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Full text of "Geschichte des Ablasses im Mittelalter vom Ursprunge bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts [microform]"

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im Mittelalter 



vom Ursprünge bis zur Mitte des 14. Jahrhunderts 



Von 



Dr. Nikolaus Paulus 



Erster Band 




1922 
Druck und Verlag von Ferdinand Schöningh in Paderborn 



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Vorwort. 

Luthers wdtgeschiclitlicher Kampf gegen die katholische Kirche 
hegann mit der Bekämpfung des Ablasses. Da aber die Ablaßfrage 
den Anlaß zu der vom Wittenberger Neuerer hervorgerufenen Kirchen- 
spaltung geböten hat, so ist von jeher diese Frage im Mittelpunkte 
der, polemischen Erörterungen gestanden. „Das große Interesse an 
der richtigen Auffassung des AbiaJBwesens, wie es Luther vorfand," 
schreibt ein protestantischer Theolpg, „erklärt sich aus der Wichtig- ■ 
keit, welche dasselbe für die Beurteilung Luthers als Reformator, 
wie des Wesens uiid'der Berechtigung der Reformation überhaupt hat" 
(E. Bratke, Luthers 95 Thesen. Göttingen 1884, 7). „Kein Moment 
der Reformationsgeschichte", meint ein anderer protestantischer Autor, 
„ist in dieser; Hinsicht von größerer Bedeutung als der Ablaßstreit" 
(A. W. Dieckhbff , Der Ablaßstreit. Gotha 1886, S. V). Ebendeshalb 
ist seit 1517 schon so vieles und so vielerlei über den Ablaß geschrieben 
worden. Auch in neuerer Zeit sind darüber mehrere bemerkenswerte 
Studien erschienen, katholische und protestantische. Trotzdem wurde 
im Jahre 1906 in der Tübinger Theologischen Quartalschrift (Bd. 88,. 
463) betont: „Es fehlt uns. immer noch an einer wirklich soliden^ 
wissenschaftlichen Monographie über diesen vielgenannten Punkt." 

Hier wird nun eine ausführUohe Monographie über das mittel- 
alterliche Ablaß wesen vorgelegt. Ob sie als wirklich solid und wissen- 
schaftlich zu gelten habe, wird der Leser entscheiden. Jedenfalls war 
der Verfasser ernstlich bemüht, eine gründUche Arbeit zu liefern. Jahre 
hindiÄch hat er sich eingehend mit dem schwierigen Gegenstands^ 
beschäftigt, wie die vielen Abhandlungen beweisen, die er in den 
letzten Jahrzehnten in verschiedenen Zeitschriften veröffentlicht hat. 
Soweit diese Aufsätze in das vorliegende Werk aufgenommen werden 
konnten, sind sie sorgfältig durchgesehen und verbessert oder auch 
völlig umgearbeitet worden. Wer ein besonderes Thema längere, Zeit 
hindurch gründlich studiert, sieht sich nicht, selten genötigt, in diesem 
oder jenem Punkte umzulernen. Diese Erfahrung hat auch der Ver- 
fasser der hier gebotenen Schrift gemacht. Infolgedessen sah er sich 
veranlaßt, verschiedenes jetzt anders darzustellen, als er es in seinen, 
früheren Abhandlungen getan hat. 

Das neue Ablaß werk zerfällt in zwei Bände, wovon der zweite", 
der auch ein Namen- und Sachregister für das ganze Werk bringen 
wird, möglichst bald erscheinen soll. In den beiden Bänden, welche 
die Zeit der Grundlegung des Ablaßwesens umfassen, wird gezeigt, 
wie Lehre und Praxis vom Ursprünge bis zur Mitte des 14. Jahr- 



IV 



Vorwort. 



hunderts sich gestaltet haben. Um 1350 war die Entwicklung des 
Ablaßwesens im wesentlichen abgeschlossen. Daher konnte die Dar- 
stellung an diesem Zeitpunkte füglich haltmachen. 

Wie die volle Entfaltung sowohl in der Theorie als in der 
Praxis von 1350 bis zum Auftreten Luthers sich vollzogen hat, wäre 
in einer weiteren Schrift darzütun./ Diese ergänzende Schrift oder die 
Geschichte des Ablasses am Ausgange des Mittelalters liegt 
bereits druckfertig vor. , Falls die .-nötigen finanziellen Mittel dafür 
aufgebracht werden können, soll sie sobald als möglich dem Druck 
übergeben werden. ■ ■ ' ,, 

Für die Herstellung des ersten Bandes hat die Notgemeinschaft 
der deutschen Wissenschaft einen namhaften Beitrag gespendet. 
Hierfür sei namentlich dem Präsidenten , Herrn Ptaatsminister 
Dr. F. Schmidt-Ott, sowie den beiden MitgHedern, des Fachaus- 
sciuisses für Theologie, Herrn Geheimrat Professor Dr. A. Ehrhard 
und Herrn Professor Dr. A. Deißmann, herzlichst gedankt. 



München, den 2. Juni 1922. 



N. Paulus. 



Inhalt. 

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Vorwort , •. • -i .?••••.: HI 

Titel der mehrmals angeführten Werke . . , ,■ . ... . - VII 

I. Die Anfänge des Ablasses',, ■ .1 

1, • . ■ ^ 

II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe ...... 39 

A. Die Absolution der Verstorbenen im früheren Mittelalter . 39 

B. Absolutionen lebender Personen' 67 

1. Von Päpsten erteilte Absolutionen 57 

2. Von Bischöfen und andern Geistliehen erteilte Absolu- ' 
tionen 91 

a) Absolutionen bei Ordensleuten 91 

b) Bischöfliche Absolutionen für einzelne Personen ... 97 

c) Allgemeine Absolutionen bei kirchlichen Anlässen . . 99 

d) Allgemeine Absolutionen für verdienstliehe Leistungen 113 

III. Die Formel: In remissionem peccatorum iniungimus 120 

IV. Die ältesten Ablässe für Almösen und Kirchenbesuoh .... 132 
V. Die ältesten Kreuzzugsablässe '195 

VE. Die Ablaßlehre der Frühscholastik 212 

VII. Die Bedeutung der älteren Ablässe 253 

VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts 268 

IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahr- 
hunderts 317 

X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahr- 
hunderts ' 336 

XI. Die Ablaßlehre der Kanonisten der ersten Hälfte des 14. Jahr- 
hunderts, 382 



Der zweite Band wird folgende Abschnitte enthalten: 

XII. Päpstliche Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch von 1216 bis 1350. 

XIII. Die Kreuzzugsablässe von 1216 bis 1350.. 

XIV. Bischof üche Ablässe von 1216 bis 1350. 

XV. Ziroa Verständnis eigentümlicher Ablaßiorkunden. 
XVI. Der Jubiläumsablaß. 

Xyil. Vollkommene Ablässe auf Grimd des sogenannten Beichtbrief es. 
XVIII. Die Anfänge des sogenannten Ablasses von Schuld imd Strafe. 
XIX. Die Anfänge des .Sterbeablasses. 
XX. Der Ablaß für Verstorbene. 



VI 



Inhalt. 



XXI. 
XXII. 

xxni. 



XXIV. 



XXV. 

XXVI. 

XXVII. 

XXVIII. 



Die Lehre vom Kirohensehatz. 

Wesen und Wirksamkeit des Ablasses. 

Hauptbedingungen zur gültigen Erteilung xmd zai Gewinnting der 
Ablässe. 

1. Der Spender des Ablasses. 2. Der Empfänger des Ablasses. 3. Die 
zur Spendung des Ablasses erforderliche Ursache. 

Besondere Ablaßwerke. Der Ablaß als Kidturfakfcor. 

1. Ablässe für Werke der Frömmigkeit; 2. für kirchliche und wohl- 
tätige Zwecke; 3. für gemeinnützige weltliche Zwecke. 

Die Quästoren oder Almosensammler als Verkündiger von Ablässen. 

Berühmte, doch unechte Ablässe. 

Gregner des Ablasses. Wertschätzung des Ablasses: 

Religiös-sittliche Folgen des Ablasses. ;,■ 



Titel der mehrmals angeführten Werke. 

Achery J. L. d', Spicilegium aliquot veterura scriptorum. Pärisiis 1655 ff. 
Acta Sanctorum. Ajitwerpiae 1643 ff. 

Albanes J. H.-Che valier IT., Gallia christiaua novissima. ÜMfontböliard 1895 ff. 
Albers B., Consuetudines monastica«. 5 Bde. 1900/12. Bd. I in Stuttgart 

erschienen, die übrigen in Montecassino. 
Albertus Magnus, Opera omnia. Parisiis 1890 ff. 
Albon, marquisd', Oartulaire'g6n6ral de l'Ordre du Temple. 1119? — 1150. 

Paris 1913. ... 

Alexander Alensis, Summa theologiae. Coloniae Agrippiria« 1622. 
iAmort E., De origine, progressu, yaloro ac fruotu indulgentiarum, neoaon de 
dispositionibus ad eas lucrandas requisitis, acourata notitia Historioa, dog- 
matica, polemica, ' critica. Augiistae Vindelicorum 1735. 
Analecta Vatioaiio-Belgica. Rome-Bruges -Paris 1906 ff. . 

Baluzius St., Miscellanea novo ordine digesta et non paucis ineditis monumentis 
aucta opera J. D. IVtansi. Lucae 1761 ff. 

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Beringer -Steinen P. A., Die Ablässe. Paderborn 1921/22. ,', 

Bernärdirius de S. Antonio, Bpitome generaliuiuredemptionum oaptivprum 

qüae ä fratribus Ordinis S. Trinitatis sunt factaö. — Additionis äd Epitome 

Liber tertius. Ulyssiponae 1624. Nur liber tertius mit eigener Paginierung 

kommt in Betracht. - , , , , , , , . 

Berthold von Regensbufg. Deutsehe Predigten, hrsg., von Fr. "Pfeiffer, 

Bd. I. Wien 1862. 
Predigten. Mit imverändertem Texte in jetziger Schriftsprache heraus- 
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Bratke E., Luthers 95 Thesen und ihre dogmatischen Voraussetzungen. Göt- 
tingen 1884.' 
Brieger Th., Indulgenzen, in Realenzyklopädie'f ür protestantische Theologie IX*, 
Leipzig 1901, 76 ff. - ' ' 

'- Das -Wesen des Ablasses am Ausgange des Mittelalters, -untersucht mit 

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Bullarium romanum. Augustae Taurin. 1857 ff. ' - - 



VIII Titel der mehrmals angeführten Werke. 

Caesarius Heisterbacensis, Dialogus miraculorum, ed. J. Strange. Co- 
loniae 18S1. 

— — Fasciculus moralitatis, homilias . . . complectens. Coloniae 1615. 

— — • Homiliae festivae. Coloniae 1615. 

Oajetanus, Opuscula omnia Thomae de Vio Caietani. Lugduni 1558. 
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— — Topo-Bibliographie. Montb^Uard 1894 ff. 

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%^ Titel o'd^T f öi^h5ttfläls!%fi^Mülii'töh iWetefe-lf" 




ift 



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Monumenta Germaniae historica. Epistolae. '^'^BeirolimiasOl HW^'nUnl hns 




Mönumenta Romana Episcopatus Vesprimiensis, edita a collegio H/iStB^ibbrum 
•(' I « Hmgäföibum-TomänoJ ^ Tom.-lP'(mm^mm)ß BMsipöätiili J 18Ö9:' " 
Monumenta Vatioana resg^^äiS 'böhömi'cäs illüötfaötiäi ^Töxrii'I. ' Acta Clementis VI 

(1342— 52), op'eraVlii Kl'i'cMa'n.-l''^^^^^ 
M'ör'i'ü'ü'S^'Ef iCöiKihten'täriuä'MätoWcüS^'äe^discipIina in administratione sacramenti 

poenitentiae tredecim primis seculis in Ecclesia occidentali; ethuc usque in 
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- ■ Bd. li uv^IIi; Magdeburg 1881/86. , - -'^ f ^' 

Regesten, Die, der Erzbischöfe von Köln im Mittelalter. Bd. Ill (1205—^1304), 

Von R. Knipping. Bonn 1909/13. Bd. JV (1304— 32). Von W. Kisky. 
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Regesten ziu- Geschichte der Mainzer Erzbischöfe (742 — 1288). 2 Bände, bearb. 

von G. Will. Innsbruck 1877/86. — Regesten der Erzbischöfe von Mainz 

von 1289. bis 1398. Abteilung I, Bd. I (1289—1316), bearb. von E. Vogt. 

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*• ' chorumi Ordinifs S. Benedicti. Romae 1885 ff'. . ' 

Registres, Les, de Grögoire IX (1227—41). Par L. Auvray. Paris 1890 ff. 
Registres, Les, d'Innocent IV (1243—54). Par E. Berger. • Paris 1881' ff. 
Registreö, Les, d'Alexandre IV (1254 — 61). Par C. Bourel de la Ronciere, 

de Loye et Coulori.' Paris 1895 ff. ' ' ' „ ■ 

Registres, Les, d'Urbain IV (1261—64). Par J.' Guiraud. Paris 1901 ff. 
-R'ögistre Cämeral. — Registre ordinaire. 

Registres, Les, de Clement IV (1265—68). Par E. Jordan. >Paris 1893 ff. 
Registres, Les, de Grögoire X (1271—76). Par J. Guiraud. Paris 1892 ff. 





T.it:^l'>afo niitebynfölsif fandet üh^tieh '^Wef k^.T i-X^ 

iLegiättk 

R^gifeUW; ... . ^ 

Registres, Les, de' Martin IV (1281—85). PiaV Ifes'ineMres.äfeVi^EdöröifiraMgiaise 

Sisqdei^R^iileUijpiaris' mOl-'^HU^ 1 -^^^1 .niia.lHobliH i-SilipAoaU seh ihmöi"^'\'. / , 

" ' ■ ;5§7r'^Päi?^iVqi'r^^\li^*"P^ti^ 1885/88. 

"MVfiV'Laiiglois'.' Paris 1886/1909. 
^iSO'S).' Par''G. Digard; M.'Faucon- 
, .et,A. Th.omas. Pafi's' r8'84'ff. ' -'' • ■'.;■-. ^■.•. .<■> i. .■ ■■ . -.x ■■- / ; 

|legisfj^^s, Les°de.Benpit^XI (1303—04). Par^ Ch.,Gi:,andjean, Paris 1883/1 9Ö5. 
Ried T;h., .Codex ,oiu"onologico-dip>lqmaticus,Epis'copat^^ Ratistibnensis.; .- Ratis- 

bonae. 1816. ; ', > i, .;....•, - ., , ..;..;,•,, ,,. .. 

Ripert-Monciar, BuUaire des indulgences öoncMees ayant 143,1 ä l'oeuvre.du 

Pont d'Avignon par les souverains Pontifes., Monaco et Pairis 1912 [Collection 

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Sbaralea J. H., BuUarium Franciscanum. Tom. I — IV. Romae 1759/68. 
Schmitz H. J., Die Bußbücher und die Bußdisziphn der Kirche. Mainz 1883. 
— ■ — Bd. II. Die Bußbüoher imd das kanonische Bußverfahren. Düsseldorf 1898. 

Schmoll P., Die Bußlehre der Frühscholastik. München 1909 [Veröffentlichungen 

aus dem Kirchenhistorischen Seminar München. III. Reihe Nr. 5]. 
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Itahae I]. 
Schoofs J. H., Die Lehre vom kirchlichen Ablaß in geschichtlicher Darstellung, 

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Schreiber G., Kurie und Kloster im 12. Jahrhundert. Stuttgart 1910 [Kirchen- 
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Schulte Fr. v., Die Geschichte der Quellen und Literatur des kanonischen 
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See berg R., Lehrbuch der Dogmengeschichte. Bd. III. 2. Aufl. Leipzig 1913. 

Strehlke E., Täbulae ordinis Theutonici, Berolini 1869. 

Suarez Fr., Commentarii et disputationes in tertiam partem divi Thomae. 
Tom. IV. Lugduni 1603. 

Tabouillot, Histoire generale de Metz. Nancy 1769 ff. 

Tangl M., Die päpsthchen Kanzleiordnungen von 1200 — 1500. Innsbruck 1894, 

Tardif A., Privileges accordös a la Couronne de France par le Saint-Siege, 

publies d'apres les originaux conserves aux archives de l'Empire et ä la 

Bibliotheque imperiale. Paris 1855. 

Theiner A., Vetera m.onumenta historica Hungariam sacram illustrantia. Tom. 1 

(1216—1352). Romae 1859. 
Vetera monumenta Poloniae et Lithuaniae gentiumque finitimarum 

historiam' illustrantia. Tom. I (1217 — 1409), Romae. 1860. 
Thomas Aquinas, Opera omnia. Parisiis 1660. 
Thomas Cantipratanus, Miraculorum libri duo. Opera et studio G. Col- 

venerii. Duaci 1597. 
Ughelli F., Italia sacra. Venetiis 1717 ff. 
Urkundenbuch der Stadt Basel.. Basel 1890 ff. 
ürkundenbuch des Landes ob der Enns. Wien 1852 ff. 



XII Titel der, mehrmals angeführten' Werke.- 

Urkimdenbuoh des Hoohstif ts Halberstadt und seiner Bischöfe. Von G. S chmid t; 

3 Bände. Leipzig 1883/87 [Publikationen avis den preußischen Staats- 

arohiven XVII. XXI. XXVII]. 
Urkundenbuch des Hochstifts Hildesheim. Bd. I hrsg. von K, Janicke; Leipzig 

1896 [Publikationen aus den . preußischen Staatsarchiven LXV]. Bd. II 
, ü. III hrsg. von H. Hoogeweg. Hannover 1901/03 [Quellen imd Dar- 
stellungen zur Geschichte Niedersachsens VI u. XI]. 
Urkundenbuch, Mecklenburgisches! Schwerin 1863 ff. 
Urkundenbuch zur Geschichte der jetzt die Preußischen . Regierungsbezirke 

Coblenz und Trier ' bildenden mittelrheinischen' Territorien. Bd. III 

(1216—60), bearb. von L. Eltester und A. Goerz. Coblenz 1874; 
Urkundenbuch der Stadt Straßburg. 1. Abteilung. Bd. I u. II. ' Bearb. von 

W. Wiegand. Straßburg 1879/86. 
Urkundenbuch; Westfälisches. Münster 1847 ff. _ 

Urkundenbuch, Wirtembergisches. Stuttgart 1849 ff. . ' 
Urkimdenbuoh der Stadt und Landschaft Zürich, bearb. von J. Esoher und 

P. Schweizer. Zürich 1888 ff. 
Villanueva I.,' Viage literario a las iglesias de Espaila.' Madrid 1803 ff. 
Wässersohleben, Die Bußordnungen der abendländischen Kirche. Halle 1851. 
Weigel N., Tractatus de indulgentiis. Verfaßt 1436 — 41. Händschriftlich auf 

der Münohener Staatsbibliothek. Cod. laW 12247. 
Wiederhold W., Papsturkunden in Frankreich. Ueiheft zu den GÖttinger 

Nachrichten 1907. 



L Die Anfänge des Ablasses. 

Seinem Wesen nach ist der Ablaß eine von. der Kirche außerhalb 
les Bußsakraments erteilte , und vor Gott gültige Nachlassung der 
zeitlichen Sündenstrafen. Gleich verschiedenen anderen kirchlicheii 
Institutionen ist der Ablaß nicht plötzhch und unvorbereitet in** die 
Welt getreten; er hat sich vielmehr allmählich aus der! kirchlichen 
Bußpraxis entwickelt. ^ Was aber seine Herkunft betrifft, .so kann 
man im allgemeinen sagen, der Ablaß, sei „ein Ausfluß der' alten Idee, 
daß die Kirche die kanonischen Bußstrafen riiildern odfer auch ganz 
nachlassen, ;kann".^ > ■ ■ ... 

Von Christus hat die Kirche die Gewalt; erhalten, zu binden und 
zu lösen (Matth. 18, 18). Wie nun diese; Gewalt die Vollmacht in sich' 
schließt, Bußstrafen aufzulegen, so schließt sie auch die Vollmacht in 
sich, die auferlegten Bußstrafen zu mildern oder nachzulassen. Letztere 
Vollmacht hat die Kirche von den ältesten Zeiten - her^ ausgeübt.* 
Gebraucht - man , daher -deii . Ausdruck „Ablaß" ganz > allgemein , im 
Sinne irgendeiner Naohlassung . der von der, Kirche auferlegten oder 
aufzulegenden Bußstrafe, so kann man; unbedenklich sagen; daß es 
in der Kirche von Anfang an Ablässe gegeben hat." Doch muß .man 
sich hüten, schon in den Bußerlassen der ersten christlichen Jahr- 
hunderte den heutigen Ablaß mit allen seinen i, konstitutiven Ele- 
menten'.' finden zu wollen. Richtiger ist es,. diesen Ablaß zu betrachten 
ials „eine Weiterbildung von Tendenzen,' die vom Anfang an; im; Christen- 
tum vorhanden- waren".* " - .... \ , ■ ' ^ 

Den Eorschern, die den . Anfängen des Ablasses nachzugehen 
wünschen, ist in jüngster Zeit folgender Weg v.orgezeichnet worden: 
„Ein Ablaßforscher, mag er Katholik oder AkathoÜk, gläubig oder 
ungläubig, Theologe oder Geschichtsforscher sein, der etwa nach den 



^ Seeberg 104, Vgl. Morinus 38: Die Bisehöfe konnten nach Umständen 
■die Buße mildern. ,,Hinc fons, origo et causa indulgentiärum omnium ebulUit 
■et erupit." Ähnlich Pitra, Iuris ecclesiastici Graecorum Kistbria et monumenta I, - 
Romae 1864, 449: ,,lsrota pehes episcopos 'plane "fuisse aut ' protrahere poeni- 
■tentiatti aüt".- . . decurtare; quae-quidem' 'facultas . '..• catholieae hodierriarum 
•quae dicuntur indulgentiärum disciplinae locum dedit absque uUa exception© 
.legitimüm." '' ■ x' .-.'■. .,•■..' 

2 Loofs 492: „Nachsichtiger Erlaß eines Teils der Bußpf licht gegenüber 
'besonders reuigen Sündern ist freilich fast ' ebenso alt als die Auflegung von 
iBußwerken seitens der Kirche." ■■ ■ "' ' ■• 

.''3 So der BoUandist Papebroch, Responsio ad exhibitionem errorum'per 
^Sebastianum ä S. Paulo evulgatam II, 'Antverpiae 1697,' 92. • ' 

' * So W. Köhler in Zeitschrift der Savigny- Stiftung für Rechtsgeschichte. 
Kauonistische Abteilung V, Weimar 1915, '515. ' ' " - '" • 

Paulus, Geschichte des Ahlassea. 1 



'2 I. Die Anfänge des Ablasses. 

■Anfängen des Ablasses forscht, hat nichts anderes zu tun, als aus- 
findig zu machen, wann und wo sich in der Geschichte jene Ein- 
richtung, die heute im allgemeinen, ständigen Gebrauch ist, zeigt,, 
besonders wann und wo sie sich zuerst zeigt; er muß nachweisen,, 
daß das, was er als Ablaß in vergangener Zeit ausfindig macht, die- 
selben konstitutiven Elemente hat wie der Ablaß unserer Zeiten, daß- 
der katholische, dogmatische 'Äblaßbegriff genau darauf paßt/'^ Sucht 
man indessen mit dieser Forderung Ernst zu machen, so wird man sich» 
bald überzeugen können, daß vieles, was manche Autoren als Ablaß, 
hinstellen, nicht dieselben konstitutiven Eleinente hat, wie der Ablaß, 
unserer Zeiten^ ' ' . 

Einen „förmlichen Ablaß'', wie öfters behauptet wird, soll schon 
der hl. Paulus erteilt haben. ; ;,Im Namen unseres Herrn Jesu Christi"' 
hatte der. Apostel, ',, abwesend zwar dem Leibe nach, anwesend aber 
dem Geiste nach", den Blutschänder vonKorinth aus der kirchlichem 
Gemeinschaft ausgeschlossen oder •,, dem Satan übergeben zuni Ver- 
derben des Fleisches, damit der Geist gerettet werde" (1. Kor. 5, 3 ff.).. 
Bald• nachher erhielt der Apostel Kunde von dem großen^' Reue- 
schmerz des gedemütigten Sünders.' Infolgedessen forderte ■ er dio 
Korinthef . auf , letzteren wiedfer in ihre Gemeinschaft aufzunehmen' 
(2; Koi . 2, 6 f f .) .^ Indem der Apostel die Aufhebung des Kirchenbannes,, 
der ja noch länger hätte dauern- können, anordnete; hat er wohl die- 
Bußzeit abgekürzt., Daß -er aber 'zugleich > dem reuigen Sünder die 
etwa noch 'geschuldeten zeitlichen Sündenstrafen nachlassen' oder ihm 
einen Ablaßt -im heutigen Sinne erteilen wollte, läßt- sich"a;üs seineib 
Worten nicht dartun.^' Man-.sagt freilich: Hätte Paulus den Korinther- 
bloß wieder' in die kirchliche Gemeinschaft aufgenommen, ohne ihmi 
zugleich die' zeitliche Strafe .vor Gott zu erlassen,' so hätte er 'ihm 
mehr geschadet als genützt, da ja' dann der Sünder die rückständig^. 
Strafe im Eegfeuer hätte abtragen müssen. Allein war es 'denn für- 
den Sünder nicht viel vorteilhafter, eine Zeitlang im Fegfeuer' genug- 
zutün,'' als j infolge' von Verzweiflung ewig verloren zu gehen?*' Nun' 
erklärt aber ■ der :;Apostel ausdrücklich, die Korinther sollen den reu- 
mütigeirrSüMeciowieder in ihre' Gemeinschaft aufnehmen, damit er 
nichtiin der Betrübnis verzweifelnd untergehe und damit „wir nicht, 
vom Satan übervorteilt werden", d. h. damit der Satan uns nicht 



:■;.,'* Die Ansicht etJi^^ Autoren, es handle sich hier iim einen perspnlichen 
Beleidiger ^dßs Apostels,,. nicht um den von der kirchlichen Gemcinschaftffau^- 
ge^chlpssenen Bluteicliänder, wird von den meisten Schrifterkläi;ern mit. Recht 
abgelehnt, --x-.^r ■-.,.^v:.4;; ; , ' > .,i ■ .--(,;• . 

^ Dies hat schon Suarez (Com. in III. part. divi Thomae, tom. IV, disp.-,49, 
seot. ;2, n. 9) hervorgehoben. '■ . . • , 

;. * Man vergleiche ihierzu den Rat, den, Raimund von Penaf orte (Summa 
de poenitentia. Romae 1603, 480) den Beichtvätern gibt. - Zeigt sich, daß ein. 
reimiütiger SündeK die seinen Vergehen entsprechende schwere Buße nicht über- 
nehnien will, so begniige man sich mit einer leichten Buße : „Si non potest gaudere- 
saqerdps.de iOmnirnoda iOius piirgatione, gaudeat saltem,, quia/ipsum liberatum. 
a gehenna ad purgatorium possit transmittere." - . ' ^ •\' 



I. Die 'Anfänge des .Ablasses. 6 

einß^eele; abgewinne. . Man macht auch geltend, Paulus habe dem 
Kprinther,;die,.vor -Gott schuldige Strafe erlassen,, da ^ er- ja in der 
,3erson., Christi",, oder ;;,an Christi Statt" verziehen : habe. Manche 
Exegeten verstehen die betreffende Stelle etwas anders: Paulus .erklärt, 
zu, verzeihen ; „im Angesichte - Christi"/ d. .h. Christus i zum Zeugen 
nehmend. Aber wie dem auch sei, selbst wenn der Apostel erklärt, 
im Namen Christi, als dessen. Stell Vertreter Izu handeln, so folgt daraus 
nicht,, daß' er dem Sünder die .Strafe im Jenseits erlassen habe.- Indem 
er kraft der von Christus erhaltenen^' Vollmacht eine kirchliche- Strafe 
erlielB, handelte er ja schon im Namen Christi kraft göttlicher VoU- 
macht.?^ ' > ' . ' ' s 

Wie die Wiederaufnahme des Korinthers in die kirchliche Gemein^ 
Schaft nicht als eigentlicher Ablaß zu betrachten ist,' so kann auch die 
kirchliche Rekohziliation, die im 2. und 3. Jahrhundert öfters 
mit Rücksicht auf die Fürsprache der Märtyrer den Gefallenen 
vor Beendigung der Buße gespendet wurde, nicht als "Ablaß ina heutigen 
Sinne gelten, j Diese 'Rekonzihation oder der erteilte „Friede"- bedeutete 
keineswegs' einen außerhalb des Bußsakraments gespendeten autoritär 
tiven Erlaß der zeitlichen Sündehstrafen durch' die' kirchliche Obrigkeit", 
wie sich unzweideutig aus den -Briefen des hli- Cypr iah- ergibt.-' Der 
Bischoif von Karthago hat wohl der Fürbitte der IVIärtyre'r einen Wert 
vor Gott zugeschrieben.^ Daraus darf- man aber nicht schUeßeri; daiß 
er der Ansicht war,- die mit Rücksichtaufdie Fürbitte* der -Märt5rrer 
erteilte .'Rekonziliation bewirke > den Erlaß- der Süridenstrafem' -Meint 
er doch, daß' die -Fürspräche der Märtyrer erst am jüngsten' Tage in 
Kraft ^treten werde;^ ' ■•::'■'■' ■ ' - = 

Wenngleich Cypriah mit der irrigen Ansicht von einem Aufschub 
des Urteilsspruches -bis zum' jüngkten' Gerichte nicht' älleiii stand,* 
so kann man 'doch nicht sageii, daß sie allgemein verbreitet war. Es 
gab sicher zu jener Zeit Bischof e;' die mit Recht annälimen, 'daß, die 
Fürsprache der Märtyrer nicht erst am letzten Gerichtstage, sondern 
sofort in Wirksanikeit trete.' Gesetzt nun den Fall, einer dieser Bischöfe 

' ^ Auch dies ist schon von Suarez a.' a. 0. hervorgehoben -worden.' 
■ ^. Ep.'XVIII," 1: „Qui libellos a martyribus acceperunt et praerogätiva 
eorum apud DeuiTL adiuvari possunt." Ep. XIX,- 2: /, Qui libellum a martyribus 
acceperunt et auxilio eorum adiuvari apud Dominum in delictis suis, possunt." 
S. /Gypriäni Opera, rec! G. Hartel. - Vindobonae 1868— 71, 524 ,525. 

* De lapsis, capl 17.' Opp.' 249: ,,'Credimus qüidem' posse apud iudicem 
plurimum 'martjrrüm merita et. opera-iustörumy>sed cuiri'iuäicii dies venerit; 
cum ,post occasvim isaeculi huius et mündi ante tribimal Christi, populus. eins, 
adstiterit." Cyprian hielt das Ende der Welt für nahe bevorstehend. VgL 
L. Atzberger, Geschichte der christlichen Eschatologie innerhalb -der vor- 
nicänischen Zeit. .Freiburg 1896,', 542 f. - ■ - ' 

* „Es ist nicht zu leugnen," schreibt Gutberiet (Heinrichs Dogmatische 
Theologie. X 391), „daß manche ältere Väter einen Aufschub des Urteilsspruches- 
bis zum jüngsten .Gerichte lehren." Im christlichen Altertum sind, so meint 
ein anderer Dogmatiker (J. Pohle, Lehrbuch der Dogmatik III, Paderborn. 
1905, 657), ,, die,; Vorstellungen über das Los der Abgeschiedenen überhaupt 
noch ziemlich verworren imd ungeklärt" gewesen. ■ " 

1* 



4. I. Die Anfänge des Ablasses. 

habe einem Sünder vor der Beendigung der Buße auf die Fürsprache 
der. Märtyrer hin die Rekonziliation erteilt, wurde damit dem Sünder 
von derkirchhchen Autorität nicht ein Ablaß im heutigen Sinne 
gespendet? Um diese Frage zu beantworten; 'müssen- wir die. Für- 
sprache der Märtyrer in ihrer Beziehung zur kirchlichen RekonziUatiöii 
etwas näher betrachten. • 

;Aus den Briefen des hl. Cyprian erfahren wür, welche Befugnisse 
den Märtyrern und Bekennern in bezug auf die kirchliche -Rekon- 
zihation ; zustanden: Sie konnten den ^ Gefallenen, den sogenannten 
läpsi, Friedeiisbriefe (Ubelh pacis) ausstellen, an die der Bischof zwar 
nicht gebunden war, die er aber doch in der Regel berücksichtigte^, 
sa daß die; Sünder dank diesen Briefen leichter den Frieden oder die 
Rekonzihation erlangten. Cyprian hebt. auch. wiederholt hervor, daß 
die Gref allenen durch die Interzession der Märtyrer bei Gott unterstützt 
werden können. Inwiefern konnten aber die Märtyrer den Gefallenen 
bei Gott Hilfe leisten ? Sie konnten durch ihre Gebete und Verdienste 
dazu beitragen, daß Gott gegen die Sünder gnädig gestimmt wurde, 
daß er ihnen leichter und rascher verzieh. Der Interzession der Mär- 
tyrer kam in dieser Hinsicht dieselbe Wirksamkeit zu wie den eigenen 
Bußwerken ■ der Pönitenten. ISTach der Auffassung des ■ christlichen 
Altertums hatten die kanonischen, Bußwerke nicht; bloß den Zweck, 
4ie zeitlichen Sündenstrafen abzutragen; es wurde ihnen auch ein 
großer [Einfluß auf die Rechtfertigung, auf die- Tilgung der Sünden- 
schuld und der ewigen Höllenstrafe zugeschrieben.^ Ebendeshalb war 
es von altersher kirchliche Praxis, daß der Bischof jenen,' die :sich 
durch besondereil Eifer in der Bußübung hervortaten, die, Bußzeit 
abkürzen konnte. War man doch der Überzeugung, daß solche eifrige 
Biißer auch bei Gott schneller Verzeihung erlangen. Aus demselben 
Gründe hielt man es für angebracht, jenen Sündern, deiien Märtyrer 
ihre Fürsprache zuteil werden ließen, vor Beendigung der Buße. die 
Rekonziliation zu erteilen. , , 

Durch die kirchliche Rekonzihation wurden aber nicht bloß, .die 
Sühdehschuld und die ewige Höllenstrafe getilgt, es wurden auch 
zeithche Sündenstrafen erlassen, und zwar nach Maßgabe der voraus- 
gegangenen Bußbetätigung des Pönitenten. Gesellte sich ■ nun zu 
dieser Bußbetätigung die vor Gott gültige Fürsprache der Märtyrer; 
so WTifde selbstverständlich dem Büßer desto mehr von deii zeitUchen 
Sündenstrafen nachgelassen. Man beachte aber wohl, daß die Nach- 
lassung der zeitlichen Sündenstrafen nicht" außerhalb des Bußsakrar 
mentes erfolgte. Gleich der Nachlassung der Sündenschuld und der 

^ Morinus 42: „Credebant, atquehoo erat potissimuih' totius disciplinae 
poenitentialis fundamentum, operam canonice pro' peccatis iniunctorum sedula 
praestafcione internam cordis compunctionem augeri et accendi, iram Dei miti- 
gari, Deum poenitentibus plaoari, poenas aeternas peccatis debit'as' non modo 
.frustrari, sed etiam extingui, ita ut qui iniunctum a sacerdote opus humiliteir 
perfecisset, peccatorum veniam a Deo promereretur, ac proinde ab ' Ecclesia 
eamdem merito consequeretur, eo quod rata haberet Deus in coelo quaecumque 
Ecclesia in terra de peccatis iudicia faceret." Vgl. 159 ff. ' ■ 



I. Die Anfänge des Ablasses. 5 

ewigen Sündenstrafe, wurde sie .durch die kirchliche,^ Rekonziliation, 
die, als sakranientale .Lossprechung; zu gelten hat, bewirkt. Eben- 
deswegen kann in diesem Falle die Minderung der zeitlichen SündeuT, 
strafen. nicht als Ablaß. im heutigen, Sinne, betrachtet werden, da der 
Ablaß jjSeinem Begjdffe nach"' eine. Nachlassung .von zeitlichen Sünden- 
strafen ist, „die nicht. durch das Sakrament der Buße gespendet wird". ^ 
Treffend hat man .daher geschrieben:' „Wenn auf einen libellus pacis 
hin, gestützt- auf die: Verdienste des Märtyrers, die schließliche Los-r 
sprechung beschleunigt - wurde, so . war . damit auch eine . Abkürzung 
und Minderung ; der vor , .Gott : fälligen , Sünderistrafeh: gegeben, aber 
nicht ,außersäkramentar,, was zum heutigen Begriff des .Ablasses 
gehört."^ Beschränkt man sich indessen darauf, in der Praxis, auf 
die Interzession der Märtyrer hin den Sündern etwas yon ihrer Last 
abzunehmen, eine gewisse Verwandtschaft mit der späteren Ablaß- 
praxis zu finden, so ist gegen eine solche Auffassung .nichts einzu- 
wenden.^ , . 

Nebst der Rekonziliation, die auf die Fürbitte und die Verdienste 
der Märtyrer Bezug nahm, wird in Cyprians Schriften noch eine andere 
Absolution erwähnt, die den gefallenen Christen auch ohne „Friedens- 
briefe" gespendet werden konnte. So hatte im Jahre 251 eine afri- 
kanische Synode verordnet, daß jenen, die sich bloß einen Opferschein 
verschafft hatten, sofort die Rekonziliation gewährt werden solle; jeiie^ 
die wirklich geopfert hätten, sollten einer langwierigen Buße unter- 
worfen, doch in Lebensgefahr rekonziliiert werderi.* "Mit dieser. Rekon- 
ziKation verbindet aber Cyprian keineswegs den Nebenbegriff eines 
vöUkommeiien Straf erlasses ; vielmehr fordert er für die, volle Aus- 
söhnung mit Gott eine vollständige, der Schweire der Vergehen ent- 
sprechend.e Genugtuung,* die, falls sie hienieden nicht geleistet wird, 
im Jenseits erfolgen muß. Deshalb unterscheidet er auch scharf 
zwischen den standhaften Gläubigen, die durch den Märtyrertod 
sofort zur himmlischen Herrlichkeit gelangen und den in Lebensgefahr 
rekonziliierten Büßern, die ihre rückständige Schuld im Reinigungsort 
bis auf den letzten Heller bezahlen müssen,* Daraus geht klar hervor, 
daß 0yprian die den Sterbenden ; erteilte Absolution nicht als einen 



1 Hilgers XXIX.:. 

2 J. B. Umberg in Stimmen der Zeit I (1914— lö) 168.. 

; ^ Eapebroch' (Responsio,II 92) bemerkt dazu: „Erat haec siue dubio 
aliqua indulgentiae speoies.. . . sed diversissima ab ea, de qua nunc agimus, 
quamque autononiastiee vooamus indulgentiam." 

' * Ep. LV, 1;7. Opp..636: Tgl. A. d'AIes, L'edit de Calliste. Etüde sur les 
origines de la penitence chretienne. , Paris 1914, 330 ff. 

• 5 Ep. LV, 18. Opp. 636: „Paenitentiam plenam et iustam," 

? Ep. LV, 20. Opp. 638 : „Nee putes .- . .• hinc . . . martyria deficere, quod 
lapsis laxata sit paenitentia . . ., Aliud est ad veniam stare, aliud ad gloriam 
pervenire, aliud missum in carcerem non exire inde donec solvat novissimum 
quadrantem,' aliud statim.fidei et virtutis accipere mercedem,, aliud pro peccatis 
longo dolore eruciatum emundari.et.puxgari diu igne, aliud peccata omnia passione 
purgasse,. aliud, denique penderein diejudicii ad sententiam Domini, aliud statin: 
a Domino coronari." Vgl. zu dieser Stelle. Atzberger 537. 



6 I. Die Anfänge des Ablasses. 

vollkommenen Ablaß aufgefaßt hat. ■ Es- handelte sich vor allem darum, 
den reumütigen Sünder in Frieden mit der Kirche und mit Gott aus 
diesen! Leben scheiden zu lassen. Man hatte dabei nicht die Absicht', 
dem sterbenden Büßer auch die Strafen irh Jenseits zu erlassend 
Passelbe gilt von dem im Jahre- 252 auf der Synode von Karthago 
gefaßten Beschlüsse, wegen der bevorstehenden Verfolgung allen buß- 
fertigen Gefallenen sofort die Rekonziliation zu gewähren.^ Durch 
diese Abkürzung der Bußzeit wollte man den Büßern' nicht 'auch die 
Strafe vor Gott erlassen; man hatte vielmehr die Absicht, sie' durch 
Zuwendung der kirchhchen Gnadenmittel für die Zeit der Verfolgung 
zu stärken und ihnen für die Todesstunde, die sie vielleicht auf ein- 
samer Elucht überfallen konnte, den Trost des Friedens mit der Kirche 
und Gott zu geben.^ 

Daß Büßern mit Rücksicht auf die Fürsprache der Märtyrer die 
Bußzeit abgekürzt wurde, kam namentlich zur Zeit des hl. Cyprian 
häufig vor. Später verlautet nichts mehr von dieser Sitte.* Dagegen 
blieb es kirchliche Ordnung, daß kranken Büßern, auch wenn sie 
ihre Buße nooh nicht vollendet hatten, auf dem Sterbebette die Ab- 
solution, zu erteilen sei. Man hat in dieser KJrankenabsolution den 
heutigen Sterbeablaß finden wollen. Gegen eine solche Auffassung'' 
für welche ein stichhaltiger Grund nicht vorgebracht werden kann, 
spricht schon der Umstand, daß vom 4. Jahrhundert an jene, die in 
Todesgefahr die Absolution erhalten hatten, im Falle der Genesung 
die, noch nicht vollendete Buße wiederaufnehmen mußten.® .Diese 
erneute Verpflichtung zur Buße zeigt, daß die Absolution, die den 
kranken; Büßern erteilt wurde, nicht als Ablaß oder Straferlaß auf- 
zufassen ist, da ein Ablaß, der einmal einer Person zugesprochen 



^Hierauf hat schon Suarez, loc. cit. n. 8 aufmerfeam. gemacht. 
2 Ep_ j^Yii opp. 650 ff. 

^ „Nunc non inürmis, sed forfcibus pax necessaria est, neo morientibusi 
sed yiventibus communioatio a nobis danda est, ut quos excitamus et hortamur 
ad praelium, non inermes et nudos relinquentes, sed protectione sanguinis et 
corporis Christi muniamur." 

* Auf die Entwicklung des späteren Ablasses hat denn auch diese Sitte keinen 
Einfluß ausgeübt. 

' ^ Diese Auffassung wird auch abgelehnt von A. d'Ales, La doctrine des 
indulgenoes, in ißtudes des Peres de la Oompagnie de Jesus CXLV (1915) 45 f. 
Daß die Krankenab3olution als vollkommener Ablaß zu gelten habe, wollte 
man aus einem Schreiben des Papstes Innozenz I. aus dem Jahre 41J6' dartun. 
„Si quis in aegritudinem inciderit, atque xisque ad desperationem venerit, ei "ante-, 
tempus Paschae relaxandum, ne de saectilo absque communione discedat." 
Migne LVI 517. Dazu bemerkt d'Ales: Der Papst will, daß man in solchem Falle 
von' den Forderungen der strengen Bußdisziplin nachlasse und dem Kranken die 
Kommunion erteile, um ihn nicht der Gefahr auszusetzen, ewig verloren zu- 
gehen; an einen Ablaß habe jedoch der Papst nicht gedacht: „Mais l'idöe de 
la telaxatio (poenae), au sens technique oü l'entendront les auteurs scolastiques 
traitant des indulgenees, me parait tout ä fait en dehors de son horizon." 

« Morinus 153 750 ff. Frank 907 ff. 



I. Die Anfänge des Ablasses. 7 

worden; nicht mehr zurückgenommen werden kann.^ Etliche Autoren 
.sehen freilich iii jener Absolution einen bediiigungsv^eise erteilten Afelaß; 
d. h. einen Ablaß j der-nur im Falle des Ablebens gewöhnen werden 
koniite.^ - Vöri anderen' wird' jedoch diese- Auffassung ■ entschieden 
.abgelehnt : „Bi^ Annahme, daß der Krankenur eine bedingte, Rekon- 
■ziliätion erhalten 'habe,'iät unhaltbar. Die- nachträgliche Bußübung, 
-welche er im Fälle der Genösung nach can. 13 des Nicänums zu leisten 
hatte, war nichts weiter als eine freiwillige Betätigung,der Bußgesinhuhg, 
<iie er auf dem Krankenbett bekundet hatte.""^ Die -Rekoiiziliation sei 
eine absolute, nicht bedingte gewesen, uiid zwar habe sie den' Charakter 
eines vollkommenen Ablasses gehabt: „Die Wirkung der auf dem 
Krankenbett gesj)endeten' Rekonziliation war dieselbe wiei die jeder 
«,nderen Rekonziliation, nämlich die 'Befreiung von zeitlichen Sünden- 
istrafen, gültig vor Gott. Es fand sonach eine formelle Erteilung eines 
Ablafeses in der Form der Rekonziliation an den Sterbenden statt."* 
Die'' Annahme, daß die Absolution den Kranken nur bedingungsweise 
für den* Fall des Ablebens erteilt wurde, ist sicher unzutreffend;^ 
.aber ebenso unzutreffend ist die Behauptung, daß die Rekonziliation 
,,den Büßer auch im Falle der Wiedergenesung von der Verpflichtung 
zur kanonischen Buße befreite, dagegen eine nachträgliche Betätigung 
•der Bußgesinnung durch private Bußübungehvon ihm erwarten ließ".* 
Aus verschiedenen Zeugnissen ergibt sich, daß der wiedergeneserie 
Büßer zur nachträglichen Leistung der' Buße verpflichtet war.' 



^ Vgl. Perr one , Praelectiones theologicae VIII, Ratisbonae 1855, 387 : „Eius- 
juodi aegrotantibus non fuit praecise data indulgentia, 'eo sensu quo eam vocem 
liic accipimus, seu 'remissio plena ulterioris satisfactionis, quam persolvere de- 
buissent, sed tantum absolutio sacramentalis cum onere satisf aciendi, si ■ con« 
valuissent. Näm indulgentia semeldata irrevocabilis est." 

^ Frank 952. Ähnlich Hilgers 52 mit besonderer Rücksichtnahme auf 
■die, Synode von Epaon (517), die zugunsten der in Todesgefahr schwebenden 
Büßer bestimmte: ,,Damnationis constituta tempora relaxen tur." Diese etwas 
dunkeln >Worte sind folgenderweise zu erklären : Die festgesetzte Zeit der Buße, 
au welcher der Sünder verurteilt worden, soll abgekürzt werden, das Bußband, 
womit der Kranke gebunden ist, soll aufgelöst werden, damit er ungehindert 
•die Absolution empfangen könne, die ihm sonst erst nach Ablauf der fest- 
.gesetzten Büßzeit hätte zuteil werden sollen (vgl. oben Innozenz I.: ,,Ei ante 
tempus Paschae relaxandum. "), Wird' er aber wieder ' gesund, so gebührt es 
•sich, daß er die ihm bestimmte Bußzeit einhalte (statuti temporis spatia ob- 
.servare conveniet). Mon. Germ. hist. Concilia I (1893) 27 f. 'Wie der hier ge- 
brauchte -Ausdruck ,, conveniet" zu verstehen sei, ergibt sich aus den Ver- 
■ordnungen anderer" Synoden, die. von einer Verpflichtung sprechen. Hefele 
i^Konzilieiigeschiehte IP'686) übersetzt denn auch richtig: der Wiedergen^^ene 
,,muß"\die Buße nachholen. 

3 Schmitz II 93. . ' ' 

■• * Schmitz, Kanonische Buße und Ablaßerteilung, im Katholik 1885 I 495. 

^^ Die den Kranken erteilte Rekonziliation war die sakramentale Absolution. 
Zu jeneir Zeit wußte' man aber noch nichts von einer bedingungsweise erteilten 
Absolution, Vgl. MLorinus 746 f. 

« Schmitz, 'Katholik 498. ' ' 

^ Morinus 750 ff. An anderer Stelle (Bußbücher II 38), spricht auch 
Schmitz von Kranken, ,, welche in der Todesgefahr rekonziliiert worden waren. 



.■b I. Die Anfänge des Ablasses. 

Ebendeshalb geht es nicht an, der Absolution, die den Kj-anken erteilt 
wurde, „die Wirkung des vollgültigen Nachlasses der zeitlichen Sünden-r 
strafen" zuzuschreiben und sie als eine „formelle Erteilung eines. 
Abiasses" zu beibrachten. Es war vielnaehr eine sakramentale. Lost 
sprechung ,von den Sünden. Im Falle des Ablebens mußte der Kranke^ 
der noch Siindenstrafen abzutragen hatte, sie im Jenseits abbüßen.^ 
Auch die Rekonziliatipn, die in der alten . Kirche gesunden 
Büßern, die durch besonderen Eifer sich auszeichneten, vor Be- 
endigung der kanonischen Buße erteilt wurde,^ ist nicht als Ablaß, 
aufzufassen. Von altersher war es kirchliche Praxis, daß der Bischof 
denjenigen, die sich durch besonderen Eifer in der Bußübung hervor- 
taten, einen Teil der Buße erlassen konnte. So stellen es z. B.:die 
Synoden von Ankyra (314) und Nicäa (325) dem Bischof anheim„ 
je nach dem Bußeifer der Sünder eine Milderung der kanonischen^ 
Buße eintreten zu. lassen.^ Mit dem kirchlichen Ablaß darf diese Ab- 
kürzung der Bußzeit nicht verwechselt werden. Treffend hat man 
betont, daß der Ablaß eine Nachlassung von. zeitlichen Sündenstrafen 
sei, „die nicht durch das Sakrament . der Buße gespendet und nicht, 
durch eigene Bußwerke verdient wird".* Nun wird aber allgemein 
anerkannt, daß ein Sünder, der seine Buße mit großem Eifer und 
intensiver Reue verrichtet, die ihm, gebührende Sündenstrafe in viel 
kürzerer Zeit abträgt als ein anderer, der sich in der Bußübung lau 
und nachlässig zeigt. Es bemerkt denn auch der hl. Basilius in dem 
74.. Kanon seines Bußbriefes an Amphilochius : Wenn derjenige, dem 
Gott die Löse- und Bindegewalt anvertraut hat, einem Sünder, der 
großen Bußeifer kundgibt, die Bußzeit abkürzt, so darf man das nicht 
verurteilen, da die Hl. Schrift uns lehrt, daß die, welche mit größerer 
Anstrengung Buße tun, schneller von Gott Verzeihung erlangen.^ In. 
demselben Siane schreibt Leo I., daß die Buße nicht so sehr nach, 
der Länge der Zeit als nach der Zerknirschung des Herzens abzu-' 
schätzen sei.^ Wenn daher der Bischof eifrigen und zerknirschtert 
Sündern die Bußzeit abkürzte, so gewährte er ihnen nur eine Verr 
günstigungi, auf welche sie ohnehin wegen persönlicher Betätigung 
des Bußeifers ein Anrecht hatten. Ein eigentlicher Gnadenerweis^ 
ein wirklicher Erlaß der Buße, wie das bei den Ablässen der Fall ist,, 
wurde dabei nicht gewährt, ebensowenig wie ein derartiger Bußerlaß 



aber die TodesgefaHr überlebten und alsdann zur Leistung der Buße verpflichtet 
wurden". ', ' 

^ „C'est dans l'autre monde'qu'il expiait ses ,p6ohes", schreibt treffend 
J. Tixeront, Comment se oonfessaient las Chretiens des premiers siecles ? ia 
L'Universitö catholique LXXII (1913) 243. ^ ; •■•>.' 

''Häufig kam es vor, daß bekehrte Häretiker ohne vorherige öffentliche- 
Buße zur Rekonziliation zugelassen wurden. Morinus 630 f. JSin Ablaß wurde- 
hiermit diesen Konvertiten nicht erteilt. Es war bloß eine ' Maßregel pastoraler 
Klugheit. . 

3 Mansi II 515 674. Hef ele I 226 415. Vgl. Morinus'37 ff . Frank 930 ff. 
f Hiigers.XXIX. « Migne, Patr. graeoa XXXII 803. 

8 Ep. 169, 5. Migne LIV 1138. 



1. Die Anfänge des Ablasses. 9 

bei der kirchlichen Rekonziliation, die nach vollständiger Leistung 
der kanonischen Biiße erteilt, wurde, stattfand.^ 

In neuester Zeit hat man freilich behauptet, daß die Rekonziliation 
,, wenigstens für viele Fälle die Speiidungeines vollkommenen Ablasses 
in sich einschloß". Man will nicht bestreiten, „daß die Büßer nicht 
schon manchmal' vor dem 'Akt der feierlichen Rekonziliation durch 
ihren eigenen Bußeifer bei der Leistung der kanonischen Bußen für 
diiB noch zu sühnenden Sündenstrafen vor Gott vollständig genug- 
' getan hatten, so, daß eine förmliche Lossprechung nicht mehr not- 
weindigi war". Allein weder die kirchhche Obrigkeit noch Äie Büßer 
konnten eine ,, volle Gewißheit" haben, daß die Genugtuung eine voll- 
ständige sei. ,, Diese Gewißheit schaffte allen die Rekonziliation^ 
indem sie als. vor Gott gültige Absolution nun auch in den Fällen> 
welche noch, zu tilgende, abzubüßende Sündenstrafen übrig ließen,, 
eben für diesen Rest der Sündenstrafen aus den Verdiensten Christi 
und der Heiligen Genugtuung anbietend die Büßer selber autoritativ 
als von allen Sündenstrafen frei und ledig und mit Gott vollkommen 
ausgesöhnt erklärte. Wenn es auch Sinn und Zweck der kanonischen 
Bußen war, die Sündenstrafen bestimmter Sünden vollständig abzu- 
tragen, so konnte es dennoch in der praktischen Übung der Buße nie 
unfehlbar gewiß, sein, daß das festgesetzte kanonische Bußmaß seinen 
Zweck voll und ganz erreicht hatte. Nur die mit der Jurisdiktions- 
gewalt gespendete, vor Gott gültige Rekonziliation gab die Gewißheit^ 
indem sie das etwa noch Mangelnde durch die Verdienste Christi und 
der Heiligen ersetzte."^ Das heißt aber der altkirchlichen Rekon- 
ziliation eine Bjedeutung beilegen, die aus den Quellen jener Zeit 
nicht erwiesen werden kann. Selbst wenn die Rekonziliation nach 
vollständiger und eifriger Leistung der ordnungsmäßig auferlegten 
kanonischen Buße erteilt wurde, ' konnte man nicht mit Sicherheit 
sagen, daß nun auch alle vor Gott geschuldeten Sündenstrafen getUgt 
seien; noch Aveniger konnte hierüber volle Gewißheit verschafft werden, 
wemi in der Auflegung oder Leistung der Buße verschiedene Mängel 
vorgekommen waren. Die Kirche hat niemals erklärt, daß durch 



• ^ Mit Riecht schreibt dentinach B. Poschmann (Theol. Revue 1914, 292): 
„Wenn im kirchlichen Altertum., die Bußzeit wegen besonderen Eifers, in der' 
Bußleistung abgekürzt werden darf, so wird dabei an der Buße als solcher nichts, 
gemildert; die größere Intensität ist ein Ersatz für die längere Dauer. Von 
einem Ablaß ist dabei keine, Rede.",- Schmitz (Kathohk 1885 I 374) betont 
ebenfalls, daß die "mildere Behandlung "eifriger Büßer keine Ablaßerteilting ein- 
schloß; es sei nicljts anders gewesen als die sorgfältige Ausübung des Richter^ 
amtes.in Verwaltung des Bußwesens. „Auch wird als Motiv der eventuellen. 
Milderung nicht etwa eine Zuwendung aus dem Verdienstschatze der Kirche . . . 
hervorgehoben, sondern- stets nur die persönliche Betätigung des Bußeifers und 
der Sinnesänderung auf seiten des Büßers. Von einer Ablaßerteilung kann 'also 
nichtVdie Rede sein." Vgl. auch Morinus 758: „Eiusmodi indulgentia yerae 
pqenitentiae canonice actae fructus est." 

■ , . . VHilgers 45. Derselbe Gedanke, aber weniger scharf ausgedrückt, findet 
sich auch ;bei P almieri 515. Von der „vollen Gewißheit", welche die Rekon-; 
ziliation verschaffen sollte, sagt jedoch Palmieri nichts. , , . - 



10 I. Die Anfänge des Ablasses. 

die kanonische Buße verbunden mit der Rekonziliation der Pönitent 
auch vor dem Bichterstuhle Gottes von allen Sünderistrafen befreit 
-yverde.i Wohl wurden bisweilen in der alten Kirche kanonische Buße 
und Rekonziliation der Taufe gleichgestellt.- So wird in den aposto- 
lischen Didaskalia, die in der zweiten Hälfte des 3. Jahrhunderts in 
Syrien entstanden sind, dem Bischöfe folgende Belehrung gegeben: 
j, Gleichwie du den Heiden taufest und nachher in die Kirche auf- 
nimmst, so lege auch dem Büßer die Hände auf, während alle für 
ihn beten, und führe ihn dann in. die Kirche ein; und die Handaüf- 
legung wird bei ihm die Stelle der Taufe vertreten; denn entweder 
-durch die Handauflegung oder durch die Taufe empfangen sie . die 
Mitteilung des Hl. Geistes." Dieselbe Belehrung findet sich wieder 
in den um 400 in Syrien verfaßten apostolischen Konstitutionen.-^ 
Wenn auch hier Handauflegung oder Rekonziliation und Taufe als 
bewirkende Ursachen der Sündenvergebung erscheinen, so wird doch 
nicht gesagt, daß beiden Institutionen auch hinsichtlich der Tilgung 
•der Sündenstrafen dieselbe Wirksamkeit zukomme. Ebensowenig wird 
dies in anderen Schriften gesagt, die Taufe und Buße nebeneinander 
anführen. Wohl aber lehren etliche Väter, z. B. Gregor von Nazianz .^ 
•daß durch die Taufe nicht bloß alle Sünden, sondern auch die Überreste 
■der Sünden, nämlich die Sündenstrafen getilgt werden, während die 
Buße nicht mit Sicherheit alle Überreste der Sünden hinwegnimint. 

Die kanonische Buße sollte freilich die Strafen im Jenseits auf- 
heben; auch sollte sie der Größe der Schuld angemessen sein. Der 
Bußpriester konnte aber nicht wissen, ob die von ihm auferlegte Buße 
den Forderungen der göttlichen Gerechtigkeit entspreche. Wie leicht 
konnte da ein Irrtum mitunterlaufen und eine zu geringe Buße auf- 
erlegt werden! Zudem konnte ja der Büßer manche Sünden begangen 
liaben, für die eine kanonische Buße nicht auferlegt wurde. Daß die 
iirchhche Rekonziliation, welche die Bußleistung beschloß, auf die 
Tilgung der für jene Sünden geschuldeten zeitlichen Strafen irgend- 
einen Einfluß hatte, wird man nicht dartun können.* Aus allem dem 
•ergibt sich, daß selbst im Fall einer vollständigen und genauen Leistung 
der kanonischen Buße durch die Rekonziliation nicht mit Sicherheit 
«,lle zeitlichen Sündenstrafen getilgt wurden. Daß aber die kirchliche 
Rekonziliation die etwaigen Mängel der Bußleistung aus dem Ver- 



^ Dies wird gebührend hervorgehoben von A. d' Ales (:6tudes CXLV 40 ff.), 
■der gut auseinandersetzt, warum die altkirchliche Rekonziliation nicht- als voll- 
kommener Ablaß gelten kann. ... 

2 Fr. X. Funk, Didascalia et Constitutiones Apo^tolorum I, Paderbornae 
1905, 130 f. .,) ■ 

3 Migne, Patr. gr. XXXVI 387 ff. Vgl. J. Stuf 1er, Die verschiedenen 
Wirkungen der Taufe und Buße nach TertuUian, in Zeitschrift f. kath. Theol. 
1907, 372 ff. ^ - . 

* Auch dies hat schon d'Ales 43 hervorgehoben: „Les absolutions gene^ 
rales, qui mettaient f in ä la pönitence canonique, aVaient-elles quelque influence 
directe sur la dette des pöchös auxqixels l'impositiori de la p6nitetice kait^tran- 
gere ? Je ne vois aucune raison de le supposer:'' : :■;! 



I. Die Anfänge des Ablasses. 11 

•^ienstschatze Christi .und der Heiligen ersetzen sollte, ist eine durchaus 
unberechtigte Behauptung: Noch viel weniger geht es an, zu behaupten, 
die kirchliche Kekonziliätion habe den Büßern „volle Gewißheit" über 
• den vollständigen Erlaß' der Sündenstrafen verschaffen sollen. Eine 
-derartige Gewißheit hat die Kirche weder geben wollen noch geben 
können. ' ' - ■ . ■ ■ , 

In der ' alten Kirche wie auch im • früheren Mittelalter kam es 
wiederholt vor, daß Synoden ältere Bußgesetze^ abänderten, um sie 
■durch andere, weniger strenge zu ersetzen. So hat im, Jahre 314 
■die Synode von Ankyra im 21. Kanon folgende Anordnung getroffen: 
Trauen, die sich fleischlich versündigen und darin die Leibesfrucht 
-abtreiben, sind durch „älteres Gesetz"^ bis an ihr Lebensende aus- 
geschlossen worden. Wir aber haben. ,, Milderes" bestimint und ver- 
ordnet, daß sie eine zehnjährige Bußzeit in den festgesetzten Strafen* 
-auszufüllen haben.^ Dieselbe Synode erklärt im 23. Kanon: ,,In betreff 
des unabsichtlichen Totschlags bestimmt die frühere Verordnung, daß 
•der Täter nach sieben Jahren der Vollendung (des Abendmahls) teil- 
haft werde, unter Einhalt der bestimmten Stufen; die zweite Ver- 
ordnung, aber will, daß er fünf Jahre erfülle. "^ Demnach- hatte schon 
vor 314 eine Milderung stattgefunden. 

Eine ähnliche Milderung .beschlpß im Jahre 517 eine von 
24 Bischöfen abgehaltene Synode zu Epaoii in Burgund.* Im 
29. Kanon heißt es: Den von der katholischen Kirche zu einer Häresie 
Abgefallenen hat das Altertum die Rückkehr sehr erschwert. Wir aber 
.legen ihnen, indem wir die Zahl der Jahre vermindern, eine zweijährige 
Buße in folgender Gestalt auf :^ In den zwei Jahren sollen sie an jedem 
•dritten Tage ohne Milderung (sine relaxatione) fasten, sie sollen fleißig 
-die Kirche besuchen, in demütigem Gebet am Orte der Büßer stehen 
und mit den Katechumenen' den Gottesdienst verlassen. Wollen sie 
'dies einhalten, so sollen sie nach, Ablauf der festgesetzten Zeit der 
Bußfessel entledigt werden und ihre Opfergabe zum Altare bringen 
können. Finden sie aber vielleicht diese Buße zu beschwerlich, so 
müssen sie sich an' die Bestimmung der alten Kanones halten.* 



^ Gemeint ist vielleicht Kanon 63 der um- 306 abgehaltenen Synode von 
Elvira, die verbot, solchen Weibern selbst auf dem Totenbett die Kommunion 
•ZU geben. " Hef ele I 184. ' " 

2 Hefele I 240. • - 

'^ Hefele I 241. Die zwei früheren Verordnungen sind nicht näher bekannt. 

*. Mon. Germ. Concilia I 25 f . . - . 

^ „Qaibus nps annoram multitudine breviata poenitentiam biennii con- 
ditione infra scriptae observationis imponimus," 

* „Hoc si observare voiuerint, oonstituto tempore admittendis ad altarium 
obaervatio relaxetur; quam si arduam vel duram forte putaverint, statuta prae- 
"teritorum canonum complere debebunt." Die Worte „observatio relaxetur" 
können hier nicht einenBußerlaß bedeuten, da ja unter dieser „observatio" 
•eben die zweijährige Buße zu verstehen ist, die geleistet werden soll, wie der 
unmittelbar darauf folgende Satz (quam si arduam) beweist. Das Wort „re- 
laxare" ist hier in seinem ursprünglichen- Sinne zu nehmen und bedeutet „auf- 
lösen". Nach Ablauf der zwei Jahre soll die Bußvorschrift aufgelöst werden. 



12 I. Die Anfänge des, Ablasses. 

Was die hier erwähnten alten Kanones betrifft, so hatte um 306 
die Synode von Elvira im 22. Kanon für die Abgefallenen eine nicht 
näher bestimmte Buße von 10 Jähren verordnet.^ Auf dem Konzil 
von Nicäa im Jahre 325 war für dasselbe Vergehen eine Buße von 
12 Jahren festgesetzt worden, und zwar sollten die Abgefallenen 
3 Jahre in der zweiten, 7 in der dritten, 2 in der vierten Klasse der 
Büßer zubringen.2 Diese Bestimmung ist von einer Lateransynoda 
im Jahre 487 oder 488 erneuert worden.* 

Man hat in der Verordnung des Konzils von Epaon einen wirk- 
lichen, generell erteilten Ablaß finden wollen: „Die Synode von Epaon 
gewährt in klarster Form eine ,relaxatio' oder einen ^Nachlaß ypii 
8 Jahren ,de iniunctis poenitentiis', von den durch die alten 
Bußkanones auferlegten Bußen."* Allein wenn, irgendein Konzil ältere 
Bußbestimmungen abänderte, um sie durch neue, wenn auch mildere, 
zu ersetzen, so hat es damit keinen Ablaß erteilt.^ Die Aufstellung 
eines neuen Bußgesetzes, mag damit auch eine Milderung früherer 
Bußsatzungen verbunden sein, ist wesentlich verschieden von der 
Ablaßverleihung, die ein jurisdiktioneller Erlaß der Buße ist.^ Die 
Konzilsväter von Epaon hatten nicht die A.bsicht, einen Bußerlaß zu 
erteilen; vielmehr haben sie an Stelle der früheren Buße eine neue- 
auferlegt (imponimus). Dabei ist freilich die lange Zeitdauer der Buße 
abgekürzt worden. Aber der neuen kürzeren Buße wurde derselbe Wert. 
Avie der alten längeren Bußleistung beigemessen.' Deshalb hat auch 



sie soll dann aufhören, so daß die freigewordenen Büßer ihre Opfergabe zunt 
Altare bringen und die hl. Kommunion empfangen können. In demselben Sinne- 
hat der hl. Ambrosius den Ausdruck „relaxare" gebraucht. Er spricht von dem 
Karfreitag, als von dem Tag, „quo in Ecclesia poenitentia relaxatur".. 
Migne XVI 1002. In Mailand fand die Rekonziliation der Büßer am Karfreitag: 
statt. An diesem Tage- hörte die - Bußzeit auf, die Bußf es'sel -wurde aufgelöst.. 

1 Hefele I 164. ^ Hefele I 414. 

3 Hefele II 615. * Hilgers öl. 

^ Vgl. Poschmann (Theol. Eevue 1914, 292): „Gewiß sollte die kanonische- 
Buße die Strafe im Jenseits aufheben und sollte ihrer Idee nach so bemessen, 
sein, daß sie der Größe der Schuld entspräche — paenitentia plena et iusta. 
Aber die Äquivalenz konnte naturgemäß immer nur annähernd, vermutungs- 
-weise festgestellt werden' so daß bei der Auflegung der Buße dem Ermessen. 
der Bischöfe ein weiter Spielraum blieb. Wenn ein Konzil daher eine; mildere- 
Meinung vertrat und eine kürzere Buße für ausreichend' erachtete, dann be- 
deutete das noch keinen Ablaß. . Die rigoristische Forderung hat an sich nicht, 
mehr Anspruch auf ,Kanonizität' als die mildere." ' , 

' Vgl. d'Ales 50: „II me serable que l'usage reserve le nom technique- 
d'indulgentia ou de relaxatio aux adoucissements de la diseipline qtd se produisent,. 
non par voie de mesure legislative, mais par.voie de sentence judieiaire, appli- 
cable soit a l'ensemble des fideles, soit a des categories plus ou moins restreintes^ 
soit mdme ä des individus." 

' Abgesehen von der Zeitdauer, war die neue Buße wegen der vielen. 
Fasttage offenbar beschwerlicher als die alte, sonst hätte die Synode nicht 
sagen können: „Quam si arduam forte putaverint." H. Koch bemerkt deim 
auch dazu, daß -die Länge der Zeit durch Verschärfung der Bußübungen-ersetzfe 
werden soll". Theolog. QuärtalschriftLXXXII (1900) 519. ;■ ö ' 



I. Die Anfänge des Ablasses. 13 

die Synode .den Sündern anheimgegeben, entweder die eine oder die 
aiidere Bußezu übernehmen. 

Etwas Ähnliches geschah bei den sogenannten Redemptionen, 
über deren Verhältnis zum -Ablaß nun/ näher zu handeln ist. 

Die Redemptionen (Ablösungen) sind im 7. Jahrhundert zuerst 
in Irland und England aufgekommen und haben sich dann allmählich 
«buch nach dem Pestlande verbreitet- Sie bestanden darin, daß emp- 
findliche und langdauernde Bußwerke, namentlich längeres und strenges 
jFasten,. durch andere gute Werke, hauptsächlich durch Gebet und 
Almosen, ersetzt werden konnten. Obschon das Ersatzwerk in der 
Regel geringere Anforderungen an den Büßer stellte als die kanonische 
Bußleistung, so 'wurde ihm dobh derselbe Wert wie dieser zuge- 
schrieben.i; Die Redemptionen oder Bußumwandlungen, wie man sie 
in den für die Beichtväter bestimmten Büß büchern verzeichnet findet, 
galten -vorwiegend für die Privatbuße.. Doch wurden sie von einigen 
Synoden in beschränktem Maße auch für die öffentliche Buße ge- 
stattet. Wie manche meinen, sind die Redemptionen eine „Nach- 
bildung der, germanischen Kompositionen", nach welchen man durch 
Zahlung einer Geldsumme (Wergeid) von der Strafe für. schwere Ver- 
gehen sich loskaufen könnte. Diese Theorie kann zwar nicht auf die 
iledemptionen durch Gebet und andere fromme Übungen angewendet 
werden. Was. aber die Geldredemptionen betrifft, so dürften sie durch 
'das altgermanisohe Kompositionssystem /wesentlich gefördert Iworden 
«ein.^ 'Wohl läßt- sich die Praxis,- die Bußstrafen, insbesondere das 
Pasten, durch Almosen zu ersetzen, genügend erklären aus dem schon 
in der alten Kirche. herrschenden Glauben an die, sündentilgende Kraft 
des Almosens. Daß man mit Geld die Sünden ablösen könne, lehren 
bereits die Väter ,^ und i zwar im Anschluß . an . die . Hl. Schrift.^ Die 
•Gewohnheit aber,'.die, Höhe des zu spendenden Almosens tarifmäßig 
nach den abzutragenden Büß straf en zu bestimmen, ist ohne .Zweifel 
unter starker; Einwirkung deS: germanischen Kompositionssystems auf- 
gekommen. Die für die Ablösung des Fastens gespendeten Almosen 
■konnten zu verschiedenen guten Zwecken verwendet werden; sie 
«ollten , insbesondere, wie in den Büßbücherh öfters hervorgehoben 
vi^ird, den Armen und Gefangehen sowie, den Gotteshäusern zugute 
kommen. 

Nicht wenige Autoren sind der Ansicht, daß die Redemptionen 
als wirkliche Ablasse zu gelten haben; von anderen dagegen 
^ird ihnen der Ablaßcharakter, abgestritten, vdrnehmhch deshalb, 
weil dabei die für den Ablaß geforderte Vollmacht . des Spenders 



■> ^ Vgl. Schmitz-, (Katholik. 1885 I 629): „Das Charakteristische dieser 
Hedemptionen ist die ihnen zugrunde liegende. Vorstellung von einem objektiven 
■Gleichwerte des Ersatzwerkes mit der kanonischen Bußleistung. "< 

? Vgl. z. B. Ambrosius, De Elia et ieiunio c, 20, n. 76 :, „Habemus plura 
«ubsidia, quibus peccata nostra redimamus. Pecuniam habes, redime.pecoatum 
tuum." M;igne XIV 724. ■ ,■ , , 

ä Dan. 4, 24: „Peccata tua eleemosynis redime." 



14 I. Die Anfänge des Ablasses. 

(auctoritas dantis) nicht vorhanden gewesen sei. Dieser Grund ist- 
jedoch nicht stichhaltig. Daß zunächst die Redemptionen,-Ajdie 
Bischöfe oder Synoden, z. B. die Synoden von Tribür (895), Reims 
(923), Winchester (1070) bewilligt haben,' von einer 'zuständigen 
Autorität ausgingen, liegt auf der Hand. - Aber, auch die Umwand- 
lungen, die auf Grund der Bußbücher von einfachen Seelsorgern vor- 
genommen wurden, darf man nicht von vornherein als reine ,, Privat- 
sachen" hinstellen. Wohl hatten die von Privatpersonen verfaßten 
Bußbücher keinen allgemeinen autoritativen Charakter. Wenn aber 
ein Bischof seinem Klerus ein solches Buch zur Benutzung anempfahl,^ 
so bekundete er. damit, daß er die in dem Buche verzeichneten Re- 
demptionsweisen' im allgemeinen billigte .und als Gewohnheitsrecht 
anerkannte. So hat Regino vonPrüm seine Schrift de ecclesiasticis- 
disciplinis, worin auch dieRedemptionen erwähnt werden, im Auf- 
trag des Erzbischofs Ratbod für den Trierer Klerjus verfaßt. Der 
Wormser Bischof Burchard hat sein' Bußbuch für die Priester seiner 
Diözese geschrieben, dainit sie' >sich" dessen bei der Handhabung der 
Bußdisziplin bedienen sollten. Indem er die Redemptionen in sein 
Werk aufnahm, hat er ebenfalls gezeigt, daß er sie als Gewohnheits- 
recht anerkannte. Eberiso hat Petrus Damiani den -Redemptionen 
eine autoritative Bedeutung ' beigelegt. Als päpstlicher. Legat, hat er 
selber dem Erzbischof und' dem Klerus von Mailand gegenüber -die 
Geldredemptionen angewendet'.^ ^ DenBußumwandlungen aber, welche 
die Priester im Beichtstuhle vornahmen,' hat der Heilige äusdrücklich. 
eine überirdische, vor Gott geltende Wirksamkeit ^zuerkannt :. Durch, 
die Almosen, bemerkt er, welche ^ die Büßer nach der Bestimmung 'des. 
Beichtvaters ■ spenden, gleichen sie^ ihre Sünden aus, so daß ' sie frei 
von Schuld ins -Jenseits hinübergehenf können. ■ Denselben Wert be- 
anspruchte Damiani für die freiwillige Geißelung, .'womit die .Mönche 
ihre Bußwerke abzulösen suchten.^ - Mail wird also; zugeben -müssen^ 
daß es Redemptionen gab, welche die kirchliche Zustimmung erhalten, 
hatten. • • • ■ • ■'-''!...' * -. j 

Daraus folgt freilich nicht, daß die Redemptionen mit deii, Ab- 
lässen "auf gleiche Stufe zu stellen sind. Zwischen beiden Ein- 
richtungen besteht ein wesentlicher Unterschied. Bei' der 

' 1 ' . >' 
^ Dem Erzbischpf von ]M[ailand legte er für Simonis tische Handlungen eine- 
Buße von 100 Jahren auf unter Fixierung der Geldsumme, womit die einzelnen. 
Jähre der Büße kompensiert Werden könnten. lÄaiisi XIX'893;' '' ' ' 

'- 2 Mighe OXLIV 351: „Cum sacerdotes Ecclesiae annosam indicüht quibus- 
dam peccatoribus poenitentiani, minquid non aliquando certam' pecuriiae prae- 
figunt pro annorum redemptione mensuram; ut nimirum facinora sua eleemosynis- 
redimant, qui longa ieiunia perhorrescvmt ? Sed quia haeo pecuniae redemptio- 
in antiqüis Patrüm bahonibus miriiirie reperitÜTj i absiirdurn esse e%'frivölum 
iüdicabitür ?• Qüod si 'hoc laicis ihdulgetvtr, üt peeeata sua eleemösynisirediman%. 
ne subripiente mortis artieulo, ex hac vita sine .reatüs %uif quöd'absit, äbsolutiöne- 
recedant, quid naoüachö praecipienduni erit, qüiet lorigäm" forti9 poenitentiami,. 
peccatis exigentibus; äccipiti et pecunias oliha funditusiqmbiis redim'atü^^^^^ 
Nunquid si pro hmnanae fragilitatis intuitu peccatuni redimr humniprum smhmäb 
praecipitur, pro peccato carnis afflictio merito resptietur?'' - ;; .mK; 



I. Die Anfänge des Ablasses. 15- 

Redemptioii wird das auferlegte oder aufzulegende Bußwerk mit einem 
anderen .vertauscht, das, an Stelle des.ersteren als neues Büß werk 
auferlegt wird; beim Ablaß, dagegen wird das Bußwerk erlassen. 
Nachlassung, und Vertauschung sind aber wesentlich voneinander ver- 
schieden. Wohl lief die durch die Redemption vollzogene Vertauschung: 
in. der Regel auf eine Erleichterung der Buße hinaus. Trotzdem dürfen 
die beiden . Begriff e Yertauschung und .Nachlassung nicht mitr 
einander verwechselt werden. Ebendeshalb geht es nicht ah, di&. 
Redemptionen den Ablässen, die den Charakter einer formellen Nach- 
lassung, haben, beizuzählen.^ 

Richtig ist aber, daß die Redemptionen des früheren Mittelalters, 
den generell erteilten Ablässen für Almosen, Kirchenbesuch, Teilnahme^ 
am Kreuzzug, wie diese, nach den bisher bekannt gewordenen Quellisn,, 
zuerst im 11. Jahrhundert vorkommen, die Wege bereitet haben.^ 

P,em Ablaß haben die Redemptionen die Wege, bereitet zunächst, 
dadurch, daß durch ihre Anwendung die Anschauung verbreitet wurde,, 
es könnten die für die Sünden auferlegten Bußstrafen durch andere,, 
insbesondere durch Alniosen, ersetzt .werden. .Daß man Sünden und 
Sündenstrafen durch Almosen tilgen könne, war ein urchristlicher Ge- 
danke. Anders aber verhält es sich mit der Anschauung,- daß man die 
von den kirchlichen Organen auferlegten Büß werke durch Almosen 
ablösen könne. Es haben denn auch anfänglich, als die Redemptionen. 
sich zu verbreiten begannen, Synoden gegen jene Anschauung sowi& 
gegen die Redemptionen selber Einspruch erhoben.. So , bezeichnete 
im Jahre 747 die, unter Erzbischof-Cuthbert von Canterbury zu-Clo- 
vesho versammelte Proyinzialsynode die, Redemptionen als eine heue- 
und gefährliche Erfindung. Di^, Almosen, erklärten die 'Konzilsväter,: 
sollen nicht gespendet werden, um die(yon dem Beichtvater auferlegte 
Genugtuung in Fasten und anderen Buß,werken zu vermindern .oder 



. ( ^ Vgl. , Poschmann (Theol. Revue 1914, 292):. „Die (mittelalterlichen 
Redenaptionen sind keine Ablässe, weil bei ihnen die ausgesprochene Absicht 
der Kirche fehlt, die durch die Sünde erwirkte Strafe durch einen richterlichen 
Akt zuna Teil zu erlassen." ' - ' 

* Dies wird auch von verschiedenen protestantischen Gelehrten anerkannt,: 
wenngleich andere, wie, K. Mi ül 1er. .(Der Umschwung in der Lehre von der Buße- 
während, des 12. Jahrhunderts in Theol. Abhandlungen, K. v. Weizsäcker ^ge^ 
widmet. Freiburg 1892, 308)', Brieger (Realenzyklopädie für prot., Theol; IX 77,)' 
und See berg 104, in den 'Redemptionen 'nicht „Vorstufen" des Ablasses, sondern 
nur ,, analoge Erleichterungen von' Biißen" sehen wollen. Denigegehüljer erklärt 
L of s 496 : v,Daß , die Redemptionen . eine , , Voraussetzung' . der Ablässe ' sind,, 
ohne die ihre Entstehung > nicht begreiflich wäre,>,,und nicht nur eine, analoge 
Erscheinung, das halte ich trotz ' Briegers aWeichender Ansicht fest. Aber in 
den Ablässen liegt den Redemptionen ge'genüber eiri'Novum vor, das als solches 
Erklärung 'fordert." 'Ha]i?nack*327; n.' 2' seinerseits bemerkt: „Ich vermag nicht, 
einzusehen, warum nach dem -Vorgang älterer protestantischer Theologen Brieger,^ 
Gottlob, K. Müller und andere darauf bestehen, die Ablässe ganz von den-Re- 
demptionen, Kommutationen, Erleichterungen, usw., der .älteren Zeit ab^iurücken 
nnd nun zu behaupten, die Ablässe seien schlechterdings erst im 11. Jahrhimdert- 
entstanden . . . Somit darf man sagen: Die Entstehung der Ablässe wurzelt in. 
der Praxis der Redemptionen." . . ;, . 



16 I. Die Anfänge des Ablasses. 

umzuändern, sondern vielmehr um die Besserung zu fördern und damit 
Gottes Zorn rascher besänftigt werde. ^ Aber trotz derartigem Wider- 
spruch gelangte die neue Einrichtung bald zu weiter Verbreitung und 
fand, wie oben gezeigt worden, auch die Zustimmung der kirchlichen 
Oberen. 

Dazu kam noch, daß die Bußumwandlungen immer mehr er- 
leichtert wurden, bis sie schließlich nicht mehr nötig waren, und es 
dem Beichtvater überlassen blieb, welche Buße er auflegen wollte 
{poenitentiae arbitrariae). Anfänglich sollten die< Redemptionen nur 
geschehen unter Berücksichtigung der per'sönlichen Verhältnisse des 
Büßers. So sollte z. B. dem Büßer die Ablösung des Fastens nur 
gestattet werden im Falle, daß ihm diese Bußübung unmöglich wäre. 
Später aber wurde es öfters dem Büßer anheimgegeben, sich durch 
den Beichtvater die kanonischen Bußwerke in andere umtauschen zu 
lassen. 2 Schon im Jahre 895 hat ein deutsches Nationalkonzil, das 
zu Tribur bei Mainz stattfand, derartige Redemptionen, bei denen 
die persönlichen Verhältnisse der Büßer nicht in Betracht kamen, 
iür zulässig erklärt. In den Synodalstatuten wird für absichtlichen 
Totschlag eine Buße von 40 Tagen und 7 Jahren festgesetzt. Es wird 
genau angegeben, welchen Bußübungen der Mörder während dieser 
Zeit sich zu unterziehen habe; dabei wird auch wiederholt der Re- 
demptionen gedacht. Im ersten Jahre wird dem Büßer gestattet 
{licitum sit ei), an drei Tagen der Woche das strenge Fasten durch 
Almosen abzulösen, aber nur auf der Reise oder bei eintretender 
Krankheit; dagegen wird ihm für die sechs folgenden Jahre das Recht 
zuerkannt (ius habeat), auch zu Hause und bei guter Gesundheit an 
einigen Wochentagen das Fasten durch Almosen vom Wart eines 
Denars zu ersetzen.^ In den sechs letzten Jahren brauchten also bei 
der Anwendung der Redemptionen die persönlichen Vorhältnisse der 
Büßer nicht mehr berücksichtigt zu werden; ein jeder, auch wenn 
ihm das Fasten möglich war, hatte ein Anrecht auf die von der Synod.e 
für das ganze Reich generell bewilligte und genau geregelte Redemptiön. 
Ein anderes Beispiel genereller Redemptionen liefert die im Jahre 923 
zu Reims abgehaltene Provinzialsynode, die denjenigen, die an der 
Schlacht von Soissons zwischen König Karl und dem Gegenkönig 
Robert teilgenommen hatten,, eine öffentliche Buße auflegte. Drei 
Ja,hre hindurch sollten sie an bestimmten Tagen bei Wasser und Brot 
fasten; doch sollten sie dies Fasten ablösen können.* 

Die beiden erwähnten Synoden haben die generelle Redemptiön 
nur in beschränktem Maße, für besondere Fälle gestattet. Im Laufe 
der Zeit kam es aber immer häufiger vor, daß es ganz 'in die Wahl 
des Büßers gestellt wurde, die. kanonische Buße zu verrichten oder 
sie durch den Beichtvater in ein anderes, gewöhnlich leichteres Werk 



1 Mansi XII 403. Haddan III 372. 

8 Wasserschieben 29. Schmitz 1145. 

3 Mon. Germ. Leg. Seot. II. Capitularia II 242 ff. 

* Mansi XVIII 345. 



L. .DiejAtif äage de ä< Ablasses'. 17 

umwandeln zu lassen.^; ; Von da an', war, unt zur. generellen' 'Büß- 
Ermäßigung- durch Erteilung, von Ablässen 'zu gelangen,' nur noch ein 
kleiner .Schritt zu. itun.^ : , , ■ . , , 

Bei den-, generell verliehenen Ablässen wurde Inicht > Rücksicht ge- 
nommen auf. .die, persönlichen) Verhältnisse der Büßer j. Einem jeden; 
der g^wisse^Bedingungen. erfüllen- wollte, wurde eine Ermäßigung der 
Buße, zugesagt, .r Aber auch'i bei. den* RedemptioneiiS wurden öfters in 
denii späteren Stadium die persönlichen. Verhältnisse der Büßer nicht 
mehr berücksichtigt, da ein jeder sich die Bußumwandlung zunutze 
machen konnte. , Es war eine, generelle Bewilligung, . in dem' Sinne 
nämlich, daß die persönlichen Verhältnisse der Büßer nicht in .Betracht 
kamen.^ I)abei bleibt freilich wahr, daß zwischen der Redemption und 
4eni Ablaß, wie oben gezeigt „worden, ein' wesentlicher Unterschied 
besteht., ,\\^ähr,end der, Ablaß, als Bußerlaß sich darstellte; fand in der 
Redemption ein Umtausch der Buße statt. Wie' aber dieser Umtausch 
der Buße in der Regel auf eine Bußermäßigung hinauslief, so war auch 
im Ablaß, trotzdem er als Bußerlaß auftrat, einUmtausch der Buße 
gewöhiilich — nicht immer — mit einbegriffen.* • Und eben- 
.dies zeigt, wie nahe Ablaß .und Redemption miteinander verwandt sind.^ 
Ein klassisches Beispiel hierfür'bietet der'berühmte,.vonUrban'II. 
erteilte Kreuzzugsablaß.* In. meinem. Schreiben an' den Klerus von 
Bologna vom 19. September 1096 erklärt der Papst; daß er den Teil- 
nehmern am Kreuzzuge die ganze ;Buße (poeniteritiam totam) für die 
-Sünden, die sie recht gebeichtet, haben werden, erlasse (dimittimus). 
Daß aber dieser Bußerlaß auch einen. Umtausch der -Buße- einschloß, 
.beweist ;die Erklärung des, Konzüs vön.Clermont (1095), wonach den 
Teilnehmern am Kreuzzuge die Heerfahrt für die ganze Buße an- 

^ JtXqrinus 758: „Ita ut vulgo poenitenti optio daretur, aut poenitentiae 
«.gendae* aut redempfcionis eiusmodi eligendae." 

^^Vgl. Boudinhon 443: „Pöur'arriver. ä l'indulgence proprement dite, 
al n© restkit plus qu'un pas ä fran'öliir." G.' Uhlhorn; Die' christliche Liebes- 
tätigkeit II, Stuttgart 1884,: 50: „Die Ausbildung der Ablaßpraxis ist nur die 
Fortsetzung der hier (bei, den Redemptionen) beginnenden j Entwicklung." , 

' Die Frage, ob in gewissen ' Fällen die Büßer die Redemptionen eigen- 
anäohtig ohne die Dazwischenkunf t des Bußpriesters sich zvmutze machen konnten, 
©der ob bei allen Redemptionen ohne Ausnahme die Vermittlung des Beicht- 
vaters notwendig war, kann hier' übergangen werden. Die Hauptsache ist, -daß 
«3 generell gestattete Redemptionen gab, solche nämlich, bei ,deren Anwendung 
.auf die persönlichen Verhältnisse nicht Rücksicht genommen zu werden brauchte. 
■ ' * Beim Ablaß allerdings galt das geforderte neue Werk als notwendige 
Bedingung der Ablaßverleihung; bei der Redemption dagegen trat das neue Werk 
an die- Stelle. der abzutragenden Buße, und es wurde ihm derselbe Wert beigelegt. 
^ Die enge Verwandtschaft zwischen Redemption xmd Ablaß wird auch 
.nachdrücklich betont von dem Juristen Faloo 134 ff. ■' 

• Seeberg, 100 f. schreibt: >,Eiue Bestätigung ■ erhielt diese ganze Praxis 
'(der^Redemptionen) durch die. Kreuzzüge. Der Zug zur Befreiung des heiligen 
-Grabes wird als das Bußwerk angesehen. Aber nicht nur denen, die selbst aus- 
Tsogen, wurde ihre Tat als Bußwerk angerechnet, spnderri auch solchen, welche 
•die Ausrüstung eines Kreuzfahrers' bestritten."- Wie dies mit der sonstigen An- 
schauung Seeberg5, daß' die Redemptionen nicht als „Vorstufen" des Ablasses 
igelten können, in Einklang zu bringen ist, dürfte wohl niohfleicht zu erklären sein. 

Paulas, Oeschlchte dea Ablasse». 2 



18 1/ Die 'Anfänge des' Ablasses. 

gerechnet werden sollte (iter illud pro omni poenitentia reputetur).^ 
Ähnliche Erklärungen; finden sich' in'den ' späteren' Kreuzzugsbulleh,, 
z. B. von Paschalis II. (1101), Alexander III. '(1169), Innozenz IIlL 
(1208); Demnach haben nicht erst die" Scholastiker' des 13.' Jahr- 
hmiderts den Ablaß .mit derBußumwandlurig in Verbinduiig gebracht;. 
Schon laiige vor ihnen hatten die Abläßspender selber^ die' doch am. 
besten wissen -mußten, wie der Ablaß aufzufassen' sei, deutlich geriüg: 
zu verstehen gegeben, daß der von ihnen erteilte 'Ablaß einen 'Büß- 
ersatz einschließe. Bereits -im 12. Jahrhundert war diese Auffassung: 
inr weiteren Kreisen verbreitet. In seiner um '1140 verfaßten Chronik 
?on Montecassino berichtet Petrus Diaconus bei der Erwähnung; 
des von Urban II. erteilten Kreuzzugsablasöes, die Kreuzfahrer 'seien, 
der festen Überzeugung gewesen, Gott werde die von ihneii über- 
nömnienen Strapazen als Ersatz der Buße gelten lassen (loco poeni- 
tentiae a Domino recipiendum).'^ Einige Jahrzehnte später, urimittelbar 
nach der Einnahme Jerusalems durch Saladin (1187), erklärte' Pe tru s- 
vöntBlois, Gott' habe durch die kirchliche Autorität die Bötschaft 
der Versöhnung (verbum reconciliationis) verkünden lassen, sb daß'dio 
Teilnahme am Kreuzzuge eine vollendete Buße und eine hinreichende 
Genugtuung für die begangenen; Sünden' sei.^ 

r r. Als gegen Ende des 12. Jahrhunderts die Theologen und Kano- 
nisten anfingen, die Ablaßfrage zu erörtern, haben- sie öfters ' auf die- 
Verwandtschaft zwischen Ablaß ^ und Bußumwandlung autmerksant 
gemacht. Huguccio bemerkt in seiner kurz nach 1187 abgeschlossenen. 
Summe zum Gratianischen Dekret; bei der Abläßerteilung verlange-, 
die Kirche ein gutes Werk, gleichsam als Ersatz der nachgelassenen- 
Buße (quasi in recompensationem illius quod relaxatur).* Die Ansicht,, 
daß beim Almosenablaß die auferlegte Buße, nämlich das Pasten, in 
eine Geldbuße umgewandelt werde, findet gegen Ende des 12. Jahr- 
hunderts Erwähnung bei Stephan Langton und Alanusvon Lille- 
Sie Vürde in der ersten, Hälfte des 13. Jahrhunderts besonders ver- 
treten von Wilhelin von Auvergne. Dieser Theolog meint, 'der 
Ablaß sei eher eine Büß Umwandlung als ein Bußerlaß, da ja das auf- 
eriegte Büß werk durch Almosen ersetzt werde. Weil es aber dem 
Reichen viel leichter sei, Almosen zu spenden, als ein mühevolles. 
Bußwerk zu üben, so werde die Umwandlung der Buße in" eine Opfer- 
gabe als Erlaß betrachtet. Dabei betont jedoch Wilhelm mit Nach- 
druck, daß die Wirksamkeit des Ablasses nicht von dem gespendeten 
Almosen, sondern von der kirchlichen Lösegewalt abzuleiten sei> 
Daraus erkläre sich, warum eine kleine Leistung, für welche ein Ablaß. 



. 4 Morinus 768 sagt vom Kreuzzugs^blaß : „Dici potuisset simpliciter- 
poenitentiae permutatio .potius quam relaxatio . . . Nam recuperatio illä (terrae 
sanctae) opus ingens fuit laborum et molestiarum planum, quod longissimis- 
poenitentiis canonicis non immerito aequiparari potest." 

a Mon. Germ. SS. VII 765. ^ Migne CCVII 1061. 

* Die betreffende Stelle, wie auch die folgenden, werden mit näherer Quellen- 
angabe mitgeteilt werden in dem Abschnitt über die Ablaßlehre der Frühscholastik.. 



1/ Die Anfähge des Ablasses. 19 

gespendet worden,,'' zur' ^Tilgungi der Bußstrafen weit' mehr beitrage, 
als eine andere, .bedeutendere Leistung j die^ in keiner "Beziehung zum 
Ablaß ■ stehe, ,.:D.a's ist eBen das>'Neue, -das in dem-Ablasse der 
Bedemption gegeriü^ber-vorliegt: Beim Ablaß wurde wohl in der 
Regel ein gutes. Werk i gefordert; dazu kam abei" noch der mit Rück- 
sicht auf dies Werk 'und als Belohnung dafür erteilte' kirchliche Buß- 
erlaß. . . . - • ,'■• ',".■', • . - , •'.'.;> ' • 

. Dies doppelte Moment im Ablaß : der kirchliche Erlaß und das 
gute Werk, das. an die Stelle der nachgelasseneil Buße tritt, wird auch, 
von anderen' Scholastikern, namentlich' von Albertus Magnus^ und 
Bonaventura^, scharf hervorgehoben. Bemerkenswert ist sodann, 
daß etliche ältere Autoren behaupteten, zur Gewinnung eines Almosen- 
ablasses sei dieselbe Geldspende zu entrichten, die man bei der Re- 
demptionnach der Bestimmung des Beichtvaters hätte leisten müssen. 
Von- anderen,' z.B. von' Bonaventura, wurde jedoch diese Ansicht mit 
Recht abgewiesen, da ja bei so siirengen iK.ompensatibnsf orderungen 
nicht mehr von Ablässen, ■ sondern nur'von Bußumwandlungen die 
Rede sein könnte. > Jene Autoren dachten nur an die' beim Ablaß 
vorkommende Umwändlurig des Bußwerkes, ohne den' damit ver-- 
bundenen kirchlichen .Bußerlaß zu berücksichtigen. 

Dies alles zeigt zur Genüge, daß man im 13. Jahrhundert deri 
von der Vorzeit überlieferten Gedanken von einem Zusammenhang 
zwischen Ablaß und. Redemption riocK nicht vergessen hatte. Die 
Ablässe 'waren eben. durch die -Redemptionen vorbereitet worden; an 
diese haben- je^ne: angeknüpft.^ Und hier ist wohl auch einer der 
Hauptgrüride zu suchen, warum die Abilaßpraxis im Morgen- 
lande nicht aufkam.* "Abgesehen davon, daß in der orientalischen 
Kirche das ' Bußwesen überhaupt eine andere Entwicklung nahm als 
im Abendlande, gab es dort keine Bußredemptionen. 

Nebst den Redemptionen gab es im Abendlande noch., andere 
„Vorläufer" der generell erteilten Ablässe, nämlich die individuellen 
Bußerlasse, die im früheren MitteMter für Schenkungen an 
Kirchen urid für Wallfahrten gewährt wurden. , 

Das häufige Vorkommen von Bußerlassen der ersteren Art bezeugt 
im 11. Jahrhundert Petrus Damiani. Indem er einem Bischöfe, der 
kirchliche Güter veräußerte, das Sträfhche seiner Handlungsweise vor- 
hält, bemerkt er : Es ist dir nicht unbekannt j daß wir, wenn wir von 



1 Sent. IV. d.,-20,.a. 16. a Sent. IV. d.' 20, p. 2, q. 2 ff. 

' " Redeöiptionen gab es auch' noch nach der Einführung der Ablässe. Sie* 
haben aber sehr wohl döh Ablaß vorbereiten tmd nach dessen Aufkonameri noch 
eine' Zeitlang neben itim fortbestehen können. Noch um die Mjitte des 13. Jahr- 
hunderts schreibt Innozenz' IV. (Apparatus super decretalium libris, Lugduni 
1520.. In cap. Omnis utriusque sexus): „Satisfa'ctio fit per solutionena ■ poenäe 
impositae pro peccato; etiam fit per redemptionem; et fit etiam tercio modO' 
per indiilgentias.'"' ' ' - 

*• Gewisse in. der orientalischen Kirche übliche Absolutionsformeln, die' vom 
etlichen* Autoren als Ablässe bezeichnet t^erderi, siiid von'dem- aberidländischeii 
Ablasse wesentlich verschieden. , > .■.,-■ ,,-;., 

2* 



20 I. Die Anfänge des Ablasses. 

Büßern Ländereien erhalten, ihnen nach Maßgabe- ihrer Schenkung 
einen Teil ihrer .Buße erlassen. Wie nuui, aber der. Geber von dier 
Buße losgesprochen wird, so gebührt sich,, daß der ■ Entwender" mit ^ 
einer Strafe belegt; ;werde.i. Man . beachte . wohl, daß Damiani liicht 
etwa, von einer Bußumwandlung, . sondern ausdrücklich von deiner 
Nachlassung der Buße spricht. Es (handelt- sich also hier, um wirk- 
liche Ablässe, die sich von anderen mittelalterlichen Almosenablässen 
nur dadurch. unterscheiden, daß .diese generell, jene aber von Fall zu 
Fall erteilt wurden. Das bedeutet aber bloß einen zufälligen, keinen 
wesentlichen Unterschied. 2.. In neuerer Zeit ist , freilich behauptet 
worden, es gehöre zum Wesen des Ablasses, daß .er generell ver- 
liehen werde. Diese Auffassung ist jedoch unzutreffend./ Das :ganze 
Mittelalter hindurch bis auf den heutigen^ Tag hat es zähllose Ablässe 
gegeben, die nicht generell, sondern von Fall zu Eall einzelnen Per- 
sonen erteilt worden sind.^ ,, Der Bußerlaß, den zur Zeit Damianis 
Bischöfe, den Wohltätern der Kirche spendeten, ist , also als wirklicher 
Ablaß zu betrachten. . Und da Damiani seinen allgemein anerkannten 
Grundsatz auszusprechen glaubt" (non ignoras),.so muß die Gewohnheit, 
solche Ablässe zu erteilen, schon geraume Zeit bestanden haben. Der- 
artige individuelle Bußerlasse für Schenkungen brauchten aber von 
den Bischöfen nur verallgemeinert oder generell erteilt zu werden, und 
der generelle Almosenablaß, «wie er zuerst im 11. Jahrhundert uns 
entgegentritt, war da.* Auch die generellen Ablässe für' Wallfahrt 
und Kirchenbesuch haben ihre individuellen „Vorläufer" gehabt. Dies 
gilt vor allem von den Ablässen, die den Bompilgern gewährt.wurden. 
Schon im 7. Jahrhundert kam esjnanchmal vor, daß Pilger nach 
B-om zogen, um durch den frommen Besuch der Apostelgräber Nachlaß 
ihrer Sünden zu erlangen.^ Später mehrten sich diese ■ Pilgerreisen, 



; . J ;i JMCigne CXLIV 323: „N'on ignora? quia, cum' a poenitentibu^ terras 
acpipimus-, iuxta mansuram, ihuneris eis de quäntitate' poenitentiJae re- 
lAxaiQus, sicut scriptum est: Divitiae hominis, redemptio eins (Prov. 13,. 8). 
Perpende igitur et congrua ratione considera quia, sicut is qui praedia praebet 
ecolesiis poenitentiae suae pondere merito levigatur, sie ille qui sUb- 
trähit, subeundae poenitentiae digna mole deprimitur. Nam si dator absolvitur, 
cpnsequens est ut praereptor vinoulis innodetur." 

* Schon Tournely (Praelectiones theologicae de sacramento Poenitentiae .11; 
Parisiis 1728, 270) hat betont: ,,Indulgentias sive generales sint sive privatae, 
eiusdem esse naturae ac'conditionis; nee aliud inter eas discriihen occurrere 
quam mere accidentale." 

^ Vgl. hierüber Hilgers XXVI f. 51 n. 7. Schon im römischen Rechte 
gab es eine indulgentia specialis für einzelne Personen und eine indulgentia com- 
munis oder generalis für eine Gruppe von Personen. Vgl.' Paulys Real -Enzy- 
klopädie der kla'3.5i3chen Altertumswissenschaft. .Neue Bearbeitung IX (1916) 
1380. Kardinal Kaje^an 105 spricht von dem Ablasse, der erteilt wird ,,alicui 
uni, quod quotidie per confessionale fit". . - . ' , - .i 

; * Vgl. Bri.eger, Realenzyklopädie IX 77. 

^ Warum man gern nach Rom pilgerte, um Verzeihung der Sünden -zu 
erlangen, wird in der Lebensbeschreibung des hl. Ulrich von Zell (f 1093) an- 
gedeutet: „Adeunt limina sanctorum apostolorum Petri et Pauli, quibus.quohiam 
Redemtoris nostri dementia ligandi atque solvendi .tradidit potestatem, ipsorum. 



P/Die Anfänge- des' Ablafeses. 21 

die^'zur Sühne für begangene Sünden, „pro redimpndis 'peccatis'", 
unternommen wurden.^ Von einem Ablaß; d. h. von einer bestiirimteri 
durch die kirchlichenBehörden erteilten Bußermäßigung,ist' anfänglich 
noch' keine Rede.' Die Ausdrücke ■ s',pro p'eccatis' suis redimendis, pro 
redemtione peccatorum meorum/ut ibi' peccatofuni' nostforüm veniam 
impeträre mereamur" üsw. 'darf man nicht, wie es hier und da ge4 
schiebt, •' auf ' den Ablaß beziehen. Ähnliche 'Formeln finden sich'- ün- 
zähligemal in * den > mittelalterlichen ■ Schenkungsurkunden. ' Es ' wird 
damit bloß der Glaube an die sündentilgende Kjaft der guteri Werkei-, 
der »Wallfahrten und der Almosen^ zum Ausdruck gebracht.^ 

Manche Autoren' sprechen' von einem Ablaß, den Biscliof Salo- 
mon III. von Konstanz (f 919 oder 920)' in Rom gesucht und gefunden 
habev ^ Wie der Chronist Ekkehard von St. Gallen erzäÜt,' "waren 
einige Gegner Salömöns, die ihn überfallen "und' gefangengenommen 
hatten,' im Jahre 917 von Eönig Konrad zum' Tode verurteilt worden. 
Der etwas ' ängstliche ' Oberhirt wurde dadurch ' in sieinem Gewissen 
beunruhigt.' Ef-ging nach Rom', um vom Papste Verzeihung (indul- 
gentiäm) zu' erbitten,' die er auch erhielt.^ Von einem eigentlichen 
Ablässe',' d. h. von einer • Bußefinäßigung sagt\Ekkehard nichts. Die 
Erzählung des äuch'sbiist unzuverlässigen Chronisten entbehrt übrigens 
der geschichtlichen ' Wahrheit'.' Salönion.- ist' wohl in Rom gewesen, 
aber" nicht 'erst '917,' sondern schon 904/' Aus welchem ' besonderen 
Gründe er damals die Wallfahrt unternommen habe, ist' nicht bekaniit. 
Das Schreiben des' Papstes Sergius III. vom 8. März' 904,' welches die 
Pilgerfahrt erwähnt,' sagt nur^ganz allgemein, Salömoü sei ilach-Rom 
gekommen des'Ge'betes halber und um für seiiie Sündeii die Fürbitte 
der Apostel anzurufen.* ' Später, nach' 917, aber erst geraume Zeit 



meritis etintercessione peccatorum subrüm a Domino sibi condon'ari flagitabant 
absolutionem." Mon.' Germ. SS.' Xnf257. 

^ Zahlreiche Belege finden sich bei J. Zet tinger, Die Berichte über Rom- 
pilger aus dem Prankenreiche bis zum Jahre 800. Rom 1900, 37 f. 61 100. 
[Römische ^ Quartalschrift. Supplementheft' XI.] Vgl.'-Palmieri 503. 
" '>t 2 "Daß' man durch fromme Wallfahrt' die Verzeihung der Sünden erlangen 
könne,' wird in den kirchlichen Pilgersegen öfters ausgesprochen. Vgl. A. Franz, 
Die kirchlichen Benediktionen 'im Mittelalter '11,' Freiburg 1909^ 276 277' 282i 
iji3 Ekkehardus, Casus S. 'Galli. Mon. Germ. SS. II 88. Neue Ausgal3e 
von, G. Meyer von Knonäu. St; Gallen 1877, 84: „A Papa vero benigne sus-' 
ceptus, cum'ibi supplicans' aliquandiu moraretur, in'dulgentiam sibi ab ed 
plorans petiit, maxime autem quod sui'catisa tres illi quidem decäpitati sint; 
poenitentiae quem vellet modum sibi/ rogavit, "' imponeret. Tandem autem ab 
apostolicb'indulgentiam' adeptüs dbmum redire laetanter aggreditur, reliqvdisque 
sanotorum donatus quam plurimis."' -Den gefangenen Gegnern hatte Salomon 
selber vor deren Hinrichtung -„Ablaß", d. h. Verzeihimg gewährt': „Quibnä 
tarnen episcopus multum eorum nece tristatus indulgentia, quantum in stf 
erat, ^etiam vivis.data/sepultüram concessit ad ecclesiam." Die Gegner hatten- 
ihn nämlich um Verzeihung gebeten; 'er hatte geantwortet: „Quantum in me 
est, remitto." M.- G. SS. II 87; v. Knonau 74: .. '-' 

* Hv Wartmann, Urkimdenbuch der Abtei St. Gallen II, St. Gallen 1866; 
336 n. 733: j„Causa orationis Romam pervenit et pro delictis suis sanctorum 
apostolorumsuffragi'a humiliter i'mploravit." - ' ■' ' ^ 



22 I. Die ;Anfäi>g§sdes, Ablgigges: 

nach der Hinrichtung seiner Gegner,-, gedachte, er nochmals' nach nRiOI» 
zu gehen; doch kam er nicht niehr:dazu.^'' ' i-Mn/ > so ' ','^<' : 

Auch dem hl.,Uilri,ch,Yon Augsbjurg (f 973); .wie etüche behaupten, 
hätte der,,P,apst .Ablässe, gespendet. .,Es wird aber von ihm bloß-*be7 
richtet, er .-habe, in.iRom .„gra;fcissimorum emolumentorum et ändul- 
gentiari^m.f dona" erhellten.^, \^as ' unter -.diesen,; Vergünstigungen 
(indulgentiae) .zu .verstehen ,sei, ist sehr fraglich.« \ Yielleicht ^wollte der 
Biograph von .gewissen. Privilegien, oder .Vorrechten (sprechen, 'die dem 
Augsburger Bischof r verliehen wurden. ■• , ■ ' ' - . 

Eine gewisse Bußermä,ßigung, die einem Rompilger vom Papst 
erteilt wurde, findet sich bereits, erwähnt in einem jSchreiben Bene- 
dikts III. (855—858) an Biscliof Salomon I. von Konstanz.^ ^ 

Wirkliche Bußermäßigungen wurden öfters von Nikolaus L 
{858—867) gewährt. Ein Brudermörder, , dem bereits der zuständige 
Bischof die Buße auferlegt, hatte, kam, nach Rom^und erschien vor 
dem Papste, der einige , Bestimmungen der, Büß vprsclirift. milderte.* 
Einem Priestermörder, der ebenfalls nach Rom, gepilgert war, „indul- 
gentiam postulando", legte der Papst eine zwölfjährige, Buße auf.!,, In 
dem Schreiben an Hinkmar, worin Nikplaus I. dies meldet, bemerkt ^er : 
„Bis an sein Lebensende hätten wir die Bu]3e dieses Mannes ausdehnen 
sollen. Allein in Erwägung seines frommen Glauben^, weil er zur 
!Fürbitte der Apostel seine Zuflucht genomnien,,sind wir nachsichtiger 
(humanius) mit ihm, verfahren."^ Hier wird also die, \\(allfahrt nacl^ 
Rom ausdrückhch als Grund des milderen Verfahrens gegen ,den Büßer 
a,ngegeben.* Eine sehr schwere Buße legte Nikolaus L einemj gewissen 
Wimar auf, der seine drei Söhne getötet hatte, ,I)a,bei,ließ^er ihm 
jedoch Barmherzigkeit angedeihen, weil der Sünder die 'Für^prachß 
des Apostelfürsten aufgesucht hatte.' 

'^ Meyer y on Knonau, Casus S. öalli 84. U. Zeller, Bischof Salomon.III. 
von Konstanz, Abt von Sfc. Gallen. Leipzig 1910, 78 [Beiträge zur Ktütur- 
gaschichfce des Mittelalters X]. 

2 Mabillon, Acta Sanct. V 444. MG. SS. IV 407. 

3 Pflugk-Harttung III 4. Der Papst meldet dem Bischof von Konstanz, 
er habe einem Brudermörder eine fünfjährige Buße auferlegt. Daß er dabei 
nicht nach dem strengen Recht verfuhr, sondern Milde obwalten \iQ&, zeigt, der 
Schluß des Schreibens: „Huius namque penitentie modum illi prefato viro qui 
ad sanctorum Apostolorura Petri ac Pauli limina properavit, misericorditer 
imponere decrevimus." Es folgen dann noch einige Bußermäßigungeu bezüglich 
der ehelichen , Beiwohnung, des Waffentragens und der Güterverwaltung. i 

* Migne CXIX 1119. Jaffö 2834. , , , 
5 Migue CXIX 1122 f. Jaffe 2837. 

• Vgl. L. G. Goetz in Zeitschrift für Kirchengeschiohte XVI (1896) 567: 
„Möhr und mehr, wie die angeführten (Urkunden zeigen, erscheint das ,pro- 
perare ad,limina apostolorum' als Grund zur Strafmilderung ... Es wird 
49r Gedanke häufig ausgesprochen, ,daß man wegen der Wallfahrt nach Rom 
gelbst und der dadurch bewiesenen Devotion Milderung erlange." 

' Migne CXIX 1130 f. Jaffe 2852: „Quorum quaedam temperavimus, 
eo quod suffragia apostolorum prinoipis,nutritoris nostri postulare devote festi- 
jaavit." Erwähnenswert ist auch der Eingang dieses Schreibens 'an' Bischof 
Rivoladrus: „Undique venientes admodum plurimi suorum facinorum proditores," 
Daraus ersieht -man, wie häufig damals die, Büßer nach Rom pilgerten. 



I. 1)^9 'AnfänLgei<Jes„ Ablasses. 23 

Ng-chsichtig-j, yerfulir,; auch. Papst Johann VIII. mit einem 
vISünder, rder im Jahr^^/SJ^T eine Pilgerfahrt »nach, Rom .unternommen 
liatte.'j Da ■.dipseB.jSünder; yon .seinem iBischof : mit deiner .etwas 'zu 
strengen ^Buße; belegt worderi!war,,-,sa.ndte ihr derrPapst' an deii-Bischof 
zurück, ,'mit;,der J^itt^e .^n, diesen,; ähm^an seiner, ides iPapstes, Statt, 
die ,5ußef zu, ermäßigen, naraentlichil auch. deshalb,, weil erzu^deii 
heiligen Aposteln, seine, Zuflucht genornnjen.?; • :, ^ ,> , 'i- ;- . , 

.j,.ßte,phan V,' (887— ,888), dagegen .wurde- von, dem «Bischof Lambert 
yon Le/,Mans ersucht, einer, 'Kindesmörderin, die /nach-übernommener 
und ,zum Teil ,schon .abgetragener JBuße ' ,eine Rdmf ahrt antrat, ' die 
Buß.e' mildern 'ZU ', wollen, , was der Papst» auch tat.^ • - 

Ähnlich handelte Johann X. im. Jahre- 916, gegen einen Bruder- 
jnörder,'>den, der« Kölner. Erzbischof Hermann nach Rom gesandt hatte. 
Der; Papst erließ ( dem .reumütigen Sünder mit Rücksicht' auf dessen 
Wallf ahrt, zum,, Grabe des hl.;. l^etrus einen Teil ider Buße.?' ■; ■ : 

Häufig hat besonders , Ale x^an der II. (1061— 1073) Rompilgem 
Buß.nachl^s^e.gejWährt.^. Bald ließ erSgleicbbei Bestimmung'.deS' Straf- 
maßes^ Milde. obFalten,.,indem,(erfdem''. Sünder -eine geringere iBuße 
auflegte,' als diejenige, die, nach den,; kanonischen .Vorschriftenigef ordert 
war; Sp; bestinimte er ,;einmal,^ einem. I^riester, - der. einen ' Priester, ge- 
tötet hg,tte und deshalb 28, «lahre hätte .biißen, sollen, in Barmherzigkeit 
nur eine,Buße,von 14 Jahren; zudem gestattete er, daß der j zuständige 
Bischof oder, der, Abt. des Klosters, in welches der Pönitent sich zurück- 
■ziehen, sollte, nach drei, Jahren die, Buße-mildern^fkönnten.* 5 iBald 
-erteilte, er.,- Bischöfen oder Priestern ■ die yoUmacht, , die j Buße nach 
Gutdünken abzukürzen,^ oder „er selber milderte die .von Bischöfen 
auf erlegte, Buße.^, .B.eachtung, verdienen vor allem , zwei . Bußermäßi- 
^gungen, bei denen;, bes:timmte Bußfristenl erlassen werden, i Einem 
Büßer aus der, Diözese Coutances, .dem von seinem i Bischof eine fünf- 
jährige Buße faiif erlegt' >wprden .war.,/ließ der.I^apßt zwei. Jahre nach.^ 
JEin anderer! Büßer, aus .der .Diözese, fPadua; hatte von der löiährigen 
JBuße,;schpn 7,0[ahre abgetragen, ..g-ls, er nach (Rom. kam.' Der Papst 
erließ ihm ein Jahr von den noch übrigen acht Jahren.^ 



1 Migne- CXXVI 743. ' ^ 

"2 Mi'gne. OXXIX 807. Jaffe 3445. 



'}F,loss,, Leonis P.« VIII .-Privilegium de,inyestituris Ottoni I imperatori 
«oncessum nee, non ^Ludovici Germanqrum regis.f summorum pontif icum, archi- 
•epis'copörum Goloniens'ium, aliordm saeculi IX. X. XI. epistpiae, Friburgi 1858, 
104 f. -Jaffe 3550.' *'' ■ ""' "'' '' '""' '' ' ' ' 

'' > *.Mign'eiOXLYI'1404 f. Jaffe 4572. Schreiben vom Jahre 1065 an 
3ischof Amalgerus von Civita Castellana. Vgl. das Schreiben vom 2. Okt. 1061 
an Bischof Wilhelm von Perigueux. Migne 1386. Jaffe 4470. Ebenso das 
Schreiben vom Jahre 1065 an den Büßer Adam. Loewenfeld 53. Jaffe 4583. 
' ' ^Migne .OXLVI 1405. Jaffe 4484. Einem Kindsmörder legt er eine 
Buße von 7 Jahren auf, fügt aber bei: „Si-quis autem episcopus vel religiosus 
Presbyter causa pietatis aliquid sibi relaxare voluerit, hoc ei apostolica auctoritate 
«oncedirnus." > - - , t ■ i , - ' .,, ■■ ' . - 

■•' So einigen Büßern aus der Diözese Coutance.s. Migne 1048. J äffe 4480. 
' Loewenfeld 39.. Jaffe 4479, • ... 

■» Loewenfeld 56. Jaffe 4616. 



"24 I. Die 'Anfänge des Ablasses. 

, ^ Es jwaren dies wirklicKe, von Fall zu Fall erteilte Ablässe; Die 
Päpste ' brauchten nun diese individiiellen Bußerlässe bloß 'zu verall; 
gemeinern; statt die Bußermäßigung von Fäll zu^FaU"einzelhen Pilgern 
zu gewähren, .brauchteil sie bloß zu erklären*.' Allen 'Pilgernpdie'^iii 
frommer Gesinnung die Apostelgräber besuchen', wird' ein 'Teil ihrer 
Buße erlassen, und der. generelle ^Rompilgerabl^ß, '"wie er böfeits iiii 
12. Jahrhundert nachgewiesen werden' kahn^t^lat' ins Dasein. • ' '■- ■ 
.Wie den Bdmpilgern manchmal ein^Teil der -Buße' erlassen wurde,, 
so konnten öfters die Büßer auch beim* Besuche anderer 'Kirchen und 
heiliger Orte eine- Büßermäßigung erlangen. Im früheren* Mittelalter 
war es nichts Seltenes, daß für schwere Vergehen eine längere 'Pilger- 
fahrt auferlegt wurde. Statt die Buße in der Heimat verrichten zu. 
können, wurde der Sünder dazu verurteilt, eine 'bestimmte^ Zeit hin- 
durch in der Fremde herumzupilgern und heilige Orte- zu b'esucHehl 
Ein Begleitschreiben des zuständigen Bischofs diente dem \vallf ahr'ehden. 
Büßer in der Fremde'als Ausweis und 'Empfehlung.^ 'In diesem Be; 
gleitschreiben werden- nun bisweilen ändere' Bischöfe ermächtigt,' dem 
Pilger etwas von der Buße nachzulassen'. ' SomeldeteiiimarEanfraric 
(if 1089) dem Erzbischof'ThomasVoii' York, 'der' Bischof Robert vöit 
Seez'habe an ihn einen Büßer gesandt' 'mit 'dem üblichen ' Schreiben';, 
daß, wenn ein Bischof dem UnglücMicheriaus Barmherzigkeit etwas 
von der Buße nachlassen wollte; er dies tun' könne. ''Lanfränc'seiniBr'^ 
seits verweist den Büßer an den 'Erzbischof von ' York; ^daiüit" dieser 
ihm Gnade angedeihen- lasse, wenn er es für gutfindel^ Da''Lanfräna 
von einer Gewohnheit' spricht ' (de 'more), so'> muß'die' Sitte^'wäir;^ 
fahrenden Büßern bisweilen etwas von der Buße 'zu' erlassen',' 'schon. 
früher bestanden haben. ' Auch iri' diesem Falle brauchteü' die'indivi- 
duelleil Bußerlasse nur verallgemeinert zu werden, und man hatte 'den! 
generellen Ablaß für Besuch von Wallfahrtsorten undaiiderenKircheiiL 
' Der Übergang von den individuellen Bußerlässen und 'den' Re- 
demptionen zu den gerierelL erteilten' Ablässen vollzog sich ällmählicli. 
im Laufe des 11. Jahrhunderts. ' Verschiedene 'Faktoren' h'äfcteii. 
dabei mitgewirkt.' ' ' ' ■ ' > ■ > . . ' , ' ^ 

Bei der Erteilung von Ablässen wurden, die ^persönlichen Ver- 
hältnisse der einzelnen Pönitenten nicht berücksichtigt ;> die Buß- 
ermäßigung wurde allen insgemein unter gewissen Bedingungen 
zugesagt. Die individuelle Behandlung der Pönitenten 'war' aber 
schon längst durch die' frühmittelalterhchen Bußbücher -schwer , be,- 
einträchtigt worden. Die Verfasser, dieser Bücher hatten für .die ein- 



•■"' ' a 
1 Schmitz I 152 f. Ein undatiertes Empfehlungsschreiben für! einen"' 
Büßer, ausgestellt von einem Bischof Adalbero von Metz, findet man <'bei M« 
billon, Vetera Analecta. Parisiis 1723, 434. ■■ ' ' .-. 

f .2 Migne GL 517. Ein'- anderes Schreiben, . ausgestellt 1170 von- Bischof 
Johann von IV^aguelone, in Acta Sanct, Aprilis II 676, und bei Martene, Da' 
ritibus I 748.. Der Bischof meldet, daß der Pilger eine Buße von 7 Jahren ab- 
zutragen habe; er bittet, daß man ihn gut aufnehme, „depoenitentia etiam sibi 
iniuncta, secundum quod ratio exigit, benigne relaxetis". 



I; 'Die J Anfangendem Ablasses. 25 

zelnen^^ Sünden besondere Bußtarife" festgesetzt. Mit einem solchien 
Buch' in dert-Hand, begnügten sich' inur* zu' 'leicht manche Beichtväter 
die \ Tarife i 'schablonerimäßig ' anzuwenden ; ■ ohne genaue Rücksicht zu 
nehmen-auf die' persönlichen Verhältnisse der Pönitenten. 'Dadurch 
würde die -„Individualisierung' der »Buße' * zurückgedrängt;^ aber eben- 
deshalbjkonnten-;iauch.dief generell erteilten -Ablässe leichter sich eiri- 
bürgern.! ".. ^>^ 'i.f ■.!(-''!'(•'> , -imw • ■ ^< 

■'/Nun hat' sich ■ freilich i das -Auf kommen dieser Ablässe nicht von 
selbst .'Vollzogen.. -Es war hiefzü'ein positives- Eingreifen der 'kirchlichen 
Oberen erfordert. Bie;kirchlichen Oberen ihrerseits- bedurften ' eines 
äußeren' Anlasses; um. statt' der bisherigen; individuellen 'Bußermäßir 
gungen generelle -Bußnachlässe' zu erteilen; Ein- solcher Anlaß war 
vorhanden,, undc zwarj ein- zweifacher-: einerseits das Bedürfnis der 
Büßer^,)die den strengen Anforderungen, die man an sie stellte; nicht 
mehr gewachsen-' wareni^sd daß 'generelle Bußerlasse für' höchst ratsam 
erachtet '.werden^ mußteii ; anderseits' das- -Interesse speziell kirchliclifer 
oder gemeinnütziger Anstalten und Unternehmungen, die durch die 
generelle Ver.l'eihurig von Ablässen' gefördert' werden 'konnten'.- - 

Wie > eifrige iiOberhirteni mit' Rücksicht • auf das 'geistliche' -Wohl 
der' Gläubigen bewogen -werden konnten; 'Ablässe zu spenden',- ersieht 
man '*aus. einer ':beinerkenswerten' Ablaßurkuhde,- die im' -Jahre'- 115^ 
anläßlich der- Übertragung 'der- Reliquien' des hl. ' Guälterius in'Pontoisö 
von. Erzbischof' Hugo von Roüeh- und anderen Bischöfen ausgestellt 
worden ist; in deri -Einleitung 'wird als Grund' der AblaßVerleihung 
vor allem die 'Pflicht' betont, mit' deri büßenden Sündern Mitleid zu 
haben/; sodann erklären die^ Bischöfe, daß 'öie den rSünd'ern ^durch 
reichlicheren Ablaß zu Hilfe kommen wollen, da es nur wenige gebe; 
die' Lwürdigef Früchte fderi>Büßei^äten'.2' ' - '' .^.i^' > 'd • ,- 
' ' ' i ' Aus idem' Gefühl ■ heraus; : daß ' die'alten Bußbestimmurigen' sich in 
der Praxis nicht mehr durchführen ließen, haben die kirchlichen Oberen 
der Not der Gläubigen! durch Erteilung -von Ablässen abzuhelfen ge- 
sucht.- 'Dies "war 'ja' auch der Grund; warum'' die Redemptiorien eine 
so große Verbreitung gefunden hätten. ,Man beäenlie doch, daß nach 
d.en damaligen Bußy orschriften jede, einzelnes jSchwer.e Sünde mit .ihrer 
eigenen 'Buße belegt 'werden sollte, öfters mit einer 'Buße von 3, 5, 7^ 



^ Vgl. hierüber P. Fournier, in. Revue d'histoire ecclesiastiqtie X (1909) 
581 fs: .„L'intröduction, soTis^rinfluerice'des missionnaires 'vcnxis des lies bri- 
tanniques, des tarifs de pönitence connus sous le noiu' de penitentiels, n'a pu 
que- porter atteinte au caractere individuel de la penitence' . ' . . II est certain 
que . . . le Systeme de l'individualisation de la penitence subit alcrs un veritable 
recul." i ■ . . - ■ . . 1 - 1 • " 

-\ ' *' Mabilhon, Annales VI 535 -f. Acta Sanct. Aprilis I 767 f.: ,,Quia sancta 
et celebris- ac pemecessaria sanctorum patrum devotio poenitentium misereri 
maxime consuevit, pro ineffabili gratia Redemtoris nostri qui peccata dimittit . . ; 
Christi fidelibuSjdpsius. patrisiGualterii'be'neficia implorantibus,' poenitentialis 
oneris indulgentiam statuimtisitribuendam . .?-. Decrevimus, ut quia abundante 
iniquitate his novissimis temporibus pauci digncs ■ poenitentiae fructus faciunt; 
uberioris indulgentiae gratia peccantibus subveniatur." - " ' ■ ' ' i 



?6 J, -Die Anfänge des ^Ablasses. 

JLO. oder noch mehr Jahren.^ , Abgesehen von. anderen '.Büß werken; 
Tvurde am häufigsten mehr, oder mindeFstrengesjFasten.vorgeschriebeii, 
^icht selten: monatelang ■ ibei Wasserj und^Bröt;^/! j;,Dies führte unter - 
Umständen,, dazti, daß der einzelneleine die . Länge , des', menschlichen 
Lebens übersteigende Reihe vonj Jähren zu.büßen. hattet Hiei? mußte 
Abhilfe geschaffen -werden .,'. .,"Aus Bedürfnissen^" dieser; Axt ists die 
seit dem Ende des 7. Jahrhunderts allmählich aufkommende Sitte 
der sogenannten Vertauschungen- (commutationes) oder ■ Ablösungen 

(redemtiones) erwachsen, .Diese, Bußumwandlüng lief ' tatsächlich 

auf . eine Straf ermäßigung hinaus^ obwohl sie. zunächst nicht als solche 
gedacht war. Allein\.es war eine, Erleichterung,? welche. bei der Menge 
und Härte der auferlegten Pönitenzen nicht ausreichen konnte. ,■- Es 
^ilt das besonders ) von , den .Strafen der öffentlichen Buße,, welche oft 
auf das tiefste in das ganze ^häusHche* soziale und oft auch wirtschaft- 
liche Lebeui einschnitten." Da, sei, eine* Erleichterung; dringend wün- 
schenswert gewesen. Von hier werde -daher der, Anstoß/zur .'Erteilung 
von Ablässen, ausgegangen sein.^ ,1 ;..' i- ..-.r '.'!'. \' ■; 

Selbst, ein so strenger Bußprediger;} wie der hl-. Petrus Damiani"* 
Jiat, die; Redemptionen,, insbesondere auch dieGeldredemptioneii,^ aus- 
■drückhch verteidigt undi selber angewendet, wiC'jpben. gezeigt, worden.- 
]Er machte dabei Rücksichten auf die menschlicheiSchwachheit geltend.^ 
Wenn aber ein, solcher. Eiferer wie Petrus Damiani die Redemptibnen 
l)illigte, so darf, man, wohl daraus schheßen, daß es nicht imehr, möglich 
war, die alte Bußstrenge aufrechtzuerhalten.* Bitter klagt denn auch 
iier Heilige, daß man sich nicht mehr dem.Easten, der Abtötung unter- 
ziehen "v^oUe,; und daß) daher die kanonische Bußdisziplin "in Verfall 
gerate.' , , .' /' i ', >,'';,, • -' .- ' ' il , ; 

Wohl suchten die Bischöfe durch, die Exkommunikation und "durch 
Anrufung des weltlichen Arms die öffentlichen Sünder 'zur Übernahme 



^ See borg 100: „Die Bußwerke wareii oft so reichlich bemessen, daß an 
^ine wirkliche, Ableistung niqht, zu denken war." Vgl. Pour.niet 5ß2: „fJela 
leur (den Pönitenten) cree parfois une Situation intolerable.'' - , , 

^ Man braucht nur die Bußtarife für die einzelnen Sünden in den." von 
Wasserschleben und Schmitz veröffentlichten' Büß büehern, oder' auch nur 
die kurzen Zusammenstellungen bei Regino von Prüm (Migne CXXXII'247'ff.) 
Tind Burchard von Worms (Migne CXL 951 ff.) einzusehen, um zur Über- 
zeugung zu gelangen, daß eine Ablösvmg der überaus strengen Bußstrafen höchst 
notwendig war. . ' . 

' Brieger, Realenzyklopädie IX 77. Derselbe, Das Wesen des Ab- 
lasses 17. Vgl. Hinschius IV 827. 

* Grottlob 48: „Kein anderer mittelalterlicher Gottesmann hat die. Buße 
so eindringlieh gepredigt." 

^ Migne CXLIV 352: „Pro humanae fragilitatis intuitu." . , . ! - 

•:.,■!.:* Dies betont auch Muratori (AntiquitatesrV -765): ;,Eas (redemptiones) 
inyehere necesse ;fuit, neque 'enimhomines tarn diüturnas. et,- gravesit corporis 
jiffUotiones.sustinere:poteraiit.'':-i;'r'\ :';! ^^'-iii, \wüii\0',6 ■■•«^t :.i':.7owwuo->-fli>riÄ:Bin 
; ? Migne .GXIjIV 2^1i,v An Papst; /AlexandejRjII. : ;„Dum.? afflictiö iQäitrm 
a; punotis ; poenitentibus i pejae^ .respuitur,; rin rpraef igendis/v poenitudinüihfiiudioiis 
vigor canonum funditus. enervatufc'- ■ • .. ; Quis . enim ; saecülarium : f eratj ; sirijy'el 
triduo per hebiomadana ieiimare praecipia,S:?c ;; ,ii uvn; ;; if^v-rbfri ; i iji-s jIj; 



I, Die ^Anf ^nge , (Jes - Ablasses , 27 

der ;,Ifuße^,, zu, zwingen.! ;Allein/niit,> Gewaltmaßregeln ließ sich ■ die 
Bußstrenge, , nicht jauf rechthalten klagte' denn auch, die «Synode 

von, Chalöns,, im.. Jahre], 813, .daß,, die kanonische Bußübung. ;an.;den 
paei^ten 3 Orten ^ -außer, ; t|bung gekommen sei.? • > Ähnlich , klagte , einige 
Jahi'e7^pä;fce]^ deryBjsphgf. Jonas., voii/i(DrleanS', daß nur, „sehr .wenige" 
.die (öffenthche. ]^uß,e fübernehmeix,;\yollten.^i -B.ezüglich der; -geheimen 
Buße .-heißt es in dem Anhang 'zu einem'Bußbuch "aüSjd'em>'9.' Jahr- 
hundert bei Erwähnung, der(,frjiheren str.engen Bußübungen^ man 
könne, die Pönitenten,;nicht mehr, , dazu . bewegen.* , Da darf ,es uns 
nicht, wundern, wenn schließlich -die kirchlichen, Oberen, die Unmög- 
lichkeit des jF.esthaltens ,an-der alten Bußstrenge> einsehend, zu größerer 
Nachsicht gestimmt wurden,^ und durch, Erteilung von. Ablässen die 
so ^no|5wendig gewordene. Erleichterung eintreten ließen.^., 

,, . Die kirchiiphen Oberen konnten um so .mehr sich veranlaßt fühlen, 
generelle, Bußerlasse zu, gewähren, als ihnen dadurch die Gelegenheit 
geboten, wurde, die , Bußnachlässe für speziell kirchliche oder gemein- 
nützige, Anstalten und Unternehmungen nutzbar zu machen., Man hat 
■behauptet, der Gedanke ^,, der Nutzbßirpaachung seither stets umsonst 
.ge\?^ährter .Bußnachlässe'' sei ,, eigentlich der treibende," gewesen. „Es 
liegt,, man .darf .das,, ge.trost sagen,, dernächste äußere Anlaß zuir 



1 f- f 



•iis^oririus 445 ff'.. >Hinsohius IV 816 ff.' ' 

....^.^on. Germ.^Leguiu Sectio JII. Conoilia II 278: „Poenitentiam. agere 
iuxta antiquam oanonum constitutionem in' plerisque Ipcis ab usu xecessit.'' 
Der' Kaiser" solle helfen, daß, „si quis .publice peccat, publica multetur poeni- 
tentia":'"Vgr."29'2 5'52'595;'' ' ' ' ' ' ' ' ' ' ^ ' ',"■' 

^ Migne ÖVI 138:' V.PsJTari, sunt hodie in Edolesia, qui'talem agant pdeni- 
teu^iaiu, qualem antiquoruniipatrum poenitentium exemplai, et auqtoritas cano- 

nica sancit".. ,.,,.-,,,' ,, -, , - S ■ ' '■; 

* Wassersphleben 621: ..Legimus in poenitentiali, pro criminalibus culpis 
annum laut II auib III aut V vel VI vel VII poenitentiam agere in pane et aqua, 
vel pro aliis minutis oulpis diem I, aut ebdomadam, vel mensem I, sive dimidiüiri 
-annum. Sed haeo causa; et ardua et difficilistest, et istis iam temporibus 
id suaderoipoenitentibus non possumus." . ,.., < . ,,i, ^ 

^ In diesem, Sinne schrieb gegen Ende des 12. Jahrhunderts Alanus von 
Lille bei ErörteruQg der Frage,' ob die alte' Bußstrenge' zu 'mildern sei: „Multi- 
plicata Ecclesia 'Dei invalueruht'peccätorumL morbi,- et quia' numerus defehdit 
eo3,- oportuit r,emittij,de poenae districtione,* ne 'poenae' distrietio 
potius esset in offensam quamän raedicinam., .Remittendum /ergo.fuit 
de.pdena, ut vöoarentur per indulgentiae pietatem, qui.revocari non poterant 
per rigorem. Unde, cum quidam'modernorüm ieiunia et vigilias f erre non posseht, 
iniunctVe sunt obl'ationVs,' orationesi pere'gririatio'nes." Migne CCX293. 

? Auf diese'iWeise hat'mah'schon. im.- 13. -Jahrhundert, wie Bonaventura 
(Sent. IV. d. 20, p. 2, q. 2. Opp. IV 5^3) berichtet, das Aufkommen der Ablässe 
zu erklären und zu rechtfertigen gesucht; es wurde nämlich folgende Erklärung 
vorgebracht :.„Säcri>canone3 (pro mortalibus peccatis graves et diuturnas poeni- 
tentias taxant, ut pro uno.raortali septennium vel amplius,' secundum quod 
gravius,est; quae poena adeo gravis est, quod vix aut nunquam posset 
quis facere", et pauci invenirentur, qui vellent. Ideo constituerunt 
rectores Ecelesiae, poenitentias secundum arbitrimn imponi, et de residuo 
relaxationesrconstituerunt. fieri; quod et facere potuerunt,'quoniam,con- 
stitutio humana erat, - et j in humana constitutione potest homo dispensare et 
temporäre." ' i 



28 I. Die Anfänge des Ablassest 

Entstehung der Ablässe in' der Nutzbarmachung 'der "Büßer- 
leistungen' für > das zeitliche Interesse ' der ' Kirche .' ' ' Demgegeiiuber 
stand das Interesse der > Büßer, insofern es der' Schwere 'ihrer 'Buß^ 
strafen wegen .einen äußeren Anlaß zur Entstehuii^' der' Iriduljgenzeri 
gab, erst an zweiter Stelle." „Man' darf dieses- Interesse (iiämlich^'das 
finanzielle) nicht bloß als mitlaufendes Symptom ansehen," sdödern als 
eigentliche Triebfeder, 'natürlich nicht im 'Sinne' späteren 'Ablaß* 
handeis. "^ Warum hat man aber dann erst im 11.. Jahrhundert' an 
die Nutzbarmachung der frühter umsonst gewährten Büßnachläs'se ge- 
dacht? „Der Übergang zum' Ablaß '(d. h. die Nutzbarmachung " der 
üblichen Generalabsolutionen) ' brauchte nur mehr durch äußere Um': 
stände und Bedürfnisse veranlaßt werden; und' diese träten auch ein{"^ 
Sind aber vielleicht „äußere Bedürfnisse" erst im 11. Jahrhundert 
eingetreten? Gab es vorher nicht auch unterstützungsbedürftige 
Kirchen und Anstalten? Man verweist zwar auf das Aufkommen- 
der Stolgebühren in jener Zeit. „Generelle Erlassender gesamten 
öffentlichen Buße" — das* sollen die Generalabsolutionen gewesen 
sein^ — habe es schon früher gegeben. ,',Nur fehlte noch, 'daß gleichsain. 
als Gegengabe Leistungen im 'Interesse der Kirche gefordert würden! 
Einer Zeit, in der -die Kirche daran- ging; für Dienstleisturig 'allüberall: 
Entschädigungen zu fordern, konnte aber letzteres kein Bedenken mehr 
erregen."* Dafür verweist man auf das Fordern von Stolgebühren.. 
Allein gerade in der Zeitperiode,^ in welcher der generelle > Almosen- 
äblaß aufkam und weithin sich'verbreitete,''im,'ll. und bis" 'zürn Ende 
des 12. " Jahrhunderts, wurde das' Fordern von Stolgebühren ;Von den 
Synoden fort und fort verboten.^ Dagegen- sind die Almosenablässe, 
während dieser Zeit niemals von irgendeiner' Synode verboten 
worden; ein schlagender Beweis, daß das Aufkommen der Almosen- 
ablasse und das Aufkommen der Stolgebühren nicht auf dieselbe 

_, Oft y j\i ^ 

Linie zu stellen sind. > , , . - , 

«! . Ist es nun auch eine unerwiesene Behauptung, daß ,',in dei Nutz- 
barmachung der Büßerleistungen für das zeitliche Interesse der Kirche'*^ 
[^der nächste äußere Anlaß", ja die „eigentliche Triebfeder" fiir^die Entt 
s;tehung der generellen Ablasse gelegen habe,® so kann; doch nicht ge- 
leugnet werden, daß der Gedanke an jene Nutzbarmachung < bei der 
Erteilung von Ablässen' eine große Rolle gespielt hat.' Man. deiike 
nur, um von den Kreuzzüesablässen /ganz zu schweigen, an* die. im. 
Mittelalter so häufig vorkommenden Almosenablässe. , D,aß diese Ab- 
lässe im Laufe der Zeit zu schweren Miß brauchen Anlaß gaben, ist 



1 Koeniger 180 188. ^ Koeniger 188. 

3 Daß diese Auffassung der im früheren Mittelalter üblichen allgemeinen- 
Absolutionen unzutreffend ist, wird im folgenden Abschnitt dargetan werden-i 

* Koeniger 187. ^ ' ' - 
8 Hefele IV 691 731- V 116 223 257 263 323 f. 347 356 391 437 442 bl^ 

614 688 713. 

* Auch Seeberg 103 n. 1 schreibt: „Koeniger scheint mir zu. -weit zu 
gehen, wenn er die finanzielle .Nutzbarmachung der Büßerieistungen' als jeigehti^ 
liehe Triebfeder' des Ablasses ansehen will." '■ .yimoqiu'^i 



I. JDie Anfänge des Ablasses,.' 29 

:allbekannt>. ; Gegen, den .Gedanken ; aber, - yon dem die kirchlichen 
Oberen bei der Einf ührunff : ,der .Almosenabläspe sich leiten ließen, 
ist , grundsätzlich '; nichts, einzuwenden : ;es war die altchristliche An-, 
schauung,, daß.^i^mosen. zur .Tilgung.der Sünden und .Sündenstrafen 
beitragen können. .. Dieser. Anschauung», begegnet; man schon in der 
Hl, Schrift; (Tob. 4, .11- ,12,;-9; Ekkl.;3, 33; Dan.- 4= 24; Lük-ll, 41), 
in, den Werken der. Kirchenväter wird -sie oft ausgesprochen;^ und 
-wie tief;, im früheren Mittelalter die Gläubigen davon durchdrungen 
waren, ersieht nian,aus.d.©n so zahlreichen Schenkungsurkunden jener 
Zeit. Fort und fort \vird in der Einleitung dieser Urkunden der Gedanke 
wiederholt, dalB man durch Almosen,,; fromme, Stiftungen, durch Zu- 
wendung von Gaben, an .Kirchen ,und Klöster leichter von Gott die 
Tolle Verzeihung der Sünden erlangen könne. ^ - Wie die' Gläubigen 
.selber durch, Almosen, und fromme Stiftungen die volle. Verzeihung 
■der Siinden, zu erlangen hofften, so konnten ihnen auch die kirchlichen 
■Oberen die , auferlegten oder aufzulegenden Bußstrafen in; Almosen 
umwandeln (Redemptionen). oder mit Rücksicht auf die zu entrichten- 
den Almosen und .als Belohnung dafür durch Verleihung von Ablässen 
die Bußstrafen ermäßigen.* Durch das Almosen allein schon, wenn es 
jem.and in rechter Gesinnung spendete, wurde dem ;f rominen Geber ein 
Teil der^ schuldigen Strafe erlassen. Mit Rücksicht auf das Almosen 
•erließ .die Kirche, hierin dem Beispiele Gottes folgend,' weitere Strafe, 
die durch das Almosen allein nicht abgetragen worden wäre. Heute 
werden für Kirchen und andere gute Werke Sammlungen veranstaltet; 
es steht einem : jeden frei, etwas zu' geben oder den 'Almosensammler 
abzuweisen. Nicht anders verhielt es sich im Mittelalter. ' Daß aber 
dair^äls djej Päpste und Bischöfe geisthche Gnaden erteilten, um die 
Gläubigen ^zu größerer Freigebigkeit anzureizen, wird man mit Recht 
nicht tadeln können. Ist die Unterstützung, die man einem' gemein- 
nützigen Werke, gewährt, eine gute, lobenswerte Handlung, so darf 
■dieselbe Von der- kirchlichen Obrigkeit auch mit geistlichen . Gnaden 
belohnt werden. Daraus folgt, daß. die Sitte, den Beförderern gemein- 
nütziger . Werke Ablässe zu erteilen und' auf diese Weise den Ablaß 
mit Geldspenden zu verbinden, nicht ohne weiteres zu visrurteilen sei. 
-Diese im Mittelalter so weit verbreitete Sitte entsprach dem Charakter 
jener Zeit. „Während man heute für die Zwecke der Wohltätigkeit, 
zum Baue, von .Kirchen und zugunsten gemeinnütziger, Institute 

1 Vgl. Falco 1 ff. , .. 

2 Eä genüge auf die Formeln zu verweisen, die zu derartigen Schenkungen 
Ijenutzt wurden.' Mon. Germ.. Le'gum. Sectio V.> Formulae. S. '71 75 76 78 135 
344. E.-de Roziexe, Reoueil'general'des formules u^itees'dans l'empire'des 
Prancs^du Ve.au Xe siecle. I, Paris -1859, '222 ff. Vgl. auchFal'co i95 ff. 
H. Henrici, Über Schenkungen an die Kirche, Weimar 1916, 8 16. ' ^ 

( , ■ , *'Sehr gut schreibt der Zisterziensexmönch Günther Yon Pairis arai Anfang 
■des 13. Jahrhunderts: „Ad hooplurimum valere potest eleemosynaruni largitiö, 
?it quanto quis . in ea fuerit propensior, tanto ei levior poenitentia vel possit 
imponi vel imposita ralaxari. Tenet enim fides Ecclesiae quod rerum temporalium 
■collatione tam'peccata redimi' queant, quam poenitentiae peccatorum." Migne 
OCXII 214.. - ' . •- 



30 I. Die' >^ Anfängt des' 'Äblääses. 

Lotterien ausspielt, bot man im Mittelalter kirchlich^ Ablasse 'an. 
Die beiden- Geschichtsperioden 'sirid- damit treffend "chafakteirisiert/'lni 
Mittelalter war die Sorge für das- Seelenheil' die mächtigste^ Triebfeder- 
menschlichen Handelns; heute ist die Gewinnsucht und das 'HäscÜieii 
nach leichtem -Gelderwerbe herrschend' geworden."^ ''■■'''' 

Daß „ideelle Gründe, wie der Gedanke von der Nützlichkeit de» 
Almosengebens" beim Aufkommen der Ablässe „eine Rolle spielten'% 
hat man jüngst bestritten,- um ,,ganz reale" Gründe, nämlich %^äife 
Nutzbarmachung der Büßerleistungen für das zeitliche Interesse^' der 
Kirche", geltend zu machen.^ Allein warum hätte denn bei der Nutz- 
barmachung der Almosen für kirchliche Interessen der Gedanke von_ 
der Nützlichkeit des Almosengebens nicht mitwirken können? Das^ 
eine schheßt ja das- andere nicht aus. Daß aber der Gedanke von 
der überirdischen Nützlichkeit des Almosengebens bei' der Verleihung; 
von Ablässen eine Rolle gespielt hat, ergibt sich aus den Ablaßurkuriden, 
in deren Einleitung öfters auf diese Nützlichkeit, insbesondere auf diö 
sündentilgende Kraft der frommen Gaben' hingewiesen wird; so z. B^ 
in einem Ablaßbrief des Bischofs Gaufred von Barbaströ vom Jahre 
1137,* und in einem Schreiben desselben. Bischofs vom Jahre 1140;^ 
so auch in Ablaßurkunden des Kardinallegaten Hildebrand" Grassi vonL 
Jahre 1171 oder 1172,^ des Bischofs Adelardus von' Verona vom 
Jahre 1197,' des Kardinal legaten Romanus vom Jahie 1215.^ des- 
Bischof"? Heinrich von Havelberg vom Jahre 1252 usw.* 

^ G. Eatzinger, Geschichte der kirchlichen, Armenpflege^. Freiburg: 
1884, 398'. ' • ,„.;,,.; 

2 Warum denn nur von dem „zeitlichen Interesse der Kirche" sprechen ?" 
Trugen denn die vielen Kirchen, Klöster und Krankenhäuser, die mit' Ätalaß- 
geldern erbaut und erhalten wurden, nicht auch zum geistlichen' Wohle der 
Gläubigen, zum ewigen Heile der Seelen bei? , , 

^ Kooniger 180. 

* Espana Sagrada XL VI 287 : „Divina pietas humanae fragilitati consulere- 
öupiens . . . post baptismi ac poenitentiae lavacrum dohis eleemo^inarum 
nöstrarum voluit solvi vincula culparum, ipso attestante qui ait': Date eleemo- 
sinam, et ecce omnia mvmda sunt vobis (Luc, 11, 41). Unde, vos filii paternO' 
affectu subveriiatis pro remedio animarum vestrarum et peccatorum remissione , < . 
Mementote verbi Dei dicentis: Sicut aqua extinguit ignem, ita eleemosina ex- 
tinguit peccatum (Eccl. 3, 33), ... et alio loco: Redeihptioanimae viri divitiae- 
(Prov. 13, 8). Vos fratres date temporalia et recipiatis aetema." Dann folgt- 
die Verkündigung des Ablasses für den Loskauf eines Gefangenen. ■ • 

^ Ebd. 288: ,,Benignitatem vestram exhortamur in Domino, ut de facul- 
tatibus vestris quas Dominus vobis contulit, partem illi (einer armen Kirche)) 
conferatis, quoniam eleemosina extinguit peccatum sicut aqua extinguit ignemi,. 
et remedia peccatorum sunt eleemosinae. Quicumque ergo fecerit adiutoriuni 
praenominato loco", erhält einen Ablaß von 40 Tagen. 

\ G. Tiraboschi, Storia dell'augusta badia diS. Silvestro di Nonontola II,. 
Modena 1785, 289. 

' Ughelli V 811: Durch Almosen und- Schenkungen an Kirchen ,,Patrenk. 
misericordiae nobis reddimus placatum", da er selber sage: „Date eleemosyiiam;. 
et ecce omnia munda sunt vobis." Dann folgt die Verkündigung des Ablasses 
für die Wohltäter einer Kirche in Verona. 

^ Toussaints du Plessis, Histoire de l'eglise de Meaux II, Paris 1731, 1'06^ 

* Riedel, Codex diplomaticus Brandenburgensis I 9, Berlin 1849, 476. ' 



I. Die ; Anfänge des Ablasses. 31^ 

' In dem von «der vierten, allgemeinen Lateransynode ' (1215) füi? 
Almpsensammlungen vorgeschriebenen- ^Musterf ormular, das ' < in • die 
o^'fizielle , - Dekretalensammlung Aufnahme ; gefunden und zahllosen" 
mittelalterlichen- Ablaßbriefen als Einleitung gedient hat, wird sowohl 
auf , die Unterstützung i kirchlicher Anstalten, als auf die überirdische 
Nützhchkeit der Almosen hingewiesen.^ Wie man. bei Ablässen sowohl 
das Interesse irgendeines gemeinnützigen Unternehmens als das Seelen- 
heil der' Almosenspender im Auge haben konnte, ersehen wir auch aufi' 
der alten Formel, eines Ablaßbriefes, für Brückenbau. Beide Zwecke 
werden in der Einleitung des Schreibens; ausdrücklich erwähnt. ^ Be-^ 
züglich des ■ Seelenheils der Almosenspender werden letztere daran ei-- 
innert, daß das Almosen zur Tilgung der Sünden. -beitrage; damit sie^ 
aber die Frucht ihrer * Spende , besser erkennen^ wird ihnen ein be^ 
stimmter Ablaß. zugesagt.^ •. 

Es sollen nun noch ^die Ergebnisse der Untersuchung über die 
Anfänge des Ablasses kurz zusammengefaßt werden. Yon Anfang an, 
hat die Kirche, kraft der ihr von Christus verliehenen Vollmacht^, 
reuigen Sündern die Bußzeit abgekürzt und Bußstrafen erlassen. Will 
man die in den ersten christlichen Jahrhunderten ■ üblichen Bußerlasse 
und Bußerniäßigungen als „Ablässe", bezeichnen, so mag man es tun,, 
da' ja der Ausdruck ,',Abläß", gleich dem lateinischen Worte „indulr 
geritiä", vieldeutig ist. ,Nur vergesse man nicht, daß zwischen den 
Bußerlassen der alten Kirche und den heutigen Ablässen ein großer 
Unterschied besteht.. Jene Bußerlasse wurden von Fail zu Fall, unter 
Berücksichtigung der persönlichen Verhältnisse und der Bußgesinnung 
der einzelnen Pöniteriten gewährt; zudem waren sie auf das, innigste 
verknüpft mit der kirchlichen Rekönziliätioh oder der sakramentalen 
Absolution. Generelle, außerhalb des Bußsäkramentes erteilte Ablässe 
lassen sich erst im. 11. Jahrhundert iiachweisen. Merkwürdig ist es, 
daß derartige Ablässe nur in d,er abendländischen Kiiche vorkommen. 
Dies hängt mit der Entwicklung zusammen, welche äas Bußwesen in 

' ^ 0. 14. X. de poenit. et remis. V.' 38 : „Formam vero, quam commimiter- 
talibus (eleemosjmarum. quaestoribios) apostolica sedes indulget, duximus ex- 
primendam,' ut secundum eam dioecesani episcopi suas litteras moderentur. 'Ea. 
siquidem talis est: Quoniam, ut ait Apostolus, omnes stabimus ante tribunal 
Christi, receptTiri prout' in' corpore gessimüs, sive bohuin fuerit, sive malum: 
oportet rios diemi messionis extremae misericordiae öperibus prae venire, ac aeter- 
norum intuitu seminare in terris, quod reddente domino cum multiplicato fructu 
recoUigere debeamus in ooelis." Die Gläubigen werden dann ersucht, Almosen 
zu spenden, „ut per subventionem vestram ipsorum inopiae consulatur, et vos 
per haec bona et alia, quae domino inspirante feceritis, ad'aeterna possitis gaudia. 
pervenire". ... 

^ Rockinger 309: „Necessitati terre et eorum saluti qui peccata sua 
elemosinis redimere simt parati, , paterna sollicitudine providentes, hortamur'. . . 
ut ad reparacionem pontis de bonis sibi coUatis a Deo grata subsidia largiantur. 
Et ut'fructum sile devocionis intelligant et cognoscant", folgt die Verkündigung 
des Ablasses. Auf beide Zwecke macht auch Innozenz IV. in einem Ablaßbriefe 
vom Jahre 1250 zugunsten des Domes von Eiacenza aufmerksam: „Ut igitiir- 
remissio. et ipsi fabricae-temiporaliter et benefacientibus spiritualiter pro- 
ficiat ad salutem." Campi II 400. 



32' I. Die Anfänge des Ablasses. 

dieser Kirche durchgemacht, hat. Namentlich' waren es die 'früh- 
mittelalterhchen Bußbücher mit ihren für die' einzelnen Sünden^'be- 
«timmten Bußtarifen, welche den generellen Bußerlassen' die' Wege 
bereitet haben. Nicht nur hat di3 Verbreitung dieser Bußtarife - der 
individuellen Behandlung der einzelnen Pöriitenten Eintrag getan; 
da die einzelnen Sünden in der Regel mit hohen Strafen -belegt waten, 
jso wurden häufig die Pönitenten mit Büßen beladen,' die' sie zu leisten 
kaum noch imstande waren. Es mußte daher ihrer Not auf irgendeine 
Weise abgehoMen werden. Dies geschah zunächst durch die Redemp- 
tiönen, später auch .noch durch die generellen ^Ablässe. So hat sich 
der Ablaß in der heutigen Form allmählich . aus der Bußpraxis; wie 
diese sich in der abendländischen Kirche gestaltet hatte; entwickelt. 
Die Erteilung derartiger Ablässe im 11. Jahrhundert 'war ' eine neue 
Entfaltung der von Anfang an in der Kirche ausgeübten Vollmacht, 
die Bußstrafen zu müdern oder ganz nachzulassen.^ Im' Laufe der 
Jahrhunderte hat eben die Ausübung dieser Vollmacht verschiedene 
Eormen angenommen. 

Über die Anfänge des Ablasses hat Gottlob eine ganz neue 
Theorie aufgestellt, die von der oben vorgetragenen Erklärung wesent- 
lich verschieden ist.^ Den Ursprung des Ablasses glaubt dieser Gelehrte 
iiächweisen zu können in gewissen Privilegien, wodurch öffentliche 
Büßer, die vom Gottesdienst ausgeschlossen waren, die Erlaubnis 
erhielten, in den mit dem Privilegium begabten Kirchen dem Gottes- 
dienste beizuwohnen. Zur Kritik der neuen Theorie ist erforderlich, 
daß bezüghch der erwähnten Privilegien zunächst die historischen 
Tatsachen festgestellt werden; nachher wird zu zeigen sein, in welchem 
Verhältnisse diese Privilegien zum Ablasse stehen. 

Die ältesten Büßerprivilegien, die Gottlob kennt, sind jene, die 
Sergius IV. im Jahre 1011 an drei Klöster verliehen hat. Gottlob 
führt auch einige „Wahrscheinlichkeitsgrühde" an, um darzutun, daß 
die Privilegien des Jahres 1011 tatsächlich die ersten waren,^ Dem 
ist jedoch nicht so. Es gab deren schon im 10, Jahrhundert. Im 
Jahre 979 erließ Papst Benedikt VII. für die Abtei Besalu in 
Katalonien eine Bestätigungsbulle, worin denjenigen, die des Gebetes 
halber die Abtei aufsuchen, gestattet wird, dem Gottesdienst in der 



1 Vgl. Fournier (Revue d'hist. ecclös.: X 583): „Je ne oonnais auoune 
raison qui interdise de voir, dans ces concessions collectives, un developpement 
du- pouvoir inoontestable qui appartient aux eveques de remettre les penitences, 
ou d'en attenuer la rigueur. Que l'on examine cette qüestion en se dögageant 
des pr6jug63 que les controverses confessionnelles ont accumulös autour d'elle, 
et je crois bien que l'on ne pourra öchapper ä cette conclusion." Auch B oudi n hon 
439 sieht in der heutigen Ablaßpraxis „une institution dont le principe est toujours 
demeure le meme, c. a. d. le pouvoir constamment exero6 ,par l'lÖglise, sous une 
forme ou sous une autre, de remettre au p6cheur certaines oeuvres de penitence".' 

* Gottlob, Kreuzablaß und Almosenablaß. Stuttgart 1906. Derselbe, 
Ablaßentwicklung und Ablaßinhalt im II. Jahrhimdert, Stuttgart 1907. 

* Ablaßentwicklimg 14. . 



I. Di© -Anfänge des'Ablaäses. 33- 

Klösterkirche. beizuwohnen, falls sie nicht exkommuniziert wäreü;^ In 
dieser 'Verleihung, die mit' den- späteren Biißerprivilegien fast wörtlich 
übesreinstimmt, ist zwar nicht «ausdrücklich die Rede von Büßern, die 
vom Gottesdienst ausgeschlossen waren;- doch geht aus dem Um- 
stände, daß nur den Exkommunizierten der Eintritt ; in die Kirche 
verboten wird^ unzweifelhaft. hervor, daß, die- öffentlichen Büßer zu- 
gelassen werden sollten. Nur. diese, nicht die .anderen: Gläubigen.' 
brauchten hierzu, eine ^besondere Erlaubnis 'von'seiten der kirchlichen- 
Obrigkeit.^, ' ' ' > '.!' - ' . > • ' '■' ■ ,■ ' ' • '/ 

In einer. Bulle voni'jJahre 992,- die Johann XV. zugunsten der 
Abtei Aniane erlassen haben soll, - wird' den Büßern- gestattet, am 
Kirchweihfeste die Abtei zu besuchen.^ ' 'Diese Bulle dürfte indessen 
unecht sein. Die Gründe, die. man aus dem Inhalt des Schreibens 
gegen: dessen' Echtheit: .geltend', gemacht hat, sind freilich nicht über- 
zeugend genug.* Mehr .zu bedeuten hat das 'Fehlen der Bulle in der 
alten Urkündensammlung! des Klosters Aniane, die wohl ein Schreiben 
von Johann XIII. (965—72), aber keines von Johann XV. enthält.'^ 
Unter den Privilegien,' die Johann .'XIII. der Abtei gewährte, .fehlt 
das Büßerprivile'gium, doch findiet es 'sich, und zwar in der Fassung, 
in welcher die angebliche Bulle Johanns XV. ea bietet', in zwei späteren 
Bullen von Nikolaus. ir.j (4. Mai 1061) und. Alexander II., (7. No- 
vember 1066),^ gegen, deren Echtheit ebenfalls begründete Bedenken, 
vorhanden sind.'' ■ .■ ^ .. • ' • x .. 

. Unzweifelhaft - echt sind ^ die . Privilegien, die Papst < S e r g i u s ol V. 
im Jahre 1011 drei Klöstern erteilt hat: der.Abtei/Cuxa in der Graf- 
schaft .RoussiUbny, der'. Abtei ' RipolMn Katalonien, und .der- : Abtei 
Notre-Dame d'Arles (Arulas) in Roussillori. Die zwei ersten, Privi- 
legien; die der Abt Oliba, welcher den beiden Klöstern vorstand, 
erwirkte,. 'stimmen wörtlich. miteinander überein.^. Etwas anders, aber 
ohne daß.' dadurch der Sinn geändert würde, lautet das Privilegium 
für Notre-Dame d'Arles.^ , . 



1 Migne CXXXVII 335. Jaffe 3800;: „Ooncedimus ufc si quis causa 
orationis ad praediobum moiiastermm Veherit,' habeat licentiam iutroeutidi et 
omhe officium aüdiendi, liisi forte quis reatu'süo' proprio fuerit excommunicatus." 

2 Vielleicht ist in dfe'r Bulle fürBesalu das Wort „poenitens"; das in den 
andern Privilegien- .vorkommt, durch- ein yersehen des Abschreibers ausgefallen. 

3 Migue CXXXVII 836. -Jaffö 3844: „Poenitentes, qui devote ad diem 
iestum oonsecrationis praedicti loci confluxerint, ip3a tantummodo die ab- 
solutione no3tra rele ventur, ut überius devotionis .suae vota propitiatori omniuni 
■exsolvant.". ' ' ■,-<,.... 

' ' *Pückert42ff. will die Bulle nicht ganz ■ verwerf en ; er meint jedoch, 
daß sie »'»inhaltlich verunechtet" sei und Interpolationen enthalte.' ' 

^ Cartulaire d' Aniane. Montpellier 1900, 78 f. 

6 Cartulaire 81 84. » Vgl. Puckert 42 ff. 235., 

^■„Statuimu3 etiam, üt quisquis poenitens a liminibus exclusus ecclesiae, 
quamdiu ibi steterit, habeat licenbiam- introeundi et omne divinurai officium, 
audiendi:" Marca 982 986.' Migne CXXXIX 1509 1514. Gottlob, Kreuzablaß 
iOS.'^DasPrivilegiumfürCuxawurde 1120 voninnozenzll. erneuert. Marca 1271. 

» Marca 991. Migne CXXXIX 1520. ■ Gottlob 199. Da3 Privilegium 
Wurde 1046 und 1157 von mehreren Bischöfen erneuert. MarcalOOl 1322. 

Paulus, Geschichte des Ablasses. 3 



34 I. Dib Anfänge des • Ablasses. 

Wörtlich übeafemstimmend mit den von SergiusIV. den, Abteieis 
Guka i und . Ripoll bewilligten Privilegien ist das Privilegium, da» 
Benedikt VIII. im- Jahre 1017 auf Ansuchen des, Abtes Bonifatius. 
deii beiden . in Katalonien gelegenen Klöstern Balneol und. Camv 
pfedon verlieh,! ,« . ■■■ j., 

i^- Derartige Privilegien wurden nicht nur von den Päpsten, sondern 
auch von .Bischöfen erteilt. Unter den. verschiedenen Privilegien, di^ 
mehrere im Jahre 1035 'za Cuxa versammelte Bischöfe dem von dieser 
Abtei abhängigen Kloster Tremesaigues (Diözese Toulouse) her 
willigten, befindet sich auch die Erlaubnis für die Büßer ,'in der Kloster- 
kirche dem Gottesdienste beizuwohnen.^. Dasselbe Privilegium err 
hielten zehn Jahre später (1045) von mehreren Bischöfen die Abtei- 
kirche S.. Martin de Lez in der ehemaligen Diözese Alet, an der 
Grenze Roussillons,^ und das Kloster Fluviano, eine in Katalonien, 
gelegene Tochterkirche von Cuxa.* Im. Jahre 1054 wurde dieselbe^ 
Vergünstigung auch- der bischöflichen Kirche von Maguelone Vor- 
lieben.^ 

Wese verschieden von diesen Vergünstigungen ist da» 

Privilegium, das im Jahre 1040 Benedikt IX. im Vereine mit mehreren 
Bischöfen der Abtei St. Viktor bei; Marseille bewilligt haben soll.; In 
der betreffenden Bulle ist nicht bloß die Rede von einer Zulassung 
der.: Büßer zum Gottesdienst, sondern von einem vollständigen Erlaß, 
aller Bußstrafen für alle Büßer, welche die Kirche ,von St, Viktor 
besuchen würden,' unter der Bedingung, daß sie ihre Sünden beichten, 
üiidi sich bessern woUeii. Es handelt sich übrigens hier um ;eine 
Fälschung, die allerdings schon, sehr frühe, wohl noch im 11. Jahr- 
hundert entstanden ist.® 

In den bisher erwähnten Fällen war das Büßerprivilegium . an 
bestimmte Orte geknüpft. Daneben gab es aber ein ähnliches Privi- 
legium, das auf' eine bestimmte Zeit beschränkt war. Im früheren 
Mittelalter war es Sitte, und zwar, wie es scheint, in allen Kirchen^ 
daß den öffentlichen Büßern, die den Gottesdienst nicht besuchen 
durften, und am Gfündontierstäg; an welchem gewöhnlich die Wieder- 
aufnahme der Pönitenten, stattfand, noch nicht rekönzilüert werden! 
konnten, aus Gnade gestattet wurde, während der österlichen Zeit 
dem Gottesdienste beizuwohnen. Zahheiche Aufschlüsse hierüber 



,.1 Maroa 1001 1004. - (Migne CXXXIX 1612 1613. Gottlob 198.- ,. 

^ „Concedimus etiam . . . ut qualiscumque poenitens ibi advenerit, licentiam. 

habeat introeundi et orandi et omne divinum officium audiendi.". Mabillon,. 

Annales IV 731. Gallia Christiana XIII. Instrum. 230. Mansi XIX 575. , 

3 Gallia Christ. XIII. Instrum. 106. Deyic II. Preuves 212. 

* Marca 1087. Gottlob ;230. 

^ „Si quis poenitens a,d, ipsam eoclesiam venerit et abstinendi ab ecolesiae 

introitu in poenitentiam praeeeptum habuerit, ipsam ecclesiani licenter introeat^ 

pacis osoulum libere accipiat, et si qua sint similia, praeterquam sanctam eucha- 

ristiam, quam minime accipiat." A.,de Verdala, Catalogus episcoporum Maga^ 

-lonensium, ed. Germain. Montpellier 1881, 68. Gottlob 231. 

,. ; " Näheres, darüber weiter unten in Abschnitt !¥► 



1. Die. Anfänge deS' Ablasses, 35 

finden. sich sowohl in den alteii Ritualbüchern als in den Schrifteit 

der ; älteren. Kanonisten und Theologen. • , • .- : 's ;•' 

.;x In , einem , Ritualbuch, das^Morin im, -Anhange seines großen. 
Werkes, über, die , Geschichte ' der Bußdisziplin, abdruckt, -wird gö-^ 
schildert, wie die Büßer am Gründonnerstag vom, Bischof l wieder in 
dierKirche auf genommen- ^werden.. Zunächst iWeirden jene zugelassen, 
die ; der , vollen ; Rekoriziliation würdig befunden;' dannc heißt es be- 
züglich , jener, , die . ihre Byiße ^ noch' nicht .vollendet hatten, ; daß siä 
„nicht, durch die Rekonziliation, ' sondern, aus Gnade" 'bis, zuni 
Schlüsse der Pfingstoktay. in diel Kirche aufgenonftnen werden.^ Das 
Alter dieses Ritualbuches, kann nicht genau festgestellt werden; sicher 
war aber der geschilderte Gebrauch, schon im 11. Jahrhundert in 
Übung., In einem Schreiben vom Jahre 1065, worin Alexander ill; 
die Buße. für einen, Mörder bestimmt, wird dem Schuldigen während 
der drei ersten Jahre der Bußzeit der Eintritt in die Kirche verboten,; 
doch mit, Ausnahme der österlichen. Zeit.^ Hier handelt, es sich zwar 
um einen besonderen Fall. Daß aber damals die Büßer insgesamt 
während der österlichen Zeit am Gottesdienste, teilnehmen durften,, 
erfahren wir aus einer Predigt, die Geoffroi Babion, Scholastikus 
in Angers, (1096— 1110) einmal , am Gründonnerstage hielt.^ 

,. Ursprünglich durften die noch nicht rekonziüierten Büßer bis 
zum Schluß der Pfingstoktav dem Gottesdienste beiwohnen. Später 
wurde aber das Privilegium auf die. Osteroktav beschräiikt, , wie, diesi 
ein Ritualbuch aus Reims bezeugt.* Dasselbe: bezeugt der italienische 



• ^ Morinus, -Appendix. 71.: „Quibus.intromissis, caeteros qui sunfmediae 
vel minoris p9enitentiae , intromittat, dicens eis:-Vos non per Teconciliationem, 
sed per divina,m pietatem. recipimus intra sinum sanctae Eeclesiae usque , ad 
octavam dlem fentecostes. Reoonciliäti ergo ad dexteram eeclesiae partem, nou 
reconciliati, sed ad tempusrecepti in Eoolesia, adsinistram pergant." In seinem 
Werke (S. 694) teilt Morin atis einem andern Ritualbuch, das aus Ronen stammt, 
eine Stelle mit, die mit der vorigen wörtlich übereinstimmt. .Dieselbe Formel 
wird aus -einer, undatierten- Handschrift auch abgedruckt von H; A. Wilson,. 
The Pontifical of Hagdalen College. London 1910, 286 [Henry Bradshaw. So- 
ciety XXXIX].. 

^ Migne CXLVI 1404. Jaffe 4ö72: „Extra ecclesiam, nisi ad extreme 
mortis, absque commimione et mensae participatione et pace sit. Sed a coena 
Domini sqlummodo reconciliettir tisque ad octavas Pentecostes." - > 

. 3 ,, Qui reconciliantur, alii finita poenitentia parati sunt ad corptis Domin^ 
recipiendum, alii nondum digni sunt saoramentorum, .quia nondum poenitentiam 
finierunt, sed ad gaudium tantae festivitatis cqmmunicandurri ex indulgen,tia 
ad tempus in ecclesia recipiuntiir.'' Hauröau, Notices et extraits de quelques, 
manuscrits latins de.la bibliotheque nationale V, Paris 1892, 249. Bei Migne- 
CLXXI 509 verderbter Text und irrig Hildebert, Bischof von Le Mans, zuge- 
schrieben. Vgl. auch den in der Diözese Gerona wohl schon im IL, Jahrhunderfc 
üblichen Gebrauch: „Quia dies haec (Coenae,. Domini) dies est remissionis , et 
gratiae, ipsis (poenitentibus) . . . poenitentiae pondus usque in octavas Pentecostes 
raiserioorditer relaxet." Migne CXXXVIII 905. Espana Sagrada XLIII 492. 
* Marlot 150: „Erunt poenitentes in ecclesia ab istadie Coenae Domini 
usque ad octavas Paschae, audientes , di vina, communionem .tarnen seu Eucha- 
ristiam non recipientes."" , ., ■ ' ; 

3* 



36 I. Die Anfänge -des Ablasses. 

Kanonist Huguccio gegen Ende des 12. Jahrhunderts:^ Mit Huguccio» 
stimmen überein verschiedene Kanonisten und Theologen' des -13.' 'Jahr- 
hunderts , insbesondere ' W i Ih e Im v o n > B. e n n e s- in seiner Glosse zur 
Summe Raimunds von Penaforte,^ Albertus Magnus,^ Thoma's 
von Aquin,^ Wilhelm Durantis.^ '- ' ■' •' ' .' m--; 

,i ■; In welchen! Verhältnisse steht nun die geschilderte -Vergünstigurig,* 
diö an bestimmten Orten oder in ■ bestimmteriZeiten'den' öffentlichen 
Büßern gewährt würde,' zum Ablaßweseh'?^- Gottlob,- 'ders die- Zu- 
lassung der Büßer zum^ Gottesdienst in der österlichen Zeit' mit 
Stillschweigen übergeht, . hat bloß den Büßerprivilegien, die an ''be- 
stimmte Orte geknüpft waren, seine Auf merksainkeit" zugewendete 
Diese Privilegien • gelten ihm nicht nur als die ältesten Ablässe, er 
WiU auch in ihnen die Quelle aller anderen Ablässe finden. • Dies hbißt 
jedoch den alten Privilegien eine Bedeutung beilegen, die ihnen nicht 
zukommt. ' , ■, . , ■ ' 

Zunächst geht es kaum an, sie den Ablässen beizuzählen. -Nimmt 
man den Ausdruck i,,Ablaß" im weiteren Sinne, so kann maii freilich 
jene Büßerprivilegien sehr wohl zu den Ablässen rechnen; wie ja jede 
Milderung der 'Buße als „Indulgenz" oder als- „Erlaß" bezeichnet 
werden kann. Und eine Milderung der auferlegten Buße wurde': durch 
das Büßerprivilegium tatsächhch gewährt. Nur war diese >Buß- 
erinäßigung ganz anderer Art als jene, die beim eigentlichen Ablasse 
stattfindet.^ Um den Unterschied besser zu verstehen, muß man 
sich daran erinnern, daß im Mittelalter den öffenthcheh • Sündern 
öfters eine zweifache Buße auferlegt wurde : zunächst kasteiende Buß- 
übungen, vor allem das Fasten, dann solche Bußstrafen, die in einer 
Entziehung geisthcher Güter (privatio bonorum spiritualium) be- 
standen. Die öffentlichen Sünder wurden manchmal vom Gottes- 
dienste, von der Anhörung der hl. Messe und dem Erapfang der 
Kommunion ausgeschlossen. Es war dies eine Bußstrafe, die- man 



' ' . '^.In seinem noch ungedruckten Kommentar zum Dekret Gratians (o. 64 
D. -SO. Auf der Müuchener Staatsbibliothek. Cod." lat. 16247, Bl. 57) bemerkt 
Huguccio, daß die vom Gottesdienst ' ausgeschlossenen - Büßer, welche ihre 
Buße noch nicht vollendet haben, am Gründonnerstag von ihren Pfarrern in 
die' Barche eingeführt werden sollen: „Et stent in ecclesia, sed non communicenfc 
aliis in eucharistia vel in osculo, et sie sint usque in octavam pasche; postea 
exeant de ecclesia et sint extra usque ad talem diem sequentis anni. Et'heo 
(representacio) facienda est omni anno penitentie, quousque interdictüs est eis 
generalis introitus in ecclesiam; nam secundum modum penitentie sibi'iniunctum 
et profeotum penitentie quidam sunt foris usque ad annum, quidam usque ad 
finem vite ... Et heo intromissio in ecclesiam fita propriis sacerdotibus, non 
quando solemniter debent reconciliari in fine penitentie, illa enim' recohciliatio 
soli episoopo oompetit." Huguccio nennt die Zulassung zum Gottesdienst 
eine „reconciliatio ad introitum ecclesie", während er die volle- Rekonziliation 
eine ,, reconciliatio ad communibnem sacramentorum" nennt. ' ' 

^ Summa 'Eaymimdi. Romae 1603, 441. - • ' 

3 Sent. IV. d. 14, a. 28. ■ 

* Sent. IV. d. 14, q. 1, a. 5, quaestiuncula 3 (Sum. Theol. Suppleni. q. 28, a. 3). 
^ Breviarium aureum. Parisiis 1513, 184'. ' ' 

* Auf diesen Unterschied macht auch Falco 142 axifmerksam. 



I. Die Anfänge des f Ablasses. 37 

lißute. i als, , kleiner Bahn. , (excommunicatio minor) ■ bezeichnen würde. 
Nun i^t aber, der; eigentlichiß,! Ablaß seinem Wesen nacb' ein Erlaiß 
der- kasteienden . Büß- . oder - ^ Sündenstrafen. ' In ' den lErörterungenj 
welche die, älteren^ Theologen' und Kanonisteh über den Ablaß ■ an- 
stellen, werden, denn auch jene 'Büßerprivilegien nicht erwähnt.. Wo 
dieralten Scholastiker vom; Ablaß handelnV^da sprechensie von einem 
Erlaß, der kasteienden^ Bußstrafen,;, nicht vori einer Aufhebung der 
privatio. bonorum spiritualiura. ' • , ■ ' 

;,! Damit soll freilich nicht gesagt ■ werden, daß, beides nicht öfters 
miteinander: verbunden war, wie ja nicht seilten die 'Ablaßspende auch 
noch andere. Vergüiistigungen im Gefolge /hatte. -Wurde z. B. einem 
Kreuzfahrer, , der vom; Gottesdienst^ ausgeschlossen war, der voll- 
kommene Ablaß zuteil, sor würde durch; die; Ablaßerteilung auch der 
Ausschluß vom. ' Gottesdienst .aufgehoben. ,' , 

Ist es nicht (richtige die Privilegien, welche öffentlichen Büßern 
gestatteten, in. -einer- bestimmten; Kirche -dem Gottesdienste beizu- 
wohnen, , den eigentlichen /Ablässen beizuzählen, so geht es noch viel 
weniger an, sie als die Quelle aller Ablässe zu bezeichnen. Man darf 
vielmehr ruhig behaupten, / daß die; besonderen, an bestimmte Orte 
geknüpften ' Büßerprivilegien' auf; das Aufkommen der Ablässe gar 
keinen ;Einfluß=ausgeübtihaben^ ebensowenig wie das allgemeine, auf 
die österliche Zeit beschränkte Büßerprivilegium irgendeinen Einfluß 
auf das > Ablaß weseii gehabt hat. - Jene örtlichen Büßerprivilegien 
hatten bloß, eine lokale Bedeutung, da, sie auf einen engen Raum 
beschränkt. blieb*en;- im- früheren Mittelalter lassen sie sich nur- in 
Septimanien und, in der spanischen Mark. nachweisen.^ - Abgesehen 
von der Magueloner Domkirche, wurden auch im 10. und 11. Jahr- 
hundert jene> älteren Privilegien nur einigen 'Benediktinerklöstern ver- 
liehen,, die von Aniane aus reformiert worden'. und unter sich i eng 
verbünden wären'.^ Aus dieser Verbrüderurig erklärt '''sich leichti 
Avarum, das Büßerprivilegium,.; nachdem es einmal einem Kloster ver- 
liehen ' worden war, auch vönf den: ariderien befreundeten Klöstern 
nachgesü cht i wurde " ■ 

. jZum Schlüsse ist noch ein Mißverständnis aufzuklären, zu' dem 
die »erwähnten 'Büßerprivilegien Anlaß-gegeben haben. Gottlob, hatte 
zuerst angenommen, daß in diesen Privilegien- eine Beteiligung an der 
Arbeit bei den Kirchenbauten gefordert war. „Die Erlaubnis des 
Eintritles in die Kirche ist an die Voraussetzung der Beteiligung bei 
der Arbeit geknüpft."^. Demgemäß erklärteer: „Es hat' sich zunächst 

' i Im 13i Jahriiundert erhielten die Kathedrale von Hildesheim von dem 
Diözesanbischof Hartbert' (1198^-^1216) und* die , beorgskirche in Heltelinge 
(Diözese Halberstadt) von Hönöfius III. (1221) das Privileginm,^ daß' ah .feinem 
bestimmten' Festtage die öffentlichen Büßer in "der betreffenden Kirche , dem. 
Gottesdienste beiwohnen konnten. Näheres über diese zwei eigentümlichen 
Privilegien wird weiter unten mitgeteilt werden. 

* Über diese Verbrüderung der Klöster in Septimanien und in der spanischen 
Mark vgl. Puckert 208 ff. 

3 Gottlob, Kreuzablaß 204. . 



88 I. Die Anfänge.des ' Ablasses. 

ßiii Arbeitsablaß,, ein Abtäß für. persönliche' Hilfe an Kirclien--und 
Elbsterbauten > herausgebildet. Die /Indulgenzen für AlmoseW, oder 
sagen, wir für -finanzielle ■ Leistungen -zu denselben Zwecken, » sin'd 
hinterher gefolgt,"^ Nachher hat 'er aber' diese Ansicht aüfgegel)en'. 
Ih/dem Vorwort zu seiher zweiten Ablaßschrifl schreibt 'er: -„Hat zu 
den? Bedingungen für den Genuß »dieses Privilegiums auch*die körper- 
liche; Arbeit gehört? Bei näherem Zusehen ergibt sich^; daß wir-küf 
diese Bedingung kein sonderliches Gewicht zu legen brauchen. ' Die 
«rsprühgKche Ablaßbedingung - ist offenbar der Besuch 'der privi- 
legierten Kirche gewesen. "^ Eigentlich braucht man auf jene Be- 
dingung gar kein Gewicht zu legen, da in den hier in Betracht kommen- 
den^ Privilegien niemals eine Beteiligung an Bauarbeiten * gefordert 
wird. Es ist dann auch nicht' zutreffend, daß es zuerst Arbeitsablässe 
gegeben hat und daß die Ablässe für Almosen hinterher gefolgt sind. 
Richtig ist vielmehr, daß es zuerst Ablässe für Almosen und Kirchen- 
besuch gegeben hat. Der Ablaß für persönUche Arbeit kam erst na.chher 
auf und hat sich neben den Ablässen für Almösen bis zum Ende des 
Mttelalters behauptet. ■ , -i . 

Unter Berufung auf Gottlob haben verschiedene protestantische 
■Gelehrte den von Gottlob selbst aufgegebenen- Irrtum .wiederholt.- So 
!3chreibt A. Hauck: j^Andie Stelle der vom Büßer statt des^Bußwerks 
persönhch vollzogenen Leistung trat im Verlauf die Geldzahlung. 
Damit. war der Almosenablaß geschaffen."^ Auch H. Boehmer hat 
die Ansicht vertreten, es sei zuerst in den alteniwestgotischen Gebieten 
iSüdfrankreichs den Büßerii „Erlaß eines Teils der auf erlegten Buß- 
werke" gewährt worden „unter der Bedingung, daß sie eine Reihe 
von Tagen als Arbeiter an dem Bau einer Kirche oder eines Klosters 
sich beteihgten. Dieser Erlaß oder Ablaß war sonach ein Erlaß- per- 
sönlicher Leistungen* gegen eine andere persönhche Leistung, gegen 
^ine persönliche Handarbeit, also ein Arbeitsablaß, Aber auch bei 
diesem Arbeitsablaß machte . sich . alsbald die charakteristische ger- 
manische Neigung geltend, die persönlichen Leistungen in • dingliche 
umzuwandeln." An die Stelle des Axbeitsablasses sei der Almosen- 
ablaß getreten.^ Beide Autoren haben übersehen, daß. der Gewährs- 
mann, dessen erste Schrift sie anführen, schon im Jahre 1907 an .einer 
zweiten Schrift seinen Irrtum widerrufen hat. .. 



1 Gottlob, Kreuzablaß 197. 

^ Gottlob, Ablaßentwioklung V. 

3 Kirchengeschicüte Deutschlands IV* (Leipzig 1913) 945. 

* Boehmer hat übersehen, daß in den Büßerprivilegien,, die er im Auge 
hat, nicht von einem „Erlaß persönlicher Leistungen", sondern Von einer Er- 
laubnis, dem Gottesdienste beizuwohnen, ,die Rede ist. 

^ Boehmer, Das germanische Christentum, in Theol.' Studien und Kritiken 
1913, 272 f. ^ 



la'^v^;:;! A.-.orio4Js;/i.sitM':>.v,.;LjV{ .M\ : ^'Ä*- 



IL Mittelalterliche Absolutionen 
als angebliche. Ablässe. 

i ■* 

In zahlreichen Quellen des früheren Mitti lalters kommen .Stellen 
^^Ox, in denen Päpste, Bischöfe, Ordensoberen, ja auch einfache Geist- 
liche Lebenden wie Verstorbenen ohne irgendeine Rücksichtnahme auf 
•das Bußiristitut die Lossprechung von allen Sünden erteilen. Über die 
IBedeutung dieser Absolutionen sirid^ schon öfters die verschieden- 
artigsten Ansichten ausgesprochen worden; namentlich hat man in 
den alten Generalabsolutionen die ältesten vollkommenen Ablässe, sei 
es für .Lebende, sei es für Verstorbene, finden wollen. In einer Ge- 
.schichte des Ablasses dürfen daher diese Absolutionen nicht unberück- 
sichtigt bleiben! Um aber die frühmittelalterlichen Absolutionsformelpi 
richtig zu erÖären, darf man ihnen nicht ohne weiteres , den späteren 
•Sinn gleichlautender Formeln unterlegen; sie müssen vielmehr^ aus 
sich selbst und aus ihrer Zeit heraus gedeutet werden. Wenden wir 
zunächst unsere Aufmerksamkeit der Absolution der Verstorbenen zu, 
weil diese weniger Schwierigkeiten bietet als dicLossprechungen der 
liebenden und überdies das Verständnis der letzteren, erleichtern wird. 

A. Die Absolution der Verstorbenen im früheren Mittelalter. 

Beginnen ' wir die Untersuchung mit Gregor dem Großen, der 
•uuf das katholische Mittelalter einen so tiefgehenden Einfluß ausgeübt 
hat und auf den in mittelalterlichen Quellen bisweilen verwiesen wird, 
wenn von einer' Absolution der Verstorbenen die Rede ist.^ 

Der hl, Kirchenlehrer spricht von der Absolution der Verstorbenen 
•an zwei Stellen seiner Dialoge. Im 55. Kapitel des 4'. Buches^ erörtert 
>er die Frage, was den Verstorbenen zu ihrer Absolution verhelfen könne 
■{quid sit quod post mortem valeat ad absolutionem animas ädiuvare). 
Als vorzüglichstes Mittel gilt- ihm das.hL Meßopfer,;;, dadurch würden 
•die im Fegfeuer Leidenden '„absolviert".' Als Beispiel führt er den 
Mönch Justus ah,' den -er wegen Verletzung der klösterlichen Armut 
kurz vor dessen Tode £|.us der Gemeinschaft der Mönche ausgeschlossen 
«ud dann ehrlos hatte begraben lassen, >der aber aus dem Fegfeuer 

' ^ Vor Gregor I. war es in der römischen Kirche nicht Sitte, Verstorbene 
2U absolvieren oder zu -verurteilen. Die Päpste Leo I. (t'461), Gelasius (f 491), 
^Vigiliuä (t 555) erklärten, daß die Kirche hierzu kein Recht habe. Vgl. F. Kober, 
Per Kirchenbann. Tübingen 1857, 525 ff. Decretum Gratiäni.' C. XXIV. q. 2. 
'«. 1 ff. . • " ' , > 

* Migne LXXVIL 416 ff. 



-40 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe. 

befreit wurde, nachdem für dessen Absolution (pro absolutione illius) 
30 Tage hintereinander das hl. Meßopfer dargebracht worden war. 
Am 30. Tage sei der Mönch seinem leiblichen Bruder erschienen, lim 
ihm anzukündigen, daß es ihm nun gut gehe, da er soeben zur Ge- 
meinschaft zugelassen worden sei. Daraus ward offenbar, so schließt 
Gregor se'ine Erzählung, daß.jier Verstorbeng ;durch das heilbringend© 
Opfer aus dem Pegfeuer erlöst 'wurde.^ Ausdrücklich wird also von 
Gregor selber die Erlösung aus dem Eegfeuer der Kraft des hl. Meß- 
opfers zugeschrieben. An die Spendung eines vollkommenen Ablasses, 
ist nicht zu denken.^ 

Man beachte woy, daß hier unter „Absolution*' nichts anderem 
als die Befreiung aus dem Eegfeuer zu verstehen ist. Da aber dies& 
Befreiung, wie durch das hl. Meßopfer, so auch durch frommes Gebet 
erwirkt wird,^ erklärt sich leicht, wie man im Mittelalter das BeteÄ 
für die Verstorbenen als ein Absolvieren bezeichnen konnte.*' Daß- 
dieselbe Bezeichnung auch heute noch üblich ist, braucht nicht eigen» 
hervorgehoben zu werden. 'Man äenke nur an die Absolution (fran- 
zösis^' absoute) ,' die am Schlüsse der Exeqüienmesse stattfindet. 
Die^^bsolution, wie treffend bemerkt wurde,^ „hat weder salcramen- 
talen noch kanonischen Charakter, sondern ist ein Flehgebet um 
Sünden- und Straferlaß für den Verstorbenen, also um At)solutiork 
von selten Gottes". 

Gregor der Große spricht noch an einer anderen Stelle seiner 
Dialoge von der Absolution der Verstorbenen. Im 23. Kapitel' des. 
2. Buches erzählt er ein seltsames Ereignis, das dartun soll/ wie kräftig 
schon bloße Drohungen des hl. Benedikt gewesen seien.* Zwei leicht- 
fertigen Nonnen, die ihre Zunge nicht zu beherrschen wußten, hatte 
derJHeiligeisagen lassen,^ ero;werdölsie;iexkommünizier 
nicht besserten. Die beiden Klosterfrauen, die sich diese Drohung; 
nicht zu Herzen nahmen, starben bald nachher und wurden in der 
Kirche begraben. Wenn nun in dieser Kirche das hl. Meßopfer ge- 
feiert wurde und, wie damals üblich, der Diakon ausrief : Wer an der 
Kommunion (Gemeinschaft) nicht Anteil hat (si quis non communicat)^ 
der entferne sich,' da sah die frühere Amme der zwei Nonnen, welche. 



1 Vgl. Franz 244 ff. 

' Hilgers 63 ff. meint, Gregor habe dem Mönch Justus einen vollkommeneii. 
'Ablaß gespendet. 'Vgl. Beringer-Hilgers I 664. 

' Sicardus, Mitrale 1. 9, c. 50:' „Pro his qiii in purgatorio detinentxir,. 
oramus, eis modo mitiorem poenam, modo plenam absolutionem orationibus 
impetrantes." Migne CCXIII 424. 

* Ducange I 33 f.: „Absolvere deftinctos est dicere coUectam mortuonims 
Absolve, Domine, animas fideliumdefunctorum . . . Absolutio = colleeta. 
seu oratio pro mortvds, illa praesertim quae incipit: Absolve. Item quaevis. 
»liae orationes pro deftmctis." 

^ V. Thalhofer im Kirchenlexikon I 129. ,Vgl. Cabrol,, Absoute des^ 
morts, in Dictionnaire d'archöologie chrötienne et de liturgie I, Paris, 1907, 200 ££► 

• Migne LXVI 178 ff. ' _ • ■ ;,.' ' '. 

' Vgl. hierzu Responsa canonica Timothei episcopi Alexandrini (f 385)t 
„In divina oblatione' diaconus ante salutationem edieit :( Qui/non oommunicatis^ 



A. Die AJbsolution der Verstorbenen im früheren' Mittelalter. ;4t.' 

für sie die Opfergabe , (oblationem) dem Herrn darzubringen pflegte, 
wie.die ..Verstorbenen aus ihren Gräbern hervorkamen und fortgingen. 
Der hl. Benedikt, dem dies, berichtet wurde, übergab sofort Personen 
seiner. Unigebung ein Opferund sagte dhnen: Gehet und lasset dies. 
Opfer (hanc oblationem, also nicht das hl. Meßopfer) für. die Ver> 
storbenen' Gott, darbringen, und .sie werden nicht länger exkommuni- 
ziert sein., Als dies Opfer (quae oblatio) für sie dargebracht war und 
der Diakon ausrief, daß diejenigen, die nicht zur Gemeinschaft .gehören,, 
die Kirche verlassen sollen', sah man jene nicht mehr, aus der Kirche 
hinausgehen. ',, Hieraus", bemerkt Gregor, „zeigte sich ganz klar, daß 
sie, "weil sie 'nicht, niehr mit denen, die von der 'Gemeinschaft, aus- 
geschlossen waren, sich entfernten, die Gemeinschaft (communionem) 
vom' Herrii durch, den Diener Gottes erhalten hatten." Durch die 
Darbringüng. der Opfergabe hatte eben der hl. Benedikt kundgeben 
wollen, daß die Exkommunikation der beiden Nonnen aufgehoben sein 
solle; ; Wer nämlich in der alten Kirche das ^Recht erhielt, eine Opfer- 
gabe darzubringen, wurde hiermit in die kirchliche Gemeinschaft aüf- 
genommen.i , . • , '^ ' 

Es darf nicht übersehen, werden, daß hier von' eineri Erlösung aus 
dem Eegf euer keine; Rede ist. In dem Falle des ; Mönches Justus, 
für den 30 Tage- hintereinander das hl, Meßopfer dargebracht wurde^ 
bringt' allerdings' Gregor die Erlangung der „Gemeinschaft" mit der 
Befreiung ' aus dem, Eegfeuer in Verbindung; Hieri aber tut er das 
nicht. Auf Grund seiner Erzählung kami man bloß von. einer Auf- 
hebung der Exkommunikation sprechen.. Der hl. Benedikt hätte 
freilich die Exkommunikation nur^ angedroht. Aber Gregor erzählt 
ja gerade den Fall der zwei Nonnen,. um damit zu beweisen, daß schön 
die bloße Drohung des Heiligen dasselbe bewirkte, wie ein ausdrück- 
licher Urteilsspruch. 2 Inf olgedessen- waren die, zwei Nonnen, nach der 
Erzählung Gregors, wenn auch nicht vor den Menschen, so doch vor 
Gott exkommuniziert. Deshalb mußten sie vor. Beginn der Messe der 
Gläubigen mit den Exkommunizierten; die Kirche, verlassen; die für 
sie dargebrachten Suf fragien , hatten; . keine Geltung • in den Augen 
Gottes. Er st. nachdem der hl. Benedikt durch Darbringüng einer 
Opfergabe den Willen' kundgetan hatte,-. daß die. Nonnen wieder zur 
Gemeinschaft der Gläubigen igehören sollten, hielt sie ,auch Gott nicht 

ambulate." Dazu die Bemerkiuig Balsamons: „Quando ad sacram mensam. 
ßancta^ off erenda sunt, ■ dicitür .prof anis : Qui non communicatis, ambulate, sive» 
Catechunieni, exite,'.'. Migne, Patr; '.gra'ec. XXXIII 1302. -Noch im 12. Jahr- 
hundert ■ schreibt Gilbert, Bisehof .'Von'Limerick(1106' — 39): „Diaconorum est 
dicere: Exeant qui non communicant." Migne CLIX 999. 

^ Deshalb heißt es in einer erläuternden' Anmerkung zur. obigen Stelle der 
Dialoge Gregors : „Oblationes olim fuisse instar, modi seu facultatis cuiusdam» 
qua ius communionis comparabatur." Diese Erläuterung ist entnommen atis 
G. de TAubespine, De veteribus-Ecelesiaeritibus observationes I 10:- „Qua 
ratione mortuis ius' communionis redderetur.". Opera. Neapoli 1770^ 25,. 

-*' Migne LXVI 178: „Si qiud vero .unqug,m non iam decernendo, sed 
■minando diceret, tantas vires sermo illius habebat, ac si hoc non dubie atque 
suspense, sed iam per sententiam protulisset." 



*42 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe. 

:melii für exkommuniziert: ,,Commanionem;a Domino per servum Dei 
jeceperunt." Es liegt demnach, kein Grund ; vor, hier die Spendung 
;eines vollkommenen Ablasses anzunehmen.. . .• • ■■■{■ 

Gregor hat seiner : Erzählung eine nicht unwichtige Bemerkung 
beigefügt. Da der Teilnehraer am Gespräche ' sein Erstaunen' darüber 
-aussprach, daß der hl. Benedikt während seines irdischen Lebens die 
Seelen im Jenseits von ihren Banden lösen konnte, so erwiderte. Gregor ; 
,War denn der Apostel Petrus nicht auch noch mit der sterblichen 
Hülle umgeben, als der Herr za ihm sprach : Was du binden wirst usw.' ? 
j, An seiner Stelle üben nun die Binde- und Lösegewalt aus, die das 
heilige Vorsteheramt mit Glauben- und tugendhaftem .WarideL ver- 
walten. "^ 

Diese Worte sind in zweifacher Weise gedeutet worden. Nach 
Bellarmin würde es sich bei dem von Gregoi erzählten Vorfall um 
ein Wunder handeln, wodurch Gott zeigen wollte, wie sehr die War- 
nungen der Heiligen zu beachten seien. Wenn. aber Gregor sich 'auf 
•die Binde- und Lösegewalt beruft, die Petrus und dessen Nachfolger 
von Christus empfangen haben, so habe er bloß einen Ahnlichkeits- 
beweis führen wollen. Wie die kirchlichen Oberen; obschon sie nur 
:ster bliche Menschen sind, kraft göttlicher Vollmacht über geistliche 
Dinge urteilen können, so konnte auch der hl. Benedikt in- seinem 
irdischen Leben durch ein besonderes Privilegium, das ihm Gott ver- 
Jiehen, abgeschiedene Seelen von der Exkommunikation lösen.^ Andere 
-meinen, Papst Gregor habe die von Benedikt ausgeübte Vollmächt 
„als eine mit der Jurisdiktionsgewalt der Vorsteher in der Kirche ver- 
bundene, nicht außerordentliche, auf den hl. Benedikt beschränkte" 
darstellen wollen.^ Aber selbst wenn diese Deutung die richtige sein 
sollte, so wäre man nicht berechtigt, anzunehmen, der hl. Gregor 
habe lehren wollen, daß die kirchlichen Vorsteher, nicht_nür die Päpste 
und die Bischöfe, sondern auch die Ordensoberen,* von Christus die 
Vollmacht erhalten '-haben, den Verstorbenen Ablässe- zu erteilen. 
Man könnte dann bloß sagen, Gregor habe gelehrt, die kirchlichen 
Vorsteher . hätten die Vollmacht, Verstorbene von der Exkommurii- 
Tsation zu lösen.^ 

In diesem Sinne hat die im Jahre 1031 abgehaltene Synode von 
Limoges die Worte Gregors verstanden. Ein Abt hatte, einen ex- 



^ Ebd. 180: „Cuius (Petri) niinc vicem in ligando et.solvendo ,obtinent 
-qui locum sanoti regiminis fide et moribus tenent. Sed ut tanta valeat homo 
de terra, coeli et terra conditor in terramvenit a coelo, atque ut iudicare. caro 
etiam de spiritibus possit, hoc ei largiri .dignatus est.'.' 

* De indulgentiis, l. I, c. 14. ■ Disputationes de. controversiis christianae 
■fidei III, Ingolstadii 1601, 1551 f. 

3 So Hilgers 60. . 

* Wahrscheinlich war der hl, Benedikt nicht Priester. Vgl. ^R. Mitter- 
müller, Vita et Regula. S. Benedicti. Ratisbonae 1880, S. IX. 

• ^ i^an beachte auch, daß Gregor an dieser Stelle nicht von allen kirchlichen 
•Vorstehern spricht, sondern von solchen, „qui locum sancti regiminis fide et 
nxcribus tenent". 



A. Die, Absolution der iVerstorbenen , im früheren -Mittelalter. 43 

lEommunizierten . Raubritter ohne Erlaubnis, des zuständigen Bischofs 
beerdigt. Bei der Erörterung dieses ;PaUes erklärte die Synode:.' Es 
ist aUb;ekannt, wie .die,, heiligen Konzilien verordnet haben, daß; wenn 
einer, den sein Bischof exkommuniziert hat, ohne sRekonziliation- stirbt, 
•ein solcher nicht christlich beerdigt werden darf, es sei dehn, daß der 
Bischof die, Absolution, und' die, Erlaubnis,, dazu .gegeben hat, indem 
JPreunde oder Verwandte. für ihn .Genugtuung leisten.^ Auch soll für 
ihn nicht, gebetet und sein'Yermögen nicht als Almosen -angenommen 
werden, bis er vom Bischof absolviertest. Erklärt doch der hl. Gregor: 
'Christus hat, seiner; jKirche eine so große Gewalt gegeben, daß' auch 
jene, die. noch hier , auf. Erden sind, Verstorbene ai)sol vieren können, 
die sie, bei deren Lebzeiten gebunden hatten.. Denn der hl. Benedikfc 
hat zwei. Noimen,- die, gebunden starben, nach deren Tode absolviert. 
Und, Gregor selber hat einen Bruder (Justus) vor dessen Hinscheiden 
gebunden und hat, nicht erlaubt, .daß.man für ihn bete oder ihn kirchlich 
beerdige. Später aber, nachdem der Bruder schon längst gestorben 
war, hat er ihn absolviert und- für ihn beten lassen.^ Hieraus ersieht 
man,, welche Bedeutung die Konzils\!;äter, der Absolution,- der Ver- 
.storbenen- beilegten:- Solange der in der Exkommunikation Verstorbene 
nicht, absolviert is,t, darf. man ihn nicht kirchlich; beerdigen und- nicht 
für ihn beten; erst wenn er, rechtmäßiger weis.e vom Banne .losgesprochen 
ist, darf ihm kirchliches Gebet und Begräbnis zuteil .werden.^ < In dem- 
selben Sinne verstehen die mittelalterlichen .Kanonisten und Theologen 
■die :Lossprechung Verstorbener von der Exkommunikation*.. -Sie, gilt 
ihnen als eine Erklärung, daß man dem. Absolvierten die kirchlichen 
.Suffragien zuwenden kann. Es, genüge, hierfür, auf den, Kardinal 
Hostiensis (Heinrich von Susa),^ den Dominikaner Wilhelm ;von 



^ „Sitisfaoientibu? pro eo amicis vel pareatibui." Hier handelt es sich 
aiichfc una. eine stellvarbretende G-enugbuung oder Bußleistung für die Seele des 
Verstorbenen, wie Hilgers 61 meint, sondern um eine von Rechts wegen ge- 
iforderte Ersatzleistung für begangenes Unrecht. Vgl. darüber Deoratales c. 28. X. 
<de sent. excom. V. 39. Hinsohius IV 724; V 147. F. Kober, Dar Kirchenbann. 
Täbingeh 1857; 533. ' 

a Mansi XIX 539. ' 

^ An einen Ablaß für Verstorbene hat die Synode sicher nicht gedacht. 
iSahr mit Unrecht schreibt daher Gröne 79:',', Als diese Gewalt der Päpste (den 
Verstorbenen Ablässe.^zu erteilen) mehrfach Be,denken und Angriffe erfuhr, wurde 
sie auf dem zvreiten Konzil von Limoges um das Jahr 1031 von dem' Bischöfe 
•Jordanu? daselbst, sich stützend auf Gregors des Großen Dialoge, sehr, ange- 
legentlich Verteidigt." Auch Hilgers 60 findet in der Erklärung der Sjrnode 
won 'Limoges eine Anerkennung des Ablasses für die Verstorbenen. 

* Daß., diese Lossprechung bisweilen „indulgentia" genannt wurde, darf 
aiicht wundernehmen. Das Wort „indulgentia", kann eben mancherlei bedeute^. 
Von dem gebannten Herzog Ernst von Schwaben (f 1030) berichtet der gleich- 
zeitige Geschichtschreiber Wipo, er, sei in Konstanz kirchlich beerdigt, worden, 
nachdem ihm zuvor der Kbnstanzer Bischof „Indulgenz" für die Exkommuni- 
kation , erteilt hatte,, ,,prius aooepta. indulgentia a potestate episcopali pro 
«xcommunicatione". Mon. Germ. S,S. XI 269. 

» Summa Hostiensis. Venetiis 1480. L. V, t. de remissionibus, c. 5. 



44 .i II. ilVJittelalterliche' Absolutionen als- angebliche Ablässe. ■ - 

Rehne^s,' den Glossator Raimunds von Pefiaforte,! und auf 'den Fran- 
ziskaner Mäyron^ zu verweisen. - . < ; . - . , v >. 
/Eine viel größere Wirksamkeit wird aber in einer weitverbreiteten 
'Legende derf Absolution zugeschrieben, die Papst Gregor I. einem ex- 
kommunizierten Mönch nach dessen Tode' erteilt haben soll." Die 
betreffende Erzählung findet sich zunäclist in dem „Pratum" spirituale'^ 
des Johann Moschus, der' nach mancherlei Wanderungen um 6l& 
zu Rom gestorben ist.^ Es ist allerdings fraglich, ob schon Moschus 
selberrsie in sein Erbauungsbuch aufgenommen hat. ^ Gleich' anderen 
Geschichten ist sie vielleicht erst nachträglich in die Schrift' eingefügt 
worden. Jedenfalls war sie bereits in der zweiten Hälfte des 71' Jahr- 
hiinderts unter dem Namen des Anastasius Sinaita 'in weiteren 
Kreisen verbreitet.* Später hat sie Johann Diakonus unter- aus- 
drücklicher Berufung auf das „Pratum spirituale" der Lebens- 
beschreibung Gregors des Großen einverleibt, die er in den Jahren 
873^75 im Auftrage des Papstes Johann VIII. Verfaßt hat:^ 

In dieser Erzählung handelt es sich um einen Mönch, der in dem 
römischen Klöster, das von Gregor gestiftet worden^ gegen die Armut 
sich vergangen hatte. ^ Als Papst Gregordavon Künde 'erhielt, ließ er 
den* pfhchtvefgessenen Mönch' aus der' Gemeinschaft ausschließen^ 
Dieser starb Mbald nachher: Von Mitleid gerührt, schrieb' nun Gregor 
jeinGebet auf eineni Zettel und übergab ihn seinemArchidiakonmitdem 
Auftrage, hinzugehen und das Gebet über 'dem Grabe des Verstorbenen 
zu; verlesen. 'Auf dem Zettel aber war geschrieben; daß der hingeschiedene 
Brüder von der Exkommunikation losgesprochen sein soUe.* Der Arc'hi- 
diakon tat; wie ihm befohle^i worden. In der darauf- folgenden Nacht 
erschien der Verstorbene dem Abt und sagte ihm: Bis gestern war 
ich im Gefängnis, gestern aber bin ich freigesprochen worden (abso- 
lutus sum). 8p wurde allgemein bekannt, daß zur selben Stunde, 
da der Archidiakon die Worte der Absolution über den Verstor- 
benen verlesen hatte, dieser von der Exkommunikation absolviert und. 
seines Seele von der über sie verhängten Strafe befreit wurde.' 

