et defenderit,
himc de parte omnipotentis Dei et omnium Sanctorum eins et nostra benedicimus,
et ut illum Dominus ab omni vincvdo delictorum absolvat, oramus."
u'' B,> ''Absolutionen lebender Personen. "' - > 117
eines Klosters, die ^' seine Vorschriften ' befolgen würden, den Segen
und die'<Absolution' der-^ Sünden* erteilt.! .' •-
' Im' Jahre 1052 gründeten einige Gläubige^ „pro remedio animarum
suarum süoruinque'parentuni' et absolutione su'orum peccami-
rium", 'eine Kirche ^uLa Motte, in der Diözese Frejus. Erzbischdf
Raimbaud' von Arles und -Bischof Bertrand!' von Frejus - bestätigten
die Stiftung^ und stellten dabei den -Wohltätern der neuen Kirche
diei' Verzeihung' der- Sünden in Aussicht.'' Ein Ablaß wurde damit
nicht erteilt; Die Bischöfe^ bekräftigten bloß mit ihrer Autorität den
Glauben, daß 'man- durch' ; fromme Stiftungen (üe- Verzeihung der
Sünden, erlangen könne; Wenn sie dabei als Bedingung eine' reu-
mutige Beichte aufstellen, so betonen sie nur; was in 'mittelalterlichen
Quellen-öfters hervorgehoben wird.^ ■ ' ■ . -^ ^
Bloß als Fürbitte und Segenswunsch ist die Absolution zu be-
trachten, die 'im' Jahre 1056 eine auf ^Befehl- des Papstes Viktor II. zu
Toulouse. ^abgehaltene Synode den Wohltätern der Abtei Moissao
erteilte.* 'Dasselbe gilt voii der Absolution, die Bischof' Bernhard
von Urgel in den Jahren 1079 und 1080 den lebenden und verstorbenen
Wohltätern' zweier Kirchen 'gespendet hat.^ ' '
' Ein bloßer Segenswunsch war es, wenn bei der Konsekration der
Kirche von Gissöhä "(Diözeseürgel) im Jahre 1099 die anwesenden
Bischöfe für die Wohltäter) des neuen' Gotteshauses die Nächlassung
der- Sünden' erflehten.* - Auch die öfters vorkommende allgemeine
Verheißung' der Verzeihung der 'Sünden hat mit dem Ablaß nichts
gemein. So forderten z. B.-im Jahre 1086 die Bischöfe bei der Ein-
weihung der Kirche von Balnebl die Gläubigen auf, am jährlichen
Kirchweihfeste die neueingeweihte Kirche zu besuchen,- um von Gott
die Verzeihung der Sünden zu erlangen.' Als im Jahre 1097 die Mönche
von Farf a ihr Kloster neu aufbauen wollten, erließen sie einen Aufruf,
worin sie allen Almosenspendern die Verzeihung^ der Sünden, die sie
^ U. Chevalier, Cartulaire de l'abbaye Saint-Andre-le Bas de Vienne.
Lyon 1869, 153: „Observantibus hec et communem."vitam regülariter deside-
rantibus benedictionem et peccaminum absolutionem damiis."
' • " Guer ard,' Cartulaire de Säint-Victor I '650: ',7Decreverunt ut quicunque,
confitens e.t penitens suorum peccaminumj venerit ad hanc domum eamque de
suis bonis ditaveritet honoraverit, intercessioiie sanotorum'martirum, quorum
nomine' sacrata " est;' suorumque auctoritate veniam hinc ab omnipotenti Deo
sciat se promereri et omnium benef actorum et orationum f idelium servorum Dei
in cenobio S. Victoris degencium partem habere in secula seculorum."
^ Als im Jahre 1209 Bischof Hugo von Coutances zur Unterstützung eines
Spitals ■ aufforderte, bemerkte er: „Per , . . misericordiae opera . . . peccata . . .
post veram cördis contritionem orisque confessionem credimus relaxari." Gallia
Christiana XI. Instrumenta 263.
i ' * Mansi XIX 866: „Adiutores et benefactores'consequantur benedictionem
et absolutionem pontificalem."
5 Oben S. 54. ^ ' ' -
■ ^ Maroa 1211: „Benefaeie'ntibus sit salus et pax et peccatorum remissio
et supernae ha'ereditatis adquisitio. "■
' Marca 1183: „Omnes simul conveniant ad praelibatam e'cclesiam, vib
a Deo remissionem et absolutionem suorum peceaminxim percipere mereahtur."
118 II. Mittelalterliolie 'Absolutionen als angebliche Ablässe.
■wahrhaft bereuen, iwürdenj^yerhießen.^,. .Um ,,die- vollkommerie!Nach^
lassung aller seiner Sünden" zu . erlangen, i bestimmte ider^'^Abt) selbst,
Berardus II., daß >verschiedeiie seinem- Einkünfte. für. den Neubaul ver-
wiendet werden, sollen.^ ,;Bei einerr^Kirchenkonsekration im (Jahre 1112
Stelltender Bischof -von Bar.celQna und .dessen^ Kanoniker, den Wohl-
tätern der Kirphe die .Nachlassung, der; Sünden ^ in /Aussicht.^ ,'Eiiie
ähnliche Verheißung machten' ,um 1138*der Bischof von Magüelone
den ilnsassen' eines /Leprosenhauses für.; den Fall;; daß. sie. die .vonahm
erlassenen Statuten genau bef olgten,! und im Jahre 1142 die Bischöfe
von Barcelona und Ausona den -Wohltätern einer Kiröhe inAlfolz.*
^> Weiter nichts als eine SegenspendungfUndeine .Fürbitte umiNach-
lassung der Siinden enthält _auch,,das Privilegium, das im! Jahre. 1120
Bischof Burchard von Ca m br ai i zugunsten der ► Mitglieder ieiner
Bruderschaft in St. Ghislain ausgestellt- hat!* w" i,, ;* 'i-
; , ©aß unter der. Absolution, "die, im früheren, Mittelalter so häufig
erteilt wurde, oft- nur- ein' Segenswunsch zu verstehen ist, »zeigt > mit
besonderer Deutlichkeit eine .bischöfliche Urkunde aus-Sü'dfrankreich.^
Im Jahre. 1157 fand die Konsekration- der ineuerbäuteii .Kjrchel von
Notre-Dame d'Arles in Eoussillon statt, i Indem; die anwesenden
Bischöfe bei dieser Gelegenheit die Besitztümer, und die ,Brivilegien
der Abtei bestätigten, erteilten sie; allen, welche die Rechte' des Klosters
achten würden, den Segen und die .Absolution: „Quicünque adiutor
et v.defensor nostrae constitutionis extiterit, ex parte Dei^omnipotentis
etrjb. , virginis Mariae et nostra. benedicimuS' euni/et' absolvimus
perenniter."' Wie aber diese Absolution zu verstehen,. sei,, ergibt
sich aus der Urkunde, die- etwa hundert, Jahre früher (1046) ebenfalls
bei der Konsekration , der Kirche von Notre-Dame d'Arles von mehreren
Bischöfen ausgestellt worden war. In. dieser Urkunde heißt es nämlioli:
1' Giorgi, Regesto di'Parfa V' 156: „'Qtiictmque'huio sancto operi aliqiiod
adiutorium fecerit, peccatorum suorum remissionem, de quibus veram poeni-
tentiam habuit vel habiturus est, per merita beatae Mariae et sibi assidue ser-
vientixun famulorum orationes optinebit." ,, ^
2 Ebd. 158.
3 Marca 1237: „Cunctis ei iusta servantibus et benefaoientibus remissionem
peccatorum per Dei gratiam promiserunt." .,
* Gallia Christiana VI. Instrumenta 365: „Si.haec mandata . . . observa-
veritis, remissionem omnium peccatorum vestrorum et vitam aetemam de Domino
lesu Christo habebitis."
^ Villanueva XVII 320: „Benefaoientibus absolutionem peccatorum per
Dei gratiam promiserunt."
• Reiffenberg, Monuments pour servir ä l'histoire des provinces de
Namur, de Hainaut et de Luxembourg VIII, Bruxelles 1848, 348: „Caritatem
in honore apostolorum Petri et Pauli et b. Gisleni ibidem constituimus , eo
quidem tenore ut qxiicumque pro anima sua eiusdem Caritatis , confrater vel
consoror esse voluerit, indulgentiam et absolutionem etrP.eccatprurn remissionem
atque benedictionis nostrae plenitudinem obtineat." Man beachte, daß det Bischof
die Formel der mit dem Konfiteor verknüpf ten allgemeinen
„Indulgentiam, absolutionem et remissionem, peccatoruniyyestrorünxft^^
yobis .. > . Dotnimis.": ..;;. ■t\ ^:. ^.-^v,: ]:::.':.■ •';■'/;:;':;;;'],,; x^-:i:ii:\';,..- '.
' Marca.1322.. ,";..,,,.' . ,- .:;,:.,:.;:;. .^;. ,,^\;vo;,.:.;;j,-:U -/.i;
B. Absolutionen lebender Personen, 119
„Si <iuis liuius nostrae constitutionis adiutor extiterit, hrnic de parte
Dei omnipotentis et b. Mariae virginis et nostra benedicimus et ut in
perpetuum salvus maneat peroptamus."^ In beiden Fällen
wollten offenbar die Bischöfe demselben Gedanken Ausdruck geben.
Während aber die einen einen Segenswunsch aussprechen, erteilen die
andern eine Absolution. ... ^^
Wie häufig im Mittelalter ■ dlfe Aüsdrüdke „Segen" und „Abso-
lution", als.. gleichbedeutend, gebraucht, wurden, ersieht man auch aus
dem ,;Liber Lähdäverisis",' einem um die Mitte des 12. Jahrhunderts
zusammengestellten tJrkundenbuche der Kirche von Llandaff in Süd-
wales;^"!" ''* ■ " ' " ^' ' ' ' '\ ''' \ •", ' '" ' ■"'
' ' 'Hieraus" 'ergibt sich,' wie sehr man'-irregehen -wiirde, wollte man
ähnliche -Absolutionen^ des- früheren. Mittelalters- ohne 'weiteres als
Ablaßfeewilligungeii 'betrachten. >■ ■. ' ' ^ ,' '
'^ Mafca 1090 f.'' Dieselbe Formel findet sich in der Konsekrationsurkunde
der Abteikirche, .vpn> Ripoll aus^ dem, Jahre 1032 (Marca 1052), von Palera aus
dem, Jahre '1085 (Espafia sagrada ,XLIV, S. XV), von Balneol aus dem Jahre
1086 (Espana sagrada X-LIII 444)., ., u. . -
'' " »'The Text'ofibhe'Book-ofLlan'Däv, by'.J. G. Evansl^ Oxford 1893. Am
Schlüsse der 'Vom^'Köinpilatori überarbeiteten Schenkungsurkmiden* heißt es oft:
„Quieunque'icustodierit;(,benediotus sit"; oder: i„I)ata benedictioiie ,omnibm
servaturis haue, donationem'*. S. 232 233<23ö 237 2,73., öfters lautet auch der
Schlußsatz: „Quicunque oustodierit, sit absolutus a peccatorumsorde"; oder:
jiFactä absolutibne omnibus seivaturis hanc elemosinäm". Sl' 236,237 272 275.
1 f >
. /> ■ ' i
III. Die Formel:
In remissionem peccatomm iniüngimus.
Wie die im vorangehenden Abschnitte besprochenen Absolutionen,
so hat auch die Formel '„in remissionem peccatorum iniungimus" eine
verschiedenartige , Deutung gefunden.. Einige haben^darin eine positive,
Sündenvergebung finden wollen; andere haben sie als AblaßbewiUigung
aufgefaßt ; wieder andere meinten, es sei kaum mehr als eine „rhetorische
Floskel' ',i,:eine geistliche Höflichkeitsphrase,' der (jeder tiefere Sinn ab-
handen gekommen wäre:'* Die Bedeutung der vielbenutzteri Formel
\vird' leichter zu bestimmen 'seih,' wenn" z^ vor gezeigt wird, welchen?
pebrauch die Päi)ste davon im 11. und J2.VJalirkühdert'gemacht habe^
Schon imi früheren Mittelalter,,, wie oben bemerkt worden,^ kommt
in Schenkungsurkunden für Kirchen und Klösterüdie Formel -„in
remissionem peccatorum meoruin" oder-,, pro' remissiöne; peccatorum
ineorüm" überaus' häufig vor.* Die , Gläubigen ' bekünäeteh damit
ihren Glauben an die sündentilgende Kraft der guten Werke. In
päpstlichen Schreiben erscheint indessen die eigentümliche Formel „in
remissionem peccatorum iniungimus" erst in der zweiten Hälfte des
11. Jahrhunderts.
Von Leo IX. wird berichtet, er habe die Formel gebfaucht im
Jahre 1049 in einer mündhchen Anrede, um den Grafen Adelbert "von
Calw zu bewegen, die von dessen Vorfahren der Abtei Hirsau ent-
rissenen Güter wieder zurückzuerstatten. Dieser Bericht unterliegt
jedoch berechtigtem Zweifel, da er erst am Anfang des 16. Jahr-
hunderts bei Tfithemius sich Vorfindet.^ Daß .aber die Formel bereits
um die Mitte des 11. Jahrhunderts bekannt war, zeigt der oben
^ Lea 58 n. 4. .
^ So L. K. Goetz, der in Revue internationale de theologie II (1894)
302 ff. 431 ff. eingehend von der Formel handelt. Vgl, 448. Anfänglich habe
jedoch die Formel eine tiefere Bedeutung gehabt: „Wie der Text, ■ besonders
zu Beginn des Gebrauches des Ausdrucks, deutlich zeigt, war es seitens des
Papstes nur ein Aussprechen der Überzeugung, daß derartige Werke, für die
Kirche getan, bei Gott Sündenvergebung erwerben." S. 447.
3 Oben S. 59.
* Vgl. z. B. eine Schenkung für das Kloster Weißenburg vom Jahre 7,74:
„In amorem domini nöstri lesu Christi et remissionem peccatorum meorum",
oder eine Schenkung vom Jahre 951 für das Straßburger 5([ünster : „Pro remissiön©
peccatorum nostrorum." ürkundenbuch der Stadt Straßburg I 9 31. '
^ Trithemius, Annales Hirsaugienses I, S. Galli 1690, 190: „Haec tibi . . .
authoritate omnipotentis Dei in remissionem tuorum peccaminura seriöse in-
iungimus."
m.,' Die. Formel: In remissionem peccatorum, iniungimus.' " 121
erwähnte 'Brief,! 'worin der englische König Eduard der Bekenner
im Jahre 1061 -dem Papste Nikolaus II. meldet/ Leo IX. habe ihm
befohlen, zur Vergebung aller seiner Sünden ein Kloster zu stiften.^
' ' Von Gregor VII. behauptet Sigebert von Gembloux in einer 1103
verfaßten polemischen Schrift, er habe der Gräfin Mathilde' zur Ver-
gebung ihrer Sünden befohlen,; König Heinrich 'zu bekämpfen.^ Wie
es sich' mit dieser Nachricht verhält, muß dahingestellt bleiben.^ Sie
beruht wohl auf einer anonymen Lebensbeschreibung Anselms von'
Lücca, worin' erzählt wird,' Mathilde habe von Papst Gregor zur Ver-
gebung ihrer Sünden den Befehl 'erhalten, wie eine andere Debora
das Volk zu richten, Krieg zu führen und sich den Häretikern und
Schismatikern entgegenzustellen.* Bei Anselms Biograph Bardo, den^
der anonyme Autor ausgeschrieben hat,^ fehlt diese Nachricht'. ', Bardo
berichtet bloß, wie er selber vom ' päpstlichen Legaten' Aiiselm be-
auftragt worden sei, vor' dem Treffen bei Sorbaria den Truppen der
Gräfin Mathilde den Segeii zu' spenden und, sie „zur Vergebung aller
ihrer Siinden" zum Kampfe aufzuf6rdei:n. ^Wie derselbe Bärdo! erzählt,
hat Anselmvbr seinem' Hinscheiden^ die ^'Umstehbriden' ermahnt^ zur
Vöfgebiing ihrer Sünden der 'Lehre Gregors ' treu' zu bleiben.^'
Urban II. hat wiederholt unter Hinweis auf die Sündenvergebung
zu irgendeinem guten Werke aufgeJfordert.^ lin Jahre 1094' empfahl er
mit dieser Formel dem Grafen Robert von Flandern den neuernannten
Bischof von Arras.' Als irn' Jähre 1096 während seines Aufenthaltes
in Tours die dortige Martinskirche ein Raub der Flammen Avurde,
ermahnte er die Gläubigen, zur Vergebung ihrer Sünden zum Neubau
der Kirche beizutragen.^ In ähnlicher Weise hat er 1089 zur Unter-
stützung der Kirche von Tarragona, auf gefordert'.^ Derselben [Formel
1 Oben. S., 72. ^ ^^ ,,,-.>
' Mon! Germ. Libelli'de lite Imperatoruiri'et Pontificum II (1892) 464.
* O. Volk (Die abendländisch -hierarchische Kreuzzugsidee.' Halle 1911, 25)
meint, sie ,;beruht wohl nur auf Gerüchte". .lÄhnJich G. Meyer v. Knonau,
Jahrbücher des, deutschen Reichs Jim ter Heinrich, IV, und V. III, Leipzig 1900,
457 n. 30. A. Överinanii (Gräfin Mathilde. Innsbruck 1895, 149 151) spricht
davon wie von einer feststehenden Tatsache.
• * Mon;'^Germ."SS."XX 694.
^ Daß die sogenannte Anselmi vita primaria nur ein Auszug aus Bardos
Vita Anselmi ist, weist G. Waitz nach"im Neuen' Archiv für'altere deutsche
Geschichte V (1880) 222 'ff. » Oben S. '83 f :
^ Migne CLI 385: „Eum et ei commissam ecclesiam nobilitati tuae litteris
praesen'tibus commendamus, et in peccatorum tuorum remissionem praecipientes
ut eum debita obedientia venereris, tuearis, adiuves, atque ad restituenda ipsius
ecclesiae bona auxilii tui brachium modis omnibus porrigas." Vgl. 406 das Schrei-
ben an Robert vom '11. März 1095: „Pro vestrorum peccaminum remissione
omnibus modis laboretis", daß der Bischof von Arras die Güter seiner Kirche^
zurückerhalte.
8 ' 7,Mandavit papa onlnibus quod in remissionem peccaminum isti ecclesiae
subveniant." Chronicon Tiu-onense, bei A. Salmon, Recueil de chroniques de
Touraine. Tours 1854, 129. Mon. Gerni. SS, XXVI 461.
• Migne CLI 303:' „Vobis inpoenitentiam peccatorumque remedium man-
damus." Die Echtheit dieses Schreibens steht allerdings 'nicht ganz außerZweifel
122 III; Die Formel t'In; remissionem -peccatöruiii' iniungiihus.' '
bediente; isiokjXJrlDajiin. m, seüteniriSßhieilbeiiilyon^
zedchimng des YGsUkpmmienenriAWa^sg^
verlij^lien ihatte.^> I AucL Chj^nisteiit jener? Zeit ja^^
von Reims,?, Bernold von Konstanz^ cund Cafarijvon 'Genua,* berickten,
Papst Urban habe den, Gläubigen 'die. Beteilij2;unff lam Kreuzzuge zur,
Yereebune inrer, , Sünden : anempf pnlen. , i j ./■ . , . . » : , ; ; o ,.,L a ; . ,„ , , , i -
.■ Unter ; Pasciialis;!!. wird die fMänniinffsformel mit ;dem .Hinweis
auf ; die, Sündenvergejbm
Papst.nat'sie , öfters, gebrauciit, und w
Anlässen. . In. einem Prozeß. zwiscHen! Mönchen und, einer , Kirche,, von
Arles .befahl, er (1113— 14) jdßn^besteUteii; :öcmedsrichtem;;,,zur:T^
gebung „(der Sünden", ein gßreelitesj Urteil zu fallen.^, ;Esä :lieigt4 auf
der Handjj daßhiefmit Kein vollkommener Ablaß' erte
Papst hat sicher den Richtern für die Erfüllung einer Vgewöhniichen
!^eruf sjrfhcht nicht^ 41^1 g^ß??v ■^^^i'^iPK'? g^^^^^^fi^9UßJP^> r4^i l^s
liiEdp liüjdüe,^ b€3öli^
: ! '; Angesichts dieses Schreibens : wird -ittäii einem andern ^Briefe.: der
schon öfters falsch aufgefaßt .worden- is.t, keine aUzü große ..Bedeutung
beilegen- dürfen. , Unterm^ ,21.,; Januar «llOS hatterPaschalis ■ 11; den
Grafen Robert Von F^^^
dert; ttjiwti^ Kleiju^^' der für^^järaL^ geibämnten^
Partfei ergriffen ]ia|tie',' zu" züxjhtigeii.* )'; Iirjemea: hef fegen* Sireitsck^
wähät^ 'siüii nun' idör Wbrtf üni^r ,deir^l^^ der Mönch S ig e fee r4
embloux, gegen den Papst, :der nach ihm mit semer Auf-;
iörderiuig än'd^
Käl^e: ' ', ,N^ iPä^st Hiide^p^^ fiat ^oiß ; zers^öimde VHähd^'äÄ
heiligen Kanones gelegt; v;on, ihm lesen _ wir, daß er . der Markgrato
iiätMde zur Yergebü%' ihMr ^SüMe^ lM;^'Kaiser Ma^
zu bekämpfen."' Das sei aber ein ganz neues ünterfäiäpsn
Schuldigen ohne Beichte tind Buße Straflosigkeit für dieVBMaiigenen
Siih.den undrIYeÄeit zuvfei;^
liÜe^injp :ein ganz ; neues, iJunerhörtesrUnterf angehe gewesen.) Allein
der ieidenschaf tUchfe^ = Polemiker '^ der ■ äüdh^ sonst 'Uiigereiöhtf ertigt^^ ¥6r-
^",,HuiiisrQocli proeinctum . . . pro remissione omniura peqcatorum . .' .
iniunximm.'^ Kagenme.y.er 136. , , .
... ji Nach, Robeyt^.^M in Clermont gesagt: „Arripite viam hanc
in remissionem peceatorum vestrorum." Roberti Historia Hierosolymltana,
bei Migne GLV: 672. , ■ ; , , '
. ^, .Bernoldi Chronicon. Mon. Germ. SS. V 464: „Eam (expeditionem)
«is in remissionem, peceatorum faoiendam firmissime commendavit." , -
: * De liberatipne civitatiun Orientis. Recueil des liistoriens des croisades.
Historiöns occidentaux V 1, Paris 1895, 49: „Omnibus viam sepulcri in remis-
sionem omnium peceatorum praecepit."
^ Migne OLXIII 333: „Vobis in peceatorum remissionem iniungimus.'-
• Ebd. 108: „Hoc tibi ac miütibus'tuis in remissionem .peceatorum . . .
praecipimus." , -
' Hon. Germ. Libelli de Ute II 464.
^ „Unde hec nova auctoritas, per quam reis sine confessione et penitentia
offertur preteritorum peceatorum impimitas et futurorum libertas ?" Ebd
III. DiBi Fprmel : , Inj-remissionemj ipepca;boruin ,iniimgimus.; 123
w^i^fe);gegen'[den'„PapstJer]lebt,Vllat,(^^ von ihia, bekämpfte Formel
f aisch.5 auf gefaßt.,! 'Dieselbe ,Eormel, hatte/ ja soboni.ürban II.' in einem
Schreiben ian',Graf^|%>bert,,vonf'Mandernf gebraucht. ioJJndauch ^Pa-,
schaUs II. ' gebraucht sie .wieder, in -etTv^as ^anderer Fqrm einige. Jahre
später (1112), indem er den Grafen Balduin von Flandern und dessen
Mutter^ermahntj^.zur-yergebung.ihrer Sünden;,die, KirchetjVon.sArras
in« Schutz iZUj nehmen.^, Im ähnlicher >,\^eise^ hat,, im Jahre 1112, die
Synode von .yienne,,den-jPapst ersuchjb,^,ihrei gegen, den jKaiser, ge-
faßten . . Beschlüsse - ,.zu . ' bestätigend .und, j allen /, ^, ,zur, ' .Vergebung "(ihrpr
S,ünden".zu .befehlen, den KQnzilsteilnehmern^.undjidpm Vaterlande,
\feim,nötig,)Hme.zudeisten.^ n-ji' , ■; s . mu j.i ' ,.'\ -< > ;,. <
Eine andere Bewandtnis hat es mit dem Schreiben,; worin ;Pa-
sphahs , II. ' Ende - , 1099.^ die f französischen ' Bischöfe - ,auff orderte ; die
<jrläubigen,,,voi; >allem , jene, die^tbereits ^dasj Kreuz genommen ihät.ten,
„zuxr, Vergebung, .odesr.jNachlassung dhrjBr i S.ünden" zu, mahnen, ^ nach
Palästina zn ziehen-;* < Da damals den EJreuzfah^ern ein , vollkommener
Ablaß-jin Aussicht gestellj}^ war,^lso sollten rselbstyerst,ändlich|, die
Bischpfe. bei"] ihren. Erm,ahnungeni auf^ den, ^yerheißenenrAblaß, tauf-,
merksam /machen., Inudiesem.besonderen., Falle; schloß .jdemnach! die
FQrmeli „in ipeccatorum.remissionem exhortamini.'';4en ivoUkoinmenen
Ablaß. in, sich, ein..,.,, ^ _ . .> ..s f )^ , . . dl,.- ' -^.ir ,iri7. -'.ji-.^ * kJ
-', ;>, Nachdem die^ FormeL!„ini pecqatorjimxreinissipnem; iniungimus"
unter. o Paschalis I II. »'ihre (endgültige /Fassung [erhalten ,hatte, [iW^urde
sie,-.vpn','.den-Päps,ten immer^häufiger; angewendet,.! . Calixt^II. ge-
brauchte ]sie:' öfters,- um' irgendeine, Kirche dem ^phlwoIlen„der iGläu:
bigen anzuerapf ehlßn.^-.tEinmal, {Verordnete, er,, idaß PialzgrafföJt;to, der
früher Paschalis II. bekämpft. hatte, nun, aber. das'.begangene.Unrepht
bereute, „zur, Vergebung ,seiner> Sjinden!', ein. Kloster jbauen .solle ; • ein
anderes Mal ,fbefahl er^ rmiti denselben , Worten dem Bischof (Guido von
Chur,. der sich zurückziehen .wollte, sein ;Amt beizubehalten.?^,,! , -. .
Auch die Bischöfe bedienten sich. bald der in .päpstlichen Schreiben
so, häufig vorkommendeni,Ilormel. , ,B©i »der , Gründung des .IJempler-
ordens (1119) wurde den ersten Ritterni„zur Vergebung ihrer' Sünden''
von, dem Patriarchen von; Jerusalem und den Bischöfen des Heiligen
Landes vorgeschrieben, die ^ Pilgerstraßen, gegen Räuber. und Feinde
zu bewachen. So berichtet wenigstens gegen Ende des 12. Jahr-
hunderts Wilhelm von Tyrus in seinem bekannten Werke über die
Kreuzzüge. ^ ' Im Jähre 1125 gebrauchte der Kardinallegat Johann
^ Vgl. A. Cauchie, La querelle des investitures dans les dioceses de Liege
et de Cambrai II, Louvaiu 1891, 163 ff.
2 Migae CLXIII 298: „Vos defensionem pro peccatorum vestrorum re-
missione eidem ecclesiae impendatis."
^ Ebd. 466: „In remissionem peccatorum suoruia omnibus iniiingatis ut,
si necesse fuerit, auxilivim nobis et patriae unanimiter ferant."
*, Ebd. ,44. Hagenmeyer 175: „In peccatorum remissionem vel veniam
exhortamini." , ,
6 Robert I 60 83 269;, II 272.
« Robert I 266 333. ' Migne CGI 526
124 III. Die Formel: In remissionem' pecca'torüm iniungimus:
von Crema die Formel in Verbindung mit einer ' Ablaßspende' von
14 Tagen für die Wohltäter des Domes- voii Llandaff in Wales. ^ Biscliof
Odo von Tqul befahl 1192 den Gläubigen ;, zur Vergebung ihrer Sünden" j
die Waldenser zu -verhaften und sie dem bischöflichen Gerichte vor-
zuführen.2 ' ■ " ' '
Daß die Formel auch bei ganz gewöhnlichen Anlässen gebraucht
tvurde, ersieht man aus einem Schreiben, das Hoiiorius II. {1125—29)
an die Angehörigen der Pfarrei St; Frigdianus in Lucca' gerichtet hatl
Der Papst lobt die Gläubigen, daß'sife die ' Stiftsherren, welche die
Pfarrei zu versehen hatten, lieben,' ehren und unterstützen, und' er-
mahnt sie zur Vergebung ihrer Sünden, in diesen guten ■ Gesinnungen
zu beharren.^ ' ' < . , i - , ,
In Verbindung mit einem Ablaß erscheint' in' päpstlichen.
Sohrfeib'en die Formel zuerst in 'der Bulle „Quam amabilis",-- die' in
den Jahren 1139—43 von Innozenz 11.' zugunsten der Johanniter
erlassen und von späteren Päpsten häufig erheuert worden ist.* ^Es
tverden zunächst die Bischötfe aufgefordert, die Gläubigen zur' Ver-
gebung ihrer Sünden zu mahnen, den Johannitern Almosen zu spenden;
dann folgt die Verheißung' eines päpstHchen Ablasses für die Wohltäter
des Ordens, Viel häufiger' hat'aber Innozenz II. die 'Formel gebraucht j
ohne eines Ablasses Erwähnung zu tun, so in verschiedenen Briefen,
worin er zur Unterstützung' notleidender KJirchen, Klöster oder Spitäler
auffordert.^ Nach dem Hinscheiden desKönigs AKons Ir von Aragonien
(f 1134), der den dritten Teil seines Königreichs dem Tempelörden ver-
macht hatte,' schrieb Innozenz II. an König AKons von Kastiliehünd
die andern spaniscKen Fürsten und mahnte sie, zur Vergebung ihrer
Sünden den Tempelherren* in! ; dieser Angelegenheit- mit' Blat und Tat
beizustehen.* Unter Berufung auf die Autorität Gottes und des
hl. Petrus mahnt Innozenz II!' im Jahre 1139 die Templer» selbst zur
Vergebung der Sünden, die Feinde des Kreuzes Christi unerschrocken
zu bekämpfen, und erklärt zugleich, daß die ihnen verliehene Süiiden-
vergebung auch ihren Dienern zuteil werden' solle.' Hiermit ist ohne
Zweifel der übliche 'Kreuzablaß gemeint.
Eugen III . begnügte sich nicht,' in der Kreuzbulle vom Jahre 1 145
die Gläubigen zur Vergebung ihrer Sünden aufzufordern, dem Heiligen
1 Haddan J 318. ^ ]vi;artene, Thesaurus IV- 1180. , ;,
^ Migne CLXVI 1287: ,,Ilogainus vos et hortamur , in Domino, et in
remissionem peccatorum vestrorum'iniungimns, ut in bonö quod incHoastis
principio firmiter perduretis, nee ab eiusdem ecclesiae rev^rentia et ailectione
iiUatenus declinetis."
4 Delaville I 107 n. 130.
6 Migne CLXXIX 92 98 116 325. '
« Albon 373.
^ Albon 376: ,, Universitäten! vestram exhortamur in Domino atque in
peccatorum remissionem auctoritate Dei et beati Petri, apostolorum prin-
oipis', tarn vobis quam servitoribus vestris iniungimus; ut pro tuenda catholica
Ecelesia . . . intrepide laboretis, tarn remissionis peccatorum . quäüi^^älteriüs
beneficientiae atque apostolicae ' benedictioriis qüae vÖbis iridujta est, ietiam . . .
servientes vestros volurriüs esse pärticipes." ' ■ ^i^m >;. -^
III. , Die, Formel: In remissionem peocatorura iniungimus. 125
Lande Hilfe, zu leisten;^ er verheißt, auch ausdrücklich den<Teilnehmern
ajn Kreuzzug, einen vollkommenen Ablaß. , Bei andern Gelegenheiten
bediente sich Eugen III. der Formel, ohne -damit irgendeinen Ablaß
zu .verbinden. Als im , Jahre 1147 die Mönche von Balma (Baume-
les-Moines);sich erdreisteten, einen päpstlichen Legaten zu mißhandeln,
entzog der Papst dem ! Kloster, ^en Abteititel, und, setzte es zu einem
einfachen Priorat herab., , Dem .Grafen von Mäcon;aber, der die, Mönche
aufgehetzt hatte, wurden zur Vergebung der.Siinden geboten, die, Aus^
führung der päpstlichen Maßregel zu fördern.^', „»Zur Vergebung der
Sünden" mahnte auch Eugen III. im Jahre 1146 den Herzog Wladislaw
von Böhmen und die Bischöfe von Prag und Mähren,, kirchliche Miß-
stände abzustellen.^ . , .
In den Jahren 1156—58 mahnte Hadrian IV. die Bischöfe der
Kirchenprovinz Reims, sie sollten die Gläubigen zur Vergebung der
Sünden (eis in suorum veniam dehctorum^iniungatis) auffordern, sich
ani; Kreuzzuge, fiir das Heilige Land zu beteiligen.* Unter der. „venia
delictorum" ist\hier offenbar der Kreuzablaß zu verstehen. Bei. der
Bestätigung des von Erzbischpf ,Arnald von , Narbqnne, in Gemein-
schaft mit südfranzösischen Großen . abgeschlossenen Gottesfriedens
befahl der,Papst,(1157— 59) zur Vergebung der Sünden den Bischöfen,
den Frieden in ihren Diözesen verkündigen und beobachten, zu lassen.^
Mit ähnlichen Worten mahnte Hadrian IV. die Einwohner von Grasse,
die T Abtei, Lerins »gegen die- Sarazenen zu unterstützen.® ,,
jAlexandesr III. verA\rendete[die Formel bald allein,, bald in Ver-
bindung mit ,einer Ablaßspende. ^ Mehrmals forderte er damit zu guten
Werken auf, für welche ein Ablaß nicht in Aussicht gestellt wurde,
so 1167 zur Verteidigung der Kirche gegen Kaiser Friedrich I.,', 1170 zur
Unterstützung,' einer, Spitalkirche in Castenedolo (Diözese Brescia),*
zum Besuch einer Klosterkirche in Pescaria (Diözese Penna),^ 1170—72
zur Unterstützung der Kanoniker voii Nazareth^*^' und 'des Bischofs von
, , ^ Migne CLXXX 1065: „In peocatorura remissionem iniungimus."
2 Ebd. 1228.
3 Ebd. ,1143 f. BoczekJ 248 f.
* Migne CLXXXVIII 1537 f.
^ Wiederhold 116: „Ut eam per Vestras parrochias nuntietis atque id-
ipsum a vestris parrochianis fieri faciatis et pariter obser,vari, in peccatorum
vestrorum remissionem vobis iniungimus."
* Migne CLXXXyill 1582: „Rogantes plm?imum et in peccatorum
■vestrorum veniam vobis iniungentes." ' .
' Göttinger Nachrichten 1912, 433. Schreiben an die Stadt Brescia: „Ex
parte Dei omnipotentis et b. Petri ac nostra, in remissionem vobis peccatorum.
iniungimus."
8 Ebd. 434. , ' ' ^ ' ^
* Migue CG 682f . : „Licet jOnines qui pia et religiosa loca intuitu devotionis
frequentant . . . suorum mereantur percipere veniam dehctoriim", so sollen doch
die Kirchen vor allem an den Hauptfesten fleißig besucht werden; deshalb mahne
der Papst auf Ansuchen der Mönche die Gläubigen, die Klosterkirche am Patrons-
feste zu besuchen; „id ex parte omnipotentis Dei et auctoritate apostolorum.
Petri et Pauli ac nostra in suorum remissionem iniungimus peccatorum".
10 Migne CO 757.
126 IIIv Die Formel:' In remissionem'peccäWum'iniuti^^^
Estläiid^i ■ '1 177 ^ 'ZU ^ -Beiträgen ' f ür '^ die'^tDömMrchei^ * Vm^^Fem^ ;2iij\E)i4
Priester • einer englischen* Pfarrer ersüöHt^(ll64Mei^^'^Pa^s
äiigöiiön^eiif '^ti^Äl^ unäjihiiMjninte^er^^ dieJ|rä^stliicKö=
Aiiiforität z^ ■^SürideiL a/üf zülegeh^^ (et eis-- küctöritalte
hbsträ' ■ ^iii- pelccätOTÜin ' suöruin ^Ixreiiiam^ 'Hriiüiigatis j p^döf ' 'fKifclie^^idn;
DiiWiam^ die liBlicheii'ÄbgaBen'zuf •zahlen- ^^
Aleiäildei^^^I^ K^ffig' Heihriöh Ili ' vanc •IJngländ/^zma'ß
Süiiden aufbin IflaM€Tdnimgzü'S(Dhä|fe
erklärte er Üen Sc^wed^n^ daß jeiieri, dSe ä^ PeterspfMidig entriehteii^
diejse Zahlung zur ^Nächilassuiig 'der^ SüiideiiKgerefehe;^^ '^Den: JilÖiiÖhKliL
von Gtaiidinont ^blP ei* die' mit xier ■ IBeobächtungM^^
bundenen Mühen an Stelle der Buße und zur Vergebung ihrer Siindeii
auferlegt haben.^
In allen diesen Schreiben wird kein Ablaß erwähnt; andere' dagegeii
enthalten nebst der Formel „in remissionem peccatdrum iniungiinus"
noch die Erteilung eines Ablasses, entweder eines partiellen' oder eines
vollkommenen, wie in der KfeuzbüUe vom Jahre 1165.® • ' '
Erwähnenswert sind zwei ändere KJreuzbuUen'aus den Jahren'1169
und 1181. 'In beiden' werden zunächst die Gläubigen zur Vergebung
ihrer Sünden ermahnt, 'den Kreuzzug zu ünternehmeri ; sodann 'wird
denjenigen, die zwei Jahre dienen,- ein vollkommener Ablaß verheißen ;
andern aber, die bloß ein Jahr arüZuge sich beteiligen, wird nur die
Hälfte der Buße erlassen.' Schließlich erklärt noch 'der Papst, daß er
allen, die das Grab des Herrn besucheri wollen, die Mühsal der Pilger-
fahrt zur Buße und Grehorsam und zur Nachla'ssung aller Sünden
^ Migne CG 862 f.: „In remissionem peccatorüm vestromm iniungimus .". .
ut per haec et alia bona, quae Deo inspirante feceritis, apud Altissimum pecca-
torüm vestromm veniam consequi . . mereamini." , i ,,;:
'^ Cappelletti III 602. Die Prälaten sollen, die Gläubigen „in remissionem
peccatorüm" auffordern, Beiträge zu spenden, „ita quod enixe suorum mereaiitvir
veniam peccatorüm."
^ Historiae Dunelmenses Scriptores tres. London 1839. Appendix LII
[Publieations of the Surtees Society IX].
* Migne CO 884. Wegen der Ermordung des Erzbischofs Thomas Becket
von Canterbury im Jahre 1170 legten päpstliche Legaten dem König Heinrich II.
eine Buße auf, wobei sie erklärten: „Hoc autem autoritate domini papae in
remissionem peccatorüm vestrorum iniungimus et praecipimus observare."
Migne GL 656 f.
^ Ebd. 1316: „Solutio ad remissionem valeat delictorum."
* Ebd. 1288: „Laborem loco poenitentiae et in peccatorüm suorum re-
missionem iniungimus, quem in ipsa observantia patiimtur." Dies Privilegium,
dessen Echtheit Jaffö 14271 ohne stichhaltigen Grund anzweifelt, wurde bald
nachher von Lucius III. und am 15. Juli 1186 wieder von Urban III/JerneüiBft,
Migne CII 1416 f. Jaffe 15650. Nach Gäsarius von Heisterbach hätten
die Zisterzienser ein ähnliches Privilegium vom Apostolischen Stuhle "erhalten;
er berichtet nämlich: „Venientibus ad ordinem nostrum, etiamsi inriumera'et
gravissima commiserunt peccata, nihil eis aliud iniungitux pro satisfactione,
ni>i ut ordinem servent . . . Hoc indultiun est ordini a Sede Apostolica, ut eins
observatio pro qualibet satisfactione peccatoribus sufficiat." Dialogus IV 1,
ed. Strange I 172 f.
'Migne CG 260. » Ebd. 385 f.
III. ' Die. Formel : 'In remissionem; pecoatorum.' iriiungimus. 127
auferlege.^' i Man hüte sich wohl,,in.dieser ,;,'Naohlassung;aller(:Sündßn'/
etwa einen' volikommenen Ablaß sehen- , zu -.wolleri. i In beiden Bullen
wird den Kreuzfahrern, -die lauf; dies Dauer, eines Jahres Kriegsdienst
leisten würden,;, nur die /Hälfte der Buße j erlassen. • Wie hätte dann
der Papst für eine einfache Pilgerfahrt zum- heihgen Grab einen voU-
kommenenr! Ablaß' verheißen ' können ? ^ Zudem wird ' ja* wiederholt in
andern Schreiben desselben Papstes . den Jerusalempilgern nur 'ein
Ablaß .von einem Jahre in Aussicht gestellt.^ Auf der dritten Laterah-
synode(1179) wurden die '.iGläubigeni ebenfalls „zur Vergebung aller
Sünden" '.aufgefordert;'' die, Häretiker- und -.biäwaffneten Banden, die' in
Frankreich ..und Spanien ihr Unwesen trieben* zu bekämpfen;? und
doch wurde^den Teilnehmern an-derExpedition^- abgesehen von jenen,
die^im Kampf e fallen würden, nur ein partieller Ablaß, verheißen. Die
Formel ,,in remissionem. peccatorum. omnium iniungimus" hat also
nicht' mehr zu bedeuten als die gewöhnlichere FormeL„in remissionem
peccatorum iniungimus". . -> ,. y ,, ,
Bei Lucius. III., dem Nachfolger Alexanders- III;, kommt letztere
Formel mehrmals in' Schreiben vor, die mit; den »Worten: ,,Quomam,
ut ait, Apostolus" beginnen., ' Einigemal verbindet der Papst damit
einen partiellen Ablaß, iso z.. B. einen Ablaß von' 30. Tagen für^Unter-
stützung eines 'Brückenbaius' in Pisa.* , Bisweilen .begnügt er sich aber,
zu guten,' Werken aufzufordern, ohne einen Ablaß, beizufügen;, so in
Auf rufen- zur Unterstützung der .Abtei Lerins^ und ider.,Martinskirche
in- Tours '. ®,, } " ' , •r.'i' i? . '!.(;■■ ■ ". • ,, . ■'■■ <
Auch Urban III. hat; die Formel bald allein,' bald als Einleitung
zu einer 'Ablaßspßnde?v, verwendet. ! [^Dasselbe ;tat Cölestin III.^
. i , . In, mannigfaltiger Weise hat^Innozenz.III. die Formel gebralucht.
Bisweilen hat er zur Vergebung der Sünden irgendein gutes Werk an-
^ Ebd.- 600 f. 1295 f. : „Omnibus sepulorum dominicum pro instant! ne-
cessitate>,visitare, volentibus, tarn in ätinere ,morte praeoccupatis quam usque
illuc pervenientibus,- laborem itineris.ad.poenitentiam, -obedientiam , et remis-
sionem omnium peccatorum iniungimus, ut post huius certaminis ergastula
vitam aetemam ,consequi, mereantur.," ^ Ganz dieselbe Formel- gebrauchte im
Jahre 1169 der Patriarch Amaury von .Jerusalem in. einem Schreiben an die
Christenheit. Dplaville 1. 280» n.. 404. > , ■ >
. ,,2 Migne 00,250.861., ,.>.;.' ,i ■
^ Mansi XXII 233: „Cunctis fidelibus in remissionem peccatorum omnium
iniungimus, ut tantiS)Cladibus'.se'viriüter opponant.',' ■
' ;. * Bflugk.-Harttung Ili 320. - , »
5 Göttinger Nachrichten, 1900, 426.-
w « Loewenfeld. 227. , Letzteres \ Schreiben führt Hinschius V 154 n. 6
als Beispiel dafür an, daß die Päpste mit der Formel „in remissionem peccatorum
iniungimus" einen Erlaß der Sünden, nicht bloß der Sündenstrafen, versprochen
haben. . • ' ,
' Migne CCII 1466. Loewenfeld 228. Göttinger Nachrichten 1899, 242 f.
s.DelavilleJ 485 n. 767. , < , . • ,
. » IVIit Ablaß: Migne CCVI.1210. Loewenfeld 265. Ohne Ablaß: Urkunden-
buöh des Landes ob der Enns II 445 f. Memorials of the Church of SS. Peter
,and Wüfrid, Ripon I, London 1882,- 117 [Publications of the Surtees Society
LXXIV]. " ., ,.,',,.,
128 Uli Die Formel : .In >reinissionein peccatorum ihitingimus.
empfohlen, ohne eines" 'Ablasses Erwähnung zu tun. In dieser Form
hat er im -Jähre 1205 die Stadt Montpellier ermahnt, ihren Schutz
denBrüderii vom Heiligen Geiste angedeihen zu lassen.^- Die ein-
iacherei; Fassung findet sich auch in dem Musterformular (Quoniam,
ut ait Apostolus), das die vierte' Lateransynode im Jahre 1215 den
Bischöfen Vorschrieb für die Empfehlungsschreiben, die ■ sie den
Almosensamnilern ausstellen sollten.^ Eine etwas andere Form weist
ein Schreiben vom Jahre 1198 auf, worin das Heiraten öffentlicher
Friaiuen, die Besserung erhoffen lassen, empfohlen wird.^ Kraft päpst-
licher Vollmächt erklärt der Papst, daß dies Werk der Nächstenliebe
zur Vergebung der Sünden gereichen solle.* '
Wiederholt hat dann Innozenz III. die Formel „in remissionem
peccatorum iniungimus" gebraucht in Verbindung mit' 'einer Ablaß-
spendOj so, wenn er 1198 dem Grafen Raimund von Toulouse und 1204
dem König Philipp von Frankreich > den vollkommenen Kreuzablaß
verheißt,^ oder wenn er 1199 die Bischöfe auffordert, sie sollten die
Giäubigenazur Vergebung ihrer Sünden mahnen, Beiträge für den
Kreuzzüg zu spenden, und zugleich den Spendern einen partiellen
Ablaß in Aussicht stellt.^- Mehrmals hat er- tauch unter der Formel
einfach ' den )Kreuzablaß verstanden^ den vollkommenen sowohl als
deii ;unvollkonimenen, so, wenn er in' den Jahren 1210 und 1211' die
spanischen und französischen Bischöfe anwies, sie sollten ihre Unter-
gebenen; im Namen Gottes und des Papstes zur Vergebung' allere Sünden
ermahnen, in eigener Person oder durch Beiträge am Kjeuzzuge gegen
die Sarazenen! in Spanien sich zu beteiligen.'
'Noch sei ein Schreiben erwähnt, das Innozenz 11.^. im Jahre 1202
.an König; Johann von' England' gerichtet hat'. ' Diesem 'Fürsten war
1 Migne CCXV 665.
2 Mansi XXII 1050. Auch in den Dekretalen Gregors IX. c. 14. X. de
poen. et rem. V. 38. ■ ' ■ .< ,
'3 Migne CCXIV 102 f . Potthast 114. Auch in den Dekretalen Gregors IX.
c. 20. X.'de spons. et matr. IV. 1. Von etlichen irrig Klemens III. zugeschrieben.
Jaff6 16627. ■ ■. > . / . , -
* „Inter opera earitatis . . . non minimum est,' errantem ab erroris äui
semita revocare, ac praesertim mulieres voluptuose' viventes et . admittentes
indifferenter quoslibet ad commercium camis, ut caste vivant, ad legitimum
tori consortium invitare. Hoc igitur attendentes, auctöritate apostolica'statuimus,
ut Omnibus qui publicas mulieres de lupanäri extraxerint et duxerint in uxores,
quod agunt, in remissionem proficiat peccatorum." Gottlob 287 ist der Ansicht,
daß dies ,, Ablaßwerk vor einer feineren Ethik überhaupt nicht 'besteht". Der
französische Historiker A. Luchaire (Innocent III.' Rome et l'Italie. Paris
'1904, 73) nennt es dagegen ,,une ceuvre de haute dharite". ' Vgl. auch F.' Falk,
Die Ehe am Ausgange des Mittelalters'. Freiburg 1908, 64 f. [Erläuterungen und
Ergänzungen zu Janssens Geschichte des deutschen Volkes VI 4]. ' • ' '*
5 Migne CCXIV 375; CCXV 361.
« Migne CCXIV 830 ff.
' Migne CCXVI 513: „In remissionem omnium peccatorum ex parte Dei
et nostra vere poenitentibus iniungentes", am Kreuzzuge sich zu beteiligen
„in rebus (Beiträge) pariter et personis . . . Pari quoque remissione gaudere
concedimus peregrinos qui propria devotione undecunque processerint ad idem
opus fideliter exequendum." Vgl. 353 380.
Ifl. Die- Formel:' In remissionem peccatbrum iniüngiiuus. 129
in der Beichte von Erzbischof Hubert von Ganterbury für verschiedene
Vergehen, namentlich wegen Verstoßiing der rechtmäßigen Gemahlin,
eine nicht geringe Buße, auferlegt worden. ■ Unter ahderm sollte er
ein Kloster bauen und nach Palästina' 100 Soldaten senden, die ein
Jahr dort 2su dienen hätten. -4)er Papst erwähnt dies in seinem.
Schreiben und mahnt seinerseits deii Eönig, noch andere gute Werke
zu üben, um für die begangenen Sünden genugzutun; sodann erklärt"
er: „Im Vertrauen auf Gottes Bärmherzigkeit und auf die Autorität
der Apostelfürsten Petrus und Paulus bewilligen wir, daß die Buße,
die der Erzbischöf dir auferlegt' hat und die du ffeiwilhg übernimmst,
dir zur Nachlassung der Sünden^ gereiche."^
Wie ist nun aber diese Bewilligung und die mit ihr verwandte
Formel ,,iri remissioiiem peccatorum iniungimus" aufzufassen? Daß
die Päpste' mit dieser Formel bisweilen die . Erteilung des Kreuz-"
ablasses zum Ausdruck bringen wollten, zeigen verschiedene der oben
angeführten Schreiben. Etliche spätere Känonisten, wie Stephan
von Gaeta (um 1450)^ und Johannes Antonius de S. Geofgio (f 1509),^
haben auch in deni oben erwähnten Schreiben von Innozenz III.' über,
das Heiraten öf f entUcher Frauen die Bewilligung eines vollkommenen
Ablasses finden wollen. Dagegen hat ein älterer Kanonist, der als
AbbasAntiquus bekannt ist, gegen Ende des 1 3 . Jahrhunderts
entschieden bestritten, daß Innozenz III. bei jener Gelegenheit einen
vollkommenen Ablaß erteilt habender Papst habe bloß erklärt, daß>
das "Heiraten derartiger Frauen, gleich andern guten Werken, zur
Verzeihung der Sünden gereichen solle.* In einzelnen Fällen mag es
wohl zweifelhaft sein^ ob die Formel ^als AblaßbewilHgung aufzufassen
sei. Gewöhnlich wurde aber damit kein, Ablaß ^gespendet. Sehr zahl-
reich sind die Schreiben, in denen- die Formel als Einleitung zur Ablaß -
Verleihung dient, also von letzterer unterschieden werden muß ; sodann
wird sie öfters verwendet zur Empfehlung von Handlungen, für. welche
die Kirche keine Ablässe zu erteilen pflegte ; endlich wird sie auch
manchmal gebraucht von solchen Personen, die nicht berechtigt waren,
Ablässe zu verleihen.^ So haben im Jahre 1236 zwei Mainzer Dekane
als bestellte Konservatoren des Älagdalenenordens den, Geistlichen zur.
Vergebung der Sünden eingeschärft (in remissionem peccatorum in-
iungentes), die Almosensammler des Ordens gütig aufzunehmen und
dessen Ablässe dem Volke zu verkünden.^ Im Jälhre 1259 verordnete
1 Migne CCXIV 973: „Nos. autem de miserieordia Dei omnipotentis et
beatorum apostolorum Petri et Pauli auetoritate confisi, concedimus ut satis-
factionis effectiis tibi ab arehiepiscopo eodem iniunctus et sponte a tua devotione
susceptus, in remissionem tibi proficiat peccatorum."
2 Sacramentale Neapolitanum. -Neapoli 1475. De penitentia, qu. 8.
3 Lectura super quarto libro deeretalium. Lugduni 1520, 17'.
* Lectura aurea super quinque libris' deeretalium. Argentinae 1510, 184':
,,Non intelligas quod sicut transfretantibus , in subsidiumi terre sancte omnia
dimittuntur pecoata ita dimittantur isti; sed sicut aliud bonum opus ita hoc
sibi 'proficiat in remissionem peccatorum.".-
5 G. Bode, Urkundenbuch der Stadt Goslar I, Halle 1893, 525 n. 548
[Greschichtsquellen der Provinz Sachsen XXIX].
Paulus, Geschichte des Ablasses. " 9
130 III. Die Formel: In remissionem pecoatorum iniungimusl
das ZU Valenciennes . versammelte Generalkapitel, der Dominikaner,
diel Visitatoren sollten, um dem Mangel an Lektoren, in vielen Häusern
abzuhelfen, geeignete Brüder zur Vergebung -aller ihrer Sünden ..(in
remissionem omnium peccatorum suorum) ermahnen, Vorlesungen ab-
zuhalten.^ Es ist klar, daß ,weder diese Visitatoren noch die zwei
Mainzer Dekane, wenn sie die Worte „in remissionem peccatorum
iiiiüngimus" gebrauchten, einen Ablaß spenden' wollten. Was. hatte
dann aber die Formel zu bedeuten ? . ~ :
■ Es geht nicht an, darin nur eine_,,',rhetorische Floskel" zu sehen.
Gregor IX. hat sicher der Formel einen tieferen Sinn beigelegt, als
er im Jahre 1227 den Kanonikus Rudolf von' Hildesheim, der sich
mit großem Eifer der Bekehrung öffentlicher Frauen widmete, anwies,
er solle ledige Männer mahnen. und,. wenn er es. für ersprießlich halte,
ihnen zur Vergebung der Sünden empfehlen, solche Frauenzu heiraten.?
Der bekannte Känonist Ho st i e n s i s war e|3enf alls weit davon entfernt ^
die Forniel f ür eine nichtssagende jPhräse- zu haltenjerwartviielm^
dBT Ansicht, die Worte j,iniremissionem-peccatoruni iriiungimus';'5sQllen
andeuten, daß doinjenigen,i der das empfohlene i Werk vierfichte, iein
Teil der; schuldigen Sündensträf e : hachgelässeni werde.? . / Leider l sagt
Hostieiisis nichts Näheres überi den Charakter dieses Straferlasses;^ /:
Zum besseren Verständiiis r der; Formel; wird jesviellei^^^
sein, in Betracht zu zieheiij was bei der Verwaltung desiBußsäkräraents
geschieht. Als Stellvertreter Christi legt' der Beichtvalter ein Bußwerk
auf, das kraft der Schlüsselgewalt ein integrierender Teil -desäSußW
Sakraments wird und infolgedessen bezüglich^ der iTilgung; der; Sünden-
sträf en einen größeren satisf aktorischeri i Wert erhält^* iMancho Theo-
logen, hierin i dem \ Aquinaten : folgend^ -sind sogar der : Ansicht^ daß
nicht bloß dies spezielle sakramentale Genügtuungswerk, sondern auch
alle andern /guten Werke ; des Pönitenten zu einer höheren isatisr
faktorischen Wirksamkeit erhoben werden, wenn der Beichtvater sie
im allgemeinen „zur Vergebung der Siinden" auferlegt mit der Forineli
1 B. M. Reichert, Monumenta Ordinis Fratrum Praedicatorum histo-
rica III, Eomae 1898, 100. Vgl. IV 347. ' - -
* Rodenberg I 273. Rudolf solle die verheirateten' Frauen in ein Kloster
schicken, „prius tarnen ■ viris ipsis iniungens in remissionem peccatorum, ufe.
easdem uxores suas recipiant divine intuitu pietatis. Alios autem viros solutos
salubribus exhortationibxis moneas et inducasi et hiis, si expedire videris,
in remissionem peccatorum; iniungas, ut aliquas ex huiusmodi mulieribus,
que castitatem servare nequiverint,;dummodo sölute fuerint,:accipiant in uxores. 'f
ä Hostiensis, Apparatus II; 343'. ■ Die Forinel j,vbbis in remissionent
peccatorum iniimgimus" bedeutet ,',ut: vobis proficiat ad remissionem. /iNon
tamen intelligas quod propter hoc sine cpntritioheiremittanturipeccäta, neo
cum contritiohe töta satisfactio debita, licet aliqüid diminuatur.'V: . .1
* Vgl. Thomas von Aquin,Quodl. III, q. 13, a. 28:„Opus quod quis
f abitex iniunctione sacerdotis dupliciter valet poenitenti, uho hiodo ex näturar operis^
alio modo ex vi davium. Cum enim satisf actio a sacerdote absolvente iniunctasit
pars poenitentiae, manifestum, est qUod in eo operatur vis ; clavium, ita qxipd
amplius valet ad expiandum peccatuin quam si proprio arbitrio homö faceret
i dem opus." .:,_:■',■'/:-'. .-;• ; ■.;a...;\: .:.;:■-;;■;■■.•;:■;,■.'■;■; -O'
III. Die Formel: In remissionem pecoatorum iniungimus. 13 1
„Quidquid boni feceris . . . sit tibi in remissionem peccatorum">
Thomas führt diese Steigerung der sühnenden Kraft der vom Beicht-
vater auferlegten guten Werke auf die Wirksamkeit des Sakraments^
zurück. Der Kanonist Wilhelm von Montlaudun (f 1343) macht
aber dafür noch einen andern Grund geltend, den Gehorsam.^ Werke,
die im Gehorsam geschehen, erhalten eben einen höheren Wert vor Gott.
Bei den Werken, die außerhalb* des ^ Bußsakraments von den
kirchlichen Oberen ,,zur. Vergebung ^dei Sünden" auferlegt oder emp-
fohlen werden, 'kam nun freilich die sakramentale Wirksamkeit nicht
in Betracht; doch konnte hier der Gehorsam eine nicht unwichtige
Rolle spielen. Wurde das ' empfohlene Werk 'im Gehorsam gegen die
kirchlichen Oberen verrichtet, so erhielt es einen höheren verdienst-
lichen und satisfaktorischen Wert.^ Wenn daher Päpste, Bischöfe und
auch andere GeistUche mit den Worten „iii remissionem peccatorum
iniungimus" gute Werke empfählen, so sprachen sie damit nicht, bloß
die Überzeugung aus,' daß derartige Werke bei Gott „Sündenver-
gebung" erwerben, sie gaben zugleich auch den Gläubigen Gelegenheit,
durch Übung des Gehorsams die süridentilgende Kraft ihrer guten
Werke vor Gott zu erhöhen.-
1 Thomas, loc. cit.: „Haec quae praeter initinctionena expressam facit,
accipiunt maiorem vim expiationis cülpae praeteritae^ex illo generali inivinctione :
jQiiidquid boni feceris etc.' IJQde laudabiliter consuevit. hoc a multis sacer-
dotibus dici'. . . Et quanttun ad hoc talis satisf actio est sacramentalis, in quantuin
virtute clavium est ciilpae commissae expiativa."
2 Apparatus super Clementinas. Parisiis 1517, 141 : „Plus välent ad salutem
talia bona sie iniuncta in confessione propter yim sacramenti penitentie, . que
multum in talibus operatur, quam si gratis fierent, et etiam propter bonum.
obedientie qua homo propter Dominum suppohit se suo pari."
9*
IV. Die ältesten Ablässe
für Almösen und Kirchenbesuch.
Die Nachlassung der , kirchliclieii Bußstrafen oder der > zeitlichen
Sündenstrafen, worin der Ablaß wesentlich besteht, kann verschiedene
Formen annehmen. Sie kann von den, kirchlichen Oberen bestimmten
Personen im b es ondern,ge währt werden; sie kann auch allgemein
verkündet und allen jenen zugesichert werden,. die gewisse Bedingungen
erfüllen würden. Von den ältesten individuellen Bußerlassen, die den
allgemein erteilten Ablässen die Wege bereitet haben, ist bereits im
ersten Kapitel gehandelt worden. Hier wollen wir den allgemein ver-
verkündeten Ablässen unsere Aufmerksamkeit zuwenden, und zwar
nur jenen Ablässen, bei denen als Bedingung ein Almosen oder der
Besuch einer, Kirche gefordertywurd^i^^vo^ , ^ s '
Daß derartige generelle Almosen- imd^Kirchena/Mäss^
11 .' Jahrhundert' sich nicht Äacli^isen lassen, is^^^
hundert von verschiedenen iG^sfö
:tprianer Morin,?y dem Dlominikaner Nioel^AleAS-andresyf; dem päpst-
lichen Nuntius J. M. Sanf elice ^^ demjv^suiten Pape^br dch* her^^
gehoben worden. Auch im 11. Jahrhundert kommen diiese Abiäsfe
noch nicht häufig vor; erst iin 12. Jahrhundert riahmeh sie eine größere
Ausdehnung. Es sah sich daher die vierte Lateransynode im Jahre 1215
veranlaßt, denBischöfen bestimmte Normen vorzuschreiben, nach denen
sie sich bei der Verleihung von Ablässen zu richten hätten. Im folgenden
sollen nun die Ablässe, die von Päpsten und Bischöfen vom AMang des
11. Jahrhunderts bis zur vierten Lateransynode für Almosen oder
1 Morinus 768 ff.
2 HistoHa ecclesiastica XI, Bingii 1788, 321.
^ In einem Brief vom Jahre 1659 an einen Professor der theologischen
Fakultät in Köln, mitgeteilt von Henschenius in Acta Sänct. Martii III 640.
* Propylaeum. ad Acta Sanctorum. MaiiieSS. Conatus chronico-historicus.
P. I, Disserfc. XVII, S. 133: „Nemo dubi tat . . . de ipsa remissione poenäriim
peccabis debitarum, quin eas ex thesauio meritorum Christi atque Sanctorum
solvendi potestatem habuerit variisque modis exercuerit Eoclesia, sed quöd eäm
potestatem sub ista exercuerit forma, in favorem piortun locörum qüorumdäm
a fidelibus iuvandorum aut visitandorum, negamus exemplis ullis stabiliri posse,
quae siut saeculo XI antiquiora." Als Papebroch nachher Kenntnis erhielt von
dem unten anzuführenden Bußerlaß der 1480 Märtyrer, änderte er seine Ansicht
dahin, daß schon im 10. Jahrhundert ein Beispiel irgendeines Ablasses (qualis-
cunque indulgentiae aut quacunque forma concessae) vorkomme; doch sei die
Form eine andere als jene der Ablässe der späteren Zeit; daher „mariet qudd
diximus, ante saeculum XI frustra requiri exempla indulgentiarum taU forma
datarum." Paralipomena addendorum aut corrigendorum in Conatu 69.
ly. 'Die ältesten Ablässe, für, Almosen- und Kirchenbesuch. 133
Kirchenbesucli erteilt .worden, sind,, aus zuverlässigen Quellen zu-
sammengestellt «werden. - Eine , kritische Sichtung ■ dieser Ablässe ist
um so notwendiger, da nicht selten auch in. wissenschaftlichen Werken;
Ablässe aus ,, jener. Zeit als ' glaubwürdig angenommen werden, die, auf
Echtheit keinen Anspruch machen.. können.
. Verschiedene Ablässe, die. Päpste,, oder jBischöfe schon vor dem
Jahre 1000 erteilt , haben sollen; können füglich, mit .Stillschweigen
übergangen werden,. da. sie heilte wohl allgemein • als, .unecht gelten..
Nur der eigentümliche Bußerlaß, den armenische Märtyrer von, Gott,
erbeten hätten, bedarf, einer näheren. Erörterung. Hat man, ihn, doch
als ;,,'Brücke"/ bezeichnet, über, die man in die ,, eigentliche Ablaß-r
Periode" eintreten kann.^ / ',
j' Auf diesen Buß.erlaß; hat zuerst Mabillon aufmerksam gemacht.
Beider Erwähnung seiner, Nachforschungen, in der BibKotheca.Valh-
cellana berichtet er, daß er daselbst einen, römischen Ordo fand,, der
im 9. Jahrhundert 'geschrieben iwqrden sei, , zudem ein noch älteres
(antiquius) römisches Sakramentar, ,w,oiin unterm 22. Juni .folgende
Notiz. verzeichnet war: „Mense lunio die, XXII sanctorum .Martyrum
mille GCCCLXXX quorüm vigiha cum silentio et ieiunio est celebranda :
et concessum est eis .pro.illo uno die annum dimittere in penitentia."^
Letzterer Kodex ist nach der Einnahme Roms im^.Jahre 1870 bei Er-
richtung ' der Natioiialbibliothekij durch,- die italienische, Regierung
spurlos verschwunden;, H. J. Schmitz, der ihn noch einsehen konnte,
sagt, daß er' „nach der'Unzialschrift.jauf Pergament, zu schließen,
dem Ende "des 10:, Jahrhunderts. aiigehört".^ An einer, andern Stelle
bemerkt er, daß die Unzialschrift des Kodex ,, auf das 11. Jahrhundert
hinweist*.-.f Bei solchen voneinander,- abweichenden Ansichten- wird
man ein bestimmtes .Urteil über das Alter der- Handschrift, nicht
fällen ^können. Ähnlich verhält. es sich mit einem handschriftlichen
Missale der ..Vatikanischen Bibliothek- (Cod. -•Vatic. la;t;,.4770), in
welchem ebenfalls ;der Bußerlaß unterm 22. Juni verzeichnet ist,;
A. 'Ebner, versetzt den Kodex in die Zeit des 10. bis. zum 11. Jahr-
hundert, ein anderes. Mal in das 10., dann wieder in den Anfang des
11. Jahrhunderts.^ H. Ehrensberger verlegt ihn in das 11. Jahr-
hundert;^ E. M. Bannister meint, man köime die Handschrift. um
das Jahr 1,000 entstanden sein, lassen.' Der Bußerlaß ist zudem, noch
aufgeführt in einem Missale der Bibliotheca Barberini, das- sich heute^
in der Vatikanischen .Bibliothek befindet. (Cod. Barber. lat. 560)'.
^ Vgl. über diesen Bußerlaß Hilgers 74 ff. Beringer-Hilge.rs I 656 ff.
2 Mabillon, Museum 1.69. . ' . ,
3 Schmitz I 227.
„* Archiv für katholisches ,Kirchenrecht XXXIII (1875) 15.
' Quellen und Forschungen- ziu: Geschichte des Missale Romanuxn im
Mittelalter. .Freiburg 1896, 218 373 404.
*tLibri liturgici bibliothecae.apostolicae vatieanae manu scripti. Friburgi
Brisg. ,1897, 446.
'. E. M. Bannister, Monumenti.Vaticani di paleografia musicale latina.
Lipsiae 1913, 47.
134 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen ^xad Kirchenbesuoh.
Näisli Ebner wäre dieser Kodex „frühestens vom Ende des 10.' Jahr-'
hunderts".^' Bannister dagegen ist der Ansicht, paleographisch'könne
man die Handschrift dem Ende des 11. Jahrhunderts zuweisen.^ '
■-Aus allem dem ergibt sich, daß das Alter der Handschriften, in
welchen der Bußerlaß erwähnt wird, nicht feststeht. Wohl weisen
Fächmänner den eiaenünd andern Kodex deni'iO. Jahrhundert zu.
Wie leicht kann man sich aber' bei der -Bestimmung des Alters einer
Handschrift um einige Jahrzehnte irren. Ein 'Kodex, den gewiegte
Kenner in das 10. Jahrhundert versetzen, kann daher sehr wohl aus
der ersten Hälfte "des. 11. Jahrhunderts "staihmen, um- so 'mehr, als'
sich das Alter von Handschriften, wie die Fachmänner ^betonen," nicht'
auf Jahrzehnte bestimmen läßt. ^ • " ' ' , .' q
' Gresetzt aber, die eine oder die ändere der erwähnten Handschriften
stam,me wirklich aus dem, 10.- Jahrhundert, wäre man dann genötigt^
ainzuiiehmen, daß es schon in jener Zeit generell erteilte Ablässe •ge-
geben habe? Nein, denn 'bei jenem B'üßerlaß handelt' es sich gar
nicht ;^um einen kirchlichen Ablaß, sondern um den Niederschlag
einer' durch und durch - fabelhaften Legende. Nach dieser- Legende*-
sollen zählreiche Märtyrer — bald ist die Rede von 10000," bald nur
von 1480 — •, die auf dem Berge Arärath gekreuzigt wurden, während
sie^am KJreuze hingen, an Gott die Bitte • gerichtet haben, „ut'qui-
cunquememoriampassionisnostraecum ieiunio celebraverint et silentioi
m^ereiantur a te oonsequi fructuosam mercedem" . . . diesque ieiunii
nosträe passionis unum annum poenitentialem concludat se obser-
vantibus". Da habe sich vom Himmel' eine Stimme hören lasseh,
die erklärte: ,,Qaae'petistis . . . scitote vos impetrasse."*- Auf diese
Legende, die vor 876 auf Ansuchen des Bischofs Petrus von Gabii^
Anästasius der Bibliothekar aus dem- Griechischen ins Lateinische
Überträgen hat,* geht unzweifelhaft die Notiz in den alten liturgischen
Büchern zurück. Doch besteht zwischen beiden ein nicht belangloser
Unterschied. In der' Legende heißt es: Die Feier des jährlichen Festes
mit Fasten und Stillschweigen soll ein Büß jähr in sich einschließen,
d. h. soll ein Baßjahr ersetzen. Von einem Bußerlaß ist noch keine
Rede; es handelt sich um einen Bußumtausch, wie solche seit dem
7. Jahrhundert in Übung waren. Anders ' lautet die spätere Notiz:
Die Vigil des Festes soll mit Stillschweigen und Fasten begangen
werden. Dan Märtyrern aber ist gewährt worden — nämlich von
Gott auf ihre Bitte hin am Kreuze — , für diesen einen Tag ein Jahr
^ Ebner 142. ^ Bannister 118.
^ Vgl. darüber Acta Sanct. lunii IV 176 ff.
* Ebd. 187.
5 Bisohof Petrus erscheint noch 868 als Bisehof von Gabii, während 876
ein Bischof Leo erwähnt wird. Ughelli X 108.' Gams, Series episcoporum XIX.
^ L. Duehesne, Le Liber Pontificalis II, Paris 1892, 222. M,. Manitius,
Gresohichte der lateinischen Literatur des Mittelalters I, München 1911, 685.
Die griechische Legende braucht nicht notwendigerweise aus dem Orient zu
stammen; sie kann sehr wohl in Süditalien, wo viele Griechen lebten, verfaßt
worden sein. ;. ' ...
rW^DiÖ' ältestenf? Ablässe fto^ 135
dei^'Büße^ zu- eriässea^ -^Mer w
stellte« «Dieser »Erläßt iJ^M'^v-öh-^d es^ia
Vfersöiiv die^iii* einer Jdör^/ 3Eiändsclirif ^n iider ^\Nöinz beigegöBeii ^si
heißt; ^voiitfCJlms^üs'^ -^önveiiieiiQ^^äfp
dder«Bis6liöf ^ der i deai-Biißeiiälß «e^ eilt<^ ödea^^ ^utgelSeißeri hältö^M ver-
lautet nichts; ,, Aus ;dem;JD^
Bui^rlaßH^v^rz^chn^
Baniaiso)^ gefhraiK)htv^ivnLirde j^kann c nian WaiueMoüicht ^scMießen^i daß'^ der
;,Abläß'j5^- von eine^^^äpstei jj^^tgÖ^
worden sei ; deiin im 10. Öder 11. Jahrhundert war es noch nicht Sittej
daß,|dieiv liturgischen^
BJEipstei zur i Approbation 3fVOTg(ölegt>'>w
dichtete iBuiJä^ßSiiei^ l480|MärtjTer^
i3ei^2iaüiS:' weraem' d^ 'von tfeiii^^ kirclii^
n^ßjiingfniont^.das genngste^bekaj^
können^ > daß; « es zur ^Zeit,^ j wo sder? Biißerläß^
eingetragen liTOrd^y'^ geitörell erteilte^ Ablä^sie-gegebör^hab
Selbst zu emer Zeit, wo; es noch keine derartigen Ablasse gab, hat
jemand iSiehjjj^h^
Eorm meines vBußerla^esr geben irkönnen. . ■ fsBu!ßerlässejv wenhoauchf^niir
vöii^l'äill'^Uf Fallt 'sind^iä? sbhon am'fSl -^älhkhlMdert^ d^
.gewahrt^worden.:.; • , :^ ■■;,>• -i-,',;;;- :^v■■. ■■;■-■ :;:-^'.:^^-:-- ■ • ■-^v.-;- ■;-^:.r-; :;,.;;;
::|«- ijA^.jd<|^valt§ste^
eiir f Privüegiumlangef ührtii däs^^
upi:Mpi9« der ^(Abtei fMöntiitfaj^Ür ^göwälui^
hättet der' Abt RäMbeift -'iM'^äem Bau ^Äerj'pößen* 'llllämtili^
ggnnenil j Zu^^gleimer i^^ ch^^^^r inj derr^is^ih^^ein^ I^^
riohtenvüjbeii ideren Einweihung^Äder aErzbischöf ,a Poiitiusä;aUen , jen^j
welche ydietfneuB^iiKiEfpieUß »^besuclwsn ünd«^ zi^ ^im'^iBä^
besriH^n^'!]!^^^ eiiien -'AbiaiS"^-
teut haben soU.t Den. onentlichenJSußßrn,f die. wegen schwerer Sunden
diexIGbrohefenichtifbetreten vdAirf^^^ ein? j Jahrojerläubt&sein;^
dein!'^ Grbttesdienste /beizuwohnen?, Mt'iAdsü ^nfebst
Mderen>^V^güi]Btj^^ P|1IM ilmMJ^iiD^^
eih;;Teil' Her^au^^
wegen geringereßfSüiidiBitiihre i^
wTiiSdeadie HälfteHder^^Bü^
Besuch^'^inid Wohltäi^f "der iöiMiS ^irn "Daufe'^iSfes- 'IJäffles sterben:,
v. - -yAbgedrvickt.,bei Ebneri,143vxmd;l^^
, , : ; , .^, Daß; die i Einweihung dieser. Kapelle. 101 9 ..stattgefunden: habe, wie etliche
behaupten, jz.>B..ii^v,]y^ de j la, Jlrance.
BmsaUes; 18^5, ;.285,,4stj^
chapelle V Saihte50i?oix dö^^^^.Ä^^
iüispiniJvpm^Je^j.Belle^
, ,. I . *; „Das . M^^legium ;'iist, ^^^ d' Achery;l.yi ,;427^i3i. ; Vgl.
Albanes- Che valier 'in"UÖ;f^ -r /"["''■'■ • ' ^ '■■ :';;X.-^'J.^'S,r,-^--,:i,::-^.
136 IVi; Die/ ältesten:, A^
SO sollten sie /y?on allen- Sünden, .Tröf ürjsie Bllße ern^gagen, ajfeq^
sein; rnit aaadern Woacten j ^e^^
Ablaß yerheißrail .^iElesselbeaiiAblaßj^^
sichserfrenen, ; die in ^nknöftiua^ InßeljjMpntm^
würden rf:jYe;fsc^^ m|D;edenid^^
druckt^ mrdzuriäcHst-bencKtetj>%^
gegangen sei,' .üin'ilmzuiersuchön
.jtale fertur dedisse.responsum: ,Grjmtam,spateBjceyerende...,;,. dicabimns-ii. .
atque dptaDimus spmtuah Ipsa namque'.CT gratjam
öbäpliitiomy/üi' ' qmä^üiS
aliqua; benefieiayllä^ljeturM'indpölr
noch; am ;EqroliT\reiMes.tejlyerrich1^t ;>vird t- v^^ befieficfä
petiturus inereditur, cuncta , se impetrass© iiae.tetur." j Es, war -schön , in der. kärö-
lineischen Zeit üblich. ,-J, Metzger, : Zwei- Karolingische Pontifikalien vom
Oberrheiiil Freibti^g^l9^4, 41*)^'~'Q^ qui'perindietahi'sibi^jjöenir
tentitoi hott ihtroeai^ööclösiam lieö öömmuhiöheöy^acsfi coifp^
jöscülttm ;p&eisiaceipiat: hee,^ c^^
spiritales filiolös de sancto fönte suscipiat nee feriasecunda aüt,quarta;,aut.sexta
aliquid gustet praeter^^panem e^b aq:uam; hie, talis, ad iam^dißtam e<J61esiam .si
veherit in diö videHcet' dedipÄeiÖm^ au€ seraiel in änhiöcürni'sti^a 'yigiliä '^(^^ K
öiit dem^Lioht iüi^ üie^ Vi^ilj yeE%äöiiMcMh (3-^
ad;ppera ecciesiae sanctäeaMaMae, quae?httbdo3hoS^terj?c^]igta^
nipnte:cex parte dpmini^^n^^^ <,.i.i,et ex-nbstra sit^^^
die, quo suam vigiliam fecerit (hier bedeutet vigiUa den nächtlichen, Gotte^^
de tertia parte maioriim peccatorüna, unde pöehitent^
ad diem i jfeüm feVerteh'tis' Mini 'V^^
batafe^ ecolesiaev et iha1beat*licentiäniyintrdndMn tptasiecclösiastpei^'t^^
annumw.cömmunicandi et^pacem accipiehdiset tondendifet raderidi et!hni> vöätiendi
et fiHolosde sacroffonte suscipiendi,''.exceptörquadragesiraali^tenapore,,et;ieiuniis
de quatuor iiemporibus. .Et sitres dies de septimana sunt ei vetiti per poemtentiain,
tÄüm- röddiintis 'ei,^ u't^'^C]binedat- e't'bibat, quoiä^iöi deus d^äeritjr^H^^^^ aliyä^^Blüffi
stiamis, xjailnottiesfe itf talipbeniteatiaj'd^
dimüSjei; et -si unus^rilliiniJreddimtiSfei talijtehorö, jtit.pasoätjtres.paüperesvi.'i)^'.
Denique illos, qui de minoribiis . peccatis , sunt ^iconfessi.iet rhabent -.aGceptana.
po^nitientiam, si yenennt ad dedicatioiiem praediptap..e^cclesiae|aut semel in a
öutii siiS vig[Iiä''e't ctiiiif ädiütoiid'' ad' 'Opera* e'ccl^^^
de i ünaJ mediötateiiacceptae pöeiütiöntiäe, usqü& 'äd^ i^ ähnuiii) • ''Wötüitf autem
Sit 'omnibjjs ;adyementil^^ ie4 absentilbus-,iiquöd ;onmi) annö ;äbsiplutip^
quae facta fuit in dedicatione.ecclesiae sanctae crucis celebrabitur.annuarecursione
m mventione sanctae crucis quod es^t V. npnas,inaii; et per singmos, annpSi ipsa
äbäolutio' iam- 'dicta erlt^ omni ^m'j)Öre^ sr'ita- v6rierint'*pPemföh^
scriptum, öüni: süa' scilicet' Vigilia'et öiira>ädiütöii'p iad->opü4' ecblösia'e ^äm di^^^^
Adiutpriiuh jmtem r tale [sit f qu^i^niöj possimt^iHI;^ dupä, : §t|quij; plus j^
VI aut V, potentes auteha XII aut amplius. >, „Qportet^autem considerare .illos
qm adiütorium praestitennt, quam magnam mdulgentiam et absolutionem
peccatorum accepturi erunt pro tarn parvo doho exigtii adiutprii. ' Säne^si in-
firmitas corporalis impedierit, üt nön^^pössint ye^^
mittat unusquisque hoininem"' äuti'fehliiiäm ciöä'i'sua' vi'g^^^ dum iäm/mcto
adiutorio, et yalebit ei tantum quantum si ipise venifeli: - Sicutjabsölvim
cülös^ ita etiäm jet 'f erhiüäs! qüäö 'ita vöiieiint- ad dödieatibnem^^'^ 'si' in^ totö illo
annb mortui yölmorW^ ^ihV^abäoluti'vbPamc^^
jJGtentis IDeiet; bmhiüm sähctöinjim^ eifc 6x nÖsißfä' ab Ömnihus'pecöaty .^m^
et * niinbribiis ■ de qmb
Hans siqtiidöin 'absolutionem' quaiii' f äcimiM "ecclesiae 's; ' öi'üoisj'fcpn&dimüs! eiiäiic
Omnibus ecclesiis ^quae' fuöriht 'construötäe ihfrä-4p§ani'; ihsi^
qualicunque tempore." •■ vxi u i ; v oa j ;?u«it, >.
IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und' Kirohenbesuoh. 137
als echt arigenommen. - Daß aber das umfangreiche Schriftstück in
der Porm, in welcher es vorliegt, einer späteren Zeit angehört, ergibt
sich aus seinem ganzen Tenor. Schqn die Einleitung: „Tale fertur
dedisse respo'nsum", weist auf eine > spätere - Aufzeichnung hin; daran
können die. beigefügten Unterschriften des Erzbischofs Pontius und
dessen Nachfolgers Raimbaud nichts ändern. Ob in diese Aufzeichnung
echtes -urkundliches '-Material' aufgenommen worden sei und' ob Erz-
bischof Pontius überhaupt einen Ablaß für Moritmajour erteilt habe^
muß' dahirigestöUt' bleiben; s /^Jedenfalls steht es keineswegs fest, daß
wenigstens- der Kern de^ Privilegiums echtsei. Die Mönche von Mont-
majour haben sehr wohl den iganzen Ablaß erdichten können, wie sie
ja' auch fälschlich behaupteten, einen ähnlichen Ablaß von Papst
Sergiüs IV. erhalten zuihaben.^
-> l^Laut' einer Bulle vom 16.'iMai 1010 hätte Sergius IV. anläßlich
der ' Einweihung der s Kirche von (Dorr ens, einem mit Montmajour
verbüiidenen Kloster,! folgendes Privilegium gewährt: Denjenigen^ die
aniNTäge .der"! Weihe die <tKirche ibesuchen, wird ein Drittel der Büße
erlassen; zudem soUteähnen, falls ;sie als öffentliche Büßer vom Gottes-
dienst ausgeschlossen 'wäreii, auf ein Jahr gestattet -sein, den 'Gottes-
dienst zu besuchen; würden sie aber im- Laufe oder am -Ende des
Jahres sterben, so^soUtisn'sie von selten des Papstes absolviert bleiben.
Ebenso sollten lim' Todesfalle absolviert sein; jene, die dem jährlichen
Kirchweihfeste ;gerh' beiwohnen möchten,'^ aber- durch- Krankheit daran
verhindert werden. Den beiden •Grüiidern' der Kirche*' Aldibertus und
Rainoardus .wird die gesamte- Buße! erlassen.' Schließlich wird noch
erklärt', daß den 'Wohltätern ?der Klöster ' Correns' und Montmajour
dieselbe' Vergünstigung>>zuteil.-iwerdeii -solle,;- die ' den -* Besuchern' des
Gotteshauses 'am- Kirchweihfeste vefheißens wird.^ Die -Bulle' ist sicher
unecht ;3 doch steht 'sie bereits' an der Spitze des aus; dem- 12. Jahr-
hundert stammenden Urkundenbuches von Correns.* . Sie muß also
schon frühe- erdichtet' worden sein. -^> .-><.'' ,. -'■-'■
' Mit dieser gefälschten "Bulle 'stiitnmt,'' wenigstens in dem Haupt-
teile, fast wörtlich überein ein Privilegium, das Erzbischof Raimbaud
von Arles im Jahre 1065 bei der' Konsekration der Kirche von Correns
i^ ' 1 Im späteren' Mittelalter glaubte t man, in! Montmajour -sei ein großer,
ja ein voUkoinmener AblaiS- zu gewinnen, in den- Jahren, wo .'das Fest- Kreuz-
auffindung auf eineni Freitag falle,- '-Baluzius, Vitae Papanim Avenionen-
sium I, Parisiis 1693, 322,
, 2 Gallia Christ.. I. Instr.. 104 f. - Migne CXXXIX 1520 f. : ,;Tertiam partem
poenitentiae illi dimittimus, et ecclesiarri usqüe ad caput anni'(caput bedeutet
hier Ende, nicht Anfang) ei reddimus et pacem, et capillos incidere habeat; et
si'-mors in capite anni evenerit vel infra-annuni', ex nostra-' parte absolutus per-
ilianeat." "> ■ "> ' ■ '■ . ' -
' ^ ' 3' Jaffe'3969.'' Unter Nr. ^3968 ist ein etwas anderer Text verzeichnet,
mitgeteilt von -Pf lugk-Harttung I 4, der die Bulle irrig Sergius II, zuschreibt.
Die Bulle wird als echt angenommen von L. C. Goetz in Zeitschrift für Kirchen-
geschichte XVI (1896) 537.
* Albanes I 335. H. Stein, Bibliographie generale des cartulaires frangais.
Paris 1907, 149. Wiederhold 49. ' s ' -
138; IV.-Die ältesten' Ablässe für Almosen und Kirchenbesuoh,.
ausgestellt i haben soU.^ .Die Echtheit dieses Schriftstückes, das
mehrere, seltsame Wendungen enthält und gegen die übrigen Urkunden
Raimbaüds grell abstioht,^ ist sehr zweifelhaft.^ Wie die Mönche
von Gorrens und Montmajour die Bulle von Sergius IV. erdichtet
haben^ so konnten sie auch dem- Erzbischof Raimbaud eine unechte
Urkunde zuschreiben. 1,1 ■ ' • -
i'jMabillon berichtet von einem Ablaßprivilegium, ' das die Bischöfe
Pdn-tius: von ,Glandeve und Erodon von Sisteron einer 1029 ivon
Pontius i dem Kloster Psalmody .geschenkten - Kirche bei -.deren ■ Kon-
sekration ausgestellt haben sollen.* Leider^hat Mabillön, den Wortlaut
der Ablaßurkunde, die. wohl. als echt gelten' darf j nicht mitgeteilt;. er
gibt bloß, ihren Inhalt an. Dieser Angabe zufolge wurde den Pönitenten-,
die sich bei der Kirche aufhielten, ein Drittel der Bußfasten erlassen;
diejenigen, Pönitenten aber,Ldie während dero vierzigtägigen* Büßzeit
sterben i würden, sollten von .den' Bußstrafen aller- Sünden, .die. sie ge-
beichtete hätten, absolviert seüi.^ Es. handelt; sich- offenbar um Büßer,
welchei dielihnen auferlegte vierzigtä^ige Bußzeit bei der betreffenden
Kirche- «wie es damals öfters ' geschah, zubringen wollten. <. Solche
Büßer 5 hatten gewöhnlich drei Tage in der; Woche bei Wasser uiid
Brot zu 'fasten. > Von diesen drei strengen Fasttagen wurde je einer
in der* Woche, erlassen;, dazu kam dann nochider vollkommene Ablaß
für dien iFall des Ablebens während > der 'vierzigtägigen Bußzeit.
•:;Eüieh:doppelten Ablaß haben am 21. .September. 1035 Erzbischof
Guifred von Narbonne und Bischof .Guif red- von Oarcassonne im
Verein mit den Bischöfen Guislabert von Barcelona und-Ermen!-
gaudövon Urgel bei der Konsekration der. Abteikirche S. Pedro de
Port.ellain.der Diözese Urgel- erteilt, den einen fürüKirchenbesuch
und Almosen, einen andern, für Teilnahme an der zur Unterstützung
des Klosters gegründeten Bruderschaft.^ Die Bischöfe erklärten: Wer
VD'Achöry IV441 f. Albanes-Che valier III 171 f. Der. überlieferte
Text ist an einer wichtigen Stelle verderbt. Zum bessern Verständnis ist zu ver-
gleichen ; die gefälschte Bulle von Sergius IV. , ,
* Viele' Erlasse Baimbauds sind abgedruckt bei Alban^s -Chevalier
Ill'Uö'ff. " ' • ' ■ . ■■ • " ■ ,' ^.'.
^ Das Schreiben wird als echt angenommen von Gottlob 238 und Lea 138.
Letzterer mächt für die Echtheit den Umstand geltend, daß der, Ablaß bloß für
den Tag der Einweihung, nicht für das jährliche Kirchweihfest erteilt worden sei.
Er hat aber übersehen, daß es in dem Schreiben heißt: i,Et in alio anno annua-
liter etc." " '
*. Da Erodon im Jahre 1029- nicht mehr Bischof von Sisteron war (vgl.
Alhan^sl 685 ff.), muß die Konsekration der Kirche, früher stattgefunden
haben. j , . ; ■ < s
.^ Mabillön, Annales IV 355: „Fecerunt absolutionem de omnibus peccatis
minimis et maioribus, relaxando scilicet poenitentibus, qui ad illam ecclesiam
convenirent, de tribus diebus imum: ita ut si quis intra quadraginta poenitentiae
dies mortuus esset, censeretur absolutus de omni peccato, quod presbytero con-
fessus esset." :
* Villanueva VIII 259: „Constituo . . . ego Ermengaudus praesul sedis
TJrgelh cum domno archiepiscopo Narbonensi aliisque episcopis michi consen-
cientibus, ut quicunque homo vel femina ad iam dictum cenobiumi S. Petri venerit
IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirohenbesuoh. 139
ZU dem Kloster kommt und^'für die Kirche sowie für die andern Werke
einen Beitrag spendet, der soll von selten Christi ' absolviert sein; von
alleii ischweren Sünden, für die er Buße empfangen hat. ■ Wer aber in
frommer Meinung zur" Bruderschaf t^ kommt, einen . Beitrag .spendet
und in' eigener Person oder' durch einen - Stellvertreter die übliche
Kerze opfert,^ soll von allen Sünden,' wofür- er Büße empfangen, ab-
solviert sein". •' ,',Wir' selber," soviel wir können, erlassen alles."
In der Konsekrationsurkunde der Äbteikirche' voii' Pörtella er-
klären die Bischöfe, sie hätten deii Gründer der 'Abtei, einen gewissen
Wifred,*! -beauftragt, sich' mit "^ dem Stiftüngsbriefe auf die- künftige
Synode von NarBonne'zubegeben, um ihn dort von den versammelten
Vätern bestätigen zu lassen. In dem' 'vori'iVillanueva;! veröffentlichten
Dokument schließt sich diese Bestätigung; unmittelbar, an i die-, von deii
vier ^Bischöfen ausgestellte Urkunde' an. Da Bisehof .Ermengaud^von
ürgel, der bereits-am-S. November 1035 gestorbeii^dsti die Beschlüsse
der Narbonner Synode ünterzeichnfet hat, so. kann diese Synode nicht
erst" 1043, .wie vielfach angenominen wird, stattgefunden haben; sie
muß noch im* Oktober^ 1035' abgebeten 'worden sein.* Die zahlreichen
Konzilsväter bestätigten; 'den ihnen' vorgelegten Stiftungsbrief von
Portella und' gewährten zudem zugunsten! der Abteiivier, verschiedene
Privilegien..' ' ' ■ '" ■> '■''' '. '■' .' ' •'' ■ ^
Zunächst erteilten sie den ■ Wohltätern des 'Klosters einen merk-
würdigen Ablaß, der wohl einzig in seiner Art ist. Denjenigen, die
der zu Portella gegründeten Bruderschaft 'beitreten oder für die Kloster-
kirche einen Beitrag 'vom Werte ' eines Denars spenden würden, sollte
die BuiJe für eine, scliwere Sünde, die sie am , meisten beurirüKige,
vel ad ipsam ecolesiam atque ad aliaopera ex suo proprio 'ayere saliquem ■(!;)
adiutorium fecerit in pane et vino, auro et argento vel aliis rebus, i ab' omni-
potentis Christi dextera absolutus permaneat ex'omnibus inaioribus>pecoatis,
unde penitenoiam habet. Si quis vero ad ipsam. oatitatem,'que (!) vulgo fratrias
vocant, bonoanimo pro Dei ämore convenerit vel ■ adiutorium. ibi fecerit, seu
candelam per se vel per suum~nuncium direxerit, similiter, in Christi regno a
ianitore regni oelorum introduotus, permaneat absolutus ex omnibus' peccatis
unde penitenoiam accepit; quantumcunque ad nos ex nostra parte attinet, totum.
indulgemus." ' ' ' > ■ , , - > ' , , -
1 Im Texte steht- „ vel' V das aber .hier, wie auch sonst oft, ohne Zweifel
„und" bedeutet. Ducange VIII 262; „FeZsaepe pro coniimctione et usurpatur."
Vgl. auch Forcellini, Totius latinitatis lexicon VI, Prati 1875,' 263. •■
.- * „Caritas" bedeutet- sowohl die Bruderschaft selbst ' (Gallia Christ. VI.
Instr. 366) als das jährliche Bruderschaftsfest. ' . < .
' Zum bessern Verständnis, der Bestimmungen- bezüglich der Bruderschaft
sei auf eine andere Urkunde verwiesen (Villanueva XI 185), wodurch Bischof
Odo von Urgel im Jahre 1100 eine Bruderschaft an der Kirche in Lillet errichtet
hat. Es wird darin bestimmt,' daß die Mitglieder jedes Jahr einmal zusammen-
kommen, „et peragatxir karitas, quae vulgo dioitur fraterna, et per quodque (!)
aimum donet unusquisque fratrum in-vigilia altaris agenda candelam unam."
Dann, wird noch bestimmt, daß die Mitglieder der Bruderschaft, die jährlich
für die Kirche einen Beitrag zu spenden hätten, ihre letzte Ruhestätte im Kloster
finden würden; auch wird ihnen empfohlen, die ärmeren Mitglieder zu unter-
stützen.
* Vgl. hierüber Acta Sanctorum. Novembris Tom. II, P. I (1894) 82. .
140 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirohenbesuch.
erlassen werden.^ Bei der Einweihung der- Kirche hatten die vier
anwesenden Bischöfe den ' Wohltätern des Klosters einen Erlaß der>
Buße für alle, schweren Sünden, den Mitgliedern dertBruderschaft
aber eineii Bußerlaß -für alle Sünden verheißen. Die in' Narbonne
versammelten Konzilsväter fanden wohl diesen >,doppelten Ablaß * zu
hoch; deshalb schränkten sie ihn ein: statt .der,. auf erlegten Buße für.
alle schweren oder für alle, Sünden sollte bloß die Buße für eine
schwere Sünde erlassen: werden.? < ' "■
i Ein zweites Ablaßprivilegium betrifft die Pönitenten, welche in
Portella die vierzigtägige Fastenzeit am Dienste : .Gottes zubringen
nnduwährend dieser Zeit eüie Lampe im.'<-,Gottesliaus unterhalten
würden, oder, .falls sie ' verhindert wären, die.iganzs;, Fastenzeit jim
EHoster, zuzubringen, wenigstens den Uüterhält einer Lampe bestreiten
wollten. Diesen wurde eine Ermäßigung^ der* Bußfasten zugesichert;
Hatten sie wöchentlich drei, zwei oder einen Tag. zu fasten, so sollte
ihnen jede Woche ein Tag nachgelassen werden:?..- i ,
■ Ein drittes , ^Privilegium beschäftigt sich mit "Pönitenten, ^ denen
auferlegt worden war, eine Wallfahrt riach 'Rom' zu. imachenv Von
dieser laiigen Pilgerreise ; konnten sie entbunden ) werden, wenn, sie
siebenmal mit eigenem Lichte nach Portella pilgern wollten.* -Hier
handelt es sich nicht um einen Ablaß, sondern um eine Bußumwandlung.
Auch' das vierte Privilegium ist nicht den Ablässen beizuzählen.^
^ Villanueva VIII 262: „Pro Dei amore.et b. Petri,. . . honore facinms
constitutionem prephato loco, ut quicumque homo vel femina ... ad iam dictam
fratriam venerit, pro remissione suorum peccaminum, Vel ad iam dictam ecclesiam
ex tehxjs propriis vel in lumine eeolesie adiutorium fecerit, quantuill' unius' denarii
precium potest estimari, de parte Dei et nostra maneat absolutus de I ex miaioribus
peceatisi iquod plxis tim.etjetriUadetniaiorein penitentiam. habet." ' >
(il-n 2^iVgl.;hierzu'Fälco. 143i;;ff. * ' ■ ^ ^
; ■ ? ,>Constitiuniusi ütdndiebTis.XLö quicumque fidelium ibi usque in Pascha
in servici6;Deiipers,eyerayerit etrlampadaeius tota-XL^in ecclesia beati Petri
apostoliarseritjSiiveillejiquitoto -tempore XL® aliqua necessitate constrictus ibi
perseyerare minime potüerit et tamen lampada ipsius per totum tempus XL® in
prephata ecclesia competenti tempore arserit, si penitentiam trium vel duorum
autcerte; unius jdiei itenueriti^^ pro Jamore Dei et hönore Sti. Petri ex tribus vel
duobus umma diem usque in Caput XL® solvimus." Über den Sinn dieser Be-
stimmvmg vgl.iOFalco .147 f. Sira. Zweifel kann man darüber sein, wie die Be-
stimmung- j,usque in Caput XL®'', zu erklären sei. Bedeutet sie, wie Falco meint,
„bis zixm ;Eride der .rPaätenzeiit'' ? voder muß es heißen, „bis zum Anfang .der
Fästönzeit", so daß dert^Erläßt sich; bloß auf die Bußfasten während- des Jahres,,
nicht aber auf das vierzigtägige »Fasten vor Ostern bezogen hätte.? Letzteres
istdas Wahrscheinlichere,! da ;häuf ig die vierzigtägige Fastenzeit vom. Bußerlaß
ausgenommen ' wurde; so' in -dem. oben erwähnten Ablaßprivilegium- für Mont-
majom", so auch in dem -unten anzuführenden Ablaß für Pierrefeu.
*' ,>Si- quis auterh pro remissione peccatorum in penitentiam- habet, ut ad
ecclesiam S;: Petri Romecupiatjipergere et ad iam dictum cenobium S. Petri
peregrinus cum propriacandeläsepties venire studuerit, tantum illi prosit, quo-
mödo si longi itineris iperegrinationem tenuerit."
^ Villanueva VIII 262: „Qui vero ad iam dictam ecclesiam tres magistros
vel certe dUosfXL^ (bgi Villanueva steht XL®) diebus.in pane et vino atque
redemptione de tinuerit, tantum mercedis accipiat, quantum si sancti septilcri
desiderio ductus illio pergere voluerit, et gratiam Dei promereatur et apostolica
IV.i-Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirohenbesuoh. 141
•
Die Synode erklärt, daß derjenige, der während 40 Tage beim Kirchen-
bau drei oder vier Maurer .in Nahrung und Löhnung unterhalte, so
viel Lohn dafür empfangen solle, als. wenn er eine Pilgerfahrt nach
Jerusalem unternehmen würde; zudem- wurde ihm der apostolische
Segen und die Absolution der Konzilsväter zugesichert. Unter dieser
Absolution ist nicht etwa ein Erlaß der Bußstrafen zu verstehen,
sondern die Entbindung von der Pilgerfahrt nach Jerusalem, falls
man sich durch ein Gelübde dazu verpf hebtet hätte i . ■
Ln Vorübergehen sei hier bemerkt, daß es noch andere Urkunden
gibt, sowohl 'echte als unechte, in denen erklärt wird, man könne
durch ' den Besuch einer bestimmten ' 'Kirche dieselben Gnaden er-
werben, wie durch eine Wallfahrt nach Rom oder Jerüsalein.. So
heißt es in einem gefälschten Schreiben Gregors I. (590 — 604), daß
man im- Notfalle die beabsichtigte Romfahrt durch einen Besuch der
Peterskirche . in Nantua (Diözese Lyon) ersetzen und hier, dieselbe
Verzeihung und den apostoHschen Segen wie in Rom, finden könne,^
Gefälscht ist auch das Schreiben, worin Papst Agatho im Jahre 680
ein ähnliches Privilegium der Peterskirche in Medeshamstede verleiht.^
Dagegen dürfte eine Konsekrationsurkunde der Eärche von Paler a
(Diözese Gerona) ■ aus dem Jahre 1085 echt sein. Mehrere Bischöfe,
die bei der Einweihung der Kirche zugegen waren, erklären, daß, wer
das GotteshauS;besucht und für dessen Unterhalt einen Beitrag spendet,
von Gott denselben Lohn empfangen solle, wie durch eine Wallfahrt
nach; Jerusalem.^ , .
Vier Jahre später (1089) forderte Urban II. die Großen und
Bischöfe von Katalonien zur Wiedererbauung der Kirche von Tarra-
gona auf. Diejenigen, die im Sinne hätten, das heiÜge Grab in Jeru-
salem, oder andere heilige Stätten (partes alias) zu besuchen, mahnte
er, die Reisekosten Tarragona zukommen zu lassen; dabei verhieß er
ihnen» von selten Gottes denselben „Ablaß" (indulgentiam), den sie
sich durch die lange Pilgerfahrt verdienen würden.* Man hat in dem
benedictione loboratus nostra omnium adfirmatione et absolutione solvatur."
Daß XL^, nicht XL® zu lesen ist, kann kaum einem Zweifel unterliegen. Wäre
die vierzigtägige Fastenzeit gemeint, so würde es heißen,' wie unmittelbar vorher:
in diebus XL®, oder per totum tempus XL®. Unter magistri sind nicht not-
wendigerweise Maurermeister zu verstehen; der Ausdruck magister wurde auch
für einfache Maurer gebraucht. Vgl. Ducange V 171.
1 Pflugk-Harttung'III 2 f.: „Si quis fidelium, Romam ire disponens
aumptusque ei defuerint, ipsumque memoratum locum adeat, si ibidem pro
posse elemosinam fratribus inxpendat, eandera veniam et benedietidnem apo-
stolicam sine dubio inibi percepturus, sicuti ad limina apostplorum."
* Jaffe 2111. Monasticon Anglicanum I, London 1682, 66. Haddan
III 153 ff.
3 Espana sagrada XLIV S. XIV f.: -„'Concedimus predicte ecclesie . . ,
talem libertatem, ut quiounque illic causa orationis venerit et de sua proprietate
vel substantia predicte ecclesie dederit, accepta peocatorum confessione ac peni-
tentia ex malis retro .ante comnxissis, talis ei merces a Domino recompensetur
sicut in sepxilohro Domini' .nostri lesu Christi Iherosolimitano." ■
* Migne CLI 303. . ,
142 JVv Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch.
•
Sciireibeii'IJrlbans eine spätere Fälsclaüng; sehen wollen.^ Es scheint
allerdings etwas verdächtig zu sein; doch sind die Gründe, die« man
gegen seine Echtheit geltend macht, -nicht überzeugend genug.?- Mit
Unrecht spricht man übrigens -von einem eigentlichen Ablasse, den
ürbän II. in diesem Schreibeil verliehen hätte. Es handelt, sich bloß
um die althergebrachte Anschauung, daß man durch fromme .Wall-
fahrten Verzeihung der Sünden von Qott erlange. Der Papst erklärt»
daß man sich dieselbe Verzeihung auch durch Unterstützung der
Kirche von Tarragona verdienen könne. Einen ganz besonderen
Wert hatte diese Erklärung für jene, die sich durch Gelübde zu einer
Wallfahrt verpflichtet hatten oder -denen die Wallfahrt als Buße auf-
erlegt worden war. Sie .wurden dadurch von ihrem Gelübde oder
von der auferlegten Buße entbunden.
Dieselbe Bedeutung hat ein Privilegium, das im Jahre 1118
Bischof Dalmatius von Roda der Kirche von Tolba ausstellte: Der
Besuch dieser Kirche sollte den gleichen Wert haben wie eine Pilger-
fahrt nach Jerusalem oder nach andern berühmten Wallfahrtsorten.*
So soll auch Calixt II. (1119 — 24) den Engländern, die zweimal nach
St; Davids (Wales) pilgerten^ (denselben; geistlichen; Segesii verheißen
haben, den sie sich durch eiiie eiiimahge^Bomfaiirt erwerbet
Kehren? wir nun wieder zu den sütereri -Ablässen züriickj ' ' u-
In den Jahren' 1041—52 soUeii ötliche'^BischÖfedeii Wohltätern
der Abteikirche St. Eides in Gdnqüesi (Diözese Rodezj die Näch-
lassung der HäHte der auferlegten Buße verheißen ha^feh;^ Dieser
Ablaß, den ein^ nicht näher J bekannter iAbt von Gpnqueis, Amabricus
mit Nanieuj zur Kenntnis der Gläubigen bringt j 5 ist zwar nur schwäch
bezeugt ; doch läßt sich gegen dessen Echthcdt kein stichhaltiger Grund
anführen: Dagegen ist der Ablaß von s7'^ Jahren und 17 Quadrageiien
nebst einem vollkommenen Sterbeablaß , den nach derselben Quelle
1 J&iU Ö401. Riant, in Archives de i'Örient laiih I, Paris 1881, 68^f .
* Devic und Vaissete II 273 f. halten daß- Schreiben für echt.
^ Espana sagrada XL VI 227: „Si esset homo vel femina que voluisset
pergere ad S. lerusalem vel ad S. Petrum Rome, aut ad S. lacobum' Galissie,
seu ad S. Mariam de Podio, vel in aliam peregrinationem, et venisset ad locum
illum et ibi misisset suam hele'mosinam, tantum prodesset sibi quantum si
pergeret ad illas peregrinationes."
* Willelmus Malmesbiriensis, De gestis regum Angelorum libri quin-
que II, London 1889, 507 f. [Rerum britanmcarum Scriptores XCJ^ Wilhelin
, lobt Calixtus, daß er frei von Geldsucbt gewesen sei, „adeo ut Anglos peregrinos
iriagis ad sanotiHn David quara Romain pergere admpner^ pro yiae longitudine ;
ad illuin locum bis euntibus idem benedictionis refundendum commpdxim, quod
haberent qm semel JRomam irent."
. , , ^ L. Saltet, Le diplöme d'indulgeiices poür la construotiori de l'öglise de
Gonquesy in Bulletin de litt^rature eoclesiastique (Toulouse 1902) 120-—rl26:
„Ulis qui vel manu larga vel ex pauperibus exiguummunus, singulis annis, ad
opus ecelesiae Si Fidis aut ad luminare eiusdem contulerint, quantum in obis
a Deo permissum est, absolvimus medietatem de illis poenitentiis quas iidem
secundum conscientias suas iuste acceperunt." ,; .! ZU ; j ,
•IV. Die ältesten Ablässe für Almosen tincl Kirchenbesuch. 143
ein Papst Alexander fürConques erteilt halben soll/ sicher den so zahl-
reichen mittelalterlichen Fälschungen beizuzählen.
Besser, beglaubigt ist der Ablaß,' den im Jahre 1046 bei der Kon-
sekration der Kirche von Nötre-Dame d ' Arie s (Diözese Ehia) den
Wohltätern dieser Abtei Erzbischof Guifred von Narbonne mit andern
Bisehöfen verliehen hat: Diejenigen, die für ihre Sünden Buße emp-
fangen hatten, wurden auf ein Jahr davon losgesprochen; mit andern
Worten',- es wurde ihnen ein Ablaß von einem Jahre erteilt. Würden
sie aber im ' Laufe 'äes Jahres sterben, so sollten sie von Gott und
den Bischöfen absolviert' sein.^'
Durchaus glaubwürdig ist der Ablaßt den um 1050 Bischof Deödat
von Toulon den Besuchern und Wohltätern einer Kirche inPierrefeu
bewilligt hat; ' Denjenigen, die für geringere Sünden Buße empfangen
hatten, sollte die Hälfte davon erlassen werden; jenen, die für schweriere
Sünden drei oder vier Tage in der Woche zu fasten hatten, wurde ein
Tag in der Woche nachgelassen. Doch sollte die Büßermäßigung
während der Adventszeit und der. 40tägigen Fasten keine Geltung
haben.^
Um 1054 wurde unter Beteiligung zahlreicher Bischöfe, ins-
besondere der Erzbischöfe Guifred von Narbonne und Raimbaud von
Arles, die neue Kirche von Maguelone eingeweiht,* Wie der spätere
Bischof von Maguelone Ar naud de Verdale in einer 1339 verfaßten
Schrift berichtet, gewährten die bei der Feierhchkeit anwesenden
Bischöfe den Wohltätern der Kirche folgende Begüristigungisn : Wer
der Kirche von Maguelone sein Erbteil vermache und auf deren Fried-
hof sich begraben lasse, solle von allen Sünden, die er gebeichtet
und wofür er Buße empfangen, absolviert sein. Wer am jährlichen
Kirchweihfeste die Kirche besuche und am Feste selbst oder während
^ „Remeclium septem annorum et septem quadrageriarum de acceptai
poenitentia per Dei gratiam et apostolicam'benediotionem habeat; et post mortem,
si in bona confessione obierit, remissionemomnium peccatorum suorum peroipiat.**
2 Maroa 1091: „lUos horoines, qui adiutores sunt vel -fuerint ad per-
ficiendum aedificium präefixae domus, quae manet adhuc imperfecta, absolvimus
eos a peccatis illorum, de quibus agunt vel egerint poenitentiam, usque ad cir-
culum anni. Si cui vero ex illis infra praelibatum terminum mors advenerit,
intercessu gloriosae virginis ... et omnium sanctorum absolvat eos Pater et
Filius et Spiritus sanctus et nos, quantum permissu (!) nostro est." Zu dem
„absolvimus . . . usque ad circulum anni" vgl. in dem oben angeführten Ablaß-
privilegium für Montmajour die Bestimmting „Absolvimus , . .' usque ad unum
annum".
^ Guörard I 482: „Absolutio quod (!) domntis Deodatus episcopus, cum
universis clericis suis, fecit in hoc loco, tam.viris quam mulieribus, de omnibus
peccatis suis tarn de maioribus quam de minoribus, unde poenitentiam egerunt
vel agere cupiunt: de minoribus unam medietatem; de maioribus dimittimus
qui in tres dies est unum, et qui in duobvis, dimittimus unum, extra quadra-
gesimam et adventum, ad eos qui ibidem fideliter venerint vel vigilaverint, aut
de possessionem suam ( ! ) valente unum denariurn, per unimaquenique ( ! ) anno,
hio adiutorium dederit."
* Devio II 606 f. Neue, Ausgabe IV (Toulouse 1876) 161 f. F. Fabrege,
Histoire de Maguelone I, Paris 1894, 108 f. .
144 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch.
der Oktav beichte, solle, falls er im Laufe des ■ betreffenden Jahres
sterbe, der apostolischen und bischöflichen; Absolution sich erfreuen,
die Verzeihung der Sünden und das , ewige Leben erlangen.^ Daß
Arnaud genau berichtet, steht nicht außer allem Zweifel. Die Be-
stimmung, daß man am .Kirchweihfest oder in der Oktave beichten
solle, scheint auf eine spätere Zeit hiniäuweisen; zudem geben die
Unterzeichner des Privilegiums Anlaß zu allerhaiid Bedenken. Auch
sonst erzählt Arnaud Dinge, die nichts weniger als glaubwürdig- sind ;
so behauptet er z. B,, Urban II. habe 1096 verordnet, daß der Kirche
Yon Maguelone (eine ganz unbedeutende Kirche) nach der römischen
Kirche die erste Stelle- gebühre. ^ Sollte aber, sein Bericht über das
bischöfliche Privilegium auf, Wahrheit beruhen, ,so dürfte wohl die
zweite von ihm erwähnte Absolution. als Sterbeablaß aufzufassen' sein.
Auch die erste Absolution, die jenen verheißen wird, welche ihr
Erbteil der Kirche von Maguelone zuwenden und auf deren Friedhof sich
begraben lassen, ist allem Anscheine nach als Sterbeablaß zu betrachten.
Für die Wahl der letzten Ruhestätte bei einer bestimmten Kirche
wurde damals häufig eine Generalabsolution in Aussicht gestellt. So
haben im Jahre 1045 bei der Konsekration der Klosterkirche von
Fluviano Erzbischof Guifred von Narbonne und mehrere andere
Bischöfe jenen, die sich auf dem Friedhof der Kirche begraben lassen
Avürden, die Absolution erteilt.^ ,Noch im Jahre 1045 wurde die
1 „Decreverunt, ut, si quis homo in vita sua hereditatem suara ad Ecclesiam
supradictam post mortem suam, concesserit, et de peccatis suis confessus fuerit,
et in cimeterio Eeclesie memorate sepultus fuerit, ab omnibus peccatis, de quibus
penitentiam suscepit, absolütus sit, et particeps fiat vite eterne et regni Dei.
TJt quicumque homo cuiuscumque proviuoie ad solemnitatem huius eeclesie que
per singulos annos celebratur, advenerit, .e,t peccata suä eo die yel infra >octo
dies confessus fuerit, si infra terminiun ilüus anni naortuus fuerit, apostolicam
absolutionem et episcopalem habeat, et femissionem peccatorura et Adtä-m
«ternam accipiat." ATnoldus de Verdale, ßatalogus episcoporum Magalo-
nensium, veröffentlicht von Oh. de Grrefeiiille;, Histoire de lä ville de .Mpijt^
pellier II, Montpellier J:739,; 423. A. Germ ain; Axriaxid de^iVei^dale. ; M
pellier..;1881,.. 68. :;■.;• ■^■.:-,^:.: ■_--■■.' -r^:-. \'■■^ ,--;-:^! -■>:.:,-iv!: . . : Ho>i .: -j: ■ r. 1 f -
; , * „Secundo locö>pbst Bomanam.iEcclesiam' honörifioandato : deoreyit;: et »t
se fideles de quibuscunque loeis ibidem ; sepeliri; facerent, dihgeritermonmt/'
De Grefeuille 427. ; Germain; 77v ■L;^aulöt'(ürbain I^
bemerkt dazu :,,I1 parait evident qu'ici le chroniqueur, anime du .d^sir de rpndre
demesurement cölebre son siege episcopal,ä depasse les bornes de 1» vraisemi
^blancei." ; ■ ':'■:;:.•. ■■.;:; : ^. • -^■^ ■; , , . ~.:.r-\-^-:onV'..
^ Marc a 1088: ,,Onmes, qui praefatilociladiutores et visitatöres ßxtiterint^
et qui de rebus suis eidem contulerint, atque inaedifioando adiutoriumimpenderint,
totius beneficii in coenobio Guxanensi äd qupd idem loeiis pertinerie: dinöscitur
facti decernimus esse participes . .% Ceterurn eos[ qüi corpora sua hio sepulturae
tradenda decreverint, tradita nobis a Deo ligandi a.tque solvendi pötestate ab--
solvimus," Unter dem „beneficium in coenobio .Cuxanensi; factum" ist nicht
das, von Ouxa „erlangte Gnadentum"- oder dessen Ablaß zu verstehen;; es iwirid
bloß den Wohltätern eine Teilnahme an den Gebeten und guten Werken dßr
Mönche verheißen. Vgl. bei IJaroa 1089 den Bruderschaftsbrief »wodurch Guxa
sein „beneficium" zwei Wohltätern mitteilt: „Damus societatem praedictis; . > ;.
in omni bene.fipio nqstro quod faciinus et f äotuxi sumtisi id est in ; pinnibT:^
orationibus, in eleemosynis et in aliis omnibus Domino placitis bohis." ;, j:
IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirohenbesuch. 145
Absolution wieder von Erzbisehöf Guifred tind andern Bischöfen jenen
gesjpendet, die sich auf dem Friedhof der Abtei St. Martin de Lez
(Diözese Narbonne) ^beerdigen lassen würden.^ Als um 1066 der Bischof
Rostagiius von Lodeve den Mönchen von Gellone auf ihre dringende
Bitte erlaubte, diejenigen seiner Diözese; die es begehrten, auf ihrem'
Friedhof zu bestatten, absolvierte er zugleich die Gläubigen, die in
GeUone begraben würden, von den Sünden, für welche sie Buße getan
hätten.^ Eine ähnliche Absolution erteilten 1073 der Kardinallegat
Giraldus jenen, die den Friedhof der Abtei St. Jean-du-Mont
(Diözese Auch) zu ihrer letzten Ruhestätte wählen würden,* und
Bischof Agano' von Autun (f 1098) zugunsten dreier Kirchen* seiner
Diözese.' Man könnte geneigt sein, in diesen Absolutionen nichts
anders izu sehen als fromme, von autoritativer Seite ausgesprochene
Segenswünsche, wie ja so manchen mittelalterlichen Absolutionen, die
sowohl Lebenden als Verstorbenen erteilt wurden, keine andere Be-
deutung, beizulegen ist. Es ist aber wahrscheinlich, daß es sich um
Ablässe handelt, und zwar um Sterbeablässe, d. h. solche, die für den
Augenblick des Hinscheidens in Aussicht gestellt werden.^
Verdächtig ist ein eigentümliches Privilegium, das im Jahre 1056
Erzbisehöf Raimbaud von Arles, im Verein mit einem . Erzbischof
Austirigus, -dem Bischof Wilhelm von Toulon und dem Abt Petrus
von St. Viktor der Kirche von Trets (Tritis) bei deren Ein-
weihung ausgestellt haben soll: Wer der Kirche von Trets ein
Gut vermache, solle von den Sünden, die er gebeichtet, absolviert
sein; dieselbe Absolution solle jenen zuteil werden, die dreimal im
Jahre dem nächtlichen Gottesdienst in der Kirche beiwohnen oder
1 Gallia Christiana VI. Instr. 105: „Quicumque pro salute animae vel
corporis sui ad utilitatem eiusdem loci mobilibus vel immobilibus rebus aliquid
contuleriti et in confessione Christi migraturus ex hoc saeculo ad eum se de-
portari destinaverit et ibi requieverit, a Domino indulgentiam et requiem sempi-
temam conseqüi se confidat, et ex nostra parte, quantum nobis commissum est
a Domino, vice b. Petri absolutum se sciat." Auch bei Devic II. Preuves 212.'
^ Mabillon, Annales IV 630. Gallia Christiana VI. Instr. 274: „Eos qui
sepulti fuerint vestro in oimiterio, de quibus' poenitentiam egerunt, absölvo'
a peccatis." Die Urkunden von Gellone aus dem 11. Jahrhundert sind allere
dings sehr verdächtig. Vgl. Mölanges de litt6rature et d'histoire rehgieuses
publikes ä rocoasion du jubilö öpisoopal de Mgr. de Cabrieres III, Paris 1899, 413,
3 Baluzius, Miscellana III 44; „Quicirnque in praedicti monasterii coeme-
terio sepeliri se fecerint, et de peccatis sms puram confessionem Deo obtiderint
veramque poenitentiam susceperint et egerint, eos apostolica auctoritate ab-
solvimus et fraternarum orationum atque eleemosynarum participes esse lau-
damus."
* Galüa Christiana IV. Instr. 83: „Quicunque saecularis vel clericus prae-
diotarum ecelesiarum eimiteriis corpora sua sepeliri ad sustentandam pauperum
Christi pauperiem concesserint,'si viatico corporis et sanguinis Christi praemuniti
pecoatorum confessionem habuerint, quam possimaiis et debemus absoliitionem
auctoritate nobis commissa suscipere mereantur."
^ Daß die verheißene „Absolution" Sterbenden zugedacht ist, zeigt das an
letzter Stelle angeführte Schreiben, worin der Empfang der heiUgen Wegzehrung
vorausgesetzt wird.
Paulus, GeBchlchte des Ablasses. 10
146 ly. Die. ältesten. Ablasse für Almosen und Kirchenbesueh.
drei Tage für sie arbeiten würden.^ Ein Erzbischof Austingus kommt
sonst nicht vor. Man sagt wohl, es handle sich um den Erzbischof
Rpstagnus von Aix.^ Allein, noch am 13. September 1056. erscheint.
Pontius, Erzbischof von Aix, auf einer Synode in Toulouse.^ Daß
ihm Rostagnus schon im Jahre 1056 nachgefolgt, sei, steht keineswegs
fest. Seltsam ist auch die Wendung „in.ipsa absolutione permaneat"-.
In andern Urkunden wird. sie wohl bisweilen gebraucht von .der Ab-
solution, die für den Eall des Ablebens erteilt wird, gewöhnlich aber nicht.
^11 sonstigen Fällen. ' ^
' Mit der Konsekrationsurkunde für Trets stimmt mutatis mu-,
tandis wörtlich überein eine ebenfalls im Jahre 1056 von Bischof
Wilhelm von Toulon ausgestellte Konsekrationsurkunde für die Kirche
von St. Pankratius. Nur fehlt am Schlüsse des Schriftstücks^ im
ürkundeiibuch von St. Viktor, das Ablaßprivilegium.* Merkwürdiger-
weise findet sich aber dies Privilegium, als von den Erzbischöfen
Raimbaud und Austingus, von Bischof Wilhelm von Toulon und Abt
Petrus von St. Viktor .außgestellt und etwas vermehrt in einer angeb-.
liehen Originalurkunde, die in Marseille, verwahrt wird.^ Aus . dem
Umstände, daß das Ablaßprivilegium in dem aus dem 12. und 13. Jahr-
hundert stammenden Urkufide'nbuch von St. Viktor fehlt, darf man
wohl schließen, daß es erst nachträglich von einem Fälscher der echten
Kbnsekratiorisurkünde beigefügt worden ist. Als Vorlage diente "das
zweifelhafte Privilegium für Trets. ^
Als um 1070 Erzbischbf Rostang (Rostagnus) von Aix eine
neue Kathedrale bauen wollte, mahnte er die Gläubigen, Beiträge
zu spenden, und verhieß ihnen dafür einen „großen Ablaß der Sünden"^
ohne jedoch diesen Ablaß näher zu bestimmen.'
Wenn auf Grund alter Inschriften oder Kaiendarien berichtet
wird, daß itahenische Bischöfe in den Jahren 1085,^ 1093 oder 1094,*
. . ^ Guerard I 140 f. : ,,Si autem homo aut femina dotaverint hanc ecclesiam
de suis possessJonibus, ita ut alodem faeiant, si confossus fuerit episcopo vel
sacerdoti peocata sua, sint illi.dimissa ex parte Dei et domni Raimbaldi archi-.
episcopi atque domni Austingui archiepiscopf, et domni Wilhelmi Tolonensis
episcopi, et domni Petri abbatis S. Victoris." Si vero homo vel femina ter in anno
^d vigilias venerit, aut tres dies hie laboraverit, in ipsa absolutione permaneat."^
. . 2 Albanes I 50. » Albanes I 49. « Guerard I 146 f.
^ Albanes -Chevalier V 33 f.: „Si autem homo etc." bis ,,permaneat'V
wie im Privilegium für Trets. Dann heißt, es noch: „Et quicmique in isto loco
mortui requiescunt, aut quicunque hie venerint et hie requievqrint, sint absolut!
ex. parte r)ei omiiipptentis et supradictorum episcpporum atque canonieorum^
et„pmniuni honiinrnn fideKum.'' ,",_ , ; . ., v ,! ; ;' ;;\. i; ii.:;i: ;-
• ,;. i ® Von Bischof Wilhelm .von T.odlon. haben Sich .noch verschiedene ;anderev
Konsekrationsm-kuriden erhalten, die alle kein Ablaßprivilegium aufweisen,;
Albanes-Chevalier V 32 (1055) 34 (1056) 36 (1068).
k:; . ' j, Quatenus a Deo et a "nobis remissionem peccatorum suorum magnam
recipiat.'V Albanes I. Instr. 2., Auch bei Faillon II 689 f.
^ ; , -: ^ Kardinal Odo für eine lürche in Velletri. Ughelli 1 45. A. Borgia,
Istoria della chiesa e cittä di Velletri. Nocera 1723, 199. F. A. Maronus, Com-,
mentarius^ de ecclesiis et episcopis Ostiensibus et Vclitemis. Romae 1766, 68^
•,, . . ® Bischof Alcherius von Palermo mit andern Bischöfen für die Kirche-,
Srüäriae de Turri. Ughelli IX 425. . . . ...
•IV, Die ältesten Ablässe für Almosen und- Kirchenbesuch. 147
1095!^ für den Jahrestag der Kircliweilie' einen' Ablaß von 40 Tagen
verliehen haben, so -darf -man wohr derartige Ablässe in eine spätere
Zeit verlegen. ' ^ • , , , .
Daß gegen Ende des 11. Jahrhunderts auch schon in Deutschland
bei der -Einweihung von Kirchen Ablässe erteilt wurden, meldet ein
iim 1205 ; verfaßter Bericht über die im- Jähre' 1089 durch die Bischöfe
Adalbero von Würzburg und Alt mann von Passau vollzogene Kofi-'
sekrationder Klosterkirche' von Lambach.^ Leider wird über den
bewilligten Ablaß nichts Näheres mitgeteilt; zudem ist der Bericht
nicht' alt genugj um als durchaus zuverlässig gelten zu "könrien.^
' Hiermit dürfte die Aufzählung der bisher bekannt gewordenen
Ablässe, die im 11. Jahrhundert Bischöfe für Almosen und Kirchen-
besuch' erteilt haben, erschöpft sein.- Diejenigen, die sich mit voller
Sicherheit . nachweisen lassen, sind nicht sehr zahlreich. Sie treten
zunächst in' Nordspanien und im südlichen Frankreich auf.
* *
* ■
Päpstliche Ablässe kommen erst später. vor. Aus der ersten
Hälfte des 11. Jahrhunderts ist kein einziger bekannt, der Anspruch
auf Echtheit machen, könnte .^ Verschiedene, die aus jener Zeit an-
geführt werden-, sind als Fälschungen zu betrachten. Sicher unecht
ist, wie oben bemerkt worden, der Ablaß, den Sergius IV. im" Jahre'
1010 für Correns und Montmajour erteilt haben soll. Erdichtet ist
auch die Ablaß bulle, welche die Benediktinerinhenabtei Neu bürg
a. d. Donau von^Benedikt VIII. unterm 3. Januar 1020 erhalten
zu haben vorgab: Allen jenen, die nach reumütiger .Beichte, an ver-
schiedenen Festen, unter anderm am Fronleichnamsfeste '{!),- die'
Klosterkirche besuchen und für deren Unterhalt einen Beitrag spenden,
wird ein Ablaß ,von-50 Karenen und, 3 Jahren für schwere Sünden,-,
sowie von 6 Jahren für .läßliche Sünden in, Aussicht gestellt.*
Klemens II, (1046 — 47) und Leo IX. (1052) sollen später diesen
Ablaß erneuert haben.^ Loewenfeld hält mit Recht die Bulle für.
unecht.^ Pflugk-Harttung betont wohl, daß die Bulle verschiedene'
irrige Angaben enthalte; doch fügt er bei: „Ich wage nicht mit Loewen-
feld die Urkunde als gefälscht zu verwerfen." Es kann indessen keinem
^ Bischof Otto III, von Asti bei der Einweihung der dortigen Kathedrale .-
XTghelli IV 359. Die Einweihung der Kirche hat nicht erst 1096, wie Ughelli
meint, sondern schon 1095 stattgeftmdeh. Kehr,- Regesta VI 2, 177.
^ Mon. Germ. hist. SS. XII 135: ,',Penitentes euiusounque criminis rei de
absolutione et remissione peccatorvim gratulabantur."'
^ Gröne 71 erwähnt einen Ablaß von '40 Tagen und einer Quadra-
gene, den der Mindener Bischof Brüho-1044 verliehen hätte. Wie die Formel
zeigt, handelt es sich um einen Ablaß aus' dem- 13. oder 14. Jahrhundert.
* Zuerst veröffentlicht von M. Rottmanner in Blätter für das bayerische
Gymnasial- und Realschulwesen XVI, München 1880,- 199 f., dann wieder von'
Pflugk-Harttung III 6 f. - -
5 Jaffe-Loewenfeld 4009 4140 4284.
" Ebenso L. 0. Goetz in Zeitschrift für Kirohengesoh. XV (1895) 322 ff.-
Lea 138 f. . . . . . >
10*
148 .IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch.
Zweifel unterliegeii,,daß es sich um eine ziemlich ungeschickte Fälschung
handelt, die wohl erst im 14. Jahrhundert- entstanden ist. Ein Teil
der Urkunde ist au^. einem jener von niehreren Bischöfen, gemeinsam
ausgestellten Ablaßbriefe entnommen, wie sie gegen Endendes 13. und
im. 14. Jahrhundert öfters erteilt wurden. Erdichtet ist ebenfalls der
Ablaß von 7 Jahren und 7 Quadragenen, den Benedikt,VIII. (1012 — 24)
dem Kloster S. Benigno Canavese (Diöz. Ivrea) bewilligt haben, sölL?:
Anläßlich der Einweihung des Domes von Aquilej a im Jahre 1031
soll nach einer Inschrift Johann XIX. den Besuchern der Kirche am
jährlichen Kirchweihfest 100 Jahre und 100 Tage Ablaß verliehen
haben; für jeden Tag der Oktave waren 18, Jahre und 18 Quadragenen
verheißen. Die anwesenden Kardinäle hätten ihrerseits 10 Jahre und
10 Quadragenen verliehen. Mehrere angesehene Autoren nehmen
diesen für jene Zeit ganz außerordentlichen Ablaß unbedenklich ani^
Die alte Inschrift, die den im Jahre 103! regierenden Patriarch Poppo
redend einführt, verdient jedoch nicht den geringsten Glauben; sie ist
unzweifelhaft in einer späteren Zeit gefälscht worden,^
Zu mannigfachen Erörterungen hat Anlaß gegeben ein Privilegium,
das im Jahre 1040 Benedikt IX! in Verein mit mehreren Bischöfen
bei der Einweihung der Abteiktrche St. Viktor in Marseille aus-
gestellt haben soU.* Es wird darin ganz allgemein den Büßern, welche
die Kirche besuchen wollen, der Erlaß aller Bußstrafen verheißen,
unter der Bedingung, daß sie ihre Sünden beichten und sich bessern
wollen.^ Die Echtheit dieses Privilegiums, das wohl schon iin 11. Jahr-
hundert entstanden ist, hat noch in jüngster. Zeit entschiedene Ver-
teidiger gefunden.* Mit Recht wird es aber von andern Eorschefn
als Fälschung bezeichnet.' Daß es sich um eine Fälschung handelt,
zeigt besonders -der Hinweis auf ein älteres Ablaßprivilegium. Soll
doch durch das Privilegium von 1040 ein früher bewilligter Ablaß
erneuert werden (in pristino absolutionis decore poniinus); zudem
wird darin behauptet, auf „alten Marmortafeln" finde sich verzeichnet,
daß die Klosterkirche von St. Viktor derselben „Absolution aller
Sünden" sich erfreue, wie die römische Kirche des hl. Petrus, und dahier
1 Kehr VI 2, 150. G. Calligaris, Un'antica oronaoa Piemontese inedita,
in Publicazioni della scuola di magisterio della Universitä di Torino. Faooltä.
di lettere e filosofia V, Torino 1889, 118.
" Ciaoonius I 773. Ughelli V 50 f., Oappelletti VIII 167. . .
3 Acta Sanctor. Octobr. III 897, f. r
* Guerard I 14 ff. Neu abgedruckt, nach der angeblichen Originalurkunde
bei Albands-Chevalierll 54ff. Vgl. Chevalier, Regeste Dauphinois n. 1811,.
wo noch andere Fundorte und die neuere Literatur angegeben werden. ■
* „Apostolico privilegio prediotam ecclesiam sanctificamus, atque in pristino,
absolutionis decore ponimus, quo onanis penitens qui ad eius limina tritis passibus'
venerit, ecolesie f ores sibi pateant et indulta f acinora criminum, absolutus omnium
criminum squaloribus libere ad propria redeat letus ; eo scilicet tenore, ut trans-,-
acta peccata sacerdotibus confiteatur et de reliquo emendetur."
^ Namentlich Albanes II ö7 f. Ein entschiedener Verteidiger der Echtheit
ist auch Faillon.II 627 ff.
' Wiederhold 47. Lea 139 nennt es „an evident forgery". , ,
IV. Die' ältesten Ablässe-' für A'lmosen und Kirchenbesucli. 149
als das zweite Rom -gelte. ^- Allein vor dem 11. Jahrhundert gab es
noch keine vollkommenen Ablässe für ^Kirchenbesuch, weder in Rom
noch anderswo.
Durchaus unglaubwürdig sind die Ablässe, die Leo IX. (1049 — 54)
verschiedenen Kirchen in Deutschland, Frankreich und Italien erteilt
haben soll. Einen nicht näher bestimmten Ablaß hätte er für den
Fortbau des Straßbürger Münsters bewilligt.^ Die Kirche .Jung-St.
Peter in Straßburg soll er bei deren Einweihung mit „sehr großen
Ablässen" bereichert haben.^ - Ebenso hätte er bei der Konsekration
der Kirchen in Altdorf und (Grriesheim und • des als Dömpeter be-
zeichneten Gotteshauses (bei Avolsheim in Unterelsaß) Ablässe ver-
liehen.* Besser bezeugt scheint der Ablaß von 140 Tagen zu sein,
den Leo IX. bei der Einweihung der Kirche von Bergholzzeil (Öber-
elsaß) für jeden der drei Altäre erteilt hätte. Allein die Inschrift,
welche dies berichtet; ist erst- im 14. Jahrhundert hergestellt worden.^
Zur Zeit Leos IX. gab es noch keine Ablässe von 140 Tagen. Hätte
übrigens Leo IX: die Gewohnheit gehabt, bei der Konsekration von
Kirchen Ablässe zu verleihen, so hätte er dies vor allem bei der Ein»
weihung der berühmten Remigiuskirche in Resims (1049) tun müssen,
Allein, wie schon früher hervorgehoben wurde,* ist in dem ausführ-
lichen Bericht über die Feier in Reims von irgendeinem Ablaß keine
Rede.
Von Reims hatte sich Leo IX. nach Trier begeben, wo er die
Paulinuskirche einweihte. Nach einer" alten Aufzeichnung wären bei
dieser Feier, an der sich zahlreiche Bischöfe beteiligten, nicht weniger
1 „Hec est deniqüe illa etenii .sponsi aula, que ita damit apostolica beiie^
dictione atque omnium peccaminum labe absolutione, ' ceu universalis Romana
ecclesia clavigeri Petri, et ideo secunda Borna legitiir esse. Quod ne oblivioni
daretur futuris tempbribns, actenus inipressum antiqms continetur marmoribus."
Dazu bemerkt" Faillo'n II 657: „II faut donc conclure que ce privilege avait
au moins plusieurs siecles d'anciennet6. En effet l'äbbaye de St. Victor qui
sortait alors de ses ruines, avait 6te dötrüite longtempsauparavant et n'avait
plus offert pendant' plusieurs siecles qu'ün amas de jd^combres ... II potirrait
bieri se faire que 'S.- Gr^goire le Grand,, qui institua a Rome des stations et y
attacha des indulgences, eüt acccrdö lui-meme ■ ce privilege aux religieux de
St. Victor." . ...
* 0. Schad, Summum' Argehtoratensium Templumi Straßburg 1617, 12.
Ph. A. Grarididier, Essais histöriques sur l'ißglise cathedrale de Strasbourg.
Strasbourg 1782, 29. Fr. X. Kraus, Kunst und Altertum in Elsaß -Lothringen I;
Straßburg 1876, 352. P. BruckerjL'Alsace et l'lfeglise au temps du pape Saint
L6on IX II,- Strasbotirg 1889,. 77. ' -
^ Erwähnt in' einem Schreiben des Straßburger Bischofs Konrad vom
Jahre 1289 auf Grund eines Berichtes der Stiftsherren von Jung-St. Peter.
Urkundenbuch von Straßburg II 120. Vgl. Kraus I 510. Brucker II 75.
* Notitiae Altorf enses (13. Jahrb.), in Mon. Germ. SS.XV, 993 f. A. Schulte,
Leo IX. ^ und die elsässischen Kirchen, in Straßburger Studien II (1884) 78 ff.
Brucker I 192. • • ,
^ Kraus II 34 ff. A. Gatrio, Die Abtei Mxu^bach in Elsaß I, Straßburg
1895, 196.
« Oben S. 69.
150 IV. Die ältesten Auslässe für Almosen und Kirchenbesuoh,
als 2110 Jahre, 68 Tage und 90 Kareixen Ablaß gespendet worden.?^
Eine ganz phantastische Nachricht, über die kein weiteres . Wort zu
verlieren ist. Nicht minder phantastisch sind die Ablässe, welche' die
Abtei St. Emmeram in Regensburg zu besitzen vorgab. Bei der
Einweihung der Kirche im, Jahre 898 soll Papst Eorm,osus, der
schon 896 gestorben , ist und niemals, nach Deutschland kam, .für
schwere Sünden 40 Tage, für läßliche 80 Tage Ablaß verhehen haben.