Wie in deii Dialögen Gregors des Großen, in dem oben angeführten 
Kapitel, das sich mit dem Mönch Justus beschäftigt, von zwei leiblichen 



. ^ Summa Baymundi. Roniae 1603, 435. , ' ^ ' 

'' ' 2 Sent. IV, 'd. 21, q. o, a. 9. Venetiis 1519, 219. Vgl. auch Kober'625 ff- 
' '3.P;^a;tuih spirituale, cap.,192. Migne, P.'gr. LXXXVII 3071, griechisch 
und lateinisch. ^ Jtjigne, P. lat. LXXIV 220 f., nxir lateinisch. 

' f Als „Anastasii narratio" mitgeteilt von^Pitra, Iuris ecclesiastici Grae- 

. corxim historiia et: monumenta H, Romae 1868, 276 f., und von F. Nau, I^ 

texte grec des röcits utiles ä l'äme d'Anastase le Sinaite, in Oriens Christianus IH»^ 

Romae 1903, 84- f. Nau (S. 59) läßt es unentschieden, ob die Geschichte nach- 

— fraglich deirSclirift von Moschus beigefügt worden, oder ob sie zuerst von Moschus 

veröffentlicht und später dem Anastasius zugeschrieben worden sei. 

• ' " Vita S. Gfegorii II 45. Migne LXXV 106. . 

■ • „Peripsäs verolitterasabsolvebatabexcommunicationisnexibusmortuum. 

' ' „Notttm vero factum est omnibus quia qua hora archidiaconus absolutionis- 
verba super fratrem leger at, fuerat ab excommunicatione absolutuSj'liberataque' 
est de iudicio et damnatione anima ipsius." 



A. Die Absolution der Verstorbenen iiii früheren Mittelalter. 45 

JJrjädern die ,R,ede ist, von denen der eine unter Verletzung der klöster- 
lichen Armut, drei Goldstücke! sich , angeeignet hatte, so kommen- auch 
in der späteren -Erzählung zwei|, Brüder und drei iGoldmünzen vor. 
Nicht mit.Unrechttnimmt.jdaher, Pitra an, daß es sich in den^ beiden 
Erzählungen , um ein. und- denselben Fall handelt, Der .spätere Erzähler 
hat;bloßider in den Dialogen geschilderten Geschichte eine neue Aus- 
schmückung gegeben. .Daraus^ kann, man ersehen, so fügt Pitra hei, 
anif. welch schwachem Fundamente die bei den Orientalen so bekannten 
Absolutionsbriefe für ^erstorbene beruhen.^ , . .' : ■ 

. Es^kann in der Tat kaum einem'Zweif el unterliegen, daß die zuerst von 
Moschus oder iAnastasius' Sinaita^verzeichnete ; und bald in weitere Kreise 
verbreitete Legende Anlaß gab zur Einführung der sohriftlichenAbso- 
luti,onsge,bet,e iür Verstorbene, wie sie.heute noch in der griechisch- 
orthodoxen Kirche, gebräuchlich sind. Heute. noch wird vor der Beerdi- 
,gung folgend.es Absolutionsgebet vom Priester über die Leiche verrichtet : 
;„Der .Herr. Jesus Christus, unser Gott, welcher seinen heiligen 
Jüngern und Aposteln seine: göttlichen' Gebote gegeben, daß sie binden 
-oder lösen dies Sünden der .Gefallenen; und, voh denen auch wir die 
Macht, bekommen f, haben, dasselbe zu tun; wolle dir, mein geistliches 
Kind,vv^asdu im, gegenwärtigen Leben absichtlich oder unabsichtlich 
begangen hast,; vergeben."^ , > , ' 

Nebst diesem Absolutionsgebete, wird noch ein anderes gelesen, das 
Süvd ein Blatt gedruckt, ist und in den Sarg in die Hand des Verstorbenen 
gelegt ,^ird:;' , ' , ,^ ' - ^ . , ' ' . > . • ' >- 

. „Unser , Herr Jesus Christus wolle, durch seine göttliche Gnade. 
Gabe , und Macht, dieser seinen Jüngern > und Aposteln gegeben hat,- 
zu binden, und, zu lösen,' die .Sünden der Menschen, mdern er sagte: 
Nehmet, hin den Hl. Geist usw., und; Was ihr binden pder lösen 
werdet us^^r., und die, von jenen auch auf uns durch Nachfolge, über- 
kommisn. ist, durch mich Demütigen erteilen Vergebung auch diesem' 
meinem, geisthohen Kinde alles» dessen, was es. ^ wider Gott ; gesüiidigt 
hat im Worte oder im. Werke oder in ,Gedanken und mit allen seinen 
Sirine^n,j absichtlich ;pder unabsichtlich, bewußt oder' unbewußt. Wenn 
■es aber unter, Fluch, oder Exkommunikation eines Bischofs oder Priesters 
war, oder wenn ;es dem Fluch .seines Vaters ,oder seiner Mutter unter- 
worfen, war, pder in seinen eigenen B^luchv verfallen war, oder. einen 
Eid übertreten hat, oder in- andere Sünden als Mensch verstrickt war, 
•aber alles mit zerknirschtem Herzen bereut hat, möge es von Schuld 
und Band, alles, diesen gelöst, sein. "^ 

^ „Quam lubrico nitantur fundamento (litterae de defunetorum abso- 
lutiönibus), ex illo''disee exemplo, in' quo miram in modum pervertitur ingenua 
'©t authenbioa dialogorutn pagina'," 

' * A. Vi'.IVSaltzew,; Begräbnis-Ritus der' orthodox-katholischen Kirche des 
Morgenlandes. Berlin 1898, 121. Vgl. Vorwort VIII. Goar, Euohologion siye 
Jiituale Graecorura; Venetiis 1730, 543., 

* Maltzew 132 f. A. Bukowski, Die Genugtuung für die Sünde nach 
■der Auffassung der r assichen-, Kirche. Paderborn' 1911, 134 f. [Forschungen zur 
christlichen Literatur- und 'Dogmengeschichte XI 1]. 



46 IIw Mittelalterliche Absolutibhen als angebliche Ablässe. ' 

( y'Da& den Verstorbenen eine geschriebene Absobitiönsformel mit' 
ins Grab gegeben wird, ist in der russischeii 'Kirche seit' dem 11. Jahr- 
hundert in Gebrauch. So wurde ina' Jahre 1054 Großfürst Jaroslaiw* Ir^ 
der Sohn des hl. Wladimir, beerdigt mit einem Absolutionsgebet^ das 
dessen Beichtvater niedergeschrieben hatte.^ Schon früher war es abfer 
in: der griechischen Kirche üblich,' die Verstorbenen zu absolvieren'; 
Wird doch aus dem Ende des 9. Jährhunderts berichtet,' daß' 'der 
byzantinische Kaiser .Alexander, der Bruder Leos VI., seinem Vater 
Basilius I. (f 886) nach dessen Tode eine Absolution ' erteilen ließ.^ 

/ J. G. Pitzipios, ehemals orthodoxer Geistlicher,' später unierter 
Gründer der christlich-orientalischen Gesellschaft, berichtete um die 
Mitte des vorigen Jahrhunderts, daß noch zu seiner Zeit die orthodoxen 
Patriarchen von Konstantinopel und Jerusalem ' Absolutionszeugnisse 
für Verstorbene auszustellen pflegten. In der schriftlichen Absolution, 
erklären die Patriarchen, daß sie kraft der von den Aposteln ver-- 
liehenen Gewalt, jede Sünde zu binden und zu lösen,' dem Ver- 
storbehen, auf dessen Namen- die Urkunde ausgestellt wird und der 
zuweilen schon vor 10 oder 20 Jahien verschieden ist, die Sünden 
vergeben, welche er bei Lebzeiten zu beichten nicht die Zeit gehabt 
oder unterlassen hat; und sie beten zu. Gott, daß er ' die- Fürbitten 
der Kirche berücksichtigen und die Seele dös Verstorbenen trösten^ 
von den Qualen, welche sie erduldet, erlösen,- ihr Vergebung'ange- 
deihen lassen und sie in das Paradies aufnehmen möge.^ Pitzipios. 
sah in diesen Absolutionen wirkliche Ablässe, die den Verstorbehen 
erteilt werden. Dagegen erhob jedoch der russische ■ Theolog Sere- 
dinskij entschieden Einspruch; Nach ihm wäre die heute' nöcher- 
teilte schriftliche Absolution, wie auch das Absolutionsgebet, das die- 
orthodoxe Kirche seit dem 11. Jahrhundert arb. Grabe der Gläubigen 
zu cverrichten und dem Verstorbenen in die Hand zu geben pflege,, 
aufzufassen als ein Gebet zu Gott, 'daß ei dem aus dem "Leben 
Scheidenden die Sünden verzeihe, oder als eine Bezeuguiig ' der 
Sündenvergebung, die der Verstorbene noch bei Lebzeiten durch den 
Emptfang des Bußsakrameiits erhalten hat.* „'Daß diese Formel"; 
so bemerkt hierzu der Jesiiit Buk'owski, ,',von der Erteüuhg eine» 
eigentlichen Ablasses notwendig verstanden werden müßte, läßt sich 
wohl kaum behaupten. Aber noch weniger wird die Erklärung Sere- 
dinskijs dem Wortlaute gerecht." An die Erteilung eines Ablasses- 
ist siöher nicht zu denken,' da ja die orthodoxen Theologen den- Ablaß 
schroff verwerfen.** Auch die Spendung einer sakramentalen Los- 
sprechung von den Sünden ist nicht anzunehmen. Wie der Wortlaut 
der Absolutionsformeln zeigt, kann es sich auch nicht um eine bloße- 
Lossprechung von kirchlichen Zensuren handeln. Es bleibt also nur 
die Annahme, daß man es mit eigentümlichen Gebeten- für die Ver- 

^ Diotionnaire de theologie catholique I, Paris 189Ö, 256. 
: . 2 Goar 544. 

ä Pitzipios, L'%lise Orientale I, Rome 1855, 79. "Vgl. Bukowski 134^ 
* Bei Bukowski 134. ^ Vgl. Bukowski 117 ff. 



A. .Die .Absolution der Verstorbenen, im früheren Mittelalter. 4X 

storbenen ZU tun hat. Dies , wird noch deutlicher hervortreten, 'wenn 
man ganz ähnhche .Gebräuche der abendländischen Kirche in Betracht, 
zieht. Denn auch im^ Abendlande war es im früheren Mittelalter 
gebräuchlich, den Verstorbenen vor der Beerdigung eine Lossprechung 
von den Sünden .zu erteilen und ihnen die geschriebene Absolutions- 
formel mit ins . Grab zu geben. 

In den von Lanfranc (f 1089) verfaßten Statuten für den Bene- 
diktinerorden wird bestimmt, daß dem heimgegangeiien Mönche eine 
schriftliche und von den Brüdern verlesene Absolution mit ins Grab' 
gegeben und auf seine Brust gelegt werde .^ Den Text einer solchen 
Absolution fand man im Grabe eines 1071 verstorbenen Mönchs der 
AbteiSt.Fronto in Perigueux.^ Eine ähnliche Absolution hat Petrus. 
der.Bhrwürdige , Abt von Cluni, für den 1142 verstorbenen Abälard 
ausgestellt. Heloise hatte den- Abt ersucht, ihr die Absolution. Abälards 
schriftlich mitzuteilen, damit sie dieselbe an seinem Grabe aufhängen 
könne. , Abt Petrus, kam dieser Bitte nach. Er sandte der Äbtissin 
von. Paraklet, eine .Urkunde, ;worin er den verstorbenen Gelehrten von 
allen seinen Sünden lossprach.^ Wie Petrus der Ehrwürdige einmal 
eine hingeschiedene Klosterfrau absolviert hat,; erzählt er in einem 
seiner Briefe: Er'habe zuerst ihre Seele, wie es seines Amtes war (pro. 
officio), absolviert; dann habe er das hl. Meßopfer für sie dargebracht; 
schließlich habe er sich zu ihrem Grabe begeben, um über ihre Leiche 
eine feierliche Absolution mit Gebet zu erteilen.* • 

Derartige Absolutionen wurden auch in Italien über dem Grabe 
der Verstorbenen gespendet, wie ein aus dem 11. Jahrhundert stammen- 
des Ritualbuch beweist, das in einer Benediktinerabtei der. Diözese.. 
Santa Severina (Kalabrien) verwendet wurde. Die in diesem Buche 
verzeichnete Lossprechung von allen Sünden wurde nicht in depreka- 
tiver Form gespendet; sie geschah vielmehr in indikativer Form, wobei 
man sich ausdrücklich auf die von Christus dem hl. Petrus mitgeteilte 
Lösegewalt berief.^ / 



^ Migne GL 514: „lUud (corpus) in sepulcro componant, et absolutionem 
scriptam et a fratribus lectam super pectus eius ponant." 

2 IV^igne LXXVIII 447: „Dominus Deus omnipotens, qüi potestatem dedit, 
sanotis apostolis suis ligandi atque solvendi, ipse te dignetur absolvere, F. Elia, 
a cunctis peccatis tuis; et quantum meae fragilitati pefmittitur, sis absolutus ante 
faciem illius qui vivit et regnat in seculo secülorum." 

3 Mjigne GLXXXIX 428: .„Ego Petrus ClTiniacensis, qui Petrum Abai- 
lardum in möriachunx Oluniacensem suscepi, et corpus eius fiirtim delatum 
Heloisae abbatissae et monialibus Paracleti concessi, auctoritate omnipotentis 
Dei et omnium sanotorum absolvo euth pro officio ab omnibus peccatis suis." 

* Ebd. 210: ,, Super venerandum corpus solemnem cum oratione absolu- 
tionem dedi.", 

^' Mittarelli, Annales Camaldulenses 11, Appendix, S. 346. „Absolutio- 
supra sepulohrum: In eapotestate vel aüctori tater fidentes, quam D. N., lesug 
Christus b. Petro apostolo tribuit, dicens: Quodcuiiique ligaveris etc., et caeteris 
dixit discipulis: Quorum remiseritis peccata etc., quantum nobis permissum'est» 
ab omni vinculo peccatorum absolvimus te, ut quidqiiid suadente diabolo voluntäte- 



48 II. Miittelalterliche Absolutionen als- angebliche Ablässe. 

Die Sitte, die Verstorbenen unter Berufung auf die kirdiliche Lo'sb- 
geWalt von den Sündeii^ loszusprechen, . war namentlich in- England 
weitverbreitet. Ein Zeremoniale der Benediktinerabtei Evesha;m, 
das wahrscheinlich gegen Ende des 13. oder am Anfang des 14. Jahr- 
hunderts geschrieben worden ist,^ verordnet bezüglich der Beerdigung 
■der Mönche, daß alle anwesenden Brüder gemeinsam mit dem Abt 
über die Leiche, nachdem sie ins Grab gelegt worden, eine Absolution 
sprechen, und , daß diese Absolution auf, ein Blatt ' geschrieben und 
■dem Verstorbenen auf die Brust gelegt werde. ^ Dieselbe Absolution 
«oUte dann 30 Tage lang nach der Messe von dem zelebrierenden Priester 
■am Grabe wiederholt werden.^ 

Nicht nur den Mönchen, auch den Laien wurden in einigen eng- 
lischen Diözesen eine schriftliche Absolution mit ins Grab gegeben, so 
z. B. in der Diözese Salisbury.* Das Rituale von York erwähnt 
■diesen Gebrauch nicht; doch enthält es eine Absolution, die über die 
Leiche, nachdem sie ins Grab gelegt worden, gesprochen werden sollte.^ 

Im Laufe der Zeit kamen in der abendländischen Kirche' abge- 



-aüt oparabione commisisti, quantura Dao adiuvante possumus, tantum tibi in- 
•dülgemus, ufc fraeta de collo tuo omnium delictoram catena liber et absolutus 
venia? aate tribunal D. N. I. Chr. in vitaaeterna." Auch bei'üi^igne CLI 870. 

1 Veröffentlicht von H. A. Wilson in der Sammlung der Bradshaw Society, 
Bd. VI, London 1893. ■ 

2 jjLegantomnes absolutionem. super mortuum manibus exfcensis hoc modo: 
Absolvimuä te, frafcer N., vice S. Petri apostoli cui Dominus dedit potestatem 
ligandi atque solvondi, ut in quantum tua expetit accusatio et ad nos pertinet 
xernissio, sit tibi omnipotens Daus creator tiius vita et salus et omhiiirh'pecca- 
torum tuorum indultor propieius. — Alia absolutio: Dominus lesu:! Christus, 
■qui b. Petro apostolo ceterisque" disoipulis licentiam dedit ligandi atque solvendi, 
ip3e te abäolvat ab omni vinculo delictorum, o N.,,et quantum inee fragilitati 
permittitur, sis absolutus ante tribunal D. N. I. Chr. habeasque vitam eternam 
•et vivaä in sooula seculorum." S. 139 f. 

^ S. 147 ff. In einer Anmerkung (S. 207) macht der Herausgeber darauf 
•aufmerksam, daß dieser wiederholte Besuch des Grabes nur in etlichen Klöstern, 
nicht allgemein üblich war. 

* Manuale ad usum insignis Ecclesiae Sarum. Auszüge mitgeteilt von 
W. G. Henderson in lM[i,nuale et Processionale ad U3um insignis Ecclesiae 
liboracenäis. Durham 1875, 83*. [Publicatibns of the. Surtees Society LXIII]: 
•i,Fi'nibis orationibu3 claudatur sepulohrunx, ponente prius sacerdote absolutionem 
:super pectus def uncti, sie dicendo : Dominus lesus Christus qui b. Petro aposliolö 
•ceberisque discipulis suis licentiam dedit ligandi atque solvendi, ,ipse te' absolvat 
ab omni vinculo delictorum, et quantura meae fragilitati permittitur, sis absolutus 
•ante tribunal D. N. I. Ch. habeasque vitam aeternam et vivas in saecula saecu^^ 
lorum." Vgl. The Sarum Missal, ed. J. Wickham Legg. Oxford 1916, US. 
"W. Maskell, Monumenta ritualia Ecclesiae Anglicanae I, London 1846, 123. 
Bei Henderson (Surbees Society LXIII, 194*) wird derselbe Brauch bestätigt 
•dtiroh ein in Oxford verwahrtes Pontifikale aus dem 12. Jahrhundert. Vgl. 
H. A. Wilson, The Pontifical of Magdalen College. London 1910, "'202 292 
ifBradshaw Society XXXIX]. 

^ Henderson, Ma^nuale ad usum Ecclesiae Eboraeensis.' Surtees Society 
LXIII, 99: „Absolutio super corpus in sepulcro. D. I. Ch. qui b. Petro etc.", 
-wie oben in dem Rituale von Salisbury. 



A. Die Absolution der Verstorbenen iih früheren- Mittelalter. 4^ 

sehen von einigen Klöstern;^, diesel eigentümlichen:, Absolutionen der 
Verstorbenen ■ außer 'Gebrauch,' während , sie' sich <in. der : griechisch- 
orthodoxen. Kirche, -die ja auch' sonst durch großen Konservatismus 
sich auszeichnet;- bis aiif.deiiiheucigen. Tag erhalten haben. Wie 'aber 
die Absolutionsformel, welche heute noch die russischen ■ Geistlichen 
über '< die. . Verstorbenen, sprechen, i üur . als j ein Fürbittgebet • unds nicht 
als- Ablaß gelten kann; so isiiid auch 'die tehemaligen^ abendländischen 
Absolutionen der Verstorbenen,' trotz- ihrer iridikätiven Form und trotz 
der; ausdrücklichen ' Berufung auf die f kirchhche = Lösegewalt,' nur ' lals 
Gebete -für die Verstorbenen zu betrachten;'^ Biese alten. Absolutiöns-: 
Formeln, Iwie sie so 5 häuf igi' von- einfachen Mönchen und gewöhnhcheh 
Pfarrgeistlichen verwendet wurden, muß man* wohl im; Auge- behalten, 
däiui wird. 'man. ganz > ähnlich ' lautende päpstliche oder 'l::|ischöf liehe 
Absolutionen,, nicht so leicht, als ^vollkoinmene. Ablässe auffassen.? - > 
Es. ist freilich . ;bemerkt wordenbi /^ Gewiß' hat es im. Mittelalter 
zahlreiche; päpstliche' und bischöfliche AbsolutioheiL' gegeben, -die. .nur 
einen frommen Segenswunsch und. eine Fürbitte^ enjßhielten '. .. . Allein 
wennin einem echten' Aktenstückj.etwa einem Papstbriefe ausdrücklich 
mit. Berufung auf 'die ^päpstliche Löse- und ■ Bindegewalt' die. „remissio 
p3ccatorum"' verliehen-'wird, so muß man. darin 'die Verleihung der 
Nachlassung der 'zeitlichen Sündenstrafen, einen Ablaß, sehen, woferii 
nicht das Gegenteil nachgewiesen wird.".'^ ■ Demgegenüber hat 'man 
jedoch, nicht /HÜt Unrecht betont: „Ein solches methodisches Prinzip 



* Wie Martene (Da' ritibus' 11 105])'beriohtel>,' wurde 'in der Benediktiner- 
abtei St; Oueni zu-Rouen noch am Anfänge des' 18j Jahrhunderts in der Exequien- 
maesse beimOffertoriura. von allen an\«:esenderi iPriestem folgende Absolution über 
den^yerstorbenen Mönoh.gesproqhen: „Dominus, lesus Christus, qui^dixitdisoipulis 
suis, quaeounque ligayeritis .etc., de quorum münero quamyisindignos nps esse 
vblüit,,ip3e te'absolvat N"." pei* miriisterium'hqstrüni -ab'oninibTxs^'peccatis tuis, 
quaecunque cdgitdtion'e, looutione'äut' operatiörie negligenter-egisti, öt a-nexibus 
pecGatorum absolutum perducere dignetur ad regna .coelorum."\iFrüherj warmes 
in St. Ouen.auch Sitte, bei der, Beerdigung am, offenen Grabe folgende Absolution 
zu spenden: ,, Dominus lesüs Christus, qui b. Petro .apostolo suo caeterisque 
discipülis suis licentiam dedit' ligandi atque solvendi,' ipse te absolvät'ab' omni, 
vinoulo delictorum tuoruih 'N. 'Et 'qiiantüm meae ffaJgilitati permittituf," ego 
absolvo.te, sisque'absolutusantetribunal'eiusdem D.. vN. L Ch. abjpmmbus 
peccatis tuis, habeasque vitam aeternara et.vivas in saeculo saeouloruni,. Amen." 
Ebd. 1126. Auch im Kartäuserorden hat sieh die eigentümliche Absölutions- 
formel ;bis gegen Ende des ' Mittelalters erhalten , (vgl: darüber ein .Gutachten 
Gersons,' Opera omnia. Antverpiae. iI706.. II,, 412 f.); in den, revidierten Kon- 
stitutionen vom Jahre 1509 wurde sie aber verboten. Statuta ordinis Cartusiensis, 
Basileae 1510. Tertia compilätio. 1509, oap..2: „Absolutio defuncti post sepulturam 
in claustro, de qua loquitur statutum, (In den.früheren Statuten. E.,!) c. 47 heißt 
es ganz allgemein: „Prior absolvit. defimotum." Bl. G 5,) „uon debet fieri, pe r 
modum absolutionis sacramentalis,-sed permodum orationis, sio'dicendo: 
Absolve, Domine, animam.famuli tui ab omni-vinculo peccatorum". Bl. V 8. 

'^ Wer in diesen päpstlichen und bischöflichen Absolutionen Ablässe sehen 
will, müßte folgerichtig auch die gleichlautenden Absolutionen der abendländischen 
IV^önche xmd. Pfarrgeistlichen sowie der russischen Popen als vollkommene Ablässe 
betrachten. ,- -.? . . 

3 Hilgers 58. . . , 

P a u 1 H 9 , Geschichte dds Ablasses . 4 



-50 . II, ,Mittel£^lterliche Absolutionen als angebliche Ablässe. 

muß der Dogmenh^stpriker mit aller Entgchiedenheit; zurückweisen; 
der^ Sinn eines . geschichtlichen Dokumentes muß im Lichte der da-^' 
maligen Zeitauffassung festgestellt werden, und diese Auffassung .gibfc 
sich in' parallelen Dokumenten kund, nicht in der Dogmatik späterer, 
Jahrhunderte."^ . -. 4 ' r ^ . .. . ,_< ' -).?,■ 

j Eine der bekanntesten päpstlichen Absolutionen Verstorbener 
im früheren Mittelalter. ist eine Lossprechung, die Johann VIIB iuL- 
Jahre: 878 erteilt hat.^ Die Bischöfe, des Frankenreichs hatten beim. 
Papste angefragt, ob jene, die jüngst im Kampfe gegen 'die Ungläubigen, 
für Kirche und Vaterland gefallen waren^oder in Zukunft faUen- würden^ 
Nachlassung ihrer Sünden erlangen könnten (utrum .ändulgentiam! 
possint consequi dehctorum). Um diese Anfrage, zu verstehen^ muß. 
man sich daran erinnern, 4aß damals nicht wenige fränkische Bischöfe- 
die Kriegfüihrung überhaupt als etwas Unerlaubtes betrachteten und. 
daher den aus dem Kriege Heimkehrenden eine öffenthche Buße auf- 
erlegten.^, Der Papst antwortete: Diejenigen, die im KJriege gegeni 
die Ungläubigen .uq^ikommenj vorausgesetzt, <- daß sie in frommer Ge- 
sinnung sterben, . werden i der ewigen Seligkeit teilhaftig werden. Dann» 
fügte er noch bei, daß er selber durch die Fürbitte des Apostels Petrus,, 
der im Himmel und auf Erden Gewalt habe, zu binden und zu lösen^ 
die gefallenen Soldaten, soweit es gestattet sei, losspreche und sie im 
Gebete dem Herrn empfehle.* 

Verschiedene angesehene Autoren haben in dieser Absolution einen. ' 
der ältesten Ablässe für Verstorbene finden wollen. Allein es liegt kein. 
Grund vor, die .Worte des Papstes anders aufzufassen, als die oben, 
mitgeteilten Absolutionen, in denen einfache Mönche und Priester, noch, 
bestimmter Verstorbene von den Sünden lossprechen und noch aus- 
drücklicher auf' die kirchUche Binde- und Lösegewalt sich berufen:' 
Wie jene Absolutionen hur als eigentümliche Fürbittgebete gelten, 
können, so ist im vorüegenden Falle auch die päpstUche Absolution 
bloß als Fürbitte aufzufassen. Die vielbesprochene Stelle im Schreiben, 
an die fränkischen"- Bischöfe hat im Grunde genommen keine, ähderie- 
Bedeutung als ein Brief, den Johann VIIL im' Jahre 879 an die KaiserirL 
Engelberga richtete, um ihr, zu melden, daß er.i ür die , Seele ihres ver- 
storbenen Vetters, des Grafen Suppo, bete, damit sie die Lossprechung 
von ihren Sünden erlangen möge.^ ■ • .1 

^ B.Poschmann, ZurGeschichtedesAblasses, inTheolbg.Ilevüe'lOH, 293.. 

» Mon. Germ, hifet. Epistolae VII (1912) 126 f. Migne CXXVI 816. - 

3 Morinus 316 f. > ' • 

• * „Respondemus, quoniamilli qui cum pietate christianae religiönis in belli 
certamine cadunt, requies eos aetemae vitae suscipiet, contra päganos atqu& 
infideles strenue dimicantes, eo quod Dominus per Prophetam dignatus est 
dicere: Peccator quacimque ■ hora conversus' fuerit; omnium iniquit'atum illius. 
non recordabor amplius . . . Nostra praef atos mediocritate, intercessione b. PetrL 
apostoli, cuius potestas ligandi atque solvendi est in coelo et in terra, quantum 
fas est, absolvitnus, precibusque illos Domino conrmcndamvis," ■ , ' 

6 Mon. Germ. Epist. VII 191. Migne CXXVI 852: „Pro anima Supponis, 
fraterna moti compassione, omnipotentem D&ninum deprecamur, ut suorum. 
absolutionem valeat percipere delictorum." 



A. Die Absolution der Verstorbenen am früheren .Mittelalter. 51 

, . In ganz ähnlicher Weise ist ein Schreiben zu erklären, das Erz- 
"bischof Hatto von Mainz und dessen Suff raganbisehöfe. Ende 899 oder 
zu Anfang, des,! .Jahres 900,'arin Johann- IX. gerichtet haben. Die 
deutschen Bischöfe bitten den Papste er möge die' Seele des verstorbenen 
Königs ..Arnulf (t 20: November 899) von den Banden der Sünden los- 
sprechen,^ , Unter di'eser Lossprechung i ist wieder nichts anders zu 
verstehen, als eine, vom, Oberhaupte der Kirche lausgehende und daher 
besonders wirksame Fürbitte. , . . . ' ; , ;, .. 

Auch einfache Gläubige wandten- sich gern an den -Papst,, um ihm 
die, Seelenruhe ihrer Verstorbenen anzuempfehlen. Man^ war eben 
überzeugt, daß der Statthalter Christi, ausgerüsjiet mit der Fülle der 
kirchlichen. Obei:gewalt, als der mächtigste Fürbitter bei Gott eintreten 
könne.' Ein merkwürdiges- BeispieLhierfür findet sich in einem Schreiben 
desjPapstes Sergius III. (904-11) oder Sergius IV. (1009-12) an 
den fränkischen Klerus. Indem der Papst die Seelen des Mannes und 
der Söhne einer Witwe dem Gebete der Geisthchen empfiehlt, erklärt 
er, daß er selber auf Anhalten-der Witwe ihre verstorbenen Angehörigen 
im .Gebete nach Möglichkeit von den- Sünden losgesprochen habe.* 

Spätere ,Päpste; haben: .ebenfalls bisweilen Verstorbene absolviert, 
bald, in desprekativer, bald in indikativer Form. Von- Leo IX. i wird 
erzählt, daß er unmittelbar vor seinem Hinscheiden (1064) .die Bitte 
an Gott richtete, er möge, jene, die im Kampfe gegen die Normannen 
gefallen .waren, von allen ihren Sünden lossprechen.* Handelt es sich 
hier um eine bloße Fürbitte, so scheint die Absolution, die Gregor VIIj 
im, Jahre 1076 dem kurz vorher .verstorbenen Bischof Wilhelm von 
Utrecht bedingungsweise zuteil werden, ließ, eine andere Bedeutung. zu- 
haben., In einem Schreiben an den Bischof von Lüttich bemerkt der 
Papst: Hat der Utrechter Qberhirt den i gebannten König anerkannt 
und ist er ohne Widerruf gestorben,, soj gilt die alte Regel: Jene, mit 
denen wir im Leben keine Gemeinschaft hatten, sollen auch im Tode 



^ Migne CXXXI 32: „Poscimus ut animam ipsius yestrae auctoritatis 
potestate a vinculis peccatorum absolvatis, quia quaecxinque solveritis super 
terram, errnit soluta in coelo." 

2 Zuaächst meldet der Papst, er habe -die Witwe .nach Anhörung ihrer 
Beichte (eius,veram confessionem audientes), soviel er konnte, .von ihreii Sünden 
losgesprochen: ,,Ab eius,,'quantum nobis possibilia sunt (!), facinoribus ab- 
solvimus"s dann fährt , er fort:, „Et deprecantes Dominum pro eius viro Bur- 
chardo, sicut.ipsa nos humiliter postulavit, et ipsius filiis, ab eorum peccatis- 
iuxta nostrum posse absolvimt^. Ideo sanctimoniam vestram exortamur, ut 
pro his in.conspectu Dei pura effundatis conscientia preces^" Mitgeteilt von. 
Wattenbach" im Ajizeiger für Kunde, der deutschen Vorzeit XXII (1875) 38^' 
Auch bei L. Delisle, Memoire sur d'anciens, sacramentaires, in M^nioires de. 
l'Academie des inscriptions et helles -lettres XXXII 1,(1886) 391 f. -Wattenbach, 
meint, der. Brief rühre von Sergius III. her, während Delisle ihn Sergius 'IV.. 
zuschreibt. . - ■ ' 

» Acta Sanctorum. Aprilis II 666. Analecta BoUandiana XXV (1906) 29K 
Der Papst wendet sich an Christus, der zu Petrus gesagt : Was du binden wirst usw.,. 
und betet: „Deprecor clementiam tuam ut fidelibus tuis fratribus nostris,'qui adi 
defendendam sanctam, catholicam. ,et ,apostolicam' ecclesiam sanguinem suumi 
fuderunt, absolutionem tribuas omnium peccatorum." 

4* 



52 ■ II. 'Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe. • ' 

von der Gremeinschaft ausgeschlossen bleiben. Hat er -aber seine 
Unterschrift wider Willen gegeben und den König, gemieden', so ab- 
solvieren wir ihn kraft unserer apostolischen Autorität und- gestatten 
nicht nur, sondern wünschen auch innig, daß Gebete, Messen und 
Almosen für ihn Gott dargebracht werden.^" Da bedingungsweise 
gestattet wird, für den Verstorbenen zu beten, so ist unter der' päpst- 
lichen , Absolution wohl eine zur größeren Sicherheit erteilte Lös- 
sprechung von kirchlichen Zensuren zu verstehen. Dagegen war es 
sicher nur ein Fürbittgebet, wenn Gregor VII. die im Jahre 1077 zu 
Rom verschiedene Kaiserin Agnes vor deren Beerdigung mehrmals von 
den Sünden lossprach.^ - ,• . , , - .. ■ c*' 

Ähnliche Absolutionen hat wiederholt ürban-II.' erteilt'. In 
Sizilien hatte der Graf Roger in Catania zu Ehren der' hl,: Agatha 
ein Kloster gegründet für sein eigenes Seelenheil sowie für die Seelen- 
ruhe seiner verstorbenen Gattin und der - Soldaten, die' im^ Kämpfe 
gegen die Sarazenen gefallen waren. Indem Urban in einem Schreiben 
vom Jahre 1092 die neue Gründung bestätigte, absolvierte er' sowohl 
den Grafen Roger als dessen verstorbene Gemahhn und die im Kampfe 
gegen die Ungläubigen.'' gefallenen Soldaten.^' Mit Unrecht hat man in 
diesem Schreiben einen Ablaß finden wollen; es handelt sich bloß um 
die -Erteilung des päpstlichen' Segens. Dasselbe gilt von deii' Ab- 
solutionen, die Urban II; 1096 zu Carcassonne gespendet hat. Wie 
ein Augenzeuge berichtet,, „absolvierte er segnend die Lebendien und 
die Verstorbenen".' Daß der mittelalterHche Autor' unter dieser 
Absolution bloß den -päpstlichen Segen verstand, ergibt sichaus seiner 
weiteren Angabe^ daß der Papst auch den Friedhof' „absolvierte"; 
Dasselbe ergibt sich aus der Schlußbemerkung, der Papst habe die 
Stadt verlassen, nachdem er Lebende und Verstorbene „gesegnet" 
hatte.* ■ Einen ähnUchen Segen spendete Urban IL einige Tage später 
in Maguelone. Indem er die ganze Insel feierhch einweihte, erteilte 
er allen, die darauf begraben worden oder noch darauf würden be- 
graben werden, die Absolution von allen Sünden.^ " " 



^ Jaffe, Monumenta Gregoriana. Berolini 1865, 250 f. ■ 

,... * Mon. Germ. SS. V 303: „Domnus apostolicus exequialibus officiis, 
Tiüssarum solemniis, elemosinis, vigiliisiquoque per aliquot dies sollemniter prb 
anima illius celebratis, in ecclesia S. Petronellae . . . sacrum Agnetis imperatricis 
Apostolica sua indulgentia et absolutione tantotiehs a peocatis remissae corpus- 
oulum in sarcophago consignatum . . . sepelivit." ' ' - ' ■' 

3 Migne CLI 340: „Dei et apostolorum eius et gratiam et benedictionem 
■et peccatoram abaolutionem ex apostolicae auctoritatis quam indigne gerimus 
vice, benevolentiaraque donamus."' ■ • ' 

* Migne CLI 208: „Vivos et defimctos benedicens absolvit, etiam ecclesiae 
Ib. Nazarii saxa benedixit, et sdhsequenti sexta feria . . . sermonemi nobis fe'citi 
coemeterium propriis manibus salis aspersione absolvit; et sie diebus 'quinqüe 
nobisoum commoratus, vivis ae defunctis consignatis . » •: discessit." 

. , * Migne ,CLI 209: „Totam insulam Magalone solemniter conaecravit', et 
'Omnibus in eo sepultis et sepeliendis absolutionem omnium delictorum con!cessit.'' 
.So erzählt um die Mitte des 14; Jahrhunderts der Bischof -von Magnelone Arnaüd 
(de Verdale. .•■.'. •. . ,, • i .- . >:'--i 



A. Die Absolution der Verstorbenen im früheren Mittelalter. 53 

Daß bei der. Einweihung eines Friedhof ps die Gläubigen, die darin 
die letzte Ruhestätte gefunden hatten oder finden sollten, von ihren 
Sünden absolviert wurden, wird- in mittelalterlichen Quellen mehrfach 
bezeugt. Um derartige Erzählungen* ;besser zu verstehen; muß man 
sich der kirchlichen Gebete erinnern, die bei der Einweihung des 
Friedhofs verrichtet wurden. In diesen Gebeten- wird nämlich die 
Bitte an Gott gerichtet, er möge die Seelen der- Gläubigen, die auf 
dem Friedhofe begraben werden, von allen Sünden- freisprechen.^ 
Angesichts solcher Gebete- ist leicht erklärhch, wie man von einer 
Absolution der auf dem Friedhofe ,Ruhenden sprechen konnte. - 

Als Gelasius II. im Jahre 1118 die Kathedrale von Genua ein- 
weihte, soll er nach einer sehr alten Aufzeichnung allen jenen, die 
nach guter Beichte auf dem Friedhofe der neueingeweihten Kirche 
beerdigt worden oder bis ans Ende der' Welt darauf sollten beerdigt 
werden, die Nachlassung aller Sünden erteilt haben.^ Da der Papst 
zu gleicher Zeit den Besuchern des Domes am Kirchweihfest einen 
Ablaß von 1 Jahre und 40 Tagen verhieß — eine für die damalige 
Zeit ganz ungewöhnliche Bewilligung — , so dürfte es sich wohl um 
eine spätere Fälschung handeln. Wahrscheinüch ist es allerdings, daß 
der Papst bei der Einweihung der Kirche die auf dem- Friedhofe 
ruhenden Gläubigen von ihren Sünden losgesprochen hat; Aber nach 
dem damaligen Sprachgebrauch ist unter dieser Absolution, die Ver- 
storbenen erteilt wurde, nichts anderes als ein Fürbittgebet zu ver- 
stehen. 

Wie die Päpste, so haben bisweilen auch die Bischöfe ver- 
storbenen Gläubigen die Absolution gespendet. Der Chronist Thietmar 
berichtet von einer „Nachlassung", die der: Kölner Erzbischof HeriJ3ert 
detn anfangs 1002 zu Paterhö bei Rom verstorbenen Kaiser Otto III. 



^ Pontificalis ordinis liber, Eomae 1497, 150: „Huic cimiterio, quesumus 
Domine, angelum sanctum deputa custodem, et quorum quarumque corpora hio 
sepeliuntur, animas eorum ab omnibus absolve vinculis peccatorum." In einem 
alten jM[issale von Arles heißt es: „Prima die post octavam Epiphaniae cele- 
bratnr missa conventualis pro memoria omnixim defunctorum. Et post miss'am 
processionaliter absolvitur totum cimiteriuin sicut in crastino omnium Sancto- 
nun." Wie aber diese „Absolution" stattfindet, -wird gleich nachher erklärt: 
,iEt inrqualibet statione . , dicitnr oratio: ■ Fidelium t Dens omnium conditor." 
Martene,De ritibus III 126. In Limoges fand am Allerseelentag eine Prozession 
statt, „in qua viginti fieri-debent absolut iones", die erste im Chor für alle 
in der Kirche Beerdigten, die andern über verschiedene Gräber, am Schlüsse eine 
„absolutio generalis":' Ebd. '603 f. 

; '^ TJghelli IV' 851. Cappelletti XIII 306: „In qua consecratione . . >. 
fecit- remissionem cunctorum peccatorum ex -parte Dei ... et sua, in quant\un 
potuit, Omnibus defunctis masculis et foeminis, qui mortui sunt in vera con- 
fessione et suntsepultiin coemeterio eiusdem Ecclesiäe,.et sepelientur üsque in 
finem-huius saeculi, omnibusque illis qui venerint adcelebrandumthuiuis dedi- 
cationis-diem,. condonavit annum unum et 40 dies, in quibus ieiunare debent 
pro poenitentia iniuncta eis." Über diese Aufzeichnung vgl.. Kehr, Hegesta 
VI 2, 279. Der gleichzeitige, in Genua lebende Chronist Cafaril (1080—1166) 
spricht wohl in- seinen „Annales.'Januenses" .yon der) 'Konsekration des Domes 
durch Gelasius, doch sagt er nichts von .einem' Ablaß.. Mon. Germ.sSS. XVIII' 15^ 



54 . I. IVXittelalterlichö Absolutionen -als~"äingebliche Ablässe. . 

erteilte, als dessen Leiche durch Köln kam, um in Aachen beigesetzt 
zu werden.^ Der Biograph des hl. Godehard, des - Bischof s von 
Hildesheim, erzählt, wie letzterer einen, Priester, der , plötzlich ge- 
storben (1035), -noch nachträgüch -von seinen Sünden absolvierte .'^ 
Biese nachträglich erteilte Absolution war eine Fürbitte, ähnlich der- 
jenigen, die der Biograph dem hingeschiedenen Geistlichen zu ver- 
schaffen sucht, indem er die Leser auffordert, dem 'Verstorbenen 'die 
Nachlassung seiner Sünden von Gott zu erbitten.* 

Nebst den individuellen. Lossprechungen, die einzelrien Ver- 
storbenen gespendet wurden, gab^ es auch generelle bischöfliche 
Absolutionen. So hat im Jahre, 1079 Bischof Bernhard vonUrgel 
bei der Konsekration der Kirche von Olivis alle verstorbenen und 
lebenden Wohltäter des Gotteshauses von ihren Sünden losgesprochen.* 
Aus dem Wortlaut der Urkunde ist leicht zu ersehen, daß es sich bloß 
nin einen. Segenswunsch, um eine Fürbitte handelt. Dasselbe gilt von 
der Absolution, die Bischof Bernhard im Jahre 1080 bei der Ein- 
weihung der Klosterkirche von St. Cäcilia erteilte, indem er alle Wohl- 
täter des Klosters von ihren Sünden lossprach und alle, die, dort 
begraben waren, durch sein flehentliches Gebet, wie in der Stiftungs- 
urkunde berichtet wird, aus ihrem schrecklichen Gefängnis befreite.? 
Unter diesem ,, flehentlichen Gebet", dessen Wirksamkeit in so starken 
Ausdrücken geschildert wird, ist sicher nichts anders zu verstehen als 
das damals übliche Absolutionsgebet für die Verstorbenen. Etliche 
Jahre später, im Jahre 1089, absolvierte auch Bischof Berengar von 
Gerona, anläßlich der Konsekration der Abteikirche von St. Maria 
de Llado, „soviel er konnte", alle, die auf dem dortigen Friedhof 
begraben lagen.* 

Von einer Absolution der Verstorbenen ist namentlich in den 
inittelalterhchen „Mönchsgewohnheiten" öfters die Rede. In den 



^ Mon. Grerm. SS. III 783 : „In cena Domini ad S. Petrum portatur, ubi . . ■. 
anime presentis corporis ab archipresüle remissio datur." 

2 Mon. Germ. SS. XI 211: „Remissionem ei peccatorum ex corde etsi sero- 
indulsit." - ' - 

3 Er habe das Ende jenes Priesters erzählt, „ut cum haeo legeritis, in- 
dulgentiam ei et remissionem peccatorum . . . a Domino imploretis.'f 

* Villanueva XI 181: „Non solum illos, qui in preteritis temporibus 
obtulerunt Domino Deo et prefate ecolesie pro remedio animarum suarum dona, 
verum insuper generaliter omnes homines, quicunque ibi aliquid obtulerint, 
quod ad laudem et supplementumsanote ecolesie fieri possit, in futuris temporibus, 
benedixit ao signavit, et auctoritate apostolorum Petri et Pauli a cunctis nexibus 
peccatorum suorum absolvit, et Christo Domino sanctisque suis illos suis precibua 
oommendavit,: quatinus ab- omnipotenti Deo benedictionem eternam aooipero 
mereantur." > >. . , •-; 

* Villanueva XII 225: „Omnes primos vel infimos qui parum vel magnum 
aliquid obtulere Domino Deo in die vel loeo illo, fultus apostolorum Petri et Pauli 
auctoritate et pontificali subnixus potestate a peccatorum omniumsolvit dis- 
oiimine, et animas omnium fidelium in eodem loco quiescentium eruit ab hor- 
*ida . -. . sede sua supplici prece." ■ 

- • Espana Sagrada XLV 297: „tlt possibile est, ab eo omnes ibi quiescentes 
äbsolvuhtur, ut aeterna requie potiantur." •■••■■■>.■ 



A. Die Absolution der Verstorbenen im früheren Mittelalter. 55 

Crewohnhfeiten. von Färfa, deren Redaktion aus, der ersten iHälfte des 
11. Jahrhunderts stammt, , wird verordnet, daß, wenn ein Mönch nach 
iseinem, Hinscheiden /im .Traume einem Bruder erscheint, der Abt oder 
•dessen Stell Vertreter ihn. absolviere (debet eum.absolvere) undt allen 
.Priestern befehle^ die Messe für. ihn zu. lesen. Trifft die -Nachricht ein, 
daß ein Mönch aus/einem 'Verbrüderten Kloster .gestorben ist; so soll 
ihn der Abt öder Prior im Kapitel von' allen . Sündenfesseln ;los- 
.sprechen (absolvat eum ab omni 'vinculodelictorum).^ lEine ähnUche 
Absolution sei den hingeschiedenen Verwandten der Ordehsmitglieder 
.7;u .erteilen'.^ Die Gewohnheiten von St. Vit'on (Verdun) .aus dem 
10. Jahrhundert schreiben vor, daß nach dem Hinscheiden eines 
JMönchs die. Brüder sich in das Chor zu begeben haben, um die Seele 
■des Verstorbenen durch Psalmengesang zu absolvieren.? In dem 
Pariser Chorherrenstift St. Viktor wurde der Verstorbene im Kapitel 
absolviert.* Die von dem Mönch UlriGh 1086 niedergeschriebenen 
Gewohnheiten von Cluni bestimmen, daß der Prior dem hingeschie- 
denen Mönch die Absolution erbitten soll (ei prior imprecatur abso- 
lutionem)^. Ähnlich lauten die von r Wilhelm dem Sehgen (f 1091) 
«entworfenen Gewohnheiten von Hirsau.* In den Statuten der 
Zisterzienser aus der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts • werden 
•die Gebete für die Verstorbenen ausdrückHch als Absolution, be- 
zeichnet.' Da diese Bezeichnung allgemein üblich war, so versteht 
man leicht, was es zu bedeuten hat, wenn in einem unter Abt Albert 
< 11 99— 1217) angelegten Stiftungsbuch der Abtei Maria -Laaoh .be- 
richtet wird, daß jedesmal, wenn die Nachricht vom Tode eines Wohl-' 
täters eintrifft, der Abt den Verstorbenen von seinen Sünden los- 
^pricht.8 

Eine eigentümliche Wirkung wird der Absolution zugeschrieben, 
■die einmal die Mönche der Benediktinerabtei Pleury in Frankreich 
•einem Toten gespendet haben.. Einer der Chronisten dieser Abtei, 
■der Mönch Andreas, der seine Aufzeichnungen um 1043 niederge- 
schrieben hat, erzählt von einem Manne, welcher der Abtei -allerhand 
^Schaden zufügte und Klostergüter sich aneignete.' Zur Strafe dafür 
wurde er vom Teufel erwürgt. ' Als er nun auf .einem klösterlichen 
Friedhofe beerdigt wurde, wollte ihn die geweihte Erde nicht behalten 
und warf ihn aus dem Grabe heraus. Dies wiederholte sich zwei- 
•pder dreimal. Darob entsetzt, gab die Frau des Verstorbenen die 
entwendeten Klostergüter zurück und ließ die Leiche nach ! FleWy 



^ Ygl. .das Gebet: „Abs'olve, quaesumus Domine, animam fämuli tui -ab 
«omni ,vinculo delictorum." 

2 Albers I 197 199 200. 3 Albers V 132. 

* Martene, De ritibus III 303. , " j^igne CXLIX ,775. 

* Herrgotj;, Vetus disciplina monastica. Parisiis 1726, 565 568*. Migne 
€L,114'1 1144. .... • . 

'' Mignie CLX 1479. , ..■.•. 

* E. Richter, Die Schriftsteller der Benediktinerabtei Maria-Laach, inder 
"Westdejitschen Zeitschrift für Geschichte mid Kunst .XV-II. (1898) 100 f.: „Faoit 
ei absolutionem peccatorum sviorum et imprecatvir ei vi tarn aeternam.". f 



•56 II.' ]M(ittelalterliohe Absolutionen als angebliche Ablässe,-' 

bringen. Hier erteilten die Brüder dem Unglücklichen die-Absölutioia 
(indulgentia absolutionis) und legten ihm die geschriebene' Absolutions- 
formel auf die Brust. Jetzt konnte die Beerdigung ungehindert statt-, 
finden; die Erde warf die Leiche nicht mehr; aus. ^ J ■ i 

; Sonderbar ist die Vollmacht, die in einer Bulle vom 11. April 1139" 
von Papst Innozenz II. dem Abtevon'Gastel in der Oberpfalz ver- 
liehen wurde; Unter anderen Kechteh erhielt der. Abt die Befugnis^ 
die iBüßer aufzunehmen und zu absolvieren, die Toten zu begraben, 
und Lebenden und Verstorbenen alle Sünden nachzulassen.^ Bezüglich!, 
der Lossprechung der Lebendigen bietet die Bulle -keine Schwierigkeit.. 
Der Abt ■ erhielt . die nötige Jurisdiktion, ^um - jene, die ' sich' an ihn. 
wenden würden, nach reumütiger Beichte . von ihren Sündeii lös- 
zusprechen. Wie ist aber die Vollmacht j den Verstorbenen alle Sünden, 
nachzulassen, zu erklären ? Entweder handelt es sich- um die Voll- 
macht, Verstorbene von jeder kirchlichen Zensur loszusprechen, oder^ 
was wahrscheinlicher ist, der' Satz „tam vi vis quam defunctis universa. 
delicta relaxandi" enthält nur eine Umschreibung der unmittelbar 
vorhör erteilten Befugnisse, nämlich des Rechtes zum Beichthören, 
und des Begräbnisrechtes. Mit der Vollmacht, den Verstorbenen,, 
die Sünden nachzulassen, hätte demnach der Abt das Recht erhalten^ 
jene, die den Klosterfriedhof zu ihrer Ruhestätte wählen würden, einzu- 
segnen und dabei die üblichen Absolutiohsgebete über sie zu sprechen.. 
Daß es üblich war, die kirchlichen Gebete. für die Verstorbenen 
als Absolution zu bezeichnen, sieht man auch aus den Synodalstatuten^ 
die der Pariser Bischof Budes von Sully am- Anfang des 13. Jahr- 
hunderts erlassen hat. Es wird darin den Pfarrern befohlen, ihre= 
Pfarrkinder, wenn sie von deren Hinscheiden Kunde erhalten, sofort, 
mit den Psalmen undderOration für die Verstorbenen zu absolvieren.* 



1 E. de Certain, Les miracles de Saint Benoit Berits par Adreyald, Aimoia 
Andrej Raoul Tortaire et Hugues de Sainte IV^arie, moines de Pleury. Paris. 
1858, 222 f. .' . 

' Monmnenta b'oica XXIV 315: „Abbas . . . licentiam habeat et pptestatem. 
predicandi, penitentes quosque suscipiendi ac curandi, ligandi atque solyendi^ 
infirmos visitandi, mortuos undecunque in ipso loco sepeliendi, tam vivig quam, 
defunctis universa delicta relaxandi."' Jaffe 7975. Der Herausgeber erklärt^ 
das Autograph mit dem päpstlichen Siegel vor sich gehabt zu haben (S. 310).. 
Trotzdem scheint die Bulle etwas verdächtig zu sein. Auch Schreiber II 296^ 
der das Schreiben als echt annahm,. bekam nachträglich Zweifel, Im Jahre 1235 
bestätigte Gregor IX. die von Innozenz II. erteilten Privilegien. In der neuen. 
Bulle ist jedoch keine Rede von Absolutionsvollmachten; dafür enthält sie die- 
öeit Urban IL •übliche-Formel für das Begräbilisprivilegium : „Sepulturam ipsius. 
loci liberam esse decernimus, ut eorum devotioni et extreme volxmtati qui se- 
iilic sepeliri deliberavörihti nisi« forte excommimjcati vel interdicti, aut publice^ 
usurarii sint, niillus obsistat:-' Mön. bbica XXIV 320 ff. 

' / • ::'8 j^angf XXII 68i: ,,Siacerdotes, audito parochianorum suorum obitu,. 
statim absolvant eos cum psalmis pro defunctis et coUecta." Unter dieser Kollekte 
ist die heute noch übliche Oration zu verstehen: „Absolve, quaesumus 'Domine.. 
»nimam faihiüi tm ab önani vincülo delictorum." Cabrol bemerkt: „Cette 
fomiiuleseretroüvedans' les plus äriciens manuserits gr^goriens." Dictionnaire» 
d'arohöologie chr^tienne et de lituirgie I, Paris 1907, 205. 



. - 1 B. ' Absolutionen lebender Personen. ■ . . 57 

Oanz dieselbe Vorschrift wird, wiederholt in den Diözesanstatuten.von: 
Meäux aus der; Mitte des 14. Jahrhunderts .^ 

., Aus den vorstehenden Mitteilungen- ergibt sich zur Genüge, daß. 
die im Mittelalter üblichen Absolutionen der Verstorbeneuj abgesehen. 
von der Absolution der Exkominunizierten, als Gebete' für die Ver- 
storbenen, aufzufassen, sind.- Wie .wenig es angeht, in diesen Abso- 
lutionen Ablässe zu sehen, zeigt schon die Entwicklungsgeschichte des. 
Ablasses! 'Die Ablässe wären schon /längst in Übung-, als von einem. 
Ablaß-für die Verstorbenen noch keine Rede war. Die älteren Theologen, 
und ,Kanonisten, die gegen Ende des 12.; Jahrhunderts anf ingeri, > die- 
Abläßffage'zu erörtern, sprechen immer nur von Ablässen für Lebende,, 
nie von Ablässen für Verstorbene. Keinem, vgoi ihnen ist es eingefallen,, 
die damals üblichen Absolutionen der Verstorbenen den Ablässen bei- 
zuzählen. Erst um die Mitte des 13. Jahrhunderts, nachdem die- 
Gläubigen begonnen hatten, den Kreuzzugsablaß eigenmächtig für di& 
Verstorbenen aufzuopfern, fingen auch die Theologen und Kanönisten 
an, dem Ablaß für Verstorbene ihre Aufmerksamkeit zuzuwenden. 
Während die einen derartige Ablässe rundweg ablehnten, haben andere- 
sie als zulässig und nützlich anerkannt. ^ Aber auch die Vertreter der 
letzteren Ansicht haben sich bei .der Begründung des Ablasses für die- 
Verstorbenen nicht auf die seit Jahrhunderten gebräuchlichen Ab- 
solutionen der Verstorbenen berufen. Man wird also gut tun, diese- 
Absolutionen und die Ablässe genau auseinanderzuhalten. 

Ähnliches ist zu sagen von zahllosen Absolutionen, die im früheren. 
Mittelalter lebenden Personen angewünscht oder gespendet worden sind.. 

B. Absolutionen lebender Personen. 

Wegen der großen Mannigfaltigkeit dieser Absolutionen dürfte es; 
angebracht sein, zuerst jeiie zu behandeln, die von den Päpsten erteilt, 
worden sind; nachher sollen dann die von Bischöfen und andern. 
Geistlichen gespendeten Absolutionen zur Sprache kommen. 

1. Von Päpsten erteilte, AbsoIutipneD. 

Als Einleitung zur ganzen Studie über die Absolutionen möge der 
Hinweis auf zwei Briefe Ale y ins (f; 804) dienen. Der eb.enso demütige^ 
als gelehrte Ereund Karls des Großen schrieb einmal an den hl. Paulirius,, 
Patriarch von Aquitanien'("}" 802), -um sich als Sünder seinem. Gebete- 
anzuempfehlen (ine ... pfecibüs süblevares).. Der Heiland, bemerkt. 
Alcvin in dein Briefe an seinen Ereund, hat den heiligen Lehrern die. 
Lösegewalt (potestatem solvendi) verliehen. So löse mir denn, o bester 
Lehrer; mit göttlicher Vollmacht die tödlichen Sündenbande (solve 
iubente Deö mo]?tifefas mihi peccatoriim catenas).^ Es liegt auf der 



, ^ Toussaints Du Plessis, Histoire de l'eglise de Meaux II, Paris 1731, 
484: De absolutionibus parpohianonim. ^ , - - 

2 Mon. Germ. bist. Episiolae IV 130 f. 



58 II. Mittelalterliche Absolutionen als' angebliche Ablässe. 

Hand, daßi hier das Lösen als Fürbitte aufzufassen^ ist; denn uiü 
-eine solche hat Alcvin selber unmittelbar vorher angehalten. Noch 
■deutlicher ist ein Schreiben Alcvins vom Jahre 801' an Papst Leo III. 
Inständig bittet der Briefschreiber- um 'das Gebet (orationibus) des 
-aUgemeineh Oberhirten und um den päpstlichen Segen (vestrae auctori- 
tatis humili/Voto flagitans benedictionem), damit er mit der Gnade 
Gottes dm Guten ausharren könne. Warum verlangt er aber so innig 
nach des Papstes . Segen und Fürbitte ? Weil er weiß, daß der> Nach- 
folger des hl.- Petrus von Gott die Lösegewalt erhalten hat. Deshalb 
beschwört er den Heiligen Vater, ihm seine Sündenbande mit aposto- 
lischer Gewalt lösen zu wollen.^ Der päpstliche Segen, die Fürbitte 
■des Heüigen Vaters galt demnach in den Augeü Alcvins als -ein Lösen, 
-ein Lossprechen von den Sünden. 

Wie Alcvin dachten viele andere im früheren Mittelalter. Daher 
•die damals weitverbreitete Sitte, die Fürbitte um Begnadigung, urii 
Verzeihung der Sünden als eine Lossprechung zu bezeichnen. Aus 
Alcvins Schreiben ersehen wir aber auch, warum man damals auf den 
päpstlichen Segen, auf die Fürbitte des Heihgen Vaters, so großen 
Wert legte. Diese Wertschätzung beruhte auf dem Glauben an die 
von Gott dem Papste verliehene Lösegewalt. Treffend ist dies schon 
von anderer Seite hervorgehoben worden: „An den Papst wandte man 
«ich deshalb gern um Verzeihung der Fehler, weil man überzeugt war, 
•daß er als Statthalter Christi und mit der Fülle der kirchlichen Ober- 
gewalt ausgerüstet als der ' mächtigste Für bitter bei Gott eintrete. "^ 
Aus demselben Grunde legte man auch großen Wert auf die Fürbitte 
des hl. Petrus, wie dies schon im Jahre 1031 der englische König 
Xnudder Große von Rom aus in einem Schreiben an seine Unter- 
tanen hervorgehoben hat.^ 

Nach dieser einleitenden Bemerkung können wir die in authen- 
tischen Quellen erwähnten päpstlichen Absolutionen näher ins Auge 
iassen. Es wird wohl das Einfachste sein, wenn wir uns dabei an 
•die chronologische Ordnung halten. Beginnen wir auch hier, wie bei 



^ Ebd. 380: %,Ideo tarn obnixe intercessionis vestrae deposco suffragia, 
«quoiüam optime novi cum beato Petro, principe apostolorum, te, sanctissime 
pater, accepisse potestatem solvendi. Solve in filio pietate paterna, virtute 
Apostolica, catenas peccatormn." Ygl. 139 298 zwei andere Schreiben an Leb III. 
uad S. 68, ein Schreiben an Hadrian I. In dem letzteren Schreiben bittet' Alcvin 
dsn Papst, er möge ihn in sein Gebet einschließen (me in gremium sanctissimae 
infcercessionis vestrae colUgere dignemini) und ihm die Befreiung von den Sünden- 
binderi verschaffen (rae iubeas salutifefae pietatis verbo a peccatorum vinculis 
«ise solutum). 

a Frank 357. • . • 

, ,, ^ „N^otifico vobis me noviter isse Romam, oratum pro redemptione pecca- 
minum meorum ... Et ideo maxime hoc patravi, quia a sapientibxxs didici 
sihotum' Petrura apostolum "magnam potestatem accepisse a Domino lig'andi et 
solvendi clavigerumque esse cpelestis regni; et ideo speeialiter eins patrocinium 
a.pud Deum expeterövalde utile Uuxi.'' Wil'helmi "^ de- gestis 

regum Anglorum libri quinque I, Ldndon 1^87r22ivff [Rerum'britähPm^ 
Scriptores XC]. . /■ ''.^\ -^ '.■'"'■ --^ ''-■':/■'■ .^■•■"' -•■'■?■»:' rr''i:u ' 



, ._ iB.L Absolutionen Jebender/Personen. .! . 59 

■deri Absolution der, Verstorbenen j mit Gregor dem Großen (f 604), 
in dessen- Briefen öfters von einer Absolution der Lebenden die 
Rede ist. 

; Bemerkenswert ist vor allem, daß der. Papst einmal einen Bischof 
ersucht, für ihn zu beten, damit er durch dessen Fürsprache • von 
•seinen Sünden absolviert' werde .^ Er selber Verklärt auch wiederholt 
in seinen Briefen, für andere beteii zu wollen, daß -Gott sie von ihren 
Sünden losspreche (Dominum : deprecamur , ut vos ab omni reatu 
peccatbrum vestrorum absolvat).^ Ein anderes Mal spricht er von 
^einer Absolution, die man von Petrus erwarte (per quem^ solvi ab 
omnibüs peccatorum nexibus desideratis).^ Offenbar hat er dabei nur 
^n eine Fürbitte des hl. Petrus gedacht. An eine Fürbitte des hl. Petrus 
<iachte er auch;, wenn er, hier und da Partikeln der Petruskette ver- 
wandte und dabei den Wunsch aussprach, die Reliquie möge den- 
jenigen, der sie tragen werde, von allen seinen Sünden befreien (üt 
-quödillius coUum ligavit ad martyrium, vestrum ab omnibus peccatis 
.solvat).* . • 

Im Mittelalter war es Sitte, daß die Gläubigen zahlreiche fromme 
«Stiftungen machten. Sie waren dabei von dem bereits in der Heil. 
^Schrift ausgesprochenen Gedanken geleitet, daß sie , durch Almosen 
leichter von Gott die Nachlassung ihrer Sünden erlangen würden ; sie 
iiatten auch die feste Überzeugung, daß die Heiligen, zu deren Ehre 
«ie eine Kirche oder ein Kloster gründeten, sie durch ihre Fürsprache 
bei Gott unterstützen würden. Daher kommen in den alten Stiftungs- 
urkunden so oft Formeln vor wie die folgenden: pro absolutione pec- 
oatorum meorum, pro remissione oder in remissionem peccatorum 
meorum, pro redemptione oder pro satisfactione peccatorum meorum, 
ut indulgentiam peccatorum meorum merear, ut per sanctoruin ora- 
tionem' indulgentiam peccatorum meorum obtinere merear.^ Diesem 
allgemein verbreiteten Glauben gaben die Päpste Ausdruck und be- 
kräftigten ihn, wenn sie bei der Aufforderung zu guten Werken den 



^ Gregorii I Registrum, 1. VIII, c. 29. Mon. Germ. Epistolae II 31: „Pete, 
mt in sanotis orationibus veatris mei. memores esse dignemini, quatenus a pecca- 
torum meorum nexibus, quia meis meritis non valeo, vestris intercessionibus 
•absolvar." 

, ».i-Reg. VI 26 46; Xi 18. Epp. I 405 421; II 280. 

3 Reg. XIII 42. Epp. .11 405. : - 

* Reg. III 33; VII'25; VIII 33; IX 228. Epp; I 192 470; II 36 225. Daß 
•Gregor an eine Fürbitte des hl. Petrus dachte, zeigt Reg. XII 2. Epp. II 349: 
-^iQuae coUo vestro suspensa, hoc -vobis e'o intercedente. gratia absolutionis 
"iiat, qviodalli fuit causa martyrii." A.Lagarde (Revue d'histoire et de littöratuie 
-Töligieuses 1912, 166) meint: „La clef estun instrument möcanique d'absolution." 
Vgl.' dagegen J. Tixe'ront in Bulletin- d'anoienn'e litterature et d'aroheologie 
«hr6tiennes.l912, 257 f. , . . . , 

*. 'Derartige Formeln finden-'Sich in Hülle tund Fülle in jeder Sammlung 
lalter Stiftungsurkimden. • Man' vergleiche z. B. einen der' zahlreichen- Cartulaires 
iin der CoUection- des documents inödits sur l'histoire de^Erance,-. insbesondere die 
"Oaitulaires von St. Viktor imd von öluni. Vgl. auoh,Falco 195 ff.: jLa virtü 
idelle buone opere nel formulario medioevale. 



€0 II. Mittelalterliche Absolutionen- als angebliche Ablässe. 

Gläubigen die Verzeihung der Sünden in Aussicht stellten.' Ali- eine 
Erteilung von Ablässen hat man> bei solchen allgemein gehaltenen 
Verheißungen nicht zu denken. 

; Als Papst Gregor II. im Jahre 724 den hl. Bonifatius' J nack 
Thüringen sandte, ermahnte er die dortigen Gläubigen, eine bischöf- 
liche Wohnung und Kirchen zu bauen. Dabei unterheß er nichts 
ihnen dafür die Verzeihung ihrer Sünden und eine ewige Belohnung 
hl Aussicht zu stellen (ut Dens indulgeat peccata vestra et dohet 
vobis vitam aeternam).^ Die Nachlassung der Sünden verhieß auch. 
Stephan II. den Franken, als er sie im Jahre '753 um Hilfe gegen, 
die Langobarden anrief. Wenn der Papst hierbei den Sündenerlaß, 
als ein Gnadengeschenk des hl. Petrus hinstellt,^ so hat er offenbar 
nur die Fürsprache des Apostelfürsten im Auge, wie er dies übrigens; 
in einem andern Schreiben ausdrücklich hervorhebt.^ Man hat in 
dieser Verheißung des Papstes eine Ablaßbewilligung sehen wollen.* 
Sehr mit Unrecht ! Indem der Papst den Verteidigern der römischen 
Kirche die Verzeihung der Sünden und den Himmel in Aussicht stellt, 
spricht er bloß die Überzeugung aus, daß das Eintreten für die Kirche^ 
wie andere gute Werke, bei Gott Sündenvergebung erwerbe.^ Gleich 
Stephan II.,* haben auch andere Päpste, wie Gregor III.,' Paul I.* 
und Leo IV. ,^ öfters die Franken durch Verheißung eines himmlischen 
Lohnes zur Verteidigung der Kirche anzuspornen gesucht. Wollte man 
derartige Verheißungen als Vorstufen des Ablasses betrachten, so 
müßte man folgerichtig auch in allen Schrift- und Vaterstellen,' in 
denen für' gute Werke ein himmlischer Lohn verheißen wird, Vor- 
bereitungsstufen des Ablasses finden.^" 



. ^ Mon. Germ. hist. Epistolae III 275. 

* „Pro certo tenentes, quod per certamen, quod in eius.sanctam ecclesiam^ 
vestram spiritalem matrem, feceritis, ab ipso principe apostolorum vestra diinit- 
tantur peccata." Mon. Germ. Epp. III 488. 

^ In einem Schreiben vom Jahre 756 an die Franken läßt er den hl. Petrus, 
auftreten und legt ihm folgende Worte in den Mund : „Omnes, qui meam audientes. 
impleverint predicacionem, profecto credant sua in hoc mimdo, Dei preceptione^ 
relaxari peccata . . . Si obedieritis velociter, erit vobis p'ertingens ad mkgnam. 
mercedem, et meis suffragiis adiuvati . . . aetemam-procul' dubio fruemini 
vitam." Epp. III 501 ff. 

* Theologisches Literaturblatt 1906, 440. Hilgers 58. 

^ Dies hat schon L. K. Goetz, Studien zxir Geschichte des Bußsakraments^ 
in Revue internationale de thöologie II (1894) 312, richtig hervorgehoben. 

* Mon. Germ. Epp. III 487 488 490 493 497 498 502 503. 

' Ebd. 477 478.. ' . ' , 

8 Ebd. 516 620 522 524 528 531 536 539 543. 

* Mon. Germ. Epp. V 601: „Omnium vestrum nosse volumus karitatem,. 
quoniam quisquis (quod non optantes dicimus) in hoc belli certamine fideliter 
mortuus fuerit, regna illi caelestia minime negabuntur. Novit enim omnipotens^ 
si quilibet vestrum raorietur, quod .pro veritate.fidei et.salvatione.ahimeac defen- 
BJone patrie christianorum mortuus est, ideoque ab eo pretitulatum 'premimn. 
consequetur." Im Dekret Gratians c. 46. C. XXIII q. 6; c. 9. C. XXIH q; 8.. 

^' Vgl. hierüber die- Bemerkungen Falcos 139 ff. gegen'. Gottlob 22;''der- 
in- der Heilsversicherung Leos IV. „die erste Vorbereitungsstufe des Kreuz- 
ablasses" finden will. • 



•'-. B. 'Absolutionen lebender Personen. 61' 

.. -Nicht selten kommt- es. im ifrüheren. Mittelalter -cor,- daß Päpste- 
«tm. :Schlusse. ihrer Schreiben^ den Wunsch, aussprechen oder die Bitte 
^n Gott richten, es .möchten jenen, an welche sie schreiben:, ihre Sünden 
erlassen .werden.^ ,Von einer derartigen Bitte um 'Nachlaß. der. Sünden 
wardie.damals übhche sakramentale Absolutionsformel nicht wesenthoh' 
verschieden.' > Wurde .doch damals .bei der sakrameiitalen> Absolution, 
■die ' der.' Bischof, oder der bevollmächtigte Priester ; den Pönitenten 
■erteilte /gewöhnlich die deprdkative oder, fürbittende Form gebraucht. 
Daß i findessen diese Absolütiöhsformel,i möge sie .nun deprekativ odier, 
'wiöies''später Sitte, wurde, indikativ- lauten, in »gewissen Fällen bloß 
«,1s,, Fürbitte,' in andern dagegen- als = bewirkende- Ursache der Nach- 
lassung, der- Sünden zu .gelten- hat, hängt van der. Intention !ab, in 
welcher die Bischöfe oderdie Priester die Absolutionsworte gebrauchen.^ 
In welcher Intention aber die Bischöfe und Priester, die Absolutions- 
worte gebra;uchen, läßt;Sich. in der Regel ziemlich, leicht -aus den.be-^ 
;gleitenden Umständen erkennen.' Wo.z. B. die Absolution im Anschluß 
.an -Beichte und Genugtuung- erteilt wird, hat sie in der -Regel als 
wirkliche Lossprechung zu gelten. Wenn' aber im früheren- Mittelalter 
■die' Absolutionsworte,- sei es in deprekativer oder indikativer Form 
gebraucht werden, ohne daß von irgendeiner Beichte und Genugtuung 
die Rede ist, dann sind sie gewöhnlich bloß als Fürbitte oder Segens- 
wunsch zu. .betrachten. .. Behält man dies ' im Auge, so werden ver- 
schiedene; Absolutionsformeln in päpstlichen Schreiben leichter zu er- 
-Mären sein. .-. - ; > - , , - , " 

- ,: Sehr oft heißt es" am Schlüsse päpstlicher. Schreiben: Wer diese 
•unsere apostolische Verordnung befolgt, möge' die Verzeihung seiner 
•Sünden, .und das,;ewige Leben erlangen.,. So lautet z.,B. eine. Bestä- 
tätigungsbulle Hadriahs I. vom Jahre 772 für Farfa^. Denselben 
Sinn: haben die zählreichen Schlußformeln,- in denen! die Päpste, z..B» 
;Nikola,us:L (858—67),^ beiider ,Erteilung von Privilegien an Kirchen 
xmd Klösterni denjenigen, -welche diese Privilegien achten werden, die 
göttliche Gnade und Barmherzigkeit anwünschen oder auch verheißen. 



^ Den Sinn dieser Schlußsegensformeln hat L. K. Goetz (Revue intern 
aiationale II ,431 ff.) richtig erfaßt. . - ■' ■. - 

. . 2, Darauf; hat schon bei einem andern, Anlaß Morinus 701 f. aufmerksam 
gemacht.. Indem er daran erinnert, wie im früheren Mittelalter bei der Auf- 
legung der öffentlichen Buße am Aschermittwoch öfters dieselben Absolutions- 
gebete gebraucht -wxirden wie am Gründonnerstag bei der Wiederaufnahme der 
Pönitenten, bemerkt er, daß man die'; verschiedene Bedeutung derselben Worte 
au beurteilen" habe '"„exTintentibne,-Ecclesiae quaoi primis precibus auxilium 
yoerdtenti a Deo: impetrare, intendit; ' ut'"sancte .poenitentiam suscipiat, quo 
ielicius et celeriusjveniam oonsequatur; . .> .-postremis, quia tuno iudieatuLT poeni- 
■tens suffieienter purgatus et dispositus, eum reconciliare Deo et sibi intendit .. .,. 
Verb.a sive. indicativa sint,- si've deprecativa,- non.iagimt nisi cmn instituto et 
inten tione Ecolesiae per ministrum suum hio et nunc secundum ipsius canones 
-applioata." . < , ^: .-. - . .\ 

? Giorgi II 85 :i „ Qui observator istius nostri apostolici constituti extiterit . . . 
suorum yeniam .delicfcorum consequi .et, vitam mereatur, adipisoi aeternam." 
* Migne CXIX 815 820 821 823. .und passim. 



62 II. IKJittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe. 

Eine besondere Beachtung verdienen die Schreiben, die Nikolaus I- 
im Jahre 864 an etliche deutsche Bischöfe gerichtet- hat. . Auf einer 
Synode, die 863 in Metz stattfand, hatten mehrere' Bischöfe sich für 
König Lothar erklärt, obschon er vom Papste gebannt worden wäri. 
Bald nachher suchten sie aber die Versöhnung mit dem Papste liachy. 
indem sie reuige- Bekenntnisse nach Rom, sandten und sich voni jeder 
Gemeinschaft mit dem gebannten König lossagten,- so vor allem: 
Adventius von Metz und Franko von Tongern.^ Nikolaus J. zeigte» 
sich sofort bereit, die Bischöfe, die ihren Fehler einsahen und bereuten^ 
zu begnadigen. In einem Schreiben vom 17. September 864!an Frank»' 
von Tongern erklärt er diesem, daß er für seine Person ihm von Herzen, 
verzeihe und ihm auch von Gott Verzeihung wünsche und erbitte (hoc 
iam tibi divinitus non inputari optamus, quod-tibi, quomodocumquer- 
excesseris, remitti a Domino postulamus et, quantum in nobis est, ex: 
corde tibi ignoscimus). Wolle er fürderhin treu zum Apostolischen- 
Stuhle halten, so möge ihn der allmächtige Gott durch die Fürbitte--^ 
der AposteKürsten Petrus und Paulus von allen Sünden lossprechen.^ 
Einen ähnlichen Brief erhielt der Bischof von Metz.^ 

Derartige deprekative Absolutionsformeln haben nicht mehr zu be- 
deuten, als die Schlußformeln der Schutzbriefe, in denen Johann VIII. 
(872-82),* Benedikt IV. (900-03),^ Sergius III. (904-11),^ 
Johann X. (914-28),7 Stephan VII. {929-^31),-8 Johann XI. 
(931^36),» Leo VII. (936-^39)io den Segen und die Gnade oder Barm- 
herzigkeit Gottes erbitten und anwünschen. ^ 
' Einen tieferen Sinn scheinen etliche Formeln^ zu haben, in denen. 
Wohltäter klööterlicher Anstalten mit Verheißungen' bedacht- 
werden. In einem Schreiben vom Jahre 938 erteilt LeoVII.^^^ deni. 
Wohltätern der Abtei Gorze in Lothringen seinen Segen ünä wünscht- 
ihnen, soviel es der göttlichen Barmherzigkeit gefalle, die Vergebung: 
ihrer Sünden.^^ Noch ausdrücklicher ist einschreiben Stephans VIII.- 
vöm Jahre 941 für das Nonnenkloster Bouxieres in, Lothringen: Der 



^ E. Dümmler, Geschichte des Ostfränkischen Reiches 11^, Leipzig 1887^. 
64 ff. 77 W , . ' 

2 Mon. Germ. Epistolae VI 298: „Dens omnipotens intercessione aposto- 
lorum principiuh Petri et Pauli vinculo omnium peccatorum tuorum absolvat et- 
quicquid huihanitus, quod in oculis maiestatis eins displicuit, egisti, tibi miseratus. 
indulgeat." 

3 Ebd. 299 f. ^ Migne CXXVI 687 688. 
5 Migne GXXXI 46. « Ebd. 972 974. - 
'Migne CXXXII 801. «» Migne CXXXII 1053. 
»Ebd. 1058 1059 1062. ' " Ebd. 1067 1069 1079 1083. 

• ^^'^ Jm Jahre 937 richtete Herzog Raimund von Aquitanien in der Stiftungs- 
urkunde eines Klosters an Papst Leo VII. die Bitte, er möge die -Mönche der- 
heuen Abtei und deren Wohltäter absolvieren: „Ut monachis et adiutoribus. 
eorum faveas et eos absolvas." Devio II. Preuves 78. 

^* „ Qui loco vel fratribus adiutores fuerint, in Domino gratificamus, et ut- 
ipsi a sianctis apostolorum principibus adiuvari mereantur et- quantum divina. 
pietas concesserit, absolutos esse optamus." A. d'Herbomez, Cartulaire ' det 
J'abbaye de Gorze. Paris 1898, 181. Jaff6 3609. 



, ' B. 'Absolutionen lebender Personen. 6i^ 

Papst; erklärt, daß die Wohltäter des Klosters absolviert sein sollen, 
LQviel die apostolische. Gewalt -es gestatte.! • . ■ • 

Man hat in dieser Erklärung, einen ,irichterlichen Akt", einen, 
wirklichen „Erlaß", entweder .der Sündenstrafen öder der läßlichen 
Sündehi 'finden, wollen,^ i Durch, den Wortlaut der i Formel wird aller- 
dings, die Annahme eines richterlichen Aktes nahegelegt.. Aber gilt 
dies • nicht i aucb > von* den^ . zahlreichen oben . erörterten Absolutiöns- 
lormelri, in denen einfache ; Geistliche unter, ausdrücklicher Berufung; 
auf ..die kirchliche Schlüsselgewalt, die Seelen im. Jenseits von, ihren 
Sünden lossprechen ? Und doch können diese Absolutionen der Ver- 
storbenen nur als eigentümliche Gebete, nicht als richterliche ' Akte 
aufgefaßt^ werden.- Wie im früheren Mittelalter die deprekative oder 
fürbittende Absolution' bei der Verwaltung des Bußsakraments die-^ 
selbe Bedeutung hatte, die heute der indikativen Absolution zukommt, 
so. hatten damals die indikativen Absolutionen öfters keine andere 
Bedeutung, als die heutigen Fürbittgebete. Daraus ergibt - sich, wie 
sehr man irren würde, wollte man frühmittelalterlichen Äußerungen 
ohne weiteres den späteren Sinn ähnlicher Äußerungen beilegen. Die= 
alten Formeln müssen vielmehr, wie anfänglich, bemerkt worden', aus- 
gleichiseitigen Parallelstellen gedeutet werden. Wie aber die Schluß- 
{.teile der Bulle, Stephans Villi vom Jahre' 941 zu deuten ist^ zeigt 
die parallele Stelle • in dem , drei Jahre früher erlassenen Schreiben. 
Leos 'VII. Die Erklärung .Stephans- „quantum äpostolica potestas. 
indulserit, absolutes esse decemimus" hat keinen andern Sinn als- 
Leos Äußerung „quantum divina pietas concesserit, absolutes esse 
optamus". In beiden Fällen handelt, es sich um einen von autoritativer 
Seite ausgesprochenen Segenswunsch. 

Bei der Bestätigung der Privilegien von lürchen und Klöstern 
.sprechen spätere Päpste sehr häufig denselben Segenswunsch aus, 
wenn auch nicht in Indikätiver, sondern in deprekati'ver Form. So 
z. B.-Marinus II. (942'-^46);3 Agapet IL (946-55),* Johann XIII. 
(965-72),5 Benedikt VL (972-74),« Benedikt VII. • (974-83)'. 
Letzterer stellt auch einmal bei der Bestätigung der Privilegien der 
Abtei St. Peter Yon Roda in Katalonien die Absol^tion der. Sünden, 
von, Seiten des hl., I^etrus in sichere, Aussicht.^ Ein besonderes Privi- 
legium wollte damit der Papst der betreffenden Abtei nicht erteilen;. 



^ Migne CXXXII 1092., Der Pap?t ermahüt die Gläubigen, „ut etundem 
looum pro Dei amore snstineant et suis donationibus augeant . . . Quicunqu& 
adiu^toreä extiterint, hos, quantum , äpostolica potestas indulserit, absolu tos- 
esse decernimus!'* Jaffe 3617. - 

* P. Fournier, in Revue d'histoire ecclesiastique X (1909) 579. 
' Migne CXXXIII 865 867, 869 871. 

* Ebd. ' 90'2 892 8Ö5 905 906 90'8. , , , ' 
^ Migne CXXXV 969 992 995.' ' 

/ « Ebd. 1089, ' ' Migne CXXXVII 343. 

* Migne CXXXVII 334: „Qui nostrae concessionis adiutor atque de- 
fensor extiterit, apostolieam benedictionem et peccatorum absolutionem ab ipso> 
elavigero summo se obtinere soiat." 



^4 II. Mittelalterliche Absolutionen - als angebliehe Ablässe. 

•er gab bloß der üblichen Schlußformel eine andere \^endung,-'Während 
•einige Jahr später Johann. XV. (985— 96) in einer Bulle für dieselbe 
Abtei wieder die gewöhnHche Formel gebraucht.^ 
: v; Wie i Johann XV. bei einer -S3henkurigi die; er selber 992 einer 
Kirche machte, erklärte, er tue es; um- Verzeihung seiner-' Sünden^ zu 
erlangen/, (pro. nostrorum omnium venia peccatorum),^ so .korinte er. 
auch^ aridere durch Verheißung der göttlichen Huld und' des päpstlichen 
-Segens 'ZU frommen Stiftungen auffordern, • ohne dabeil ari die^ B3- 
wiUigung eines Ablasses zu denken.^ Aus demselben Grunde können 
verschiedene Schreiben vonSergius IV." (1011) und ^Benedikt' VIII. 
»(1017), insofern darin den Wohltätern der spanischen Klöster Ouxa, 
RipoU, Ganigou, Notre-Damc d'Arles (Arulas), Balneol und Campedron 
•ein; himmlischer Lohn verheißen wird, nicht als Ablaßprivilegien ' be- 
trachtet ;werden.* Auch die BuUe, die Sergius IV. im' Jahre 1012 
iür Jdie Abtei Beaüheu (Diözese Tours) ausgestellt haben soll, enthält 
ieine Ablaß bewilhgung, wenngleich "darin erklärt wird, daß die Wohl- 
täter der Abtei absolviert und gesegnet sein sollen.? Es handelt sich 
-eben wieder nur um einen Segenswunsch. ' . 

. Ebensowenig geht^ es an, den- j-jCrsten-übewußten Almosenablaß"® 
in einer Bulle zu finden, die Johann XIX. (1024—32) für die Kirche 
von . Maguelone ausgestellt hat. In dieser Bulle verheißt der Papst 
, «die Verzeihung ihrer Sünden allen jenen, welche zur Wiederherstellung 
■der -Kirche von , Maguelone mithelfen werden, indem sie von' ihren 
•eigenen Gütern Beiträge spenden' oder Kirchengüter, zurückerstatten,^ 



^ ^ ^ Ebd. 842: ,,Omnium suörum peccatorum äbsolütioriem . . . a Donxiho' 
<;onsequi mereatur. ' ' 
3:3; 2 Ebd. 844. ~ ■ - - , 

, ..^ In einem Schreiben vom Jahre 989 ermahnt der Papst die Gläubigen, 
^e Hämisurger Kirche zu unterstützen, „quatenus pro gratia huius benefioii 
pienum recipere mercedem a Domino mereantur . . . Observator autem huius 
jiöätrae admonitionis et iussionis habeat beriedictionem omnipotentis' Dei et 
beatorumVapostolorum Petri et Pauli et nostram, qui eorum fungimur vica- 
liatione." Ebd. 838. , . . • 

* Maroa 982 986 989 991 1001 1004. Migne OXXXIX 1509 1514 1517 
1520 1612 1616. Wie diese Bullen zu beurteilen sind, insofern sie Büßern, die 
^om Gottesdienste ausgeschlossen waren, den Zutritt zu den- genannten Kloster- 
kirchen gastatbaten, ist oban S. 32 f£. dargelegt worden. , ' 

^ Migne OXXXIX 1527: „Locu3 vero ille et omnes huius loci servientes 
jiecnon et adiutoras eius sive amici . . . sint- absoluti et benedicti." Jaff6- 
lioeVenfeld 3987 halten die Bulle für echt. Auch G. Lair (lÖtudes critiques 
.aürdivei^s 'textes des X^ et XF siecles I, Paris 1899, 63 ff.) hat nichts gegen deren 
JEchtheit einzuwenden. L, Hälphen (Le comte d'Anjou au XF siecle. Paris 
1908, 224 ff.) spricht sich ganz entschieden gegen die'Eehtheit aus. ' ' 

« So Gottlob 211. ' ' ' , . 

' Migne OXLI 1156. Jaffe "4101: „Peccatorum suorum veniam et in- 
•dulgentiam promereri a iusto iudice apostolica auctoritate sp6ndem.u3, 
quicumque de propria haereditate vel de propriis bonis offerendo autde bene- 
f ioiis ip3iu3 ecclesiae reddendo ecclesiam suprädictam relevare nisus fuerit. Nam 
xinäm et similem mercedem aceipiet, qui propria offeret et qui beneficia ecclesiae 
teddet in commune; et benedictione et absolutione apostolica fruetiir." 
Mit dieser Schlußsegensformel stimmt überein die Einleitung der Bulle : „Omnibus 



B. , Absolutionen lebender Personen. 65 

Ganz, ähnliche .Yerheißungen hattien schon frühere . Päpste gemacht. 
An eine . Ablaßbewilligung »ist- dabei nicht zu denken. > Es ist; weiter 
nichts . als eine Aufforderun§ zur, Unl^rstützung ■' der Barche von 
Maguelone; unter autoritativem Hinweis auf die.sündehtilgende Kraft 
der, Almosen. Man ; kann auch keinen Ablaß darin sehen, wenn 
Johann XIX.. dem Bischof von Auxerre, der sich vor Gott und dem 
Papst, als Sünder bekannt .hatte,, die vollkommene Nachlassung seiner 
Sünden verheißt.^ Noch eher ;könnte man geneigt seiuj einen Ablaß 
anzunehmen, wenn Johann XIX. ain Schlüsse eines Schutzbriefes für 
die Abtei St. Jean d'Angely ; denjenigen, welche ^ die Privilegien des 
Klosters, achten werden^- die Absolution von allen Sünden erteilt.^ 
Allein diese Absolution, ist zu . deuten wie d^e Schlußformeln anderer 
Bullen, 'in denen derselbe, Papst, aus ähnlichen Anlässen die Absolution 
von, allen. Sünden in Aussicht stellt.^ Es ist weiter nichts als ein 
formelhafter Segenswunsch, wie er am Schlüsse päpsthcher Schreiben 
unzählige . Male wiederkehrt. Wie hätte auch zu einer Zeit, da die 
B^ußdisziplin noch ziemlich istreng war, der Papst einen allgemeinen 
Erlaß der kirchlichen Bußstrafen erteilen können bloß unter der Be- 
dingung;' daß man die Privilegien eines .Klosters ächten wollte?" Und 
warumwäredenn ein derartiges Privilegium bloß, der Abtei St. Jean 
d'Angely zuteil geworden, während andere Kirchen und Klöster, deren 
Rechte und Privilegien der. Papst in gleicher Weise . bestätigte, mit 
einem. einfachen Segenswunsch sich begnügen müßten? ^ 

Eine tiefere Bedeutung hat allem Anscheine nach die Absolution, 
die Benedikt VIII. im Jahre 1020 ani Gründonnerstag im Bamberger 
Dom allen Aiiwesenden erteilt hat: Nach dem Berichte* eines Augen- 
zeugen, des 'Diakons Bebo,"hat der iPapst zunächst 'die öffentlichen 
Büßer, die. ihre Sünden bekannten, absolviert und in die Kirche ein- 
geführt.* Dann hielt er eine Predigt/an deren Schluß' er allen Gläu- 
bigen, die herbeigeströmt waren, einen „Erlaß" gewährte.^ Unter der 
Absolution,, die der Papst den Pöriitenten spendete, ist die feierliche 



bonum' f acieritibus in' ecclesia Ma<galonensi ... salutem carissimam cum bene- 
dictione apostolica et' äbsolutione." Vgl. über die Bulle F.'Fabrege, Histoire 
de. Maguelone I," Paris 1894, 106 ff. - >, 

1 MigneCXLI 1151. Jaff 6 4102:-„!Fratri nostro Hugoni . . . Deo et nobis 
sua peccata confitenti . . . plenariam a Deo pollicente promittimus oonsequi 
indulgentiae veniam." 

^ Migne, CXLI 1155., Jaff6 4097: i.Si'quis hanc nostram assertionem 
custodire voluerit, habeat benedictionem a Filio .S. Mariae ... et absolutus 
sit a b. Petro apostolo et a me eiusdem pastoris vicario ab omnibus pecca- 
torum vinculis." 

^ Vgl. Johanns XIX. Bulle für die Kirche von Aquileja: „Qui observa- 
tor . . ..extiterit, absolutionem omniiun peccatorum suorum oonsequi mereatur." 
Ebd. 1139. ... 

* Jaff e, Bibliotheca rerum germanicarum V, Berolini 1869, 493: „Egressus 
foras,' ante ianuam aecclesiae poenitentes sua delicta confitentes nexibus pecca- 
torum miserando dissolvit, necnon in aecclesiam introduxit." 

■ , ^ „Deinde leoto evangeüo,- debiti sermonis officium implevit cunctisque illuo 
advenientibus remissionis dona necessaria tribuit." 

Paulas, Oescbichte dea Ablasses. 5 



■66 II. ]\tittelalterliehe' Absolutionen als- angebliche Ablässe. 

Bekouziliati'on zu verstehen,- die' damals von den Bischöfen den 
öffenthchen. Büßern nach voUlbrachter Btiße gewöhnlich am' (^ün- 
rdonnerstag erteilt wurde. Wie ist aber der ',,,Erläß" zu erklären, den 
■der Papst nach seiner Predigt allen Anwesenden verlieh ? Mari hat 
ihn als einen „Bußerlaß", einen eigentlichen Ablaß auffassen woUön.^ 
Es liegt aber doch viel näher, an die Absolution zu denken, die damals 
schon, wie wir weiter unten von Leo IX. hören werden, im Anschluß 
an die sogenannte offene Schuld oder allgemeine Beichte gespendet 
wurde. Später hat man diese allgemeine Absolution von der sakra- 
mentalen Lossprechung, die der Beichtvater bei der Verwaltung des 
Büßsakraments spendet, scharf unterschieden; man hat sie, den so- 
genannten ,, Sakramentalen" beigezählt. -Anfänglich aber hat nian 
wohl beiden Lossprechungen, der besonderen wie der allgemeinen,' in 
bezug auf die Tilgung der Sünden eine gleichartige Wirksamkeit 
zugeschrieben; nur wurde die letztere in Verbindung mit der all- 
gemeinen Beichte auf die geringeren Sünden sowie auf jerie, deren 
man sich nicht genau erinnern konnte, beschränkt, während für die 
schweren Sünden besondere Beichte gefordert wurde. 

Näheren Aufschluß hierüber findet man in dem ,, Spiegel der 
Kirche", einem vielbenützten Handbuch für Prediger, das der rätsel- 
hafte Honorius Augustodunensis in der ersten Hälfte des 12. Jahr- 
hunderts in Deutschland verfaßt hat.^ Es wird darin gezeigt, wie die 
Gläubigen an den hohen Festtagen beim Pfarrgottesdienst eine all- 
gemeine Beichte ablegen sollen. Der Prediger soll dem Volke sagen: 
Brüder, ich bin überzeugt, daß ihr häufig euren Priestern beichtet; 
und dies sollt ihr auch tun. Weil es aber manches gibt, dessen^ ihr 
euch vielleicht nicht erinnert (quae f orsitari vobis ,in memoriam non 
veniunt),^ so sollt ihr jetzt die Beichte mir nachsagen, um die Ab- 
solution empfangen zu können (ut de his possitis absolutionem accipere).* 
Darauf betet der Prediger mit dem Volke die offene Schuld und spendet 
dann die Lossprechung.^ Er unterlasse aber nicht, die Gläubigen über 
die Bedeutung dieser allgemeinen Beichte aufzuklären; er solle ihnen 
sagen: Briider, diese Beichte gilt nur für die Sünden, die ihr den 
Priestern gebeichtet oder die ihr aus Unwissenheit begangen habet. 
Jenen aber, die schwer gesündigt und noch nicht Buße getan haben, 
kann diese Beichte nicht heUen. Deshalb mahne ich euch, für die 

1 Hilgers 81. 

* Vgl. über ihn J. A. Endres im Kirchlichen Handlexikon I 2016 und 
im Histor. Jahrbuch 1908, 451 f. 

3 ]3ie Sündeuj deren man sich nicht erinnert imd für welche die allgemeine 
Beichte genügt, werden von Alanus von Lille „occulta peccata" genannt. 
Migne CCX 299i Vgl. 172 f. Man folgte dabei dem Sprachgebrauche der Vulgata. 
Ps. 18, 13: j,Ab oceultis meis munda me." Gemeint sind hier „die vergessenen 
oder nicht erkannten Sünden". W. K. Reisohl, Das Buch der Psalmen I, 
Eegensburg 1873, 87. 

* Migne GLXXII 824 ff. 

. ^ Die Absolutionsformel lautet: „Indulgentiam et absolutionem de omnibus 
peccatis vestris per intercessionem omnium sanctorum suorum tribuat vobis 
Pater et Filius et Spiritus sanotus." 



B, Absolutionen lebender Personen. !37 

Sünden, die ihr öffentlich, begangen .habet, eine öffentliche Buße zu 
übernehmen; habt ihr, aber im: geheimen, gesündigt, -so beichtet im 
geheimen euren: Priestern, bevor ihr die hl. Kommunion empfanget. 

Demna,ch bezog sich die im Aj^schluß an die allgemeine Beichte 
oder offene, Schuld erteilte allgemeine Absolution nicht auf die schweren 
Sünden, die man noch ni(jht gebeichtet hatte. Diese Sünden mußte 
man dem Beichtvater offenbaren und dafür eine entsprechende Buße, 
eine, öffentliche oder eine geheime, übernehmen., So-.war es Brauch 
nicht erst im 12. Jahrhundert, zur Zeit des Honorius Augustodunensis, 
sondern aucK schon früher, zur Zeit, da die Übung der „offenen Schuld" 
sich zu verbreiten begann. Und wie die mit der offenen Schuld ver- 
bundene, Absolution sich nicht, -auf die schweren Sünden bezog, die 
noch nicht gebeichtet worden waren, so bez(% sie. sich auch nicht, auf 
die. kirchlichen Bußstrafen, die man durch schwere Sünden sich zu- 
gezogen. Mit Unrecht hat man in der allgemeinen Absolution einen 
„generellen Erlaß der gesamten öffentlichen B^uße" sehen wollen.^ Für 
eine solche Deutung .findet sich in den frühmittelalterlichen Quellen 
kein Anhaltspunkt.^ , Es widerspricht auch völlig dem Charakter des 
früheren Mittelalters, daß man damals den öffentlichen- Büßern ins- 
gemein die gesamte Buße ohne irgendeine Gegenleistung nachgelassen 
habe. 

Mit dem eigentlichen Ablaß, oder dem. Erlaß kirchlicher . Büß - 
strafen haben die allgemeinen Absolutionen, wie sie im früheren Mittel- 
alter in Übung waren, nichts zu tun. Wohl wird der Ablaß von den 
.älteren Theologen häufig als ,, allgemeine Absolution" (absolutio gener 
ralis) oder als ,, allgemeiner Erlaß" (remissio generalis) bezeichnet,. Man 
darf indessen nicht übersehen, daß die „allgemeine Absolution", von 
der die Theologen in ihren Erörterungen über den- Ablaß handeln, 
etwas ganz anders ist, als die allgemeine Absolution, die, im Anschluß 



^ Nach Koeniger 187 bedeuteten die Generalabsolutionen „gleich anfangs 
nichts anderes als den Erlaß kirchlicher Bußstrafen derjenigen, für welche die 
Bußzeit noch nicht abgelaufen war, dann, als die allgemeine Beichte dazu kam, 
den in vorhinein gewährten Erlaß für solche Sünder, die nächstens ihrer Vergehen 
wegen öffentliche Buße hätten aufbekonamen müssen . . . Liegt aber nicht 

.gerade hier der Ursprung des Ablasses? Es sind generelle Erlasse der ge- 
samten öffentlichen Buße, sei es nun, daß sie willkürlich auferlegt war 

.oder aufzuerlegen gewesen wäre," ^ 

2 Koeniger 187 macht bloß folgenden Grund geltend: „Daran, daß hier- 
dxirch läßliche Sünden nachgelassen würden, dachte man noch nicht, da diese 
nach.der Lehre der damaligen Theologen durch Gebet sich ohne weiteres tilgen 

.ließen; hierzu hätte man also des Bischofs nicht bedurft . . .- Nur vom Stand- 
punkt der öffentlichen Büßen oder .Sünder begreift man den Zweck und die 

.Nützlichkeit der bisehöflichen' Generalabsolutionen." Allein auch die Theologen 
des 12. und 13. Jahrhunderts lehrten, daß man durch frommes Gebet die läß,- 
lichen Sünden tilgen könne. Dies hinderte sie aber nicht, die Nützlichkeit der 

. allgemeinen Beichte und Absolution hervorzuheben. Daß im früheren ^Mittelalter 
die Gläubigen überhaupt, nicht etwa bloß die „öffentlichen Büßer", den Segen 
imd die Absolution der Bischöfe hochschätzten, läßt sich leicht erklären, ohne 

. daß man genötigt wäre, anzunehmen, sie hätten in den Geieralabsolutionen 
„generelle Erlasse der gesamten öffentlichen Buße" gesehen,. ... ', 

." 5* 



68 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe. 

an die offene Schuld, erteilt wurde. Es'ist' ein generell verliehener 
Bußerlaß, der als „allgemein"' bezeichnet wird im Gegensatze zu dfen 
Bußermäßigungen, die bloß einzelnen Personen erteilt werden: /'Man 
würde also gründlich irren, wollte man die „absolutio" oder „remissio 
generalis", von der' die älteren Theologen öfters reden, ohne weiteres 
als einen Erlaß der gesamten Buße auffassen. Häufig ist darunter hur 
ein partieller Ablaß verstanden.^ '• , ' ■ >. 

Wenngleich mehrere ältere Theologen die Ablässe als „allgemeine 
Absolutionen" bezeichnen, so hat doch keiner von itmen 'in der all- 
gemeinen Absolution, die im Anschluß an die offene Schuld erteilt 
wurde, irgendeine Verwandtschaft mit dem Ablasse gefunden. Wohl 
berichtet Thomas von Aquin, daß der Papst bei den allgemeinen 
Absolutionen (in generalibus absolutionibus) den anwesenden Gläu- 
bigen einen partiellen Ablaß zu erteilen pflege. In Rom war es eben 
damals Sitte, daß ■ bei • feierlichen Gottesdiensten an die vom Papst 
erteilte aUgemeiiie Absolution 'die 'Spendung eines Ablasses sich' an- 
schloß.^ Diese Sitte kam indessen erst später auf; im 11. Jahrhundert 
läßt sie sich noch nicht nachweisen, obschon damals schon die all- 
gemeine Absolution auch von Päpsten sehr häufig gespendet wurde.* 

Wie wenig die Päpste um die Mitte' des 11. Jahrhunderts- daran, 
dachten, mit der allgemeinen Absolution einen Ablaß zu verbinden, 
ersieht man aus der Handlungsweise Leos IX. bei der Einweihung der 
berühmten Abteikirche von St. Remigius zu Reims im Jahre 1049. 
Wir besitzen hierüber den ausführUchen Bericht eines Augenzeugen, 
des Mönches Anselm, der auf Befehl des Abtes Herimar von St. Re- 
migius bald nachher den Verlauf der denkwürdigeiiFeier geschildert 
hat.* Erwähnenswert ist zunächst, daß der Abt Herimar in dein 
Schreiben, wodurch er die Gläubigen zur Feier einlud, auch auf den 
apostolischen Segen hinwies, dessen sie sich teilhaftig machen können.^ 
Dem päpsthchen Segen wurde eben in jener glaubensstarken Zeit ein 
sehr großer Wert beigelegt.® Worin bestand nun aber der päpstliche 
Segen, der den Gläubigen in, Aussicht gestellt wurde ? Etwa in der 
Erteilung eines Ablasses? Mitnichten! Von einem Ablaß ist gar 
keine Rede, wohl, aber von einer Absolution, die im Anschluß an die 
offene Schuld vom Papste erteilt wurde. Während des Hochamtes, 

1 Vgl. z. B. Ughelli V 807. Rookinger 911. Bonaventura (Opera 
IV 539) spricht von einer „indulgentia generalis unius diei". 

* Näheres hierüber wird im 2. Band bei der Besprechung der Ablässe 
(Abschnitt XXVI) der römischen Kirchen mitgeteilt werden. 

^ Aus dem Umstände, daß Thomas von Aquin um die Mitte des 13. Jahr- 
hunderts berichtet, in Rom werde bei den allgemeinen Absolutionen ein Ablaß 
erteilt, darf man nicht schließen, daß dies auch schon 200 Jahre früher geschehen 
sei. Vgl. Hilgers 81. 

* Migne CXLII 1411 ff. 

^ Ebd. 1422: „Invitans fideles ut ad tanti gaudii participationem con- 
currant . . . ut benedictione mxmiri mererentur apostolica." 

* Man lese nur, was Bischof Reinhard von Halberstadt im Jahre 1107 an 
Paschalis II. schrieb; „Sanctitatis vestrae benedictionem pro maximo munere 
accipiam." Migne CLXIII 459. ' ' 



B. Absolutionen lebender, Personeni ,,, 69 

SO erzählt der Mönch Anselm, . nach , dem Evangelium ■ :besiieg der 
Papst die Kanzel, um eine Anrede ran das Volk zu halten; am Schlüsse 
der .Pre,digt forderte,, er, die Gläubigen auf, die offene Schuld zu beten, 
und, erteilte ihnen dann die Absolution. Nach; Beendigung des Gottes- 
dienstes entließ ^er das Volk mit dem üblichen ;Segen.i., Eine ähnliche 
Absolution erteilte der. Papst> nachher auchden Mönchen von St. Re- 
migius. Im Kapitelsaal hielt er ihnen zuerst eine Anrede; nachdem 
sie dann die offene Schuld gebetet, absolvierte er, sie tind, gab ihnen 
aen apostolischen Segen.^ Weder in dem Berichte Anselms noch in 
den Bullen, die bei dieser Gelegenheit Leo IX, für St. Remigms -aus- 
gestellt hat,^ ist die Rede von einem Ablaß.. Daraus darf man wohl 
schließen, daß es damals noch nicht, gebräuchlich war, daß die Päpste 
bei Kirchweihen Ablässe erteilten. Denn wenn, irgendein Gotteshaus,, 
so würde doch vor allem das altehrw^ürdige Heiligtum von St. Remigius 
verdient haben,: durch einen. Ablaß, ausgezeichnet zu werden.* 

Wie die von, Leo IX. in Reims erteilte Absolution mit dem Ablaß 
nichts geniein hat, so verhält es sich ^ohl auch mit der Absolution, 
die er, den päpstlichen Soldaten vor ihrem Kampfe mit den Normannen 
im Jahre 1053 erteilte und in welcher man einen der ersten Kreuzzugs- 
ablässe hat finden, wollen.^ Schon .bei seiner . Werbung deutscher 
Truppen gegen die, Normannen solider Papst „Freiheit, von den Buß- 
strafen" versprochen haben, wie der gleichzeitige Chronist Hermann 
der Lahme von Reichenau bezeuge.* Allein dieser, Chronist berichtet 
bloß, es seien ,dem Papste ,, viele Übeltäter ob der Ungestraftheit 
ihrer Verbrechen (ob impunitatem scelerum) oder schnöden Gewinnes 
halber zugelaufen".' Man braucht nicht die hier erwähnte Straf- 
losigkeit von einem in Aussicht gestellten Nachlaß, der kirchlichen 
Bußstrafen zu yerstßhen. Viel näher liegt die Annahme, der. Chronist 
wolle sagen, die Übeltäter seien dem Papste zugelaufen, weil sie auf 
diese Weise den bürgerlichen Strafen zu entrinnen hofften. Deut- 



^ Migne CXLII 1430: „Populum secundum institutionis eins verba publicam 
de peccatis suis confessionem. agentem absolvit; explioitisque divinis officiis 
apostolica benedictione sanctificans illuna dimisit." , 

, 2 Ebd. 1438: „Prostratos ad publicam confessionem absolvit et ex ordine 
omnes deosculatos apostolica benedictione sanctificavit." 

3 Migne CXLIII 616 ff. , . . 

* Dies wird auch von Lea 142 hervorgehoben. 

5, Gottlob 41 ff. Hilgers 57.' « Gottlob 4i 

^' Mon. Germ. SS. V 132. Leo IX. kehrt von Deutschland nach Bona 
zurück, „Secuti sunt autem eum plurimi Theutonicorum, partim iussu domi- 
norum, partim spe quaestus adducti, multi etiam scelerati et protervi, diversasque 
ob noxas patria pulsi. Quos ille omnes, tum consuetae misericordiae nimia com- 
passione, tum etiam quia opera eorum ad imminens videbatur bellum, indigere, 
clementer et .gratanter suscipiebat." Von irgendeinem Versprechen sagt also 
der Chronist nichts. Er erzählt dann, wie die deutschen Truppen geschlagen 
wurden, ,,ocpulto Dei iudicio, siv.e quia tantum sacerdotem spiritalis potius 
quam pro caducis rebus, carnalis pugna decebat, sive quod nefarios homines 
quam rnultos, ad se ob impunitatem scelerum vel quaestum avarum confiuentes, 
contra itidem scelestos expugnandos secum ducebat; sive divina iusticia alias, 
quas ipsa novit, ob causas nostros plectente." 



70 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliehe Ablässe. 

lieber scheint sich Amatus (fllOl), Mönch von Montecassino, in seiner 
Geschichte der Normannen auszusprechen. Er berichtet zuerst,', daß 
Leo IX. jenen, die seinem Rufe folgen würden; die Absolution ihrer' 
Sünden verheißen habe;^ dann erzählt er, wie der Papst unmittelbar 
vor dem Kampfe mit den Normannen die Soldaten von ihren Sünden 
absolviert und ihnen die schuldigen Bußstrafen erlassen' habe.^ 
Da hätten wir also einen eigenthchen voUkomnienen Ablaß. ^ Leider 
ist das Zeugnis nicht zuverlässig genug. Amatus hat seine Schrift 
etwa 30 Jahre nach Leos Tod verfaßt, zwischen 1078—86, und zwar 
in lateinischer Sprache.^ Am Anfang des 14. Jahrhunderts, unter 
Papst Klemens V.,* wurde das Werk ins Französische übertragen, 
wobei der Übersetzer „den lateinischen Text in sehr freier Weise be- 
handelt, manches gekürzt und fortgelassen, anderseits aber auch, wie 
er dies schon selbst in der Vorrede verspricht, viele Zutaten gegeben 
hat".^ Es ist also sehr wohl möglich, daß bei dem Berichte über die 
den Soldaten erteilte Absolution ' der Übersetzer die zu seiner Zeit 
herrschenden Anschauungen über den Kreuzzugsablaß zum Ausdruck 
bringt.® Daß Leo IX. vor dem Kampfe die Soldaten von ihren Sünden 
absolviert hat, darf als sicher gelten. Ein anderer Berichterstattei?; 
ein anonymer Mönch aus Benevent, der gegen Ende des IL oder' zu 
Anfang des 12. Jahrhunderts eine Lebensbeschreibung des hl. Leo IX. 
verfaßt hat, erzählt, daß der Papst vor der Schlacht die Soldaten 
zum Kampfe angefeuert habe durch Verheißung der himmlischen 
Sehgkeit, sie dann gesegnet und von allen Sünden losgesprochen habe.'' 
Diese Lossprechung braucht man nicht als Ablaß aufzufassen. Nichts 



^ L'Ystoire de li Normant, ed. pär Champollion-Figeac." Paris 1835, 
64; par O. Delarc. Ronen 1892, 123: „Et Leo pape . . . demanda l'aide' de' lo 
empöreor Fedöric (!) et del roy de France et del duc de Mjarcelle, et de toutes 
pars r6qu6rait aide. Et lor promet ä doner absolution de lor pöohiez.'' 

2 „Li pape avec li ^vesque sallirent sur lo mur de la Cito, et regarda a la 
multitude de ses cavaliers pour las absolvere de lo p6chiez, et pardonna la 
penance que pour lor peohie devoient faire. Et lor fait la oroiz et lo 
cömmanda de boche qu'il alent combatre." S. 93; ed. Delarc 133. 

3 Vgl. F. Hirsch, Amatus von Montecassino und seine Geschichte der 
Normannen, in Forschungen zur deutschen Geschichte VIII (1868) 203 ff. Ebd. 
XXIV (1884) 273 ff. G. Baist, Zur Kritik der 'Normahnengeschichte des Amatus 
von Mpntecassino. * Vgl. Baist 338 n. 1. 

5 Hirsch 214. Vgl. Champollion XXVI. Der Übersetzer „abregeait 
le texte ou bien l'allongeait de ses commentaires au gre de ses propres 



vues" 



« Hier gilt, was Gottlob (S. 66) von den Autoren, die über den Kreuzzugs- 
ablaß Urbans II. berichten, bemerkt: „Wir müssen streng darauf halten, daß 
über die zugunsten des Kreuzzugs verkündeten Gnadengewähnmgen nur Zeit- 
genossen im strengen Sinne zu Worte kommen; denn auch nur einen Schritt 
voran in der Zeit, etwa zu Wilhelm von Tyrus, und sofort ist der Einfluß späterer 
Kreuzzugs bullen auf den Ausdruck zu erkennen." 

' St. Borgia, Memorie istoriehe della pontificia cittä di Benevento II, 
Roma 1765, 320: „Si quis vestrum mortuus fuerit hodie, gaudeat, nam Abrahe 
sinus eum recipiet. His et huiuscemodi omnibus viriliter animatis, cunctos 
antea celestibus donis munivit, ac sie remissis omnibus peccatis in prelium 
ire permisit." 



B. Absolutionen lebender Personen. 71 

verbietet, anzunehmen, daß es eine, sakramentale Absolution von den 
Siinfiein gewesen ist.^ Auch in neuester Zeit'ist es häufig vorgekommen, 
daß^r Feldgeistliche, den in den. Kampf ziehenden Soldaten ohne be- 
sondere, Beichte eine -allgemeine. Absolution von allen ihren Sünden 
erteilt. haben.^ Wenn aber der Papst den, Verteidigern der römischen 
Kjrche. die ewige „Seligkeit in ^sichere Aussicht stellte, so tat er nur, 
was schon lange vor. ihm viele andere Päpste, getan hatten. 

Gleich seinen Vorgängern spricht auch Leo IX. öfters am Schlüsse 
seiner Bullen, in denen er die , Privilegien von Kirchen und Klöstern 
bestätigt, den Wunsch aus, daß denjenigen, welche die Rechte der 
betreffenden Kirchen achten werden, diq Absolution aller Sünden und 
die, himmlische Seligkeit zuteil werden.^. Ähnliche Segenswünsche hat 
er auch für die Wohltäter kirchlicher Anstalten.* 
, , Eine eigentümliche Absolution hat im Jahre 1051 Leo IX. dem 
englischen, König Eduard demBekenner erteilt. Der König hatte 
eine, Pilgerfahrt nach Kom gelobt. Da, er jedoch darauf aufmerksam 
gemacht wurde, daß seine Abwesenheit dem Königreiche Nachteile 
bringen könnte, entschloß er sich, die Angelegenheit dem Papste zu 
unterbreiten, um nach seinem Ermessen das Gelübde abzulösen oder 
zu erfüllen. Als die königlichen Abgesandten in Rom eintrafen, war 
gerade eine Synode versammelt, der sie die Sache vorlegten. Mit 
dem Papste waren alle Konzilsväter der Ansicht, daß der König kraft 



^ Eine solche Absolution erteilte im .Jahre 1148 Erzbischof Albero von 
Trier, wi© dessen gleichzeitiger Biogra{)h Balderioh berichtet. Gesta Alberonis. 
Mori. Germ. SS. VIII 256. Vor einem Kainpfe mit den Truppen des Pfalz- 
grafen hielt der Erzbischof an seine Soldaten folgende' Anrede: „Praeparate 
corda vestra Domino, mimdate conscientias vestras, et-quia non vacat ut sin- 
gillatim faciatis confessiones, generalem mihi pastori yestro facite peccatorum 
cönfessionem; et ego, potestate a Deo nobis tradita, faciam vobis per officiuna 
nostrum indul'gentiam et remissionem omnium delictorum vestrorum, 
ut, si quis hodie ex hac temporali et incerta vita evocatur, transeat ad meliorem 
vitam, scilicet aeternam. Tunc cum accepisset omnium communem cönfessionem, 
indulgentia facta et absolutione, benedictionem super eos faciens, ita 
onines animavit, quod neo in uno signum timiditatis apparuit." Ähnliches wird 
von dem Lütticher Bischof Hugo von Pierrepont aus dem- Jahre 1213 be- 
richtet: „Ut peccata sua confiterentur et culpas suas diceient, monuit, et sie 
eos absolvit." Mon. Germ. SS. XVI 668. Vor der Schlacht bei Jaffa im Jahre 
1101 hielt ein Geistlicher eine Rede an die Kreuzfahrer. Diese legten dann mit- 
einander ein Bekenntnis ihrer Sünden ab, worauf der päpstliche Legat ihnen die 
Absolution und den Segen erteilte : „Confessione peccatorum imanimi humiliatione 
facta, ac post dictam indulgentiam ab apostolico legato qui tunc forte aderat, 
benediotione accepta, Domini inclamantes adiutorium etc." IVton. Germ. SS. 
VI 222. 

, 2 Vgl. über diese allgemeine sakramentale Absolution, die ohne vorherige 
Beichte den Soldaten erteilt werden kann, die Entscheidung der apostolischen 
Pönitentiarie vom 6. Februar 1915. Acta apostolicae sedis VII (1915) 72. 

^ Migne CXLIII 610 626 691 738. Bemerkenswert ist folgender Schluß: 
„Qui custodierit, nostra benediotione sanctificetiu- et aeternae vitae particeps 
efficiatur." Sp. 674. Ähnlich 668. 

*cEbd. 683: „Qui de suis pro redemptione animae aliqua ei contuleri't, 
benedictionis gratiam a Deo consequatur et per clavigerum principem coeli in 
ianuas regni coelestis introduci mereatur." 



72 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe. 

der Autorität Gottes, des hl. Petrus und der versammelten Synode 
von seinem Gelübde feierlich zu absolvieren sei f (regem auctoritate 
Dei et beati Petri, praesentis etiam saoratissimae^synödi a voti hüiüs' 
vinculo solemniter absolvendum) ; doch solle er das in! ' Bereitschaft 
gehaltene Reisegeld unter die Armen verteilen' und als Ersatz' für 
das Gelübde ein Kloster stiften.^ In diesem Siririe'^ schrieb dann auch 
der Papst an den König. Kraft der Autorität Gottes, der Apostel- 
fürsten und der Synode und unter ausdrücklicher Berufung auf die 
ihm in der Person des hl. Petrus verliehene Lösegewalt absolvierte er 
Eduard „von der Sünde des Gelübdes,* dessentwegen der 
König fürchte, Gott zu beleidigen, sowie von seinen'Nach- 
lässigkeiten und Fehlern". Sodann befahl er ihm „im Gehorsam 
und zur Buße", das Geld, das er für die Romreise verwendet hätte, 
den Armen zu geben und ein Kloster zu stiften, wodurch den Heiligen 
größere Ehre und- ihm selber reichlichere Vergebung (indulgentia') 
zuteil werde .^ Zehn Jahre später ließ Könige Eduard, der wegen* seines 
Gelübdes noch nicht ganz beruhigt war, das erhaltene Privilegium 
durch Nikolaus 11. bestätigen und erneuern.^ In einem Briefe, den 
er an den Papst sandte, bemerkt er, Leo IX. habe ihm als Ersatz für 
sein Gelübde im Gehorsam, zur Buße und „zur Vergebung aller seiner 
Sünden" auferlegt, ein Kloster zu stiften.* In dem Schreiben' Leos 
wird freilich nicht gesagt, daß die Stiftung des Klosters dem König 
„zur Vergebung aller seiner Sünden" auferlegt werde; doch ist die 
Rede von einer ,,indulgentia", die sich der König durch die Kloster.-, 
gründung erwerben solle; und diese „indülgentia" hatte Eduard. beim 
Niederschreiben jener W^orte ohne Zweifel. im. Auge. Nikolaus IL, 
dem das Schreiben seines Vorgängers sicher vorlag,-, bestätigte und 
erneuerte dem König das Privilegium, das dieser von Leo IX. erhalten' 
hatte, nämlich daß er kraft apostolischer Autorität absolviert sein 



^ Vita S. Edwardi auctore C. Aelredo. Migne. CXCV 750 f. 

2 Migne CXLIII 674; CXCV 762. Jaff6 4257: „Ex auctoritate Dei et 
sanctorum apostolorum et sanctae synodi absolvimus te a peccato illius 
voti, pro quo Dei offensam times, et ab omnibus negligentiis et ini- 
quitatibus tuis, ea nimirum potestate usi, quam Dominus in beato Petro 
concessit nobis dicens: Quaecunque sblveritis . . . Deinde praeoipimus tibi sub 
nomine sanctae obedientiae et poenitentiae, ut expensas qüas ad istüd 
iter paraveras, pauperibus eroges et coenobiutn monachicum in' honorem S. Petri 
apostolorum principis,aut novum construas, aut vetustum emendes et augeas, 
et sufficientiam victualium fratribus de tuis reditibvis constituasi quatenus dum 
illi assidue inibi Deum laudaverint, etsanctis augeatur gloriaet tibiindulgentia." 

ä Der hl. Aelred (f 1166), der Biograph Eduards, schreibt: „Beatus 
Edwardus . . . iam a voto apostolica auctoritate absolutus et adhuc tarnen de 
ipso sollicitus, iterato ad apostolorum limina legatos parat dirigere." Migne 
CXCV 757. . , 

* Ebd. 758: „Eas donationes et privilegia, quae obtinuimus apud praede- 
cessorem vestnmi, renovetis et augeatis nobis, videlicet quod ille iniunxerat nobis 
süb nomine obedientiae et poenitentiae propter votum quod voveram ire Romam, 
et in remissionem omnium peccatorum meorum construere coenobium. . . . 
ratum faciatis et privilegia . . . eiusdem loci confirmetis, renovetis, atque augeatis 
et in perpetuum immutabilia stare decematis." 



B, Absolutionen lebender Personen. - ' 73 

solle . von , dem Gelübde, .dessentwegen er beunruKigt gewesen, sowie 
von allen seinen andern Sünden und'Eehlerri.i 

Wie ist nun diese Absolution „von allen andern Sünden und 
Fehlern"' aufzufassen? Man 'Hat gemeint: „Etwas 'anders als eine 
wahre .Lossprechung von den Sündenstrafen,, einen vollkommenen 
Ablaß wird man hierin schwerlich finden könneh.'^^ M^rlswüridig ist 
nur, daß weder der König selber noch sein Biograph, der über die 
ganze Angelegenheit eingehend berichtet und auch die beiden päpst- 
lichen .Schreiben wörtlich mitteilt; etwas von einem Ablasse sagen. 
Und doch wäre zu jener Zeit die Bewilligung eines vollkommenen 
Ablasses von 'Seiten des Papstes ein ganz außerordentliches Privilegium 
gewesen, -das wohl einiges Aufsehen erregt hätte. Eduard bemerkt 
wohl in seinem Schreiben an Nikolaus II., Papst Leo habe ihm „zur 
Vergebung aUer seiner Sünden" auferlegt, ein Kloster zu gründen. 
Damit bringt er aber bloß -den Gedanken zum Ausdruck, daß die im 
Gehorsam ausgeführte lOostergründung ihm zur Vergebung der Sünden 
gereichen solle;^ Mit der „Absolution von allen andern Sünden" hat 
die vom König erwähnte „Vergebung aller Sünden" oder die „indul- 
gentia", wovon Leo IX. redet, nichts zu tun. Zwischen beiden besteht 
kein Zusammenhang, wie sich dies schon aus dem Schreiben Leos IX. 
ergibt. Anderseits scheint in diesem Falle die vom Papst erteilte Ab- 
solution von allen Sünden nicht leicht als bloßer Segenswunsch oder 
als Fürbitte aufgefaßt werden zu können. „In dieser Absolution", 
hat man bemerkt, „steht die Lbssprechung von den andern Fehlern 
auf derselben Stufe rhit der Dispens vom Gelübde; es ist also nicht 
eiiie bloße Benediktion oder Dejprekation, sondern die positive An- 
wendung der Jurisdiktionsgewalt mit Beziehung auf die Fehler des 
Königs, Gewiß, braucht man hier beim hl. König Eduard nicht an 
schwere Sünden ... zu denken."^ Was hindert aber, in dieser Ab- 
solution eine Lössprechung von den läßlichen Sünden zu sehen, ähnüch 
derjenigen, die zu jeiier'Zeit im Anschluß an die offene Schuld;, erteilt 
würde ? Wohl wurde die Absolution einem Abwesenden gespendet. 
Aber im Mittelalter gab es , angesehene Theologen, die der Ansicht 
waren, daß sogar die sakramentale Absolution von schweren Sünden 
Abwesenden gespendet werden könne. ^ 



1 Migne CXLIII 1358; CXCV 759. Jaffe 4462: „Ut absolut! sitis ab 
illo voto qüod timebatis, et ab omnibus aliis peccatis et iniquilatibus vestris, 
auctoritate illius qüi me,' licet indignum, suae sanctae praeesse voluit Ecclesiae." 
Im ersten Briefe fehlt das Wort „aliis"; vielleicht ist es beim Abschreiben über- 
sehen worden. 

« Hilgers 83. ' 

'3. Über den! Sinn der Formel: „In remissionem peccatorum iniungimus" 
vgl. den; folgenden Abschnitt. 

* Hilgers -84. 
■ 6 Vgl. Suarez, Disp. XIX, sect. 3 (S. 297 ff.). Morinus 595 ff. Heute 
kann diese Ansicht nicht mehr vertreten werden. Vgl. Palmieri 157 ff. Im 
Jahre 1602'ist sie von Klemens VIII. als falsch verworfen worden. Denzinger, 
Enchiridion symbolorum^^. Friburgi 1911, n, 1088. 



74, II. Mittelalterliche Absolutionen als . angebliche Ablässe, 

Verschiedene Absolutionen hat Leo IX.' noch auf seinem' Sterbe- 
lager gespendet (1054). -Wie ein Augenzeuge ^e^zählt, ließ sich der 
Papst, als er sein Ende nahe fühlte, in, die Peterskirche tragen, 'Dort 
hielt er zuerst eine Ansprache an das Volk, dann rief er die anwesenden 
Bischöfe und Kleriker näher zu sich heran und legte mit ihnen ein 
Sündenbekenntnis, ab;, dar auf forderte er auch alle anwesenden Laien 
auf, ihre Sünden vor .ihm zu bekennen. Nachdem jdies geschehen und 
der Papst inständig zu Gott gebetet hatte, sprach er alle Anwesenden 
Ton allen ihren Sünden los, falls sie seine Gebote gehalten hätten.^ 
Leo IX. absolvierte aber nicht bloß die anwesenden. Gläubigen;; er 
flehte zum göttlichen Heilande, der dem hl. Petrus und. den andern 
Aposteln die Binde- und Lösegewalt verliehen, auch, jene, die im 
Kampfe gegen die Normannen gefallen waren, absolvieren zu wollen.^ 
Eine ähnhche Bitte richtete er zum Himmel für alle, die er exkom- 
muniziert, sowie für alle, die er in seinem Leben gesegnet hatte .^ 
Auch da unterläßt er nicht, der Lösegewalt zu gedenken, die ihm 
vom Herrn verliehen worden. Daraus ersieht man zur. Genüge, wie 
wenig es angeht, derartigen Absolutionen, mögen sie nun in indikativer, 
oder in deprekativer Form und unter Berufung .ayf die. kirchliche 
Schlüsselgewalt erteilt werden, die Bedeutung eines vollkommenen 
Ablasses, eines Nachlasses der gesamten kirchlichen Bußstrafen bei- 
zulegen. Entweder waren es bloß fromme Segenswünsche und Eürbitt- 
gebete, wie die Absolution, die Leo IX. auf seinem Sterbelager allen 
jenen erteilte, die er in seinem Leben exkommuniziert oder gesegnet 
hatte, oder bisweilen auch, wie dies wohl def Fall war bei der Ab- 
solution, die Leo IX. vor seinem Hinscheiden den Anwesenden, in der, 
Peterskirche spendete, wirkliche Lossprechungen von den Sünden, 
aber mit der oben erwähnten Einschränkung, wie sie Honorius AugustoT 
dunensis zum Ausdruck bringt. 

Bei Leos IX. Nachfolger Viktor IL (1055—57) finden wir wieder 
in den Bullen für Kirchen und Klöster die üblichen Schlußformeln 
bezüglich der Absolution.* Ähnlich bei Stephan IX. (1057—58), der 

^ Analecta BoUandiana ' XXV (1906) 290: „Vocavit omnes episcopos vel 
cleros et fecit veram confessionem cum ipsis. Etiterum vocavit omnem populum, 
qui ibidem erant, et iussit omnes petere veniam de peccatis suis, habere veram 
confessionem coram ipso. Ille autem reversus in alia parte contra orientem 
incumbens in lecto et respiciens in cruce et mägnas preces effudit Domino piro 
omnibus et dimittens .omnia peccata eorum et absolutionem fecit de 
omnibus peccatis quae commiserint, si precepta sua observassent, quae pre- 
ceperat eis." Vgl. auch Acta Sanctorum. Aprilis 11 666. 

2 Analecta 291. Acta Sanct. 666. 

^ „Omnes quos ego anathematizavi et excommunicavi, absolve, Domine, 
vincula eorum et converte illos ad viam yeritatis . . . Non meis meritis,'sed tua 
pietate vicarium Petri apostoli me constituisti et ligandi: et solvendi ; pötestatem 
dedisti; peto, Domine, dignare benedicere famxilis.et famulabjis tuis totius prpr 
vinoiae, tmde ego ambulayi vel oculis meis vidi et corporäliter beriedixi . . . 
Et quod corporäliter benedixi spiritaliterrepleatur et ab omnibus peccatis 
absolvere digneris." Analecta 291; Acta Sanct. 667. ; ' ; ; 

^ Migne OXLin 633 825: „Peccatorum suorum absolutionem aDeo 
consequi mereatur." Die im Jahre 1066 auf Befehl Viktors 11. zu Tolexjoi ab- 



B. Absolutionen lebender. Personen. ... 75 

sich dabei noch ausdrücklich auf die; Autorität des Apostelfürsteil 
beruft.^ Auf die Autorität des hl, Petrus/beruft sich auch Stephan IX. 
in einer bemerkenswerten Absolution, diö er den Mönchen von Cluni 
erteüte. Indem. ; er im, Jahre 1058. diesen Mönchen meldet, daß er. 
den. Abt Hugo noch einige Zeit i zurückbehalten werde, schreibt er 
ihnen; .„Euch aber segnen > wir, , wie wir euch früher ■ gesegnet haben, 
und im Namen Gottes und des Apostelfürsten absolvieren wir euch. 
Lebende wie Verstorbene.^ Wie leicht könnte da jemand, der mit 
der. damaligen Ausdrucksweise nicht genügend vertraut ist, - geneigt 
sein, die Erteilung eines vollkommenen Ablasses: anzunehmen. Und 
doch ist es weiter nichts als ein: Segenswunsch und Fürbittgebet, wie 
schon die den Verstorbenen erteilte Absolution zeigt. Wir werden 
noch hören,, daß auch. Äbte von Cluni ihren Mönchen ganz ähnliche 
Absolutionen in Schreiben erteilt haben.. 

Nikolaus II. (1058—61) fährt fort, in seinen Bestätigungsbullen 
die übliche Formel zu gebrauchen.^ Eine Absolution in deprekativer 
Form erteilt der Papst auch allen jenen, die.sein Papstwahldekret (1059) 
halten , werden,* sowie jenen, die Klöster mit Almosen unterstützen 
würden.^ , ,. ' 

Dieselbe deprekative Absolutionsformel hat Alexander II. 
(1061—73) öfters gebraucht, sowohl in Bestätigungsbullen für Kirchen 
und Klöster* al^ in Schreiben,,worin er zur Unterstützung klösterlicher 
Anstalten auffordert.? Auch denjenigen, welche die Dekrete der 
römischen Synode, vom Jahre 1063 halten werden, wird „Segen und 
Absolution" verheißen.^ 



gehaltene Synode erklärt in einem Privilegitnn für Cluni: „Adiutores et bene- 
factores consequantur benedictionem et absolutionem pontifioalem." Mansi 
XIX 856. 

^ Ebd. 879: „Principis apostolorum auctoritate ab omnibus delictorum 
suorum absolvatur nexibus." • . " 

^ Ebd. 879. Jaffö 4388: „Vobis autem, sicut imprimis benediximus, 
benedicimus, et viventes ac defunctos ex parte Dei.et b. Petri principis 
apostolorum absolvimus." 

3 Migne CXLIII 1311 132Ö 1340. Pflugk-Harttung II 86. 

* Mansi XIX 904: „Observatores huius deoreti . . . auctoritas beatoruiu 
Principum apostolorum Petri et Pauli ab omnibus peccatorum vinculis absolvat." 

^ Pflugk-Harttung I 29: „Si quis prediotum monasterium. suis bonis 
augmentaverit, suorum, peccatorum veniam oonsequatur." Migne CXLIII 1338: 
„ Qui ... de suo aliquid pfaefatae Ecclesiae dederit vel auxilium fecerit, precibus 
apostolorum principum Petri et Pauli, peccatorum suorvun omnium ab omnipotenti 
Deo veniam ... oonsequatur." Die Bemerkungen, die Gottlob 239 f. an dies 
Privilegium Icnüpft, als wäre der Schlußsegenswunsch eine ablehnende Antwort 
auf. eine Bitte um Ablaß, sind nicht zutreffend. Gr. hat übersehen, daß die Formel 
in päpstlichen Bestätigungsschreiben häufig vorkommt. 

6 Migne CXLVI 1302 1313 1373. Pflugk-Harttung I 37. 

' Migne CXLVI 1311. 
'. ^ Ebd. 1290: „Haec observate . . . si vultis sanctae ecclesiae romanae et 
apqstohcae sedis pace et commimione atque benedictione et absolutione 
gaudere." Vifer Jahre früher hatte Nikolaus II. bei ähnlichem Anlaß dieselbe 
Formel gebraucht, aber ohne. den Ausdruck „absolutione": „Haec observate . . . 
si vultis de sanctae romanae ecclesiae et apostolicae sedis pace et communione 



76 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe. 

Zweifelhaft ist es, wie die Absolution zu verstehen ist, die 
Alexander II. im Jahre 1071 bei der Kohsekrationr der Kirche von 
Montecassino nicht bloß jenen erteilte, die bei der Feier zugegen 
waren, sondern auch allen, die in der nachfolgenden Oktave die Kirche 
besuchen würden.^ Verschiedene Autoren haben in dieser Absolution 
der „gebeichteten Sünden" einen vollkommenen Ablaß gefunden.^ Es 
ist aber kaum anzunehmen, daß Alexander II., der, -wie aus seinen 
Briefen hervorgeht, bezüglich der Bußdisziplin sehr streng war^ und 
der im Jahre 1070 bei der Konsekration des Domes in Lucca, dessen 
Vollendung er gefördert, für den Jahrestag der Kirchweihe nur einen 
Ablaß von acht Tagen erteilt hatte, für einen einfachen Rirchenbesuch 
den Nachlaß aller Bußstrafen gewährt habe.' Noch eher könnte man 
geneigt sein, die von Alexander II. gespendete Absolution in ähnlicher 
Weise aufzufassen, wie die allgemeine Absolution, die Leo IX.' 20 Jahre 
früher bei gleichem Anlaß in Reims erteilt hat. Allerdings hat Leo IX. 
bloß die bei der Kirchweihe anwesenden Gläubigen, nachdem' sie mit- 
einander ein allgemeines Sündenbekenntnis abgelegt hatten, absolviert, 
während Alexander IL die Absolution nicht nur den Anwesenden ge- 
spendet, sondern sie auch auf jene ausgedehnt hat, die in den folgenden 
acht Tagen nach Montecassino pilgern würden. Aber es ist ja -leicht 
möglich; daß während der Oktave die Absolution im Namen des 
Papstes täglich den zusammengeströmten Pilgern nach Abbeten der 
offenen Schuld (confessorum peccatorum absolutio) gespendet wurde. 
Vielleicht könnte man aber auch an die Bewilligung eines partiellen 
Ablasses denken. Daß der Berichterstatter ganz allgemein von einer 



atqüe benedictione gaudere." Migne CXLIII 1316 1318. Daß in dem Schreiben 
Alexanders II. das Wort ,, absolutio" gleichbedeutend ist mit ,,benedictio", kann 
keinem Zweifel ^unterliegen. , , , 

^ Der Mönch Leo, aus dem Hause der Marsikanergrafen, erzählt als Augen- 
zeuge in seiner i,Narratio consecrationis Ecclesiae Casinensis",'bej Muratori, 
Scriptores V 77:„Peractis itaque omnibus et missa a Romano Pontifice solem- 
niter celebrata, multisque, a populo oblatis donariis, et non tantum iis qui tunc 
aderant, sed et -universis, qui per eontinuos oeto dedicationis dies festivitatis 
devotione conventiu'i essent, ab eodem beatissimo Pontifice absolutione data, 
tmUsquisque gaudens et exultans reeessit ad propria. Huius autem absolutionis 
gratia tantä devotione tantaque frequentia per eontinuos octo dies huc unde- 
cunque concursum est, ut quasi non se fidelem pütaret, qui' particepstantae 
solemnitatis non fieret. Haec omnia ita fuisse nemo' legentium ambigat, quae 
utique non ab aliis tradita, sed revera propriis oculis visa descripsimus." Daß 
Leo der Verfasser der zwischen 1094 — 1163 geschriebenen „narratio" ist, weist 
Wattenbach nach in Moh. Germ-. SS. VII 555. Leo hat später den Bericht 
fast wörtlich in seine ijChronicamonasterii Casinensis" aufgenommen. Die 
Stelle bezüglich der Absolution lautet hier (Mon. Germ. SS. VII- 721): „con- 
fessorum peccatorum absolutione concessa". 

'^ So Baronius, Mabillon, Amort, Tosti, Hinschius. Lea 139 f. ist geneigt, 
die Absolution als einen Ablaß von Schuld und Strafe zu betrachten. Brieger 
(Das Wesen des Ablasses 19 n. 2; Realerizykl. IX 78) und Gottlob (S.'240 n. 1) 
meinen, es handle sich um eine Fälschung. An der Echtheit der Stelle ist jedoch 
nicht zu zweifeln. Zweifelhaft ist nur, wie sie auszulegen sei. 

^ Vgl. über diese Strenge Morinus 463 ff. 



B. Absolutionen lebender Personen. - 77 

„Absolution" spricht/ beweist nicht, daß er einen, vollkommenen Ablaß 
im Auge f hatte. ' Auch aridere - Chronisten ^ haben bisweilen in Pällen, 
wo es sich' offenbar nur, um einen partiellen Ablaß handelte, ganz all- 
gemein von der :Bewimgung. eines .Ablasses gesprochen, ohne' dessen 
Umfang näher , zu- bestimmen.^ ■ . " ,' ■ 

' . Nun. kommen wir zu, Gregor, VII.- (1073-^85), der häufiger als 
alle- andern. Päpste des > früheren Mittelalters die -Absolution aller 
Sünden , erteilt hat.. , Da dieser Papst. durch große Strenge sieh aus- 
zeichnete,' da- er besonders in bezug auf die BuJßdisziplin großen Ernst 
an den Tag legte,^ so darf man von vornherein annehmen, daß seine 
Absolutionen in der Regel als bloße Segenspendüngen zu' betrachten 
sind. Dies wird noch klarer hervortreten, wenn wir die in seinen 
Briefen erwähnten Absolutionen etwas näher betrachten.. Daß ver- 
schiedene dieser Absolutionen in die Form einer Bitte, eines Wunsches 
gekleidet sind, während aridere in indikativer Form erteilt werden, hat 
für deren Beurteilung wenig zu . bedeuten, ■ da ja damals^ wie schon 
oben bemerkt worden, auch die sakramentale Lossprechung gewöhnlich 
in der Form eines Gebetes erteilt .wurde. 

Zunächst sollen einige -Absolutionen besprochen werden, in denen 
man ganz besonders versucht sein könnte, Ablässe zu erblicken. Gegen 
Ende des Jahres 1073 erteilte. Gregor VII. dem Bischof Riemediüs von 
Lincoln, der ihn darum ersucht .'hatte, die Lossprechung von den 
Sündön, .unter der Bedingung, daß er seine. Vergehen bereue und sich 
fleißig in guten Werken übe.^^ Mariche Autoren haben diese Absolution 
als Ablaß' aufgefaßt.^ ' Urid.es scheint in der Tat, daß es. sich hier um 
einen wirklichen Erlaß der Sündenstrafen handelt, da der Papst vom 
englischen '.Bischöfe, Reue über die Sünden verlangt'. Bedenklich ist 
nur, daß zehn Jahre. später Gregor unter. ganz' ähnlichen Bedingungen 
die Engländer insgemeinvön ihren Sünden lossprach. In einem 
Schreiberi vom 25. November 1079 kündigt er den englischen Gläubigen 
die Ankunft, eines Legaten an, der eine Synode abhalten werde, auf 
welcher unter anderm auch von der wahren Buße gehandelt werden 
solle. Und nun setzt' der Papst auseinander, was unter wahrer Buße 
zu verstehen sei. Eine falsche, heuchlerische Buße wäre es, wollte 



1 Der eigentliche Ablaß wurde im 11. und 12. Jahrhtuidert häufig als 
„Absolution" bezeichnet. 

2 So heißt es in einer Handschrift, wie in Abschnitt IV gezeigt werden wird, 
Alexander II. habe 1 170' in Lucca einen Erlaß der Bxiße verliehen (ooncessa 
indulgentia poenitentiae), wo es sich doch' nur um einen Bußerlaß von 8 Tagen 
handelte.. .■ ' ' 

. 3 Vgl. Morinus 466 697.- 

I ' * Ph. Jaffe, Monumenta Gregoriana. Berolini 1865, 52: „Absolutionem 

peccatorum tuorum, sicut . rogasti, auctoritate prinoipiun apostolorum Petri'et 

- Pauli fulti, quorum vice quamvis indigni fungimur, tibi mittere dignum duximus, 

si tarnen bonis operibus inhaerendo' et commissos excessus plangendo, quantum 

. valueris corporis ,tui habitaculum Deo mundum templum exhibueris." 

. ■ ^ So Baronius, Bellarmin, Toumely, Amort, Palmieri, Hilgers, Lea. Morinus 
(S. 597) sieht- darin eine sakramentale Absolution, die einem Abwesenden ge- 
spendet wird. ' . 



78 II, IV^ittelalterliche Abäohitionen als angebliche Ablässe. 

man im Sündenleben verharren; um würdige Früchte der Buße zu 
.bringen, müsse man von der Sünde' ernstüch sich abkehren und die 
Gebote Gottes treu beobachten. „Wer auf diese Weise Buße tut," 
SO schließt Gregor seine Ausführungen, ;,dem^r teilen' Wir mit 
apostolischer Vollmacht den Erlaß seiner Sünden."^ 

Manche werden ohne Zweifel in diesem „Sündenerlaß-' einen Ablaß 
sehen wollen. Aber ist es wohl glaublich, daß der sonst so strenge -Papst 
den Engländern insgemein, ohne von ihnen' eine besondere Leistung zu 
fordern, bloß unter der Bedingung, daß sie ihre Christenpflichten gut 
erfüllen, einen vollkommenen Ablaß, d. h. einen vollständigen Erlaß 
der Büß- und Sündenstrafen erteilt habe ? Widerspricht eine solche 
Handlungsweise schon dem Geist und der Bußpraxis jener Zeit, so 
läßt sie sich vor allem nicht vereinbaren mit dem Charakter Gregors VII. ^ 
Deshalb bleibt nichts anders übrige als den vom Papste mit aposto- 
lischer Vollmacht erteilten „Sündenerlaß" als einfache Segenspendung 
aufzufassen. Und dieselbe Bedeutung kommt wohl auch der Abso- 
lution zu, die Gregor dem Bischof von' Lincoln gespendet hat. 

In ähnlicher Weise sind ohne Zweifel zwei andere Absolutionen zu 
erklären, die Gregor VIL, ebenfalls unter Voraussetzung wa-hrer Buße, 
durch Bischöfe spenden ließ. Graf Roger,' der mit seinen Normannen 
eine Expedition gegen die Sarazenen in Sizilien unterneh'fhen' wollte, 
hatte den Papst um „Segen und Absolution" (apostolicae sedis bene- 
dictionem et absolutionem) gebeten. In einem Schreiben vom 14. März 
1076 beauftragt Gregor den Bischof Arnald von Acerenza, sich zu 
Roger zu begeben und ihn sowie seine Soldaten von jeglichem Bande 
ihrer Sünden loszusprechen, unter der Bedingung jedoch, daß sie, 
wie es Christen gebührt,, Buße tun.^ Vier Jahre später forderte Gregor 
in einem Schreiben vom 25. Juli 1080 die Bischöfe von Apulien und 
Kalabrien auf, denjenigen, die mit Robert Guiscard den griechischen 
Kaiser gegen die Sarazenen unterstützen wollten, zu würdiger Buße 



^ Jaf f 6 391 f. Am Anfange des Schreibens spendet Gregor den Engländern 
„apostolicana benedictionem, si obedierint". , Am Schluß heißt es: „Quicunque 
ergo taliter poenituerit — quoniam aliter simulatio dici potest, non poenitentia — 
illi peccatorum suorum remissionem apostolica freti potestate lar- 
gimur, insuper aetemae beatitudinis gaudia de onmipotentis Dei misericordia 
confisi, promittimus." . ", ' i -v ? i 

^ Die Bemerkung Morins (S. 597) bezüglich der Absolutionen Gregors 

. überhaupt gilt ganz besonders von dei: Absolution, die den Engländern gespendet 
•vrarde: „ Quis credat severissiniimi Pontificeni criniiniimi indiilgentiäs absolute iet 
sinevulia compensatiöne donasse ? Hoc plane contrarium est praxi pöenitentiali 
illius saeculi ... Et si alicui Pontifici hoc convenire potest, öinniumT miniihe 
Gregorio VII. Caeteri Pontifices, ciuii indiilgentiarum laxa erat,d.ispensätio, 
poenitentiarum- septimam, qüintäm, tertiam partem icöndöhabänt. ' Atisterissiihus 
Gregorius VII. integras prodegerit ? ■ Qui tot concilia celebravit et celebräri 

, iussit, ut poenitentiae pristinum vigorem\restitueret, falsam ab; Ecclesia ex- 

terminaret, primus laxissimam doouerit et canonieäm abrogantibus praeierit ?" 

3 Jaf f 6 225 : „Si nöbis parere, siout pollicitus est^ volueritj etpoenitentiäm, 

• ut oportet christianum, egerit, ab omni peccatorum: suorum! vinculötaihillüm 

- quam etiam suos milites qui cum eö contra paganos, ita tarnen ut-agantipoeiu- 
tentiam, pugnaturi sunt, peooatis maxime (?) absolvas." Of f enbär v^erderbterText ! 



, ;,;; B; Absolutionen lebender Personen. . . • 79 

zu ermahnen und sie dann mit, päpstlicher Vollmacht von ihren Sünden 
loszusprechen.! 

; In diesen beiden Fällen handelte es sich um Krieger, die gegen 
die Ungläubigen in den Kampf ziehen wollten. Man ist daher leicht 
geneigt, an die Erteilung eines vollkommenen Ablasses zu denken. 
Allein Gregor spricht von- der zu spendenden Absolution in denselben 
Ausdrücken, mit. denen er den Engländern die Absolution gespendet 
hat.' Wie nun aber diese letztere Absolution sicher nicht als Ablaßt 
sondern nur als Segenspendung gelten kann,' so dürften auch die süd- 
italienischen Bischöfe bloß beauftragt worden sein, den Soldaten den 
päpstlichen Segen zu spenden. Daß dieser Segen für die Krieger im 
Mittelalter einen großen Wert hatte, bezeugt uni die Mitte des 13. Jahr- 
hunderts der französische Dominikaner Huiöibert von Romans. In 
seiner . Schrift über, die Kreuzzugspredigt bemerkt- er, daß manche 
williger in den Kampf ziehen, wenn sie vom Papste oder dessen Stell- 
vertreter den Segen empfangen.^ Es ist daher leicht begreiflich, daß 
die Normannenführer für ihre Truppen den päpstlichen Segen nach- 
suchten. Daß bei. der Spendung dieses Segens das eine Mal von jeg- 
lichem Bande der Sünden losgesprochen Werden' sollte, ist -nicht vori 
B.elang. Von den Banden der Sünden absolvieren, bedeutet in der 
kirchlichen Sprache dasselbe, wie von den Sünden lossprechen. Im 
zweiten Falle heißt es denn auch einfacher, die Bischöfe sollen die 
Soldaten von den Sünden lossprechen, nachdem sie ihnen ans Herz 
gelegt hätten, würdige Buße zu tun. Unter dieser Buße sind übrigens 
nicht die vom Beichtvater auferlegten Bußwerke zu verstehen, 
so daß man schon aus dem Umstände, daß die Soldaten ihre Buße 
verrichten, sollten, folgern könnte, es wäre ihnen kein Ablaß erteilt 
worden.^ „Buße tun" heißt öfters die Sünden bereuen und sich vor- 
nehmen, nicht mehr zu sündigen.* In seinem Schreiben an die Eng- 
länder erklärt ja Gregor selber, daß die wahre oder würdige Buße 
(quisquis digne vult poenitere etc.), die er von ihnen als Vorbedingung 
der Absolution fordert, vor. allem in der ernsten Abkehr von der Sünde 
bestehen müsse. 

Weniger Schwierigkeiten bietet die Deutung der übrigen Abso- 
lutionen, denen man in Gregors Briefen so häufig begegnet. 

Ein frommer Wunsch ist es bloß, wenn Gregor VII. am Schluß 
eines Schreibens vom 1. Juli 1073, worin vor einem widerrechtlich 
eingedrungenen Bischof gewarnt wird, die Bitte an Gott richtet, es 
lüögen die treuen Gläubigen durch, die Autorität des hl. Petrus von 



^ Jaffe 43ö:„Mandamus, ut eos ..\ . moneatis condignam poenitentiam 
agere ... Sicque illos, fulti no§tra auctoritate, immo beati Petri potestate^ 
a jpeccatis absolvite." 

2 Tractatus de predicatione Sancte cruois. Ohne Ort und Jahr, cap. 2: 
„Multi libentius exponunt se pugne, quando benedictmtur a papa vel ab alio 
vices eins gerente." 

^ Diese Folgerung zieht Gottlob ö3. 

* Belege hierfür bei Morinus 27. 



80 11. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe. 

ihren Sünden absolviert werden.^ Absolutionen in der Form einer 
Bitte oder, eines Wunsches werden im Jahre 1074 wiederholt er töilt, 
so der Herzogin Beatrix und ihrer Tochter Mathilde,? dem Herzog 
^ratislas von Böhmen,^ dem König Heinrich W.,*' den Gläubigen in 
Deutschland.^ ^ . > , . 

,;j: Besondere Erwähnung verdient ein nicht näher datiertes, an alle 
Gläubigen gerichtetes Schreiben aus den Jahren 1074—75, das schon 
öfters mit Unrecht Gregor, VI. zugeeignet* und ebenso irrig als Ablaß- 
bewiihgung .aufgefaßt worden ist.' Gregor erwähnt iii diesem Schreiben, 
wie viele Geistliche und Laien, auf Antrieb des Herzogs Wilhelm von 
Aquitanien, sich entschlossen hätten, jedes Jahr Beiträge zur Restau- 
ration der römischen BasiHken von St. Peter und St. Paul zu spenden, 
um .durch die Verdienste der AposteKürsten und die Fürbitte der 
röinischen Kirche den Segen Gottes auf sich herabzuziehen. Aus 
Dankbarkeit verspricht der Papst, daß jährlich' in den römischen 
Kirchen für die Wohltäter Messen .gelesen, und Gebete verrichtet 
werden sollen, damit sie Gott durch die Autorität der AposteKürsten 
und auf die Fürbitte aller Heiligen von allen Sünden absolviere 
(a cunctis eos peccatis absolvat) und zur Seligkeit führe. Ein Ablaß 
wird damit selbstverständhch nicht erteilt, ebensowenig wie der 
Segenswunsch am Anfange des Schreibens (Salutem et absolutionem 
omnium peccatorum per benedictionem etmerita beatorum 
Petri et Pauü) als Ablaß betrachtet werden kann. 

Im Jahre 1075 verheißt Gregor den Einwohnern von Turin, wenn 
sie seinen Ermahnungen Folge leisten, die Nachlassung i ihrer Sünden.* 
Dieselbe Gnade stellt er den Einwohnern von Piacenza, die im Kampfe 
iür die Kirche sterben würden, in Aussicht.^ Sodann absolviert ei 
schriftlich den Bischof Dietwin vonLütticy** und erteilt in deprekativer 
Form die Absolution dem König von Ungarn und dessen treuen 
Untertanen.^^ 

Wie diese deprekative Absolution, so ist auch die Begrüßungs- 
formel, in der Gregor bisweilen am Anfange seiner Schreiben eine 

1 Jaffö 27. 2 Ebd. 71. 

ä Ebd. 121. * Ebd. 146. s Ebd. 532. 

• So noch von Lea 142, der es anführt als „a signifioant illustration of 
the doubt which as yet the popes feit as to their own powers, and the -chaotio 
condition in which was still the whole subject of-the pardon of sin." 

' Abgedruckt bei Migne GXLII 573 f. Nähere Literatur darüber bei Kehr, 
Regesta I 140. Als Verleihung eines vollkommenen Ablasses aufgefaßt von 
Amort I 126; P. Ch. Lupus, Opera V, Venetiis 1725, 282. 

8 Jaff6 162. » Ebd. 173. 

^" Ebd. 182. In seinem Schreiben klagt zuerst der Papst, d.aß er aus sicherer 
■Quelle vernommen habe, . der Bischof • verkaufe kirchliche Wiirdeh. Er malmt 
ihn, von der simonistischen Handltihgsweiseabztistehen, und schließt dann: 
„Et quia in extreme videris ppsitus, fraterna compassione d^ucti, auctöritafe 
"' beati Petri apostolorum principis absolviinus 'te a peccatis ' tüis, et Dominuna 
pro te exoramus, ut interventu beatorum apostolorüni ihter elöc^^ 
merearis consortium." Von Hilgers imd andern als Sterbeiabiäß'jaufgefäßt. 
Beringer-Hilgers I 667. . . ; : 

ii Jaffö 193. • ■ : - ■ -- : 



B. Absolutionen lebender Personen. 81 

Absolution aller Sünden anwünscht, bloß als Segenswunsch auf zu- 
fassen. . Eine solche. Begrüßun^sformel wurde bereits bei der Be- 
sprechung-^ des Schreibens •'kri 'alle Gläubigen aus- den Jahren 1074—75 
erwähnt; sie steht auch an der Spitze eines Schreibens vom Jahre 1076 
an die Deutschen^ ^ und eines andern- vom Jahre 1079 an König Rudolf 
und dessen Getreuen.^ ■ 

Auch die im Jahre 1076 in einem Schreiben an den Bischof voii 
Metz erteilte deprekatives Absolution für alle Verteidiger der christ- 
lichen Religion und des Apostolischen Stuhles ist weiter nichts als eine 
Segenspendung.^ • .; - .. ' 

■ Absolutionen in deprekativer Form erteilte der Papst öfters iii 
den Jahren 1077 und j1078,- so dem König ^voii: England und seiher 
Familie,* den spanischen' Königen und Grafen,^ dem Abt Hugo von 
Cluni und dessen Mönchen,® den Deutschen,' dem Erzbischof- Manasses 
von Reims^, ■ dem König Olaf von Norwegen und seinen Unter - 
tanenj® dem Herzog Weif' IV. und dessen Anhängern.^® Eine Abso- 
lution in indikativer Form erteilte Gregor am. 25. November 1078 den 
Einwohnern vonsRavenna, unter der Bedingung- jedoch, daß sie dem 
Papste gehorchen und sich vom schismatischen Erzbischof Wibert 
lossagen.^^ Auch im Jahre 1079 kommen mehrere Absolutionen in 
indikativer Form vor. Am 2. Januar erteilte der Papst die Absolution 
den Mönchen von St. Viktor in Marseille,^^ am 31. März Geisthcheh 
und Laien der Provence; wenn sie die der Abtei Montmajour ent- 
rissenen Güter zurückgeben würden,^^ am 25. November deii Eng- 

^ Ebd. -24:5: ,, Omnibus . . . fidem christianam defendentibiis, in regno 
Teutonico habitantibus, salutem et omnium peccatorura absolutionem.iper apo- 
stolicam beriedictionem." Diese Formelhat dieselbe Bedeutung' wie eine andere 
aus dem Jahre 1076 : • „Teutonicis . . . christianam fidem deferidentibus et ob- • 
servantibus . . . salutem et beatorum apostolorum Petri et.Patdi beneclictionem 
omniumque peccatorum absolutionem." Ebd. 643i. Hilgers 56 meint von der 
ersten Forniel: „Gerade diese Formel entspricht der Spendung eines vollkommenen 
Ablasses, so zwar, daß heute noch genau' so der Ablaß in päpstlichen Urkunden 
gespendet werden kann und auch verliehen wird. Ja auch heute noch versteht 
man unter dem apostolischen oder päpstlichen Segen einfachhin, wenn derselbe 
in feierlicher Weise gespendet wird, den vollkommenen Ablaß." Die Frage ist 
aber, ob auch schon Gregor VII. im 11, Jahrhimdert mit seinem. Segen xaxd dem 
Anwünschen der Sündenvergebixng einen vollkommenen Ablaß gespendet hat. 
Letzteres ist zu verneinen. 
" 2 Ebd. 553. 

3 Ebd. 245: „Dens te nostrosque omnes fratres . . . qui christianum de- 
fendunt religionem et, apostolicae sedis dignitatem, a cunctis peccatis absolvat." 
■ * Ebd. 266. fi Ebd. 287. 

« Ebd. 318. ' Ebd. 322. 

8 Ebd. 325. » Ebd. 345. " Ebd. 346. 

, ^^ Ebd. 340: „Vobis autem Deum diligentibus et b. Petro obedientibus 
ex auctoritate eiusdem apostolorum principis omnium peccatorum remis- 
sioriem largimur." 

' ^2 Ebd. 347 : „Auctoritate b. Petri . . . nobis valde indignis commissa, in- 
dulgentiam. omniiwn peccatorum vestrorum promittimus et absolutionem cum 
benedictione concedimus." Von Bellarmin imd Palmieri als Ablaß betrachtet. 

" Ebd. 368: „Obedientibus apostolica auctoritate et b. Petri nobis, 
licet indignis, concessa potestat'e, peccatorum suorumveniamindulgemus." 

Paulus, Geschichte des Ablasses. , 6 



82 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe. 

l^nderiii Ayie sclioii oben berichtet worden. Unter 20. März 1079 wird 
©in französischer Adeliger ermahnt,^ dem Jlrzbischöfi von Vienne zu 
gehorchen, wenn er vom Papste den „Ablaß seiner Sünden" erlangen 
wolle .?^: Einige Monate später sandte der Papst dem König AKons 
yon.Kastilien eine Partikel der Kette des hl. Petrus mit dem Wunsche, 
daß Gott ihn durch die Fürbitte des Apostels von den Banden aller 
Sündjen; absolviere.? 

Verheißungen des Sündenerlasse- wiederholen sich öfteis in den 
folgenden Jahren. In einem Briefe vom 30. Januar 1080 an den Bischof 
von Verdun erteilt Gregor jenen, die sich des voni Grafen , Arnulf 
iiberf aUenen Bischofs Heinrich von Lüttich annehmen würdiBn; seinen 
Segen und verheißt ihnen die Verzeihung ihrer Sünden.^ Den Wohl- 
tätern einer Peterskirche in der Diözese Poitiers wird 1081 die Nach- 
lassung djsr Sünden in sichere Aussicht gestellt,* ebenso 1082 den 
Verteidigern des vertriebenen Erzbischofs von Tours.^ Im Jahre 1084 
ermahnt der Papst, alle Gläubigen, ihn und die römische Kirche zu 
unterstiitzen, wenn, sie durch deren Vermittlung die Absolution von 
aJLlen Siinden sowie Segen und Gnade in diesem Leben- und im Jenseits 
zu erlangen wünschen.* Derartige Versprechen sind einfach den 
iiblichen Versicherungen beizurechnen, daß man durch das Eintreten 
für die Kirche und durch deren Eürbitte, wie durch andere gute 
Werke, Sündenvergebung und ewigen Lohn erwerben könne. Den- 
selben Sinn hat das Schreiben vom 19. April 1080, worin der Papst 
den Dänen die Verzeihung der Sünden verheißt, wenn sie seinen Er- 
mahnungen Folge leisten,' 

Ein einfacher Segenswunsch ist die Schlußformel eines andern 
Schreibens vom Jahre 1080.^ Als bloße Spendung des päpsthchen 
Segens hat auch die deprekative Absolution zu gelten, die einen Brief 
vom; Jahre 1081 an eine Königin beschließt.^ Dasselbe gilt von der 
Absolution, die Gregor 1081 in deprekativer Form' dem König Alfons 
von Kastilien und dessen Getreuen gespendet hat.!** 

Als Absolution in indikativer Form verdient besonders hervor- 
gehoben zu werden diejenige, die von Gregor am 7. März 1080 auf 
einer Synode im Namen der Apostelfürsten^^ dem König Rudolf und 



1 Ebd. 364: „Quatenus gratiam Dei et peccatornm tuorum indul- 
gentiam ab ipso ctii data est potestas ligandi atque solvendi percipias." 

2 Ebd., 387. 

^ Ebd. 397: ,,Apostplicani,benedictionein,tribmm de divinae pietatis 

mvinere confisi, peccatorum suorum yeniam poilicemur." Lea 56 f. sieht in 
dieser Verheißting einen „Ablaß von Sßhulid und Strafe", der ohne Reue xmd 
Beichte gewonnen werden konnte. 

* Ebd. 482: ,,Veniam peccator^ni supruin et; gratiam b. Petri, si in bonis 
perseveraverit, se promeriturum non dubitet." 

6 Ebd. 499. ^ 

* Ebd. 575: „Sipereos a^splutionem pnmium p^ßcatprumet benedicti^^ 
atque gratiam in hoc seculo et in futuro habere desideratis." 

' Ebd. 414. 8,Ebd^ 4X9.' ■ ; ■ 

»Ebd. 468. 10 Ebdi 47?! . , ,;' ; 

1^ Nicht im Namen, der Konzilsyäter, wie etliche irrig behaupten. 



B. Absolutionen lebender Personen. 83 

dessen Anhängern erteilt worden ist.^ Mit Unrecht hat man diese 
Absolution schon öfters als Ablaß aufgefaßt;^ mit noch größerem 
Unrecht, hat man ; darin eine eigentliche Sündenvergebung sehen 
wollen.-^ Es handelt sich bloß, wie bei vielen andern Absolutionen, 
die Gregor ebenfalls, in, indikativer oder deprekativer Form gespendet 
hat, um den päpstlichen Segen, der hier nur in etwas feierlicherer 
Weise erteilt wird, 

Ganz ähnlich verhält es sich mit einem „vollkommenen Ablaß", 
den der päpsthche Legat Anselm von Lucca im Jahre 1084 erteilt 
haben soll. Zur Zeit, wo Gregor VII. unter dem Schütze der Nor- 
mannen in Salerno. weilte,, kam es im Juli 1084 bei Sorbäria in Nord- 
italien zu einem Kämpfe zwischen den Kaiserlichen und den Anhängern 
des Papstes. Anselms Beichtvater und Biograph, der Priester Bardo, 
der selber darüber berichtet, war vom' Legaten zu den Truppen der 
Gräfin Mathilde gesandt worden, um ihnen im Namen des Papstes 
und des Legaten den Segen zu spenden und sie anzufeuern, „zur Ver- 
gebung aller ihrer Sünden" den Kampf zu wagen.* Der Segen, den 
Bardo zu spenden hatte, war der päpsthche und bischöfUche Segen,^ 



^ Ebd. 404: ,,Ut autem Rodulfus regnum Teutonicorum regat et defendat . . . 
ex parte vestra dono, largior et coneedo omnibus sibi fideliter adhaerentibus 
absolutionem omnium peccatorum vestramque benedictionem in hao vita et in 
futura, vestra fretus fiducia, largior." 

^" So Gottlob 54 f. und verschiedene andere. Lea 67 findet auch in dieser 
Absolution einen Ablaß von Schuld und Strafe, der ohne Reue und Beichte zu 
gewinnen war. • 

' 3 So W. Martens (Gregor VII. I, Leipzig 1894, 245), der auch andere 
Absolutionen Gregors falsch auffaßt; schreibt er doch: „Es müssen die Wen- 
dungen, mittels .deren einer großen Gesamtheit von Personen ohne genauere 
Kenntnis' von deren Disposition durch päpstliche Schreiben die Vergebung von 
Sünden, insbesondere auch von Todsünden, erteilt wird, als bedenklich und 
inkorrekt Ijezeichnet werden." Vgl. Döllinger, Akademische Vorträge 1^ 
(1890) 194: „Gregor VII. hatte , angefangen, den Anhängern des Gegenkönigs 
Rudolf ganz allgemeine Vergebung. aller Sünden zuzusagen." Ähnlich Hinschius 
V 154 n. 6; K. Hase, Handbuch der protestantischen Polemik*. Leipzig 1878, 392. 
Vgl. auch H. Pissard, La guerre sainte eh pays chretien. Paris 1912, 16. 
Gregor VII. habe den Soldaten Rudolfs „l'absolution de leurs peches" erteilt. 
„Jamals jusqu'ici le pape n'avait promis des r^compenses spirituelles aussi 
nettement determinees aux Champions de sa cause." 

* Vita Anselmi Lucensis. Mon. Germ. SS., XII 20: „Congregati sunt et 
nostri siquidem pauci, quoniam uha vix die praescii facti simt; verimitamen 
nimis oonfortati sunt, quia dominus noster sanctus Anseimus episcopus suam 
eis benedictionem per nostram direxit parvitatem, hoc in mandatis praecipue 
oommendans nobis, ut si qui cum excommunicatis communicassent, primitus 
illos absolveremus, et tunc pariter omnes auctoritate apostolica et sua 
benediceremus,4nstruentes eos, quo pacto quave intentione deberent pugnare, 
sicque in remissionem omnium peocatorum eorum instantis belli com- 
mitteremus periculum." 

s Welchen großen Wert man damals diesem Segen beilegte, zeigt der Be- 
richterstatter Bardo, der den Sieg der Päpstlichen geradezu dem Segen Anselms 
zuschreibt:,,, Qua in re gloriam Dei et virtutem benedictionis reverendissimi 
praesulis fideles onanes agnoscere potestis." M. G.^ SS. XII 20. 

6* 



84 il. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe. 

der öfters als Absolution bezeiclinet wird, weil dabei vor allem 
die Giiade der Sündenvergebuhg auf diejenigen, die ge- 
segnet werden sollten, heralbgefleht wurde. Auch die Ver- 
heißung der' Sündenvergebung darf nicht als^Ablaßbewilliguiig auf- 
gefaßt werden. Es wurde damit bloß von autoritativer Seite, wie 
schon wiederholt betont wurde, der altchristlichen Überzeugung Aus- 
druck gegeben, daß man durch gute Werke — und als ein hervor- 
ragend gutes Werk wurde damals der Kampf für den römischen Stuhl 
angesehen — von Gott die Vergebung der Sünden erlangen . könne. 

Dieselbe Törmel der Segenspendung hat übrigens Anselm von Lucca 
auch bei anderer Gelegenheit gebraucht. Kurz vor seinem Tode, im 
Jahre 1086, wie Bardo erzählt, segnete er noch einmal die ihn Um- 
stehenden und ermahnte sie, „zur Vergebung ihrer Sünden" dem 
Glauben und der Lehre des Papstes Gregor treu zu bleiben. Bardo 
bemerkt auch, daß Papst Gregor vor seinem Hinscheiden ganz ähnlich 
gehandelt habe.^ 

Wie aber Anselm nicht daraii dachte, auf dem Totenbett durch 
seine Segenspendung einen Ablaß zu bewilligen, so hat auch Gregor VII. 
vor seinem Tode im Jahre 1085 keinen Ablaß erteilt, wenngleich 
berichtet wird, daß er auf dem Sterbelager alle päpstlich gesinnten 
Gläubigen von ihren Sünden lossprach. Als man ihn kurz vor seinem 
Tode wegen der von ihm Gebannten fragte, gab er zur Antwort: 
„Außer Heinrich, den man König nennt, außer Wibert, der den päpst- 
lichen Stuhl an sich gerissen, und außer allen jenen Hauptpersonen, 
die durch Rat oder Hilfe deren Schlechtigkeit und Gottlosigkeit be- 
günstigen, absolviere und segne ich alle Menschen, die fest glauben, 
daß ich diese besondere Vollmacht an der Apostel Petri und Pauli 
Statt habe. "^ Nach diesem Berichte Pauls von Bernried könnte es 
fast scheinen, daß es sich bloß um die von Gregor Exkommunizierten 
handle und daß daher die erwähnte Absolution als eine Aufhebung 
des Bannes aufzufassen sei. Daß jedoch eine derartige Einschränkung 
nicht angenommen werden dürfe, zeigt, nebst dem bereits angeführten 
Bardo, noch ein anderer Berichterstatter, Hugo von Flavigny. 
Dieser erzählt, Gregor habe vor seinem Hinscheiden verschiedene Er- 
mahnungen an die Anwesenden gerichtet; dann habe er alle jene, die 



^ Ebd. 24: „ Quod in vita sua magister ac discipultis docuerunt, hoc et in 
morte, quasi testamento, confirmaverimt. lUe (Gregor VII.), quos obedientes 
sibi vivens adhuc benedixit, moriens quoque Domino precibus commen- 
davit; Heinricianos vero penitus penitusque, nisi post magnam demum con- 
versionem et poenitentiam, reprobavit. Hie (Anselm) praesentibus nobis in 
verbo • Domini praecepit, ut in fide ac doctrina beatissimi papae Gregorii per- 
maneamios, quod et cum benedictione nobis indidit, et in remissionera 
peccatorum nostrorunx commendavit. Affuit huic benediotioni etc." 

2 Paulus Bernriedensis, S. Gregorii VII Vita, cap. 102, bei Migne 
CXLVIII 94: „Pontifex beatus Gregorius super his quos excommtmicaverat, 
requisitus, si quam dispensationemiacere vellet,respondit: Praeter Heriripüm . '. . 
omnes absolvo et benedico quicünque meharic habere specialem potestatem 
in vice apostolorum Petri et Pauli credüntindubitanter." 



B. Absolutionen lebender Personen., 85 

dem von ihm verkündeten Glauben treu. bleiben würden, von allen 
ihren Sünden losgesprochen.^ 

So kommen wir. denn zu dem Ergebnis, daß von den vielen Ab- 
solutionen, die Gregor VII. gespendet hat, keine, einzige mit Sicherheit 
als Ablaß festgestellt werden kann. Man ist wohl berechtigt, sie samt 
und sonders als Segenswünsche aufzufassen. 

Urban II. (1088—99), Gregors unmittelbarer Nachfolgerj der 
wiederholt Ablässe, verliehen hat,, erteilte >uch,. öfters Lebenden wie 
Verstorbenen Absolutionen, die nicht als Ablässe zu betrachten sind. 
Gleich seinen Vorgängern hat er manchmal die Absolution in Aussicht 
gestellt oder in deprekativer Form erteilt. In letzterer Form erteilte 
er 1090 die -Absolution den Wohltätern eines Spitals in Pistoia;^. im 
Jahre 1094 dem Klerus und den Gläubigen von Halberstadt, falls sie 
ihren neuen Bischof gut aufnehmen würden;^ im Jahre 1095 dem 
Grafen Raimund von Toulouse und dessen Eltern, wegen Zurück- 
erstattung kirchlicher Güter,* sowie den Wohltätern eines neugegrün- 
deten Klosters bei Tarascon.^ 

Sehr zahlreich sind die allgemeinen Absolutionen, die Urban 11- 
bei verschiedenen Gelegenheiten gespendet .hat. Anläßlich der An- 
legung eines neuen Friedhofes bei dem Kloster Notre-Dame de la. 
Daurade in Toulouse soll der Papst im Jahre 1088 dem Grafen Wilhelm 
von Toulouse sowie allen jenen, die sich auf dem Friedhofe beerdigen 
lassen würden, die Lossprechung von allen Sünden erteilt haben.* 
Man hat in dieser BewilHgung einen vollkommenen Ablaß sehen wollen.^ 
Sollte aber das Schreiben in der vorliegenden Fassung echt sein, was 
keineswegs feststeht,* so würde es sich bloß um die Erteilung des 



^ Mon. Germ. SS. VIII 466: „Absolvit ,omnes, qui in fide ista, qua© 
per illum innotuitj-usque ad finem perseveraverint, ab omnibus peccatis suis." 

2 Migne CLI 318: „Dei apostolorumque eius benedictione et peccatorum. 
absolutione ditentur." 

3 Ebd. 378. * Ebd. 399. 

^ Ebd. 425: ,,Quicunque locum illum eleemosynis suis . . . amplificare . . . 
curaverit atque coemeterium . . . liberum illibatirniqüe servaverit, suorum 
indulgentiam peccatorum a Domino oonsequatur ipsiusque Dei gratia 
et apostolorum Petri et Pauli benedictione donetur." Näheres über dies Privi- 
legium findet, sich bei Gu6rard, Cartulaire de l'abbaye de Saint-Victor de 
Marseille I 242 ff. In einem gleichzeitigen urkundlichen Berichte erscheint der 
Papst als „absolvens benefactores". Die Urkunde, welche die päpstliche Bulle, 
den Gläubigen zvir Kenntnis bringt, erklärt vom Papste: „Indulgentiam 
peccatorum et gratiam b. Petri et suam donavit." Sie selber verheißt den 
Wohltätern der ueugegründeten Kirche: „Sciant se proeul dubio . . . per b. M- 
cholai (Patron der Kirche) preces et merita Dei gratiam et peccatorum suorum 
indulgentiam adepturos . ' ' 

, ® Migne CLI 393: ,,Te et omnes qui in eodem loco religionis gratia opta- 
verint sepeliri, per beati Petri gratiam ab omnibus absei vimus vinculis 
delictorum." Jaffe 5534, identisch mit n. 5733. Zum Datum vgl. Pflugk- 
Harttung III 17. 

^'.Devic II 280. 

8 Urban II. hat vielen Klöstern das Begräbnisrecht zugestanden, nach 
ßiner Formel, die oft von ihm gebraucht und von seinen Nachfolgern auf Jahr- 
hunderte beibehalten worden ist. Vgl. Puckert 65. Von dieser üblichen Formel 



86 il. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe, 

päpstlichen Segens handeln. Dasselbe gilt von der Absolution,, die 
Urban II. im Jahre 1092 dem Grafen Roger von Sizilien gespendet 
hat.^ Auch die Lossprechung, die Urban im Frühjahr 1095 den Kano- 
nikern von Maguelone anläßlich der Ahnahme der Regel der Augustiner- 
Chorherrn erteilte, ist bloß als Segen zu betrac£ten.^ 

Eine allgemeine Absolution, die einige mit dem Kreuzzugsablaß 
verwechseln, wurde gegen Ende des Jahres 1095 auf der Sjnttode von 
Glermont vom Papste allen Anwesenden erteilt. Der Abt Robert aus 
Reims, der in Clermont zugegen war, erzählt nämlich, daß nach der 
Rede des Papstes der Kardinal Gregor im Namen der knienden Menge 
das offene Schuldbekenntnis gebetet, und daß dann alle von ihren 
Sünden losgesprochen wurden.^ Es war dies einfach die damals ül)liche 
allgemeine Absolution, die im Anschluß an die offene Schuld erteilt 
würde. 

Ähnliche Absolutionen hat Urban. II. auf seiner Reise durch 
Frankreich öfters erteilt; Als er im März 1096 die Abteikirche von 
Marmoutiers bei Tours einweihte, hielt er vor dem zusammen- 
geströmten Volke eine Predigt, an deren Schluß er alle' Förderer des 
Klosters ,jsegnete und absolvierte";* Den Mönchen selber, den noch 
lebenden wie den schon gestorbenen, erteilte er nachher die Absolution 
im Kapitelsaal. Diese letztere Absolution bezog sich vornehmlich auf 
die Sünden und Nachlässigkeiten, welche die Mönche bei Käufen, Ver- 
käufen und andern welthchen Beschäftigungen aus menschlicher 
Schwachheit sich 'hatten zuschulden kommen lassen.^ Daß die Mönche 



sticht das Privilegium für das Kloster in Toulouse grell ab. In einer Bestätigungs;- 
buÜe voni Jahre 1105 bemerkt wohl Pasohalis II., daß Urban II. dem Kloster 
einen Friedhoi bewilligt habe; doch sagt er nichts von dem eigentümlichen 
Privilegium, das IJrban verliehen haben, soll. Ben Wohltäterh des -KlösiSers — - 
und dies waren vor allem jene, die sich auf dem Klbsterfriedhof begraben Heißen ^^ 
erteilt er selber bloß den üblichen Segen: »iQüicünque idem- monasterium . . . 
suis rebus honorare curaverint, omnipotentis Dei et apostoloruni eius; grätiaiii 
consequantur." Migne CLXIII 173 f. 

^ Oben S.52. Als Ablaß aufgefaßt von B oll andiis, Acta Sanct. Februarii 
I 655; Amort I 189; Lea 57. ' :' ^^^^;^^ .^^^ ,,^ ^^^^^-^ ^ , ^ 

" Migne OLI 408. Jäff6 5550: „Omnibus in veströooenobiö vitamcaüö- 
nicam seeundum b. Augustini ireguläm profiteiitibus, et in eaiadiüvänte Domino 
permanentibus, nos licet indigrii apostbloruin vibärii eorüm ac nfe^ 
dictionera peccatorumque absolütioriem pötestate illis a Domino ihdülta 
conoedimus." " ,.i ^ 

' Mign© CLV 673: „His ita completis, unus ex cardinalibüs; noiriihö 
Gregorius, pro omnibus terra prostratisdixit cbnfessiohemsüam, et sie omnes 
pectora sua tundentes, inipetraveruht de his qüae male commiseränt 
absolutionem, et facta absolutione, benedictionem." Vgl. ebd. 828 deii Bericht 
Fulchers von Ojbiartres: „Absolutionis benedictione d.ata, tunc disceisserurit!." 
• * A. Salmon, Recueil de Ohrohiques de Touraine. Tours 1854/ 316 340: 
„Benedixerat . . . et absqlverat omnes qui hos et universa nostra cuJstodireht 
fideliter et tuerentur," So berichtet ein Mönch, welcher der Feierlichkeit böii 
wohnte. 

^ Dies erfahren wir aiis einem Schreiben vom 24. September 1119, durch 
welches Calixt IL die Absolution Urbans bestätigte. Robert/ Bülliaire de 
Calixte II. I 92. In der Bulle wird zuörst berichtet, wie Urban IIl nach Märihoüi 
tiers kam, „et f ratruin capituliun inträhs, piost aedif icätioiiis verba et moiiitä, 



B. Absolutionen lebender Personen. 87 

von.' Marmoutiers diese Absolution zwei Jahrzehnte später durch 
Calixt II. bestätigen ließen, beweist, daß sie Wert darauf legten. Sie 
sollte ihn:en ohne Zweifel' voi*' allem zur Beruhigung ihrer Gewissen 
dienen.' ' In der Bestätigungsbulle unterläßt aber Calixt nicht, den 
Brüdern zur Pflicht zu machen, in Zukunft vorsichtig zu handeln.^ 
Über die allgemeinen Absblutionen, die Urban II. im Jähre 1096 zu 
Garcassorine und Maguelorie erteilte, ist schon an anderer Stelle be- 
richtet worden.^ 

Von Paschalis II. (1099—1118) seien zunächst einige Schreiben 
erwähnt, worin er am Schlüsse den Adressaten die Absolution der 
Sünden anwünscht oder in der Form einer Bitte erteilt. „Gott möge 
euch' von allen Sünden lossprechen", so schließt er einen Bri^f aii 
König Alfohs von Spanien vom 29. Dezember 1099.^ Es ist dies weiter 
nichts als der übliche Segenswunsch', mit dem die mittelalterlichesn 
Päpste so oft ihre Schreiben beschließen. Dieselbe Bedeutung hat 
die ganz ähnliche Schlußformel des Schreibens vom. 28. April 1100 
an die Kreuzfahrer in Palästina.* Es liegt kein Grund vor, hier aii 
den vollkommenen Ablaß zu denken, den damals die Kreuzfahrer 
gewinnen konnten.^ Gäriz' dieselben Worte gebrauchten die. Kreuz- 
fahrer selber in dem Schreiben, das sie im September 1099 an den 
Papst und alle Gläubigen gerichtet habeii.^ Und doch wird dabei 
niemand aii einen Ablaß denken. Ebensowenig handelt es sich um 
einen Ablaß, wenn der Papst am Schluß eines Schreibens vom 23. Mai 
1106 den Wohltätern des Stiftes St. Frigdianus in Lucca^' und in 
einem andern, nicht näher datierten, das an etliche italienische Städte 
gerichtet ist,^ den treuen Dienern Gottes üiid der Kirche die Los- 
sprfechüng von den Sünden anwünscht. Auch die deprekative Ab- 



dulcia, eiusdem loci monachos qui vel iam ex hac luce, Deo vocante, disoesseranfc 
vel adhuc superstites existebant, a peccätorum vinculis et negligentiis 
suis absolvit, ab illis praecipue qüäe eatenus in emtionibus, redemtionibüs; 
venditionibua ecclesiartun seu deeimarum omniunive terrenarum rerum occü- • 
pationibus ex humana fragilitate contraxerant, benedictiöneihqüe super eos 
dedit." 

^ jjQUvOd a praedictö domino nostro de absölutione illa raisericorditef 
factum est, auctore Domino, confirmariius, ut eiusdem loci fratres sälubritei? 
per Dei gratiam sibi debeant in posterum providere." Vgl. TJ. Robert, Histoire 
du pape Calixte II. Paris 1891, 60: „Cette absolution, par une singuliere bizarreriej 
porte sur les p^ches resultant d'aehats, raohats, ventes, possessions d'eglises, 
de dimes etc., ce qui semble prouver que les religieux de IVtarmoutiers n'ötäient 
pas plus persuadös qu'il ne convient de la purete de l'origine de leüxs biehs qui, 
comme on le sait,' etaient immenses." 

2 Oben S. 52. 

3 jiiigne CLXIII 33. 

* Ebd. 43. Hagenmeyer 179: „Ipse vos ab omnibus peccatis absolvat." 

^ Hilgers 56 meint: „Der Ausdruck scheint in diesem Zusanunenhatige 
nur vpn dem durch die Kreuzfahrer zu- gewinnenden vollkommenen Ablaß ver- 
standen zu sein." 

® Hagenmeyer 174: „Vobis Deus benefaciat et ab omnibxis vos peccatis 
absolvat." 

» Migne CLXIII 193. « Ebd. 366. 



88 11. ]M[ittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe. 

Solution, die PascliaKs II. einmal dem Bischof Lambert von Arras 
erteilt hat, ist bloß als Segenspendang aufzufassen.^ 

Andere Schreiben, in denen ein Sündennachlaß erwähnt wird, 
betonen nur im allgemeinen die sündentügende Kraft der Almosen, 
so z. B. zwei Schreiben, worin der Papst die^^Sitte bestätigt, daß 
Sterbende „zum Loskauf der Sünden" ihrer Pfarrkirche Almosen 
geben.2 Nichts anders hat es zu bedeuten, wenn der Papst den 
Wohltätern von Kirchen den ,, Ablaß ihrer Sünden" in Aussicht stellt.^ 

Eine eigentümliche Absolution, die ohne Zweifel als Ablaß zu 
gelten hat, ließ, Paschaüs IL dem König Heinrich L„ von England 
spenden. Als im Jahre 1103 der Primas von England Anselm von 
Canterbury wegen seiner Stellungnahme gegen Heinrich im Investitur-: 
streit außer Landes weilen mußte, ermahnte der Papst den König, 
Aiiselm zurückzurufen und die Rechte der Kirche zu achten. , Wiirde 
Heinrich dies tun, so versprach ihm der Papst, daß er ihm und seiner 
Gemahlin „Ablaß und Absolution der Sünden" spenden werde.*. Nach- 
dem es gelungen war, eine Verständigung anzubahnen, beeilte sich der 
Papst, sein Versprechen zu erfüllen. Noch vor Abschluß des definitiven 
Vergleichs (im Kloster Bec an Maria Himmelfahrt 1106) beauftragte er 
am 23. März 1106 Anselm, den König und dessen Gemahlin samt den 
Großen, die bei der Beilegung des Streites mitgewirkt hatten oder noch 
initwirken werden, „von den Sünden und Bußen loszusprechen".^ 
Hier handelt es sich offenbar nicht um eine bloße Segenspendung, 
sondern um eine förmhche Absolution von den „Bußen", also um 
einen eigentlichen Ablaß.* 

Mannigfaltige Absolutionen hat Calixt II. (1119—24) gespendet. 
Wiederholt beschheßt er seine Schreiben mit deprekativen Absolutions- 
formeln. So heißt es am Schluß eines Briefes vom 20. Juli 1119, der 

1 Lpewenfeld 73. 

,2 Migne CIiXIII 40. . Schreiben vom 14. .April 1100 an den Bischof von 
Autun: „Statuimus ut pro sepulturae loeo nullum- penitus ab aliqtto pretinm 
. exigatur; pro redemptione peccatoruni morientes in Ecclesia in qua fidei 
sacramenta acceperint, eleemosynain dare secundum apostolica decreta statuimus 
omnino et confirmamus. Si quis autem ad aliam vivens sive moriens se conferre 
voluerit, de eo quod pro salute animaesuae dare disposuerit, secundum' apostolica 
decreta matrici lücclesiae partem relinquati" r;Ebd. :41jgleichlautendes Schreiben 
an das Domkapitel von JV^äeon. Hilgers 70 : „Das jscheineji in .der \^jat". . . 
päpstliche Bußredemptionen fiir Sterbende xind Verstorbene zu sein und so. in 
Wirklichkeit Ablaßspenden vom frühen JV^ittelalter; her.'' Die Formel „pro 
redemptione peccatorum meorum" kommt in Schenkungs.urkunden des früheren 
Mittelalters unzählige' Male vor. 

' Ebd. 424. Schreiben vom 20. August 1117: „Dei... gratiam et pecca- 
torum suorumindtdgentiamconsequatuT." Ähnlich 165. Vgl. auch2.82: „ Quatenus 
vos indulgentiam vestrorum obtinere mereamini peccatorum.". 

* Ebd. 120: ,,Pro te Donüniun . • . exorare curabimiis; et dei pecoatis tarn 
tibi quam coniugi tuae, sanctorum^ apostolörum meritis, indulgentiam et ab- 
solutionem faciemus." . ; : 

^ Ebd. 187: „Regem et eius coniugem et proce'es illos quipro hoc,negptio 
ciun rege ex praecepto nostro laboraverunt et laborare nitentur . . . iuxta spon- 
sionem nostram a peccatis et po'enitentiis absolves." ; 

^ So auch Hilgers 83. . ;,,,;; 



, B. Absolutionen lebender, Personen.' 89 

an Beschützer einer Kirche, gerichtet ist, Gott möge sie von allen 
Sünden lossprechen,^ Die Bitte, daß Wohltäter von Klöstern und 
Kirchen , die ]S[a,chlassung der Sünden erlangen, mögen (peccatorum 
indulgentiam consequantur), wird öfters ausgesprochen.^ Bisweilen 
wird die Sündenvergebung als. Lohn verheißen.^ 

In; einer Bulle vom .20. März ril9,iWodürch;er, ankündigt, daß er 
die Antoniuskirche in.Vienne konsekriert habe, wünscht und verleiht 
Palixt II. allen jenen, die das Gotteshaus mit. reumütigem Herzen 
besuchen werden, Heil, Segen und Verzeihung der Sünden.* Damit 
soU der Papst für ewige Zeiten allen, die am Kirchweihfeste das Gottes- 
haus besuchen würden, einen vollkommenen Ablaß verliehen haben^. 
Allein von dem jährlichen, Kirohweihfest ist in dem päpstlichen 
Schreiben keine Rede. Der Papst spricht vielmehr von dem Kirchen- 
besuch in so allgemeinen Ausdrücken, daß daraus folgen würde, der 
vollkommene Ablaß könne das ganze Jahr hindurch bei jedem Be- 
suche gewonnen werden. Es liegt auf der Hand, daß Calixt II. nicht 
beabsichtigen konnte, ein derartiges Privilegium zu gewähren. Bei 
andern Gelegenheiten hat er für das jährhche Kirchweihfest nur ganz 
mäßige partielle Ablässe bewilligt. Wie hätte er also für jeden Besuch 
der Antoniuskirche einen vollkommenen Ablaß erteilen können ? Der 
von. ihm erteilte Sündenerlaß kann demnach nur als Segenspendung' 
aufgefaßt werden. 

Dieselbe Bedeutung hat der „Sündenerlaß" oder die Absolution^ 
die Calixt II. in einem Schreiben vom 8. April 1120 dem Bischof 
Guido von Chur in indikativer Form gewährte® und im folgenden 
Jahre (6. April 1121) in deprekativer Form wiederholte.' 

Nach Cahxt II. begegnet man im Laufe des 12. Jahrhunderts 
nur noch selten Absolutionen in päpstlichen Schreiben. . Wenn 
Cölestin IL im Jahre 1144 einen an Stiftsherrn gerichteten Brief 
mit den Worten schließt: „Gott, spreche euch.los von allen Siinden",* 
so braueht nicht wiederholt zu werden, daß es sich bei 'dieser depreka- 
tiven Absolution bloß um einen Segenswunsch handelt. Eine ganz 



1 Robert I 60. 

2 Robert! 85 171 178 329 und.passim. 

?, Robert I 112: „Per hoc et pmnipotentis Dei benedictionem et grätigem, 
-et remissionem vestroruna consequimini peccatorum," Vgl. I 90 117"; II 73. 

* Robert I 3: „Omnibus ad eam spe impetrandae misericordiae con- 
fugientibus salutem et apostolicam benedictionem remissionemque peccatorum, 
si ex corde poenitent, auctoritate beatorum Petri et Pauli apostolorum exoptamus 
et concedimus." 

^ A. Palco, Antonianae historiae compendium. Lugduni 1534, 50: „Con- 
oessa perpetids temporibus plenaria onmium commissorum indulgentia . . . 
Omnibus ipsam ecolesiam eadem die visitantibus." So auch Acta Sanctorum. 
lanuarii II 155, 

• Robert I 237: „Benedictionem apostolicam et peccatorum indul- 
gentiam quam postulasti, tanquam fratri karissimo tibi mandamus." 

' Robert I 333: „Optimus Dominus , . . te , . . a peccator,um vinculis 
absolutum ad vitam.perducat et gloriam sennpiternam." 
8 Migne CLXXIX 794. 



9ö II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe. 

ähnliclie Absolution hat in demselben Jahre Lucius II. der' gesamten 
Kongregation von Cluni gespendet..^ ' ' 

Eine verschiedenartige Deutung hat die Absolution gefunden, die 
im Jahre 1164 Alexander III. dem Erzbischof von Canterbury 
Thomas Becket erteilt hat. Letzterer hatte^'sich auf der Ileichs- 
versarumlung von Clarendon König Heinrich gegenüber in der Ver- 
teidigung der Freiheit der Kirche zu schwach gezeigt. Bald aber 
«mpf and er bittere Reue über seine Nachgiebigkeit. Er enthielt sich 
deshalb der Darbringung des- hl. Meßopfers und bat Alexander III.- 
der damals in Lens sich aufhielt, um Lossprechuiig. Noch ehe der 
Bote iii Lens ankam, schrieb der Papst, der bereits Kunde voii dem 
Vorfall erhalten, an Thomas, sein Fehltritt sei nicht derart, daß er 
deswegen die Darbringung des hl. Meßopfers unterlasse. Wenn in- 
dessen sein Gewissen ihn einer Schuld anklage, so solle er sie einem 
Priester beichten ; dann werde er be dem gütigen Gott Verzeihung 
finden. Auch er, der Papst, absolviere ihn von dem • begangenen 
Fehler.? ■ - ' ' - - 

Etliche führen diesen Fall an zum Beweise, daß damals die 
sakraihentale Absolution bisweilen Abwesenden gespendet wurde.^ 
Allein: es geht nicht an, die von Alexander III. gespendete Los- 
sprechung als eine sakramentale zu betrachten, da ja die sakramentale 
Beichte vor dem Priester angeraten wird. Thoma» Becket fürchtete 
offenbar, wegen seiner Nachgiebigkeit einer kirchlichen Zensur ver- 
fallen zu sein; und die vom Papste gespendete Lossprechung, die als 
eine j,äbsolutio g^d ' cautelam" betrachtet werden kann, hatte den 
Zweck, das ängstliche Gewissen' des Erzbischofs von Canterbury zu 
beruhigen. • . ' 

Dagegen ist die Absolution, die im Jahre 1199 von Innozenz III. 
Petrus Parenzo erteilt wurde, unzweifelhaft als Ablaß aufzufassen. 
Als päpstlicher Statthalter iii Orvieto war Parenzo mit solcher Strenge 
gegen die dortigen Katharer vorgegangen, daß diese ihn öffentlich mit 
dem Tode bedrohten. Imlozenz III., dem er dies bei einer Uhtefreduiig 
in Rom mitteilte, erklärte ihm: Mein Sohn, falls du von den Häretikern 
getötet werden solltest, absolviere ich dich von allen Sündenbanden.* 
Es darf nicht wundernehmen, daß Innozenz' III. dem • eifrigen Be- 
kämpfer der Katharer für den Fall, daß er in der Ausübung seines 

1 Ebd. 905. • v.; ■ , 

.2 Migne CO 290: „Si igitur aliquid te iecöliscommisisse, de quo pi^öpriä 
te debeat conscientia remorderie, quidquid sit, saeerdoti qüi discretiis et providiis 
habeatur, tibi consulimus per poenitentiam confiteri. Quo facto, et iniseiricorä 
Dominus, qui multo amplius ad cor respicit quaim actus, tibi consüetg,e pietatis 
suae miseratione (dimittet* Et nos de b. Petri et Pauli äpostolorum eius meritis 
conf identes, te ab eo quod est commissum äbsolviinus, et idipsüm f raterhitäti 
tuae auctoritate apostolica relaxamus." 

^ Morinus 598. Ähnliche. Ohardoh/Histöire des sacreihehts III, Paris 
1745, 42ff, . ■ ■ ■ 

^ Acta Sanct. Mail V. 88. Berichteines gleichzeitigen Biographen :„Fili, 
nos auctoritate Dei et beatorum apostölorüm Petri et Paiili ab oinhibvis te ab- 
aolvimus vinculis peccatorum, si per.manus haereticorum fueris inteirfeetüs." 



B. Absolutionen lebender Personen: 91 

Berufes das Leben verlieren sollte, einen vollkommenen Ablaß in 
Aussicht stellte. Hatte doch schon 20 Jahre früher Alexander III. 
a-uf der dritten Lateransynode (1179) denjenigen, die im Kampfe 
gegen die Häretiker, fallen würden, ebenfalls einen vollkommenen 
Ablaß verheißen. 

Von eigentümlichen Absolutionen, die Innozenz IV. einzelnen 
Personen gespendet hat und die als Ablässe zu gelten haben, wird 
im Abschnitt XII die Rede sein. 

2. Von Bischöfen und andern Geistlichen erteilte Absolutionen. 

Zunächst soUen die Absolutionen, die bei Ordensleuten vor- 
kamen, erörtert werden; dann werden verschiedene merkwürdige 
Absolutionen, die von Bischöfen einzelnen Personen gespendet 
wurden, zur Sprache kommen; das Hauptinteresse werden aber jene 
Absolutionen beanspruchen, die generell erteilt wurden, entweder 
bei besonderen kirchlichen Anlässen oder für besondere ver- 
dienstliche Leistungen. 

a)- Absolationen bei Ordensleuten. 

Die alten Mönchsgewohnheiten, die so häufig eine Absolution 
der Verstorbenen erwähnisn,^ sprechen öfters auch von Absolutionen, 
die den Lebenden, erteilt werden sollen. Die Gewohnheiten von Farf a 
aus dem 11. Jahrhundert schreiben vor, daß der kranke Mönch vor 
dem Empfang der Sterbesakramente vor allen Brüdern sich öffentlich 
als Sünder bekenne und dann vom Abt absolviert werde; der Abt 
und die Brüder sollen ihrerseits den Kranken ebenfalls um Verzeihung 
bitten und von ihm die Absolution empfangen.^ Es ist klar, daß es 
sich hier nicht um eine sakramentale Absolution handeln kann ; denn 
diese hatte der Kranke nach der geheimen Beichte, von welcher im 
vorangehenden Kapitel die Rede ist,^ schon vorher empfangen. Die 
neue Absolution ist denmach bloß als ein Sakramentale zu betrachten, 
gleich der Lossprechung, die heute noch im Anschlüsse an die öffent- 
liche Schuld öfters gespendet wird. 

Bei dieser gegenseitigen Absolution handelte es sich vor allem um 
eine Verzeihung von Fehlern, die sich die Ordensmitgheder gegenein- 
ander hatten zuschulden kommen lassen. Nur von diesen persönlichen 
Beleidigungen sprechen die Gewohnheiten von St. Viton (Verdun) 
aus dem 10. Jahrhundert.* Doch werden in andern Ordensstatuten 



1 Vgl oben S. 54 f. • 

2 Albers I 192. Wenn der Kranke kann, ,,debet venire in capitulum et 
prostratus coram abbate et omnibus fratribus petat veniam de omnibus negli- 
gentiis et peccatis, quae comnaisit, et data absolutione prosternat se abbas et 
omnes fratres coram illo fratrepetentesveniam, si quid dplicti contra illum 

-commiserunt, ut iUe frater absolutionem similiter ad illos f ac 

3 E^,(i_x90: ^,Confessionem agat cuni abbate vel priore.'' 

' V' ^^-'Aibers^v.Ä^'-' ■■■■ ^ ■ ;.::;:V.,: ;..,: ,■'",,;_;,, ■.■'■:^ 



92 .11. Mittelalterliche Absolutionen als ;angebliche Ablässe. 

bei der zu y spendenden AJbsokiti 

Sünden erwähnt, soin den Gewolmheiteii;.vcm;<31iiniv die Ä 

Ulrich im Jahre 1086 medergeschrißben^ha^ 

der Kranke solle sich schuldig bekennen, der vielen Fehler^ die er gegen 

Gott und seine Mitbrüder begangen habe; dann soUej- der Prior ihm 

die Absolution erteilen i der ; Kranke aber solle: däsj^leiche gegenüber 

den anwesenden iBrüderntun.^ Ähnlich lauten .die von^oWilhelm dem 

Seligen (f 1091) entworfenen Gewolmhßitena"vx)nHHirsaü.?T 7?^ 

Nach den von Lanfranc (f 1089) verfaßten Ordensstatuten soll 
der Kranke von' allen Brüdern absolviert werden, me auch er seiner- 
seits alle Brüder zu absolvieren Häbe.^ Ein Zeremoniale der Bene- 
diktinerabtei Evesh am, wahrscheiriHch- um 1300 geschrieben,* 
schüdert unter anderm, wie der kranke Mönch; versehen werden soll; 
Daraus erfährt man, daß die bei r dieser Gelegenheit stattfindende 
öff enthebe Beichte nüt Absolution nichts ; anders war i als das Gebet 
des Konfiteor mit den sich daran anschließenden Absolutionsgebeteti.:^ 
Schön in den „Gewohnheiten deutscher Klöster" axis dem lOii oder 
aus dem Anfang des 11. Jahrhunderts wurde übrigens ausdrücklich 
vorgeschrieben, daß der Beranke mit den Brüdern das Konfiteor beten 
solle, um von dem Abt und den ändern Brüdern in würdiger Weise 

die Absolution empfaiigen zu können.^ 

Die Sitte, daß die Mönches vor ihrem Hinscheiden vpn ihren 
Mitbrüdern die Absolution empfingen, wird, wie in deri; alten Gew^ 
heiten der Benediktiner und Cluniazeiiser, so auch in verschiedenen 
andern Ordensstatuten erwähnt; so z.B.; in cbn Statuten d^; Kar- 
täuser,' der Zisterzieinser,* der Kleriker von Ste. Maxia de E^ 
bei Ravenna,^ der Augustiner-Chorherren,^" der Karmeiite.n.^V 

1 D'Achöry ,IV 21.6. Der Kranke „petit veniam.: reumque se de multis 
negUgentiis contra Deum et contra iUos confitetur. Iniprecattir ; ei prior abso- 
lutionem, cunctis respondentibus Amen, et ipse eis similiter.-' Auch bei Migne 

cxLix 770. ^' ' '-■ ' .'^ r ' '■ "'"':^ ^? \;:V. ;': "C--^-- ': ' -^ ■!.■..";. 't;-' ■?:','■■■• 

2 . jj e rr g o 1 1 , Vetus disciplina inonastica, Parisiis 1726; 557 f. Mign e OL 11 32 f. 
^ Migne OL 508:.„Absolvatur ab omnibüs et ipse absolvat omnes.' ■; : ; 

* Veröffentlicht in der Sammlimg der Bradshaw Society (Vol. VIj Lpiidon 
1893) von H. A. Wilson: Officiiim ecclesiasticura Abbatum. secundt^n i^;^ 
Eveshamensis monasterii. 

^ „Dicat inf irmus : Confiteor etc. Et ab omnibusrespondeatur: Mwereofwr 
etc. Äbsolütionem^Qtc, nisi ; abbas presens f uerit. .^uisölus dica-t ;; Absolutionem 
etc., si presens sit. Et sciendum quod si infirmus loqui non possit, prior seualius 
sacerdos dicat: Cow/i^co?", pro eo, et absolyatur ut supra." S. 108. Vgl. Öffiqia 
varia secundüna usum, Ecclesiae Westmonasterierisis. Bradshaw Society XII 
(1897) 1268. Consuetudines monasterii S.AugüstiniGaritiiäriäe. Bradshaw Society 
XXIII (1902) 333. 

'Albers V 12: „Quatenus indulgenciam abbatis ceterorumque veraciter 
mereatvir accipere." Vgl. 63. Der Kranke „omnibus fratribus et jpresbyteris 
confiteatur ita dicente: Cow/»7epr Dom*nö". 

'Statuta ordinis eartusiensis. Basileae 1510, A8. Martehe, De ritibus 
IV 703 705. Miigne CLIII 657. 

8 Martene IV 699. Migne CLXVI mi. 

» Migne CLXIII 727. i» Märtene III 800 885. : ' 

^^ B. Zimmermann, Ordinäire de l'OrdW de Note-Daine du Möht-Carmel. 
Paris 1910, 100 f. [Bibliotheque liturgique XIII]. 



B. Absolutionen lebender Personen. 93 

Daß solche gegenseitige Absolutionen bei Krankenversehungen 
auch außerhalb der' Klöster stattfand, ergibt sich aus dem Rituale, 
das der' Breslauer Bischof Heinrich I. (1302—19) für seine Kathedrale 
zusammenstellen ließ;^.. 

Iri etlichen Ordensritualen ist die Rede von einer besonderen 
Absolution, die dem Kränken noch' gespendet wurde, nachdem er 
bereits die Sterbesakramente . empfangein: hatte, so in einem alten 
Sakramentär der Abtei Moissao,^' und in einer - andern klösterhchen 
Handschrift, über deren Herkunft nichts - Näheres mitgeteilt wird.* 
Dieser nachträglichen Absolution- begegnet man auch in liturgischen 
Büchern, deren sich der Weltklerüs bediente, z. B. in Ritualen aus 
Tours und Beauvais.* In etlichen- Kirchen wurde sie nicht bloß den 
Kranken nach Empfang der Sterbesakramente, sondern auch den 
gesunden Gläubigen nach der sakramentalen Lossprechung erteilt. Sie 
ist als eigentümliche Segenspendung zu betrachten.^ 

Es wären nun auch noch die Absolutionen anzuführen, die öfters 
ara Aschermittwoch oder am Gründonnerstag von Äbten den Mönchen 
oder auch den Gläubigen, welche die Klosterkirche besuchten, erteilt 
wurden. Doch dürfte es angezeigter "sein, diese Lossprechungen weiter 
unten zu behandeln, in Verbindung mit den Absolutionen, die der 
Weltklerus an jenen Tagen zu erteilen' pflegte. Dagegen soUen hier 
noch die Absolutionen erwähnt werden, die inanche Äbte, namentlich 
kurz vor ihrem Tode, ihren Untergebenen gespendet haben. 