Denselben Ablaß hätte auch mit Erlß,ubnis des Papstes ein jeder
der zwanzig anwesenden Bischöfe (, (die Unterzeichner der Synode von
Tribur 895!) erteilt.^ Als im Jahre 1052 Leo. IX, in Beisein vieler
Bischöfe die neuerbaute Kirche konsekrierte, wären von, dem Papst
und den eip.zelnen Bischöfen wieder 40 Tage für schwere Sünden und
80 für läßliche bewilligt worden; auch hätte Leo IX. die frühere;n
Ablässe von ,898 bestätigt. Die Zeit, in welcher diese Ablässe durclj.
Kirchenbesuch und Almosen gewonnen werden .konnten, erstrecl^te
sich vom 10. August bis auf den achten Tag nach dem Feste de^
hl. Emmeram (29. Sept.). Später habe dann Alexander IV, (1254— ;61)
^ie Ablässe von Formosus und Leo gutgeheißen und einen neuen: ganz
ähnlichen Ablaß beigefügt. 3o wird erzählt in Aufzeichnungen , 4eß
15. Jahrhunderts, die bezüglich der erwähnten Ablässe nicjit den ge-
ringsten Glauben verdienen.^ Daß aber Papst Formosus bei, der Ein-
weihung der Kirche mitsamt den anwesenden Bischöfen einen „großen
Ablaß" verliehen habe, wird schon behauptet in eiiiem gefälschten
Privilegium König Ludwigs IV. vom Jahre 903,f das allem Anschein^
nach in den siebziger Jahren des 13. Jahrhunderts entstanden ist!^.
■ Am 3. Oktober 1050 hat Leo IX. den Hochaltar der Stephans-
kirche in Besangon eingeweiht. Bei dieser Gelegenheit soll er dieser
Kirche nebst andern Privilegien auch > einen Ablaß verliehen haben;
Den Besuchern der Kirche am Konsekrationstage wie am Jahrestagö
der Weihe sollte ein Drittel der Buße erlassen werden.^ Die alte Auf-
zeichnung, welche dies berichtet, nennt unter den anwesenden Bischöfen
^ Mon. Grerm. SS. XV 1275 ff. Dieselbe Angabe findet sich in einer CoUeotio,
die der Stiftspropst von St. Paulinus Friedrieh Schavard um 1403 verfaßt hat.
Vgl. über diese Schrift Ph, Schmitt, Die Kirche des hl. Paulinus bei Trier.
Trier 1853, 185. Schmitt 113 nimmt den Ablaß als echt an.
2 Mon. G!«rm. SS. XV 1094. Als echt angenommen von Cöl. Vogl, Ratis-
bona monastica I*, Regensbiirg 1752, 39. Dagegen bemerkt F. Janner (Ge-
schichte der Bischöfe von Eegensburg I, Regensburg 1883, 261) mit Repht,
daran sei „kein wahres Wort".
' Notae S. Emmerammi. Mon. Germ. SS. XV 1096. Die • erdichteten
Ablässe von St. Emmeram sind auch verzeichnet, in 01m. 14892, f., 30 ff,, Hiey
.auch zwei echte Bidlen von Alexander IV., der jedesmal; bloß einen Aiblaß von
40 ' Tagen : verleiht, . :.:::-.'-?::■••,;. l:,::i-'{j ':w,.' i:'<:::l -'yv:}A
* VoglllöO. Böhmer-Mühlbacher,iR.egestaImperiiP, Innsbruck 1908,
S04f. n,.2013. ■:^ ■, ' . ■ ■^; ';:. ..-.h•^ ..■,;: .■^•.^■:.. ..^'^ A- .-•:.oK:. ,■..
^ J. Lechner, Zu den falschen ExemptionspriyilegieniikhStj.v^gm
im Neuen Arcliiv XXV (1900) 633 f. Vgl. A. Brackmann, Germania /Ponti^
fioia I, Berolini 1910,;284. ; ; .r ;Hf . , /[
. ^ P. Fr. Chifflet, Histoire de l'abbaye royale et de la ville de OTpur^u^.
Dijon 1664, 357 f. Brucker II 178 f. . V
•.J\-
. IV. Die ältesten Ablässe für Älitioseri und Kafchenbesuch. 151
auch Rilinus von Sutri. Dieser Bischof, der schon 1049 gestorben ist,
erscheint ebenfalls in eirierBuUe vom IL Januar 1051, worin Leo IX.
der Stephanskirche . eine ganze Anzahl Privilegien verleiht.^' Daraus
I «rgibt sich, daß beide -Dokumente gefälscht sind. ' In beiden wird der
Stephanskirche der Vorrang vor allen andern Rirchen der Erzdiözese
Besan9on zuerkannt. Diesen Vorrang beanspruchte aber auch die
Johanniskirche: * In 'dem heftigen Streite, der hierübesr zwischen den
beiden Kirchen im 12.' Jahrhundert entbrannte,^ dürfte -St. Stephan
seine Fälschungen verübt' haben. Der Ablaß vom Jahre 1050 verdient
demnach keinen Glauben, da er nur in einem gefälschten Dokumente
■bezeugt, ist.? • .
Den Fälschungen beizuzählen ist auch der Ablaß von 9, 7 und
3 Jahren und ebensoviel Quadragenen, den Leo IX. am 31. Oktober
1051 für den Besuch von Subiaco verliehen haben soll.*
•Crrößere Beachtung verdieiit der Ablaß von 3 Jahren, den nach
dem Bericht eines Augenzeugen Nikolaus IL im Jahre 1060 bei der
Einweihung' der Altäre der Abteikirche von Farfa gewährt hat,
sowohl für den Tag der Feier selbst als für den Jahrestag der Weihei^
Die Gewährung eines Ablasses voii 3> Jahren um die Mitte des 11. Jahr-
hunderts ist allerdings etwas ganz Außerordentliches. Allein der Ablaß
von Farfa ist so gut bezeugt, daß es nicht angeht, ihn oHne weiteres
abzulehnen.' Der Bericht über die Altarweihe ist von einem Mönch
verfaßt, der als Augenzeuge der Feier beigewohnt hat. Es handelt
sich auch nicht um ein Schriftstück, womit Reklame für- das Kloster
gemacht werden sollte, sondern um eine schlichte Aufzeichnung, die
nicht den Eindruck hervorruft, als ' wäre sie für ' die Öffentlichkeit
bestimmt gewesen. ' Diese Aufzeichnung hat ' der Geschichtschreibör
von Farfa, Gregor von Catina, ein. wahrheitshebender Ordensmann,
im Klosterarchiv vorgefunden und 'hat sie dann in seine große Ur-
kündensammlüng, die er mit Hilfe seines Neffen Todirius in den Jahren
1119-7-25 zu Ende führte, aufgenommen. Man ist daher wohl be-
rechtigt, den von Nikolaus IL erteilten Ablaß als echt zu betrachten;®
Über die ,; Absolution", die Alexander IL im Jähre 1071 bei der
?^onsekr^ation der Kirche von Montecassino gespendet hat, ist an
•anderer Stelle das Nötige gesagt worden.*^ Bei derselben Gelegenheit
. 1 Chifflet 361 ff.> 2 Ohifflet.341ff.
3 Erwird aisecht angenonunen von ,Chifflet,Brucker, J. M. Thomasius,
Opera omnia VII, Romae 1754, 127', Palmieri 505.
4 Kehr II 92.
^ Giorgi V 291: „Inter sacrae solemnia missae idemppntifex venerabilis
Omnibus poenitentibus qui ibi oonvenerant et aderant remissionem trium annorum
fecit, et constituit ut haeo remissio annualiter fiat omnibus, qui in ipsa die cum
votis et donis prout potuerint honorifice ,et honeste annue, venire sfcuduerint, et
pauperibus qui donum non habuerint, si religiöse properare voluerint . . . Post
•conseorationem autem huius ecolesiae altariuna, nyoolaus reverentissimus praesul
Äliquantulum nojsiscum commoratus, beniv.olum se in pmnibus . . . exhibuit."
Demnach hat der Berichterstatter der Feier beigewohnt.
* Er wird als echt angenommen von Kehr II 67.
' Oben S. 76.
.;152 .! IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuoh.
hätte der Papst, einer Bulle zufolge, für den Jahrestag der Weihe
einen Ablaß von 40 Tagen erteilt.^ . Die betreffende Bulle scheint
, jedoch gejEälscht zu sein.^ Ein Jahr vorher, am 6. Oktober 1070, hatte
Alexander II. in Lucca, wo er früher Bischof gewesen, umgeben
: von zahlreichen Bischöfen und Äbten, die neue'* DömMröheii deren
/Vollendung er gefördert, eingeweiht.^ Nach einer anonymen und
1 nicht näher datierten Predigt, die einmal beim Kjrchweihfeste im
: Dome zu Lucca gehalten worden, hätte der Papst den Besuchern
der Kirche am Jahrestag der . Kirchweihe einen Ablaß von 8 Tagen
■ erteilt, denen später Eugen III. noch 8 Tage beifügte.* Wenngleich
dieser Ablaß nicht genügend bezeugtest, so liegt doch kein Grund
5 vor, dessen Echtheit in Zweifel zu ziehend Wie Alexander II. wiederholt
öffentlichen Büßern, die als Pilger nach Rom kamen, mit Rücksicht
auf ihre Wallfahrt einen Teil ihrer schweren Bußstrafen, z. B. 1 oder
: 2 Jahre nachließ, so hat er sehr wohl bei der Einweihung einer Kirche,
sfür die er ein großes Interesse hatte, den Besuchern der Kirche eine
kleine Bußermäßigung erteilen können. Gerade der mäßige Umfang
• dieses Ablasses spricht für dessen Echtheit. Ein späterer Fälscher hätte
.sich mit einer so geringen Vergünstigung kaum begnügt. Der Kirch-
, weihablaß von Lucca wird übrigens noch in andern Schriften erwähnt.
.In einer Handschrift der Vatikanischen Bibliothek ist ganz, allgemein
von einem „Erlaß der Buße" die Rede,^ während Tholomeus von
Lucca (t 1326. oder .1327) von „großen Ablässen" spricht, die
Alexander II. verliehen habe. ^ , , ; . i .^ .^ . :.
Sicher unecht ist der Ablaß von 7 Jahren, den Alexander II. für
jeine Bruderschaft in Arezzo erteilt haben soll,' ebenso der Ablaß
i von 10 Jahren und 10 Quadragenen für den Dom von Pisa,® von
1 Margarinus 11 103. Migne CXLyi, 1426. L. Tosti, Storia dellabadia
di Konte-Cassino I, Napoli 1842, 409. Nach dem Segenswünsche,. miV,4©"a, die
päpstlichen Bullen gewöhnlich schließen, folgt noch der Zusatz: „Statuimus
etiam, 'ut quicunque devotus ad eiusdem ecclesiae dedicationem annualiter
'venerit, de peceatis suis 40 dierum remissionem accipiat."
2 Als gefälscht bezeichnet sie Jaffe 4690. ^ Kehr III 398.
* Baluzius, Miscellanea II 576: Der Papst verordnet, daß jedes Jahr
das Kirchweihfest mit Oktave gefeiert werde, „hoc ad gaudii huius plenitudinem
' adiecto, ut onmes hunc diem celebrantes ab omni iügo poenitentiae iisque ad
octavum diem absoluti essent". Als später einmal Eugen III. am Kirchweihfeste
im Dome zu Lucca das Amt hielte „octö diebüs absolutionis a iugo poenitentia©
.pro huius ecclesiae reverentia alios VIII adiunxit". Mjansi veröffentlichte die
anonyme Predigt aus einer Handschrift der- Dombibliothek von Lucca. Vgl. auch
Mansi , Diario sacro anticoe moderno delle chiese di Lucca. Lucca 1753, 280. S. 277
^sprichtMahsi mit Unrecht von einer „indtilgehzäplenaria", die man während
'der Oktave gewinnen konnte. Er hat die Worte der Handschrift falsch aufgefaßt.
- ^ In der vatikanischen Handschrift, die friiher der Kathedrale von Lucca
'gehörte, heißt es, Alexander II. habe verordnet, ;,ut octo dierum spatio dedi-
•cationis memoria perageretur annis singulis, cohceska indulgentia poenitentiae",
ipropylaevim ad Acta Sanctorum Maii. Conatus chronico-historicus I 132. So
auch bei Baronius, ad an. 1070, n. 26; aus derselben Handschrift.
® Annales Ptolomaei Lüceiisis. Firenze 1876, 38 [Documenti di storia
italiana VI]. Auch bei MuratoriVScriptores XI 1253.
' Kehr III 159. «Ebd. 358. ■
IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch. 153
24 Jähren und 24 Quadragehen für eine Kirche in Pavia.^ Erdichtet
ist auch der Ablaß von 1^ Jahr und 1 Quadragene, den Gregor VII.
der letzteren Kirche bewilligt hätte. ^
Festeren Boden betreten wir mit Urban II. Am 12. Oktober 1091
gewähete/dieser Papst seinen: Ablaß- für -den Wiederaufbau des läostfers
Pavilly (Diözese Ronen). Den Wohltätern sollte ein Viertel der vom
Bischöfe (öffentliche Buße) pder vom Priester (geheime Buße) auf-
erlegten Bußstrafe erlassen werden.^
Nach der Synode von Clermont (1095) unternahm Urban II. eine
Reise durch Frankreich. Im Februar 1096 kam er nach Angers,
wo er am 10. dieses Monats die Abteikirche von St. Nikolaus ein-
weihte. Am 14. Februar erließ er eine Bulle, worin er den frommen
Besuchern des Gotteshauses am jährHchen Kirchweihfeste den siebten
Teil der ihnen auferlegten Buße nacliließ. Dafür mußten aber die
Mönche von St. Nikolaus am Festtage 100 Arme speisen und am
folgenden Tage ein Hochamt abhalten und die sieben Bußpsalmen
mit der Allerheiligenlitanei singen.* Denselben Ablaß erteilte er am
26. Februar 1096 bei der Einweihung eines Kreuzaltars in Vendome.*
1 Empoli 389. « Ebd.
' Analecta iuris pontificii X, Rome 1869, 528: „Benefacientibus et eundem
locum colentibus quartana poenitentiae partem ab episcopo sive a presbytero
illis iniunctam condonavimus." Jaff6 5452.
* P*etit I 613. A. Teulfet, Layettes du Tiesor des Cfaartesl, .Parisvl863, 31.
.Migne CLI 448. Jaffe 5618: „Ipsum locum visitandum, honorandiun ac pro-
tegendum universis fidelibus commendamus. Pro cuius devocionis benefioio, ex
omnipotentis Dei misericordia,et sanctorum apostolorum auctoritate f identes, per
beati Nioholai merita, iudicii pro peccatis accepti partem septimam illis remit-
timuSj qui in dediöacionis die annuo devote illuc convenire curaverint; eo nimirum
tenore^utj prp ipsis, die ipso, pauperes centum abbas et.monaöhi pascant, et,
die altercj^ psalmos cum letaniis septem in conventu decant&nt^et missani publicam.
celebrent." Über diesen Ablaß berichtet auch ein Zeitgenosse und Augenzeuge,
Graf Foulque Köchin von Angers (f 1109), in seinem Fragmentum Historiae
Andegavensis : „Constituit idem apostolicus et edicto iussit, ut in eodem termino
quo dedicationem fecerat, indictum publicum celebraretur unoquoque annoapud
, S. Nicholaum et septima pars penitentiarum popido convenienti ad illam celebri-
-tatem dimitteretur." Marchegay, Ghroniques des Comtes d'Anjou. Paris
1856 — 71, 381.. L. Halphen, Ghroniques des comtes d'Anjou et des seigneurs ,
d'Amboise. Paris 1913, 238. Daß Graf Foulque das Fragmentum wirklich verfaßt
hat, weist Halphen. nach in .BibKothöque de la Faculte des Lettres de l'Uni-
versite de Paris XIII (1901) 7—68. '
* Halphen, Recueil d'annales angevines et vendomoises. Paris 1905, 67.
„Perdonavit septimam partem peccatorum suorum omnibus qui unoquoque anno
anniversarium eiusdem corisecrationis diem ibidem celebrarent." Über die gleich-
zeitige Abfassung derAnnalen vonVendöme vgl. Halphen XL VIII. L. Paulot
(Urbain II. Paris 1903, 367) behauptet, Urban II. habe einen ähnlichen Ablaß
bei der Einweihung eines Altars in Charroux am 10. Januar 1096 verliehen.
Er ist aber durch Migne CLI 274 irregeführt worden, wo Ruinarts notitia de
ara matutinali von Vendöme (vgl. Migne CLI 197) irrig unter der notitia de
consecratione dominici altaris ' Carrofensis monasterii abgedruckt wird. Von
einer Ablaßverleihung in Charroux sagt die von Ruinart mitgeteilte notitia de
consecratione dominici altaris Carrofensis (Migne CLI 271 ff.) nichts.
; 1:54 ly. Die., ältesten Ablasse für Alm,psen; .und . Kirchenbesücih.
Ein wertvolles Zeugnis für den Ablaß, den Urban II. fiir St. Ni-
kolaus in Angers verliehen, liefert eine Pre.digt, die Geoffroi Babion,
von 1096 bis 1110 Scholastikus in Angers, an einem Kirchweihfest^in
ider Nikolauskirche gehalten hat. Ausdrücklich erinnert der Prediger
an den vom Papst erteilten Ablaß .^ Was aber Babion in derselben
Predigt von der „Nachlassung der Sünden" sagt, die an jedem Kirch-
weihfeste den frommen Besuchern des Gotteshauses zuteil werde,^
bezieht sich nicht auf den von den kirchlichen Oberen gewährteji
Ablaß, sondern auf die Nachlassung der Sündenstrafen, deren die
Gläubigen, vorausgesetzt, daß sie ihre Sünden reumütig gebeichtet
hätten, krp,ft der Gebete der Kirche teilhaftig werden. Sehr
"deutlich erklärt sich hierüber Werner, Abt von St. Blasien (f 1126),
der mit Balbion fast wörtlich übereinstimmt.^ ' [
Ganz abgesehen von' den Ablässen,^ welche die Bischöfe bei der
Einweihung von Kirchen , erteilen, ist schon die Konsekration der
O .'.II . ' . I ■■ j ^
Kirche selbst eine Ablaßquelle, insofern in den liturgischen Gebeten,
die bei der Einweihung der Kirche verrichtet werden, Gott angefleht
wird, den Gläubigen ihre Sündenbaiide lösen zu wollen.* Dies' muß
^ „Praeterea est quaedam praerogativa huius ecclesiae ... qiiia b. Petrus
per suom seilicet vicarium, papam Romanae,. Ecclesiae, .eam yisitay^^
sanetificavit, et perpetuam veniani per singinös annps huiui ben^ festivi-
'tafem cölentibiö'inditiät.''- Migrie -ÖBXXI •751. ''HiisrJ wird die Predigt irrig
■ Hildebert von 'Le MäM fetigesolü'i'eben. '^'f'V^g'r^- Häur e äü*/^ fextraits'^.cie
quelques manuscrits latiiis de la^iblibtJbtSöque nationale' Vj Paria 189^^^ 134.
.G:o.ttlöb.248.J' ■:■: .= .:,h^ ^■v;,^Tü;J ..:.?:.-,. >.r.;.L.;-r. .,;, .;!;':K{ i-;.:?;rJ ■;.,__
-li : ■■■■?• Migne CLXXI;74:9:f.: ;,,Quia Ide iQiütis:päMbiis veniunt- filii)et'M^
labore bccurruntiraatri, desjtantia festivitatej discedere; hon debent irreniurii&¥äpti :
statutuniresta San otisPatribus: quodinrdedioationeisanctae ecclesiae fiät'¥
•pe c e at er um i ut ; cum in aliis temporibus fi fc in ea iäblufciö: critoinuiii> > iü '^festi -
vitate ieius potiusmatris sentiant anxiliumu ; i ;;Sed cuin vobis nrbriik^ex laiböl^e,
iratres charissinai : . ■ . -. deböatm*, scire tarnen debetis, qui a n on- ) quaeli be't
peccata vobis. relaxa-nttirfhic/sedilia de qiiibus 'pöenituisti&^et'feön'-
iessi iuistis. Si eninividt peccätor. sibi Telaxari peccatumV siviilt sua^ytiiiibtia
•sanari,;ea medico celare; non debet;"' f •■ ; ■•v.i'^^k i ;' :; ; -n >: ;;■ '1 üsii)
-;3 Migne GL VII 1250: ,/Quia de miiltisrpartibTis.j(alles'Wie oben/ bisl^^^^
cum aliis temporibus sit in ea ablutio icriminuni per baptisidiiinii' in festivitäte
eins sentiaiit potius matris per. or ati one s •!a,uxilium. " :Dann. : wieder wörtlich
übereinstiipmend bis : ^,sed illa tautum de quibus i confeäsi estis et dlgnam Jpöeui-
•tentiana egistis, de; talibus indulgentiäm cönsequi'mini . .. l ■^'Täli nÖäipe
confessione vel poenitentia promeretür peceatoiurn: ihdulgehtia"; DemnaibH/h&t
Werner die Predigt Babions schon gekannt, 'oder, beide Autoren haben eine < ge-
meinsame Quelle benützt. Die Worte „Statutum est äsanctisPatribus"' braucht
man nicht a-uf AblaßbeswilKgimgen zu beziehen; sie ^^;e sich hinlänglich,
.wenn man an die von der IQrche vorgesphxiebenen Gebete d^
.Verzeihung der Sünden auf die Gläubigen herabgefleht wird. ;^,:: ■,;;!!,
* Treffend bemerkt L e pi cie r II 9 : „Independamnaen t ; des, mdulgencgs
deternainees que les prelats se pljaisaient a donner, qn peut considerer la,:cqn.;-
sbcratipn des eglises elle-meme comme; une spurc^^ qiip
dans ses priores liturgiques,il']^glisef(ieinandea-Dieu, poiur ses fideleSi de rqmprp
ies cha,ines de leurs peches, ,en considera;tipn du.; Heu .consacre," VglvPpntificali^
ordinis liber. Rome 1497^ De ecclesie dedieatipne. . ,,Hic pnera peccatprum
splvantur . . . pniniurnque peccatorum. vincala. absplvantm", /ut^omne^^^
templum benef icia imte deprecaturi ingrediuntur, cuncta s.e. impetrasse l.etentur.l'
^•.Tv/^
IV, Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirohenbesuch, 15,5
man wohl' im Auge behalten, dann -wird pian' verschiedene ; Stellen,
in denen anläßlich der Einweihung einer Kirche oder beim Rirjah-
wßihfest eine „remissio peccatorum" in Aussicht gestellt wird,^ nicht
ohne weiteres auf den eigentlichen Ablaß beziehen.
Da Urban II. auf seinen Wanderungen durch Italien und Frank-
reich zahlreiche Kirchen eingeweiht hat, > so ,wird er wohl, außer den
.drei oben angeführten, noch andere Ablässe erteilt haben; es liegen
indessen hierfür keine zuverlässigen Zeugnisse vor. Verschiedene große
Ablässe, die dem französischen Papste zugeschrieben werden, sind als
Fälschungen zu betrachten. , So vor allem das Privilegium , < das
Urbß-n II. am 14, September 1092 der Abtei Cava in Süditalien ' bei
der Konsekration der Klosterkirche verliehen haben soll.^, Den Be-
suchern der Kirche wurde für bestimmte Tage derselbe vollkommene
Ablaß verheißen-, den man durch eine Wallfahrt nach Santiago -de
Compostela gewinnen konnte ; für die übrigen Tage im Jahre wurden
4 Jahre ,und 4 Quadragenen in Aussicht gestellt. Zwei Kapellen,
deren Einweihung zu gleicher Zeit stattfand, wurden mit einem Ablaß
von 7 Jahren und 7 Quadragenen , ausgezeichnet. Dies Privilegium
ist noch in neuerer Zeit eifrig verteidigt worden.^ Daß es aber ge-
fälscht worden ist, darf heute als sicher gelten.* Die Ablaßformel
der Bulle wird auch von Hinschius^ als Fälschung betrachtet; doch
nimmt dieser. Gelehrte den Ablaß, wie er in einem älteren Berichte
verzeichnet ist,^ als echt an. Allein dieser Bericht und die gefälschte
Bulle stimmen bezüglich des Ablasses vollständig miteinander überein.
Sicher unecht ist auch die Ablaßbulle, die ürban II. am 14. Sep-
tember 1093 für das Kloster Bantini in Apulien ausgestellt haben
Bl. 112. „Omnium hie offerentium sacrificia a te pio Domino benige suscipiantur,
et per ea vineula peccatorum nostrorum absolvantur, macule deleantur, venie
impetrentur." Bl. 124, So schon im alten Ordo romanus, bei Hittorpius 114.
^ So heißt es in dem Segnungsgebet, das im Jahre 1031 auf der Synode
von Limoges der zelebrierende Erzbischof Aymo von Bourgeg während des
Hochamtes verrichtet hat: „Concedat Deus propitius ut omnes qui ad solemni-
tatem anniversariam dedicationis huius basilicae hodierna die ;convenistis . . •.
vobiscum hinc veniam peccatorum vestrorum reportare valeatis." Mansi XIX
531. Bei der Konsekration einer Kirche in Balneol (1086) „domnus archii-
episcopus (Dalmatius von Narbonne) cum consensu episcoporum ponstituit ut
in solemnitate dedicationis praedictae ecclesiae . , . orjanes simul conveniant
ad praelibatam ecclesiam, ut a Deo remissionem et absolutionem suorum pec-
catorum percipere mereantur". M^arca 1183. Mansi XX 620. Als Urban IL
im Jahre 1096 einen Altar in Charroux einweihte, strömten die Gläubigen
zahlreich herbei: „Arbitrabantur se magnam ßuorum peccaminum indulgentiam
adepturos, si, ut decebat, ad tam gloriosao officium consecrationis coadunari
quoquo modo valerent." Martdne, Thesaurus I 271. Migne CLI 272. In
allen diesen Stellen handelt es sich nicht um einen kirchlichen Ablaß.
2 Migne CLI 347 ff. Jaffe,5467. ■ Paulot 205 355.
^ P, Guillaume, Essai historique sur l'abbaye de Cava. Cava 1877, 62 f.
M. Morcaldi, Una boUa di IJrbano II e i suoi detrattori. Napoli.1880.
■ * Vgl. Pfugk-Harttung im Neuen Archiv IX (1884) 477 ff. P. Kehr
in Göttinger Nachrichten 1900, 203. Puckert 66.
^ Kirchenrecht V 154.
« Muratori, Scriptores VI 239 f. Acta Sanct. Martii I 336.
156 -IVi Die ältesten Ablässe für, Almosen und Kirchenbesuch.
(Soll> Der Fälscher hat zum größten Teile das unechte Privilegium
für- Cava ausgeschrieben. 2
- Ein eigentümliches Privilegium ' wollte- die Benediktinerabtei
Figeac (Diözese Gabors) von Urban II. erhalten haben.' In einem
Schreiben vom 9. Februar 1093 an einen sonst unbekannten Bischof
sStephan von Cahor^ läßt man den Papst sagen; daß die Klosterkirche
von Figeac, die von Christus selbst eingeweiht worden, schon von
früheren Päpsten große Ablässe erhalten habe. Da sie jetzt von den
Heiden zerstört worden, wolle der Papst zu ihrer Wiederherstellung
^beitragen. Er erteile daher allen Gläubigen, die nach reumütiger
deichte am 7. November das Gotteshaus besuchen, einen vollkommenen
Ablaß. Wer im Laufe des Jahres dem Hochamt, der Vesper oder der
Matutin beiwohnt, kann 100 Tage gewinnen, 40 Tage aber für jede
der kleinen Betstunden.* Allen jenen, die auf dem lOosterfriedhof
begraben sind oder daselbst in Zukunft begraben werden, wird die
Hälfte der Fegfeuerstrafe erlassen;^ endlich wird ein Ablaß von
100 Jahren jenen verheißen, die zum Wiederaufbau der Kirche einen
Beitrag spenden. Mit Recht hat man die seltsame Bulle für eine offen-
kundige Fälschung erklärt.*
: Erdichtet sind auch die vollkommenen Ablässe für den Dom von
Asti,' für ein Kloster in Vertemate,® für die Peterskirche in Nesso.*
Die Kirche des hl. Abundius in Como wollte einen Ablaß aller läß-
lichen Sünden und des dritten Teils der schweren Sünden erhalten
■haben.-^" In Mailand beanspruchte die Kirche des hl. Simpliciarius
einen Ablaß von - 30 JaSiren-,^^ während die Marienkirche in Nullate
sich mit 15 Tagen begnügte.^^ ^Hq diese Ablässe kann man unbedenk-
1 Migne CLI 365. Jaffe 5488. Paulot 70. Püekert 66. •
' 2 Lea l40 f. nimmt irrig zwei Rezensionen für Cava an. Er hat übersehen,
daß zwei verschiedene Klöster, Cava und Bantini, in Betracht kommen.
^ Abgedruckt bei G. de La Croix, Series et acta episcoporum Cadur-
censiüm. Cadurci 1623, 55 f. Analecta "iuris pontifi'cii X (1869') 531.
* Bezüglich dieser partiellen Ablässe hat der Fälscher die Bulle Urbans IV.
-vom Jahre 1261 für das Fronleichnamsfest verwertet.
^ i, Omnibus cathoUcis poenitentibus et confessis hie sepultis et sepeliendis
■in futurum medietatem poenarum purgatorii pro delictis secundum merita debi-
tarum . . . remisimus et remittimus per praesentes."
. « Jaffö 5481. Paulot 110. '
■^ Cappelletti XIV 102. Eine andere Überliefenmg spricht bloß von
einem Ablaß von 1 Jahr und 40 Tagen, den man aber ebenfalls als unecht be-
trachten darf. Kehr VI 2, 177. Ughelli IV 359.
- * Kehr VI 1, 406. P. L. Tatti, De gli annali sacri della cittä di Como II,
-Milano 1683, 285.
. ^ S. Monti, Atti della visita pastorale diocesana di Feliciano Ninguarda,
Vesoovo di Comb II, Como 1895 — 98, 78 [Raccolta storica della societä storica
per la provincia di Como III]. Kehr VI 1, 408. Giulini JI 610.
^" Monti, Atti di Ninguarda I, Como 1892 — 94, 85 [Raccolta storica II].
Kehr VI 1, 405. Tatti 11 284.
"Kehr VI 1, 96. Giulini II 660. Papebrochius, Responsio ad ex-
hibitionem errorum per Sebastianum a S. Paulo evulgatam II, Antverpiae
1697, 95 ff.
" Monti, Atti di Ninguarda I 171. Tatti II 285.
IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuoh. 157
lieh den Fälschungen beizählen. Eine grobe Fälschung ist das alberne
Privilegium, das Urban II. zwei Kirchen in Piacenza gewährt haben
soU: Nebst Ablässen, vo^ 100 _ Jahren und 100 Quadragenen, von
1000 Jahren und ebensoviel Quadragenen habe der, Papst so viel Jahre
Ablässe erteilt, als Körnchen in dem Sande waren, den er bei der
Ablaß Verleihung mit beiden Händen aus einem silbernen Gefäße nahm,
um ihn auf die Erde zu streuen.^
Unzweifelhaft gefälscht sind ebenfalls die vollkommenen Ablässe
zugunsten der adeligen FamiHen Belmosta^ und de Spinellis.?
Diese beiden letzteren Privilegien sind übrigens nicht den Ablässen
für Kirchenbesuch, sondern den Kreuzzugsablässen beizuzähJen.
Ablässe im 12. Jahrhandert.
Im Laufe des 12. Jahrhunderts vermehren sich die Ablässe für
Almosen und Kirchenbesuch, obschon die Päpste auch noch in dieser
Zeitperiode bei .Spendung derartiger Ablässe eine große Sparsamkeit
zu übenpflegtien. Zunächst soUen. die päpstlichen Ablässe in chrono-
logischer JReihenfolge angeführt werden. .
Wie der gut unterrichtete Abt Ekkehard von Aura in Franken,
(t um 1130) berichtet, gewährte Paschalis II. anläßlich des Konzils,
das lllö in feom stattfand,* allen, die wegen der Synode um ihres
Seelenheils willen die Apostelgräber besuchten, falls sie schwere Sünden
abzubüßen hatten, einen Ablaß von 40 Tagen.^ Unecht ist der Ablaß,
von 10 Jahren, den nach einer alten Inschrift Paschalis II. im Jahre
1108 für den Besuch der Alexiuskirche bei Lucca verheben haben
soll;® ebenso der Ablaß von 1000 Jahren und 1000 Quadragenen für
S. Maria del Popolo in Rom.' Sicher erdichtet ist auch der seltsame
1 Kehr V 487. - Campi I 369 ff. In einer alten Aufzeichnung heißt ea,
die Kardinäle hätten den Papst um einen Ablaß für beide Kirchen ersucht. „Tuno
papa ad preces eorum petiit sabulum, et portatum fuit in vase argenteo. Et
ipse papa posuit ambas manus ,in eo, et implevit, et venit versus coemeteriuin
et dixit: Relinquo S. Mariae Campagnolae et S. Victoriae* tot annoruna iudul-
gentiam, quot sunt granaarenae inisto sabulo, et proieoit dictum sabulum in
terram et dixit: Auetori täte ab omnipotenti Deo mihi commissa . . . concedo
Omnibus vere poenitentibus, contritis et confessis visitantibus quotidie. supra-
scriptas ecclesias tot annorum indulgentiam, quot simt grana arenae in isto
sabulo."
2 Pflugk-Harttung II 154 f. Kehr VI 2, 323. L. C. Goetz in Zeit-
schrift für Kirchengesehichte XV (1895) 335 ff.
3 Kehr in Göttinger Kehrichten 1905, 326 ff.
* Die Synode wurde eröffnet am 6. und geschlossen am 11. März. Anwesend
waren Bischöfe und Äbte, Herzoge, Grafen und Gesandte aus den verschiedensten
Gegenden. He feie V 332.
* Mon. Gterm, SS. VI 252: „His qui propter concilium et animarum suarum
reimedium apostolorum limina visitaverant, qui de capitaUbus poenitentiam
agerent, 40 dierum poenitentiam indulsit." Bei Baronius, Annales ad an. 1116'
n. 6, heißt es wohl richtiger „visitarent". i
* Kehr III 454. Inschrift bei F. M. Fiorentini, Memorie , della gran
conteqsa Matilda. Lucca 1756, 300.
.' Empoli 390.
158 IV* Die ältesten Ablässe für Almosen \ihä Kirchenbesuch.
Ablaßj deii derselbe Papst bei der Einweihung der Vincentiuskirch'&
in Volturno verliehen hätte: Anläßlich der Konsekratiönsfeier waren
vierzig Tage hindurch 103 Jahre in Aussicht gestellt, 40 Tage aber
für das jährliche Kirchweihfest.^ 'Der gleichzeitige Chronist Falco von
Benevent berichtet wohl die-Einweihung der Kirche durch Paschälis Il[,
sagt aber nichts von einem Ablaß ,2 ebenso der Chronist von Monte-
cassino, Petrus Diaconus.^
' Als im Jahre 1118 Gelasius II. den christlichen Soldaten, die
in Spanien im Kampfe gegen die Sarazenen fallen würden, einen
V^öUkömmenen Ablaß erteilte, verkündete er zugleich, daß denjenigen,
die zum Wiederaufbau der zerstörten Kirche von Saragossa Beiträge
spenden würden, ein .partieller Ablaß, zuteil werden solle. Die Be-
stimmung über den Umfang dieses Ablasses überließ er den spanischen
Bischöfen, die den Wohltätern je nach der Höhe ihrer Beiträge die
Buße ermäßigen sollten.*
Der Ablaß von 1 Jahr und 40 Tagen, den Gelasius bei der Ein-
weihung des Domes in Genua (10. Oktober 1118) den Besuchern des
Gotteshauses am Kirchweihfeste verliehen hätte, ist wohl erst später
. erdichtet worden.^ Einis grobe Fälschung ist die Bulle vom< 18. April
1118, wodurch Gelasius 11. für Almosen und Besuch der Klosterkirche
S. Sophia in Benevent an bestimmten Tagen 10 Jahre und 300 Tage
verheißt. Dasselbe gilt von dem Schreiben vom 5. Januar 1123, >vorin
Calixt II. den Ablaß seines Vorgängers bestätigt und 2 Jahre mit
30 Tagen beifügt.^ Keinerlei Beachtung verdient der alles .Maß überr
schreitende Ablaß, den Pelagius bei der Konsekration des Domes, von
Pisa verliehen hätte : 14000 Jahre am Kirchweihfest und in der Oktave,.
24000 Jahre nebst einem Drittel der Buße von Maria 'Himmelfahrt bis
Weihnachten, täglich 48 Jahre und 100 Quadragenen, an allen Marien-
festen 1000 Jahre.' Gefälscht ist auch die Bulle vom 13. Dezember
ill8-, worin Gelasius dem' Kloster St. Andre bei Avignon einen großen
Äbläß gewährt für alle Gläubigen, die eine vom Kloster abhängige
iPeterskirche am Tage der Kreuzauffiadung besuchen und ein Almosen
spenden.^ Die Einleitung und den Schluß des Schreibens hat der'
Fälscher der oben besprochenen unechten Bulle von Sergius IV. für
Obrrens entnommen. Die Ablaßformel hat er aber abgeändert, um
^ Muratori, Scriptores I 1, 517.
2 Muratori SS. V 90. Migne CLXXIII 1167.
: . -. 3 Mon.. Germ. SS. VII 788.
. * Jaffe 6665. H. Bianca, Aragonensium rerum Commentarii. Cäesar-
augustae 1588, 139 f. Migne CLXIII 508: ,,Secundum lab'orum. suorum et
benefieiorum suörurh ecclesiäe inipensorum quantitatem ad episCoporum arbitrium,
in quorum paroöhiis deguiity poehitentiarumi suarum remissionem et indulgentiapa
cdnsequarittir." Richtig schreibt Morin 779: „Partialis indulgentia a Pontifice
datur, sed quantitas ab episcopo assignanda."
;; s Vgl. oben S. 53.
« Kehr in Göttinger Nachrichten 1898, 72 ff.
» Muratori, Scriptores III 1, 404. UghelLi III 377. Kehr III 335 360.
8 Wiederhold 72 f.
IV.' Die ältesten Ablässe für Almosen tmd Kirohenbesuch. 159
sie dem Gebrauche seiner Zeit anzupassend So hat er dem alten Erlaß
des dritten Teils der Buße noch' einen Ablaß" von 7 Jahren und 7 Qua-
drägenen < beigefügt. Am deutlichsteh Verrät sich aber der Fälscher
durch die Art und Weise, wie er einen Sterbeablaß verheißt: Den-
jenigen, welche die Kirche besuchen, wenn das Kreuzauffindungsfest
auf einen Freitag fällt', und ein Almosen geben, einteilt der Papst für
den Augenblick des Todes, ' aber - nur einmal, einen vollkommenen
Ablaß. für* alle ihre Sünden. Diese Formel lehnt sich an die erst im
14. 'Jahrhundert vorkommenden. Beichtbriefe an, in welchen es' ge-
wöhnlich heißt, daß 'der Ablaß hur einmal im Augenblick des Todes
gewonnen werden könne.
Calixt II. hat wiederholt Ablässe für- Kirchenbesuch und Almoseri
erteilt. Bei der Einweihung der Klosterkirche von Morigny (Diözese
Sens) am 30. Oktober 1119 gewährte er einen Ablaß für den Jahrestag
der Kirchweihe. ^ »Leider wird die "Quantität des Ablasses vom gleich-
zeitigen- Chronisten, einem Mönch von Mbrigny, nicht angegeben. Daß
es damals. bereits Sitte war, bei -Kirchweihen Ablässe zu erteilen, zeigt
ein Schreiben des Papstes vom' 23;- September 1119 an den Bischof
Rainaud von Angers, worin er- letzteren beauftragt, eine der Abtei
St. Florent in Saumur angehö'rige Kirche zu konsökrieren. Calixt II.
bestätigt im voraus den Ablaß, den bei dieser Gelegenheit der Bischof
„nach der . Gewohnheit der Kirche" spenden werde. ^ Bemerkenswert
ist die Bußermäßigung, die Calixt selber bei der von ihm am 31. August
1119 vollzogenen Konsekration der -Kirche von Fontevrault deii
anwesenden' Gläubigen gespendet hat: Denjenigen, die eine Buße von
4 J[ahren und darüber zu . verrichten hatten, wurde ein Jahr nach-
gelassen; jene aber, denen eine Büße von- 3 Jahren und darunter
auferlegt worden war, erhielteh einen Ablaß von 40 Tagen. Dieselbe
Vergünstigung wurde jenen zugesichert, die in der, Folgezeit vom
Beginn der 40jbägigen Fasten bis zur Osteroktave die Kirche besuchen
und mit Almosen unterstützen würden.^ Beträchtlich war auch der
Ablaß, den Calixt 1119 bei der Einw;eihuh'g der Kirche' N'otre-Dame
de Rön'c'eray in Angers verlieh: Den anwesenden Gläubigen, die
ihre Sünden gebeichtet hatten, erließ er den siebten- Teil der Buße;
den gleichen Bußerlaß verhieß er für Besuch des Gotteshauses am
1 L. Mirot, La Chronique de Morigny (1095—1152). Paris 1912, 33.
Duohesne, Historiae Francorum 'Scriptores IV-, Parisiis 1641, 369: „Annua
peccatorum remissione in dedioationis anniversario constituta regio Stanapensis
et sublimaia et letificata est." Über das Datum vgl. Jaff e I 786. Mon. Germ.
SS. XXVI 39.
^ Robert I 91: „Remissionem ,quam eis de pecoatis-suis iuxta Ecclesiae
consuetudinem tua Providentia fecerit, auotore Domino corifirmäntes. "
Jaffe 6742.
' Robert Ii86: ,,Universis qui ad dedioationem convenerartt, a quattuor
annis et supra, unum, a tribtis vero et infra, dies quadraginta de suis poenitentiis'
relaxavimus. Idipsum et de illis statuimus, qui a ieiuniorum oapite usque ad'
octavas Paschae per sequentes annosV quändiu in eodemloco religionis monasticae
ordo viguerit, monasterium debitä -devotione visitare ao de suis facultatibus
curaverint. adiiiväre," Jaff 6 673,3. - . ■
160 IV. Die ältesten- Ablässe für Almosen vind Kirchenbesuch;
jährlichen Kirohweihfeste sowie vom ersten Adventsonntage bis zur
Epiphanieoktave.^ Unterm 2. Juni 1119 .bestätigte Calixt einen nicht
näher bestimmten Ablaß, den früher^ürbanll. undPaschalisJI. für
Besuch der Klosterkirche St. Pierre de Blesle an drei Testen des
hl. Petrus erteilt hatten.^ Nach einem späteren Schreiben des Papstes!,
Lucius III. vom Jahre 1185 handelte es sich bloß um einen Bußerlaß
von 10 Tagen.^ Einen Ablaß von 20 Tagen erteilte der Papst bei-
der Einweihung des Domes von Volterra im Jahre 1120. für den
Besuch der Kirche während der Oktave des Kirchweihfestes.* Der-
selbe Ablaß von 20 Tagen wurde 1123 den Besuchern der Abtei von
Edmundsbury bewilligt.^ Die Stiftsherren v^n Casale bevoll-
mächtigte Calixt im Jahre 1120, an zwei Festtagen ihrer Kirche des
hl. Evasius (gemeint sind wohl das -Kirchweihfest und der Patronstag)
den Gläubigen einen „geziemenden" Ablaß zu spenden.^
Eine alte Inschrift berichtet von einem Ablaß von 1 Jahr und
40 Tagen, den Calixt 1123 bei der Einweihung der Kirche der heil.
Agnes in Rom bewilligt habe.' Die Echtheit dieses Privilegiums
muß dahingestellt; bleiben, da die Ablaßinsohriften gar oft Falsches
enthalten. Außerordentlich ist der Ablaß von 3 Jahren, den Calixt
in demselben Jahre 1123 bei der Konsekration des Hochaltars in der
römischen Peterskirche erteilt haben ;soll. Doch wird er bereits
ganz bestimmt von Petrus Mallius, einem Kanonikus der Peters-
kirche, in einer dem Papst Alexander III. (1159 — 81) zugeeigneten
Schrift erwähnt.^ Man dürfte daher berechtigt sein, ihn als echt zu
betrachten.
^ Bouquet XII 480; XIV 199 f. Robert, ]&tude sur les aotes du pape
Galixte II. Paris 1874. App. S. XXIV. Schreiber 11 226.
* Robert I 24 f.: „Porro illam peccatorum remissionem quam in tribus
b. Petri soUempnitatibus' domini predecessores nostri sancte memorie Urbanus
et FaschaUs pontifices fidelibus devote ad ecclesiam vestram convenientibus
constituerunt, nos, auctore-Deo, presentis scripti pagina confirmamus." Vgl.
Schreiber II 225.
ä A. Chassaing, Spicilegium Brivatense. Paris 1886, 12 20.
* Robert I 260. f.: „Hano dilectionis praerogativam concessimus, ut qui-
cunque fideles anniversario ipsius' consecrationis die usque ad octavas eius per
annos singulos ad eundem locum devote' convenerint, remissionem viginti dierum.
de penitenciis sviis per misericordissimamL S.'Spiritus gratiam cöhseiqtiahtur."
Vgl. Ciaconius I 945. Jaff6 6851. Kehr III 287. Schneider 55. Von
L.C.Goetz (Zeitschrift, f. Kirchengeschichte XV 328) mit Unrecht als „sehr
zweifelhaft" bezeichnet. Goetz behauptet irrig, erst im 13. Jahrhundert habe
man in den Ablaßerteilungen zwischen dem Feste und seiner Oktave unter-
schieden. Vgl. z. B. eine Bulle Eugens III. vom Jahre 1149 bei Mi gne
CLXXX 1404' .
5 Robert 11:209. J. Battely, Antiquitates S. Edmundi Burgi. Oxoniae
1745, 66. J äff 6 7074.
* Robert I 251. V. de Conti, Notizie storiche della citta di Casale del
Montferrato I, Casale 1838. Jaff6 6844:„Vobis licentiamindtdgemus in duabiis
e.cclesie vestre festivitatibus f idehbus ^ ad eam convenientibus competentem
remissionem de peccatis per annos singulos faciendi/' . , - ■
/ 'Ciaconius I 944. Forpella IX 513.r Blehr.I 95. . ^
i , • Acta Sanctorum, Iimii VII;:54. J; B; de Rössi, Insoriptiones christianw^
iirbis Romae septimo saeculo antiquiores II Ij, :Romae 1888, 221; ;,In' qua ooil-"
ly. Die ältesten Ablässe füi? Almosen .iind Kirohenbesuoh. 1'61
Sicher , unecht' sind], dagegen, verschiedene andere Ablässe, die
Calixt II. .zugeschrieben werden. So; vor allem ein lächerlicher^ Ablaß^,'
den der Papst 1122 j^bei.; der Eiiiweihung- der i DreiEaltigkeitskirche ciri;
Mileto , (Kalabrien)j ,yerliehen hätte :, ein- Ablaß ,sov unzählbar, wie- die
Sandkörner auf einer • Schaufßl, voll Sand.f. ' Von eihei?." Anwesenheit
des Papstes Calixt; 11; /in; .Mileto, ist nichts, bekannt.^''' Gefälscht ist
auch, die Ablaß.huUe für, Catarizar.o vom!'28., Dezember lfl21:'Generäl-
absplution fürjene,^ die, sich" auf dem .Friedhof begraben lassen; züdeih
den Besuchern der Rii;che in: der Oktave .des Kirchweihfestes) ein- Jahr
Ablaß, für schwere , Sünden undt Erlaß /-eines .Drittels der ^, 'Büße für
läßliche S.ünden.^ Dasselbe gilt von. der 'Generalabsolution, .die' jfenen
verheißen f^yird, 'die sich auf dem Friedhof, von' .Gonzä!(Compsa)> be-
erdigen -lassen würden:*^ Im' .Mittelalter,, fälschte man eben mitjbe>-
sonderer- Vorliebe Begräbnisprivilegien,! weil aUerharid {Interessen damit
verknüpft' waren.? J, Bine_derar,tige^ jaus« Eigennutz j hervorgegangene
Fälschung istt unzweifelhaft die> Bulle. vom 23. Februar 1120' fürt das
von Cluni abhängige Kloster St. Jean-du-Mont.* Den eigennützigen
Fälschungen beizuzähleni ist' auch t der-', Erlaß 'eineä' Drittels., der; sBuße,
der jenen verheißen wird; (18. Dezember 1120), i die, der Abtei-Lerins
HiHe leisten.' Erwähnt isfei.-schheßhch' noch, ein" gefälschter, nicht
näher bestimmter. Ablaßjifür eine. Bruderschaft. in Tort öna.^ \'^ "-
seeratione, sicut; invenimus in,'libris n'ostris scriptum ei a'maioribusinostris ad-
cepimus, fecit remissionem trium. annorum annualiter ad'eam devote venientibus.V
Vgl'. Kehr 1,141. , , ' '" " „>,!,','".
1 J. Ca'talanus', Caeremomale" epi.scoporum I', Parisiis 1860, 488. In der
gefälschl^n BüUe Heißt es, wer eineä Beitrag' speiide, „tantäe' m.tin-as indulgentiae
innttmerabile'ji quemadmodum xinius.palatae (palata italienischer Ausdruck für
pala) arenae sunt innumerabiies, oonsequatur". Vgl. C.Caracciolo, Naipoli
Sacra 1, Napoli 1624, 64, wo es heißt,- ein Papst Johann habe einer Kirche in
Neapel „unä pala d'areüa d'indülgenza" verliehen.
2 V. Oapial'bi, jV^emorie per servire alla storia della santa Chiesa Miletese.
Napoli 1835, llff. Der kritische Verfasser bemerkt be'züghch der Konsekrations-
lirkunden, die Oalixt II. für Müeto, Catanzaro vind Nicastro ausgestellt haben
soll: „Tutte queste belle e oonsagrazioni sono chimeriche e pubblicate dagrim-
postori."
3 Robert, I 387:' „Cui quidem ecclesie . . . tale munus misericordie et
remissionis concessimus, ut omnes quorum corpora in cimiterio eiusdem ecclesie
suo voto sepellirentur, nisi, in excommunicatione et absque confessione more-
rentur, ab omnibus peccatis suis ipsa hora absolverentur, et extorres infemalium
cruciatuum et perpetue gehenne redderentur." Von Robert, Jaffö 6940 txad
andern als echt angenommen. Vgl. dagegen P. B atif f ol , La ohronique de Tavema
et les fausses decretales de Catanzaro, in. Revue des questions historiques LI
(1892) 235 ff.
* Robert II 265 f. Jaffe 7115. Vgl. Schreiber n 231: „Sicher unecht".
6 Vgl. Schreiber II 107. Puckert 66.
• Robert I 212: „Illorura animabus quorum. corpora eodem coemeterio
sepulta fuerint (Im Text steht fuerunt, sicher mit Unrecht, da es sich tun einen
neuangelegten Friedhof handelt), quod videücet sub praesentia nostra ab episcopo
Ostiensi benedici deorevimus, benedictionera et absolutionem nostram conl-
cedimus." Vgl. Schreiber II 232.
' Robert I 296.. Jaffe, 6875.
8 G. Salice,' Annali Tortonesi. Torino 1874, 148. Kehr VI 2, 229.
Paulus, Geschichte des Ablasses. 11
162 I Vi Die ältesten Ablässe für Almosen und- Kirchenbesucli.'
'uv XJjieclit ist ahich der Ablaß, den im - Jalure 1128>Hon'orius II.,
derktNacMölgerS des Papstes Calixt, zugunsten der' Bruderscltiaf t ' in
Tort'oriä'Veflielien haben ' soll.i' Ebeiiso ist "den" Fälschungen- b'ei-
züzählen/eiüef Bulle, worin; Honorius' 11. jenen,' die an verschiedfeiien
Festen die: Ei^ der Benediktinerabtei Corazzo (Kalabrieii') be-
suchen uhd-eiineh Beitrag spenden, 150 'Jahre ^Ablaß verheißt.^ Abge-
sehen von ähäfem*Kennzeichen, verrät hier schon die 'Höhe des Ablasses
die Hand des Fälschers. Erdichtet ist ebenfalls der vollkommene Ablaß,
auf den fein -Klöster in Venedig Anspruch erhob.^' ' " - - ' '''^
n; i FiiivdeiijBesüch am Kirchweihfeste der vdn ihin selbst eingeweiliten
Basilika Lvon-Gliini erteilte Innozenz 11. im' Jahre 1131 bloß- 'einen
Ablaß von 40 Tagen.* Dagegen erließ er im Jahre 1131 den vierteil
'Teil der Buße jenen, die zum Wiederaufbau der Einsiedelei Ayberts^
eines im Rufe 'der? Heiligkeit stehenden- Priestefsin Hainaut,' beisteuern
würden;^ liNioht genügend bezeugt ist der Erlaß des -vierten Teils' der
Büßci deii? Innoizehz II. zugunsten des Klosters Andechs ' bewilhgt
haben sollv^ii :Mi ^ i> * s • *. ' -
.K Vi In- den Jahren zwischen 1139 und 1141 oder 1143 hat Innozenz 11.
zuguiisteh-deir Johanniter zum erstenmal die Bulle ,',Quam amobüis"'
erlassen, die fspäter oft erneuert worden ist. Die Bulle- ist gerichtet
an alle Prälaten und ' fordert diese- auf, die Gläubigen anzueifern,
der Bruderschaft der Johanniter beizutreten und Beiträge zu spenden.
I^tje.rMtglieder der Bruderschaft, die jährliche Beiträge' zu- leisten
hattieni, erhielten^ Nachlaß des siebten Teils der auferlegten' Buße.'
. Eine plumpe Fälschung ist das vom 1. Mai 1133 datierte Privi-
legium .fiirida^^^^^^ Salvatore in -Brescia.^ Für Almosen
und- Kir.chenbesuch am Feste der hl. Julia wird' ein vollkommene!*
Ablaß verheißen; an verschiedenen Festen war ein Erlaß des Drittels
der schweren Sünden und der Hälfte der läßlichen in Aussicht ge-
stellt, Sicher unecht ist auch der Ablaß „von Pein und Schuld",
den die Abtei Königslutter von Innozenz II. erhalten haben wollte.*
'..:' 1 Sali 06 150. Kehr VI 2, 229.
2 Ughelli IX 274. Migne CLXXIX 127. Jaffe 7548.
;* Fl. Cornelius, Ecolesiae Venetae illustratae XI, Venetiis 1749, 398 £►
* Migne CLXXIX 127: ,,Devotioni et humilitati fidelitun, qui pro amore
Dei et ipsius loci reverentia in anniversario dedicationis illuc conveniunt, pro-
spicientes,:ipsis 40. dies poenitentiae sibi iniunctae, de gratiaJDei confisi, b. aposto-
lorumPetri et Pauli auctoritate remisimus." Jaffe 7ö48.
^' Migne lCLXXIX 104: „Omnibus benefactoribus tuis quartam partem
poenitentiae suae ex parte Dei et s. apostolorum. Petri et Pauli et nostra re-
laxamus." Jaffe 7489.
^ Cronick voii . . . Andechs. Augsburg, um 1500, C 7'.
' Delaville I 107, n. 130; IV 244, n. 128 bis: ,,Quicuinque de facultatibtis
sibi a Deo collatis eis subvenerit et in tarn sanota fraternitate se ooUegam statuerit,
eisque benefioia persolverit annuatim, septimam ei partem iniuncte penitentie . . .
dndulgemus." Daß Innozenz II. eine Bulle gleichlautenden Inhalts schon am
■20. Februar 1131 erlassen habe, ist nicht zutreffend. Vgl. Delaville I 82, n. 91.
W. Bernhardi, Lothar von Supplinburg. Leipzig 1879, 308 350.
8 Kehr VI 1, 324. Göttinger Nachrichten 1912, 424 f.
" J. B. Kapp, Kleine Nachlese einiger . . . Urkunden III, Leipzig 1730, 228-
IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und' Kirchenbesuch.' 163
Ebenso unglaubwürdig ist ' ein nicht 'näher bestimmter Ablaß, den
Innozenz JI; am 15. Oktober 1131 bei 'der Einweihung einer • Spital-
kirche in Brüssel' verliehen hätte.i'-' ' "■ ' ' — >'' ^ . ' '•
Anaklet II. soll
Kirche' San Bartolomeö*
verliehen haben.^ ' Ein höchst verdächtiges Be'gräbrüsprivilegium !
Den Erlaß' des siebtenTeils der Buße ^ den 'Innozenz IL den Wohl-'
tätern der Johanniter gewährfhatte,' verlieh'Cölestin II. im Jahre
1144 durch die Bulhi' „Milites fem^^Zi" 'zugunsten' der Templer.^" '
Lucius II. erneuerte im Jahre 1144 die beiden Ablässe' für die
Johanniter und Templer,* wie er auch den Ablaß von 20 Tagen,
den Calixt II. für Edmundsbury verliehen ' hatte, am 1. April 1144
bestätigte.^- Unecht ist der Ablaß von 1 Jahr lind 40 Tagen zugunsten,
einer' Kirche der Augustiner.^ > - ,' . '. ' •
Die Ablässe für die Johanniter und Templer hat auch' Eugen III.^
wieder erneuert.^ ' Im- Jahre^ 1145 gewährte er den ' Besuchern der
Jakobuskapelle in Pis toia einen Ablaß' von 7 Tagen.^ Nur "auf 7, und"
nicht auf ' 700 ' Tage ' belief sich ohiie Zweifel auch der -Ablaß, den
Eugen III.' 1147 bei der Einweihung der Kirche vori'Montmartre
(Paris) verheben hat.^ Bei der Konsekration eines Altars "der Kirche
des hl. Frigdianus in Lücca bewilligte Eugen im Jahre "1147 einen
Ablaß von 40 Tagen für Kirchenbesuch am Jahrestage- der Weihe. ^**
Zwei Jahre später bestimmte er, daß jene, ' die ' verhindert wären,
am Jahrestage selbst die Kirche zu besuchen, den' Ablaß während
der Eestoktave gewinnen könnten.^^' ' Dem von Alexander II. für die
^ A. Miraeus, Opera diplomatica et historica I, Lovanii 1723, 94.
2 Kehr I 112. Göttinger Nachrichten 1903, 147. ^ Albon 3?il.^
* Kehr, in Göttinger Nachrichten 1899, 388. Delaville IV 244.
Albon 381.
^ Battely, Antiquitates S. Edmundi Burgi. Oxoniae 1745, 66.
« Empoli 390.
» Delaville I 130, n. 162. Göttinger Nachrichten 1899, 313. H. Prutz,"
Malteser Urkunden und Regesten zur Geschichte der Templerherren und der
Johanniter. München 1883, 37. Ferreira, Memorias . . ., dos Templarios I 2,
Lisboa 1735, 765. Albon 382. '
* Migne CLXXX 1063: „Dignum duximus, ut fideles Christiani qui prae-
f atum. venerabilem locum pietatis intuitu devote visitaverint, peccatormn suorum
■per nos relevationem aliquam mereantur. Ideoque . . . statuimus, ut quotquot
preiedictum venerabile Oratorium causa devotionis et orationis visitaverint, de
iniuncta poenitentia septem dierum indulgentiam se accepisse congaudeant."
Kehr III 128. Jaffe 8795.
» Mabillon, Annales VI 701: Migne CLXXX 1242: „Ulis autem qui
tunc locum ipsum devotionis et pietatis intuitu visitaverunt vel de caetero in
anniversaria die ipsius conseorationis visitaverint, et de facultatibus sibi a Deo
praestitis eisdem sanetimonialibus suas eleemosynas largiti fuerint, septingentos
dies inivmctäe poenitentiae . . . indulgemus." In der Bulle ist wohl die Zahl VII
später in VIP umgeändert worden. Bei Jaffe 9078, der sich auf Mabillon stützt,
steht irrig 70 dies!
^» Kehr III 431.
" Baluzius, Miscellanea IV 594. Migne CLXXX 1404 f. Jaffe 9361.
Kehr III 432.
11*
164 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen. und jKirohenbesuch:
Domkirche in Lucca. bewilUgten, achttägigen Ablaß, fügte,)51ugen 11.41
einen weiteren. Ablaß v;on 8, Tagen .bei>, ,.Pie, Johanniskii'che in B.e.-;
sangon erhielt 1148 einen Ablaß ^ von ,20. Tagen,, der am Kirchweih.-
feste zu gewinnen war, ^ , . . ' ■■ ' , ,. : .
Zweifelhaft ist der, Ablaß von 1, Jahre, -.den .Eugen: III. 1145, bei
der Einweihung deir;KjLrphe.,de8,h;li, Juvenalis'in.;Narn^^ .erteiltühaben
soU.^ Den unzweifelhaften Eälschungen beizuzählen sind > die Ablässe
von 300, 200, 30, .Jahren usw./fÜTidas Kloster S.i Maria/ und Regula
in Imola;* ebensOj.die Ablässe. von 7 j^^hcenfür Kirchen in Mailand,^
Verc.elli^ undMissanello,' yon 1, Jahr und .40- Tagen fiir eine Kirche
der Augustiner.^, . , . , •'.
Am 31. Januar 1148 hat Eugen III. die Paulinuskirche in Tri^i^
eing;9jw[eiht. Bei dieser Gelegenheit, sollen von dem Papste und. den an.T
wesenden Bischöfen dieselben fabelhaften Ablässe, (21 10 Jahre' uaw,);
verliehen worden sein, wie hundei-t Jahre friiher, unter. Le.O' IX.* Es
ist indessen fraghch, ob Eugen zugunsten der. PauHnüskirche auch nur
einen Ablaß,, von einigen Tagen,: erteilt habe. . Etliche. Tage ; vorher
(13. Januar) war in Trier eine andere Kirche,' von. Eugen 'HI. -ein-
geweiht worden, .die Ma,tthiaskirc;hQ, die, weil sie den Leib des.
hl. Eucharius barg, auch Euchariuskirche genannt wurde. In einei:
Aufzeichnung aus dem Ende, des 13. J^ahrhunderts wird berichtet,
daß Papst Eugen und der Trierer .Erzbischof Albero miteinander
30 Jahre und 18 Karenen Ablaß erteilt haben. Verschiedene Bischöfe,
die, Altäre einweihten, .hätten jeder 1 Jahr und 4 Karenen; gespendet,
ein Kardinal dagegen 2 .Jahre und 8 Karenen. Viele andere. Kardinäle,
die zugegen gewesen, gaben, jeder 1 Jahr und 100 Tage nebst einer
Karene.^^ Alle diese Ablässe sind spätere Erdichtungen, gleich dem
Ablasse von 2 Jahren und 2 Karenen, den bald' nachher Erzbischof
Arnold von Trier (1169 — 83) bewilhgt haben soll. Um die Mitte des
12. Jahrhunderts war es noch nicht Sitte, derartige, Ablässe zu ver-
leihen. Der gleichzeitige Trierer Chronist, wohl ein Mönch von
St. Matthias, der die Feierlichkeit von 1148 schildert, sagt kein Wort
von irgendeinem Ablasse, der damals erteilt worden wäre.^^
Für den Besuch der Kirche St. Cuthbert in Durham hat Ana-
stasius IV. im Jahre 1153, einen- Ablaß von 40 Tagen, bewilligt.^^
Denselben Ablaß von 40 Tagen erhielt in den Jahren 1156 — 58
- Oben S. 162. Kehr III 403.
2 Chifflet, Histoire de Totu-niis. Dijon 1664, 393. Jaffe 9266.]
3 Acta Sanctorum. Mali I 393. Kehr IV 32,
4 Kehr V 169. Göttinger Nachrichten 1910, 243 ff.
6 Kehr VI 1, 96. « Kehr VI 2, 23.
' Kehr, in Göttinger Naohriöhten 1902, 522 ff .
8 Empoli 390.
» Oben S. 149 f. Mon. Germ. SS. XV 1276 f.
" Acta Sanctorum. Febmarii III 453 f. Mon. Germ. SS. XV 1278 ff.
^^ Gesta Treverorum continuata. Mon. Germ. SS. XXIV 378.
12 Historiae Dimelmensis scriptores tres. London 1839. Appendix, S. XXXIV
(Publioations of the Surtees Society IX). Jaff6 9779.
IV'.' Die ältes'ten -AbläSSö füt Almosen iind Kirchenbesueh. 165
die Abtei St. Gilles vbn Ha'drian IV.^ Als- dieser Papst im Jahre
1157, einige französische Bischöfe mit 'der -Übertragung der öebeine
des hl. Florentius in Saumur. beaiiftragte,^ ersuchte er sie-, dten
Oläubigen, die der Feier beiwohnen' werden-, einen Ablaß zu erteilen,
wie sie es für gut finden würden i^ Difes tauten dann auch'die Bischöfe^,
doch wird über die ' Höhe des gewährteil jAblasses nichts Näheres
mitgeteilt.^ Einen ähnlichen -Auftrag richtete Hadrian IV. in den
Jahren: 1156-^58 an den Erzbischof von Rouen und dessen Suffragane.
Bei der Übertragung der Reliquien in Fee a in p sollten sie den wahrhaft
reumütigen Gläubigen einen mäßigen und geziemenden Ablaß erteilen,
den der Papst nachträglich bestätigen werde.* Die oben erwähnten
Ablässe der Johanniter und Templer hat Hadrian IV. mehrmals
erneuert.^ ■ >
Ein eigentümliches Privilegium wollte das -Kloster Andechs von
Hadrian IV. erhalten haben. ^ In dem betreffenden Schriftstücke
bestätigt nicht nur der Papst alle von Gregor I. und dreißig andern
Päpsten erteilten Ablässe, er gewährt auch selber unter anderm für
verschiedene Feste einen ,, Erlaß des "vierten Teils aller Sünden von
Strafe und Schuld"; zudem bevollmächtigt et "die Priester, die jedes
Jahr am Osterfeste vor Sonnenaufgang in' 'der Kirche zelebrieren,
am Ende ihres Lebens einen Beichtvater zu wühlen, der sie Voii aller
Strafe und Schuld lossprechen könne. Aus letzterer Angabe erhellt
unzweifelhaft, daß dies Privilegium erst im 14.' oder 15. Jahrhundert
entständen ist. Nicht mit Unrecht ist' bemel-kt worden ,' daß dife
Fälschung „nahezu überall erkennbar" ist.' Als Fälschungen haben
auch zu gelten der AblaB von 3 Jahren und ^ Quadragenen für die
Kirche des hl. Augustinus in Orvi'eto^ und der Ablaß von 50 Jahren
füt die Kirche St. Simplicianus in Mailand.®
Von Alexander III. (1189 — 81,) lassen sich eine ganze Anzahl
KircheuT und' Almosenablässe nachweisen. Zunächst hat er mehrmals
die überlieferten Ablässe der Johanniter und Templer erneuert.^® So-
^ Goiffon, Bullaire de St. Gilles. Mmes 1882, 78. Jaffe 10351.
^ Loewenfeld 125: „ConvenientibTis ibi devotionis intuitu fidelibus
Christianis peccatorum suorum remissionem, sicut con venire videritis, faciatis,"
^ P. Marchegay, Chroniques des öglises d'Anjou. Paris 1869, 310. Acta
Sanctorum. Septembris VI 423.
* Brackmann, in Göttinger Nachrichten 1Ö04, 443: „Moderatam et
conpetentem penitentibus vere advenientibus remissionem peccatorum . . .
indulgere. Quod enim a tua tuorumque suffräganeorum discretione factum
fuerit, nos ratum habebimus et auctoritate sedis apostolicae studebimus con-
firmare."
ö Delaville I, n. 235 239 243 254. Ferreira I 2, 767. Kehr, in Göttinger
Nachrichten 189'9, 314 390.
« Pflugk-Harttung III 186 ff.
^ Pflugk-Harttung a. a. O. Vgl. auch L. C, Goetz, in Zeitsch. f. Kirchen-
geschiehte XV 333 ff.
» Kehr II 225. Empoli 390.
» Kehr VI 1, 96.
1» Delaville n. 318. Ferreira I 2, 769.
166 IV. Die ältesten Ablässe für Almosent'Und-Kirchenbesuoh.
dann hat er wiederholt (Wallfahrerablässe verliehen. , Denjenigen, die
nach Jerusalem;pilgerten,, pflegte der.Papst einen Ablaß von' !• Jahre
zu .erteilen.^ Eine Ablaß bewilligung, für die Rompilger findet sich
im, Schreiben jan^die Schwedfensvom 26. Juli llSl.^ DerTapst erklärt
in, diesem Schreiben, daß er jenen, die, nach reumütiger Eeichte die
Gräber der' Apostel besuchen,' je nach ihrer, 'Entfernung von Romj
1, 2 oder 3 Jahre von. der auferlegten Buße .erläßt. . Bemerkenswert
ist es auch, daß Alexander III. 1163 Adeligen einen Ablaß von^ 1 Jahre
verheißt, wenn sie- den der Abtei Cluni geschworenen Frieden halten
würden.^ Bei der Einweihung ,der Kirche St. Germain r des -Pres
(Paris) im Jahre 1163 verHeh der Papst für den Besuch der Kirche
vom Tage der Konsekration an (21. April) bis zum Schluß der Pfingst-
oktave einen Ablaß von 1 Jahre; für den Besuch am jährKchen, Kirchs-
weihfeste und an den drei folgenden Tagen würde ein, Ablaß, von
20 Tagen verheißen.* Auch bei der Einweihung der Abteikirchie von
Ferrieres. (Diözese Sens) im November 1163 oder 1164 gewährte er
einen Ablaß, dessen. Höhe jedoch nicht bekannt /ist.^ Daß er aber
bei solchen Gelegenheiten -nur ganz mäßige" Ablässe zu verleihen pflegte,
zeigen die BewilUgurigen inden -Jahren 1164 und 1165 für die Abtei-
kirche St. Kolumba und die Kathedrale ia Sens; in beiden EäUen
erteilte er bloß einen Ablaß von 20 Tagen.*- Denselben. Ablaß von.
^ In der Kreuzzugsbulle, die Alexander III. in den Jahren I17I — 72 gegen
die Esten erließ, heißt ^es: „Nos eis ,qui adyersus dictos paganos potenter, et
magnanimiter decertaverint, de.pecoatis suis de, quibiis- confessi fuerint et poeni-
tentiam aeeepörint, remissionem'unius anni, confisi de miseriöordia Dei et meritis
apostolorum Petri et Pauli concedimus, siout his qui sepulcrüm dominicum
visitant, concedere oonsueviraus." Migne CO« 861. • Jaff 6 12120.'
2 Migne CO 1316: „Noveritis quod cum unusquisque seoundum labprem
suuna debeat mereedem accipere, apostolorum limina visitantibus oitra laare
unum, Anglicis biennium, vestratibus autem quia' remotissimi sunt, et quia se
oonstituerunt sedi apostolicaecensuales et cum maiori labore accedunt, trieniüura
de iiÜTinota poenitentia peöoatorum, de quibus vere compuncti sunt et eonfessi;
de b. Petri et Pauli potestate confisi auctoritate apostolica relaxamus. Non
autem dubium est quin illis qui non veniunt et censum solvant, solutio ipsa ad
remissione'm valeat delietorüm." Jaff 6 14417. Mit den Schlußworten wird kein
Ablaß bewilligt.
ä Migne CC 250. Am Anfang des Schreibens erklärt der Papst: „lu
reudssionem peccatorum vohisiniungimus", den geschworenen Frieden zu halten,
,,Nos autem tarn vobis quam successoribus ahis qui praedictam Ecolesiam Cluiüa-
censem et his quae ad eam pertinent ecclesiis atque personis ecclesiasticis con-
tinuam servaverint pacem, de misericordia Dei et b. Petri et Pauli apostolorum
eius meritis praesumentes, annum unum illivis poenitentiae quam'corde contritQ
et compuucto humiUter recepistis, sicut et iis qui petiint Hierosolymam, re-
laxamus." Jaff6 10908.^ ,; ,„
" ^ Loewenfeld 133. Die Ablaßballe schließt mit der Mahnung an die
Gläubigen, „ita oorde contrito et humiliato ad eundem locum annis singulis
accedatis, ut non aUa quam sola devotionis causa illuc aocedere videamini et ab
bmnipotenti Domino vestrorüm melreamini indulgentiam delictbrum".
5 Migne CO 278. Jaff 6 1Ö973. In dem Schreiben an König Ludwig VII.'
erwähnt der Papst die „remissio, quam ibi annuatim constituimus".
* M. Quantin, Cartulaire gdiieral de l'Yonne II, Auxerre 1860, 176 179.
Jaffö 11020 11172. Der erste Ablaß konnte gewonnen werden zur Zeit des
IV. Die- ältesten Ablässe für Almosen' und Kirohenbesuohi 167
20u Tagen 's verlieh -er 1177 bei; der Einweihung zweier Ejirchen iii
Venedig.f Eirien nicht, näher f bestimmten Ablaß 'soll Erzbischof
Roger von .York (1164 — 81) >vom Eapste für- die ^Wohltäter der Peters-
kirche ..in ' E-ipon> erhalteii haben.^ , Für die Unterstützung eines
Brückenbaues beiiEucecchio (Ficiolo) hat Alexander III. einen Ablaß,
von 40.Tagen.be willigt, der von seihenNachf olgern Lueius III. , Urbarilll . ,
Klemens Ill.viCölestinilll/, Innozenz III. usw. erneuert wurde.^ '.
„ , Nicljt genügend' bezeugt ist der „^große Ablaß'V den Alexander III,
im.'Jahre 117,9, für die yerehrung der .in* Genua verwahrten Reliquien
des hl.„, Johannes- Baptista verliehen« haben soll.* - ' •■- '
. ' ,Überaus: zahlreich sind die ! unechten Ablässe^ die Alexander III.
zugeschrieben werden. . Einer der- bekanntesten- dieser Ablässe 'ist der
große Ablaß der Marküskirche in Venedig-, der, gleich andern be-
rühmten Ablässen,; unter BonifazJX. öfters' andern Kirchen niitgeteilt
worden ist. In der angebhch von' Alexander III.. am 10. Mai 1177
hierfür, ausgestellten BuUeheißt .es ji daß -allen,' die nach reumütiger
Beichte' am^ Eeste der : Auffahrt . Christi die Marküskirche besuchen
und für deren Unterhalt einen milden Beitrag spenden, ein voll-
kommener Ablaß zuteil? werde.. Für .die Festoktave : wurde täglich
ein Erlaß des siebten Teils der Buße verheißen^. Die Bulle ist sicher
gefälscht.® Aber auch der darin verheißene Ablaß ist den Fälschungen
Kirchweihfestes „per sex dies amiuatim", der zweite aiu Kirohweihfeste „vel
tribus diebus praecedentibus aut sequentibus". ' '' ' •'-
1 Migne CO 1117 1242. ■ Jaff6 12849 13456. ■ In der ersteren Bulle heißt
es:^ „Omifibtis qui in anniversario dedicatiöhis, vel tribus diebus ante vel tribus
post, eandem [ecclesiam] contrito animo-et devote et humiliter visitaverint, de,
poenitehtia sibi iniuncta' 20 dies, confisi de misericordia lesu Christi etb. Petri
et Pauli meritis, duximus indulgendos." ' " ' .
.?, Erwähnt in einem undatierten' Schreiben der Stiftsherreii von Ripon.
Memorials of the-Ohurchpf ,SS. Peter, and, WiKrid, Ripon I, London 1882, 98
[Publications of the S;artees , Society LXXIV]^ , _, j , , ^
■3 Eiwähnt in' einein "Schreiben von Kiemens ly. aus dem Jahre 1265,
Schneider 254. ' Kehr' III "481.- Schneider meint, die Ablaßbriefe von
Alexander III: 'und Innozenz 111. hätten sich erhalten; 'allein' die Schreiben,
auf; die er verweist, enthalten keine AblaßbewiUigung.". , ' '■ ' ,' •-' ■
} Er wird- zuerst erwähnt von. Jakob. svon Voragine, Erzbi^chof von,
Genua (t 1298) in seinem Ohrdiiicon lanuense. 'Muratori, Scriptores IX 31 41.
Vgl; Kehr- VI 2', 2'85. ' ' ..,..,,,..
. ^ Migne', CC. 1319.f. Jaffö 12835. Aus einer Wolfenbüttler Handschrift
hat Wattenb,achim Neuen' Archiv für ältere deutsche.Geschichte VII>(1882) 138,
eine andere Überlieferung mitgeteilt: „Dominus papa largitus est talem graciam
monasterio S. Marci: Quod omnis qui ingreditur ante ascensionem Domini VIII
diebus, quociescumque intraverit, habebit C annos et septimam partem de omnibus
peccatis indulgenciam. Et in vigilia ascensionis Ddmini incipit talis indulgencia,
quod omnis, qui confessus et contritus monasterium S. Marci intraverit, absolvitur
a pena et culpa, et per octavam predictam~ indulgenciam, C ännos videlicet et
septimam partem omniiun peccatorum meretur consequi. ■ Et predictus . . . papa
Alexander III conseeravifc m.onasterium .S. Mar'oi eodem die et addidit indul-
genciam que siout harena non potest dinumerari."
' Vgl. H. Simonsfeld, Der große Ablaß von S. Marco, in den Sitzungs-
berichten der phil.-histor. Klasse der bayer. Akademie der Wissenschaften 1897
II 183—89. , . ' ,
168 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenb'esuoh.
beizuzählen. Zu jener Zeit haben die Päpste noch keine vollkommenen
Ablässe für Kirchenbesuch und Almosen erteilt. Als im Jahre 1177
Alexander III. während seines Aufenthaltes in Vfen^dig zwei Kirchen
einweihte, verheb er jedesmal nur einen Ablaß" von '20 Tagen. > Der
große Ablaß vonS. Marco ist allem Ansehe jne nach erst am- -Anfang
des 14. Jahrhunderts, wohl bald nach dem Jubiläum- von 1300, auf^
gekommen. Am 19. Dezember 12^hatte Nikolaus IV.füf denBesuch
djer Marbuskirche am Feste-des Patrons und an "Christi Himmelfahrt
einen Ablaß von 1 Jahre'^und 40' Tagen gewährt.^ Denselben Ablaß
gewährte Bonifaz VIII. am 23. Juli 1295.? Von .einem vollkommenen
Ablasse war also damals wohl noch nichts bekannt. Allerdings erwähnt
ihn bereits eine Chronik, deren Abfassung in die erste Hälfte des
W. Jahrhunderts zu setzen ist.? ,',Aber es ist hier darauf aufmerksam
zu machen, daß gerade dieser, Teil der Historia aus einer Hand-
schrift des 17. Jahrhunderts ergänzt ist, wo also leicht der damals
herrschenden Überüef erung gemäß der betreffende Passus eingeschoben
werden konnte."* Bei den übrigen venetianischen Geschichtschreibern
wird der Ablaß zuerst erwähnt von dem Minbriten Paulinus (f 1345)
in einer noch ungedruckten Aufzeichnung,^ und dann besonders von
Andreas Dandolo .(f 1354).?
Alexander III. soll übrigens im Jahre 1177 noch verschiedene
andere große Ablässe erteilt haben. In einem fabelhaften Berichte
über die damaligen Ereignisse und dies Flucht des Papstes nach
Venedig' wird zunächst ein' Ablaß erwähnt, den Alexander der
Johanniskirche in Ponta de Salvore an der Küste von Istrien
erteilt habe; ,,sehr große Ablässe" hättfe der Papst auf seiner Dü!rch-
reise auch dem Städtojbien Or^sero (Diözes^ Pafenzp) be^lligt.^.Noch
größere aber erhielt Ancona: Durch den Besuch der dortigen Kirchen
in der Fastenzeit konnte man denselben Ablaß gewinnen, wie durch
eine Pilgerfahrt nach Jerusalem; für den ersten Sonntag eines jeden
Monats erteilte der Papst einen'.so gr.oßen A]blaß, als er Sand mit
beiden Händen fassen konnte.^ Baronius bezeichnet mit Kecht
diesen Ablaß als „lächerlich".^ Dagegen nimmt er unbedenklich
einen andern Ablaß an, den Alexander III. am 8. Mai 1177inFerrara
gewährt haben soll. Bei der Einweihung des Hochaltars der Kathedrale
hätte der Papst für den Jahrestag der Feier 1 Jahr Ablaß für schwere
Sünden und einen Erlaß des siebten Teils der Buße für läßliche Sünden
^ Les registres de Nicolas IV. n. 1884.
^ Les registres de Boniface VIII. n. 290.
3 Historia dncum Venetioorum. Mon. Germ. SS. XIV 83.
* Simonsfeld 186. « Ebd.
* Muratori, Scriptores XII 304.
^ Abgedruckt bei Baronius, ad an. 1177 n. 6 f.
^ ,,Tantam indulgentiam quantam. arenam capere potuit cum ambabus
manibus." Vgl. oben S. 157 einen ähnlichen Ablaß von Urban II. für Piacenza,
9 Ad an. 1177 n. 49. Vgl. Kehr IV 197.
IVi "Die ältesten Aiblässe ff ür Almosen und -Kirehenbesuch. ' 169
verlieheni^ Nach den unzweifelhaft echten Ablaßschreiben Alexanders
zu urteilen,' darf man wohl die Bewilligung, die von den übrigen gänzlich
absticht;' als unecht betrachten. ' Sicher' unecht ist der nicht näher
datierte voUkoinmene Ablaß, den Alexander allen Kirchen der Kreuz -
träger, verliehen hätte, als er, vor Kaiser Friedrich -Barbarossa
fliehend, in dem 'Kreuzherrenspital vonMontolmo bei Macerata eine
Unterkunft fand/^ Ebenso unbegründet ist der Ablaß, den Alexander III.
nach einer Inschrift am 26. Juli 1177 der Kirche S. Maria Antiqua in
Verona bewilligt hätte: Am Feste Maria Himmelfahrt und während
der Oktave für Kirehenbesuch und Almosen täglich 100 Jahre, an den
andern Marienfesten, vom Martinstag bis zur Oktave des Epiphamen-
festes und während der Fastenzeit dreimal in der Woche 50 Jahre,,
endlich Absolution von Strafe und- Schuld für jene, die bei ihrem.
Hinscheiden der Ejrchenf abrik ein Legat vermachen;^
Andere unechte Ablässe seien nur im Vorübergehen erwähnt:
5 oder 25 Jahre für St. Simplicianus in Mailand,* nicht näher be-
stimmte Ablässe für den Dom in Siena,^ ein vollkommener Ablaß,
für die Domkirche in Paderborn.* Der vollkonimene Ablaß für
Santiago wird' im 2. Bande zur Sprache kommen. Unecht sind
wohl auch folgende Ablässe : 1 Jahr und 2 Quädragenen für den Dom
in Anagni,' 100 Tage für den Dom in Viercelli,* 2 Jahre für die
römisphe Kirche S. Maria in Aquiro,^ ein ,, großer Ablaß" für
S. Bartholomaeus in Eom.^"
Von Viktor IV., dem Gege;ipapst Alexanders III., hat sich ein
bemerkenswertes Ablaßprivilegium erhalten, das er im Jahre 1161
zugunsten, einer klösterlichen Niederlassung bei Cremona ausgestellt
hat.^^ Etliche Frauen, die das Ordenskleid genommen, hatten in der
Nähe dieser Stadt die Kirchte San Leonar(^ neb^t einem Spiral für
1 Ad an. 1177 n. 49. Ughelli II 539. Amort I 128. Kehr V 224. Bei
A. Frizzi, Memorie per la storia di Ferrara II, Ferrara 1848, 264, findet sieh
eine Inschrift, welche die. Konsekration des Altais durch Alexander III. bezeugt,
aber von einera Ablasse nichts berichtet. , ;
^ Die VerkimdigTing des Ablasses, wie sie in der Kreuzherrenkirche zu
Portogruaro durch öfffentliohen Anschlag zu geschehen pflegte, wird mitgeteilt
von Kehr in Göttinger Nachrichten 1899, 235.
^O.Panvinius, Antiquitatmn,Verone>nsiumli'bri yill, Patavii 1648, 182.
Bianoolini II 414 f. Vgl. Jaff6 II 765, h; 12980a.
* Kehr VI 1, 96.
6 Kehr III 207. CappellettiiXVII 450.
* Gr öne 71. Richtig ist nur, daß in den Jahren 1255 und 1257 Alexander IV.
der Paderbomer Domkirche partielle Ablässe gewährte, die von Gobelinus Person
irrig Alexander III. zugeschrieben wurden. Vgl. H. Finke, Die Papsturkimden
Westfalens, in Westfäl. Urkundenbuch V 258 404, n. S61 847 848. M. Jansen,
Cosmidromius Gobelini Person. Münster 1.900, 48.
' Kehr II 139. Bei Cappelletti VI 333 eine Aufzeichnung über die Ein-
weihung des Domes durch Alexander III., aber ohne Erwähnimg eines Ablasses.
8 Kehr VI 2, 24. - .
9 Kehr I 85. Forcella II>33.
10 Kehr I 112. Göttinger Nachrichten 1903, 154.
11 Veröffentlicht von Kehr in Göttinger Nachrichten 1912, 431 f.
•170 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen, und Kirohenbesuchi
Arme gegründet. Um die Gläubigen zu bewegen, .die- neue Anstalt zu
unterstützen, verlieh Viktor IV., der am 14. Mai 1161 der Einweihung
4er Kirche beigewohnt hatte, folgenden, Ablaß : Wer .vom Tage der
-Weihe an bis zur Oktave des Festes des Erzengels Michael die ;^Rirche
besucht, und ein Almosen spendet, erhält 1 Jahr Ablaß '^ für schwere
'Sünden und einen Erlaßt- des vierten Teils der läßlichen Sünden;
pudern werden auferlegte Bußwerke, die man aus Nachlässigkeit; vor
Scham oder Müdigkeit nicht verrichtet hat, gänzKch erlassen., Für
das jährliche Kirchweihfest wird ein Ablaß von 40 Tagen für schwere
Sünden und ein Ei?laß des vierten Teils der läßlichen Sünden ver-
heißen. , > * ' ' , ■ -
Lucius, III. hat den Almosenablaß der Johanniter mehrmals
erneuert.^ Zudem erteilte er 1182 einen Ablaß von 8 Tagen für 'den
Besuch einer Kirche in Venedig.-^ .Einen andern Ablaß, von 30 Tagen
verheh er 1185 für Beiträge zum Bau einer Brücke bei Pisa.^ Letztere
Bewilhgung beginnt mit den Worten: „Quoniam, ut.ait Apostolus",
und enthält die Formel: „In peccatorum remissionem iniungimus."
ÄhnHch lauten viele spätere päpstliche und bischöfhche Schreiben,
sowie auch das Musterformular, das auf der Lateransynode vom Jahre
1215 für Almosensamralungen vorgeschrieben wurde. Man hüte sich
indessen, derartige Sqhreiben als , Ablaßbewilhgungen zu betrachten,
wenn nicht am Schlüsse die Verleihung eines bestimmten Ablasses
ausdrückhch erwähnt wird. So enthält z. B. das Schreiben, worin
Lucius III. in den Jahren 1182 — 83 die Gläubigen ermahnt, zur Be-
festigung des Klosters Lerins Beiträge zu spenden, keine Ablaß;
bewilligung.* Für den Besuch, der Klosterkirche in Blesle gewählte
der Papst im Jahre 1185 einen Ablaß voii 10 Tagen, wobei er hervorhob,
daß diese Kirche eine ähnliche Vergiinstigüng schon von seihen Vor-
gängern UrbanIL, PaschalisIL, Calixtll. und Alexander III. erhalten
hatte. ^ Einen nicht näher bestimruten Ablaß erhielt eine Kirche in
Reims.® . , , > ■ .
Als echt darf man wohl den Ablaß von 12 Tagen für schwere
Sünden betrachten, den nach einem Chronisten des 13. Jahrhunderts
Lucius III. am 29. Juni 1184 bei seiher Anwesenheit in Faenza
- 1 Delaville n. 631 668 743. Göttinger Nachrichten 1899, 328 403 f.
2 pfiugk-HarttuAg III 410. , . ,
3 Pflugk-Harttung III 320. Kehr III 375.
< Kehr, in Göttinger Na,chriohten: 1900, 426. '
;® A. Ohassaing, Spioilegium Brivatense. Eecueil de documents historiques
relatifs au Briyadois. et ä l'Auvergne. ; ;Paris 1886,, 20: „Quoniam dignum est
et a consuetudine ecclesias<;ica nujllatBnus aUenum, ut hü qui in precipüis soUemphi-
tatibus ad ecclesias deyota mente conoorrentes, suorum debeäntpercipere veniain
delictorum, nos, vestigia patn^n et predecesspriim nostrorum pierrecordationiä
Urbani, Pasohasii ( ! ), Calixti:atque AlexändriRoinanorum Eontificum sequentes,
hiis qui ad monasterium yestnim qupd; in: honore b. Petri; noscitur lesse ,> cön-
structum, in feste apostolorum Petri et Pauli devote concürrerint, de penitentia
ipsis iniuncta decem dies, confisi de ipsorum apostolorum. meritis,;reläxäinu3."
Vgl. oben S. 160. ;..: ,:.■ --. .• ^. -: ;^?-.-/ ' -xU r,w{-^.-r---: -
' Marlot II 415 teilt bloß den Anfang der; Bulle mit.- .L /; r jV/
IV. Die.ältesten Ablässe für Almosen und Kirohenbesach. 171
erteilt hat.^ Unsicher, ist der- Ablaß aus demselben ■. Jahre für die
Harienkicche in Carpi.^ Bei derJiKonsekratioil des Domes in Mo;deria
am 12. Juli 1184. hat Lucius III; nach einer Inschrift .40 Tage, Ablaß
für schwere Sünden und einen Erlaß des vierten Teils der, läßlichen
■Sünden = verliehen.^.. Wie es sich mit der. Echtheit , dieses Privilegiums,
verhalte, bleibe dahingestellt. • ' , . ^ . ' ■ < .
X)eji\ Fälschungen -beizuzählen' ist der Ablaß von 14 Jahren für
S. Simplicianus in Mailand*, und ganz besonders ein Privilegium
vom Jahre. 1184, das die Kirche des hl. Laufentius in Verona zu
besitzen; vorgab: Wenn in dieser Kirche für einen Verstorbenen am
ersten Mittwoch nach: dessen Hinscheiden ein Hochamt gehalten wird-,
so; soll seine Seele aus' dem Fegfeuer, erlöst werden.^ Unecht ist wohl
auch der Ablaß ,ivon. 1 Jahre, den Lucius III. nach einer- anonynien
Aufzeichnung bei der Heihgsprechung des Bischofs Bruno von Seghi
(f 1123) erteilt haben soll.® ;Es läßt sich für Segni ein Bischof Bartholo-
mäus, welcher der Heihgsprechung beigewohnt und selber, gleich den
andern anwesenden Bischöfen, einen Ablaß von 40 Tagen erteilt hätte,
«rst um die Mitte des 13. Jahrhunderts nachweisen.''
; ; Von Urban III. ist nur der eine und andere Ablaß sicher bezeugt,
so aus den, Jahren 1186^-87 der Ablaß von 20 Tagen zugunsten- der
Kirche St. Stephan, in Besangen^ und die Erneuerung des- überr
lieferten Almosenablasses .der Johanniter.^
Allerhand große Ablässe soll, Urban III. in Verona und in der
Umgebung .dieser- Stadt verliehen .haben. Eine alte Aufzeichnung
berichtet,^ der Papst habe am Ostermontag 1186 in der Peterskirche
zu Yepona das , JBCochamt gehalten und dann, einen, Kardinal beauf-
tragt, zu predigen und den anwesenden Gläubigen einen, Ablaß zu
spenden: den ItaHenern wurde 1 Jahr und 20. Tage erlassen, jenen
aber, die von jenseits des Meeres gekommen waren, 3 Jahre und
30 -Tage. Dieser Ablaß :Sollte jed.es- Jahr am Ostermontag gewonnen
^ M. Tabarrini, Oronaohe dei secoli XIII e XIV. Firenze 1876, 785.
{Documenti di storia italiana VI]. Kehr V 151 : „Placuit ipsi pontifici in eadem
missa, quam suo proprio ore celebraverat, huib Fayentine' eeclesie tale Privilegium
concedere, Cjuod omnibus pres'entibus ad b, Petri festumi venientibus aiinuatini
•dxiodecim dieruin criminalium peccatorum adhiberetur remissio." -
2 In einer erst 1514. angebrachten Insolirift, die sicher uiigenaue Angaben
enthält, "heißt es, Lucius III. habe bei der Konsekration der JEürche „quam-
plitrimas ihdulgentiäs" bewilligt. Memorie stofiche e documenti sulla citta di
Carpi I, Carpi 1877, 112 128. Kehr V 406. '
3 In der Inschrift heißt es : „40 dierum. poenam de oriminalibus de quibus
confessi fuerint, et quartam p'artem venialium singulis annis ... onmibtis qui
ei in feste ipsius honorem .exhibuerint, remisit." Muratori, Soriptores XI 54.
Kehr V 312 f.
'* Kehr VI 1,97.
^ Biancolini I 378 f. , Das erdichtete Privilegium ist am 31. Mai 1488
von Innozenz VIII. bestätigt worden.
« Acta Sanct. lulii IV 476. Kehr II 132.
' , ' Gams 725.
8 Kehr, in Göttinger Nachrichten 1902,, 478.
9 Delaville n. 767.
172 -IV'.' Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch,
werden könneii. Urban habe auch einen von' Lucius III. erteilten
Ablaß bestätigt. Im folgenden Jahre habe der Papst am .2'9. Juiii
iii derselben iKirche wieder zelebriert und. durch einen Kardinal ein'en
ähhlicheüviAiblaß 'Verkünden lassen, mit dem Zusätze, daß während der
OfctaFe des i Apostelfestes ein 40tägiger Ablaß zu gewinnien 'sei.i j)^^^
Richtigkeit dieser Angaben darf wohl bezweifelt werden. Ebenso
3zwei£elhkft ist der Ablaß, den nach einer andern alten Aufzeichnung
ürban III. im Jahre 1187 bei der Einweihung des Domes ih Verona
erteilt haben soU.^ Am Schlüsse der Predigt, die er bei dieser Ge-
legenheit hielt, hätte er für den Besuch der. Kirche am Tage der Kon-,
sekration und an den vierzig folgenden Tagen 2 Jahre Ablaß erteilt^
'40 Tage aber für den Jahrestag; zudem hätte er die vergessenen Sünden
erlassen.^ "Namentlich die letztere Bestirnmung, die wohl öfters 'in
bischöfhchen, aber nur ganz ausnahmsweise in päpstlichen Ablaßbriefen
vorkommt, macht das Privilegium verdächtig. Eine andere viel ein-
fachere und daher zuverlässigere Auf Zeichnung berichtet bloß, Urbanlll»
habe bei der Einweihung für das jährliche Kirchweihfest einen Ablaß
bewilHgt.*
Sicher gefälscht ist das Ablaßprivilegium aus dem Jahre 1186
für die Ejrchie des hl. JuHanus in Lepia bei Verona.^ Für den Jahrestag
der Ein\i7eihüng wird ein Ablaß von 1 Jahre und 40 Tagen für schwere
Sünden nebst einem Erlaß des vierten Teils der läßlichen Sünden
verheißen; dazu kommen verschiedene aridere Privilegien, wie sie
häufig in bischöflichen Ablaßschreiben jener Zeit verzeichnet sind;*
ieridlich wird noch für das Fest des hl. Julianus ein Ablaß von 1 Jahr
und für jede milde Gabe ein solcher von 40 Tagen in Aussicht gestellt.
Erdichtet ist ebenfalls der durch eine Inschrift bezeugte Ablaß
für die Kirche S. Maria in Stellis in der Veroneser Diözese: Für
^ 0. iPahvinius, Antiquitatum Veronensium libri VIII. Patavii 1648, 18B.
Biancolini I 106 f. Ughelli V 807.
a üghelli V 809 f.
^ ' „Insuper quoque dioimus et hortamur, ut unusquisque subtüiter et
diligenter cpgitet et recordetur de suis peccatis, et de onmibiis illis de quibus
r^cbrdari nöri potest,, poeniteat et citm sacerdote confessionem faciat et poeni-
teutiam accipiat. Oblita namque delicta de quibus recordari non potest, et per
fraudem nön steterit, quin recordetur, Deus ei ea oblita dimittat et paroat, et
nös dimittimüs ea et indulgemTis, cum quocunque tempore ad memoriam re-
duxefjt, cum sacerdote confessionem faciat."
* Panvinius 186.
5 Ughelli V 807 f. Ducange IV 347. Jaffe 15688.
^ „Fractiones votorum, ita ut ad ea redeant, excessus (d. h. offensas)
parentum, nisi fuerint enormes, poenitentibus in carantena uaimn annum de
feriis (gemeint sind die jjferiae legitimae", Montag, Mittwoch und Freitag, an
denen das Jahr hindurch außerhalb der strengeren äOtagigencBüßzeitzii fasten
war), de quadragesima 7 dies, in solemni poenitentia advem'etitibus calciamenta
restituimus, muheribus quae nolehtes parvulös oppresseruht,- ecclesiae introitum."
Die Fälscher haben einfach einen echten bischöflichen Ablaß, der 1238 zügiinsten
einer Marienkirche in Verona verliehen wurde (vgl. Biancolini III 92 f.),
Urban III. zugeschrieben.
IV. Die ältesten" Ablässe fiict Almosen und Kirchenbesußh, , 17S
den Besuch des -Gotteshauses) am jährKchen Kirchweihfest und an den-
15/ folgenden- Tagen N^aphlassung aller, vergessenen Sünden „von-
Strafö und Schuld V, zudem 40 Tage Ablaß für Almosen; an den
Marienfesten und i an jedem Sonntag 1 Jahrund 240/Tage.^
! Den Fälschungenf darf man; aüch^ beizäÜleii das' Äblaßprivilegium,
das di'e> Abtei St. Nikolaus' in Angers- von IJrban ITI.' erhalten haben
wollte:^' Sehr mit Unrecht i haben übrigens' etliche ältere Autoren in
diesem Privilegium die Bewilligung eines- Ablasses für Verstorbene
gefunden;^ es ist darin 'nur' von den Lebenden- die Rede.
'Unecht ist' der Ablaß von ' 1 Jahr' und 1 Quadr'agene, den
Oregor VIII. im Jahre 1187 für Besuch der Kirchen der Aügustinei;
erteilt haben soll.*' Der Almosenäblaß, den zuerst dieser Papst und
darin seine Nachfolger für Geldbeiträge zu Kreuzzugszwecken ver-
liehen' haben, wird fü'glicher weiter unten bei den ältesten Kreuz-
ablassen seine Stelle finden. '
Klemens III. erneuerte den bereits von Urban III. bewilligten
Ablaß für den Bau einer Brücke in Pisa.^ Ebenso erneuerte er die
überlieferten Ablässe der Johanniter^ und der Templer.' Einen Ablaß
von 10 Tagen verlieh er ,1188 für Teilnahme, an der feierlichen, Pro-
zession, die, an Maria Lichtmeß in der Kirche S. Maria de Castello
zu Genua stattfand.^ Unsicher ist der Ablaß von 1 Jahr und 40 Tagen
für die römische Basilika ß. Maria Ma^jor.^ Der Ablaß von 1,00. Tagen
für eine Kirche in Orleans, den .etliche, Klemens III. zuschreiben,^''
ist am 2, August 1267 von Klemens IV. verheben worden.^^ ,^
Cölestin III. erneuerte wieder' die' Ablässe derTempler^^ und der
1 Ciaqoni.UÄiI H27. .Amor.t, I 128. ■
^ L. le ipeletier, Rerum scitu dignissimarjum a prima fund.atione mo-.
nasterii. S. Nicolai' Andegavensis Epitome. Andegayi 1635, 78: „Dominus Papa
TJrbanus.III.. septimam partem de^ iniiinctis sibi poenitentiis, peccata, obHta,
vota.fraota si.ad.ea i;edierint, of f ensas, patrum et matrum sine inieotione manuum,
transgressiones iuramentorum in quibus; capitale [non] dignosoitur, misericorditer
relaxat." Auch bei Morinus 779.
^ Lerma,, Sekretär der Ablaßkongregation, erwähnt als der erste in einem
1731 verfaßten Gutachten (bei Amort, Supplementmn. Aug. Vind. 1736, 54)
den Ablaß, den Urban um 1186 in Angers für die Verstorbenen erteilt hätte:
„Refert,Mabillon in Praefatione ad Acta Sanctorum Ordinis S.,Benedictisaeculi Y,.
ex Epitome fundationis abbatiae S. Nicolai Andegayensis (bei, Mabillon ist a. O.
nichts, dergleichen zu finden, Lerma. hatte wohl.Morinus im Auge), Urbanum III.
circa an. 1186 benemeritis de eadem abbatia tarn in vita quam post eorum
mortem septimam de iniunctis poenitentiis partem relaxasse." Diese irrige
Behauptung haben dann andere -wiederholt, so Theodorus a Spii:itu.sancto,
Tractatus dogmatico-moralis de indulgentiis I, Romae 1743, 389, G. Roth-
fischer, Ablaß und Jubeljahr I, Regensburg 1751, 617.
* Empoli 391. Kehr III 377.
5 Pflugk-Harttung III 356. Kehr III 376.
«.Delaville n., 852.
^ -G. Fe j6r, Codex diplom. Hungariae II, Budae 1829, 241. Jaff e 16361.
8 Kehr VI 2, 297. -» Kehr I 56.
" Migne GIV 1467. L. 0. Goetz, in Zeitschr. f. Kirchengesoh. XV 327.
" Jaff6 16519. " Loewenfeld 247.
174 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch.
Johanniter.^ Auch erneuerte' er llÖl den Ablaß von 30 Tagen für'
den Bau einer Brücke in Pisal^' In demselben Jahre soll er,' einer
alten Inschrift zufolge, bei der Konsekration der römischen' Kirche
St. Johannes vor der lateinischen Pforte einen Ablaß von 40 Tagen
erteilt haben.^ Ein Ablaß .von 10 Tagen für eine Kirche, in Genua
wird aus dem Jahre 1193 erw|ihnt.* Gut bezeugt ist der, Ablaß von.
20 Tagen (2. Juni 1194) für eine Klosterkirche. (BeUae-Valhs) in der
Diözese Besangon.^ -Ob Cölestin in der Tat 1195 einen bemerkens-.
werten Ablaß, den der Metzer Bischof Bertram für eine Kirche, in
Metz verliehen, bestätigt habe, mag dahingestellt bleiben.* Die Päpste
hatten nicht die Gewohnheit, Vergünstigungen zu gewähren, wie, sie
in dem betreffenden Bestätigungsschreiben aufgezählt, werden. ...Un-
sicher sind die Ablässe für die römischen Kirchen St. Eus|achiu&
(2 Jahre) und .St. Bartholomäus (unbestimmt).' Dagegen kann der
Ablaß von -20 Tagen" für die Kirche St. Moritz (Diözese Sitten) vom
1. Aprü 1196 als sicher gelten;^ ebenso die Bestätigung (28. Mai 1196)
des von Alexander III. verhehenen 20tägigen Ablasses für St. Germain-
des-Pres^ und ein Ablaß von 40 Tagen (23. April 1197) für Beiträge
zum Dombau von Aarhus in Dänemark,^" sowie ein Ablaß (7. Aug. 1197)
von 1 Jahr bzw. von 20 Tagen für die Kirche von Tepl in Böhmen.^*
Auch der Ablaß von 100 Tagen, den Cölestin den Wohltatern eines-
^ Delaville n. 946. Göttinger Nachrichten 1899, 409. Gefälscht ist sicher
die von Delaville I 577 n. 911 als echt angenommene Bulle zugimsten der
Johanniter vom 11. Juli 1191.
2 Kehr III 376. Göttinger Nachr. 1903, 634.
8 Kehr I 108. * Kehr VI 2, 298.
^ Loewenfeld 255.
• „Quod Bertrannus . . . indulsit,-ratum habemus et auctoritate apostolica
confirmamus. Quiounque igitur bis in anno . . . ecclesiam vestram visitabunt,
a' peccatis (soll heißen off ensionibus) patram et matrum, quae sine laesione
fueriint, de parte Dei et nostra se noverint absolutes, poenitentias et peccata
quae ab eorum memoria recesserunt, remittimus, et de poenitentiis sibi ih-
iunctis 40 dies. Praeterea si qui sanctonun linaina adire proposuerint, et de
expensis viae necessariis iuxta consensum episcopi, vel eius quem episcopus loca
ei\is delegaverit, ecclesiae vestrae in remissionem peccatormn conferre voluerint,
viäm et peregrinationem auctoritate Dei et nostra eis indulgemus." Tabouillot
IV 160f. Migne OVI 1106. Jaffe 17260. G. Voigt, Bischof Bertram von Metz
1180— 1212, in Jahrbuch der Gesellschaft für lothringische Geschichte V 1,
Metz 1893, 41 77. Daß „off ensionibus" statt „peccatis" zu lesen ist, ergibt
sich aus der ParaÜelstelle in zahlreichen Ablaßbriefen jener Zeit. Lea 164, der
dies übersehen hat, schreibt ganz irrig: „There is a ourious allusion.to the sins
of fathers and mothers not involving restitution, as though sin was heri table."
' Kehrl 97 113.
8 pflugk-Harttung III 403.
• Loewenfeld 2621'
" Migne CCVI 1211. Jaffe 17524.
" Friedrich I 330 n. 362. Jaff6 17577: „Universis ad ecclesiam, quae . . .
est erecta in villa, quae Tepla dicitur, in die, quo prirno reddetur rauhere con-
seörationis insignis, devote cönvenientibus annum.' ünum, postmodüm autem in
eodem die, per annos singulos recUrrente, omhibus ad eam accedentibus, seu de
bonis a Deo sibi coUatis ei auxiUum impendentibus, viginti dies de iniünctis eis
poenitentis misericorditer relaxamvis."
IV'. Die ältesten -Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch. 175
von ihm zu Eom erbauten 'Spitals 'gewährt haben soll, -bietet keine
besondere Schwierigkeit.^ '' w . , " •
^ ' Den' Fälschungen! sind f olgeii'de Ablasse beizurechneri : Vollkommene
Ablässe f ür ' ünterstiitzung der- Brüder vom 'heiligen. Grabef,^ für die
KircHd St. -Stephan: in Bologna,'* für eine andere Kirche iii der' Diözese
Ferrara,* 100 Jahre Ablaß, für St. Simphcianus in' Mailand,^ 40 Tage
Ablaß ^ von schweren Sünden und Erlaß eines Drittels' der läßlichen
Sündeii für ein italienisches Spital.* ' '
7 Innozenz III. hat, ^abgesehen' von^dem Kreuzzugsblasse, nur
weilige Ablässe' !erteilt. "Den Pilgern nach Rom md Compostela hat
er, wie er, selber , berichtet, einen, Ablaß verhehen, über den jedoch
nichts Nähefes bekannt ist.^ JSinen Ablaß von 1 Jahre verheb er 1208
den Teilnehmern an der Prozession^ bei' welcher iedes Jahr das Veronika-
bild von der Peterskirche nach, dem 'Heüiggeistspital übertragen würde.*
Denselben Ablaß von 1 Jahre .'gewährte er 1203 anläßhch der Kon-
sekration eines Altars in Fossanovä.^ . Für den Besuch des Domes
in Hildesheini'an Maria Verkündigung^ hat er uiiterm 10.' Sepitember
1209 einen Ablaß von 40 Tagen verliehen!^® Ein lÄ^lilaß Von '40 Tagen
würde aüch"unterm^4. Januar 1216 den, frommen Verehrern der Reli-
quien' des hl.'Dionysius in St.' Denis zugesagt!^^ Ein nicht näher
bestimmter Ablaß, den Jmiozenz III. im Jahre 1209 für den Bau
einer Brücke in Lyon erteilt haben soU,^^' gehört Innozenz IV- an.^*
, Doch ' erneuerte .Innozenz III. den SOtägigen Ablaß, den mehrere
seiner Vorgänger für den Bau einer Brücke bei Pisa gewährt hatten,^*
ebenso dfen 40tägigen Ablaß' für die Brücke bei Fucecchio.^^ Auch
I Kehr;!, 111. > " j^ff^ 16708.
.ä/Migne CCVI,1247. Jaff6 17240. Kehr V 267.
* Kehr V 232. " Kehr VI 1, 97.
* Kehr, in Göttinger Nachr. 1903, 633.
' Migne COXIV 83. Potthast 95. Schreiben vom 21. April 1198. Den-
jenigen, die den päpstlichen Legaten in ihrem Vorgehen gegen die Häretiker
„astiterint fideliter et devote, illam pecoatorum. suorum ooncedentes, quam
b. Petri vel lacobi limina visitantibios indulgemus".
« Migne CCXV 1271. Potthast 3260.
* Migne CCXV 1436. Potthast 1436: „Ut ipsivis altaris consecratio
veneranda singulis annis devotius celebretur, universis qui ad celebritatem
conseorationis ipsius infra quindecim dies devote convenerint, de iniunctis sibi
poenitentiis pro pecoatis indulgentiam unius anni concedimus, de illius pietate
confisi qui est remissio peccatorum."
^* Urkundenbuoh des Hochstiftes Hildesheim I 604 n. 632. Nach Potthast
II 2052 n. 3800a, der sich auf Binterim-Floß, Additamentvim ad prospectum
Supplement! conciliorum Germania«. Coloniae 1852, 11, beruft, hat Innozenz III.
unter demselben Datum dem Dornte von Halberstadt ein ähnüohes Privilegium
erteilt. Es handeltsich aber um eineVerwechslving mit der Urkunde von Hildesheim.
II ActaSanet. ApriJisI745. Migne CCXVII 241. Potthast 5043. Schreiben
vom 4. Januar 1216.
-12 Potthast 3799.
13 Chevalier, Regeste dauphinois II n. 9059.
" Kehr III 376. Göttinger Nachr. 1903, 634.
, " Schneider 254.
176 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen iind Kirchenbesuch,
den schon öfters erwähnten Ablaß der Johanniter^ und Templer^ hat
er wiederholt bestätigt. Letzteren Ablaß, nämlich den Erlaß des
siebten Teils der Buße, hat er auch den Mitgliedern der Bruderschaft
des von ihm in Rom gegriindeten Heiliggeistspitals verliehen.? Weitere
sicher nachweisba;re Ablässe, die Innozenz III,. f iir Almosen ,und Kir.chen-
besuch erteilt hätte, sind nicht bekannt. '
Der Ablaß von 10 TageiT^aus dem Jahre 1216 für ein Gebetr zu
Ehren des Veronikabildes ist nicht genügend bezeugt.*^ Nicht,, deia
geringsten Glauben verdienen zwei Ablässe von 100 und 200 Tagen
für kurze Gebete.^ Det Ablaß von 1 Jahr und 4Ö Tragen für "V\^es,tminster,
der hier und Jia Innozenz III. zugeschrieben wird,® stammt Von
Innozenz IV.'^ Unrichtig ist^'es, daß Innozenz III. jenen, die für,' den
König von Frankreich beten würden, einen Ablaß von 100 Tagen
verheheri habe.^ Einen derartigen Ablaß hat zuerst Innozenz lY.
bewilligt, und zwar nur von 10 Tagen.^ Offenbare Pälschungen sind
folgende Ablässe : 1000 Jahre usw. für G;rottaferrata,^® 5 Jähre und
6 Quadragenen für die Marküskirclie .in Viterbo,^^ 3, Jahre und 3 Quadra-
genen für eine Kirche in Rieti.,^^ ' , ' ^ >. ^ - .
Aus den vorsteheiiden Mitteilungen ergibt sich, daß die Lateran-
Synode im Jahre 1215 mit vollem Recht' auf das 'Maßhalten hinweisen
konnte, das die Päpste bei Verleihung^ von Ablässen für Almpseii und
Kirchenbesuch zu beobachten pflegten. Indem die Synode dasselbe
Maßhalten den Bischöfen empfiehlt, verordnet sie, daß fürderhin bei
der Einweihung von Kirchen nur ein Ablaß von 1 Jahr, und für den
Jahrestag der Kirchweihe ein Ablkß von 40, Tagen verliehen werde.
Mit diesei? Bußermäßigung von 40 Tagen solle inan sich auch begnügen
bei Ablaßbewilligungen, die hie und da für andere Zwecke zu ge-
schehen pflegen. Diese Anordnung glaubte die SjTiiöde; ^treffen zu
sollen, da ethche Bischöfe sich nicht scheuten^ allzu^' große' 'Ablässe
- ; V Dela^ille n. 1074 1175.
, z' Prutz.rMaltesor Urkunden. 46..
^ Dies bezeugt Gi-raldus von Gambrien, der unter Innozenz III. in- die
Bruderschaft eintrat. Giraldi Opera I, L.ondon 1861, 138.
* Matthäus Paris. III 7 berichtet . lun- die Mitte des 13. Jahrhunderts,
InnozenzIII; habe 1216 nach einem ^ Wunder, das an dem Veronikabilde ge-
sohehen, ZU; Ehren dieses Bildes ein Gebet verfaßt und, denjenigen, die es yer-
lichteu' würden, 10 Tage^ Ablaß verheben, „ita ut quotiescunque, repetatur,
totiens dicenti tantumdemindTilgentiae concedatur. . Multi igitur eandeia orationem
cum pertinentiis memoriae commendarunt."
^ Mitgeteilt von W. Levis on aus einer Handschrift des 14. Jahrhunderts.
Neues Archiv f. ältere deutsche Geschichtskunde XXXII (1907) 412.
^ So von Lea 146, der geneigt ist, darin eine „political concession to
royalty" zu sehen.
' Migne CCXVII 178. PotthastI S. 294, unterm 31. Mai 1208; II n. 15417,
« Amort; I 191. »• Tardif 12.,
** A. Kircher, Latium. Amstelodami 1671, 61. Ebenda werden noch
andere fabelhafte Ablai3verleihungen späterer Päpste erwähnt. Vgl. dazu Pape-
broch, Propylaeum ad Acta Sanct. Mali. Paralipomena 103.
" Ughelli I 1408.
" Acta Sanot. Aprilis II 636. Ughelli I 1202. Cappelletti V 316.
IV. Die ältesten Ablässe für Älinosen. und ' Kjrciienbesuch. 177
zu gewähren, was zur Folge hätte, daß die kirchliche Schlüsselgewalt
verachtet und die Bußsatisfäktion entnervt werde.^
* *
*
Sehen wir nun, in welcher Weise die Bischöfe von ihrer Voll-
macht, Ablässe zu' erteilen, während des 12. Jahrhunderts bis zur
Läteransynode Gebrauch gemacht haben.
Im Jahre 1100 soll Erzbischof Anselm von Mailand bei der
Einweihung der dortigen Dreifaltigkeitskirche den Besuchern dieses
Gotteshaiises einen Erlaß des dritten Teils der Sündenstrafen (remis-
sionem suorum tertiae partis deHctorum) verheißen haben.^ Die
Echtheit . dieser Ablaßurkunde' wird zwar von Muratori in Zweifel
gezogen;^ doch hat sie Giulini,* dem Savio^ beistimmte, mit guten
Gründen in Schutz genommen.
Aus demselben Jahre stammt ein Ablaß, den der hl. Odo,
Bischof von Ur gel (1094-r-1122), den Mitgliedern einer von ihm, an
der Abteikirche Lillet gegr,ündeten Bruderschaft erteilte: Denjenigen,
die der Bruderschaft beitreten und bestimmte Beiträge spenden würden,
sollte die Hälfte der Buße für die geringeren wie für die schwereren
Sünden erlassen werden.® Einen andern Ablaß gewährte Odo in den
ersten Jahren seiner Kegierung für die Restauration seiner Kathedrale:
Den Gläubigen, die nach ihrem Vermögen zur Restauration der Kirche
beisteuern wollten,. wurden zwei Drittel der auferlegten Eluße erlassen;
das übrige Drittel konnte man ebenfalls ablöseii, wenn man einer
Bruderschaft beitreten und den vorgeschriebenen Mitgliederbeitrag
geben wollte.'
1 Mansi XXII 1050: „Quia per indiscretas et superfluas indulgentias,
qu£is quidam ecclesiarunx praelati facere non verentur, et claves ecolesiae con-
temntintur et poenitentialis satisf actio enervatur, decemimtis ut, cum dedicatur
basilica, non extendatur indiilgentia Tiltra annum, sive ab Tino solo, sive a
pluribus episcopis dedicetur, ao deinde in anniversario dedicationis tempore
40 dies de iniunctis poenitentiis indnlta remissio non excedat. Hunc quoque"
dierum numerum indiigentiarum litteris pra^cipirans moderäri, quae pro quibup-
libet causis aliquoties conceduntur, cum Romanus Pontifex, qui plenitudinem
obtinet potestatis, hoc in talibus moderamen consueverit observare."
* J. P. Püricelli, Ambrosianae Mediolani Basilioae inonum.enta I, Medio-
lani 1645, 481 f. üghelli IV 124. Mighe CLV 1661 f.
* Muratori, Anecdota I, Mediolani 1697, 244 f.
* Giulini II 684 ff.
^ F. Savio, GliantichiVescovid'Italia. La Lombardia I, Firenze 1913, 459.
* Villanueva XI 185: „De minimis peocatis, unde penitentiam acceperint,
medietatem indulgeo ... De ooto vero vioiis criminalibus, si penitentiam ex
uUo horum acceperit, similiter ex medietate sit a Deo absolutus."
'' Villanueva XI 186 f. Bischof Odo verkündet, er habe mit seinem Klerus
in Beratung gezogen, wie die untergebenen Gläubigen ,',a diaboli laqueis suas
liberare valerent animas". Es wurde beschlossen, daß „singuli quique omnium
peceatorum suorum ab ipsa sui nativitate usque in praesentem diem commissorum
veram fa'cerent confessionem veramque aceiperent poenitentiam. Dehinc pro
aocepta vera poenitentia et pro illorum sustentatione fragilitatis", sollten sie
zur Restauration der . Kathedrale beisteuern; der Bischof aber „illis qui vere
de propriis culpis confessi fuerint vereque poenituerint et ad ecclesiam restau-
P au 1 US, Geschiebte des Ablasses. 12
178 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen jind. Kirchenbesuch.
) Nachlaß yom siebten Teil der Buße. gewährte um 1105 der .Bischof
Benedikt von Nantes für den Besuch .eines von ihm eingeweiliten
Gotteshauses am jährlichen Kirchweihfeste.^
G. Berardi, Benediktiner im Kloster St. Klemens zu Casauria
(iPescara) in Süditalien, schrieb, um 1182 eine Geschichte seiner Abtei.
Darin berichtet er, daß bei der Einweihung eines Altars im Jahre 1Q05
durch Bischof Gualterus von Valve für den Jahrestag der Kon-
sekration 1 Jahr, beziehungsweise 40 Tage Ablaß erteilt worden sei.^
Bei der Einweihung zweier neuer Altäre durch Bischof Dodo^on
Valve und Grimoaldus von Penna wurde der frühere Ablaß ;um
2 (Jahre erhöht.^
Ein Drittel der Buße erließen um 1110 mehrere englische Bischöfe
denjenigen, die zum Bau der Abteikirche von Croyland (Grafschaft
Lincoln) beisteuern würden,*
In den Jahren zwischen 1102-^—14 erheß' der päpstliche Legat
Richard, Bischof * von Albano, ein Schreiben zugunsten- der Jo-
hanniter. Darin bevollmächtigte er letztere, ihren Wohltätern, falls
diesei wegen irgendeiner schweren Sünde' an den Freitagen zu fasten
hätten, dies Bußfasten zu mildern.^
Den Wohltätern eines Spitals in Portalbera erließ uni 1114
der Bischof Guido von Pavia ein Drittel der Buße für schwere und
die Hälfte für läßliche Sünden.^
Anläßlich der Einweihung der Kirche von Tolba im Jahre 1118
erheß Bischof Dalmatius von Rpda in Spanien denjenigen, die einen
bestimmten Beitrag spenden würden, 40 Tage der Buße für schwere
Sünden und ein Drittel für geringere Vergehen.'
randam ex suis bonis dederint, confisus Dei miseiicordia, indulget duas partes
illius poenitentiae, quam corporaliter facturi erant, ex parte Dei omnipotentis"»
Ferner wurde bestimmt „ad -honorem Dei et ad illorum animarum salutem",
daß die Mitglieder der Bruderschaft „essent soluti de tertia residua parte poeni-
tentiae corporalis". .
v"^ Martene, Thesaurus I 316: „Communi assensu cleii, procerum et plebia
statuimus, ut quicunque ad annuam solemnitatem dedioationis . . . confessi
convenirent, a Deo et ab ipso archiepiscopo et a me et successoribus meis re-
missionem septimae partia poenitentiarum. suarum perciperent." ,
2 d'Achery V 477. Muratori, ScriptoresII 2, 877: „Remiissiofit onmibjs
adveiüentibus de poenitentia criminalium peccatorum integer anmjs et 40 dies
de venialibus." Vielleicht soll es heißen: „venialium peccatoium annuset 40 dies
de criminalibus". So lauten wenigstens manche andere bischöfliche Ablaßbriefe..
, 3 d'^ch^ry 498, Muratori 893.
. *,Mabillon, Annales V 538. ^ 6 Delaville I 12 f. n. 8.
® F. Lege e V. Gabotto, Documenti degli archivi Tortonesi relativi
allastoria di Voghera. Pinerolo 1908, 16 ff.: „Omnibus qai in eius subsidio de
suis f acultatibus misericorditer adiutorium dederint, capitalium. criminum suorum
terciam partem et minormn peccatorum medietatem, de quibus videlicet veraoiter
cpmpuncti ad poenitentiani per manus sacerdotum canonicum iudicium sus-
oeperunt . . . condonamus."
' Espana sagrada XL VI 227: ,,Fecimus absolutionem, ut omnis homo-qui
ibi accepisset penitentiam de criminalibus peccatis , si darot ibi solidum vel
valente in pretio, esset absolutus de 40 diebus, et de aliis peccatis tertiam partem."^
IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch. 179
.; Als im Mai; 1119 der," Erzbischof Landülf "von Benevent die
Reliquien einiger, Märtyrer aulfandj.erKeß er, wie der Chronist Falco-
als Augenzeuge' berichtet, bei\der -Übertragungsfeier den anwesenden
Gläubigen ein- Viertel 'der Buße; denselben Ablaß konnten jene ge-
winnen, die bis zum Schlüsse der Oktave des Festes Petri und Pauli
zur Verehrung der Rehqüien . nach Benevent kamen.?-. Fünf Jahre
später wurde zu Benevent 'der Leib des hl. Barbatus aufgefimden. Zu
dessenEhre weihte Erzbischof R off rid am 31. Mai 1124 einen Altar ein
und erteilte bei dieser Gelegenheit eitfen^nicht näher bestimintenAbläß.^-
F,ür Beiträge zupa Wiederaufbau des. Domes yon Llandaff er-
ließ im Jahre, 1120 Erzbischof Ralph von Ganter bury ein Viertel
der Buße.3 Diesen Ablaß bestätigte, fünf. Jahre später der päpstKche
Kardinallegat Johann von Crema, mit .Beifügung eines Ablasses,
von 14 Tagen;* Um dieselbe Zeit hat Bischof Everard von Nor wich
einen nicht näher bestimmten Ablaß zugunsten einer Kirche jn
Horsham verliehen.^
Einen sonderbaren Ablaß hat im Jahre 1120 der Bischof Gelmirez
von Santiago gespendet. Dieser Prälat wollte Geld an die päpsthche-
Kurie senden.. Zur größeren Sicherheit übergab er es zuverlässigen
Männern seiner Diözese, die an dem Kfeuzzuge nach Palästina sich
beteiligen wollten. Diese brachten das Geld n.ach Montpellier, wo ,es
von Cluniazensern in Empfang genommen wurde. Dem einen waren
10 Unzen Gold anvertraut worden, einem andern 8 usw. . Soviel Unzen
nun ein jeder übernahm, so viel Büß jähre wurden ihm vom Bischof
nachgelassen.^
Merkwürdig ist auch eine ablaßähnliche Verheißung der Mönche
von Farfa. Indem sie um 1120 den treuen Untertanen der Abtei
verschiedene Privilegien gewährten, versprachen sie, für jene, die ihre
Bewilligung achten, zu beten, daß ihnen 7 Jahre ihrer Buße erlassen
werden.' Die Mönche wußten wohl, daß sie nicht, wie die Bischöfe^
^ Muratori, Scriptores V 94.\.Migne CLXXIII 1178: „Quartam partem.
peccatorum .. . condonavit." • i' ■ '
2 Muratori 100. Migne 1189." Falco sagtbloß: „Peccatorum partem^
divina favente dementia, condonavit." Nach St. Borgia (Memorie istorich©
della pontificia cittä di Benevento III 1, Roma 1769, 69) sind dies die ältesten
bekannten Ablässe, die von den Erzbischöfen von Benevent erteilt worden sind.
^ Liber Landavehsis, ed. J. G. Evans. Oxford 1893, 87. Haddan I 315:
»De onere penitentie sue, quod sibi a suis confessoribus impositum est, quartam
partem ei de misericordia Dei et potestate nostri ministerii confisi relaxamus."^
* Lib. Landav. 48. Haddaa I 318: „In remissionem vobis iniungimua
peccatorum", Beiträge zu spenden. „Nos quoque .' . . indulgentiam quam' Can-
tuarienses archiepiscopi fecerunt, apostolica auotoritate firmantes. Preterea
de habundantia sedis apostolice XIV vobis dies de vestra remittimvis penitentia."
= Gailia Christ.. I 245. Acta Sanctor. ■ Oct. III 284.
• Historia Compostelana II 16,' in Espana sagrada XX 292. Migne
CLXX 1056. .
^ Giorgi V 317 n. 1324: „Quiobservator et defensor huius fuerit con-
stitutionis, Deum omnipotentem et eius sanctissimam genitricem omnesque
sanotos pro eo supplicamus, ut de omni sua poenitentia anni septem sibi' in Dei
nomine misericorditer indulgeantur."
12*
180 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch.
befugt seien, den Gläubigen die Buße, zu erlassen; deshalb beschränken
sie sich darauf, zu Gott zu beten, daß jenen,- die ihre Verfügung ein-
halten, ein Teil der Bußstrafe erlassen werde. Etwas Ähnliches hatten
sie schon einige Jahre früher verheißen. AnläßHch des Neubaus des
Klosters im Jahre 1097 hatten sie denjenigen, die Beiträge spenden
würden, die Verzeihung der Sünden zugesichert.^ Nur hatten sie sich
damals mit einer allgemeinen Verheißung begnügt, während sie später
den Erlaß eines bestimmten Teils der Buße in Aussicht stellten. Sie
hofften wohl auf diese Weise größeren Eindruck, zu machen.
Höchst unsicher ist der Ablaß von 30 Tagen, den Erzbischof
Jordanus von Mailand (1112 — ^20) für den Besuch der Kirche des
hl. Simplicianus erteilt haben soll;- er wird bloß erwähnt in" einem
alten Verzeichnis, das viele unechte Ablässe enthält.^ Nach der-
selben Quelle hätte Erzbischof Robaldus (1135 — 45) für jeden Tag
14 Tage, für das Fest des hl. Simplicianus 30 Tage, in der Oktave
15 Tage bewilHgt, während Erzbischof Ubertus (1145-^62) für jeden
Tag 50 Tage gewährt haben soll. Diese Ablässe darf man wohl den
Fälschungen beirechnen.
Gut bezeugt ist dagegen ein Ablaß, der in den zwanziger Jahren
des 12, Jahrhunderts anläßlich einer Kanonisation erteilt worden ist
und der als der älteste bekannte Ablaß dieser Art zu gelten hat. Nach-
dem der im Jahre 1119 verstorbene Bischof Gerhard von Potenza
1123 oder 1124 von Cahxt II. heiliggesprochen worden war, erhielt
Kardinalbischof Wilhelm von Palestrina den Auftrag, sich mit drei
Bischöfen nach Potenza zu begeben, um dort die stattgefundene
Kiahonisation feierlich zu verkünden. ; Bei dieser Gelegenheit verlieh
der päpstliche Gesandte im Verein mit' den ihn begleitenden Bischöfen
einen Ablaß von 40 Tagen jenen, die am jährlichen Feste des Heiligen
dessen Grab besuchen würden. Da die Sitte, bei Heiligsprechungen
Ablässe zu erteilen, erst hundert Jahre später unter Honorius III.
aufkam, so könnte man geneigt sein, den Ablaß von Potenza ab-
zulehnen. Er wird aber schon erwähnt von Bischof Manfred von
Potenza, dem unmittelbaren Nachfolger und Biographen des heil.
Gerhard .3
Zum Wiederaufbau des Domes von Osma erteilte der päpstliche
Legat und Erzbischof von Toledo Raimund, der selber bis 1126
Bischof von Osma gewesen, im Jahre 1130 ein Privilegium, das von
zahlreichen spanischen Bischöfen unterzeichnet wurde. Wer nach
Rom oder Compostela pügern wollte, aber daran verhindert war,
^ Giorgi V 156 n. 1153: „Quicunque huic sancto operi aliquod adiutorium
fecerit, peccatorttm suorum reroissionem, de quibus veram poenitentiam habuit
vel habiturus est,;per merita b. ;Marie et sibi assidue servientium famulorum
orationes optinebit." Auch im Ohronioon Farfense, ed. U. Balzani. Borna 1903.
11 216 [Fonti per la storiad'Itaüa XXXIV].
2 P. Pucoinelli, Vita di S. Simpliciano. Milano 1650, 47. Papebrooh,
Responsio ad exhibitionem errorum 11, Antverpiae 1697, 96.
8 Acta SS. Oet. XIII 466 469.
IV. Die ältesten Ablässe für' Almosen und Kirchenbesuch. 181
wird von dieser Wallf?bhrt dispensiert, wenn er die Hälfte der Reise-
kosten der Kirche von Osma zukommen läßt; der Erlaß eines Drittels
der Buße wird' jenen zugesagt, die . einen bestimmten Geldbeitrag
spenden; denjenigen aber.,^ die der am Dome neuerricbteten Bruder-
schaft beitreten und den dortigen Friedhof zur letzten Ruhestätte
wählen würden, sollte, die HäKte der Büße erlassen werden; zudem
wurde ihnen für die Todesstunde' ein vollkommener Ablaß verheißen.^
.Von Alfons'I. von Aragonien' (1105 — 34) wird berichtet, daß er
die Gründüng eines Ritterordens beabsichtigte, der nach der Art der
Templer in Palästina die Sarazenen in Spanien bekämpfen sollte'.
Indem die Bischöfe Aragoniens um 1130 die geplante Gründung
zur Kenntnis der Gläubigen brachten, erteilten sie denjenigen, die
dem Orden beitreten würden, einen vollkomraenen Ablaß (ab omnibus
absolvimus peccatis). Bald nachher fügte Erzbischof Wilhelm von
Auch einen 40tägigen Bußerlaß bei für jene, die monatlich dem Orden,
einen Denar spenden wiirden.^ ' , , •
Eigentümlich ist der Ablaß, den.;. eine 1135 unter dem Vorsitze-
eines päpstlichen, Legaten versammelte Synode in Narbonne erteilt-
hat. Da der Bischof von Elna klagte, daß viele seiner Diözesanen
von den, Sarazenen in, die Gefangenschaft geschleppt, worden seien,
so verHeh die Synode, jenen, die nach ihrem Vermögen zum Loskauf
der Gefangenen beisteuern würden, einen vollkommenen Ablaß. Aus-
genommen wurden jedoch die öffentlichen Sünder ; diese sollten sick
an ihre Bischöfe wenden, die ihnen dann, wie sie es. für gut finden,
würden,^Anteil am Ablaß. gewähren- sollten.^ . ,
Für den Löskaüf von Gefangenen erteilte auch Bischof Gaufred
von Barbastro im Jahre 1137 einen Ablaß, der sich nach, der Höhe
der Almosen richten sollte: Für zwölf Denare 40 Tage, für sechs 20,
für drei 10. Wer aber mehr , oder weniger geben. würde, dem sollte,
alles . zur Nachlassung der Sünden gereichen.* . Im folgenden Jahre
gründete derselbe Bischof zum Wiederaufbau und zur Verteidigung
^ "J. L. Corvalan, Descripcion historicadel Obispado de Osma III, Madrid
1788, 12: „Quicumque . . . post mortem suum corpus ibidem sepelire fecerit,
medietatem suarum penitentiarum sibi iniunctarum dimittimus, et post obitum
plenariam remissionem suorum, peccatorum, praestante Domino nostro lesii
Christo, concedimus." Man könnte geneigt sein, in den' Worten „post obitum
etc." einen Ablaß für Verstorbene zu erblicken. Das wäre indessen das einzige
Beispiel eines Ablasses für Verstorbene im 12. Jahrhundert. Das ,,post obitum'
concedimus" läßt sich leicht folgenderweise erklären: Wir erteilen den Wohl-
tätern der Kirche einen vollkommenen Ablaß, der ihnen nach dem. Tode im Jen-
seits zugute kommen werde. 'Vgl. dazu die unmittelbar vorangehenden Worte:
„Quicumque post mortem . . . sepelire fecerit."'
2 AlbonSf. Der Orden kam nicht zustande. Vgl. J. Aschbach, Geschichte
Spanie^ns imd Portugals zur Zeit der Almoraviden ,ühd Almohaden II, Frankf .
a. M. 1837, 14.~ H. Prutz^Die geistlichen -Ritterorden. Berlin 1908, 72.
I 3 Villanueva VI'341 : ,,Plenam habeant remissionem omnium peccatorum
post actam veram confessionem, exceptis publicis peccatis, pro quibus veniant
ad episcopum suum, qui det eis iudicium, et corrigat illos et suscipiat eos in hac
remissione secundum sanam rationem.misericordiae."
* Espana sagrada XLVI 287 f . ■
182 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch.
der von den Sarazenen verwüsteten Stadt Barbastro eine -Bruderschaft.
Allen Mitgliedern des Vereins, die . sich persönlich an ; den Arbeiten
und an der Verteidigung der Stadt beteiligen oder- einen ihrem' Ver-
mögen entsprechenden Geldbeitrag spenden würden, verhieß er einen
vollkommenen Ablaß, den mehrere Bischöfe bestätigten.^. 'Es handelte
sich in diesem Falle um einLden Kreuzzügeh verwandtes Unternehmen;
daher der hohe Ablaß. Als zwei. Jahre später'' Gäuf red eine .Eorche
einweihte, erteilte er den' Wohltätern des Gotteshauses bloß, einen
Ablaß von 40 Tagen'.^ Noch geringer ist der Ablaß, "den 1145 Bischof
Bernhard von Urgel bei der Konsekration einer Kirche -bewilligt hat;
den frommen Besuchern des Gotteshauses > .wurde bloß eine ■ Büß-
ermäßigung von 20 Tagen verheißen.^ r - ■
Bei der Einweihung einer Kirche zu Godstown in England
erteilte der päpstliche Legat Alberikus im Jahre 1138 den Wohl-
tätern der Kirche einen Ablaß von 1 Jahre; den frommen' Besuchern
an zwei Festtagen einen Ablaß von 40= Tagen.* -^ Um dieselbe Zeit
verhieß Bischof Ülger von Angers (1125 — 49) den Wohltätern der
Tempelherren einen Erlaß des fünften Teils der Buße.^
Im Jahre 1138 soll nach einer Inschrift Kärdinalbischof Guido
von Tivoli bei der Konsekration einer Kirche für frommen Besuch
am jährlichen Kirchweihfest 1 Jähr der Buße fiir schwere Sünden
und ein Viertel der Buße für läßliche Sünden erlassen haben. ^ Zwei
Jahre später (1. Dezember 1140) hat der '.Patriarch Peregrihus von
Aquileja die Kirche des hl. Georg in Verona eingeweiht, wobei er
«inen bedeutenden Ablaß verlieh.^ Im folgenden Jähre "(6. 'April 11'41)
wurde in Verona von Bischof. The 6 bald die mit einem Spital ver-
bundene Kreuzkirche konsekriert. Für Almosen und Besuch des
»Gotteshauses am Kirchweihfest und in der Oktave erteilte der Bischof
einen Bußerlaß von' 20 Tagen. Arme konnten ohne Geldbeitrag des
Ablasses teilhaftig werden'.^ Anläßlich der Auffindung der Gebeüie
1 Bspaäa sagrada XLVI 285 f. .Villanueva XV 377: „Ex 'parte Dei
pmnipotentis et b. apostolorum Petri et Pauli omniumque sanctorum et'nostra
facimus absolutionem et remissionem peccatorum suorum de quibus confessi
fuerint et dignam penitentiam. acceperint ciun emendatione."
2 Espana sagrada iXLVI. 288.
3 yiiianueva XI 203: „Quisquis indulgenciae causa ad ' dedicationem
fhuius ecelesiae cum luminaribus ädvenerit, de poenitentia unde digne satisfeceriti
.XX dies Deo auctore' ei condonämus."
r^ * Dugdale, Monasticoh Anglicanum I, London 1682, 526.-
^ Albon 15 fi MigneiiCLXXX 1656: „Omnibus qui sua beneficia eis
"porrexerint, quintam partem pöenitentiae peccatorum, quae confessi fuerint,
relaxanaus." : ^ ^ .7 ;
. «Cappelletti VE 671.;-;
'Panviniusv Antiquit.i>Veron. Patavii 1648, 178 f. Ughelli V 778:
„Annuam XL dierum absolutionem ao tertiana partem minorura peccatorum et
fraudem poenitentiarum (d. h. die unterlassenen Bußwerke) venientibus ad sacri
huius tempUi^evolutam dedicationem et octo dierum spacio post fecit."
8 Perini II 8 f. Biancolini II 593: „Viginti dies ieiuniorum, qui eis
fuerint. impositi ieiunare pro eorum delictis, imde poenitentiara sasceperint, sint
IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuoli. 183
-des Ül. Petroriius in Bologna' verlieh. Bischof Heinrich einen Ablaß
von 2 Jahren, der- jährlicli innerhalb acht Tage' vor und nach der
Auffindungsfeier zu gewinnen war.^ Bei der- Konsekration des Domes
von Folignoim Jahre 1146, die anläßlich einer Synode vom'Kardinal-
legateh' Julius 'Romanus' im Beisein vieler Bischöfe vorgenomnien
wurde, erteilte der Legat in Verein mit den Bischöfen für Besuch der
Kirche am jährlichen Kirchweihfest und Almosen 1 Jahr und 40 Tage
Ablaß.^ . > ' ;, > .■
i
Nicht' den geringsten' Glauben verdient die Angabe eines unzu-
verlässigen Chronisten des Iß.'^Jalirhunderts, Bischof Burchard von
Straß bürg! (1141 — 62) habe für.den-Neubau-der 1144 abgebrannten
'Straßburger. Thomaskirche .einen Ablaß, erteilt.? Ganz dasselbe ist zu
sagen, von.dem- Ablaß, der- 1141 bei der, Ein\^reihung einer Kirche auf
•der Insel Ufnau (Kanton Zürich) verliehen worden wäre. Nacb einer
Aufzeichnung aus, dem' 14. Jahrhundert hätte bei , dieser Gelegenheit
■der Kardinallegat Dietwein „700, Tag, Ablaß tötlicher Sund und
7 Jahr täglicher',', gegeben; von den' dreizehn anwesenden Bischöfen
bätte jeder, „40 Tag tötlicher und 1 Jahr täglicher Sund" bewilligt.*
Um die Mitte des 12. Jahrhunderts gewährte Bischof Nikolaus
von Llandaff (1148^-61) -bei der EinweiHuiig eines Kreuzes in Bath
für frommen Kirch'enbesuch' einen Ablaß' von 20' Tagen. Denselben
Ablaß' bewilligten bei derselben Gelegenheit inehrere andere Bischöfe.^
Einen andern Ablaß von 20 Tagen erteilte Bischof Nikolaus bei der
Einweihung einer Kapelle in der' Umgebung von Bath.® Thomas
Becket, 1162 zum Erzbischof von Canterbury ernannt, verlieh, in den
■ersten Jahren seiner Regierung zugunsten der Kirche von Heytes-
bury 40 Tage Ablaß,' während Bischof Nigel von Ely (1133—69)
für dieselbe Kirche bloß' 20 Tage be willigte. ^
■eis remissi; et si pauperes et debiles pro dicto modo, attamen sine oblatione,
ad iam dictam consecrationem venerint, " simili modo praefatäm reiiaissionem
babe'ant."
^ Acta Sanctor. Ootobr. II 466 f.
a Ughe'lli I 695. Cappelletti IV 412, Mansi XXI 698.
^ 3 Ch. Schmidt, Histoire du Chapitre de Saint-Thomas de Strasbourg.
Strasbourg 1860, 198. P. Wentzcke, Regesten der Bischöfe von Straßburg I,
Innsbruck 1908, 341 n.' 574.' ' , '
* O. Ringholz, Geschichte von Einsiedeln I, Einsiedeln 1904, 660.
^ Haddan I 357: „De divina confisi misericordia, 'omnibus' qui in Ex-
altatione sariotae Crucis Bathoniensem ecclesiamifideli devotiohe visitaverint,
peccatorum- de quibus 'corde 'contrito 'ö'onfessi sunt,' XX dierum indulgentiam
iacimus."- ' ' ' '
6 Haddan I 358: „De Dei misericordia et Spiritus sancti gratia confidens,
ad singula predictorum Sanctbrum solemnia XX dierum relaxationem de peni-
tentia" sua confessis indulsimtis, ' ut devotio fideliiim ibi augeatur et Deus noster
ab omnibus et per omnia benedicatux."
' Vetus registrum Sarisberiense I, London 1883, 343 [Rerum britan.
Scriptores LXXVIII] : „XL dies de- peccatis suis, unde penitentiam' acceperint,
sibi in nomine Domini condonamus, et hoc in invehtione beate Crucis."
,8 Ebd. 344. Ganz dieselbe Formel.
184 IV.. Die ältesten. Ablässe für Almosen imd Kirchenbesuch.
GBeträchtliclier ist der Ablaß, den am 3. Mai 1153 Erzbischof Hugo
von Rouen bei der Übertragung der Gebeine^ des hl. Gualterius in
Pontoise^ und drei Jahre später bei der Auffindung des -heiligen
Rockes (cappa pueri Domini. lesu) in Argenteuil gewährte.^ Beide
Ablaßprivilegien verdienen wegen ihres merkwürdigen Inhalts im> Wort-
lauteigelesen zu werden. ' ,,. , f -. .-
Daß um dieselbe Zeit verschiedene französische Bischöfe vom
Papste den Auftrag erhielten, bei der Übertragung der Reliquien in
Saumur und Fecamp Ablässe zu erteilen, ist schon, oben unter Ha-
drianr IV. hervorgehoben worden.
Damals wirkte in Südfrankreich als Abt von Obazine (Diözese
Limoges) ein heiligmäßiger Zisterzienser namens Stephan i dessen
Stellung zum Ablasse von der mancher seiner Zeitgenossen beträchtlich
abwich. • Während andere Ordens Vorsteher sich glücklich schätzten,
für ihre Häuser von den kirchlichen Oberen Ablässe zu erhalten, hat
Stephan sogar die Ablässe, die ihm von Bischöfen angeboten wurden,
abgelehnt. Näheres hierüber erzählt ein anonymer Mönch von Obazine,
der um 1166 — 88 eine lehrreiche Schrift über das Leben und Wirken
des heimgegangenen Abtes verfaßt hat. Als dieser im Jahre llöö
einen Neubau des Klosters, Obazine begann, mahnte, ihn Bischof Gerald
von Limoges, Beiträge sammeln zu lassen, und bot ihm hierfür, reich-
haltige Ablaßbriefe an.^ Der fromme Abt weigerte sich jedoch, davon
1 Mabillon, Annales VI 535 f. Acta Sanct. O. S. Benedict! VI 2, 801.
Acta Sanctor. Aprilis I 767 f.: ,,De poenitentiis ' crimihalium, quae' septenriiö
conclüduntur, pie confitentibus'et vere poenitentibtis annus integer, et' reliquorum
annorum pars tertia relaxatur. -Hisvero, qui annofum 14 poenitentiam sus-'
ceperunt, duo anni integri et residui temporis pars tertia condonatur; 20 annoruiri
tres annos remittimas, et residui temporis tertiam partem indulgeniTis. De
poenitentia vero 40 annorum et eo amplius totam medietatem remittimus, et
reliquorum annorum partein . tertiam oondonamus. De parvulis vero, qui
baptizati vel sine baptismo infra 7 annos per negligentiam parentum mortui"
sunt, poenitentiam parentibus ipsorum. remittimus, excepta sexta feria in heb-'
dömada, in qua etiam, si ad eoclesiam poenitens accesserit, qualem caritatem
oi presbyter suus dederit, talem habeat. Si vero infirmus fuerit, aut mulier
praegnans vel debilis, quae ieiunare nön possit, dicat septies Pater n'oster, et
faciat boniun quod potuerit. Partem vero tertiam de poenitentiis minorum
pecoatorimx remittimus. Sed et oblita peccata omiaino condonamus." Dieser
Ablaß konnte ein Jahr lang täglich gewonnen werden," nachher aber jedes Jahr
am Kreuzauffindungsfest und am folgenden Tage. '
^ Migne, CXOII 1137 : „ Quicunque hoc praesenti annöjin loco praenominata
in honorem dominicae vestis propriam servitutem et deyotionem obtulerint, no&
Omnibus illis . . . si peccatis gravibus et maximis impliciti fuerint,. xmius anni
poenitentiam relaxamus; qui vero levibus, id est venialibus detinentur, medie-
tatem poemtentiae remittimus. Oblita peccata modo simili condonamus. Annis
vero singulis a festivitate S. Dionysii usque ad octavas eiusdem, loci ipsius et
sacratissimae vestis venerationenx pie invisentibus XL dies suae poenitentiae
remittimus. De parvulis etc. bis potuerit", wie oben.
^ Baluzius, Miscellanea I 163:. ,,Quamvis hoc (Beiträge zu begehren)
episeopus frequenter moneret, immo potiiis et iuberet, datis litteris indulgenr
tiarum . largitate refertis, tarnen ei vir sanctus .nujiquam adqüiescere; .voluit.''.
Bei Mabillon (Acta Sanct. Praef. ad saeci V. n. 113), demandere folgen, wird
IV. Die -ältesten Ablässe für Almosen und Kirohenbesuch. 185
Gebrauch, zu maclien, aus Furclit, beim Volke Anstoß zu erregen.^
Als er einmal in einer andern- Diözese ein Kloster baute, wurde er
von Bekannten gedrängt, vom Bischof ein Empfehlungsschreiben für
vorzunehmende Sammlungen zu begehren. Der, Bischof war sofort
bereit, (das; Schreiben ausstellen zulassen. Als er nun,'den Abt fragte,
wieviel . Ablaß ' er wünsche für die, Almosenspende, . erwiderte ihm
dieser: Es driickt uns noch die Last: der eigenen. Sünden, so daß wir
die Sünden anderer nicht abtragen können.^ Nach dem Berichte
des Biographen soll diese Antwort den Bischof sehr erbaut haben.
In der zweiten HäMte des 12^. Jahrhunderts hat in Italien namentlich
Bischof'Dodo von Rieti große Ablässe verliehen. Bei der Einweihung
der Krypta seiner Kathedrale am.l. September 1157 erteilte er mit
drei andern Bischöfen fürKircheribesuch vom Tage der Weihe 'an bis
zum 29. September '5 Jahre Ablaß ; später sollte jedes Jahr an Mariä^
Geburt ein Ablaß von 1 Jahre' gewonnen werden können.^ Im Jahre
1170 hat er mit zwei andern Bischöfen die Kirchen von San Vittorino
und Pretorio eingeweiht. Die erstere erhielt für das jährliche Kirch-
weihfest und die Oktave 3 Jahre und 40 Tage, die zweite 2 Jahre
und 40 Tage.* . . . ,
Im Jahre 1158 gewährte Erzbischpf Johann von Toledo einen
vollkommenen Ablaß denjenigen, die sich an der Verteidigung von
Calatrava gegen die Mauren beteihgen würden. So berichtet
wenigstens ein anderer Erzbischof von Toledo, Ximenes Rodrigo, in
seiner 1243 vollendeten Chronik.^ Ob aber, wie spätere Schriftsteller
behaupten,^ der vollkommene Ablaß ' auch jenen zugesichert wurde,
die sich bloß durch Geldspenden am Unternehmen beteiligen würden,,
geht aus dem alten Bericht nicht genügend hervor. Bischof Artallus
von Elna hat 1159 bei der Konsekration einer Kirche, für das jährliche
die Stelle fehlerhaft folgenderweise wiedergegeben: ;,Cum abbas . . . urgeretur
ab episcopo, ut . . . siout fere cunctis aedificantibns mos est, populos commoneret
litteris indvdgentianini largitate refertis." . - , ,
, • \ Stephan erklärte dem Bischof: „Nostalem consuetudinem introducere
nolumxis ut populis scandalum et nobis ignominiam adquiramus ciroumeundo-
ecclesias, ostendendo beneficia,indulgentias largiendo, ,quas dare.non poterit nisi
solus Deus." K. Hase (Handbuch, der protestantischen Polemik. .Leipzig 1878^
389) schreibt diese Äußerung irrig Abälard zu.
., '-^.'Baluzius I il63:",,Nos nostra,adhuc premvtnt peccata, nee possumus
levare aliena." , < ., ,
3 ITghelli I 1200. Cappelletti V 312 f. '
* Muratori, Antiquitates VI 504-506, . Cappelletti IV 413. F. A. Ma-
ronus, Commentarius de< ecclesia et episcopis reatinis. Romae 1763, 45 47. .
^'Aehi Antonii Nebrissensis rerum a Ferdinande et Elisabe Hispaniarunx"
regibus gestarum. decades.duae . . ..-Annexa archiepiscopi Roderici Chronica,
Sine loco (Grranadae).1545, ,64,: „Fecit publice praedicari, ut omnes euntes in
auxiliüm Calatravae omnium _peccatorum veniam mererentur. Et facta est
tanta commotio in civitate, ut vix esset, qui aut in propria persona non iret,
aut equos aut a,rma, aut pecunias in subsidium non largiretur."
' ö,Fr. Caro de Torres, Historia de las ordenes militares de Santiago,
Calatrava y Alcantara. Madrid 1629^ 49. G. Mascarenas, Raymuhdo . . .
fundator de la sagrada Religion de Calatrava. Madrid 1653,' 30.
186 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirohenbesuch.'
Kirchweihfest 40 Tage gespendet, und zwar von jeglicher Buße, also
Tön der öffentlichen wie von d.er geheimen.^ ■. > ~
' Mcht näher bekannt istder Ablaß, den -bei der Übertragung der
<^beine der hl. Adelgund in Maubeuge am «6. Juni 1161 die Bischöfe
Nikolaus von Cambrai und Gautier von L aon" gespendet haben.^
Einen Ablaß von nur 15 Tagen gewährte- 1168 Bischof Pontius
von Tortosa für fromme Spenden bei der Einweihung einer Kirche
in der Grafschaft Besalu.^ ■ ' '■ ' • ^
Um 1171 — 12 hat Kardinal Hildebrand Grassi als päpstlicher
Begat den Wohltätern des Klosters Nonantola, (Diözese. Modena)
40.. Tage für schwere Sünden und ein Drittel- der Buße für ' läßliche
Siinden bewilligt.* ■ v , . r ,
;i j Über einen Ablaß, den Erzbischof Roger von York (1164 — 79)
für die Peterskirche in Ripon verliehen hat, wird in dem Schreiben,
■das diesen Ablaß erwähnt, nichts Näheres, mitgeteilt.^
, Bei einer Rehquienfeier, die 1177 in Senlis stattfand, erheß der
Kärdinallegat Petrus in Verein mit den Bischöfen' Heinrich von
Senlis und Simon von Meaux den siebten Teil der Buße, während
Erzbischof Wilhelm von Reims bald nachher einen Erlaß des fünften
Teils., gewährte.® -, - ,
..Einen bedeutenden Ablaß erteilte im Jahre 1178. , Erzbischof
Wilhelm in Reims den Wohltätern eines Spitals für Aussätzige.'
Bemerkenswert ist auch das Privilegium, das Renaul d, Bischof» von
Noypn, im Jahre 1178 für ein Spital gewährte.^ In .demselben Jahre
soU. Erzbischof Rotrocus von- Ronen bei der Konsekration , der
Abteikirche von Bec für den Besuch der Kirche am jährlichen Kirch-
^ Marca 1328: „Omnes ibidem oonvenientes de quacunque poenitentia
sibi iriiüncta ex parte Del ... et nostra remissionem 40 dierum habeant."
2 j)er Propst Adrian von Maubeuge berichtet als Augenzeuge: „Pacta venia
pecoaminum et data absolutione poenitentibus per gratiam episcoporuiri." Acta
Sanct. lanuarii II 1052. ' ' ' '
3 Villanueva V 268.
* Q. Tiraboschi, Storia dell'augusta badia di S. Silvestro diNonantola III,
Hodena 1785, 289. Kehr V 352 f.: „In peccatorum vestrorum remissionem
vobis irdtmgimus"j Beiträge zu' spenden;' ;,his qui vere penitentiam acceperint,
ex parte Dei ... 40 dies de oriminalibus et tertiam partem de venialibus'indül-
gemus." ■' ■■ > , ' , '
^Memorials of the Churoh of SS. Peter and- Wilfrid, Ripon I, 'London
1882, 98 [Publications of the Siurtees Society LXXIV]. ' '
6 Act. SS. dct. XII 908. • ^ ■ '
" Marlot II 406. Gousset II 313. Migne CCIX 829: „Nos de Dei miseri-
cordia et gloriosae virginis Mariae .et omnitim sanctorum. meritis conf isi, omnibtis
qui ad nundinas eorum (leprosorum) venerint, de iniunotis sibi poenitentiis hano
indulgentiam impendimus; videlicet de 7'annis, unum, de 3 quadragenis, unam,
quam sibi quisque elegerit; de sextis feriis, quartam partem. Praeterea offensas
patrum et raatrum, nisi violentas manus inieoerint, et vota fracta, si ad eadem
redierint, et peccata etiam oblita eis misericorditer relaxamus."
8 D'Achery Xin 320, Gousset II 314: , .Eis oblitaindulgeanturpeccatai
vota fracta, si ad eä' redire nön contempserint,- bfferisiones pareiituixi, nisi 'in eos
manus violentäb inieceriiit, venialium.' naedietäs, criniinalixxm' quadragena«'^^
Septem dies poehitentiäe iniunotae relaxentuTi" < ' ;i : i; ;; ;x ; . ■ o "oj^biüc
IV'.' Die ältesten Ablässe für Almosen und 'Kirchenbesucü. 187
weiMeslie 40 Tage Ablaß bewilligt haben.^ , Es handelt sich aber wohl
um einen Ablaß ,-;.'den später' einmal ein nicht genannter Erzbischof
erteilt hat.^ ...
Bei der Konsekration des «Domes von Siena, die wohl 1178
stattfand^^ haben etliche -Bischöfe 1. Jähr Buße für schwere Sünden
und ein' Viertel der Buße für läßliche Sünden erlassen; dieser Ablaß
konnte auch am jährlichen Kirchweihfeste" "gewonnenwerden.* Für
den Besuch der Abteikirche-'Von^ 'Monte cässiiiO' gewährte im Jahre
1180 Erzbischof Roger von Beheven^ mitmehreren andern Bischöfen
l'Jahr Ablaß; für das Fesjj^es hl: Benediktüs wurde > ein Ablaß von
l'Jahr und 40 -Tagen verheißen.'^ '. - •- j ■- ,
Anläßlich der Einweihung eines Altars zu'Preaux im' Jahre 1183
verhieß Bischof Rädülf von Lisieux Erlaß eines Drittels^ der Buße
und aller vergessenen Sünden. "Diesen ■ Ablaß konnte man gewümen
während -des ganzen ersten' Jahres nach der - 'Einweihungsfeier ^ und
dann jährlich iimerhalb'. dreier Wochen nach dem' Auffahrtsfeste.^
- Einer alten Inschrift' zufolge hat 1185 bei der Konsekration der
'TemplerkirchC' in L o n d ö n der . Patriarch Heracliüs von Jerusalem
fÜT' das jährliche 'Kirchweihfest einen Ablaß von 60 Tagen verlieh^.^
Reichlicher war der Bußerlaß , de'nllSS' der- Patriarch '^Gott-
fr iedf von Aquilejä bei der Einweihung der Eürche S. Maria Antiqua
in Verona bewilhgt hat: Von 7 Jahren wurde eines erlassen, zudem
der vierte ' Teil der Buße für läßliehe Sünden.^ Einen' . noch be-
deutenderen Ablaß hat Erzbischof . Sergius von^ Neapel '1187' bei
•der Konsekration der Kirche des hl. Gregorius bewilligt.^ Dagegen
iat Erzbischof .Gerardus von Ravenna bei der Einweihung einer
1 Lea 164. . ■ . ■ . , : . ■ ■
' '^ Mi-gne GL 657'. 'In der aus dem^Ende des 15. Jahrhunderts stammenden
'Chronik der Abtei Bec heißt 'es nach dem! Berichte über die Konsekration der
Kirche im' Jahre 11 78 durch den Brzbischof von Ronen und einige, andere Bischöfe :
„ Quidam archiepisoopus largitus est 40 dies indulgentiarum omnibus vere poeni-
tentibus et oonfessis qui praedictam ecclesiam visitaverint in anniversario ipsius
•dedicationis, prout plane patet in litteris dicti domini archiepisoopi." >
3 Nicht 1179 durch Alexander III. Vgl. Kehr III 207.
* G. A. Pecci, Storia di Siena. Luccal748, 174. Cappelletti XVII 450.
5 Gattula I 399. • ■
6 Mabillon, ActaSanct. II 675. Acta Sanot. Ootobr. I 459. •
^ Die Inschrift stöht bei Lepicier II 23. H.' Thurston,- The holy year
•of Jubilee. London 1900, 315.
. * Panvinius 183.' Biancolini II, '421' f;: .„In* qua dedicatione omnibus
qui ibi tunc aderantj et poenitentiam de suis peccatis receperint vel infra XV dies
xeciperent,' i et etiam his, qui ibi non aderant>:et infra 'XV' dies poeniten-
tiam ' reciperent et iam ' dictam ■ ecclesiam visitarent,' remissionem de omnibus
VII' annis unum.' annum indulsit, et quartam partem v'emaUum, et ' semper '
annuatim istam remissionem -itadnstituit."
^ Ughelli VI 102: „Statuimus in perpetuum,, ut quicunque annuatim
in- anniversario praedietaecorisecrationis ad eandem ecclesiam visitandam usque
in octavum diem accesserint, tres annos decriminalibus, de quibus vere confessi
fuerint, et tres partes (soll ohne Zweifel heißen: tertiam.' partem.) venialium,
«t omnes negligentias (peccata oblita), ita tarnen ut si ad memoriam redierint,
orationum faciant suffragiis se iuvari .' . . sibi misericorditer noverint relaxata."
188 IV. , Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch.
Kirche, die er 1187 als päpstlicher Legat in.; Florenz vornahm, für
Besuch des Gotteshauses drei Tager vor und drei. Tage nach dem; jähr-
lichen Kirch weihfeste nur 50 Tage gewährt.^
1 {Sicher unecht ist der Ablaß von 40 Tagen und 1 Karene, den
Bischof, Adelog von Hi'ldesheim im Jahre J188 für. die Kirche in
Höxter erteilt haben soU.^ Die Form des Erlasses .weist unzys^eifelhaft
auf das 13:1 oder 14. Jahrhundert hin.
Ganz unglaubwürdig ist die Meldung eines, Chronisten des 16. Jahr-
hunderts; Bischof Heinrich I. von Straßburg (1181 — 90) habe für
den Bau. der dortigen Thomaskirche einen Ablaß bewilligt.^ Damals
haben die Bischöfe von Straßburg für fromme . Spenden noch keiue
Ablässe, verheben. Als Bischof Heinrich iuieinem erhaltenen Schreiben
zu Beiträgen für den. Bau der Klosterkirche St. Valentin in Ruf ach
auffordertej verhieß er wohl den Almosenspendern einen himmlischen
Lohn, von einem Ablasse sagt er jedoch nichts.* Sein Nachfolger
Koiirad n. (1190 — 1202) hat ;bald nachher in einein ähnlichen
Schreiben äUe Angehörigen der Diözese zu Beiträgen für den Neubau
des Straßbürger Münsters aufgefordert. Auch er bewilhgt den Wohl-
täl^rn; keinen Bußerlaß, sondern spricht nur den Wunsch aus,. Gott
möge ihnen ihre Sünden i nachlassen.^ .
;:;Eüien ziemlich umfangreichen Ablaß, verlieh 1191 Erzbischof
Wilhelm ;von Reims mit andern Bischöfen bei der Einweihung
der Marienkirche in Senlis.® Einer andern Kirche bewilHgte Erz-
bischöf: Wilhelm in demselben Jahre, einen ähnlichen Ablaß.' Un-
^ ^ J. A; Amadesius, In antistitum Ravennatum Chronotaxim Disqui-
sitiones III, Faventiae 1783, 137 f.
* Urkundenbuch des Hochstifts Hildesheim I 439 f. n. 459. ■
^ L. Schneegans, L'ißgliseLde:; St. Thomas ä Strasbourg. Strasbourg
1842,- 43. , Ch. Schmidt, HJstoire du Chapitre de St. Thomas de Strasbourg.
Striäsboiirg 1J860, 198. P.WentzckeV Regesten der Bischöfe von Straßburg I,
Innsbruck 1908, 361 n. 653. hl Ol
«WentzckeI36Ln.654; ^.. ^ ;
« Wentzcke I 381 f. n.73L:; Urkundenbuch der Stadt Straßburg I 118
n. 143: „Per gratiam Spiritus sancti.et auctoritate b. Marie indulgentiam a
Donüno peccatorum suoruinloptämus etioroniimi bonorum que infra ambitum
Argentinensis civitatis tam in missis quam in diumis et noctumis horis fiimt,
commxmionem eis damiis.'V Von Wentzcke (Straßbürger. Münsterblatt IV,.
Straßburg 1907, 16) wird das Schreiben nicht ganz zutreffend als „Indulgenz-
brief" bezeichnet. ; , . < ' ■>
® Gallia Christ. X. Instr. 224 : ':,; Qui omnes de paisericordia Dei et b. virginis
Mariae: et ommiHnisanotoruiQ .meritis corifisi, omnibus huic sanetae ecclesiae-
eleemosynas coriferentibus qüarjiam; partem de poenitentiis, vota, f racta, _ si ad
eadem.'redierint, peccata,pblita,;offensas patrum et matrum, nisi in eos violentas
manus iiuecerint, iniseficorditer relaxarunt. Qui vero a vigilia dedioationis (15. Jtmi)'
usque ad festum S. lohannis singulis annis ad eamdem ecclesiam venerint, 20 dies,
infhctae poenitentiae in perpetuum sibi növerint relaxari."
7 Märlotll 439. Migiie; CGIX: 854: „Omnibus qui ad solemnitatem
b. loannis eleenlosynas suäs ßrogaturij" accesserint, sive in yigilia sive in die
orastina postJestiyitatemyenerint, 20dies de iniunctis sibi poenitentiis, peccata
oblita, vota fracta,' si ad eadem servanda: redierint, et, offensas parentum, nisi
manus violentas in eos iniecerint; diyina.dispensatione misericorditer relaxamus "
IV. Die' ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesueh." 189
bestimmt sind die Angaben über einen Ablaß, den im Jahre 1191
bei der Belagerung von Akkon die anwesenden Bischöfe denjenigeii
verhießen, die Almosen zur Linderung der Hungersnot spenden würden.^
Dagegen enthält das Ablaßprivilegiiim, das iin Jahre 1194 Erzbischof
Walter Von Roueri bei der Konsekration einer Kirche in Everbeur
ausgestellt hat, ganz genaue Bestimmungen: Den' Pönitenten wurden
je nach ihrem Alter '40, 20 oder 10 Tage nachgelassen.^ Über den
Ablaß von 40 Tagen, den Biächof Bertrand yon Metz bewilligte und
den' Papst Cölestin III. im' Jahre 1195 bestätigt, haben soll, ist bereits
oben unter Cölestin Illl^as Nötige gesagt worden.^
Einen nicht näher bestimniten Ablaß verlieh 1196 Bischof Ber-
nardus Baldüs tei der Einweihung einer Korche in Paventirio.*
.Als Bischof Otto II. von, Preising im Jahre 1196 die Kirche
in Tattenhausen konsekrierte,, soll er, einer alten Aufzeichnung
zufolge, für den Besuch, d.es Gotteshauses, am Kirchweihfeste 140, Tage
Buße der schweren .und 80 Tage der, läßlichen Sünden erlassen haben;
für, das Pest, des hl. Nikolaus hätte er 40 Tage für schwere und 80 Tage
für läßliche Sünden verheißen.^ ■ Ein höchst verdächtiges Ablaß:
Privilegium!
Im. Jahre 1197 verlieh der Kardinallegat Pandulf us einen Ablaß
von 20 Tagen für den Besuch der Donikirche in Volterra am Peste
Maria Geburt und in der Oktave. Später hat Bischof- Paganus von
Volterra (1212 — 39) diesen Ablaß um .10 Tage vermehrt und seiner-
seits für den Besuch der Domkirche an Maria Himmelfahrt 40 Tage
der Buße für schwere und ein Viertel der Buße für läßhche Sünden
erlassen.* Von Bischof Adelardus von Verona haben sich, aus dem
Jahre. 1197 zwei bemerkenswerte Ablaßprivilegien erhalten, das eine
^ Riant, De Hajrmaro monaoho arohiepiscopo Caiesariensi . . . disquisitio
critica. Accedit eiusdem Haymari de expugnata A. D. MCXCI Accone Über
tetrastichus. Parisiis 1865, i 08.
* Gallia Christiana V. Instr. 297 : „Onmibus ad ecclesiam infra 40 dies
dedicationis, ob remissionem peocatorum venientibus largam indulgentiae pie-
tatem concessit; omnibus quippe a 25 annis et supra qxii pro criminalibus peccatis
poenitentiam 7 annorom iniunctam sibi suscepissent, unam carinam, 40 dies
posnitentisie indiilsit; a 20 autem annis ad annos 25, omnibus qiiibus publica
itidem iniunota fuisset poenitentia, 20 dies relaxavit; a 20 et infra, cuiuscunque
essent aetatis, et de perpetratis peccatis poenitentiam agerent, 10 dies ignovit.
Videns vero praediotam ecclesiam eleemosynisfidelium esse constructam, et adhuo
praevidens construendam, auctoritate S. Petri, apostolica quoque licentia et sua
statuit, ut haeo solemnis indülgentia.singulis annis per Septem dies dedicationis
quibusque fidelibus eamdem ecclesiam visitantibus concederetur . . . .Offenseis
quoque patrum et matrum, absque iniectione duntaxat manuum, negleotasque
culpas et oblivioni traditas ignovit."
''^ 3 Oben S. 174. . -
* Augustinus Florentinus, Historiarum Oamaldulensium libri tres.
Florentiae 1575, 157: „Indulgentiarum oonsuetum munus illud in celebritate
annua dedicationis adeuntibus concessit egregio diplomate." Vgl. TJghelli II 500.
^ C. Meichelbeok, Historia Frisingensis I 2, Aug. Vind. 1724, 574 f.
6 Schneider 84 195.
190 ITivPle. ältesten Ablässe für Almosen. iindKirchenbestich.
für die Martinskirche in Verona,^ das andere für die dortige Kirche
der hl. Fii'miis und Rustikus.^
Einen Ablaß von 40 Tagen verlieh im Jahre 1199 Erzbischof Saul
von Kalocsa. (Ungarn) für Besuch der lürohe in Lhota, (Diöz. Prag),
an einigen Festen. Indem Bischof Daniel von Prag 1200 diesen.
Ablaß bestätigte, fügte er selber einen 40tägigen Ablaß für das Pest
Maria Himmelfahrt bei.^ Einen weiteren Ablaß von 40 Tagen gewährte
Daniel im Jahre 1203 für Besuch der Kirphe in Rynarec* -
Nur auf 12 Tage belief sich der Ablaß, der 1200 bei der Kon-
sekration einer Kirche in, Montpellier von dem Kardinallegaten.
Johann und einigen Bischöfen erteilt wurde.^
Einen viel größeren Ablaß soll im Jahre 1206 Bischof Rainer von.
Toscanella und Viterbo mit acht andern Bischöfen bewilligt haben.
Nach einer Inschrift hätten die neun Bischöfe miteinander denjenigen,
die einer von ihnen in T'pscanella konsekrierten Kirche Beiträge
spenden würden, einen Bußerlaß von 4 Jahren verheißen.^ Bei der
Konsekration einer andern Kirche in demselben Jahre zu Cornetto
soll Rainer in Verein mit zwölf Bischöfen den anwesenden Gläubigen
12 Jahre Ablaß verheben haben ; für das jährliche Kirchweihfest seien
4 Jahre verheißen worden, zudem 1 Jahr für das Titularfefet;''- Auch
diese Bewilligung: ist ;blöß durchs einev Inschrift >bezeügti SLaüt? deiner
andern Inschrift hatte im Jahre 1208 Bischof ; Gregor vpiiOhieti
bei der Konsekration einer Kirche in Sulm na; für das Eärchweihfest
2 Jahre und 2 iQuadragenen ündieirngb Wocheh«später ibei de^
eines Altars Ir Jahr und 40 Tage gespendet:^H Es handelt sicH aber
offenbar um eine spät^e^Fälschungj da Gregor erst 1234 >Bischöf von
Ghieti''geworden^ist.; --■■ ■.'-'' ;.x-:' ■■'■:}::..:.{■:■:'- '-.■>;::<[■- auV ■■,n-;^^:o.avnj
^ Sicher bezeugt ist 'der Ablaß von 7 Tagen,Hdeii 1208ä Bischof
Robert von Olmütz für den Besuch der Kirche in Dubraünik
bewilligt hat.^ Echt ist- wohl auch der Bußerlaß, den im Jahre 1209
Bischof Albertus Longus von Perentino bei der Konsekration
1 Biancolini V 2, 17: „Omnibus personis qui ad ecclesiam S. Martini
venerunt vel venerint hinc ad 15 dies, et de suis delictis penitentiam acceperirib
vel ante petierint hinc ad 15 dies . . . facimns eis remissioneni de criminalibus
delictis 40 dies et quintam partem omnixun venialinm. Et omni, anno similiter."
^ Ughelli V 811. Allen Wohltätern, ,,qui de peccatis suis dignam poeni-
tentiam acceperunt, vel infra octo dies accipient ... de poenitentia sibi iniuncta
20 dies criminalivim. et'septimam. paxtem venialinm indnlgemus."
* G. D ebner, Monumenta historica Bohemiae II, Pragae 1768, 325 f.
Friedrich II 3 n. 5: „Omnibus Christi fidelibus vere penitentibus' et confessis,
qüi ad dictam ecclesiam accesserint, 40 dies de iniunctis sibi penitenciis relaxamus,
modo venerabilis episcopi Pragensis . . . consensus ad id accedat."
* Friedrich II 30 f. n. 33: „Singulis annis 40 dies omnibus vere peni-
tentibus et confessis ad ipsam supradictam ecclesiam hiis temporibus venientibus
de iniuncta sibi peniteKcia ... relaxantes."
6 Gallia Christ. VI. Instr. ^62. >
8 Cappelletti VI 108. i ^ ^
' Cappelletti VI 109. Ughelli I 1408. . . , ^ - o-
8 Ughelli I 1372; VI 711. ,
■ » Friedrich 73 f. n. 78; ^^^^^V' / : ,
IV,. Die ältesten Ablässe, für .Almosen und Kirohenbesuch. 191
einer , Kirche verlieh :■ 40 Tage für schwere Sünden .und ^ein Viertel
der Buße für läßliche Sünden.^
Als im Jahre 1209 Bischof Hugo von Coutances ein Spital
gründete und zu dessen Unterstützung eine Bruderschaft errichtete^
erließ er jenen, die dem charitativenVei^eine beitreten wollten, den
siebten Teil der auferlegten Buße. ^ ■ Anders lautet das Privilegium^
das im Jahre 1211 Bischof Raimund von Uzes als päpstlicher Legat
dem Nonnenkloster Vinegol (Diözese Magüelone) gewährte: Den-
jenigen, welche der zur -Unterstützung' "'des Klosters gegründeten
Bruderschaft beitraten, ' wurde eine der ihnen auferlegten - 40tägigen
Bußfasten '< erlassen; andere Wohltäter, erhielten einen Bußerlaß von
10 Tagen.3 . . '
Über einen Ablaß, den Erzbischof Siegfried von Mainz im
Jahre 1211 für eine Mainzer Kirche erteilt haben soll, fehlt jede nähere
Angabe.* Im Jahre 1214 verlieh Bischof Lorenz von Breslau in
Gemeinschaft mit zwei andern Bischöfen für den Jahrestag der Ein-
weihung der Krypta eiiier Kirche in' Trebnitz einen Ablaß von
von 40 Tagen.^ Einen Ablaß von 80 Tagen erteilte 1214 Erzbischof
Heinrich von G'nesen für den Jahrestag ' der Konsekration eines
Altars inTrzemeszho.^ In einem undatierten Ablaßs'chreiben ver-
heißt Bischof Heinrich II. von Straß bürg (1202 — 23) jenen, die
zum Neubau der Kirche St. Arboigast Steine herbeifähren würdeni
Nachlassung des vierten Teils dei Buße für läßhche Sünden, während
er für schwere Sünden nur einen Ablaß von 15 Tagen in Aussicht stellt.'
Ein höchst interessantes Ablaßschreiben hat bald nach dem
10. September 1209 Bischof Hartbert von Hildesheim erlassen.
Eür den Besuch des r>omes an Maria Verkündigung verheißt der
Oberhirt seinen Diözesanen einen Ablaß von 40 Tagen, jenen aber,
die mit Erlaubnis ihres 'Bischofs> aus einer andern Diözese kommen
würden, den Erlaß der Hälfte der „Jahrfasten"; nur sollte dieser
Erlaß nicht für die „Karene",, das strenge 40tägige Fasten gelten,
sondern bloß für das mildere Easteri, wie es außerhalb der Karene
das Jahr hindurch an bestimmten Tagen zu halten war. Zudem
wird erklärt, daß auch den vom Gottesdienst ausgeschlossenen Büßern,
1 Ughelli, I 677.
2 GalHa Christ. XI. Instr. 253. .
^ Gallia Christ. VI. Instr. 366: „Omnibus illius oaritatis confratribus
relaxamus unam de iniunetis sibi quadragesimis, et aliis eidem operi bona fa»
cientibus de iniimcta sibi penitentia remittimus decem dies."
* Regesten zur Geschichte , der Mainzer Erzbischöfe II 151 n. 174. Nach
einer handschriftlichen Notiz Bodmanns, der die Originalurkunde gesehen
haben will. , , ,
- ^ C. Grünhagen, Regesta Episoopatus Vratislaviensis I, -Breslau 1864, 16.
® Cqdex diplomatious maioris Poloniae I, Poznaniae 1877, 80.
'' Urkundenbuoh Straßburg I 135 n. 171: „Specialiter illis qui angariant
lapides ad opus ecolesie, quartam partem venialium peccatorum b. Arbogasti
auctoritate et nostra indulgemus et de iniuncta eis ^penitentia pro capitalibus
que confessi sunt, 15 dies,relaxam-us."
192 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirohenbesuch.
falls sie nicht exkommuniziert sind, an Maria Verkünäigung der Eintritt
in die Domkirche gestattet sei.^ ■ ■ '
. * *
* '-
Das sind die Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch, die in der
Zeit vor der Lateransjuode vom Jahre 1215 dm:ch ziemlich ausgedehnte
Nachforschungen namhaft gemacht werden konnten. Weiteres Suchen,
namentlich in lokalgeschichtliohen Quellen, würde ohne Zweifel noch
andere, insbesondere bischöfliche Ablässe, an den Tag fördern. Es.darf
auch nicht übersehen werden, daß manche Ablaß bewilHgungen niemals
schriftlich aufgezeichnet worden sind, und daß andere, die wohl ur-
sprünglich aufgeschrieben wurden, sich doch nicht erhalten haben.
Sollten indessen auch noch manche andere bisher unbekannte Ablässe
aufgefunden werden, so würde doch dadurch der Gesamteindruck, den
man, durch die obige Zusammenstellung empfängt, kaum wesentlich
verändert werden. Auf Grund dieser Zusammenstellung d.arf man wohl
behaupten, daß vor 1215 die Ablässe^für Almosen und Kirchenbesuch
keineswegs so verschwenderisch ausgeteilt, wurden, wie hier und. da
angenommen wird.^ Man beruft sich freilich auf die, Klage der
Läteransynode. über die ,,indiscretas. et superfluas indulgentias,
quas quidam ecclesiarum praelati facere non verentur".^ Allein
hier ist doch nur von dem tadelnswerten Vorgehen ,, etlicher" Prälaten
die Rede.* Auch die um 80 Jahre ältere Erläge Abälards darf, man
nicht, wie es hier und da geschieht, verallgemeinern, als ob Abälard
den Bischöfen überhaupt den Vorwurf gemacht hätte, sie würden aus
Hal)sucht in Erteilung von Ablässen verschwenderisch sein.. Aus dem
1 Urkundenbuoh des Hoohstifts Hildesheim I 605 n. 633: „Eis qui de
Hildensemensis diocesis partibus venerint, speoiali auctoritate nostra preter
indulgentiam pape (gemeint ist der 40tägige AblaJ3, den Innozenz III. am
10. Sept. 1209 verliehen hatte. Oben S. 175) XL dies de iniimcta penitentia
relaxaraus. Ceteris vero, qui de aliis episoopatibxis venerint laborando, suorum
haben tes licentiam prelatorumutendi gratiaHildensem.ensis ecolesie, medietatem.
aimälis penitentie eondonamus. Si qui autem sunt venientium vite adeo inno-
centis aut perfeote, ut maioris vinculo penitentie non ligentur, ab indulgentia
tarnen non exoluduntur dierum XL ipsius quantulecimque penitentie, qua te-
nentur; omnes enim peccaverunt et egent gratia , . . Porro circa eos qui gravioris
sunt penitentie debitores, tali modo intelligimus regulam temperandam, ut extra
carenam indulgentie dies aooipiuntur. Neo aHas etiam eUgantur ab aliquo in-
dtügendum. dies abstinentie durioris, sed. feriatim sumantur, prout in ordine
secvindtun modum suum veniunt observandi, ita ut post octavam pentecostes
inchoentur, quando penitentes sua ieiunia incipiunt observ'are. Quicunque etiam
viventivuTi extra ecclesiam agunt penitentiam, eis ad faoiendam oblationem con-
cedimus ingressum, nisi fuerint exoommunioati."
^ Schon Lea 163 n. 4 hat bemerkt: „I have not been able to find any
authentio cases of undue profuseness prior to the Lateran Council."
3 Oben S. 177.
* Als einer dieser Prälaten, die allzu freigebig mit Ablässen gewesen wären,
wird bisweilen Maurice von Sully, Bischof von Paris (1160 — 96), genannt.
Morinus 770. Allein in den gleichzeitigen Quellen ist über seine Ablaßver-
leihungen nichts zu finden. Vgl. Lea 164. V. Hörtet, Maurice de SiiUy, in
Mömoires de la Sooiötö de l'histoire de Paris XVI, Paris 1890, 220 ff ^' >^
IV. Die. ältesten' Ablässe für, Almosen und Kirchenbesucli. 193
ganzen Zusammenhang ergibt sich, daß er nur von einigen Bischöfen
reden will.^ Zudem muß man, auch, die Übertreibung in Betracht
ziehen, die derartigen Klagen^ gewöhnlich anhaftet. .
Zum Schlüsse nun noch einige Feststellungen, die sich aus deii
oben erwähnten Ablaßurtunden ergeben. Vor allem kann es als sicher
gelten, wie schon vori anderer^- Seite, hervorgehoben worden ist, daß
die ältesten Ablässe für Almösen und ■ Kirchenbesuch von Bischöfen
ausgingen und daß derartige Ablässe zuerst im' südHchen Frankreich
und im nördlichen Spanien erteilt, worden siiid. Bemerkenswert • ist
es, daß' für Deutschland aus 'der Zeit vor 1200 keine bischöflichen
Ablässe für Almosen oder Kirchenbesuch mit Sicherheit nachgewiesen
werden können.^ . ;
Ursprünglich wurde der Erlaß ,der 'Bußstrafen nach Bruchteilen
bemessen: es wurde ein Viertel,. ein Drittel oder die Hälfte der Buße
nachgelassen. Bisweilen, namentlich für, den Fall des Hinscheidens,
wurde auch ein Erlaß der gesamten Büße verheißen. Bald kam die
Sitte auf, die. Buße nach bestimmten Zeitmaßen zu vermindern: Es
wurden Ablässe von 7,- 10, 20, 40 Tagen usw., von 1, 2, 3 oder noch
mehr Jahren- erteilt.- Im Laufe des 12. Jahrhunderts erscheinen öfters
in derselben Urkunde beide Bereohnungsarten miteinander vereinigt!
Der vom 13. Jahrhundert an so häufig verliehene Ablaß von 1 Jahr
und 40 Tagen, kommt schon, wenn auch selten:, im 12. Jahrhundert vor.-
Gleich von Anfang an haben die Ablässe für Almosen und Kirohen-
besuch sich sowohl auf die Privatbuße als auf die öffentHche Buße
bezogen. In verschiedenen Ablaßurkunden werden die beiden Bußarten
ausdrücklich erwähnt. In ändern Urkunden ist von einem Erlaß der
Buße überhaupt die Rede,; ohne daß ein Unterschied zwischen öffent-
licher und geheimer Buße gemacht werde ; . derartige Bewilligungen
'^ In seiner Bthica sagt Abä,lard: ,,Sunt nonnuUi sacerdotum non tarn per
errorem quam eupiditatem subiectos deoipientes, ut pro nummorum oblatione
satisfactionis iniunctae poenascondonent vel relaxent . . . Neo soltim. sacerdotes,
verum etiam ipsos principes sacerdotum, hoc est episcopos ita impudentes in hano
eupiditatem exardesoere novimus, ut cum in dedioationibus ecolesiarum, vel in
consecrationibus altarium, vel benediotionibus coemeteriorum, vel in aliquibus
solemnitätibus populäres habent ooriventus, xmde oopiösam oblationem expectant
in relaxandis poenitentiisprodigi sunt; modo tertiam, i modo :qu.artam poeni-
nentiale apartem .ommbus^oomictoiteir.ainda^ sciUcet specie
ohäritatis, sed inventate stlmmae'cüpiditatisv^^' M^^^ 672. Wie Abälärd
nur von norinulli sacerdotümi spfichty so hat'er
überhaupt, sondern nur etliche von ihnen im Auge.
. •Individuelle Bußerlasse, die aber von denx allgemein verliehenen Ablaß
für Almosen oder KirchenlDesüch zu unterscheiden sind, hat im Jahre 1192 der
Kardinallegat Gin cius während seines Aufenthaltes in Hildesheim erteilt. Ein
Zeitgenosse berichtet nänüioh von ihm : „Ad hunc quotiesoumque, qui publiois
sceleribns impliöiti esseht, veriiebant rogantes quatenus de iniuncta eis poeni-
tentia ex cöncessä sibi äuotoritate aliquid reläxäret' in his discrete et prudeiiter
se agebat, et primo causam modumque delicti diligentius pei^quirens, iuxta
culparuih quantitatem cohd.onatioms gratiarm temperabat." Narratio de canoni-
zatione S. Bernwärdi, bei Mabillon, Acta Sariot. VI 1, 212. Acta Sanctorum.
Ootobris XI 1025.
Paulus, Geschichte des Ablasses. 18
194 IV; Die ältesten Ablässe für Almosen und- KirchenbesucK.'
gelten .denn auch für. öffentliche wie für Geheime Büßer. In einigen
Ablaßurkuriden des 12. Jahrhunderts ist allerdings nur von öffent-
lichen Büßern die Rede; dafür schließen aber andere die öffentlichen
Büßer- /voii)der;generellen Ablaßbewilligung aus. Zudem gibt es ver-
schiedene Urkunden, worin Päpste und Bischöfe, indem sie einem
Sünder für schwere Vergehen eine öffentliche Buße auferlegten, die
Bestimmung .beifügten, daß -andere' Bischöfe, wenn sie es für gut
fänden, : die vBüßstrafe des betreffenden Büßers mildern dürften.^
Daraus ergibt sich, daß ,in manchen Fällen die öffentlichen Büßer
sich nicht lohne weiteres der . generellen Almosenablässe teilhaftig
machen konnten; sie ■ bedurften dazu der Erlaubnis der kichlichen
Oberen, die ihnen die Buße auferlegt hatten.
ii Man hat behauptet, daß reine Devotionsablässe, bei denen als
Bedingung bloß ein Devotionsakt, z. B. Kirchenbesuch ohne Geld-
speüde,: gefördert wurde, zuerst von . Innozenz III. gegeben worden
sind. Das ist nicht richtig. ^Wohl wird in zahlreichen Ablaßurkunden
des 11. undiil2. Jahrhunderts das ' Spenden eines Almosens als Be-
dingung; aufgestellt. Allein sehr zahlreich sind auch die Ablässe j für
deren Gewinnung eine Geldspende nicht gefordert wurde. Mag auch
öfters bei der Verleihung derartiger Ablässe der Gedanke, daß die
Gläubigen nicht mit leeren Händen zur Earche kommen werden^
eine große; Rolle .gespielt haben, so konnten doch, falls eine Geld-
speride nicht vorgeschrieben war, auch jene, die nichts opferten, sich
des Ablasses teilhaftig machen. Der fromme Kirchenbesuch genügte
zur Gewinnung des Ablasses.
• Die IVagC: nach der Bedeutung der ältesten Ablässe wird, besser
weiter unten in einem eigenen Abschnitt ihre Beantwortung finden.
Ebenso werden im 2. Band in einem besonderen Kapitel verschiedene
eigentümliche Bestimmungen, die in den alten Ablaßurkunden vor-
kommen, näher erklärt werden. Hier galt es vor allem die ältesten
Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch aus zuverlässigen Quellen
zusammenzustellen, um ein genaues Studium dieser Ablässe zu er-
inögUchen.^ Das gleiche soll nun geschehen bezüglich der ältesten
Kreuzzugsablässe.
i Vgl. oben S. 24.
^ Faleo 138 bezeichnet eine derartige Zusammenstellung der ältesten
Ablässe sowie. der im früheren Mittelalter üblichen Absolutionen als „raccolte
iridispensabili per lo studio delle prime indulgenze".
'p-
V. Die, ältesten Kreüzzügsablässe. .
In der. Geschichte des Ablasses nehmeh-^jene Ablässe, welche die
Päpste den' Kreuzfahrern,' den Vorkämpfern der Christenheit gegen den
Islam, zu erteilen- pflegten,! eine der ersten Stellen ein.^ Man hat daher
von jeher gerade diesen Ablässen eine besondere Aufmerksamkeit zu-
gewendet'. Im' folgenden sollen in chronologischer Ordnung die> Kreuz-
zugsa'blässe namhaft 'gemacht i werden, die ibis zur vierten Lateran-
synode (1215) .erteilt -worden sind.
Früher ließ man 'gewöhnlich die Kreuzzugsablässe mit'Urban II.
beginnen.' '^In'neuester Zeit' hat man' jedoch ihren Ursprung viel weiter
hinaufrücken wollen. Schon Stephan II. (752 — 57), Leo IV. (847^55),
Johann VIII.iU872— 82); Leb IX: (1049^54)' sollen den' Verteidigern
der Kirche und des christlichen' Glaubens -Ablässe ■ bewilHgV haben.'
Was es aber damit: für feine ' Bewandtnis hat; ist bereits an anderer
Stelle dargelegt worden.^ ^ ' ' ■ r
Festeren Boden b'etreteln wir mit Alexander II., der im Jahrel063
den Kriegern, die im Begriffe wären, nach Spanien zu ziehen, um' idört
gegen 'die Maureh zu kämpfen, einen vollkommenen Bußerlaß be-
wilHgte. In dem iJetreff enden Schreiben erklärt der Papst ausdrück-
lich, daß er den Soldaten die ihnen für die gebeichteten Sünden auf-
erlegte Buße abnehme.^ Hier ist also von einem eigentlichen
Ablaß, von einem Erlaß der für die Sünden geschuldeten Bußstrafen
die Rede. Wenn der Papst dem Bußerlaß die Worte beifügt: „Und
wir gewähren Nachlassung ' der Sünden", so wird damit ^'angedeutet,
daß durch den Bußerlaß die Nachlassung der Sünden YeryoUstandigt
werde, mit andern Worten, daß die Sünden, die . in der Beichte der-
Schuld nach vergeben worden, nun auch der Strafe nach' getilgt
werden. Als Ablaß ist' wohl auch die Absolution zu betrachten, die
^ Daß der Kreuzablaß dem Almosen- oder Kirchenablaß, wie behauptet
worden, sein Dasein verdanke, ist nicht zutreffend. Es handelt sich um zwei
Parallelerscheinungen, die beide aus einem gemeinsamen Boden entsprossen sind;
beiden sind durch die Eicdemptionen die Wege bereitet worden.
2 Oben S. 50 60 69.
^ Loewenfeld 43:, „Clero Vultvimensi. Eos qui in Ispaniam proficisci
destinarunt, patema karitate hortamur, ut, que divinitus admoniti cogitaverunt
ad effectum perducere, sunrnia cum sollicitudine procurent; qui iuxta qualitatem
peccaminum suorum unusquisque suo episcopo vel spirituali patri oonfiteatur.
eisque, ne diabolus accusare de inpenitentia possit, m.odus penitentie imponatur.
Nos vero auetoritate sanotorum apostolorum Petri et Pauli et penitentiam
eis leyamus et remissiouem. peccatorum facimus, oratione prosequentes."
l3*
196 V. Die ältesten Kreuzzügsablässe.
Alexander II. den Normannen, die in Sizilien gegen die Sarazenen
kämpften, erteilen ließ. ^
Über die Ablässe, die Gregor VII. wiederholt erteilt baben soll,
ist an anderer Stelle das Nötige gesagt worden.^ Nacli Petrus Diakonus,
Bibliothekar, in Montecassino, hat Papst Viktor III. im Jahre 1087
unter Verheißung der „Nachlassung aller Sünden" ^ein Eriegsheer
gegen die Sarazenen in Afrika gesandt.^ -Es darf wohl als sicher gelten,
daß der Chronist unter der Nachlassung aller Sünden eifien voll-
kommenen Abläßi^rstaMen^liat.!?i©a^(M aber erst sximnlMO schrieb
und auch sonst 'Unzuverlässig i^^^isbisteht nicht festy^ob üiidf in >welc^^
Form Viktor III; '■ denj ^ christlichen liEämpferhr eine T-Vergeburi
Sünden in Aussicht gestellt hat. ■ • .- -
Der von Alexander II. erteilte Ablaß scheint wenig Beachtung
gefunden zu haben; wenigstens Jiaben ihn in der Folgezeit die Päpste
niemals erwähnt, während sie sich im Laufe des 12. Jährhunderts
öfters auf. den von Urban II. „eingesetzten", Kreuzzugsablaß berufen
haben. Bekanntlich ist dieser berühmte Ablaß im Jahre 1095 auf, der
Synode? von Clermont verkündet worden. Der Papst erklärte, -daß
allen, die mit frommer Absicht. am Kreuzzuge sich beteiligen- würden,
die Hee.rf ahrt f ür die ganze Buße angerechnet werden s.olle.^
In demselben Sinne schrieb Urban, II. 'am, 19. September 1096 an die
Stadt Bologna, er erlasse den Kreuzfahrern ,,die ganze Buße für
die Sünden, die sie recht und vollkommenigebeichtet haben
werden".* In einem andern Schreiben, das er Ende Dezember 1095
an die Gläubigen in Flandern gerichtet hat, bemerkt er, er, habe auf
dem Auvergner Konzil den Franzosen die Befreiung der orien-
talischen Kirchen feierlich aufgegeben „zur 'Nachlassung aller
ihrer Sünden".'
^ Gaufredus Malaterra, Historia Sicula II 33, bei Muratori, Sorip«
tores V 569. Migne CXLIX 1142: „Apostolious . . . benedictione apostolioa
et potestate qua utebatttr, absolutionem de offensis, si resipiscentes in
futurum caveant, comiti et omnibus qui in lucranda de paganis Sicilia et lucratam
in perpetuuni ad fidenx Christi retinendo auxiliarentur, mandat." Als Ablaß
aufgefaßt von Gottlob 35 und Hilgers 55.
2 Oben S. 77 ff.
3 Petrus Diaoonus, Chronica montis Casinensis. Mon. Germ. SS. VII
751: „Christianorutn exeroitutn . . . sub remissione onrnium peooatorum contra
Saracenos in Africa commorantes direxit." ^
* Wattenbaoh, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter II*, Berlin
1894,- 236 f.' -
5 Mansi XX 816: „Quiciinque pro sola devoti6ne,nön pro honoris vel
peouniae adeptione, ad liberändäm ecclesüam' Dei Hierusalein prof ectüs f üerit^
iter illud pro omni poenitentia reputetur." "'
8 Jaffe 5670. Hagenmeyer 137: ,,Soiatis eis omnibus, qüiilluo non
terreni commodi cupiditate^ sed pro sola änimäe süae salute et ecelesiäe liberatione
profecti f uerint,- per omnipotentis Dei iniserieordiam et ecclesiäe oathoÜeäe pretös
tarn nostra quam omnium pene aröhiepisoöporuin et episcöpörriin; qui in Galliis
sunt, autoritate dimittimus, quöniam res et piersohas suas pro Dei et'pröximi
charitate exposuenmt." ^ '
^ Jaff 6 6608. Hagenmeyer 136: ..Hiiiusmödiproeinctümptoremissiöiiö
omnium pecoätorttm suorum in Arverherisi cöheüiö celebriter eis iniünximüs;"
V. Die ältesten Kieuzzugsablässe. 197
Urbans Bemühungen f, um den Kreuzzug hat sein Nachfolger
Paschalis II. eifrig fortgesetzt. Durch die französischen Bischöfe
ließ er 1099 die Gläubigen mahnen, „zur Nachlassung ihrer Sünden"
(in peccatorum suoruni remissipnem) nach Palästina zu ziehen.^ Den
für die Palästinafahrt bewilligten Ablaß , hat PaschaHs II. auch, den
Spaniern; zugesagt, die in ihrer Heimat gegen die Mauren kämpfen
würden. Dies meldet er in einem , Schreiben vom 14. Oktober llOQ
an König Alfons von Spanien.^ In einem weiteren Schreiben vom
25. März ,1101 fordert er die Untertanen des Königs Alfons auf, statt
nach. Jerusalem zu ziehen, die , Sarazenen in Spanien zu bekämpfen.
Hier, könnten sie, ihre Bußen abtragen, hier den vom Apostolischen
Stuhle .verliehenen Ablaß gewinnen.^ Denselben Ablaß verhieß Par
schalis in einem Schreiben an die Gläubigen von Coimbra den Soldaten,
die in Portugal den Mauren entgegentraten.* Auch den Pisanern, die
im Jahre 1114 eine Expedition gegen Mallorka unternahmen, soll
PaschaHs, dem Chronisten, von, Montecassino Petrus Diakonus zufolge,
die „Nachlassung aller Sünden", oder einen vollkommenen Ablaß ver-
heben haben.^ Das . alleinige Zeugnis des unzuverlässigen Chronisten
genügt indessen nicht, um hierüber volle. Sicherheit zu verschaffen.
Eine Pisaner .Chronik, welche über die Expedition vom Jahre 1114
ausführlicher, berichtet, als Petrus Diakonus, sagt nichts von irgendr
einem Ablaß.*
Im Jahre 1118 gewährte Gelasius.II. einen vollkommenen Ablaß"
den Soldaten, die in Spanien im Kampfe gegen die Sarazenen fallen
würden.' Den übrigen Teilnehmern am Glaubenskriege, ebenso wie
jenen, die Beiträge zum Wiederauf biau der Kirche von Saragossa
spendeten, wurde bloß ein partieller Ablaß zugesagt, der sich nach
der Größe ihrer Bemühungen richten sollte.^
Eünf Jahre später yurde auf der Lateransynode, die 1123 unter
Calixt II. stattfand, den Kreuzfahrern nach Palästina die „Nach-
^ Jaffe 5812. Hagenmeyer 175.
" Jaffe 5840! Migne CLXIII 45: „Peccatorum veniam pugnatoribvis in
regna vestra comitatusque mandavirnus."
^ Jaffö 5863. Migne 65: „Ibi largiente Deo vestras poenitentias per-
agatis, ibi sanotorum apostolorum Petri et Pauli et apostolicae eorum Ecclösia«
remissionem et gratiam peroipiatis."
* Jaffe 6485. MemoriasdaAcademiarealdasscienciasdeLisboa. 2. Classe.
Nova Serie I 1,' Lisboa 1854, 73: „Müites Christi contra Mauros infideles assidue
pugnantes benedictione b, Petri et nostra refovemus et peccatorum suorum
absolutionem his qui cohfessi fuerint damus."
^ Mon. Germ. SS. VII 789: „Sub remissione onmium peccatorum illos
ad insTJlas Baleares direxit."
6 Muratori, Scriptores VI 169."
' Jaffe 6665. Migne CLXIII 508: „Si quis vestrum accepta de peccatis
suis poenitentia in expeditione hac mortuus fuerit, nos eum sanctorum meritis
et totius Ecclesiae oatholicae precibus a suorum vinculis peccatorum absolvimus."
Von Gottlob 96 irrig als Ablaß für Verstorbene aufgefaßt.
* Vgl. oben S. 158.
198 V. Die ältesten Kreuzzugsablässe, •
lasäuiig ihrer Sünden" erteilt.^ Denselben „Sündennaohlaß"' verlieh
€alixt bald nachher, wohl im Ajpril 1123, den christlichen Streitern
in Spanien.^ . - • ,
Die Nachlassung der Bußstrafen aller gebeichteten Sünden hatte
im Jahre 1121 auch der Patriarch Ver'amundus von Jerusalem
in einem Schreiben an den Erzbischof von Santiago den Kreuzfahrern
nach dem Heiligen Lande verheißen.^
Gefälscht ist ein undatiertes Schreiben, - worin Caüxt II. unter
Verheißung eines vollkommenen Ablasses die Christen zur Verteidigung
Jerusalems und Spaniens aufruft.* ' Eine' andere BuUe vom 2: 'Januar
1121, die den Verteidigern der Abtei Lerins denselben „Sünden-
riachlaß" (eandem peocatorum remissionem) wie den Kreuzfahrern
nach dem Heiligen Lande ' verheißt, ist ebenfalls den Fälschungen
beizuzählen.^ Dasselbe gilt von dem Kreuzablaß, den Honorius II'.
(1124^-^30) für Lerins erteilt haben soll.* .
- Auf Anordnung des Papstes ■ Honorius IK fand am Auf ang des
Jahres 1125 zu Santiago de Compostela eine Sjmbde statt, auf welcher
der dortige Erzbischof und päpstliche Legat Diego Gelmirez init
den anwesenden Bischöfen und andern Geistlichen den Kämpfern
gegen die Mauren einen vollkommenen Ablaß bewilHgte.' Bemerkens-
wert: ist es, daß auf: dieser Synode nicht bloß den wirklichen Teil-
nehmern am Kriege, sondern auch jenen, die nach ihrem' Vermögen für
sich Soldaten senden würden, der vollkommene Ablaß zugesagt wurde.*
Honorius IL selbst hat im Jahre 1128 den Teilnehmern an einer
Expedition gegen Roger IL von Sizilien einen zweifachen Ablaß ver-
heißen: Denjenigen, die im Kriege sterben würden, sollten. alle Buß-
strafen nachgelassen sein, den Überlebenden bloß die HäKte.^
1 Mansi XXI 284: „Eis qvä Hierosolimam proficisountur . . . siiorum
remissionem peocatorum concedimus."
2 jaffö 7116. Robert, Bullaire de Oalixte II. 11 266 f.: „Omnibus in hao
expeditione constanter militantibus eamdem pecoatorum^ remissionem, quam
Orientalis Ecclesiae defensoribus fecimus, apostolica auctoritate et concessa
nobis divinitus potestate benigne concedimus." Zum Datum vgl. Robert,
Histoire du pape Caüxte II. Paris 18,91, 191.
3 Historia Compo3tela,na II 28, in Espana sagrada XX 312. Migne CLXX
1066: „Quicvtnque in nostrum auxilium ■ venerint, omnium peceatorum unde
poenitentiam acceperint, vincula auxilio Dei relaxamus, et imponimus super
hunaeros Agni qui tollit peccata mundi." , > •
* Jaffe 7111. Robert II 261 f.: „Ab omnibus peceatis suis, de quibus
sacerdotibus suis oonfessi fuerint et penitentes, absolvantur."
6 Jaff6 6885. Robert I 30Ö f.
6 Jaffö 7352., PflugkrHiarttung I 136 f.
' Historia Compostelajna II 78, in Espana sagrada XX 429. Migne CLXX
135 : „ Quisquis huius militiae particeps fieri yolueriti omnium suorum. peceatorum
recordetur et ad veram confessionem et veram poenitentiam venire, festinet .>,
Nos eum ab omnibus suis peceatis quae a fönte baptismatis usque ad hodiemum
diemperpetravit . . ; absolvimus". . :;!; m
^ Wer Stellvertreter sendet, „accepta ppenitentiaj .eamdem ei - plena-riam
absohitionem in nomine Dei concedimus". ; ; j v ,
' Palconis Beneyentani Chromeon, bei Mar ator^ .V 104:
Migne CLXXIII 1199: „Ex aactoritate divinaet b. Mariae Virginis et sainctörum
V. Die ältesten' Kreuzzugsablasse. 199
Auf einer Synode, die 1135 in Pisa stattfand, verlieh Innozenz II;
allen, die gegen Roger; von- Sizilien. oder den Gegenpapst' ■ Pierleoni
(Anaklet ,11.) die »Freiheit der Kirche verteidigen würden, denselben
Ablaß (remissio), der von Urban II. für' die Palästinafahrt bewilligt
worden war.^- - ' '
Den von Urban II. „eingesetzten -Sündenerlaß" erneuerte
Bugen III; im Jahre 1145, als-essich darum handelte, den zweiten
großen Kreuzzug ins Werk zu setzen. < Diesen" Sündenerlaß, erklärte
der Papst in^ der .BuUe vom 1. Dezember 1145, verleihen wir aber
in der Weise-, daß, wer die Kreuzfahrt in froinmer Gesinnung unter-
nommen und vollendet oder dabei den Tod gefunden haben wird,
von ällen< seinen Sünden, die er feuniütig gebeichtet, Verzeihung
erhalte und von dem Vefgelter alles Güten die ewige Belohnung
empfange.2 Denselben von Urban II. ,, eingesetzten ' Süiideneflaß-'
verlieh Eugen III: im. Jahre 1147 auch jenen, die gegen die heiidnischeri
Slawen in Pommern ziehen würden.^
Mit der Predigt des zweiten Eireuzzugs hatte der Papst den
hl. Bernhard beauftragt. Wie dieser Heilige über den Ablaß dachte
und wie er ihn den Gläubigen anpries,, kann man aus verschiedenen
seiner Briefe ersehen.' In einem Schreiben vom Jahre 1146 an Klerus
und Volk von Ostfranken und Bayern* fordert er die Gläubigen auf,
sich den Kreuzfahrern anzusohheßen, und weist zu diesem Zweck auf
den verheißenen Ablaß hin. Dabei unterläßt er aber liicht, als Vor-
bedingung des A.blasses die Abkehr von der Sünde zu fördern. Daß
manche Kreuzfahrer diese Bedingung wirklich erfüllten , bezeugt
Bernhard selber, indem er. daran, erinnert, wie viele Sünder anläßlich
des Kjeuzzugs durch reumütige Beichte sich mit Gott ausgesöhnt
haben. Deshalb muntert er auch die andern Sünder auf, nicht zu
verzagen, sondern die Gnade, die ihnen " Gott so reichlich anbietet,
1 ,
apostolorum meritis talem impendit retributionem : eomm videlicet qui deliotorum
suorumpoeiiitentiamsvtmpserint, siinexpeditione illamorientur, peccata xaniversa
remisit; illorum autem, qui ibi mortui non' fuerint, et confessi sunt, -medietatem
donavit." - •
1 Bericht veröffentlicht von Bernheim in Zeitschrift für Kirchenrecht XVI
<1881) 150. Vgl. Hefele V 427.
2 Jaff6 8796. Migne CLXXX 1065 f.: „In peccatorum renaissionem in-
iungimus ut etc. ... Ulis qui taniisanotum tamque pemecessarium opus et
laborem devotionis intuitususcipere et perficere decreverunt, illam peccatorum
remissionera quam . . . papa Urbanus instituit . . . concedimus- et con-
firmamus . . . Peccatorum remissionem et absolutionem, iuxta praefati pra«-
decessoris nostri institutionem, omnipotentis Dei-et b. Petri apostolorum prinoipis
äuctoritate ,nobis a Deo concessa, talem concedimus, ut qui tarn sanctum iter
devote inceperit et perfecerit, sive ibidem, mortuus fuerit, de omnibus pecoatis
suis, de quibus corde contrito et humiliato confessionem susceperit, absolutionem
obtineat, et sempiternae retributionis fructum ab onmium remuneratore per-
cipiat." Eine gleichlautende Bulle erließ Eugen III. am 1. März 1146. Jaf f 6 8876.
3 Jaff6 9017. Migne CLXXX. 1203..
* Migne CLXXXII 564 ff. Mit diesem Schreiben stimmt fast wörtlich
überein der Brief an die Engländer, mitgeteilt von P. Hassow, Die Kanzlei
Bernhards von Clairvaux. Salzburg 1913, 91 f.
200 V. Die ältesten Kreuzzugsablässe.
sich eifrig zunutze zu machen. „Selig möchte ich preisen", so ruft
er aus, „das Gleschlecht, das ;Von einer so ablaßreichen Zeit ergriffen
wird, das dies mit Gott versöhnende und wahre Jubiläumsjahr noch
am Leben getroffen."^ Und indem er der hohen Güter gedenkt; die
so leicht erworben werden können, mahnt er den Leser: Wenn du
ein kluger Kaufmann bist, so beherzige wohl, welch vorteilhaftes
Geschäft ich dir anbiete ; laß die Gelegenheit nicht unbenützt-vorüber-
gehen. Nimm das Kreuz, und für alle Sünden, die du reumütig beichtest,
wirst du Nachlaß erhalten. Der Stoff kostet nicht viel beim Ankaufe ;
wird er aber in frommer Gesinnung auf die Schulter geheftet, so
erwirbt man damit unzweifelhaft das Himmelreich.^ Auch in dem
Schreiben an die Böhmen (1147) preist er die Kreuzzugszeit als ein
Jahr des Erlasses, ein echtes Jubiläumsjahr.^ ,, Nehmet das Zeichen
des Kreuzes, und für alle Sünden, die ihr reumütig beichtet, bietet
euch vollkommenen Ablaß an der Papst, der^^ Stellvertreter dessen,
zu dem gesagt worden ist: Was immer du lösen wirst auf Erden, das
soll auch im Himmel gelöset sein."*
Eine ganze Anzahl KieuzzugsbuUen erließ Papst Alexander III.
(1159 — 81). Die erste vom 14. Juli 1165 wiederholt nur, was den
Ablaß betrifft, die Erklärung Eugens III. vom Jahre 1145.^ Größere
^ „Beatam ergo dixerim generationem,^ quam appreheadit *tarti über in^
dulgentiae tempus, quam invenit superstitem annus iste placabilis Domino et
vere iubilaeiis." Migne 566.
2 ,,Si prudens meicator es, si conquisitor huius sa^culi, magnas quasdam
tibi nundinas indico, vide ne pereant. Suscipe crucis Signum, et omnium pariter
de quibiis corde icontrito confessionem feceris, indulgentiani delictorum obtinebis^
Materia ipsa si'emitur, parvi constat; si'devoto assumitor humero, valet'^ine
dubio regnum Dei." Migne ö67. Zu den Ausdrücken mercator, nundinae
und dergleichen, die mittelalterliehe Autoren in bezug auf den Ablaß und den
Himmel bisweilen gebrauchen, vgl. Thomas von Aquin, Sum. theol. 2. 2..
q. 100. a. 1 ad 3: „Regtium coelorum dicitur emi, dum quis dat, quod habet,
propter Deum, l^rgq sumptp nomine emptionis,secundum quod aocipitur pro-
Hieritp; quod taraen nqn pertingit ad perfectam rationem emptionis, tum qüia.
non sunt condignae pg/ßsiones huius temporig nee aUqua nostra dona vel operä-
ad futuram gloriam ... tum quia meritum non consistit principaliter in exteriöri
dono vel actu yel passigne, sed in interiori affectu." In demselben Sinne schreibt-
Johann von Freiburg, Summa Confessorum, 1.* I, tit. 1, q. 10: „Cum dicitiir
yita aeterna emi vel remissio peooatorum, metaphörica est looütio, qüia aocipitur-
pieritum pro emptione," Dieselben Ausdrücke finden sich schon bei den Vätern.-
Vgl. G. Uhlhprn, Die christliche Liebestätigkeit I, Stuttgart 1882, 273 ff ^:
ä Migne 653. Friedrich I 152 f. n. 150: ,,Audiat uhiversitas vestra
verbumi bonum, audiat verbum salutis et oblatam indulgentiäe copiam devbtis
quibusdam animae brachiis amplectatur. Neque enim est simile tenipus caeterisj.
quae hucusque praeteriere teraporibus. Nova venit e coelo diyinae miseratiönis
ubertas; beati, quos invenit superstite^ännus placabilis Domino, anhüs remis -
sionis, annus utique iubilaeus."
* ,,Suscipite signum crucis, et qimüura de quibus cprde opntrito con-
fessionem feceiritis, plenam indulgentiam deliotprum hanc vobissiinuniis pontifex
offert . . . Suscipite munus oblatum, et ad irrdcupierabilem induigentiae f aoiiltatem
alter alterum prae venire festinat."
5- jaff^ 11218. Migne CC 384 ff.
V. Die ältesten Kreuzzugsablässe. 201
Beachtung verdient die zweite Bulle vom 29. Juli 1169. Dies Schreibea
zeigt, wie der „Sündenerlaß" (remissio peccatorum), von dem iii den
angefiihrten Kreuzzugsbullen schon öfters die ß-ede war, aufzufassea
sei. Es handelt sich dabei nicht um einen Erlaß der Sündenschuld,,
sondern um eine Nachlassung der, für die Sünden auferlegten Buß-
strafen. Denjenigen, die. aus Liebe zu Gott die Palästinafahrt unter-
nehmen, erklärt der Papst, erteilen wir jenen Erlaß der vom Priester
auferlegten Buße, den unsere Vorgänger Urban und Eugen erteilt
haben. , Wer zwei volle Jahre gegen die Ungläubigen dient, dem solL
die gesamte auferlegte Buße erlassen sein; wenn, er seine Sünden
reumütig , beichtet, so ersetzt der Kriegsdienst für ihn die erforderte
.Genugtuung und genügt zur Nachlassung der Sünden. Dient aber
jemand hur ein Jahr, so .soll ihm bloß die Hälfte der auferlegten Buße
erlassen sein.^ Mit diesem Schreiben stimmt eine spätere KJreuzzugSr
bulle vom 16. Januar 1181 fast wörtlich überein, nur daß der in der
früheren Bulle verheißene „Erlaß der auferlegten Buße" jetzt ein
Ablaß der Sünden, eine. Nachlassung aller bereuten und gebeichteten
Sünden genannt wird.^ Dieselbe .Verschiedenheit zeigt sich in der
Bezeichnung des partiellen Ablasses, der jenen verheißen wird, die
nur ein Jahr gegen die . Sarazenen dienten. Während in der BuUe
von 1169 den Kreuzfahrern ein Nachlaß der HäKte der auferlegten
Buße verheißen wird, heißt es in dem Schreiben von 1181, sie soUen
von der Hälfte der auferlegten Buße Nachlassung ihrer Süiideh er-
halten.^ In beiden Bullen wird den Kreuzfahrern, wenn auch mit
andern Worten, derselbe Ablaß erteilt.*.
Einen weiteren Kreuzzugsablaß erteilte Alexander III. in den
Jahren 117,1 — 72 für die Beteiligung an einer Expedition gegen die
heidnischen Esthen. Denjenigen, die im Kampfe fallen würden, stteHte
der Papst den Erlaß aller Sünden in Aussicht; den Überlebenden,
^ Jaffe 11637. Migne CC 600 f.: „Ulis qui pro divinitatis amore laborem.
huitis prof ectionis assumere et, quantum in se f uerit, implere ' studuerint . . .
illam remissionein impositae poenitentiae per sacerdotale mini-
sterium facimus, quam Urbanus et Eugenius . . . statuisse nosountur, ut videlicet
qui . . . suscepta poenitentia biennio ibi ad defensionem terrae permanserit . . ..
remissionem iniunctae poenitentiae se laetetur adeptum, et cum con-
tritione cordis et confessione oris profectionem istam satisfactionis loco ad
suorum hanc indulgentiam peccatorum [sufficere] sciat . . . Qui vero per annum
in hoc labore permanserit, exoneratum se de medietate satisfactionis im-
positae auctoritate apostolica recognoscat." .
^ Jaffe 14360. Migne 1294 ff.: „Ulis qui pro Christo huius viae laborem
assumpserint, illam indulgentiam peccatorum, quam . . . Urbanus et Eugenius-
statuerunt . . . concedimus ; . . De lesu Christi pietate . . . confisi, eis omnium
suorum de quibus corde contrito et humiliato confessionem susceperint, ab-
solutionem facimus delictorum."
^ ,,De medietate sibi iniunctae poenitentiae indulgentiam et remissionem
suorum obtineant peccatorum."
* In einem Schreiben vom 16. Januar 1181, worin die Bischöfe aufgefordert
■werden, die Kreuzbulle zu verkünden, nennt Alexander III. den verheißenen
Ablaß „remissionem et indulgentiam peccatorum" oder auch einfach „remissionem
peccatorum". Migne 1296 1297. Jaffe 14361.
202 V. Die ältesten Kreuzzugsablässe'.
aber wurde bloß ein Erlaß von 1 Jahre zugesagt.^ Etwas anders lautet
der Ablaß; den Alexander III. im Jahre 1179 auf der dritten Lateran-
synode für einen Kreuzzug gegen die Albigenser und die bewaffneten
Bänden- welche in Frankreich und Spanien ihr Unwesen trieben,
bewilligte;. Denjenigen, die während "des' Krieges mit reumütiger
Gesinnung sterben sollten, wurde die „Nachlassung der Sünden" und
der himmlische Lohn verheißen.^ Den übrigen Teilnehmern, wurde
ein Bußerlaß von 2 Jahren bewilligt; doch sollten die Bischöfe jenein,
die längere Zeit dienten, einen größeren, ihren Mühen entsprechenden
Ablaß erteilen können.^ ' ' ' V , '
Unter Alexander III. wurde in englischen Gebieten auch für Geld-
l)eiträge zu Kreuzzugszwecken ein Ablaß verlieheii. Im Frühjähr 1166
hätte König Heinrich II. mit Zustimmung der Bischöfe und Barone
eine KJreuzzugssteuer ausgeschrieben.* Denjenigen, welche die ge-
forderte Steuer oder den als-,, Almosen" bezeichneten Beitrag gewissen-
haft entrichteten, wurde ein Drittel ihrer Buße nachgelassen.^ ' Zur
Aufnahme des Geldes sollten in den Kirchen Opferstöcke aufgestellt
werden, die zur • größeren Sicherheit mit drei Schlössern' zu versehen
wareh.^ Die später so berühmt gewordenen „Geldkästen" waren
demnach schon um die Mitte des 12. Jahrhunderts in Gebrauch.
Alexanders Nachfolger Lucius III. (1181 — 85) hat im November
1184 die oben erwähnte Kreuzzugsbulle vom 16. Januar 1181 bloß
erneuert.'^
^ Jaff6 12118. Migne 81: „Nos'eis qui adversvis diotos paganos potenter
et magnanimiter decertaverint, de peocatis suis de quibus confessi fuerint et
poenitentiam acceperint, remissionem unius anni, oonfisi de misericordia Del
«t meritis apostolorum Petri et Pauli concedimus, sicut bis qui sepulcrurpi domi-
niöum visitant, ooncedere consuevimus. Ulis autem qui in conflictuillo decesserint,
omnium suiorum, si poenitentiam acceperint, remissionem' indulgemus
peccatorum."
^ Mansi XXII 232: „Cunctis fidelibus in remissionem peccatorum omnium
iniungimus, ut tantis cladibus se viriliter opponant . . . Qui autem in vera poeni-
tentia ibi decesserint, et peccatorum indvilgentiam et fructum mercedis aeternae
non dubitent se percepturos."
; ä Ebd. 233: „Nos etiam de misericordia Dei . . . confisi, fidelibus christianis
qui contra eos arma susceperint . . . biennium de poenitentia iniuncta relaxamus;
aut si longiorem ibi moram habuerint, episcoporum disoretioni . . . committimus,
ut ad eorxmi arbitritun secundum modum laboris maior eis indulgentia tribuatur."
f Das Ausschreiben hat Gervasius von Canterbury in seine Chronik auf-
genommen. The historical works of Gervase of Canterbury I, London 1879,
1'98 f. [Rerum britannicarum medii aevi Scriptores LXXIII],
^ „Oondonata est tertia pars poenitentiae suae om.nibus qui f ideliter de
rebus suis hanc elemosinam persolverint." S. 199.
' „Erit truneus in ecclesiis, ubi quisque post iuramentum ita fideliter
inittet, rebus suis diligenter mimeratis . . . Truneus habebittres olaves." S. 199.
' Kehr in Göttinger Nachrichten 1899, 329. ; Kehr läßt es. iinentsphieden,
ob die Ernetierung. im November 1184 oder 1185 stattgefunden, habe; es m.uß
aber schon 1184 geschehen sein, da Lucius III. in einern Schreiben , vom 19. jDez.
1184 an die Johanniter den von ihmi bewilKgten allgem.einen; Kreuzzugsablaß
erwähnt: „Concedimus ut illius indulgentiae generalis, qua ceteris: fidelibus pro
subventione illius terrae providimus, speciali participatione gaudentes, sicuti
estis laborum participes, ita etiam sitis in: ipsius indxdgentiae perceptipne oon-
sortes." Delaville I 465 f. n. 712.
V. Die ältesten "Kreuzzugsablässe. 203
■ Im Jahre 1184 haben die Bischöfe der Nofmandie, sich
stützend auf ein ' Schreiben des Papstes Lucius III.'/ eine wichtige
Anordnung getroffen. Von deii' Königen Philipp II. von Frankreich
und Heinrich IT. von Eiigland war daiüals eine Kreuzzugssteuer auf-
erlegt worden.^ Denjenigen nun, welche die vorgeschriebene Steuer
•entrichteten, erteilten' die normannischen' Bischöfe- auf einer Ver-
sammlung, welcher der Köiiig-von England mit seinen Barbhen' und
dem päpstlichen Legaten Albert de' Summa beiwohnte, folgenden
Ablaß: Den Pönitenteny die- eine Bußevoii 7 Jahren zu verrichten
hatten, wurden 3 Jahre erlassen; jene aber, denen für schwere Sünden
■eine geringere Buße auferlegt worden war, erhielten einen Erlaß von
2 Jahren; zudem wurde die Strafe für alle vergessenen Sünden nach-
gelassen, ebenso für alle läßlichen Sünden. Doch sollten' jene, die
•sich letzteres Privilegium zunutze machen woUten, als Büße 3 Vater-
unser beten und '3 Almosen spenden; die Armen brauchten kein
Almosen zu geben, mußten aber 3 weitere Vaterunser beten. ^
Voii Urban III. (1185 — 87) ist keine Kreuzbulle bekannt. Ein
•angebliches Schreiben ' Urbans, worin deii Kreuzpredigern derselbe
ToUkommerie Ablaß wie den Kreuzfahrefn verheißen wird, ist als
Eälschüng zu betrachten.^
Gregor VIII. (21. Okt. bis 17., Dez! 1187) hat, zur Vorbereitung
•des dritten Kreuzzugs mehrere selbständige Schreilben erlassen.* In
■einer Bulle vom 29. Oktober {Audita tremendi) verhieß der Papst
den Kreuzfahrern, die während des Zuges in reuinütiger Gesinnung
«terben sollten, vollkommene Nachlassung ihrer Sünden uiid das ewige
Leben ;^ aber auch den Überlebenden sollte die auferlegte Buße für
1 A. Cartellieri, Philipp II. •August,1 König von Frankreich II, Leipzig
1906, IB f.
^ Mansi XXII 485 f.: „Auctoritate litterarum domini papae subnixi . . .
•episoopi Normanniae in suis episcopatibus hoc instituerunt: Ut quicunque elee-
mosynam quae ordinata est äd subventionem terrae 'Hierosolymitanae trans-
miserint, talem de iniuncta poenitentia veniam consequankir : i. Si in poeni-
tentia fuerint quae 7 annos excedat, '3 annörum venia gaudebunt. 2. Si in poeni-
tentia vel minori fuerint pro criminali, 2 annorum veniam habebunt. 3. Peccata
vero de quibus homo recordari non poterit, omnia relaxantur, dummodo de
■contemptu poenituerit. 4. Venialia quoque oronia sub tali poenitentia condonant:
üt unusquisque qui eleemosynam istam solvent, ter in die vel in nocte Pater
noster dicat, pro Salute vivorum' semel, pro pacse semel et semel pro requie de-
iunotorum. Tres quoque eleemosynas unusquisque facere tenetur, ut hanc
ändulgentiam oonsequatur, si facere poterit. Si vero ea paupertate laborat," ut
•eleemosynas illas facere nön possit, ter iterum. Pater noster pro consequenda
ccemissione dieere tenetur."
3 Loewenfeld 232. Jaffe 15756.
* Über die Bulle Nuntio cladis HierosoUmitanae vom 24. Oktober 1187
'(Jaffe, 16013), die wohl unecht ist, vgl. Cartellieri, Philipp August von Frank-
reich II 268 ff, ' '
^ Jaffe 16019. Migne CCII 1542: „Eis autem qui corde contrito et humi-
liato spiritu itineris htiivis laborem assumpserint, et in poenitentia pe'ccatorinn et
fide recta decesserint, plenam suorum criminum indulge'ntiam et vitam
poUicemur aetemam." '
204 Yv Die ^, ältesten Kreuze
alle ihre Sünden erlassen werden.^ Gregor. VIII. führte zudem eine-
wichtige Neuerung ein, indem er nicht bloß denjenigen, die sich per-;
sönlich am Kreuzzuge beteiligten, sondern auch jenen, die sich durch
einen andern vertreten ließen, oder Geldbeiträge spendeten,
Ablaß erteilte. Wohl hatte schon im Jahre 1125, wie oben bemerkt-
worden,^ eine spanische Synode jenen, die nach ihrem Vermögen sich
durch andere vertreten lassen würden, den vollkommenen Ablaß zu-
gesagt. Ebenso hatten in den Jahren 11,66 und 1184 Bischöfe für die
ge|wissenhafte Entrichtung der von, Heinrich II. von England, aus-
geschriebenen Kjreuzzugssteuern einen partiellen Ablaß erteilt.. Seit
Innozenz II. war es auch Sitte, daß die Päpste den Wohltätern der
Johanniter und Templer, dieser besonderen Verteidiger des Heiligen
Landes, den siebten Teil der Buße erheßen. In den KreuzzugsbuUen.
war aber bisher der Ablaß bloß für die persönliche Kreuzfahrt ver-
liehen worden. Gregor VIII. ist der erste ^|*apst, der auch für Beiträge
zur Unterstützung der Kreuzzugssache Ablässe bewilligte. > Der Wort-
laut dieser Bewilligung hat sich leider nicht erhalten;^ sie wird, aber
erwähnt von Gregors Nachfolger Klemens III., der ausdrücküch von
dem Ablaß spricht, den zuerst Gregor VIII. für Unterstützung des-
ILreuzzugs erteilt habe.* Aus einem späteren Schreiben dep Papstes-
Honorius III. vom 4. Dezember 1217 erfährt man auch, daß Gregor VIII.
den Einwohnern von Lucca, die den vierzigsten Teil ihres Vermögens,
für die Kreuzzugssache- opfern wollten, den vollkommenen Ablaß be-
willigt hat.^
^ „Sive autem super vi xerint, sive mortui fuerint, de omnibus pecoatis-
suis, de quibus rectam oonfessionem fecerint, impositae satisf actionis
relaxationem de omnipotentis Dei misericordia et apostolorum Petri et Pauli
auctoritate: et nostra se noverint habituros."
■ ' a Oben S. 198. ' ' ; , . i
* Sie stand wohl in der Kreuzzugsbulle ,,Qwwr)>dmm,^ vom
29. November 1187, von der, bei J. Langebek, Scriptores rermn D
Hauniae 1783, 345 f. ntu* der Aniang abgedruc^ isi;. Ja<ffe 16073. ; .
* Von; Gregors Bulle hat sich eine längere Stelle, erhalten in, einer späteren
Dekretalensammlung (Friedberg, Quinque oompilationes antiquae. Lipsiae
,1882, 75. Comp. II, tit. 16, c. 4), abgedruckt bei Mi gheCCIIl^
night vom Ablasse, so ist doch darin die Rede von andern, Pri>^legien,,(^^
Gregor VIII. sowohl den Kreuzfahrern selbst als jenen, welche (üenötigesn
.träge zur Ausrüstung eines .Mannes spendeten , (illis qui se vel auxilitiin dederint
ad succurs\im terrae lerosplymitanaß parändmn umvtö yiri),^^
^ Eine Abschrift des betreffenden Schreibens, das im Va^tikaiiischen Archiv
sich vorfindet imd von dem Pressutti (Regesta- Hbnorii III. n. ;9p0) nur ein,
kurzes Regest mitteilt, verdanke ich Herrn Dr. E dm. Stein. Es ist gerichtet,
an den Erzpriester Hugolinus von Lucca und lautet: „Dilecti filii crucesignati ,.,...
postularunt, ut cum Lucani, qui non receperunt signaculum crucis, conferre
velint bonorum suorum. quackagesimum in terre sanote succiirsum, id eis iuxta.
quod fei, röc, Gregörius papa predecessor npster olirn crucesignatis
Lucanis indulsit, in remissionem omhium peccaininum mandaxemus. :Nos
igitur eorum petitioni sie duximus annuendum, ut. si crucesignatis; dumtaxat
exceptis Lucani hoc fecerint, quod häctenus yoluisse dicuntur, et yeram acceperint
penitentiam de commissis, id eisdem auctoritate nostra denuntietis fpre con-
cessum." : : .
V. Die ältesten Klreuzzugsablässe. 205
Die voü Gregor VIII. begonnenen Bemühungen setzte nach dessen
Tod^ Klemens III. (1187—91) eifrig f ort. ' Er erließ zunächst, wohl
im Anschluß an das nur unvollständig erhaltene Sehreiben seines Vor-
gängers,' eine neue KreüzzugsbuUe, die zwar nicht auf uns gekommen
ist, auf die aber Klemehs selbst in seinem Briefe vom 10. Februar 1188
an den Erzbischof von Cänterbury'urid dessen Suffragane^, hinweist.^
In diesem Briefe verheißt der Papst' für die persönliche Teihiahme am
Kreuzzüg eineü vollkommenen AblaJ3.^ Die Höjbe des für Beiträge "zu
verleihenden 'Ablasses sollte' der Erzbischof von Canterbury zu be-
stinimen haben.* Ähnliche Schreiben richtete der Papst auch an
andere Kirchenfürsten,^ so unterm '27. Mai 1188 an den Erzbischof
von Genua.®
Um die' nötigen Mittel für den Kxeuzzug aufzubringen, ver-
ordneten die Könige von England und Erankreich, die im Januar 1188
bei' einer Zusammenkunft in der Nbrmahdie miteinander das Kreuz
genommen' hatten,' daß ihre Untertanen den Zehnten von dem Ein-
kommen eines' Jahres und den beweglichen Gütern zu entrichten
hätten.' Indem die englischen und französischen Bischöfe in einem
geineinsamen Schreiben dies Eiide Jaiiuar 1188 zur Kenntnis der
Gläubigen' brächten,® erinnerten sie däraii, wie der Papst für die per-
sönliche 'Teilnahme am Kreuzzuge die gesamte Buße für die reumütig
gebeichteten Sünden erlassen habe.^ Sie selber schenken allen, die
^ Mitgeteilt von Giraldus Cambrensis VIII 236 ff. Dasselbe Schreiben
:ging wohl auch an. die französischen Bischöfe. Vgl. Cartellieri, Philipp II.
August II 51.' J. Geyer, Papst Klemens III. Bonn 1914, 30.
, 2 Giraldus, VIII 237: „Rogamus vos . . . quatenus vos ipsi ad succursxun
eiusdem provinciae tarn in personarum quam rerum missione auxilia competentia
transmittatis . . . Subieotos quoque vestros efficaciter inducatis ad hoc ipsum
agendmn, ut cxun vos et illi sooii fueritis passionis, debeatis esse ... et participes
consolationis ao. remissionis illius quae , prof iciscentibus illuo vel congrua
suffragia transmittentibus prius a praedecessore nostro b. memoriae
Gregorio papa et postmodum a nobis generaliter est indulta."
^ Giraldus 238: „Quicunque vere poenitens in persona propria illuo
iverit, remissionem habebit omnium peccatorum."
* ,,Qui vero de rebus suis oompetens subsidium direxerint ad partes eas-
dem sive pro se aliquem miserint . . . arbitrio tuo, Jrater archiepiscope, com-
mittimus de remissione peccatorum, considerata quaütate personae subventionis-
que quantitate pensata, ipsis vere poenitentibus concedenda."
^ Giraldus VIII 236 schreibt: „Summus Pontifex per varias, immo fere
«unctas orbis christiani partes non indebite f ideles ad terrae sacra« subventionem
litteris ao nimtiis invitavit."
« Jaff 6 16252. Abgedruckt bei Pflugk-Harttung III 363. Stimmt fast
wörtlich mit dem Schreiben vom 10. Februar überein.
' Roger de Hoveden, Chronica III, London 1869, 335 [Rerum bri-
tannicarum Scriptores LI].
8 Mitgeteilt von Wilhelm von Newburgh, Historia rerum anglicaruml,
Lojidon 1884, 273 [Rer. brit. Scriptores LXXXII]. Vgl. dazu Cartellieri,
Philipp- II. August II 55 ff.
* „Ordinavit, quod a die qua quislibet crucem aoceperit totius poenae sibi
iniunptae habebit döpöQcatis suis de r^^^^ poenitens fuerit et confessus, et
similiter de oblitisj re]axationem,";Vpii feinem Erlaß der vergessenen Siinden.
ist in dem erhaltenen Schreiben Gregors VIII. und KlemensMII. nicht aus-
206 V. Die. ältesten. -Kreuzzuesäblässe.
den Zehnten vorschriftsmäßig abliefern, die Hälfte, der Buße;, zudem,
erteilen sie Nachlaß für den bisher nicht gegebenen Zehnten sowie für
die vergessenen Sünden.^ , , , < < .
Cölestin III. (1191 — 98) hat ebenfalls zur .Förderung des Kjeuz-
zugs mehrere Schreiben erlassen. Beachtenswert ist besonders das
Schieiben vom 25. Juli 1195 an Erzbischof Hubert von,Canterbury,
das inhaltlich mit den Kreuzzugsbullen seiner, beiden Yorgänger xpllig
übereinstimmt. Für die. persönhche Teilnahme am Zuge wird ,ein voll?
kommener Ablaß verheißen; bezüglich der Almosengeber wird. der
Umfang des zu erteilenden Ablasses dem Gutdünken ,der Bischöfe
anheimgegeben.^ Etwas kürzer ist das Schreiben vom 1. August ,1195-
an die Bischöfe Deutschlands.^
Einmal hat Cölestin III. den vollkommenen KJreuzablaß, aber nur
für den Fall des Ablebens, auch Personen »verheißen, die weder am
Zuge persönlich teünahmen noch Geldbeiträge spendeten. Der Bischof
Hugo von Durham hatte das Geliibde abgelegt, die Palästinafahrt
mitzumachen. Nun wünschte, aber Richard, Löwenherz, der ^damals
selber noch im Heiligen Lande sich befand, daß bis. zu seiner Rückkehr
nach England der Bischof zu Haus,e bleibe, um für die Angelegen-
heiten des Königreichs Sorge zu tragen. Dem Wunsche des Königs
nachkommend, befahl der Papst am ,4. Dezember 1192 dem englischen
Prälaten, die Ausführung seines G«liibdes bis zur Rückkehr Richards-
aufzuschieben. Auch andere, die mit dem Bischof das Kreuz ge-
drücklich die Kede; doch war ein solcher Erlaß in dem vollkommenen- Ablasse
mit eingeschlossen. In der Verordnung des Königs von England ist bloß die
Rede von einem vollkommenen Ablasse : ,,Statutum est a domino papa, quod
quiounque clericus vel laicus crucem snsceperit, ab omnibus peccatis de quibus-
ppenituerit et confessus fuerit, auctoritate Dei et b. apostolormn Petri et Pauli
liberatus est et absolutus." Roger de Hoveden 11 336. Dasselbe berichten
Gervasius von Canterbury, Chronica I, London 1879, 409, und der an-
gebliche Benedikt von Peterborough, Gesta regis Henrici. II, London
1867, 31 [Rer. brit, SS. XLIX].
^ Wilhelm von Newburgh I 273: „Omnibiis hanc decimam legitime
reddentibus, de misericordia Dei confisi, medietatem poenae sibiiniunctae con-
donamus, remissionem nihilominus facientes et de decimis hucusque non legitime
datis et de peccatis obHtis."
2 Jaffö 1727. Migne CCVI 1109: „Nos autem illis qui pro divinitatis
amore laborem huius profeotionis assumere et quantum in se fuerit implere
Btuduerint, de Indulte nobis a Deo auctoritatis officio illam remissionem impositae
poenitentiae per sacerdotale ministerium facimus, quam praedecessores nostri
noscuntur suis temporibus statuisse, ut videlicet qui corde contrito et humiliato
spiritu laborem huius itineris assumpserint, et in poenitentia peccatorum et fide
reota decesserint, plenam. suorumL criminum indxügentiam et vitam praeter hoc
consequantur aeternam. Sive autem supervixerint sive mortui fuerint, de omnibus
peccatis suis de quibus fuerint recte confessi, impositae satisfactionis relaxationem
de omnipotentis Dei misericordia et apostolorum Petri et Pauli auctoritate et
nostra se noverint habituros . . . Uli autem qui in subsidium terrae illius de bcmis
STiis transmiserint, de peccatis suis veniamconsequenturiuxtasuorum moderamina
praelatorum."
ä Jaff6 17274. H. Sudendorf, Registrum. oder m.erkwürdige Urkunden
lür die deutsche Geschichte I, Jena 1849, 84.
y. Die ältesten Kreuzzugsablässe. 207
nommen ,und_ deren Dienste dieser benötigt sein würde, konnten die
Heimkehr des Königs abwarten. Würde aber inzwischen einer von
ihnen sterben, so, sollte er desselben Ablasses .teilhaftig; werden, den
jene gewinnen konnten, die persönlich am' Kreuzzuge teilnahmen.^
Die Entwicklung des Kreuzzugsablasses fand ihren Abschluß mit
Innozenz III.. (1198 — 1216). Gleich im ersten Jahre seiner Regierung
erließ dieser, Papst, an die Christenheit einen Aufruf, den , er in den
folgenden Jahren mehrmals wiederholte und jedesmal mit_der üblichen
Verheißung von Ablässen unterstützte.^ So kam der .vierte, Kieuzzug
zustande, der. 1204 mit der, Eroberung Konstantinopels endigte. Dem
Papste lag aber vor allem die Befreiung Jerusalems am Herzen. Im
Jahre 1213 rief er wieder die gesamte Christenheit zum heiligen EJriege
auf.^ Auf der Lateransynode von, 1215 wurden nähere Bestimmungen
für .einen neuen Zug getroffen. Wie schon in den Kreuzbullen, die
Innozenz III. früher veröffentlicht , hatte, wurde den Teilnehmern,
mochten sie auf, eigene oder fremde Kosten ausziehen, die volle Nach-
lassung der reumütig gebeichteten Sünden verliehen und, eine Mehrung
des ewigen Lohnes versprochen.* Derselbe vollkommene Ablaß sollte
jenen. zuteil werden, die auf ihre Kosten. Stellvertreter senden würden;
für Geldbeiträge oder,:Sonstige Hilfe wurde ein partieller Ablaß ver-
heißen, dessen Höhe nach, der geleisteten Hilfe und der frommen
Gesinnung des Spenders sich regeln; sollte.^. ; Hiermit hatte die Be-
willigung des. Kreuzzugsablasses ihre definitive Form- erhalten; in den
späteren KjeuzzugsbuUen begnügte man sich gewöhnlich, auf das
Kreuzzugsdekret der vierten Lateransynode hinzuweisen.
Wie für die Palästinafahrt, so. hat Innozenz auch für den Kampf
gegen die Mauren in Spanien mehrmals den vollkommenen Ablaß
verliehen.® Ebenso hat er im Jahre 1199 denjenigen, die Markward,
^ Jaffe 16931. Historiae Dunelmensis Scriptores tres. London 1839.
Appendix LXIV [Publioations öf the Sürtees Society IX]: „Si-vero interiiii
aliquem ex vobis viam universae camisin bona confessione oontigerit ingredi,
illius remissionis de. apostolicae sedis indulgencia particeps habeatur, quae in
persona propria laborantibus est indulta."
2 Potthast 320 347 407 922 935. Migne CCXIV 265 311 375 832 834.
3 Potthast 4725. Migne CCXVI 818.
* Mansi XXII 1067: „Nos de omnipotentis Dei misericordia . . . confisi . . .
plenam suortun peceaminum, de quibus veraciter iuerint.corde contriti et ore
confessi, veniam indulgemus et in retributione iustorum salutis aetemae poUi-
cemur augmentum."
, ^ ,,Huius quoque remissionis volumus et concedimus esse participes iuxta
qualitatem subsidii et devotionis affectum onrnes, qui ad subventionem ipsius
terrae [sanctae] de bonis suis congrue ministrabunt aut consilium et auxilium
impenderint opportuntun." Zur Aufnahme des Geldes sollten in den Kirchen
mit drei Schlüsseln verschlossene Opferstöcke aufgestellt werden, wie der Papst
in der Kreuzbulle von 1199 vorschreibt: „In singulis ecclesiis truncum concavum
poni praecipimus, tribus clavibus consignatum ... et in eo fideles quilibet . . .
suas eleemosynas deponere in. remissionein suorum peceaminum moneantur;"
Migne CCXIV 830. Diese Verordnung ist in späteren Bxillen oft wiederholt
yerden. Dieselbe Maßregel hatte man, wie oben S. 202 bemerkt wvirde, in
England bereits im Jahre 1166 getroffen.
• Pot hast 3559 4184 4375. Migne CCXVI 353 380 513.
■208 V; Die ältesten' Kreuzziigs'ablässe;
der in Sizilien die Vormundschaft über Friedrich, den unmündigen
Sohn Heinrichs VI. sich angemaßt hatte und die rechtmäßige Re-
gierung des Landes, eines Lehens des Apostolischen' Stuhles, angriff ,i
bekämpfen würden, denselben Ablaß verheißen, den die Kreuzfahrer
im Heiligen Lande gewinnen konnten.^
Eine besondere Beachtung verdient der Ablaß, den Innozenz III.
wiederholt für die Kreuzfahrt gegen die Albigens er verliehen hat.
Anfänglich hat er im Jahre* 1198 jenen, welche die päpstlichen Legaten
in ihrem Vorgehen gegen die südfranzösischen ' Häretiker unterstützen
würden, bloß den nicht näher bestimmten Ablaß bewilligt, der den
Pilgern nach Rom oder Compostela in Aussicht gestellt war.^ Später
aber, z. B. in den Jahren 1204 und 1207, lautete die Verheißung:
Denjenigen, die gegen die Albigenser kämpfen, soll dieselbe ,, Nach-
lassung der Sünden" oder derselbe Ablaß wie den Kreuzfahrern nach
Palästina zuteil werden.* In weiteren ^Schreiben aus den Jahren 1208
und 1209 an die französischen Bischöfe erklärt der Papst, die Kreuz-
fahrer gegen die Albigenser sollen wissen, daß ihnen, falls sie wenigstens
40 Tage dienen,^ von Gott und dessen Stellvertreter die „Nachlassung
der Sünden" erteilt werde, so zwar, daß die Heerfahrt als hinreichende
Genugtuung für die reumütig gebeichteten Sünden zu gelten habe.^
Die hier gebrauchte Formel erinnert an die oben angeführte Kjeuz-
augsbulle Alexanders III. vom Jahre 1169. Sie zeigt aufs neue, daß
der von den Päpsten bewilligte ,, Sündenerlaß" nicht als eine Nach-
lassung der Sündenschuld, sondern als ein Erlaß der Sünderistrafen
aufzufassen sei.
In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts bürgerte sich eine
Sitte ein, die in der Folgezeit noch weiter sich ausdehnen sollte, die
Sitte nämlich, daß man sich gegen Zahlung einer angemessenen
Summe vom Kreuzgelübde dispensieren lassen konnte. Schon
beim ersten Kreuzzuge hatte es Fälle von Gelübdeablösung gegeben.
Herzog Thierry von Lothringen hatte im Jahre 1096 das "Kreuz ge-
nommen. Da er aber wegen EJränldichkeit nicht ausziehen konnte.
1 Vgl. Michael VI 15.
^ Potthast 877. Migne CCXIV 782,
^ Potthast 95. Migne CCXIV 83: „lUam pecoatoxuai suorum indul-
gentiam concedentes, quam b. Petri vel lacobi limina visitantibus indulgemus."
* Potthast 2226 2229 3223. Migne COXV 360 362 1247. Ähnlich lautet
die Verheißung der Lateräiisynode von 1215. Mansi XXII 987. Aufgenommen
in die Dekretalensammltuig Gregors IX. c. 13. X. de haeret. V. 7.
^ Es kam häufig vor, daß Lehnsherren ihre Vasallen aiiff orderten, mit
ihnen in den Krieg zu ziehen. Die Dauer des schuldigen Leimdienstes belief
sich damals auf 40 Tage. War diese Zeit abgelaufen, so konnten die Lehnsmänner
heimkehren. Auf diese Sitte nahm der Papst Rücksieht, indem er einen voll-
kommenen Ablaß für den 40tägigen Dienst bewilligte.
• Potthast 3828. Migne COXVI 159: „Scientes remissionem pec
caminum a Deo eitisque vicario xiniversis indultam . . . ut eis labor tam sanctus
ad operis satisfactionem sufficiat super illis offensis, pro quibus cordis
contritionem et oris confessionem veram obtulerint verö Deo." Vgl. Migne
CCXV 1356 1470. Potthast 3324 351 L
V. Die ältesten Kreuzzugsablässe. 209
ließ er sich durch den Bischof von Toul und den päpsthchen Legaten
Bichard von Albano von seinem Gelübde dispensieren.' Als Ersatz
mußte er vier Reiter und einen' Armbrustschützen ausrüsten.^ Ähnliche
Pälle werden wohl im Läufe der Zeit häufig vorgekommen sein. Nähere
Mitteilungen darüber finden sich indessen in päpstlichen Schreiben erst
gegen Ende des 12. Jahrhunderts.
In betreff eines Grafen, der das Kreuz genommen hatte, schreibt
einmal Klemens Uli an den zuständigen Bischof, dieser solle den
Grafen auffordern, sein Gelübde,' wenn möglich, persönlich zu erfüllen
oder als Ersatz dafür jene, die nach Jerusalem ziehen, mit Geld-
mitteln zu versehen.^ Hier handelte es sich zwar nur um einen ein-
zelnen Fall. Daß aber solche Gelübdelösungen damals nichts Seltenes
waren, bezeugt Giral du s von Cambrien, der im Jahre 1189 oder 1190
als Archidiakon von St. Davids mitsamt seinem Bischöfe und andern
Walisern durch den KardinaiUegaten Johann von Anagni, Bischof von
Palestrina, vom Kreuzgelübde dispensiert wurde .^ Zeitgenössische
englische Chronisten berichten auch, daß Richard Löwenherz, der
im Jahre 1190 den Kreuzzug antrat, von Klemens III. erwirkte, daß
jene, die er zur Verwaltung des Königreichs zu Hause lassen wollte,
von dem Kreuzgelübde entbunden sein sollten.* Auf diese Weise,
fügt einer der Chronisten bei, habe sich der König überaus viel Geld
verschafft.^
1 Calmet, Hlstoire de Lorraine IP, Nancy 1748, 240.
2 Jaffe 16552. Migne CCIV 1500.
^ Giraldus teilt in einer seiner Schriften (Opera I 84) das Absolutions-
schreiben (litteras absolutorias), das ihm der Legat ausgestellt hatte, mit; darin
heißt es unfer anderm: „Nos paupertati tam praedictorum episcopi et archi-
diaconi quam aliorum Walensium, qui ad votum praeconceptum peragendum per
se non sufficiunt, taliter duximus consulendum: Quod in propriis personis ire
non possint, de bonis divinitus sibi coUatis lerosolimam euntibus tribuant . . .
Praefatos quoque episeopum et archidiaconum. propter aetatis defectum vel
paupertatem, a praetaxato itinere lerosolimitano auctoritate nobis concessa sub
eadem dispensatione duximus absolvendos et penitus denuntiamus absolutes;
ista tarnen conditione quod lerosolimam accedentibus auxilium praebeant et
adiutorium.. Illud item de populo sibi commisso facimus." Johann von Anagni
ist im März 1189 nach England gesandt und Ende 1189 oder zu Anfang des
Jahres 1190 zurückberufen worden. Jaffe 16388 16544.
* Richard von De vizes erzählt in seiner Schrift „De rebus gestis Ricardil"
bei R. Howlett, Chronicles of the reigns of Stephen, Henry II and Richard I.
Vol. III, London 1886, 386 [Rerum britan. medii aevi Scriptores LXXXII],
König Richard" habe vom Papste die Vollmacht erhalten, „ut cuicunque vellet
de suis crucem detraheret, suae reipublicae ratione regendae". Der Chronist
nennt auch drei Beamte, die auf diese Weise vom Kreuzgelübde entbunden
wurden und das für die Kreuzfahrt bestimmte Geld dem König überließen.
Befremdlich ist es aber, daß diese drei Männer später bestritten, jemals eine
Dispens erbeten oder erhalten zu haben. Vgl.- das Schreiben Innozenz' III. vom
Jahre 1202 an den Bischof von Ely. Migne CCXV 1089. Potthast 1733. .
^ Roger de Hoveden, Chronica III 17: „Interim Ricardus rex Angliae
naissis nunciis suis ad dementem papam obtinuit ab eo litteras patentes, ut
quosouuque ipse vellet dimittere ad terras suas custodiendas, essent ' quieti a
captione crucis et ab itinere lerosolimitano, imde ipse sibi inaestimabilem ac-
quisivit pecTUiiam." ■ ! , j' f
Paulus, Geschichte des Ablasses. 14
210 Yi Die ältesten vKreuzzugsablfe^
Unter Gölestin III. war von Erzbischof Hubert von Canterbury-
nach Rom berichtet . worden, daß in England manche, welche das
Kröuz genommen hatten, sich der Ausführung ihres Gelübdes zu ent-
ziehen suchten, während andere wegen Krankheit oder Armut die
Kreuzfahrt nicht unternehmen -könnten. In seiner Antwort vom
12. Januar 1196 legt nun der Papst die Grundsätze dar, die bei der
Lösung vom Kreuzgelübde zu beobachten seien:. Wer in der Lage ist,
das Gelübde zu erfüllen, soll durch Androhung der Exkommunikation
dazu i gezwungen werden. Ist jemand durch Krankheit, körperhche
Schwäche oder durch einen andern gerechten Grund gehindert, so kann
er vorläufig zu Hause bleiben; doch wird er ausziehen müssen, sobald
das Hindernis behoben ist. Kranke Leute, bei denen festgestellt-
werden kann, daß sie dauernd untauglich sind, sollen auf ihre Kosten
einen oder mehrere Stellvertreter nach Palästina senden, auf ein oder
mehrere Jahre, wie es der Legat fü^gut finden werde.^ Daß den-
jenigen, die einen Ersatzmann stellten, der vollkommene Ablaß zuteil
w;erden sollte, wird nicht gesagt.^ Wahrscheinlich waren sie den
Almosengebern gleichgestellt, für welche unter Gölestin IIL die Höhe
des zu erteilenden Ablasses von den. Bischöfen zu bestimmen war.
JErst im 13. Jahrhundert wurde den rechtmäßig Dispensierten der
vollkommene Ablaß zugesagt.
Zu den von Gölestin III. über die Lösung des Kreuzgelübdes
aufgestellen Grundsätzen bekannte sich auch Innozenz III., wie aus.
einem Schreiben zu ersehen ist, das dieser Papst im Jahre 1200 eben-
falls an Hubert von Ganterbury gerichtet hat.^ Gleich seinem; Vor-
gänger uiiterscheidiBt er zwischen solchen, die hui* zeitweilig, und
andern, die dauernd verhindert sind, ihr (^lübde zu erfüllen: den
ersteren ist ein Aufschub zu gewähren,, die. zweiten aber sollen zur
Unterstützung des Heiligen Landes nach ihrem Vermögen so viel Geld
böisteuerii, als sie auf der Palästiiiaiahrt ausgegeben hätten. Züdein
sollen sie auch die körperlichen Beschwerden, welche die Reise im,
befolge haben würde, zu kompensieren suchen. Daß Innozenz illL
durchaus nicht gewillt war, die Gelübdeablösuhg allzu leicht zu raächen,
zeigen mehrere Einzelfälle, in deheii um Dispesns nächgesuclit wni^^
Bezeichnend in dieser Hinsicht ist ein Schreiben aus dem Jahrß 1198>
das in die offizielle Dekretälensammlung Gregors IX. aufgenommen
würde.* Es werden darin verschiedene Gründe erörtert, die es ratsam
erscheinen ließen, den Bischof von Troyes und dessen Diehef voii dem
VJaffö 17307. Migne CGVI 1135,
^ In den oben angeführten „litterae absolutionis" von Giraldus von
Cambrien ist keine Rede von Ablalä, ebensowenig in dem neuen Absölutions-
schreiben, das G-iraldus 1203 von Innozenz III. erhielt. GiraldiOpp. III 71 f.
Potthast 1931. f : /? v '
^ Potthast 1137. Migne CCXVI 1261 f. Aufgenommen in die Dekretalen-
Sammlung 0. 8. X. de voto. III. 84. ,Ygl. ein anderes Schreiben an Erzbisc^^
Hubert vom Jahre 1201 über Gtelübdelösung. Potthast 1469. c. 9. X. de voto
IIL, 34. . , ./.. .;.;... ■, ,..; ;:..-.^,:^.,::,
* Potthas^; 48. Migne CCXIV 58 ff. c. 7. X. de voto. III. 34.
V. Die ältesten Kreuzzugsablässe. 21 1
Kreuzgelübde zu entbinden. Dafür mußte aber der Biscbof die Un-
kosten, die er gehabt hätte, dem Heiligen Lande zukommen lassen j,
zudem sollte er die Beschwerden der Kreuzfahrt durch Gebet und
Fasten zu ersetzen suchen.
Wie ernstlich Innozenz III. darauf bestand, daß diejenigen, die
in der Lage waren, ihr Gelübde zu erfüllen, es wirklich taten, zeigt,
sein Schreiben vom Jahre 1202 an zwei englische Kommissäre, den.
Bischof von Ely und den Abt von St. Edmund. Der König Johann
von England hatte den Papst ersucht, eine Anzahl Adelige vom Kreuz-
gelübde zu dispensieren, da er deren HiKe in Staatsahgelegenheiten,
benötigte .und mehrere von. ihnen auch persönlich verhindert wären..
Der Papst ließ die Sache untersuchen. Und da es sich herausstellte,;,
daß die vom König vorgebrachten Gründe nicht zutrafen, so wurden,
die Kommissäre angewiesen, jehe^ die in der Lage waren, nach Palä-
stina zu ziehen, zur Erfüllung ihrer Gelübde anzuhalten.^
Solche, die Alters halber oder wegen Krankhieit Dispens erhielten,,
mußten gewöhnlich so viel Geld für das Heilige Land spenden, als
ihnen die Palästinafahrt gekostet hätte. ^ Als Innozenz III. im Jahr©
1213 einen neuen ICreuzzug ausschrieb, gestattete er wohl, daß man,
um keine Zeit zu verlieren, alle zur Kreuzahnahme zulasse, ohne zuvor
zu untersuchen, ob sie die Fahrt mitmachen könnten oder nicht;
Zugleich aber verordnete er, daß. die Gelübdelösung, nur stattfinden,
solle, wenn dringende Not oder offenbarer Nutzen es. erheische.^
Drei Jahre später befahl die, Lateransyhode, , diejenigen, die das;
Kjreuz genommen, seien nötigenfalls durch Androhung der Exkom-
munikation zur Erfüllung ihres Gelübdes anzuhalten, mit Ausnahme
jener, bei denen ein Hindernis vorliege, dessentwegen nach dem Urteile;
des Apostolischen Stuhles das Gelübde mit Recht umzuwandeln oder
aufzuschieben sei.*
1 Potthast 1733. Migne CCXIV 1808ff.: „Firmiter inixingatis ut reddant,
Domino quod voverunt."
2 Potthast 1532 1552 1603 1660 1931 3002 5208.
^ Potthast 4725. ÜVtigne COXVI 819 f.: „Quia vero subsidium terrae-
»anctae multum impediri vel retardari contingeret, si ante susceptionem orucisL
examinari quemlibet oporteret an esset, idoneus, regularibus personis excpptis,.
susoipiant quicunque voluerint signum , oruois, ita quod cum urgens necessitas
aut evidens utilitas postulaverit, votum ipsum-de apostolico possit mandata
commutari aut redimi vel differri."
. * Mansi XXII 1059: „Ulis duntaxat exceptis, quibus tale impedimentum.
oceurrerit, propter quod, secundumsedis apostolicae providentiam, vottim eorunx
commutari debeat merito vel differri."
14*
VI. Die Ablaßlehre der Frühscliolastik.
Wie bei verschiedenen andern Einrichtungen der kathohschen
Kirche, so folgte auch beim Ablaß die theoretische Begründung der
Praxis nach. Lange Zeit hindurch wurden von den kirchlichen Oberen
Ablässe erteilt, ohne daß es eine Theorie -des Ablasse» gab. ;Erst in
der zweiten HäMte des 12. Jahrhunderts beginnen die Theologen sich
näher mit den „allgemeinen Erlassen", wie damals die Ablässe genannt
wurden, zu befassen; und was sie anfänglich darüber mitteilen, be-
schränkt sich meistens auf einige kürze Bemerkungen. Aber je spär-
Hcher diese Bemerkungen sind, desto größeres Interesse dürften sie
beanspruchen. Es soll daher in diesem Abschnitt gezeigt werden,
was vor den großen Scholastikern des 13. Jahrhunderts, vor Alexander
von Haies und Bonaventura, .vor Albertus Magnus, und Thomas von
Aquin, die jTheologen und Kanonisten über den Ablaß gelehrt haben.
Zuerst möge erwähnt werden, wie Abälard über die Ablässe
sich ausspricht, die zu seiner Zeit von den- Bischöfen bei der Ein-
weihung von Kirchen oder bei andern Anlässen erteilt wurden. Er
kommt darauf zu sprechen in seiner zwischen 1125 — 38 verfaßten
Ethik^ bei der Behandlung der im Anschluß an die Beichte aufzu-
erlegenden Buße.^ Es ist große Vorsicht notwendig, sagt er, daß der
Beichtende hienieden eine hinreichende Buße auf sich nehme, um im
Jenseits nichts mehr abzutragen zu haben. Wenn daher unkluge Priester
aus Unkenntnis der kanonischen Bußvorschriften zu geringe Bußen
auflegen, so wird dies ihren Beichtkindern zu großem Nachteil ge-
reichen; diese müssen dann im Jenseits schwere Strafen erleiden, für
welche sie hienieden durch leichtere Büß werke hätten genugtun können.
Es gibt aber, fährt Abälard fort, unter den Priestern etliche (sunt
nonnulli sacerdotum), die ihre Untergebenen nicht so sehr aus Un-
wissenheit als aus Habsucht täuschen, indem sie ihnen um Geld die
auferlegte Buße nachlassen oder mildern.^ Aber nicht nur einfache
Priester machen sich dieses Mßbrauchs schuldig, auch Kirchehfiirsten
frönen derselben Habsucht ; uiid nun kommt Abälard zu den allgemein
'^ Über die Abfassixagszeit dieser Schrift vgl. G. Robert, Les dcoles et
l'enseignement de la theologie pendant la premiere. moitie du XII^ siecle. Paris
1909, 211.
2 Ethioa, cap. 25. Migne CLXXVIII 672 f.
^ Schönem Jahre 1048 hatte eine Synode zu Ronen vor einem derartigen
Mißbrauch gewarnt: ,,TJt poenitentes occiasione avafitiae gravare aut levare
nemo praesumat ; sed iuxta modum culpae vel possibiUtatem naturae modere tur
poenitentia." Mansi XIX 763. Zum Datvim vgl. Hefele IV 715.
Vr. Die Ablaßlehre der Frühscholastik. 213
erteilten Bußerlassen: Wir kennen Biscköfe, die des Geldes wegen?.
anläßlich verschiedener Feierlichkeiten, bei denen sie reichliche Opfer-
gaben zu erhalten hoffen, mit Bußerlassen verschwenderisch umgehen;:
sie erlassen allen insgemein bald ein Drittel, bald ein Viertel der Buße,,
freilich unter dem Schein der Liebe, aber in Wirklichkeit aus schnöder-
Habgier, Sie brüsten sich mit der ihnen von Christus verliehenen Voll-
macht und meinen großsprecherisch besonders darin zu tun, was ihres.
Amtes ist, wenn sie ihren Untergebenen derartige Gnadenerweise:
spenden. Würden sie es aber doch nur tun aus Liebe zu den Gläubigen,,
und nicht des Geldes wegen, daß doch wenigstens ein Schein von.
Wohltun vorhanden wäre! Wenn sie übrigens durch Nachlassung des.
dritten oder vierten Teils der Buße eine lobenswerte Mildtätigkeit zu;
üben glauben, so müßte ihr riiilder Sinn noch größeres Lob verdienen,,
wenn sie die Buße zur Hälfte oder ganz erlassen würden, was sie ja^.
wie sie behaupten, tun könnten. Anderseits scheinen sie sich einer
großen Lieblosigkeit schuldig zu mächen, daß sie nicht alle ihre Unter-
gebenen von allen Sünden lossprechen, wenn sie. die Macht haben,,
den Himmel nach" Belieben zu öffnen oder zu schheßen.
In diesen Auslassungen, die von Übertreibung nicht frei sind,,
bekämpft Abälard nicht bloß Mißbrauche, die damals schon bei Spen-
dung von Almosenablässen vorhanden waren, er bestreitet deuthchi
genug den Bischöfen das Recht, den Gläubigen bei kirchlichen Feier-
Hchkeiten Ablässe zu erteilen. Die geringe Leistung des Kirchen-
besuchs und einer Opfergabe schien ihm keinen genügenden Ersatz
für das auferlegte Bußwerk und die von Gott geforderte Genug-
tuung zu bieten. Daß die Bischöfe kraft ihrer Vollmacht von der
notwendigen Genugtuung freisprechen können, T^ill er .nicht gelten
lassen. Das hieße, wie er übertreibend meint, ihnen die Vollmacht
zugestehen, den Himmel nach Belieben zu öffnen oder zu schließen.
Es liegt auf der Hand, daß Abälard hier eine überirdische Wirksam-
keit der Ablässe iür Almosen und Kirchenbesuch ..zurückweisen will.
Demnach wurde damals schon eine derartige Wirksamkeit in kirch-
lichen Kreisen angenommen; und so bezeugt selbst ein Bekämpf er
der Almosenablässe, daß inan nicht erst im 13. Jahrhundert begonnen
habe, dem Ablaß eine überirdische Wirksamkeit zuzuschreiben. Es
muß 'wohl beächtet werden, daß Abälard nur von bischöflichen Ab-
lässen für Kirchenbesuch und Almösen spricht. Man hat denn auch
mit Unrecht behauptet, daß Abälard den Ablaß überhaupt verwirft.
Erwähnt er doch mit keiner Silbe den Kreüzzugsablaß. Offenbar
hatte er gegen letzteren nichts einzuwenden, da ja die vielen Mühen,
die mit der persönlichen Teilnahme ain Kreuzzuge verbunden waren,
als hinreichende Genugtuung gelten konnten.
Wie im Dekret Gratians, das .gegen Ende 1140 vollendet wurde,
weder die Kreuzzugsablässe noch die Ablässe für Almosen und Kirchen-
besuch erwähnt werden, so übergeht auch Petrus Lombardus in
seinem zwischen 1146 — 50 verfaßten Seritenzenbuch den Ablaß mit
Stillschweigen. Erst in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts
214 VI. Die Ablaßlehre der Frühseholastik.
begegnen uns Theologen, die schriftlich ihre, Ansicht über den Ablaß
hinterlassen haben.
Einer der vornehmsten Theologen jener Zeit, Petrus von
Poitiers, 38 Jahre hindurch Lehrer. an der Pariser Domschule,^
erwähnt ganz kurz den Ablaß in seinen spätestens vor Mitte 1176
vollendeten Sentenzen^ bei der Erörterung der Erage,, auf .welche
Weise in der Beichte die Sünden nachgelassen werden.* Von , Gott,
so lehrt er, wird die Sündenschuld mit der ewigen Strafe nachgelassen;
zur Tilgung der etwa noch abzutragenden zeitlichen Strafe legt der
Beichtvater eine Buße auf. Wie kann man aber dann sagen, daß
der Priester die Sünden nachlasse ? Der Priester läßt die Sünde nach,
zunächst weil er zeigt, daß sie von Gott nachgelassen ist, sodann
weil er eine Buße auferlegt und von der noch schuldigen Strafe Nachlaß
gewährt. Ist indessen die auferlegte Buße nicht hinreichend zur
Tilgung der geschuldeten Sündenstrafe, so wird der Pönitent das
Mangelnde im Eegfeuer nachholenjnüssen. , Deshalb ist es besser,
der Pönitent tue etwas zu viel als zu wenig ; denn wenn ihm djer Beicht-
vater für eine Todsünde eine dreitägige Buße auferlegt, so darf er nicht
glauben, daß ihm nun die ganze Sündenstrafe erlassen sei. Nachdem
Petrus so gezeigt, wie der Beichtvater die Sündenstrafe nachlassen
könne, und zwar die vor Gott abzutragende Strafe, die Fegfeuerstrafe,
verbreitet er sich über den Wert des Ablasses hinsichtlich der Tilgung
der Sündenstrafe; und dabei muß er ebenfalls, wie es sich aus dem
ganzen Zusammenhang ergibt, , an die vor Gott schuldige Strafe ge-
dacht haben. Er äußert sich darüber in folgender Weise: Wenn ein
Bischof oder ein anderer Prälat (episcppus vel ahus praelatus) bekannt?
macht, er werde bei der Einweihung. irgendeiner Earche, allen, die zuni
Bau der Kirche beisteuern, den dritten oder vierten Teü der Buße
oder 40 Tage oder etwas dergleichen nachlassen, sq wird doch nich^
jeder Almosenspender die versprochene Nachlassung erhalten. Denn
wenn ein Reicher das gleiche Almosen gibt wie eine arme alte Erau,
so wird ihm sicher nicht der gleiche Nachlaß zuteil. Es muß eben
jeder nach seinem Vermögen spenden, wer mehr hat, mehr, wer weniger
hat, weniger. Gott verlangt nicht vom Menschen, was er nicht leisten
kann; er achtet auch nicht auf die Größe der Gabe, sondern auf den
guten Willen. Hat aber der Reiche guten Willen, warum fühtt er
diesen Willen nicht aus? Warum gibt er nicht nach seinem Verr
mögen? Denn das fordert der gute Wille; a,ndernfalls ist er nicht
gut.* Aus diesen Ausführungen ergibt sich unzweifelhaft, daß Petrus
von Poitiers dem Ablaß eine überirdische Wirksamkeit, eine Wirk-
samkeit in foro Dei zuschreibt. Während die kirchlichen Oberen
den AJmosenspendern einen bestimmten Teil der auferlegten Buße
^ Vgl. über ihn Grabmann II 501 ff.
2 Abgedruckt bei Migne CCXI 789 ff . Der Verfasser hat sein Werk dem
Erzbischof von Sens, Wilhelm von Champagne, der. 1168 nach . S^ns kam; und
ÜVHitte 1176 Erzbischof von Reims wurde, gewidmet,
8 Sent. 1. III. c. 16. migne 1073 ffi Vgl. Gillmanii 365 f.
• ■* Migne. 1076. .:r;.;-. ■:;^ ■ - :^; ;;
VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik. 215
-erlassen, erläßt ihnen Gott einen Teil der geschuldeten Sündenstrafen.
Der göttliche Erlaß, richtet sich aber' weniger nach der tatsächlichen
Leistung als nach dem guten Willen oder der Leisturigsbereitwilligkeit.
Ein Zeitgenosse des Petrus. von Poitiers, Petrus Cantor, der
seit 1169 oder 1170 ebenfaUs^ Lehrer an der Pariser Domschule - war
(f 1197),^ hebt in seiner noch ungedruckten Summa de Sacramentis
bezüglich der partiellen Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch ver-
schiedene Schwierigkeiten hervor, ohne darauf eine bestimmte Antwort
zu geben.2 So fragt er z. B., ob die kirchlichen Oberen befugt wären,
«inen Teil der Bußstrafen zu erlassen, wie dies besonders bei Kirch:
weihen geschehe. Es scheint, daß sie dies nicht tun können, lautet
die Antwort; denn die' Buße müsse im richtigen Verhältnis zur ab-
zutragenden Sündenstrafe stehen.^ Er fragt auch, ob derjenige, der
zur Gewinnung des Ablasses die vorgeschj?iebene Geldspende entrichtet
hat,' sofort des verheißenen Erlasses teilhaftig werde, oder ob der
Bußerlaß erst eintrete, nachdem die Kirche mit ihren Suffragien für
ihii Ersatz geleistet habe.* Er wirft noch. mehrere andere Fragen auf
und benierkt dann: Da es leichter sei, Einwände zu erheben als sie
zu lösen, so mache er sich nur zaghaft lan die Lösung der erhobenen
.Schwierigkeiten; dabei stütze er sich vor allem auf die Autorität der
Kirche, da die kirchliche Praxis von nicht geringem Gewicht sei.^
Er spricht dann von den Ablässen, die dainals beim Besuche der
römischen Kirchen gewonnen werden konnten; doch bemerkt er sofort,
daß die individuellen Büßerlasse- bei triftigem Grunde wohl empfehlens-
wert sind, weniger .aber die generell verliehenen Bußerlasse, da bei
diesen auf die^ persönlichen Verhältnisse der Büßer nicht- Rücksicht
genommen werde.* Hiermit gibt Petrus Cantor- deutlich 'genug izu
verstehen, daß er. an den Ablässen für Kirchenbesuch und Almosen —
er spricht immer nur von diesen, nie vom- KreuzzugsablaE — wenig
Gefallen hatte. Deshalb- erwähnt, er auch, daß Papst Gregor IV.
{es ist' ohiiej Zweifel Gregor VIII. gemeint) bei der Konsekration einer
von ihm zu Benevent erbauten Kirche zum Volke gesagt habe : Es ist
sicherer, daß ihr Bußwerke übet, als daß ich euch einen Teil der Buße
erlasse.' Indessen wagt Cantor doch nicht, diese Ablässe zu verwerfen;
er fordert, aber für; deren Gültigkeit drei Bedingungen : die Autorität
der Kirche, ,die Zueignung der kirchlichen Suffragien (communio
suffragiorum eins), die .persönliche Leistung und fromme Gesinnung
des Büßers (labor et devotio. poenitentis). Qb jedoch ein derartiger
1 Vgl. über ihn Grabmann II' 428, ff.
2 Einige Auszüge bei Morinus 769 f. Petit I 362''ff.
3 Petit 362. «Morinus 769.
^ „Consuetudo enim Ecolesiae et usus non levis est momenti, verum non
adeo momento sui valitura, ut aüt rationemaut sacram soripturam vineat." Ebd.
® „Personales relaxationes ex causa debita commendabiles sunt, generales
non ita, eo quod indistincte pronuntientur." Ebd.
' Mor^inus 769. Cantor berichtet ein falsches Gerücht. Gregor VIII. ist
während seiner kurzen Regierung (1187) nie' in Benevent gewesen . Vgl. St.Borgia,
^emorie istoriche della pontifioia cittä di'Benevento 11, Roma 1765, 151 ff. '
216 VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik.
Erlaß hienieden schon in KJraft trete, wie etliche meinen, so, daß der
Ablaßgewinner von der Sündenstrafe sofort befreit werde, oder ob der
Ablaß erst im Jenseits seine Wirkung ausübe, wenn nämlich der
Pönitent seine Buße nicht verrichten konnte, das läßt Cantor dahin-
gestellt. Man möge sich, bemerkt er, darüber Rats erholen bei dem
Papste oder dem Bischöfe, die solche .Ablässe erteilen.^ Jedenfalls
geht aus dieser Erörterung hervor, daß die Vertreter der. beiden An-
sichten, die Cantor anführt, eine überirdische Wirksamkeit des Ablasses
annahmen. Bemerkenswert ist auch die Erwähnung von einer Kom-
pensation durch die kirchlichen Suffragien.
In einer andern Schrift, einem alphabetischen theologischen
Lexikon, das nach dem ersten Worte die „Summe Abel" genannt
wird, erwähnt Petrus Cantor den Ablaß unter dem Worte „relaxatio".^ ,
Ablaß findet statt: 1. wenn die Not eines Ortes, einer Person oder des
Heihgen Landes es erfordert; 2. wenn eine gleichwertige Kompensation
eintritt; kann z. B. jemand nicht. fast^en, so soll er ein so großes Almosen
spenden, daß er sich dadurch so"viel beschwert fühlt, als durch das
Fasten; 3. wenn der Pönitent von dem Beichtvater die Erlaubnis
erhält, sich des Ablasses teilhaftig zu machen; 4. wenn die fromme
Gesinnung, die Liebe und Reue zunehmen (quando Caritas, contritio,
devotio augmentatur). Eehlt eine dieser Bedingungen, so wird der
Ablaß nicht gewonnen. EtHche lassen dem Almosenspender den dritten
oder fünften Teil. der Buße nach. Es wäre aber, besser, die Buße nach
bestimmten Zeitmaßen zu erlassen, z,.B. Ablässe von' 10 oder niehr
Tagen zu erteilen. Andere erlassen die den Eltern zugefügten Be-
leidigungen (d. h. die für solche Vergehen verdiente Bußstrafe), falls-
keine tätliche Mißhandlung stattgefunden. Und dies können sie mit
Fug tun, meint Petrus Cantor, weil man die Vergehen gegen Menschen
leichter vergeben kann, als. jene .gegen Gott. , ■ • ;
Ziemlich, eingehend handelt 'vom Ablaß ein Schüler des Petrü»
Cantor, der Engländer Stephan Langton, der gegen Ende des
12. Jahrhunderts an der Pariser. Hochschule, deren Kanzler er eine
Zeitlang war, Theologie lehrte,^ von Innozenz IIL 1206 zum Kardinal
ernannt wurde und 1228 als Erzbischöf von Canterbury gestorben ist.*
In seiner noch ungedruckten Theologischen Summe wirft er in dem
Abschnitt über die Auferlegung der Buße die Frage auf, ob die Buß-
erlasse, die von den Bischöfen bei feierlichen Weihen zu geschehen
pflegen, berechtigt seien.^ Hierüber, antwortet er, gibt es eine drei-
^ ,,Cuin huiusmodi fit remissio, qmdam dictmt eiun cui fit statim liberari;
alii non, nisi post mortem, cum scilicet poenitentiam peragere non pptiiit. Utra
opinio vera sit, consule dominuna Papam vel episoopum qui talem dat remis -
sionem. Non est meum ponere os in coelum." Morinns 770.