Als der hl. Wunibald, Abt von Heidenheim (f 761), sich dem 
Tode nahe fühlte, hielt er noch eine kurze Ermahnung an die Mönche. 
Am Schlüsse derselben absolvierte er die Brüder von allen Nach- 



^ A.. Franz, Das Rituale des Bischofs Heinrich I. von Breslau. Freiburg 
1912, 3.3 76. , 

^ Martene I 879: '„Absolutio infirmi.' Implorantes clementiam ineffabilis 
pietatis Dei . . . deprecamur ut . . . dimittat tibi oinnia peccata tiia praeterita, 
praesentia atque futura, nosque benignissima eiusdem auctoritate fidentes, 
quantum nobis permittitiir, tibi indulgemus ut confraeta divinitus tuorum 
onmium delictorum. catena, absolutus ab omni malo aeternae gratia libertatis 
ad solium iustissimi examinis gaudenter venire inerearis, haereditatemque verae 
percipere valeas perennilatis." 

ä Ebd. 948. „Absolutio. Deus noster lesus Christus, qui dixit discipulis suis : 
Quaecunque ligaveritis etc., de quorum numero indiguos nos esse voluit^ ipse te ab- 
solvat per ministerium nostrum ab omnibus peceatis tuis, quaecunque cogitatione, 
locutione, operatione negligenter egisti, atque. a nexibus peccatorum absolutum 
perducere dignetur ad regna.coelorum." . Vgl. 953 eine gleichlautende Formel. 

* Ebd. 855 925: „Vice S. Petri . . . absolvimus te, in quantum tua expetit 
accusatio et ad nos pertinet remissio . ; . ab onmibus criminibus tuis." Diese 
Formel kommt häufig vor. Sie wurde auch verwendet bei der sakramentalen 
Lossprechung und bei der Absolution der Verstorbenen. 

^ Vgl. darüber Morinus 543: „Per.eas (absolutiones) non intendebanfc 
poenitentem Deo reconciliare, sed i^m Deo reconciliatum in reconciliatione con- 
firmare atque a se velut laboribiis poenitentiae functum dimittere . . . Absolutio 
post orationes reconciliatorias in quibusdam ecclesiis cöncedebatur, velut quaedam 
post reconciliationem benedictio . . . Non modo poenitentiTun reconciliatiö, 
sed etiam infirmorum unctio ista absolutione terminatiu:, et infirmi velut peceatis 
liberi dimittuntur." ^ 



94 II. MittelalterUche' Absolutionen als angeblicMe Ablässe. ^ 

lässigkeiten, deren sie sicli im; Geliorsäin gegen. ilmv;seh.iildig gerdaclit 
hätten,^ und bat si^ zugleich, sie. möchten auöli^ ihm vei^zeihen/w^ 
er sich etwas; gegen siie hätte ;zuichiildenrköm!menlassejni.?v;! Hier ist 
nur die Hede von der Nachlassung oder Verzeihung der i -Fehler; tdie 
sich (Brüder undj Abt igegeneinander- zuschulden Jiattfc lassen. 

Ein.; (lerartiges ;T^rzeihen i>perßönHcher i^K^ wird /auch be- 

richtet; von andern heihgen lOrdehsmännerny so ivoni hlv^ S tür mius^V 
dem Gründer voüv (Fuldai^f • /779)vr vom MMEigili ebeMaUsuABt ivöii 
Fulda (t 882)^*. vom hl' ^Ad;alhar d^ Abtr vom Görvey t(-j: i826);^C>voni 
U. Ansgar, Brzbischcrf^vonvHanibm'g--BremenL(f!8 dessen 

Nachfolger^ d^m hl. Bimbert- (i% 888)1^; I ■:,:-. ,:-:-^\--./:^^':n':ä'\ 

Eine aUgem:einere Bedeutüiigi hatte die Absolutiönv di^ jdei* 
hl. Majolus, Abt von Gluni; (^ 994-), vor seinem OSinscheiden- den 
Mönchen erteilte. I)ie Brüder ersuchten ihn, er möge sie^ytiach vätera 
lichem Brauche" absolvieren und dem Herrn im -Gebete iempfehleii;? 
Als im ; Jahre; 1001 in Regensburg der hl; (Ramnold, der (erste Abt 
von St. Emmeram, dem Todenahe^ war, legte cer noch; ebenso wie 
die um ihn; versapamelten Brüder, ein demütiges Sündenbekenntnis ab ; 
darauf wurde von Gott die Nachlässung der Sünden erflehte? Hier 
handelt es sich offenbar um; das i in den ,, Gewohnheiten deutscher 
Klöster" vorgeschriebene Gebetydes Konfiteör mit /den? damit ver- 
bundenen Absolutionsgebeten. Wenn Hugo von Elavigny in dem 
Berichte über den Tod des; (Richard von Mavigny(f; 1046) erzählt^ 
dieser habe vor seinem Tode die Untergebenen gesegnet und sich von 
ihnen segnen lassen,^** so ist unter diesem^ Segen die damals übliche 
Absolution zu yerstehen, die gewöhnlich mit einer ^ Segenspenduiig ver- 
bunden war. So wird von dem hl. Odilo, Abt von Cluni (f 1048), 
berichtet, d.aß er vor seinem Hinscheiden die Mönche absolvierte und 
segnete.^^. Ähnlich handelte der hl. Olbertus, Abt von Gembloux 
(j* (1048), von dem erzählt wird, er habe vor seinem Hinscheiden kraft 



1 Mabillon, Acta Sanct. III 2, 114. Mon. Germ. SS. XV 113: „Omnium 
verborura et factorum, quae in mea oboedien tia aut - neglexistis aut oblivione 
tradidistis, indulgentiam a me accipite." 

" „Et quicquid vobis per me contrarium accidisset in verbo aut in facto 
aut in aliqua causa, remissionem nobis omnium tribuite." 

3 Mabillon III 2, 257. Mon. Germ. SS. II 377. 

4 Mabillon IV 1, 229. M. G. SS. XV 233. 

^Mabillon IV 1, 316: ,,Si quid est in quo excessi in vobis sciens aut 
nesciens 'nolens volensve, indulgete, prout ego iuxta quod oportet, si quid est 
quod meum Sit indulgere, vice Christi relaxo." Der Biograph nennt dies Erlassen 
„indulgentiam dare". 

•Mabillon IV 2,114. M. Germ. SS. n 723. 

' Mabillon IV 2, -491. M. G. SS. II 775. 

^ Mabillon V 786: „Nos . . . pate^no more absolve, sanctissimis tuis 
orationibus tuere." 

' Mabillon VI 1, 19: „Inter abbatem et fratres altema facta confessione, 
necnon e coelis petita seu imprecata pernecessaria peccatoinim indulgentia." 

1» M. G. SS. Vlir 404. 

" Mabillon VI 1, 591. 



B. Absolutionen lebender- Personen. 95 

seines Vorstelieramtes die Mönche von allen Sünden absolviert und 
gesegnet.^ ., . ;• . 

Bald ist nur von , der Segenspendung die Rede , so bei dem. 
hl.^Arnulf , Biscbof -von Sqissons (f 1087),^ und- bei dem Abte Michael 
von Saurnur;;(f 1225);^ .bald, nur von. der Absolution, /wie bei dem 
hl. Poppo, Abt von Stablo ,(t 1048), von dem berichtet wird, er 
Jiabe mit der Stola angetan die Brüder mit priesterlicher Vollmacht- 
von ihren Sünden absolviert.* Vom hl. Gualterius, Abt in Pontoise 
(f, ,1094),, heißt. es, er habe v,or , seinem Hinscheiden eine zweifache 
Absolution gespendet,. Zunächst absolvierte er alle und wurde von 
allen absolviert.^ Wie der Text andeutet, handelte es sich bei dieser 
ersten Absolution um die mit dem Konfiteor verbundene deprekative 
Lossprechung.. Dann legte der, Abt dfe Stola an, nahm den Abtsstab 
in die Hand, absolvierte alle Brüder und befahl sie Gott dem, Herrn.* 

Sowohl von der Absolution als vom Segen ist wieder die Rede in 
dem Berichte über das Hinscheiden des. Abtes Herluin von Bec 
(t 1078)' und des Abtes Theodorich von St. Hubert (f 1087).* 
Letzterer, mit der priesterlichen Stola angetan und dem Abtsstab in 
der Hand, absolvierte zuerst kraft der ihm zustehenden Vollmacht alle 
seine Untergebenen, die Anwesenden wie die Abwesenden; sodann 
vergab er ihnen alles, was sie sich gegen ihn hätten zuschulden kommen 
lassen; schließHch erteilte er noch den Segen. 

Erwähnt sei hier auch im Vorübergehen die Absolution, die etliche 
Bischöfe vor ihrem Hinscheiden den Umstehenden erteilt haben, so 
Salomon III. von Konstanz (f 919),® der hl. Ulrich von Augsburg 
(t973),io Wazo von Lüttich.(t 1048)," der hl. Anno vonKöln (t 1015)}^ 

\ Mabillon VI 1, 531: „Pastorum pastori eos oommendavit, ' ab omnibus 
commissis pastorali potestate absolvit et spirituali sanotificatione benedixit." 

2 Mabillon VI 2, 545. M. G. SS. XV 896. 

3 Marchegay et Mabille, Chroniques des 6glises d'Anjou. Paris 1869, 314. 
* Mabillon VI 1, 519. M. G. SS. XI 519: „Sacerdotali auctoritate et stola 

criminum veniam fratribus impendit." 

5 Mabillon VI 2, 808: „Eeum se de peccatis suis coram Deo et sanctis 
eius in praesentia nostra confitetur, absolvit omnes et ab omnibus absolvitur." 

' „Stolam sancto oollo suo imponi fecii, dexteraque sua baculum pastoralem 
tenens, nos omnes absolvit et . . . Domino commendavit." 

' Mabillon VI 2, 358 368. Aus dem Bericht ergibt sich, daß es sich um. 
die Absolution handelte, die sich an das Konfiteor anschloß, 

8 Mabillon VI 2, 580. M. G., SS. XII 55: „Lectulo se erigi iussit, stolaque 
sacerdotali amictus et pastorali virga sustentatus, potestate sibi tradita omnes 
sibi com^missos tarn praesentes quam et absentes absolvit. Onmibus etiam qui- 
-cumque ineum vel criminosalocutione vel opere vel quolibetcumquemodoaliquanda 
deliquerant, indulsit; dein exosculatis omnibus, postrema data beriedietione, 
iterum in lectulo relocatur." 

® Mon. Germ. SS. II 91: „Ab omnibus indulgentiam publice confessus. 
petiit et dedit." 

10 Mabillon V 461. M.~ G. SS. IV 413: „Nemini indulgentiam negavit, 
gratia suae benedictionis omnes consignavit." Ein anderer Biograph berichtet 
„Petens ab omnibus indulgentiam, et benedictionem tribuens." Migne 
CXLII 1203. 11 Mon. Germ. SS. VII 233. 

, 12 Mon. Germ.. SS. XI 5Q2: „Indulgentiam omnibus dedit, quam et ab 
omnibus humillime quaesivit." 



96 II. Mlittelalterliche- Absolutionen als angebliche Ablässe. 

Welche Bedeutung ist nun aber dieser speziellen Absolution bei- 
zumessen, welche die Äbte vor ihrem Hinscheiden den Mönchen^ mit 
obrigkeitlicher Vollmacht zii erteilen pflegten ? Wenngleich ' diese' 
Absolution wie auch das Verzeihehvip,ersörilicher Beleidigungen in den 
angeführten Berichten öfters' als „indulgentia" bezeichnet wird,^ so 
geht es doch nicht an, darunter einen Ablaß zu" verstehen. Noch 
eher könnte man' geneigt sein, an eine sakramentale Lossprechung zu 
denken, namentlich in den Fällen, wo die Absolution mit j,priester- 
licher Vollmacht" erteilt wird.^ Der Umstand aber, daß der Abt 
Theodorich auch' die Abwesenden absolvierte, zeigt, daß es sich nicht 
um eine sakramentale Lossprechung handeln kann. Wohl gab es im 
Mittelalter nicht wenige Theologen, die lehrtenv die priesterhche Lös- 
sprechung könne; eiuch Abwesenden erteilt werden; doch; forderten' si6 
hierzu irgendein vorausgehendes Sündehbekenntnis . In' dem erwähiiteh 
Falle hatten aber die abwesenden Mönche kein Sündehbekenntnis 
abgelegt, weder ein besonderes noch; ein allgemeines; Eäizü kommt 
noch, daß zu jener Zeit der ABt häuf ig nicht Priester war^ und folglich 
eine sakramentale Absolution nicht erteilen konnte. Deshalb muß 
angenommen werden, daß die von Theodorich und andern Äbten 
gespendete Absolution bloß eine heilige Handlung war, ein sogenanntes 
Sakramentale, wodurch die Vorgesetzten die Verzeihung der Sünden 
auf ihre Untergebenen herabflehten. 

Auf dieselbe Weise ist das Schreiben zu erklären, in welchem 
Petrus der Ehrwürdige alle Mönche von Cluni von allen ihren 
Sünden losspricht.* Wenngleich in indikativer Form erteilt, so hat 
doch diese Absolution keine andere Bedeutung als das Schreiben, 
welches Petrus der Ehrwürdige um 1150 an die Mönche von Moissac 
gerichtet hat, und worin er Gott bittet, diese Mönche zu segnen und 



^ In dem Berieht über das Hinscheiden des hl. Wilhelm von Hirsau,(t 1091) 
heißt es : „Ab omnibus indulgentiam petenset ipse indulgentiam omnibns f aciens.'' 
]!4abillonyi2;;734.. M. G. SS.XIim , : ; 

2 Um eine sakramentale Absolution handelt es sich sicher beim hl. Berthold, 
Abt von Garsten (t 1142): „Antequam obiret, vooata ad se omni congregatione, 
singulorum audivit confessiones, datisque omnibus propriä manu flagellis, 
«t eos absolvit, et sibi ab eis remitti, quae in eos deliquisset, hiuniliter rogavit." 
Acta Sanct. lulii VI 486. 

.3 Vgl. Schreiber I 144 f. 

* Migne OLXXXIX 375: „Interim quod praesens non possum, absens 
iacio, et pro officio ex parte oninipotentis Dei ... et omnium sanctorum, quantum 
possumus, quantum novimus, corde et ore absolvimus universitatem vestram 
isanctumque ooUegium vestrum- Cluniaci vel extra 'manentiiun' ab omnibus omnino 
peccatis, confisi in abundantia gratiae illius, qui in discipulis suis etiam nobis 
dixit: Quae ligaveritis etc." .Vgl. hierzu die Absolution, die Petrus der Ehr- 
würdige dem verstorbenen Abälard schriftlich erteilt hat. Oben S. 47. Morin 
'{S. 600) ist geneigt, anzimehmen, es handle sich um Aufhebung der Reservation, 
so daß Petrus den Mönchen gestattet hätte, sich an einen beliebigen Beichtvater 
^u wendehi Eine solche Deutimg ist aber entschieden abzulehnen. 



B. Absolutionen lebender Personen. 97 

sie von ihren Sünden zu absolvieren.^ Absolutionen in deprekativer 
Form kommen auch oft in den Briefen Hugos von Cluni (f 1109) vor.^ 

b) Bischöfliche Abstflutlobeii für einzelne Personen. 

Nun kommen wir zu einigen merkwürdigen Absolutionen, die 
von Bischöfen einzelnen Personen erteilt wurden! Als im 
Jahre 872 König Karl der Kahle die von den. Normannen besetzte 
Stadt Angers belagerte, befanden , sich in seiner Begleitung mehrere 
Bischöfe, die kurz vorher eine Synode in Dpuzy abgehalten hatten. 
Während sie noch vor Angers sich aufhielten, erhielten sie von dem 
todkranken Bischof Robert von Le Mans ein Schreiben, worin dieser 
sich im allgemeinen als Sünder bekannte und die versammelten Bischöfe 
ersuchte, ihn von seinen Sünden loszusjbrechen.^ Die Bischöfe kamen 
sofort dem Wunsche ihres kranken Mitbruders nach. In ihrem Antwort- 
schreiben bitten sie den Herrn unter Berufung auf ihr von Christus und 
den Aposteln überkommenes Amt,, er möge dem Kranken alle seine 
Sünden erlassen,' ihn von allem' Übel befreien, in allem Guten bewahren 
und zum ewigen Leben führen.* Etliche haben in dieser schriftlichen 
Lossprechung eine sakramentale Absolution, die einem Abwesenden 
gespendet worden, gefunden;^ andere legen ihr einen bloß zeremoniellen 
Charakter bei.^ Wer aber recht -hat', wird heute kaum mit Sicherheit 
entschieden werden können. 

Dasselbe gilt von einer andern Absolution, der ebenfalls sakra- 
mentaler 'Charakter beigelegt worden ist. Der ini Jahre 884 ver- 
storbene Bischof Hildebold von Söissons hatte beim Herannahen 
seines Todes ein allgemeines Sündenbekenntnis an Hinkmar geschickt 
mit der Bitte um schriftliche Absolution. Hinkmar sandte, ihm die 
gewünschte Lossprechung mit ganz denselben Worten, womit die vor 
Angers versammelten Bischöfe einige Jahre früher den Bischof von 
Le Mans losgesprochen hatten. Zugleich aber ermahnte er ihn, sich 
mit der allgemeinen Beichte nicht zu begnügen, sondern nebstdem 
eine spezielle Beichte über sein ganzes vergangenes Leben vor einem 
Priester abzulegen.' Dies scheint anzudeuten, daß Hinkmar selbst 

1 A. Bruel, Recueil des Chartes de l'abbaye de Cluny V, Paris 1894, 515: 
„Commendamus vos omnipotenti Deo, qui vos benedicat ... et ab omnibus 
peocatis absolvat." 

2 Migne CLIX 928 948 949. Vgl. auch 964 das Schreiben an alle Brüder 
und Schwestern der Kongregation: „Absolvat vos et .nos omnipotens Deus ab 
omnibus peocatis, praeteritis, praesentibus et füturis." 

'3 Sirmondus, Ooncilia antiqua Galliae III, Parisiis 1629, 405: „Quatenus 
potestate coelitus vobis conlata vincula raeormn piaculorum enodetis et precum 
yestrarum studiis commissamea pietis, ut cum reprobis non ducar ad tartara, 
quin potius vestro interventu coelestia merear sublimari ad gaudia." 

* Sirmondus 406: „Tibi pecoata tua oonfitenti per ecclesiasticam aposto- 
licae auetoritatis potestatem, quam Dominus noster lesus Christus tradidit dis- 
cipixlis suis . . . gratia et potentia sua . . . dimittat tibi omnia peccata tua." 

ä. So Morinus 596. -Sirmondus, Opera varia IV, Parisiis 1696, 506. 

« So Frank 355. 

' Migne CXXVI 172 f.; „Velut ex superfluo denique, quoniam haec te 
egisse non dubito, bonam devotionem tuam commoneo, ut praeter istam gene- 

Faulus, Geschichte des Ablasses. 7 



98 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe. 

der schriftlichen Absolution nur einen zeremoniellen, keinen sakra- 
mentalen Charakter beigelegt hat; sonst hätte er ja eine spezielle 
Beichte nicht für notwendig erachtet.^ 

Als bloße Segenspendung, verbunden mit der Bitte zij. Gott um 
Verzeihung der Sünden, ist die Absolution zu betrachten, die der 
Bischof Stephan von Tungern dem hX Get^rd, Abt von Brogne 
(t 959), erteilte, als dieser vor seinem Eintritt in den Benediktiner - 
orden den Rat und den Segen seines Oberhirten einzuholen feam.^ 

Von Mathilde, Äbtissin in Quedlinburg (f 999), wird berichtet,. 
daß sie vor ihrem Hinscheiden den hl. Bernward, Bischpf von Hild,e^- 
heim, zu sich rief, der ihr auf ihr Begehren „Ablaß" erteilte.^ Aiiich 
hier darf man nicht an den eigentlichen Ablaß denken. Entweder 
war es bloß die damals übliche allgemeine Absolution, oder es handelte 
sich um eine sakramentale, nach abgelegter Beichte erteilte Los- 
sprechung, wie sie die königliche GroßmuUer der Äbtissin, die in 
Quedlinburg 968 verstorbene hl. Mathilde, vor ihrem Hinscheiden von 
Erzbis.chof Wilhelm von Mainz erhalten hatte.* 

Wie häufig im Mittelalter die kirchlichen Oberen außerhalb des 
Bußsakraments Absolutionen zu erteilen pflegten, ersieht man aus 
den Briefen der beiden aus dem Benediktinerorden hervorgegangenen 
Erzbischöfe von Canterbury Lanfranc und Anselm. Der erstere 
erteilt öfters am Schlüsse seiner Briefe die Absolution -in deprekativer 
Form, indem er über den Adressaten den himmlischen Segen und die 
Verzeihung aller Sünden herabfleht (Deus te benedicat et ab omnibus 
pesccatis prprsus absolvat).^ Auch der hl. Anselm gebraucht oft die- 
selbe Eormel in seinen Briefen,* Sehr häufig sendet er auch jenen,, 
an die er schreibt, seine Absolution, sowohl solchen, die ihn um die 
Absolutign , ersucht, als andern, die kein ausdrückliches Verlangen 



ralem confessioriem quaeque ab ineunte aetate usque ad hanc in qua nunc degia, 
te commisisse eognoscis, specialiter ac singillatim Deo et sacerdoti satage oon- 
fiteri." : . : 

1 Gousset I 446: „II est visible que ce n'etait qu'une benediction, et 
non mie absolution sacramentelle, puisqu'il recommande au malade de faire ä un 
pretre line confession g6n6rale de tous ses peches." Ähnlich Frank 355. 

2 Mabillon V 257. H. G. SS. XV 659: "„Et absolyens eum criminibus 
cünctis, signaculo consignat summae -Trinitatis." Da unmittelbar vorher die 
JRede ist von Grerards „sanctimonia", die der Bischof ;,optime noverat", so darf 
man den Ausdruck „orimina" nicht wörtlich auffassen. Zu beachten ist auch, 
daß Grerard weder eine Beichte abgelegt noch eine Absolution begehrt hatte. 
Es heißt bloß, er habe vor seinem Eintritt in den Orden den Bischof aufgesucht, 
„ut ab eo acoiperet de hac re licentiam et consilium, Plurimum quippe credebat 
profore sibi, si cum benedictione episcopali hostia viva Deo mereretur offefri,"^ 
Also den bischöflichen Segen wünschte er zu empfangen. Dies zeigt, wie die 
„Äb&ölutiön", die er vom Bischof erhielt, aufzufassen sei. 

3 Mon. Germ. SS. III 780: „Accepta ab eo quam postulavit indulgentia."^ 
* M. G. SS. IV 300. Auf ihrem Krankenbette bat die hl. Mathilde den 

Maiixzer Erzbischof: „Audito nostram confessionem et date nobis remissionem."^ 
s Migne CL 541 542 543 550. 
« Migne CLIX 92 140 141 168 178 236. 



B. Absolutionen, lebender Personen. 99 

danach kundgegeben hatten.^ Er hat offenbar darunter nichts anders 
als eine Segenspendung: verstanden,, wie er denn auch gewöhnlich 
„Segen" und „Absolution" miteinander verbindet- (mändo meam ab- 
solutionem et bene,dic;tionem). Nur "ein gewöhnlicher Segen ist auch 
die eigentümhche Absolution, die. er einmal schriftlich den Mönchen 
von St. Edmund erteilte. . Indem er sie ermahnt, ihre. Sünden immer 
aufrichtig und mit, gutem Vorsatzes, , dem Prior* oder dessen Stell- 
vertreter, zu beichten, erklärt,, er, alle, jene j. die auf diese. Weise ge- 
beichtet haben oder beichten werden, zu. absolvieren.^ Dieselbe Be- 
deutung hat die Absolution, die der, hl. Anselm auf seinem Totenbett 
(f 1109) den Anwesenden, dem.;König von England, . dessen Familie 
und allen treuen, Untertanen, gespendet^ hat.^ Erwähnt sei noch der 
den, Absolutionen Anselms öfters beigefügte Zusatz: „Quantum 
possum", der auch sonst bei päpstlichen und. bischöflichen Absolutionen 
häufig vorkommt. 

c) Allgemeiac Absolutionen bei kirchUelien Anlässen. 

Die Absolution, die- der hl. Anselm auf dem Sterbebett so zahl- 
reichen Personen gespendet hat, führt uns zu den generell erteilten 
Lossprechungen. Betrachten wir zunächst die Absolutionen, die^ den 
Gläubigen bei besonderen kirchlichen Anlas seh',' erteilt wurden. 
Es ist allgemein bekannt, daß' in früheren Jahrhunderten den öffent- 
lichen Sündern am Aschermittwoch öffentlich eine kirchliche Buße 
auferlegt' wurde. Weniger bekannt ist es, daß in vielen Kirchen der 
Gebrauch herrschte, über die öffentlichen Büßer bereits am Ascher- 
mittwoch bei Auflegung der Buße eine Absolution zu sprechen.* 
Nicht als ob damit die Nachlassüng' der Sünden erteilt werden sollte. 
Dies geschah erst bei der Rekonziliation am Gründonnerstag. Die 



^ Ebd. 42. An die Mönche von Bec: ,,Illis' qui meam in litteris suis se 
significaverunt velle absolutionem, et illis qui, quamvis eam per litteras non 
petierunt, tarnen eam volunt, mando meam coram Deo absolutionem et bene- 
dictionem, et oro ut Deus omnipotens illos ab omnibus peccatis absolvat et in 
vitam aeternam benedicat." Vgl. 44 125 127 162 181 183 222 232 238 246 250. 
2 Ebd. 155: „Eos.autem qui hoc modo et hac volunt'ate sua peccata- confessi 
sunt vel confitebuntur, quantum possum, ea.auctoritate quam mihi'Deus concessit, 
vice beati Petri apostolorum principis.'absolvo, et ut eis omnipotens Deus in- 
dulgeat suppliciter oro." . , > ■ 

' ^ Migne OL VIII 115: „Rogatus a Radulpho Rofensi episcopo, ut nobis 
qui aderamus et aliis f iliis suis, regi i quoque' et reginae cum liberis eorum, ac 
populo terrae, qui in eius obedientia se sub Deo tenuerat, suam absolutionemi 
ac benedictionem largiretur, dexteram quasi nihil mali pateretur, erexit, et signo 
sanctae orucis edito, demisso capite sedit.'"' Vgl; einen' andern Bericht: ,,His qui 
aderant, regi, reginae, liberis eorum et subditis onmibus benedixit et eos, quantum 
ad se pertinebat, absolvit." Migne OXOIX 1035 f. Vgl. hierzu die allgemeine 
Absolution,, die Leo IX. und Gregor VII. .auf dem Totenbett erteilt haben. Oben 
S. 74 84. , ., 

* Über diesen Gebrauch vgl. Martene, De ritibus III 141 ff., besonders 
146 147 148 151 163. Marlot 11 149. U. Chevalier, Ordinaire et' coutumier 
de l'eglise oathedrale de Bayeux. Paris 1902,, 102 f. 382 [Bibliotheque lituxgi- 
que VIII]. . ■ 

7* 



100 II. Mittelalterliche' Absolutionen als -angebliche Ablässe. 

ani Aschermittwoch gebrauchte Absolutionsformel war demnach bloß 
ein Gebet, wodurch die Gnade Gottes auf die Büßer herabgefleht wurde.^ 
,: ; In vielen Kirchen war es auch Sitte, am Anfange der Fastenzeit 
allenGläubigen, die dem Gottesdienste beiwohnten, eine Absolution 
zu erteilen; Bei Martene kann man die am Aschermittwoch zu Paris, 
Auxerre^ Bayeux, Ronen üblichen Absolutionsförmeln nachlesen.^ Für 
England genüge es auf die Ritüalbücher von Salisburjr,^ Westminster,* 
Evesham^ und York^ hinzuweisen. In allen diesen Büchern finden sich 
für den Aschermittwoch Absolutionsf ormeln' ' verzeichnet, die mit den 
Formeln, die am Gründonnerstag ' oder bei der Rekonziliation der 
Büßer üblich waren, ganz übereinstimmen. ' Auch in vielen Klöstern 
war es Sitte, daß der Obere am Anfangender Fastenzeit den Kloster- 
insassen -eine Absolution erteilte.' In Montecassino und andern 
Klöstern würden in der Fastenzeit an drei Tagen der Woche nach 
vorangehendem Sündenbekenntnis die Mönche von dem Abt, der Abt 
aber vom Prior absolviert.^ Ebenso wurden in verschiedenen Diözesen 
die ganze Fastenzeit hindurch an ' drei ' Wochentaigen in 'der Messe 
beim Offertorium die anwesenden Gläubigen nach Abbeten der offenen 
Schuld von ihren Siinden losgesprochen, so in Poitiers und Le Mans.' 
Daß die allgemeine Absolution des Aschermittwoches umjdie Mitte 
des 13. Jahrhunderts keinen sakramentalen Charakter hatte, sondern 
bloß als ein Gebet galt, wodurch die läßlichen Sünden nachgelassen 
werden konnten, bezeugt Thomas, von Aquin.^*' In früheren Zeiten 
mag sie aber bisweilen, wie schon oben bemerkt worden ist,^^ nicht 
bloß als Bitte um Verzeihung, sondern, gleich der besonderen sakra- 
mentalen Lossprechung, als bewirkende Ursache der Sündennachlassung 
gegolten haben. Dies war ohne Zweifel der Fall, wenn der allgemeinen 
Absolution eine besondere Beichte voranging. 

^ Morin (S. 215 f. 544 f.), der ebenfalls verschiedene am, Aschermittwoch 
über die Büßer gesprochene Absolutionsformeln anführt, bemerkt dazu (S. 544): 
„Notabit lector in illis libris ritualibus absolutionis nomen non id sigmficare 
quod nunc signif icare solet, reconciliationem cum Deo et peccatorum remissionem." 
Es handle sich dabei um Gebete, „quibusDeus rogatur ut abs'olutione dignos 
poenitentes effieiat". Vgl. auch oben 8.-93 ri. 6. 

* Martene III 141 ff.. Für Bayeux vgl. Chevalier, Ordinaire de Bayeux 
102 f. Für Ronen Morinus. Appendix 68 f. Le Graduel de l'eglise cathedräle 
de Rouen au XIIF si^cle II, Rouen 1907, 40 f. 

3 The Sarum Missal ed. by J. Wickham Legg. Oxford 1916, 48 ff. ' 

* Bradshaw Society V, London 1893, 549. 

5 Bradshaw Society VI (1893) 61 ff. ' ' 

^ Publieations of the Surtees Society LIX, Durham 1874, 45. 

' Beispiele bei Martene III 155 ff.; IV 310 f. 

« Bibliotheca Casinensis IV (1880) 119 126. 

* Martene III 180 ff. In Poitiers lautete die Absolutionsformel: „Ab- 
solvimus vos . . ab omnibus crimimbus vestrisi" Noch zur ZeitMartenes wurde 
in einigen Diözesen, z. B. in Tours und Le Mans, während der Fastenzeit an 
drei Wochentagen den Gläubigen bei der Messe eine Absolution gespendet. 

^^ De forma absolutionis, cap. 2: „Huiusmodi absolutiones (in die cinerum 
et coenae Domini) non sunt sacramentales, sed sunt quaedam orationes qüibus 
diountur venialia peccata dimitti.". Opera XX 450. 

" Oben S. Q6. 



B. Absolutionen lebender Personen. ' 101 

Ein interessantes Beispiel hierfür . bietet Bischof Johann von 
Avranches, von 1069 bis 1079 Erzbischof von Ronen, in seinem 
Buche „de officiis ecclesiasticis". Bei der Schilderung des Gottes- 
dienstes am Aschermittwoch berichtet er, daß am Morgen nach der 
Non der Bischof oder dessen. Stellvertreter dem Klerus und dem 
Volke die Absolution, spendet, nachdem ein jeder im besondern 
seine Beichte abgel,e^t:und Buße empfangen.^ Hier kann es sich 
nicht um das bloße Abbeten des Konfiteor. handeln; es ist die Rede 
von einer regelrechten Beichte mit Auflegung der Buße. ^ Auch wird 
offenbar vorausgesetzt, daß die Geistlichen und Laien schon vorher 
den hierfür ai^fgestellten Bußpriestern gebeichtet hatten, da die» 
während des, Gottesdienstes- unmöglich, gewesen,, wäre. Allen An- 
wesenden, die so ihre Sünden gebeichtöt und dafür Buße empfangen 
hatten, erteilte nun ,der Bischof- eine, gemeinsame Absolution. Nichts- 
verbietet, diese Absolution als eine sakramentale zu betrachten. Heute 
muß freilich die Absolution von demjenigen Bischof oder Priester 
erteilt werden, iier die Beichte des Sünders gehört hat. Im, früheren 
Mittelalter, wich man jedoch vielfach von dieser Regel ab. So mußten 
an vielen Orten die öffentlichen Büßer, bevor sie am GründonnerstagCi 
von dem Bischof absolviert wurden, vorher bei Beginn der Fastenzeit 
und dann wieder am Morgen, ,des Gründonnerstages den hierzu ver- 
ordneten Priestern eine Beichte, ablegen.^ Wie, aber, die Absolution, 
die am Gründonnerstage vom Bischöfe den öffentlichen Büßern erteilt 
wurde, als eine sakramentale zu betrachten ,ist, so darf wohl die nach 
Johann von Avranches dem Klerus, und, Volk am Aschermittwoch ge- 
spendete Lossprechung als eine sakramentale gelten. 

Ein weiterer Beleg hierfür findet sich in dem „Hber ,de statu 
Ecclesiae", des Bischofs Gilbert von Limerick (1106—39). Indem 
Gilbert bei Aufzählung der bischöflichen Vollmachten die Absolutions- 
gewalt erwähnt, , bemerkt er: „Der Bischof absolviert das Volk .von 
den geringeren Sünden am Aschermittwoch, von den schwereren am 
Gründonnerstag.* Unter den „peccata criminalia" sind besonders 

^ Migne'CXLVII 47: „In capite ieiunii nona dicta clerus et popviltis ante 
altare,' aT? unoquoque confessione singulariter facta et poenitentia 
acoepta, prosternantur, etjsic ab ,episcop,o' vel a maiore ecclesiae säcerdote 
absolvantur." 

. _ ? So versteht es auch H, Lqriquet, Le Graduel de l'eglise cathedrale 
de Reuen I, Ronen 1907, 34, n. 5: „Il.s'agit bien ici d'ime confession reguliere 
avec penitence et non point d'un simple r^cit du Confiteor pour chaque fidele 
en particulier." . ,; . , > ; , 

3 -Martene 1,761: ,',Non omnes, qui aujüendis confessionibus designati ab 
episcopo erant, poenitentes semper absolvebant, .verum auditis peccatis et 
iiiaposita poenitentia reconciliationem, episcopo reservabant, prae- 
^ sertim in quadragesimali, ut in'quibusdam ritualibus manuscriptis observavimuo; 
in quibtis presbyteri confessiones poenitentiiun etiam in coena Domini excipere, 
tum discussis et ",examinatis 4is, ,,qui. reconciliatione digni erant, absolvendos 
episcopo sistere iubentur." .Vgl. 821.;823. Morinus. Appendix 45 53 f. Schmitz 
I 77 f . . , , ■ ^ ' , . , . ■ 

*, Migne OLIX 1002: „Absolvit praesul populum de venialibus in capite 
ieiunii, de criminalibus in .coena Domini." 



102 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe. 

schwere Sünden zu verstehen, für die der Sünder während der Fastenzeit 
büßen mußte, bevor ihm die Lossprechung zuteil wurde. Die „venialia" 
bedeuten hier, meint Martene, weniger schwere Sünden, für die eine 
längere Buße nicht verlangt wurde^ und von denen man daher schon 
bei Beginn der Fastenzeit losgesprochen werden konnte. Da aber 
Gilbert in gleicher Weise von der Absolution der „läßlichen" wie der 
schweren Sünden spricht, so hat er wohl der '"Absolution, die am 
Aschermittwoch den Gläubigen gespendet wurde, eine ähnhche Wirk- 
samkeit zugeschrieben wie der Lossprechüng, dies am Gründonnerstag 
die öffenthchen Büßer erhielten. 

Nebst der sakramentalen Rekonzihation der öffentlichen Büßer 
gab es am Gründonnerstag in manchen Kirchen auch noch eine 
Absolution für alle anwesenden Gläubigen. Diese Absolution war 
gebräuchlich in vielen französischen Kirchen, z. B. in Paris, Laon, 
Le Mans, Reims, Ronen, Bayeux.^ In etlichen • Kirchen wurde das 
Volk zweimal absolviert, so in Paris und Le Mans.^ Vielfach war es 
auch Sitte, daß der Bischof am Gründonnerstage die verschiedenen 
Klöster der bischöflichen Stadt besuchte, um den Insassen nach Ab- 
beten der offenen Schuld die Absolution zu erteilen. . Dies geschah 
z. B. in Reims, Ronen, Laon.* In manchen Diözesen erhielten die 
Mitglieder des Domkapitels voin Bischof im Kapitelsaäl' eine eigene 
Absolution, so in Clermont, Laon, Reims.^In Besan§on ' pflegte der 
Erzbischof im Kapitelsaal die. Domherren zu absolvieren, die dann 
ihrerseits auch den Erzbischof absolvierten.® 

In England herrschte ebenfalls der Gebrauch, daß am Grün- 
donnerstage beim Morgengottesdienst allen anwesenden Gläubigen 
eine Absolution erteilt ^ wurde, so z. B. in Westminster. '^ Auch in 
Canterbury fand die allgemeine Absolution am Gründonnerstag im 
Dome statt. Am Karsamstage dagegen begab sich der Erzbisohof 
nach der Abtei St. Augustin, um dort ^ den versammelten Mönchen 
die Absolution zu erteilen.^ 

In Spanien fand, wie die feierliche Rekonziliation der öffenthchen 
Büßer, so auch die allgemeine Absolution nicht am Gründonnerstage, 
sondern am Karfreitage statt. Dabei wurde von allen Gläubigen 
vielmal der laute Ruf wiederholt: ,;Indulgentia!''^ 



^ Martene I 756 bemerkt zu dieser Stelle: „Ubi venialium nomine 
intelligit pecoata mortifera minus gravia, poenitentiae püblicae haiidquaquam 
subiecta." 

2 Martene III 233 ff. loannes Abrincensis bei Migne CXLVII 49. 
Morinus. Appendix 70. Chevalier, Bibliotheque liturgique VI (1897) 109; 
VII (1900) 122 280; VIII (1902) 125. « Martene III 233. 

« Martene III 234 ff. Chevalier VI 108 f.; VII 122 279. 

6 Baluzius, Miscellanea I 279. Martene III 234. Chevalier VI 108 f.; 
VII 122 280. 

6 Martene I 807. ^ Bradshaw Society V 571. 

* Dugdale, Monasticon Anglioanum I, London 1682, 26. 

* M. Ferotin, Le Über ordinum en .usage dans l'iÖglise wisigothique et 
mozarabe d'Espagne du V^ sidcle. Paris 1904, 199 ff. [Monumenta Ecclesiae 
liturgica V]. Liturgia mozarabica bei Migne LXXXV 417 ff. 610 ff i Vgl. dazu 



B. Absolutionen lebender Personen. ■ . 103 

Nicht bloß die Bischöfe, -auch die Ordehsoberen pflegten am Grün- 
donnerstage den Untergebenen die Absolution "zu spenden.^ In den 
Lebensbeschreibungen heiliger Äbte wird dieser Gebrauch wiederholt 
erwähnt, so z. B. im Leben des hl: Hugo von Cluni (f 1109),^ des 
hl. Stephan von .Obaziiie (f 1159)^3 des hl. Wilhelm (f 1202), 
der einem Kloster in Dänemark als. Abt vorstand.* In verschiedenen 
Klöstern, wie z. B; in St. Denis, Gompiegrie, Gorbie, pflegte der Abt 
am Gründonnerstag. auch dem ^ Volke die Absolution zu erteilen.^ 

Was die Bedeutung anlangt, die der . gemeinsamen ■ Absolution, 
welche am Gründonnerstage denGläubigejd gespendet wurde, beizu- 
legen- ist, so kann nm\ wiederholt werden, was bezüglich der Absolution 
des Aschermittwoches gesagt worden ist». Bereits im 13. Jahrhundert 
wurde diese allgemeine Absolution» streng von der sakramentalen Los- 
sprechung unterschieden und galt nur als Sakramentale. Anfänglich 
aber ist wohl öfters zwischen, beiden Absolutionen hinsichtlich der 
Wirksamkeit kein. Unterschied gemacht- worden. Nur ließ man die 
allgemeine Absolution mit dem -vorangehenden aUgemeineh Sünden- 
bekenntnis (Konfiteor).' oder der offenen Schuld nicht gelten für': die 
schweren wissentlichen Sünden,' die, noch nicht im einzelnen gebeichtet 
worden waren. • ; .s ; ]'j' > ' f 

Aufschluß? 'hierüber bietet. eine Anrede; die -nach den Gewohn- 
heiten der Cluniazenserabtei Ffüttuaria' in Piemont dei? Abt am 
Gründonnerstage bei' derüSpehdungf-der allgemeinen Absolution im 
Kapitelsaal zu halten pflegte.^ Er sagte den vor' ihm versammelten 
Mönchen: Es ist-Brauchj an diesem Tage iii der Kirche Gottes die 
Absolution zu spendien überall, wo es Hirten gibt, die über die Herde 
Gottes .wachen. Was- daher unsere > Väter' angeordnet haben j sollen 
auch wir - tun. Darauf sptendet der Abt den ^ knienden Mönchen die 



M'orinus 349. L. Duchesne (Origmes du culte chretien. Paris 1889, 429) meini 
mit' Unrecht, die Sündenvergelaung (indulgentia) sei von den anwesenden Gläu- 
bigen bloß für die Büßer erfleht worden; i sie wurde vielmehr für alle erfleht. 
Dies ergibt sich sowohl aus deni, liturgischen Text als ,aus der .Erklärung der 
vierten Synode von Toledo (633). Mansi X 620. 

^ Martene III 235;' IV' 358 f. Herrgott, Vetüs disciplmä mohastica. 
Parisiis 1726, 584 f. Albers V '120 142. In einigen Klöstern' wurde die' allge- 
meine Absolution auch an . hohen ' Festtagen gespendet, z. B.- an Ostern und 
Pfingsten, Albers V 124 125 150. 

. ^ Migne CLIX 889: „Commissum sibi gregem absolvit; addidit et solatium 
berie'diötibhis." Vgl. 905: „Cum in ipso Coenae Domihicäe die fratfes suos, tarn 
absentes quam' praesente's, paterria aüctoritäte absölvisset." 

^ Baluzius, Miscellanali54: „In die Coenae dominicae, quae misericordia 
plena est, generali supplicatione ab^universis venia petebatur, ut quiequid per 
totius anni ciroulum deliquissent, hac saora et solemni indulgentia deleretur. 
Tunc venerabilis senior totus lachrymis perfusus et^peccata sua ante oculos sibi 
reducens, confisus de Dei misericordia, et sibi et aliis indulgentiam tribuebat et 
peccatorura vincula in ,Dei verbo laxabat." , 

* Migne CCIX 615: „Absolutione super disoipulos solito more facta." 
5 Martene 17.364 f. ' , , 

• Albers IV 132 ff. Die vom Herausgeber benutzte Handschrift stammt 
aus dem 12. oder 13. Jahrhundert. Vgl. S.VIII. 



.104 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe. 

Absolution mit folgenden Worten: „Unser Herr' Jesus Christus ' möge 
durch die Fürbitte der allerseligsten Jungfrau, des hl. Petrus und 
aller andern Heiligen euch die Verzeihung eurer Sünden erteilen. Ich 
pelbst aber, soviel ich kann und der Herr es- mir gestattet,- absolviere 
und segne sowohl' die Ablesenden als die Anwesenden (absolvo et 
benedico tarn absentes quam praesentes), die unter meiner ' Leitung 
stehen." Nachdem die.Brüdsr aufg^standen^^Arnen gesprochen und 
sich dann niedergesetzt habend erklärt ihnen d3r Abt: Diese Absolution 
dürfet ihr nicht so verstehen, als würde sie\sich^ auf alle Sünden be- 
ziehen ; sie gilt bloß für die Sünden, die ihr bereits gebeichtet habet, 
sowie für die täglichen (d. h. läßlichen) . Sünden, ohne welche em 
schwacher Mensch nicht leben kann. Ist. einer -unter euch sich einer 
schweren Sünde (criminali peccato) bewußt, die er noch nicht ge- 
beichtet hat, so wird ihm. durch diese Absolution keine Vergebung 
zuteil.. Ein jeder erforsche deshalb sein Gewissen. Findet er, daß er 
sich einer schweren, Sünde schuldig . gemacht hat, so 'beichte. er. sie 
und tue Buße, bevor er. die hl. Kommunion empfange. Und nun 
wollen wir uns in die. Kirche begeben zur' Vornahme des Süiiden- 
bQkenntnisses und der Absolution.^; In der Kirche wurde dann laut 
das Konfiteor gebetet, worauf der Abt den Brüdern noch einmal, 
und zwar in deprekativer. Form, die Absolution ert'eiltiB. 2 

Man kann, sehr wohl die vom, Abte, für den FaU, daß er Priester 
war, am Gründonnerstage gespendete Absolution als eine sakramentale 
betrachten. Die besondere Beichte, sofern eine solche nötig, war, 
hatte früher stattgefunden. Denn an einer andern^ Stelle der Gewohn- 
heiten heißt es: „Am Anfange -der Fastenzeit > beginnen die i Brüder 
dem Abte zu beichten:"^ .Mari könnte freilich gegen den sakramentalen 
Charakter der. Absolution den Umstand' geltend, machen, daß. sie auch 
Abwesenden gespendet wurde. Allein, wie früher betont worden, gab 
es im Mittelalter Theologen, die der Ansicht^ :waren,' die sakramentale 
.Lossprechung könne Abwesenden, erteilt werden. ' Es war auch; nicht 
notwendigerweise erfordert, daß alle 'Brüder* bei dem Abte die Beichte 
ablegten. Wie Petrus Cantor berichtet, war es in verschiedenen 
Klöstern erlaubt, daß die Mönche einem ihrei: Mitbrüder beichteten; 
nur die Absolution, blieb dem Abte; vorbehalten.* . • . ,. ; ; .- • 
Wegen der Absolution, die am Grürid.onnerstage den öffent- 
lichen Büßern und häufig auch den übrigen Gläubigen gespendet 
wurde, pflegte man diesen Tag als Absplutionstag (ab'solutionis.dies)? 
oder als Ablaßtag, Antlaßtag (indulgentiae dies)^„zu bezeichnen. 

^ Der Verfasser dieser Anrede hat wohl das Speculum' Ecclesiae des Honorivis 
Augustodunensis (vgl. oben S. 6ß) vor sich gehabt, oder beide' haben eine, ge- 
meinsame Quelle benutzt. • • . , > " .,, 

2 Ebd. 52. Es- werden vier Absolutionsgebete 'angeführt. ' ' . ' 

3 Ebd. 149. ' • '' ■ ■; " ' ' , , 
* Martene III 761: „In quibusdarh etianä oliiri mönasteriis licitum erat 

cuilibet monachorum audire fratrum suorum confessiones, abb'ati vero' absolutio 
reservata erat, ut scribit Petrus Cantor in Summa de Sacrameiitis." 

^ Ducange I 34. , ' " , , 

^ Schmeller, Bayerisches Wörterbuch I" 1507. Translatio S. Maurini, 



B. Absolutionen lebender Personen. 105 

Während diese Bezeichnung, was den Gründonnerstag anlangt, 
leicht zu erklären ist, so' sieht man nicht recht ein, warum, auch der 
Palmsonntag als Ablaßsonntag oder Ablaßtag bezeichnet wurde. 
Schon in einem Verzeichnis, der Episteln, des Kirchenjahres, das auf 
Geheiß des Bischofs Viktor von Capua (541—54) vor 546 geschrieben, 
worden, ^erscheint der Palmsonntag mit der Benennung „de iiidul- 
gentia".^ Die Benennung (dominica de indulgentia) findet sich auch, 
in dem um 700 geschriebenen Evangelienbuch , des Klosters Lindis- 
farhe, 2 sowie in einer Würzburger, Handschrift aus dem 8. Jahr- 
hundert;^ hier heißt der Palmsonntag in dem Verzeichnis der Episteln 
auch „dominica indulgentia.* Letztere Bezeichnung, findet sich eben- 
falls in dem Coines Alcvins aus dem ^de des 8. Jahrhunderts? und 
in einem IJektionar aus dem ,10. Jahrhundert.* , Nach dem, 8. Jahr: 
hundert erscheint gewöhnlich der Name „dominica indulgentiae", so 
in dem von Pamelius veröffentlichten Cpmes,' in verschiedenen' alten 
Evangelienverzeichnissen,^ in, einem Sakramentar des früheren Mittel- 
alters,^, in dem sogenannten „Ordo romanus vulgatus", den zuerst 
Hittorp veröffentlicht hat^" und, der , wenigstens' aus dem 10. Jahr- 
hundert, stammt,^! {j^ der Lebensbeschreibung des hl. Ukich von Augs- 
burg {j 973) durch dessen Zeitgenossen (Gerhard,^? endlich, im St. Galler 
Totent)ucli aus dem 10. Jahrhundert.^* , i . ■ 



cap. 8, um 980 verfaßt; M'abillon, Acta Sanct. V 336; Mon. Germ. SS. XV 68. 
Vita Theogeri, <cap. ,26, Tim, 1140 verfaßt: M. G. SS. XII 477; "Berthold von 
Regensburg, ed., Pfeiffer I, 163, (Antlaßtag). 

^ G. Morin, Liber comicus sive Lectionarius missae quo Toletana Ecclesia 
ante aniios mille ei; ducehtos iitebätur." Maredsöli 1893, 441. St. Beissel, Ent- 
stehung der Perikopen des römischen Meßbuches.' Freiburg 1907, 59 [Ergänzungs- 
heft zu den Stimmen aus -Maria-Laach XCVI]. 

,2 Morin 428 431. Beissel,^113. , s. Beissel 122. , 

* Morin, Le plus ancien eomes ou lectionnaire de l'figlise romaine, in Revue 
b6n6'diotirie XXVII (1910) '53. ' , ' '" ' , ' 

* J.> M. Thomasius, Opera omhia V, Romae 1750, 302. E. Ranke, Das 
kirchliche. Perikopensysliem avs den ältesten Urkunden der römischen Liturgie. 
Berlin 1847; Appendix, S. X. . 

* A. Staerk, Les manuserits latins du V^ au XIIP siecle conserves ä la 
bibliotheque royale de Saint-P6tersbourg I, St. P^tersbourg 1910, 136 141. 

'', I.'Pamelius, Liturgia Latinorum II, Coloniae 1571, 21. Ranke LXIII. 
Pamelius hat, alte Handschriften verwertet, deren wohl keine über das 9. Jahr- 
hundert hinausgeht. 

. .8 Thomasius V 454, nach zwei römischen nicht näher datierten Hand- 
schriften. ■ , . - ' , , 

8 M,. Gerbert, Monumenta veteris liturgiae alemanicae I, S. Blasii 1777, 64. 
Morinus. Appendix 60, 

10 Hittorpius 42. Verschiedene neuere Autoren, wie R. Mönchemeier, 
Amalar.von Metz., Münster 1893," 214; Thalhof er -Eisenhof er, Handbuch der 
katholischen Liturgik I, Freiburg 1912, 82 141; Kirchl. Handlexikon II 1233, 
behaupten irrig, dieser Ordo sei schon von Cassander veröffentlicht worden. 
Der von Cassander 1561 herausgegebene „Ordo romanus de officio missae" ist 
etwas, ganz anderes. ^^ Mönchmeier 181 214. 

12 Mabillon, Acta Sanct. V 425. Mon. Germ. SS. IV 391. 

läE.'Dümmler und H. Wartmann, St. Galler Todtenbuch und 
Verbrüderungen, in Mitteilungen zur vaterländischen Geschichve XI^ St. Gallen 
1869, 17. Vezzosi, Der Herausgeber der Werke von Thomasixis (Thomasius 



106 II, Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe. 

Im früheren Mittelalter war es also gang uiid gäbe, den Palm- 
sonntag als Ablaß- oder Begnadigungstag zu bezeichnen. Man ,hat 
diese Bezeichnung in verschiedener Weise zu erklären gesucht. Etliche 
meinen, der Palmsonntag sei so genannt worden ,, wegen dfer Ablasse 
{propter indulgentias), die man 'an diesem Tage feierlich zu erteilen 
pflegte".^ Allein im 6. Jahrhundert gab es nöph keine generell erteilten 
Ablässe. Andere führen die Bezeichnung auf den Umstand zurück, 
daß am Palmsonntag „die auf "den" grünen Donherstag festgesetzte 
Absolutio poenitentium' verkündigt wui'de",^ odfer daß man ah dipsem 
Tage anfing, Vorbereitungen zu treffen für die Rekoh'ziliation der 
Büßer am Gründonnerstag .^ Von einer Verkündigung öder Vor- 
bereitung der am Gründonnerstag zu erteilenden Absolution ist jedoch 
in der Liturgie des Palmsonntags niemals die Rede. Nicht' minder 
unannehmbar ist eine andere Erklärung, wonach der Palmsonntag 
Nachlaß tag genannt wurde, weil er dem Leiden Christi geweiht, gewesen 
wäre. „Indem ihn der Alcvinsche und der Pamelsche Cömes Bfe- 
gnadigungstag nennen, bezeugen sie, daß man ihn izur Zeit ihrer 
Abfassung unmittelbar als einen der Passion, dem Motiv aller Be- 
gnadigung, gewidmeten Tag ansah."* Dem Leiden Christi war aber 
vor allem der Karfreitag gewidmet, und doch ist dieser Tag niemals 
,,dies indulgentiae" genannt worden! Wieder aridere meinten ^ äeh 
Palmsonntag habe man deshalb „dominica indulgentiae'- genannt^ 
weil • er die Woche einleitet, in welcher den Ponitenten am Grün- 
donnerstag, dem eigentlichen „dies indulgentiae", ^die Absolution "ge- 
spendet wurde.^ Der wahre Grund der eigentüynlichen Bezeichnung 
dürfte ' indessen itri römis,chen Rechte zu suchen seih.* 

In der zweiten Hälfte des 4. Jahrhunderts haben die christlichen 
Kaiser für das Osterfest eine ganze Reihe von Begnadigungs- oder 
Indulgenzschreiben erlassen. In dem von Theodosius II. angeregten 
und 430 vollendeten Gesetzbuch sind nicht weniger als fünf dieser 
österlichen Indulgenzerlasse verzeichnet.' Der älteste Gnadenerlaß ist 
aus dem Jahre 367 und stammt von Valentinian L; der jüngste, der 



V 454 n. 2), dem M. Gerbert (Vetus liturgia alemanica. S. Blasii 1776, 964) 
folgt, behauptet, auch die Frankfurter Synode von 974 habe den Palmsonntag 
als Ablaßsonntag bezeichnet. Er hat aber eine Bemerkung von J. Fronte 
{Kalendarium romaiiluil. Parisiis 1662^' 62) falsch verstanden : , jHaeö äömimca 
dicebatur dominica Palmarum, in eoncilio Francofurdiensi an, 794, dictä est 
ßt dominica indulgentiae, apud Pamelium et in ordine romano." 

^ So Martene, De ritibus III 196. J. Catalanus, Caeremoniale episoo- 
porum II, Parisiis 1860, 303. 

? So:Binterim, Denkwürdigkeiten V 1, 158. Ähnlich Vezzosi, Thomasii 
Opera V 454 n. 2. 

3;La Civiltä Cattolica. Anno 57 (1906), II 9. 

* Ranke, Perikopensystem 333. 

^ H.Grotefend," Zeitrechnimg des deutschen Mittelalters I, Hannover 

1891, 42. 

? Auf diese Lösung wurde ich von Dom G. Morin hingewiesen. 
7 Cod; Theod. hb, IX,-tit. 38, de indulgentiis criminum, 1. 3 4 6 7 8 (Theo- 
dosiani libri XVI, ed. Th. Mommsen I 2, Berolini 1905, 496 f. ■ 



B. Absolutionen- lebender Personen, ' ' 107 

siuch in das Gesetzbuch Justinians Aufnahme fand,i ist im Jahre 385 
von Valentinian II. und Theodosius I. erlassen worden; Kraft dieser 
Indulgenzbrief e sollten die Gefangenen] mit Ausnahme von ver- 
schiedenen Verbrechern, an den Ostertagen freigelassen werden.^ Die 
Zeit, in welcher die „Indülgentia" oder die Begnadigung erteilt werden 
sollte, umfaßte, sieben Tage vor und* sieben »nach Ostern.^ Sie begann 
^Iso am Sonntage vor Ostern.. -So erklärt sich leicht/ warum dieser 
Sonntag schon frühzeitig als „dominica de indulgeritia" odet „dominica 
indulgentia" bezeichnet wurde.*' ■, . ' , s . - 

Nebst dem 1 Gründonnerstage und'dem;Palmsonnt~a;ge gab es noch 
•einen andern Tag, den man als ,jdies indulgentiae" zu bezeichnen 
pflegte. In. den größeren Annalen von ' St. . Gallen ' wird bferichtet, 
daß im Jahre 1043 König 'Heinrich III. nach Konstanz kahi, als 
gerade dort eine SjTiode abgehalten' wurde (tempore synodi)." Der 
König beteiligte sich eifrig an den Verhandlungen. - „Am vierten Tage 
aber, der gemeiniglich der Ablaßtag genaimt wird" (in quartö autem 
die, qui vulgo indulgentiae dicitur); hielt er eine Rede, um das Volk 
zum. Frieden zu ermahnen.^ Aus der Bezeichnung „dies indulgentiae" 
hat man, geschlossen, daß damit der Gründonnerstag gemeint sei. 'Die 
Synode hätte,, am Montag in der. Karwoche begonnen, so daß der 
vierte Tag mit. dem Gründonnerstage ^(31'. März) zusammengefallen 
wäre.^ Von anderer Seite^wurde jedoch festgestellt, daß im Jahre 1043 
Hfeinrich- III. das Osterfest. am 3. April in Lüttich gefeiert hat ^ und 
erst.. im' Oktober nach Konstanz gekommen ist.'" Wie ist aber dann 
die Bezeichnung des vierten Tages der Sjniode als „dies indulgentiae" 
zu erklären? Man hat gemeint: „Obwöhlkein anderer Beleg dafür 
vorhanden ist,, muß aber wohl angenommen werden, daß unser Annalist 
mit dem Ausdruck ,dies indulgeiitiae'-einfachdeii' Donnerstag be- 
zeichnet."* Dem ist jedoch nicht so. Der. Donnerstag überhaupt 
ist niemals Ablaßtag genannt worden, wohl aber wurde der vierte 



\ Cod. lustin. lib. I, tit. 4, de episcopali audientia, 1. 3 (ed.' P. Krueger. 
Berolini 1880, 39). Vgl. auch Lex romana Visigothorum, lib. IX, tit. 28, 1. 8. 
<ed. G. Haenel, Lipsiae 1849, 200). 

^ Vgl. Codex Theodosianus cum perpetuis 'commentaris lacobi Gotho- 
fredi III; Lipsiae 1738, 290 ff. Hier werden auch verschiedene Väterstellen, 
die auf die österlichen Indulgenzerlasse. Bezug nehmen,- angeführt.- 

^ Codi Theod. lib. II, tit. 8, de feriis,!. 19: ,jSacros paschae dies, qui septeno 
■vel praecedunt numero vel sequuntur" (ed. Mommsen 88). - 

* Daß der Ausdruck „indulgentia" in bezug auf die österliche Begnadigung 
gern gebraucht wurde, zeigt eine Verordnung, die Cassiodor in den Jahren 
533 — 37 während seiner prätorischen Präfektur unter der Überschrift „Indul- 
gentia" veröffentlicht hat. Cassiodori Variae, ed. Mommsen. Mon. Germ. 
Auetores antiqui XII (1894) 353 ff.-. 

5 jvton. Germ. SS. I 85. C. Henking,'Die annalistischen Aufzeichnungen 
des Klosters St. Gallen, in Mitteilungen zur vaterländischen Geschichte XIX 
•(1884)\320. ■ 

' So Hartz he im III II L, dem andere folgten. 

. ''E. Steindorf f, Jahrbücher des deutschen Reichs unter Heinrich III. I, 
Leipzig 1874,- 185 f. 

« Henking 321 n. 275. 



108 II. Mittelalterliche' Absolutionen als angebliche Ablässe. 

oder letzte Tag der Diözesansynode so genianiit, wiedies in dem 
aus dem 10. Jahrhundert stammenden Ordo romarius vulgatus aus- 
drücklich hervorgehoben wird. Dieafer Ordo - schildert ausführlich, 
wie die Diözesansynode, für welche vier Tage festgesetzt sind, ab- 
gehalten werden soU.^ Am vierten Tage findet ein feierlicher Schluß- 
gottesdienst statt, dem auch das Volk beiwohiit. Bei dieser Gelegen- 
heit hält der Bischof eine Predigt, an deren^Schluß er die Absolution 
spenden soll, weil dieser Tag als „zweiter Ablaßtag" betrachtet wird.^ 
Die Diözesansynode fand gewöhnlich, zweimal im Jahre statt, im 
Erühjahr und Oktober.* In Konstanz wurde demnach bei der An- 
kunft Heinrichs III. die Herbstsynode abgehalten. Und nun erklärt 
sich, leicht, wie der Annalist den vierten Tag, an welchem der König 
eine Rede hielt, als Ablaßtag . bezeichnen konnte. 

Mit dem ,, Ablaßtag" der Diözesansynode hängt wohl auch die 
Absolution zusammen, die der hl. Ulrich von Augsburg am Grün- 
donnerstage, zu erteilen pflegte. , Sein ^ Biograph Gerhard berichtet 
. nämlich, daß Ulrich die Gewohnheit hatte, die Früh] ahrssynode^ nicht 
erst in der vierten Osterwoche, wie die Kanones vorschreiben, sondern 
schon in den drei ersten Tagen der Karwoche abzuhalten, um durch 
die Anwesenheit der vielen Geistlichen die Feier des Gründonnerstages 
zuierhöhen. An diesem Tage aber, so erzählt weiter der Biograph, 
pflegte der Bischof während des Amtes nach dem Evangelium eine 
I^edigt zu halten. Nachdem- dann die Gläubigen die offene Schuld 
gebetet hatten, erteilte er ihnen die Absolution, worauf alle Mitglieder 
deriSynode Opfergaben darbrachten.* , Das Hochamt am Gründonners- 
tage; fiel demnach mit dem Schlußgottesdienst der Synode zusammen. 
Man ist daher wohl berechtigt, in der Absolution, die bei diesem Anlaß 
der Augsburger Bischof spendete, die am Schlüsse der Diözesansynode 
. übliche Absolution zu sehen. 

Von. der Absolution, die am Schlüsse . der Diözesansynode der 
Bischof dem Volke zu spenden pflegte, sind die Absolutionsgebete zu 
unterscheiden, die am Schlüsse der Provinzial- und Diözesansynode 



. _,^ Hittorpius 162 ff. Ordo qualiter agatiir conciliiiin provinciale. Die 
Diözesansynode heißt hier „conoilium provinciale", während die Provirizial- 
synode als „conoilium generale" bezeichnet wird. Über diese- Bezeichnungen 
■vgl. G. Philipps, Die Diözesansynode. Freiburg 1849, 9, Daß die im Ordo 
romanus vorgeschriebene Synodalordnung in Deutschland befolgt wurde, zeigt 
der dem- Dekret Biirchards von Worms beigefügte „Ordo quomodo 'initianda 
Sit synodus". Migne CLX 1061 ff. Es ist ein wörtlicher Auszug aus dem' so- 
genannten Ordo romanus. 

: ^ Hittorpius 157: „Moneat clerum et doceat populum, atque in fine 
praedicationis remissionem peccataruni ■faciät,v;quia dies* illa; secunda 
di es /indulgen tiae habietur. ' ' Unter > dem ersten VjAbläßtag" ist offenbar der 
X^TÜndonnerstag ge]Meint.:fU ;:-.,: -i^'-r i;^;.-./;:::r/{i.r ,ii .y,--:'::,'-': .'H .^vyjW'l/l --o!? 
3 Philipps, Diözesans3naode 49 f. Derselbe, Kirchenrecht VIIi'Begens- 
burg 1869, 158. Hinschius JII 585. 588 n. 4u i >;".; nsj/u:i fr^ 
; :*:MabillonviActa.Sanct.;;V-.425. .;Mon. iX^erin; SS^ O^V^^ .;iPerlecto 

evangelio et anunonitione facta ad populum, et confessiphe- popüli aecepta, 
indulgentiam humillime eis fecit." \: :: 'tZ : > :■ ; i ■ 



> ;, ' . -B. Absolutionen 'lobender Personen. 109 

Über die Teilnehmer an den Yerhandlungen von dem Metropolitan 
oderj^dem Diözesanbischofö ■ verrichtet wurden.^ Diese deprekative 
Absolution, mit. der vom > Anfang des. '14. Jahrhunderts an häufig ein 
Ablaß' verbunden' wurde,- wird in den mittelalterlichen Quellen oft 
erwähnt.^, Sie ist bloß als Bittgebet aufzufassen. 

■ , Ähnlich, verhält es ; sich mit der „Absolution", die der Priester 
am (Anfang ider,^ Messe nach derh. Konfiteor erteilt.^ Diese Ab- 
solution, die in deprekativer. Forin mit' den Grebeten '„Misereatur" 
"und ,:Indulgentiam'" gespendet. wird, bedeutet nicht eine richterliche 
wirksame Lossprechung, sondern nur. eine Bitte, ein Wunsch,- Gott 
möge die Sünden nachlassen.* Man findet sie schon mit einigen Ab- 
weichungen, in dem lateinischen Meßformular, das um 1030 für den 
Bischof _ Sigebert von Minden zusamniengestellt worden ist.^ Nach 
■diesem. Formular, soll. der; Priester, wenn das Konfiteor gebetet worden 
ist, den -Ministranten ,, Ablaß"; erteilen.* Die deprekativie Absolution 
am Anfang der ! Messe. -erscheint auch in den von Wilhelm dein. 
Seligen- (f 109^1) ' entworfenen Gebräuchen von Hirsau,'' in dem 
„Micrologus", einer. Schrift, die gegen Ende des 11. Jahrhunderts 
Bernold von. Konstanz verfaßt hat,^ sowie in -andern liturgischen 
Erzeugnissen des früheren Mittelalters.^ 'MerkWürdig- ist die Sitte, 
die:aus,;der Behediktinerabtei, St- Gregor zu Münster im Elsaß be- 
richtet wird. Hier pflegte der Abt jedesmal vor der Messe nach dem 
Konfiteor dem Yolke, die Absolution zu spenden.^" 

,. , Wie bei der Messe, so fand auch beim kirchlichen Stunden- 
gebet, in der Prim und Komplet, ein Sündenbekenntnis mit depre- 
kativer, Absolution statt. Was die Prim anlangt, so wird das Abbeten 
des Konfiteor zuerst erwähnt gegen. Ende des ^ 9. -Jahrhunderts in der 
erweiterten Form der Regel des hl. ^Chrodegang.^^ Die Chorherren 

^ Ordo romanus vulgatus, bei Hittorpius 151 157. Ordo de celebrando 
concilio, bei Harduinus, iConcilia I, Parisiis 1715, '9. 

2^ Vgl. z. B. das Pontifikale des 'Erzbischofs Egbert' von York, nach einer 
Handschrift des 10. Jahrhunderts abgedruckt in Publioations öf the Surtees 
Society XXVIIr (1853).98. , Ein anderes Pontifikale aus dem 10. Jahrhundert 
in Bradshaw Society XXIV (1903) 54. ' 

^ „Eacit absolutionem',', heißt es im Ordo Missae. Missale Romanum. 
Ratisbonae., 1912, .215. , . 

* N. Gihr, Das heilige Meßopferi». ■ Freiburg 1907, 322 f.' Kirchenlexikon 
III. 884. ■ ' , ., ■ . , ' - 

, f Zuerst veröffentlicht im Jahre 1557 von Matthias Flacius Illyrikus, 
daher, „Missa. lUyrica" genannt. vÜber Alter imd Herkunft dieser Messe, vgl. 
, J. Braun inStimmen aus Maria-Laach LXIX (1905). 143 ff. Thalhofer-Eisen- 
hofer,; Handbuch der kath. Liturgik I 143." ' 

?. Migne CXXX VIII- 1310: „Det indulgentiam ministris hanc: Indul- 
gentiam et remissionem etc." .- . . ■ 

' Migne- GL 1016. ; 's Migne CLI 992. 

• J.,Bona, Herum liturgioaruna libri duo. Parisiis 1672, 318 f. 559 f. 

, ^^ Märten e, De ritibus I 655: ,;Absolvat abbas populum dicens: Auctoritate 

qua fungor, absolvo .vos > a vinculo exconununicationis et a peccatis vestris." 

. " S. Bäumer, Geschichte des Breviers. Freiburg 1895, 251. Über das 

Alter des betreffenden Textes,.der Regel.des-hl. Chrodegang vgl. A. Werminghof f 

im Neuen Archiv 1902, 648. ... 



110 II. Mittelalterliche Absolutionen; als angebliche Ablässe. 

spllten sich gegenseitig ein Sckuldbekennthis ablegen und sich die 
Verzeihung der Sünden von Gott' erbitten.^ In betreff der Komplet 
soll bereits der hl. Fruktuosus (f um 665) in seiner MMchsregel 
angeordnet, haben, daß man sich beim Abendgebete gegenseitig äas 
Schuldbekenntnis ablege. ^ Allein' mit dem späteren Gebrauch des 
Konfiteor am Eingänge^ der Komplel^hat jene Anordnung nichts 
gemein. Der hl. Fruktuosus wollte bloß, daß die Mönche -die Fehler^ 
die sie sich gegenseitig vielleicht hatten zuschulden kommen' lassen, 
vor dem, Schlafengeh,en einander verzeihen sollten,^ gemäß der Mahnung 
deS; Apostels (Eph. 4, 26): „Die > Sonne gehe nicht unter über eurem 
Zorn." 

Eine große Verbreitung fand im früheren Mittelalter der Ge- 
brauch, im Anschluß an die Predigt den Zuhörern eine allgemeine 
Absolution zu erteilen. Dieser Gebrauch ist bereits im 10. Jahr- 
hundert nachweisbar. Wie der Absolution, die am vierten Tage der 
Diözesansynode erteilt zu werden pflegte, eine -Predigt voranging, 
und wie der hl. UMch von, Augsburg, bevor er am Schlüsse der Predigt 
die Absolution spendete, das Volk eine allgemeine Beichte (die;offene 
Schuld), ablegen ließ, ist bereits oben erwähnt worden. Von Bischof 
Salomon III. von Konstanz, der zugleich Abt von St. Gallen war 
(•j:i919 oder 920), erzählt der St. Galler. Chronist, wie er einmal in 
St. Gallen an einem Palmsonntag im Freien eine Predigt hielt, an 
deren Schluß er dem Volke „Ablaß" spendete- (indulgentiam dedit).* 
Dieser ,, Ablaß" ist nichts anders als die allgemeine Absolution , die 
uns schon so oft begegnet ist.^ 

,Der Chronist Ekkehard berichtet von einer andern Absolution, 
die einmal den Mönchen von St. Gallen gespendet wurde. Jm Jahre 973 
hatte Kaiser Otto I. mehrere Bischöfe und Äbte nach St. Gallen ge- 



1 Migne LXXXIX 1067. " Bäumer 251. 

V- ?i Migne LXXXVII 1099: „Valefacientes invicem et reconciliationi ac 
satisfactioni alterutrum insistentes, laxant mutuo debita, et pietate prona, qui 
segregatiacoetufraterno obnegligentiamsuamfuerant, merentur indulgentiam." 

* Ekkehardus IV, Casus S. Galli. Mon. Germ. SS. II 90. Neue Ausgabe 
von G, Meyer von Knonau. St. Gallen 1877, JOl. Meyer v. Knonau (ebd. n. 341) 
meint sehr mit Unrecht, Salomon habe den Pönitenten die- bevorstehende Ab- 
solution und RekonziHation in Aussicht gestellt. 

^ Von der allgemeinen Absolution, tind nicht" von einem Ablaß, ist wohl 
auch zu verstehen^ was Cäs arius von Heis te'rbachi (Dial. Vi Sv ed'.^S^ 
,347) von einer Kölner Marienkirche berichtet, Viubi episcopisdh die Pahiiäruiö 
consuetudinis; est f a,cerejindulgentiä^i^'. ^iDasselbe;j§ilt«*vön' der M 
Synode vom Jahre 1233, die verordnete:i,,Statutuin füit in'Cohcilio'M^ 
quoduimp innovandoiprecipimus,^üt episcöpi inCprecip^ 

faciant, vel se presentibus fieri procurent ad popiilümi'. . . et f aciäht in'dülVr^ 
gentiam populo." Zeitschriftifür; Geschibhte des Oberrhfeiris'IIB (1852) 137. 
Das Mainzer 'Konzil, auf das sich die* Synodeyon 11233 'beruft, gehört' wahr- 
•scheinlich der Zeit zwischen 1200 und 1215 aiK-; -Vgl;: !Ij.S teinbörger^iriMitt- 
teiltmgen des Instituts für österreichische G«schichtsf orschimgjXXXI (1 9 10 )■ 6 1 6 f f . 
Am Anfang des 13. Jahrhimderts war; es in ^Deutschland noch' nicht Sitte, daß 
die Bischöfe bei den, Predigten Ablässe erteilten. Deshalb;ist^hierTinter;;indul- 
gentia" die allgemeine Absolution zu verstehen. , ■ l i > ; 1 a ; 



B. Absolutionen, lebender Personen. 111 

sandt, um eine Visitation abzuhalten. Nachdem die Visitatoren, die 
von deV strengen Zucht des Klosters sehr erbaut waren, ihren Auftrag 
erledigt/ hatten, erteilten sie vor ihrem .Weggange den in der Kirche 
versammelten Mönchen, nachdem diese die offene Schuld gebetet 
hatten, den Segen und die Absolution.^, 

Daß nach der Predigt, im Anschluß^ an, die offene Schuld, die 
Ajbsolution nicht bloß, von Bischöfen, sondern auch von einfachen 
Geistlichen gespendet wurde, ersieht, man aus einem Schreiben, das 
ein gewisser A- ^lus Speier an, einen Erzbischof H. gerichtet hat.^ 
Bitter bpklagt sich, .der Briefs.chreiber darüber, daßiethche Geistliche, 
und zwar redliche und, gelehrte Männer, nach der Predigt das Volk 
ersuchen, ein Sündenbeskenntnis abzulegen, und. dann sofort alle An- 
wesenden von ihren Sünden lossprechen. .Durch diese „neue Ab- 
solution" \\^ürde bei der unerffihrenen Menge die Anschauung erzeugt, 
als wäre eine besondere Beichte der Sünden, nicht mehr erfördert. 
Der Erzbischof möge doch die neue Ketzerei in ihrem -Entstehen zu 
unterdrücken suchen. 

Die Befürchtung des Speierer Brief Schreibers war offenbar über- 
trieben. Der neue iBrauch fand die, Billigung, der frömmsten und 
gelehrtesten Bischöfe. Vom hl,,, Me.inwerk, Bischof von Paderborn, 
wird erzählt, wie er im Jahre^ 1016. bei der Konsekration der Kloster- 
kirche von Abdinghof dqm zusammengeströmten ■ Volke - nach einem 
Sündenbekenntnis, Absolution erteilte.^ Von dem hl. Godehard, 
Bischof von Hildesheim, hören wir, wie er im Jahre 1025 nach einer 
Predigt zu Gandersheim das, Volk die offene Schuld beten ließ, um 
es dann yon seinen Sünden loszusprechen.* Bei einer Predigt, die 
der hl, Bardo, Erzbischof von Mainz, im. Jahre 1031 zu Goslar hielte 
ermahnte qr die Zuhörer, ein Sündenbekenntnis abzulegen.^ Wenn 
auch in diesem Falle von einer Absolution keine Rede ist, so darf 
doch die Spendung einer solchen als sicher gelten. Sehr geschätzt 
war der von dem hl. Anno, Erzbischof von Köln (f 1075), erteilte 
,, Ablaß" und Segen.^ 

1 Mon. Germ. SS. II 132. Ausgabe von Meyer v. KJaonau 381: „Pergunt 
tarid,em in ebclesiam. ad dandas abeunjbibus prosperae sviae, preces abbas cum 
fratribus et reeipiendas a tot episcopis benedictiones, data prius confessione, 
et a stolatis remissione," , 

, 2 Martene, CoUectio I 367; ff. IMfigne CLI 693 ff. Martene meinte, der 
Brief sei an Erzbischof Heribert von Köln.(999-T-1021) gerichtet. K. Hampe 
dagegen (Neues Archiv für ältere Geschichtskunde XXII [1897] 379) ist der 
Ansicht, der Schreiber sei der SGholastiki:is Adelmann von Lüttich, der Empfänger 
aber Erzbischof Hermann IL, von Köln (1036t— 56). 

^ Mon. Germ. SS. XI 132: „Ipsa autem die dedicationis eins, per salutarem 
confessionis penitentiam generalem absolutionis episcopus poptdo tribuit indtd- 
gentiam, proponens eis in serrnone etc." 

* Mon. Germ. SS. XI 188:, „Post lectrnn evangelium doctvirus populum 
processit et sermone habito . . . accepta circumstantium confessione impertitaque 
criminum remissione ad altare rediit." 

5 Mon. Germ'.' SS. XI 335. 

' Mon. Germ. SS., XI 470. In seinen Predigten ermahnte er „omnes in 
commune ut se reos clamarent, ac pro totius, mundi necessitatibios communem 



112 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe. 

Die Sitte, daß nacli der Predigt eine allgemeine Beichtformel 
oder die offene Schuld vom Volke gebetet wurde, worauf dann der 
Prediger die Absolution erteilte, fand' seif dem 11.' Jahrhundert eine 
immer größere Verbreitung.^ Die allgeineine Absolution,' gewöhnlich 
„Ablaß" oder „Antlaß" genannt, wurde in der Regel mit den bekannten 
Worten gespendet: ,.Misereatur etGi^, Iiidulgentiam etc.", wie dies aus 
verschiedenen alten Beichtformeln hervorgeht.^ dasselbe bez'ejigt in 
der ersten Hälfte des 12. Jahrhunderts Honorius Au-güstodunensis , 
der nicht unterläßt, darauf aufmerksam zu machen, daß man, falls 
man Todsünden auf dem Gewissen habe, sich mit der allgemeinen 
Beichte und der damit verbundenen Absolution nicht begnügen dürfe, 
sondern nach wie vor verpflichtet sei, die schweren Sünden im ein- 
zelnen zu beichten*.^ Ähnliche Erklärungen finden sich in einer 
deutschen Beichtformel, deren Verfasser die Schrift des Honorius 
benutzt hat,* und in" den um 1260 erlassenen Statuten des Passauer 
Bischofs Otto von Lonsdorf.^ ' ^ 

Von der im Anschluß an die offene Schuld erteilten Absolution 
muß wohl unterschieden werden der eigentliche Ablaß, der hier und 
da nebst der allgemeinen Absolution erteilt wurde. So heißt es z. B. 
in einer vatikanischen Handschrift nach Erwähnung der allgemeinen 
\ Absolution: ,,Die das'Gotteswort^gehört haben' mit rechtem Glauben, 

die empfangen zum Tröste ihrer Seele so manchen Tag ihrer gesetzten 
Buße."^ Die Zahl der erlassenen Bußtage ist hier nicht näher be- 
stimmt, weil diese Bestimmung von dem Wülen der kirchlichen Oberien 
abhing, die für die Anhörung der Predigt 10, 20 oder noch mehr Tage 
Ablaß erteilen konnten. In Rom, wo es ebenfalls Sitte war, daß am 
Schlüsse der Predigt ein allgemeines Sündenbekenntnis abgelegt und 
die Absolution gespendet wurde,' läßt sich die Erteilung eines eigent- 

, dominum invocarent (Offene Schuld und allgemeines Gebet!) . . . Ab exteris 

etiam et remotioribus provinciis ob solam indulgentiae et doctrinae eius famam 
plurimi confluxerant, omnibus deliciis praeferentes Annonem audire, divitias in- 
comparabiles aestimantes eius indizlgentia relaxari, eivts benedictione praemuniri." 
^ Mehrere solcher allgemeiner Beiohtf ormeln mit der damit verbundenen 
Absolution! siiid abgedruckt bei K. Müllenhof und W. Scherer, Denkmäler 
deutscher Poesie :undJProsa aus dem 8'. bis 12. Jahrhundert. 3. Ausg.- Berlin 
1892, I 287 ff.; II 430 ff. E. v. Steinmeyer, Die kleineren althochdeutschen 
Sprachdenkmäler. Berlin 1916, 354 ff. Vgl. Fr. Hautkappe, Über die alt- 
deutschen Beichten' und ihre Beziehungen zu Cäsarius von Arles. Münster 1917, 
116 ff. [Forschungen und Funde IV, 6]. 

2 Müllenhof I 311 315 318; II 457. Steinmeyer 348 356 360. 

3 Oben S; 66. ; 

* Müllenhof I 315; II 454. Steinmeyer 361. 

•^.U.Schmid, Walhalla V, München 1909, 150: „Sacerdotes bene debent 
instruere populum,: quod oonfessio illa generalis, que interponitur symbolo, 
quando plebi predieitur, non diluit nisi peceata venialia et non mortalia, nisi 
fiat cum contricione specialis confessio et ciuii intehoione satisfaciendi." 

«Müllenhof H 459. 

' Thomas von Aquin bezeichnet diese Sitte geradezu als „römisch": 
„In quibusdam absolutionibus quas Ecclesia facit in Prima et in Completorio, 
et post praedicationem secundum morem Romanae Ecclesiae, et in 
die cinerum et coenae Domini." De forma absolutionis, cap. 2. Opera' XX 450. 



B. , Absolutionen lebjsnder Personen. • ^ ' 113 

lich,en Ablasses,, in Yerbindimg.init.der allgemeinen Absolution bereits 
im 12. Jahrhundert nachweisen.^ / ,, •. }i . , 

.> .Im Laufe; des 13. Jahrhunderts ;Wurde es üblich,., daß auch die 
Bischöfe bei , den nfeierliehen, Hochämtern: am Schlüsse der Predigt 
nebst. der, allgemeinen <Absolu;bion, einen partiellen Ablaß erteilten. ,In 
wel9her :)^ei,se dies zu, geschehen .pflegte, schilde;rt ,W. Durantis in 
seinem yielyerbreiteten Liber Pontäiealis;^, der ;z wischten 1292— 95,enbr 
standen ist.' , Noch ausführhcher handelt darüber das römische Pontifi: 
kale, das zuerst Augustinus Patritius Piccolomini und Johann Burchard 
im. Jahre 1485 zu , Rom /herausgegeben haben.* Daß, .der. alte Brauch 
heute noch fortbesteht, sei nur, im 'Vorübergehen bemerkt:^, , 

Nicht >nur in dem- Pontifikalainte, auch ,b,ei, andern Gelegenheiten 
wurde bis\Yeilen mit der Ve:^kündigung von Ablässen die .offene .Schuld 
und die. allgemeine Absolution verbunden. Durch reumjitiges Sündenr 
bekenntnis sollten die Gläubigen, sich auf die Gewinnung des Ablasses 
vorbereiten. Zu Volturno z.. B.,in Süditalien, ;wurde bpinisKirphweihr 
feste . zuerst der , zu- gewinnende Ablaß • yerkündigt ; , 'dann ! .wurden , die 
Gläubigen aufgefordert, die offene Sphuld zu beten, w,orauf /ihnen ,der 
Priester die Absolution erteilte.^. ,, > > i ' .- > . 

d) Allgemeine Absolutionen ffir verdienstlicbe Lefstannen. , 

f\, Den generell erteilten. Absolutionen ,bei verschiedenen kirchlichen 
Anlässen reihen sich, die Absolutionen an, t die für j besondere verr 
dienstliche Leistungen generell (gespendet wm-den. Zunächst sind 
die. Verheißungen zu besprechen/ womit man die. Beobachtung des 
Gpttesf;riedens,zu fördern suchte.^ Nach verschiedenen Versuchen 
südfranzösischer. Bischöfe,,, dem Fehdew:esen s und, dem, Faustrechte 



Den Brauen der römischen Kirsche bezeugt; die kurz, vor 1145, verfaßte, von 
^L. FiscHer herausgegebene Schrift: Bemhardi 'Cardirialis et'Lateranensis Eo- 
clesiae-prioris Ordo ' of f ioium ' Ecclesiae lateranerisis.'^ MüncKen 1916, 78"' 82 
[Historische Forschxingen und, Quellen. , 2. ü. 3.<Heft]ii ■> 

^ Vgl. in Abschnitt. 'XXVI die Ablässe der römischen Kirchen. 

2 Die betreffende Stelle ist aus dem noch imeedruckten Pontifikale mit- 
geteilt von Marten'e,'De ritibus I 381: ,,Praedicatiöne finita,'fit confessio gene- 
ralis vel per diaconum ' vel' 'per sacerdo'tem * riiihistrum,' populo devote genua 
flectente et eademtacite dicente. Confessidne facta, ooncedit indulgentiam, 
set demum mitr^a sibi,per diaconum ,deposita, ,faoit absolutionem." In seinem 
oft gedruckten Bationale di^inorum officiorum ^(Lugduni 1516, 52) spricht 
Durantis nur von der allgemeinen 'Absolution, nicht vom Ablaß, weil er hier 
.den , Gottesdienst .schildert, wie er ,von einfachen - Priestern,- die ;keinen Ablaß 
erteilen konnten, gehalten wurde: „Post praedicationem fit confessio et indul- 
gentia pro commissis et omissis conceditur, ut sie conscientiis emundatis', aceedant 
.singuhi'ad communionis sacramentum, quod mox in missa vel saeramentaliter 
-vel spiritualiterirecepturi simt."^ 

^ P.' B gitif f ol , Le Pontif icaLde G. Durand, in Bulletin d'ancienne litterature 
et d'archeologie^chretiennea ,11 (1912) 290 ff; III (1913) 142. 

, <? Liber Pontificalis. Romae 1497, 211 f. 217. Über dies Werk vgl. B atif f ol, 
Bulletin II 134 ff. , , . 

^ Caeremoniale episcoporum, lib. I, cap. 25. Ratisbonae 1902, Vgl. dazu 
J. Oatalanus,' Caeremoniale, episcoporum I, Parisiis 1860, 486 ff.' 

" Muratori, Scriptores I>2, 517. f.' 

Paulus, Geschieht« des Ablasses. 8 



114 II. Mittelalterliche Absolutionen 'als angebliche Ablässe. 

durch; Friedensbündnisse Eiiihalt.zu'tun^' würde der -Gottesfriede 'kurz 
vor der Mitte des 11. Jahrhunderts zuerst in Frankreich aufgerichtet 
und -verbreitete sick 'bald nachher auch über die benachbarten Lander. 
Gleicli am Anfange wurde denjenigen; welche die Friedehsbestrebuhgen 
unterstützen würden, die Verzeihung der Sünden in Aussicht ges'tellt', 
so in dem Schreiben, das um 990 Bischof Guy von Le'Puy mit einigeii 
äiidern Bischöfen an die Gläubigen 'gerichtet 'hat.^ ' Hiermit 'wurde 
äberkein Ablaß erteilt; es wurde bloß die Überzeugung' zum 'Ausdruck 
gebrächt, daß' man durch die gewissenhafte Beobachtung des Friedens^, 
als 'durch ein frommes, Gott wohlgefälliges Werk- -die Verzeihung der 
Sünden erlangen könne. Andere' Synoden begnügten* sich, 'den Bedb- 
ächitern der Friedensmaßregeln den Segen Gottes' 'anzuwüris'chen, so 
iäie Synode von Anse bei Lyon im Jahre 994, und diejenige' vön'-Elna 
im 'Jahre 1027 oder 1047.^ Deutlicher spricht sich die Syiiode voii 
Limoges im Jahre 1031 aus. Im Namen" Gottes ^erteilt'sie jefien, die 
den Frieden halten werden, die 'Absolution der Sünden", während den 
Friedensstörern die Exkommunikation angedroht wird.^ ' Daß 'aber in 
diesem Falle die Absolution', ' wie sonst- oft in frührtiitMalterlichen 
Kundgebungen, nur als Segenspendurig' aufzufassen sei,* ergibt sich aus 
der eigenen Erklärung der Konzilsväter. , Am Schlüsse der ersten 
Sitzung' feteUte e'iner der Bischöfe den" 'Antrag,* daß alle Teilnehmer 
miteiinander in die Kirche sich ' begeben ' sollten, um dort dem ^ Volke 
-die gefaßten Beschlüsse zu 'verkünden und den Liebhabern des -Friedens 
■den Segen (benedictionem) zu verheißen, die Friedensstörer' aber mit 
demiiFluche zu bedrohen.^ Dieser Aufforderung wurde 'Folgen geleistet, 
iln« der Kirche 'hielt dann der Bischof von'Liinoges während des Amtes 
nach dem ' Evangelium eine Rede, worin er- den* Beobachtern' 'des 
Friedens die erwähnte Absolution in Aussicht stellte, die^ Friedens- 
brecher aber mit deni Fluche bedrohte. Einige, Jahre spater, z'wiscfien 
1037— 41, erließen Erzbischof Raimbaud von Arles,i die j Bischöfe 
Benedikt von Avignon und Nittard von Nizza, mit dem Abt Odilo 
von Cluni, im Namen' des französischen Episkopats ein Schreiben an 
"deii Klerus von Italien, um zur Haltung des .Gottesfriederis aufzu- 
fordern. In dieser Zuschrift wird den Freunden des Friedens, die 
.Absolution in Aussicht gestellt: Jene, die den > Gottesfrieden halten, 
sollen von Gott, von aUen Heiligen und Gläubigen jetzt und immerdar 
absolviert sein. Wir segnen und absolvieren sie alle.^ 

■; -■■■■ ■■-■: ° II' 

. /^ Gallia Christiana II. Instrum. 226: „Ut remissionem pecoatoruin 
-vestrorum consequi valeatis, procurante D. N.> lesu Christo." > 

!; 2 Mansi XIX 102 484. ' 
: i i ^ Ebd. 530: „Haec qui observaverit, tanquam filio pacis,' immo' Dei, a D. 
N. lesu Christo et sanctis apostolis eius, absolutionem oonferimus pecca- 
torum et benedictionem aeternam; ut sicut Dominus beato Petro . . . caeterisque 
apostolis virtutem atque potestatem ligandi atque solvendi tribuere dignatus 
. est, ' ita a pecoatorum nexibus absolvere dignetur eos, qui de pace et iustitia 
Deo et nobis, qui eius vice licet indigni fungimur, obedire festinaverint." 
* Ebd. 629. 

^ Ebd. Ö94 f.: „Quicumque hanc pacem et treuvam Dei observaverint 
ac firmiter tenuerint, sint absolut! a Deo ... de S. Maria cum ohoris virgiuum 



■-.' j/^ Bi 'Afesolutidrien' lebender 'Per'sbnen.'' ''< ■^•- ■- llS- 

! ' "Wenn der Mäilände'/ Chronist Länäulf; der 'offenbar däS^Schreiben, 

der frarizösischen 'BiscHöfe' gekannt ^hä't; 'berichtet,' den Förderern des- 

.Friedens "sei' '.verheißen' worden,' • daß" sie durch'die Barmherzigkeit 

Gottes;'-v:önfällen''Sün:den'befreit'werden'Sollen,'^'so wiederholt er^nür^ 

was ' er ■ in -'seiner Vorlage gelesen ' hattel ' Wie '< man ■ aber' in^ Italien ' die- 

verheißene* ) Absolution auffaßte,'' 'zeigt - das'' 'Schreiben, '' welches ' deir" 

lömbardische Klerus im Anschluß an die' aus .Frankreich gekömriiene 

Auf f orderung 'erließ : es wird darin' den Beobachtern' des Friedens 'bloß 

der- göttliche- Segen* in Aussicht gestellt.'^ Auch in' den' 'Aufforderungen 

zur Haltung des Friedens; die im'- Jahre 1042 in der 'Normändie^ und 

einige Jahre später in der'Biözese Therouanne^ erlassen wurden,* ist 

nur .von Segen die' -Rede. Dasselbe 'gilt von dem- Dekrete der Synode 

von Narbonne aus dem; Jahre 1054^ «und einem Hirtenschreiben Ivos 

vonChartres aus dem- Jahre '1095'' oder 1096.® Dagegen stellt eine 

spanische, in, der, zweiten, Hälfte, des 11. «lahrhunderts zu, Ausona. 

gehaltene Synod^e iwie^der j im . aUgemeinen>^ die j ^Verzeihung der ; S^iinden. 

in Aussicht.'? Erst , gegen . Ende des IL. Jahrhunderts wurden den 

Förderern , der Friedensbestrebungen,' Ablässe, verliehen.-- ' 

, -Es ,sind.je|bzt np.ch die Absolutionen zu besprechen,, die, häufig 

von Bischöfen den Wohltätern von Kir,chen , und Klöstern 

verheißen oder erteilt wurden. In mittelalterhchen.Schenkungs- 

Urkunden wird sehr, oft, dem Gedanken Ausdruck gegeben, daß man 

durch Almosen und, fromme Stiftungen leichter yon Gott die Nach- 

lässung der ^S.ünden, erlangen könne, . , Daher kommen- in diesen ,XJr- 

künden so häufig Formeln, vor wie die, fplgenden: ,,,Pro,,remissione'', 

oder „pro'absolutipne^'',, od,er „pro, resdemptione .peccatprumjmesorum"; 

„ut indulgentiam. peccatorum meorum.v obtinere merear." ■ Auch die 

kirchlichen Oberen stellten öfters bei Aufforderung zur Unterstützung 

religiöser Anstalten den Wohltätern ,die Verzeihung ihrer Sünden in 

Aussicht.' Biiien Ablaß wollten sie darnit' nicht erteilen, sondern. bloß 

auf die siindehtilgende Kraft der Almosen hinweisen. Auch wemi 

sie dem Almosenspe'nder die Nächlassung der Sünden nicht bloß ver- 



et de S. Miohaele cum choris angelorum et de S. Petro princip® apostolorpm 
cum omnibvis sanctis etlfidelibus cunctisnuno et semper et per omnia saecula 
saeculorum . . . Omnes, qui hano pacem et Dei treuvam amaverint, benedicimus 
et absolvimüs, sicut 'superius dictum est." • 

1 Mon. Germ. SS. VIII 68. 

2 Mon.iGerm. Legum Sectio IVi Tom.'I'(1893) 598: „Benedict! sint a Deo." 

3 Mansi XIX 599. 

, * Mon. Germ. Leg. Sect.'lV."I' 601. ■ ' "^ 

; 5 Mansi i XIX 828: „Benedictionem sempiternäm ab ipso lesu Chrigto 

Domino et salvatore nostro percipiant." Lea 55 sieht in dieser Verheißung eine 

' Art Ablaß von Sehidd und Strafe : „This is a sort of precatory indulgence a culpa 

et a poena, forno repentance aiid confession are prescfibed — the mere fact of 

not violating the truee is represented as sufficient to counterbalance all sins." 

« Migne CLXIIi57. > 

' Villanueva VI 323: „Deus gratiam 'suae benediotionis illi praebebit; 
et per hanc observationem remissionem ' omnium peccatorum suorum habere 
poterit." ' - ■ ' . • , ■ ' 

8* 



116 II. Mittelalterliche Absolutionen als angebliche Ablässe. 

heißen oder anwünschen, sondern ihm, ausdrücklich , eine Absolution 
erteilen, darf man .diese Absolution nicht; ohne weiteres als Ablaß 
betrachten. Sehr oft ist es nichts anders als eine Fürbitte oder, ein 
besonderer Segenswunsch, wie wir in den vorangehenden Ausführungen 
öfters gesehen haben. rEs sei hier nur noch auf- eine bemerkenswerte 
Formel in Schenkungsurkunden aufmerksam gemacht. ' Öfters heißt 
es in diesen Urkunden, man mache diese oder 'jene Stiftung,, um Vom 
hl.Petrus absolviert zu werden, „ad obtiriendam S.Petri absolutibnßm''.^ 
Es ist klar, daß unter dieser vom. hl. Petrus gespendeten Absolution 
nur eine Fürbitte verstanden werden kann,-. wie ja auch in; manchen 
Urkunden ausdrücklich von Fürbitte die Rede ist.^ Dieselbe Be- 
deutung hatten öfters die Absolutionen, die von ;Bischöfen den Wohl- 
tätern religiöser Anstalten gespendet wurden. Etliche dieser Ab- 
solutionen sollen hier in chronologischer Ordnung ■ auf geführt werden. 

In dem 977 von Bischof Miro von Gferona und ändern Bischöfen 
unterzeichneten Stiftungsbrief der Benediktiner abtei 'St? Petrus' in 
Besalu wird der Wunsch ausgesprbclien',' daß die. Wohltäter des 
Klosters durch Vermittlung 'des hl. Petrus aller" Süiiäen Ißdig wef4en.^ 
-Derselbe Wunsch wurde im JaKre 1003 bei'dbr Einweihung der Abtei- 
kirche von andern Bischöfen wörtHch wiederholt.* Die Bitte, daß 
Gott den Wohltätern alle ihre Sünden erlasseh möge, findet sich 
wieder in der Konsekratiohsufkünde eines andern spanischen Klosters 
(monasterium Lavacense) vom Jahre 1017.^ Etwas anders' läutet die 
Urkunde, welche die im Juni 1035 zu Cüxa in der Grafschaft Roussillon 
versammelten Bischöfe zugunsten dieser Abtei ausgestellt habisni'mit 
der Erteilung des Segens verbiii(ieh"die Bischöfe die 'Bitte" an' Gott, 
er möge die Wohltäter des' Klosters von jeglichein Bande der Sünden 
befreien.^ ■ ' ^ 

Daß es damals etwas ganz Gewöhnliches war, „Segen" und ,, Ab- 
solution" miteinander zu verbinden, zeigt eine andere Urkunde vom 
Jahre 1035, "v^orin der Erzbischof Leger von Vienhe den Insassen 



^ A. Bruel, Recueil des Chartes de Cluny III, Paris 1884, 1: „Spem 
in'divina miseratione constituens et intercessione S. Petri . . . dispono aliquod 
elemosine facere, que ad obtinendam aetheri clavigeri absolutionem . . . mihi 
valeat prodesse." Vgl. III 80: „XJt me S. Petrus- . , . absolvat ab omni vinculo 
peccatorum meorum." 

2 De vi II 215; ,,Ut nostrorum peccatorum vincula praefatorum sanctorum 
intercessionibus absolvantur." 

^ Marca 921: „A Domino lesu Christo, suffragante eodem apostolo 
(Petro) . . . potestate sibi tradita ab omnibus solvantur suorum vinculis pec- 
catoriun." 

4 Villanueva XV 269. 

^ Marca 1013: „Dimittat illis peccata illorum, praeterita, praesentia et 
futura." 

« Mabillon, De re diplomatica. Parisiis 1709, > 616. Mansi XIX 575: 
„Qui hunc locum exaltaverit vel de suis benefioiis honoraverit et defenderit, 
himc de parte omnipotentis Dei et omnium Sanctorum eins et nostra benedicimus, 
et ut illum Dominus ab omni vincvdo delictorum absolvat, oramus." 



u'' B,> ''Absolutionen lebender Personen. "' - > 117 

eines Klosters, die ^' seine Vorschriften ' befolgen würden, den Segen 
und die'<Absolution' der-^ Sünden* erteilt.! .' •- 

' Im' Jahre 1052 gründeten einige Gläubige^ „pro remedio animarum 
suarum süoruinque'parentuni' et absolutione su'orum peccami- 
rium", 'eine Kirche ^uLa Motte, in der Diözese Frejus. Erzbischdf 
Raimbaud' von Arles und -Bischof Bertrand!' von Frejus - bestätigten 
die Stiftung^ und stellten dabei den -Wohltätern der neuen Kirche 
diei' Verzeihung' der- Sünden in Aussicht.'' Ein Ablaß wurde damit 
nicht erteilt; Die Bischöfe^ bekräftigten bloß mit ihrer Autorität den 
Glauben, daß 'man- durch' ; fromme Stiftungen (üe- Verzeihung der 
Sünden, erlangen könne; Wenn sie dabei als Bedingung eine' reu- 
mutige Beichte aufstellen, so betonen sie nur; was in 'mittelalterlichen 
Quellen-öfters hervorgehoben wird.^ ■ ' ■ . -^ ^ 

Bloß als Fürbitte und Segenswunsch ist die Absolution zu be- 
trachten, die 'im' Jahre 1056 eine auf ^Befehl- des Papstes Viktor II. zu 
Toulouse. ^abgehaltene Synode den Wohltätern der Abtei Moissao 
erteilte.* 'Dasselbe gilt voii der Absolution, die Bischof' Bernhard 
von Urgel in den Jahren 1079 und 1080 den lebenden und verstorbenen 
Wohltätern' zweier Kirchen 'gespendet hat.^ ' ' 

' Ein bloßer Segenswunsch war es, wenn bei der Konsekration der 
Kirche von Gissöhä "(Diözeseürgel) im Jahre 1099 die anwesenden 
Bischöfe für die Wohltäter) des neuen' Gotteshauses die Nächlassung 
der- Sünden' erflehten.* - Auch die öfters vorkommende allgemeine 
Verheißung' der Verzeihung der 'Sünden hat mit dem Ablaß nichts 
gemein. So forderten z. B.-im Jahre 1086 die Bischöfe bei der Ein- 
weihung der Kirche von Balnebl die Gläubigen auf, am jährlichen 
Kirchweihfeste die neueingeweihte Kirche zu besuchen,- um von Gott 
die Verzeihung der Sünden zu erlangen.' Als im Jahre 1097 die Mönche 
von Farf a ihr Kloster neu aufbauen wollten, erließen sie einen Aufruf, 
worin sie allen Almosenspendern die Verzeihung^ der Sünden, die sie 



^ U. Chevalier, Cartulaire de l'abbaye Saint-Andre-le Bas de Vienne. 
Lyon 1869, 153: „Observantibus hec et communem."vitam regülariter deside- 
rantibus benedictionem et peccaminum absolutionem damiis." 
' • " Guer ard,' Cartulaire de Säint-Victor I '650: ',7Decreverunt ut quicunque, 
confitens e.t penitens suorum peccaminumj venerit ad hanc domum eamque de 
suis bonis ditaveritet honoraverit, intercessioiie sanotorum'martirum, quorum 
nomine' sacrata " est;' suorumque auctoritate veniam hinc ab omnipotenti Deo 
sciat se promereri et omnium benef actorum et orationum f idelium servorum Dei 
in cenobio S. Victoris degencium partem habere in secula seculorum." 

^ Als im Jahre 1209 Bischof Hugo von Coutances zur Unterstützung eines 
Spitals ■ aufforderte, bemerkte er: „Per , . . misericordiae opera . . . peccata . . . 
post veram cördis contritionem orisque confessionem credimus relaxari." Gallia 
Christiana XI. Instrumenta 263. 

i ' * Mansi XIX 866: „Adiutores et benefactores'consequantur benedictionem 
et absolutionem pontificalem." 

5 Oben S. 54. ^ ' ' - 

■ ^ Maroa 1211: „Benefaeie'ntibus sit salus et pax et peccatorum remissio 
et supernae ha'ereditatis adquisitio. "■ 

' Marca 1183: „Omnes simul conveniant ad praelibatam e'cclesiam, vib 
a Deo remissionem et absolutionem suorum peceaminxim percipere mereahtur." 



118 II. Mittelalterliolie 'Absolutionen als angebliche Ablässe. 

■wahrhaft bereuen, iwürdenj^yerhießen.^,. .Um ,,die- vollkommerie!Nach^ 
lassung aller seiner Sünden" zu . erlangen, i bestimmte ider^'^Abt) selbst, 
Berardus II., daß >verschiedeiie seinem- Einkünfte. für. den Neubaul ver- 
wiendet werden, sollen.^ ,;Bei einerr^Kirchenkonsekration im (Jahre 1112 
Stelltender Bischof -von Bar.celQna und .dessen^ Kanoniker, den Wohl- 
tätern der Kirphe die .Nachlassung, der; Sünden ^ in /Aussicht.^ ,'Eiiie 
ähnliche Verheißung machten' ,um 1138*der Bischof von Magüelone 
den ilnsassen' eines /Leprosenhauses für.; den Fall;; daß. sie. die .vonahm 
erlassenen Statuten genau bef olgten,! und im Jahre 1142 die Bischöfe 
von Barcelona und Ausona den -Wohltätern einer Kiröhe inAlfolz.* 
^> Weiter nichts als eine SegenspendungfUndeine .Fürbitte umiNach- 
lassung der Siinden enthält _auch,,das Privilegium, das im! Jahre. 1120 
Bischof Burchard von Ca m br ai i zugunsten der ► Mitglieder ieiner 
Bruderschaft in St. Ghislain ausgestellt- hat!* w" i,, ;* 'i- 

; , ©aß unter der. Absolution, "die, im früheren, Mittelalter so häufig 
erteilt wurde, oft- nur- ein' Segenswunsch zu verstehen ist, »zeigt > mit 
besonderer Deutlichkeit eine .bischöfliche Urkunde aus-Sü'dfrankreich.^ 
Im Jahre. 1157 fand die Konsekration- der ineuerbäuteii .Kjrchel von 
Notre-Dame d'Arles in Eoussillon statt, i Indem; die anwesenden 
Bischöfe bei dieser Gelegenheit die Besitztümer, und die ,Brivilegien 
der Abtei bestätigten, erteilten sie; allen, welche die Rechte' des Klosters 
achten würden, den Segen und die .Absolution: „Quicünque adiutor 
et v.defensor nostrae constitutionis extiterit, ex parte Dei^omnipotentis 
etrjb. , virginis Mariae et nostra. benedicimuS' euni/et' absolvimus 
perenniter."' Wie aber diese Absolution zu verstehen,. sei,, ergibt 
sich aus der Urkunde, die- etwa hundert, Jahre früher (1046) ebenfalls 
bei der Konsekration , der Kirche von Notre-Dame d'Arles von mehreren 
Bischöfen ausgestellt worden war. In. dieser Urkunde heißt es nämlioli: 



1' Giorgi, Regesto di'Parfa V' 156: „'Qtiictmque'huio sancto operi aliqiiod 
adiutorium fecerit, peccatorum suorum remissionem, de quibus veram poeni- 
tentiam habuit vel habiturus est, per merita beatae Mariae et sibi assidue ser- 
vientixun famulorum orationes optinebit." ,, ^ 

2 Ebd. 158. 

3 Marca 1237: „Cunctis ei iusta servantibus et benefaoientibus remissionem 
peccatorum per Dei gratiam promiserunt." ., 

* Gallia Christiana VI. Instrumenta 365: „Si.haec mandata . . . observa- 
veritis, remissionem omnium peccatorum vestrorum et vitam aetemam de Domino 
lesu Christo habebitis." 

^ Villanueva XVII 320: „Benefaoientibus absolutionem peccatorum per 
Dei gratiam promiserunt." 

• Reiffenberg, Monuments pour servir ä l'histoire des provinces de 
Namur, de Hainaut et de Luxembourg VIII, Bruxelles 1848, 348: „Caritatem 
in honore apostolorum Petri et Pauli et b. Gisleni ibidem constituimus , eo 
quidem tenore ut qxiicumque pro anima sua eiusdem Caritatis , confrater vel 
consoror esse voluerit, indulgentiam et absolutionem etrP.eccatprurn remissionem 
atque benedictionis nostrae plenitudinem obtineat." Man beachte, daß det Bischof 
die Formel der mit dem Konfiteor verknüpf ten allgemeinen 
„Indulgentiam, absolutionem et remissionem, peccatoruniyyestrorünxft^^ 
yobis .. > . Dotnimis.": ..;;. ■t\ ^:. ^.-^v,: ]:::.':.■ •';■'/;:;':;;;'],,; x^-:i:ii:\';,..- '. 

' Marca.1322.. ,";..,,,.' . ,- .:;,:.,:.;:;. .^;. ,,^\;vo;,.:.;;j,-:U -/.i; 



B. Absolutionen lebender Personen, 119 

„Si <iuis liuius nostrae constitutionis adiutor extiterit, hrnic de parte 
Dei omnipotentis et b. Mariae virginis et nostra benedicimus et ut in 
perpetuum salvus maneat peroptamus."^ In beiden Fällen 
wollten offenbar die Bischöfe demselben Gedanken Ausdruck geben. 
Während aber die einen einen Segenswunsch aussprechen, erteilen die 
andern eine Absolution. ... ^^ 

Wie häufig im Mittelalter ■ dlfe Aüsdrüdke „Segen" und „Abso- 
lution", als.. gleichbedeutend, gebraucht, wurden, ersieht man auch aus 
dem ,;Liber Lähdäverisis",' einem um die Mitte des 12. Jahrhunderts 
zusammengestellten tJrkundenbuche der Kirche von Llandaff in Süd- 

wales;^"!" ''* ■ " ' " ^' ' ' ' '\ ''' \ •", ' '" ' ■"' 

' ' 'Hieraus" 'ergibt sich,' wie sehr man'-irregehen -wiirde, wollte man 
ähnliche -Absolutionen^ des- früheren. Mittelalters- ohne 'weiteres als 
Ablaßfeewilligungeii 'betrachten. >■ ■. ' ' ^ ,' ' 



'^ Mafca 1090 f.'' Dieselbe Formel findet sich in der Konsekrationsurkunde 
der Abteikirche, .vpn> Ripoll aus^ dem, Jahre 1032 (Marca 1052), von Palera aus 
dem, Jahre '1085 (Espafia sagrada ,XLIV, S. XV), von Balneol aus dem Jahre 
1086 (Espana sagrada X-LIII 444)., ., u. . - 

'' " »'The Text'ofibhe'Book-ofLlan'Däv, by'.J. G. Evansl^ Oxford 1893. Am 
Schlüsse der 'Vom^'Köinpilatori überarbeiteten Schenkungsurkmiden* heißt es oft: 
„Quieunque'icustodierit;(,benediotus sit"; oder: i„I)ata benedictioiie ,omnibm 
servaturis haue, donationem'*. S. 232 233<23ö 237 2,73., öfters lautet auch der 
Schlußsatz: „Quicunque oustodierit, sit absolutus a peccatorumsorde"; oder: 
jiFactä absolutibne omnibus seivaturis hanc elemosinäm". Sl' 236,237 272 275. 



1 f > 






. /> ■ ' i 



III. Die Formel: 
In remissionem peccatomm iniüngimus. 

Wie die im vorangehenden Abschnitte besprochenen Absolutionen, 
so hat auch die Formel '„in remissionem peccatorum iniungimus" eine 
verschiedenartige , Deutung gefunden.. Einige haben^darin eine positive, 
Sündenvergebung finden wollen; andere haben sie als AblaßbewiUigung 
aufgefaßt ; wieder andere meinten, es sei kaum mehr als eine „rhetorische 
Floskel' ',i,:eine geistliche Höflichkeitsphrase,' der (jeder tiefere Sinn ab- 
handen gekommen wäre:'* Die Bedeutung der vielbenutzteri Formel 
\vird' leichter zu bestimmen 'seih,' wenn" z^ vor gezeigt wird, welchen? 
pebrauch die Päi)ste davon im 11. und J2.VJalirkühdert'gemacht habe^ 

Schon imi früheren Mittelalter,,, wie oben bemerkt worden,^ kommt 
in Schenkungsurkunden für Kirchen und Klösterüdie Formel -„in 
remissionem peccatorum meoruin" oder-,, pro' remissiöne; peccatorum 
ineorüm" überaus' häufig vor.* Die , Gläubigen ' bekünäeteh damit 
ihren Glauben an die sündentilgende Kraft der guten Werke. In 
päpstlichen Schreiben erscheint indessen die eigentümliche Formel „in 
remissionem peccatorum iniungimus" erst in der zweiten Hälfte des 
11. Jahrhunderts. 

Von Leo IX. wird berichtet, er habe die Formel gebfaucht im 
Jahre 1049 in einer mündhchen Anrede, um den Grafen Adelbert "von 
Calw zu bewegen, die von dessen Vorfahren der Abtei Hirsau ent- 
rissenen Güter wieder zurückzuerstatten. Dieser Bericht unterliegt 
jedoch berechtigtem Zweifel, da er erst am Anfang des 16. Jahr- 
hunderts bei Tfithemius sich Vorfindet.^ Daß .aber die Formel bereits 
um die Mitte des 11. Jahrhunderts bekannt war, zeigt der oben 



^ Lea 58 n. 4. . 

^ So L. K. Goetz, der in Revue internationale de theologie II (1894) 
302 ff. 431 ff. eingehend von der Formel handelt. Vgl, 448. Anfänglich habe 
jedoch die Formel eine tiefere Bedeutung gehabt: „Wie der Text, ■ besonders 
zu Beginn des Gebrauches des Ausdrucks, deutlich zeigt, war es seitens des 
Papstes nur ein Aussprechen der Überzeugung, daß derartige Werke, für die 
Kirche getan, bei Gott Sündenvergebung erwerben." S. 447. 

3 Oben S. 59. 

* Vgl. z. B. eine Schenkung für das Kloster Weißenburg vom Jahre 7,74: 
„In amorem domini nöstri lesu Christi et remissionem peccatorum meorum", 
oder eine Schenkung vom Jahre 951 für das Straßburger 5([ünster : „Pro remissiön© 
peccatorum nostrorum." ürkundenbuch der Stadt Straßburg I 9 31. ' 

^ Trithemius, Annales Hirsaugienses I, S. Galli 1690, 190: „Haec tibi . . . 
authoritate omnipotentis Dei in remissionem tuorum peccaminura seriöse in- 
iungimus." 



m.,' Die. Formel: In remissionem peccatorum, iniungimus.' " 121 

erwähnte 'Brief,! 'worin der englische König Eduard der Bekenner 
im Jahre 1061 -dem Papste Nikolaus II. meldet/ Leo IX. habe ihm 
befohlen, zur Vergebung aller seiner Sünden ein Kloster zu stiften.^ 

' ' Von Gregor VII. behauptet Sigebert von Gembloux in einer 1103 
verfaßten polemischen Schrift, er habe der Gräfin Mathilde' zur Ver- 
gebung ihrer Sünden befohlen,; König Heinrich 'zu bekämpfen.^ Wie 
es sich' mit dieser Nachricht verhält, muß dahingestellt bleiben.^ Sie 
beruht wohl auf einer anonymen Lebensbeschreibung Anselms von' 
Lücca, worin' erzählt wird,' Mathilde habe von Papst Gregor zur Ver- 
gebung ihrer Sünden den Befehl 'erhalten, wie eine andere Debora 
das Volk zu richten, Krieg zu führen und sich den Häretikern und 
Schismatikern entgegenzustellen.* Bei Anselms Biograph Bardo, den^ 
der anonyme Autor ausgeschrieben hat,^ fehlt diese Nachricht'. ', Bardo 
berichtet bloß, wie er selber vom ' päpstlichen Legaten' Aiiselm be- 
auftragt worden sei, vor' dem Treffen bei Sorbaria den Truppen der 
Gräfin Mathilde den Segeii zu' spenden und, sie „zur Vergebung aller 
ihrer Siinden" zum Kampfe aufzuf6rdei:n. ^Wie derselbe Bärdo! erzählt, 
hat Anselmvbr seinem' Hinscheiden^ die ^'Umstehbriden' ermahnt^ zur 
Vöfgebiing ihrer Sünden der 'Lehre Gregors ' treu' zu bleiben.^' 

Urban II. hat wiederholt unter Hinweis auf die Sündenvergebung 
zu irgendeinem guten Werke aufgeJfordert.^ lin Jahre 1094' empfahl er 
mit dieser Formel dem Grafen Robert von Flandern den neuernannten 
Bischof von Arras.' Als irn' Jähre 1096 während seines Aufenthaltes 
in Tours die dortige Martinskirche ein Raub der Flammen Avurde, 
ermahnte er die Gläubigen, zur Vergebung ihrer Sünden zum Neubau 
der Kirche beizutragen.^ In ähnlicher Weise hat er 1089 zur Unter- 
stützung der Kirche von Tarragona, auf gefordert'.^ Derselben [Formel 



1 Oben. S., 72. ^ ^^ ,,,-.> 

' Mon! Germ. Libelli'de lite Imperatoruiri'et Pontificum II (1892) 464. 

* O. Volk (Die abendländisch -hierarchische Kreuzzugsidee.' Halle 1911, 25) 
meint, sie ,;beruht wohl nur auf Gerüchte". .lÄhnJich G. Meyer v. Knonau, 
Jahrbücher des, deutschen Reichs Jim ter Heinrich, IV, und V. III, Leipzig 1900, 
457 n. 30. A. Överinanii (Gräfin Mathilde. Innsbruck 1895, 149 151) spricht 
davon wie von einer feststehenden Tatsache. 

• * Mon;'^Germ."SS."XX 694. 

^ Daß die sogenannte Anselmi vita primaria nur ein Auszug aus Bardos 
Vita Anselmi ist, weist G. Waitz nach"im Neuen' Archiv für'altere deutsche 
Geschichte V (1880) 222 'ff. » Oben S. '83 f : 

^ Migne CLI 385: „Eum et ei commissam ecclesiam nobilitati tuae litteris 
praesen'tibus commendamus, et in peccatorum tuorum remissionem praecipientes 
ut eum debita obedientia venereris, tuearis, adiuves, atque ad restituenda ipsius 
ecclesiae bona auxilii tui brachium modis omnibus porrigas." Vgl. 406 das Schrei- 
ben an Robert vom '11. März 1095: „Pro vestrorum peccaminum remissione 
omnibus modis laboretis", daß der Bischof von Arras die Güter seiner Kirche^ 
zurückerhalte. 

8 ' 7,Mandavit papa onlnibus quod in remissionem peccaminum isti ecclesiae 
subveniant." Chronicon Tiu-onense, bei A. Salmon, Recueil de chroniques de 
Touraine. Tours 1854, 129. Mon. Gerni. SS, XXVI 461. 

• Migne CLI 303:' „Vobis inpoenitentiam peccatorumque remedium man- 
damus." Die Echtheit dieses Schreibens steht allerdings 'nicht ganz außerZweifel 



122 III; Die Formel t'In; remissionem -peccatöruiii' iniungiihus.' ' 

bediente; isiokjXJrlDajiin. m, seüteniriSßhieilbeiiilyon^ 
zedchimng des YGsUkpmmienenriAWa^sg^ 
verlij^lien ihatte.^> I AucL Chj^nisteiit jener? Zeit ja^^ 
von Reims,?, Bernold von Konstanz^ cund Cafarijvon 'Genua,* berickten, 
Papst Urban habe den, Gläubigen 'die. Beteilij2;unff lam Kreuzzuge zur, 
Yereebune inrer, , Sünden : anempf pnlen. , i j ./■ . , . . » : , ; ; o ,.,L a ; . ,„ , , , i - 
.■ Unter ; Pasciialis;!!. wird die fMänniinffsformel mit ;dem .Hinweis 
auf ; die, Sündenvergejbm 
Papst.nat'sie , öfters, gebrauciit, und w 

Anlässen. . In. einem Prozeß. zwiscHen! Mönchen und, einer , Kirche,, von 
Arles .befahl, er (1113— 14) jdßn^besteUteii; :öcmedsrichtem;;,,zur:T^ 
gebung „(der Sünden", ein gßreelitesj Urteil zu fallen.^, ;Esä :lieigt4 auf 
der Handjj daßhiefmit Kein vollkommener Ablaß' erte 
Papst hat sicher den Richtern für die Erfüllung einer Vgewöhniichen 

!^eruf sjrfhcht nicht^ 41^1 g^ß??v ■^^^i'^iPK'? g^^^^^^fi^9UßJP^> r4^i l^s 

liiEdp liüjdüe,^ b€3öli^ 

: ! '; Angesichts dieses Schreibens : wird -ittäii einem andern ^Briefe.: der 
schon öfters falsch aufgefaßt .worden- is.t, keine aUzü große ..Bedeutung 
beilegen- dürfen. , Unterm^ ,21.,; Januar «llOS hatterPaschalis ■ 11; den 
Grafen Robert Von F^^^ 

dert; ttjiwti^ Kleiju^^' der für^^järaL^ geibämnten^ 
Partfei ergriffen ]ia|tie',' zu" züxjhtigeii.* )'; Iirjemea: hef fegen* Sireitsck^ 
wähät^ 'siüii nun' idör Wbrtf üni^r ,deir^l^^ der Mönch S ig e fee r4 

embloux, gegen den Papst, :der nach ihm mit semer Auf-; 
iörderiuig än'd^ 

Käl^e: ' ', ,N^ iPä^st Hiide^p^^ fiat ^oiß ; zers^öimde VHähd^'äÄ 
heiligen Kanones gelegt; v;on, ihm lesen _ wir, daß er . der Markgrato 
iiätMde zur Yergebü%' ihMr ^SüMe^ lM;^'Kaiser Ma^ 

zu bekämpfen."' Das sei aber ein ganz neues ünterfäiäpsn 
Schuldigen ohne Beichte tind Buße Straflosigkeit für dieVBMaiigenen 
Siih.den undrIYeÄeit zuvfei;^ 

liÜe^injp :ein ganz ; neues, iJunerhörtesrUnterf angehe gewesen.) Allein 
der ieidenschaf tUchfe^ = Polemiker '^ der ■ äüdh^ sonst 'Uiigereiöhtf ertigt^^ ¥6r- 

^",,HuiiisrQocli proeinctum . . . pro remissione omniura peqcatorum . .' . 
iniunximm.'^ Kagenme.y.er 136. , , . 

... ji Nach, Robeyt^.^M in Clermont gesagt: „Arripite viam hanc 

in remissionem peceatorum vestrorum." Roberti Historia Hierosolymltana, 
bei Migne GLV: 672. , ■ ; , , ' 

. ^, .Bernoldi Chronicon. Mon. Germ. SS. V 464: „Eam (expeditionem) 
«is in remissionem, peceatorum faoiendam firmissime commendavit." , - 

: * De liberatipne civitatiun Orientis. Recueil des liistoriens des croisades. 
Historiöns occidentaux V 1, Paris 1895, 49: „Omnibus viam sepulcri in remis- 
sionem omnium peceatorum praecepit." 

^ Migne OLXIII 333: „Vobis in peceatorum remissionem iniungimus.'- 

• Ebd. 108: „Hoc tibi ac miütibus'tuis in remissionem .peceatorum . . . 
praecipimus." , - 

' Hon. Germ. Libelli de Ute II 464. 

^ „Unde hec nova auctoritas, per quam reis sine confessione et penitentia 
offertur preteritorum peceatorum impimitas et futurorum libertas ?" Ebd 



III. DiBi Fprmel : , Inj-remissionemj ipepca;boruin ,iniimgimus.; 123 

w^i^fe);gegen'[den'„PapstJer]lebt,Vllat,(^^ von ihia, bekämpfte Formel 
f aisch.5 auf gefaßt.,! 'Dieselbe ,Eormel, hatte/ ja soboni.ürban II.' in einem 
Schreiben ian',Graf^|%>bert,,vonf'Mandernf gebraucht. ioJJndauch ^Pa-, 
schaUs II. ' gebraucht sie .wieder, in -etTv^as ^anderer Fqrm einige. Jahre 
später (1112), indem er den Grafen Balduin von Flandern und dessen 
Mutter^ermahntj^.zur-yergebung.ihrer Sünden;,die, KirchetjVon.sArras 
in« Schutz iZUj nehmen.^, Im ähnlicher >,\^eise^ hat,, im Jahre 1112, die 
Synode von .yienne,,den-jPapst ersuchjb,^,ihrei gegen, den jKaiser, ge- 
faßten . . Beschlüsse - ,.zu . ' bestätigend .und, j allen /, ^, ,zur, ' .Vergebung "(ihrpr 
S,ünden".zu .befehlen, den KQnzilsteilnehmern^.undjidpm Vaterlande, 

\feim,nötig,)Hme.zudeisten.^ n-ji' , ■; s . mu j.i ' ,.'\ -< > ;,. < 
Eine andere Bewandtnis hat es mit dem Schreiben,; worin ;Pa- 
sphahs , II. ' Ende - , 1099.^ die f französischen ' Bischöfe - ,auff orderte ; die 
<jrläubigen,,,voi; >allem , jene, die^tbereits ^dasj Kreuz genommen ihät.ten, 
„zuxr, Vergebung, .odesr.jNachlassung dhrjBr i S.ünden" zu, mahnen, ^ nach 
Palästina zn ziehen-;* < Da damals den EJreuzfah^ern ein , vollkommener 
Ablaß-jin Aussicht gestellj}^ war,^lso sollten rselbstyerst,ändlich|, die 
Bischpfe. bei"] ihren. Erm,ahnungeni auf^ den, ^yerheißenenrAblaß, tauf-, 
merksam /machen., Inudiesem.besonderen., Falle; schloß .jdemnach! die 
FQrmeli „in ipeccatorum.remissionem exhortamini.'';4en ivoUkoinmenen 
Ablaß. in, sich, ein..,.,, ^ _ . .> ..s f )^ , . . dl,.- ' -^.ir ,iri7. -'.ji-.^ * kJ 
-', ;>, Nachdem die^ FormeL!„ini pecqatorjimxreinissipnem; iniungimus" 
unter. o Paschalis I II. »'ihre (endgültige /Fassung [erhalten ,hatte, [iW^urde 
sie,-.vpn','.den-Päps,ten immer^häufiger; angewendet,.! . Calixt^II. ge- 
brauchte ]sie:' öfters,- um' irgendeine, Kirche dem ^phlwoIlen„der iGläu: 
bigen anzuerapf ehlßn.^-.tEinmal, {Verordnete, er,, idaß PialzgrafföJt;to, der 
früher Paschalis II. bekämpft. hatte, nun, aber. das'.begangene.Unrepht 
bereute, „zur, Vergebung ,seiner> Sjinden!', ein. Kloster jbauen .solle ; • ein 
anderes Mal ,fbefahl er^ rmiti denselben , Worten dem Bischof (Guido von 
Chur,. der sich zurückziehen .wollte, sein ;Amt beizubehalten.?^,,! , -. . 
Auch die Bischöfe bedienten sich. bald der in .päpstlichen Schreiben 
so, häufig vorkommendeni,Ilormel. , ,B©i »der , Gründung des .IJempler- 
ordens (1119) wurde den ersten Ritterni„zur Vergebung ihrer' Sünden'' 
von, dem Patriarchen von; Jerusalem und den Bischöfen des Heiligen 
Landes vorgeschrieben, die ^ Pilgerstraßen, gegen Räuber. und Feinde 
zu bewachen. So berichtet wenigstens gegen Ende des 12. Jahr- 
hunderts Wilhelm von Tyrus in seinem bekannten Werke über die 
Kreuzzüge. ^ ' Im Jähre 1125 gebrauchte der Kardinallegat Johann 

^ Vgl. A. Cauchie, La querelle des investitures dans les dioceses de Liege 
et de Cambrai II, Louvaiu 1891, 163 ff. 

2 Migae CLXIII 298: „Vos defensionem pro peccatorum vestrorum re- 
missione eidem ecclesiae impendatis." 

^ Ebd. 466: „In remissionem peccatorum suoruia omnibus iniiingatis ut, 
si necesse fuerit, auxilivim nobis et patriae unanimiter ferant." 

*, Ebd. ,44. Hagenmeyer 175: „In peccatorum remissionem vel veniam 
exhortamini." , , 

6 Robert I 60 83 269;, II 272. 

« Robert I 266 333. ' Migne CGI 526 



124 III. Die Formel: In remissionem' pecca'torüm iniungimus: 

von Crema die Formel in Verbindung mit einer ' Ablaßspende' von 
14 Tagen für die Wohltäter des Domes- voii Llandaff in Wales. ^ Biscliof 
Odo von Tqul befahl 1192 den Gläubigen ;, zur Vergebung ihrer Sünden" j 
die Waldenser zu -verhaften und sie dem bischöflichen Gerichte vor- 
zuführen.2 ' ■ " ' ' 

Daß die Formel auch bei ganz gewöhnlichen Anlässen gebraucht 
tvurde, ersieht man aus einem Schreiben, das Hoiiorius II. {1125—29) 
an die Angehörigen der Pfarrei St; Frigdianus in Lucca' gerichtet hatl 
Der Papst lobt die Gläubigen, daß'sife die ' Stiftsherren, welche die 
Pfarrei zu versehen hatten, lieben,' ehren und unterstützen, und' er- 
mahnt sie zur Vergebung ihrer Sünden, in diesen guten ■ Gesinnungen 
zu beharren.^ ' ' < . , i - , , 

In Verbindung mit einem Ablaß erscheint' in' päpstlichen. 
Sohrfeib'en die Formel zuerst in 'der Bulle „Quam amabilis",-- die' in 
den Jahren 1139—43 von Innozenz 11.' zugunsten der Johanniter 
erlassen und von späteren Päpsten häufig erheuert worden ist.* ^Es 
tverden zunächst die Bischötfe aufgefordert, die Gläubigen zur' Ver- 
gebung ihrer Sünden zu mahnen, den Johannitern Almosen zu spenden; 
dann folgt die Verheißung' eines päpstHchen Ablasses für die Wohltäter 
des Ordens, Viel häufiger' hat'aber Innozenz II. die 'Formel gebraucht j 
ohne eines Ablasses Erwähnung zu tun, so in verschiedenen Briefen, 
worin er zur Unterstützung' notleidender KJirchen, Klöster oder Spitäler 
auffordert.^ Nach dem Hinscheiden desKönigs AKons Ir von Aragonien 
(f 1134), der den dritten Teil seines Königreichs dem Tempelörden ver- 
macht hatte,' schrieb Innozenz II. an König AKons von Kastiliehünd 
die andern spaniscKen Fürsten und mahnte sie, zur Vergebung ihrer 
Sünden den Tempelherren* in! ; dieser Angelegenheit- mit' Blat und Tat 
beizustehen.* Unter Berufung auf die Autorität Gottes und des 
hl. Petrus mahnt Innozenz II!' im Jahre 1139 die Templer» selbst zur 
Vergebung der Sünden, die Feinde des Kreuzes Christi unerschrocken 
zu bekämpfen, und erklärt zugleich, daß die ihnen verliehene Süiiden- 
vergebung auch ihren Dienern zuteil werden' solle.' Hiermit ist ohne 
Zweifel der übliche 'Kreuzablaß gemeint. 

Eugen III . begnügte sich nicht,' in der Kreuzbulle vom Jahre 1 145 
die Gläubigen zur Vergebung ihrer Sünden aufzufordern, dem Heiligen 



1 Haddan J 318. ^ ]vi;artene, Thesaurus IV- 1180. , ;, 

^ Migne CLXVI 1287: ,,Ilogainus vos et hortamur , in Domino, et in 
remissionem peccatorum vestrorum'iniungimns, ut in bonö quod incHoastis 
principio firmiter perduretis, nee ab eiusdem ecclesiae rev^rentia et ailectione 
iiUatenus declinetis." 

4 Delaville I 107 n. 130. 

6 Migne CLXXIX 92 98 116 325. ' 

« Albon 373. 

^ Albon 376: ,, Universitäten! vestram exhortamur in Domino atque in 
peccatorum remissionem auctoritate Dei et beati Petri, apostolorum prin- 
oipis', tarn vobis quam servitoribus vestris iniungimus; ut pro tuenda catholica 
Ecelesia . . . intrepide laboretis, tarn remissionis peccatorum . quäüi^^älteriüs 
beneficientiae atque apostolicae ' benedictioriis qüae vÖbis iridujta est, ietiam . . . 
servientes vestros volurriüs esse pärticipes." ' ■ ^i^m >;. -^ 



III. , Die, Formel: In remissionem peocatorura iniungimus. 125 

Lande Hilfe, zu leisten;^ er verheißt, auch ausdrücklich den<Teilnehmern 
ajn Kreuzzug, einen vollkommenen Ablaß. , Bei andern Gelegenheiten 
bediente sich Eugen III. der Formel, ohne -damit irgendeinen Ablaß 
zu .verbinden. Als im , Jahre 1147 die Mönche von Balma (Baume- 
les-Moines);sich erdreisteten, einen päpstlichen Legaten zu mißhandeln, 
entzog der Papst dem ! Kloster, ^en Abteititel, und, setzte es zu einem 
einfachen Priorat herab., , Dem .Grafen von Mäcon;aber, der die, Mönche 
aufgehetzt hatte, wurden zur Vergebung der.Siinden geboten, die, Aus^ 
führung der päpstlichen Maßregel zu fördern.^', „»Zur Vergebung der 
Sünden" mahnte auch Eugen III. im Jahre 1146 den Herzog Wladislaw 
von Böhmen und die Bischöfe von Prag und Mähren,, kirchliche Miß- 
stände abzustellen.^ . , . 

In den Jahren 1156—58 mahnte Hadrian IV. die Bischöfe der 
Kirchenprovinz Reims, sie sollten die Gläubigen zur Vergebung der 
Sünden (eis in suorum veniam dehctorum^iniungatis) auffordern, sich 
ani; Kreuzzuge, fiir das Heilige Land zu beteiligen.* Unter der. „venia 
delictorum" ist\hier offenbar der Kreuzablaß zu verstehen. Bei. der 
Bestätigung des von Erzbischpf ,Arnald von , Narbqnne, in Gemein- 
schaft mit südfranzösischen Großen . abgeschlossenen Gottesfriedens 
befahl der,Papst,(1157— 59) zur Vergebung der Sünden den Bischöfen, 
den Frieden in ihren Diözesen verkündigen und beobachten, zu lassen.^ 
Mit ähnlichen Worten mahnte Hadrian IV. die Einwohner von Grasse, 
die T Abtei, Lerins »gegen die- Sarazenen zu unterstützen.® ,, 

jAlexandesr III. verA\rendete[die Formel bald allein,, bald in Ver- 
bindung mit ,einer Ablaßspende. ^ Mehrmals forderte er damit zu guten 
Werken auf, für welche ein Ablaß nicht in Aussicht gestellt wurde, 
so 1167 zur Verteidigung der Kirche gegen Kaiser Friedrich I.,', 1170 zur 
Unterstützung,' einer, Spitalkirche in Castenedolo (Diözese Brescia),* 
zum Besuch einer Klosterkirche in Pescaria (Diözese Penna),^ 1170—72 
zur Unterstützung der Kanoniker voii Nazareth^*^' und 'des Bischofs von 

, , ^ Migne CLXXX 1065: „In peocatorura remissionem iniungimus." 

2 Ebd. 1228. 

3 Ebd. ,1143 f. BoczekJ 248 f. 

* Migne CLXXXVIII 1537 f. 

^ Wiederhold 116: „Ut eam per Vestras parrochias nuntietis atque id- 
ipsum a vestris parrochianis fieri faciatis et pariter obser,vari, in peccatorum 
vestrorum remissionem vobis iniungimus." 

* Migne CLXXXyill 1582: „Rogantes plm?imum et in peccatorum 
■vestrorum veniam vobis iniungentes." ' . 

' Göttinger Nachrichten 1912, 433. Schreiben an die Stadt Brescia: „Ex 
parte Dei omnipotentis et b. Petri ac nostra, in remissionem vobis peccatorum. 
iniungimus." 

8 Ebd. 434. , ' ' ^ ' ^ 

* Migue CG 682f . : „Licet jOnines qui pia et religiosa loca intuitu devotionis 
frequentant . . . suorum mereantur percipere veniam dehctoriim", so sollen doch 
die Kirchen vor allem an den Hauptfesten fleißig besucht werden; deshalb mahne 
der Papst auf Ansuchen der Mönche die Gläubigen, die Klosterkirche am Patrons- 
feste zu besuchen; „id ex parte omnipotentis Dei et auctoritate apostolorum. 
Petri et Pauli ac nostra in suorum remissionem iniungimus peccatorum". 

10 Migne CO 757. 



126 IIIv Die Formel:' In remissionem'peccäWum'iniuti^^^ 

Estläiid^i ■ '1 177 ^ 'ZU ^ -Beiträgen ' f ür '^ die'^tDömMrchei^ * Vm^^Fem^ ;2iij\E)i4 

Priester • einer englischen* Pfarrer ersüöHt^(ll64Mei^^'^Pa^s 

äiigöiiön^eiif '^ti^Äl^ unäjihiiMjninte^er^^ dieJ|rä^stliicKö= 

Aiiiforität z^ ■^SürideiL a/üf zülegeh^^ (et eis-- küctöritalte 

hbsträ' ■ ^iii- pelccätOTÜin ' suöruin ^Ixreiiiam^ 'Hriiüiigatis j p^döf ' 'fKifclie^^idn; 

DiiWiam^ die liBlicheii'ÄbgaBen'zuf •zahlen- ^^ 

Aleiäildei^^^I^ K^ffig' Heihriöh Ili ' vanc •IJngländ/^zma'ß 

Süiiden aufbin IflaM€Tdnimgzü'S(Dhä|fe 

erklärte er Üen Sc^wed^n^ daß jeiieri, dSe ä^ PeterspfMidig entriehteii^ 

diejse Zahlung zur ^Nächilassuiig 'der^ SüiideiiKgerefehe;^^ '^Den: JilÖiiÖhKliL 

von Gtaiidinont ^blP ei* die' mit xier ■ IBeobächtungM^^ 

bundenen Mühen an Stelle der Buße und zur Vergebung ihrer Siindeii 

auferlegt haben.^ 

In allen diesen Schreiben wird kein Ablaß erwähnt; andere' dagegeii 
enthalten nebst der Formel „in remissionem peccatdrum iniungiinus" 
noch die Erteilung eines Ablasses, entweder eines partiellen' oder eines 
vollkommenen, wie in der KfeuzbüUe vom Jahre 1165.® • ' ' 

Erwähnenswert sind zwei ändere KJreuzbuUen'aus den Jahren'1169 
und 1181. 'In beiden' werden zunächst die Gläubigen zur Vergebung 
ihrer Sünden ermahnt, 'den Kreuzzug zu ünternehmeri ; sodann 'wird 
denjenigen, die zwei Jahre dienen,- ein vollkommener Ablaß verheißen ; 
andern aber, die bloß ein Jahr arüZuge sich beteiligen, wird nur die 
Hälfte der Buße erlassen.' Schließlich erklärt noch 'der Papst, daß er 
allen, die das Grab des Herrn besucheri wollen, die Mühsal der Pilger- 
fahrt zur Buße und Grehorsam und zur Nachla'ssung aller Sünden 



^ Migne CG 862 f.: „In remissionem peccatorüm vestromm iniungimus .". . 
ut per haec et alia bona, quae Deo inspirante feceritis, apud Altissimum pecca- 
torüm vestromm veniam consequi . . mereamini." , i ,,;: 

'^ Cappelletti III 602. Die Prälaten sollen, die Gläubigen „in remissionem 
peccatorüm" auffordern, Beiträge zu spenden, „ita quod enixe suorum mereaiitvir 
veniam peccatorüm." 

^ Historiae Dunelmenses Scriptores tres. London 1839. Appendix LII 
[Publieations of the Surtees Society IX]. 

* Migne CO 884. Wegen der Ermordung des Erzbischofs Thomas Becket 
von Canterbury im Jahre 1170 legten päpstliche Legaten dem König Heinrich II. 
eine Buße auf, wobei sie erklärten: „Hoc autem autoritate domini papae in 
remissionem peccatorüm vestrorum iniungimus et praecipimus observare." 
Migne GL 656 f. 

^ Ebd. 1316: „Solutio ad remissionem valeat delictorum." 

* Ebd. 1288: „Laborem loco poenitentiae et in peccatorüm suorum re- 
missionem iniungimus, quem in ipsa observantia patiimtur." Dies Privilegium, 
dessen Echtheit Jaffö 14271 ohne stichhaltigen Grund anzweifelt, wurde bald 
nachher von Lucius III. und am 15. Juli 1186 wieder von Urban III/JerneüiBft, 
Migne CII 1416 f. Jaffe 15650. Nach Gäsarius von Heisterbach hätten 
die Zisterzienser ein ähnliches Privilegium vom Apostolischen Stuhle "erhalten; 
er berichtet nämlich: „Venientibus ad ordinem nostrum, etiamsi inriumera'et 
gravissima commiserunt peccata, nihil eis aliud iniungitux pro satisfactione, 
ni>i ut ordinem servent . . . Hoc indultiun est ordini a Sede Apostolica, ut eins 
observatio pro qualibet satisfactione peccatoribus sufficiat." Dialogus IV 1, 
ed. Strange I 172 f. 

'Migne CG 260. » Ebd. 385 f. 



III. ' Die. Formel : 'In remissionem; pecoatorum.' iriiungimus. 127 

auferlege.^' i Man hüte sich wohl,,in.dieser ,;,'Naohlassung;aller(:Sündßn'/ 
etwa einen' volikommenen Ablaß sehen- , zu -.wolleri. i In beiden Bullen 
wird den Kreuzfahrern, -die lauf; dies Dauer, eines Jahres Kriegsdienst 
leisten würden,;, nur die /Hälfte der Buße j erlassen. • Wie hätte dann 
der Papst für eine einfache Pilgerfahrt zum- heihgen Grab einen voU- 
kommenenr! Ablaß' verheißen ' können ? ^ Zudem wird ' ja* wiederholt in 
andern Schreiben desselben Papstes . den Jerusalempilgern nur 'ein 
Ablaß .von einem Jahre in Aussicht gestellt.^ Auf der dritten Laterah- 
synode(1179) wurden die '.iGläubigeni ebenfalls „zur Vergebung aller 
Sünden" '.aufgefordert;'' die, Häretiker- und -.biäwaffneten Banden, die' in 
Frankreich ..und Spanien ihr Unwesen trieben* zu bekämpfen;? und 
doch wurde^den Teilnehmern an-derExpedition^- abgesehen von jenen, 
die^im Kampf e fallen würden, nur ein partieller Ablaß, verheißen. Die 
Formel ,,in remissionem. peccatorum. omnium iniungimus" hat also 
nicht' mehr zu bedeuten als die gewöhnlichere FormeL„in remissionem 
peccatorum iniungimus". . -> ,. y ,, , 

Bei Lucius. III., dem Nachfolger Alexanders- III;, kommt letztere 
Formel mehrmals in' Schreiben vor, die mit; den »Worten: ,,Quomam, 
ut ait, Apostolus" beginnen., ' Einigemal verbindet der Papst damit 
einen partiellen Ablaß, iso z.. B. einen Ablaß von' 30. Tagen für^Unter- 
stützung eines 'Brückenbaius' in Pisa.* , Bisweilen .begnügt er sich aber, 
zu guten,' Werken aufzufordern, ohne einen Ablaß, beizufügen;, so in 
Auf rufen- zur Unterstützung der .Abtei Lerins^ und ider.,Martinskirche 
in- Tours '. ®,, } " ' , •r.'i' i? . '!.(;■■ ■ ". • ,, . ■'■■ < 

Auch Urban III. hat; die Formel bald allein,' bald als Einleitung 
zu einer 'Ablaßspßnde?v, verwendet. ! [^Dasselbe ;tat Cölestin III.^ 
. i , . In, mannigfaltiger Weise hat^Innozenz.III. die Formel gebralucht. 
Bisweilen hat er zur Vergebung der Sünden irgendein gutes Werk an- 



^ Ebd.- 600 f. 1295 f. : „Omnibus sepulorum dominicum pro instant! ne- 
cessitate>,visitare, volentibus, tarn in ätinere ,morte praeoccupatis quam usque 
illuc pervenientibus,- laborem itineris.ad.poenitentiam, -obedientiam , et remis- 
sionem omnium peccatorum iniungimus, ut post huius certaminis ergastula 
vitam aetemam ,consequi, mereantur.," ^ Ganz dieselbe Formel- gebrauchte im 
Jahre 1169 der Patriarch Amaury von .Jerusalem in. einem Schreiben an die 
Christenheit. Dplaville 1. 280» n.. 404. > , ■ > 

. ,,2 Migne 00,250.861., ,.>.;.' ,i ■ 

^ Mansi XXII 233: „Cunctis fidelibus in remissionem peccatorum omnium 
iniungimus, ut tantiS)Cladibus'.se'viriüter opponant.',' ■ 
' ;. * Bflugk.-Harttung Ili 320. - , » 

5 Göttinger Nachrichten, 1900, 426.- 
w « Loewenfeld. 227. , Letzteres \ Schreiben führt Hinschius V 154 n. 6 
als Beispiel dafür an, daß die Päpste mit der Formel „in remissionem peccatorum 
iniungimus" einen Erlaß der Sünden, nicht bloß der Sündenstrafen, versprochen 
haben. . • ' , 

' Migne CCII 1466. Loewenfeld 228. Göttinger Nachrichten 1899, 242 f. 

s.DelavilleJ 485 n. 767. , < , . • , 

. » IVIit Ablaß: Migne CCVI.1210. Loewenfeld 265. Ohne Ablaß: Urkunden- 
buöh des Landes ob der Enns II 445 f. Memorials of the Church of SS. Peter 
,and Wüfrid, Ripon I, London 1882,- 117 [Publications of the Surtees Society 
LXXIV]. " ., ,.,',,., 



128 Uli Die Formel : .In >reinissionein peccatorum ihitingimus. 

empfohlen, ohne eines" 'Ablasses Erwähnung zu tun. In dieser Form 
hat er im -Jähre 1205 die Stadt Montpellier ermahnt, ihren Schutz 
denBrüderii vom Heiligen Geiste angedeihen zu lassen.^- Die ein- 
iacherei; Fassung findet sich auch in dem Musterformular (Quoniam, 
ut ait Apostolus), das die vierte' Lateransynode im Jahre 1215 den 
Bischöfen Vorschrieb für die Empfehlungsschreiben, die ■ sie den 
Almosensamnilern ausstellen sollten.^ Eine etwas andere Form weist 
ein Schreiben vom Jahre 1198 auf, worin das Heiraten öffentlicher 
Friaiuen, die Besserung erhoffen lassen, empfohlen wird.^ Kraft päpst- 
licher Vollmächt erklärt der Papst, daß dies Werk der Nächstenliebe 
zur Vergebung der Sünden gereichen solle.* ' 

Wiederholt hat dann Innozenz III. die Formel „in remissionem 
peccatorum iniungimus" gebraucht in Verbindung mit' 'einer Ablaß- 
spendOj so, wenn er 1198 dem Grafen Raimund von Toulouse und 1204 
dem König Philipp von Frankreich > den vollkommenen Kreuzablaß 
verheißt,^ oder wenn er 1199 die Bischöfe auffordert, sie sollten die 
Giäubigenazur Vergebung ihrer Sünden mahnen, Beiträge für den 
Kreuzzüg zu spenden, und zugleich den Spendern einen partiellen 
Ablaß in Aussicht stellt.^- Mehrmals hat er- tauch unter der Formel 
einfach ' den )Kreuzablaß verstanden^ den vollkommenen sowohl als 
deii ;unvollkonimenen, so, wenn er in' den Jahren 1210 und 1211' die 
spanischen und französischen Bischöfe anwies, sie sollten ihre Unter- 
gebenen; im Namen Gottes und des Papstes zur Vergebung' allere Sünden 
ermahnen, in eigener Person oder durch Beiträge am Kjeuzzuge gegen 
die Sarazenen! in Spanien sich zu beteiligen.' 

'Noch sei ein Schreiben erwähnt, das Innozenz 11.^. im Jahre 1202 
.an König; Johann von' England' gerichtet hat'. ' Diesem 'Fürsten war 



1 Migne CCXV 665. 

2 Mansi XXII 1050. Auch in den Dekretalen Gregors IX. c. 14. X. de 
poen. et rem. V. 38. ■ ' ■ .< , 

'3 Migne CCXIV 102 f . Potthast 114. Auch in den Dekretalen Gregors IX. 
c. 20. X.'de spons. et matr. IV. 1. Von etlichen irrig Klemens III. zugeschrieben. 
Jaff6 16627. ■ ■. > . / . , - 

* „Inter opera earitatis . . . non minimum est,' errantem ab erroris äui 
semita revocare, ac praesertim mulieres voluptuose' viventes et . admittentes 
indifferenter quoslibet ad commercium camis, ut caste vivant, ad legitimum 
tori consortium invitare. Hoc igitur attendentes, auctöritate apostolica'statuimus, 
ut Omnibus qui publicas mulieres de lupanäri extraxerint et duxerint in uxores, 
quod agunt, in remissionem proficiat peccatorum." Gottlob 287 ist der Ansicht, 
daß dies ,, Ablaßwerk vor einer feineren Ethik überhaupt nicht 'besteht". Der 
französische Historiker A. Luchaire (Innocent III.' Rome et l'Italie. Paris 
'1904, 73) nennt es dagegen ,,une ceuvre de haute dharite". ' Vgl. auch F.' Falk, 
Die Ehe am Ausgange des Mittelalters'. Freiburg 1908, 64 f. [Erläuterungen und 
Ergänzungen zu Janssens Geschichte des deutschen Volkes VI 4]. ' • ' '* 

5 Migne CCXIV 375; CCXV 361. 

« Migne CCXIV 830 ff. 

' Migne CCXVI 513: „In remissionem omnium peccatorum ex parte Dei 
et nostra vere poenitentibus iniungentes", am Kreuzzuge sich zu beteiligen 
„in rebus (Beiträge) pariter et personis . . . Pari quoque remissione gaudere 
concedimus peregrinos qui propria devotione undecunque processerint ad idem 
opus fideliter exequendum." Vgl. 353 380. 



Ifl. Die- Formel:' In remissionem peccatbrum iniüngiiuus. 129 

in der Beichte von Erzbischof Hubert von Ganterbury für verschiedene 
Vergehen, namentlich wegen Verstoßiing der rechtmäßigen Gemahlin, 
eine nicht geringe Buße, auferlegt worden. ■ Unter ahderm sollte er 
ein Kloster bauen und nach Palästina' 100 Soldaten senden, die ein 
Jahr dort 2su dienen hätten. -4)er Papst erwähnt dies in seinem. 
Schreiben und mahnt seinerseits deii Eönig, noch andere gute Werke 
zu üben, um für die begangenen Sünden genugzutun; sodann erklärt" 
er: „Im Vertrauen auf Gottes Bärmherzigkeit und auf die Autorität 
der Apostelfürsten Petrus und Paulus bewilligen wir, daß die Buße, 
die der Erzbischöf dir auferlegt' hat und die du ffeiwilhg übernimmst, 
dir zur Nachlassung der Sünden^ gereiche."^ 

Wie ist nun aber diese Bewilligung und die mit ihr verwandte 
Formel ,,iri remissioiiem peccatorum iniungimus" aufzufassen? Daß 
die Päpste' mit dieser Formel bisweilen die . Erteilung des Kreuz-" 
ablasses zum Ausdruck bringen wollten, zeigen verschiedene der oben 
angeführten Schreiben. Etliche spätere Känonisten, wie Stephan 
von Gaeta (um 1450)^ und Johannes Antonius de S. Geofgio (f 1509),^ 
haben auch in deni oben erwähnten Schreiben von Innozenz III.' über, 
das Heiraten öf f entUcher Frauen die Bewilligung eines vollkommenen 
Ablasses finden wollen. Dagegen hat ein älterer Kanonist, der als 
AbbasAntiquus bekannt ist, gegen Ende des 1 3 . Jahrhunderts 
entschieden bestritten, daß Innozenz III. bei jener Gelegenheit einen 
vollkommenen Ablaß erteilt habender Papst habe bloß erklärt, daß> 
das "Heiraten derartiger Frauen, gleich andern guten Werken, zur 
Verzeihung der Sünden gereichen solle.* In einzelnen Fällen mag es 
wohl zweifelhaft sein^ ob die Formel ^als AblaßbewilHgung aufzufassen 
sei. Gewöhnlich wurde aber damit kein, Ablaß ^gespendet. Sehr zahl- 
reich sind die Schreiben, in denen- die Formel als Einleitung zur Ablaß - 
Verleihung dient, also von letzterer unterschieden werden muß ; sodann 
wird sie öfters verwendet zur Empfehlung von Handlungen, für. welche 
die Kirche keine Ablässe zu erteilen pflegte ; endlich wird sie auch 
manchmal gebraucht von solchen Personen, die nicht berechtigt waren, 
Ablässe zu verleihen.^ So haben im Jahre 1236 zwei Mainzer Dekane 
als bestellte Konservatoren des Älagdalenenordens den, Geistlichen zur. 
Vergebung der Sünden eingeschärft (in remissionem peccatorum in- 
iungentes), die Almosensammler des Ordens gütig aufzunehmen und 
dessen Ablässe dem Volke zu verkünden.^ Im Jälhre 1259 verordnete 

1 Migne CCXIV 973: „Nos. autem de miserieordia Dei omnipotentis et 
beatorum apostolorum Petri et Pauli auetoritate confisi, concedimus ut satis- 
factionis effectiis tibi ab arehiepiscopo eodem iniunctus et sponte a tua devotione 
susceptus, in remissionem tibi proficiat peccatorum." 

2 Sacramentale Neapolitanum. -Neapoli 1475. De penitentia, qu. 8. 

3 Lectura super quarto libro deeretalium. Lugduni 1520, 17'. 

* Lectura aurea super quinque libris' deeretalium. Argentinae 1510, 184': 
,,Non intelligas quod sicut transfretantibus , in subsidiumi terre sancte omnia 
dimittuntur pecoata ita dimittantur isti; sed sicut aliud bonum opus ita hoc 
sibi 'proficiat in remissionem peccatorum.".- 

5 G. Bode, Urkundenbuch der Stadt Goslar I, Halle 1893, 525 n. 548 
[Greschichtsquellen der Provinz Sachsen XXIX]. 

Paulus, Geschichte des Ablasses. " 9 



130 III. Die Formel: In remissionem pecoatorum iniungimusl 

das ZU Valenciennes . versammelte Generalkapitel, der Dominikaner, 
diel Visitatoren sollten, um dem Mangel an Lektoren, in vielen Häusern 
abzuhelfen, geeignete Brüder zur Vergebung -aller ihrer Sünden ..(in 
remissionem omnium peccatorum suorum) ermahnen, Vorlesungen ab- 
zuhalten.^ Es ist klar, daß ,weder diese Visitatoren noch die zwei 
Mainzer Dekane, wenn sie die Worte „in remissionem peccatorum 
iiiiüngimus" gebrauchten, einen Ablaß spenden' wollten. Was. hatte 
dann aber die Formel zu bedeuten ? . ~ : 

■ Es geht nicht an, darin nur eine_,,',rhetorische Floskel" zu sehen. 
Gregor IX. hat sicher der Formel einen tieferen Sinn beigelegt, als 
er im Jahre 1227 den Kanonikus Rudolf von' Hildesheim, der sich 
mit großem Eifer der Bekehrung öffentlicher Frauen widmete, anwies, 
er solle ledige Männer mahnen. und,. wenn er es. für ersprießlich halte, 
ihnen zur Vergebung der Sünden empfehlen, solche Frauenzu heiraten.? 
Der bekannte Känonist Ho st i e n s i s war e|3enf alls weit davon entfernt ^ 
die Forniel f ür eine nichtssagende jPhräse- zu haltenjerwartviielm^ 
dBT Ansicht, die Worte j,iniremissionem-peccatoruni iriiungimus';'5sQllen 
andeuten, daß doinjenigen,i der das empfohlene i Werk vierfichte, iein 
Teil der; schuldigen Sündensträf e : hachgelässeni werde.? . / Leider l sagt 
Hostieiisis nichts Näheres überi den Charakter dieses Straferlasses;^ /: 

Zum besseren Verständiiis r der; Formel; wird jesviellei^^^ 
sein, in Betracht zu zieheiij was bei der Verwaltung desiBußsäkräraents 
geschieht. Als Stellvertreter Christi legt' der Beichtvalter ein Bußwerk 
auf, das kraft der Schlüsselgewalt ein integrierender Teil -desäSußW 
Sakraments wird und infolgedessen bezüglich^ der iTilgung; der; Sünden- 
sträf en einen größeren satisf aktorischeri i Wert erhält^* iMancho Theo- 
logen, hierin i dem \ Aquinaten : folgend^ -sind sogar der : Ansicht^ daß 
nicht bloß dies spezielle sakramentale Genügtuungswerk, sondern auch 
alle andern /guten Werke ; des Pönitenten zu einer höheren isatisr 
faktorischen Wirksamkeit erhoben werden, wenn der Beichtvater sie 
im allgemeinen „zur Vergebung der Siinden" auferlegt mit der Forineli 



1 B. M. Reichert, Monumenta Ordinis Fratrum Praedicatorum histo- 
rica III, Eomae 1898, 100. Vgl. IV 347. ' - - 

* Rodenberg I 273. Rudolf solle die verheirateten' Frauen in ein Kloster 
schicken, „prius tarnen ■ viris ipsis iniungens in remissionem peccatorum, ufe. 
easdem uxores suas recipiant divine intuitu pietatis. Alios autem viros solutos 
salubribus exhortationibxis moneas et inducasi et hiis, si expedire videris, 
in remissionem peccatorum; iniungas, ut aliquas ex huiusmodi mulieribus, 
que castitatem servare nequiverint,;dummodo sölute fuerint,:accipiant in uxores. 'f 

ä Hostiensis, Apparatus II; 343'. ■ Die Forinel j,vbbis in remissionent 
peccatorum iniimgimus" bedeutet ,',ut: vobis proficiat ad remissionem. /iNon 
tamen intelligas quod propter hoc sine cpntritioheiremittanturipeccäta, neo 
cum contritiohe töta satisfactio debita, licet aliqüid diminuatur.'V: . .1 

* Vgl. Thomas von Aquin,Quodl. III, q. 13, a. 28:„Opus quod quis 
f abitex iniunctione sacerdotis dupliciter valet poenitenti, uho hiodo ex näturar operis^ 
alio modo ex vi davium. Cum enim satisf actio a sacerdote absolvente iniunctasit 
pars poenitentiae, manifestum, est qUod in eo operatur vis ; clavium, ita qxipd 
amplius valet ad expiandum peccatuin quam si proprio arbitrio homö faceret 
i dem opus." .:,_:■',■'/:-'. .-;• ; ■.;a...;\: .:.;:■-;;■;■■.•;:■;,■.'■;■; -O' 



III. Die Formel: In remissionem pecoatorum iniungimus. 13 1 

„Quidquid boni feceris . . . sit tibi in remissionem peccatorum"> 
Thomas führt diese Steigerung der sühnenden Kraft der vom Beicht- 
vater auferlegten guten Werke auf die Wirksamkeit des Sakraments^ 
zurück. Der Kanonist Wilhelm von Montlaudun (f 1343) macht 
aber dafür noch einen andern Grund geltend, den Gehorsam.^ Werke, 
die im Gehorsam geschehen, erhalten eben einen höheren Wert vor Gott. 
Bei den Werken, die außerhalb* des ^ Bußsakraments von den 
kirchlichen Oberen ,,zur. Vergebung ^dei Sünden" auferlegt oder emp- 
fohlen werden, 'kam nun freilich die sakramentale Wirksamkeit nicht 
in Betracht; doch konnte hier der Gehorsam eine nicht unwichtige 
Rolle spielen. Wurde das ' empfohlene Werk 'im Gehorsam gegen die 
kirchlichen Oberen verrichtet, so erhielt es einen höheren verdienst- 
lichen und satisfaktorischen Wert.^ Wenn daher Päpste, Bischöfe und 
auch andere GeistUche mit den Worten „iii remissionem peccatorum 
iniungimus" gute Werke empfählen, so sprachen sie damit nicht, bloß 
die Überzeugung aus,' daß derartige Werke bei Gott „Sündenver- 
gebung" erwerben, sie gaben zugleich auch den Gläubigen Gelegenheit, 
durch Übung des Gehorsams die süridentilgende Kraft ihrer guten 
Werke vor Gott zu erhöhen.- 



1 Thomas, loc. cit.: „Haec quae praeter initinctionena expressam facit, 
accipiunt maiorem vim expiationis cülpae praeteritae^ex illo generali inivinctione : 
jQiiidquid boni feceris etc.' IJQde laudabiliter consuevit. hoc a multis sacer- 
dotibus dici'. . . Et quanttun ad hoc talis satisf actio est sacramentalis, in quantuin 
virtute clavium est ciilpae commissae expiativa." 

2 Apparatus super Clementinas. Parisiis 1517, 141 : „Plus välent ad salutem 
talia bona sie iniuncta in confessione propter yim sacramenti penitentie, . que 
multum in talibus operatur, quam si gratis fierent, et etiam propter bonum. 
obedientie qua homo propter Dominum suppohit se suo pari." 



9* 



IV. Die ältesten Ablässe 
für Almösen und Kirchenbesuch. 

Die Nachlassung der , kirchliclieii Bußstrafen oder der > zeitlichen 
Sündenstrafen, worin der Ablaß wesentlich besteht, kann verschiedene 
Formen annehmen. Sie kann von den, kirchlichen Oberen bestimmten 
Personen im b es ondern,ge währt werden; sie kann auch allgemein 
verkündet und allen jenen zugesichert werden,. die gewisse Bedingungen 
erfüllen würden. Von den ältesten individuellen Bußerlassen, die den 
allgemein erteilten Ablässen die Wege bereitet haben, ist bereits im 
ersten Kapitel gehandelt worden. Hier wollen wir den allgemein ver- 
verkündeten Ablässen unsere Aufmerksamkeit zuwenden, und zwar 
nur jenen Ablässen, bei denen als Bedingung ein Almosen oder der 
Besuch einer, Kirche gefordertywurd^i^^vo^ , ^ s ' 

Daß derartige generelle Almosen- imd^Kirchena/Mäss^ 
11 .' Jahrhundert' sich nicht Äacli^isen lassen, is^^^ 
hundert von verschiedenen iG^sfö 

:tprianer Morin,?y dem Dlominikaner Nioel^AleAS-andresyf; dem päpst- 
lichen Nuntius J. M. Sanf elice ^^ demjv^suiten Pape^br dch* her^^ 
gehoben worden. Auch im 11. Jahrhundert kommen diiese Abiäsfe 
noch nicht häufig vor; erst iin 12. Jahrhundert riahmeh sie eine größere 
Ausdehnung. Es sah sich daher die vierte Lateransynode im Jahre 1215 
veranlaßt, denBischöfen bestimmte Normen vorzuschreiben, nach denen 
sie sich bei der Verleihung von Ablässen zu richten hätten. Im folgenden 
sollen nun die Ablässe, die von Päpsten und Bischöfen vom AMang des 
11. Jahrhunderts bis zur vierten Lateransynode für Almosen oder 

1 Morinus 768 ff. 

2 HistoHa ecclesiastica XI, Bingii 1788, 321. 

^ In einem Brief vom Jahre 1659 an einen Professor der theologischen 
Fakultät in Köln, mitgeteilt von Henschenius in Acta Sänct. Martii III 640. 

* Propylaeum. ad Acta Sanctorum. MaiiieSS. Conatus chronico-historicus. 
P. I, Disserfc. XVII, S. 133: „Nemo dubi tat . . . de ipsa remissione poenäriim 
peccabis debitarum, quin eas ex thesauio meritorum Christi atque Sanctorum 
solvendi potestatem habuerit variisque modis exercuerit Eoclesia, sed quöd eäm 
potestatem sub ista exercuerit forma, in favorem piortun locörum qüorumdäm 
a fidelibus iuvandorum aut visitandorum, negamus exemplis ullis stabiliri posse, 
quae siut saeculo XI antiquiora." Als Papebroch nachher Kenntnis erhielt von 
dem unten anzuführenden Bußerlaß der 1480 Märtyrer, änderte er seine Ansicht 
dahin, daß schon im 10. Jahrhundert ein Beispiel irgendeines Ablasses (qualis- 
cunque indulgentiae aut quacunque forma concessae) vorkomme; doch sei die 
Form eine andere als jene der Ablässe der späteren Zeit; daher „mariet qudd 
diximus, ante saeculum XI frustra requiri exempla indulgentiarum taU forma 
datarum." Paralipomena addendorum aut corrigendorum in Conatu 69. 



ly. 'Die ältesten Ablässe, für, Almosen- und Kirchenbesuch. 133 

Kirchenbesucli erteilt .worden, sind,, aus zuverlässigen Quellen zu- 
sammengestellt «werden. - Eine , kritische Sichtung ■ dieser Ablässe ist 
um so notwendiger, da nicht selten auch in. wissenschaftlichen Werken; 
Ablässe aus ,, jener. Zeit als ' glaubwürdig angenommen werden, die, auf 
Echtheit keinen Anspruch machen.. können. 

. Verschiedene Ablässe, die. Päpste,, oder jBischöfe schon vor dem 
Jahre 1000 erteilt , haben sollen; können füglich, mit .Stillschweigen 
übergangen werden,. da. sie heilte wohl allgemein • als, .unecht gelten.. 
Nur der eigentümliche Bußerlaß, den armenische Märtyrer von, Gott, 
erbeten hätten, bedarf, einer näheren. Erörterung. Hat man, ihn, doch 
als ;,,'Brücke"/ bezeichnet, über, die man in die ,, eigentliche Ablaß-r 
Periode" eintreten kann.^ / ', 

j' Auf diesen Buß.erlaß; hat zuerst Mabillon aufmerksam gemacht. 
Beider Erwähnung seiner, Nachforschungen, in der BibKotheca.Valh- 
cellana berichtet er, daß er daselbst einen, römischen Ordo fand,, der 
im 9. Jahrhundert 'geschrieben iwqrden sei, , zudem ein noch älteres 
(antiquius) römisches Sakramentar, ,w,oiin unterm 22. Juni .folgende 
Notiz. verzeichnet war: „Mense lunio die, XXII sanctorum .Martyrum 
mille GCCCLXXX quorüm vigiha cum silentio et ieiunio est celebranda : 
et concessum est eis .pro.illo uno die annum dimittere in penitentia."^ 
Letzterer Kodex ist nach der Einnahme Roms im^.Jahre 1870 bei Er- 
richtung ' der Natioiialbibliothekij durch,- die italienische, Regierung 
spurlos verschwunden;, H. J. Schmitz, der ihn noch einsehen konnte, 
sagt, daß er' „nach der'Unzialschrift.jauf Pergament, zu schließen, 
dem Ende "des 10:, Jahrhunderts. aiigehört".^ An einer, andern Stelle 
bemerkt er, daß die Unzialschrift des Kodex ,, auf das 11. Jahrhundert 
hinweist*.-.f Bei solchen voneinander,- abweichenden Ansichten- wird 
man ein bestimmtes .Urteil über das Alter der- Handschrift, nicht 
fällen ^können. Ähnlich verhält. es sich mit einem handschriftlichen 
Missale der ..Vatikanischen Bibliothek- (Cod. -•Vatic. la;t;,.4770), in 
welchem ebenfalls ;der Bußerlaß unterm 22. Juni verzeichnet ist,; 
A. 'Ebner, versetzt den Kodex in die Zeit des 10. bis. zum 11. Jahr- 
hundert, ein anderes. Mal in das 10., dann wieder in den Anfang des 
11. Jahrhunderts.^ H. Ehrensberger verlegt ihn in das 11. Jahr- 
hundert;^ E. M. Bannister meint, man köime die Handschrift. um 
das Jahr 1,000 entstanden sein, lassen.' Der Bußerlaß ist zudem, noch 
aufgeführt in einem Missale der Bibliotheca Barberini, das- sich heute^ 
in der Vatikanischen .Bibliothek befindet. (Cod. Barber. lat. 560)'. 



^ Vgl. über diesen Bußerlaß Hilgers 74 ff. Beringer-Hilge.rs I 656 ff. 

2 Mabillon, Museum 1.69. . ' . , 

3 Schmitz I 227. 

„* Archiv für katholisches ,Kirchenrecht XXXIII (1875) 15. 

' Quellen und Forschungen- ziu: Geschichte des Missale Romanuxn im 
Mittelalter. .Freiburg 1896, 218 373 404. 

*tLibri liturgici bibliothecae.apostolicae vatieanae manu scripti. Friburgi 
Brisg. ,1897, 446. 

'. E. M. Bannister, Monumenti.Vaticani di paleografia musicale latina. 
Lipsiae 1913, 47. 



134 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen ^xad Kirchenbesuoh. 

Näisli Ebner wäre dieser Kodex „frühestens vom Ende des 10.' Jahr-' 
hunderts".^' Bannister dagegen ist der Ansicht, paleographisch'könne 
man die Handschrift dem Ende des 11. Jahrhunderts zuweisen.^ ' 

■-Aus allem dem ergibt sich, daß das Alter der Handschriften, in 
welchen der Bußerlaß erwähnt wird, nicht feststeht. Wohl weisen 
Fächmänner den eiaenünd andern Kodex deni'iO. Jahrhundert zu. 
Wie leicht kann man sich aber' bei der -Bestimmung des Alters einer 
Handschrift um einige Jahrzehnte irren. Ein 'Kodex, den gewiegte 
Kenner in das 10. Jahrhundert versetzen, kann daher sehr wohl aus 
der ersten Hälfte "des. 11. Jahrhunderts "staihmen, um- so 'mehr, als' 
sich das Alter von Handschriften, wie die Fachmänner ^betonen," nicht' 
auf Jahrzehnte bestimmen läßt. ^ • " ' ' , .' q 

' Gresetzt aber, die eine oder die ändere der erwähnten Handschriften 
stam,me wirklich aus dem, 10.- Jahrhundert, wäre man dann genötigt^ 
ainzuiiehmen, daß es schon in jener Zeit generell erteilte Ablässe •ge- 
geben habe? Nein, denn 'bei jenem B'üßerlaß handelt' es sich gar 
nicht ;^um einen kirchlichen Ablaß, sondern um den Niederschlag 
einer' durch und durch - fabelhaften Legende. Nach dieser- Legende*- 
sollen zählreiche Märtyrer — bald ist die Rede von 10000," bald nur 
von 1480 — •, die auf dem Berge Arärath gekreuzigt wurden, während 
sie^am KJreuze hingen, an Gott die Bitte • gerichtet haben, „ut'qui- 
cunquememoriampassionisnostraecum ieiunio celebraverint et silentioi 
m^ereiantur a te oonsequi fructuosam mercedem" . . . diesque ieiunii 
nosträe passionis unum annum poenitentialem concludat se obser- 
vantibus". Da habe sich vom Himmel' eine Stimme hören lasseh, 
die erklärte: ,,Qaae'petistis . . . scitote vos impetrasse."*- Auf diese 
Legende, die vor 876 auf Ansuchen des Bischofs Petrus von Gabii^ 
Anästasius der Bibliothekar aus dem- Griechischen ins Lateinische 
Überträgen hat,* geht unzweifelhaft die Notiz in den alten liturgischen 
Büchern zurück. Doch besteht zwischen beiden ein nicht belangloser 
Unterschied. In der' Legende heißt es: Die Feier des jährlichen Festes 
mit Fasten und Stillschweigen soll ein Büß jähr in sich einschließen, 
d. h. soll ein Baßjahr ersetzen. Von einem Bußerlaß ist noch keine 
Rede; es handelt sich um einen Bußumtausch, wie solche seit dem 
7. Jahrhundert in Übung waren. Anders ' lautet die spätere Notiz: 
Die Vigil des Festes soll mit Stillschweigen und Fasten begangen 
werden. Dan Märtyrern aber ist gewährt worden — nämlich von 
Gott auf ihre Bitte hin am Kreuze — , für diesen einen Tag ein Jahr 



^ Ebner 142. ^ Bannister 118. 

^ Vgl. darüber Acta Sanct. lunii IV 176 ff. 

* Ebd. 187. 

5 Bisohof Petrus erscheint noch 868 als Bisehof von Gabii, während 876 
ein Bischof Leo erwähnt wird. Ughelli X 108.' Gams, Series episcoporum XIX. 
^ L. Duehesne, Le Liber Pontificalis II, Paris 1892, 222. M,. Manitius, 
Gresohichte der lateinischen Literatur des Mittelalters I, München 1911, 685. 
Die griechische Legende braucht nicht notwendigerweise aus dem Orient zu 
stammen; sie kann sehr wohl in Süditalien, wo viele Griechen lebten, verfaßt 
worden sein. ;. ' ... 



rW^DiÖ' ältestenf? Ablässe fto^ 135 

dei^'Büße^ zu- eriässea^ -^Mer w 

stellte« «Dieser »Erläßt iJ^M'^v-öh-^d es^ia 

Vfersöiiv die^iii* einer Jdör^/ 3Eiändsclirif ^n iider ^\Nöinz beigegöBeii ^si 
heißt; ^voiitfCJlms^üs'^ -^önveiiieiiQ^^äfp 

dder«Bis6liöf ^ der i deai-Biißeiiälß «e^ eilt<^ ödea^^ ^utgelSeißeri hältö^M ver- 
lautet nichts; ,, Aus ;dem;JD^ 
Bui^rlaßH^v^rz^chn^ 

Baniaiso)^ gefhraiK)htv^ivnLirde j^kann c nian WaiueMoüicht ^scMießen^i daß'^ der 
;,Abläß'j5^- von eine^^^äpstei jj^^tgÖ^ 

worden sei ; deiin im 10. Öder 11. Jahrhundert war es noch nicht Sittej 
daß,|dieiv liturgischen^ 
BJEipstei zur i Approbation 3fVOTg(ölegt>'>w 
dichtete iBuiJä^ßSiiei^ l480|MärtjTer^ 
i3ei^2iaüiS:' weraem' d^ 'von tfeiii^^ kirclii^ 
n^ßjiingfniont^.das genngste^bekaj^ 
können^ > daß; « es zur ^Zeit,^ j wo sder? Biißerläß^ 
eingetragen liTOrd^y'^ geitörell erteilte^ Ablä^sie-gegebör^hab 

Selbst zu emer Zeit, wo; es noch keine derartigen Ablasse gab, hat 
jemand iSiehjjj^h^ 

Eorm meines vBußerla^esr geben irkönnen. . ■ fsBu!ßerlässejv wenhoauchf^niir 
vöii^l'äill'^Uf Fallt 'sind^iä? sbhon am'fSl -^älhkhlMdert^ d^ 
.gewahrt^worden.:.; • , :^ ■■;,>• -i-,',;;;- :^v■■. ■■;■-■ :;:-^'.:^^-:-- ■ • ■-^v.-;- ■;-^:.r-; :;,.;;; 
::|«- ijA^.jd<|^valt§ste^ 
eiir f Privüegiumlangef ührtii däs^^ 
upi:Mpi9« der ^(Abtei fMöntiitfaj^Ür ^göwälui^ 
hättet der' Abt RäMbeift -'iM'^äem Bau ^Äerj'pößen* 'llllämtili^ 
ggnnenil j Zu^^gleimer i^^ ch^^^^r inj derr^is^ih^^ein^ I^^ 
riohtenvüjbeii ideren Einweihung^Äder aErzbischöf ,a Poiitiusä;aUen , jen^j 
welche ydietfneuB^iiKiEfpieUß »^besuclwsn ünd«^ zi^ ^im'^iBä^ 

besriH^n^'!]!^^^ eiiien -'AbiaiS"^- 

teut haben soU.t Den. onentlichenJSußßrn,f die. wegen schwerer Sunden 
diexIGbrohefenichtifbetreten vdAirf^^^ ein? j Jahrojerläubt&sein;^ 

dein!'^ Grbttesdienste /beizuwohnen?, Mt'iAdsü ^nfebst 

Mderen>^V^güi]Btj^^ P|1IM ilmMJ^iiD^^ 
eih;;Teil' Her^au^^ 
wegen geringereßfSüiidiBitiihre i^ 
wTiiSdeadie HälfteHder^^Bü^ 
Besuch^'^inid Wohltäi^f "der iöiMiS ^irn "Daufe'^iSfes- 'IJäffles sterben:, 

v. - -yAbgedrvickt.,bei Ebneri,143vxmd;l^^ 

, , : ; , .^, Daß; die i Einweihung dieser. Kapelle. 101 9 ..stattgefunden: habe, wie etliche 
behaupten, jz.>B..ii^v,]y^ de j la, Jlrance. 

BmsaUes; 18^5, ;.285,,4stj^ 
chapelle V Saihte50i?oix dö^^^^.Ä^^ 

iüispiniJvpm^Je^j.Belle^ 

, ,. I . *; „Das . M^^legium ;'iist, ^^^ d' Achery;l.yi ,;427^i3i. ; Vgl. 

Albanes- Che valier 'in"UÖ;f^ -r /"["''■'■ • ' ^ '■■ :';;X.-^'J.^'S,r,-^--,:i,::-^. 



136 IVi; Die/ ältesten:, A^ 

SO sollten sie /y?on allen- Sünden, .Tröf ürjsie Bllße ern^gagen, ajfeq^ 

sein; rnit aaadern Woacten j ^e^^ 

Ablaß yerheißrail .^iElesselbeaiiAblaßj^^ 

sichserfrenen, ; die in ^nknöftiua^ InßeljjMpntm^ 

würden rf:jYe;fsc^^ m|D;edenid^^ 

druckt^ mrdzuriäcHst-bencKtetj>%^ 

gegangen sei,' .üin'ilmzuiersuchön 

.jtale fertur dedisse.responsum: ,Grjmtam,spateBjceyerende...,;,. dicabimns-ii. . 

atque dptaDimus spmtuah Ipsa namque'.CT gratjam 

öbäpliitiomy/üi' ' qmä^üiS 

aliqua; benefieiayllä^ljeturM'indpölr 

noch; am ;EqroliT\reiMes.tejlyerrich1^t ;>vird t- v^^ befieficfä 

petiturus inereditur, cuncta , se impetrass© iiae.tetur." j Es, war -schön , in der. kärö- 

lineischen Zeit üblich. ,-J, Metzger, : Zwei- Karolingische Pontifikalien vom 

Oberrheiiil Freibti^g^l9^4, 41*)^'~'Q^ qui'perindietahi'sibi^jjöenir 

tentitoi hott ihtroeai^ööclösiam lieö öömmuhiöheöy^acsfi coifp^ 

jöscülttm ;p&eisiaceipiat: hee,^ c^^ 

spiritales filiolös de sancto fönte suscipiat nee feriasecunda aüt,quarta;,aut.sexta 

aliquid gustet praeter^^panem e^b aq:uam; hie, talis, ad iam^dißtam e<J61esiam .si 

veherit in diö videHcet' dedipÄeiÖm^ au€ seraiel in änhiöcürni'sti^a 'yigiliä '^(^^ K 

öiit dem^Lioht iüi^ üie^ Vi^ilj yeE%äöiiMcMh (3-^ 

ad;ppera ecciesiae sanctäeaMaMae, quae?httbdo3hoS^terj?c^]igta^ 

nipnte:cex parte dpmini^^n^^^ <,.i.i,et ex-nbstra sit^^^ 

die, quo suam vigiliam fecerit (hier bedeutet vigiUa den nächtlichen, Gotte^^ 

de tertia parte maioriim peccatorüna, unde pöehitent^ 

ad diem i jfeüm feVerteh'tis' Mini 'V^^ 

batafe^ ecolesiaev et iha1beat*licentiäniyintrdndMn tptasiecclösiastpei^'t^^ 

annumw.cömmunicandi et^pacem accipiehdiset tondendifet raderidi et!hni> vöätiendi 

et fiHolosde sacroffonte suscipiendi,''.exceptörquadragesiraali^tenapore,,et;ieiuniis 

de quatuor iiemporibus. .Et sitres dies de septimana sunt ei vetiti per poemtentiain, 

tÄüm- röddiintis 'ei,^ u't^'^C]binedat- e't'bibat, quoiä^iöi deus d^äeritjr^H^^^^ aliyä^^Blüffi 

stiamis, xjailnottiesfe itf talipbeniteatiaj'd^ 

dimüSjei; et -si unus^rilliiniJreddimtiSfei talijtehorö, jtit.pasoätjtres.paüperesvi.'i)^'. 

Denique illos, qui de minoribiis . peccatis , sunt ^iconfessi.iet rhabent -.aGceptana. 

po^nitientiam, si yenennt ad dedicatioiiem praediptap..e^cclesiae|aut semel in a 

öutii siiS vig[Iiä''e't ctiiiif ädiütoiid'' ad' 'Opera* e'ccl^^^ 

de i ünaJ mediötateiiacceptae pöeiütiöntiäe, usqü& 'äd^ i^ ähnuiii) • ''Wötüitf autem 

Sit 'omnibjjs ;adyementil^^ ie4 absentilbus-,iiquöd ;onmi) annö ;äbsiplutip^ 

quae facta fuit in dedicatione.ecclesiae sanctae crucis celebrabitur.annuarecursione 

m mventione sanctae crucis quod es^t V. npnas,inaii; et per singmos, annpSi ipsa 

äbäolutio' iam- 'dicta erlt^ omni ^m'j)Öre^ sr'ita- v6rierint'*pPemföh^ 

scriptum, öüni: süa' scilicet' Vigilia'et öiira>ädiütöii'p iad->opü4' ecblösia'e ^äm di^^^^ 

Adiutpriiuh jmtem r tale [sit f qu^i^niöj possimt^iHI;^ dupä, : §t|quij; plus j^ 

VI aut V, potentes auteha XII aut amplius. >, „Qportet^autem considerare .illos 

qm adiütorium praestitennt, quam magnam mdulgentiam et absolutionem 

peccatorum accepturi erunt pro tarn parvo doho exigtii adiutprii. ' Säne^si in- 

firmitas corporalis impedierit, üt nön^^pössint ye^^ 

mittat unusquisque hoininem"' äuti'fehliiiäm ciöä'i'sua' vi'g^^^ dum iäm/mcto 

adiutorio, et yalebit ei tantum quantum si ipise venifeli: - Sicutjabsölvim 

cülös^ ita etiäm jet 'f erhiüäs! qüäö 'ita vöiieiint- ad dödieatibnem^^'^ 'si' in^ totö illo 

annb mortui yölmorW^ ^ihV^abäoluti'vbPamc^^ 

jJGtentis IDeiet; bmhiüm sähctöinjim^ eifc 6x nÖsißfä' ab Ömnihus'pecöaty .^m^ 

et * niinbribiis ■ de qmb 

Hans siqtiidöin 'absolutionem' quaiii' f äcimiM "ecclesiae 's; ' öi'üoisj'fcpn&dimüs! eiiäiic 

Omnibus ecclesiis ^quae' fuöriht 'construötäe ihfrä-4p§ani'; ihsi^ 

qualicunque tempore." •■ vxi u i ; v oa j ;?u«it, >. 



IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und' Kirohenbesuoh. 137 

als echt arigenommen. - Daß aber das umfangreiche Schriftstück in 
der Porm, in welcher es vorliegt, einer späteren Zeit angehört, ergibt 
sich aus seinem ganzen Tenor. Schqn die Einleitung: „Tale fertur 
dedisse respo'nsum", weist auf eine > spätere - Aufzeichnung hin; daran 
können die. beigefügten Unterschriften des Erzbischofs Pontius und 
dessen Nachfolgers Raimbaud nichts ändern. Ob in diese Aufzeichnung 
echtes -urkundliches '-Material' aufgenommen worden sei und' ob Erz- 
bischof Pontius überhaupt einen Ablaß für Moritmajour erteilt habe^ 
muß' dahirigestöUt' bleiben; s /^Jedenfalls steht es keineswegs fest, daß 
wenigstens- der Kern de^ Privilegiums echtsei. Die Mönche von Mont- 
majour haben sehr wohl den iganzen Ablaß erdichten können, wie sie 
ja' auch fälschlich behaupteten, einen ähnlichen Ablaß von Papst 
Sergiüs IV. erhalten zuihaben.^ 

-> l^Laut' einer Bulle vom 16.'iMai 1010 hätte Sergius IV. anläßlich 
der ' Einweihung der s Kirche von (Dorr ens, einem mit Montmajour 
verbüiidenen Kloster,! folgendes Privilegium gewährt: Denjenigen^ die 
aniNTäge .der"! Weihe die <tKirche ibesuchen, wird ein Drittel der Büße 
erlassen; zudem soUteähnen, falls ;sie als öffentliche Büßer vom Gottes- 
dienst ausgeschlossen 'wäreii, auf ein Jahr gestattet -sein, den 'Gottes- 
dienst zu besuchen; würden sie aber im- Laufe oder am -Ende des 
Jahres sterben, so^soUtisn'sie von selten des Papstes absolviert bleiben. 
Ebenso sollten lim' Todesfalle absolviert sein; jene, die dem jährlichen 
Kirchweihfeste ;gerh' beiwohnen möchten,'^ aber- durch- Krankheit daran 
verhindert werden. Den beiden •Grüiidern' der Kirche*' Aldibertus und 
Rainoardus .wird die gesamte- Buße! erlassen.' Schließlich wird noch 
erklärt', daß den 'Wohltätern ?der Klöster ' Correns' und Montmajour 
dieselbe' Vergünstigung>>zuteil.-iwerdeii -solle,;- die ' den -* Besuchern' des 
Gotteshauses 'am- Kirchweihfeste vefheißens wird.^ Die -Bulle' ist sicher 
unecht ;3 doch steht 'sie bereits' an der Spitze des aus; dem- 12. Jahr- 
hundert stammenden Urkundenbuches von Correns.* . Sie muß also 
schon frühe- erdichtet' worden sein. -^> .-><.'' ,. -'■-'■ 

' Mit dieser gefälschten "Bulle 'stiitnmt,'' wenigstens in dem Haupt- 
teile, fast wörtlich überein ein Privilegium, das Erzbischof Raimbaud 
von Arles im Jahre 1065 bei der' Konsekration der Kirche von Correns 



i^ ' 1 Im späteren' Mittelalter glaubte t man, in! Montmajour -sei ein großer, 
ja ein voUkoinmener AblaiS- zu gewinnen, in den- Jahren, wo .'das Fest- Kreuz- 
auffindung auf eineni Freitag falle,- '-Baluzius, Vitae Papanim Avenionen- 
sium I, Parisiis 1693, 322, 

, 2 Gallia Christ.. I. Instr.. 104 f. - Migne CXXXIX 1520 f. : ,;Tertiam partem 
poenitentiae illi dimittimus, et ecclesiarri usqüe ad caput anni'(caput bedeutet 
hier Ende, nicht Anfang) ei reddimus et pacem, et capillos incidere habeat; et 
si'-mors in capite anni evenerit vel infra-annuni', ex nostra-' parte absolutus per- 
ilianeat." "> ■ "> ' ■ '■ . ' - 

' ^ ' 3' Jaffe'3969.'' Unter Nr. ^3968 ist ein etwas anderer Text verzeichnet, 
mitgeteilt von -Pf lugk-Harttung I 4, der die Bulle irrig Sergius II, zuschreibt. 
Die Bulle wird als echt angenommen von L. C. Goetz in Zeitschrift für Kirchen- 
geschichte XVI (1896) 537. 

* Albanes I 335. H. Stein, Bibliographie generale des cartulaires frangais. 
Paris 1907, 149. Wiederhold 49. ' s ' - 



138; IV.-Die ältesten' Ablässe für Almosen und Kirchenbesuoh,. 

ausgestellt i haben soU.^ .Die Echtheit dieses Schriftstückes, das 
mehrere, seltsame Wendungen enthält und gegen die übrigen Urkunden 
Raimbaüds grell abstioht,^ ist sehr zweifelhaft.^ Wie die Mönche 
von Gorrens und Montmajour die Bulle von Sergius IV. erdichtet 
haben^ so konnten sie auch dem- Erzbischof Raimbaud eine unechte 
Urkunde zuschreiben. 1,1 ■ ' • - 

i'jMabillon berichtet von einem Ablaßprivilegium, ' das die Bischöfe 
Pdn-tius: von ,Glandeve und Erodon von Sisteron einer 1029 ivon 
Pontius i dem Kloster Psalmody .geschenkten - Kirche bei -.deren ■ Kon- 
sekration ausgestellt haben sollen.* Leider^hat Mabillön, den Wortlaut 
der Ablaßurkunde, die. wohl. als echt gelten' darf j nicht mitgeteilt;. er 
gibt bloß, ihren Inhalt an. Dieser Angabe zufolge wurde den Pönitenten-, 
die sich bei der Kirche aufhielten, ein Drittel der Bußfasten erlassen; 
diejenigen, Pönitenten aber,Ldie während dero vierzigtägigen* Büßzeit 
sterben i würden, sollten von .den' Bußstrafen aller- Sünden, .die. sie ge- 
beichtete hätten, absolviert seüi.^ Es. handelt; sich- offenbar um Büßer, 
welchei dielihnen auferlegte vierzigtä^ige Bußzeit bei der betreffenden 
Kirche- «wie es damals öfters ' geschah, zubringen wollten. <. Solche 
Büßer 5 hatten gewöhnlich drei Tage in der; Woche bei Wasser uiid 
Brot zu 'fasten. > Von diesen drei strengen Fasttagen wurde je einer 
in der* Woche, erlassen;, dazu kam dann nochider vollkommene Ablaß 
für dien iFall des Ablebens während > der 'vierzigtägigen Bußzeit. 

•:;Eüieh:doppelten Ablaß haben am 21. .September. 1035 Erzbischof 
Guifred von Narbonne und Bischof .Guif red- von Oarcassonne im 
Verein mit den Bischöfen Guislabert von Barcelona und-Ermen!- 
gaudövon Urgel bei der Konsekration der. Abteikirche S. Pedro de 
Port.ellain.der Diözese Urgel- erteilt, den einen fürüKirchenbesuch 
und Almosen, einen andern, für Teilnahme an der zur Unterstützung 
des Klosters gegründeten Bruderschaft.^ Die Bischöfe erklärten: Wer 



VD'Achöry IV441 f. Albanes-Che valier III 171 f. Der. überlieferte 
Text ist an einer wichtigen Stelle verderbt. Zum bessern Verständnis ist zu ver- 
gleichen ; die gefälschte Bulle von Sergius IV. , , 

* Viele' Erlasse Baimbauds sind abgedruckt bei Alban^s -Chevalier 
Ill'Uö'ff. " ' • ' ■ . ■■ • " ■ ,' ^.'. 

^ Das Schreiben wird als echt angenommen von Gottlob 238 und Lea 138. 
Letzterer mächt für die Echtheit den Umstand geltend, daß der, Ablaß bloß für 
den Tag der Einweihung, nicht für das jährliche Kirchweihfest erteilt worden sei. 
Er hat aber übersehen, daß es in dem Schreiben heißt: i,Et in alio anno annua- 
liter etc." " ' 

*. Da Erodon im Jahre 1029- nicht mehr Bischof von Sisteron war (vgl. 
Alhan^sl 685 ff.), muß die Konsekration der Kirche, früher stattgefunden 
haben. j , . ; ■ < s 

.^ Mabillön, Annales IV 355: „Fecerunt absolutionem de omnibus peccatis 
minimis et maioribus, relaxando scilicet poenitentibus, qui ad illam ecclesiam 
convenirent, de tribus diebus imum: ita ut si quis intra quadraginta poenitentiae 
dies mortuus esset, censeretur absolutus de omni peccato, quod presbytero con- 
fessus esset." : 

* Villanueva VIII 259: „Constituo . . . ego Ermengaudus praesul sedis 
TJrgelh cum domno archiepiscopo Narbonensi aliisque episcopis michi consen- 
cientibus, ut quicunque homo vel femina ad iam dictum cenobiumi S. Petri venerit 



IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirohenbesuoh. 139 

ZU dem Kloster kommt und^'für die Kirche sowie für die andern Werke 
einen Beitrag spendet, der soll von selten Christi ' absolviert sein; von 
alleii ischweren Sünden, für die er Buße empfangen hat. ■ Wer aber in 
frommer Meinung zur" Bruderschaf t^ kommt, einen . Beitrag .spendet 
und in' eigener Person oder' durch einen - Stellvertreter die übliche 
Kerze opfert,^ soll von allen Sünden,' wofür- er Büße empfangen, ab- 
solviert sein". •' ,',Wir' selber," soviel wir können, erlassen alles." 

In der Konsekrationsurkunde der Äbteikirche' voii' Pörtella er- 
klären die Bischöfe, sie hätten deii Gründer der 'Abtei, einen gewissen 
Wifred,*! -beauftragt, sich' mit "^ dem Stiftüngsbriefe auf die- künftige 
Synode von NarBonne'zubegeben, um ihn dort von den versammelten 
Vätern bestätigen zu lassen. In dem' 'vori'iVillanueva;! veröffentlichten 
Dokument schließt sich diese Bestätigung; unmittelbar, an i die-, von deii 
vier ^Bischöfen ausgestellte Urkunde' an. Da Bisehof .Ermengaud^von 
ürgel, der bereits-am-S. November 1035 gestorbeii^dsti die Beschlüsse 
der Narbonner Synode ünterzeichnfet hat, so. kann diese Synode nicht 
erst" 1043, .wie vielfach angenominen wird, stattgefunden haben; sie 
muß noch im* Oktober^ 1035' abgebeten 'worden sein.* Die zahlreichen 
Konzilsväter bestätigten; 'den ihnen' vorgelegten Stiftungsbrief von 
Portella und' gewährten zudem zugunsten! der Abteiivier, verschiedene 
Privilegien..' ' ' ■ '" ■> '■''' '. '■' .' ' •'' ■ ^ 

Zunächst erteilten sie den ■ Wohltätern des 'Klosters einen merk- 
würdigen Ablaß, der wohl einzig in seiner Art ist. Denjenigen, die 
der zu Portella gegründeten Bruderschaft 'beitreten oder für die Kloster- 
kirche einen Beitrag 'vom Werte ' eines Denars spenden würden, sollte 
die BuiJe für eine, scliwere Sünde, die sie am , meisten beurirüKige, 



vel ad ipsam ecolesiam atque ad aliaopera ex suo proprio 'ayere saliquem ■(!;) 
adiutorium fecerit in pane et vino, auro et argento vel aliis rebus, i ab' omni- 
potentis Christi dextera absolutus permaneat ex'omnibus inaioribus>pecoatis, 
unde penitenoiam habet. Si quis vero ad ipsam. oatitatem,'que (!) vulgo fratrias 
vocant, bonoanimo pro Dei ämore convenerit vel ■ adiutorium. ibi fecerit, seu 
candelam per se vel per suum~nuncium direxerit, similiter, in Christi regno a 
ianitore regni oelorum introduotus, permaneat absolutus ex omnibus' peccatis 
unde penitenoiam accepit; quantumcunque ad nos ex nostra parte attinet, totum. 
indulgemus." ' ' ' > ■ , , - > ' , , - 

1 Im Texte steht- „ vel' V das aber .hier, wie auch sonst oft, ohne Zweifel 
„und" bedeutet. Ducange VIII 262; „FeZsaepe pro coniimctione et usurpatur." 
Vgl. auch Forcellini, Totius latinitatis lexicon VI, Prati 1875,' 263. •■ 

.- * „Caritas" bedeutet- sowohl die Bruderschaft selbst ' (Gallia Christ. VI. 
Instr. 366) als das jährliche Bruderschaftsfest. ' . < . 

' Zum bessern Verständnis, der Bestimmungen- bezüglich der Bruderschaft 
sei auf eine andere Urkunde verwiesen (Villanueva XI 185), wodurch Bischof 
Odo von Urgel im Jahre 1100 eine Bruderschaft an der Kirche in Lillet errichtet 
hat. Es wird darin bestimmt,' daß die Mitglieder jedes Jahr einmal zusammen- 
kommen, „et peragatxir karitas, quae vulgo dioitur fraterna, et per quodque (!) 
aimum donet unusquisque fratrum in-vigilia altaris agenda candelam unam." 
Dann, wird noch bestimmt, daß die Mitglieder der Bruderschaft, die jährlich 
für die Kirche einen Beitrag zu spenden hätten, ihre letzte Ruhestätte im Kloster 
finden würden; auch wird ihnen empfohlen, die ärmeren Mitglieder zu unter- 
stützen. 

* Vgl. hierüber Acta Sanctorum. Novembris Tom. II, P. I (1894) 82. . 



140 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirohenbesuch. 

erlassen werden.^ Bei der Einweihung der- Kirche hatten die vier 
anwesenden Bischöfe den ' Wohltätern des Klosters einen Erlaß der> 
Buße für alle, schweren Sünden, den Mitgliedern dertBruderschaft 
aber eineii Bußerlaß -für alle Sünden verheißen. Die in' Narbonne 
versammelten Konzilsväter fanden wohl diesen >,doppelten Ablaß * zu 
hoch; deshalb schränkten sie ihn ein: statt .der,. auf erlegten Buße für. 
alle schweren oder für alle, Sünden sollte bloß die Buße für eine 
schwere Sünde erlassen: werden.? < ' "■ 

i Ein zweites Ablaßprivilegium betrifft die Pönitenten, welche in 
Portella die vierzigtägige Fastenzeit am Dienste : .Gottes zubringen 
nnduwährend dieser Zeit eüie Lampe im.'<-,Gottesliaus unterhalten 
würden, oder, .falls sie ' verhindert wären, die.iganzs;, Fastenzeit jim 
EHoster, zuzubringen, wenigstens den Uüterhält einer Lampe bestreiten 
wollten. Diesen wurde eine Ermäßigung^ der* Bußfasten zugesichert; 
Hatten sie wöchentlich drei, zwei oder einen Tag. zu fasten, so sollte 
ihnen jede Woche ein Tag nachgelassen werden:?..- i , 

■ Ein drittes , ^Privilegium beschäftigt sich mit "Pönitenten, ^ denen 
auferlegt worden war, eine Wallfahrt riach 'Rom' zu. imachenv Von 
dieser laiigen Pilgerreise ; konnten sie entbunden ) werden, wenn, sie 
siebenmal mit eigenem Lichte nach Portella pilgern wollten.* -Hier 
handelt es sich nicht um einen Ablaß, sondern um eine Bußumwandlung. 
Auch' das vierte Privilegium ist nicht den Ablässen beizuzählen.^ 



^ Villanueva VIII 262: „Pro Dei amore.et b. Petri,. . . honore facinms 
constitutionem prephato loco, ut quicumque homo vel femina ... ad iam dictam 
fratriam venerit, pro remissione suorum peccaminum, Vel ad iam dictam ecclesiam 
ex tehxjs propriis vel in lumine eeolesie adiutorium fecerit, quantuill' unius' denarii 
precium potest estimari, de parte Dei et nostra maneat absolutus de I ex miaioribus 
peceatisi iquod plxis tim.etjetriUadetniaiorein penitentiam. habet." ' > 

(il-n 2^iVgl.;hierzu'Fälco. 143i;;ff. * ' ■ ^ ^ 

; ■ ? ,>Constitiuniusi ütdndiebTis.XLö quicumque fidelium ibi usque in Pascha 
in servici6;Deiipers,eyerayerit etrlampadaeius tota-XL^in ecclesia beati Petri 
apostoliarseritjSiiveillejiquitoto -tempore XL® aliqua necessitate constrictus ibi 
perseyerare minime potüerit et tamen lampada ipsius per totum tempus XL® in 
prephata ecclesia competenti tempore arserit, si penitentiam trium vel duorum 
autcerte; unius jdiei itenueriti^^ pro Jamore Dei et hönore Sti. Petri ex tribus vel 
duobus umma diem usque in Caput XL® solvimus." Über den Sinn dieser Be- 
stimmvmg vgl.iOFalco .147 f. Sira. Zweifel kann man darüber sein, wie die Be- 
stimmung- j,usque in Caput XL®'', zu erklären sei. Bedeutet sie, wie Falco meint, 
„bis zixm ;Eride der .rPaätenzeiit'' ? voder muß es heißen, „bis zum Anfang .der 
Fästönzeit", so daß dert^Erläßt sich; bloß auf die Bußfasten während- des Jahres,, 
nicht aber auf das vierzigtägige »Fasten vor Ostern bezogen hätte.? Letzteres 
istdas Wahrscheinlichere,! da ;häuf ig die vierzigtägige Fastenzeit vom. Bußerlaß 
ausgenommen ' wurde; so' in -dem. oben erwähnten Ablaßprivilegium- für Mont- 
majom", so auch in dem -unten anzuführenden Ablaß für Pierrefeu. 

*' ,>Si- quis auterh pro remissione peccatorum in penitentiam- habet, ut ad 
ecclesiam S;: Petri Romecupiatjipergere et ad iam dictum cenobium S. Petri 
peregrinus cum propriacandeläsepties venire studuerit, tantum illi prosit, quo- 
mödo si longi itineris iperegrinationem tenuerit." 

^ Villanueva VIII 262: „Qui vero ad iam dictam ecclesiam tres magistros 
vel certe dUosfXL^ (bgi Villanueva steht XL®) diebus.in pane et vino atque 
redemptione de tinuerit, tantum mercedis accipiat, quantum si sancti septilcri 
desiderio ductus illio pergere voluerit, et gratiam Dei promereatur et apostolica 



IV.i-Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirohenbesuoh. 141 

• 

Die Synode erklärt, daß derjenige, der während 40 Tage beim Kirchen- 
bau drei oder vier Maurer .in Nahrung und Löhnung unterhalte, so 
viel Lohn dafür empfangen solle, als. wenn er eine Pilgerfahrt nach 
Jerusalem unternehmen würde; zudem- wurde ihm der apostolische 
Segen und die Absolution der Konzilsväter zugesichert. Unter dieser 
Absolution ist nicht etwa ein Erlaß der Bußstrafen zu verstehen, 
sondern die Entbindung von der Pilgerfahrt nach Jerusalem, falls 
man sich durch ein Gelübde dazu verpf hebtet hätte i . ■ 

Ln Vorübergehen sei hier bemerkt, daß es noch andere Urkunden 
gibt, sowohl 'echte als unechte, in denen erklärt wird, man könne 
durch ' den Besuch einer bestimmten ' 'Kirche dieselben Gnaden er- 
werben, wie durch eine Wallfahrt nach Rom oder Jerüsalein.. So 
heißt es in einem gefälschten Schreiben Gregors I. (590 — 604), daß 
man im- Notfalle die beabsichtigte Romfahrt durch einen Besuch der 
Peterskirche . in Nantua (Diözese Lyon) ersetzen und hier, dieselbe 
Verzeihung und den apostoHschen Segen wie in Rom, finden könne,^ 
Gefälscht ist auch das Schreiben, worin Papst Agatho im Jahre 680 
ein ähnliches Privilegium der Peterskirche in Medeshamstede verleiht.^ 
Dagegen dürfte eine Konsekrationsurkunde der Eärche von Paler a 
(Diözese Gerona) ■ aus dem Jahre 1085 echt sein. Mehrere Bischöfe, 
die bei der Einweihung der Kirche zugegen waren, erklären, daß, wer 
das GotteshauS;besucht und für dessen Unterhalt einen Beitrag spendet, 
von Gott denselben Lohn empfangen solle, wie durch eine Wallfahrt 
nach; Jerusalem.^ , . 

Vier Jahre später (1089) forderte Urban II. die Großen und 
Bischöfe von Katalonien zur Wiedererbauung der Kirche von Tarra- 
gona auf. Diejenigen, die im Sinne hätten, das heiÜge Grab in Jeru- 
salem, oder andere heilige Stätten (partes alias) zu besuchen, mahnte 
er, die Reisekosten Tarragona zukommen zu lassen; dabei verhieß er 
ihnen» von selten Gottes denselben „Ablaß" (indulgentiam), den sie 
sich durch die lange Pilgerfahrt verdienen würden.* Man hat in dem 



benedictione loboratus nostra omnium adfirmatione et absolutione solvatur." 
Daß XL^, nicht XL® zu lesen ist, kann kaum einem Zweifel unterliegen. Wäre 
die vierzigtägige Fastenzeit gemeint, so würde es heißen,' wie unmittelbar vorher: 
in diebus XL®, oder per totum tempus XL®. Unter magistri sind nicht not- 
wendigerweise Maurermeister zu verstehen; der Ausdruck magister wurde auch 
für einfache Maurer gebraucht. Vgl. Ducange V 171. 

1 Pflugk-Harttung'III 2 f.: „Si quis fidelium, Romam ire disponens 
aumptusque ei defuerint, ipsumque memoratum locum adeat, si ibidem pro 
posse elemosinam fratribus inxpendat, eandera veniam et benedietidnem apo- 
stolicam sine dubio inibi percepturus, sicuti ad limina apostplorum." 