2 Die kurzen Angaben sind mitgeteilt von Gillmann 368 aus Cod. lat,
inon. 22283, Bl. 91.
^ Vgl! über ihn Grabmann II 497 ff.
* Langtons Ausführungen über den Ablaß hat Gillmann 371 — 75 aus einer
Bamberger Handschrift veröffentlicht.
^ ,,Utrum relaxationes penitentiarinn Ordinate fiant ab episcopis in sol-
lenpnibus bendictionibus ?"
VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik! 217
fache Ansicht. Etliche sagen, die Ablaßbewilligung sei erlaubt, wenn
sie auf folgende Weise geschehe: Es ist jemand z. B; eine dreijährige
Buße auferlegt worden. Ein Bischof kann nun den dritten Teil dieser
Buße nachlassen, oder mehr oder weniger, wie er es eben für gut findet.
Ein anderer Bischof kann ebenfalls ein ©rittel vom^Reste nachlassen
und so fort, so daß dem Pönitenteri immer etwas abzutragen bleibt.
Denn wie er persönlich gesündigt hat, so muß er auch selber die Strafe
tragen. Demgegenüber macht Langton geltend, daß der zweite Bischof
ebensoviel erlassen kann als der erste. Kann der erste ein Drittel
der ursprünglichen Gesamtbuße erlassen, so auch der zweite und der
dritte. Somit könnte man mit drei kleinen Münzen die ganze Buße
ablösen. Dies aber, so gibt Langton zu verstehen, würde nicht der
Billigkeit entsprechen.
Die Vertreter der zweiten Ansicht meinen, die Bischöfe würden
bei der Verkündigung von Ablässen es dem Ermessen der Beichtväter
anheimstellen, wieviel den einzelnen- Pönitenten von ihrer Buße nach-
gelassen werden soll. Auch diese Erklärung wird von Langton ab-
gelehnt. Dadurch, meint er, würden die Gläubigen, welche die Sache
nicht so auffassen, getäuscht werden.
Einleuchtender scheint ihm eine dritte Erklärung zu sein, wonach
die auferlegte Buße, z.B. das Pasten, in eine Geldstrafe umgewandelt
wirdJ Die Sünde bleibt auf diese Weise nicht ungesühnt. Und so
kann die Kirche einen beliebigen Teil der Buße erlassen oder vielmehr
erklären,'' daß sie vor Gott .erlassen sei, nämlich durch das Geldopfer,,
das an die Stelle des Fastens getreten und das mancheii noch härter
ankommt als die körperliche Bußübung. Sollte aber bei der Um-
wandlung der Buße die Gerechtigkeit zu kurz kommen, so wird dieser
Mangel ersetzt durch' die Suff ragien öder Hilfeleistungen der Kirche,,
nämlich durch die Gebete, Pasten, Almosen und andere gute Werke,
welche die Kirche für ihre notdürftigen Glieder übernimmt. '
Daraus ergibt sich unzweifelhaft, daß Langten dem Ablaß eine
überirdische Wirksamkeit zuschreibt. Doch mahnt er den Sünder,,
im Vertrauen auf den Ablaß nicht die Bußübung zu vernachlässigen.
Wer freiwillig gesündigt hat, soll auch in eigener Person die Strafe
fühlen. Ist indessen jemand zu schwach, die auferlegte Buße selber
zu verrichten, so kann er in solcher Notlage ehrbarerweise zu den
Suff ragien der Kirche seine Zuflucht nehmen.
Nach diesen mehr theoretischen Ausführungen erörtert Langton
die Rechtsfrage, ob ein Bischof auch Angehörigen anderer Diözesen
Ablässe erteilen könne. Die Antwort lautet, er könne es nur tun auf
Gruiid eines päpstlichen oder erzbischöflichen Privilegiums oder mit
Erlaubnis der benachbarten Bischöfe. Noch aus einem andern Grunde
könne ein- Bischof fremden Diözesänen keinen Ablaß spenden. Er
kenne * die Gewissen und die. Sünden der fremden Gläubigen nicht;
infolgedessen sei er nicht imstande, die Art und das Maß der nach-
zulassenden Buße sachentsprechend zu bestimmen. Dies war aber
gewöhnlich auch der Fall in^bezug auf die eigenen Diözesänen. Deshalb
218 VI,, Die. Ablaßlehre, der Frühscholastik.
schließt Langton ganz allgemein: Es scheine, daß niemand ohne Er-
laubnis seines Beichtvaters sich um- solche Ablässe bemühen soUe.i
Der Beichtvater aber solle die Erlaubnis nur solchen geben, die er
des Ablasses für würdig erachte. Daß zur Gewinnung der Ablässe
die Erlaubnis des Beichtvaters erfordert sei, hat auch Petrus Cantor
gelehrt, wie oben erwähnt ^vorden. .
Langton fragt dann weiter, ob Bischöfe auch einem öffentlichen
Büßer, der nicht zu ihrer Diözese gehört, Qtwas von seiner Buße er-
lassen können. Er erwidert, daß sie es nur tun dürfen, wenn der Büßer
versehen ist mit einem Schreiben seines Bischofs oder Metropolitans
oder des Papstes, die solches gestatten.^
Die schon von Petrus, von Poitiers erörterte Frage, ob ein Reicher
und ein Armer, die den gleichen Beitrag spenden, den gleichen Ablaß
gewinnen, behandelt auch Langton; nur ist er anderer Ansicht als
sein Vorgänger. Gott handelt nicht ungerecht, bemerkt er, wenn er
■dem Armen keinen größeren Nachlaß gewährt, als dem Reichen. Ist
«s doch schon ein Gnadenakt, daß er die Gabe des Armen wohlgefällig
annehme.
Können auch jene Ablässe gewinnen, die noch gar nichts von der
auferlegten Buße verrichtet haben und die, ohne auch nur ihre Kräfte
, an der Bußübung zu versuchen, sofort zum Ablaß ihre Zuflucht nehmen ?
Etliche, so schreibt Langton, meinen, daß solchen Leuten der Ablaß
nichts nütze, da sie ihn nicht in gehöriger Weise zu gewinnen suchten;
€S fehle ihnen die echte Bußgesinnung. Andere lehren, daß ihnen der
Ablaß wohl zuteil werde, aber nicht in so reichlichem Maße, als, wenn
sie sich gebührend darum bemühen würden. Nach Langton ist einem
Pönitenten, der noch gar nichts von der ihm auferlegten Buße ver-
richtet hat, überhaupt kein Ablaß zu erteilen, da ihm die aufrichtige
Bußgesinnung abgehe. Hat er, nur wenig von der Buße verrichtet
oder nicht ganz die Hälftq, so handelt man ebenfalls sicherer, wenn
man ihm den Ablaß verweigert. Hat erj mehr als die Hälfte der Buße
verrichtet, so sind die persönhchen Verhältnisse in Betracht zu ziehen.
Handelt es sich um einen Familienvater oder um eine kränkliche oder
schwächliche Person oder um einen Mann, dessen Dienste der Staat
oder die Ejrche sehr benötigt, so ist unter solchen Umständen dem
Pönitenten ein größerer Ablaß zu gewähren, andernfalls ein kleinerer.
Eigentümlich ist Langtons Ansicht über die Wirkung des Ablasses
hinsichtlich einer Person, die zwar das „vorgeschriebene Almosen spendet,
aber keine Reue hat und. in der schweren Sünde verharrt. Einer solchen
Person, meint er, ist der Ablaß von Nutzen, insofern sie nicht mehr
zu einer so großen Buße verpflichtet ist; zudem wird sie durch ihr
^ ,,Ideo videttirdicendtim, quod nemo sine licentia propra sacerdotis debet
ire ad Imiusmodi relaxationes." Der Beichtvater war damals von, Rechts.. ^pegen.
der sacerdos proprius oder Pfarrer, f Vgl. P.A. Kirsch, Der sacerdos propriias
in der abendländischen Kirche vor dem Jahre 1215, in Archiv für käth. Kirchen-
recht LIIIIV (1904) 527 ff. ;- a i ;; :;;
,: . 2 Über derartige Sphreiben ^vgl. oben: S. 24.: ,
VI, Die Ablaßlohre der Frühscholastik. 219
Almosen einen zeitlichen Lphn oder eine Erleiqhterung der ewigeii
Strafe verdienen.^
Können die Bischöfe auch Ablaß erteilen von den öffentlichen
und schweren Bußen, die , für ■ sehr große Sünden auferlegt wordeü
-sind? Der; Brauch der römischen Kirche spricht dafür, erklärt Langton.
Er hält aber derartige Ablässe nur dann für statthaft, wenn der Pönitent
■eine so große Reue zeige, daß sie als Ersatz der nachzulassenden Buße
dienen könne. ^ .
An. einer : andern Stelle seines. Werkes kommt Langton nochmals
auf den Ablaß zu sprechen. Er erwähnt hier verschiedene Schwierig-
keiten, die man bezügheh der Almosenablässe machen könnte, und
bemerkt dabei; daß sein Lehrer — gemeint ist Petrus Cantor — der
Ansicht war, man solle die Lösung dieser Schwierigkeiten den Bischöfen
überlassen.^,;
Gleich, seinem Lehrer hat Langton an den individuellen Buß-
erlassen oder Bußumwandlungen, bei denen die persönlichen Ver-»
hältnisse der .(einzelnen Pönitenten berücksichtigt werden, nichts
auszusetzen. Weniger sagen aber auch ihm diö^generellen .Bußerlasse
ÄU, welche die Bischöfe für Almosenspenden zu. erteilen pflegten.
Doch hütet er sich, gegen die kirchlichen , Oberen irgendeinen Tadel
auszusprechen, 'Pflicht des einzelnen, ist es, sehreibt er, . in solchem
Palle eher zu schweigen,, als unbesonnene Urteile über die Diener Gottes
zu fällen.* . , , ..
Ein anderer Schüler des Petrus. Cantor, Robert von Cour9on,
hat sich ebenfalls ziemlich eingehend mit dem Ablasse beschäftigt.
In seiner um 1200 verfaßten Theologischen Summe handelt ein eigener
^ „Si dives non habet contricionem, sed persistifc ia mortali , peocato,
mumquid valet ei relaxatio talis ? Ita utique quoad hoc, quod iam non
tenetur ^ad • tantam satisfactionem et meretur bohum temporale ' vel alle-
vationem eterne pene." Gillmann 374. Daß ein Sünder durch Almosen
die Minderung der Höllenstrafe verdienen könne, lehren auch andere Theologen.
Zum Verständnis, der anderen Behauptung, daß em Todsünderj der das vor-
geschriebene Almosen spendet, nicht mehr zu einer so großen Buße ver-
pflichtet sei, ist folgendes zu beachten. Nach 'Langton wird beim Ablaß
•die- auferlegte Buße, z. B. das- Fasten, in eine Geldbuße umgewandelt.
Wird nun letztere von einem Sünder geleistet, so hat dies wenigstens
zur Folge, daß die auferlegte Buße nicht mehr verrichtet zu werden braucht.
Daß man die Buße, die im Stande der . Sünde verrichtet wird, nicht zu
"w-iederholen braucht, lehren verschiedene Theologen, z. B. Bonaventura
'(Com. in libros sent. 1. IV. d. 15. p. 1. q. 3), der meint, ein solcher Sünder
sei wohl „absoluttis in foro Ecclesiae"; doch sei er zur Buße verpflichtet „iudioiq
Dei, quia adhuc Deus exiget poenam".
2 Gillmann 374.
^ „Propter hoc et huiusmodi tanquam in celum nolens os ponere magister
hoc relinquebat episcopis arbitrandum." Gilimaiin 375. Vgl. Cantors Äußerung
•oben S. 216. , ■ '
* „ Sed nunqxiid episcppias in benediotiqne generali mille hominum qualitates
et habitus poterit estimare, ut prp nummo vel obolo tantas satisfaotiones ignotis
•devotionibus et aliis rei ciroumstantiis sibi liceat relaxare ? Ipsi viderint. Poeius
«nim hinc tacendum estim.o quam aliquid contra ministros Dei temere iudi-
«andum." Gillmann 37^5. ' ■
220 VI. Die Ablaßlehxe der Frühscholätik.
Abschnitt mit 13 Kapiteln von den ,',allgemeinen Absolutionen" (de
generalibus absolutionibus et remissionibus), die von dem Papste und
den Prälaten der Kirche erteilt werden.^ Leider war es nicht möglich,
über die Ausführungen, die noch ungedruckt sind, Näheres zu erfahren.^
Um 1200 wirkte, als Lehrer in Paris ein. gewisser Magister Mar-
tinus,^ der in seinen ,, Theologischen Fragen" bloß gelegentlich be-
merkt, daß die Bischöfe die Bußen, z. B. den dritten Teilperlassen
können.*
Gegen Ende, des 12. Jahrhunderts beginnen auch die Kanonisten
sich in ihren Schriften mit dem Ablasse zu beschäftigen. Huguccio
(t 1210), von 1178 — 90 Professor in Bologna, dann Bischof von Ferrara,
erwähnt ihn wiederholt in seiner nicht vor 1188 abgeschlossenen^
Summe zum Gratianischen Dekret.* Die meisten Aufschlüsse bietet
der Kommentar zu c. 88 D. I de poenitentia. In diesem Kapitel heißt
es, daß durch die Scham, die man bei dem Bekenntnis der Sünden
empfindet, die Nachlassung (remissio) erleichtert werde.* Zu dem
Worte ,, remissio" bemerkt nun Huguccio: Hier ist eine Nachlassung
der zeitlichen Strafe gemeint.- Denn je mehr jemand leidet, desto
rascher ist die Sünde hinreichend gestraft ; und dann, wenn sie ge-
nügend gestraft ist, kann man sagen, daß sie völlig nachgelassen ist,
was die zeitliche Strafe anlangt, während die Schuld und die ewige
Strafe zuvor durch die Herzensreue getilgt worden sind. Die weiteren
Worte des Dekrets, daß bei gut disponierten Pönitenten „sacerdotes
plus possunt proficere, plus confitentibus parcere, quibus enim re-
mittunt, remittit Dominus", versteht, Huguccio- ebenfalls -von- einer
Nachlassung der zeitlichen Strafen und bemerkt dazu: Was die Priester
rechtmäßig (iuste clave non errante) von der Strafe nachlassen, wird
auch von Gott nachgelassen, d, h. Gott genehmigt und bestätigt den
priesterlichen Nachlaß. ,,Wo sind also", ruft er dann aus, „jene, die
da saigen, die Ablässe, die täglich von der Kirche und in der Kirche
erteilt werden, erstreckten sich bloß auf nachlässig verrichtete und
gebrochene Bußen ?"^ Erklärt doch Christus im Evangelium: „Denen
ihr die Sünden nachlassen werdet, denen werden sie , nachgelassen^
und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel
gelöset sein."
'1 Vgl. Grabmann II 496. Petit I 373; II. Appendix 134.
* Es -wäre zu wünschen, daß Roberts Ausführungen veröffentlicht würden.
Nähere Angaben über die in Frankreich und Belgien verwahrten Handschriften
finden sich bei Grabmann 493 f.
^ Vgl. über ihn Grabmann II 524 ff.
* Morinus 780 f.
^ Über die Abfassungszeit vgl. Gillmann in Archiv für kath. Kirchenreoht
XCIV (1914) 233 ff.
* Huguccios Angaben über den Ablaß sind aus einer vatikanischen und
Bamberger Handschrift mitgeteilt von Gillmann 367 — 70. Auch die Münchener
Staatsbibliothek verwahrt eine Abschrift der Summe. Cod. lat. 10247.
' „Ubi ergo sunt illi, qui dicunt, quod remissiones f acte ab ecclesia et que
. fiunt cotidie in ecclesia, non valent nisi ad relevandas negligentias et fractiones
penitentiarum ?"
VI. Die Ablaßlehre der Frühsoholastik. 221
Huguccio .schreibt also , dem Ablaß eine überirdische Wirksamkeit
zu. Deshall). fügt er auch bei, es sei fest zu glauben, daß die Ablässe,
die von den kirchlichen ; Oberen behufs, Ermunterung der Gläubigen
Äur Verrichtung irgendeines guten, Werkes erteilt werden, Geltung
haben. Doch gelten sie nach einer Dekretale Alexanders III. (c. 4..X,
de poen. et remiss. V. 38) nur für die Untergebenen der betreffenden
Oberen, und für solche Fremde, deren Beichtväter bei Auflegung der
Buße die Nachlassung der letzteren durch jeden beliebigen Priester
gestattet hätten.^ Huguccio ist auch der Ansicht, daß der gewonnene
Ablaß sofort seine Wirkung ausübt, nicht etwa erst im- Jenseits für
den Fall,, daß jemand die auferlegte Buße hienieden nicht verrichten
konnte; vielmehr braucht die nachgelassene Buße überhaupt nicht
verrichtet zu werden.^ Doch warnt er die Gläubigen vor der Meinung,
als könnten sie den Ablaß mit Geld erkaufen. Wer so denkt, schreibt
er, dem wird der Ablaß nichts nützen. Die richtige Ansicht, an der
man festzuhalten habe, sei folgende: Die Kirche hat die Vollmacht,
den Gläubigen, einen .Bußerlaß zu. gewähren, um sie damit aufzu-
muntern, in frommer Gesinnung irgendein gutes Werk zu verrichten,
das als Ersatz der nachgelassenen, Buße gelten kann.^
An derselben Stelle, in einer Bemerkung zu den Worten: „Was
ihr auf Erden lösen werdet", lehrt Huguccio, daß die Kirche den
Verstorbenen gegenüber keine Binde- und Lösegewalt besitzt.*
Ein zweites Mal spricht Huguccio vom Ablaß in dem Kommentar
zu C. IX. q. 3. c. 13: „Nemo iudicabit primam sedem." Hier wird
zunächst ausgeführt, daß der Papst von niemand gerichtet wird,
außer er würde in eine Häresie fallen oder er würde sich freiwilHg
einem Gericht unterwerfen. Im Bußgericht dagegen kann der Papst
von seinem Beichtvater gerichtet, gebunden und gelöst werden.
Gesetzt nun, der Beichtvater lege dem Papst auf, zu einem Brücken-
oder Kirchenbau, wofür ein Ablaß verliehen worden, einen bestimmten
Beitrag zu spenden, oder der Beichtvater befehle dies dem Papste
nicht, aber er lege ihm die Buße in der Weise auf, daß er derartige
Ablässe bei Spendung des geforderten Almosens gewinnen könne.
Gewinnt in solchem Falle der Papst bei wirklicher Almosenspende
den Ablaß ? Huguccio glaubt die Frage bejahen zu sollen. Anders
verhalte es sich aber, wenn kein Befehl des Beichtvaters vorlag und
die Buße nicht in der bezeichneten Weise auferlegt war. Besucht der
Papst eine Kirche, die einen Ablaß erhalten hat, so erwirbt er sich
wohl durch dies gute Werk Verdienste; aber der Ablaß wird ihm nicht
^ „Eis quibus sie est imposita penitentia, ut possint fieri (remissiones) eis
a quocimque sacerdote." Gillmann 368.
" „Nee illi, quibus fit remissio, tenentur id f acere, quod sibi remissum est
de penitentia." Gillmann 368. ,
^ „Si credit, quod ecclesia pqssit ei talem remissionem f acere, que illum
ad aliquod bonum faciendum invitat, causa devotionis, quasi in reconpensationem
illius, quod sibi relaxatur, valet ei talis remissio." Gillmann 368.
* Ebd. 369. ^
222 VI. Die Ablaßlehre der JFrühächolastik.
zuteil. Denn dieser Ablaß ist vom Päpste selbst oder von einem andern
bewilligt worden. Wurde er vom ^Papste bewilligt, so kann ihn' dieser
nicbt gewinnen, weil er sich nicht selber binden oder -lösen'' kann:
Wurde er von einem andern verliehen, so kann er ihii wieder nicht
gewinnen, weil er nicht der Untergebene des Abläßspenders ' ist'.i
Bei einer dritten Gelegenheit, iin Kommentar zu c. 4. D. XXI
hebt Huguecio nochmals hervor, daß ein Bischof den Angehörigen
einer andern Diözese nur dann einen Ablaß verleüien kann, wenn.
der eigene Bischof oder Beichtvater dem Pönitenten bei der Auf-
legung der Buße gestattet hat, diese durch Ablässe abzulösen. In
diesem Ealle würde aber der Pönitent nicht von dem ablaßspendenden
Bischof absolviert werden, sondern von demjenigen, der ihm die Büße
auferlegt hat.^
1: Eine ganz eigene Auffassung des Ablasses findet sich bei Alanus
von Lille. Dieser berühmte Philosoph und Theolog,^ gestorben 120ä
in Oteaux, handelt kurz vom Ablaß in seiner Schrift gegen die Häretiker.*
Im zweiten Buche dieser Schrift ,^as gegen die Waldenser gerichtet ist,.
wird im 11. Kapitel die Meinung zurückgewiesen, daß die generellen
Bußerlasse, die von den Bischöfen bei verschiedenen Feierlichkeiten
erteilt werden, nicht gültig sind.^ Die Waldenser machten gegen den
Almosenablaß geltend, es sei ungeziemend, daß durch einen mäßigen^
wenn auch mehrmals wiederholten Geldbeitrag die gesamte auferlegte
Buße erlassen werde.* Dieser Meinung war wohl auch Alanus. Deshalb
stellt er über die Bedeutung des Almosenablasses eine eigentümliche
Ansicht auf. Nach ihm würde der Ablaß nur für die Buße gelten,
die jemand bei Lebzeiten nicht hat leisten können, und zwar würde
1 Ebd. 369 f. 2 Ebd. 370.
' Vgl. über ihn B. Haur6au, Memoire sur la vie et quelques oßuvres
d' Alain de Lille, in M6moires de l'Acad^mie des inscriptions et belles-lettres
XXXII 1, Paris 1886, 1—27. Grabmann II 4ö2 ff. Weitere Literatur bei
Chevalier, Repertoire 91 f.
* De fide catholica contra haeretioos. Im Karchenlexikon I 396 wird diese
Schrift Alanus von Lille mit Unrecht abgesprochen; sie ist sicher von ihm, wie
Hauröau 7 ff. imd Grabmann 455 ff. nachweisen. Einen Alanus von Le Puy
(de Podio), der sie verfaßt haben soll, gibt es nicht. Denmach ist im Kirchlichen
Handlexikon I 104 Alanus de Podio zu streichen.
^ Migne CCX 387 f. „Quod generales absolutiones quae fiunt ab episcopis
in variis officiis non sint ratae." Unter diesen ,, generales absolutiones" darf
man nicht etwa vollkommene Ablässe verstehen; es sind generell erteilte Buß-
erlasse im Gegensatz zu den individuellen Erlassen. Dieser Unterschied
zwischen „personales" und ,, generales relaxationes" ist uns schon bei Petrus
Cäntor begegnet.
• „Praedicti haeretioi nituntur probare, quod absolutio quae fit ab episcopis
in consecratione ecclesiarum VeliriaLiis officiis non sithäbehdä rata. Aiunt
enim: Iste tenetur ad satisfactionem tritun anhöruin; uhusepiscbpias iii con-
secratione unius eoclesiae dimittit törtiain parteiii, securidiis ielaxät allam tertiäm
partem, et tertius reliquam relaxat tertiam, quia tantani pötestatemi reliaxaridi
habent secundus et tertius qüantam et primüs. Quod si est, pro tribus öbolis
yel nummis relaxabitüT poenitentia triehnis. Item, indiscreta videtur esse illä
relaxatio, neb aequa satisfactiöhis recömpensatiö, si pro Tino bbölo vM numiiiö
relaxetur unius anni satisfaotio." < ■''■■'' ' -
VI. Die Ablaßlehre der Frülischolastik. 223
der Ablaß erst im Jenseits seine .Wirkung ausüben: je nach dem
Umfang des erteilten Ablasses würde' dem Büßer im Jenseits mehr
oder weniger von der Fegfeuerstrafe nachgelassen werden:^ Ob Alanüs-
als der erste diese Ansicht vorgetragen habe, muß dahingestellt bleiben-
Wohl erwähnt sie bereits Petrus Cantor.' Es' ist aber leicht möglich^
daß dieser, bei, der Abfassung, seines Werkes die Ausführungen des^
Alanus schon gekannt hat. Wie dem auch sei, die Ansicht des Alanus
über die Bedeutung des Almosenablasses fand bei andern Theologen
und Kanonisten' keinen Anklang. Nur der Verfasser einer gegen Ende
des 12. Jahrhunderts entstandenen Bußschrift, der sich Magister
Alanus nennt, vertritt die gleiche Ansicht wie Alanus von Lille, und
zwar mit ganz denselben Worten. Aber gerade diese wörtliche Über-
einstimmung beweist, daß der Verfasser des Beichtbuchs mit Alanus
von Lille identisch ist- und daß er nicht verwechselt werden darf mit
dem Kanonisten Alanus, der, wie wir weiter unten sehen werden»
über den Ablaß ganz anders sich ausspricht.
Aiif den vollständigen Text des von Magister Alanus verfaßten
Beichtbuchs hat zuerst C. Baeumker aufmerksam gemacht.^ Er fand
ihn in einer Handschrift des österreichischen Stiftes Lilienfeld.^ Alanus
von Lille hat seine Schrift gegen die Häretiker dem Grafen Wilhelm VIII.
von Montpellier (1172 — 1202) gewidmet, weil er damals in letzterer
Stadt als Lehrer wirkte. Das Bußbuch ist dem Primas von Aqui-
tanien, Heinrich von SuUy, Erzbischof von Bourges (1184 — 1200)
zugeeignet. Es besteht aus vier Büchern, die in eine große Anzahl
von Kapiteln eingeteilt sind. Baeumker hat bereits festgestellt, daß
der über poenitentialis, der unter dem Namen des Alanus .1518 in
Augsburg erschien, sowie das bei Migne* unter den Schriften des
1 ,,Ad praediota diciimis, quod ille cui iniungitur satisfactio, caritatem
habet vsl nön. Si caritatem non habet, iiihil ei ab episcopo relaxatur; si vera
caritatem habet aut sit in caritate, hoc diotat ei Caritas, ut perficiat poenitentiam
sibi iniunctam neo seipsum palpet, corporalem declinäns poenam, qiiin in-
iunctam sibi poenitentiam peragat, si potest. . Quia ipsa Caritas reddit hominem
parattmi ut non solum- illam, verum etiam maiorem compleat, si ei iniungeretur»
Talis, si iniplet illud, pro quo facta est relaxatio ab episcopo, non relaxandae
poenae intentione, sed ex caritatis fervore, et decedit ante peractam poenitentiam,
remittetur ei tantum de poena puxgatoria, quantum. in praesenti saeoulo ei re-
laxavit episcopus. Dicimus etiam quod liceat spiritualem poenitentiam com-
mutare in corporalem vel pecuniariam, quae in plerisque longo gravier est
corporali. Nee isti, qui ex caritate accedit, fit commutatio poenae quantum
ad ipsum, quia non hac intentione facit illud pro quo fit relaxatio, scilicet ut
relaxetur ab iniuncta poenitentia, sed solo intuitu caritatis. Neo vult ut relaxetur,
sed habet propositum perficiendi poenitentiam, si Deus concesserit vitam. Quia
igitur proponit eam perficere, neo in ipso remanet quin perficiat, si priusquam
perficiat decedit, et ipse episcopus. hao intentione relaxat, ut in pvtrgatorio ei
aliquid de poena relaxetur, isti, si fuerit morte praeventus, tantum. de poena
purgatoria relaxabitur, quantum in hoc saeoulo de poena temporali relaxatum
esse videbitur." 2 Philosophisches Jahrbuch VI (1893) 422 ff.
^ Cod. 144. Auch die Münchener Staatsbibliothek besitzt zwei Abschriften
des Werkes in Cod. lat. 4616 und 2lö67, die miteinander verwandt, sind'. Eine-
andere Abschrift befindet sich in Bamberg. Vgl. Katalog der Handschriften
der kgl. Bibliothek zu Bamberg I 892. * Migne CCX 279 ii.
224 VI. Die ■ Ablaßlehre der Frühsoholastik.
Alanus von Lille abgedruckte Büß buch zwei voneinahder unabhängige
abgekürzte Ausgaben des in der Lilienfelder Handschrift vollständig
erhaltenen Werkes sind. Baeumker. ist geneigt, dies Bußbuch nicht
dem Scholastiker Alanus von Lille, sondern dem Kanönisten Alanus
zuzuschreiben.^ Ich selber trug früher ebenfalls Bedenken, den Ver-
fasser des Bußbuches mit dem Theologen Alanus zu identifizieren, da
in der Augsburger Ausgabe vom Jahre 1518 dem Verfasser Alanus
der Name Porretanus beigelegt werde.^ Allein noch eine andere
Schrift, die sicher von Alanus von Lille ist, trägt den Autornamen
Alanus Porretanus. ^ Es verhält sich mit diesem Alanus Porretanus
wie mit dem Alanus de Podio; beide haben nicht existiert, sie sind
identisch mit Alanus von Lille.* Daß aber letzterer tatsächlich der
Verfasser des Beichtbuchs ist, ergibt sichj abgesehen von andern
Indizien, aus den Erörterungen über den Ablaß, die im 21. Kapitel
des vierten Buches enthalten sind.^
Das Kapitel trägt die Überschrift: ,,Utrum absolucio que fit ab
episcopis in consecrationibus ecclesiarum vel ahbi sit rata habenda,
et quid remittat episcopus in absolucionibus illis", und beginnt mit
der Frage : „Utrum relaxationes penitentiarum " ordinate fiant ab
episcopis in solemnibus benedictionibus tarn de sua quam de aliis
provinciis multitudine convocata?" Diese Frage findet sich ganz in
derselben Fassung bei Stephan Langton. Auch die Ausführungen
Langtons über die drei Ansichten, die damals über den Ablaß be-
standen, hat Alanus vollständig und wortgetreu in seine Schrift auf-
genommen.^ Die zwei ersten Ansichten widerlegt er in derselben
Weise, wie es bereits Langton getan hatte. Aber auch die dritte;
von Langton gebilhgte Meinung gefällt ihm nicht; er gibt deshalb
eine andere Erklärung. Er läßt den Ablaß nur für den Fall gelten,
daß jemand zu seinen Lebzeiten die auferlegte Buße nicht verrichten
konnte. In diesem Falle würde' dem Ablaßgewinner nach dem Tode
mehr oder weniger von der Fegfeuerstrafe nachgelassen werden, je nach
der Größe des ihm zuteil gewordenen Ablasses. Die Kirche wolle eben
durch den Ablaß nicht die irdische Bußstrafe erlassen, sondern die
jenseitige Reinigungsstrafe. Der Ablaß hätte demnach nicht Geltung
^ Philosophisches Jahrbuch VI 423 425, Ebenso Schmitz II 721.
2 Historisches Jahrbuch 1906^ 878. i . v
^ M. Baumgartnerj Die PMlosopMe des Alanus de Insuhs.Müh^^
1896, 5 [Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters II 4]. Nach
Baumgartner ist Alanus Porretanus identisch mit Alanus von Lille.
. -, * Der Alain Porröe bei Chevalier, Repertoire 92, ist demnach zu streichen.
* Die in dem handschrifthchenBuJ3buch enthaltenen Angäben über den
Ablaß fehlen sowohl bei Migne als in der Augsburger Ausgabe vom ■ Jahre* 1518;
Aus der LiHenfelder Händschrift ist mir ein photographischer Abzug des be-
treffenden Kapitels von Herrn Stiftsbibhothekar P; Theöbäld Wrbä g
übermittelt worden, so daß ich den Lilienfelder Text mit dem Mühchener ver-
gleichen konnte. Den Vorzug verdient unstreitig die LiUenfelder' Abschrift, die
Jhdessen an einigen Stellen durch den Münchener Text verbessert werden kanii.
^ Den Text des Alanus habe ich veröffentlicht in Zeitschrift für kath.
Theologie 1914, 440 ff. V o
VI. Die Ablaßlehre der Frühschplastik. 225.
in foro. Ecclesiae, sondern nur in foro Dei. Diesen Gedanken bringt
Alanus. folgenderweise zum Ausdruck:
.„Soluoio predictarum ;opposioiibnum. Ad harum questionum contrarietatem
dicimus, ^quod iUe oui.iniungitur satisfewtio aut ;caritatein. habet ;aut non. Si
oaritatem' non habet, nihil ei ab episcopo relaxatur. Si vero in oaritate est, hoc
diotat ei Caritas utpenitehciam ei iniunctämpiBrfioiat; et ipsa Caritas reddit ipsum
hominem paratum, ut non solum illam, verum et ut maiorem complefet, si ei
iniuncta fuisset. Talis, si illud implet pro quo facta est relaxacio ab episcopo,
non-relaxahdepene intencione, sed ex caritatis fervore, non vult ut relaxetur,
sed propösitum habet perficiendi penitenciam,' si Deus concesserit ei vitara, et
in ipso non remanet quin perficiat, et ipse etiam episcopus hao intencione relaxat
ut in purgatorio. aliquid relaxetur, huio tutum et sanum- oonsilium est, ut sicut
de suo intulit culpam, sie corporalem subeat penam. Non pronus sit ad huius-
modi relaxaciones'ut quis se ipsum palpet corporalem declinans penam et ele-
mosinis redimens peccata sua; sed cum viderit se insuffioientem esse' penitencie
iniuncte et sub eins onere suam inf irmitatem succumbere, ■ tunc honeste potest
recurrere ad suf fragia ecclesie et. velut ad matema ubera respirare. Tarnen non
debet se palpare quin agat penitenciam sibi iniunctam, si potest, quia ecclesia
non remittit ei. penam temporalem, sed purgatoriam. Sed si'ante peni-
tenciami peraotam decederet, remitteretur ei tantum de pena purgatoria quantum
in hoc presenti seovdo relaxatum esset de temporali pena, quia prelatus non
remittit ei temporalem penam, sed purgatoriam."
Alanus, wirft daiui noch die Frage auf, „quare introducte sunt
huiusmodi absoluciones". Die Antwort lautet:
„Sunt introducte in subsidium, cum scilicet aliquis iniunctam satisfactionem
non potest implere^ vel impedierite infimiitate, vel si in eo statu positus est, in
quo non licet austeritatem vite ardue observare, ut sunt reguläres, quibusnon
est fas preter generalitatem aliquod singulare abstinentie votum assumere,
curiales qui talibusvacare non possurit, üxor'.'. . Est et alius casus in quo con-
ceduntur, et iste precipue valet, ut cum quis transit ab hoc seculo cum vinculo
pene nondum impleta sibi iniixncta satisfactione, et hüio tantum, sicut diximtis,
remittitTir de pena purgatoria quantum iii hoc seculo remissum est a prelato
de temporali pena. . Item queritur, si iste debebat implere septem annos et non
implevit, utriun per. septem annos sit in purgatorio. Respondeo : Proculdubio
implebit «illam. satisfactionem in purgatorio, sed quamdiu ibi sit, ille novit ,qui
est librator penarum."
Vergleicht man die vorstehenden Erörterungen mit den oben an-
geführten Stellen aus der Schrift gegen die Häretiker, so wird man
sofort erkennen, daß sie zum Teil wörtlich miteinander übereinstimmen.
Eine ähnliche Übereinstimmung zeigt sich auch noch in andern Punkten,
z. B. in der Erörterung über die Beichte, die im Notfall einem Laien
abgelegt werden könne. Man ist daher vollauf berechtigt, anzunehmen,
daß der Verfasser der beiden Schriften, der sich in der Vorrede der
einen wie der andern Magister Alanus nennt, ein und derselbe ist,
nämlich Alanus von Lille. An den Kanonisten Alanus ist nicht zu
denken, da dessen Ausführungen über den Ablaß ganz anders lauten.
Über den aus England gebürtigen Kanonisten Alanus, der
Lehrer in Bologna gewesen, ist nur wenig bekannt.^ Nebst einer
um 1208 veranstalteten Sammlung von Dekretalen hat er in den
ersten Jahren des 13. Jährhunderts, sicher vor 1210, einen Apparat
zu dem Breviarium extra vagantium des Bernhard von. Pavia, der
^ Vgl. Schulte I 84 f; 188 f.
Paulus» OeBChichte des Ablasses. 15
226 VI. Die Ablaßlehre der FrülMcholastik.
sogenannten Compilatio prima, verfaßt. In diesem Appairat, der die
Grundlage der Glossa ordinaria (von Bernhard voii 'Böttöne) der
Dekretalen Gregors IX. zu den aus der Compilatio prima entnommenen
Kapiteln bildet, handelt Alanus vom Ablaß in den 'Anmerkungen zum
Kapitel Quod autem (c. 4. X. de poen. et remiss. y. 38) .^
„ Quid valeant remissiones tales, vetus est querela, adhtic tamen satis dubia.
Quidam diciuit quod valeant tantum quoad Deum, non quoad Ecolesiam. Quoad
Daum, quoniam si quis sine mortali decedat, non tamen peracta condigna peni-
tentia de peccatis, de pena purgatorii minus sentiet pro modo remissionis sibi
f acte in vita ista; Ecclesia tamen viventi ob hoc debitam satisf aotionem non relaxat.''
Alii dicunt quod valent qUoad Ecolesiam, sed tunc tantum cum peccatum.
vel per contritionem vel per satisfaotionem estsufficienterpunitiim; tunc enim
quod ex superhabundanti Ecclesia imposuit, et quoad Deum et quoad Ecolesiam
omnino per tales remissiones remittitur.^
Alii dixerunt quod omnino proutdantur proficiunt, et quoad De\un et
quoad Ecclesiam, sed qui eas faciunt, se onerant; tenentur enim elemosinis suis
et orationibus eas supplere, alioquin graviter in purgatorio punirentur.
Alii dicunt quod valent tantum. ad remissionem illius penitentie qua negli-
genter est omissa.^ ^^^r
Sed veritas manifesta ex hoc capite (Quod autem) ooUigitur.^ Dicendum
igitur quod qui iniimgit penitentiam, pro discretione sua eam possit moderari;
potest totam legitimam penitentian, si sibi videtur, imponere, et concedere ut
eam per has remissiones vel in totum vel in partem redimat. Quod si fecerit,
ut hie dicitur, valent remissiones ad relaxationem penitentie, alioquin non. Hoc
tamen verum est, quod hcet non valeant quoad reJaxatiQneminiun.ctq^^^p^
quoad ecclesiam, valent tarnen quoad diminutionem peqcati (d. h. quoad ininorem
penam peccati, wie es in der späteren Glossa ordinaria richtig heißt) quoad Deum,
sicut alia bona opera, Sic igitur, si episcopus" iniungit alicui septennem peni-
tentiam, et ut possit redimere non concedit, licet ipse vel alius pro eo generalem
^ Der Apparat des Alanus findet sich auf der Münchener. Staatsbibliothek
in Cod. lat. 3879; die Ausfühnmgen über den Ablaß stehen auf Blatt 94. Herr
Professor Dr. G. Richter hatte die Güte, mit dem Münchener Text den Apparat
zu vergleichen, der sich in einer Handschrift der öffentlichen Bibliothek zu
Fulda (Cod. D 5) befindet. Der oben gebotene Text beruht auf den beiden er-
wähnten Handschriften.
^ Es ist dies die oben angeführte Ansicht des Alani:is von Lille.
ä Nach dieser Ansicht würde der Ablaß nur für den Fall gelten, daß der
Beichtvater eine allzu große Buße auferlegt hätte; nur jener Teil der Buße, der
über die Gebühr auferlegt worden, würde durch den Ablaß erlassen; für die übrige
Buße müßte der Büßer selber hinreichend genugtun. Wer diese Ansicht vertreten
hat, ist nicht bekannt. Vielleicht hatte Alantis folgende Bemerkung des Petrus
Cantör im Auge: „Quandoque maior debito poenitentia iniungitur, quändoque
minor, quandoque condigna. Si maior, ita posset esse, quod prodesse posset
taHs relaxatio," In den beiden andern Fällen solle der Büßer selber genugtun,
Morinus 769.
* Diese Ansicht erwähnt schon Huguccio, um sie zu verwerfen. Vgl. oben
S. 220.
^ Es ist das Schreiben Alexanders III. an den Erzbischof von Canterbury:
„Quod autem consuluisti, utrum reinissiones, quae fiunt.in dedicationibus eccle-
siarmn, aut conferentibus ad aedificationein pontium, aliis prosint quam.his,
qtd remifctentibus subsunt: Hoc volumus tuam fraternitatem teuere, quod cum
a non suo iudice ligari nullus valeat vel absolvi, remissiones praedictas prodesse
illis tantummodo arbitramur, quibus ut prosint, propra iudices speeialiter in-
dulserunt." c. i. X. de poen. et remiss. V. 38. Aus den Jahren 1161 — 75. Vgl.
Jaffe 124H.
® In der Glossa ordinaria steht ,, iudex" statt „episcopus".
VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik. 227
ad pontem remissionem faciat, qui ponti de suo confert, penitentie sibi iniuncte
inodum quoad ecclesianti non diimnuitj."
Aus diesen Ausführungen, die vollständig mit dem Sigel Ala
(Alanus) in die Glossa ordinaria der Dekretalen Gregors IX. auf-
genommen und infolgedessen von späteren Kanonisten öfters wieder-
holt wurden, geht klar hervor, daß der Kanonist Alanus über den
Ablaß ganz anders dachte als Alanus von Lille. Die Ansicht des
letzteren wird wohl an erster Stelle erwähnt; doch wird sie vom
Glossator als unzutreffend abgelehnt. Der Kanonist Alanus ist der
Ansicht, daß der Ablaß nicht erst im Jenseits, sondern schon in diesem
Leben seine Wirkung ausübe, und zwar sowohl in foro Ecclesiae als
in foro Dei. Doch fordert er für die Gültigkeit des Bußerlasses, daß
derjenige, der die Buße auferlegte, dem Pönitenten erlaubte, diese
Buße durch Ablässe abzulösen.
Die Erörterungen des Kanonisten Alanus über den Ablaß hat bald
nachher Tankred, ^ der ebenfalls am Anfang des 13. Jahrhunderts
Lehrer in Bologna gewesen, vollständig aufgenommen in seine zwischen
1210 — 15 verfaßte Glosse zur Compilatio prima.^ Erwähnung verdient,,
was dieser hervorragende Kanonist über den vom Papste erteilten voll-
kommenen. Ablaß gelehrt hat. Durch, einen solchen Ablaß, bemerkt er,
wird alle Sündenstrafe nachgelassen; doch müsse derjenige, der des
Ablasses teilhaftig werden will, eine gute Reue haben, wodurch die
Sündenschuld getilgt wird.^
Ein von Thomas von Aquin oft zitierter Theolog, Präpositinus
von Cremona, von 1206-.— 09 Kanzler der Pariser Hochschule,* spricht
sich in seiner noch ungedruckten Summe^ folgendermaßen über den
Ablaß aus :
,,Queritur de absolutionibus que fixrnt per episcopos, cxim dicunt: Qui-
cunque tali loco dederit denarium- tuium, remittetur ei etc. Utrum aliquis ibi
dans ex^devotione intelligatur absolutus ? Quod videtur, qtiia Dominus dielt:
Quodcunque solveris super terram, erit solutum et in celis. Sed hanc absolutionena.
facit episcopus iuste et sine errore. Iste ergo dans absolutus est. Item generalis
est consuetudo Eoclesie contra quam disputare non licet. Ergo talis absolutio'
valet. Contra videtür esse inconveniens quod propter tres denarios quos dat in
tribus locis ab omni peccato (bei Morinus: pena) absolutus sit; etiam in hac
parte melior est conditio divitis quam pauperis. Quia pauper dare non potest,
et idcirco non tarn cito absolvitur. Solutio: Gredimus valere talem absolutionem.
Nam in tali casu episcopus pro talibus satisfacere debet, quia si in nullo satis-
fecerit, potius ei imputabitTir quam illi. Nee est inconveniens quod iste oitius
absolvitur quam ille, quia potestas sacerdotis in hac parte multum potest. Nam
cui non sufficiunt merita propria ad tantam absolutionem, sufficit potestas
1 Vgl. über ihn Schulte I .199 ff.
^ Tankreds Apparat ist noch ungedruckt. Die Glosse zu cap, (^uod autem
hat mir Dr. Georg Hofmann aus einer Handschrift der Bamberger Staats-
bibliothek (Cod. can. 19, Bl. 75) gefälligst mitgeteilt.
^ ,,Si dominus papa dimittit omnem penam peccati, sicut facit pro subsidio
terre sancte, omnis peccati pena deletur, dummodo in bona contricione sit homo,
per quam peccatum. dimittitur."
* Vgl. über ihn Grabmann II 552 ff.
^ Handschriftlich auf der Münchener Staatsbibliothek. Cod. lat. 6985.
Die Stelle über den Ablaß steht Bl. 125' 126; man findet sie auch bei Morinus 769.
15*
228 VI. Die Ablaßlehre der Frühsoholastik,
Bcclesie. Sunt tarnen ,qui diount quod oum tales absolutiones fiunt ab ecclesia^
penitens nihilominus ieitmare debet. Sed si contingat exim decedere, tantui».
minus in purgatorio punietur quantum ei dimissum est."
Präpositinus ist demnach der Ansicht, daß der Ablaßgeher selber
für die von ihm erlassene Buße gemigtun solle; doch betont er auch nach
Gebühr die Vollmacht der kirchlichen Oberen, die Sündenstrafen nach-
zulassen. Daß er eine überirdische Wirksamkeit des Ablasses voraus-
setzt, geht aus seinen Ausführungen deutlich genug hervor.
Wie Präpositinus, so fordert auch Giraldus von Cambrien^
eine Kompensation der erlassenen Bußstralfen, und zwar durch Messen,
Gebet und andere gute Werke, mit dem Unterschied jedoch, daß er
unterläßt, die erforderliche Kompensation als persönliche Verpflichtung
des Ablaßspenders hinzustellen. Um 1197 hatte er ein Werk über die
Sakramente verfaßt (Gemma ecclesiastica), das er im Jahre 1199
Innozenz III. darreichen konnte. In diesem Werke handelt er vom
Ablasse bei der , Erörterung der Frage, auf wie vielerlei Weise die
Sünden nachgelassen werden "(quot modis peccata remittuntur).^ Er
führt nicht weniger als sieben Begnadigungsmittel an: Die Sünde
könne vergeben werden durch die Sakramente, den Märtyrertod, den
Glauben, die Werke der Barmherzigkeit, die Liebe, das Gebet und
vielleicht durch den Ablaß (et forsitan per pontificalem reläxationem).
Indem Giraldus das Wörtchen „vielleicht" gebraucht, scheint er die
Wirksamkeit des Ablasses in Zweifel ziehen zu wollen; aus seinen
weiteren Ausführungen ergibt sich jedoch das Gegenteil. Die Sünden-
schuld, so bemerkt er, wird durch Gott allein nachgelassen, während
der Priester bloß erklärt, daß sie vergeben ist. Doch läßt auch der
Priester die. Sünde nach, nämlich die Strafe für die Sünde, indem er
ki-aft der Schlüsselgewalt etwas von der auferlegten oder aufzulegenden
Buße nachläßt.^ Und nun kommt Giraldus auf den Ablaß zu sprechen.
Als Bedingung fordert er, daß die nachgelassene Buße durch andere
gute Werke, oder durch Herzensreue kompensiert werde. Es soll
auch der Pönitent im Stande der Gnade sein, des Ablasses bedürfen
und hierzu die Erlaubnis seines Beichtvaters erhalten. Einem jeden
ist aber anzuraten, daß er die auferlegte Buße nach Möglichkeit ver-
richte, und den Ablaß nur für die aus Nachlässigkeit, d. h. nicht ab-
sichtlich unterlassene Buße gebrauche oder ihn für das Eegfeuer
aufspare.*
^ Vgl. über ihn Kirchliches Handlexikon I 1697.
.2 Giraldi Cambrensis Opera II 17 ff.
^ „Dicimus qüod SBiCerdps dimittit pecoatum, id est, poenam peecati,
cum soiiicet de pqenitentia iniuncta|Sive iniungenda secündüm claves ei ooiiimissäs
relaxat." S. 19. ' '
* „Cum remissio fit, puta in fabrica ecclesiae sive dedicatione, sübintelli-
gendiwn est, si in aliis suffragiis ad hoc institutis, veluti missis, psalteriisj oratiö-
nibus et huii^modi, seu in contritione, eompetens et siifficiens fiat reoom^nsätib;
praesertim si conourrant Caritas poenitentis et ipsiiis indigentia, et säcerdotis
sui licentia; nee meretur talis plurium diermn reläxationem propter nuirnni
öblationem, sed propter oaritatein et devotionem, siout försan fuit in legialibm
VI. Die Abläßlehre der Frühscholastik. • 229
Der- Bat,' den hier Giraldus den Pönitenten gibt, ermöglicht ein
besseres Verständnis- eiiier anonym eil. Glosse 'zu cap. Quod aiitem
(de poen; et remissl) der 'zwischen 1187 — 91 verfaßten Compilatiö-
prima, •,,...•■ .
„Quid valet'talis remissio ? . Si tota' penä remitteretiir lina die, nviihquid
penitentes, tenenttir ieitinare ?> j Resp; ^Sectmduin quosdam he reinissiones' veiut.
thesäurus reservande stU3;b usque post mortem, ut.ttmc nobis.prosint, cum mereri
non possumus; sed potestati clavi'üin ecclesie non invidens dico, ad contritionem
a Deo remissum esse reatum, penam ab ecclesia im.positain eoclesiam posse re-
Huttere." Folgt. ein Verweis auf, ertliche Stellen des Dekrets. „Usus tamen habet,
ut tantum negligentie peiiitentie dicantur remitti."^ ,
'Daß es damals gebiäuchlich.war, ,(iie Ablässe auf die .bei Ver-
richtung' der Bußen begangenen, Nachlässigkeiten zu beschränken, ist
nicht richtig. Hat, doch ein so hervorragender Kanonist wie HugucciO'
diese ^Anschauung mit Entschiedenheit zurückgewiesen. ^
Ein Landsmann , und Zeitgenosse des Giraldus, Robert, von
Flamesbury, ,hat als Pönitentiär ^ in St. Viktor zu Paris zwischen
den Jahren 1207, — 15 ein noch uneedrucktes , Bußbuch verfaßt, worin
er ganz, kurz den Ablaß erwähnt Er verzichtet darauf, sich an der'
Kontroverse über den Wert der, Ablässe näher, zu beteiligen; doch
unterläßt er nicht, allen, insbesondere den mit Bußwerken überladenen
Sündern, die, Ablässe zu empfehlen. , , , ^
„De' remissionibus que fiunt in ecclesiarum edificatione sive pontiiim sive
«Ubi diversi di versa sentiunt, sciUcet quantum vel quibus valeant. Nosautem
qviicquid dicatur, omnibus consulimus tales remissiones, maxime illis qui peccatis.
et penitenoiis onerati sunt , et gravati.'? , ,
Kurz nach der Lateransynode von 1215 hat ein anderer .Engländer,
Thomas von Chabham,* Vizedekan ; des Domkapitels in Salisbüry,
ein, Bußbuch (Summa de poenitentia) verfaßt^ das in zahlreichen
Abschriften verbreitet^* und gegen Ende,4es 15i Jahrhunderts , auch
sacrifiqiis. Causa quidem est devotio, cuius Signum est exteiior oblatio. Con-
silium autem esset, ut iniunctam sibi' pdenitentiam quivis pro posse compleret,
relaxatipnum vero remedia contra iniunota negligenter omissa, vel etiam ad
purgatofium resefvaret." S. 19.- , . ,,
^ Handschriftlich auf der Münchener Staatsbibliothek. Cod. lat. 6352,
Bl. 78. 2 Vgl. oben S. 220.
^ Poenitentiale X 19, mitgeteilt von Morinus 769 und Dietterle, in Zeit-
schrift für Kirchengeschiohte XXIV (1903) 371. Unzutreffend ist Dietterles
Urteil über Roberts Stellung zu den Ablässen: „Sie sind ihm nur ein Notbehelf.
Für gewöhtüich (omnibus consulimus!) verzichtet er darattf, von denselben Ge-
brauch zu machen. Nur da, wo einer nicht imstande ist, alle auferlegten Pöni-
tenzen wirklich zu leisten, läßt er eine remissio eintreten."
* Vgl. über ihn Dictionary of national biography IX, London 1887, 429.
Thomas von Chabham wird oft verwechselt mit Thomas von Cobham, der
1327 als Bischof von Worcester gestorben ist. So besonders von Haureau,
Notice sur un pänitentiel attribuö ä Jean de . Salisbüry, in Notices et extraits
des manuserits de la bibliotheque nationale XXIV 2 (1876) 269 — 87; derselbe
in Joimial des Savants 1891, 306,
® Das Bußbuch, das mit den Worten „Cum miserationes Domini" beginnt,
wird in manchen Handschriften bald Innozenz III. oder Innozenz IV., bald
Johannes von Salisbüry oder andern Autoren zugeschrieben. Vgl. Schulte II
Ö28. In den ältesten Handschriften aus dem 13. Jahrhundert, die in Oxford
sich vorfinden, wird es richtig Thomas von Chabham zugeeignet.
230 , VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik.
zweimal gedruckt, worden ist.^ Vom ;Ablaß ist, im 80. .Kapitel die
Rede. Unter den verschiedenen Ansichten, die, damals noch vertreten
wurden,^ hält der Yerf asser die, folgende für die -wahrscheinlichere :
Mit den Worten:, Wir erlassen euch zehn Tage von der auferlegten
Buße, wollen die Ablaßspender sagen : Wir verpflichten uns und unsere
Kirche, eine zehntägige Buße für euch' zu verrichten. Und dies, meint
Thomas, kann sehr wohl geschehen', da ja einer für 'deii andern ge-
nugturi könne.
Bloß im Vorübergehen erwähnt den Ablaß Johannes Teu-
tonikus (Semeca) in der nach der , Lateransynode vom Jahre 1215
verfaßten Glossa ordina^ria zum Delo^et' Gratians.* Er spriclit davon
an zwei Stellen; zunächst in der Glosse zu c. 88| D.I. de poenit.,
wo er zu den Worten: „Qüibus reinittünt [sacerdotes], remittit Do-
minus", bemerkt, dies sei ein Beweis für die Ablässe (proremissionibus),
die für Brückenbauten und andere gute Werke verliehen werden.^ An
der zweiten Stelle, zu c. 23. C. XIII. q. 2, bei der Besprechung der
Suffragien für die Seelen im Fegfeuer, wirft der, Glossator folgende
Frage auf : Gesetzt, es gebe jemand für einen Verstorbenen ein Almosen,
wodurch der hundertste Teil der Fegfeuerstrafe nachgelassen wird.
Wenn er nun hundert Almosen gibt, ist dann die ganze Strafe erlassen ?
Nein, lautet die Antwort. Durch das zweite Almosen w;ird der hundertste
Teil der noch übrigen Strafe' erlassen; ebenso durch das dritte und die
folgenden. Auf diese Weise bleibt immer noch. etwas von der Strafe
abzutragen. Ähnlich verhalte es sich beim Ablasse; Wird durch die
Spendung eines Denars der vierte ' Teil der Todsünden öder der läß-
lichen Sünden nachgelassen (nämlich' was die Strafe betrifft), so er-
folgt durch die Spendung eines zweiten Denars nicht die Nachlassung
des vierten Teils der ursprünglichen Gesamtbuße, sondern hur des
Restes. Infolgedessen bleibt immer noch etwas von der Strafe übrig,
auch wenn alles Geld geopfert würde. *» f
Ziemlich ausführlich erörtert die Ablaßfrage Wilhelm von
Auxerre (j 1231), Professor an der Pariser Hochschule, iii seiner
^ Von dem Verfasser der Notiz in Dictionary of nat. biogr. wie auch von
Hauröau (Notices 269) wird das Bußbuch irrig als ungedruckt bezeichnet.
Unter dem Titel ,,Liber penitentialis" erschien es anonym zuerst in Köln und
dann, wie es scheint, in Löwen. Vgl. Hain,.Repertorium bibliogr. 13153 13154.
Beide Ausgaben verwahrt die Münchener Staatsbibliothek. - : -•
2 Aus Kap. 98, worin das Beichtdelaet der vierten LäteransynoÜe erwähn
wird, ergibt sich, daß die Schrift nach 1215 verfaßt wordeii ist: '
3 Die kurzen Bemerkungen sind mitigete^^ f. ÜbeiT
die Entstehungs zeit der Glossa ordinaria zum De^
der Scholastik vom Spender der Firrnuhg und des Weihesakraments. PMerbom
1920, 184 ff. ^ ^ ■ '■'■ ''-'-' ■?,;., ';'.;;^ ''. ","',."/'':-
* Decretum Gratiani cum glossis loanmstheutonici. Vene tiis 1526, 538.
5 ^^ jjt gic solvo illud quod obiicittir de indulgentiis iquia si propter oblationem
unius denarii toUitur quarta pars peccatorum mortalium vel venialium, per
oblationem secundi denarii tollitur tantum in propositipne, non tantum.; iii
quantitate, et semper aliquid remanet, licet omne argentnm ef funderetur. " Bl. 326.
yi. Die Ablaßlehre der ; Frühscholastik. 231
viel, benutzten Theologischeni Summe/ die . bald nach 1215 verfaßt
worden ist.^ In , dem Traktat r.üjaer .das ' Bußsakrament handelt ein
längerer aus drei Kapiteln bestehender; Abschnitt ,,de vrelaxationibus
quae fiunt.,per"cla,ves". ;Der Verfasser wirft zunächst die Frage auf,
ob , der Ablaß.,sö). viel wert sei;',.alsi'die Kirche, zu verheißen scheint
(utrum-ivaleät tantum relaxatio; quantumecclesia vidietur promittere)'.
Eri gibt zuerst; das Für, und Wider an.. - < i ;.
Zugunsteln- des- vollen Wertes »des Ablasses werden verschiedene
Gründe ins Feld' geführt. 1. Die Kirche erklärt, daß demjenigen,
der für dieses öder- jenes Gotteshaus- einen' Beitra;g spendet, ein Drittel
der Buße nachgelassen werde.' Daraus - scheint' zu' folgen, daß durch
drei -Beiträge die ganze Buße abgelöst wbrden könne. Dies scheine
freilich einigen ungezienierid. Daher sagen sie : Der Ablaß gilt nicht
so viel, als die Kirche verheißt. Die Kirche will damit bloß die' Gläu-
bigen zu Geldspenden anreizen; deshalb ist es ein frommer Betfug,
der; jedoch nicht' 'als Sünde anzusehen sei.^ Deingegenübef wird
geltend gemacht; daß 'in' diesem Falle die allgemeine Kirche sich eine
Lüge zuschulden kommen ließe,f'Wasf nicht aiigehömmen- werden könne.
2. Papst Gregor IJ- hat derartige Erlasse in ■ Rom 'eingeführt. Wer
dort in der Fastenzeit an' den Prozessionen^sich beteiligt, kann über
50 Jahre Ablaß gewinnen. Wenn aber- ein so 'größer Ablaß' dn Rom'
besteht, können auch' andere Erälaten ein Drittel der Büße erlassen.
3. Am Karfreitag erteilen. 'die Priester jenen, die der Messe beigewohnt
haben, die Erlaubnis, zwei' Mahlzeiten zu- hallien. Dieser Gebrauch
wird von der allgehieinen Kirche gebilligt; deshalb wird auch alles
erlassen; was' diese *priesterliche Bewilligung verheißt. - Aus demselben
Grund wird alles erlasseh, was der bischöfliche Ablaß verheißt. 4. Der
Apostel Paulus ihät dem- Blutschänder ' voii- Korinth verziehen an
Christi Statt; Dies will nach der' Glosse 'heißen., wie wenn Jesus
Christus selber verziehen hätte.* 'Nun' sind -aber die Bischöfe Nach-
folger der. Apostel. Wenn sie daher etwas nachlassen, so ist es wirklich
^ Guillermus Altissiodorensis, Summa aurea. Parisiis 1500, 281 — 283.
^ach Deni-fle I 133 diente diese Summe als Vorlage für' die Vorlesungen, wie
"wenige jener Zeit.
^ Vgl. J. Strake, Die Sakramentenlehre des Wilhelm von Auxerre. Pader-
born 1917, 7 ff. [Forschungen zur christlichen Literatur- und Dogmengesohichte.
Bd. XIII, Heft 5.] .' .
^ „Diount quidam quod- relaxatio non tantum valet quantinn Ecclesia
promittit; sed faoit ut excitentur fideles addandum et deoipit eos Ecclesia; sed
illa deceptio pia fraus est, et non peccatum., Bl. 281. Nach Johann von Wesel
(bei G. Fr. Walchius, Mönumenta medit aevi I 1, Göttingae 1757, 152) soll
Wilhelm von Auxerre gesagt haben, Petrus Cantor habe den Ablaß als frommen
Betrug bezeichnet: Die Ablässe seien „piae fraudes fidelium, ut dixerunt multi
presbyteri, et signanter quidam Cantor Parisiensis, cuius mentionem facit Wil-
helmus Altisiodore'nsis super 4. sententiaruin". Davon ist bei Wilhelm nichts
zu finden.
* Gemeint ist die Glossa iliterlinearis von Anselm von Laon (f 1117).
Vgl. Biblia sacra cum glossa VI, Antverpiae 1637. Zu 2. Kor. 2, 10.
232
VI.- Die Ablaßlehre der Frühsohölastik.
ganz nachgelassen-. Das beweisen auch die Worte Christi : Was du auf
Erden lösen wirst, soll auch iin Himmel "gelöset -sein'. ■ ' '"
Gegen den vollen ^ Wert des' Ablasses wird^f olgender Hauptgrund
geltend gemacht: Die Süiide' muß gestraft' 'werden. ' Wenn' dalier 'der
Sünder selber- die Strafe nicht » auf .'■sich nimmt' und 'keine würdigen
Früchte der Buße; tut; so wird Gott- ihn' strafen. Deshälb'kann^äuch
für eine Geldspende, die je für den -Erlaß eines D'rittels^der' Büße
dreimal wiederholt wird, die ganze Buße,- nicht abgelöst, ,werden.
Nachdem. 'Wilhelm das Für, uiid Wider dargelegt hat, trägt -er
seine eigene Ansicht vor. Damit der Ablaß, bemerkter,, so viel gelte,
als die Kirche verheißt, sind sechs .Bedingungen erfordert: 1. ,,Botestäs
ligandi et solvendi"; der Ablaß -muß den Gläubigen von ihrem i zu-
ständigen Bischof oder in dessen Auftrag erteilt werden. • 2. „Necessitas
loci cuius causa fit relaxatio et illius cui fit relaxatio'!, wenn nämlich
derjenige, dem der Ablaß erteilt wird, wegen, Schwäche; oder Krankheit
die auferlegte Buße nicht verrichten kann. t3. „Devotio fidei"iiman
muß glauben, daß die.Kirche die .Vollmacht: habe, Ablässe zu erteilen.
4. „Status illius cui.datur-'f; er muß im Stände. der. Gnade sein, sonst
nützt ihm der Ablaß nicht. 5. „Discretio"; wer» den Ablaß gewinnen
will, muß. sich selber, fragen,, wieviel er hätte geben .wollen, um von
der betreffenden Buße befreit zu werden. .6.' ,',Iusta.iaestimatio";^
nach dem Umfang des m Erlasses muß er zu kompensieren suchen.
Diese sechs Bedingungen sind, bei, dem Ablaß .vorausgesetzt, wenn
dieser so viel gelten soU.,-,al8 die Kirche verheißt. Daß aber die !Kirche
diese Bedingungen nicht ausdrücklich hervorhebt, hat' einen doppelten
Grund: Wenn man sie öffentlich! verkündigte, so, würden die Gläubigen
zu Spenden weniger geneigt sein. Zudem muß der Abläßgewinner i im
Stande der Gnade und der Liebe sich; befinden. Damit ist aber not-
wendigerweise;' der. Glaube verbunden,: der ihn befähigen wirdi den
Wert des Ablasses richtig! abzuschätzen'. - .,.;'!
Wilhelm kommt dann auf die Gründe zurück, die für den vollen
Wert des verheißenen Ablasses geltend gemacht wurden. Er gibt zu,
daß die Kirche in gewissem Sinne die Gläubigen täusche, indem sie
jene sechs Bedingungen nicht ausdrücklich hervorhebe; doch mache
sie sich dabei keiner Lüge schuldig. Was die angeblich von Gregor. L
bewilhgten Ablässe der römischen Stationskirchen betrifft, so steht
Wilhelm nicht an, deren Vollwert anzuerkennen. Papst Gregor ,^
meint er, hat die Mühen berücksichtigt, die mit einer Romreise und
mit der Beteiligung an den Prozessionen verbunden siiid. Bei den
römischen Ablässen fehle denn auch nicht die erforderliche Leistung
von Seiten der Gläubigen. Dem Hinweis auf die Absolutions vollmacht,
welche die Bischöfe von Christus erhalten haben, begegnet Wilhelm
mit der Bemerkung, daß die Bischöfe ihr Amt in gerechter Weise
verwalten müssen; zur rechtmäßigen Ablaßbewilligung seien aber die
sechs namhaft gemachten' Bedingungen erforderlich. Bezüglich des.
Fastenerlasses, der damals von den Priestern am Karfreitag erteilt
wurde, erklärt Wilhelm, die Priester sollen derartige Erlasse bewilligen.
VI. Die Ablaßlehre der 'Frühscholastik. 23S
wenn- sie Werke derBarinlierzigkeit auferlegen; dann- sind sie gültig;
dehn die leibliche Übung (Fasten) hat wenig' Nutzen.; die Barmherzigkeit
aber ist zu allem nützlich (1. Tim. 4, 8).
Nun' wurde aber 'auch .beim > Almosenablaß das Fasten durch
Almosen, ersetzt. > , Dies^wirdf zwar;-von%Wilhelm. nicht bestritten: nur
fordert' erj -daß s bezüglich ^ der Ablässe eine '„gerechte Abschätzung"
(iusta i faes'timatio) . obwalte,- ^so daß > das erlässehe - Bußwerk durch
Almosen hinreichend, .kompensiert werde --{quod ipsum datum recom-
pensetf'poeriitentiam ihiunctam); Demgegenüber^ machte? man geltend^
daßjder Wert;des Ablasses .nicht! bloß auf der« gespendeten Opfergabe
beruhe, sondern 'Jauch »auf den .Gebeten und; Suff ragieh der Kirche^
die sich verpflichte, füriden- Almosehspehder; zu 'beten.^ Da aber die
Barche, ihre Fürbitte; für den Almosehspenderf! einlege und diadurch
dessen ■ Sündenstrafen'' vermindere,! so sei es .nicht nötig, daß für difr
erlassene .Bußstrafc- volle -Kompensation , geleistet werde. ^ . Wühelm
gibt zuj -daß .'der -Wert des '. Ablasses^ nicht bloß auf' der gespendeten.
Opfergabe, ! solidem auchi auf ;^enM Suff ragien der 'Kirche beruhe, und
daß vermöge- dieser beiden Faktoren >' dem: Sjpender eines . Obolus der
dritte. Teil der, Buße' erlassen werden könne.- Trotzdem -fordert er
eine ,, gerechte 'Abschätzung' -und j, würdige Früchte der Büße", und
zwar aus einerh' dreifachen 'Grunde iv.erstens- wegen, der Unsicherheit
(propter incertitudinem),' weil, man nicht mit Sicherheit wisse, roh
durch den Ablaß ^die Sündenstrafe, erlassen, worden sei, da man, nicht
bestimmen- könne, in, welchem. Maße, die. Suffragien der Kirche Nutzen,
bringen; zweiteiiS; wegen.' der, zu: vermeidenden 'Unterlassung (pröpter
omissionem vitandam), >veil nian sonst durch Unterlassung der schul-
digen Buße tödlich sündigen würde; drittens "wiegen größerer, sicherer
und besserer; Genugtuung, (propter majorem et, certioreni et mehorem
satisfactionem), da eigene Buße, mehr nütze, als fremde Genugtuung.
,3pör. Frage, nach dem Wert, der Ablässe,,schließtf Wilhelm .eine
zweite, weniger .wichtige,, an, nämlich , die Frage;, ob bezüglich' " de»
Ablasses der Arme und, der .Reiche in .derselben Lage sich befinden.
Er glaubt diese ;^age , verneinen , zu sollen, da der Arme, der, kein.
Geld spenden könne, was den Erlaß der Bußstrafen betrifft, in einer
ungünstigeren Lage, wäre als, der Reiche. Im Grunde genommen sei
indessen die Lage des. Armen die vorteilhaftere. Wenn auch der Reiche
in einer günstigeren Lage ist, was den Bußerlaß durch Almosenspende
anlangt ,^ so ist doch der Arme in einer vorteilhafteren Lage, wenn
man den Bußerlaß, der durch die Reue erfolgt, in Betracht zieht. Denn
der Arme wird in der Regel seine Sünden leichter bereuen als der
Reiche. Durch die Reue wird aber die Sündenstrafe wirksamer er-
lassen, als durch Almosenspende. Schon aus dieser Gegenüberstellung
^ ,,Obiioitux quod'relaxatio non tantum valet ratione dati, seu ration©
precum et suffragiorum Ecclesie, qua obligat se ad orandvuri pro illo qui dafc
aliqtiid de suo ad fabricam ecclesie ; et Ecelesia per preces suas meretur ei re-
missionem pene . . . Ergo non oportet in relaxationibus quod quidam recompensefc
penitentiam iniunctam." Bl. 282.
234 VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik.
von Reue und Ablaß geht genugsam hervor, daß -Wilhelm yon Auxerre,
wie der Reue, so ,auch dem Ablaß eine . jäberirdische Wirksamkeit zu-
schreibt.
Im dritten und letzten Kapitel handelt Wilhelm, von dem Wert
einiger besonderer Ablässe, die damals , in Übung : waren. In^ bischöf-
lichen Urkunden des 12. und 13. Jahrhunderts wird bisweilen nebst
dem dritten Teile der Buße noch anderes erlassen, nämlich die ver-
gessenen Sünden, gebrochene '^Gelübde, falls. man wieder idazu zurück-
gekehrt sei, Beleidigung der Eltern, wenn damit < keine tätliche Miß-
handlung verbunden gewesen. ?• Bei diesen eigentümlichen^ Erlassen
handelte es sich nicht um Vergebung der Sündenschuld, sondern um
Nachlassung der für jene .Vergehen verdienten Bußsträfen. Hierzu
bemerkt nun Wilhelm: Da; für- vergesseiie Sünden und gebrochene
Gelübde die zur vollen Gültigkeit des Ablasses erforderliche' „gerechte
Abschätzung" nicht stattfinden könne,^.' so sei- es.; nicht notwendige
daß derartige Ablässe so viel bewirken; als^^e verheißen;, man müsse
sie vielmehr folgenderweise erklären: .Wer für diese öder- jene Kirche
«inen Beitrag spendet, dem wird ein Drittel der Buße samt den ver-
gessenen Sünden und den gebrochenen. Gelübden erlassen, ganz oder
zum Teil (vel in 'parte vel in<,toto). Und das sei schon. ^ hoch anzu-
schlagen. Die Kirche aber bestimme nicht näher, wieviel nachgelassen
werde, um den Eifer der Gläubigen mehr anzuregen.
Ähnliche Schwierigkeiten bot der Kreuzzugsablaß, der, wie Wilhelin
berichtet, damals von Predigern 'folgenderweise angepriesen wurde: 'Wer
zur Verteidigung des Heiligeii Landes das Kreuz nimmt, dem werden
alle Sünden vergeben, so daß er, wenn er' gleich' nach der' Annahine
des Kreuzes sterben sollte, sofort in den Hinimel' auffahren würde.^
Wilhelm fragt, ob der Kreuzzug wirklich einen so hohfen' Wert' besitze.
Er gibt zunächst das Für und Wider an. Gegen die 'Gültigkeit des
Ablasses werde geltend gemacht; daß' 'für die begangenen Sünden
auch eine entsprechende Bußstrafe übernommen werden 'müsse und
daß die Kirche nicht in der Lage sei, hierfür einen genügenden Ersatz
zu bieten; ihre Verdienste würden hierzu nicht hinreichen. Wenn
bei einem Kreuzauge • vielen schweren ' Sündern ein vollkommener
Ablaß verheißen wird, so kann es leicht vorkommen, daß in der Kirche
nicht hinlänglich genugtuende Werke vorhanden seien, um die schweren
Strafen, die den Kreuzfahrern erlassen werden, auszugleichen.^ Für
^ In solchen Fähen konnte eine „gerechte Abschätzung" nicht stattfinden,
mit andern Worten, es konnte nicht bestimmt werden, wieviel Almosen als' hin-
reichende Kompensation für die erlassene Buße zu geben wäre, weil für die
betreffenden Vergehen spezielle Bußen nicht auferlegt wurden.
^ „Quam predicatores sie exponunt: Quicunque acceperit crucem ad sub-
sidium terre sanote, dimittuntur ei omnia peocata sua, ita quod, si statim decedat
sumpta cruce, statim eyölabit." Bl. 282'.
^ „Potest contingere quod tota Ecclesia vix sibi sufficiat; quia si unus
est in Ecclesia qui sibi sufficit, sunt oentum qui sibi non sufficivint; ergo nee
aliis sufficiunt. Si ergo plurimi valde peccatores accipiant crucem, cum tota
VI. Die Ablaßlehre der- Frühscholastik. 235
die Gültigkeit des Ablasses berufe man sich auf die MachtvoUkommen-
lieit des Paps,tes, der einen solchen; Erlaß erteilen könne, und auf die
Verdienste der Kirche, die den Teilnehmern, ara Kreuzzuge zugewendet
würden., Wilhelms eigene Ansicht ist folgende : Man braucht nicht
anzunehmen,, , daß derjenige, . der gleich nach Annahme des Kreuzes
stirbt, sofort in den Himmel auffahre: doch könne, dies öfters vor-
kommen. Unter jenen, die das Kreuz nehmen, gibt es nämlich manche,
die fest, entschlossen sind, ihr .Leben für Christus aufzuopfern. Mit
diesem Entschlüsse wächst auch, ihre Reue, und so wird ihnen- durch
die Reue die Sündenstrafe .nachgelassen. T^enn aber gesagt ,wird, daß
der V Papst die Fülle der Gewalt besitzt,, so ist zu bemerken, daß der
Papst , kraft seiner Machtvollkommenheit die Kreuzfahrer wohl, aller
Suffragien der Kirche teilhaftig machen könne; er. kann, aber nicht
bewirken, daß, der jenige, der eine Strafe abzutragen hat, in den Himmel
auffahre, ohne seine Schuld bezahlt zu haben. Der Sünder niuß auch
Buße tun; doch genügt er seiner Pficht, wenn er selber die Buße ver-
richtet oder, wenn dieKirche ,sie- für ihn- übernimmt.^ Merkwürdiger-
weise geht Wilhelm auf den Einwand, daß die Kirche nicht hinreichend
Yerdienstei besitze, um alle Schulden der .Kreuzfahrer ausgleichen zu
können, nicht, näher ein.. Indem , er , aber die Widerlegung des , Ein-
wandes durch die Vertreter. der gegnerischen Ansicht für nicht stich-
haltig erklärt,^; zeigt , er deutlich, genug, , daß er selber dem Bmwand
eine gewisse r Berechtigung anerkannte. , Anderseits versteht er unter
den kirchlichen Verdiensten und Suffragien, die der Papst den Kreuz-
fahrern zuwenden kann, nicht bloß eine Fürbitte, sondern auch eine
stellvertretende Genugtuung, wie, aus seinen soeben angeführten Er-
örterurgen hervorgeht. Noch viel bestimmter spricht er sich aber
über diesen . Prunkt aus an einer andern Sjielle, wo .er die kirchlichen
„Suffragien" für. die Seelen im Fegfeuer, behandelt. Auch hier wird
der Gedanke, daß die, Sünde gestraft werden müsse, gleich am Anfange
mit Nachdruck hervorgehoben : Entweder muß der Sünder selber sich
strafen oder Gott, wird ihn strafen. Wird, aber dieser Grundsatz nicht
verletzt, wenn, dank den kirchlichen Suffragien, den Seelen im Feg-
feuer ihre -Strafe erlassen wird ? Nein, erwidert Wilhelm, weil die
Kirche selber für die Seelen im Fegfeuer genugtut. Es kommt denn
auch die göttliche Gerechtigkeit nicht zu kurz. Denn man nimmt an,
daß der Mensch sich selber straft, wenn ein anderer für ihn die Strafe
Ecclesia vix sibi sufficiat, non suffioit ad liberationem illorum cruce signatoriim.
Ergo si illi statim decedant, nulla parte peregrinationis facta, non statim evolant,
cum merita Eoclesie illis non sufficiant." Bl. 282'.
^ „Dicimus quod (papa) habet hano potestatem ut faciat crucesignatos
participes omnitim suffragiorum, Ecclesie; sed non habet hanc potestatem ut
istum qui est pene debitor, faciat evolare sine solutione pene; imo necesse est
quod suscipiat de manu Domini duplioia et faciat fructus dignos penitentie.
Sed intelligitur facere penitentiam, si vel ipse vel Ecolesia faciat pro eo." Bl. 283.
' „Ad tertium obieotum dicimus, quod non valet hec argumentatio :
Jjicet , . . merita Ecclesie vix sibi sufficiant, tamen sufficiunt crucesignatis etc."
Bl. 283.
236 VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik.
Übernimmt. Bezahlt mein Bruder das Geld, das ich schuldig Bin, so
hin ich frei von der Schuld. In ähnlicher Weise, wenn die Kirche für
jemand, der im Fegfeuer' ist, genugtüt,^so wird ihn Gott' für frei von
der Schuld halten; denn wir sind alle Brüder.^ Baß den Suffragien
der Kirche der Charakter stellvertretender' Genugtuung zukommt,
wird also von WilKelin so scharf als möglich hervorgehoben. Diese
Suffragien, bemerkt er, wirken „nach Art' der Geiiügtuung".'^ '
Man beachte wbhl; daß ' Wilhjelm in seinen' Ausführungen über
den Wert des Kreuzzugsablasses nicht von jenen spricht, die den
Kreuzzüg wirklich mitmachten: Er war offenbar 'der'Äiisicht: daß die
Teilnahme an einem so beschwerlichen üntefnehmeh" ein hinreichender
Ersatz fiir die schuldige Buße sei, da er ja dies schön' für die minder
beschwerliche Romfahrt gelten läßt. Bei seihen Ausführungen hiat er
nur solche Kreuzfahrer im Auge, die gleich nach Annahme des Kreuzes
hoch vor Beginn des KJreuzzugs sterben würden (nulla parte peregri-
nationis facta). Von diesen meint er, daß sie, abgesehen von jenen,
die fest eritschlosseh' sind, für Christus in den^^Tod zu gehen, des' voll-
ständigen Straferlasses nicht teilhaftig würben. Daß er dabei die
päpstliche Lösegewalt ' nicht genügend betont und allzusehr die per-
sönliche Leistung des Büßers hervorhebt, braucht nicht eigens bemerkt
zu werden. Bezüglich der Fragej ob man schon" durch die Annahme
des Kreuzes mit dem Entschlüsse, den Kreuzzug mitzurriiachen, des-
verheißenen Ablasses teilhaftig werden könne j halben spätere Theologen^
wie Thomas von Aquin, richtig betont^ daß^ man nachsehen müsse^
was hierüber in den' päpstlichen BüUien bestimndt- werde. '
Größeres Gewicht auf die kirchliche' Lösegewalt legte bei Er-
örterung der Ablaßfrage ein anderer Pariser Theologe jener Zeit,,
Wilhelm von Auvergne, der nach längerer Lehrtätigkeit 1228
zum Bischof von Paris ernannt wurde und 1249 gestorben ist. Schon
die Stelle, an welcher dieser Theolog vom Ablaß ' handelt, ist charak-
teristisch. Er widmet ihm ein eigenes Kapitel nicht in. dem Traktat-
über das Sakrament der Buße, sondern in der Abhandlung über das
Sakrament der Priesterweihe.^ Zuerst widerlegt er die Gründe, auf
welche damals die „Feinde der Wahrheit" (die Waldenser) sich be-
riefen, um den Ablaß zu verwerfen. Vor allem wollten sie von den
^ „Tanta possunt esse suffragia Ecclesie, quod tota pena dematur ei pro
quo f iunt . . . Non evacuatur iustitia divina, si tota (pena) demitur per suffragia
Ecclesie. Homo enim dicitur se punire, si alius puniat se pro ipso; sicut si f räter
meus solvat debitum quod debeo, absolutus sum; eodem modo si Ecolesia satis-
f aciat pro illo qui est in purgatorio, pro absoluto habet eum Dominus; omnes
enim fratres sumus." Bl. 3Ö4'.
'^ „Suffragia per modum satisfactionis purgant." Bl. 305'.
ä Guilelmi Alvemi Episcopi Parisiensis Opera omnia. Aureliae 1674. I
550—53. Wilhelm hat sein Werk über die] Sakramente nach 1215 verfaßt, da.
er darin auf das Beichtdekret der vierten Lateransynode Bezug nimmt. Bl. 499'.
Vgl. St. Schindele, Beiträge zur Metaphysik des Wilhelm von Auvergne.
München 1900, 5. Ziesche, Die Sakramentenlehre des Wilhelm von Auvergne,
in Weidenauer Studien IV, Wien 1911, 149. '
VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik-. 237
Ablässen nichts wissen, da sie ,,käuflicli"' (venales) wären und Gott
dabei benachteiligt würde, indem die, Buße, die ihm geleistet werden
sollte^ durch ein geringes. Geldopfer ersetzt würde. Demgegenüber
bemerkt Wilhelm, von Auvergne, daß von einer Käuflichkeit keine
Rede sein könne, da für Geld nichts geschehe (cum pro pecunia nil
ibi fiat)., Der Bischof,^ der einen Ablaß für Kirchenbau erteile, sei
nicht auf das Geld bedacht, sondern auf die Ehre Gottes und das
Heil der Seelen. Werde doch die Kirche erbaut, daß Gott darin ver-
herrlicht und den Gläubigen Gnaden gespendet würden. Wie nun
die Kirche nicht des Geldes wegen, wenn auch durch Geld, erbaut
wird, , so werde auch der . Ablaß nicht für Geld, sondern zur Ehre
Gottes, wenngleich nicht ohne Geld erteilt, da das Gotteshaus nicht
ohne Geld erbaut werden könne. . Man sei auch nicht berechtigt, zu
behaupten, daß Gott benachteiligt werde. Die Opfer, der Gebete und
des Lobes, die in einer .Kirche (Grott dargebracht werden; seien ihm
angenehmer als kasteiende Bußübungen. s , , ;
Gegen den Almosenablaß machte man weiter geltend, daß dabei
eine Ungerechtigkeit begangen werde, indem jene, die eine' langjährige
Buße zu leisten haben, ein Drittel davon ablösen können mit dem-
selben Geldopfer, mit dem andere, die geringere Bußen auf sich haben,
ebenfalls nur ein Drittel dieser Bußen abtragen. Wer aber hierin
eine Ungerechtigkeit erblickt, meint Wilhelm, der verkennt die kirch-
liche Lösegewalt; denn von dieser komme der Ablaß her, nicht von
der Opfergabe (non ex oblatione sive ex oblatis, sed ex clavibus et
ministerio praelatorum). Der Verfasser bemerkt übrigens, daß der
Ablaß in Wirklichkeit eher eine Bußumwandlung als ein Straferlaß
sei, da ja das auferlegte Büß werk durch Almosen ersetzt werde. Weil
es aber den Reichen viel leichter sei, Almosen zu spenden, als ein
mühevolles Büß werk zu üben, so werde die Umwandlung der Buße
in eine Opfergabe als Erlaß betrachtet.^ Wilhelm betont aber noch-
mals, daß die Wirksamkeit des Ablasses nicht von dem gespendeten
Almosen, sondern von der kirchlichen Lösegewalt abzuleiten sei.
Daraus erkläre sich, warum eine kleine Leistung, für welche ein Ablaß
gespendet worden, zur Tilgung der Bußstrafen weit mehr beitrage
als eine andere, bedeutendere Leistung, die in keiner Beziehung zum
Ablaß stehe. ^ Nebst der Schlüsselgewalt seien zur Erklärung der
Wirksamkeit des Ablasses auch in' Betracht zu ziehen die Verdienste
der allgemeinen Kirche, die in dem zu erbauenden Tempel Gott ver-
^ „In veritate magis commutatio est quam remissio, Sed quia longei levius
est offerre habentibus et habundantibus quam poenitentiales labores atque
molestias ferre, remissio reputatur commutatio poenitentialis äff lictionis et munus
oblationis." S. 550.
? ,",Modica oblatio aut levis labor in operibus seu fabricis, propter quas
indulgentiae f iunt, longe plus prosunt ad obtinendam xemissionem quam magnae
oblationes gravesque labores alias f^cti aliasque suscepti; et hoc quidem propter
virtutem clavium, noii propter se." S. 551.
238 VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik.
herrlichen werde, wie auch die Verdienste und Fürbitten aller Heiligen,
deren Andenken man in dem Gotteshaüse feiern werde.
Ein dritter Einwand wurde damals schon gegen die Ablässe
erhoben. Man sagte, daß die Menschen zum Sündigen angereizt
werden, wenn sie auf so leichte Weise von der Buße sich befreien
können. Auch diesen Einwand will Wilhelm nicht gelten lassen. Nur
jene, so führt er aus, können Ablässe gewinnen, die im Stande der
Gnade sind und keine Todsünde auf dem Gewissen haben. Nun
kann aber niemand mit Sicherheit sagen, daß er im Stande der
Gnade sei ; folglich weiß niemand rnit^ Sicherheit, ob er den Ablaß
gewonnen habe. Anderseits muß ein jeder init Bestimmtheit sich
sagen, daß er die auferlegte oder aufzulegende Buße zu leisten habe.
Deshalb darf niemand wegen diss Ablasses unterlassen, Buße zu tun
um sich nicht der Gefahr auszusetzen, im Eegfeüer eine viel strengere
Strafe erleiden zu müssen. Aus diesem Grund wird auch niemand
der Ablaß ganz sicher verheißen, sondern unter der Bedingung, daß
man frei von Todsünden sei. Da nun aber, gottesfürchtige Christen
stets in heilsamer Furcht leben, so werden sie sicher nicht wegen des
Ablasses der Unbußfertigkeit sich hingeben wollen.
Nachdem der Verfasser die Einwände der Gegner zurückgewiesen^
uhtemimmt er, die Vollmacht der kirchlichen Oberen, Ablässe zu
erteilen, positiv zu begründen und apologetisch .zu rechtfertigen.
Entschieden nimmt er für die Bischöfe das Recht in Anspruch, die
auferlegten Bußen zu mindern oder umzuwandeln, je nachdem sie es
zur Ehre Gottes, zum Heile der Seelen und zum Nutzen der ganzen
Kirche dienlich finden. Bemerkenswert ist besonders die Art und
Weise, wie Wilhelm die Kreuzzugsablässe zu rechtfertigen sucht. .Wenn
ein König, bemerkt er, in den Krieg ziehen will, so beauftragt er seine
Offiziere, Truppen zu werben und sie gehörig zu besolden. Nun hat
aber auch Christus Kriege zu führen, nämlich gegen Heiden, Sarazenen
und Häretiker. Auch er hat seine Befehlshaber, d. h. die Bischöfe,
bevollmächtigt, Soldaten anzuwerben und sie in geziemender Weise
zu belohnen. Das geschehe durch Verheißung von Ablässen. Der
Erlaß der auferlegten Bußstrafen ist der Sold, der den Kriegern
Christi angeboten wird. Wie dann ein irdischer Fürst seine Soldaten
von den Obliegenheiten befreit, die sie hindern, in den Krieg zu ziehen,
so entbinden auch die Kirchenfiirsten die Kreuzfahrer von Fasten und
andern Bußübuiigen, die mit dem Soldatenleben nicht gut vereinbar
sind. Man sage nicht, daß es genüge, den Kreuzfahrern einen ewigen
Lohn in Aussicht zu stellen. Wollte man ihnen nur eine Belohnung
in der Ewigkeit verheißen, so würde man sicher nur ganz wenige an-
werben können. Da a;ber die Ablässe eine so große Zugkraft haben,,
so mögen die kirchlichen Oberen nur Gebrauch davon machen.
Was dann die Ablässe für Kirchenbauten betrifft, so ist zu be-
achten, daß die Heiligen, zu deren Ehren Kirchen erbaut werden, sich
für die Wohltäter bei Gott verwenden werden, daß er ihnen die
Sündenstrafen nachlasse. Diese Fürbitte der Heihgen würde für sich
VI.' Die Ablaßlehre der Frühscholastik. 239
allein schon. genügen, einen derartigen Erlaß zu erwirken.^ Warum
sollten also die Bischöfe keine A'blässe für Kirchenbau erteilen können ?
Daraus geht klar hervor, daß Wilhelm von Auvergne eine Wirksam-
keit der Ablässe in foro Dei annimmt.
Auch die Ablässe, die für Klöster, Spitäler, Brücken- und Straßen-
bau bewilligt werden, lassen sich leicht rechtfertigen. Die Beförderer
dieser Anstalten und Unternehmungen haben Anteil an den Gebeten
und guten Werken der Ordehsleute, die in den Klöstiern ihr Leben
zubringen, der Armen und Kranken, die in den Spitälern aufgenommen,
werden, der Pilger, die über jene Straßen und Brücken hinziehen.
Infolge dieser Gemeinschaft werden sie mit Recht der Bußübungen
entbunden, da andere mit ihren Bußwerken für sie bei Gott eintreten.*
Was die Armen betrifft, die kein Almosen spenden können, so
meint Wilhelm, daß sie nicht ganz von der Wohltat der Almosen-
ablässe ausgeschlossen seien. Zwar würde ihnen der Ablaß nicht zuteil
werden kraft der Schlüsselgewalt; doch sei zu glauben, daß der all-
barmherzige Gott im Hinblick auf ihren guten Willen ihnen von der
Sündenstrafe etwas nachlassen werde.
In (Eiiner Sammlung theologischer Fragen,^ deren unbe^kannter
Verfasser bei der Besprechung des Ablasses die Ausführungen Wilhelms
von Auxerre benützt hat, wird der Ablaß definiert als ,iNachlassung
oder Verminderung der verdienten Strafe".* Zunächst werden ver-
schiedene Einwände erhoben, vor allem der übliche Einwand, es sei
ungeziemendi daß ein Reicher mit einer mäßigen, mehrmals wieder-
holten Geldspende die ganze Buße ablösen könne, während dem Armen,
dem keine Geldmittel zur Verfügung stehen, der Ablaß versagt bleibe.
Auch das ärgerliche Treiben der Almosensammler, die mit Ablaßbriefen
herumziehen, ein schlechtes Leben führen und mit ihren Lügen den
Einfältigen das Geld zu entlocken suchen, wird gegen die Ablaß-
\ ^ Die Heiligen haben eine große Macht bei Gott. „Innumeras ergo remis-
siones pecoatonun et poenitentiarum . . . cultoribus suis a Deo sanotos impetrare
verisimile est .,.. . Certum est autem quod decet Deum honorare sanotos suos
in hoc, videlicet ut eos exaudiat pro veneratoribus eorum, non solum in remissione
culparum, sed etiam poenarum, sive sint poenitentiales sive aliae; quare etsl
nulla causa subesset, sufifragia sola sanctorum sufficerent istas indulgehtias
impetrare." S. 652.
* „Quorum laborum et afflictionum .... quia parfcicipes f iunt, . merito eis
parcitur a poenitentiaübus laboribus, qui meliores pro se responsales constituerunt,
videlicet viros sanotos . . . Quare non tarn remissio est quam in melius commutatio
indulgentia in huiusmodi casibus facta." S. 552.
^ Quaestiones diversae theologicae, in einer Handschrift der Universitäts-
bibliothek zu Erlangen (Cod. 353). Der Abschnitt über den Ablaß wird mit-
geteilt von Fr. Gillmann in Katholik "1910 II 465 ff. Der anonyme Verfasser
erwähnt den Kreuzzug gegen die Albigehser als eine zu seiner Zeit stattfindend©
Begebenheit. Der für diesen Kreuzzug von Innozenz III. erteilte Ablaß wurde
erneuert von Honorius III. im Jahre 1218 und von Gregor IX. im Jahre 1228.
Potthast 5888 8267. Man wird daher mit Sicherheit annehmen dürfen, daß
die Schrift vor 1230 entstanden ist; ob noch unter Innozenz III. oder erst unter
eeinen Nachfolgern, muß dahingestejlt bleiben.
* „Relaxatio est remissio vel diminutioa peno condigna."
240 VI. Die Ablaßlehre der .Frühscholastik.
bewilligung geltend gemacht. Der Verfasser, bemerkt dami, daß .beim
Ablasse wenigstens fünf Faktoren in Betracht kommen: 1. die Reue
dessen, dem der Ablaß zuteil wird; 2: die fromme Gesinnung. der Gaben-
empfänger oder der allgemeinen Kirche, da diese — so wird voraus-
gesetzt — durch ihre Gebete für die ;erlassene Strafe Ersatz leisten
müßten; 3. die Autorität des Ablaßspenders; 4. die Leistungs-
fähigkeit . des Ablaßgewinners, der nach seinem Vermögen Almosen
spenden müsse; 5. der Grund des erteilten Ablasses, nämlich das
Bedürfnis der Kirche, zu deren Gunsten der Ablaß verliehen wird.
Sind diese fünf Erfordernisse vorhanden, so ist zu hoffen (pio. animo
sperandum), daß irgendwelcher Nachlaß erfolgen werde (quod . ibi
potest esse relaxatio aliqua). Die .Größe aber des Nachlasses wird
sich nach dem Maße der fünf Faktoren richten. Dem am Anfang
erhobenen Einwand gegenüber, wird-betont, daß durch fromme Geld-
spende, möge man sie auch mehrmals wiederholen, nie die ganze Buße
erlassen werde; es bleibe immer^ noch ein Rest abzutragen.^ Es wird
auch daran erinnert, daß niemals eine .Geldbuße erlassen werde, da
durch solchen Nachlaß den Armenj denen das Geld gespendet werden
müßte, ein Unrecht geschähe. Beim Nachlaß einer Fastenbuße, müsse
aber der Pönitent eine so große Summe spenden, daß die Spende ihm
ebenso schwer ankomme :als das Fasten.^
Die bisherigen Erörterungen gelten hauptsächlich den partiellen,
für Almosen erteilten Ablässen. Wie verhält es sich- aber mit dem
Ablasse der Albigenser (de relaxatione Albigensium), nämlich mit dem
Ablasse, der den Teilnehmern am Kreuzzuge gegen die Albigenser in
Aussicht gestellt war, ist er wirklich so vollkommen, wie es der Papst
in seinem Schreiben erklärt?^ Die Antwort lautet: Zieht einer mit
reumütigem Herzen gegen die Albigenser, so ist zu hoffen, daß, er der
Strafe ledig sei. Sollte er daher nach Beendigung des, wie es sich
gebührt, ausgeführten Zuges sterben (via debite peracta), so würde
er sofort in den Himmel kommen.* Aber nicht nur jene, die den
Elreuzzug vollenden, auch solche, die bald nach Annahme des Kreuzes
sterben (ante viam completam), fahren sofort in den Himmel (volant
ad patriam), da sie den Willen haben, den Zug auszuführen.^ Schärfer,
als es hier geschieht, hätte das Hinübergreifen des Ablasses ins Jenseits
kaum betont werden können. Anderseits lehrt der Verfasser, daß die
Kreuzfahrer nach ihrer Rückkehr in die Heimat die auferlegte Buße
lücht unterlassen sollen. Da sie nicht mit Sicherheit wissen, ob sie
. ^ Der Verfasser erklärt die Sache wie Johannes Teutonikus. Oben
S. 230.
^ „Debet considerare quantum vellet dedisse, ut absolveretur a ieiunio, et
tantum debet dare." Dies hat der Verfasser wohl von Wilhelm von Auxerre
.abgeschrieben, der sagt: „Discemat apud se quantum vellet dedisse, ut absolutus
esset a tanta penitencia." Summa aurea 282.
^ „Si est ita generalis, sicut dominus papa in litteris suis exprimit."
* Der von Gillmann mitgeteilte Text scheint hier verderbt zu sein.
^ Wie Wilhelm von Auxerre bezeugt (oben S. 234), wurde diese Ansicht
von Predigern seiner Zeit vertreten. ■
VI. Die Ablaßlehre, der Frühseholastik. 241
bei der Vollendung des Kreuzzuges im Stande der Gnade waren und-
daher über die .Gewinnung des Ablasses keine, Gewißheit, haben, so
dürfen sie von der Buße nicht abstehen.
Ein anderer Theolog derselben Zeit, Jakob von Vitry, unter
Iniiozeiiz lil.^ KJreuzzugsprediger,, 1216 Bischof von Akkön, 1228 Kar-
dinalbischöf von Erascati, gestorben 1240, handelt vom Ablaß in einer
Predigt über die kirchliche Schlüsselgewalt.^ Wie Wilhelm von Auxerre,
den ei* vielleicht an der Pariser Hochschule gehört hatte,, stellt er sechs
Bedingungen auf, von deiien der Wert des Ablasses abhänge: 1. „Au-
thoritas relaxantis" ; der Abläßspender muß die Lösegewalt besitzen und
die Vollmacht haben, die Kirche zu verpflichten, daß sie speziell für
jene bete, denen Ablässe verheißen werden. 2. „Ut fiant,discrete,et
ex debita causa huiusmodi felaxationes"; die Ablässe sollen maßvoll
und nicht ohne gehörigen Grund ,erteilt werden, nämlich für das all-
gemeine Wohl und zum Nutzen der Almosenspender. 3. „Fides
offereiitis, quae sit informata charitate"; wer den Ablaß gewinnen
wül, muß einen von der Liebe belebten Glauben haben. 4. ,,Devotio
offerentium" ; der Umfang des Ablasses wird sich nach der frommen
Gesinnung des Almosehspenders richten. 5. „Maioritas vel minoritas
subsidii secundum uniuscuiusque facultatem"; er wu'd auch abhängen
von der Höhe des Almosens, das nach Maßgabe des Vermögens der
Spender in gerechter Weise abzuschätzen sei. Man soll sich daher
fragen, wieviel man hätte geben wollen,, um eines derartigen Buß-
erlasses teilhaftig zu werden, und soll danach seine Spende abmessen.
6. „Pluralitas etpaucitas suf f ragantium" ; beim Ablaß ist auch die
größere oder geringere Zahl der Hilfeleistenden in Betracht zu ziehen.
Mit Rücksicht auf "diese Hilfeleistenden kann der Papst, der über
die geistlichen Güter der ganzen Kirche verfügt, einen größeren Ablaß
verleihen als ein Erzbischof, ein Erzbischof wieder einen größeren als
ein einfacher Pfarrer.^ Da aber Gott allein den Grad der frommen
Gesinnung des Almosenspenders wie der Hilfeleistenden (suf fragantium)
kennt, so kann niemand wissen, in welchem Umfange durch solche Ab-
lässe die Sündenstrafen erlassen werden, außer Gott offenbare es ihm.^
In Anbetracht der frommen Gesinnung der Almosenspender und der
Hilfeleistenden kann es sehr wohl geschehen, daß, wenn der Erlaß
eines Drittels der Buße verheißen wird, die Hälfte oder gar die ganze
Bußstrafe nachgelassen werde. Anderseits kann es auch öfters vor-
kommen, daß jemand, dem der Erlaß eines Drittels der Buße zu-
gesichert worden und der deshalb vor der Kirche davon befreit ist,
^ lacobi de Vitriaco Sermones in epistolas et evangelia dominicalia.
Antverpiae 1675, 418 f.
• „Unde et suinmus Pontifex, qui in persona nniversalis Eoelesiae obligare
se poteat, vel Archiepisoopus, qüi specialem oonfert participationem bonorum,
qua« fuerint in provinoia sua, maiorem habet relaxandi ef f icaciam quam sacerdos
qui participationem bonorum unius parochiae suffragalibus ooncedit." S. 418.
^ „Et quia solus DoTis novit de votionem tam offerentis quam suf fragantium,
nemo est -.qui scire possit quanta f iat in^talibus relaxatio, neo angelus Dei, nisi
ei fuerit revelatum." S. 418.
Pauilus, Geschicbto des AblasseB. 16
242 VI. Die Ablaßlehre der Frühscholästik.
vor Gott von diesem Drittel nicht ganz ledig ist. ImFegfeuer werde
wohl seine Strafe gemindert werden ; doch wisse man nicht, in welchem
Umfang dies geschehe.^
Deshalb sind die Almosenspender zu mahnen, die. Bußwerke, die
sie leicht verrichten können, wegen des Ablasses nicht zu unterlassen.
Sicherer ist es auch für die kirchlichen Oberen, daß sie die Ablässe
auf die Bußwerke be'schränkeii, welche die Gläubigen wegen EJ:änktieit,
oder frühzeitigen Todes nicht verrichten können; sodann auf "die Büß -
werke, die sie zu verrichten, vergessen oder im Stande der'Todsüiide
vollbracht haben, da sie sonst die letzteren wiederholen müßten;
endhch auf den Fall, daß Beichtenden größerer Sicherheit halber eine
schwerere Buße auferlegt worden ist, als sie es für ihre Sünden verdient
hätten. Jakob von Vitry lehrt auch, daß die Ablässe nicht bloß zur
Minderung der Sündenstrafen dienlich sind, sondern auch zur Er-
langung und Vermehrung de^2^ Gnade und zur Tilgung der läßlichen
Sünden.2 Wie dies zu verstehen sei, wird uns sofort Raimund von
Penaforte, der dasselbe sagt, lehren. Bemerkt sei nur noch, daß Jakob
von Vitry auch in seinen Kreuzzugspredigten ausdrücklich betont,
daß der Ablaß vor Gott, in foro Dei, Geltung habe. Dies lehrt er
nicht nur von dem vollkommenen KJreuzzugsablasse, der von der
Fegfeuerstrafe in der andern Welt befreie, sondern auch von den
unvollkommenen Ablässen von 20 oder 40 Tagen, die damals den
Anhörern der Kreuzzugspredigten erteilt wurden. Auch von diesen
geringen Ablässen lehrt er, daß sie hauptsächlich nach dem Tode im
Fegfeuer (maxime post mortem in purgatorio) von Nutzen sein werden.*
Raimund von Penaforte, der im Jahre 1230 von Gregor IX^
als Pönitentiar nach Rom berufen wurde, hat hier im Jahre 1237
eitle größere Summe verfaßt,* worin er bei Besprechung des Buß-
sakraments von den Ablässen (de generalibus remissionibus) handelt,^
^ „Plerunque acoidit, quod qui offert ad fabricam ecclesiae, licet in foro
praelati sui absolutus sit a tertia parte poenitentiae, sicut expressum est in literis
indulgentiae, non tarnen penitus absolvitur a tanta parte; in purgatorio dimi-
nuitur tarnen eins poena, sed certam dirmnutioms igrioramus quantitatem."
S. 419.
* „Valenfc non solum ad poenae diminutionem, sed ad impetrationem. vel
augmentum gratiae et ad venialium deletionem." S. 419.
3 Pitra II 426 428.
* Gillmann (Zur Lehre der Scholastik vom Spender der Firmung. Pader-
born 1920, 80) meint, die Schrift sei 1235 vollendet worden, vreit darin ein
Formular die Jahreszahl 1235 trägt. Allein in einer Wolf enbüttelef Handschrift
heißt es: „Explicit Summa . . . compilata anno 1237 et perfecta in die b; Sixti
p. et ra." 0. v. Heinemann, Die Handschriften der Bibliothek. zu Wolfenbüttel
12, 17 nr. 573.
^ Summa Sancti Raymundi de Peniaf ort de poenitentia et matrimonio
cum glossis loannis de Friburgo, nunc primum in luoem edita. Romae 1603,
494 ff. Irrig wird hier die Glosse Johann von Freiburg zugeschrieben; sie ist
von Wilhelm von Rennes. Vgl. darüber Dietterle, Zeitschrift für Kirchen-
gesehichte XXIV (1903) 530 ff. .
VI. Die Ablaßlehre der ^Frühscholastik. 243"
um die Frage zu'beiantworteii; was sie- für einen Wert haben.^ Diese
Frage, führt er aus, wird verschiedentlich beantwortet. Einige be-
ziehen die Wirkung der Ablässe -auf die aus Unwissenheit begangenen
Fehler (valeht quoad delicta igriörantiae)j andere auf die läßlichen
.Sünden'(quoadvenialia), 2. andere auf die nachlässig verrichtete Buße
(quoad- poenitentiäm negligenter peractam),^ wieder andere auf die
Verininderung der Fegfeüerstrafe (quoad diminutionem poenae iii pur-
gatorio).* Doch gebe es eine andere,- verbreitetere Ansicht, und dieser
pflichte er bei, daß nämlich die Ablässe gerade so viel- gelten, als sie
lauten.^ Um jedoch ihren Wert besser würdigen zu können, müsse
man wissen, daß es eine zweifache Strafe der Sünden gebe, eine ewige
und eine zeitliche. Die ewige Höllenstrafe wird durch die Reue nach-
gelassen; gewöhnlich bleibt aber danii noch eine zeitliche, von der
Kirche aufzulegende -Bußstrafe abzutragen.^ Wenn nun jemand nach
reumütiger Beichte (recte coiitritus et confessus) und im Glauben an
die -kirchliche Lösegewalt Almosen spendet für ein Unternehmen,
wofür ein Ablaß verliehen^ worden, so wird ihm dies Almosen zur
Verminderung seiner Bußlast dienen (valet sibi talis eleemosyna ad
onus poenitentiae sublevandum). Und dies aus einem doppelten
Grunde: zuerst wegen seiner frommen Spende (propter devotam
erogationem), zweitens weil er durch die Ablaßspende teühaftig
gemacht wird der Suffragien der ganzen Kirche (quia obligat ieuiii,
qui facit remissionem, immo et totam Ecclesiam, ut suffragetur ei).
In welchem Umfang wird aber der- Bußerlaß dem Almosenspender
zuteil ? Es hat z. B. jemand eine siebenjährige Büße- zu verrichten.
Nun spendet er am gleichen Tage für Werke, zu deren Gunsten ein
Ablaß von einem Jahre verliehen worden, sieben Geldmünzen. Ist
er dann sofort aller Bußstrafen ledig, oder nur teilweise und in welchem
Umfang ? Raimund antwortet, daß er dies nicht wisse, ja daß kein
Mensch es wissen könne, außer Gott offenbare es ihm.' Hieraus ergibt
sich schon, daß Raimund eine überirdische Wirksamkeit des Ablasses
angenommen hat; denn die von ihm betonte Unsicherheit kann sich
nur auf die Wirkung des Ablasses in foro Dei beziehen. Dasselbe
ergib.t sich aus seiiien weiteren Ausführungen. Der Umfang des Buß-
erlasses, lehrt er, hängt von drei Momenten, ab : 1. von dem Grade
der frommen Gesinnung des Pönitenten; 2. von der frommen Ge-
sinnung der Hilfeleistenden (suffragantium) ; 3. von der Zahl der
^ „Quid valeant remissiones, quas faciunt praelati in dedioationibtis eccle-
siarum, et conferentibus ad aedificationem pontium, hospitalium et similium."
S. 491. ' ' , -
* Wer die erste oder zweite Ansicht vertreten hat, ist nicht bekannt. In
den bisher besprochenen Sclxriften werden diese zwei Ansichten nie erwähnt.
^ Diese Ansicht hat schon Huguooio zurückgewiesen.
* Gremeint ist die Ansicht des Alanus von Lille.
* jjVerum alia sententia est f avorabilis, et magis communis, et illa,m. approbo,
videlicet quod valeant, sicut sonant." S. 494 f.
* Über Raimimds Bußlehfe vgl.'~Schmoll 114 ff.
' „Hoc omnino neo scio, nee credo aliquem mortalem scire, nisi esset aliouL
divinitus inspiratum." S. 495.
16*
2^4 VI. Die Ablaßlehre der Frühsoholastik.
letzteren. Da man über diese, drei Momente niclits Siclieres wisse,
so könne man auch, den Umfang des , Bußerlasses nicht näher, be-
stimmen.^ : Infolgedessen mahnt Raimund die Pönitenten, auch. wenn
sie; zur Gewinnung des Ablasses Almosen gespendet; haben, die auf-
erlegte Buße dennoch zu verrichten, da sie nicht mit Sicherheit wissen,
ob ihnen die Strafe gänzlich erlassen woMen sei.^ Auch hier. muß
der- Verfasser eine überirdische Wirksamkeit des Ablasses im Auge
gehabt haben; dies um so mehr, als er seine Ausführungen von; Jakob
von Vitry entlehnt hat, der dabei ausdrücklich betonte, man könne
nicht wissen, in welchem Umfange die Fegfeuerstrafe durch die Ablässe
gemindert werde .^
Eine, weitere Übereinstimmung der beiden Autoren tritt darin
hervor, daß beide lehren, der Ablaß diene nicht bloß zur Verminderung
der zeitlichen Sündenstrafen, sondern auch zur Erlangung der Gnade
und: zur Tilgung der läßlichen Sünden. Diese letztere Wirkung schreibt
aber Raimund, der sich hierüber ausführlicher äußert als sein. Zeit-
genosse, nicht dem Ablaß, als solchem zu,, d. h. nicht dem von den
kirchlichen Oberen erteilten Bußerlaß, sondern den Ablaß werken, den
guten Werken, die zur Gewinnung des. Ablasses verrichtet werden.
.Indem er den Ablässen die Tilgung der läßlichen Sünden zuschreibt
(valent ad venialium deletionem), verweist er auf einen vorangehenden
Paragraphen über die Tilgung der läßlichen Sünden; in diesem Para-
graphen hatte er aber unter andern Mitteln, wodurch die läßlichen
Sünden getilgt werden, das Almosen angeführt.* In derselben Weise
erklärt er seine weitere Behauptung, daß die Ablässe auch zur Er-
langung der Gnade beitragen können. Wie jede andern guten Werke,
so seien die Almosen zu diesem Zwecke dienlich;^ aber auch die.Suf-
fragien der Kirche, die durch den Ablaßgeber dem Almosenspehder
zugewendet werden, könnten dazu beitragen.^
^ „Cum igitur nullus possit scire mensuram vel nitmerum talium, neo per
consequens potest scire remissionis mensuram." S. 496.
2 „NTimquid poterit poenitens post coUectionem talis eleemosjnaae cessare
ab executione satisfaotionis sibi ab Bcclesia impositae ? Non credo; tum quia
non est certus, utrum sit adhuo tota illa poena remissa, tum quia saltem ex
honestate debet per ieiunia et alia bona opera satisfacere Ecclesiae, quam laesit."
S. '497.
3 Vgl. oben S. 241. Dietterle (ZeitsoÜr. f. Kirchengesohiohte XXIV 640)
schreibt: „Raimimd läßt uns hier tatsächlich darüber im imklaren, ob er die
Ansicht akzeptiert hat, die im Anfange des 13. Jahrhunderts die erste Umbildung
in der Ablaßtheorie bedeutet, indem sie den Ablaß als Nachlaß der zeitlichen
.Strafen überhaupt ansieht, inklusive der Fegfeuerstrafen." Was von der an-
geblichen Umbildung in der Ablaßtheorie zu halten ist, wird im folgenden Ab-
ßohnitt dargelegt werden. ^ ,
* Summa 496 488.
^ „Valent peocatori Offerent! ex pia devotione, licet informi, ad gratiae
impetrationem: ad hoc enim valent quaelibet aliae eleemosynae et quodlibet
bonum opus." S. 496.
' „ Quod autem per orationes et suffragia Ecclesiae fiant haec et acquiratur
«tiam prima gratia peocatori, qui eam mereri non poterat, patet per multa
«xenapla." S. 496.
VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik. 245^
Daß bei den Ausführungen über den Ablaß der eine der beiden
Autoren den^ andern benutzt hat, darf als sicher gelten; ebenso wird
man mit Sicherheit annehmen dürfen, daß Raimund die Predigt-
sammlung des. damals in Rom lebenden Kardinals Jakob von Vitry
verwertet hat. Ist doch seine Summe -überhaupt,- wie ier selber gesteht,,
mehr eüie Kompilation als eine, selbständige Arbeit.^
Selbständig scheint indessen Raimunds Erörterung über den
Ablaß f iir die Verstorbenen zu sein, da in den bisher besprochenen
Schriften dieser Ablaß . niemals erwähnt wird. Er ist nämlich der
Ansicht, daß die zur .Gewinnung! des Ablasses vorgeschriebenen und
von den Lebenden für die Yerstorbenen verrichteten guten Werke den
Seelen im Fegfeuer in. spezieller Weise zugute kommen, wenn in dem.
Ablaßbrief ..eine, Zuwendung an die Verstorbenen erwähnt wird.^
. Hierzu bemerkt jedoch .derDomhiikaner Wilhelm von Rennes,.
der -im Jahre 1241 eine -Glosse zu Raimunds Summe verfaßt hat:^'
Da die Verstorbenen nicht mehr unter der Jurisdiktion der Kirche
stehen, so scheint man nicht berechtigt zu sein, die Ablässe ihnen
zuzuwenden. Sollte indessen der Papst . Ablässe für sie bewilligen,,
so werde er, Wilhelm, sich hüten, die. päpstliche, Vollmacht in Zweifel
zu ziehen.* Von einer tatsächlichen päpstlichen Bewilligung von
Ablässen für Verstorbene war .also um die. Mitte des 13. Jahrhunderts
noch .nichts bekannt.^ . '
Wilhelm von Rennes hat den Ausführungen seiiies Ordensgenossen
über den, Ablaß noch einige interessante Glossen beigefügt. So. fragt
er bezüglich des vollkommenen Kreuzzugsablasses, ob jene, die gleich
nach Annahme des Kreuzes, sterben, des vollkommenen Ablasses teil-
haftig werden, so daß, sie keine , Fegfeuerstrafe zu erleiden haben.
Seiner Ansicht nach wäre dies nicht der Fall, es sei denn, daß solche
1 „Summulain ex diversis auctoritatibus . . . compilavi." S. 1.
* „Numquid , per huiusmodi suffragia, et eleemosynas quas pro eisdem
remissionibus dant aliqtii pro animabusparentvun vel aliorumfideliumdefunotorum,
liberabuntur tales animae ä piirgatorio, cum hoc ipsum oontineatur in litteris
remi'ssionis ? Credo quod sie." S. 497.
'3 Als Jahr der Abfassung wird in zwei .W.ürzbvirger Handschriften 1241
angegeben. Ygl. Gillmann, Zur Lehre der Scholastik vom Spender der Firmung,
S. 81. Ebenso in .einer Wolfenbütteler Handschrift; „Explioit correctio et appa-
ratus super summam Remundi ed. a magistiro Wilhelme, ord. pred., anno 1241."
Heinemann I 2; 17 nr. 573.
* „Cum Eoclesia ligare habeat et solvere super terram, non sub terra,
et cum tales divino iudicio relioti sint, non videntur huiusmodi indulgentiae
ad eos extendendae, vel qübd possiht e'volafe de purgatorio, donec aut per ipsos
aut per alios poenae quarum-sunt debitores, fuerint persolutae ... Si tarnen
Papa talibus faoiat indulgentiam, nolo°ponere os'in coeluna, de plenitudine po-
testatis eius temere dubitando."
^' Irrig schreibt Dietterle (XXIV 548)': „Diese Stelle bei Redonensis
(Wilhelm von Rennes) ist ein Beweis dafür, daß in der ersten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts die Theorie des Ablasses für die Verstorbenen einerseits durch die Päpste
bereits ausgeprägt war und anderseits die noch einigermaßen selbständig denkenden
Gelehrten stark beschäftigte." Von -einer Ausprägung der Theorie des Ablasses
für die Verstorbenen durch die Päpste ist bei Wilhelm von Rennes nichts za finden.
246 VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik.
Personen durch große Reue den vollen Nachlaß der Sünddnstrafen
verdienen würden. Man müsse' indessen, -fügt er bei; sehen, ob nicht
etwa im päpstlichen Ablaßbriefe erklärt werde, daß einer schon durch
dieibloße Annahme des Kreuzesund durch den Vorsatz, den Kxeuzzug
mitzumachen, den vollen Ablaß gewinne. Denn da der 'Papst die
kirchliche Vollgewalt besitze, vermöge er viel, was die Nachlassung
der Sündenstrafen betrifft.^
Bemerkenswert ist auch die Glosse zu der Behauptung Raimunds,
daß man nicht wissen könne, ob durch sieben Geldspenden, wofür je
ein Ablaß von einem Jahre verliehen worden, eine siebenjährige' Büße
ganz abgelöst werde. Wenn man das nicht wissen kann, bemerkt
Wilhelm, wie kann- man dann mit Raimund sagen, daß die Ablässe
so viel gelten, als sie lauten?^ Er glaubt die Schwierigkeit lösen- zu
können, indem er unterscheidet • zwischen der 'Aufhebung der' kirch-
lichen Buße und der- Befreiung vbn*der vor Gott geschüldetien Sünden-
strafe. Durch die Ablässe wird die von der Kirche auferlegte' oder
aufzulegende Buße erlassen, so daß jene,' denen Ablässe verliehen
werden, nicht mehr verpflichtet sind, die äußerliche Buße zu ver-
richten, die ihnen durch den Ablaß erlassen worden.^ Dadurch werde
aber der Gerechtigkeit Gottes nicht vorgegriffen, daß nicht eines
jeden Sünden hinreichend gestraft werden, entweder hienieden schon
oder später im Fegfeuer.^ Wilhelm will also sagen, daß derjenige,
der durch eine siebenfache Geldspende einen Ablaß von sieben Jahren
gewinnt, von der ihm auferlegten siebenjährigen Buße wohl befreit' ist;
daraus folgt aber nicht, daß er nun auch aller ' Strafe vor Gott ledig
sei;^ Sind seine Sünden nicht hinreichend gesühnt, so wird er das
noch Fehlende hier oder im Fegfeuer nachholen müssen, es sei dehn,
daß die ihm gebührende Strafe durch Almosen, Gebete und andere
Suffragien der Freunde oder der Kirche ausgeglichen werde.
^ „Numquid, , si statira assumpta cruce decesserint, aui^ postquatn iter
arripuerint, habebunt indulgentiam, ita quöd nullxim in, purgatorio patiantur
poenam pro pecoatis ante commissis ? Respondeo : Credo sine praeiudioio,' quod
ex sola crucis susceptione et proposito proficisoendi non conseqiiatur quis illam
plenam indulgentiam, nisi quantitas oontritiönis et devotionis, "quam habet ad
negotium qui susoepit crucem, illam mereatur indxdgentiam. Reourrendum est
tamen ad formam indulgentiae et intentionem' Papae." S. 495.
2 „Die, si placet, et sie videtur sensisse Cancellarius (c. quod autem. X.
de poen. et rem. Statt „Cancellarius" ist ,,Tancredus" zu lesen, wie zwei Würz-
burger Handschriften richtig lauten. Vgl. Gillmann, Ziir Lehre der Scholastik,
S. 82) quod huiusmodi particulares remissiones, sive f iant a Papa, sive ab Episcopis
quantum ad subditos suos, valent quantum ad liberationem et exonerationem
poenitentiae ab Ecclesia inf lictae vel inf ligendae, ita quod non tenentur ii, quibus
fiunt huiusmodi indulgentiae, f acere poenitentiam exteriorem pro ea parte, quae
per huiusmodi indulgentias est eis remissa, vel etiam pro toto, si tota poenitentia
per huivtsmodi indulgentias in totum est remissa." S. 496.
ä „Huiusmodi tamen remissiones non praeiudicant divinae iustitiae, quin
cuivislibet peccatum sufficienter puniatur, vel hie vel in purgatorio, aut poena
eins sufficienter redimatur per eleemosynas aut orationes et caetera suffragia
vel amicorum vel Ecclesiae facta pro satisfaotione huiusmodi peccati." , S..,496.
VI. Die Ablaßlehre der -Frühseholastik. 247
i Wilhelm hält für wahrscheinlfch die Ansicht etlicher, die meinten,
daß' zur Gewinnung der partiellen Almoseiiäblä'sse die erforderte Geld-
spende dem Vermögen «eiif sprechen müsse,, da sonst mit einem Denar
ein König den gleichen Ablaß gewinnen könnte wie irgendein armer
Mann. Da man aber nicht leicht mit Sicherheit wissen könne, ob der
gespendete Beitrag in richtigem Verhältnis zum Vermögen stehe, so
könne ;man auch nicht leicht, mit Sicherheit wissen,, ob man des Ab-
lasses .teilhaftig geworden/ Deshalb, tue man gut,- die auferlegte Buße
nicht, zu unterlassen, .wenngleich- man nicht sündigen würden falls man
^ie nicht verrichtete.^ ,.- - > -
'Mit 'Raimund von , Penaf orte ' stimmt in einigen 'Punkten fast
wörtlich überein ein gewisser Magister Paulus, Mitglied des'Chor-
herreristifts St. Nikolaus bei Pa'ssau, der' in der -ersteh "Hälfte des
13.' Jährhunderts eine Summa' de Poenite'iitia verfaßt hat'.^' Da darin
das- 'Beichtdekret 'der Lateransynode von 1215 als „neu" bezeichnet
wirdj^'so kann die Schrift nicht 'allzu lange nach 1215 entstanden
sein.* Entweder hat der eine der beiden Autoren den andern benutzt,
oder beide haben eine gemeinsame Quelle verwertet. Der Passauer
Chorherr zählt nicht weniger als sieben Ansichten auf, die bis zu seiner
Zeit über den Wert der Almosenablässe geäußert worden waren. Als
gute- Zusammenstellung der in' clen obigen 'Ausführtingen erwähnten
Ansichten möge die ganze 'Stelle "hier 'Plätz'finden.' ' '
.','jQuid valeant 'remissiones, quäe' fitint, in pontibns et dedioationibus eo-
olesianiin, item hospitälariis,''l)einplariis'et aliis ? Super höe s'eptem sunt opiniones
satis probabiles, septimam tarnen ainplectimur et tinemus; »licet et aliae possunt
«sse yerae; v Primi dicunt, ,quod^yalent .tanquam thesaurus, ut cum alia def eceririt
et ianiimereri non .possimus, repipiant, nos in aeterna tabemacula, ut de yillico
iniqüitatis legitur ini evangelio.^ Seoundi dicimt, quod valent quoad delicta
■ } „Numquid tenetUTj eam [poenitentiam] agere ? Eespondeo, si bona fide
•et pia devotione dedit huiusmodi eleemosynam poemtens,iet credens huiusmodi
remissionem, oredo sine .praeiudioio, quod non erit transgressor, si poenitentiam
iniunctam non .fecerit." "S. 496. ■ « , , >l
- * Abgedruckt beiß. Duellius, Miscellaneal, Augustae Vind. 1723, 59 — 83.
Bibliotheca Casinensis IV, Casin. 1880, Florilegium' 191-^215. J. Lindeboom,
•der Duellius nicht kennt, veröffentlicht einen stark verkürzten Text in Nederland
Archief.voor Kerkgeschiedenis > XV (1919).180— 219. .
^ .Duellius 70. Bibl. Gas. 197. Schmoll 112 und andere meinen demnach
rcät Unrecht, die iSchrift;sei noch vor der Lateransynode verfaßt worden.
* Ebendeshalb, kann als Verfasser, der Schrift nicht in Betracht kommen
der, erst' 1316 verstorbene Pariser Kanzler rFranziskus Caraoeioli, dem die
Beichtsumme in einigen iHandschriften .zugeschrieben wird. ,■ Über, Caraccioli
vgl. Haureau in'Histoire litt6raire de la France XXX (1888) 409 ff. und Notices
et extraits de quelques'-manuscrits latins de ia bibliotheque nationale III (1891)
225 f. Ebensowenig kommt in Betracht Kardinal B.erengarius Fredoli (f 1323),
dem, Lindeboom (Arohief "161 ff.) die Schrift zueignet.' Zur Zeit, wo Paulus
seine Schrift verfaßte, war ein Magister Dominikus Propst yon- St. Nikolaus
(ut dioit prior noster, magister Dominieus. ^ Duellius 69. BibUotheca 197).
In dem von P. Lindner (Monasticon Metropolis Salzburgensis.- Salzburg 1908,
235 ff.) aufgestellten, allerdings nicht lückenlosen Verzeichnis der Pröpste \on
St. Nikolaus wird ein. Dominikus ijlcht erwähnt.
5 Vgl. oben S. 229 die Glosse zur Compilatio prima.
248 VI. Die, Ablaßlehre der Frühscholastik.
ignorantia«.^ Tertii dicunt, quod valenfqaoad veniaüa oblivioni tradita. Quarti
dicuat, quod valent^ tanquam quodlibet bontim, tarnen amplius prppter autori.
tatem Ecciesiae. Quinti diciint, quod valent quoad mitigationem poenae in
purgatorio, quam hiq non peregit propter mortis praßocoupationein. Sexti .dicunt,
quod valent quoad - poenitentiam negligenter peractam. Septimi dicunt;, quo3
ampleotimur et imitamur, quod in veritate valent, et hoc propter duo, propter
nummi dationem, et quia Ecclesia obligat, se pro illo orare."^
Magister Paulus pflichtet demnach, wie Raimund- von Penaforte,
der Ansicht bei, daß die Ablässe in Wirklichkeit nach ihrem Wprtlaute
Geltung haben und daß sie aus einem doppelten Grunde wirksam
seien, erstens wegen des gespendeten Almosens, zweitens weil die
Kirche sich verpflichtet, für den < Almosenspender zu beten..! Doch
betont er, , daß sie nicht jenen von Nutzen sind, die ini Yertrauen
darauf der Üppigkeit frönen wollen. Um der Ablässe teilhaftig zu
werden, müsse man ein christliches Leben, führen und ohne Vorbehalt
den Worten des Heilandes Glauben schenken: Was- du auf Erden
lösen wirst, das soll auch im Himmel gelöset sein. Wollte man aber
den Ablaß als kraftlos verwerfen, so würde man sich der Lösegewalt
der Kirche entgegensetzen, was durchaus zu vermeiden sei. Denn
was die Kirche lehrt, müssen wir für wahr halten, und .was sie tut,
als recht und billig betrachten.*
Ganz von Raimund von Penaforte abhängig ist bezüglich des
Ablasses der deutsche JBVanziskaner Heinrich von Merseburg^ in
seinem um 1242 verfaßten Kommentar zu den Dekretalen Gregors IX.'
Aus der Mitte des 13. Jahrhunderts stammt ein händschriftlicher
Traktat über die Sakramente, der auf der Münchener > Staats-
bibhothek verwahrt wird.'' Der anonjnme Verfasser, ein Geistlicher
der Diözese Metz,® läßt in seinen Erörterungen über den Ablaß noch
^ In der Ausgabe von Montecassino heißt es: „quoad delicta venialium,
ignorantiae, etiam mortaliiun", offenbar ein verderbter Text. In einer Sammlung
von Lesefrüohten, die dem Papste Cölestin V. (Petrus von Murrhone) zuge-
schrieben wird, heißt es besser: „quoad delicta ignorantiae, et etiam admortalia".
Telera, S. Petri Oaelestini opusoula selecta. Neapoli 1640, 289. Aber dieser
Zusatz gehött wohl zu Nr. 3, so daß hier zu lesen wäre : „quoad veniaüa oblivioni
traditaji et; etiam quoad mortaüa [oblita]". '
^ Gtemieint sind hier die vom Ablaßspender geforderten guten Werke. ' •
^ Duellius71. Bibliotheca 198, Lindeboom 189. Auchbei Amort 11 59.
* „Nee dico, illis prodesse qui fraudem adhibent, volentes vivere luxuriöse
et splendide, sed illis prosunt qui- catholica vivunt (Bibl. Casinensis: utuntur)
simplicitate, oredentes lllud simpliciter ac pure : Quodcimque solveris etc. Alio-
quin nisi diceremus, quod valerent remissiones istae, iam disputareinus contraa
claves Ecciesiae, quod absit. Debemus enim verum esse oredere quod dicit Ecclesia,
et iustum esse quod facit."
/ Vgl. über ihn B. Kurtscheid, in Franzisk. Studien IV (1917) 239—63.
* Sumina super titulos decretaUum. Handschriftlich auf der Münchener
Staatsbibliothek. Cod. lat. 3844, Bl. 113'. Die Stelle über den Ablaß auch bei
Andort II 118, aber ohne Angabe des Verfassers.
. ^ Summa sacramentorum. Clm. 22233. Bl. 42—46 ist die Bede „de in-
dulgenoiis et remissionibus'*, und zwar imter den Ausführungen über das Sakra-
ment der Priesterweihe. ^
* In seinen Ausführungen über den Ablaß nimmt er wiederholt Bezug auf
die Metzer Diözese.
VI. iDie Ablaßlehre der Frühscholastik. 249
keine Abhängigkeit von den großen Scholastikern erkennen; dagegen,
werden von ihm Raimiuid von Penaf orte und Wilhelm von Auvergne
fast wörtlich ausgeschrieben; einiges hat er auch aus der Summe
Wilhelms von Auxerre. entnommen.^ So schließt er sich bei der Be-
stimmung des Wertes' des Ablasses aufs engste an Raimund an. Mit
Raimund lehrt er auch, daß die Ablässe den Verstorbenen zugewendet
werden ' können. Nur hat er seine Vorlage falsch verstaixden. Der
Bedingiingssatz : „Wenn in den Ablaßbriefen eine Zuwendung an die
Verstorbenen erwähnt wird", hat bei ihm die bejahende Form an-
genommen: ,,Wie es in den Ablaßbriefen enthalten ist."^
Nebst der kurzen Bemerkung ' Raimunds über die Ablässe für
Verstorbehe bringt der Verfasser über denselben Gegenstand die Er-
örterung eines nicht näher bekannten Theologen namens Gerwik.*
Dieser vertrat die Ansicht; daß die Seelen im Fegfeuer, insofern sie
das ewige Endziel noch nicht erreicht hätten, unter der Gerichtsbarkeit
der Kirche stehen würden. Die Gläubigen könnten daher die Ablässe,
deren sie teilhaftig geworden, hilfsweise ihren verstorbenen Verwandten
und Freunden zuwenden, falls der Ablaßspender es gestatte.*
Bei der Verteidigung des Kieuzablasses sowie der Ablässe für
Kirchen, Klöster, Spitäler, Brücken usw. wiederholt ' der anonyme
Verfasser fast wörtlich die Ausfiihrungen Wilhelms von Auvergne»
Dagegen folgt er Wilhelm von Auxerre in der Beantwortung der Frage,
welche Bedingungen zu erfüllen seien, damit die Ablässe so viel wirken,
als sie verheißen. Über den Umfang des Wertes des Ablasses vor dem
Richterstuhle Gottes läßt sich nach unserm Autor, der hier wiederum.
Raimund von Penaf orte folgt, nichts Sicheres, sagen. ^ Gott habe uns
hierüber in der Unsicherheit gelassen, damit wir in der Bußübung
nicht^'lässig wären.* D.och erwähnt er, ,wie etliche der Ansicht seien.
^ Die Schrift ist sicher nicht vor 1244 verfaßt worden, da darin (BL' 42'):
Hugo von St. eher, der 1244 Kardinal wurde, als „Hugo cardinalis" angefiüirt
wird. Einmal (Bl. 19) wird auch die Glosse Wilhelms von Rennes zur Summa
Raimunds von Penaforte erwähnt, was schon Schmoll 128 hervorgehoben hat.
' „Propter hoc etiam creditur quod anime parentum vel aliorum fidelium.
liberantur a purgatorio, sicut in literis remissionis oontinetur." Bl. 42'.
^ Dieser Theolog wird weder 'bei Chevalier noch bei Hurter noch in
andern bio -bibliographischen Werken erwähnt.
* ,,Ut dicit frater Gerwious, doctor , theologus, usque ad defunotos ex-
tendimtur indulgencie, quia quoad,hoc sunt de foro ecclesie; in qiiantvon enim
peregrinantvu" ad terminum . . . sunt viatores et de foro ecclesie. Et forte sicut
favorabile est dicere quod beata virgo Maria etiain corpore glorificata sit, quamvi»
probari non .possit, ita pie potest oredi quod.ille cui data est indulgencia aliqua,
potest eam concedere parentibus vel amicis defunctis per modum suffragii, sicut
et peregrinaciones et oblaciones in missis maxime, si ille qui dat indulgenciam,
hoc concedit." Bl. 42'.
* „Quantum prosint huiusmodi, indulgencie, solus Dens seit, et illi pro
quibus fiunt qui in pm-gatorio sunt,' ubi pape indulgencia habet locum. Nam
qnod dicituT quod valent sicut sonant, aliter et aliter senciunt qui ibi sunt,
secundum quod magis vel minus allevari meruerint." Bl. 45,
••,iDe quantitate illius remedii^icutde morte incerti sumus omnes,-ne
simus ad penitenciam negligentes." Bl. 45.
250 VI. Die Ablaßlehre der 'Frühscholastik.
daß durch- einen Ablaß. von einem Tage, so viel' von der Strafe weg-
genommen werde, als durch, einen Bußtag ; dabei- würden sie aber den
Ablaß von einem Jahre nicht, für 365 Bußtage gelten^ lassen, sondern
nur für die Tage, an denen man im Laufe des Jahres- hätte . fasten
sollen. Dies sei, übrigens schon ein recht großer Straferlaß, da der
Mensch viel verdiene, wenn er freiwillig in der Buße sich übt.^ Andere,
fügt der Verfasser bei, meinen, daß wer einen Ablaß von 40 Tagen
gewinne, 40 Tage' weniger im Fegfeuer zu- leiden haben ^werde.^ Er
selber beschränkt sich darauf, zu sagen, es sei glaublich, »daß durch
den Ablaß die Fegfeuerstrafe gemindert werde, für die einen mehr,
für die andern weniger. Er schließt denn auch seine Erörterungen
mit der Bemerkung: Es ist durchaus zu. glauben, daß die AJalässe
sehr nützlich sind und daß die, dafür, gespendeten Almosen .einen
großen Wert haben, aber nur für jene, die .der Ablässe würdig, sind,
die sie gehörig auffassen und die^ihre Almosen mit, Umsicht spenden.'
Davon nimmt er nun Anlaß, einzuschärfen, die Almosen nicht an
fremde, unbekannte, oft sehr unwürdige Sammler zu vergeuden, son-
dern vor allem die armen Verwandten und Nachbarn und die eigene
Pfarrkirche zu unterstützen. Er erklärt auch, wie verschiedene Privi-
legien, die in den Ablaßbriefen verheißen werden, gehörig aufzufassen
seien. Wird ein Erlaß des dritten oder siebten Teils/ der Bußstrafen
versprochen, so wird, vorausgesetzt, daß eine Buße auferlegt, worden
sei, die den kirchlichen Bußsatzüngen öder den Forderungen der gött-
lichen Gerechtigkeit entspreche. Dies sei aber öfters nicht der Fall,
da nicht selten eine geringere Buße als die vorgeschriebene auferlegt
werde. ' ,
Heißt es in dem Ablaßbriefe, daß die vergessenen und schlecht
verrichteten Bußen nachgelassen werden^ so gilt dies nicht von dem
auferlegten Fasten, das jemand absichtlichünd ohne Grund gebrochen
liätte. Ähnlich verhalte es sich mit der Nachlassung vergessener
Sünden, d., h. der Strafen für vergessene Sünden. Es handelt sich
dabei nicht um' Sünden,' die man absichtlich zu vergessen suche, um
sie nicht beichten zu müssen, sondern um solche, deren man sich nicht
erinnern kann.
In mittelalterlichen Ablaßbriefen werden öfters gebrochene Gelübde
erlassen unter der Bedingung, daß man zu deren Erfüllung zurück-
gekehrt sei. Dies Privilegium beschränkt der Lothringer Theologe auf
jene Fälle, in denen die Nichtbeobachtung des Gelübdes nur kurze
Zeit gedauert hätte. Hat jemand z. B. das Fasten, zu dem er sich
durch Gelübde verpflichtet, längere Zeit hindurch wissentlich unter-
^ „In hoc oomputant annum indulgencie non pro continuis diebus anni,
sed pro tot diebus qüotdebuitieiiinare pet-annura. Et hoc valde magnum est,
<iuia multum meretur homo, qüando se- affligit sponte in penitencia." Bl. 45.