* Jaffe 2111. Monasticon Anglicanum I, London 1682, 66. Haddan 
III 153 ff. 

3 Espana sagrada XLIV S. XIV f.: -„'Concedimus predicte ecclesie . . , 
talem libertatem, ut quiounque illic causa orationis venerit et de sua proprietate 
vel substantia predicte ecclesie dederit, accepta peocatorum confessione ac peni- 
tentia ex malis retro .ante comnxissis, talis ei merces a Domino recompensetur 
sicut in sepxilohro Domini' .nostri lesu Christi Iherosolimitano." ■ 

* Migne CLI 303. . , 



142 JVv Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch. 

• 

Sciireibeii'IJrlbans eine spätere Fälsclaüng; sehen wollen.^ Es scheint 
allerdings etwas verdächtig zu sein; doch sind die Gründe, die« man 
gegen seine Echtheit geltend macht, -nicht überzeugend genug.?- Mit 
Unrecht spricht man übrigens -von einem eigentlichen Ablasse, den 
ürbän II. in diesem Schreibeil verliehen hätte. Es handelt, sich bloß 
um die althergebrachte Anschauung, daß man durch fromme .Wall- 
fahrten Verzeihung der Sünden von Qott erlange. Der Papst erklärt» 
daß man sich dieselbe Verzeihung auch durch Unterstützung der 
Kirche von Tarragona verdienen könne. Einen ganz besonderen 
Wert hatte diese Erklärung für jene, die sich durch Gelübde zu einer 
Wallfahrt verpflichtet hatten oder -denen die Wallfahrt als Buße auf- 
erlegt worden war. Sie .wurden dadurch von ihrem Gelübde oder 
von der auferlegten Buße entbunden. 

Dieselbe Bedeutung hat ein Privilegium, das im Jahre 1118 
Bischof Dalmatius von Roda der Kirche von Tolba ausstellte: Der 
Besuch dieser Kirche sollte den gleichen Wert haben wie eine Pilger- 
fahrt nach Jerusalem oder nach andern berühmten Wallfahrtsorten.* 
So soll auch Calixt II. (1119 — 24) den Engländern, die zweimal nach 
St; Davids (Wales) pilgerten^ (denselben; geistlichen; Segesii verheißen 
haben, den sie sich durch eiiie eiiimahge^Bomfaiirt erwerbet 
Kehren? wir nun wieder zu den sütereri -Ablässen züriickj ' ' u- 

In den Jahren' 1041—52 soUeii ötliche'^BischÖfedeii Wohltätern 
der Abteikirche St. Eides in Gdnqüesi (Diözese Rodezj die Näch- 
lassung der HäHte der auferlegten Buße verheißen ha^feh;^ Dieser 
Ablaß, den ein^ nicht näher J bekannter iAbt von Gpnqueis, Amabricus 
mit Nanieuj zur Kenntnis der Gläubigen bringt j 5 ist zwar nur schwäch 
bezeugt ; doch läßt sich gegen dessen Echthcdt kein stichhaltiger Grund 
anführen: Dagegen ist der Ablaß von s7'^ Jahren und 17 Quadrageiien 
nebst einem vollkommenen Sterbeablaß , den nach derselben Quelle 



1 J&iU Ö401. Riant, in Archives de i'Örient laiih I, Paris 1881, 68^f . 

* Devic und Vaissete II 273 f. halten daß- Schreiben für echt. 

^ Espana sagrada XL VI 227: „Si esset homo vel femina que voluisset 
pergere ad S. lerusalem vel ad S. Petrum Rome, aut ad S. lacobum' Galissie, 
seu ad S. Mariam de Podio, vel in aliam peregrinationem, et venisset ad locum 
illum et ibi misisset suam hele'mosinam, tantum prodesset sibi quantum si 
pergeret ad illas peregrinationes." 

* Willelmus Malmesbiriensis, De gestis regum Angelorum libri quin- 
que II, London 1889, 507 f. [Rerum britanmcarum Scriptores XCJ^ Wilhelin 

, lobt Calixtus, daß er frei von Geldsucbt gewesen sei, „adeo ut Anglos peregrinos 
iriagis ad sanotiHn David quara Romain pergere admpner^ pro yiae longitudine ; 
ad illuin locum bis euntibus idem benedictionis refundendum commpdxim, quod 
haberent qm semel JRomam irent." 

. , , ^ L. Saltet, Le diplöme d'indulgeiices poür la construotiori de l'öglise de 
Gonquesy in Bulletin de litt^rature eoclesiastique (Toulouse 1902) 120-—rl26: 

„Ulis qui vel manu larga vel ex pauperibus exiguummunus, singulis annis, ad 
opus ecelesiae Si Fidis aut ad luminare eiusdem contulerint, quantum in obis 
a Deo permissum est, absolvimus medietatem de illis poenitentiis quas iidem 
secundum conscientias suas iuste acceperunt." ,; .! ZU ; j , 



•IV. Die ältesten Ablässe für Almosen tincl Kirchenbesuch. 143 

ein Papst Alexander fürConques erteilt halben soll/ sicher den so zahl- 
reichen mittelalterlichen Fälschungen beizuzählen. 

Besser, beglaubigt ist der Ablaß,' den im Jahre 1046 bei der Kon- 
sekration der Kirche von Nötre-Dame d ' Arie s (Diözese Ehia) den 
Wohltätern dieser Abtei Erzbischof Guifred von Narbonne mit andern 
Bisehöfen verliehen hat: Diejenigen, die für ihre Sünden Buße emp- 
fangen hatten, wurden auf ein Jahr davon losgesprochen; mit andern 
Worten',- es wurde ihnen ein Ablaß von einem Jahre erteilt. Würden 
sie aber im ' Laufe 'äes Jahres sterben, so sollten sie von Gott und 
den Bischöfen absolviert' sein.^' 

Durchaus glaubwürdig ist der Ablaßt den um 1050 Bischof Deödat 
von Toulon den Besuchern und Wohltätern einer Kirche inPierrefeu 
bewilligt hat; ' Denjenigen, die für geringere Sünden Buße empfangen 
hatten, sollte die Hälfte davon erlassen werden; jenen, die für schweriere 
Sünden drei oder vier Tage in der Woche zu fasten hatten, wurde ein 
Tag in der Woche nachgelassen. Doch sollte die Büßermäßigung 
während der Adventszeit und der. 40tägigen Fasten keine Geltung 
haben.^ 

Um 1054 wurde unter Beteiligung zahlreicher Bischöfe, ins- 
besondere der Erzbischöfe Guifred von Narbonne und Raimbaud von 
Arles, die neue Kirche von Maguelone eingeweiht,* Wie der spätere 
Bischof von Maguelone Ar naud de Verdale in einer 1339 verfaßten 
Schrift berichtet, gewährten die bei der Feierhchkeit anwesenden 
Bischöfe den Wohltätern der Kirche folgende Begüristigungisn : Wer 
der Kirche von Maguelone sein Erbteil vermache und auf deren Fried- 
hof sich begraben lasse, solle von allen Sünden, die er gebeichtet 
und wofür er Buße empfangen, absolviert sein. Wer am jährlichen 
Kirchweihfeste die Kirche besuche und am Feste selbst oder während 



^ „Remeclium septem annorum et septem quadrageriarum de acceptai 
poenitentia per Dei gratiam et apostolicam'benediotionem habeat; et post mortem, 
si in bona confessione obierit, remissionemomnium peccatorum suorum peroipiat.** 

2 Maroa 1091: „lUos horoines, qui adiutores sunt vel -fuerint ad per- 
ficiendum aedificium präefixae domus, quae manet adhuc imperfecta, absolvimus 
eos a peccatis illorum, de quibus agunt vel egerint poenitentiam, usque ad cir- 
culum anni. Si cui vero ex illis infra praelibatum terminum mors advenerit, 
intercessu gloriosae virginis ... et omnium sanctorum absolvat eos Pater et 
Filius et Spiritus sanctus et nos, quantum permissu (!) nostro est." Zu dem 
„absolvimus . . . usque ad circulum anni" vgl. in dem oben angeführten Ablaß- 
privilegium für Montmajour die Bestimmting „Absolvimus , . .' usque ad unum 



annum". 



^ Guörard I 482: „Absolutio quod (!) domntis Deodatus episcopus, cum 
universis clericis suis, fecit in hoc loco, tam.viris quam mulieribus, de omnibus 
peccatis suis tarn de maioribus quam de minoribus, unde poenitentiam egerunt 
vel agere cupiunt: de minoribus unam medietatem; de maioribus dimittimus 
qui in tres dies est unum, et qui in duobvis, dimittimus unum, extra quadra- 
gesimam et adventum, ad eos qui ibidem fideliter venerint vel vigilaverint, aut 
de possessionem suam ( ! ) valente unum denariurn, per unimaquenique ( ! ) anno, 
hio adiutorium dederit." 

* Devio II 606 f. Neue, Ausgabe IV (Toulouse 1876) 161 f. F. Fabrege, 
Histoire de Maguelone I, Paris 1894, 108 f. . 



144 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch. 

der Oktav beichte, solle, falls er im Laufe des ■ betreffenden Jahres 
sterbe, der apostolischen und bischöflichen; Absolution sich erfreuen, 
die Verzeihung der Sünden und das , ewige Leben erlangen.^ Daß 
Arnaud genau berichtet, steht nicht außer allem Zweifel. Die Be- 
stimmung, daß man am .Kirchweihfest oder in der Oktave beichten 
solle, scheint auf eine spätere Zeit hiniäuweisen; zudem geben die 
Unterzeichner des Privilegiums Anlaß zu allerhaiid Bedenken. Auch 
sonst erzählt Arnaud Dinge, die nichts weniger als glaubwürdig- sind ; 
so behauptet er z. B,, Urban II. habe 1096 verordnet, daß der Kirche 
Yon Maguelone (eine ganz unbedeutende Kirche) nach der römischen 
Kirche die erste Stelle- gebühre. ^ Sollte aber, sein Bericht über das 
bischöfliche Privilegium auf, Wahrheit beruhen, ,so dürfte wohl die 
zweite von ihm erwähnte Absolution. als Sterbeablaß aufzufassen' sein. 
Auch die erste Absolution, die jenen verheißen wird, welche ihr 
Erbteil der Kirche von Maguelone zuwenden und auf deren Friedhof sich 
begraben lassen, ist allem Anscheine nach als Sterbeablaß zu betrachten. 
Für die Wahl der letzten Ruhestätte bei einer bestimmten Kirche 
wurde damals häufig eine Generalabsolution in Aussicht gestellt. So 
haben im Jahre 1045 bei der Konsekration der Klosterkirche von 
Fluviano Erzbischof Guifred von Narbonne und mehrere andere 
Bischöfe jenen, die sich auf dem Friedhof der Kirche begraben lassen 
Avürden, die Absolution erteilt.^ ,Noch im Jahre 1045 wurde die 



1 „Decreverunt, ut, si quis homo in vita sua hereditatem suara ad Ecclesiam 
supradictam post mortem suam, concesserit, et de peccatis suis confessus fuerit, 
et in cimeterio Eeclesie memorate sepultus fuerit, ab omnibus peccatis, de quibus 
penitentiam suscepit, absolütus sit, et particeps fiat vite eterne et regni Dei. 
TJt quicumque homo cuiuscumque proviuoie ad solemnitatem huius eeclesie que 
per singulos annos celebratur, advenerit, .e,t peccata suä eo die yel infra >octo 
dies confessus fuerit, si infra terminiun ilüus anni naortuus fuerit, apostolicam 
absolutionem et episcopalem habeat, et femissionem peccatorura et Adtä-m 
«ternam accipiat." ATnoldus de Verdale, ßatalogus episcoporum Magalo- 
nensium, veröffentlicht von Oh. de Grrefeiiille;, Histoire de lä ville de .Mpijt^ 
pellier II, Montpellier J:739,; 423. A. Germ ain; Axriaxid de^iVei^dale. ; M 
pellier..;1881,.. 68. :;■.;• ■^■.:-,^:.: ■_--■■.' -r^:-. \'■■^ ,--;-:^! -■>:.:,-iv!: . . : Ho>i .: -j: ■ r. 1 f - 

; , * „Secundo locö>pbst Bomanam.iEcclesiam' honörifioandato : deoreyit;: et »t 
se fideles de quibuscunque loeis ibidem ; sepeliri; facerent, dihgeritermonmt/' 
De Grefeuille 427. ; Germain; 77v ■L;^aulöt'(ürbain I^ 
bemerkt dazu :,,I1 parait evident qu'ici le chroniqueur, anime du .d^sir de rpndre 
demesurement cölebre son siege episcopal,ä depasse les bornes de 1» vraisemi 
^blancei." ; ■ ':'■:;:.•. ■■.;:; : ^. • -^■^ ■; , , . ~.:.r-\-^-:onV'.. 

^ Marc a 1088: ,,Onmes, qui praefatilociladiutores et visitatöres ßxtiterint^ 
et qui de rebus suis eidem contulerint, atque inaedifioando adiutoriumimpenderint, 
totius beneficii in coenobio Guxanensi äd qupd idem loeiis pertinerie: dinöscitur 
facti decernimus esse participes . .% Ceterurn eos[ qüi corpora sua hio sepulturae 
tradenda decreverint, tradita nobis a Deo ligandi a.tque solvendi pötestate ab-- 
solvimus," Unter dem „beneficium in coenobio .Cuxanensi; factum" ist nicht 
das, von Ouxa „erlangte Gnadentum"- oder dessen Ablaß zu verstehen;; es iwirid 
bloß den Wohltätern eine Teilnahme an den Gebeten und guten Werken dßr 
Mönche verheißen. Vgl. bei IJaroa 1089 den Bruderschaftsbrief »wodurch Guxa 
sein „beneficium" zwei Wohltätern mitteilt: „Damus societatem praedictis; . > ;. 
in omni bene.fipio nqstro quod faciinus et f äotuxi sumtisi id est in ; pinnibT:^ 
orationibus, in eleemosynis et in aliis omnibus Domino placitis bohis." ;, j: 



IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirohenbesuch. 145 

Absolution wieder von Erzbisehöf Guifred tind andern Bischöfen jenen 
gesjpendet, die sich auf dem Friedhof der Abtei St. Martin de Lez 
(Diözese Narbonne) ^beerdigen lassen würden.^ Als um 1066 der Bischof 
Rostagiius von Lodeve den Mönchen von Gellone auf ihre dringende 
Bitte erlaubte, diejenigen seiner Diözese; die es begehrten, auf ihrem' 
Friedhof zu bestatten, absolvierte er zugleich die Gläubigen, die in 
GeUone begraben würden, von den Sünden, für welche sie Buße getan 
hätten.^ Eine ähnliche Absolution erteilten 1073 der Kardinallegat 
Giraldus jenen, die den Friedhof der Abtei St. Jean-du-Mont 
(Diözese Auch) zu ihrer letzten Ruhestätte wählen würden,* und 
Bischof Agano' von Autun (f 1098) zugunsten dreier Kirchen* seiner 
Diözese.' Man könnte geneigt sein, in diesen Absolutionen nichts 
anders izu sehen als fromme, von autoritativer Seite ausgesprochene 
Segenswünsche, wie ja so manchen mittelalterlichen Absolutionen, die 
sowohl Lebenden als Verstorbenen erteilt wurden, keine andere Be- 
deutung, beizulegen ist. Es ist aber wahrscheinlich, daß es sich um 
Ablässe handelt, und zwar um Sterbeablässe, d. h. solche, die für den 
Augenblick des Hinscheidens in Aussicht gestellt werden.^ 

Verdächtig ist ein eigentümliches Privilegium, das im Jahre 1056 
Erzbisehöf Raimbaud von Arles, im Verein mit einem . Erzbischof 
Austirigus, -dem Bischof Wilhelm von Toulon und dem Abt Petrus 
von St. Viktor der Kirche von Trets (Tritis) bei deren Ein- 
weihung ausgestellt haben soll: Wer der Kirche von Trets ein 
Gut vermache, solle von den Sünden, die er gebeichtet, absolviert 
sein; dieselbe Absolution solle jenen zuteil werden, die dreimal im 
Jahre dem nächtlichen Gottesdienst in der Kirche beiwohnen oder 



1 Gallia Christiana VI. Instr. 105: „Quicumque pro salute animae vel 
corporis sui ad utilitatem eiusdem loci mobilibus vel immobilibus rebus aliquid 
contuleriti et in confessione Christi migraturus ex hoc saeculo ad eum se de- 
portari destinaverit et ibi requieverit, a Domino indulgentiam et requiem sempi- 
temam conseqüi se confidat, et ex nostra parte, quantum nobis commissum est 
a Domino, vice b. Petri absolutum se sciat." Auch bei Devic II. Preuves 212.' 

^ Mabillon, Annales IV 630. Gallia Christiana VI. Instr. 274: „Eos qui 
sepulti fuerint vestro in oimiterio, de quibus' poenitentiam egerunt, absölvo' 
a peccatis." Die Urkunden von Gellone aus dem 11. Jahrhundert sind allere 
dings sehr verdächtig. Vgl. Mölanges de litt6rature et d'histoire rehgieuses 
publikes ä rocoasion du jubilö öpisoopal de Mgr. de Cabrieres III, Paris 1899, 413, 

3 Baluzius, Miscellana III 44; „Quicirnque in praedicti monasterii coeme- 
terio sepeliri se fecerint, et de peccatis sms puram confessionem Deo obtiderint 
veramque poenitentiam susceperint et egerint, eos apostolica auctoritate ab- 
solvimus et fraternarum orationum atque eleemosynarum participes esse lau- 
damus." 

* Galüa Christiana IV. Instr. 83: „Quicunque saecularis vel clericus prae- 
diotarum ecelesiarum eimiteriis corpora sua sepeliri ad sustentandam pauperum 
Christi pauperiem concesserint,'si viatico corporis et sanguinis Christi praemuniti 
pecoatorum confessionem habuerint, quam possimaiis et debemus absoliitionem 
auctoritate nobis commissa suscipere mereantur." 

^ Daß die verheißene „Absolution" Sterbenden zugedacht ist, zeigt das an 
letzter Stelle angeführte Schreiben, worin der Empfang der heiUgen Wegzehrung 
vorausgesetzt wird. 

Paulus, GeBchlchte des Ablasses. 10 



146 ly. Die. ältesten. Ablasse für Almosen und Kirchenbesueh. 

drei Tage für sie arbeiten würden.^ Ein Erzbischof Austingus kommt 
sonst nicht vor. Man sagt wohl, es handle sich um den Erzbischof 
Rpstagnus von Aix.^ Allein, noch am 13. September 1056. erscheint. 
Pontius, Erzbischof von Aix, auf einer Synode in Toulouse.^ Daß 
ihm Rostagnus schon im Jahre 1056 nachgefolgt, sei, steht keineswegs 
fest. Seltsam ist auch die Wendung „in.ipsa absolutione permaneat"-. 
In andern Urkunden wird. sie wohl bisweilen gebraucht von .der Ab- 
solution, die für den Eall des Ablebens erteilt wird, gewöhnlich aber nicht. 
^11 sonstigen Fällen. ' ^ 

' Mit der Konsekrationsurkunde für Trets stimmt mutatis mu-, 
tandis wörtlich überein eine ebenfalls im Jahre 1056 von Bischof 
Wilhelm von Toulon ausgestellte Konsekrationsurkunde für die Kirche 
von St. Pankratius. Nur fehlt am Schlüsse des Schriftstücks^ im 
ürkundeiibuch von St. Viktor, das Ablaßprivilegium.* Merkwürdiger- 
weise findet sich aber dies Privilegium, als von den Erzbischöfen 
Raimbaud und Austingus, von Bischof Wilhelm von Toulon und Abt 
Petrus von St. Viktor .außgestellt und etwas vermehrt in einer angeb-. 
liehen Originalurkunde, die in Marseille, verwahrt wird.^ Aus . dem 
Umstände, daß das Ablaßprivilegium in dem aus dem 12. und 13. Jahr- 
hundert stammenden Urkufide'nbuch von St. Viktor fehlt, darf man 
wohl schließen, daß es erst nachträglich von einem Fälscher der echten 
Kbnsekratiorisurkünde beigefügt worden ist. Als Vorlage diente "das 
zweifelhafte Privilegium für Trets. ^ 

Als um 1070 Erzbischbf Rostang (Rostagnus) von Aix eine 
neue Kathedrale bauen wollte, mahnte er die Gläubigen, Beiträge 
zu spenden, und verhieß ihnen dafür einen „großen Ablaß der Sünden"^ 
ohne jedoch diesen Ablaß näher zu bestimmen.' 

Wenn auf Grund alter Inschriften oder Kaiendarien berichtet 
wird, daß itahenische Bischöfe in den Jahren 1085,^ 1093 oder 1094,* 

. . ^ Guerard I 140 f. : ,,Si autem homo aut femina dotaverint hanc ecclesiam 
de suis possessJonibus, ita ut alodem faeiant, si confossus fuerit episcopo vel 
sacerdoti peocata sua, sint illi.dimissa ex parte Dei et domni Raimbaldi archi-. 
episcopi atque domni Austingui archiepiscopf, et domni Wilhelmi Tolonensis 
episcopi, et domni Petri abbatis S. Victoris." Si vero homo vel femina ter in anno 
^d vigilias venerit, aut tres dies hie laboraverit, in ipsa absolutione permaneat."^ 
. . 2 Albanes I 50. » Albanes I 49. « Guerard I 146 f. 

^ Albanes -Chevalier V 33 f.: „Si autem homo etc." bis ,,permaneat'V 
wie im Privilegium für Trets. Dann heißt, es noch: „Et quicmique in isto loco 
mortui requiescunt, aut quicunque hie venerint et hie requievqrint, sint absolut! 
ex. parte r)ei omiiipptentis et supradictorum episcpporum atque canonieorum^ 
et„pmniuni honiinrnn fideKum.'' ,",_ , ; . ., v ,! ; ;' ;;\. i; ii.:;i: ;- 

• ,;. i ® Von Bischof Wilhelm .von T.odlon. haben Sich .noch verschiedene ;anderev 
Konsekrationsm-kuriden erhalten, die alle kein Ablaßprivilegium aufweisen,; 
Albanes-Chevalier V 32 (1055) 34 (1056) 36 (1068). 

k:; . ' j, Quatenus a Deo et a "nobis remissionem peccatorum suorum magnam 
recipiat.'V Albanes I. Instr. 2., Auch bei Faillon II 689 f. 
^ ; , -: ^ Kardinal Odo für eine lürche in Velletri. Ughelli 1 45. A. Borgia, 
Istoria della chiesa e cittä di Velletri. Nocera 1723, 199. F. A. Maronus, Com-, 
mentarius^ de ecclesiis et episcopis Ostiensibus et Vclitemis. Romae 1766, 68^ 
•,, . . ® Bischof Alcherius von Palermo mit andern Bischöfen für die Kirche-, 
Srüäriae de Turri. Ughelli IX 425. . . . ... 



•IV, Die ältesten Ablässe für Almosen und- Kirchenbesuch. 147 

1095!^ für den Jahrestag der Kircliweilie' einen' Ablaß von 40 Tagen 
verliehen haben, so -darf -man wohr derartige Ablässe in eine spätere 
Zeit verlegen. ' ^ • , , , . 

Daß gegen Ende des 11. Jahrhunderts auch schon in Deutschland 
bei der -Einweihung von Kirchen Ablässe erteilt wurden, meldet ein 
iim 1205 ; verfaßter Bericht über die im- Jähre' 1089 durch die Bischöfe 
Adalbero von Würzburg und Alt mann von Passau vollzogene Kofi-' 
sekrationder Klosterkirche' von Lambach.^ Leider wird über den 
bewilligten Ablaß nichts Näheres mitgeteilt; zudem ist der Bericht 
nicht' alt genugj um als durchaus zuverlässig gelten zu "könrien.^ 

' Hiermit dürfte die Aufzählung der bisher bekannt gewordenen 
Ablässe, die im 11. Jahrhundert Bischöfe für Almosen und Kirchen- 
besuch' erteilt haben, erschöpft sein.- Diejenigen, die sich mit voller 
Sicherheit . nachweisen lassen, sind nicht sehr zahlreich. Sie treten 
zunächst in' Nordspanien und im südlichen Frankreich auf. 

* * 

* ■ 

Päpstliche Ablässe kommen erst später. vor. Aus der ersten 
Hälfte des 11. Jahrhunderts ist kein einziger bekannt, der Anspruch 
auf Echtheit machen, könnte .^ Verschiedene, die aus jener Zeit an- 
geführt werden-, sind als Fälschungen zu betrachten. Sicher unecht 
ist, wie oben bemerkt worden, der Ablaß, den Sergius IV. im" Jahre' 
1010 für Correns und Montmajour erteilt haben soll. Erdichtet ist 
auch die Ablaß bulle, welche die Benediktinerinhenabtei Neu bürg 
a. d. Donau von^Benedikt VIII. unterm 3. Januar 1020 erhalten 
zu haben vorgab: Allen jenen, die nach reumütiger .Beichte, an ver- 
schiedenen Festen, unter anderm am Fronleichnamsfeste '{!),- die' 
Klosterkirche besuchen und für deren Unterhalt einen Beitrag spenden, 
wird ein Ablaß ,von-50 Karenen und, 3 Jahren für schwere Sünden,-, 
sowie von 6 Jahren für .läßliche Sünden in, Aussicht gestellt.* 
Klemens II, (1046 — 47) und Leo IX. (1052) sollen später diesen 
Ablaß erneuert haben.^ Loewenfeld hält mit Recht die Bulle für. 
unecht.^ Pflugk-Harttung betont wohl, daß die Bulle verschiedene' 
irrige Angaben enthalte; doch fügt er bei: „Ich wage nicht mit Loewen- 
feld die Urkunde als gefälscht zu verwerfen." Es kann indessen keinem 



^ Bischof Otto III, von Asti bei der Einweihung der dortigen Kathedrale .- 
XTghelli IV 359. Die Einweihung der Kirche hat nicht erst 1096, wie Ughelli 
meint, sondern schon 1095 stattgeftmdeh. Kehr,- Regesta VI 2, 177. 

^ Mon. Germ. hist. SS. XII 135: ,',Penitentes euiusounque criminis rei de 
absolutione et remissione peccatorvim gratulabantur."' 

^ Gröne 71 erwähnt einen Ablaß von '40 Tagen und einer Quadra- 
gene, den der Mindener Bischof Brüho-1044 verliehen hätte. Wie die Formel 
zeigt, handelt es sich um einen Ablaß aus' dem- 13. oder 14. Jahrhundert. 

* Zuerst veröffentlicht von M. Rottmanner in Blätter für das bayerische 
Gymnasial- und Realschulwesen XVI, München 1880,- 199 f., dann wieder von' 
Pflugk-Harttung III 6 f. - - 

5 Jaffe-Loewenfeld 4009 4140 4284. 

" Ebenso L. 0. Goetz in Zeitschrift für Kirohengesoh. XV (1895) 322 ff.- 
Lea 138 f. . . . . . > 

10* 



148 .IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch. 

Zweifel unterliegeii,,daß es sich um eine ziemlich ungeschickte Fälschung 
handelt, die wohl erst im 14. Jahrhundert- entstanden ist. Ein Teil 
der Urkunde ist au^. einem jener von niehreren Bischöfen, gemeinsam 
ausgestellten Ablaßbriefe entnommen, wie sie gegen Endendes 13. und 
im. 14. Jahrhundert öfters erteilt wurden. Erdichtet ist ebenfalls der 
Ablaß von 7 Jahren und 7 Quadragenen, den Benedikt,VIII. (1012 — 24) 
dem Kloster S. Benigno Canavese (Diöz. Ivrea) bewilligt haben, sölL?: 

Anläßlich der Einweihung des Domes von Aquilej a im Jahre 1031 
soll nach einer Inschrift Johann XIX. den Besuchern der Kirche am 
jährlichen Kirchweihfest 100 Jahre und 100 Tage Ablaß verliehen 
haben; für jeden Tag der Oktave waren 18, Jahre und 18 Quadragenen 
verheißen. Die anwesenden Kardinäle hätten ihrerseits 10 Jahre und 
10 Quadragenen verliehen. Mehrere angesehene Autoren nehmen 
diesen für jene Zeit ganz außerordentlichen Ablaß unbedenklich ani^ 
Die alte Inschrift, die den im Jahre 103! regierenden Patriarch Poppo 
redend einführt, verdient jedoch nicht den geringsten Glauben; sie ist 
unzweifelhaft in einer späteren Zeit gefälscht worden,^ 

Zu mannigfachen Erörterungen hat Anlaß gegeben ein Privilegium, 
das im Jahre 1040 Benedikt IX! in Verein mit mehreren Bischöfen 
bei der Einweihung der Abteiktrche St. Viktor in Marseille aus- 
gestellt haben soU.* Es wird darin ganz allgemein den Büßern, welche 
die Kirche besuchen wollen, der Erlaß aller Bußstrafen verheißen, 
unter der Bedingung, daß sie ihre Sünden beichten und sich bessern 
wollen.^ Die Echtheit dieses Privilegiums, das wohl schon iin 11. Jahr- 
hundert entstanden ist, hat noch in jüngster. Zeit entschiedene Ver- 
teidiger gefunden.* Mit Recht wird es aber von andern Eorschefn 
als Fälschung bezeichnet.' Daß es sich um eine Fälschung handelt, 
zeigt besonders -der Hinweis auf ein älteres Ablaßprivilegium. Soll 
doch durch das Privilegium von 1040 ein früher bewilligter Ablaß 
erneuert werden (in pristino absolutionis decore poniinus); zudem 
wird darin behauptet, auf „alten Marmortafeln" finde sich verzeichnet, 
daß die Klosterkirche von St. Viktor derselben „Absolution aller 
Sünden" sich erfreue, wie die römische Kirche des hl. Petrus, und dahier 



1 Kehr VI 2, 150. G. Calligaris, Un'antica oronaoa Piemontese inedita, 
in Publicazioni della scuola di magisterio della Universitä di Torino. Faooltä. 
di lettere e filosofia V, Torino 1889, 118. 

" Ciaoonius I 773. Ughelli V 50 f., Oappelletti VIII 167. . . 

3 Acta Sanctor. Octobr. III 897, f. r 

* Guerard I 14 ff. Neu abgedruckt, nach der angeblichen Originalurkunde 
bei Albands-Chevalierll 54ff. Vgl. Chevalier, Regeste Dauphinois n. 1811,. 
wo noch andere Fundorte und die neuere Literatur angegeben werden. ■ 

* „Apostolico privilegio prediotam ecclesiam sanctificamus, atque in pristino, 
absolutionis decore ponimus, quo onanis penitens qui ad eius limina tritis passibus' 
venerit, ecolesie f ores sibi pateant et indulta f acinora criminum, absolutus omnium 
criminum squaloribus libere ad propria redeat letus ; eo scilicet tenore, ut trans-,- 
acta peccata sacerdotibus confiteatur et de reliquo emendetur." 

^ Namentlich Albanes II ö7 f. Ein entschiedener Verteidiger der Echtheit 
ist auch Faillon.II 627 ff. 

' Wiederhold 47. Lea 139 nennt es „an evident forgery". , , 



IV. Die' ältesten Ablässe-' für A'lmosen und Kirchenbesucli. 149 

als das zweite Rom -gelte. ^- Allein vor dem 11. Jahrhundert gab es 
noch keine vollkommenen Ablässe für ^Kirchenbesuch, weder in Rom 
noch anderswo. 

Durchaus unglaubwürdig sind die Ablässe, die Leo IX. (1049 — 54) 
verschiedenen Kirchen in Deutschland, Frankreich und Italien erteilt 
haben soll. Einen nicht näher bestimmten Ablaß hätte er für den 
Fortbau des Straßbürger Münsters bewilligt.^ Die Kirche .Jung-St. 
Peter in Straßburg soll er bei deren Einweihung mit „sehr großen 
Ablässen" bereichert haben.^ - Ebenso hätte er bei der Konsekration 
der Kirchen in Altdorf und (Grriesheim und • des als Dömpeter be- 
zeichneten Gotteshauses (bei Avolsheim in Unterelsaß) Ablässe ver- 
liehen.* Besser bezeugt scheint der Ablaß von 140 Tagen zu sein, 
den Leo IX. bei der Einweihung der Kirche von Bergholzzeil (Öber- 
elsaß) für jeden der drei Altäre erteilt hätte. Allein die Inschrift, 
welche dies berichtet; ist erst- im 14. Jahrhundert hergestellt worden.^ 
Zur Zeit Leos IX. gab es noch keine Ablässe von 140 Tagen. Hätte 
übrigens Leo IX: die Gewohnheit gehabt, bei der Konsekration von 
Kirchen Ablässe zu verleihen, so hätte er dies vor allem bei der Ein» 
weihung der berühmten Remigiuskirche in Resims (1049) tun müssen, 
Allein, wie schon früher hervorgehoben wurde,* ist in dem ausführ- 
lichen Bericht über die Feier in Reims von irgendeinem Ablaß keine 
Rede. 

Von Reims hatte sich Leo IX. nach Trier begeben, wo er die 
Paulinuskirche einweihte. Nach einer" alten Aufzeichnung wären bei 
dieser Feier, an der sich zahlreiche Bischöfe beteiligten, nicht weniger 



1 „Hec est deniqüe illa etenii .sponsi aula, que ita damit apostolica beiie^ 
dictione atque omnium peccaminum labe absolutione, ' ceu universalis Romana 
ecclesia clavigeri Petri, et ideo secunda Borna legitiir esse. Quod ne oblivioni 
daretur futuris tempbribns, actenus inipressum antiqms continetur marmoribus." 
Dazu bemerkt" Faillo'n II 657: „II faut donc conclure que ce privilege avait 
au moins plusieurs siecles d'anciennet6. En effet l'äbbaye de St. Victor qui 
sortait alors de ses ruines, avait 6te dötrüite longtempsauparavant et n'avait 
plus offert pendant' plusieurs siecles qu'ün amas de jd^combres ... II potirrait 
bieri se faire que 'S.- Gr^goire le Grand,, qui institua a Rome des stations et y 
attacha des indulgences, eüt acccrdö lui-meme ■ ce privilege aux religieux de 
St. Victor." . ... 

* 0. Schad, Summum' Argehtoratensium Templumi Straßburg 1617, 12. 
Ph. A. Grarididier, Essais histöriques sur l'ißglise cathedrale de Strasbourg. 
Strasbourg 1782, 29. Fr. X. Kraus, Kunst und Altertum in Elsaß -Lothringen I; 
Straßburg 1876, 352. P. BruckerjL'Alsace et l'lfeglise au temps du pape Saint 
L6on IX II,- Strasbotirg 1889,. 77. ' - 

^ Erwähnt in' einem Schreiben des Straßburger Bischofs Konrad vom 
Jahre 1289 auf Grund eines Berichtes der Stiftsherren von Jung-St. Peter. 
Urkundenbuch von Straßburg II 120. Vgl. Kraus I 510. Brucker II 75. 

* Notitiae Altorf enses (13. Jahrb.), in Mon. Germ. SS.XV, 993 f. A. Schulte, 
Leo IX. ^ und die elsässischen Kirchen, in Straßburger Studien II (1884) 78 ff. 
Brucker I 192. • • , 

^ Kraus II 34 ff. A. Gatrio, Die Abtei Mxu^bach in Elsaß I, Straßburg 
1895, 196. 

« Oben S. 69. 



150 IV. Die ältesten Auslässe für Almosen und Kirchenbesuoh, 

als 2110 Jahre, 68 Tage und 90 Kareixen Ablaß gespendet worden.?^ 
Eine ganz phantastische Nachricht, über die kein weiteres . Wort zu 
verlieren ist. Nicht minder phantastisch sind die Ablässe, welche' die 
Abtei St. Emmeram in Regensburg zu besitzen vorgab. Bei der 
Einweihung der Kirche im, Jahre 898 soll Papst Eorm,osus, der 
schon 896 gestorben , ist und niemals, nach Deutschland kam, .für 
schwere Sünden 40 Tage, für läßliche 80 Tage Ablaß verhehen haben. 
Denselben Ablaß hätte auch mit Erlß,ubnis des Papstes ein jeder 
der zwanzig anwesenden Bischöfe (, (die Unterzeichner der Synode von 
Tribur 895!) erteilt.^ Als im Jahre 1052 Leo. IX, in Beisein vieler 
Bischöfe die neuerbaute Kirche konsekrierte, wären von, dem Papst 
und den eip.zelnen Bischöfen wieder 40 Tage für schwere Sünden und 
80 für läßliche bewilligt worden; auch hätte Leo IX. die frühere;n 
Ablässe von ,898 bestätigt. Die Zeit, in welcher diese Ablässe durclj. 
Kirchenbesuch und Almosen gewonnen werden .konnten, erstrecl^te 
sich vom 10. August bis auf den achten Tag nach dem Feste de^ 
hl. Emmeram (29. Sept.). Später habe dann Alexander IV, (1254— ;61) 
^ie Ablässe von Formosus und Leo gutgeheißen und einen neuen: ganz 
ähnlichen Ablaß beigefügt. 3o wird erzählt in Aufzeichnungen , 4eß 
15. Jahrhunderts, die bezüglich der erwähnten Ablässe nicjit den ge- 
ringsten Glauben verdienen.^ Daß aber Papst Formosus bei, der Ein- 
weihung der Kirche mitsamt den anwesenden Bischöfen einen „großen 
Ablaß" verliehen habe, wird schon behauptet in eiiiem gefälschten 
Privilegium König Ludwigs IV. vom Jahre 903,f das allem Anschein^ 
nach in den siebziger Jahren des 13. Jahrhunderts entstanden ist!^. 

■ Am 3. Oktober 1050 hat Leo IX. den Hochaltar der Stephans- 
kirche in Besangon eingeweiht. Bei dieser Gelegenheit soll er dieser 
Kirche nebst andern Privilegien auch > einen Ablaß verliehen haben; 
Den Besuchern der Kirche am Konsekrationstage wie am Jahrestagö 
der Weihe sollte ein Drittel der Buße erlassen werden.^ Die alte Auf- 
zeichnung, welche dies berichtet, nennt unter den anwesenden Bischöfen 

^ Mon. Grerm. SS. XV 1275 ff. Dieselbe Angabe findet sich in einer CoUeotio, 
die der Stiftspropst von St. Paulinus Friedrieh Schavard um 1403 verfaßt hat. 
Vgl. über diese Schrift Ph, Schmitt, Die Kirche des hl. Paulinus bei Trier. 
Trier 1853, 185. Schmitt 113 nimmt den Ablaß als echt an. 

2 Mon. G!«rm. SS. XV 1094. Als echt angenommen von Cöl. Vogl, Ratis- 
bona monastica I*, Regensbiirg 1752, 39. Dagegen bemerkt F. Janner (Ge- 
schichte der Bischöfe von Eegensburg I, Regensburg 1883, 261) mit Repht, 
daran sei „kein wahres Wort". 

' Notae S. Emmerammi. Mon. Germ. SS. XV 1096. Die • erdichteten 
Ablässe von St. Emmeram sind auch verzeichnet, in 01m. 14892, f., 30 ff,, Hiey 
.auch zwei echte Bidlen von Alexander IV., der jedesmal; bloß einen Aiblaß von 
40 ' Tagen : verleiht, . :.:::-.'-?::■••,;. l:,::i-'{j ':w,.' i:'<:::l -'yv:}A 

* VoglllöO. Böhmer-Mühlbacher,iR.egestaImperiiP, Innsbruck 1908, 
S04f. n,.2013. ■:^ ■, ' . ■ ■^; ';:. ..-.h•^ ..■,;: .■^•.^■:.. ..^'^ A- .-•:.oK:. ,■.. 

^ J. Lechner, Zu den falschen ExemptionspriyilegieniikhStj.v^gm 
im Neuen Arcliiv XXV (1900) 633 f. Vgl. A. Brackmann, Germania /Ponti^ 
fioia I, Berolini 1910,;284. ; ; .r ;Hf . , /[ 

. ^ P. Fr. Chifflet, Histoire de l'abbaye royale et de la ville de OTpur^u^. 
Dijon 1664, 357 f. Brucker II 178 f. . V 



•.J\- 



. IV. Die ältesten Ablässe für Älitioseri und Kafchenbesuch. 151 

auch Rilinus von Sutri. Dieser Bischof, der schon 1049 gestorben ist, 
erscheint ebenfalls in eirierBuUe vom IL Januar 1051, worin Leo IX. 
der Stephanskirche . eine ganze Anzahl Privilegien verleiht.^' Daraus 
I «rgibt sich, daß beide -Dokumente gefälscht sind. ' In beiden wird der 
Stephanskirche der Vorrang vor allen andern Rirchen der Erzdiözese 
Besan9on zuerkannt. Diesen Vorrang beanspruchte aber auch die 
Johanniskirche: * In 'dem heftigen Streite, der hierübesr zwischen den 
beiden Kirchen im 12.' Jahrhundert entbrannte,^ dürfte -St. Stephan 
seine Fälschungen verübt' haben. Der Ablaß vom Jahre 1050 verdient 
demnach keinen Glauben, da er nur in einem gefälschten Dokumente 
■bezeugt, ist.? • . 

Den Fälschungen beizuzählen ist auch der Ablaß von 9, 7 und 
3 Jahren und ebensoviel Quadragenen, den Leo IX. am 31. Oktober 
1051 für den Besuch von Subiaco verliehen haben soll.* 

•Crrößere Beachtung verdieiit der Ablaß von 3 Jahren, den nach 
dem Bericht eines Augenzeugen Nikolaus IL im Jahre 1060 bei der 
Einweihung' der Altäre der Abteikirche von Farfa gewährt hat, 
sowohl für den Tag der Feier selbst als für den Jahrestag der Weihei^ 
Die Gewährung eines Ablasses voii 3> Jahren um die Mitte des 11. Jahr- 
hunderts ist allerdings etwas ganz Außerordentliches. Allein der Ablaß 
von Farfa ist so gut bezeugt, daß es nicht angeht, ihn oHne weiteres 
abzulehnen.' Der Bericht über die Altarweihe ist von einem Mönch 
verfaßt, der als Augenzeuge der Feier beigewohnt hat. Es handelt 
sich auch nicht um ein Schriftstück, womit Reklame für- das Kloster 
gemacht werden sollte, sondern um eine schlichte Aufzeichnung, die 
nicht den Eindruck hervorruft, als ' wäre sie für ' die Öffentlichkeit 
bestimmt gewesen. ' Diese Aufzeichnung hat ' der Geschichtschreibör 
von Farfa, Gregor von Catina, ein. wahrheitshebender Ordensmann, 
im Klosterarchiv vorgefunden und 'hat sie dann in seine große Ur- 
kündensammlüng, die er mit Hilfe seines Neffen Todirius in den Jahren 
1119-7-25 zu Ende führte, aufgenommen. Man ist daher wohl be- 
rechtigt, den von Nikolaus IL erteilten Ablaß als echt zu betrachten;® 

Über die ,; Absolution", die Alexander IL im Jähre 1071 bei der 
?^onsekr^ation der Kirche von Montecassino gespendet hat, ist an 
•anderer Stelle das Nötige gesagt worden.*^ Bei derselben Gelegenheit 

. 1 Chifflet 361 ff.> 2 Ohifflet.341ff. 

3 Erwird aisecht angenonunen von ,Chifflet,Brucker, J. M. Thomasius, 
Opera omnia VII, Romae 1754, 127', Palmieri 505. 

4 Kehr II 92. 

^ Giorgi V 291: „Inter sacrae solemnia missae idemppntifex venerabilis 
Omnibus poenitentibus qui ibi oonvenerant et aderant remissionem trium annorum 
fecit, et constituit ut haeo remissio annualiter fiat omnibus, qui in ipsa die cum 
votis et donis prout potuerint honorifice ,et honeste annue, venire sfcuduerint, et 
pauperibus qui donum non habuerint, si religiöse properare voluerint . . . Post 
•conseorationem autem huius ecolesiae altariuna, nyoolaus reverentissimus praesul 
Äliquantulum nojsiscum commoratus, beniv.olum se in pmnibus . . . exhibuit." 
Demnach hat der Berichterstatter der Feier beigewohnt. 

* Er wird als echt angenommen von Kehr II 67. 

' Oben S. 76. 



.;152 .! IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuoh. 

hätte der Papst, einer Bulle zufolge, für den Jahrestag der Weihe 

einen Ablaß von 40 Tagen erteilt.^ . Die betreffende Bulle scheint 

, jedoch gejEälscht zu sein.^ Ein Jahr vorher, am 6. Oktober 1070, hatte 

Alexander II. in Lucca, wo er früher Bischof gewesen, umgeben 

: von zahlreichen Bischöfen und Äbten, die neue'* DömMröheii deren 

/Vollendung er gefördert, eingeweiht.^ Nach einer anonymen und 

1 nicht näher datierten Predigt, die einmal beim Kjrchweihfeste im 

: Dome zu Lucca gehalten worden, hätte der Papst den Besuchern 

der Kirche am Jahrestag der . Kirchweihe einen Ablaß von 8 Tagen 

■ erteilt, denen später Eugen III. noch 8 Tage beifügte.* Wenngleich 

dieser Ablaß nicht genügend bezeugtest, so liegt doch kein Grund 

5 vor, dessen Echtheit in Zweifel zu ziehend Wie Alexander II. wiederholt 

öffentlichen Büßern, die als Pilger nach Rom kamen, mit Rücksicht 

auf ihre Wallfahrt einen Teil ihrer schweren Bußstrafen, z. B. 1 oder 

: 2 Jahre nachließ, so hat er sehr wohl bei der Einweihung einer Kirche, 

sfür die er ein großes Interesse hatte, den Besuchern der Kirche eine 

kleine Bußermäßigung erteilen können. Gerade der mäßige Umfang 

• dieses Ablasses spricht für dessen Echtheit. Ein späterer Fälscher hätte 

.sich mit einer so geringen Vergünstigung kaum begnügt. Der Kirch- 

, weihablaß von Lucca wird übrigens noch in andern Schriften erwähnt. 

.In einer Handschrift der Vatikanischen Bibliothek ist ganz, allgemein 

von einem „Erlaß der Buße" die Rede,^ während Tholomeus von 

Lucca (t 1326. oder .1327) von „großen Ablässen" spricht, die 

Alexander II. verliehen habe. ^ , , ; . i .^ .^ . :. 

Sicher unecht ist der Ablaß von 7 Jahren, den Alexander II. für 
jeine Bruderschaft in Arezzo erteilt haben soll,' ebenso der Ablaß 
i von 10 Jahren und 10 Quadragenen für den Dom von Pisa,® von 



1 Margarinus 11 103. Migne CXLyi, 1426. L. Tosti, Storia dellabadia 
di Konte-Cassino I, Napoli 1842, 409. Nach dem Segenswünsche,. miV,4©"a, die 
päpstlichen Bullen gewöhnlich schließen, folgt noch der Zusatz: „Statuimus 
etiam, 'ut quicunque devotus ad eiusdem ecclesiae dedicationem annualiter 

'venerit, de peceatis suis 40 dierum remissionem accipiat." 

2 Als gefälscht bezeichnet sie Jaffe 4690. ^ Kehr III 398. 

* Baluzius, Miscellanea II 576: Der Papst verordnet, daß jedes Jahr 

das Kirchweihfest mit Oktave gefeiert werde, „hoc ad gaudii huius plenitudinem 

' adiecto, ut onmes hunc diem celebrantes ab omni iügo poenitentiae iisque ad 

octavum diem absoluti essent". Als später einmal Eugen III. am Kirchweihfeste 

im Dome zu Lucca das Amt hielte „octö diebüs absolutionis a iugo poenitentia© 

.pro huius ecclesiae reverentia alios VIII adiunxit". Mjansi veröffentlichte die 

anonyme Predigt aus einer Handschrift der- Dombibliothek von Lucca. Vgl. auch 

Mansi , Diario sacro anticoe moderno delle chiese di Lucca. Lucca 1753, 280. S. 277 

^sprichtMahsi mit Unrecht von einer „indtilgehzäplenaria", die man während 

'der Oktave gewinnen konnte. Er hat die Worte der Handschrift falsch aufgefaßt. 

- ^ In der vatikanischen Handschrift, die friiher der Kathedrale von Lucca 

'gehörte, heißt es, Alexander II. habe verordnet, ;,ut octo dierum spatio dedi- 

•cationis memoria perageretur annis singulis, cohceska indulgentia poenitentiae", 

ipropylaevim ad Acta Sanctorum Maii. Conatus chronico-historicus I 132. So 

auch bei Baronius, ad an. 1070, n. 26; aus derselben Handschrift. 

® Annales Ptolomaei Lüceiisis. Firenze 1876, 38 [Documenti di storia 
italiana VI]. Auch bei MuratoriVScriptores XI 1253. 

' Kehr III 159. «Ebd. 358. ■ 



IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch. 153 

24 Jähren und 24 Quadragehen für eine Kirche in Pavia.^ Erdichtet 
ist auch der Ablaß von 1^ Jahr und 1 Quadragene, den Gregor VII. 
der letzteren Kirche bewilligt hätte. ^ 

Festeren Boden betreten wir mit Urban II. Am 12. Oktober 1091 
gewähete/dieser Papst seinen: Ablaß- für -den Wiederaufbau des läostfers 
Pavilly (Diözese Ronen). Den Wohltätern sollte ein Viertel der vom 
Bischöfe (öffentliche Buße) pder vom Priester (geheime Buße) auf- 
erlegten Bußstrafe erlassen werden.^ 

Nach der Synode von Clermont (1095) unternahm Urban II. eine 
Reise durch Frankreich. Im Februar 1096 kam er nach Angers, 
wo er am 10. dieses Monats die Abteikirche von St. Nikolaus ein- 
weihte. Am 14. Februar erließ er eine Bulle, worin er den frommen 
Besuchern des Gotteshauses am jährHchen Kirchweihfeste den siebten 
Teil der ihnen auferlegten Buße nacliließ. Dafür mußten aber die 
Mönche von St. Nikolaus am Festtage 100 Arme speisen und am 
folgenden Tage ein Hochamt abhalten und die sieben Bußpsalmen 
mit der Allerheiligenlitanei singen.* Denselben Ablaß erteilte er am 
26. Februar 1096 bei der Einweihung eines Kreuzaltars in Vendome.* 






1 Empoli 389. « Ebd. 

' Analecta iuris pontificii X, Rome 1869, 528: „Benefacientibus et eundem 
locum colentibus quartana poenitentiae partem ab episcopo sive a presbytero 
illis iniunctam condonavimus." Jaff6 5452. 

* P*etit I 613. A. Teulfet, Layettes du Tiesor des Cfaartesl, .Parisvl863, 31. 
.Migne CLI 448. Jaffe 5618: „Ipsum locum visitandum, honorandiun ac pro- 

tegendum universis fidelibus commendamus. Pro cuius devocionis benefioio, ex 
omnipotentis Dei misericordia,et sanctorum apostolorum auctoritate f identes, per 
beati Nioholai merita, iudicii pro peccatis accepti partem septimam illis remit- 
timuSj qui in dediöacionis die annuo devote illuc convenire curaverint; eo nimirum 
tenore^utj prp ipsis, die ipso, pauperes centum abbas et.monaöhi pascant, et, 
die altercj^ psalmos cum letaniis septem in conventu decant&nt^et missani publicam. 
celebrent." Über diesen Ablaß berichtet auch ein Zeitgenosse und Augenzeuge, 
Graf Foulque Köchin von Angers (f 1109), in seinem Fragmentum Historiae 
Andegavensis : „Constituit idem apostolicus et edicto iussit, ut in eodem termino 
quo dedicationem fecerat, indictum publicum celebraretur unoquoque annoapud 
, S. Nicholaum et septima pars penitentiarum popido convenienti ad illam celebri- 
-tatem dimitteretur." Marchegay, Ghroniques des Comtes d'Anjou. Paris 
1856 — 71, 381.. L. Halphen, Ghroniques des comtes d'Anjou et des seigneurs , 
d'Amboise. Paris 1913, 238. Daß Graf Foulque das Fragmentum wirklich verfaßt 
hat, weist Halphen. nach in .BibKothöque de la Faculte des Lettres de l'Uni- 
versite de Paris XIII (1901) 7—68. ' 

* Halphen, Recueil d'annales angevines et vendomoises. Paris 1905, 67. 
„Perdonavit septimam partem peccatorum suorum omnibus qui unoquoque anno 
anniversarium eiusdem corisecrationis diem ibidem celebrarent." Über die gleich- 
zeitige Abfassung derAnnalen vonVendöme vgl. Halphen XL VIII. L. Paulot 
(Urbain II. Paris 1903, 367) behauptet, Urban II. habe einen ähnlichen Ablaß 
bei der Einweihung eines Altars in Charroux am 10. Januar 1096 verliehen. 
Er ist aber durch Migne CLI 274 irregeführt worden, wo Ruinarts notitia de 
ara matutinali von Vendöme (vgl. Migne CLI 197) irrig unter der notitia de 
consecratione dominici altaris ' Carrofensis monasterii abgedruckt wird. Von 
einer Ablaßverleihung in Charroux sagt die von Ruinart mitgeteilte notitia de 
consecratione dominici altaris Carrofensis (Migne CLI 271 ff.) nichts. 



; 1:54 ly. Die., ältesten Ablasse für Alm,psen; .und . Kirchenbesücih. 

Ein wertvolles Zeugnis für den Ablaß, den Urban II. fiir St. Ni- 
kolaus in Angers verliehen, liefert eine Pre.digt, die Geoffroi Babion, 
von 1096 bis 1110 Scholastikus in Angers, an einem Kirchweihfest^in 
ider Nikolauskirche gehalten hat. Ausdrücklich erinnert der Prediger 
an den vom Papst erteilten Ablaß .^ Was aber Babion in derselben 
Predigt von der „Nachlassung der Sünden" sagt, die an jedem Kirch- 
weihfeste den frommen Besuchern des Gotteshauses zuteil werde,^ 
bezieht sich nicht auf den von den kirchlichen Oberen gewährteji 
Ablaß, sondern auf die Nachlassung der Sündenstrafen, deren die 
Gläubigen, vorausgesetzt, daß sie ihre Sünden reumütig gebeichtet 
hätten, krp,ft der Gebete der Kirche teilhaftig werden. Sehr 
"deutlich erklärt sich hierüber Werner, Abt von St. Blasien (f 1126), 
der mit Balbion fast wörtlich übereinstimmt.^ ' [ 

Ganz abgesehen von' den Ablässen,^ welche die Bischöfe bei der 
Einweihung von Kirchen , erteilen, ist schon die Konsekration der 

O .'.II . ' . I ■■ j ^ 

Kirche selbst eine Ablaßquelle, insofern in den liturgischen Gebeten, 
die bei der Einweihung der Kirche verrichtet werden, Gott angefleht 
wird, den Gläubigen ihre Sündenbaiide lösen zu wollen.* Dies' muß 



^ „Praeterea est quaedam praerogativa huius ecclesiae ... qiiia b. Petrus 
per suom seilicet vicarium, papam Romanae,. Ecclesiae, .eam yisitay^^ 
sanetificavit, et perpetuam veniani per singinös annps huiui ben^ festivi- 

'tafem cölentibiö'inditiät.''- Migrie -ÖBXXI •751. ''HiisrJ wird die Predigt irrig 
■ Hildebert von 'Le MäM fetigesolü'i'eben. '^'f'V^g'r^- Häur e äü*/^ fextraits'^.cie 

quelques manuscrits latiiis de la^iblibtJbtSöque nationale' Vj Paria 189^^^ 134. 
.G:o.ttlöb.248.J' ■:■: .= .:,h^ ^■v;,^Tü;J ..:.?:.-,. >.r.;.L.;-r. .,;, .;!;':K{ i-;.:?;rJ ■;.,__ 
-li : ■■■■?• Migne CLXXI;74:9:f.: ;,,Quia Ide iQiütis:päMbiis veniunt- filii)et'M^ 
labore bccurruntiraatri, desjtantia festivitatej discedere; hon debent irreniurii&¥äpti : 
statutuniresta San otisPatribus: quodinrdedioationeisanctae ecclesiae fiät'¥ 
•pe c e at er um i ut ; cum in aliis temporibus fi fc in ea iäblufciö: critoinuiii> > iü '^festi - 
vitate ieius potiusmatris sentiant anxiliumu ; i ;;Sed cuin vobis nrbriik^ex laiböl^e, 
iratres charissinai : . ■ . -. deböatm*, scire tarnen debetis, qui a n on- ) quaeli be't 
peccata vobis. relaxa-nttirfhic/sedilia de qiiibus 'pöenituisti&^et'feön'- 
iessi iuistis. Si eninividt peccätor. sibi Telaxari peccatumV siviilt sua^ytiiiibtia 
•sanari,;ea medico celare; non debet;"' f •■ ; ■•v.i'^^k i ;' :; ; -n >: ;;■ '1 üsii) 

-;3 Migne GL VII 1250: ,/Quia de miiltisrpartibTis.j(alles'Wie oben/ bisl^^^^ 
cum aliis temporibus sit in ea ablutio icriminuni per baptisidiiinii' in festivitäte 
eins sentiaiit potius matris per. or ati one s •!a,uxilium. " :Dann. : wieder wörtlich 
übereinstiipmend bis : ^,sed illa tautum de quibus i confeäsi estis et dlgnam Jpöeui- 
•tentiana egistis, de; talibus indulgentiäm cönsequi'mini . .. l ■^'Täli nÖäipe 
confessione vel poenitentia promeretür peceatoiurn: ihdulgehtia"; DemnaibH/h&t 
Werner die Predigt Babions schon gekannt, 'oder, beide Autoren haben eine < ge- 
meinsame Quelle benützt. Die Worte „Statutum est äsanctisPatribus"' braucht 
man nicht a-uf AblaßbeswilKgimgen zu beziehen; sie ^^;e sich hinlänglich, 

.wenn man an die von der IQrche vorgesphxiebenen Gebete d^ 
.Verzeihung der Sünden auf die Gläubigen herabgefleht wird. ;^,:: ■,;;!!, 

* Treffend bemerkt L e pi cie r II 9 : „Independamnaen t ; des, mdulgencgs 
deternainees que les prelats se pljaisaient a donner, qn peut considerer la,:cqn.;- 
sbcratipn des eglises elle-meme comme; une spurc^^ qiip 

dans ses priores liturgiques,il']^glisef(ieinandea-Dieu, poiur ses fideleSi de rqmprp 
ies cha,ines de leurs peches, ,en considera;tipn du.; Heu .consacre," VglvPpntificali^ 
ordinis liber. Rome 1497^ De ecclesie dedieatipne. . ,,Hic pnera peccatprum 
splvantur . . . pniniurnque peccatorum. vincala. absplvantm", /ut^omne^^^ 
templum benef icia imte deprecaturi ingrediuntur, cuncta s.e. impetrasse l.etentur.l' 



^•.Tv/^ 



IV, Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirohenbesuch, 15,5 

man wohl' im Auge behalten, dann -wird pian' verschiedene ; Stellen, 
in denen anläßlich der Einweihung einer Kirche oder beim Rirjah- 
wßihfest eine „remissio peccatorum" in Aussicht gestellt wird,^ nicht 
ohne weiteres auf den eigentlichen Ablaß beziehen. 

Da Urban II. auf seinen Wanderungen durch Italien und Frank- 
reich zahlreiche Kirchen eingeweiht hat, > so ,wird er wohl, außer den 
.drei oben angeführten, noch andere Ablässe erteilt haben; es liegen 
indessen hierfür keine zuverlässigen Zeugnisse vor. Verschiedene große 
Ablässe, die dem französischen Papste zugeschrieben werden, sind als 
Fälschungen zu betrachten. , So vor allem das Privilegium , < das 
Urbß-n II. am 14, September 1092 der Abtei Cava in Süditalien ' bei 
der Konsekration der Klosterkirche verliehen haben soll.^, Den Be- 
suchern der Kirche wurde für bestimmte Tage derselbe vollkommene 
Ablaß verheißen-, den man durch eine Wallfahrt nach Santiago -de 
Compostela gewinnen konnte ; für die übrigen Tage im Jahre wurden 
4 Jahre ,und 4 Quadragenen in Aussicht gestellt. Zwei Kapellen, 
deren Einweihung zu gleicher Zeit stattfand, wurden mit einem Ablaß 
von 7 Jahren und 7 Quadragenen , ausgezeichnet. Dies Privilegium 
ist noch in neuerer Zeit eifrig verteidigt worden.^ Daß es aber ge- 
fälscht worden ist, darf heute als sicher gelten.* Die Ablaßformel 
der Bulle wird auch von Hinschius^ als Fälschung betrachtet; doch 
nimmt dieser. Gelehrte den Ablaß, wie er in einem älteren Berichte 
verzeichnet ist,^ als echt an. Allein dieser Bericht und die gefälschte 
Bulle stimmen bezüglich des Ablasses vollständig miteinander überein. 

Sicher unecht ist auch die Ablaßbulle, die ürban II. am 14. Sep- 
tember 1093 für das Kloster Bantini in Apulien ausgestellt haben 



Bl. 112. „Omnium hie offerentium sacrificia a te pio Domino benige suscipiantur, 
et per ea vineula peccatorum nostrorum absolvantur, macule deleantur, venie 
impetrentur." Bl. 124, So schon im alten Ordo romanus, bei Hittorpius 114. 

^ So heißt es in dem Segnungsgebet, das im Jahre 1031 auf der Synode 
von Limoges der zelebrierende Erzbischof Aymo von Bourgeg während des 
Hochamtes verrichtet hat: „Concedat Deus propitius ut omnes qui ad solemni- 
tatem anniversariam dedicationis huius basilicae hodierna die ;convenistis . . •. 
vobiscum hinc veniam peccatorum vestrorum reportare valeatis." Mansi XIX 
531. Bei der Konsekration einer Kirche in Balneol (1086) „domnus archii- 
episcopus (Dalmatius von Narbonne) cum consensu episcoporum ponstituit ut 
in solemnitate dedicationis praedictae ecclesiae . , . orjanes simul conveniant 
ad praelibatam ecclesiam, ut a Deo remissionem et absolutionem suorum pec- 
catorum percipere mereantur". M^arca 1183. Mansi XX 620. Als Urban IL 
im Jahre 1096 einen Altar in Charroux einweihte, strömten die Gläubigen 
zahlreich herbei: „Arbitrabantur se magnam ßuorum peccaminum indulgentiam 
adepturos, si, ut decebat, ad tam gloriosao officium consecrationis coadunari 
quoquo modo valerent." Martdne, Thesaurus I 271. Migne CLI 272. In 
allen diesen Stellen handelt es sich nicht um einen kirchlichen Ablaß. 

2 Migne CLI 347 ff. Jaffe,5467. ■ Paulot 205 355. 

^ P, Guillaume, Essai historique sur l'abbaye de Cava. Cava 1877, 62 f. 
M. Morcaldi, Una boUa di IJrbano II e i suoi detrattori. Napoli.1880. 

■ * Vgl. Pfugk-Harttung im Neuen Archiv IX (1884) 477 ff. P. Kehr 
in Göttinger Nachrichten 1900, 203. Puckert 66. 

^ Kirchenrecht V 154. 

« Muratori, Scriptores VI 239 f. Acta Sanct. Martii I 336. 



156 -IVi Die ältesten Ablässe für, Almosen und Kirchenbesuch. 

(Soll> Der Fälscher hat zum größten Teile das unechte Privilegium 
für- Cava ausgeschrieben. 2 

- Ein eigentümliches Privilegium ' wollte- die Benediktinerabtei 
Figeac (Diözese Gabors) von Urban II. erhalten haben.' In einem 
Schreiben vom 9. Februar 1093 an einen sonst unbekannten Bischof 

sStephan von Cahor^ läßt man den Papst sagen; daß die Klosterkirche 
von Figeac, die von Christus selbst eingeweiht worden, schon von 
früheren Päpsten große Ablässe erhalten habe. Da sie jetzt von den 
Heiden zerstört worden, wolle der Papst zu ihrer Wiederherstellung 

^beitragen. Er erteile daher allen Gläubigen, die nach reumütiger 

deichte am 7. November das Gotteshaus besuchen, einen vollkommenen 
Ablaß. Wer im Laufe des Jahres dem Hochamt, der Vesper oder der 
Matutin beiwohnt, kann 100 Tage gewinnen, 40 Tage aber für jede 
der kleinen Betstunden.* Allen jenen, die auf dem lOosterfriedhof 
begraben sind oder daselbst in Zukunft begraben werden, wird die 
Hälfte der Fegfeuerstrafe erlassen;^ endlich wird ein Ablaß von 
100 Jahren jenen verheißen, die zum Wiederaufbau der Kirche einen 
Beitrag spenden. Mit Recht hat man die seltsame Bulle für eine offen- 
kundige Fälschung erklärt.* 

: Erdichtet sind auch die vollkommenen Ablässe für den Dom von 
Asti,' für ein Kloster in Vertemate,® für die Peterskirche in Nesso.* 
Die Kirche des hl. Abundius in Como wollte einen Ablaß aller läß- 
lichen Sünden und des dritten Teils der schweren Sünden erhalten 
■haben.-^" In Mailand beanspruchte die Kirche des hl. Simpliciarius 
einen Ablaß von - 30 JaSiren-,^^ während die Marienkirche in Nullate 
sich mit 15 Tagen begnügte.^^ ^Hq diese Ablässe kann man unbedenk- 



1 Migne CLI 365. Jaffe 5488. Paulot 70. Püekert 66. • 

' 2 Lea l40 f. nimmt irrig zwei Rezensionen für Cava an. Er hat übersehen, 

daß zwei verschiedene Klöster, Cava und Bantini, in Betracht kommen. 

^ Abgedruckt bei G. de La Croix, Series et acta episcoporum Cadur- 
censiüm. Cadurci 1623, 55 f. Analecta "iuris pontifi'cii X (1869') 531. 

* Bezüglich dieser partiellen Ablässe hat der Fälscher die Bulle Urbans IV. 
-vom Jahre 1261 für das Fronleichnamsfest verwertet. 

^ i, Omnibus cathoUcis poenitentibus et confessis hie sepultis et sepeliendis 
■in futurum medietatem poenarum purgatorii pro delictis secundum merita debi- 
tarum . . . remisimus et remittimus per praesentes." 
. « Jaffö 5481. Paulot 110. ' 

■^ Cappelletti XIV 102. Eine andere Überliefenmg spricht bloß von 
einem Ablaß von 1 Jahr und 40 Tagen, den man aber ebenfalls als unecht be- 
trachten darf. Kehr VI 2, 177. Ughelli IV 359. 

- * Kehr VI 1, 406. P. L. Tatti, De gli annali sacri della cittä di Como II, 

-Milano 1683, 285. 

. ^ S. Monti, Atti della visita pastorale diocesana di Feliciano Ninguarda, 
Vesoovo di Comb II, Como 1895 — 98, 78 [Raccolta storica della societä storica 
per la provincia di Como III]. Kehr VI 1, 408. Giulini JI 610. 

^" Monti, Atti di Ninguarda I, Como 1892 — 94, 85 [Raccolta storica II]. 
Kehr VI 1, 405. Tatti 11 284. 

"Kehr VI 1, 96. Giulini II 660. Papebrochius, Responsio ad ex- 
hibitionem errorum per Sebastianum a S. Paulo evulgatam II, Antverpiae 
1697, 95 ff. 

" Monti, Atti di Ninguarda I 171. Tatti II 285. 



IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuoh. 157 

lieh den Fälschungen beizählen. Eine grobe Fälschung ist das alberne 
Privilegium, das Urban II. zwei Kirchen in Piacenza gewährt haben 
soU: Nebst Ablässen, vo^ 100 _ Jahren und 100 Quadragenen, von 
1000 Jahren und ebensoviel Quadragenen habe der, Papst so viel Jahre 
Ablässe erteilt, als Körnchen in dem Sande waren, den er bei der 
Ablaß Verleihung mit beiden Händen aus einem silbernen Gefäße nahm, 
um ihn auf die Erde zu streuen.^ 

Unzweifelhaft gefälscht sind ebenfalls die vollkommenen Ablässe 
zugunsten der adeligen FamiHen Belmosta^ und de Spinellis.? 
Diese beiden letzteren Privilegien sind übrigens nicht den Ablässen 
für Kirchenbesuch, sondern den Kreuzzugsablässen beizuzähJen. 

Ablässe im 12. Jahrhandert. 

Im Laufe des 12. Jahrhunderts vermehren sich die Ablässe für 
Almosen und Kirchenbesuch, obschon die Päpste auch noch in dieser 
Zeitperiode bei .Spendung derartiger Ablässe eine große Sparsamkeit 
zu übenpflegtien. Zunächst soUen. die päpstlichen Ablässe in chrono- 
logischer JReihenfolge angeführt werden. . 

Wie der gut unterrichtete Abt Ekkehard von Aura in Franken, 
(t um 1130) berichtet, gewährte Paschalis II. anläßlich des Konzils, 
das lllö in feom stattfand,* allen, die wegen der Synode um ihres 
Seelenheils willen die Apostelgräber besuchten, falls sie schwere Sünden 
abzubüßen hatten, einen Ablaß von 40 Tagen.^ Unecht ist der Ablaß, 
von 10 Jahren, den nach einer alten Inschrift Paschalis II. im Jahre 
1108 für den Besuch der Alexiuskirche bei Lucca verheben haben 
soll;® ebenso der Ablaß von 1000 Jahren und 1000 Quadragenen für 
S. Maria del Popolo in Rom.' Sicher erdichtet ist auch der seltsame 

1 Kehr V 487. - Campi I 369 ff. In einer alten Aufzeichnung heißt ea, 
die Kardinäle hätten den Papst um einen Ablaß für beide Kirchen ersucht. „Tuno 
papa ad preces eorum petiit sabulum, et portatum fuit in vase argenteo. Et 
ipse papa posuit ambas manus ,in eo, et implevit, et venit versus coemeteriuin 
et dixit: Relinquo S. Mariae Campagnolae et S. Victoriae* tot annoruna iudul- 
gentiam, quot sunt granaarenae inisto sabulo, et proieoit dictum sabulum in 
terram et dixit: Auetori täte ab omnipotenti Deo mihi commissa . . . concedo 
Omnibus vere poenitentibus, contritis et confessis visitantibus quotidie. supra- 
scriptas ecclesias tot annorum indulgentiam, quot simt grana arenae in isto 
sabulo." 

2 Pflugk-Harttung II 154 f. Kehr VI 2, 323. L. C. Goetz in Zeit- 
schrift für Kirchengesehichte XV (1895) 335 ff. 

3 Kehr in Göttinger Kehrichten 1905, 326 ff. 

* Die Synode wurde eröffnet am 6. und geschlossen am 11. März. Anwesend 
waren Bischöfe und Äbte, Herzoge, Grafen und Gesandte aus den verschiedensten 
Gegenden. He feie V 332. 

* Mon. Gterm, SS. VI 252: „His qui propter concilium et animarum suarum 
reimedium apostolorum limina visitaverant, qui de capitaUbus poenitentiam 
agerent, 40 dierum poenitentiam indulsit." Bei Baronius, Annales ad an. 1116' 
n. 6, heißt es wohl richtiger „visitarent". i 

* Kehr III 454. Inschrift bei F. M. Fiorentini, Memorie , della gran 
conteqsa Matilda. Lucca 1756, 300. 

.' Empoli 390. 



158 IV* Die ältesten Ablässe für Almosen \ihä Kirchenbesuch. 

Ablaßj deii derselbe Papst bei der Einweihung der Vincentiuskirch'& 
in Volturno verliehen hätte: Anläßlich der Konsekratiönsfeier waren 
vierzig Tage hindurch 103 Jahre in Aussicht gestellt, 40 Tage aber 
für das jährliche Kirchweihfest.^ 'Der gleichzeitige Chronist Falco von 
Benevent berichtet wohl die-Einweihung der Kirche durch Paschälis Il[, 
sagt aber nichts von einem Ablaß ,2 ebenso der Chronist von Monte- 
cassino, Petrus Diaconus.^ 

' Als im Jahre 1118 Gelasius II. den christlichen Soldaten, die 
in Spanien im Kampfe gegen die Sarazenen fallen würden, einen 
V^öUkömmenen Ablaß erteilte, verkündete er zugleich, daß denjenigen, 
die zum Wiederaufbau der zerstörten Kirche von Saragossa Beiträge 
spenden würden, ein .partieller Ablaß, zuteil werden solle. Die Be- 
stimmung über den Umfang dieses Ablasses überließ er den spanischen 
Bischöfen, die den Wohltätern je nach der Höhe ihrer Beiträge die 
Buße ermäßigen sollten.* 

Der Ablaß von 1 Jahr und 40 Tagen, den Gelasius bei der Ein- 
weihung des Domes in Genua (10. Oktober 1118) den Besuchern des 
Gotteshauses am Kirchweihfeste verliehen hätte, ist wohl erst später 
. erdichtet worden.^ Einis grobe Fälschung ist die Bulle vom< 18. April 
1118, wodurch Gelasius 11. für Almosen und Besuch der Klosterkirche 
S. Sophia in Benevent an bestimmten Tagen 10 Jahre und 300 Tage 
verheißt. Dasselbe gilt von dem Schreiben vom 5. Januar 1123, >vorin 
Calixt II. den Ablaß seines Vorgängers bestätigt und 2 Jahre mit 
30 Tagen beifügt.^ Keinerlei Beachtung verdient der alles .Maß überr 
schreitende Ablaß, den Pelagius bei der Konsekration des Domes, von 
Pisa verliehen hätte : 14000 Jahre am Kirchweihfest und in der Oktave,. 
24000 Jahre nebst einem Drittel der Buße von Maria 'Himmelfahrt bis 
Weihnachten, täglich 48 Jahre und 100 Quadragenen, an allen Marien- 
festen 1000 Jahre.' Gefälscht ist auch die Bulle vom 13. Dezember 
ill8-, worin Gelasius dem' Kloster St. Andre bei Avignon einen großen 
Äbläß gewährt für alle Gläubigen, die eine vom Kloster abhängige 
iPeterskirche am Tage der Kreuzauffiadung besuchen und ein Almosen 
spenden.^ Die Einleitung und den Schluß des Schreibens hat der' 
Fälscher der oben besprochenen unechten Bulle von Sergius IV. für 
Obrrens entnommen. Die Ablaßformel hat er aber abgeändert, um 



^ Muratori, Scriptores I 1, 517. 

2 Muratori SS. V 90. Migne CLXXIII 1167. 
: . -. 3 Mon.. Germ. SS. VII 788. 

. * Jaffe 6665. H. Bianca, Aragonensium rerum Commentarii. Cäesar- 
augustae 1588, 139 f. Migne CLXIII 508: ,,Secundum lab'orum. suorum et 
benefieiorum suörurh ecclesiäe inipensorum quantitatem ad episCoporum arbitrium, 
in quorum paroöhiis deguiity poehitentiarumi suarum remissionem et indulgentiapa 
cdnsequarittir." Richtig schreibt Morin 779: „Partialis indulgentia a Pontifice 
datur, sed quantitas ab episcopo assignanda." 
;; s Vgl. oben S. 53. 

« Kehr in Göttinger Nachrichten 1898, 72 ff. 

» Muratori, Scriptores III 1, 404. UghelLi III 377. Kehr III 335 360. 

8 Wiederhold 72 f. 



IV.' Die ältesten Ablässe für Almosen tmd Kirohenbesuch. 159 

sie dem Gebrauche seiner Zeit anzupassend So hat er dem alten Erlaß 
des dritten Teils der Buße noch' einen Ablaß" von 7 Jahren und 7 Qua- 
drägenen < beigefügt. Am deutlichsteh Verrät sich aber der Fälscher 
durch die Art und Weise, wie er einen Sterbeablaß verheißt: Den- 
jenigen, welche die Kirche besuchen, wenn das Kreuzauffindungsfest 
auf einen Freitag fällt', und ein Almosen geben, einteilt der Papst für 
den Augenblick des Todes, ' aber - nur einmal, einen vollkommenen 
Ablaß. für* alle ihre Sünden. Diese Formel lehnt sich an die erst im 
14. 'Jahrhundert vorkommenden. Beichtbriefe an, in welchen es' ge- 
wöhnlich heißt, daß 'der Ablaß hur einmal im Augenblick des Todes 
gewonnen werden könne. 

Calixt II. hat wiederholt Ablässe für- Kirchenbesuch und Almoseri 
erteilt. Bei der Einweihung der Klosterkirche von Morigny (Diözese 
Sens) am 30. Oktober 1119 gewährte er einen Ablaß für den Jahrestag 
der Kirchweihe. ^ »Leider wird die "Quantität des Ablasses vom gleich- 
zeitigen- Chronisten, einem Mönch von Mbrigny, nicht angegeben. Daß 
es damals. bereits Sitte war, bei -Kirchweihen Ablässe zu erteilen, zeigt 
ein Schreiben des Papstes vom' 23;- September 1119 an den Bischof 
Rainaud von Angers, worin er- letzteren beauftragt, eine der Abtei 
St. Florent in Saumur angehö'rige Kirche zu konsökrieren. Calixt II. 
bestätigt im voraus den Ablaß, den bei dieser Gelegenheit der Bischof 
„nach der . Gewohnheit der Kirche" spenden werde. ^ Bemerkenswert 
ist die Bußermäßigung, die Calixt selber bei der von ihm am 31. August 
1119 vollzogenen Konsekration der -Kirche von Fontevrault deii 
anwesenden' Gläubigen gespendet hat: Denjenigen, die eine Buße von 
4 J[ahren und darüber zu . verrichten hatten, wurde ein Jahr nach- 
gelassen; jene aber, denen eine Büße von- 3 Jahren und darunter 
auferlegt worden war, erhielteh einen Ablaß von 40 Tagen. Dieselbe 
Vergünstigung wurde jenen zugesichert, die in der, Folgezeit vom 
Beginn der 40jbägigen Fasten bis zur Osteroktave die Kirche besuchen 
und mit Almosen unterstützen würden.^ Beträchtlich war auch der 
Ablaß, den Calixt 1119 bei der Einw;eihuh'g der Kirche' N'otre-Dame 
de Rön'c'eray in Angers verlieh: Den anwesenden Gläubigen, die 
ihre Sünden gebeichtet hatten, erließ er den siebten- Teil der Buße; 
den gleichen Bußerlaß verhieß er für Besuch des Gotteshauses am 



1 L. Mirot, La Chronique de Morigny (1095—1152). Paris 1912, 33. 
Duohesne, Historiae Francorum 'Scriptores IV-, Parisiis 1641, 369: „Annua 
peccatorum remissione in dedioationis anniversario constituta regio Stanapensis 
et sublimaia et letificata est." Über das Datum vgl. Jaff e I 786. Mon. Germ. 
SS. XXVI 39. 

^ Robert I 91: „Remissionem ,quam eis de pecoatis-suis iuxta Ecclesiae 
consuetudinem tua Providentia fecerit, auotore Domino corifirmäntes. " 
Jaffe 6742. 

' Robert Ii86: ,,Universis qui ad dedioationem convenerartt, a quattuor 
annis et supra, unum, a tribtis vero et infra, dies quadraginta de suis poenitentiis' 
relaxavimus. Idipsum et de illis statuimus, qui a ieiuniorum oapite usque ad' 
octavas Paschae per sequentes annosV quändiu in eodemloco religionis monasticae 
ordo viguerit, monasterium debitä -devotione visitare ao de suis facultatibus 
curaverint. adiiiväre," Jaff 6 673,3. - . ■ 



160 IV. Die ältesten- Ablässe für Almosen vind Kirchenbesuch; 

jährlichen Kirohweihfeste sowie vom ersten Adventsonntage bis zur 
Epiphanieoktave.^ Unterm 2. Juni 1119 .bestätigte Calixt einen nicht 
näher bestimmten Ablaß, den früher^ürbanll. undPaschalisJI. für 
Besuch der Klosterkirche St. Pierre de Blesle an drei Testen des 
hl. Petrus erteilt hatten.^ Nach einem späteren Schreiben des Papstes!, 
Lucius III. vom Jahre 1185 handelte es sich bloß um einen Bußerlaß 
von 10 Tagen.^ Einen Ablaß von 20 Tagen erteilte der Papst bei- 
der Einweihung des Domes von Volterra im Jahre 1120. für den 
Besuch der Kirche während der Oktave des Kirchweihfestes.* Der- 
selbe Ablaß von 20 Tagen wurde 1123 den Besuchern der Abtei von 
Edmundsbury bewilligt.^ Die Stiftsherren v^n Casale bevoll- 
mächtigte Calixt im Jahre 1120, an zwei Festtagen ihrer Kirche des 
hl. Evasius (gemeint sind wohl das -Kirchweihfest und der Patronstag) 
den Gläubigen einen „geziemenden" Ablaß zu spenden.^ 

Eine alte Inschrift berichtet von einem Ablaß von 1 Jahr und 
40 Tagen, den Calixt 1123 bei der Einweihung der Kirche der heil. 
Agnes in Rom bewilligt habe.' Die Echtheit dieses Privilegiums 
muß dahingestellt; bleiben, da die Ablaßinsohriften gar oft Falsches 
enthalten. Außerordentlich ist der Ablaß von 3 Jahren, den Calixt 
in demselben Jahre 1123 bei der Konsekration des Hochaltars in der 
römischen Peterskirche erteilt haben ;soll. Doch wird er bereits 
ganz bestimmt von Petrus Mallius, einem Kanonikus der Peters- 
kirche, in einer dem Papst Alexander III. (1159 — 81) zugeeigneten 
Schrift erwähnt.^ Man dürfte daher berechtigt sein, ihn als echt zu 
betrachten. 



^ Bouquet XII 480; XIV 199 f. Robert, ]&tude sur les aotes du pape 
Galixte II. Paris 1874. App. S. XXIV. Schreiber 11 226. 

* Robert I 24 f.: „Porro illam peccatorum remissionem quam in tribus 
b. Petri soUempnitatibus' domini predecessores nostri sancte memorie Urbanus 
et FaschaUs pontifices fidelibus devote ad ecclesiam vestram convenientibus 
constituerunt, nos, auctore-Deo, presentis scripti pagina confirmamus." Vgl. 
Schreiber II 225. 

ä A. Chassaing, Spicilegium Brivatense. Paris 1886, 12 20. 

* Robert I 260. f.: „Hano dilectionis praerogativam concessimus, ut qui- 
cunque fideles anniversario ipsius' consecrationis die usque ad octavas eius per 
annos singulos ad eundem locum devote' convenerint, remissionem viginti dierum. 
de penitenciis sviis per misericordissimamL S.'Spiritus gratiam cöhseiqtiahtur." 
Vgl. Ciaconius I 945. Jaff6 6851. Kehr III 287. Schneider 55. Von 
L.C.Goetz (Zeitschrift, f. Kirchengeschichte XV 328) mit Unrecht als „sehr 
zweifelhaft" bezeichnet. Goetz behauptet irrig, erst im 13. Jahrhundert habe 
man in den Ablaßerteilungen zwischen dem Feste und seiner Oktave unter- 
schieden. Vgl. z. B. eine Bulle Eugens III. vom Jahre 1149 bei Mi gne 
CLXXX 1404' . 

5 Robert 11:209. J. Battely, Antiquitates S. Edmundi Burgi. Oxoniae 
1745, 66. J äff 6 7074. 

* Robert I 251. V. de Conti, Notizie storiche della citta di Casale del 
Montferrato I, Casale 1838. Jaff6 6844:„Vobis licentiamindtdgemus in duabiis 
e.cclesie vestre festivitatibus f idehbus ^ ad eam convenientibus competentem 
remissionem de peccatis per annos singulos faciendi/' . , - ■ 

/ 'Ciaconius I 944. Forpella IX 513.r Blehr.I 95. . ^ 

i , • Acta Sanctorum, Iimii VII;:54. J; B; de Rössi, Insoriptiones christianw^ 

iirbis Romae septimo saeculo antiquiores II Ij, :Romae 1888, 221; ;,In' qua ooil-" 



ly. Die ältesten Ablässe füi? Almosen .iind Kirohenbesuoh. 1'61 

Sicher , unecht' sind], dagegen, verschiedene andere Ablässe, die 
Calixt II. .zugeschrieben werden. So; vor allem ein lächerlicher^ Ablaß^,' 
den der Papst 1122 j^bei.; der Eiiiweihung- der i DreiEaltigkeitskirche ciri; 
Mileto , (Kalabrien)j ,yerliehen hätte :, ein- Ablaß ,sov unzählbar, wie- die 
Sandkörner auf einer • Schaufßl, voll Sand.f. ' Von eihei?." Anwesenheit 
des Papstes Calixt; 11; /in; .Mileto, ist nichts, bekannt.^''' Gefälscht ist 
auch, die Ablaß.huUe für, Catarizar.o vom!'28., Dezember lfl21:'Generäl- 
absplution fürjene,^ die, sich" auf dem .Friedhof begraben lassen; züdeih 
den Besuchern der Rii;che in: der Oktave .des Kirchweihfestes) ein- Jahr 
Ablaß, für schwere , Sünden undt Erlaß /-eines .Drittels der ^, 'Büße für 
läßliche S.ünden.^ Dasselbe gilt von. der 'Generalabsolution, .die' jfenen 
verheißen f^yird, 'die sich auf dem Friedhof, von' .Gonzä!(Compsa)> be- 
erdigen -lassen würden:*^ Im' .Mittelalter,, fälschte man eben mitjbe>- 
sonderer- Vorliebe Begräbnisprivilegien,! weil aUerharid {Interessen damit 
verknüpft' waren.? J, Bine_derar,tige^ jaus« Eigennutz j hervorgegangene 
Fälschung istt unzweifelhaft die> Bulle. vom 23. Februar 1120' fürt das 
von Cluni abhängige Kloster St. Jean-du-Mont.* Den eigennützigen 
Fälschungen beizuzähleni ist' auch t der-', Erlaß 'eineä' Drittels., der; sBuße, 
der jenen verheißen wird; (18. Dezember 1120), i die, der Abtei-Lerins 
HiHe leisten.' Erwähnt isfei.-schheßhch' noch, ein" gefälschter, nicht 
näher bestimmter. Ablaßjifür eine. Bruderschaft. in Tort öna.^ \'^ "- 



seeratione, sicut; invenimus in,'libris n'ostris scriptum ei a'maioribusinostris ad- 
cepimus, fecit remissionem trium. annorum annualiter ad'eam devote venientibus.V 
Vgl'. Kehr 1,141. , , ' '" " „>,!,','". 

1 J. Ca'talanus', Caeremomale" epi.scoporum I', Parisiis 1860, 488. In der 
gefälschl^n BüUe Heißt es, wer eineä Beitrag' speiide, „tantäe' m.tin-as indulgentiae 
innttmerabile'ji quemadmodum xinius.palatae (palata italienischer Ausdruck für 
pala) arenae sunt innumerabiies, oonsequatur". Vgl. C.Caracciolo, Naipoli 
Sacra 1, Napoli 1624, 64, wo es heißt,- ein Papst Johann habe einer Kirche in 
Neapel „unä pala d'areüa d'indülgenza" verliehen. 

2 V. Oapial'bi, jV^emorie per servire alla storia della santa Chiesa Miletese. 
Napoli 1835, llff. Der kritische Verfasser bemerkt be'züghch der Konsekrations- 
lirkunden, die Oalixt II. für Müeto, Catanzaro vind Nicastro ausgestellt haben 
soll: „Tutte queste belle e oonsagrazioni sono chimeriche e pubblicate dagrim- 
postori." 

3 Robert, I 387:' „Cui quidem ecclesie . . . tale munus misericordie et 
remissionis concessimus, ut omnes quorum corpora in cimiterio eiusdem ecclesie 
suo voto sepellirentur, nisi, in excommunicatione et absque confessione more- 
rentur, ab omnibus peccatis suis ipsa hora absolverentur, et extorres infemalium 
cruciatuum et perpetue gehenne redderentur." Von Robert, Jaffö 6940 txad 
andern als echt angenommen. Vgl. dagegen P. B atif f ol , La ohronique de Tavema 
et les fausses decretales de Catanzaro, in. Revue des questions historiques LI 
(1892) 235 ff. 

* Robert II 265 f. Jaffe 7115. Vgl. Schreiber n 231: „Sicher unecht". 
6 Vgl. Schreiber II 107. Puckert 66. 

• Robert I 212: „Illorura animabus quorum. corpora eodem coemeterio 
sepulta fuerint (Im Text steht fuerunt, sicher mit Unrecht, da es sich tun einen 
neuangelegten Friedhof handelt), quod videücet sub praesentia nostra ab episcopo 
Ostiensi benedici deorevimus, benedictionera et absolutionem nostram conl- 
cedimus." Vgl. Schreiber II 232. 

' Robert I 296.. Jaffe, 6875. 

8 G. Salice,' Annali Tortonesi. Torino 1874, 148. Kehr VI 2, 229. 

Paulus, Geschichte des Ablasses. 11 



162 I Vi Die ältesten Ablässe für Almosen und- Kirchenbesucli.' 

'uv XJjieclit ist ahich der Ablaß, den im - Jalure 1128>Hon'orius II., 
derktNacMölgerS des Papstes Calixt, zugunsten der' Bruderscltiaf t ' in 
Tort'oriä'Veflielien haben ' soll.i' Ebeiiso ist "den" Fälschungen- b'ei- 
züzählen/eiüef Bulle, worin; Honorius' 11. jenen,' die an verschiedfeiien 
Festen die: Ei^ der Benediktinerabtei Corazzo (Kalabrieii') be- 
suchen uhd-eiineh Beitrag spenden, 150 'Jahre ^Ablaß verheißt.^ Abge- 
sehen von ähäfem*Kennzeichen, verrät hier schon die 'Höhe des Ablasses 
die Hand des Fälschers. Erdichtet ist ebenfalls der vollkommene Ablaß, 
auf den fein -Klöster in Venedig Anspruch erhob.^' ' " - - ' '''^ 
n; i FiiivdeiijBesüch am Kirchweihfeste der vdn ihin selbst eingeweiliten 
Basilika Lvon-Gliini erteilte Innozenz 11. im' Jahre 1131 bloß- 'einen 
Ablaß von 40 Tagen.* Dagegen erließ er im Jahre 1131 den vierteil 
'Teil der Buße jenen, die zum Wiederaufbau der Einsiedelei Ayberts^ 
eines im Rufe 'der? Heiligkeit stehenden- Priestefsin Hainaut,' beisteuern 
würden;^ liNioht genügend bezeugt ist der Erlaß des -vierten Teils' der 
Büßci deii? Innoizehz II. zugunsten des Klosters Andechs ' bewilhgt 
haben sollv^ii :Mi ^ i> * s • *. ' - 

.K Vi In- den Jahren zwischen 1139 und 1141 oder 1143 hat Innozenz 11. 
zuguiisteh-deir Johanniter zum erstenmal die Bulle ,',Quam amobüis"' 
erlassen, die fspäter oft erneuert worden ist. Die Bulle- ist gerichtet 
an alle Prälaten und ' fordert diese- auf, die Gläubigen anzueifern, 
der Bruderschaft der Johanniter beizutreten und Beiträge zu spenden. 
I^tje.rMtglieder der Bruderschaft, die jährliche Beiträge' zu- leisten 
hattieni, erhielten^ Nachlaß des siebten Teils der auferlegten' Buße.' 

. Eine plumpe Fälschung ist das vom 1. Mai 1133 datierte Privi- 
legium .fiirida^^^^^^ Salvatore in -Brescia.^ Für Almosen 
und- Kir.chenbesuch am Feste der hl. Julia wird' ein vollkommene!* 
Ablaß verheißen; an verschiedenen Festen war ein Erlaß des Drittels 
der schweren Sünden und der Hälfte der läßlichen in Aussicht ge- 
stellt, Sicher unecht ist auch der Ablaß „von Pein und Schuld", 
den die Abtei Königslutter von Innozenz II. erhalten haben wollte.* 

'..:' 1 Sali 06 150. Kehr VI 2, 229. 

2 Ughelli IX 274. Migne CLXXIX 127. Jaffe 7548. 

;* Fl. Cornelius, Ecolesiae Venetae illustratae XI, Venetiis 1749, 398 £► 

* Migne CLXXIX 127: ,,Devotioni et humilitati fidelitun, qui pro amore 
Dei et ipsius loci reverentia in anniversario dedicationis illuc conveniunt, pro- 
spicientes,:ipsis 40. dies poenitentiae sibi iniunctae, de gratiaJDei confisi, b. aposto- 
lorumPetri et Pauli auctoritate remisimus." Jaffe 7ö48. 

^' Migne lCLXXIX 104: „Omnibus benefactoribus tuis quartam partem 
poenitentiae suae ex parte Dei et s. apostolorum. Petri et Pauli et nostra re- 
laxamus." Jaffe 7489. 

^ Cronick voii . . . Andechs. Augsburg, um 1500, C 7'. 

' Delaville I 107, n. 130; IV 244, n. 128 bis: ,,Quicuinque de facultatibtis 
sibi a Deo collatis eis subvenerit et in tarn sanota fraternitate se ooUegam statuerit, 
eisque benefioia persolverit annuatim, septimam ei partem iniuncte penitentie . . . 
dndulgemus." Daß Innozenz II. eine Bulle gleichlautenden Inhalts schon am 
■20. Februar 1131 erlassen habe, ist nicht zutreffend. Vgl. Delaville I 82, n. 91. 
W. Bernhardi, Lothar von Supplinburg. Leipzig 1879, 308 350. 

8 Kehr VI 1, 324. Göttinger Nachrichten 1912, 424 f. 

" J. B. Kapp, Kleine Nachlese einiger . . . Urkunden III, Leipzig 1730, 228- 




IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und' Kirchenbesuch.' 163 

Ebenso unglaubwürdig ist ' ein nicht 'näher bestimmter Ablaß, den 
Innozenz JI; am 15. Oktober 1131 bei 'der Einweihung einer • Spital- 
kirche in Brüssel' verliehen hätte.i'-' ' "■ ' ' — >'' ^ . ' '• 

Anaklet II. soll 
Kirche' San Bartolomeö* 
verliehen haben.^ ' Ein höchst verdächtiges Be'gräbrüsprivilegium ! 

Den Erlaß' des siebtenTeils der Buße ^ den 'Innozenz IL den Wohl-' 
tätern der Johanniter gewährfhatte,' verlieh'Cölestin II. im Jahre 
1144 durch die Bulhi' „Milites fem^^Zi" 'zugunsten' der Templer.^" ' 

Lucius II. erneuerte im Jahre 1144 die beiden Ablässe' für die 
Johanniter und Templer,* wie er auch den Ablaß von 20 Tagen, 
den Calixt II. für Edmundsbury verliehen ' hatte, am 1. April 1144 
bestätigte.^- Unecht ist der Ablaß von 1 Jahr lind 40 Tagen zugunsten, 
einer' Kirche der Augustiner.^ > - ,' . '. ' • 

Die Ablässe für die Johanniter und Templer hat auch' Eugen III.^ 
wieder erneuert.^ ' Im- Jahre^ 1145 gewährte er den ' Besuchern der 
Jakobuskapelle in Pis toia einen Ablaß' von 7 Tagen.^ Nur "auf 7, und" 
nicht auf ' 700 ' Tage ' belief sich ohiie Zweifel auch der -Ablaß, den 
Eugen III.' 1147 bei der Einweihung der Kirche vori'Montmartre 
(Paris) verheben hat.^ Bei der Konsekration eines Altars "der Kirche 
des hl. Frigdianus in Lücca bewilligte Eugen im Jahre "1147 einen 
Ablaß von 40 Tagen für Kirchenbesuch am Jahrestage- der Weihe. ^** 
Zwei Jahre später bestimmte er, daß jene, ' die ' verhindert wären, 
am Jahrestage selbst die Kirche zu besuchen, den' Ablaß während 
der Eestoktave gewinnen könnten.^^' ' Dem von Alexander II. für die 



^ A. Miraeus, Opera diplomatica et historica I, Lovanii 1723, 94. 

2 Kehr I 112. Göttinger Nachrichten 1903, 147. ^ Albon 3?il.^ 

* Kehr, in Göttinger Nachrichten 1899, 388. Delaville IV 244. 
Albon 381. 

^ Battely, Antiquitates S. Edmundi Burgi. Oxoniae 1745, 66. 

« Empoli 390. 

» Delaville I 130, n. 162. Göttinger Nachrichten 1899, 313. H. Prutz," 
Malteser Urkunden und Regesten zur Geschichte der Templerherren und der 
Johanniter. München 1883, 37. Ferreira, Memorias . . ., dos Templarios I 2, 
Lisboa 1735, 765. Albon 382. ' 

* Migne CLXXX 1063: „Dignum duximus, ut fideles Christiani qui prae- 
f atum. venerabilem locum pietatis intuitu devote visitaverint, peccatormn suorum 
■per nos relevationem aliquam mereantur. Ideoque . . . statuimus, ut quotquot 
preiedictum venerabile Oratorium causa devotionis et orationis visitaverint, de 
iniuncta poenitentia septem dierum indulgentiam se accepisse congaudeant." 
Kehr III 128. Jaffe 8795. 

» Mabillon, Annales VI 701: Migne CLXXX 1242: „Ulis autem qui 
tunc locum ipsum devotionis et pietatis intuitu visitaverunt vel de caetero in 
anniversaria die ipsius conseorationis visitaverint, et de facultatibus sibi a Deo 
praestitis eisdem sanetimonialibus suas eleemosynas largiti fuerint, septingentos 
dies inivmctäe poenitentiae . . . indulgemus." In der Bulle ist wohl die Zahl VII 
später in VIP umgeändert worden. Bei Jaffe 9078, der sich auf Mabillon stützt, 
steht irrig 70 dies! 

^» Kehr III 431. 

" Baluzius, Miscellanea IV 594. Migne CLXXX 1404 f. Jaffe 9361. 
Kehr III 432. 

11* 



164 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen. und jKirohenbesuch: 

Domkirche in Lucca. bewilUgten, achttägigen Ablaß, fügte,)51ugen 11.41 
einen weiteren. Ablaß v;on 8, Tagen .bei>, ,.Pie, Johanniskii'che in B.e.-; 
sangon erhielt 1148 einen Ablaß ^ von ,20. Tagen,, der am Kirchweih.- 
feste zu gewinnen war, ^ , . . ' ■■ ' , ,. : . 

Zweifelhaft ist der, Ablaß von 1, Jahre, -.den .Eugen: III. 1145, bei 
der Einweihung deir;KjLrphe.,de8,h;li, Juvenalis'in.;Narn^^ .erteiltühaben 
soU.^ Den unzweifelhaften Eälschungen beizuzählen sind > die Ablässe 
von 300, 200, 30, .Jahren usw./fÜTidas Kloster S.i Maria/ und Regula 
in Imola;* ebensOj.die Ablässe. von 7 j^^hcenfür Kirchen in Mailand,^ 
Verc.elli^ undMissanello,' yon 1, Jahr und .40- Tagen fiir eine Kirche 
der Augustiner.^, . , . , •'. 

Am 31. Januar 1148 hat Eugen III. die Paulinuskirche in Tri^i^ 
eing;9jw[eiht. Bei dieser Gelegenheit, sollen von dem Papste und. den an.T 
wesenden Bischöfen dieselben fabelhaften Ablässe, (21 10 Jahre' uaw,); 
verliehen worden sein, wie hundei-t Jahre friiher, unter. Le.O' IX.* Es 
ist indessen fraghch, ob Eugen zugunsten der. PauHnüskirche auch nur 
einen Ablaß,, von einigen Tagen,: erteilt habe. . Etliche. Tage ; vorher 
(13. Januar) war in Trier eine andere Kirche,' von. Eugen 'HI. -ein- 
geweiht worden, .die Ma,tthiaskirc;hQ, die, weil sie den Leib des. 
hl. Eucharius barg, auch Euchariuskirche genannt wurde. In einei: 
Aufzeichnung aus dem Ende, des 13. J^ahrhunderts wird berichtet, 
daß Papst Eugen und der Trierer .Erzbischof Albero miteinander 
30 Jahre und 18 Karenen Ablaß erteilt haben. Verschiedene Bischöfe, 
die, Altäre einweihten, .hätten jeder 1 Jahr und 4 Karenen; gespendet, 
ein Kardinal dagegen 2 .Jahre und 8 Karenen. Viele andere. Kardinäle, 
die zugegen gewesen, gaben, jeder 1 Jahr und 100 Tage nebst einer 
Karene.^^ Alle diese Ablässe sind spätere Erdichtungen, gleich dem 
Ablasse von 2 Jahren und 2 Karenen, den bald' nachher Erzbischof 
Arnold von Trier (1169 — 83) bewilhgt haben soll. Um die Mitte des 
12. Jahrhunderts war es noch nicht Sitte, derartige, Ablässe zu ver- 
leihen. Der gleichzeitige Trierer Chronist, wohl ein Mönch von 
St. Matthias, der die Feierlichkeit von 1148 schildert, sagt kein Wort 
von irgendeinem Ablasse, der damals erteilt worden wäre.^^ 

Für den Besuch der Kirche St. Cuthbert in Durham hat Ana- 
stasius IV. im Jahre 1153, einen- Ablaß von 40 Tagen, bewilligt.^^ 

Denselben Ablaß von 40 Tagen erhielt in den Jahren 1156 — 58 



- Oben S. 162. Kehr III 403. 

2 Chifflet, Histoire de Totu-niis. Dijon 1664, 393. Jaffe 9266.] 

3 Acta Sanctorum. Mali I 393. Kehr IV 32, 

4 Kehr V 169. Göttinger Nachrichten 1910, 243 ff. 
6 Kehr VI 1, 96. « Kehr VI 2, 23. 

' Kehr, in Göttinger Naohriöhten 1902, 522 ff . 

8 Empoli 390. 

» Oben S. 149 f. Mon. Germ. SS. XV 1276 f. 

" Acta Sanctorum. Febmarii III 453 f. Mon. Germ. SS. XV 1278 ff. 
^^ Gesta Treverorum continuata. Mon. Germ. SS. XXIV 378. 
12 Historiae Dimelmensis scriptores tres. London 1839. Appendix, S. XXXIV 
(Publioations of the Surtees Society IX). Jaff6 9779. 



IV'.' Die ältes'ten -AbläSSö füt Almosen iind Kirchenbesueh. 165 

die Abtei St. Gilles vbn Ha'drian IV.^ Als- dieser Papst im Jahre 
1157, einige französische Bischöfe mit 'der -Übertragung der öebeine 
des hl. Florentius in Saumur. beaiiftragte,^ ersuchte er sie-, dten 
Oläubigen, die der Feier beiwohnen' werden-, einen Ablaß zu erteilen, 
wie sie es für gut finden würden i^ Difes tauten dann auch'die Bischöfe^, 
doch wird über die ' Höhe des gewährteil jAblasses nichts Näheres 
mitgeteilt.^ Einen ähnlichen -Auftrag richtete Hadrian IV. in den 
Jahren: 1156-^58 an den Erzbischof von Rouen und dessen Suffragane. 
Bei der Übertragung der Reliquien in Fee a in p sollten sie den wahrhaft 
reumütigen Gläubigen einen mäßigen und geziemenden Ablaß erteilen, 
den der Papst nachträglich bestätigen werde.* Die oben erwähnten 
Ablässe der Johanniter und Templer hat Hadrian IV. mehrmals 
erneuert.^ ■ > 

Ein eigentümliches Privilegium wollte das -Kloster Andechs von 
Hadrian IV. erhalten haben. ^ In dem betreffenden Schriftstücke 
bestätigt nicht nur der Papst alle von Gregor I. und dreißig andern 
Päpsten erteilten Ablässe, er gewährt auch selber unter anderm für 
verschiedene Feste einen ,, Erlaß des "vierten Teils aller Sünden von 
Strafe und Schuld"; zudem bevollmächtigt et "die Priester, die jedes 
Jahr am Osterfeste vor Sonnenaufgang in' 'der Kirche zelebrieren, 
am Ende ihres Lebens einen Beichtvater zu wühlen, der sie Voii aller 
Strafe und Schuld lossprechen könne. Aus letzterer Angabe erhellt 
unzweifelhaft, daß dies Privilegium erst im 14.' oder 15. Jahrhundert 
entständen ist. Nicht mit Unrecht ist' bemel-kt worden ,' daß dife 
Fälschung „nahezu überall erkennbar" ist.' Als Fälschungen haben 
auch zu gelten der AblaB von 3 Jahren und ^ Quadragenen für die 
Kirche des hl. Augustinus in Orvi'eto^ und der Ablaß von 50 Jahren 
füt die Kirche St. Simplicianus in Mailand.® 

Von Alexander III. (1189 — 81,) lassen sich eine ganze Anzahl 
KircheuT und' Almosenablässe nachweisen. Zunächst hat er mehrmals 
die überlieferten Ablässe der Johanniter und Templer erneuert.^® So- 



^ Goiffon, Bullaire de St. Gilles. Mmes 1882, 78. Jaffe 10351. 

^ Loewenfeld 125: „ConvenientibTis ibi devotionis intuitu fidelibus 
Christianis peccatorum suorum remissionem, sicut con venire videritis, faciatis," 

^ P. Marchegay, Chroniques des öglises d'Anjou. Paris 1869, 310. Acta 
Sanctorum. Septembris VI 423. 

* Brackmann, in Göttinger Nachrichten 1Ö04, 443: „Moderatam et 
conpetentem penitentibus vere advenientibus remissionem peccatorum . . . 
indulgere. Quod enim a tua tuorumque suffräganeorum discretione factum 
fuerit, nos ratum habebimus et auctoritate sedis apostolicae studebimus con- 
firmare." 

ö Delaville I, n. 235 239 243 254. Ferreira I 2, 767. Kehr, in Göttinger 
Nachrichten 189'9, 314 390. 

« Pflugk-Harttung III 186 ff. 

^ Pflugk-Harttung a. a. O. Vgl. auch L. C, Goetz, in Zeitsch. f. Kirchen- 
geschiehte XV 333 ff. 

» Kehr II 225. Empoli 390. 

» Kehr VI 1, 96. 

1» Delaville n. 318. Ferreira I 2, 769. 



166 IV. Die ältesten Ablässe für Almosent'Und-Kirchenbesuoh. 

dann hat er wiederholt (Wallfahrerablässe verliehen. , Denjenigen, die 
nach Jerusalem;pilgerten,, pflegte der.Papst einen Ablaß von' !• Jahre 
zu .erteilen.^ Eine Ablaß bewilligung, für die Rompilger findet sich 
im, Schreiben jan^die Schwedfensvom 26. Juli llSl.^ DerTapst erklärt 
in, diesem Schreiben, daß er jenen, die, nach reumütiger Eeichte die 
Gräber der' Apostel besuchen,' je nach ihrer, 'Entfernung von Romj 
1, 2 oder 3 Jahre von. der auferlegten Buße .erläßt. . Bemerkenswert 
ist es auch, daß Alexander III. 1163 Adeligen einen Ablaß von^ 1 Jahre 
verheißt, wenn sie- den der Abtei Cluni geschworenen Frieden halten 
würden.^ Bei der Einweihung ,der Kirche St. Germain r des -Pres 
(Paris) im Jahre 1163 verHeh der Papst für den Besuch der Kirche 
vom Tage der Konsekration an (21. April) bis zum Schluß der Pfingst- 
oktave einen Ablaß von 1 Jahre; für den Besuch am jährKchen, Kirchs- 
weihfeste und an den drei folgenden Tagen würde ein, Ablaß, von 
20 Tagen verheißen.* Auch bei der Einweihung der Abteikirchie von 
Ferrieres. (Diözese Sens) im November 1163 oder 1164 gewährte er 
einen Ablaß, dessen. Höhe jedoch nicht bekannt /ist.^ Daß er aber 
bei solchen Gelegenheiten -nur ganz mäßige" Ablässe zu verleihen pflegte, 
zeigen die BewilUgurigen inden -Jahren 1164 und 1165 für die Abtei- 
kirche St. Kolumba und die Kathedrale ia Sens; in beiden EäUen 
erteilte er bloß einen Ablaß von 20 Tagen.*- Denselben. Ablaß von. 



^ In der Kreuzzugsbulle, die Alexander III. in den Jahren I17I — 72 gegen 
die Esten erließ, heißt ^es: „Nos eis ,qui adyersus dictos paganos potenter, et 
magnanimiter decertaverint, de.pecoatis suis de, quibiis- confessi fuerint et poeni- 
tentiam aeeepörint, remissionem'unius anni, confisi de miseriöordia Dei et meritis 
apostolorum Petri et Pauli concedimus, siout his qui sepulcrüm dominicum 
visitant, concedere oonsueviraus." Migne CO« 861. • Jaff 6 12120.' 

2 Migne CO 1316: „Noveritis quod cum unusquisque seoundum labprem 
suuna debeat mereedem accipere, apostolorum limina visitantibus oitra laare 
unum, Anglicis biennium, vestratibus autem quia' remotissimi sunt, et quia se 
oonstituerunt sedi apostolicaecensuales et cum maiori labore accedunt, trieniüura 
de iiÜTinota poenitentia peöoatorum, de quibus vere compuncti sunt et eonfessi; 
de b. Petri et Pauli potestate confisi auctoritate apostolica relaxamus. Non 
autem dubium est quin illis qui non veniunt et censum solvant, solutio ipsa ad 
remissione'm valeat delietorüm." Jaff 6 14417. Mit den Schlußworten wird kein 
Ablaß bewilligt. 

ä Migne CC 250. Am Anfang des Schreibens erklärt der Papst: „lu 
reudssionem peccatorum vohisiniungimus", den geschworenen Frieden zu halten, 
,,Nos autem tarn vobis quam successoribus ahis qui praedictam Ecolesiam Cluiüa- 
censem et his quae ad eam pertinent ecclesiis atque personis ecclesiasticis con- 
tinuam servaverint pacem, de misericordia Dei et b. Petri et Pauli apostolorum 
eius meritis praesumentes, annum unum illivis poenitentiae quam'corde contritQ 
et compuucto humiUter recepistis, sicut et iis qui petiint Hierosolymam, re- 
laxamus." Jaff6 10908.^ ,; ,„ 

" ^ Loewenfeld 133. Die Ablaßballe schließt mit der Mahnung an die 
Gläubigen, „ita oorde contrito et humiliato ad eundem locum annis singulis 
accedatis, ut non aUa quam sola devotionis causa illuc aocedere videamini et ab 
bmnipotenti Domino vestrorüm melreamini indulgentiam delictbrum". 

5 Migne CO 278. Jaff 6 1Ö973. In dem Schreiben an König Ludwig VII.' 
erwähnt der Papst die „remissio, quam ibi annuatim constituimus". 

* M. Quantin, Cartulaire gdiieral de l'Yonne II, Auxerre 1860, 176 179. 
Jaffö 11020 11172. Der erste Ablaß konnte gewonnen werden zur Zeit des 



IV. Die- ältesten Ablässe für Almosen' und Kirohenbesuohi 167 

20u Tagen 's verlieh -er 1177 bei; der Einweihung zweier Ejirchen iii 
Venedig.f Eirien nicht, näher f bestimmten Ablaß 'soll Erzbischof 
Roger von .York (1164 — 81) >vom Eapste für- die ^Wohltäter der Peters- 
kirche ..in ' E-ipon> erhalteii haben.^ , Für die Unterstützung eines 
Brückenbaues beiiEucecchio (Ficiolo) hat Alexander III. einen Ablaß, 
von 40.Tagen.be willigt, der von seihenNachf olgern Lueius III. , Urbarilll . , 
Klemens Ill.viCölestinilll/, Innozenz III. usw. erneuert wurde.^ '. 
„ , Nicljt genügend' bezeugt ist der „^große Ablaß'V den Alexander III, 
im.'Jahre 117,9, für die yerehrung der .in* Genua verwahrten Reliquien 
des hl.„, Johannes- Baptista verliehen« haben soll.* - ' •■- ' 

. ' ,Überaus: zahlreich sind die ! unechten Ablässe^ die Alexander III. 
zugeschrieben werden. . Einer der- bekanntesten- dieser Ablässe 'ist der 
große Ablaß der Marküskirche in Venedig-, der, gleich andern be- 
rühmten Ablässen,; unter BonifazJX. öfters' andern Kirchen niitgeteilt 
worden ist. In der angebhch von' Alexander III.. am 10. Mai 1177 
hierfür, ausgestellten BuUeheißt .es ji daß -allen,' die nach reumütiger 
Beichte' am^ Eeste der : Auffahrt . Christi die Marküskirche besuchen 
und für deren Unterhalt einen milden Beitrag spenden, ein voll- 
kommener Ablaß zuteil? werde.. Für .die Festoktave : wurde täglich 
ein Erlaß des siebten Teils der Buße verheißen^. Die Bulle ist sicher 
gefälscht.® Aber auch der darin verheißene Ablaß ist den Fälschungen 

Kirchweihfestes „per sex dies amiuatim", der zweite aiu Kirohweihfeste „vel 
tribus diebus praecedentibus aut sequentibus". ' '' ' •'- 

1 Migne CO 1117 1242. ■ Jaff6 12849 13456. ■ In der ersteren Bulle heißt 
es:^ „Omifibtis qui in anniversario dedicatiöhis, vel tribus diebus ante vel tribus 
post, eandem [ecclesiam] contrito animo-et devote et humiliter visitaverint, de, 
poenitehtia sibi iniuncta' 20 dies, confisi de misericordia lesu Christi etb. Petri 
et Pauli meritis, duximus indulgendos." ' " ' . 

.?, Erwähnt in einem undatierten' Schreiben der Stiftsherreii von Ripon. 
Memorials of the-Ohurchpf ,SS. Peter, and, WiKrid, Ripon I, London 1882, 98 
[Publications of the S;artees , Society LXXIV]^ , _, j , , ^ 

■3 Eiwähnt in' einein "Schreiben von Kiemens ly. aus dem Jahre 1265, 
Schneider 254. ' Kehr' III "481.- Schneider meint, die Ablaßbriefe von 
Alexander III: 'und Innozenz 111. hätten sich erhalten; 'allein' die Schreiben, 
auf; die er verweist, enthalten keine AblaßbewiUigung.". , ' '■ ' ,' •-' ■ 

} Er wird- zuerst erwähnt von. Jakob. svon Voragine, Erzbi^chof von, 
Genua (t 1298) in seinem Ohrdiiicon lanuense. 'Muratori, Scriptores IX 31 41. 
Vgl; Kehr- VI 2', 2'85. ' ' ..,..,,,.. 

. ^ Migne', CC. 1319.f. Jaffö 12835. Aus einer Wolfenbüttler Handschrift 
hat Wattenb,achim Neuen' Archiv für ältere deutsche.Geschichte VII>(1882) 138, 
eine andere Überlieferung mitgeteilt: „Dominus papa largitus est talem graciam 
monasterio S. Marci: Quod omnis qui ingreditur ante ascensionem Domini VIII 
diebus, quociescumque intraverit, habebit C annos et septimam partem de omnibus 
peccatis indulgenciam. Et in vigilia ascensionis Ddmini incipit talis indulgencia, 
quod omnis, qui confessus et contritus monasterium S. Marci intraverit, absolvitur 
a pena et culpa, et per octavam predictam~ indulgenciam, C ännos videlicet et 
septimam partem omniiun peccatorum meretur consequi. ■ Et predictus . . . papa 
Alexander III conseeravifc m.onasterium .S. Mar'oi eodem die et addidit indul- 
genciam que siout harena non potest dinumerari." 

' Vgl. H. Simonsfeld, Der große Ablaß von S. Marco, in den Sitzungs- 
berichten der phil.-histor. Klasse der bayer. Akademie der Wissenschaften 1897 
II 183—89. , . ' , 



168 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenb'esuoh. 

beizuzählen. Zu jener Zeit haben die Päpste noch keine vollkommenen 
Ablässe für Kirchenbesuch und Almosen erteilt. Als im Jahre 1177 
Alexander III. während seines Aufenthaltes in Vfen^dig zwei Kirchen 
einweihte, verheb er jedesmal nur einen Ablaß" von '20 Tagen. > Der 
große Ablaß vonS. Marco ist allem Ansehe jne nach erst am- -Anfang 
des 14. Jahrhunderts, wohl bald nach dem Jubiläum- von 1300, auf^ 
gekommen. Am 19. Dezember 12^hatte Nikolaus IV.füf denBesuch 
djer Marbuskirche am Feste-des Patrons und an "Christi Himmelfahrt 
einen Ablaß von 1 Jahre'^und 40' Tagen gewährt.^ Denselben Ablaß 
gewährte Bonifaz VIII. am 23. Juli 1295.? Von .einem vollkommenen 
Ablasse war also damals wohl noch nichts bekannt. Allerdings erwähnt 
ihn bereits eine Chronik, deren Abfassung in die erste Hälfte des 
W. Jahrhunderts zu setzen ist.? ,',Aber es ist hier darauf aufmerksam 
zu machen, daß gerade dieser, Teil der Historia aus einer Hand- 
schrift des 17. Jahrhunderts ergänzt ist, wo also leicht der damals 
herrschenden Überüef erung gemäß der betreffende Passus eingeschoben 
werden konnte."* Bei den übrigen venetianischen Geschichtschreibern 
wird der Ablaß zuerst erwähnt von dem Minbriten Paulinus (f 1345) 
in einer noch ungedruckten Aufzeichnung,^ und dann besonders von 
Andreas Dandolo .(f 1354).? 

Alexander III. soll übrigens im Jahre 1177 noch verschiedene 
andere große Ablässe erteilt haben. In einem fabelhaften Berichte 
über die damaligen Ereignisse und dies Flucht des Papstes nach 
Venedig' wird zunächst ein' Ablaß erwähnt, den Alexander der 
Johanniskirche in Ponta de Salvore an der Küste von Istrien 
erteilt habe; ,,sehr große Ablässe" hättfe der Papst auf seiner Dü!rch- 
reise auch dem Städtojbien Or^sero (Diözes^ Pafenzp) be^lligt.^.Noch 
größere aber erhielt Ancona: Durch den Besuch der dortigen Kirchen 
in der Fastenzeit konnte man denselben Ablaß gewinnen, wie durch 
eine Pilgerfahrt nach Jerusalem; für den ersten Sonntag eines jeden 
Monats erteilte der Papst einen'.so gr.oßen A]blaß, als er Sand mit 
beiden Händen fassen konnte.^ Baronius bezeichnet mit Kecht 
diesen Ablaß als „lächerlich".^ Dagegen nimmt er unbedenklich 
einen andern Ablaß an, den Alexander III. am 8. Mai 1177inFerrara 
gewährt haben soll. Bei der Einweihung des Hochaltars der Kathedrale 
hätte der Papst für den Jahrestag der Feier 1 Jahr Ablaß für schwere 
Sünden und einen Erlaß des siebten Teils der Buße für läßliche Sünden 



^ Les registres de Nicolas IV. n. 1884. 

^ Les registres de Boniface VIII. n. 290. 

3 Historia dncum Venetioorum. Mon. Germ. SS. XIV 83. 

* Simonsfeld 186. « Ebd. 

* Muratori, Scriptores XII 304. 

^ Abgedruckt bei Baronius, ad an. 1177 n. 6 f. 

^ ,,Tantam indulgentiam quantam. arenam capere potuit cum ambabus 
manibus." Vgl. oben S. 157 einen ähnlichen Ablaß von Urban II. für Piacenza, 
9 Ad an. 1177 n. 49. Vgl. Kehr IV 197. 



IVi "Die ältesten Aiblässe ff ür Almosen und -Kirehenbesuch. ' 169 

verlieheni^ Nach den unzweifelhaft echten Ablaßschreiben Alexanders 
zu urteilen,' darf man wohl die Bewilligung, die von den übrigen gänzlich 
absticht;' als unecht betrachten. ' Sicher' unecht ist der nicht näher 
datierte voUkoinmene Ablaß, den Alexander allen Kirchen der Kreuz - 
träger, verliehen hätte, als er, vor Kaiser Friedrich -Barbarossa 
fliehend, in dem 'Kreuzherrenspital vonMontolmo bei Macerata eine 
Unterkunft fand/^ Ebenso unbegründet ist der Ablaß, den Alexander III. 
nach einer Inschrift am 26. Juli 1177 der Kirche S. Maria Antiqua in 
Verona bewilligt hätte: Am Feste Maria Himmelfahrt und während 
der Oktave für Kirehenbesuch und Almosen täglich 100 Jahre, an den 
andern Marienfesten, vom Martinstag bis zur Oktave des Epiphamen- 
festes und während der Fastenzeit dreimal in der Woche 50 Jahre,, 
endlich Absolution von Strafe und- Schuld für jene, die bei ihrem. 
Hinscheiden der Ejrchenf abrik ein Legat vermachen;^ 

Andere unechte Ablässe seien nur im Vorübergehen erwähnt: 
5 oder 25 Jahre für St. Simplicianus in Mailand,* nicht näher be- 
stimmte Ablässe für den Dom in Siena,^ ein vollkommener Ablaß, 
für die Domkirche in Paderborn.* Der vollkonimene Ablaß für 
Santiago wird' im 2. Bande zur Sprache kommen. Unecht sind 
wohl auch folgende Ablässe : 1 Jahr und 2 Quädragenen für den Dom 
in Anagni,' 100 Tage für den Dom in Viercelli,* 2 Jahre für die 
römisphe Kirche S. Maria in Aquiro,^ ein ,, großer Ablaß" für 
S. Bartholomaeus in Eom.^" 

Von Viktor IV., dem Gege;ipapst Alexanders III., hat sich ein 
bemerkenswertes Ablaßprivilegium erhalten, das er im Jahre 1161 
zugunsten, einer klösterlichen Niederlassung bei Cremona ausgestellt 
hat.^^ Etliche Frauen, die das Ordenskleid genommen, hatten in der 
Nähe dieser Stadt die Kirchte San Leonar(^ neb^t einem Spiral für 



1 Ad an. 1177 n. 49. Ughelli II 539. Amort I 128. Kehr V 224. Bei 
A. Frizzi, Memorie per la storia di Ferrara II, Ferrara 1848, 264, findet sieh 
eine Inschrift, welche die. Konsekration des Altais durch Alexander III. bezeugt, 
aber von einera Ablasse nichts berichtet. , ; 

^ Die VerkimdigTing des Ablasses, wie sie in der Kreuzherrenkirche zu 
Portogruaro durch öfffentliohen Anschlag zu geschehen pflegte, wird mitgeteilt 
von Kehr in Göttinger Nachrichten 1899, 235. 

^O.Panvinius, Antiquitatmn,Verone>nsiumli'bri yill, Patavii 1648, 182. 
Bianoolini II 414 f. Vgl. Jaff6 II 765, h; 12980a. 

* Kehr VI 1, 96. 

6 Kehr III 207. CappellettiiXVII 450. 

* Gr öne 71. Richtig ist nur, daß in den Jahren 1255 und 1257 Alexander IV. 
der Paderbomer Domkirche partielle Ablässe gewährte, die von Gobelinus Person 
irrig Alexander III. zugeschrieben wurden. Vgl. H. Finke, Die Papsturkimden 
Westfalens, in Westfäl. Urkundenbuch V 258 404, n. S61 847 848. M. Jansen, 
Cosmidromius Gobelini Person. Münster 1.900, 48. 

' Kehr II 139. Bei Cappelletti VI 333 eine Aufzeichnung über die Ein- 
weihung des Domes durch Alexander III., aber ohne Erwähnimg eines Ablasses. 

8 Kehr VI 2, 24. - . 

9 Kehr I 85. Forcella II>33. 

10 Kehr I 112. Göttinger Nachrichten 1903, 154. 

11 Veröffentlicht von Kehr in Göttinger Nachrichten 1912, 431 f. 



•170 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen, und Kirohenbesuchi 

Arme gegründet. Um die Gläubigen zu bewegen, .die- neue Anstalt zu 
unterstützen, verlieh Viktor IV., der am 14. Mai 1161 der Einweihung 
4er Kirche beigewohnt hatte, folgenden, Ablaß : Wer .vom Tage der 
-Weihe an bis zur Oktave des Festes des Erzengels Michael die ;^Rirche 
besucht, und ein Almosen spendet, erhält 1 Jahr Ablaß '^ für schwere 
'Sünden und einen Erlaßt- des vierten Teils der läßlichen Sünden; 
pudern werden auferlegte Bußwerke, die man aus Nachlässigkeit; vor 
Scham oder Müdigkeit nicht verrichtet hat, gänzKch erlassen., Für 
das jährliche Kirchweihfest wird ein Ablaß von 40 Tagen für schwere 
Sünden und ein Ei?laß des vierten Teils der läßlichen Sünden ver- 
heißen. , > * ' ' , ■ - 

Lucius, III. hat den Almosenablaß der Johanniter mehrmals 
erneuert.^ Zudem erteilte er 1182 einen Ablaß von 8 Tagen für 'den 
Besuch einer Kirche in Venedig.-^ .Einen andern Ablaß, von 30 Tagen 
verheh er 1185 für Beiträge zum Bau einer Brücke bei Pisa.^ Letztere 
Bewilhgung beginnt mit den Worten: „Quoniam, ut.ait Apostolus", 
und enthält die Formel: „In peccatorum remissionem iniungimus." 
ÄhnHch lauten viele spätere päpstliche und bischöfhche Schreiben, 
sowie auch das Musterformular, das auf der Lateransynode vom Jahre 
1215 für Almosensamralungen vorgeschrieben wurde. Man hüte sich 
indessen, derartige Sqhreiben als , Ablaßbewilhgungen zu betrachten, 
wenn nicht am Schlüsse die Verleihung eines bestimmten Ablasses 
ausdrückhch erwähnt wird. So enthält z. B. das Schreiben, worin 
Lucius III. in den Jahren 1182 — 83 die Gläubigen ermahnt, zur Be- 
festigung des Klosters Lerins Beiträge zu spenden, keine Ablaß; 
bewilligung.* Für den Besuch, der Klosterkirche in Blesle gewählte 
der Papst im Jahre 1185 einen Ablaß voii 10 Tagen, wobei er hervorhob, 
daß diese Kirche eine ähnliche Vergiinstigüng schon von seihen Vor- 
gängern UrbanIL, PaschalisIL, Calixtll. und Alexander III. erhalten 
hatte. ^ Einen nicht näher bestimruten Ablaß erhielt eine Kirche in 
Reims.® . , , > ■ . 

Als echt darf man wohl den Ablaß von 12 Tagen für schwere 
Sünden betrachten, den nach einem Chronisten des 13. Jahrhunderts 
Lucius III. am 29. Juni 1184 bei seiher Anwesenheit in Faenza 



- 1 Delaville n. 631 668 743. Göttinger Nachrichten 1899, 328 403 f. 

2 pfiugk-HarttuAg III 410. , . , 

3 Pflugk-Harttung III 320. Kehr III 375. 

< Kehr, in Göttinger Na,chriohten: 1900, 426. ' 

;® A. Ohassaing, Spioilegium Brivatense. Eecueil de documents historiques 
relatifs au Briyadois. et ä l'Auvergne. ; ;Paris 1886,, 20: „Quoniam dignum est 
et a consuetudine ecclesias<;ica nujllatBnus aUenum, ut hü qui in precipüis soUemphi- 
tatibus ad ecclesias deyota mente conoorrentes, suorum debeäntpercipere veniain 
delictorum, nos, vestigia patn^n et predecesspriim nostrorum pierrecordationiä 
Urbani, Pasohasii ( ! ), Calixti:atque AlexändriRoinanorum Eontificum sequentes, 
hiis qui ad monasterium yestnim qupd; in: honore b. Petri; noscitur lesse ,> cön- 
structum, in feste apostolorum Petri et Pauli devote concürrerint, de penitentia 
ipsis iniuncta decem dies, confisi de ipsorum apostolorum. meritis,;reläxäinu3." 
Vgl. oben S. 160. ;..: ,:.■ --. .• ^. -: ;^?-.-/ ' -xU r,w{-^.-r---: - 

' Marlot II 415 teilt bloß den Anfang der; Bulle mit.- .L /; r jV/ 



IV. Die.ältesten Ablässe für Almosen und Kirohenbesach. 171 

erteilt hat.^ Unsicher, ist der- Ablaß aus demselben ■. Jahre für die 
Harienkicche in Carpi.^ Bei derJiKonsekratioil des Domes in Mo;deria 
am 12. Juli 1184. hat Lucius III; nach einer Inschrift .40 Tage, Ablaß 
für schwere Sünden und einen Erlaß des vierten Teils der, läßlichen 
■Sünden = verliehen.^.. Wie es sich mit der. Echtheit , dieses Privilegiums, 
verhalte, bleibe dahingestellt. • ' , . ^ . ' ■ < . 

X)eji\ Fälschungen -beizuzählen' ist der Ablaß von 14 Jahren für 
S. Simplicianus in Mailand*, und ganz besonders ein Privilegium 
vom Jahre. 1184, das die Kirche des hl. Laufentius in Verona zu 
besitzen; vorgab: Wenn in dieser Kirche für einen Verstorbenen am 
ersten Mittwoch nach: dessen Hinscheiden ein Hochamt gehalten wird-, 
so; soll seine Seele aus' dem Fegfeuer, erlöst werden.^ Unecht ist wohl 
auch der Ablaß ,ivon. 1 Jahre, den Lucius III. nach einer- anonynien 
Aufzeichnung bei der Heihgsprechung des Bischofs Bruno von Seghi 
(f 1123) erteilt haben soll.® ;Es läßt sich für Segni ein Bischof Bartholo- 
mäus, welcher der Heihgsprechung beigewohnt und selber, gleich den 
andern anwesenden Bischöfen, einen Ablaß von 40 Tagen erteilt hätte, 
«rst um die Mitte des 13. Jahrhunderts nachweisen.'' 

; ; Von Urban III. ist nur der eine und andere Ablaß sicher bezeugt, 
so aus den, Jahren 1186^-87 der Ablaß von 20 Tagen zugunsten- der 
Kirche St. Stephan, in Besangen^ und die Erneuerung des- überr 
lieferten Almosenablasses .der Johanniter.^ 

Allerhand große Ablässe soll, Urban III. in Verona und in der 
Umgebung .dieser- Stadt verliehen .haben. Eine alte Aufzeichnung 
berichtet,^ der Papst habe am Ostermontag 1186 in der Peterskirche 
zu Yepona das , JBCochamt gehalten und dann, einen, Kardinal beauf- 
tragt, zu predigen und den anwesenden Gläubigen einen, Ablaß zu 
spenden: den ItaHenern wurde 1 Jahr und 20. Tage erlassen, jenen 
aber, die von jenseits des Meeres gekommen waren, 3 Jahre und 
30 -Tage. Dieser Ablaß :Sollte jed.es- Jahr am Ostermontag gewonnen 



^ M. Tabarrini, Oronaohe dei secoli XIII e XIV. Firenze 1876, 785. 
{Documenti di storia italiana VI]. Kehr V 151 : „Placuit ipsi pontifici in eadem 
missa, quam suo proprio ore celebraverat, huib Fayentine' eeclesie tale Privilegium 
concedere, Cjuod omnibus pres'entibus ad b, Petri festumi venientibus aiinuatini 
•dxiodecim dieruin criminalium peccatorum adhiberetur remissio." - 

2 In einer erst 1514. angebrachten Insolirift, die sicher uiigenaue Angaben 
enthält, "heißt es, Lucius III. habe bei der Konsekration der JEürche „quam- 
plitrimas ihdulgentiäs" bewilligt. Memorie stofiche e documenti sulla citta di 
Carpi I, Carpi 1877, 112 128. Kehr V 406. ' 

3 In der Inschrift heißt es : „40 dierum. poenam de oriminalibus de quibus 
confessi fuerint, et quartam p'artem venialium singulis annis ... onmibtis qui 
ei in feste ipsius honorem .exhibuerint, remisit." Muratori, Soriptores XI 54. 
Kehr V 312 f. 

'* Kehr VI 1,97. 

^ Biancolini I 378 f. , Das erdichtete Privilegium ist am 31. Mai 1488 
von Innozenz VIII. bestätigt worden. 

« Acta Sanct. lulii IV 476. Kehr II 132. 
' , ' Gams 725. 

8 Kehr, in Göttinger Nachrichten 1902,, 478. 

9 Delaville n. 767. 



172 -IV'.' Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch, 

werden könneii. Urban habe auch einen von' Lucius III. erteilten 
Ablaß bestätigt. Im folgenden Jahre habe der Papst am .2'9. Juiii 
iii derselben iKirche wieder zelebriert und. durch einen Kardinal ein'en 
ähhlicheüviAiblaß 'Verkünden lassen, mit dem Zusätze, daß während der 
OfctaFe des i Apostelfestes ein 40tägiger Ablaß zu gewinnien 'sei.i j)^^^ 
Richtigkeit dieser Angaben darf wohl bezweifelt werden. Ebenso 
3zwei£elhkft ist der Ablaß, den nach einer andern alten Aufzeichnung 
ürban III. im Jahre 1187 bei der Einweihung des Domes ih Verona 
erteilt haben soU.^ Am Schlüsse der Predigt, die er bei dieser Ge- 
legenheit hielt, hätte er für den Besuch der. Kirche am Tage der Kon-, 
sekration und an den vierzig folgenden Tagen 2 Jahre Ablaß erteilt^ 
'40 Tage aber für den Jahrestag; zudem hätte er die vergessenen Sünden 
erlassen.^ "Namentlich die letztere Bestirnmung, die wohl öfters 'in 
bischöfhchen, aber nur ganz ausnahmsweise in päpstlichen Ablaßbriefen 
vorkommt, macht das Privilegium verdächtig. Eine andere viel ein- 
fachere und daher zuverlässigere Auf Zeichnung berichtet bloß, Urbanlll» 
habe bei der Einweihung für das jährliche Kirchweihfest einen Ablaß 
bewilHgt.* 

Sicher gefälscht ist das Ablaßprivilegium aus dem Jahre 1186 
für die Ejrchie des hl. JuHanus in Lepia bei Verona.^ Für den Jahrestag 
der Ein\i7eihüng wird ein Ablaß von 1 Jahre und 40 Tagen für schwere 
Sünden nebst einem Erlaß des vierten Teils der läßlichen Sünden 
verheißen; dazu kommen verschiedene aridere Privilegien, wie sie 
häufig in bischöflichen Ablaßschreiben jener Zeit verzeichnet sind;* 
ieridlich wird noch für das Fest des hl. Julianus ein Ablaß von 1 Jahr 
und für jede milde Gabe ein solcher von 40 Tagen in Aussicht gestellt. 

Erdichtet ist ebenfalls der durch eine Inschrift bezeugte Ablaß 
für die Kirche S. Maria in Stellis in der Veroneser Diözese: Für 



^ 0. iPahvinius, Antiquitatum Veronensium libri VIII. Patavii 1648, 18B. 
Biancolini I 106 f. Ughelli V 807. 

a üghelli V 809 f. 

^ ' „Insuper quoque dioimus et hortamur, ut unusquisque subtüiter et 
diligenter cpgitet et recordetur de suis peccatis, et de onmibiis illis de quibus 
r^cbrdari nöri potest,, poeniteat et citm sacerdote confessionem faciat et poeni- 
teutiam accipiat. Oblita namque delicta de quibus recordari non potest, et per 
fraudem nön steterit, quin recordetur, Deus ei ea oblita dimittat et paroat, et 
nös dimittimüs ea et indulgemTis, cum quocunque tempore ad memoriam re- 
duxefjt, cum sacerdote confessionem faciat." 

* Panvinius 186. 

5 Ughelli V 807 f. Ducange IV 347. Jaffe 15688. 

^ „Fractiones votorum, ita ut ad ea redeant, excessus (d. h. offensas) 
parentum, nisi fuerint enormes, poenitentibus in carantena uaimn annum de 
feriis (gemeint sind die jjferiae legitimae", Montag, Mittwoch und Freitag, an 
denen das Jahr hindurch außerhalb der strengeren äOtagigencBüßzeitzii fasten 
war), de quadragesima 7 dies, in solemni poenitentia advem'etitibus calciamenta 
restituimus, muheribus quae nolehtes parvulös oppresseruht,- ecclesiae introitum." 
Die Fälscher haben einfach einen echten bischöflichen Ablaß, der 1238 zügiinsten 
einer Marienkirche in Verona verliehen wurde (vgl. Biancolini III 92 f.), 
Urban III. zugeschrieben. 



IV. Die ältesten" Ablässe fiict Almosen und Kirchenbesußh, , 17S 

den Besuch des -Gotteshauses) am jährKchen Kirchweihfest und an den- 
15/ folgenden- Tagen N^aphlassung aller, vergessenen Sünden „von- 
Strafö und Schuld V, zudem 40 Tage Ablaß für Almosen; an den 
Marienfesten und i an jedem Sonntag 1 Jahrund 240/Tage.^ 

! Den Fälschungenf darf man; aüch^ beizäÜleii das' Äblaßprivilegium, 
das di'e> Abtei St. Nikolaus' in Angers- von IJrban ITI.' erhalten haben 
wollte:^' Sehr mit Unrecht i haben übrigens' etliche ältere Autoren in 
diesem Privilegium die Bewilligung eines- Ablasses für Verstorbene 
gefunden;^ es ist darin 'nur' von den Lebenden- die Rede. 

'Unecht ist' der Ablaß von ' 1 Jahr' und 1 Quadr'agene, den 
Oregor VIII. im Jahre 1187 für Besuch der Kirchen der Aügustinei; 
erteilt haben soll.*' Der Almosenäblaß, den zuerst dieser Papst und 
darin seine Nachfolger für Geldbeiträge zu Kreuzzugszwecken ver- 
liehen' haben, wird fü'glicher weiter unten bei den ältesten Kreuz- 
ablassen seine Stelle finden. ' 

Klemens III. erneuerte den bereits von Urban III. bewilligten 
Ablaß für den Bau einer Brücke in Pisa.^ Ebenso erneuerte er die 
überlieferten Ablässe der Johanniter^ und der Templer.' Einen Ablaß 
von 10 Tagen verlieh er ,1188 für Teilnahme, an der feierlichen, Pro- 
zession, die, an Maria Lichtmeß in der Kirche S. Maria de Castello 
zu Genua stattfand.^ Unsicher ist der Ablaß von 1 Jahr und 40 Tagen 
für die römische Basilika ß. Maria Ma^jor.^ Der Ablaß von 1,00. Tagen 
für eine Kirche in Orleans, den .etliche, Klemens III. zuschreiben,^'' 
ist am 2, August 1267 von Klemens IV. verheben worden.^^ ,^ 

Cölestin III. erneuerte wieder' die' Ablässe derTempler^^ und der 



1 Ciaqoni.UÄiI H27. .Amor.t, I 128. ■ 

^ L. le ipeletier, Rerum scitu dignissimarjum a prima fund.atione mo-. 
nasterii. S. Nicolai' Andegavensis Epitome. Andegayi 1635, 78: „Dominus Papa 
TJrbanus.III.. septimam partem de^ iniiinctis sibi poenitentiis, peccata, obHta, 
vota.fraota si.ad.ea i;edierint, of f ensas, patrum et matrum sine inieotione manuum, 
transgressiones iuramentorum in quibus; capitale [non] dignosoitur, misericorditer 
relaxat." Auch bei Morinus 779. 

^ Lerma,, Sekretär der Ablaßkongregation, erwähnt als der erste in einem 
1731 verfaßten Gutachten (bei Amort, Supplementmn. Aug. Vind. 1736, 54) 
den Ablaß, den Urban um 1186 in Angers für die Verstorbenen erteilt hätte: 
„Refert,Mabillon in Praefatione ad Acta Sanctorum Ordinis S.,Benedictisaeculi Y,. 
ex Epitome fundationis abbatiae S. Nicolai Andegayensis (bei, Mabillon ist a. O. 
nichts, dergleichen zu finden, Lerma. hatte wohl.Morinus im Auge), Urbanum III. 
circa an. 1186 benemeritis de eadem abbatia tarn in vita quam post eorum 
mortem septimam de iniunctis poenitentiis partem relaxasse." Diese irrige 
Behauptung haben dann andere -wiederholt, so Theodorus a Spii:itu.sancto, 
Tractatus dogmatico-moralis de indulgentiis I, Romae 1743, 389, G. Roth- 
fischer, Ablaß und Jubeljahr I, Regensburg 1751, 617. 

* Empoli 391. Kehr III 377. 

5 Pflugk-Harttung III 356. Kehr III 376. 

«.Delaville n., 852. 

^ -G. Fe j6r, Codex diplom. Hungariae II, Budae 1829, 241. Jaff e 16361. 

8 Kehr VI 2, 297. -» Kehr I 56. 

" Migne GIV 1467. L. 0. Goetz, in Zeitschr. f. Kirchengesoh. XV 327. 
" Jaff6 16519. " Loewenfeld 247. 



174 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch. 

Johanniter.^ Auch erneuerte' er llÖl den Ablaß von 30 Tagen für' 
den Bau einer Brücke in Pisal^' In demselben Jahre soll er,' einer 
alten Inschrift zufolge, bei der Konsekration der römischen' Kirche 
St. Johannes vor der lateinischen Pforte einen Ablaß von 40 Tagen 
erteilt haben.^ Ein Ablaß .von 10 Tagen für eine Kirche, in Genua 
wird aus dem Jahre 1193 erw|ihnt.* Gut bezeugt ist der, Ablaß von. 
20 Tagen (2. Juni 1194) für eine Klosterkirche. (BeUae-Valhs) in der 
Diözese Besangon.^ -Ob Cölestin in der Tat 1195 einen bemerkens-. 
werten Ablaß, den der Metzer Bischof Bertram für eine Kirche, in 
Metz verliehen, bestätigt habe, mag dahingestellt bleiben.* Die Päpste 
hatten nicht die Gewohnheit, Vergünstigungen zu gewähren, wie, sie 
in dem betreffenden Bestätigungsschreiben aufgezählt, werden. ...Un- 
sicher sind die Ablässe für die römischen Kirchen St. Eus|achiu& 
(2 Jahre) und .St. Bartholomäus (unbestimmt).' Dagegen kann der 
Ablaß von -20 Tagen" für die Kirche St. Moritz (Diözese Sitten) vom 
1. Aprü 1196 als sicher gelten;^ ebenso die Bestätigung (28. Mai 1196) 
des von Alexander III. verhehenen 20tägigen Ablasses für St. Germain- 
des-Pres^ und ein Ablaß von 40 Tagen (23. April 1197) für Beiträge 
zum Dombau von Aarhus in Dänemark,^" sowie ein Ablaß (7. Aug. 1197) 
von 1 Jahr bzw. von 20 Tagen für die Kirche von Tepl in Böhmen.^* 
Auch der Ablaß von 100 Tagen, den Cölestin den Wohltatern eines- 



^ Delaville n. 946. Göttinger Nachrichten 1899, 409. Gefälscht ist sicher 
die von Delaville I 577 n. 911 als echt angenommene Bulle zugimsten der 
Johanniter vom 11. Juli 1191. 

2 Kehr III 376. Göttinger Nachr. 1903, 634. 

8 Kehr I 108. * Kehr VI 2, 298. 

^ Loewenfeld 255. 

• „Quod Bertrannus . . . indulsit,-ratum habemus et auctoritate apostolica 
confirmamus. Quiounque igitur bis in anno . . . ecclesiam vestram visitabunt, 
a' peccatis (soll heißen off ensionibus) patram et matrum, quae sine laesione 
fueriint, de parte Dei et nostra se noverint absolutes, poenitentias et peccata 
quae ab eorum memoria recesserunt, remittimus, et de poenitentiis sibi ih- 
iunctis 40 dies. Praeterea si qui sanctonun linaina adire proposuerint, et de 
expensis viae necessariis iuxta consensum episcopi, vel eius quem episcopus loca 
ei\is delegaverit, ecclesiae vestrae in remissionem peccatormn conferre voluerint, 
viäm et peregrinationem auctoritate Dei et nostra eis indulgemus." Tabouillot 
IV 160f. Migne OVI 1106. Jaffe 17260. G. Voigt, Bischof Bertram von Metz 
1180— 1212, in Jahrbuch der Gesellschaft für lothringische Geschichte V 1, 
Metz 1893, 41 77. Daß „off ensionibus" statt „peccatis" zu lesen ist, ergibt 
sich aus der ParaÜelstelle in zahlreichen Ablaßbriefen jener Zeit. Lea 164, der 
dies übersehen hat, schreibt ganz irrig: „There is a ourious allusion.to the sins 
of fathers and mothers not involving restitution, as though sin was heri table." 

' Kehrl 97 113. 

8 pflugk-Harttung III 403. 

• Loewenfeld 2621' 

" Migne CCVI 1211. Jaffe 17524. 

" Friedrich I 330 n. 362. Jaff6 17577: „Universis ad ecclesiam, quae . . . 
est erecta in villa, quae Tepla dicitur, in die, quo prirno reddetur rauhere con- 
seörationis insignis, devote cönvenientibus annum.' ünum, postmodüm autem in 
eodem die, per annos singulos recUrrente, omhibus ad eam accedentibus, seu de 
bonis a Deo sibi coUatis ei auxiUum impendentibus, viginti dies de iniünctis eis 
poenitentis misericorditer relaxamvis." 



IV'. Die ältesten -Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch. 175 

von ihm zu Eom erbauten 'Spitals 'gewährt haben soll, -bietet keine 
besondere Schwierigkeit.^ '' w . , " • 

^ ' Den' Fälschungen! sind f olgeii'de Ablasse beizurechneri : Vollkommene 
Ablässe f ür ' ünterstiitzung der- Brüder vom 'heiligen. Grabef,^ für die 
KircHd St. -Stephan: in Bologna,'* für eine andere Kirche iii der' Diözese 
Ferrara,* 100 Jahre Ablaß, für St. Simphcianus in' Mailand,^ 40 Tage 
Ablaß ^ von schweren Sünden und Erlaß eines Drittels' der läßlichen 
Sündeii für ein italienisches Spital.* ' ' 

7 Innozenz III. hat, ^abgesehen' von^dem Kreuzzugsblasse, nur 
weilige Ablässe' !erteilt. "Den Pilgern nach Rom md Compostela hat 
er, wie er, selber , berichtet, einen, Ablaß verhehen, über den jedoch 
nichts Nähefes bekannt ist.^ JSinen Ablaß von 1 Jahre verheb er 1208 
den Teilnehmern an der Prozession^ bei' welcher iedes Jahr das Veronika- 
bild von der Peterskirche nach, dem 'Heüiggeistspital übertragen würde.* 
Denselben Ablaß von 1 Jahre .'gewährte er 1203 anläßhch der Kon- 
sekration eines Altars in Fossanovä.^ . Für den Besuch des Domes 
in Hildesheini'an Maria Verkündigung^ hat er uiiterm 10.' Sepitember 
1209 einen Ablaß von 40 Tagen verliehen!^® Ein lÄ^lilaß Von '40 Tagen 
würde aüch"unterm^4. Januar 1216 den, frommen Verehrern der Reli- 
quien' des hl.'Dionysius in St.' Denis zugesagt!^^ Ein nicht näher 
bestimmter Ablaß, den Jmiozenz III. im Jahre 1209 für den Bau 
einer Brücke in Lyon erteilt haben soU,^^' gehört Innozenz IV- an.^* 
, Doch ' erneuerte .Innozenz III. den SOtägigen Ablaß, den mehrere 
seiner Vorgänger für den Bau einer Brücke bei Pisa gewährt hatten,^* 
ebenso dfen 40tägigen Ablaß' für die Brücke bei Fucecchio.^^ Auch 



I Kehr;!, 111. > " j^ff^ 16708. 
.ä/Migne CCVI,1247. Jaff6 17240. Kehr V 267. 

* Kehr V 232. " Kehr VI 1, 97. 

* Kehr, in Göttinger Nachr. 1903, 633. 

' Migne COXIV 83. Potthast 95. Schreiben vom 21. April 1198. Den- 
jenigen, die den päpstlichen Legaten in ihrem Vorgehen gegen die Häretiker 
„astiterint fideliter et devote, illam pecoatorum. suorum ooncedentes, quam 
b. Petri vel lacobi limina visitantibios indulgemus". 

« Migne CCXV 1271. Potthast 3260. 

* Migne CCXV 1436. Potthast 1436: „Ut ipsivis altaris consecratio 
veneranda singulis annis devotius celebretur, universis qui ad celebritatem 
conseorationis ipsius infra quindecim dies devote convenerint, de iniunctis sibi 
poenitentiis pro pecoatis indulgentiam unius anni concedimus, de illius pietate 
confisi qui est remissio peccatorum." 

^* Urkundenbuoh des Hochstiftes Hildesheim I 604 n. 632. Nach Potthast 
II 2052 n. 3800a, der sich auf Binterim-Floß, Additamentvim ad prospectum 
Supplement! conciliorum Germania«. Coloniae 1852, 11, beruft, hat Innozenz III. 
unter demselben Datum dem Dornte von Halberstadt ein ähnüohes Privilegium 
erteilt. Es handeltsich aber um eineVerwechslving mit der Urkunde von Hildesheim. 

II ActaSanet. ApriJisI745. Migne CCXVII 241. Potthast 5043. Schreiben 
vom 4. Januar 1216. 

-12 Potthast 3799. 

13 Chevalier, Regeste dauphinois II n. 9059. 
" Kehr III 376. Göttinger Nachr. 1903, 634. 
, " Schneider 254. 



176 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen iind Kirchenbesuch, 

den schon öfters erwähnten Ablaß der Johanniter^ und Templer^ hat 
er wiederholt bestätigt. Letzteren Ablaß, nämlich den Erlaß des 
siebten Teils der Buße, hat er auch den Mitgliedern der Bruderschaft 
des von ihm in Rom gegriindeten Heiliggeistspitals verliehen.? Weitere 
sicher nachweisba;re Ablässe, die Innozenz III,. f iir Almosen ,und Kir.chen- 
besuch erteilt hätte, sind nicht bekannt. ' 

Der Ablaß von 10 TageiT^aus dem Jahre 1216 für ein Gebetr zu 
Ehren des Veronikabildes ist nicht genügend bezeugt.*^ Nicht,, deia 
geringsten Glauben verdienen zwei Ablässe von 100 und 200 Tagen 
für kurze Gebete.^ Det Ablaß von 1 Jahr und 4Ö Tragen für "V\^es,tminster, 
der hier und Jia Innozenz III. zugeschrieben wird,® stammt Von 
Innozenz IV.'^ Unrichtig ist^'es, daß Innozenz III. jenen, die für,' den 
König von Frankreich beten würden, einen Ablaß von 100 Tagen 
verheheri habe.^ Einen derartigen Ablaß hat zuerst Innozenz lY. 
bewilligt, und zwar nur von 10 Tagen.^ Offenbare Pälschungen sind 
folgende Ablässe : 1000 Jahre usw. für G;rottaferrata,^® 5 Jähre und 
6 Quadragenen für die Marküskirclie .in Viterbo,^^ 3, Jahre und 3 Quadra- 
genen für eine Kirche in Rieti.,^^ ' , ' ^ >. ^ - . 

Aus den vorsteheiiden Mitteilungen ergibt sich, daß die Lateran- 
Synode im Jahre 1215 mit vollem Recht' auf das 'Maßhalten hinweisen 
konnte, das die Päpste bei Verleihung^ von Ablässen für Almpseii und 
Kirchenbesuch zu beobachten pflegten. Indem die Synode dasselbe 
Maßhalten den Bischöfen empfiehlt, verordnet sie, daß fürderhin bei 
der Einweihung von Kirchen nur ein Ablaß von 1 Jahr, und für den 
Jahrestag der Kirchweihe ein Ablkß von 40, Tagen verliehen werde. 
Mit diesei? Bußermäßigung von 40 Tagen solle inan sich auch begnügen 
bei Ablaßbewilligungen, die hie und da für andere Zwecke zu ge- 
schehen pflegen. Diese Anordnung glaubte die SjTiiöde; ^treffen zu 
sollen, da ethche Bischöfe sich nicht scheuten^ allzu^' große' 'Ablässe 

- ; V Dela^ille n. 1074 1175. 
, z' Prutz.rMaltesor Urkunden. 46.. 

^ Dies bezeugt Gi-raldus von Gambrien, der unter Innozenz III. in- die 
Bruderschaft eintrat. Giraldi Opera I, L.ondon 1861, 138. 

* Matthäus Paris. III 7 berichtet . lun- die Mitte des 13. Jahrhunderts, 
InnozenzIII; habe 1216 nach einem ^ Wunder, das an dem Veronikabilde ge- 
sohehen, ZU; Ehren dieses Bildes ein Gebet verfaßt und, denjenigen, die es yer- 
lichteu' würden, 10 Tage^ Ablaß verheben, „ita ut quotiescunque, repetatur, 
totiens dicenti tantumdemindTilgentiae concedatur. . Multi igitur eandeia orationem 
cum pertinentiis memoriae commendarunt." 

^ Mitgeteilt von W. Levis on aus einer Handschrift des 14. Jahrhunderts. 
Neues Archiv f. ältere deutsche Geschichtskunde XXXII (1907) 412. 

^ So von Lea 146, der geneigt ist, darin eine „political concession to 
royalty" zu sehen. 

' Migne CCXVII 178. PotthastI S. 294, unterm 31. Mai 1208; II n. 15417, 

« Amort; I 191. »• Tardif 12., 

** A. Kircher, Latium. Amstelodami 1671, 61. Ebenda werden noch 
andere fabelhafte Ablai3verleihungen späterer Päpste erwähnt. Vgl. dazu Pape- 
broch, Propylaeum ad Acta Sanct. Mali. Paralipomena 103. 

" Ughelli I 1408. 

" Acta Sanot. Aprilis II 636. Ughelli I 1202. Cappelletti V 316. 



IV. Die ältesten Ablässe für Älinosen. und ' Kjrciienbesuch. 177 

zu gewähren, was zur Folge hätte, daß die kirchliche Schlüsselgewalt 
verachtet und die Bußsatisfäktion entnervt werde.^ 

* * 

* 

Sehen wir nun, in welcher Weise die Bischöfe von ihrer Voll- 
macht, Ablässe zu' erteilen, während des 12. Jahrhunderts bis zur 
Läteransynode Gebrauch gemacht haben. 

Im Jahre 1100 soll Erzbischof Anselm von Mailand bei der 
Einweihung der dortigen Dreifaltigkeitskirche den Besuchern dieses 
Gotteshaiises einen Erlaß des dritten Teils der Sündenstrafen (remis- 
sionem suorum tertiae partis deHctorum) verheißen haben.^ Die 
Echtheit . dieser Ablaßurkunde' wird zwar von Muratori in Zweifel 
gezogen;^ doch hat sie Giulini,* dem Savio^ beistimmte, mit guten 
Gründen in Schutz genommen. 

Aus demselben Jahre stammt ein Ablaß, den der hl. Odo, 
Bischof von Ur gel (1094-r-1122), den Mitgliedern einer von ihm, an 
der Abteikirche Lillet gegr,ündeten Bruderschaft erteilte: Denjenigen, 
die der Bruderschaft beitreten und bestimmte Beiträge spenden würden, 
sollte die Hälfte der Buße für die geringeren wie für die schwereren 
Sünden erlassen werden.® Einen andern Ablaß gewährte Odo in den 
ersten Jahren seiner Kegierung für die Restauration seiner Kathedrale: 
Den Gläubigen, die nach ihrem Vermögen zur Restauration der Kirche 
beisteuern wollten,. wurden zwei Drittel der auferlegten Eluße erlassen; 
das übrige Drittel konnte man ebenfalls ablöseii, wenn man einer 
Bruderschaft beitreten und den vorgeschriebenen Mitgliederbeitrag 
geben wollte.' 



1 Mansi XXII 1050: „Quia per indiscretas et superfluas indulgentias, 
qu£is quidam ecclesiarunx praelati facere non verentur, et claves ecolesiae con- 
temntintur et poenitentialis satisf actio enervatur, decemimtis ut, cum dedicatur 
basilica, non extendatur indiilgentia Tiltra annum, sive ab Tino solo, sive a 
pluribus episcopis dedicetur, ao deinde in anniversario dedicationis tempore 
40 dies de iniunctis poenitentiis indnlta remissio non excedat. Hunc quoque" 
dierum numerum indiigentiarum litteris pra^cipirans moderäri, quae pro quibup- 
libet causis aliquoties conceduntur, cum Romanus Pontifex, qui plenitudinem 
obtinet potestatis, hoc in talibus moderamen consueverit observare." 

* J. P. Püricelli, Ambrosianae Mediolani Basilioae inonum.enta I, Medio- 
lani 1645, 481 f. üghelli IV 124. Mighe CLV 1661 f. 

* Muratori, Anecdota I, Mediolani 1697, 244 f. 

* Giulini II 684 ff. 

^ F. Savio, GliantichiVescovid'Italia. La Lombardia I, Firenze 1913, 459. 

* Villanueva XI 185: „De minimis peocatis, unde penitentiam acceperint, 
medietatem indulgeo ... De ooto vero vioiis criminalibus, si penitentiam ex 
uUo horum acceperit, similiter ex medietate sit a Deo absolutus." 

'' Villanueva XI 186 f. Bischof Odo verkündet, er habe mit seinem Klerus 
in Beratung gezogen, wie die untergebenen Gläubigen ,',a diaboli laqueis suas 
liberare valerent animas". Es wurde beschlossen, daß „singuli quique omnium 
peceatorum suorum ab ipsa sui nativitate usque in praesentem diem commissorum 
veram fa'cerent confessionem veramque aceiperent poenitentiam. Dehinc pro 
aocepta vera poenitentia et pro illorum sustentatione fragilitatis", sollten sie 
zur Restauration der . Kathedrale beisteuern; der Bischof aber „illis qui vere 
de propriis culpis confessi fuerint vereque poenituerint et ad ecclesiam restau- 

P au 1 US, Geschiebte des Ablasses. 12 



178 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen jind. Kirchenbesuch. 

) Nachlaß yom siebten Teil der Buße. gewährte um 1105 der .Bischof 
Benedikt von Nantes für den Besuch .eines von ihm eingeweiliten 
Gotteshauses am jährlichen Kirchweihfeste.^ 

G. Berardi, Benediktiner im Kloster St. Klemens zu Casauria 
(iPescara) in Süditalien, schrieb, um 1182 eine Geschichte seiner Abtei. 
Darin berichtet er, daß bei der Einweihung eines Altars im Jahre 1Q05 
durch Bischof Gualterus von Valve für den Jahrestag der Kon- 
sekration 1 Jahr, beziehungsweise 40 Tage Ablaß erteilt worden sei.^ 
Bei der Einweihung zweier neuer Altäre durch Bischof Dodo^on 
Valve und Grimoaldus von Penna wurde der frühere Ablaß ;um 
2 (Jahre erhöht.^ 

Ein Drittel der Buße erließen um 1110 mehrere englische Bischöfe 
denjenigen, die zum Bau der Abteikirche von Croyland (Grafschaft 
Lincoln) beisteuern würden,* 

In den Jahren zwischen 1102-^—14 erheß' der päpstliche Legat 
Richard, Bischof * von Albano, ein Schreiben zugunsten- der Jo- 
hanniter. Darin bevollmächtigte er letztere, ihren Wohltätern, falls 
diesei wegen irgendeiner schweren Sünde' an den Freitagen zu fasten 
hätten, dies Bußfasten zu mildern.^ 

Den Wohltätern eines Spitals in Portalbera erließ uni 1114 
der Bischof Guido von Pavia ein Drittel der Buße für schwere und 
die Hälfte für läßliche Sünden.^ 

Anläßlich der Einweihung der Kirche von Tolba im Jahre 1118 
erheß Bischof Dalmatius von Rpda in Spanien denjenigen, die einen 
bestimmten Beitrag spenden würden, 40 Tage der Buße für schwere 
Sünden und ein Drittel für geringere Vergehen.' 



randam ex suis bonis dederint, confisus Dei miseiicordia, indulget duas partes 
illius poenitentiae, quam corporaliter facturi erant, ex parte Dei omnipotentis"» 
Ferner wurde bestimmt „ad -honorem Dei et ad illorum animarum salutem", 
daß die Mitglieder der Bruderschaft „essent soluti de tertia residua parte poeni- 
tentiae corporalis". . 

v"^ Martene, Thesaurus I 316: „Communi assensu cleii, procerum et plebia 
statuimus, ut quicunque ad annuam solemnitatem dedioationis . . . confessi 
convenirent, a Deo et ab ipso archiepiscopo et a me et successoribus meis re- 
missionem septimae partia poenitentiarum. suarum perciperent." , 

2 d'Achery V 477. Muratori, ScriptoresII 2, 877: „Remiissiofit onmibjs 
adveiüentibus de poenitentia criminalium peccatorum integer anmjs et 40 dies 
de venialibus." Vielleicht soll es heißen: „venialium peccatoium annuset 40 dies 
de criminalibus". So lauten wenigstens manche andere bischöfliche Ablaßbriefe.. 

, 3 d'^ch^ry 498, Muratori 893. 

. *,Mabillon, Annales V 538. ^ 6 Delaville I 12 f. n. 8. 

® F. Lege e V. Gabotto, Documenti degli archivi Tortonesi relativi 
allastoria di Voghera. Pinerolo 1908, 16 ff.: „Omnibus qai in eius subsidio de 
suis f acultatibus misericorditer adiutorium dederint, capitalium. criminum suorum 
terciam partem et minormn peccatorum medietatem, de quibus videlicet veraoiter 
cpmpuncti ad poenitentiani per manus sacerdotum canonicum iudicium sus- 
oeperunt . . . condonamus." 

' Espana sagrada XL VI 227: ,,Fecimus absolutionem, ut omnis homo-qui 
ibi accepisset penitentiam de criminalibus peccatis , si darot ibi solidum vel 
valente in pretio, esset absolutus de 40 diebus, et de aliis peccatis tertiam partem."^ 



IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch. 179 

.; Als im Mai; 1119 der," Erzbischof Landülf "von Benevent die 
Reliquien einiger, Märtyrer aulfandj.erKeß er, wie der Chronist Falco- 
als Augenzeuge' berichtet, bei\der -Übertragungsfeier den anwesenden 
Gläubigen ein- Viertel 'der Buße; denselben Ablaß konnten jene ge- 
winnen, die bis zum Schlüsse der Oktave des Festes Petri und Pauli 
zur Verehrung der Rehqüien . nach Benevent kamen.?-. Fünf Jahre 
später wurde zu Benevent 'der Leib des hl. Barbatus aufgefimden. Zu 
dessenEhre weihte Erzbischof R off rid am 31. Mai 1124 einen Altar ein 
und erteilte bei dieser Gelegenheit eitfen^nicht näher bestimintenAbläß.^- 

F,ür Beiträge zupa Wiederaufbau des. Domes yon Llandaff er- 
ließ im Jahre, 1120 Erzbischof Ralph von Ganter bury ein Viertel 
der Buße.3 Diesen Ablaß bestätigte, fünf. Jahre später der päpstKche 
Kardinallegat Johann von Crema, mit .Beifügung eines Ablasses, 
von 14 Tagen;* Um dieselbe Zeit hat Bischof Everard von Nor wich 
einen nicht näher bestimmten Ablaß zugunsten einer Kirche jn 
Horsham verliehen.^ 

Einen sonderbaren Ablaß hat im Jahre 1120 der Bischof Gelmirez 
von Santiago gespendet. Dieser Prälat wollte Geld an die päpsthche- 
Kurie senden.. Zur größeren Sicherheit übergab er es zuverlässigen 
Männern seiner Diözese, die an dem Kfeuzzuge nach Palästina sich 
beteiligen wollten. Diese brachten das Geld n.ach Montpellier, wo ,es 
von Cluniazensern in Empfang genommen wurde. Dem einen waren 
10 Unzen Gold anvertraut worden, einem andern 8 usw. . Soviel Unzen 
nun ein jeder übernahm, so viel Büß jähre wurden ihm vom Bischof 
nachgelassen.^ 

Merkwürdig ist auch eine ablaßähnliche Verheißung der Mönche 
von Farfa. Indem sie um 1120 den treuen Untertanen der Abtei 
verschiedene Privilegien gewährten, versprachen sie, für jene, die ihre 
Bewilligung achten, zu beten, daß ihnen 7 Jahre ihrer Buße erlassen 
werden.' Die Mönche wußten wohl, daß sie nicht, wie die Bischöfe^ 



^ Muratori, Scriptores V 94.\.Migne CLXXIII 1178: „Quartam partem. 
peccatorum .. . condonavit." • i' ■ ' 

2 Muratori 100. Migne 1189." Falco sagtbloß: „Peccatorum partem^ 
divina favente dementia, condonavit." Nach St. Borgia (Memorie istorich© 
della pontificia cittä di Benevento III 1, Roma 1769, 69) sind dies die ältesten 
bekannten Ablässe, die von den Erzbischöfen von Benevent erteilt worden sind. 

^ Liber Landavehsis, ed. J. G. Evans. Oxford 1893, 87. Haddan I 315: 
»De onere penitentie sue, quod sibi a suis confessoribus impositum est, quartam 
partem ei de misericordia Dei et potestate nostri ministerii confisi relaxamus."^ 

* Lib. Landav. 48. Haddaa I 318: „In remissionem vobis iniungimua 
peccatorum", Beiträge zu spenden. „Nos quoque .' . . indulgentiam quam' Can- 
tuarienses archiepiscopi fecerunt, apostolica auotoritate firmantes. Preterea 
de habundantia sedis apostolice XIV vobis dies de vestra remittimvis penitentia." 

= Gailia Christ.. I 245. Acta Sanctor. ■ Oct. III 284. 

• Historia Compostelana II 16,' in Espana sagrada XX 292. Migne 
CLXX 1056. . 

^ Giorgi V 317 n. 1324: „Quiobservator et defensor huius fuerit con- 
stitutionis, Deum omnipotentem et eius sanctissimam genitricem omnesque 
sanotos pro eo supplicamus, ut de omni sua poenitentia anni septem sibi' in Dei 
nomine misericorditer indulgeantur." 

12* 



180 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch. 

befugt seien, den Gläubigen die Buße, zu erlassen; deshalb beschränken 
sie sich darauf, zu Gott zu beten, daß jenen,- die ihre Verfügung ein- 
halten, ein Teil der Bußstrafe erlassen werde. Etwas Ähnliches hatten 
sie schon einige Jahre früher verheißen. AnläßHch des Neubaus des 
Klosters im Jahre 1097 hatten sie denjenigen, die Beiträge spenden 
würden, die Verzeihung der Sünden zugesichert.^ Nur hatten sie sich 
damals mit einer allgemeinen Verheißung begnügt, während sie später 
den Erlaß eines bestimmten Teils der Buße in Aussicht stellten. Sie 
hofften wohl auf diese Weise größeren Eindruck, zu machen. 

Höchst unsicher ist der Ablaß von 30 Tagen, den Erzbischof 
Jordanus von Mailand (1112 — ^20) für den Besuch der Kirche des 
hl. Simplicianus erteilt haben soll;- er wird bloß erwähnt in" einem 
alten Verzeichnis, das viele unechte Ablässe enthält.^ Nach der- 
selben Quelle hätte Erzbischof Robaldus (1135 — 45) für jeden Tag 

14 Tage, für das Fest des hl. Simplicianus 30 Tage, in der Oktave 

15 Tage bewilHgt, während Erzbischof Ubertus (1145-^62) für jeden 
Tag 50 Tage gewährt haben soll. Diese Ablässe darf man wohl den 
Fälschungen beirechnen. 

Gut bezeugt ist dagegen ein Ablaß, der in den zwanziger Jahren 
des 12, Jahrhunderts anläßlich einer Kanonisation erteilt worden ist 
und der als der älteste bekannte Ablaß dieser Art zu gelten hat. Nach- 
dem der im Jahre 1119 verstorbene Bischof Gerhard von Potenza 
1123 oder 1124 von Cahxt II. heiliggesprochen worden war, erhielt 
Kardinalbischof Wilhelm von Palestrina den Auftrag, sich mit drei 
Bischöfen nach Potenza zu begeben, um dort die stattgefundene 
Kiahonisation feierlich zu verkünden. ; Bei dieser Gelegenheit verlieh 
der päpstliche Gesandte im Verein mit' den ihn begleitenden Bischöfen 
einen Ablaß von 40 Tagen jenen, die am jährlichen Feste des Heiligen 
dessen Grab besuchen würden. Da die Sitte, bei Heiligsprechungen 
Ablässe zu erteilen, erst hundert Jahre später unter Honorius III. 
aufkam, so könnte man geneigt sein, den Ablaß von Potenza ab- 
zulehnen. Er wird aber schon erwähnt von Bischof Manfred von 
Potenza, dem unmittelbaren Nachfolger und Biographen des heil. 
Gerhard .3 

Zum Wiederaufbau des Domes von Osma erteilte der päpstliche 
Legat und Erzbischof von Toledo Raimund, der selber bis 1126 
Bischof von Osma gewesen, im Jahre 1130 ein Privilegium, das von 
zahlreichen spanischen Bischöfen unterzeichnet wurde. Wer nach 
Rom oder Compostela pügern wollte, aber daran verhindert war, 



^ Giorgi V 156 n. 1153: „Quicunque huic sancto operi aliquod adiutorium 
fecerit, peccatorttm suorum reroissionem, de quibus veram poenitentiam habuit 
vel habiturus est,;per merita b. ;Marie et sibi assidue servientium famulorum 
orationes optinebit." Auch im Ohronioon Farfense, ed. U. Balzani. Borna 1903. 
11 216 [Fonti per la storiad'Itaüa XXXIV]. 

2 P. Pucoinelli, Vita di S. Simpliciano. Milano 1650, 47. Papebrooh, 
Responsio ad exhibitionem errorum 11, Antverpiae 1697, 96. 

8 Acta SS. Oet. XIII 466 469. 



IV. Die ältesten Ablässe für' Almosen und Kirchenbesuch. 181 

wird von dieser Wallf?bhrt dispensiert, wenn er die Hälfte der Reise- 
kosten der Kirche von Osma zukommen läßt; der Erlaß eines Drittels 
der Buße wird' jenen zugesagt, die . einen bestimmten Geldbeitrag 
spenden; denjenigen aber.,^ die der am Dome neuerricbteten Bruder- 
schaft beitreten und den dortigen Friedhof zur letzten Ruhestätte 
wählen würden, sollte, die HäKte der Büße erlassen werden; zudem 
wurde ihnen für die Todesstunde' ein vollkommener Ablaß verheißen.^ 
.Von Alfons'I. von Aragonien' (1105 — 34) wird berichtet, daß er 
die Gründüng eines Ritterordens beabsichtigte, der nach der Art der 
Templer in Palästina die Sarazenen in Spanien bekämpfen sollte'. 
Indem die Bischöfe Aragoniens um 1130 die geplante Gründung 
zur Kenntnis der Gläubigen brachten, erteilten sie denjenigen, die 
dem Orden beitreten würden, einen vollkomraenen Ablaß (ab omnibus 
absolvimus peccatis). Bald nachher fügte Erzbischof Wilhelm von 
Auch einen 40tägigen Bußerlaß bei für jene, die monatlich dem Orden, 
einen Denar spenden wiirden.^ ' , , • 

Eigentümlich ist der Ablaß, den.;. eine 1135 unter dem Vorsitze- 
eines päpstlichen, Legaten versammelte Synode in Narbonne erteilt- 
hat. Da der Bischof von Elna klagte, daß viele seiner Diözesanen 
von den, Sarazenen in, die Gefangenschaft geschleppt, worden seien, 
so verHeh die Synode, jenen, die nach ihrem Vermögen zum Loskauf 
der Gefangenen beisteuern würden, einen vollkommenen Ablaß. Aus- 
genommen wurden jedoch die öffentlichen Sünder ; diese sollten sick 
an ihre Bischöfe wenden, die ihnen dann, wie sie es. für gut finden, 
würden,^Anteil am Ablaß. gewähren- sollten.^ . , 

Für den Löskaüf von Gefangenen erteilte auch Bischof Gaufred 
von Barbastro im Jahre 1137 einen Ablaß, der sich nach, der Höhe 
der Almosen richten sollte: Für zwölf Denare 40 Tage, für sechs 20, 
für drei 10. Wer aber mehr , oder weniger geben. würde, dem sollte, 
alles . zur Nachlassung der Sünden gereichen.* . Im folgenden Jahre 
gründete derselbe Bischof zum Wiederaufbau und zur Verteidigung 

^ "J. L. Corvalan, Descripcion historicadel Obispado de Osma III, Madrid 
1788, 12: „Quicumque . . . post mortem suum corpus ibidem sepelire fecerit, 
medietatem suarum penitentiarum sibi iniunctarum dimittimus, et post obitum 
plenariam remissionem suorum, peccatorum, praestante Domino nostro lesii 
Christo, concedimus." Man könnte geneigt sein, in den' Worten „post obitum 
etc." einen Ablaß für Verstorbene zu erblicken. Das wäre indessen das einzige 
Beispiel eines Ablasses für Verstorbene im 12. Jahrhundert. Das ,,post obitum' 
concedimus" läßt sich leicht folgenderweise erklären: Wir erteilen den Wohl- 
tätern der Kirche einen vollkommenen Ablaß, der ihnen nach dem. Tode im Jen- 
seits zugute kommen werde. 'Vgl. dazu die unmittelbar vorangehenden Worte: 
„Quicumque post mortem . . . sepelire fecerit."' 

2 AlbonSf. Der Orden kam nicht zustande. Vgl. J. Aschbach, Geschichte 
Spanie^ns imd Portugals zur Zeit der Almoraviden ,ühd Almohaden II, Frankf . 
a. M. 1837, 14.~ H. Prutz^Die geistlichen -Ritterorden. Berlin 1908, 72. 

I 3 Villanueva VI'341 : ,,Plenam habeant remissionem omnium peccatorum 
post actam veram confessionem, exceptis publicis peccatis, pro quibus veniant 
ad episcopum suum, qui det eis iudicium, et corrigat illos et suscipiat eos in hac 
remissione secundum sanam rationem.misericordiae." 

* Espana sagrada XLVI 287 f . ■ 



182 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch. 

der von den Sarazenen verwüsteten Stadt Barbastro eine -Bruderschaft. 
Allen Mitgliedern des Vereins, die . sich persönlich an ; den Arbeiten 
und an der Verteidigung der Stadt beteiligen oder- einen ihrem' Ver- 
mögen entsprechenden Geldbeitrag spenden würden, verhieß er einen 
vollkommenen Ablaß, den mehrere Bischöfe bestätigten.^. 'Es handelte 
sich in diesem Falle um einLden Kreuzzügeh verwandtes Unternehmen; 
daher der hohe Ablaß. Als zwei. Jahre später'' Gäuf red eine .Eorche 
einweihte, erteilte er den' Wohltätern des Gotteshauses bloß, einen 
Ablaß von 40 Tagen'.^ Noch geringer ist der Ablaß, "den 1145 Bischof 
Bernhard von Urgel bei der Konsekration einer Kirche -bewilligt hat; 
den frommen Besuchern des Gotteshauses > .wurde bloß eine ■ Büß- 
ermäßigung von 20 Tagen verheißen.^ r - ■ 

Bei der Einweihung einer Kirche zu Godstown in England 
erteilte der päpstliche Legat Alberikus im Jahre 1138 den Wohl- 
tätern der Kirche einen Ablaß von 1 Jahre; den frommen' Besuchern 
an zwei Festtagen einen Ablaß von 40= Tagen.* -^ Um dieselbe Zeit 
verhieß Bischof Ülger von Angers (1125 — 49) den Wohltätern der 
Tempelherren einen Erlaß des fünften Teils der Buße.^ 

Im Jahre 1138 soll nach einer Inschrift Kärdinalbischof Guido 
von Tivoli bei der Konsekration einer Kirche für frommen Besuch 
am jährlichen Kirchweihfest 1 Jähr der Buße fiir schwere Sünden 
und ein Viertel der Buße für läßliche Sünden erlassen haben. ^ Zwei 
Jahre später (1. Dezember 1140) hat der '.Patriarch Peregrihus von 
Aquileja die Kirche des hl. Georg in Verona eingeweiht, wobei er 
«inen bedeutenden Ablaß verlieh.^ Im folgenden Jähre "(6. 'April 11'41) 
wurde in Verona von Bischof. The 6 bald die mit einem Spital ver- 
bundene Kreuzkirche konsekriert. Für Almosen und Besuch des 
»Gotteshauses am Kirchweihfest und in der Oktave erteilte der Bischof 
einen Bußerlaß von' 20 Tagen. Arme konnten ohne Geldbeitrag des 
Ablasses teilhaftig werden'.^ Anläßlich der Auffindung der Gebeüie 



1 Bspaäa sagrada XLVI 285 f. .Villanueva XV 377: „Ex 'parte Dei 
pmnipotentis et b. apostolorum Petri et Pauli omniumque sanctorum et'nostra 
facimus absolutionem et remissionem peccatorum suorum de quibus confessi 
fuerint et dignam penitentiam. acceperint ciun emendatione." 

2 Espana sagrada iXLVI. 288. 

3 yiiianueva XI 203: „Quisquis indulgenciae causa ad ' dedicationem 
fhuius ecelesiae cum luminaribus ädvenerit, de poenitentia unde digne satisfeceriti 
.XX dies Deo auctore' ei condonämus." 

r^ * Dugdale, Monasticoh Anglicanum I, London 1682, 526.- 

^ Albon 15 fi MigneiiCLXXX 1656: „Omnibus qui sua beneficia eis 
"porrexerint, quintam partem pöenitentiae peccatorum, quae confessi fuerint, 
relaxanaus." : ^ ^ .7 ; 

. «Cappelletti VE 671.;-; 

'Panviniusv Antiquit.i>Veron. Patavii 1648, 178 f. Ughelli V 778: 
„Annuam XL dierum absolutionem ao tertiana partem minorura peccatorum et 
fraudem poenitentiarum (d. h. die unterlassenen Bußwerke) venientibus ad sacri 
huius tempUi^evolutam dedicationem et octo dierum spacio post fecit." 

8 Perini II 8 f. Biancolini II 593: „Viginti dies ieiuniorum, qui eis 
fuerint. impositi ieiunare pro eorum delictis, imde poenitentiara sasceperint, sint 



IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuoli. 183 

-des Ül. Petroriius in Bologna' verlieh. Bischof Heinrich einen Ablaß 
von 2 Jahren, der- jährlicli innerhalb acht Tage' vor und nach der 
Auffindungsfeier zu gewinnen war.^ Bei der- Konsekration des Domes 
von Folignoim Jahre 1146, die anläßlich einer Synode vom'Kardinal- 
legateh' Julius 'Romanus' im Beisein vieler Bischöfe vorgenomnien 
wurde, erteilte der Legat in Verein mit den Bischöfen für Besuch der 
Kirche am jährlichen Kirchweihfest und Almosen 1 Jahr und 40 Tage 
Ablaß.^ . > ' ;, > .■ 

i 

Nicht' den geringsten' Glauben verdient die Angabe eines unzu- 
verlässigen Chronisten des Iß.'^Jalirhunderts, Bischof Burchard von 
Straß bürg! (1141 — 62) habe für.den-Neubau-der 1144 abgebrannten 
'Straßburger. Thomaskirche .einen Ablaß, erteilt.? Ganz dasselbe ist zu 
sagen, von.dem- Ablaß, der- 1141 bei der, Ein\^reihung einer Kirche auf 
•der Insel Ufnau (Kanton Zürich) verliehen worden wäre. Nacb einer 
Aufzeichnung aus, dem' 14. Jahrhundert hätte bei , dieser Gelegenheit 
■der Kardinallegat Dietwein „700, Tag, Ablaß tötlicher Sund und 
7 Jahr täglicher',', gegeben; von den' dreizehn anwesenden Bischöfen 
bätte jeder, „40 Tag tötlicher und 1 Jahr täglicher Sund" bewilligt.* 

Um die Mitte des 12. Jahrhunderts gewährte Bischof Nikolaus 
von Llandaff (1148^-61) -bei der EinweiHuiig eines Kreuzes in Bath 
für frommen Kirch'enbesuch' einen Ablaß' von 20' Tagen. Denselben 
Ablaß' bewilligten bei derselben Gelegenheit inehrere andere Bischöfe.^ 
Einen andern Ablaß von 20 Tagen erteilte Bischof Nikolaus bei der 
Einweihung einer Kapelle in der' Umgebung von Bath.® Thomas 
Becket, 1162 zum Erzbischof von Canterbury ernannt, verlieh, in den 
■ersten Jahren seiner Regierung zugunsten der Kirche von Heytes- 
bury 40 Tage Ablaß,' während Bischof Nigel von Ely (1133—69) 
für dieselbe Kirche bloß' 20 Tage be willigte. ^ 



■eis remissi; et si pauperes et debiles pro dicto modo, attamen sine oblatione, 
ad iam dictam consecrationem venerint, " simili modo praefatäm reiiaissionem 
babe'ant." 

^ Acta Sanctor. Ootobr. II 466 f. 

a Ughe'lli I 695. Cappelletti IV 412, Mansi XXI 698. 
^ 3 Ch. Schmidt, Histoire du Chapitre de Saint-Thomas de Strasbourg. 
Strasbourg 1860, 198. P. Wentzcke, Regesten der Bischöfe von Straßburg I, 
Innsbruck 1908, 341 n.' 574.' ' , ' 

* O. Ringholz, Geschichte von Einsiedeln I, Einsiedeln 1904, 660. 

^ Haddan I 357: „De divina confisi misericordia, 'omnibus' qui in Ex- 
altatione sariotae Crucis Bathoniensem ecclesiamifideli devotiohe visitaverint, 
peccatorum- de quibus 'corde 'contrito 'ö'onfessi sunt,' XX dierum indulgentiam 
iacimus."- ' ' ' ' 

6 Haddan I 358: „De Dei misericordia et Spiritus sancti gratia confidens, 
ad singula predictorum Sanctbrum solemnia XX dierum relaxationem de peni- 
tentia" sua confessis indulsimtis, ' ut devotio fideliiim ibi augeatur et Deus noster 
ab omnibus et per omnia benedicatux." 

' Vetus registrum Sarisberiense I, London 1883, 343 [Rerum britan. 
Scriptores LXXVIII] : „XL dies de- peccatis suis, unde penitentiam' acceperint, 
sibi in nomine Domini condonamus, et hoc in invehtione beate Crucis." 

,8 Ebd. 344. Ganz dieselbe Formel. 



184 IV.. Die ältesten. Ablässe für Almosen imd Kirchenbesuch. 

GBeträchtliclier ist der Ablaß, den am 3. Mai 1153 Erzbischof Hugo 
von Rouen bei der Übertragung der Gebeine^ des hl. Gualterius in 
Pontoise^ und drei Jahre später bei der Auffindung des -heiligen 
Rockes (cappa pueri Domini. lesu) in Argenteuil gewährte.^ Beide 
Ablaßprivilegien verdienen wegen ihres merkwürdigen Inhalts im> Wort- 
lauteigelesen zu werden. ' ,,. , f -. .- 

Daß um dieselbe Zeit verschiedene französische Bischöfe vom 
Papste den Auftrag erhielten, bei der Übertragung der Reliquien in 
Saumur und Fecamp Ablässe zu erteilen, ist schon, oben unter Ha- 
drianr IV. hervorgehoben worden. 

Damals wirkte in Südfrankreich als Abt von Obazine (Diözese 
Limoges) ein heiligmäßiger Zisterzienser namens Stephan i dessen 
Stellung zum Ablasse von der mancher seiner Zeitgenossen beträchtlich 
abwich. • Während andere Ordens Vorsteher sich glücklich schätzten, 
für ihre Häuser von den kirchlichen Oberen Ablässe zu erhalten, hat 
Stephan sogar die Ablässe, die ihm von Bischöfen angeboten wurden, 
abgelehnt. Näheres hierüber erzählt ein anonymer Mönch von Obazine, 
der um 1166 — 88 eine lehrreiche Schrift über das Leben und Wirken 
des heimgegangenen Abtes verfaßt hat. Als dieser im Jahre llöö 
einen Neubau des Klosters, Obazine begann, mahnte, ihn Bischof Gerald 
von Limoges, Beiträge sammeln zu lassen, und bot ihm hierfür, reich- 
haltige Ablaßbriefe an.^ Der fromme Abt weigerte sich jedoch, davon 



1 Mabillon, Annales VI 535 f. Acta Sanct. O. S. Benedict! VI 2, 801. 
Acta Sanctor. Aprilis I 767 f.: ,,De poenitentiis ' crimihalium, quae' septenriiö 
conclüduntur, pie confitentibus'et vere poenitentibtis annus integer, et' reliquorum 
annorum pars tertia relaxatur. -Hisvero, qui annofum 14 poenitentiam sus-' 
ceperunt, duo anni integri et residui temporis pars tertia condonatur; 20 annoruiri 
tres annos remittimas, et residui temporis tertiam partem indulgeniTis. De 
poenitentia vero 40 annorum et eo amplius totam medietatem remittimus, et 
reliquorum annorum partein . tertiam oondonamus. De parvulis vero, qui 
baptizati vel sine baptismo infra 7 annos per negligentiam parentum mortui" 
sunt, poenitentiam parentibus ipsorum. remittimus, excepta sexta feria in heb-' 
dömada, in qua etiam, si ad eoclesiam poenitens accesserit, qualem caritatem 
oi presbyter suus dederit, talem habeat. Si vero infirmus fuerit, aut mulier 
praegnans vel debilis, quae ieiunare nön possit, dicat septies Pater n'oster, et 
faciat boniun quod potuerit. Partem vero tertiam de poenitentiis minorum 
pecoatorimx remittimus. Sed et oblita peccata omiaino condonamus." Dieser 
Ablaß konnte ein Jahr lang täglich gewonnen werden," nachher aber jedes Jahr 
am Kreuzauffindungsfest und am folgenden Tage. ' 

^ Migne, CXOII 1137 : „ Quicunque hoc praesenti annöjin loco praenominata 
in honorem dominicae vestis propriam servitutem et deyotionem obtulerint, no& 
Omnibus illis . . . si peccatis gravibus et maximis impliciti fuerint,. xmius anni 
poenitentiam relaxamus; qui vero levibus, id est venialibus detinentur, medie- 
tatem poemtentiae remittimus. Oblita peccata modo simili condonamus. Annis 
vero singulis a festivitate S. Dionysii usque ad octavas eiusdem, loci ipsius et 
sacratissimae vestis venerationenx pie invisentibus XL dies suae poenitentiae 
remittimus. De parvulis etc. bis potuerit", wie oben. 

^ Baluzius, Miscellanea I 163:. ,,Quamvis hoc (Beiträge zu begehren) 
episeopus frequenter moneret, immo potiiis et iuberet, datis litteris indulgenr 
tiarum . largitate refertis, tarnen ei vir sanctus .nujiquam adqüiescere; .voluit.''. 
Bei Mabillon (Acta Sanct. Praef. ad saeci V. n. 113), demandere folgen, wird 



IV. Die -ältesten Ablässe für Almosen und Kirohenbesuch. 185 

Gebrauch, zu maclien, aus Furclit, beim Volke Anstoß zu erregen.^ 
Als er einmal in einer andern- Diözese ein Kloster baute, wurde er 
von Bekannten gedrängt, vom Bischof ein Empfehlungsschreiben für 
vorzunehmende Sammlungen zu begehren. Der, Bischof war sofort 
bereit, (das; Schreiben ausstellen zulassen. Als er nun,'den Abt fragte, 
wieviel . Ablaß ' er wünsche für die, Almosenspende, . erwiderte ihm 
dieser: Es driickt uns noch die Last: der eigenen. Sünden, so daß wir 
die Sünden anderer nicht abtragen können.^ Nach dem Berichte 
des Biographen soll diese Antwort den Bischof sehr erbaut haben. 

In der zweiten HäMte des 12^. Jahrhunderts hat in Italien namentlich 
Bischof'Dodo von Rieti große Ablässe verliehen. Bei der Einweihung 
der Krypta seiner Kathedrale am.l. September 1157 erteilte er mit 
drei andern Bischöfen fürKircheribesuch vom Tage der Weihe 'an bis 
zum 29. September '5 Jahre Ablaß ; später sollte jedes Jahr an Mariä^ 
Geburt ein Ablaß von 1 Jahre' gewonnen werden können.^ Im Jahre 
1170 hat er mit zwei andern Bischöfen die Kirchen von San Vittorino 
und Pretorio eingeweiht. Die erstere erhielt für das jährliche Kirch- 
weihfest und die Oktave 3 Jahre und 40 Tage, die zweite 2 Jahre 
und 40 Tage.* . . . , 

Im Jahre 1158 gewährte Erzbischpf Johann von Toledo einen 
vollkommenen Ablaß denjenigen, die sich an der Verteidigung von 
Calatrava gegen die Mauren beteihgen würden. So berichtet 
wenigstens ein anderer Erzbischof von Toledo, Ximenes Rodrigo, in 
seiner 1243 vollendeten Chronik.^ Ob aber, wie spätere Schriftsteller 
behaupten,^ der vollkommene Ablaß ' auch jenen zugesichert wurde, 
die sich bloß durch Geldspenden am Unternehmen beteiligen würden,, 
geht aus dem alten Bericht nicht genügend hervor. Bischof Artallus 
von Elna hat 1159 bei der Konsekration einer Kirche, für das jährliche 



die Stelle fehlerhaft folgenderweise wiedergegeben: ;,Cum abbas . . . urgeretur 
ab episcopo, ut . . . siout fere cunctis aedificantibns mos est, populos commoneret 
litteris indvdgentianini largitate refertis." . - , , 

, • \ Stephan erklärte dem Bischof: „Nostalem consuetudinem introducere 
nolumxis ut populis scandalum et nobis ignominiam adquiramus ciroumeundo- 
ecclesias, ostendendo beneficia,indulgentias largiendo, ,quas dare.non poterit nisi 
solus Deus." K. Hase (Handbuch, der protestantischen Polemik. .Leipzig 1878^ 
389) schreibt diese Äußerung irrig Abälard zu. 

., '-^.'Baluzius I il63:",,Nos nostra,adhuc premvtnt peccata, nee possumus 
levare aliena." , < ., , 

3 ITghelli I 1200. Cappelletti V 312 f. ' 

* Muratori, Antiquitates VI 504-506, . Cappelletti IV 413. F. A. Ma- 
ronus, Commentarius de< ecclesia et episcopis reatinis. Romae 1763, 45 47. . 

^'Aehi Antonii Nebrissensis rerum a Ferdinande et Elisabe Hispaniarunx" 
regibus gestarum. decades.duae . . ..-Annexa archiepiscopi Roderici Chronica, 
Sine loco (Grranadae).1545, ,64,: „Fecit publice praedicari, ut omnes euntes in 
auxiliüm Calatravae omnium _peccatorum veniam mererentur. Et facta est 
tanta commotio in civitate, ut vix esset, qui aut in propria persona non iret, 
aut equos aut a,rma, aut pecunias in subsidium non largiretur." 

' ö,Fr. Caro de Torres, Historia de las ordenes militares de Santiago, 
Calatrava y Alcantara. Madrid 1629^ 49. G. Mascarenas, Raymuhdo . . . 
fundator de la sagrada Religion de Calatrava. Madrid 1653,' 30. 



186 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirohenbesuch.' 

Kirchweihfest 40 Tage gespendet, und zwar von jeglicher Buße, also 
Tön der öffentlichen wie von d.er geheimen.^ ■. > ~ 

' Mcht näher bekannt istder Ablaß, den -bei der Übertragung der 
<^beine der hl. Adelgund in Maubeuge am «6. Juni 1161 die Bischöfe 
Nikolaus von Cambrai und Gautier von L aon" gespendet haben.^ 

Einen Ablaß von nur 15 Tagen gewährte- 1168 Bischof Pontius 
von Tortosa für fromme Spenden bei der Einweihung einer Kirche 
in der Grafschaft Besalu.^ ■ ' '■ ' • ^ 

Um 1171 — 12 hat Kardinal Hildebrand Grassi als päpstlicher 
Begat den Wohltätern des Klosters Nonantola, (Diözese. Modena) 
40.. Tage für schwere Sünden und ein Drittel- der Buße für ' läßliche 
Siinden bewilligt.* ■ v , . r , 

;i j Über einen Ablaß, den Erzbischof Roger von York (1164 — 79) 
für die Peterskirche in Ripon verliehen hat, wird in dem Schreiben, 
■das diesen Ablaß erwähnt, nichts Näheres, mitgeteilt.^ 

, Bei einer Rehquienfeier, die 1177 in Senlis stattfand, erheß der 
Kärdinallegat Petrus in Verein mit den Bischöfen' Heinrich von 
Senlis und Simon von Meaux den siebten Teil der Buße, während 
Erzbischof Wilhelm von Reims bald nachher einen Erlaß des fünften 
Teils., gewährte.® -, - , 

..Einen bedeutenden Ablaß erteilte im Jahre 1178. , Erzbischof 
Wilhelm in Reims den Wohltätern eines Spitals für Aussätzige.' 
Bemerkenswert ist auch das Privilegium, das Renaul d, Bischof» von 
Noypn, im Jahre 1178 für ein Spital gewährte.^ In .demselben Jahre 
soU. Erzbischof Rotrocus von- Ronen bei der Konsekration , der 
Abteikirche von Bec für den Besuch der Kirche am jährlichen Kirch- 



^ Marca 1328: „Omnes ibidem oonvenientes de quacunque poenitentia 
sibi iriiüncta ex parte Del ... et nostra remissionem 40 dierum habeant." 

2 j)er Propst Adrian von Maubeuge berichtet als Augenzeuge: „Pacta venia 
pecoaminum et data absolutione poenitentibus per gratiam episcoporuiri." Acta 
Sanct. lanuarii II 1052. ' ' ' ' 

3 Villanueva V 268. 

* Q. Tiraboschi, Storia dell'augusta badia di S. Silvestro diNonantola III, 
Hodena 1785, 289. Kehr V 352 f.: „In peccatorum vestrorum remissionem 
vobis irdtmgimus"j Beiträge zu' spenden;' ;,his qui vere penitentiam acceperint, 
ex parte Dei ... 40 dies de oriminalibus et tertiam partem de venialibus'indül- 
gemus." ■' ■■ > , ' , ' 

^Memorials of the Churoh of SS. Peter and- Wilfrid, Ripon I, 'London 
1882, 98 [Publications of the Siurtees Society LXXIV]. ' ' 

6 Act. SS. dct. XII 908. • ^ ■ ' 

" Marlot II 406. Gousset II 313. Migne CCIX 829: „Nos de Dei miseri- 
cordia et gloriosae virginis Mariae .et omnitim sanctorum. meritis conf isi, omnibtis 
qui ad nundinas eorum (leprosorum) venerint, de iniunotis sibi poenitentiis hano 
indulgentiam impendimus; videlicet de 7'annis, unum, de 3 quadragenis, unam, 
quam sibi quisque elegerit; de sextis feriis, quartam partem. Praeterea offensas 
patrum et raatrum, nisi violentas manus inieoerint, et vota fracta, si ad eadem 
redierint, et peccata etiam oblita eis misericorditer relaxamus." 

8 D'Achery Xin 320, Gousset II 314: , .Eis oblitaindulgeanturpeccatai 
vota fracta, si ad eä' redire nön contempserint,- bfferisiones pareiituixi, nisi 'in eos 
manus violentäb inieceriiit, venialium.' naedietäs, criniinalixxm' quadragena«'^^ 
Septem dies poehitentiäe iniunotae relaxentuTi" < ' ;i : i; ;; ;x ; . ■ o "oj^biüc 



IV'.' Die ältesten Ablässe für Almosen und 'Kirchenbesucü. 187 

weiMeslie 40 Tage Ablaß bewilligt haben.^ , Es handelt sich aber wohl 
um einen Ablaß ,-;.'den später' einmal ein nicht genannter Erzbischof 
erteilt hat.^ ... 

Bei der Konsekration des «Domes von Siena, die wohl 1178 
stattfand^^ haben etliche -Bischöfe 1. Jähr Buße für schwere Sünden 
und ein' Viertel der Buße für läßliche Sünden erlassen; dieser Ablaß 
konnte auch am jährlichen Kirchweihfeste" "gewonnenwerden.* Für 
den Besuch der Abteikirche-'Von^ 'Monte cässiiiO' gewährte im Jahre 
1180 Erzbischof Roger von Beheven^ mitmehreren andern Bischöfen 
l'Jahr Ablaß; für das Fesjj^es hl: Benediktüs wurde > ein Ablaß von 
l'Jahr und 40 -Tagen verheißen.'^ '. - •- j ■- , 

Anläßlich der Einweihung eines Altars zu'Preaux im' Jahre 1183 
verhieß Bischof Rädülf von Lisieux Erlaß eines Drittels^ der Buße 
und aller vergessenen Sünden. "Diesen ■ Ablaß konnte man gewümen 
während -des ganzen ersten' Jahres nach der - 'Einweihungsfeier ^ und 
dann jährlich iimerhalb'. dreier Wochen nach dem' Auffahrtsfeste.^ 

- Einer alten Inschrift' zufolge hat 1185 bei der Konsekration der 
'TemplerkirchC' in L o n d ö n der . Patriarch Heracliüs von Jerusalem 
fÜT' das jährliche 'Kirchweihfest einen Ablaß von 60 Tagen verlieh^.^ 

Reichlicher war der Bußerlaß , de'nllSS' der- Patriarch '^Gott- 
fr iedf von Aquilejä bei der Einweihung der Eürche S. Maria Antiqua 
in Verona bewilhgt hat: Von 7 Jahren wurde eines erlassen, zudem 
der vierte ' Teil der Buße für läßliehe Sünden.^ Einen' . noch be- 
deutenderen Ablaß hat Erzbischof . Sergius von^ Neapel '1187' bei 
•der Konsekration der Kirche des hl. Gregorius bewilligt.^ Dagegen 
iat Erzbischof .Gerardus von Ravenna bei der Einweihung einer 



1 Lea 164. . ■ . ■ . , : . ■ ■ 

' '^ Mi-gne GL 657'. 'In der aus dem^Ende des 15. Jahrhunderts stammenden 
'Chronik der Abtei Bec heißt 'es nach dem! Berichte über die Konsekration der 
Kirche im' Jahre 11 78 durch den Brzbischof von Ronen und einige, andere Bischöfe : 
„ Quidam archiepisoopus largitus est 40 dies indulgentiarum omnibus vere poeni- 
tentibus et oonfessis qui praedictam ecclesiam visitaverint in anniversario ipsius 
•dedicationis, prout plane patet in litteris dicti domini archiepisoopi." > 

3 Nicht 1179 durch Alexander III. Vgl. Kehr III 207. 

* G. A. Pecci, Storia di Siena. Luccal748, 174. Cappelletti XVII 450. 

5 Gattula I 399. • ■ 

6 Mabillon, ActaSanct. II 675. Acta Sanot. Ootobr. I 459. • 

^ Die Inschrift stöht bei Lepicier II 23. H.' Thurston,- The holy year 
•of Jubilee. London 1900, 315. 

. * Panvinius 183.' Biancolini II, '421' f;: .„In* qua dedicatione omnibus 
qui ibi tunc aderantj et poenitentiam de suis peccatis receperint vel infra XV dies 
xeciperent,' i et etiam his, qui ibi non aderant>:et infra 'XV' dies poeniten- 
tiam ' reciperent et iam ' dictam ■ ecclesiam visitarent,' remissionem de omnibus 
VII' annis unum.' annum indulsit, et quartam partem v'emaUum, et ' semper ' 
annuatim istam remissionem -itadnstituit." 

^ Ughelli VI 102: „Statuimus in perpetuum,, ut quicunque annuatim 
in- anniversario praedietaecorisecrationis ad eandem ecclesiam visitandam usque 
in octavum diem accesserint, tres annos decriminalibus, de quibus vere confessi 
fuerint, et tres partes (soll ohne Zweifel heißen: tertiam.' partem.) venialium, 
«t omnes negligentias (peccata oblita), ita tarnen ut si ad memoriam redierint, 
orationum faciant suffragiis se iuvari .' . . sibi misericorditer noverint relaxata." 



188 IV. , Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch. 

Kirche, die er 1187 als päpstlicher Legat in.; Florenz vornahm, für 
Besuch des Gotteshauses drei Tager vor und drei. Tage nach dem; jähr- 
lichen Kirch weihfeste nur 50 Tage gewährt.^ 

1 {Sicher unecht ist der Ablaß von 40 Tagen und 1 Karene, den 
Bischof, Adelog von Hi'ldesheim im Jahre J188 für. die Kirche in 
Höxter erteilt haben soU.^ Die Form des Erlasses .weist unzys^eifelhaft 
auf das 13:1 oder 14. Jahrhundert hin. 

Ganz unglaubwürdig ist die Meldung eines, Chronisten des 16. Jahr- 
hunderts; Bischof Heinrich I. von Straßburg (1181 — 90) habe für 
den Bau. der dortigen Thomaskirche einen Ablaß bewilligt.^ Damals 
haben die Bischöfe von Straßburg für fromme . Spenden noch keiue 
Ablässe, verheben. Als Bischof Heinrich iuieinem erhaltenen Schreiben 
zu Beiträgen für den. Bau der Klosterkirche St. Valentin in Ruf ach 
auffordertej verhieß er wohl den Almosenspendern einen himmlischen 
Lohn, von einem Ablasse sagt er jedoch nichts.* Sein Nachfolger 
Koiirad n. (1190 — 1202) hat ;bald nachher in einein ähnlichen 
Schreiben äUe Angehörigen der Diözese zu Beiträgen für den Neubau 
des Straßbürger Münsters aufgefordert. Auch er bewilhgt den Wohl- 
täl^rn; keinen Bußerlaß, sondern spricht nur den Wunsch aus,. Gott 
möge ihnen ihre Sünden i nachlassen.^ . 

;:;Eüien ziemlich umfangreichen Ablaß, verlieh 1191 Erzbischof 
Wilhelm ;von Reims mit andern Bischöfen bei der Einweihung 
der Marienkirche in Senlis.® Einer andern Kirche bewilHgte Erz- 
bischöf: Wilhelm in demselben Jahre, einen ähnlichen Ablaß.' Un- 



^ ^ J. A; Amadesius, In antistitum Ravennatum Chronotaxim Disqui- 
sitiones III, Faventiae 1783, 137 f. 

* Urkundenbuch des Hochstifts Hildesheim I 439 f. n. 459. ■ 

^ L. Schneegans, L'ißgliseLde:; St. Thomas ä Strasbourg. Strasbourg 
1842,- 43. , Ch. Schmidt, HJstoire du Chapitre de St. Thomas de Strasbourg. 
Striäsboiirg 1J860, 198. P.WentzckeV Regesten der Bischöfe von Straßburg I, 
Innsbruck 1908, 361 n. 653. hl Ol 

«WentzckeI36Ln.654; ^.. ^ ; 

« Wentzcke I 381 f. n.73L:; Urkundenbuch der Stadt Straßburg I 118 
n. 143: „Per gratiam Spiritus sancti.et auctoritate b. Marie indulgentiam a 
Donüno peccatorum suoruinloptämus etioroniimi bonorum que infra ambitum 
Argentinensis civitatis tam in missis quam in diumis et noctumis horis fiimt, 
commxmionem eis damiis.'V Von Wentzcke (Straßbürger. Münsterblatt IV,. 
Straßburg 1907, 16) wird das Schreiben nicht ganz zutreffend als „Indulgenz- 
brief" bezeichnet. ; , . < ' ■> 

® Gallia Christ. X. Instr. 224 : ':,; Qui omnes de paisericordia Dei et b. virginis 
Mariae: et ommiHnisanotoruiQ .meritis corifisi, omnibus huic sanetae ecclesiae- 
eleemosynas coriferentibus qüarjiam; partem de poenitentiis, vota, f racta, _ si ad 
eadem.'redierint, peccata,pblita,;offensas patrum et matrum, nisi in eos violentas 
manus iiuecerint, iniseficorditer relaxarunt. Qui vero a vigilia dedioationis (15. Jtmi)' 
usque ad festum S. lohannis singulis annis ad eamdem ecclesiam venerint, 20 dies, 
infhctae poenitentiae in perpetuum sibi növerint relaxari." 