* j,Alii dicunt quod tot diebus cicius exitide pena."
^ „Omnino igitiir' credendumiestvquöd indiilgencie valde b9ne sunt et
multum valentelemosine que pro illis fiuntj sed illis qui digni sunt, qui prüden ter
■eas ihtelligunt et prudenter suas elemosinas faciunt." Bl. 45'.
VI; -Die' Ablaßlehre der Frühächolastik, 251"
lassen, so muß man dem Bevollmächtigten des Bischofs ;beicliten, das
(Gelübde fürderhin wieder halten und das Versäumte nachholerii
Paraus erhelltj daß es sich bei' der Nachlassung gebrochener Gelübde
nicht bloß um.eineni Erlaß, der durch den Grelübdebruch verdienten
Strafe handelte, sondern auch um Aufhebung der bischöflichen Reser-
vation. Der Gelübdebruchi gehörte eben damals. zu den bischöf Hohen
Beservatfällen. Unser Autor "will also sagen: Hat jemand ein Gelübde
nur kurze Zeit hindurch nicht 'beobachtet, so wird für ihh' durch das
Ablaßprivilegiüm die . Reservation aufgehoben; infolgedessen kann er
von seinem gewöhnlichen „Beichtvater absolviert werden.: -Bei einer
länger ;anhaltenden' Mißachtung bleibt aber, die 'Reservation bestehen,
80 daß man, .um die Absolution, zu, erlangen,, sich an dem bischöf liehen
Pönitentiar; wenden müsse i. Zu, den;, bischöf liehen Reservatfällen ge-
hörte damals auch diei Mißhandlung. der Eltern. Hierzu bemerkt der
Verfasser : Wenn ein Erlaß der Elternbeleidigung verheißen wird, so
sind darunter, leichtere Beleidigungen zu verstehen (inteUiguntur leves.
que cotidie.iaccidünt);'! schwere Mißhandlungen riiüssen dem Obern
(maiori, d. h.; dem Bischof- oder dessen Stellvertreter) gebeichtet und
durch schwere . Buße gesühnt werden. .^ ■•■-..
. . , Zum .Schlüsse seien \ >noch \ z wei ; , Kanonisten erwähnt, . deren- Er-
örterungen /.über; den Ablaß, von i späteren- Autoren öfters angeführt
wurden.. Beide sind; Lehrer -in- ^Bologna gewesen. Der eine davon,
namens Vinc.entiüs, Hispanus (f '124=4), hat wohl noch in den
dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts einen Kommentar zu den
Dekretalen verfaßt,^ worin er bezüglich des Ablasses, wie aus den
späteren:' Zitaten zu ersehen ist, vornehmlich praktische Fragen zu
lösen suchte.
Weit einflußreicher wurde Goffredus von Trani (f 1245) mit
seiner bald nach 1241 verfaßten Summe zu den Dekretalen,^ einer
„unendlich geschickten Kompilation aus den vorhandenen Schriften",
die „fast als das Lehrbuch erklärt werden darf, das von zahllosen
Lehrern bei den Vorlesungen zugrunde gelegt wurde".* Auch seine
kurzen Bemerkungen über den Ablaß wurden von späteren Kanonisten
oft wiederholt, so namentlich seine Behauptung, daß im Bußgericht
auch der einfache Priester seinem Beichtkind Ablässe erteilen darf,
während die öffentlichen und generellen Ablässe für Kirchenbesuch
und Almosen von den Bischöfen gewährt werden können, und zwar
nur ihren Untergebenen.® Gelten die Ablässe so viel, als sie besagen?
^ ,,Si seien ter ieiunium voti longo tempore dimisisti, debes confiteri maa>
■datario episcopi et perficere votum de cetero et recnperare omissum ad consilium
illius." Bl. 45'.
' Eine Abschrift des noch ungedruckten Kommentars verwahrt die Leipziger
TJniversitätsbibliothek. Vgl. Schulte. I 191 ff.
^ Summa super libris Decretalium. Venetiis 1502.
* Schulte II 88 ff.
* „Est soiendum quod remissiones privatas in iudiciis animarum sacerdotes
iaoere possunt, sed generales . . . episcopi et archiepiscopi facere possunt, que
solis subiectis facientium prosunt." Bl. 95.
252
VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik.
Darüber bestehen Zweifel, antwortet Goffredus; etliche halten ea
nämhch für ungereimt, daß ein Pönitent, dem eine Buße von 7 Jahren
auferlegt worden, durch eine siebenmal wiederholte' kleine Geldspende
die gesamte. Buße ablösen könne. Obgleich nun in dieser Frage, be-
merkt der Verfasser, die Ansichten auseinandergehen und der Wert
der Ablässe verschiedentlich erklärt werde, so halte er doch dafür,
daß die Ablässe einfach nach ihrem Wortlaut Geltung haben. Ea
komme nicht darauf an, auf welche Weise der Kirche Genugtuung
geschehe, und wen. die Kirche losspreche, der sei auch, wirklich- los-
gesprochen; denn daß die Kirche die Lösegewalt besitze, stehe außer
allem Zweifel.^ Dabei hat aber Goffredus nur die Lossprechung von
der zeithchen. Strafe im Auge; denn wie er an anderer Stelle dartut,
wird? die Sündenschuld samt der ewigen Höllenstrafe durch die von
der Gnade Gottes bewirkte und mit der Liebe verbundene Eeue
getilgt. - ' ■ ^
Aus den vorstehenden Mitteilungen kann man ersehen, daß die
Ablaßlehre der Erühscholastik noch eine große Unklarheit und Un-
sicherheit aufweist. Wenn aber auch die' älteren Theolögen und
Kanonisten in manchen, und zwar wichtigen Punkten, voneinander
abweichen, so waren doch alle darin. einig, daß der Ablaß sich nicht
auf die Sündenschuld, sondern auf die Sündenstrafe beziehe, und daß
er nicht bloß vor dem Richterstuhle der Kirche, sondern auch vor
Gott Geltung habe. Dies. soll im folgenden Kapitel eingehender dar-
gelegt werden.
i ^ >f Qualiterctinque satisf iet ecclesie non refert, etabsolutus est quem eoolesia.
absolvit." Bl. 95.
VIL Die Bedeutung der älteren Ablässe.
über die Bedeutung der älteren Ablässe sind ganz entgegengesetzte
Ansichten ausgesprocHen worden. Etliche meinen, man 'habe mittels
des Ablasses nicht bloß die Sünden strafe, sondern auch die Sünden-
schuld tilgen -wollen. Andere dagegen behaupten, man habe an-
fänglich dem Ablaß gar keine überirdische Wirksamkeit beigelegt; es
sollte dadurch bloß die von der Kirche auferlegte irdische Bußstrafe
erlassen werden. Beide Ansichten sind unzutreffend.
Zunächst ist es nicht richtig, daß mittels des Ablasses die Sünden-
schuld getilgt werden sollte. Nicht von der Sündenschuld sollte
der Ablaß befreien, sondern von den Sündenstrafen. Wohl
wird in päpsthchen und bischöflichen Ablaßbriefen, auch wemi es sich
bloß um partielle Ablässe handelt, öfters eine „Nachlässung der Sünden"
(remissio peccatorum) verheißen," wie man in zahheichen oben mit-
geteilten Stellen nachlesen kanii.i Gemeint ist aber damit eine Nach-
lassung der Sünden, was die Bußstrafen betrifft (quoad poenam), oder
eine Nachla'ssung der für die Sünden verdienten Bußstrafen.^ Dies
ergibt sich mit voller Bestimmtheit aus den Schreiben, in deiien die
beiden Ausdrücke Sündenerlaß (remissio peccatorum) und Buß-
erlaß (remissio poenitentiae) unterschiedslos gebraucht werden. In
einem seiner Briefe aus dem Jahre 1Ö95 bemerkt Urban II., er habe
auf dem Konzil von Clermont den Franzosen den Kieuzzug aufgegeben
.„zur Naohlassung aller ihrer Sünden". Auf der Synode von
Clermont hatte aber der Papst erklärt, daß den Kreuzfahrern die
Heerfahrt für die ganze Buße angerechnet werden solle. In Über-
einstimmung hiermit erließ er in einem weiteren Schreiben aus dem
Jahre 1096 den Kreuzfahrern die ganze Buße für die recht ge-
beichteten Sünden.^ Für Urban II. war also in betreff des Ablasses
„Sündenerlaß" gleichbedeutend mit „Bußerlaß". In der Kreuzzugs-
bulle, die Gelasius II. im Jahre 1118 für Spanien erließ, und in dem
^ Hierauf stützt sich Hinschius V 155 f., lun zu behaupten, seitens der
Päpste sei eine ^..Tilgung der Sünden" versprochen worden: „Überall ist in den
betreffenden Stellen vom Erlaß der Sünden die Rede, nicht aber, wie die heutige
katholische Kirche in betreff des Ablasses lehrt, von denivor Gott schuldigen,
zeitlichen und natürlichen (nicht kirchlichen Rechts-) Strafen, welche der Sünder
trotz der sakramentalen Lossprechung , von seinen Sünden und der dadurch ein-
tretenden Beseitigung der ewigen Strafen noch bei seinen Lebzeiten oder nach
seinem Tode über sich ergehen lassen muß." Viel Unrichtiges über den Ablaß
ala Nachlassung der Sündenschuld findet sich auch bei Lea 56 ff.
' Über die Bezeichnung des Ablasses als „remissio peccatorum" vgl. Göller,
Ausbruch der Reformation, S. 94 ff. ^
» Oben S. 196.
254
VII. Die Bedeutung der älteren Ablässe.
erläuternden Schreiben der spanischen Bischöfe ist bald von Sünden-
erlaß, bald von Bußerlaß die Bede;^ ebenso in den KJceuzzugsbullen von
Alexander III,, Gregor VIII., Cölestin III. und Innozenz III.»
Wenn dann verschiedene Päpste die HäKte oder einen der Hilfe-
leistung entsprechenden Teil der Sünden erlassen, so ist es doch sonnen-
klar, daß hier nur von den Sündenstrafen , die Rede sein kann; denn
was die Sündenschuld anlangt, kann eine schwere Sünde nicht ohne
die übrigen erlassen werden; entweder wird keine, oder es.-?^^erden alle
miteinander vergeben. Die Bußstrafe dagegen kann sehr wohl teilweise
erlassen werden. Wenii daher in zahlreichen bischöflichen Ablaß-
schreiben der dritte oder der vierte Teil der „Sünden" erlassen wird,
so kann sich dieser partielle Erlaß nur auf die Sündenstrafen beziehen.
Daß unter der Absolution oder Nachlassung der Sünden, wovon auch
in bischöflichen Ablaßbriefen so oft die Rede ist, nichts anders als ein
Bußerlaß zu verstehen sei, zeigt mit besonderer Deutlichkeit eines der
ältesten Ablaßprivilegien, dasjenige des Bischofs De o da t von Töulon
für Pierrefeu.^ Es wird darin eine Absolution aller gebeichteten Sünden
verheißen, der schweren wie der geringeren Sünden. Worin besteht
aber diese Absolution in bezug auf die schweren Sünden ? Sie wird
vom Bischof selbst dahin erklärt,, daß den Pönitenten, die wöchentlich
einige Tage zu fasten hatten, ein Fasttag in der Woche nachgelassen
werden sollte.*
Zur Erklärung der Ablaßformeln, in denen eine Nachlassung der
Sünden verheißen wird, haben katholische Autoren schon häufig
darauf aufmerksam gemacht, daß der Ausdruck „Sünde" (peccatüm)
hier wie auch sonst oft „Sündenstrafe" bedeute,^ Protestantischerseits
hat man diese Deutung als „ungeschichtlich" abgelehnt. „Es ist eine
starke gelehrte Zumutung," schreibt Karl Hase, „daß bei solchen
der mittelalterlichen Kirche üblichen Verheißungen unter Sünde zu
verstehen sei die der Sünde gebührende Strafe. Sie gehören vielmehr'
der alten Rücksichtslosigkeit an, welche den Ablaß auf Schuld und
Strafe zugleich bezog."* Th. Brieger seinerseits erklärt: „Die Be-
^ Oben S. 158 197. In dem Schreiben der Bischöfe ist zuerst die Rede von
einem Erlaß der Buße (poenitentiae), dann von einer Nachlassung der Sünden
(delictorum). Migne CLXIII ö07 f.
» Oben S. 201 203 206 ff. . ^ Oben S. 143.
* Treffend schreibt P, Fournier (Revue d'histoire ecclesiastique 1909, Ö78)
bezüglich deiartiger Absolutionen: „II n'est pas inutile de faire remarquer que,
dans les textes preoites, l'expression ,absolutio a peccatis' signifie, non pas la
T^conciliation dupecheürayecDieu, mais la remission de la penitence canonique,
c'est-a-dire l'indidgence." Vgl. S. 684: „Al'epoque oü apparaissentles indulgences
coUectives, il ne faut pas oublier que dans Tiromense majoritöde eas, les fideles
ont 6t6 r^cönciliös apres l'aveu; les pönitents, a qui sont offertes les indulgences,
n'ont plus besoinde reconciliation, mais de remise de la penitence. L'indulgence
ne peut 6tre pour eux que ciette remise. C'est en ce sens que les 6vöques leur
acoordent l'absolution de leürs peches ou de quelques-ims d'entre eux."
5 Beringer-Steinen I 10.
• K. Hase, Handbuch der protestantischen Polemik gegen die römisch-
katholische Kirche. 4. Aufl. Leipzig 1878, 396.
VII. Die Bedeutung der älteren Ablässe. 255
lehrung, welche uns die geborenen Verteidiger des*^ Mittelalters un-
ermüdlich zuteil werden lassen, sSünde* bedeute hier wie auch, sonst
öfters und' selbst: in der HL Schrift , Sündenstrafe', müssen wir mit
K. Hase als eine ,starke gelehrte Zumutung' ablehnen. "^
Jedenfalls wird man aber- nicht -bestreiten können, daß von jeher
infolge einer bekannten Redefigur (Metonymie) , wodurch die Be-.
nennung der Ursache, auf die Wirkung übertragen wird, die Sünden-
strafe öfters als Sünde bezeichnet würde. Man kann hierfür auf
2. Makk. 12, 46 verweisen, wo es für heilsam erklärt wird, für die
Verstorbenen zu beten, damit sie von ihren „Sünden" erlöst, werden.
Augustinus hebt, einmal hervpr, daß. man den Tod „Sünde" nenne,
da er eine 'Straf er der Sünde sei.^ Daß es in der Periode der Früh-
scholastik üblich, war, die Sündenstrafe als Sünde zu bezeichnen,
bezeugen zahlreiche .Theologen. jener Zeit, so der Abt Werner, von
St. Blasien (f ,1126),3 Abälard-,(t 1142),*. Petrus der Ehrwürdige
von Cluni (f 115,6),5;Epland, der .spätere Papst Alexander III., • in
seinen-'bald nach ,1150 verfaßten Sentenzen,^ Omnebene, ebenfalls
1 B rieger. Das Wesen des Ablasses 25 f. Brieger fügt jedooh bei, daß
Hase und Hinschitis mit .Unrecht geneigt sind, „wirklich' Erlaß der Sünden an-
zunehmen". An anderer Stelle (Beiträge zur sächsischen Kirchengeschiehte
XVI, 1903, 60) schreibt Brieger: „Die ehemals herrschende protestantische
Auff assvmg, der Ablaß sei Sündenvergebung schlechthin gewesen, hat weder
in der Theorie noch in der Praxis der mittelalterlichen Kirche einen Halt." Vgl.
auch K. Müller, Kirchengeschichte I, Freibürg 1892, 490. n. 1: „Die bei den
Katholiken übliche Deutung' der ,peccata' auf Sündenstrafen ist eine Verlegen -
heitsauskünft, die dem geschichtlichen Sinn -nicht, gerecht wird, in der Sache
aber das .Wesentliche doch trifft. , Die früher auf evangelischer Seite , übliche
Deutung war saohhoh jedenfalls falsch und ist ja auch allgemein, aufgegeben."
Daß im Jahre 1892 die falsche Deutung allgemein aufgegeben war,- ist nicht
zutreffend. Der Band, in welchem ein so hervorragender Grelehrter wie Hins chius
die falsche -Deuttmg wiederholte, ist im Jahre 1895 zu Berhn erschienen.
* Contra Faustum XIV 3:, „Mors hominis ex poena peccati est,' imde
et ipsa peccatum dicitxu:." Migne XLII 296.
' Migne CLVII 1206: „Cum- arbitrio sacerdotum temporahs poena peccati
proteletur vel abbrevietur, de ea plures intelUgunt illud esse dictum: Quorum
remiseritis peccata . . . Poena enim peccati vocatur peccatum, iuxta quod
nomen causae transfertur ad effectum."
* Expositio in ep. Pauli ad B>om. 6, 12: „Pluribus modis peccati nomen
Soriptura sacra äccipit, uno^quidem modo et proprio pro ipsa äiümae culpa et
oontemptu' Dei, id est prava voluntate nostra, qua rei apud Deum statuimur.
Altero' autem modo peccatum dicitur ipsa peccati poena quam per ipsum
incurrim\is vel öui propter ipsum obnoxii tenemur. Secundumi quam quidem
significationemdicunturpeccatadimittijidest poenae peccatorum. condonari,
et Dominus peccata nostra portasse, i.e. poenas- peccatorum nostrorum susti-
nuisse." Migne CLXXVIII 866.' Ganz ähnUch Ethica, cap. 14. Ebd. 654.
" * Migne CLXXXIX 821: „Manetveraxveritatissententiaremitti peccata,
hoc est ppenam peccatorum, aliquando in hoc saeculo, aliquando in futuro."
* A. Gietl, Die Sentenzen Rolands. Freibufg 1891, 247 f.: „Ut ait Augu-
stinus, peccati nomine censetur tam pena'quam- culpa. Dioimus ergo quod
peccatum," id est culpa remittitur in cordis contricione." Aber auch durch die
Beichte imd Genugtuung „peccatum.'^id est pena temporalis debita pro
peocato remittitur, i. e.mihoratur." ,
256 VII. Die Bedeutung der älteren Ablässe.
um die Mitte des 12. JaKrh.underts,^ Johannes Teutonikus in der
kurz nach. 1215 verfaßten Glosse zum Dekret Gratians,? Wilhelm
von Renne s in der im Jahre 1241 verfaßten Glosse, zur Summe
Raimunds von Penaforte.^ , ., :
War. es aber in der Frühzeit' des Ablasses gang und gäbe, den
Ausdruck „Sünde" für „Sündenstrafe^iizugebrauchen^ warum sollte
man dann nicht annehmen dürfen, daß die Päpste und Bischöfe bei
der Verleihung von Ablässen, sich bisweilen nach dem weitverbreiteten
Sprachgebrauche gerichtet haben?
Es ist indessen gar nicht nötig, bei der Erklärung der alten Ablaß-
formeln dem Ausdruck „Sünde" die-Bedeutung von „Sündenstrafe"
beizulegen. Etliche Eorrdeln würden auch eine derartige Deutung gar
nicht zulassen. Wenn es z. B. in dem Kreuzzugsdekret der vierten
Läteransynode heißt, daß den Teilnehmern am Zuge die volle Nach-
lässung der ,, reumütig gebeichteten Sünden •' verliehen werde, so ist
es klar; daß hier der Ausdruck „Sünde" nicht ,, Sündenstrafe" bedeuten
kann; denn nur die eigentlichen Sünden, nicht die für die Sünden
geschuldeten Strafen, können reumütig gebeichtet werden. Ähnlich
yerhält es sich mit jenen älteren Ablaßschreiben, in denen ganz oder
teilweise, die „Sünden" nachgelassen werden, wofür itnan Buße emp-
fangen. In allen diesen Schreiben ist das Wort „Sünde" von der
eigentlichen Sünde zu verstehen. Muß man aber dann nicht zugeben,
daß durch den Ablaß die Sündenschuld nachgelassen wurde ? Nein !
M&n darf nur nicht übersehen, daß die Sünde in zweifacher Weise
erlassen werden kann, nämHch der Schuld nach und der Strafe
nach.* Dies haben schon namhafte Vertreter der Frühscholastik betont,
z; B. Robert Pulleyn,^ Petrus von Poitiers,^ Wilhelm von
Auvergne;' ebenso ist es von dem Kanonisten Hugucoio hervor-
■^ Gietl 247, Anm.: „Solus Deus dimittit peccata, et hoiuo dimittit pec-
oatum, i. e. penam peccati. Nomine enim pecoati pena intelligitur.,"
* Glosse zu c. 76, D. I, de poen. v. Medicina: „Peccata, id est penas de-
bitas pro peccatis. Nota in. hoc oapite peccata dici penas peccatorum» que
elemosynis redimuntor et relaxantur," Deeretum Gratiani cum glossis loannis
theutonici. Venetiis 1525, 534.
^ Raymundus 492: „Peccata dimittunt [sacerdotesj, i. e. poenam
temporalem ab Ecclesia iuflictam relaxant."
* A. V. Müller, Luthers theologische Quellen. Gießen 1912, 16: „Jeder
•theologische Abcschütze weiß doch, daß remissio peccatorum d. h. Sünden-
ivergebung bedeuten kann entweder remissio a culpa et poena aetema oder nur
jemissio a poena temporaii. Der richtige Sinn ist jedesmal nur aus dem
Zusammenhang zu ersehen."
5 Sententiamm lib. VII, c. 1: „Dupliciter culpa dimittitur, aut ne sit
ulterius addamnationem, autnecsaltem ad poenam." Migne CLXXXVI 911.
* Sentent. lib. 3, c. 7: „Sacerdotes iniungunt satisfactionem ad delendum
mortale peccatum quantum, ad' poenam, cum sit deletum. quantum ad reatum
•per contritionem." Migne CCXI 1057.
' Guilelmi Alverni Opera orania I 464: „Remissio peccatorum duplioiter
intelligitur : 1 . non imputatio si ve non exactio ipsorum.; quantum ad poenam ;
'2. ablütio maculorum et sordium que interdiun culpe nominantur.) IJnde vpec.öata
dicuntux remitti dupiiciter, quantum ad penarn scilicet.et. quantum ad oulpam.;*
VII., Die Bedeutung der älteren Ablässe. 257
gehoben worden.^ Namentlich, seitdem die eigentümliche Ansicht des
Petrus Lombardus über die Bedeutung der sakramentalen Absolution
in die Schulen Eingang, gefunden, wurde öfters von den Theologen
darauf aufmerksam gemacht, daß die Sünde auf mehrfache Weise
nachgelassen werden könne. Per Priester, sagten sie, läßt im Buß-
sakrament die Sünden nach, indem er etwas von der ihnen gebührenden
zeitlichen Strafe nachläißt.^
In diesem Sinne kann die Nachlassung der im Bußsakrament
auferlegten Buße, und insbesondere auch der Ablaß, sehr' wohl als eine
Nachlässung der* SüHdeii (remissio' peccatorum) bezeichnet 'werden.^
Zur' völligen Nachlassung 'der Sünden gehört eben 'ein "Zweifaches:
zunächst die NäcHlassuhg'; der Schuld und der ewigen Strafe, 'sÖdaiin
der Erlaß,' der zeitHchen Strafe, die öfters liach" der Vergebung 'der
' Sündenschuld 'iioch abzutragen ist.* 'Wie' man riiin sagt, durch die
1 Oben 's: 220. " i ' . ' ' -
' f^ - ' '
' 2 So lehrt z. B. Paulus von Passau in seiner Sumnia'de Poenitentia,
oap. 12. 'Vgl. über ihn oben S. 247:>„Multis modisdimittitur pecoatum: T. per
Deum et hec remissio, fit quoad reatum, non quoad penam temporalem vel pur-
gatorii; 2, per sacerdotem tanquam per roinistrum; et heOr remissio fit quoad
penam, non quoad reatum." Duellius, Miscellanea I 69. Bibliotheca Casinensis
IV.' Florilegium 196. ' ' ,,,.,.
^ Am Anfange des 1 3. Jahrhunderts schrieb der Zisterziensermönöh Günther
von Pairis : „Tribus modis, üt äiunt, fieri solet' remissio peocati."' 1. Unmittelbar
durch Gott, der dem reumütigen Sünder die Sündensohuld (reatum culpae) nach-
läßt; 2. durch' den. Priester j der im Bußs'akramerit den Beichteten von der Sünde
losspricht. /»Tertio modo dicitiir'remitti'peccatum'satis quidem improprie, cum
iniuncta.pro peccato poenitentia ab eo qui potestatemi habet, vel,tota remittitur,
vel ex parte relaxatur. Hoc autem fieri solet duobus modis : compassione ,charitatis
et odmpensatione maioris boiü, id est pliiribus, profuturi. Compassione chäri-
tatis, velüt illi quibus a sianctis hominibus* sanctorumve hbminüm' coUegüs in-
iunctae poenitentiae pars aliqua relaxatur (dadurch nämlich, daß diese frommen
Männer die, Buße für einen andern übernehmen. Vgl. Muratori, Antiquitates
V 757 f., wo ein Graf Hildebrand bezeugt, daß auf sein demütiges Bitten hin
Mönche ,,onus trium annorum de poenitentia mea super se susceperunt, quam
de peocatis ineis ab Aretino episcopo acceperam"). Compensatione maioris
boni', quando iniuncta alicui poenitentia corporalis compensatione alterius rei
quae pluribus .prodesse possit,'Commutatur,'Veluti lar'ga'eleemosynarum largitione
temporis' f amis in pauperes, sive collatione pecuniae in- necessitates ecclesiarum
vel captivorum redemptionem; vel aliquid aliud quod his simile videatur. Et
in hoc qaidem utroque oasu is ctd poenitentia vel relaxatur vel remittitur, etiam
a peccato creditur absolutus." Migne COXII 214 f; Hier ist zwar nicht
ausdrücklich von generell erteilten Ablässen die Rede; aber die Stelle beleuchtet
treffend jene Ablaßschreiben, in denen eine „Absolution von den Sünden" ver-
heißen wird.
* Der Zisterzienser Odbn von Oursoamp', 1170 zrnn Bischof von Frascati
ernannt, hatte früher als Lehrer in Psfris eine Reihe theologischer Fragen be-
handelt. Darin bemerkt er unter anderm, daß auch der Erlaß der Sündenstrafe
als „remissio peccati" bezeichnet wird', weil „poena a peccato ipso originem
ducat". Wer sündigt, ,, duobus se obligat, et culpae et poenae. Vera oordis
oontritione solvitur obligatio culpae, sed non poenae; obligatio vero poenae
solvitur diligenti executione eins, quod pro poena iniungitur ab Ecclesia-in con-
fessione." Doch könne die Reue so^groß sein, „quod dimittitur statim pecoatum
omnimodo". Pitra II 35 154.
f aulus, Geschichte des Ablasses. 17
258 '^^r/Die' BedfeiitWrig''der '^äiteren'^'Ab'lass^
Sundenscnula; im Äuge nat;^^^^
' '^gen^'(iui*cn den iMaß" weraeü *äie ASiindör^
"Teii^'iif' Bezug auf äie zeitiiclie'SfösäeJ^wMl 'äie| ^iiiiäef ^fisjq^fn Jsi^ine:
zeitliche Strafe verdient, wirklich nachgelassen^ wird 5 ■ " ' '
, : ' , ' J^^ de? Tlefef en ^^
^ Tfömmener ÄBlaß " aller , Sii n d e n Iplehissimä "omniTim p e c c a t o f u^ii
.ver-
mein
begannt. 'Deshalb geht es auch nicht ah; vöii einer , fälschen", ,■ trüge-
rischen", „stark irrefiihrenden" Formel zu sprechenKundrZu.te^
die Päpster hätten: damit eine „sfchwefe Schuld" .auf : sich geladen.^
: Schon der- JJmstand,idaßybi;5den? AW
■' ^GiBwiimühg!^d©s,;,/Sünd€a^ eine freumiitige* 'deichte
'^^efOTäert^t*i^^ S^tnäeii-
'schiild'ih ^r'mit der MilÖIuliöh' v«rlmhä
., )vurde,. so.konnte- sich dßrt in -den „Erlaß der
Sünden' V nur auf dtie bSündenstraf en IJezieKen; ^ i : y = ; r j
<fVlri!0 ü
'D^ß, mäh äher (äeii' ÄBlaß 'i nameiitlicK!'äuch i^
/rdndiesem.Sinne verstanden habe, rkönnte^^
^Zeiigiiisse ' däi^getah werden . ^ JP ß tr u s v o n^tBi oi s z . - {B;-spricht^ woM f in
^■|mer%äld' liäeh^^der '^I^
faßten Kreuzzugsschriit von^ emer „Versöhnung , die Gott durch kirch-
, Jiche Autorität deurm-euziatoern ,anbi^
"türihh'darin; daß' die 'KTeuzfahrt als vollendete B
- . . A Dies hat schon ; gutMiervjorgehQlberi, ■ J. jLi t äu , ciKatholisoher, Unterricht
vom} Ablasse nach idßriaehre idös NprmalkatephismuSig ■Wien ;7lr782,- '83; f . a-iVer-
schiedene protestantische Theologen, wie/.K. iMüller--.(^rchengeschichte:>I r490)r
^{B r ie ge r (Wesen ; des Ablasses ; 26 ; iRealenzyklppädi^ jliiri »protj i Theob • IXJfSÖ),
iFr. Loofs (Leitfaden zum StüdiTUü. der; I)ogmengesohichte.i^:.4
518 n.'2), meinenVdie Sitte, den; Ablaß i als ,,renussiopeccatprüin'' zu bezeichnen,^
sei ein Nachwirken der alten 'Büßpraxis,' nach Jwfiloher-d^^^
roder die /Absolution dem Pöniteriten.erst nach yöllstähdigervAbleistjmg 'der; Buße
erteilt wurde. Allein es ist nicht einzusehen, was z. B. der in deriOPriihziBit'des
i Ablasses so oft vorkommende Erlaß eines dritten oder, vierten Teils der ,, Sünden "^
mit jener alten Bußpraxis zu tun hat.
^ Acta apostoHcae'sedis V, Romae 1913, 90.
^ Brieger, Wesen des Ablasses 27; Realenzyklopädie IX"80. Folgerichtig
müßte man auch die Ablaßformel der Jubiläumsbulle von 1913 als „falsch'"und
„trügerisch" bezeichnen.
^ Vgl. die Ablaßformel im KJreuzzagsdekret der Lateransynode von 1215'
auf das im Mittelalter so oft hingewiesen wiorde: „Plenäm suorum peccaminüm'
de quibus veraciter fuerint corde contriti et öre cönfessi, veniam indülgemus."
VIL. Die , Bedeutung, der kälteren, Ablässe, ^259
Genugtuung für- die begangenen Sünden '.zu .gelten ;habe.i In Überein-
stimm,ung .hiermit , heißt j. es -in .einejn,,anonynien Schreiben über den
Kreuzzugsablaß -aus dem rJahre 12Q4:, Bezüglich des .Ablasses , haben
die Bischof e. angeordnet, , daß , den Kireuzfahrern, ,,die reumütig ihre
Sünden beichten, keine andere Buße als,die-Übernahme der.Beschwerden
des Kreuzzugs, auferlegt ,werden-.solle.2 ^Das; AblaßpriT^ilegium bestand
eben darin, daß den Kreuzfahrern die Teilnahme am Zuge für die
schuldige Buße angerechnet wurde. Deshalb heißt es in einer Anleitung^
"wie dem Volke das' Kreuz zu ^predigen sei, der Papst, erlasse den Kreuz-
fahrern die „Strafender Sünden", (poenam peccatorum).^
Wie ist nun aber, dieser Straferlaß aufzufassen ? Wurden .dadm'ch
die Gläubigen'' bloß von'der-Verpflichliung zu den von der Kirche auf-
erlegten Bußstrafen eiitbuiiden? "Hattendie Ablässe bloß eine Wirkung:
vor dem 'RichterstuKl der Kirche, in foro Ecclesiae, oder galten
sie auch vor Gott j in foro Dei ? War es ein vor Gott geltender Nachlaß
der zeitlichen Sündenstrafen, so daß derjenige, der des Ablasses teil-
haftig wurde, im Fegfeuer weniger oder gar .keine Strafen abzubüßen.
hatte? 'Man hat in jüngster 'Zeit^behauptet, daß im 11., und 12. Jahr-
hundert dem Ablaß noch keine überirdische Wirksamkeit, .keine Geltung
vor Gott zugeschrieben worden sei. Es seien dadurch bloß ,die von
der Kirche auferlegten irdischen Büßstrafen erlassen worden; erst im
13. Jahrhundert' habe man begonnen, dem 'Ablaß iein Hinübergreifen
ins Jenseits'- zuzuschreiben.
Uiiter 'den 'Vertretern dieser Ansicht ist vor allem" C. L. Goetz
zu nennen. Nach ihm hätte um die" Mitte des 12. Jahrhunderts die
■priesterliche "^Absolution noch' nicht als Erlaß 'der Sünden vor Gott
gegolten; sie hätte bloß die Bedeutung einer Wiederaufnahme des
Büßers in 'die' Kirche gehabt. \Seit der zweiten Hälfte des 12. Jahr-
hunderts, sei jedoch, '^hierin. eine Änderung .eingetreten, und die neue
'Bußlehre habe auch-, einencneuen "Ablaßbegriff im Gefolge gehabt.
;,Der Ablaß war iin lli und'12.' Jahrhundert der Erlaß der kanonischen
' Bußstrate' gewesen!" ' Nun wurde etwas anderes daraus gemacht. ,,Die
^-De hierosolymitana peregrinatipne acceleranda, .bei.Migne CCVII,-1061:
,,Privilegio Petri apostoli et auotoritate Ecclesiae generalis proposuerat Dominus
in hoc signo (dem Kreuz) verbum reconoiliationis, ut viae hierosolymitana©
assumptio esset poenitentia consummata et sufficiens satisfactio de commissis."
Der Verfasser unterläßt nicht, .beizufügen: „Hoc Signum nonnisi in gementibus
et dolentibus pro peocatis suis suum. sortitur effectum." 1065.
^ Martene, Thesaurus I 792: ,,Signifioavit nobis , dominus Atrebatensis,
quod dominus papa episcopos , qui Romäe, fuerunt hoc anno rogavit attentius
modis Omnibus .. . . ut.singuli in dioecesibus suis imperii Constantinopolitani
negotium curarent . . . <Noveritis ergo ipsos, episcopos, super hoc habito consilio,
de indulgentia taliter ordinasse, quoniäm omnibus-vere poenitenibus orucesignatis
et confessis pro delictis suis niillam aliam iniungerent poenitentiam, nisi laborem
quod sustinebunt in via."
^ Die betreffende Anleitung, die aus den ersten Jahrzehnten des 13. Jahr-
ivuaderts stammt, wird im XIII. Abschnitt zur Sprache kommen.
17*
'260 VII. Die Bedeutung der älteren Ablässe.
Umänderung der BußleKre hat zur Folge, daß man den Wert des
Ablasses jetzt in eine Tilgung- (resp^ Nachlass'ung)" der zeitlicken' Strafen,
welche Gott noch verhängt,'^ weriii' Schuld und ewige Strafe" bereits
vergeben sind, umänderte." 'So gesbhah'es in' der ersten" Half te des
13. Jahrhunderts, „daß sich die 'Abläßlehre voii dem Erlaß-'der' kano-
nischen Bußstrafe zur Tilgung gottlicher Sündehstrafen ümbog".i
Die von dem altkathohschen Theologen vertretene Auffassung hat
dann B rieger sich angeeignet, uni sie noch scliärfer zu betonen.
„Äußerlich betrachtet", so schreibt er, „bleibt der Ablaß im 13. Jähr-
hundert derselbe wie bisher. In den päpstlichen Bullen finden wir
zunächst kaum irgendein Anzeichen einer Änderung. Und doch ist
in dem genannten Jahrhundert etwas völlig anderes aus ihm gemacht
worden: die alte Form hat einen ganz neueii Inhält erhalten." An.
die Stelle des Erlasses der kirchlichen Biiße ,',war in Wahrheit ein
anderer getreten", der Nachlaß der zeitlichen Strafen pier Sünden
überhaupt, auch vor dem Richterstuhle, Gottes. Dieser Versuch,
„der Kirche eine unerhörte Macht zuzuschreiben", sei' ein „völlig
neues Unterfangen" gewesen. ^,Wer hätte noch ein Jahrhundert
früher daran gedacht, daß die Macht der Kirche, des Papstes sich,
bewähren werde in dem willkürlichen Erlaß der göttlichen Sünden-
strafen?" Alexander von Haies dürfe als ,,der klassische Vertreter
(und Urheber?)" der neuen Theorie gelten.^
Diese Behauptungen, für welche übrigens kein Beweis vorgebracht
wird, sind ganz und gar unzutreffend. Der Ablaß galt freüieh in erster
Linie als ein Nachlaß der von der Kirche, von dem Bischof oder dem
Beichtvater auferlegten Bußstrafen. Wie aber ,yon jeher der Kirchen-
buße eine überirdische Wirksamkeit zugeschrieben wurde ,2 wie sie
1 Zeitschrift für Kirchengeschichte XV 323 ^f f. 332 334.^ '.Bezüglich der
von Goetz vertretenen Ansicht über die Buße in der alten Kirche hat K. Müller
(Zeitschrift für Kirchengesch. XVI 187) bemerkt: „Göetz trifft fast in allen
Punkten mit Steitz (Das römische BuJ3sakrament. Frankfurt a. M.'1854) zu-
sammen." Steitz aber, so erklärt Müller an einer andern Stelle (Theolog. Literatur-
zeitung 1897, 463), „hat die falsche Anschauung verbreitet, daß die, Buße im
Alterttim nur das Mittel gewesen wäre, den Sünder mit der Kirche auszusöhnen , . .
Es ist im Sinne der ältesten Eärche falsch, zu fragen, ob sich eine Handluäg
auf Gott oder auf die Kirche beziehe . . . Gott und die Gtemeinde fallen nicht
auseinander."
^ Brieger, Realenzyklopädie IX 80 ff. Das Wesen des Ablasses 21 ff.
Don Ausführungen Briegers stimmen beiHarnack 602 n. 1, A. Hauck (Kirchen-
geschichte Deutschlands IV^. Leipzig 1913, 946) und verschiedene andere pro-
testantische Theologen. Auch Gottlob vertritt an vielen Stellen seines Buches
die Ansicht, daß den älteren Ablässen keine überirdische Wirksamkeit zuge-
schrieben worden sei. Seeberg scheint sich hierüber kein bestimmtes Urteil
gebildet zu haben. Einmal (S. 102) bemerkt er, daß man gleich am Anfange
dem Ablaß „eine über die irdische Sphäre hinausgehende Bedeutung" zuge-
schrieben habe. Im Gegensatz hierzu schreibt er S. 559: „Hatte man tirsprünglicb
sich mu" von den kanonischen Strafen freigekauft, so dehnte man die Wirkung
des Ablasses jetzt überhaupt auf die zeitlichen Strafen der Sünde oder doch
auf ihren Ersatz, d. h. das Fegfeuer, aus."
3 Vgl. Morinus 159 ff.
VII.jDie Bedeutung, der . älteren Ablässe. 261
dazu. /dienen ,8pll^, der j göttlichen. Gerephtigkeit die , schuldige r,Ge^
nugtuung. zu, leisten,} /so ,A\^urde,auch dem Ablaß, wodurch die Buße-
zum Teil flder. gänzlich, nachgelassen Avurde, bereits im II. .und^ 12. "/Jahr-
hundert ;eine . Wirksamkeit ; yor , Qott . zugeschrieben.?, Es sollte durch
den Ablaß dem Büßer etwas^. erlassen werden,, was er Gott schuldig
war, nämlich die zuleistendeStrafe.^^ Dies, gilt sowohl von dem Kj-euz-
ablaß als von den übrigen Ablässen. • ., ' ^
,Daß. man schon den, ältesten Kreuzabläs.sen eine überirdische
Wirksamkeitjzugeschrieben.,ha;fc;, ergibt sich, -wie. aus' den päpstlichen
Schreiben,; so au,ch aus den Äußerungen, der» Zeitgenossen.,
In; verschiedenen -päpstlichen S chrei,b,en. wird j. bezüglich der
Kreuzfahrer ein ^Unterschiedr- gemacht: Denjenigen,,. die. : während, des
Zuges sterben oder im Kampfe fallen sollten, wird ein [vollkommener
Ablaß sin Aussicht,., gestellt, , während* den Überlebenden bloß ein
partieller' lAblaß verheißen = wird ;; .diese , Unt,er Scheidung- fiudeV sich in
den früher angeführten Ablaßbewilligungen von Gelasius II. (1118),
HonoriusII. .(1128); Alexander, III. (1171—72, 1179).*, In andern
Schreiben,' die allen i Kreuzfahrern den vollkommenen Ablaß verheißen,
wird derjenigen,; die imKampfe;f allen werden, ganz besonders gedacht,
so in den Kreuzzugsbullenvon'Eugen.III., (1145)',-, Alexander III. (1165),
Gregor VIII. (1187), CölestinIII.,;(1195).^ Hätte man aber damals dem
Ablaß keine .Wirksamkeit yor Gott zugeschrieben, .hätte. man ihn, bloß
für eine Befreiung yon den kirchlichen Bußstrafen gehalten, was hätte
dann die, iYerheißung eines vollkommenen Ablasses für jene, die im
Kampfe fielen, ' bedeuten können?, Nicht, das geringstej .Von den
kirchhclien Bußstrafen, -.wurden sie ja ohne weiteres durch, den Tod
befreit. Die .Verheißung eines Ablasses konnte für, sie nur dann eiaen
,^ Hinsohius V; 154: ,, Die .Buße hatte nicht nur die Bedeutung einer
Ersatzstrafe für begangene. Vergehen ^'sondern bildete auch zugleich die Gott zu
leistende Genugtuung für jede begangene Sünde, um diese und ihre Folgen 'zu
beseitigen."! Vgl. IV «695 n. 5 821. Vgl. auch (die oben S.,260in. 1 angeführte
Äußerung K.. .Müllers, u . ., , ,. , -
'^ P. F.ournier (Revue, d'histoire .eccMsiastique 1909, ,584): „L'i^glise
estimait que la^ penitence iinposee pär 'eile avait u'ne valeur n-bn seulement dans
la balänce 'de' Ta justice eeclesiastiqueV mäis' aussi dans la b'alänce de la justice
deDieu. . .< Or, 'si les pönatences'infligees p_ar l'iälglise ont une valeur auxyeux de
Dieu, comment dinier toute valeur transcendante ä la, deoision de l'^Öglise qui
leur substitue un acte equivalent ou,qui en pronpnce la remise ? J'estime que
l'lfeglise a toujours eu conscience' de cette transcendance."
ä Schon Kardinal Kajetan hat darauf aufmerksam gemacht, daß in bezug
auf die überirdische Wirksamkeit Buße und Ablaß gleichzusetzen sind: „Quoniam
certum est, onmi hoc attestante ecclesia, indulgentias succedere loco iniunctarum
poenitentianun, consequens est, quod idem est effectus indulgentiae, qui erat
futurus effectus iniunctae satisfactionis,poenitentialis. Constat autem quod per
iniunctam satisfactionem poenitentialem digne exequutam solvitur poena tem-
poralis pro aetuali peccato debita apud divinam iustitiam, hoc enim universalis
credit ecclesia, igitur per indulgentiam loco satisf actionis succedentem, si veraoiter
ao digne -acquisitaifuerit, solvetur quoque tan tum de poena temporah pro aotuali
peccato debita apud .diAdnam iustitiam, quantum apud eandem aequivalet indul -
gentia acquisita." Opuscula 92. ^
« Oben S. 197 198 201 f. ^ oben S. 199 200 203 206.
ä62' Vir.' Die Bedeutung^ der älteren Ablässe.'
Wert halien', wenn angenommen' wurde', daß der Ablaß inS'^ Jenseits'
Mhübergreife, daß er' vor Gott Geltung habe. Wbnn daher die<Päpste
den Kreuzfahrern, die im Kampfe fallien 'würdfenV einen 'Erlaßt der
Sündenstrafen verheißen, und dazu noch einen' größeren Erlaß als den
Überlebenden, so ist man doch sicher berechtigt, daraus zu schließen,
daß die Päpste damals schon der Überzeugung waren^, ihr Erlaß' würde
auch vor Gott Geltung haben. ' . . - ' < . - > <
Ebendeshalb berufen' sie sich auch öfters in ihreii 'Ablaßbewilli-
gungen auf' die Barmherzigkeit Gottes. Schon Urbanf II'. 'erklärte
in seinem Briefe von 1096 an die Bolbgnesen, er einlasse den Kreuz-
fahrern die Buße ,, durch die Barmherzigkeit'^ des allmächtigen
Gottes".^ Mit diesen Worten, so gesteht' selbst ein' Gegner der über-
irdischen Wirksamkeit der ältesten" Ablässe,' „ist die Transzendenz
immerhin nahegelegt'. Wenn Gottes Erbarmen zur Naclilassung der
kirchlichen Bußstrafen mitwirkte oder' den Antrieb' gab,' 'dann wird
Gott seine eigenen Strafen gewiß -nicht aufrißchterhalten.^" Nun hat
aber Alexander III., von dem behauptet wird, er habe 'die überirdische
Wirksamkeit der Ablasses „verworfen", 'er habe davon nichts wissen
wollen,^ ebenfalls, und zwar wiederholt, erklärt, er erteile den Ablaß
^,im Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit" i*' Auch' Gregor VIIL und
Cölestin III.- erklären in ihren KreuzzugsbuUe'n, die Kreuzfahrer' werden
Nachlassung der ihnen auferlegten Bußstrafen erlangen ,,von' des all-
mächtigen Gottes Barmherzigkeit" (de ömnipotentis Dei miseri-
cordia).^ Innozenz III. aber, der nur ein ,, Minimum positiven Ver-
trauens in die überirdischen Wirkungen des Ablasses" bekundet haben
soll,* beruft sich nicht nur, gleich seinen Vorgängern,>'äüf die Barm-
herzigkeit Gottes, er versichert auch die Kreuzfahrer, daß ihnen der
Ablaß ,,von Gott und dessen Stellvertreter" (a Deo eiusque vicario)
«rteilt werde.^ Damit wird unzweifelhaft dem Ablaß eine Geltung
vor Gott beigelegt.
Aber nicht nur aus den päpstlichen Schreiben', auch aus den
Äußerungen der Zeitgenossen ergibt sich mit voller Bestimmtheit,
daß man bereits im 11. und 12. Jahrhundert dem Ablaß "'eiiie Geltung
vor Gott zugeschrieben hat. Der französische Geistliche Fulcher von
Chartres , der am ersten KJreuzzug teilnahm und eine Schilderung davon
hinterlassen hat, bemerkt in seinem Bericht über die Rede Urbans II.
in Clermont, der Papst habe den Kreuzfahrern, die auf der' Reise
sterben oder im Kampfe fallen würden, im Namen Gottes die Nach-
Jassung aller Sünden verheißen.* Daß hier dem Ablaß eine über-
irdische Wirksamkeit zugesehrieben wird, braucht nicht eigens hervor-
1 Oben S. 196. 2 Gottlob 92 f. ^ Gottlob 123 126.
* Oben S. 201 f. « Oben S. 204 206.
8 Gottlob 256. ' Oben S. 208.
^ Fuloheri Carnotensis Historia Hierosolymitana, hrsg. von H. Hagen -
meyer. Heidelberg 1913, 135: >,Cunctis illuc emitibus^si' aüt gradiendö'aut
transfretando sive contra paganos dirnioando, vitam inorte praßpeditam f inierint,
remissio peccatorum praesens aderit, quod ituris adnüopdöno isto investitüs a
Deo." Auch bei Mi gne CLV 828. ' ' ^ • V^-^ .•; ; *o ^
VII. Die, Bedeutung. der älteren, Ablässe,,, 263.!?
^ffehöben zu werden..; Ein anderer. zeitgenössischer ,jGreschich|}sclir,eiber,,
des erstell Kjeuzzugs,; der Beiiediktineräbtiurid spätere Erzbiscnöf ^yon i
Dol (Bretagne).v Balderich , laßt,,Urb.an 11. .den, Biscnofen sagen, sie...
sollen in iestem,; v ertrauenj äut .Christus den VKreuzrahrerneme . , ,himm-, .
hsche Vergebung : verhemen:^. Eine im Vertrauen ;autum'istus:yer-,>
heiBeiie^ -„hiihmlische " ^ Vergebung,; Jetzt; :ab^^ V vorms; daß . der; vpm t
Papst erteilte AblaßiVÖr <Gr.oMriJ3i,Himmel,jGreltimg^ Dieser AnsichLj
war. sicher auch,>^der englische Uescmchtschreibier, Walhelm .xpn^^.M .
mesburY;(tviumJ143). Dieser laßiiUrban-II,.^^
Den-Kreuzf ahrern wejcde v o n Gö 1 1. und denLNaphiolger, des, JiL. lietrus ; .^
die Näcmassüng.aller,'Süiidehv^erteilt.i2;vD.er 'Ai^^
PetrusDiakonus scto^ibt <iimr, 1 140 lü , der ■ Phronik; semes Klosters , ,
die,Teimehmer am, erstenfKreuzzuge; seien ;versxoher.t worden, daß die
Beschwerdenj, die. sie übernehmen wurden, v^oh (jr0.tt anstatt, der, Bußie.,
.ahgenommßn, werdenif; j^
in ; Sßiner, Kii^jhengeschiphte'beziiglicb cleö < ersten Kreuzizugs, ,die /Teil:,
nehmer. ha.tteniur ihre Sunden „G o^tt .genuggetan.* vSoi^urdeschpn,
der .bei dem,ersten/Kxeuzzug erteilte .Ablaß, mr;einen -yor Gotfc gültigen; ;
angesenen.
: Nicht a-i^ders. war^MJbei^^^d^^^ :Kreuzzug unter Eugen IIL.
Der; bestci Zeuge hierfür^ist.i,derU.tB,erhhard,/der:d^
predigt hat.. Wenn er die- durch die,päpstuche,EJreuzzugsbidle .eröiine]te ,
Abläßzeit em mit,,, Gott , Versöhnendes, wahrhafte
nenntw^ rso zeigt, ,er . dämit^ . daß, er Fön; der überirdischen Wirksamkeit ,
■dßs.,Ablasse& fesstr,, .überzeugt jwar. , •?; ,r-^ ,:;;. - :,;,. -;?;:■;;.. ^'-v' -^.. * . a";> :. % .. ;.
Auch aus ..der „Zeit. /des. dritten ^^^K^
hören, welche^ die. , iiberirdischeaWirksamkeit : des. Ablasses bezeugen,^
Als im Dezember 1187 Bischof Heinrich von Straß bürg iii letzterer .
Stadt v.or..Kaiser.Eriedrich;Is undi zahlreichen Rittern zum. K^^
autiprderte, schloß ,ei^^ nach deiu Bericht emesiZeitgenosseii seine .K^
mit/deny Worten.: fj,Bedenket,;erla,üchtßi Ritter,:;
vprteilhai t, wie „ausgezeichnet .dieser 5 Kriegszüg > sei, iwie ; emtraglich die*
Arbeit,! da, der ,Lohh:vdäfiir die,iNachlässuiig,;der .Sünden ist,; die der
Hßrr^ wahrhaft den Seinen verspricht; und den Kreuzfalirerr^
bietet."^ Ähnlich, daphte, ein Straß burger Domherr aus der XJm-
^ Migne GLX"S^i 1068:' ,,C6m suorum ignorantiam securi
■de Ghnsto ooelestem paciscimim vemam. ;..
''MigneVOLXXIX 1298:;, ^Häberites"" per Dei concessum et ,beati Petri
pri.vilegiumvomniuin absomtionein criminum. ,
, , ^ Mori. 'Germ. Script.' VII. 765: „Gerti et indubii redditi^ quod quicquid ,
adversi, ■ quicqüid l'pericüli;' cj äicqüid deiüciife . ihcoihinödi illis cbn tirigere t, loco ,
poemtentiae a. Donnno.recipienduin,ut tarnen se a praeteritis nequitus con-
tmerent,' • .. -^.■■"- ■■'. .;.,;. .,,.;.. ..,■..:..:.,■:-,....■,. /..-.a;. . .^^^ ■,-.. ^::;■
* Migne GLXXXVIII 652: ..PrOfCulpjis, siüs ÖeÖ'satisf äcientes peregre
ipergebant." . ■ ;■;■' - . ,,, ,, , . .-. :r:,.
- .:f^.g^ß,y2o;Q,^, ^^^^ ::_: ..^^ ,:^-^ ;;■-■".-;>/•■■.:' ^••-".' •■■r^- ' "'
« Histöna ^pefeOTinöriim, bei C ani s i üs - B as n a g e , Tiiesauxüs naonumen ♦ ,
tomnoLvIII ;2.;;iötq/er^i^
BilÖiotbeeia meäii äe\T^ ' r^- .> - > .' . .....;>, .,...,,.., ..^,. - .., ...
264 VII. Die Bedeutung der älteren Ablässe.
gebung des Bischofs Heinrich; Gregor VIII., so erzählt er, hat einen
Legaten gesandt mit der Vollmacht, allen jenen, die das Kreuz nehmen
wollten, die Nachlassung aller Sünden von selten Gpttes (ex parte
Dei) zu versprechen.^ Die Überzeugung, daß der Ablaß vor Gott
Geltung habe, bekundet auch ein anonymer Beiiediktiner in einer
li89 verfaßten Schrift.^ Der fromnie Ordensmann, der seine 'Ab-
handluiig an einen wankelmütigen Mitbruder richtet, spricht sich zwar
aufs schärfste dagegen aus,' daß Mönche an einem .Kriege gegen die
.Ungläubigen sich beteiligen;^ doch begleitet" er den'voii Kaiser Frie-
drich I. begonnenen Kreuzzug mit seinen Segenswünschen; auch' läßt
er Papst Klemens Ill.'den Kreuzfahrern die Befreiung von (den Sünden
und die Versöhnu'iig mit Goti' verheißeri.* " "''
Man könnte geneigt sein, hieran eine Nachlassüng von'^ Schuld
und Strafe zu denken. , Tatsächlich wurde den Kreuzfahrern, die
reumütig ihre Sünden' beichteten, die Sündenschuld im Bußsäkrament
und die Sündenstrafe durch den päpstlichen Ablaß nachgelassen. Aber
nach dem damaligen Sprachgebrauch ist unter dem vom Päjpste ver-
liehenen Sündenerlaß bloß ein Straferlaß zu verstehen! Auch dieser
Straferlaß, vorausgesetzt, daß man ihm eine überirdische Wirksamkeit
zuschrieb, konnte für sich allein als eine Versöhnung mit Gott be-
zeichnet werden ; denn, wie verschiedene mittelalterliche Theologen be-
tonen, wird die Versöhnung mit Gott erst eine vollkommene, wenn
auch die Sündenstrafe erlassen ist.^ Daher konnte Petrus von Blois,
wie oben erwähnt worderi,*- anläßlich des dritten Kreüzzugs 'ei^klärenj
daß Gott den Kreuzfahrern durch die kirchliche Autorität Versöhnung
(verbum reconciliatibnis) anbieten lasse; ein weiteres Zeugnis dafür,
daß man damals dem kirchlichen Ablaß eine Geltung vor Gott zu-
schrieb.
Sehr bestimmt tritt diese damalige allgemeine Überzeugung auch ,
in einer Predigt hervor, die der Zisterzienserabt Martin von Pairis
im Oberelsaß anläßlich des vierten Kreuzzugs unter Innozenz III. im
Jahre 1200 zu Basel hielt. Wollt ihr wissen, so redet er seine Zuhörer
an, was ihr von Gott für die Teilnahme am Kreuzzuge zu hoffen
^ Annales Marbacenses, in Mon. Germ. hist. SS. XXI 163. Über den Ver-
fasser des betreffenden Abschnittes der Marbacher Annalen vgl. H. Bloch,.
Kegesten der Bischöfe von Straßburg I, Innsbruck 1908, 72 ff.
2 Tractatus do poenitentia. Migne CCXIII 893 f.
^ Er ruft seinem Mitbruder zu: „Aliam militiam iurasti, taUs pugna tibi
non licet", und fügt noch bei : „Supercincta flocco spata äuget, non toUit peceata",
d. h. das über das Mönchskleid timgürtete Schwert mehret die Sünden, nicht
aber: „Das Schwert aus der Scheide gezogen mehret die Sünden", wie Gottlob
134 f. übersetzt und den alten Benediktiner zu einem „Gegner der kirchlichen
Heerrufe überhaupt" gemacht hat. .....
* „ Quisquis pie, fideUter susceperit idem iter, Liber fiat apeccatb, Domino-
sibi placato." Migne 894.
* Es genüge auf Cäsarius von Heisterbach zu verweisen, der lehrt,,
daß die vom Beichtvater auferlegte Büße, wodtirch die Sündenstrafe getilgt
wird, „iustificandum Deo totaliter reconciliat". Fasciculus moraJitatis II 83..
8 Oben S. 259. : . :. . v ..
VII. Die Bedeutung' der älteren Ablässe.
habet, so verspreche icK euch, auf das bestimmteste, 'daß, wer das'
Kreuz nimmt und eine gute Beichte ablegt,' von allen Sünden völlig
gereinigt werde. ?^' Die völlige Reinigung fand "man eben darin,- daß
mit der Sündenschuld',' von der die Kreuzfahrer' in der reumütigen
Beichte Nachlassung erhielten, ' durch den AblaÖ auch alle Sünden-
sträfen getilgt -würden. ."' ' > '^ ' ■ "•
Sowohl aus den päpstlichen Schreiben als aus den Äußerungen der
Zeitgenossen, ergibt -sich demnach, daß von Anf aiig an' dem Kreuzablaß "
eine' überirdische Wirksainkeit' zugeschrieben worden ist.'- Was aber von
den-Kreuzablässen gilt, das gilt auch von'der Wirksamkeit der'and'ern
Ablässe, da maii' zwischen beiden EJassen" von Ablässen in dieser
Hinsicht keinen Unterschied gemacht hat.^ Wie'die Päpste,' so erklären
auch die Bischöfe des 12. Jahrhunderts häufig in ihren Ablaßschreiben,
daß sie den Bußerläß' für Almosen oder Kirchenbesuch' erteilen ,-,ini
Vertrauen aiifdie göttliche Barmherzigkeit".^ Damit gaben sie klar
genüg zu 'Verstehen, daiß" sie ihrem Bußerlaß eine überirdische Wirk-
samkeit beilegen wollten. Dasselbe bezeugen die zahlreichen bischöf-'
liehen Ablaßbriefe, in denen der verheißene Erlaß als ein von -Gott'-
(a Deo; ex parte Dei) zu erteilender bezeichnet wird.^ "Es 'verdient'
gewiß Beachtung/, daß gisrade die ältesten Ablaßprivilegien ' diese • Auf- ■
fassungjzum Ausdruck 'bringen, so z. B. die Privilegien' für Portella
(1035), Notre-Dame d'Arles (1046),- Trets (1056), Aix (1070),= Urgel
(1100), Montmajour (Ende' des 11. öder Anfang des 12. Jahrhunderts),
Nantes (um 1105).*' In etlichen' dieser Privilegien (Notre-Damte d'Ärles, '
Montmajour),! sowie in einigen andern des IT. Jahrhunderts, z. B;.
Psalmody,' Maguelorie' Correns, wurde der; Erlaß besonders für den
Fall des Ablebens zugesichert.^ Daß aber Ablässe, die für den Fall ■
des Todes verheißen werden, ünzweif elhaf t ■ eine Geltung vor. Gott-
voraussetzen, |8t |)ereits bei den Kreuzablässen hervorgehoben* worden: ■
Für beide Klassen von Ablässen kommen schließlich noch in '
Betracht die älteren Theologen und Kanonisten; die in der
zweiten Hälfte des 12. und in der ersten des 13. Jahrhunderts von
dem Ablaß gehandelt haben.^ Alle ■ diese Autoren widersprechen der .
' , - ' ? , > . ,
^ Guntherus, Historia Constantinopolitana,^ bei Migne CCXII 228: „Si
quaeritur quid a Deo certi'stipendii pro tanto labore sperare'debeatis, certissime
Vobis poUiceor, ' quia quisquis Signum'' crucis acceperit et puram fecerit con-
fessionem, ab omni prorsus mundabitur peccato, et quoeunque loco, vel tempore,
seu casu praesentem reliquerit vitam, aetemam accipiet."
^ Auch Brieger (Realenzyklopädie IX 80) betont, daß im 12. Jahrhundert
der KJreuzablaß sich von den übrigen Ablässen nur quantitativ', nicht wesent-
lich unterschieden hat: „Die bei den soeben genannten Päpsten vorkommende ,
Erteilung des Kreuzablasses liaoh Maß (secundum' quantitatem laborum)»kann
als Beweis dafür gelten, daß der Kreuzablaß' sich damals nur' quantitativ von
dem gewöhnlichen Ablaß unterschieden hat, 'daß somit 'die früher herrschende,
zuletzt noch von Hinschius vertretene Vorstellung, als ob wir es hier mit .Erlaß
der Sünden' zu tun hätten, im Unrecht ist."
* Vgl. z.' B. die Ablaßformeln des Erzbischofs Ralph von Canterbury und
des Bischofs Nikolaus von Llandaff. Oben S. 179 183.
* Oben S. 136 139 143 145 146''177 178. ' * Oben S. 136 f.
* Vgl. den vorangehenden Abschnitt über die Ablaßlehre der Frühscholastik.
vir., D,ie^ Bedeutung; der-ältereni. Ablässe. ,
in neuester Zeit aufgestellten .Behauptung, daß, man erst im 13. Jahr-
liundert begonnen habe,; dem. Ablaß. tein Hinübergreifen ins./ Jenseits
•zuzuschreiben; keiner von ,ihnen weiß 'etwas > von« .dem Ablaßbegriff ^
der) (bis. gegen Mitte des 13., Jahrhunderts, der.. vorherrschende gewesen
sein sqU. Obschon, ethche. dieser Gelehrten, hinsichtlich, des. Umfangs
der Bußstrafe, von welcher der Ablaß befreie, die) [Wirksamkeit ides
letzteren^allzusehrs einschränken, so. ist doch keiner der Ansicht, daß
der .Ablaß nur in,foro Epclesiae, Geltung, habe,; es-berichtet auch.keiner,
daß^andere, eine ,der,artige Ansicht .vertreten, haben.,' Aus. .ihren Er-
<irte:cungen geht, vielmehr hervor, daß. bereitSi^zunihrer,,, Zeit., die ..An-
schauung von, decüb^e^irdißchen .Wirksamkeit .des ^Ablasses, allgemein
verbreitet ,w^r. Abälard' verwirf t wohL die pAblässe, für t Almosen und.
Kirchenbesuch., Indem,, er laber denj ablaßspendenden -Bischöfen vor-
wirft, sie, maß tenj sich an, den Himmel; nach iBeliebenlzu öffnen .oder
zu. schließen, bezeugt er damit, daß man .damals in. kirchlichen Kreisen
dem ( Ablaß, ein» Hinübergreif enjns. .Jenseits zuschrieb . Dasselbe . ergibt
sich^ausiden Erörterungen des Petrus Cantor. Alanus von. Lille läßt
dent Ablaß bezeichnenderweise nicht schon hienieden, sondern erst im
Jenseits, seine Wirkung, ausüben. Die jandern Theologen- und Kano-
nisten, Petrus ,von Ppitiers, Stephan, Langton, Hiiguccio,.der Engländer
Alanus,. Tankred,, Präpositinus, Giraldus,i Wilhelm von Auxerre,
Wilhelm^ von Auvergne,, ein anonymer Verfasser theologischer/J'ragen,
Jakob vonVitry, Raimund von,Penaforte, Wilhelm vonRennes, Paulus
von Passau, Heinrich^ von. Merseburg,, ein anonymer Metzer Theolog,
Qoffredus, von, Trani,' sie, allejhaben eine^überirdische Wirksamkeit .des
Ablasses angenommen.. Keinera von,ihnen istes.in den Sinn gekommen,
die entgegengesetzte Ansicht zu bekämpfen oder a.uch nur zu erwähnen.
Daraus darf man wohl, schließen, daß, .damals eine solche Ansicht nicht
bekannt ,gewesen ist ; sonst würde sie, doch von dem einen und andern
Oelehrten, die vielerlei Ansichten über den Wert des Ablasses anführen,
«rwähnt worden sein.
Erst Bonaventura^ erwähnt und widerlegt die Ansicht., .etlicher''
(quidam)„die behaupteten, daß' der Ablaß bloß vor dem Richterstuhle
der Kirche, nicht auch vor Gott Geltung habe.^ Er spricht wohl von
„etlichen". Daraus folgt aber nicht, daß er mehrere Autorenim Auge
hatte. Auch \v;o es sich, bloß um einen Gelehrten handelte, pflegte
man damals das Wort ,,quidam" im PluraJ zu gebrauchen.^ . So sagt
^ Was Bonaventura hierüber sagt, findet sich freilich schon in der Summe
seines Lehrers Alexander von Haies. Allein, wie in dem. folgenden Kapitel
nachgewiesen werden wird, ist um 1260 bei der Ergänzvmg der unvollendet ge-
bliebenen Summe Alexanders der Abschnittj über den Ablaß zum, größten Teil
fast wörtlich aus Bonaventuras Kommentar herübergenommen worden.,
2 Sent. IV, d.20, p. II, q. 2 (Opera IV 533);, „Quidam distingüentes forum
Dei et forum Ecclesiae dixerunt, huiusmodi relaxationes non fieri nee intelligi
quantum ad forum Dei, sed quantum ad forum Ecclesiae." Ähnlich bei Ale xander
von Haies, Summa theologiae IV, q. 23, m. 1, a. I.
3 Vgl. P. Minges, in Franziskan. Studien III (1916) 59: „Es war damals
üblich, andere Gelehrte, verstorbene und noch lebende, nur mit den Worten
VII. Die Bedeutung der älteren Ablässe. 267
Bonaventura an einer andern Stelle, wo er bloß gegen Albertus Magnus
polemisiert: ,,Aliqui dicere voluerunt.''^ Daß er aber auch mit jenen
„quidam" einen bestimmten Autor meinte, zeigt die Art und Weise,
wie er die Ausführungen der ,,quidam" wiedergibt. ^ Diese Ausführungen
hat er offenbar in der Schrift eines zeitgenössischen Theologen vor-
gefunden. Wer, dieser Theolog gewesen, kann nicht ^angegeben^werciein...,
EinfeiSbhKif't ^miCAusf üHrungen^ wie:sie vonj. Bonaventura veuöff entlicht-^
worden, ist bis heute nicht ,ans Tageslicht gekommen. Auch bei seinen
Zeitgenossen scheint der ^Verfasser -der «verschollenen' Schrift nur wenig
bekannt gewesen zu sein. Albertus Magnus, der kurz vor Bona-
ventura ■ .die i Ablaßf rägei . behandelt.- shat, . sagt Inichts.'. von der - eigen-
tümlichen« 'Ansicht,! die Bonaventura; bekäinpft./ Thomas. von «Aquinj
bespricht f sie? wohl in jseinemj>Se'ntenzenkommehtar.^ ••Da<.ero'^abef^^bei-i>
■der!* Abfassung p dieses*; Werkes , bereitsslden^Kommentar Bonaventurasu
vor.''Sich' hatte',' so. verbietet nichts,- anzunehmen; daß/ er sichi^imit jenei:^
Ansicht f nur beschäftigt, weilser-rsie/iri seiner* Vorlage beharidelt^fandü
Er j bespricht -^siej übrigens ganz in' ^derselben • Weise -. wie sein ^Vorgänger.;- ' ■
inhaltlich-j und »zum . TeiL/auch • wörthch ' stimmen i-beide^ Autoren , völlig .•
miteinander. '.überein'. Spätere >haben.' bloß wiederholt; ■ wasJihneh von^-
Bonaventura mnd-.iThomäs;igeböteri'Ävurde.' '. .1
Ji'Die angeblich noch. in der. ersten . Half te,j des 13. Jahrhunderts^
vorherrschende^ Ansicht, -.'daß ! der Ablaß nur, vor^dem. -Richterstuhle:.
der-Kirche ßeltunghabe; istdemnach vorl250-nur.von einemiobskuren,' .
läcbii näher: bekannten < Theologen vertreten .worden. Von. einer >,,Umr^v
bildung'' 'des, Ablaßbegriffes? im -13.* Jahrhundert kann keine Redeisein.'^ t
■quid am, oder alii zu bezeichnen." An einem andern Orte (Theolog. Quartal-
sohrift 1915, 523 ff:)' zeigt Minges, wie Alexander' von Haies wiedefholt^qüidam,.
di'öunt"' schreibt,i' wo er nur, Wilhelm! ' von' Auxerre 'im Auge- hatte. ' ^'
1 Opera. I'NI^'f 47,3; . ; \ , ■ ,
* Nach den oben mitgeteilten ,Wor.ten fährttBonaventura.for.t: „Hocautemt,
•sie intelligunt. Säcri canones pro mortalibus pecbatis graves et diuturnas po^ni-
tentias taxänt.'ut pro uno mortali septimum vel'amplius, secundum quod gravius'
•est;iquae-pDenä adeo gravis -est,' quod'^ vix autnunquam'possef qxiis f acere,- et -
pauoi inyenirentur, ^qui. yelleht., 1 Ide.o, ^oonstitueruntiyectores; Ecclesiae^ pqenitentias u
secundum '.arbitriumümponi, >etde, residuo,]:elaxationes..constituerunt fiei-i: quod.-,
et f acere , potuerunt, . quoniam, constitutiq humana erat, et in huiusmoda , con-
stitutione pptest hömo ' dispensare et temperare ; • quae dispensatio quaedam
jeläxationon indebite-appellaturj'' ' '
s.gent. ly, d. 20j q.'.unioa, «... 3,, quaestiu^eula„'l (Supplem. ,q. ^25,}.a.i_l).,,
* Der italienische Jurisft Falco 167 ff. vertritt, ganz, entschieden.. gegen,,
Goetz, Brieger, Gottlob und andere die , Auf f assting, daß von,-, Anfang an .dem
Ablaß eine überirdische Wirksamkeit zugeschrieben worden ist; von einer „Um-
bildung" des Ablaßbegriffes-im-'lS;' Jahrhundert -findet er keine Spur, in -den-
alten- Quellen. >■ Auch-jder^.französische , Rechtsgelehrjbe,, P. F ournißr ; erklärtin,
einer- Besprechung, des Buches, yqnvGottlob (R,e^vue,d'histpire,ec,clesiasj;ique 1909,
584): ,,Pour ma part j'estime que la valeur transcendentale des indulgences
«st au««si ancienne que celle des indulgences elles-memes."
Vni. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker
des 13. Jahrhunderts.
Die bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts noch ziemlich unsichere
Lehre vom Ablaß ist von, den großen Scholastikern so vollständig
ausgebildet worden, daß sie-, in der Folgezeit keine wesentliche " Be-
reicherung mehr erfahren hat. Der' Hauptanteil an dieser Ausbildung
wird gewöhnlich Alexander .von Haies zugeschrieben. Dieser, geniale
Theolog soll den Grund des Gebäudes gelegt haben', das dann von
den drei ändern klassischen Vertretern der Hochscholastik ; Bona-
ventura, Albertus Magnus und Thomas von Aquin,.VDlleiidet worden^
wäre. Ob aber der berühmte Franziskaner ein. derartiges ;Lob' verdient,
ist sehr zweifelhaft. Es scheint; vielmehr,' daß > er aus der Geschichte
des Ablasses ganz auszuscheiden sei, da er über die Ablaßfrage nichts
geschrieben hat. Wohl findet sich in seiner Theologischen Suinme ein
umfangreicher Abschnitt, der vom Ablaß handelt,^ Man scheint jedoch
berechtigt zu >sein, anzunehmen, daß dieser .Abschnitt nicht von 'ihm
herrührt, sondern erst nach seinem Tode dem unvollendet gebhebenen
Werke beigefügt worden ist.
Alexander, von Haies, der als Lehrer der Theologie an derrPäriser
Hochschule im Jahre 1245 starb, hat seine große Summe nicht .zu
Ende führen können. Deshalb hat Papst Alexander IVv im- Jahrö 1256
dem französischen Provinzial der Minoriten den Auftrag ^gegeben, das
Werk des verstorbenen Gelehrten durch jWühelm.voh Melitpna und
andere Brüder vollenden zu lassen.^ Trotz der päpstlichen Aufforderung
bheb Alexanders Summe unvollendet bis auf den heutigen Tag.- Ab-
gesehen von den Lücken, welche die drei ersten' Teile aufweisen,
schließt der vierte Teil mit dem Sakramente der Buße ab; die drei
letzten Sakramente werden darin nicht mehr behandelt. Anderseits
steht fest, daß wenigstens einige Stücke nach Alexanders Tod in die
Summe aufgenommen worden sind.^ So sind z. B. die quaestiories 30
und 31 des 4. Teils, die von der freiwilligen Armut handeln, sicher
nachträglich beigefügt worden, da sie zum großen Teil einer Schrift
entnommen sind, die Bonaventura anläßlich des Armutstreites, der
1255 — 56 zwischen Wilhelm von St. Amour und den Mendikanten
1 Alexandri Alensis Stunma Theologiae: Coloniae 1622. P. IV, qu. 23,
S. 633—41.
a Sbaralea II 151.
' Vgl. P. Minges, in Franziskanische Studien II (1915) 211.
VUL.Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. 'Jahrhunderts. 269
geführt wurde,' verfaßt ihat.'^ Wie nun dieser Abschnitt und' andere
«rst nach Alexanders ''Tod< seiner Süinme • beigefügt worden sind; so
ist .allem "Anscheine nach ; auch >deri Abschnitt über den Ablaß ein
späterer, .namentlich, von Bonaventura entlehnter Zusatz.
Das meiste, was ^ bei Alexander über den Ablaß gesagt wird/findet
-sich fast wörtlich wielder bei Bonaventura.^ Es ist aber kaum^ anzu-
nehmen, daß letzterer' sich damit begnügt hätte, seinen ' Vorgänger
einfach auszuschreiben. Nicht mit Unrecht bemerken einmal die
Herausgeber,, der .Werke, des Seraphischen Lehrers: ,,Superfluum est
urgere, quod nota plagarii valde deroget bonoritanti doctoris" (Opp. V,
S. XIII),. Dies kann man, auph. . a]if ,die Abhandlung vom Ablaß an-
wenden. Wohl erklärt ^Bonaventura in, .der Einleitung, zum zweiten
Teile seines Sentenzenkommentars: ,, Quemadmodum inprimo libro
Sententiarum adhaesi communibus opinionibus magistrorumr et ^po-
tissime magistri et patris nostri b. m. Alexandri, sie in consequentibus
libris ab eorum vestigiis non recedam." Das hinderte ihn aber nicht,
die von seinem' Lehrer bereits erörterten, Fragen in durchaus, selb-
ständiger Weise neu zu behandeln. Die wörtliche Übereinstimmung
mit' Alexander von Haies, wie sie in zahlreichen Abschnitten des
vierten Senterizenbuches bei der Behandlung von Buße und Ablaß
zutage tritt, wird man im ersten. Buche vergebens suchen.^
Nicht unerheblich ist dann foleeride Einzelheit. Bei, Alexander
wnd im Abschnitt über den. Ablaß in .einem eigenen Artikel (qu. 23,
membrum I, artl. 2) die Frage erörtert, ob einer für.den andern genugtiin
könne. Die betreffenden Äusführuiigen stimmen fast wörtlich überein
mit dem, was Bonaventura (IV 529 f.) über diesen Punkt gelehrt hat.
Nun wird aber bei Alexander' in einem unmittelbar darauf folgenden
A|)schnitte (qu. 2i, m. 4, a. 4) dieselbe Frage noch einmal in einem
•eigenen' Artikel behandelt, und zwar lautet, jetzt die Beantwortung
«twas anders als im ersten Abschnitt; auch die Argumente für und
wider lauten anders. Ein derartiges Vorkommnis läßt sieb kaum
■erklären bei der Annahme, .daß die beiden Artikel von Alexander
herrühren. Dagegen schwindet alles Befremdende, wenn man annimmt,
•daß bei der Ergänzung der unvollendeten Summe bezüglich des Ab-
lasses und der Genugtuung neben Bonaventura noch andere Vorlagen
benutzt worden sind.
Ein weiterer Beweis, daß der Abschnitt über den Ablaß nicht
von Alexander herrührt, findet sich in der Erwähnung eines Ablasses,
der jenen gegeben zu weiden pflege, die für den König beten.* Es
1 Vgl. Bonaveriturae Opera V, S; XII ff. X 3.
» Opera IV 529—41. Com. in IV. Sent. d. 20, p. II.
* Der Unterschied zwischen den drei ersten ' Büchern und dem •vierten
in bezug auf Alexander ist schon den Herausgebern der Werke Bonaventuras
aufgefallen: „Bonaventura in hoc quarto libro pressius quam in aliis partibus
sequitjir vestigia Alexandri, ita ut passim eum quasi in compendium contraxerit."
Opp. X 5.
* qu. 23, m. 4: „Insistentibus orationi . . . pro Rege possunt et aolentdari
indulgentiae." ^
• 270 .Jii3;-Il5i^Die'AblaßlehfeTdei?j großen' Scholastiker fdes.ilSi'^Jahrhun'derts.
' handelt sich hier um den Ablaß <von zehn Tagen; »den zuerst Innozenz IV.
f jenen' verhieß, 'diefür Ludwig. IX; voni Frankreich i'beten" würden. '.-Auf
"deni 'Generalkapitel, das die Domiiükaner an Pfingsten 1252 in Bologna
abhielten, .wutdeh die- Brüder <• aufgefordert, diesenr Ablaß., dn ihren
f Predigten zu verkünden,^ Er .riiuß-älso/kurz vorher bewilligt worden
"Sein.^ Hiermit stimmt, daßiBonaveritüra; und slAlbertus^ Magnus 'ihn
' noch nicht erwähnen, während Thomas, der;seinenäSentenzerikommentar
"erst nach 1252 schrieb,' ihn anführt.^
Wie der' Traktat' über den AMäß ferst nach Alexanders Tod seiner
. Summe beigefügt 'worden'iist', so "sind auch ganze 'Abschnitte über- das.
"'Bußs'akrament fast' wörtlich "aus ^Bonaventuras Kommentar in das un-
' vollendete* Werk ^seines Lehrers aufgenommen worden.' Es sei -hier nur
"^^-auf einen) einzigen Purikt aufmerksam ^gemacht, -der zugleich zeigen
"wird," in' welchen! Verhältnis' Alfexänder- und 'Bona: Ventura zu^ Albertus
•'-Magnus ' stehen.
^ Bei der Behandlung der Ablaßfrage stimmen'Bonaveiitura und
Albertus' Magnus in etlichen Einzelheiten iast wörtlich miteinander
' überein. ' Wem die Priorität zukommt', läßt sich aus den Erörterungen
'über den 'Ablaß nicht feststellen. Daß aber Bonaventura .bei der
Abfassung seines ' Werkes den' Kommentar Alberts vor sich hatte,
ergibt sich mit ' Sicherheit aus seinen Ausführungen über die Wirk-
samkeit der "sakramentalen Absolution. 'Bekämpft er doch hier -die
Lehrmeinung' Alberts, wonach' die Schlüsselgewalt^ ihre Wirksamkeit
auf die Tilgung der Sündenschuld in dem 'Vorsatz zu beichten betätigen
würde.* Was Bonaventura gegen Albert vorbringt', findet sich auch in
"der Summe Alexanders (P. IV, qu. 21, m. 1). Daraus hat man schließen,
wollen, daß schon Alexander von ' Haies den Kommentar 'Alberts
gekannt hat. Allein Alexander war nicht mehr unter' den. Lebenden,
a's Albert den vierten Teil seines Sentenzenkommentars niederschrieb.
Dagegen hat Bonaventura Alberts "Kommentar sehr wohl' benutzen
' können.
Albert der Große wurde nach seinem Eintritt in den Dominikaner-
orden als Lehrer zunächst in verschiedenen deutschen Städten ver-
wendet. Wann er nach Paris kam, läßt sich nicht mit Bestimmtheit
angeben. Sicher ist nur, daß er dort im Jahre 1248 Magister wurde.
^ B. M. Reichert, Monumenta ordinis Fratrixm Praedicatorum historica III,
Romae 1898, 66.
» Von Alexander IV. (1255) und Urban IV. (1261) wurde der Ablaß er-
neuert und erweitert. Tardif 12 30. Daher der Ausdruck „solent dari" in der
Summe Alexanders.
3 Com. in IV. Sent. d. '20, qu. linioa, art. 3, quaestiuncula 3 (S.'Th. Sup-
plementum, qu. 25, a. 3).
* In IV. Sent. d. 18, p. I, a. 2, qu. 1. Opp. IV 473: „Aliqui dicere yoluerunt
.etc." Unter diesen „aliqui" ist sieher Albertus Magmis zu verstehen, in dessen
Kommentar die von Bonaveritiu:a erwähnten Äußerungen vorkommen. In
. IV. Sent. d. 17, a. 1. 8; d. 18, a. 1. 7. Opera XXIX, Parisiis 1894, 660 f. 670
■■■'7'64'776. ■ ■ ■ " ■ ■ ;;■ :.:,;:;_;. .;,.;..
VIII.f^'DievA'Blaßlehre''der;fgro'ßerf''^Sehölä§tike* 'dfe^'siSJ'-liralu^hWd^rts. '- 271
War aber' damals,' "wie* f angenommen wird,'"mit-der 'Erwerbung der
Magisterwürde reine dreijährige -Periode '■^des' Lernens' 5undf\Lehrehs' ver-
bunden,'^ so "inuß 'Tdie Übersiedelung'^nach' Paris 'spätestens " ito'' -Jahre
1245 erfolgt sein. ) Im' Jahre. 12^8 ^ging> Albert ■n.ä'ch'Köln, um" hier
bis . 1254^ die' heu eröffnete theologische 'Schule* 'zu 'leiten.^ Den' Kom-
mentar ZU', den Sentenzen" ^des Lombarden' 'hat 'er während seirier Lehr-
zeit -in Paris und Köln verfaßt. Bas zweite Buch' ist 1246 zu Paris-
entstanden.^ In der 18. Distinktion ä^des * 'vierten' 'Buches beruft 'er
sich wiederholt' auf die ,;neue Konstitution", die" vorschreibe, in weicher
Weise die Exkommunikation ->zu"verhängen'^sei.3 Da^niit meint er '^ die
•im« 'Jähren 1245 'vöii dein .allgemeinen '^Konzil iri 'Lyon^'erlas^enen^'Be-
stimmungeri.*•'Demnach'stämmt.aücli''d'er -vierte Teil des Komni'eh'falrs.
*aus der .Zeit.'nachi'1245. ^s In"der' 35 .'IDis'tinktionMes "vierten- 'Buchte»
wird ' einmal- 'das Jahr 4'249'>äi]igegeben.^ - IDies^ ist 'ohne' Zweifel das
Jahr, in welc'htem der 'betreff eride A'bschiiitt 'geschrieben' wurde. "Die
Ausführungen^ über. Buße~ und- Ablaß (d. 14 — 21) ■siAd-älso 1248 oder
1249- niedergeschrieben worden; •
Was den Kommentar Bonaventuras 'betrifft J so kann dessen^ Ab-
fassungszeit ganz genau nicht festgestellt werden.^ Salimbene berichtet
zwar, das Werk sei '1248- Verfaßt worden. 'Daran wird^ "aber wohl nur
so viel -richtig sein, 'daß Bonaventura -zu -jener Zeit ari'deni'Komiriehtar
gearbeitet hat.' Noch zu 'Lebzeiten' seines Lehrers Alexander von "Haies
war der junge Minorit- im "Jahre 1245 Baccalaüreus geworden. Von
da an wird er wohl auch vor seinen Mitbrüdern nichtöffentliche Vor-
lesungen gehalten haben.- ''Im Jahre- 12^8 begann er öffentlich an
der Universität zu lehren. Daß er damals schon seine Vorlesungen
ü|Der die Sentenzen niederschrieb, darf • als sicher gelten. Man, weiß
jedoch nicht, wann, der Kommentar fertiggestellt und veröffentlicht
worden ist. Jedenfalls muß es vor -1255' geschehen sein, da Thomas
von Aquin, der seinen Kommentar 1253 — 55 verfaßte,' Bonaventuras
Werk bereits vor sich hatte, wie aus -seinen Ausführungen über -den
Ablaß zu ersehen ist. Es' , genüge, auf : Sent. IV, d. 20, a. 3, qu. 2
(Süpplem. qu. 25, a. 2) zu verweisen, wo er sowohl gegen Albert d. 20,
a. 17) als gegen Bonaventura (d. 20, p. II, qu. 6) polemisiert.
^ Vgl. Michael III 69 f. J. A. Endres, Das Gebiirtsjahr und die Chrono-
logie in der ersten Lebenshälfte Alberts des Groi3en, im Histor. Jahrb. XXXI
(1910) '293 ff. G. V. Hortliiag, Albertvis -Magnus. 2. Aufl. mit Z\isätzen von
Baeumker und Endres. ■ Münster. 1914, 3 ff. [Beiträge zur Geschichte- der
Philosophie des Mittelalters XIV 5 u. 6], Fr. Polster, Kritische Studien zum
Leben 'und zu'deri 'Schriften Alberts des'Großen. Preiburg 1920,'34ff.^[Brgänzimgs-
heft' zu'den' Stimmen -der Zeit. '''Forschiüigen. '-■4.' Heft].
2 In ^IV-Sent. ■di'^6,-a: ^9. ' 0pp.'XXVIP139.
3'Opp. XXIX* 798.
* Zum Teil wiederholt in 'Sext. c. -P ff.- 'de' sent. excom.^ V. '11,
ä Opp. XXX '354. D; 35,'' a. 7:'Qualiter debeat'fieri adulterii acousatiö-? —
5,Inseriptio facienda est sie: Anno 1249 -praesiderite Domino' N."
« Vgl.' Opera !,• S.- LV f.' X 2 f ; '42 ff.
'Mandonnet, Des e'crits authentiques ' de St.' Thomas- d' Aquin. '' 'Fri-
bourg 1910, 124. M. Grabmann, Thomas von Aquin. Kempten 1912j'16,^n.' 2.
272 VIII. Die Ablaßlehre der. großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts.
So erklärt .sich rauch; wie beim ;.Aquinaten sich Anklänge finden
tonnen an Ausführungen über den Ablaß,. die in der Summe Alexanders
vorkommen. Diese Ausführungen hat Thomas nicht bei Alexander,
sondern bei Bonaventura .vorgefunden. -Damals standen sie noch nicht
in der Summe Alexanders. Sie, müssen ihr aber bald nachher einverleibt
worden sein, da der ganze vierte TeiLder' Summe, wie er jetzt gedruckt
vorliegt, schon in Handschriften aus den letzten- Jahrzehnten des
13. Jahrhunderts enthalten ist. ,, , " ...
Wie oben bemerkt worden, hat im Jahre 1256 Alexander IV.
den Minoriten in Paris den Auftrag' gegeben^ die Summe Alexanders
von Haies zu ergänzen. Man darf annehmen,' daß Wilhelm von Melitona
.{Melton, in der Grafschaft Suffolk), derdn dem; päpstlichen. Schreiben
besonders genannt wird,, sich sofort. an die Arbfeit; gemacht hat. Da
•er jedoch, wieies scheint, schon 1260 .gestorben ist, könnte, er die ihm
gestellte Aufgabe nicht ^zu Ende führen, s ■ Der Ablaßtraktat, dein er
der Summe, beifügte, enthält, etliche .Bestandteile,- die nicht iVon< Bona-
ventura herstammen. Ob sie Wilhelm aus eigenem- beigesteuert oder
einem fremden Werke entnommen habe, muß vorläufig- dahingestellt
bleiben.
Unter den, großen Scholastikern' hat demnach den Ablaß zuerst
Albertus .^ Magnus behandelt, und. zwar im Jahre 1248 oder 1249.
Bald darauf wurde die Frage auch von Bonaventura erörtert; ihm
iolgtedann in den Jahren 1253^55 Thomas von Aquin.
Albert der Große.
In seinem Sentenzenkommentar^ widmet Albert der Abläßfrage
;siebeii Artikel.^ Er fragt zunächst, was der Ablaß sei. Einige Lehrer,
bemerkt er, definieren den Ablaß als „eine kompetente und diskriste Um-
wandlung einer größeren Buße in eine kleinere". Andere erklären ihn
als „eine verheißene Minderung der noch schuldigen zeitlichen Strafe".
Obschon diese beiden Definitionen nach der Ansicht des Verfassers
verteidigt werden können, zieht er doch die folgende vor : „Der Ablaß
ist eine Nachlassung der auferlegten Bußstrafe, erteilt kraft der
Schlüsselgewalt und hervorgehend aus dem Schatze der überfließenden
Verdienste der Vollkommenen." Wenngleich an dieser Stelle nur von
-der auferlegten Buße die Rede ist, so geht doch aus Alberts weiteren
Erklärungen hervor, daß er unter -dem Ablaß eine Nachlassung über-
haupt der zeitlichen Sündenstrafen versteht, die nach- der Ver-
^ In Alberts Summa theologiae, die unvollendet geblieben ist, und sich
nicht bis zur Sakramentenlehre erstreckt, wird der Ablaß nicht behandelt. In
der vor dem Sentenzenkommentar verfaßten Summa de creaturis, deren vierter
Teil mit der Sakramentenlehre noch ungedruckt ist, wird die Ablaßfrage nur
kurz erörtert. Vgl. M. Grabmann, Drei imgedruckte Teile der Summa de
.joreaturis Alberts des Großen. Leiipzig 1919, 63 [Quellen und Forschimgen zur
Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland, Heft 13].
a In IV. Sent. d. 20, a. 16—22. Opp. XXIX 847—59. Über Alberts Ablaß-
-lehre handelt H. Lauer, Die Moraltheologie Alberts des Großen. Freibiirg 1911,
.331—34.
yill. .Die Ablaßlehre der großen Scholastijker des 13. Jahrhvinderts. 273
zeihung. der Sündenschuld noch abzubüßen sind.^ . In diesem Sinne
definiert er in seinem Matthäuskommentar den Ablaß aJs „eine Nach:
laasung der, für die bereulien und gebeichteten Sünden auferlegten
oder aufzulegenden Bußstrafe".? .Der Ablaß, so wird dann im
Sentenzenkommentar näher ausgeführt, ist demnach keine Nach-
lassung, der Sündenschuld, die Gott allein nachläßt, sondern der für
die Sünde auferlegten zeitlichen Strafe. Diese Nachlassung wird erteilt
kraft .der Schlüsselgewalt, d. h. von jemand, der dazu, die nötige Voll:
macht besitzt., Da aber die für die Sünden auf erlegte. Bußstrafe dem
einen nicht ordentlich (debite et discrete) nachgelassen werden kann,
sie werde denn kompensiert, durch einen andern,:der mehr tut', als was
er zu tun schuldig ist, so wird in der Definition betont, der Ablaß
werde erteilt aus dem, Schatze der überfließenden Verdienste , der
Vollkommenen. 1 In diesem Schatze besitzt die Kirche die. Reichtümer
der Verdienste - und des .Leidens Christi, der glorreichen Jungfrau
Maria, aller Apostel und Märtyrer sowie aller lebenden und ver-
storbenen Heiligen, und kommt- damit jenen zu Hilfe, die ihr in ihren
Bedürfnissen beistehen. , , .
An zweiter Stelle (Art. 17) handelt Albert von dem Werte des
Ablasses. Hierüber;- sagt er, hat es ehemals (antiquitus) drei Mei-
nungen gegeben. Etliche haben gelehrt, daß die Ablässe nicht den
geringsten Wert hätten und daß es ein frommer Betrug sei, wodurch
die Kirche die Gläubigen zu guten Werken, zu Wallfahrten und Almosen,
zur Anhörung der Predigt und dergleichen anreize, gleich einer Mutter,
die, um ihre Kinder zum Gehen anzuleiten, ihnen einen Apfel vorhalte
und nachher nicht, gebe.' Mit Entschiedenheit verwirft Albert diese
Ansicht, die ihm fast als eine Ketzerei vorkommt. Sollten die Ablässe,
meint er, die dem Volke gepredigt und empfohlen werden, als Betrug
zu gelten haben, so würde man der Kirche überhaupt keinen Glauben
mehr schenken.
Andere, mehr als nötig widersprechend, haben behauptet, daß
die Ablässe einfach so viel gelten, wie es die Verkündigung besage,
ohne daß irgendeine andere Bedingung erfordert sei, selbstverständlich
■ den Stand der Gnade auf selten des Empfängers vorausgesetzt. Dies
^ Vgl. art. 18, ad qu. 1 : „Indulgentiae valent ad diminutionem poenae
expiativae sive iniunctEie, sive iniungendae, si sacerdos imimgens erravit."
S. 853. Mit Unrecht behauptet Brieger (Das Wesen des Ablasses 24, n. 2),
daß Albert den Ablaß . bloß für die auferlegten Bußen gelten lasse.
* Enarr. in Evang. Matthaei: „Indülgentia est remissio poensie satis-
factoriae iniunctae vel iniungendae pro peccato confesso et de quo prae-
cessit compunctio." Opp. XX 643. ,
, '. „Quidani dixerunt indulgentias omnino nihil valere et esse eas piam
fraudem." S. 850. Hier scheint Albert niolit ganz genau zu berichten. Bona-
ventura, der ebenfalls von solchen spricht, die den Ablaß als einen fronunen
Betrug , betrachteten, sagt:. „Dixerunt aliqui huiusmodi ind\ilgentias aliquid
valere, sed nunquam tahtum quantum promittitur." Opp. IV 540. Und dies
scheint das Richtigere zu sein, wie man aus der Äußerung Wilhelms von Auxerre
(vgl. oben S. 231), den wohl beide hauptsächlich im Auge hatten, ersehen kann.
Paulus, Die Geschichte des Ablasses. 18
274 VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. 'Jahrhunderts.
hieße aber,- wendet Albert dagegen ein, die Vergebung allzu Ifeicht,
machen.
Albert selbst schlägt einen Mittelweg ein. Die Ablässe, lehrt er,
gelten so viel, wie in der Verkündigung gesägt wird, -aber nur unter
sechs Bedingungen, die von der Kirche vorausgesetzt oder ausdrücklieh
angegeben werden. Diese Bedingungen beziehen sich teils auf den
Spender, teils auf den Empfänger des Ablasses, teils endlich auf die
Kirche, in welcher die Nachlassung stattfindet. Auf Seiten des Spenders
müssen zwei Bedingungen vorhanden sein, nämlich die nötige Voll-
ihacht und ein frommer Grundj und zwar ein öffentlicher, kein privater,
der zur Verleihung von Ablässen berechtige, z. B. die Verteidigung' des.
Vaterlandes, die Befreiung des Heiligen Landes, die Beschirmung des
Glaubens, die Förderung der Schulen, die Erbauung von Kirchen,,
Klöstern oder Spitälern, die Anhörung der Predigt, der Besuch' der
Heiligtümer, die- Wiederherstellung öffentlicher Straßen. ^ Zwei andere
Bedingungen sind auf spiten des Empfängers Erfordert: er muß glauben,,
daß die Kirche Ablässe verleihen kann ; zudem muß er Reue und' den
Vorsatz zu beichten haben. Deshalb heißt es immer in den Ablaß-
briefen: „Allen, die reumütig gebeichtet haben." Denn d^m Erlasse
der Strafe niuß notwendigerweise , die Vergebung der Sündenschuld
vorangehen. Die zwei letzten Bedingungen sind erfordert auf Seiten
der Kirche, nämlich der Besitz eines Überflusses an Verdiensten und
eine gerechte Abschätzung des Ersatzwerkes, wofür, der Ablaß ge-
spendet wird. Diese Abschätzung ;soll aber nicht geschehen durch
den Ablaßspender, wie etliche sagten, da dieser vielleicht das, was er
spendet; zu hoch schätzen würde ; sie soll auch nicht geschehen, wie
andere meinten, durch den Empfänger, der vielleicht den gespendeten
Ablaß zu gering schätzen würde; sondern' sie soll sich richten nach
dem Urteil gutgesinnter Männer und Rücksicht nehmen- sowohl auf
die Bedürfnisse der Kirche als auf die Zeit und die persönlichen Ver-
hältnisse der Gläubigen; denn eine kleine Gabe kann zu .einer Zeit
mehr Wert haben als eine größere zu einer andern Zeit; ebenso ist
dem einen, z. B. dem Armen, eine kleine Spende höher anzuschlagen,
als dem andern eine große. ^
Diesen Bedingungen wollten etliche noch zwei weitere beifügen,
nämlich wenn der Beichtvater die Gewinnung des Ablasses erlaubt
und wenn dem Beichtkinde der Ablaß nützlich sein kann. Albert
1 Die „reparatio viarum communium" als Grund zur Ablaßverleihung nennt
Albert im Matthäuskommentar. Opp. XX 643.
* Im Matthäuskommentar (Opp. XX 643) stellt Albert ebenfalls sechs
Bedingungen auf für die Gültigkeit des Ablasses : zwei von seiten des Spenders,
nämlich die Vollmacht und ein hinreichender Grund; und vier von seiten des
Empfängers. 1. Er mu£ Reue haben über seine Sünden; 2. er muß wenigstens
einmal im. Jahre beichten; 3. er muß glauben, daß die Kirche Ablässe erteilen
kann; 4. er, muß das tun, wofür der Ablaß erteilt wird, und zwar im Verhältnis
zu seinem Vermögen. Das letzte, klagt der Verfasser, wird leider von manchen
nicht beobachtet; sie geben so wenig, daß sie, statt 'etwas Nützliches' zu voll-
bringen, eher Spott mit dem Heiligen zu treiben scheinen.
yiII^Pie-Abla01ehre.",derJgroßeri'.Scholastiker->des 13; Jahrhunderts. 275'
ist aber> derAnsicht, daß-maif'^^diese Bedingungen beiseitelassen könne.
Die JErlaubnis - des/jBeichtvaters/ sei nicht^erf ordert; denn der Ablaß
werde., von pinemi Kirphenobern erteilt,^ der' sich nicht nach dem Willen
des Beichtvaters >zti richten' 'brauche. "Auch die zweite 'Bedingung sei
überflüssig, da ja wohl niemand "^rbezweif ein werde, daß der Ablaß--
immer .nützlich sei. ',-'•*..!•
In den Eihwändeii, die Albert am Anfange seines -Artikels nach
scholastischer Methode aufzählt, wird allerdings auf ^ßine , nachteilige
Wirkung der Ablässe hingewiesen. ' Eine körperliche Krankheit, heißt.
es da, 'kann hur' durch' ein 'Gegeiiinittel geheilt und beseitigt werden;,
wird das Gegenmittel riiclit'.angewendet, so bleibt die Krankheit zurück.
Ähnlich verhält es^ sich mit der geistigen Krankheit, "deren Gegenmittel
die auferlegte Buße sein soll. Wird nun diese Buße erlassen, so kann
die Krankheit' nicht entfernt werden. Deshalb ist der Ablaß schädlich.
Demgegenüber bemdrkt Albert, daß dte Buße vom , Beichtvater aus
einem doppelten Grund -auferlegt werde. Es solle dadurch die schuldige
Strafe abgezahlt werden;' zudem solle sie als Heilmittel gegen ,die
Folgen der Sünden, gegen' Üie bösen 'Neigungen dieiieh. Durch den
Ablaß werde allerdiüigs; me^'Büße,^ sofern sie einen satisf aktorischen
Charakter hat, 'erlassen^ so' daß man sie nicht mehr zu, verrichten
brauche, um die 'Sündenstrafe abzutragen. Da jedoch der Ablaß ^die
Folgen der Sünden, die böseii Neigungen des Herzens nicht wegnehme,
da vielmehr die Bußwerke als Heilmittel gegen die Krankheiten der
Seele dienen, 'so sei es nützlich, die Buße nicht zu unterlassen. Er
selber pflege daher den Pönitenten anzuempfehlen, auch nach der
Gewinnung von Ablässen die vom ^Beichtvater auferlegte Buße getreu
zu verrichten.
Auch den öfter vorgebrachten Einwand, der Ablaß scheine einen
simonistischen pharakter zu haben, da für, etwas Geistliches oder die
NachlassTing der Sündenstrafen etwas Zeitliches -gefordert und gegeben
werde, läßt Albert lucht unberücksichtigt. Was die Kirche verlangt,
erwidert er, bezieht sich nicht auf fias^ Zeitliche, sondern auf das
Geistliche; auch findet hier kein Ankauf eines geistlichen Gutes für
ein zeitliches statt; es bekundet sich vielmehr dabei die Freigebigkeit
der Kirche, die durph Verheißung von geistlichen Gütern ihre Kinder
zum Guten anspornen will.
In einem andern Einwände gegen den Wert der Ablässe wurde
betont, daß man den, Ablaß zum .Gespötte mache, wenn man lehre,
mit einem Obolus . könne ein Erlaß von 40 Tagen, von einem oder
mehreren Jahren gewonnen werden. Gemäß seiner Ansicht von der
Notwendigkeit einer gerechten ■ Abschätzung antwortet Albert, daß
man durch die Spende eines Obolus keineswegs ohne weiteres den
Verheißenen Ablaß vollständig gewinne.' Die Teilnahme am Ablasse
richte sich^ vielmehr nach dem Vermögen des Spenders und nach den
jeweiligen Bedürfnissen der Kirche.
^ 18*
276 VIII. Die Ablaßlehie der großen Scholastiker desulS. Jahrhunderts.
,Dem üblichen Ein^w-ande gegen- die: Zulässigüeitides Ablasses, daß
die Sünde gestraft werden müsse /begegnet Albert mit der'Bbmlerkung,
daß sie tatsächlich gestraft werde; iwenn auch nicht^^m- Sünder selber,
so doch an einem andern," dessen -überschüssige^ Verdienste von' der
Kirche dem begnadigten .Sünder zugewendet werden.. Daß, aber -eine
solche Zuwendung geschehen könne, ergebe sich aus der Gemeinsamkeit
der Güter im mystischen Leibe Christi. Den kirchlichen Vorstehern,
denen die Schlüsselgewalt übergeben wprden, lehrt Albert in, dem
Matthäuskommentar, kommt es zu, den- geistlichen Gütefschatz der
Kirche zu verwalten. Aus diesem Schatze, der, mit. den Verdiensten
Christi und der Heiligen , angefüllt ist, wird dem Mangel jener ab-
geholfen, denen die' schuldige Sündenstrafe ganz oder teilweise er-
lassen wird'.^ , ' • , ' ' 1
An dritter, Stelle {Art. 1,8) wird erörtert, wem der Ablaß, nütze.
Dabei werden drei Fragen .aufgeworfen : 1., Ob .der, Ablaß auchjür die
Todsünder nützlich sei; 2. ob ihn sowohl^ Drdensleute .als -fWeltleute
gewinnen können,; 3. ob er den Verstorbenen, r die, im -Fegfeuer oder
in der Hölle sich befinden, zugute komme. .,,.., r,. i
Etwas sonderbar lautet die Antwort auf ,die' erste, Frage, ob nämlich
der Ablaß auch jenen, die im Stande, der To'dsii'nde sich befinden,
nützlich sei. Albert steht nicht an, die Frage zji bejahen, mit der
Einschränkung allerdings, daß der Ablaß den Todsündern in ganz
anderer Weise von Nutzen sei , als , jenen, die im Stande. der Gnade
sind. Den letzteren dient der Ablaß zur Verminderung der abzu-
büßenden Strafe, der auferlegten oder auch, falls der Beichtvater sich
geirrt, der aufzulegenden. Den Todsündern aber nützt der Ablaß
in zweifacher Weise, zunächst in der Weise, wie einer einem andern
die Gnade der Bekehrung erlangen kann, wenn er für ihn betet, fastet
oder andere gute Werke für ihn verrichtet. Wenn nämlich schon
ein einzelner Mensch dies tun kann, um wie vielmehr die Kirche durch,
den Schatz der gemeinsamen Verdienste, die sie ihm durch den Ablaß
zuwendet. Aber noch auf eine andere Weise kann der Ablaß den
Todsündern dienlich sein. Wie die im Stande der Sünde verrichteten
guten Werke den Menschen der Rechtfertigung näherbringen, so macht
auch der Ablaß den Sünder, der ihn durch Verrichtung guter Werke
zu gewinnen sucht, geschickter zur Gnade und zur Bekehrung. In
anderer Weise kann der Ablaß den Todsündern nicht von Nutzen sein,
namentlich kann er ihnen nicht dienen zur Verminderung der Sünden-
strafe; denn diese Strafe kann durch den Ablaß nur dann erlassen
werden, wenn zuvor die Sündenschuld durch die Reue getilgt worden
ist. Alberts eigentümliche Ansicht über den Nutzen der Ablässe für
die Todsünder fand in der Folgezeit keinen Anklang; selbst sein Schüler
Thomas von Aquin hat sie abgelehnt.
Die zweite Frage, ob auch die Ordensleute der Ablässe teilhaftig
werden können, wird von Albert bejaht; doch meint er, daß nach der
Opp. XX 642.
VIII.. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13; Jahrhunderts. 277
ersten Absicht,. der- Kirche die Ablässe nur für jene bestimmt sind^
die fremder Yerdienste, bedürfen;- dies seien aber die Weltleute und
die weltlich gesinnten Ordensleute. Echte Ordensleute bedürfen.
eigentlichrder Ablässe nicht/ ida- ja aus ihren überschüssigen Ver-
diensten die Ablässe gespendet werden. 'Daraus folgt aber für sie-
kein Nachteil; im .Gegenteil, 'sie finden sich in einer günstigeren Lage
als die /Wßltleute, wie. überhaupt derjenige', der. überflüssige Verdienste;
hat und daher fremder^ Unterstützung nicht bedarf,- besser daran ist)
als jener,; der auf fremde Hilfe. angewiesen ist. .Hat' doch derNHeiland
selber erklärt :,,„Seliger'4st geben als empfangen* -'(Apg, 20, 35).
Wichtiger ;ist., dies; dritte Frage, ob- die Ablässe nicht bloß den
Lebenden; sondern auch -den Verstorbenen iin- der Hölle und im Feg-
feuer, von Nutzen sein können. Den Verdammten in der Hölle, erwidert
Albert,; können die Ablässe nichts -nützen; sehr, nützlich sind sie aber
den Seelen ;im Fegfeuer. , Dem Einwand gegenüber, daß die Kirche
ihre Schlüsselgewalt nur auf Erden auszuüben habe und folglich den
Verstorbenen, keine, Ablässe erteilen > könne,, bemerkt Albert, daß die.
Seelen, im Fegfeuer, in einem .gewissen, Sinne noch > auf Erden sind.
Sie hätten nämliph,' wie Augustinus lehrt, in ihrem irdischen 'Leben
verdient,' daß, die Kirche ihnen nach dem Tode helfen köiine: Das.
Fegfeuer sei gewissermaßen Durchgangsort (via) und. gewissermaßen
Endziel. . , , . ' ,.>.■.
Von Interesse. ist es zu; hören, wie Albert den Grund beantwortet,
womit, bewiesen werden sollte, daß der Ablaß den Verstorbenen über-
haupt,' nicht bloß den, Seelen im Fegfeuer zugute komme. Dieser Grund
lautet: Die Kirche verkündet und läßt verkiinden, daß raan den Kreuz-
zugsablaß sowohl für sich als für andere, für Lebende und Verstorbene
gewinnen könne.,^; Nun kann es aber leicht vorkommen; daß von
diesen Verstorbenen etliche in der Hölle sind; demnach kann man
den Ablaß, auch den Verdammten zuwenden. Einen derartigeil, von
der Kurie wirklich ausgegangenen Erlaß, erwidert Albert, ^ habe ich
noch niemals zu Gesichte bekommen. Dagegen ist in den Ablaß -
schreiben stets die Rede von solchen,- die gebeichtet und Buße empfangen
haben.. Darunter sind aber nur die. noch lebenden Büßer, zu verstehen
oder jene, die im Fegfeuer für ihre. Sünden genugtun; folglich können
die Ablässe nur, diesen nützen.- Alberts .Meinung, daß die von ihm
erwähnte Ablaßformel auch auf die Seelen im Fegfeuer sich bezogen
habe, ist freilich onicht zutreffend;, sie bezog sich nuri auf die Lebeiiden.
Immerhin erfahren wir aus seinem Munde, daß ihm kein Erlaß bekannt
war, worin die, Zuwendung des Ablasses an Verstorbene ausdrücklich
gestattet worden wäre. Derartige Schreiben gab es eben zu jener Zeit
noch nicht.
An einer andern Stelle kommt Albert auf den Ablaß für Ver-
storbene noch einmal kurz zurück. Indem er gegen Ende seines
^ „Ecclesia praedicat crucem et faoit praedicari pro se et diiabus vel tribns
vel quandoque decem animalibus tarn vivorum quam mortuorum, ad eleetionem
cruee signati." S. 852. ^
278 VIII. Die 'Ablaßlehre, detigroßett .Scholastiker' des" 13. ■ JÄhrhimderts.
Sentenzenkommentars "'(d.- ,45, a." 8) von dem- Zustande i der- Seelen
im, Fegfeuer handelt, fragt er, /welche' - Suff ragien diesen 'Seelen am
meisten nützen. Er nennt das, hl. Meßopfer, GebeteV Almösen und
andere von der Kirche vorgeschriebene i Übungen. Demgegenüber
macht er nun den Einwand geltend, daß- es Gebrauch der Kirche sei,
den Kreuzzugsablaß für eine ^ oder .niehrere^ Seelen im - Fegfeuer zu
verleihen und daß demnach vor , allem das Suffragium (les ' Ablasses
den Seelen nützlich zu sein, scheine. ?^- Die ^Kirche; erwidert ' er, tut
dies vielmehr auf. Grund. der Schlüsselgewalt als' kraft eines Süffragiüms.
Sie \|^endet deshalb ihre Schätze »den Verstorbenen züium dadürck
die Gläubigen zur Annahme des Kreuzes anzüeifern. Nähefes hierüber
sei zu finden in dem- Abschnitte, der von den Ablässen handelt.^ Hier
scheint der Verfasser das. Vorhandensein von AbläßbuUeri, wöriri' aus-
drücklich von den Verstorbenen die Rede sei^ zuzugeben. Doch be-
richtigt er stillschweigend sich selber, indem er' auf seine' früheren
Ausführungen verweist. ■ ' * '• ' '■ ! ' "'■
Die , übrigen ;Erörtefungen bieten nur geringes Interesse; es wird
daher genügen, den Inhalt der einzelnen Artikel in aller Kürze anzugeben.
Der 19., Artikel beschäftigt sich mit der Frage; 'ob' der Ablaß in
gleicher Weise zuteil werde demjenigen, der das zur- Gewinnung des
Ablasses vorgeschriebene Werk tut, wie demjenigen,' der den Willen
hat, das Werk zu verrichten, aber es nicht verrichten kann. Die Frage
wird verneint, da zur Gewinnung des Ablasses der gute Wille allein
nicht genüge; doch könne ein Armer durch seinen guten Willen einer
größeren Belohnung im Himmel sich würdig machen,' als ein Reicher,
der durch seine Almosenspende des Ablasses teilhaftig wird:-
Daß der Ablaß denselben Wert hat, ob er von einem sündhaften
oder einem frommen Obern gespendet werde, wird im 20. 'Artikel
dargetan. > , < ■, ; f
Der 21. Artikel handelt von der Vollmacht der Bischöfe, Ablässe
zu spenden. Der Bischof kann in seiner Diözese Ablässe erteilen, und
zwar könnte er dies tun in beliebigem Umfange, wenn seine Gewalt
durch den Papst nicht eingeschränkt worden wäre, wie dies' jetzt der
Fall ist, da die Bischöfe nur Ablässe von' 40 Tagen verleihen können.
Wie verhält es sich aber mit den Ablässen, die von Bischöfen in fremden
Diözesen mit Erlaubnis der betreffenden Oberhirten erteilt werden?
Indem jeder einzelne Bischof 40 Tage verleiht, werden auf diese Weise
an einem Orte zahlreiche Ablässe zusammengehäuft. ^ Sind diese Ablässe
gültig ? Verschiedene Autoren jener Zeit bejahten die Frage. Albert
dagegen ist der Ansicht, daß „wegen des allzu großen Mißbrauches
der Ablässe, die jetzt erteilt werden", die von der Lateransynode (1215)
getroffene Einschränkung berechtigt sei und auch für diesen Fall zu
1 Opp. XXX 615.
^ „Ecclesia hoo facit de potestate clavium potius qtiam virtute suffragü;
et ideo thesäurös suos tunc derivat ad idefunetos, üt fideles citiüs ad votuiQ
[cruoie] inducantur. Et de hoc plura requirenda sunt supra in quaestione de
indulgentiis."
YIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jährhunderts. 279
.gelten scheinej so, daß mehrere . Bischof e miteinander- einem Orte nur
einen Ablaß von 40 Tagen verleihen können. Würde' aber jene Ein-
schränkung, nicht bestehen, so -könnte freilich, meint der . Verfasser,
ein jeder Bischof in einer fremden Diözese mit Erlaubnis des zu-
ständigen Qberhirten einen mehr. oder weniger hohen Ablaß erteilen.
Schließlich wird im 22. Artikel noch' die Frage aufgeworfen, ob
auch ein einfacher Priester Ablässe^ erteilen könne. Albert verneint es,
da dem einfachen Priester, z. B. einem Pfarrer, die hierzu erforderte
, Jurisdiktion. abgehe. > Aus demselben Grunde verwirft es Albert als
«inen Mißbrauch und eine Täuschung des Volkes, daß Laien, wie es
•damals, öfters geschah, die ihnen verliehenen Ablässe andern mitteilen.
Lebenden oder Verstorbenen. Sie können wohl, meint er, den genug-
tuenden Wert. des Werkes, das sie zur Gewinnung des Ablasses ver-
richten, andern zuwenden, nicht aber den Ablaß selbst, da sie keine
Jurisdiktion besitzen. -
Bonayentura und^ Alexander von Haies.
Das ganze Mittelalter hindurch bis auf den heutigen Tag ist der
Abschnitt über den Ablaß, der in der Summe Alexanders von Häles
•sich vorfindet, als von Alexander herrührend betrachtet worden; des-
halb verdient er trotz' seiher Unechtheit Beachtung. Da er jedoch
aum größten Teile von Bonaventura entlehnt ist, so wird es genügen,
'die Ausführungen Bonaventuras wiederzugeben und die Alexander zu-
igeschriebenen Erörterungen nur insoweit zu berücksichtigen, als sie
won denjenigen des Seraphischen Lehrers abweichen.
Bonaventura erörtert die Ablaßf rage in sechs Kapiteln (quaestiones) ,
worin folgende Fragen beantwortet werden: I. Ob einer für den andern
jgeriügtun könne ; 2, ob ein Ablaß erteilt werden könne ; 3. von wem, 4, für
was, '5. wem er erteilt' werden könne; 6. wieviel der Ablaß gelte.^
Seine Ausführungen beginnt er mit der gründlegenden Frage
((quaestionis fundamentum), ob einer für den andern die vom
Beichtvater auferlegte Buße verrichten könne.^ Bei der Be-
.antwortuhg der Frage bemerkt er, daß die für die Sünde auferlegte
Buße eine zweifache Bedeutung habe : sie ist zu betrachten als Heil-
mittel (medicamentum) gegen die bösen Neigungen, welche die Sünde
in der Seele zurückläßt, und als Zahlungsmittel (pretium) zur Ab-
^'in IV. Sent. d. 20, p.II. Bei Alexander von Haies (Summa Theologiae.
P. IV, qu. 23) werden in acht Kapiteln (membra) folgende Fragen behandelt:
1. Ob es einen Ablaß gebe;; 2. worin er bestehe; 3. von wem, 4. für was, 5. wem
•er erteilt werden könne; 6. ob vom Papste die ganze Strafe erlassen werden
Tsönne; 7. ob beim Ablaß eine gerechte Abschätzung notwendig sei; 8. warum
für die Palästinafahrt ein vollkommener Ablaß erteilt werde.
^ * Bei Alexander von Haies stehen die parallelen Avisführungen, die von
Bonaventura entlehnt sind, unlogiseherweise an zweiter Stelle (m. 1, art. 2),
während die Frage, ob es einen Ablaß gebe, an erster Stelle' (m. 1, a. 1) behandelt
wird. Am Anfang des ganzen Kapitels heißt es indessen, daß es keinen Ablaß
geben würde, wenn einer für den andern nicht genugtun könnte.
280 VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts.
tragung der Strafe, die man sich durch die Sünde zugezogen hat.
Insofern die Buße als Heilmittel zu gelten hat, kann sie für einen
andern nicht übernommen werden; wird sie aber als Zahlungsmittel
zur Tilgung der. geschuldeten Sündenstfafe betrachtet, so kann', sehr
wohl einer für den andern die Schuld zahlen. Doch ist hierfür - die
Erlaubnis des kirchlichen Obern notwendig. Dieser Obere- aber hat
zweierlei zu berücksichtigen: bei den Untergebenen den gebührenden
Zustand und bei der Strafe das gebührende Maß. Es müssen nämlich
die beiden Untergebenen, wovon der eine für den andern genugtun
will, im Stande der Gnade sein; auch muß der eine sich in der Hilfs-
bedürftigkeit befinden (indigentia) und der andere in der Lage sein,
ihm zu helfen (sufficientia). Was dann die abzutragende Strafe betrifft,
so muß sie. durch eine größere ersetzt werden, da man für fremde
Sünden Gott nicht so leicht genugtun könne, wie für die eigenen.
Daß aber einer für den andern Genugtuung leisten könne, beruht auf
der Liebesgemeinsohaft, welche die Gläubigen miteinander unter ihrem
Haupte Christus bilden. Infolge dieser innigen Verbindung können die
einzelnen Glieder des niystischen Leibes sich gegenseitig Hilfe leisten
und sind so imstande, , die .zeitliche Strafe zu entrichten, welche die
andern verdient haben. Der Autor imterläßt jedoch nicht zu betonen,
daß man wohl für einen andern die Sündenstrafe, abtragen, nicht aber
die Sünden bereuen und beichten könne. Der Sünder muß selber
seine Sünden bereuen; und beichten. Nur „für denjenigen, ^ der ^ seine
Sünden reumütig gebeichtet hat, kann ein anderer die Strafe abzahlen»
Kann ein Erjaß der Buße stattfinden?-^ Zur Lösung dieser
Frage, so führt Bonaventura aus, haben „etliche"^ unterschieden
zwischen dem Richterstuhle Gottes und dem R-ichterstuhle, der Kirche
und gesagt, daß der Ablaß nur. vor der Kirche,;nicht, vor Gott Geltung
habe. Wäre aber dies der Fall, wiii?de der Ablaß vor' Gott nicht gelten^
so wäre es eher eine Täuschung als ein Straferlaß und mehr eine .Grau-
samkeit als ein Erweis von Barmherzigkeit; denn die Verminderung
der Bußstrafe auf dieser Welt würde dann eine unvergleichlich schwerere
Strafe im Jenseits zur Folge haben. Deshalb sei zu sagen, der Ablaß
gelte nicht bloß vor dem Richterstuhle der Kirche, sondern auch vor
Gott, weil Gott für nachgelassen achte, was die Kirche nachläßt.
Erkundigt man sich aber nach der Art und Weise, wie der
Ablaß geschehen könne (qualiter fieri possit), so ist folgendes zu
erwidern: Es gibt einen dreifachen Nachlaß. der Sündenstrafe, und bei
jedem findet eine Umwandlung der größeren Strafe in eine .kleinere
statt. Bei der Nachlassung der Sündenschuld infolge der Reue wicd
die ewige Strafe in eine zeitliche umgewandelt. Die zeitliche Strafe,,
welche die Kräfte des Menschen übersteigen würde, wird dann im
Bußsakrament kraft der priesterlichen Lossprechung durch eine
kleinere ersetzt, die der Sünder entrichten kann. Diese vom Beicht-
1 Qu. 2. „Utrum possit fieri satisfaotionis relaxatio ?" Bei Alexander
lautet die Frage :„TJtrum sit relaxatio poenae debitae pro peccato?"
2 Vgl. oben S. 266.
VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jahrhtmdeits. 281
vater auferlegte Buße wird schließlich, im Ablaß in eine noch kleinere
umgewandelt, .nämlich in das zur Gewinnung des Ablasses vorge-
schriebene Werk, während für den, erlassenen Teil der Bußstrafe die
Verdienste, der Kirche Ersatz leisten. Will man aber einwenden, die
Sünde müsse gestraf t werden; so ist zu beachten; daß die überschüssigen.
Genugtuungen, die in der» Kirche vorhanden sind,' demjenigen, dem ein.
Ablaß; zuteil wird, zugewendet- werden, so daß ' der ' göttlichen Ge-
rechtigkeit; Genüge geschiebt;. Durcb den Ablaß wird eben die Sünden-
strafe nicht durch< , bloße Schenkung erlassen; ^ sondern es wird dafür
Gott eine. entsprechende Genugtuung aus dem Kirchenschatze dar-
geboten. .'.•■"■ '. * ' ■••' ; ", ■ • ■ ',,..'
Alle diese Ausführungen findet man auch.in derSumme Alexanders
von .Haies, bei dem jetzt ein> Kapitel ;folgt' (membr. 2), das bei^ Bona-
ventura fehlt. Es handelt .sich wum die,iYäge, worin der. A'bläß
seinem Wesen nach bestehe. Ist.es eine Vergebung (coridonatio) ?
Gebraucht man den Ausdruck „Ablaß" im weiteren Sinne für einen
irgendwelchen Erlaß- der Strafe, so kann man diesen Ablaß sehr wohl
als Vergebung bezeichnen. ' Im. eigentlichen. Sinne aber ist der Ablaß,
eine kraft der Schlüsselgewalt vollzogene Verminderung der für die
Sünde, auf erlegten, Bußstrafe mit beigefügter Verpflichtung zu einer
gleichartigen (d; h.-zeithchen)' Strafe, Hieraus ergibt sich auch, ob
der Ablaß, als eine Umwandlung zu. bezeichnen sei. Obgleich Ablaß
und Umwandlung ..bisweilen sich' decken, ^so dürfen sie doch- nicht
miteinander .verwechselt werden. Bie Umwandlung. *kann ohne i Ablaß
stattfinden, so z. B. wenn .die ewige Strafe in > die Fegfeuer strafe um-
gewandelt wird. : Beim Ablaß dagegen findet keine bloße Umwandlung
irgendeiner Strafe in eine andere statt; es wird vielmehr J dadurch ein
Teil der schuldigen Bußstrafe nachgelassen ; ein Teil, nicht das Granze,
Denn der. Ablaß ist mehr eine Verminderung'^äls eine vollständige
Nachl'assung der Strafe. Muß-doch derjenige^ der den- Ablaß' ge-
winnen will, dafür das 'vorgeschriebene Werk verrichten. Indem nun
dies Werk an die Stelle der erlassenen Buße tritt) hindert nichts, den
Ablaß in dieser Hinsicht als .eine Umwandlung zu bezeichnen.
Im dritten Kapitel, das ganz in die Summe Alexanders auf-
genommen wurde, erörtert Bonaventura die Frage, von wem Ablässe
erteilt werden können. Hier spricht' er auch wieder von dem
Kirchenschatze, den er bereits im zweiten Kapitel erwähnt hatte.
Die Ablässe, so erklärt er, werden erteilt aus den überfließenden Ver-
diensten, die in der Kirche vorhanden sind und die gleichsam ihren
geistlichen Schatz' bilden. Von wem diese Verdienste herrühren, sagt
Bonaventura nicht ; er scheint dies als etwas Bekanntes vorauszusetzen.
Bestimmter heißt es an der parallelen Stelle bei Alexander von Haies,
die Ablässe werden erteilt aus den überfließenden Verdiensten der
Glieder Christi und hauptsächlich aus den überfließenden Verdiensten
Christi selbst. ■ Die Verwaltung dieses Schatzes steht aber nach Bona-
ventura nicht allen zu, sondern nur den vornehmsten Stellvertretern
Christi, dem Papste und den Bischöfen; deshalb können nur diese
282; Vlir. Die; Ablaßlehrö . deri großen^ Scholastiker des 13. - Jahrhimderfcs;
Ablässe erteilen. Während aber der Papst, als Oberhaupt der ganzen
Kirche, , allen Gläubigen Ablässe verleihen kann, können dies die
Bischöfe nur für ihre Diözesanen tun, da sie über die Gläubigen einer
fremden Diözese keine ' Jurisdiktion besitzen. Bloß im Falle daß der
Bischof, einer andern. Diözese seine , Zustimhiung dazu gibt, können
■ Bischöfe auch fremden Diözesaneni Ablässe! erteilen. Ebenso können
«infache Priester Ablässe gewähren; wenn sie; von dem Bischof dazu
bevollmächtigt, werden, wie dies bei Predigern oft der Fall ist.
Im vierten Abschnitt, der ebenfalls in Alexanders Summe sich
vorfindet, wird untersucht, für was^Ablässe erteilt werden sollen,
•ob für körperliche oder geistige Leistungen. In den irdischen Reichen,
lautet die Antwort, wird, der königliche Schatz gewöhnlich^ zu' einem
ziyeifachen Zwecke verwendet, zur. Ehre des Königs und zur Förderung
des. öffentlichen Wohls. Ähnlich verhält es sich mit dem Kirchenschatz,
der zur Verherrlichung; Gottes und zum Wohle der Christenheit ver-
wendet wird. Nun wird aber Gott geehrt in seinen Heiligen; diese
ihrerseits werden verherrlicht durch die Errichtung von Kirchen, durch
den Besuch der Gotteshäuser, durch die Predigten, in denen auf die
Tugenden der Heiligen hingewiesen wird. Was dann diie Förderung
des christlichen Gemeinwohls betrifft, so gehört dazu die Verteidigung
des Heiligen Landes-, die Beschirmung des Glaubens, die Unterstützung
der Schulen (proöiotio studii) und dergleichen. Deshalb ■ geziemt es
sich, derartige Werke mit Ablässen' zu belohnen. Und da es sich
hierbei um äußerliche Leistungen handelt, so sollen sie Ablässe haupt-
sächlich (maxime) für äußerliche Werke erteilt werden.
Wird aber keine Simonie dadurch begangen, daß man für äußerliche
oder körperliche Leistungen geistliche Wohltaten spendet ? Nein ! denn
beim Ablaß wird nicht Geistliches für Körperliches gegeben, sondern
es wird die größere Bußstrafe in eine leichtere umgewandelt, und die
übrige Schuld läßt der, kirchliche. Obere mit Zuhilfenahme des Kirchen-
schatzes nach. Oder man kann auch sagen, der Ablaß werde für ein
äußerliches Werk gegeben^ nicht mit Rücksicht: auf die äußere/ Gabe>
sondern mit iRücksicht auf die gute Meinung, : womit ^dtö Gäbe i ge-
; ^endetr 'wirdi P- -:;;:/ -^x^'V- ^^■■:. ■. - x:;.nv ■ 7;;!■^P.\k'M.:]■^J■:■^ -;;r;.:n n:..-:'..;.;: ,^
Bei Alexander von Haies wird diesen Ausführungen noch folgendes
beigefügt: Wenngleichdie Ablässe vor ällem^ für äußerliche Leistungen
verliehen werden sollen, so; können sie -doch aucüfiir geistige i gute
Werke verliehen werden, z. B.^fiir Gebete für das Heilige Land oder
für den König. Namentlich soll 'dies geschehen zugunsten jenefj die,
wie die Armen und Schwacherij nur das Almosen ihres Gebetes spenden
können. Denn es wäre unbillige den/ Armen die Hilfsmittel zu ver-
weigern, welche die Kirche als gute Mutter ihren Kindern zu erteilen
pflege.
Sowohl bei Alexander von Haies als bei Bonaventura' wird in
diesem Zusammenhange die Frage behandelt, ob fürl den Eintritt in
einen religiösen Orden Ablaß erteilt werden soll. Die Ordensprofeß,
so lautet der Einwand, ist etwas Vollkommeneres; und Gott Ange'
VIII. Die, AblaßlehrOuder- großen. Scholastiker des.lS; Jahrhunderts. 283
nehmeres, als die , Palästinaf ahrt. Wenn, nun den Kreuzfahrern der
Ablaß aller Sunden, verliehen), wird,s so, sollte dieselbe Begünstigung
noch vielmehr,, jenen zuteil,^werden,, .die sich .dem Ordensleben' widmen.
Die wahren Ordensleute, erwidert, Bonaventura,, diei den Stand ^der
yollkommenheit wählen,. spendenv;y,ielieher, aridem, geistliche* Güter;
als daß sie solche, von andern erbetteln.. Wie nun. die; Ablässe nicht
den Unwürdigen verliehen; w;erden sollen, so .auch, nicht jeneri', die. ihrer
nicht, bedürfen. . , --'/■" . \ - ..
,,Nur,bei Bpnaventura wird; am., Schlüsse, des vierten" Abschnitts
die. Fragej aufgeworfen, ob jene, die das Ereuz nehmen,« schön. durch
den Willen, die, Kreuzfahrt- auszuführen, den vollkommenen , Ablaß
(remissionem^ qmnium. , peccatorum) - erwerben. Nach ' der Ansicht
kundiger Männer; antwortet Bonaventura, :der offenbar hier. Wilhelm
v;on; Auxerre,. folgt, gewinnen, sie nicht den vollen Ablaß, .was auch
immer gewisse ^ Volksprediger hierüber sagen ' mögen. , Denn/die Ablässe
werden nicht für den, bloßen- Willen, sondern -für die vollbrachte Tat
verliehen. Doch wird bei Jenjen, die das Kreuz .nehmen,'der hochherzige
Entschluß eine; (Vermehrung der Liebe, und der; (Buße und] infolge-
dessen eine Verminderung der ;Strafe bewirken. - ' > '
Das fünfte Kapitel, s worin die Frage; beantwortet wird, wem
Ablässe vejliahen werden können, handelt vom Ablasse für
die Ver stoi^benen. Bonaventura^ bemerkt, zunächst, daß bei der
Erteilung eines Ablasses zweierlei , stattfindet : eine Zuwendung _ des
Kirchenschatzes' und eine richterliche Absolution. Aus dem, Kirchen-
.schätze kann nun freilich, der Papst den Seelen im Fegfeuer Zuwen-
dungen machen;, da; aber diese Seelen nicht mehr der kirchlichen
Gerichtsbarkeit unterstellt sind,, so scheint, daß ihnen die Absolution
nur fürbittweise (per . modum deprecationis) erteilt werden kann.
Strenggenommen wird daher den Verstorbenen kein. Ablaß verliehen.
Versteht, man aber unter Ablaß im' weiteren: Sinne '.die .Zuwendung
irgendeiner Hilfe und die, Mitteilung der kirchlichen Güter, so köimen
•den Seelen im Fegfeuer Ablässe verliehen werden, aber nicht durch
einen Akt der Gerichtsbarkeit, sondern nur, in der Weise eines Suf-
fragiums (per modum suffragii). Überdies .kommt . beim eigentlichen
Ablasse nicht bloß eine richterliche Absolution vor, es wird auch die
Bußstrafe in eine, andere umgewandelt, die freiwillig übernommen
^ird. Eine solche Übernahme des kirchlichen Bußwerkes kann aber
im Fegfeuer nicht mehr stattfiliden; deshalb kann auch den Ver-
.storbenen kein Ablaß zuteil werden, oder doch etwa nur durch Ver-
mittlung. Wenn z. B. Jemand für den heimgegangenen Vater das
Kreuz nehmen wollte, so ist nicht zu leugnen, daß der Kreuzzugs-
ablaß dem Verstorbenen nützen würde, falls dies der Wille des
Papstes wäre.
Bei der Beantwortung der Einwände- betont dann Bonaventura
nochmals, daß der Papst seine Gewalt wohl hiKs- und fürbittweise
(per modum adiutorii et suffragii) zugunsten der Verstorbenen be-
tätigen könne, nicht aber durch richterliche Lossprechung (per modum
284 VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker' des 13. Jahrhunderte;
iudicii). Von der richterlichen Vollmacht (de iudiciariä potestäte) ist
es zu verstehen, wenn gesagt wird, daß' die Kirche' Ihre Gewalt nur
auf Erden (super terram) auszuüben- habe. 'Man könnte" übrigens
auch sagen, daß die im Fegfeuer leidenden 'Seelen gewissermaßen
noch auf Erden sind, da sie auf Erden verdient haben, von der Kirche
unterstützt zu werden.^ ' Karin aber der Papst' deii Verstorbenen
durch Ablässe zu Hilfe kommen, warum befreit er dann nicht auf
einmal mit einem einzigen Worte alle Seelen aus dem Pe'gfeiier?
Weil die Austeilung der geistlichen Güter der Kirche in besonnener
und maßvoller Weise geschehen muß," da sonst Gott die Handlungs-
weise seines irdischen Stellvertreters nicht anerkennen würde.' '
Am Schlüsse seiner Ausführungen bemerkt Bonaventura noch :
Wenn jemand behauptet, daß der Papst eine 'Jurisdiktionsgewalt 'über
die Seelen im Fegfeuer habe, so ist ihm nicht hartnäckig zu wider-
sprechen,- wenn nur dafür Vernünftgründe oder eine anerkannte
Autorität sprechen (dum tarnen hoc dictet ratio vel auctöritas mani-
festa). Müssen wir doch gläubig daran festhalten, daß der Herr seinem
Stellvertreter zur Erbauung der Kirche -volle Gewalt gegeben hät.^
Bei Alexander von Haies wird im fünften Kapitel der Ablaß
für Verstorbene in demselben Sinne behaiidelt wie bei Bonaventura,
nur etwas kürzer. Auch werden bei dieser Gelegenlieit ia Alexanders
Summe die zur richtigen Erteilung' der Ablässe erforderlichen Be-
dingungen besprochen. Der Spender muß die nötige Vollmächt be-
sitzen; der Empfänger dagegen muß im Stande der Giiade sein,
glauben, daß die Kirche Ablässe verleihen kann, und das vor-
geschriebene Werk bereitwillig verrichten. Überdies soll ein hinreichen-
der Grund vorhanden sein; endlich muß eine gerechte Abschätzung
(iusta aestimatio) stattfinden, so daß für die erlassene Bußstrafe eine
entsprechende Gegenleistung auferlegt werde. Diesen Bedingungen,,
heißt es dann, fügen etliche noch eine weitere bei; sie meiiieh-, es sei
ein Urteil erfordert, oder eine richterliche Lossprechuhgi die bei der
Umwandlung der größeren Strafe in eine kleinere stattfindet. Sieht
man von der letzteren Bedingung ab, so kann man sehr' wohl sagen,,
daß den Seelen im Fegfeuer Ablässe erteilt werden können, wenn auch
nicht nach Art einer richterlichen Lossprechung (per modum iudiciariae
absolutionis sive commutationis),' so doch hilfs- oder fürbittweise (per
modum suffragii sive impetrationis).
^ Dasselbe hatte schon Albertus Magnus gesagt. Vgl. oben S. 277.^
* Der Satz „dum tarnen hoc dictet etc." darf nicht , übersetzt werden r
„Weil die Vernunft öder die offenbare Autorität eine solche Grewalt verlangen."^
(Zeitschrift für Kirchengeschichte XXXI [1911] 232.) Diesen Sinn kaim ,der
Satz nicht haben, da ja Bonaventura unmittelbar vorher leugnet, daß der Papst
eine Jurisdiktionsgewalt über die Seelen im Fegfeuer besitze. Spätere TheO'
logen, wie Nikolaus von Dinkelsbühl, Gabriel Biel, Luther, haben die Stelle
richtig aufgefaßt, indem sie „dummodo" statt „dum" gelesen haben. Biatke 67
gibt die Stelle folgenderweise wieder: „Ob aber des Papstes Macht Jbis ins Feg-
feuer reicht . . . darüber ist nicht zu streiten. Vernunft und Autorität erheben
diesen Satz zum Glaubensaxiom."