7 Märlotll 439. Migiie; CGIX: 854: „Omnibus qui ad solemnitatem 
b. loannis eleenlosynas suäs ßrogaturij" accesserint, sive in yigilia sive in die 
orastina postJestiyitatemyenerint, 20dies de iniunctis sibi poenitentiis, peccata 
oblita, vota fracta,' si ad eadem servanda: redierint, et, offensas parentum, nisi 
manus violentas in eos iniecerint; diyina.dispensatione misericorditer relaxamus " 



IV. Die' ältesten Ablässe für Almosen und Kirchenbesueh." 189 

bestimmt sind die Angaben über einen Ablaß, den im Jahre 1191 
bei der Belagerung von Akkon die anwesenden Bischöfe denjenigeii 
verhießen, die Almosen zur Linderung der Hungersnot spenden würden.^ 
Dagegen enthält das Ablaßprivilegiiim, das iin Jahre 1194 Erzbischof 
Walter Von Roueri bei der Konsekration einer Kirche in Everbeur 
ausgestellt hat, ganz genaue Bestimmungen: Den' Pönitenten wurden 
je nach ihrem Alter '40, 20 oder 10 Tage nachgelassen.^ Über den 
Ablaß von 40 Tagen, den Biächof Bertrand yon Metz bewilligte und 
den' Papst Cölestin III. im' Jahre 1195 bestätigt, haben soll, ist bereits 
oben unter Cölestin Illl^as Nötige gesagt worden.^ 

Einen nicht näher bestimniten Ablaß verlieh 1196 Bischof Ber- 
nardus Baldüs tei der Einweihung einer Korche in Paventirio.* 

.Als Bischof Otto II. von, Preising im Jahre 1196 die Kirche 
in Tattenhausen konsekrierte,, soll er, einer alten Aufzeichnung 
zufolge, für den Besuch, d.es Gotteshauses, am Kirchweihfeste 140, Tage 
Buße der schweren .und 80 Tage der, läßlichen Sünden erlassen haben; 
für, das Pest, des hl. Nikolaus hätte er 40 Tage für schwere und 80 Tage 
für läßliche Sünden verheißen.^ ■ Ein höchst verdächtiges Ablaß: 
Privilegium! 

Im. Jahre 1197 verlieh der Kardinallegat Pandulf us einen Ablaß 
von 20 Tagen für den Besuch der Donikirche in Volterra am Peste 
Maria Geburt und in der Oktave. Später hat Bischof- Paganus von 
Volterra (1212 — 39) diesen Ablaß um .10 Tage vermehrt und seiner- 
seits für den Besuch der Domkirche an Maria Himmelfahrt 40 Tage 
der Buße für schwere und ein Viertel der Buße für läßhche Sünden 
erlassen.* Von Bischof Adelardus von Verona haben sich, aus dem 
Jahre. 1197 zwei bemerkenswerte Ablaßprivilegien erhalten, das eine 



^ Riant, De Hajrmaro monaoho arohiepiscopo Caiesariensi . . . disquisitio 
critica. Accedit eiusdem Haymari de expugnata A. D. MCXCI Accone Über 
tetrastichus. Parisiis 1865, i 08. 

* Gallia Christiana V. Instr. 297 : „Onmibus ad ecclesiam infra 40 dies 
dedicationis, ob remissionem peocatorum venientibus largam indulgentiae pie- 
tatem concessit; omnibus quippe a 25 annis et supra qxii pro criminalibus peccatis 
poenitentiam 7 annorom iniunctam sibi suscepissent, unam carinam, 40 dies 
posnitentisie indiilsit; a 20 autem annis ad annos 25, omnibus qiiibus publica 
itidem iniunota fuisset poenitentia, 20 dies relaxavit; a 20 et infra, cuiuscunque 
essent aetatis, et de perpetratis peccatis poenitentiam agerent, 10 dies ignovit. 
Videns vero praediotam ecclesiam eleemosynisfidelium esse constructam, et adhuo 
praevidens construendam, auctoritate S. Petri, apostolica quoque licentia et sua 
statuit, ut haeo solemnis indülgentia.singulis annis per Septem dies dedicationis 
quibusque fidelibus eamdem ecclesiam visitantibus concederetur . . . .Offenseis 
quoque patrum et matrum, absque iniectione duntaxat manuum, negleotasque 
culpas et oblivioni traditas ignovit." 

''^ 3 Oben S. 174. . - 

* Augustinus Florentinus, Historiarum Oamaldulensium libri tres. 
Florentiae 1575, 157: „Indulgentiarum oonsuetum munus illud in celebritate 
annua dedicationis adeuntibus concessit egregio diplomate." Vgl. TJghelli II 500. 

^ C. Meichelbeok, Historia Frisingensis I 2, Aug. Vind. 1724, 574 f. 
6 Schneider 84 195. 



190 ITivPle. ältesten Ablässe für Almosen. iindKirchenbestich. 

für die Martinskirche in Verona,^ das andere für die dortige Kirche 
der hl. Fii'miis und Rustikus.^ 

Einen Ablaß von 40 Tagen verlieh im Jahre 1199 Erzbischof Saul 
von Kalocsa. (Ungarn) für Besuch der lürohe in Lhota, (Diöz. Prag), 
an einigen Festen. Indem Bischof Daniel von Prag 1200 diesen. 
Ablaß bestätigte, fügte er selber einen 40tägigen Ablaß für das Pest 
Maria Himmelfahrt bei.^ Einen weiteren Ablaß von 40 Tagen gewährte 
Daniel im Jahre 1203 für Besuch der Kirphe in Rynarec* - 

Nur auf 12 Tage belief sich der Ablaß, der 1200 bei der Kon- 
sekration einer Kirche in, Montpellier von dem Kardinallegaten. 
Johann und einigen Bischöfen erteilt wurde.^ 

Einen viel größeren Ablaß soll im Jahre 1206 Bischof Rainer von. 
Toscanella und Viterbo mit acht andern Bischöfen bewilligt haben. 
Nach einer Inschrift hätten die neun Bischöfe miteinander denjenigen, 
die einer von ihnen in T'pscanella konsekrierten Kirche Beiträge 
spenden würden, einen Bußerlaß von 4 Jahren verheißen.^ Bei der 
Konsekration einer andern Kirche in demselben Jahre zu Cornetto 
soll Rainer in Verein mit zwölf Bischöfen den anwesenden Gläubigen 
12 Jahre Ablaß verheben haben ; für das jährliche Kirchweihfest seien 
4 Jahre verheißen worden, zudem 1 Jahr für das Titularfefet;''- Auch 
diese Bewilligung: ist ;blöß durchs einev Inschrift >bezeügti SLaüt? deiner 
andern Inschrift hatte im Jahre 1208 Bischof ; Gregor vpiiOhieti 
bei der Konsekration einer Kirche in Sulm na; für das Eärchweihfest 
2 Jahre und 2 iQuadragenen ündieirngb Wocheh«später ibei de^ 
eines Altars Ir Jahr und 40 Tage gespendet:^H Es handelt sicH aber 
offenbar um eine spät^e^Fälschungj da Gregor erst 1234 >Bischöf von 
Ghieti''geworden^ist.; --■■ ■.'-'' ;.x-:' ■■'■:}::..:.{■:■:'- '-.■>;::<[■- auV ■■,n-;^^:o.avnj 
^ Sicher bezeugt ist 'der Ablaß von 7 Tagen,Hdeii 1208ä Bischof 
Robert von Olmütz für den Besuch der Kirche in Dubraünik 
bewilligt hat.^ Echt ist- wohl auch der Bußerlaß, den im Jahre 1209 
Bischof Albertus Longus von Perentino bei der Konsekration 



1 Biancolini V 2, 17: „Omnibus personis qui ad ecclesiam S. Martini 
venerunt vel venerint hinc ad 15 dies, et de suis delictis penitentiam acceperirib 
vel ante petierint hinc ad 15 dies . . . facimns eis remissioneni de criminalibus 
delictis 40 dies et quintam partem omnixun venialinm. Et omni, anno similiter." 
^ Ughelli V 811. Allen Wohltätern, ,,qui de peccatis suis dignam poeni- 
tentiam acceperunt, vel infra octo dies accipient ... de poenitentia sibi iniuncta 
20 dies criminalivim. et'septimam. paxtem venialinm indnlgemus." 

* G. D ebner, Monumenta historica Bohemiae II, Pragae 1768, 325 f. 
Friedrich II 3 n. 5: „Omnibus Christi fidelibus vere penitentibus' et confessis, 
qüi ad dictam ecclesiam accesserint, 40 dies de iniunctis sibi penitenciis relaxamus, 
modo venerabilis episcopi Pragensis . . . consensus ad id accedat." 

* Friedrich II 30 f. n. 33: „Singulis annis 40 dies omnibus vere peni- 
tentibus et confessis ad ipsam supradictam ecclesiam hiis temporibus venientibus 
de iniuncta sibi peniteKcia ... relaxantes." 

6 Gallia Christ. VI. Instr. ^62. > 
8 Cappelletti VI 108. i ^ ^ 

' Cappelletti VI 109. Ughelli I 1408. . . , ^ - o- 

8 Ughelli I 1372; VI 711. , 

■ » Friedrich 73 f. n. 78; ^^^^^V' / : , 



IV,. Die ältesten Ablässe, für .Almosen und Kirohenbesuch. 191 

einer , Kirche verlieh :■ 40 Tage für schwere Sünden .und ^ein Viertel 
der Buße für läßliche Sünden.^ 

Als im Jahre 1209 Bischof Hugo von Coutances ein Spital 
gründete und zu dessen Unterstützung eine Bruderschaft errichtete^ 
erließ er jenen, die dem charitativenVei^eine beitreten wollten, den 
siebten Teil der auferlegten Buße. ^ ■ Anders lautet das Privilegium^ 
das im Jahre 1211 Bischof Raimund von Uzes als päpstlicher Legat 
dem Nonnenkloster Vinegol (Diözese Magüelone) gewährte: Den- 
jenigen, welche der zur -Unterstützung' "'des Klosters gegründeten 
Bruderschaft beitraten, ' wurde eine der ihnen auferlegten - 40tägigen 
Bußfasten '< erlassen; andere Wohltäter, erhielten einen Bußerlaß von 
10 Tagen.3 . . ' 

Über einen Ablaß, den Erzbischof Siegfried von Mainz im 
Jahre 1211 für eine Mainzer Kirche erteilt haben soll, fehlt jede nähere 
Angabe.* Im Jahre 1214 verlieh Bischof Lorenz von Breslau in 
Gemeinschaft mit zwei andern Bischöfen für den Jahrestag der Ein- 
weihung der Krypta eiiier Kirche in' Trebnitz einen Ablaß von 
von 40 Tagen.^ Einen Ablaß von 80 Tagen erteilte 1214 Erzbischof 
Heinrich von G'nesen für den Jahrestag ' der Konsekration eines 
Altars inTrzemeszho.^ In einem undatierten Ablaßs'chreiben ver- 
heißt Bischof Heinrich II. von Straß bürg (1202 — 23) jenen, die 
zum Neubau der Kirche St. Arboigast Steine herbeifähren würdeni 
Nachlassung des vierten Teils dei Buße für läßhche Sünden, während 
er für schwere Sünden nur einen Ablaß von 15 Tagen in Aussicht stellt.' 

Ein höchst interessantes Ablaßschreiben hat bald nach dem 
10. September 1209 Bischof Hartbert von Hildesheim erlassen. 
Eür den Besuch des r>omes an Maria Verkündigung verheißt der 
Oberhirt seinen Diözesanen einen Ablaß von 40 Tagen, jenen aber, 
die mit Erlaubnis ihres 'Bischofs> aus einer andern Diözese kommen 
würden, den Erlaß der Hälfte der „Jahrfasten"; nur sollte dieser 
Erlaß nicht für die „Karene",, das strenge 40tägige Fasten gelten, 
sondern bloß für das mildere Easteri, wie es außerhalb der Karene 
das Jahr hindurch an bestimmten Tagen zu halten war. Zudem 
wird erklärt, daß auch den vom Gottesdienst ausgeschlossenen Büßern, 



1 Ughelli, I 677. 

2 GalHa Christ. XI. Instr. 253. . 

^ Gallia Christ. VI. Instr. 366: „Omnibus illius oaritatis confratribus 
relaxamus unam de iniunetis sibi quadragesimis, et aliis eidem operi bona fa» 
cientibus de iniimcta sibi penitentia remittimus decem dies." 

* Regesten zur Geschichte , der Mainzer Erzbischöfe II 151 n. 174. Nach 
einer handschriftlichen Notiz Bodmanns, der die Originalurkunde gesehen 
haben will. , , , 

- ^ C. Grünhagen, Regesta Episoopatus Vratislaviensis I, -Breslau 1864, 16. 

® Cqdex diplomatious maioris Poloniae I, Poznaniae 1877, 80. 

'' Urkundenbuoh Straßburg I 135 n. 171: „Specialiter illis qui angariant 
lapides ad opus ecolesie, quartam partem venialium peccatorum b. Arbogasti 
auctoritate et nostra indulgemus et de iniuncta eis ^penitentia pro capitalibus 
que confessi sunt, 15 dies,relaxam-us." 



192 IV. Die ältesten Ablässe für Almosen und Kirohenbesuch. 

falls sie nicht exkommuniziert sind, an Maria Verkünäigung der Eintritt 
in die Domkirche gestattet sei.^ ■ ■ ' 

. * * 

* '- 

Das sind die Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch, die in der 
Zeit vor der Lateransjuode vom Jahre 1215 dm:ch ziemlich ausgedehnte 
Nachforschungen namhaft gemacht werden konnten. Weiteres Suchen, 
namentlich in lokalgeschichtliohen Quellen, würde ohne Zweifel noch 
andere, insbesondere bischöfliche Ablässe, an den Tag fördern. Es.darf 
auch nicht übersehen werden, daß manche Ablaß bewilHgungen niemals 
schriftlich aufgezeichnet worden sind, und daß andere, die wohl ur- 
sprünglich aufgeschrieben wurden, sich doch nicht erhalten haben. 
Sollten indessen auch noch manche andere bisher unbekannte Ablässe 
aufgefunden werden, so würde doch dadurch der Gesamteindruck, den 
man, durch die obige Zusammenstellung empfängt, kaum wesentlich 
verändert werden. Auf Grund dieser Zusammenstellung d.arf man wohl 
behaupten, daß vor 1215 die Ablässe^für Almosen und Kirchenbesuch 
keineswegs so verschwenderisch ausgeteilt, wurden, wie hier und. da 
angenommen wird.^ Man beruft sich freilich auf die, Klage der 
Läteransynode. über die ,,indiscretas. et superfluas indulgentias, 
quas quidam ecclesiarum praelati facere non verentur".^ Allein 
hier ist doch nur von dem tadelnswerten Vorgehen ,, etlicher" Prälaten 
die Rede.* Auch die um 80 Jahre ältere Erläge Abälards darf, man 
nicht, wie es hier und da geschieht, verallgemeinern, als ob Abälard 
den Bischöfen überhaupt den Vorwurf gemacht hätte, sie würden aus 
Hal)sucht in Erteilung von Ablässen verschwenderisch sein.. Aus dem 



1 Urkundenbuoh des Hoohstifts Hildesheim I 605 n. 633: „Eis qui de 
Hildensemensis diocesis partibus venerint, speoiali auctoritate nostra preter 
indulgentiam pape (gemeint ist der 40tägige AblaJ3, den Innozenz III. am 
10. Sept. 1209 verliehen hatte. Oben S. 175) XL dies de iniimcta penitentia 
relaxaraus. Ceteris vero, qui de aliis episoopatibxis venerint laborando, suorum 
haben tes licentiam prelatorumutendi gratiaHildensem.ensis ecolesie, medietatem. 
aimälis penitentie eondonamus. Si qui autem sunt venientium vite adeo inno- 
centis aut perfeote, ut maioris vinculo penitentie non ligentur, ab indulgentia 
tarnen non exoluduntur dierum XL ipsius quantulecimque penitentie, qua te- 
nentur; omnes enim peccaverunt et egent gratia , . . Porro circa eos qui gravioris 
sunt penitentie debitores, tali modo intelligimus regulam temperandam, ut extra 
carenam indulgentie dies aooipiuntur. Neo aHas etiam eUgantur ab aliquo in- 
dtügendum. dies abstinentie durioris, sed. feriatim sumantur, prout in ordine 
secvindtun modum suum veniunt observandi, ita ut post octavam pentecostes 
inchoentur, quando penitentes sua ieiunia incipiunt observ'are. Quicunque etiam 
viventivuTi extra ecclesiam agunt penitentiam, eis ad faoiendam oblationem con- 
cedimus ingressum, nisi fuerint exoommunioati." 

^ Schon Lea 163 n. 4 hat bemerkt: „I have not been able to find any 
authentio cases of undue profuseness prior to the Lateran Council." 

3 Oben S. 177. 

* Als einer dieser Prälaten, die allzu freigebig mit Ablässen gewesen wären, 
wird bisweilen Maurice von Sully, Bischof von Paris (1160 — 96), genannt. 
Morinus 770. Allein in den gleichzeitigen Quellen ist über seine Ablaßver- 
leihungen nichts zu finden. Vgl. Lea 164. V. Hörtet, Maurice de SiiUy, in 
Mömoires de la Sooiötö de l'histoire de Paris XVI, Paris 1890, 220 ff ^' >^ 



IV. Die. ältesten' Ablässe für, Almosen und Kirchenbesucli. 193 

ganzen Zusammenhang ergibt sich, daß er nur von einigen Bischöfen 
reden will.^ Zudem muß man, auch, die Übertreibung in Betracht 
ziehen, die derartigen Klagen^ gewöhnlich anhaftet. . 

Zum Schlüsse nun noch einige Feststellungen, die sich aus deii 
oben erwähnten Ablaßurtunden ergeben. Vor allem kann es als sicher 
gelten, wie schon vori anderer^- Seite, hervorgehoben worden ist, daß 
die ältesten Ablässe für Almösen und ■ Kirchenbesuch von Bischöfen 
ausgingen und daß derartige Ablässe zuerst im' südHchen Frankreich 
und im nördlichen Spanien erteilt, worden siiid. Bemerkenswert • ist 
es, daß' für Deutschland aus 'der Zeit vor 1200 keine bischöflichen 
Ablässe für Almosen oder Kirchenbesuch mit Sicherheit nachgewiesen 
werden können.^ . ; 

Ursprünglich wurde der Erlaß ,der 'Bußstrafen nach Bruchteilen 
bemessen: es wurde ein Viertel,. ein Drittel oder die Hälfte der Buße 
nachgelassen. Bisweilen, namentlich für, den Fall des Hinscheidens, 
wurde auch ein Erlaß der gesamten Büße verheißen. Bald kam die 
Sitte auf, die. Buße nach bestimmten Zeitmaßen zu vermindern: Es 
wurden Ablässe von 7,- 10, 20, 40 Tagen usw., von 1, 2, 3 oder noch 
mehr Jahren- erteilt.- Im Laufe des 12. Jahrhunderts erscheinen öfters 
in derselben Urkunde beide Bereohnungsarten miteinander vereinigt! 
Der vom 13. Jahrhundert an so häufig verliehene Ablaß von 1 Jahr 
und 40 Tagen, kommt schon, wenn auch selten:, im 12. Jahrhundert vor.- 

Gleich von Anfang an haben die Ablässe für Almosen und Kirohen- 
besuch sich sowohl auf die Privatbuße als auf die öffentHche Buße 
bezogen. In verschiedenen Ablaßurkunden werden die beiden Bußarten 
ausdrücklich erwähnt. In ändern Urkunden ist von einem Erlaß der 
Buße überhaupt die Rede,; ohne daß ein Unterschied zwischen öffent- 
licher und geheimer Buße gemacht werde ; . derartige Bewilligungen 



'^ In seiner Bthica sagt Abä,lard: ,,Sunt nonnuUi sacerdotum non tarn per 
errorem quam eupiditatem subiectos deoipientes, ut pro nummorum oblatione 
satisfactionis iniunctae poenascondonent vel relaxent . . . Neo soltim. sacerdotes, 
verum etiam ipsos principes sacerdotum, hoc est episcopos ita impudentes in hano 
eupiditatem exardesoere novimus, ut cum in dedioationibus ecolesiarum, vel in 
consecrationibus altarium, vel benediotionibus coemeteriorum, vel in aliquibus 
solemnitätibus populäres habent ooriventus, xmde oopiösam oblationem expectant 
in relaxandis poenitentiisprodigi sunt; modo tertiam, i modo :qu.artam poeni- 
nentiale apartem .ommbus^oomictoiteir.ainda^ sciUcet specie 

ohäritatis, sed inventate stlmmae'cüpiditatisv^^' M^^^ 672. Wie Abälärd 

nur von norinulli sacerdotümi spfichty so hat'er 
überhaupt, sondern nur etliche von ihnen im Auge. 

. •Individuelle Bußerlasse, die aber von denx allgemein verliehenen Ablaß 
für Almosen oder KirchenlDesüch zu unterscheiden sind, hat im Jahre 1192 der 
Kardinallegat Gin cius während seines Aufenthaltes in Hildesheim erteilt. Ein 
Zeitgenosse berichtet nänüioh von ihm : „Ad hunc quotiesoumque, qui publiois 
sceleribns impliöiti esseht, veriiebant rogantes quatenus de iniuncta eis poeni- 
tentia ex cöncessä sibi äuotoritate aliquid reläxäret' in his discrete et prudeiiter 
se agebat, et primo causam modumque delicti diligentius pei^quirens, iuxta 
culparuih quantitatem cohd.onatioms gratiarm temperabat." Narratio de canoni- 
zatione S. Bernwärdi, bei Mabillon, Acta Sariot. VI 1, 212. Acta Sanctorum. 
Ootobris XI 1025. 

Paulus, Geschichte des Ablasses. 18 



194 IV; Die ältesten Ablässe für Almosen und- KirchenbesucK.' 

gelten .denn auch für. öffentliche wie für Geheime Büßer. In einigen 
Ablaßurkuriden des 12. Jahrhunderts ist allerdings nur von öffent- 
lichen Büßern die Rede; dafür schließen aber andere die öffentlichen 
Büßer- /voii)der;generellen Ablaßbewilligung aus. Zudem gibt es ver- 
schiedene Urkunden, worin Päpste und Bischöfe, indem sie einem 
Sünder für schwere Vergehen eine öffentliche Buße auferlegten, die 
Bestimmung .beifügten, daß -andere' Bischöfe, wenn sie es für gut 
fänden, : die vBüßstrafe des betreffenden Büßers mildern dürften.^ 
Daraus ergibt sich, daß ,in manchen Fällen die öffentlichen Büßer 
sich nicht lohne weiteres der . generellen Almosenablässe teilhaftig 
machen konnten; sie ■ bedurften dazu der Erlaubnis der kichlichen 
Oberen, die ihnen die Buße auferlegt hatten. 

ii Man hat behauptet, daß reine Devotionsablässe, bei denen als 
Bedingung bloß ein Devotionsakt, z. B. Kirchenbesuch ohne Geld- 
speüde,: gefördert wurde, zuerst von . Innozenz III. gegeben worden 
sind. Das ist nicht richtig. ^Wohl wird in zahlreichen Ablaßurkunden 
des 11. undiil2. Jahrhunderts das ' Spenden eines Almosens als Be- 
dingung; aufgestellt. Allein sehr zahlreich sind auch die Ablässe j für 
deren Gewinnung eine Geldspende nicht gefordert wurde. Mag auch 
öfters bei der Verleihung derartiger Ablässe der Gedanke, daß die 
Gläubigen nicht mit leeren Händen zur Earche kommen werden^ 
eine große; Rolle .gespielt haben, so konnten doch, falls eine Geld- 
speride nicht vorgeschrieben war, auch jene, die nichts opferten, sich 
des Ablasses teilhaftig machen. Der fromme Kirchenbesuch genügte 
zur Gewinnung des Ablasses. 

• Die IVagC: nach der Bedeutung der ältesten Ablässe wird, besser 
weiter unten in einem eigenen Abschnitt ihre Beantwortung finden. 
Ebenso werden im 2. Band in einem besonderen Kapitel verschiedene 
eigentümliche Bestimmungen, die in den alten Ablaßurkunden vor- 
kommen, näher erklärt werden. Hier galt es vor allem die ältesten 
Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch aus zuverlässigen Quellen 
zusammenzustellen, um ein genaues Studium dieser Ablässe zu er- 
inögUchen.^ Das gleiche soll nun geschehen bezüglich der ältesten 
Kreuzzugsablässe. 



i Vgl. oben S. 24. 

^ Faleo 138 bezeichnet eine derartige Zusammenstellung der ältesten 
Ablässe sowie. der im früheren Mittelalter üblichen Absolutionen als „raccolte 
iridispensabili per lo studio delle prime indulgenze". 



'p- 



V. Die, ältesten Kreüzzügsablässe. . 

In der. Geschichte des Ablasses nehmeh-^jene Ablässe, welche die 
Päpste den' Kreuzfahrern,' den Vorkämpfern der Christenheit gegen den 
Islam, zu erteilen- pflegten,! eine der ersten Stellen ein.^ Man hat daher 
von jeher gerade diesen Ablässen eine besondere Aufmerksamkeit zu- 
gewendet'. Im' folgenden sollen in chronologischer Ordnung die> Kreuz- 
zugsa'blässe namhaft 'gemacht i werden, die ibis zur vierten Lateran- 
synode (1215) .erteilt -worden sind. 

Früher ließ man 'gewöhnlich die Kreuzzugsablässe mit'Urban II. 
beginnen.' '^In'neuester Zeit' hat man' jedoch ihren Ursprung viel weiter 
hinaufrücken wollen. Schon Stephan II. (752 — 57), Leo IV. (847^55), 
Johann VIII.iU872— 82); Leb IX: (1049^54)' sollen den' Verteidigern 
der Kirche und des christlichen' Glaubens -Ablässe ■ bewilHgV haben.' 
Was es aber damit: für feine ' Bewandtnis hat; ist bereits an anderer 
Stelle dargelegt worden.^ ^ ' ' ■ r 

Festeren Boden b'etreteln wir mit Alexander II., der im Jahrel063 
den Kriegern, die im Begriffe wären, nach Spanien zu ziehen, um' idört 
gegen 'die Maureh zu kämpfen, einen vollkommenen Bußerlaß be- 
wilHgte. In dem iJetreff enden Schreiben erklärt der Papst ausdrück- 
lich, daß er den Soldaten die ihnen für die gebeichteten Sünden auf- 
erlegte Buße abnehme.^ Hier ist also von einem eigentlichen 
Ablaß, von einem Erlaß der für die Sünden geschuldeten Bußstrafen 
die Rede. Wenn der Papst dem Bußerlaß die Worte beifügt: „Und 
wir gewähren Nachlassung ' der Sünden", so wird damit ^'angedeutet, 
daß durch den Bußerlaß die Nachlassung der Sünden YeryoUstandigt 
werde, mit andern Worten, daß die Sünden, die . in der Beichte der- 
Schuld nach vergeben worden, nun auch der Strafe nach' getilgt 
werden. Als Ablaß ist' wohl auch die Absolution zu betrachten, die 



^ Daß der Kreuzablaß dem Almosen- oder Kirchenablaß, wie behauptet 
worden, sein Dasein verdanke, ist nicht zutreffend. Es handelt sich um zwei 
Parallelerscheinungen, die beide aus einem gemeinsamen Boden entsprossen sind; 
beiden sind durch die Eicdemptionen die Wege bereitet worden. 

2 Oben S. 50 60 69. 

^ Loewenfeld 43:, „Clero Vultvimensi. Eos qui in Ispaniam proficisci 
destinarunt, patema karitate hortamur, ut, que divinitus admoniti cogitaverunt 
ad effectum perducere, sunrnia cum sollicitudine procurent; qui iuxta qualitatem 
peccaminum suorum unusquisque suo episcopo vel spirituali patri oonfiteatur. 
eisque, ne diabolus accusare de inpenitentia possit, m.odus penitentie imponatur. 
Nos vero auetoritate sanotorum apostolorum Petri et Pauli et penitentiam 
eis leyamus et remissiouem. peccatorum facimus, oratione prosequentes." 

l3* 



196 V. Die ältesten Kreuzzügsablässe. 

Alexander II. den Normannen, die in Sizilien gegen die Sarazenen 
kämpften, erteilen ließ. ^ 

Über die Ablässe, die Gregor VII. wiederholt erteilt baben soll, 
ist an anderer Stelle das Nötige gesagt worden.^ Nacli Petrus Diakonus, 
Bibliothekar, in Montecassino, hat Papst Viktor III. im Jahre 1087 
unter Verheißung der „Nachlassung aller Sünden" ^ein Eriegsheer 
gegen die Sarazenen in Afrika gesandt.^ -Es darf wohl als sicher gelten, 
daß der Chronist unter der Nachlassung aller Sünden eifien voll- 
kommenen Abläßi^rstaMen^liat.!?i©a^(M aber erst sximnlMO schrieb 
und auch sonst 'Unzuverlässig i^^^isbisteht nicht festy^ob üiidf in >welc^^ 
Form Viktor III; '■ denj ^ christlichen liEämpferhr eine T-Vergeburi 
Sünden in Aussicht gestellt hat. ■ • .- - 

Der von Alexander II. erteilte Ablaß scheint wenig Beachtung 
gefunden zu haben; wenigstens Jiaben ihn in der Folgezeit die Päpste 
niemals erwähnt, während sie sich im Laufe des 12. Jährhunderts 
öfters auf. den von Urban II. „eingesetzten", Kreuzzugsablaß berufen 
haben. Bekanntlich ist dieser berühmte Ablaß im Jahre 1095 auf, der 
Synode? von Clermont verkündet worden. Der Papst erklärte, -daß 
allen, die mit frommer Absicht. am Kreuzzuge sich beteiligen- würden, 
die Hee.rf ahrt f ür die ganze Buße angerechnet werden s.olle.^ 
In demselben Sinne schrieb Urban, II. 'am, 19. September 1096 an die 
Stadt Bologna, er erlasse den Kreuzfahrern ,,die ganze Buße für 
die Sünden, die sie recht und vollkommenigebeichtet haben 
werden".* In einem andern Schreiben, das er Ende Dezember 1095 
an die Gläubigen in Flandern gerichtet hat, bemerkt er, er, habe auf 
dem Auvergner Konzil den Franzosen die Befreiung der orien- 
talischen Kirchen feierlich aufgegeben „zur 'Nachlassung aller 
ihrer Sünden".' 



^ Gaufredus Malaterra, Historia Sicula II 33, bei Muratori, Sorip« 
tores V 569. Migne CXLIX 1142: „Apostolious . . . benedictione apostolioa 
et potestate qua utebatttr, absolutionem de offensis, si resipiscentes in 
futurum caveant, comiti et omnibus qui in lucranda de paganis Sicilia et lucratam 
in perpetuuni ad fidenx Christi retinendo auxiliarentur, mandat." Als Ablaß 
aufgefaßt von Gottlob 35 und Hilgers 55. 

2 Oben S. 77 ff. 

3 Petrus Diaoonus, Chronica montis Casinensis. Mon. Germ. SS. VII 
751: „Christianorutn exeroitutn . . . sub remissione onrnium peooatorum contra 
Saracenos in Africa commorantes direxit." ^ 

* Wattenbaoh, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter II*, Berlin 
1894,- 236 f.' - 

5 Mansi XX 816: „Quiciinque pro sola devoti6ne,nön pro honoris vel 
peouniae adeptione, ad liberändäm ecclesüam' Dei Hierusalein prof ectüs f üerit^ 
iter illud pro omni poenitentia reputetur." "' 

8 Jaffe 5670. Hagenmeyer 137: ,,Soiatis eis omnibus, qüiilluo non 
terreni commodi cupiditate^ sed pro sola änimäe süae salute et ecelesiäe liberatione 
profecti f uerint,- per omnipotentis Dei iniserieordiam et ecclesiäe oathoÜeäe pretös 
tarn nostra quam omnium pene aröhiepisoöporuin et episcöpörriin; qui in Galliis 
sunt, autoritate dimittimus, quöniam res et piersohas suas pro Dei et'pröximi 
charitate exposuenmt." ^ ' 

^ Jaff 6 6608. Hagenmeyer 136: ..Hiiiusmödiproeinctümptoremissiöiiö 
omnium pecoätorttm suorum in Arverherisi cöheüiö celebriter eis iniünximüs;" 



V. Die ältesten Kieuzzugsablässe. 197 

Urbans Bemühungen f, um den Kreuzzug hat sein Nachfolger 
Paschalis II. eifrig fortgesetzt. Durch die französischen Bischöfe 
ließ er 1099 die Gläubigen mahnen, „zur Nachlassung ihrer Sünden" 
(in peccatorum suoruni remissipnem) nach Palästina zu ziehen.^ Den 
für die Palästinafahrt bewilligten Ablaß , hat PaschaHs II. auch, den 
Spaniern; zugesagt, die in ihrer Heimat gegen die Mauren kämpfen 
würden. Dies meldet er in einem , Schreiben vom 14. Oktober llOQ 
an König Alfons von Spanien.^ In einem weiteren Schreiben vom 
25. März ,1101 fordert er die Untertanen des Königs Alfons auf, statt 
nach. Jerusalem zu ziehen, die , Sarazenen in Spanien zu bekämpfen. 
Hier, könnten sie, ihre Bußen abtragen, hier den vom Apostolischen 
Stuhle .verliehenen Ablaß gewinnen.^ Denselben Ablaß verhieß Par 
schalis in einem Schreiben an die Gläubigen von Coimbra den Soldaten, 
die in Portugal den Mauren entgegentraten.* Auch den Pisanern, die 
im Jahre 1114 eine Expedition gegen Mallorka unternahmen, soll 
PaschaHs, dem Chronisten, von, Montecassino Petrus Diakonus zufolge, 
die „Nachlassung aller Sünden", oder einen vollkommenen Ablaß ver- 
heben haben.^ Das . alleinige Zeugnis des unzuverlässigen Chronisten 
genügt indessen nicht, um hierüber volle. Sicherheit zu verschaffen. 
Eine Pisaner .Chronik, welche über die Expedition vom Jahre 1114 
ausführlicher, berichtet, als Petrus Diakonus, sagt nichts von irgendr 
einem Ablaß.* 

Im Jahre 1118 gewährte Gelasius.II. einen vollkommenen Ablaß" 
den Soldaten, die in Spanien im Kampfe gegen die Sarazenen fallen 
würden.' Den übrigen Teilnehmern am Glaubenskriege, ebenso wie 
jenen, die Beiträge zum Wiederauf biau der Kirche von Saragossa 
spendeten, wurde bloß ein partieller Ablaß zugesagt, der sich nach 
der Größe ihrer Bemühungen richten sollte.^ 

Eünf Jahre später yurde auf der Lateransynode, die 1123 unter 
Calixt II. stattfand, den Kreuzfahrern nach Palästina die „Nach- 



^ Jaffe 5812. Hagenmeyer 175. 

" Jaffe 5840! Migne CLXIII 45: „Peccatorum veniam pugnatoribvis in 
regna vestra comitatusque mandavirnus." 

^ Jaffö 5863. Migne 65: „Ibi largiente Deo vestras poenitentias per- 
agatis, ibi sanotorum apostolorum Petri et Pauli et apostolicae eorum Ecclösia« 
remissionem et gratiam peroipiatis." 

* Jaffe 6485. MemoriasdaAcademiarealdasscienciasdeLisboa. 2. Classe. 
Nova Serie I 1,' Lisboa 1854, 73: „Müites Christi contra Mauros infideles assidue 
pugnantes benedictione b, Petri et nostra refovemus et peccatorum suorum 
absolutionem his qui cohfessi fuerint damus." 

^ Mon. Germ. SS. VII 789: „Sub remissione onmium peccatorum illos 
ad insTJlas Baleares direxit." 

6 Muratori, Scriptores VI 169." 

' Jaffe 6665. Migne CLXIII 508: „Si quis vestrum accepta de peccatis 
suis poenitentia in expeditione hac mortuus fuerit, nos eum sanctorum meritis 
et totius Ecclesiae oatholicae precibus a suorum vinculis peccatorum absolvimus." 
Von Gottlob 96 irrig als Ablaß für Verstorbene aufgefaßt. 

* Vgl. oben S. 158. 



198 V. Die ältesten Kreuzzugsablässe, • 

lasäuiig ihrer Sünden" erteilt.^ Denselben „Sündennaohlaß"' verlieh 
€alixt bald nachher, wohl im Ajpril 1123, den christlichen Streitern 
in Spanien.^ . - • , 

Die Nachlassung der Bußstrafen aller gebeichteten Sünden hatte 
im Jahre 1121 auch der Patriarch Ver'amundus von Jerusalem 
in einem Schreiben an den Erzbischof von Santiago den Kreuzfahrern 
nach dem Heiligen Lande verheißen.^ 

Gefälscht ist ein undatiertes Schreiben, - worin Caüxt II. unter 
Verheißung eines vollkommenen Ablasses die Christen zur Verteidigung 
Jerusalems und Spaniens aufruft.* ' Eine' andere BuUe vom 2: 'Januar 
1121, die den Verteidigern der Abtei Lerins denselben „Sünden- 
riachlaß" (eandem peocatorum remissionem) wie den Kreuzfahrern 
nach dem Heiligen Lande ' verheißt, ist ebenfalls den Fälschungen 
beizuzählen.^ Dasselbe gilt von dem Kreuzablaß, den Honorius II'. 
(1124^-^30) für Lerins erteilt haben soll.* . 

- Auf Anordnung des Papstes ■ Honorius IK fand am Auf ang des 
Jahres 1125 zu Santiago de Compostela eine Sjmbde statt, auf welcher 
der dortige Erzbischof und päpstliche Legat Diego Gelmirez init 
den anwesenden Bischöfen und andern Geistlichen den Kämpfern 
gegen die Mauren einen vollkommenen Ablaß bewilHgte.' Bemerkens- 
wert: ist es, daß auf: dieser Synode nicht bloß den wirklichen Teil- 
nehmern am Kriege, sondern auch jenen, die nach ihrem' Vermögen für 
sich Soldaten senden würden, der vollkommene Ablaß zugesagt wurde.* 

Honorius IL selbst hat im Jahre 1128 den Teilnehmern an einer 
Expedition gegen Roger IL von Sizilien einen zweifachen Ablaß ver- 
heißen: Denjenigen, die im Kriege sterben würden, sollten. alle Buß- 
strafen nachgelassen sein, den Überlebenden bloß die HäKte.^ 

1 Mansi XXI 284: „Eis qvä Hierosolimam proficisountur . . . siiorum 
remissionem peocatorum concedimus." 

2 jaffö 7116. Robert, Bullaire de Oalixte II. 11 266 f.: „Omnibus in hao 
expeditione constanter militantibus eamdem pecoatorum^ remissionem, quam 
Orientalis Ecclesiae defensoribus fecimus, apostolica auctoritate et concessa 
nobis divinitus potestate benigne concedimus." Zum Datum vgl. Robert, 
Histoire du pape Caüxte II. Paris 18,91, 191. 

3 Historia Compo3tela,na II 28, in Espana sagrada XX 312. Migne CLXX 
1066: „Quicvtnque in nostrum auxilium ■ venerint, omnium peceatorum unde 
poenitentiam acceperint, vincula auxilio Dei relaxamus, et imponimus super 
hunaeros Agni qui tollit peccata mundi." , > • 

* Jaffe 7111. Robert II 261 f.: „Ab omnibus peceatis suis, de quibus 
sacerdotibus suis oonfessi fuerint et penitentes, absolvantur." 

6 Jaff6 6885. Robert I 30Ö f. 

6 Jaffö 7352., PflugkrHiarttung I 136 f. 

' Historia Compostelajna II 78, in Espana sagrada XX 429. Migne CLXX 
135 : „ Quisquis huius militiae particeps fieri yolueriti omnium suorum. peceatorum 
recordetur et ad veram confessionem et veram poenitentiam venire, festinet .>, 
Nos eum ab omnibus suis peceatis quae a fönte baptismatis usque ad hodiemum 
diemperpetravit . . ; absolvimus". . :;!; m 

^ Wer Stellvertreter sendet, „accepta ppenitentiaj .eamdem ei - plena-riam 
absohitionem in nomine Dei concedimus". ; ; j v , 

' Palconis Beneyentani Chromeon, bei Mar ator^ .V 104: 

Migne CLXXIII 1199: „Ex aactoritate divinaet b. Mariae Virginis et sainctörum 



V. Die ältesten' Kreuzzugsablasse. 199 

Auf einer Synode, die 1135 in Pisa stattfand, verlieh Innozenz II; 
allen, die gegen Roger; von- Sizilien. oder den Gegenpapst' ■ Pierleoni 
(Anaklet ,11.) die »Freiheit der Kirche verteidigen würden, denselben 
Ablaß (remissio), der von Urban II. für' die Palästinafahrt bewilligt 
worden war.^- - ' ' 

Den von Urban II. „eingesetzten -Sündenerlaß" erneuerte 
Bugen III; im Jahre 1145, als-essich darum handelte, den zweiten 
großen Kreuzzug ins Werk zu setzen. < Diesen" Sündenerlaß, erklärte 
der Papst in^ der .BuUe vom 1. Dezember 1145, verleihen wir aber 
in der Weise-, daß, wer die Kreuzfahrt in froinmer Gesinnung unter- 
nommen und vollendet oder dabei den Tod gefunden haben wird, 
von ällen< seinen Sünden, die er feuniütig gebeichtet, Verzeihung 
erhalte und von dem Vefgelter alles Güten die ewige Belohnung 
empfange.2 Denselben von Urban II. ,, eingesetzten ' Süiideneflaß-' 
verlieh Eugen III: im. Jahre 1147 auch jenen, die gegen die heiidnischeri 
Slawen in Pommern ziehen würden.^ 

Mit der Predigt des zweiten Eireuzzugs hatte der Papst den 
hl. Bernhard beauftragt. Wie dieser Heilige über den Ablaß dachte 
und wie er ihn den Gläubigen anpries,, kann man aus verschiedenen 
seiner Briefe ersehen.' In einem Schreiben vom Jahre 1146 an Klerus 
und Volk von Ostfranken und Bayern* fordert er die Gläubigen auf, 
sich den Kreuzfahrern anzusohheßen, und weist zu diesem Zweck auf 
den verheißenen Ablaß hin. Dabei unterläßt er aber liicht, als Vor- 
bedingung des A.blasses die Abkehr von der Sünde zu fördern. Daß 
manche Kreuzfahrer diese Bedingung wirklich erfüllten , bezeugt 
Bernhard selber, indem er. daran, erinnert, wie viele Sünder anläßlich 
des Kjeuzzugs durch reumütige Beichte sich mit Gott ausgesöhnt 
haben. Deshalb muntert er auch die andern Sünder auf, nicht zu 
verzagen, sondern die Gnade, die ihnen " Gott so reichlich anbietet, 



1 , 
apostolorum meritis talem impendit retributionem : eomm videlicet qui deliotorum 
suorumpoeiiitentiamsvtmpserint, siinexpeditione illamorientur, peccata xaniversa 
remisit; illorum autem, qui ibi mortui non' fuerint, et confessi sunt, -medietatem 
donavit." - • 

1 Bericht veröffentlicht von Bernheim in Zeitschrift für Kirchenrecht XVI 
<1881) 150. Vgl. Hefele V 427. 

2 Jaff6 8796. Migne CLXXX 1065 f.: „In peccatorum renaissionem in- 
iungimus ut etc. ... Ulis qui taniisanotum tamque pemecessarium opus et 
laborem devotionis intuitususcipere et perficere decreverunt, illam peccatorum 
remissionera quam . . . papa Urbanus instituit . . . concedimus- et con- 
firmamus . . . Peccatorum remissionem et absolutionem, iuxta praefati pra«- 
decessoris nostri institutionem, omnipotentis Dei-et b. Petri apostolorum prinoipis 
äuctoritate ,nobis a Deo concessa, talem concedimus, ut qui tarn sanctum iter 
devote inceperit et perfecerit, sive ibidem, mortuus fuerit, de omnibus pecoatis 
suis, de quibus corde contrito et humiliato confessionem susceperit, absolutionem 
obtineat, et sempiternae retributionis fructum ab onmium remuneratore per- 
cipiat." Eine gleichlautende Bulle erließ Eugen III. am 1. März 1146. Jaf f 6 8876. 

3 Jaff6 9017. Migne CLXXX. 1203.. 

* Migne CLXXXII 564 ff. Mit diesem Schreiben stimmt fast wörtlich 
überein der Brief an die Engländer, mitgeteilt von P. Hassow, Die Kanzlei 
Bernhards von Clairvaux. Salzburg 1913, 91 f. 



200 V. Die ältesten Kreuzzugsablässe. 

sich eifrig zunutze zu machen. „Selig möchte ich preisen", so ruft 
er aus, „das Gleschlecht, das ;Von einer so ablaßreichen Zeit ergriffen 
wird, das dies mit Gott versöhnende und wahre Jubiläumsjahr noch 
am Leben getroffen."^ Und indem er der hohen Güter gedenkt; die 
so leicht erworben werden können, mahnt er den Leser: Wenn du 
ein kluger Kaufmann bist, so beherzige wohl, welch vorteilhaftes 
Geschäft ich dir anbiete ; laß die Gelegenheit nicht unbenützt-vorüber- 
gehen. Nimm das Kreuz, und für alle Sünden, die du reumütig beichtest, 
wirst du Nachlaß erhalten. Der Stoff kostet nicht viel beim Ankaufe ; 
wird er aber in frommer Gesinnung auf die Schulter geheftet, so 
erwirbt man damit unzweifelhaft das Himmelreich.^ Auch in dem 
Schreiben an die Böhmen (1147) preist er die Kreuzzugszeit als ein 
Jahr des Erlasses, ein echtes Jubiläumsjahr.^ ,, Nehmet das Zeichen 
des Kreuzes, und für alle Sünden, die ihr reumütig beichtet, bietet 
euch vollkommenen Ablaß an der Papst, der^^ Stellvertreter dessen, 
zu dem gesagt worden ist: Was immer du lösen wirst auf Erden, das 
soll auch im Himmel gelöset sein."* 

Eine ganze Anzahl KieuzzugsbuUen erließ Papst Alexander III. 
(1159 — 81). Die erste vom 14. Juli 1165 wiederholt nur, was den 
Ablaß betrifft, die Erklärung Eugens III. vom Jahre 1145.^ Größere 



^ „Beatam ergo dixerim generationem,^ quam appreheadit *tarti über in^ 
dulgentiae tempus, quam invenit superstitem annus iste placabilis Domino et 
vere iubilaeiis." Migne 566. 

2 ,,Si prudens meicator es, si conquisitor huius sa^culi, magnas quasdam 
tibi nundinas indico, vide ne pereant. Suscipe crucis Signum, et omnium pariter 
de quibiis corde icontrito confessionem feceris, indulgentiani delictorum obtinebis^ 
Materia ipsa si'emitur, parvi constat; si'devoto assumitor humero, valet'^ine 
dubio regnum Dei." Migne ö67. Zu den Ausdrücken mercator, nundinae 
und dergleichen, die mittelalterliehe Autoren in bezug auf den Ablaß und den 
Himmel bisweilen gebrauchen, vgl. Thomas von Aquin, Sum. theol. 2. 2.. 
q. 100. a. 1 ad 3: „Regtium coelorum dicitur emi, dum quis dat, quod habet, 
propter Deum, l^rgq sumptp nomine emptionis,secundum quod aocipitur pro- 
Hieritp; quod taraen nqn pertingit ad perfectam rationem emptionis, tum qüia. 
non sunt condignae pg/ßsiones huius temporig nee aUqua nostra dona vel operä- 
ad futuram gloriam ... tum quia meritum non consistit principaliter in exteriöri 
dono vel actu yel passigne, sed in interiori affectu." In demselben Sinne schreibt- 
Johann von Freiburg, Summa Confessorum, 1.* I, tit. 1, q. 10: „Cum dicitiir 
yita aeterna emi vel remissio peooatorum, metaphörica est looütio, qüia aocipitur- 
pieritum pro emptione," Dieselben Ausdrücke finden sich schon bei den Vätern.- 
Vgl. G. Uhlhprn, Die christliche Liebestätigkeit I, Stuttgart 1882, 273 ff ^: 

ä Migne 653. Friedrich I 152 f. n. 150: ,,Audiat uhiversitas vestra 
verbumi bonum, audiat verbum salutis et oblatam indulgentiäe copiam devbtis 
quibusdam animae brachiis amplectatur. Neque enim est simile tenipus caeterisj. 
quae hucusque praeteriere teraporibus. Nova venit e coelo diyinae miseratiönis 
ubertas; beati, quos invenit superstite^ännus placabilis Domino, anhüs remis - 
sionis, annus utique iubilaeus." 

* ,,Suscipite signum crucis, et qimüura de quibus cprde opntrito con- 
fessionem feceiritis, plenam indulgentiam deliotprum hanc vobissiinuniis pontifex 
offert . . . Suscipite munus oblatum, et ad irrdcupierabilem induigentiae f aoiiltatem 
alter alterum prae venire festinat." 

5- jaff^ 11218. Migne CC 384 ff. 



V. Die ältesten Kreuzzugsablässe. 201 

Beachtung verdient die zweite Bulle vom 29. Juli 1169. Dies Schreibea 
zeigt, wie der „Sündenerlaß" (remissio peccatorum), von dem iii den 
angefiihrten Kreuzzugsbullen schon öfters die ß-ede war, aufzufassea 
sei. Es handelt sich dabei nicht um einen Erlaß der Sündenschuld,, 
sondern um eine Nachlassung der, für die Sünden auferlegten Buß- 
strafen. Denjenigen, die. aus Liebe zu Gott die Palästinafahrt unter- 
nehmen, erklärt der Papst, erteilen wir jenen Erlaß der vom Priester 
auferlegten Buße, den unsere Vorgänger Urban und Eugen erteilt 
haben. , Wer zwei volle Jahre gegen die Ungläubigen dient, dem solL 
die gesamte auferlegte Buße erlassen sein; wenn, er seine Sünden 
reumütig , beichtet, so ersetzt der Kriegsdienst für ihn die erforderte 
.Genugtuung und genügt zur Nachlassung der Sünden. Dient aber 
jemand hur ein Jahr, so .soll ihm bloß die Hälfte der auferlegten Buße 
erlassen sein.^ Mit diesem Schreiben stimmt eine spätere KJreuzzugSr 
bulle vom 16. Januar 1181 fast wörtlich überein, nur daß der in der 
früheren Bulle verheißene „Erlaß der auferlegten Buße" jetzt ein 
Ablaß der Sünden, eine. Nachlassung aller bereuten und gebeichteten 
Sünden genannt wird.^ Dieselbe .Verschiedenheit zeigt sich in der 
Bezeichnung des partiellen Ablasses, der jenen verheißen wird, die 
nur ein Jahr gegen die . Sarazenen dienten. Während in der BuUe 
von 1169 den Kreuzfahrern ein Nachlaß der HäKte der auferlegten 
Buße verheißen wird, heißt es in dem Schreiben von 1181, sie soUen 
von der Hälfte der auferlegten Buße Nachlassung ihrer Süiideh er- 
halten.^ In beiden Bullen wird den Kreuzfahrern, wenn auch mit 
andern Worten, derselbe Ablaß erteilt.*. 

Einen weiteren Kreuzzugsablaß erteilte Alexander III. in den 
Jahren 117,1 — 72 für die Beteiligung an einer Expedition gegen die 
heidnischen Esthen. Denjenigen, die im Kampfe fallen würden, stteHte 
der Papst den Erlaß aller Sünden in Aussicht; den Überlebenden, 



^ Jaffe 11637. Migne CC 600 f.: „Ulis qui pro divinitatis amore laborem. 
huitis prof ectionis assumere et, quantum in se f uerit, implere ' studuerint . . . 
illam remissionein impositae poenitentiae per sacerdotale mini- 
sterium facimus, quam Urbanus et Eugenius . . . statuisse nosountur, ut videlicet 
qui . . . suscepta poenitentia biennio ibi ad defensionem terrae permanserit . . .. 
remissionem iniunctae poenitentiae se laetetur adeptum, et cum con- 
tritione cordis et confessione oris profectionem istam satisfactionis loco ad 
suorum hanc indulgentiam peccatorum [sufficere] sciat . . . Qui vero per annum 
in hoc labore permanserit, exoneratum se de medietate satisfactionis im- 
positae auctoritate apostolica recognoscat." . 

^ Jaffe 14360. Migne 1294 ff.: „Ulis qui pro Christo huius viae laborem 
assumpserint, illam indulgentiam peccatorum, quam . . . Urbanus et Eugenius- 
statuerunt . . . concedimus ; . . De lesu Christi pietate . . . confisi, eis omnium 
suorum de quibus corde contrito et humiliato confessionem susceperint, ab- 
solutionem facimus delictorum." 

^ ,,De medietate sibi iniunctae poenitentiae indulgentiam et remissionem 
suorum obtineant peccatorum." 

* In einem Schreiben vom 16. Januar 1181, worin die Bischöfe aufgefordert 
■werden, die Kreuzbulle zu verkünden, nennt Alexander III. den verheißenen 
Ablaß „remissionem et indulgentiam peccatorum" oder auch einfach „remissionem 
peccatorum". Migne 1296 1297. Jaffe 14361. 



202 V. Die ältesten Kreuzzugsablässe'. 

aber wurde bloß ein Erlaß von 1 Jahre zugesagt.^ Etwas anders lautet 
der Ablaß; den Alexander III. im Jahre 1179 auf der dritten Lateran- 
synode für einen Kreuzzug gegen die Albigenser und die bewaffneten 
Bänden- welche in Frankreich und Spanien ihr Unwesen trieben, 
bewilligte;. Denjenigen, die während "des' Krieges mit reumütiger 
Gesinnung sterben sollten, wurde die „Nachlassung der Sünden" und 
der himmlische Lohn verheißen.^ Den übrigen Teilnehmern, wurde 
ein Bußerlaß von 2 Jahren bewilligt; doch sollten die Bischöfe jenein, 
die längere Zeit dienten, einen größeren, ihren Mühen entsprechenden 
Ablaß erteilen können.^ ' ' ' V , ' 

Unter Alexander III. wurde in englischen Gebieten auch für Geld- 
l)eiträge zu Kreuzzugszwecken ein Ablaß verlieheii. Im Frühjähr 1166 
hätte König Heinrich II. mit Zustimmung der Bischöfe und Barone 
eine KJreuzzugssteuer ausgeschrieben.* Denjenigen, welche die ge- 
forderte Steuer oder den als-,, Almosen" bezeichneten Beitrag gewissen- 
haft entrichteten, wurde ein Drittel ihrer Buße nachgelassen.^ ' Zur 
Aufnahme des Geldes sollten in den Kirchen Opferstöcke aufgestellt 
werden, die zur • größeren Sicherheit mit drei Schlössern' zu versehen 
wareh.^ Die später so berühmt gewordenen „Geldkästen" waren 
demnach schon um die Mitte des 12. Jahrhunderts in Gebrauch. 

Alexanders Nachfolger Lucius III. (1181 — 85) hat im November 
1184 die oben erwähnte Kreuzzugsbulle vom 16. Januar 1181 bloß 
erneuert.'^ 



^ Jaff6 12118. Migne 81: „Nos'eis qui adversvis diotos paganos potenter 
et magnanimiter decertaverint, de peocatis suis de quibus confessi fuerint et 
poenitentiam acceperint, remissionem unius anni, oonfisi de misericordia Del 
«t meritis apostolorum Petri et Pauli concedimus, sicut bis qui sepulcrurpi domi- 
niöum visitant, ooncedere consuevimus. Ulis autem qui in conflictuillo decesserint, 
omnium suiorum, si poenitentiam acceperint, remissionem' indulgemus 
peccatorum." 

^ Mansi XXII 232: „Cunctis fidelibus in remissionem peccatorum omnium 
iniungimus, ut tantis cladibus se viriliter opponant . . . Qui autem in vera poeni- 
tentia ibi decesserint, et peccatorum indvilgentiam et fructum mercedis aeternae 
non dubitent se percepturos." 

; ä Ebd. 233: „Nos etiam de misericordia Dei . . . confisi, fidelibus christianis 
qui contra eos arma susceperint . . . biennium de poenitentia iniuncta relaxamus; 
aut si longiorem ibi moram habuerint, episcoporum disoretioni . . . committimus, 
ut ad eorxmi arbitritun secundum modum laboris maior eis indulgentia tribuatur." 

f Das Ausschreiben hat Gervasius von Canterbury in seine Chronik auf- 
genommen. The historical works of Gervase of Canterbury I, London 1879, 
1'98 f. [Rerum britannicarum medii aevi Scriptores LXXIII], 

^ „Oondonata est tertia pars poenitentiae suae om.nibus qui f ideliter de 
rebus suis hanc elemosinam persolverint." S. 199. 

' „Erit truneus in ecclesiis, ubi quisque post iuramentum ita fideliter 
inittet, rebus suis diligenter mimeratis . . . Truneus habebittres olaves." S. 199. 

' Kehr in Göttinger Nachrichten 1899, 329. ; Kehr läßt es. iinentsphieden, 
ob die Ernetierung. im November 1184 oder 1185 stattgefunden, habe; es m.uß 
aber schon 1184 geschehen sein, da Lucius III. in einern Schreiben , vom 19. jDez. 
1184 an die Johanniter den von ihmi bewilKgten allgem.einen; Kreuzzugsablaß 
erwähnt: „Concedimus ut illius indulgentiae generalis, qua ceteris: fidelibus pro 
subventione illius terrae providimus, speciali participatione gaudentes, sicuti 
estis laborum participes, ita etiam sitis in: ipsius indxdgentiae perceptipne oon- 
sortes." Delaville I 465 f. n. 712. 



V. Die ältesten "Kreuzzugsablässe. 203 

■ Im Jahre 1184 haben die Bischöfe der Nofmandie, sich 
stützend auf ein ' Schreiben des Papstes Lucius III.'/ eine wichtige 
Anordnung getroffen. Von deii' Königen Philipp II. von Frankreich 
und Heinrich IT. von Eiigland war daiüals eine Kreuzzugssteuer auf- 
erlegt worden.^ Denjenigen nun, welche die vorgeschriebene Steuer 
•entrichteten, erteilten' die normannischen' Bischöfe- auf einer Ver- 
sammlung, welcher der Köiiig-von England mit seinen Barbhen' und 
dem päpstlichen Legaten Albert de' Summa beiwohnte, folgenden 
Ablaß: Den Pönitenteny die- eine Bußevoii 7 Jahren zu verrichten 
hatten, wurden 3 Jahre erlassen; jene aber, denen für schwere Sünden 
■eine geringere Buße auferlegt worden war, erhielten einen Erlaß von 
2 Jahren; zudem wurde die Strafe für alle vergessenen Sünden nach- 
gelassen, ebenso für alle läßlichen Sünden. Doch sollten' jene, die 
•sich letzteres Privilegium zunutze machen woUten, als Büße 3 Vater- 
unser beten und '3 Almosen spenden; die Armen brauchten kein 
Almosen zu geben, mußten aber 3 weitere Vaterunser beten. ^ 

Voii Urban III. (1185 — 87) ist keine Kreuzbulle bekannt. Ein 
•angebliches Schreiben ' Urbans, worin deii Kreuzpredigern derselbe 
ToUkommerie Ablaß wie den Kreuzfahrefn verheißen wird, ist als 
Eälschüng zu betrachten.^ 

Gregor VIII. (21. Okt. bis 17., Dez! 1187) hat, zur Vorbereitung 
•des dritten Kreuzzugs mehrere selbständige Schreilben erlassen.* In 
■einer Bulle vom 29. Oktober {Audita tremendi) verhieß der Papst 
den Kreuzfahrern, die während des Zuges in reuinütiger Gesinnung 
«terben sollten, vollkommene Nachlassung ihrer Sünden uiid das ewige 
Leben ;^ aber auch den Überlebenden sollte die auferlegte Buße für 



1 A. Cartellieri, Philipp II. •August,1 König von Frankreich II, Leipzig 
1906, IB f. 

^ Mansi XXII 485 f.: „Auctoritate litterarum domini papae subnixi . . . 
•episoopi Normanniae in suis episcopatibus hoc instituerunt: Ut quicunque elee- 
mosynam quae ordinata est äd subventionem terrae 'Hierosolymitanae trans- 
miserint, talem de iniuncta poenitentia veniam consequankir : i. Si in poeni- 
tentia fuerint quae 7 annos excedat, '3 annörum venia gaudebunt. 2. Si in poeni- 
tentia vel minori fuerint pro criminali, 2 annorum veniam habebunt. 3. Peccata 
vero de quibus homo recordari non poterit, omnia relaxantur, dummodo de 
■contemptu poenituerit. 4. Venialia quoque oronia sub tali poenitentia condonant: 
üt unusquisque qui eleemosynam istam solvent, ter in die vel in nocte Pater 
noster dicat, pro Salute vivorum' semel, pro pacse semel et semel pro requie de- 
iunotorum. Tres quoque eleemosynas unusquisque facere tenetur, ut hanc 
ändulgentiam oonsequatur, si facere poterit. Si vero ea paupertate laborat," ut 
•eleemosynas illas facere nön possit, ter iterum. Pater noster pro consequenda 
ccemissione dieere tenetur." 

3 Loewenfeld 232. Jaffe 15756. 

* Über die Bulle Nuntio cladis HierosoUmitanae vom 24. Oktober 1187 
'(Jaffe, 16013), die wohl unecht ist, vgl. Cartellieri, Philipp August von Frank- 
reich II 268 ff, ' ' 

^ Jaffe 16019. Migne CCII 1542: „Eis autem qui corde contrito et humi- 
liato spiritu itineris htiivis laborem assumpserint, et in poenitentia pe'ccatorinn et 
fide recta decesserint, plenam suorum criminum indulge'ntiam et vitam 
poUicemur aetemam." ' 



204 Yv Die ^, ältesten Kreuze 

alle ihre Sünden erlassen werden.^ Gregor. VIII. führte zudem eine- 
wichtige Neuerung ein, indem er nicht bloß denjenigen, die sich per-; 
sönlich am Kreuzzuge beteiligten, sondern auch jenen, die sich durch 
einen andern vertreten ließen, oder Geldbeiträge spendeten, 
Ablaß erteilte. Wohl hatte schon im Jahre 1125, wie oben bemerkt- 
worden,^ eine spanische Synode jenen, die nach ihrem Vermögen sich 
durch andere vertreten lassen würden, den vollkommenen Ablaß zu- 
gesagt. Ebenso hatten in den Jahren 11,66 und 1184 Bischöfe für die 
ge|wissenhafte Entrichtung der von, Heinrich II. von England, aus- 
geschriebenen Kjreuzzugssteuern einen partiellen Ablaß erteilt.. Seit 
Innozenz II. war es auch Sitte, daß die Päpste den Wohltätern der 
Johanniter und Templer, dieser besonderen Verteidiger des Heiligen 
Landes, den siebten Teil der Buße erheßen. In den KreuzzugsbuUen. 
war aber bisher der Ablaß bloß für die persönliche Kreuzfahrt ver- 
liehen worden. Gregor VIII. ist der erste ^|*apst, der auch für Beiträge 
zur Unterstützung der Kreuzzugssache Ablässe bewilligte. > Der Wort- 
laut dieser Bewilligung hat sich leider nicht erhalten;^ sie wird, aber 
erwähnt von Gregors Nachfolger Klemens III., der ausdrücküch von 
dem Ablaß spricht, den zuerst Gregor VIII. für Unterstützung des- 
ILreuzzugs erteilt habe.* Aus einem späteren Schreiben dep Papstes- 
Honorius III. vom 4. Dezember 1217 erfährt man auch, daß Gregor VIII. 
den Einwohnern von Lucca, die den vierzigsten Teil ihres Vermögens, 
für die Kreuzzugssache- opfern wollten, den vollkommenen Ablaß be- 
willigt hat.^ 



^ „Sive autem super vi xerint, sive mortui fuerint, de omnibus pecoatis- 
suis, de quibus rectam oonfessionem fecerint, impositae satisf actionis 
relaxationem de omnipotentis Dei misericordia et apostolorum Petri et Pauli 
auctoritate: et nostra se noverint habituros." 
■ ' a Oben S. 198. ' ' ; , . i 

* Sie stand wohl in der Kreuzzugsbulle ,,Qwwr)>dmm,^ vom 
29. November 1187, von der, bei J. Langebek, Scriptores rermn D 

Hauniae 1783, 345 f. ntu* der Aniang abgedruc^ isi;. Ja<ffe 16073. ; . 

* Von; Gregors Bulle hat sich eine längere Stelle, erhalten in, einer späteren 
Dekretalensammlung (Friedberg, Quinque oompilationes antiquae. Lipsiae 
,1882, 75. Comp. II, tit. 16, c. 4), abgedruckt bei Mi gheCCIIl^ 

night vom Ablasse, so ist doch darin die Rede von andern, Pri>^legien,,(^^ 
Gregor VIII. sowohl den Kreuzfahrern selbst als jenen, welche (üenötigesn 
.träge zur Ausrüstung eines .Mannes spendeten , (illis qui se vel auxilitiin dederint 
ad succurs\im terrae lerosplymitanaß parändmn umvtö yiri),^^ 

^ Eine Abschrift des betreffenden Schreibens, das im Va^tikaiiischen Archiv 
sich vorfindet imd von dem Pressutti (Regesta- Hbnorii III. n. ;9p0) nur ein, 
kurzes Regest mitteilt, verdanke ich Herrn Dr. E dm. Stein. Es ist gerichtet, 
an den Erzpriester Hugolinus von Lucca und lautet: „Dilecti filii crucesignati ,.,... 
postularunt, ut cum Lucani, qui non receperunt signaculum crucis, conferre 
velint bonorum suorum. quackagesimum in terre sanote succiirsum, id eis iuxta. 
quod fei, röc, Gregörius papa predecessor npster olirn crucesignatis 
Lucanis indulsit, in remissionem omhium peccaininum mandaxemus. :Nos 
igitur eorum petitioni sie duximus annuendum, ut. si crucesignatis; dumtaxat 
exceptis Lucani hoc fecerint, quod häctenus yoluisse dicuntur, et yeram acceperint 
penitentiam de commissis, id eisdem auctoritate nostra denuntietis fpre con- 
cessum." : : . 



V. Die ältesten Klreuzzugsablässe. 205 

Die voü Gregor VIII. begonnenen Bemühungen setzte nach dessen 
Tod^ Klemens III. (1187—91) eifrig f ort. ' Er erließ zunächst, wohl 
im Anschluß an das nur unvollständig erhaltene Sehreiben seines Vor- 
gängers,' eine neue KreüzzugsbuUe, die zwar nicht auf uns gekommen 
ist, auf die aber Klemehs selbst in seinem Briefe vom 10. Februar 1188 
an den Erzbischof von Cänterbury'urid dessen Suffragane^, hinweist.^ 
In diesem Briefe verheißt der Papst' für die persönliche Teihiahme am 
Kreuzzüg eineü vollkommenen AblaJ3.^ Die Höjbe des für Beiträge "zu 
verleihenden 'Ablasses sollte' der Erzbischof von Canterbury zu be- 
stinimen haben.* Ähnliche Schreiben richtete der Papst auch an 
andere Kirchenfürsten,^ so unterm '27. Mai 1188 an den Erzbischof 
von Genua.® 

Um die' nötigen Mittel für den Kxeuzzug aufzubringen, ver- 
ordneten die Könige von England und Erankreich, die im Januar 1188 
bei' einer Zusammenkunft in der Nbrmahdie miteinander das Kreuz 
genommen' hatten,' daß ihre Untertanen den Zehnten von dem Ein- 
kommen eines' Jahres und den beweglichen Gütern zu entrichten 
hätten.' Indem die englischen und französischen Bischöfe in einem 
geineinsamen Schreiben dies Eiide Jaiiuar 1188 zur Kenntnis der 
Gläubigen' brächten,® erinnerten sie däraii, wie der Papst für die per- 
sönliche 'Teilnahme am Kreuzzuge die gesamte Buße für die reumütig 
gebeichteten Sünden erlassen habe.^ Sie selber schenken allen, die 



^ Mitgeteilt von Giraldus Cambrensis VIII 236 ff. Dasselbe Schreiben 
:ging wohl auch an. die französischen Bischöfe. Vgl. Cartellieri, Philipp II. 
August II 51.' J. Geyer, Papst Klemens III. Bonn 1914, 30. 

, 2 Giraldus, VIII 237: „Rogamus vos . . . quatenus vos ipsi ad succursxun 
eiusdem provinciae tarn in personarum quam rerum missione auxilia competentia 
transmittatis . . . Subieotos quoque vestros efficaciter inducatis ad hoc ipsum 
agendmn, ut cxun vos et illi sooii fueritis passionis, debeatis esse ... et participes 
consolationis ao. remissionis illius quae , prof iciscentibus illuo vel congrua 
suffragia transmittentibus prius a praedecessore nostro b. memoriae 
Gregorio papa et postmodum a nobis generaliter est indulta." 

^ Giraldus 238: „Quicunque vere poenitens in persona propria illuo 
iverit, remissionem habebit omnium peccatorum." 

* ,,Qui vero de rebus suis oompetens subsidium direxerint ad partes eas- 
dem sive pro se aliquem miserint . . . arbitrio tuo, Jrater archiepiscope, com- 
mittimus de remissione peccatorum, considerata quaütate personae subventionis- 
que quantitate pensata, ipsis vere poenitentibus concedenda." 

^ Giraldus VIII 236 schreibt: „Summus Pontifex per varias, immo fere 
«unctas orbis christiani partes non indebite f ideles ad terrae sacra« subventionem 
litteris ao nimtiis invitavit." 

« Jaff 6 16252. Abgedruckt bei Pflugk-Harttung III 363. Stimmt fast 
wörtlich mit dem Schreiben vom 10. Februar überein. 

' Roger de Hoveden, Chronica III, London 1869, 335 [Rerum bri- 
tannicarum Scriptores LI]. 

8 Mitgeteilt von Wilhelm von Newburgh, Historia rerum anglicaruml, 
Lojidon 1884, 273 [Rer. brit. Scriptores LXXXII]. Vgl. dazu Cartellieri, 
Philipp- II. August II 55 ff. 

* „Ordinavit, quod a die qua quislibet crucem aoceperit totius poenae sibi 
iniunptae habebit döpöQcatis suis de r^^^^ poenitens fuerit et confessus, et 
similiter de oblitisj re]axationem,";Vpii feinem Erlaß der vergessenen Siinden. 
ist in dem erhaltenen Schreiben Gregors VIII. und KlemensMII. nicht aus- 



206 V. Die. ältesten. -Kreuzzuesäblässe. 

den Zehnten vorschriftsmäßig abliefern, die Hälfte, der Buße;, zudem, 
erteilen sie Nachlaß für den bisher nicht gegebenen Zehnten sowie für 
die vergessenen Sünden.^ , , , < < . 

Cölestin III. (1191 — 98) hat ebenfalls zur .Förderung des Kjeuz- 
zugs mehrere Schreiben erlassen. Beachtenswert ist besonders das 
Schieiben vom 25. Juli 1195 an Erzbischof Hubert von,Canterbury, 
das inhaltlich mit den Kreuzzugsbullen seiner, beiden Yorgänger xpllig 
übereinstimmt. Für die. persönhche Teilnahme am Zuge wird ,ein voll? 
kommener Ablaß verheißen; bezüglich der Almosengeber wird. der 
Umfang des zu erteilenden Ablasses dem Gutdünken ,der Bischöfe 
anheimgegeben.^ Etwas kürzer ist das Schreiben vom 1. August ,1195- 
an die Bischöfe Deutschlands.^ 

Einmal hat Cölestin III. den vollkommenen KJreuzablaß, aber nur 
für den Fall des Ablebens, auch Personen »verheißen, die weder am 
Zuge persönlich teünahmen noch Geldbeiträge spendeten. Der Bischof 
Hugo von Durham hatte das Geliibde abgelegt, die Palästinafahrt 
mitzumachen. Nun wünschte, aber Richard, Löwenherz, der ^damals 
selber noch im Heiligen Lande sich befand, daß bis. zu seiner Rückkehr 
nach England der Bischof zu Haus,e bleibe, um für die Angelegen- 
heiten des Königreichs Sorge zu tragen. Dem Wunsche des Königs 
nachkommend, befahl der Papst am ,4. Dezember 1192 dem englischen 
Prälaten, die Ausführung seines G«liibdes bis zur Rückkehr Richards- 
aufzuschieben. Auch andere, die mit dem Bischof das Kreuz ge- 



drücklich die Kede; doch war ein solcher Erlaß in dem vollkommenen- Ablasse 
mit eingeschlossen. In der Verordnung des Königs von England ist bloß die 
Rede von einem vollkommenen Ablasse : ,,Statutum est a domino papa, quod 
quiounque clericus vel laicus crucem snsceperit, ab omnibus peccatis de quibus- 
ppenituerit et confessus fuerit, auctoritate Dei et b. apostolormn Petri et Pauli 
liberatus est et absolutus." Roger de Hoveden 11 336. Dasselbe berichten 
Gervasius von Canterbury, Chronica I, London 1879, 409, und der an- 
gebliche Benedikt von Peterborough, Gesta regis Henrici. II, London 
1867, 31 [Rer. brit, SS. XLIX]. 

^ Wilhelm von Newburgh I 273: „Omnibiis hanc decimam legitime 
reddentibus, de misericordia Dei confisi, medietatem poenae sibiiniunctae con- 
donamus, remissionem nihilominus facientes et de decimis hucusque non legitime 
datis et de peccatis obHtis." 

2 Jaffö 1727. Migne CCVI 1109: „Nos autem illis qui pro divinitatis 
amore laborem huius profeotionis assumere et quantum in se fuerit implere 
Btuduerint, de Indulte nobis a Deo auctoritatis officio illam remissionem impositae 
poenitentiae per sacerdotale ministerium facimus, quam praedecessores nostri 
noscuntur suis temporibus statuisse, ut videlicet qui corde contrito et humiliato 
spiritu laborem huius itineris assumpserint, et in poenitentia peccatorum et fide 
reota decesserint, plenam. suorumL criminum indxügentiam et vitam praeter hoc 
consequantur aeternam. Sive autem supervixerint sive mortui fuerint, de omnibus 
peccatis suis de quibus fuerint recte confessi, impositae satisfactionis relaxationem 
de omnipotentis Dei misericordia et apostolorum Petri et Pauli auctoritate et 
nostra se noverint habituros . . . Uli autem qui in subsidium terrae illius de bcmis 
STiis transmiserint, de peccatis suis veniamconsequenturiuxtasuorum moderamina 
praelatorum." 

ä Jaff6 17274. H. Sudendorf, Registrum. oder m.erkwürdige Urkunden 
lür die deutsche Geschichte I, Jena 1849, 84. 



y. Die ältesten Kreuzzugsablässe. 207 

nommen ,und_ deren Dienste dieser benötigt sein würde, konnten die 
Heimkehr des Königs abwarten. Würde aber inzwischen einer von 
ihnen sterben, so, sollte er desselben Ablasses .teilhaftig; werden, den 
jene gewinnen konnten, die persönlich am' Kreuzzuge teilnahmen.^ 

Die Entwicklung des Kreuzzugsablasses fand ihren Abschluß mit 
Innozenz III.. (1198 — 1216). Gleich im ersten Jahre seiner Regierung 
erließ dieser, Papst, an die Christenheit einen Aufruf, den , er in den 
folgenden Jahren mehrmals wiederholte und jedesmal mit_der üblichen 
Verheißung von Ablässen unterstützte.^ So kam der .vierte, Kieuzzug 
zustande, der. 1204 mit der, Eroberung Konstantinopels endigte. Dem 
Papste lag aber vor allem die Befreiung Jerusalems am Herzen. Im 
Jahre 1213 rief er wieder die gesamte Christenheit zum heiligen EJriege 
auf.^ Auf der Lateransynode von, 1215 wurden nähere Bestimmungen 
für .einen neuen Zug getroffen. Wie schon in den Kreuzbullen, die 
Innozenz III. früher veröffentlicht , hatte, wurde den Teilnehmern, 
mochten sie auf, eigene oder fremde Kosten ausziehen, die volle Nach- 
lassung der reumütig gebeichteten Sünden verliehen und, eine Mehrung 
des ewigen Lohnes versprochen.* Derselbe vollkommene Ablaß sollte 
jenen. zuteil werden, die auf ihre Kosten. Stellvertreter senden würden; 
für Geldbeiträge oder,:Sonstige Hilfe wurde ein partieller Ablaß ver- 
heißen, dessen Höhe nach, der geleisteten Hilfe und der frommen 
Gesinnung des Spenders sich regeln; sollte.^. ; Hiermit hatte die Be- 
willigung des. Kreuzzugsablasses ihre definitive Form- erhalten; in den 
späteren KjeuzzugsbuUen begnügte man sich gewöhnlich, auf das 
Kreuzzugsdekret der vierten Lateransynode hinzuweisen. 

Wie für die Palästinafahrt, so. hat Innozenz auch für den Kampf 
gegen die Mauren in Spanien mehrmals den vollkommenen Ablaß 
verliehen.® Ebenso hat er im Jahre 1199 denjenigen, die Markward, 

^ Jaffe 16931. Historiae Dunelmensis Scriptores tres. London 1839. 
Appendix LXIV [Publioations öf the Sürtees Society IX]: „Si-vero interiiii 
aliquem ex vobis viam universae camisin bona confessione oontigerit ingredi, 
illius remissionis de. apostolicae sedis indulgencia particeps habeatur, quae in 
persona propria laborantibus est indulta." 

2 Potthast 320 347 407 922 935. Migne CCXIV 265 311 375 832 834. 

3 Potthast 4725. Migne CCXVI 818. 

* Mansi XXII 1067: „Nos de omnipotentis Dei misericordia . . . confisi . . . 
plenam suortun peceaminum, de quibus veraciter iuerint.corde contriti et ore 
confessi, veniam indulgemus et in retributione iustorum salutis aetemae poUi- 
cemur augmentum." 

, ^ ,,Huius quoque remissionis volumus et concedimus esse participes iuxta 
qualitatem subsidii et devotionis affectum onrnes, qui ad subventionem ipsius 
terrae [sanctae] de bonis suis congrue ministrabunt aut consilium et auxilium 
impenderint opportuntun." Zur Aufnahme des Geldes sollten in den Kirchen 
mit drei Schlüsseln verschlossene Opferstöcke aufgestellt werden, wie der Papst 
in der Kreuzbulle von 1199 vorschreibt: „In singulis ecclesiis truncum concavum 
poni praecipimus, tribus clavibus consignatum ... et in eo fideles quilibet . . . 
suas eleemosynas deponere in. remissionein suorum peceaminum moneantur;" 
Migne CCXIV 830. Diese Verordnung ist in späteren Bxillen oft wiederholt 
yerden. Dieselbe Maßregel hatte man, wie oben S. 202 bemerkt wvirde, in 
England bereits im Jahre 1166 getroffen. 

• Pot hast 3559 4184 4375. Migne CCXVI 353 380 513. 



■208 V; Die ältesten' Kreuzziigs'ablässe; 

der in Sizilien die Vormundschaft über Friedrich, den unmündigen 
Sohn Heinrichs VI. sich angemaßt hatte und die rechtmäßige Re- 
gierung des Landes, eines Lehens des Apostolischen' Stuhles, angriff ,i 
bekämpfen würden, denselben Ablaß verheißen, den die Kreuzfahrer 
im Heiligen Lande gewinnen konnten.^ 

Eine besondere Beachtung verdient der Ablaß, den Innozenz III. 
wiederholt für die Kreuzfahrt gegen die Albigens er verliehen hat. 
Anfänglich hat er im Jahre* 1198 jenen, welche die päpstlichen Legaten 
in ihrem Vorgehen gegen die südfranzösischen ' Häretiker unterstützen 
würden, bloß den nicht näher bestimmten Ablaß bewilligt, der den 
Pilgern nach Rom oder Compostela in Aussicht gestellt war.^ Später 
aber, z. B. in den Jahren 1204 und 1207, lautete die Verheißung: 
Denjenigen, die gegen die Albigenser kämpfen, soll dieselbe ,, Nach- 
lassung der Sünden" oder derselbe Ablaß wie den Kreuzfahrern nach 
Palästina zuteil werden.* In weiteren ^Schreiben aus den Jahren 1208 
und 1209 an die französischen Bischöfe erklärt der Papst, die Kreuz- 
fahrer gegen die Albigenser sollen wissen, daß ihnen, falls sie wenigstens 
40 Tage dienen,^ von Gott und dessen Stellvertreter die „Nachlassung 
der Sünden" erteilt werde, so zwar, daß die Heerfahrt als hinreichende 
Genugtuung für die reumütig gebeichteten Sünden zu gelten habe.^ 
Die hier gebrauchte Formel erinnert an die oben angeführte Kjeuz- 
augsbulle Alexanders III. vom Jahre 1169. Sie zeigt aufs neue, daß 
der von den Päpsten bewilligte ,, Sündenerlaß" nicht als eine Nach- 
lassung der Sündenschuld, sondern als ein Erlaß der Sünderistrafen 
aufzufassen sei. 

In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts bürgerte sich eine 
Sitte ein, die in der Folgezeit noch weiter sich ausdehnen sollte, die 
Sitte nämlich, daß man sich gegen Zahlung einer angemessenen 
Summe vom Kreuzgelübde dispensieren lassen konnte. Schon 
beim ersten Kreuzzuge hatte es Fälle von Gelübdeablösung gegeben. 
Herzog Thierry von Lothringen hatte im Jahre 1096 das "Kreuz ge- 
nommen. Da er aber wegen EJränldichkeit nicht ausziehen konnte. 



1 Vgl. Michael VI 15. 
^ Potthast 877. Migne CCXIV 782, 

^ Potthast 95. Migne CCXIV 83: „lUam pecoatoxuai suorum indul- 
gentiam concedentes, quam b. Petri vel lacobi limina visitantibus indulgemus." 

* Potthast 2226 2229 3223. Migne COXV 360 362 1247. Ähnlich lautet 
die Verheißung der Lateräiisynode von 1215. Mansi XXII 987. Aufgenommen 
in die Dekretalensammltuig Gregors IX. c. 13. X. de haeret. V. 7. 

^ Es kam häufig vor, daß Lehnsherren ihre Vasallen aiiff orderten, mit 
ihnen in den Krieg zu ziehen. Die Dauer des schuldigen Leimdienstes belief 
sich damals auf 40 Tage. War diese Zeit abgelaufen, so konnten die Lehnsmänner 
heimkehren. Auf diese Sitte nahm der Papst Rücksieht, indem er einen voll- 
kommenen Ablaß für den 40tägigen Dienst bewilligte. 

• Potthast 3828. Migne COXVI 159: „Scientes remissionem pec 
caminum a Deo eitisque vicario xiniversis indultam . . . ut eis labor tam sanctus 
ad operis satisfactionem sufficiat super illis offensis, pro quibus cordis 
contritionem et oris confessionem veram obtulerint verö Deo." Vgl. Migne 
CCXV 1356 1470. Potthast 3324 351 L 



V. Die ältesten Kreuzzugsablässe. 209 

ließ er sich durch den Bischof von Toul und den päpsthchen Legaten 
Bichard von Albano von seinem Gelübde dispensieren.' Als Ersatz 
mußte er vier Reiter und einen' Armbrustschützen ausrüsten.^ Ähnliche 
Pälle werden wohl im Läufe der Zeit häufig vorgekommen sein. Nähere 
Mitteilungen darüber finden sich indessen in päpstlichen Schreiben erst 
gegen Ende des 12. Jahrhunderts. 

In betreff eines Grafen, der das Kreuz genommen hatte, schreibt 
einmal Klemens Uli an den zuständigen Bischof, dieser solle den 
Grafen auffordern, sein Gelübde,' wenn möglich, persönlich zu erfüllen 
oder als Ersatz dafür jene, die nach Jerusalem ziehen, mit Geld- 
mitteln zu versehen.^ Hier handelte es sich zwar nur um einen ein- 
zelnen Fall. Daß aber solche Gelübdelösungen damals nichts Seltenes 
waren, bezeugt Giral du s von Cambrien, der im Jahre 1189 oder 1190 
als Archidiakon von St. Davids mitsamt seinem Bischöfe und andern 
Walisern durch den KardinaiUegaten Johann von Anagni, Bischof von 
Palestrina, vom Kreuzgelübde dispensiert wurde .^ Zeitgenössische 
englische Chronisten berichten auch, daß Richard Löwenherz, der 
im Jahre 1190 den Kreuzzug antrat, von Klemens III. erwirkte, daß 
jene, die er zur Verwaltung des Königreichs zu Hause lassen wollte, 
von dem Kreuzgelübde entbunden sein sollten.* Auf diese Weise, 
fügt einer der Chronisten bei, habe sich der König überaus viel Geld 
verschafft.^ 



1 Calmet, Hlstoire de Lorraine IP, Nancy 1748, 240. 

2 Jaffe 16552. Migne CCIV 1500. 

^ Giraldus teilt in einer seiner Schriften (Opera I 84) das Absolutions- 
schreiben (litteras absolutorias), das ihm der Legat ausgestellt hatte, mit; darin 
heißt es unfer anderm: „Nos paupertati tam praedictorum episcopi et archi- 
diaconi quam aliorum Walensium, qui ad votum praeconceptum peragendum per 
se non sufficiunt, taliter duximus consulendum: Quod in propriis personis ire 
non possint, de bonis divinitus sibi coUatis lerosolimam euntibus tribuant . . . 
Praefatos quoque episeopum et archidiaconum. propter aetatis defectum vel 
paupertatem, a praetaxato itinere lerosolimitano auctoritate nobis concessa sub 
eadem dispensatione duximus absolvendos et penitus denuntiamus absolutes; 
ista tarnen conditione quod lerosolimam accedentibus auxilium praebeant et 
adiutorium.. Illud item de populo sibi commisso facimus." Johann von Anagni 
ist im März 1189 nach England gesandt und Ende 1189 oder zu Anfang des 
Jahres 1190 zurückberufen worden. Jaffe 16388 16544. 

* Richard von De vizes erzählt in seiner Schrift „De rebus gestis Ricardil" 
bei R. Howlett, Chronicles of the reigns of Stephen, Henry II and Richard I. 
Vol. III, London 1886, 386 [Rerum britan. medii aevi Scriptores LXXXII], 
König Richard" habe vom Papste die Vollmacht erhalten, „ut cuicunque vellet 
de suis crucem detraheret, suae reipublicae ratione regendae". Der Chronist 
nennt auch drei Beamte, die auf diese Weise vom Kreuzgelübde entbunden 
wurden und das für die Kreuzfahrt bestimmte Geld dem König überließen. 
Befremdlich ist es aber, daß diese drei Männer später bestritten, jemals eine 
Dispens erbeten oder erhalten zu haben. Vgl.- das Schreiben Innozenz' III. vom 
Jahre 1202 an den Bischof von Ely. Migne CCXV 1089. Potthast 1733. . 

^ Roger de Hoveden, Chronica III 17: „Interim Ricardus rex Angliae 
naissis nunciis suis ad dementem papam obtinuit ab eo litteras patentes, ut 
quosouuque ipse vellet dimittere ad terras suas custodiendas, essent ' quieti a 
captione crucis et ab itinere lerosolimitano, imde ipse sibi inaestimabilem ac- 
quisivit pecTUiiam." ■ ! , j' f 

Paulus, Geschichte des Ablasses. 14 



210 Yi Die ältesten vKreuzzugsablfe^ 

Unter Gölestin III. war von Erzbischof Hubert von Canterbury- 
nach Rom berichtet . worden, daß in England manche, welche das 
Kröuz genommen hatten, sich der Ausführung ihres Gelübdes zu ent- 
ziehen suchten, während andere wegen Krankheit oder Armut die 
Kreuzfahrt nicht unternehmen -könnten. In seiner Antwort vom 
12. Januar 1196 legt nun der Papst die Grundsätze dar, die bei der 
Lösung vom Kreuzgelübde zu beobachten seien:. Wer in der Lage ist, 
das Gelübde zu erfüllen, soll durch Androhung der Exkommunikation 
dazu i gezwungen werden. Ist jemand durch Krankheit, körperhche 
Schwäche oder durch einen andern gerechten Grund gehindert, so kann 
er vorläufig zu Hause bleiben; doch wird er ausziehen müssen, sobald 
das Hindernis behoben ist. Kranke Leute, bei denen festgestellt- 
werden kann, daß sie dauernd untauglich sind, sollen auf ihre Kosten 
einen oder mehrere Stellvertreter nach Palästina senden, auf ein oder 
mehrere Jahre, wie es der Legat fü^gut finden werde.^ Daß den- 
jenigen, die einen Ersatzmann stellten, der vollkommene Ablaß zuteil 
w;erden sollte, wird nicht gesagt.^ Wahrscheinlich waren sie den 
Almosengebern gleichgestellt, für welche unter Gölestin IIL die Höhe 
des zu erteilenden Ablasses von den. Bischöfen zu bestimmen war. 
JErst im 13. Jahrhundert wurde den rechtmäßig Dispensierten der 
vollkommene Ablaß zugesagt. 

Zu den von Gölestin III. über die Lösung des Kreuzgelübdes 
aufgestellen Grundsätzen bekannte sich auch Innozenz III., wie aus. 
einem Schreiben zu ersehen ist, das dieser Papst im Jahre 1200 eben- 
falls an Hubert von Ganterbury gerichtet hat.^ Gleich seinem; Vor- 
gänger uiiterscheidiBt er zwischen solchen, die hui* zeitweilig, und 
andern, die dauernd verhindert sind, ihr (^lübde zu erfüllen: den 
ersteren ist ein Aufschub zu gewähren,, die. zweiten aber sollen zur 
Unterstützung des Heiligen Landes nach ihrem Vermögen so viel Geld 
böisteuerii, als sie auf der Palästiiiaiahrt ausgegeben hätten. Züdein 
sollen sie auch die körperlichen Beschwerden, welche die Reise im, 
befolge haben würde, zu kompensieren suchen. Daß Innozenz illL 
durchaus nicht gewillt war, die Gelübdeablösuhg allzu leicht zu raächen, 
zeigen mehrere Einzelfälle, in deheii um Dispesns nächgesuclit wni^^ 
Bezeichnend in dieser Hinsicht ist ein Schreiben aus dem Jahrß 1198> 
das in die offizielle Dekretälensammlung Gregors IX. aufgenommen 
würde.* Es werden darin verschiedene Gründe erörtert, die es ratsam 
erscheinen ließen, den Bischof von Troyes und dessen Diehef voii dem 



VJaffö 17307. Migne CGVI 1135, 

^ In den oben angeführten „litterae absolutionis" von Giraldus von 
Cambrien ist keine Rede von Ablalä, ebensowenig in dem neuen Absölutions- 
schreiben, das G-iraldus 1203 von Innozenz III. erhielt. GiraldiOpp. III 71 f. 
Potthast 1931. f : /? v ' 

^ Potthast 1137. Migne CCXVI 1261 f. Aufgenommen in die Dekretalen- 
Sammlung 0. 8. X. de voto. III. 84. ,Ygl. ein anderes Schreiben an Erzbisc^^ 
Hubert vom Jahre 1201 über Gtelübdelösung. Potthast 1469. c. 9. X. de voto 

IIL, 34. . , ./.. .;.;... ■, ,..; ;:..-.^,:^.,::, 

* Potthas^; 48. Migne CCXIV 58 ff. c. 7. X. de voto. III. 34. 



V. Die ältesten Kreuzzugsablässe. 21 1 

Kreuzgelübde zu entbinden. Dafür mußte aber der Biscbof die Un- 
kosten, die er gehabt hätte, dem Heiligen Lande zukommen lassen j, 
zudem sollte er die Beschwerden der Kreuzfahrt durch Gebet und 
Fasten zu ersetzen suchen. 

Wie ernstlich Innozenz III. darauf bestand, daß diejenigen, die 
in der Lage waren, ihr Gelübde zu erfüllen, es wirklich taten, zeigt, 
sein Schreiben vom Jahre 1202 an zwei englische Kommissäre, den. 
Bischof von Ely und den Abt von St. Edmund. Der König Johann 
von England hatte den Papst ersucht, eine Anzahl Adelige vom Kreuz- 
gelübde zu dispensieren, da er deren HiKe in Staatsahgelegenheiten, 
benötigte .und mehrere von. ihnen auch persönlich verhindert wären.. 
Der Papst ließ die Sache untersuchen. Und da es sich herausstellte,;, 
daß die vom König vorgebrachten Gründe nicht zutrafen, so wurden, 
die Kommissäre angewiesen, jehe^ die in der Lage waren, nach Palä- 
stina zu ziehen, zur Erfüllung ihrer Gelübde anzuhalten.^ 

Solche, die Alters halber oder wegen Krankhieit Dispens erhielten,, 
mußten gewöhnlich so viel Geld für das Heilige Land spenden, als 
ihnen die Palästinafahrt gekostet hätte. ^ Als Innozenz III. im Jahr© 
1213 einen neuen ICreuzzug ausschrieb, gestattete er wohl, daß man, 
um keine Zeit zu verlieren, alle zur Kreuzahnahme zulasse, ohne zuvor 
zu untersuchen, ob sie die Fahrt mitmachen könnten oder nicht; 
Zugleich aber verordnete er, daß. die Gelübdelösung, nur stattfinden, 
solle, wenn dringende Not oder offenbarer Nutzen es. erheische.^ 

Drei Jahre später befahl die, Lateransyhode, , diejenigen, die das; 
Kjreuz genommen, seien nötigenfalls durch Androhung der Exkom- 
munikation zur Erfüllung ihres Gelübdes anzuhalten, mit Ausnahme 
jener, bei denen ein Hindernis vorliege, dessentwegen nach dem Urteile; 
des Apostolischen Stuhles das Gelübde mit Recht umzuwandeln oder 
aufzuschieben sei.* 



1 Potthast 1733. Migne CCXIV 1808ff.: „Firmiter inixingatis ut reddant, 
Domino quod voverunt." 

2 Potthast 1532 1552 1603 1660 1931 3002 5208. 

^ Potthast 4725. ÜVtigne COXVI 819 f.: „Quia vero subsidium terrae- 
»anctae multum impediri vel retardari contingeret, si ante susceptionem orucisL 
examinari quemlibet oporteret an esset, idoneus, regularibus personis excpptis,. 
susoipiant quicunque voluerint signum , oruois, ita quod cum urgens necessitas 
aut evidens utilitas postulaverit, votum ipsum-de apostolico possit mandata 
commutari aut redimi vel differri." 

. * Mansi XXII 1059: „Ulis duntaxat exceptis, quibus tale impedimentum. 
oceurrerit, propter quod, secundumsedis apostolicae providentiam, vottim eorunx 
commutari debeat merito vel differri." 



14* 



VI. Die Ablaßlehre der Frühscliolastik. 

Wie bei verschiedenen andern Einrichtungen der kathohschen 
Kirche, so folgte auch beim Ablaß die theoretische Begründung der 
Praxis nach. Lange Zeit hindurch wurden von den kirchlichen Oberen 
Ablässe erteilt, ohne daß es eine Theorie -des Ablasse» gab. ;Erst in 
der zweiten HäMte des 12. Jahrhunderts beginnen die Theologen sich 
näher mit den „allgemeinen Erlassen", wie damals die Ablässe genannt 
wurden, zu befassen; und was sie anfänglich darüber mitteilen, be- 
schränkt sich meistens auf einige kürze Bemerkungen. Aber je spär- 
Hcher diese Bemerkungen sind, desto größeres Interesse dürften sie 
beanspruchen. Es soll daher in diesem Abschnitt gezeigt werden, 
was vor den großen Scholastikern des 13. Jahrhunderts, vor Alexander 
von Haies und Bonaventura, .vor Albertus Magnus, und Thomas von 
Aquin, die jTheologen und Kanonisten über den Ablaß gelehrt haben. 

Zuerst möge erwähnt werden, wie Abälard über die Ablässe 
sich ausspricht, die zu seiner Zeit von den- Bischöfen bei der Ein- 
weihung von Kirchen oder bei andern Anlässen erteilt wurden. Er 
kommt darauf zu sprechen in seiner zwischen 1125 — 38 verfaßten 
Ethik^ bei der Behandlung der im Anschluß an die Beichte aufzu- 
erlegenden Buße.^ Es ist große Vorsicht notwendig, sagt er, daß der 
Beichtende hienieden eine hinreichende Buße auf sich nehme, um im 
Jenseits nichts mehr abzutragen zu haben. Wenn daher unkluge Priester 
aus Unkenntnis der kanonischen Bußvorschriften zu geringe Bußen 
auflegen, so wird dies ihren Beichtkindern zu großem Nachteil ge- 
reichen; diese müssen dann im Jenseits schwere Strafen erleiden, für 
welche sie hienieden durch leichtere Büß werke hätten genugtun können. 
Es gibt aber, fährt Abälard fort, unter den Priestern etliche (sunt 
nonnulli sacerdotum), die ihre Untergebenen nicht so sehr aus Un- 
wissenheit als aus Habsucht täuschen, indem sie ihnen um Geld die 
auferlegte Buße nachlassen oder mildern.^ Aber nicht nur einfache 
Priester machen sich dieses Mßbrauchs schuldig, auch Kirchehfiirsten 
frönen derselben Habsucht ; uiid nun kommt Abälard zu den allgemein 



'^ Über die Abfassixagszeit dieser Schrift vgl. G. Robert, Les dcoles et 
l'enseignement de la theologie pendant la premiere. moitie du XII^ siecle. Paris 
1909, 211. 

2 Ethioa, cap. 25. Migne CLXXVIII 672 f. 

^ Schönem Jahre 1048 hatte eine Synode zu Ronen vor einem derartigen 
Mißbrauch gewarnt: ,,TJt poenitentes occiasione avafitiae gravare aut levare 
nemo praesumat ; sed iuxta modum culpae vel possibiUtatem naturae modere tur 
poenitentia." Mansi XIX 763. Zum Datvim vgl. Hefele IV 715. 



Vr. Die Ablaßlehre der Frühscholastik. 213 

erteilten Bußerlassen: Wir kennen Biscköfe, die des Geldes wegen?. 
anläßlich verschiedener Feierlichkeiten, bei denen sie reichliche Opfer- 
gaben zu erhalten hoffen, mit Bußerlassen verschwenderisch umgehen;: 
sie erlassen allen insgemein bald ein Drittel, bald ein Viertel der Buße,, 
freilich unter dem Schein der Liebe, aber in Wirklichkeit aus schnöder- 
Habgier, Sie brüsten sich mit der ihnen von Christus verliehenen Voll- 
macht und meinen großsprecherisch besonders darin zu tun, was ihres. 
Amtes ist, wenn sie ihren Untergebenen derartige Gnadenerweise: 
spenden. Würden sie es aber doch nur tun aus Liebe zu den Gläubigen,, 
und nicht des Geldes wegen, daß doch wenigstens ein Schein von. 
Wohltun vorhanden wäre! Wenn sie übrigens durch Nachlassung des. 
dritten oder vierten Teils der Buße eine lobenswerte Mildtätigkeit zu; 
üben glauben, so müßte ihr riiilder Sinn noch größeres Lob verdienen,, 
wenn sie die Buße zur Hälfte oder ganz erlassen würden, was sie ja^. 
wie sie behaupten, tun könnten. Anderseits scheinen sie sich einer 
großen Lieblosigkeit schuldig zu mächen, daß sie nicht alle ihre Unter- 
gebenen von allen Sünden lossprechen, wenn sie. die Macht haben,, 
den Himmel nach" Belieben zu öffnen oder zu schheßen. 

In diesen Auslassungen, die von Übertreibung nicht frei sind,, 
bekämpft Abälard nicht bloß Mißbrauche, die damals schon bei Spen- 
dung von Almosenablässen vorhanden waren, er bestreitet deuthchi 
genug den Bischöfen das Recht, den Gläubigen bei kirchlichen Feier- 
Hchkeiten Ablässe zu erteilen. Die geringe Leistung des Kirchen- 
besuchs und einer Opfergabe schien ihm keinen genügenden Ersatz 
für das auferlegte Bußwerk und die von Gott geforderte Genug- 
tuung zu bieten. Daß die Bischöfe kraft ihrer Vollmacht von der 
notwendigen Genugtuung freisprechen können, T^ill er .nicht gelten 
lassen. Das hieße, wie er übertreibend meint, ihnen die Vollmacht 
zugestehen, den Himmel nach Belieben zu öffnen oder zu schließen. 
Es liegt auf der Hand, daß Abälard hier eine überirdische Wirksam- 
keit der Ablässe iür Almosen und Kirchenbesuch ..zurückweisen will. 
Demnach wurde damals schon eine derartige Wirksamkeit in kirch- 
lichen Kreisen angenommen; und so bezeugt selbst ein Bekämpf er 
der Almosenablässe, daß inan nicht erst im 13. Jahrhundert begonnen 
habe, dem Ablaß eine überirdische Wirksamkeit zuzuschreiben. Es 
muß 'wohl beächtet werden, daß Abälard nur von bischöflichen Ab- 
lässen für Kirchenbesuch und Almösen spricht. Man hat denn auch 
mit Unrecht behauptet, daß Abälard den Ablaß überhaupt verwirft. 
Erwähnt er doch mit keiner Silbe den Kreüzzugsablaß. Offenbar 
hatte er gegen letzteren nichts einzuwenden, da ja die vielen Mühen, 
die mit der persönlichen Teilnahme ain Kreuzzuge verbunden waren, 
als hinreichende Genugtuung gelten konnten. 

Wie im Dekret Gratians, das .gegen Ende 1140 vollendet wurde, 
weder die Kreuzzugsablässe noch die Ablässe für Almosen und Kirchen- 
besuch erwähnt werden, so übergeht auch Petrus Lombardus in 
seinem zwischen 1146 — 50 verfaßten Seritenzenbuch den Ablaß mit 
Stillschweigen. Erst in der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts 



214 VI. Die Ablaßlehre der Frühseholastik. 

begegnen uns Theologen, die schriftlich ihre, Ansicht über den Ablaß 
hinterlassen haben. 

Einer der vornehmsten Theologen jener Zeit, Petrus von 
Poitiers, 38 Jahre hindurch Lehrer. an der Pariser Domschule,^ 
erwähnt ganz kurz den Ablaß in seinen spätestens vor Mitte 1176 
vollendeten Sentenzen^ bei der Erörterung der Erage,, auf .welche 
Weise in der Beichte die Sünden nachgelassen werden.* Von , Gott, 
so lehrt er, wird die Sündenschuld mit der ewigen Strafe nachgelassen; 
zur Tilgung der etwa noch abzutragenden zeitlichen Strafe legt der 
Beichtvater eine Buße auf. Wie kann man aber dann sagen, daß 
der Priester die Sünden nachlasse ? Der Priester läßt die Sünde nach, 
zunächst weil er zeigt, daß sie von Gott nachgelassen ist, sodann 
weil er eine Buße auferlegt und von der noch schuldigen Strafe Nachlaß 
gewährt. Ist indessen die auferlegte Buße nicht hinreichend zur 
Tilgung der geschuldeten Sündenstrafe, so wird der Pönitent das 
Mangelnde im Eegfeuer nachholenjnüssen. , Deshalb ist es besser, 
der Pönitent tue etwas zu viel als zu wenig ; denn wenn ihm djer Beicht- 
vater für eine Todsünde eine dreitägige Buße auferlegt, so darf er nicht 
glauben, daß ihm nun die ganze Sündenstrafe erlassen sei. Nachdem 
Petrus so gezeigt, wie der Beichtvater die Sündenstrafe nachlassen 
könne, und zwar die vor Gott abzutragende Strafe, die Fegfeuerstrafe, 
verbreitet er sich über den Wert des Ablasses hinsichtlich der Tilgung 
der Sündenstrafe; und dabei muß er ebenfalls, wie es sich aus dem 
ganzen Zusammenhang ergibt, , an die vor Gott schuldige Strafe ge- 
dacht haben. Er äußert sich darüber in folgender Weise: Wenn ein 
Bischof oder ein anderer Prälat (episcppus vel ahus praelatus) bekannt? 
macht, er werde bei der Einweihung. irgendeiner Earche, allen, die zuni 
Bau der Kirche beisteuern, den dritten oder vierten Teü der Buße 
oder 40 Tage oder etwas dergleichen nachlassen, sq wird doch nich^ 
jeder Almosenspender die versprochene Nachlassung erhalten. Denn 
wenn ein Reicher das gleiche Almosen gibt wie eine arme alte Erau, 
so wird ihm sicher nicht der gleiche Nachlaß zuteil. Es muß eben 
jeder nach seinem Vermögen spenden, wer mehr hat, mehr, wer weniger 
hat, weniger. Gott verlangt nicht vom Menschen, was er nicht leisten 
kann; er achtet auch nicht auf die Größe der Gabe, sondern auf den 
guten Willen. Hat aber der Reiche guten Willen, warum fühtt er 
diesen Willen nicht aus? Warum gibt er nicht nach seinem Verr 
mögen? Denn das fordert der gute Wille; a,ndernfalls ist er nicht 
gut.* Aus diesen Ausführungen ergibt sich unzweifelhaft, daß Petrus 
von Poitiers dem Ablaß eine überirdische Wirksamkeit, eine Wirk- 
samkeit in foro Dei zuschreibt. Während die kirchlichen Oberen 
den AJmosenspendern einen bestimmten Teil der auferlegten Buße 

^ Vgl. über ihn Grabmann II 501 ff. 

2 Abgedruckt bei Migne CCXI 789 ff . Der Verfasser hat sein Werk dem 
Erzbischof von Sens, Wilhelm von Champagne, der. 1168 nach . S^ns kam; und 
ÜVHitte 1176 Erzbischof von Reims wurde, gewidmet, 

8 Sent. 1. III. c. 16. migne 1073 ffi Vgl. Gillmanii 365 f. 
• ■* Migne. 1076. .:r;.;-. ■:;^ ■ - :^; ;; 



VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik. 215 

-erlassen, erläßt ihnen Gott einen Teil der geschuldeten Sündenstrafen. 
Der göttliche Erlaß, richtet sich aber' weniger nach der tatsächlichen 
Leistung als nach dem guten Willen oder der Leisturigsbereitwilligkeit. 
Ein Zeitgenosse des Petrus. von Poitiers, Petrus Cantor, der 
seit 1169 oder 1170 ebenfaUs^ Lehrer an der Pariser Domschule - war 
(f 1197),^ hebt in seiner noch ungedruckten Summa de Sacramentis 
bezüglich der partiellen Ablässe für Almosen und Kirchenbesuch ver- 
schiedene Schwierigkeiten hervor, ohne darauf eine bestimmte Antwort 
zu geben.2 So fragt er z. B., ob die kirchlichen Oberen befugt wären, 
«inen Teil der Bußstrafen zu erlassen, wie dies besonders bei Kirch: 
weihen geschehe. Es scheint, daß sie dies nicht tun können, lautet 
die Antwort; denn die' Buße müsse im richtigen Verhältnis zur ab- 
zutragenden Sündenstrafe stehen.^ Er fragt auch, ob derjenige, der 
zur Gewinnung des Ablasses die vorgeschj?iebene Geldspende entrichtet 
hat,' sofort des verheißenen Erlasses teilhaftig werde, oder ob der 
Bußerlaß erst eintrete, nachdem die Kirche mit ihren Suffragien für 
ihii Ersatz geleistet habe.* Er wirft noch. mehrere andere Fragen auf 
und benierkt dann: Da es leichter sei, Einwände zu erheben als sie 
zu lösen, so mache er sich nur zaghaft lan die Lösung der erhobenen 
.Schwierigkeiten; dabei stütze er sich vor allem auf die Autorität der 
Kirche, da die kirchliche Praxis von nicht geringem Gewicht sei.^ 
Er spricht dann von den Ablässen, die dainals beim Besuche der 
römischen Kirchen gewonnen werden konnten; doch bemerkt er sofort, 
daß die individuellen Büßerlasse- bei triftigem Grunde wohl empfehlens- 
wert sind, weniger .aber die generell verliehenen Bußerlasse, da bei 
diesen auf die^ persönlichen Verhältnisse der Büßer nicht- Rücksicht 
genommen werde.* Hiermit gibt Petrus Cantor- deutlich 'genug izu 
verstehen, daß er. an den Ablässen für Kirchenbesuch und Almosen — 
er spricht immer nur von diesen, nie vom- KreuzzugsablaE — wenig 
Gefallen hatte. Deshalb- erwähnt, er auch, daß Papst Gregor IV. 
{es ist' ohiiej Zweifel Gregor VIII. gemeint) bei der Konsekration einer 
von ihm zu Benevent erbauten Kirche zum Volke gesagt habe : Es ist 
sicherer, daß ihr Bußwerke übet, als daß ich euch einen Teil der Buße 
erlasse.' Indessen wagt Cantor doch nicht, diese Ablässe zu verwerfen; 
er fordert, aber für; deren Gültigkeit drei Bedingungen : die Autorität 
der Kirche, ,die Zueignung der kirchlichen Suffragien (communio 
suffragiorum eins), die .persönliche Leistung und fromme Gesinnung 
des Büßers (labor et devotio. poenitentis). Qb jedoch ein derartiger 



1 Vgl. über ihn Grabmann II' 428, ff. 

2 Einige Auszüge bei Morinus 769 f. Petit I 362''ff. 

3 Petit 362. «Morinus 769. 

^ „Consuetudo enim Ecolesiae et usus non levis est momenti, verum non 
adeo momento sui valitura, ut aüt rationemaut sacram soripturam vineat." Ebd. 

® „Personales relaxationes ex causa debita commendabiles sunt, generales 
non ita, eo quod indistincte pronuntientur." Ebd. 

' Mor^inus 769. Cantor berichtet ein falsches Gerücht. Gregor VIII. ist 
während seiner kurzen Regierung (1187) nie' in Benevent gewesen . Vgl. St.Borgia, 
^emorie istoriche della pontifioia cittä di'Benevento 11, Roma 1765, 151 ff. ' 



216 VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik. 

Erlaß hienieden schon in KJraft trete, wie etliche meinen, so, daß der 
Ablaßgewinner von der Sündenstrafe sofort befreit werde, oder ob der 
Ablaß erst im Jenseits seine Wirkung ausübe, wenn nämlich der 
Pönitent seine Buße nicht verrichten konnte, das läßt Cantor dahin- 
gestellt. Man möge sich, bemerkt er, darüber Rats erholen bei dem 
Papste oder dem Bischöfe, die solche .Ablässe erteilen.^ Jedenfalls 
geht aus dieser Erörterung hervor, daß die Vertreter der. beiden An- 
sichten, die Cantor anführt, eine überirdische Wirksamkeit des Ablasses 
annahmen. Bemerkenswert ist auch die Erwähnung von einer Kom- 
pensation durch die kirchlichen Suffragien. 

In einer andern Schrift, einem alphabetischen theologischen 
Lexikon, das nach dem ersten Worte die „Summe Abel" genannt 
wird, erwähnt Petrus Cantor den Ablaß unter dem Worte „relaxatio".^ , 
Ablaß findet statt: 1. wenn die Not eines Ortes, einer Person oder des 
Heihgen Landes es erfordert; 2. wenn eine gleichwertige Kompensation 
eintritt; kann z. B. jemand nicht. fast^en, so soll er ein so großes Almosen 
spenden, daß er sich dadurch so"viel beschwert fühlt, als durch das 
Fasten; 3. wenn der Pönitent von dem Beichtvater die Erlaubnis 
erhält, sich des Ablasses teilhaftig zu machen; 4. wenn die fromme 
Gesinnung, die Liebe und Reue zunehmen (quando Caritas, contritio, 
devotio augmentatur). Eehlt eine dieser Bedingungen, so wird der 
Ablaß nicht gewonnen. EtHche lassen dem Almosenspender den dritten 
oder fünften Teil. der Buße nach. Es wäre aber, besser, die Buße nach 
bestimmten Zeitmaßen zu erlassen, z,.B. Ablässe von' 10 oder niehr 
Tagen zu erteilen. Andere erlassen die den Eltern zugefügten Be- 
leidigungen (d. h. die für solche Vergehen verdiente Bußstrafe), falls- 
keine tätliche Mißhandlung stattgefunden. Und dies können sie mit 
Fug tun, meint Petrus Cantor, weil man die Vergehen gegen Menschen 
leichter vergeben kann, als. jene .gegen Gott. , ■ • ; 

Ziemlich, eingehend handelt 'vom Ablaß ein Schüler des Petrü» 
Cantor, der Engländer Stephan Langton, der gegen Ende des 
12. Jahrhunderts an der Pariser. Hochschule, deren Kanzler er eine 
Zeitlang war, Theologie lehrte,^ von Innozenz IIL 1206 zum Kardinal 
ernannt wurde und 1228 als Erzbischöf von Canterbury gestorben ist.* 
In seiner noch ungedruckten Theologischen Summe wirft er in dem 
Abschnitt über die Auferlegung der Buße die Frage auf, ob die Buß- 
erlasse, die von den Bischöfen bei feierlichen Weihen zu geschehen 
pflegen, berechtigt seien.^ Hierüber, antwortet er, gibt es eine drei- 

^ ,,Cuin huiusmodi fit remissio, qmdam dictmt eiun cui fit statim liberari; 
alii non, nisi post mortem, cum scilicet poenitentiam peragere non pptiiit. Utra 
opinio vera sit, consule dominuna Papam vel episoopum qui talem dat remis - 
sionem. Non est meum ponere os in coelum." Morinns 770. 

2 Die kurzen Angaben sind mitgeteilt von Gillmann 368 aus Cod. lat, 
inon. 22283, Bl. 91. 

^ Vgl! über ihn Grabmann II 497 ff. 

* Langtons Ausführungen über den Ablaß hat Gillmann 371 — 75 aus einer 
Bamberger Handschrift veröffentlicht. 

^ ,,Utrum relaxationes penitentiarinn Ordinate fiant ab episcopis in sol- 
lenpnibus bendictionibus ?" 



VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik! 217 

fache Ansicht. Etliche sagen, die Ablaßbewilligung sei erlaubt, wenn 
sie auf folgende Weise geschehe: Es ist jemand z. B; eine dreijährige 
Buße auferlegt worden. Ein Bischof kann nun den dritten Teil dieser 
Buße nachlassen, oder mehr oder weniger, wie er es eben für gut findet. 
Ein anderer Bischof kann ebenfalls ein ©rittel vom^Reste nachlassen 
und so fort, so daß dem Pönitenteri immer etwas abzutragen bleibt. 
Denn wie er persönlich gesündigt hat, so muß er auch selber die Strafe 
tragen. Demgegenüber macht Langton geltend, daß der zweite Bischof 
ebensoviel erlassen kann als der erste. Kann der erste ein Drittel 
der ursprünglichen Gesamtbuße erlassen, so auch der zweite und der 
dritte. Somit könnte man mit drei kleinen Münzen die ganze Buße 
ablösen. Dies aber, so gibt Langton zu verstehen, würde nicht der 
Billigkeit entsprechen. 

Die Vertreter der zweiten Ansicht meinen, die Bischöfe würden 
bei der Verkündigung von Ablässen es dem Ermessen der Beichtväter 
anheimstellen, wieviel den einzelnen- Pönitenten von ihrer Buße nach- 
gelassen werden soll. Auch diese Erklärung wird von Langton ab- 
gelehnt. Dadurch, meint er, würden die Gläubigen, welche die Sache 
nicht so auffassen, getäuscht werden. 

Einleuchtender scheint ihm eine dritte Erklärung zu sein, wonach 
die auferlegte Buße, z.B. das Pasten, in eine Geldstrafe umgewandelt 
wirdJ Die Sünde bleibt auf diese Weise nicht ungesühnt. Und so 
kann die Kirche einen beliebigen Teil der Buße erlassen oder vielmehr 
erklären,'' daß sie vor Gott .erlassen sei, nämlich durch das Geldopfer,, 
das an die Stelle des Fastens getreten und das mancheii noch härter 
ankommt als die körperliche Bußübung. Sollte aber bei der Um- 
wandlung der Buße die Gerechtigkeit zu kurz kommen, so wird dieser 
Mangel ersetzt durch' die Suff ragien öder Hilfeleistungen der Kirche,, 
nämlich durch die Gebete, Pasten, Almosen und andere gute Werke, 
welche die Kirche für ihre notdürftigen Glieder übernimmt. ' 

Daraus ergibt sich unzweifelhaft, daß Langten dem Ablaß eine 
überirdische Wirksamkeit zuschreibt. Doch mahnt er den Sünder,, 
im Vertrauen auf den Ablaß nicht die Bußübung zu vernachlässigen. 
Wer freiwillig gesündigt hat, soll auch in eigener Person die Strafe 
fühlen. Ist indessen jemand zu schwach, die auferlegte Buße selber 
zu verrichten, so kann er in solcher Notlage ehrbarerweise zu den 
Suff ragien der Kirche seine Zuflucht nehmen. 

Nach diesen mehr theoretischen Ausführungen erörtert Langton 
die Rechtsfrage, ob ein Bischof auch Angehörigen anderer Diözesen 
Ablässe erteilen könne. Die Antwort lautet, er könne es nur tun auf 
Gruiid eines päpstlichen oder erzbischöflichen Privilegiums oder mit 
Erlaubnis der benachbarten Bischöfe. Noch aus einem andern Grunde 
könne ein- Bischof fremden Diözesänen keinen Ablaß spenden. Er 
kenne * die Gewissen und die. Sünden der fremden Gläubigen nicht; 
infolgedessen sei er nicht imstande, die Art und das Maß der nach- 
zulassenden Buße sachentsprechend zu bestimmen. Dies war aber 
gewöhnlich auch der Fall in^bezug auf die eigenen Diözesänen. Deshalb 



218 VI,, Die. Ablaßlehre, der Frühscholastik. 

schließt Langton ganz allgemein: Es scheine, daß niemand ohne Er- 
laubnis seines Beichtvaters sich um- solche Ablässe bemühen soUe.i 
Der Beichtvater aber solle die Erlaubnis nur solchen geben, die er 
des Ablasses für würdig erachte. Daß zur Gewinnung der Ablässe 
die Erlaubnis des Beichtvaters erfordert sei, hat auch Petrus Cantor 
gelehrt, wie oben erwähnt ^vorden. . 

Langton fragt dann weiter, ob Bischöfe auch einem öffentlichen 
Büßer, der nicht zu ihrer Diözese gehört, Qtwas von seiner Buße er- 
lassen können. Er erwidert, daß sie es nur tun dürfen, wenn der Büßer 
versehen ist mit einem Schreiben seines Bischofs oder Metropolitans 
oder des Papstes, die solches gestatten.^ 

Die schon von Petrus, von Poitiers erörterte Frage, ob ein Reicher 
und ein Armer, die den gleichen Beitrag spenden, den gleichen Ablaß 
gewinnen, behandelt auch Langton; nur ist er anderer Ansicht als 
sein Vorgänger. Gott handelt nicht ungerecht, bemerkt er, wenn er 
■dem Armen keinen größeren Nachlaß gewährt, als dem Reichen. Ist 
«s doch schon ein Gnadenakt, daß er die Gabe des Armen wohlgefällig 
annehme. 

Können auch jene Ablässe gewinnen, die noch gar nichts von der 
auferlegten Buße verrichtet haben und die, ohne auch nur ihre Kräfte 
, an der Bußübung zu versuchen, sofort zum Ablaß ihre Zuflucht nehmen ? 
Etliche, so schreibt Langton, meinen, daß solchen Leuten der Ablaß 
nichts nütze, da sie ihn nicht in gehöriger Weise zu gewinnen suchten; 
€S fehle ihnen die echte Bußgesinnung. Andere lehren, daß ihnen der 
Ablaß wohl zuteil werde, aber nicht in so reichlichem Maße, als, wenn 
sie sich gebührend darum bemühen würden. Nach Langton ist einem 
Pönitenten, der noch gar nichts von der ihm auferlegten Buße ver- 
richtet hat, überhaupt kein Ablaß zu erteilen, da ihm die aufrichtige 
Bußgesinnung abgehe. Hat er, nur wenig von der Buße verrichtet 
oder nicht ganz die Hälftq, so handelt man ebenfalls sicherer, wenn 
man ihm den Ablaß verweigert. Hat erj mehr als die Hälfte der Buße 
verrichtet, so sind die persönhchen Verhältnisse in Betracht zu ziehen. 
Handelt es sich um einen Familienvater oder um eine kränkliche oder 
schwächliche Person oder um einen Mann, dessen Dienste der Staat 
oder die Ejrche sehr benötigt, so ist unter solchen Umständen dem 
Pönitenten ein größerer Ablaß zu gewähren, andernfalls ein kleinerer. 

Eigentümlich ist Langtons Ansicht über die Wirkung des Ablasses 
hinsichtlich einer Person, die zwar das „vorgeschriebene Almosen spendet, 
aber keine Reue hat und. in der schweren Sünde verharrt. Einer solchen 
Person, meint er, ist der Ablaß von Nutzen, insofern sie nicht mehr 
zu einer so großen Buße verpflichtet ist; zudem wird sie durch ihr 



^ ,,Ideo videttirdicendtim, quod nemo sine licentia propra sacerdotis debet 
ire ad Imiusmodi relaxationes." Der Beichtvater war damals von, Rechts.. ^pegen. 
der sacerdos proprius oder Pfarrer, f Vgl. P.A. Kirsch, Der sacerdos propriias 
in der abendländischen Kirche vor dem Jahre 1215, in Archiv für käth. Kirchen- 
recht LIIIIV (1904) 527 ff. ;- a i ;; :;; 
,: . 2 Über derartige Sphreiben ^vgl. oben: S. 24.: , 



VI, Die Ablaßlohre der Frühscholastik. 219 

Almosen einen zeitlichen Lphn oder eine Erleiqhterung der ewigeii 
Strafe verdienen.^ 

Können die Bischöfe auch Ablaß erteilen von den öffentlichen 
und schweren Bußen, die , für ■ sehr große Sünden auferlegt wordeü 
-sind? Der; Brauch der römischen Kirche spricht dafür, erklärt Langton. 
Er hält aber derartige Ablässe nur dann für statthaft, wenn der Pönitent 
■eine so große Reue zeige, daß sie als Ersatz der nachzulassenden Buße 
dienen könne. ^ . 

An. einer : andern Stelle seines. Werkes kommt Langton nochmals 
auf den Ablaß zu sprechen. Er erwähnt hier verschiedene Schwierig- 
keiten, die man bezügheh der Almosenablässe machen könnte, und 
bemerkt dabei; daß sein Lehrer — gemeint ist Petrus Cantor — der 
Ansicht war, man solle die Lösung dieser Schwierigkeiten den Bischöfen 
überlassen.^,; 

Gleich, seinem Lehrer hat Langton an den individuellen Buß- 
erlassen oder Bußumwandlungen, bei denen die persönlichen Ver-» 
hältnisse der .(einzelnen Pönitenten berücksichtigt werden, nichts 
auszusetzen. Weniger sagen aber auch ihm diö^generellen .Bußerlasse 
ÄU, welche die Bischöfe für Almosenspenden zu. erteilen pflegten. 
Doch hütet er sich, gegen die kirchlichen , Oberen irgendeinen Tadel 
auszusprechen, 'Pflicht des einzelnen, ist es, sehreibt er, . in solchem 
Palle eher zu schweigen,, als unbesonnene Urteile über die Diener Gottes 
zu fällen.* . , , .. 

Ein anderer Schüler des Petrus. Cantor, Robert von Cour9on, 
hat sich ebenfalls ziemlich eingehend mit dem Ablasse beschäftigt. 
In seiner um 1200 verfaßten Theologischen Summe handelt ein eigener 



^ „Si dives non habet contricionem, sed persistifc ia mortali , peocato, 
mumquid valet ei relaxatio talis ? Ita utique quoad hoc, quod iam non 
tenetur ^ad • tantam satisfactionem et meretur bohum temporale ' vel alle- 
vationem eterne pene." Gillmann 374. Daß ein Sünder durch Almosen 
die Minderung der Höllenstrafe verdienen könne, lehren auch andere Theologen. 
Zum Verständnis, der anderen Behauptung, daß em Todsünderj der das vor- 
geschriebene Almosen spendet, nicht mehr zu einer so großen Buße ver- 
pflichtet sei, ist folgendes zu beachten. Nach 'Langton wird beim Ablaß 
•die- auferlegte Buße, z. B. das- Fasten, in eine Geldbuße umgewandelt. 
Wird nun letztere von einem Sünder geleistet, so hat dies wenigstens 
zur Folge, daß die auferlegte Buße nicht mehr verrichtet zu werden braucht. 
Daß man die Buße, die im Stande der . Sünde verrichtet wird, nicht zu 
"w-iederholen braucht, lehren verschiedene Theologen, z. B. Bonaventura 
'(Com. in libros sent. 1. IV. d. 15. p. 1. q. 3), der meint, ein solcher Sünder 
sei wohl „absoluttis in foro Ecclesiae"; doch sei er zur Buße verpflichtet „iudioiq 
Dei, quia adhuc Deus exiget poenam". 

2 Gillmann 374. 

^ „Propter hoc et huiusmodi tanquam in celum nolens os ponere magister 
hoc relinquebat episcopis arbitrandum." Gilimaiin 375. Vgl. Cantors Äußerung 
•oben S. 216. , ■ ' 

* „ Sed nunqxiid episcppias in benediotiqne generali mille hominum qualitates 
et habitus poterit estimare, ut prp nummo vel obolo tantas satisfaotiones ignotis 
•devotionibus et aliis rei ciroumstantiis sibi liceat relaxare ? Ipsi viderint. Poeius 
«nim hinc tacendum estim.o quam aliquid contra ministros Dei temere iudi- 
«andum." Gillmann 37^5. ' ■ 



220 VI. Die Ablaßlehxe der Frühscholätik. 

Abschnitt mit 13 Kapiteln von den ,',allgemeinen Absolutionen" (de 
generalibus absolutionibus et remissionibus), die von dem Papste und 
den Prälaten der Kirche erteilt werden.^ Leider war es nicht möglich, 
über die Ausführungen, die noch ungedruckt sind, Näheres zu erfahren.^ 

Um 1200 wirkte, als Lehrer in Paris ein. gewisser Magister Mar- 
tinus,^ der in seinen ,, Theologischen Fragen" bloß gelegentlich be- 
merkt, daß die Bischöfe die Bußen, z. B. den dritten Teilperlassen 
können.* 

Gegen Ende, des 12. Jahrhunderts beginnen auch die Kanonisten 
sich in ihren Schriften mit dem Ablasse zu beschäftigen. Huguccio 
(t 1210), von 1178 — 90 Professor in Bologna, dann Bischof von Ferrara, 
erwähnt ihn wiederholt in seiner nicht vor 1188 abgeschlossenen^ 
Summe zum Gratianischen Dekret.* Die meisten Aufschlüsse bietet 
der Kommentar zu c. 88 D. I de poenitentia. In diesem Kapitel heißt 
es, daß durch die Scham, die man bei dem Bekenntnis der Sünden 
empfindet, die Nachlassung (remissio) erleichtert werde.* Zu dem 
Worte ,, remissio" bemerkt nun Huguccio: Hier ist eine Nachlassung 
der zeitlichen Strafe gemeint.- Denn je mehr jemand leidet, desto 
rascher ist die Sünde hinreichend gestraft ; und dann, wenn sie ge- 
nügend gestraft ist, kann man sagen, daß sie völlig nachgelassen ist, 
was die zeitliche Strafe anlangt, während die Schuld und die ewige 
Strafe zuvor durch die Herzensreue getilgt worden sind. Die weiteren 
Worte des Dekrets, daß bei gut disponierten Pönitenten „sacerdotes 
plus possunt proficere, plus confitentibus parcere, quibus enim re- 
mittunt, remittit Dominus", versteht, Huguccio- ebenfalls -von- einer 
Nachlassung der zeitlichen Strafen und bemerkt dazu: Was die Priester 
rechtmäßig (iuste clave non errante) von der Strafe nachlassen, wird 
auch von Gott nachgelassen, d, h. Gott genehmigt und bestätigt den 
priesterlichen Nachlaß. ,,Wo sind also", ruft er dann aus, „jene, die 
da saigen, die Ablässe, die täglich von der Kirche und in der Kirche 
erteilt werden, erstreckten sich bloß auf nachlässig verrichtete und 
gebrochene Bußen ?"^ Erklärt doch Christus im Evangelium: „Denen 
ihr die Sünden nachlassen werdet, denen werden sie , nachgelassen^ 
und alles, was ihr auf Erden lösen werdet, das wird auch im Himmel 
gelöset sein." 



'1 Vgl. Grabmann II 496. Petit I 373; II. Appendix 134. 

* Es -wäre zu wünschen, daß Roberts Ausführungen veröffentlicht würden. 
Nähere Angaben über die in Frankreich und Belgien verwahrten Handschriften 
finden sich bei Grabmann 493 f. 

^ Vgl. über ihn Grabmann II 524 ff. 

* Morinus 780 f. 

^ Über die Abfassungszeit vgl. Gillmann in Archiv für kath. Kirchenreoht 
XCIV (1914) 233 ff. 

* Huguccios Angaben über den Ablaß sind aus einer vatikanischen und 
Bamberger Handschrift mitgeteilt von Gillmann 367 — 70. Auch die Münchener 
Staatsbibliothek verwahrt eine Abschrift der Summe. Cod. lat. 10247. 

' „Ubi ergo sunt illi, qui dicunt, quod remissiones f acte ab ecclesia et que 
. fiunt cotidie in ecclesia, non valent nisi ad relevandas negligentias et fractiones 
penitentiarum ?" 



VI. Die Ablaßlehre der Frühsoholastik. 221 

Huguccio .schreibt also , dem Ablaß eine überirdische Wirksamkeit 
zu. Deshall). fügt er auch bei, es sei fest zu glauben, daß die Ablässe, 
die von den kirchlichen ; Oberen behufs, Ermunterung der Gläubigen 
Äur Verrichtung irgendeines guten, Werkes erteilt werden, Geltung 
haben. Doch gelten sie nach einer Dekretale Alexanders III. (c. 4..X, 
de poen. et remiss. V. 38) nur für die Untergebenen der betreffenden 
Oberen, und für solche Fremde, deren Beichtväter bei Auflegung der 
Buße die Nachlassung der letzteren durch jeden beliebigen Priester 
gestattet hätten.^ Huguccio ist auch der Ansicht, daß der gewonnene 
Ablaß sofort seine Wirkung ausübt, nicht etwa erst im- Jenseits für 
den Fall,, daß jemand die auferlegte Buße hienieden nicht verrichten 
konnte; vielmehr braucht die nachgelassene Buße überhaupt nicht 
verrichtet zu werden.^ Doch warnt er die Gläubigen vor der Meinung, 
als könnten sie den Ablaß mit Geld erkaufen. Wer so denkt, schreibt 
er, dem wird der Ablaß nichts nützen. Die richtige Ansicht, an der 
man festzuhalten habe, sei folgende: Die Kirche hat die Vollmacht, 
den Gläubigen, einen .Bußerlaß zu. gewähren, um sie damit aufzu- 
muntern, in frommer Gesinnung irgendein gutes Werk zu verrichten, 
das als Ersatz der nachgelassenen, Buße gelten kann.^ 

An derselben Stelle, in einer Bemerkung zu den Worten: „Was 
ihr auf Erden lösen werdet", lehrt Huguccio, daß die Kirche den 
Verstorbenen gegenüber keine Binde- und Lösegewalt besitzt.* 

Ein zweites Mal spricht Huguccio vom Ablaß in dem Kommentar 
zu C. IX. q. 3. c. 13: „Nemo iudicabit primam sedem." Hier wird 
zunächst ausgeführt, daß der Papst von niemand gerichtet wird, 
außer er würde in eine Häresie fallen oder er würde sich freiwilHg 
einem Gericht unterwerfen. Im Bußgericht dagegen kann der Papst 
von seinem Beichtvater gerichtet, gebunden und gelöst werden. 
Gesetzt nun, der Beichtvater lege dem Papst auf, zu einem Brücken- 
oder Kirchenbau, wofür ein Ablaß verliehen worden, einen bestimmten 
Beitrag zu spenden, oder der Beichtvater befehle dies dem Papste 
nicht, aber er lege ihm die Buße in der Weise auf, daß er derartige 
Ablässe bei Spendung des geforderten Almosens gewinnen könne. 
Gewinnt in solchem Falle der Papst bei wirklicher Almosenspende 
den Ablaß ? Huguccio glaubt die Frage bejahen zu sollen. Anders 
verhalte es sich aber, wenn kein Befehl des Beichtvaters vorlag und 
die Buße nicht in der bezeichneten Weise auferlegt war. Besucht der 
Papst eine Kirche, die einen Ablaß erhalten hat, so erwirbt er sich 
wohl durch dies gute Werk Verdienste; aber der Ablaß wird ihm nicht 



^ „Eis quibus sie est imposita penitentia, ut possint fieri (remissiones) eis 
a quocimque sacerdote." Gillmann 368. 

" „Nee illi, quibus fit remissio, tenentur id f acere, quod sibi remissum est 
de penitentia." Gillmann 368. , 

^ „Si credit, quod ecclesia pqssit ei talem remissionem f acere, que illum 
ad aliquod bonum faciendum invitat, causa devotionis, quasi in reconpensationem 
illius, quod sibi relaxatur, valet ei talis remissio." Gillmann 368. 

* Ebd. 369. ^ 



222 VI. Die Ablaßlehre der JFrühächolastik. 

zuteil. Denn dieser Ablaß ist vom Päpste selbst oder von einem andern 
bewilligt worden. Wurde er vom ^Papste bewilligt, so kann ihn' dieser 
nicbt gewinnen, weil er sich nicht selber binden oder -lösen'' kann: 
Wurde er von einem andern verliehen, so kann er ihii wieder nicht 
gewinnen, weil er nicht der Untergebene des Abläßspenders ' ist'.i 

Bei einer dritten Gelegenheit, iin Kommentar zu c. 4. D. XXI 
hebt Huguecio nochmals hervor, daß ein Bischof den Angehörigen 
einer andern Diözese nur dann einen Ablaß verleüien kann, wenn. 
der eigene Bischof oder Beichtvater dem Pönitenten bei der Auf- 
legung der Buße gestattet hat, diese durch Ablässe abzulösen. In 
diesem Ealle würde aber der Pönitent nicht von dem ablaßspendenden 
Bischof absolviert werden, sondern von demjenigen, der ihm die Büße 
auferlegt hat.^ 

1: Eine ganz eigene Auffassung des Ablasses findet sich bei Alanus 
von Lille. Dieser berühmte Philosoph und Theolog,^ gestorben 120ä 
in Oteaux, handelt kurz vom Ablaß in seiner Schrift gegen die Häretiker.* 
Im zweiten Buche dieser Schrift ,^as gegen die Waldenser gerichtet ist,. 
wird im 11. Kapitel die Meinung zurückgewiesen, daß die generellen 
Bußerlasse, die von den Bischöfen bei verschiedenen Feierlichkeiten 
erteilt werden, nicht gültig sind.^ Die Waldenser machten gegen den 
Almosenablaß geltend, es sei ungeziemend, daß durch einen mäßigen^ 
wenn auch mehrmals wiederholten Geldbeitrag die gesamte auferlegte 
Buße erlassen werde.* Dieser Meinung war wohl auch Alanus. Deshalb 
stellt er über die Bedeutung des Almosenablasses eine eigentümliche 
Ansicht auf. Nach ihm würde der Ablaß nur für die Buße gelten, 
die jemand bei Lebzeiten nicht hat leisten können, und zwar würde 



1 Ebd. 369 f. 2 Ebd. 370. 

' Vgl. über ihn B. Haur6au, Memoire sur la vie et quelques oßuvres 
d' Alain de Lille, in M6moires de l'Acad^mie des inscriptions et belles-lettres 
XXXII 1, Paris 1886, 1—27. Grabmann II 4ö2 ff. Weitere Literatur bei 
Chevalier, Repertoire 91 f. 

* De fide catholica contra haeretioos. Im Karchenlexikon I 396 wird diese 
Schrift Alanus von Lille mit Unrecht abgesprochen; sie ist sicher von ihm, wie 
Hauröau 7 ff. imd Grabmann 455 ff. nachweisen. Einen Alanus von Le Puy 
(de Podio), der sie verfaßt haben soll, gibt es nicht. Denmach ist im Kirchlichen 
Handlexikon I 104 Alanus de Podio zu streichen. 

^ Migne CCX 387 f. „Quod generales absolutiones quae fiunt ab episcopis 
in variis officiis non sint ratae." Unter diesen ,, generales absolutiones" darf 
man nicht etwa vollkommene Ablässe verstehen; es sind generell erteilte Buß- 
erlasse im Gegensatz zu den individuellen Erlassen. Dieser Unterschied 
zwischen „personales" und ,, generales relaxationes" ist uns schon bei Petrus 
Cäntor begegnet. 

• „Praedicti haeretioi nituntur probare, quod absolutio quae fit ab episcopis 
in consecratione ecclesiarum VeliriaLiis officiis non sithäbehdä rata. Aiunt 
enim: Iste tenetur ad satisfactionem tritun anhöruin; uhusepiscbpias iii con- 
secratione unius eoclesiae dimittit törtiain parteiii, securidiis ielaxät allam tertiäm 
partem, et tertius reliquam relaxat tertiam, quia tantani pötestatemi reliaxaridi 
habent secundus et tertius qüantam et primüs. Quod si est, pro tribus öbolis 
yel nummis relaxabitüT poenitentia triehnis. Item, indiscreta videtur esse illä 
relaxatio, neb aequa satisfactiöhis recömpensatiö, si pro Tino bbölo vM numiiiö 
relaxetur unius anni satisfaotio." < ■''■■'' ' - 



VI. Die Ablaßlehre der Frülischolastik. 223 

der Ablaß erst im Jenseits seine .Wirkung ausüben: je nach dem 
Umfang des erteilten Ablasses würde' dem Büßer im Jenseits mehr 
oder weniger von der Fegfeuerstrafe nachgelassen werden:^ Ob Alanüs- 
als der erste diese Ansicht vorgetragen habe, muß dahingestellt bleiben- 
Wohl erwähnt sie bereits Petrus Cantor.' Es' ist aber leicht möglich^ 
daß dieser, bei, der Abfassung, seines Werkes die Ausführungen des^ 
Alanus schon gekannt hat. Wie dem auch sei, die Ansicht des Alanus 
über die Bedeutung des Almosenablasses fand bei andern Theologen 
und Kanonisten' keinen Anklang. Nur der Verfasser einer gegen Ende 
des 12. Jahrhunderts entstandenen Bußschrift, der sich Magister 
Alanus nennt, vertritt die gleiche Ansicht wie Alanus von Lille, und 
zwar mit ganz denselben Worten. Aber gerade diese wörtliche Über- 
einstimmung beweist, daß der Verfasser des Beichtbuchs mit Alanus 
von Lille identisch ist- und daß er nicht verwechselt werden darf mit 
dem Kanonisten Alanus, der, wie wir weiter unten sehen werden» 
über den Ablaß ganz anders sich ausspricht. 

Aiif den vollständigen Text des von Magister Alanus verfaßten 
Beichtbuchs hat zuerst C. Baeumker aufmerksam gemacht.^ Er fand 
ihn in einer Handschrift des österreichischen Stiftes Lilienfeld.^ Alanus 
von Lille hat seine Schrift gegen die Häretiker dem Grafen Wilhelm VIII. 
von Montpellier (1172 — 1202) gewidmet, weil er damals in letzterer 
Stadt als Lehrer wirkte. Das Bußbuch ist dem Primas von Aqui- 
tanien, Heinrich von SuUy, Erzbischof von Bourges (1184 — 1200) 
zugeeignet. Es besteht aus vier Büchern, die in eine große Anzahl 
von Kapiteln eingeteilt sind. Baeumker hat bereits festgestellt, daß 
der über poenitentialis, der unter dem Namen des Alanus .1518 in 
Augsburg erschien, sowie das bei Migne* unter den Schriften des 



1 ,,Ad praediota diciimis, quod ille cui iniungitur satisfactio, caritatem 
habet vsl nön. Si caritatem non habet, iiihil ei ab episcopo relaxatur; si vera 
caritatem habet aut sit in caritate, hoc diotat ei Caritas, ut perficiat poenitentiam 
sibi iniunctam neo seipsum palpet, corporalem declinäns poenam, qiiin in- 
iunctam sibi poenitentiam peragat, si potest. . Quia ipsa Caritas reddit hominem 
parattmi ut non solum- illam, verum etiam maiorem compleat, si ei iniungeretur» 
Talis, si iniplet illud, pro quo facta est relaxatio ab episcopo, non relaxandae 
poenae intentione, sed ex caritatis fervore, et decedit ante peractam poenitentiam, 
remittetur ei tantum de poena puxgatoria, quantum. in praesenti saeoulo ei re- 
laxavit episcopus. Dicimus etiam quod liceat spiritualem poenitentiam com- 
mutare in corporalem vel pecuniariam, quae in plerisque longo gravier est 
corporali. Nee isti, qui ex caritate accedit, fit commutatio poenae quantum 
ad ipsum, quia non hac intentione facit illud pro quo fit relaxatio, scilicet ut 
relaxetur ab iniuncta poenitentia, sed solo intuitu caritatis. Neo vult ut relaxetur, 
sed habet propositum perficiendi poenitentiam, si Deus concesserit vitam. Quia 
igitur proponit eam perficere, neo in ipso remanet quin perficiat, si priusquam 
perficiat decedit, et ipse episcopus. hao intentione relaxat, ut in pvtrgatorio ei 
aliquid de poena relaxetur, isti, si fuerit morte praeventus, tantum. de poena 
purgatoria relaxabitur, quantum in hoc saeoulo de poena temporali relaxatum 
esse videbitur." 2 Philosophisches Jahrbuch VI (1893) 422 ff. 

^ Cod. 144. Auch die Münchener Staatsbibliothek besitzt zwei Abschriften 
des Werkes in Cod. lat. 4616 und 2lö67, die miteinander verwandt, sind'. Eine- 
andere Abschrift befindet sich in Bamberg. Vgl. Katalog der Handschriften 
der kgl. Bibliothek zu Bamberg I 892. * Migne CCX 279 ii. 



224 VI. Die ■ Ablaßlehre der Frühsoholastik. 

Alanus von Lille abgedruckte Büß buch zwei voneinahder unabhängige 
abgekürzte Ausgaben des in der Lilienfelder Handschrift vollständig 
erhaltenen Werkes sind. Baeumker. ist geneigt, dies Bußbuch nicht 
dem Scholastiker Alanus von Lille, sondern dem Kanönisten Alanus 
zuzuschreiben.^ Ich selber trug früher ebenfalls Bedenken, den Ver- 
fasser des Bußbuches mit dem Theologen Alanus zu identifizieren, da 
in der Augsburger Ausgabe vom Jahre 1518 dem Verfasser Alanus 
der Name Porretanus beigelegt werde.^ Allein noch eine andere 
Schrift, die sicher von Alanus von Lille ist, trägt den Autornamen 
Alanus Porretanus. ^ Es verhält sich mit diesem Alanus Porretanus 
wie mit dem Alanus de Podio; beide haben nicht existiert, sie sind 
identisch mit Alanus von Lille.* Daß aber letzterer tatsächlich der 
Verfasser des Beichtbuchs ist, ergibt sichj abgesehen von andern 
Indizien, aus den Erörterungen über den Ablaß, die im 21. Kapitel 
des vierten Buches enthalten sind.^ 

Das Kapitel trägt die Überschrift: ,,Utrum absolucio que fit ab 
episcopis in consecrationibus ecclesiarum vel ahbi sit rata habenda, 
et quid remittat episcopus in absolucionibus illis", und beginnt mit 
der Frage : „Utrum relaxationes penitentiarum " ordinate fiant ab 
episcopis in solemnibus benedictionibus tarn de sua quam de aliis 
provinciis multitudine convocata?" Diese Frage findet sich ganz in 
derselben Fassung bei Stephan Langton. Auch die Ausführungen 
Langtons über die drei Ansichten, die damals über den Ablaß be- 
standen, hat Alanus vollständig und wortgetreu in seine Schrift auf- 
genommen.^ Die zwei ersten Ansichten widerlegt er in derselben 
Weise, wie es bereits Langton getan hatte. Aber auch die dritte; 
von Langton gebilhgte Meinung gefällt ihm nicht; er gibt deshalb 
eine andere Erklärung. Er läßt den Ablaß nur für den Fall gelten, 
daß jemand zu seinen Lebzeiten die auferlegte Buße nicht verrichten 
konnte. In diesem Falle würde' dem Ablaßgewinner nach dem Tode 
mehr oder weniger von der Fegfeuerstrafe nachgelassen werden, je nach 
der Größe des ihm zuteil gewordenen Ablasses. Die Kirche wolle eben 
durch den Ablaß nicht die irdische Bußstrafe erlassen, sondern die 
jenseitige Reinigungsstrafe. Der Ablaß hätte demnach nicht Geltung 



^ Philosophisches Jahrbuch VI 423 425, Ebenso Schmitz II 721. 

2 Historisches Jahrbuch 1906^ 878. i . v 

^ M. Baumgartnerj Die PMlosopMe des Alanus de Insuhs.Müh^^ 
1896, 5 [Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittelalters II 4]. Nach 
Baumgartner ist Alanus Porretanus identisch mit Alanus von Lille. 
. -, * Der Alain Porröe bei Chevalier, Repertoire 92, ist demnach zu streichen. 

* Die in dem handschrifthchenBuJ3buch enthaltenen Angäben über den 
Ablaß fehlen sowohl bei Migne als in der Augsburger Ausgabe vom ■ Jahre* 1518; 
Aus der LiHenfelder Händschrift ist mir ein photographischer Abzug des be- 
treffenden Kapitels von Herrn Stiftsbibhothekar P; Theöbäld Wrbä g 
übermittelt worden, so daß ich den Lilienfelder Text mit dem Mühchener ver- 
gleichen konnte. Den Vorzug verdient unstreitig die LiUenfelder' Abschrift, die 
Jhdessen an einigen Stellen durch den Münchener Text verbessert werden kanii. 

^ Den Text des Alanus habe ich veröffentlicht in Zeitschrift für kath. 
Theologie 1914, 440 ff. V o 



VI. Die Ablaßlehre der Frühschplastik. 225. 

in foro. Ecclesiae, sondern nur in foro Dei. Diesen Gedanken bringt 
Alanus. folgenderweise zum Ausdruck: 

.„Soluoio predictarum ;opposioiibnum. Ad harum questionum contrarietatem 
dicimus, ^quod iUe oui.iniungitur satisfewtio aut ;caritatein. habet ;aut non. Si 
oaritatem' non habet, nihil ei ab episcopo relaxatur. Si vero in oaritate est, hoc 
diotat ei Caritas utpenitehciam ei iniunctämpiBrfioiat; et ipsa Caritas reddit ipsum 
hominem paratum, ut non solum illam, verum et ut maiorem complefet, si ei 
iniuncta fuisset. Talis, si illud implet pro quo facta est relaxacio ab episcopo, 
non-relaxahdepene intencione, sed ex caritatis fervore, non vult ut relaxetur, 
sed propösitum habet perficiendi penitenciam,' si Deus concesserit ei vitara, et 
in ipso non remanet quin perficiat, et ipse etiam episcopus hao intencione relaxat 
ut in purgatorio. aliquid relaxetur, huio tutum et sanum- oonsilium est, ut sicut 
de suo intulit culpam, sie corporalem subeat penam. Non pronus sit ad huius- 
modi relaxaciones'ut quis se ipsum palpet corporalem declinans penam et ele- 
mosinis redimens peccata sua; sed cum viderit se insuffioientem esse' penitencie 
iniuncte et sub eins onere suam inf irmitatem succumbere, ■ tunc honeste potest 
recurrere ad suf fragia ecclesie et. velut ad matema ubera respirare. Tarnen non 
debet se palpare quin agat penitenciam sibi iniunctam, si potest, quia ecclesia 
non remittit ei. penam temporalem, sed purgatoriam. Sed si'ante peni- 
tenciami peraotam decederet, remitteretur ei tantum de pena purgatoria quantum 
in hoc presenti seovdo relaxatum esset de temporali pena, quia prelatus non 
remittit ei temporalem penam, sed purgatoriam." 

Alanus, wirft daiui noch die Frage auf, „quare introducte sunt 
huiusmodi absoluciones". Die Antwort lautet: 

„Sunt introducte in subsidium, cum scilicet aliquis iniunctam satisfactionem 
non potest implere^ vel impedierite infimiitate, vel si in eo statu positus est, in 
quo non licet austeritatem vite ardue observare, ut sunt reguläres, quibusnon 
est fas preter generalitatem aliquod singulare abstinentie votum assumere, 
curiales qui talibusvacare non possurit, üxor'.'. . Est et alius casus in quo con- 
ceduntur, et iste precipue valet, ut cum quis transit ab hoc seculo cum vinculo 
pene nondum impleta sibi iniixncta satisfactione, et hüio tantum, sicut diximtis, 
remittitTir de pena purgatoria quantum iii hoc seculo remissum est a prelato 
de temporali pena. . Item queritur, si iste debebat implere septem annos et non 
implevit, utriun per. septem annos sit in purgatorio. Respondeo : Proculdubio 
implebit «illam. satisfactionem in purgatorio, sed quamdiu ibi sit, ille novit ,qui 
est librator penarum." 

Vergleicht man die vorstehenden Erörterungen mit den oben an- 
geführten Stellen aus der Schrift gegen die Häretiker, so wird man 
sofort erkennen, daß sie zum Teil wörtlich miteinander übereinstimmen. 
Eine ähnliche Übereinstimmung zeigt sich auch noch in andern Punkten, 
z. B. in der Erörterung über die Beichte, die im Notfall einem Laien 
abgelegt werden könne. Man ist daher vollauf berechtigt, anzunehmen, 
daß der Verfasser der beiden Schriften, der sich in der Vorrede der 
einen wie der andern Magister Alanus nennt, ein und derselbe ist, 
nämlich Alanus von Lille. An den Kanonisten Alanus ist nicht zu 
denken, da dessen Ausführungen über den Ablaß ganz anders lauten. 

Über den aus England gebürtigen Kanonisten Alanus, der 
Lehrer in Bologna gewesen, ist nur wenig bekannt.^ Nebst einer 
um 1208 veranstalteten Sammlung von Dekretalen hat er in den 
ersten Jahren des 13. Jährhunderts, sicher vor 1210, einen Apparat 
zu dem Breviarium extra vagantium des Bernhard von. Pavia, der 

^ Vgl. Schulte I 84 f; 188 f. 
Paulus» OeBChichte des Ablasses. 15 



226 VI. Die Ablaßlehre der FrülMcholastik. 

sogenannten Compilatio prima, verfaßt. In diesem Appairat, der die 
Grundlage der Glossa ordinaria (von Bernhard voii 'Böttöne) der 
Dekretalen Gregors IX. zu den aus der Compilatio prima entnommenen 
Kapiteln bildet, handelt Alanus vom Ablaß in den 'Anmerkungen zum 
Kapitel Quod autem (c. 4. X. de poen. et remiss. y. 38) .^ 

„ Quid valeant remissiones tales, vetus est querela, adhtic tamen satis dubia. 
Quidam diciuit quod valeant tantum quoad Deum, non quoad Ecolesiam. Quoad 
Daum, quoniam si quis sine mortali decedat, non tamen peracta condigna peni- 
tentia de peccatis, de pena purgatorii minus sentiet pro modo remissionis sibi 
f acte in vita ista; Ecclesia tamen viventi ob hoc debitam satisf aotionem non relaxat.'' 

Alii dicunt quod valent qUoad Ecolesiam, sed tunc tantum cum peccatum. 
vel per contritionem vel per satisfaotionem estsufficienterpunitiim; tunc enim 
quod ex superhabundanti Ecclesia imposuit, et quoad Deum et quoad Ecolesiam 
omnino per tales remissiones remittitur.^ 

Alii dixerunt quod omnino proutdantur proficiunt, et quoad De\un et 
quoad Ecclesiam, sed qui eas faciunt, se onerant; tenentur enim elemosinis suis 
et orationibus eas supplere, alioquin graviter in purgatorio punirentur. 

Alii dicunt quod valent tantum. ad remissionem illius penitentie qua negli- 
genter est omissa.^ ^^^r 

Sed veritas manifesta ex hoc capite (Quod autem) ooUigitur.^ Dicendum 
igitur quod qui iniimgit penitentiam, pro discretione sua eam possit moderari; 
potest totam legitimam penitentian, si sibi videtur, imponere, et concedere ut 
eam per has remissiones vel in totum vel in partem redimat. Quod si fecerit, 
ut hie dicitur, valent remissiones ad relaxationem penitentie, alioquin non. Hoc 
tamen verum est, quod hcet non valeant quoad reJaxatiQneminiun.ctq^^^p^ 
quoad ecclesiam, valent tarnen quoad diminutionem peqcati (d. h. quoad ininorem 
penam peccati, wie es in der späteren Glossa ordinaria richtig heißt) quoad Deum, 
sicut alia bona opera, Sic igitur, si episcopus" iniungit alicui septennem peni- 
tentiam, et ut possit redimere non concedit, licet ipse vel alius pro eo generalem 



^ Der Apparat des Alanus findet sich auf der Münchener. Staatsbibliothek 
in Cod. lat. 3879; die Ausfühnmgen über den Ablaß stehen auf Blatt 94. Herr 
Professor Dr. G. Richter hatte die Güte, mit dem Münchener Text den Apparat 
zu vergleichen, der sich in einer Handschrift der öffentlichen Bibliothek zu 
Fulda (Cod. D 5) befindet. Der oben gebotene Text beruht auf den beiden er- 
wähnten Handschriften. 

^ Es ist dies die oben angeführte Ansicht des Alani:is von Lille. 

ä Nach dieser Ansicht würde der Ablaß nur für den Fall gelten, daß der 
Beichtvater eine allzu große Buße auferlegt hätte; nur jener Teil der Buße, der 
über die Gebühr auferlegt worden, würde durch den Ablaß erlassen; für die übrige 
Buße müßte der Büßer selber hinreichend genugtun. Wer diese Ansicht vertreten 
hat, ist nicht bekannt. Vielleicht hatte Alantis folgende Bemerkung des Petrus 
Cantör im Auge: „Quandoque maior debito poenitentia iniungitur, quändoque 
minor, quandoque condigna. Si maior, ita posset esse, quod prodesse posset 
taHs relaxatio," In den beiden andern Fällen solle der Büßer selber genugtun, 
Morinus 769. 

* Diese Ansicht erwähnt schon Huguccio, um sie zu verwerfen. Vgl. oben 
S. 220. 

^ Es ist das Schreiben Alexanders III. an den Erzbischof von Canterbury: 
„Quod autem consuluisti, utrum reinissiones, quae fiunt.in dedicationibus eccle- 
siarmn, aut conferentibus ad aedificationein pontium, aliis prosint quam.his, 
qtd remifctentibus subsunt: Hoc volumus tuam fraternitatem teuere, quod cum 
a non suo iudice ligari nullus valeat vel absolvi, remissiones praedictas prodesse 
illis tantummodo arbitramur, quibus ut prosint, propra iudices speeialiter in- 
dulserunt." c. i. X. de poen. et remiss. V. 38. Aus den Jahren 1161 — 75. Vgl. 
Jaffe 124H. 

® In der Glossa ordinaria steht ,, iudex" statt „episcopus". 



VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik. 227 

ad pontem remissionem faciat, qui ponti de suo confert, penitentie sibi iniuncte 
inodum quoad ecclesianti non diimnuitj." 

Aus diesen Ausführungen, die vollständig mit dem Sigel Ala 
(Alanus) in die Glossa ordinaria der Dekretalen Gregors IX. auf- 
genommen und infolgedessen von späteren Kanonisten öfters wieder- 
holt wurden, geht klar hervor, daß der Kanonist Alanus über den 
Ablaß ganz anders dachte als Alanus von Lille. Die Ansicht des 
letzteren wird wohl an erster Stelle erwähnt; doch wird sie vom 
Glossator als unzutreffend abgelehnt. Der Kanonist Alanus ist der 
Ansicht, daß der Ablaß nicht erst im Jenseits, sondern schon in diesem 
Leben seine Wirkung ausübe, und zwar sowohl in foro Ecclesiae als 
in foro Dei. Doch fordert er für die Gültigkeit des Bußerlasses, daß 
derjenige, der die Buße auferlegte, dem Pönitenten erlaubte, diese 
Buße durch Ablässe abzulösen. 

Die Erörterungen des Kanonisten Alanus über den Ablaß hat bald 
nachher Tankred, ^ der ebenfalls am Anfang des 13. Jahrhunderts 
Lehrer in Bologna gewesen, vollständig aufgenommen in seine zwischen 
1210 — 15 verfaßte Glosse zur Compilatio prima.^ Erwähnung verdient,, 
was dieser hervorragende Kanonist über den vom Papste erteilten voll- 
kommenen. Ablaß gelehrt hat. Durch, einen solchen Ablaß, bemerkt er, 
wird alle Sündenstrafe nachgelassen; doch müsse derjenige, der des 
Ablasses teilhaftig werden will, eine gute Reue haben, wodurch die 
Sündenschuld getilgt wird.^ 

Ein von Thomas von Aquin oft zitierter Theolog, Präpositinus 
von Cremona, von 1206-.— 09 Kanzler der Pariser Hochschule,* spricht 
sich in seiner noch ungedruckten Summe^ folgendermaßen über den 
Ablaß aus : 

,,Queritur de absolutionibus que fixrnt per episcopos, cxim dicunt: Qui- 
cunque tali loco dederit denarium- tuium, remittetur ei etc. Utrum aliquis ibi 
dans ex^devotione intelligatur absolutus ? Quod videtur, qtiia Dominus dielt: 
Quodcunque solveris super terram, erit solutum et in celis. Sed hanc absolutionena. 
facit episcopus iuste et sine errore. Iste ergo dans absolutus est. Item generalis 
est consuetudo Eoclesie contra quam disputare non licet. Ergo talis absolutio' 
valet. Contra videtür esse inconveniens quod propter tres denarios quos dat in 
tribus locis ab omni peccato (bei Morinus: pena) absolutus sit; etiam in hac 
parte melior est conditio divitis quam pauperis. Quia pauper dare non potest, 
et idcirco non tarn cito absolvitur. Solutio: Gredimus valere talem absolutionem. 
Nam in tali casu episcopus pro talibus satisfacere debet, quia si in nullo satis- 
fecerit, potius ei imputabitTir quam illi. Nee est inconveniens quod iste oitius 
absolvitur quam ille, quia potestas sacerdotis in hac parte multum potest. Nam 
cui non sufficiunt merita propria ad tantam absolutionem, sufficit potestas 

1 Vgl. über ihn Schulte I .199 ff. 

^ Tankreds Apparat ist noch ungedruckt. Die Glosse zu cap, (^uod autem 
hat mir Dr. Georg Hofmann aus einer Handschrift der Bamberger Staats- 
bibliothek (Cod. can. 19, Bl. 75) gefälligst mitgeteilt. 

^ ,,Si dominus papa dimittit omnem penam peccati, sicut facit pro subsidio 
terre sancte, omnis peccati pena deletur, dummodo in bona contricione sit homo, 
per quam peccatum. dimittitur." 

* Vgl. über ihn Grabmann II 552 ff. 

^ Handschriftlich auf der Münchener Staatsbibliothek. Cod. lat. 6985. 
Die Stelle über den Ablaß steht Bl. 125' 126; man findet sie auch bei Morinus 769. 

15* 



228 VI. Die Ablaßlehre der Frühsoholastik, 

Bcclesie. Sunt tarnen ,qui diount quod oum tales absolutiones fiunt ab ecclesia^ 
penitens nihilominus ieitmare debet. Sed si contingat exim decedere, tantui». 
minus in purgatorio punietur quantum ei dimissum est." 

Präpositinus ist demnach der Ansicht, daß der Ablaßgeher selber 
für die von ihm erlassene Buße gemigtun solle; doch betont er auch nach 
Gebühr die Vollmacht der kirchlichen Oberen, die Sündenstrafen nach- 
zulassen. Daß er eine überirdische Wirksamkeit des Ablasses voraus- 
setzt, geht aus seinen Ausführungen deutlich genug hervor. 

Wie Präpositinus, so fordert auch Giraldus von Cambrien^ 
eine Kompensation der erlassenen Bußstralfen, und zwar durch Messen, 
Gebet und andere gute Werke, mit dem Unterschied jedoch, daß er 
unterläßt, die erforderliche Kompensation als persönliche Verpflichtung 
des Ablaßspenders hinzustellen. Um 1197 hatte er ein Werk über die 
Sakramente verfaßt (Gemma ecclesiastica), das er im Jahre 1199 
Innozenz III. darreichen konnte. In diesem Werke handelt er vom 
Ablasse bei der , Erörterung der Frage, auf wie vielerlei Weise die 
Sünden nachgelassen werden "(quot modis peccata remittuntur).^ Er 
führt nicht weniger als sieben Begnadigungsmittel an: Die Sünde 
könne vergeben werden durch die Sakramente, den Märtyrertod, den 
Glauben, die Werke der Barmherzigkeit, die Liebe, das Gebet und 
vielleicht durch den Ablaß (et forsitan per pontificalem reläxationem). 
Indem Giraldus das Wörtchen „vielleicht" gebraucht, scheint er die 
Wirksamkeit des Ablasses in Zweifel ziehen zu wollen; aus seinen 
weiteren Ausführungen ergibt sich jedoch das Gegenteil. Die Sünden- 
schuld, so bemerkt er, wird durch Gott allein nachgelassen, während 
der Priester bloß erklärt, daß sie vergeben ist. Doch läßt auch der 
Priester die. Sünde nach, nämlich die Strafe für die Sünde, indem er 
ki-aft der Schlüsselgewalt etwas von der auferlegten oder aufzulegenden 
Buße nachläßt.^ Und nun kommt Giraldus auf den Ablaß zu sprechen. 
Als Bedingung fordert er, daß die nachgelassene Buße durch andere 
gute Werke, oder durch Herzensreue kompensiert werde. Es soll 
auch der Pönitent im Stande der Gnade sein, des Ablasses bedürfen 
und hierzu die Erlaubnis seines Beichtvaters erhalten. Einem jeden 
ist aber anzuraten, daß er die auferlegte Buße nach Möglichkeit ver- 
richte, und den Ablaß nur für die aus Nachlässigkeit, d. h. nicht ab- 
sichtlich unterlassene Buße gebrauche oder ihn für das Eegfeuer 
aufspare.* 



^ Vgl. über ihn Kirchliches Handlexikon I 1697. 
.2 Giraldi Cambrensis Opera II 17 ff. 

^ „Dicimus qüod SBiCerdps dimittit pecoatum, id est, poenam peecati, 
cum soiiicet de pqenitentia iniuncta|Sive iniungenda secündüm claves ei ooiiimissäs 
relaxat." S. 19. ' ' 

* „Cum remissio fit, puta in fabrica ecclesiae sive dedicatione, sübintelli- 
gendiwn est, si in aliis suffragiis ad hoc institutis, veluti missis, psalteriisj oratiö- 
nibus et huii^modi, seu in contritione, eompetens et siifficiens fiat reoom^nsätib; 
praesertim si conourrant Caritas poenitentis et ipsiiis indigentia, et säcerdotis 
sui licentia; nee meretur talis plurium diermn reläxationem propter nuirnni 
öblationem, sed propter oaritatein et devotionem, siout försan fuit in legialibm 



VI. Die Abläßlehre der Frühscholastik. • 229 

Der- Bat,' den hier Giraldus den Pönitenten gibt, ermöglicht ein 
besseres Verständnis- eiiier anonym eil. Glosse 'zu cap. Quod aiitem 
(de poen; et remissl) der 'zwischen 1187 — 91 verfaßten Compilatiö- 
prima, •,,...•■ . 

„Quid valet'talis remissio ? . Si tota' penä remitteretiir lina die, nviihquid 
penitentes, tenenttir ieitinare ?> j Resp; ^Sectmduin quosdam he reinissiones' veiut. 
thesäurus reservande stU3;b usque post mortem, ut.ttmc nobis.prosint, cum mereri 
non possumus; sed potestati clavi'üin ecclesie non invidens dico, ad contritionem 
a Deo remissum esse reatum, penam ab ecclesia im.positain eoclesiam posse re- 
Huttere." Folgt. ein Verweis auf, ertliche Stellen des Dekrets. „Usus tamen habet, 
ut tantum negligentie peiiitentie dicantur remitti."^ , 

'Daß es damals gebiäuchlich.war, ,(iie Ablässe auf die .bei Ver- 
richtung' der Bußen begangenen, Nachlässigkeiten zu beschränken, ist 
nicht richtig. Hat, doch ein so hervorragender Kanonist wie HugucciO' 
diese ^Anschauung mit Entschiedenheit zurückgewiesen. ^ 

Ein Landsmann , und Zeitgenosse des Giraldus, Robert, von 
Flamesbury, ,hat als Pönitentiär ^ in St. Viktor zu Paris zwischen 
den Jahren 1207, — 15 ein noch uneedrucktes , Bußbuch verfaßt, worin 
er ganz, kurz den Ablaß erwähnt Er verzichtet darauf, sich an der' 
Kontroverse über den Wert der, Ablässe näher, zu beteiligen; doch 
unterläßt er nicht, allen, insbesondere den mit Bußwerken überladenen 
Sündern, die, Ablässe zu empfehlen. , , , ^ 

„De' remissionibus que fiunt in ecclesiarum edificatione sive pontiiim sive 
«Ubi diversi di versa sentiunt, sciUcet quantum vel quibus valeant. Nosautem 
qviicquid dicatur, omnibus consulimus tales remissiones, maxime illis qui peccatis. 
et penitenoiis onerati sunt , et gravati.'? , , 

Kurz nach der Lateransynode von 1215 hat ein anderer .Engländer, 
Thomas von Chabham,* Vizedekan ; des Domkapitels in Salisbüry, 
ein, Bußbuch (Summa de poenitentia) verfaßt^ das in zahlreichen 
Abschriften verbreitet^* und gegen Ende,4es 15i Jahrhunderts , auch 

sacrifiqiis. Causa quidem est devotio, cuius Signum est exteiior oblatio. Con- 
silium autem esset, ut iniunctam sibi' pdenitentiam quivis pro posse compleret, 
relaxatipnum vero remedia contra iniunota negligenter omissa, vel etiam ad 
purgatofium resefvaret." S. 19.- , . ,, 

^ Handschriftlich auf der Münchener Staatsbibliothek. Cod. lat. 6352, 
Bl. 78. 2 Vgl. oben S. 220. 

^ Poenitentiale X 19, mitgeteilt von Morinus 769 und Dietterle, in Zeit- 
schrift für Kirchengeschiohte XXIV (1903) 371. Unzutreffend ist Dietterles 
Urteil über Roberts Stellung zu den Ablässen: „Sie sind ihm nur ein Notbehelf. 
Für gewöhtüich (omnibus consulimus!) verzichtet er darattf, von denselben Ge- 
brauch zu machen. Nur da, wo einer nicht imstande ist, alle auferlegten Pöni- 
tenzen wirklich zu leisten, läßt er eine remissio eintreten." 

* Vgl. über ihn Dictionary of national biography IX, London 1887, 429. 
Thomas von Chabham wird oft verwechselt mit Thomas von Cobham, der 
1327 als Bischof von Worcester gestorben ist. So besonders von Haureau, 
Notice sur un pänitentiel attribuö ä Jean de . Salisbüry, in Notices et extraits 
des manuserits de la bibliotheque nationale XXIV 2 (1876) 269 — 87; derselbe 
in Joimial des Savants 1891, 306, 

® Das Bußbuch, das mit den Worten „Cum miserationes Domini" beginnt, 
wird in manchen Handschriften bald Innozenz III. oder Innozenz IV., bald 
Johannes von Salisbüry oder andern Autoren zugeschrieben. Vgl. Schulte II 
Ö28. In den ältesten Handschriften aus dem 13. Jahrhundert, die in Oxford 
sich vorfinden, wird es richtig Thomas von Chabham zugeeignet. 



230 , VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik. 

zweimal gedruckt, worden ist.^ Vom ;Ablaß ist, im 80. .Kapitel die 
Rede. Unter den verschiedenen Ansichten, die, damals noch vertreten 
wurden,^ hält der Yerf asser die, folgende für die -wahrscheinlichere : 
Mit den Worten:, Wir erlassen euch zehn Tage von der auferlegten 
Buße, wollen die Ablaßspender sagen : Wir verpflichten uns und unsere 
Kirche, eine zehntägige Buße für euch' zu verrichten. Und dies, meint 
Thomas, kann sehr wohl geschehen', da ja einer für 'deii andern ge- 
nugturi könne. 

Bloß im Vorübergehen erwähnt den Ablaß Johannes Teu- 
tonikus (Semeca) in der nach der , Lateransynode vom Jahre 1215 
verfaßten Glossa ordina^ria zum Delo^et' Gratians.* Er spriclit davon 
an zwei Stellen; zunächst in der Glosse zu c. 88| D.I. de poenit., 
wo er zu den Worten: „Qüibus reinittünt [sacerdotes], remittit Do- 
minus", bemerkt, dies sei ein Beweis für die Ablässe (proremissionibus), 
die für Brückenbauten und andere gute Werke verliehen werden.^ An 
der zweiten Stelle, zu c. 23. C. XIII. q. 2, bei der Besprechung der 
Suffragien für die Seelen im Fegfeuer, wirft der, Glossator folgende 
Frage auf : Gesetzt, es gebe jemand für einen Verstorbenen ein Almosen, 
wodurch der hundertste Teil der Fegfeuerstrafe nachgelassen wird. 
Wenn er nun hundert Almosen gibt, ist dann die ganze Strafe erlassen ? 
Nein, lautet die Antwort. Durch das zweite Almosen w;ird der hundertste 
Teil der noch übrigen Strafe' erlassen; ebenso durch das dritte und die 
folgenden. Auf diese Weise bleibt immer noch. etwas von der Strafe 
abzutragen. Ähnlich verhalte es sich beim Ablasse; Wird durch die 
Spendung eines Denars der vierte ' Teil der Todsünden öder der läß- 
lichen Sünden nachgelassen (nämlich' was die Strafe betrifft), so er- 
folgt durch die Spendung eines zweiten Denars nicht die Nachlassung 
des vierten Teils der ursprünglichen Gesamtbuße, sondern hur des 
Restes. Infolgedessen bleibt immer noch etwas von der Strafe übrig, 
auch wenn alles Geld geopfert würde. *» f 

Ziemlich ausführlich erörtert die Ablaßfrage Wilhelm von 
Auxerre (j 1231), Professor an der Pariser Hochschule, iii seiner 



^ Von dem Verfasser der Notiz in Dictionary of nat. biogr. wie auch von 
Hauröau (Notices 269) wird das Bußbuch irrig als ungedruckt bezeichnet. 
Unter dem Titel ,,Liber penitentialis" erschien es anonym zuerst in Köln und 
dann, wie es scheint, in Löwen. Vgl. Hain,.Repertorium bibliogr. 13153 13154. 
Beide Ausgaben verwahrt die Münchener Staatsbibliothek. - : -• 

2 Aus Kap. 98, worin das Beichtdelaet der vierten LäteransynoÜe erwähn 
wird, ergibt sich, daß die Schrift nach 1215 verfaßt wordeii ist: ' 

3 Die kurzen Bemerkungen sind mitigete^^ f. ÜbeiT 
die Entstehungs zeit der Glossa ordinaria zum De^ 

der Scholastik vom Spender der Firrnuhg und des Weihesakraments. PMerbom 

1920, 184 ff. ^ ^ ■ '■'■ ''-'-' ■?,;., ';'.;;^ ''. ","',."/'':- 

* Decretum Gratiani cum glossis loanmstheutonici. Vene tiis 1526, 538. 

5 ^^ jjt gic solvo illud quod obiicittir de indulgentiis iquia si propter oblationem 
unius denarii toUitur quarta pars peccatorum mortalium vel venialium, per 
oblationem secundi denarii tollitur tantum in propositipne, non tantum.; iii 
quantitate, et semper aliquid remanet, licet omne argentnm ef funderetur. " Bl. 326. 



yi. Die Ablaßlehre der ; Frühscholastik. 231 

viel, benutzten Theologischeni Summe/ die . bald nach 1215 verfaßt 
worden ist.^ In , dem Traktat r.üjaer .das ' Bußsakrament handelt ein 
längerer aus drei Kapiteln bestehender; Abschnitt ,,de vrelaxationibus 
quae fiunt.,per"cla,ves". ;Der Verfasser wirft zunächst die Frage auf, 
ob , der Ablaß.,sö). viel wert sei;',.alsi'die Kirche, zu verheißen scheint 
(utrum-ivaleät tantum relaxatio; quantumecclesia vidietur promittere)'. 
Eri gibt zuerst; das Für, und Wider an.. - < i ;. 

Zugunsteln- des- vollen Wertes »des Ablasses werden verschiedene 
Gründe ins Feld' geführt. 1. Die Kirche erklärt, daß demjenigen, 
der für dieses öder- jenes Gotteshaus- einen' Beitra;g spendet, ein Drittel 
der Buße nachgelassen werde.' Daraus - scheint' zu' folgen, daß durch 
drei -Beiträge die ganze Buße abgelöst wbrden könne. Dies scheine 
freilich einigen ungezienierid. Daher sagen sie : Der Ablaß gilt nicht 
so viel, als die Kirche verheißt. Die Kirche will damit bloß die' Gläu- 
bigen zu Geldspenden anreizen; deshalb ist es ein frommer Betfug, 
der; jedoch nicht' 'als Sünde anzusehen sei.^ Deingegenübef wird 
geltend gemacht; daß 'in' diesem Falle die allgemeine Kirche sich eine 
Lüge zuschulden kommen ließe,f'Wasf nicht aiigehömmen- werden könne. 

2. Papst Gregor IJ- hat derartige Erlasse in ■ Rom 'eingeführt. Wer 
dort in der Fastenzeit an' den Prozessionen^sich beteiligt, kann über 
50 Jahre Ablaß gewinnen. Wenn aber- ein so 'größer Ablaß' dn Rom' 
besteht, können auch' andere Erälaten ein Drittel der Büße erlassen. 

3. Am Karfreitag erteilen. 'die Priester jenen, die der Messe beigewohnt 
haben, die Erlaubnis, zwei' Mahlzeiten zu- hallien. Dieser Gebrauch 
wird von der allgehieinen Kirche gebilligt; deshalb wird auch alles 
erlassen; was' diese *priesterliche Bewilligung verheißt. - Aus demselben 
Grund wird alles erlasseh, was der bischöfliche Ablaß verheißt. 4. Der 
Apostel Paulus ihät dem- Blutschänder ' voii- Korinth verziehen an 
Christi Statt; Dies will nach der' Glosse 'heißen., wie wenn Jesus 
Christus selber verziehen hätte.* 'Nun' sind -aber die Bischöfe Nach- 
folger der. Apostel. Wenn sie daher etwas nachlassen, so ist es wirklich 



^ Guillermus Altissiodorensis, Summa aurea. Parisiis 1500, 281 — 283. 
^ach Deni-fle I 133 diente diese Summe als Vorlage für' die Vorlesungen, wie 
"wenige jener Zeit. 

^ Vgl. J. Strake, Die Sakramentenlehre des Wilhelm von Auxerre. Pader- 
born 1917, 7 ff. [Forschungen zur christlichen Literatur- und Dogmengesohichte. 
Bd. XIII, Heft 5.] .' . 

^ „Diount quidam quod- relaxatio non tantum valet quantinn Ecclesia 
promittit; sed faoit ut excitentur fideles addandum et deoipit eos Ecclesia; sed 
illa deceptio pia fraus est, et non peccatum., Bl. 281. Nach Johann von Wesel 
(bei G. Fr. Walchius, Mönumenta medit aevi I 1, Göttingae 1757, 152) soll 
Wilhelm von Auxerre gesagt haben, Petrus Cantor habe den Ablaß als frommen 
Betrug bezeichnet: Die Ablässe seien „piae fraudes fidelium, ut dixerunt multi 
presbyteri, et signanter quidam Cantor Parisiensis, cuius mentionem facit Wil- 
helmus Altisiodore'nsis super 4. sententiaruin". Davon ist bei Wilhelm nichts 
zu finden. 

* Gemeint ist die Glossa iliterlinearis von Anselm von Laon (f 1117). 
Vgl. Biblia sacra cum glossa VI, Antverpiae 1637. Zu 2. Kor. 2, 10. 



232 



VI.- Die Ablaßlehre der Frühsohölastik. 



ganz nachgelassen-. Das beweisen auch die Worte Christi : Was du auf 
Erden lösen wirst, soll auch iin Himmel "gelöset -sein'. ■ ' '" 

Gegen den vollen ^ Wert des' Ablasses wird^f olgender Hauptgrund 
geltend gemacht: Die Süiide' muß gestraft' 'werden. ' Wenn' dalier 'der 
Sünder selber- die Strafe nicht » auf .'■sich nimmt' und 'keine würdigen 
Früchte der Buße; tut; so wird Gott- ihn' strafen. Deshälb'kann^äuch 
für eine Geldspende, die je für den -Erlaß eines D'rittels^der' Büße 
dreimal wiederholt wird, die ganze Buße,- nicht abgelöst, ,werden. 

Nachdem. 'Wilhelm das Für, uiid Wider dargelegt hat, trägt -er 
seine eigene Ansicht vor. Damit der Ablaß, bemerkter,, so viel gelte, 
als die Kirche verheißt, sind sechs .Bedingungen erfordert: 1. ,,Botestäs 
ligandi et solvendi"; der Ablaß -muß den Gläubigen von ihrem i zu- 
ständigen Bischof oder in dessen Auftrag erteilt werden. • 2. „Necessitas 
loci cuius causa fit relaxatio et illius cui fit relaxatio'!, wenn nämlich 
derjenige, dem der Ablaß erteilt wird, wegen, Schwäche; oder Krankheit 
die auferlegte Buße nicht verrichten kann. t3. „Devotio fidei"iiman 
muß glauben, daß die.Kirche die .Vollmacht: habe, Ablässe zu erteilen. 
4. „Status illius cui.datur-'f; er muß im Stände. der. Gnade sein, sonst 
nützt ihm der Ablaß nicht. 5. „Discretio"; wer» den Ablaß gewinnen 
will, muß. sich selber, fragen,, wieviel er hätte geben .wollen, um von 
der betreffenden Buße befreit zu werden. .6.' ,',Iusta.iaestimatio";^ 
nach dem Umfang des m Erlasses muß er zu kompensieren suchen. 
Diese sechs Bedingungen sind, bei, dem Ablaß .vorausgesetzt, wenn 
dieser so viel gelten soU.,-,al8 die Kirche verheißt. Daß aber die !Kirche 
diese Bedingungen nicht ausdrücklich hervorhebt, hat' einen doppelten 
Grund: Wenn man sie öffentlich! verkündigte, so, würden die Gläubigen 
zu Spenden weniger geneigt sein. Zudem muß der Abläßgewinner i im 
Stande der Gnade und der Liebe sich; befinden. Damit ist aber not- 
wendigerweise;' der. Glaube verbunden,: der ihn befähigen wirdi den 
Wert des Ablasses richtig! abzuschätzen'. - .,.;'! 

Wilhelm kommt dann auf die Gründe zurück, die für den vollen 
Wert des verheißenen Ablasses geltend gemacht wurden. Er gibt zu, 
daß die Kirche in gewissem Sinne die Gläubigen täusche, indem sie 
jene sechs Bedingungen nicht ausdrücklich hervorhebe; doch mache 
sie sich dabei keiner Lüge schuldig. Was die angeblich von Gregor. L 
bewilhgten Ablässe der römischen Stationskirchen betrifft, so steht 
Wilhelm nicht an, deren Vollwert anzuerkennen. Papst Gregor ,^ 
meint er, hat die Mühen berücksichtigt, die mit einer Romreise und 
mit der Beteiligung an den Prozessionen verbunden siiid. Bei den 
römischen Ablässen fehle denn auch nicht die erforderliche Leistung 
von Seiten der Gläubigen. Dem Hinweis auf die Absolutions vollmacht, 
welche die Bischöfe von Christus erhalten haben, begegnet Wilhelm 
mit der Bemerkung, daß die Bischöfe ihr Amt in gerechter Weise 
verwalten müssen; zur rechtmäßigen Ablaßbewilligung seien aber die 
sechs namhaft gemachten' Bedingungen erforderlich. Bezüglich des. 
Fastenerlasses, der damals von den Priestern am Karfreitag erteilt 
wurde, erklärt Wilhelm, die Priester sollen derartige Erlasse bewilligen. 



VI. Die Ablaßlehre der 'Frühscholastik. 23S 

wenn- sie Werke derBarinlierzigkeit auferlegen; dann- sind sie gültig; 
dehn die leibliche Übung (Fasten) hat wenig' Nutzen.; die Barmherzigkeit 
aber ist zu allem nützlich (1. Tim. 4, 8). 

Nun' wurde aber 'auch .beim > Almosenablaß das Fasten durch 
Almosen, ersetzt. > , Dies^wirdf zwar;-von%Wilhelm. nicht bestritten: nur 
fordert' erj -daß s bezüglich ^ der Ablässe eine '„gerechte Abschätzung" 
(iusta i faes'timatio) . obwalte,- ^so daß > das erlässehe - Bußwerk durch 
Almosen hinreichend, .kompensiert werde --{quod ipsum datum recom- 
pensetf'poeriitentiam ihiunctam); Demgegenüber^ machte? man geltend^ 
daßjder Wert;des Ablasses .nicht! bloß auf der« gespendeten Opfergabe 
beruhe, sondern 'Jauch »auf den .Gebeten und; Suff ragieh der Kirche^ 
die sich verpflichte, füriden- Almosehspehder; zu 'beten.^ Da aber die 
Barche, ihre Fürbitte; für den Almosehspenderf! einlege und diadurch 
dessen ■ Sündenstrafen'' vermindere,! so sei es .nicht nötig, daß für difr 
erlassene .Bußstrafc- volle -Kompensation , geleistet werde. ^ . Wühelm 
gibt zuj -daß .'der -Wert des '. Ablasses^ nicht bloß auf' der gespendeten. 
Opfergabe, ! solidem auchi auf ;^enM Suff ragien der 'Kirche beruhe, und 
daß vermöge- dieser beiden Faktoren >' dem: Sjpender eines . Obolus der 
dritte. Teil der, Buße' erlassen werden könne.- Trotzdem -fordert er 
eine ,, gerechte 'Abschätzung' -und j, würdige Früchte der Büße", und 
zwar aus einerh' dreifachen 'Grunde iv.erstens- wegen, der Unsicherheit 
(propter incertitudinem),' weil, man nicht mit Sicherheit wisse, roh 
durch den Ablaß ^die Sündenstrafe, erlassen, worden sei, da man, nicht 
bestimmen- könne, in, welchem. Maße, die. Suffragien der Kirche Nutzen, 
bringen; zweiteiiS; wegen.' der, zu: vermeidenden 'Unterlassung (pröpter 
omissionem vitandam), >veil nian sonst durch Unterlassung der schul- 
digen Buße tödlich sündigen würde; drittens "wiegen größerer, sicherer 
und besserer; Genugtuung, (propter majorem et, certioreni et mehorem 
satisfactionem), da eigene Buße, mehr nütze, als fremde Genugtuung. 

,3pör. Frage, nach dem Wert, der Ablässe,,schließtf Wilhelm .eine 
zweite, weniger .wichtige,, an, nämlich , die Frage;, ob bezüglich' " de» 
Ablasses der Arme und, der .Reiche in .derselben Lage sich befinden. 
Er glaubt diese ;^age , verneinen , zu sollen, da der Arme, der, kein. 
Geld spenden könne, was den Erlaß der Bußstrafen betrifft, in einer 
ungünstigeren Lage, wäre als, der Reiche. Im Grunde genommen sei 
indessen die Lage des. Armen die vorteilhaftere. Wenn auch der Reiche 
in einer günstigeren Lage ist, was den Bußerlaß durch Almosenspende 
anlangt ,^ so ist doch der Arme in einer vorteilhafteren Lage, wenn 
man den Bußerlaß, der durch die Reue erfolgt, in Betracht zieht. Denn 
der Arme wird in der Regel seine Sünden leichter bereuen als der 
Reiche. Durch die Reue wird aber die Sündenstrafe wirksamer er- 
lassen, als durch Almosenspende. Schon aus dieser Gegenüberstellung 



^ ,,Obiioitux quod'relaxatio non tantum valet ratione dati, seu ration© 
precum et suffragiorum Ecclesie, qua obligat se ad orandvuri pro illo qui dafc 
aliqtiid de suo ad fabricam ecclesie ; et Ecelesia per preces suas meretur ei re- 
missionem pene . . . Ergo non oportet in relaxationibus quod quidam recompensefc 
penitentiam iniunctam." Bl. 282. 



234 VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik. 

von Reue und Ablaß geht genugsam hervor, daß -Wilhelm yon Auxerre, 
wie der Reue, so ,auch dem Ablaß eine . jäberirdische Wirksamkeit zu- 
schreibt. 

Im dritten und letzten Kapitel handelt Wilhelm, von dem Wert 
einiger besonderer Ablässe, die damals , in Übung : waren. In^ bischöf- 
lichen Urkunden des 12. und 13. Jahrhunderts wird bisweilen nebst 
dem dritten Teile der Buße noch anderes erlassen, nämlich die ver- 
gessenen Sünden, gebrochene '^Gelübde, falls. man wieder idazu zurück- 
gekehrt sei, Beleidigung der Eltern, wenn damit < keine tätliche Miß- 
handlung verbunden gewesen. ?• Bei diesen eigentümlichen^ Erlassen 
handelte es sich nicht um Vergebung der Sündenschuld, sondern um 
Nachlassung der für jene .Vergehen verdienten Bußsträfen. Hierzu 
bemerkt nun Wilhelm: Da; für- vergesseiie Sünden und gebrochene 
Gelübde die zur vollen Gültigkeit des Ablasses erforderliche' „gerechte 
Abschätzung" nicht stattfinden könne,^.' so sei- es.; nicht notwendige 
daß derartige Ablässe so viel bewirken; als^^e verheißen;, man müsse 
sie vielmehr folgenderweise erklären: .Wer für diese öder- jene Kirche 
«inen Beitrag spendet, dem wird ein Drittel der Buße samt den ver- 
gessenen Sünden und den gebrochenen. Gelübden erlassen, ganz oder 
zum Teil (vel in 'parte vel in<,toto). Und das sei schon. ^ hoch anzu- 
schlagen. Die Kirche aber bestimme nicht näher, wieviel nachgelassen 
werde, um den Eifer der Gläubigen mehr anzuregen. 

Ähnliche Schwierigkeiten bot der Kreuzzugsablaß, der, wie Wilhelin 
berichtet, damals von Predigern 'folgenderweise angepriesen wurde: 'Wer 
zur Verteidigung des Heiligeii Landes das Kreuz nimmt, dem werden 
alle Sünden vergeben, so daß er, wenn er' gleich' nach der' Annahine 
des Kreuzes sterben sollte, sofort in den Hinimel' auffahren würde.^ 
Wilhelm fragt, ob der Kreuzzug wirklich einen so hohfen' Wert' besitze. 
Er gibt zunächst das Für und Wider an. Gegen die 'Gültigkeit des 
Ablasses werde geltend gemacht; daß' 'für die begangenen Sünden 
auch eine entsprechende Bußstrafe übernommen werden 'müsse und 
daß die Kirche nicht in der Lage sei, hierfür einen genügenden Ersatz 
zu bieten; ihre Verdienste würden hierzu nicht hinreichen. Wenn 
bei einem Kreuzauge • vielen schweren ' Sündern ein vollkommener 
Ablaß verheißen wird, so kann es leicht vorkommen, daß in der Kirche 
nicht hinlänglich genugtuende Werke vorhanden seien, um die schweren 
Strafen, die den Kreuzfahrern erlassen werden, auszugleichen.^ Für 



^ In solchen Fähen konnte eine „gerechte Abschätzung" nicht stattfinden, 
mit andern Worten, es konnte nicht bestimmt werden, wieviel Almosen als' hin- 
reichende Kompensation für die erlassene Buße zu geben wäre, weil für die 
betreffenden Vergehen spezielle Bußen nicht auferlegt wurden. 

^ „Quam predicatores sie exponunt: Quicunque acceperit crucem ad sub- 
sidium terre sanote, dimittuntur ei omnia peocata sua, ita quod, si statim decedat 
sumpta cruce, statim eyölabit." Bl. 282'. 

^ „Potest contingere quod tota Ecclesia vix sibi sufficiat; quia si unus 
est in Ecclesia qui sibi sufficit, sunt oentum qui sibi non sufficivint; ergo nee 
aliis sufficiunt. Si ergo plurimi valde peccatores accipiant crucem, cum tota 



VI. Die Ablaßlehre der- Frühscholastik. 235 

die Gültigkeit des Ablasses berufe man sich auf die MachtvoUkommen- 
lieit des Paps,tes, der einen solchen; Erlaß erteilen könne, und auf die 
Verdienste der Kirche, die den Teilnehmern, ara Kreuzzuge zugewendet 
würden., Wilhelms eigene Ansicht ist folgende : Man braucht nicht 
anzunehmen,, , daß derjenige, . der gleich nach Annahme des Kreuzes 
stirbt, sofort in den Himmel auffahre: doch könne, dies öfters vor- 
kommen. Unter jenen, die das Kreuz nehmen, gibt es nämlich manche, 
die fest, entschlossen sind, ihr .Leben für Christus aufzuopfern. Mit 
diesem Entschlüsse wächst auch, ihre Reue, und so wird ihnen- durch 
die Reue die Sündenstrafe .nachgelassen. T^enn aber gesagt ,wird, daß 
der V Papst die Fülle der Gewalt besitzt,, so ist zu bemerken, daß der 
Papst , kraft seiner Machtvollkommenheit die Kreuzfahrer wohl, aller 
Suffragien der Kirche teilhaftig machen könne; er. kann, aber nicht 
bewirken, daß, der jenige, der eine Strafe abzutragen hat, in den Himmel 
auffahre, ohne seine Schuld bezahlt zu haben. Der Sünder niuß auch 
Buße tun; doch genügt er seiner Pficht, wenn er selber die Buße ver- 
richtet oder, wenn dieKirche ,sie- für ihn- übernimmt.^ Merkwürdiger- 
weise geht Wilhelm auf den Einwand, daß die Kirche nicht hinreichend 
Yerdienstei besitze, um alle Schulden der .Kreuzfahrer ausgleichen zu 
können, nicht, näher ein.. Indem , er , aber die Widerlegung des , Ein- 
wandes durch die Vertreter. der gegnerischen Ansicht für nicht stich- 
haltig erklärt,^; zeigt , er deutlich, genug, , daß er selber dem Bmwand 
eine gewisse r Berechtigung anerkannte. , Anderseits versteht er unter 
den kirchlichen Verdiensten und Suffragien, die der Papst den Kreuz- 
fahrern zuwenden kann, nicht bloß eine Fürbitte, sondern auch eine 
stellvertretende Genugtuung, wie, aus seinen soeben angeführten Er- 
örterurgen hervorgeht. Noch viel bestimmter spricht er sich aber 
über diesen . Prunkt aus an einer andern Sjielle, wo .er die kirchlichen 
„Suffragien" für. die Seelen im Fegfeuer, behandelt. Auch hier wird 
der Gedanke, daß die, Sünde gestraft werden müsse, gleich am Anfange 
mit Nachdruck hervorgehoben : Entweder muß der Sünder selber sich 
strafen oder Gott, wird ihn strafen. Wird, aber dieser Grundsatz nicht 
verletzt, wenn, dank den kirchlichen Suffragien, den Seelen im Feg- 
feuer ihre -Strafe erlassen wird ? Nein, erwidert Wilhelm, weil die 
Kirche selber für die Seelen im Fegfeuer genugtut. Es kommt denn 
auch die göttliche Gerechtigkeit nicht zu kurz. Denn man nimmt an, 
daß der Mensch sich selber straft, wenn ein anderer für ihn die Strafe 



Ecclesia vix sibi sufficiat, non suffioit ad liberationem illorum cruce signatoriim. 
Ergo si illi statim decedant, nulla parte peregrinationis facta, non statim evolant, 
cum merita Eoclesie illis non sufficiant." Bl. 282'. 

^ „Dicimus quod (papa) habet hano potestatem ut faciat crucesignatos 
participes omnitim suffragiorum, Ecclesie; sed non habet hanc potestatem ut 
istum qui est pene debitor, faciat evolare sine solutione pene; imo necesse est 
quod suscipiat de manu Domini duplioia et faciat fructus dignos penitentie. 
Sed intelligitur facere penitentiam, si vel ipse vel Ecolesia faciat pro eo." Bl. 283. 

' „Ad tertium obieotum dicimus, quod non valet hec argumentatio : 
Jjicet , . . merita Ecclesie vix sibi sufficiant, tamen sufficiunt crucesignatis etc." 
Bl. 283. 



236 VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik. 

Übernimmt. Bezahlt mein Bruder das Geld, das ich schuldig Bin, so 
hin ich frei von der Schuld. In ähnlicher Weise, wenn die Kirche für 
jemand, der im Fegfeuer' ist, genugtüt,^so wird ihn Gott' für frei von 
der Schuld halten; denn wir sind alle Brüder.^ Baß den Suffragien 
der Kirche der Charakter stellvertretender' Genugtuung zukommt, 
wird also von WilKelin so scharf als möglich hervorgehoben. Diese 
Suffragien, bemerkt er, wirken „nach Art' der Geiiügtuung".'^ ' 

Man beachte wbhl; daß ' Wilhjelm in seinen' Ausführungen über 
den Wert des Kreuzzugsablasses nicht von jenen spricht, die den 
Kreuzzüg wirklich mitmachten: Er war offenbar 'der'Äiisicht: daß die 
Teilnahme an einem so beschwerlichen üntefnehmeh" ein hinreichender 
Ersatz fiir die schuldige Buße sei, da er ja dies schön' für die minder 
beschwerliche Romfahrt gelten läßt. Bei seihen Ausführungen hiat er 
nur solche Kreuzfahrer im Auge, die gleich nach Annahme des Kreuzes 
hoch vor Beginn des KJreuzzugs sterben würden (nulla parte peregri- 
nationis facta). Von diesen meint er, daß sie, abgesehen von jenen, 
die fest eritschlosseh' sind, für Christus in den^^Tod zu gehen, des' voll- 
ständigen Straferlasses nicht teilhaftig würben. Daß er dabei die 
päpstliche Lösegewalt ' nicht genügend betont und allzusehr die per- 
sönliche Leistung des Büßers hervorhebt, braucht nicht eigens bemerkt 
zu werden. Bezüglich der Fragej ob man schon" durch die Annahme 
des Kreuzes mit dem Entschlüsse, den Kreuzzug mitzurriiachen, des- 
verheißenen Ablasses teilhaftig werden könne j halben spätere Theologen^ 
wie Thomas von Aquin, richtig betont^ daß^ man nachsehen müsse^ 
was hierüber in den' päpstlichen BüUien bestimndt- werde. ' 

Größeres Gewicht auf die kirchliche' Lösegewalt legte bei Er- 
örterung der Ablaßfrage ein anderer Pariser Theologe jener Zeit,, 
Wilhelm von Auvergne, der nach längerer Lehrtätigkeit 1228 
zum Bischof von Paris ernannt wurde und 1249 gestorben ist. Schon 
die Stelle, an welcher dieser Theolog vom Ablaß ' handelt, ist charak- 
teristisch. Er widmet ihm ein eigenes Kapitel nicht in. dem Traktat- 
über das Sakrament der Buße, sondern in der Abhandlung über das 
Sakrament der Priesterweihe.^ Zuerst widerlegt er die Gründe, auf 
welche damals die „Feinde der Wahrheit" (die Waldenser) sich be- 
riefen, um den Ablaß zu verwerfen. Vor allem wollten sie von den 



^ „Tanta possunt esse suffragia Ecclesie, quod tota pena dematur ei pro 
quo f iunt . . . Non evacuatur iustitia divina, si tota (pena) demitur per suffragia 
Ecclesie. Homo enim dicitur se punire, si alius puniat se pro ipso; sicut si f räter 
meus solvat debitum quod debeo, absolutus sum; eodem modo si Ecolesia satis- 
f aciat pro illo qui est in purgatorio, pro absoluto habet eum Dominus; omnes 
enim fratres sumus." Bl. 3Ö4'. 

'^ „Suffragia per modum satisfactionis purgant." Bl. 305'. 

ä Guilelmi Alvemi Episcopi Parisiensis Opera omnia. Aureliae 1674. I 
550—53. Wilhelm hat sein Werk über die] Sakramente nach 1215 verfaßt, da. 
er darin auf das Beichtdekret der vierten Lateransynode Bezug nimmt. Bl. 499'. 
Vgl. St. Schindele, Beiträge zur Metaphysik des Wilhelm von Auvergne. 
München 1900, 5. Ziesche, Die Sakramentenlehre des Wilhelm von Auvergne, 
in Weidenauer Studien IV, Wien 1911, 149. ' 



VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik-. 237 

Ablässen nichts wissen, da sie ,,käuflicli"' (venales) wären und Gott 
dabei benachteiligt würde, indem die, Buße, die ihm geleistet werden 
sollte^ durch ein geringes. Geldopfer ersetzt würde. Demgegenüber 
bemerkt Wilhelm, von Auvergne, daß von einer Käuflichkeit keine 
Rede sein könne, da für Geld nichts geschehe (cum pro pecunia nil 
ibi fiat)., Der Bischof,^ der einen Ablaß für Kirchenbau erteile, sei 
nicht auf das Geld bedacht, sondern auf die Ehre Gottes und das 
Heil der Seelen. Werde doch die Kirche erbaut, daß Gott darin ver- 
herrlicht und den Gläubigen Gnaden gespendet würden. Wie nun 
die Kirche nicht des Geldes wegen, wenn auch durch Geld, erbaut 
wird, , so werde auch der . Ablaß nicht für Geld, sondern zur Ehre 
Gottes, wenngleich nicht ohne Geld erteilt, da das Gotteshaus nicht 
ohne Geld erbaut werden könne. . Man sei auch nicht berechtigt, zu 
behaupten, daß Gott benachteiligt werde. Die Opfer, der Gebete und 
des Lobes, die in einer .Kirche (Grott dargebracht werden; seien ihm 
angenehmer als kasteiende Bußübungen. s , , ; 

Gegen den Almosenablaß machte man weiter geltend, daß dabei 
eine Ungerechtigkeit begangen werde, indem jene, die eine' langjährige 
Buße zu leisten haben, ein Drittel davon ablösen können mit dem- 
selben Geldopfer, mit dem andere, die geringere Bußen auf sich haben, 
ebenfalls nur ein Drittel dieser Bußen abtragen. Wer aber hierin 
eine Ungerechtigkeit erblickt, meint Wilhelm, der verkennt die kirch- 
liche Lösegewalt; denn von dieser komme der Ablaß her, nicht von 
der Opfergabe (non ex oblatione sive ex oblatis, sed ex clavibus et 
ministerio praelatorum). Der Verfasser bemerkt übrigens, daß der 
Ablaß in Wirklichkeit eher eine Bußumwandlung als ein Straferlaß 
sei, da ja das auferlegte Büß werk durch Almosen ersetzt werde. Weil 
es aber den Reichen viel leichter sei, Almosen zu spenden, als ein 
mühevolles Büß werk zu üben, so werde die Umwandlung der Buße 
in eine Opfergabe als Erlaß betrachtet.^ Wilhelm betont aber noch- 
mals, daß die Wirksamkeit des Ablasses nicht von dem gespendeten 
Almosen, sondern von der kirchlichen Lösegewalt abzuleiten sei. 
Daraus erkläre sich, warum eine kleine Leistung, für welche ein Ablaß 
gespendet worden, zur Tilgung der Bußstrafen weit mehr beitrage 
als eine andere, bedeutendere Leistung, die in keiner Beziehung zum 
Ablaß stehe. ^ Nebst der Schlüsselgewalt seien zur Erklärung der 
Wirksamkeit des Ablasses auch in' Betracht zu ziehen die Verdienste 
der allgemeinen Kirche, die in dem zu erbauenden Tempel Gott ver- 



^ „In veritate magis commutatio est quam remissio, Sed quia longei levius 
est offerre habentibus et habundantibus quam poenitentiales labores atque 
molestias ferre, remissio reputatur commutatio poenitentialis äff lictionis et munus 
oblationis." S. 550. 

? ,",Modica oblatio aut levis labor in operibus seu fabricis, propter quas 
indulgentiae f iunt, longe plus prosunt ad obtinendam xemissionem quam magnae 
oblationes gravesque labores alias f^cti aliasque suscepti; et hoc quidem propter 
virtutem clavium, noii propter se." S. 551. 



238 VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik. 

herrlichen werde, wie auch die Verdienste und Fürbitten aller Heiligen, 
deren Andenken man in dem Gotteshaüse feiern werde. 

Ein dritter Einwand wurde damals schon gegen die Ablässe 
erhoben. Man sagte, daß die Menschen zum Sündigen angereizt 
werden, wenn sie auf so leichte Weise von der Buße sich befreien 
können. Auch diesen Einwand will Wilhelm nicht gelten lassen. Nur 
jene, so führt er aus, können Ablässe gewinnen, die im Stande der 
Gnade sind und keine Todsünde auf dem Gewissen haben. Nun 
kann aber niemand mit Sicherheit sagen, daß er im Stande der 
Gnade sei ; folglich weiß niemand rnit^ Sicherheit, ob er den Ablaß 
gewonnen habe. Anderseits muß ein jeder init Bestimmtheit sich 
sagen, daß er die auferlegte oder aufzulegende Buße zu leisten habe. 
Deshalb darf niemand wegen diss Ablasses unterlassen, Buße zu tun 
um sich nicht der Gefahr auszusetzen, im Eegfeüer eine viel strengere 
Strafe erleiden zu müssen. Aus diesem Grund wird auch niemand 
der Ablaß ganz sicher verheißen, sondern unter der Bedingung, daß 
man frei von Todsünden sei. Da nun aber, gottesfürchtige Christen 
stets in heilsamer Furcht leben, so werden sie sicher nicht wegen des 
Ablasses der Unbußfertigkeit sich hingeben wollen. 

Nachdem der Verfasser die Einwände der Gegner zurückgewiesen^ 
uhtemimmt er, die Vollmacht der kirchlichen Oberen, Ablässe zu 
erteilen, positiv zu begründen und apologetisch .zu rechtfertigen. 
Entschieden nimmt er für die Bischöfe das Recht in Anspruch, die 
auferlegten Bußen zu mindern oder umzuwandeln, je nachdem sie es 
zur Ehre Gottes, zum Heile der Seelen und zum Nutzen der ganzen 
Kirche dienlich finden. Bemerkenswert ist besonders die Art und 
Weise, wie Wilhelm die Kreuzzugsablässe zu rechtfertigen sucht. .Wenn 
ein König, bemerkt er, in den Krieg ziehen will, so beauftragt er seine 
Offiziere, Truppen zu werben und sie gehörig zu besolden. Nun hat 
aber auch Christus Kriege zu führen, nämlich gegen Heiden, Sarazenen 
und Häretiker. Auch er hat seine Befehlshaber, d. h. die Bischöfe, 
bevollmächtigt, Soldaten anzuwerben und sie in geziemender Weise 
zu belohnen. Das geschehe durch Verheißung von Ablässen. Der 
Erlaß der auferlegten Bußstrafen ist der Sold, der den Kriegern 
Christi angeboten wird. Wie dann ein irdischer Fürst seine Soldaten 
von den Obliegenheiten befreit, die sie hindern, in den Krieg zu ziehen, 
so entbinden auch die Kirchenfiirsten die Kreuzfahrer von Fasten und 
andern Bußübuiigen, die mit dem Soldatenleben nicht gut vereinbar 
sind. Man sage nicht, daß es genüge, den Kreuzfahrern einen ewigen 
Lohn in Aussicht zu stellen. Wollte man ihnen nur eine Belohnung 
in der Ewigkeit verheißen, so würde man sicher nur ganz wenige an- 
werben können. Da a;ber die Ablässe eine so große Zugkraft haben,, 
so mögen die kirchlichen Oberen nur Gebrauch davon machen. 

Was dann die Ablässe für Kirchenbauten betrifft, so ist zu be- 
achten, daß die Heiligen, zu deren Ehren Kirchen erbaut werden, sich 
für die Wohltäter bei Gott verwenden werden, daß er ihnen die 
Sündenstrafen nachlasse. Diese Fürbitte der Heihgen würde für sich 



VI.' Die Ablaßlehre der Frühscholastik. 239 

allein schon. genügen, einen derartigen Erlaß zu erwirken.^ Warum 
sollten also die Bischöfe keine A'blässe für Kirchenbau erteilen können ? 
Daraus geht klar hervor, daß Wilhelm von Auvergne eine Wirksam- 
keit der Ablässe in foro Dei annimmt. 

Auch die Ablässe, die für Klöster, Spitäler, Brücken- und Straßen- 
bau bewilligt werden, lassen sich leicht rechtfertigen. Die Beförderer 
dieser Anstalten und Unternehmungen haben Anteil an den Gebeten 
und guten Werken der Ordehsleute, die in den Klöstiern ihr Leben 
zubringen, der Armen und Kranken, die in den Spitälern aufgenommen, 
werden, der Pilger, die über jene Straßen und Brücken hinziehen. 
Infolge dieser Gemeinschaft werden sie mit Recht der Bußübungen 
entbunden, da andere mit ihren Bußwerken für sie bei Gott eintreten.* 

Was die Armen betrifft, die kein Almosen spenden können, so 
meint Wilhelm, daß sie nicht ganz von der Wohltat der Almosen- 
ablässe ausgeschlossen seien. Zwar würde ihnen der Ablaß nicht zuteil 
werden kraft der Schlüsselgewalt; doch sei zu glauben, daß der all- 
barmherzige Gott im Hinblick auf ihren guten Willen ihnen von der 
Sündenstrafe etwas nachlassen werde. 

In (Eiiner Sammlung theologischer Fragen,^ deren unbe^kannter 
Verfasser bei der Besprechung des Ablasses die Ausführungen Wilhelms 
von Auxerre benützt hat, wird der Ablaß definiert als ,iNachlassung 
oder Verminderung der verdienten Strafe".* Zunächst werden ver- 
schiedene Einwände erhoben, vor allem der übliche Einwand, es sei 
ungeziemendi daß ein Reicher mit einer mäßigen, mehrmals wieder- 
holten Geldspende die ganze Buße ablösen könne, während dem Armen, 
dem keine Geldmittel zur Verfügung stehen, der Ablaß versagt bleibe. 
Auch das ärgerliche Treiben der Almosensammler, die mit Ablaßbriefen 
herumziehen, ein schlechtes Leben führen und mit ihren Lügen den 
Einfältigen das Geld zu entlocken suchen, wird gegen die Ablaß- 



\ ^ Die Heiligen haben eine große Macht bei Gott. „Innumeras ergo remis- 
siones pecoatonun et poenitentiarum . . . cultoribus suis a Deo sanotos impetrare 
verisimile est .,.. . Certum est autem quod decet Deum honorare sanotos suos 
in hoc, videlicet ut eos exaudiat pro veneratoribus eorum, non solum in remissione 
culparum, sed etiam poenarum, sive sint poenitentiales sive aliae; quare etsl 
nulla causa subesset, sufifragia sola sanctorum sufficerent istas indulgehtias 
impetrare." S. 652. 

* „Quorum laborum et afflictionum .... quia parfcicipes f iunt, . merito eis 
parcitur a poenitentiaübus laboribus, qui meliores pro se responsales constituerunt, 
videlicet viros sanotos . . . Quare non tarn remissio est quam in melius commutatio 
indulgentia in huiusmodi casibus facta." S. 552. 

^ Quaestiones diversae theologicae, in einer Handschrift der Universitäts- 
bibliothek zu Erlangen (Cod. 353). Der Abschnitt über den Ablaß wird mit- 
geteilt von Fr. Gillmann in Katholik "1910 II 465 ff. Der anonyme Verfasser 
erwähnt den Kreuzzug gegen die Albigehser als eine zu seiner Zeit stattfindend© 
Begebenheit. Der für diesen Kreuzzug von Innozenz III. erteilte Ablaß wurde 
erneuert von Honorius III. im Jahre 1218 und von Gregor IX. im Jahre 1228. 
Potthast 5888 8267. Man wird daher mit Sicherheit annehmen dürfen, daß 
die Schrift vor 1230 entstanden ist; ob noch unter Innozenz III. oder erst unter 
eeinen Nachfolgern, muß dahingestejlt bleiben. 

* „Relaxatio est remissio vel diminutioa peno condigna." 



240 VI. Die Ablaßlehre der .Frühscholastik. 

bewilligung geltend gemacht. Der Verfasser, bemerkt dami, daß .beim 
Ablasse wenigstens fünf Faktoren in Betracht kommen: 1. die Reue 
dessen, dem der Ablaß zuteil wird; 2: die fromme Gesinnung. der Gaben- 
empfänger oder der allgemeinen Kirche, da diese — so wird voraus- 
gesetzt — durch ihre Gebete für die ;erlassene Strafe Ersatz leisten 
müßten; 3. die Autorität des Ablaßspenders; 4. die Leistungs- 
fähigkeit . des Ablaßgewinners, der nach seinem Vermögen Almosen 
spenden müsse; 5. der Grund des erteilten Ablasses, nämlich das 
Bedürfnis der Kirche, zu deren Gunsten der Ablaß verliehen wird. 
Sind diese fünf Erfordernisse vorhanden, so ist zu hoffen (pio. animo 
sperandum), daß irgendwelcher Nachlaß erfolgen werde (quod . ibi 
potest esse relaxatio aliqua). Die .Größe aber des Nachlasses wird 
sich nach dem Maße der fünf Faktoren richten. Dem am Anfang 
erhobenen Einwand gegenüber, wird-betont, daß durch fromme Geld- 
spende, möge man sie auch mehrmals wiederholen, nie die ganze Buße 
erlassen werde; es bleibe immer^ noch ein Rest abzutragen.^ Es wird 
auch daran erinnert, daß niemals eine .Geldbuße erlassen werde, da 
durch solchen Nachlaß den Armenj denen das Geld gespendet werden 
müßte, ein Unrecht geschähe. Beim Nachlaß einer Fastenbuße, müsse 
aber der Pönitent eine so große Summe spenden, daß die Spende ihm 
ebenso schwer ankomme :als das Fasten.^ 

Die bisherigen Erörterungen gelten hauptsächlich den partiellen, 
für Almosen erteilten Ablässen. Wie verhält es sich- aber mit dem 
Ablasse der Albigenser (de relaxatione Albigensium), nämlich mit dem 
Ablasse, der den Teilnehmern am Kreuzzuge gegen die Albigenser in 
Aussicht gestellt war, ist er wirklich so vollkommen, wie es der Papst 
in seinem Schreiben erklärt?^ Die Antwort lautet: Zieht einer mit 
reumütigem Herzen gegen die Albigenser, so ist zu hoffen, daß, er der 
Strafe ledig sei. Sollte er daher nach Beendigung des, wie es sich 
gebührt, ausgeführten Zuges sterben (via debite peracta), so würde 
er sofort in den Himmel kommen.* Aber nicht nur jene, die den 
Elreuzzug vollenden, auch solche, die bald nach Annahme des Kreuzes 
sterben (ante viam completam), fahren sofort in den Himmel (volant 
ad patriam), da sie den Willen haben, den Zug auszuführen.^ Schärfer, 
als es hier geschieht, hätte das Hinübergreifen des Ablasses ins Jenseits 
kaum betont werden können. Anderseits lehrt der Verfasser, daß die 
Kreuzfahrer nach ihrer Rückkehr in die Heimat die auferlegte Buße 
lücht unterlassen sollen. Da sie nicht mit Sicherheit wissen, ob sie 



. ^ Der Verfasser erklärt die Sache wie Johannes Teutonikus. Oben 

S. 230. 

^ „Debet considerare quantum vellet dedisse, ut absolveretur a ieiunio, et 

tantum debet dare." Dies hat der Verfasser wohl von Wilhelm von Auxerre 

.abgeschrieben, der sagt: „Discemat apud se quantum vellet dedisse, ut absolutus 

esset a tanta penitencia." Summa aurea 282. 

^ „Si est ita generalis, sicut dominus papa in litteris suis exprimit." 

* Der von Gillmann mitgeteilte Text scheint hier verderbt zu sein. 

^ Wie Wilhelm von Auxerre bezeugt (oben S. 234), wurde diese Ansicht 

von Predigern seiner Zeit vertreten. ■ 



VI. Die Ablaßlehre, der Frühseholastik. 241 

bei der Vollendung des Kreuzzuges im Stande der Gnade waren und- 
daher über die .Gewinnung des Ablasses keine, Gewißheit, haben, so 
dürfen sie von der Buße nicht abstehen. 

Ein anderer Theolog derselben Zeit, Jakob von Vitry, unter 
Iniiozeiiz lil.^ KJreuzzugsprediger,, 1216 Bischof von Akkön, 1228 Kar- 
dinalbischöf von Erascati, gestorben 1240, handelt vom Ablaß in einer 
Predigt über die kirchliche Schlüsselgewalt.^ Wie Wilhelm von Auxerre, 
den ei* vielleicht an der Pariser Hochschule gehört hatte,, stellt er sechs 
Bedingungen auf, von deiien der Wert des Ablasses abhänge: 1. „Au- 
thoritas relaxantis" ; der Abläßspender muß die Lösegewalt besitzen und 
die Vollmacht haben, die Kirche zu verpflichten, daß sie speziell für 
jene bete, denen Ablässe verheißen werden. 2. „Ut fiant,discrete,et 
ex debita causa huiusmodi felaxationes"; die Ablässe sollen maßvoll 
und nicht ohne gehörigen Grund ,erteilt werden, nämlich für das all- 
gemeine Wohl und zum Nutzen der Almosenspender. 3. „Fides 
offereiitis, quae sit informata charitate"; wer den Ablaß gewinnen 
wül, muß einen von der Liebe belebten Glauben haben. 4. ,,Devotio 
offerentium" ; der Umfang des Ablasses wird sich nach der frommen 
Gesinnung des Almosehspenders richten. 5. „Maioritas vel minoritas 
subsidii secundum uniuscuiusque facultatem"; er wu'd auch abhängen 
von der Höhe des Almosens, das nach Maßgabe des Vermögens der 
Spender in gerechter Weise abzuschätzen sei. Man soll sich daher 
fragen, wieviel man hätte geben wollen,, um eines derartigen Buß- 
erlasses teilhaftig zu werden, und soll danach seine Spende abmessen. 
6. „Pluralitas etpaucitas suf f ragantium" ; beim Ablaß ist auch die 
größere oder geringere Zahl der Hilfeleistenden in Betracht zu ziehen. 
Mit Rücksicht auf "diese Hilfeleistenden kann der Papst, der über 
die geistlichen Güter der ganzen Kirche verfügt, einen größeren Ablaß 
verleihen als ein Erzbischof, ein Erzbischof wieder einen größeren als 
ein einfacher Pfarrer.^ Da aber Gott allein den Grad der frommen 
Gesinnung des Almosenspenders wie der Hilfeleistenden (suf fragantium) 
kennt, so kann niemand wissen, in welchem Umfange durch solche Ab- 
lässe die Sündenstrafen erlassen werden, außer Gott offenbare es ihm.^ 
In Anbetracht der frommen Gesinnung der Almosenspender und der 
Hilfeleistenden kann es sehr wohl geschehen, daß, wenn der Erlaß 
eines Drittels der Buße verheißen wird, die Hälfte oder gar die ganze 
Bußstrafe nachgelassen werde. Anderseits kann es auch öfters vor- 
kommen, daß jemand, dem der Erlaß eines Drittels der Buße zu- 
gesichert worden und der deshalb vor der Kirche davon befreit ist, 



^ lacobi de Vitriaco Sermones in epistolas et evangelia dominicalia. 
Antverpiae 1675, 418 f. 

• „Unde et suinmus Pontifex, qui in persona nniversalis Eoelesiae obligare 
se poteat, vel Archiepisoopus, qüi specialem oonfert participationem bonorum, 
qua« fuerint in provinoia sua, maiorem habet relaxandi ef f icaciam quam sacerdos 
qui participationem bonorum unius parochiae suffragalibus ooncedit." S. 418. 

^ „Et quia solus DoTis novit de votionem tam offerentis quam suf fragantium, 
nemo est -.qui scire possit quanta f iat in^talibus relaxatio, neo angelus Dei, nisi 
ei fuerit revelatum." S. 418. 

Pauilus, Geschicbto des AblasseB. 16 



242 VI. Die Ablaßlehre der Frühscholästik. 

vor Gott von diesem Drittel nicht ganz ledig ist. ImFegfeuer werde 
wohl seine Strafe gemindert werden ; doch wisse man nicht, in welchem 
Umfang dies geschehe.^ 

Deshalb sind die Almosenspender zu mahnen, die. Bußwerke, die 
sie leicht verrichten können, wegen des Ablasses nicht zu unterlassen. 
Sicherer ist es auch für die kirchlichen Oberen, daß sie die Ablässe 
auf die Bußwerke be'schränkeii, welche die Gläubigen wegen EJ:änktieit, 
oder frühzeitigen Todes nicht verrichten können; sodann auf "die Büß - 
werke, die sie zu verrichten, vergessen oder im Stande der'Todsüiide 
vollbracht haben, da sie sonst die letzteren wiederholen müßten; 
endhch auf den Fall, daß Beichtenden größerer Sicherheit halber eine 
schwerere Buße auferlegt worden ist, als sie es für ihre Sünden verdient 
hätten. Jakob von Vitry lehrt auch, daß die Ablässe nicht bloß zur 
Minderung der Sündenstrafen dienlich sind, sondern auch zur Er- 
langung und Vermehrung de^2^ Gnade und zur Tilgung der läßlichen 
Sünden.2 Wie dies zu verstehen sei, wird uns sofort Raimund von 
Penaforte, der dasselbe sagt, lehren. Bemerkt sei nur noch, daß Jakob 
von Vitry auch in seinen Kreuzzugspredigten ausdrücklich betont, 
daß der Ablaß vor Gott, in foro Dei, Geltung habe. Dies lehrt er 
nicht nur von dem vollkommenen KJreuzzugsablasse, der von der 
Fegfeuerstrafe in der andern Welt befreie, sondern auch von den 
unvollkommenen Ablässen von 20 oder 40 Tagen, die damals den 
Anhörern der Kreuzzugspredigten erteilt wurden. Auch von diesen 
geringen Ablässen lehrt er, daß sie hauptsächlich nach dem Tode im 
Fegfeuer (maxime post mortem in purgatorio) von Nutzen sein werden.* 

Raimund von Penaforte, der im Jahre 1230 von Gregor IX^ 
als Pönitentiar nach Rom berufen wurde, hat hier im Jahre 1237 
eitle größere Summe verfaßt,* worin er bei Besprechung des Buß- 
sakraments von den Ablässen (de generalibus remissionibus) handelt,^ 



^ „Plerunque acoidit, quod qui offert ad fabricam ecclesiae, licet in foro 
praelati sui absolutus sit a tertia parte poenitentiae, sicut expressum est in literis 
indulgentiae, non tarnen penitus absolvitur a tanta parte; in purgatorio dimi- 
nuitur tarnen eins poena, sed certam dirmnutioms igrioramus quantitatem." 
S. 419. 

* „Valenfc non solum ad poenae diminutionem, sed ad impetrationem. vel 
augmentum gratiae et ad venialium deletionem." S. 419. 

3 Pitra II 426 428. 

* Gillmann (Zur Lehre der Scholastik vom Spender der Firmung. Pader- 
born 1920, 80) meint, die Schrift sei 1235 vollendet worden, vreit darin ein 
Formular die Jahreszahl 1235 trägt. Allein in einer Wolf enbüttelef Handschrift 
heißt es: „Explicit Summa . . . compilata anno 1237 et perfecta in die b; Sixti 
p. et ra." 0. v. Heinemann, Die Handschriften der Bibliothek. zu Wolfenbüttel 
12, 17 nr. 573. 

^ Summa Sancti Raymundi de Peniaf ort de poenitentia et matrimonio 
cum glossis loannis de Friburgo, nunc primum in luoem edita. Romae 1603, 
494 ff. Irrig wird hier die Glosse Johann von Freiburg zugeschrieben; sie ist 
von Wilhelm von Rennes. Vgl. darüber Dietterle, Zeitschrift für Kirchen- 
gesehichte XXIV (1903) 530 ff. . 



VI. Die Ablaßlehre der ^Frühscholastik. 243" 

um die Frage zu'beiantworteii; was sie- für einen Wert haben.^ Diese 
Frage, führt er aus, wird verschiedentlich beantwortet. Einige be- 
ziehen die Wirkung der Ablässe -auf die aus Unwissenheit begangenen 
Fehler (valeht quoad delicta igriörantiae)j andere auf die läßlichen 
.Sünden'(quoadvenialia), 2. andere auf die nachlässig verrichtete Buße 
(quoad- poenitentiäm negligenter peractam),^ wieder andere auf die 
Verininderung der Fegfeüerstrafe (quoad diminutionem poenae iii pur- 
gatorio).* Doch gebe es eine andere,- verbreitetere Ansicht, und dieser 
pflichte er bei, daß nämlich die Ablässe gerade so viel- gelten, als sie 
lauten.^ Um jedoch ihren Wert besser würdigen zu können, müsse 
man wissen, daß es eine zweifache Strafe der Sünden gebe, eine ewige 
und eine zeitliche. Die ewige Höllenstrafe wird durch die Reue nach- 
gelassen; gewöhnlich bleibt aber danii noch eine zeitliche, von der 
Kirche aufzulegende -Bußstrafe abzutragen.^ Wenn nun jemand nach 
reumütiger Beichte (recte coiitritus et confessus) und im Glauben an 
die -kirchliche Lösegewalt Almosen spendet für ein Unternehmen, 
wofür ein Ablaß verliehen^ worden, so wird ihm dies Almosen zur 
Verminderung seiner Bußlast dienen (valet sibi talis eleemosyna ad 
onus poenitentiae sublevandum). Und dies aus einem doppelten 
Grunde: zuerst wegen seiner frommen Spende (propter devotam 
erogationem), zweitens weil er durch die Ablaßspende teühaftig 
gemacht wird der Suffragien der ganzen Kirche (quia obligat ieuiii, 
qui facit remissionem, immo et totam Ecclesiam, ut suffragetur ei). 
In welchem Umfang wird aber der- Bußerlaß dem Almosenspender 
zuteil ? Es hat z. B. jemand eine siebenjährige Büße- zu verrichten. 
Nun spendet er am gleichen Tage für Werke, zu deren Gunsten ein 
Ablaß von einem Jahre verliehen worden, sieben Geldmünzen. Ist 
er dann sofort aller Bußstrafen ledig, oder nur teilweise und in welchem 
Umfang ? Raimund antwortet, daß er dies nicht wisse, ja daß kein 
Mensch es wissen könne, außer Gott offenbare es ihm.' Hieraus ergibt 
sich schon, daß Raimund eine überirdische Wirksamkeit des Ablasses 
angenommen hat; denn die von ihm betonte Unsicherheit kann sich 
nur auf die Wirkung des Ablasses in foro Dei beziehen. Dasselbe 
ergib.t sich aus seiiien weiteren Ausführungen. Der Umfang des Buß- 
erlasses, lehrt er, hängt von drei Momenten, ab : 1. von dem Grade 
der frommen Gesinnung des Pönitenten; 2. von der frommen Ge- 
sinnung der Hilfeleistenden (suffragantium) ; 3. von der Zahl der 



^ „Quid valeant remissiones, quas faciunt praelati in dedioationibtis eccle- 
siarum, et conferentibus ad aedificationem pontium, hospitalium et similium." 
S. 491. ' ' , - 

* Wer die erste oder zweite Ansicht vertreten hat, ist nicht bekannt. In 
den bisher besprochenen Sclxriften werden diese zwei Ansichten nie erwähnt. 

^ Diese Ansicht hat schon Huguooio zurückgewiesen. 

* Gremeint ist die Ansicht des Alanus von Lille. 

* jjVerum alia sententia est f avorabilis, et magis communis, et illa,m. approbo, 
videlicet quod valeant, sicut sonant." S. 494 f. 

* Über Raimimds Bußlehfe vgl.'~Schmoll 114 ff. 

' „Hoc omnino neo scio, nee credo aliquem mortalem scire, nisi esset aliouL 
divinitus inspiratum." S. 495. 

16* 



2^4 VI. Die Ablaßlehre der Frühsoholastik. 

letzteren. Da man über diese, drei Momente niclits Siclieres wisse, 
so könne man auch, den Umfang des , Bußerlasses nicht näher, be- 
stimmen.^ : Infolgedessen mahnt Raimund die Pönitenten, auch. wenn 
sie; zur Gewinnung des Ablasses Almosen gespendet; haben, die auf- 
erlegte Buße dennoch zu verrichten, da sie nicht mit Sicherheit wissen, 
ob ihnen die Strafe gänzlich erlassen woMen sei.^ Auch hier. muß 
der- Verfasser eine überirdische Wirksamkeit des Ablasses im Auge 
gehabt haben; dies um so mehr, als er seine Ausführungen von; Jakob 
von Vitry entlehnt hat, der dabei ausdrücklich betonte, man könne 
nicht wissen, in welchem Umfange die Fegfeuerstrafe durch die Ablässe 
gemindert werde .^ 

Eine, weitere Übereinstimmung der beiden Autoren tritt darin 
hervor, daß beide lehren, der Ablaß diene nicht bloß zur Verminderung 
der zeitlichen Sündenstrafen, sondern auch zur Erlangung der Gnade 
und: zur Tilgung der läßlichen Sünden. Diese letztere Wirkung schreibt 
aber Raimund, der sich hierüber ausführlicher äußert als sein. Zeit- 
genosse, nicht dem Ablaß, als solchem zu,, d. h. nicht dem von den 
kirchlichen Oberen erteilten Bußerlaß, sondern den Ablaß werken, den 
guten Werken, die zur Gewinnung des. Ablasses verrichtet werden. 
.Indem er den Ablässen die Tilgung der läßlichen Sünden zuschreibt 
(valent ad venialium deletionem), verweist er auf einen vorangehenden 
Paragraphen über die Tilgung der läßlichen Sünden; in diesem Para- 
graphen hatte er aber unter andern Mitteln, wodurch die läßlichen 
Sünden getilgt werden, das Almosen angeführt.* In derselben Weise 
erklärt er seine weitere Behauptung, daß die Ablässe auch zur Er- 
langung der Gnade beitragen können. Wie jede andern guten Werke, 
so seien die Almosen zu diesem Zwecke dienlich;^ aber auch die.Suf- 
fragien der Kirche, die durch den Ablaßgeber dem Almosenspehder 
zugewendet werden, könnten dazu beitragen.^ 



^ „Cum igitur nullus possit scire mensuram vel nitmerum talium, neo per 
consequens potest scire remissionis mensuram." S. 496. 

2 „NTimquid poterit poenitens post coUectionem talis eleemosjnaae cessare 
ab executione satisfaotionis sibi ab Bcclesia impositae ? Non credo; tum quia 
non est certus, utrum sit adhuo tota illa poena remissa, tum quia saltem ex 
honestate debet per ieiunia et alia bona opera satisfacere Ecclesiae, quam laesit." 
S. '497. 

3 Vgl. oben S. 241. Dietterle (ZeitsoÜr. f. Kirchengesohiohte XXIV 640) 
schreibt: „Raimimd läßt uns hier tatsächlich darüber im imklaren, ob er die 
Ansicht akzeptiert hat, die im Anfange des 13. Jahrhunderts die erste Umbildung 
in der Ablaßtheorie bedeutet, indem sie den Ablaß als Nachlaß der zeitlichen 
.Strafen überhaupt ansieht, inklusive der Fegfeuerstrafen." Was von der an- 
geblichen Umbildung in der Ablaßtheorie zu halten ist, wird im folgenden Ab- 
ßohnitt dargelegt werden. ^ , 

* Summa 496 488. 

^ „Valent peocatori Offerent! ex pia devotione, licet informi, ad gratiae 
impetrationem: ad hoc enim valent quaelibet aliae eleemosynae et quodlibet 
bonum opus." S. 496. 

' „ Quod autem per orationes et suffragia Ecclesiae fiant haec et acquiratur 
«tiam prima gratia peocatori, qui eam mereri non poterat, patet per multa 
«xenapla." S. 496. 



VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik. 245^ 

Daß bei den Ausführungen über den Ablaß der eine der beiden 
Autoren den^ andern benutzt hat, darf als sicher gelten; ebenso wird 
man mit Sicherheit annehmen dürfen, daß Raimund die Predigt- 
sammlung des. damals in Rom lebenden Kardinals Jakob von Vitry 
verwertet hat. Ist doch seine Summe -überhaupt,- wie ier selber gesteht,, 
mehr eüie Kompilation als eine, selbständige Arbeit.^ 

Selbständig scheint indessen Raimunds Erörterung über den 
Ablaß f iir die Verstorbenen zu sein, da in den bisher besprochenen 
Schriften dieser Ablaß . niemals erwähnt wird. Er ist nämlich der 
Ansicht, daß die zur .Gewinnung! des Ablasses vorgeschriebenen und 
von den Lebenden für die Yerstorbenen verrichteten guten Werke den 
Seelen im Fegfeuer in. spezieller Weise zugute kommen, wenn in dem. 
Ablaßbrief ..eine, Zuwendung an die Verstorbenen erwähnt wird.^ 

. Hierzu bemerkt jedoch .derDomhiikaner Wilhelm von Rennes,. 
der -im Jahre 1241 eine -Glosse zu Raimunds Summe verfaßt hat:^' 
Da die Verstorbenen nicht mehr unter der Jurisdiktion der Kirche 
stehen, so scheint man nicht berechtigt zu sein, die Ablässe ihnen 
zuzuwenden. Sollte indessen der Papst . Ablässe für sie bewilligen,, 
so werde er, Wilhelm, sich hüten, die. päpstliche, Vollmacht in Zweifel 
zu ziehen.* Von einer tatsächlichen päpstlichen Bewilligung von 
Ablässen für Verstorbene war .also um die. Mitte des 13. Jahrhunderts 
noch .nichts bekannt.^ . ' 

Wilhelm von Rennes hat den Ausführungen seiiies Ordensgenossen 
über den, Ablaß noch einige interessante Glossen beigefügt. So. fragt 
er bezüglich des vollkommenen Kreuzzugsablasses, ob jene, die gleich 
nach Annahme des Kreuzes, sterben, des vollkommenen Ablasses teil- 
haftig werden, so daß, sie keine , Fegfeuerstrafe zu erleiden haben. 
Seiner Ansicht nach wäre dies nicht der Fall, es sei denn, daß solche 



1 „Summulain ex diversis auctoritatibus . . . compilavi." S. 1. 

* „Numquid , per huiusmodi suffragia, et eleemosynas quas pro eisdem 
remissionibus dant aliqtii pro animabusparentvun vel aliorumfideliumdefunotorum, 
liberabuntur tales animae ä piirgatorio, cum hoc ipsum oontineatur in litteris 
remi'ssionis ? Credo quod sie." S. 497. 

'3 Als Jahr der Abfassung wird in zwei .W.ürzbvirger Handschriften 1241 
angegeben. Ygl. Gillmann, Zur Lehre der Scholastik vom Spender der Firmung, 
S. 81. Ebenso in .einer Wolfenbütteler Handschrift; „Explioit correctio et appa- 
ratus super summam Remundi ed. a magistiro Wilhelme, ord. pred., anno 1241." 
Heinemann I 2; 17 nr. 573. 

* „Cum Eoclesia ligare habeat et solvere super terram, non sub terra, 
et cum tales divino iudicio relioti sint, non videntur huiusmodi indulgentiae 
ad eos extendendae, vel qübd possiht e'volafe de purgatorio, donec aut per ipsos 
aut per alios poenae quarum-sunt debitores, fuerint persolutae ... Si tarnen 
Papa talibus faoiat indulgentiam, nolo°ponere os'in coeluna, de plenitudine po- 
testatis eius temere dubitando." 

^' Irrig schreibt Dietterle (XXIV 548)': „Diese Stelle bei Redonensis 
(Wilhelm von Rennes) ist ein Beweis dafür, daß in der ersten Hälfte des 13. Jahr- 
hunderts die Theorie des Ablasses für die Verstorbenen einerseits durch die Päpste 
bereits ausgeprägt war und anderseits die noch einigermaßen selbständig denkenden 
Gelehrten stark beschäftigte." Von -einer Ausprägung der Theorie des Ablasses 
für die Verstorbenen durch die Päpste ist bei Wilhelm von Rennes nichts za finden. 



246 VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik. 

Personen durch große Reue den vollen Nachlaß der Sünddnstrafen 
verdienen würden. Man müsse' indessen, -fügt er bei; sehen, ob nicht 
etwa im päpstlichen Ablaßbriefe erklärt werde, daß einer schon durch 
dieibloße Annahme des Kreuzesund durch den Vorsatz, den Kxeuzzug 
mitzumachen, den vollen Ablaß gewinne. Denn da der 'Papst die 
kirchliche Vollgewalt besitze, vermöge er viel, was die Nachlassung 
der Sündenstrafen betrifft.^ 

Bemerkenswert ist auch die Glosse zu der Behauptung Raimunds, 
daß man nicht wissen könne, ob durch sieben Geldspenden, wofür je 
ein Ablaß von einem Jahre verliehen worden, eine siebenjährige' Büße 
ganz abgelöst werde. Wenn man das nicht wissen kann, bemerkt 
Wilhelm, wie kann- man dann mit Raimund sagen, daß die Ablässe 
so viel gelten, als sie lauten?^ Er glaubt die Schwierigkeit lösen- zu 
können, indem er unterscheidet • zwischen der 'Aufhebung der' kirch- 
lichen Buße und der- Befreiung vbn*der vor Gott geschüldetien Sünden- 
strafe. Durch die Ablässe wird die von der Kirche auferlegte' oder 
aufzulegende Buße erlassen, so daß jene,' denen Ablässe verliehen 
werden, nicht mehr verpflichtet sind, die äußerliche Buße zu ver- 
richten, die ihnen durch den Ablaß erlassen worden.^ Dadurch werde 
aber der Gerechtigkeit Gottes nicht vorgegriffen, daß nicht eines 
jeden Sünden hinreichend gestraft werden, entweder hienieden schon 
oder später im Fegfeuer.^ Wilhelm will also sagen, daß derjenige, 
der durch eine siebenfache Geldspende einen Ablaß von sieben Jahren 
gewinnt, von der ihm auferlegten siebenjährigen Buße wohl befreit' ist; 
daraus folgt aber nicht, daß er nun auch aller ' Strafe vor Gott ledig 
sei;^ Sind seine Sünden nicht hinreichend gesühnt, so wird er das 
noch Fehlende hier oder im Fegfeuer nachholen müssen, es sei dehn, 
daß die ihm gebührende Strafe durch Almosen, Gebete und andere 
Suffragien der Freunde oder der Kirche ausgeglichen werde. 



^ „Numquid, , si statira assumpta cruce decesserint, aui^ postquatn iter 
arripuerint, habebunt indulgentiam, ita quöd nullxim in, purgatorio patiantur 
poenam pro pecoatis ante commissis ? Respondeo : Credo sine praeiudioio,' quod 
ex sola crucis susceptione et proposito proficisoendi non conseqiiatur quis illam 
plenam indulgentiam, nisi quantitas oontritiönis et devotionis, "quam habet ad 
negotium qui susoepit crucem, illam mereatur indxdgentiam. Reourrendum est 
tamen ad formam indulgentiae et intentionem' Papae." S. 495. 

2 „Die, si placet, et sie videtur sensisse Cancellarius (c. quod autem. X. 
de poen. et rem. Statt „Cancellarius" ist ,,Tancredus" zu lesen, wie zwei Würz- 
burger Handschriften richtig lauten. Vgl. Gillmann, Ziir Lehre der Scholastik, 
S. 82) quod huiusmodi particulares remissiones, sive f iant a Papa, sive ab Episcopis 
quantum ad subditos suos, valent quantum ad liberationem et exonerationem 
poenitentiae ab Ecclesia inf lictae vel inf ligendae, ita quod non tenentur ii, quibus 
fiunt huiusmodi indulgentiae, f acere poenitentiam exteriorem pro ea parte, quae 
per huiusmodi indulgentias est eis remissa, vel etiam pro toto, si tota poenitentia 
per huivtsmodi indulgentias in totum est remissa." S. 496. 

ä „Huiusmodi tamen remissiones non praeiudicant divinae iustitiae, quin 
cuivislibet peccatum sufficienter puniatur, vel hie vel in purgatorio, aut poena 
eins sufficienter redimatur per eleemosynas aut orationes et caetera suffragia 
vel amicorum vel Ecclesiae facta pro satisfaotione huiusmodi peccati." , S..,496. 



VI. Die Ablaßlehre der -Frühseholastik. 247 

i Wilhelm hält für wahrscheinlfch die Ansicht etlicher, die meinten, 
daß' zur Gewinnung der partiellen Almoseiiäblä'sse die erforderte Geld- 
spende dem Vermögen «eiif sprechen müsse,, da sonst mit einem Denar 
ein König den gleichen Ablaß gewinnen könnte wie irgendein armer 
Mann. Da man aber nicht leicht mit Sicherheit wissen könne, ob der 
gespendete Beitrag in richtigem Verhältnis zum Vermögen stehe, so 
könne ;man auch nicht leicht, mit Sicherheit wissen,, ob man des Ab- 
lasses .teilhaftig geworden/ Deshalb, tue man gut,- die auferlegte Buße 
nicht, zu unterlassen, .wenngleich- man nicht sündigen würden falls man 
^ie nicht verrichtete.^ ,.- - > - 

'Mit 'Raimund von , Penaf orte ' stimmt in einigen 'Punkten fast 
wörtlich überein ein gewisser Magister Paulus, Mitglied des'Chor- 
herreristifts St. Nikolaus bei Pa'ssau, der' in der -ersteh "Hälfte des 
13.' Jährhunderts eine Summa' de Poenite'iitia verfaßt hat'.^' Da darin 
das- 'Beichtdekret 'der Lateransynode von 1215 als „neu" bezeichnet 
wirdj^'so kann die Schrift nicht 'allzu lange nach 1215 entstanden 
sein.* Entweder hat der eine der beiden Autoren den andern benutzt, 
oder beide haben eine gemeinsame Quelle verwertet. Der Passauer 
Chorherr zählt nicht weniger als sieben Ansichten auf, die bis zu seiner 
Zeit über den Wert der Almosenablässe geäußert worden waren. Als 
gute- Zusammenstellung der in' clen obigen 'Ausführtingen erwähnten 
Ansichten möge die ganze 'Stelle "hier 'Plätz'finden.' ' ' 

.','jQuid valeant 'remissiones, quäe' fitint, in pontibns et dedioationibus eo- 
olesianiin, item hospitälariis,''l)einplariis'et aliis ? Super höe s'eptem sunt opiniones 
satis probabiles, septimam tarnen ainplectimur et tinemus; »licet et aliae possunt 
«sse yerae; v Primi dicunt, ,quod^yalent .tanquam thesaurus, ut cum alia def eceririt 
et ianiimereri non .possimus, repipiant, nos in aeterna tabemacula, ut de yillico 
iniqüitatis legitur ini evangelio.^ Seoundi dicimt, quod valent quoad delicta 



■ } „Numquid tenetUTj eam [poenitentiam] agere ? Eespondeo, si bona fide 
•et pia devotione dedit huiusmodi eleemosynam poemtens,iet credens huiusmodi 
remissionem, oredo sine .praeiudioio, quod non erit transgressor, si poenitentiam 
iniunctam non .fecerit." "S. 496. ■ « , , >l 

- * Abgedruckt beiß. Duellius, Miscellaneal, Augustae Vind. 1723, 59 — 83. 
Bibliotheca Casinensis IV, Casin. 1880, Florilegium' 191-^215. J. Lindeboom, 
•der Duellius nicht kennt, veröffentlicht einen stark verkürzten Text in Nederland 
Archief.voor Kerkgeschiedenis > XV (1919).180— 219. . 

^ .Duellius 70. Bibl. Gas. 197. Schmoll 112 und andere meinen demnach 
rcät Unrecht, die iSchrift;sei noch vor der Lateransynode verfaßt worden. 

* Ebendeshalb, kann als Verfasser, der Schrift nicht in Betracht kommen 
der, erst' 1316 verstorbene Pariser Kanzler rFranziskus Caraoeioli, dem die 
Beichtsumme in einigen iHandschriften .zugeschrieben wird. ,■ Über, Caraccioli 
vgl. Haureau in'Histoire litt6raire de la France XXX (1888) 409 ff. und Notices 
et extraits de quelques'-manuscrits latins de ia bibliotheque nationale III (1891) 
225 f. Ebensowenig kommt in Betracht Kardinal B.erengarius Fredoli (f 1323), 
dem, Lindeboom (Arohief "161 ff.) die Schrift zueignet.' Zur Zeit, wo Paulus 
seine Schrift verfaßte, war ein Magister Dominikus Propst yon- St. Nikolaus 
(ut dioit prior noster, magister Dominieus. ^ Duellius 69. BibUotheca 197). 
In dem von P. Lindner (Monasticon Metropolis Salzburgensis.- Salzburg 1908, 
235 ff.) aufgestellten, allerdings nicht lückenlosen Verzeichnis der Pröpste \on 
St. Nikolaus wird ein. Dominikus ijlcht erwähnt. 

5 Vgl. oben S. 229 die Glosse zur Compilatio prima. 



248 VI. Die, Ablaßlehre der Frühscholastik. 

ignorantia«.^ Tertii dicunt, quod valenfqaoad veniaüa oblivioni tradita. Quarti 
dicuat, quod valent^ tanquam quodlibet bontim, tarnen amplius prppter autori. 
tatem Ecciesiae. Quinti diciint, quod valent quoad mitigationem poenae in 
purgatorio, quam hiq non peregit propter mortis praßocoupationein. Sexti .dicunt, 
quod valent quoad - poenitentiam negligenter peractam. Septimi dicunt;, quo3 
ampleotimur et imitamur, quod in veritate valent, et hoc propter duo, propter 
nummi dationem, et quia Ecclesia obligat, se pro illo orare."^ 

Magister Paulus pflichtet demnach, wie Raimund- von Penaforte, 
der Ansicht bei, daß die Ablässe in Wirklichkeit nach ihrem Wprtlaute 
Geltung haben und daß sie aus einem doppelten Grunde wirksam 
seien, erstens wegen des gespendeten Almosens, zweitens weil die 
Kirche sich verpflichtet, für den < Almosenspender zu beten..! Doch 
betont er, , daß sie nicht jenen von Nutzen sind, die ini Yertrauen 
darauf der Üppigkeit frönen wollen. Um der Ablässe teilhaftig zu 
werden, müsse man ein christliches Leben, führen und ohne Vorbehalt 
den Worten des Heilandes Glauben schenken: Was- du auf Erden 
lösen wirst, das soll auch im Himmel gelöset sein. Wollte man aber 
den Ablaß als kraftlos verwerfen, so würde man sich der Lösegewalt 
der Kirche entgegensetzen, was durchaus zu vermeiden sei. Denn 
was die Kirche lehrt, müssen wir für wahr halten, und .was sie tut, 
als recht und billig betrachten.* 

Ganz von Raimund von Penaforte abhängig ist bezüglich des 
Ablasses der deutsche JBVanziskaner Heinrich von Merseburg^ in 
seinem um 1242 verfaßten Kommentar zu den Dekretalen Gregors IX.' 

Aus der Mitte des 13. Jahrhunderts stammt ein händschriftlicher 
Traktat über die Sakramente, der auf der Münchener > Staats- 
bibhothek verwahrt wird.'' Der anonjnme Verfasser, ein Geistlicher 
der Diözese Metz,® läßt in seinen Erörterungen über den Ablaß noch 



^ In der Ausgabe von Montecassino heißt es: „quoad delicta venialium, 
ignorantiae, etiam mortaliiun", offenbar ein verderbter Text. In einer Sammlung 
von Lesefrüohten, die dem Papste Cölestin V. (Petrus von Murrhone) zuge- 
schrieben wird, heißt es besser: „quoad delicta ignorantiae, et etiam admortalia". 
Telera, S. Petri Oaelestini opusoula selecta. Neapoli 1640, 289. Aber dieser 
Zusatz gehött wohl zu Nr. 3, so daß hier zu lesen wäre : „quoad veniaüa oblivioni 
traditaji et; etiam quoad mortaüa [oblita]". ' 

^ Gtemieint sind hier die vom Ablaßspender geforderten guten Werke. ' • 
^ Duellius71. Bibliotheca 198, Lindeboom 189. Auchbei Amort 11 59. 

* „Nee dico, illis prodesse qui fraudem adhibent, volentes vivere luxuriöse 
et splendide, sed illis prosunt qui- catholica vivunt (Bibl. Casinensis: utuntur) 
simplicitate, oredentes lllud simpliciter ac pure : Quodcimque solveris etc. Alio- 
quin nisi diceremus, quod valerent remissiones istae, iam disputareinus contraa 
claves Ecciesiae, quod absit. Debemus enim verum esse oredere quod dicit Ecclesia, 
et iustum esse quod facit." 

/ Vgl. über ihn B. Kurtscheid, in Franzisk. Studien IV (1917) 239—63. 

* Sumina super titulos decretaUum. Handschriftlich auf der Münchener 
Staatsbibliothek. Cod. lat. 3844, Bl. 113'. Die Stelle über den Ablaß auch bei 
Andort II 118, aber ohne Angabe des Verfassers. 

. ^ Summa sacramentorum. Clm. 22233. Bl. 42—46 ist die Bede „de in- 

dulgenoiis et remissionibus'*, und zwar imter den Ausführungen über das Sakra- 
ment der Priesterweihe. ^ 

* In seinen Ausführungen über den Ablaß nimmt er wiederholt Bezug auf 
die Metzer Diözese. 



VI. iDie Ablaßlehre der Frühscholastik. 249 

keine Abhängigkeit von den großen Scholastikern erkennen; dagegen, 
werden von ihm Raimiuid von Penaf orte und Wilhelm von Auvergne 
fast wörtlich ausgeschrieben; einiges hat er auch aus der Summe 
Wilhelms von Auxerre. entnommen.^ So schließt er sich bei der Be- 
stimmung des Wertes' des Ablasses aufs engste an Raimund an. Mit 
Raimund lehrt er auch, daß die Ablässe den Verstorbenen zugewendet 
werden ' können. Nur hat er seine Vorlage falsch verstaixden. Der 
Bedingiingssatz : „Wenn in den Ablaßbriefen eine Zuwendung an die 
Verstorbenen erwähnt wird", hat bei ihm die bejahende Form an- 
genommen: ,,Wie es in den Ablaßbriefen enthalten ist."^ 

Nebst der kurzen Bemerkung ' Raimunds über die Ablässe für 
Verstorbehe bringt der Verfasser über denselben Gegenstand die Er- 
örterung eines nicht näher bekannten Theologen namens Gerwik.* 
Dieser vertrat die Ansicht; daß die Seelen im Fegfeuer, insofern sie 
das ewige Endziel noch nicht erreicht hätten, unter der Gerichtsbarkeit 
der Kirche stehen würden. Die Gläubigen könnten daher die Ablässe, 
deren sie teilhaftig geworden, hilfsweise ihren verstorbenen Verwandten 
und Freunden zuwenden, falls der Ablaßspender es gestatte.* 

Bei der Verteidigung des Kieuzablasses sowie der Ablässe für 
Kirchen, Klöster, Spitäler, Brücken usw. wiederholt ' der anonyme 
Verfasser fast wörtlich die Ausfiihrungen Wilhelms von Auvergne» 
Dagegen folgt er Wilhelm von Auxerre in der Beantwortung der Frage, 
welche Bedingungen zu erfüllen seien, damit die Ablässe so viel wirken, 
als sie verheißen. Über den Umfang des Wertes des Ablasses vor dem 
Richterstuhle Gottes läßt sich nach unserm Autor, der hier wiederum. 
Raimund von Penaf orte folgt, nichts Sicheres, sagen. ^ Gott habe uns 
hierüber in der Unsicherheit gelassen, damit wir in der Bußübung 
nicht^'lässig wären.* D.och erwähnt er, ,wie etliche der Ansicht seien. 



^ Die Schrift ist sicher nicht vor 1244 verfaßt worden, da darin (BL' 42'): 
Hugo von St. eher, der 1244 Kardinal wurde, als „Hugo cardinalis" angefiüirt 
wird. Einmal (Bl. 19) wird auch die Glosse Wilhelms von Rennes zur Summa 
Raimunds von Penaforte erwähnt, was schon Schmoll 128 hervorgehoben hat. 

' „Propter hoc etiam creditur quod anime parentum vel aliorum fidelium. 
liberantur a purgatorio, sicut in literis remissionis oontinetur." Bl. 42'. 

^ Dieser Theolog wird weder 'bei Chevalier noch bei Hurter noch in 
andern bio -bibliographischen Werken erwähnt. 

* ,,Ut dicit frater Gerwious, doctor , theologus, usque ad defunotos ex- 
tendimtur indulgencie, quia quoad,hoc sunt de foro ecclesie; in qiiantvon enim 
peregrinantvu" ad terminum . . . sunt viatores et de foro ecclesie. Et forte sicut 
favorabile est dicere quod beata virgo Maria etiain corpore glorificata sit, quamvi» 
probari non .possit, ita pie potest oredi quod.ille cui data est indulgencia aliqua, 
potest eam concedere parentibus vel amicis defunctis per modum suffragii, sicut 
et peregrinaciones et oblaciones in missis maxime, si ille qui dat indulgenciam, 
hoc concedit." Bl. 42'. 

* „Quantum prosint huiusmodi, indulgencie, solus Dens seit, et illi pro 
quibus fiunt qui in pm-gatorio sunt,' ubi pape indulgencia habet locum. Nam 
qnod dicituT quod valent sicut sonant, aliter et aliter senciunt qui ibi sunt, 
secundum quod magis vel minus allevari meruerint." Bl. 45, 

••,iDe quantitate illius remedii^icutde morte incerti sumus omnes,-ne 
simus ad penitenciam negligentes." Bl. 45. 



250 VI. Die Ablaßlehre der 'Frühscholastik. 

daß durch- einen Ablaß. von einem Tage, so viel' von der Strafe weg- 
genommen werde, als durch, einen Bußtag ; dabei- würden sie aber den 
Ablaß von einem Jahre nicht, für 365 Bußtage gelten^ lassen, sondern 
nur für die Tage, an denen man im Laufe des Jahres- hätte . fasten 
sollen. Dies sei, übrigens schon ein recht großer Straferlaß, da der 
Mensch viel verdiene, wenn er freiwillig in der Buße sich übt.^ Andere, 
fügt der Verfasser bei, meinen, daß wer einen Ablaß von 40 Tagen 
gewinne, 40 Tage' weniger im Fegfeuer zu- leiden haben ^werde.^ Er 
selber beschränkt sich darauf, zu sagen, es sei glaublich, »daß durch 
den Ablaß die Fegfeuerstrafe gemindert werde, für die einen mehr, 
für die andern weniger. Er schließt denn auch seine Erörterungen 
mit der Bemerkung: Es ist durchaus zu. glauben, daß die AJalässe 
sehr nützlich sind und daß die, dafür, gespendeten Almosen .einen 
großen Wert haben, aber nur für jene, die .der Ablässe würdig, sind, 
die sie gehörig auffassen und die^ihre Almosen mit, Umsicht spenden.' 

Davon nimmt er nun Anlaß, einzuschärfen, die Almosen nicht an 
fremde, unbekannte, oft sehr unwürdige Sammler zu vergeuden, son- 
dern vor allem die armen Verwandten und Nachbarn und die eigene 
Pfarrkirche zu unterstützen. Er erklärt auch, wie verschiedene Privi- 
legien, die in den Ablaßbriefen verheißen werden, gehörig aufzufassen 
seien. Wird ein Erlaß des dritten oder siebten Teils/ der Bußstrafen 
versprochen, so wird, vorausgesetzt, daß eine Buße auferlegt, worden 
sei, die den kirchlichen Bußsatzüngen öder den Forderungen der gött- 
lichen Gerechtigkeit entspreche. Dies sei aber öfters nicht der Fall, 
da nicht selten eine geringere Buße als die vorgeschriebene auferlegt 
werde. ' , 

Heißt es in dem Ablaßbriefe, daß die vergessenen und schlecht 
verrichteten Bußen nachgelassen werden^ so gilt dies nicht von dem 
auferlegten Fasten, das jemand absichtlichünd ohne Grund gebrochen 
liätte. Ähnlich verhalte es sich mit der Nachlassung vergessener 
Sünden, d., h. der Strafen für vergessene Sünden. Es handelt sich 
dabei nicht um' Sünden,' die man absichtlich zu vergessen suche, um 
sie nicht beichten zu müssen, sondern um solche, deren man sich nicht 
erinnern kann. 

In mittelalterlichen Ablaßbriefen werden öfters gebrochene Gelübde 
erlassen unter der Bedingung, daß man zu deren Erfüllung zurück- 
gekehrt sei. Dies Privilegium beschränkt der Lothringer Theologe auf 
jene Fälle, in denen die Nichtbeobachtung des Gelübdes nur kurze 
Zeit gedauert hätte. Hat jemand z. B. das Fasten, zu dem er sich 
durch Gelübde verpflichtet, längere Zeit hindurch wissentlich unter- 



^ „In hoc oomputant annum indulgencie non pro continuis diebus anni, 
sed pro tot diebus qüotdebuitieiiinare pet-annura. Et hoc valde magnum est, 
<iuia multum meretur homo, qüando se- affligit sponte in penitencia." Bl. 45. 

* j,Alii dicunt quod tot diebus cicius exitide pena." 

^ „Omnino igitiir' credendumiestvquöd indiilgencie valde b9ne sunt et 
multum valentelemosine que pro illis fiuntj sed illis qui digni sunt, qui prüden ter 
■eas ihtelligunt et prudenter suas elemosinas faciunt." Bl. 45'. 



VI; -Die' Ablaßlehre der Frühächolastik, 251" 

lassen, so muß man dem Bevollmächtigten des Bischofs ;beicliten, das 
(Gelübde fürderhin wieder halten und das Versäumte nachholerii 
Paraus erhelltj daß es sich bei' der Nachlassung gebrochener Gelübde 
nicht bloß um.eineni Erlaß, der durch den Grelübdebruch verdienten 
Strafe handelte, sondern auch um Aufhebung der bischöflichen Reser- 
vation. Der Gelübdebruchi gehörte eben damals. zu den bischöf Hohen 
Beservatfällen. Unser Autor "will also sagen: Hat jemand ein Gelübde 
nur kurze Zeit hindurch nicht 'beobachtet, so wird für ihh' durch das 
Ablaßprivilegiüm die . Reservation aufgehoben; infolgedessen kann er 
von seinem gewöhnlichen „Beichtvater absolviert werden.: -Bei einer 
länger ;anhaltenden' Mißachtung bleibt aber, die 'Reservation bestehen, 
80 daß man, .um die Absolution, zu, erlangen,, sich an dem bischöf liehen 
Pönitentiar; wenden müsse i. Zu, den;, bischöf liehen Reservatfällen ge- 
hörte damals auch diei Mißhandlung. der Eltern. Hierzu bemerkt der 
Verfasser : Wenn ein Erlaß der Elternbeleidigung verheißen wird, so 
sind darunter, leichtere Beleidigungen zu verstehen (inteUiguntur leves. 
que cotidie.iaccidünt);'! schwere Mißhandlungen riiüssen dem Obern 
(maiori, d. h.; dem Bischof- oder dessen Stellvertreter) gebeichtet und 
durch schwere . Buße gesühnt werden. .^ ■•■-.. 

. . , Zum .Schlüsse seien \ >noch \ z wei ; , Kanonisten erwähnt, . deren- Er- 
örterungen /.über; den Ablaß, von i späteren- Autoren öfters angeführt 
wurden.. Beide sind; Lehrer -in- ^Bologna gewesen. Der eine davon, 
namens Vinc.entiüs, Hispanus (f '124=4), hat wohl noch in den 
dreißiger Jahren des 13. Jahrhunderts einen Kommentar zu den 
Dekretalen verfaßt,^ worin er bezüglich des Ablasses, wie aus den 
späteren:' Zitaten zu ersehen ist, vornehmlich praktische Fragen zu 
lösen suchte. 

Weit einflußreicher wurde Goffredus von Trani (f 1245) mit 
seiner bald nach 1241 verfaßten Summe zu den Dekretalen,^ einer 
„unendlich geschickten Kompilation aus den vorhandenen Schriften", 
die „fast als das Lehrbuch erklärt werden darf, das von zahllosen 
Lehrern bei den Vorlesungen zugrunde gelegt wurde".* Auch seine 
kurzen Bemerkungen über den Ablaß wurden von späteren Kanonisten 
oft wiederholt, so namentlich seine Behauptung, daß im Bußgericht 
auch der einfache Priester seinem Beichtkind Ablässe erteilen darf, 
während die öffentlichen und generellen Ablässe für Kirchenbesuch 
und Almosen von den Bischöfen gewährt werden können, und zwar 
nur ihren Untergebenen.® Gelten die Ablässe so viel, als sie besagen? 



^ ,,Si seien ter ieiunium voti longo tempore dimisisti, debes confiteri maa> 
■datario episcopi et perficere votum de cetero et recnperare omissum ad consilium 
illius." Bl. 45'. 

' Eine Abschrift des noch ungedruckten Kommentars verwahrt die Leipziger 
TJniversitätsbibliothek. Vgl. Schulte. I 191 ff. 

^ Summa super libris Decretalium. Venetiis 1502. 

* Schulte II 88 ff. 

* „Est soiendum quod remissiones privatas in iudiciis animarum sacerdotes 
iaoere possunt, sed generales . . . episcopi et archiepiscopi facere possunt, que 
solis subiectis facientium prosunt." Bl. 95. 



252 



VI. Die Ablaßlehre der Frühscholastik. 



Darüber bestehen Zweifel, antwortet Goffredus; etliche halten ea 
nämhch für ungereimt, daß ein Pönitent, dem eine Buße von 7 Jahren 
auferlegt worden, durch eine siebenmal wiederholte' kleine Geldspende 
die gesamte. Buße ablösen könne. Obgleich nun in dieser Frage, be- 
merkt der Verfasser, die Ansichten auseinandergehen und der Wert 
der Ablässe verschiedentlich erklärt werde, so halte er doch dafür, 
daß die Ablässe einfach nach ihrem Wortlaut Geltung haben. Ea 
komme nicht darauf an, auf welche Weise der Kirche Genugtuung 
geschehe, und wen. die Kirche losspreche, der sei auch, wirklich- los- 
gesprochen; denn daß die Kirche die Lösegewalt besitze, stehe außer 
allem Zweifel.^ Dabei hat aber Goffredus nur die Lossprechung von 
der zeithchen. Strafe im Auge; denn wie er an anderer Stelle dartut, 
wird? die Sündenschuld samt der ewigen Höllenstrafe durch die von 
der Gnade Gottes bewirkte und mit der Liebe verbundene Eeue 
getilgt. - ' ■ ^ 

Aus den vorstehenden Mitteilungen kann man ersehen, daß die 
Ablaßlehre der Erühscholastik noch eine große Unklarheit und Un- 
sicherheit aufweist. Wenn aber auch die' älteren Theolögen und 
Kanonisten in manchen, und zwar wichtigen Punkten, voneinander 
abweichen, so waren doch alle darin. einig, daß der Ablaß sich nicht 
auf die Sündenschuld, sondern auf die Sündenstrafe beziehe, und daß 
er nicht bloß vor dem Richterstuhle der Kirche, sondern auch vor 
Gott Geltung habe. Dies. soll im folgenden Kapitel eingehender dar- 
gelegt werden. 



i ^ >f Qualiterctinque satisf iet ecclesie non refert, etabsolutus est quem eoolesia. 
absolvit." Bl. 95. 



VIL Die Bedeutung der älteren Ablässe. 

über die Bedeutung der älteren Ablässe sind ganz entgegengesetzte 
Ansichten ausgesprocHen worden. Etliche meinen, man 'habe mittels 
des Ablasses nicht bloß die Sünden strafe, sondern auch die Sünden- 
schuld tilgen -wollen. Andere dagegen behaupten, man habe an- 
fänglich dem Ablaß gar keine überirdische Wirksamkeit beigelegt; es 
sollte dadurch bloß die von der Kirche auferlegte irdische Bußstrafe 
erlassen werden. Beide Ansichten sind unzutreffend. 

Zunächst ist es nicht richtig, daß mittels des Ablasses die Sünden- 
schuld getilgt werden sollte. Nicht von der Sündenschuld sollte 
der Ablaß befreien, sondern von den Sündenstrafen. Wohl 
wird in päpsthchen und bischöflichen Ablaßbriefen, auch wemi es sich 
bloß um partielle Ablässe handelt, öfters eine „Nachlässung der Sünden" 
(remissio peccatorum) verheißen," wie man in zahheichen oben mit- 
geteilten Stellen nachlesen kanii.i Gemeint ist aber damit eine Nach- 
lassung der Sünden, was die Bußstrafen betrifft (quoad poenam), oder 
eine Nachla'ssung der für die Sünden verdienten Bußstrafen.^ Dies 
ergibt sich mit voller Bestimmtheit aus den Schreiben, in deiien die 
beiden Ausdrücke Sündenerlaß (remissio peccatorum) und Buß- 
erlaß (remissio poenitentiae) unterschiedslos gebraucht werden. In 
einem seiner Briefe aus dem Jahre 1Ö95 bemerkt Urban II., er habe 
auf dem Konzil von Clermont den Franzosen den Kieuzzug aufgegeben 
.„zur Naohlassung aller ihrer Sünden". Auf der Synode von 
Clermont hatte aber der Papst erklärt, daß den Kreuzfahrern die 
Heerfahrt für die ganze Buße angerechnet werden solle. In Über- 
einstimmung hiermit erließ er in einem weiteren Schreiben aus dem 
Jahre 1096 den Kreuzfahrern die ganze Buße für die recht ge- 
beichteten Sünden.^ Für Urban II. war also in betreff des Ablasses 
„Sündenerlaß" gleichbedeutend mit „Bußerlaß". In der Kreuzzugs- 
bulle, die Gelasius II. im Jahre 1118 für Spanien erließ, und in dem 

^ Hierauf stützt sich Hinschius V 155 f., lun zu behaupten, seitens der 
Päpste sei eine ^..Tilgung der Sünden" versprochen worden: „Überall ist in den 
betreffenden Stellen vom Erlaß der Sünden die Rede, nicht aber, wie die heutige 
katholische Kirche in betreff des Ablasses lehrt, von denivor Gott schuldigen, 
zeitlichen und natürlichen (nicht kirchlichen Rechts-) Strafen, welche der Sünder 
trotz der sakramentalen Lossprechung , von seinen Sünden und der dadurch ein- 
tretenden Beseitigung der ewigen Strafen noch bei seinen Lebzeiten oder nach 
seinem Tode über sich ergehen lassen muß." Viel Unrichtiges über den Ablaß 
ala Nachlassung der Sündenschuld findet sich auch bei Lea 56 ff. 

' Über die Bezeichnung des Ablasses als „remissio peccatorum" vgl. Göller, 
Ausbruch der Reformation, S. 94 ff. ^ 

» Oben S. 196. 



254 



VII. Die Bedeutung der älteren Ablässe. 



erläuternden Schreiben der spanischen Bischöfe ist bald von Sünden- 
erlaß, bald von Bußerlaß die Bede;^ ebenso in den KJceuzzugsbullen von 
Alexander III,, Gregor VIII., Cölestin III. und Innozenz III.» 

Wenn dann verschiedene Päpste die HäKte oder einen der Hilfe- 
leistung entsprechenden Teil der Sünden erlassen, so ist es doch sonnen- 
klar, daß hier nur von den Sündenstrafen , die Rede sein kann; denn 
was die Sündenschuld anlangt, kann eine schwere Sünde nicht ohne 
die übrigen erlassen werden; entweder wird keine, oder es.-?^^erden alle 
miteinander vergeben. Die Bußstrafe dagegen kann sehr wohl teilweise 
erlassen werden. Wenii daher in zahlreichen bischöflichen Ablaß- 
schreiben der dritte oder der vierte Teil der „Sünden" erlassen wird, 
so kann sich dieser partielle Erlaß nur auf die Sündenstrafen beziehen. 
Daß unter der Absolution oder Nachlassung der Sünden, wovon auch 
in bischöflichen Ablaßbriefen so oft die Rede ist, nichts anders als ein 
Bußerlaß zu verstehen sei, zeigt mit besonderer Deutlichkeit eines der 
ältesten Ablaßprivilegien, dasjenige des Bischofs De o da t von Töulon 
für Pierrefeu.^ Es wird darin eine Absolution aller gebeichteten Sünden 
verheißen, der schweren wie der geringeren Sünden. Worin besteht 
aber diese Absolution in bezug auf die schweren Sünden ? Sie wird 
vom Bischof selbst dahin erklärt,, daß den Pönitenten, die wöchentlich 
einige Tage zu fasten hatten, ein Fasttag in der Woche nachgelassen 
werden sollte.* 

Zur Erklärung der Ablaßformeln, in denen eine Nachlassung der 
Sünden verheißen wird, haben katholische Autoren schon häufig 
darauf aufmerksam gemacht, daß der Ausdruck „Sünde" (peccatüm) 
hier wie auch sonst oft „Sündenstrafe" bedeute,^ Protestantischerseits 
hat man diese Deutung als „ungeschichtlich" abgelehnt. „Es ist eine 
starke gelehrte Zumutung," schreibt Karl Hase, „daß bei solchen 
der mittelalterlichen Kirche üblichen Verheißungen unter Sünde zu 
verstehen sei die der Sünde gebührende Strafe. Sie gehören vielmehr' 
der alten Rücksichtslosigkeit an, welche den Ablaß auf Schuld und 
Strafe zugleich bezog."* Th. Brieger seinerseits erklärt: „Die Be- 



^ Oben S. 158 197. In dem Schreiben der Bischöfe ist zuerst die Rede von 
einem Erlaß der Buße (poenitentiae), dann von einer Nachlassung der Sünden 
(delictorum). Migne CLXIII ö07 f. 

» Oben S. 201 203 206 ff. . ^ Oben S. 143. 

* Treffend schreibt P, Fournier (Revue d'histoire ecclesiastique 1909, Ö78) 
bezüglich deiartiger Absolutionen: „II n'est pas inutile de faire remarquer que, 
dans les textes preoites, l'expression ,absolutio a peccatis' signifie, non pas la 
T^conciliation dupecheürayecDieu, mais la remission de la penitence canonique, 
c'est-a-dire l'indidgence." Vgl. S. 684: „Al'epoque oü apparaissentles indulgences 
coUectives, il ne faut pas oublier que dans Tiromense majoritöde eas, les fideles 
ont 6t6 r^cönciliös apres l'aveu; les pönitents, a qui sont offertes les indulgences, 
n'ont plus besoinde reconciliation, mais de remise de la penitence. L'indulgence 
ne peut 6tre pour eux que ciette remise. C'est en ce sens que les 6vöques leur 
acoordent l'absolution de leürs peches ou de quelques-ims d'entre eux." 

5 Beringer-Steinen I 10. 

• K. Hase, Handbuch der protestantischen Polemik gegen die römisch- 
katholische Kirche. 4. Aufl. Leipzig 1878, 396. 



VII. Die Bedeutung der älteren Ablässe. 255 

lehrung, welche uns die geborenen Verteidiger des*^ Mittelalters un- 
ermüdlich zuteil werden lassen, sSünde* bedeute hier wie auch, sonst 
öfters und' selbst: in der HL Schrift , Sündenstrafe', müssen wir mit 
K. Hase als eine ,starke gelehrte Zumutung' ablehnen. "^ 

Jedenfalls wird man aber- nicht -bestreiten können, daß von jeher 
infolge einer bekannten Redefigur (Metonymie) , wodurch die Be-. 
nennung der Ursache, auf die Wirkung übertragen wird, die Sünden- 
strafe öfters als Sünde bezeichnet würde. Man kann hierfür auf 
2. Makk. 12, 46 verweisen, wo es für heilsam erklärt wird, für die 
Verstorbenen zu beten, damit sie von ihren „Sünden" erlöst, werden. 
Augustinus hebt, einmal hervpr, daß. man den Tod „Sünde" nenne, 
da er eine 'Straf er der Sünde sei.^ Daß es in der Periode der Früh- 
scholastik üblich, war, die Sündenstrafe als Sünde zu bezeichnen, 
bezeugen zahlreiche .Theologen. jener Zeit, so der Abt Werner, von 
St. Blasien (f ,1126),3 Abälard-,(t 1142),*. Petrus der Ehrwürdige 
von Cluni (f 115,6),5;Epland, der .spätere Papst Alexander III., • in 
seinen-'bald nach ,1150 verfaßten Sentenzen,^ Omnebene, ebenfalls 



1 B rieger. Das Wesen des Ablasses 25 f. Brieger fügt jedooh bei, daß 
Hase und Hinschitis mit .Unrecht geneigt sind, „wirklich' Erlaß der Sünden an- 
zunehmen". An anderer Stelle (Beiträge zur sächsischen Kirchengeschiehte 
XVI, 1903, 60) schreibt Brieger: „Die ehemals herrschende protestantische 
Auff assvmg, der Ablaß sei Sündenvergebung schlechthin gewesen, hat weder 
in der Theorie noch in der Praxis der mittelalterlichen Kirche einen Halt." Vgl. 
auch K. Müller, Kirchengeschichte I, Freibürg 1892, 490. n. 1: „Die bei den 
Katholiken übliche Deutung' der ,peccata' auf Sündenstrafen ist eine Verlegen - 
heitsauskünft, die dem geschichtlichen Sinn -nicht, gerecht wird, in der Sache 
aber das .Wesentliche doch trifft. , Die früher auf evangelischer Seite , übliche 
Deutung war saohhoh jedenfalls falsch und ist ja auch allgemein, aufgegeben." 
Daß im Jahre 1892 die falsche Deutung allgemein aufgegeben war,- ist nicht 
zutreffend. Der Band, in welchem ein so hervorragender Grelehrter wie Hins chius 
die falsche -Deuttmg wiederholte, ist im Jahre 1895 zu Berhn erschienen. 

* Contra Faustum XIV 3:, „Mors hominis ex poena peccati est,' imde 
et ipsa peccatum dicitxu:." Migne XLII 296. 

' Migne CLVII 1206: „Cum- arbitrio sacerdotum temporahs poena peccati 
proteletur vel abbrevietur, de ea plures intelUgunt illud esse dictum: Quorum 
remiseritis peccata . . . Poena enim peccati vocatur peccatum, iuxta quod 
nomen causae transfertur ad effectum." 

* Expositio in ep. Pauli ad B>om. 6, 12: „Pluribus modis peccati nomen 
Soriptura sacra äccipit, uno^quidem modo et proprio pro ipsa äiümae culpa et 
oontemptu' Dei, id est prava voluntate nostra, qua rei apud Deum statuimur. 
Altero' autem modo peccatum dicitur ipsa peccati poena quam per ipsum 
incurrim\is vel öui propter ipsum obnoxii tenemur. Secundumi quam quidem 
significationemdicunturpeccatadimittijidest poenae peccatorum. condonari, 
et Dominus peccata nostra portasse, i.e. poenas- peccatorum nostrorum susti- 
nuisse." Migne CLXXVIII 866.' Ganz ähnUch Ethica, cap. 14. Ebd. 654. 

" * Migne CLXXXIX 821: „Manetveraxveritatissententiaremitti peccata, 
hoc est ppenam peccatorum, aliquando in hoc saeculo, aliquando in futuro." 

* A. Gietl, Die Sentenzen Rolands. Freibufg 1891, 247 f.: „Ut ait Augu- 
stinus, peccati nomine censetur tam pena'quam- culpa. Dioimus ergo quod 
peccatum," id est culpa remittitur in cordis contricione." Aber auch durch die 
Beichte imd Genugtuung „peccatum.'^id est pena temporalis debita pro 
peocato remittitur, i. e.mihoratur." , 



256 VII. Die Bedeutung der älteren Ablässe. 

um die Mitte des 12. JaKrh.underts,^ Johannes Teutonikus in der 
kurz nach. 1215 verfaßten Glosse zum Dekret Gratians,? Wilhelm 
von Renne s in der im Jahre 1241 verfaßten Glosse, zur Summe 
Raimunds von Penaforte.^ , ., : 

War. es aber in der Frühzeit' des Ablasses gang und gäbe, den 
Ausdruck „Sünde" für „Sündenstrafe^iizugebrauchen^ warum sollte 
man dann nicht annehmen dürfen, daß die Päpste und Bischöfe bei 
der Verleihung von Ablässen, sich bisweilen nach dem weitverbreiteten 
Sprachgebrauche gerichtet haben? 

Es ist indessen gar nicht nötig, bei der Erklärung der alten Ablaß- 
formeln dem Ausdruck „Sünde" die-Bedeutung von „Sündenstrafe" 
beizulegen. Etliche Eorrdeln würden auch eine derartige Deutung gar 
nicht zulassen. Wenn es z. B. in dem Kreuzzugsdekret der vierten 
Läteransynode heißt, daß den Teilnehmern am Zuge die volle Nach- 
lässung der ,, reumütig gebeichteten Sünden •' verliehen werde, so ist 
es klar; daß hier der Ausdruck „Sünde" nicht ,, Sündenstrafe" bedeuten 
kann; denn nur die eigentlichen Sünden, nicht die für die Sünden 
geschuldeten Strafen, können reumütig gebeichtet werden. Ähnlich 
yerhält es sich mit jenen älteren Ablaßschreiben, in denen ganz oder 
teilweise, die „Sünden" nachgelassen werden, wofür itnan Buße emp- 
fangen. In allen diesen Schreiben ist das Wort „Sünde" von der 
eigentlichen Sünde zu verstehen. Muß man aber dann nicht zugeben, 
daß durch den Ablaß die Sündenschuld nachgelassen wurde ? Nein ! 
M&n darf nur nicht übersehen, daß die Sünde in zweifacher Weise 
erlassen werden kann, nämHch der Schuld nach und der Strafe 
nach.* Dies haben schon namhafte Vertreter der Frühscholastik betont, 
z; B. Robert Pulleyn,^ Petrus von Poitiers,^ Wilhelm von 
Auvergne;' ebenso ist es von dem Kanonisten Hugucoio hervor- 



■^ Gietl 247, Anm.: „Solus Deus dimittit peccata, et hoiuo dimittit pec- 
oatum, i. e. penam peccati. Nomine enim pecoati pena intelligitur.," 

* Glosse zu c. 76, D. I, de poen. v. Medicina: „Peccata, id est penas de- 
bitas pro peccatis. Nota in. hoc oapite peccata dici penas peccatorum» que 
elemosynis redimuntor et relaxantur," Deeretum Gratiani cum glossis loannis 
theutonici. Venetiis 1525, 534. 

^ Raymundus 492: „Peccata dimittunt [sacerdotesj, i. e. poenam 
temporalem ab Ecclesia iuflictam relaxant." 

* A. V. Müller, Luthers theologische Quellen. Gießen 1912, 16: „Jeder 
•theologische Abcschütze weiß doch, daß remissio peccatorum d. h. Sünden- 
ivergebung bedeuten kann entweder remissio a culpa et poena aetema oder nur 
jemissio a poena temporaii. Der richtige Sinn ist jedesmal nur aus dem 
Zusammenhang zu ersehen." 

5 Sententiamm lib. VII, c. 1: „Dupliciter culpa dimittitur, aut ne sit 
ulterius addamnationem, autnecsaltem ad poenam." Migne CLXXXVI 911. 

* Sentent. lib. 3, c. 7: „Sacerdotes iniungunt satisfactionem ad delendum 
mortale peccatum quantum, ad' poenam, cum sit deletum. quantum ad reatum 
•per contritionem." Migne CCXI 1057. 

' Guilelmi Alverni Opera orania I 464: „Remissio peccatorum duplioiter 
intelligitur : 1 . non imputatio si ve non exactio ipsorum.; quantum ad poenam ; 
'2. ablütio maculorum et sordium que interdiun culpe nominantur.) IJnde vpec.öata 
dicuntux remitti dupiiciter, quantum ad penarn scilicet.et. quantum ad oulpam.;* 



VII., Die Bedeutung der älteren Ablässe. 257 

gehoben worden.^ Namentlich, seitdem die eigentümliche Ansicht des 
Petrus Lombardus über die Bedeutung der sakramentalen Absolution 
in die Schulen Eingang, gefunden, wurde öfters von den Theologen 
darauf aufmerksam gemacht, daß die Sünde auf mehrfache Weise 
nachgelassen werden könne. Per Priester, sagten sie, läßt im Buß- 
sakrament die Sünden nach, indem er etwas von der ihnen gebührenden 
zeitlichen Strafe nachläißt.^ 

In diesem Sinne kann die Nachlassung der im Bußsakrament 
auferlegten Buße, und insbesondere auch der Ablaß, sehr' wohl als eine 
Nachlässung der* SüHdeii (remissio' peccatorum) bezeichnet 'werden.^ 
Zur' völligen Nachlassung 'der Sünden gehört eben 'ein "Zweifaches: 
zunächst die NäcHlassuhg'; der Schuld und der ewigen Strafe, 'sÖdaiin 
der Erlaß,' der zeitHchen Strafe, die öfters liach" der Vergebung 'der 
' Sündenschuld 'iioch abzutragen ist.* 'Wie' man riiin sagt, durch die 

1 Oben 's: 220. " i ' . ' ' - 

' f^ - ' ' 

' 2 So lehrt z. B. Paulus von Passau in seiner Sumnia'de Poenitentia, 
oap. 12. 'Vgl. über ihn oben S. 247:>„Multis modisdimittitur pecoatum: T. per 
Deum et hec remissio, fit quoad reatum, non quoad penam temporalem vel pur- 
gatorii; 2, per sacerdotem tanquam per roinistrum; et heOr remissio fit quoad 
penam, non quoad reatum." Duellius, Miscellanea I 69. Bibliotheca Casinensis 
IV.' Florilegium 196. ' ' ,,,.,. 

^ Am Anfange des 1 3. Jahrhunderts schrieb der Zisterziensermönöh Günther 
von Pairis : „Tribus modis, üt äiunt, fieri solet' remissio peocati."' 1. Unmittelbar 
durch Gott, der dem reumütigen Sünder die Sündensohuld (reatum culpae) nach- 
läßt; 2. durch' den. Priester j der im Bußs'akramerit den Beichteten von der Sünde 
losspricht. /»Tertio modo dicitiir'remitti'peccatum'satis quidem improprie, cum 
iniuncta.pro peccato poenitentia ab eo qui potestatemi habet, vel,tota remittitur, 
vel ex parte relaxatur. Hoc autem fieri solet duobus modis : compassione ,charitatis 
et odmpensatione maioris boiü, id est pliiribus, profuturi. Compassione chäri- 
tatis, velüt illi quibus a sianctis hominibus* sanctorumve hbminüm' coUegüs in- 
iunctae poenitentiae pars aliqua relaxatur (dadurch nämlich, daß diese frommen 
Männer die, Buße für einen andern übernehmen. Vgl. Muratori, Antiquitates 
V 757 f., wo ein Graf Hildebrand bezeugt, daß auf sein demütiges Bitten hin 
Mönche ,,onus trium annorum de poenitentia mea super se susceperunt, quam 
de peocatis ineis ab Aretino episcopo acceperam"). Compensatione maioris 
boni', quando iniuncta alicui poenitentia corporalis compensatione alterius rei 
quae pluribus .prodesse possit,'Commutatur,'Veluti lar'ga'eleemosynarum largitione 
temporis' f amis in pauperes, sive collatione pecuniae in- necessitates ecclesiarum 
vel captivorum redemptionem; vel aliquid aliud quod his simile videatur. Et 
in hoc qaidem utroque oasu is ctd poenitentia vel relaxatur vel remittitur, etiam 
a peccato creditur absolutus." Migne COXII 214 f; Hier ist zwar nicht 
ausdrücklich von generell erteilten Ablässen die Rede; aber die Stelle beleuchtet 
treffend jene Ablaßschreiben, in denen eine „Absolution von den Sünden" ver- 
heißen wird. 

* Der Zisterzienser Odbn von Oursoamp', 1170 zrnn Bischof von Frascati 
ernannt, hatte früher als Lehrer in Psfris eine Reihe theologischer Fragen be- 
handelt. Darin bemerkt er unter anderm, daß auch der Erlaß der Sündenstrafe 
als „remissio peccati" bezeichnet wird', weil „poena a peccato ipso originem 
ducat". Wer sündigt, ,, duobus se obligat, et culpae et poenae. Vera oordis 
oontritione solvitur obligatio culpae, sed non poenae; obligatio vero poenae 
solvitur diligenti executione eins, quod pro poena iniungitur ab Ecclesia-in con- 
fessione." Doch könne die Reue so^groß sein, „quod dimittitur statim pecoatum 
omnimodo". Pitra II 35 154. 

f aulus, Geschichte des Ablasses. 17 



258 '^^r/Die' BedfeiitWrig''der '^äiteren'^'Ab'lass^ 







Sundenscnula; im Äuge nat;^^^^ 
' '^gen^'(iui*cn den iMaß" weraeü *äie ASiindör^ 
"Teii^'iif' Bezug auf äie zeitiiclie'SfösäeJ^wMl 'äie| ^iiiiäef ^fisjq^fn Jsi^ine: 

zeitliche Strafe verdient, wirklich nachgelassen^ wird 5 ■ " ' ' 

, : ' , ' J^^ de? Tlefef en ^^ 

^ Tfömmener ÄBlaß " aller , Sii n d e n Iplehissimä "omniTim p e c c a t o f u^ii 





.ver- 
mein 



begannt. 'Deshalb geht es auch nicht ah; vöii einer , fälschen", ,■ trüge- 
rischen", „stark irrefiihrenden" Formel zu sprechenKundrZu.te^ 
die Päpster hätten: damit eine „sfchwefe Schuld" .auf : sich geladen.^ 

: Schon der- JJmstand,idaßybi;5den? AW 

■' ^GiBwiimühg!^d©s,;,/Sünd€a^ eine freumiitige* 'deichte 

'^^efOTäert^t*i^^ S^tnäeii- 

'schiild'ih ^r'mit der MilÖIuliöh' v«rlmhä 

., )vurde,. so.konnte- sich dßrt in -den „Erlaß der 

Sünden' V nur auf dtie bSündenstraf en IJezieKen; ^ i : y = ; r j 



<fVlri!0 ü 



'D^ß, mäh äher (äeii' ÄBlaß 'i nameiitlicK!'äuch i^ 
/rdndiesem.Sinne verstanden habe, rkönnte^^ 

^Zeiigiiisse ' däi^getah werden . ^ JP ß tr u s v o n^tBi oi s z . - {B;-spricht^ woM f in 
^■|mer%äld' liäeh^^der '^I^ 

faßten Kreuzzugsschriit von^ emer „Versöhnung , die Gott durch kirch- 
, Jiche Autorität deurm-euziatoern ,anbi^ 

"türihh'darin; daß' die 'KTeuzfahrt als vollendete B 



- . . A Dies hat schon ; gutMiervjorgehQlberi, ■ J. jLi t äu , ciKatholisoher, Unterricht 

vom} Ablasse nach idßriaehre idös NprmalkatephismuSig ■Wien ;7lr782,- '83; f . a-iVer- 

schiedene protestantische Theologen, wie/.K. iMüller--.(^rchengeschichte:>I r490)r 
^{B r ie ge r (Wesen ; des Ablasses ; 26 ; iRealenzyklppädi^ jliiri »protj i Theob • IXJfSÖ), 
iFr. Loofs (Leitfaden zum StüdiTUü. der; I)ogmengesohichte.i^:.4 

518 n.'2), meinenVdie Sitte, den; Ablaß i als ,,renussiopeccatprüin'' zu bezeichnen,^ 

sei ein Nachwirken der alten 'Büßpraxis,' nach Jwfiloher-d^^^ 

roder die /Absolution dem Pöniteriten.erst nach yöllstähdigervAbleistjmg 'der; Buße 

erteilt wurde. Allein es ist nicht einzusehen, was z. B. der in deriOPriihziBit'des 
i Ablasses so oft vorkommende Erlaß eines dritten oder, vierten Teils der ,, Sünden "^ 

mit jener alten Bußpraxis zu tun hat. 

^ Acta apostoHcae'sedis V, Romae 1913, 90. 

^ Brieger, Wesen des Ablasses 27; Realenzyklopädie IX"80. Folgerichtig 
müßte man auch die Ablaßformel der Jubiläumsbulle von 1913 als „falsch'"und 
„trügerisch" bezeichnen. 

^ Vgl. die Ablaßformel im KJreuzzagsdekret der Lateransynode von 1215' 
auf das im Mittelalter so oft hingewiesen wiorde: „Plenäm suorum peccaminüm' 
de quibus veraciter fuerint corde contriti et öre cönfessi, veniam indülgemus." 



VIL. Die , Bedeutung, der kälteren, Ablässe, ^259 

Genugtuung für- die begangenen Sünden '.zu .gelten ;habe.i In Überein- 
stimm,ung .hiermit , heißt j. es -in .einejn,,anonynien Schreiben über den 
Kreuzzugsablaß -aus dem rJahre 12Q4:, Bezüglich des .Ablasses , haben 
die Bischof e. angeordnet, , daß , den Kireuzfahrern, ,,die reumütig ihre 
Sünden beichten, keine andere Buße als,die-Übernahme der.Beschwerden 
des Kreuzzugs, auferlegt ,werden-.solle.2 ^Das; AblaßpriT^ilegium bestand 
eben darin, daß den Kreuzfahrern die Teilnahme am Zuge für die 
schuldige Buße angerechnet wurde. Deshalb heißt es in einer Anleitung^ 
"wie dem Volke das' Kreuz zu ^predigen sei, der Papst, erlasse den Kreuz- 
fahrern die „Strafender Sünden", (poenam peccatorum).^ 

Wie ist nun aber, dieser Straferlaß aufzufassen ? Wurden .dadm'ch 
die Gläubigen'' bloß von'der-Verpflichliung zu den von der Kirche auf- 
erlegten Bußstrafen eiitbuiiden? "Hattendie Ablässe bloß eine Wirkung: 
vor dem 'RichterstuKl der Kirche, in foro Ecclesiae, oder galten 
sie auch vor Gott j in foro Dei ? War es ein vor Gott geltender Nachlaß 
der zeitlichen Sündenstrafen, so daß derjenige, der des Ablasses teil- 
haftig wurde, im Fegfeuer weniger oder gar .keine Strafen abzubüßen. 
hatte? 'Man hat in jüngster 'Zeit^behauptet, daß im 11., und 12. Jahr- 
hundert dem Ablaß noch keine überirdische Wirksamkeit, .keine Geltung 
vor Gott zugeschrieben worden sei. Es seien dadurch bloß ,die von 
der Kirche auferlegten irdischen Büßstrafen erlassen worden; erst im 
13. Jahrhundert' habe man begonnen, dem 'Ablaß iein Hinübergreifen 
ins Jenseits'- zuzuschreiben. 

Uiiter 'den 'Vertretern dieser Ansicht ist vor allem" C. L. Goetz 
zu nennen. Nach ihm hätte um die" Mitte des 12. Jahrhunderts die 
■priesterliche "^Absolution noch' nicht als Erlaß 'der Sünden vor Gott 
gegolten; sie hätte bloß die Bedeutung einer Wiederaufnahme des 
Büßers in 'die' Kirche gehabt. \Seit der zweiten Hälfte des 12. Jahr- 
hunderts, sei jedoch, '^hierin. eine Änderung .eingetreten, und die neue 
'Bußlehre habe auch-, einencneuen "Ablaßbegriff im Gefolge gehabt. 
;,Der Ablaß war iin lli und'12.' Jahrhundert der Erlaß der kanonischen 
' Bußstrate' gewesen!" ' Nun wurde etwas anderes daraus gemacht. ,,Die 

^-De hierosolymitana peregrinatipne acceleranda, .bei.Migne CCVII,-1061: 
,,Privilegio Petri apostoli et auotoritate Ecclesiae generalis proposuerat Dominus 
in hoc signo (dem Kreuz) verbum reconoiliationis, ut viae hierosolymitana© 
assumptio esset poenitentia consummata et sufficiens satisfactio de commissis." 
Der Verfasser unterläßt nicht, .beizufügen: „Hoc Signum nonnisi in gementibus 
et dolentibus pro peocatis suis suum. sortitur effectum." 1065. 

^ Martene, Thesaurus I 792: ,,Signifioavit nobis , dominus Atrebatensis, 
quod dominus papa episcopos , qui Romäe, fuerunt hoc anno rogavit attentius 
modis Omnibus .. . . ut.singuli in dioecesibus suis imperii Constantinopolitani 
negotium curarent . . . <Noveritis ergo ipsos, episcopos, super hoc habito consilio, 
de indulgentia taliter ordinasse, quoniäm omnibus-vere poenitenibus orucesignatis 
et confessis pro delictis suis niillam aliam iniungerent poenitentiam, nisi laborem 
quod sustinebunt in via." 

^ Die betreffende Anleitung, die aus den ersten Jahrzehnten des 13. Jahr- 
ivuaderts stammt, wird im XIII. Abschnitt zur Sprache kommen. 

17* 



'260 VII. Die Bedeutung der älteren Ablässe. 

Umänderung der BußleKre hat zur Folge, daß man den Wert des 
Ablasses jetzt in eine Tilgung- (resp^ Nachlass'ung)" der zeitlicken' Strafen, 
welche Gott noch verhängt,'^ weriii' Schuld und ewige Strafe" bereits 
vergeben sind, umänderte." 'So gesbhah'es in' der ersten" Half te des 
13. Jahrhunderts, „daß sich die 'Abläßlehre voii dem Erlaß-'der' kano- 
nischen Bußstrafe zur Tilgung gottlicher Sündehstrafen ümbog".i 

Die von dem altkathohschen Theologen vertretene Auffassung hat 
dann B rieger sich angeeignet, uni sie noch scliärfer zu betonen. 
„Äußerlich betrachtet", so schreibt er, „bleibt der Ablaß im 13. Jähr- 
hundert derselbe wie bisher. In den päpstlichen Bullen finden wir 
zunächst kaum irgendein Anzeichen einer Änderung. Und doch ist 
in dem genannten Jahrhundert etwas völlig anderes aus ihm gemacht 
worden: die alte Form hat einen ganz neueii Inhält erhalten." An. 
die Stelle des Erlasses der kirchlichen Biiße ,',war in Wahrheit ein 
anderer getreten", der Nachlaß der zeitlichen Strafen pier Sünden 
überhaupt, auch vor dem Richterstuhle, Gottes. Dieser Versuch, 
„der Kirche eine unerhörte Macht zuzuschreiben", sei' ein „völlig 
neues Unterfangen" gewesen. ^,Wer hätte noch ein Jahrhundert 
früher daran gedacht, daß die Macht der Kirche, des Papstes sich, 
bewähren werde in dem willkürlichen Erlaß der göttlichen Sünden- 
strafen?" Alexander von Haies dürfe als ,,der klassische Vertreter 
(und Urheber?)" der neuen Theorie gelten.^ 

Diese Behauptungen, für welche übrigens kein Beweis vorgebracht 
wird, sind ganz und gar unzutreffend. Der Ablaß galt freüieh in erster 
Linie als ein Nachlaß der von der Kirche, von dem Bischof oder dem 
Beichtvater auferlegten Bußstrafen. Wie aber ,yon jeher der Kirchen- 
buße eine überirdische Wirksamkeit zugeschrieben wurde ,2 wie sie 



1 Zeitschrift für Kirchengeschichte XV 323 ^f f. 332 334.^ '.Bezüglich der 
von Goetz vertretenen Ansicht über die Buße in der alten Kirche hat K. Müller 
(Zeitschrift für Kirchengesch. XVI 187) bemerkt: „Göetz trifft fast in allen 
Punkten mit Steitz (Das römische BuJ3sakrament. Frankfurt a. M.'1854) zu- 
sammen." Steitz aber, so erklärt Müller an einer andern Stelle (Theolog. Literatur- 
zeitung 1897, 463), „hat die falsche Anschauung verbreitet, daß die, Buße im 
Alterttim nur das Mittel gewesen wäre, den Sünder mit der Kirche auszusöhnen , . . 
Es ist im Sinne der ältesten Eärche falsch, zu fragen, ob sich eine Handluäg 
auf Gott oder auf die Kirche beziehe . . . Gott und die Gtemeinde fallen nicht 
auseinander." 

^ Brieger, Realenzyklopädie IX 80 ff. Das Wesen des Ablasses 21 ff. 
Don Ausführungen Briegers stimmen beiHarnack 602 n. 1, A. Hauck (Kirchen- 
geschichte Deutschlands IV^. Leipzig 1913, 946) und verschiedene andere pro- 
testantische Theologen. Auch Gottlob vertritt an vielen Stellen seines Buches 
die Ansicht, daß den älteren Ablässen keine überirdische Wirksamkeit zuge- 
schrieben worden sei. Seeberg scheint sich hierüber kein bestimmtes Urteil 
gebildet zu haben. Einmal (S. 102) bemerkt er, daß man gleich am Anfange 
dem Ablaß „eine über die irdische Sphäre hinausgehende Bedeutung" zuge- 
schrieben habe. Im Gegensatz hierzu schreibt er S. 559: „Hatte man tirsprünglicb 
sich mu" von den kanonischen Strafen freigekauft, so dehnte man die Wirkung 
des Ablasses jetzt überhaupt auf die zeitlichen Strafen der Sünde oder doch 
auf ihren Ersatz, d. h. das Fegfeuer, aus." 

3 Vgl. Morinus 159 ff. 



VII.jDie Bedeutung, der . älteren Ablässe. 261 

dazu. /dienen ,8pll^, der j göttlichen. Gerephtigkeit die , schuldige r,Ge^ 
nugtuung. zu, leisten,} /so ,A\^urde,auch dem Ablaß, wodurch die Buße- 
zum Teil flder. gänzlich, nachgelassen Avurde, bereits im II. .und^ 12. "/Jahr- 
hundert ;eine . Wirksamkeit ; yor , Qott . zugeschrieben.?, Es sollte durch 
den Ablaß dem Büßer etwas^. erlassen werden,, was er Gott schuldig 
war, nämlich die zuleistendeStrafe.^^ Dies, gilt sowohl von dem Kj-euz- 
ablaß als von den übrigen Ablässen. • ., ' ^ 

,Daß. man schon den, ältesten Kreuzabläs.sen eine überirdische 
Wirksamkeitjzugeschrieben.,ha;fc;, ergibt sich, -wie. aus' den päpstlichen 
Schreiben,; so au,ch aus den Äußerungen, der» Zeitgenossen., 

In; verschiedenen -päpstlichen S chrei,b,en. wird j. bezüglich der 
Kreuzfahrer ein ^Unterschiedr- gemacht: Denjenigen,,. die. : während, des 
Zuges sterben oder im Kampfe fallen sollten, wird ein [vollkommener 
Ablaß sin Aussicht,., gestellt, , während* den Überlebenden bloß ein 
partieller' lAblaß verheißen = wird ;; .diese , Unt,er Scheidung- fiudeV sich in 
den früher angeführten Ablaßbewilligungen von Gelasius II. (1118), 
HonoriusII. .(1128); Alexander, III. (1171—72, 1179).*, In andern 
Schreiben,' die allen i Kreuzfahrern den vollkommenen Ablaß verheißen, 
wird derjenigen,; die imKampfe;f allen werden, ganz besonders gedacht, 
so in den Kreuzzugsbullenvon'Eugen.III., (1145)',-, Alexander III. (1165), 
Gregor VIII. (1187), CölestinIII.,;(1195).^ Hätte man aber damals dem 
Ablaß keine .Wirksamkeit yor Gott zugeschrieben, .hätte. man ihn, bloß 
für eine Befreiung yon den kirchlichen Bußstrafen gehalten, was hätte 
dann die, iYerheißung eines vollkommenen Ablasses für jene, die im 
Kampfe fielen, ' bedeuten können?, Nicht, das geringstej .Von den 
kirchhclien Bußstrafen, -.wurden sie ja ohne weiteres durch, den Tod 
befreit. Die .Verheißung eines Ablasses konnte für, sie nur dann eiaen 



,^ Hinsohius V; 154: ,, Die .Buße hatte nicht nur die Bedeutung einer 
Ersatzstrafe für begangene. Vergehen ^'sondern bildete auch zugleich die Gott zu 
leistende Genugtuung für jede begangene Sünde, um diese und ihre Folgen 'zu 
beseitigen."! Vgl. IV «695 n. 5 821. Vgl. auch (die oben S.,260in. 1 angeführte 
Äußerung K.. .Müllers, u . ., , ,. , - 

'^ P. F.ournier (Revue, d'histoire .eccMsiastique 1909, ,584): „L'i^glise 
estimait que la^ penitence iinposee pär 'eile avait u'ne valeur n-bn seulement dans 
la balänce 'de' Ta justice eeclesiastiqueV mäis' aussi dans la b'alänce de la justice 
deDieu. . .< Or, 'si les pönatences'infligees p_ar l'iälglise ont une valeur auxyeux de 
Dieu, comment dinier toute valeur transcendante ä la, deoision de l'^Öglise qui 
leur substitue un acte equivalent ou,qui en pronpnce la remise ? J'estime que 
l'lfeglise a toujours eu conscience' de cette transcendance." 

ä Schon Kardinal Kajetan hat darauf aufmerksam gemacht, daß in bezug 
auf die überirdische Wirksamkeit Buße und Ablaß gleichzusetzen sind: „Quoniam 
certum est, onmi hoc attestante ecclesia, indulgentias succedere loco iniunctarum 
poenitentianun, consequens est, quod idem est effectus indulgentiae, qui erat 
futurus effectus iniunctae satisfactionis,poenitentialis. Constat autem quod per 
iniunctam satisfactionem poenitentialem digne exequutam solvitur poena tem- 
poralis pro aetuali peccato debita apud divinam iustitiam, hoc enim universalis 
credit ecclesia, igitur per indulgentiam loco satisf actionis succedentem, si veraoiter 
ao digne -acquisitaifuerit, solvetur quoque tan tum de poena temporah pro aotuali 
peccato debita apud .diAdnam iustitiam, quantum apud eandem aequivalet indul - 
gentia acquisita." Opuscula 92. ^ 

« Oben S. 197 198 201 f. ^ oben S. 199 200 203 206. 



ä62' Vir.' Die Bedeutung^ der älteren Ablässe.' 

Wert halien', wenn angenommen' wurde', daß der Ablaß inS'^ Jenseits' 
Mhübergreife, daß er' vor Gott Geltung habe. Wbnn daher die<Päpste 
den Kreuzfahrern, die im Kampfe fallien 'würdfenV einen 'Erlaßt der 
Sündenstrafen verheißen, und dazu noch einen' größeren Erlaß als den 
Überlebenden, so ist man doch sicher berechtigt, daraus zu schließen, 
daß die Päpste damals schon der Überzeugung waren^, ihr Erlaß' würde 
auch vor Gott Geltung haben. ' . . - ' < . - > < 

Ebendeshalb berufen' sie sich auch öfters in ihreii 'Ablaßbewilli- 
gungen auf' die Barmherzigkeit Gottes. Schon Urbanf II'. 'erklärte 
in seinem Briefe von 1096 an die Bolbgnesen, er einlasse den Kreuz- 
fahrern die Buße ,, durch die Barmherzigkeit'^ des allmächtigen 
Gottes".^ Mit diesen Worten, so gesteht' selbst ein' Gegner der über- 
irdischen Wirksamkeit der ältesten" Ablässe,' „ist die Transzendenz 
immerhin nahegelegt'. Wenn Gottes Erbarmen zur Naclilassung der 
kirchlichen Bußstrafen mitwirkte oder' den Antrieb' gab,' 'dann wird 
Gott seine eigenen Strafen gewiß -nicht aufrißchterhalten.^" Nun hat 
aber Alexander III., von dem behauptet wird, er habe 'die überirdische 
Wirksamkeit der Ablasses „verworfen", 'er habe davon nichts wissen 
wollen,^ ebenfalls, und zwar wiederholt, erklärt, er erteile den Ablaß 
^,im Vertrauen auf Gottes Barmherzigkeit" i*' Auch' Gregor VIIL und 
Cölestin III.- erklären in ihren KreuzzugsbuUe'n, die Kreuzfahrer' werden 
Nachlassung der ihnen auferlegten Bußstrafen erlangen ,,von' des all- 
mächtigen Gottes Barmherzigkeit" (de ömnipotentis Dei miseri- 
cordia).^ Innozenz III. aber, der nur ein ,, Minimum positiven Ver- 
trauens in die überirdischen Wirkungen des Ablasses" bekundet haben 
soll,* beruft sich nicht nur, gleich seinen Vorgängern,>'äüf die Barm- 
herzigkeit Gottes, er versichert auch die Kreuzfahrer, daß ihnen der 
Ablaß ,,von Gott und dessen Stellvertreter" (a Deo eiusque vicario) 
«rteilt werde.^ Damit wird unzweifelhaft dem Ablaß eine Geltung 
vor Gott beigelegt. 

Aber nicht nur aus den päpstlichen Schreiben', auch aus den 
Äußerungen der Zeitgenossen ergibt sich mit voller Bestimmtheit, 
daß man bereits im 11. und 12. Jahrhundert dem Ablaß "'eiiie Geltung 
vor Gott zugeschrieben hat. Der französische Geistliche Fulcher von 
Chartres , der am ersten KJreuzzug teilnahm und eine Schilderung davon 
hinterlassen hat, bemerkt in seinem Bericht über die Rede Urbans II. 
in Clermont, der Papst habe den Kreuzfahrern, die auf der' Reise 
sterben oder im Kampfe fallen würden, im Namen Gottes die Nach- 
Jassung aller Sünden verheißen.* Daß hier dem Ablaß eine über- 
irdische Wirksamkeit zugesehrieben wird, braucht nicht eigens hervor- 

1 Oben S. 196. 2 Gottlob 92 f. ^ Gottlob 123 126. 

* Oben S. 201 f. « Oben S. 204 206. 

8 Gottlob 256. ' Oben S. 208. 

^ Fuloheri Carnotensis Historia Hierosolymitana, hrsg. von H. Hagen - 
meyer. Heidelberg 1913, 135: >,Cunctis illuc emitibus^si' aüt gradiendö'aut 
transfretando sive contra paganos dirnioando, vitam inorte praßpeditam f inierint, 
remissio peccatorum praesens aderit, quod ituris adnüopdöno isto investitüs a 
Deo." Auch bei Mi gne CLV 828. ' ' ^ • V^-^ .•; ; *o ^ 



VII. Die, Bedeutung. der älteren, Ablässe,,, 263.!? 

^ffehöben zu werden..; Ein anderer. zeitgenössischer ,jGreschich|}sclir,eiber,, 
des erstell Kjeuzzugs,; der Beiiediktineräbtiurid spätere Erzbiscnöf ^yon i 
Dol (Bretagne).v Balderich , laßt,,Urb.an 11. .den, Biscnofen sagen, sie... 
sollen in iestem,; v ertrauenj äut .Christus den VKreuzrahrerneme . , ,himm-, . 
hsche Vergebung : verhemen:^. Eine im Vertrauen ;autum'istus:yer-,> 
heiBeiie^ -„hiihmlische " ^ Vergebung,; Jetzt; :ab^^ V vorms; daß . der; vpm t 
Papst erteilte AblaßiVÖr <Gr.oMriJ3i,Himmel,jGreltimg^ Dieser AnsichLj 

war. sicher auch,>^der englische Uescmchtschreibier, Walhelm .xpn^^.M . 
mesburY;(tviumJ143). Dieser laßiiUrban-II,.^^ 

Den-Kreuzf ahrern wejcde v o n Gö 1 1. und denLNaphiolger, des, JiL. lietrus ; .^ 
die Näcmassüng.aller,'Süiidehv^erteilt.i2;vD.er 'Ai^^ 

PetrusDiakonus scto^ibt <iimr, 1 140 lü , der ■ Phronik; semes Klosters , , 
die,Teimehmer am, erstenfKreuzzuge; seien ;versxoher.t worden, daß die 
Beschwerdenj, die. sie übernehmen wurden, v^oh (jr0.tt anstatt, der, Bußie., 
.ahgenommßn, werdenif; j^ 

in ; Sßiner, Kii^jhengeschiphte'beziiglicb cleö < ersten Kreuzizugs, ,die /Teil:, 
nehmer. ha.tteniur ihre Sunden „G o^tt .genuggetan.* vSoi^urdeschpn, 
der .bei dem,ersten/Kxeuzzug erteilte .Ablaß, mr;einen -yor Gotfc gültigen; ; 



angesenen. 



: Nicht a-i^ders. war^MJbei^^^d^^^ :Kreuzzug unter Eugen IIL. 

Der; bestci Zeuge hierfür^ist.i,derU.tB,erhhard,/der:d^ 
predigt hat.. Wenn er die- durch die,päpstuche,EJreuzzugsbidle .eröiine]te , 
Abläßzeit em mit,,, Gott , Versöhnendes, wahrhafte 
nenntw^ rso zeigt, ,er . dämit^ . daß, er Fön; der überirdischen Wirksamkeit , 
■dßs.,Ablasse& fesstr,, .überzeugt jwar. , •?; ,r-^ ,:;;. - :,;,. -;?;:■;;.. ^'-v' -^.. * . a";> :. % .. ;. 

Auch aus ..der „Zeit. /des. dritten ^^^K^ 
hören, welche^ die. , iiberirdischeaWirksamkeit : des. Ablasses bezeugen,^ 
Als im Dezember 1187 Bischof Heinrich von Straß bürg iii letzterer . 
Stadt v.or..Kaiser.Eriedrich;Is undi zahlreichen Rittern zum. K^^ 
autiprderte, schloß ,ei^^ nach deiu Bericht emesiZeitgenosseii seine .K^ 
mit/deny Worten.: fj,Bedenket,;erla,üchtßi Ritter,:; 

vprteilhai t, wie „ausgezeichnet .dieser 5 Kriegszüg > sei, iwie ; emtraglich die* 
Arbeit,! da, der ,Lohh:vdäfiir die,iNachlässuiig,;der .Sünden ist,; die der 
Hßrr^ wahrhaft den Seinen verspricht; und den Kreuzfalirerr^ 
bietet."^ Ähnlich, daphte, ein Straß burger Domherr aus der XJm- 

^ Migne GLX"S^i 1068:' ,,C6m suorum ignorantiam securi 

■de Ghnsto ooelestem paciscimim vemam. ;.. 

''MigneVOLXXIX 1298:;, ^Häberites"" per Dei concessum et ,beati Petri 
pri.vilegiumvomniuin absomtionein criminum. , 

, , ^ Mori. 'Germ. Script.' VII. 765: „Gerti et indubii redditi^ quod quicquid , 
adversi, ■ quicqüid l'pericüli;' cj äicqüid deiüciife . ihcoihinödi illis cbn tirigere t, loco , 
poemtentiae a. Donnno.recipienduin,ut tarnen se a praeteritis nequitus con- 
tmerent,' • .. -^.■■"- ■■'. .;.,;. .,,.;.. ..,■..:..:.,■:-,....■,. /..-.a;. . .^^^ ■,-.. ^::;■ 

* Migne GLXXXVIII 652: ..PrOfCulpjis, siüs ÖeÖ'satisf äcientes peregre 
ipergebant." . ■ ;■;■' - . ,,, ,, , . .-. :r:,. 

- .:f^.g^ß,y2o;Q,^, ^^^^ ::_: ..^^ ,:^-^ ;;■-■".-;>/•■■.:' ^••-".' •■■r^- ' "' 

« Histöna ^pefeOTinöriim, bei C ani s i üs - B as n a g e , Tiiesauxüs naonumen ♦ , 
tomnoLvIII ;2.;;iötq/er^i^ 
BilÖiotbeeia meäii äe\T^ ' r^- .> - > .' . .....;>, .,...,,.., ..^,. - .., ... 



264 VII. Die Bedeutung der älteren Ablässe. 

gebung des Bischofs Heinrich; Gregor VIII., so erzählt er, hat einen 
Legaten gesandt mit der Vollmacht, allen jenen, die das Kreuz nehmen 
wollten, die Nachlassung aller Sünden von selten Gpttes (ex parte 
Dei) zu versprechen.^ Die Überzeugung, daß der Ablaß vor Gott 
Geltung habe, bekundet auch ein anonymer Beiiediktiner in einer 
li89 verfaßten Schrift.^ Der fromnie Ordensmann, der seine 'Ab- 
handluiig an einen wankelmütigen Mitbruder richtet, spricht sich zwar 
aufs schärfste dagegen aus,' daß Mönche an einem .Kriege gegen die 
.Ungläubigen sich beteiligen;^ doch begleitet" er den'voii Kaiser Frie- 
drich I. begonnenen Kreuzzug mit seinen Segenswünschen; auch' läßt 
er Papst Klemens Ill.'den Kreuzfahrern die Befreiung von (den Sünden 
und die Versöhnu'iig mit Goti' verheißeri.* " "'' 

Man könnte geneigt sein, hieran eine Nachlassüng von'^ Schuld 
und Strafe zu denken. , Tatsächlich wurde den Kreuzfahrern, die 
reumütig ihre Sünden' beichteten, die Sündenschuld im Bußsäkrament 
und die Sündenstrafe durch den päpstlichen Ablaß nachgelassen. Aber 
nach dem damaligen Sprachgebrauch ist unter dem vom Päjpste ver- 
liehenen Sündenerlaß bloß ein Straferlaß zu verstehen! Auch dieser 
Straferlaß, vorausgesetzt, daß man ihm eine überirdische Wirksamkeit 
zuschrieb, konnte für sich allein als eine Versöhnung mit Gott be- 
zeichnet werden ; denn, wie verschiedene mittelalterliche Theologen be- 
tonen, wird die Versöhnung mit Gott erst eine vollkommene, wenn 
auch die Sündenstrafe erlassen ist.^ Daher konnte Petrus von Blois, 
wie oben erwähnt worderi,*- anläßlich des dritten Kreüzzugs 'ei^klärenj 
daß Gott den Kreuzfahrern durch die kirchliche Autorität Versöhnung 
(verbum reconciliatibnis) anbieten lasse; ein weiteres Zeugnis dafür, 
daß man damals dem kirchlichen Ablaß eine Geltung vor Gott zu- 
schrieb. 

Sehr bestimmt tritt diese damalige allgemeine Überzeugung auch , 
in einer Predigt hervor, die der Zisterzienserabt Martin von Pairis 
im Oberelsaß anläßlich des vierten Kreuzzugs unter Innozenz III. im 
Jahre 1200 zu Basel hielt. Wollt ihr wissen, so redet er seine Zuhörer 
an, was ihr von Gott für die Teilnahme am Kreuzzuge zu hoffen 



^ Annales Marbacenses, in Mon. Germ. hist. SS. XXI 163. Über den Ver- 
fasser des betreffenden Abschnittes der Marbacher Annalen vgl. H. Bloch,. 
Kegesten der Bischöfe von Straßburg I, Innsbruck 1908, 72 ff. 

2 Tractatus do poenitentia. Migne CCXIII 893 f. 

^ Er ruft seinem Mitbruder zu: „Aliam militiam iurasti, taUs pugna tibi 
non licet", und fügt noch bei : „Supercincta flocco spata äuget, non toUit peceata", 
d. h. das über das Mönchskleid timgürtete Schwert mehret die Sünden, nicht 
aber: „Das Schwert aus der Scheide gezogen mehret die Sünden", wie Gottlob 
134 f. übersetzt und den alten Benediktiner zu einem „Gegner der kirchlichen 
Heerrufe überhaupt" gemacht hat. ..... 

* „ Quisquis pie, fideUter susceperit idem iter, Liber fiat apeccatb, Domino- 
sibi placato." Migne 894. 

* Es genüge auf Cäsarius von Heisterbach zu verweisen, der lehrt,, 
daß die vom Beichtvater auferlegte Büße, wodtirch die Sündenstrafe getilgt 
wird, „iustificandum Deo totaliter reconciliat". Fasciculus moraJitatis II 83.. 

8 Oben S. 259. : . :. . v .. 



VII. Die Bedeutung' der älteren Ablässe. 

habet, so verspreche icK euch, auf das bestimmteste, 'daß, wer das' 
Kreuz nimmt und eine gute Beichte ablegt,' von allen Sünden völlig 
gereinigt werde. ?^' Die völlige Reinigung fand "man eben darin,- daß 
mit der Sündenschuld',' von der die Kreuzfahrer' in der reumütigen 
Beichte Nachlassung erhielten, ' durch den AblaÖ auch alle Sünden- 
sträfen getilgt -würden. ."' ' > '^ ' ■ "• 

Sowohl aus den päpstlichen Schreiben als aus den Äußerungen der 
Zeitgenossen, ergibt -sich demnach, daß von Anf aiig an' dem Kreuzablaß " 
eine' überirdische Wirksainkeit' zugeschrieben worden ist.'- Was aber von 
den-Kreuzablässen gilt, das gilt auch von'der Wirksamkeit der'and'ern 
Ablässe, da maii' zwischen beiden EJassen" von Ablässen in dieser 
Hinsicht keinen Unterschied gemacht hat.^ Wie'die Päpste,' so erklären 
auch die Bischöfe des 12. Jahrhunderts häufig in ihren Ablaßschreiben, 
daß sie den Bußerläß' für Almosen oder Kirchenbesuch' erteilen ,-,ini 
Vertrauen aiifdie göttliche Barmherzigkeit".^ Damit gaben sie klar 
genüg zu 'Verstehen, daiß" sie ihrem Bußerlaß eine überirdische Wirk- 
samkeit beilegen wollten. Dasselbe bezeugen die zahlreichen bischöf-' 
liehen Ablaßbriefe, in denen der verheißene Erlaß als ein von -Gott'- 
(a Deo; ex parte Dei) zu erteilender bezeichnet wird.^ "Es 'verdient' 
gewiß Beachtung/, daß gisrade die ältesten Ablaßprivilegien ' diese • Auf- ■ 
fassungjzum Ausdruck 'bringen, so z. B. die Privilegien' für Portella 
(1035), Notre-Dame d'Arles (1046),- Trets (1056), Aix (1070),= Urgel 
(1100), Montmajour (Ende' des 11. öder Anfang des 12. Jahrhunderts), 
Nantes (um 1105).*' In etlichen' dieser Privilegien (Notre-Damte d'Ärles, ' 
Montmajour),! sowie in einigen andern des IT. Jahrhunderts, z. B;. 
Psalmody,' Maguelorie' Correns, wurde der; Erlaß besonders für den 
Fall des Ablebens zugesichert.^ Daß aber Ablässe, die für den Fall ■ 
des Todes verheißen werden, ünzweif elhaf t ■ eine Geltung vor. Gott- 
voraussetzen, |8t |)ereits bei den Kreuzablässen hervorgehoben* worden: ■ 

Für beide Klassen von Ablässen kommen schließlich noch in ' 
Betracht die älteren Theologen und Kanonisten; die in der 
zweiten Hälfte des 12. und in der ersten des 13. Jahrhunderts von 

dem Ablaß gehandelt haben.^ Alle ■ diese Autoren widersprechen der . 

' , - ' ? , > . , 

^ Guntherus, Historia Constantinopolitana,^ bei Migne CCXII 228: „Si 
quaeritur quid a Deo certi'stipendii pro tanto labore sperare'debeatis, certissime 
Vobis poUiceor, ' quia quisquis Signum'' crucis acceperit et puram fecerit con- 
fessionem, ab omni prorsus mundabitur peccato, et quoeunque loco, vel tempore, 
seu casu praesentem reliquerit vitam, aetemam accipiet." 

^ Auch Brieger (Realenzyklopädie IX 80) betont, daß im 12. Jahrhundert 
der KJreuzablaß sich von den übrigen Ablässen nur quantitativ', nicht wesent- 
lich unterschieden hat: „Die bei den soeben genannten Päpsten vorkommende , 
Erteilung des Kreuzablasses liaoh Maß (secundum' quantitatem laborum)»kann 
als Beweis dafür gelten, daß der Kreuzablaß' sich damals nur' quantitativ von 
dem gewöhnlichen Ablaß unterschieden hat, 'daß somit 'die früher herrschende, 
zuletzt noch von Hinschius vertretene Vorstellung, als ob wir es hier mit .Erlaß 
der Sünden' zu tun hätten, im Unrecht ist." 

* Vgl. z.' B. die Ablaßformeln des Erzbischofs Ralph von Canterbury und 
des Bischofs Nikolaus von Llandaff. Oben S. 179 183. 

* Oben S. 136 139 143 145 146''177 178. ' * Oben S. 136 f. 

* Vgl. den vorangehenden Abschnitt über die Ablaßlehre der Frühscholastik. 



vir., D,ie^ Bedeutung; der-ältereni. Ablässe. , 

in neuester Zeit aufgestellten .Behauptung, daß, man erst im 13. Jahr- 
liundert begonnen habe,; dem. Ablaß. tein Hinübergreifen ins./ Jenseits 
•zuzuschreiben; keiner von ,ihnen weiß 'etwas > von« .dem Ablaßbegriff ^ 
der) (bis. gegen Mitte des 13., Jahrhunderts, der.. vorherrschende gewesen 
sein sqU. Obschon, ethche. dieser Gelehrten, hinsichtlich, des. Umfangs 
der Bußstrafe, von welcher der Ablaß befreie, die) [Wirksamkeit ides 
letzteren^allzusehrs einschränken, so. ist doch keiner der Ansicht, daß 
der .Ablaß nur in,foro Epclesiae, Geltung, habe,; es-berichtet auch.keiner, 
daß^andere, eine ,der,artige Ansicht .vertreten, haben.,' Aus. .ihren Er- 
<irte:cungen geht, vielmehr hervor, daß. bereitSi^zunihrer,,, Zeit., die ..An- 
schauung von, decüb^e^irdißchen .Wirksamkeit .des ^Ablasses, allgemein 
verbreitet ,w^r. Abälard' verwirf t wohL die pAblässe, für t Almosen und. 
Kirchenbesuch., Indem,, er laber denj ablaßspendenden -Bischöfen vor- 
wirft, sie, maß tenj sich an, den Himmel; nach iBeliebenlzu öffnen .oder 
zu. schließen, bezeugt er damit, daß man .damals in. kirchlichen Kreisen 
dem ( Ablaß, ein» Hinübergreif enjns. .Jenseits zuschrieb . Dasselbe . ergibt 
sich^ausiden Erörterungen des Petrus Cantor. Alanus von. Lille läßt 
dent Ablaß bezeichnenderweise nicht schon hienieden, sondern erst im 
Jenseits, seine Wirkung, ausüben. Die jandern Theologen- und Kano- 
nisten, Petrus ,von Ppitiers, Stephan, Langton, Hiiguccio,.der Engländer 
Alanus,. Tankred,, Präpositinus, Giraldus,i Wilhelm von Auxerre, 
Wilhelm^ von Auvergne,, ein anonymer Verfasser theologischer/J'ragen, 
Jakob vonVitry, Raimund von,Penaforte, Wilhelm vonRennes, Paulus 
von Passau, Heinrich^ von. Merseburg,, ein anonymer Metzer Theolog, 
Qoffredus, von, Trani,' sie, allejhaben eine^überirdische Wirksamkeit .des 
Ablasses angenommen.. Keinera von,ihnen istes.in den Sinn gekommen, 
die entgegengesetzte Ansicht zu bekämpfen oder a.uch nur zu erwähnen. 
Daraus darf man wohl, schließen, daß, .damals eine solche Ansicht nicht 
bekannt ,gewesen ist ; sonst würde sie, doch von dem einen und andern 
Oelehrten, die vielerlei Ansichten über den Wert des Ablasses anführen, 
«rwähnt worden sein. 

Erst Bonaventura^ erwähnt und widerlegt die Ansicht., .etlicher'' 
(quidam)„die behaupteten, daß' der Ablaß bloß vor dem Richterstuhle 
der Kirche, nicht auch vor Gott Geltung habe.^ Er spricht wohl von 
„etlichen". Daraus folgt aber nicht, daß er mehrere Autorenim Auge 
hatte. Auch \v;o es sich, bloß um einen Gelehrten handelte, pflegte 
man damals das Wort ,,quidam" im PluraJ zu gebrauchen.^ . So sagt 



^ Was Bonaventura hierüber sagt, findet sich freilich schon in der Summe 
seines Lehrers Alexander von Haies. Allein, wie in dem. folgenden Kapitel 
nachgewiesen werden wird, ist um 1260 bei der Ergänzvmg der unvollendet ge- 
bliebenen Summe Alexanders der Abschnittj über den Ablaß zum, größten Teil 
fast wörtlich aus Bonaventuras Kommentar herübergenommen worden., 

2 Sent. IV, d.20, p. II, q. 2 (Opera IV 533);, „Quidam distingüentes forum 
Dei et forum Ecclesiae dixerunt, huiusmodi relaxationes non fieri nee intelligi 
quantum ad forum Dei, sed quantum ad forum Ecclesiae." Ähnlich bei Ale xander 
von Haies, Summa theologiae IV, q. 23, m. 1, a. I. 

3 Vgl. P. Minges, in Franziskan. Studien III (1916) 59: „Es war damals 
üblich, andere Gelehrte, verstorbene und noch lebende, nur mit den Worten 



VII. Die Bedeutung der älteren Ablässe. 267 

Bonaventura an einer andern Stelle, wo er bloß gegen Albertus Magnus 
polemisiert: ,,Aliqui dicere voluerunt.''^ Daß er aber auch mit jenen 
„quidam" einen bestimmten Autor meinte, zeigt die Art und Weise, 
wie er die Ausführungen der ,,quidam" wiedergibt. ^ Diese Ausführungen 
hat er offenbar in der Schrift eines zeitgenössischen Theologen vor- 
gefunden. Wer, dieser Theolog gewesen, kann nicht ^angegeben^werciein..., 
EinfeiSbhKif't ^miCAusf üHrungen^ wie:sie vonj. Bonaventura veuöff entlicht-^ 
worden, ist bis heute nicht ,ans Tageslicht gekommen. Auch bei seinen 
Zeitgenossen scheint der ^Verfasser -der «verschollenen' Schrift nur wenig 
bekannt gewesen zu sein. Albertus Magnus, der kurz vor Bona- 
ventura ■ .die i Ablaßf rägei . behandelt.- shat, . sagt Inichts.'. von der - eigen- 
tümlichen« 'Ansicht,! die Bonaventura; bekäinpft./ Thomas. von «Aquinj 
bespricht f sie? wohl in jseinemj>Se'ntenzenkommehtar.^ ••Da<.ero'^abef^^bei-i> 
■der!* Abfassung p dieses*; Werkes , bereitsslden^Kommentar Bonaventurasu 
vor.''Sich' hatte',' so. verbietet nichts,- anzunehmen; daß/ er sichi^imit jenei:^ 
Ansicht f nur beschäftigt, weilser-rsie/iri seiner* Vorlage beharidelt^fandü 
Er j bespricht -^siej übrigens ganz in' ^derselben • Weise -. wie sein ^Vorgänger.;- ' ■ 
inhaltlich-j und »zum . TeiL/auch • wörthch ' stimmen i-beide^ Autoren , völlig .• 
miteinander. '.überein'. Spätere >haben.' bloß wiederholt; ■ wasJihneh von^- 
Bonaventura mnd-.iThomäs;igeböteri'Ävurde.' '. .1 

Ji'Die angeblich noch. in der. ersten . Half te,j des 13. Jahrhunderts^ 
vorherrschende^ Ansicht, -.'daß ! der Ablaß nur, vor^dem. -Richterstuhle:. 
der-Kirche ßeltunghabe; istdemnach vorl250-nur.von einemiobskuren,' . 
läcbii näher: bekannten < Theologen vertreten .worden. Von. einer >,,Umr^v 
bildung'' 'des, Ablaßbegriffes? im -13.* Jahrhundert kann keine Redeisein.'^ t 



■quid am, oder alii zu bezeichnen." An einem andern Orte (Theolog. Quartal- 
sohrift 1915, 523 ff:)' zeigt Minges, wie Alexander' von Haies wiedefholt^qüidam,. 
di'öunt"' schreibt,i' wo er nur, Wilhelm! ' von' Auxerre 'im Auge- hatte. ' ^' 

1 Opera. I'NI^'f 47,3; . ; \ , ■ , 

* Nach den oben mitgeteilten ,Wor.ten fährttBonaventura.for.t: „Hocautemt, 
•sie intelligunt. Säcri canones pro mortalibus pecbatis graves et diuturnas po^ni- 
tentias taxänt.'ut pro uno mortali septimum vel'amplius, secundum quod gravius' 
•est;iquae-pDenä adeo gravis -est,' quod'^ vix autnunquam'possef qxiis f acere,- et - 
pauoi inyenirentur, ^qui. yelleht., 1 Ide.o, ^oonstitueruntiyectores; Ecclesiae^ pqenitentias u 
secundum '.arbitriumümponi, >etde, residuo,]:elaxationes..constituerunt fiei-i: quod.-, 
et f acere , potuerunt, . quoniam, constitutiq humana erat, et in huiusmoda , con- 
stitutione pptest hömo ' dispensare et temperare ; • quae dispensatio quaedam 
jeläxationon indebite-appellaturj'' ' ' 

s.gent. ly, d. 20j q.'.unioa, «... 3,, quaestiu^eula„'l (Supplem. ,q. ^25,}.a.i_l).,, 

* Der italienische Jurisft Falco 167 ff. vertritt, ganz, entschieden.. gegen,, 
Goetz, Brieger, Gottlob und andere die , Auf f assting, daß von,-, Anfang an .dem 
Ablaß eine überirdische Wirksamkeit zugeschrieben worden ist; von einer „Um- 
bildung" des Ablaßbegriffes-im-'lS;' Jahrhundert -findet er keine Spur, in -den- 
alten- Quellen. >■ Auch-jder^.französische , Rechtsgelehrjbe,, P. F ournißr ; erklärtin, 
einer- Besprechung, des Buches, yqnvGottlob (R,e^vue,d'histpire,ec,clesiasj;ique 1909, 
584): ,,Pour ma part j'estime que la valeur transcendentale des indulgences 
«st au««si ancienne que celle des indulgences elles-memes." 



Vni. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker 

des 13. Jahrhunderts. 

Die bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts noch ziemlich unsichere 
Lehre vom Ablaß ist von, den großen Scholastikern so vollständig 
ausgebildet worden, daß sie-, in der Folgezeit keine wesentliche " Be- 
reicherung mehr erfahren hat. Der' Hauptanteil an dieser Ausbildung 
wird gewöhnlich Alexander .von Haies zugeschrieben. Dieser, geniale 
Theolog soll den Grund des Gebäudes gelegt haben', das dann von 
den drei ändern klassischen Vertretern der Hochscholastik ; Bona- 
ventura, Albertus Magnus und Thomas von Aquin,.VDlleiidet worden^ 
wäre. Ob aber der berühmte Franziskaner ein. derartiges ;Lob' verdient, 
ist sehr zweifelhaft. Es scheint; vielmehr,' daß > er aus der Geschichte 
des Ablasses ganz auszuscheiden sei, da er über die Ablaßfrage nichts 
geschrieben hat. Wohl findet sich in seiner Theologischen Suinme ein 
umfangreicher Abschnitt, der vom Ablaß handelt,^ Man scheint jedoch 
berechtigt zu >sein, anzunehmen, daß dieser .Abschnitt nicht von 'ihm 
herrührt, sondern erst nach seinem Tode dem unvollendet gebhebenen 
Werke beigefügt worden ist. 

Alexander, von Haies, der als Lehrer der Theologie an derrPäriser 
Hochschule im Jahre 1245 starb, hat seine große Summe nicht .zu 
Ende führen können. Deshalb hat Papst Alexander IVv im- Jahrö 1256 
dem französischen Provinzial der Minoriten den Auftrag ^gegeben, das 
Werk des verstorbenen Gelehrten durch jWühelm.voh Melitpna und 
andere Brüder vollenden zu lassen.^ Trotz der päpstlichen Aufforderung 
bheb Alexanders Summe unvollendet bis auf den heutigen Tag.- Ab- 
gesehen von den Lücken, welche die drei ersten' Teile aufweisen, 
schließt der vierte Teil mit dem Sakramente der Buße ab; die drei 
letzten Sakramente werden darin nicht mehr behandelt. Anderseits 
steht fest, daß wenigstens einige Stücke nach Alexanders Tod in die 
Summe aufgenommen worden sind.^ So sind z. B. die quaestiories 30 
und 31 des 4. Teils, die von der freiwilligen Armut handeln, sicher 
nachträglich beigefügt worden, da sie zum großen Teil einer Schrift 
entnommen sind, die Bonaventura anläßlich des Armutstreites, der 
1255 — 56 zwischen Wilhelm von St. Amour und den Mendikanten 



1 Alexandri Alensis Stunma Theologiae: Coloniae 1622. P. IV, qu. 23, 
S. 633—41. 

a Sbaralea II 151. 

' Vgl. P. Minges, in Franziskanische Studien II (1915) 211. 



VUL.Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. 'Jahrhunderts. 269 

geführt wurde,' verfaßt ihat.'^ Wie nun dieser Abschnitt und' andere 
«rst nach Alexanders ''Tod< seiner Süinme • beigefügt worden sind; so 
ist .allem "Anscheine nach ; auch >deri Abschnitt über den Ablaß ein 
späterer, .namentlich, von Bonaventura entlehnter Zusatz. 

Das meiste, was ^ bei Alexander über den Ablaß gesagt wird/findet 
-sich fast wörtlich wielder bei Bonaventura.^ Es ist aber kaum^ anzu- 
nehmen, daß letzterer' sich damit begnügt hätte, seinen ' Vorgänger 
einfach auszuschreiben. Nicht mit Unrecht bemerken einmal die 
Herausgeber,, der .Werke, des Seraphischen Lehrers: ,,Superfluum est 
urgere, quod nota plagarii valde deroget bonoritanti doctoris" (Opp. V, 
S. XIII),. Dies kann man, auph. . a]if ,die Abhandlung vom Ablaß an- 
wenden. Wohl erklärt ^Bonaventura in, .der Einleitung, zum zweiten 
Teile seines Sentenzenkommentars: ,, Quemadmodum inprimo libro 
Sententiarum adhaesi communibus opinionibus magistrorumr et ^po- 
tissime magistri et patris nostri b. m. Alexandri, sie in consequentibus 
libris ab eorum vestigiis non recedam." Das hinderte ihn aber nicht, 
die von seinem' Lehrer bereits erörterten, Fragen in durchaus, selb- 
ständiger Weise neu zu behandeln. Die wörtliche Übereinstimmung 
mit' Alexander von Haies, wie sie in zahlreichen Abschnitten des 
vierten Senterizenbuches bei der Behandlung von Buße und Ablaß 
zutage tritt, wird man im ersten. Buche vergebens suchen.^ 

Nicht unerheblich ist dann foleeride Einzelheit. Bei, Alexander 
wnd im Abschnitt über den. Ablaß in .einem eigenen Artikel (qu. 23, 
membrum I, artl. 2) die Frage erörtert, ob einer für.den andern genugtiin 
könne. Die betreffenden Äusführuiigen stimmen fast wörtlich überein 
mit dem, was Bonaventura (IV 529 f.) über diesen Punkt gelehrt hat. 
Nun wird aber bei Alexander' in einem unmittelbar darauf folgenden 
A|)schnitte (qu. 2i, m. 4, a. 4) dieselbe Frage noch einmal in einem 
•eigenen' Artikel behandelt, und zwar lautet, jetzt die Beantwortung 
«twas anders als im ersten Abschnitt; auch die Argumente für und 
wider lauten anders. Ein derartiges Vorkommnis läßt sieb kaum 
■erklären bei der Annahme, .daß die beiden Artikel von Alexander 
herrühren. Dagegen schwindet alles Befremdende, wenn man annimmt, 
•daß bei der Ergänzung der unvollendeten Summe bezüglich des Ab- 
lasses und der Genugtuung neben Bonaventura noch andere Vorlagen 
benutzt worden sind. 

Ein weiterer Beweis, daß der Abschnitt über den Ablaß nicht 
von Alexander herrührt, findet sich in der Erwähnung eines Ablasses, 
der jenen gegeben zu weiden pflege, die für den König beten.* Es 

1 Vgl. Bonaveriturae Opera V, S; XII ff. X 3. 

» Opera IV 529—41. Com. in IV. Sent. d. 20, p. II. 

* Der Unterschied zwischen den drei ersten ' Büchern und dem •vierten 
in bezug auf Alexander ist schon den Herausgebern der Werke Bonaventuras 
aufgefallen: „Bonaventura in hoc quarto libro pressius quam in aliis partibus 
sequitjir vestigia Alexandri, ita ut passim eum quasi in compendium contraxerit." 
Opp. X 5. 

* qu. 23, m. 4: „Insistentibus orationi . . . pro Rege possunt et aolentdari 
indulgentiae." ^ 



• 270 .Jii3;-Il5i^Die'AblaßlehfeTdei?j großen' Scholastiker fdes.ilSi'^Jahrhun'derts. 

' handelt sich hier um den Ablaß <von zehn Tagen; »den zuerst Innozenz IV. 
f jenen' verhieß, 'diefür Ludwig. IX; voni Frankreich i'beten" würden. '.-Auf 
"deni 'Generalkapitel, das die Domiiükaner an Pfingsten 1252 in Bologna 

abhielten, .wutdeh die- Brüder <• aufgefordert, diesenr Ablaß., dn ihren 
f Predigten zu verkünden,^ Er .riiuß-älso/kurz vorher bewilligt worden 
"Sein.^ Hiermit stimmt, daßiBonaveritüra; und slAlbertus^ Magnus 'ihn 
' noch nicht erwähnen, während Thomas, der;seinenäSentenzerikommentar 

"erst nach 1252 schrieb,' ihn anführt.^ 

Wie der' Traktat' über den AMäß ferst nach Alexanders Tod seiner 
. Summe beigefügt 'worden'iist', so "sind auch ganze 'Abschnitte über- das. 
"'Bußs'akrament fast' wörtlich "aus ^Bonaventuras Kommentar in das un- 
' vollendete* Werk ^seines Lehrers aufgenommen worden.' Es sei -hier nur 
"^^-auf einen) einzigen Purikt aufmerksam ^gemacht, -der zugleich zeigen 
"wird," in' welchen! Verhältnis' Alfexänder- und 'Bona: Ventura zu^ Albertus 
•'-Magnus ' stehen. 

^ Bei der Behandlung der Ablaßfrage stimmen'Bonaveiitura und 
Albertus' Magnus in etlichen Einzelheiten iast wörtlich miteinander 
' überein. ' Wem die Priorität zukommt', läßt sich aus den Erörterungen 
'über den 'Ablaß nicht feststellen. Daß aber Bonaventura .bei der 
Abfassung seines ' Werkes den' Kommentar Alberts vor sich hatte, 
ergibt sich mit ' Sicherheit aus seinen Ausführungen über die Wirk- 
samkeit der "sakramentalen Absolution. 'Bekämpft er doch hier -die 
Lehrmeinung' Alberts, wonach' die Schlüsselgewalt^ ihre Wirksamkeit 
auf die Tilgung der Sündenschuld in dem 'Vorsatz zu beichten betätigen 
würde.* Was Bonaventura gegen Albert vorbringt', findet sich auch in 
"der Summe Alexanders (P. IV, qu. 21, m. 1). Daraus hat man schließen, 
wollen, daß schon Alexander von ' Haies den Kommentar 'Alberts 
gekannt hat. Allein Alexander war nicht mehr unter' den. Lebenden, 
a's Albert den vierten Teil seines Sentenzenkommentars niederschrieb. 
Dagegen hat Bonaventura Alberts "Kommentar sehr wohl' benutzen 
' können. 

Albert der Große wurde nach seinem Eintritt in den Dominikaner- 
orden als Lehrer zunächst in verschiedenen deutschen Städten ver- 
wendet. Wann er nach Paris kam, läßt sich nicht mit Bestimmtheit 
angeben. Sicher ist nur, daß er dort im Jahre 1248 Magister wurde. 



^ B. M. Reichert, Monumenta ordinis Fratrixm Praedicatorum historica III, 
Romae 1898, 66. 

» Von Alexander IV. (1255) und Urban IV. (1261) wurde der Ablaß er- 
neuert und erweitert. Tardif 12 30. Daher der Ausdruck „solent dari" in der 
Summe Alexanders. 

3 Com. in IV. Sent. d. '20, qu. linioa, art. 3, quaestiuncula 3 (S.'Th. Sup- 
plementum, qu. 25, a. 3). 

* In IV. Sent. d. 18, p. I, a. 2, qu. 1. Opp. IV 473: „Aliqui dicere yoluerunt 

.etc." Unter diesen „aliqui" ist sieher Albertus Magmis zu verstehen, in dessen 

Kommentar die von Bonaveritiu:a erwähnten Äußerungen vorkommen. In 

. IV. Sent. d. 17, a. 1. 8; d. 18, a. 1. 7. Opera XXIX, Parisiis 1894, 660 f. 670 

■■■'7'64'776. ■ ■ ■ " ■ ■ ;;■ :.:,;:;_;. .;,.;.. 



VIII.f^'DievA'Blaßlehre''der;fgro'ßerf''^Sehölä§tike* 'dfe^'siSJ'-liralu^hWd^rts. '- 271 

War aber' damals,' "wie* f angenommen wird,'"mit-der 'Erwerbung der 
Magisterwürde reine dreijährige -Periode '■^des' Lernens' 5undf\Lehrehs' ver- 
bunden,'^ so "inuß 'Tdie Übersiedelung'^nach' Paris 'spätestens " ito'' -Jahre 
1245 erfolgt sein. ) Im' Jahre. 12^8 ^ging> Albert ■n.ä'ch'Köln, um" hier 
bis . 1254^ die' heu eröffnete theologische 'Schule* 'zu 'leiten.^ Den' Kom- 
mentar ZU', den Sentenzen" ^des Lombarden' 'hat 'er während seirier Lehr- 
zeit -in Paris und Köln verfaßt. Bas zweite Buch' ist 1246 zu Paris- 
entstanden.^ In der 18. Distinktion ä^des * 'vierten' 'Buches beruft 'er 
sich wiederholt' auf die ,;neue Konstitution", die" vorschreibe, in weicher 
Weise die Exkommunikation ->zu"verhängen'^sei.3 Da^niit meint er '^ die 
•im« 'Jähren 1245 'vöii dein .allgemeinen '^Konzil iri 'Lyon^'erlas^enen^'Be- 
stimmungeri.*•'Demnach'stämmt.aücli''d'er -vierte Teil des Komni'eh'falrs. 
*aus der .Zeit.'nachi'1245. ^s In"der' 35 .'IDis'tinktionMes "vierten- 'Buchte» 
wird ' einmal- 'das Jahr 4'249'>äi]igegeben.^ - IDies^ ist 'ohne' Zweifel das 
Jahr, in welc'htem der 'betreff eride A'bschiiitt 'geschrieben' wurde. "Die 
Ausführungen^ über. Buße~ und- Ablaß (d. 14 — 21) ■siAd-älso 1248 oder 
1249- niedergeschrieben worden; • 

Was den Kommentar Bonaventuras 'betrifft J so kann dessen^ Ab- 
fassungszeit ganz genau nicht festgestellt werden.^ Salimbene berichtet 
zwar, das Werk sei '1248- Verfaßt worden. 'Daran wird^ "aber wohl nur 
so viel -richtig sein, 'daß Bonaventura -zu -jener Zeit ari'deni'Komiriehtar 
gearbeitet hat.' Noch zu 'Lebzeiten' seines Lehrers Alexander von "Haies 
war der junge Minorit- im "Jahre 1245 Baccalaüreus geworden. Von 
da an wird er wohl auch vor seinen Mitbrüdern nichtöffentliche Vor- 
lesungen gehalten haben.- ''Im Jahre- 12^8 begann er öffentlich an 
der Universität zu lehren. Daß er damals schon seine Vorlesungen 
ü|Der die Sentenzen niederschrieb, darf • als sicher gelten. Man, weiß 
jedoch nicht, wann, der Kommentar fertiggestellt und veröffentlicht 
worden ist. Jedenfalls muß es vor -1255' geschehen sein, da Thomas 
von Aquin, der seinen Kommentar 1253 — 55 verfaßte,' Bonaventuras 
Werk bereits vor sich hatte, wie aus -seinen Ausführungen über -den 
Ablaß zu ersehen ist. Es' , genüge, auf : Sent. IV, d. 20, a. 3, qu. 2 
(Süpplem. qu. 25, a. 2) zu verweisen, wo er sowohl gegen Albert d. 20, 
a. 17) als gegen Bonaventura (d. 20, p. II, qu. 6) polemisiert. 



^ Vgl. Michael III 69 f. J. A. Endres, Das Gebiirtsjahr und die Chrono- 
logie in der ersten Lebenshälfte Alberts des Groi3en, im Histor. Jahrb. XXXI 
(1910) '293 ff. G. V. Hortliiag, Albertvis -Magnus. 2. Aufl. mit Z\isätzen von 
Baeumker und Endres. ■ Münster. 1914, 3 ff. [Beiträge zur Geschichte- der 
Philosophie des Mittelalters XIV 5 u. 6], Fr. Polster, Kritische Studien zum 
Leben 'und zu'deri 'Schriften Alberts des'Großen. Preiburg 1920,'34ff.^[Brgänzimgs- 
heft' zu'den' Stimmen -der Zeit. '''Forschiüigen. '-■4.' Heft]. 

2 In ^IV-Sent. ■di'^6,-a: ^9. ' 0pp.'XXVIP139. 

3'Opp. XXIX* 798. 

* Zum Teil wiederholt in 'Sext. c. -P ff.- 'de' sent. excom.^ V. '11, 

ä Opp. XXX '354. D; 35,'' a. 7:'Qualiter debeat'fieri adulterii acousatiö-? — 
5,Inseriptio facienda est sie: Anno 1249 -praesiderite Domino' N." 

« Vgl.' Opera !,• S.- LV f.' X 2 f ; '42 ff. 

'Mandonnet, Des e'crits authentiques ' de St.' Thomas- d' Aquin. '' 'Fri- 
bourg 1910, 124. M. Grabmann, Thomas von Aquin. Kempten 1912j'16,^n.' 2. 



272 VIII. Die Ablaßlehre der. großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts. 

So erklärt .sich rauch; wie beim ;.Aquinaten sich Anklänge finden 
tonnen an Ausführungen über den Ablaß,. die in der Summe Alexanders 
vorkommen. Diese Ausführungen hat Thomas nicht bei Alexander, 
sondern bei Bonaventura .vorgefunden. -Damals standen sie noch nicht 
in der Summe Alexanders. Sie, müssen ihr aber bald nachher einverleibt 
worden sein, da der ganze vierte TeiLder' Summe, wie er jetzt gedruckt 
vorliegt, schon in Handschriften aus den letzten- Jahrzehnten des 
13. Jahrhunderts enthalten ist. ,, , " ... 

Wie oben bemerkt worden, hat im Jahre 1256 Alexander IV. 
den Minoriten in Paris den Auftrag' gegeben^ die Summe Alexanders 
von Haies zu ergänzen. Man darf annehmen,' daß Wilhelm von Melitona 
.{Melton, in der Grafschaft Suffolk), derdn dem; päpstlichen. Schreiben 
besonders genannt wird,, sich sofort. an die Arbfeit; gemacht hat. Da 
•er jedoch, wieies scheint, schon 1260 .gestorben ist, könnte, er die ihm 
gestellte Aufgabe nicht ^zu Ende führen, s ■ Der Ablaßtraktat, dein er 
der Summe, beifügte, enthält, etliche .Bestandteile,- die nicht iVon< Bona- 
ventura herstammen. Ob sie Wilhelm aus eigenem- beigesteuert oder 
einem fremden Werke entnommen habe, muß vorläufig- dahingestellt 
bleiben. 

Unter den, großen Scholastikern' hat demnach den Ablaß zuerst 
Albertus .^ Magnus behandelt, und. zwar im Jahre 1248 oder 1249. 
Bald darauf wurde die Frage auch von Bonaventura erörtert; ihm 
iolgtedann in den Jahren 1253^55 Thomas von Aquin. 

Albert der Große. 

In seinem Sentenzenkommentar^ widmet Albert der Abläßfrage 
;siebeii Artikel.^ Er fragt zunächst, was der Ablaß sei. Einige Lehrer, 
bemerkt er, definieren den Ablaß als „eine kompetente und diskriste Um- 
wandlung einer größeren Buße in eine kleinere". Andere erklären ihn 
als „eine verheißene Minderung der noch schuldigen zeitlichen Strafe". 
Obschon diese beiden Definitionen nach der Ansicht des Verfassers 
verteidigt werden können, zieht er doch die folgende vor : „Der Ablaß 
ist eine Nachlassung der auferlegten Bußstrafe, erteilt kraft der 
Schlüsselgewalt und hervorgehend aus dem Schatze der überfließenden 
Verdienste der Vollkommenen." Wenngleich an dieser Stelle nur von 
-der auferlegten Buße die Rede ist, so geht doch aus Alberts weiteren 
Erklärungen hervor, daß er unter -dem Ablaß eine Nachlassung über- 
haupt der zeitlichen Sündenstrafen versteht, die nach- der Ver- 

^ In Alberts Summa theologiae, die unvollendet geblieben ist, und sich 
nicht bis zur Sakramentenlehre erstreckt, wird der Ablaß nicht behandelt. In 
der vor dem Sentenzenkommentar verfaßten Summa de creaturis, deren vierter 
Teil mit der Sakramentenlehre noch ungedruckt ist, wird die Ablaßfrage nur 
kurz erörtert. Vgl. M. Grabmann, Drei imgedruckte Teile der Summa de 
.joreaturis Alberts des Großen. Leiipzig 1919, 63 [Quellen und Forschimgen zur 
Geschichte des Dominikanerordens in Deutschland, Heft 13]. 

a In IV. Sent. d. 20, a. 16—22. Opp. XXIX 847—59. Über Alberts Ablaß- 
-lehre handelt H. Lauer, Die Moraltheologie Alberts des Großen. Freibiirg 1911, 
.331—34. 



yill. .Die Ablaßlehre der großen Scholastijker des 13. Jahrhvinderts. 273 

zeihung. der Sündenschuld noch abzubüßen sind.^ . In diesem Sinne 
definiert er in seinem Matthäuskommentar den Ablaß aJs „eine Nach: 
laasung der, für die bereulien und gebeichteten Sünden auferlegten 
oder aufzulegenden Bußstrafe".? .Der Ablaß, so wird dann im 
Sentenzenkommentar näher ausgeführt, ist demnach keine Nach- 
lassung, der Sündenschuld, die Gott allein nachläßt, sondern der für 
die Sünde auferlegten zeitlichen Strafe. Diese Nachlassung wird erteilt 
kraft .der Schlüsselgewalt, d. h. von jemand, der dazu, die nötige Voll: 
macht besitzt., Da aber die für die Sünden auf erlegte. Bußstrafe dem 
einen nicht ordentlich (debite et discrete) nachgelassen werden kann, 
sie werde denn kompensiert, durch einen andern,:der mehr tut', als was 
er zu tun schuldig ist, so wird in der Definition betont, der Ablaß 
werde erteilt aus dem, Schatze der überfließenden Verdienste , der 
Vollkommenen. 1 In diesem Schatze besitzt die Kirche die. Reichtümer 
der Verdienste - und des .Leidens Christi, der glorreichen Jungfrau 
Maria, aller Apostel und Märtyrer sowie aller lebenden und ver- 
storbenen Heiligen, und kommt- damit jenen zu Hilfe, die ihr in ihren 
Bedürfnissen beistehen. , , . 

An zweiter Stelle (Art. 17) handelt Albert von dem Werte des 
Ablasses. Hierüber;- sagt er, hat es ehemals (antiquitus) drei Mei- 
nungen gegeben. Etliche haben gelehrt, daß die Ablässe nicht den 
geringsten Wert hätten und daß es ein frommer Betrug sei, wodurch 
die Kirche die Gläubigen zu guten Werken, zu Wallfahrten und Almosen, 
zur Anhörung der Predigt und dergleichen anreize, gleich einer Mutter, 
die, um ihre Kinder zum Gehen anzuleiten, ihnen einen Apfel vorhalte 
und nachher nicht, gebe.' Mit Entschiedenheit verwirft Albert diese 
Ansicht, die ihm fast als eine Ketzerei vorkommt. Sollten die Ablässe, 
meint er, die dem Volke gepredigt und empfohlen werden, als Betrug 
zu gelten haben, so würde man der Kirche überhaupt keinen Glauben 
mehr schenken. 

Andere, mehr als nötig widersprechend, haben behauptet, daß 

die Ablässe einfach so viel gelten, wie es die Verkündigung besage, 

ohne daß irgendeine andere Bedingung erfordert sei, selbstverständlich 

■ den Stand der Gnade auf selten des Empfängers vorausgesetzt. Dies 



^ Vgl. art. 18, ad qu. 1 : „Indulgentiae valent ad diminutionem poenae 
expiativae sive iniunctEie, sive iniungendae, si sacerdos imimgens erravit." 
S. 853. Mit Unrecht behauptet Brieger (Das Wesen des Ablasses 24, n. 2), 
daß Albert den Ablaß . bloß für die auferlegten Bußen gelten lasse. 

* Enarr. in Evang. Matthaei: „Indülgentia est remissio poensie satis- 
factoriae iniunctae vel iniungendae pro peccato confesso et de quo prae- 
cessit compunctio." Opp. XX 643. , 

, '. „Quidani dixerunt indulgentias omnino nihil valere et esse eas piam 
fraudem." S. 850. Hier scheint Albert niolit ganz genau zu berichten. Bona- 
ventura, der ebenfalls von solchen spricht, die den Ablaß als einen fronunen 
Betrug , betrachteten, sagt:. „Dixerunt aliqui huiusmodi ind\ilgentias aliquid 
valere, sed nunquam tahtum quantum promittitur." Opp. IV 540. Und dies 
scheint das Richtigere zu sein, wie man aus der Äußerung Wilhelms von Auxerre 
(vgl. oben S. 231), den wohl beide hauptsächlich im Auge hatten, ersehen kann. 

Paulus, Die Geschichte des Ablasses. 18 



274 VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. 'Jahrhunderts. 

hieße aber,- wendet Albert dagegen ein, die Vergebung allzu Ifeicht, 
machen. 

Albert selbst schlägt einen Mittelweg ein. Die Ablässe, lehrt er, 
gelten so viel, wie in der Verkündigung gesägt wird, -aber nur unter 
sechs Bedingungen, die von der Kirche vorausgesetzt oder ausdrücklieh 
angegeben werden. Diese Bedingungen beziehen sich teils auf den 
Spender, teils auf den Empfänger des Ablasses, teils endlich auf die 
Kirche, in welcher die Nachlassung stattfindet. Auf Seiten des Spenders 
müssen zwei Bedingungen vorhanden sein, nämlich die nötige Voll- 
ihacht und ein frommer Grundj und zwar ein öffentlicher, kein privater, 
der zur Verleihung von Ablässen berechtige, z. B. die Verteidigung' des. 
Vaterlandes, die Befreiung des Heiligen Landes, die Beschirmung des 
Glaubens, die Förderung der Schulen, die Erbauung von Kirchen,, 
Klöstern oder Spitälern, die Anhörung der Predigt, der Besuch' der 
Heiligtümer, die- Wiederherstellung öffentlicher Straßen. ^ Zwei andere 
Bedingungen sind auf spiten des Empfängers Erfordert: er muß glauben,, 
daß die Kirche Ablässe verleihen kann ; zudem muß er Reue und' den 
Vorsatz zu beichten haben. Deshalb heißt es immer in den Ablaß- 
briefen: „Allen, die reumütig gebeichtet haben." Denn d^m Erlasse 
der Strafe niuß notwendigerweise , die Vergebung der Sündenschuld 
vorangehen. Die zwei letzten Bedingungen sind erfordert auf Seiten 
der Kirche, nämlich der Besitz eines Überflusses an Verdiensten und 
eine gerechte Abschätzung des Ersatzwerkes, wofür, der Ablaß ge- 
spendet wird. Diese Abschätzung ;soll aber nicht geschehen durch 
den Ablaßspender, wie etliche sagten, da dieser vielleicht das, was er 
spendet; zu hoch schätzen würde ; sie soll auch nicht geschehen, wie 
andere meinten, durch den Empfänger, der vielleicht den gespendeten 
Ablaß zu gering schätzen würde; sondern' sie soll sich richten nach 
dem Urteil gutgesinnter Männer und Rücksicht nehmen- sowohl auf 
die Bedürfnisse der Kirche als auf die Zeit und die persönlichen Ver- 
hältnisse der Gläubigen; denn eine kleine Gabe kann zu .einer Zeit 
mehr Wert haben als eine größere zu einer andern Zeit; ebenso ist 
dem einen, z. B. dem Armen, eine kleine Spende höher anzuschlagen, 
als dem andern eine große. ^ 

Diesen Bedingungen wollten etliche noch zwei weitere beifügen, 
nämlich wenn der Beichtvater die Gewinnung des Ablasses erlaubt 
und wenn dem Beichtkinde der Ablaß nützlich sein kann. Albert 



1 Die „reparatio viarum communium" als Grund zur Ablaßverleihung nennt 
Albert im Matthäuskommentar. Opp. XX 643. 

* Im Matthäuskommentar (Opp. XX 643) stellt Albert ebenfalls sechs 
Bedingungen auf für die Gültigkeit des Ablasses : zwei von seiten des Spenders, 
nämlich die Vollmacht und ein hinreichender Grund; und vier von seiten des 
Empfängers. 1. Er mu£ Reue haben über seine Sünden; 2. er muß wenigstens 
einmal im. Jahre beichten; 3. er muß glauben, daß die Kirche Ablässe erteilen 
kann; 4. er, muß das tun, wofür der Ablaß erteilt wird, und zwar im Verhältnis 
zu seinem Vermögen. Das letzte, klagt der Verfasser, wird leider von manchen 
nicht beobachtet; sie geben so wenig, daß sie, statt 'etwas Nützliches' zu voll- 
bringen, eher Spott mit dem Heiligen zu treiben scheinen. 



yiII^Pie-Abla01ehre.",derJgroßeri'.Scholastiker->des 13; Jahrhunderts. 275' 

ist aber> derAnsicht, daß-maif'^^diese Bedingungen beiseitelassen könne. 
Die JErlaubnis - des/jBeichtvaters/ sei nicht^erf ordert; denn der Ablaß 
werde., von pinemi Kirphenobern erteilt,^ der' sich nicht nach dem Willen 
des Beichtvaters >zti richten' 'brauche. "Auch die zweite 'Bedingung sei 
überflüssig, da ja wohl niemand "^rbezweif ein werde, daß der Ablaß-- 
immer .nützlich sei. ',-'•*..!• 

In den Eihwändeii, die Albert am Anfange seines -Artikels nach 
scholastischer Methode aufzählt, wird allerdings auf ^ßine , nachteilige 
Wirkung der Ablässe hingewiesen. ' Eine körperliche Krankheit, heißt. 
es da, 'kann hur' durch' ein 'Gegeiiinittel geheilt und beseitigt werden;, 
wird das Gegenmittel riiclit'.angewendet, so bleibt die Krankheit zurück. 
Ähnlich verhält es^ sich mit der geistigen Krankheit, "deren Gegenmittel 
die auferlegte Buße sein soll. Wird nun diese Buße erlassen, so kann 
die Krankheit' nicht entfernt werden. Deshalb ist der Ablaß schädlich. 
Demgegenüber bemdrkt Albert, daß dte Buße vom , Beichtvater aus 
einem doppelten Grund -auferlegt werde. Es solle dadurch die schuldige 
Strafe abgezahlt werden;' zudem solle sie als Heilmittel gegen ,die 
Folgen der Sünden, gegen' Üie bösen 'Neigungen dieiieh. Durch den 
Ablaß werde allerdiüigs; me^'Büße,^ sofern sie einen satisf aktorischen 
Charakter hat, 'erlassen^ so' daß man sie nicht mehr zu, verrichten 
brauche, um die 'Sündenstrafe abzutragen. Da jedoch der Ablaß ^die 
Folgen der Sünden, die böseii Neigungen des Herzens nicht wegnehme, 
da vielmehr die Bußwerke als Heilmittel gegen die Krankheiten der 
Seele dienen, 'so sei es nützlich, die Buße nicht zu unterlassen. Er 
selber pflege daher den Pönitenten anzuempfehlen, auch nach der 
Gewinnung von Ablässen die vom ^Beichtvater auferlegte Buße getreu 
zu verrichten. 

Auch den öfter vorgebrachten Einwand, der Ablaß scheine einen 
simonistischen pharakter zu haben, da für, etwas Geistliches oder die 
NachlassTing der Sündenstrafen etwas Zeitliches -gefordert und gegeben 
werde, läßt Albert lucht unberücksichtigt. Was die Kirche verlangt, 
erwidert er, bezieht sich nicht auf fias^ Zeitliche, sondern auf das 
Geistliche; auch findet hier kein Ankauf eines geistlichen Gutes für 
ein zeitliches statt; es bekundet sich vielmehr dabei die Freigebigkeit 
der Kirche, die durph Verheißung von geistlichen Gütern ihre Kinder 
zum Guten anspornen will. 

In einem andern Einwände gegen den Wert der Ablässe wurde 
betont, daß man den, Ablaß zum .Gespötte mache, wenn man lehre, 
mit einem Obolus . könne ein Erlaß von 40 Tagen, von einem oder 
mehreren Jahren gewonnen werden. Gemäß seiner Ansicht von der 
Notwendigkeit einer gerechten ■ Abschätzung antwortet Albert, daß 
man durch die Spende eines Obolus keineswegs ohne weiteres den 
Verheißenen Ablaß vollständig gewinne.' Die Teilnahme am Ablasse 
richte sich^ vielmehr nach dem Vermögen des Spenders und nach den 
jeweiligen Bedürfnissen der Kirche. 

^ 18* 



276 VIII. Die Ablaßlehie der großen Scholastiker desulS. Jahrhunderts. 

,Dem üblichen Ein^w-ande gegen- die: Zulässigüeitides Ablasses, daß 
die Sünde gestraft werden müsse /begegnet Albert mit der'Bbmlerkung, 
daß sie tatsächlich gestraft werde; iwenn auch nicht^^m- Sünder selber, 
so doch an einem andern," dessen -überschüssige^ Verdienste von' der 
Kirche dem begnadigten .Sünder zugewendet werden.. Daß, aber -eine 
solche Zuwendung geschehen könne, ergebe sich aus der Gemeinsamkeit 
der Güter im mystischen Leibe Christi. Den kirchlichen Vorstehern, 
denen die Schlüsselgewalt übergeben wprden, lehrt Albert in, dem 
Matthäuskommentar, kommt es zu, den- geistlichen Gütefschatz der 
Kirche zu verwalten. Aus diesem Schatze, der, mit. den Verdiensten 
Christi und der Heiligen , angefüllt ist, wird dem Mangel jener ab- 
geholfen, denen die' schuldige Sündenstrafe ganz oder teilweise er- 
lassen wird'.^ , ' • , ' ' 1 

An dritter, Stelle {Art. 1,8) wird erörtert, wem der Ablaß, nütze. 
Dabei werden drei Fragen .aufgeworfen : 1., Ob .der, Ablaß auchjür die 
Todsünder nützlich sei; 2. ob ihn sowohl^ Drdensleute .als -fWeltleute 
gewinnen können,; 3. ob er den Verstorbenen, r die, im -Fegfeuer oder 
in der Hölle sich befinden, zugute komme. .,,.., r,. i 

Etwas sonderbar lautet die Antwort auf ,die' erste, Frage, ob nämlich 
der Ablaß auch jenen, die im Stande, der To'dsii'nde sich befinden, 
nützlich sei. Albert steht nicht an, die Frage zji bejahen, mit der 
Einschränkung allerdings, daß der Ablaß den Todsündern in ganz 
anderer Weise von Nutzen sei , als , jenen, die im Stande. der Gnade 
sind. Den letzteren dient der Ablaß zur Verminderung der abzu- 
büßenden Strafe, der auferlegten oder auch, falls der Beichtvater sich 
geirrt, der aufzulegenden. Den Todsündern aber nützt der Ablaß 
in zweifacher Weise, zunächst in der Weise, wie einer einem andern 
die Gnade der Bekehrung erlangen kann, wenn er für ihn betet, fastet 
oder andere gute Werke für ihn verrichtet. Wenn nämlich schon 
ein einzelner Mensch dies tun kann, um wie vielmehr die Kirche durch, 
den Schatz der gemeinsamen Verdienste, die sie ihm durch den Ablaß 
zuwendet. Aber noch auf eine andere Weise kann der Ablaß den 
Todsündern dienlich sein. Wie die im Stande der Sünde verrichteten 
guten Werke den Menschen der Rechtfertigung näherbringen, so macht 
auch der Ablaß den Sünder, der ihn durch Verrichtung guter Werke 
zu gewinnen sucht, geschickter zur Gnade und zur Bekehrung. In 
anderer Weise kann der Ablaß den Todsündern nicht von Nutzen sein, 
namentlich kann er ihnen nicht dienen zur Verminderung der Sünden- 
strafe; denn diese Strafe kann durch den Ablaß nur dann erlassen 
werden, wenn zuvor die Sündenschuld durch die Reue getilgt worden 
ist. Alberts eigentümliche Ansicht über den Nutzen der Ablässe für 
die Todsünder fand in der Folgezeit keinen Anklang; selbst sein Schüler 
Thomas von Aquin hat sie abgelehnt. 

Die zweite Frage, ob auch die Ordensleute der Ablässe teilhaftig 
werden können, wird von Albert bejaht; doch meint er, daß nach der 



Opp. XX 642. 



VIII.. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13; Jahrhunderts. 277 

ersten Absicht,. der- Kirche die Ablässe nur für jene bestimmt sind^ 
die fremder Yerdienste, bedürfen;- dies seien aber die Weltleute und 
die weltlich gesinnten Ordensleute. Echte Ordensleute bedürfen. 
eigentlichrder Ablässe nicht/ ida- ja aus ihren überschüssigen Ver- 
diensten die Ablässe gespendet werden. 'Daraus folgt aber für sie- 
kein Nachteil; im .Gegenteil, 'sie finden sich in einer günstigeren Lage 
als die /Wßltleute, wie. überhaupt derjenige', der. überflüssige Verdienste; 
hat und daher fremder^ Unterstützung nicht bedarf,- besser daran ist) 
als jener,; der auf fremde Hilfe. angewiesen ist. .Hat' doch derNHeiland 
selber erklärt :,,„Seliger'4st geben als empfangen* -'(Apg, 20, 35). 

Wichtiger ;ist., dies; dritte Frage, ob- die Ablässe nicht bloß den 
Lebenden; sondern auch -den Verstorbenen iin- der Hölle und im Feg- 
feuer, von Nutzen sein können. Den Verdammten in der Hölle, erwidert 
Albert,; können die Ablässe nichts -nützen; sehr, nützlich sind sie aber 
den Seelen ;im Fegfeuer. , Dem Einwand gegenüber, daß die Kirche 
ihre Schlüsselgewalt nur auf Erden auszuüben habe und folglich den 
Verstorbenen, keine, Ablässe erteilen > könne,, bemerkt Albert, daß die. 
Seelen, im Fegfeuer, in einem .gewissen, Sinne noch > auf Erden sind. 
Sie hätten nämliph,' wie Augustinus lehrt, in ihrem irdischen 'Leben 
verdient,' daß, die Kirche ihnen nach dem Tode helfen köiine: Das. 
Fegfeuer sei gewissermaßen Durchgangsort (via) und. gewissermaßen 
Endziel. . , , . ' ,.>.■. 

Von Interesse. ist es zu; hören, wie Albert den Grund beantwortet, 
womit, bewiesen werden sollte, daß der Ablaß den Verstorbenen über- 
haupt,' nicht bloß den, Seelen im Fegfeuer zugute komme. Dieser Grund 
lautet: Die Kirche verkündet und läßt verkiinden, daß raan den Kreuz- 
zugsablaß sowohl für sich als für andere, für Lebende und Verstorbene 
gewinnen könne.,^; Nun kann es aber leicht vorkommen; daß von 
diesen Verstorbenen etliche in der Hölle sind; demnach kann man 
den Ablaß, auch den Verdammten zuwenden. Einen derartigeil, von 
der Kurie wirklich ausgegangenen Erlaß, erwidert Albert, ^ habe ich 
noch niemals zu Gesichte bekommen. Dagegen ist in den Ablaß - 
schreiben stets die Rede von solchen,- die gebeichtet und Buße empfangen 
haben.. Darunter sind aber nur die. noch lebenden Büßer, zu verstehen 
oder jene, die im Fegfeuer für ihre. Sünden genugtun; folglich können 
die Ablässe nur, diesen nützen.- Alberts .Meinung, daß die von ihm 
erwähnte Ablaßformel auch auf die Seelen im Fegfeuer sich bezogen 
habe, ist freilich onicht zutreffend;, sie bezog sich nuri auf die Lebeiiden. 
Immerhin erfahren wir aus seinem Munde, daß ihm kein Erlaß bekannt 
war, worin die, Zuwendung des Ablasses an Verstorbene ausdrücklich 
gestattet worden wäre. Derartige Schreiben gab es eben zu jener Zeit 
noch nicht. 

An einer andern Stelle kommt Albert auf den Ablaß für Ver- 
storbene noch einmal kurz zurück. Indem er gegen Ende seines 

^ „Ecclesia praedicat crucem et faoit praedicari pro se et diiabus vel tribns 
vel quandoque decem animalibus tarn vivorum quam mortuorum, ad eleetionem 
cruee signati." S. 852. ^ 



278 VIII. Die 'Ablaßlehre, detigroßett .Scholastiker' des" 13. ■ JÄhrhimderts. 

Sentenzenkommentars "'(d.- ,45, a." 8) von dem- Zustande i der- Seelen 
im, Fegfeuer handelt, fragt er, /welche' - Suff ragien diesen 'Seelen am 
meisten nützen. Er nennt das, hl. Meßopfer, GebeteV Almösen und 
andere von der Kirche vorgeschriebene i Übungen. Demgegenüber 
macht er nun den Einwand geltend, daß- es Gebrauch der Kirche sei, 
den Kreuzzugsablaß für eine ^ oder .niehrere^ Seelen im - Fegfeuer zu 
verleihen und daß demnach vor , allem das Suffragium (les ' Ablasses 
den Seelen nützlich zu sein, scheine. ?^- Die ^Kirche; erwidert ' er, tut 
dies vielmehr auf. Grund. der Schlüsselgewalt als' kraft eines Süffragiüms. 
Sie \|^endet deshalb ihre Schätze »den Verstorbenen züium dadürck 
die Gläubigen zur Annahme des Kreuzes anzüeifern. Nähefes hierüber 
sei zu finden in dem- Abschnitte, der von den Ablässen handelt.^ Hier 
scheint der Verfasser das. Vorhandensein von AbläßbuUeri, wöriri' aus- 
drücklich von den Verstorbenen die Rede sei^ zuzugeben. Doch be- 
richtigt er stillschweigend sich selber, indem er' auf seine' früheren 
Ausführungen verweist. ■ ' * '• ' '■ ! ' "'■ 

Die , übrigen ;Erörtefungen bieten nur geringes Interesse; es wird 
daher genügen, den Inhalt der einzelnen Artikel in aller Kürze anzugeben. 

Der 19., Artikel beschäftigt sich mit der Frage; 'ob' der Ablaß in 
gleicher Weise zuteil werde demjenigen, der das zur- Gewinnung des 
Ablasses vorgeschriebene Werk tut, wie demjenigen,' der den Willen 
hat, das Werk zu verrichten, aber es nicht verrichten kann. Die Frage 
wird verneint, da zur Gewinnung des Ablasses der gute Wille allein 
nicht genüge; doch könne ein Armer durch seinen guten Willen einer 
größeren Belohnung im Himmel sich würdig machen,' als ein Reicher, 
der durch seine Almosenspende des Ablasses teilhaftig wird:- 

Daß der Ablaß denselben Wert hat, ob er von einem sündhaften 
oder einem frommen Obern gespendet werde, wird im 20. 'Artikel 
dargetan. > , < ■, ; f 

Der 21. Artikel handelt von der Vollmacht der Bischöfe, Ablässe 
zu spenden. Der Bischof kann in seiner Diözese Ablässe erteilen, und 
zwar könnte er dies tun in beliebigem Umfange, wenn seine Gewalt 
durch den Papst nicht eingeschränkt worden wäre, wie dies' jetzt der 
Fall ist, da die Bischöfe nur Ablässe von' 40 Tagen verleihen können. 
Wie verhält es sich aber mit den Ablässen, die von Bischöfen in fremden 
Diözesen mit Erlaubnis der betreffenden Oberhirten erteilt werden? 
Indem jeder einzelne Bischof 40 Tage verleiht, werden auf diese Weise 
an einem Orte zahlreiche Ablässe zusammengehäuft. ^ Sind diese Ablässe 
gültig ? Verschiedene Autoren jener Zeit bejahten die Frage. Albert 
dagegen ist der Ansicht, daß „wegen des allzu großen Mißbrauches 
der Ablässe, die jetzt erteilt werden", die von der Lateransynode (1215) 
getroffene Einschränkung berechtigt sei und auch für diesen Fall zu 



1 Opp. XXX 615. 

^ „Ecclesia hoo facit de potestate clavium potius qtiam virtute suffragü; 
et ideo thesäurös suos tunc derivat ad idefunetos, üt fideles citiüs ad votuiQ 
[cruoie] inducantur. Et de hoc plura requirenda sunt supra in quaestione de 
indulgentiis." 



YIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jährhunderts. 279 

.gelten scheinej so, daß mehrere . Bischof e miteinander- einem Orte nur 
einen Ablaß von 40 Tagen verleihen können. Würde' aber jene Ein- 
schränkung, nicht bestehen, so -könnte freilich, meint der . Verfasser, 
ein jeder Bischof in einer fremden Diözese mit Erlaubnis des zu- 
ständigen Qberhirten einen mehr. oder weniger hohen Ablaß erteilen. 
Schließlich wird im 22. Artikel noch' die Frage aufgeworfen, ob 
auch ein einfacher Priester Ablässe^ erteilen könne. Albert verneint es, 
da dem einfachen Priester, z. B. einem Pfarrer, die hierzu erforderte 
, Jurisdiktion. abgehe. > Aus demselben Grunde verwirft es Albert als 
«inen Mißbrauch und eine Täuschung des Volkes, daß Laien, wie es 
•damals, öfters geschah, die ihnen verliehenen Ablässe andern mitteilen. 
Lebenden oder Verstorbenen. Sie können wohl, meint er, den genug- 
tuenden Wert. des Werkes, das sie zur Gewinnung des Ablasses ver- 
richten, andern zuwenden, nicht aber den Ablaß selbst, da sie keine 
Jurisdiktion besitzen. - 



Bonayentura und^ Alexander von Haies. 

Das ganze Mittelalter hindurch bis auf den heutigen Tag ist der 
Abschnitt über den Ablaß, der in der Summe Alexanders von Häles 
•sich vorfindet, als von Alexander herrührend betrachtet worden; des- 
halb verdient er trotz' seiher Unechtheit Beachtung. Da er jedoch 
aum größten Teile von Bonaventura entlehnt ist, so wird es genügen, 
'die Ausführungen Bonaventuras wiederzugeben und die Alexander zu- 
igeschriebenen Erörterungen nur insoweit zu berücksichtigen, als sie 
won denjenigen des Seraphischen Lehrers abweichen. 

Bonaventura erörtert die Ablaßf rage in sechs Kapiteln (quaestiones) , 
worin folgende Fragen beantwortet werden: I. Ob einer für den andern 
jgeriügtun könne ; 2, ob ein Ablaß erteilt werden könne ; 3. von wem, 4, für 
was, '5. wem er erteilt' werden könne; 6. wieviel der Ablaß gelte.^ 

Seine Ausführungen beginnt er mit der gründlegenden Frage 
((quaestionis fundamentum), ob einer für den andern die vom 
Beichtvater auferlegte Buße verrichten könne.^ Bei der Be- 
.antwortuhg der Frage bemerkt er, daß die für die Sünde auferlegte 
Buße eine zweifache Bedeutung habe : sie ist zu betrachten als Heil- 
mittel (medicamentum) gegen die bösen Neigungen, welche die Sünde 
in der Seele zurückläßt, und als Zahlungsmittel (pretium) zur Ab- 



^'in IV. Sent. d. 20, p.II. Bei Alexander von Haies (Summa Theologiae. 
P. IV, qu. 23) werden in acht Kapiteln (membra) folgende Fragen behandelt: 
1. Ob es einen Ablaß gebe;; 2. worin er bestehe; 3. von wem, 4. für was, 5. wem 
•er erteilt werden könne; 6. ob vom Papste die ganze Strafe erlassen werden 
Tsönne; 7. ob beim Ablaß eine gerechte Abschätzung notwendig sei; 8. warum 
für die Palästinafahrt ein vollkommener Ablaß erteilt werde. 

^ * Bei Alexander von Haies stehen die parallelen Avisführungen, die von 
Bonaventura entlehnt sind, unlogiseherweise an zweiter Stelle (m. 1, art. 2), 
während die Frage, ob es einen Ablaß gebe, an erster Stelle' (m. 1, a. 1) behandelt 
wird. Am Anfang des ganzen Kapitels heißt es indessen, daß es keinen Ablaß 
geben würde, wenn einer für den andern nicht genugtun könnte. 



280 VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts. 

tragung der Strafe, die man sich durch die Sünde zugezogen hat. 
Insofern die Buße als Heilmittel zu gelten hat, kann sie für einen 
andern nicht übernommen werden; wird sie aber als Zahlungsmittel 
zur Tilgung der. geschuldeten Sündenstfafe betrachtet, so kann', sehr 
wohl einer für den andern die Schuld zahlen. Doch ist hierfür - die 
Erlaubnis des kirchlichen Obern notwendig. Dieser Obere- aber hat 
zweierlei zu berücksichtigen: bei den Untergebenen den gebührenden 
Zustand und bei der Strafe das gebührende Maß. Es müssen nämlich 
die beiden Untergebenen, wovon der eine für den andern genugtun 
will, im Stande der Gnade sein; auch muß der eine sich in der Hilfs- 
bedürftigkeit befinden (indigentia) und der andere in der Lage sein, 
ihm zu helfen (sufficientia). Was dann die abzutragende Strafe betrifft, 
so muß sie. durch eine größere ersetzt werden, da man für fremde 
Sünden Gott nicht so leicht genugtun könne, wie für die eigenen. 
Daß aber einer für den andern Genugtuung leisten könne, beruht auf 
der Liebesgemeinsohaft, welche die Gläubigen miteinander unter ihrem 
Haupte Christus bilden. Infolge dieser innigen Verbindung können die 
einzelnen Glieder des niystischen Leibes sich gegenseitig Hilfe leisten 
und sind so imstande, , die .zeitliche Strafe zu entrichten, welche die 
andern verdient haben. Der Autor imterläßt jedoch nicht zu betonen, 
daß man wohl für einen andern die Sündenstrafe, abtragen, nicht aber 
die Sünden bereuen und beichten könne. Der Sünder muß selber 
seine Sünden bereuen; und beichten. Nur „für denjenigen, ^ der ^ seine 
Sünden reumütig gebeichtet hat, kann ein anderer die Strafe abzahlen» 
Kann ein Erjaß der Buße stattfinden?-^ Zur Lösung dieser 
Frage, so führt Bonaventura aus, haben „etliche"^ unterschieden 
zwischen dem Richterstuhle Gottes und dem R-ichterstuhle, der Kirche 
und gesagt, daß der Ablaß nur. vor der Kirche,;nicht, vor Gott Geltung 
habe. Wäre aber dies der Fall, wiii?de der Ablaß vor' Gott nicht gelten^ 
so wäre es eher eine Täuschung als ein Straferlaß und mehr eine .Grau- 
samkeit als ein Erweis von Barmherzigkeit; denn die Verminderung 
der Bußstrafe auf dieser Welt würde dann eine unvergleichlich schwerere 
Strafe im Jenseits zur Folge haben. Deshalb sei zu sagen, der Ablaß 
gelte nicht bloß vor dem Richterstuhle der Kirche, sondern auch vor 
Gott, weil Gott für nachgelassen achte, was die Kirche nachläßt. 

Erkundigt man sich aber nach der Art und Weise, wie der 
Ablaß geschehen könne (qualiter fieri possit), so ist folgendes zu 
erwidern: Es gibt einen dreifachen Nachlaß. der Sündenstrafe, und bei 
jedem findet eine Umwandlung der größeren Strafe in eine .kleinere 
statt. Bei der Nachlassung der Sündenschuld infolge der Reue wicd 
die ewige Strafe in eine zeitliche umgewandelt. Die zeitliche Strafe,, 
welche die Kräfte des Menschen übersteigen würde, wird dann im 
Bußsakrament kraft der priesterlichen Lossprechung durch eine 
kleinere ersetzt, die der Sünder entrichten kann. Diese vom Beicht- 

1 Qu. 2. „Utrum possit fieri satisfaotionis relaxatio ?" Bei Alexander 
lautet die Frage :„TJtrum sit relaxatio poenae debitae pro peccato?" 

2 Vgl. oben S. 266. 



VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jahrhtmdeits. 281 

vater auferlegte Buße wird schließlich, im Ablaß in eine noch kleinere 
umgewandelt, .nämlich in das zur Gewinnung des Ablasses vorge- 
schriebene Werk, während für den, erlassenen Teil der Bußstrafe die 
Verdienste, der Kirche Ersatz leisten. Will man aber einwenden, die 
Sünde müsse gestraf t werden; so ist zu beachten; daß die überschüssigen. 
Genugtuungen, die in der» Kirche vorhanden sind,' demjenigen, dem ein. 
Ablaß; zuteil wird, zugewendet- werden, so daß ' der ' göttlichen Ge- 
rechtigkeit; Genüge geschiebt;. Durcb den Ablaß wird eben die Sünden- 
strafe nicht durch< , bloße Schenkung erlassen; ^ sondern es wird dafür 
Gott eine. entsprechende Genugtuung aus dem Kirchenschatze dar- 
geboten. .'.•■"■ '. * ' ■••' ; ", ■ • ■ ',,..' 

Alle diese Ausführungen findet man auch.in derSumme Alexanders 
von .Haies, bei dem jetzt ein> Kapitel ;folgt' (membr. 2), das bei^ Bona- 
ventura fehlt. Es handelt .sich wum die,iYäge, worin der. A'bläß 
seinem Wesen nach bestehe. Ist.es eine Vergebung (coridonatio) ? 
Gebraucht man den Ausdruck „Ablaß" im weiteren Sinne für einen 
irgendwelchen Erlaß- der Strafe, so kann man diesen Ablaß sehr wohl 
als Vergebung bezeichnen. ' Im. eigentlichen. Sinne aber ist der Ablaß, 
eine kraft der Schlüsselgewalt vollzogene Verminderung der für die 
Sünde, auf erlegten, Bußstrafe mit beigefügter Verpflichtung zu einer 
gleichartigen (d; h.-zeithchen)' Strafe, Hieraus ergibt sich auch, ob 
der Ablaß, als eine Umwandlung zu. bezeichnen sei. Obgleich Ablaß 
und Umwandlung ..bisweilen sich' decken, ^so dürfen sie doch- nicht 
miteinander .verwechselt werden. Bie Umwandlung. *kann ohne i Ablaß 
stattfinden, so z. B. wenn .die ewige Strafe in > die Fegfeuer strafe um- 
gewandelt wird. : Beim Ablaß dagegen findet keine bloße Umwandlung 
irgendeiner Strafe in eine andere statt; es wird vielmehr J dadurch ein 
Teil der schuldigen Bußstrafe nachgelassen ; ein Teil, nicht das Granze, 
Denn der. Ablaß ist mehr eine Verminderung'^äls eine vollständige 
Nachl'assung der Strafe. Muß-doch derjenige^ der den- Ablaß' ge- 
winnen will, dafür das 'vorgeschriebene Werk verrichten. Indem nun 
dies Werk an die Stelle der erlassenen Buße tritt) hindert nichts, den 
Ablaß in dieser Hinsicht als .eine Umwandlung zu bezeichnen. 

Im dritten Kapitel, das ganz in die Summe Alexanders auf- 
genommen wurde, erörtert Bonaventura die Frage, von wem Ablässe 
erteilt werden können. Hier spricht' er auch wieder von dem 
Kirchenschatze, den er bereits im zweiten Kapitel erwähnt hatte. 
Die Ablässe, so erklärt er, werden erteilt aus den überfließenden Ver- 
diensten, die in der Kirche vorhanden sind und die gleichsam ihren 
geistlichen Schatz' bilden. Von wem diese Verdienste herrühren, sagt 
Bonaventura nicht ; er scheint dies als etwas Bekanntes vorauszusetzen. 
Bestimmter heißt es an der parallelen Stelle bei Alexander von Haies, 
die Ablässe werden erteilt aus den überfließenden Verdiensten der 
Glieder Christi und hauptsächlich aus den überfließenden Verdiensten 
Christi selbst. ■ Die Verwaltung dieses Schatzes steht aber nach Bona- 
ventura nicht allen zu, sondern nur den vornehmsten Stellvertretern 
Christi, dem Papste und den Bischöfen; deshalb können nur diese 



282; Vlir. Die; Ablaßlehrö . deri großen^ Scholastiker des 13. - Jahrhimderfcs; 

Ablässe erteilen. Während aber der Papst, als Oberhaupt der ganzen 
Kirche, , allen Gläubigen Ablässe verleihen kann, können dies die 
Bischöfe nur für ihre Diözesanen tun, da sie über die Gläubigen einer 
fremden Diözese keine ' Jurisdiktion besitzen. Bloß im Falle daß der 
Bischof, einer andern. Diözese seine , Zustimhiung dazu gibt, können 
■ Bischöfe auch fremden Diözesaneni Ablässe! erteilen. Ebenso können 
«infache Priester Ablässe gewähren; wenn sie; von dem Bischof dazu 
bevollmächtigt, werden, wie dies bei Predigern oft der Fall ist. 

Im vierten Abschnitt, der ebenfalls in Alexanders Summe sich 
vorfindet, wird untersucht, für was^Ablässe erteilt werden sollen, 
•ob für körperliche oder geistige Leistungen. In den irdischen Reichen, 
lautet die Antwort, wird, der königliche Schatz gewöhnlich^ zu' einem 
ziyeifachen Zwecke verwendet, zur. Ehre des Königs und zur Förderung 
des. öffentlichen Wohls. Ähnlich verhält es sich mit dem Kirchenschatz, 
der zur Verherrlichung; Gottes und zum Wohle der Christenheit ver- 
wendet wird. Nun wird aber Gott geehrt in seinen Heiligen; diese 
ihrerseits werden verherrlicht durch die Errichtung von Kirchen, durch 
den Besuch der Gotteshäuser, durch die Predigten, in denen auf die 
Tugenden der Heiligen hingewiesen wird. Was dann diie Förderung 
des christlichen Gemeinwohls betrifft, so gehört dazu die Verteidigung 
des Heiligen Landes-, die Beschirmung des Glaubens, die Unterstützung 
der Schulen (proöiotio studii) und dergleichen. Deshalb ■ geziemt es 
sich, derartige Werke mit Ablässen' zu belohnen. Und da es sich 
hierbei um äußerliche Leistungen handelt, so sollen sie Ablässe haupt- 
sächlich (maxime) für äußerliche Werke erteilt werden. 

Wird aber keine Simonie dadurch begangen, daß man für äußerliche 
oder körperliche Leistungen geistliche Wohltaten spendet ? Nein ! denn 
beim Ablaß wird nicht Geistliches für Körperliches gegeben, sondern 
es wird die größere Bußstrafe in eine leichtere umgewandelt, und die 
übrige Schuld läßt der, kirchliche. Obere mit Zuhilfenahme des Kirchen- 
schatzes nach. Oder man kann auch sagen, der Ablaß werde für ein 
äußerliches Werk gegeben^ nicht mit Rücksicht: auf die äußere/ Gabe> 
sondern mit iRücksicht auf die gute Meinung, : womit ^dtö Gäbe i ge- 
; ^endetr 'wirdi P- -:;;:/ -^x^'V- ^^■■:. ■. - x:;.nv ■ 7;;!■^P.\k'M.:]■^J■:■^ -;;r;.:n n:..-:'..;.;: ,^ 
Bei Alexander von Haies wird diesen Ausführungen noch folgendes 
beigefügt: Wenngleichdie Ablässe vor ällem^ für äußerliche Leistungen 
verliehen werden sollen, so; können sie -doch aucüfiir geistige i gute 
Werke verliehen werden, z. B.^fiir Gebete für das Heilige Land oder 
für den König. Namentlich soll 'dies geschehen zugunsten jenefj die, 
wie die Armen und Schwacherij nur das Almosen ihres Gebetes spenden 
können. Denn es wäre unbillige den/ Armen die Hilfsmittel zu ver- 
weigern, welche die Kirche als gute Mutter ihren Kindern zu erteilen 
pflege. 

Sowohl bei Alexander von Haies als bei Bonaventura' wird in 
diesem Zusammenhange die Frage behandelt, ob fürl den Eintritt in 
einen religiösen Orden Ablaß erteilt werden soll. Die Ordensprofeß, 
so lautet der Einwand, ist etwas Vollkommeneres; und Gott Ange' 



VIII. Die, AblaßlehrOuder- großen. Scholastiker des.lS; Jahrhunderts. 283 

nehmeres, als die , Palästinaf ahrt. Wenn, nun den Kreuzfahrern der 
Ablaß aller Sunden, verliehen), wird,s so, sollte dieselbe Begünstigung 
noch vielmehr,, jenen zuteil,^werden,, .die sich .dem Ordensleben' widmen. 
Die wahren Ordensleute, erwidert, Bonaventura,, diei den Stand ^der 
yollkommenheit wählen,. spendenv;y,ielieher, aridem, geistliche* Güter; 
als daß sie solche, von andern erbetteln.. Wie nun. die; Ablässe nicht 
den Unwürdigen verliehen; w;erden sollen, so .auch, nicht jeneri', die. ihrer 
nicht, bedürfen. . , --'/■" . \ - .. 

,,Nur,bei Bpnaventura wird; am., Schlüsse, des vierten" Abschnitts 
die. Fragej aufgeworfen, ob jene, die das Ereuz nehmen,« schön. durch 
den Willen, die, Kreuzfahrt- auszuführen, den vollkommenen , Ablaß 
(remissionem^ qmnium. , peccatorum) - erwerben. Nach ' der Ansicht 
kundiger Männer; antwortet Bonaventura, :der offenbar hier. Wilhelm 
v;on; Auxerre,. folgt, gewinnen, sie nicht den vollen Ablaß, .was auch 
immer gewisse ^ Volksprediger hierüber sagen ' mögen. , Denn/die Ablässe 
werden nicht für den, bloßen- Willen, sondern -für die vollbrachte Tat 
verliehen. Doch wird bei Jenjen, die das Kreuz .nehmen,'der hochherzige 
Entschluß eine; (Vermehrung der Liebe, und der; (Buße und] infolge- 
dessen eine Verminderung der ;Strafe bewirken. - ' > ' 

Das fünfte Kapitel, s worin die Frage; beantwortet wird, wem 
Ablässe vejliahen werden können, handelt vom Ablasse für 
die Ver stoi^benen. Bonaventura^ bemerkt, zunächst, daß bei der 
Erteilung eines Ablasses zweierlei , stattfindet : eine Zuwendung _ des 
Kirchenschatzes' und eine richterliche Absolution. Aus dem, Kirchen- 
.schätze kann nun freilich, der Papst den Seelen im Fegfeuer Zuwen- 
dungen machen;, da; aber diese Seelen nicht mehr der kirchlichen 
Gerichtsbarkeit unterstellt sind,, so scheint, daß ihnen die Absolution 
nur fürbittweise (per . modum deprecationis) erteilt werden kann. 
Strenggenommen wird daher den Verstorbenen kein. Ablaß verliehen. 
Versteht, man aber unter Ablaß im' weiteren: Sinne '.die .Zuwendung 
irgendeiner Hilfe und die, Mitteilung der kirchlichen Güter, so köimen 
•den Seelen im Fegfeuer Ablässe verliehen werden, aber nicht durch 
einen Akt der Gerichtsbarkeit, sondern nur, in der Weise eines Suf- 
fragiums (per modum suffragii). Überdies .kommt . beim eigentlichen 
Ablasse nicht bloß eine richterliche Absolution vor, es wird auch die 
Bußstrafe in eine, andere umgewandelt, die freiwillig übernommen 
^ird. Eine solche Übernahme des kirchlichen Bußwerkes kann aber 
im Fegfeuer nicht mehr stattfiliden; deshalb kann auch den Ver- 
.storbenen kein Ablaß zuteil werden, oder doch etwa nur durch Ver- 
mittlung. Wenn z. B. Jemand für den heimgegangenen Vater das 
Kreuz nehmen wollte, so ist nicht zu leugnen, daß der Kreuzzugs- 
ablaß dem Verstorbenen nützen würde, falls dies der Wille des 
Papstes wäre. 

Bei der Beantwortung der Einwände- betont dann Bonaventura 
nochmals, daß der Papst seine Gewalt wohl hiKs- und fürbittweise 
(per modum adiutorii et suffragii) zugunsten der Verstorbenen be- 
tätigen könne, nicht aber durch richterliche Lossprechung (per modum 



284 VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker' des 13. Jahrhunderte; 

iudicii). Von der richterlichen Vollmacht (de iudiciariä potestäte) ist 
es zu verstehen, wenn gesagt wird, daß' die Kirche' Ihre Gewalt nur 
auf Erden (super terram) auszuüben- habe. 'Man könnte" übrigens 
auch sagen, daß die im Fegfeuer leidenden 'Seelen gewissermaßen 
noch auf Erden sind, da sie auf Erden verdient haben, von der Kirche 
unterstützt zu werden.^ ' Karin aber der Papst' deii Verstorbenen 
durch Ablässe zu Hilfe kommen, warum befreit er dann nicht auf 
einmal mit einem einzigen Worte alle Seelen aus dem Pe'gfeiier? 
Weil die Austeilung der geistlichen Güter der Kirche in besonnener 
und maßvoller Weise geschehen muß," da sonst Gott die Handlungs- 
weise seines irdischen Stellvertreters nicht anerkennen würde.' ' 

Am Schlüsse seiner Ausführungen bemerkt Bonaventura noch : 
Wenn jemand behauptet, daß der Papst eine 'Jurisdiktionsgewalt 'über 
die Seelen im Fegfeuer habe, so ist ihm nicht hartnäckig zu wider- 
sprechen,- wenn nur dafür Vernünftgründe oder eine anerkannte 
Autorität sprechen (dum tarnen hoc dictet ratio vel auctöritas mani- 
festa). Müssen wir doch gläubig daran festhalten, daß der Herr seinem 
Stellvertreter zur Erbauung der Kirche -volle Gewalt gegeben hät.^ 

Bei Alexander von Haies wird im fünften Kapitel der Ablaß 
für Verstorbene in demselben Sinne behaiidelt wie bei Bonaventura, 
nur etwas kürzer. Auch werden bei dieser Gelegenlieit ia Alexanders 
Summe die zur richtigen Erteilung' der Ablässe erforderlichen Be- 
dingungen besprochen. Der Spender muß die nötige Vollmächt be- 
sitzen; der Empfänger dagegen muß im Stande der Giiade sein, 
glauben, daß die Kirche Ablässe verleihen kann, und das vor- 
geschriebene Werk bereitwillig verrichten. Überdies soll ein hinreichen- 
der Grund vorhanden sein; endlich muß eine gerechte Abschätzung 
(iusta aestimatio) stattfinden, so daß für die erlassene Bußstrafe eine 
entsprechende Gegenleistung auferlegt werde. Diesen Bedingungen,, 
heißt es dann, fügen etliche noch eine weitere bei; sie meiiieh-, es sei 
ein Urteil erfordert, oder eine richterliche Lossprechuhgi die bei der 
Umwandlung der größeren Strafe in eine kleinere stattfindet. Sieht 
man von der letzteren Bedingung ab, so kann man sehr' wohl sagen,, 
daß den Seelen im Fegfeuer Ablässe erteilt werden können, wenn auch 
nicht nach Art einer richterlichen Lossprechung (per modum iudiciariae 
absolutionis sive commutationis),' so doch hilfs- oder fürbittweise (per 
modum suffragii sive impetrationis). 



^ Dasselbe hatte schon Albertus Magnus gesagt. Vgl. oben S. 277.^ 
* Der Satz „dum tarnen hoc dictet etc." darf nicht , übersetzt werden r 
„Weil die Vernunft öder die offenbare Autorität eine solche Grewalt verlangen."^ 
(Zeitschrift für Kirchengeschichte XXXI [1911] 232.) Diesen Sinn kaim ,der 
Satz nicht haben, da ja Bonaventura unmittelbar vorher leugnet, daß der Papst 
eine Jurisdiktionsgewalt über die Seelen im Fegfeuer besitze. Spätere TheO' 
logen, wie Nikolaus von Dinkelsbühl, Gabriel Biel, Luther, haben die Stelle 
richtig aufgefaßt, indem sie „dummodo" statt „dum" gelesen haben. Biatke 67 
gibt die Stelle folgenderweise wieder: „Ob aber des Papstes Macht Jbis ins Feg- 
feuer reicht . . . darüber ist nicht zu streiten. Vernunft und Autorität erheben 
diesen Satz zum Glaubensaxiom." 



VIII. D^ie, Ablaßlehre der großen,, Scholastiker des 13. Jahrhunderts. 285' 

» 

Im sechsten; und, letzten Abschnitte behandelt Bonaventura eine 
IFrage,, dijs in den- mit:telalterlichen Schriften immer wieder erörtert 
wd, die Frage näpalich,,,ob die Ablässe so'viel'gelten,' als in deii 
kirchlichen Ablaß be willigungen; gesagt. wir d.^ Der Autor be- 
merkt zuerst, daß nach ,, der -, allgemeinen , Lehre der Theologen zur 
Gültigkeit der? Ablässe gewisse,. Bedingungen erfordert' sind. . Auf selten 
des Spenders, muß 'die, nötige sVqllmacht und ein verriüiiftiger Grund 
Yorhanden sein.. Von selten des Empfängers ist Beichte 'mit wahrer 
Reue, .erfordert, zudem der .Glaube, daß die kirchlichen Oberen Ablässe 
erteilen können.- . , > , r , , ^ ' < ' r ^ - • , 

Unter, Vorausset^jing dieser, Erfordernisse haben etliche behauptet, 
die Ablässe hätten zw;ar (Cinen Wert, aber keinen, so großen,' wie gesagt 
werde. , Ihr Wert-, richifce sich nach dem Glauben! und der frommen 
Gesinnung der ., Empfänger. , Die Kirche würde bei- der Erteilung. von 
Ablässen keine Einschränkung, machen, nm ihre Küider.durbh eine 
fromme Täuschung, besser ;Zu guten . Werken^ anzulocken. i'Diese. An- 
sieht,, .die Wilhelm , von '.Auxerre,. vertreten hatte, weist Bonaventura 
entschieden , ^zurück, da sie das Ansehen, der ■ Kirche, der .sie einen 
frommen Betrug zuschreibe, beeinträchtige. ■ ' -• ■ 

Andere,, haben erklärt, die .Ablässe 'gelten einfach so viel, als in 
dem Wortlaut; der Bewilligung. , gesagt, wird. Denn es komme hier 
bloß die^Ereigebigkeit der;Kirche in, Betracht, nicht aber die besonderen 
Verhältnisse jener, die sich auf den Empfang des Ablasses vorbereiten; 
alle würden sich in derselben, Lage befinden, so. daß alle, die das vor- 
geschriebene Werk.yerrichten — ^ die notwendige Bedingung des Standes 
der Gnade selbstverständlich vorausgesetzt — , denselben Ablaß ge- 
winnen würden. Auch diese, Ansicht wird von Bonaventura zurück- 
gewiesen, da sie die Gewinnung der Ablässe zu sehr erleichtere und 
daher mehr zu ihrer Entwertung ,als zu ihrer Hochschätzung beitrage. 
Andere haben gelehrt — gemeint ist Wilhelm von Auxerre — , 
damit der Ablaß so viel gelte, als die, Kirche verheißt, sei eine gerechte 
Abschätzung erfordert. Es müsse nämlich, wer den Ablaß gewinnen 
will, für kirchliche Zwecke so viel Almosen geben, als er geben wollte 
oder als er müßte geben wollen, um von der betreffenden Buße befreit 
zu werden. Wäre aber, meint Bonaventura, eine derartige Gegen- 
leistung erfordert, , so würde es keinen Ablaß geben, sondern nur eine 
Umwandlung der Buße. 

Er selber bietet' deshalb eine andere Erklärung. Der Umfang 
des Nachlasses, so führt er aus, bemißt, sich nach dem Umfang der 
Strafe, die erlassen wird. Das Maß der erlassenen Strafe wird be- 
stimmt durch das gerechte Urteil des Ablaßspenders. Letzterer zieht 



1 Die Frage lautet gewöhnlich: i.Utrura indulgentiae tantum valeant 
quantum sonant." Der Sinn dieser vielgebrauchten Formel wird gut von Suarei; 
erklärt: „Sensus est, an verba formae totum illum effeotum conferant, quem 
ex vi suae significationis'promittiuit." D. 56, s. 3, n. 1 (S. 820). Mit andern Worten, 
lautet der Ablaß z. B. auf 40 Tage, -nrerden dann dadurch 40 Tage der auferlegten 
Btiße erlassen ? 



286 VIII. Die-Ablaßlehre der großen • Scholastiker des- 13; 'JahrKimderts.' 

aber in Betracht die Ursache, derentwegen er die Gläubigen' für würdig 
hält, einer so großen Gnade teilhaftig 'zu 'werden, und je mehr oder 
je weniger die einzelnen^ Gläubigen dieser Ursache nahekommen, mit. 
andern 'Worten, je? größer .oder- geringer -ihre Leistung ist, desto- mehr 
oder weniger werden sie^an dem 'Abla'sse'teilnehmeri.i In Rom z. B, 
bestehen die' Ablässe 'der Stationskirchen.' "Diese Ablässe "sind' ^ von 
den heiligen Vätern verliehen worden zugunsten- der Pilger, (die aus 
entlegenen Gegenden kamen. Sie waren nicht der Ansicht, daß einer, 
der neben der Ejrche wohne, dieselbe Gnade verdiene wie' jener, 
der einen weiten Weg zu machen habe. Deshalb empfängt der letztere 
auch nicht den. ganzen Ablaß, sondern nur einen ^Teil davon. Es ist 
also zuzugeben,' daßdie Ablässe, was ihren Wfert von seiteri des Spenders 
anlangt, > so -viel gelten, als 'im ^Wortlaut der Bewilligung gesagt wird; 
doch gelten sie nicht so viel für einen 'jeden. Auch_ werden sie nicht 
allen gleichmäßig 'zuteil; die Austeilung richtet sich vielmehr nach 
der Abschätzung, die der Ablaßspender vorgenommen hat öder hätte 
vornehmen sollen. Diese Abschätzung braucht aber nicht öffentlich 
bekanntgemacht ■ zu werden; da alle Gläubigen voraussetzen' sollen, 
daß die Gaben des Hl. Geistes der Billigkeit gemäß verteilt werden. 

Daß zur richtigen 'Verleihung von Ablässen eine „gerechte Ab- 
schätzung" erfordert sei, wird bei Alexander von Haies im fünften 
Abschnitte nur im Vorübergehen bemerkt. Dieselbe Frage wird dann 
eigens behandelt im siebten Abschnitte, aber in etwas anderer Weise 
als bei Bonaventura. Eine Abschätzung, die der strengen Gerechtigkeit 
entspreche, sei zwar nicht erfordert, da sonst, wenn das vorgeschriebene 
Ablaßwerk der erlassenen Bußstrafe gleichkäme, von einem Ablaß oder 
einem Gnadenakt keine Rede sein könnte. Indem man aber beim 
Ablaß Gnade für Recht ergehen lasse, solle man doch die gerechte 
Abschätzung nicht außer acht lassen, mit andern Worten," für einen 
größeren Ablaß solle auch eine größere Leistung vorgeschrieben werden. 

In der Summe Alexanders werden dann noch einige Fragen' be- 
handelt, deren Bonaventura keine Erwähnung tut. Im sechsten Kapitel 
wird gefragt, ob der Papst die gesamte 'Sündenstrafe erlassen könne. 
Die Antwort lautet: Falls der Pönitent eine genügende Reue hat, 
kann der Papst alle für die Sünden geschuldeten Strafen nachlassen, 
doch solle dies nur aus einem wichtigen Grunde geschehen. Dem Ein- 
wände, daß die Sünde gestraft werden müsse, und daß sie daher von 
Gott gestraft werde, wenn der Sünder keine Buße auf sich nehme, 
wird folgenderweise begegnet: Man kann sagen, daß der Papst, wenn 
er einen vollkommenen Ablaß erteilt, die Sünde straft, indem er die 
Kirche oder ein Glied derselben zur Genugtuung verpflichtet; oder 
man kann auch sagen, daß der Schatz der Kirche, aus dem die Ablässe 
erteilt werden, hauptsächlich aus *den Verdiensten des Leidens Christi 
bestehe; und so straft Gott das Böse, das nachgelassen wird, indem 
Christus als Gottmensch für uns litt und genugtat. 

^ Spätere Theologen lehrten dasselbe, indem sie sagten, es sei eine „causa 
proportionata" erfordert.. 



VIII., Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. JäfthrhunHerts. 287 

, In demselben Kapitel wird weiter gefragt, ob (derjeiiige, dem ein 
vollkommener Ablaß verlieben worden, etwas von der auferlegten 
Buße verrichten müsse. Er . braucht es zwar , nicht notwendigerweiae 
zu tun, lautet die , Antwort, da ihm ja_ die ^ ganze - Bußstrafe erlassen 
worden; doch ist es geziemend und nützlich für ihn, die auferlegte 
Buße zu verrichten. 

Zum Schlüsse wird noch die Frage aufgeworfen, aus welchem 
Grunde .für die Palästinafahrt die Sünden völlig ;(omnino) erlassen 
werden, so daß die • Seele, die den Ablaß gewinnt, dadurch befähigt, 
werde., von Mund ,auf in den Himmel zu fahren. Den Palästinapilgern, 
antwortet der Verfasser, wird ein so großer Ablaß (tanta indulgentia). 
zuteil, weil sie bereit sind, für Christus den Tod zu erleiden;; deshalb, 
erlangen sie auch den Lohn des Martyriums. Doch ist nicht zu leugnen, 
daß der Papst denselben AblaÖ auch sonst erteilen könnte, wenn, das 
Bedürfnis der. Kirche es erforderte; namentlich könnte er es tun zur 
Verteidigung des Glaubens. 

Thomas von Aquin. 

Bei der Darstellung der Ablaßlehre hat Thomas von Aquin sowohl' 
die Ausführungen seines Lehrers Albert als diejenigen .Bonaventuras 
verwerten können ._ Es dürfte daher angebracht sein, die eigenen 
Ansichten des Aquinaten, der in der Folgezeit einen so großen Einfluß 
ausgeübt hat, etwas -eingehender darzulegen.^ Thomas spricht aus- 
führlich vom Ablaß in seinem .Sentenzenkommentar,^ der, wie oben 
erwähnt worden, zu Paris in den, Jähren 1253 — 55 entstanden ist. 

Als Einleitung hierzu ; wird, wie bei Bonaventura, die Frage er- 
örtert, ob jemand für einen ändern die Buße verrichten oder genugtun 
könne.^ Die Buße, so führt Thomas aus, hat einen doppelten Zweck: 
sie soll dienen als Bezahlung der Schuld und als Heilmittel gegen die 
Sünden. Insofern sie den Charakter eines Heilmittels hat, kann sie 
für einen andern nicht verrichtet werden; denn durch das Fasten des 
einen wird das Fleisch des andern nicht abgetötet; ebensowenig kann 
die Tätigkeit des einen dem andern zur Aneignung guter Gewohnheiten 
behilflich sein, oder doch nur zufälligerweise (per accidens), insofern 
der eine durch seine guten Werke dem andern die , Vermehrung der 
Gnade verdient, welche das wirksamste Heilmittel gegen die Sünden 
ist. Wird aber die Buße aufgefaßt als Abzahlung der Schuld, so kann 



^ Die Ablaßlehre des Aquinaten behandelt C. Weiß, S. Thomae Aquinatia 
de satisf actione et indulgentia doctrina. ' t^raecii 1896, 118 — 56. 

3 Com. in IV. Sent. d. 20. quaestio nnioa, art. 3 — 5. Opera ömnia. Parisiia 
1660: X 373 — 79. Ganz dieselben Ausführungen wie im Sentenzenkommentar 
findet man wörtlich wieder im Supplement zum i3. Teile der Summa theologioa, 
q. 25 — 27. .Dies Supplement ist j bekanntlich später aus dem Sentenzenkommentar 
der unvollendeten Summe beigefügt worden, wohl von Raynald von Piperno, 
einem Schüler und Gefährten des hl. Thomas. Vgl. Mandonnet 132 f. 

2 In IV. Seht. d..20. q; \mioä,'a.'2.-C[üaestiuncula 3 (Supplem. q. 13. a. 2). 



'288 VIII. Die Ablaßlehre, der großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts. 

der eine für den andern; genugtun; doch muß er im Stande der Gnade 
.sein, damit seine Werke eine genugtuuende Kraft haben können. 

Hierin stimmt Thomas mit Bonaventura überein. In einem Neben- 
punkte weicht er aber von ihm ab. Bonaventura hatte' gelelirt, daß die 
für einen andern abzutragende Buße durch eine größere ersetzt werden 
müsse, da man für fremde Sünden Gott nicht so leicht genugtun könne, 
wie für die eigenen. Ganz anderer Ansicht ist Thomas. Nach ihm kann 
die abzutragende Buße durch eine kleinere ersetzt werden; da" die Liebe, 
von der man sich bei der stellvertretenden Genugtuung leiten läßt, das 
iür einen andern verrichtete Bußwerk wertvoller macht, als wenn man 
es iür sich selbst verrichtete. 

Wilhelm von Auxerre, dem ändere folgten, hatte gelehrt, daß eine 
stellvertretende Genugtuung nur dann stattfinden kariii, wenn der- 
jenige, für den man genügtun will,' unfähig istj seine Buße zu ver- 
richten. Dies bestreitet 'Thomas und behauptet, daß die stellver- 
tretende Genugtuung Geltung habe, auch wenii der aridere die Buße 
.selber verrichten könnte. Da jedoch die Buße auch ein Heilmittel ist, 
so soll sie für einen andern nur -übernommen werden, wenn in ihm 
ein Mangel erscheint, sei es ein körperlicher, der ihn unfähig macht, 
die Buße zu verrichten, sei es ein' geistiger, infolgedessen, ihm dazu 
die- Bereitwilligkeit fehlt. 