VIII. D^ie, Ablaßlehre der großen,, Scholastiker des 13. Jahrhunderts. 285'
»
Im sechsten; und, letzten Abschnitte behandelt Bonaventura eine
IFrage,, dijs in den- mit:telalterlichen Schriften immer wieder erörtert
wd, die Frage näpalich,,,ob die Ablässe so'viel'gelten,' als in deii
kirchlichen Ablaß be willigungen; gesagt. wir d.^ Der Autor be-
merkt zuerst, daß nach ,, der -, allgemeinen , Lehre der Theologen zur
Gültigkeit der? Ablässe gewisse,. Bedingungen erfordert' sind. . Auf selten
des Spenders, muß 'die, nötige sVqllmacht und ein verriüiiftiger Grund
Yorhanden sein.. Von selten des Empfängers ist Beichte 'mit wahrer
Reue, .erfordert, zudem der .Glaube, daß die kirchlichen Oberen Ablässe
erteilen können.- . , > , r , , ^ ' < ' r ^ - • ,
Unter, Vorausset^jing dieser, Erfordernisse haben etliche behauptet,
die Ablässe hätten zw;ar (Cinen Wert, aber keinen, so großen,' wie gesagt
werde. , Ihr Wert-, richifce sich nach dem Glauben! und der frommen
Gesinnung der ., Empfänger. , Die Kirche würde bei- der Erteilung. von
Ablässen keine Einschränkung, machen, nm ihre Küider.durbh eine
fromme Täuschung, besser ;Zu guten . Werken^ anzulocken. i'Diese. An-
sieht,, .die Wilhelm , von '.Auxerre,. vertreten hatte, weist Bonaventura
entschieden , ^zurück, da sie das Ansehen, der ■ Kirche, der .sie einen
frommen Betrug zuschreibe, beeinträchtige. ■ ' -• ■
Andere,, haben erklärt, die .Ablässe 'gelten einfach so viel, als in
dem Wortlaut; der Bewilligung. , gesagt, wird. Denn es komme hier
bloß die^Ereigebigkeit der;Kirche in, Betracht, nicht aber die besonderen
Verhältnisse jener, die sich auf den Empfang des Ablasses vorbereiten;
alle würden sich in derselben, Lage befinden, so. daß alle, die das vor-
geschriebene Werk.yerrichten — ^ die notwendige Bedingung des Standes
der Gnade selbstverständlich vorausgesetzt — , denselben Ablaß ge-
winnen würden. Auch diese, Ansicht wird von Bonaventura zurück-
gewiesen, da sie die Gewinnung der Ablässe zu sehr erleichtere und
daher mehr zu ihrer Entwertung ,als zu ihrer Hochschätzung beitrage.
Andere haben gelehrt — gemeint ist Wilhelm von Auxerre — ,
damit der Ablaß so viel gelte, als die, Kirche verheißt, sei eine gerechte
Abschätzung erfordert. Es müsse nämlich, wer den Ablaß gewinnen
will, für kirchliche Zwecke so viel Almosen geben, als er geben wollte
oder als er müßte geben wollen, um von der betreffenden Buße befreit
zu werden. Wäre aber, meint Bonaventura, eine derartige Gegen-
leistung erfordert, , so würde es keinen Ablaß geben, sondern nur eine
Umwandlung der Buße.
Er selber bietet' deshalb eine andere Erklärung. Der Umfang
des Nachlasses, so führt er aus, bemißt, sich nach dem Umfang der
Strafe, die erlassen wird. Das Maß der erlassenen Strafe wird be-
stimmt durch das gerechte Urteil des Ablaßspenders. Letzterer zieht
1 Die Frage lautet gewöhnlich: i.Utrura indulgentiae tantum valeant
quantum sonant." Der Sinn dieser vielgebrauchten Formel wird gut von Suarei;
erklärt: „Sensus est, an verba formae totum illum effeotum conferant, quem
ex vi suae significationis'promittiuit." D. 56, s. 3, n. 1 (S. 820). Mit andern Worten,
lautet der Ablaß z. B. auf 40 Tage, -nrerden dann dadurch 40 Tage der auferlegten
Btiße erlassen ?
286 VIII. Die-Ablaßlehre der großen • Scholastiker des- 13; 'JahrKimderts.'
aber in Betracht die Ursache, derentwegen er die Gläubigen' für würdig
hält, einer so großen Gnade teilhaftig 'zu 'werden, und je mehr oder
je weniger die einzelnen^ Gläubigen dieser Ursache nahekommen, mit.
andern 'Worten, je? größer .oder- geringer -ihre Leistung ist, desto- mehr
oder weniger werden sie^an dem 'Abla'sse'teilnehmeri.i In Rom z. B,
bestehen die' Ablässe 'der Stationskirchen.' "Diese Ablässe "sind' ^ von
den heiligen Vätern verliehen worden zugunsten- der Pilger, (die aus
entlegenen Gegenden kamen. Sie waren nicht der Ansicht, daß einer,
der neben der Ejrche wohne, dieselbe Gnade verdiene wie' jener,
der einen weiten Weg zu machen habe. Deshalb empfängt der letztere
auch nicht den. ganzen Ablaß, sondern nur einen ^Teil davon. Es ist
also zuzugeben,' daßdie Ablässe, was ihren Wfert von seiteri des Spenders
anlangt, > so -viel gelten, als 'im ^Wortlaut der Bewilligung gesagt wird;
doch gelten sie nicht so viel für einen 'jeden. Auch_ werden sie nicht
allen gleichmäßig 'zuteil; die Austeilung richtet sich vielmehr nach
der Abschätzung, die der Ablaßspender vorgenommen hat öder hätte
vornehmen sollen. Diese Abschätzung braucht aber nicht öffentlich
bekanntgemacht ■ zu werden; da alle Gläubigen voraussetzen' sollen,
daß die Gaben des Hl. Geistes der Billigkeit gemäß verteilt werden.
Daß zur richtigen 'Verleihung von Ablässen eine „gerechte Ab-
schätzung" erfordert sei, wird bei Alexander von Haies im fünften
Abschnitte nur im Vorübergehen bemerkt. Dieselbe Frage wird dann
eigens behandelt im siebten Abschnitte, aber in etwas anderer Weise
als bei Bonaventura. Eine Abschätzung, die der strengen Gerechtigkeit
entspreche, sei zwar nicht erfordert, da sonst, wenn das vorgeschriebene
Ablaßwerk der erlassenen Bußstrafe gleichkäme, von einem Ablaß oder
einem Gnadenakt keine Rede sein könnte. Indem man aber beim
Ablaß Gnade für Recht ergehen lasse, solle man doch die gerechte
Abschätzung nicht außer acht lassen, mit andern Worten," für einen
größeren Ablaß solle auch eine größere Leistung vorgeschrieben werden.
In der Summe Alexanders werden dann noch einige Fragen' be-
handelt, deren Bonaventura keine Erwähnung tut. Im sechsten Kapitel
wird gefragt, ob der Papst die gesamte 'Sündenstrafe erlassen könne.
Die Antwort lautet: Falls der Pönitent eine genügende Reue hat,
kann der Papst alle für die Sünden geschuldeten Strafen nachlassen,
doch solle dies nur aus einem wichtigen Grunde geschehen. Dem Ein-
wände, daß die Sünde gestraft werden müsse, und daß sie daher von
Gott gestraft werde, wenn der Sünder keine Buße auf sich nehme,
wird folgenderweise begegnet: Man kann sagen, daß der Papst, wenn
er einen vollkommenen Ablaß erteilt, die Sünde straft, indem er die
Kirche oder ein Glied derselben zur Genugtuung verpflichtet; oder
man kann auch sagen, daß der Schatz der Kirche, aus dem die Ablässe
erteilt werden, hauptsächlich aus *den Verdiensten des Leidens Christi
bestehe; und so straft Gott das Böse, das nachgelassen wird, indem
Christus als Gottmensch für uns litt und genugtat.
^ Spätere Theologen lehrten dasselbe, indem sie sagten, es sei eine „causa
proportionata" erfordert..
VIII., Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. JäfthrhunHerts. 287
, In demselben Kapitel wird weiter gefragt, ob (derjeiiige, dem ein
vollkommener Ablaß verlieben worden, etwas von der auferlegten
Buße verrichten müsse. Er . braucht es zwar , nicht notwendigerweiae
zu tun, lautet die , Antwort, da ihm ja_ die ^ ganze - Bußstrafe erlassen
worden; doch ist es geziemend und nützlich für ihn, die auferlegte
Buße zu verrichten.
Zum Schlüsse wird noch die Frage aufgeworfen, aus welchem
Grunde .für die Palästinafahrt die Sünden völlig ;(omnino) erlassen
werden, so daß die • Seele, die den Ablaß gewinnt, dadurch befähigt,
werde., von Mund ,auf in den Himmel zu fahren. Den Palästinapilgern,
antwortet der Verfasser, wird ein so großer Ablaß (tanta indulgentia).
zuteil, weil sie bereit sind, für Christus den Tod zu erleiden;; deshalb,
erlangen sie auch den Lohn des Martyriums. Doch ist nicht zu leugnen,
daß der Papst denselben AblaÖ auch sonst erteilen könnte, wenn, das
Bedürfnis der. Kirche es erforderte; namentlich könnte er es tun zur
Verteidigung des Glaubens.
Thomas von Aquin.
Bei der Darstellung der Ablaßlehre hat Thomas von Aquin sowohl'
die Ausführungen seines Lehrers Albert als diejenigen .Bonaventuras
verwerten können ._ Es dürfte daher angebracht sein, die eigenen
Ansichten des Aquinaten, der in der Folgezeit einen so großen Einfluß
ausgeübt hat, etwas -eingehender darzulegen.^ Thomas spricht aus-
führlich vom Ablaß in seinem .Sentenzenkommentar,^ der, wie oben
erwähnt worden, zu Paris in den, Jähren 1253 — 55 entstanden ist.
Als Einleitung hierzu ; wird, wie bei Bonaventura, die Frage er-
örtert, ob jemand für einen ändern die Buße verrichten oder genugtun
könne.^ Die Buße, so führt Thomas aus, hat einen doppelten Zweck:
sie soll dienen als Bezahlung der Schuld und als Heilmittel gegen die
Sünden. Insofern sie den Charakter eines Heilmittels hat, kann sie
für einen andern nicht verrichtet werden; denn durch das Fasten des
einen wird das Fleisch des andern nicht abgetötet; ebensowenig kann
die Tätigkeit des einen dem andern zur Aneignung guter Gewohnheiten
behilflich sein, oder doch nur zufälligerweise (per accidens), insofern
der eine durch seine guten Werke dem andern die , Vermehrung der
Gnade verdient, welche das wirksamste Heilmittel gegen die Sünden
ist. Wird aber die Buße aufgefaßt als Abzahlung der Schuld, so kann
^ Die Ablaßlehre des Aquinaten behandelt C. Weiß, S. Thomae Aquinatia
de satisf actione et indulgentia doctrina. ' t^raecii 1896, 118 — 56.
3 Com. in IV. Sent. d. 20. quaestio nnioa, art. 3 — 5. Opera ömnia. Parisiia
1660: X 373 — 79. Ganz dieselben Ausführungen wie im Sentenzenkommentar
findet man wörtlich wieder im Supplement zum i3. Teile der Summa theologioa,
q. 25 — 27. .Dies Supplement ist j bekanntlich später aus dem Sentenzenkommentar
der unvollendeten Summe beigefügt worden, wohl von Raynald von Piperno,
einem Schüler und Gefährten des hl. Thomas. Vgl. Mandonnet 132 f.
2 In IV. Seht. d..20. q; \mioä,'a.'2.-C[üaestiuncula 3 (Supplem. q. 13. a. 2).
'288 VIII. Die Ablaßlehre, der großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts.
der eine für den andern; genugtun; doch muß er im Stande der Gnade
.sein, damit seine Werke eine genugtuuende Kraft haben können.
Hierin stimmt Thomas mit Bonaventura überein. In einem Neben-
punkte weicht er aber von ihm ab. Bonaventura hatte' gelelirt, daß die
für einen andern abzutragende Buße durch eine größere ersetzt werden
müsse, da man für fremde Sünden Gott nicht so leicht genugtun könne,
wie für die eigenen. Ganz anderer Ansicht ist Thomas. Nach ihm kann
die abzutragende Buße durch eine kleinere ersetzt werden; da" die Liebe,
von der man sich bei der stellvertretenden Genugtuung leiten läßt, das
iür einen andern verrichtete Bußwerk wertvoller macht, als wenn man
es iür sich selbst verrichtete.
Wilhelm von Auxerre, dem ändere folgten, hatte gelehrt, daß eine
stellvertretende Genugtuung nur dann stattfinden kariii, wenn der-
jenige, für den man genügtun will,' unfähig istj seine Buße zu ver-
richten. Dies bestreitet 'Thomas und behauptet, daß die stellver-
tretende Genugtuung Geltung habe, auch wenii der aridere die Buße
.selber verrichten könnte. Da jedoch die Buße auch ein Heilmittel ist,
so soll sie für einen andern nur -übernommen werden, wenn in ihm
ein Mangel erscheint, sei es ein körperlicher, der ihn unfähig macht,
die Buße zu verrichten, sei es ein' geistiger, infolgedessen, ihm dazu
die- Bereitwilligkeit fehlt.
Diese stellvertretende Genugtuung begründet Thomas eingehender
in seiner Verteidigung des Christentums gegen Urigläubige. ' Hier sagt
er: „Was wir durch Freunde tun, tun wir in. gewisser Beziehung selbst;
denn die Freundschaft und namentlich die. innige Liebe macht aus
zweien durch die gegenseitige Zuneigung eins. Daher kann einer,
^ie durch sich selbst, so auch durch einen andern' Gott genugtun,
Äumal im Falle der Notwendigkeit; denn die Strafe, die der Freund
für ihn erduldet, betrachtet er so, als würde er sie selbst leiden. E8
fehlt also auch ihm die Strafe nicht, • indem er mit dem leidenden
Freunde Mitleid hat, und zwar um so mehr, als er selbst die Ursache
von dessen Leiden ist. Anderseits bewirkt die innige Liebe dessen,
•der für den Freund leidet, daß seine Genugtuung Gott angenehmer
ist, als wenn er für sich selbst htte ; denn dieses ist Sache der Not-
wendigkeit, jenes der hingebenden Liebe. Daraus ergibt sich, daß
einer für den andern genugtun kann, wenn nur beide in der Liebe
.sind.'^i
Wie Bonaventura, so betont auch Thomas, daß man wohl für
einen andern die Bußstrafe abtragen, nicht aber für ihn die Sünden
bereuen und beichten könne, ebensowenig wie es einem Menschen
möglich sei, einem andern den Himmel zu verdienen. Dies müsse
ein jeder selber tun. Daß aber einer für den andern die Bußstrafe
.abtragen könne, beruht auf der Liebesgemeinschaft, welche die Gläu-
bigen miteinander verbindet. Da wird das Werk des einen das des
1 Svinuna contra Grentiles. I. III. c. 158. Opera XIV 506.
VIII. Die Ablaßlehiej der .großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts. 289
andern mittels der Liebe, durch die wir „alle eins sind in Christo"
{Gal.<3, 28).i , . ,., ■ ". . . "*
.Was den Ablaß betrifft,, so behandelt Thomas zunächst dessen
W.esen, iiidem er- die Frage aufwirft,' ob durch den Ablaß etwas
von der genugtueriden Strafe; nachgelassen werden 'könne.^
Alle geben zu, bemerkt er einleitend, daß' die Ablässe etwas wirken;
wäre es ; doch gottlos, zu sagen, die Kirche tue etwas Nichtiges. Dann
führt er, wohl im Anschluß an Bonaventura, die Ansicht etlicher an,
die behaupten, der Ablaß gelte bloß., vor dem Richterstuhle der Kirche
und nehme bloß die. vom Beichtvater oder von den.Kanones aufr
erlegte Buße weg, nicht aber die nach dem Urteile Gottes abzutragende
zeithche Strafe.' Diese Ansicht, wird von Thomas abgelehnt, weü sie
der Verheißung, die dem hl. Petrus" gegeben worden, daß alles, w;as
er auf Erden lösen werde, auch im Himmel gelöst sein werde, wider-
•Spreche, und weil durch die Erteilung von Ablässen, die vor Gott
keine, Geltung hätten, die Gläubigen nur^ benachteiligt würden; müßten
■doch diese danii statt der irdischen Buße eine schwerere Strafe im
Fegfeuer erleiden. Deshalb , ist zu sagen, daß die Ablässe, wie vor
dem Richterstuhle der Kirche, so auch vor dem Richterstuhle Gottes
Geltung haben, und zwar werde dadurch die Strafe erlassen, die nach
Reue, Beichte und Absolution noch zurückbleibt, . möge diese Strafe
vom Beichtvater auferlegt word.eh sein oder nicht. „Der Grund aber,
warum die Ablässe Geltung haben können, ist die Einheit des mystischen
Leibes, in welcher viele durch ihre Bußwerke mehr genuggetan haben,
als ihre Schuld es, erforderte; sie haben auch viele ungerechte Be-
drängnisse mit Geduld ertragen, wodurch eine Menge von Strafen
hätte abgetragen werden können, wenn sie sich solcher schuldig ge-
macht hätten. Die Fülle dieser Verdienste (im Sinne von Genug-
tuungen) aber, ist so groß, daß sie die allen jetzt Lebenden .gebührende
Strafe übertrifft, und dies vorzüglich wegen des Verdienstes
Christi, welches wohl in den Sakramenten wirkt, aber in seiner
Wirksamkeit nicht auf ,die Sakramente beschränkt ist, soiidern wegen
seiner Unendlichkeit über die wirksame Kraft der Sakramente hinaus
sich erstreckt." , Zu dem unendlichen Verdienste Christi gesellen sich
die Verdienste der Heiligen. „Wie oben gesagt worden, kann einer
für den andern genugtun." Die Heiligen nun, bei welchen sich ein großer
Überfluß an Werken der Genugtuung findet, haben diese .Werke nicht
bestimmt für diesen oder jenen, welcher der Nachlassung bedürftig
ist, verrichtet, in welchem Falle diese Person ohne irgendwelchen Ablaß
die Befreiung von der Strafe erlangen würde, sondern sie haben sie
verrichtet für die ganze Kirche imi allgemeinen, wie der Apostel sagt
(Kol. 1, 24), daß er, was an dem" Leiden Christi abgeht, an seinem
eigenen Leibe ergänze für die Kirche, an die er schreibt. So sind die
«rwähnten- Verdienste Gemeingut der ganzen Kirche. Was aber Ge-
^ In IV. Sent. 1. o. Vgl. Summa Theol. 3. q. 48. a. 2. ad 1.
^ In IV. Sent. d. 20. q. 1. a. 3. quaest. 1 (Supplem. q. 25. a. 1).
Paulus, Geschichte des Ahlasses. ^ 19
290 'VIII. Die Ablaßiehre der großen Scholastiker' des 13r 'Jahrhunderts.
meingut einer Gesellschaft ist, wird den einzelnen Gliedern derselben
nach dem Gutdünken dessen ausgeteilt, welcher der Gesellschaft vor-
steht. Wie also jemand Nachlaß der Strafe- erlangen würde, wenn ein
anderer für- ihn genuggetan hätte,. so erlangt er auch Nachlaß,. wenn
ihm die Genugtuung eines- andern durch' denjenigen zugewendet wird,
der die Macht dazu besitzt." ■ ■
Biese gemeinsamen Verdienste der Kirche, die hauptsächlich
wegen der Verdienste Christi unerschöpflich sind, bilden den
Schatz der Kirche, über den Thomas aucK'iri einer seiner kleineren
Schriften handelt.^ Christus, so^ führt ei: " aus',' hat 'für die Kirche sein
Blut vergossen und vieles,' andere für sie getäil und gelitten^' äas wegen
dter Würde seiner Person einen unehdlicheii' 'Wert hat." Ähnlich" haben
auch „alle and'ei:n Heiligen"^ die Absicht gehabt, daß was sie aus Liebe
zu Gott getan uiid gelitten haben, nicht nur ihnen, selbst, soiidern auch
der ganzen Kirche Nutzen bringe. Die Verwaltung, dieses' Schatzes
kommt aber demjenigen zu,, der der ganzen Kirche vorsteht. Deshalb
hat auch der Herr dem Petrus die Schlüssel des Himmelreiches über-
geben. Wenn es also der Nutzen oder die Not der' Kirche erheischt,
kann der Vorsteher der Kirche einem Gläubigen, der durch die Liebe
ein lebendiges Glied der Kirche ist, aus diesem uneiidlicheii Schatze,
wieder es für gut findet, mitteilen zur völligen oder partiellen Tilgung
der Sündenstrafen. Auf die^e Weise wird das Leiden Christi und der
Heiligen dem betreffenden Gläubigen angerechnet, wie wenn dieser-
selber so viel gelitten hätte, als zur Nachl'assung seiner Sünde (hin-
sichtlich der Strafe) erfordert wäre, wie dies ja auch der Fäll ist, wenn
jemand für einen andern genugtut.^
1 Quodlibetum II. q. 8. a. 2. Opera XI 2, 25. Dies Quodlibet ist 1269
zu Paris verfaßt worden. Vgl. P-. Mandonnet, Siger de Brabant I, Louvain
19,11, 86., R. Janssen, Die Quodlibeta,des hl. Thomas; von Aquin. Bonn 1912,
17 87 f.
2 „Simihter etiam et orones alii s.ancti." Atis dieser "WCendung, der; man
auch in andern mittelalterlichen Quellen bisweilen begegnet,, haben protestan-
tische Theologen schließen wollen, daß' man im Mittelalter- Christus und die
Heiligen, auf dieselbe Linie gestellt habe. Allein ganz dieselbe Wendung kommt
auch in einer Schrift Luthers aps dem) Jähre 15.31 vor: „Hunc omatum, Christi
induere, id est, has eins virtutes imitari debenius. Sic.alios etiam sanctos
imitari debemus." Lutheri Commentari\xm in Epistolam S. Paidi ad Galatas II,
Erlangen 1843, 126. Über derartige Wendungen, die auch noch bei neueren
deutschen Schriftstellern vorkommen, vgl. D, Sanders, Wörterbuch der Haupt-
schwierigkeiten in der deutschen Sprache., Berlin 1889, 41. Sanders zitiert unter
anderm folgende Stelle aiis Gotthelf : „Der liebe Gott läßt sioh.nicht, den, Marsch
machen, wie ein anderer Mensch", und bemerkt dazu, die Fügimg sei zu er-
klären: „wie' ein anderer, der ein Mensch ist".
3 ,,Potest ille qui praeest Ecclesiae de ista infinitate thesauri communicare
alicui . . . vel usque ad totalem remissionem poenanmi vel'usque ad aliquam certam
quantitatem, ita scilicet quod passio Christi et aliorum sanctorum ei imputetur,
ac si ipse passus esset quantum sufficeret ad reraissionem stii peccati, sicut con-
tingit cum tinus pro alio satisfacit." Man beachte, daß hier Thomas von einer
Nachlassung' der' Sünde (remissio- peccati) spricht, wo er doch nur eirienl Erlaß'
der Sündehstrafeh im Auge hat.' ■ ■ - • .'i . ^
Yllt Die' Ablaßtehre der großen Scholastikör döfe 131'J'ahrhiindertsl 29£
Auch' in seiner Erklärung des Vaterunsers hebt Thomas hervor ,-
daß die überflie'ßendeh' Verdienste (DhMs'ti -und der Heiligen ,';wie' in-
einem Schätze' ■ sind" ' (sunt ' sicut irithesauro), aus> dem sie bei der
Gewährung von - Ablässert den Gläubigen zugewendet werden.^ ' "
Bei dieser' Darlegung d'er Lehre voni Kirchenschatze hat' Thomas'
nichts Neues vorgebrächt';' er ' hat' feloß wiederholt, was seine Vorgänger
bereits gelehrt hatten, nur daß er die überfließenden Verdienste Christi
und der ' Heiligen etwas' eingeherider zü^ erklären suchte.*
Indem Thomas im' Ablasse- eine Zuwendung der im Rirchenschätze
enthalteffen genügtuenden Verdienste"- Christi' und der Heihgen sieht,,
kommt er zü'deni Schlüsse'^ daß derjenige, der einen !Ablaß gewinnt,
von' der scliuldigen Sündenstrafe' eigentlich nicht" losgesprochen wird;,
es wird ihm viblmeh'r etwas mitgeteilt, womit er seiiie Schuld bezahlen
kann,^ oder richtiger, der Ablaßspender bezahlt für ihn die schuldigem
Strafe aus den gemeinsamen Gütern der Kirche.^
Unter den Einwänden, die Thomas im Anschluß an seine Er-
örterungen über das Wesen des Al)lasses gegen dessen Gültigkeit ins
Feld führt,, verdient die folgende Beachtung. I)ie Diener der Kirche,
heißt es^ darin, haben ihre Gewalt nicht zur Zerstörung, sondern zur
Erbauung empfangen. Nun würde es aber zur Zerstörung dienen,
wenn die Buße, die, insofern sie ein Heilmittel ist, zu unserm Nutzen
eingeführt wurde, durch den Ablaß tinweggenommen würde. Folglich
können die Diener der Kirche keine Ablässe erteilen. Thomas erwidert:
Ein wirksameres Heilmittel gegen die Sünde wird durch die Gnade
gewährt, als durch unsere eigenen Werke. Nun geschieht es aber,
daß man sich durch d'ife Liebe zu Christus und den Heiligen, äus'
deren Verdiensten der Ablaß erteilt wird, zur' Gnade vorbereitet.*
1 Expositio orationis dominica'e. Quinta petitio. Opp. XX 21-3.
2 In IV. Sent. d. 20. q. 1, a. 3. quaestunc. 1. ad 2: „Dicendnim quod iste>
qui indulgentias suscipit, non absolvitur, simpliciter loquendo, a debito' poena«^
sed-datur ei unde debitum solvat." Diese, Erklärung wird als unrichtig abgelehnt
von Suarez, Disputationes in IIT. partem divi Thomae IV. disp. 49. sect. 4. n. 10-
(Lugduni' 1603, 700).
^ „Pro eo' dans' indulgentias solvit poenam quam debebat, de bonis Ec-
clesiae' communibus." Ibid." ad 3 (Suppl. q. 26. a. 1).
* „Quia ex affectu, quem accipiens indulgentiam concipit ad causam^
ex qua ihdulgentia datur, ad gratiam disponitur, ideo etiam per indulgentias
remedium ad peccata vitanda datur." Ebd. ad 4 (Suppl. q. 25, a. 1). In allen
Ausgaben, die ich einsehen konnte, auch in der neuesten römischen, steht „ad
causam, pro qua indülgentia" datur", jWa's jed'doh feeinen recht passenden"
Sinn giJat. Es muß vielleicht' „ex' qua" heißen',' wie' schon A. M. Lepicier (D'e
iudulgentianun valdre disquisitio theoldgica. Rom'ae' 1900, 33)' gelesen hat.
Gemeint wäre dann der Schatz der Verdienste Cliristi und der Heiligen, von
dem' Thomas- unmittelbar vorher'gesprochen hat'un:d' den er im- folgenden Artikel
als „causa remissionis poenae' in indulgöntiis" bezeichnet. In* diesem Sinne hat
be 6' ts iml4. Jahrhundert Thomas von Straßbu'rg>die Äußerung des Aquinaten
aufgefaßt, ^ wie im zehnten Abschnitt gezeigt werden wird. Der „affeotus ad
causam, ex qua indulgentia datur", wovon Thomas von Aquin spricht, wird
beim Straßburger Theologen zu einer „Betraclitung des Eeictens Cliristi und der
Heiligen". Eine ähnliche Erklärung. gibt N-ikolaus von Dinkelsbühl (f 1433),
19*
292 VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts.
Deshalb wird auch durch den Ablaß ein, Heilmittel,, gegen,, die. j Sünde
gewährt. Und so gereicht (der Ablaß nicht zur Zerstörung, außer er
werde ;,unordentlich" erteilt.^ Doch. ist, den Ablaßempfängem anzu-
raten, die auferlegten Büß werke i nicht zu unterlassen,^ damit sie in
diesen ein Schutzmittel gegen die Siinden fänden, obgleich sie von der
schuldigen Strafe befreit wären, namentlich, auch weil sie bisweilen-
mehr schuldig sind, als sie glauben.^ . ; , .,,,.,
Den von so manchen mittelalterlichen ;Autoren hervorgehobenen
Gedanken, daß man trotz der gewonnenen, Ablässe die auferlegte Buße
nicht unterlassen solle, betont Thomas noch schärfer, in einer seiner
Meineren Schriften, worin er vom Kreuzzugsablaß handelt.^ Die
Buße oder Genugtuung, bemerkt er, hier ,^ hat. einen doppelten Zweck,
einen strafenden und einen heilenden. Eier Ablaß nun ersetzt die
Buße, insofern diese eine Strafe, ist; denn, die Strafe, die ein anderer
erlitten hat, wird dem Ablaßempfänger zugerechnet, als wenn er sie
selber erlitten hätte; deshalb wird durch den Äbläß die schuldige
Strafe hinweggenomm'en. Der Ablaß ersetzt aber nicht die Buße,
insofern diese ein Heilmittel ist; denn als" Folgen der nachgelassenen
Sünden bleiben noch die bösen Neigungen zurück; zu deren Bekämpfung
die Bußwerke nötig sind. Dfeslialb ist den Kreuzfahrern zu empfehlen,
die Büß werke, insofern sie ein , Schutzmittiel gegen die .Sünden sind,
nicht zu unterlassen, dbschon die Strafe durch den Ablaß gänzlich
getilgt ist und zu diesem letzteren Zwecke kein Büß werk erfordert
wird, da hierfür das Leiden Christi Völlig genügt.*
Nach der Erledigung der Frage, ob der Ablaß überhaupt etwas
gelte und ob durch ihn etwas -von der zeitlichen Sündenstrafe erlassen
werde, sucht Thomas den Umfang dieser ^Nachlassung festzustellen.
Wieviel wird durch den Ablaß von der Sündenstrafe hinweg-
genommen? Gelten überhaupt die Ablässe so viel, wie in
dem Wortlaut der Verkündigung gesagt wird?^ Hierüber,
antwortet er, gibt es verschiedene ■ Meinungen. ' Etliche sagen-, die
Ablässe gelten nicht so viel, als sie besagen; ihr Wert richte sich viel-
mehr nach dem Glauben und der frommen Gesinnung der einzelnen
Empfänger. Die Kirche aber mache bei der Verkündigung der Ablässe
keine Einschränkung, um die Menschen durch einen frommen Betrug
zu guten Werken anzulocken, wie etwa eine Mutter ihr Kind zum
der ebenfalls bei Thomas „causam ex qua" gelesen hat. Quaestiones quarti
sententiarum. Dist. 20. 01m. 18351, f. 54. Es wäre von Interesse zu erfahren,
■was im Autograph steht, das, wie G-rabmänn (Theolog. Revue 1920, 125) be-
richtet, in Barcelona verwahrt wird.
^ „Inordinate", d. h, aus dem geringfügigsten Grunde, „quasi pro nihilo",
wie Thomas selber den Ausdruck an anderer Stelle erklärt.
2 D. 20. a. 3. q. 1. ad 4.
3 Quodl. II. q. 8. a. 2. ad 3. Opp. XI 2, 25.
* „Neo ad hoo reqmritur aliquis labor, quia suffioit labor passionis Christi."
5 D. 20. a. 3. q. 2 (Suppl. q. 25. a. 2).
VIII; Die'Ablafelehre der großen' Scholastiker des 13.'' Jahrhunderts. 293
Gehen anlockt, iiidem sie iKm einen Äpfel hinhält.^ Thomas hält diese
Ansicht für liöchst gefährlich,- Weil durch die Annahme eines frommen
Betrugs! bei der Eirche deren Autorität untergraben würde.
Sodann' erwähnt Thomas die Ansicht seines Lehrers Albert, aller-
dings ohne diessen'Nameii zu nennen.^' Gegen diese Ansicht, nach
welcher der 'Ablaß' so viel gelteii würde, wie; der Wortlaut der Ver-
kündigung besage, aber unter der Bedingung, daß eine gerechte Ab-
schätzung des zu verrichtenden Ersatzwerkes stattfinde, macht Thomas
zwei Gründe geltend. Es wäre dann, meint er, der Ablaß mehr eine
gewisse Ümtäuschung- als eine NacÜlassuhg. Zudem würde die kirch-
liche Verkündigung nicht von der Lüge freigesprochen werden können,,
da bisweilen ein Viel größerer Ablaß verheißen wird, als bei einer
gerechten; Abschätzung gefordert 'werden könnte, so z. B. wenn der
Papst' einen "Ablaß von sieben ' Jahren für den Besuch einer Kirche
verleiht, wie ja' auch' derartige 'Ablässe vom hl. Gregor für den Besuch
der römischen Stätionskirchen verliehen worden seien.
An, dritter Stelle bespricht Thomas die Ansicht'Bonaventuras,
der ebenfalls liicht ''genannt wird (alii dicunt). Nach dieser Ansicht
wäre der Umfang des Nachlasses, (quantitas remissionis) nicht zu be-
messen nach der frommen Gesinnung des' Empfängers,, wie die erste
Meinung wollte, auch nicht nach dem Umfang dessen, was gegeben
wird, wie die zweite wollte, 'soüdern' nach der Ursache," für welche der
Ablaß erteilt wird' und derentwegen , jemand ' würdig ' erachtet wird,
eiiies solchen Ablasses teilhaftig zu werden. Je mehr oder weniger die
Gläubigen dieser Ursache nahekommen, desto größeren oder geringeren
Anteil würden sie am' Ablaß haben. 'Thomas lehnt auch diese Ansicht
ab; da sie sich mit der kirchlichen ' Praxis nicht vereinbaren lasse.
Werde doch manchmal für dieselbe Ursache bald ein größerer, bald
ein geringerer Ablaß gewährt ; so werde bisweilen unter ganz denselben
Verhältnissen für den Besuch einer Kirche ein Ablaß von einem Jahre,
bisweilen hur ein' solcher von 40 Tagen verliehen, wie es eben der Papst
für güt'findet.- Demnach ist der Umfang des Ablasses nicht zu be-
messen nach- der Ursache,- derentwegen' der Empfänger für würdig
erachtet ' wird, des betreffenden Ablasses teilhaftig zu werden. Mit
andern ' Worten, Thomas- lehnt die 'Ansicht ab, ^daß eine ,, causa pro-
portionata" erfordert sei' und daß der Umfang des Erlasses sich richte
nach der Ursache, wofür der Ablaß gespendet worden. - "^
^ Hier wiederholt Thomas, was er über diese Ansicht bei Albertus' Mjagnus
und Bonaventura vorgefunden hatte, nur daß diese richtig von einer ehemaligen
Ansicht, (quidam dixerunt) sprechen, während sie. Thomas in, seine Zeit verlegt
(quidam dicunt). ', Dieselbe ' Ungenaüigkeit' hat sich Thomas auch bei der Er-
örterung des Wesens des Ablasses zuschulden, kommen lassen. Bonaventm?a
hatte gesagt,, etliche , hätten, i behauptet- (quidam' dixerunt), die Ablässe würden
nicht gelten vor dem, Richterstuhle Gottes; 'Thomas aber, der sich auch -in
diesem Punkte offenbar an Bonaventura anschließt, spricht von einer noch be-
stehenden Ansicht (quidam dicunt).- - , ■
^ Er' sagt bloß: „Alii dixerunt." ' '
294 , VIII. Die Ablaßjehye der großjen Soholastikej^ des ,13. ^fTahrhundeEfc^.
Seine. eigene Ansicht bringt dann Thomas, folgendexj^eise zum
Ausdruck: Der Grund, worauf der 'Ablaß ber,uht^ ist allein' die Fülle
der Verdienste der' Kirche, nicht aber die fromme Gesinnung oder
Leistung des Empfängers, noch auch die Ursache, derentwegen der
Ablaß gewährt wird. Daher brauclit auch die .Quantität äes Ablasses
nicht einem dieser Dinge, sondern nur den Verdiensten der Kirche zu
.entsprechen. Diese sind aber immer im Überfluß da; ,und darum wird
jeder in dem Maße, in wßlohem diese Verdienste ihm , zugewendet
wprden, des Ablasses teilhaftig. r>amit aber diese Zuwendung, statt-
finden könne, ist dreierlei erfordert: 1. die Vollmacht, ßie Verdienste
des Kirchenschatzes zu verteilen; 2. die ^ Verbindung dessen; dem die
Verdienste zugewendet werden,- mit demjenigen, der, diese Verdienste
erwarb, was durch die Liebe geschieht ;i 3. eine Ursache, der Zuwendung,
gemäß welcher die Absicht jener gewahrt wird, welche die Verdienste
erworben haben durch ihre guten Werke. Sie haben aber diese Werke
getan zur Ehre Qottes und zum allgemeinen Nutzen der Kirche.
Deshalb ist eine jede Ursache, die zur Ehre Gottes und zum Nutzen
der Kirche gereicht, ein genügender Grund zur Erteilung von Ablässen.
Demnach gelten die Ablässe gerade so viel, wie der Wortlaut der
Verkündigung besagt, wenn vorhanden ist: 1. von selten des Spenders
die nötige Vollmacht; 2. von selten des Empfängers die.I|iebe (Stand
der Gnade); 3. von selten der Ursache der fromme Zweck, worunter
die Ehre Gottes und der Nutzen der Menschen verstanden, werden.
Auf diese Weise w;erden aber ,die Pforten der göttlichen Barmherzig-
keit nicht zu weit geöffnet, wie etliche i sagen ;2 es wird auch der gött-
lichen Gerechtigkeit kein Abbruch getan; denn es wird ja [eigentlich]
nichts von der Strafe nachgelassen, sondern die Strafe (Genugtuung)
des einen wird dem andern zugerechnet.
Aus der Art und Weise, wie Thomas die verschiedenen Einwände,
die er gegen seine These vorbringt, zu lösen sucht, läßt sich seine
Auffassung vom Ablasse noch besser erkennen. Den Ablaß, der für
eine ganz geringfügige Ursache erteilt wird, sieht er wohl als gültig an ;
doch fügt er bei, daß der, allzu nachgiebige Spender sich einer Sünde
schuldig mache. ,, Erteilt der kirchliche Obere Ablaß in unordentlicher
Weise (inordinate), so daß die Menschen wie für nichts (quasi pro
nihilo) von den Büß werken abgezogen werden, so sündigt er; doch
wird dem Empfänger der verheißene Ablaß ganz zuteil."
Thomas ist auch weit davon entfernt, den Ablaß zu überschätzen.
Die Ablässe, bemerkt er, vermögen wohl viel zur Tilgung der Strafe,
; ^ Bratke 71 behauptet, daß nach Thoraas der Ablaß „als opus operatum
an keine subjektiven Bedingungen des Empfangenden gebunden sei''-. Thomas
lehrt nur, daß der Umfang des Ablasses sieh nicht richte nach der frommen
Gesinntmg oder Leistung des Empfängers; wie alle andern Theolögen, fordert
auch Thomas als ,,subjektive Bedingungen" den Stand der Liebe oder der Gnade
und die Vollbringung des vorgeschriebenen guten Werkes.
2 „Nee in hoc nimis fit magnum forum de misericordia' Dei, ut quidam
dicunt." Gemeint sind Bonaventura und Albert. Vgl. oben 274 285.
VIII. -Die Ablaßlehre der großen, Scholastiker des 13. Jahrhunderts. 295
<doch,sind die,j Buß.werke verdienstlicher Mnsichtlicli des wesentlichen
Lohnes, nämlich der himmlischen Seligkeit. Dieser Xohn aber ist
unendlich; mehr - :wert. !(in infinitum- melius) als der Nachlaß zeitlicher
Strafe. ,,«,..,. ' ' ■
i Gegen ^ie Behauptung, daß; der Ablaß so viel gelte, als die Ver-
.kündigung besage, pflegte man damals folgendes einzuwenden-: Bis-
weilen- wird den "W.ohltätern .einer » Kirche, d.er Nachlaß des dritten
Teils der Buße verheißen. , Würden nun r, die Ablässe so viel gelten,
.wie-derv,)Vortlaut der Verkündigung besagt; so könnte jemand durch
idreimaHge .Spende eines Denars die gesamte Bußstrafe ablösen... Dies
müsse aber als ungerßimt bezeichnet werden. Hierauf erwidert Thomas :
Wird der Ablaß inder unbestimm^ten Form erteilt: „Wer, zum Kirchen-
>bau einen Beitrag spendet", so ist darunter ein Beitrag verstanden,
•der den Vermögensverhältnissen des Spenders entspricht. In diesem
Falle, wird ,sich, denn auch die Anteilnahme am Ablasse nach der
• Höhe' der , Spende richten. Ein Armer, der .nur einen Denar spendet,
wird den ganzen Ablaß gewinnen; nicht aber ein Reicher, für den' es
sich nicht schickt,, so wenig zu geben, für einen so nützlichen Zweck.
- Gegen den. vollen iWert der verheißenen Ablässe wurde noch ein
anderer Einwand vorgebracht. Sollte der' Ablaß, sagte man, so viel
gelten, als in der Ankündigung erklärt wird, so. würde jener, der neben
einer Kirche wohnt, denselben Ablaß, der für den; Besuch dieser Kirche
erteilt worden, gewinnen, wie, .jener, der von weit herkommt; zudem
"würde er, wenn er mehrmals ini ,Tage die Kirche, besucht, mehrmals
-an einem Tage denselben Ablaß gewinnen. Dies wäre aber ungerecht.
Durchaus nicht,- erwidert, Thomas. .Wer nahebei der Kirche , wohnt,
.gewinnt denselben Ablaß, wie jener, der von ferne kommt.., Denn der
Nachlaß, wie gesagt worden, richtet sich nicht nach der Mühewaltung
•des Empfängers,, sondern nach, dem Maße, in welchem die 'Verdienste
des Kirchenschatzes dem Ablaßempfänger zugewendet werden. Wer
indessen größeren Mühen sich unterzieht, der wird dadurch größere
Verdienste sajmmeln. Dies gilt aber nur für den Fall, daß in der
Ablaßbewüligung bezüglich des zurückgelegten Weges .nichts. Näheres
bestimmt ist. >. Denn, bisweilen kpmmen derartige Bestimmungen vor,
z. B. bei den vom Papste in Rom erteilten allgemeinen Absolutionen
\(generg,libus. absolutionibus). Da werden den überseeischen Pilgern
■5 Jahre, jenen, die, von jenseits der Alpen kommen, 3 Jahre, den übrigen
aber nur 1 .Jahr Ablaß verliehen.^ Es ist auch nicht richtig, daß man
•ohne weiteres den für den Besuch ^ einer Kirche bewilligten Ablaß
mehrmals im Tage gewinnen könne. Das hängt eben von den näheren
Bestimmungen ab. Bisweilen ist bezüglich des vorgeschriebenen
Kirchenbesuches nur ein einmaliger Besuch in der gegebenen Zeit zu
verstehen, wenn nichts Besonderes "beigefügt wird, wie z. B. beim
t
^ Diese Angaben sind nicht ganz richtig, wie sich bei der Besprechung der
Ablassender römischen Kirchen (Abschnitt XXVI) zeigen wird. Dort wird auch
•erklärt werden, was unter den „allgemeinen Absolutionen", über die sich Thomas
. in einer andern Schrift näher äußert, zu verstehen sei.
296 VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jahrhvmderts.
Ablasse von 40 Tagen in der römischen Peterskircke, den -man- so oft
gewinnen kann, als man St. Peter besucht.- • ; •.• . . •(■
Wie Bonaventura und Albert, so "verteidigt ' äü'ch"^ Thomas die
Ablässe, die für zeitliche Leistungen gegeben werden, gegen den Vor-
wurf der Simonie.^ Für reiii Zeitliches, lehrt er, 'kann' kein Ablaß
gewährt werden, wohl aber für ^Zeitliches, insofern 'es auf 'Geistliches
hingeordnet ist, so z. B.- für den'Kampf 'gegen' die Feihjdeder Kirche,
für Beisteuern zu Kirchen- und Brückenbauten. Da findet' keine
Simonie statt, weil Geistliches nicht für Zeitliches, sondern-iür Geist-
liches gegeben wird. Anderseits kann Ablaß für rein Geistliches ge-
gegeben werden. So hat Innozenz IV. denjenigen, die für- den König
von Frankreich beten,' einen Ablaß von 10 Tagen verheißen.^ Bisweilen
wird auch den Kreuzpredigem derselbe Ablaß gewährt wie den Kreuz-
fahrern.^ ' ' , > ' > .
Wer kann Ablässe erteilen ? Diese Frage beantwortet Thomas
in vier eigenen Abschnitten,^ worin er in ziemlich eiigein Anschluß an
Albert nachzuweisen sucht, daß die Vollmacht j Ablässe zu erteilen,,
nur dem Papst und den Bischöfen zusteht. Im Auftrage dieser kirch-
lichen Oberen körinen indessen auch einfache Kleriker, die nicht
Priester sind, Ablässe verleihen, da die Erteilung von Ablässen eine
Ausübung der Jurisdiktion, nicht der Weihegewalt sei.' Die Bischöfe
aber können ihre Vollmacht nur ausüben in den vom Päpste" bestimmten
Grenzen. Wie Albert, so betont auch Thorhasi daß die kirchlichen
Oberen ihre Gewalt durch die Sünde nicht verlieren.
Wer kann Ablässe gewinnen? Auch dieser Frage widmet
Thomas mehrere Abschnitte. Zimächst stellt 'er gegenüber "seinem
Lehrer Albert fest, daß die Ablässe dem Todsünder nicht von
Nutzen sind.^ Albert hatte behauptet, ' daß durch die Zuwendung
der Verdienste aus dem Kirchep.schatze dem Sünder die 'Gnade der
Bekehrung erlangt werden könne. Demgegenüber lehrt Thomas, daß
die Zuwendung der Verdienste aus dem Kirchenschatz allerdings zur
Erlangung der Gnade beitragen könnte; doch werden die Ablässe zu
diesem Zwecke nicht verliehen, sondern bloß zur Tilgung der zeitlichen
Strafe. Deshalb können sie auch dem Todsünder nichts nützen, da
die Strafe nur erlassen werden kainn, wenn zuvor die Sündenschuld
erlassen ist. In den Ablaßbewilligungen ist denn auch stets die Rede
von solchen, die ihre Sünden bereut und gebeichtet haben.
Nützen die Ablässe auch den Ordensleuten ?' Ja, erwidert
Thomas; denn mit den Verdiensten anderer (nämhch mit der Zu-
wendung aus dem Kirchenschatze) kann den Ordensleuten nicht
1 D. 20. a. 3. q. 3 (Suppl. q. 25. a. 3).
2 Nämlich kurz vor Pfingsten 1252. Vgl. oben 270.
^ Im Jähre 1254 hat Innozenz IV. den Kreuzpredigem den vollkommenen
Ablaß verheißen. Ripoll I 247 249.
* D. 20. a. 4. q. 1—4 (Suppl. q. 26. a. 1—4).
8 D. 20. a. 5. q. 1 (Suppl. q. 27. a. 1).
« D. 20. a. 5. q. 2 (Suppl. q. 27. a. 2).
VIII;' Die Ablaßlehre' der großen Scholastiker des' 13. Jahrhunderts. 297
weniger geholfen ' werden, als ' den Weltleuten. Man hat freilich' gesagt,
daß die Ordensleute der Ablässe nicht bedürfen, da ia aus ihrem 'Über-
flusse 'die Ablässe' 'erMlt'werdeii.i^- Wenn aber' auch -die' Orderisleute
im Stande der Vollkommenheit' sich^' befinden', so" können sie doch
nicht' ohne- Sünde 'leben'; "Haben sie sich deshalb durch irgendeine
Sünde einer Strafe schuldig gemächt, so' können sie durch den' Ablaß
davon' b'efreit'werden.' Möge auch das -Ordensleben ari' und für sich
einen Überfluß -an Verdiensten einbringen, so können' doch l)isweilen
die Ordensleute 'der Hilfe 'älhderer bedürftig sein. • '"''''
'Man 'macht femer -geltend;' daß die- Ablässe eine Zerstörung der
Ordenszucht verarilasken'' könnte. Wenn 'nämlich die "Ablässe den
Orderisleüten zugänglich waten, so "'würden diese, um der Ablässe
teilhaftig zu werden, zu viel draußen herüms'chweif en ; auch wurden
sie die -im Kapitel ' auf erlegten Bußen' nicht 'mehr verrichten 'wbllen.
Thomas erwidert, daß" wegen der Ablässe die Ordenszucht freilich
nicht aufgelöst werden* dürfe. ' 'Die Ordensleute könneri ruhig in 'ihrem
Kloster bleiben, da sie durch die Befolgung ihrer Kegel meihr ver-
dienen, was die ewige Belohnung im Himmel anlängt, als durch den.
Gewinn von Ablässen. Wohl verdienen sie dadurch weniger ' hin-
siclitlich der Nachlassung der zeitlichen Strafe. Doch ist dieser Nachlaß
ein geringeres Gut, als die Vermehrung des' ewigen Lbhiies. Sodann
werden durch die Ablässe die im' Ordenskapitel verhängten Strafen
nicht liinweggenommeh, da durch die Ablässe nur die ina Bußsakramerit-
auferlegte öder aufzulegeiide' Strafe "erlassen werde, das Ordenskapitel
aber mit dem Bußsäkramfente nichts zu tun- habe. ' ' ' '■
Schon Albert hatte die Frage erörtert, ob derjenige, der nur den
guten Willen hat, das für den Ablaß vorgeschriebene Werk zu ver-
richten;* des Ablasses teilhaftig werde. Thomas wiederholt dieselbe
jPrage, um sie entschieden zu verneinen.^ Der Ablaß wird unter der
Bedingung gegeben^ daß man dies oder jenes tue. Wer diese Bedingung
nicht erfüllt, wird keinen Anteil arii Ablaß haben. Obgleich-' er durch
seinen guten Willen " einen himmlischen 'Lohn verdienen kann.
Kann aber jemand Ablaß für einen andern gewinnen', so
daß dieser dann, ohne' das -vorgeschriebene^ Werk verrichtet zu haben,
des Ablasses teilhaftig werde ? Thomas antwortet: Sein eigenes Werk
kann wohl jemand aufopfern, für wen er will; der Ablaß aber kann,
nur dem nützen, für deii er vöni 'Ablaßspender verliehen .worden^
Wird daher in der Ablaßbewilligung erklärt, daß, wer dies oder jenes
tue, den Ablaß gewinnen werde, so kann derjenige, der das vorge-
schriebene Werk verrichtet, den Ablaß nicht einem andern zuwenden..
Würde aber die Formel' lauten: „Wer dies tut oder für wen dies-
getan wird, soll so und so viel Ablaß erhalten", dann würde freilich
der Ablaß demjenigen, für den das Werk verrichtet wird, zuteil werden-.
Aber in diesem Falle würde nicht derjenige, der das Werk tut, den
^ So Bonaventura und Albert.
2 D. 20. a. 5. q. 3 (Suppl. q. 27. a'. 3).
298 VIII. Die Ablaßlehre, der großen Scholastiker. des 13. Jahrhunderts.
Ablaß dem- andern geben, sondern wer ,den Ablaß , unter solchen Be-
iiingungen verleiht. ^ , • // - < ? '^
,Mit der Frage, ob man den Ablaß gewinne, ohne das vorgeschriebene
Werk verrichtet zu haben, beschäftigt sich Thomas -auch in einer .seiner
kleineren Schriften.^ Er fragt hier, ob die Kreuzfahrer,- die yor dem
Antritte des Kreuzzuges sterben, die „volle Nachlassung der Sünden"
'ßrhalten. Zur Lösuilg dieser Frage, bemerkt er, müsse man die Kreuz-
zugsbulle .einsehen. Wird darin der Ablaß denjenigen 'verheißen,! die
das Kreuz nehmen, so wird der Kreuzfahrer des, Ablasses teilhaftig,
auch wenn er vor dem Antritte des Kreuzzuges sterben sollte. Wird
Aber darin erklärt, daß^ der Ablaß zuteil werde jenen, die,, den Zug
mitmachen, so ist zur Gewinnung des Ablasses die tatsächliche Teil-
nahme am Kieuzzug erfordert.
Beachtenswert ist einer der Einwände, die ^dartun sollen, daß der
Kreuzfahrer schon, durch die Annahme des Kreuzes den „vollen Ablaß
der Sünden" (plenam indulgentiam pepoatorum) empfange. Gott
allein, heißt es da, läßt die Sünde nach, .was die Schuld betrifft. Wenn
daher der Papst einen Ablaß, aller Sünden erteilt, so ist dies nicht auf
die Sündenschuld, sondern auf die Gesamtheit der Strafen zu beziehen.
Wer aber gemäß der .päpstlichen Bulle das Kreuz ,nimmt; der wird für
seine .Sünden, keine .Strafe zu leiden haben, und sollte er -sterben,
nachdem ihm die volle Nachlassung der Sünden zuteil geworden, so
würde er von Mund auf in den Himmel fahren.^ Dazu. bemerkt Thomas :
Aus eigener Machtvollkommenheit läßt allerdings Gott, allein die
Sündenschuld nach; doch wirkt als, Spender der Sakramente auch der
Priester mit. Dabei bleibt es freilich wahr, daß der, Ablaß sich .nicht
auf die Schuld, sondern auf die Strafe beziehe. Diese Strafe wird
auch durch den Ablaß gänzlich erlassen, aber nur unter der Bedingung,
daß das vorgeschriebene Werk verrichtet w.erde.*
In diesen Erörterungen wird der Ablaß wiederholt, als eine Nach-
lassung der Sünden bezeichnet, obgleich Thomas ausdrücklich erklärt,
daß er sich nicht auf die Sündenschuld, sondern nur auf die Strafe
beziehe.^. Die Sünde kann eben, wie er an andern Stellen mehrmals
betont, in zweifacher Weise nachgelassen werden, sowohl in bezug
1 Ebd. ad 2.
'^ Quodl. II. q. 8. a. 2: „Utrum crucesignatus qui moritur antequam iter
arripiat transmarinum, plenam habeat peccatorum remissionem," Opp. XI 2, 25.
3 „Soltjs Deus reimttit pecoatum quantum ad oulpam. Cum ergo Papa
dat indulgentiam omnium peccatorum, hoc non est referendum ad culpam,
sed ad xmiversitatem poenarum. lUe ergo qui accipit crucem secundum f ormani
literae papalis, nullam poenara patietur pro suis peccatis, et sie statim evolabit,
plenam remissionem peccatorum consecutus."
* „Et tarnen indulgentia non se extendit ad remissionem culpae, quia non
est sacramentalis."
^ Vgl. De forma absolutionis o. 5: „Obiicit ulterius, quod si sacerdos potest
abaolvere a peccatis, utilius esset absolvi quam accipere crucem transmarinani'
Quod quam ridiculum sit dictum, de faeili potest adverti. Non enim crux trans-
marina datur valitura nisi absolute a peccatis , ad remissionem totius poenae
pro peccatis debitae," Opp. XX 453,, ; ;• .; n ; [ ;
yjn.,r>if!:^blal51ehre (ier;^^grflß,efl?Scholf^tiker. des .13. rJahrhvmderts'. 5299
,auf .die Schuld ,,(quoad ,pulpam) ; ^als, jin >beziig rauf, die,; S.trafe f(q,uoad
poena;m).?;,,rErst .dann ist -diejS-ünde. ak.^vföllig nachgelassen zu .be^
trachten, jweiin sie äuph-ider- Strafe, nach yergeben list.^ ..Bamun^dur.ch
den Ablaß. die Siinde hiQsichtlijChjder.-Sifcrafeinachgelassen.wird, so kann
in ,dieseni.; Sinne jdei" Ablaß ,s,ehr;\\^ohl alsrpine Js[achlassung 4er , Sünden
bezeichnet A^erden.; u -'^ ) ' ' i "• i ^^ .'
• Thomas >f ragt |dann, '.des .^eiteren, ob,, ein, kirchlicher .Obei;er
die von„ihm.-bßiwil;ligjben,A,b[läs,se sich.selber z,un,utz,e mache.'n
]kö*nn,e.^ ;,Er; kann wohL nicht, ,meintLer, ausschließlich ^sich selber
■einen ^blaß ^erteilen ; .docLkann erjßich der Ablässe teilhaftig machen,
die er, iür, andere; .einteilt,., '. ^i; , ' '
Schlipßlich behandelt Thomas >npch rdie .w;ichtige iFrage; o.b idie
Abläss,e aiuch den Verstorbenen nützlich fSeieni.> /Bonaventura
hatte ^-gelehrt, .daß,', die Ablässe„,den;Yerstorbenen nicht' durch eine
richterliche ,Lossprechung jerjbeilt, sondern nur i ürbittweise zugewendet
werden können; doch hatte er beigefiigt, ^daß.^.den Verstorbenen viel-
leicht .(forte) idurch Vermittlung; (per. , ime^dium) Ablässe ^verliehen
werden, können, wenn nämlich jemand .das vorgeschriebene Werk .-für
die Verstorbenen <verrichten < und, der , Pa;pst sich da;mit .einverstanden
■erklären würde. Diese > von Bonaventura bloß dn, zweifelnder ,F.orm
vorgebrachte Erkläi\ung hat.Tho^maS'Sich- angeeignet, ohne die -andere
Erklärung, daß .die Ablassenden .Verstorbenen f ürbittweisc' zugewende^t
werden .kqnnen,',auch - nur ,;zu jerwähnen. Man j kann ,der Ablässe, , so
führt -er aus,\auf '^eine zyreifache Weise iteilhaftig" werden: .entweder
unmittelbar ,, wenn .man.selberdas vorgeschriebene Werk verrichtet,
oder jniitteLbar,, wenn dies Werk von einem andern verrichtet wird.
Da nun die Verstorbenen nicht in der Lage sind, ,das vorgeschriebene
Werk zu tun,' so 'können ihnen die,, Ablässe unmittelbar ..oder .direkt
nich;bs»niitzen;, ,doch nützen sie ihnen indirekt oder imittelbar., wenn
jemand ^das. vorgeschriebene Werk ,für jsie .verrichtet. Erfordert ist
aber, daß in .der Abläßbewilligung die (Zuwendung des Ablasses .an
einen andern als. zulässig erklärt wird. ...Es liegt. auch kein Grund vor,
der 'Kirche ,die; Vollmacht .abzusprechen,^ den Verstorbenen, Ablässe;.zü-
zuwenden. ..Kann sie den , gemeinsaraen Schatz der Verdienste, aus
dem die Ablässe erteilt werden, den Lebenden mitteilen, warum sollte
sie dann dasselbe nicht auch bezüglich der Seelen im Fegfeuer tun
^ Expos. orat.>,donün. Petitio V:. ,,",In.peccato sunt ,duo,.-scilicet yculpa qua
offenditur iDeuSj^et-poena-quaeidebetvir ^pro culpa. .Durch 'die (Reue, verbunden
mit' dem Vorsatze, zu beichten und genugzutun, wird die .Sündenschuld i nach-
gelassen; die .»zeitliche Strafe .aber wird .getilgt in ,der Beichte und -durch die
Ablässe: „Sic ergo dimittuntur peccata non isolum .quantumad culpam in
contritione, sed-etiain'.quantum.ad spoenam in confessione et^per.indulgentias."
0,pp, •XK, 213. :ygl; .'Quäest. ,disp. .De .rnalo ,q. 7,- .a. 11, Opp. .'XII 293U\
^ S. th. III, q, 22, a. 3: „Dicendum quod.ad peccatorum perfectam
•e,mundationem-,duo.reqi4runtur secundum quod^duo sunt in peccato, scilicet
maculä culpae et ^reatus poenae."
3 Sent.' lY, 4- 20, a. 5. .q. ,4 .(Suppl. ,q. <27, a. 4).'
* Sent. iy,-d. -45, .q. 2, a. 3, quaest.^2 .(Suppl. -q. 71, a. ,10).
300 VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts.
können? Daraus folgt freilich" nicht; -daß 'der Papst n^bh Belieben-
die Seelen ans dem Fegfeuer befreien kann', da zur 'Gültigkeit' der-
Ablässe ein hinreichender Grund; ■ sie* ziiverleiheri, erfordert wird.
Wird in der Ablaßbulle erklärt, daß der Ablaß den Verstorbenen
zugewendet - werden kann, und verrichtet' nun jemand "das ' vorge-
schriebene Ablaßwerk für eine bestimmte Seele im Tegfeüer, in welcher
Weise wird dann der Ablaß dieser Seele mitgeteilt, "blöiß' fürbittweise
(per modum deprecationis)' oder kraft der Jurisdikti'onsgewalt (per
modum autoritatis) ? Hierüber hat sich Thomas nicht' näher aus-
gesprochen. Will man seine Ansicht kennen lernen,' so' muß man
Äußerungen herbeiziehen, die er an andern' Stellen gemacht hat.
Seiner ilöisicht nach wird der Ablaß den' Lebenden," auch jenen, die
sißlber das vorgeschriebene Werk verrichten, 'nicht in 'Form eines
Urteils oder einer richterlichen Lossprechüng verliehen, sondern nach
Art einer Spendung oder Schenkung,^ wodurch seine" Straf Schuld aus
dem Verdienstschatze der Kirche bezahlt wird.^ Die Ablaßspendung
geschieht aber kraft der Jurisdiktiönsgewalt.^ In ganz' ähnlicher
Weise muß Thomas auch die Zuwendung des Ablasses jg-n die Ver-
storbenen aufgefaßt haben; da er ja ausdrücklich erklärt, es liege kein
Grund vor, warum die Kirche die gemeinsamen Verdieüste nur den
Lobenden und nicht auch den Seelen im ' Fegfeuer zuwenden könne.
Diese Seelen,- lehrt er, sind in einem gewisseii* Sinne noch auf "dem
Wege zur ewigen Heimat;* auch haben sie' auf Erden' verdient, daß
ihiien nach ihrem Tode> geholfen werden könne.^ Ob die Zuwendung
des Ablasses an eine bestimmte Seele sicher erfolge oder ob sie von
der uns unbekannten Annahme Gottes abhänge-, hierüber ist bei
Thomas nichts zu finden.^
Man beachte wohl, daß Thomas bloß die Möglichkeit der- Zu-
wendung der Ablässe an Verstorbene dartut. ' Daß damals schon die
Päpste Ablässe für Verstorbene verliehen haben, sagt ei^'nicht. Wohl'
führt er am Anfange des Artikels unter den' Gründen j die zugunsten
der Ablässe für Verstorbene zu sprechen scheinen, in- erster Linife die
kirchliche Praxis an.' Auf diese Stelle "^ hat man' sich" schon 'öfters
berufen, um zu behaupten, Thomas bezeuge ausdrücklich, äaß zu
seiner Zeit die Kirche Ablässe für Verstorbene erteilt habe. Man hat
^ „Indulgentia non per modum sententiae datur, sed per modum dispensa-
tionis cuiusdam." Sent. IV, d, 20, q. 1, a. 6, quaest, 4 ad 3 (Suppl. q. 27, a. 4).
2 gent. IV, d. 20, q. I, a. 3, quaest. 1, ad 3 '(Suppl. q. 25, a. 1).
^ „Facere indulgentias pertinet ad iurisdictionem." Sent, IV, d. 20, q. 1,
äi 4, quaest. 4 (Suppl. q. 26, a. 4).
* „Quantum ad aliquid adhuc simt in statu viae." Sent. IV, d. 45, q. 2,
a. 1, quaest. 2, ad 3 (Suppl. q. 71, a. 2).
5 Sent, IV, d. 45, q. 2, a, 4, quaest, 1, ad 2 (Suppl. 71, a. 12).
« Dies wird von J. Bautz (Das Fegfeuer. Mainz 1883, 223 f.) mit Eecht
gegen Suarez hervorgehoben.
' „Videtux quod indulgentiae quas Eeelesia facit, etiam mortuis prosint.
Primo per consuetudinem Ecclesiae quae facit praedicari crucem, ut aliquis
indulgentiam habeat pro se et duabus vel tribus vel quandoque decem animabus
tarn vivorum quam mortuorum, quod esset deceptio, nisi' mortuis prodessent.'
VIII. Die, Ablaßlehre der, großen, Scholastiker des, 13. Jahrhunderts; 301.
indessen- übersehen, ,daß,>Thomas am -Anfange des Artikels, nicht seine
eigene . Ansicht ausspricht,; sondern, :bloß. berichtet, was, für Gründe
•jsugunsten des Ablasses für, Zerstör bene geltend gemacht werden... Jene
St^ÜQ^hat er.wörtlich ; aus '^Albert. abgeschrieben.^ Nur hat er unter-
lassen, nähesr darauf einzugehen,^ während Albert bemerkt, daß ihm
eine AblaßA^erleihung; wie die .angeführte, lioch niemals zu Gesichte
gekommen sei. • . ,>, .
' ^ ^ . ' . ' i ' ' "
Petrus 'von Tarentaise^ Richard von Middletown.
., Heinrich von Gent.
1 r
'i "Nächst den vier großen Scholastikern werden nicht selten bei der
Darstellung" der 'Ablaßlehre * auch die drei genannten Theologen als
Autoritäten angeführt. ' , > ■ -
Petrus von Tarentaise, Mitglied des' Dominikanerordens,' als
Papst- unter dem Namen' Innozenz V. bekannt, wirkte von 1256 bis
1265 als Professor der Theologie an der Pariser Hochschule. ^ ^Als
Frucht' seiner Vorlesungen veröffentlichte' er einen Kommentar über
•die Sentenzen.^ In der Ablaßlehre folgt er seinem Ordensgenossen
Thomas; doch weicht er in' dem einen und andern Punkte von ihm
ab. In engem ' Anschlüsse an Thomas lehrt er zunächst, daß die Ab-
lässe nicht bloß vor 'dem Richterstühle der Kirche, sondern auch vor
Gott Geltung haben, und daß sie aus dem Schatze' der Verdienste
Christi und der HeiKgen gespendet werden. Zur 'Gültigkeit des Ab-
lasses sind' vier Bedingungen erfordert.' Zwei von selten des Spenders:
ein -triftiger Grund' uiid die nötige' Vollmacht; zwei -von selten des
Empfängers: der' Gnadenstand und die mit dem Glauben' an die Voll-
mächt der Kirche verbundene Ausführung des vorgeschriebenen Ablaß -
Werkes. Einem Todsünder kaiin der Ablaß nichts nützen, da die Strafe
lucht nachgelassen werden" kann, solange die' Sündenschuld liicht ver-
gebenist. Die Prägö, ob auch die Ordensleute Ablässe gewinneii können,
wird von Petrus anders beantwortet, als von seinen Vorgängern. Er
macht sich selber den Einwand, daß ja die Ordensleute nichts Eigenes
besitzen und daher die gewöhnUch für den Ablaß geförderten Almosen
nicht spenden können. Weim sie 'auch nichts besitzen, lautet die
Antwort, so können sie doch mit Erlaubnis der Oberen Almosen
spenden und folglich den Ablaß gewinnen. Ob der Ablaß auch jenem
nützt, der ihn spendet, ob nur -die Bischöfe Ablässe erteilen können,
ob auch ein schlechter Bischof oder ein Bischof, der die Priesterweihe
nicht empfangen hat, 'Ablaß spenden kann, ob es erlaubt sei, für zeit-
liche Angelegenheiten Ablässe zu gewähren, alle diese Fragen beant-
wortet Petrus ganz wie Thomas .von Aquin.
1 Vgl.' oben S. 277.
* Mandonuet, Des ecrits authentiques de Saint Thomas d'Aquin 113 f.
ä Petrus de Tarentasia, In quatuor libros sententiarum oommentarii.
Tolosae 1649—52. Die Ablaßlehre wird behandelt in 1. IV, d. 20, q. 3.
302 VIII% Die- Ab^laßlehre' dfef' großen- Scholastiker ' de's' ß. ''jahrKtoderts.
Dagegen weiclit er von ihm' aB^in* der vielerörterten' IVage-^ob die-
Ablässe so vielgelten-, wie'iii'däm-'WoTtraut der Verkiindigung
gesagt' wird. Er fübrt'zuerst verschiedene* 'Ansichteii an, vor allera
die Ansicht jener, die meinten-, der Wert'- des Ablasses richte sich' bloß
nach der frommen Gesinnung des' Empfänigers. 'Wäre 'dies richtig,
wendet Petrus dagegen- ein, so- würde "der Ablaß den " Grläubigen- auch
ohne äußere Spende zuteil werden. Andere sagen, der Uinfang des
Ablasses richte sich nach der Höhe der Spende. Aber dann wäre es
eher eine Umtauschung als, ein Ablaß. - Andere lehren,, man werde
um so größeren Anteil' am Ablaß haben, als man der Ursache, wofür
er gespendet worden, näher' könäme. Dd jedoch, erwidert Petrus,
dies den Leuten nicht gepredigjfc , werde", so' hätte es den Anschein,
als wollte die Kirche sie täuschen; es sei aber nicht gestattet, auf
selten der Kirche einen frommen Betrug anzunehmen. Bis, hierher
widerlegt Petrus die, drei, bereits, von Thomas abgelehnten Ansichten,
und er widerlegt' sie in .derselben Weise, wie es der Aq,uüiate. getan.
Nun erwähnt er noch die Meinung des hh Thomas, der' freilich nicht
genannt^ wird : Die Ablässe gelten einfach so viel, als sie lauten. ' Wer
daher wenig gibt oder in der Nähe der zu besuchenden Kirche wohnt,
wird denselben Ablaß gewinnen,, wie .jener, der , viel-, gibt und einen
weiten Weg machen, muß.- Auch diese Ansicht wird von Petrus ab-
gelehnt; sie scheint ihm nicht vernünftig, genug (hoc-non videtur
rationabile). Er selber sucht daher die verschiedenen Ansichten
miteinander zu vereinbaren (concordando, has opiniones}. Der Ablaß,
so führt er aus, bezieht sich bloß, auf die Nachlassung der Strafe.
Die Strafe kann, aber der kirchliche Obere jenen, die gut disponiert
sind, aus dem Schatze der Kirche völlig, oder zum Teil erlassen.. Es
gelten daher die Ablässe so viel, wie sie lauten. Ein Ablaß von 40 Tagen
hat für den Empfänger denselben Wert, wie 40 Tage Buße; ebenso
gilt der Ablaß von einem Jahre so viel, als ein Jahr Buße,, möge, die
Buße vom Beichtvater,, vom Kechte oder von der göttlichen Ge-
rechtigkeit bestimmt worden sein. Diese Tage und Jahre, sind aber
nicht Tage und Jahre, des Fegfeuers, sondern dieser Welt,, da im
Jenseits nicht nach Tagen und Jahren gerechnet wird. Der Ablaß
hat nun nicht für alle Empfänger denselben Wert, sondern er wird ihnen
in größerem oder kleinerem Maße zuteil, /je^ nachdem, sie für den Straf-
erlaß mehr oder weniger vorbereitet sind. Wie daher, 40 Tage Buße
demjenigen, der sie mit größerem Eifer und größeren Anstrengungen
. verrichtet, mehr nützen, als einem andern, der dabei nur geringen
Eifer an den, Tag legt, so werden auch 40 Tage Ablaß dem einen,
der sich durch größeren Eifer, durch schwerere Anstrengungen oder
reichlichere Spende darauf vorbereitet, mehr nützen, als einem andern^
der geringeren Eifer betätigt oder weniger leistet. Es gelten daher
die Ablässe im allgemeiaen so viel, als ihre Verkündigung besagt;
doch niitzen sie nicht allen in demselben Grade, soiidernj ihre W^
samkeit richtet sich naxih der vVorberei|ung der; emzeln^
So wirdz., B., ein/ Pilger,, der eine weitevBieiseimaölWcniußii ums eine
VII'L 'Die' Ablaßlehre- der großisn' Scholastiker* d'es'^lS. JahrKuhderts: 303-
Kirche zu ^b'epüchen, des' 'Straferlasses in reicHliclierem' Maßö» teilhaftig
werden^ als ein 'anderer, der in der- Nähe 'der Kirche wohnt, weil er
größeren Mühen sieb unterzogen' hat'. Dieser^gahz Verniüiftigen Ansicht'
haberi sich in- der' 'Folgezeit 'manche Aiitören' angeschlossen, so z.' B.
der 1306 verstorbene Dominikaner JoharinesSurdus (Quidort) aus-
Paris.i' . •' ,\ ". . ' , ' ' • '
In der Behandlung des 'Ablasses' fiir'yers'torbene schließt sich
Petrus wiedfer mehrThdinäs'von'Aquin an'; doch äußert er sich hierüber
eingehender-;^ als sein Ordßnsgeiiosse", indem 'er auch Bonaventura ver-
wertet; Die'Zuwendung der' kirchlichen' Suffragien öder HiKeleistungeri,,
lehrt er; f geschieht in ariderer ' Weise, äls' diejenige der' 'Ablässe. Die
Suffragien werden durch die' Ei'ebe -mitgeteilt, die Ablässe aber durch'
die Amtsgewalt'.^^iiDen Seelen im Pegfeüer kann die Kirche - Ablässe
zuwenden nur 'hilfsweise' (.per modum suffragii) auf dem- Wege' der
Liebe, nicht in der . Weise - eines, eigentlichen ' Ablasses (per modum
indulgentiae) kraft ihrer Autorität. ^ .Denn der kirchliche' Obere kann
den; Seelen' im Fegfeuer «nicht direkt Ablässe erteilen, da- sie nicht
mehr unter; seiner. Jurisdiktion stehen und auch dasjenige, wofür der
Ablaß erteilt wird, nicht -vollbringen' können; nur indirekt kann ihnen
der Ablaß' zugewendet werden,' nämlich durch die* Hilf« und Ver-
mittlung der Lebenden, die noch unter der kirchlichen Gerichtsbarkielit
stehen. Eigentlich spricht, die Kirche die Yerstorbenen von ihrer Strafe
nicht los, sondern sie bezahlt ihre Schuld* aus- dem gemeinsamen Schatz-.
So wird ein Schuldner von seiner Schuld anders- befreit durch den
Gläubiger, der ihn von der Schul(i{\ losspricht,, anders durch einen
Freund, der die Schuld, für ihn bezahlt. Jene Zahlung für die Ver-
storbenen kann aber nur durch den kirchlichen Oberen geschehen,
dem allein die Verwaltung, des, Kirchenschatzes, aus -dem' der Lösepreis
entnommen wird, zusteht. Die Lebenden» aber, die seiner Gerichtsbar-
keit unterstehen-,, entledigt er ihrer Schuld sowohl, auf die eine als auf
die andere Weise, d. h. sowohl durch Absolution als durch Zahlung
aus, dem Earchenschatze.
' Hier' scheüit- Petrus- anzunehmen, daß- Ablässe- für Verstorbene^
tatsächlich erteilt werden. Er' spricht sich darüber noch bestimmter
aus in der 45-; Distinktion des-^. B.uches-, worin er von- djßn. Suffragien
für. die- Verstorbenen handelt.; Bisweilenv bemerkt er;, werden die
Ablässe schrechthiri- erteilt, ohne daß' dabei- der Verstorbenen Er-
wähnung geschehe;, d'ann können; sie dferi Seelen im Fegfeüer nicht
zugewendet, werden., Dann. und. wann,. wer den. sie aber auch auf die
Verstorbenen ausgedehnt (aliquando? dantur' cum. ampliatione usque
ad defunctos). In diesem Falle nützen^ sie den Seelen im Fegfeuer,
aber nicht nach Art eines kraft' der' 'Jurisdiktion erteilten Ablasses
(non per modum indulgentiae ex autoritate),, d. h. nicht nach, Art
einer Absolution, sondern nach Art, eines Suffragiums oder einer^ aus
1 Amort II 101. . .
2 „Suffragium per caritatem, indulgentiä per autoritatem impertitur."
.^04 VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des» 13, Jahrhunderts.
liebe gespendeten kirchlichen Wohltat; (per modum suf fragil seujC.uius-
•dam beneficii jecclesiastici ex- caritate).{ Auch, wird, ihnen [der Ablaß
nicht unmittelbar zuteil, sondern mit:fcelbar. durch die Hilfe' eines, andern
(mediante alterius suffragio) ; zudem spricht sie, die ^Kirche nicht eigent-
lich los, sondern sie zahlt für.sie,- wie oben dargelegt worden.^
Obschon Petrus ausdrücklich erklärt, daß bisweilen Ablässe für
•die Verstorbenen verliehen wer.den, so ist doch zu .betonen, daß damals
•derartige Ablässe v,on der .Kirche noch nicht bewilligt wurden.,; Dagegen
haben manche die von der;: Kirche, den Lebenden, -_ erteilten Ablässe
eigenmächtig, auf die Verstorbenen, ausgedehnt.,,. So. konnte -iselbst bei
gelehrten Theologen der. Glaube entstehen, daß die Kirche tatsächlich
Ablässe für die VerstOTbenen erteilt ■ habe. ,, ,■ J, r ,f. ■,
Diesen Glauben teilte offenbar auch HugO'Ripelinvon Straß-
burg, der in seinem 1265 verfaßten Compendiuhi theologicae veritatis^
in engstem Anschluß an Thomas und besonders an 'Petrus von Taren-
taise kurz den Ablaß 'für Verstorbene bespricht. Er wiederholt nur,
was er bei Thomas vorfand, wenul er schreibt, daß der Kreuzzugsablaß
bisweilen für zwei, drei, vier« oder zehn; Seelen erteilt werde.^. In der
Darstellung der Art und Weise, wie der Ablaß den Verstorbenen zu-
gewendet werden kann,' hat er aber die Worte des Petrus von'Taren-
taise sich angeeignet: • ' '
Die Ausführungen des Petrus ' von Tarentaise findet man auch
verwertet bei Richard von Midäletöwn (de media' villa) in dessen
kurz iiach 1281 verfaßten Senterizerikommentar.^ Nicht mit Unrecht
hat man hervorgehoben, daß' dieser gelehrte Minorit in seinen An-
schauungen dem hl. Thomas näher steht, als die übrigen Franziskaner-
theologen.* Auch in der Ablaßlehre folgt er häufig dem ' Aqüinaten,
■ dessen Ansichten er besonders in der Form, wie er sie bei' Petrus von
Tarentaise vorfand, widergibt. Nur in der einleitenden Frage, ob einer
für den andern genugtun körine, gibt er der Auffassung Bonaventuras
^ Daß Hugo von Straßburg Verfasser des weitverbreiteten Kompendiums
ist, wird nachgewiesen von L. Pfleger in, Zeitschrift f. kath. Theol. 1904, 429 ff.
Vgl. dazu M. Grabmann, ebd. 1905, 321 ff.; 1921, 147 ff. Über die Zeit der
Abfassimg vgl., Mandonne't, Des ecrits authentiques de Saint Tiiomas 76,
-und A. Hauck in Zeitsohrift für Kirehengesohich^e XXXII (1911) 378 ff. Hugo
von Straßburg, der einige Jahre Prior in Zürich war, ist schon im Jahre 1268
gestorben. Vgl. Fr. Steill, Ephemerides I^ominicano-Sacrae I 2, Dillingen
1691, 397. P. Albert, im Freiburger Diözesan-Archiv XXX (1902) 296. Er
•darf also nicht verwechselt werden mit dem Dominikaner Hugo, der gegen Ende
• des 13, Jahrhunderts als Prior in Zürich erseheint. Letzterer war übrigens nicht
.aus Straßburg, sondern aus Schaff hausen gebürtig, wie sein eigenes Siegel dar tut.
Vgl. Wjrttemberg. Urkundenbuch X (1909) 532.
2 Compenditim theologicae veritatis. Coloniae 1503. 1. VTI, c. 5: „Papales
indulgentiae prosunt defunctis in' purgatorio, quod patet quia crux aliquando
-datur pro duabus vel tribus vel quatuor vel decem animabus." Den Ablaß über-
.haupt erwähnt Hugo bloß mit einigen Worten in 1. VI, c. 32.
3 Scriptum super quarto sententiarum. Venetiis 1489. Über die Zeit der
.Abfassung vgl. Jeiler in Kirchenlexikon X 1181.
* Soheeben, Handbuch derkatholisohen Dogmatik I, Freiburg 1878,432.
VIII. Die Ab^ßl^hre,,der;grpßen., Scholastiker des 13. iJahrhunderts. 1305
den Vorzug.,, Mt. Bonaventura ist. er. im Gegensatz zu Thomas der
Ansiolit, daß die stelly/ertretende,,. Genugtuung nur dann zulässig sei,
wenn derjenige, , für den man genugtun will, nicht selber die. Buße
verrichten kann. ; Will nämlich einer seine, Buße nicht selber verrichten,
da er sie doch verrichten könnte; so ist dies ein Zeichen; daß ihm die
wahre Bußgesinnung abgeht; folglich könne ein anderer nicht für ihn
■genügtun. Mit, Bonaventura lehrt er auch, daß die für einen andern
übernommene Buße in der. Regel größer sein müsse, als, jene, die der
andere für sich selber zu verrichten hätte.; Hierbei folgt er aber zu-
gleich auch dem hl. Thomas. Letzterer lehrt, die Liebe erhöhe den
Wert der Buße; deshalb könne die für einen andern abzutragende
Buße durch , eine geringere ersetzt werden. Dies sei : allerdings zu-
zugeben, meint Richard; aber nur für,, den Fall, daß derjenige, der
iür einen andern genugtut, von größerer Liebe beseelt sei, als, jener
andere.^ . . . • .
. Daß die Kirche Ablässe erteilen könne, und zwar aus dem Schatze
■der Verdienste Christi und der; Heiligen, daß, der Ablaß nicht bloß vpr
dem Forum der Kirche, sondern. auch vor Gott Geltung habe, daß
bei der Erteilung von Ablässen für Kirchen, Spitäler usw. keine Simonie
Torkomme, alle diese Fragen erörtert Richard im Sinne und meistens
.auch mit den Worten des Aquinaten.?- uEr weicht aber von ihm ab
in der weiteren Frage, ob die Ablässe,so viel gelten, als sie lauten.
Von den verschiedenen Ansichten, die hierüber geäußert wurden, er-
wähnt er nur zwei, zuerst - die, Erklärung des Petrus von Tarentaise,
■die er mit den Worten einführt: „Einige. sagen" (diount.quidam). Ein
Urteil darüber wird nicht abgegeben. Dann erwähnt er noch eine
ziemlich sonderbare Ansicht (aliis videtur dicendum), , deren Vertreter
nicht namhaft gemacht werden kann, da sie in keiner der bisher bekannt
gewordenen Schriften jener Zeit vorkommt. Den, Fall gesetzt, so lautet
•diese Ansicht, es hätten zwei Personen ein Jahr Fegfeuerstrafe ver-
dient. Diese Personen spenden nun ein Almosen, um einen Ablaß
von einem Jahre zu gewinnen; die. eine spendet mehr,, als die andere.
Beide werden ein Jahr hindurch im Fegfeuer weniger zu leiden haben;
doch werde die liClderung ihrer Strafe sich nach der Höhe ihrer Almosen
richten. Richard lehnt diese Meinung, ab, dia nach derselben nicht' die
zeitliche Dauer der Strafe, sondern bloß deren Intensität in Betracht
komme. Er selber sucht beide Momente miteinander zu vereinigen.
Was die Zeitdauer betrifft, meint er, werden die beiden Personen
trotz ihrer ungleichen Spende denselben 'Erlaß .erhalten: beide werden,
den Ablaß von einem Jahre gewinnen; bezüglich der Intensität des
•Erlasses wird aber ein Unterschied stattfinden: wer mehr spendet,
wird weniger zu leiden haben. ,^, Richard scheint sagen zu wollen:
Bißide Personen erhalten einen Ablaß von einem Jahre, d. h. Gott
läßt ihnen so viel von der Fegfeuerstrafe nach, als sie hienieden durch
1 Sent. IV, d. 20, a. 1, q. 3.
2 Sent. IV, d. 20, a. 3, q. 1.
Paulus, Geschichte des Ablasses. 20
306 VIII. Die AblaiSIehre der großen Scholastiker defe 13.' Jkhrhvmdefts.
ein Büß Jahr abgetragen hätten; von der noch zurückbleibenden Strafe
Avird dann demjenigen, der ein größeres Almosen 'gegeben hat, ' mehr
erlassenj als dem andern. Daß diese gekühstelib Erklärung' bei späteren
Autoren keinen Anklang fand, darf nicht wundernehmen.
, Bezüglich des Ablasses für die Verstorbenen ' wiederholt Richard
nur, was Thomas und Petrus von Tarentaise hierüber gelehrt hätten;
dasselbe gilt von der Frage, ob Todsünder Ablässe gewinnen können.
In der Behandlung des Verhältnisses der Ordensleute zu den^Ablässen
folgt er dagegeii bloß dem Petrus von Tarentaise, wie er auch in einigen
andern untergeordneten Fragen die Ausführungen dieses Dominikaners
fast wörtlich sich angeeignet hat.^
Größere Selbständigkeit bekundet Heinrich von Gent (f 1293),^
der allerdings in einer 1291 oder 1292 verfaßten Abhandlung nur die
Frage erörtern will, ob die Ablässe so viel gelten, als in der Verkün-
digung besagt wird, aber doch bei diesem Anlaß die wichtigsten Punkte
der Ablaßlehre in recht gründlicher Weise zur Darstellung bringt.^
Zuerst stellt ei vom Ablaß eine Definition auf, die in der Folgezeit,
öfters wiederholt wurde: Der Ablaß ist eine Nachlassting der für per-
sönliche Sünden geschuldeten und' in der sakramentalen Absolution
den Pönitenten nicht erlassenen zeitlichen Strafe, eine Nachla3sung„
erteilt vernunftgemäß von dem kirchlichen Oberen aus einem ver-
nünftigen Grunde durch Kompensation aus der nicht geschuldeten
Genugtuung der Gerechten.^ Diese Definition wird dann Wort für
Wort erläutert. Mit Nachdruck wird dabei besonders betont, daß
der Ablaß sich nur auf die Sündenstrafe, nicht auf die Sündenschuld
beziehe; letztere könne Von den kirchlichen Oberen nur mittels des.
von Christus eingesetzten Sakramentes erlassen werden. Nebst der
Tilgung der Sündenschuld wird in dem Büßsalo-ament durch die
priesterliche Absolution die für Todsünden geschuldete ewige Strafe
in eine zeitliche umgewandelt; von dieser zeitlichen Strafe wird durch
1 Bloß im Vorübergehen sei hier ein anderer englischer Franziskaner jener'
Zeit erwähnt, Wilhelm Varro (de Ware), gestorben um 1300, dessen Erörte-
rungen über den Ablaß Nikolaus Weigel in seinem Ablaßtraktat mehrmals
anfuhrt. Im 9. Kapitel wird namentlich berichtet, wie Varro lehrte, daß, wer
nach Gewinnung eines vollkommenen Ablasses sterben sollte, sofort in den Himmel
kommen würde. Varros Sentenzenkomment^r findet sich handschriftlich in
manchen Bibliotheken, so z. B. in Leipzig, Münster, Wien.
2 Vgl. über ihn Ehrle in Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte des
Mittelalters I (1885) 365 ff. M. de Wulf, Histoire de la philosophie scolastique
dans les Pays-Bas, in Memoires couronnes de 1'academ.ie royale de Belgique LI
(1895) 46 ff. .
^ Quodlibeta magistri Henrici Goethals a Gandavo doctoris solemnis.
Parisiis 1518, Bl. 589 — 93. Quodl. XV, q. 14. Utrum indulgentiae tantum valent
quantum sonant. Die Abhandlung ist wohl anläßlich der von Nikolaus IV. am
1, August 1291 erlassenen Kreuzzugsbulle verfaßt worden, da Heinrich diese
Bulle eingehend bespricht.
* „Est indulgentia remissio poenae temporalis debitae peccatis actuaUbus
poenitentium, temporalis dico, non remissae in absolutione saoramentali, facta
a praelato Ecclesiae rationabiliter et ex ratiönali' 'causa .per rebbrnpbhsa.tionem.
de poena indebita iustorum." Bl. 589. '■'
VIir."'Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts. 307
die priesterlich'e' Absolution 'und durch das Verdienst der Reue (per
meritum' cöntritio'nis) ein * Teil nachgelassen; ja die Reue kann bis-
weilen s6' groß sein, daß die- gainze Strafe erlassen wird. Wird sie auf.
diese Weise niciit völlig nachgelassen, so ' muß der Rest abgetragen
werden. Dies kann aber auf eine dreifache Weise geschehen: 1. durch
Ablösung (rödemptione) ' mit Almosen,. '2. durch persönliche Abbüßung
der Strafe hienieden oder im Fegfeuer (luitione), 3. durch den Ablaß
(indulgentiae remissiöne). > ' - ' '
Zur Bestimmung der Art und Weise, wie der Ablaß von den
kirchlichen' Oberen verliehen wird^, ist zu beachten, daß etwas auf
dreierlei Weise' verliehen werden kann: 1. durch Schenkung (dona-
tione), bei der bloß der Wille, des Spenders maßgebend ist und auf
die Würdigkeit des Empfängers nicht Rücksicht genommen zu werden
braucht; 2. durch Vergeltung (redditione), die bei dem Spender eine
Verpflichtuiig, bei dem Empfänger ein' Anrecht auf das Bewilligte
voraussetzt;; 3. durch Dispensation i(dispensatione),^' die wohl vom
freien Willen des, Spenders abhängt, aber auch auf die Würdigkeit
des Empfängers Rücksicht nimmt. Man kann nun nicht sagen, daß?
der Ablaß schenkungsweise . (per ddnationem) erteilt werde; denn die
kirchlichen Oberen sind, nicht befügt, nach Belieben dem ersten Besten
einen Ablaß, zu gewähren. Wie verhält es sich aber mit der zweiten
Bewilligungsart ? • Findet beim Ablaß eine eigentliche Vergeltung statt ?
Vor allem muß bemerkt werden, daß die Ablässe nicht erteilt werden
und nicht erteilt werden sollen, außer daß irgendein' gutes, noch zu
verrichtendes Werk dafür. gefordert werde, da sonst ihre Bewilligung
ganz im Belieben der kirchlichen Oberen stehen würde .^ Es sagen
nun einige,; mit dem Ablasse werde das gute Werk vergolten und der
Wert des Ablasses richte sich nach dem Wert und -Verdienst des zur
Gewinnung des Ablasses verrichteten Werkes. Je beträchtlicher, je
verdienstvoller dies Werk ist; desto größer werde der Anteil am ver-
heißenen Ablasse sein. Völlig werden den Ablaß nur jene gewinnen,,
nur für jene werde er wirklich sp viel gelten, als er lautet, die durch
ihren Glauben, ihre fromme. Gesinnung und ihre äußere Leistung
so viel verdienen, als der verheißene Ablaß wert ist. Die Kirche würde
aber dies nicht hervorheben, sie würde , vielmehr verkünden, daß die
Ablässe überhaupt, so viel gelten,, als sie lauten, um so durch einen
gewissen frommen Betrug die Gläubigen anzulocken, sich wenigstens
um die Gewinnung eines Teils des Ablasses zu bemühen.
Wie andere Theologen vor ihm, s,o lehnt auch Heinrich die Ansicht,
daß auf . selten der ■ Kirche ein frommer Betrug angenommen werden
^ Der Verfasser meint dainit eine Spendung, wie sie ein Verwalter vor-
nehmen kann, d. h. ein solcher Diener, der über alle Güter des Herrn gesetzt ist.
^ „Eedditio respicit debitum in dante et meritum in reoipiente, propter
quod ipsi quidquid confere'näum 'est,'merittün dico,'vel ipso acquisito in opere
praeterito;*de quo nihil ad praesens, vel-acquirendo in opere futuro atque pro-
misso, quod valet ad propositum; eo quod indulgentiae non oonoeduntur
nee concedi debent nisi proaiiquo pio opere exeroendo; aliter enim pro
mera voluntate conferent'is conferrentur." Bl. 590.
^ 20*
308 VIII. Die Ablaßlehre, der großen Scholastiker des 13.,^Jahrhundprts.
könne, entschieden ab, da sie geeignet wäre, dieAutqrität ,der Kirche zu
untergraben. Er gibt indessen zu, daß. es sehr leicht I^älle geben;könne,
in denen der Wert des Ablasses f sich nach [dem, Verdienste des Emp-
fängers richtet, so z. B. wenn ein Bischof iür die Unterstützung eines
Kirchenbaus 100 Tage Ablaß, erteilen: würde, mit, der Bestimmung,
daß wer nach seinem Vermögen beisteuere, des, ganzen Ablasses teil-
haftig werden solle, wer aber weniger gebe,,ials seine MitteLes ge-
statteten, nur einen, der Spende entsprechenden. Teil des .Ablasses
gewinnen werde. Er weist dann auf die zwei von Nikolaus IV. unterm
1. August 1291 erlassenen Kreuzzugsbullen hin,^ worin : verschiedenen
Klassen von Förderern der Kreuzzugssache ein vollkommener- Ablaß
verheißen wird,^ andern aber nur ein, partieller,, dessen. Umfang nach
der frommen Gesinnung, und äußeren Leistung der -Empfänger sich
richten werde. , .- , ■ ■ > , •
Wenn' nun auch' in solchen Fällen ^der Wert des Ablasses - sich
nach dem Verdienste der Empfänger richtet^ 'so -darf man doch nicht
behaupten, daß die kirchlichen Oberen Ablässe nur unter der Be-
dingung erteilen dürfen, daß ihr Umfang'idem' .Verdienste und der
Leistung der Empfänger entspreche. Müßte, diese Bedingung erfüllt
weirden, so wäre ja die- Ablaßverleihung kein Gnadenakt mehr, wie
sie es doch tatsächlich ist, sondern eine von der Gerechtigkeit geforderte
Vergeltung ; auch könnten dann die kirchlichen Oberen verschiedenen
Personen bei ungleicher Leistung und ungleicher frommer Gesinnung
nicht die gleichen Ablässe erteilen. Dies aber ist iiicht zutreffend.
Wird doch ia der Kreuzzugsbulle der vollkommene Ablaß nicht bloß
den Teilnehmern am 'Eireuzzuge verheißen, sondern auch solchen,
die einen Vertreter senden ; was sicher weniger zu bedeuten hat, als
die persönliche Beteiligung am Zuge. -
Der Wert des Ablasses hängt also nicht von dem' Belieben "des
Spenders ab, so daß' dieser einfach erklären könnte';" Der Ablaß 'gilt
so viel, als ich will. Das' wäre gegen die Vernunft. Anderseits hat die
Ablaßverleihurig sich auch nicht bloß nach dem Verdienste des Emp-
fängers zu richten, so daß dieser ein Anrecht auf den Ablaß hätte;
denn dies wäre gegen die Natur des Ablasses, der ein Gnadenakt ist.
Die erstere Annähme würde die Vollmacht der kirchlichen Oberen in
der Bewilligung von Ablässen zu sehr erweitern ; die zweite dagegen
würde sie zu sehr einschränken. Demnach wird der Ablaß nicht durch
Schenkung verliehen und auch nicht durch Vergeltung, sondern durch
Dispensation oder eine Spendung, die zwar vom Willen des Spenders
abhängt, aber auch Rücksicht nimmt auf die Würdigkeit des Emp-
fängers, da sie sonst keine weise Austeilung, sondern eine Vergeudung
1 Sie sind verzeichnet bei Potthast 23756 23757.
2 In der Bulle heißt es: „Plenam suorum pec camin um, de quibus vera-
citer fuerint corde contriti et ore confessi, veniam indulgemus." Dazu bemerkt
Heinrich: „Intellige quoad reatum poenae debitae peccatis, non autem quoad
maoulam. lUa enim non estmateriä indulgentiae." Bl. 590. -.
VIII. Die' Ablaßiehre' der großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts. 309
wäre.' 'Bei der' Ablaß Verleihung kommt daher sowohl der Wille de»
Spenders 'als "die ''Würdigkeit und das Verdienst des Empfängers in
BetracHt.' ' 'Auf die'se' Weise wird'die Bewilligung iiicht zu reichlich
und auch nicht zu karg ausfallen, sondern nach den Regeln' der ge-
sunden Vernunft' geschehen, gemäß 'den 'Worten des Apostels, der
fordert, daß 'der Ausspeiider der Geheiihniss'e Gottes treu erfunden
werde (1. Kor'. '4V'l'f.). " ^ ' ' '
Damit aber die Ablässe vernunftgemäß erteilt Verden und so viel
gelten können, 'als ihre Verkündigung besagt, muß der Spender zwei
Momente 'berücksichtigen und nach' ihnen den Umfang des Ablasses
bestimmen. Zuerst "muß eine dringende Notwendigkeit (urgens ne-
cessitäs); sie zu erteilen, vorhanden sein, und dies von' selten des
Grundes, dessentwegen die 'Ablässb gewährt werden; zweitens muß
die Nützlichkeit der Bewilligung klar am Tage liegen (evidens utilitas)',
und dies von selten jener, denen sie verliehen werden sollen. Werden
diese' zwei Bedingungen erfüllt, dann' geschielit Genüge der Absicht
jener, die den geistlichen Schätz der Kirche, aus dem die Ablässe
erteilt werden, alngesammelt haben. Dieser Schatz wird aber gebildet
durch die Überpflichtigen, zur Ehre Gottes und zum Nutzen der Kirche
ertragenen Leiden der Gerechten, als Glieder der Kirche, und haupt-
sächlich Christi, als ihres' Hauptes. Was also der 'Ablaßspender zu^
nächst berücksichtigen' soll,' das ist der Grund der Ablaß Verleihung
oder deren Endzweck' (causa fihalis), nämlich die Ehre Gottes und
der Nutzen *der Kirche, die aus dem zur Gewinnung des Ablasses
vorgeschriebenen Werke erhofft werden; daher heißt es in der De-
finition : der Ablaß werde aus einem ' vernünftigen Grunde erteilt.
Sodann " muß "darauf achtgegeben' werden, daß die Bewilligung als
nützlich sich erweise. Deshalb ist zu sehen, ob jene, denen der Ablaß
verheißen wird, das geforderte Werk vollbringen Können; zudem muß
das Werk selber 'geeignet sein, die Ehre Gottes und den Nutzen der
Kirche zu fördern; endlich müssen die Empfänger von gläubiger Ge-
sinnung sein und im Stande' der Gnade' sich befinden.'
Wird nun ein Ablaß; etwa von 100 Tagen, allen jenen verheißen',
die Almosen nach ihrem Vermögen spenden; so wird ein Armer, der
nur einen Denar spendet, des vollen Ablasses teilhaft werden; ein
Reicher, der ebenfalls nur einen Denar spendet, wird bloß einen Teil
des Ablasses gewinneh. • 'V^ird dagegen der Ablaß für ein bestimmtes
Werk schlechthin erteilt, dann gewinnen ihn alle, die das Werk ver-
richten, mögen sie viel oder wenig geben, von weither oder aus der
Nähe kommen.^ Doch werden jene, die mehr leisten und sich größerer
Mühe unterziehen, größeren Lohn empfangen. Denn das für den
Ablaß vorgeschriebene Werk, falls es aus Liebe geschieht, dient nicht
nur zur Erlangung des Ablasses, sondern es wird auch dadurch ein
himmlischer Lohn verdient, 'gleich- als würde es bloß dieses Lohnes
wegen und nicht wegen des Ablasses verrichtet werden. Deshalb
^ Hier schließt sich Heinrich Thomas von Äqüin an. Vgl. oben S. 295.
310 VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholasljiker, d^s 13. Jahrhjunderfcs.
wird vom Papste in der Kreuzzugsbulle nicht nur^ein, yoUkqmmener
Ablaß in Aussicht gestellt, sondern auch ein himmlischer,, Lohn ver-
heißen. Dieser Lohn aber ist höher zu achten, als- der Erlaß der zeit-
lichen Strafe. , ;',>■'
Heinrich erwähnt dann.npch den Einwand,, als, würden infolge
der Zuwendung von Ablässen die Sünden ungestraft bleiben. Das
ist keineswegs der Fall, erwidert er. Für die Sünden haben Christus
und die Heiligen durch ihre Überpflichtigen Leiden bereits genug -
getan, und diese genugtuenden Verdienste, werden rdem Sünder an-
gerechnet, als wären es seine eigenen. Wie jemand für einen, andern
die Schuld bezahlt oder ihm die Mittel zur Verfügung stellt, seine
Schuld zu entrichten, so werden bei der Ablaßverleihung die genug-
tuenden Verdienste .Christi und der Heiligen dem Sünder mitgeteilt
und ihm dadurch die Mittel verschafft, die für die Sünden geschuldete
Strafe abzutragen.^
Daß aber den kirchlichen Oberen die yoUmacht verliehen worden,
Ablässe zu erteilen, wird zwar in der Hl. Schrift nicht ausdrücklich
erwähnt. Nachdem es aber in der allgemeinen Kirche Gebrauch ge-
worden, daß die kirchlichen O.beren Ablässe erteilen, so muß man
festiglich glauben (firmiter credendum est), daß sie hierzu von Christus
die Vollmacht empfangen haben, was ja auch in den Worten: „Was
immer du lösen wirst auf Erden, das soll auch im Himmel gelöset
sein" (Matth. 16, 19), angedeutet wird. Daraus ergibt sich, daß die
von den kirchlichen Oberen erteilten^ Ablässe wirklich etwas gelten.
Es sagen nun etliche, daß die Ablässe einfach so viel gelten, als
sie lauten, so zwar, daß sie auch dann gültig seien, wenn sie erteilt
werden, ohne daß dafür irgendein gutes Werk erfordert wäre, oder
wenn sie erteilt werden für ein ganz geringes Werk, das weder zur Ehre
.Oottes noch zum Vorteil der Kirche gereiche.^ Ob dies richtig ist,
bemerkt dazu Heinrich, weiß ich nicht. Ich sehe aber nicht ein, wie
Ablässe gültig sein können und besonders so viel gelten können, als
sie lauten, wenn sie erteilt werden ohne hinreichenden Grund (finis
movens), der da ist die Ehre Gottes und der 'Nutzen der Kirche.
Heinrich bringt dann noch einmal seine eigene Ansicht kurz zum
Ausdruck. Der Wert des Ablasses bemißt sich nicht bloß nach dem
Willen des Spenders, wie etliche meinen,^ auch nicht nach dem Ver-
dienste des Empfängers, wie andere /behaupten, sondern nach der
Wichtigkeit des Endzweckes und nach der Höhe der Leistung; mit
andern Worten, der Spender des Ablasses soll dessen Umfang anmessen
^ Bl. 592. Vgl. Quodl. VIII, q. 19: „Pro illis qui per opus ' indulgentiale
■solvunt, Christus potius pro ipsis solvit, ex cuius merito habentur indulgentiae,
<iuam ille qui facit opus indulgentiale." Bl. 330'.
2 Heinrich hat hier Thomas von Aquin im Auge, dessen Ansicht er aber
nicht ganz richtig wiedergibt; denn Thomas lehrt nicht, daß der Ablaß auch dann
gültig sei, wenn er erteilt wird für ein ganz geringes Werk, das nicht zur Ehre
Gottes und zum Nutzen der Kirche gereicht; vielmehr fordert er irgendeine
fromme Ursache, „quae in utilitatem Ecclesiae et honorem Dei vergat". Suppl.
' ,q. 25, a. 2. Vgl. oben S. 294.
VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts, 311
'dem bestimmenden Grund und dem geforderten guten Werke. Bisweilen
ist es, vor allem der, Endzweck, der, in Betracht kommt. Wenn z. B.
die Ehre, Gottes ,und der Nutzen der Kirche durch ein minder be-
schwerliches Werk mächtiger gefördert werden können,, als durch eine
andere, mühevollere! Leistung, so kann für das geringere Werk ein
größerer Ablaß erteilt -vYi^r.den. Zuw;eilen aber kommt hauptsächlich
die äußere Leistung, in Betracht, wenn nämlich durch ein geringeres
Werk die Ehre Gottes und der.jNutzen der Earche nicht mehr gefördert
werden, als, durch ein beschwerlicheres., Nach, diesem Grundsatze
pflegt der Papst bei der allgemeinen Absplutipii^ am Gründonnerstage
den Pilgern, die von weither kommen, einen, großereii Ablaß, zu ver-
leihen, als jenen, die keinen so weiten Weg gemacht haben. Man
kann also mit ' Sicherheit sagen, daß die Ablässe so viel gelten, als
der Worjblaut ihrer Verkündigung besagt, wenn die folgenden vier
Bedingungen vorhanden sind; 1. beim Spender die nö,tige Vollmacht
f(auctofitas), 2. beim Empfänger der Stand der Gnade, (charitas), 3. ein
frommer Zweck oder Grund "(ex parte finis seu causae pietas)', 4. ein
nützliches Werk (ex parte operis utilitas). Werden diese , vier Be-
dingungen erfüllt, so bestätigt Gott den von den kirchlichen Oberen
erteilten Ablaß.
Am Schlüsse seiner Ausführungen bekennt ,?ich Heinrich no,ch zu
einer recht eigentümlichen Ansicht,, Er meint nämlich, wenn es in
■der Bewilligung eines, Ablasses von 10 Tagen einfach heißt: ,,10 Tage
Ablaß", statt der Form: „10' Tage Ablaß von der auferlegten Buße",
so sei der Ablaß nicht von der hienieden alDizutragenden Bußstrafe,
sondern bloß von der jenseitigen Fegfeuerstrafe zu verstehen, so daß
derjenige, der den Ablaß gewinnt, 10 Tage' weniger im Eegfeuer 7U
leiden halben werde. Darin erblickt er einen Beweis der Barmherzigkeit
Gottes, der will, daß wir die geringeren Strafen,, nämlich die auferlegte
Buße, hienieden abtragen, zur Ablösung aber der schwereren Fegfeuer-
.strafe*n die uns erteilten Ablässe aufsparen. Hiermit will freilich der
Verfasser nicht die von Alanus voii Lille vertretene Ansicht erneuern,
daß der Ablaß überhaupt nicht schon hienieden, sondern erst im Jen-
seits seine Wirkung ausübt. Er erkennt vielmehr ausdrücklich an,
-daß die kirchlichen Oberen sehr wohl befugt sind, aus triftigem Grunde
die vom Beichtvater auferlegte Buße zu erlassen. Ist z. B. einem
Pönitenten vom Beichtvater ein Fasten von 100 Tagen auferlegt
wprden, so karm ihm der kirchliche Qbere sehr wohl 4Q Tage davon
erlassen; ebenso kann durch den vollkommenen Ablaß (indulgentia
generali omnium criminum) die gesamte auferlegte Buße' erlassen
werden. Auch sündigt in diesem Falle der Pönitent nicht, -vyenn er
die auferlegte Buße unterläßt; sollte er sie aber, ohne des Ablasses
"teilhaftig geworden zu sein, unterlassen, so würde er nicht nur durch
Ungehorsam sündigen, sond.ern müßte auch noch die hienieden nicht
verrichtete Buße im Fegfeuer abtragen.
Über die Wirksamkeit deis vollkommenen Ablasses, insbesondere
des Kreuzzugsablasses, äußert sich Heinrich kurz an einer andern
312 VIII. Die -Ablaßlehre der großen Scholastiken dfes 13.' Jahrhunderts.
Stelle, wo er 'die Frage erörtert, was vorteilhafter sei, 'einen Kreuzzug.
mitzumachen oder in einen religiösen Orden'eiiizutreten^^ Das Or,dens-
leben, betont er, ist dienlicher zur Vermehrung der himmlischen Glorie;
durch die Teilnahme am' Kreuzzuge wird man aber, wegen des dafür
erteilten Ablasses, leichter und sicherer die zeitlichlBÜ 'Sündenstrafen
tilgen. Ein Kreuzfahrer, der nach Gewinnurig des vollkommenen
Ablasses sterben' sollte, hätte die ' Gewißl?.eit, daß er' von,^Münd auf
in den Himmel fahren werde, eine Gewißheit, die man sich' im Ordens-
stände auch nach mehrjährigem, frommen Leben nicht verschaffen kann.
Nocli an einer andern Stelle lehrt Heinrich, daß der vollkommene
Ablaß von allen Süridenstrafen befreie. Bei der- Behandlung der Frage ^
ob durch die vom Beichtvater '.auferlegte Buße die ganze Sündenstrafa
abgetragen werde,^ bemerkt er: Entweder wird die Büße bloß als
sakrainentale Genugtuung auferlegt, oder es wird damit zugleich von
zuständiger Seite ein vollkommener Ablaß' verbunden. Im ersteren
Falle richtet' sich der Straf erlaiß' nach dem TVCerte des vollbrachten
Büß Werkes. Wird dagegen init diesem Büß werk ein vollkommener
Ablaß verknüpft, so wird die • ganze , Strafe nachgelassen. Aber in
diesem Falle erfolgt der vollkommene Straferlaß nicht, auf Grund der
sakramentalen Genugtuung, sondern nur vermöge des Ablasses. Was
hier von einem besonderen Falle gesagt wird, hat man als allgemeine
Regel aufgefaßt, ,als ob Heinrich geletot hätte, eiiie völlige Nach-
lassung der Sündenstraien könne mir durch, den Ablaß erlangt werden.^
Eine derartige Ungereimtheit ist aber dem Doctor solemnis nie in den
Sinn gekommen. Gerade an der Stelle, wo er dies lehren soll, erklärt
er ausdrücklich, daß der Sünder nicht bloß durch den Ablaß, sondern
auch durch genügende äußere Buße oder durch große innere Reue
zur völligen Freiheit von dpn Sündenstrafen kommen kann.*
Heinrichs Abhandlung über den Ablaß, wird verwertet in einer
längeren Ablaßschrift, die in der Gesamtausgabe der Werke des Duns.
Scotus zu finden ist.^ Da Scotus in seinem Sentenzenkommentar
die Ablaßfrage, hierin dem Lombarden folgend, ganz mit Still-
1 Quodl. VIII, q. 17. Bl. 328'. •
2 Quodl. VIII, q. 19. BL 330.
3 R. See berg, Die Theologie des Johannes 25uns Scotus. Berlin 1900,^622 f. r
'„Zu dieser völligen Freiheit von der Sündenstrafe, die mit Sicherheit auch auf
das PuTgatoriuni ©rstreckt werden darf, kann der Sünder eben nur durch den.
Ablaß kommen . . . Diese ganze Auffassung ist deshalb so interessant, weil sie
zeigt, wie die ganze Satisfaktion in Heinrichs Zeit schon durch den, Ablaß ab-
gelöst wird. Den eigentlichen Zweck, den jemand bei Übernahme satisfaktorischer
Werke intendiert, den erreicht er nur vermöge des Ablasses."
* Vgl. hierüber meine Mitteilungen in Zeitschrift f. kath. Theol. 1901, 742 ff.
^ Utrum praelati Ecclesiae possint dimittere poeriam debitam pro peccatis
secundum suam voluntatem, et utrum indulgentiae tantum valeant quantum
sonant. loannis Duns Scoti Opera omnia V, Parisiis 1891, 370 — 84. Die
neue Pariser Axisgabe (26 Bände 4", Paris 1891 — 95) ist, abgesehen von dem.
letzten Bande, bloß ein Abdruck der von Wadding im Jahre 1639 veranstalteten
Ausgabe. Letztere Ausgabe bringt die Ablaßschrift im 3. Bande.
villi Die" Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jiahrhünderts. 313'
schweigen übergeht/ da er auch in seinen übrigen Schriften nie vom
Ablasse spricht, so würde jener Traktat, wenn er' wirklich Scotus zum
Verfasser hätte', unsere' ganze Aufmerksamkeit .verdienen. Daß er-
aber nicht von Scotus herrührt, 'darf als sicher gelten.^-
Vor allem Jehlt jede äußere -Beglaubigung. Wadding fand den
Traktat, in einer Handschrift .der. Vatikanischen Bibliothek. In, dieser
Handßchrift wird aber keinesys^egs gesagt, daß die Abhandlung von
Scotus sei. Der Kodex beginnt mit einem Kommentar des Scotus.
„in libros de anima";,dann folgen in buntem Durcheinander Traktate
von Albert dem Großen, Richard von Middletown und Nikolaus von
Lyra,^ nebst einigen anonymen . Abhandlungen. Letztere glaubte
Wadding dem Scotus zuschreiben zu sollen, da sie . nach " Form und
Inhalt auf ihn hinweisen (stylus, methodus, doctrina Scotum redolent)..
Merkwürdig ist dabei nur,, daß ^ in der mittelalterlichen Ablaßliteratur
Scotus niemals erwähnt wird. , Hätte der berühmte Theolog .eine eigene
Abhandlung über den Ablaß hinterlassen, so hätten, wohl seine Schiller
und Ordensgenossen bei Besprechung der Ablaßfrage sieh auf ihren.
Meister berufen. Der Umstand, daß bis, 1639 kein einziger Autor von
einer Ablaßs'chrift' des Scotus etwas zu bericliten weiß, ist sicher ge-
eignei, uns einiges Mißtrauen einzuflößen.
Dazu kommen noch verschiedene andere Gründe. Scotus lehrt-
in seinem größeren .Sentenzenkommentar, daß die,, vom Beichtvater
auferlegten Büß werke, auch wenn sie im Stande der Todsünde .ver-
richtet werden, einen satisfaktorischen Wert haben.^ Das Gegenteil
behauptet aber der Verfasser der in Frage stehenden Ablaßschrift.
Mit Thomas von Aquin und ^ andern behauptet er, daß man durch
die im Stande der Tpdsünde vollbrachten Bußwerke für die zeitlichen
Strafen liicht genugtun könne.* Um die Schwierigkeit, die in' diesem
Gegensatze liegt, zu beseitigen, bemerkt Wadding, Scotus habe viel-
leicht die Abhandlung über den Ablaß vor dem Sentenzenkommentar
(zwischen 1301—04 verfaßt) geschrieben. Es liegt aber doch viel
näher, aus dem schroffen Gegensatze zu schließen, daß die Ablaß-
schrift nicht von ^Scotus herrührt.
^ Auch Wilhelm von Ockam, ein Schüler des Scotus, übergeht in seinem
Sentenzenkommentar den Ablaß mit Stillschweigen. Ebenso schweigen darüber
in ihren Kommentaren verschiedene andere Schüler des Scotus, Petrus von
Aquila, genannt Scotellus, Andreas Antonius, Joh.>'d6 Bassolis.
2 Die Griinde, die gegen die Echtheit sprechen, habe ich dargelegt in Zeit-
schrift f. kath. The'ol. 1901, 738 ff. Als unzweifelhaftecht betrachtet den Traktat
M.'P. Garcia, Lexikon scholastieum philosophico-theologicum, Quaracchi 1910^
343 : „In citata quaestione optime pertractat [Scotus], materiam de indulgentiis;"
Auch R. Seeberg (Die Theologie des Duns Scotus 427 — 32) hat früher an der
Echtheit der, Schrift nicht den geringsten Zweifel gehegt; in seiner Dogmen-
geschiohte (II 493) bemerkt er jedoch, daß die „ernsten* Bedenken", die ich
gegen die Echtheit des Traktats geltend gemacht habe, „berechtigt sein können''.
• 3'Sent>IV, d. 15, q. 1. Opera XVIII 227.
* Opera V 380.
314 VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts.
Beachtenswert ist ferner, daß dei; angebliche , Scptus in. seinen
Erörterungen über den Ablaß sich aufs engste, an^ Heinrich von
Gent anschließt. Schon die Definition hat^er fast wörtlich aus Heinrich
abgeschrieben. Auch in der Erklärung , der einzelnen Ausdrücke der
Definition hat der vermeintliche Scotus zum Teil Heinrich abge-
schrieben. Auffällig ist auch die Art und Weise, wie' beid.e das Wesen
•der Ablaßbewilligung zu erklären suchen. Nach Heinrich von Gent
wird der Ablaß erteilt ,,nec donatione, nee redditione, sed' dispen-
■satione, quae mediam viäm tenet". - Ganz ähnlich heißt es in der
anonymen Ablaßschrift: ,,Patet igitur, qubd huiusmodi coUatio in-
•dulgentiarum, cum nee sit datio, nee redditio, debet' appellari dis-
pehsatio, quae tenet medium inter duo dicta."^ Wenn man nun
•erwägt, daß Heinrich von Gent „ein Theologe ist; mit dem sieh Duns
.beständig auseinandersetzt, den er „in unzähHgen Fällen bekämpft" ,2
so wird man in der angeführten wörtlichen' Übereinstimmung einen
neuen Beweis dafür finden; daß Scotus nicht der Verfasser der' Ablaß-
• Schrift ist. Der Doctor subtilis hätte kaum' Heinrich von Gent wörtlich
abgeschrieben. ' . ' ' ' '
Ein weiterer Beweis ergibt sich aus dem, was der anonyme Ver-
fasser über die zu seiner Zeit übliche Bewilligung von vollkommenen
Ablässen berichtet. Er nennt fünf Fälle, in denen der Papst voll-
kommene Ablässe zu erteilen pflege; unter anderm würde dies ge-
schehen für den Besuch des Heiligen Landes in Friedenszeiten, nämlich
wenn kein Kreuzzug ausgeschrieben ist, sowie auch für den Besuch
anderer heiligen Stätten, insbesondere der Gräber der Apostel.^ Um
1300 war es aber noch nicht Sitte (solet), für den Besuch heiliger
.Stätten vollkommene Ablässe zu gewähren; deshalb war auch das
Jubiläum von 1300 etwas Neues und Außerordentliches. Erst im
Laufe des 14. Jahrhunderts kam die Meinung auf; daß' man' durch
den Besuch der Heiligtümer in Jerusalem und 'Rom vollkommene
Ablässe gewinnen könne. Die anonyme ' Ablaßschrift kann demnach
-erst nach dem Tode des Scotus verfaßt worden sein.
In dieser Schrift wird auch von vollkommenen Ablässen berichtet,
die der Papst verdienstvollen Personen auf. deren Ersuchen zu erteilen
pflege.* Solche Ablässe, die nicht generell, sondern einzelnen Personen
1 Opera V 373.
^ Seeberg, Theologie des Duns Scotus 624 625.
ä „Dubitaret aliquis, in quibus casibus dare solet Papa plenarias indul-
gentias, scilicet ut remittat totam poenam peceatis debitam. Dicendum quod
in quinque casibus : . . . 3. -eis qui tempore paois visitant terram sanctam ob' Dei
reverentiam et honorem, et alia loca sancta.ut Apostolorum limina." S. 374.
* „Dare solet Papa plenarias indulgentias ... 4. quando aliqui ex devotione
et f ervore charitatis hoc instanter petunt, praesertim ii qui in subsidium Ecclesiae
propria bona consueverunt concedere, ut per hoc magis animati et ad bonum
provocati, magis proficiant. 5. quando confidenter probatur de aliquibus, quod
eorum merita in thesaurxun Ecclesiae redundabunt propter eorum sanctitatem.
S. 374.
VIII, Die Ablaßlehre der großen. Scholastiker des .13. Jahrhunderts. 315
I
Terliehen wurden, sind zwar .erst im Laufe des 14. Jahrhunderts üblich
geworden. Doch hat es bereits in der zweiten Hälfte des 13. Jahr-
hunderts einen Papst gegebpn, der bisweilen, einzelnen' Personen einen
vollkommenen -Ablaß verliehen hat, wie dies von einem, zeitgenössischen
Theologen b.ezeugt wird. Da dieser Theolog auch einiges über den
Ablaß geschrieblen hat, verdient er an dieser Stelle kurz erwähnt zu
werden. Leider kennt, man seine Ausführungen nur aus einem späteren
Sammelwerk.
Der Dominikaner Rainer von, Pisa (f 1348) hat eine im Jahre
1333 begonnene große theologische Summe verfaßt, worin die Materien
nach dem Alphabet geordnet sind.^ Der Ablaß wird zweimal'behandelt,
•zuerst unter dem Wort Indulgentia, später wieder unter dem Wort
Relaxatio, und zwar jedesmal recht ausführlich. Der Verfasser bringt
aber nichts Neues ; er wiederholt bloß, was er bei Alexander von Haies,
'Thomas von Aquin.und Petrus von, Tarentaise vorfand. Unter dem
Stichwort Relaxatio^ führt er indessen einen neuen Gewährsmann an,
den römischen Dominikaner Ambaldus (dominus Ambaldus romanüs
Ordinis Praedicatorum), aus dessen, Sentenzenkommentar ^ er einige
interessante Stellen riiitteilt. Wer ist dieser Ambaldus ? Man denkt
zunächst an den römischen Dominikaner Annibaldi, der 1262 die
Kardinalswürde 'erhielt und in den zeitgenössischen Quellen nicht
.selten Ambaldus , genannt wird.^ Dieser Annibaldi, aus der bekannten
römischen Familie desselben Namens, trat 1253 in den Predigerorden
•ein und wirkte später kurze Zeit als Lehrer in Paris, wo er 1260 oder
1261 einen Kommentar zu den Sentenzenbüchern verfaßte,^ der mit
Unrecht dem hl. Thomas zugeschrieben und unter dem Titel: In
IV libros Sententiarum ad Hannibalduin, schon öfters gedruckt worden
ist. In diesem Werke wird aber der Ablaß mit keiner Silbe erwähnt;
die von Rainer mitgeteilten Stellen sucht man darin vergebens. Anni-
baldi wird j auch sonst von Rainer öfters als Gewährsmann angeführt.
Etliche der mitgeteilten Äußerungen sind in Annibaldis Kommentar
nachweisbar; andere dagegen kommen darin nicht vor. Darf man
vielleicht daraus schließen, daß Annibaldi einen zweifachen Kommentar
hinterlassen hat ? , Aber Rainer selbst deutet dies mit keinem Worte
an, und auch die Literaturgeschichte des Predigerordens kennt nur
einen Kommentar aus der Feder Annibaldis. Wie kam aber Rainer
dazu, dem römischen Dominikaner Annibaldi Äußerungen zuzu-
schreiben, die in der Schrift des letzteren nicht zu finden sind ? Die
^ Pantheologia,' id est, totius theologie Summa. 'Lugduni 1519. Nebst
idieser Ausgabe, einem Abdruck der<im 15. Jahrhundert von dem Franziskaner
Jakob Plorentinus veranstalteten Ausgabe (2 Bände), ist auch die später von
■dem Dominkaner Johann Nicolai besorgte Ausgabe (Lugduni 1670, 3 Bände)
eingesehen worden. Beide sind höchst fehlerhaft.
2 Das Stichwort Relaxatio mit ,den entsprechenden Ausführimgen steht
nur in der Ausgabe von 1519. In der späteren Ausgabe hat es Nicolai weg-
^gelassen.
^ Quetif I 261 f. Potthast II S. 1541 1649. Hurter 329.
* Mandonnet, Des ecrits authentiques de Saint Thomas 132.
316 VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts.
Lösung des Rätsels ist ganz einfach. Es liegt hier eine Yerwechslung,
vor. Rainer zitiert bisweilen, den Sentenzenkommentar eines Magisters-
Romapus Ord. Praed. Es ist der römische Dominikaner Romanus-
Orsini, der 1271 dem Ül. Thomas auf dem Pariser Katheder nach-
folgte und 1273 gestorben ist.^ Seinen Sentenzenkoinmehtar, aus dem
Rainer verschiedenes anführt, hat man bisher nicht auffinden können.
Was aber Rainer bezüglich des Ablasses dem Kardinal Annibaldi in
den Mund legt, stammt offenbar aus dem Kommentar des Roinanus
Orsini. Ambaldus romanus 0. Pr. und Magister Römanus 0. Pr.
sind miteinander verwechselt worden, sei es daß diese Verwechslung;
schon auf Rainer zurückgeht oder daß erst dessen Abschreiber
und Herausgeber sie verschuldet haben.
Was sagt nun aber Romanus Orsini, der Ereund und Nachfolger-
des hl. Thomas, über den Ablaß ?. Rainer teilt bloß die eine und 'andere
Stelle mit, so'Orsinis Antwort auf die Erage, ob der Papst durch den
Ablaß die gesamte Sündenstrafe erlassen könne. Diese Eräge wird
von Magister' Romanus bejaht. Vorausgesetzt, daß eine' genügende
Reue vorhanden sei, kaiin der Papst sehr wohl die gesamte für die
Sünden geschuldete Strafe erlassen. Es hat denn auch zu unserer-
Zeit ein gewisser Papst bisweilen Ordensleute in Anbetracht ihrer
vielen Mühen, die sie im Ordensstande aiif sich genommen, von aller
Strafe losgesprochen. Doch kann und soll der Papst eine derartige
Absolution 'ohne Grund nicht erteilen.^ Man wird kaum irregehen,
wenn man diese interessante Mitteilung auf Innozenz IV. (1243 — 54)
bezieht, der in der Tat, wie im 2. Bande (Abschnitt ' XII) gezeigt-
werden wird, bisweilen Ordensleute von ihren Sündenstrafen los-
gesprochen hat.
Geringeres Interesse bietet die weitere Erage, was der Ablaß
bewirke, wenn dem Empfänger keine Buße auferlegt worden! In
diesem Ealle, erwidert Romanus, wird der Ablaß jener Buße gelten,.
die aufzulegen gewesen wäre. Der Ablaß bezieht sich freilich in erster
Linie auf die auferlegte Buße. Ist aber keine Buße auferlegt worden,
dann wird durch einen Ablaß z.B. von 40 Tagen so viel von der zeit-
lichen Sündenstrafe erlassen, ' als durch eine vierzigtägige Buße ab-
getragen worden wäre. ' ' "
1 Qu6tif I 263 f.
^ Pantheologia 11 201: „Utrum papa potest totam penam debitam re-
laxare t. . . Preexistente pena debite et sufficientis contritionis summus pontifex-
pptest totam penam peccato debitam xelaxare. XJnde et quidam papa temporibus
nostris rehgiosos quos (videbat se perpetuo devovisse Deo, considerans etiam
penas religioniSiad quas ipsi se perpetuo obligaverant, a.liquando absolvebat ab-
ömnipena. Sed sine^causa dico quod non debet neo potest absolvere. -Hec dominvis-
Ambaldtis romanus ord. pred, Sent. IV, d. 20, a. 1, q. 5. Utrum papa sine causa-
potest remittereomnem penam ?" i
IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten
V des 13. Jahrhunderts.
^ Abgesehen von den l' bereits früher in dem Abschnitt über die
Ablaßlehre der Frühscholastik erwähnten Eechtsgelehrten,' sind es
namenthch drei Kanonisten, deren Ausführungen' über den Ablaß in
■der Folgezeit immer wieder vorgetragen wurden: Innozenz IV.,
Bernhard von Bottone und Heinrich von Susa. Alle drei haben ihre
vielgebrauchten Werke um die Mitte des, 13. Jahrhunderts verfaßt.-
Innozenz IV.
Innozenz IV., früher hervorragender Lehrer, des kanonischen
Rechts in Bologna, gab j als Papst ein umfangreiches Werk heraus,
•das nicht mit Unrecht als; der „beste Kommentar zu den Dekretalen"
gerühmt wird/ > Seine. Vollendung! fällt. in die. nächste Zeit. nach dem
Konzil von- Lyon (1245). ^ Vom Ablaß ist ziemlich kurz die Rede in
•der Erklärung des Kapitels Quod auUm (c. 4.-X. de poen. et rem. V. 38).?
. q: .Die' zur- Gewinnung der Ablässe vorgeschriebenen Werke, so be-
merkt der. Verfasser, können -,verschiedener Natur, sein. Bald ist es eine
<jreldspende (datio pecuniae),, bald eüie. persönliche Bemühung (labor
personae),- bisweilen .auch eine mit Gefahr des. Lebens- verbundene
Leistung (periculum: .vitae), wie bei den KJreuzzügen. , In diesen drei
verschiedenen Ablaßarten tritt nicht nur die Freigebigkeit des Spenders
zutage; es wird dabei auch der Gerechtigkeit Genüge ge.tan, indem
zur Ablösung der Buße von selten des Empfängers ,eine entsprechende
Leistung erfordert wird. Daher sagen einige,, daß man zur vollen
Gewinnung des Ablasses, wofür eine Geldspende vorgeschrieben , ist,
so viel geben müsse, als man nach der Vorschrift des Beichtvaters
für Ablösung. der Buße zu geben pflegte. Anderseits tritt dabei, auch
eine große Freigebigkeit zutage, indem die Strafe, die im Fegfeuer
abzutragen wäre, schon in , diesem Leben durch irgendeine Strafe
abgelöst werden kann. Es gibt dann auch Devotionsablässe, wie
,,1. Schulte 11,93.
^ Ich benutzte eine yenediger Ausgabe vom Jahre 1481 (Appäratus decre-
talium) und eine Lyoner vom Jahre 1520 (Appäratus super deeretalium libris).
Beide bie.ten "einen, ziemlich fehlerhaften'' Tektl Heinrieh von' Susa berichtet,
er habe öfters "aus dem Munde des Papstes gehört, daß dieser seine Glossen zu
den Dekretaleh nicht als bindend' betrachtet wissen wollte. ' Lyoner Ausg. Bl. 22'.
Randbemerkung: „Attestatur Hostiensis se multoties audivisse ab Innocentio,
quod nolebat quod-he sue glosefacerent ius.'---
318 IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts.
jene z. B., die für Anhörung der Predigt oder der.Messe erteilt werden.
In diesen tritt mehr die Freigebigkeit als die Gerechtigkeit hervor..
Wenn nun auch in allen erwähnten Fällen der Ablaß allgemein (gene-
raliter) erteilt wird, so wird doch in der von dem kirchlichen Oberen
bezeichneten Grenze der eine mehr als der andere davon erhalten,
je nachdem seine Frömniigkeit oder seiide äußere 'Leistung- eine größere
ist. Doch wird das festgesetzte Maß nie überschritten werden, soweit'
dies wenigstens vom kirchlichen Oberen abhängt.^ Die Frömmigkeit
und die Reue des Büßers könnten aber so groß sein, daß Gott ihm
auch ohne kirchlichen Ablaß alle. Sünden .vollständig vergebe, wie dies
beim rechten Schacher am EJceuze der Fall gewesen.
Was bedeutet es aber, wenn es in der Ablaß bewilligung heißt:
Ich erlasse dir ein Jahr von der auferlegten Buße ? Hierüber,- erwidert
Innozenz IV., gibt es verschiedene Ansichten. Die einen meinen,
es handle sich um einen Erlaß von '365 Bußtagen (annus utilis) ; andere
dagegen sagen, es handle sich um ein gewöhnliches Jahr (annus con-
tinuus), das aus Bußtagen bestehe und aus solchen Tagen, an denen
nicht zu fasten sei. Andere wieder sind der Ansicht, der Ablaß von
einem Jahre bedeute die Nachlassung derjenigen Fegfeuerstrafe, die
man- durch eine Buße von einem Jahre vor Gott würde; abgetragen
haben. Sie glauben auch nicht, daß man infolge der Gewinnung der-
artiger Ablässe nicht mehr verpflichtet sei, iii diesem Leben die auf-
erlegte Buße zu verrichten. Und diese Ansicht, fügt Innozenz IV. bei,
scheint mir ziemlich der Billigkeit zu entsprechen.^
Er kommt dann nochmals auf die Frage .zurück, ob derjenige,
der mehr gibt oder größeren Mühen sich unterzieht, nicht mehr erhalte,
als derjenige, der weniger gibt. Er verweist auf seine bereits gegebene
Entscheidung, daß der Umfang des Erlasses nach dem Grade der
Frömmigkeit und der Höhe der Spende. sich richte, :bemerkt aber
dabei, daß man sich wegen dieser Frage nicht viele Sorge machen solle ;
man solle nur an dem Glauben festhalten, daß Gott, der von Natur
aus gütig und freigebig ist, auch über das vom kirchlichen Oberen
festgesetzte Maß hinaus aus Gnade mehr oder weniger von der schul-
digen Strafe erlassen werde. ^^
Daß die kirchlichen' Oberen AblässjErerteilenkönneny beruht auf
der von dein Herrii dein hl. PetruS; verliehenen LÖäeg^walt-uEs/m
uns übrigens genügen; daß die Kirche solche Abläsise zu erteilen pflegt.
Wenn wir auch aus der Zeit vor Papst. Gregor I..skeine: sonderlich
klaren Zeughisse dafür anführen können, so . ist .doch- anzuhehnieii,
daß damals schon Ablässe verliehen wurden. Nur geschah, es nicht
so häufig wie heute, weil damals die feierhchen Versammlungen der
. ;. ^ Der Verfasser: Tidll-danut folgendes,, sagen^^ iGtesetztj.jeSi wex(fe;,iür .m^
Almosen ein Ablaß von 40 Tagen erteilt. Je iimiger,<üe iFrömmigkeitj^
iängers.xind je größer .sein Almosen sein^;wird, desto, melttsWd^^^ y;er-
.liehenen Ablaß erhalten, aber rdochmohtmelu^iial^ einen, Abla^^
2 Apparatus. Lugduni 1520, ;Bl.:i223,: ',,Etj;horuni,,dictuin ,s^
Concordare eqnitati."
IX. Die Ablaßlehfe der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahfhtinderts, 31&'
Gläubigen nicht so leicht stattfinden korinten und zudem alle katho-
lischen' Christen damals so vollkommen wären, daß sie die Ablässe
nur selten nötig hatten.
Wird eine bestiin'mte Quantität, z. B. der siebte Teil der Buße
erlassen, so nützen zwar solche Ablässe den Pbnitenten ; die kirchlichen
Oberen müssen aber wohl achtgeben, daß sie hierin Maß, halten. Im
Anschluß an diese Beinerkung zählt dann Innozenz IV. die sechs.
Bediiigungen auf, die nach Wilhelm Von Auxerre zur Gültigkeit der
Ablässe erforderlich seien.
in der Dekretale Quoß, awtem, die Innozenz zu erklären hat, heißt
es, daß niemand von einem nicht zuständigen Richter (a non suo.
iudice) absolviert werden könne. Daraus scheint hervorzugehen,,
bemerkt der Ausleger, daß die Ablässe den Seelen im Fegfeuer nichts
nützen, da diese auf Erden keinen Richter mehr haben. Man wende
nicht ein, daß man durch Gebete, Almosen und andere gute Werke
den armen Seelen helfen könne; denn bei derartigen Werken handelt
es sich nicht um einen Akt der Gerichtsbarkeit, wie dies beim Ablasse
der Fall ist. Doch dürfte das Almosen oder die Wällfahrt, die für
Verstorbene an einem von dem kirchlichen Oberen bezeichneten Orte
gescliehen, den Verstorbenen mehr nützen, als wenn sie' anderswo,
geschehen würden. Wenn indessen der Papst, fügt Innozenz IV. bei,.
Ablässe für Verstorbene erteilt, so leugnen wir nicht, daß sie ihnen
nützen.^
In der Dekretale Quod autem wird auch bestimmt, daß die Ablässe
nur jenen zugute kommen, denen die zuständigen Richter (proprii
iudices) gestattet haben, sich derselben teilhaftig zu machen'. Unter
diesen Richtern, bemerkt Innozenz, sind die Bischöfe zu verstehen;
denn da die niederen Vorgesetzten keiiie derartigen Ablässe verleihen,
können, so können sie auch die im .päpstlichen Schreiben erwähnte
Bewilligung nicht .erteilen. Andere, so fügt er bei, lehren indessen,,
daß die betreffende Erlaubnis von jedem Beichtvater erteilt, werden
kann. Etwas anders sei es, allgemeine Ablaßbriefe (litteras generales.
indulgentiarum) zu. gewähren, was ein Vorrecht der bischöflichen
Jurisdiktion sei, und etwas anders, im Beichtstuhle dem Beichtkinde
anzugeben, wie es die schuldige Buße abtragen könne; letzteres stehe
dem priesterlichen Amte zu.
Wie Innozenz IV. selber sich zu dieser Ansicht stellte, sagt er an.
dieser Stelle nicht, doch lehrt .auch er nachher, daß der Beichtvater
bei der , Verwaltung des Bußsakramentes in einem gewissen Sinne
Ablässe erteilen könne. Bei der Erklärung des Kapitels Omnis utrius-
que sexus (c. 12. X. de poen. et rem. V. 38), das die jährliche Beichte
vorschreibt, setzt er auseinander, wie die auferlegte Buße abgetragen
werden könne. Es könne dies auf 'eine dreifache Weise geschehen:
1. durch Verrichtung der auferlegten Buße, 2. durch Ablösung (per
redemptionem) mit Geld oder auf andere Weise, 3. durch Ablässe.
^ „Si tarnen papa f acit, non negaraus quin valeant etiam deftmctis." Bl. 223'.
"320 IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts.
Wie aber aucli der Beiclitvater von der schuldigen Bußstrafp; etwas
erlassen könne, wird dann weiter, ausgeführt. Er solle zunächst dem
Beichtkinde sagen, welche Buße es für seine Sünden -verdient hätte.