Diese stellvertretende Genugtuung begründet Thomas eingehender 
in seiner Verteidigung des Christentums gegen Urigläubige. ' Hier sagt 
er: „Was wir durch Freunde tun, tun wir in. gewisser Beziehung selbst; 
denn die Freundschaft und namentlich die. innige Liebe macht aus 
zweien durch die gegenseitige Zuneigung eins. Daher kann einer, 
^ie durch sich selbst, so auch durch einen andern' Gott genugtun, 
Äumal im Falle der Notwendigkeit; denn die Strafe, die der Freund 
für ihn erduldet, betrachtet er so, als würde er sie selbst leiden. E8 
fehlt also auch ihm die Strafe nicht, • indem er mit dem leidenden 
Freunde Mitleid hat, und zwar um so mehr, als er selbst die Ursache 
von dessen Leiden ist. Anderseits bewirkt die innige Liebe dessen, 
•der für den Freund leidet, daß seine Genugtuung Gott angenehmer 
ist, als wenn er für sich selbst htte ; denn dieses ist Sache der Not- 
wendigkeit, jenes der hingebenden Liebe. Daraus ergibt sich, daß 
einer für den andern genugtun kann, wenn nur beide in der Liebe 
.sind.'^i 

Wie Bonaventura, so betont auch Thomas, daß man wohl für 
einen andern die Bußstrafe abtragen, nicht aber für ihn die Sünden 
bereuen und beichten könne, ebensowenig wie es einem Menschen 
möglich sei, einem andern den Himmel zu verdienen. Dies müsse 
ein jeder selber tun. Daß aber einer für den andern die Bußstrafe 
.abtragen könne, beruht auf der Liebesgemeinschaft, welche die Gläu- 
bigen miteinander verbindet. Da wird das Werk des einen das des 



1 Svinuna contra Grentiles. I. III. c. 158. Opera XIV 506. 



VIII. Die Ablaßlehiej der .großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts. 289 

andern mittels der Liebe, durch die wir „alle eins sind in Christo" 
{Gal.<3, 28).i , . ,., ■ ". . . "* 

.Was den Ablaß betrifft,, so behandelt Thomas zunächst dessen 
W.esen, iiidem er- die Frage aufwirft,' ob durch den Ablaß etwas 
von der genugtueriden Strafe; nachgelassen werden 'könne.^ 
Alle geben zu, bemerkt er einleitend, daß' die Ablässe etwas wirken; 
wäre es ; doch gottlos, zu sagen, die Kirche tue etwas Nichtiges. Dann 
führt er, wohl im Anschluß an Bonaventura, die Ansicht etlicher an, 
die behaupten, der Ablaß gelte bloß., vor dem Richterstuhle der Kirche 
und nehme bloß die. vom Beichtvater oder von den.Kanones aufr 
erlegte Buße weg, nicht aber die nach dem Urteile Gottes abzutragende 
zeithche Strafe.' Diese Ansicht, wird von Thomas abgelehnt, weü sie 
der Verheißung, die dem hl. Petrus" gegeben worden, daß alles, w;as 
er auf Erden lösen werde, auch im Himmel gelöst sein werde, wider- 
•Spreche, und weil durch die Erteilung von Ablässen, die vor Gott 
keine, Geltung hätten, die Gläubigen nur^ benachteiligt würden; müßten 
■doch diese danii statt der irdischen Buße eine schwerere Strafe im 
Fegfeuer erleiden. Deshalb , ist zu sagen, daß die Ablässe, wie vor 
dem Richterstuhle der Kirche, so auch vor dem Richterstuhle Gottes 
Geltung haben, und zwar werde dadurch die Strafe erlassen, die nach 
Reue, Beichte und Absolution noch zurückbleibt, . möge diese Strafe 
vom Beichtvater auferlegt word.eh sein oder nicht. „Der Grund aber, 
warum die Ablässe Geltung haben können, ist die Einheit des mystischen 
Leibes, in welcher viele durch ihre Bußwerke mehr genuggetan haben, 
als ihre Schuld es, erforderte; sie haben auch viele ungerechte Be- 
drängnisse mit Geduld ertragen, wodurch eine Menge von Strafen 
hätte abgetragen werden können, wenn sie sich solcher schuldig ge- 
macht hätten. Die Fülle dieser Verdienste (im Sinne von Genug- 
tuungen) aber, ist so groß, daß sie die allen jetzt Lebenden .gebührende 
Strafe übertrifft, und dies vorzüglich wegen des Verdienstes 
Christi, welches wohl in den Sakramenten wirkt, aber in seiner 
Wirksamkeit nicht auf ,die Sakramente beschränkt ist, soiidern wegen 
seiner Unendlichkeit über die wirksame Kraft der Sakramente hinaus 
sich erstreckt." , Zu dem unendlichen Verdienste Christi gesellen sich 
die Verdienste der Heiligen. „Wie oben gesagt worden, kann einer 
für den andern genugtun." Die Heiligen nun, bei welchen sich ein großer 
Überfluß an Werken der Genugtuung findet, haben diese .Werke nicht 
bestimmt für diesen oder jenen, welcher der Nachlassung bedürftig 
ist, verrichtet, in welchem Falle diese Person ohne irgendwelchen Ablaß 
die Befreiung von der Strafe erlangen würde, sondern sie haben sie 
verrichtet für die ganze Kirche imi allgemeinen, wie der Apostel sagt 
(Kol. 1, 24), daß er, was an dem" Leiden Christi abgeht, an seinem 
eigenen Leibe ergänze für die Kirche, an die er schreibt. So sind die 
«rwähnten- Verdienste Gemeingut der ganzen Kirche. Was aber Ge- 



^ In IV. Sent. 1. o. Vgl. Summa Theol. 3. q. 48. a. 2. ad 1. 
^ In IV. Sent. d. 20. q. 1. a. 3. quaest. 1 (Supplem. q. 25. a. 1). 

Paulus, Geschichte des Ahlasses. ^ 19 



290 'VIII. Die Ablaßiehre der großen Scholastiker' des 13r 'Jahrhunderts. 

meingut einer Gesellschaft ist, wird den einzelnen Gliedern derselben 
nach dem Gutdünken dessen ausgeteilt, welcher der Gesellschaft vor- 
steht. Wie also jemand Nachlaß der Strafe- erlangen würde, wenn ein 
anderer für- ihn genuggetan hätte,. so erlangt er auch Nachlaß,. wenn 
ihm die Genugtuung eines- andern durch' denjenigen zugewendet wird, 
der die Macht dazu besitzt." ■ ■ 

Biese gemeinsamen Verdienste der Kirche, die hauptsächlich 
wegen der Verdienste Christi unerschöpflich sind, bilden den 
Schatz der Kirche, über den Thomas aucK'iri einer seiner kleineren 
Schriften handelt.^ Christus, so^ führt ei: " aus',' hat 'für die Kirche sein 
Blut vergossen und vieles,' andere für sie getäil und gelitten^' äas wegen 
dter Würde seiner Person einen unehdlicheii' 'Wert hat." Ähnlich" haben 
auch „alle and'ei:n Heiligen"^ die Absicht gehabt, daß was sie aus Liebe 
zu Gott getan uiid gelitten haben, nicht nur ihnen, selbst, soiidern auch 
der ganzen Kirche Nutzen bringe. Die Verwaltung, dieses' Schatzes 
kommt aber demjenigen zu,, der der ganzen Kirche vorsteht. Deshalb 
hat auch der Herr dem Petrus die Schlüssel des Himmelreiches über- 
geben. Wenn es also der Nutzen oder die Not der' Kirche erheischt, 
kann der Vorsteher der Kirche einem Gläubigen, der durch die Liebe 
ein lebendiges Glied der Kirche ist, aus diesem uneiidlicheii Schatze, 
wieder es für gut findet, mitteilen zur völligen oder partiellen Tilgung 
der Sündenstrafen. Auf die^e Weise wird das Leiden Christi und der 
Heiligen dem betreffenden Gläubigen angerechnet, wie wenn dieser- 
selber so viel gelitten hätte, als zur Nachl'assung seiner Sünde (hin- 
sichtlich der Strafe) erfordert wäre, wie dies ja auch der Fäll ist, wenn 
jemand für einen andern genugtut.^ 



1 Quodlibetum II. q. 8. a. 2. Opera XI 2, 25. Dies Quodlibet ist 1269 
zu Paris verfaßt worden. Vgl. P-. Mandonnet, Siger de Brabant I, Louvain 
19,11, 86., R. Janssen, Die Quodlibeta,des hl. Thomas; von Aquin. Bonn 1912, 
17 87 f. 

2 „Simihter etiam et orones alii s.ancti." Atis dieser "WCendung, der; man 
auch in andern mittelalterlichen Quellen bisweilen begegnet,, haben protestan- 
tische Theologen schließen wollen, daß' man im Mittelalter- Christus und die 
Heiligen, auf dieselbe Linie gestellt habe. Allein ganz dieselbe Wendung kommt 
auch in einer Schrift Luthers aps dem) Jähre 15.31 vor: „Hunc omatum, Christi 
induere, id est, has eins virtutes imitari debenius. Sic.alios etiam sanctos 
imitari debemus." Lutheri Commentari\xm in Epistolam S. Paidi ad Galatas II, 
Erlangen 1843, 126. Über derartige Wendungen, die auch noch bei neueren 
deutschen Schriftstellern vorkommen, vgl. D, Sanders, Wörterbuch der Haupt- 
schwierigkeiten in der deutschen Sprache., Berlin 1889, 41. Sanders zitiert unter 
anderm folgende Stelle aiis Gotthelf : „Der liebe Gott läßt sioh.nicht, den, Marsch 
machen, wie ein anderer Mensch", und bemerkt dazu, die Fügimg sei zu er- 
klären: „wie' ein anderer, der ein Mensch ist". 

3 ,,Potest ille qui praeest Ecclesiae de ista infinitate thesauri communicare 
alicui . . . vel usque ad totalem remissionem poenanmi vel'usque ad aliquam certam 
quantitatem, ita scilicet quod passio Christi et aliorum sanctorum ei imputetur, 
ac si ipse passus esset quantum sufficeret ad reraissionem stii peccati, sicut con- 
tingit cum tinus pro alio satisfacit." Man beachte, daß hier Thomas von einer 
Nachlassung' der' Sünde (remissio- peccati) spricht, wo er doch nur eirienl Erlaß' 
der Sündehstrafeh im Auge hat.' ■ ■ - • .'i . ^ 



Yllt Die' Ablaßtehre der großen Scholastikör döfe 131'J'ahrhiindertsl 29£ 

Auch' in seiner Erklärung des Vaterunsers hebt Thomas hervor ,- 
daß die überflie'ßendeh' Verdienste (DhMs'ti -und der Heiligen ,';wie' in- 
einem Schätze' ■ sind" ' (sunt ' sicut irithesauro), aus> dem sie bei der 
Gewährung von - Ablässert den Gläubigen zugewendet werden.^ ' " 

Bei dieser' Darlegung d'er Lehre voni Kirchenschatze hat' Thomas' 
nichts Neues vorgebrächt';' er ' hat' feloß wiederholt, was seine Vorgänger 
bereits gelehrt hatten, nur daß er die überfließenden Verdienste Christi 
und der ' Heiligen etwas' eingeherider zü^ erklären suchte.* 

Indem Thomas im' Ablasse- eine Zuwendung der im Rirchenschätze 
enthalteffen genügtuenden Verdienste"- Christi' und der Heihgen sieht,, 
kommt er zü'deni Schlüsse'^ daß derjenige, der einen !Ablaß gewinnt, 
von' der scliuldigen Sündenstrafe' eigentlich nicht" losgesprochen wird;, 
es wird ihm viblmeh'r etwas mitgeteilt, womit er seiiie Schuld bezahlen 
kann,^ oder richtiger, der Ablaßspender bezahlt für ihn die schuldigem 
Strafe aus den gemeinsamen Gütern der Kirche.^ 

Unter den Einwänden, die Thomas im Anschluß an seine Er- 
örterungen über das Wesen des Al)lasses gegen dessen Gültigkeit ins 
Feld führt,, verdient die folgende Beachtung. I)ie Diener der Kirche, 
heißt es^ darin, haben ihre Gewalt nicht zur Zerstörung, sondern zur 
Erbauung empfangen. Nun würde es aber zur Zerstörung dienen, 
wenn die Buße, die, insofern sie ein Heilmittel ist, zu unserm Nutzen 
eingeführt wurde, durch den Ablaß tinweggenommen würde. Folglich 
können die Diener der Kirche keine Ablässe erteilen. Thomas erwidert: 
Ein wirksameres Heilmittel gegen die Sünde wird durch die Gnade 
gewährt, als durch unsere eigenen Werke. Nun geschieht es aber, 
daß man sich durch d'ife Liebe zu Christus und den Heiligen, äus' 
deren Verdiensten der Ablaß erteilt wird, zur' Gnade vorbereitet.* 



1 Expositio orationis dominica'e. Quinta petitio. Opp. XX 21-3. 

2 In IV. Sent. d. 20. q. 1, a. 3. quaestunc. 1. ad 2: „Dicendnim quod iste> 
qui indulgentias suscipit, non absolvitur, simpliciter loquendo, a debito' poena«^ 
sed-datur ei unde debitum solvat." Diese, Erklärung wird als unrichtig abgelehnt 
von Suarez, Disputationes in IIT. partem divi Thomae IV. disp. 49. sect. 4. n. 10- 
(Lugduni' 1603, 700). 

^ „Pro eo' dans' indulgentias solvit poenam quam debebat, de bonis Ec- 
clesiae' communibus." Ibid." ad 3 (Suppl. q. 26. a. 1). 

* „Quia ex affectu, quem accipiens indulgentiam concipit ad causam^ 
ex qua ihdulgentia datur, ad gratiam disponitur, ideo etiam per indulgentias 
remedium ad peccata vitanda datur." Ebd. ad 4 (Suppl. q. 25, a. 1). In allen 
Ausgaben, die ich einsehen konnte, auch in der neuesten römischen, steht „ad 
causam, pro qua indülgentia" datur", jWa's jed'doh feeinen recht passenden" 
Sinn giJat. Es muß vielleicht' „ex' qua" heißen',' wie' schon A. M. Lepicier (D'e 
iudulgentianun valdre disquisitio theoldgica. Rom'ae' 1900, 33)' gelesen hat. 
Gemeint wäre dann der Schatz der Verdienste Cliristi und der Heiligen, von 
dem' Thomas- unmittelbar vorher'gesprochen hat'un:d' den er im- folgenden Artikel 
als „causa remissionis poenae' in indulgöntiis" bezeichnet. In* diesem Sinne hat 
be 6' ts iml4. Jahrhundert Thomas von Straßbu'rg>die Äußerung des Aquinaten 
aufgefaßt, ^ wie im zehnten Abschnitt gezeigt werden wird. Der „affeotus ad 
causam, ex qua indulgentia datur", wovon Thomas von Aquin spricht, wird 
beim Straßburger Theologen zu einer „Betraclitung des Eeictens Cliristi und der 
Heiligen". Eine ähnliche Erklärung. gibt N-ikolaus von Dinkelsbühl (f 1433), 

19* 



292 VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts. 

Deshalb wird auch durch den Ablaß ein, Heilmittel,, gegen,, die. j Sünde 
gewährt. Und so gereicht (der Ablaß nicht zur Zerstörung, außer er 
werde ;,unordentlich" erteilt.^ Doch. ist, den Ablaßempfängem anzu- 
raten, die auferlegten Büß werke i nicht zu unterlassen,^ damit sie in 
diesen ein Schutzmittel gegen die Siinden fänden, obgleich sie von der 
schuldigen Strafe befreit wären, namentlich, auch weil sie bisweilen- 
mehr schuldig sind, als sie glauben.^ . ; , .,,,., 

Den von so manchen mittelalterlichen ;Autoren hervorgehobenen 
Gedanken, daß man trotz der gewonnenen, Ablässe die auferlegte Buße 
nicht unterlassen solle, betont Thomas noch schärfer, in einer seiner 
Meineren Schriften, worin er vom Kreuzzugsablaß handelt.^ Die 
Buße oder Genugtuung, bemerkt er, hier ,^ hat. einen doppelten Zweck, 
einen strafenden und einen heilenden. Eier Ablaß nun ersetzt die 
Buße, insofern diese eine Strafe, ist; denn, die Strafe, die ein anderer 
erlitten hat, wird dem Ablaßempfänger zugerechnet, als wenn er sie 
selber erlitten hätte; deshalb wird durch den Äbläß die schuldige 
Strafe hinweggenomm'en. Der Ablaß ersetzt aber nicht die Buße, 
insofern diese ein Heilmittel ist; denn als" Folgen der nachgelassenen 
Sünden bleiben noch die bösen Neigungen zurück; zu deren Bekämpfung 
die Bußwerke nötig sind. Dfeslialb ist den Kreuzfahrern zu empfehlen, 
die Büß werke, insofern sie ein , Schutzmittiel gegen die .Sünden sind, 
nicht zu unterlassen, dbschon die Strafe durch den Ablaß gänzlich 
getilgt ist und zu diesem letzteren Zwecke kein Büß werk erfordert 
wird, da hierfür das Leiden Christi Völlig genügt.* 

Nach der Erledigung der Frage, ob der Ablaß überhaupt etwas 
gelte und ob durch ihn etwas -von der zeitlichen Sündenstrafe erlassen 
werde, sucht Thomas den Umfang dieser ^Nachlassung festzustellen. 
Wieviel wird durch den Ablaß von der Sündenstrafe hinweg- 
genommen? Gelten überhaupt die Ablässe so viel, wie in 
dem Wortlaut der Verkündigung gesagt wird?^ Hierüber, 
antwortet er, gibt es verschiedene ■ Meinungen. ' Etliche sagen-, die 
Ablässe gelten nicht so viel, als sie besagen; ihr Wert richte sich viel- 
mehr nach dem Glauben und der frommen Gesinnung der einzelnen 
Empfänger. Die Kirche aber mache bei der Verkündigung der Ablässe 
keine Einschränkung, um die Menschen durch einen frommen Betrug 
zu guten Werken anzulocken, wie etwa eine Mutter ihr Kind zum 



der ebenfalls bei Thomas „causam ex qua" gelesen hat. Quaestiones quarti 
sententiarum. Dist. 20. 01m. 18351, f. 54. Es wäre von Interesse zu erfahren, 
■was im Autograph steht, das, wie G-rabmänn (Theolog. Revue 1920, 125) be- 
richtet, in Barcelona verwahrt wird. 

^ „Inordinate", d. h, aus dem geringfügigsten Grunde, „quasi pro nihilo", 
wie Thomas selber den Ausdruck an anderer Stelle erklärt. 

2 D. 20. a. 3. q. 1. ad 4. 

3 Quodl. II. q. 8. a. 2. ad 3. Opp. XI 2, 25. 

* „Neo ad hoo reqmritur aliquis labor, quia suffioit labor passionis Christi." 
5 D. 20. a. 3. q. 2 (Suppl. q. 25. a. 2). 



VIII; Die'Ablafelehre der großen' Scholastiker des 13.'' Jahrhunderts. 293 

Gehen anlockt, iiidem sie iKm einen Äpfel hinhält.^ Thomas hält diese 
Ansicht für liöchst gefährlich,- Weil durch die Annahme eines frommen 
Betrugs! bei der Eirche deren Autorität untergraben würde. 

Sodann' erwähnt Thomas die Ansicht seines Lehrers Albert, aller- 
dings ohne diessen'Nameii zu nennen.^' Gegen diese Ansicht, nach 
welcher der 'Ablaß' so viel gelteii würde, wie; der Wortlaut der Ver- 
kündigung besage, aber unter der Bedingung, daß eine gerechte Ab- 
schätzung des zu verrichtenden Ersatzwerkes stattfinde, macht Thomas 
zwei Gründe geltend. Es wäre dann, meint er, der Ablaß mehr eine 
gewisse Ümtäuschung- als eine NacÜlassuhg. Zudem würde die kirch- 
liche Verkündigung nicht von der Lüge freigesprochen werden können,, 
da bisweilen ein Viel größerer Ablaß verheißen wird, als bei einer 
gerechten; Abschätzung gefordert 'werden könnte, so z. B. wenn der 
Papst' einen "Ablaß von sieben ' Jahren für den Besuch einer Kirche 
verleiht, wie ja' auch' derartige 'Ablässe vom hl. Gregor für den Besuch 
der römischen Stätionskirchen verliehen worden seien. 

An, dritter Stelle bespricht Thomas die Ansicht'Bonaventuras, 
der ebenfalls liicht ''genannt wird (alii dicunt). Nach dieser Ansicht 
wäre der Umfang des Nachlasses, (quantitas remissionis) nicht zu be- 
messen nach der frommen Gesinnung des' Empfängers,, wie die erste 
Meinung wollte, auch nicht nach dem Umfang dessen, was gegeben 
wird, wie die zweite wollte, 'soüdern' nach der Ursache," für welche der 
Ablaß erteilt wird' und derentwegen , jemand ' würdig ' erachtet wird, 
eiiies solchen Ablasses teilhaftig zu werden. Je mehr oder weniger die 
Gläubigen dieser Ursache nahekommen, desto größeren oder geringeren 
Anteil würden sie am' Ablaß haben. 'Thomas lehnt auch diese Ansicht 
ab; da sie sich mit der kirchlichen ' Praxis nicht vereinbaren lasse. 
Werde doch manchmal für dieselbe Ursache bald ein größerer, bald 
ein geringerer Ablaß gewährt ; so werde bisweilen unter ganz denselben 
Verhältnissen für den Besuch einer Kirche ein Ablaß von einem Jahre, 
bisweilen hur ein' solcher von 40 Tagen verliehen, wie es eben der Papst 
für güt'findet.- Demnach ist der Umfang des Ablasses nicht zu be- 
messen nach- der Ursache,- derentwegen' der Empfänger für würdig 
erachtet ' wird, des betreffenden Ablasses teilhaftig zu werden. Mit 
andern ' Worten, Thomas- lehnt die 'Ansicht ab, ^daß eine ,, causa pro- 
portionata" erfordert sei' und daß der Umfang des Erlasses sich richte 
nach der Ursache, wofür der Ablaß gespendet worden. - "^ 



^ Hier wiederholt Thomas, was er über diese Ansicht bei Albertus' Mjagnus 
und Bonaventura vorgefunden hatte, nur daß diese richtig von einer ehemaligen 
Ansicht, (quidam dixerunt) sprechen, während sie. Thomas in, seine Zeit verlegt 
(quidam dicunt). ', Dieselbe ' Ungenaüigkeit' hat sich Thomas auch bei der Er- 
örterung des Wesens des Ablasses zuschulden, kommen lassen. Bonaventm?a 
hatte gesagt,, etliche , hätten, i behauptet- (quidam' dixerunt), die Ablässe würden 
nicht gelten vor dem, Richterstuhle Gottes; 'Thomas aber, der sich auch -in 
diesem Punkte offenbar an Bonaventura anschließt, spricht von einer noch be- 
stehenden Ansicht (quidam dicunt).- - , ■ 

^ Er' sagt bloß: „Alii dixerunt." ' ' 



294 , VIII. Die Ablaßjehye der großjen Soholastikej^ des ,13. ^fTahrhundeEfc^. 

Seine. eigene Ansicht bringt dann Thomas, folgendexj^eise zum 
Ausdruck: Der Grund, worauf der 'Ablaß ber,uht^ ist allein' die Fülle 
der Verdienste der' Kirche, nicht aber die fromme Gesinnung oder 
Leistung des Empfängers, noch auch die Ursache, derentwegen der 
Ablaß gewährt wird. Daher brauclit auch die .Quantität äes Ablasses 
nicht einem dieser Dinge, sondern nur den Verdiensten der Kirche zu 
.entsprechen. Diese sind aber immer im Überfluß da; ,und darum wird 
jeder in dem Maße, in wßlohem diese Verdienste ihm , zugewendet 
wprden, des Ablasses teilhaftig. r>amit aber diese Zuwendung, statt- 
finden könne, ist dreierlei erfordert: 1. die Vollmacht, ßie Verdienste 
des Kirchenschatzes zu verteilen; 2. die ^ Verbindung dessen; dem die 
Verdienste zugewendet werden,- mit demjenigen, der, diese Verdienste 
erwarb, was durch die Liebe geschieht ;i 3. eine Ursache, der Zuwendung, 
gemäß welcher die Absicht jener gewahrt wird, welche die Verdienste 
erworben haben durch ihre guten Werke. Sie haben aber diese Werke 
getan zur Ehre Qottes und zum allgemeinen Nutzen der Kirche. 
Deshalb ist eine jede Ursache, die zur Ehre Gottes und zum Nutzen 
der Kirche gereicht, ein genügender Grund zur Erteilung von Ablässen. 

Demnach gelten die Ablässe gerade so viel, wie der Wortlaut der 
Verkündigung besagt, wenn vorhanden ist: 1. von selten des Spenders 
die nötige Vollmacht; 2. von selten des Empfängers die.I|iebe (Stand 
der Gnade); 3. von selten der Ursache der fromme Zweck, worunter 
die Ehre Gottes und der Nutzen der Menschen verstanden, werden. 
Auf diese Weise w;erden aber ,die Pforten der göttlichen Barmherzig- 
keit nicht zu weit geöffnet, wie etliche i sagen ;2 es wird auch der gött- 
lichen Gerechtigkeit kein Abbruch getan; denn es wird ja [eigentlich] 
nichts von der Strafe nachgelassen, sondern die Strafe (Genugtuung) 
des einen wird dem andern zugerechnet. 

Aus der Art und Weise, wie Thomas die verschiedenen Einwände, 
die er gegen seine These vorbringt, zu lösen sucht, läßt sich seine 
Auffassung vom Ablasse noch besser erkennen. Den Ablaß, der für 
eine ganz geringfügige Ursache erteilt wird, sieht er wohl als gültig an ; 
doch fügt er bei, daß der, allzu nachgiebige Spender sich einer Sünde 
schuldig mache. ,, Erteilt der kirchliche Obere Ablaß in unordentlicher 
Weise (inordinate), so daß die Menschen wie für nichts (quasi pro 
nihilo) von den Büß werken abgezogen werden, so sündigt er; doch 
wird dem Empfänger der verheißene Ablaß ganz zuteil." 

Thomas ist auch weit davon entfernt, den Ablaß zu überschätzen. 
Die Ablässe, bemerkt er, vermögen wohl viel zur Tilgung der Strafe, 



; ^ Bratke 71 behauptet, daß nach Thoraas der Ablaß „als opus operatum 

an keine subjektiven Bedingungen des Empfangenden gebunden sei''-. Thomas 
lehrt nur, daß der Umfang des Ablasses sieh nicht richte nach der frommen 
Gesinntmg oder Leistung des Empfängers; wie alle andern Theolögen, fordert 
auch Thomas als ,,subjektive Bedingungen" den Stand der Liebe oder der Gnade 
und die Vollbringung des vorgeschriebenen guten Werkes. 

2 „Nee in hoc nimis fit magnum forum de misericordia' Dei, ut quidam 
dicunt." Gemeint sind Bonaventura und Albert. Vgl. oben 274 285. 



VIII. -Die Ablaßlehre der großen, Scholastiker des 13. Jahrhunderts. 295 

<doch,sind die,j Buß.werke verdienstlicher Mnsichtlicli des wesentlichen 
Lohnes, nämlich der himmlischen Seligkeit. Dieser Xohn aber ist 
unendlich; mehr - :wert. !(in infinitum- melius) als der Nachlaß zeitlicher 
Strafe. ,,«,..,. ' ' ■ 

i Gegen ^ie Behauptung, daß; der Ablaß so viel gelte, als die Ver- 
.kündigung besage, pflegte man damals folgendes einzuwenden-: Bis- 
weilen- wird den "W.ohltätern .einer » Kirche, d.er Nachlaß des dritten 
Teils der Buße verheißen. , Würden nun r, die Ablässe so viel gelten, 
.wie-derv,)Vortlaut der Verkündigung besagt; so könnte jemand durch 
idreimaHge .Spende eines Denars die gesamte Bußstrafe ablösen... Dies 
müsse aber als ungerßimt bezeichnet werden. Hierauf erwidert Thomas : 
Wird der Ablaß inder unbestimm^ten Form erteilt: „Wer, zum Kirchen- 
>bau einen Beitrag spendet", so ist darunter ein Beitrag verstanden, 
•der den Vermögensverhältnissen des Spenders entspricht. In diesem 
Falle, wird ,sich, denn auch die Anteilnahme am Ablasse nach der 
• Höhe' der , Spende richten. Ein Armer, der .nur einen Denar spendet, 
wird den ganzen Ablaß gewinnen; nicht aber ein Reicher, für den' es 
sich nicht schickt,, so wenig zu geben, für einen so nützlichen Zweck. 

- Gegen den. vollen iWert der verheißenen Ablässe wurde noch ein 
anderer Einwand vorgebracht. Sollte der' Ablaß, sagte man, so viel 
gelten, als in der Ankündigung erklärt wird, so. würde jener, der neben 
einer Kirche wohnt, denselben Ablaß, der für den; Besuch dieser Kirche 
erteilt worden, gewinnen, wie, .jener, der von weit herkommt; zudem 
"würde er, wenn er mehrmals ini ,Tage die Kirche, besucht, mehrmals 
-an einem Tage denselben Ablaß gewinnen. Dies wäre aber ungerecht. 
Durchaus nicht,- erwidert, Thomas. .Wer nahebei der Kirche , wohnt, 
.gewinnt denselben Ablaß, wie jener, der von ferne kommt.., Denn der 
Nachlaß, wie gesagt worden, richtet sich nicht nach der Mühewaltung 
•des Empfängers,, sondern nach, dem Maße, in welchem die 'Verdienste 
des Kirchenschatzes dem Ablaßempfänger zugewendet werden. Wer 
indessen größeren Mühen sich unterzieht, der wird dadurch größere 
Verdienste sajmmeln. Dies gilt aber nur für den Fall, daß in der 
Ablaßbewüligung bezüglich des zurückgelegten Weges .nichts. Näheres 
bestimmt ist. >. Denn, bisweilen kpmmen derartige Bestimmungen vor, 
z. B. bei den vom Papste in Rom erteilten allgemeinen Absolutionen 
\(generg,libus. absolutionibus). Da werden den überseeischen Pilgern 
■5 Jahre, jenen, die, von jenseits der Alpen kommen, 3 Jahre, den übrigen 
aber nur 1 .Jahr Ablaß verliehen.^ Es ist auch nicht richtig, daß man 
•ohne weiteres den für den Besuch ^ einer Kirche bewilligten Ablaß 
mehrmals im Tage gewinnen könne. Das hängt eben von den näheren 
Bestimmungen ab. Bisweilen ist bezüglich des vorgeschriebenen 
Kirchenbesuches nur ein einmaliger Besuch in der gegebenen Zeit zu 
verstehen, wenn nichts Besonderes "beigefügt wird, wie z. B. beim 

t 

^ Diese Angaben sind nicht ganz richtig, wie sich bei der Besprechung der 
Ablassender römischen Kirchen (Abschnitt XXVI) zeigen wird. Dort wird auch 
•erklärt werden, was unter den „allgemeinen Absolutionen", über die sich Thomas 
. in einer andern Schrift näher äußert, zu verstehen sei. 



296 VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jahrhvmderts. 

Ablasse von 40 Tagen in der römischen Peterskircke, den -man- so oft 
gewinnen kann, als man St. Peter besucht.- • ; •.• . . •(■ 

Wie Bonaventura und Albert, so "verteidigt ' äü'ch"^ Thomas die 
Ablässe, die für zeitliche Leistungen gegeben werden, gegen den Vor- 
wurf der Simonie.^ Für reiii Zeitliches, lehrt er, 'kann' kein Ablaß 
gewährt werden, wohl aber für ^Zeitliches, insofern 'es auf 'Geistliches 
hingeordnet ist, so z. B.- für den'Kampf 'gegen' die Feihjdeder Kirche, 
für Beisteuern zu Kirchen- und Brückenbauten. Da findet' keine 
Simonie statt, weil Geistliches nicht für Zeitliches, sondern-iür Geist- 
liches gegeben wird. Anderseits kann Ablaß für rein Geistliches ge- 
gegeben werden. So hat Innozenz IV. denjenigen, die für- den König 
von Frankreich beten,' einen Ablaß von 10 Tagen verheißen.^ Bisweilen 
wird auch den Kreuzpredigem derselbe Ablaß gewährt wie den Kreuz- 
fahrern.^ ' ' , > ' > . 

Wer kann Ablässe erteilen ? Diese Frage beantwortet Thomas 
in vier eigenen Abschnitten,^ worin er in ziemlich eiigein Anschluß an 
Albert nachzuweisen sucht, daß die Vollmacht j Ablässe zu erteilen,, 
nur dem Papst und den Bischöfen zusteht. Im Auftrage dieser kirch- 
lichen Oberen körinen indessen auch einfache Kleriker, die nicht 
Priester sind, Ablässe verleihen, da die Erteilung von Ablässen eine 
Ausübung der Jurisdiktion, nicht der Weihegewalt sei.' Die Bischöfe 
aber können ihre Vollmacht nur ausüben in den vom Päpste" bestimmten 
Grenzen. Wie Albert, so betont auch Thorhasi daß die kirchlichen 
Oberen ihre Gewalt durch die Sünde nicht verlieren. 

Wer kann Ablässe gewinnen? Auch dieser Frage widmet 
Thomas mehrere Abschnitte. Zimächst stellt 'er gegenüber "seinem 
Lehrer Albert fest, daß die Ablässe dem Todsünder nicht von 
Nutzen sind.^ Albert hatte behauptet, ' daß durch die Zuwendung 
der Verdienste aus dem Kirchep.schatze dem Sünder die 'Gnade der 
Bekehrung erlangt werden könne. Demgegenüber lehrt Thomas, daß 
die Zuwendung der Verdienste aus dem Kirchenschatz allerdings zur 
Erlangung der Gnade beitragen könnte; doch werden die Ablässe zu 
diesem Zwecke nicht verliehen, sondern bloß zur Tilgung der zeitlichen 
Strafe. Deshalb können sie auch dem Todsünder nichts nützen, da 
die Strafe nur erlassen werden kainn, wenn zuvor die Sündenschuld 
erlassen ist. In den Ablaßbewilligungen ist denn auch stets die Rede 
von solchen, die ihre Sünden bereut und gebeichtet haben. 

Nützen die Ablässe auch den Ordensleuten ?' Ja, erwidert 
Thomas; denn mit den Verdiensten anderer (nämhch mit der Zu- 
wendung aus dem Kirchenschatze) kann den Ordensleuten nicht 



1 D. 20. a. 3. q. 3 (Suppl. q. 25. a. 3). 

2 Nämlich kurz vor Pfingsten 1252. Vgl. oben 270. 

^ Im Jähre 1254 hat Innozenz IV. den Kreuzpredigem den vollkommenen 
Ablaß verheißen. Ripoll I 247 249. 

* D. 20. a. 4. q. 1—4 (Suppl. q. 26. a. 1—4). 
8 D. 20. a. 5. q. 1 (Suppl. q. 27. a. 1). 
« D. 20. a. 5. q. 2 (Suppl. q. 27. a. 2). 



VIII;' Die Ablaßlehre' der großen Scholastiker des' 13. Jahrhunderts. 297 

weniger geholfen ' werden, als ' den Weltleuten. Man hat freilich' gesagt, 
daß die Ordensleute der Ablässe nicht bedürfen, da ia aus ihrem 'Über- 
flusse 'die Ablässe' 'erMlt'werdeii.i^- Wenn aber' auch -die' Orderisleute 
im Stande der Vollkommenheit' sich^' befinden', so" können sie doch 
nicht' ohne- Sünde 'leben'; "Haben sie sich deshalb durch irgendeine 
Sünde einer Strafe schuldig gemächt, so' können sie durch den' Ablaß 
davon' b'efreit'werden.' Möge auch das -Ordensleben ari' und für sich 
einen Überfluß -an Verdiensten einbringen, so können' doch l)isweilen 
die Ordensleute 'der Hilfe 'älhderer bedürftig sein. • '"'''' 

'Man 'macht femer -geltend;' daß die- Ablässe eine Zerstörung der 
Ordenszucht verarilasken'' könnte. Wenn 'nämlich die "Ablässe den 
Orderisleüten zugänglich waten, so "'würden diese, um der Ablässe 
teilhaftig zu werden, zu viel draußen herüms'chweif en ; auch wurden 
sie die -im Kapitel ' auf erlegten Bußen' nicht 'mehr verrichten 'wbllen. 
Thomas erwidert, daß" wegen der Ablässe die Ordenszucht freilich 
nicht aufgelöst werden* dürfe. ' 'Die Ordensleute könneri ruhig in 'ihrem 
Kloster bleiben, da sie durch die Befolgung ihrer Kegel meihr ver- 
dienen, was die ewige Belohnung im Himmel anlängt, als durch den. 
Gewinn von Ablässen. Wohl verdienen sie dadurch weniger ' hin- 
siclitlich der Nachlassung der zeitlichen Strafe. Doch ist dieser Nachlaß 
ein geringeres Gut, als die Vermehrung des' ewigen Lbhiies. Sodann 
werden durch die Ablässe die im' Ordenskapitel verhängten Strafen 
nicht liinweggenommeh, da durch die Ablässe nur die ina Bußsakramerit- 
auferlegte öder aufzulegeiide' Strafe "erlassen werde, das Ordenskapitel 
aber mit dem Bußsäkramfente nichts zu tun- habe. ' ' ' '■ 

Schon Albert hatte die Frage erörtert, ob derjenige, der nur den 
guten Willen hat, das für den Ablaß vorgeschriebene Werk zu ver- 
richten;* des Ablasses teilhaftig werde. Thomas wiederholt dieselbe 
jPrage, um sie entschieden zu verneinen.^ Der Ablaß wird unter der 
Bedingung gegeben^ daß man dies oder jenes tue. Wer diese Bedingung 
nicht erfüllt, wird keinen Anteil arii Ablaß haben. Obgleich-' er durch 
seinen guten Willen " einen himmlischen 'Lohn verdienen kann. 

Kann aber jemand Ablaß für einen andern gewinnen', so 
daß dieser dann, ohne' das -vorgeschriebene^ Werk verrichtet zu haben, 
des Ablasses teilhaftig werde ? Thomas antwortet: Sein eigenes Werk 
kann wohl jemand aufopfern, für wen er will; der Ablaß aber kann, 
nur dem nützen, für deii er vöni 'Ablaßspender verliehen .worden^ 
Wird daher in der Ablaßbewilligung erklärt, daß, wer dies oder jenes 
tue, den Ablaß gewinnen werde, so kann derjenige, der das vorge- 
schriebene Werk verrichtet, den Ablaß nicht einem andern zuwenden.. 
Würde aber die Formel' lauten: „Wer dies tut oder für wen dies- 
getan wird, soll so und so viel Ablaß erhalten", dann würde freilich 
der Ablaß demjenigen, für den das Werk verrichtet wird, zuteil werden-. 
Aber in diesem Falle würde nicht derjenige, der das Werk tut, den 



^ So Bonaventura und Albert. 

2 D. 20. a. 5. q. 3 (Suppl. q. 27. a'. 3). 



298 VIII. Die Ablaßlehre, der großen Scholastiker. des 13. Jahrhunderts. 

Ablaß dem- andern geben, sondern wer ,den Ablaß , unter solchen Be- 
iiingungen verleiht. ^ , • // - < ? '^ 

,Mit der Frage, ob man den Ablaß gewinne, ohne das vorgeschriebene 
Werk verrichtet zu haben, beschäftigt sich Thomas -auch in einer .seiner 
kleineren Schriften.^ Er fragt hier, ob die Kreuzfahrer,- die yor dem 
Antritte des Kreuzzuges sterben, die „volle Nachlassung der Sünden" 
'ßrhalten. Zur Lösuilg dieser Frage, bemerkt er, müsse man die Kreuz- 
zugsbulle .einsehen. Wird darin der Ablaß denjenigen 'verheißen,! die 
das Kreuz nehmen, so wird der Kreuzfahrer des, Ablasses teilhaftig, 
auch wenn er vor dem Antritte des Kreuzzuges sterben sollte. Wird 
Aber darin erklärt, daß^ der Ablaß zuteil werde jenen, die,, den Zug 
mitmachen, so ist zur Gewinnung des Ablasses die tatsächliche Teil- 
nahme am Kieuzzug erfordert. 

Beachtenswert ist einer der Einwände, die ^dartun sollen, daß der 
Kreuzfahrer schon, durch die Annahme des Kreuzes den „vollen Ablaß 
der Sünden" (plenam indulgentiam pepoatorum) empfange. Gott 
allein, heißt es da, läßt die Sünde nach, .was die Schuld betrifft. Wenn 
daher der Papst einen Ablaß, aller Sünden erteilt, so ist dies nicht auf 
die Sündenschuld, sondern auf die Gesamtheit der Strafen zu beziehen. 
Wer aber gemäß der .päpstlichen Bulle das Kreuz ,nimmt; der wird für 
seine .Sünden, keine .Strafe zu leiden haben, und sollte er -sterben, 
nachdem ihm die volle Nachlassung der Sünden zuteil geworden, so 
würde er von Mund auf in den Himmel fahren.^ Dazu. bemerkt Thomas : 
Aus eigener Machtvollkommenheit läßt allerdings Gott, allein die 
Sündenschuld nach; doch wirkt als, Spender der Sakramente auch der 
Priester mit. Dabei bleibt es freilich wahr, daß der, Ablaß sich .nicht 
auf die Schuld, sondern auf die Strafe beziehe. Diese Strafe wird 
auch durch den Ablaß gänzlich erlassen, aber nur unter der Bedingung, 
daß das vorgeschriebene Werk verrichtet w.erde.* 

In diesen Erörterungen wird der Ablaß wiederholt, als eine Nach- 
lassung der Sünden bezeichnet, obgleich Thomas ausdrücklich erklärt, 
daß er sich nicht auf die Sündenschuld, sondern nur auf die Strafe 
beziehe.^. Die Sünde kann eben, wie er an andern Stellen mehrmals 
betont, in zweifacher Weise nachgelassen werden, sowohl in bezug 



1 Ebd. ad 2. 

'^ Quodl. II. q. 8. a. 2: „Utrum crucesignatus qui moritur antequam iter 
arripiat transmarinum, plenam habeat peccatorum remissionem," Opp. XI 2, 25. 

3 „Soltjs Deus reimttit pecoatum quantum ad oulpam. Cum ergo Papa 
dat indulgentiam omnium peccatorum, hoc non est referendum ad culpam, 
sed ad xmiversitatem poenarum. lUe ergo qui accipit crucem secundum f ormani 
literae papalis, nullam poenara patietur pro suis peccatis, et sie statim evolabit, 
plenam remissionem peccatorum consecutus." 

* „Et tarnen indulgentia non se extendit ad remissionem culpae, quia non 
est sacramentalis." 

^ Vgl. De forma absolutionis o. 5: „Obiicit ulterius, quod si sacerdos potest 
abaolvere a peccatis, utilius esset absolvi quam accipere crucem transmarinani' 
Quod quam ridiculum sit dictum, de faeili potest adverti. Non enim crux trans- 
marina datur valitura nisi absolute a peccatis , ad remissionem totius poenae 
pro peccatis debitae," Opp. XX 453,, ; ;• .; n ; [ ; 



yjn.,r>if!:^blal51ehre (ier;^^grflß,efl?Scholf^tiker. des .13. rJahrhvmderts'. 5299 

,auf .die Schuld ,,(quoad ,pulpam) ; ^als, jin >beziig rauf, die,; S.trafe f(q,uoad 
poena;m).?;,,rErst .dann ist -diejS-ünde. ak.^vföllig nachgelassen zu .be^ 
trachten, jweiin sie äuph-ider- Strafe, nach yergeben list.^ ..Bamun^dur.ch 
den Ablaß. die Siinde hiQsichtlijChjder.-Sifcrafeinachgelassen.wird, so kann 
in ,dieseni.; Sinne jdei" Ablaß ,s,ehr;\\^ohl alsrpine Js[achlassung 4er , Sünden 
bezeichnet A^erden.; u -'^ ) ' ' i "• i ^^ .' 

• Thomas >f ragt |dann, '.des .^eiteren, ob,, ein, kirchlicher .Obei;er 

die von„ihm.-bßiwil;ligjben,A,b[läs,se sich.selber z,un,utz,e mache.'n 

]kö*nn,e.^ ;,Er; kann wohL nicht, ,meintLer, ausschließlich ^sich selber 

■einen ^blaß ^erteilen ; .docLkann erjßich der Ablässe teilhaftig machen, 

die er, iür, andere; .einteilt,., '. ^i; , ' ' 

Schlipßlich behandelt Thomas >npch rdie .w;ichtige iFrage; o.b idie 
Abläss,e aiuch den Verstorbenen nützlich fSeieni.> /Bonaventura 
hatte ^-gelehrt, .daß,', die Ablässe„,den;Yerstorbenen nicht' durch eine 
richterliche ,Lossprechung jerjbeilt, sondern nur i ürbittweise zugewendet 
werden können; doch hatte er beigefiigt, ^daß.^.den Verstorbenen viel- 
leicht .(forte) idurch Vermittlung; (per. , ime^dium) Ablässe ^verliehen 
werden, können, wenn nämlich jemand .das vorgeschriebene Werk .-für 
die Verstorbenen <verrichten < und, der , Pa;pst sich da;mit .einverstanden 
■erklären würde. Diese > von Bonaventura bloß dn, zweifelnder ,F.orm 
vorgebrachte Erkläi\ung hat.Tho^maS'Sich- angeeignet, ohne die -andere 
Erklärung, daß .die Ablassenden .Verstorbenen f ürbittweisc' zugewende^t 
werden .kqnnen,',auch - nur ,;zu jerwähnen. Man j kann ,der Ablässe, , so 
führt -er aus,\auf '^eine zyreifache Weise iteilhaftig" werden: .entweder 
unmittelbar ,, wenn .man.selberdas vorgeschriebene Werk verrichtet, 
oder jniitteLbar,, wenn dies Werk von einem andern verrichtet wird. 
Da nun die Verstorbenen nicht in der Lage sind, ,das vorgeschriebene 
Werk zu tun,' so 'können ihnen die,, Ablässe unmittelbar ..oder .direkt 
nich;bs»niitzen;, ,doch nützen sie ihnen indirekt oder imittelbar., wenn 
jemand ^das. vorgeschriebene Werk ,für jsie .verrichtet. Erfordert ist 
aber, daß in .der Abläßbewilligung die (Zuwendung des Ablasses .an 
einen andern als. zulässig erklärt wird. ...Es liegt. auch kein Grund vor, 
der 'Kirche ,die; Vollmacht .abzusprechen,^ den Verstorbenen, Ablässe;.zü- 
zuwenden. ..Kann sie den , gemeinsaraen Schatz der Verdienste, aus 
dem die Ablässe erteilt werden, den Lebenden mitteilen, warum sollte 
sie dann dasselbe nicht auch bezüglich der Seelen im Fegfeuer tun 



^ Expos. orat.>,donün. Petitio V:. ,,",In.peccato sunt ,duo,.-scilicet yculpa qua 
offenditur iDeuSj^et-poena-quaeidebetvir ^pro culpa. .Durch 'die (Reue, verbunden 
mit' dem Vorsatze, zu beichten und genugzutun, wird die .Sündenschuld i nach- 
gelassen; die .»zeitliche Strafe .aber wird .getilgt in ,der Beichte und -durch die 
Ablässe: „Sic ergo dimittuntur peccata non isolum .quantumad culpam in 
contritione, sed-etiain'.quantum.ad spoenam in confessione et^per.indulgentias." 
0,pp, •XK, 213. :ygl; .'Quäest. ,disp. .De .rnalo ,q. 7,- .a. 11, Opp. .'XII 293U\ 

^ S. th. III, q, 22, a. 3: „Dicendum quod.ad peccatorum perfectam 
•e,mundationem-,duo.reqi4runtur secundum quod^duo sunt in peccato, scilicet 
maculä culpae et ^reatus poenae." 

3 Sent.' lY, 4- 20, a. 5. .q. ,4 .(Suppl. ,q. <27, a. 4).' 

* Sent. iy,-d. -45, .q. 2, a. 3, quaest.^2 .(Suppl. -q. 71, a. ,10). 



300 VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts. 

können? Daraus folgt freilich" nicht; -daß 'der Papst n^bh Belieben- 
die Seelen ans dem Fegfeuer befreien kann', da zur 'Gültigkeit' der- 
Ablässe ein hinreichender Grund; ■ sie* ziiverleiheri, erfordert wird. 

Wird in der Ablaßbulle erklärt, daß der Ablaß den Verstorbenen 
zugewendet - werden kann, und verrichtet' nun jemand "das ' vorge- 
schriebene Ablaßwerk für eine bestimmte Seele im Tegfeüer, in welcher 
Weise wird dann der Ablaß dieser Seele mitgeteilt, "blöiß' fürbittweise 
(per modum deprecationis)' oder kraft der Jurisdikti'onsgewalt (per 
modum autoritatis) ? Hierüber hat sich Thomas nicht' näher aus- 
gesprochen. Will man seine Ansicht kennen lernen,' so' muß man 
Äußerungen herbeiziehen, die er an andern' Stellen gemacht hat. 
Seiner ilöisicht nach wird der Ablaß den' Lebenden," auch jenen, die 
sißlber das vorgeschriebene Werk verrichten, 'nicht in 'Form eines 
Urteils oder einer richterlichen Lossprechüng verliehen, sondern nach 
Art einer Spendung oder Schenkung,^ wodurch seine" Straf Schuld aus 
dem Verdienstschatze der Kirche bezahlt wird.^ Die Ablaßspendung 
geschieht aber kraft der Jurisdiktiönsgewalt.^ In ganz' ähnlicher 
Weise muß Thomas auch die Zuwendung des Ablasses jg-n die Ver- 
storbenen aufgefaßt haben; da er ja ausdrücklich erklärt, es liege kein 
Grund vor, warum die Kirche die gemeinsamen Verdieüste nur den 
Lobenden und nicht auch den Seelen im ' Fegfeuer zuwenden könne. 
Diese Seelen,- lehrt er, sind in einem gewisseii* Sinne noch auf "dem 
Wege zur ewigen Heimat;* auch haben sie' auf Erden' verdient, daß 
ihiien nach ihrem Tode> geholfen werden könne.^ Ob die Zuwendung 
des Ablasses an eine bestimmte Seele sicher erfolge oder ob sie von 
der uns unbekannten Annahme Gottes abhänge-, hierüber ist bei 
Thomas nichts zu finden.^ 

Man beachte wohl, daß Thomas bloß die Möglichkeit der- Zu- 
wendung der Ablässe an Verstorbene dartut. ' Daß damals schon die 
Päpste Ablässe für Verstorbene verliehen haben, sagt ei^'nicht. Wohl' 
führt er am Anfange des Artikels unter den' Gründen j die zugunsten 
der Ablässe für Verstorbene zu sprechen scheinen, in- erster Linife die 
kirchliche Praxis an.' Auf diese Stelle "^ hat man' sich" schon 'öfters 
berufen, um zu behaupten, Thomas bezeuge ausdrücklich, äaß zu 
seiner Zeit die Kirche Ablässe für Verstorbene erteilt habe. Man hat 



^ „Indulgentia non per modum sententiae datur, sed per modum dispensa- 
tionis cuiusdam." Sent. IV, d, 20, q. 1, a. 6, quaest, 4 ad 3 (Suppl. q. 27, a. 4). 

2 gent. IV, d. 20, q. I, a. 3, quaest. 1, ad 3 '(Suppl. q. 25, a. 1). 

^ „Facere indulgentias pertinet ad iurisdictionem." Sent, IV, d. 20, q. 1, 
äi 4, quaest. 4 (Suppl. q. 26, a. 4). 

* „Quantum ad aliquid adhuc simt in statu viae." Sent. IV, d. 45, q. 2, 
a. 1, quaest. 2, ad 3 (Suppl. q. 71, a. 2). 

5 Sent, IV, d. 45, q. 2, a, 4, quaest, 1, ad 2 (Suppl. 71, a. 12). 

« Dies wird von J. Bautz (Das Fegfeuer. Mainz 1883, 223 f.) mit Eecht 
gegen Suarez hervorgehoben. 

' „Videtux quod indulgentiae quas Eeelesia facit, etiam mortuis prosint. 
Primo per consuetudinem Ecclesiae quae facit praedicari crucem, ut aliquis 
indulgentiam habeat pro se et duabus vel tribus vel quandoque decem animabus 
tarn vivorum quam mortuorum, quod esset deceptio, nisi' mortuis prodessent.' 



VIII. Die, Ablaßlehre der, großen, Scholastiker des, 13. Jahrhunderts; 301. 

indessen- übersehen, ,daß,>Thomas am -Anfange des Artikels, nicht seine 
eigene . Ansicht ausspricht,; sondern, :bloß. berichtet, was, für Gründe 
•jsugunsten des Ablasses für, Zerstör bene geltend gemacht werden... Jene 
St^ÜQ^hat er.wörtlich ; aus '^Albert. abgeschrieben.^ Nur hat er unter- 
lassen, nähesr darauf einzugehen,^ während Albert bemerkt, daß ihm 
eine AblaßA^erleihung; wie die .angeführte, lioch niemals zu Gesichte 
gekommen sei. • . ,>, . 

' ^ ^ . ' . ' i ' ' " 

Petrus 'von Tarentaise^ Richard von Middletown. 
., Heinrich von Gent. 

1 r 

'i "Nächst den vier großen Scholastikern werden nicht selten bei der 
Darstellung" der 'Ablaßlehre * auch die drei genannten Theologen als 
Autoritäten angeführt. ' , > ■ - 

Petrus von Tarentaise, Mitglied des' Dominikanerordens,' als 
Papst- unter dem Namen' Innozenz V. bekannt, wirkte von 1256 bis 
1265 als Professor der Theologie an der Pariser Hochschule. ^ ^Als 
Frucht' seiner Vorlesungen veröffentlichte' er einen Kommentar über 
•die Sentenzen.^ In der Ablaßlehre folgt er seinem Ordensgenossen 
Thomas; doch weicht er in' dem einen und andern Punkte von ihm 
ab. In engem ' Anschlüsse an Thomas lehrt er zunächst, daß die Ab- 
lässe nicht bloß vor 'dem Richterstühle der Kirche, sondern auch vor 
Gott Geltung haben, und daß sie aus dem Schatze' der Verdienste 
Christi und der HeiKgen gespendet werden. Zur 'Gültigkeit des Ab- 
lasses sind' vier Bedingungen erfordert.' Zwei von selten des Spenders: 
ein -triftiger Grund' uiid die nötige' Vollmacht; zwei -von selten des 
Empfängers: der' Gnadenstand und die mit dem Glauben' an die Voll- 
mächt der Kirche verbundene Ausführung des vorgeschriebenen Ablaß - 
Werkes. Einem Todsünder kaiin der Ablaß nichts nützen, da die Strafe 
lucht nachgelassen werden" kann, solange die' Sündenschuld liicht ver- 
gebenist. Die Prägö, ob auch die Ordensleute Ablässe gewinneii können, 
wird von Petrus anders beantwortet, als von seinen Vorgängern. Er 
macht sich selber den Einwand, daß ja die Ordensleute nichts Eigenes 
besitzen und daher die gewöhnUch für den Ablaß geförderten Almosen 
nicht spenden können. Weim sie 'auch nichts besitzen, lautet die 
Antwort, so können sie doch mit Erlaubnis der Oberen Almosen 
spenden und folglich den Ablaß gewinnen. Ob der Ablaß auch jenem 
nützt, der ihn spendet, ob nur -die Bischöfe Ablässe erteilen können, 
ob auch ein schlechter Bischof oder ein Bischof, der die Priesterweihe 
nicht empfangen hat, 'Ablaß spenden kann, ob es erlaubt sei, für zeit- 
liche Angelegenheiten Ablässe zu gewähren, alle diese Fragen beant- 
wortet Petrus ganz wie Thomas .von Aquin. 



1 Vgl.' oben S. 277. 

* Mandonuet, Des ecrits authentiques de Saint Thomas d'Aquin 113 f. 
ä Petrus de Tarentasia, In quatuor libros sententiarum oommentarii. 
Tolosae 1649—52. Die Ablaßlehre wird behandelt in 1. IV, d. 20, q. 3. 



302 VIII% Die- Ab^laßlehre' dfef' großen- Scholastiker ' de's' ß. ''jahrKtoderts. 

Dagegen weiclit er von ihm' aB^in* der vielerörterten' IVage-^ob die- 
Ablässe so vielgelten-, wie'iii'däm-'WoTtraut der Verkiindigung 
gesagt' wird. Er fübrt'zuerst verschiedene* 'Ansichteii an, vor allera 
die Ansicht jener, die meinten-, der Wert'- des Ablasses richte sich' bloß 
nach der frommen Gesinnung des' Empfänigers. 'Wäre 'dies richtig, 
wendet Petrus dagegen- ein, so- würde "der Ablaß den " Grläubigen- auch 
ohne äußere Spende zuteil werden. Andere sagen, der Uinfang des 
Ablasses richte sich nach der Höhe der Spende. Aber dann wäre es 
eher eine Umtauschung als, ein Ablaß. - Andere lehren,, man werde 
um so größeren Anteil' am Ablaß haben, als man der Ursache, wofür 
er gespendet worden, näher' könäme. Dd jedoch, erwidert Petrus, 
dies den Leuten nicht gepredigjfc , werde", so' hätte es den Anschein, 
als wollte die Kirche sie täuschen; es sei aber nicht gestattet, auf 
selten der Kirche einen frommen Betrug anzunehmen. Bis, hierher 
widerlegt Petrus die, drei, bereits, von Thomas abgelehnten Ansichten, 
und er widerlegt' sie in .derselben Weise, wie es der Aq,uüiate. getan. 
Nun erwähnt er noch die Meinung des hh Thomas, der' freilich nicht 
genannt^ wird : Die Ablässe gelten einfach so viel, als sie lauten. ' Wer 
daher wenig gibt oder in der Nähe der zu besuchenden Kirche wohnt, 
wird denselben Ablaß gewinnen,, wie .jener, der , viel-, gibt und einen 
weiten Weg machen, muß.- Auch diese Ansicht wird von Petrus ab- 
gelehnt; sie scheint ihm nicht vernünftig, genug (hoc-non videtur 
rationabile). Er selber sucht daher die verschiedenen Ansichten 
miteinander zu vereinbaren (concordando, has opiniones}. Der Ablaß, 
so führt er aus, bezieht sich bloß, auf die Nachlassung der Strafe. 
Die Strafe kann, aber der kirchliche Obere jenen, die gut disponiert 
sind, aus dem Schatze der Kirche völlig, oder zum Teil erlassen.. Es 
gelten daher die Ablässe so viel, wie sie lauten. Ein Ablaß von 40 Tagen 
hat für den Empfänger denselben Wert, wie 40 Tage Buße; ebenso 
gilt der Ablaß von einem Jahre so viel, als ein Jahr Buße,, möge, die 
Buße vom Beichtvater,, vom Kechte oder von der göttlichen Ge- 
rechtigkeit bestimmt worden sein. Diese Tage und Jahre, sind aber 
nicht Tage und Jahre, des Fegfeuers, sondern dieser Welt,, da im 
Jenseits nicht nach Tagen und Jahren gerechnet wird. Der Ablaß 
hat nun nicht für alle Empfänger denselben Wert, sondern er wird ihnen 
in größerem oder kleinerem Maße zuteil, /je^ nachdem, sie für den Straf- 
erlaß mehr oder weniger vorbereitet sind. Wie daher, 40 Tage Buße 
demjenigen, der sie mit größerem Eifer und größeren Anstrengungen 
. verrichtet, mehr nützen, als einem andern, der dabei nur geringen 
Eifer an den, Tag legt, so werden auch 40 Tage Ablaß dem einen, 
der sich durch größeren Eifer, durch schwerere Anstrengungen oder 
reichlichere Spende darauf vorbereitet, mehr nützen, als einem andern^ 
der geringeren Eifer betätigt oder weniger leistet. Es gelten daher 
die Ablässe im allgemeiaen so viel, als ihre Verkündigung besagt; 
doch niitzen sie nicht allen in demselben Grade, soiidernj ihre W^ 
samkeit richtet sich naxih der vVorberei|ung der; emzeln^ 
So wirdz., B., ein/ Pilger,, der eine weitevBieiseimaölWcniußii ums eine 



VII'L 'Die' Ablaßlehre- der großisn' Scholastiker* d'es'^lS. JahrKuhderts: 303- 

Kirche zu ^b'epüchen, des' 'Straferlasses in reicHliclierem' Maßö» teilhaftig 
werden^ als ein 'anderer, der in der- Nähe 'der Kirche wohnt, weil er 
größeren Mühen sieb unterzogen' hat'. Dieser^gahz Verniüiftigen Ansicht' 
haberi sich in- der' 'Folgezeit 'manche Aiitören' angeschlossen, so z.' B. 
der 1306 verstorbene Dominikaner JoharinesSurdus (Quidort) aus- 
Paris.i' . •' ,\ ". . ' , ' ' • ' 

In der Behandlung des 'Ablasses' fiir'yers'torbene schließt sich 
Petrus wiedfer mehrThdinäs'von'Aquin an'; doch äußert er sich hierüber 
eingehender-;^ als sein Ordßnsgeiiosse", indem 'er auch Bonaventura ver- 
wertet; Die'Zuwendung der' kirchlichen' Suffragien öder HiKeleistungeri,, 
lehrt er; f geschieht in ariderer ' Weise, äls' diejenige der' 'Ablässe. Die 
Suffragien werden durch die' Ei'ebe -mitgeteilt, die Ablässe aber durch' 
die Amtsgewalt'.^^iiDen Seelen im Pegfeüer kann die Kirche - Ablässe 
zuwenden nur 'hilfsweise' (.per modum suffragii) auf dem- Wege' der 
Liebe, nicht in der . Weise - eines, eigentlichen ' Ablasses (per modum 
indulgentiae) kraft ihrer Autorität. ^ .Denn der kirchliche' Obere kann 
den; Seelen' im Fegfeuer «nicht direkt Ablässe erteilen, da- sie nicht 
mehr unter; seiner. Jurisdiktion stehen und auch dasjenige, wofür der 
Ablaß erteilt wird, nicht -vollbringen' können; nur indirekt kann ihnen 
der Ablaß' zugewendet werden,' nämlich durch die* Hilf« und Ver- 
mittlung der Lebenden, die noch unter der kirchlichen Gerichtsbarkielit 
stehen. Eigentlich spricht, die Kirche die Yerstorbenen von ihrer Strafe 
nicht los, sondern sie bezahlt ihre Schuld* aus- dem gemeinsamen Schatz-. 
So wird ein Schuldner von seiner Schuld anders- befreit durch den 
Gläubiger, der ihn von der Schul(i{\ losspricht,, anders durch einen 
Freund, der die Schuld, für ihn bezahlt. Jene Zahlung für die Ver- 
storbenen kann aber nur durch den kirchlichen Oberen geschehen, 
dem allein die Verwaltung, des, Kirchenschatzes, aus -dem' der Lösepreis 
entnommen wird, zusteht. Die Lebenden» aber, die seiner Gerichtsbar- 
keit unterstehen-,, entledigt er ihrer Schuld sowohl, auf die eine als auf 
die andere Weise, d. h. sowohl durch Absolution als durch Zahlung 
aus, dem Earchenschatze. 

' Hier' scheüit- Petrus- anzunehmen, daß- Ablässe- für Verstorbene^ 
tatsächlich erteilt werden. Er' spricht sich darüber noch bestimmter 
aus in der 45-; Distinktion des-^. B.uches-, worin er von- djßn. Suffragien 
für. die- Verstorbenen handelt.; Bisweilenv bemerkt er;, werden die 
Ablässe schrechthiri- erteilt, ohne daß' dabei- der Verstorbenen Er- 
wähnung geschehe;, d'ann können; sie dferi Seelen im Fegfeüer nicht 
zugewendet, werden., Dann. und. wann,. wer den. sie aber auch auf die 
Verstorbenen ausgedehnt (aliquando? dantur' cum. ampliatione usque 
ad defunctos). In diesem Falle nützen^ sie den Seelen im Fegfeuer, 
aber nicht nach Art eines kraft' der' 'Jurisdiktion erteilten Ablasses 
(non per modum indulgentiae ex autoritate),, d. h. nicht nach, Art 
einer Absolution, sondern nach Art, eines Suffragiums oder einer^ aus 

1 Amort II 101. . . 

2 „Suffragium per caritatem, indulgentiä per autoritatem impertitur." 



.^04 VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des» 13, Jahrhunderts. 

liebe gespendeten kirchlichen Wohltat; (per modum suf fragil seujC.uius- 
•dam beneficii jecclesiastici ex- caritate).{ Auch, wird, ihnen [der Ablaß 
nicht unmittelbar zuteil, sondern mit:fcelbar. durch die Hilfe' eines, andern 
(mediante alterius suffragio) ; zudem spricht sie, die ^Kirche nicht eigent- 
lich los, sondern sie zahlt für.sie,- wie oben dargelegt worden.^ 

Obschon Petrus ausdrücklich erklärt, daß bisweilen Ablässe für 
•die Verstorbenen verliehen wer.den, so ist doch zu .betonen, daß damals 
•derartige Ablässe v,on der .Kirche noch nicht bewilligt wurden.,; Dagegen 
haben manche die von der;: Kirche, den Lebenden, -_ erteilten Ablässe 
eigenmächtig, auf die Verstorbenen, ausgedehnt.,,. So. konnte -iselbst bei 
gelehrten Theologen der. Glaube entstehen, daß die Kirche tatsächlich 
Ablässe für die VerstOTbenen erteilt ■ habe. ,, ,■ J, r ,f. ■, 

Diesen Glauben teilte offenbar auch HugO'Ripelinvon Straß- 
burg, der in seinem 1265 verfaßten Compendiuhi theologicae veritatis^ 
in engstem Anschluß an Thomas und besonders an 'Petrus von Taren- 
taise kurz den Ablaß 'für Verstorbene bespricht. Er wiederholt nur, 
was er bei Thomas vorfand, wenul er schreibt, daß der Kreuzzugsablaß 
bisweilen für zwei, drei, vier« oder zehn; Seelen erteilt werde.^. In der 
Darstellung der Art und Weise, wie der Ablaß den Verstorbenen zu- 
gewendet werden kann,' hat er aber die Worte des Petrus von'Taren- 
taise sich angeeignet: • ' ' 

Die Ausführungen des Petrus ' von Tarentaise findet man auch 
verwertet bei Richard von Midäletöwn (de media' villa) in dessen 
kurz iiach 1281 verfaßten Senterizerikommentar.^ Nicht mit Unrecht 
hat man hervorgehoben, daß' dieser gelehrte Minorit in seinen An- 
schauungen dem hl. Thomas näher steht, als die übrigen Franziskaner- 
theologen.* Auch in der Ablaßlehre folgt er häufig dem ' Aqüinaten, 
■ dessen Ansichten er besonders in der Form, wie er sie bei' Petrus von 
Tarentaise vorfand, widergibt. Nur in der einleitenden Frage, ob einer 
für den andern genugtun körine, gibt er der Auffassung Bonaventuras 



^ Daß Hugo von Straßburg Verfasser des weitverbreiteten Kompendiums 

ist, wird nachgewiesen von L. Pfleger in, Zeitschrift f. kath. Theol. 1904, 429 ff. 

Vgl. dazu M. Grabmann, ebd. 1905, 321 ff.; 1921, 147 ff. Über die Zeit der 

Abfassimg vgl., Mandonne't, Des ecrits authentiques de Saint Tiiomas 76, 

-und A. Hauck in Zeitsohrift für Kirehengesohich^e XXXII (1911) 378 ff. Hugo 

von Straßburg, der einige Jahre Prior in Zürich war, ist schon im Jahre 1268 

gestorben. Vgl. Fr. Steill, Ephemerides I^ominicano-Sacrae I 2, Dillingen 

1691, 397. P. Albert, im Freiburger Diözesan-Archiv XXX (1902) 296. Er 

•darf also nicht verwechselt werden mit dem Dominikaner Hugo, der gegen Ende 

• des 13, Jahrhunderts als Prior in Zürich erseheint. Letzterer war übrigens nicht 

.aus Straßburg, sondern aus Schaff hausen gebürtig, wie sein eigenes Siegel dar tut. 

Vgl. Wjrttemberg. Urkundenbuch X (1909) 532. 

2 Compenditim theologicae veritatis. Coloniae 1503. 1. VTI, c. 5: „Papales 
indulgentiae prosunt defunctis in' purgatorio, quod patet quia crux aliquando 

-datur pro duabus vel tribus vel quatuor vel decem animabus." Den Ablaß über- 
.haupt erwähnt Hugo bloß mit einigen Worten in 1. VI, c. 32. 

3 Scriptum super quarto sententiarum. Venetiis 1489. Über die Zeit der 
.Abfassung vgl. Jeiler in Kirchenlexikon X 1181. 

* Soheeben, Handbuch derkatholisohen Dogmatik I, Freiburg 1878,432. 



VIII. Die Ab^ßl^hre,,der;grpßen., Scholastiker des 13. iJahrhunderts. 1305 

den Vorzug.,, Mt. Bonaventura ist. er. im Gegensatz zu Thomas der 
Ansiolit, daß die stelly/ertretende,,. Genugtuung nur dann zulässig sei, 
wenn derjenige, , für den man genugtun will, nicht selber die. Buße 
verrichten kann. ; Will nämlich einer seine, Buße nicht selber verrichten, 
da er sie doch verrichten könnte; so ist dies ein Zeichen; daß ihm die 
wahre Bußgesinnung abgeht; folglich könne ein anderer nicht für ihn 
■genügtun. Mit, Bonaventura lehrt er auch, daß die für einen andern 
übernommene Buße in der. Regel größer sein müsse, als, jene, die der 
andere für sich selber zu verrichten hätte.; Hierbei folgt er aber zu- 
gleich auch dem hl. Thomas. Letzterer lehrt, die Liebe erhöhe den 
Wert der Buße; deshalb könne die für einen andern abzutragende 
Buße durch , eine geringere ersetzt werden. Dies sei : allerdings zu- 
zugeben, meint Richard; aber nur für,, den Fall, daß derjenige, der 
iür einen andern genugtut, von größerer Liebe beseelt sei, als, jener 
andere.^ . . . • . 

. Daß die Kirche Ablässe erteilen könne, und zwar aus dem Schatze 
■der Verdienste Christi und der; Heiligen, daß, der Ablaß nicht bloß vpr 
dem Forum der Kirche, sondern. auch vor Gott Geltung habe, daß 
bei der Erteilung von Ablässen für Kirchen, Spitäler usw. keine Simonie 
Torkomme, alle diese Fragen erörtert Richard im Sinne und meistens 
.auch mit den Worten des Aquinaten.?- uEr weicht aber von ihm ab 
in der weiteren Frage, ob die Ablässe,so viel gelten, als sie lauten. 
Von den verschiedenen Ansichten, die hierüber geäußert wurden, er- 
wähnt er nur zwei, zuerst - die, Erklärung des Petrus von Tarentaise, 
■die er mit den Worten einführt: „Einige. sagen" (diount.quidam). Ein 
Urteil darüber wird nicht abgegeben. Dann erwähnt er noch eine 
ziemlich sonderbare Ansicht (aliis videtur dicendum), , deren Vertreter 
nicht namhaft gemacht werden kann, da sie in keiner der bisher bekannt 
gewordenen Schriften jener Zeit vorkommt. Den, Fall gesetzt, so lautet 
•diese Ansicht, es hätten zwei Personen ein Jahr Fegfeuerstrafe ver- 
dient. Diese Personen spenden nun ein Almosen, um einen Ablaß 
von einem Jahre zu gewinnen; die. eine spendet mehr,, als die andere. 
Beide werden ein Jahr hindurch im Fegfeuer weniger zu leiden haben; 
doch werde die liClderung ihrer Strafe sich nach der Höhe ihrer Almosen 
richten. Richard lehnt diese Meinung, ab, dia nach derselben nicht' die 
zeitliche Dauer der Strafe, sondern bloß deren Intensität in Betracht 
komme. Er selber sucht beide Momente miteinander zu vereinigen. 
Was die Zeitdauer betrifft, meint er, werden die beiden Personen 
trotz ihrer ungleichen Spende denselben 'Erlaß .erhalten: beide werden, 
den Ablaß von einem Jahre gewinnen; bezüglich der Intensität des 
•Erlasses wird aber ein Unterschied stattfinden: wer mehr spendet, 
wird weniger zu leiden haben. ,^, Richard scheint sagen zu wollen: 
Bißide Personen erhalten einen Ablaß von einem Jahre, d. h. Gott 
läßt ihnen so viel von der Fegfeuerstrafe nach, als sie hienieden durch 



1 Sent. IV, d. 20, a. 1, q. 3. 

2 Sent. IV, d. 20, a. 3, q. 1. 

Paulus, Geschichte des Ablasses. 20 



306 VIII. Die AblaiSIehre der großen Scholastiker defe 13.' Jkhrhvmdefts. 

ein Büß Jahr abgetragen hätten; von der noch zurückbleibenden Strafe 
Avird dann demjenigen, der ein größeres Almosen 'gegeben hat, ' mehr 
erlassenj als dem andern. Daß diese gekühstelib Erklärung' bei späteren 
Autoren keinen Anklang fand, darf nicht wundernehmen. 

, Bezüglich des Ablasses für die Verstorbenen ' wiederholt Richard 
nur, was Thomas und Petrus von Tarentaise hierüber gelehrt hätten; 
dasselbe gilt von der Frage, ob Todsünder Ablässe gewinnen können. 
In der Behandlung des Verhältnisses der Ordensleute zu den^Ablässen 
folgt er dagegeii bloß dem Petrus von Tarentaise, wie er auch in einigen 
andern untergeordneten Fragen die Ausführungen dieses Dominikaners 
fast wörtlich sich angeeignet hat.^ 

Größere Selbständigkeit bekundet Heinrich von Gent (f 1293),^ 
der allerdings in einer 1291 oder 1292 verfaßten Abhandlung nur die 
Frage erörtern will, ob die Ablässe so viel gelten, als in der Verkün- 
digung besagt wird, aber doch bei diesem Anlaß die wichtigsten Punkte 
der Ablaßlehre in recht gründlicher Weise zur Darstellung bringt.^ 
Zuerst stellt ei vom Ablaß eine Definition auf, die in der Folgezeit, 
öfters wiederholt wurde: Der Ablaß ist eine Nachlassting der für per- 
sönliche Sünden geschuldeten und' in der sakramentalen Absolution 
den Pönitenten nicht erlassenen zeitlichen Strafe, eine Nachla3sung„ 
erteilt vernunftgemäß von dem kirchlichen Oberen aus einem ver- 
nünftigen Grunde durch Kompensation aus der nicht geschuldeten 
Genugtuung der Gerechten.^ Diese Definition wird dann Wort für 
Wort erläutert. Mit Nachdruck wird dabei besonders betont, daß 
der Ablaß sich nur auf die Sündenstrafe, nicht auf die Sündenschuld 
beziehe; letztere könne Von den kirchlichen Oberen nur mittels des. 
von Christus eingesetzten Sakramentes erlassen werden. Nebst der 
Tilgung der Sündenschuld wird in dem Büßsalo-ament durch die 
priesterliche Absolution die für Todsünden geschuldete ewige Strafe 
in eine zeitliche umgewandelt; von dieser zeitlichen Strafe wird durch 



1 Bloß im Vorübergehen sei hier ein anderer englischer Franziskaner jener' 
Zeit erwähnt, Wilhelm Varro (de Ware), gestorben um 1300, dessen Erörte- 
rungen über den Ablaß Nikolaus Weigel in seinem Ablaßtraktat mehrmals 
anfuhrt. Im 9. Kapitel wird namentlich berichtet, wie Varro lehrte, daß, wer 
nach Gewinnung eines vollkommenen Ablasses sterben sollte, sofort in den Himmel 
kommen würde. Varros Sentenzenkomment^r findet sich handschriftlich in 
manchen Bibliotheken, so z. B. in Leipzig, Münster, Wien. 

2 Vgl. über ihn Ehrle in Archiv für Literatur- und Kirchengeschichte des 
Mittelalters I (1885) 365 ff. M. de Wulf, Histoire de la philosophie scolastique 
dans les Pays-Bas, in Memoires couronnes de 1'academ.ie royale de Belgique LI 
(1895) 46 ff. . 

^ Quodlibeta magistri Henrici Goethals a Gandavo doctoris solemnis. 
Parisiis 1518, Bl. 589 — 93. Quodl. XV, q. 14. Utrum indulgentiae tantum valent 
quantum sonant. Die Abhandlung ist wohl anläßlich der von Nikolaus IV. am 
1, August 1291 erlassenen Kreuzzugsbulle verfaßt worden, da Heinrich diese 
Bulle eingehend bespricht. 

* „Est indulgentia remissio poenae temporalis debitae peccatis actuaUbus 
poenitentium, temporalis dico, non remissae in absolutione saoramentali, facta 
a praelato Ecclesiae rationabiliter et ex ratiönali' 'causa .per rebbrnpbhsa.tionem. 
de poena indebita iustorum." Bl. 589. '■' 



VIir."'Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts. 307 

die priesterlich'e' Absolution 'und durch das Verdienst der Reue (per 
meritum' cöntritio'nis) ein * Teil nachgelassen; ja die Reue kann bis- 
weilen s6' groß sein, daß die- gainze Strafe erlassen wird. Wird sie auf. 
diese Weise niciit völlig nachgelassen, so ' muß der Rest abgetragen 
werden. Dies kann aber auf eine dreifache Weise geschehen: 1. durch 
Ablösung (rödemptione) ' mit Almosen,. '2. durch persönliche Abbüßung 
der Strafe hienieden oder im Fegfeuer (luitione), 3. durch den Ablaß 
(indulgentiae remissiöne). > ' - ' ' 

Zur Bestimmung der Art und Weise, wie der Ablaß von den 
kirchlichen' Oberen verliehen wird^, ist zu beachten, daß etwas auf 
dreierlei Weise' verliehen werden kann: 1. durch Schenkung (dona- 
tione), bei der bloß der Wille, des Spenders maßgebend ist und auf 
die Würdigkeit des Empfängers nicht Rücksicht genommen zu werden 
braucht; 2. durch Vergeltung (redditione), die bei dem Spender eine 
Verpflichtuiig, bei dem Empfänger ein' Anrecht auf das Bewilligte 
voraussetzt;; 3. durch Dispensation i(dispensatione),^' die wohl vom 
freien Willen des, Spenders abhängt, aber auch auf die Würdigkeit 
des Empfängers Rücksicht nimmt. Man kann nun nicht sagen, daß? 
der Ablaß schenkungsweise . (per ddnationem) erteilt werde; denn die 
kirchlichen Oberen sind, nicht befügt, nach Belieben dem ersten Besten 
einen Ablaß, zu gewähren. Wie verhält es sich aber mit der zweiten 
Bewilligungsart ? • Findet beim Ablaß eine eigentliche Vergeltung statt ? 
Vor allem muß bemerkt werden, daß die Ablässe nicht erteilt werden 
und nicht erteilt werden sollen, außer daß irgendein' gutes, noch zu 
verrichtendes Werk dafür. gefordert werde, da sonst ihre Bewilligung 
ganz im Belieben der kirchlichen Oberen stehen würde .^ Es sagen 
nun einige,; mit dem Ablasse werde das gute Werk vergolten und der 
Wert des Ablasses richte sich nach dem Wert und -Verdienst des zur 
Gewinnung des Ablasses verrichteten Werkes. Je beträchtlicher, je 
verdienstvoller dies Werk ist; desto größer werde der Anteil am ver- 
heißenen Ablasse sein. Völlig werden den Ablaß nur jene gewinnen,, 
nur für jene werde er wirklich sp viel gelten, als er lautet, die durch 
ihren Glauben, ihre fromme. Gesinnung und ihre äußere Leistung 
so viel verdienen, als der verheißene Ablaß wert ist. Die Kirche würde 
aber dies nicht hervorheben, sie würde , vielmehr verkünden, daß die 
Ablässe überhaupt, so viel gelten,, als sie lauten, um so durch einen 
gewissen frommen Betrug die Gläubigen anzulocken, sich wenigstens 
um die Gewinnung eines Teils des Ablasses zu bemühen. 

Wie andere Theologen vor ihm, s,o lehnt auch Heinrich die Ansicht, 
daß auf . selten der ■ Kirche ein frommer Betrug angenommen werden 

^ Der Verfasser meint dainit eine Spendung, wie sie ein Verwalter vor- 
nehmen kann, d. h. ein solcher Diener, der über alle Güter des Herrn gesetzt ist. 

^ „Eedditio respicit debitum in dante et meritum in reoipiente, propter 
quod ipsi quidquid confere'näum 'est,'merittün dico,'vel ipso acquisito in opere 
praeterito;*de quo nihil ad praesens, vel-acquirendo in opere futuro atque pro- 
misso, quod valet ad propositum; eo quod indulgentiae non oonoeduntur 
nee concedi debent nisi proaiiquo pio opere exeroendo; aliter enim pro 
mera voluntate conferent'is conferrentur." Bl. 590. 

^ 20* 



308 VIII. Die Ablaßlehre, der großen Scholastiker des 13.,^Jahrhundprts. 

könne, entschieden ab, da sie geeignet wäre, dieAutqrität ,der Kirche zu 
untergraben. Er gibt indessen zu, daß. es sehr leicht I^älle geben;könne, 
in denen der Wert des Ablasses f sich nach [dem, Verdienste des Emp- 
fängers richtet, so z. B. wenn ein Bischof iür die Unterstützung eines 
Kirchenbaus 100 Tage Ablaß, erteilen: würde, mit, der Bestimmung, 
daß wer nach seinem Vermögen beisteuere, des, ganzen Ablasses teil- 
haftig werden solle, wer aber weniger gebe,,ials seine MitteLes ge- 
statteten, nur einen, der Spende entsprechenden. Teil des .Ablasses 
gewinnen werde. Er weist dann auf die zwei von Nikolaus IV. unterm 
1. August 1291 erlassenen Kreuzzugsbullen hin,^ worin : verschiedenen 
Klassen von Förderern der Kreuzzugssache ein vollkommener- Ablaß 
verheißen wird,^ andern aber nur ein, partieller,, dessen. Umfang nach 
der frommen Gesinnung, und äußeren Leistung der -Empfänger sich 
richten werde. , .- , ■ ■ > , • 

Wenn' nun auch' in solchen Fällen ^der Wert des Ablasses - sich 
nach dem Verdienste der Empfänger richtet^ 'so -darf man doch nicht 
behaupten, daß die kirchlichen Oberen Ablässe nur unter der Be- 
dingung erteilen dürfen, daß ihr Umfang'idem' .Verdienste und der 
Leistung der Empfänger entspreche. Müßte, diese Bedingung erfüllt 
weirden, so wäre ja die- Ablaßverleihung kein Gnadenakt mehr, wie 
sie es doch tatsächlich ist, sondern eine von der Gerechtigkeit geforderte 
Vergeltung ; auch könnten dann die kirchlichen Oberen verschiedenen 
Personen bei ungleicher Leistung und ungleicher frommer Gesinnung 
nicht die gleichen Ablässe erteilen. Dies aber ist iiicht zutreffend. 
Wird doch ia der Kreuzzugsbulle der vollkommene Ablaß nicht bloß 
den Teilnehmern am 'Eireuzzuge verheißen, sondern auch solchen, 
die einen Vertreter senden ; was sicher weniger zu bedeuten hat, als 
die persönliche Beteiligung am Zuge. - 

Der Wert des Ablasses hängt also nicht von dem' Belieben "des 
Spenders ab, so daß' dieser einfach erklären könnte';" Der Ablaß 'gilt 
so viel, als ich will. Das' wäre gegen die Vernunft. Anderseits hat die 
Ablaßverleihurig sich auch nicht bloß nach dem Verdienste des Emp- 
fängers zu richten, so daß dieser ein Anrecht auf den Ablaß hätte; 
denn dies wäre gegen die Natur des Ablasses, der ein Gnadenakt ist. 
Die erstere Annähme würde die Vollmacht der kirchlichen Oberen in 
der Bewilligung von Ablässen zu sehr erweitern ; die zweite dagegen 
würde sie zu sehr einschränken. Demnach wird der Ablaß nicht durch 
Schenkung verliehen und auch nicht durch Vergeltung, sondern durch 
Dispensation oder eine Spendung, die zwar vom Willen des Spenders 
abhängt, aber auch Rücksicht nimmt auf die Würdigkeit des Emp- 
fängers, da sie sonst keine weise Austeilung, sondern eine Vergeudung 



1 Sie sind verzeichnet bei Potthast 23756 23757. 

2 In der Bulle heißt es: „Plenam suorum pec camin um, de quibus vera- 
citer fuerint corde contriti et ore confessi, veniam indulgemus." Dazu bemerkt 
Heinrich: „Intellige quoad reatum poenae debitae peccatis, non autem quoad 
maoulam. lUa enim non estmateriä indulgentiae." Bl. 590. -. 



VIII. Die' Ablaßiehre' der großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts. 309 

wäre.' 'Bei der' Ablaß Verleihung kommt daher sowohl der Wille de» 
Spenders 'als "die ''Würdigkeit und das Verdienst des Empfängers in 
BetracHt.' ' 'Auf die'se' Weise wird'die Bewilligung iiicht zu reichlich 
und auch nicht zu karg ausfallen, sondern nach den Regeln' der ge- 
sunden Vernunft' geschehen, gemäß 'den 'Worten des Apostels, der 
fordert, daß 'der Ausspeiider der Geheiihniss'e Gottes treu erfunden 
werde (1. Kor'. '4V'l'f.). " ^ ' ' ' 

Damit aber die Ablässe vernunftgemäß erteilt Verden und so viel 
gelten können, 'als ihre Verkündigung besagt, muß der Spender zwei 
Momente 'berücksichtigen und nach' ihnen den Umfang des Ablasses 
bestimmen. Zuerst "muß eine dringende Notwendigkeit (urgens ne- 
cessitäs); sie zu erteilen, vorhanden sein, und dies von' selten des 
Grundes, dessentwegen die 'Ablässb gewährt werden; zweitens muß 
die Nützlichkeit der Bewilligung klar am Tage liegen (evidens utilitas)', 
und dies von selten jener, denen sie verliehen werden sollen. Werden 
diese' zwei Bedingungen erfüllt, dann' geschielit Genüge der Absicht 
jener, die den geistlichen Schätz der Kirche, aus dem die Ablässe 
erteilt werden, alngesammelt haben. Dieser Schatz wird aber gebildet 
durch die Überpflichtigen, zur Ehre Gottes und zum Nutzen der Kirche 
ertragenen Leiden der Gerechten, als Glieder der Kirche, und haupt- 
sächlich Christi, als ihres' Hauptes. Was also der 'Ablaßspender zu^ 
nächst berücksichtigen' soll,' das ist der Grund der Ablaß Verleihung 
oder deren Endzweck' (causa fihalis), nämlich die Ehre Gottes und 
der Nutzen *der Kirche, die aus dem zur Gewinnung des Ablasses 
vorgeschriebenen Werke erhofft werden; daher heißt es in der De- 
finition : der Ablaß werde aus einem ' vernünftigen Grunde erteilt. 
Sodann " muß "darauf achtgegeben' werden, daß die Bewilligung als 
nützlich sich erweise. Deshalb ist zu sehen, ob jene, denen der Ablaß 
verheißen wird, das geforderte Werk vollbringen Können; zudem muß 
das Werk selber 'geeignet sein, die Ehre Gottes und den Nutzen der 
Kirche zu fördern; endlich müssen die Empfänger von gläubiger Ge- 
sinnung sein und im Stande' der Gnade' sich befinden.' 

Wird nun ein Ablaß; etwa von 100 Tagen, allen jenen verheißen', 
die Almosen nach ihrem Vermögen spenden; so wird ein Armer, der 
nur einen Denar spendet, des vollen Ablasses teilhaft werden; ein 
Reicher, der ebenfalls nur einen Denar spendet, wird bloß einen Teil 
des Ablasses gewinneh. • 'V^ird dagegen der Ablaß für ein bestimmtes 
Werk schlechthin erteilt, dann gewinnen ihn alle, die das Werk ver- 
richten, mögen sie viel oder wenig geben, von weither oder aus der 
Nähe kommen.^ Doch werden jene, die mehr leisten und sich größerer 
Mühe unterziehen, größeren Lohn empfangen. Denn das für den 
Ablaß vorgeschriebene Werk, falls es aus Liebe geschieht, dient nicht 
nur zur Erlangung des Ablasses, sondern es wird auch dadurch ein 
himmlischer Lohn verdient, 'gleich- als würde es bloß dieses Lohnes 
wegen und nicht wegen des Ablasses verrichtet werden. Deshalb 



^ Hier schließt sich Heinrich Thomas von Äqüin an. Vgl. oben S. 295. 



310 VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholasljiker, d^s 13. Jahrhjunderfcs. 

wird vom Papste in der Kreuzzugsbulle nicht nur^ein, yoUkqmmener 
Ablaß in Aussicht gestellt, sondern auch ein himmlischer,, Lohn ver- 
heißen. Dieser Lohn aber ist höher zu achten, als- der Erlaß der zeit- 
lichen Strafe. , ;',>■' 

Heinrich erwähnt dann.npch den Einwand,, als, würden infolge 
der Zuwendung von Ablässen die Sünden ungestraft bleiben. Das 
ist keineswegs der Fall, erwidert er. Für die Sünden haben Christus 
und die Heiligen durch ihre Überpflichtigen Leiden bereits genug - 
getan, und diese genugtuenden Verdienste, werden rdem Sünder an- 
gerechnet, als wären es seine eigenen. Wie jemand für einen, andern 
die Schuld bezahlt oder ihm die Mittel zur Verfügung stellt, seine 
Schuld zu entrichten, so werden bei der Ablaßverleihung die genug- 
tuenden Verdienste .Christi und der Heiligen dem Sünder mitgeteilt 
und ihm dadurch die Mittel verschafft, die für die Sünden geschuldete 
Strafe abzutragen.^ 

Daß aber den kirchlichen Oberen die yoUmacht verliehen worden, 
Ablässe zu erteilen, wird zwar in der Hl. Schrift nicht ausdrücklich 
erwähnt. Nachdem es aber in der allgemeinen Kirche Gebrauch ge- 
worden, daß die kirchlichen O.beren Ablässe erteilen, so muß man 
festiglich glauben (firmiter credendum est), daß sie hierzu von Christus 
die Vollmacht empfangen haben, was ja auch in den Worten: „Was 
immer du lösen wirst auf Erden, das soll auch im Himmel gelöset 
sein" (Matth. 16, 19), angedeutet wird. Daraus ergibt sich, daß die 
von den kirchlichen Oberen erteilten^ Ablässe wirklich etwas gelten. 

Es sagen nun etliche, daß die Ablässe einfach so viel gelten, als 
sie lauten, so zwar, daß sie auch dann gültig seien, wenn sie erteilt 
werden, ohne daß dafür irgendein gutes Werk erfordert wäre, oder 
wenn sie erteilt werden für ein ganz geringes Werk, das weder zur Ehre 
.Oottes noch zum Vorteil der Kirche gereiche.^ Ob dies richtig ist, 
bemerkt dazu Heinrich, weiß ich nicht. Ich sehe aber nicht ein, wie 
Ablässe gültig sein können und besonders so viel gelten können, als 
sie lauten, wenn sie erteilt werden ohne hinreichenden Grund (finis 
movens), der da ist die Ehre Gottes und der 'Nutzen der Kirche. 

Heinrich bringt dann noch einmal seine eigene Ansicht kurz zum 
Ausdruck. Der Wert des Ablasses bemißt sich nicht bloß nach dem 
Willen des Spenders, wie etliche meinen,^ auch nicht nach dem Ver- 
dienste des Empfängers, wie andere /behaupten, sondern nach der 
Wichtigkeit des Endzweckes und nach der Höhe der Leistung; mit 
andern Worten, der Spender des Ablasses soll dessen Umfang anmessen 



^ Bl. 592. Vgl. Quodl. VIII, q. 19: „Pro illis qui per opus ' indulgentiale 
■solvunt, Christus potius pro ipsis solvit, ex cuius merito habentur indulgentiae, 
<iuam ille qui facit opus indulgentiale." Bl. 330'. 

2 Heinrich hat hier Thomas von Aquin im Auge, dessen Ansicht er aber 
nicht ganz richtig wiedergibt; denn Thomas lehrt nicht, daß der Ablaß auch dann 
gültig sei, wenn er erteilt wird für ein ganz geringes Werk, das nicht zur Ehre 
Gottes und zum Nutzen der Kirche gereicht; vielmehr fordert er irgendeine 
fromme Ursache, „quae in utilitatem Ecclesiae et honorem Dei vergat". Suppl. 
' ,q. 25, a. 2. Vgl. oben S. 294. 



VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts, 311 

'dem bestimmenden Grund und dem geforderten guten Werke. Bisweilen 
ist es, vor allem der, Endzweck, der, in Betracht kommt. Wenn z. B. 
die Ehre, Gottes ,und der Nutzen der Kirche durch ein minder be- 
schwerliches Werk mächtiger gefördert werden können,, als durch eine 
andere, mühevollere! Leistung, so kann für das geringere Werk ein 
größerer Ablaß erteilt -vYi^r.den. Zuw;eilen aber kommt hauptsächlich 
die äußere Leistung, in Betracht, wenn nämlich durch ein geringeres 
Werk die Ehre Gottes und der.jNutzen der Earche nicht mehr gefördert 
werden, als, durch ein beschwerlicheres., Nach, diesem Grundsatze 
pflegt der Papst bei der allgemeinen Absplutipii^ am Gründonnerstage 
den Pilgern, die von weither kommen, einen, großereii Ablaß, zu ver- 
leihen, als jenen, die keinen so weiten Weg gemacht haben. Man 
kann also mit ' Sicherheit sagen, daß die Ablässe so viel gelten, als 
der Worjblaut ihrer Verkündigung besagt, wenn die folgenden vier 
Bedingungen vorhanden sind; 1. beim Spender die nö,tige Vollmacht 
f(auctofitas), 2. beim Empfänger der Stand der Gnade, (charitas), 3. ein 
frommer Zweck oder Grund "(ex parte finis seu causae pietas)', 4. ein 
nützliches Werk (ex parte operis utilitas). Werden diese , vier Be- 
dingungen erfüllt, so bestätigt Gott den von den kirchlichen Oberen 
erteilten Ablaß. 

Am Schlüsse seiner Ausführungen bekennt ,?ich Heinrich no,ch zu 
einer recht eigentümlichen Ansicht,, Er meint nämlich, wenn es in 
■der Bewilligung eines, Ablasses von 10 Tagen einfach heißt: ,,10 Tage 
Ablaß", statt der Form: „10' Tage Ablaß von der auferlegten Buße", 
so sei der Ablaß nicht von der hienieden alDizutragenden Bußstrafe, 
sondern bloß von der jenseitigen Fegfeuerstrafe zu verstehen, so daß 
derjenige, der den Ablaß gewinnt, 10 Tage' weniger im Eegfeuer 7U 
leiden halben werde. Darin erblickt er einen Beweis der Barmherzigkeit 
Gottes, der will, daß wir die geringeren Strafen,, nämlich die auferlegte 
Buße, hienieden abtragen, zur Ablösung aber der schwereren Fegfeuer- 
.strafe*n die uns erteilten Ablässe aufsparen. Hiermit will freilich der 
Verfasser nicht die von Alanus voii Lille vertretene Ansicht erneuern, 
daß der Ablaß überhaupt nicht schon hienieden, sondern erst im Jen- 
seits seine Wirkung ausübt. Er erkennt vielmehr ausdrücklich an, 
-daß die kirchlichen Oberen sehr wohl befugt sind, aus triftigem Grunde 
die vom Beichtvater auferlegte Buße zu erlassen. Ist z. B. einem 
Pönitenten vom Beichtvater ein Fasten von 100 Tagen auferlegt 
wprden, so karm ihm der kirchliche Qbere sehr wohl 4Q Tage davon 
erlassen; ebenso kann durch den vollkommenen Ablaß (indulgentia 
generali omnium criminum) die gesamte auferlegte Buße' erlassen 
werden. Auch sündigt in diesem Falle der Pönitent nicht, -vyenn er 
die auferlegte Buße unterläßt; sollte er sie aber, ohne des Ablasses 
"teilhaftig geworden zu sein, unterlassen, so würde er nicht nur durch 
Ungehorsam sündigen, sond.ern müßte auch noch die hienieden nicht 
verrichtete Buße im Fegfeuer abtragen. 

Über die Wirksamkeit deis vollkommenen Ablasses, insbesondere 
des Kreuzzugsablasses, äußert sich Heinrich kurz an einer andern 



312 VIII. Die -Ablaßlehre der großen Scholastiken dfes 13.' Jahrhunderts. 

Stelle, wo er 'die Frage erörtert, was vorteilhafter sei, 'einen Kreuzzug. 
mitzumachen oder in einen religiösen Orden'eiiizutreten^^ Das Or,dens- 
leben, betont er, ist dienlicher zur Vermehrung der himmlischen Glorie; 
durch die Teilnahme am' Kreuzzuge wird man aber, wegen des dafür 
erteilten Ablasses, leichter und sicherer die zeitlichlBÜ 'Sündenstrafen 
tilgen. Ein Kreuzfahrer, der nach Gewinnurig des vollkommenen 
Ablasses sterben' sollte, hätte die ' Gewißl?.eit, daß er' von,^Münd auf 
in den Himmel fahren werde, eine Gewißheit, die man sich' im Ordens- 
stände auch nach mehrjährigem, frommen Leben nicht verschaffen kann. 
Nocli an einer andern Stelle lehrt Heinrich, daß der vollkommene 
Ablaß von allen Süridenstrafen befreie. Bei der- Behandlung der Frage ^ 
ob durch die vom Beichtvater '.auferlegte Buße die ganze Sündenstrafa 
abgetragen werde,^ bemerkt er: Entweder wird die Büße bloß als 
sakrainentale Genugtuung auferlegt, oder es wird damit zugleich von 
zuständiger Seite ein vollkommener Ablaß' verbunden. Im ersteren 
Falle richtet' sich der Straf erlaiß' nach dem TVCerte des vollbrachten 
Büß Werkes. Wird dagegen init diesem Büß werk ein vollkommener 
Ablaß verknüpft, so wird die • ganze , Strafe nachgelassen. Aber in 
diesem Falle erfolgt der vollkommene Straferlaß nicht, auf Grund der 
sakramentalen Genugtuung, sondern nur vermöge des Ablasses. Was 
hier von einem besonderen Falle gesagt wird, hat man als allgemeine 
Regel aufgefaßt, ,als ob Heinrich geletot hätte, eiiie völlige Nach- 
lassung der Sündenstraien könne mir durch, den Ablaß erlangt werden.^ 
Eine derartige Ungereimtheit ist aber dem Doctor solemnis nie in den 
Sinn gekommen. Gerade an der Stelle, wo er dies lehren soll, erklärt 
er ausdrücklich, daß der Sünder nicht bloß durch den Ablaß, sondern 
auch durch genügende äußere Buße oder durch große innere Reue 
zur völligen Freiheit von dpn Sündenstrafen kommen kann.* 

Heinrichs Abhandlung über den Ablaß, wird verwertet in einer 
längeren Ablaßschrift, die in der Gesamtausgabe der Werke des Duns. 
Scotus zu finden ist.^ Da Scotus in seinem Sentenzenkommentar 
die Ablaßfrage, hierin dem Lombarden folgend, ganz mit Still- 



1 Quodl. VIII, q. 17. Bl. 328'. • 

2 Quodl. VIII, q. 19. BL 330. 

3 R. See berg, Die Theologie des Johannes 25uns Scotus. Berlin 1900,^622 f. r 
'„Zu dieser völligen Freiheit von der Sündenstrafe, die mit Sicherheit auch auf 
das PuTgatoriuni ©rstreckt werden darf, kann der Sünder eben nur durch den. 
Ablaß kommen . . . Diese ganze Auffassung ist deshalb so interessant, weil sie 
zeigt, wie die ganze Satisfaktion in Heinrichs Zeit schon durch den, Ablaß ab- 
gelöst wird. Den eigentlichen Zweck, den jemand bei Übernahme satisfaktorischer 
Werke intendiert, den erreicht er nur vermöge des Ablasses." 

* Vgl. hierüber meine Mitteilungen in Zeitschrift f. kath. Theol. 1901, 742 ff. 

^ Utrum praelati Ecclesiae possint dimittere poeriam debitam pro peccatis 
secundum suam voluntatem, et utrum indulgentiae tantum valeant quantum 
sonant. loannis Duns Scoti Opera omnia V, Parisiis 1891, 370 — 84. Die 
neue Pariser Axisgabe (26 Bände 4", Paris 1891 — 95) ist, abgesehen von dem. 
letzten Bande, bloß ein Abdruck der von Wadding im Jahre 1639 veranstalteten 
Ausgabe. Letztere Ausgabe bringt die Ablaßschrift im 3. Bande. 



villi Die" Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jiahrhünderts. 313' 

schweigen übergeht/ da er auch in seinen übrigen Schriften nie vom 
Ablasse spricht, so würde jener Traktat, wenn er' wirklich Scotus zum 
Verfasser hätte', unsere' ganze Aufmerksamkeit .verdienen. Daß er- 
aber nicht von Scotus herrührt, 'darf als sicher gelten.^- 

Vor allem Jehlt jede äußere -Beglaubigung. Wadding fand den 
Traktat, in einer Handschrift .der. Vatikanischen Bibliothek. In, dieser 
Handßchrift wird aber keinesys^egs gesagt, daß die Abhandlung von 
Scotus sei. Der Kodex beginnt mit einem Kommentar des Scotus. 
„in libros de anima";,dann folgen in buntem Durcheinander Traktate 
von Albert dem Großen, Richard von Middletown und Nikolaus von 
Lyra,^ nebst einigen anonymen . Abhandlungen. Letztere glaubte 
Wadding dem Scotus zuschreiben zu sollen, da sie . nach " Form und 
Inhalt auf ihn hinweisen (stylus, methodus, doctrina Scotum redolent).. 
Merkwürdig ist dabei nur,, daß ^ in der mittelalterlichen Ablaßliteratur 
Scotus niemals erwähnt wird. , Hätte der berühmte Theolog .eine eigene 
Abhandlung über den Ablaß hinterlassen, so hätten, wohl seine Schiller 
und Ordensgenossen bei Besprechung der Ablaßfrage sieh auf ihren. 
Meister berufen. Der Umstand, daß bis, 1639 kein einziger Autor von 
einer Ablaßs'chrift' des Scotus etwas zu bericliten weiß, ist sicher ge- 
eignei, uns einiges Mißtrauen einzuflößen. 

Dazu kommen noch verschiedene andere Gründe. Scotus lehrt- 
in seinem größeren .Sentenzenkommentar, daß die,, vom Beichtvater 
auferlegten Büß werke, auch wenn sie im Stande der Todsünde .ver- 
richtet werden, einen satisfaktorischen Wert haben.^ Das Gegenteil 
behauptet aber der Verfasser der in Frage stehenden Ablaßschrift. 
Mit Thomas von Aquin und ^ andern behauptet er, daß man durch 
die im Stande der Tpdsünde vollbrachten Bußwerke für die zeitlichen 
Strafen liicht genugtun könne.* Um die Schwierigkeit, die in' diesem 
Gegensatze liegt, zu beseitigen, bemerkt Wadding, Scotus habe viel- 
leicht die Abhandlung über den Ablaß vor dem Sentenzenkommentar 
(zwischen 1301—04 verfaßt) geschrieben. Es liegt aber doch viel 
näher, aus dem schroffen Gegensatze zu schließen, daß die Ablaß- 
schrift nicht von ^Scotus herrührt. 



^ Auch Wilhelm von Ockam, ein Schüler des Scotus, übergeht in seinem 
Sentenzenkommentar den Ablaß mit Stillschweigen. Ebenso schweigen darüber 
in ihren Kommentaren verschiedene andere Schüler des Scotus, Petrus von 
Aquila, genannt Scotellus, Andreas Antonius, Joh.>'d6 Bassolis. 

2 Die Griinde, die gegen die Echtheit sprechen, habe ich dargelegt in Zeit- 
schrift f. kath. The'ol. 1901, 738 ff. Als unzweifelhaftecht betrachtet den Traktat 
M.'P. Garcia, Lexikon scholastieum philosophico-theologicum, Quaracchi 1910^ 
343 : „In citata quaestione optime pertractat [Scotus], materiam de indulgentiis;" 
Auch R. Seeberg (Die Theologie des Duns Scotus 427 — 32) hat früher an der 
Echtheit der, Schrift nicht den geringsten Zweifel gehegt; in seiner Dogmen- 
geschiohte (II 493) bemerkt er jedoch, daß die „ernsten* Bedenken", die ich 
gegen die Echtheit des Traktats geltend gemacht habe, „berechtigt sein können''. 

• 3'Sent>IV, d. 15, q. 1. Opera XVIII 227. 

* Opera V 380. 



314 VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts. 

Beachtenswert ist ferner, daß dei; angebliche , Scptus in. seinen 
Erörterungen über den Ablaß sich aufs engste, an^ Heinrich von 
Gent anschließt. Schon die Definition hat^er fast wörtlich aus Heinrich 
abgeschrieben. Auch in der Erklärung , der einzelnen Ausdrücke der 
Definition hat der vermeintliche Scotus zum Teil Heinrich abge- 
schrieben. Auffällig ist auch die Art und Weise, wie' beid.e das Wesen 
•der Ablaßbewilligung zu erklären suchen. Nach Heinrich von Gent 
wird der Ablaß erteilt ,,nec donatione, nee redditione, sed' dispen- 
■satione, quae mediam viäm tenet". - Ganz ähnlich heißt es in der 
anonymen Ablaßschrift: ,,Patet igitur, qubd huiusmodi coUatio in- 
•dulgentiarum, cum nee sit datio, nee redditio, debet' appellari dis- 
pehsatio, quae tenet medium inter duo dicta."^ Wenn man nun 
•erwägt, daß Heinrich von Gent „ein Theologe ist; mit dem sieh Duns 
.beständig auseinandersetzt, den er „in unzähHgen Fällen bekämpft" ,2 
so wird man in der angeführten wörtlichen' Übereinstimmung einen 
neuen Beweis dafür finden; daß Scotus nicht der Verfasser der' Ablaß- 
• Schrift ist. Der Doctor subtilis hätte kaum' Heinrich von Gent wörtlich 
abgeschrieben. ' . ' ' ' ' 

Ein weiterer Beweis ergibt sich aus dem, was der anonyme Ver- 
fasser über die zu seiner Zeit übliche Bewilligung von vollkommenen 
Ablässen berichtet. Er nennt fünf Fälle, in denen der Papst voll- 
kommene Ablässe zu erteilen pflege; unter anderm würde dies ge- 
schehen für den Besuch des Heiligen Landes in Friedenszeiten, nämlich 
wenn kein Kreuzzug ausgeschrieben ist, sowie auch für den Besuch 
anderer heiligen Stätten, insbesondere der Gräber der Apostel.^ Um 
1300 war es aber noch nicht Sitte (solet), für den Besuch heiliger 
.Stätten vollkommene Ablässe zu gewähren; deshalb war auch das 
Jubiläum von 1300 etwas Neues und Außerordentliches. Erst im 
Laufe des 14. Jahrhunderts kam die Meinung auf; daß' man' durch 
den Besuch der Heiligtümer in Jerusalem und 'Rom vollkommene 
Ablässe gewinnen könne. Die anonyme ' Ablaßschrift kann demnach 
-erst nach dem Tode des Scotus verfaßt worden sein. 

In dieser Schrift wird auch von vollkommenen Ablässen berichtet, 
die der Papst verdienstvollen Personen auf. deren Ersuchen zu erteilen 
pflege.* Solche Ablässe, die nicht generell, sondern einzelnen Personen 



1 Opera V 373. 

^ Seeberg, Theologie des Duns Scotus 624 625. 

ä „Dubitaret aliquis, in quibus casibus dare solet Papa plenarias indul- 
gentias, scilicet ut remittat totam poenam peceatis debitam. Dicendum quod 
in quinque casibus : . . . 3. -eis qui tempore paois visitant terram sanctam ob' Dei 
reverentiam et honorem, et alia loca sancta.ut Apostolorum limina." S. 374. 

* „Dare solet Papa plenarias indulgentias ... 4. quando aliqui ex devotione 
et f ervore charitatis hoc instanter petunt, praesertim ii qui in subsidium Ecclesiae 
propria bona consueverunt concedere, ut per hoc magis animati et ad bonum 
provocati, magis proficiant. 5. quando confidenter probatur de aliquibus, quod 
eorum merita in thesaurxun Ecclesiae redundabunt propter eorum sanctitatem. 
S. 374. 



VIII, Die Ablaßlehre der großen. Scholastiker des .13. Jahrhunderts. 315 

I 

Terliehen wurden, sind zwar .erst im Laufe des 14. Jahrhunderts üblich 
geworden. Doch hat es bereits in der zweiten Hälfte des 13. Jahr- 
hunderts einen Papst gegebpn, der bisweilen, einzelnen' Personen einen 
vollkommenen -Ablaß verliehen hat, wie dies von einem, zeitgenössischen 
Theologen b.ezeugt wird. Da dieser Theolog auch einiges über den 
Ablaß geschrieblen hat, verdient er an dieser Stelle kurz erwähnt zu 
werden. Leider kennt, man seine Ausführungen nur aus einem späteren 
Sammelwerk. 

Der Dominikaner Rainer von, Pisa (f 1348) hat eine im Jahre 
1333 begonnene große theologische Summe verfaßt, worin die Materien 
nach dem Alphabet geordnet sind.^ Der Ablaß wird zweimal'behandelt, 
•zuerst unter dem Wort Indulgentia, später wieder unter dem Wort 
Relaxatio, und zwar jedesmal recht ausführlich. Der Verfasser bringt 
aber nichts Neues ; er wiederholt bloß, was er bei Alexander von Haies, 
'Thomas von Aquin.und Petrus von, Tarentaise vorfand. Unter dem 
Stichwort Relaxatio^ führt er indessen einen neuen Gewährsmann an, 
den römischen Dominikaner Ambaldus (dominus Ambaldus romanüs 
Ordinis Praedicatorum), aus dessen, Sentenzenkommentar ^ er einige 
interessante Stellen riiitteilt. Wer ist dieser Ambaldus ? Man denkt 
zunächst an den römischen Dominikaner Annibaldi, der 1262 die 
Kardinalswürde 'erhielt und in den zeitgenössischen Quellen nicht 
.selten Ambaldus , genannt wird.^ Dieser Annibaldi, aus der bekannten 
römischen Familie desselben Namens, trat 1253 in den Predigerorden 
•ein und wirkte später kurze Zeit als Lehrer in Paris, wo er 1260 oder 
1261 einen Kommentar zu den Sentenzenbüchern verfaßte,^ der mit 
Unrecht dem hl. Thomas zugeschrieben und unter dem Titel: In 
IV libros Sententiarum ad Hannibalduin, schon öfters gedruckt worden 
ist. In diesem Werke wird aber der Ablaß mit keiner Silbe erwähnt; 
die von Rainer mitgeteilten Stellen sucht man darin vergebens. Anni- 
baldi wird j auch sonst von Rainer öfters als Gewährsmann angeführt. 
Etliche der mitgeteilten Äußerungen sind in Annibaldis Kommentar 
nachweisbar; andere dagegen kommen darin nicht vor. Darf man 
vielleicht daraus schließen, daß Annibaldi einen zweifachen Kommentar 
hinterlassen hat ? , Aber Rainer selbst deutet dies mit keinem Worte 
an, und auch die Literaturgeschichte des Predigerordens kennt nur 
einen Kommentar aus der Feder Annibaldis. Wie kam aber Rainer 
dazu, dem römischen Dominikaner Annibaldi Äußerungen zuzu- 
schreiben, die in der Schrift des letzteren nicht zu finden sind ? Die 



^ Pantheologia,' id est, totius theologie Summa. 'Lugduni 1519. Nebst 
idieser Ausgabe, einem Abdruck der<im 15. Jahrhundert von dem Franziskaner 
Jakob Plorentinus veranstalteten Ausgabe (2 Bände), ist auch die später von 
■dem Dominkaner Johann Nicolai besorgte Ausgabe (Lugduni 1670, 3 Bände) 
eingesehen worden. Beide sind höchst fehlerhaft. 

2 Das Stichwort Relaxatio mit ,den entsprechenden Ausführimgen steht 
nur in der Ausgabe von 1519. In der späteren Ausgabe hat es Nicolai weg- 
^gelassen. 

^ Quetif I 261 f. Potthast II S. 1541 1649. Hurter 329. 

* Mandonnet, Des ecrits authentiques de Saint Thomas 132. 



316 VIII. Die Ablaßlehre der großen Scholastiker des 13. Jahrhunderts. 

Lösung des Rätsels ist ganz einfach. Es liegt hier eine Yerwechslung, 
vor. Rainer zitiert bisweilen, den Sentenzenkommentar eines Magisters- 
Romapus Ord. Praed. Es ist der römische Dominikaner Romanus- 
Orsini, der 1271 dem Ül. Thomas auf dem Pariser Katheder nach- 
folgte und 1273 gestorben ist.^ Seinen Sentenzenkoinmehtar, aus dem 
Rainer verschiedenes anführt, hat man bisher nicht auffinden können. 
Was aber Rainer bezüglich des Ablasses dem Kardinal Annibaldi in 
den Mund legt, stammt offenbar aus dem Kommentar des Roinanus 
Orsini. Ambaldus romanus 0. Pr. und Magister Römanus 0. Pr. 
sind miteinander verwechselt worden, sei es daß diese Verwechslung; 
schon auf Rainer zurückgeht oder daß erst dessen Abschreiber 
und Herausgeber sie verschuldet haben. 

Was sagt nun aber Romanus Orsini, der Ereund und Nachfolger- 
des hl. Thomas, über den Ablaß ?. Rainer teilt bloß die eine und 'andere 
Stelle mit, so'Orsinis Antwort auf die Erage, ob der Papst durch den 
Ablaß die gesamte Sündenstrafe erlassen könne. Diese Eräge wird 
von Magister' Romanus bejaht. Vorausgesetzt, daß eine' genügende 
Reue vorhanden sei, kaiin der Papst sehr wohl die gesamte für die 
Sünden geschuldete Strafe erlassen. Es hat denn auch zu unserer- 
Zeit ein gewisser Papst bisweilen Ordensleute in Anbetracht ihrer 
vielen Mühen, die sie im Ordensstande aiif sich genommen, von aller 
Strafe losgesprochen. Doch kann und soll der Papst eine derartige 
Absolution 'ohne Grund nicht erteilen.^ Man wird kaum irregehen, 
wenn man diese interessante Mitteilung auf Innozenz IV. (1243 — 54) 
bezieht, der in der Tat, wie im 2. Bande (Abschnitt ' XII) gezeigt- 
werden wird, bisweilen Ordensleute von ihren Sündenstrafen los- 
gesprochen hat. 

Geringeres Interesse bietet die weitere Erage, was der Ablaß 
bewirke, wenn dem Empfänger keine Buße auferlegt worden! In 
diesem Ealle, erwidert Romanus, wird der Ablaß jener Buße gelten,. 
die aufzulegen gewesen wäre. Der Ablaß bezieht sich freilich in erster 
Linie auf die auferlegte Buße. Ist aber keine Buße auferlegt worden, 
dann wird durch einen Ablaß z.B. von 40 Tagen so viel von der zeit- 
lichen Sündenstrafe erlassen, ' als durch eine vierzigtägige Buße ab- 
getragen worden wäre. ' ' " 



1 Qu6tif I 263 f. 

^ Pantheologia 11 201: „Utrum papa potest totam penam debitam re- 
laxare t. . . Preexistente pena debite et sufficientis contritionis summus pontifex- 
pptest totam penam peccato debitam xelaxare. XJnde et quidam papa temporibus 
nostris rehgiosos quos (videbat se perpetuo devovisse Deo, considerans etiam 
penas religioniSiad quas ipsi se perpetuo obligaverant, a.liquando absolvebat ab- 
ömnipena. Sed sine^causa dico quod non debet neo potest absolvere. -Hec dominvis- 
Ambaldtis romanus ord. pred, Sent. IV, d. 20, a. 1, q. 5. Utrum papa sine causa- 
potest remittereomnem penam ?" i 



IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten 
V des 13. Jahrhunderts. 

^ Abgesehen von den l' bereits früher in dem Abschnitt über die 
Ablaßlehre der Frühscholastik erwähnten Eechtsgelehrten,' sind es 
namenthch drei Kanonisten, deren Ausführungen' über den Ablaß in 
■der Folgezeit immer wieder vorgetragen wurden: Innozenz IV., 
Bernhard von Bottone und Heinrich von Susa. Alle drei haben ihre 
vielgebrauchten Werke um die Mitte des, 13. Jahrhunderts verfaßt.- 

Innozenz IV. 

Innozenz IV., früher hervorragender Lehrer, des kanonischen 
Rechts in Bologna, gab j als Papst ein umfangreiches Werk heraus, 
•das nicht mit Unrecht als; der „beste Kommentar zu den Dekretalen" 
gerühmt wird/ > Seine. Vollendung! fällt. in die. nächste Zeit. nach dem 
Konzil von- Lyon (1245). ^ Vom Ablaß ist ziemlich kurz die Rede in 
•der Erklärung des Kapitels Quod auUm (c. 4.-X. de poen. et rem. V. 38).? 
. q: .Die' zur- Gewinnung der Ablässe vorgeschriebenen Werke, so be- 
merkt der. Verfasser, können -,verschiedener Natur, sein. Bald ist es eine 
<jreldspende (datio pecuniae),, bald eüie. persönliche Bemühung (labor 
personae),- bisweilen .auch eine mit Gefahr des. Lebens- verbundene 
Leistung (periculum: .vitae), wie bei den KJreuzzügen. , In diesen drei 
verschiedenen Ablaßarten tritt nicht nur die Freigebigkeit des Spenders 
zutage; es wird dabei auch der Gerechtigkeit Genüge ge.tan, indem 
zur Ablösung der Buße von selten des Empfängers ,eine entsprechende 
Leistung erfordert wird. Daher sagen einige,, daß man zur vollen 
Gewinnung des Ablasses, wofür eine Geldspende vorgeschrieben , ist, 
so viel geben müsse, als man nach der Vorschrift des Beichtvaters 
für Ablösung. der Buße zu geben pflegte. Anderseits tritt dabei, auch 
eine große Freigebigkeit zutage, indem die Strafe, die im Fegfeuer 
abzutragen wäre, schon in , diesem Leben durch irgendeine Strafe 
abgelöst werden kann. Es gibt dann auch Devotionsablässe, wie 



,,1. Schulte 11,93. 

^ Ich benutzte eine yenediger Ausgabe vom Jahre 1481 (Appäratus decre- 
talium) und eine Lyoner vom Jahre 1520 (Appäratus super deeretalium libris). 
Beide bie.ten "einen, ziemlich fehlerhaften'' Tektl Heinrieh von' Susa berichtet, 
er habe öfters "aus dem Munde des Papstes gehört, daß dieser seine Glossen zu 
den Dekretaleh nicht als bindend' betrachtet wissen wollte. ' Lyoner Ausg. Bl. 22'. 
Randbemerkung: „Attestatur Hostiensis se multoties audivisse ab Innocentio, 
quod nolebat quod-he sue glosefacerent ius.'--- 



318 IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts. 

jene z. B., die für Anhörung der Predigt oder der.Messe erteilt werden. 
In diesen tritt mehr die Freigebigkeit als die Gerechtigkeit hervor.. 
Wenn nun auch in allen erwähnten Fällen der Ablaß allgemein (gene- 
raliter) erteilt wird, so wird doch in der von dem kirchlichen Oberen 
bezeichneten Grenze der eine mehr als der andere davon erhalten, 
je nachdem seine Frömniigkeit oder seiide äußere 'Leistung- eine größere 
ist. Doch wird das festgesetzte Maß nie überschritten werden, soweit' 
dies wenigstens vom kirchlichen Oberen abhängt.^ Die Frömmigkeit 
und die Reue des Büßers könnten aber so groß sein, daß Gott ihm 
auch ohne kirchlichen Ablaß alle. Sünden .vollständig vergebe, wie dies 
beim rechten Schacher am EJceuze der Fall gewesen. 

Was bedeutet es aber, wenn es in der Ablaß bewilligung heißt: 
Ich erlasse dir ein Jahr von der auferlegten Buße ? Hierüber,- erwidert 
Innozenz IV., gibt es verschiedene Ansichten. Die einen meinen, 
es handle sich um einen Erlaß von '365 Bußtagen (annus utilis) ; andere 
dagegen sagen, es handle sich um ein gewöhnliches Jahr (annus con- 
tinuus), das aus Bußtagen bestehe und aus solchen Tagen, an denen 
nicht zu fasten sei. Andere wieder sind der Ansicht, der Ablaß von 
einem Jahre bedeute die Nachlassung derjenigen Fegfeuerstrafe, die 
man- durch eine Buße von einem Jahre vor Gott würde; abgetragen 
haben. Sie glauben auch nicht, daß man infolge der Gewinnung der- 
artiger Ablässe nicht mehr verpflichtet sei, iii diesem Leben die auf- 
erlegte Buße zu verrichten. Und diese Ansicht, fügt Innozenz IV. bei, 
scheint mir ziemlich der Billigkeit zu entsprechen.^ 

Er kommt dann nochmals auf die Frage .zurück, ob derjenige, 
der mehr gibt oder größeren Mühen sich unterzieht, nicht mehr erhalte, 
als derjenige, der weniger gibt. Er verweist auf seine bereits gegebene 
Entscheidung, daß der Umfang des Erlasses nach dem Grade der 
Frömmigkeit und der Höhe der Spende. sich richte, :bemerkt aber 
dabei, daß man sich wegen dieser Frage nicht viele Sorge machen solle ; 
man solle nur an dem Glauben festhalten, daß Gott, der von Natur 
aus gütig und freigebig ist, auch über das vom kirchlichen Oberen 
festgesetzte Maß hinaus aus Gnade mehr oder weniger von der schul- 
digen Strafe erlassen werde. ^^ 

Daß die kirchlichen' Oberen AblässjErerteilenkönneny beruht auf 
der von dein Herrii dein hl. PetruS; verliehenen LÖäeg^walt-uEs/m 
uns übrigens genügen; daß die Kirche solche Abläsise zu erteilen pflegt. 
Wenn wir auch aus der Zeit vor Papst. Gregor I..skeine: sonderlich 
klaren Zeughisse dafür anführen können, so . ist .doch- anzuhehnieii, 
daß damals schon Ablässe verliehen wurden. Nur geschah, es nicht 
so häufig wie heute, weil damals die feierhchen Versammlungen der 



. ;. ^ Der Verfasser: Tidll-danut folgendes,, sagen^^ iGtesetztj.jeSi wex(fe;,iür .m^ 
Almosen ein Ablaß von 40 Tagen erteilt. Je iimiger,<üe iFrömmigkeitj^ 
iängers.xind je größer .sein Almosen sein^;wird, desto, melttsWd^^^ y;er- 

.liehenen Ablaß erhalten, aber rdochmohtmelu^iial^ einen, Abla^^ 

2 Apparatus. Lugduni 1520, ;Bl.:i223,: ',,Etj;horuni,,dictuin ,s^ 
Concordare eqnitati." 



IX. Die Ablaßlehfe der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahfhtinderts, 31&' 

Gläubigen nicht so leicht stattfinden korinten und zudem alle katho- 
lischen' Christen damals so vollkommen wären, daß sie die Ablässe 
nur selten nötig hatten. 

Wird eine bestiin'mte Quantität, z. B. der siebte Teil der Buße 
erlassen, so nützen zwar solche Ablässe den Pbnitenten ; die kirchlichen 
Oberen müssen aber wohl achtgeben, daß sie hierin Maß, halten. Im 
Anschluß an diese Beinerkung zählt dann Innozenz IV. die sechs. 
Bediiigungen auf, die nach Wilhelm Von Auxerre zur Gültigkeit der 
Ablässe erforderlich seien. 

in der Dekretale Quoß, awtem, die Innozenz zu erklären hat, heißt 
es, daß niemand von einem nicht zuständigen Richter (a non suo. 
iudice) absolviert werden könne. Daraus scheint hervorzugehen,, 
bemerkt der Ausleger, daß die Ablässe den Seelen im Fegfeuer nichts 
nützen, da diese auf Erden keinen Richter mehr haben. Man wende 
nicht ein, daß man durch Gebete, Almosen und andere gute Werke 
den armen Seelen helfen könne; denn bei derartigen Werken handelt 
es sich nicht um einen Akt der Gerichtsbarkeit, wie dies beim Ablasse 
der Fall ist. Doch dürfte das Almosen oder die Wällfahrt, die für 
Verstorbene an einem von dem kirchlichen Oberen bezeichneten Orte 
gescliehen, den Verstorbenen mehr nützen, als wenn sie' anderswo, 
geschehen würden. Wenn indessen der Papst, fügt Innozenz IV. bei,. 
Ablässe für Verstorbene erteilt, so leugnen wir nicht, daß sie ihnen 
nützen.^ 

In der Dekretale Quod autem wird auch bestimmt, daß die Ablässe 
nur jenen zugute kommen, denen die zuständigen Richter (proprii 
iudices) gestattet haben, sich derselben teilhaftig zu machen'. Unter 
diesen Richtern, bemerkt Innozenz, sind die Bischöfe zu verstehen; 
denn da die niederen Vorgesetzten keiiie derartigen Ablässe verleihen, 
können, so können sie auch die im .päpstlichen Schreiben erwähnte 
Bewilligung nicht .erteilen. Andere, so fügt er bei, lehren indessen,, 
daß die betreffende Erlaubnis von jedem Beichtvater erteilt, werden 
kann. Etwas anders sei es, allgemeine Ablaßbriefe (litteras generales. 
indulgentiarum) zu. gewähren, was ein Vorrecht der bischöflichen 
Jurisdiktion sei, und etwas anders, im Beichtstuhle dem Beichtkinde 
anzugeben, wie es die schuldige Buße abtragen könne; letzteres stehe 
dem priesterlichen Amte zu. 

Wie Innozenz IV. selber sich zu dieser Ansicht stellte, sagt er an. 
dieser Stelle nicht, doch lehrt .auch er nachher, daß der Beichtvater 
bei der , Verwaltung des Bußsakramentes in einem gewissen Sinne 
Ablässe erteilen könne. Bei der Erklärung des Kapitels Omnis utrius- 
que sexus (c. 12. X. de poen. et rem. V. 38), das die jährliche Beichte 
vorschreibt, setzt er auseinander, wie die auferlegte Buße abgetragen 
werden könne. Es könne dies auf 'eine dreifache Weise geschehen: 
1. durch Verrichtung der auferlegten Buße, 2. durch Ablösung (per 
redemptionem) mit Geld oder auf andere Weise, 3. durch Ablässe. 



^ „Si tarnen papa f acit, non negaraus quin valeant etiam deftmctis." Bl. 223'. 



"320 IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts. 

Wie aber aucli der Beiclitvater von der schuldigen Bußstrafp; etwas 

erlassen könne, wird dann weiter, ausgeführt. Er solle zunächst dem 

Beichtkinde sagen, welche Buße es für seine Sünden -verdient hätte. 

Will.es diese Buße auf sich nehmen und glaubt der Beichtvater, daß 

•es sie verrichten werde, so lege er ihm die gebührende Buße auf. Glaubt 

aber der Beichtvater annehmen zu dürfen, .daß das Beichtkind die 

.schwere Buße nicht verrichten werde, so gebe er ihm eine ganz leichte 

und lege ihm auf, daß alles Gute, das es tun werde, zur Abtragung 

-der schuldigen Buße dienen solle. Zudem sage er ihm: Aus Gnade 

-erlasse ich dir zwei Jahre oder drei oder mehr oder weniger, je nachdem 

er es für gut findet. Wenn Gott freigebig ist in der Vergebung der 

Sündenschuld, so soll auch der Priester iii der Nachlassung der Strafe 

nicht so karg sein. .Ich glaube festiglich, schließt Innozenz ly. seine 

-Ausführung, daß Gott den Gnadenerlaß des Priesters gutheißen werde; 

was der Beichtvater in maßvoller' Weise nachläßt, wird stets von Gott 

genehmigt werden. . . • , 

Innozenz IV. kommt noch einmal auf denselben Gedanken zurück 
bei der Erklärung des, Kapitels, <7wm ex eo (c. 14. X. de poen. et rem. 
V. 38). Indem .er hier erwähnt, daß die, Lateransynode (1215.) die Voll- 
macht der Bischöfe bäi der Bewilligung von Ablässen wegen yorge- 
Tsomm^ner Mißbräuche eingepcjiränkt habe, bemerkt er, daß nach 
seiner Ansicht die Einschränkung sich nur auf die Ablässe beziehe, 
die öffentlich erteilt werden, nicht aber auf jene, die der Priester 
im Beichtstuhle erteilt; dieser könne, wenn er es für gut findet, 
Ablässe von Jahren und Tagen erteilen; nur müsse er es. in maßvoller 
"Weise tun.^ 

Bernhard von Bottone. 

Bernhard von Bottone, Lehrer und Kanzler in Bologna, hat um 
^'die Mitte des 13. Jahrhunderts zu den Gregorianischen Dekretalen 
einen Apparat verfaßt, der durch zweckmäßige Zusammenfassung der 
früher erschienenen Glossen derart das Vertrauen der Zeitgenossen 
•erwarb, daß er als Glossaordinaria der genannten Rechtssammlung 
•anerkannt wurde. Über den Ablaß spricht sich Bernhard nur ganz 
kurz aus. 2 Bei der Erklärung des Kajpitbls Quod autem bringt er zu- 
nächst vollständig die oben (S. 226) mitgeteilten Ausführungen des 
Kanonisten Alanus. Sodann bemerkt er,'daß das, was in der Dekretale 
über den Nutzen der Ablässe gesagt werde, zur Voraussetzung habe, 
•daß die Sünde durch die Reue nicht völlig (omnino) erlassen sei, daß 
also noch eine zeitliche Strafe abzutragen bleibe. Die zeitliche Strafe 
solle getilgt werden durch die auferlegte Buße. Wenn nun der Sünder 
für diese Buße auf irgendeine Weise der Kirche Genüge leistet und 



^ „Licet restriota sit hec potestas in indulgentiis que fiunt publice, non 
tarnen intelligo restrietam in foro penitentiali, quin possint annos et dies prout 
T^olunt indulgere, dununodo discrete faoiant. Bl. 224:. 

^ Deoretales Gregorii IX. cum glossa Bemardi. Venetiis lö28,- 570'. v 



IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhimderts, 321^ 

«davon losgesprochen wird, nämlich durch den Ablaß, so ist er tat- 
sächlich davon befreit. Braucht er aber dann die auferlegte Buße 
nicht mehr zu verrichten ? Verpflichtet dazu ist er zwar nicht ; doch 
.schickt es sich, daß er die Buße verrichte, und wenn er sie unterläßt 
aus Verachtung, so sündigt er tödlich. Er soll nämlich die Sünden 
jederzeit bereuen, da er nicht weiß, ob sie ihm vergeben worden; 
auch soll, wenn, leicht möglich, die Buße der vorausgegangenen Sünde 
entsprechen. 

Zu der Bestimmung in der Dekrestale, daß die Ablässe nur jenen 
nützen, , denen die zuständigen Richter die Gewinnung des Ablasses 
gestattet haben, bemerkt Bernhard, daß unter diesen Richtern die 
Bischöfe zu verstehen seien, da die untergeordneten Prälaten keine 
Ablässe erteilen können. Indessen lasse sich der Ausdruck auch auf 
die Beichtväter beziehen, die ihren Beichtkindern gestatten können, 
sich von den Bußen, die sie ihnen auferlegen, durch Ablässe zu be- 
freien.^ 

Nach der Vorschrift der vierten Lateransynode sollte bei der 
Einweihung einer Kirche nur ein Ablaß von einem Jahre erteilt werden, 
ob nun bloß einer oder mehrere Bischöfe anwesend wären. Wie aber, 
wenn jeder der anwesenden Bischöfe, ein Jahr Ablaß verleihen würde, 
wären diese Ablässe gültig ? Nach Bernhard würden .die Bischöfe 
zwar gegen die Bestimmung des ' Konzils handeln, doch wären die 
Ablässe gültig, da im Syiiödalbeschluß die gegeii die Vorschrift er- 
teilten Ablässe nicht für ungültig erklärt würden.^ 

Heinrich von Susa, genannt Hostiensis. 

Heinrich von Susa (Segusia), Lehrer des kanonischen Rechts in 
Paris, 1241 Bischof von Sisteron, 1250 Erzbischof von Embrun, 
126L Kardinalbischof von Ostia;, daher Hostiensis genannt, hat zwei 
umfangreiche Werke hinterlassen: eine vielverbreitete und oft ge- 
druckte Summe über die Dekretalen Gregors IX,, nach ihrer Brauch- 
barkeit Summa aurea genannt, und einen Kommentar zu denselben 
Dekretalen. Bei der ersten Niederschrift der Summte hat Heinrich 
die Glossen seiner Zeitgenossen Innozenz IV. und Bernhard von 
Bottone noch nicht gekannt. Er wird also das .Werk wohl schon vor 
1245 begonnen haben; doch hat er daran noch später gearbeitet, da 
er einmal darin seinen Aufenthalt in Deutschland (1251 — 53) erwähnt. 
Daß der Kommentar, nach der Summe entständen ist, sagt der Ver- 
fasser selber. Sowohl ,die Glossa ordiriaria als- Innozenz IV., der ge- 
wöhnlich Dominus noster genannt wird, werden darin häufig angeführt. 

-In der .Summe* wird" bei der Behandlung des Ablasses öfters auf 
Raimund von Penaforte Bezug genommen. Zuerst wird erörtert, 

^ Hier liat Bernhard' Innozenz, IV. verwertet, während er bei den voran- 
gehenden Ausführungen Kaimund von Penaforte und Goffredüs von Trani 
benützte. ' ' * Decretales 673. [" 

ä .Summa Hostiensis.' Venetiis' 1480. 1.' V, tit. de femissionibus. 

Paulus, Geschichte des Ablaaees. " ' 21 



322 IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kknonistön Ü'es 13. Jahrhunderts. 

wer Ablässe erteilen könne. Individuelle (privatas) kann jeder- 
Beichtvater im Beichtstühle erteilen; allgemeine , aber (generales); die 
bei Predigten oder in öffentlichen Schreiben für Spitäler, Kirchen, 
Brücken und andere fromme Zwecke verliehen werden, dürfen nur 
von Bischöfen erteilt werden. Diese haben sich an die Bestimmung 
der Lateransynode zu halten, wonach bei der Konsekration einer 
Kirche die anwesenden Bischöfe miteinander nur ein Jahr und bei 
andern Anlässen nur 40 Tage Ablaß bewilligen dürfen. Was ist aber 
davon zu halten, wenn bei der Einweihung einer Kirche' jeder der 
anwesenden Bischöfe 1 Jahr und bei einer Predigt jeder 40 Tage 
bewilligt? Dies kommt allerdings täglich vor, erwidert Hostiensis; 
doch geschieht es gegen den Sinn des allgemeinen Konzils, und wenn 
auch derartige Ablässe nicht ungültig sind, so sündigen doch die 
Bischöfe, die sie erteilen. Er muß indessen eingestehen, daß eine 
entgegengesetzte Gewohnheit sich bereits eingebürgert habe; und da- 
nun einmal die Gewohnheit die beste Auslegerin der Gesetze ist, so 
wolle er sie nicht Verwerfen. Doch rät er den Bischöfen, sich nach 
der ersten Ansicht zu richten, da es sicherer sei, die Erteilung der 
Ablässe einzuschränken. 

Kann ein gewählter und bestätigter, aber noch nicht konsekrierter 
Bischof Ablässe erteilen? Heinrich bejaht wohl die Frage; doch 
fügt er bei, ein solcher Bischof würde sicherer handeln, wenn er sich 
von der Ablaß Verleihung enthalte, namentlich wenn er, die Priester- 
weihe noch nicht empfangen hat; denn es scheine, daß man Priester 
sein müsse, um Bußstrafen auflegen oder nachlassen zu können.^ 

Wem nü%zeri^'die ÄMälssei ]^^ 
Spenders. Wenn daher Almosensammler im Lande umherziehen mit 
Briefen verschiedener Bischöfe und verkünden, dieser Bischof habe 
dem Almosenspender so und so viel Ablaß erteilt, ein anderer Bischof 
so viel, so kann der Almosenspender nur jenen Ablaß gewinnen, der 
von seinem Bischof verliehen worden, wofern er nicht von seinem 
„Richter" die Erlaubnis erhalten hat, sich der Ablässe fremder Bischöfe 
teilhaftig zu machen. Unter diesem ,',Richter", der dem Pönitenten 
gestatten kann, fremde Ablässe zu gejdnnen, versteht aber Hostiensis 
nicht etwa den zuständigen Bischof , sondern den Beichtvater, wie aus 
der Absolutionsformel hervorgeht, deren Gebrauch er den Beichtvätern 
anempfiehlt.2 

Da der Ablaß nur den Untergebenen des Spenders zugute kommt, 
kann er nur den Lebenden, nicht aber den Verstorbenen erteilt 



^ In dem späteren Apparatus (zu c. 12. X. de excessibusprael. V. 31) erklärt 
Hostiensis bestimmter, daß ein bestätigter Bischof, der die Priesterweihe noch 
nicht empfangen hat, keine Ablässe erteilen kaim. 

* Summa, tit. de penitentiis, Que.pena sit pro peccatis singulis iniungenda. 
„Carissime, tu commisisti tot et talia peccata; pro qüblibet deberes sib penitere; 
sed forte vitä tua ad hoc peragendum non extendereturj iniungö tarnen tibi 
talem penitentiam pro omnibus, concedo etiam tibi quod, quocunque ieris, re- 
missiones prelatorüm tibi facte pros'irit, que alias non prodesseht etc." 



IX-.' Die Ablaßlehre. der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts. 323 

werden. Hat doch die Kirche - keine Jurisdiktionsgewalt über die 
Seelen im regfeuer.^ Hiermit steht nicht in Widerspruch, daß die 
Kirche "-bisweilen . Verstorbeiie " losspricht ' oder' exkommuniziert ; denn 
in diesem Falle geschieht' die Absolution bloß zum Tröste der lebenden 
Gläubigen. Wenn ein Verstorbener absolviert wird, so soll damit' 
bekündet werden, daß er vor seinem Hinscheiden durch- die Reue 
Verzeihung der Sünden- erlangt habe. Wird dagegen ein Verstorbener 
exkommuniziert, so geschieht es • zur Beschämung der ungläubigen. 
Lebenden. In bezug auf die Verstorbenen selbst wird> nach Kardinal 
Hugo^ tatsäclilich durch eine Exkommunikation nichts bewirkt. Man. 
kann auch sagen, daß die Kirche, indem sie einen Verstorbenen vom 
Banne losspricht, damit bekunden will, daß man für ihn beten könne;: 
wird' dagegen ein Verstorbener exkommuniziert, so soll damit erklärt 
werden, daß man für ihn nicht beten dürfe. Ein Urteil, das freilichi 
nicht immer sicher sei, sondern öfters fehlgehe. 

Zu was'dienen die Ablässe und in welchem Umfang wird, 
der Bußerlaß dem Empfänger zuteil? Hierüber, erwidert. 
Hostiensis in wörtlichem Anschluß an Raimund vonPenaforte,, 
gibt es verschiedene Ansichten. Nach einigen gelte der Ablaß bloß für- 
die läßlichen Sünden, nach andern bloß für die aus Unwissenheit 
begangenen Fehler; andere beziehen ihn auf die nachlässig verrichtete 
oder nicht mit genügender Umsicht auferlegte Buße; wieder andere 
wollen ihn nur für die Verminderung der Fegfeuerstrafe gelten lassen.^ 
Du aber, so mahnt Hostiensis den Leser, halte dafür, daß der Ablaß 
den Wert und den Umfang hat, der ihm in der Bewilligung beigelegt 
wird. Da jeder Todsünde eine doppelte Strafe gebührt, eine ewige,, 
die durch die Reue erlassen wird, und eine zeitliche, welche die Kirche; 
auflegt, so kann der Diener der Kirche diese zeitliche Strafe aus. 
triftigem Grunde ganz oder zum Teil erlassfen. Wenn daher der Papst, 
zugunsten des Heiligen Landes einen vollkommenen Ablaß gewährt 
und jemand mit wahrer Reue über seine Sünden das Kreiiz nimmt 
im festen Glauben, daß durch den päpstlichen ' Ablaß alle zeitliche; 
Bußstrafe erlassen werde, und so stirbt, so ist anzunehmen, daß ein 
solcher Mensch nicht in das Fegfeuer' kommen wird.* 

Wie aber, wenn einer ein Almosen spendet und dafür einen Ablaß'- 
von einem Jahre gewinnt ? Dieser Ablaß wird ihm zur Verminderung 
der Bußlast 'dienen, was, ' nach Raimund von Penaforte, aus einem 



1 „Vivis tantum prosunt; non mortuis . . . quia charitas sola prodest iii 
purgatorio . . . Sed potestas claviiiin non habet ibi locum." 

2 Gemeint ist der Kardinal Hugo von St.- Cher, von dem später die Rede 
sein wird. 

^ Alis dem Umstände, daß Hostiensis schreibt: „Super hoc diversae sunt 
opiniones", darf man nicht schließen, daß die vier Meinungen, die er anführt, 
zu jener Zeit noch vertreten waren. Es handelt sich lim Ansichten, zu denen 
sich frühere Autoren bekannt hatten. 

. * '„Si papa facit generalem remissionem' pro subsidio terre sancte, et aliquis 
vere penitens et contritus assumit crucem,' credens firmiter omnem satisfactionem 
temporalem remitti, et sie moritur, credendum est quod neo purgatorium sentiat." 

21* 



324 JX; Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des ,13. Jahrhunderts. 

doppelten Grunde geschehe, wegen der frommen Spende und weil 
der Almosenspender durch die > Ablaßbewilligung der ^ kirchlichen 
Suffragien teilhaft gemacht wird. Richtiger ist aber, die Wirksamkeit 
des Ablasses auf, den festen , Glauben des -Empfängers sowie auf den 
Willen und die Vollmacht des Spenders zurückzuführen. 

Den Fall gesetzt, es spende einer, dem eine, siebenjährige 3uße 
auferlegt worden, sieben Denare, um einen Ablaß von sieben Jahren 
zu gewinnen. Ist er dann aller Bußstrafen ledig ? Raimund- schreibt, 
daß dies kein Sterblicher wissen könne, da der Umfang des -Erlasses 
von Momenten abhänge, die man nicht mit. Sicherheit abmessen könne. 
Du aber sage: Es sei zu glauben, daß der Ablaßgewinner völlig von 
der Bußstrafe befreit sei (omnino liberatus). Bezüglich.der. streitenden 
Kirche kann jedenfalls hierüber kein Zweifel bestehen. Deshalb ist 
ein solcher auch nicht mehr verpflichtet^ zu fasten,- da durch den 
Ablaß die auferlegte Buße erlassen wird. , . 

Man werde vielleicht einwenden, auf diese Weise bleibe die Sünde 
ungestraft,' was gegen die Lehre des hl. Augustinus verstoße. Dem- 
gegenüber muß betont werden, daß keine Sünde; ungestraft bleibe. 
Hat doch Christus für unsere Sünden in überschwenglicher Weise 
genuggetan. Das kleinste Tröpflein seines kostbaren Blutes , hätte 
genügt zur Sühne aller Sünden der ganzen Welt. Nun hat aber der 
Heiland nicht bloß einen Tropfen, ; sondern all sein Blut vergossen. 
Dazu kommt noch, daß auch die Märtyrer ,f ür den ,Glauben und die 
Kirche ihr Blut vergossen haben und weit mehr, als sie es verdient 
hätten, gestraft worden sind. Dieses Blutvergießen Christi und der 
Märtyrer bildet eine Summe von überschüssigen Genugtuungen, einen 
Schatz, den die Kirche zu verwalten hat und .woraus sie: schöpft, 
wenn sie den Gläubigen Ablässe erteilt. So bleibt die Sünde nicht 
ungestraft, weil sie in Christus und seinen heiligen Märtyrern, gestraft 
worden ist, wie Kardinal Hugo (von St. Gher) ausführt,. Übrigens 
wird auch der Sünder selber eine , Strafe tragen, und zwar in der 
Beichte, die wegen der, damit verbundenen Beschämung als eine nicht 
geringe Buße zu gelten hat. , ' , , ,. 

Hostiensis wiederholt . dann noch einmal, daß . der Umfang des 
Bußerlasses sich nicht, nach den vonRaimund betonten Momenten 
richte, sondern nach dem Glauben des Pönitenten und nach dem. Willen 
des Ablaßspenders (secundum fidem poenitentis ^ et voluntatem , ac 
potestatem largientis). Doch gibt er zu, daß der kirchliche Obere, 
der bei der Erteilung von Ablässen nicht behutsam vorgeht, sein 
Gewissen belastet. Er erkennt auch an, daß , die Gebete , der Ge- 
rechten sowie die Almoseii und alle andern guten Werke dem Sünder 
zur Erlangung der Gnade behilflich sind. Sodann empfiehlt er den 
Gläubigen, trotz der gewonnenen Ablässe hienieden Büß werke zu ver- 
richten und die Ablässe für das Fegfeuer aufzusparen. Wohl ist man 
nach der Gewinnung eines Ablasses nicht mehr verpflichtet, die durch 
den Ablaß weggenommene Buße zu verrichten. Da man jedoch' nicht 
weiß, ob der Beichtvater die schuldige Buße auferlegt hat — werden 



IX. "Die Ablaßlehre' der v'ornehnäten Kanonisten des 13. Jahrhunderts* 325 

doch heute' gewöhnlich so geringe Bußen vorgeschrieben — und da^ 
die Bußstrafe, die hienieden nicht abgelöst worden ist, im. Fegfeuer 
abgetragen werden muß, so würde man töricht handeln, wenn man 
die Ablässe nicht; für das Fegfeuer aufsparte. Spart man sie aber 
für das Jenseits auf 5 so wird, man dann im; Fegfeiier so viel Tage= 
weniger zu leiden haben, als hienieden durch den Ablaß erlassen, 
worden sind;^ Dies gilt aber nur von den partiellen Ablässen 
(particularibus remissiönibus), ' die der Papst, und die Bischöfe mit 
den Worten erteilen: „Wir erlassen so und so viel von der auferlegten 
Buße." Anders verhält es sich mit dem Plenarablaß, wodurch 
alle Buße erlassen wird, und den nur der Papst zu erteilen pflegt. 
Wer einen ■ solchen Ablaß gewinnt- und in diesem Zustande stirbt^ 
der fährt von Mund auf in den Himmel, wie bereits oben bei der Er- 
wähnung des Kreuzzugsablasses bemerkt worden.^ . ' 

Dasselbe kann gesagt werden von dem Büßerlaß, den ein einfacher 
Priester im Beichtstuhl erteilt. Den Fall gesetzt, der Beichtvater. lege 
dem Pönitenten eine Buße auf, z. B. die Pilgerfahrt nach dem Heiligen 
Lande oder ein dreijähriges Fasten, und erlasse ihm alle übrigen Buß- 
strafen, die er verdient hätte. Hat der Pönitent. die auferlegte Büß© 
verrichtet, so ist nicht anzunehmen, daß er noch im Fegfeuer zu leiden 
haben werde, obschön der 'Beichtvater bisweüen sich selber eine Ver- 
antwortung " auf laden kann. Deshalb handelt er töricht, wenn er in 
genannter < Weise verfährt. Doch kann er im Beichtstuhle (in foro 
poenitentiali et privato), wie gesagt, die ganze Buße erlassen. Öffentlich 
aber (in föro publicoet solemniter) kann dies nicht einmal der Bischof, 
da er nach der kirchlichen Bestimmung nur 1 Jahr oder 40 Tage 
Ablaß erteilen kann. 

Nach den langen Ausführungen über den Wert und den umfang 
der Ablässe erörtert Heinrich in einem weiteren Paragraphen die 
•Frage, wo die Ablässe ihre Wirksamkeit ausüben (ubi operantur). 
Greifen sie mit, ihrer Wirksamkeit ins Jenseits hinüber ? Ja, lautet 
die Antwort. Die Ablässe üben ihre ; Wirksamkeit im Fegfeuer aus; 
doch sindsie nur wirksam für jene, denen sie in ihrem irdischen Leben 
erteilt ? worden sind. ^ Was ist aber dann zu halten von den Ablässen, 
in denen gesagt wird: ,;Wer ein Almosen spendet, der soll für die 
Seele", seines Vaters einen 'Ablaß von einem Jahre haben".* Wird 



^ „Cum si ipsas ibi reservaverit, tot diebus quot hie ei remissi sunt, sit 
minus in purgatorio quam fuisset." Hier scheint Hostiensis anzvinehmen, daß 
durch einen Ablaß, von 40 Tagen jeine_ vierzigtägige Fegfeuerstrafe erlassen werde. 
In seinem späteren Kommen,tar sagt er ganz allgemein: „Penam purgatorii sentiet 
minus pro modo remissionis facto in-vitaista.". Zu c.,4. X. de poen. et rem. V. 38. 

* „Secus de generali et uni versah [remissione], pec quam omnis satisf actio 
.xemittitiir, que a solo papa f ieri consuevit. Ibi enim evolat, si in tali statu mo- 
.riatur, ut notatur supra.". 

ä „Circa illos tan tum operantur, quibus, dura viverent, facta fuit remissio." 

, * „Quid ergo äe-indulgentiis in, quibus contirietur, quod quicunque porrexerit 

piam 'eleemosynam, habeat pro anima patris unum annum pro indulgentia." 

Demnach waren schon um die Mitte des 13. Jahrhunderts derartige Ablässe 

für Verstorbene in Umlauf. 



326 IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts^ 

dieser Ablaß der Seele des verstorbenen Vaters nützen ? , Etliche 
bejahen die Frage, aber mit Unrecht; denn die Schlüsselgewalt dehnt 
sich nicht auf die Seelen im Fegfeuer aus, da diese nicht mehr unter 
der Jurisdiktion der Kirche stehen. Wer daher mit solchen Ablässen 
das Volk täuscht, der sündigt, schwer.^ Zu bemerken ist allerdings, 
daß das gespendete Almosen der Seele, des Vaters zugute komme, 
aber nicht kraft des Ablasses, sondern als gutes Werk, gleich, den 
übrigen kirchlichen Suffragien, womit man den Seelen im Fegfeuer 
lielfen kann. 

In seinem Kommentar zu den Dekretalen^ spricht, Hostiensis an 
Terschiedenen Stellen vom Ablasse, wobei er wiederholt auf seine 
früheren Ausführungen in der Summe verweist. Bei der Erklärung 
der Kreuzzugsdekretale Ad liberandam von 1215 (c. 17. X. de iudaeis. 
V. 6) erwähnt er bloß im Vorübergehen den darin :verheißenen Ablaß, 
den er mehrmals als eine „vollkommene Vergebung der Sünden" 
bezeichnet,^ 

Daß ein einfacher Priester im Beichtstuhle Ablässe erteilen; kann, 
lehrt er in dem neuen^Werk'ebenso entschieden, wie-frühier invAcler 
Summe. Der Beichtvater, bemerkt! er ,; kann : aus; triftigem Grunde 
die Buße vermindern, was in Wirklichkeit nichts äridersials, eine, Ablaß- 
verleihüng ist. Öffentlich aber können hur die Bischöfe Ablässe, erteilen.;* 

AusfiihrUch ist vom Ablaß diisRedCunt^ dem Kapitel (öitpc^cm^ 
Hier begnügt sich freilich der Verfasser, diei:(Hossa ördinariaraAbzii- 
schreiben, sowohl das lange -Zitat 1 aus Alarms ■ wie! auch: { den ;;Zusatz 
BernhEirds von Bottone.^ Es ist daher uUhiiötig:; nähere darauf ein- 
zugehen. J,- ü.::'')\.,:;i\;yy^'V =/:: [ >''r\::y:'^:l-[-^ 

Auch was unter dem Kapitel (7*tm ea; eo (c; M: X.!;de-:poen.}et 
rem; V. 38) über den Ablaß gesagt wird/ können > wir :übergehe^^ 
Hostiensis an dieser* ^^telle die oben mitgeteilten > Ausführungen (ies 
Papstes Innozenz : IV. Medergibt ; doch ; hatler : hier einigeis beigef iigt. 
So bemerkt er anläßHcho(ter Bestimurnng^ rhy;öhachr die Pfai'rer^^ 
Almosensammler zulassen, sollen j?derö:nichti ein! echtes Schreiben, vom 
Papst oder von dem Diözesanbischof ei vorweisen könne, daß manche 
Bischöfe diese Vorschrift zum Anlaß genommen hätten, in ihren 
Diözesen kein päpstliches Schreiben zjjzulassen, außer sie seien- zuvor 
darüber gefragt worden. Tun sie das zum Nachteil der .päpstlichen 
Gewalt, so sind sie nach Hostiensis schwer zu strafen. 



^ „!Hi qui taliter populum decipiunt, graviter delinquunt."' 

^ Apparatus super libris Decretalixun. Argentinae 1512. Zwei Bände. 

^ Plana venia pecoatorum, plena indülgentia peocaminum, plena remissio 
peccaminum. II 276. 

* Zu c. 12. X. de excess, prael. V. 31: „Ego proprietate et veritate rei 
considerata puto quod indulgentias dare in secreto sacerdotalis ordinis est . . . 
Ipsas vero publice facere vel literas super hoo concedere episcopalis dignitatis 
est." II 314. Ähnlich Bl. 342, zu c. 12. X. de poen. et rem. V. 38, im Anschluß 
an Innozenz IV. 

^ Zu c. 4. X. de^poen. et rem. V. 38. Am Schlüsse heißt es: „Hee tarnen 
materia plenius expeditur in Summa." II 339, 



IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts. 327 

Die. Ansicht etlicher, daß man zur vollen Gewinnung eines Ablasses, 
wofür eine Geldspende vorgeschrieben ist, so viel geben müsse, als man 
.nach der Vorschrift des Beichtvaters für Ablösung der Buße zu geben 
pflege, hatte Innozenz IV. bbß erwähnt, ohne ein Urteil darüber 
abzugeben. Hostiensis läßt sich näher darauf ein. Er berichtet von 
einigen, die gegenüber den Vertretern jener Ansicht betont hätten: 
Sollte jene Meinung wahr sein, so wäre es nicht nötig, seine Zuflucht 
zu, nehmen zu dem, Ablasse des Papstes oder des Bischof es, da man 
ja dieselbe Vergünstigung vom Beichtvater erlangen könnte. Er selber 
findet die letztere Ansicht billiger und milder, die erste dagegen ge- 
rechter und sicherer; doch will er die Entscheidung darüber dem 
Papste überlassen, da in dem Wortlaute der Bechtsquellen nichts 
Näheres bestimmt werde. 

In dem Dekret Gum ex eo ward bestimmt, daß die Almosen- 
.Sammler nicht predigen sollten; sie hätten bloß, was in ihren Be- 
glaubigungsschreiben enthalten: wäre,' dem ■ Volke darzulegen. Der 
■Grund' dieser Bestimmung, bemerkt Hostiensis, liegt darin, daß manche 
■Sammler Laien sind, denen das Predigen verboten ist; zudem sind es 
öfters ehrlose Wirtshaussitzer'und Spieler, die allerhand Betrügereien 
vorzutragen pflegen.^ Deshalb müsse man bei' ihrer Zulassung große 
Vorsicht obwalten lassen. ^ , ■ 

Bemerkenswert ist 'auch, was Hostiensis über die Bedeutung der 
Ablässe von 40 Tagen und einem Jahre sagt. Bei dem Ablasse von 
40 Tagen' handelt es sich nach ihm um einen Erlaß von 40 eigent- 
lichen Bußtagen, und nicht etwa um' einen Erlaß von 40 Tagen, wovon 
bloß einige als Büßtage zu- gelten hätten. ' ' Denn was würde es wohl 
für einen Sinn haben; -zu sagen: Ich erlasse dir das Fasten an Tageri, 
an welchen du nicht zu fasten ■ brauchst ? Anders dagegen verhalte 
•es sich mit dem Ablasse von einem Jahre. Da niemals alle 365 Tage 
•des Jahres als Bußtage auferlegt werden — die Sonntage und andere 
Feste werden ja stets ausgenommen — , so werden durch einen Ablaß 
von einem Jahre nicht etwa 365 Bußtage erlassen, sondern bloß jene 
'Tage, an welchen zu fasten gewesen wäre. Daraus folgt, daß "der 
Ablaß von Tagen ergiebiger sei, als derjenige von Jahren, da beim 
■ersteren alle im Bewilligungsschreiben erwähnten Tage erlassen werden, 
während beim zweiten nur die im Jahre vorkommenden Bußtage be- 
rücksichtigt würden.^ ' ' ■ 



^ „Tales etiam consueverunfr esse inhonesti tabernarii et lusorea, et mtdtas 
jabusiones proponere." II 343. Noch , schärfer spricht er sich, II ,185' aus, zu 
•<3. 2. X. de reliquiis et vener. sanct. III 45, ad v. variis figmentis: „Sicut 
faciunt specialiter pessimi questuarii, qui ostendunt quandoque costam pec- 
•catoris hominis vel asini looo sancti, quia non curant nisi ut denarios habeant. 
Alii ponunt oleum in oculo mariole sue, ut;videatur flere,-et sie imago que 
facta est £(,d honorem domine nostre vertitur in ipsius contTxmeliam et derisum . . '. 
.Quandoque in predicationjbus seminant errores et multas fabulas asserunt veras 
•esse, que essent onmino corrigenda." 

2 ^ Ex his . . . convinoi potest quod productior est dierum indulgentia quam 
Annorum." II 343'. 



328 IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts. 

• 

Als Innozenz III. auf der Lateransynode' den Bischöfen befahl^ 
in ihren Schreiben nur Ablässe von 40 Tagen zu erteilen, hatte er 
darauf hingewiesen, daß der Papst selbst in seinen Ablaßbriefen diese 
Zahl nicht zu überschreiten pflege. Dazu bemerkt Höstiensis, es sei 
zu beachten, daß in dem Dekret der Papst von Ablaßbriefen für 
Kirchen, Brücken und dergleichen spreche; denn wenn er predigt,, 
gebe er nie weniger als 1 Jahr und 40 Tage. ^ Übrigens werde auch 
in den päpstlichen Ablaßschreiben das erwähnte Maß (40 Tage) nicht 
immer eingehalten. ^ Der Papst kann freilich die von ihm sell3st ge- 
setzte Grenze überschreiten. Würden dagegen die Bischöfe größere 
Ablässe erteilen, als ihnen von der Lateransynode erlaubt worden^ 
so würden diese Ablässe, bemerkt Höstiensis, ungültig sein.^ 

Abbas antiqüus. Wilhelm Durantis. 

Neben den drei behandelten hervorragenden Kanonisten verdienen 
noch zwei andere eine kurze Erwähnung. Der erstere, Lehrer in Bologna, 
der nur unter dem Namen Abbas bekannt ist und zum Unterschiede 
von Abbas modernus (Nikolaus de .Tudeschis) als Abbas -antiqüus. 
zitiert wird,*. hat einen, viel benützten gegen Ende der sechziger Jahre 
entstandenen Kommentar zu den Dekretalen hinterlassen.^ Seine 
Ausführungen über den Ablaß hat er wörtlich aus- Innozenz IV. ab- 
geschrieben. 

Erörterungen mehr praktischer, Natur bietet Wilhelm Durantis. 
("j" 1296) in seinem vielgebrauchten, in der zweiten Bearbeitung vor 
1287 vollendeten kanonistischen Geschäftshandbuch, Speculum iudi- 
ciale genannt.^ Es wird genügen, etliche seiner,. Bemerkungen, die- 
Spätere oft sich angeeignet .haben, hier mitzuteilen. So betont er 
treffend, daß der von einem Bischof - erteilte, Ablaß den Gläubigen, 
anderer Diözesen nur dann von Nutzen "sejn könne, wenn die .zu- 
ständigen .Oberhirten ihre Einwilligung dazu geben.. Doch -fügt er 
bei, daß etliche der. Ansicht sind, auch die .einfachen Beichtväter 
könnten ihre Pönitenten ermächtigen, der Ablässe fremder Bischöfe 
sich teilhaftig zu machen. Bei Innozenz, IV. fand Wilhelm die Ansicht, 
etlicher verzeichnet, die meinten, durch einen Ablaß von einem Jahre 



^ Bl. 344. Innozenz IV., der als Papst hierin besser unterrichtet war^ 
schreibt zu c. 14. X. de poen. et rem. V. 38: „In talibus, scilicet indulgentiia 
quas papa concedit pontibus vel aliis locis piis, nam quando celebrat vel predicat,^ 
seniper annum concedit." Apparatus. Lugd. 1520, '224. 

2 Das ist richtig. Doch waren die Ausnahmen bis zur Mitte des 13; Jahr- 
hunderts äußerst selten. 

ä Bl. 344, zu c.. 15. X. de poen. et rem. V. 38. 

* Schulte 11 130 f. - ' 

^ Lectura aurea domini Abbatis antiqvii super quinque libris Decretalium^ 
Argentinae 1510. Die Ausführungen über den Ablaß stehen auf Bl.' 216. ■ ' 
' ^ Speculum. Cum additionibus loannis Andreae. Venetiis 1488. Pars IV. 
Rubrica de penitentiis et remissionibus. In' seinen Additiones hat Andrea die 
Aufstellungen des Durantis nicht hur erläutert und ergänzt, sondern bisweilen 
auch berichtigt. ' ' ' ' 



IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des ^13. Jahrhunderts. 329* 

würde so viel Fegfeuerstrafe erlassen, als man durch ein Bußjahr 
abgetragen hätte, doch bliebe man verpflichtet, die auferlegte Buße 
zu verrichten. Er scheint diese Ansicht sich angeeignet zu haben; 
wenigstens führt er sie an, ohne auch nur durch ein Wort anzudeuten^ 
daß er etwas daran auszusetzen habe. Die Berechtigung der Kirche,. 
Ablässe zu erteilen, leitet er im Anschluß an Innozenz IV., den er 
auch sonst verwertet hat, aus den Worten des Herrn ab: „Was du 
auf Erden lösen wirst, das wird auch im Himmel gelöset sein." Den 
ausgeschriebenen Ablaß, meint er ferner, und zwar im Anschluß an 
Vincentius Hispanus, kann man so oft gewinnen, als man das dafür 
geforderte Werk, den Kirchenbesuch oder das Almosen wiederholt. 
Und er gibt hierfür folgenden Grund an : Der Ablaß -wird nicht bloß 
erteilt wegen des Kirchenbesuches oder des Almosens, sondern wegen 
des Almosens und zugleich mit Rücksicht auf. die von der Kirche 
übernommene Verpflichtung, für, den Almosenspender zu beten. Des- 
halb sollen die kirchlichen Oberen bei der Verleihung von Ablässen 
behutsam vorgehen, damit sie in der Ausübung der Schlüsselgewalt 
nicht irren, und damit wirklich im Himmel gelöst werde, was sie auf 
Erden lösen. Im Gegensatze zu Thomas von Aquin und andern 
Autoren ist Durantis mit Vincentius der Ansicht, daß der Papst und 
die Bischöfe die von ihnen selber erteilten Ablässe nicht gewinnen 
können. 

In einem andern Werke, dem Repertorium oder Breviarium iuris 
canonici erwähnt Durantis den Ablaß nur im Vorübergehen. Hier 
bekennt er sich ausdrücklich zu einer Ansicht, deren er im Speculum 
nur Erwähnung tut, daß nämlich die Beichtväter ihre- Pönitenten 
ermächtigen können, Ablässe zu gewinnen,- die von fremden Bischof en 
erteilt werden.^ 

Summisten. 

Reihen wir nun noch den vorstehenden Kanonisten etliche Autoren 
an, die in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts kasuistische Summen 
oder Handbücher für die Verwaltung des Bußsakrämentes verfaßt 
haben. An ihrer Spitze steht der deutsche Dominikaner Johann 
von Freiburg^ mit seiner großen zwischen' 1290 — 98 verfaßten' 
Summe für Beichtväter, worin dem Ablaß fünfzehn Paragraphen 



■ ^ Breviarium aureum. Parisiis 1613, 181: „Cum pro quolibet mortali sit 
septennis penitentia indioenda, quid fiet si quis forte centum mortalia commisit, 
cum transcendat'hoc tempus vitae hominis. Dico quod sacerdos debet dicere 
conf itenti : Amice, tantum peccasti quod vita tua non suf fii3eret ad periitentiam 
peragendam; im.de iniungo tibi ut quamdiu vives dicas quotidie- Pater hoster 
vel simile, . aliam ,penitentiam reduco tibi ad septem -vel plures vel .pauciores 
annos; sicut sibi videbitur expedire/quia penitentie sunt arbitrarie. Debet efciam 
dicere:' Et concedo tibi quod prosint tibi omnes remissiones a quo. 
cunque fierertt; alias enim non prodessent.'.' ■ - " . 

. 2 Vgl. über ihn /Michael III .238' ff. 

, * Vgl. H. Fänke, Die Preiburger Dominikaner imd der Münsterbau, in 
Alemannia XXIX (1901) 163 ff. 



-"330 IX. Die, Ablaßlehre der vornehmsten Kanpriisten des 13. Jahrhunderts. 

gewidmet sind.i In der Einleitung dazu bemerkt der Verfasser, daß 
die Ablässe in der letzten gnadenreichen Zeit aus verschiedenen 
Gründen eine, große Verbreitung gefunden hätten. Da aber sehr 
viele, die nur ihrem eigenen Kopfe folgen, hinsichtlich dieses Gegen- 
standes öfters sich irren und auch andere durch ihre unbesonnenen 
Reden irreführen,^ so habe er es für nützlich gehalten, im Anschluß 
^n die alten Lehrer einiges darüber mitzuteilen. Es sind namentlich 
Albert der Große, Thomas von Aquin, Petrus von Tarentaise, Raimund 
von Penaforte mit dessen Glossator Wilhelm von Rennes, Innozenz IV., 
Heinrich von Susa und Wilhelm Durantis, die er als Führer sich ge- 
wählt hat. Da er selber nichts Neues bringt, sondern nur wiederholt, 
lyas diese Männer vor ihm gelehrt hatten, so wird es genügen, aus 
seinen Ausführungen einige wichtigere Gedanken hervorzuheben. 

Im Anschluß an Thomas betont er, daß die Ablässe nicht bloß 
vor der Kirche, wie etliche sagten (ut quidam dicebant), sondern auch 
vor Gott Geltung haben. Sie werden erteilt aus dem Gnadenschatze 
der Kirche und gelten so viel, als sie lauten. Wer einen Ablaß von 
40 Tagen gewinnt, dem wird von der zeitlichen Strafe so viel naeh- 
gelassen, als er durch eine vierzigtägige Buße abgetragen hätte. Wie 
aber die Wirksamkeit einer vierzigtägigen Buße größer oder geringer 
ist, je nachdem die Buße mit größerem oder geringerem' Eifer voll- 
bracht wird, so wird auch der Wert eines vierzigtägigen Ablasses sich 
nach dem Eifer und der. Leistung der einzelnen Empfänger richten. 
Hierin folgt Johann dem Petrus von Tarentaise, während . er mit 
Hostiensis betont, daß durch den, vollkommenen Ablaß alle zeitliche 
Büßstrafe nachgelassen werde, so daß derjenige, der nach der Ge- 
winnung eines solchen Ablasses stirbt, von, Mund auf in den Himmel 
Jährt. Mit Hostiensis, Thomas und andern lehrt Johann auch, daß 
man wegen des gewonnenen Ablasses die auferlegte Buße nicht unter- 
lassen solle. Hätte man auch dank dem Ablasse keine Sündenstrafe 
mehr abzutragen, so würden doch die Bußwerke als Präservativmittel 
gegen zukünftige Sünden dienen. Die Frage, ob die Ablässe auch 
■den Seelen im Fegfeuer nützen, beantwortet Johann mit Thpmas und 
-andern im bejahenden Sinne; doch führt er auch die abweichende 
Ansicht des Hostiensis an, ohne sie als-img abzulehnen. Am Schlüsse 
seiner Erörterungen spricht Johann von, Almosensammlern, die mit 
Ablaßbriefen herumziehen, mißbräuchliche Dinge predigen, in Eß- und 
Trinkgelagen die Zeit vergeuden. Er erinnert an yerschiedene Ver- 



1 Summa Confessorura. Sine looo' (Augsburg) 1476.- 1. 3, t. 34,. q. 180— 194. 
Vgl. Dietterle, Zeitschr. f. Kirchengesch. XXV, 255 ff. Amort II 91 f. schreibt 
die Ausführungen Johanns von Freiburg über den Ablaß irrig Joh. Nider zu. 

* „Indulgentie cum iam gratia abundaute sint per ecclesiam multiplicate 
•diversis ex causis et quamplurimi sola proprio estimationis fantasia ducti circa 
«as frequenter decipiantur et ailios incaute^ loquendo seu ;doeendo decipiant, 
utile iudicavi aliqua hie de hac materia secundüm iinaiorum sehtentiäs ann^ 
Diese Einleitung haben verschiedene spätere Autoren ohne iQüellenarigabe wörtlich 
sich angeeignet. .'^'- -;:■■; \\ii'}i:/JiAy' >:')■■■.-.:} u-A^. 



IX. Die Ablaßlehre der vornelimsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts. 331 

cordnüngen, welche die Päpste gegen derartige Mißbräuche erlassen 
haben. - ' ■ ■ ' ■ 

Nebst der großen Summe (Summa maior) hat Johann von Frei- 
hürg noch ein kleineres,' alphabetisch geordnetes Werk (Summa ab,- 
breviata) verfaßt, das' nur handschriftlich vorhanden ist.^ Dies kleinere 
Werk bildet neben der großen Summe die Hauptquelle einer deutschen 
Bearbeitung, die ein Dominikaner namens Berthold noch bei Lehr 
Zeiten Johanns um 1300 abgefaßt hat.^ Für die Beliebtheit der 
Summa lohannis, wie Bertholds .deutsche Bearbeitung genannt 
wurde, spricht die Tatsache, daß sie nicht nur häufig abgeschrieben,? 
sondern auch von 1472 bis 1500 nicht weniger als zwölfmal gedruckt 
worden ist. Dies im Mittelalter so beliebte Buch hat noch in unseren 
'Tagen,. vor allem bei Rechtshistorikern, Anerkennung gefunden. Man 
hat es als „eine sehr klare, vortreffliche Arbeit"-,* als ein „recht 
brauchbares, Lehrbuch für die, Laien' '^ bezeichnet. Wie spricht sich 
nun diese ,.zur Belehrung der Christenheit" verfaßte Volksschrift über 
den Ablaß aus? Die Frage, ,,was Ablaß sei", beantwortet Berthold 
folgendermaßen:^ „Ablaß und Antlaß ist ein Vergeben , und ;Gelten 
(vergelten, compensare) der Buße und Pein, die ein, Mensch schuldig 
ist für seine Sünden, und wird vergolten von dem Schatz der heiligen 
Kirche, und dieser Schatz ist das edel Gut, das- unser lieber Herr 
Jesus Christus mit seinem bittern Tod und mit seiner bittern Marter 
uns verdient hat, und auch die heiligen Märtyrer mit ihrem Tod und 
Marter ; verdient haben, und Christus und alle Heiligen mit beten und 
fasten, mit predigen und 'mit wachen erarnet (verdient) haben; und 
den edeln Schatz machen größer alle Tage gute, fromme und, an- 
dächtige Leute mit ihren guten Werken .■• . - Und über den Schatz 
des edlen geistlichen Guts hat Gewalt der Papst voUkommenlich 
und hat Schlüssel dazu, und mag' den auf tun. und- darein, greif eh und 
nehmen und geben als viel er wiir notdürftigen. Leuten ah der Seele, 
■die davon nehmen ein Abnehnieri und ein Ablassen der. Buße und der 
Pein ihrer, Krankheit von der.^Siinde wegen." ■■ ■. 

Nach, dieser durchaus korrekten Definition, die den Ablaß bloß 
als einen Erlaß der Sündenstrafen hinstellt, wird die Frage erörtert, 
,,wie gut und kräftig der Ablaß sei". Es handelt sich um die 
bei den Scholastikern so oft wiederkehrende Frage,, ob- der, Ablaß so 
viel gelte,, als in. der Ankündigung gesagt .wird. „Ablaß und Antlaß", 



1' Auf der 'Münchener Staatsbibliothek, Cod.. lat. '8019.-' 

2 Vgl. O. Geiger, Studien, über Bruder Berthold.. Sein Leben und seine 
•deutsehen Werke. Freiburg 1920. 

3 Voii dein Werke Bertholds verwahrt die Müncheher Staatsbibliothek 
22 Abschriften, alle aus dein 15. JahrMuridert. 

•' 4 Schulte II 423. - ' • • . 

^ B. Stintzing, Geschichte der populären Literatur des römisch-kano- 
nischen Eechts in Deutschland am Ende des 15. und im Anfang des 16. Jahr- 
hunderts." Leipzig 1867, 616 'f.' ' ' 

^ Summa Johannis. Ulm 1484,' 3' — 6. Der Abschnitt über den Ablaß 
iindet sich bei Dietterle, Zeitschrift f. Kirchengeschichte XXVI 67 ff. 



332 IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts . 

erklärt der Verfasser, „ist so gut und kräftig in der Wahrheit, als,. 
die Priester ihn verkünden, er sei gegeben von dem Papst oder einem 
Bischof. Als wenn ein Papst. gibt zehn Jahre Ablaß oder weniger 
oderniehr zu einer Kirche, wer dann den Ablaß empfängt, dem wird 
abgelassen so viel. guter bußhaftiger Werke, als. er sollte tun zehn 
Jahre mit wandeln zu den Heiligen, mit fasten, mit beten und mit. 
andern peinlichen Werken, die der Mensch möchte hier tun in dieser 
Zeit für seihe Sünden, oder zehn Jahre sollte leiden im Fegfeuer." 

. jjWie soll sich der Mensch halten, der empfänglich will 
werden des Ablasses?" Er muß vier Bedingungen eirfüUen.. Vor 
allem muß er glauben, daß der Papst die Binde- und Lösegewalt hat. 
Zweitens ist erfordert, „daß der Mensch rechte Reue habe über seine 
Sünden, darum (derentwegen) er den Ablaß will haben zur Besserung;, 
denn wäre der Mensch in Todsünden, so empfing er den Ablaß nicht; 
deim er wird nicht den Sündern gegeben." Der Ablaß A^ird auch nicht, 
„allen wahren Reuern" in dem gleichen Maße zuteil; ;, sondern wer 
sich allermeist darzu fügt mit Innigkeit und mit Arbeit, mit dem 
Opif er nach seinem Vermögen. und nach seinem Reichtum, dem ist er 
nützer denn einem andern, der sich darzu nicht ordnet oder schickt." 
Drittens muß man die Werke verrichten, die zur Gewinnung des 
Ablasses vorgeschrieben sind. Viertens muß derjenige, der den Ablaß 
gewinnen will, unter der Jurisdiktion dessen stehh, der den Ablaß 
erteilt. > 

Kann der Ablaß auch den Seelen im Fegfeuer nützlich 
sein? „Ablaß kommt den Seelen in dem Fegfeuer zu Hilf und Trost' 
wie andere gute Werken, die man ihnen nachtut mit Gebet,' Fasten,. 
Messe, Almosen . . . Darum ein Papst, der gaiize Gewalt hat über 
den Schätz der Christenheit und den Ablaß, er^möchte eine Seele 
lösen aus dem Fegfeuer, die tausend Jahre darin sollte sein, wenn 
er für sie gäbe tausend Jahre Ablaß." 

' Bemerkenswert ist die Art und Weise, wie sich Berthold über 
den Ablaß ausspricht, der vom Papste verliehen werden kann. Als- 
Oberhaupt der ganzen Kirche kann der Papst Ablaß erteilen „an 
welcher Stätte er will; als weit diese Welt ist". Ihm allein steht es 
zu, vollkommene Ablässe zu gewähren. ,,Ein Papst raag' Ablaß geben 
aller vBuß und auch Pein und Schuld. Ablaß der Sünden, wie 
viel Und wie groß die Sünden sind, und aller. Pein und Büß, die ein 
Mensch schuldig ist, zu gelten (vergelten) um die Sünden, gibt und 
gilt ein Papst für den Menschen; und stürbe der Mensch also als Ab- 
gelöster, er führe zu Stund in das ewige Leben ohne alles Fegfeuer 
und ohne alle Pein. Und also möchte auch ein Papst von seiner All- 
mächtigkeit eine Seele aus dem Fegfeuer lösen und für sie geben und 
gelten Ablaß aller Pein und Schuld und sie zu den Himmeln senden. 
Aber ein Bischof oder ein Priester hat die Gewalt nicht so ganz und 
vbllkommenlich als der Papst, sondern einen Teil." 

Diese Stelle hat man als Beweis dafür angeführt, daß bereits • 
Ende des 13. Jahrhunderts der Plenarablaß nicht bloß als voll- 



IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts. 333 

liommener Straferlaß, sondern' als Erlaß von Strafe und .Schuld, als 
Vergebung der Sünden verstanden wurde ;^ Allein Berthold läßt docK 
deinen Zweifel darüber bestehen, daß er den Ablaß bloß als Erlaß 
der Sündenstrafen verstanden hat. Ausdrücklich erklärt er, der Ablaß 
sei „ein Vergeben der Buße und Pein, die ein Mensch schuldig ist 
für seine Sünden". Er betont auch, daß der Empfänger des Ablasses 
im Stande der Gnade sein muß. .„Wäre der Mensch in Todsünden, 
so empfing er den Ablaß nicht." Wphl spricht er von einem Ablaß 
von Strafe und Schuld. Sogar für die Seelen im Eegfeuer, bemerkt 
er, kann der Papst „Ablaß aller Pein (Strafe) .und Schuld" erteilen. 
Aber schon die Bemerkung, daß der, Ablaß von Strafe und Schuld 
•auch den - Seelen im S^egfeuer zugewendet werden könne, zeigt zur 
Genüge, wie dieser Ausdrück zu verstehen sei; es ist darunter ein 
vollkommener Straferlaß, ein Erlaß der schuldigen Strafe zu ver- 
stehen. ^ Schon im 13. Jahrhundert war es üblich, den vollkommenen 
Straferlaß als einen Ablaß von Strafe, und Schuld zu bezeichnen, 
wie in einem späteren Abschnitte dargetan werden soll. 

Namentlich der voUkornmene EJreuzzugsablaß wurde dama,ls 
■öfters als Erlaß von, Strafe und Schuld .bezeichnet. Über diesen Kreuz- 
ablaß schreibt Berthold: „Ablaß aller Sund und Pein auch Büß nimmt 
■der Mensch von, dem Papst, »wenn er empfängt, das Kreuz, zu fechten 
wider, ungläubige Leute über Meer.? . Daß er den vollkommenen Kreuz- 
zugsablaß seinen ,, Ablaß aller. Sünden" nennt, beweist nicht,, daß er 
darunter eine Vergebung der Sündenschuld verstanden habe. Auch 
Thomas von Aquin, der doch mit, aller nur möglichen Schärfe betont, 
•daß der Ablaß nichts anders als ein Erlaß, der .zeitlichen j Sündeur 
strafen ist, nennt ihn, wiederholt eine, „Nachlassung , der , Sünden",* 
^ie dies ja auch in , päpstlichen Bullen öfters geschieht. Daß aber 
Berthold der, Bezeichnung „Ablaß aller Sund" noch die Worte „und 
Pein und Büß" beifügt, erklärt, sich aus seiner , Gewohnheit, öftere 
zwei, ; bisweilen auch. drei Worte ,zu gebrauchen, um ein und den- 
selben . Gedanken zum Ausdruck , zu bringen.^ . 

Es gibt noch andere Dominikaner, die gegen Ende des 13. oder 
zu Anfang des 14. Jahrhunderts Summen für die Beichtväter verfaßt 
haben.. Ihre .Ausführungen über den Ablaß bieten indessen nichts 
Beachtenswertes. Dies gilt besonders von Burchard von Straß- 



i 1 'Dietterle76. A.Hauck, Kirchengesohichte Deutschlands V (1911) 367. 
« Vgl. oben S. 298. ' r • ' . * 

^ Z. B. Ablaß und Antlaß, Pein und Büß, beichten und bekennen, oft und 
dick, gut und nütz, -Hölle tind ewige Pjein," bürgen .und borgen- und leihen, Dieb- 
stahl und Stehlen, Eid tun und schwören, Lohn' und Sold, Fried tiin und Fried 
machen usw. - Im, 'Vorübergehen" sei ^ bemerkt, . daß im Abschnitt, über Ablaß 
und Beichte wiederholt ein Bonif atius genannt wird. An Papst Bonifatius VXII. 
ist nicht zu denken. In der lateinischen Summe Johanns von" Freiburg steht 
an den parallelen Stellen Hostiensis. Und dieser ist auch bei Berthold gemeint. 
Irgendein« Abschreiber, hat ^die Abkürzung Ho. irrig . auf gelöst. Der Umstand, 
daß Berfchold den Jübiläumsablaß nicht erwähnt, darf vielleicht als Beweis dafür 
gelten, daß er sein Werk vor 1300 verfaßt hat. , 



334 IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts. 

bürg, der sich ganz kurz über den Ablaß ausspricht,! . Eingehender- 
beschäftigt sich damit Wilhelm von Cayeux, aber im engsten 
Anschluß an Johann von Freiburg,?, während Albert von Brescia 
sich ausschheßlich. auf Thomas von. Aquin stützt.^ 

Etwas mehr Beachtung scheint der Franziskaner Monaldus zu 
verdienen,* in dessen Summe ziemlich eingehend vom Ablaß gehandelt- 
wird.^ Bei näherer Prüfung stellt sich aber heraus, daß der Verfasser 
bloß die Glossa ordinaria Bernhards von Bottone und die Glosse 
Wilhelms von Kennes zu Raimund ausgeschrieben hat. -^ 

Weit selbständiger ist sein. Ördensgenosse Johann von. Erfurt, 
der kurz nach 1298 eine größere Summe für die Beichtväter verfaßt 
hat.' Seine Selbständigkeit bekundet er bezüglich der Ablaßlehre 
allerdings mehr in der Darstellung als in den Anschauungen. Wie 
er in betreff des Kirchenschatzes sich eng an Bonaventura anschließt, 
so folgt er in andern Fragen den Kanonisten Innozenz IV., Bernhard 
von Bottone, Hostiensis, Wilhelm Durantis. Nur in einem Punkte 
weicht er von seinen Vorgängern ab, in der Auffassung des Ablasses 
für die Verstorbenen. Etliche, so bemerkt er, behaupten,- daß der 
Papst den Seelen im Fegfeuer wohl die geistlichen Güter der Kirche 
hilfsweise (per modum suffragii) zuwenden könne, wie^ die kirchlichen 
Oberen ihnen die Verdienste von Bruderschaften mitteilen; doch könne 
er ihnen keinen Ablaß verleihen, und zwar aus einem doppelten Grunde : 
einmal weil die Verstorbenen nicht mehr der kirchlichen Jurisdiktion, 
die nur auf Erden auszuüben sei, unterstellt wären; sodann weil die 
Seelen im Fegfeuer das vorgeschriebene Werk nicht verrichten könnten.'^ 
Diese Gründe läßt jedoch Johann nicht gelten. Heißt es in der Ablaß- 
bewilligung, erwidert er, daß man das Kreuz' für sich selber oder für 
einen andern, einen Lebenden oder Toten, nehmen könne, so wird 
die Seele aus dem Fegfeuer befreit, wenn jemand den Kreuzzug für 
sie unternimmt. Wohl kann sie das vorgeschriebene Werk nicht 
selber verrichten, doch kann es von einem andern für sie verrichtet 
werden. Man sage auch nicht, daß die Kirche ihre Binde- und Löse- 
gewalt nur auf Erden auszuüben habe, gleich als wenn sie jene nicht 
binden und lösen könnte, die unter der Erde sind. Es werden doch 
in bestimmten Fällen Verstorbene von ihr exkommuniziert und von 
dem Banne losgesprochen. Das kann aber'nur von dem zuständigen 



1 Die Stelle findet man bei Dietterle in Zeitschr. f. Kirchg. XXV 271 f. 
» Dietterle XXVI 62. 
3 Dietterle XXVI 66 f. 

* Vgl. über ihn Dietterle XXV 248 ff. H. Repic in Archivum Francis- 
canum Historioxmx I (1908) 231 ff. 

* Summa perutilis atque aurea venerabilis fratris Monaldi. Lugduni 1516, 
Bl. 86 — 87'. Ein höchst fehlerhafter Druck! Namentlich in dem Abschnitt 
über den Ablaß ist der entstellte Text manchmal ganz tm verständlich. 

« Vgl. über ihn F. Doelle in Zeitschrift für Kirchengesch. XXX 214 ff. 
Der Abschnitt über den Ablaß ist abgedruckt S. 227 ff. 

' Hier hat JohannBonaventura im Auge, der diese beiden Gründe 
geltend macht. Vgl. oben S. 283. 



IX. Die Ablaßlehre der vornehmsten Kanonisten des 13. Jahrhunderts. 335 

Richter geschehen. Also bleibt der Papst auch noch der Richter 
jener, die im Fegfeuer sind. Daher kann man sagen, daß alle jene 
auf Erden sind, die noch nicht in den Himmel aufgenommen worden. 
Nach Johann von Erfurt könnten also die Ablässe den Seelen 
im Fegfeuer nicht bloß hilfsweise nach Art einer Fürbitte (per modum 
suffragii), sondern auf Grund der kirchlichen Gerichtsbarkeit, die sich 
auch auf die Verstorbenen erstrecke, verliehen werden. Der einzige 
Grund,, den er dafür anzuführen weiß, ist der Umstand, daß die Kirche 
bisweilen Verstorbene exkommuniziert oder von dem Banne losspricht. 
Die richtige Deutung dieser Praxis hatten aber bereits Hostiensis und 
andere Autoren gegeben. Eine Jurisdiktion des Papstes auf die Seelen 
im Fegfeuer läßt sich daraus nicht folgern. 






X. Die Ablaßlehre der Theologen 
der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 

Durandus von St. Pourgain. 

Durandus, dem Predigerorden angehörig, gestorben 1334 als 
Bischof von Meaux, hatte noch vor 1312, wo er den Doktorgrad er- 
langte, als junger Lehrer zu Paris zu dem Sentenzenbuch einen 
Kommentar verfaßt, der oline sein Wissen abgeschrieben und ver- 
breitet wurde. Später, jedenfalls nach 1321, da er einmal ein päpst- 
liches Schreiben aus diesem Jahre anführt,^ hat er das Werk, das 
inzwischen vielfach benutzt worden war, neu bearbeitet. Am Schluß 
desselben erklärte er, daß er es nur in dieser neuen Form als das 
.seinige anerkenne. In dieser neuen Ausgabe ist es denn auch gedruckt 
worden.^ Nicht mit Unrecht hat man schon öfters bemerkt, daß 
Durandus, obschon Dominikaner, in manchen Punkten . von dem 
Ordenstheologen Thomas von Aquin abweicht und seine eigenen Wege 
geht. Auch in der Ablaßlehre trägt er die eine und die andere Sonder- 
meinung vor. 

Wie Thomas und andere Theologen, so fragt auch Durandus, 
ob einer für den andern die vom Beichtväter auferlegte Buße über- 
nehmen könne.^ Ist es dem Pönitenten unmöglich, die in der Beichte 
erhaltene Buße zu verrichten, so kann diese Buße unzweifelhaft von 
einem andern verrichtet werden. Wie aber, wenn der Pönitent in 
der Lage ist, selber die Buße zu verrichten? In diesem Falle hält 
es Durandus im Gegensatze zu Thomas für wahrscheinlich, daß die 
. Buße nicht von einem andern übernommen werden kann. Gestattet 
indessen der Beichtvater, daß ein anderer die Buße verrichte, so 
scheint, daß dadurch nicht so viel von der schuldigen Strafe abgetragen 
werde, als wenn sie vom Pönitenten selber verrichtet würde. Schon 
in der Einleitung weicht demnach Durandus vöiTiChomas ab, um 
Bonaventura zu folgen. 

Bezüglich der Ablässe, „wodurch die genugtuende Strafe erlassen 
wird" (per quas peha satisfactoria dimittitur), erörtert Durandus 



^ Die Bulle Fas ^eotionis vom 24. Juli 1321 (Extrav. comm. c. 2 de haaret. 
III. 7), von der Durandm Sagt> sie sei jüngst (nbvissime) erlassen worden. Sent. 

IV, d. 17, q. 12.-; \ '^^ 'y \^. -.,-.:/':::: ":\.^" :/■■" K.:'''^'':\ ^ 

• Durand! de sancto Pörtiano, apostpUoi quondam pemtentiarrii, 
Meldensis eoclesie ispiscopi. In quätuor Sententiaruah librös questiontun pluri- 
anarum resolutiones. Parisiis 1508. 

> Sent. IV, d. 20, q. 2. Bl. 400. 



X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts: 337 

zuerst j die Frage, ob sie überhaupt etwas.^gelten.^ Von den 
Ablässen, , so ; beginnt er seine Ausführungen, kann nur wenig mit 
Sicherheit gesagt werden, da die Hl., Schrift nicht ausdrücMich davon 
spreche und auch die alten Kirchenlehrer, wie Ambrosius, Hilarius, 
Augustinus, Hieronymus, sie nicht erwähnen.^ Doch spricht davon 
Papst ;Gregorius, der. auch, wie man sagt ,(ut. dicitur), Ablässe für den 
Besuch, der römischen Stationskirchen verliehen' hat., Da also . die 
HL. Schrift und die älteren. Väter den Ablaß nicht erwähnen, so muß 
man, wennman davon sprechen w:ill, sich nachder üblichen Lehrweise 
richten (sequendus est mod.us communis). 

Indem er nun auf Grund der allgemeinen Praxis und Lehre der 
Kirche als sicher annimmt, daß durch die Ablässe etwas von der 
schuldigen Sündenstrafe nachgelassen werde, ^ fragt er zuerst, auf 
welche Weise die für die Sünden geschuldete Strafe nach,- 
gelassen werde.* Die Sündenstrafe, lehrt er, kann auf dreifache 
Weiseerlassen.werden: L aus purer Gnade;.2. indem einer die schuldige 
Strafe für einen andern bezahle; 3. indem die Strafe zum Teil erlassen, 
zum Teil abgelöst werde, was . geschieht, wenn eine schwere Strafe 
durch ein kleines .Bußwerk ersetzt wird. ^Es könnte nun scheinen-, 
daß beim Ablasse.. die erste und. dritte. .Nachlassungsweise stattfinde. 
Schon der Ausdruck ,„ Ablaß" (indulgentia) scheint anzudeuten, ,daß 
die Strafe ganz aus Gnade, erlassen , oder durch ein, geringes Büß werk 
ersetzt, werde. Anderseits steht aber fest,, daß Gott allein oder ein 
Stellvertreter, den er dazu bevollmächtigt hat, die schuldige ; Sünden- 
strafe aus purer 'Gnade ganz oder teilweise erlassen kann. Nun läßt 
sich aber, nicht nachweisen, daß Gott den Menschen,- die er zu Aus- 
spendern seiner Geheimnisse eingesetzt, .die ' Vollmacht ' erteilt habe, 
außerhalb der Sakramente die. schuldige Sündenstrafe unentgeltlich 
(gratis) nachzulassen. Dies können sie nicht, einmal mittels der 
Sakramente tun. Denn wenn auch in der Taufe oder^im Bußsakra- 
mente die Strafe ganz, oder teilweise erlassen wird, so handelt es sich 
doch dabei nicht um eine unentgeltliche Nachlassung; vielmehr wird 
in diesen Sakramenten ,das Verdienst des Leidens Christi mitgeteilt 
und so die Strafe bezahlt aus dem Schatze der genugtuenden Ver- 
dienste Christi. 

Es wd daher gemeiniglich gelehrt, daß die Ablässe nach Art 
einer Zahlung (per modum solutionis) wirken. Aus dem Schatze der 
Verdienste, Christi und der Heiligen werde Gott für die , schuldige 
Sündenstrafe Ersatz geleistet ; es seien daher die Ablässe nichts anderes 

^ Sent. IV, d. 20, q. 3: Utrum indulgentie aliquid valeant. Bl. 400'. 

^ „De indulgentüs pauca dici possunt per^ certitudinem, quia nee scriptura 
expresse de eis loquitur; quod enim dictum est Petro Mt. 16, 1.9: Tibi dabo claves 
etc. intelligitur de potestate ei data in foro penitentie; de coUatione autem in- 
dulgentiarum non est elanitn quomodo debeat intelligi. Sancti etiam Ambrosius, 
Hylarius,, Augustinus, Bieronymus minime loquuntur de indulgentüs." 

3. „Generalis "consuetudo et doctrina ecclesie, que contineret falsitatem, nisi 
per indulgentias dimitteretur aliquid de pena peccatori debita." 

* „Per quem modum indxdgentie valeant ad remissionem pene." q. 3, a. 1. 

Paulus, Geschichte des Ablassen. 22 



338 X. Die Ablaßlelire der Theologen der' ersteh Hälfte des 13. Jahrhtinderts. 

als eine Zuwendung der Genugtuung Christi und der Heiligen.^ Was 
die Verdienste Christi anlangt, bemerkt hierzu Du!randus/so steht es 
freilich außer allem Zweifel, daß sie zu dem geistlichen Schatze ge- 
hören, aus dem die Ablässe gespendet werden, und daß sie für sich 
allein vollauf genügen. Anders verhalte es sich aber mit den Ver- 
diensten der Heiligen. Es könne nämhoh bezweifelt werden, ob auch 
diese Verdienste zum Kirchenschatze gehören.^ Für die verneinende 
Ansicht führt Durandus einige Gründe ah ; insbesondere hebt er hervor, 
daß ja die Leiden der Heiligen bereits in vollem Maße belohnt worden 
seien. Nach dieser Ansicht, so fügt er bei, würden also die Verdienste 
der Heiligen nicht zum Kirchenschatze gehören. Er weiß wohl, daß 
die von ihm vorgebrachten Gründe schon von andetn Theologen 
widerlegt worden sind. Diese Widerlegung hält er aber nicht für 
stichhaltig. Und so beschließt er seine Erörterungen, ohne sich näher 
über seine eigene Stellung ziir behandelten Frage auszusprechen. Mit 
Unrecht wird demnabh hier und da bifehauptet, Durandus "habe ge- 
leugnet, daß die überschüssigen Verdienste der Heiligen einen Be- 
standteil des Kirchenschatzes bilden. So bestimmt hat er sich hierüber 
nicht ausgesprochen; er hat bloß die Frage in Zweifel gezogen: 

In einem zweiten Abschnitte wird die Frage erörtert, ob die 
Ablässe so viel gelten, als sie lauten. Daß sie etwas' gelten, 
bemerkt der Verfasser, und zwar nicht bloß vor dem Richterstuhle 
der Kirche, wie etliche gesagt haben (dixerunt), sondern auch vor 
dem Richterstuhle Gottes, muß als sicher angenommen werden. Über 
die Frage aber, in welchem Umfange die Sündenstrafen durch den 
Ablaß nachgelassen werden, gibt es verschiedene Ansichten. Die 
einen meinen, die Wirksamkeit des Ablasses richte sich nach der 
frommen Gesinnung des Empfängers. Dies wird von Duranduis ab- 
gelehnt; ebenso verwirft er die Meinung, daß die Wirksamkeit des 
Ablasses sich nach der Höhe des gespendeten Almosens oder nach der 
vollbrachten Leistung richte. Eine dritte Ansicht wollte j daß der 
Ablaß so viel gelte, als er lautet, wenn die Ursache, für welche der 
Ablaß gespendet worden, 'in richtigem Verhältnis zu diesem steht 
(oi causa indulgentie est ei proportionata). Diese Ansicht hält wohl 
Durandus für wahrscheinlich; doch meint er, daß sie nicht völlig der 
kirchlichen Praxis entspreche, da bisweilen für den Besuch einer Kirche 
bald ein größerer, z.B. von 20 Jahren, bald ein kleinerer erteilt werde .^ 
Es gefällt ihm daher besser die Ansicht jener (Thomas ^von Aquin), 
die den Weit des Ablasses auf dem Kirchenschatze beruhen ließen. 
Der Umfang des Ablasses wird desto größer oder kleiner sein, je reich- 

^ „Indulgentie non sunt aliud quam communicatio pene Christi et sanc- 
torum." q. 3, a. 2, 

^ „De merito autem passionis sanctorum potest verti in dubium, utrum 
pertineat ad thesaurum ecclesie." 

ä Hier (q. 4, a. 1) nimmt Durandus an, daß zu seiner Zeit Kirchen Ablässe 
von 20 Jahren besaßen. Diese Ablässe waren jedoch unecht. So große Ablässe 
wurden damals noch nicht für Kirchenbesuch erteilt, wie aus den zahllosen 
bekannten Ablaßbewilligungen jener Zeit hervorgeht. 



X.-.'Die Ablaßlehre der Theologen der. ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 339 

lieber. oder sparsamer die Verdienste Christi aus dem Kirchenschatze 
dem Ablaßempfänger zugewendet werden. Damit aber eine solche 
Zuwendung 'stattfinden, könne, sei ein Dreifaches erfordert: auf Seiten 
des Spenders die nötige Vollmacht, auf selten des Empfängers der 
Stand der Gnade, zudem ein frommer Grund, nämlich die Ehre Gottes 
oder der. Nutzen der Kirche. 

Ist in der Ablaßbewilligung von auferlegten Bußen (de penitentiis 
iniunctis) "die Rede, dann bezieht sich der Ablaß nur auf die vom 
Beichtvater auferlegte Buße,- nicht auf jene, die hätte auferlegt werden 
sollen.^ Werden einem Pönitenten durch einen Ablaß 40 Tage von 
der auferlegten . Buße erlassen, so braucht er diesen Teil der Buße 
nicht mehr zu verrichten, und es wird ihm von Gott ebensoviel von 
der schuldigen Sündenstrafe nachgelassen, als er durch eine Buße 
von 40 Tagen abgetragen hätte. 

Hat der Ablaß auch einen Wert für einen Pönitenten, der die 
ihm auferlegte Buße vollständig verrichtet ? Ja ! Durch den Ablaß 
wird ihm die Buße erlassen, so daß er sie nicht mehr zu verrichten 
braucht. Verrichtet er sie dennoch, so erwirbt er sich dadurch Ver- 
dienste für den Himmel und' trägt einen entsprechenden Teil von den 
noch schuldigen Sündenstrafen ab,^ 

Wem nützen die Ablässe ?3 Vor allem nützen sie nicht jenen, 
die eine Todsünde auf dem ^Gewissen haben, da die Ablässe sich nur 
auf die Sündenstrafe beziehen und die Strafe nicht erlassen werden 
kann, wenn nicht zuvor die Sündenschuld vergeben ist. Dies hindert 
indessen Dufändus nicht, gleich nachher den voUkbriimenen Ablaß als 
eine „Nachlässung aller Sünden" zu bezeichnen. Er weiß eben, daß 
die Sünde auf zweifache Weise vergeben werden kann, der Schuld 
nach unä der Strafe nach, und daß die Vergebung erst darin eine 
vollkommene ist, wenn auch die Strafe erlassen ist.* So konnte er 
sehr wohl den Ablaß, obschon dieser nur die Strafe tilgt, als eine Ver- 
gebung d.er- Sünden bezeichnen. 

Nebst dein Gnadenstand ist zur Gewinnung der Ablässe erfordert, 
daß man beichte (vere confessus), da die Beichte in den Ablaßbriefen 
gewöhnlich verlangt wird, und daß man das. vorgeschriebene Werk 
verrichte. Es. körinten indessen Ablässe auch ohne diese beiden Be- 
dingungen verliehen werden.^ Ist jemand im Stande der' Gnade, 

1 „Forma indulgentie non sonat nisi quod certa pars de iniunctis penitentiis 
relaxatur. Penitentie enim iniuncte sunt ille solum: que imponuntur a sacerdote 
confitenti; canones enim nullam imponünt penitentiam, sed docent qualis et 
quanta sit imponenda." .Bl. 401'. Etliche, wie Süarez 712, haben dies falsch 
aufgefaßt, als würde Durandus lehren, der Ablaß überhaupt beziehe sich- nur 
auf die auferlegten Bußen. 

* „Hoc valet ei ad meritum et remissionem ulterioris pene, quia, pena per 
penam recompensatur." Bl. 401'. 

3 Sent. IV, d. 20, q. 4, a. 2. 

* Sent. IV, d. 18, q. 2, a. 1 : „Perfecta rernissio peccati non est nisi remittatur 
quantum *ad penam et qüantum ädculpam." Bl. 393'. 

5 „Videlicet contritis et non confessis, et absque hoc quod imponeretur 
aliquid dandum vel faciendum." Bl. 402. 

22* 



"340 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 

SO kann er des Ablasses teilhaftig, werden; folglich ist die Beichte 
nicht unumgänglich notwendig. Ebensowenig ist- erfordert, daß ein 
noch zu verrichtendes Werk vorgeschrieben werde. Ermächtigt doch 
der Papst manche, ohne daß er ein gutes Werk von ihnen fordere, 
sich die Generalabsolution erteilerf-* zu lassen, wodurch nicht nur die 
Sündenschuld, sondern auch die Sündenstrafe erlassen wird.^ Auf 
ähnhche Weise könnte er auch, wie es scheint, Ablässe verleihen, 
ohne eine Gegenleistung zu fordern.^ 

Da die Seelen im Pegfeuer das vorgeschriebene Werk nicht ver- 
richten können, da sie zudem nicht mehr unter der Gerichtsbarkeit 
der Kirche stehen, kann ihnen der Papst direkt keinen Ablaß ver- 
leihen; doch können ihnen die Ablässe indirekt und hilfsweise zugute 
kommen, indem jemand durch Verrichtung des vorgeschriebenen 
Werkes den Ablaß gewinnt und diesen dann den Verstorbenen zu- 
wendet.^ ' 

In einem weiteren Kapitel beschäftigt sich Durandus mit dem 
Ablaßspender, wobei er die Ansicht vertritt, daß die Verleihung von 
Ablässen auf die Weihegewalt, nicht auf die kirchliche Jurisdiktion 
zurückzuführen sei.* 

Petrus Pal udanus. 

i)ie erste Bearbeitung des Sentenzenkommentars von Durandus 
wurde vielfach benützt von dem Dominikaner Petrus Paludaiius . Obschon 
dieser erst im Jahre 1314 zu Paris Doktor der Theologie und öffentlicher 
Lehrer wurde, so hat er doch seinen Kommentar zu den Sentenzen^ 
schon etliche Jahre früher niedergeschrieben. i)ie von Benedikt XI. im 
Jähre 1304 erlassene Konstitution Inter cunctas (Extrav. comm.. c. 1. 
de privil. V. 7) über die Privilegien der Mendikantenorden gilt ihm 
noch als ,,neu" und rechtsgültig.® Nun ist aber diese Konstitution 
von Klemens V. auf dem Konzil von Vienne (1311/12) außer Kraft 



^ „Papa concedit multis quod possint äbsolvi generali absolutione, .quantum 
extendunt se claves Petri. Ista autem absolutio non solumest a culpa, quia 
illa semper est generalis, cum una culpa non possit remitti sine alia, sed extendit 
sead dimissionem pene. Et tarnen Papa non imponit talibus, aliquid faciendum." 
Bl. 402. Von dieser Generalabsolution von Schuld und Strafe, die auf Grund 
eines. iBeiehtbrief es erteilt werden konnte, wird im 2. Bande in einem eigenen 
Abschnitte gehandelt werden. ■ - 

1 > :ur,„Simili modo videtur quod possent dari indulgentie, ut videtur, absque 
lipo^quod. Papa imponit aliquid dandxmi vel faciendum.". 

..,1 ,jä^;„Possunt eis indirecte~ valere per ihpdum suffragii, quatenus aliquis qui 
indulgentiara recipit faciendo id pro quo datur indulgentia,-ex intentione transfert 
©am in satisfaotionem eius qui est in ptirgatorio." Bl. 402. 

* Sent. IV, "d. 20, q. 5. 

^ Scriptum in quartum Sententiarum. Venetiis 1493. 
. .. ' Sent., IV, d.,17, q..4. Bl. 85. Bei Behandlung derselben Frage erwähnt 
Durandus in der zweiten Bearbeitung seines Kommentars nicht mehr die Kon- 
stitution Benedikts XI., sondern die Bulle Vas electionis Johanns XXII. vom 
Jahre 1321, Vgl, oben S. 336, 



X. Pi© Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts, 341 

gesetzt worden,^ und davon mußten die Dominikaner in Paris Kenntnis 
haben. Demnach hat Paludanus sein Werk vor 1312 verfaßt. Ander- 
seits kann' er den Abschnitt - über den- Ablaß erst nach. Mitte 1308 
ausgearbeitet haben, da er darin als noch bestehend einen Ablaß er- 
wähnt; den- Klemens V. am 11. August ,1308 zugunsten der Johanniter 
für fünf Jahre verliehen hätte. - • 

Wie Durandus, so leitet .auch Paludanus seine Erörterungen über- 
den Ablaß mit der Frage ein-, ob einer für den ändern die auferlegte' 
Buße verrichten könne. ^ ; Alle, geben zu, bemerkt er, daß eine Stell- 
vertretung zulässig sei, wenn der Pönitent nicht imstande ist, selber- 
die Buße zu verrichten. Kann er sie .aber verrichten, dann ist nach, 
der allgemeinen Lehre eine Stellvertretung ebenfalls unzulässig, wenn 
das Büß werk zugleich als Heil- und Präservativmittel auferlegt wurde. 
Wie verhält es sich aber, mit der Buße, insofern' sie als Zahlungsmittel. 
zu gelten hat ? " Kann man sie durch einen andern verrichten lassenv 
wenn man selber- in derLage-ist, sie abzuleisten? Nein, erwidert: 
Paludanus, wenn man aus Liebe zur Bequemlichkeit einen Stell- 
vertreter S suchen würde . Ist ■ aber jemand mit , Werken ■ beschäftigt^ 
die , Gott angenehmer • sind, als die auferlegten Bußübungen, : und die 
nicht minder das Fleisch kreuzigen, so -kann er sehr wohl die Buße 
durch einen andern verrichten lassen. Außer Zweifel ist auch, daß; 
man für die Verstorbenen, die im Fegfeuer , sind; genugtun könne« 
Mag nun aber die;Buße für einen Lebenden oder für einen Verstorbenen 
übernommen werden, immer muß der Stellvertreter im Stande der 
Gnade sich befinden; denn was im Stande der Todsünde verrichtet 
wird und Gott nicht angenehm ist, ;kann keinen genugtuenderi Wert 
haben. Doch ist nicht erfordert, daß die Buße, die für einen andern 
übernommen wird, größer sei, als wenn man sie für sich .selber ver- 
richten würde. , - 

Die Ablaßfrage erörtert Paludanus in drei ziemlich umfangreichen 
Artikeln. Zuerst handelt er von dem Werte des Ablasses; im zweiten 
Artikel wird untersucht, wer Ablässe erteilen könne ; im dritten, wem 
sie, zugute kommen.* r '~ , - 

: ' ' Der W'ertdes Abiasses beruht nach Paludanus auf dem Kirchen- 
schatze, 'der'aüs'den Verdieiisten- Christi 'üiid der Heiligen' besteht. Das 
von Durandus geltend gemachte, Argument, gegen die Zügehörigkeit der 
Verdienste, der Heiligen zum Kirchenschatze,, daß nämlich die Leiden 
der Heiligen bereits in 'vollein Mäße -belohnt' worden seien,- wird als 
nicht stichhaltig abgelehnt.* Die guten Werke der Gerechten sind 
nicKt bloß verdienstlich' für deii Himmel, sie sind auch genug - 
tuend. Nun sind zwar die Heiligen für -das, was sie getan urfd gelitten 
haben, überreichlich belohnt Avorden; hinsichtlich des genugtuenden 



^ Clem. 0. 2. de sepult. III. 7. 
« Sent. IV; d. 20, q. 3. Bl. 110. 
■3 Sent. IV, d. 20, q. 4, a.^1— 3. 

* Durandus wird nicht genannt; es heißt bloß : „Contra hoc arguunt quidam." 
Bl. iio'; ' ' 



342 X. Die -Ablaßlehre der Theologen der erateiii- Half te des 14. Jahrhunderts. 

Wertes ihres Lebens haben sie aber mehr" Leiden erduldet, als sie für 
ihre persönlichen Sünden verdient hatten. 

Zur Spendung der Ablässe aus dem Kirchenschatz ist ein ge- 
rechter und vernünftiger Grund erfordert, nämlich die Verrichtung 
irgendeines guten Werkes.^ Was ist aber von einem Ablasse zu halten, 
der ohne genügenden Grund erteilt wird? Andere sagen, schreibt 
Palüdanus, daß ein solcher Ablaß nicht gültig sei, da er gegen den 
Willen Gottes erteilt werde. Er' selber ist indessen geneigt, einen 
Ablaß, der ohne genügenden Grund erteilt wird, als giiltig' zu be- 
trachten. Der Papst, meint er, beginge wohl eine Sünde, wenn er 
einen derartigen Ablaß bewilligen würde.^ Wie er aber trotz der dabei 
begangenen Sünde ein Sakrament gültig spendet, so würde auch der 
Wert des Ablasses durch die dabei begangene Sünde nicht beein- 
trächtigt werden.^ Sollte daher der Papst aus eigener Initiative ohne 
genügenden Grund einen Sterbenden durch einen Ablaß' von aller 
Strafe lossprechen, so würde der Sterbende sofort in den -Himmel 
kommen, falls er von aller Sündenschuld frei wäre.* ;• ' ■■ 

Die Ablässe gelten so viely als sie lauten, auch- vor -Gott, d.h. in 
bezug auf die Fegfeuerstrafe. -Dies ist folgenderweise zu verstehen: 
Wenn jemand einen Ablaß von 20 Jahren gewinnt, so wird ihm da- 
durch so viel Sündenstrafe' nachgelassen, als er durch die Verrichtung 
einer 20jährigen kirchlichen Buße abgetragen hätte. Die Ablässe sind 
daher sehr vorteilhaft, vorteilhaft besonders für- solche Sünder, die oft 
in die Sünde zurückfallen und nicht so leicht ein ganzes Jahr der Tod- 
sünde sich enthalten, wie sie sich" einen* Tag oder eine Stunde derselben 
enthalten. Im Stande der Todsünde würden ihnen die Büß werke 
nichts nützen zur Abtragung ihrer Strafe; -Befinden sie sich- aber, 
wenn auch nur kurze Zeit, im. Stande der Gnade, so können sie in 
diesem Zustande durch Gewinnung von Ablässen mehr oder weniger 
von ihrer schuldigen Strafe abtragen.'^ 



^ „Aliquod pium opus spirituale yel temporale." Palüdanus scheint hier 
,, causa" und „opvis pium" zu identifizieren. 

''' „Licet, nisi sit iusta causa dande indulgentie (ich verbessere' 'diesen im 
Drucke verderbten Satz nach Äntoninusv Summa.theologica I, Feronae 1740, 
598), peccet oqncedens . . ;. videtur tarnen ei yalere .qui conditionem impleret, 
nisi et ipse illamimpetraret." Bl. 110', 

^ „Sicut verum sacramentum confert peccando, sie et veram'indulgentiam." 
Wegen dieses ganz unverfänglichen Vergleiches behauptet Bratke 86,Taludanüs 
lehre: „Der Ablaß wirkt eben in ,d©r Weise des- Sakraments." ; ■- 

* „Si ergo papa proprio motu morientem absolveret ,ab omni pena per 
modum indulgentie, et ille pie crederet, ille evolaret, si nuUam eulpam haberet, 
etsi papa iustam causam non haberet; licet',' si papa sacramentaliter sine digna 
penitentia absolveret, ille immunis non esset,"_ Lea 96 läßt Palüdanus das 
Gegenteil sagen von dem, was er tatsächlich gelehrt hat. Palüdaniis soll nämlich 
gelehrt haben, „that an indulgence granted by the pope proprio motu and without 
raotive is invalid". 

ä ,,Et propter hoc maxime sunt utiles indulgentie et seotire peccatoribus 
qui sepe reoidivant et non facile abstinent per totum annum ja nibrtali, sicut 
abstinent uno die vel hora; propter quod prosunt eis sepe indulgentie, , quia illa 
hora sunt in statu bono, quibus non prodest diutiria penitentia sepe per mortale 
mortificata." Bl. 111. 



X. Die, Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 343 

Auf diese Stelle beruft man sich, um zu behaupten: „Einige 
haben geradezu Instruktionen gegeben, wie man Gott im Himmel 
und sein heiliges Gesetz betrügen) könne, um in den Himmel zu kommen, 
wenn man sich nur einen Tag im Jahr oder eine Stunde vor Todsünden 
hüte und in dieser Spanne, Zeit aliquam attritionem aufweise. "^ Dem- 
gegenüber ist zu bemerken, daß Paludanus an der betreffenden Stelle 
bloß den Nutzen der Ablässe in bezug auf die Abtragung der zeitlichen 
Sündenstrafen hervorhebt. Es. muß auch betont werden, daß in dem 
ganzen Abschnitt, der vom Ablaß handelt, das Wort,,,attritio" über- 
haupt nicht vorkommt. Will man die Ansicht des Paludanus über 
die Reue kennen lernen, so muß man die 17. Distinktion nachschlagen.^ 
Hier handelt Paludanus hauptsächlich, von der „contritio", von der 
vollkommenen Reue, während er die,,,attritio" oder die unvollkommene 
Reue nur das eine und das andere Mal erwähnt. In Übereinstimmung 
niit Thomas von Aquin lehrt er, daß die unvollkommene Reue beim 
Empfange des Bußsakramentes genüge. Er unterscheidet aber eine 
zweifache Attrition, eine solche, die zwar nicht ohne das Bußsakrament, 
aber doch mit ihm genüge, und eine andere, die auch nicht in Ver- 
bindung mit dem Bußsakrament zur Rechtfertigung hinreichend sei.? 
Als Beispiel.der zweiten, ungenügenden Attrition führt er folgendes an : 
Wer die Sünden der Vergangenheit bereut, ohne einen guten Vorsatz 
für die Zukunft zu haben, oder umgekehrt; sodann wenn der Reue- 
schmerz nicht, wie er sein spU, über alles (maximus) ist. Kurz vorher 
hatte er nämlich auseinandergesetzt, daß der Reueschmerz zwar nicht 
der Empfindung oder dem Gefühle, nach über alles sein müsse; doch 
müsse der intellektive Schmerz (dolor intelleotivus) über alles sein; 
man müsse die Sünde mehr verabscheuen, als irgendein anderes Übel.* 
Eine ernste, über alles gehende Verabscheuung der Sünde wird demnach 
von .Paludanus auch für die Attrition gefordert. Zudem erklärt er 
ausdrücklich, daß mit der Attrition der Vorsatz, nicht ,mehr sündigen 
zu wollen, verbunden sein müsse. Unter der Attrition, die er für 
den würdigen Empfang des Bußsakramentes erfordert, ist also eine 
wahre innere Reue zu verstehen, ;eine wirkliche Sinnesänderung, eine 
Reue über alles, . verbunden mit dem Vorsatze, nicht mehr zu sündigen.^ 
Ist man wohl berechtigt, zu behaupten, daß die Lehre, die eine der- 
artige Attrition forderte, , eine ,, Verwüstung der Religion und der 
einfachsten, Moral", zur, Folge haben mußte ?^ 

Bezieht sich der Ablaß bloß auf die auferlegten Bußstrafen 
oder auch auf jene, die hätten auferle.gt,werden sollen? Einige, 



. > 1 Harnack 593. 2 gent. IV, d. 17. Bl.; 79 ff. 

3 Dist. 17/ q. 8. Bl. 89. * Bist. 17, q, 1, a. 5. .Bl. 80. 

^ Daß die Reuelehre des Paludanus keine Laxheit aufweist, hat schon 
Johann Morin hervorgehoben. De contritione et attritione exercitatio historico- 
theologica I 74 ff., in Qpera pothuma. ^Parisiis 1703. Vgl. auch'Göttler, Der 
hl. Thomas von Aquin und die vortridentinischen .Thomisten über die Wirkungen 
des Bußsakramentes. Freiburg iOOi, 155 ff. 

« Ilarnack 593. 



344 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte-des 14. Jahrhunderts. 

bemerkt Paludanus, halten es für wahrscheinlich, daß ler^ sich auch 
auf die aufzulegenden Strafen bezieht. Biese Ansicht gilt auch ihm 
für wahrscheinlich. 1 Er fügt aber bei, daß andere — gemeint ist 
Durandus — zwischen Ablässen einen Unterschied machen. Ablässe, 
bei denen es heißt, daß dadurch etwas von den auferlegten Buß- 
strafen erlassen wird (de iniunctis peniWtiis relaxamus),- würden sich 
nur auf die vom Beichtvater auferlegte Buße erstrecken. Wird aber 
ein vollkommener Ablaß aller Sünden erteilt, dann' wird alle Strafe 
vor Gott und der Kirche erlassen, sowohl die auferlegte als die' auf- 
zulegende.? . 

In welchem Verhältnis steht der Ablaß zu dem vor- 
geschriebenen Werk oder der zu leistenden Geldspende? 
Das hängt von der Bestimmung ab, die der Ablaßspender getröffen. 
Wird ein bestimmter Ablaß für eine bestimmte Leistung verheißen, 
wie beim jetzigen Ablaß der Johanniter, bei dem 24' Jahre für eine 
Spende von 24 Denaren in Aussicht gestellt werden,^ dann gewinnen 
alle, ob reich oder arm, welche die Bestimmung erfüllen, den ver- 
heißenen Ablaß. Heißt es aber ganz allgemein: Wer für diese Kirche 
ein Almosen spendet, der gewinnt' so und so viel Tage Ablaß; dann 
muß ein jeder nach seinem Vermögen spenden, also der Reiche mehr 
als der Arme. Wird dagegen ein Ablaß von 40 Tagen' für den Besuch 
einer Kirche verliehen, dann gewinnen jene, diein der Nähe wbhnen, 
den vierzigtägigan Al:)laß ebensowohl als jene, die von ferne kommen. 
Wie aber eine mehrtägige mit mühsamer -Pilgerfahrt* verbundene Buße 
mehr gilt, als eine kurze Wallfahrt von einem Tage, so wird auch der 
vierzigtägige Ablaß bei den Pilgern, die von ferne kommen, eine 
größere Wirksamkeit haben, als bei' jenen, die nur ein paar Schritte 
zu tun haben. * 

Beachtenswert ist -das Urteil des P'aludanus über den tqties- 
quoties- Ablaß, d. h. den Ablaß, den man so oft gewinnen kann, 
als man das vorgeschriebene gute Werk verrichtet. Handelt es sich 
um einen Ablaß, der für eine bestimmte Zeit ' verliehen worden, so 
scheint, daß man ihn in der bestimmten Zeit nur einmal gewinnen 
kann. Ist er dagegen ohne Einschränkung für immer verliehen worden 
(indulgentia perennis), so kann man ihn jeden' Tag gewinnen, nicht 
aber, wie es scheint, mehrmals im Tage. Denn dies könnte den Ablaß 
zum Gespötte machen.^ Es scheint auch für einen derartigen öfters 



^ Suarez 712 behauptet irrig, Paludanus lehre, daß der Ablaß sich bloß 
auf die auferlegten Bußen beziehe. 

2 „ Quando datvtr plena aut plenior vel plenissima indulgentia peccatorum, 
tunc omnis pena iniiinota vel iniungenda in foro Dei et Ecclesie remittitur, id 
est solvitur et hicet in futuro." Bl. 111'. 

ä Diesen Ablaß hatte Kllemens V. am' 11. August 1308 auf fünf Jahre ver- 
liehen. Eegestum' Clementis V. n. 2989. '•' 

* Ähnlich äußert sich über den toties-quoties -Ablaß Nikolaus von Lyra 
(t 1340) in einem ungedruckten Quodlibetum: „Si aliquis habet domum iuxta 
ecclesiam et non facit tota die lüsi ire et redire!', so gewinnt er nicht jedesmal 
den Ablaß, „quia illud esset magis derisorium quam devotum; tmde taliter debet 



X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 345 

wiederholten' Ablaß der genügende Grund zu fehlen, so' daß anzu- 
nehmen ist, daß der Papst einen solchen Ablaß nicht geben konnte 
oder nicht geben wollte. ^ 

In betreff der Frage, wer Ablässe erteilen könne, bringt 
Paludanus. nichts Beachtenswertes. , Einige interessante Bemerkungen 
macht er dagegen bei der. Erörterung der weiteren Erage, wem der 
Ablaß zugute komme. Wie die, andern Theologen, so lehrt, auch 
er, daß der Ablaß jenen, die im. Stande der Todsünde sich be- 
finden, nichts nützen .kann. In den kirchlichen Ablaßformeln heißt 
es denn auch, daß der Ablaß jenen zuteil werde, die ihre Sünden wahr- 
haft bereuen und'beichtßn. Es genüge. .aber, falls nicht das, Gegenteil 
gesagt wird, daß man den Vorsatz habe, in gehöriger Zeit zu beichten.^ 

Mit verschiedenen Kanonisten ist Paludanus der Ansicht, daß ein 
Pfarrer seine Pf arrkinder ermächtigen kann, die von fremden Bischöfen 
erteilten Ablässe, zu gewinnen. iWie ein Pfarrer, der die Priesterweihe 
noch nicht empfangen hat und daher, nicht in der Lage ist, Beichte zu 
hören und zu absolvieren, einen fremden Priester ermächtigen kann, 
seine Pfarrkinder zu absolvieren, so kann er auch seine Pfarrkinder 
der Jurisdiktion eines fremden Bischofs unterstellen, so daß dieser 
ihnen Ablässe erteilen kann, die er selbst ihnen nicht erteilen könnte. 
Daher soUien die Pfarrer stets ihre Beichtkinder ermächtigen, alle 
ihnen zugänglichen Ablässe zu gewinnen. 

Der Ablaß kommt nicht bloß jenem zugute, der die vor- 
geschriebene Bedingung erfüllt, sondern auch einem andern, für den 
diese Bedingurig erfüllt wird, möge dieser noch am Leben oder schon 
gestörbein sein. ' Doch muß dies in der Ablaßbewilligung ausdrücklich 
hervorgehoben werden. Geschieht' das nicht, so kann die Zuwendung 
an einen andern nicht stattfihdeii. Denn der Ablaßspender ist es, 
der.' den Ablaß erteilt, wem er will, nicht aber derjenige, der die Be- 
diriguiig erfüllt. Wenn daher einige sagen, daß der Ablaß von dem 



venire quod adventus suus sapiat devotionem; et ideo si vadit horis statutis 
ad orandum vel audiendum verbuin Dei pro qualibet vice habere t." Mitgeteilt 
von Felinus Sande us, Sermo de indiilgentia plenaria (1475), in Traetatus 
universi iuris XIV, Venetiis 1584, 159'. 

'- ' 1 „Pluries in die non videtur - sensisse [papa],' quia'posset cederein de- 
risionem, quia non faceret homo nisi ponere pedem et exire et redire:, Videretiur 
etiam non rationabile, si toties lucräretur, et supp'onendum qüod päpa non potuit 
vel noluit dare indulgeritiam pro causa non iusta." Bl. 111'. Diese Stelle führt 
beistimmend an Papst Benedikt XIV. in einem Schreiben vom -4, September 
1748, das vom Portiunkula-Ablaß handelt. Abgedruckt bei P. A. Kirsch, Der 
Portiunkula-Ablaß. Tubingen 1906, 18.- • ' 

^ „Intelligo autemconfessis in proposito, quia non. oportet de facto." Bl. 112. 
Diese Ansicht haben damals schon und auch in späterer Zeit manche Theologen 
und Kanonisten vertreten. Daß „damit die Verbindimg [des Ablasses] mit dem 
Bußsäkramerit gelöst ist", wie Bratke 89 behauptet, ist nicht zutreffend. Alle 
Autoren lehren ja, daß ein Todsünder, der den Ablaß gewinnen will, seine Sünden 
wenigstens bereuen müsse. Die Reue aber, so lehren sie weiter, kann nur dann 
von Nutzen sein, wenn 'damit der -Vorsatz verbunden ist, in gehöriger Zeit, 
nämlich'in der österlichen Zeit, zu beichten. Das Bußsakrament wurde demnach 
keineswegs ausgeschaltet. •" • ' 



346 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14., Jahrhunderbs. 

Empfänger den Seelen im Fegfeuer zugewendet werden kann, so 
ist dies nicht richtig, außer wenn es in der Ablaßbewilligung gestattet 
wird.i Innozenz IV. lehrt indessen, daß nur der päpstliche Ablaß den 
Seelen im Fegfeuer zugewendet werden kann.^ 

Von etlichen wird behauptet, daß nach Paludanus auch die Bischöfe 
befugt wären, Ablässe für die Verstorbenen zu erteilen. Er lehrt nun 
freilich, daß durch die Ablässe der ,, Prälaten" die Seelen im Fegfeuer 
erlöst werden können.^ Daß er aber unter diesen Prälaten auch die 
Bischöfe versteht, sagt er nicht. Man ist vollauf berechtigt, anzu- 
nehmen, daß er nur von den' höchsten Prälaten, den Päpsten, sprechen 
wollte,* um so mehr,' als er, wie soeben bemerkt worden, die angebliche 
Lehre Innozenz' IV., daß nur die Päpste für die Verstorbenen Ablässe 
erteilen können, anführt, ohne etwas dagegen einzuwenden. Sollte er 
aber auch die Bischöfe gemeint haben, dann war er sicher der Ansicht, 
daß diese für Verstorbehe nur partielle Ablässe erteilen können; denn 
an einer andern Stelle lehrt er ausdrücklich, daß nur der Papst einen 
vollkommenen Ablaß spenden kann,^ 

Am Schlüsse seiner Erörterungen iiber den Ablaß kommt Paludanus 
auf die Ausdrücke plena, plenior, ,plenissima zu sprechen, die 
Bonifaz VIII. in seiner JubiläunasbuUe vom Jahre 1300 gebraucht 
hatte. Man könnte vielleicht, meint er, diese verschiedenen Ausdrücke 
so erklären, daß der voUkonamene Ablaß (plena indulgeiitia) sich auf 
die für die Todsünden schuldigen Strafen bezieht, der vollkommenere 
(plenior) "auf die Strafen der schweren und läßlichen Sünden, der voll- 
kommenste aber (plenissima) auch auf die Sündenschuld der läßlichen 
Fehler. Denn, wie es scheint, kann durch den Ablaß, inspfern er den 
Charakter einer gewissen Absolution hat, d.ie läßliohe Sünde der Schuld 
nach erlassen werden, wie sie ja auch .durch das nicht sakramentale 
allgemeine Sündenbekenntnis erlassen wird. Doch ist hierfür Reue 
erfordert, allerdings eine geringere Reue, als sie zur Nachlassung der 
läßlichen Sünde erforderlich wäre ohne die Dazwischenkunft der päpst- 
lichen Absolution oder der bischöflichen Benediktion.^ Der Ablaß 



^ „Ille qui dat indulgentiam est dispensator et applicat cui vult, non autem 
ille qui implet conditionem; unde quod dieunt aliqui quod indulgentia ex intentione 
suscipientis transfertur in illum qui est in purgatorio, non est verum, nisi forma 
cpnced,entis hoc habeat." Bl. 112. Unter, den „aliqui" ist Durandus zu ver- 
stehen. Vgl. oben S. 340. 

* „Tamen Innoeentius (Extra, c. quod autem) dicit quod solius pape in- 
dulgentia valet defuncto." Dies lehrt Innozenz IV. nicht. Vgl. oben S. 319. 

2 Sent. IV, d. 45, q. 1, a. 3: „Anime defunctorum liberantur indulgentiis 
prelatorum." Bl. 217'. 

* Auch Thomas von Aquin gebraucht den Ausdruck „praelatxis Ecolesiae" 
bei der Behandlung der Ablässe für Verstorbene. Sent. IV, d. 45, q., 2, a. 3, 
qu'aest. 2 (Suppl. q. 71, a. 10). 

5 Sent. IV, d. 20, q. 4, a. 3. 

" „Potest, ut videtur, per indulgentiam, in quantum habet rationem ouius- 
dam absolutionis, remitti veniale quoad culpam, sicut et per confessionem gene- 
ralem non sacramentalem; sed ad hoc requiritur contritio . . .' Ali qua contritio 



X. D^ie Ablaßlehre der The.olpgen der ersten, Hälfte des 14. Jahrhunderts:. 347 

wird also hier als Absolution den kirchlichen Sakramentalien oder 
Benediktionen beigezählt, bezüglich deren Paludanus an einem andern 
Orte lehrt, daß in Verbindung mit ihnen ,eine geringere Reue zur 
Vergebung der läßlichen Sünde genüge. Doch unterläßt er nicht, 
äu, betonen, daß auch die läßliche Sünde nicht.ohne Reue nachgelassen 
werden kann.^ 

Der Ansicht des Paludanus, daß die läßjiche Sündenschuld durch 
den Ablaß nachgelassen werden könne, hat man schon öfters eine 
allzu große Bedeutung beigelegt. , „So;ist denn", hat man behauptet, 
„mit, dem Ablaß ein gewisser Schulderlaß verbunden. Und Petrus 
de Palude ist bereits so weit, denselben zu ^einem opus operatum zu 
machen."^ An letzteres hat Paludanus nicht gedacht. Er lehrt auch 
nicht, daß mit dem Ablaß ein gewisser Schulderlaß verbunden sei; 
er sagt bloß, es könne, wie es scheint, äurch den Ablaß die läßliche 
Sündenschuld erlassen werden. An' einer andern Stelle betont er aber 
ausdrücklich, daß der Ablaß die läßlichen Sünden nicht tilge. Indem 
er die Mittel' aufzählt, T^odurch die läßlichen Sünden nachgelassen 
werden können, erklärt er, daß der Ablaß zu diesen Mitteln nicht 
gehöre, da durch ihn nur die Sündenstrafe, nicht die Sündenschuld, 
auch nicht der läßlichen Fehler, erlassen werde. ^ 

Johann von Dambaeh. 

Der elsässische Dominikanfer Johann von Dambach,* der 1347 in 
Montpellier zum Doktor der Theologie promoviert uiid noch in dem- 
selben Jähre als Professor nach Prag gesandt wurde, hat über den 
Ablaß zwei kurze Traktate verfaßt, die noch ungedruckt sind. Der 
eine, de quantitate ihdulgentiarum betitelt,^ behandelt in zwölf Para- 



ßst plena (d. h. genügend zur Nachlassung der Sünde), adiuncta papali absolutione, 
que per se non sufficeret, et coniuncta benediotione episcopali, que, per se non 
sufficeret.'J 31. 112'. 

1 Sent; IV; d. 16, q. 1, a. 1 :, „Veniale non potest remitti voluntate manente 
ad illud.''. A: 2: „Peccatum veniale non remittitur sine oontritione." Zur Ver- 
gebung der läßlichen Sünden, dienen verschiedene Sakrainentalien, unter anderm 
auch, die, bischöfliche Bene^ciiktion; doch müsse ihre Benutzung mit dem Abscheu 
vor der Sünde verbtuxden sein: ,,Per illos modos plus quam per alia bona opera 
dimittuntur, .licet nee per hos dimittanturnisi cum displicentia ,voluntatis . . . 
Dico autem quodj minor .dolor cum his'sufficit ad remissionera venialium quam 
sine his." Bl. 74 f. Über die Lehre des Paludanus von der Wirksamkeit der 
Sakramentalien vgl. A. Franz, Die kirchlichen Benediktionen im Mittelalter I, 
Freiburg 1909, 21 f. ' . 

2 Bratke 90. 

ä Sent. IV, d. 16, q. I, a. 2: „Que omnia cum contritione remittunt; non 
autem indulgentie, que solum penam, non culpam, etiam venialem remittunt,-' 
Bl. 75'. 

* Vgl. über ihn Quetif I, 667 ff. .Denifle, Archiv für Literatur- und 
lürehengeschichte des Mittelalters III (1887) 640 ff. Ch.i Schmidt, in Eevue 
d'Alsace XLVII (1896) 314 ff. /N. Paulus, in Bulletin ecolesiastique de Stras- 
bourg 1922, 52 ff. 146 ff. 

.^ Der Traktat, der mit den- Worten beginnt: „Quoniam nonnunquam in 
quantitate indulgenciarum" , findet sich anonym in der Münohener. Staats- 



348 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14'. Jahrhunderts. 

graphen ausschließlich die von Bischöfen' erteilten Ablässe. Es sind 
bloß kirchenrechtliche Fragen, die zur Erörterung kommen. Als Ge- 
währsmänner treten denn auch vornehmlich Kanonisten auf, Inno- 
zenz IV., Bernhard von Bottone, Hostiensis, Johannes Monachus, 
Johannes Andrea. Nur einmal wird ein Theolog angeführt, der soeben 
besprochene Paludanus. Johann hat die Abhandlung ohne Zweifel 
während seines Aufenthaltes in Prag verfaßt, lia bei den Erörterungen 
von Jurisdiktionsfragen diese Stadt genannt wird. Wiederholt ist die 
Rede von den Ablässen des Basler Dominikanerklosters. Hatte doch 
der Verfasser einige Jahre in Basel zugebrächt, nachdem er 1338 mit 
seinen Mitbrüdern Straßburg hatte verlassen müssen.^ 

Von größerem Interesse ist der zweite Traktat, tractatulus de virtute 
indulgentidrum,^ der in sieben Paragraphen das Wesentlichste der 
Ablaßlehre in einfacher Weise gut darbietet. Der Verfasser erklärt 
gleich am Anfange, daß er nichts Eigenes bringen wolle, sondern nur, 
was er in den Schriften anderer vorgefunden. Während, in der ersten 
Abhandlung die Kanonisten das Wort führen^ erscheinen hier vor 
allem Theologen, und zwar nur Dominikaner, namentlich Albertus 
Magnus, Thomas von Aquin, Petrus von Tarentäise, Johann' von 
Ereiburg. Doch wird bisweilen auch auf Hostiensis verwiesen, so 
z. B. bei der Behandlung der Frage, ob ein Mensch durch die Ablässe 
die schuldige Strafe völlig ' tilgen könne;- falls der Beichtvater ihm 
eine nach dem Urteile Gottes genügende Buße auferlegt habe.^ Johann 
erinnert daran, wie Hostiensis lehre, daß durch den päpstlichen Plenar- 
ablaß alle Buße erlassen werde, so daß, der jenige, der nach Gewinnung 
eines solchen Ablasses sterben sollte, sofort in den Himmel kommen 
würde. Daraus ergibt sich, bemerkt hierzu Johann, „daß der Papst 



bibliothek. Cod. lat. 22373, Bl. 69 — 80. Den Namen des Verfassers haben zwei 
Handschriften von Heiligenkreuz, Nr. 208 (geschrieben' 1873) und Nr. 216. Vgl. 
die Handschriften- Verzeichnisse der Zisterzienser- Stifte in ■ Österreich I, Wien 
1891, 171 174. Ebenda' 22 die Beschreibung, einer' anonymen 'Handschrift in 
Eeun, Nr. 30. Mit dem Namen des Verfassers- findet' sich der Traktat in'Krakau 
(W. Wislocki, Catalogus codicum'ms. bibl. -Univ. Jagellonicae Cra'coviensis» 
Cracoviae 1877 — 81, Nr. 1614) imd Basel. (G. Haenel, Catalogi librorum -manu- 
scriptorum. Lipsiae 1830, 557). • ' - '-' - '■" ■ - 

^ Johanns Aufenthalt in Basel um 1340 bezeugt ein Brief des Dominikaners 
Venturino von Bergamo. Vgl.. Quötif I 668. B. Altaner, Venturino- von 
Bergamo. Breslau- 1911, 45 [Kirchengeschichtliche Abhandlungen IX, -2]. 

2 Ohne den Namen des Verfassers in drei Handschriften der Münchener 
Staatsbibliothek. Cod. lat. 5613, 166—72; 7567, 104r-10; 18568, 94'— 119'. 
Mit dem Namen des Verfassers in Heiligenkreuz, Nr. 208 (Abschriftf'aTis dem 
Jahre 1373). Vgl. die Handschriften -Verzeichnisse der Zistefzienser-Stifte in 
Österreich I 17L Der Traktat beginnt mit den Worten: „Cum non paucorum 
erga benefioia indulgenciarum." 

3 Quaestio IL „TJtrum per indulgencias homo potest extinguere totum. 
purgatorium, seu= totam penam sibi debitam pro culpa, si sacerdos iniunxerit 
cohdignam penitentiam securidum Judicium Dei," Aus dem Umstände, daß 
Johann die Auflegung einer den Sünden völlig entsprechenden (condignam) 
Buße voraussetzt^ scheint hervorzugehen, daß er den Ablaß hur für 'die auf- 
erlegten Bußen gelten ließ . 



X.Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14, Jahrhunderts. 349 

YÖn Straf e: und Schuld absolvieren kann".^ Dies lasse sich auch 
noch folgenderweise dartun: Der, Papst kann einen uneingeschränkten 
Ablaß erteilen, welcher der Buße angemessen sei, die einem. Pönitenten 
f ür seirie Sünden auf erlegt worden.^ .Stirbt nun der Pönitent, nachdem 
er eines derartigen Erlasses teühaftig, geworden, so -wird er ohne Feg- 
feuerstrafe, gen Himmel fahren. Unter der päpstlichen Absolution von 
Strafe und Schuld hat demnach Johann von Dambach, wie andere 
seiner Zeitgenossen, nichts anderes als einen vollkommenen Straferlaß 
verstanden. 

Die zweite Ablaßschrift, enthält einen ■ wichtigen , Beitrag zur 
Lebensgeschichte Johanns von Dambach. In der Matrikel der Uni- 
versität Bologna ist unter dem Jahre 1341 ein ,, dominus Johannes 
Tambacho" eingetragen.^ ,,An den berühmten Dominikaner Johann 
von Dambach", meinte man; ,,darf hier kaum gedacht werden. Von 
einem Studium desselben in Bologna ist nichts bekannt."*. Nun erklärt 
aber Johann selber in seinem Ablaßtraktat, daß er in Bologna Theo- 
logie/studiert habe.^ 

, Etliche andere Dominikaner aus jener Zeit seien bloß im Vorüber- 
gehen erwähnt. Von Rainervon Pisa ist bereits früher die Rede 
gewesen.^ Wie Rainer nur die A.nsichten anderer wiedergibt, so bringt 
auch die 1338 voUeniiete sogenannte Sunima Pisanella des Domini- 
kaners Bartholomäus von Pisa oder von San Concordio (f 1347) 
bezüglich des Ablasses bloß die Ausführungen früherer Theologen und 
Kanonisten.' Benützt wurden namentlich Thomas von Aquiii und 
Petrus von Tarentaise. .Dagegen hat der deutsche Verfasser der Summa 
rudiu'm,^ die ebenfalls in den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts 
entstanden ist, Johann von Freiburg ausgeschrieben.^ Neu ist jedoch 

1 ,,Ecce hie manifeste habetur vel haberi potest quod papa potest absolvere 
a pena et a- culpa." , .' - > 

2 „Papa potest dare ex plenitudine ^ sue potestatis indidgencias indeter- 
minatas seu generales, que possunt proporoionari penitenoie alicuius pro suis 
pecoatis iniuncte." ' 

ä E. Friedlaender et C. Malagola, Acta nationis germanicae Universi- 
tatis Bononiensis. Berolini 1887,' 103. 

* G. Knod, Deutsche Studenten in Bologna 1289 — 1562. Berlin 1899, 86. 

^ Clm. 5613, 167': „Ciun adhuc essem Bononie studens in theologia." 
V" OJaen S.,,315. . , ' - . , . - , . 

■^ Summa Pisanella., ,Venetiisvl481,,s. v. Indidgentia. Vgl. -Dietterle, 
Zeitschr. f. Kirchengeschichte* XXVII 166 ff. 

-. « Summa Eudium. Reutlingen 1487, eap. ,39. Dietterle XXVII, 78 ff. 
Daß der anonyme Verfasser, ein, Dominikaner. war, ergibt sich aus, der Schlviß- 
bemerkung: „Terminatur Summa rudium autentica ad honorem gloriose virginis 
Marie et beati dominici patris nostriordinis fratrum predicatorum." Auf deutschen 
Ursprung .weist folgende Bemerkung hin: „Debet;Conteri, 'h. e. ruwen." cap. 29. 

^,Auch die. Einleitung: „Cum- iam, gracia abundante" bis „utile iudieavi 
de hoc materia, aliqua seoundum, maiorum sententias annotare", ist wörtlich 
aus der Summa Confessorum Johanns von Freiburg entnommen., Vgl. oben 
S. ,330. Dietterle, der übersehen hat, daß es sich um .eine wörtliche rEntlehnung 
handelt,, bemerkt dazu (S. .80): j.D.er Verfasser kann sich) also mit den zu seiner 
Zeit auf gekominenen Theorien';, über die Indizlgenzen nicht befreunden und^ geht 
nun auf die maiores zurück." 



350 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 

eine kurze Bemerkung über den Ablaß für die Verstorbehen. Der 
unbekannte Dominikaner hebt nämlich hervor, daß ,, viele" diesen 
Ablaß nicht anerkennen.^ 

Noch sei bemerkt, daß zwei oft genannte Dominikaner des 14. Jahr- 
hunderts, HerväusNatalis undRobert Holkot, in ihren gedruckten 
Schriften den Ablaß nicht behandeln. Die gedruckte Ausgabe des 
Sentenzenkommentars des Herväus- schließt allerdings ab' mit der 
14. Distinktion des" 4. Buches ;2 doch hat der Verfasser den Ablaß 
besprochen in der 20. Distinktion, wie sich aus einem späteren Zitat 
bei Prierias ergibt.^ Auch wird ihm ein ganz kurzer trädatus de in- 
dulgentiis zugeschrieben, der früher im Dominikanerkloster zu Paris 
verwahrt wurde.* 

Petrus Aureoli. 

Petrus Aureoli, ein berühmter Theolog des Franziskanerordens,^ 
1316 — 18 Lehrer in Paris, 1320 Prövinzial von Aquitanien, 1321 Erz- 
bischof von Aix, gestorben 1322, stellt seine Ansichten über den Ablaß 
in zwei Artikeln des Sentenzenkommentars zusammen.* Im ersten 
handelt er von der Vollmacht der Kirche, Ablässe zu erteilen; im 
zweiten wird die Frage erörtert, ob der Papst allein Ablässe verleihen 
könne. 

Daß die' Kirche aus dem Schatze der Verdienste Christi und der 
Heiligen Ablässe erteilen könne, gilt unserm Franziskaner als sichere 
Wahrheit. Wenn schon ein einfacher Gläubiger durch seine guten 
Werke die Strafe, die ein anderer schuldet, für diesen abtragen kann, 
um wieviel mehr wird dann die Kirche aus dem allgemeinen Verdienst- 
schatze Christi und der Heiligen die Schulden ihrer Kinder begleichen 
können. . Kann aber die Kirche auch ohne Zuhilfenahme dieses Ver- 
dienstschatzes, bloß kraft ihrer Lösegewalt Ablässe gewähren ? Manche 
verneinen die Frage, bemerkt Aureoli; er aber sei der Ansicht, man 
dürfe in frommem Glauben dem Papste die Befugnis zusprechen, 
Ablässe zu spenden nicht .bloß aus dem Verdienstschatze der Kirche, 
sondern auch absolut, ohne Kompensation, kraft der ihm von Christus 



' ^ ^jOppositum illixis multi sentiiint dicentes qubd bona opera per que quis 
ineretur indulgencia, ut elemosine et peregrinationes, valent eis siout alia suf f ragia 
ecclesiastice caritatis, sed non per modum indulgenciarum, quia papa solum habet 
ligare super terram," 

* Iii quatuör i*. Lombardi sententiarunx Volumina Scripta. Venetiis 1606. 
3 Errata et argumenta M. Luteris. Romae 1520, 120'. 

* Qu^tif I 536. 

^ Vgl. über ihn N. Valois, in Histoire litteraire de la France XXXIII 
(1906) 479-^527. R. Dreiling, Der Konzeptualismus in der Universalienlehre 
des Franiziskanerbischofs Petrus- Avireolii Nebst biographisch-bibliographischer 
Einleitung. Münster 1913 [Beiträge zur Geschichte der Philosophie des Mittel- 
alters. XI 6]. 

* Commentaria in quatuor libros Sententiarum. Romae 1596. 1605. Der 
Kommentar zum vierten Buche, in welöhem vom Ablasse gehandelt wird 
(IV 148—162), ist im Jahre 1317 zu Paris verfaßt worden^ Vgl. Dreiling 27. 



X. Die Ablaßlehre der, Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 351 

verliehenen Lösegewalt.^ Dies scheinen schon die päpstlichen Ablaß - 
schreiben nahezulegen, da die Päpste' darin sich iiicht auf den Kirchen- 
schatz; sondern auf die apostolische Vollmacht und die göttliche Bärm- 
herzigkeit beriefen. Dasselbe ergebe sich auch aus dem Evangeliuin. 
Zu Petrus ist gesagt worden: Alles, was du auf Erden lösen wirst, 
wird auch im Himmel gelöset sein. Mit diesen Worten ist dem 
hl. Petrus die Vollmacht erteilt worden, von allem zu entbinden, was 
den Eintritt in den Himmel hindern könnte. Hierzu gehört die hoch 
abzutragende Strafe für die Sünden; folglich kann der Papst von dieser 
Strafe entbinden. Dies läßt sich noch auf folgende Art beweisen: 
Wem das Größere zusteht, dem kann das Geringere nicht abge- 
sprochen werden. Nun ist es aber etwas Größeres, von der Sünden- 
schuld loszusprechen, als von der Strafe. Und da dem Papste die 
Vollmacht erteilt worden ist,' von aller Sündenschuld zu absolvieren, 
so kann er auch die Strafe lösen. Dabei ist freilich zu beachten, daß 
die Lösung der Strafe anders geschieht, als die Lossprechuiig von der 
Schuld. Letztere geschieht mittelst des Sakramentes. Wenngleich 
nun die Strafe ebenfalls durch das Sakrament erlassen wird, so kann 
sie doch auch unmittelbar' außerhalb .des .Sakramentes stattfinden, 
was eben durch ;den Ablaß geschieht. Aureoli war demnach der Ansicht,, 
daß der Papst nicht bloß auf Grund des Kirchenschatzes, sondern auch 
einzig und allein kraft der überkommenen Lösegewalt Ablässe erteilen 
könne. 

Die Ablässe beziehen sich direkt auf die für die Sünden geschuldeten 
Strafen, mögen diese Strafen auferlegt worden sein oder nicht ; folglich 
beziehen sie sich indirekt auf die Fegfeuer strafe. Da aber im Fegfeuer 
die Dauer der Strafe nicht nach Tagen abgemessen wird, so kann ein 
Ablaß von 10 Tagen nicht die Bedeutung haben, daß dadurch 10 Tage 
im Fegfeuer nachgelassen werden. Ein derartiger Ablaß besagt viel- 
mehr, daß dadurch so viel von der Fegfeuerstrafe, erlassen wird, als 
hiehieden durch eine Buße von 10 Tagen abgetragen worden wäre. 

Dem Einwände gegenüber, daß' die Ablässe eine Neuerung sind, 
von deren Einführung durch Christus und die Apostel nichts bekannt 
sei, bemerkt Aureoli: Tatsächlich ist in den Schriften wenig darüber 
zu finden, daß die Ablässe von den Aposteln und den heiligen Kirchen- 
vätern überliefert worden wären. Doch scheint, daß sie von Papst 
Gregor eingeführt worden sind. Daß aber die Heiligen von diesem 
Gegenstande wenig gesprochen haben, erklärt sich vielleicht dadurch, 
daß sie die Ablässe als etwas Allbekanntes voraussetzten. 

Die Frage, ob die Ablässe so viel gelten, als sie besagen, wird von 
Aureoli ganz kurz erledigt. Er bejaht sie mit voller Entschiedenheit. 
Daß infolgedessen einer, der wenig leistet, dens,elben Ablaß gewinnen 



^ „Dico quod potest pie teneri, Caput Ecclesiae non soltun per modura 
aatisfactionis et recompensationis, quod fit accipiendo de merito Christi et 
sanctorum, sed auctoritate sibi tradita a;; Christo . . . absolute, nihil aliud pro 
reoompensatione dando, posse poenas' quas voluerit relaxare." Serit. IV, d. 20) 
a. 1. S. 149. 



352 X. Die Ablaßlehre der, Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 

kann, wie ein anderer, der mehr leistet, gibt er bereitwilligst zu. So 
liabe beim. Jubiläum im Jahre 1300 ein Römer denselben Ablaß ge- 
winnen können, wie jener, der aus dem fernen .Norwegen kam; aber 
nur bezüglich dessen, wofür der Jubelablaß gegeben worden, nämlich 
bezüglich der nachzulassenden Strafe. Anders verhalte es. sich mit 
dem himmlischen Lohne, der desto, größer sein, wird, je größer die 
hienieden übernommenen Beschwerden waren. Nun ist aber eine 
geringe Steigerung der himmhschen Glorie viel mehr wert,, als eine 
tausendmal größere Verminderung , der zeitlichen Strafe. -^ 

Bei der Beantwortung der Frage, ob der Papst allein Ablässe 
erteilen könne, greif t , Aureoli zu einer ganz willkürlichen Unter- 
scheidung. Bloß auf Grund der Lösegewalt, meint er, kann nur der 
Papst die Sündenstrafen nachlassen, da ihm allein die Worte gelten: 
Was du auf Erden lösen wirst usw. < Durch Mitteilung aus dem Ver- 
dienstschatze dagegen können auch die Bischöfe Ablässe erteilen, aber 
nur in den vom, kirchhchen Gesetze bestimmten Grenzen. Über die 
Ablässe für die Verstorbenen hat.sich Aureoli nicht ausgesprochen. 

Mit Aureoli stimmt vielfach überein der Minorit Landulfus 
Caraccioli, ein Neapohtaner, ■ der, nachdem er in Paris Theologie 
studiert und gelehrt, hatte, 1327 Bischof von Castellamare wurde und 
um 1351 als Erzbischof von Amalfi gestorben ist. Die eigentümliche 
Ansicht, daß der Papst Ablässe erteilen könne, ohne zum Kirchenschatz 
seine Zuflucht zu nehmen, vertritt er ganz in derselben Weise wie 
Aureoli. Sein Sentenzenkommentar, worin die Ablaßfrage erörtert 
wird, findet sich handschriftlich in verschiedenen Bibliotheken, z. B. 
in Wien, Krakau, Erlangen, Basel.i 



Franziskus Mayron. 

Mayron; ein hervorragender Schüler von Duns Scotus, gestorben 
1327, hatte schon längere Zeit als Bakkalaureus der Theologie an der 
Pariser Hochschule Vorlesungen gehalten, als er im Jahre 1323 auf 
Anordnung Johanns XXII. zum Doktor promoviert wurde. ^ -Sein 
Kommentar zu den Sentenzenbüchern wird also wohl im zweiten 
Jahrzehnt des 14. Jahrhunderts entstanden sein. In diesem Werke 
wird die Ablaßfrage ziernlich kurz behandelt.^ Sehr eingehend wird 
sie dagegen erörtert in einer Predigt, die Mayron einmal am 1. August, 
an Petri Kettenfeier, am Vorabend des Portiunkulafestes,* gehalten 



1 Caraccioli wird oft angeführt von N. Waigel, der ihn bald Landolphus, 
bald Ludolphus nennt und irrig als „Anglicus" bezeichnet." 

» Eubel, Bullarium V 250. 

ä In quatuor libris sententiamm. Yenetiis 1519, 1. IV, d. 19, q. 2 et 3. 
Bl. 214' — 215. Bratke 22 meint, das Werk sei, „noch ungedruckt". 

* Mayron bemerkt am Anfange der Predigt: „Quia in presenti solemnifcate 
(Petri Kettenfeier) indulgentia beati patris nostri Franoiscifuit divinitus ordinata", 
wolle er vom Ablaß handeln. 



X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14., Jahrhunderts. 353 

hatj^ujid die im Mittelalter viel ver\\^ertet worden ist.^ Wir werden 
daher unserer Darstellung diese Predigt zugrunde , legen und den 
Sentenzenkommentar nur nebenbei anführen. 

Die Ablaßpredigt zerfällt in zwei Teile. Der erste behandelt das 
Weseh des Ablasses, der zweite seine Eigenschaften. 

Was ist der Ablaß ? Der Ablaß ist eine .Nachlassung der 
Sünden bezüglich dessen,, was nach Empfang des . Bußsakramentes 
von den Sünden noch z^orückbleibt.^ In. der, Sünde ist nämlich zu 
unterscheiden z)vischen der Schuld .oder der Beleidigung Gottes und 
der, für die begangene Beleidigung verdienten Strafe. Der Ablaß 
bezieht sich nun nicht auf die Sündenschuld, sondern nur auf die Strafe ; 
er ist bloß ein; Erlaß, der Sünden der Strafe, nach,^ und, zwar der zeit- 
lichen Strafe, die hier oder im Fegfeuer abzutragen wäre. Daraus folgt, 
daß es einen Ablaß von Strafe und. Schuld- nicht gebe; denn wie 
das Bußsakranient sich auf die Schuld bezieht, so der Ablaß, auf, die 
Strafe.* Es wird denn auch der .AuscLcuck „Ablaß von Strafe und 
Schuld" von, der Kirche niemals gebraucht;^ noch mehr, der Ausdruck 
scheint auch unkirchlich zu sein; denn gäbe. es einen derartigen Ablaß, 
dann würde dadurch das Bußsakrament unnötig gemacht werden, da 
man .ja durch, den Ablaß, Befreiung von ; der ; Sündenschuld erlangen 
könnte.^ 

Ganz dasselbe lehrt Mayron in seinem. Sentenzenkommentar. Hier 
wirft er die Frage. auf , ,,ob d.er Papst von Strafe und Schuld lossprechen 
könne." Die Antwort lautet; Im Bußsakrament, kann er freilich von 
Strafe und Schuld lossprechen; doch. kann er keinen Ablaß von Strafe 
und Schuld .erteilen, obschoner. einen vollkommenen Erlaß aller 
Sündenstrafen gewähren könne.' Nur im Bußsakrament kann er von 

1 Sermbnes de Sanctis. Basilee 1498, Bl. 93 — 100. Die Ablaßpredigt Vurde 
später oft zitiert als „traotatus de indulgentiis" oder „de olavibus". Zahlreiche 
Abschriften des Traktats, der mit den. Worten „Quodcunque ligaveris" beginnt, 
finden, sich in den Handschriften der Münohener Staatsbibliothek., Die meisten 
sind anonym; in etlichen wird die Predigt Männern zugeschrieben, die nichts 
damit zu tun habeii. Die "Predigt ist zum größten Teil abgedruckt aus einer 
anonymen Polünger Abschrift (jetzt im Münchener Cod. lat. 11439) bei Am ort II 
122 f. Ämort', der die, Herkunft des Traktats nicht kannte, versetzt ihn .irrig 
iiis Jahr 1480. ' ' - ' - ^ ' ■ , ' - 

.2 „Indulgentia est remissio peccatorura.,quoad illa que post susceptum 
penitentie saoramentum .remanent de peooätis . . . , Quod vero indidgentia sit 
de illis que remanent susceptö sacramento penitentie, probatur per hoc quod 
seoundum consuetudinem decentissimam ecclesie indulgentia non datur nisi vere 
penitentibus et eonfessis." Bl. 94'.'. ~ ' , ■ 

'' „Indulgentia soltuh est remissio peccatprum quantum ad penam." Bl. 95, 

* „Nulla potest esse indulgentia data a, pena et a culpa, quia sicut 
penitentia direote respioit culpam, ita indulgentia adequate respicit penam." 

^ „Boclesia nunquäm utitür tali forma." Bl. 95. 

' ,',Illa fbrmia,, ut detur peccatdrum indulgentia a pena a c\ilpa, videtur 
militare' contra ecclesiam; tuno enim videretur evacuari sacramentum con- 
fessionis, ut non sit de necessitate salutis, cum indulgentia tam a pena quam 
a culpa possit diluere." Bl. 95'. 

' Sent. IV, d. 19, q. 3: „Potest absolvere a pena et a culpa in foro peni- 
tentie . . . Non potest dare indulgentiam a pena et a culpa, quia culpa est materia 

Paulus, Die Geschichte des Ahlasses. 23 



554 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 

der Schuld lossprechen.^ Es wird aber doch, so wendet Mayron selber 
ein, gemeiniglich gelehrt j daß* es einen 'Ablaß von Strafe und Schuld 
gebe. 2 Ein solcher Ablaß,- antwortet er, ist niemals von der Kurie 
ausgegangen;^ auch soll man diese Ausdrucksweise nicht gebrauchen, 
da der Ablaß sich nicht auf ' die Schuld beziehe.* 

Im zweiten und umfa,ngreicheren Teile seiher Predigt fragt Mayron 
zunächst, aus welcher Quelle die Ablässe herstammen. Es wird 
gelehrtj bemerkt er, daß sie aus "dem Kirchenschatz, aus dem Schatze 
dier Verdienste Christi und der Heiligen herrühren. Diese Lehre gefällt 
ihni jedoch nicht, und zwar aus einem' doppelten Gründe: einmal, 
weil in der Hl. Schrift nicht ausdrubklich (erklärt wird, daß der Papst 
über die Verdienste Christi verfügen könne; sodann; weil' Christus und 
die Heihgen für das, was sie hienieden getan und gelitten haben, über- 
reichlicli belohnt worden sind,^ so daß von überschüssigen Yerdiensten 
keine Rede sein könne. Es scheint- ihm daher, daß die Ablässe einfach 
auf Grund der voh Christus der Kirche erteilten Lösegewalt verheben 
werdehl® Können die .kirchlichen Oberen kraft dieser ' Gewalt von 'der 
Sündenschuld und der ewigen -Höllensträfe' lossprechen, so könrien sie 
um so mehr auch die geringere. Fegfeuerstrafe erlassen. 

lii seinen weiteren Erörterungen behandelt Mayron unter der Über- 
schrift „Vom Nutzen der Ablässe" eine ganze Reihe von mehr oder 
wehiger wichtigen Fragen. Erstens sucht er darzutuh, daß die Ablässe 
etwas bewirken (quod prpficiant). Zweitens erklärt er, was sie 
bewirken (quid proficiant). Dabei betont er nicht liur, daßdie Ablässe 
Nächlassung der zeitlichen Sündensträfen hier und im Jenseits be- 
wirken; er erinnert auch daran, daß dem Ablaß eine Vermehrung der 
Gnade und des himmlischen Lohnes zu verdanken ist, und zwar wegen 
der guten Werke, die im Stande der Gnade zur Gewinnung des Ablasses 
verrichtet werden müssen.'.- ' , , 

An dritter Stelle wird, von dem Umfang der Wirksamkeit der 
Ablässe gehandelt (quahtiim proficiunt). Sie wirken so viel, läutet 
die Antwort, als sie lauten, d. h. als in der Ablaßbewilligung erklärt 

repugnans indulgeritie . . -. Potest dare indulgentiam omnis pehe' et omni um 
peccatorum (nämlioh was die Strafe betrifft), quia in ecclesia habet plenitudinem 
potestatis." Bl. 215. 

1 „In f oro iudiciali non potest absolvere a culpa, sed tantum in penitentiali." 

2 „Communiter docetur quod' datur indulgentia a pena et a culpa." 

3 „Nunquam talis indulgentia emanavit a curia." 

* „Nee sie debet doceri, quia super culpäm non imponitur," Bl. 215. 

^ In der Predigt sagt Mayron dies bloß von den Heiligen; im Sentenzen- 
kommentar dagegen ist auch die Rede von Christus: „Qiiia Christus est plene 
et complete remiineratus de omnibus actibus suis; item martyies." Bl. 214'. 

* „Idee videtur dicendimi quod ilie indulgentia que sie dantur ab ecclesia 
per modum auctoritatis, procedunt ex illa potestate quam Christus dedit beato 
Petro, quando dixit ei : Quodcunque ligaveris etc." Bl. 95'. Ähnlich im Sentenzen- 
kommentar d. 19, q. 2. Bl. 215. 

' „Cum supponant hominem esse in charitate, opera talia meritoria merentur 
gratie augmentum. Tales autem indulgentie non habentur nisi per opera meri- 
toria de natura sua; ideo hierum indulgentie non potest fieri sine äugmento 
gratie." Bl. 96'. 



X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälftes des 14. Jahrhunderts. 555 

wird. Nun können aber die Ablässe auf. viererlei Art bewilligt werden t 
Manchmal .werden sie nach Tagen erteilt, so wenn z. B. ein Ablaß 
von 10 Tagen bewilligt wird. In diesem /Falle werden 10 Tage der 
auferlegten Buße nachgelassen; ist aber eine solche Buße nicht, auf- 
erlegt worden, dann wird so,, viel yon der Fegfeuerstrafe erlassen, als 
durch eine zehntägige Buße, abgetragen worden wäre. ,Öfters werden 
die Ablässe, auch nach Jahrein verliehen. Dann gilt der Ablaß von 
einem Jahre so, viel, als die Verrichtung einer, auferlegten einjährigen 
Buße. , Bisweilen lautet der Ablaß, auf einen bestimmten Teil der 
Sünden (certam portionem peccatorum), wenn z. B,. die Hälfte der 
Sünden erlassen wird.^ Jn diesem Falle wird die-HäKte der auferlegten 
oder, aufzulegenden Bußen sowohl vor der Kirche als vor dem Richter- 
stuhle Gottes erlassen.^ Wie viel von der Fegfeuers.trafe durch den 
Ablaß von einem, Jahre nachgelassen wird, kann nicht bestimmt 
werden, da, man nicht weiß, wie viel durch ein Büß jähr erlassen wird. 
Daher wäre es sicherer, einen Ablaß der Hälfte oder des Drittels der 
Buße zu gewinnen, weil in diesem Falle, die Sicherheit gegeben wäre, 
daß die Hälfte oder der dritte Teil der Fegfeuerstrafe erlassen werde, 
während man bei Ablässen von Jahren und Tagen eine derartige 
Sicherheit nicht hat. Nebst den partiellen Erlassen gibt es auch 
vollkonimene Ablässe, die sich auf alle Sünden beziehen.^ Durch 
diese Ablässe werden alle Sühderistrafen nachgelassen.* Sollte daher 
jemand nach der Gewinnung eines vollköimneiien Ablasses sterben, 
so würde er von Mund auf in den Himmel fahren.^ 

An dieser Stelle heißt es wiederholt; daß der Ablaß sich sowohl 
auf die auferlegte als auf die aufzulegende Buße bezieht.^ Gleich 
nachher lehrt aber Mayron das Gegenteil bei der ■ Behandlung der 
Frage, in welcher Weise die Ablässe nützen (qualiter proficiunt). 
Sie nützen, sagt er, in derselben Weise wie die hienieden auferlegten 
Bußen, w^enn sie verrichtet werden.' Ist aber keine Buße auferlegt 



^ „Cum medietas vel pars, -peccatorum relaxatur." Bl. 97. 

'„Si indulgentie sonant ad quantitatem peccaminum quoad penam, ut 
dimidiam partem, remittitur media pars penitentiarum iniunctarum sibi vel 
iniungendarum secundum arbitrium sapientis sacerdotis .... Et ideo de illa 
portione non habebit penam in hoc seculo'neo in futuro." Bl. 97. 

^ „Respi'ciendo ad totum, ut cum datur remissiö peccatorum omnium 
secundum pleriariam indülgentiam;". 

* „Si indulgentie sönänt qüantum ad totum cumuliun peccatorum, ut 
penam remittaiit secundum formam indulgentie plene, tunc omne debitum 
aufertiir, ut nullus featus pene femaneat piro isto seculo . . . neo etiam in futuro 
seculo." Bl. 97. 

5 „Queritur utrum', si tales cum plenitudine talis indulgentie moriuntur 
nuUo peccatö apposito, statim evolent. Dioitur quqd sie." Bl. 97'. 

• Vgl. auch Sermones, Bl.^ 142' : „Cum ecclesia confert indulgentiam, tunc 
remittit penas infUctas vel infligendas." 

' „Pröficiimt eo modo quo penitentie hie iniuncte, quando perficiuntvir." 
Bl. 98. 

23* 



356 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 

worden, dann kann der Ablaß nichts bewirken.^ Er bemerkt daher; 
Eine recht nützliche Weise, durch Ablässe die Fegfeuerstrafe abzu- 
lösen, wäre, daß man sich vom Beichtvater eine genügende Buße auf- 
legen lasse und dann diese Buße durch Ablässe abzulösen suche.^ 

Dasselbe lehrt M'ayron auch im Sentenzenkommentar. Gegen die 
Behauptung, daß der Papst alle Sündenstrafen nachlassen könne, 
macht er hier folgenden Einwand geltend :^ Es kann vorkommen, daß 
der Beichtvater dem Pönitenten eine zu geringe Buße auflegt, z. B. 
fünf Ave Maria. Da nun der Pönitent vor der Kirche Äur zu dieser 
geringen Buße verpflichtet ist, so wird ihm auch durch' den Ablaß 
nur die jener Buße entsprechende Sündenstrafe nachgelassen.^' Mit 
diesem Einwand ist Majrron völlig einverstanden. Ausdrücklich erklärt 
er, es werde dem Pönitenten nur die' der kirchlichen Buße ent- 
sprechende Strafe erlassen ; die iibrige werde er im' Fegfeuer abzutragen 
haben. Deshalb sollte man sich eine recht große Buße auflegen lassen 
und dann viele' Ablässe zu gewinnen suchen.* ' 

Daß hiermit die Wirksamkeit des' Ablasses, auch des vollkommenen, 
auf die auferlegte Buße beschränkt' wird,' hegt auf der Hand. Ebenso 
klar ist es, daß diese Lehre mit den Behauptungeii in cler Predigt, 
wonach durch den Ablaß auch die aufzulegende Büße erlassen wird, 
nicht im Einklang steht. Ist vielleicht, die viel verwertete Predigt 
von späteren Benutzern durch Emschaltungen verfälscht worden?^ 
Oder hat Mayron ' in dieser Frage eine schwankende Stellung ein- 
genommen ? Wie dem auch sei, jedenfalls hat der Verfasser, der 
wiederholt betont, daß der Ablaß nur statthaben kann, wenn zuvor 
eine Buße auferlegt worden, doch wieder erklärt, wie wir' weiter unten 
sehen werden, daß der Papst auch ohne vorangehende Bußauflegung 
die gesamte Fegfeuerstrafe erlasseh könnte. 

Bei der Erörterung der Frage, wer Ablässe erteilen' könne 
(a C[uibus proficiunt), bekennt sich Mayron zu der Ansicht, daß auch 
die einfachen Beichtväter, auf Grund der bei Joh. 20, 23 verzeichneten 



^ „Quando nuUadatur penitentia, tota indulgentia sequens respioit tantum 
penam ptirgatorii^ et sie ibinon habet auct'oritatem ecclesia militans; 
cum pena non sithio remissa, nee ibi remitti potest . . . Quöd iriiungi de- 
buisset, si non fuit iniunöturai quomodo erit hio remissum ? Et si hie non 
remittetur, quomodo ibi non exigetur?" Bl.'98'. 

* „Et ideo secundum premissa utilissimus modus adipiscendi indulgentiam 
pro pvirgatorio esse videtur, ut unusquisque penitentiam sufficientem hie ac- 
ceptet et postea acceptam per indulgentiam redimeret. Et illud sonat modus 
antiquus oonferendi indulgentiam de penitentiis sibi iniunetis." Bl. 98. 

^ „Non est imposita pena condigna' a sacerdote, quia forte non est nisi 
ut dicat quinque Ave Maria; et sie cum in ecclesia non habeat plus de debito, 
non plTis sibi indulgetur." Sent. IV, d. 19, q. 3. Bl. 215. 

* „Dico quod non plus ei remittitur nisi quahtum est reduotuni per sacer- 
dotem ad forum ecclesie; residumn autem solvet'in purgatorio. Unde horao 
debet sibi faoere imponere magnam penitentiam pro peccatis suis, et tunc pro- 
curare sibi multas indulgentias," 

^ In verschiedenen Handschriften des 15. Jahrhimderts lauten die be- 
treffenden Stellen wie in der gedruckten Ausgabe. 



X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts.. 357 

Verheißung Christi, wie von aller Sündenschuld so durch Ablaß Ver- 
leihung von aller Strafe lossprechen könnten, wenn ihre Absolutions- 
voUmacht durch das positive Gesetz nicht eingeschränkt worden wäre.?- 
Nach dem bestehenden Rechte, kann nur, der Papst einen vollkommenen^ 
Ablaß erteilen, während die Bischöfe bloß.partielle Ablässe von 40 Tagen- 
gewähren können. ; 

Daß die Ablässe sieh nur auf die auferlegte Buße beziehen, erklärt 
Majrron wieder, indem er die- Frage ' beantwortet, wem die Ablässe- 
nutzen (quibus proficiunt). Er bemerkt hier, zur Gewinnung der' 
Ablässe scheine gewöhnlich die Beichte erfordert zu sein, da die durchs 
den Ablaß abzulösende Strafe zuvor durch den Beichtvater auferlegt 
werden müsse. ^ 

Von besonderem Interesse ist die Erörterung der zwei weiteren 
Eragen, wann' (quando) uiid wo (ubi) die Ablässe nützen. Sie) 
nützen in der Zeit, in welcher der Mensch noch verdienstlich wirkeni 
kann) da "^ sie stets für verdienstliche Werke erteilt werden.^ Daraus; 
folgt, daß sie nur den Lebenden nützen, nicht aber den bereits- 
Verstorbenen, die iiicht mehr unter der Jurisdiktion der Kirche 
stehen.* Sodann sind sie von Nutzen für das jetzige Leben, weill 
dädurch die auferlegte Buße erlassen wird.; sie sind aber auch von. 
Nutzen für das jenseitige Leben; dehn die Bußstrafe, die hienieden. 
erlassen wird, braucht im andern Leben nicht mehr abgetragen z\x. 
werden. Wenn aber auch die Ablässe, welche die Lebenden gewinnen, 
für das andere Leben von Nutzen sind, so können doch die kirchlichen 
Oberen keine Ablässe den Verstorbenen erteilen, weil diese nicht mehr 
unter ihrer Gerichtsbarkeit stehen. Aus demselben Grunde können 
auch die Gläubigen keine Ablässe für ihre verstorbenen Eltern oder 
Verwandten gewinnen.^ Wohl, werden bisweilen Verstorbene von der 



^ „Sicut potestas absolvendi a culpa fuit sacerdotibus limitata, ut non 
possint liisi circa.'liniitata pecoata absolyere, ita potestas absolvendi a pena per 
modura indulgentie fuit limitata per superiores, ut non possint per se indulgentiaa 
dare, ne forte vilescant et facultas jndulgentie sit oocasio ,culpe. ünde nisi fuisset 
iure .positiyo limitata illa potestas, videretur quilibet sacerdos posse . absolvere, 
sicut summus ierarcha, quod est plus. quam quecunque indulgentia." Bl. 98'. 

* „Confessio , peoeatorum previa, communiter videtur necessaria ad per- 
cipiendain indulgentiam, quia nulla indulgentia habet locam de debito remittendo^ 
ubi debitum non est adiudicatum, et quod non constat deberi, non postu- 
latur ad solvendum remitti. Ista adiudieatio debiti in ecclesia non fit ante peni- 
tentie sacramentum; unde.ante ipsum;nullus obligatur ad penam in hao. vita,- 
ergo non caclit talis ecolesie remissio, donec peccata f uerint per ecclesiam iudicata. 
Et ob hoc, videtur dari indulgentia veris penitentibxis et confessis.", Bl. 98' f. 

^, „Proficiunt eo .tempore, cum homo potest .mereri, cum propter opera 
meritoria semper assignantur.'-' Bl. 99. ■ , ,; . 

* „Non prosunt existentibus in alio mundo,- - quia illi sunt extra iuris- 
dictionem ecclesie." Bl. 99. 

' ' -^ „Ex istis veritatibus accipiuntvir duo catholica documenta. Primum, 
quod nuJlvis prelatus potest concedere indulgentias iam defimctis, quia non sunt 
sub eius iurisdictione. Secundum, quod nuUus ,potest lucrari indulgentiam pro 
suis predecessoribus defunctis, quia illi non sunt sub auetoritate indulgentias 
Qonferentis." Bl; 99. 



358 X.-Die Ablaßlehxe der Theologen der ersten Hälfte des' 14; Jahrhunderts. 

Kirche absolviert, so z. B. wenn sie nach dem Tode ^von der Ex- 
kommunikation losgesprochen werden. : Durch diese Absolution soll 
aber nichts anderes angedeutet werden, als daß man für die betreffenden 
Verstorbenen beteii konne.^ Andere Absolutionen der Verstorbenen 
haben bloß die Bedeutung einer Bitteji die an Gott gerichtet wird.^ 

In seinem Sentenzenkommentar lehrt Majrron ebenfalls, daß die 
Kirche keine Ablässe für die Verstorbenen erteilen könne. Ent- 
schieden betont er hier, daß ein derartiger Ablaß niemals von 
der Kirche gewährt worden sei.^ Er weiß freilich, daß. es Leute 
gebe, die Ablässe für Verstorbene anpreisen. Er. lehnt aber solche 
Ablässe kategorisch ab, da die Kirche über die Verstorbenen keine 
Jurisdiktionsgewalt besitze.* 

Mayron mußte folgerichtig diese Ansicht vertreten, da nach ihm 
die Ablässe nicht aus dem Verdienstschatze der Kirche entnommen, 
sondern einzig und allein kraft der kirchlichen Jurisdiktionsgewalt 
erteilt werden. Bei einer solchen Auffassung war es selbstverständlich 
ausgißschlossen, daß der Ablaß den. Verstorbenen fiirbittweise zuge- 
wendet werden könne. Kurz und bündig erklärt er denn auch: Die 
Ablässe sind von Nutzen für das Fegfeuer, aber nicht im. Fegfeuer .^ 
Sie sind von Nutzen für das Fegfeuer, indem hienieden die Lebenden 
durch Crewinnung von Ablässen sich, vor der drohenden Fegfeuerstrafe 
bewahren können.*. 

Bei dieser Gelegenheit wirft Mayron die Frage auf, o,b der Papst 
das Fegfeuer entleeren könnte. . Er glaubt unterscheiden zu 
sollen zwischen der Fegfeuerstrafe, die, Gott den Verstorbenen bereits 
auferlegt hat (penas de preterito iniunctas), und zwischen jener, die 



^ „Sacerdos . . . ipsum reconciliat ecclesie, ut fideles possint orare pro eo, 
qui non debererit, si vere esset excommunicatus." Sermbiies 142'. Vgl. Sent. IV, 
d. 21, q. 5: „Tales absolutiones in re nihil faciunt . .,. Ista absolutio facit quod 
fideles audentoirare pro täli." BL 219. 

',, Absolutiones que fitint in suffragiis, quando ab ecclesia anime defuncto- 
rum precibus absölvuntur ; . . non f iunt per ecolesie auctoritatem, sed per de- 
precationem - super defunctos;" Serraones 94'. 

^ Sent. IV, d. 21; q; 1: ,',Neo unquam talis indulgentia fuit data." Bl. 217'-. 

* „Nota de illö qui dicebiat se habere indulgentias pro illis qui sunt in pur- 
gatorio, ita quod pro uno denario una dies eis remittebatur, et pro duo plus. 
Sed hoc üon est verum, ex quo enim 'aliquis exit limites ecclesie et forum 
istud, non potest sibi ecclesia däre indulgentias, nisi pro quanto sunt hie lucrati 
(nämlich durch den betreffenden Verstorbenen vor seinem Tode). Non sie autem 
est de sirffragiis, qüe impetrantur per modum obsecrationis; indulgentie autem 
dantur per modum auctoritatis et iurisdictionis; non autem habet ecclesia iuris- 
dictionem in purgatorio, Ideo error esset dicere hoc dare.'' Bl. 217'. 

* „Profiöiunt pro purgatorio; .et non in purgatorio." Sermones 99'. 

' Wie der italienische Prediger Ambrosius Spiera (Liber sermonum 
quadfagesimaliüm de floribus säpientie. Basilee löIO, 238) berichtet, hat Mayron 
den Ablaß für die Verstorbenen auch verworfen in seinen beiden Kommentaren 
zu' den J^ekveialen FirmiUr credimus \md Gum Marthae. Der erste Kommentar 
findet sich 'handschriftlich in Oxford; Vgl. H. 0. Coxe, Catalogus codicum 
mänuscriptorum qui in coUegiis oxoniensibus hodie adservantur I, Oxonii 1852, 
'^Cöllegium'Mertonense, Nr. GGXXXVI. Der Kommentar zur zweiten Dekretale 
wird verwahrt in Trier (Hs. vom Jahre 1319) und St. Florian. Vgl. Franz 493 f. 



X.Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhionderts. 359 

den noch Lebenden auferlegt \\^erden sollte (penas iniurigendas). Von 
der ersteren Strafe kann der Papst nicht befreien, da er keine Gewalt 
über die.. Verstorbenen besitze. ]>agegen könnte er dem göttlichen 
Gerichte zuvorkommen, indem er allen Gläubigen, die im Stande der 
Gnade; sterben,/ einen, vollkommenen Ablaß erteilte und sie so vor 
dem Fegfeuer. = be.wahrte. . , Ein solches allgemein erteiltes Privilegium 
könnte freilich Anlaß zum .Siindigen .werden; aber es. ist nicht ein- 
zusehen, warum_ der Papst dies Privilegium, nicht (gewähren könnte.^ 
An der Echtheit dieser übertriebenen Betonung der päpstlichen Voll- 
macht ist nicht ■ zu zweifeln ; ganz dasselbe , lehrt Mayron auch im 
Sentenzenkommentar. ^ I)aß aber diese Lphre sich nicht vereinbaren 
läßt mit den andern bei Mayron vorkommenden Äußerungen, wonach 
der Ablaß sich bloß auf die auferlegten Bußen beziehen würde, ist 
schon oben hervorgehoben worden. 

In den soeben angeführten Stellen spricht Mayron bloß von der 
Möglichkeit eines allgemein erteilten Sterbeablasses. Tatsächlich 
wurde bereits zu seiner Zeit von Johann XXII. öfters einzelnen Gläu- 
bigen der Ablaß für die Sterbestunde gewährt. Ma3rron erwähnt diesen 
Ablaß bei der Erörterung der Frage, warum die Ablässe nützen 
(quare proficiunt). Er betont hier, daß , die Wirksamkeit des Ablasses 
nicht auf das Verdienst des vorgeschrie,benen iguten Werkes, z. B. des 
Almosens oder, der Pilgerfahrt,-zurückzuführen sei, sondern auf die 
Lösegewalt des, Spenders. Dieser, kann denn auch für ein geringeres 
Werk einen größeren Ablaß, spenden; ja er kann sogar Ablaß erteilen, 
ohne irgendein. gutes Werk dafür zu fordern; sonst würden ja die für 
die. Sterbestunde erteilten Ablässe ungültig sein.^ Auch im Sentenzen- 
kommentar lehrt Mayron, daß der Papst kraft seiner Vollgewalt Ablässe 
erteilen kann, ohne dafür vom Empfänger ein gutes Werk zu ver- 
langen.* 



^ „Quanttuxi ad penas iniungendas . . . posset divinum iudicium pro venire 
solvendo, he Dejis,iterato, requirat, qui;dedit talem potestatem super terram, 
ut.si stätueret: Quiounque ultimo inomento^sue yite esset, in statu gratie, quod 
eo. ipso cönse,quatur, pleiiam indiilgentiam. Tuno,; cum nullus, ,descendat ad pur: 
gatoriiim nisi in grlatia constitutus, .eVtunc hie esset plenarie absolutus, et sie 
nunquapa ullus descenderet ad purgatorium,, sed cqnfestim. evolaret, quod- est 
miruni, licet appareat vßrüm ex diöto Christi : Quoplcunque ligaveris etc." Bl. 99f, 

" Sent. IV, d. 20, q. 4: „Nunquid papa potest extrahere aliquem de purga- 
torio ?. Dicendum quod quantum ad illos qui ibi sunt, non habet potestatem . . ; 

sed quantum ad viventes in mimdo, habet, Unde posset statuere talem legem: 
Quicunque de hoc seculo; recedit contritus et , confessus vel saltem contritus, 

ipso facto evolet statim; et tuno nullus descenderet ad .purgatorium. , Sed hoc 

«sset qcoasio mali; sed non jideo,q\jin possit." Bl. ,217. 

3 „Indulgentie proficiunt absolute date, quamvis non sint alicui bono operi 
adiunote,. quia habens; plenam' potestatem in communitate > potest ibi debitum 
sine aliqua s,olutione relaxare; alioquin indulgentie date in mortis articulo- non 
yalerent." Bll 100., 

* „Dico quod de cong'ruo actus meritorius potest vel debet ibi admitti; 
sed de; plenitudine potestatis potest simplieiter dimittere et dare indulgentias 
sine huiusmodi actibus." Bl. 215. 



360 X.'Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhxinderts. 

Schließlich behandelt Mayron noch die Frage, obmanauchim 
Stande der Todsünde einen Ablaß gewinnen könnte. Er bejaht 
die Erage, selbstverständlich nicht bezüglich der noch nicht erlassenen 
Sünden, sondern bloß bezüglich solcher Sünden; die bereits der Schuld 
nach vergeben sind. Er beruft sich dabei auf die Lehre von -Buns 
Scotus, daß man auch im Stande der Todsünde für die in' der reu- 
mutigen Beichte nachgelassenen Sünden genugtun könne .^ Kann man 
aber im Stande der Sünde genugtun, so sei nicht einzusehen, warum 
man keinen Ablaß gewinnen' könne. ^ Mayron spricht indessen nur 
von einer 'Möglichkeit. Damit aber der mögliche Fall wirklich 
eintrete, müßte die Kirche den Ablaß absolut für jeden Seelen- 
zustand (absolute pro quocunque statu) erteilen. Dies kommt jedoch 
nicht vor, da die Ablässe nur solchen verliehen werden, die ihre 
Sünden reumütig gebeichtet haben (vere penitentibus et , confessis) 
und folglich im Stande der Gnade sich befinden.^ 



Astesanus. 

Wie sich aus den vorangehenden Mitteilungen ergibt, hat Mayron 
bezüglich des Ablasses eine ganze Reihe von selbständigen, originellen 
Ansichten vertreten. Das gleiche kann man nicht sagen von einem 
andern Eranziskaper Jener Zeit i von Astesanus j , der um 1317 eine viel 
gebrauchte kasuistische' Summe für die Beichtväter vieröff entlicht hat.* 
Dieser sonst nicht näher bekannte Minorit, aus Asti gebürtig, bietet 
zwar sehr ausführliche Erörterungen über den Ablaß; neue Gedanken 
darf man aber bei ihm nicht suchen. Er bringt bloß Auszüge aus 
andern Autoren. Seine Gewährsmänner sind Bonaventura, Thomas 



^ Sent. IV, d. 15, q. 1, a. 2: „Si existens in peccato mortali potest satis- 
facere ? Dicunt aliqui quod non. Sed Scotus dicit oppositum . . . Alia pars est 
nimium dura^" Bl. 210. • 

'2 „Sed remanet dubium ex premissis: „Quia sicut penitentia de preteritis 
peocatis mortalibus facta in statu culpe secunduna aliquos proficit,' ita videtur 
qüöd indulgentia que datur ad remissioneni t'alis pene in taU statu possit' pro- 
ficere, si daretur absolute. pro quocunque statu ab ecclesia, que non 
solum bonis, sed etiam malis multiplicia beneficia prostat." Bl. 100. Vgl. Sent, IV, 
d. 19; q. 2: „ Quibus valent ? Diciturquod.vere penitentibus et confessis . . . 
Numquid potest lucrari penitens, si oonfessus de aliquibvis, postea cadit in pec- 
catum mortale et cum illo vadit ad indulgentias pro prius confessis ? ' Dicitur 
quod sie, quia existens in peccato mortali potest satisfaoere pro peocatis alias 
confessis, secundum Scotum, et tunc papa potest sibi remittere illud de quo 
potest satisfacere." Bl. 215. 

^Bratke 79 hat diese Stelle ganz mißverstanden: „Mayron ist der 
Meinting, obwohl er nicht leugnet, daß hier noch Dunkel herrsche, daß wie das 
Bußsakrament die Todsünden löse, so auch der Todsünder vollständigsten Abla-ß- 
erlangen könne. Mit dieser Meinung ist natürlich die ganze frühere Deduktion 
von d6r notwendigen Verbindung der Buße mit dem Ablaß aufgegeben und dieser 
zum op\:fö operatura gemacht." 

* Summade casibus. Venetiis 1478, 1. V, tit. 40. Vgl. Dietterle, Zeitsch. 
f. Kirchengesehichte XXVI 350 ff. ' ' 



X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 361 

von Aquin, .Petrus von Tarentaise', Richard von Middletown, Raimund 
von Penaforte mit dessen Glossator Wilhelm von Rennest Innozenz IV., 
Bernhard von Bottone, Hostiensis und Johannes Andrea. 

Wilhelm von Rubione. 

Größere Selbständigkeit bekundet der spanische Minorit Wilhelm 
von Rubione, Provinzial von Aragonien, dessen Kommentar iiber die 
Sentenzen im Jahre 1333 auf Grund eines Gutachtens gelehrter Ordens- 
genossen vorn .Geheralmiriister Gefaldus approbiert worden ist.^ 

Wilhelm fragt ' zuerst, von wem die Ablässe erteilt werden 
können. Er unterscheidet eine zweifache Spendüng: die eine, welche 
der Spender kraft eigener Machtvollkommenheit vollzieht, die andere, 
die der Spender kraft der ihm von einem andern mitgeteilten Vollmacht 
bewerkstelhgt. Der Ablaß selbst kann völlkomnien oder unvollkommen 
seih, für alle Gläubigen oder nur für einige erteilt werden. Unter voll- 
kommenem Ablaß wird hier ein Ablaß verstanden, wodurch die ge- 
samte zeithche für die Sünden geschuldete Strafe erlassen wird, so 
daß der Empfänger, der nach Erlangung eines solchen Ablasses sterben 
sollte, unverzüglich in den Himmel kommen würde.^ Unvollkommen 
oder partiell ist jener Ablaß, durch den bloß ein Teil der Sündenstrafen 
erlassen wird. Diese Erklärung vorausgeschickt, ist zu sagen, daß 
Gott allein derartige Ablässe aus eigener Machtvollkommenheit erteilen 
kann. Kraft der unmittelbar von Christus überkommenen Vollmacht 
kann nur der Papst einen vollkommenen Ablaß spenden, ebenso wie 
auch hur er für alle Gläubigen Ablaß gewähren kann; doch muß er 
hierfür einen :vernünftigen Grund.haben. Andere kirchüche Vorsteher 
können nur partielle Ablässe, und auch diese nur für einen Teil der 
Gläubigen erteilen. 

.■ Wdm nützen die Ablässe? Vor allem nicht jenen, die im Stande 
der Todsünde sich befinden: Obschon nun tatsächlich die Ablässe 
nur solchen gegeben werden, die reumütig gebeichtet haben, so könnten 
sie doch auch Unbußfertigen verliehen werden, die Todsünden auf dem 
Gewissen haben. Dies ist indessen nicht so zu verstehen, als würden 
solche durch den Ablaß von der ewigen Höllenstrafe, die sie sich durch 
Todsünden zugezogen, befreit werden ; , sondern es ist, bloß zu. ver- 
stehen von einer zeitlichen Strafe, sie man sich durch läßliche Sünden 
zugezogen oder die man noch schuldet wegen einer Todsünde, die 
früher reumütig gebeichtet und in bezug auf die ewige Strafe erlassen 
worden sei.^ . , , - 



^ Disputata in quatuor libros sententiarum. Parisiis 1518. - 2 Bände. Das 
Approbationsschreiben ist abgedruckt im ersten Bande. Der Ablaß wird behandelt 
im zweiten Bande. 

2 Sent. IV, d., 19; q. 1, a. 1. Bl. 181. 

^ Art. 2: „Licet de facto indtdgentie nunquam dentur nisi vere peni- 
tentibus et confessis, nee per consequens proficiant aliis, tarnen possent utique 
dari etiaih impeniteritibus et in pecoatis mortahbns existentibus,- noh tarnen sie 
intelligendo quod propter tales indulgentias habitas ipsi liberalen tur -a pena 



362 X. J)ie Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte, des 14. Jahrhunderts. 

Zweitens nützen die Ablasse nicht jenen, die von allen Sünden 
völlig losgesprochen sind. Dies, ist leicht zu begreifen. Jener allein 
ist nämlich von allen Sünden völlig losgesprochen, der von aller 
schuldigen Strafe frei ist. Wer aber schon aller Strafe ledig ist, dem 
kann der Ablaß nichts nützen, da ja der Ablaß nur von der schuldigen 
Strafe befreien soll.^ 

Drittens nützen die Ablässe nichts den Seelen im Fegfeuer, da 
diese nicht mehr der Jurisdiktion des Papstes unterstellt sind.^ 

Viertens nützen die Ablässe den Lebenden, die noch eine^ zeitliche 
Strafe abzutragen haben. Denn nur auf die zeitliche Strafe, nicht auf 
die ewige beziehen sie sich. 

Letzterer Gedanke, daß, nämlich der Ablaß nur die Nachlassung 
der zeitlichen Strafe bezweckt, wird von Wilhelm noch einmal eigens 
betont in der Beantwortung der Frage, zu was die Ablässe niitzlich 
seien. Hier hebt er auch hervor, daß die Ablässe als solche keine 
Vermehrung der Gnade oder der Glorie bewirken.^ 

Mit fast allen Theologen jener Zeit hält Wilhelm von Rubione an 
der Ansicht fest, daß die Ablässe. aus dem Kirchenschatz erteilt werden. 
Dabei polemisiert er gegen einen neuen Autor (quidam lioyus), der 
nicht genannt wird ; gemeint ist aber sicher Mayr on. Der von letzterem 
gegen die Lehre' vom Kirchenschatz erhobene Einwand, als wäre 
Christus für seine Leiden schon genügend belohnt . worden und als 
hätte Gott den Heiligen, was sie getan und gelitten haben, über ihr 
Verdienst vergolten, wird von Wilhelm entkräftigt.* 

Im Anschluß an die Erörterungen über den Ablaß handelt Wilhelm 
von der Gewalt des Papstes, der als Stellvertreter Christi nicht nur 
von aller Sündenschuld lossprechen könne, sondern auch von aller 
schuldigen Sündenstrafe. Treffend fügt er aber sofort bei:- Von 
der Sündenschuld kann der Papst lossprechen mittels des Bußsakra- 
meiites, von der Strafe aber kann er außerhalb des Bußsakrämentes 
unmittelbar lossprechen, nämlich durch den Ablaß. ^ ' ' 

In ähnlichem Sinne spricht sich Wilhelm an einer anderen Stelle 
aus, wo er die Frage erörtert, ob nur der Papst oder auch jeder andere 



«terhaeis debita ex mortali culpa, sed tantura a pena aliqua temporali ad quam 
obligantur ex culpa veniali, vel etiam ex-mortali confessa et iam quantum ad 
penam etemam remissa." Bl. 181'. Wilhelm folgt hier Mayron, 

1 „Indulgentie non valent ab omni peccato totaliter absolutis. Heo 
[bonclüsio] apparet, quoniam ille est solus ab omni culpa totaliter absolutua, 
qui est ab omni pena sibi debita universaliter liberatus. Sed liberato ab omni 
pena nihil valent indidgentie, cum indulgentia nulli valeat nisi ad liberandum 
«um a debita ipsi pena." Bl. 181'. ; . ■ 

" „Indulgentie non proficiunt nee dari possunt existentibus in purgatorio." 
iBl. 181'. 

3 Art. 3. Bl. 182. * Art. 1. Bl.. 181. 

^ Dist. 19, q. 2: „Papa potest quemlibet a culpa absolvere et ab omni 
debita ipsi pena . . . Papa habet potestatem absolvendi a culpa mediaate peni- 
tehtie sacramento, et a pena immediate nuUo mediante penitentie saoramento." 
Bl. I82.' 



X.Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Half te des 14. Jahrhiinderts. 363 

Priester von aller Schuld und aller Strafe j von der ewigen wie von der 
zeitlichen, lossprechen könne.^ Nur der Papst kann 'dies tun, lautet 
die Antwort, da nur er einen vollkommenen Ablaß der Sünden erteilen 
könne. . Der vollkommene Ablaß sei aber nichts anders als die Los- 
.sprechung von aller Schuld und aller für. die Sünden geschuldeten 
Strafe,^. Es ist klar, daß hier der Ausdruck „vollkommener Ablaß" 
in einem andern Sinne genommen wird, als ah, der oben angeführten 
Stelle, wo es heißt^ unter dem , vollkommenen Ablaß sei der Erlaß 
aller zeitlichen Strafe zu verstehen. Der Verfasser erklärt übrigens 
näher, wie seine Äußerung aufzufassen sei. ^ Jeder Priester, lehrt er, 
kann kraft der in der Priesterweihe empfangenen Gewalt den reumütig 
Beichtenden, ebenso gut von aller Sündenschuld Idssprecheri, wie der 
Papst selber. Während aber beim Papste diese Vollmacht nicht ein-, 
geschränkt werden kann, muß der .einfache Priester, um sie ausüben 
zu. können, von seinen Oberen dazu ermächtigt werden. Was dann 
die Strafe betrifft, so kann wohl der einfache Priester im Bußsakra-, 
mente die ewige Strafe, und auch einen Teil der zeitlichen nachlassen; 
der Papst aber kann von der zeitlichen Strafe . auch, außerhalb des 
Bußsakramentes lossprechen, und zwar auf Grund des ; Kirchen- 
.schatzes, dessenl Verwaltung ihm anvertraut ist. Diese Lossprechung 
kann er jedoch nur jenen zuteil werden lassen, .die seiner Gerichtsbar- 
keit unterstehen, also nicht den Seelen imPegfeuer. Den noch lebenden 
Gläubigen kann er aber die Strafe, die sie im Eegfeuer abzutragen 
hätten, erlassen; doch nicht allen ohne unterschied, sondern nur 
jenen, bei denen hierfür ein hinreichender Grund vorhanden ist, weil 
sie z. B. für das Wohl der Kirche sich, der Todesgefahr ausgesetzt 
haben oder bereit sind, sich dieser Gefahr auszusetzen. 

Aufjustinus Triumphus. 

Nachdem bisher gezeigt worden ist, wie die Dominikaner und 
Franziskaner über den Ablaß gelehrt haben, sollen nun auch noch 
etliche Vertreter anderer Orden zum Worte kommen. Beachtung 
verdienen vor allem die Augustiner, als deren vornehmster Wörtführer 
Augustinus Triumphus von Anoona, der bekannte Verfechter päpst- 
licher Oberhoheit gelten darf.^ Man hat ihn als ,,die Hauptquelle 
der im ausgehenden Mittelalter erörterten Fragen über die Ablaßlehre" 
bezeichnet.'* Das ist freilich nicht ganz zutreffend. Richtig ist nur. 



^ Sent. IV, d, 18, q. 2: „Utrum solus pontifex summus vel etiara quilibet 
sacerdos aliiis possit. absei vere ab: omni .culpa et a pena quacunque ipsi debita, 
non tantum etemali, sed etiam temporali." ■ Bl. .179';- ./ 

. 2 „ Videtur quod nonnisi papa, quia solus ipse potest ,dare plenam indul- 
gentiam peccatorum; sed plena indulgentia'non est aliud i quam absolutio a culpa 
et ab omni debita pena culpe." . 

ä Zwei andere berühmte Theologen, avis dem Augustinerorden, Ägidius 
von Colonna (f 1316) und Gregor von Rimini (-j- 1358) haben nichts über den 
Ablaß* hinterlassen. 

* Göller, Der Ausbruch der Reformation 45. 



364 XI Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. JäÜrhuftderts. 

daß er häufig verwertet worden ist. In seinem 1320 abgeschlossenen 
und Johann XXII. gewidmeten großen Wierke über die' kirchliche 
Gewalt handelt er vom. Ablaß in fünf umfangreichen Abschnitten^ 
die sich mit dem Spender, der. Ursache, dem Empfänger und der 
Wirkung des Ablasses beschäftigen.^ . > . 

Spender allgemeiner -Ablässe für die. ganze Kirche ist einzig und 
allein der Papst, der alle Jurisdiktionsgewalt über die ganze Kirche, 
und das Verfügunigsrecht über den allgenieinen Kirchenschatz besitzt.^' 
Auch sich selbst kann der Papst Ablaß erteilen. Man hat wohl gesagt, 
daß dies nicht möglich sei, da der 'Papst keine Jurisdiktiöhsgewalt 
über sich selbst '>besitza; wie ..et. sich selber 4m Bußsakrament nicht 
von der Sündenschuld lossprechen könne, so. auch nicht durch den 
Ablaß von der Sündensträfe. Man .muß indessen unterscheiden. Der 
Papst erteilt den Ablaß als Haupt der Kirche, als Glied der Kirche 
empfängt er ihn, vorausgesetzt, daß er die zur Gewinnung des Ablasse» 
notwendigen Bedingungen erfülle. So kann er ja auch als Haupt der 
Kirche einen Priester bevollmächtigen, ihn im Bußsakrament als Glied 
der Kirche von seinen Sünden loszusprechen. 
- Hat schon in der vorstehenden Erörterung Triumphus wiederholt 
zu verstehen gegeben, daß der Ablaß sich, nur auf die Süiidenstrafe^ 
nicht "auf -die Sündenschuld bezieht, so erklärt er sich noch bestimmter 
bei der Behandlung der weiteren Frage, ob der Papst im Stande der 
Todsünde anderh Ablässe erteilen könne.. Natürlich wird die Frage 
bejaht. Denn,, so führt der Verfasser aus, bei der Erteilung von Ab- 
lassen verhält sich der Papst als Werkzeug, wodurch die Strafe erlassen 
wird, nicht als Subjekt, dem die Ablaßgnade zuteil wird. Wie nun 
die sakramentale Gnade sowohl durch einen schlechten als durch einen 
frommen Spender mitgeteilt wird, ebenso geschieht es auch mit dem 
Ablasse. Ganz anders aber- yerhält es sich mit dem Empfänger. Diesem 
kann im Stande der Toäsülide die AlDlaß^ade.^mcht /zuteil werden, 
da die Strafe nicht nachgelassen werden kann, weriri nicht zuvor die 
Sündenschuld vergeben isti* ■ hl ; ■: ■ 

: Kann der Papst auch den i Seelen im Fegfeuer Ablässe erteilen? 
Ja ! Er kann ihnen sehr wohl aus dem Kirchenschatz Hilf e^ukommen 
lassen, fallsandere für sie tunl, was zur Gewinnung des AblasseS':;er- 
f6rdert:ist.- ^ ^'■■; • '-.'■■■■-\x''-<-''-^^':!):::,-y-n'J''-':-:^^ 

Bischöfe können nur in den vom Päpste festgesetzten Grenzen 
Ablässe erteilen, .während einfache Priester dies /bloß tmi können^ 
wenn sie vom Papst oder vom Bischof dazu bevollmächtigt worden 

^ Summa de potestate ecclesiastica.Augliste 1473, "q. '29— ^33: .Vergliche» 
wurde die römische Ausgabe von/ 1582; ■;; n ; n . ,•;;;:]/ 'j j::;i 
• ^ „Utriun sol\is Papa ppssit universalem .indulgentiaindare?'': Ja ! q. 29,, 
ä; 1. Es ist nicht recht klar, was Triumphus unter; ,jindulgentia universalis '- 
versteht, ob bloß Ablaß für die ganze Kirche oder auch r,vollkommehen Ablaß, 
Allieni Anscheine nach ist' beides daxunter; zu ^verstehen; v 

3 ,,Papa in dandö ihdulgentiam habet. se in ratione instrumenti, quo res 
laxatio poenae fit." Q. 29, ia. 3. 

* „Non toUitur poena,.hisipriustolläturI culpa.'' vT . i : 



;X.,Die, Ablaßl^hre der Theologen der ersten Hälfte, des 14. Jahrhunderfcs. 365 

sind. Eine derartige Vollmacht kann auch ein päpstlicher Legat, 
•der nicht Priester ist,- erhalten, da ja die Ablässe nicht auf Grund 
der Priesterweihe, sondern der <Jürisdiktionsgewalt .erteilt werden. 
Dies wird vom, Verfasser folgenderweise, dargelegt: Die Ablässe be- 
wirken die „Nachlassung der Sünden", gemäß der Erklärung des 
allgemeinen Konzils (1215); daß deii; Kreuzfahrern einej vollkommene 
Vergebung. der: reumütig gebeichteten Sünden verheißt,^ , Nun kann 
aber. die Nachlassung der Sünden auf • zweifache Weise geschehen-, 
mittels des Sakramentes (mediante sacramento.) und mittels des Amtes 
{mediante officio). -Mittels des Sakramentes j wie Triumphus, an einer 
andern Stelle .ausführt, wird ' die . .Sündenschuld . vergeben'; , mittel^ ^ jies 
Amtes aber wird durch Verleihung- eines Ablasses jenen; die-, ihre 
Sünden reumütig, gebeichtet haben, die, schuldige .Straf e.erlassen.^. Da 
nun die, amtliche Jurisdiktionsgewalt auch' solchen verliehen werden 
kann, die, nicht Priester sind, so folgt, daß. ein päps;tlicher Legat, oder 
ein ernannteri und /bestätigter Bischof, ohne, Priester zu^ sein, .Ablässe 
erteilen kann. ..... < ' . , \. ,. ' 

Im zweiten- Abschnitte wird die -Frage erörtert, aus welchen 
Gründen Ablässe' erteilt werden- können'. -Es wird zunächst 
därgetan, daß es geziemend sei;' Ablässe zn erteilen für äußerliche 
Werke, wodurch die Ehre Gottes und der Nutzen der Kirche ge- 
fördert werden können. Triumphus führt hierfür* drei -Gründe an. 
Der erste wird entnommen aus dem Chara,kter der Ablässe. 'Diese 
sind sakraniental, da sie kraft der Schlüss.elg'ewalt erteilt werden.^ 
Alles aber, was etwas Sakramentales an sich hat,' erheischt etwas 
Äußerliches, weil nach dem hl. Augustinus das Sakrament ein äußer- 
liches sichtbares Zeichen der inneren unsichtbareil Gnade ist. Der zweite 



' ^ „Indulgentiae valent ad remissionem peccatorum iuxta illud' quod 
habetur in forma generalis concilii : Omnibus . . , plenam suoruin peccaininum, 
de quibus fuerint veraoiter corde contriti et ,ore confessi,, veniam indulgemus." 
q. 29, a. 8. JEieraus ergibt sich, daß Triumphus, weiin er lehrt, die Ablese be- 
wirkten die „Nachlassung 'der Sünden", eine 'yergebung der Sünden 'der 'Strafe 
nachjm Auge hat. ,. . - < ■ , -.s ' • . - ■ :• 

' .^'„Eiemissio peccatorum per. commünicationem indulgentiae daturcori- 
tritis et oonfessis; unde non datur remissio culpae nisi mediante sacramento, 
sed remissionem poenae debita« illi culpae vel in toto vel in. parte confert 
Papa mediante officio." q.,58, a., 2. " . 

' „Indulgentiae' saoramentales sunt, cum f iant virtute olavium." q. 30, a. 1. 
Daß die Ablässe kraft der Schlüsselgewalt erteilt werden, berechtigt keineswegs, 
sie als sakramental zu bezeichnen, da ,ja gerade die Ablässe, wie., Triumphus 
selbst lehrt,, durch die Jurisdiktionsgewalt außerhalb des Sakramentes erteilt 
werden (mediante , officio, non mediante sacramento. q. 29, a. 8). Thomas von 
Aquin,(S,uppl; q. 25,. ,a. 2, ad 1) lehrt denn auch mit Recht: „Clavis ordinis 
sacramentale quoddam est . . . sed clavis iurisdictionis non est quid sacramentale." 
Trimnphus denkt übrigens nicht daran, den Ablaß zu einem opus operatum 
zu machen; er lehrt ' vielmehr ausdrücklich das Gegenteil: „Non est simile de 
baptismo et indulgentia; quia ibi solumopus operatum virtutem remissionis 
habet, hie vero non, immo opus operans. In baptismo enim remissio habetur 
per modmn saeramenti, sed per indulgentiam datur remissio per modum meriti 
operantis." q. 31, a. 1, ad 3. • ' .-, 



366 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälffe des- 14. Jahrhunderts, 

Gl und, warum es sich gezieme, für äußerliche Werke "Ablässe zu er- 
teilen, ergibt sich aus dem Charakter der Bußstrafe, die durch den 
Ablaß getilgt werden soll. Denn durch die Ablässe wird bloß die Strafe, 
nicht die Sündenschuld nachgelassen.^ Nun besteht aber die Bußstrafe 
in äußerlichen Werken, wie Fasten, Wällfahrten, Verteidigung des 
Heihgen Landes. Daher soll für derartige Werke Ablaß erteilt werden, 
doch nur für solche, die zur Verherrlichung Gottes beitragen. Drittens 
kömmt in Betracht der geistliche Schatz der Kirchej aus dem die 
Ablässe gespendet werden. Wie der weltliche Schatz einer Stadt oder 
eines Reiches nur zur Ehre oder zum Nutzen des Staatswesens ver- 
wendet werden soll, so soll auch der Ablaß nur erteilt werden für 
solche äußere Werke, die geeignet sind, die Ehre; Gottes, den Nutzeh 
der Kirehe oder die Sache des< christlichen Glaubens zu fördern. Doch 
können auch rein geistige Werke init Ablässen bedacht werden. Durch 
die Bewilligung von Ablässeii für zeitliche Güter wird aber keine 
Simonie begangen, da es »sich um zeitliche Dinge handelt, die auf 
Geistliches hingeordnet sind. Zur Gewinnung des Ablasses genügt 
der gute Wille allein nicht; es muß auch das vorgeschriebene Werk 
verrichtet werden. Ebensowenig genügt der Wille des Spenders zur 
Gültigkeit des Ablasses; es muß hierfür, ein vernünftiger Grund, vor- 
handen sein. , , 

Der dritte Abschnitt handelt vom Empfänger des Ablasses. 
Wer im Stande der Todsünde sich befindet, kann des Ablasses nicht 
teilhaftig werden. Der Ablaß bezieht sich eben nur auf die Strafe, 
die nicht erlassen werden kann, solange die Sündenschuld durch Reue 
und Beichte nicht getilgt ist.^ 

Schon im ersten Abschnitte war in bejahendem Sinne die Frage 
erörtert worden, ob der Papst auch für die Seelen im Fegfeuer 
Ablässe gewähren könne. Diese Frage wird von Triumphus noch 
einmal bejaht, wobei er freilich recht 'Imtiklos verfährt. Er nimmt 
nämlich an, daß die vierte Laterahsynode erklärt hat, man könne 
den Kreuzzugsablaß nicht nur für sich, sondern auch für die ver- 
storbenen Eltern gewinnen.^ Davon ist jedoch in dem betreffenden 
Dekret nichts zu finden. Wie andere Theologen vor ihm, so lehrt 
auch Triumphus, daß ein Doppeltes erfordert sei, damit der Ablaß 
den Verstorbenen zugewendet werden könne : in der Ablaß bewilligung 
müsse eine derartige Zuwendung ausdrücklich gestattet sein; zudem 



^ „Indulgentiae sunt relaxativae poenae, non culpae." 
^ „Existens in mortali culpa per communicationem indulgentiae nori potest 
exspoliari poena, nisi prius exspolietur culpa . . . Siout' gratia sacramentalis 
remittens oulpam non datur homini sine contritione culpae, sie grätia indvd- 
dulgentiae relaxans poenam non datur homini sine contritione praedicta." 
q. 31, a. 1. 

^ „In forma concilii generalis datur indulgentia accipientibus crucem pro 
66 et pro patre et matre mortuis." q. 31, a. 4. Dies steht allerdings am Anfange 
des Artikels unter den Gründen, die zugunsten der Ablässe für Verstorbene an- 
geführt werden. Aus der „solutio", die Triumphus folgen läßt, ersieht man aber, 
daß er die Richtigkeit der Angabe nicht bestreitet. 



X. Die Abläßlehre der Theologen der ersten Half te des 14. Jahrhunderts. 367 

müsse- das zur Gewinnung des" Ablasses vorgeschriebene Werk ver- 
richtet werden. ■ ' ' 

' ' Schließlich wird noch die Wirkung des Ablasses erörtert, wobei 
vor allem • dessen Wirksamkeit im Fegfeuer berücksichtigt wird. Die 
erste Frage des vierten Abschnittes lautet, ob der- Papst durch den 
Ablaß bewirken könne; daß von zwei Seelen, die im- Fegfeuer dieselbe 
Strafe abzubüßen halien:, die eine rascher befreitwerdealsdie andere. 
Die Frage wird bejaht, aus dem Grunde, daß die Suff ragien und die 
Ablässe, die einer bestimmten Seele zugewendet werden, für diese 
Seele von 'besonderem Nutzen sind. ,' Aber hier zeigt sich wieder, wie 
oberflächlich der gelehrte Augustiner zu- Werke geht, wenn es gilt-, 
Tatsachen anzuführen. Er läßt -nämlich Petrus Lombardus, den 
Verfasser des Sentenzenbuches, ausdrücklich lehren, daß jene,- für 
welche mehr Suffragien verrichtet und mehr Ablässe gewonnen werden; 
rascher aus den Feinen des Fegfeuers' befreit werden.^ ' Dies lehrt nun 
freilich Lombardus bezüglich der Suffragien, aber der Ablaß wird in 
seinem Werke mit keiner Silbe' erwähnt. Dieselbe Ungenauigkeit läßt 
sich Triumphus zuschulden kommen, indem er sich für den Nutzen 
der Zuwendung von Suffragien und Ablässen an bestimmte > Seelen 
auf die Gewohnheit der Kirche beruf t.^ Gab es dbch damals noch 
keine kirchlich" anerkannten Ablässe für Verstorbene. Sollte aber 
jemand . auf Grund des Zeugnisses des Augustiners behaupten- wollen,, 
die Kirche habe damals schon Ablässe für die Verstorbenen erteilt, 
so dürfte es genügen, daran zu 'erinnern, daß Triumphus auch dem 
Lombarden und der vierten Lateransynode eine Erwähnung der Ablässe 
für Verstorbene zuschreibt, obschon weder in dem Sentenzenbuch noch 
in den Beschlüssen des vierten allgenieinen Konzils etwas darüber zu 
finden ist. ' - 

An zweiter Stelle \Yird die Frage aufgeworfen, ob jemand, der im 
Stande der Todsünde sich befindet, Ablässe für die Vefstoi'benen ge- 
winnen könne. Triumphus glaubt diese Frage bejahen zu sollen. Er 
betont freilich, daß wer nicht im Stande der Giiade sich befindet, 
etwas Verdienstliches nicht tun köniie. Allein die Wirksamkeit der 
Ablässe für Verstorbene, so bemerkt er weiter',' beruht nicht auf dem 
Verdienste desjenigen, der das vorgeschriebene Ablaß werk fiar die 
Seelen im Fegfeuer verrichtet; es sind vielmehr diese Seelen selber, 
die auf Erden verdient haben, daß ihnen im Jenseits durch Zuwendung 
von Suffragien und Ablässen geholfen werden kann. Sie stehen in 
Liebesgemeinschäft mit uns ; daher , kann ihnen' auch der . Papst aus 
dem Kir.chenschatz Ablässe zuwenden, falls aridere die vorgesehrieberieii 
Ablaßwerke für sie verrichten. 



*' „Magister in IV, dist. 45 expresse dicit, quod illi pro qtiibus fiunt plura 
suffragia et plures indulgentiae' acq'uiruntur, citius a poenis piirgatörii 
liberantur." q. 32, a. 1. 

* „Confirmat hoo consuetudo Ecclesiae, quae- per communicationem in- 
dulgentiarum et suffragiorum ponit illos a toto vel a parte liberari, pro quibus 
fiunt." ^ • ' 



368 . X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte ides 14. Jahrhunderts. 

Könnte aber der Papst auf diese Weise nicht das Fegfeuer 
ganz entleeren? Es kann hier, erwidert Triumphus, ein Dreifaches 
in Betracht kommen: die, päpsthche Jurisdiktionsgewalt an und für 
sich, die geordnete Betätigung dieser. Gewalt, sodann die Qenehmigung 
,von Seiten Gottes. Berücksichtigt man die päpsthche Jurisdiktions- 
gewalt an und für sich, so kann man sehr wohl, sagen^ daß der Papst 
4as Fegfeuer entleeren kann, aber nur bezüglich jener Seelen, die 
früher seiner Jurisdiktion unterstellt waren und die auf Erden Freunde 
haben, welche für ,sie tun, was zur Gewinnung des Ablasses vor- 
geschrieben ist. Zieht man. die geordnete Betätigung, der päpstlichen 
Jurisdiktion in Betracht,, so ist zu sagen, daß der Papst das, Fegfeuer 
nicht entleeren kann. Er muß; eben von seiner Gewalt einen weisen, 
wohlgeordneten Gebrauch machen;. was nicht der Fall wäre, wenn er 
willkürlich alle Seelen aus dem Fegfeuer befreien wollte. Wie aber, 
wenn er dies dennoch unternehmen uüd allen Seelen im Fegfeuer 
Ablässe zuwenden sollte? Würde Gott dies billigen und anerkennen ? 
Das weiß ich nicht, antwortet Triumphus, und ich glaube wohl, daß 
es niemand wisse, auch der Papst , selbst nicht., 

Die Frage, auf welche Weise der Ablaß den Verstorbenen zu- 
gewendet wird, hat Triumphus nicht eigens behandelt; wie er aber 
darüber gedacht hat,, geht, aus verschiedenen seiner, Äußerungen 
deuthch genug hervor. Nach ihm wird, der Ablaß.. überhaupt. nicht 
in der Form eines Urteils verliehen, sondern nach Art einer Zahlung 
und Mitteilung,^ und zwar aus dem Kirchenschatze. Diese Mitteilung 
geschieht aber kraft der Jurisdiktionsgewalt.^ In dieserr Weise werden 
die Ablässe auch den Verstorbenen zugewendet,. unter der> Bedingung 
jedoch, daß jemand für sie. das vorgeschriebene Werk . verrichtet. 
Dies Werk kann für die Verstorbenen auch von solchen verrichtet 
werden, die im Stande der Todsünde sich befinden.^-. Wird nun einer 
bestimmten Seele aus dem Kirchenschatz ein Abljaß .mitgeteilt,, so 
wird dadurch für diese Seele bezahlt und genuggetan, gleich als,. ob 
sie. selber die Zahlung und Genugtuung geleistet hätte.* i. Von .einer 
Zuwendung des Ablasses, die bloß fürbittweise (per modum depre- 
cationis) geschieht, unterscheidet, sich nicht unwesenthch die Ablaß - 
mitteilung, wie sie von Triumphus gelehrt wird. Doch nimmt der 
Augustiner keine unfehlbare Wirksamkeit des Ablasses für die Ver- 
storbenen an. Es hängt eben nach ihm von Gott ab, ob er den Ablaß, 



^ „Indulgentia non datur per modum sententiae promulgationis, , sed per 
modum debitae solutionis et communieationis." q. 29, a. 2, ad 1. 

* „Est actus iurisdictionis." Ebenda. Vgl. q. 32, a. 1: „Indulgentiae 
applicantur per potestatis iurisdictionem." ' ■ 

^ „Puto quod . . . potest pie et rationabiliter dioi quod bona quae fivint 
in Ecclesia possunt esse meritoria illis qui sunt in purgatorio vel per. modum 
suffragiorum vel per modum indulgentiarum ad relaxationem poenae ;vel ad 
totalem liberationem, quantumcumque fiantab existentibus in peocatomortali." 
q. 32, a. 2. Vgl. Göller 159 f. , ,. . , 

* „Sic est solutum et satisf actum ac si personaliter solvisset vel satis- 
feeisset." q. 32, a. 1. ',,,. 



X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 369 

der einer Seele im Fegfeuer zugewendet wird, annehmen wolle. Kein 
Mensch könne aber wissen, ob die Annahme des Ablasses von selten 
Gottes wirklich stattgefunden habe.^ 

Triumphus erörtert auch, die Frage, ob die Ablässe den Ver- 
dammten in der Hölle nützen können.^ Bekanntlich haben ver^ 
schiedene ältere Theologen den, , Suffragien für die Verdammten eine 
helfende Wirkung zugeschrieben, zwar nicht zur Befreiung aus der 
Hölle, sondern nur zur Erleichterung der Pein.^ In Übereinstimmung 
hiermit lehrt Triumphus, daß die Ablässe, gleich den iibrigen Suf- 
fragien, die HöUenpeinen erleichtern können. 

Sonderbar klingt eine andere Frage, die Triumphus noch auf wirf t:- 
Ob der Papät durch Abläßverleihung jene, die ihre Sünden bereut 
und gebeichtet haben, so von aller Strafe und Schuld' los- 
sprechen kann, daß ' sie nicht ins 'Fegfeuer kommen.* Wiederholt 
hat der Augustiner erklärt, daß der Ablaß sich nur auf die Strafe, 
nicht auf die Schuld bezieht. Wie kommt er nun dazu, von dem Ablaß' 
als von- einer Befreiung -von Strafe und Schuld zu sprechen? Das 
Rätsel löst sich.insehr einfacher Weise. Damals schon war es vieKaöh 
Sitte, den vollkommenen Straferlaß als einen Erlaß von- Strafe und 
Schuld zu bezeichnen, wie im 2. Band in dem Abschnitt über den 
sogenannten Ablaß von Schuld und Straf e gezeigt werden soll. Diesem 
weitverbreiteten Sprachgebrauche folgt hier Triumphus. Seine Frage, 
ob der Papst jene,' die reumütig gebeichtet haben, von aller Strafe und 
Schuld lossprechen könne, deckt sich mit der in der Summe Alexanders 
von Haies vorkommenden Frage, ob der Papst dem Pönitenten die 
gesamte für die Sünden schuldige' Strafe erlassen könne.^ Dies ergibt 



^ „Dupliciter potest homo satisfacere pro delicto: 1. satisfaotione exi- 
gentiae, et sie quilibet satisfacit pro seipso; 2. . satisfaotione oondecentiae, 
et sie UQUs potest satisfacere pro alio. Sed.in commimicatione indulgentiae 
attenditur satisfactio' oondecentiae, quia thesanro p£i<ssibnis CKristi satisfit pro 
poena illorum qui sunt in purgatorio. ' Cum< ergo talis satisfactio consistat in 
Dei aooeptatione, sicut acceptatio Dei est ignota Päpae et cuilibet creaturae, 
ita et talis satisfactio quae fit per poimnunicätionem indulgentia>e ignota est 
sibi." q. 32, a. 3. Göller (Der Ausbruch der Reformation 162 f.) nimmt an, 
Triumphus sei der Ansicht gewesen, daß der Ablaß den einzelnen Seelen, für 
die er aufgeopfert werde; linfehlbar und seinem ganzen- Umfang nach zuteil 
werde. Es sei zu beachten, „daß er zwar hierbei, wo es sich um die Exspoliation 
des Fegfeuers überhaupt handelt, die divina acceptatio mit in die Wagschale 
wirft, dies aber nicht tut, wo er von der, Zuwendung des Ablasses für die Ver- 
storbenen im einzelnen spricht".. -Allein in der 'oben mitgeteilten Begründtmg 
spricht Tritimphus , ganz allgemein" von, der , Zuwendung der .Ablässe, an Ver- 
storbene , und fordert ganz allgemein die acceptatio, divina, ,also auch für den 
Fall,, -vsro es sich \im.eine Zuwendung an einzelne Seelen handelt., 

2 „An indulgentiae et suffragia prodesse possint damnatis ?" q. 34, a. 4. 
. 3 Vgl. Franz,' Die Messe 223 ff. 

* „TJtrum Papa per communicationem indulgentiae possit contritos et con- 
fessos sie a tota poena et culpa absolvere, ut non transeant per ignem purga- 
torii?" q.^32, a. 4. ' 

^ Summa IV, q. 23, m. 6: „Utrum Summus Pontifex posset totam poenam 
debitam peccato relaxare poenitenti ?" Vgl. oben S. 286. 

Paulus, Geschichte des Ablasses. 24. 



370 X. Die Ablaßlehre der Theologen "der ersteh Hälfte des 14. Jährhunderts. 

öich sonnenklar aus der ganzen Art und Weise, wie Triuinphus die 
von ihm gestellte Frage zu lösen sucht. 

Damit der Ablaß, so beginnt er seine Erörterung, in jenen, die 
ihre Sünden reumütig gebeichtet haben, die voUkbmmfene Vergebung 
der Sünden bewirke, so daß sie, wenn sie sterben sollten, unverzüglich 
in den Himmel kämen,^ sind vierschiedene Bedingungen erfordert. 
Zunächst muß der Spender selber die nötige Jurisdiktion besitzen; 
er inuß auch von dieser Jurisdiktion einen geordneten Gebrauch 
mächen und bei Erteilung des Ablasses einen vernünftigen Grund 
haben. Der Empfänger seinerseits muß glauben, daß die Kirche 
Ablässe erteilen kann; er muß zudem im Stande der Gnade sein. 
Erst wenn er seine Sünden reumütig gebeichtet hat, kann ihm der 
Kirchensohatz „zur Ablösung der Strafe" geöffnet werden.^ Sodann 
niuß er das Werk verrichten, das zur Gewinnung des Ablasses vor- 
geschrieben ist. Damit aber der Empfänger des Ablasses, falls er 
sterben. sollte, von Mund auf in 'den Himmerfahre, darf nichts vor- 
handen sein, was die sofortige Aufnahme in den , Himmel hindern 
würde. Es könnten .aber .viei^erlei , Gründe den sofortigen Eintritt in 
den Himmel, auch nacli Gewinnung des Ablasses, unmöglich^ machen. 
Einer dieser Gründe kann im Ablässe selbst liegen, wenn es nämlich 
in der Ablaßbewilügung heißt, daß die auferlegte Buße (poena in- 
iuncta) erlassen werden soll. Hat der Beichtende eine größere Buße 
verdient als jene, die ihm tatsächlich auferlegt worden, so wird ihm 
die aufzulegende Buße durch den Ablaß nicht erlassen; er muß sie 
im Fegfeuer abtragen. Der Ablaßempfänger kann dann auch beim 
Beichten die eine und die andere Sünde vergessen haben. Auf diese 
vergessenen Sünden bezieht sich der Ablaß nicht, da er nur für die 
: gebeichteten Sündfen erteilt wird-. Drittens kann man nach Gewinnung 
dfes Ablasses wieder eine Todsünde begehen. Wenii man auch nachher 
diese Sünde beichtet, so fallt sie doch nicht unter den früher ge- 
wonnenen Ablaß. Endlich kann es leiöht vorkommen, daß ein Mensch, 
der seine Sünden reumütig gebeichtet hat und folglich im Stande der 
Giiäde "sich befindet, dennoch mit läßlichen Sünden in die Ewigkeit 
hinübergeht. Von diesen Sünden muß aber die Seele zuerst gereinigt 
werden, bevor sie in den Himmel eingehen kann. 



1 v,Ut communicatio ihdulgentiae habeat coihpletrim 'et universalem effectiun 
qüahtüih äd tötam remissioneih pecbatörum in contritis et confessis, ita ut 
sib decedehtes statim evolent et per purgfitorium "non transeant, äli'qua reqm- 
fühtür." Es ist klar, daß unter der „tota remissio pecoatorum", die durch den 
Ablaß bewirkt werden soll,, nur die vollkommene Vergebung der Sünden der 
Strafe -nach, mit 'andern Worten, nur "ein vollkommener Straferlaß ver- 
standen werden kann, da ja die Vergebung der Sündenschuld in der reumütigen 
Beichte vorausgesetzt wird. 

^ Es sei erfordert, „quod "sit vere contritus et c'ohfessus; nam per con- 
tritionem homo reconciliatur Deo, per confessionem reconciliatur Ecclesiae, et 
tüii'c . . .fit de numero militum Ecclesiae qüibüs thesaurus debet aperiri pro 
satisfactione poenäe. 



(C 



X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14, Jahrhunderts. ,371 

Ist nun aber von den ^yier, erwähnten. Hindernissen keines vor- 
handen und sind 4ie von seilen des Spenders und Empfängers er- 
forderten Bedingungen erfüllt, so kann der Papst jene, die reumütig 
gebeichtet haben, derartig' von ',^äller Strafe und Schuld-- lossprechen, 
daß sie vor dem Fegf euer bewahrt bleiben. Zur Begründung dieser 
Macht des Papstes wird unter änderm folgender Beweis vorgebracht: 
Christus kann alle Straie (tptam poenaih)' nachlassen; folglich kann 
es auch der Papst, gemäß der Glosse zu 2. Kor. 2, 10: Was ich vergeben 
habe, habe icH an Christi Statt vergeben; wozu die Glosse bemerkt: 
Ms wenn es "Christus vergeben hätte. ^ Also, was unmittelbar vorher 
als eine Befreiung von Strafe und Schjild galt,, das wird jetzt einfach 
als eine Befreiung von der Strafe bezeichnet. Schon diese Schluß- 
bemerkung wie auch die vorangehende Erörterung, die zur Gewinnung 
des Ablasses die JBef reiung von aller Süiidenschuld als unumgängliche Vor- 
bedingung fordert, zeigen klar, daß Triumphus unter Ablaß von Strafe 
und Schuld einen vollkommenen Straferlaß verstanden hat. Der Ablaß 
von Strafe und Schuld gilt ihm als Erlaß der für die Sünde geschuldeten 
Strafe. Deshalb erklärt er am Schlüsse seiner Ausführungen: Durch 
den Ablaß werde die Strafe für die Schuld erlassen auf Grtilid der 
stellvertretenden Genugtuung Christi;^ als Stellvertreter Gottes könne 
der Papst alle schuldige Strafe für die gegen Gott begangene Sünde 
erlassen.^ 

Die im fünften Abschnitte behandelte IVage, ob der Papst auch 
solchen Verstorbenen,. die nicht zur Kirche gehört haben, wie z. B. die 
ungetauften Kinder, Ablässe erteilen könne, darf füglich übergangen 
werden. Es genüge, zu bemerken, daß die Frage verneint wird. 
Erwähnenswert ist, dagegen, wie Triumphus in einem andern Ab- 
schnitte seines Werkes den damals noch üblichen Ablaß des dritten 
oder vierten Teiles der Sünden erklärt. Durch einen derartigen. 
Ablaß, lehrt' er, wird nicht der dritte oder vierte Teil der Sünden, 
nachgelassen, da ja d.er Ablaß nur solchen zugute kommt, die ihre 
Sünden reumütig gebeichtet haben; wohl abßr wird- dadurch der dritte- 
oder vierte Teil der Bußstrafe für die Sünden erlassen, die im Buß- 
sain-ament bereits vergeben worden sind.* 



1' Gemeint ist die Glossa interlinearis von Anselm von Laon. Vgl. oben-. 
«. 231. 

* „In communioatione indulgentiae tqllitjiT.poena pro culpa ratione 
poenae Christi patientis pro .suis iinembr;is." .q. 32, a. 4, ad 1. 

)ä „Ex yirtute Dei ,poterit relax^ri tomnis p.oen.a .debita culpa.e in eum 
commissae." Ibidem, ,ad 2. 

* „Plus potest Papa mediante officio quam mediaiite sacramento, qüia, 
mediante sacramento tantum' potest, quantam potestatem -Deus contulit sacra- 
mento; unde tantum potest, quantum unus alius sacerdos. Sed mediante officio 
tantum potest, quantam potestatem Deus contulit officio. Nee tarnen est verum 
..quod ,per .commflnicatione.m indulgentiae i;eniittat tertiam paxtem peccatorum, 
.cum .indulgentia .non .communicatur nisi contritis\,et cohfessis, sed remittitur 
.terti^-vei'quaijta pars >de,iniunct,a poftnitentia pro peccatis, quorum ab- 
solutio iam facta est." ^<1« -.6,6, a. 4, jad ,1. 

24* 



372 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderta. 

Thomas von Straßburg. 

Nach Augustinus, Triumphus erscheint als Vertreter des Augu- 
stinerordens im 14. Jahrhundert Thomas von Straßburg, der von 1345 
an zwölf Jahre an der Spitze des Gesämtordens stand und 1357 in 
Wien gestorben ist. Bevor er zum General gewählt wurde, , war er 
in Straßburg und Paris , Prof essor der Theologie gewesen und hatte 
als solcher einen Kommentar zu den Sentenzen verfaßt, dem nicht 
mit Unrecht Prägnanz und Klarheit nachgerühmt wird. I)ies Lob 
gebührt auch seinen kurzen Ausführungen ütter den Ablaß, die, zudem 
in einer originellen Form aiiftreten.^ Der Verfasser, fragt nämlich, 
ob der Mensch durch Ablässe ohne andere Genugtuung seine Fegfeuer- 
strafe tilgen könne. In der Beantwortung dieser Frage hat er seine 
Auffassung des Ablasses kurz dargelegt. 

Der Ausdruck „ohne andere Genugtuung", bemerkt er, kann 
zweierlei besagen: es kann. dadurch jene spezielle Genugtuung gemeint 
sein, die der Beichtvater auflegt; oder man kann darunter überhaupt 
jede menschhehe Tätigkeit verstehen, wodurch die S,ündenstrafe^ ver- 
mindert wird. Die Antwort ist nun eine verschiedene, je nachdem 
der Ausdruck „ohne andere . Genugtuung" in dem einen oder in dem 
andern Sinne verstanden wird. Versteht man darunter die vom Beicht- 
vater auferlegte Buße, so kann der Mensch sehr wohl durch Ablä.sse 
ohne andere Genugtuung seine Fegfeuerstrafe abtragen. Wird nämlich 
einem Pönitenten so viel erlassen, als er schuldig ist, so ist er zu nichts 
mehr verpflichtet. Nun gibt es aber manche Menschen, denen durch 
Erteilung von Ablässen so viel Bußstrafe erlassen wird, als sie ab- 
zutragen haben. Grcsetzt also, daß solche Menschen sterben, bevor 
sie die vom Beichtvater auferlegte Buße verrichten, so werden sie 
dennoch keine- Fegfeuerstrafe zu erdulden haben. 

Gegen diese Folgerung, fährt der Verfasser fort, können. indessen 
verschiedene Einwände geniacht werden. Vor allem kommen die 
Häretiker — gemeint sind die Waldenser — die da behaupten, der 
Ablaß habe überhaupt keinen Wert. Dann wiirde aber, die allgemeine 
Kirche, die am Ablasse festhält, in'en, was, nicht zugegeben werden 
kann. Zudem scheint schon der hl. Paulus (2. Kor. 2) einen Ablaß 
erteilt zu haben; folglich kann auch der Papst, Ablässe yerleihen, 
und zwar als Verwalter des Kirchenschatzes, der aus den Verdiensten 
Christi und der Heiligen besteht. Aber durch' die; «Verleihung von 
Ablässen wird Simonie begangen, sagt man. Durchaus nicht! da 
die Ablässe zwar für Zeitliches, aber nur insofern das Zeitliche auf 
Geistliches hingerichtet ist, verliehen werden. Man säge auch nicht, 
daß infolge der Ablässe die Sünd,en ungestraft bleiben; denn für diese 
Sünden haben Christus und die Heiligen, aus deren Verdiensten die 



^ Thomae de Argentina Commentaria in 4 libroa Sententiarum... Venetiis 
16Ö4. 1. IV, d. 20, q. 1, a. 4: „Utrum per indulgentias possit homö purgatorium 
suum extinguere absque alia satisf actione," Bl. , 130 — 31. Vgl. über Thomas 
meinen Aufsatz im Historischen Jahrbuch XIII (1892) 1 f f . 



Xl'Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälftodes 14. Jahrhunderfcs. 37^ 

Ablässe gespendet werden, bereits genuggetan. Doch ist jedem, der 
Ablässe zu gewinnen sucht, anzuraten, die vom Beichtvater auferlegte 
Buße nicht zu unterlassen, da diese Buße auch ein Heilmittel gegen 
die , künftigen Sünden ist. Zudem gibt es manche Sünden, an die 
wir uns beim Beichten nicht erinnern. Wir sollen daher hienieden 
Buße tun, um für diese Sünden im Fegfeüer nicht schwer gestraft 
zu werden. Aber auch gesetzt, daß jemand mit Erlaubnis des Beicht- 
vaters die auferlegte Buße durch Ablässe ablöst, so kann es doch 
sehr wohl geschehen, daß ein solcher Mensch durch die^ Betrachtung; 
des Leidens Christi und der Heiligen, deren Verdienste ihm zugeeignet 
werden, mehr in der. Gnade und Liebe gewinnt, als wenn er die auf- 
erlegten Büß werke verrichtet hätte. Da nun aber der Mensch durcbi 
Vermehrung der Gnade und Liebe zu einem tugendhaften Leben 
geneigt gemacht und die Lust zum Bösen in ihm vermindert wird, 
so wird der geistliche Nutzen des Pönitenten durch die Ablässe nicht 
aufgehoben; im Gegenteil, er wird dadurch gefördert.^ 

Abgesehen von der häretischen Behauptung, daß die Ablässe 
überhaupt nichts gelten, gibt es eine andere Ansicht, nach welcher 
der Ablaß bloß die vom Beichtvater auferlegte Buße, nicht aber di& 
Fegfeuerstrafe hinwegnehmen würde. Diese Ansicht muß man als 
Irrtum. zurückweisen, und zwar aus folgendem Grund: Jeder Christ 
ist verpflichtet, zu glauben, daß die vom Beichtvater auferlegte Buße 
die Fegfeuerstrafe tilgt, gänzlich oder nur teilweise, je nachdem eine 
genügende oder ungenügende Buße auferlegt worden ist. Wer nun 
aber anerkennt, daß der Ablaß die vom Beichtvater" auferlegte Buße 
hinwegnimmt, der muß folgerichtig zugeben, daß die Ablässe auch 
zur Ablösung der Fegfeuerstrafe , dienen. 

Andere geben zwar zu, daß der Ablaß sowohl die vom Beichtvater 
auferlegte Buße aladie Fegfeuersträfe hinwegnimmt ;, sie meinen aber, 
daß die. Ablässe nicht so viel gelten, als sie besagen, sondern daß ihre 
Wirksamkeit sich nach dem Glauben und der frommen Gesinnung des 
Empfängers richtet. Daß aber' die kirchlichen Oberen mehr ver- 
sprechen, als sie wirklich geben, geschehe aus einem gewissen frommen 
Betrug, wodurch die Leute zu guten Werken angelockt werden sollen, 
gleichwie eine Mutter ihr Kind durch Hinhalten eines Apfels zum 
Gehen anzulocken suche. Das wäre aber nach Thomas kein frommer, 
sondern vielmehr ein grausamer und gottloser Betrug, wenn die Kirche 
den Gläubigen, vorspiegeln. würde, sie wären aller Strafe los, während 



* „Dato tarnen quod de licentia confessoris homo iniunotas p'oenitentias 
recompenset indtdgentüs, adhuc bene pbtest contingere, quod talis homc ex 
consideratione passionis domini nostri lesu Christi et caeterorum sanofcorum, 
cuius passionis merito satis fit pro ipso, maiorem gratiam et caritatem recipiat, 
quam si poenitentiam sibi iniunotam in, propria specie absque indulgentiis per- 
fecisset. Et quia per augmentum gratiae et caritatis homo inclinatur ad opera 
virtuosa et diminuitur in eo inclinatio ad vitia non minus quam per aseuef actionem 
bonorum operum, ideo poenitentis utilitas non,tollitur per indulgentiam, sed 
magis.promovetur. Bl. 130'. Hier wie in etlichen andern Pimkten schließt sich 
der Augustiner- eng an Thomas von Aquin an. Vgl. oben S. 291. 



374 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 

ihnen doch im Fegfeuer eine strenge Strafe bevorstehen würde ; auch 
könnte in diesem Falle die Kirche nicht von der Lüge freigesprochen 
werden. 

Es ist also daran festzuhalten, daß die Ablässe so viel gelten, 
als sie besagen, aber nur unter der Bedingung, daß der Spender die 
nötige Vollmacht besitze, daß der Empfänger im Stande der Gnade 
sei, und daß der Ablaß aus einem vernünftigeft Gründe erteilt werde. 
Der Grund der Verleihung eines Ablasses ist aber dann als vernünftig 
zu bezeichnen, wenn dadurch die Ehre Gottes und der. Nutzeh der 
Kirche gefördert werden. 

Gegen die von ihm verfoohtene These erhebt nun aber Thomas 
selber einen seltsamen Einwand. In Speyer, so berichtet er, ist eine 
kleine Kirche, die man die heilige Grabkirche nennt. Dort werden 
die Schreiben von sieben Päpsten gezeigt, wovon ein jedes den Gläu- 
bigen, die am Feste der Apostelscheidung (15. Juli) nach reumütiger 
Beichte die Kirche besuchen, den siebten Teil der Buße erläßt: Gelten 
nun die Ablässe so viel, als sie besagen, dann wird jeder, der nach 
reumütiger Beichte jenes Kirchlein besucht, von Strafe und Schuld 
frei sein;i und so wird man dort denselben Ablaß gewinnen können, 
wie im Jubeljahre zu Rom in der Peterskirche oder durch Teilnahme 
am Kreuzzuge. Das kommt aber einem durchaus unglaublich vor. 
Thomas zieht "die Echtheit der in Speyer- verwahrten päpstlichen 
Schreiben nicht in Zweifel.^ Er bestreitet aber, daß man auf Grund 
dieser Schreiben einen vollkommenen Ablaß in Speyer gewinnen könne. 
Man darf die Sache nicht so verstehen, bemerkt er, als ob jeder Papst 
den siebten Teil der ganzen Buße erlassen würde. Nur der erste 
erläßt den siebten Teil der Buße, der. zweite erläßt den siebten Teil 
von dem, was übrigbleibt, und so fort.^ Es wird also stets ein Teil 
der Buße zurückbleiben. Deshalb kann auch der Spejnrer Ablaß nicht 
auf die gleiche Linie gestellt werden mit dem, Jubiläums- oder Kreuz- 
zugsablaß, vorausgesetzt, daß durch diese Ablässe die ganze Buße 
erlassen werde.* 

Beim Glossator, bemerkt dann Thomas weiter, werden über den 



^ „Tunc quilibet illa die veniens contritus et confesstis ad iam diotam 
ecolesiam esset absolutus a poena et a culpa, et sie tanta ibi esset indulgientia 
sicut in anno iubileo in ecciesia S. Petri, yel in passagio ultramarino." Bl. 131. 
Es scheint demnach auch Thomas, gleich Triumphüs, den damals üblichen Aus- 
druck „von Strafe und Schuld" für die Bezeichnung des vollkommenen Straf- 
erlasses sich angeeignet zu haben. Freilich kann man die Redensart auch so 
verstehen, daß derjenige, dem in der reumütigen Beichte die Verzeihimg der 
-Sündenschuld zuteil geworden, durch den Kirchenbesuch Erlaß dei; Strafe erhält, 
und so von Strafe und Schuld frei ist. 

* Die Echtheit der Schreiben darf man mit vollem Rechte bezweifeln, 
"da die Päpste im 13. vind 1'4. Jahrhundert für Kirchenbesuch keinen derartigen 

Ablaß zu erteilen pflegten. 

2 Diese Erklärung findet sich schön bei Johannes Teutonikus, oben 
S. 230. 

* „Supposito quod in talibus pleha fiät re'missio ab omni poena." ' 



X. T>ie Ablaßlehxe der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 375 

Wert, des Ablasses noch verschiedene andere. Ansichten angeführt,^ 
die er aber der Kürze halber übergehen wollß. Andere Autoren waren 
weniger zurüchhaltend. Bis ins 17. Jahrhundert hinein sind die alten 
Ansichten über den Wisrt des Ablasses aufgezählt und widerlegt worden. 
Dar£|,us darf man aber, nicht schließen, daß alle diese Ansichten in den 
späteren Jahrhunderten noch vertreten worden sind, ebensowenig wie 
man aus den obigen Erörterungen des Elsässer Theologen schließen 
darf, daß es zu seiner Zeit noch katholische Theologen oder Kanonisten 
gegeben habe, die meinten, die Kirche gestatte sich beim Ablaß ßinen 
frommen Betrug, oder die behaupteten, der Ablaß befreie nur von 
der kanonischen Buße, nicht aber von der Fegfeuerstrafe. Der Augur 
stiner behandelt diese Frage, weil er sie bei Bonaventura und Thomas 
von Aquin behandelt fand. 

Durch die Ablässe kann man ohne andere Genugtuung die Feg- 
feuerßtrafe tilgen, falls unter Genugtuung die vom Beichtvater auf- 
erlegte Buße verstanden wird: das ist die These, die Thomas in den 
vorangehenden Erörterungen zu erklären und zu begründen sucht. 
Wie verhält es sich aber, wenn man unter ^ Genugtuung jede mensch- 
liche Tätigkeit versteht, wodurch die Sündenstrafe ganz oder teilweise 
getilgt wird ? In diesem Falle muß die Antwort auf die am Anfange 
gestellte Frage verneinend lauten: Der Mensch kann nicht durch 
Ablässe ohne andere Genugtuung die Fegfeuerstrafe tilgen. Zur 
Gewinnung des Ablasses ist nämlich Reue und Beichte erfordert, 
da man mit einer Todsünde auf dem Gewissen des Ablasses nicht 
teilhaftig werden kann. Folglich setzt der Ablaß notwendigerweise 
eine Tätigkeit voraus, wodurch die' Siindenstrafe zum Teil wenigstens 
getilgt wird; deiin ein beträchtlicher Teil der Strafe wird in ^er wahren 
Heue nachgelassen. Hiermit schließt Thomas seine Ausführungen über 
den Ablaß. 

Die Ablässe fjär die Vei:storbenen übergeht er mit Stillschweigen, 
auch an der späteren Stelle, wo er von den Suffragien für die Seelen 
im Fegfeuer handelt.?, Es kann also nicht gesagt werden, welche .Stellung 
er zu diesen Ablässen eingenommen hat. Daß aber die Zulässigkeit 
der Ablässe fiir Verstorbenß zu jener Zeit noch nicht allgemein an- 
erkannt war, ersieht man aus den Erörterungen, die zwei Ordens- 
genossen des elsässischen Augustiners, ein Deutscher und ein Engländer, 
der 'Ablaßfrage gewidmet haben. 

Heinrich von Friemar. Gtpttfried Hardeby. 

Heinrich von Friemar;^ aus edlem Geschlecht, das sich nach dem 
Dorfe Friemar bei Gotha nannte, studierte und lehrte in Paris, wo 
er im Jahre 1300 Doktor der Theologie wurde. IsTach Deutschland 

^ Gemeint ist Bernhard von Bottone. Vgl. oben S. 320. 

a Sent. lY, ;d. 45, q. 1, a. 3. 

^ Vgl. über ihn Beyer, in Mitteilungen des Vereins für die Gresohiohte von 
Erfurt V (1871) 125,ff . Statonik, in AUg. deutsche Biographie XI (1880) 633 ff. 
Denifle, Chartularium II 85 535 ,f. Franz 496 ff. 



376 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14.- Jahrhunderts. 

zurückgekehrt, wirkte er mit kurzen Unterbrechungen als -Lehrer und 
Seelsorger in Erfurt bis zu seinem 1354 erfolgten Tode. Den Ablaß 
behandelt er im Sentenzenkommentar, der, wie es scheint, verschollen 
ist.i Einige Auszüge hat N. Weigel in sein Ablaßwerk aufgenommen. 
Daraus erfahren wir, daß der Erfurter Augustiner bezüglich des Ab- 
lasses für die Verstorbenen eine eigentümliche Ansicht vertreten hat.'' 
Nach ihm würde der Ablaß den Seelen im Eegfeuer, wenn auch nicht 
unmittelbar, so doch indirekt zugute kommen. Unter diesem indirekten 
Nutzen versteht er aber nichts anderes als die Hilfe, die den Ver- 
storbenen geleistet wird durch die guten Werke, die zur' Gewinnung 
des Ablasses verrichtet werden nlüssen.^ Von einem Nutzen der Ablässe 
für die Verstorbenen kann bei einer solchen Auffassung nur insofern 
die Rede sein, als die Lebenden durch die Verheißung von Ablässen 
angeeifert werden, für die Seelen imPegfeuer gute Werke zu verrichten. 
Wie Heinrich von Friemar den Ablaß für die Verstorbenen .nicht 
anerkannte, so hat er auch im Anschluß an Mayron, dessen Gründe 
er sich aneignete, die Theorie vom Kirchenschatz abgelehnt.* In einer 
Predigt über das Leiden Christi lehrt freilich Heinrich von Friemar, 
daß die kirchlichen Oberen die Ablässe aus dem Schatze der Ver- 
dienste Christi erteilen.^ Er könnte aber im Laufe der Jahre seine 
Ansicht gewechselt haben. 



^ Diesen KommentiaT, der erwähnt -wird bei Trithemius (Catalogu» 
scriptorum ecclesiasticon|m. Goloniae 1531, 109), habe Ich in den vielen ».'Hand- 
schriftenkatalogen, die ich eingesehen habe, nirgends verzeichnet gefunden. 
Statonik 635 behauptet irrig, der Kommentar sei erschienen unter dem T^tel 
„Additiones ad libros . Sententiarum". Die kiirzen Aufzeichnungen, die gegen 
Ende des 15. und ain Anfang des 16. Jahrhunderts viele Auflagen erlebt haben,, 
sind verschieden von- dem Kommentar; der Ablaß wird darin nicht erwähnt. 

2 Weigel, cap. 34. . , ,. 

3 Heinrich lehrt folgendes : .Direkt kann der Papst den Verstorbenen keinen 
Ablaß erteilen, indem er sagt: „Ego absolvo vos ab omni pena vel do vobis in- 
dulgenciam tot dierum vel annorum." Nur indirekt kann er es tun, indem er 
erklärt: „Quicxmque homo dixerit unmn psalterium in honorem anime illius, 
huio do Septem annos indulgencie. Et tunc tali anime hoc suffragatur. Bacio 
est quia per illa suffragia que fiunt per viatores hie existentes sepius anime 
consequuntur indulgenciam (hier ist der Ausdruck ,^indulgentia" im weiteren 
Sinne genommen für Straferlaß überhaupt) unius anni, duonma vel trium vel 
tooius pene . . . Papa ergo potest eis dare indulgenciam per modum suffragii, 
et dans talem indulgenciam debet dare sub tali forma: Quicunque viator talem 
oracionem pro tali anima legerit, illi Septem annos pene relaxamus. Et ideo 
quando talis talem legit oracionem, tunc anima f ecipit suffragia immediate ; 
sed ille recipit immediate indtdgenciam,'et mediate illa anima recipit indulgenciam 
(Straferlaß) et absolucionem a pena vel saltem partem eins." 

* Weigel, cap. 34. Amort II 109, wo der Verfasser irrig Franciscus de 
Frunaria genannt wird. Die Gründe, die Heinrich gegen die Theorie des Kirchen - 
Schatzes geltend macht, sind auch angeführt imd widerlegt in einer noch \m- 
gedruckten Ablaßschrift des Dominikaners Heinrich von Bitterfeldin der 
Breslauer Universitätsbibliothek II. F, 65, BL 199. i Der. Dominikaner spricht 
von eiinem traotatus de clavibus. Gemeint ist aber der Abschnitii aus dem Sen- 
tenzenkommentar, wie aus Weigel zu ersehen ist. :/i " ■ ^ ; 

^ Opus seirmonum de Sanctis. - Hagenau 1513, 56: i,Papa et alii prela,ti 
Eeclesie per indulgentiam quam largiimtiir, relaxani de pena.piirgatorii- lOjSÖ 



X. Die Äblaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 377 

Möglich ist indessen auch; daß der Verfasser jener Predigt ver- 
schieden ist von dem Verfasser des Sentenzenkommentars. Es gab 
nämlich im 14. Jahrhundert drei Erfurter Augustiner, die den Namen 
Heinrich von Friemar führten.^ Der eine wird stets nur als Lektor 
bezeichnet. Der zweite und bekannteste war der Neffe des ersteren 
und wurde daher junior genannt. Es ist derjenige, der am Anfange 
des 14. Jahrhunderts in Paris Doktor der Theologie geworden.^ Dazu 
kommt noch ein dritter, den das Generalkapitel von 1343 zum Studium 
(äd lecturäni Sententiarum) in Paris bestimmte.^ Was nun die Schriften 
anlangt; die Heinrichs von Friemar Namen tragen, so ist das Predigt- 
werk de Sarictis sicher' dem berühmten Magister zuzuschreiben ; denn 
es wird ihm bereits zugeeignet von dem Augustiner Jordanus von 
Quedlinburg , der mit ihm in Erfurt gelebt hat.* Von dem Sentenzen- 
kommentar sagt Jordanus nichts. Er hatte, allerdings nicht die Absicht, 
alle Schriften seines Ordensgenossen anzuführen. Doch ist es auffallend, 
daß er diesen Kommentar, der als Hauptwerk gelten mußte, nicht 
erwähnt, während er minder wichtige Schriften namhaft macht. Es 
ist daher nicht ausgeschlossen, daß der Sentenzenkommentar einem 
der beiden andern Heinrich von Eriemar angehört. 

Der englische Augustiner Gottfried Hardeby,^ der Professor 
in Oxford,, Provinzial und Beichtvater des Königs Eduard. III. ge^ 
wesen und 1360 gestorben. ist, , hat die, Ablaßfrage , erörtert in seinem 
Kommentar zu den. Sentenzenbüchern. Einige Mitteilungen aus diesem 
noch ungedruckten Werke finden sich in einer gegen Ende des 14. Jahr- 
hunderts verfaßten Ablaßschrift des Dominikaners Heinrich von 
Bitterfeld.*. Wie dieser Gelehrte, der Professor in Prag gewesen, 
berichtet, hat Hardeby den Ablaß für die Verstorbenen kurzerhand 
abgelehnt.' Auch über den Wert oder die Tragweite des Ablasses 



vel 30 onnos, prout ratio suaserit. Quam quidem gratiam hauriunt ex fönte 
divine miserationis, in quo Christus thesaurum sue passionis reoondidit. Unde 
cum ipsi ex institutione divina sunt camerarii talis thesauri, possunt eum nobis 
per gratiam applicare et aliquid d.e pena nobis debita relaxare virtute passionis 
Christi, qui pro nostris peccatis Deo Patri misericorditer satisfecit." 

^ Th. Kolde'(Die deutsche Augustiner-Kongregation. Gotha 1879, 42) 
erwähnt einen Heinrich von Friemar, der in einer Urkunde von 1279 sich Pro- 
vinzial neiint. Allein in der betreffenden Urkunde ist bloß die Rede von einem 
„frater Henricus, prior provinoialis". Daß dieser Heinrich von Friemar gewesen, 
wird nicht gesagt. Vgl. E. Jacobs, Urkimdenbuch von Langein und Himmel- 
pforten. Halle, 1882, 113 [Geschichtsquellen .der Provinz Sachsen XV]. 

^ Beide, der Oheim und der Neffe, erscheinen miteinander in zwei Urkunden 
aus dem Jahre 1350. Vgl. Beyer 128. 

3 Denifle 535. 

* Jordanus de Saxonia, Liber quidicitur Vitas Frätrum. Romae 1587, 
171: „Inter caetera studiositatis suae opera scripsit: Super libros Ethicorum 
Aristotelis, opus solenne sermonum de sanctis, lecturam Decretalis cum Mar- 
tha« usw." 

5 Vgl. über ihn Dictionary of national biography XXIV (1890) 329 f. 

' Vgl. über ihn G. Sommerfeldt in Zeitschrift für katholische Theologie 
XXIX (1905) 600 ff.; XXXIII (1909) 162. 

' Handschrift in der Breslauer Universitätsbibliothek. II. F. 65, Bl. 202. 



378 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Je^hrhunderts. 

für die Lebenden war er anderer Ansicht als manche seiner ,. Zeit- 
genossen. Nach ihm würden nicht alle, welche das vorgeschriebene 
Werk verrichten, in gleicher Weise am Ablaß teilhaben. Die Teilnahme 
am Ablaß würde sich vielmehr richten nach der inneren Würdigkeit 
und Disposition des Empfängers. Deshalb wären bei der Verleihung 
von Ablässen stets zwei Bedingungen stillschweigend miteingeschlossen. 
Erstens :/Eine gleichmäßige Teilnahme setzt eine gleiche innere Würdig- 
keit und Disposition voraus. Zweitens : Beim vollkommenen Ablaß ist 
die Klausel miteingeschlossen: Soweit die Schlüsselgewalt der, Kirche 
reiche. Der Plenarablaß sei daher keineswegs so . auf zufassen , als 
würden dadurch alle Sündenstrafen völlig getilgt, wie die Einfältigen 
irrig glauben.^ 

Johann Bacon. 

Als Vertreter des vierten Mendikantenordens kann gelten der 
angesehene Karmelit Johann Bacon (Baconthorp),^ Professor der 
Theologie in Oxford, von 1321 bis 1333 Ordensprovinzial in England, 
gestorben 1346 in London. In seinem Sentenzenkommentar^. fragt er 
zuerst bei der Behandlung der Ablaßfrage, ob die Ablässe so viel 
gelten, als sie besagen, wobei er sich, wie auch in der Aufstellung 
dör erforderliclien Bedingungen, " dem Aquinaten anschließt. Von 
Thomas weicht er aber bei der Besprechung des Ablasses für Ver- 
storbene ab. Hier folgt er vielmehr der Lehre Heinrichs von Susa, 
mit dem er betont, daß die Seelen im Fegfeuer nicht mehr unter der 
Jurisdiktion der Kirche stehen und folglich der Ablässe nicht teil- 
haftig werden können. Er glaubt sich hierfür auf das allgemeine 
Konzil von Vienne berufen zu können, das unter andern Mißbräuchen 
auch die Anmaßung der Almosensammler rügt, die „lügnerisch" vor- 
geben, die Seelen aus dem Fegfeuer zu befreien. Es werde gesagt 
,,l.ügnerisch", bemerke hierzu Joh. Andrea, da die Verstorbenen nur 
noch dem Gerichte Gottes unterstellt seien.* 

Bacon zeigt auch, daß damals selbst gelehrte Theologen den 
vollkommenen Straferlaß unbedenklich als einen Erlaß, von Schuld 
und Strafe bezeichneten. Wie Augustinus Triumphus, so wirft der 
englische Karmelit die Frage auf, ob der Papst die Gläubigen ins- 



^ Ebenda 201: „De plena remissione intelligitur, in quantum olaves eo- 
ölesie se extendunt. Quare virtute earum non fit plena remissio peocatortun 
simpliciter et absolute, siout multi oredunt simplices et deoipiuntur." Diese 
Stelle findet sich auch bei Weigel (cap. 11), der sie von Heinrich von Bitterfeld 
entlehnte, imd ohneHardeby zu nennen, sie einem „gewissen Doktor" zuschreibt. 
Abgedruckt bei Amort II 99. 

* Vgl. über ihn Handlexikon I 449. 

' Super quatuor sententiarum libros opus, Venetiis 1526, 1. IV, d. 24, 
q. 2 et 3. Bl. 150 — 152. Im vierten Buche zitiert der Verfasser wiederholt die 
iin Jahre 1321 erlassene Bulle Vaa electionia. Das Werk ist also nach diesem 
Zeitpunkte verfaßt worden. 

* Sent. IV, d. 24, q. 3, a. 1. Bl. 151. 



X. iJie Äbiaßlehre der Theolögen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 379 

gemein von Schuld und Strafe lossprechen könne.^ Er bejaht 
die Frage für den Fall, daß ein hinreichender Grund vorhanden und 
vöii Seiten der Gläubigen die nötigien Bedingungen erfüllt werden. So 
geschieht es, fügt er bei, beim Jubiläum bezüglich jener, die nach 
Rom pilgern. Für diese Vollmacht des Papstes beruft er sich auf 
Hostiensis, der ah der Stelle, auf welche hingewiesen wird, aus- 
drücklich von einem vollkommenen Erlaß der zeitlichen, Sündenstrafe 
spricht.^ Demnach ist auch die von Bateon erwähnte „Absolution 
von Schuld und Strafe" als ein vollkommener Straferlaß zu verstehen, 
wie dasselbe auch bei Augustinus Triümphus und Johann von Dambach 
festgestellt werden konnte. 

In ähnlichem Sinne ist die weitere von Bacon erörterte Frage 
aufzufassen, ob ein einfacher Priester den Pönitenten von Schuld und 
Strafe lossprechen könne. Bei der Beantwortung dieser Frage setzt 
sich der Karmelit mit Hostiensis auseinander, der gelehrt hatte, daß 
im Bußgerichte der Beichtvater unter Auflegung einer kleinen Buße 
die ganze noch übrigbleibende Strafe erlassen könne. ^ Demgegenüber 
betont Bacoh, daß ein einfacher Priester, der nur die gewöhnliche 
Absolutionsvollmächt besitzt (cui nihir invenitur concessum quoad 
absolutionem nisi solum absolvere absolutione penitentiali), eine voll- 
kommene Absolution, d. h. von Schuld und Strafe (plenam abso- 
lutionem; seu a culpa et poena), nicht' gewähren könnö; wohl aber 
köniie dies der Papst durch den Ablaß (licet papa absolutione in- 
dulgentiali hoc posset). Deshalb habe Hostiensis mit Unrecht be- 
hauptet, daß der Beichtvater die gesamte Bußstrafe (omnem satis- 
factionem) erlassen könne. 

Es ist klar, daß hier die vollkommene Absolution von Schuld 
üiid Strafe, die vom Papste mittels des Ablasses erteilt werden könne, 
nichts anderes als einen vollkommenen Straferlaß bedeutet. Dieser 
Straferlaß wurde wohl deshalb als ein Erlaß von Schuld und Strafe 
bezeichnet, weil er die ' Nachlassung der Sündenschuld notwendiger- 
weise voraussetzte. Doch darüber Näheres im 2. Band in dem Ab- 
schnitt über den Ablaß von Schuld und Strafe. 

Richard Fitzralph. 

Den zahlreichen ' Ordensmännern, deren Ablaßlehre bisher dar- 
gelegt worden ist, möge nun auch ein Theolog aus dem Weltklerus 
-angereiht werden, Richard Fitzralph, Lehrer der Universität Oxford, 
der 1347 von Klemens VI. zum> Erzbischof von Armagh ernannt 
wurde.* Im Jahre 1349 von König Eduard III. nach Avignon zum 
Papste gesandt, um für die Mitglieder der könighchen Familie und 
etliche Große des Reiches den Jubiläumsablaß zu erbitten, beteiligte 



1 Ibid. a. 3: „Nunquid papa potest generaliter omnes absolvere a culpa 
et poena?" Bl. 151'. 

,a Oben S. '325, Ahm. 2. » Oben S. 325. - 

* Vgl. über ihn Kirchenlexikon X 1174 ff. 



380 X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 

er sich bei dieser Gelegenheit an den Verhandlungen zwischen dem 
Papst und den unierten Armeniern, als deren Vertreter der Erzbischof 
Nerses von Melasgerd und der erwählte Bischof Johannes von Khilät 
nach Avignon gekommen waren. Diese zwei Bischöfe ersuchten 
Fitzralph, über die gepflogenen Verhandlungen eine Schrift zu , ver- 
fassen. So entstand um 1350 ein größeres apologetisch-polemisches 
Werk, die Summe über die Fragen der Armenier, die der Verfasser 
dem Urteil des Papstes unterbreitete. Wie alle übrigen Lehrpunkte,, 
so wird in diesem Werk auch der Ablaß behandelt in Form eines 
Zwiegespräches zwischen Johannes, der Eragen. und Einwendungen 
erhebt, und Richard, der antwortet und die Schwierigkeiten löst.'^ 
Es wird genügen, aus den Erörterungen die Hauptgedanken heraus- 
zuheben. 

Den stärksten Beweis für die Ablaßgewalt, der Kirche findet. 
Fitzralph in den Worten des Herrn bei Joh. 20, 23: „Welchen ihr 
die Sünden nachlassen werdet, denen sind sie nachgelassen." Diese 
Worte, meint, er, können nach der Ansicht mancher nicht verstanden 
werden von der Sündenschuld, die Gott allein durch Eingießung der 
Gnade nachlasse. Sollten sie sich indessen auf d.ie Sündinschuld 
beziehen, so müßten sie noch viel mehr auch auf die Sündenstrafe 
bezogen werden; denn wer das Größere oder die Schuld nachlassen 
kann, der wird doch auch das Geringere oder die Strafe erlassen können- 
Daraus ergibt sich, daß die Apostel und folglich auch ihre Nachfolger 
die Vollmächt haben, den Pönitenten die ihren Sünden- gfebührende 
Strafe nachzulassen. Diese Vollmacht ist auch bereits vom hl. Paulus 
ausgeübt worden, wie aus 2. Kor. 2 hervorgeht. 

Die Verleihung des Ablasses geschieht durch die priesterliche 
Weihegewalt (potestate sacerdotali sacramentali seu ordinis). Da e» 
nun aber den Anschein hat, daß diese Gewalt in allen !Ppestern die 
gleiche ist, so scheint, daß alle Priester Ablässe verleihen können. 
Die Ausübung dieser Gewalt ist ihnen indessen durch die kirchlichen 
Oberen verboten worden, ^ wie sie ja auch durch das positive Recht 
verhindert sind, andere Weiheakte, z. B. die Firmung, die Weihe 
von Altären und dergleichen vorzunehmen. 

Die Wirksamkeit der Ablässe, bemerkt Fitzralph weiter, suchen 
etliche folgenderweise zu erklären: Die kirchlichen Oberen haben die 
Vollmacht, Ablässe zu erteilen auf Grund der Verdienste Christi und 
der Heiligen^ hauptsächlich aber auf Grund- d^r Verdienste Christi,, 
der für alle Sünden genuggetan: habe uM^ dessen V^dienste von. 
seinen Stellvertretern auf Erden den Gläubigen zugewendet werden 
können. Daraus ergebe sich.,; daß die Sünden infolge der Ablässe 
nicht ungestraft bleiben, da Christus für die Sünder gelitten habe. 



^ Summa Domini Armacani in Questionibus Armenorum, Parisiis, sine 
anno (1512), cap. 19^21. Bl. 107'— 108'.v 

2 Dasselbe hatte schon friiherMayron behauptet (oben S. 356 f.), Tyiea^ 
der Franziskaner die Vollmacht:der Kirche, Ablässe zu erteilen, aus jöh. äÖ, 123 
zu begründen sucht. Mayrons Schriften sind wohl von Fitzralph benutzt worden. 



X. Die Ablaßlehre der Theologen der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderfcs. 381 

Daß die Ablässe auf den Verdiensten Christi beruhen, nimmt auch 
J'itzralph an. Dagegen hält er es bloß für „wahrscheinlich", daß 
auch die Verdienste der Heiligen zur Wirksamkeit der A.blässe bei- 
tragen.i Auf die 1343 erlassene und 1349 allen Bischöfen zugesandte 
Bulle ünigenitus nimmt Fitzralph bei seiner Erörterung gar keine 
Rücksicht. Er.. hat demnach, die Erwähnung des Kirchenschatzes 
durch den Papst nicht für eine lehramtliche Kundgebung gehalten. 
Diese Stellungnahme- des englischen Gelehrten gewinnt um so höhere 
Bedeutung, als Pitzralph damals an der Kurie sich aufhielt und seine 
Schrift dem Urteile des Papstes unterbreitet hat. • 

Soll der Ablaß Geltung haben vor Gott, so ist zu dessen Ver- 
leihung ein vernünftiger Grund erfordert (causa movens ratiohabilis), 
z. B-. die Notlage des Erupfängers verbunden mit früheren Verdiensten 
{indigentia cum merito), die Aneiferung zum Guten (excitatio per hoc 
devotionis aut fidei), die Förderung frommer Werke. So könnte man 
sehr wohl, um die. Liebe zum Ordensstande zu wecken, denjenigen, 
die Profeß ablegen, einen vollkommenen Ablaß aller früheren Sünden 
erteilen; ein ähnlicher Ablaß könnte den Missionären verliehen werden, 
die sich entschließen, den Heiden die christliche. Lehre zu verkünden. 
Partielle Ablässe können auch gewährt werden für Beiträge zu Kirchen- 
und Brückenbauten, für die ; Unterstützung der Krankenhäuser öder 
armer religiöser Genossenschaften. Auch einepa' Sterbenden, der seine 
Sünden wahrhaft -bereut und inständig um'Verzeihung bittet, kann 
sehr wohl ein vollkommener, oder .partieller Ablaß yerhehen werden, 
in Anb,etracht und. nach Maßgabe der Verdienste, die er sich um die 
Kirche erworben, oder auch um in andern gute Gesinnungen zu wecken, 
um sie im Glauben zu stärken ,pder zur Buße anz.ueifern. Doch sei 
zu. ^verhüten, daß solche, häufige Verleihung von, Ablässen aiidern 
Anlaß gebe, die Buße zu vernachlässigen und in der Lauheit dahin- 
zuleben. Ebendeshalb dürfen auch die kirchlichen Oberen die Ablässe 
nicht willkürlich austeilen. Sie müssen dafür einen rechtmäßigen Grund 
haben; sonst würde der Ablaß nicht gültig sein. 



^ „Virfcute igitur passipnis et meritorum Christi indulgentie seu remissiones 
penaruiu peccatoruin efficaciaim mihi habere videntur; de meritis aliorum san- 
cfcorum Ecolesie illud idem'pr'obabiliter dioi videt\ir." Bl. 108. 



XL Die Ablaßlehre der Kanonisten 
der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 

Während die Theologen in ihren Ausführungen über den Ablaß 
mehr die Theorie berücksichtigen und die Praxis nur nebenbei be- 
rühren, wenden die Kanonisten des 14. Jahrhunderts, von denen hier 
nur die vornehmsten, in der mittelalterlichen Ablaßliteratur öfters 
genannten angeführt werden können, ihre Auf rnerksamkeit vor allem 
der Praxis zu. ^ 

Dies gilt ganz besonders von dem gewöhnlich unter dem Namen 
Archidiaconus zitierten Univiersitätskanzler von Bologna Guido de 
Baysio (f 1313), dem^ ersten Erklärer des von Bonifaz VIII. 129R 
veröffentlichten sechsten Buches der Dekretälen. In seinem Kommentar 
zu diesem Buche spricht Baysio nur' kurz vom Ablasse,^ meistens im 
Anschluß an Innozenz IV. und Hostiensis, mit denen er dem ein- 
fachen Priester die Befugnis zuerkennt, im Bußgericht privatim dem 
Pönitenten A.blässe zu ' erteilen, während die öffentliche allgemeine 
Spendung der Ablässe nur den Bischöfen zukomme. Mit Hostiensis 
ist Baysio auch der Ansicht, daß ein bereits bestätigter Bischof, der 
aber die Priesterweihe noch nicht empfangen hat, keinen Ablaß erteilen 
kann. Im Gegensatze zu verschiedenen Theologen hatte Durantis 
behauptet, daß die kirchlichen Oberen die von ihnen erteilten Ablässe 
selber nicht gewinnen können. Dieser Meinung tritt Baysio bei, wie 
er auch im Anschluß an Durantis lehrt, den Ablaß könne man so oft 
gewinnen, als man das vorgeschriebene Werk verrichte. 

Bald nach Baysio hat Johannes Monachus (Le Möine f 1313) 
einen Kommentar zu dem Liber sextus veröff entlicht. ^ Erwähnenswert 
ist seine Bemerkung zur Dekretale Indulgentiae, die bestimmt, daß 
Ablässe, die von einem oder mehreren Bischof en bei Kirchwieihen oder 
andern Gelegenheiten erteilt werden, keine Geltung haben, wenn sie 
das von der Lateransynode festgesetzte Maß überschreiten. Diese 
Dekretale, meint Monachus, verhindert die unbesonnenen Ablaß - 
Verleihungen von selten der Bischöfe, welche die Verordnung der 
Lateränsynode zu umgehen pflegten, indem sie, da ihnen in fremden 



^ Lectura domini Archidiaeoni bononiensis super sexto. Mediolani 1490. 
Zu 0. Romana und o. Indulgentiae des Titels de poenitentiis et remissionibus. 

" Glossaaurea super sexto Deere taliumlibro.; Pärisiis 1535. Da mir diese 
„editio rarissima" (Hurter 512) und auch die Venediger Ausgäbe vom Jahre 1585 
nicht zur Verfügung standen, benützte ich eine Handschrift der Münohener Staats- 
bibliothek. Cod. lat. 329. Die Ausführungen über den Ablaß stehen hier Bl. 105, 
zu o. Indulgentiae. 



XI. Die Ablaßlehre der Kanonisten der ersten'Hälfte des 14. Jahrhunderts. 383 

Diözesen das Erteilen von Ablässen verboten war, solche gewährten 
unter der Bedingung, daß der Diözesanbischof damit einverstanden 
wäre. Diese Umgehung des Gesetzes sei mit' Recht verworfen worden; 
denn wenn der zuständige Bischof selber keinen höheren Ablaß als 
den von der Synode bestimmten erteilen darf , so kann er auch solche, 
die das Maß übersehreiten, nicht genehmigen. Monachus hat hier die 
damalige Sitte im Auge, nach welcher mehrere Bischöfe zu gleicher 
Zeit aus demselben Anlaß 40 Tage Ablaß erteilten. Der unten an- 
zuführende Johannes Andrea, der in seiner Novelle zum Liber 
sextus die Bemerkung seines Vorgängers sich aneignet, berichtet, 
daß die von Monachus gerügte. Sitte vor derii Erscheinen des Liber 
sextus sehr .verbreitet war. , Nicht selten sei es vorgekommen, daß 
man für einen Ablaßbrief die Unterschriften aller an der römischen 
Kurie anwesenden Bischöfe zu erlangen gesucht habe. -Er habe an 
solchen Schreiben über zwaipzig Siegel hängen sehen; und nachher 
sei dann ausgegeben worden, man habe einen Ablaß, von so viel Quadra- 
genen, als Bischöfe unterzeichnet hätten. 

Bisher 'hatte man darüber gestritten, ob im Falle, daß Bischöfe 
bei der Ablä!ß Verleihung die bestiöiinte Grenze überschreiten, der Ablaß, 
wenn auch unerlaubt, doch gültig sei. Mit Bernhard von Bottone, dem 
Verfasser der Glossa ordinäria zu den Dekretalen, hatten etliche diie 
Frage bejaht; andere halten sie verneint. Durch die Verordnung des 
Papstes Bonifaz VIII. ist nun, bemerkt Monachus, die Ansicht der 
Glossa ordiriaria, daß der Ablaß gültig sei, abgelehnt worden. Wie 
aber, wenn jetzt noch ein Bischof einen höheren Ablaß erteilt, als ihm 
erlaubt ist, wird dann dieser' Ablaß wenigstens in dem gestatteten 
Umfange Geltung haben ? Monachus ist der Ansicht, daß er ganz 
und gar ungültig sei. Baysio dagegen und J. Andrea vertreten die 
Meinung, daß der Ablaß zum Teil, soweit er in den gesetzlichen Grenzen 
bleibt, als gültig angesehen werden darf. 

Nebst der Glosse zum Liber sextus hat Monachus auch einen 
Kommentar zu den meisten der in den Extravagantes communes 
enthaltenen Dekretalen verfaßt. Von besonderem Interesse ist seine 
Erklärung der Jubiläumsbulle Äntiquorum vom Jahre 1300; doch wird 
hierüber am geeignetsten gehandelt werden im Abschnitt über den 
Jubiläumsablaß. 

Weit einflußreicher als die beiden genannten Kanonisten war ihr 
Zfeitgehosse Johannes Andrea (f 1348), der auch das ganze spätere 
Mittelalter hindurch in, den Erörterungen, über die Ablaßfrage öfters 
angeführt wird. „Man hatte in seinen Werken so ziemlich beisammen, 
was sich für die äußerlich-kommentierende Behandlung der Dekretalen 
neben der Glosse aus der Literatur verwenden ließ, brauchte auf 
letztere selbst nicht ,mehr zurückzugehen."^ Die um 1304 verfaßte 
Glosse zum Liber sextus, die bekanntlich als Glossa ordinäria gilt. 



1 Schulte n 229. 



384 XI. Die Ablaßlehre der Kauonisten der ersten Hälfte des. 14. Jahrhunderts. 

mthält bloß die eine und die andere kurze Bemerkung, über den Ablaß.i 
Etwas eingehender handelt davon die viel spätere Novelle zu demselben 
Buche, wobei aber der Verfasser meistens auf seine früheren Aus- 
führungen in der nach 1321 vollendeten Novelle zu den Dekretalen 
hinweist.^ Auch in den gegen Ende, seines Lebens beigefügten Zu- 
sätzen zum Speculum des Wilhelm Durantis^ beruft er sich öfters, auf 
dies Werk, das man demnach vor allem berücksichtigen muß, wenn 
man Andreas Anschauungen über den Ablaß näher kennenlernen will. 

Vom Ablaß ist in der Novelle zunächst die Rede bei der Erklärung 
des Kreuzzugsdekrets Äd liberandam.^ Hier heißt es, daß nur der 
Papst als Oberhaupt der' ganzen Kirche einen vollkommenen Ablaß 
{plenam indulgentiam), der auch als vollkommener Erlaß der Sünden 
(plena venia peccatorum) bezeichnet wird, verleihen kann. Unter dem 
vollkommenen Ablaß versteht aber Andrea einen vollständigen Erlaß 
der zeitlichen Strafe. Durch die Reue, so führt er aus, wird die Sünden- 
schuld und die ewige Höllenstrafe nachgelassen; die zeitliche Strafe 
aber, die zurückbleibt, kann vom Papste durch den vollkommenen 
Ablaß gänzlich erlassen werden.^ Notwendige . Erfordernis zur Ge- 
winnung des Ablasses ist die Reue, ohne welche auch die priesterliche 
Absolution nichts nützt.^ Zudem muß das vorgeschriebene Werk 
verrichtet werden. Wenn es daher in dem KJceiizzugsdekret heißt, 
daß auch jene des vollkommenen Ablasses teilhaftig werden, die, ohne 
am Kreuzzuge persönlich sich zu beteiligen, Stellvertreter senden, 
so wird dadurch angedeutet, daß sie zur Kreuzfahrt so viel beisteuern 
müssen, als sie selber ausgegeben hätten, wenn sie den Zug niitgemacht 
hätten. Da nun aber wenige der Zurückbleibenden dies tun, so mögen 
sie nui nicht glauben, daß ihnen der vollkommene Ablaß, zuteil werde. 
Anderseits ergibt sich daraus, daß die Armen leichter selig werdenals 
die Reichen, da sie bereitwilliger tun, was in ihren Kräften steht. 
Der Herr aber sieht auf das Herz, nicht auf die Hand. 

Dies alles hat Andrea fast wörtlich aus dem .Kommentar des 
Hostiensis entnommen, wie er auch an einer andern Stelle im Anschluß 
an Heinrich von Susa geneigt ist, anzunehmen, daß ein bestätigter 
Bischof vor Empfang der Priesterweihe keine Ablässe erteilen könne, 



1 Liber sextus decretaliurh. Parisiis 1506. Zu üb. ö, tit. de poen. et rem. 
0. Romana und : c. Indulgentiae. ■, Bl. 1 44'> 145'. 

^ Novella super sextp deeretaiiiim. L^ 1527, 114' 115. Nach Schulte 

IL 218 wäre diese Novelle mit.den dazu gehörigen Additiones zwischen 1334—^42 
verfaßt wordeni* Die 'Ädditiöiies'inM^^ aus späterer Zeit stammen, 

da Andrea darin. (Bl. 115) auf seine Additiones ad Speculum Durantis verweist. 

3 Vgl. oben S. 328. 

* Novella super quinto decretalium. Venetiis 1504, 26 f. 

^ Zu c. 17. X. de iudaeis. V. 6: „Per contritionem pena eterna remittitur, 
sed agenda est pena temporalis . . . Temporalem penam . . . potest papa in 
totum remittere." Bl. 27. 

' „Sine contritione nullvis veraciter absolvitur . . . ideoque quando aüquis 
non contritus absolvitur, solum est ad hominem, non ad Deum." Ebenda. 



XI.. Die Ablaßl^ehre der Kanonisten der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 385 

da. hierzu nicht bloß, die Jurisdiktion, sondern auch die priesterliche 
Weihegewalt erfordert sei.?^ 

Am ausführlichsten handelt Andrea vom Ablaß in dem Kommentar 
zum Kapitel Qwodl autem, worin bestimmt wird, daß die kirchlichen 
Oberen nur jenen Ablässe erteilen können, die ihrer Jurisdiktion unter- 
stellt sind. Treffend hebt er im Anschluß an Tankred hervor, daß 
diese Dekretale sich nur auf die Ablässe der Bischöfe, deren Juris- 
diktionskreis ein beschränkter ist, nicht auf die von dem Papst er- 
teilten , Ablässe bezieht, „Denn wenn der Papst alle Sündenstrafe 
nachläßt, wie er dies tut für die Kreuzfahrt,, so wird alle Strafe der 
Sünden getilgt, wofern der Kreuzfahrer wahre Reue hat, durch welche 
die Sündenschuld getilgt wird.^ 

Über die.Zulässigkeit.des Ablasses für Verstorbene spricht sich 
Andrea an dieser Stelle nicht klar aus. Er führt die zwei entgegen- 
gesetzten Ansichten an, ohne deutlich erkennen zu geben, ob er sich 
für die eine oder die andere entscheidet. Doch scheint er der bejahenden 
den Vorzug zu geben. 

Wie andere Autoren vor ihm, so ist auch Andrea der Ansicht, daß 
der Beichtvater den Pönitenten ermächtigen kann, die Ablässe, fremder 
Bischöfe zu gewinnen. Handelt es sich aber um Ablässe eines päpst- 
lichen Legaten, des eigenen Bischofs oder Erzbischofs, so. sei eine 
Erlaubnis des Beichtvaters nicht erforderlich. 

. . Bezüglich des Umfanges der Wirksamkeit der Ablässe vertritt 
Andrea die Meinung, daß. sie so viel gelten, als sie besagen. Im An- 
schluß an seinen gewöhnlichen Führer Hostiensis lehrt er, daß die 
Wirksamkeit des Ablasses; sich richtet nach dem Glauben des Emp- 
fängers und dem Willen des Spenders und auf dem Schatze der Ver- 
dienste, Christi und der Märtyrer beruht. Mit Hostiensis gibt er auch 
den Rat, man solle die auferlegte Buße hienieden verrichten und die 
gewonnenen Ablässe für das Fegfeuer aufsparen. 

Der Verfasser bespricht dann die fünf Ansichten, die in der Glossa 
ordinaria Bernhards von Bottone über die Wirksamkeit der Ablässe 
aufgezählt werden. Die erste Ansicht, wonach die Ablässe nur vor 
Gott, nicht vor der Kirche Geltung hätten, verwirft er, da sie der 
kirchlichen. Lösegewalt entgegengesetzt sei. Durch die zweite, die den 
Ablaß nur für den Fall gelten läßt, daß der Beichtvater eine allzu 
große Buße auferlegt hätte, werde die Bedeutung des Kirchensohatzes, 
der die Grundlage der. Ablässe bildet, zu sehr herabgesetzt. Die dritte, 
welche den Ablaßspender verpflichtet, für die von ihm erlassene Buße 
Ersatz, zu leisten, wird ebenfalls abgelehnt, da ja der kirchliche Obere 
nicht seine eigenen, bisweilen recht dürftigen Verdienste, sondern die 
im Kirchenschatz enthaltenen Verdienste dem Ablaßempfänger zu- 
wendet. Die vierte Ansicht ließ den Ablaß nur für die aus Nachlässig- 



^ Zu c. 12. X. de exoessibus praelat. V. 31. (Bl. 58.) 

*' „Si papa remittat onmem penam peccati, sicut facit pro subsidio terre 
sancte, onanis pena peooati deletur, dununodo utens illa fuerit bene contritus, 
per quam contritionem peccatum dimittitur quoad Deum." Bl. 78. 

Paulus, Geschichte des Ahlassep. 25 



386 XI. Die Ablaßlehre der Kanonisten der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts. 

keit versäumte Buße gelten. ■ Sie wird ebenfalls verworfen, da sie der 
Trägheit Vorschub leiste. Die fünfte endlich, von Alanus und Bernhard 
von Bottone vertretene Ansicht förderte zur Gültigkeit des Ablasses, 
duß der Beichtvater dem Pöniteiiteh gestatte, die ihm auferlegte Buße 
durch Ablässe abzulösen. Sie wird wie die andern abgelehnt, da sie 
die Wirksamkeit des Ablasses zu sehr einschränke. Diese Wirksamkeit 
beruhe auf dem Verdienstschatze der Kirche, den der Papst und die 
Bischöfe den Gläubigen zuwenden. Damit aber eine solche Zuwendung 
geschehen könne, sei eine Erlaubnis des Beichtvaters nicht erfordert.^ 

Was ' hierauf Andrea über die sechs bereits von Wilhelm von 
Aüxerre zur Gültigkeit des Ablasses aufgestellten Bedingungen vor- 
trägt, ist bloß ein Auszug aus Innozenz IV. und Hostiensis, denen er 
als weiteren Gewährsmann Thomas von Aquin beifügt. 

Auch in der -ausführlichen" Erklärung des Kapitels Cwm ex eo 
findet sich kaum ein neuer Gedanke. Der Verfasser gibt bloß Auszüge 
a;US den Schriften seiner Vorgänger. So ist er z. B, mit Vincentius 
und W. Durantis der Ansicht, daß man einen für Almosen * oder 
Kirchenbesuch erteilten AblaJß auch an demselben Tage so oft ge- 
winnen könne, als man die Almosenspende oder den Bestich der Kirche 
wiederhole. Er scheint auch mit Vincentius anzunehmen, daß der 
Ablaßspender die von ihm erteilten Ablässe sich selber nicht zunutze 
machen könne. Ähnliche auf die Praxis sich beziehende Fragen werden 
noch mehrere erörtert in wörtlichem Anschluß an Innozenz IV., 
Hostiensis, W. Durantis und Abbas Antiquus. 

Einige kurze, aber nicht unwichtige < Notizen über den Ablaß 
finden sich auch in dem 1326 verfaßten Kommentar zu den Klemen- 
tinen, der gleich der Glosse zum Liber sextus als Glossa ordinaria 
anerkannt worden ist.^ Bei der Erwähnung der für das Eronleichnams- 
fest erteilten Ablässe Aviederholt er eine bereits in der Novelle zu den 
Dekretalen^ gemachte Bemerkung: Da die Ablässe, als deren not- 
wendige Vorbedingung wahre Keue und Beichte zu gelten haben, nur 
von wenigen gewonnen werden, so solle man sie nicht allzu streng 
interpretieren.* 

Beachtenswert ist, wie sich Andrea hier über den Ablaß für die 
Verstorbenen ausspricht. Zu dem im Kapitel Äbusionibus gegen die 
Almosensammler erhobenen Vorwurf, daß sie lügnerisch (mendaciter) 



^ Hundert Jahre später hat Panormitanus Andreas Widerlegung der 
fünf in der Glossa ordinaria aufgezählten Ansichten fast wörtüch wiedeirliolt. 
Bratke (S. 90), der die von Panormitanus benützte Vorlage rdohi kennt, meint, 
Panormitanus „referiert die verschiedenen zu, seiner Zeit geltenden Ansichten 
über den Ablaß". Allein schon zur Zeit Andreas hatten jene Ansichten keine 
Vertreter mehr, um wie viel weniger hundert Jahre später. 

2 Giemen tis V constitutiones una cum. profundo apparatu Johannis Aridree. 
Parisiis 1506. 

^ Zu c. 4. X, de poen. et rem. V. 38. 

* Zu Clem. c. 1. de rel. et ven. sanct. III. 16: „Has igitur rernissiones quibus 
pauci participant, amare interpretari nee decet nee expedit, ut dixi c. quod autem, 
de poen. et rem." Bl. 55'. 



XI. Die Ablaßlehre der Kanonisten der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts» 387' 

vorgeben, Seelen aus dem Fegfeuer zu befreieii, bemerkt er: „Lüg- 
nerisch, da -die Seelen, dem- Gerichte Gottes anheimgegeben sind; 
doch nützen- ihnen die Suffragien." Dabei verweist er auf seine Mit- 
teilungen' in der;Novelle zu den Dekretalen, wie er auch auf Hostiensis 
hinweist, ohne etwas gegen dessen Auffassung einzuwenden.^ Da nun 
aber Hostiensis die ■ Zulässigkeit . des Ablasses für Verstorbene . (ent- 
schieden bestritten, hat, so wird , wohl auch Andrea : die. Zuwendung 
der Ablässe an die Seelen im Fegfeuer .nicht; anerkannt haben. 

Von Interesse ist schließlich noch seine Äußerung über den Ablaß 
„von. Strafe und Schuld". Zu der; von den Almosensammlern miß-, 
bräuchlich .erteilten Absolution von Strafe und Schuld bemerkt er, 
daß dies der , vollkommene Ablaß sei, der den Kreuzfahrern, erteilt 
werde und wovon er in dem' Kommentar zu den Dekretalen im 
Anschluß an Hostiensis gehandelt habe; dieser Ablaß, den nur der 
Papst erteile, , werde auch. im Jubeljahre verliehen.^ Wie nun aber, 
oben gezeigt worden ist, betrachtet Andrea den Kreuzzugsablaß, bloß 
als einen Erlaß der- Sündenstrafe. Wenn er daher bei. Erwähnung 
der Worte, „a penaret culpa" bemerkt, daß dies der vollkommene 
Ablaß sei, der den Kreuzfahrern erteilt werde, so wollte er. sicher 
damit nicht sagen, daß den. Kreuzfahrern durch den vollkommenen 
Ablaß mit der Strafe auch die Sündenschuld nachgelassen werde; 
denn. eine solche Annahme schließt er ja -in dem Kommentar ,, auf 
welchen er , verweist, ausdrücklich aus. Mit jener Bemerkung wollte 
er bloß sagen; daß der als Erlaß von Strafe und Schuld bezeichnete 
Ablaß mit, dem Kreuzzugsablaß identisch sei. Er hat demnach bloß 
eine, wenn auch theologisch unkorrekte, so, doch damals .weit ver- 
breitete Bezeichnung des vollkommenen Straferlasses in seine Glosse 
aufgenommen. , , ' , . 

!, -Noch in. der ersten Hälfte des 14. ; Jahrhunderts hat. ein Schüler 
Andreas , Lapus, de.Tuctis,-. aus Podieboniza . im Florentinischen,? 
einen ziemlich umfangreichen Kommentar zu deiiKlementinen heraus-, 
gegeben.* Was er darin über den Ablaß vorträgt, ist von späteren 
Kanonisten öfters^ wiederholt- worden. 

Bei der' Erklärung des Kapitels Äbusionibüs erwähnt er; daß das 
Konzil von Vieniie den Quästoren unter anderin verboten habe, einen 
vollkommenen Ablaß . (plenam remissionem) zu ^erteilen. Die Ver- 
leihung dieses Ablasses, betont er bei dieser Gelegenheit, stehe nur' 
dem Päpste zu', und es werde dadurch alle Bußstrafe erlassen. Anders 
verhalte es sich mit den partiellen Ablässen, die vom, Papste oder von 
Bischöfen erteilt werden und bei deren Gewährung sie erklären, so und 

.., 1 Zu.Clem. c, 2, de„poen.. et rem. V. 9.. (Bl. 66'.") 

'2 Zu „apena et i culpa'': „Ista est illa .plenissima'' peeoatorum remissio, 
que conceditur cruce signatis pro " subsidio .ultfamarino, de "^ qua scripsi post 
hostiensem. De ivdeis. Ad liberandam, que datur in anno .centenario, in Extra- 
vagante Bonifaoii Antiquorum, quam solus papa.conoedit." Bl. 66 . 
3 Vgl. über ihn Schulte II 238 f. 

* Super libro sexto DecretaUum et Clementinis. Romae'1589. Am Anfange 
eine biographische Notiz über Lapus. 

25* 



388 XI. Die Ablaßlehte det Kanonisten der ersten Hälfte des 14. Jahrhiinderts-. 

SO viel von der auferlegten Buße erlassen zu wollen.^ Mit Hostiensis 
ist Läpus der Ansicht, daß ein Bischof vor Empfang der Priesterweihe 
keinen Ablaß erteilen kann, und daß für die Bewilligung öffentlicher 
uild genereller Ablässe nur die Bischöfe zuständig sind, während im 
Beichtstuhle auch der einfache Priester dem Pönitenten Ablaß ge- 
währen kann. Mit demselben Kanonisten lehrt er auch, daß den 
Verstorbenen Ablässe nicht zugewendet werden können, da sie nicht 
mehr unter der Gerichtsbarkeit der Kirche stehen.^ "^ 

Die im Kapitel Äbusionibus erwähnte Absolution von Strafe 
und Schuld übergeht Lapus an dieser Stelle mit Stillschweigen,' 
doch spricht er sich näher darüber aus beim Kapitel Beligiosis,^ worin 
den ) Ordensleuten unter schwerer Strafe verboten wird, „von Strafe 
und Schuld loszusprechen". Hier erklärt er, wie die vollkommene 
Vergebung der Sünden überhaupt zustande kommt. Durch die mit 
der Gnade Gottes erweckte Reue,' so führt er aus, wird die Sünden- 
schuld und die ewige Höllenstrafe nachgelassen ; es bleibt dann noch 
gewöhnlich eine zeitliche Strafe hiehieden oder im Fegfeuer abzutragen ^ 
Bezüglich der ewigen Strafe und der Sündenschuld hat die der reu- 
mütigen Beichte folgende sakramentale Absolution bloß eine deklarative 
Bedeutung, möge sie nun vom Papste oder von einem einfachen Beicht- 
vater ausgehen. Abgesehen von dieser Absolution, die sich in dem be- 
zeichneten Sinne auf die, Sündenschuld und die ewige Strafe bezieht, 
kann der Papst auch von aller zeitlichen"" Strafe lossprechen, sogar 
ohne Grund, bemerkt Lapus, wofern es sich, um eine Absolution vor 
dem; Forum der Kirche handelt,* während ein einfacher Priester^ 
namentlich aus dem Ordensstande, die ganze Strafe nicht erlassen 
kann, -außer er sei dazu bevollmächtigt."^ „Und dies", so schließt 
Lapus seine Erörterung; „will nach meinem -Dafürhalten das Defaet 
sägen> indem es den Ordensleuten verbietet, von Strafe und Schuld 
loszusprechen."^ Demnach scheint Lapus, gleich seinem Lehrer 
Andieä, unter der Absolution von Strafe und Schuld bloß einen 



^ „Hoc tantum ad Papam spectat, et in generali et universali remissione 
quamiacit, per quam omnis satisfactio remittitur; in particulari vero et 
speciali remissione, quam f acit Papa vel inferiores praelati, non fit plena iremissio, 
in qua dicunt: Tantum de iniuncta poenitentia relaxamus." S. 243. 

2 ^^Licet eleemosyna, quam vivens pro defuncto facit, prosit defünctd per 
mpdum eleemosynae, non tamen prodestper mpdum indulgentiae, quae mprtuis 
non potest fieri, postquam sunt mortui, licet .prosint mortuis, quibus dum viverent 
facta fuit remissio." S. 243. 

3 Glem. 0. 2. de priv. et exces. privil. V. 7. Es wird hier die Exkommuni- 
kation verhängt über die Ordensleute, die, „ut verbis eorum utamiir, a poena 
et culpa absolvere quenquam praesumpserint". 

* „Totum tollere potest, etiam sine causa,' quoad ecclesiam militantem." 
S; 239. Damit aber der Ablaß vor dem Forum Gottes Geltung habe; muß für 
die Spendvmg ein Grund vorhanden sein: „Ut indulgentia valeat tantum quantum 
promittitur, exigitur auctoritas et causa ... ex parte dantis." Ebenda. - - 

^ „Poenam temporalem in totxun toUerö non potest, etiam ex causa, präe- 
sertim religiosus, nisi aliud sit concessiun." 

' „Et hoc vult dicere meo iudieio hie [textus], qui prohibet absolvere a 
poena et a culpa." S. 239. 



XI.- Die Ablaßlehre der Kanonisten der ersten Hälfte des 14.- Jahrhunderts. 389 

vollkommenen Straferlaß verstanden zu haben. Möglich ist allerdings, 
daß ei" zugleich an die unmittelbar vorher erwähnte sakramentale Los- 
sprechung von der Sündenschuld gedacht habe, so daß er sagen jtvoUte : 
Ohne besondere Bevollmächtigung ^ wie sie zu jener Zeit schon öfters 
vom Papste durch das Confessionale bewilligt wurde — kann ein ein- 
facher Priester • nicht von Strafe und Schuld lossprechen. Aber wie 
dem auch seij sicher. ist^ daß dieser Schüler Andreas, wie alle andern 
Theologen und Kanonisten seiner Zeit, unter dem päpstlichen Plenar- 
ablaß. nichts anders als einen vollkommenen Straferlaß verstanden hat. 

Eine eigentümliche Erklärung des sogenannten Ablasses von Strafe 
und Schuld findet sich bei Wilhelm von Montlaudun, Professor des 
kanonischen Rechtes in Toulouse, gestorben ,1343 als Abt der Bene- 
diktinerabtei Montier -Neuf in Poitiers.^' In seinem in den zwanziger 
Jahren des 14. Jahrhunderts verfaßten Kommentar zu den Klemen- 
tinen unterscheidet er von der Sünde, die gegen Gott begangen wird, 
die gegen die Kirche begangene Sünde. Die Beleidigung Gottes und 
die damit zusammenhängende ewige Strafe werde dem reuigen Sünder 
von Gott selber nächgelassen; von der Sünde dagegen, die gegen die 
Kirche begangen wird, könne der Papst als Gemahl der Kirche kraft 
seiner Schlüsselgewalt und seines Vikariats lossprechen. Und in diesem 
Sinne könne man die Redewendung ver stehen ,> daß der Papst namentlich 
im Jubeljahre von Strafe und Schuld losspreche. ^ 

Noch deutlicher spricht sich hierüber. Wilhelm aus in einem andern, 
früher verfaßten und noch ungedruckten Werke, das hauptsächlich von 
den Sakramenten handelt und daher Sacramentale genannt wird.^ 
Der Sünder, erklärt er im letzten Kapitel des Abschnittes über die 
Taufe, beleidigt durch seine Sünden nicht nur Gott, sondern auch die 
Kirche i" die ganze Gemeinschaft der Gläubigen. „Wenn nun auch durch 
wahre Reue die Beleidigung Gottes getilgt wird, so bleibt doch noch 
die Schuld zurück, die der Sünder durch die Beleidigung der, Kirche 
sich zugezogen. Diese Schuld kann nun der Papst kraft seiner Schlüssel- 
gewalt erlassen. Und so ist in der Sünde eine gewisse Schuld, diö' 
vom Papste nachgelassen werden kann. ' In diesem Sinne kann man 
verstehen, - was alltäglich , gesagt werde j daß nämlich der Papst von 
Strafe und Schuld losspricht.* , , i . - 



1 Vgl. über ihn- Schulte 11197 ff.. , ' , • 

'" Appärätus Guillelmi de monteHaudunö (!) super Clernehtiriäs. Parisii^ 
1517,' 169:' „Oiilparniri ecclesiam militantem- cpmmissämiips'e papä eins sponsüs 
remittere potest virtute clavis et vicariätüs sibi commissi, de quo pötest intelligi 
hoc quod dioitüf, scilicet'quod papa maxime in anno iubileo äb'solvit ä penä 
et' culpa." ... 

'^ Die Münchener Staatsbibliothek besitzt davon mehrere Abschriften. löh 
habe folgende eingesehen und verglichen: Cod. lat. 3876, 23947. 26891. 

* Cliii. 28947, 112': Peccätor peccändo offendit nedum Deum, immo et 
ecclesiam, totuni coUegium fideliüm; et licet per cÖntricionem veram toUatüf 
culpa vel reatus quoad Deiun, non tamen toUitur quoad ecclesiam ihilitahtem: 
Ipse taüüen papa ipsum reatum seu culparn in ecclesiam ' commissam potest 
vi clavis remittere. Et sie nota qtiod aliqua est culpa in peccatö comniissö 
quam papa possit remittere. De quo potest intelligi illud quod cottidie dicitüf,- 



390 .XI. Die Ablaßlehre der Kanonisten der ersten Hälfte des 14., Jahrhunderts; 

, . Piese Erklärung übernahm sofort Genzelinus. oder Zenzelinus 
de Cassanis (f um ,1330)/ der in seinem ungedruckt' gebliebenen 
Kpmnientar zu den Klementinen auch. sonst aufs engste, an Wilhelm 
.vpnjMontlaudun sich anschließt. In der Folgezeit aber hat die sonder- 
bare Meinung nur noch den einen und andern Vertreter gefunden:. 

Bei Wilhelm von Montlauduh selbst spielt .sie hui* eine ganz neÜen- 
sächliche Rolle. -In derselben Schrift über die Sakramente kommt' er 
in dem Abschnitte, der eigens vom. Ablaß handelt, nicht mehr darauf 
zurück. Dagegen schildert er den vollkommenen Ablaß, der vom 
Papste den. Kreuzfahrern und im Jubiläumsjahre erteilt, werde, bloß 
als .einen vollkommenen Straferlaß; auch berichtet er, ganz in Über- 
einstimmung mit vielen andern- mittelalterlichen Autoren, daß der 
päpstliche Plenarablaß vom Volke ein Erlaß von Strafe und ■ Schuld 
genannt werde, wobei er auf die oben angeführte Glosse Andreas zu 
den Klementinen verweist. Ausdrücklich betont er,' daß 'nur> von 
einem Erlaß der Strafe die Rede sein könne, da Gott allein die Schuld 
vergebe.^ Der Ablaß, lehrt er weiter, nütze nur jenen, die ihre Sünden 
gut bereut und gebeichtet haben. Daraus ergebe sich auch die Antwort 
■auf die Frage, ob durch die Ablässe die Sündenschuld erlassen werde : 
Diese Frage sei entschieden zu verneinen.^ Der Ablaß' ist eben, wie 
Wilhelm in seinem Kommentar zu den Klementinen .lehrty nur ein 
auf dem Kirchenschatze, d. h. auf den Verdiensten Christi und der 
Heiligen beruhender Nachlaß der Strafen, welche die bereits Ge- 
rechtfertigten- noch abzutragen haben.* 

Was Wilhelm sonst noch in deii beiden erwähnten Schriften sowie 
in 'seinem Kommentar zum Liber sextus^ über den Ablaß mitteilt; 
ist von geringerem Interesse. Erwähnenswert ist indessen,' wie er sich 
zum Ablasse für die Verstorbenen stellt. In dem Kommentar zu den 



qüod papa absolvit a pena et a culpa." Zu dem „oottidie dicitur" vgl. die oben 
Sjv354' angeführte Äußerung Mayronsr „Communiter docetur quod datur iri- 
dulgöntia a pena et a culpa." Daraus kann man ersehen, wie weitverbreitet 
damals schon die Kedeweise war. 
- ' •: 1 Vgl. über ihn Schulte II 199 f. 

• ^ Sacramentale, De indtilgentiisj q. 10: „Si papa per modum generalis 
remissionis det indulgencias euntibus in terram sanetam., temporalem penam 
remittendo, si talis bene confessus et contritus moriatur, credendum est quod 
nee purgatorium senoiat. Et fit talis plena remissio- in anno iubileo \dsitantibus 
limina apostolprum, quam vulgus^a pena et a culpa dicit, ut in Clementinis, 
abuaionibus, in glossa: ,Ista est plenissima pecoatorum remissio.' Et ita sumpsit 
ortum.ex dicto: Quorvun.remiseritis peccata, remissa_sunt eis. Et fit tantura 
absolucio quoad penam, quia oulpam solus Dens remittit." Clm. 23947, 176'. 

* De indulg. q. 13: „Ex quo solvitur questio qua queritur, an macula,-,vel 
offensa peccati per tiales indulgencias remittatur. Et planum est quod non." 
Ebd. 177'. ■ , . . , 

* Clem. 141': „Est überaus et generosa relaxatio de thesauro ecclesie facta 
per •vicarium Christi peccatoribus pro suis penis, ad quas iusti obligati sunt, 
redimendis." 

* In sextTim Decretalium interpretatio. Tolosae 1524. In dem Kommentar 
zu c. Indulgentiae (Bl. 133') finden sich einige kurze Bemerkungen über den 
Ablaß. 



X-L'Die'Ablaßlehre der Kanomsteii der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts* 391 

Klementinen führt er bei der Erklärung des Kapitels Ahusionihus 
sowohl die- bejahende Ansicht des Aquinaten als die verneinende des 
Hostieiisis an,. ohne sich über seine eigene Meinung klar auszusprechen. 
In dem ungedruckten Sacramentale dagegen lehrt er ganz offen, daß 
die Ablässe,' die ja kraft der Schlüsselgewalt erteilt werden, den Ver- 
storbenen nicht zugewendet werden können, da diese nicht mehr 
unter der Gerichtsbarkeit der Kirche stehen.^ 

Während er in diesem Punkte dem Hostiensis folgt, schließt er 
sich in andern Fragen mehr dem Aquinaten an, auf den er namentlich 
im Sacramentale öfters verweist. Im Gegensatze zu Hostiensis lehrt 
er, daß die einfachen Beichtväter keine eigentlichen Ablässe (veras 
remissiones) erteilen können,^ ebensowenig wie sie befugt sind, ihre 
Pönitenten zu ermächtigen, sich der Ablässe fremder Bischöfe teil- 
haftig zu machen.^ Sehr entschieden betont er, daß die Ablässe auf 
Grund des KJrchenschatzes, der aus den überschüssigen Verdiensten 
Christi und der Heiligen bestehe, gespendet werden.* Zur Gültigkeit 
der aus dem Kirchenschatze erteilten Ablässe sei nicht nur ein frommer 
Grund oder Endzweck erfordert (pietas in fine), nämlich die Ehre 
Gottes und die Förderung des christlichen Glaubens, sondern auch 
ein gutes Werk, das zur Erreichung jenes Zweckes dienen könne 
(ütilitas in opere). Sollte der Papst jemand einen Ablaß verteihen 
ohne Grund und ohne ein gutes Werk zu fordern, so würde die Ver- 
leihung ungültig sein.^ Da Wilhelm gleich nachher von einem guten 
Werke spricht, das vom Ablaßempfänger noch zu verrichten wäre,^ 
so muß er sein Sacramentale, zu einer Zeit verfaßt haben, wo der 
unter Johann XXII. üblich gewordene Sterbeablaß, zu dessen Ge- 
winnung die Verrichtung eines bestimmten guten Werkes nicht erfordert 
war, hoch nicht erteilt zu werden pflegte. > 

Wilhelm von Montlaudun wird wiederholt angeführt von' einem 
andern französischen Känonisten, Heinrich Bohic oder, Bouhic,^ 
gestorben um 1350, der in seinem Kommentar zu den Dekretalen bei 
der Besprechung des Ablasses^ noch manche andere Känonisten, die 
vor ihm die Ablaßfrage behandelt hatten, kurz erwähnt, so namentlich 
Vincentius, Goffredus von Trani, Innozenz IV., Bernhard von Bottone, 
Hostiensis, Abbas Antiquus, W. Durantis, Baysio, J. Monachus, 

^ Sacramentale. De indxilg. q. 9: „Nee illis qui sunt in purgatorio prosunt, 
quia ciitn fiant et procedant ex virtute clavium, et clavis nqn liget nee absolvat 
mbrtuos qui relicti sunt iudicio divino . . . Die quod tantum prosunt illis qui 
sunt in ecclesia militante." Clm. 23947, ,175'. 

* Sacramentale. De indulg. q. 3. 

^ Ibid. q. 13: „Et est racio, quia solus iste qui potest actum iurisdictioni» 
exercere, potest etiam actum iurisdictionis alteri committere." 

* Ibid. q. 4. 

^ „Si sine causa et sine opere alicui de thesauro conferat, preter iudioium 
recte rationis agit et clavis errat, quare nihil facit." Ibid. q. 13. 

* „Pium opus, quod acquirens has indulgencias exercebit." Ibid. q. 13. 
' Vgl." über ihn Schulte II 266 ff. 

* Distinctiones- super quinque libros decretalium. Lugdvini 1498. Zu 
c. Quod autem imd c. Cum ex eo. , Bl. 72' 80. 



892 XI. Die Ablaßlehre der KaJ 

J. Andrea, Gesnzelinus, , Aucl 
und -dessen Glossator WilheJ 
Astesanus werden genannt, 
Auxerre, Thomas von Aquin 
Über Bohics eigene Ansicht i] 
esse bieten würde. 

Die eigentümliche Erklä 
Ablaß von Strafe und Schuld 
Kirche zugefügte Beleidigung 
hundert ein nicht näher, beM 
unhaltbar abgelehnt. Dieser 
talc: Quod auUm eine Abhang 
betont er Wilhelm: von Mpntl 
beleidigt j a,uch eine Sünde g^ 
daß man der Formel, deren 
einen passenden Sinn beilege: 
erklären : Wer nach reumütig 
gewinnt, der ist befreit' von S 
die E-euiB, von der Strafe dur 



:> Waigel, cap. 23y erwäto 
Qvxid autem".. ^ Heinrich y on Bi 
führten Breslaüer Hiandsohriift II. 
suö dö indtilgeüciis." Ah eiiier an 
j.Doctor ,Almohi\is canpnista". A 
der in der zweiten Hälfte des 14. 
ist also nicht zu denken. Ist vielli 
mit dem Kanonisteh Almanüs, a 
Moiitpellier, von dem die Basier U 
dioto verwahrt? Vgl. G. Binz,i] 
Bibliothek . der Universität ; Basel ] 
* ,,Non iudico quod possit pf 
sponsus, offendatnr." Bei Weige 
' * ,,Si aliquis sit vere penifeü 
vel plenissimam ihdulgenciam pee( 
a ciüpa, a culpa mediante contriti 
habet papa." Ebd. 



ler Kanonisten der ersten Hälfte des 14, Jahrhtiridetts. 

Auch die Summisten, Raimund von Penaforte 
Wilhelm .von Eennes, Johann von ]b>eiburg, 
nnt, A\^ährend von den Theologen Wilhelm von 
Lquin und Petrus> von Tarentaise zitiert werden, 
äicht ist nichts zu sagen, was besonderes Inter- 
Erklärung Wilhelms von Montlaudun vom 
Schuld, als könnte hier unter Schuld- die der 
igung verstanden werden, hat noch im. 14. Jahr- 
är, bekannter Kanonist namens Almonius als 
dieser Kanonist hat als Kommentar zur Dekre- 
Abhandlung über den Ablaß verfaßt.^ Darin 
i Montlaudun gegenüber, daß-, wer die Earche 
inde gegen Gott begeht.^ Er meint indessen, 
deren sich übrigens der Papst nicht bediene, 
beilegen könne; man könne sie folgenderweise 
iumütiger Beichte einen vollkommenen Ablaß 
} von Strafe und -Schuld, von der Schuld durch 
afe durch die päpstliche Schlüsselgewalt .^ 

rwähnt die Schrift des Almonius als „Repeticio capituli 

von Bitterfeld dagegen in der bereits oben ange- 
hrift II. F. 65, Bi. 197' sägt: „Almonius in tractätü 

einer andern Stelle (Bl. 199) nennt er den Verfasser: 
ista". An den Franziskaner Wilhelm Almoinus-, 
■ des 14. Jahrhunderts gelebt hat (vgl. Hurter, 629), 

Ist vielleicht der Verfasser der Ablaßsehrift identisch 
lanus, am Anfang des 14. Jahrhunderts Professor' in 
Basler Universitätsbibliothek einen tractatus de inter- 

Binz, Die deutschen Handschriften der öffentlichen 
t Basel I, Basel 1907, 39. 

possit offendi ecolesia militans quin Deus, qui est eius 
)i Weigel. 

3 penitens et confessus et papa dat plenam, plenariam 
3iam peeeatorum, stat illum absolutum esse a pena et 
3 contritione, a, pena mediante potestate clavis, quam 



-<>-«<!©»»-<>-