Will.es diese Buße auf sich nehmen und glaubt der Beichtvater, daß
•es sie verrichten werde, so lege er ihm die gebührende Buße auf. Glaubt
aber der Beichtvater annehmen zu dürfen, .daß das Beichtkind die
.schwere Buße nicht verrichten werde, so gebe er ihm eine ganz leichte
und lege ihm auf, daß alles Gute, das es tun werde, zur Abtragung
-der schuldigen Buße dienen solle. Zudem sage er ihm: Aus Gnade
-erlasse ich dir zwei Jahre oder drei oder mehr oder weniger, je nachdem
er es für gut findet. Wenn Gott freigebig ist in der Vergebung der
Sündenschuld, so soll auch der Priester iii der Nachlassung der Strafe
nicht so karg sein. .Ich glaube festiglich, schließt Innozenz ly. seine
-Ausführung, daß Gott den Gnadenerlaß des Priesters gutheißen werde;
was der Beichtvater in maßvoller' Weise nachläßt, wird stets von Gott
genehmigt werden. . . • ,
Innozenz IV. kommt noch einmal auf denselben Gedanken zurück
bei der Erklärung des, Kapitels, <7wm ex eo (c. 14. X. de poen. et rem.
V. 38). Indem .er hier erwähnt, daß die, Lateransynode (1215.) die Voll-
macht der Bischöfe bäi der Bewilligung von Ablässen wegen yorge-
Tsomm^ner Mißbräuche eingepcjiränkt habe, bemerkt er, daß nach
seiner Ansicht die Einschränkung sich nur auf die Ablässe beziehe,
die öffentlich erteilt werden, nicht aber auf jene, die der Priester
im Beichtstuhle erteilt; dieser könne, wenn er es für gut findet,
Ablässe von Jahren und Tagen erteilen; nur müsse er es. in maßvoller
"Weise tun.^
Bernhard von Bottone.
Bernhard von Bottone, Lehrer und Kanzler in Bologna, hat um
^'die Mitte des 13. Jahrhunderts zu den Gregorianischen Dekretalen
einen Apparat verfaßt, der durch zweckmäßige Zusammenfassung der
früher erschienenen Glossen derart das Vertrauen der Zeitgenossen
•erwarb, daß er als Glossaordinaria der genannten Rechtssammlung
•anerkannt wurde. Über den Ablaß spricht sich Bernhard nur ganz
kurz aus. 2 Bei der Erklärung des Kajpitbls Quod autem bringt er zu-
nächst vollständig die oben (S. 226) mitgeteilten Ausführungen des
Kanonisten Alanus. Sodann bemerkt er,'daß das, was in der Dekretale
über den Nutzen der Ablässe gesagt werde, zur Voraussetzung habe,
•daß die Sünde durch die Reue nicht völlig (omnino) erlassen sei, daß
also noch eine zeitliche Strafe abzutragen bleibe. Die zeitliche Strafe
solle getilgt werden durch die auferlegte Buße. Wenn nun der Sünder
für diese Buße auf irgendeine Weise der Kirche Genüge leistet und
^ „Licet restriota sit hec potestas in indulgentiis que fiunt publice, non
tarnen intelligo restrietam in foro penitentiali, quin possint annos et dies prout
T^olunt indulgere, dununodo discrete faoiant. Bl. 224:.
^ Deoretales Gregorii IX. cum glossa Bemardi. Venetiis lö28,- 570'. v
IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhimderts, 321^
«davon losgesprochen wird, nämlich durch den Ablaß, so ist er tat-
sächlich davon befreit. Braucht er aber dann die auferlegte Buße
nicht mehr zu verrichten ? Verpflichtet dazu ist er zwar nicht ; doch
.schickt es sich, daß er die Buße verrichte, und wenn er sie unterläßt
aus Verachtung, so sündigt er tödlich. Er soll nämlich die Sünden
jederzeit bereuen, da er nicht weiß, ob sie ihm vergeben worden;
auch soll, wenn, leicht möglich, die Buße der vorausgegangenen Sünde
entsprechen.
Zu der Bestimmung in der Dekrestale, daß die Ablässe nur jenen
nützen, , denen die zuständigen Richter die Gewinnung des Ablasses
gestattet haben, bemerkt Bernhard, daß unter diesen Richtern die
Bischöfe zu verstehen seien, da die untergeordneten Prälaten keine
Ablässe erteilen können. Indessen lasse sich der Ausdruck auch auf
die Beichtväter beziehen, die ihren Beichtkindern gestatten können,
sich von den Bußen, die sie ihnen auferlegen, durch Ablässe zu be-
freien.^
Nach der Vorschrift der vierten Lateransynode sollte bei der
Einweihung einer Kirche nur ein Ablaß von einem Jahre erteilt werden,
ob nun bloß einer oder mehrere Bischöfe anwesend wären. Wie aber,
wenn jeder der anwesenden Bischöfe, ein Jahr Ablaß verleihen würde,
wären diese Ablässe gültig ? Nach Bernhard würden .die Bischöfe
zwar gegen die Bestimmung des ' Konzils handeln, doch wären die
Ablässe gültig, da im Syiiödalbeschluß die gegeii die Vorschrift er-
teilten Ablässe nicht für ungültig erklärt würden.^
Heinrich von Susa, genannt Hostiensis.
Heinrich von Susa (Segusia), Lehrer des kanonischen Rechts in
Paris, 1241 Bischof von Sisteron, 1250 Erzbischof von Embrun,
126L Kardinalbischof von Ostia;, daher Hostiensis genannt, hat zwei
umfangreiche Werke hinterlassen: eine vielverbreitete und oft ge-
druckte Summe über die Dekretalen Gregors IX,, nach ihrer Brauch-
barkeit Summa aurea genannt, und einen Kommentar zu denselben
Dekretalen. Bei der ersten Niederschrift der Summte hat Heinrich
die Glossen seiner Zeitgenossen Innozenz IV. und Bernhard von
Bottone noch nicht gekannt. Er wird also das .Werk wohl schon vor
1245 begonnen haben; doch hat er daran noch später gearbeitet, da
er einmal darin seinen Aufenthalt in Deutschland (1251 — 53) erwähnt.
Daß der Kommentar, nach der Summe entständen ist, sagt der Ver-
fasser selber. Sowohl ,die Glossa ordiriaria als- Innozenz IV., der ge-
wöhnlich Dominus noster genannt wird, werden darin häufig angeführt.
-In der .Summe* wird" bei der Behandlung des Ablasses öfters auf
Raimund von Penaforte Bezug genommen. Zuerst wird erörtert,
^ Hier liat Bernhard' Innozenz, IV. verwertet, während er bei den voran-
gehenden Ausführungen Kaimund von Penaforte und Goffredüs von Trani
benützte. ' ' * Decretales 673. ["
ä .Summa Hostiensis.' Venetiis' 1480. 1.' V, tit. de femissionibus.
Paulus, Geschichte des Ablaaees. " ' 21
322 IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kknonistön Ü'es 13. Jahrhunderts.
wer Ablässe erteilen könne. Individuelle (privatas) kann jeder-
Beichtvater im Beichtstühle erteilen; allgemeine , aber (generales); die
bei Predigten oder in öffentlichen Schreiben für Spitäler, Kirchen,
Brücken und andere fromme Zwecke verliehen werden, dürfen nur
von Bischöfen erteilt werden. Diese haben sich an die Bestimmung
der Lateransynode zu halten, wonach bei der Konsekration einer
Kirche die anwesenden Bischöfe miteinander nur ein Jahr und bei
andern Anlässen nur 40 Tage Ablaß bewilligen dürfen. Was ist aber
davon zu halten, wenn bei der Einweihung einer Kirche' jeder der
anwesenden Bischöfe 1 Jahr und bei einer Predigt jeder 40 Tage
bewilligt? Dies kommt allerdings täglich vor, erwidert Hostiensis;
doch geschieht es gegen den Sinn des allgemeinen Konzils, und wenn
auch derartige Ablässe nicht ungültig sind, so sündigen doch die
Bischöfe, die sie erteilen. Er muß indessen eingestehen, daß eine
entgegengesetzte Gewohnheit sich bereits eingebürgert habe; und da-
nun einmal die Gewohnheit die beste Auslegerin der Gesetze ist, so
wolle er sie nicht Verwerfen. Doch rät er den Bischöfen, sich nach
der ersten Ansicht zu richten, da es sicherer sei, die Erteilung der
Ablässe einzuschränken.
Kann ein gewählter und bestätigter, aber noch nicht konsekrierter
Bischof Ablässe erteilen? Heinrich bejaht wohl die Frage; doch
fügt er bei, ein solcher Bischof würde sicherer handeln, wenn er sich
von der Ablaß Verleihung enthalte, namentlich wenn er, die Priester-
weihe noch nicht empfangen hat; denn es scheine, daß man Priester
sein müsse, um Bußstrafen auflegen oder nachlassen zu können.^
Wem nü%zeri^'die ÄMälssei ]^^
Spenders. Wenn daher Almosensammler im Lande umherziehen mit
Briefen verschiedener Bischöfe und verkünden, dieser Bischof habe
dem Almosenspender so und so viel Ablaß erteilt, ein anderer Bischof
so viel, so kann der Almosenspender nur jenen Ablaß gewinnen, der
von seinem Bischof verliehen worden, wofern er nicht von seinem
„Richter" die Erlaubnis erhalten hat, sich der Ablässe fremder Bischöfe
teilhaftig zu machen. Unter diesem ,',Richter", der dem Pönitenten
gestatten kann, fremde Ablässe zu gejdnnen, versteht aber Hostiensis
nicht etwa den zuständigen Bischof , sondern den Beichtvater, wie aus
der Absolutionsformel hervorgeht, deren Gebrauch er den Beichtvätern
anempfiehlt.2
Da der Ablaß nur den Untergebenen des Spenders zugute kommt,
kann er nur den Lebenden, nicht aber den Verstorbenen erteilt
^ In dem späteren Apparatus (zu c. 12. X. de excessibusprael. V. 31) erklärt
Hostiensis bestimmter, daß ein bestätigter Bischof, der die Priesterweihe noch
nicht empfangen hat, keine Ablässe erteilen kaim.
* Summa, tit. de penitentiis, Que.pena sit pro peccatis singulis iniungenda.
„Carissime, tu commisisti tot et talia peccata; pro qüblibet deberes sib penitere;
sed forte vitä tua ad hoc peragendum non extendereturj iniungö tarnen tibi
talem penitentiam pro omnibus, concedo etiam tibi quod, quocunque ieris, re-
missiones prelatorüm tibi facte pros'irit, que alias non prodesseht etc."
IX-.' Die Ablaßlehre. der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts. 323
werden. Hat doch die Kirche - keine Jurisdiktionsgewalt über die
Seelen im regfeuer.^ Hiermit steht nicht in Widerspruch, daß die
Kirche "-bisweilen . Verstorbeiie " losspricht ' oder' exkommuniziert ; denn
in diesem Falle geschieht' die Absolution bloß zum Tröste der lebenden
Gläubigen. Wenn ein Verstorbener absolviert wird, so soll damit'
bekündet werden, daß er vor seinem Hinscheiden durch- die Reue
Verzeihung der Sünden- erlangt habe. Wird dagegen ein Verstorbener
exkommuniziert, so geschieht es • zur Beschämung der ungläubigen.
Lebenden. In bezug auf die Verstorbenen selbst wird> nach Kardinal
Hugo^ tatsäclilich durch eine Exkommunikation nichts bewirkt. Man.
kann auch sagen, daß die Kirche, indem sie einen Verstorbenen vom
Banne losspricht, damit bekunden will, daß man für ihn beten könne;:
wird' dagegen ein Verstorbener exkommuniziert, so soll damit erklärt
werden, daß man für ihn nicht beten dürfe. Ein Urteil, das freilichi
nicht immer sicher sei, sondern öfters fehlgehe.
Zu was'dienen die Ablässe und in welchem Umfang wird,
der Bußerlaß dem Empfänger zuteil? Hierüber, erwidert.
Hostiensis in wörtlichem Anschluß an Raimund vonPenaforte,,
gibt es verschiedene Ansichten. Nach einigen gelte der Ablaß bloß für-
die läßlichen Sünden, nach andern bloß für die aus Unwissenheit
begangenen Fehler; andere beziehen ihn auf die nachlässig verrichtete
oder nicht mit genügender Umsicht auferlegte Buße; wieder andere
wollen ihn nur für die Verminderung der Fegfeuerstrafe gelten lassen.^
Du aber, so mahnt Hostiensis den Leser, halte dafür, daß der Ablaß
den Wert und den Umfang hat, der ihm in der Bewilligung beigelegt
wird. Da jeder Todsünde eine doppelte Strafe gebührt, eine ewige,,
die durch die Reue erlassen wird, und eine zeitliche, welche die Kirche;
auflegt, so kann der Diener der Kirche diese zeitliche Strafe aus.
triftigem Grunde ganz oder zum Teil erlassfen. Wenn daher der Papst,
zugunsten des Heiligen Landes einen vollkommenen Ablaß gewährt
und jemand mit wahrer Reue über seine Sünden das Kreiiz nimmt
im festen Glauben, daß durch den päpstlichen ' Ablaß alle zeitliche;
Bußstrafe erlassen werde, und so stirbt, so ist anzunehmen, daß ein
solcher Mensch nicht in das Fegfeuer' kommen wird.*
Wie aber, wenn einer ein Almosen spendet und dafür einen Ablaß'-
von einem Jahre gewinnt ? Dieser Ablaß wird ihm zur Verminderung
der Bußlast 'dienen, was, ' nach Raimund von Penaforte, aus einem
1 „Vivis tantum prosunt; non mortuis . . . quia charitas sola prodest iii
purgatorio . . . Sed potestas claviiiin non habet ibi locum."
2 Gemeint ist der Kardinal Hugo von St.- Cher, von dem später die Rede
sein wird.
^ Alis dem Umstände, daß Hostiensis schreibt: „Super hoc diversae sunt
opiniones", darf man nicht schließen, daß die vier Meinungen, die er anführt,
zu jener Zeit noch vertreten waren. Es handelt sich lim Ansichten, zu denen
sich frühere Autoren bekannt hatten.
. * '„Si papa facit generalem remissionem' pro subsidio terre sancte, et aliquis
vere penitens et contritus assumit crucem,' credens firmiter omnem satisfactionem
temporalem remitti, et sie moritur, credendum est quod neo purgatorium sentiat."
21*
324 JX; Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des ,13. Jahrhunderts.
doppelten Grunde geschehe, wegen der frommen Spende und weil
der Almosenspender durch die > Ablaßbewilligung der ^ kirchlichen
Suffragien teilhaft gemacht wird. Richtiger ist aber, die Wirksamkeit
des Ablasses auf, den festen , Glauben des -Empfängers sowie auf den
Willen und die Vollmacht des Spenders zurückzuführen.
Den Fall gesetzt, es spende einer, dem eine, siebenjährige 3uße
auferlegt worden, sieben Denare, um einen Ablaß von sieben Jahren
zu gewinnen. Ist er dann aller Bußstrafen ledig ? Raimund- schreibt,
daß dies kein Sterblicher wissen könne, da der Umfang des -Erlasses
von Momenten abhänge, die man nicht mit. Sicherheit abmessen könne.
Du aber sage: Es sei zu glauben, daß der Ablaßgewinner völlig von
der Bußstrafe befreit sei (omnino liberatus). Bezüglich.der. streitenden
Kirche kann jedenfalls hierüber kein Zweifel bestehen. Deshalb ist
ein solcher auch nicht mehr verpflichtet^ zu fasten,- da durch den
Ablaß die auferlegte Buße erlassen wird. , .
Man werde vielleicht einwenden, auf diese Weise bleibe die Sünde
ungestraft,' was gegen die Lehre des hl. Augustinus verstoße. Dem-
gegenüber muß betont werden, daß keine Sünde; ungestraft bleibe.
Hat doch Christus für unsere Sünden in überschwenglicher Weise
genuggetan. Das kleinste Tröpflein seines kostbaren Blutes , hätte
genügt zur Sühne aller Sünden der ganzen Welt. Nun hat aber der
Heiland nicht bloß einen Tropfen, ; sondern all sein Blut vergossen.
Dazu kommt noch, daß auch die Märtyrer ,f ür den ,Glauben und die
Kirche ihr Blut vergossen haben und weit mehr, als sie es verdient
hätten, gestraft worden sind. Dieses Blutvergießen Christi und der
Märtyrer bildet eine Summe von überschüssigen Genugtuungen, einen
Schatz, den die Kirche zu verwalten hat und .woraus sie: schöpft,
wenn sie den Gläubigen Ablässe erteilt. So bleibt die Sünde nicht
ungestraft, weil sie in Christus und seinen heiligen Märtyrern, gestraft
worden ist, wie Kardinal Hugo (von St. Gher) ausführt,. Übrigens
wird auch der Sünder selber eine , Strafe tragen, und zwar in der
Beichte, die wegen der, damit verbundenen Beschämung als eine nicht
geringe Buße zu gelten hat. , ' , , ,.
Hostiensis wiederholt . dann noch einmal, daß . der Umfang des
Bußerlasses sich nicht, nach den vonRaimund betonten Momenten
richte, sondern nach dem Glauben des Pönitenten und nach dem. Willen
des Ablaßspenders (secundum fidem poenitentis ^ et voluntatem , ac
potestatem largientis). Doch gibt er zu, daß der kirchliche Obere,
der bei der Erteilung von Ablässen nicht behutsam vorgeht, sein
Gewissen belastet. Er erkennt auch an, daß , die Gebete , der Ge-
rechten sowie die Almoseii und alle andern guten Werke dem Sünder
zur Erlangung der Gnade behilflich sind. Sodann empfiehlt er den
Gläubigen, trotz der gewonnenen Ablässe hienieden Büß werke zu ver-
richten und die Ablässe für das Fegfeuer aufzusparen. Wohl ist man
nach der Gewinnung eines Ablasses nicht mehr verpflichtet, die durch
den Ablaß weggenommene Buße zu verrichten. Da man jedoch' nicht
weiß, ob der Beichtvater die schuldige Buße auferlegt hat — werden
IX. "Die Ablaßlehre' der v'ornehnäten Kanonisten des 13. Jahrhunderts* 325
doch heute' gewöhnlich so geringe Bußen vorgeschrieben — und da^
die Bußstrafe, die hienieden nicht abgelöst worden ist, im. Fegfeuer
abgetragen werden muß, so würde man töricht handeln, wenn man
die Ablässe nicht; für das Fegfeuer aufsparte. Spart man sie aber
für das Jenseits auf 5 so wird, man dann im; Fegfeiier so viel Tage=
weniger zu leiden haben, als hienieden durch den Ablaß erlassen,
worden sind;^ Dies gilt aber nur von den partiellen Ablässen
(particularibus remissiönibus), ' die der Papst, und die Bischöfe mit
den Worten erteilen: „Wir erlassen so und so viel von der auferlegten
Buße." Anders verhält es sich mit dem Plenarablaß, wodurch
alle Buße erlassen wird, und den nur der Papst zu erteilen pflegt.
Wer einen ■ solchen Ablaß gewinnt- und in diesem Zustande stirbt^
der fährt von Mund auf in den Himmel, wie bereits oben bei der Er-
wähnung des Kreuzzugsablasses bemerkt worden.^ . '
Dasselbe kann gesagt werden von dem Büßerlaß, den ein einfacher
Priester im Beichtstuhl erteilt. Den Fall gesetzt, der Beichtvater. lege
dem Pönitenten eine Buße auf, z. B. die Pilgerfahrt nach dem Heiligen
Lande oder ein dreijähriges Fasten, und erlasse ihm alle übrigen Buß-
strafen, die er verdient hätte. Hat der Pönitent. die auferlegte Büß©
verrichtet, so ist nicht anzunehmen, daß er noch im Fegfeuer zu leiden
haben werde, obschön der 'Beichtvater bisweüen sich selber eine Ver-
antwortung " auf laden kann. Deshalb handelt er töricht, wenn er in
genannter < Weise verfährt. Doch kann er im Beichtstuhle (in foro
poenitentiali et privato), wie gesagt, die ganze Buße erlassen. Öffentlich
aber (in föro publicoet solemniter) kann dies nicht einmal der Bischof,
da er nach der kirchlichen Bestimmung nur 1 Jahr oder 40 Tage
Ablaß erteilen kann.
Nach den langen Ausführungen über den Wert und den umfang
der Ablässe erörtert Heinrich in einem weiteren Paragraphen die
•Frage, wo die Ablässe ihre Wirksamkeit ausüben (ubi operantur).
Greifen sie mit, ihrer Wirksamkeit ins Jenseits hinüber ? Ja, lautet
die Antwort. Die Ablässe üben ihre ; Wirksamkeit im Fegfeuer aus;
doch sindsie nur wirksam für jene, denen sie in ihrem irdischen Leben
erteilt ? worden sind. ^ Was ist aber dann zu halten von den Ablässen,
in denen gesagt wird: ,;Wer ein Almosen spendet, der soll für die
Seele", seines Vaters einen 'Ablaß von einem Jahre haben".* Wird
^ „Cum si ipsas ibi reservaverit, tot diebus quot hie ei remissi sunt, sit
minus in purgatorio quam fuisset." Hier scheint Hostiensis anzvinehmen, daß
durch einen Ablaß, von 40 Tagen jeine_ vierzigtägige Fegfeuerstrafe erlassen werde.
In seinem späteren Kommen,tar sagt er ganz allgemein: „Penam purgatorii sentiet
minus pro modo remissionis facto in-vitaista.". Zu c.,4. X. de poen. et rem. V. 38.
* „Secus de generali et uni versah [remissione], pec quam omnis satisf actio
.xemittitiir, que a solo papa f ieri consuevit. Ibi enim evolat, si in tali statu mo-
.riatur, ut notatur supra.".
ä „Circa illos tan tum operantur, quibus, dura viverent, facta fuit remissio."
, * „Quid ergo äe-indulgentiis in, quibus contirietur, quod quicunque porrexerit
piam 'eleemosynam, habeat pro anima patris unum annum pro indulgentia."
Demnach waren schon um die Mitte des 13. Jahrhunderts derartige Ablässe
für Verstorbene in Umlauf.
326 IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts^
dieser Ablaß der Seele des verstorbenen Vaters nützen ? , Etliche
bejahen die Frage, aber mit Unrecht; denn die Schlüsselgewalt dehnt
sich nicht auf die Seelen im Fegfeuer aus, da diese nicht mehr unter
der Jurisdiktion der Kirche stehen. Wer daher mit solchen Ablässen
das Volk täuscht, der sündigt, schwer.^ Zu bemerken ist allerdings,
daß das gespendete Almosen der Seele, des Vaters zugute komme,
aber nicht kraft des Ablasses, sondern als gutes Werk, gleich, den
übrigen kirchlichen Suffragien, womit man den Seelen im Fegfeuer
lielfen kann.
In seinem Kommentar zu den Dekretalen^ spricht, Hostiensis an
Terschiedenen Stellen vom Ablasse, wobei er wiederholt auf seine
früheren Ausführungen in der Summe verweist. Bei der Erklärung
der Kreuzzugsdekretale Ad liberandam von 1215 (c. 17. X. de iudaeis.
V. 6) erwähnt er bloß im Vorübergehen den darin :verheißenen Ablaß,
den er mehrmals als eine „vollkommene Vergebung der Sünden"
bezeichnet,^
Daß ein einfacher Priester im Beichtstuhle Ablässe erteilen; kann,
lehrt er in dem neuen^Werk'ebenso entschieden, wie-frühier invAcler
Summe. Der Beichtvater, bemerkt! er ,; kann : aus; triftigem Grunde
die Buße vermindern, was in Wirklichkeit nichts äridersials, eine, Ablaß-
verleihüng ist. Öffentlich aber können hur die Bischöfe Ablässe, erteilen.;*
AusfiihrUch ist vom Ablaß diisRedCunt^ dem Kapitel (öitpc^cm^
Hier begnügt sich freilich der Verfasser, diei:(Hossa ördinariaraAbzii-
schreiben, sowohl das lange -Zitat 1 aus Alarms ■ wie! auch: { den ;;Zusatz
BernhEirds von Bottone.^ Es ist daher uUhiiötig:; nähere darauf ein-
zugehen. J,- ü.::'')\.,:;i\;yy^'V =/:: [ >''r\::y:'^:l-[-^
Auch was unter dem Kapitel (7*tm ea; eo (c; M: X.!;de-:poen.}et
rem; V. 38) über den Ablaß gesagt wird/ können > wir :übergehe^^
Hostiensis an dieser* ^^telle die oben mitgeteilten > Ausführungen (ies
Papstes Innozenz : IV. Medergibt ; doch ; hatler : hier einigeis beigef iigt.
So bemerkt er anläßHcho(ter Bestimurnng^ rhy;öhachr die Pfai'rer^^
Almosensammler zulassen, sollen j?derö:nichti ein! echtes Schreiben, vom
Papst oder von dem Diözesanbischof ei vorweisen könne, daß manche
Bischöfe diese Vorschrift zum Anlaß genommen hätten, in ihren
Diözesen kein päpstliches Schreiben zjjzulassen, außer sie seien- zuvor
darüber gefragt worden. Tun sie das zum Nachteil der .päpstlichen
Gewalt, so sind sie nach Hostiensis schwer zu strafen.
^ „!Hi qui taliter populum decipiunt, graviter delinquunt."'
^ Apparatus super libris Decretalixun. Argentinae 1512. Zwei Bände.
^ Plana venia pecoatorum, plena indülgentia peocaminum, plena remissio
peccaminum. II 276.
* Zu c. 12. X. de excess, prael. V. 31: „Ego proprietate et veritate rei
considerata puto quod indulgentias dare in secreto sacerdotalis ordinis est . . .
Ipsas vero publice facere vel literas super hoo concedere episcopalis dignitatis
est." II 314. Ähnlich Bl. 342, zu c. 12. X. de poen. et rem. V. 38, im Anschluß
an Innozenz IV.
^ Zu c. 4. X. de^poen. et rem. V. 38. Am Schlüsse heißt es: „Hee tarnen
materia plenius expeditur in Summa." II 339,
IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts. 327
Die. Ansicht etlicher, daß man zur vollen Gewinnung eines Ablasses,
wofür eine Geldspende vorgeschrieben ist, so viel geben müsse, als man
.nach der Vorschrift des Beichtvaters für Ablösung der Buße zu geben
pflege, hatte Innozenz IV. bbß erwähnt, ohne ein Urteil darüber
abzugeben. Hostiensis läßt sich näher darauf ein. Er berichtet von
einigen, die gegenüber den Vertretern jener Ansicht betont hätten:
Sollte jene Meinung wahr sein, so wäre es nicht nötig, seine Zuflucht
zu, nehmen zu dem, Ablasse des Papstes oder des Bischof es, da man
ja dieselbe Vergünstigung vom Beichtvater erlangen könnte. Er selber
findet die letztere Ansicht billiger und milder, die erste dagegen ge-
rechter und sicherer; doch will er die Entscheidung darüber dem
Papste überlassen, da in dem Wortlaute der Bechtsquellen nichts
Näheres bestimmt werde.
In dem Dekret Gum ex eo ward bestimmt, daß die Almosen-
.Sammler nicht predigen sollten; sie hätten bloß, was in ihren Be-
glaubigungsschreiben enthalten: wäre,' dem ■ Volke darzulegen. Der
■Grund' dieser Bestimmung, bemerkt Hostiensis, liegt darin, daß manche
■Sammler Laien sind, denen das Predigen verboten ist; zudem sind es
öfters ehrlose Wirtshaussitzer'und Spieler, die allerhand Betrügereien
vorzutragen pflegen.^ Deshalb müsse man bei' ihrer Zulassung große
Vorsicht obwalten lassen. ^ , ■
Bemerkenswert ist 'auch, was Hostiensis über die Bedeutung der
Ablässe von 40 Tagen und einem Jahre sagt. Bei dem Ablasse von
40 Tagen' handelt es sich nach ihm um einen Erlaß von 40 eigent-
lichen Bußtagen, und nicht etwa um' einen Erlaß von 40 Tagen, wovon
bloß einige als Büßtage zu- gelten hätten. ' ' Denn was würde es wohl
für einen Sinn haben; -zu sagen: Ich erlasse dir das Fasten an Tageri,
an welchen du nicht zu fasten ■ brauchst ? Anders dagegen verhalte
•es sich mit dem Ablasse von einem Jahre. Da niemals alle 365 Tage
•des Jahres als Bußtage auferlegt werden — die Sonntage und andere
Feste werden ja stets ausgenommen — , so werden durch einen Ablaß
von einem Jahre nicht etwa 365 Bußtage erlassen, sondern bloß jene
'Tage, an welchen zu fasten gewesen wäre. Daraus folgt, daß "der
Ablaß von Tagen ergiebiger sei, als derjenige von Jahren, da beim
■ersteren alle im Bewilligungsschreiben erwähnten Tage erlassen werden,
während beim zweiten nur die im Jahre vorkommenden Bußtage be-
rücksichtigt würden.^ ' ' ■
^ „Tales etiam consueverunfr esse inhonesti tabernarii et lusorea, et mtdtas
jabusiones proponere." II 343. Noch , schärfer spricht er sich, II ,185' aus, zu
•<3. 2. X. de reliquiis et vener. sanct. III 45, ad v. variis figmentis: „Sicut
faciunt specialiter pessimi questuarii, qui ostendunt quandoque costam pec-
•catoris hominis vel asini looo sancti, quia non curant nisi ut denarios habeant.
Alii ponunt oleum in oculo mariole sue, ut;videatur flere,-et sie imago que
facta est £(,d honorem domine nostre vertitur in ipsius contTxmeliam et derisum . . '.
.Quandoque in predicationjbus seminant errores et multas fabulas asserunt veras
•esse, que essent onmino corrigenda."
2 ^ Ex his . . . convinoi potest quod productior est dierum indulgentia quam
Annorum." II 343'.
328 IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts.
•
Als Innozenz III. auf der Lateransynode' den Bischöfen befahl^
in ihren Schreiben nur Ablässe von 40 Tagen zu erteilen, hatte er
darauf hingewiesen, daß der Papst selbst in seinen Ablaßbriefen diese
Zahl nicht zu überschreiten pflege. Dazu bemerkt Höstiensis, es sei
zu beachten, daß in dem Dekret der Papst von Ablaßbriefen für
Kirchen, Brücken und dergleichen spreche; denn wenn er predigt,,
gebe er nie weniger als 1 Jahr und 40 Tage. ^ Übrigens werde auch
in den päpstlichen Ablaßschreiben das erwähnte Maß (40 Tage) nicht
immer eingehalten. ^ Der Papst kann freilich die von ihm sell3st ge-
setzte Grenze überschreiten. Würden dagegen die Bischöfe größere
Ablässe erteilen, als ihnen von der Lateransynode erlaubt worden^
so würden diese Ablässe, bemerkt Höstiensis, ungültig sein.^
Abbas antiqüus. Wilhelm Durantis.
Neben den drei behandelten hervorragenden Kanonisten verdienen
noch zwei andere eine kurze Erwähnung. Der erstere, Lehrer in Bologna,
der nur unter dem Namen Abbas bekannt ist und zum Unterschiede
von Abbas modernus (Nikolaus de .Tudeschis) als Abbas -antiqüus.
zitiert wird,*. hat einen, viel benützten gegen Ende der sechziger Jahre
entstandenen Kommentar zu den Dekretalen hinterlassen.^ Seine
Ausführungen über den Ablaß hat er wörtlich aus- Innozenz IV. ab-
geschrieben.
Erörterungen mehr praktischer, Natur bietet Wilhelm Durantis.
("j" 1296) in seinem vielgebrauchten, in der zweiten Bearbeitung vor
1287 vollendeten kanonistischen Geschäftshandbuch, Speculum iudi-
ciale genannt.^ Es wird genügen, etliche seiner,. Bemerkungen, die-
Spätere oft sich angeeignet .haben, hier mitzuteilen. So betont er
treffend, daß der von einem Bischof - erteilte, Ablaß den Gläubigen,
anderer Diözesen nur dann von Nutzen "sejn könne, wenn die .zu-
ständigen .Oberhirten ihre Einwilligung dazu geben.. Doch -fügt er
bei, daß etliche der. Ansicht sind, auch die .einfachen Beichtväter
könnten ihre Pönitenten ermächtigen, der Ablässe fremder Bischöfe
sich teilhaftig zu machen. Bei Innozenz, IV. fand Wilhelm die Ansicht,
etlicher verzeichnet, die meinten, durch einen Ablaß von einem Jahre
^ Bl. 344. Innozenz IV., der als Papst hierin besser unterrichtet war^
schreibt zu c. 14. X. de poen. et rem. V. 38: „In talibus, scilicet indulgentiia
quas papa concedit pontibus vel aliis locis piis, nam quando celebrat vel predicat,^
seniper annum concedit." Apparatus. Lugd. 1520, '224.
2 Das ist richtig. Doch waren die Ausnahmen bis zur Mitte des 13; Jahr-
hunderts äußerst selten.
ä Bl. 344, zu c.. 15. X. de poen. et rem. V. 38.
* Schulte 11 130 f. - '
^ Lectura aurea domini Abbatis antiqvii super quinque libris Decretalium^
Argentinae 1510. Die Ausführungen über den Ablaß stehen auf Bl.' 216. ■ '
' ^ Speculum. Cum additionibus loannis Andreae. Venetiis 1488. Pars IV.
Rubrica de penitentiis et remissionibus. In' seinen Additiones hat Andrea die
Aufstellungen des Durantis nicht hur erläutert und ergänzt, sondern bisweilen
auch berichtigt. ' ' ' '
IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des ^13. Jahrhunderts. 329*
würde so viel Fegfeuerstrafe erlassen, als man durch ein Bußjahr
abgetragen hätte, doch bliebe man verpflichtet, die auferlegte Buße
zu verrichten. Er scheint diese Ansicht sich angeeignet zu haben;
wenigstens führt er sie an, ohne auch nur durch ein Wort anzudeuten^
daß er etwas daran auszusetzen habe. Die Berechtigung der Kirche,.
Ablässe zu erteilen, leitet er im Anschluß an Innozenz IV., den er
auch sonst verwertet hat, aus den Worten des Herrn ab: „Was du
auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöset sein." Den
ausgeschriebenen Ablaß, meint er ferner, und zwar im Anschluß an
Vincentius Hispanus, kann man so oft gewinnen, als man das dafür
geforderte Werk, den Kirchenbesuch oder das Almosen wiederholt.
Und er gibt hierfür folgenden Grund an : Der Ablaß -wird nicht bloß
erteilt wegen des Kirchenbesuches oder des Almosens, sondern wegen
des Almosens und zugleich mit Rücksicht auf. die von der Kirche
übernommene Verpflichtung, für, den Almosenspender zu beten. Des-
halb sollen die kirchlichen Oberen bei der Verleihung von Ablässen
behutsam vorgehen, damit sie in der Ausübung der Schlüsselgewalt
nicht irren, und damit wirklich im Himmel gelöst werde, was sie auf
Erden lösen. Im Gegensatze zu Thomas von Aquin und andern
Autoren ist Durantis mit Vincentius der Ansicht, daß der Papst und
die Bischöfe die von ihnen selber erteilten Ablässe nicht gewinnen
können.
In einem andern Werke, dem Repertorium oder Breviarium iuris
canonici erwähnt Durantis den Ablaß nur im Vorübergehen. Hier
bekennt er sich ausdrücklich zu einer Ansicht, deren er im Speculum
nur Erwähnung tut, daß nämlich die Beichtväter ihre- Pönitenten
ermächtigen können, Ablässe zu gewinnen,- die von fremden Bischof en
erteilt werden.^
Summisten.
Reihen wir nun noch den vorstehenden Kanonisten etliche Autoren
an, die in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts kasuistische Summen
oder Handbücher für die Verwaltung des Bußsakrämentes verfaßt
haben. An ihrer Spitze steht der deutsche Dominikaner Johann
von Freiburg^ mit seiner großen zwischen' 1290 — 98 verfaßten'
Summe für Beichtväter, worin dem Ablaß fünfzehn Paragraphen
■ ^ Breviarium aureum. Parisiis 1613, 181: „Cum pro quolibet mortali sit
septennis penitentia indioenda, quid fiet si quis forte centum mortalia commisit,
cum transcendat'hoc tempus vitae hominis. Dico quod sacerdos debet dicere
conf itenti : Amice, tantum peccasti quod vita tua non suf fii3eret ad periitentiam
peragendam; im.de iniungo tibi ut quamdiu vives dicas quotidie- Pater hoster
vel simile, . aliam ,penitentiam reduco tibi ad septem -vel plures vel .pauciores
annos; sicut sibi videbitur expedire/quia penitentie sunt arbitrarie. Debet efciam
dicere:' Et concedo tibi quod prosint tibi omnes remissiones a quo.
cunque fierertt; alias enim non prodessent.'.' ■ - " .
. 2 Vgl. über ihn /Michael III .238' ff.
, * Vgl. H. Fänke, Die Preiburger Dominikaner imd der Münsterbau, in
Alemannia XXIX (1901) 163 ff.
-"330 IX. Die, Ablaßlehre der vornehmsten Kanpriisten des 13. Jahrhunderts.
gewidmet sind.i In der Einleitung dazu bemerkt der Verfasser, daß
die Ablässe in der letzten gnadenreichen Zeit aus verschiedenen
Gründen eine, große Verbreitung gefunden hätten. Da aber sehr
viele, die nur ihrem eigenen Kopfe folgen, hinsichtlich dieses Gegen-
standes öfters sich irren und auch andere durch ihre unbesonnenen
Reden irreführen,^ so habe er es für nützlich gehalten, im Anschluß
^n die alten Lehrer einiges darüber mitzuteilen. Es sind namentlich
Albert der Große, Thomas von Aquin, Petrus von Tarentaise, Raimund
von Penaforte mit dessen Glossator Wilhelm von Rennes, Innozenz IV.,
Heinrich von Susa und Wilhelm Durantis, die er als Führer sich ge-
wählt hat. Da er selber nichts Neues bringt, sondern nur wiederholt,
lyas diese Männer vor ihm gelehrt hatten, so wird es genügen, aus
seinen Ausführungen einige wichtigere Gedanken hervorzuheben.
Im Anschluß an Thomas betont er, daß die Ablässe nicht bloß
vor der Kirche, wie etliche sagten (ut quidam dicebant), sondern auch
vor Gott Geltung haben. Sie werden erteilt aus dem Gnadenschatze
der Kirche und gelten so viel, als sie lauten. Wer einen Ablaß von
40 Tagen gewinnt, dem wird von der zeitlichen Strafe so viel naeh-
gelassen, als er durch eine vierzigtägige Buße abgetragen hätte. Wie
aber die Wirksamkeit einer vierzigtägigen Buße größer oder geringer
ist, je nachdem die Buße mit größerem oder geringerem' Eifer voll-
bracht wird, so wird auch der Wert eines vierzigtägigen Ablasses sich
nach dem Eifer und der. Leistung der einzelnen Empfänger richten.
Hierin folgt Johann dem Petrus von Tarentaise, während . er mit
Hostiensis betont, daß durch den, vollkommenen Ablaß alle zeitliche
Büßstrafe nachgelassen werde, so daß derjenige, der nach der Ge-
winnung eines solchen Ablasses stirbt, von, Mund auf in den Himmel
Jährt. Mit Hostiensis, Thomas und andern lehrt Johann auch, daß
man wegen des gewonnenen Ablasses die auferlegte Buße nicht unter-
lassen solle. Hätte man auch dank dem Ablasse keine Sündenstrafe
mehr abzutragen, so würden doch die Bußwerke als Präservativmittel
gegen zukünftige Sünden dienen. Die Frage, ob die Ablässe auch
■den Seelen im Fegfeuer nützen, beantwortet Johann mit Thpmas und
-andern im bejahenden Sinne; doch führt er auch die abweichende
Ansicht des Hostiensis an, ohne sie als-img abzulehnen. Am Schlüsse
seiner Erörterungen spricht Johann von, Almosensammlern, die mit
Ablaßbriefen herumziehen, mißbräuchliche Dinge predigen, in Eß- und
Trinkgelagen die Zeit vergeuden. Er erinnert an yerschiedene Ver-
1 Summa Confessorura. Sine looo' (Augsburg) 1476.- 1. 3, t. 34,. q. 180— 194.
Vgl. Dietterle, Zeitschr. f. Kirchengesch. XXV, 255 ff. Amort II 91 f. schreibt
die Ausführungen Johanns von Freiburg über den Ablaß irrig Joh. Nider zu.
* „Indulgentie cum iam gratia abundaute sint per ecclesiam multiplicate
•diversis ex causis et quamplurimi sola proprio estimationis fantasia ducti circa
«as frequenter decipiantur et ailios incaute^ loquendo seu ;doeendo decipiant,
utile iudicavi aliqua hie de hac materia secundüm iinaiorum sehtentiäs ann^
Diese Einleitung haben verschiedene spätere Autoren ohne iQüellenarigabe wörtlich
sich angeeignet. .'^'- -;:■■; \\ii'}i:/JiAy' >:')■■■.-.:} u-A^.
IX. Die Ablaßlehre der vornelimsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts. 331
cordnüngen, welche die Päpste gegen derartige Mißbräuche erlassen
haben. - ' ■ ■ ' ■
Nebst der großen Summe (Summa maior) hat Johann von Frei-
hürg noch ein kleineres,' alphabetisch geordnetes Werk (Summa ab,-
breviata) verfaßt, das' nur handschriftlich vorhanden ist.^ Dies kleinere
Werk bildet neben der großen Summe die Hauptquelle einer deutschen
Bearbeitung, die ein Dominikaner namens Berthold noch bei Lehr
Zeiten Johanns um 1300 abgefaßt hat.^ Für die Beliebtheit der
Summa lohannis, wie Bertholds .deutsche Bearbeitung genannt
wurde, spricht die Tatsache, daß sie nicht nur häufig abgeschrieben,?
sondern auch von 1472 bis 1500 nicht weniger als zwölfmal gedruckt
worden ist. Dies im Mittelalter so beliebte Buch hat noch in unseren
'Tagen,. vor allem bei Rechtshistorikern, Anerkennung gefunden. Man
hat es als „eine sehr klare, vortreffliche Arbeit"-,* als ein „recht
brauchbares, Lehrbuch für die, Laien' '^ bezeichnet. Wie spricht sich
nun diese ,.zur Belehrung der Christenheit" verfaßte Volksschrift über
den Ablaß aus? Die Frage, ,,was Ablaß sei", beantwortet Berthold
folgendermaßen:^ „Ablaß und Antlaß ist ein Vergeben , und ;Gelten
(vergelten, compensare) der Buße und Pein, die ein, Mensch schuldig
ist für seine Sünden, und wird vergolten von dem Schatz der heiligen
Kirche, und dieser Schatz ist das edel Gut, das- unser lieber Herr
Jesus Christus mit seinem bittern Tod und mit seiner bittern Marter
uns verdient hat, und auch die heiligen Märtyrer mit ihrem Tod und
Marter ; verdient haben, und Christus und alle Heiligen mit beten und
fasten, mit predigen und 'mit wachen erarnet (verdient) haben; und
den edeln Schatz machen größer alle Tage gute, fromme und, an-
dächtige Leute mit ihren guten Werken .■• . - Und über den Schatz
des edlen geistlichen Guts hat Gewalt der Papst voUkommenlich
und hat Schlüssel dazu, und mag' den auf tun. und- darein, greif eh und
nehmen und geben als viel er wiir notdürftigen. Leuten ah der Seele,
■die davon nehmen ein Abnehnieri und ein Ablassen der. Buße und der
Pein ihrer, Krankheit von der.^Siinde wegen." ■■ ■.
Nach, dieser durchaus korrekten Definition, die den Ablaß bloß
als einen Erlaß der Sündenstrafen hinstellt, wird die Frage erörtert,
,,wie gut und kräftig der Ablaß sei". Es handelt sich um die
bei den Scholastikern so oft wiederkehrende Frage,, ob- der, Ablaß so
viel gelte,, als in. der Ankündigung gesagt .wird. „Ablaß und Antlaß",
1' Auf der 'Münchener Staatsbibliothek, Cod.. lat. '8019.-'
2 Vgl. O. Geiger, Studien, über Bruder Berthold.. Sein Leben und seine
•deutsehen Werke. Freiburg 1920.
3 Voii dein Werke Bertholds verwahrt die Müncheher Staatsbibliothek
22 Abschriften, alle aus dein 15. JahrMuridert.
•' 4 Schulte II 423. - ' • • .
^ B. Stintzing, Geschichte der populären Literatur des römisch-kano-
nischen Eechts in Deutschland am Ende des 15. und im Anfang des 16. Jahr-
hunderts." Leipzig 1867, 616 'f.' ' '
^ Summa Johannis. Ulm 1484,' 3' — 6. Der Abschnitt über den Ablaß
iindet sich bei Dietterle, Zeitschrift f. Kirchengeschichte XXVI 67 ff.
332 IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts .
erklärt der Verfasser, „ist so gut und kräftig in der Wahrheit, als,.
die Priester ihn verkünden, er sei gegeben von dem Papst oder einem
Bischof. Als wenn ein Papst. gibt zehn Jahre Ablaß oder weniger
oderniehr zu einer Kirche, wer dann den Ablaß empfängt, dem wird
abgelassen so viel. guter bußhaftiger Werke, als. er sollte tun zehn
Jahre mit wandeln zu den Heiligen, mit fasten, mit beten und mit.
andern peinlichen Werken, die der Mensch möchte hier tun in dieser
Zeit für seihe Sünden, oder zehn Jahre sollte leiden im Fegfeuer."
. jjWie soll sich der Mensch halten, der empfänglich will
werden des Ablasses?" Er muß vier Bedingungen eirfüUen.. Vor
allem muß er glauben, daß der Papst die Binde- und Lösegewalt hat.
Zweitens ist erfordert, „daß der Mensch rechte Reue habe über seine
Sünden, darum (derentwegen) er den Ablaß will haben zur Besserung;,
denn wäre der Mensch in Todsünden, so empfing er den Ablaß nicht;
deim er wird nicht den Sündern gegeben." Der Ablaß A^ird auch nicht,
„allen wahren Reuern" in dem gleichen Maße zuteil; ;, sondern wer
sich allermeist darzu fügt mit Innigkeit und mit Arbeit, mit dem
Opif er nach seinem Vermögen. und nach seinem Reichtum, dem ist er
nützer denn einem andern, der sich darzu nicht ordnet oder schickt."
Drittens muß man die Werke verrichten, die zur Gewinnung des
Ablasses vorgeschrieben sind. Viertens muß derjenige, der den Ablaß
gewinnen will, unter der Jurisdiktion dessen stehh, der den Ablaß
erteilt. >
Kann der Ablaß auch den Seelen im Fegfeuer nützlich
sein? „Ablaß kommt den Seelen in dem Fegfeuer zu Hilf und Trost'
wie andere gute Werken, die man ihnen nachtut mit Gebet,' Fasten,.
Messe, Almosen . . . Darum ein Papst, der gaiize Gewalt hat über
den Schätz der Christenheit und den Ablaß, er^möchte eine Seele
lösen aus dem Fegfeuer, die tausend Jahre darin sollte sein, wenn
er für sie gäbe tausend Jahre Ablaß."
' Bemerkenswert ist die Art und Weise, wie sich Berthold über
den Ablaß ausspricht, der vom Papste verliehen werden kann. Als-
Oberhaupt der ganzen Kirche kann der Papst Ablaß erteilen „an
welcher Stätte er will; als weit diese Welt ist". Ihm allein steht es
zu, vollkommene Ablässe zu gewähren. ,,Ein Papst raag' Ablaß geben
aller vBuß und auch Pein und Schuld. Ablaß der Sünden, wie
viel Und wie groß die Sünden sind, und aller. Pein und Büß, die ein
Mensch schuldig ist, zu gelten (vergelten) um die Sünden, gibt und
gilt ein Papst für den Menschen; und stürbe der Mensch also als Ab-
gelöster, er führe zu Stund in das ewige Leben ohne alles Fegfeuer
und ohne alle Pein. Und also möchte auch ein Papst von seiner All-
mächtigkeit eine Seele aus dem Fegfeuer lösen und für sie geben und
gelten Ablaß aller Pein und Schuld und sie zu den Himmeln senden.
Aber ein Bischof oder ein Priester hat die Gewalt nicht so ganz und
vbllkommenlich als der Papst, sondern einen Teil."
Diese Stelle hat man als Beweis dafür angeführt, daß bereits •
Ende des 13. Jahrhunderts der Plenarablaß nicht bloß als voll-
IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts. 333
liommener Straferlaß, sondern' als Erlaß von Strafe und .Schuld, als
Vergebung der Sünden verstanden wurde ;^ Allein Berthold läßt docK
deinen Zweifel darüber bestehen, daß er den Ablaß bloß als Erlaß
der Sündenstrafen verstanden hat. Ausdrücklich erklärt er, der Ablaß
sei „ein Vergeben der Buße und Pein, die ein Mensch schuldig ist
für seine Sünden". Er betont auch, daß der Empfänger des Ablasses
im Stande der Gnade sein muß. .„Wäre der Mensch in Todsünden,
so empfing er den Ablaß nicht." Wphl spricht er von einem Ablaß
von Strafe und Schuld. Sogar für die Seelen im Eegfeuer, bemerkt
er, kann der Papst „Ablaß aller Pein (Strafe) .und Schuld" erteilen.
Aber schon die Bemerkung, daß der, Ablaß von Strafe und Schuld
•auch den - Seelen im S^egfeuer zugewendet werden könne, zeigt zur
Genüge, wie dieser Ausdrück zu verstehen sei; es ist darunter ein
vollkommener Straferlaß, ein Erlaß der schuldigen Strafe zu ver-
stehen. ^ Schon im 13. Jahrhundert war es üblich, den vollkommenen
Straferlaß als einen Ablaß von Strafe, und Schuld zu bezeichnen,
wie in einem späteren Abschnitte dargetan werden soll.
Namentlich der voUkornmene EJreuzzugsablaß wurde dama,ls
■öfters als Erlaß von, Strafe und Schuld .bezeichnet. Über diesen Kreuz-
ablaß schreibt Berthold: „Ablaß aller Sund und Pein auch Büß nimmt
■der Mensch von, dem Papst, »wenn er empfängt, das Kreuz, zu fechten
wider, ungläubige Leute über Meer.? . Daß er den vollkommenen Kreuz-
zugsablaß seinen ,, Ablaß aller. Sünden" nennt, beweist nicht,, daß er
darunter eine Vergebung der Sündenschuld verstanden habe. Auch
Thomas von Aquin, der doch mit, aller nur möglichen Schärfe betont,
•daß der Ablaß nichts anders als ein Erlaß, der .zeitlichen j Sündeur
strafen ist, nennt ihn, wiederholt eine, „Nachlassung , der , Sünden",*
^ie dies ja auch in , päpstlichen Bullen öfters geschieht. Daß aber
Berthold der, Bezeichnung „Ablaß aller Sund" noch die Worte „und
Pein und Büß" beifügt, erklärt, sich aus seiner , Gewohnheit, öftere
zwei, ; bisweilen auch. drei Worte ,zu gebrauchen, um ein und den-
selben . Gedanken zum Ausdruck , zu bringen.^ .
Es gibt noch andere Dominikaner, die gegen Ende des 13. oder
zu Anfang des 14. Jahrhunderts Summen für die Beichtväter verfaßt
haben.. Ihre .Ausführungen über den Ablaß bieten indessen nichts
Beachtenswertes. Dies gilt besonders von Burchard von Straß-
i 1 'Dietterle76. A.Hauck, Kirchengesohichte Deutschlands V (1911) 367.
« Vgl. oben S. 298. ' r • ' . *
^ Z. B. Ablaß und Antlaß, Pein und Büß, beichten und bekennen, oft und
dick, gut und nütz, -Hölle tind ewige Pjein," bürgen .und borgen- und leihen, Dieb-
stahl und Stehlen, Eid tun und schwören, Lohn' und Sold, Fried tiin und Fried
machen usw. - Im, 'Vorübergehen" sei ^ bemerkt, . daß im Abschnitt, über Ablaß
und Beichte wiederholt ein Bonif atius genannt wird. An Papst Bonifatius VXII.
ist nicht zu denken. In der lateinischen Summe Johanns von" Freiburg steht
an den parallelen Stellen Hostiensis. Und dieser ist auch bei Berthold gemeint.
Irgendein« Abschreiber, hat ^die Abkürzung Ho. irrig . auf gelöst. Der Umstand,
daß Berfchold den Jübiläumsablaß nicht erwähnt, darf vielleicht als Beweis dafür
gelten, daß er sein Werk vor 1300 verfaßt hat. ,
334 IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts.
bürg, der sich ganz kurz über den Ablaß ausspricht,! . Eingehender-
beschäftigt sich damit Wilhelm von Cayeux, aber im engsten
Anschluß an Johann von Freiburg,?, während Albert von Brescia
sich ausschheßlich. auf Thomas von. Aquin stützt.^
Etwas mehr Beachtung scheint der Franziskaner Monaldus zu
verdienen,* in dessen Summe ziemlich eingehend vom Ablaß gehandelt-
wird.^ Bei näherer Prüfung stellt sich aber heraus, daß der Verfasser
bloß die Glossa ordinaria Bernhards von Bottone und die Glosse
Wilhelms von Kennes zu Raimund ausgeschrieben hat. -^
Weit selbständiger ist sein. Ördensgenosse Johann von. Erfurt,
der kurz nach 1298 eine größere Summe für die Beichtväter verfaßt
hat.' Seine Selbständigkeit bekundet er bezüglich der Ablaßlehre
allerdings mehr in der Darstellung als in den Anschauungen. Wie
er in betreff des Kirchenschatzes sich eng an Bonaventura anschließt,
so folgt er in andern Fragen den Kanonisten Innozenz IV., Bernhard
von Bottone, Hostiensis, Wilhelm Durantis. Nur in einem Punkte
weicht er von seinen Vorgängern ab, in der Auffassung des Ablasses
für die Verstorbenen. Etliche, so bemerkt er, behaupten,- daß der
Papst den Seelen im Fegfeuer wohl die geistlichen Güter der Kirche
hilfsweise (per modum suffragii) zuwenden könne, wie^ die kirchlichen
Oberen ihnen die Verdienste von Bruderschaften mitteilen; doch könne
er ihnen keinen Ablaß verleihen, und zwar aus einem doppelten Grunde :
einmal weil die Verstorbenen nicht mehr der kirchlichen Jurisdiktion,
die nur auf Erden auszuüben sei, unterstellt wären; sodann weil die
Seelen im Fegfeuer das vorgeschriebene Werk nicht verrichten könnten.'^
Diese Gründe läßt jedoch Johann nicht gelten. Heißt es in der Ablaß-
bewilligung, erwidert er, daß man das Kreuz' für sich selber oder für
einen andern, einen Lebenden oder Toten, nehmen könne, so wird
die Seele aus dem Fegfeuer befreit, wenn jemand den Kreuzzug für
sie unternimmt. Wohl kann sie das vorgeschriebene Werk nicht
selber verrichten, doch kann es von einem andern für sie verrichtet
werden. Man sage auch nicht, daß die Kirche ihre Binde- und Löse-
gewalt nur auf Erden auszuüben habe, gleich als wenn sie jene nicht
binden und lösen könnte, die unter der Erde sind. Es werden doch
in bestimmten Fällen Verstorbene von ihr exkommuniziert und von
dem Banne losgesprochen. Das kann aber'nur von dem zuständigen
1 Die Stelle findet man bei Dietterle in Zeitschr. f. Kirchg. XXV 271 f.
» Dietterle XXVI 62.
3 Dietterle XXVI 66 f.
* Vgl. über ihn Dietterle XXV 248 ff. H. Repic in Archivum Francis-
canum Historioxmx I (1908) 231 ff.
* Summa perutilis atque aurea venerabilis fratris Monaldi. Lugduni 1516,
Bl. 86 — 87'. Ein höchst fehlerhafter Druck! Namentlich in dem Abschnitt
über den Ablaß ist der entstellte Text manchmal ganz tm verständlich.
« Vgl. über ihn F. Doelle in Zeitschrift für Kirchengesch. XXX 214 ff.
Der Abschnitt über den Ablaß ist abgedruckt S. 227 ff.
' Hier hat JohannBonaventura im Auge, der diese beiden Gründe
geltend macht. Vgl. oben S. 283.
IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts. 335
Richter geschehen. Also bleibt der Papst auch noch der Richter
jener, die im Fegfeuer sind. Daher kann man sagen, daß alle jene
auf Erden sind, die noch nicht in den Himmel aufgenommen worden.
Nach Johann von Erfurt könnten also die Ablässe den Seelen
im Fegfeuer nicht bloß hilfsweise nach Art einer Fürbitte (per modum
suffragii), sondern auf Grund der kirchlichen Gerichtsbarkeit, die sich
auch auf die Verstorbenen erstrecke, verliehen werden. Der einzige
Grund,, den er dafür anzuführen weiß, ist der Umstand, daß die Kirche
bisweilen Verstorbene exkommuniziert oder von dem Banne losspricht.
Die richtige Deutung dieser Praxis hatten aber bereits Hostiensis und
andere Autoren gegeben. Eine Jurisdiktion des Papstes auf die Seelen
im Fegfeuer läßt sich daraus nicht folgern.
X. Die Ablaßlehre der Theologen
der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.
Durandus von St. Pourgain.
Durandus, dem Predigerorden angehörig, gestorben 1334 als
Bischof von Meaux, hatte noch vor 1312, wo er den Doktorgrad er-
langte, als junger Lehrer zu Paris zu dem Sentenzenbuch einen
Kommentar verfaßt, der oline sein Wissen abgeschrieben und ver-
breitet wurde. Später, jedenfalls nach 1321, da er einmal ein päpst-
liches Schreiben aus diesem Jahre anführt,^ hat er das Werk, das
inzwischen vielfach benutzt worden war, neu bearbeitet. Am Schluß
desselben erklärte er, daß er es nur in dieser neuen Form als das
.seinige anerkenne. In dieser neuen Ausgabe ist es denn auch gedruckt
worden.^ Nicht mit Unrecht hat man schon öfters bemerkt, daß
Durandus, obschon Dominikaner, in manchen Punkten . von dem
Ordenstheologen Thomas von Aquin abweicht und seine eigenen Wege
geht. Auch in der Ablaßlehre trägt er die eine und die andere Sonder-
meinung vor.
Wie Thomas und andere Theologen, so fragt auch Durandus,
ob einer für den andern die vom Beichtväter auferlegte Buße über-
nehmen könne.^ Ist es dem Pönitenten unmöglich, die in der Beichte
erhaltene Buße zu verrichten, so kann diese Buße unzweifelhaft von
einem andern verrichtet werden. Wie aber, wenn der Pönitent in
der Lage ist, selber die Buße zu verrichten? In diesem Falle hält
es Durandus im Gegensatze zu Thomas für wahrscheinlich, daß die
. Buße nicht von einem andern übernommen werden kann. Gestattet
indessen der Beichtvater, daß ein anderer die Buße verrichte, so
scheint, daß dadurch nicht so viel von der schuldigen Strafe abgetragen
werde, als wenn sie vom Pönitenten selber verrichtet würde. Schon
in der Einleitung weicht demnach Durandus vöiTiChomas ab, um
Bonaventura zu folgen.
Bezüglich der Ablässe, „wodurch die genugtuende Strafe erlassen
wird" (per quas peha satisfactoria dimittitur), erörtert Durandus
^ Die Bulle Fas ^eotionis vom 24. Juli 1321 (Extrav. comm. c. 2 de haaret.
III. 7), von der Durandm Sagt> sie sei jüngst (nbvissime) erlassen worden. Sent.
IV, d. 17, q. 12.-; \ '^^ 'y \^. -.,-.:/':::: ":\.^" :/■■" K.:'''^'':\ ^
• Durand! de sancto Pörtiano, apostpUoi quondam pemtentiarrii,
Meldensis eoclesie ispiscopi. In quätuor Sententiaruah librös questiontun pluri-
anarum resolutiones. Parisiis 1508.
> Sent. IV, d. 20, q. 2. Bl. 400.
X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts: 337
zuerst j die Frage, ob sie überhaupt etwas.^gelten.^ Von den
Ablässen, , so ; beginnt er seine Ausführungen, kann nur wenig mit
Sicherheit gesagt werden, da die Hl., Schrift nicht ausdrücMich davon
spreche und auch die alten Kirchenlehrer, wie Ambrosius, Hilarius,
Augustinus, Hieronymus, sie nicht erwähnen.^ Doch spricht davon
Papst ;Gregorius, der. auch, wie man sagt ,(ut. dicitur), Ablässe für den
Besuch, der römischen Stationskirchen verliehen' hat., Da also . die
HL. Schrift und die älteren. Väter den Ablaß nicht erwähnen, so muß
man, wennman davon sprechen w:ill, sich nachder üblichen Lehrweise
richten (sequendus est mod.us communis).
Indem er nun auf Grund der allgemeinen Praxis und Lehre der
Kirche als sicher annimmt, daß durch die Ablässe etwas von der
schuldigen Sündenstrafe nachgelassen werde, ^ fragt er zuerst, auf
welche Weise die für die Sünden geschuldete Strafe nach,-
gelassen werde.* Die Sündenstrafe, lehrt er, kann auf dreifache
Weiseerlassen.werden: L aus purer Gnade;.2. indem einer die schuldige
Strafe für einen andern bezahle; 3. indem die Strafe zum Teil erlassen,
zum Teil abgelöst werde, was . geschieht, wenn eine schwere Strafe
durch ein kleines .Bußwerk ersetzt wird. ^Es könnte nun scheinen-,
daß beim Ablasse.. die erste und. dritte. .Nachlassungsweise stattfinde.
Schon der Ausdruck ,„ Ablaß" (indulgentia) scheint anzudeuten, ,daß
die Strafe ganz aus Gnade, erlassen , oder durch ein, geringes Büß werk
ersetzt, werde. Anderseits steht aber fest,, daß Gott allein oder ein
Stellvertreter, den er dazu bevollmächtigt hat, die schuldige ; Sünden-
strafe aus purer 'Gnade ganz oder teilweise erlassen kann. Nun läßt
sich aber, nicht nachweisen, daß Gott den Menschen,- die er zu Aus-
spendern seiner Geheimnisse eingesetzt, .die ' Vollmacht ' erteilt habe,
außerhalb der Sakramente die. schuldige Sündenstrafe unentgeltlich
(gratis) nachzulassen. Dies können sie nicht, einmal mittels der
Sakramente tun. Denn wenn auch in der Taufe oder^im Bußsakra-
mente die Strafe ganz, oder teilweise erlassen wird, so handelt es sich
doch dabei nicht um eine unentgeltliche Nachlassung; vielmehr wird
in diesen Sakramenten ,das Verdienst des Leidens Christi mitgeteilt
und so die Strafe bezahlt aus dem Schatze der genugtuenden Ver-
dienste Christi.
Es wd daher gemeiniglich gelehrt, daß die Ablässe nach Art
einer Zahlung (per modum solutionis) wirken. Aus dem Schatze der
Verdienste, Christi und der Heiligen werde Gott für die , schuldige
Sündenstrafe Ersatz geleistet ; es seien daher die Ablässe nichts anderes
^ Sent. IV, d. 20, q. 3: Utrum indulgentie aliquid valeant. Bl. 400'.
^ „De indulgentüs pauca dici possunt per^ certitudinem, quia nee scriptura
expresse de eis loquitur; quod enim dictum est Petro Mt. 16, 1.9: Tibi dabo claves
etc. intelligitur de potestate ei data in foro penitentie; de coUatione autem in-
dulgentiarum non est elanitn quomodo debeat intelligi. Sancti etiam Ambrosius,
Hylarius,, Augustinus, Bieronymus minime loquuntur de indulgentüs."
3. „Generalis "consuetudo et doctrina ecclesie, que contineret falsitatem, nisi
per indulgentias dimitteretur aliquid de pena peccatori debita."
* „Per quem modum indxdgentie valeant ad remissionem pene." q. 3, a. 1.
Paulus, Geschichte des Ablassen. 22
338 X. Die Ablaßlelire der Theologen der' ersteh Hälfte des 13. Jahrhtinderts.
als eine Zuwendung der Genugtuung Christi und der Heiligen.^ Was
die Verdienste Christi anlangt, bemerkt hierzu Du!randus/so steht es
freilich außer allem Zweifel, daß sie zu dem geistlichen Schatze ge-
hören, aus dem die Ablässe gespendet werden, und daß sie für sich
allein vollauf genügen. Anders verhalte es sich aber mit den Ver-
diensten der Heiligen. Es könne nämhoh bezweifelt werden, ob auch
diese Verdienste zum Kirchenschatze gehören.^ Für die verneinende
Ansicht führt Durandus einige Gründe ah ; insbesondere hebt er hervor,
daß ja die Leiden der Heiligen bereits in vollem Maße belohnt worden
seien. Nach dieser Ansicht, so fügt er bei, würden also die Verdienste
der Heiligen nicht zum Kirchenschatze gehören. Er weiß wohl, daß
die von ihm vorgebrachten Gründe schon von andetn Theologen
widerlegt worden sind. Diese Widerlegung hält er aber nicht für
stichhaltig. Und so beschließt er seine Erörterungen, ohne sich näher
über seine eigene Stellung ziir behandelten Frage auszusprechen. Mit
Unrecht wird demnabh hier und da bifehauptet, Durandus "habe ge-
leugnet, daß die überschüssigen Verdienste der Heiligen einen Be-
standteil des Kirchenschatzes bilden. So bestimmt hat er sich hierüber
nicht ausgesprochen; er hat bloß die Frage in Zweifel gezogen:
In einem zweiten Abschnitte wird die Frage erörtert, ob die
Ablässe so viel gelten, als sie lauten. Daß sie etwas' gelten,
bemerkt der Verfasser, und zwar nicht bloß vor dem Richterstuhle
der Kirche, wie etliche gesagt haben (dixerunt), sondern auch vor
dem Richterstuhle Gottes, muß als sicher angenommen werden. Über
die Frage aber, in welchem Umfange die Sündenstrafen durch den
Ablaß nachgelassen werden, gibt es verschiedene Ansichten. Die
einen meinen, die Wirksamkeit des Ablasses richte sich nach der
frommen Gesinnung des Empfängers. Dies wird von Duranduis ab-
gelehnt; ebenso verwirft er die Meinung, daß die Wirksamkeit des
Ablasses sich nach der Höhe des gespendeten Almosens oder nach der
vollbrachten Leistung richte. Eine dritte Ansicht wollte j daß der
Ablaß so viel gelte, als er lautet, wenn die Ursache, für welche der
Ablaß gespendet worden, 'in richtigem Verhältnis zu diesem steht
(oi causa indulgentie est ei proportionata). Diese Ansicht hält wohl
Durandus für wahrscheinlich; doch meint er, daß sie nicht völlig der
kirchlichen Praxis entspreche, da bisweilen für den Besuch einer Kirche
bald ein größerer, z.B. von 20 Jahren, bald ein kleinerer erteilt werde .^
Es gefällt ihm daher besser die Ansicht jener (Thomas ^von Aquin),
die den Weit des Ablasses auf dem Kirchenschatze beruhen ließen.
Der Umfang des Ablasses wird desto größer oder kleiner sein, je reich-
^ „Indulgentie non sunt aliud quam communicatio pene Christi et sanc-
torum." q. 3, a. 2,
^ „De merito autem passionis sanctorum potest verti in dubium, utrum
pertineat ad thesaurum ecclesie."
ä Hier (q. 4, a. 1) nimmt Durandus an, daß zu seiner Zeit Kirchen Ablässe
von 20 Jahren besaßen. Diese Ablässe waren jedoch unecht. So große Ablässe
wurden damals noch nicht für Kirchenbesuch erteilt, wie aus den zahllosen
bekannten Ablaßbewilligungen jener Zeit hervorgeht.
X.-.'Die Ablaßlehre der Theologen der. ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 339
lieber. oder sparsamer die Verdienste Christi aus dem Kirchenschatze
dem Ablaßempfänger zugewendet werden. Damit aber eine solche
Zuwendung 'stattfinden, könne, sei ein Dreifaches erfordert: auf Seiten
des Spenders die nötige Vollmacht, auf selten des Empfängers der
Stand der Gnade, zudem ein frommer Grund, nämlich die Ehre Gottes
oder der. Nutzen der Kirche.
Ist in der Ablaßbewilligung von auferlegten Bußen (de penitentiis
iniunctis) "die Rede, dann bezieht sich der Ablaß nur auf die vom
Beichtvater auferlegte Buße,- nicht auf jene, die hätte auferlegt werden
sollen.^ Werden einem Pönitenten durch einen Ablaß 40 Tage von
der auferlegten . Buße erlassen, so braucht er diesen Teil der Buße
nicht mehr zu verrichten, und es wird ihm von Gott ebensoviel von
der schuldigen Sündenstrafe nachgelassen, als er durch eine Buße
von 40 Tagen abgetragen hätte.
Hat der Ablaß auch einen Wert für einen Pönitenten, der die
ihm auferlegte Buße vollständig verrichtet ? Ja ! Durch den Ablaß
wird ihm die Buße erlassen, so daß er sie nicht mehr zu verrichten
braucht. Verrichtet er sie dennoch, so erwirbt er sich dadurch Ver-
dienste für den Himmel und' trägt einen entsprechenden Teil von den
noch schuldigen Sündenstrafen ab,^
Wem nützen die Ablässe ?3 Vor allem nützen sie nicht jenen,
die eine Todsünde auf dem ^Gewissen haben, da die Ablässe sich nur
auf die Sündenstrafe beziehen und die Strafe nicht erlassen werden
kann, wenn nicht zuvor die Sündenschuld vergeben ist. Dies hindert
indessen Dufändus nicht, gleich nachher den voUkbriimenen Ablaß als
eine „Nachlässung aller Sünden" zu bezeichnen. Er weiß eben, daß
die Sünde auf zweifache Weise vergeben werden kann, der Schuld
nach unä der Strafe nach, und daß die Vergebung erst darin eine
vollkommene ist, wenn auch die Strafe erlassen ist.* So konnte er
sehr wohl den Ablaß, obschon dieser nur die Strafe tilgt, als eine Ver-
gebung d.er- Sünden bezeichnen.
Nebst dein Gnadenstand ist zur Gewinnung der Ablässe erfordert,
daß man beichte (vere confessus), da die Beichte in den Ablaßbriefen
gewöhnlich verlangt wird, und daß man das. vorgeschriebene Werk
verrichte. Es. körinten indessen Ablässe auch ohne diese beiden Be-
dingungen verliehen werden.^ Ist jemand im Stande der' Gnade,
1 „Forma indulgentie non sonat nisi quod certa pars de iniunctis penitentiis
relaxatur. Penitentie enim iniuncte sunt ille solum: que imponuntur a sacerdote
confitenti; canones enim nullam imponünt penitentiam, sed docent qualis et
quanta sit imponenda." .Bl. 401'. Etliche, wie Süarez 712, haben dies falsch
aufgefaßt, als würde Durandus lehren, der Ablaß überhaupt beziehe sich- nur
auf die auferlegten Bußen.
* „Hoc valet ei ad meritum et remissionem ulterioris pene, quia, pena per
penam recompensatur." Bl. 401'.
3 Sent. IV, d. 20, q. 4, a. 2.
* Sent. IV, d. 18, q. 2, a. 1 : „Perfecta rernissio peccati non est nisi remittatur
quantum *ad penam et qüantum ädculpam." Bl. 393'.
5 „Videlicet contritis et non confessis, et absque hoc quod imponeretur
aliquid dandum vel faciendum." Bl. 402.
22*
"340 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.
SO kann er des Ablasses teilhaftig, werden; folglich ist die Beichte
nicht unumgänglich notwendig. Ebensowenig ist- erfordert, daß ein
noch zu verrichtendes Werk vorgeschrieben werde. Ermächtigt doch
der Papst manche, ohne daß er ein gutes Werk von ihnen fordere,
sich die Generalabsolution erteilerf-* zu lassen, wodurch nicht nur die
Sündenschuld, sondern auch die Sündenstrafe erlassen wird.^ Auf
ähnhche Weise könnte er auch, wie es scheint, Ablässe verleihen,
ohne eine Gegenleistung zu fordern.^
Da die Seelen im Pegfeuer das vorgeschriebene Werk nicht ver-
richten können, da sie zudem nicht mehr unter der Gerichtsbarkeit
der Kirche stehen, kann ihnen der Papst direkt keinen Ablaß ver-
leihen; doch können ihnen die Ablässe indirekt und hilfsweise zugute
kommen, indem jemand durch Verrichtung des vorgeschriebenen
Werkes den Ablaß gewinnt und diesen dann den Verstorbenen zu-
wendet.^ '
In einem weiteren Kapitel beschäftigt sich Durandus mit dem
Ablaßspender, wobei er die Ansicht vertritt, daß die Verleihung von
Ablässen auf die Weihegewalt, nicht auf die kirchliche Jurisdiktion
zurückzuführen sei.*
Petrus Pal udanus.
i)ie erste Bearbeitung des Sentenzenkommentars von Durandus
wurde vielfach benützt von dem Dominikaner Petrus Paludaiius . Obschon
dieser erst im Jahre 1314 zu Paris Doktor der Theologie und öffentlicher
Lehrer wurde, so hat er doch seinen Kommentar zu den Sentenzen^
schon etliche Jahre früher niedergeschrieben. i)ie von Benedikt XI. im
Jähre 1304 erlassene Konstitution Inter cunctas (Extrav. comm.. c. 1.
de privil. V. 7) über die Privilegien der Mendikantenorden gilt ihm
noch als ,,neu" und rechtsgültig.® Nun ist aber diese Konstitution
von Klemens V. auf dem Konzil von Vienne (1311/12) außer Kraft
^ „Papa concedit multis quod possint äbsolvi generali absolutione, .quantum
extendunt se claves Petri. Ista autem absolutio non solumest a culpa, quia
illa semper est generalis, cum una culpa non possit remitti sine alia, sed extendit
sead dimissionem pene. Et tarnen Papa non imponit talibus, aliquid faciendum."
Bl. 402. Von dieser Generalabsolution von Schuld und Strafe, die auf Grund
eines. iBeiehtbrief es erteilt werden konnte, wird im 2. Bande in einem eigenen
Abschnitte gehandelt werden. ■ -
1 > :ur,„Simili modo videtur quod possent dari indulgentie, ut videtur, absque
lipo^quod. Papa imponit aliquid dandxmi vel faciendum.".
..,1 ,jä^;„Possunt eis indirecte~ valere per ihpdum suffragii, quatenus aliquis qui
indulgentiara recipit faciendo id pro quo datur indulgentia,-ex intentione transfert
©am in satisfaotionem eius qui est in ptirgatorio." Bl. 402.
* Sent. IV, "d. 20, q. 5.
^ Scriptum in quartum Sententiarum. Venetiis 1493.
. .. ' Sent., IV, d.,17, q..4. Bl. 85. Bei Behandlung derselben Frage erwähnt
Durandus in der zweiten Bearbeitung seines Kommentars nicht mehr die Kon-
stitution Benedikts XI., sondern die Bulle Vas electionis Johanns XXII. vom
Jahre 1321, Vgl, oben S. 336,
X. Pi© Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, 341
gesetzt worden,^ und davon mußten die Dominikaner in Paris Kenntnis
haben. Demnach hat Paludanus sein Werk vor 1312 verfaßt. Ander-
seits kann' er den Abschnitt - über den- Ablaß erst nach. Mitte 1308
ausgearbeitet haben, da er darin als noch bestehend einen Ablaß er-
wähnt; den- Klemens V. am 11. August ,1308 zugunsten der Johanniter
für fünf Jahre verliehen hätte. - •
Wie Durandus, so leitet .auch Paludanus seine Erörterungen über-
den Ablaß mit der Frage ein-, ob einer für den ändern die auferlegte'
Buße verrichten könne. ^ ; Alle, geben zu, bemerkt er, daß eine Stell-
vertretung zulässig sei, wenn der Pönitent nicht imstande ist, selber-
die Buße zu verrichten. Kann er sie .aber verrichten, dann ist nach,
der allgemeinen Lehre eine Stellvertretung ebenfalls unzulässig, wenn
das Büß werk zugleich als Heil- und Präservativmittel auferlegt wurde.
Wie verhält es sich aber, mit der Buße, insofern' sie als Zahlungsmittel.
zu gelten hat ? " Kann man sie durch einen andern verrichten lassenv
wenn man selber- in derLage-ist, sie abzuleisten? Nein, erwidert:
Paludanus, wenn man aus Liebe zur Bequemlichkeit einen Stell-
vertreter S suchen würde . Ist ■ aber jemand mit , Werken ■ beschäftigt^
die , Gott angenehmer • sind, als die auferlegten Bußübungen, : und die
nicht minder das Fleisch kreuzigen, so -kann er sehr wohl die Buße
durch einen andern verrichten lassen. Außer Zweifel ist auch, daß;
man für die Verstorbenen, die im Fegfeuer , sind; genugtun könne«
Mag nun aber die;Buße für einen Lebenden oder für einen Verstorbenen
übernommen werden, immer muß der Stellvertreter im Stande der
Gnade sich befinden; denn was im Stande der Todsünde verrichtet
wird und Gott nicht angenehm ist, ;kann keinen genugtuenderi Wert
haben. Doch ist nicht erfordert, daß die Buße, die für einen andern
übernommen wird, größer sei, als wenn man sie für sich .selber ver-
richten würde. , -
Die Ablaßfrage erörtert Paludanus in drei ziemlich umfangreichen
Artikeln. Zuerst handelt er von dem Werte des Ablasses; im zweiten
Artikel wird untersucht, wer Ablässe erteilen könne ; im dritten, wem
sie, zugute kommen.* r '~ , -
: ' ' Der W'ertdes Abiasses beruht nach Paludanus auf dem Kirchen-
schatze, 'der'aüs'den Verdieiisten- Christi 'üiid der Heiligen' besteht. Das
von Durandus geltend gemachte, Argument, gegen die Zügehörigkeit der
Verdienste, der Heiligen zum Kirchenschatze,, daß nämlich die Leiden
der Heiligen bereits in 'vollein Mäße -belohnt' worden seien,- wird als
nicht stichhaltig abgelehnt.* Die guten Werke der Gerechten sind
nicKt bloß verdienstlich' für deii Himmel, sie sind auch genug -
tuend. Nun sind zwar die Heiligen für -das, was sie getan urfd gelitten
haben, überreichlich belohnt Avorden; hinsichtlich des genugtuenden
^ Clem. 0. 2. de sepult. III. 7.
« Sent. IV; d. 20, q. 3. Bl. 110.
■3 Sent. IV, d. 20, q. 4, a.^1— 3.
* Durandus wird nicht genannt; es heißt bloß : „Contra hoc arguunt quidam."
Bl. iio'; ' '
342 X. Die -Ablaßlehre der Theologen der erateiii- Half te des 14. Jahrhunderts.
Wertes ihres Lebens haben sie aber mehr" Leiden erduldet, als sie für
ihre persönlichen Sünden verdient hatten.
Zur Spendung der Ablässe aus dem Kirchenschatz ist ein ge-
rechter und vernünftiger Grund erfordert, nämlich die Verrichtung
irgendeines guten Werkes.^ Was ist aber von einem Ablasse zu halten,
der ohne genügenden Grund erteilt wird? Andere sagen, schreibt
Palüdanus, daß ein solcher Ablaß nicht gültig sei, da er gegen den
Willen Gottes erteilt werde. Er' selber ist indessen geneigt, einen
Ablaß, der ohne genügenden Grund erteilt wird, als giiltig' zu be-
trachten. Der Papst, meint er, beginge wohl eine Sünde, wenn er
einen derartigen Ablaß bewilligen würde.^ Wie er aber trotz der dabei
begangenen Sünde ein Sakrament gültig spendet, so würde auch der
Wert des Ablasses durch die dabei begangene Sünde nicht beein-
trächtigt werden.^ Sollte daher der Papst aus eigener Initiative ohne
genügenden Grund einen Sterbenden durch einen Ablaß' von aller
Strafe lossprechen, so würde der Sterbende sofort in den -Himmel
kommen, falls er von aller Sündenschuld frei wäre.* ;• ' ■■
Die Ablässe gelten so viely als sie lauten, auch- vor -Gott, d.h. in
bezug auf die Fegfeuerstrafe. -Dies ist folgenderweise zu verstehen:
Wenn jemand einen Ablaß von 20 Jahren gewinnt, so wird ihm da-
durch so viel Sündenstrafe' nachgelassen, als er durch die Verrichtung
einer 20jährigen kirchlichen Buße abgetragen hätte. Die Ablässe sind
daher sehr vorteilhaft, vorteilhaft besonders für- solche Sünder, die oft
in die Sünde zurückfallen und nicht so leicht ein ganzes Jahr der Tod-
sünde sich enthalten, wie sie sich" einen* Tag oder eine Stunde derselben
enthalten. Im Stande der Todsünde würden ihnen die Büß werke
nichts nützen zur Abtragung ihrer Strafe; -Befinden sie sich- aber,
wenn auch nur kurze Zeit, im. Stande der Gnade, so können sie in
diesem Zustande durch Gewinnung von Ablässen mehr oder weniger
von ihrer schuldigen Strafe abtragen.'^
^ „Aliquod pium opus spirituale yel temporale." Palüdanus scheint hier
,, causa" und „opvis pium" zu identifizieren.
''' „Licet, nisi sit iusta causa dande indulgentie (ich verbessere' 'diesen im
Drucke verderbten Satz nach Äntoninusv Summa.theologica I, Feronae 1740,
598), peccet oqncedens . . ;. videtur tarnen ei yalere .qui conditionem impleret,
nisi et ipse illamimpetraret." Bl. 110',
^ „Sicut verum sacramentum confert peccando, sie et veram'indulgentiam."
Wegen dieses ganz unverfänglichen Vergleiches behauptet Bratke 86,Taludanüs
lehre: „Der Ablaß wirkt eben in ,d©r Weise des- Sakraments." ; ■-
* „Si ergo papa proprio motu morientem absolveret ,ab omni pena per
modum indulgentie, et ille pie crederet, ille evolaret, si nuUam eulpam haberet,
etsi papa iustam causam non haberet; licet',' si papa sacramentaliter sine digna
penitentia absolveret, ille immunis non esset,"_ Lea 96 läßt Palüdanus das
Gegenteil sagen von dem, was er tatsächlich gelehrt hat. Palüdaniis soll nämlich
gelehrt haben, „that an indulgence granted by the pope proprio motu and without
raotive is invalid".
ä ,,Et propter hoc maxime sunt utiles indulgentie et seotire peccatoribus
qui sepe reoidivant et non facile abstinent per totum annum ja nibrtali, sicut
abstinent uno die vel hora; propter quod prosunt eis sepe indulgentie, , quia illa
hora sunt in statu bono, quibus non prodest diutiria penitentia sepe per mortale
mortificata." Bl. 111.
X. Die, Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 343
Auf diese Stelle beruft man sich, um zu behaupten: „Einige
haben geradezu Instruktionen gegeben, wie man Gott im Himmel
und sein heiliges Gesetz betrügen) könne, um in den Himmel zu kommen,
wenn man sich nur einen Tag im Jahr oder eine Stunde vor Todsünden
hüte und in dieser Spanne, Zeit aliquam attritionem aufweise. "^ Dem-
gegenüber ist zu bemerken, daß Paludanus an der betreffenden Stelle
bloß den Nutzen der Ablässe in bezug auf die Abtragung der zeitlichen
Sündenstrafen hervorhebt. Es. muß auch betont werden, daß in dem
ganzen Abschnitt, der vom Ablaß handelt, das Wort,,,attritio" über-
haupt nicht vorkommt. Will man die Ansicht des Paludanus über
die Reue kennen lernen, so muß man die 17. Distinktion nachschlagen.^
Hier handelt Paludanus hauptsächlich, von der „contritio", von der
vollkommenen Reue, während er die,,,attritio" oder die unvollkommene
Reue nur das eine und das andere Mal erwähnt. In Übereinstimmung
niit Thomas von Aquin lehrt er, daß die unvollkommene Reue beim
Empfange des Bußsakramentes genüge. Er unterscheidet aber eine
zweifache Attrition, eine solche, die zwar nicht ohne das Bußsakrament,
aber doch mit ihm genüge, und eine andere, die auch nicht in Ver-
bindung mit dem Bußsakrament zur Rechtfertigung hinreichend sei.?
Als Beispiel.der zweiten, ungenügenden Attrition führt er folgendes an :
Wer die Sünden der Vergangenheit bereut, ohne einen guten Vorsatz
für die Zukunft zu haben, oder umgekehrt; sodann wenn der Reue-
schmerz nicht, wie er sein spU, über alles (maximus) ist. Kurz vorher
hatte er nämlich auseinandergesetzt, daß der Reueschmerz zwar nicht
der Empfindung oder dem Gefühle, nach über alles sein müsse; doch
müsse der intellektive Schmerz (dolor intelleotivus) über alles sein;
man müsse die Sünde mehr verabscheuen, als irgendein anderes Übel.*
Eine ernste, über alles gehende Verabscheuung der Sünde wird demnach
von .Paludanus auch für die Attrition gefordert. Zudem erklärt er
ausdrücklich, daß mit der Attrition der Vorsatz, nicht ,mehr sündigen
zu wollen, verbunden sein müsse. Unter der Attrition, die er für
den würdigen Empfang des Bußsakramentes erfordert, ist also eine
wahre innere Reue zu verstehen, ;eine wirkliche Sinnesänderung, eine
Reue über alles, . verbunden mit dem Vorsatze, nicht mehr zu sündigen.^
Ist man wohl berechtigt, zu behaupten, daß die Lehre, die eine der-
artige Attrition forderte, , eine ,, Verwüstung der Religion und der
einfachsten, Moral", zur, Folge haben mußte ?^
Bezieht sich der Ablaß bloß auf die auferlegten Bußstrafen
oder auch auf jene, die hätten auferle.gt,werden sollen? Einige,
. > 1 Harnack 593. 2 gent. IV, d. 17. Bl.; 79 ff.
3 Dist. 17/ q. 8. Bl. 89. * Bist. 17, q, 1, a. 5. .Bl. 80.
^ Daß die Reuelehre des Paludanus keine Laxheit aufweist, hat schon
Johann Morin hervorgehoben. De contritione et attritione exercitatio historico-
theologica I 74 ff., in Qpera pothuma. ^Parisiis 1703. Vgl. auch'Göttler, Der
hl. Thomas von Aquin und die vortridentinischen .Thomisten über die Wirkungen
des Bußsakramentes. Freiburg iOOi, 155 ff.
« Ilarnack 593.
344 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte-des 14. Jahrhunderts.
bemerkt Paludanus, halten es für wahrscheinlich, daß ler^ sich auch
auf die aufzulegenden Strafen bezieht. Biese Ansicht gilt auch ihm
für wahrscheinlich. 1 Er fügt aber bei, daß andere — gemeint ist
Durandus — zwischen Ablässen einen Unterschied machen. Ablässe,
bei denen es heißt, daß dadurch etwas von den auferlegten Buß-
strafen erlassen wird (de iniunctis peniWtiis relaxamus),- würden sich
nur auf die vom Beichtvater auferlegte Buße erstrecken. Wird aber
ein vollkommener Ablaß aller Sünden erteilt, dann' wird alle Strafe
vor Gott und der Kirche erlassen, sowohl die auferlegte als die' auf-
zulegende.? .
In welchem Verhältnis steht der Ablaß zu dem vor-
geschriebenen Werk oder der zu leistenden Geldspende?
Das hängt von der Bestimmung ab, die der Ablaßspender getröffen.
Wird ein bestimmter Ablaß für eine bestimmte Leistung verheißen,
wie beim jetzigen Ablaß der Johanniter, bei dem 24' Jahre für eine
Spende von 24 Denaren in Aussicht gestellt werden,^ dann gewinnen
alle, ob reich oder arm, welche die Bestimmung erfüllen, den ver-
heißenen Ablaß. Heißt es aber ganz allgemein: Wer für diese Kirche
ein Almosen spendet, der gewinnt' so und so viel Tage Ablaß; dann
muß ein jeder nach seinem Vermögen spenden, also der Reiche mehr
als der Arme. Wird dagegen ein Ablaß von 40 Tagen' für den Besuch
einer Kirche verliehen, dann gewinnen jene, diein der Nähe wbhnen,
den vierzigtägigan Al:)laß ebensowohl als jene, die von ferne kommen.
Wie aber eine mehrtägige mit mühsamer -Pilgerfahrt* verbundene Buße
mehr gilt, als eine kurze Wallfahrt von einem Tage, so wird auch der
vierzigtägige Ablaß bei den Pilgern, die von ferne kommen, eine
größere Wirksamkeit haben, als bei' jenen, die nur ein paar Schritte
zu tun haben. *
Beachtenswert ist -das Urteil des P'aludanus über den tqties-
quoties- Ablaß, d. h. den Ablaß, den man so oft gewinnen kann,
als man das vorgeschriebene gute Werk verrichtet. Handelt es sich
um einen Ablaß, der für eine bestimmte Zeit ' verliehen worden, so
scheint, daß man ihn in der bestimmten Zeit nur einmal gewinnen
kann. Ist er dagegen ohne Einschränkung für immer verliehen worden
(indulgentia perennis), so kann man ihn jeden' Tag gewinnen, nicht
aber, wie es scheint, mehrmals im Tage. Denn dies könnte den Ablaß
zum Gespötte machen.^ Es scheint auch für einen derartigen öfters
^ Suarez 712 behauptet irrig, Paludanus lehre, daß der Ablaß sich bloß
auf die auferlegten Bußen beziehe.
2 „ Quando datvtr plena aut plenior vel plenissima indulgentia peccatorum,
tunc omnis pena iniiinota vel iniungenda in foro Dei et Ecclesie remittitur, id
est solvitur et hicet in futuro." Bl. 111'.
ä Diesen Ablaß hatte Kllemens V. am' 11. August 1308 auf fünf Jahre ver-
liehen. Eegestum' Clementis V. n. 2989. '•'
* Ähnlich äußert sich über den toties-quoties -Ablaß Nikolaus von Lyra
(t 1340) in einem ungedruckten Quodlibetum: „Si aliquis habet domum iuxta
ecclesiam et non facit tota die lüsi ire et redire!', so gewinnt er nicht jedesmal
den Ablaß, „quia illud esset magis derisorium quam devotum; tmde taliter debet
X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 345
wiederholten' Ablaß der genügende Grund zu fehlen, so' daß anzu-
nehmen ist, daß der Papst einen solchen Ablaß nicht geben konnte
oder nicht geben wollte. ^
In betreff der Frage, wer Ablässe erteilen könne, bringt
Paludanus. nichts Beachtenswertes. , Einige interessante Bemerkungen
macht er dagegen bei der. Erörterung der weiteren Erage, wem der
Ablaß zugute komme. Wie die, andern Theologen, so lehrt, auch
er, daß der Ablaß jenen, die im. Stande der Todsünde sich be-
finden, nichts nützen .kann. In den kirchlichen Ablaßformeln heißt
es denn auch, daß der Ablaß jenen zuteil werde, die ihre Sünden wahr-
haft bereuen und'beichtßn. Es genüge. .aber, falls nicht das, Gegenteil
gesagt wird, daß man den Vorsatz habe, in gehöriger Zeit zu beichten.^
Mit verschiedenen Kanonisten ist Paludanus der Ansicht, daß ein
Pfarrer seine Pf arrkinder ermächtigen kann, die von fremden Bischöfen
erteilten Ablässe, zu gewinnen. iWie ein Pfarrer, der die Priesterweihe
noch nicht empfangen hat und daher, nicht in der Lage ist, Beichte zu
hören und zu absolvieren, einen fremden Priester ermächtigen kann,
seine Pfarrkinder zu absolvieren, so kann er auch seine Pfarrkinder
der Jurisdiktion eines fremden Bischofs unterstellen, so daß dieser
ihnen Ablässe erteilen kann, die er selbst ihnen nicht erteilen könnte.
Daher soUien die Pfarrer stets ihre Beichtkinder ermächtigen, alle
ihnen zugänglichen Ablässe zu gewinnen.
Der Ablaß kommt nicht bloß jenem zugute, der die vor-
geschriebene Bedingung erfüllt, sondern auch einem andern, für den
diese Bedingurig erfüllt wird, möge dieser noch am Leben oder schon
gestörbein sein. ' Doch muß dies in der Ablaßbewilligung ausdrücklich
hervorgehoben werden. Geschieht' das nicht, so kann die Zuwendung
an einen andern nicht stattfihdeii. Denn der Ablaßspender ist es,
der.' den Ablaß erteilt, wem er will, nicht aber derjenige, der die Be-
diriguiig erfüllt. Wenn daher einige sagen, daß der Ablaß von dem
venire quod adventus suus sapiat devotionem; et ideo si vadit horis statutis
ad orandum vel audiendum verbuin Dei pro qualibet vice habere t." Mitgeteilt
von Felinus Sande us, Sermo de indiilgentia plenaria (1475), in Traetatus
universi iuris XIV, Venetiis 1584, 159'.
'- ' 1 „Pluries in die non videtur - sensisse [papa],' quia'posset cederein de-
risionem, quia non faceret homo nisi ponere pedem et exire et redire:, Videretiur
etiam non rationabile, si toties lucräretur, et supp'onendum qüod päpa non potuit
vel noluit dare indulgeritiam pro causa non iusta." Bl. 111'. Diese Stelle führt
beistimmend an Papst Benedikt XIV. in einem Schreiben vom -4, September
1748, das vom Portiunkula-Ablaß handelt. Abgedruckt bei P. A. Kirsch, Der
Portiunkula-Ablaß. Tubingen 1906, 18.- • '
^ „Intelligo autemconfessis in proposito, quia non. oportet de facto." Bl. 112.
Diese Ansicht haben damals schon und auch in späterer Zeit manche Theologen
und Kanonisten vertreten. Daß „damit die Verbindimg [des Ablasses] mit dem
Bußsäkramerit gelöst ist", wie Bratke 89 behauptet, ist nicht zutreffend. Alle
Autoren lehren ja, daß ein Todsünder, der den Ablaß gewinnen will, seine Sünden
wenigstens bereuen müsse. Die Reue aber, so lehren sie weiter, kann nur dann
von Nutzen sein, wenn 'damit der -Vorsatz verbunden ist, in gehöriger Zeit,
nämlich'in der österlichen Zeit, zu beichten. Das Bußsakrament wurde demnach
keineswegs ausgeschaltet. •" • '
346 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14., Jahrhunderbs.
Empfänger den Seelen im Fegfeuer zugewendet werden kann, so
ist dies nicht richtig, außer wenn es in der Ablaßbewilligung gestattet
wird.i Innozenz IV. lehrt indessen, daß nur der päpstliche Ablaß den
Seelen im Fegfeuer zugewendet werden kann.^
Von etlichen wird behauptet, daß nach Paludanus auch die Bischöfe
befugt wären, Ablässe für die Verstorbenen zu erteilen. Er lehrt nun
freilich, daß durch die Ablässe der ,, Prälaten" die Seelen im Fegfeuer
erlöst werden können.^ Daß er aber unter diesen Prälaten auch die
Bischöfe versteht, sagt er nicht. Man ist vollauf berechtigt, anzu-
nehmen, daß er nur von den' höchsten Prälaten, den Päpsten, sprechen
wollte,* um so mehr,' als er, wie soeben bemerkt worden, die angebliche
Lehre Innozenz' IV., daß nur die Päpste für die Verstorbenen Ablässe
erteilen können, anführt, ohne etwas dagegen einzuwenden. Sollte er
aber auch die Bischöfe gemeint haben, dann war er sicher der Ansicht,
daß diese für Verstorbehe nur partielle Ablässe erteilen können; denn
an einer andern Stelle lehrt er ausdrücklich, daß nur der Papst einen
vollkommenen Ablaß spenden kann,^
Am Schlüsse seiner Erörterungen iiber den Ablaß kommt Paludanus
auf die Ausdrücke plena, plenior, ,plenissima zu sprechen, die
Bonifaz VIII. in seiner JubiläunasbuUe vom Jahre 1300 gebraucht
hatte. Man könnte vielleicht, meint er, diese verschiedenen Ausdrücke
so erklären, daß der voUkonamene Ablaß (plena indulgeiitia) sich auf
die für die Todsünden schuldigen Strafen bezieht, der vollkommenere
(plenior) "auf die Strafen der schweren und läßlichen Sünden, der voll-
kommenste aber (plenissima) auch auf die Sündenschuld der läßlichen
Fehler. Denn, wie es scheint, kann durch den Ablaß, inspfern er den
Charakter einer gewissen Absolution hat, d.ie läßliohe Sünde der Schuld
nach erlassen werden, wie sie ja auch .durch das nicht sakramentale
allgemeine Sündenbekenntnis erlassen wird. Doch ist hierfür Reue
erfordert, allerdings eine geringere Reue, als sie zur Nachlassung der
läßlichen Sünde erforderlich wäre ohne die Dazwischenkunft der päpst-
lichen Absolution oder der bischöflichen Benediktion.^ Der Ablaß
^ „Ille qui dat indulgentiam est dispensator et applicat cui vult, non autem
ille qui implet conditionem; unde quod dieunt aliqui quod indulgentia ex intentione
suscipientis transfertur in illum qui est in purgatorio, non est verum, nisi forma
cpnced,entis hoc habeat." Bl. 112. Unter, den „aliqui" ist Durandus zu ver-
stehen. Vgl. oben S. 340.
* „Tamen Innoeentius (Extra, c. quod autem) dicit quod solius pape in-
dulgentia valet defuncto." Dies lehrt Innozenz IV. nicht. Vgl. oben S. 319.
2 Sent. IV, d. 45, q. 1, a. 3: „Anime defunctorum liberantur indulgentiis
prelatorum." Bl. 217'.
* Auch Thomas von Aquin gebraucht den Ausdruck „praelatxis Ecolesiae"
bei der Behandlung der Ablässe für Verstorbene. Sent. IV, d. 45, q., 2, a. 3,
qu'aest. 2 (Suppl. q. 71, a. 10).
5 Sent. IV, d. 20, q. 4, a. 3.
" „Potest, ut videtur, per indulgentiam, in quantum habet rationem ouius-
dam absolutionis, remitti veniale quoad culpam, sicut et per confessionem gene-
ralem non sacramentalem; sed ad hoc requiritur contritio . . .' Ali qua contritio
X. D^ie Ablaßlehre der The.olpgen der ersten, Hälfte des 14. Jahrhunderts:. 347
wird also hier als Absolution den kirchlichen Sakramentalien oder
Benediktionen beigezählt, bezüglich deren Paludanus an einem andern
Orte lehrt, daß in Verbindung mit ihnen ,eine geringere Reue zur
Vergebung der läßlichen Sünde genüge. Doch unterläßt er nicht,
äu, betonen, daß auch die läßliche Sünde nicht.ohne Reue nachgelassen
werden kann.^
Der Ansicht des Paludanus, daß die läßjiche Sündenschuld durch
den Ablaß nachgelassen werden könne, hat man schon öfters eine
allzu große Bedeutung beigelegt. , „So;ist denn", hat man behauptet,
„mit, dem Ablaß ein gewisser Schulderlaß verbunden. Und Petrus
de Palude ist bereits so weit, denselben zu ^einem opus operatum zu
machen."^ An letzteres hat Paludanus nicht gedacht. Er lehrt auch
nicht, daß mit dem Ablaß ein gewisser Schulderlaß verbunden sei;
er sagt bloß, es könne, wie es scheint, äurch den Ablaß die läßliche
Sündenschuld erlassen werden. An' einer andern Stelle betont er aber
ausdrücklich, daß der Ablaß die läßlichen Sünden nicht tilge. Indem
er die Mittel' aufzählt, T^odurch die läßlichen Sünden nachgelassen
werden können, erklärt er, daß der Ablaß zu diesen Mitteln nicht
gehöre, da durch ihn nur die Sündenstrafe, nicht die Sündenschuld,
auch nicht der läßlichen Fehler, erlassen werde. ^
Johann von Dambaeh.
Der elsässische Dominikanfer Johann von Dambach,* der 1347 in
Montpellier zum Doktor der Theologie promoviert uiid noch in dem-
selben Jähre als Professor nach Prag gesandt wurde, hat über den
Ablaß zwei kurze Traktate verfaßt, die noch ungedruckt sind. Der
eine, de quantitate ihdulgentiarum betitelt,^ behandelt in zwölf Para-
ßst plena (d. h. genügend zur Nachlassung der Sünde), adiuncta papali absolutione,
que per se non sufficeret, et coniuncta benediotione episcopali, que, per se non
sufficeret.'J 31. 112'.
1 Sent; IV; d. 16, q. 1, a. 1 :, „Veniale non potest remitti voluntate manente
ad illud.''. A: 2: „Peccatum veniale non remittitur sine oontritione." Zur Ver-
gebung der läßlichen Sünden, dienen verschiedene Sakrainentalien, unter anderm
auch, die, bischöfliche Bene^ciiktion; doch müsse ihre Benutzung mit dem Abscheu
vor der Sünde verbtuxden sein: ,,Per illos modos plus quam per alia bona opera
dimittuntur, .licet nee per hos dimittanturnisi cum displicentia ,voluntatis . . .
Dico autem quodj minor .dolor cum his'sufficit ad remissionera venialium quam
sine his." Bl. 74 f. Über die Lehre des Paludanus von der Wirksamkeit der
Sakramentalien vgl. A. Franz, Die kirchlichen Benediktionen im Mittelalter I,
Freiburg 1909, 21 f. ' .
2 Bratke 90.
ä Sent. IV, d. 16, q. I, a. 2: „Que omnia cum contritione remittunt; non
autem indulgentie, que solum penam, non culpam, etiam venialem remittunt,-'
Bl. 75'.
* Vgl. über ihn Quetif I, 667 ff. .Denifle, Archiv für Literatur- und
lürehengeschichte des Mittelalters III (1887) 640 ff. Ch.i Schmidt, in Eevue
d'Alsace XLVII (1896) 314 ff. /N. Paulus, in Bulletin ecolesiastique de Stras-
bourg 1922, 52 ff. 146 ff.
.^ Der Traktat, der mit den- Worten beginnt: „Quoniam nonnunquam in
quantitate indulgenciarum" , findet sich anonym in der Münohener. Staats-
348 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14'. Jahrhunderts.
graphen ausschließlich die von Bischöfen' erteilten Ablässe. Es sind
bloß kirchenrechtliche Fragen, die zur Erörterung kommen. Als Ge-
währsmänner treten denn auch vornehmlich Kanonisten auf, Inno-
zenz IV., Bernhard von Bottone, Hostiensis, Johannes Monachus,
Johannes Andrea. Nur einmal wird ein Theolog angeführt, der soeben
besprochene Paludanus. Johann hat die Abhandlung ohne Zweifel
während seines Aufenthaltes in Prag verfaßt, lia bei den Erörterungen
von Jurisdiktionsfragen diese Stadt genannt wird. Wiederholt ist die
Rede von den Ablässen des Basler Dominikanerklosters. Hatte doch
der Verfasser einige Jahre in Basel zugebrächt, nachdem er 1338 mit
seinen Mitbrüdern Straßburg hatte verlassen müssen.^
Von größerem Interesse ist der zweite Traktat, tractatulus de virtute
indulgentidrum,^ der in sieben Paragraphen das Wesentlichste der
Ablaßlehre in einfacher Weise gut darbietet. Der Verfasser erklärt
gleich am Anfange, daß er nichts Eigenes bringen wolle, sondern nur,
was er in den Schriften anderer vorgefunden. Während, in der ersten
Abhandlung die Kanonisten das Wort führen^ erscheinen hier vor
allem Theologen, und zwar nur Dominikaner, namentlich Albertus
Magnus, Thomas von Aquin, Petrus von Tarentäise, Johann' von
Ereiburg. Doch wird bisweilen auch auf Hostiensis verwiesen, so
z. B. bei der Behandlung der Frage, ob ein Mensch durch die Ablässe
die schuldige Strafe völlig ' tilgen könne;- falls der Beichtvater ihm
eine nach dem Urteile Gottes genügende Buße auferlegt habe.^ Johann
erinnert daran, wie Hostiensis lehre, daß durch den päpstlichen Plenar-
ablaß alle Buße erlassen werde, so daß, der jenige, der nach Gewinnung
eines solchen Ablasses sterben sollte, sofort in den Himmel kommen
würde. Daraus ergibt sich, bemerkt hierzu Johann, „daß der Papst
bibliothek. Cod. lat. 22373, Bl. 69 — 80. Den Namen des Verfassers haben zwei
Handschriften von Heiligenkreuz, Nr. 208 (geschrieben' 1873) und Nr. 216. Vgl.
die Handschriften- Verzeichnisse der Zisterzienser- Stifte in ■ Österreich I, Wien
1891, 171 174. Ebenda' 22 die Beschreibung, einer' anonymen 'Handschrift in
Eeun, Nr. 30. Mit dem Namen des Verfassers- findet' sich der Traktat in'Krakau
(W. Wislocki, Catalogus codicum'ms. bibl. -Univ. Jagellonicae Cra'coviensis»
Cracoviae 1877 — 81, Nr. 1614) imd Basel. (G. Haenel, Catalogi librorum -manu-
scriptorum. Lipsiae 1830, 557). • ' - '-' - '■" ■ -
^ Johanns Aufenthalt in Basel um 1340 bezeugt ein Brief des Dominikaners
Venturino von Bergamo. Vgl.. Quötif I 668. B. Altaner, Venturino- von
Bergamo. Breslau- 1911, 45 [Kirchengeschichtliche Abhandlungen IX, -2].
2 Ohne den Namen des Verfassers in drei Handschriften der Münchener
Staatsbibliothek. Cod. lat. 5613, 166—72; 7567, 104r-10; 18568, 94'— 119'.
Mit dem Namen des Verfassers in Heiligenkreuz, Nr. 208 (Abschriftf'aTis dem
Jahre 1373). Vgl. die Handschriften -Verzeichnisse der Zistefzienser-Stifte in
Österreich I 17L Der Traktat beginnt mit den Worten: „Cum non paucorum
erga benefioia indulgenciarum."
3 Quaestio IL „TJtrum per indulgencias homo potest extinguere totum.
purgatorium, seu= totam penam sibi debitam pro culpa, si sacerdos iniunxerit
cohdignam penitentiam securidum Judicium Dei," Aus dem Umstände, daß
Johann die Auflegung einer den Sünden völlig entsprechenden (condignam)
Buße voraussetzt^ scheint hervorzugehen, daß er den Ablaß hur für 'die auf-
erlegten Bußen gelten ließ .
X.Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14, Jahrhunderts. 349
YÖn Straf e: und Schuld absolvieren kann".^ Dies lasse sich auch
noch folgenderweise dartun: Der, Papst kann einen uneingeschränkten
Ablaß erteilen, welcher der Buße angemessen sei, die einem. Pönitenten
f ür seirie Sünden auf erlegt worden.^ .Stirbt nun der Pönitent, nachdem
er eines derartigen Erlasses teühaftig, geworden, so -wird er ohne Feg-
feuerstrafe, gen Himmel fahren. Unter der päpstlichen Absolution von
Strafe und Schuld hat demnach Johann von Dambach, wie andere
seiner Zeitgenossen, nichts anderes als einen vollkommenen Straferlaß
verstanden.
Die zweite Ablaßschrift, enthält einen ■ wichtigen , Beitrag zur
Lebensgeschichte Johanns von Dambach. In der Matrikel der Uni-
versität Bologna ist unter dem Jahre 1341 ein ,, dominus Johannes
Tambacho" eingetragen.^ ,,An den berühmten Dominikaner Johann
von Dambach", meinte man; ,,darf hier kaum gedacht werden. Von
einem Studium desselben in Bologna ist nichts bekannt."*. Nun erklärt
aber Johann selber in seinem Ablaßtraktat, daß er in Bologna Theo-
logie/studiert habe.^
, Etliche andere Dominikaner aus jener Zeit seien bloß im Vorüber-
gehen erwähnt. Von Rainervon Pisa ist bereits früher die Rede
gewesen.^ Wie Rainer nur die A.nsichten anderer wiedergibt, so bringt
auch die 1338 voUeniiete sogenannte Sunima Pisanella des Domini-
kaners Bartholomäus von Pisa oder von San Concordio (f 1347)
bezüglich des Ablasses bloß die Ausführungen früherer Theologen und
Kanonisten.' Benützt wurden namentlich Thomas von Aquiii und
Petrus von Tarentaise. .Dagegen hat der deutsche Verfasser der Summa
rudiu'm,^ die ebenfalls in den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts
entstanden ist, Johann von Freiburg ausgeschrieben.^ Neu ist jedoch
1 ,,Ecce hie manifeste habetur vel haberi potest quod papa potest absolvere
a pena et a- culpa." , .' - >
2 „Papa potest dare ex plenitudine ^ sue potestatis indidgencias indeter-
minatas seu generales, que possunt proporoionari penitenoie alicuius pro suis
pecoatis iniuncte." '
ä E. Friedlaender et C. Malagola, Acta nationis germanicae Universi-
tatis Bononiensis. Berolini 1887,' 103.
* G. Knod, Deutsche Studenten in Bologna 1289 — 1562. Berlin 1899, 86.
^ Clm. 5613, 167': „Ciun adhuc essem Bononie studens in theologia."
V" OJaen S.,,315. . , ' - . , . - , .
■^ Summa Pisanella., ,Venetiisvl481,,s. v. Indidgentia. Vgl. -Dietterle,
Zeitschr. f. Kirchengeschichte* XXVII 166 ff.
-. « Summa Eudium. Reutlingen 1487, eap. ,39. Dietterle XXVII, 78 ff.
Daß der anonyme Verfasser, ein, Dominikaner. war, ergibt sich aus, der Schlviß-
bemerkung: „Terminatur Summa rudium autentica ad honorem gloriose virginis
Marie et beati dominici patris nostriordinis fratrum predicatorum." Auf deutschen
Ursprung .weist folgende Bemerkung hin: „Debet;Conteri, 'h. e. ruwen." cap. 29.
^,Auch die. Einleitung: „Cum- iam, gracia abundante" bis „utile iudieavi
de hoc materia, aliqua seoundum, maiorum sententias annotare", ist wörtlich
aus der Summa Confessorum Johanns von Freiburg entnommen., Vgl. oben
S. ,330. Dietterle, der übersehen hat, daß es sich um .eine wörtliche rEntlehnung
handelt,, bemerkt dazu (S. .80): j.D.er Verfasser kann sich) also mit den zu seiner
Zeit auf gekominenen Theorien';, über die Indizlgenzen nicht befreunden und^ geht
nun auf die maiores zurück."
350 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.
eine kurze Bemerkung über den Ablaß für die Verstorbehen. Der
unbekannte Dominikaner hebt nämlich hervor, daß ,, viele" diesen
Ablaß nicht anerkennen.^
Noch sei bemerkt, daß zwei oft genannte Dominikaner des 14. Jahr-
hunderts, HerväusNatalis undRobert Holkot, in ihren gedruckten
Schriften den Ablaß nicht behandeln. Die gedruckte Ausgabe des
Sentenzenkommentars des Herväus- schließt allerdings ab' mit der
14. Distinktion des" 4. Buches ;2 doch hat der Verfasser den Ablaß
besprochen in der 20. Distinktion, wie sich aus einem späteren Zitat
bei Prierias ergibt.^ Auch wird ihm ein ganz kurzer trädatus de in-
dulgentiis zugeschrieben, der früher im Dominikanerkloster zu Paris
verwahrt wurde.*
Petrus Aureoli.
Petrus Aureoli, ein berühmter Theolog des Franziskanerordens,^
1316 — 18 Lehrer in Paris, 1320 Prövinzial von Aquitanien, 1321 Erz-
bischof von Aix, gestorben 1322, stellt seine Ansichten über den Ablaß
in zwei Artikeln des Sentenzenkommentars zusammen.* Im ersten
handelt er von der Vollmacht der Kirche, Ablässe zu erteilen; im
zweiten wird die Frage erörtert, ob der Papst allein Ablässe verleihen
könne.
Daß die' Kirche aus dem Schatze der Verdienste Christi und der
Heiligen Ablässe erteilen könne, gilt unserm Franziskaner als sichere
Wahrheit. Wenn schon ein einfacher Gläubiger durch seine guten
Werke die Strafe, die ein anderer schuldet, für diesen abtragen kann,
um wieviel mehr wird dann die Kirche aus dem allgemeinen Verdienst-
schatze Christi und der Heiligen die Schulden ihrer Kinder begleichen
können. . Kann aber die Kirche auch ohne Zuhilfenahme dieses Ver-
dienstschatzes, bloß kraft ihrer Lösegewalt Ablässe gewähren ? Manche
verneinen die Frage, bemerkt Aureoli; er aber sei der Ansicht, man
dürfe in frommem Glauben dem Papste die Befugnis zusprechen,
Ablässe zu spenden nicht .bloß aus dem Verdienstschatze der Kirche,
sondern auch absolut, ohne Kompensation, kraft der ihm von Christus
' ^ ^jOppositum illixis multi sentiiint dicentes qubd bona opera per que quis
ineretur indulgencia, ut elemosine et peregrinationes, valent eis siout alia suf f ragia
ecclesiastice caritatis, sed non per modum indulgenciarum, quia papa solum habet
ligare super terram,"
* Iii quatuör i*. Lombardi sententiarunx Volumina Scripta. Venetiis 1606.
3 Errata et argumenta M. Luteris. Romae 1520, 120'.
* Qu^tif I 536.
^ Vgl. über ihn N. Valois, in Histoire litteraire de la France XXXIII
(1906) 479-^527. R. Dreiling, Der Konzeptualismus in der Universalienlehre
des Franiziskanerbischofs Petrus- Avireolii Nebst biographisch-bibliographischer
Einleitung. Münster 1913 [Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittel-
alters. XI 6].
* Commentaria in quatuor libros Sententiarum. Romae 1596. 1605. Der
Kommentar zum vierten Buche, in welöhem vom Ablasse gehandelt wird
(IV 148—162), ist im Jahre 1317 zu Paris verfaßt worden^ Vgl. Dreiling 27.
X. Die Ablaßlehre der, Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 351
verliehenen Lösegewalt.^ Dies scheinen schon die päpstlichen Ablaß -
schreiben nahezulegen, da die Päpste' darin sich iiicht auf den Kirchen-
schatz; sondern auf die apostolische Vollmacht und die göttliche Bärm-
herzigkeit beriefen. Dasselbe ergebe sich auch aus dem Evangeliuin.
Zu Petrus ist gesagt worden: Alles, was du auf Erden lösen wirst,
wird auch im Himmel gelöset sein. Mit diesen Worten ist dem
hl. Petrus die Vollmacht erteilt worden, von allem zu entbinden, was
den Eintritt in den Himmel hindern könnte. Hierzu gehört die hoch
abzutragende Strafe für die Sünden; folglich kann der Papst von dieser
Strafe entbinden. Dies läßt sich noch auf folgende Art beweisen:
Wem das Größere zusteht, dem kann das Geringere nicht abge-
sprochen werden. Nun ist es aber etwas Größeres, von der Sünden-
schuld loszusprechen, als von der Strafe. Und da dem Papste die
Vollmacht erteilt worden ist,' von aller Sündenschuld zu absolvieren,
so kann er auch die Strafe lösen. Dabei ist freilich zu beachten, daß
die Lösung der Strafe anders geschieht, als die Lossprechuiig von der
Schuld. Letztere geschieht mittelst des Sakramentes. Wenngleich
nun die Strafe ebenfalls durch das Sakrament erlassen wird, so kann
sie doch auch unmittelbar' außerhalb .des .Sakramentes stattfinden,
was eben durch ;den Ablaß geschieht. Aureoli war demnach der Ansicht,,
daß der Papst nicht bloß auf Grund des Kirchenschatzes, sondern auch
einzig und allein kraft der überkommenen Lösegewalt Ablässe erteilen
könne.
Die Ablässe beziehen sich direkt auf die für die Sünden geschuldeten
Strafen, mögen diese Strafen auferlegt worden sein oder nicht ; folglich
beziehen sie sich indirekt auf die Fegfeuer strafe. Da aber im Fegfeuer
die Dauer der Strafe nicht nach Tagen abgemessen wird, so kann ein
Ablaß von 10 Tagen nicht die Bedeutung haben, daß dadurch 10 Tage
im Fegfeuer nachgelassen werden. Ein derartiger Ablaß besagt viel-
mehr, daß dadurch so viel von der Fegfeuerstrafe, erlassen wird, als
hiehieden durch eine Buße von 10 Tagen abgetragen worden wäre.
Dem Einwände gegenüber, daß' die Ablässe eine Neuerung sind,
von deren Einführung durch Christus und die Apostel nichts bekannt
sei, bemerkt Aureoli: Tatsächlich ist in den Schriften wenig darüber
zu finden, daß die Ablässe von den Aposteln und den heiligen Kirchen-
vätern überliefert worden wären. Doch scheint, daß sie von Papst
Gregor eingeführt worden sind. Daß aber die Heiligen von diesem
Gegenstande wenig gesprochen haben, erklärt sich vielleicht dadurch,
daß sie die Ablässe als etwas Allbekanntes voraussetzten.
Die Frage, ob die Ablässe so viel gelten, als sie besagen, wird von
Aureoli ganz kurz erledigt. Er bejaht sie mit voller Entschiedenheit.
Daß infolgedessen einer, der wenig leistet, dens,elben Ablaß gewinnen
^ „Dico quod potest pie teneri, Caput Ecclesiae non soltun per modura
aatisfactionis et recompensationis, quod fit accipiendo de merito Christi et
sanctorum, sed auctoritate sibi tradita a;; Christo . . . absolute, nihil aliud pro
reoompensatione dando, posse poenas' quas voluerit relaxare." Serit. IV, d. 20)
a. 1. S. 149.
352 X. Die Ablaßlehre der, Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.
kann, wie ein anderer, der mehr leistet, gibt er bereitwilligst zu. So
liabe beim. Jubiläum im Jahre 1300 ein Römer denselben Ablaß ge-
winnen können, wie jener, der aus dem fernen .Norwegen kam; aber
nur bezüglich dessen, wofür der Jubelablaß gegeben worden, nämlich
bezüglich der nachzulassenden Strafe. Anders verhalte es. sich mit
dem himmlischen Lohne, der desto, größer sein, wird, je größer die
hienieden übernommenen Beschwerden waren. Nun ist aber eine
geringe Steigerung der himmhschen Glorie viel mehr wert,, als eine
tausendmal größere Verminderung , der zeitlichen Strafe. -^
Bei der Beantwortung der Frage, ob der Papst allein Ablässe
erteilen könne, greif t , Aureoli zu einer ganz willkürlichen Unter-
scheidung. Bloß auf Grund der Lösegewalt, meint er, kann nur der
Papst die Sündenstrafen nachlassen, da ihm allein die Worte gelten:
Was du auf Erden lösen wirst usw. < Durch Mitteilung aus dem Ver-
dienstschatze dagegen können auch die Bischöfe Ablässe erteilen, aber
nur in den vom, kirchhchen Gesetze bestimmten Grenzen. Über die
Ablässe für die Verstorbenen hat.sich Aureoli nicht ausgesprochen.
Mit Aureoli stimmt vielfach überein der Minorit Landulfus
Caraccioli, ein Neapohtaner, ■ der, nachdem er in Paris Theologie
studiert und gelehrt, hatte, 1327 Bischof von Castellamare wurde und
um 1351 als Erzbischof von Amalfi gestorben ist. Die eigentümliche
Ansicht, daß der Papst Ablässe erteilen könne, ohne zum Kirchenschatz
seine Zuflucht zu nehmen, vertritt er ganz in derselben Weise wie
Aureoli. Sein Sentenzenkommentar, worin die Ablaßfrage erörtert
wird, findet sich handschriftlich in verschiedenen Bibliotheken, z. B.
in Wien, Krakau, Erlangen, Basel.i
Franziskus Mayron.
Mayron; ein hervorragender Schüler von Duns Scotus, gestorben
1327, hatte schon längere Zeit als Bakkalaureus der Theologie an der
Pariser Hochschule Vorlesungen gehalten, als er im Jahre 1323 auf
Anordnung Johanns XXII. zum Doktor promoviert wurde. ^ -Sein
Kommentar zu den Sentenzenbüchern wird also wohl im zweiten
Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts entstanden sein. In diesem Werke
wird die Ablaßfrage ziernlich kurz behandelt.^ Sehr eingehend wird
sie dagegen erörtert in einer Predigt, die Mayron einmal am 1. August,
an Petri Kettenfeier, am Vorabend des Portiunkulafestes,* gehalten
1 Caraccioli wird oft angeführt von N. Waigel, der ihn bald Landolphus,
bald Ludolphus nennt und irrig als „Anglicus" bezeichnet."
» Eubel, Bullarium V 250.
ä In quatuor libris sententiamm. Yenetiis 1519, 1. IV, d. 19, q. 2 et 3.
Bl. 214' — 215. Bratke 22 meint, das Werk sei, „noch ungedruckt".
* Mayron bemerkt am Anfange der Predigt: „Quia in presenti solemnifcate
(Petri Kettenfeier) indulgentia beati patris nostri Franoiscifuit divinitus ordinata",
wolle er vom Ablaß handeln.
X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14., Jahrhunderts. 353
hatj^ujid die im Mittelalter viel ver\\^ertet worden ist.^ Wir werden
daher unserer Darstellung diese Predigt zugrunde , legen und den
Sentenzenkommentar nur nebenbei anführen.
Die Ablaßpredigt zerfällt in zwei Teile. Der erste behandelt das
Weseh des Ablasses, der zweite seine Eigenschaften.
Was ist der Ablaß ? Der Ablaß ist eine .Nachlassung der
Sünden bezüglich dessen,, was nach Empfang des . Bußsakramentes
von den Sünden noch z^orückbleibt.^ In. der, Sünde ist nämlich zu
unterscheiden z)vischen der Schuld .oder der Beleidigung Gottes und
der, für die begangene Beleidigung verdienten Strafe. Der Ablaß
bezieht sich nun nicht auf die Sündenschuld, sondern nur auf die Strafe ;
er ist bloß ein; Erlaß, der Sünden der Strafe, nach,^ und, zwar der zeit-
lichen Strafe, die hier oder im Fegfeuer abzutragen wäre. Daraus folgt,
daß es einen Ablaß von Strafe und. Schuld- nicht gebe; denn wie
das Bußsakranient sich auf die Schuld bezieht, so der Ablaß, auf, die
Strafe.* Es wird denn auch der .AuscLcuck „Ablaß von Strafe und
Schuld" von, der Kirche niemals gebraucht;^ noch mehr, der Ausdruck
scheint auch unkirchlich zu sein; denn gäbe. es einen derartigen Ablaß,
dann würde dadurch das Bußsakrament unnötig gemacht werden, da
man .ja durch, den Ablaß, Befreiung von ; der ; Sündenschuld erlangen
könnte.^
Ganz dasselbe lehrt Mayron in seinem. Sentenzenkommentar. Hier
wirft er die Frage. auf , ,,ob d.er Papst von Strafe und Schuld lossprechen
könne." Die Antwort lautet; Im Bußsakrament, kann er freilich von
Strafe und Schuld lossprechen; doch. kann er keinen Ablaß von Strafe
und Schuld .erteilen, obschoner. einen vollkommenen Erlaß aller
Sündenstrafen gewähren könne.' Nur im Bußsakrament kann er von
1 Sermbnes de Sanctis. Basilee 1498, Bl. 93 — 100. Die Ablaßpredigt Vurde
später oft zitiert als „traotatus de indulgentiis" oder „de olavibus". Zahlreiche
Abschriften des Traktats, der mit den. Worten „Quodcunque ligaveris" beginnt,
finden, sich in den Handschriften der Münohener Staatsbibliothek., Die meisten
sind anonym; in etlichen wird die Predigt Männern zugeschrieben, die nichts
damit zu tun habeii. Die "Predigt ist zum größten Teil abgedruckt aus einer
anonymen Polünger Abschrift (jetzt im Münchener Cod. lat. 11439) bei Am ort II
122 f. Ämort', der die, Herkunft des Traktats nicht kannte, versetzt ihn .irrig
iiis Jahr 1480. ' ' - ' - ^ ' ■ , ' -
.2 „Indulgentia est remissio peccatorura.,quoad illa que post susceptum
penitentie saoramentum .remanent de peooätis . . . , Quod vero indidgentia sit
de illis que remanent susceptö sacramento penitentie, probatur per hoc quod
seoundum consuetudinem decentissimam ecclesie indulgentia non datur nisi vere
penitentibus et eonfessis." Bl. 94'.'. ~ ' , ■
'' „Indulgentia soltuh est remissio peccatprum quantum ad penam." Bl. 95,
* „Nulla potest esse indulgentia data a, pena et a culpa, quia sicut
penitentia direote respioit culpam, ita indulgentia adequate respicit penam."
^ „Boclesia nunquäm utitür tali forma." Bl. 95.
' ,',Illa fbrmia,, ut detur peccatdrum indulgentia a pena a c\ilpa, videtur
militare' contra ecclesiam; tuno enim videretur evacuari sacramentum con-
fessionis, ut non sit de necessitate salutis, cum indulgentia tam a pena quam
a culpa possit diluere." Bl. 95'.
' Sent. IV, d. 19, q. 3: „Potest absolvere a pena et a culpa in foro peni-
tentie . . . Non potest dare indulgentiam a pena et a culpa, quia culpa est materia
Paulus, Die Geschichte des Ahlasses. 23
554 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.
der Schuld lossprechen.^ Es wird aber doch, so wendet Mayron selber
ein, gemeiniglich gelehrt j daß* es einen 'Ablaß von Strafe und Schuld
gebe. 2 Ein solcher Ablaß,- antwortet er, ist niemals von der Kurie
ausgegangen;^ auch soll man diese Ausdrucksweise nicht gebrauchen,
da der Ablaß sich nicht auf ' die Schuld beziehe.*
Im zweiten und umfa,ngreicheren Teile seiher Predigt fragt Mayron
zunächst, aus welcher Quelle die Ablässe herstammen. Es wird
gelehrtj bemerkt er, daß sie aus "dem Kirchenschatz, aus dem Schatze
dier Verdienste Christi und der Heiligen herrühren. Diese Lehre gefällt
ihni jedoch nicht, und zwar aus einem' doppelten Gründe: einmal,
weil in der Hl. Schrift nicht ausdrubklich (erklärt wird, daß der Papst
über die Verdienste Christi verfügen könne; sodann; weil' Christus und
die Heihgen für das, was sie hienieden getan und gelitten haben, über-
reichlicli belohnt worden sind,^ so daß von überschüssigen Yerdiensten
keine Rede sein könne. Es scheint- ihm daher, daß die Ablässe einfach
auf Grund der voh Christus der Kirche erteilten Lösegewalt verheben
werdehl® Können die .kirchlichen Oberen kraft dieser ' Gewalt von 'der
Sündenschuld und der ewigen -Höllensträfe' lossprechen, so könrien sie
um so mehr auch die geringere. Fegfeuerstrafe erlassen.
lii seinen weiteren Erörterungen behandelt Mayron unter der Über-
schrift „Vom Nutzen der Ablässe" eine ganze Reihe von mehr oder
wehiger wichtigen Fragen. Erstens sucht er darzutuh, daß die Ablässe
etwas bewirken (quod prpficiant). Zweitens erklärt er, was sie
bewirken (quid proficiant). Dabei betont er nicht liur, daßdie Ablässe
Nächlassung der zeitlichen Sündensträfen hier und im Jenseits be-
wirken; er erinnert auch daran, daß dem Ablaß eine Vermehrung der
Gnade und des himmlischen Lohnes zu verdanken ist, und zwar wegen
der guten Werke, die im Stande der Gnade zur Gewinnung des Ablasses
verrichtet werden müssen.'.- ' , ,
An dritter Stelle wird, von dem Umfang der Wirksamkeit der
Ablässe gehandelt (quahtiim proficiunt). Sie wirken so viel, läutet
die Antwort, als sie lauten, d. h. als in der Ablaßbewilligung erklärt
repugnans indulgeritie . . -. Potest dare indulgentiam omnis pehe' et omni um
peccatorum (nämlioh was die Strafe betrifft), quia in ecclesia habet plenitudinem
potestatis." Bl. 215.
1 „In f oro iudiciali non potest absolvere a culpa, sed tantum in penitentiali."
2 „Communiter docetur quod' datur indulgentia a pena et a culpa."
3 „Nunquam talis indulgentia emanavit a curia."
* „Nee sie debet doceri, quia super culpäm non imponitur," Bl. 215.
^ In der Predigt sagt Mayron dies bloß von den Heiligen; im Sentenzen-
kommentar dagegen ist auch die Rede von Christus: „Qiiia Christus est plene
et complete remiineratus de omnibus actibus suis; item martyies." Bl. 214'.
* „Idee videtur dicendimi quod ilie indulgentia que sie dantur ab ecclesia
per modum auctoritatis, procedunt ex illa potestate quam Christus dedit beato
Petro, quando dixit ei : Quodcunque ligaveris etc." Bl. 95'. Ähnlich im Sentenzen-
kommentar d. 19, q. 2. Bl. 215.
' „Cum supponant hominem esse in charitate, opera talia meritoria merentur
gratie augmentum. Tales autem indulgentie non habentur nisi per opera meri-
toria de natura sua; ideo hierum indulgentie non potest fieri sine äugmento
gratie." Bl. 96'.
X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälftes des 14. Jahrhunderts. 555
wird. Nun können aber die Ablässe auf. viererlei Art bewilligt werden t
Manchmal .werden sie nach Tagen erteilt, so wenn z. B. ein Ablaß
von 10 Tagen bewilligt wird. In diesem /Falle werden 10 Tage der
auferlegten Buße nachgelassen; ist aber eine solche Buße nicht, auf-
erlegt worden, dann wird so,, viel yon der Fegfeuerstrafe erlassen, als
durch eine zehntägige Buße, abgetragen worden wäre. ,Öfters werden
die Ablässe, auch nach Jahrein verliehen. Dann gilt der Ablaß von
einem Jahre so, viel, als die Verrichtung einer, auferlegten einjährigen
Buße. , Bisweilen lautet der Ablaß, auf einen bestimmten Teil der
Sünden (certam portionem peccatorum), wenn z. B,. die Hälfte der
Sünden erlassen wird.^ Jn diesem Falle wird die-HäKte der auferlegten
oder, aufzulegenden Bußen sowohl vor der Kirche als vor dem Richter-
stuhle Gottes erlassen.^ Wie viel von der Fegfeuers.trafe durch den
Ablaß von einem, Jahre nachgelassen wird, kann nicht bestimmt
werden, da, man nicht weiß, wie viel durch ein Büß jähr erlassen wird.
Daher wäre es sicherer, einen Ablaß der Hälfte oder des Drittels der
Buße zu gewinnen, weil in diesem Falle, die Sicherheit gegeben wäre,
daß die Hälfte oder der dritte Teil der Fegfeuerstrafe erlassen werde,
während man bei Ablässen von Jahren und Tagen eine derartige
Sicherheit nicht hat. Nebst den partiellen Erlassen gibt es auch
vollkonimene Ablässe, die sich auf alle Sünden beziehen.^ Durch
diese Ablässe werden alle Sühderistrafen nachgelassen.* Sollte daher
jemand nach der Gewinnung eines vollköimneiien Ablasses sterben,
so würde er von Mund auf in den Himmel fahren.^
An dieser Stelle heißt es wiederholt; daß der Ablaß sich sowohl
auf die auferlegte als auf die aufzulegende Buße bezieht.^ Gleich
nachher lehrt aber Mayron das Gegenteil bei der ■ Behandlung der
Frage, in welcher Weise die Ablässe nützen (qualiter proficiunt).
Sie nützen, sagt er, in derselben Weise wie die hienieden auferlegten
Bußen, w^enn sie verrichtet werden.' Ist aber keine Buße auferlegt
^ „Cum medietas vel pars, -peccatorum relaxatur." Bl. 97.
'„Si indulgentie sonant ad quantitatem peccaminum quoad penam, ut
dimidiam partem, remittitur media pars penitentiarum iniunctarum sibi vel
iniungendarum secundum arbitrium sapientis sacerdotis .... Et ideo de illa
portione non habebit penam in hoc seculo'neo in futuro." Bl. 97.
^ „Respi'ciendo ad totum, ut cum datur remissiö peccatorum omnium
secundum pleriariam indülgentiam;".
* „Si indulgentie sönänt qüantum ad totum cumuliun peccatorum, ut
penam remittaiit secundum formam indulgentie plene, tunc omne debitum
aufertiir, ut nullus featus pene femaneat piro isto seculo . . . neo etiam in futuro
seculo." Bl. 97.
5 „Queritur utrum', si tales cum plenitudine talis indulgentie moriuntur
nuUo peccatö apposito, statim evolent. Dioitur quqd sie." Bl. 97'.
• Vgl. auch Sermones, Bl.^ 142' : „Cum ecclesia confert indulgentiam, tunc
remittit penas infUctas vel infligendas."
' „Pröficiimt eo modo quo penitentie hie iniuncte, quando perficiuntvir."
Bl. 98.
23*
356 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.
worden, dann kann der Ablaß nichts bewirken.^ Er bemerkt daher;
Eine recht nützliche Weise, durch Ablässe die Fegfeuerstrafe abzu-
lösen, wäre, daß man sich vom Beichtvater eine genügende Buße auf-
legen lasse und dann diese Buße durch Ablässe abzulösen suche.^
Dasselbe lehrt M'ayron auch im Sentenzenkommentar. Gegen die
Behauptung, daß der Papst alle Sündenstrafen nachlassen könne,
macht er hier folgenden Einwand geltend :^ Es kann vorkommen, daß
der Beichtvater dem Pönitenten eine zu geringe Buße auflegt, z. B.
fünf Ave Maria. Da nun der Pönitent vor der Kirche Äur zu dieser
geringen Buße verpflichtet ist, so wird ihm auch durch' den Ablaß
nur die jener Buße entsprechende Sündenstrafe nachgelassen.^' Mit
diesem Einwand ist Majrron völlig einverstanden. Ausdrücklich erklärt
er, es werde dem Pönitenten nur die' der kirchlichen Buße ent-
sprechende Strafe erlassen ; die iibrige werde er im' Fegfeuer abzutragen
haben. Deshalb sollte man sich eine recht große Buße auflegen lassen
und dann viele' Ablässe zu gewinnen suchen.* '
Daß hiermit die Wirksamkeit des' Ablasses, auch des vollkommenen,
auf die auferlegte Buße beschränkt' wird,' hegt auf der Hand. Ebenso
klar ist es, daß diese Lehre mit den Behauptungeii in cler Predigt,
wonach durch den Ablaß auch die aufzulegende Büße erlassen wird,
nicht im Einklang steht. Ist vielleicht, die viel verwertete Predigt
von späteren Benutzern durch Emschaltungen verfälscht worden?^
Oder hat Mayron ' in dieser Frage eine schwankende Stellung ein-
genommen ? Wie dem auch sei, jedenfalls hat der Verfasser, der
wiederholt betont, daß der Ablaß nur statthaben kann, wenn zuvor
eine Buße auferlegt worden, doch wieder erklärt, wie wir' weiter unten
sehen werden, daß der Papst auch ohne vorangehende Bußauflegung
die gesamte Fegfeuerstrafe erlasseh könnte.
Bei der Erörterung der Frage, wer Ablässe erteilen' könne
(a C[uibus proficiunt), bekennt sich Mayron zu der Ansicht, daß auch
die einfachen Beichtväter, auf Grund der bei Joh. 20, 23 verzeichneten
^ „Quando nuUadatur penitentia, tota indulgentia sequens respioit tantum
penam ptirgatorii^ et sie ibinon habet auct'oritatem ecclesia militans;
cum pena non sithio remissa, nee ibi remitti potest . . . Quöd iriiungi de-
buisset, si non fuit iniunöturai quomodo erit hio remissum ? Et si hie non
remittetur, quomodo ibi non exigetur?" Bl.'98'.
* „Et ideo secundum premissa utilissimus modus adipiscendi indulgentiam
pro pvirgatorio esse videtur, ut unusquisque penitentiam sufficientem hie ac-
ceptet et postea acceptam per indulgentiam redimeret. Et illud sonat modus
antiquus oonferendi indulgentiam de penitentiis sibi iniunetis." Bl. 98.
^ „Non est imposita pena condigna' a sacerdote, quia forte non est nisi
ut dicat quinque Ave Maria; et sie cum in ecclesia non habeat plus de debito,
non plTis sibi indulgetur." Sent. IV, d. 19, q. 3. Bl. 215.
* „Dico quod non plus ei remittitur nisi quahtum est reduotuni per sacer-
dotem ad forum ecclesie; residumn autem solvet'in purgatorio. Unde horao
debet sibi faoere imponere magnam penitentiam pro peccatis suis, et tunc pro-
curare sibi multas indulgentias,"
^ In verschiedenen Handschriften des 15. Jahrhimderts lauten die be-
treffenden Stellen wie in der gedruckten Ausgabe.
X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.. 357
Verheißung Christi, wie von aller Sündenschuld so durch Ablaß Ver-
leihung von aller Strafe lossprechen könnten, wenn ihre Absolutions-
voUmacht durch das positive Gesetz nicht eingeschränkt worden wäre.?-
Nach dem bestehenden Rechte, kann nur, der Papst einen vollkommenen^
Ablaß erteilen, während die Bischöfe bloß.partielle Ablässe von 40 Tagen-
gewähren können. ;
Daß die Ablässe sieh nur auf die auferlegte Buße beziehen, erklärt
Majrron wieder, indem er die- Frage ' beantwortet, wem die Ablässe-
nutzen (quibus proficiunt). Er bemerkt hier, zur Gewinnung der'
Ablässe scheine gewöhnlich die Beichte erfordert zu sein, da die durchs
den Ablaß abzulösende Strafe zuvor durch den Beichtvater auferlegt
werden müsse. ^
Von besonderem Interesse ist die Erörterung der zwei weiteren
Eragen, wann' (quando) uiid wo (ubi) die Ablässe nützen. Sie)
nützen in der Zeit, in welcher der Mensch noch verdienstlich wirkeni
kann) da "^ sie stets für verdienstliche Werke erteilt werden.^ Daraus;
folgt, daß sie nur den Lebenden nützen, nicht aber den bereits-
Verstorbenen, die iiicht mehr unter der Jurisdiktion der Kirche
stehen.* Sodann sind sie von Nutzen für das jetzige Leben, weill
dädurch die auferlegte Buße erlassen wird.; sie sind aber auch von.
Nutzen für das jenseitige Leben; dehn die Bußstrafe, die hienieden.
erlassen wird, braucht im andern Leben nicht mehr abgetragen z\x.
werden. Wenn aber auch die Ablässe, welche die Lebenden gewinnen,
für das andere Leben von Nutzen sind, so können doch die kirchlichen
Oberen keine Ablässe den Verstorbenen erteilen, weil diese nicht mehr
unter ihrer Gerichtsbarkeit stehen. Aus demselben Grunde können
auch die Gläubigen keine Ablässe für ihre verstorbenen Eltern oder
Verwandten gewinnen.^ Wohl, werden bisweilen Verstorbene von der
^ „Sicut potestas absolvendi a culpa fuit sacerdotibus limitata, ut non
possint liisi circa.'liniitata pecoata absolyere, ita potestas absolvendi a pena per
modura indulgentie fuit limitata per superiores, ut non possint per se indulgentiaa
dare, ne forte vilescant et facultas jndulgentie sit oocasio ,culpe. ünde nisi fuisset
iure .positiyo limitata illa potestas, videretur quilibet sacerdos posse . absolvere,
sicut summus ierarcha, quod est plus. quam quecunque indulgentia." Bl. 98'.
* „Confessio , peoeatorum previa, communiter videtur necessaria ad per-
cipiendain indulgentiam, quia nulla indulgentia habet locam de debito remittendo^
ubi debitum non est adiudicatum, et quod non constat deberi, non postu-
latur ad solvendum remitti. Ista adiudieatio debiti in ecclesia non fit ante peni-
tentie sacramentum; unde.ante ipsum;nullus obligatur ad penam in hao. vita,-
ergo non caclit talis ecolesie remissio, donec peccata f uerint per ecclesiam iudicata.
Et ob hoc, videtur dari indulgentia veris penitentibxis et confessis.", Bl. 98' f.
^, „Proficiunt eo .tempore, cum homo potest .mereri, cum propter opera
meritoria semper assignantur.'-' Bl. 99. ■ , ,; .
* „Non prosunt existentibus in alio mundo,- - quia illi sunt extra iuris-
dictionem ecclesie." Bl. 99.
' ' -^ „Ex istis veritatibus accipiuntvir duo catholica documenta. Primum,
quod nuJlvis prelatus potest concedere indulgentias iam defimctis, quia non sunt
sub eius iurisdictione. Secundum, quod nuUus ,potest lucrari indulgentiam pro
suis predecessoribus defunctis, quia illi non sunt sub auetoritate indulgentias
Qonferentis." Bl; 99.
358 X.-Die Ablaßlehxe der Theologen der ersten Hälfte des' 14; Jahrhunderts.
Kirche absolviert, so z. B. wenn sie nach dem Tode ^von der Ex-
kommunikation losgesprochen werden. : Durch diese Absolution soll
aber nichts anderes angedeutet werden, als daß man für die betreffenden
Verstorbenen beteii konne.^ Andere Absolutionen der Verstorbenen
haben bloß die Bedeutung einer Bitteji die an Gott gerichtet wird.^
In seinem Sentenzenkommentar lehrt Majrron ebenfalls, daß die
Kirche keine Ablässe für die Verstorbenen erteilen könne. Ent-
schieden betont er hier, daß ein derartiger Ablaß niemals von
der Kirche gewährt worden sei.^ Er weiß freilich, daß. es Leute
gebe, die Ablässe für Verstorbene anpreisen. Er. lehnt aber solche
Ablässe kategorisch ab, da die Kirche über die Verstorbenen keine
Jurisdiktionsgewalt besitze.*
Mayron mußte folgerichtig diese Ansicht vertreten, da nach ihm
die Ablässe nicht aus dem Verdienstschatze der Kirche entnommen,
sondern einzig und allein kraft der kirchlichen Jurisdiktionsgewalt
erteilt werden. Bei einer solchen Auffassung war es selbstverständlich
ausgißschlossen, daß der Ablaß den. Verstorbenen fiirbittweise zuge-
wendet werden könne. Kurz und bündig erklärt er denn auch: Die
Ablässe sind von Nutzen für das Fegfeuer, aber nicht im. Fegfeuer .^
Sie sind von Nutzen für das Fegfeuer, indem hienieden die Lebenden
durch Crewinnung von Ablässen sich, vor der drohenden Fegfeuerstrafe
bewahren können.*.
Bei dieser Gelegenheit wirft Mayron die Frage auf, o,b der Papst
das Fegfeuer entleeren könnte. . Er glaubt unterscheiden zu
sollen zwischen der Fegfeuerstrafe, die, Gott den Verstorbenen bereits
auferlegt hat (penas de preterito iniunctas), und zwischen jener, die
^ „Sacerdos . . . ipsum reconciliat ecclesie, ut fideles possint orare pro eo,
qui non debererit, si vere esset excommunicatus." Sermbiies 142'. Vgl. Sent. IV,
d. 21, q. 5: „Tales absolutiones in re nihil faciunt . .,. Ista absolutio facit quod
fideles audentoirare pro täli." BL 219.
',, Absolutiones que fitint in suffragiis, quando ab ecclesia anime defuncto-
rum precibus absölvuntur ; . . non f iunt per ecolesie auctoritatem, sed per de-
precationem - super defunctos;" Serraones 94'.
^ Sent. IV, d. 21; q; 1: ,',Neo unquam talis indulgentia fuit data." Bl. 217'-.
* „Nota de illö qui dicebiat se habere indulgentias pro illis qui sunt in pur-
gatorio, ita quod pro uno denario una dies eis remittebatur, et pro duo plus.
Sed hoc üon est verum, ex quo enim 'aliquis exit limites ecclesie et forum
istud, non potest sibi ecclesia däre indulgentias, nisi pro quanto sunt hie lucrati
(nämlich durch den betreffenden Verstorbenen vor seinem Tode). Non sie autem
est de sirffragiis, qüe impetrantur per modum obsecrationis; indulgentie autem
dantur per modum auctoritatis et iurisdictionis; non autem habet ecclesia iuris-
dictionem in purgatorio, Ideo error esset dicere hoc dare.'' Bl. 217'.
* „Profiöiunt pro purgatorio; .et non in purgatorio." Sermones 99'.
' Wie der italienische Prediger Ambrosius Spiera (Liber sermonum
quadfagesimaliüm de floribus säpientie. Basilee löIO, 238) berichtet, hat Mayron
den Ablaß für die Verstorbenen auch verworfen in seinen beiden Kommentaren
zu' den J^ekveialen FirmiUr credimus \md Gum Marthae. Der erste Kommentar
findet sich 'handschriftlich in Oxford; Vgl. H. 0. Coxe, Catalogus codicum
mänuscriptorum qui in coUegiis oxoniensibus hodie adservantur I, Oxonii 1852,
'^Cöllegium'Mertonense, Nr. GGXXXVI. Der Kommentar zur zweiten Dekretale
wird verwahrt in Trier (Hs. vom Jahre 1319) und St. Florian. Vgl. Franz 493 f.
X.Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhionderts. 359
den noch Lebenden auferlegt \\^erden sollte (penas iniurigendas). Von
der ersteren Strafe kann der Papst nicht befreien, da er keine Gewalt
über die.. Verstorbenen besitze. ]>agegen könnte er dem göttlichen
Gerichte zuvorkommen, indem er allen Gläubigen, die im Stande der
Gnade; sterben,/ einen, vollkommenen Ablaß erteilte und sie so vor
dem Fegfeuer. = be.wahrte. . , Ein solches allgemein erteiltes Privilegium
könnte freilich Anlaß zum .Siindigen .werden; aber es. ist nicht ein-
zusehen, warum_ der Papst dies Privilegium, nicht (gewähren könnte.^
An der Echtheit dieser übertriebenen Betonung der päpstlichen Voll-
macht ist nicht ■ zu zweifeln ; ganz dasselbe , lehrt Mayron auch im
Sentenzenkommentar. ^ I)aß aber diese Lphre sich nicht vereinbaren
läßt mit den andern bei Mayron vorkommenden Äußerungen, wonach
der Ablaß sich bloß auf die auferlegten Bußen beziehen würde, ist
schon oben hervorgehoben worden.
In den soeben angeführten Stellen spricht Mayron bloß von der
Möglichkeit eines allgemein erteilten Sterbeablasses. Tatsächlich
wurde bereits zu seiner Zeit von Johann XXII. öfters einzelnen Gläu-
bigen der Ablaß für die Sterbestunde gewährt. Ma3rron erwähnt diesen
Ablaß bei der Erörterung der Frage, warum die Ablässe nützen
(quare proficiunt). Er betont hier, daß , die Wirksamkeit des Ablasses
nicht auf das Verdienst des vorgeschrie,benen iguten Werkes, z. B. des
Almosens oder, der Pilgerfahrt,-zurückzuführen sei, sondern auf die
Lösegewalt des, Spenders. Dieser, kann denn auch für ein geringeres
Werk einen größeren Ablaß, spenden; ja er kann sogar Ablaß erteilen,
ohne irgendein. gutes Werk dafür zu fordern; sonst würden ja die für
die. Sterbestunde erteilten Ablässe ungültig sein.^ Auch im Sentenzen-
kommentar lehrt Mayron, daß der Papst kraft seiner Vollgewalt Ablässe
erteilen kann, ohne dafür vom Empfänger ein gutes Werk zu ver-
langen.*
^ „Quanttuxi ad penas iniungendas . . . posset divinum iudicium pro venire
solvendo, he Dejis,iterato, requirat, qui;dedit talem potestatem super terram,
ut.si stätueret: Quiounque ultimo inomento^sue yite esset, in statu gratie, quod
eo. ipso cönse,quatur, pleiiam indiilgentiam. Tuno,; cum nullus, ,descendat ad pur:
gatoriiim nisi in grlatia constitutus, .eVtunc hie esset plenarie absolutus, et sie
nunquapa ullus descenderet ad purgatorium,, sed cqnfestim. evolaret, quod- est
miruni, licet appareat vßrüm ex diöto Christi : Quoplcunque ligaveris etc." Bl. 99f,
" Sent. IV, d. 20, q. 4: „Nunquid papa potest extrahere aliquem de purga-
torio ?. Dicendum quod quantum ad illos qui ibi sunt, non habet potestatem . . ;
sed quantum ad viventes in mimdo, habet, Unde posset statuere talem legem:
Quicunque de hoc seculo; recedit contritus et , confessus vel saltem contritus,
ipso facto evolet statim; et tuno nullus descenderet ad .purgatorium. , Sed hoc
«sset qcoasio mali; sed non jideo,q\jin possit." Bl. ,217.
3 „Indulgentie proficiunt absolute date, quamvis non sint alicui bono operi
adiunote,. quia habens; plenam' potestatem in communitate > potest ibi debitum
sine aliqua s,olutione relaxare; alioquin indulgentie date in mortis articulo- non
yalerent." Bll 100.,
* „Dico quod de cong'ruo actus meritorius potest vel debet ibi admitti;
sed de; plenitudine potestatis potest simplieiter dimittere et dare indulgentias
sine huiusmodi actibus." Bl. 215.
360 X.'Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhxinderts.
Schließlich behandelt Mayron noch die Frage, obmanauchim
Stande der Todsünde einen Ablaß gewinnen könnte. Er bejaht
die Erage, selbstverständlich nicht bezüglich der noch nicht erlassenen
Sünden, sondern bloß bezüglich solcher Sünden; die bereits der Schuld
nach vergeben sind. Er beruft sich dabei auf die Lehre von -Buns
Scotus, daß man auch im Stande der Todsünde für die in' der reu-
mutigen Beichte nachgelassenen Sünden genugtun könne .^ Kann man
aber im Stande der Sünde genugtun, so sei nicht einzusehen, warum
man keinen Ablaß gewinnen' könne. ^ Mayron spricht indessen nur
von einer 'Möglichkeit. Damit aber der mögliche Fall wirklich
eintrete, müßte die Kirche den Ablaß absolut für jeden Seelen-
zustand (absolute pro quocunque statu) erteilen. Dies kommt jedoch
nicht vor, da die Ablässe nur solchen verliehen werden, die ihre
Sünden reumütig gebeichtet haben (vere penitentibus et , confessis)
und folglich im Stande der Gnade sich befinden.^
Astesanus.
Wie sich aus den vorangehenden Mitteilungen ergibt, hat Mayron
bezüglich des Ablasses eine ganze Reihe von selbständigen, originellen
Ansichten vertreten. Das gleiche kann man nicht sagen von einem
andern Eranziskaper Jener Zeit i von Astesanus j , der um 1317 eine viel
gebrauchte kasuistische' Summe für die Beichtväter vieröff entlicht hat.*
Dieser sonst nicht näher bekannte Minorit, aus Asti gebürtig, bietet
zwar sehr ausführliche Erörterungen über den Ablaß; neue Gedanken
darf man aber bei ihm nicht suchen. Er bringt bloß Auszüge aus
andern Autoren. Seine Gewährsmänner sind Bonaventura, Thomas
^ Sent. IV, d. 15, q. 1, a. 2: „Si existens in peccato mortali potest satis-
facere ? Dicunt aliqui quod non. Sed Scotus dicit oppositum . . . Alia pars est
nimium dura^" Bl. 210. •
'2 „Sed remanet dubium ex premissis: „Quia sicut penitentia de preteritis
peocatis mortalibus facta in statu culpe secunduna aliquos proficit,' ita videtur
qüöd indulgentia que datur ad remissioneni t'alis pene in taU statu possit' pro-
ficere, si daretur absolute. pro quocunque statu ab ecclesia, que non
solum bonis, sed etiam malis multiplicia beneficia prostat." Bl. 100. Vgl. Sent, IV,
d. 19; q. 2: „ Quibus valent ? Diciturquod.vere penitentibus et confessis . . .
Numquid potest lucrari penitens, si oonfessus de aliquibvis, postea cadit in pec-
catum mortale et cum illo vadit ad indulgentias pro prius confessis ? ' Dicitur
quod sie, quia existens in peccato mortali potest satisfaoere pro peocatis alias
confessis, secundum Scotum, et tunc papa potest sibi remittere illud de quo
potest satisfacere." Bl. 215.
^Bratke 79 hat diese Stelle ganz mißverstanden: „Mayron ist der
Meinting, obwohl er nicht leugnet, daß hier noch Dunkel herrsche, daß wie das
Bußsakrament die Todsünden löse, so auch der Todsünder vollständigsten Abla-ß-
erlangen könne. Mit dieser Meinung ist natürlich die ganze frühere Deduktion
von d6r notwendigen Verbindung der Buße mit dem Ablaß aufgegeben und dieser
zum op\:fö operatura gemacht."
* Summade casibus. Venetiis 1478, 1. V, tit. 40. Vgl. Dietterle, Zeitsch.
f. Kirchengesehichte XXVI 350 ff. ' '
X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 361
von Aquin, .Petrus von Tarentaise', Richard von Middletown, Raimund
von Penaforte mit dessen Glossator Wilhelm von Rennest Innozenz IV.,
Bernhard von Bottone, Hostiensis und Johannes Andrea.
Wilhelm von Rubione.
Größere Selbständigkeit bekundet der spanische Minorit Wilhelm
von Rubione, Provinzial von Aragonien, dessen Kommentar iiber die
Sentenzen im Jahre 1333 auf Grund eines Gutachtens gelehrter Ordens-
genossen vorn .Geheralmiriister Gefaldus approbiert worden ist.^
Wilhelm fragt ' zuerst, von wem die Ablässe erteilt werden
können. Er unterscheidet eine zweifache Spendüng: die eine, welche
der Spender kraft eigener Machtvollkommenheit vollzieht, die andere,
die der Spender kraft der ihm von einem andern mitgeteilten Vollmacht
bewerkstelhgt. Der Ablaß selbst kann völlkomnien oder unvollkommen
seih, für alle Gläubigen oder nur für einige erteilt werden. Unter voll-
kommenem Ablaß wird hier ein Ablaß verstanden, wodurch die ge-
samte zeithche für die Sünden geschuldete Strafe erlassen wird, so
daß der Empfänger, der nach Erlangung eines solchen Ablasses sterben
sollte, unverzüglich in den Himmel kommen würde.^ Unvollkommen
oder partiell ist jener Ablaß, durch den bloß ein Teil der Sündenstrafen
erlassen wird. Diese Erklärung vorausgeschickt, ist zu sagen, daß
Gott allein derartige Ablässe aus eigener Machtvollkommenheit erteilen
kann. Kraft der unmittelbar von Christus überkommenen Vollmacht
kann nur der Papst einen vollkommenen Ablaß spenden, ebenso wie
auch hur er für alle Gläubigen Ablaß gewähren kann; doch muß er
hierfür einen :vernünftigen Grund.haben. Andere kirchüche Vorsteher
können nur partielle Ablässe, und auch diese nur für einen Teil der
Gläubigen erteilen.
.■ Wdm nützen die Ablässe? Vor allem nicht jenen, die im Stande
der Todsünde sich befinden: Obschon nun tatsächlich die Ablässe
nur solchen gegeben werden, die reumütig gebeichtet haben, so könnten
sie doch auch Unbußfertigen verliehen werden, die Todsünden auf dem
Gewissen haben. Dies ist indessen nicht so zu verstehen, als würden
solche durch den Ablaß von der ewigen Höllenstrafe, die sie sich durch
Todsünden zugezogen, befreit werden ; , sondern es ist, bloß zu. ver-
stehen von einer zeitlichen Strafe, sie man sich durch läßliche Sünden
zugezogen oder die man noch schuldet wegen einer Todsünde, die
früher reumütig gebeichtet und in bezug auf die ewige Strafe erlassen
worden sei.^ . , , -
^ Disputata in quatuor libros sententiarum. Parisiis 1518. - 2 Bände. Das
Approbationsschreiben ist abgedruckt im ersten Bande. Der Ablaß wird behandelt
im zweiten Bande.
2 Sent. IV, d., 19; q. 1, a. 1. Bl. 181.
^ Art. 2: „Licet de facto indtdgentie nunquam dentur nisi vere peni-
tentibus et confessis, nee per consequens proficiant aliis, tarnen possent utique
dari etiaih impeniteritibus et in pecoatis mortahbns existentibus,- noh tarnen sie
intelligendo quod propter tales indulgentias habitas ipsi liberalen tur -a pena
362 X. J)ie Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte, des 14. Jahrhunderts.
Zweitens nützen die Ablasse nicht jenen, die von allen Sünden
völlig losgesprochen sind. Dies, ist leicht zu begreifen. Jener allein
ist nämlich von allen Sünden völlig losgesprochen, der von aller
schuldigen Strafe frei ist. Wer aber schon aller Strafe ledig ist, dem
kann der Ablaß nichts nützen, da ja der Ablaß nur von der schuldigen
Strafe befreien soll.^
Drittens nützen die Ablässe nichts den Seelen im Fegfeuer, da
diese nicht mehr der Jurisdiktion des Papstes unterstellt sind.^
Viertens nützen die Ablässe den Lebenden, die noch eine^ zeitliche
Strafe abzutragen haben. Denn nur auf die zeitliche Strafe, nicht auf
die ewige beziehen sie sich.
Letzterer Gedanke, daß, nämlich der Ablaß nur die Nachlassung
der zeitlichen Strafe bezweckt, wird von Wilhelm noch einmal eigens
betont in der Beantwortung der Frage, zu was die Ablässe niitzlich
seien. Hier hebt er auch hervor, daß die Ablässe als solche keine
Vermehrung der Gnade oder der Glorie bewirken.^
Mit fast allen Theologen jener Zeit hält Wilhelm von Rubione an
der Ansicht fest, daß die Ablässe. aus dem Kirchenschatz erteilt werden.
Dabei polemisiert er gegen einen neuen Autor (quidam lioyus), der
nicht genannt wird ; gemeint ist aber sicher Mayr on. Der von letzterem
gegen die Lehre' vom Kirchenschatz erhobene Einwand, als wäre
Christus für seine Leiden schon genügend belohnt . worden und als
hätte Gott den Heiligen, was sie getan und gelitten haben, über ihr
Verdienst vergolten, wird von Wilhelm entkräftigt.*
Im Anschluß an die Erörterungen über den Ablaß handelt Wilhelm
von der Gewalt des Papstes, der als Stellvertreter Christi nicht nur
von aller Sündenschuld lossprechen könne, sondern auch von aller
schuldigen Sündenstrafe. Treffend fügt er aber sofort bei:- Von
der Sündenschuld kann der Papst lossprechen mittels des Bußsakra-
meiites, von der Strafe aber kann er außerhalb des Bußsakrämentes
unmittelbar lossprechen, nämlich durch den Ablaß. ^ ' '
In ähnlichem Sinne spricht sich Wilhelm an einer anderen Stelle
aus, wo er die Frage erörtert, ob nur der Papst oder auch jeder andere
«terhaeis debita ex mortali culpa, sed tantura a pena aliqua temporali ad quam
obligantur ex culpa veniali, vel etiam ex-mortali confessa et iam quantum ad
penam etemam remissa." Bl. 181'. Wilhelm folgt hier Mayron,
1 „Indulgentie non valent ab omni peccato totaliter absolutis. Heo
[bonclüsio] apparet, quoniam ille est solus ab omni culpa totaliter absolutua,
qui est ab omni pena sibi debita universaliter liberatus. Sed liberato ab omni
pena nihil valent indidgentie, cum indulgentia nulli valeat nisi ad liberandum
«um a debita ipsi pena." Bl. 181'. ; . ■
" „Indulgentie non proficiunt nee dari possunt existentibus in purgatorio."
iBl. 181'.
3 Art. 3. Bl. 182. * Art. 1. Bl.. 181.
^ Dist. 19, q. 2: „Papa potest quemlibet a culpa absolvere et ab omni
debita ipsi pena . . . Papa habet potestatem absolvendi a culpa mediaate peni-
tehtie sacramento, et a pena immediate nuUo mediante penitentie saoramento."
Bl. I82.'
X.Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Half te des 14. Jahrhiinderts. 363
Priester von aller Schuld und aller Strafe j von der ewigen wie von der
zeitlichen, lossprechen könne.^ Nur der Papst kann 'dies tun, lautet
die Antwort, da nur er einen vollkommenen Ablaß der Sünden erteilen
könne. . Der vollkommene Ablaß sei aber nichts anders als die Los-
.sprechung von aller Schuld und aller für. die Sünden geschuldeten
Strafe,^. Es ist klar, daß hier der Ausdruck „vollkommener Ablaß"
in einem andern Sinne genommen wird, als ah, der oben angeführten
Stelle, wo es heißt^ unter dem , vollkommenen Ablaß sei der Erlaß
aller zeitlichen Strafe zu verstehen. Der Verfasser erklärt übrigens
näher, wie seine Äußerung aufzufassen sei. ^ Jeder Priester, lehrt er,
kann kraft der in der Priesterweihe empfangenen Gewalt den reumütig
Beichtenden, ebenso gut von aller Sündenschuld Idssprecheri, wie der
Papst selber. Während aber beim Papste diese Vollmacht nicht ein-,
geschränkt werden kann, muß der .einfache Priester, um sie ausüben
zu. können, von seinen Oberen dazu ermächtigt werden. Was dann
die Strafe betrifft, so kann wohl der einfache Priester im Bußsakra-,
mente die ewige Strafe, und auch einen Teil der zeitlichen nachlassen;
der Papst aber kann von der zeitlichen Strafe . auch, außerhalb des
Bußsakramentes lossprechen, und zwar auf Grund des ; Kirchen-
.schatzes, dessenl Verwaltung ihm anvertraut ist. Diese Lossprechung
kann er jedoch nur jenen zuteil werden lassen, .die seiner Gerichtsbar-
keit unterstehen, also nicht den Seelen imPegfeuer. Den noch lebenden
Gläubigen kann er aber die Strafe, die sie im Eegfeuer abzutragen
hätten, erlassen; doch nicht allen ohne unterschied, sondern nur
jenen, bei denen hierfür ein hinreichender Grund vorhanden ist, weil
sie z. B. für das Wohl der Kirche sich, der Todesgefahr ausgesetzt
haben oder bereit sind, sich dieser Gefahr auszusetzen.
Aufjustinus Triumphus.
Nachdem bisher gezeigt worden ist, wie die Dominikaner und
Franziskaner über den Ablaß gelehrt haben, sollen nun auch noch
etliche Vertreter anderer Orden zum Worte kommen. Beachtung
verdienen vor allem die Augustiner, als deren vornehmster Wörtführer
Augustinus Triumphus von Anoona, der bekannte Verfechter päpst-
licher Oberhoheit gelten darf.^ Man hat ihn als ,,die Hauptquelle
der im ausgehenden Mittelalter erörterten Fragen über die Ablaßlehre"
bezeichnet.'* Das ist freilich nicht ganz zutreffend. Richtig ist nur.
^ Sent. IV, d, 18, q. 2: „Utrum solus pontifex summus vel etiara quilibet
sacerdos aliiis possit. absei vere ab: omni .culpa et a pena quacunque ipsi debita,
non tantum etemali, sed etiam temporali." ■ Bl. .179';- ./
. 2 „ Videtur quod nonnisi papa, quia solus ipse potest ,dare plenam indul-
gentiam peccatorum; sed plena indulgentia'non est aliud i quam absolutio a culpa
et ab omni debita pena culpe." .
ä Zwei andere berühmte Theologen, avis dem Augustinerorden, Ägidius
von Colonna (f 1316) und Gregor von Rimini (-j- 1358) haben nichts über den
Ablaß* hinterlassen.
* Göller, Der Ausbruch der Reformation 45.
364 XI Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. JäÜrhuftderts.
daß er häufig verwertet worden ist. In seinem 1320 abgeschlossenen
und Johann XXII. gewidmeten großen Wierke über die' kirchliche
Gewalt handelt er vom. Ablaß in fünf umfangreichen Abschnitten^
die sich mit dem Spender, der. Ursache, dem Empfänger und der
Wirkung des Ablasses beschäftigen.^ . > .
Spender allgemeiner -Ablässe für die. ganze Kirche ist einzig und
allein der Papst, der alle Jurisdiktionsgewalt über die ganze Kirche,
und das Verfügunigsrecht über den allgenieinen Kirchenschatz besitzt.^'
Auch sich selbst kann der Papst Ablaß erteilen. Man hat wohl gesagt,
daß dies nicht möglich sei, da der 'Papst keine Jurisdiktiöhsgewalt
über sich selbst '>besitza; wie ..et. sich selber 4m Bußsakrament nicht
von der Sündenschuld lossprechen könne, so. auch nicht durch den
Ablaß von der Sündensträfe. Man .muß indessen unterscheiden. Der
Papst erteilt den Ablaß als Haupt der Kirche, als Glied der Kirche
empfängt er ihn, vorausgesetzt, daß er die zur Gewinnung des Ablasse»
notwendigen Bedingungen erfülle. So kann er ja auch als Haupt der
Kirche einen Priester bevollmächtigen, ihn im Bußsakrament als Glied
der Kirche von seinen Sünden loszusprechen.
- Hat schon in der vorstehenden Erörterung Triumphus wiederholt
zu verstehen gegeben, daß der Ablaß sich, nur auf die Süiidenstrafe^
nicht "auf -die Sündenschuld bezieht, so erklärt er sich noch bestimmter
bei der Behandlung der weiteren Frage, ob der Papst im Stande der
Todsünde anderh Ablässe erteilen könne.. Natürlich wird die Frage
bejaht. Denn,, so führt der Verfasser aus, bei der Erteilung von Ab-
lassen verhält sich der Papst als Werkzeug, wodurch die Strafe erlassen
wird, nicht als Subjekt, dem die Ablaßgnade zuteil wird. Wie nun
die sakramentale Gnade sowohl durch einen schlechten als durch einen
frommen Spender mitgeteilt wird, ebenso geschieht es auch mit dem
Ablasse. Ganz anders aber- yerhält es sich mit dem Empfänger. Diesem
kann im Stande der Toäsülide die AlDlaß^ade.^mcht /zuteil werden,
da die Strafe nicht nachgelassen werden kann, weriri nicht zuvor die
Sündenschuld vergeben isti* ■ hl ; ■: ■
: Kann der Papst auch den i Seelen im Fegfeuer Ablässe erteilen?
Ja ! Er kann ihnen sehr wohl aus dem Kirchenschatz Hilf e^ukommen
lassen, fallsandere für sie tunl, was zur Gewinnung des AblasseS':;er-
f6rdert:ist.- ^ ^'■■; • '-.'■■■■-\x''-<-''-^^':!):::,-y-n'J''-':-:^^
Bischöfe können nur in den vom Päpste festgesetzten Grenzen
Ablässe erteilen, .während einfache Priester dies /bloß tmi können^
wenn sie vom Papst oder vom Bischof dazu bevollmächtigt worden
^ Summa de potestate ecclesiastica.Augliste 1473, "q. '29— ^33: .Vergliche»
wurde die römische Ausgabe von/ 1582; ■;; n ; n . ,•;;;:]/ 'j j::;i
• ^ „Utriun sol\is Papa ppssit universalem .indulgentiaindare?'': Ja ! q. 29,,
ä; 1. Es ist nicht recht klar, was Triumphus unter; ,jindulgentia universalis '-
versteht, ob bloß Ablaß für die ganze Kirche oder auch r,vollkommehen Ablaß,
Allieni Anscheine nach ist' beides daxunter; zu ^verstehen; v
3 ,,Papa in dandö ihdulgentiam habet. se in ratione instrumenti, quo res
laxatio poenae fit." Q. 29, ia. 3.
* „Non toUitur poena,.hisipriustolläturI culpa.'' vT . i :
;X.,Die, Ablaßl^hre der Theologen der ersten Hälfte, des 14. Jahrhunderfcs. 365
sind. Eine derartige Vollmacht kann auch ein päpstlicher Legat,
•der nicht Priester ist,- erhalten, da ja die Ablässe nicht auf Grund
der Priesterweihe, sondern der <Jürisdiktionsgewalt .erteilt werden.
Dies wird vom, Verfasser folgenderweise, dargelegt: Die Ablässe be-
wirken die „Nachlassung der Sünden", gemäß der Erklärung des
allgemeinen Konzils (1215); daß deii; Kreuzfahrern einej vollkommene
Vergebung. der: reumütig gebeichteten Sünden verheißt,^ , Nun kann
aber. die Nachlassung der Sünden auf • zweifache Weise geschehen-,
mittels des Sakramentes (mediante sacramento.) und mittels des Amtes
{mediante officio). -Mittels des Sakramentes j wie Triumphus, an einer
andern Stelle .ausführt, wird ' die . .Sündenschuld . vergeben'; , mittel^ ^ jies
Amtes aber wird durch Verleihung- eines Ablasses jenen; die-, ihre
Sünden reumütig, gebeichtet haben, die, schuldige .Straf e.erlassen.^. Da
nun die, amtliche Jurisdiktionsgewalt auch' solchen verliehen werden
kann, die, nicht Priester sind, so folgt, daß. ein päps;tlicher Legat, oder
ein ernannteri und /bestätigter Bischof, ohne, Priester zu^ sein, .Ablässe
erteilen kann. ..... < ' . , \. ,. '
Im zweiten- Abschnitte wird die -Frage erörtert, aus welchen
Gründen Ablässe' erteilt werden- können'. -Es wird zunächst
därgetan, daß es geziemend sei;' Ablässe zn erteilen für äußerliche
Werke, wodurch die Ehre Gottes und der Nutzen der Kirche ge-
fördert werden können. Triumphus führt hierfür* drei -Gründe an.
Der erste wird entnommen aus dem Chara,kter der Ablässe. 'Diese
sind sakraniental, da sie kraft der Schlüss.elg'ewalt erteilt werden.^
Alles aber, was etwas Sakramentales an sich hat,' erheischt etwas
Äußerliches, weil nach dem hl. Augustinus das Sakrament ein äußer-
liches sichtbares Zeichen der inneren unsichtbareil Gnade ist. Der zweite
' ^ „Indulgentiae valent ad remissionem peccatorum iuxta illud' quod
habetur in forma generalis concilii : Omnibus . . , plenam suoruin peccaininum,
de quibus fuerint veraoiter corde contriti et ,ore confessi,, veniam indulgemus."
q. 29, a. 8. JEieraus ergibt sich, daß Triumphus, weiin er lehrt, die Ablese be-
wirkten die „Nachlassung 'der Sünden", eine 'yergebung der Sünden 'der 'Strafe
nachjm Auge hat. ,. . - < ■ , -.s ' • . - ■ :•
' .^'„Eiemissio peccatorum per. commünicationem indulgentiae daturcori-
tritis et oonfessis; unde non datur remissio culpae nisi mediante sacramento,
sed remissionem poenae debita« illi culpae vel in toto vel in. parte confert
Papa mediante officio." q.,58, a., 2. " .
' „Indulgentiae' saoramentales sunt, cum f iant virtute olavium." q. 30, a. 1.
Daß die Ablässe kraft der Schlüsselgewalt erteilt werden, berechtigt keineswegs,
sie als sakramental zu bezeichnen, da ,ja gerade die Ablässe, wie., Triumphus
selbst lehrt,, durch die Jurisdiktionsgewalt außerhalb des Sakramentes erteilt
werden (mediante , officio, non mediante sacramento. q. 29, a. 8). Thomas von
Aquin,(S,uppl; q. 25,. ,a. 2, ad 1) lehrt denn auch mit Recht: „Clavis ordinis
sacramentale quoddam est . . . sed clavis iurisdictionis non est quid sacramentale."
Trimnphus denkt übrigens nicht daran, den Ablaß zu einem opus operatum
zu machen; er lehrt ' vielmehr ausdrücklich das Gegenteil: „Non est simile de
baptismo et indulgentia; quia ibi solumopus operatum virtutem remissionis
habet, hie vero non, immo opus operans. In baptismo enim remissio habetur
per modmn saeramenti, sed per indulgentiam datur remissio per modum meriti
operantis." q. 31, a. 1, ad 3. • ' .-,
366 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälffe des- 14. Jahrhunderts,
Gl und, warum es sich gezieme, für äußerliche Werke "Ablässe zu er-
teilen, ergibt sich aus dem Charakter der Bußstrafe, die durch den
Ablaß getilgt werden soll. Denn durch die Ablässe wird bloß die Strafe,
nicht die Sündenschuld nachgelassen.^ Nun besteht aber die Bußstrafe
in äußerlichen Werken, wie Fasten, Wällfahrten, Verteidigung des
Heihgen Landes. Daher soll für derartige Werke Ablaß erteilt werden,
doch nur für solche, die zur Verherrlichung Gottes beitragen. Drittens
kömmt in Betracht der geistliche Schatz der Kirchej aus dem die
Ablässe gespendet werden. Wie der weltliche Schatz einer Stadt oder
eines Reiches nur zur Ehre oder zum Nutzen des Staatswesens ver-
wendet werden soll, so soll auch der Ablaß nur erteilt werden für
solche äußere Werke, die geeignet sind, die Ehre; Gottes, den Nutzeh
der Kirehe oder die Sache des< christlichen Glaubens zu fördern. Doch
können auch rein geistige Werke init Ablässen bedacht werden. Durch
die Bewilligung von Ablässeii für zeitliche Güter wird aber keine
Simonie begangen, da es »sich um zeitliche Dinge handelt, die auf
Geistliches hingeordnet sind. Zur Gewinnung des Ablasses genügt
der gute Wille allein nicht; es muß auch das vorgeschriebene Werk
verrichtet werden. Ebensowenig genügt der Wille des Spenders zur
Gültigkeit des Ablasses; es muß hierfür, ein vernünftiger Grund, vor-
handen sein. , ,
Der dritte Abschnitt handelt vom Empfänger des Ablasses.
Wer im Stande der Todsünde sich befindet, kann des Ablasses nicht
teilhaftig werden. Der Ablaß bezieht sich eben nur auf die Strafe,
die nicht erlassen werden kann, solange die Sündenschuld durch Reue
und Beichte nicht getilgt ist.^
Schon im ersten Abschnitte war in bejahendem Sinne die Frage
erörtert worden, ob der Papst auch für die Seelen im Fegfeuer
Ablässe gewähren könne. Diese Frage wird von Triumphus noch
einmal bejaht, wobei er freilich recht 'Imtiklos verfährt. Er nimmt
nämlich an, daß die vierte Laterahsynode erklärt hat, man könne
den Kreuzzugsablaß nicht nur für sich, sondern auch für die ver-
storbenen Eltern gewinnen.^ Davon ist jedoch in dem betreffenden
Dekret nichts zu finden. Wie andere Theologen vor ihm, so lehrt
auch Triumphus, daß ein Doppeltes erfordert sei, damit der Ablaß
den Verstorbenen zugewendet werden könne : in der Ablaß bewilligung
müsse eine derartige Zuwendung ausdrücklich gestattet sein; zudem
^ „Indulgentiae sunt relaxativae poenae, non culpae."
^ „Existens in mortali culpa per communicationem indulgentiae nori potest
exspoliari poena, nisi prius exspolietur culpa . . . Siout' gratia sacramentalis
remittens oulpam non datur homini sine contritione culpae, sie grätia indvd-
dulgentiae relaxans poenam non datur homini sine contritione praedicta."
q. 31, a. 1.
^ „In forma concilii generalis datur indulgentia accipientibus crucem pro
66 et pro patre et matre mortuis." q. 31, a. 4. Dies steht allerdings am Anfange
des Artikels unter den Gründen, die zugunsten der Ablässe für Verstorbene an-
geführt werden. Aus der „solutio", die Triumphus folgen läßt, ersieht man aber,
daß er die Richtigkeit der Angabe nicht bestreitet.
X. Die Abläßlehre der Theologen der ersten Half te des 14. Jahrhunderts. 367
müsse- das zur Gewinnung des" Ablasses vorgeschriebene Werk ver-
richtet werden. ■ ' '
' ' Schließlich wird noch die Wirkung des Ablasses erörtert, wobei
vor allem • dessen Wirksamkeit im Fegfeuer berücksichtigt wird. Die
erste Frage des vierten Abschnittes lautet, ob der- Papst durch den
Ablaß bewirken könne; daß von zwei Seelen, die im- Fegfeuer dieselbe
Strafe abzubüßen halien:, die eine rascher befreitwerdealsdie andere.
Die Frage wird bejaht, aus dem Grunde, daß die Suff ragien und die
Ablässe, die einer bestimmten Seele zugewendet werden, für diese
Seele von 'besonderem Nutzen sind. ,' Aber hier zeigt sich wieder, wie
oberflächlich der gelehrte Augustiner zu- Werke geht, wenn es gilt-,
Tatsachen anzuführen. Er läßt -nämlich Petrus Lombardus, den
Verfasser des Sentenzenbuches, ausdrücklich lehren, daß jene,- für
welche mehr Suffragien verrichtet und mehr Ablässe gewonnen werden;
rascher aus den Feinen des Fegfeuers' befreit werden.^ ' Dies lehrt nun
freilich Lombardus bezüglich der Suffragien, aber der Ablaß wird in
seinem Werke mit keiner Silbe' erwähnt. Dieselbe Ungenauigkeit läßt
sich Triumphus zuschulden kommen, indem er sich für den Nutzen
der Zuwendung von Suffragien und Ablässen an bestimmte > Seelen
auf die Gewohnheit der Kirche beruf t.^ Gab es dbch damals noch
keine kirchlich" anerkannten Ablässe für Verstorbene. Sollte aber
jemand . auf Grund des Zeugnisses des Augustiners behaupten- wollen,,
die Kirche habe damals schon Ablässe für die Verstorbenen erteilt,
so dürfte es genügen, daran zu 'erinnern, daß Triumphus auch dem
Lombarden und der vierten Lateransynode eine Erwähnung der Ablässe
für Verstorbene zuschreibt, obschon weder in dem Sentenzenbuch noch
in den Beschlüssen des vierten allgenieinen Konzils etwas darüber zu
finden ist. ' -
An zweiter Stelle \Yird die Frage aufgeworfen, ob jemand, der im
Stande der Todsünde sich befindet, Ablässe für die Vefstoi'benen ge-
winnen könne. Triumphus glaubt diese Frage bejahen zu sollen. Er
betont freilich, daß wer nicht im Stande der Giiade sich befindet,
etwas Verdienstliches nicht tun köniie. Allein die Wirksamkeit der
Ablässe für Verstorbene, so bemerkt er weiter',' beruht nicht auf dem
Verdienste desjenigen, der das vorgeschriebene Ablaß werk fiar die
Seelen im Fegfeuer verrichtet; es sind vielmehr diese Seelen selber,
die auf Erden verdient haben, daß ihnen im Jenseits durch Zuwendung
von Suffragien und Ablässen geholfen werden kann. Sie stehen in
Liebesgemeinschäft mit uns ; daher , kann ihnen' auch der . Papst aus
dem Kir.chenschatz Ablässe zuwenden, falls aridere die vorgesehrieberieii
Ablaßwerke für sie verrichten.
*' „Magister in IV, dist. 45 expresse dicit, quod illi pro qtiibus fiunt plura
suffragia et plures indulgentiae' acq'uiruntur, citius a poenis piirgatörii
liberantur." q. 32, a. 1.
* „Confirmat hoo consuetudo Ecclesiae, quae- per communicationem in-
dulgentiarum et suffragiorum ponit illos a toto vel a parte liberari, pro quibus
fiunt." ^ • '
368 . X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte ides 14. Jahrhunderts.
Könnte aber der Papst auf diese Weise nicht das Fegfeuer
ganz entleeren? Es kann hier, erwidert Triumphus, ein Dreifaches
in Betracht kommen: die, päpsthche Jurisdiktionsgewalt an und für
sich, die geordnete Betätigung dieser. Gewalt, sodann die Qenehmigung
,von Seiten Gottes. Berücksichtigt man die päpsthche Jurisdiktions-
gewalt an und für sich, so kann man sehr wohl, sagen^ daß der Papst
4as Fegfeuer entleeren kann, aber nur bezüglich jener Seelen, die
früher seiner Jurisdiktion unterstellt waren und die auf Erden Freunde
haben, welche für ,sie tun, was zur Gewinnung des Ablasses vor-
geschrieben ist. Zieht man. die geordnete Betätigung, der päpstlichen
Jurisdiktion in Betracht,, so ist zu sagen, daß der Papst das, Fegfeuer
nicht entleeren kann. Er muß; eben von seiner Gewalt einen weisen,
wohlgeordneten Gebrauch machen;. was nicht der Fall wäre, wenn er
willkürlich alle Seelen aus dem Fegfeuer befreien wollte. Wie aber,
wenn er dies dennoch unternehmen uüd allen Seelen im Fegfeuer
Ablässe zuwenden sollte? Würde Gott dies billigen und anerkennen ?
Das weiß ich nicht, antwortet Triumphus, und ich glaube wohl, daß
es niemand wisse, auch der Papst , selbst nicht.,
Die Frage, auf welche Weise der Ablaß den Verstorbenen zu-
gewendet wird, hat Triumphus nicht eigens behandelt; wie er aber
darüber gedacht hat,, geht, aus verschiedenen seiner, Äußerungen
deuthch genug hervor. Nach ihm wird, der Ablaß.. überhaupt. nicht
in der Form eines Urteils verliehen, sondern nach Art einer Zahlung
und Mitteilung,^ und zwar aus dem Kirchenschatze. Diese Mitteilung
geschieht aber kraft der Jurisdiktionsgewalt.^ In dieserr Weise werden
die Ablässe auch den Verstorbenen zugewendet,. unter der> Bedingung
jedoch, daß jemand für sie. das vorgeschriebene Werk . verrichtet.
Dies Werk kann für die Verstorbenen auch von solchen verrichtet
werden, die im Stande der Todsünde sich befinden.^-. Wird nun einer
bestimmten Seele aus dem Kirchenschatz ein Abljaß .mitgeteilt,, so
wird dadurch für diese Seele bezahlt und genuggetan, gleich als,. ob
sie. selber die Zahlung und Genugtuung geleistet hätte.* i. Von .einer
Zuwendung des Ablasses, die bloß fürbittweise (per modum depre-
cationis) geschieht, unterscheidet, sich nicht unwesenthch die Ablaß -
mitteilung, wie sie von Triumphus gelehrt wird. Doch nimmt der
Augustiner keine unfehlbare Wirksamkeit des Ablasses für die Ver-
storbenen an. Es hängt eben nach ihm von Gott ab, ob er den Ablaß,
^ „Indulgentia non datur per modum sententiae promulgationis, , sed per
modum debitae solutionis et communieationis." q. 29, a. 2, ad 1.
* „Est actus iurisdictionis." Ebenda. Vgl. q. 32, a. 1: „Indulgentiae
applicantur per potestatis iurisdictionem." ' ■
^ „Puto quod . . . potest pie et rationabiliter dioi quod bona quae fivint
in Ecclesia possunt esse meritoria illis qui sunt in purgatorio vel per. modum
suffragiorum vel per modum indulgentiarum ad relaxationem poenae ;vel ad
totalem liberationem, quantumcumque fiantab existentibus in peocatomortali."
q. 32, a. 2. Vgl. Göller 159 f. , ,. . ,
* „Sic est solutum et satisf actum ac si personaliter solvisset vel satis-
feeisset." q. 32, a. 1. ',,,.
X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 369
der einer Seele im Fegfeuer zugewendet wird, annehmen wolle. Kein
Mensch könne aber wissen, ob die Annahme des Ablasses von selten
Gottes wirklich stattgefunden habe.^
Triumphus erörtert auch, die Frage, ob die Ablässe den Ver-
dammten in der Hölle nützen können.^ Bekanntlich haben ver^
schiedene ältere Theologen den, , Suffragien für die Verdammten eine
helfende Wirkung zugeschrieben, zwar nicht zur Befreiung aus der
Hölle, sondern nur zur Erleichterung der Pein.^ In Übereinstimmung
hiermit lehrt Triumphus, daß die Ablässe, gleich den iibrigen Suf-
fragien, die HöUenpeinen erleichtern können.
Sonderbar klingt eine andere Frage, die Triumphus noch auf wirf t:-
Ob der Papät durch Abläßverleihung jene, die ihre Sünden bereut
und gebeichtet haben, so von aller Strafe und Schuld' los-
sprechen kann, daß ' sie nicht ins 'Fegfeuer kommen.* Wiederholt
hat der Augustiner erklärt, daß der Ablaß sich nur auf die Strafe,
nicht auf die Schuld bezieht. Wie kommt er nun dazu, von dem Ablaß'
als von- einer Befreiung -von Strafe und Schuld zu sprechen? Das
Rätsel löst sich.insehr einfacher Weise. Damals schon war es vieKaöh
Sitte, den vollkommenen Straferlaß als einen Erlaß von- Strafe und
Schuld zu bezeichnen, wie im 2. Band in dem Abschnitt über den
sogenannten Ablaß von Schuld und Straf e gezeigt werden soll. Diesem
weitverbreiteten Sprachgebrauche folgt hier Triumphus. Seine Frage,
ob der Papst jene,' die reumütig gebeichtet haben, von aller Strafe und
Schuld lossprechen könne, deckt sich mit der in der Summe Alexanders
von Haies vorkommenden Frage, ob der Papst dem Pönitenten die
gesamte für die Sünden schuldige' Strafe erlassen könne.^ Dies ergibt
^ „Dupliciter potest homo satisfacere pro delicto: 1. satisfaotione exi-
gentiae, et sie quilibet satisfacit pro seipso; 2. . satisfaotione oondecentiae,
et sie UQUs potest satisfacere pro alio. Sed.in commimicatione indulgentiae
attenditur satisfactio' oondecentiae, quia thesanro p£i<ssibnis CKristi satisfit pro
poena illorum qui sunt in purgatorio. ' Cum< ergo talis satisfactio consistat in
Dei aooeptatione, sicut acceptatio Dei est ignota Päpae et cuilibet creaturae,
ita et talis satisfactio quae fit per poimnunicätionem indulgentia>e ignota est
sibi." q. 32, a. 3. Göller (Der Ausbruch der Reformation 162 f.) nimmt an,
Triumphus sei der Ansicht gewesen, daß der Ablaß den einzelnen Seelen, für
die er aufgeopfert werde; linfehlbar und seinem ganzen- Umfang nach zuteil
werde. Es sei zu beachten, „daß er zwar hierbei, wo es sich um die Exspoliation
des Fegfeuers überhaupt handelt, die divina acceptatio mit in die Wagschale
wirft, dies aber nicht tut, wo er von der, Zuwendung des Ablasses für die Ver-
storbenen im einzelnen spricht".. -Allein in der 'oben mitgeteilten Begründtmg
spricht Tritimphus , ganz allgemein" von, der , Zuwendung der .Ablässe, an Ver-
storbene , und fordert ganz allgemein die acceptatio, divina, ,also auch für den
Fall,, -vsro es sich \im.eine Zuwendung an einzelne Seelen handelt.,
2 „An indulgentiae et suffragia prodesse possint damnatis ?" q. 34, a. 4.
. 3 Vgl. Franz,' Die Messe 223 ff.
* „TJtrum Papa per communicationem indulgentiae possit contritos et con-
fessos sie a tota poena et culpa absolvere, ut non transeant per ignem purga-
torii?" q.^32, a. 4. '
^ Summa IV, q. 23, m. 6: „Utrum Summus Pontifex posset totam poenam
debitam peccato relaxare poenitenti ?" Vgl. oben S. 286.
Paulus, Geschichte des Ablasses. 24.
370 X. Die Ablaßlehre der Theologen "der ersteh Hälfte des 14. Jährhunderts.
öich sonnenklar aus der ganzen Art und Weise, wie Triuinphus die
von ihm gestellte Frage zu lösen sucht.
Damit der Ablaß, so beginnt er seine Erörterung, in jenen, die
ihre Sünden reumütig gebeichtet haben, die voUkbmmfene Vergebung
der Sünden bewirke, so daß sie, wenn sie sterben sollten, unverzüglich
in den Himmel kämen,^ sind vierschiedene Bedingungen erfordert.
Zunächst muß der Spender selber die nötige Jurisdiktion besitzen;
er inuß auch von dieser Jurisdiktion einen geordneten Gebrauch
mächen und bei Erteilung des Ablasses einen vernünftigen Grund
haben. Der Empfänger seinerseits muß glauben, daß die Kirche
Ablässe erteilen kann; er muß zudem im Stande der Gnade sein.
Erst wenn er seine Sünden reumütig gebeichtet hat, kann ihm der
Kirchensohatz „zur Ablösung der Strafe" geöffnet werden.^ Sodann
niuß er das Werk verrichten, das zur Gewinnung des Ablasses vor-
geschrieben ist. Damit aber der Empfänger des Ablasses, falls er
sterben. sollte, von Mund auf in 'den Himmerfahre, darf nichts vor-
handen sein, was die sofortige Aufnahme in den , Himmel hindern
würde. Es könnten .aber .viei^erlei , Gründe den sofortigen Eintritt in
den Himmel, auch nacli Gewinnung des Ablasses, unmöglich^ machen.
Einer dieser Gründe kann im Ablässe selbst liegen, wenn es nämlich
in der Ablaßbewilügung heißt, daß die auferlegte Buße (poena in-
iuncta) erlassen werden soll. Hat der Beichtende eine größere Buße
verdient als jene, die ihm tatsächlich auferlegt worden, so wird ihm
die aufzulegende Buße durch den Ablaß nicht erlassen; er muß sie
im Fegfeuer abtragen. Der Ablaßempfänger kann dann auch beim
Beichten die eine und die andere Sünde vergessen haben. Auf diese
vergessenen Sünden bezieht sich der Ablaß nicht, da er nur für die
: gebeichteten Sündfen erteilt wird-. Drittens kann man nach Gewinnung
dfes Ablasses wieder eine Todsünde begehen. Wenii man auch nachher
diese Sünde beichtet, so fallt sie doch nicht unter den früher ge-
wonnenen Ablaß. Endlich kann es leiöht vorkommen, daß ein Mensch,
der seine Sünden reumütig gebeichtet hat und folglich im Stande der
Giiäde "sich befindet, dennoch mit läßlichen Sünden in die Ewigkeit
hinübergeht. Von diesen Sünden muß aber die Seele zuerst gereinigt
werden, bevor sie in den Himmel eingehen kann.
1 v,Ut communicatio ihdulgentiae habeat coihpletrim 'et universalem effectiun
qüahtüih äd tötam remissioneih pecbatörum in contritis et confessis, ita ut
sib decedehtes statim evolent et per purgfitorium "non transeant, äli'qua reqm-
fühtür." Es ist klar, daß unter der „tota remissio pecoatorum", die durch den
Ablaß bewirkt werden soll,, nur die vollkommene Vergebung der Sünden der
Strafe -nach, mit 'andern Worten, nur "ein vollkommener Straferlaß ver-
standen werden kann, da ja die Vergebung der Sündenschuld in der reumütigen
Beichte vorausgesetzt wird.
^ Es sei erfordert, „quod "sit vere contritus et c'ohfessus; nam per con-
tritionem homo reconciliatur Deo, per confessionem reconciliatur Ecclesiae, et
tüii'c . . .fit de numero militum Ecclesiae qüibüs thesaurus debet aperiri pro
satisfactione poenäe.
(C
X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14, Jahrhunderts. ,371
Ist nun aber von den ^yier, erwähnten. Hindernissen keines vor-
handen und sind 4ie von seilen des Spenders und Empfängers er-
forderten Bedingungen erfüllt, so kann der Papst jene, die reumütig
gebeichtet haben, derartig' von ',^äller Strafe und Schuld-- lossprechen,
daß sie vor dem Fegf euer bewahrt bleiben. Zur Begründung dieser
Macht des Papstes wird unter änderm folgender Beweis vorgebracht:
Christus kann alle Straie (tptam poenaih)' nachlassen; folglich kann
es auch der Papst, gemäß der Glosse zu 2. Kor. 2, 10: Was ich vergeben
habe, habe icH an Christi Statt vergeben; wozu die Glosse bemerkt:
Ms wenn es "Christus vergeben hätte. ^ Also, was unmittelbar vorher
als eine Befreiung von Strafe und Schjild galt,, das wird jetzt einfach
als eine Befreiung von der Strafe bezeichnet. Schon diese Schluß-
bemerkung wie auch die vorangehende Erörterung, die zur Gewinnung
des Ablasses die JBef reiung von aller Süiidenschuld als unumgängliche Vor-
bedingung fordert, zeigen klar, daß Triumphus unter Ablaß von Strafe
und Schuld einen vollkommenen Straferlaß verstanden hat. Der Ablaß
von Strafe und Schuld gilt ihm als Erlaß der für die Sünde geschuldeten
Strafe. Deshalb erklärt er am Schlüsse seiner Ausführungen: Durch
den Ablaß werde die Strafe für die Schuld erlassen auf Grtilid der
stellvertretenden Genugtuung Christi;^ als Stellvertreter Gottes könne
der Papst alle schuldige Strafe für die gegen Gott begangene Sünde
erlassen.^
Die im fünften Abschnitte behandelte IVage, ob der Papst auch
solchen Verstorbenen,. die nicht zur Kirche gehört haben, wie z. B. die
ungetauften Kinder, Ablässe erteilen könne, darf füglich übergangen
werden. Es genüge, zu bemerken, daß die Frage verneint wird.
Erwähnenswert ist, dagegen, wie Triumphus in einem andern Ab-
schnitte seines Werkes den damals noch üblichen Ablaß des dritten
oder vierten Teiles der Sünden erklärt. Durch einen derartigen.
Ablaß, lehrt' er, wird nicht der dritte oder vierte Teil der Sünden,
nachgelassen, da ja d.er Ablaß nur solchen zugute kommt, die ihre
Sünden reumütig gebeichtet haben; wohl abßr wird- dadurch der dritte-
oder vierte Teil der Bußstrafe für die Sünden erlassen, die im Buß-
sain-ament bereits vergeben worden sind.*
1' Gemeint ist die Glossa interlinearis von Anselm von Laon. Vgl. oben-.
«. 231.
* „In communioatione indulgentiae tqllitjiT.poena pro culpa ratione
poenae Christi patientis pro .suis iinembr;is." .q. 32, a. 4, ad 1.
)ä „Ex yirtute Dei ,poterit relax^ri tomnis p.oen.a .debita culpa.e in eum
commissae." Ibidem, ,ad 2.
* „Plus potest Papa mediante officio quam mediaiite sacramento, qüia,
mediante sacramento tantum' potest, quantam potestatem -Deus contulit sacra-
mento; unde tantum potest, quantum unus alius sacerdos. Sed mediante officio
tantum potest, quantam potestatem Deus contulit officio. Nee tarnen est verum
..quod ,per .commflnicatione.m indulgentiae i;eniittat tertiam paxtem peccatorum,
.cum .indulgentia .non .communicatur nisi contritis\,et cohfessis, sed remittitur
.terti^-vei'quaijta pars >de,iniunct,a poftnitentia pro peccatis, quorum ab-
solutio iam facta est." ^<1« -.6,6, a. 4, jad ,1.
24*
372 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderta.
Thomas von Straßburg.
Nach Augustinus, Triumphus erscheint als Vertreter des Augu-
stinerordens im 14. Jahrhundert Thomas von Straßburg, der von 1345
an zwölf Jahre an der Spitze des Gesämtordens stand und 1357 in
Wien gestorben ist. Bevor er zum General gewählt wurde, , war er
in Straßburg und Paris , Prof essor der Theologie gewesen und hatte
als solcher einen Kommentar zu den Sentenzen verfaßt, dem nicht
mit Unrecht Prägnanz und Klarheit nachgerühmt wird. I)ies Lob
gebührt auch seinen kurzen Ausführungen ütter den Ablaß, die, zudem
in einer originellen Form aiiftreten.^ Der Verfasser, fragt nämlich,
ob der Mensch durch Ablässe ohne andere Genugtuung seine Fegfeuer-
strafe tilgen könne. In der Beantwortung dieser Frage hat er seine
Auffassung des Ablasses kurz dargelegt.
Der Ausdruck „ohne andere Genugtuung", bemerkt er, kann
zweierlei besagen: es kann. dadurch jene spezielle Genugtuung gemeint
sein, die der Beichtvater auflegt; oder man kann darunter überhaupt
jede menschhehe Tätigkeit verstehen, wodurch die S,ündenstrafe^ ver-
mindert wird. Die Antwort ist nun eine verschiedene, je nachdem
der Ausdruck „ohne andere . Genugtuung" in dem einen oder in dem
andern Sinne verstanden wird. Versteht man darunter die vom Beicht-
vater auferlegte Buße, so kann der Mensch sehr wohl durch Ablä.sse
ohne andere Genugtuung seine Fegfeuerstrafe abtragen. Wird nämlich
einem Pönitenten so viel erlassen, als er schuldig ist, so ist er zu nichts
mehr verpflichtet. Nun gibt es aber manche Menschen, denen durch
Erteilung von Ablässen so viel Bußstrafe erlassen wird, als sie ab-
zutragen haben. Grcsetzt also, daß solche Menschen sterben, bevor
sie die vom Beichtvater auferlegte Buße verrichten, so werden sie
dennoch keine- Fegfeuerstrafe zu erdulden haben.
Gegen diese Folgerung, fährt der Verfasser fort, können. indessen
verschiedene Einwände geniacht werden. Vor allem kommen die
Häretiker — gemeint sind die Waldenser — die da behaupten, der
Ablaß habe überhaupt keinen Wert. Dann wiirde aber, die allgemeine
Kirche, die am Ablasse festhält, in'en, was, nicht zugegeben werden
kann. Zudem scheint schon der hl. Paulus (2. Kor. 2) einen Ablaß
erteilt zu haben; folglich kann auch der Papst, Ablässe yerleihen,
und zwar als Verwalter des Kirchenschatzes, der aus den Verdiensten
Christi und der Heiligen besteht. Aber durch' die; «Verleihung von
Ablässen wird Simonie begangen, sagt man. Durchaus nicht! da
die Ablässe zwar für Zeitliches, aber nur insofern das Zeitliche auf
Geistliches hingerichtet ist, verliehen werden. Man säge auch nicht,
daß infolge der Ablässe die Sünd,en ungestraft bleiben; denn für diese
Sünden haben Christus und die Heiligen, aus deren Verdiensten die
^ Thomae de Argentina Commentaria in 4 libroa Sententiarum... Venetiis
16Ö4. 1. IV, d. 20, q. 1, a. 4: „Utrum per indulgentias possit homö purgatorium
suum extinguere absque alia satisf actione," Bl. , 130 — 31. Vgl. über Thomas
meinen Aufsatz im Historischen Jahrbuch XIII (1892) 1 f f .
Xl'Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälftodes 14. Jahrhunderfcs. 37^
Ablässe gespendet werden, bereits genuggetan. Doch ist jedem, der
Ablässe zu gewinnen sucht, anzuraten, die vom Beichtvater auferlegte
Buße nicht zu unterlassen, da diese Buße auch ein Heilmittel gegen
die , künftigen Sünden ist. Zudem gibt es manche Sünden, an die
wir uns beim Beichten nicht erinnern. Wir sollen daher hienieden
Buße tun, um für diese Sünden im Fegfeüer nicht schwer gestraft
zu werden. Aber auch gesetzt, daß jemand mit Erlaubnis des Beicht-
vaters die auferlegte Buße durch Ablässe ablöst, so kann es doch
sehr wohl geschehen, daß ein solcher Mensch durch die^ Betrachtung;
des Leidens Christi und der Heiligen, deren Verdienste ihm zugeeignet
werden, mehr in der. Gnade und Liebe gewinnt, als wenn er die auf-
erlegten Büß werke verrichtet hätte. Da nun aber der Mensch durcbi
Vermehrung der Gnade und Liebe zu einem tugendhaften Leben
geneigt gemacht und die Lust zum Bösen in ihm vermindert wird,
so wird der geistliche Nutzen des Pönitenten durch die Ablässe nicht
aufgehoben; im Gegenteil, er wird dadurch gefördert.^
Abgesehen von der häretischen Behauptung, daß die Ablässe
überhaupt nichts gelten, gibt es eine andere Ansicht, nach welcher
der Ablaß bloß die vom Beichtvater auferlegte Buße, nicht aber di&
Fegfeuerstrafe hinwegnehmen würde. Diese Ansicht muß man als
Irrtum. zurückweisen, und zwar aus folgendem Grund: Jeder Christ
ist verpflichtet, zu glauben, daß die vom Beichtvater auferlegte Buße
die Fegfeuerstrafe tilgt, gänzlich oder nur teilweise, je nachdem eine
genügende oder ungenügende Buße auferlegt worden ist. Wer nun
aber anerkennt, daß der Ablaß die vom Beichtvater" auferlegte Buße
hinwegnimmt, der muß folgerichtig zugeben, daß die Ablässe auch
zur Ablösung der Fegfeuerstrafe , dienen.
Andere geben zwar zu, daß der Ablaß sowohl die vom Beichtvater
auferlegte Buße aladie Fegfeuersträfe hinwegnimmt ;, sie meinen aber,
daß die. Ablässe nicht so viel gelten, als sie besagen, sondern daß ihre
Wirksamkeit sich nach dem Glauben und der frommen Gesinnung des
Empfängers richtet. Daß aber' die kirchlichen Oberen mehr ver-
sprechen, als sie wirklich geben, geschehe aus einem gewissen frommen
Betrug, wodurch die Leute zu guten Werken angelockt werden sollen,
gleichwie eine Mutter ihr Kind durch Hinhalten eines Apfels zum
Gehen anzulocken suche. Das wäre aber nach Thomas kein frommer,
sondern vielmehr ein grausamer und gottloser Betrug, wenn die Kirche
den Gläubigen, vorspiegeln. würde, sie wären aller Strafe los, während
* „Dato tarnen quod de licentia confessoris homo iniunotas p'oenitentias
recompenset indtdgentüs, adhuc bene pbtest contingere, quod talis homc ex
consideratione passionis domini nostri lesu Christi et caeterorum sanofcorum,
cuius passionis merito satis fit pro ipso, maiorem gratiam et caritatem recipiat,
quam si poenitentiam sibi iniunotam in, propria specie absque indulgentiis per-
fecisset. Et quia per augmentum gratiae et caritatis homo inclinatur ad opera
virtuosa et diminuitur in eo inclinatio ad vitia non minus quam per aseuef actionem
bonorum operum, ideo poenitentis utilitas non,tollitur per indulgentiam, sed
magis.promovetur. Bl. 130'. Hier wie in etlichen andern Pimkten schließt sich
der Augustiner- eng an Thomas von Aquin an. Vgl. oben S. 291.
374 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.
ihnen doch im Fegfeuer eine strenge Strafe bevorstehen würde ; auch
könnte in diesem Falle die Kirche nicht von der Lüge freigesprochen
werden.
Es ist also daran festzuhalten, daß die Ablässe so viel gelten,
als sie besagen, aber nur unter der Bedingung, daß der Spender die
nötige Vollmacht besitze, daß der Empfänger im Stande der Gnade
sei, und daß der Ablaß aus einem vernünftigeft Gründe erteilt werde.
Der Grund der Verleihung eines Ablasses ist aber dann als vernünftig
zu bezeichnen, wenn dadurch die Ehre Gottes und der. Nutzeh der
Kirche gefördert werden.
Gegen die von ihm verfoohtene These erhebt nun aber Thomas
selber einen seltsamen Einwand. In Speyer, so berichtet er, ist eine
kleine Kirche, die man die heilige Grabkirche nennt. Dort werden
die Schreiben von sieben Päpsten gezeigt, wovon ein jedes den Gläu-
bigen, die am Feste der Apostelscheidung (15. Juli) nach reumütiger
Beichte die Kirche besuchen, den siebten Teil der Buße erläßt: Gelten
nun die Ablässe so viel, als sie besagen, dann wird jeder, der nach
reumütiger Beichte jenes Kirchlein besucht, von Strafe und Schuld
frei sein;i und so wird man dort denselben Ablaß gewinnen können,
wie im Jubeljahre zu Rom in der Peterskirche oder durch Teilnahme
am Kreuzzuge. Das kommt aber einem durchaus unglaublich vor.
Thomas zieht "die Echtheit der in Speyer- verwahrten päpstlichen
Schreiben nicht in Zweifel.^ Er bestreitet aber, daß man auf Grund
dieser Schreiben einen vollkommenen Ablaß in Speyer gewinnen könne.
Man darf die Sache nicht so verstehen, bemerkt er, als ob jeder Papst
den siebten Teil der ganzen Buße erlassen würde. Nur der erste
erläßt den siebten Teil der Buße, der. zweite erläßt den siebten Teil
von dem, was übrigbleibt, und so fort.^ Es wird also stets ein Teil
der Buße zurückbleiben. Deshalb kann auch der Spejnrer Ablaß nicht
auf die gleiche Linie gestellt werden mit dem, Jubiläums- oder Kreuz-
zugsablaß, vorausgesetzt, daß durch diese Ablässe die ganze Buße
erlassen werde.*
Beim Glossator, bemerkt dann Thomas weiter, werden über den
^ „Tunc quilibet illa die veniens contritus et confesstis ad iam diotam
ecolesiam esset absolutus a poena et a culpa, et sie tanta ibi esset indulgientia
sicut in anno iubileo in ecciesia S. Petri, yel in passagio ultramarino." Bl. 131.
Es scheint demnach auch Thomas, gleich Triumphüs, den damals üblichen Aus-
druck „von Strafe und Schuld" für die Bezeichnung des vollkommenen Straf-
erlasses sich angeeignet zu haben. Freilich kann man die Redensart auch so
verstehen, daß derjenige, dem in der reumütigen Beichte die Verzeihimg der
-Sündenschuld zuteil geworden, durch den Kirchenbesuch Erlaß dei; Strafe erhält,
und so von Strafe und Schuld frei ist.
* Die Echtheit der Schreiben darf man mit vollem Rechte bezweifeln,
"da die Päpste im 13. vind 1'4. Jahrhundert für Kirchenbesuch keinen derartigen
Ablaß zu erteilen pflegten.
2 Diese Erklärung findet sich schön bei Johannes Teutonikus, oben
S. 230.
* „Supposito quod in talibus pleha fiät re'missio ab omni poena." '
X. T>ie Ablaßlehxe der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 375
Wert, des Ablasses noch verschiedene andere. Ansichten angeführt,^
die er aber der Kürze halber übergehen wollß. Andere Autoren waren
weniger zurüchhaltend. Bis ins 17. Jahrhundert hinein sind die alten
Ansichten über den Wisrt des Ablasses aufgezählt und widerlegt worden.
Dar£|,us darf man aber, nicht schließen, daß alle diese Ansichten in den
späteren Jahrhunderten noch vertreten worden sind, ebensowenig wie
man aus den obigen Erörterungen des Elsässer Theologen schließen
darf, daß es zu seiner Zeit noch katholische Theologen oder Kanonisten
gegeben habe, die meinten, die Kirche gestatte sich beim Ablaß ßinen
frommen Betrug, oder die behaupteten, der Ablaß befreie nur von
der kanonischen Buße, nicht aber von der Fegfeuerstrafe. Der Augur
stiner behandelt diese Frage, weil er sie bei Bonaventura und Thomas
von Aquin behandelt fand.
Durch die Ablässe kann man ohne andere Genugtuung die Feg-
feuerßtrafe tilgen, falls unter Genugtuung die vom Beichtvater auf-
erlegte Buße verstanden wird: das ist die These, die Thomas in den
vorangehenden Erörterungen zu erklären und zu begründen sucht.
Wie verhält es sich aber, wenn man unter ^ Genugtuung jede mensch-
liche Tätigkeit versteht, wodurch die Sündenstrafe ganz oder teilweise
getilgt wird ? In diesem Falle muß die Antwort auf die am Anfange
gestellte Frage verneinend lauten: Der Mensch kann nicht durch
Ablässe ohne andere Genugtuung die Fegfeuerstrafe tilgen. Zur
Gewinnung des Ablasses ist nämlich Reue und Beichte erfordert,
da man mit einer Todsünde auf dem Gewissen des Ablasses nicht
teilhaftig werden kann. Folglich setzt der Ablaß notwendigerweise
eine Tätigkeit voraus, wodurch die' Siindenstrafe zum Teil wenigstens
getilgt wird; deiin ein beträchtlicher Teil der Strafe wird in ^er wahren
Heue nachgelassen. Hiermit schließt Thomas seine Ausführungen über
den Ablaß.
Die Ablässe fjär die Vei:storbenen übergeht er mit Stillschweigen,
auch an der späteren Stelle, wo er von den Suffragien für die Seelen
im Fegfeuer handelt.?, Es kann also nicht gesagt werden, welche .Stellung
er zu diesen Ablässen eingenommen hat. Daß aber die Zulässigkeit
der Ablässe fiir Verstorbenß zu jener Zeit noch nicht allgemein an-
erkannt war, ersieht man aus den Erörterungen, die zwei Ordens-
genossen des elsässischen Augustiners, ein Deutscher und ein Engländer,
der 'Ablaßfrage gewidmet haben.
Heinrich von Friemar. Gtpttfried Hardeby.
Heinrich von Friemar;^ aus edlem Geschlecht, das sich nach dem
Dorfe Friemar bei Gotha nannte, studierte und lehrte in Paris, wo
er im Jahre 1300 Doktor der Theologie wurde. IsTach Deutschland
^ Gemeint ist Bernhard von Bottone. Vgl. oben S. 320.
a Sent. lY, ;d. 45, q. 1, a. 3.
^ Vgl. über ihn Beyer, in Mitteilungen des Vereins für die Gresohiohte von
Erfurt V (1871) 125,ff . Statonik, in AUg. deutsche Biographie XI (1880) 633 ff.
Denifle, Chartularium II 85 535 ,f. Franz 496 ff.
376 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14.- Jahrhunderts.
zurückgekehrt, wirkte er mit kurzen Unterbrechungen als -Lehrer und
Seelsorger in Erfurt bis zu seinem 1354 erfolgten Tode. Den Ablaß
behandelt er im Sentenzenkommentar, der, wie es scheint, verschollen
ist.i Einige Auszüge hat N. Weigel in sein Ablaßwerk aufgenommen.
Daraus erfahren wir, daß der Erfurter Augustiner bezüglich des Ab-
lasses für die Verstorbenen eine eigentümliche Ansicht vertreten hat.''
Nach ihm würde der Ablaß den Seelen im Eegfeuer, wenn auch nicht
unmittelbar, so doch indirekt zugute kommen. Unter diesem indirekten
Nutzen versteht er aber nichts anderes als die Hilfe, die den Ver-
storbenen geleistet wird durch die guten Werke, die zur' Gewinnung
des Ablasses verrichtet werden nlüssen.^ Von einem Nutzen der Ablässe
für die Verstorbenen kann bei einer solchen Auffassung nur insofern
die Rede sein, als die Lebenden durch die Verheißung von Ablässen
angeeifert werden, für die Seelen imPegfeuer gute Werke zu verrichten.
Wie Heinrich von Friemar den Ablaß für die Verstorbenen .nicht
anerkannte, so hat er auch im Anschluß an Mayron, dessen Gründe
er sich aneignete, die Theorie vom Kirchenschatz abgelehnt.* In einer
Predigt über das Leiden Christi lehrt freilich Heinrich von Friemar,
daß die kirchlichen Oberen die Ablässe aus dem Schatze der Ver-
dienste Christi erteilen.^ Er könnte aber im Laufe der Jahre seine
Ansicht gewechselt haben.
^ Diesen KommentiaT, der erwähnt -wird bei Trithemius (Catalogu»
scriptorum ecclesiasticon|m. Goloniae 1531, 109), habe Ich in den vielen ».'Hand-
schriftenkatalogen, die ich eingesehen habe, nirgends verzeichnet gefunden.
Statonik 635 behauptet irrig, der Kommentar sei erschienen unter dem T^tel
„Additiones ad libros . Sententiarum". Die kiirzen Aufzeichnungen, die gegen
Ende des 15. und ain Anfang des 16. Jahrhunderts viele Auflagen erlebt haben,,
sind verschieden von- dem Kommentar; der Ablaß wird darin nicht erwähnt.
2 Weigel, cap. 34. . , ,.
3 Heinrich lehrt folgendes : .Direkt kann der Papst den Verstorbenen keinen
Ablaß erteilen, indem er sagt: „Ego absolvo vos ab omni pena vel do vobis in-
dulgenciam tot dierum vel annorum." Nur indirekt kann er es tun, indem er
erklärt: „Quicxmque homo dixerit unmn psalterium in honorem anime illius,
huio do Septem annos indulgencie. Et tunc tali anime hoc suffragatur. Bacio
est quia per illa suffragia que fiunt per viatores hie existentes sepius anime
consequuntur indulgenciam (hier ist der Ausdruck ,^indulgentia" im weiteren
Sinne genommen für Straferlaß überhaupt) unius anni, duonma vel trium vel
tooius pene . . . Papa ergo potest eis dare indulgenciam per modum suffragii,
et dans talem indulgenciam debet dare sub tali forma: Quicunque viator talem
oracionem pro tali anima legerit, illi Septem annos pene relaxamus. Et ideo
quando talis talem legit oracionem, tunc anima f ecipit suffragia immediate ;
sed ille recipit immediate indtdgenciam,'et mediate illa anima recipit indulgenciam
(Straferlaß) et absolucionem a pena vel saltem partem eins."
* Weigel, cap. 34. Amort II 109, wo der Verfasser irrig Franciscus de
Frunaria genannt wird. Die Gründe, die Heinrich gegen die Theorie des Kirchen -
Schatzes geltend macht, sind auch angeführt imd widerlegt in einer noch \m-
gedruckten Ablaßschrift des Dominikaners Heinrich von Bitterfeldin der
Breslauer Universitätsbibliothek II. F, 65, BL 199. i Der. Dominikaner spricht
von eiinem traotatus de clavibus. Gemeint ist aber der Abschnitii aus dem Sen-
tenzenkommentar, wie aus Weigel zu ersehen ist. :/i " ■ ^ ;
^ Opus seirmonum de Sanctis. - Hagenau 1513, 56: i,Papa et alii prela,ti
Eeclesie per indulgentiam quam largiimtiir, relaxani de pena.piirgatorii- lOjSÖ
X. Die Äblaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 377
Möglich ist indessen auch; daß der Verfasser jener Predigt ver-
schieden ist von dem Verfasser des Sentenzenkommentars. Es gab
nämlich im 14. Jahrhundert drei Erfurter Augustiner, die den Namen
Heinrich von Friemar führten.^ Der eine wird stets nur als Lektor
bezeichnet. Der zweite und bekannteste war der Neffe des ersteren
und wurde daher junior genannt. Es ist derjenige, der am Anfange
des 14. Jahrhunderts in Paris Doktor der Theologie geworden.^ Dazu
kommt noch ein dritter, den das Generalkapitel von 1343 zum Studium
(äd lecturäni Sententiarum) in Paris bestimmte.^ Was nun die Schriften
anlangt; die Heinrichs von Friemar Namen tragen, so ist das Predigt-
werk de Sarictis sicher' dem berühmten Magister zuzuschreiben ; denn
es wird ihm bereits zugeeignet von dem Augustiner Jordanus von
Quedlinburg , der mit ihm in Erfurt gelebt hat.* Von dem Sentenzen-
kommentar sagt Jordanus nichts. Er hatte, allerdings nicht die Absicht,
alle Schriften seines Ordensgenossen anzuführen. Doch ist es auffallend,
daß er diesen Kommentar, der als Hauptwerk gelten mußte, nicht
erwähnt, während er minder wichtige Schriften namhaft macht. Es
ist daher nicht ausgeschlossen, daß der Sentenzenkommentar einem
der beiden andern Heinrich von Eriemar angehört.
Der englische Augustiner Gottfried Hardeby,^ der Professor
in Oxford,, Provinzial und Beichtvater des Königs Eduard. III. ge^
wesen und 1360 gestorben. ist, , hat die, Ablaßfrage , erörtert in seinem
Kommentar zu den. Sentenzenbüchern. Einige Mitteilungen aus diesem
noch ungedruckten Werke finden sich in einer gegen Ende des 14. Jahr-
hunderts verfaßten Ablaßschrift des Dominikaners Heinrich von
Bitterfeld.*. Wie dieser Gelehrte, der Professor in Prag gewesen,
berichtet, hat Hardeby den Ablaß für die Verstorbenen kurzerhand
abgelehnt.' Auch über den Wert oder die Tragweite des Ablasses
vel 30 onnos, prout ratio suaserit. Quam quidem gratiam hauriunt ex fönte
divine miserationis, in quo Christus thesaurum sue passionis reoondidit. Unde
cum ipsi ex institutione divina sunt camerarii talis thesauri, possunt eum nobis
per gratiam applicare et aliquid d.e pena nobis debita relaxare virtute passionis
Christi, qui pro nostris peccatis Deo Patri misericorditer satisfecit."
^ Th. Kolde'(Die deutsche Augustiner-Kongregation. Gotha 1879, 42)
erwähnt einen Heinrich von Friemar, der in einer Urkunde von 1279 sich Pro-
vinzial neiint. Allein in der betreffenden Urkunde ist bloß die Rede von einem
„frater Henricus, prior provinoialis". Daß dieser Heinrich von Friemar gewesen,
wird nicht gesagt. Vgl. E. Jacobs, Urkimdenbuch von Langein und Himmel-
pforten. Halle, 1882, 113 [Geschichtsquellen .der Provinz Sachsen XV].
^ Beide, der Oheim und der Neffe, erscheinen miteinander in zwei Urkunden
aus dem Jahre 1350. Vgl. Beyer 128.
3 Denifle 535.
* Jordanus de Saxonia, Liber quidicitur Vitas Frätrum. Romae 1587,
171: „Inter caetera studiositatis suae opera scripsit: Super libros Ethicorum
Aristotelis, opus solenne sermonum de sanctis, lecturam Decretalis cum Mar-
tha« usw."
5 Vgl. über ihn Dictionary of national biography XXIV (1890) 329 f.
' Vgl. über ihn G. Sommerfeldt in Zeitschrift für katholische Theologie
XXIX (1905) 600 ff.; XXXIII (1909) 162.
' Handschrift in der Breslauer Universitätsbibliothek. II. F. 65, Bl. 202.
378 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Je^hrhunderts.
für die Lebenden war er anderer Ansicht als manche seiner ,. Zeit-
genossen. Nach ihm würden nicht alle, welche das vorgeschriebene
Werk verrichten, in gleicher Weise am Ablaß teilhaben. Die Teilnahme
am Ablaß würde sich vielmehr richten nach der inneren Würdigkeit
und Disposition des Empfängers. Deshalb wären bei der Verleihung
von Ablässen stets zwei Bedingungen stillschweigend miteingeschlossen.
Erstens :/Eine gleichmäßige Teilnahme setzt eine gleiche innere Würdig-
keit und Disposition voraus. Zweitens : Beim vollkommenen Ablaß ist
die Klausel miteingeschlossen: Soweit die Schlüsselgewalt der, Kirche
reiche. Der Plenarablaß sei daher keineswegs so . auf zufassen , als
würden dadurch alle Sündenstrafen völlig getilgt, wie die Einfältigen
irrig glauben.^
Johann Bacon.
Als Vertreter des vierten Mendikantenordens kann gelten der
angesehene Karmelit Johann Bacon (Baconthorp),^ Professor der
Theologie in Oxford, von 1321 bis 1333 Ordensprovinzial in England,
gestorben 1346 in London. In seinem Sentenzenkommentar^. fragt er
zuerst bei der Behandlung der Ablaßfrage, ob die Ablässe so viel
gelten, als sie besagen, wobei er sich, wie auch in der Aufstellung
dör erforderliclien Bedingungen, " dem Aquinaten anschließt. Von
Thomas weicht er aber bei der Besprechung des Ablasses für Ver-
storbene ab. Hier folgt er vielmehr der Lehre Heinrichs von Susa,
mit dem er betont, daß die Seelen im Fegfeuer nicht mehr unter der
Jurisdiktion der Kirche stehen und folglich der Ablässe nicht teil-
haftig werden können. Er glaubt sich hierfür auf das allgemeine
Konzil von Vienne berufen zu können, das unter andern Mißbräuchen
auch die Anmaßung der Almosensammler rügt, die „lügnerisch" vor-
geben, die Seelen aus dem Fegfeuer zu befreien. Es werde gesagt
,,l.ügnerisch", bemerke hierzu Joh. Andrea, da die Verstorbenen nur
noch dem Gerichte Gottes unterstellt seien.*
Bacon zeigt auch, daß damals selbst gelehrte Theologen den
vollkommenen Straferlaß unbedenklich als einen Erlaß, von Schuld
und Strafe bezeichneten. Wie Augustinus Triumphus, so wirft der
englische Karmelit die Frage auf, ob der Papst die Gläubigen ins-
^ Ebenda 201: „De plena remissione intelligitur, in quantum olaves eo-
ölesie se extendunt. Quare virtute earum non fit plena remissio peocatortun
simpliciter et absolute, siout multi oredunt simplices et deoipiuntur." Diese
Stelle findet sich auch bei Weigel (cap. 11), der sie von Heinrich von Bitterfeld
entlehnte, imd ohneHardeby zu nennen, sie einem „gewissen Doktor" zuschreibt.
Abgedruckt bei Amort II 99.
* Vgl. über ihn Handlexikon I 449.
' Super quatuor sententiarum libros opus, Venetiis 1526, 1. IV, d. 24,
q. 2 et 3. Bl. 150 — 152. Im vierten Buche zitiert der Verfasser wiederholt die
iin Jahre 1321 erlassene Bulle Vaa electionia. Das Werk ist also nach diesem
Zeitpunkte verfaßt worden.
* Sent. IV, d. 24, q. 3, a. 1. Bl. 151.
X. iJie Äbiaßlehre der Theolögen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 379
gemein von Schuld und Strafe lossprechen könne.^ Er bejaht
die Frage für den Fall, daß ein hinreichender Grund vorhanden und
vöii Seiten der Gläubigen die nötigien Bedingungen erfüllt werden. So
geschieht es, fügt er bei, beim Jubiläum bezüglich jener, die nach
Rom pilgern. Für diese Vollmacht des Papstes beruft er sich auf
Hostiensis, der ah der Stelle, auf welche hingewiesen wird, aus-
drücklich von einem vollkommenen Erlaß der zeitlichen, Sündenstrafe
spricht.^ Demnach ist auch die von Bateon erwähnte „Absolution
von Schuld und Strafe" als ein vollkommener Straferlaß zu verstehen,
wie dasselbe auch bei Augustinus Triümphus und Johann von Dambach
festgestellt werden konnte.
In ähnlichem Sinne ist die weitere von Bacon erörterte Frage
aufzufassen, ob ein einfacher Priester den Pönitenten von Schuld und
Strafe lossprechen könne. Bei der Beantwortung dieser Frage setzt
sich der Karmelit mit Hostiensis auseinander, der gelehrt hatte, daß
im Bußgerichte der Beichtvater unter Auflegung einer kleinen Buße
die ganze noch übrigbleibende Strafe erlassen könne. ^ Demgegenüber
betont Bacoh, daß ein einfacher Priester, der nur die gewöhnliche
Absolutionsvollmächt besitzt (cui nihir invenitur concessum quoad
absolutionem nisi solum absolvere absolutione penitentiali), eine voll-
kommene Absolution, d. h. von Schuld und Strafe (plenam abso-
lutionem; seu a culpa et poena), nicht' gewähren könnö; wohl aber
köniie dies der Papst durch den Ablaß (licet papa absolutione in-
dulgentiali hoc posset). Deshalb habe Hostiensis mit Unrecht be-
hauptet, daß der Beichtvater die gesamte Bußstrafe (omnem satis-
factionem) erlassen könne.
Es ist klar, daß hier die vollkommene Absolution von Schuld
üiid Strafe, die vom Papste mittels des Ablasses erteilt werden könne,
nichts anderes als einen vollkommenen Straferlaß bedeutet. Dieser
Straferlaß wurde wohl deshalb als ein Erlaß von Schuld und Strafe
bezeichnet, weil er die ' Nachlassung der Sündenschuld notwendiger-
weise voraussetzte. Doch darüber Näheres im 2. Band in dem Ab-
schnitt über den Ablaß von Schuld und Strafe.
Richard Fitzralph.
Den zahlreichen ' Ordensmännern, deren Ablaßlehre bisher dar-
gelegt worden ist, möge nun auch ein Theolog aus dem Weltklerus
-angereiht werden, Richard Fitzralph, Lehrer der Universität Oxford,
der 1347 von Klemens VI. zum> Erzbischof von Armagh ernannt
wurde.* Im Jahre 1349 von König Eduard III. nach Avignon zum
Papste gesandt, um für die Mitglieder der könighchen Familie und
etliche Große des Reiches den Jubiläumsablaß zu erbitten, beteiligte
1 Ibid. a. 3: „Nunquid papa potest generaliter omnes absolvere a culpa
et poena?" Bl. 151'.
,a Oben S. '325, Ahm. 2. » Oben S. 325. -
* Vgl. über ihn Kirchenlexikon X 1174 ff.
380 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.
er sich bei dieser Gelegenheit an den Verhandlungen zwischen dem
Papst und den unierten Armeniern, als deren Vertreter der Erzbischof
Nerses von Melasgerd und der erwählte Bischof Johannes von Khilät
nach Avignon gekommen waren. Diese zwei Bischöfe ersuchten
Fitzralph, über die gepflogenen Verhandlungen eine Schrift zu , ver-
fassen. So entstand um 1350 ein größeres apologetisch-polemisches
Werk, die Summe über die Fragen der Armenier, die der Verfasser
dem Urteil des Papstes unterbreitete. Wie alle übrigen Lehrpunkte,,
so wird in diesem Werk auch der Ablaß behandelt in Form eines
Zwiegespräches zwischen Johannes, der Eragen. und Einwendungen
erhebt, und Richard, der antwortet und die Schwierigkeiten löst.'^
Es wird genügen, aus den Erörterungen die Hauptgedanken heraus-
zuheben.
Den stärksten Beweis für die Ablaßgewalt, der Kirche findet.
Fitzralph in den Worten des Herrn bei Joh. 20, 23: „Welchen ihr
die Sünden nachlassen werdet, denen sind sie nachgelassen." Diese
Worte, meint, er, können nach der Ansicht mancher nicht verstanden
werden von der Sündenschuld, die Gott allein durch Eingießung der
Gnade nachlasse. Sollten sie sich indessen auf d.ie Sündinschuld
beziehen, so müßten sie noch viel mehr auch auf die Sündenstrafe
bezogen werden; denn wer das Größere oder die Schuld nachlassen
kann, der wird doch auch das Geringere oder die Strafe erlassen können-
Daraus ergibt sich, daß die Apostel und folglich auch ihre Nachfolger
die Vollmächt haben, den Pönitenten die ihren Sünden- gfebührende
Strafe nachzulassen. Diese Vollmacht ist auch bereits vom hl. Paulus
ausgeübt worden, wie aus 2. Kor. 2 hervorgeht.
Die Verleihung des Ablasses geschieht durch die priesterliche
Weihegewalt (potestate sacerdotali sacramentali seu ordinis). Da e»
nun aber den Anschein hat, daß diese Gewalt in allen !Ppestern die
gleiche ist, so scheint, daß alle Priester Ablässe verleihen können.
Die Ausübung dieser Gewalt ist ihnen indessen durch die kirchlichen
Oberen verboten worden, ^ wie sie ja auch durch das positive Recht
verhindert sind, andere Weiheakte, z. B. die Firmung, die Weihe
von Altären und dergleichen vorzunehmen.
Die Wirksamkeit der Ablässe, bemerkt Fitzralph weiter, suchen
etliche folgenderweise zu erklären: Die kirchlichen Oberen haben die
Vollmacht, Ablässe zu erteilen auf Grund der Verdienste Christi und
der Heiligen^ hauptsächlich aber auf Grund- d^r Verdienste Christi,,
der für alle Sünden genuggetan: habe uM^ dessen V^dienste von.
seinen Stellvertretern auf Erden den Gläubigen zugewendet werden
können. Daraus ergebe sich.,; daß die Sünden infolge der Ablässe
nicht ungestraft bleiben, da Christus für die Sünder gelitten habe.
^ Summa Domini Armacani in Questionibus Armenorum, Parisiis, sine
anno (1512), cap. 19^21. Bl. 107'— 108'.v
2 Dasselbe hatte schon friiherMayron behauptet (oben S. 356 f.), Tyiea^
der Franziskaner die Vollmacht:der Kirche, Ablässe zu erteilen, aus jöh. äÖ, 123
zu begründen sucht. Mayrons Schriften sind wohl von Fitzralph benutzt worden.
X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderfcs. 381
Daß die Ablässe auf den Verdiensten Christi beruhen, nimmt auch
J'itzralph an. Dagegen hält er es bloß für „wahrscheinlich", daß
auch die Verdienste der Heiligen zur Wirksamkeit der A.blässe bei-
tragen.i Auf die 1343 erlassene und 1349 allen Bischöfen zugesandte
Bulle ünigenitus nimmt Fitzralph bei seiner Erörterung gar keine
Rücksicht. Er.. hat demnach, die Erwähnung des Kirchenschatzes
durch den Papst nicht für eine lehramtliche Kundgebung gehalten.
Diese Stellungnahme- des englischen Gelehrten gewinnt um so höhere
Bedeutung, als Pitzralph damals an der Kurie sich aufhielt und seine
Schrift dem Urteile des Papstes unterbreitet hat. •
Soll der Ablaß Geltung haben vor Gott, so ist zu dessen Ver-
leihung ein vernünftiger Grund erfordert (causa movens ratiohabilis),
z. B-. die Notlage des Erupfängers verbunden mit früheren Verdiensten
{indigentia cum merito), die Aneiferung zum Guten (excitatio per hoc
devotionis aut fidei), die Förderung frommer Werke. So könnte man
sehr wohl, um die. Liebe zum Ordensstande zu wecken, denjenigen,
die Profeß ablegen, einen vollkommenen Ablaß aller früheren Sünden
erteilen; ein ähnlicher Ablaß könnte den Missionären verliehen werden,
die sich entschließen, den Heiden die christliche. Lehre zu verkünden.
Partielle Ablässe können auch gewährt werden für Beiträge zu Kirchen-
und Brückenbauten, für die ; Unterstützung der Krankenhäuser öder
armer religiöser Genossenschaften. Auch einepa' Sterbenden, der seine
Sünden wahrhaft -bereut und inständig um'Verzeihung bittet, kann
sehr wohl ein vollkommener, oder .partieller Ablaß yerhehen werden,
in Anb,etracht und. nach Maßgabe der Verdienste, die er sich um die
Kirche erworben, oder auch um in andern gute Gesinnungen zu wecken,
um sie im Glauben zu stärken ,pder zur Buße anz.ueifern. Doch sei
zu. ^verhüten, daß solche, häufige Verleihung von, Ablässen aiidern
Anlaß gebe, die Buße zu vernachlässigen und in der Lauheit dahin-
zuleben. Ebendeshalb dürfen auch die kirchlichen Oberen die Ablässe
nicht willkürlich austeilen. Sie müssen dafür einen rechtmäßigen Grund
haben; sonst würde der Ablaß nicht gültig sein.
^ „Virfcute igitur passipnis et meritorum Christi indulgentie seu remissiones
penaruiu peccatoruin efficaciaim mihi habere videntur; de meritis aliorum san-
cfcorum Ecolesie illud idem'pr'obabiliter dioi videt\ir." Bl. 108.
XL Die Ablaßlehre der Kanonisten
der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.
Während die Theologen in ihren Ausführungen über den Ablaß
mehr die Theorie berücksichtigen und die Praxis nur nebenbei be-
rühren, wenden die Kanonisten des 14. Jahrhunderts, von denen hier
nur die vornehmsten, in der mittelalterlichen Ablaßliteratur öfters
genannten angeführt werden können, ihre Auf rnerksamkeit vor allem
der Praxis zu. ^
Dies gilt ganz besonders von dem gewöhnlich unter dem Namen
Archidiaconus zitierten Univiersitätskanzler von Bologna Guido de
Baysio (f 1313), dem^ ersten Erklärer des von Bonifaz VIII. 129R
veröffentlichten sechsten Buches der Dekretälen. In seinem Kommentar
zu diesem Buche spricht Baysio nur' kurz vom Ablasse,^ meistens im
Anschluß an Innozenz IV. und Hostiensis, mit denen er dem ein-
fachen Priester die Befugnis zuerkennt, im Bußgericht privatim dem
Pönitenten A.blässe zu ' erteilen, während die öffentliche allgemeine
Spendung der Ablässe nur den Bischöfen zukomme. Mit Hostiensis
ist Baysio auch der Ansicht, daß ein bereits bestätigter Bischof, der
aber die Priesterweihe noch nicht empfangen hat, keinen Ablaß erteilen
kann. Im Gegensatze zu verschiedenen Theologen hatte Durantis
behauptet, daß die kirchlichen Oberen die von ihnen erteilten Ablässe
selber nicht gewinnen können. Dieser Meinung tritt Baysio bei, wie
er auch im Anschluß an Durantis lehrt, den Ablaß könne man so oft
gewinnen, als man das vorgeschriebene Werk verrichte.
Bald nach Baysio hat Johannes Monachus (Le Möine f 1313)
einen Kommentar zu dem Liber sextus veröff entlicht. ^ Erwähnenswert
ist seine Bemerkung zur Dekretale Indulgentiae, die bestimmt, daß
Ablässe, die von einem oder mehreren Bischof en bei Kirchwieihen oder
andern Gelegenheiten erteilt werden, keine Geltung haben, wenn sie
das von der Lateransynode festgesetzte Maß überschreiten. Diese
Dekretale, meint Monachus, verhindert die unbesonnenen Ablaß -
Verleihungen von selten der Bischöfe, welche die Verordnung der
Lateränsynode zu umgehen pflegten, indem sie, da ihnen in fremden
^ Lectura domini Archidiaeoni bononiensis super sexto. Mediolani 1490.
Zu 0. Romana und o. Indulgentiae des Titels de poenitentiis et remissionibus.
" Glossaaurea super sexto Deere taliumlibro.; Pärisiis 1535. Da mir diese
„editio rarissima" (Hurter 512) und auch die Venediger Ausgäbe vom Jahre 1585
nicht zur Verfügung standen, benützte ich eine Handschrift der Münohener Staats-
bibliothek. Cod. lat. 329. Die Ausführungen über den Ablaß stehen hier Bl. 105,
zu o. Indulgentiae.
XI. Die Ablaßlehre der Kanonisten der ersten'Hälfte des 14. Jahrhunderts. 383
Diözesen das Erteilen von Ablässen verboten war, solche gewährten
unter der Bedingung, daß der Diözesanbischof damit einverstanden
wäre. Diese Umgehung des Gesetzes sei mit' Recht verworfen worden;
denn wenn der zuständige Bischof selber keinen höheren Ablaß als
den von der Synode bestimmten erteilen darf , so kann er auch solche,
die das Maß übersehreiten, nicht genehmigen. Monachus hat hier die
damalige Sitte im Auge, nach welcher mehrere Bischöfe zu gleicher
Zeit aus demselben Anlaß 40 Tage Ablaß erteilten. Der unten an-
zuführende Johannes Andrea, der in seiner Novelle zum Liber
sextus die Bemerkung seines Vorgängers sich aneignet, berichtet,
daß die von Monachus gerügte. Sitte vor derii Erscheinen des Liber
sextus sehr .verbreitet war. , Nicht selten sei es vorgekommen, daß
man für einen Ablaßbrief die Unterschriften aller an der römischen
Kurie anwesenden Bischöfe zu erlangen gesucht habe. -Er habe an
solchen Schreiben über zwaipzig Siegel hängen sehen; und nachher
sei dann ausgegeben worden, man habe einen Ablaß, von so viel Quadra-
genen, als Bischöfe unterzeichnet hätten.
Bisher 'hatte man darüber gestritten, ob im Falle, daß Bischöfe
bei der Ablä!ß Verleihung die bestiöiinte Grenze überschreiten, der Ablaß,
wenn auch unerlaubt, doch gültig sei. Mit Bernhard von Bottone, dem
Verfasser der Glossa ordinäria zu den Dekretalen, hatten etliche diie
Frage bejaht; andere halten sie verneint. Durch die Verordnung des
Papstes Bonifaz VIII. ist nun, bemerkt Monachus, die Ansicht der
Glossa ordiriaria, daß der Ablaß gültig sei, abgelehnt worden. Wie
aber, wenn jetzt noch ein Bischof einen höheren Ablaß erteilt, als ihm
erlaubt ist, wird dann dieser' Ablaß wenigstens in dem gestatteten
Umfange Geltung haben ? Monachus ist der Ansicht, daß er ganz
und gar ungültig sei. Baysio dagegen und J. Andrea vertreten die
Meinung, daß der Ablaß zum Teil, soweit er in den gesetzlichen Grenzen
bleibt, als gültig angesehen werden darf.
Nebst der Glosse zum Liber sextus hat Monachus auch einen
Kommentar zu den meisten der in den Extravagantes communes
enthaltenen Dekretalen verfaßt. Von besonderem Interesse ist seine
Erklärung der Jubiläumsbulle Äntiquorum vom Jahre 1300; doch wird
hierüber am geeignetsten gehandelt werden im Abschnitt über den
Jubiläumsablaß.
Weit einflußreicher als die beiden genannten Kanonisten war ihr
Zfeitgehosse Johannes Andrea (f 1348), der auch das ganze spätere
Mittelalter hindurch in, den Erörterungen, über die Ablaßfrage öfters
angeführt wird. „Man hatte in seinen Werken so ziemlich beisammen,
was sich für die äußerlich-kommentierende Behandlung der Dekretalen
neben der Glosse aus der Literatur verwenden ließ, brauchte auf
letztere selbst nicht ,mehr zurückzugehen."^ Die um 1304 verfaßte
Glosse zum Liber sextus, die bekanntlich als Glossa ordinäria gilt.
1 Schulte n 229.
384 XI. Die Ablaßlehre der Kauonisten der ersten Hälfte des. 14. Jahrhunderts.
mthält bloß die eine und die andere kurze Bemerkung, über den Ablaß.i
Etwas eingehender handelt davon die viel spätere Novelle zu demselben
Buche, wobei aber der Verfasser meistens auf seine früheren Aus-
führungen in der nach 1321 vollendeten Novelle zu den Dekretalen
hinweist.^ Auch in den gegen Ende, seines Lebens beigefügten Zu-
sätzen zum Speculum des Wilhelm Durantis^ beruft er sich öfters, auf
dies Werk, das man demnach vor allem berücksichtigen muß, wenn
man Andreas Anschauungen über den Ablaß näher kennenlernen will.
Vom Ablaß ist in der Novelle zunächst die Rede bei der Erklärung
des Kreuzzugsdekrets Äd liberandam.^ Hier heißt es, daß nur der
Papst als Oberhaupt der' ganzen Kirche einen vollkommenen Ablaß
{plenam indulgentiam), der auch als vollkommener Erlaß der Sünden
(plena venia peccatorum) bezeichnet wird, verleihen kann. Unter dem
vollkommenen Ablaß versteht aber Andrea einen vollständigen Erlaß
der zeitlichen Strafe. Durch die Reue, so führt er aus, wird die Sünden-
schuld und die ewige Höllenstrafe nachgelassen; die zeitliche Strafe
aber, die zurückbleibt, kann vom Papste durch den vollkommenen
Ablaß gänzlich erlassen werden.^ Notwendige . Erfordernis zur Ge-
winnung des Ablasses ist die Reue, ohne welche auch die priesterliche
Absolution nichts nützt.^ Zudem muß das vorgeschriebene Werk
verrichtet werden. Wenn es daher in dem KJceiizzugsdekret heißt,
daß auch jene des vollkommenen Ablasses teilhaftig werden, die, ohne
am Kreuzzuge persönlich sich zu beteiligen, Stellvertreter senden,
so wird dadurch angedeutet, daß sie zur Kreuzfahrt so viel beisteuern
müssen, als sie selber ausgegeben hätten, wenn sie den Zug niitgemacht
hätten. Da nun aber wenige der Zurückbleibenden dies tun, so mögen
sie nui nicht glauben, daß ihnen der vollkommene Ablaß, zuteil werde.
Anderseits ergibt sich daraus, daß die Armen leichter selig werdenals
die Reichen, da sie bereitwilliger tun, was in ihren Kräften steht.
Der Herr aber sieht auf das Herz, nicht auf die Hand.
Dies alles hat Andrea fast wörtlich aus dem .Kommentar des
Hostiensis entnommen, wie er auch an einer andern Stelle im Anschluß
an Heinrich von Susa geneigt ist, anzunehmen, daß ein bestätigter
Bischof vor Empfang der Priesterweihe keine Ablässe erteilen könne,
1 Liber sextus decretaliurh. Parisiis 1506. Zu üb. ö, tit. de poen. et rem.
0. Romana und : c. Indulgentiae. ■, Bl. 1 44'> 145'.
^ Novella super sextp deeretaiiiim. L^ 1527, 114' 115. Nach Schulte
IL 218 wäre diese Novelle mit.den dazu gehörigen Additiones zwischen 1334—^42
verfaßt wordeni* Die 'Ädditiöiies'inM^^ aus späterer Zeit stammen,
da Andrea darin. (Bl. 115) auf seine Additiones ad Speculum Durantis verweist.
3 Vgl. oben S. 328.
* Novella super quinto decretalium. Venetiis 1504, 26 f.
^ Zu c. 17. X. de iudaeis. V. 6: „Per contritionem pena eterna remittitur,
sed agenda est pena temporalis . . . Temporalem penam . . . potest papa in
totum remittere." Bl. 27.
' „Sine contritione nullvis veraciter absolvitur . . . ideoque quando aüquis
non contritus absolvitur, solum est ad hominem, non ad Deum." Ebenda.
XI.. Die Ablaßl^ehre der Kanonisten der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 385
da. hierzu nicht bloß, die Jurisdiktion, sondern auch die priesterliche
Weihegewalt erfordert sei.?^
Am ausführlichsten handelt Andrea vom Ablaß in dem Kommentar
zum Kapitel Qwodl autem, worin bestimmt wird, daß die kirchlichen
Oberen nur jenen Ablässe erteilen können, die ihrer Jurisdiktion unter-
stellt sind. Treffend hebt er im Anschluß an Tankred hervor, daß
diese Dekretale sich nur auf die Ablässe der Bischöfe, deren Juris-
diktionskreis ein beschränkter ist, nicht auf die von dem Papst er-
teilten , Ablässe bezieht, „Denn wenn der Papst alle Sündenstrafe
nachläßt, wie er dies tut für die Kreuzfahrt,, so wird alle Strafe der
Sünden getilgt, wofern der Kreuzfahrer wahre Reue hat, durch welche
die Sündenschuld getilgt wird.^
Über die.Zulässigkeit.des Ablasses für Verstorbene spricht sich
Andrea an dieser Stelle nicht klar aus. Er führt die zwei entgegen-
gesetzten Ansichten an, ohne deutlich erkennen zu geben, ob er sich
für die eine oder die andere entscheidet. Doch scheint er der bejahenden
den Vorzug zu geben.
Wie andere Autoren vor ihm, so ist auch Andrea der Ansicht, daß
der Beichtvater den Pönitenten ermächtigen kann, die Ablässe, fremder
Bischöfe zu gewinnen. Handelt es sich aber um Ablässe eines päpst-
lichen Legaten, des eigenen Bischofs oder Erzbischofs, so. sei eine
Erlaubnis des Beichtvaters nicht erforderlich.
. . Bezüglich des Umfanges der Wirksamkeit der Ablässe vertritt
Andrea die Meinung, daß. sie so viel gelten, als sie besagen. Im An-
schluß an seinen gewöhnlichen Führer Hostiensis lehrt er, daß die
Wirksamkeit des Ablasses; sich richtet nach dem Glauben des Emp-
fängers und dem Willen des Spenders und auf dem Schatze der Ver-
dienste, Christi und der Märtyrer beruht. Mit Hostiensis gibt er auch
den Rat, man solle die auferlegte Buße hienieden verrichten und die
gewonnenen Ablässe für das Fegfeuer aufsparen.
Der Verfasser bespricht dann die fünf Ansichten, die in der Glossa
ordinaria Bernhards von Bottone über die Wirksamkeit der Ablässe
aufgezählt werden. Die erste Ansicht, wonach die Ablässe nur vor
Gott, nicht vor der Kirche Geltung hätten, verwirft er, da sie der
kirchlichen. Lösegewalt entgegengesetzt sei. Durch die zweite, die den
Ablaß nur für den Fall gelten läßt, daß der Beichtvater eine allzu
große Buße auferlegt hätte, werde die Bedeutung des Kirchensohatzes,
der die Grundlage der. Ablässe bildet, zu sehr herabgesetzt. Die dritte,
welche den Ablaßspender verpflichtet, für die von ihm erlassene Buße
Ersatz, zu leisten, wird ebenfalls abgelehnt, da ja der kirchliche Obere
nicht seine eigenen, bisweilen recht dürftigen Verdienste, sondern die
im Kirchenschatz enthaltenen Verdienste dem Ablaßempfänger zu-
wendet. Die vierte Ansicht ließ den Ablaß nur für die aus Nachlässig-
^ Zu c. 12. X. de exoessibus praelat. V. 31. (Bl. 58.)
*' „Si papa remittat onmem penam peccati, sicut facit pro subsidio terre
sancte, onanis pena peooati deletur, dununodo utens illa fuerit bene contritus,
per quam contritionem peccatum dimittitur quoad Deum." Bl. 78.
Paulus, Geschichte des Ahlassep. 25
386 XI. Die Ablaßlehre der Kanonisten der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.
keit versäumte Buße gelten. ■ Sie wird ebenfalls verworfen, da sie der
Trägheit Vorschub leiste. Die fünfte endlich, von Alanus und Bernhard
von Bottone vertretene Ansicht förderte zur Gültigkeit des Ablasses,
duß der Beichtvater dem Pöniteiiteh gestatte, die ihm auferlegte Buße
durch Ablässe abzulösen. Sie wird wie die andern abgelehnt, da sie
die Wirksamkeit des Ablasses zu sehr einschränke. Diese Wirksamkeit
beruhe auf dem Verdienstschatze der Kirche, den der Papst und die
Bischöfe den Gläubigen zuwenden. Damit aber eine solche Zuwendung
geschehen könne, sei eine Erlaubnis des Beichtvaters nicht erfordert.^
Was ' hierauf Andrea über die sechs bereits von Wilhelm von
Aüxerre zur Gültigkeit des Ablasses aufgestellten Bedingungen vor-
trägt, ist bloß ein Auszug aus Innozenz IV. und Hostiensis, denen er
als weiteren Gewährsmann Thomas von Aquin beifügt.
Auch in der -ausführlichen" Erklärung des Kapitels Cwm ex eo
findet sich kaum ein neuer Gedanke. Der Verfasser gibt bloß Auszüge
a;US den Schriften seiner Vorgänger. So ist er z. B, mit Vincentius
und W. Durantis der Ansicht, daß man einen für Almosen * oder
Kirchenbesuch erteilten AblaJß auch an demselben Tage so oft ge-
winnen könne, als man die Almosenspende oder den Bestich der Kirche
wiederhole. Er scheint auch mit Vincentius anzunehmen, daß der
Ablaßspender die von ihm erteilten Ablässe sich selber nicht zunutze
machen könne. Ähnliche auf die Praxis sich beziehende Fragen werden
noch mehrere erörtert in wörtlichem Anschluß an Innozenz IV.,
Hostiensis, W. Durantis und Abbas Antiquus.
Einige kurze, aber nicht unwichtige < Notizen über den Ablaß
finden sich auch in dem 1326 verfaßten Kommentar zu den Klemen-
tinen, der gleich der Glosse zum Liber sextus als Glossa ordinaria
anerkannt worden ist.^ Bei der Erwähnung der für das Eronleichnams-
fest erteilten Ablässe Aviederholt er eine bereits in der Novelle zu den
Dekretalen^ gemachte Bemerkung: Da die Ablässe, als deren not-
wendige Vorbedingung wahre Keue und Beichte zu gelten haben, nur
von wenigen gewonnen werden, so solle man sie nicht allzu streng
interpretieren.*
Beachtenswert ist, wie sich Andrea hier über den Ablaß für die
Verstorbenen ausspricht. Zu dem im Kapitel Äbusionibus gegen die
Almosensammler erhobenen Vorwurf, daß sie lügnerisch (mendaciter)
^ Hundert Jahre später hat Panormitanus Andreas Widerlegung der
fünf in der Glossa ordinaria aufgezählten Ansichten fast wörtüch wiedeirliolt.
Bratke (S. 90), der die von Panormitanus benützte Vorlage rdohi kennt, meint,
Panormitanus „referiert die verschiedenen zu, seiner Zeit geltenden Ansichten
über den Ablaß". Allein schon zur Zeit Andreas hatten jene Ansichten keine
Vertreter mehr, um wie viel weniger hundert Jahre später.
2 Giemen tis V constitutiones una cum. profundo apparatu Johannis Aridree.
Parisiis 1506.
^ Zu c. 4. X, de poen. et rem. V. 38.
* Zu Clem. c. 1. de rel. et ven. sanct. III. 16: „Has igitur rernissiones quibus
pauci participant, amare interpretari nee decet nee expedit, ut dixi c. quod autem,
de poen. et rem." Bl. 55'.
XI. Die Ablaßlehre der Kanonisten der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts» 387'
vorgeben, Seelen aus dem Fegfeuer zu befreieii, bemerkt er: „Lüg-
nerisch, da -die Seelen, dem- Gerichte Gottes anheimgegeben sind;
doch nützen- ihnen die Suffragien." Dabei verweist er auf seine Mit-
teilungen' in der;Novelle zu den Dekretalen, wie er auch auf Hostiensis
hinweist, ohne etwas gegen dessen Auffassung einzuwenden.^ Da nun
aber Hostiensis die ■ Zulässigkeit . des Ablasses für Verstorbene . (ent-
schieden bestritten, hat, so wird , wohl auch Andrea : die. Zuwendung
der Ablässe an die Seelen im Fegfeuer .nicht; anerkannt haben.
Von Interesse ist schließlich noch seine Äußerung über den Ablaß
„von. Strafe und Schuld". Zu der; von den Almosensammlern miß-,
bräuchlich .erteilten Absolution von Strafe und Schuld bemerkt er,
daß dies der , vollkommene Ablaß sei, der den Kreuzfahrern, erteilt
werde und wovon er in dem' Kommentar zu den Dekretalen im
Anschluß an Hostiensis gehandelt habe; dieser Ablaß, den nur der
Papst erteile, , werde auch. im Jubeljahre verliehen.^ Wie nun aber,
oben gezeigt worden ist, betrachtet Andrea den Kreuzzugsablaß, bloß
als einen Erlaß der- Sündenstrafe. Wenn er daher bei. Erwähnung
der Worte, „a penaret culpa" bemerkt, daß dies der vollkommene
Ablaß sei, der den Kreuzfahrern erteilt werde, so wollte er. sicher
damit nicht sagen, daß den. Kreuzfahrern durch den vollkommenen
Ablaß mit der Strafe auch die Sündenschuld nachgelassen werde;
denn. eine solche Annahme schließt er ja -in dem Kommentar ,, auf
welchen er , verweist, ausdrücklich aus. Mit jener Bemerkung wollte
er bloß sagen; daß der als Erlaß von Strafe und Schuld bezeichnete
Ablaß mit, dem Kreuzzugsablaß identisch sei. Er hat demnach bloß
eine, wenn auch theologisch unkorrekte, so, doch damals .weit ver-
breitete Bezeichnung des vollkommenen Straferlasses in seine Glosse
aufgenommen. , , ' , .
!, -Noch in. der ersten Hälfte des 14. ; Jahrhunderts hat. ein Schüler
Andreas , Lapus, de.Tuctis,-. aus Podieboniza . im Florentinischen,?
einen ziemlich umfangreichen Kommentar zu deiiKlementinen heraus-,
gegeben.* Was er darin über den Ablaß vorträgt, ist von späteren
Kanonisten öfters^ wiederholt- worden.
Bei der' Erklärung des Kapitels Äbusionibüs erwähnt er; daß das
Konzil von Vieniie den Quästoren unter anderin verboten habe, einen
vollkommenen Ablaß . (plenam remissionem) zu ^erteilen. Die Ver-
leihung dieses Ablasses, betont er bei dieser Gelegenheit, stehe nur'
dem Päpste zu', und es werde dadurch alle Bußstrafe erlassen. Anders
verhalte es sich mit den partiellen Ablässen, die vom, Papste oder von
Bischöfen erteilt werden und bei deren Gewährung sie erklären, so und
.., 1 Zu.Clem. c, 2, de„poen.. et rem. V. 9.. (Bl. 66'.")
'2 Zu „apena et i culpa'': „Ista est illa .plenissima'' peeoatorum remissio,
que conceditur cruce signatis pro " subsidio .ultfamarino, de "^ qua scripsi post
hostiensem. De ivdeis. Ad liberandam, que datur in anno .centenario, in Extra-
vagante Bonifaoii Antiquorum, quam solus papa.conoedit." Bl. 66 .
3 Vgl. über ihn Schulte II 238 f.
* Super libro sexto DecretaUum et Clementinis. Romae'1589. Am Anfange
eine biographische Notiz über Lapus.
25*
388 XI. Die Ablaßlehte det Kanonisten der ersten Hälfte des 14. Jahrhiinderts-.
SO viel von der auferlegten Buße erlassen zu wollen.^ Mit Hostiensis
ist Läpus der Ansicht, daß ein Bischof vor Empfang der Priesterweihe
keinen Ablaß erteilen kann, und daß für die Bewilligung öffentlicher
uild genereller Ablässe nur die Bischöfe zuständig sind, während im
Beichtstuhle auch der einfache Priester dem Pönitenten Ablaß ge-
währen kann. Mit demselben Kanonisten lehrt er auch, daß den
Verstorbenen Ablässe nicht zugewendet werden können, da sie nicht
mehr unter der Gerichtsbarkeit der Kirche stehen.^ "^
Die im Kapitel Äbusionibus erwähnte Absolution von Strafe
und Schuld übergeht Lapus an dieser Stelle mit Stillschweigen,'
doch spricht er sich näher darüber aus beim Kapitel Beligiosis,^ worin
den ) Ordensleuten unter schwerer Strafe verboten wird, „von Strafe
und Schuld loszusprechen". Hier erklärt er, wie die vollkommene
Vergebung der Sünden überhaupt zustande kommt. Durch die mit
der Gnade Gottes erweckte Reue,' so führt er aus, wird die Sünden-
schuld und die ewige Höllenstrafe nachgelassen ; es bleibt dann noch
gewöhnlich eine zeitliche Strafe hiehieden oder im Fegfeuer abzutragen ^
Bezüglich der ewigen Strafe und der Sündenschuld hat die der reu-
mütigen Beichte folgende sakramentale Absolution bloß eine deklarative
Bedeutung, möge sie nun vom Papste oder von einem einfachen Beicht-
vater ausgehen. Abgesehen von dieser Absolution, die sich in dem be-
zeichneten Sinne auf die, Sündenschuld und die ewige Strafe bezieht,
kann der Papst auch von aller zeitlichen"" Strafe lossprechen, sogar
ohne Grund, bemerkt Lapus, wofern es sich, um eine Absolution vor
dem; Forum der Kirche handelt,* während ein einfacher Priester^
namentlich aus dem Ordensstande, die ganze Strafe nicht erlassen
kann, -außer er sei dazu bevollmächtigt."^ „Und dies", so schließt
Lapus seine Erörterung; „will nach meinem -Dafürhalten das Defaet
sägen> indem es den Ordensleuten verbietet, von Strafe und Schuld
loszusprechen."^ Demnach scheint Lapus, gleich seinem Lehrer
Andieä, unter der Absolution von Strafe und Schuld bloß einen
^ „Hoc tantum ad Papam spectat, et in generali et universali remissione
quamiacit, per quam omnis satisfactio remittitur; in particulari vero et
speciali remissione, quam f acit Papa vel inferiores praelati, non fit plena iremissio,
in qua dicunt: Tantum de iniuncta poenitentia relaxamus." S. 243.
2 ^^Licet eleemosyna, quam vivens pro defuncto facit, prosit defünctd per
mpdum eleemosynae, non tamen prodestper mpdum indulgentiae, quae mprtuis
non potest fieri, postquam sunt mortui, licet .prosint mortuis, quibus dum viverent
facta fuit remissio." S. 243.
3 Glem. 0. 2. de priv. et exces. privil. V. 7. Es wird hier die Exkommuni-
kation verhängt über die Ordensleute, die, „ut verbis eorum utamiir, a poena
et culpa absolvere quenquam praesumpserint".
* „Totum tollere potest, etiam sine causa,' quoad ecclesiam militantem."
S; 239. Damit aber der Ablaß vor dem Forum Gottes Geltung habe; muß für
die Spendvmg ein Grund vorhanden sein: „Ut indulgentia valeat tantum quantum
promittitur, exigitur auctoritas et causa ... ex parte dantis." Ebenda. - -
^ „Poenam temporalem in totxun toUerö non potest, etiam ex causa, präe-
sertim religiosus, nisi aliud sit concessiun."
' „Et hoc vult dicere meo iudieio hie [textus], qui prohibet absolvere a
poena et a culpa." S. 239.
XI.- Die Ablaßlehre der Kanonisten der ersten Hälfte des 14.- Jahrhunderts. 389
vollkommenen Straferlaß verstanden zu haben. Möglich ist allerdings,
daß ei" zugleich an die unmittelbar vorher erwähnte sakramentale Los-
sprechung von der Sündenschuld gedacht habe, so daß er sagen jtvoUte :
Ohne besondere Bevollmächtigung ^ wie sie zu jener Zeit schon öfters
vom Papste durch das Confessionale bewilligt wurde — kann ein ein-
facher Priester • nicht von Strafe und Schuld lossprechen. Aber wie
dem auch seij sicher. ist^ daß dieser Schüler Andreas, wie alle andern
Theologen und Kanonisten seiner Zeit, unter dem päpstlichen Plenar-
ablaß. nichts anders als einen vollkommenen Straferlaß verstanden hat.
Eine eigentümliche Erklärung des sogenannten Ablasses von Strafe
und Schuld findet sich bei Wilhelm von Montlaudun, Professor des
kanonischen Rechtes in Toulouse, gestorben ,1343 als Abt der Bene-
diktinerabtei Montier -Neuf in Poitiers.^' In seinem in den zwanziger
Jahren des 14. Jahrhunderts verfaßten Kommentar zu den Klemen-
tinen unterscheidet er von der Sünde, die gegen Gott begangen wird,
die gegen die Kirche begangene Sünde. Die Beleidigung Gottes und
die damit zusammenhängende ewige Strafe werde dem reuigen Sünder
von Gott selber nächgelassen; von der Sünde dagegen, die gegen die
Kirche begangen wird, könne der Papst als Gemahl der Kirche kraft
seiner Schlüsselgewalt und seines Vikariats lossprechen. Und in diesem
Sinne könne man die Redewendung ver stehen ,> daß der Papst namentlich
im Jubeljahre von Strafe und Schuld losspreche. ^
Noch deutlicher spricht sich hierüber. Wilhelm aus in einem andern,
früher verfaßten und noch ungedruckten Werke, das hauptsächlich von
den Sakramenten handelt und daher Sacramentale genannt wird.^
Der Sünder, erklärt er im letzten Kapitel des Abschnittes über die
Taufe, beleidigt durch seine Sünden nicht nur Gott, sondern auch die
Kirche i" die ganze Gemeinschaft der Gläubigen. „Wenn nun auch durch
wahre Reue die Beleidigung Gottes getilgt wird, so bleibt doch noch
die Schuld zurück, die der Sünder durch die Beleidigung der, Kirche
sich zugezogen. Diese Schuld kann nun der Papst kraft seiner Schlüssel-
gewalt erlassen. Und so ist in der Sünde eine gewisse Schuld, diö'
vom Papste nachgelassen werden kann. ' In diesem Sinne kann man
verstehen, - was alltäglich , gesagt werde j daß nämlich der Papst von
Strafe und Schuld losspricht.* , , i . -
1 Vgl. über ihn- Schulte 11197 ff.. , ' , •
'" Appärätus Guillelmi de monteHaudunö (!) super Clernehtiriäs. Parisii^
1517,' 169:' „Oiilparniri ecclesiam militantem- cpmmissämiips'e papä eins sponsüs
remittere potest virtute clavis et vicariätüs sibi commissi, de quo pötest intelligi
hoc quod dioitüf, scilicet'quod papa maxime in anno iubileo äb'solvit ä penä
et' culpa." ...
'^ Die Münchener Staatsbibliothek besitzt davon mehrere Abschriften. löh
habe folgende eingesehen und verglichen: Cod. lat. 3876, 23947. 26891.
* Cliii. 28947, 112': Peccätor peccändo offendit nedum Deum, immo et
ecclesiam, totuni coUegium fideliüm; et licet per cÖntricionem veram toUatüf
culpa vel reatus quoad Deiun, non tamen toUitur quoad ecclesiam ihilitahtem:
Ipse taüüen papa ipsum reatum seu culparn in ecclesiam ' commissam potest
vi clavis remittere. Et sie nota qtiod aliqua est culpa in peccatö comniissö
quam papa possit remittere. De quo potest intelligi illud quod cottidie dicitüf,-
390 .XI. Die Ablaßlehre der Kanonisten der ersten Hälfte des 14., Jahrhunderts;
, . Piese Erklärung übernahm sofort Genzelinus. oder Zenzelinus
de Cassanis (f um ,1330)/ der in seinem ungedruckt' gebliebenen
Kpmnientar zu den Klementinen auch. sonst aufs engste, an Wilhelm
.vpnjMontlaudun sich anschließt. In der Folgezeit aber hat die sonder-
bare Meinung nur noch den einen und andern Vertreter gefunden:.
Bei Wilhelm von Montlauduh selbst spielt .sie hui* eine ganz neÜen-
sächliche Rolle. -In derselben Schrift über die Sakramente kommt' er
in dem Abschnitte, der eigens vom. Ablaß handelt, nicht mehr darauf
zurück. Dagegen schildert er den vollkommenen Ablaß, der vom
Papste den. Kreuzfahrern und im Jubiläumsjahre erteilt, werde, bloß
als .einen vollkommenen Straferlaß; auch berichtet er, ganz in Über-
einstimmung mit vielen andern- mittelalterlichen Autoren, daß der
päpstliche Plenarablaß vom Volke ein Erlaß von Strafe und ■ Schuld
genannt werde, wobei er auf die oben angeführte Glosse Andreas zu
den Klementinen verweist. Ausdrücklich betont er,' daß 'nur> von
einem Erlaß der Strafe die Rede sein könne, da Gott allein die Schuld
vergebe.^ Der Ablaß, lehrt er weiter, nütze nur jenen, die ihre Sünden
gut bereut und gebeichtet haben. Daraus ergebe sich auch die Antwort
■auf die Frage, ob durch die Ablässe die Sündenschuld erlassen werde :
Diese Frage sei entschieden zu verneinen.^ Der Ablaß' ist eben, wie
Wilhelm in seinem Kommentar zu den Klementinen .lehrty nur ein
auf dem Kirchenschatze, d. h. auf den Verdiensten Christi und der
Heiligen beruhender Nachlaß der Strafen, welche die bereits Ge-
rechtfertigten- noch abzutragen haben.*
Was Wilhelm sonst noch in deii beiden erwähnten Schriften sowie
in 'seinem Kommentar zum Liber sextus^ über den Ablaß mitteilt;
ist von geringerem Interesse. Erwähnenswert ist indessen,' wie er sich
zum Ablasse für die Verstorbenen stellt. In dem Kommentar zu den
qüod papa absolvit a pena et a culpa." Zu dem „oottidie dicitur" vgl. die oben
Sjv354' angeführte Äußerung Mayronsr „Communiter docetur quod datur iri-
dulgöntia a pena et a culpa." Daraus kann man ersehen, wie weitverbreitet
damals schon die Kedeweise war.
- ' •: 1 Vgl. über ihn Schulte II 199 f.
• ^ Sacramentale, De indtilgentiisj q. 10: „Si papa per modum generalis
remissionis det indulgencias euntibus in terram sanetam., temporalem penam
remittendo, si talis bene confessus et contritus moriatur, credendum est quod
nee purgatorium senoiat. Et fit talis plena remissio- in anno iubileo \dsitantibus
limina apostolprum, quam vulgus^a pena et a culpa dicit, ut in Clementinis,
abuaionibus, in glossa: ,Ista est plenissima pecoatorum remissio.' Et ita sumpsit
ortum.ex dicto: Quorvun.remiseritis peccata, remissa_sunt eis. Et fit tantura
absolucio quoad penam, quia oulpam solus Dens remittit." Clm. 23947, 176'.
* De indulg. q. 13: „Ex quo solvitur questio qua queritur, an macula,-,vel
offensa peccati per tiales indulgencias remittatur. Et planum est quod non."
Ebd. 177'. ■ , . . ,
* Clem. 141': „Est überaus et generosa relaxatio de thesauro ecclesie facta
per •vicarium Christi peccatoribus pro suis penis, ad quas iusti obligati sunt,
redimendis."
* In sextTim Decretalium interpretatio. Tolosae 1524. In dem Kommentar
zu c. Indulgentiae (Bl. 133') finden sich einige kurze Bemerkungen über den
Ablaß.
X-L'Die'Ablaßlehre der Kanomsteii der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts* 391
Klementinen führt er bei der Erklärung des Kapitels Ahusionihus
sowohl die- bejahende Ansicht des Aquinaten als die verneinende des
Hostieiisis an,. ohne sich über seine eigene Meinung klar auszusprechen.
In dem ungedruckten Sacramentale dagegen lehrt er ganz offen, daß
die Ablässe,' die ja kraft der Schlüsselgewalt erteilt werden, den Ver-
storbenen nicht zugewendet werden können, da diese nicht mehr
unter der Gerichtsbarkeit der Kirche stehen.^
Während er in diesem Punkte dem Hostiensis folgt, schließt er
sich in andern Fragen mehr dem Aquinaten an, auf den er namentlich
im Sacramentale öfters verweist. Im Gegensatze zu Hostiensis lehrt
er, daß die einfachen Beichtväter keine eigentlichen Ablässe (veras
remissiones) erteilen können,^ ebensowenig wie sie befugt sind, ihre
Pönitenten zu ermächtigen, sich der Ablässe fremder Bischöfe teil-
haftig zu machen.^ Sehr entschieden betont er, daß die Ablässe auf
Grund des KJrchenschatzes, der aus den überschüssigen Verdiensten
Christi und der Heiligen bestehe, gespendet werden.* Zur Gültigkeit
der aus dem Kirchenschatze erteilten Ablässe sei nicht nur ein frommer
Grund oder Endzweck erfordert (pietas in fine), nämlich die Ehre
Gottes und die Förderung des christlichen Glaubens, sondern auch
ein gutes Werk, das zur Erreichung jenes Zweckes dienen könne
(ütilitas in opere). Sollte der Papst jemand einen Ablaß verteihen
ohne Grund und ohne ein gutes Werk zu fordern, so würde die Ver-
leihung ungültig sein.^ Da Wilhelm gleich nachher von einem guten
Werke spricht, das vom Ablaßempfänger noch zu verrichten wäre,^
so muß er sein Sacramentale, zu einer Zeit verfaßt haben, wo der
unter Johann XXII. üblich gewordene Sterbeablaß, zu dessen Ge-
winnung die Verrichtung eines bestimmten guten Werkes nicht erfordert
war, hoch nicht erteilt zu werden pflegte. >
Wilhelm von Montlaudun wird wiederholt angeführt von' einem
andern französischen Känonisten, Heinrich Bohic oder, Bouhic,^
gestorben um 1350, der in seinem Kommentar zu den Dekretalen bei
der Besprechung des Ablasses^ noch manche andere Känonisten, die
vor ihm die Ablaßfrage behandelt hatten, kurz erwähnt, so namentlich
Vincentius, Goffredus von Trani, Innozenz IV., Bernhard von Bottone,
Hostiensis, Abbas Antiquus, W. Durantis, Baysio, J. Monachus,
^ Sacramentale. De indxilg. q. 9: „Nee illis qui sunt in purgatorio prosunt,
quia ciitn fiant et procedant ex virtute clavium, et clavis nqn liget nee absolvat
mbrtuos qui relicti sunt iudicio divino . . . Die quod tantum prosunt illis qui
sunt in ecclesia militante." Clm. 23947, ,175'.
* Sacramentale. De indulg. q. 3.
^ Ibid. q. 13: „Et est racio, quia solus iste qui potest actum iurisdictioni»
exercere, potest etiam actum iurisdictionis alteri committere."
* Ibid. q. 4.
^ „Si sine causa et sine opere alicui de thesauro conferat, preter iudioium
recte rationis agit et clavis errat, quare nihil facit." Ibid. q. 13.
* „Pium opus, quod acquirens has indulgencias exercebit." Ibid. q. 13.
' Vgl." über ihn Schulte II 266 ff.
* Distinctiones- super quinque libros decretalium. Lugdvini 1498. Zu
c. Quod autem imd c. Cum ex eo. , Bl. 72' 80.
892 XI. Die Ablaßlehre der KaJ
J. Andrea, Gesnzelinus, , Aucl
und -dessen Glossator WilheJ
Astesanus werden genannt,
Auxerre, Thomas von Aquin
Über Bohics eigene Ansicht i]
esse bieten würde.
Die eigentümliche Erklä
Ablaß von Strafe und Schuld
Kirche zugefügte Beleidigung
hundert ein nicht näher, beM
unhaltbar abgelehnt. Dieser
talc: Quod auUm eine Abhang
betont er Wilhelm: von Mpntl
beleidigt j a,uch eine Sünde g^
daß man der Formel, deren
einen passenden Sinn beilege:
erklären : Wer nach reumütig
gewinnt, der ist befreit' von S
die E-euiB, von der Strafe dur
:> Waigel, cap. 23y erwäto
Qvxid autem".. ^ Heinrich y on Bi
führten Breslaüer Hiandsohriift II.
suö dö indtilgeüciis." Ah eiiier an
j.Doctor ,Almohi\is canpnista". A
der in der zweiten Hälfte des 14.
ist also nicht zu denken. Ist vielli
mit dem Kanonisteh Almanüs, a
Moiitpellier, von dem die Basier U
dioto verwahrt? Vgl. G. Binz,i]
Bibliothek . der Universität ; Basel ]
* ,,Non iudico quod possit pf
sponsus, offendatnr." Bei Weige
' * ,,Si aliquis sit vere penifeü
vel plenissimam ihdulgenciam pee(
a ciüpa, a culpa mediante contriti
habet papa." Ebd.
ler Kanonisten der ersten Hälfte des 14, Jahrhtiridetts.
Auch die Summisten, Raimund von Penaforte
Wilhelm .von Eennes, Johann von ]b>eiburg,
nnt, A\^ährend von den Theologen Wilhelm von
Lquin und Petrus> von Tarentaise zitiert werden,
äicht ist nichts zu sagen, was besonderes Inter-
Erklärung Wilhelms von Montlaudun vom
Schuld, als könnte hier unter Schuld- die der
igung verstanden werden, hat noch im. 14. Jahr-
är, bekannter Kanonist namens Almonius als
dieser Kanonist hat als Kommentar zur Dekre-
Abhandlung über den Ablaß verfaßt.^ Darin
i Montlaudun gegenüber, daß-, wer die Earche
inde gegen Gott begeht.^ Er meint indessen,
deren sich übrigens der Papst nicht bediene,
beilegen könne; man könne sie folgenderweise
iumütiger Beichte einen vollkommenen Ablaß
} von Strafe und -Schuld, von der Schuld durch
afe durch die päpstliche Schlüsselgewalt .^
rwähnt die Schrift des Almonius als „Repeticio capituli
von Bitterfeld dagegen in der bereits oben ange-
hrift II. F. 65, Bi. 197' sägt: „Almonius in tractätü
einer andern Stelle (Bl. 199) nennt er den Verfasser:
ista". An den Franziskaner Wilhelm Almoinus-,
■ des 14. Jahrhunderts gelebt hat (vgl. Hurter, 629),
Ist vielleicht der Verfasser der Ablaßsehrift identisch
lanus, am Anfang des 14. Jahrhunderts Professor' in
Basler Universitätsbibliothek einen tractatus de inter-
Binz, Die deutschen Handschriften der öffentlichen
t Basel I, Basel 1907, 39.
possit offendi ecolesia militans quin Deus, qui est eius
)i Weigel.
3 penitens et confessus et papa dat plenam, plenariam
3iam peeeatorum, stat illum absolutum esse a pena et
3 contritione, a, pena mediante potestate clavis, quam
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